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ZEITSCHRIFT
FÜR
EXPERIMENTELLE PATHOLOGIE
UND
THERAPIE
HERAUSGEGEBEN
VON
L. BRIEQER (BERLIN), H. E. HERING (PRAG),
F. KRAUS (BERLIN), R. PALTAUF (WIEN).
FÜNFTER BAND.
MIT 8 TAFELN, 10 ABBILDUNGEN, 38 CU UV EX UND 1 SKIZZE IM TEXT.
BERLIN 1909.
VERLAG VON AUGUST HIRSCH WALD.
NW. UNTER DEN LINDEN 08.
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Inhalt.
Seite
Heft 1 : Ausgegeben am 27. Mai 1908.
I. Aus der Breslauer Universitäts-Kinderklinik. Ueber den Einfluss von
Schilddrüsendarreichung auf den Stickstoffwechscl von Kindern. Von
Dr. Arnold Orgler. 1
II. Aus der chem. Abtheil, des patholog. Instituts der Universität Berlin.
Ueber den Aschengehalt einiger Se- und Excrete des Körpers (Magen¬
saft, Faeces, Sperma). Von A. Albu (Berlin). 17
III. Aus dem pharmakolog. Institut der Universität Breslau. Pharmakolo¬
gische Studien über einige Pyrazolonderivate. Von D. Joh. Biber¬
feld. 28
IV. Aus dem Institut für allgemeine und experimentelle Pathologie der
Universität in Lemberg. Ueber die Bedeutung der Nebennieren in
der Pathologie und Therapie der Rachitis. Von Dr. Robert Quest. 43
V. Aus der Königl. Universitäts - Kinderklinik München. Vergleichende
Untersuchungen über den Coinplementbcstand im Körper natürlich
und künstlich ernährter Thierc. Von Dr. med. A. Heimann. . . 50
VI. Zur operativen Behandlung gewisser Lungenkrankheiten (Emphysem
und Tuberculose). II. Theil. Von Ludwig Hofbauer (Wien). (Mit
2 Abbildungen im Text.). 63
VII. Aus dem k. k. Institut für allgemeine und experimentelle Pathologie in
Graz. Ueber Herzinsufficienz. Von Privatdocent Dr. Hans Eppinger
und Dr. Erich von Knaffl. (Hierzu Tafel I.). 71
VIII. Aus der I. medicin. Universitätsklinik in Wien. Die Einwirkung des
Arsen auf die Autolyse. Von Dr. Leo Hess und Dr. Paul Saxl . 89
IX. Aus der medicinischen Klinik der Acaderaie für practische Medicin in
Düsseldorf. Ueber Morphium-Diabetes. Von Dr. W. Spittaf . . 94
X. Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Herz¬
schalles. Von Dr. Heinrich Gerhartz. (Mit 7 Abbildungen im
Text.).105
XI. Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Jena. Beiträge
zur Kenntniss der Gicht. 8. Das Auftreten von Glykokoll im Blute.
Von H. Kionka. (Hierzu Tafel II und III und 1 Skizze im Text.) 131
Xll. Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Jena. Beiträge
zur Kenntniss der Gicht. 9. Weiteres über das Ausfallen der Urate.
Von H. Kionka. 142
XIII. Aus dem Laboratorium der medicinischen Klinik in Basel. Experi¬
menteller Beitrag zur Ernährung von Ratten mit künstlicher Nahrung
und zum Zusammenhang von Ernährungsstörungen mit Erkrankungen
der Coiyunctiva. Von Dr. Paul Knapp, Augenarzt in Basel. (Hier¬
zu Tafel IV.). . 147
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194533 -
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Aus der Breslauer Universitäts-Kinderklinik.
Ueber den Einfluss von Schilddrfisendarreichung auf den
Stickstoffwechsel von Kindern.
Von
Dr. Arnold Orgler,
ehemaligem Assistenten der Klinik.
Als nach dem Vorgänge von Leichtenstern 1 ) Schilddrüsen häufiger
medicamentös* verabreicht wurden, stellten sich bei manchen Patienten,
auch bei Kindern, schädliche Wirkungen ein, die auf die Schilddrüsen
bezogen und daher mit dem Namen „artificieller Thyreoidismus“ belegt
wurden. Dem gegenüber hat Gregor 2 3 ) gezeigt, dass selbst die dauernde
Verfütterung grosser Mengen frischer Schilddrüsen bis zu 82 g
(= 55 Tabletten) an Kinder keinen Einfluss auf ihr Allgemeinbefinden,
auf Körpergewicht, Puls, Respiration oder Blutdruck erkennen liess.
Gregor führte in Uebereinstimmung mit Lanz 8 ) die beschriebenen un¬
glücklichen Zufälle darauf zurück, dass hier postmortal zersetzte Schild¬
drüsen oder Präparate, die aus derartigen Drüsen hergestellt waren, ver¬
abfolgt waren. In der That sind in den letzten Jahren derartige Fälle
nicht mehr beschrieben worden, obwohl die Schilddrüsentherapie Jahre
lang bei einer grossen Anzahl idiotischer Kinder in nicht zu kleinen
Dosen angewendet wurde. Auch der zufällige einmalige Genuss von
sehr zahlreichen Tabletten hat in einzelnen Fällen zu keinerlei Ver¬
giftungssymptomen geführt, so bei einem von Becker 4 5 ) beobachteten
Kinde, das an einem Tage 90 Tabletten zu sich nahm, ferner bei einem
Kinde, das auf einmal den Inhalt einer Flasche, ca. 40 Tabletten, als
niedliche Bonbons verspeiste 6 ); trotz dieser grossen Dosen wurden
keinerlei Störungen festgestellt. Idiotische Kinder, bei denen die The¬
rapie Jahre lang fortgeführt wurde, gediehen dabei körperlich gut, ohne
1) Leichtenstern, Deutsche med. Wochenschr. 1894. S. 932.
2) Gregor, Monatsschrift f. Kinderheilkunde. Bd. 1. 1902.
3) Lanz, Deutsche med. Wochenschr. 1895. S. 597.
4) Becker, Deutsche med. Wochenschr. 1895. S. 600.
5) Private Mittheilung von Herrn Prof. Czerny.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. j
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2
A. Orgler,
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dass sich allerdings ein sicherer Einfluss auf die geistige Entwickelung
nachweisen Hess. Diese Beobachtungen an Kindern stehen in einem
gewissen Gegensätze zu den bei gesunden Erwachsenen gemachten Er¬
fahrungen. Seitdem die Schilddrüsen als Entfettungsraittel empfohlen
waren 1 ), wurden eine grosse Reihe von StolTwechselversuchen angestellt,
um die Ursache der Körpergewichtsabnahme bei Schilddrüsenfütterung
festzustellen. Obwohl bei fast allen Untersuchungen die Menge der ver¬
abreichten Schilddrüse bedeutend geringer war als in den Gregor’schen 2 )
Versuchen — nur David 3 ) hat bis zu 50 Tabletten in seinen Versuchen
gegeben, meist ohne eine schädliche Nebenwirkung dabei zu sehen —
trat in allen Fällen eine Steigerung der Stickstoffausscheidung auf, so
dass meistentheils die Stickstoffbilanz negativ wurde 4 ). Einigen Autoren,
P. Fr. Richter 5 ), Scholz 6 ), Zinn 7 ) Vermehren 8 ), gelang es aller¬
dings, die Kostanordnung so reichlich zu treffen, dass eine negative
Bilanz vermieden wurde, aber auch hier war die Stickstoffausscheidung
immer vermehrt. Das Körpergewicht nahm in der Mehrzahl der Fälle
ab, nur bei einzelnen Patienten blieb es unbeeinflusst; so berichtet Ver-
mehren, dass bei einem seiner Kinder sich das Körpergewicht nicht
änderte, bei einem zweiten dagegen eine geringe Zunahme eintrat. Auch
war in diesen Versuchen die Steigerung der Stickstoffausscheidung im
Urin nur in geringem Maasse vorhanden. Von den meisten Beobachtern
wurde ferner eine Erhöhung der Pulszahl und eine Beschleunigung der
Athmung beobachtet. Diese Differenz im Verhalten der Kinder von
Gregor und Vermehren gegenüber Erwachsenen konnte ihre Ursache
einmal darin haben, dass Kinder gar nicht oder nur in geringem Maasse
auf Schilddrüsenzufuhr reagiren, oder dass sie in der Lage sind, die
eventuell eintretenden Schädigungen besser zu compensiren. Es erschien
daher wünschenswerth, sich über diesen Punkt durch Stoffwechselversuche
Aufklärung zu verschaffen.
Zu diesem Zwecke habe ich an 4 Kindern das Verhalten der Stick¬
stoffausscheidung unter dem Einfluss von grossen Gaben frischer Schild¬
drüsen studirt, bei 2 Kindern wurde ausserdem noch ein Controlversuch
mit Jodkali und bei einem ein Versuch mit Jodeigon gemacht, um den
Einfluss von anorganisch gebundenem Jod und künstlich jodirtem Eiweiss
1) Leichtenstern, 1. c.
2) Gregor, 1. c.
3) David, Zeitschrift f. Heilkunde. 1896. Bd. 17. S. 439.
4) Bleibtreu und Wendelstadt, Deutsche med. Wochenschrift. 1895.
S. 3a7. — Dennig, Münch, med. Wochenschr. 1895. S. 389 u. 464. — Dinkler,
Münch, med. Wochenschr. 1896. S. 513. — Grawitz, Münch, med. Wochenschr.
1896. S. 312. — Irsai, Deutsche med. Wochenschr. 1896. S. 439.— Jacquet-
Swenson, Zeitschr. f. klin. Med. 1900. Bd. 41. S. 375. — Magnus-Levy,
Zeitschr. f. klin. Med. 1897. Bd. 33. S. 269. — Treupel, Münch, med. Wochen¬
schrift. 1896. S. 117.
5) Paul Friedrich Richter, Centralbl. f. inn. Med. 1896. S. 65.
6) Scholz, Centralbl. f. inn. Med. J895. S. 1041.
7) Zinn, Berl. klin. Wochenschr. 1897. S. 577.
8) Vermehren, Deutsche med. Wochenschr. 1893. S. 1037.
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Ober cUth Einfluss -VoB.äfl^IddriassniJsrfoidrUing agf'dfeti ^faMlelTwetslisel etc. %
kenntm jfiä Icnu-ri Die frisch v*.»rtr ScM&tiliHiöC' jge)tef«j‘t«n Se.hilddnl'Sej»
wurden von Fett und ftiodegewebn frei dir fagcsponkiinon. lit
sterilisirten tVägegläscheii abgpwngun, du- Grl&fer luftdicht mit I’araffiiT
abgedichlri und in Mi», das »»ehrroal.i a»-h KaHits, gewechselt wurde,
anftewaiml. Die'Vcr.suciibtuahruhg beÄtand aas Milch und Zwieback ; dir
Abgrenzung des heilen Milchkutbrs geschah dadurch, dass am Abend
Ftniiärv«' icntl am lirtrpn trftrfh soiiW'r Atta«
ans' .he$s>mv $esuItste: als die mii Heidelbeeren oder . Kohle
/Vn^er dem Gesairinitetickstofr m .fö'n’r and Ausfuhr wurde fipiih die
enge.
i. Fall.
K; H. ? Mg Jahre alt, nufgetfomamn am l J. 31. OZc südi Ende Aaguslfraton
Anfälle auf, die ohnmaobisähnlich waren. L>as Kind stieria nach einem Punkt, '•griff
mit d^n Händon aaeh Gegensfamien. die nicht <]& -ywi$n> .im Hctto, wüh’üa vh alle
KheratAH und schlug einen Purzelbaum. Nach dem Anfall 1 ~2 Stunden langer
Suhbf für Anfälle traten gewöhnlich 2ma( am Tage auf; Intervall zwischen den
zitäütmxi ÄnfäUmr ca. 8 tage, ttas Kind wurde ftedraelnu'ng $«**? ÄitfeHu auf
die Sbtmn duifgcnommen. Kräftig gebauter dünge mit Vütziigliolmn färben, lumgerr:
ohne Jbfundi. liorztone: etwas unrein. Abdomen, Haborgane: ohne Befund. Urin:
fr&tvoi( Eiweiß und Zucker. Am 12. li. Früh Morgend ;> l / 2 Uhr ein hv>u*ttsoher
Änfolb keioe Krämpf'-, keine Sims men, Vfym Vyitoose.. Svnsornim- mü, Auf Auf¬
forderung wiederholt er den Anfall amhrmals,-steht danach sofort auf m»d ist
/munter, ; , . '. :
b Verbuch (cf, Tabelle b.
l)auer tteSr Versuche?: Vom 17. ll. Ob Morgens bis 2]. TL Morgens.
Gewicht zu Beginn des Versuches: 27 T 1 kg,
Oßvricbi; am Ende dAK V^mielißs: kg.
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N-Bilanz in 4 Tagen — -f- 2,i>‘/40 j/ro dm -f- ü/GoIO
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A. Orgler,
2. Versuch (cf. Tabelle II).
Dauer des Versuches: Vom 26. 11. bis 1. 12.
Gewicht zu Beginn des Versuches: 27 kg.
Gewicht am Ende des Versuches: 26,5 kg.
Tabelle II.
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2000,4+ 200,1 + 20,0
2004,7 + 200,6 + 40,0
+ 200,0 Wasser
1998.4 + 200,3 + 40,0
+ 200,0 Wasser
2000,1 + 200,0+ 50,0
4- 200,0 Wasser
11,291
10.284
10,743
! 10,349
| 10.129
1
2,9901
2,9901
3,0783
3,0335
2,9886
i
0,638
0,638
1,276
1,276
1,595
14,9191
13,9121
15,0973
14,6585
14,7126
ccm
1490
1280
1100
1340 |
1040 *
1
14,270
14,275
15,803
16,406
16,312
>5,823
I
.
10010,9 +1001,1 +170,0
+ 600,0 Wasser
52,796
15,0806
5,423
i
73,2996
6250 j
77,066
5,823
82,889
N - B i 1 a n z.
N der Einfuhr in 5 Tagen = 73,2996 pro die = 14,6599
N „ Ausfuhr „ 5 „ = 82,8890 „ „ = 16,5779
N-Bilanz in 5 Tagen = — 9,5894 pro die = —1,9180
Während des Versuches trat am 29. 11. eine kleine abendliche Temperatur¬
steigerung von 37,8° auf.
Das Kind hatte also in den 4 Tagen der Vorperiode 2,53 g Stickstoff retinirt,
d. h. täglich 0,63 g; in der 5tägigen Schilddrüsenperiode verlor es 9,59 g Stickstoff,
also täglich 1,92 g N. Das bedeutet eine tägliche Verschlechterung der Stickstoff¬
bilanz um 2,55 g. Wie aus der Tabelle II ersichtlich ist, trat entsprechend der
höheren Schilddrüsenzufuhr in den drei letzten Versuchstagen auch eine höhere Stick¬
stoffausscheidung ira Urin auf; doch bestand kein Parallelismus zwischen der Höhe
der Schilddrüsenzufuhr und der Grösse der Stickstoffausscheidung; denn am letzten
Tage zeigte trotz einer um 10 g hpheren Dosis die Stickstoffausscheidung gegenüber
dem Vortage keine Steigerung. Das Körpergewicht sank in der Vorperiode bei guter
Stickstoffretention um 200 g, in der Schilddrüsenperiode um 500 g, um sich nach
Beendigung des Versuches auf einem Gewicht von 26,3 kg zu halten. Auffallend
war es, dass das Kind an den letzten drei Versuchstagen über heftigen Durst klagte,
obwohl es 2 Liter Flüssigkeit zu sich nahm, so dass ihm noch täglich 200 g Wasser
zugelegt werden mussten. Das Allgemeinbefinden zeigte keine Störung, der Knabe
war lustig und vergnügt. Die abendliche Temperatursteigerung am 29. 11. beruhte
auf einer leichten Pharyngitis.
2. Fall.
Kind Z., 7 Jahre alt, einziges Kind; Mutter nervös; Keuchhusten mit 3 Jahren;
im 4. Jahre Masern, Varicellen, Darmkatarrh; mit 5 Jahren Scharlach; leidet sehr
häufig an Hitze, Stuhlgang nie in Ordnung, bald dünn, bald etwas obstipirt; wird
am 5. 12. 05 wegen fieberhafter Angina der Poliklinik zugeführt und am 20. 1. OG
auf die Klinik aufgenommen.
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ü&)s*ink*n, T&nsiltru) gross. Ph&fyr.x gcsviust**;. Lungen: ftho*. Ü*fütm vor:
•i?? pomälön Grenzen, erster Ton au der itasH unreiti, Herztöne, Mmn nmwsk ...Ab-
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GevGeht mn Endo dos Vernicht: 15,7 kg,
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Gewicht zu Beginn des Versnobest: 15,3 Tg\
Gewicht um Endo des Versuches 15,4 Kg
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in der Vorperjode hallo «4s Kind in vier Tagen 1,32 g N oder pro (be 0,45 ;/.
an^o^tzi. ln der Schildtlnisenpenode verlor es dagegen ddld g N. (L in iaglich t.ib l\
m» «bF dm Vorsehlechterunü; der Bilanz* 0*4 £ “der täglich ldvg.N beträgt;- AV,\htv-.nd
•!(■• .lo«!vvrsuchrr>. Kann mau zwei Perioden vnn allerdings nur je zwei '.ragen mmo“
seiieidtni; du- die Stühlen; Imuug ziem lieh rogelmassig erVolgifi, habe jcli die tägliche
S't(okstolfaassol*oidung berechnet, und .w r.gmhi -ich dann, dass bei »rnnr Ughcbcn
Zufuhr von 1 g dodkalium die Stickshdlbilauz etwas besser war als in dar Vmpom*dc,
dass dngegeu bei einer Zufuhr von täglich 1.5 £ Jvidhaliuui eim* mhvbiit in*Ycusc-hleeh-
Digil
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UNIV ERStTYOF-MlCHE GA N"
Üobei den Eiuftu.ss von '>•!.ilddtusciiriArnuoiiiin^ ajff den AtoTshdfwechsti ok\ 7
veruog der HtkksloilVetenUo?) anltrat. Die Ztifti hc von K Alteniiftli filhrVc ic der 4* Fe*
r?<5<Jö. m 'einet bedmitefld b^$eren‘ S!iok«t 9 fffßt^ti# ; jti der.Vötjgefii>«le>- alteirngs
wurde. im Versuch 4 doppelt'soviel SlicksiolT /mgofubn aU.im ersten Yer^uob* Störend
war in diesen Vörsarlton. dass der Stiolistöftobölt; der Milch mnl —ifatdrStte
'hr auch der Fettechalt m tlei Vnrpeiiodo bedeutend gornfgef war als ir» den spateren
Versuchen, so dass das .Kind trotz gleiThfaliuhetider Milöhtoenge-.iin ersten Versuch
die geringste StickstolT*' Und Cidönenmeng> erhall.
PtO Viru;u» sst'lioid nng terter) der Y\»pprrioi.'le ihren. tundvigste.n Werth, in;
der dmiperuwlo -tWg sie etwas an. d&fffc? hei Zufuhr von Schilddrüsen Und war
niiturgemass in der Thyinüsperiode, also hei Zufuhr mickünhakigef Nahrung, um
höchsten.
tvÖrj»rrgevvicld zeigte Keine Beoinllus^ung inner Sehilddrüveiid.ureichuiitr;
• M ./ayii*.in Titöser. mja 200 u, aber -diese Abnahme blb\b innerhalb der
Grenzen der :KärpHrgwirditsschwi>nkungan hei d feste Kind^ ühephaMph Die höchste
GewTi'lHw>ahnahme von : # *00 u zeigte das Kim] in liet.l ml periode und auch diese
Srhwiinkmvg blifefr 'innerhalb der physu.dogisehiU) j»reite der Gewietitsanderuogen.
Während des Aui^nt ha Uns auf der Klinik hatte das Kind, irouoero keim* Körper-
gew»eht.$zunialuue: eintet, sich glanzend erholt. LVhatte blühende- Farben bekommen,
. dky Tutel km waten deutlich kleiner geworden a.js ; hei der Aufnahme, die nervösen-
Hes.-diwerdeh..des Kindes wären bedeutend gebessert,- Klagen ü)$i tepf$»teiettW
Keinen uhochaupk fitcln vor; Der Aufenthalt. nt der veränderten Umgebung hatte auf
: <U^4vtflliA»oeii gity* .besonders- günstigen Einfluss iuisgeubl,
K. \V,, 0 Jahre alt, seit dem iy Jahre .in poliklinischer ßedfeäpIitMttg wegen’
1 ‘bumlaufen und rocidivirenden RrViochilidon. Aulgenonuner! den & :y Ot*. Ziemlich
geiler junge nut .garte: Partei; ,ßkae,tn des Kase.hei'ngtvbgös,. Bridge;•.';
iyyphbse deroberen fiitistwirbeJsnule, abstehende Schultern, wenig Oervicaldrüsen.
Vmsihm) fit^ht gi'uSs, tmngin, l-er, temion: ohne Befund. Patejimrefloie
lobhaft, .panuienreliexe horabgeseUL
X. Vor such (cf. Tabelle V.lik
hau»M‘ <los Versuches: Vom 12. -1. 00 frujv bis 1,6. •>. früh.
Gewicht 211 Beginn des Versuches: 24 t S Tg,
Gewicht am Ende des Vmtete: 25,4 %«
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2. Verbuch■ (»f. Tab^iie Vlil).
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Dauer des Versucht** ; Vnm 26, 3. 06 früh Id? äß; $* früh.
Gewicht *ü Xiogmii des Wsuohov- & t 7 kg,
GewicM- a/n Ende des Versuches: 2(\,0 kg.
Wahrend diesem Versuches zeigten sinh ah? Zeichen der lodwirkting massig starke
Ööryaa, Webte Conjunctivitis und .Jodacne.
$Sjih'-}fr >W$vifib : ‘f* iÖX' ; ^ . ’ . 7 ./ «,
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Einnahme-N in 4 Tagen
Ausgabe-N 4 ;■,,,;
N r -Bilanz in 4 Tagen
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Dauer des Versuches: Vmi # 4> früh bis 8 4,.ftüh.
Gewicht su Beginn des Versuches; 25,8 kg-
Am Ende des Versuches : 25.6 kg.
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.X-JhlanX-dh 5 Tagen
45,7477 pro
Am 5. t Margens trat etwas Efbrechnn auf, die Tetnjmraüir Äheods' betrug
57,7, am 6. E Morgens 57,4, Abends 57 >7, a;vi 7. Morgens -57,2. ' Die Pulszahlen
Acbwanivton wEhrend der VersnObi? i'Aviscbon D)0 und lüO, nur am 5. 4, Morgens nach
domi Eibro< hc.i wurden UO thdse gozaidt. Abends 120. Am 7, i2o t/uise. am ^
Ueber den Einfluss von Schilddrüsendarreichung auf den Stickstoffwechsel etc.
9
124 Pulse. Dooh waren auch an den früheren Tagen bei dem leicht erregbaren Kinde
manchmal 120 Pulse gezählt worden.
Mit Ausnahme des 3. Tages im Versuch 3 verliefen die Stoffwechselversuche
ohne jede Störung, das Kind befand sich vollkommen wohl, war lustig und guter
Dinge. Das Erbrechon am Morgen des 5. 4. muss auf die allmählich sich immer
steigernde Abneigung des Kindes gegen die Milchdiät zurüokgeführt werden. Dieser
Widerwille gegen Milch war am Schluss des Versuches so gross, dass das Kind sofort
zu brechen anfing, als einige Tage nach Versuch 3 und dann nooh einmal zwei
Wochen später ein neuer Versuch angefangen werden sollte. Trotz der schönsten
Versprechungen war der Knabe nicht mehr dazu zu bewegen, diese Milchdiät vier
Tage hindurch zu sich zu nehmen. Von weloher Bedeutung aber derartige psychische
Erregungen sein können, zeigt das Körpergewicht des Knaben. Am 11. 4. Körper¬
gewicht 25,4 kg. An diesem Tage auf zwei Milchmahlzeiten zweimal Erbrechen, dann
wieder allgemeine Kost. Am nächstfolgenden Tage: Körpergewicht 24,9, am 13. 4.
24,7 kg. Dann stieg das Körpergewicht mit Schwankungen auf 25,9 kg am 23. 4. An
diesem Tage erfolgte nach einer Milchmahlzeit Erbrechen. Die Milchdiät wurde sofort
ausgesetzt, am nächsten Tage war das Körpergewicht um 900 g, auf 25,0 kg ge¬
sunken. Derartige Schwankungen sind wohl zum grössten Theil, da das Kind die
übrige Nahrung in anscheinend ausreichender Menge zu sich nahm, auf Schwankungen
des Wassergehaltes zurückzuführen.
Die Stickstoffbilanz der Vorperiode war negativ. Das Kind gab trotz genügen¬
der Calorienzufuhr in 4 Tagen 3,58 g Stickstoff, also täglich 0,88 g ab. Auch in der
Jodperiode verlor das Kind täglich 1,31 gN von seinem Körpereiweiss während 4Tagen,
also täglich 0,33 g. Diese negative Stickstoffbilanz verschlechterte sich in der Schild¬
drüsendarreichung ganz gewaltig. Das Kind gab hier in 5 Tagen 15,7 g N, gleich
3,15 g N täglich ab.
In directem Gegensatz zu der negativen Stickstoffbilanz steht das Körpergewicht.
Im Vorversuche nahm das Kind trotz erheblichen Eiweissverlustes dauernd zu. Die
Körpergewichtszahlen betragen:
12. 3. 24,8 kg.
13. 3. 25,0 kg.
14. 3. 25,1 kg.
15. 3. 25,2 kg.
16. 3. 25,4 kg.
Die Zunahme beträgt hier also 600 g. Auch in der Jodperiode nahm das Körper¬
gewicht um 300 g zu, dagegen trat in der fünftägigen Schilddrüsenperiode nur eine
Abnahme von 200 g ein. Wenn man den verloren gegangenen Stickstoff als Muskel¬
fleisch berechnet, hätte das Kind während der Schilddrüsenfütterung ca. 500 g an
Fleisch verloren, da es aber thatsächlioh nur 200 g abgenommen hat, muss es in
dieser Zeit 300 g einer stickstofffreien Substanz (Fett oder Wasser) angesetzt haben.
Die Harnsäureausscheidung war in der Vorperiode am niedrigsten, in der Jod¬
periode trat eine ganz unbedeutende Steigerung auf, und während der Schilddrüsen¬
verabreichung wurde die meiste Harnsäure ausgesohieden.
4 . Fall.
M. W., 9 Jahre alt, stets gesund, aufgenommen den 7. 6. 06, kräftig gebauter
Junge, guter Ernährungszustand, etwas eingesunkene Claviculargruben, wenig Hals¬
drüsen, schlechte Zähne, Tonsillen klein, Pharynx gewulstet, innere Organe: ohne
Befund. Reflexe: lebhaft, Faciaiisphänomen: beiderseits positiv.
1. Versuch (cf. Tabelle X).
Dauer des ersten Versuches: Vom 12. 6. 06 Morgens bis 16. 6. Morgens.
Gewicht zu Beginn des Versuches: 26,9 kg.
Am Ende des Versuches 26,7 kg.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
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Ueber den Einfluss von Schilddrüsendarreichung auf den Stickstoffwechsel etc. 11
Tabelle XII.
Einnahmen:
Ausgaben:
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S,g*
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3 c/)
I.
II.
III.
IV.
Milch+Zwieb.+Jodeig.
2199,2+237,0+ 3,75
2197,74 236,0+ 5.3
2200,3+233,94 6,2
2199,5+236,5+ 6,05 1
| 11,0467
| 10,8170
| 10,81221
10,66561
3,6673
| 3,6519
! 3,6193
3.6596
1
0,3062 ' 15,0202
1 0,4968,14,9657
0,5812 1 15,0127
| 0,5671 | 14,8923
2080
1635
1155
1295
!
12,6360
12,7944
11,8786
12,6553
0,2499
| 0,2758
, 0,2844’
, 0,27651
J 6,0767
j
1
8796,7+943,4 • 21,30 j
43,341 b\ 14,5981
1,9513
59,8909
6165
49,96431 1,0866 6,0767 56,0410
N - B i 1 a n z.
Einnahme-N in 4 Tagen = 59,S909 pro die = 14,9727
Ausgabe-N „ 4 = 56,0410 » , ^ 14,0102
N-Bilanz in 4 Tagen = + 3,8499 pro die = + 0,9625
von 3,8 g Stickstoff oder täglich 0,96 g auf. Die Harnsäureausscheidung war, ent¬
sprechend den vorhergehenden Versuchen, in derVorperiode und während derJodeigon-
zufuhr am niedrigsten und zeigte in der Schilddrüsenperiode einen täglichen An¬
stieg um 0,09 g Harnsäure.
Das Körpergewicht, das in den ersten Tagen des Aufenthaltes auf dor Klinik
um 800 g zugenommen hatte, nahm während des Vorversuches um 200 g ab und hielt
sich in der Schilddrüsenperiode auf gleicher Höhe. Nach Beendigung des Versuches
nahm das Körpergewicht langsam ab, um am 29. 6. den niedrigsten Stand mit 25,8 kg
zu erreichen. Vom 29. 6. bis 2. 7. stieg es dann wieder auf 26,5 kg. Die Pulszahlen
zeigten während des Schilddrüsenversuches keine Abweichungen von der Norm. Der
Knabe befand sich während des Aufenthaltes auf der Klinik vollkommen wohl, nur
am Morgen des 1. Jodeigontages nahm er die erste Portion mit Widerwillen und
brach danach etwas. Sonst wurde das Pulver gut genommen.
In einem 5. Versuche trat bei einer tägliohen Zufuhr von ca. 40 g frischer
Schilddrüsen eine Gewichtsabnahme von 500 g in 4 Tagen auf. Ein Stickstoffwechsel¬
versuch war bei diesem Kinde nicht durchzuführen. n
ln allen 5 Versuchen zeigte sich also trotz des Genusses grosser
Mengen von frischer Schilddrüse in Bestätigung der Beobachtungen
Gregor’s keine Beeinflussung des Allgemeinbefindens. Säramtliche Kinder
fühlten sich während der Schilddrüsenperiode völlig wohl und munter.
Puls und Athmung wurden ebenfalls in Bestätigung der Gregor’schen
Angaben nicht beeinflusst. Dagegen zeigte sich, dass die Schilddrüsen¬
darreichung, in völliger Uebereinstiramnng mit den Beobachtungen an
Erwachsenen, die Eiweisszersetzung beträchtlich erhöht; bei den beiden
ersten Versuchskindern, die in der Vorperiode eine mehr oder minder
grosse Stickstoffretention aufwiesen, trat eine negative Bilanz auf, im
dritten Versuch, in dem schon während des Vorversuches eine negative
Stickstoffbilanz vorhanden war, wurde dieselbe bedeutend grösser, und
im vierten Versuch, in dem Stickstoffgleichgewicht bestand, fand ent¬
sprechend den übrigen Versuchen eine Stickstoffabgabe vom Organismus
statt. Es verschlechterte sich die Bilanz bei Kind H. um 2,6 g täglich,
bei Kind Z. um 1,6 g, bei Kind R. W. um 2,2 g und bei Kind M. W.
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12 A. Orgler,
um 2,2 g gegenüber der Vorperiode; pro Tag und pro Kilogramm wurden
demnach abgegeben:
von Kind H. 0,096 g X
von Kind Z.0,1 g X
Kind R. W.0,09 g N
Kind M. W.0,08 g N
Die Stickstoffabgabe pro Kilogramm und Tag ist also ziemlich
gleichmässig.
Dem gegenüber hatte das organisch gebundene Jod in dem Jod-
cigonversuch bei Kind M. W. keinen Einfluss auf die Stickstoflausscheidung.
Auch das anorganisch gebundene Jod führte in Bestätigung der Versuche
von Bock 1 ), Magnus-Levy 2 3 ), Smirnoff 8 ) bei Kind R. W. trotz der
hohen Gabe von 3 g Jodkaliura täglich zu keiner Erhöhung der Stickstoff¬
ausscheidung. Bei Kind Z. scheint allerdings das Jod einen Einfluss auf
die Stickstoffausscheidung im Sinne einer Herabsetzung der Stickstoff bilanz
gehabt zu haben; denn während in der zweitägigen Periode mit 1 g
Jodkalium keine Beeinflussung der Bilanz sich zeigte, trat bei einer täg¬
lichen Zufuhr von 1,5 g des Salzes eine erhöhte Stickstoffausscheidung
im Urin auf, und dementsprechend sank die Menge des retinirten Stick¬
stoffes ganz erheblich; doch ist die Versuchsdauer (zwei Tage) zu kurz,
um aus diesem einen Falle irgend welche weitergehenden Schlüsse zu
ziehen. Bemerkenswerth ist, dass dieses Kind Z. keine Jodwirkung
zeigte, während bei Kind R. W. sich in der Jodperiode eine deutliche
Jodacne und ein leichter Schnupfen einstellten.
Die Harnsäureausscheidung war in der Vorperiode bei allen Kindern
am niedrigsten. Durch Jodkaliumzufuhr wurde sie bei Kind R. W.
garnicht beeinllusst, dagegen trat eine deutliche Vermehrung bei Kind Z.
auf, bei dem auch die Stickstoffretention in den letzten zwei Tagen be¬
deutend geringer war; Jodeigon hatte keinen Einfluss auf die Harn¬
säureausscheidung. In dpr Schilddrüsenperiode trat entsprechend der
Zufuhr purinhaltiger Körper eine Steigerung der Harnsäureausscheidung
auf, die bei Kind Z. täglich 0,12 g (ca. 50 pCt.), bei Kind R. W. 0,08
(33 pCt.), bei Kind M. W. 0,09 (33 pCt.) betrug. Diese Vermehrung der
Harnsäureausscheidung ist nicht als specifische Wirkung der Schild¬
drüsenzufuhr anzusehen, da nach den Untersuchungen von Paul Mayer 4 )
Schilddrüsentabletten keinen Einfluss auf die Harnsäurenausscheidung
haben. Die Zufuhr von Kalbsmilch führte bei Kind Z. zu einer erheb¬
lichen Vermehrung der Harnsäureausscheidung.
Das Körpergewicht zeigte in zwei Fällen eine deutliche Abnahme
von je 500 g, die ausserhalb der Schwankungen des Körpergewichtes
lag; in den drei anderen Fällen trat keine sichere Beeinflusssung des
Körpergewichtes ein. Die geringfügigen Abnahmen bei diesen drei
Kindern liegen innerhalb der Gewichtsschwankungen der Kinder überhaupt.
1) Bock, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 5. S. 393. 1869.
2) Magnus-Levy, 1. c.
3) Smirnoff citirt nach Maly. 18S4. S. 397.
4) Faul Mayer, Deutsche med. Wochenschr. 1896. S. 186.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber den Einfluss von Schilddrüsendarreichung auf den Stickstoffwechsel etc. 13
Nehmen wir aber einmal an, es handele sich in diesen Fällen nicht
um Schwankungen des Körpergewichtes, sondern um durch die Schild¬
drüsenmedikation hervorgerufene Verluste, und berechnen wir die aus
der Stickstoffabgabe resultirenden Eiweissverluste auf Muskelsubstanz, so
ergiebt sich unter Berücksichtigung des Körpergewichtes folgende Tabelle:
Abnahme an Muskel¬
substanz aus N-Vcr-
lust berechnet (100 g
Muskel = 3.3 g N)
Körpergewichts- * Zu- oder Abnahme
abnahme an N-freier Substanz
I
Kind H. i
— 300 g
— 500 g — 200 g
Kind Z. !
-150 g
— 200 g 1 — 50 g •
Kind R. W. |
— 500 g
— 200 g + 300 g
Kind M. \V. '
— 250 g
-200 g ' +50g
Die vier Kinder verhalten sich also ganz verschieden. Zwei von
ihnen geben in der Schilddrüsenperiode noch stickstofffreie Substanzen
ab, die beiden letzten setzten dagegen derartige Körper in verschieden
hoher Menge an. Für den Ansatz oder die Abgabe an stickstofffreien
Materialien des Körpers kommen nur Fett und Wasser in Betracht.
Würden diese Körpergewichtsschwankungen nur auf x\enderungen
des Fettgehaltes beruhen, so ergäbe sich folgende Fettbilanz: Kind fl.
hat in der Vorperiode 2,5 g N = 75 g Muskelsubstanz angesetzt und
200 g an Körpergewicht verloren, mithin 275 g Fett abgegeben. In der
Schilddrüsenperiode beträgt aber, wie oben berechnet, die Abnahme an
stickstofffreien Materialien nur 200 g; es sind also in der Vorperiode
75 g Fett mehr vom Körper abgegeben worden. Kind Z. setzt in der
Vorperiode 1,8 g N = 60 g Muskel an, nimmt aber 100 g an Körper¬
gewicht ab. Es würde also 160 g an Fett verloren haben gegenüber
nur 50 g in der Schilddrüsenperiode. Kind M. W. nimmt bei Stickstoff¬
gleichgewicht in der Vorperiode 200 g ab, es verliert also 200 g Fett;
in der Schilddrüsenperiodc weist es dagegen einen Fettansatz von 50 g auf.
Aus dieser Art der Berechnung würde sich also ergeben, dass in
der Schilddrüsenperiode die Fettretention besser ist, als bei unbeein¬
flusstem Stoffwechsel. Dagegen sprechen aber sämratliche Erfahrungen
über die Wirkung der Schilddrüsen auf den Körper. Ist doch dieses
Medikament als Entfettungsmittel vielfach mit Erfolg angewandt worden.
Wenn auch in einer Reihe von Respirationsversuchen [Magnus-Levy 1 ),
Jacquet und Svenson 2 ), Andersen und Bergmann 3 )] keine deut¬
liche Steigerung der C0 2 -Ausscheidung und 0 2 -Aufnahme nachweisbar
war, während dieser Einfluss bei anderen gesunden Versuchspersonen
constatirt werden konnte [Magnus-Levy 4 5 ), Stueve 6 ), Thiele und
1) Magnus-Levy, 1. c.
2) Jacquet u. Svenson, Zeitschr. f. klin. Mcdicin. 1900. Bd. 41. S. 375.
3) Andersen u. Bergmann, Skandinavisches Archiv f. Physiologie. 1898.
Bd. 8. S. 326.
4) Magnus-Levy, 1. c.
5) Stueve, citirt nach Noorden, Handb. d. Pathologie d. Stoffwechsels.
Bd. II. S. 323.
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A. Orgler,
Nehring 1 )] hat sich ein Herabgehen der Kohlensäureausscheidung und
der Saüerstoffaufnahme nirgends gezeigt, so dass wir keinen Anhalts¬
punkt dafür haben, dass die Fettretention beim Menschen unter dem
Einfluss der Schilddrüsen günstiger ist, als ohne diese. Aus den Unter¬
suchungen von Voit 2 ) beim Hunde geht mit Sicherheit hervor, dass der
Fettansatz, der bei seinen Versuchsthieren auch in der Schilddrüsen¬
periode vorhanden war, niedriger war als in der Vorperiode.
Am deutlichsten widerlegt das Verhalten des Körpergewichtes bei
Kind R. W. die Annahme, dass derartige Aenderungen des Gewichtes
nur auf den Fettstoffwechsel zurückzuführen sind. Dieses Kind giebt in
der Vorperiode 3,5 g N = 100 g Muskelsubstanz ab. Es nimmt aber
600 g an Körpergewicht zu, hat also 700 g an stickstofffreiem Material
angesetzt.
In der Nahrung (1800 g Milch mit ca. 3 pCt. Fett) erhält es täglich
54 g Fett oder in vier Tagen ca. 220 g Fett. Davon gehen schätzungs¬
weise 10 pCt. im Koth verloren. Es bleiben also dem Organismus
200 g Fett zum Ansatz übrig. Die fehlenden 500 g Fett, d. h. täglich
120 g, müsste das Kind demnach aus den Kohlehydraten der Nahrung ge¬
bildet haben. Das ist möglich, aber schwer vorstellbar, da nach unseren
Anschauungen über die Rolle der Kohlehydrate diese in erster Reihe als
Eiweisssparer dienen und erst dann als Fett angesetzt werden, wenn sie
ihr Hauptamt erfüllt haben.
Calorisch berechnet erhält das Kind in vier Tagen 7,1 Liter Milch
ä 650 Cal. = 4610 Cal. und 860 g Zwieback (100 g Zwieback
= 300 Cal.) = 2600 Cal., also zusammen rund 7200 Cal. Davon bringt
es 5600 Cal. als Fett (700 g Fett; lg Fett = 8 Cal. gerechnet) zum
Ansatz; es hätte also zur Bestreitung seines Haushaltes nur 1600 Cal.
aus der Nahrung und 100 Cal. aus dem vom Körper abgegebenen
Eiweiss = 1700 Cal. oder pro die 420 Cal. verbraucht; d. h. das Kind
wäre mit 16 Cal. pro Tag und Kilogramm ausgekommen. Das ist völlig
ausgeschlossen, sodass in diesem Falle die Gewichtszunahme zum
grössten Theil auf Wasseransatz beruhen muss. In der Schilddrüsen¬
periode erhielt das Kind in 5 Tagen 270 g Fett, also abzüglich des
Verlustes im Koth, 250 g zur freien Verfügung des Organismus; da es
300 g an stickstofffreier Substanz angesetzt hat, müsste es also selbst
bei dem colossalen Stickstoffverlust von 15,7 g noch 50 g Fett aus
Kohlehydraten gebildet haben.
Wir kämen also zu ganz merkwürdigen Resultaten, wollten wir die
Körpergewichtsänderung nur auf die Zu- oder Abnahme des Fettbestandes
zurückführen. Solche Berechnungen sind ja, so lange keine Respirations¬
versuche angestellt werden, völlig hypothetisch, und ich bin hier nur
deswegen ausführlich darauf eingegangen, weil Erich Müller 3 ) in seiner
umfangreichen Arbeit über „Stoffwechselversuche an 32 Kindern usw.“
1) Thiele u. Nehring, Zeitschi. f. klin. Medicin. 1896. Bd. 30. S. 41.
2) Voit, Zeitschr. f. Biologie. 1897. Bd. 35. S. 116.
3) Erich Müller, Biochemische Zeitschr. 1907. Bd. 5. S. 143.
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Ueber den Einfluss von Schilddrüsendarreichung auf den Stickstoflfwechsel etc. 15
auf diese Art der Berechnung grossen Werth legt und auf diesem Wege
den Nährstoffbedarf der Kinder ermitteln zu können glaubt. Auch die
Berechnung der vom Körper abgegebenen Stickstoffmengen als Muskel¬
fleisch ist nicht richtig, da, je nachdem stiekstoifreicherc oder -ärmere
Gewebe verloren gehen, die thatsächlichen Verluste grösser oder kleiner
ausfallen, als die auf Muskelsubstanz berechneten Wcrthe.
Wir müssen also auf Grund dieser Berechnung annehmen, dass ein
grosser Theil der Körpergewichtsschwankungen in meinen Versuchen auf
Acnderung des Wassergehaltes beruht.
Das Flüssigkeitsbedürfnis war bei den Kindern verschieden. In
Fall 1 und Fall 5 trat trotz der grossen Flüssigtaitszufuhr von 2 Litern
vom zweiten oder dritten Tage des Schilddrüsenversuches ab so starkes
Durstgefühl auf, dass den Kindern noch 200 bis 300 ccm Wasser
täglich zugelegt werden mussten; die drei anderen Kinder kamen dagegen
mit den zugemessenen Flüssigkeitsquanten aus. Im Fall 1 ist die Diurese
deutlich vermehrt, im Fall 5 konnte sie nicht festgestellt werden, bei
den drei übrigen Kindern tritt keine deutliche Vermehrung auf. Polyurie
und Polydipsie sind von verschiedenen Beobachtern [David 1 ), Andersen
und Bergmann 2 3 ), Scholz 8 ) undDennig 4 5 )] bemerkt worden; Dobrowski 6 )
fand bei seinen sämratlichen Kindern vermehrte Diurese und starkes
Durstgefühl; doch lässt sich keine Gesetzmässigkeit zwischen dem Ver¬
halten des Körpergewichtes und der vermehrten Flüssigkeitsaufnahme
feststellen, wenn es auch auffallend ist, dass meine beiden Kinder, bei
denen ein starkes Durstgefühl auftrat, eine starke Körpergewichtsabnahme
zeigten. Allerdings bestehen hinsichtlich der Fähigkeit, Wasser zu
retiniren, die grössten individuellen Schwankungen. Giebt es doch
Menschen, die selbst im Hunger bei unbeschränkter Flüssigkeitszufuhr
an Körpergewicht zunehmen [Tuczek 6 )]. Gerade das Kind R. W. zeigte
in diesem Punkte ein auffallendes Verhalten. So setzte es in der Vor¬
periode trotz negativer Stickstoffbilanz reichlich Wasser an; als nach
Abschluss des Schilddrüsenversuches ein neuer Versuch angestellt werden
sollte, brach, wie oben geschildert, das Kind die erste Milchportion aus
und weigerte sich, die Versuchsnahrung weiter zu nehmen; obwohl das
Kind sofort gemischte Kost bekam und an diesem Tage anscheinend
hinreichend ass, stürzte das Körpergewicht von 25,9 kg auf 25,0 kg ab.
Dies alles spricht dafür, dass bei manchen Kindern Veränderungen des
Körpergewichtes grösstentheils auf Schwankungen des Wassergehaltes
beruhen und dass eine gute Körpergewichtszunahme nicht immer
identisch ist mit Fett- oder Eiweissansatz. Es kann, wie aus dem
Versuch I bei diesem Kinde hervorgeht, vom Körper Eiweiss abgegeben
1) David, l. c.
2) Andersen u. Bergmann, 1. c.
3) Scholz, 1. c.
4) Dennig, 1. c.
5) Dobrowski, Archiv f. Kinderheilkunde. 1897. Bd. 21.
6) Tuczek, Archiv f. Psychiatrie. 1884. Bd. 15. S. 784.
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16 A. Orgler, Ueber den Einfluss von Schilddrüsendarreichung etc.
werden, und trotzdem das Körpergewicht in Folge einer starken Wasser¬
retention sich beträchtlich erhöhen.
Aus meinen Versuchen ergiebt sich demnach, dass in Bestätigung
der Gregor’schen Versuche die Verabreichung grosser Schilddrüsen¬
mengen das Allgemeinbefinden, Puls und Athmung bei Kindern nicht
beeinflusst; das Körpergewicht wird nur in einem Theil der Fälle
verändert. Dagegen tritt in allen Fällen in Bestätigung der Re¬
sultate bei Erwachsenen eine nicht unbeträchtliche negative Stickstoff¬
bilanz auf.
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II.
Aus der chemischen Abtheilung des pathologischen Instituts der
Universität Berlin.
Ueber den Aschengehalt einiger Se- und Excrete des Körpers
(Magensaft, Faeces, Sperma).
Von
A. Albu (Berlin).
Als um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die ersten exacten
Untersuchungen über den Aschengehalt einiger pathologischer Aus¬
scheidungen des Körpers angestellt wurden, lieferte 1861 auch der
damals in Würzburg wirkende berühmte Kliniker Baraberger dazu
einen wcrthvollen Beitrag mit einer quantitativen Aschenanalyse des
Sputums bei verschiedenen Lungenkrankheiten 1 ). Baraberger betonte,
dass er diese Untersuchungen unternommen habe in der Idee, durch
einen Vergleich des Aschengehalts der Se- und Excrete des Körpers
mit dem Salzgehalt des Blutes Anhaltspunkte für die Beurtheilung des
Antheils der anorganischen Substanzen an pathologischen Vorgängen im
Organismus zu finden. Diese Anregungen haben hier und da Beachtung
gefunden. So hat z. B. Salkowski 2 ) als Erster den Umfang des Alkali¬
stoffwechsels im Organismus durch cxacte quantitative Analysen in Harn,
Fäces, Sputum und Blutserum ermittelt. Am energischsten verfolgt
wurden diese Gedanken von dem Marburger Kliniker F. W. Beneke,
der in zahlreichen Arbeiten den Störungen im Umsatz der anorganischen
Salze einen breiten Platz im Rahmen der Stoffwechselerkrankungen ein¬
räumte 3 ).
Aber diese Anfänge zu einer Physiologie und Pathologie des Mineral¬
stoffwechsels sind allmählich fast vollständig vergessen worden, nachdem
die klinisch-chemische Forschung in den letzten Jahrzehnten in ganz
andere Bahnen gelenkt worden ist. Erst in neuester Zeit ist die Auf¬
merksamkeit auf die Bedeutung der anorganischen Salze für den Gesammt-
stoffwechsel im Organismus von Neuem gelenkt worden durch die Unter¬
suchungen von Bunge und Tigerstedt und ihren Schülern, von Blau-
1) Würzburger med. Zeitschr. Bd. 2.
2) Virchow’s Archiv. Bd. 53. 1871.
3) Grundlinien der Pathologie des Stoffwechsels. Von F. W. Beneke.
Berlin. 1874.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 9
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A. Albu,
berg, Tangl, Rumpf und Dennstedt, Sootbeer, Tobler u. A.,
vor Allem aber durch durch die Ergebnisse des Studiums der physika¬
lisch-chemischen Wirkung der Salze im Körper. Auf Grund der neu
gewonnenen Anschauungen und Erkenntnisse haben dann Neu berg und
ich vor wenigen Jahren eine kritische Sichtung des gesammten bisherigen
Wissens auf diesem Gebiete gebracht 1 ). Wir haben dabei auch hervor¬
gehoben, dass zur richtigen Würdigung der pathologischen Bedeutung
der zahlreich vorliegenden Einzelanalysen der verschiedensten Ausschei¬
dungen des Körpers die Kenntniss der normalen Aschenzusammensetzung
der Se- und Excrete unerlässlich ist. Das Wenige, das in dieser Hin¬
sicht bisher bekannt ist, haben wir in unserem Buche zusaramengestellt 2 )
und dabei auf die zahlreich klaffenden Lücken hingewiesen. Einige
wenige derselben auszufüllen, war der Zweck der Untersuchungen, über
deren Ergebniss im Folgenden kurz berichtet ist.
Bei diesen Untersuchungen, die auf einem so wenig beackerten Felde
sich bewegen, war es nothwendig, zum Theil überhaupt erst eine Me¬
thodik ausfindig zu machen. Dadurch sind manche Unvollkommenheiten
und Lücken zu erklären und wohl zu entschuldigen, welche das Er¬
gebniss dieser Untersuchungen noch aufweist.
I. Vom Magensaft des Menschen liegt bisher in der Literatur über¬
haupt noch keine Aschenanalyse vor.
Für die beiden Analysen, die im Folgenden mitgetheilt werden, ver¬
wendete ich:
1. Den Magensaft eines Falles von extremer Hypersecretion und
Hyperchlorhydrie, welchen ich seit 5 Jahren zu beobachten Gelegenheit
habe. Der continuirlich vorhandene Magensaftfluss erfährt anfallsweise
eine ausserordentliche Steigerung, welche in Erbrechen von stark sauer
riechender und reagirender trüber wässeriger Flüssigkeit zum Ausdruck
kommt. Diese Flüssigkeit enthält ebenso wie der aus dem nüchternen
Magen ausgeheberte Inhalt niemals Speisereste, zuweilen nur Hefe in
Sprossung, daneben spärliche Epithelien, Leukocyten und freie Zellkerne.
Die Säurewerthe des zur Analyse verwendeten, durch Ausheberung dos nüch¬
ternen Magens gewonnenen Saftes betrugen:
91 ccm Vio NaOH für freie Salzsäure
112 „ y i0 „ „ Totalacidität
d. h. 0,33 bez. 0,41 pCt. HCl.
200 ccm Magensaft wurden eingedampft und ergaben 0,4866 g Trockensubstanz.
Bei der Veraschung derselben wurde 0,0083 g wasserunlösliche Substanz gefunden,
welche aus Spuren von Eisen-, Calcium- und Magnesiumverbindungen bestand.
Gesammtasohe = 0,4743 g = 97,47 pCt. der Trockensubstanz.
Es wurde auf 250 ccm Wasser aufgefüllt.
Gesammtalkali (Alkalichloride) = 0,4655 g = 98,31 pCt. der Asche.
Chlor = 0,2508 g = 52,87 pCt. der Asche.
1) Physiologie und Pathologie des Mineralstoffwechsels. Von A. Albu und
C. Neuberg. Berlin. 1906.
2) 1 . c. Cap. III. S. 31-60.
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l’eber den Aschengehalt einiger Se- und Excrete des Körpers.
19
PtCI 6 K 2 = 0,3380 g in 100 ccm der auf 250 ccm aufgefüllten Asche =
34,83 pCt. K 2 0.
NaCl = 0,2047 g = 22,87 pCt. Na^.
Schwefelsäure und Phosphorsäure konnten nicht in nachweisbaren Mengen con-
statirt werden.
2. Wurde der Magensaft der bekannten Bickel’schen Versuchs¬
person verwendet, welche wegen impermeabler Oesophagusstrictur eine
permanente Magenfistel trägt.
Der Magensaft wurde nach einer Scheinfütterung innerhalb einiger Stunden auf¬
gefangen. Mit diesem Magensaft, der also speichelfrei ist, wurde in gleicher Weise
verfahren, wie mit dem vorigen.
100 ccm wurden eingedampft und verascht. Darin waren 0,0043 pCt. wasser¬
unlösliche Bestandtheile enthalten = 2,39 pCt. der Asche. Diese machte 0,1801 g
aus. Der wasserlösliche Theil davon wurde auf 250 ccm aufgefüllt und hiervon 100 com
zur Bestimmung der Alkalichloride verwendet.
K 2 PtCl 6 = 0,1310 g = 35,62 pCt. K 2 0.
KCl = 0,1010 g; NaCl = 0,0748 g = 0,0397 g Na 2 0 = 22,05pCt. derAsche.
Die Chlorbestimmung wurde in 50 ccm Asche vorgenommen; sie ergab
0,0724 g AgCl = 49,73 pCt. CI.
Ein Vergleich der beiden Analysen ergiebt trotz der physiologischen Differenz
der Magensäfte für die Hauptbestandtheile gut übereinstimmende Werthe:
CI
k 2 o
NajjO
52,87
34,83
22,87
49,73
35,62
22,65
(Procentgehalt der Asche).
II. In Bezug auf den Koth findet sich in der Literatur zwar eine
grössere Zahl von Analysen betreffs des Gesammtaschengehaltes, aber
nur wenige mit quantitativer Feststellung der einzelnen Salze. Gamgee
citirt in seinem bekannten Buche „Chemie der Verdauung“ 1 ) drei ältere
Analysen von Fleitmann, Porter und Enderlin; dazu ist 1893 eine
Analyse von Grundzach 2 ) gekommen; sonst liegen nur noch vollstän¬
dige Aschenanalysen für Säuglingsfaeces bei Brust- und Kuhmilchnabrung
von Blauberg 3 ) vor. Schliesslich ist noch zu erwähnen, dass Fr.
Müller 4 ) eine genaue quantitative Analyse des Kothes im Hungerzustand
(bei Cetti) durchgeführt hat. Dieses spärliche Material verliert dadurch
noch an Werth, dass die Resultate der einzelnen Autoren mehr oder
minder von einander abweichen oder sich sogar sehr widerspruchsvoll
gegenüberstehen. Die Differenz der Analysen findet ohne Weiteres ihre
Erklärung darin, dass fast jeder Autor nach einer anderen Methodik ge¬
arbeitet hat. Es fehlt leider noch eine allgemein anerkannte Technik der
Aschenanalyse für die organischen Se- und Excrete des Körpers. Es
ist dabei stets besondere Rücksicht auf den Umstand zu nehmen, dass
einzelne Mineralbestandtheile im Koth organisch gebunden sich vorfinden,
so z. B. ein grosser Theil des Phosphors an Nuclein und Lecithin.
1) Deutsche Uebersetzung. Leipzig 1897.
2) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 23. 1893.
3) Experimentelle und kritische Studien über Säuglingsfaeces. Berlin 1897.
4) Virchow’s Archiv. Bd. 131. 1893. Supplementheft.
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A. Albu,
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Die älteren Methoden der Aschenanalysen erscheinen heute nicht
mehr brauchbar. In neuerer Zeit hat Blauberg 1 ) grossen Wert darauf
gelegt, dass die Trennung der in HCl löslichen Bestandtheile des Kothes
erst nach der Veraschung vorgenommen wird. Ob dabei erhebliche
Differenzen in der Aschenzusammensetzung sich ergeben, lässt sich zur
Zeit noch nicht übersehen.
Nach den von mir gemachten Erfahrungen erscheint es mir noth-
wendig, für die Aschenanalyse des Koths folgendes zu beachten: Die
Kieselsäure, die in jedem Koth in beträchtlichen Mengen vorhanden ist,
kann unter Umständen störend wirken, besonders bei der Herstellung
alkalischer Schmelzen, z. B. zur Bestimmung von Phosphor, Schwefel
und Chlor. Bei der Kieselsäure unterscheidet man bekanntlich eine
alkalilösliche und eine alkaliunlösliche. Die erstere geht beim Schmelzen
mit Alkalien vollständig, die letztere z. Th. in Lösung, und sie finden
sich dann im Filtrat in der Form löslichen Alkalisilikats. Beim Ansäuern
fällt die Kieselsäure aus, und zwar zeigt sie sich dann in Form einer
leichten diffusen Trübung. In dieser Form mag sie bisher wohl oft
übersehen oder für ganz unwesentlich gehalten worden sein, da sie bei
schlechter Beleuchtung vollständig unsichtbar sein kann. Erwärmt man
aber die Flüssigkeit einige Zeit auf dem Wasserbade, so ballt sich die
leichte Trübung schnell zu kleinen Wölkchen zusammen und setzt sich
schliesslich in Form eines weissen flockigen Niederschlages zu Boden.
Um die lösliche Kieselsäure quantitativ zu entfernen, wurde folgender-
maassen verfahren: Die Flüssigkeit wurde nach Zusatz der betreffenden
Säure (bei P und CI Salpetersäure, bei S Salzsäure) auf dem Wasserbade
vollständig zur Trockne eingedampft, mit etwas Wasser und der be¬
treffenden Säure einige Zeit digerirt und dann die unlöslich gewordene
Kieselsäure abfiltrirt.
Die Art und Weise der Herstellung der Gesamratasche ist nirgends
beschrieben. Ich habe sie in folgender Weise vorgenommen: Es wurde
auf trockenem Wege verascht, wobei dann nach dem Ausziehen der
Asche mit Wasser und Salzsäure schliesslich nur die Kieselsäure unlös¬
lich zurückblieb. Das wässrige und salzsaure Extract wurde dann auf
dem Wasserbad zur Trockne verdampft und nach etwa 6 Stunden im
Trockenschrank bei 110° getrocknet, bis Gewichtsconstanz eingetreten
war. Schwach geglüht durfte unter keinen Umständen werden, da hierbei
Calcium und Magnesium leicht ihr Chlor abgeben und in die Oxyde über¬
gehen können. Die Asche wurde dann gewogen, gelöst und in ein
Kölbchen zu 250 ccm übergeführt. In den einzelnen Bestimmungen wurden
alsdann gewöhnlich 50 ccm dieser Lösung verwendet. Chlor wurde in
einer besonderen Portion bestimmt.
Die Kenntniss des Aschengehalts der Faeces hat nicht nur Werth
für die Beurtheilung der Ausnutzung der Nahrungssalze, sondern auch
der Gesammtnahrung, weil nach unseren neueren Anschauungen der Salz¬
gehalt einen unverkennbaren Einfluss auf die Verwerthung der orga¬
nischen Nährstoffe ausübt. Das geht z. B. klar aus den Untersuchungen
1) 1. c.
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Ueber den Aschengehalt einiger Se- und Exerete des Körpers.
21
Rubner’s 1 ) und Fr. Müller’s 2 ) über die Ausnutzung reiner Mileh-
nahrung hervor: Die relativ hohe N-Ausscheidung ira Koth (vom un-
verwertheten Milcheiweiss stammend) ist z. Th. durch den grossen Kalk¬
gehalt der Milch hervorgerufen, welcher in der Kothasche einen Gehalt
von 41,2 pCt. Kalk ausmacht (etwa y 7 des gesammten Trockenkothes!)
und dadurch einen Theil des organischen Nahrungsrestes mit sich fort-
reisst.
In neuerer Zeit haben übrigens einige Arbeiten aus dem physiolo¬
gischen Institute Tigerstedt’s in Helsingfors mit Sicherheit nachge¬
wiesen, dass an dem Aschengehalt des Koths die Darmsecrete d. h. die
Abscheidungen seitens der Darm wand einen erheblichen Antheil haben.
Nach den Untersuchungen von Tigerstedt jun. 3 ) und namentlich von
ßenvall 3 ) stammen vom P 20—41 pCt., vom Ca. 30—13—50pCt. und
vom Magnesium 17—27 pCt. der Gesamratausscheidungen im Koth vom
Darmsecret. Ferner hat Ury 4 ) eine quantitative Bestimmung der von
der Darmwand abgeschiedenen Salze gemacht durch Extraction der
frischen Faeces mit Wasser, wobei die unlöslichen Nahrungsrückstände
auf dem Filter Zurückbleiben. Dabei ergab sich, dass vom Kalk der
Faeces 4,3 pCt., vom Phosphor 26,2 pCt. und vom Magnesium 40,5 pCt.
in den wässrigen Auszug übergehen, also als Darmsecret zu betrachten
sind. Die Menge des abgeschiedenen Darmsecrets schwankt nun wiederum
erheblich je nach der Art der zugeführten Nahrung, welche im Darm
zur Verarbeitung und zur Aufsaugung gelangt. Für den Säuglingskoth
hat Blauberg 5 ) ermittelt, dass die Unterschiede in der Zusammensetzung
der Asche bei natürlicher und künstlicher Ernährung im Grossen und
Ganzen mit den Differenzen im Aschengehalt der Muttermilch und der
Kuhmilch parallel gehen. Blauberg fand in 100 Theilen der in HCl
löslichen Asche:
bei Brustnahrung
Kuhmilchnahrung
k 2 o
25,00
11,27
NajO
4,20
—
CaO
31,15
34,63
MgO
8,75
5,33
Fe,O s
1,91
1,50
cf
3,45
3,40
so 3
3,81
2,62
p 2 o 6
11,81
15,28
Mit Rücksicht darauf, dass bei frei gewählter Kost die Aschen¬
zusammensetzung des Koths des Erwachsenen stets in weiten Grenzen
schwanken muss, welche durch die Differenz im qualitativen und quan¬
titativen Salzgehalt der Nahrung bedingt sind, habe ich für die weiterhin
mitgetheilten drei Kothanalysen nur eine ganz bestimmte Standardkost
1) Zeitschrift für Biologie. Bd. 15. 1879.
2) Zeitschrift für klin. Med. Bd. 12. 1887.
3) Skandin. Archiv für Physiologie. Bd. 16. 1903.
4) Deutsche med. Wochenschr. 1901. No. 41.
5) 1. c.
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22
A. Albu
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benutzt und zwar die von Ad. Schmidt 1 ) zur Functionsprüfung des
Darms angegebene „Probediät“, welche sich in folgender Weise zu-
samraensetzt: l l / 2 Liter Milch, 125 g Rindfleisch, 200 g Kartoffeln, 100 g
Zwieback, 80 g Haferflocken, 20 g Butter und 3 Eier.
Diese Kost, 2—3 Tage fortgesetzt, liefert einen durch Carrain sehr
leicht abzugrenzenden Koth, der bei gesundem Darm von gleichraässiger
Beschaffenheit, gebunden und geformt ist. Die Trockensubstanz beträgt
ca. 25 pCt., der Gesamrataschengehalt in derselben 12—15 pCt. Von
der bekanntlich sehr mühsamen Aschenanalyse dieser Kost habe ich Ab¬
stand genommen, weil die Ermittelung des Mineralstoffurasatzes ausser¬
halb des Rahmens der hier raitgetheilten Untersuchungen lag 2 ).
Koth II stammt von einer Nahrung, in welcher wegen der Intoleranz
der Versuchsperson gegen grössere Mengen Milch die oben erwähnte
Standardkost so verändert war, dass 1 Liter Milch ersetzt war durch
1 Liter Cacao, zu dem 60 g Cacao, l / 4 Liter Milch und 20 g Zucker
verwendet waren. Diese Differenz in der Nahrung ist in der Aschen¬
zusammensetzung des Kothes deutlich zum Ausdruck gekommen, nament¬
lich in Bezug auf die Ausscheidung von Kalk, Phosphor und Magnesium.
Koth 1.
Es wurden 2,3806 g Trockensubstanz verascht, welche 0,9870 g = 41,4G pCt.
Gesammtasche ergaben.
Kieselsäure = 0,0052 g = 0,52 pCt. der Asche.
CaO = 0,2380 g = 24,11 pCt.
Mg 2 0 7 P 2 = 0,0192 g (in 50 ccm) = 3,53 pCt. MgO.
BaS0 4 = 0,0586 g (in 70 ccm) = 2,03 pCt. S0 3 .
AgCl aus 1,1465 g Asche (mit Na^jCOg-Zusatz) = 0,0262 g = 5,66 pCt. CI.
Mg 2 P 2 0 7 (1,2844g Asche auf 250 ccm aufgefüllt und davon 100 ccm) = 0,0878g
= 10,89 pCt. P 2 0 6 .
Gesammtalkali (ICOccm von derselben Lösung) = 0,0608g K 2 PtCl ß = 0,2396 g.
Hieraus KCl = 0,0405g; NaCl=0,0203g; K 2 0 = 27,25pCt.; Na 2 0 = 13,90pCt.
Koth II.
Verascht wurden 5,0952 g Trockensubstanz, welche 0,9204 g = 18,06 pCt.
Gesammtasche ergab.
Kieselsäure = 0,0108 g = 1,59 pCt.
CaO (in 50 ccm) = 0,0744 g = 39,54 pCt.
Mg 2 P 2 0 7 = 0,0040 g = 7,87 pCt. MgO.
BaS0 4 = 0,0155 g = 2,89 pCt.
Die Chlorbestimmung ging verloren.
Mg 2 P 2 0 7 (angewandt 1,7054 g Trockensubstanz = 0,3080 g Asche) = 0,0320 g
= 33,22 pCt. P 2 0 5 .
1) A. Schmidt u. J. Strasburger, Die Faeces des Menschen. Berlin 1903.
2) Die Durchführung der Untersuchung des Salzstoffwechsels unter Benutzung
einer derartigen Standardkost erscheint aber sehr lohnend und zweckmässig, da es
bisher eine den gesammten Mineralstoffumsatz umfassende Untersuchung des gesunden
Menschen überhaupt noch nicht giebt! Eine detaillirte Analyse des Aschengehalts der
Kost ist eigentlich immer nothwendig, da er bei vielen Nahrungsmitteln in ausser¬
ordentlich weiten Grenzen schwankt. Annähernde Durchschnittswerthe können indess
nach den Tabellen im „Albu-Neuberg“ gewonnen werden.
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Ueber den Aschengehalt einiger Se- und Excrete des Körpers.
23
Gesammtalkali (angewandt 1,3688 g Trockensubstanz = 0,2498 g Asche) =
0,0540; K 2 PtCl 6 = 0,0954 g; KCl = 0,0295 g; NaCl = 0,0245 g.
K 2 0 = 7,26 pCt.; NaoO = 5,62 pCt.
Koth III.
Es wurden 3,9924 g Trockensubstanz verascht, welche 1,4423 g = 36,12 pCt.
Asche ergab.
Si0 2 = 0,0187 g = 1,29 pCt.
CaO = 0,0640 g = 22,18 pCt.
Mg 2 P 2 0 7 = 0,0456 g = 5,107 pCt. MgO.
BaS0 4 = 0,0250 g = 2,97 pCt. S0 3 .
Die Chlorbestimmung ging verloren.
Mg 2 P 2 0 7 = 0,0904 g = 19,98 pCt. P 2 0 6 .
Gasammtalkali = 0,0384 g; K 2 PtCl 6 = 0,0730 g; KCl = 0,0225 g; NaCl =
0,0159 g; K 2 0 = 12,42 pCl.; NajjO = 2,29 pCt. •
Eine Zusammenstellung dieser drei eigenen Kothanalysen mit den
in der Litteratur bereits vorhandenen bei frei gewählter Kost ergiebt
folgendes Resultat:
In 100 Theilen der Gesammtasche sind enthalten:
CI
Na20
• K 2 0
PaO
C 2 0 5
MgO
SO s
Si0 2
Autor
5,66
1 13,90
27,25
24,11
10,89
3,53
2,03
0,52
)
—
I 5,62
7,26
39,54
33,22
7,87
2,89
1,59
> Standard-Kost: Albu.
—
2,92
12,42 i
22,18
19,98
5,11
2,97
1,29
1
0,34
i 0,75
5,17
3,82
18,49 i
6,10 ,
12,00
21,36
26,46
29,25
30,98
36,03
i 13,76
10,67
10,54
7,58
1.13
3.13
0,64
1,44
0,05
1 Fleisch mann,
I Porter, Grundzach.
1,36
1,96
19,60
12,65
14.52
12.53
43,13
55,75
1,20
4,12
6,34
3,71
—
| Hungerkoth: Fr. Müller.
Aus diesem spärlichen Vergleichsmaterial 1 ) Schlussfolgerungen ab¬
zuleiten, ist nur mit grösster Vorsicht gestattet. Die Ausscheidungs¬
verhältnisse im Hungerzustande als Grundlage zu benutzen, wie das
sonst bei Erörterung der Stoffwechselverhältnisse vielfach mit vollem
Recht üblich ist, erscheint in diesem Falle misslich, weil die Asche des
Hungerkothes ja nicht die normalen Abscheidungsproducte der Darm¬
wand darstellt, sondern als eine anomale zu betrachten ist, insofern
nämlich als Phosphor in ganz exorbitanter Menge erscheint, Kalk und
Magnesia dagegen in Quantitäten, welche weit unter dem Durchschnitt
bei jedweder Nahrungszufuhr liegt. Diese abnormen Verhältnisse sind
augenscheinlich durch den gesteigerten Zerfall von Knochengewebe
und dergleichen bedingt, der dem chronischen Hungerzustand eigentüm¬
lich ist und bekanntlich auch in dem gegenseitigen Mengenverhältniss von
Kalk und Magnesium im Hungerharn zum deutlichen Ausdruck kommt.
Der Hungerkoth kann also nicht als Basis für die Aufstellung einer
1) Reichlicher vorhanden ist das Material von Analysen des Hundekotbes bei
verschiedenartiger Ernährung (Rubner, C. Voit, Fr. Müller u. a.). Diese mit zum
Vergleich heranzuziehen, nehme ich aber Abstand, weil die Ernährungs- und Re¬
sorptionsverhältnisse des Menschen nicht als gleichartig gelten können.
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Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
24
A. A1 b u,
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Norm gelten. Im übrigen sind, von den erwähnten Mineralien abge¬
sehen, die Differenzen geringer, als man theoretisch voraussetzen sollte
— offenbar weil doch, wie schon oben mehrfach erwähnt, ein grosser
Theil, selbst bis zur Hälfte, auch der anorganischen Kothbestandtheile
nicht aus den unverdauten Nahrungsresten, sondern von der Darmwand
stammt.
Dass die Aschenzusammensetzung des Kothes von der Art der
Nahrung abhängig ist, erscheint selbstverständlich. Sie wird von der
Quantität und namentlich der Qualität der Kost in viel höherem Maasse
beeinflusst, als z. B. der N-Gehalt des Kothes, der doch nur in geringen
Grenzen schwankt. Schon der ausserordentlich reichhaltige und mannig¬
faltige Gehalt der Nahrung an Mineralstoffen bedingt zahlreiche Varia¬
tionen in der Ausscheidung. Noch mehr als die N-Ausfuhr wird die
Aschenausscheickmg durch die jeweilige Mischung verschiedener Nahrungs¬
mittel bestimmt und verändert. Aber noch ein zweiter Factor variirt
constant die Aschenzusammensetzung des Kothes: die individuell stets
in weiton Grenzen schwankende Resorptionsgrösse der Nahrungssalze,
und schliesslich noch die beträchtliche, aber stets wechselnde Abscheidung
der Salze durch das Darmsecret. Aus diesen Gründen muss die
Aschenzusammensetzung des normalen Kothes immer in erheblich grösserem
Umfange schwanken, als z. B. die N-Ausfuhr im Koth. Einheitliche
Zahlen lassen sich selbst bei derselben Person und derselben Kost nicht
zu jeder Zeit erwarten. Keiner Diät kann eine genau feststehende
Aschenzusammensetzung entsprechen. Nur so vermag man die theilweis
recht grossen Differenzen zu erklären, welche sich zwischen den Analysen
der älteren Autoren sowohl unter einander, wie den raeinigen gegenüber
finden, die auch zum Theil recht beträchtliche Unterschiede aufweisen,
obwohl ihnen eine gleichartige, constante Kost zu Grunde liegt.
Nach obiger Tabelle kann man heute nicht mehr von „Durchschnitts-
werthen der Aschenzusammensetzung bei gemischter Kost“ sprechen, wie
es z. B. noch Fr. Müller beim Vergleich der Kothaschen der Hungernden
that. Wenn er z. B. darin das Ueberwiegen der Alkalien als charakte¬
ristisch bezeichnet, so kann das schon nach den älteren analytischen
Zahlen, geschweige denn nach den von mir gefundenen, nicht als zu¬
treffend erachtet werden.
Es ergiebt sich also als Schlussresultat die Möglichkeit ausser¬
ordentlicher Sch wankungen in der Ausscheidung jedes einzelnen
ßestandtheiles der Kothasche, aber doch immer nur innerhalb
gewisser Grenzen nach unten wie nach oben. Das scheint mir
dadurch bedingt zu sein, dass ein grosser Theil, vielleicht der grösste
Theil der Kothasche nicht aus den Nahrungsresten, sondern von der
Darrawand stammt. Damit steht die Thatsache in Uebereinstimmung,
dass das relative Verhältniss der einzelnen Bestandtheile der
Kothasche zu einander im Grossen und Ganzen ein ziemlich regel¬
mässiges ist. Innerhalb einer gewissen Breite der Schwankungen macht
sich also auch hier doch eine Gesetzmässigkeit geltend!
Es wird weiteren Forschungen Vorbehalten sein, zu ermitteln, in
welchem Maasse verschiedene auf ihren Salzgehalt quantitativ genau
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
lieber den Aschengehalt einiger Se- und Excrete des Körpers.
25
analysirte Kostformen einen Einfluss auf die Aschenzusamrnensetzung des
Kothes ausüben. Nur ein Vergleich zwischen dem Aschengehalt der
Nahrung und des Kothes wird eine volle Aufklärung darüber zu geben
vermögen, einen wie grossen Antheil die Nahrungssalze überhaupt an der
Kothasche haben.
111. In dritter Reihe habe ich es mir angelegen sein lassen, eine
eine Aschenanalyse menschlichen Spermas zu gewinnen, da eine
solche noch nicht vorhanden ist. Zwar hat Slowtzoff 1 ) quantitative
Bestimmungen einiger Mineralbestandtheile gemacht, aber ohne Angabe
der analytischen Methode und der Zahlenbelege. Auf den von diesem
Autor gefundenen erstaunlich hohen Kalkgehalt (20 pCt. der Gesammt-
asche) hat G. v. Bunge 2 ) seine Anschauungen über die Noth-
wendigkeit der grossen Kalkzufuhr in der Nahrung aufgebaut, um die
beständige Neubildung aller Gewebe, auch des Spermas, zu ermöglichen.
Die Zurückhaltung, die sich Bunge in der Verwerthung dieses analyti¬
schen Befundes für seine Theorie auferlegt, erscheint mir sehr berechtigt,
nachdem meine Analyse zu einem ganz anderen Ergebniss geführt hat,
als diejenigen Slowtzoffs.
Die Gewinnung des Materials war eine recht schwierige. Nach
meinen Ermittelungen werden bei einer einzelnen Ejaculation im Durch¬
schnitt nicht mehr als 5 ccm Sperma entleert. Die zur Analyse ver¬
wendete Menge war ein Gemisch, das von mehreren jungen, kräftigen
Männern stammte; es war vorder Verarbeitung längere Zeit unter Toluol
aufbewahrt. Die Trockensubstanz machte 5,3 pCt. des frischen Spermas
aus [bei Slowtzoff 9,79 pCt. im Mittel von 4 Bestimmungen in sehr
kleinen Portionen] 3 ), der Aschengehalt 16,6 pCt. der Trockensubstanz
(bei Slowtzoff im Mittel 9,39 pCt.).
Sperma-Analyse.
• 52 ccm; davon 10 ccm direct zur Cl-Bestimmung benutzt. In einer Platin¬
schale eingedampft und mit chlorfreiem Na 2 C0 3 geglüht, in HN0 3 aufgenommen,
gekocht, filtrirt; Filtrat mit AgNO s versetzt.
AgCl = 0,0616 g
CI = 0,0152 g,
das sind 17,2 pCt. CI (auf Aschengehalt berechnet).
Der Rest (42 ccm) wird in einer gewogenen Platinschale eingedampft und bis
zur Constanz bei 115° getrocknet;
in 42 ccm sind 2,2281 g Trockensubstanz.
Die Trockensubstanz wurde geglüht und die Asche gewogen.
In 42 ccm Sperma 0,3725 g Aschengehalt, das sind 16,6 pCt. Asche.
Die Asche wurde in H 2 0 -|- HCl gelöst und auf 100 ccm aufgefüllt.
Es wurden 20 ccm zu je einer Bestimmung von S und P, Ca und Mg, K und Na
und Si0 2 , und 15 ccm zur Bestimmung von Fe angewandt.
1) B. Slowtzoff, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 35. 1902.
2) G. v. Bunge, Lehrbuch der Physiologie. Bd. 2. S. 119.
3) Es ist leider nicht angegeben, ob dieselben von einer oder verschiedenen
Personen stammen.
Difitized
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Original fru-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
A. Albu,
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'.V»
Schwefel und Phosphor.
s 0,3725 g Substanz
0,0860 g BaS0 4
3,17 pCt. S.
p a j s phosphorsäure-Ammoniummolybdat gefällt, in NH 3 gelöst und als Magne-
siumammoniumphosphat gefällt und als Mg 2 P 2 0 7 gewogen:
0,3725 g Substanz
0,1315 g Mg 2 P 2 0 7
9,828 pCt. P.
Calcium und Magnesium.
Ca 20 ccm der Lösung werden amraoniakalisch gemacht, dann mit Essigsäure
v rsot/i und mit Ammoninmoxalat das Calciumoxalat gefällt und als CaO gewogen.
' 1 ‘ 1 0,3725 g Substanz
0,01 g CaO
1,91 pCt. Ca.
Mc ln> Filtrat mit Ammoniak und Dinatriumphosphat das Magnesium als
Mhcrj v.r.mammoniumphosphat gefällt und als Mg 2 P 2 0 7 bestimmt.
0,3725 g Substanz
0,0365 g Mg 2 P 2 0 7
2,14 pCt. Mg.
Kalium, Natrium, Kieselsäure.
^ ccm der Lösung werden mit Baryt und Ammoniumbicarbonat gefällt, und
V in einer gewogenen Platinschaale eingedampft und geglüht.
0,0935 g KCl + NaCl.
\w H.,0 gelöst, auf ein kleines Volumen eingeengt und mit PtCl 4 in alkohol-
v >,*;>cher Lösung K 2 PtCl 6 gefällt; als Pt gewogen.
0,3725 g Substanz
0,0025 g Pt.
0,001 g K
0,269 pCt. K.
Aus der Summe der Chloride und K das Na berechnet: #
0,3725 g Substanz
0,0915 g NaCl
0,035 gNa
9,30 pCt. Na.
[Ungelöste Substanz = Kieselsäure.
0,3725 g Substanz
0,0585 g Si0 2
15,7 pCt. Si0 2 1 )].
Eisen.
15 ccm Lösung mit H 2 S0 4 2 mal eingeengt (zur Entfernung von HCl) und zu
Oxydul reducirt.
Hierauf mit Vio nKMn0 4 titrirt. Gebraucht: 2 ccm KMn0 4 , das entspricht
0,0112 g Fe.
0,3725 g Substanz, also 3,00 pCt. Fe.
1) Diese auffällig hohe Zahl des Gehalts an Kieselsäure in der Spermaasche
lässt Bedenken gegen die Richtigkeit der Analyse in diesem Punkte aufkommen. Es
ist wahrscheinlich, dass hier Si0 2 aus den Glasgefässen gelöst ist.
Gck igle
Original frum
UNIVERSETY OF MICHIGAN 4
Ueber den Aschengehalt einiger Se- und Excrete des Körpers. 27
Ich schliesse
hier die von
Slowtzoff angegebenen analytischen
Zahlen an:
In 100 Theilen Asche
CINa
. . 29,05
—
—
C1K
. . 3,12
—
—
S0 3
. . 11,72
7,65
—
CaO
. . 22,40
15,08
—
E2O3
. . 28,79
20,55
36,04 pCt.
Diese Zahlen zeigen schon untereinander und theilweise auch zu den
von mir gefundenen so erhebliche Differenzen, dass es vorläufig wohl
noch nicht zulässig ist, Durchschnittswerthe für die Aschenzusammen¬
setzung des menschlichen Spermas aufzustellen. Es bedarf dazu noch
weiterer Analysen an einem grösseren Material. • Wahrscheinlich kommen
aber auch hier nicht unwesentliche individuelle Abweichungen vor.
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
III.
Digitized by
Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Breslau. —
Director: Geh.-Rath Prof. Dr. Filehne.
Pharmakologische Studien fiber einige Pyrazolonderivate.
Von
Dr. Joh. Biberfeld,
Privatdocent und Institutsassi stent.
Die grosse praktische Wichtigkeit, die das Antipyrin und das
Pyramidon gewonnen haben, einerseits, und andrerseits die unerwünschten
Nebenwirkungen dieser Substanzen in vereinzelten Fällen, lassen es be¬
greiflich und wünschenswert erscheinen, dass immer wieder Versuche
gemacht werden, zu solchen Pyrazolonderivaten zu gelangen, die zwar
die gleichen therapeutischen Vorzüge besitzen, von denen aber die Neben¬
wirkungen nicht zu befürchten sind. Nun sind allerdings schon beim
Antipyrin derartige Nebenwirkungen nur in einer im Vergleich zu der
übergrossen Verwendung geringen Zahl beobachtet, und noch viel
weniger solcher Fälle sind von dem ja ebenfalls in ausserordentlich
weitem Umfange gebrauchten Pyramidon bekannt gegeben worden. Meist
sind es überdies Begleiterscheinungen, wie starke Schweissausbrüche und
ähnliches, von denen ein wirksames Antipyretieum, wie man mit
Sicherheit Voraussagen kann, nie ganz und bei allen Individuen frei
sein wird. Trotzdem ist das Streben nach Ersatzmitteln, die noch
Besseres leisten, an sich natürlich und berechtigt, nur wird man von
vornherein Mitteln, die nach dem bekannten Schema chemisch dargestellt
sind, wie Tolypyrin u. dergl. 1 ), mit Misstrauen begegnen müssen. Und
auch Derivate, die vermöge ihrer Constitution wirklich neue Gesichts¬
punkte bieten, werden -wir nur für die Erprobung am Menschen in
Betracht ziehen können, wenn sie sich im Thierexperiment nicht nur als
1) Liebreich, Therap. Monatshefte. 1893. S. 180. — Kobert (Beiträge zur
Kenntniss einiger Pyrazolonderivate, Zeitschr. f. klin. Medicin. Bd. 62. S. 11 des
Sept.-Abdr.) führt gegen die Allgemeingiltigkeit dieser Anschauung an, dass Codein
so wesentlich verschieden vom Morphin sei, trotzdem es ebenfalls nur eine Methyl¬
gruppe mehr habe. Doch dürfte nicht zu vergessen sein, dass hier die Methylgruppe
das Phenolhydroxyl des Morphins cachirt, von dem wir als sicher annehmen können,
dass es für die physiologische Wirkung eine wesentliche Bedeutung besitzt. Eine
solche Esterbildung ist wohl nicht ohne Weiteres in Parallele zu setzen mit der Ein¬
führung einer Methylgruppe am Benzolring.
Gougle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Pharmakologische Studien über einige Pyrazolonderivate.
29
weniger giftig, sondern und vor Allem auch als besser oder zum mindesten
als ebenso wirksam wie Pyramidon bezw. Antipyrin erwiesen haben. Diese
Prüfung der therapeutischen Wirksamkeit im Thierexperiment ist allerdings
nur in einer Richtung direct möglich, nämlich hinsichtlich der Beein¬
flussung experimentell erzeugten Fiebers, während die praktisch vielleicht
noch wichtigere allgemein narkotische, antineuralgische Eigenschaft sich
einer experimentellen quantitativen Bestimmung entzieht 1 ). Doch ist
dies kein wesentlicher Fehler, da die Erfahrung gelehrt hat, dass sowohl
bei den Pyrazolon-, als auch bei den Anilinderivaten (Aeetanilid,
Phenacetin etc.) die analgesirende und die antipyretische Wirkung stets
zusammen und in ungefähr gleichbleibender Relation Vorkommen; von
einem chemisch den genannten Gruppen angehörenden Präparate kann
man erwarten, dass es gut schmerzstillend wirken wird, wenn es in
entsprechender Menge die Fiebertemperatur genügend herabsetzt 2 ).
In den letzten Jahren habe ich eine Anzahl von Pyrazolonderivaten
untersucht, die in dem unter Leitung des Herrn Prof. W. Roser
stehenden wissenschaftlichen Laboratorium der Höchster Farbwerke von
Dr. F. Stolz dargestellt worden sind, und will im Folgenden hierüber
berichten, da sich einige für die Beziehung zwischen Constitution und
Wirkung interessante Punkte herausgestellt haben. — Da alle Präparate
im Vergleich zu Antipyrin und Pyramidon untersucht wurden, seien hier
die für diese geltenden wirksamen und toxischen Dosen angeführt: Vom
Antipyrin erniedrigen an Kaninchen 0,3—0,5 g per os (subcutan etwas
weniger) deutlich die Fiebertemperatur. Toxisch ist es, nach Fi lehne 3 ),
zu 1 g subcutan für mittelgrosse Kaninchen, also etwa 0,5 g pro Kilo¬
gramm Körpergewicht; dosis letalis etwa bei 1,5 g. Für Hunde ist
Antipyrin noch weniger giftig; wie Robert (1. c. S. 29) anführt, haben
Crolas und Hugounencq nach Einzelgaben von selbst 20 g keine
wesentlichen Störungen gesehen (?). Für Pyramidon fand Fi lehne
bei Kaninchen schon 0,05 subcutan wirksam; toxisch ist nach ihm
0,5 g, sicher tödtlich 0,75 g subcutan. Für Hunde fand er 0,1 anti¬
pyretisch wirksam, die toxische Dosis hat er für diese Thiere nicht
mitgetheilt. Nach meinen Versuchen liegt die dosis letalis etwa bei
0,3 subcutan pro Kilogramm. (Robert, 1. c. S. 38, giebt 0,4 pro Kilo¬
gramm oder etwas weniger als tödtliche Dosis an.) — Zur Erzeugung
des „Fiebers 44 spritzte ich meist den Versuchsthieren (Kaninchen) sterili-
sirtes Heuinfus (5—10 ccm) ein. In einzelnen Fällen benutzte ich auch
die nach dem Aronsohn-Sachs’schen Gehirnstich eintretende Temperatur¬
erhöhung.
Unter den in Betracht kommenden Substituirungen am Antipyrin-
molekül nimmt, wie das Beispiel des Pyramidons gezeigt hat, die Ein-
1) Einen ziemlich guten Anhalt hierfür giebt die Bestimmung der beim Frosch
eben noch Stupor, resp. Krämpfe erzeugenden Dosis.
2) Für die Auffassung von S. Frankel (Arzneimittelsynthese, II. Aufl. S. 286),
dass die antineuralgische Wirkung einem anderen Atomcomplexe als die anti¬
pyretische zukommt, liegt kein genügender Grund vor.
3) Zeitschr. f. klin. Medicin. Bd. 32. H. 5 u. 6.
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Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
30
J. Biberfeld,
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führung der Amidogruppe, den davon s. Z. von Fi lehne gehegten Er¬
wartungen entsprechend, eine bevorzugte Stellung ein. Filehne hob
schon hervor, dass das Pyraroidon insofern den Substituirungsbestrebungen
einen gewissen Abschluss gebe, als in ihm das letzte am Pyrazolonringe 1 )
des Antipyrins noch freie H-Atom besetzt ist. Es war nun interessant
zu sehen, wie sich Körper verhielten, in denen die (eventuell alkylirte,
resp. acetylirte) Amidogruppe am Benzolring eingefügt worden war. Von
solchen habe ich folgende untersucht:
In m-Stellung amidirte Körper, also solche von der Constitution:
C 5 H 7 N 2 OC 6 H 4 NH 2 (1:3), resp. C 5 H 7 N 2 OC 6 H 4 NH * COCH 3 (1:3), m-Amido-
antipyrin und ra-Acetylamidoantipyrin.
Von dem einfachen m-Amidoantipyrin stand mir nur eine geringe
Menge zur Verfügung, sodass ich nur wenige Versuche vornehmen
konnte; in diesen zeigte sich das Präparat als so gut wie unwirksam.
Folgenden Versuch führe ich als Beispiel an:
Kaninchen, am Tage vorher mit Heuinfas inficirt, hat 10 Uhr 50 Min. eine
Recturatemperatur von 39,7°, erhält dann nochmals 5,0 Heuinfus.
11 Uhr 25 Min. Temp. 39,4 Grad 4 Uhr 55 Min. Temp. 41,0 Grad 1,0 per os
12
71
—
11
„ 40,1
11
0,3 per os
Ö „
25 „
11
40,5
11
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50
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11
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Ti
40,6
11
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40,9
11
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„ 40,6
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0,5 per os
7 n
11
11
41,1
Ti
4
TJ
05
11
„ 40,6
11
Von der AcetylVerbindung hatte ich eine grössere Menge. Ihre
Giftigkeit ist, wie ich in Uebereinstimmung mit Kobert 2 ) (1. c. S. 41)
fand, sehr gering. Trotzdem habe ich — meine Versuche liegen zeitlich
vor denen Kobert’s — von der Empfehlung einer klinischen Erprobung
abgesehen, da es antipyretisch in sieben angestellten Versuchen nur
sehr wenig wirkte; z. B.:
Kaninchen, Tags vorher Heuinfus.
8 Uhr
—
Min. Temp. 40,0 Grad,
nochmals 5 pCt. Heuinfus
8 „
45
ii ii
40,4
n
9 „
20
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—
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40,7
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1,5 per os
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40,7
11
4 „
30
n n
40,7
71
1) Merkwürdigerweise wird Pyramidon von S. Frankel (Arzneimittelsynthese,
II. Autl., S. 220) als „Anilin und Antipyrin zugleich“ bezeichnet.
2) An der betreffenden Stelle ist bei Kobert von der ortho-Verbindung die
Rede; dies ist jedoch in dem Separatabdruck, den Herr Prof. Kobert an meinen
Chef, Herrn Geb. Rat Filehne, schickte, handschriftlich in meta corrigirt.
Gck 'gle
Original frorn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Pharmakologische Studien über einige Pyrazolonderivate. 31
Wenn wir somit sehen, dass diese Präparate ihren pharraakodynami-
schen Effect entweder ganz verloren haben oder aber jedenfalls darin
weit hinter dem nicht amidirten Körper (Antipyrin) zurückstehen, so
bleibt, da die Araidirung an sich sonst stets die antipyretische Wirk¬
samkeit erhöht, zur Erklärung kaum eine andere Annahme übrig als,
dass die Amidirung durch Aenderung physikalischer Eigenschaften (wie
Lipoidlöslichkeit und ähnliches) dem Körper die Möglichkeit genommen
hat sich in der für eine Wirkung erforderlichen Weise an das Proto¬
plasma der betreffenden Zellen anzulagern. Und natürlich ist dies auch
dann der Grund der geringen Giftigkeit. — Weiterhin spricht mein
Befund auch dafür, dass das Antipyrin durch sein Gesammtmolekül
wirkt, nicht nach Aufspaltung in die beiden Ringe 1 ). Denn hätte der
Organismus die Fähigkeit, eine solche Spaltung in einem einigermaassen
erheblichen Umfange zu leisten, so müsste ja hier Anilin resp. Acetanilid
entstehen, und diese würden sicherlich die Temperatur herabsetzen.
Eine grössere Bedeutung konnte man von vorneherein für die
in p-Stellung amidirten Derivate erwarten, da diese bei fast allen
Benzolabkömralingen den entsprechenden m-Verbindungen an physio¬
logischer Wirkung überlegen sind. Und das war auch bei unseren Ver¬
bindungen meist zutreffend, jedoch nicht in allen Fällen.
Das p. Diraethylaraidoantipyrin (1 p. dimethylamidophenyl
2. 3. dimethyl 5 pyrazolon) ist ein weisses Pulver vom Smp. 136—137°,
in Wasser leicht löslich; die wässrige Lösung wird durch FeCl s roth
gefärbt; mit salpetriger Säure entsteht grünes p. Dimethylamido 4 nitroso-
antipyrin. Es beeinflusst die Wärmeregulation sehr energisch, ungefähr
ebenso wie Pyramidon 2 * ), z. ß.:
Kaninchen. 1900 g.
7
Uhr 40 Min. Temp. 39,1 Grad 5,0 Heuinfus
1 Uhr 55 Min.
Temp. 39,1 Grad
9
» 15 »
77
41,3 „ 0,2 per os
2 „ 30
77
77
38,8
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10
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5 „ 50
77
77
40,3
77
12
7) 50 „
77
39,5 „
6 „ 20
77
77
40,3
77
Hund 5500 g erhält in Zwischenräumen von 3—4 Tagen 0,25, 0,5
und 0,75 subcutan; ausser Stupor und Erbrechen nichts Besonderes.
Auf die Dosis von 1,0 geht er innerhalb von 24 Stunden ein. Die
Giftigkeit ist demnach etwas grösser als die des Pyramidons (dosis letal,
für Hunde ca. 0,2 pro Kilogramm). Von einer therapeutischen Erprobung
habe ich daher trotz der kräftigen, dabei langsam einsetzenden und
1) Hierfür ist auch anzuführen, dass die im Harne isolirten Stoflwechselproducte
des Antipyrins und des Pyramidons (Antipyrilharnstoff etc. und Rubazonsäure) beide
Ringe enthalten. Allerdings wäre es immerhin noch möglich, wenn auch nicht eben
wahrscheinlich, dass gerade der nicht wiedergefundene Theil der eingeführten Menge
gespalten und dadurch wirksam gewesen sei.
2) Auch Fi lehne, 1. c. hat den Körper bereits bei flüchtiger Untersuchung
als sehr wirksam befunden.
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
32
J. Biberfeld,
Digitized by
ebenso verklingenden Wirkung Abstand genommen. — Bemerkenswerth
war, dass bei den toxischen Dosen sowohl Kaninchen als Hunde nicht
die für Pyramidon typischen Krampferscheinungen darboten; das einzige
Symptom, das daran erinnerte, war ein kurzdauernder Trismus bei
Kaninchen; sonst sah ich nur Lähmungserscheinungen.
Ganz wirkungslos fand ich das Acetylderivat (1 p. Acetylamido-
phenyl 2.3 dimethyl. 5 pyrazolon; weisses Pulver vom Smp. 221°,
in Wassser ziemlich leicht löslich; FeCl 3 färbt die Lösung roth, HN0 2
grün durch Bildung von p. Acetylamido 4 nitrosoantipyrin). Bei einem
spontan fiebernden Kaninchen (wie die Section erwies, hatte es eine aus¬
gedehnte Eiterung des Unterhautzellgewebes) erhielt ich folgenden Ver¬
suchsverlauf:
8 Uhr — Min. Temp. -10,3 Grad 1,5 per os 2 Uhr — Min. Temp. 40,7 Grad
10 „ - „ » 40,5 „ 3 „ — „ „ 40,9 „
10 45 „ „ 40,7 „ 4 „ 10 „ „ 40,6 „
11 „ 30 ,, „ 40,8 „ 6 „ r „ 40, i ,,
1^ »45 „ „ 40,8 „
Wie tiefgreifend die Amidirung unter Umständen die physiolo¬
gische Wirkung ändert, lehrt uns das Präparat, in dem eine Dimethyl-
amidogruppe in Stellung (4) am Pyrazolon- und eine zweite solche Gruppe
in p-Stellung am Benzolring vorhanden ist (1 p. Dimethylamidophenyl
2.3 dimethyl 4 diraethylamido 5 pyrazolon; leicht löslich in Wasser,
die wässrige Lösung wird durch FeCI 3 und HN0 2 violett gefärbt; Smp.
126—127°), also ein p. Dimethylamidopyramidon. Die Giftigkeit
dieser Substanz übersteigt die des Pyramidons bei Hunden und Kaninchen
um ein Vielfaches (ca. 0,04 pro kg bei Hunden und 0,02 pro kg bei
Kaninchen sind schon tödtlich). Die antipyretische Wirkung ist selbst
nach Dosen, die den toxischen sehr nahe kommen, relativ gering;
Kaninchen 1900:
9 Uhr 15 Min. Temp. 39,3 Grad 5,0 Heuinlüs 2 Uhr — Min. Temp. 40,0 Grad
10
77
30
7i
n
40,2
„ 0,005 subcutan
3
77 10
77
77
S9,5
77
11
n
15
n
77
40,0
77
4
r —
77
77
39,4
77
11
n
55
77
71
40,3
7)
5
71
77
77
40,0
77
12
r>
36
77
40,8
,, 0,02 subcutan
6
77
77
40,4
T?
Nach letalen Dosen erfolgte der Tod unter Krämpfen, ähnlich denen
nach Pyramidon; die beim p. Dimethylamidoantipyrin so ausgesprochenen
Lähmungserscheinungen traten hier nicht hervor.
Nach dem Ergebniss dieser Versuche hat das Bestreben, durch Ami¬
dirung am Benzol dem Pyramidon gleiehwerthigc oder überlegene Prä¬
parate zu erzielen, bisher keinen nennenswerthen Erfolg gehabt.
Das letzte freie H-Atom am Pyrazolonringe des Antipyrins, das im
Pyramidon durch die Dimethylamidogruppc ersetzt ist, lässt sich auch
durch Alkyle substituiren, und mit deren Hilfe ist es wiederum möglich
weitere Atomgruppen anzugliedern.
Das einfachste dieser Präparate ist das [4] Methylantipyrin
(1 Phenyl 2.3.4 trimethyl 5 pyrazolon; weisses Pulver, Smp. 82°,
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Pharmakologische Studien über einige Pyrazolonderivate.
33
leicht löslich in Wasser, durch Eisenchlorid roth gefärbt). Es wirkt
antipyretisch etwas besser als Antipyrin:
Kaninchen 1600:
11 Uhr 30Min. Temp. 39,0Grad 10,0Heainfus subcut. 3 Uhr 15 Min. Temp. 38,2 Grad
12 „ 30 „ „ 39,3 „ 4 „ 30 „ „ 38,5 „
1 „ 35 „ „ 40,4 „ 0,2 subcutan 5 „ 10 „ „ 38,8 „
2 „ 30 „ „ 39,1 „ 6 „ - „ „ 38,8 „
aber auch seine Giftigkeit ist grösser:
Kaninchen 1500 g erhält 1,0 subcutan, nach 20 Minuten Ausbruch
von Krämpfen, nach 30 Minuten f.
Das Präparat wurde daher als ungeeignet zur Erprobung am Menschen
angesehen.
Ersetzt man in [4] ein H des dort substituirten Methyls durch die
Dimethylamidogruppe, so erhält man den Körper 1 Phenyl 2.3 di-
methyl 4 diäthylaraidomethy 1 5 pyrazolon; in Wasser leicht
mit alkalischer Reaction löslich, fällt aus einer Lösung von Eisenchlorid
Fe(OH) s , giebt mit HN0 2 keine Reaction; Smp. 73°. Seiner Constitution
nach kann also der Körper gewisserraaassen als ein höheres Homologe
des Pyramidons aufgefasst werden. Seine Wirkung ist schwächer:
Kaninchen: 9 Uhr 35 Min. Temp. 40,0 Grad (gebrauchtes Thier) erhält 10,0 Heuinfus
10 „ 30 „ „ 39,0 „
12 „ 10 „ „ 41,1 „ 0,2 subcutan
^ 71 ^ n 77 ^7^ 77
2 „ 40 „ „ 40,7 „
4 77 20 „ „ 41,0 „
Um 6 Uhr 25 Min. typischer Pyramidonkrampf, der ca. 1 Min. dauert;
6 Uhr 30 Min. Temp. 41,0 Grad. Am nächsten Tage
5,0 Heuinfus
0,5 subcutan
Während bei diesem in [4] substituirten Präparate die Giftig¬
keit, wie ich feststellte, nicht so gross war wie die des Pyramidons,
ist sie manchmal höher, wenn die Amidirung in (3) erfolgt. Der Körper
1 Phenyl 2.4 dimcthyl 3 dimethylamidoraethyl 5 pyrazolon
(Smp. 86—88°, in Wasser leicht mit alkalischer Reaction löslich; fällt
aus einer Lösung von Eisenchlorid Fe(OH) a aus, giebt mit HN0 2 keine
Reaction) tödtete mittelgrosse Kaninchen schon in Dosen von 0,2—0,3
subcutan unter Streckkrämpfen. In den in Folge dessen allein möglichen
kleinen Dosen war er antipyretisch wenig wirksam. Dagegen war wieder
eigenthümlicherweise das Präparat 1 Phenyl 2.4 dimethyl 3 di-
äthylaminomethyl 5 pyrazolon in Form des salzsauren Salzes
weniger giftig als Pyramidon. Es ist ein weisses Pulver, in Wasser sehr
leicht löslich; die Base fällt aus Eisenchloridlösung Fe(OH) s aus und giebt
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 3
10 n 55 n n 40 > 4 v
U „ 50 „ „ 40,0 „
12 „ 50 „ „ 40,0 „
2 „ 20 „ „ 40,7 ,.
4 11 n n 4 ®> 1 «
5 n — n « 40 > 6
^ n ~~ n n 4 ®) ,f ’ «
7 — 40 4
* 77 71 n n
Digitized by
Gok igle
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
34
Digitized by
J. Biberfeld,
mit HNOo keine Färbung. Seine Fieber mindernde Eigenschaft ist eben¬
falls geringer als die des Pyramidons, aber etwas besser als die des
Antipyrins:
Kaninchen:
7 Uhr 30 Min. Temp. 38,7
Grad 5,0 Heuinfus
12 Uhr
—
Min. Temp. 39,3 Grad
9
77 TI
ri
40,7
„ 0,2 subutan
2
77
05
77
77
39,9
77
9
„ 50 „
n
40,0
77
3
77
—
77
77
40,3
77
10
„ 20 „
n
39,7
77
3
77
30
77
77
40,4
77
11
77 ^ 7)
ri
39,6
77
4
77
—
77
77
40,7
77
0,1 subcutan
war nicht mehr wirksam.
Kaninchen 1700 1,0 subcutan; sehr heftige Krämpfe; nach 1 Stunde
wieder normal.
Kaninchen 1900 1,5 subcutan. Nach 30 Minuten f. Das Präparat
steht demnach sowohl in Beziehung auf Wirkung als auf Toxicität
zwischen Antipyrin und Pyramidon.
Verwendet man die (in kaltem Wasser mässig lösliche) Base an
Stelle des salzsauren Salzes, so erzielt man mit Dosen von 0,5—0,75
per os noch keinen erheblichen Effect.
Ferner habe ich das in [3] hydroxylirte Methylantipyrin, also
1 Phenyl 2.4 dimethyl 3 methylol 5 pyrazolon und einige seiner
Ester untersucht. Dieses ist ein weisses Pulver vom Srap. 173°, schwer
löslich in kaltem, leichter in heissem Wasser, sowie in verdünnten Säuren.
Die wässrige alkoholische Lösung wird durch Eisenchlorid roth ge¬
färbt; mit salpetriger Säure giebt sie keine Reaction. Der nicht ver-
esterte Alkohol wirkt weniger energisch und nicht so andauernd wie
Antipyrin:
Kaninchen, gebrauchtes Thier, erhält 0,5 per os:
10 Uhr 15 Min. Temp. 40,0 Grad 3 Uhr 30 Min. Temp. 39,6 Grad
11 ti 45 ri Ti 38,3 „ 4 „ 15 „ „ 40,0 „
* n v n 3S,8 „ 6 ^ „ 40,2 „
2 * 30 „ „ 39,6 „
Noch schlechter wirkte manchmal der Benzoylester (1 Phenyl
2.4 dimethyl 3 benzoylmethylol 5 pyrozalon; weisses Pulver
vom Smp. 118°, sehr schwer löslich in Wasser, leichter in Alkohol, auch
in verdünnten Säuren; die alkoholische Lösung wird durch FeCI 3 roth
gefärbt):
Kaninchen:
11 Uhr 50 Min.
12 „ 15 „
30
Temp. 39,7 Grad (inficirtos Thier)
„ — „ 0,5 per os
Ti 39,6 „
» 39,4 „
3 Uhr 30 Min. Temp. 39,8 Grad
4 „ 30 „ „ 39,9 „
5 „ 30 „ „ 40,2 „
Ebenso wenig brauchbar war meist der Salicylester (Smp. 131°,
kaum löslich in Wasser, löslich in verdünnten Säuren und in verdünnter
Natronlauge; die Lösung in verdünntem Alkohol wird durch Eisenchlorid
violett gefärbt), wie folgendes Beispiel zeigt:
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Pharmakologische Studien über einige Pyrazolonderivate.
35
Kaninchen, Tags vorher Temperaturstich.
9
Uhr 50
Min. '
Temp.
41,2
Grad
1
Uhr
55 Min
i. Temp. 40,6
Grad
10
n
20
n
ii
41,2
„ 2,0 per os
2
ii .
30 „
„ 40,8
71
11
n
—
n
ii
40,8
ii
3
n
30 „
„ 40,9
71
11
n
45
ii
ii
40,8
ii
4
ii
>1
„ 41,0
71
12
n
45
n
ii
40,6
ii
Auch der Acetylsalicylsäureester (Smp. 93—94°, unlöslich in
Wasser, ziemlich leicht löslich in Alkohol; die alkoholische Lösung färbt
sich mit Eisenchlorid roth) ist fast unwirksam.
Kaninchen, Tags vorher Temperaturstich.
7
Uhr 30 Min. Temp. 40,3 Grad
2 Uhr 30 Min. T
emp. 39,9 Grad
8
„ 10
11 71
40,3
11
3 »
20
ii
„ 40,2
7)
9
n 35
H 11
40,9
„ 1,5 per os
4 „
—
ii
„ 40,3
TI
10
,. 20
11 11
40,7
71
5 *
—
ii
„ 40,4
71
11
V
71 11
40,4
11
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30
ii
„ 40,4
7)
12
„ 30
11 71
40,3
71
6 n
20
77
„ 40,5
71
1
„ 45
11 71
40,0
71
An der geringen Wirkung dieser Ester 1 ) ändert auch die Einführung
einer Amidogruppe am Benzolringe nichts; der Körper 1 Phenyl
2. 4 dimethyl 3 p. amidobenzoyl methylol 5 pyrazolon (Smp.
189°, sehr schwer löslich in Wasser, leicht in Alkohol und verdünnten
Säuren; die alkoholische Lösung wird durch Eisenchlorid roth gefärbt;
die salzsaure Lösung wird durch HN0 2 diazotirt) war ganz ohne Ein¬
fluss auf die Fiebertemperatur.
Kaninchen 1900, gebrauchtes Thier.
7 Uhr 45 Min. Temp. 40,1 Grad Heuinfus. 10 Uhr 55 Min. Temp. 41,4 Grad
8
n
20
7)
77
40,0
n
11
77
25
77
77
41,2
77
8
71
55
7)
71
41,0
71
12
71
05
77
71
41,1
77
9
7)
30
77
71
41,2
71
• 1,0 per os 2
71
30
77
77
41,4
77
10
n
20
71
77
41,6
71
3
71
55
77
77
42,0
77
Theoretisch von Interesse sind mehrere von mir untersuchte Isomere
des Antipyrins und des Pyramidons, also Substanzen, die sich von diesen
nur dadurch unterscheiden, dass einzelne Atome, bezw. Atomcomplexe
ihre Stellung zu einander gewechselt haben. — Von ihnen erwähne ich
zuerst den Körper 1 Phenyl 2. 4 dimethyl 5 pyrazolon (Smp.
125°; in Wasser schwerer löslich als Antipyrin, in kaltem leichter als
in warmem. Die wässerige Lösung giebt mit HN0 2 keine Reaction, mit
Eisenchloryd färbt sie sich roth; durch Pikrinsäure und Ferrocyanwasser-
stoffsäure wird die Substanz gefällt). Die antipyretische Wirkung war
inconstant, wie die folgenden zwei Versuche darthun:
Kaninchen, gebrauchtes Thier,
erhält 5,0 Heuinfus.:
10 Uhr 20 Min. Temp. 39,8 Grad 1 Uhr — Min. Temp. 41,2 Grad
11 t) 15 ri 7) 3 9,5 „
1) In einzelnen Fällen war eine Wirkung zu constatiren; hier war wohl der be¬
treffende Ester im Darm gespalten worden. Woran das wechselnde Verhalten lag,
habe ich nicht feststellen können.
3 *
Difitized
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
36
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J. Biberfeld,
erhält 0,5 subcutan:
2 Uhr 20 Min. Temp. 40,9 Grad 4 Uhr 30 Min. Temp. 41,0 Grad
2 „ M „ „ 40,8 „ 5 n 30 „ „ 40,0 „
3 n 25 „ „ 40,5 „
dagegen Kaninchen, gebrauchtes Thier:
11 Uhr 50 Min. Temp. 41,3 Grad 3 Uhr 50 Min. Temp. 39,9 Grad
9
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35
n
V
41,2
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„ 0,5 subcutan
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40,3
7)
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77 1 ® 71
7) 71
3 „
10
7)
n
40,6
71
Zur Verwendung am Menschen eignet sich das Präparat jedenfalls
nicht.
Als dem Antipyrin ungefähr gleichwerthig fand ich den Körper
1. 2 Dimethyl 3 phenyl 5 pyrazolon (von Robert als Isoanti-
pyrin bezeichnet):
Kaninchen:
7 Uhr 30 Min. Temp. 39,3 Grad 5,0 Heuinfus.
^ 71 45 r „ 39,3 „
9 „ 30 „ „ 39,3 „
10 „ 35 „ „ 40,6 „ 0,3 subcutan
11 * 25 * „ 39,1 „
12 Uhr — Min. Temp. 39,0 Grad
2 „ - „ n 39,1 „
3 n ~~ -n n 3 9)2 n
4 n Ti n 3 9»2 n
'-I ■ M H „ 39, 1 „
Da ich nur eine kleinere Menge zur Verfügung hatte, konnte ich
die Giftigkeit nicht bestimmen. Nach Robert (1. c. S. 33) entspricht
sie der des Antipyrins. — Das Präparat besitzt demnach keine Vorzüge
vor Antipyrin.
Auch das Isomere des Pyramidons, über das Robert berichtet,
1 Phenyl 2. 5 dimethyl 4 dimethy lamido 3 pyrazolon habe
ich bereits im Jahre 1904 untersucht und, wie ich vorweg nehmen will,
im Gegensätze zu ihm, als nicht zur klinischen Prüfung geeignet an¬
gesehen.
Uebereinstimmend mit Robert (1. c. S. 39) habe ich gefunden, dass
es erheblich weniger giftig als Pyramidon ist: die Dosis letalis für
Kaninchen liegt erst bei ca. 1 g pro kg subcutan. Dafür bleibt aber
auch seine antipyretische Wirkung erheblich hinter der des Pyramidons
zurück. Denn während von diesem, wie angeführt, 0,05—0,1 bereits
energisch die Fiebertemperatur herabsetzen, bedarf es hierzu von der
isomeren Verbindung viel grösserer Gaben; z. B.:
Kaninchen:
8 Uhr — Min. Temp. 39,4 Grad 5,0 Heuinfus.
8 „ 45 „ „ 39,6 „
9 „ 45 „ „ 40,7 fl 0,15 subcutan
10
11
40
15
40,0
39,5
11 Uhr 45 Min. Temp. 39,7 Grad
12 , 15, „ 39,9 „
1 n n n 40,2 n
2 V - V » 40,4 7
3 n n n 40,5 t,
Also ein nur massiger und schnell wieder vergehender Temperatur¬
abfall nach 0,15. — Ebenso:
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Pharmakologische Studien über einige Pyrazolonderivate.
37
Kaninchen:
8 Uhr — Min. Temp. 39,0 Grad 5,0 Heuinfus. 3 Uhr — Min. Temp. 39,8 Grad
9
77
—
7)
TI
40,2
7)
3
71
45
7 ?
77
39,7
71
10
7)
—
n
Ti
40,5
71
4
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20
71
71
39,6
7 ?
10
71
45
n
Ti
40,9
„ 0,2 subcutan
5
77
-
71
71
39.9
71
12
77
15
71
7)
40,1
77
5
71
40
71
77
40,2
71
2
7)
—
7)
7)
39,8
71
6
71
15
71
71
40,4
71
0,2 Pyramidon würden eine Temperaturerniedrigung von ca. 2,5 bis
3,0° hervorgebracht haben.
Wenn nun auch die Verbindung im Vergleiche mit Antipyrin Vor¬
züge besitzt, so trifft dies dem Pyramidon gegenüber nicht zu. Ihre
geringere „therapeutische 44 Wirksamkeit würde es aller Wahrscheinlich¬
keit nach erforderlich machen beim Menschen erheblich grössere Dosen
zu verabreichen, und damit wäre einer der wesentlichen Vortheile, den
uns die Benutzung des Pyramidons gewährt, zu nichte gemacht. Die
geringere Giftigkeit würde dafür kaum Ersatz gewähren, zumal thatsäch-
lich die im Thierexperiraent relativ grosse Toxicität des Pyramidons
sicherlich nicht für den Menschen gilt. Denn trotz der überaus grossen
Zahl von Fällen, in denen es verwendet worden ist, sind doch wirkliche
Intoxicationen kaum zur Kenntniss gelangt. Die geringere Giftigkeit
eines isomeren Präparates vermag daher nicht die schlechtere Wirkung
auszugleichen, und deshalb hielt ich es für aussichtslos, Versuche damit
an Kranken anstellen zu lassen.
Ferner habe ich einige höhere Homologe des Pyramidons unter¬
sucht. Der einfachste Körper dieser Reihe war das Diaethylamido-
antipyrin (1 Phenyl 2. 3 dimethyl 4 diaethylamido 5 pyrazolon;
weisses Pulver, mässig löslich in kaltem Wasser, schwerer in warmem;
in fast allen organischen Lösungsmitteln leicht löslich, ebenso in ver¬
dünnter Säure; die wässerige Lösung wird durch salpetrige Säure nicht
gefärbt; mit Eisenchlorid entsteht eine bald verschwindende Dunkel¬
färbung). Der Constitution entsprechend ist das Präparat ungefähr
ebenso wirksam wie das Pyramidon. In einigen ‘Fällen war die Wirkung
nicht so ausgesprochen; eine Verstärkung, wie sie als Folge der Er¬
setzung von Methyl durch Aethyl beispielsweise beim Dionin im Ver¬
hältnis zu Codein meist deutlich zu constatiren ist, trat bei unserem
Körper niemals ein. Von dem Versuch einer Einführung in die Therapie
konnte man sich daher nichts versprechen.
Wird in der eben besprochenen Verbindung das Methyl in Stel¬
lung [2] durch Aethyl ersetzt, so erhält man ein Präparat von der Zu¬
sammensetzung 1 Phenyl 2 Aethyl 3 Methyl 4 diaethylamino
5 pyrazolon (weisses Pulver, in Wasser schwerer löslich als das vor¬
hergehende Präparat; Smp. 96°). Da es relativ schlecht löslich ist, habe
ich es ausschliesslich per os gegeben. Bei dieser Darreichungsweise
war es zum Theil gut wirksam, manchmal aber versagte es fast ganz.
Weil es überdies ziemlich giftig war (1,5 g per os tödtete ein mittel¬
grosses Kaninchen), musste es als praktisch unbrauchbar angesehen
werden.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
38
J. Biberfeld,
Eine von den bisher besprochenen Körpern chemisch principiell ver¬
schiedene Reihe stellen die von mir untersuchten Derivate des Imino-
pyrins dar. Iminopyrin wird durch Einwirkung von Ammoniak auf
Antipyrinchlorid erhalten 1 ) und kann durch das Formelbild
jjG 6 H 5
HN:C^\n.CH 8
hcLJc.cHj
dargestellt werden, d. h. es ist ein Antipyrin, in dem das in Stellung [5]
befindliche Sauerstoffatom durch den zweiwerthigen Rest = NH ersetzt
ist (1 Phenyl 2. 3 dimethyl 5 iminopyrin). Die einfachste dieser Ver¬
bindungen war das Benzoyliminopyrin (1 Phenyl 2. 3 dimethyl
5 benzoyliminopyrin), von der ich das salzsaure Salz zur Verfügung
hatte. Wie F. Stolz 2 ) nachgewiesen hat, erfolgt die Salzbildung bei
dem Iminopyrin nicht wie beispielsweise bei den Alkaloiden und auch
beim Pyramidon durch Addition des Säuremoleküls an die basische
Gruppe, sondern in folgender Weise: Durch Einwirkung von z. B. HCl
geht die Formel
n c 6 h b
HN=c/^N.CH 3 + HC1
hcL=Jc.ch s
über in die Formel
und dasselbe gilt natürlich auch für die Derivate des Iminopyrins. Wie
man sieht wird der Stickstoff in Stellung [2] fünfwerthig und der Körper
ist als das Salz einer Ammoniumbase anzusehen. Das salzsaure
Benzoyliminopyrin wird demnach repräsentirt durch die Formel
n C9H *
H x N C1
CeH 6 CO> N - C !M| N <CH 3
HC'i_Io. CH 3
(die Base schmilzt bei 176 °; das Chlorhydrat ist in Wasser ziemlich
leicht löslich; Pikrinsäure fällt die Lösung).
Das Präparat erwies sich als recht giftig: 0,35 subcutan und
1,0 per os tödteten mittelgrosse Kaninchen unter Krämpfen 3 ), die anti¬
pyretische Wirkung war unerheblich:
1) F. Stolz, Ber. d. d. ehern. Ges. Bd. 36. S. 380.
2) 1. c.
3) Im Anfänge der Vergiftung und bei kleineren Dosen trat deutlich eine be¬
täubende Wirkung hervor; dies spricht gegen die Auffassung von S. Frankel
(l. cit. S. 268), dass die an tineuralgische Wirkung des Antipyrins an die CO-
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Original frorn
UNIVERSETY OF MICHIGAN
Pharmakologische Studien über einige Pyrazolonderivate.
39
Kaninchen:
9 Uhr 15 Min. Temp. 39,0 Grad Inject, v. Heuinfus. 10 Uhr 55 Min. Temp. 40,0 Grad
9 *
40 „
„ 39,0 „
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„ 39 ,8
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12 „ - »
„ 40,8
10 „
35 „
„ 40,3 „ 0,5 per os
12 „ 30 „
* 41,0
Complicirter sind folgende zwei Präparate: Antipyrylimino-
pyrin und Methylantipyrylirainopyrin. Die erstere Base, in Wasser
schwer löslich, Smp. 202°, wird erhalten, wenn man statt des
Ammoniaks Amidoantipyrin auf Antipyrinchlorid ein wirken lässt; sie
hat danach die Formel:
CH,.N. /n \CO N° 6 ^ 5
CH 3 C> Je—N=Cj /N 'jN.CH s
HCl—J.C. CH,.
Therapeutish ist die Base wenig wirksam:
Kaninchen: 8Uhr45Min. Temp.41,8Grad (fiebert inFolge einer schweren
Augenverletzung) •
1,0 per os
9
77
30
77
77
41,8
77
10
77
10
77
77
41,2
77
10
77
55
77
77
41,7
77
11
77
30
77
77
41,8
77
12
77
—
77
77
41,7
7'
12
77
35
77
77
41,7
77
2
77
—
77
77
41,7
77
Kaninchen:
8 Uhr 45Min. Temp.39,0Grad 5,0 Heuinfus 2Uhr 45Min. Temp.40,2Grad
9
77
30
77
77
39,0
77
3
77
50
77
77
40,2 „
10
77
10
77
77
39,1
77
4
77
10
77
77
39,7 „
11
77
30
77
77
39,5
77
4
77
50
77
7'
40,0 „
12
77
35
77
77
39,9
77
4
77
15
77
77
40,0 „
2
77
—
77
n
40,1
77
6
77
—
77
77
40,0 „
Besser beeinflusst das Methylantipyriliminopyrin 1 ), also der
Körper, der auf der Iminopyrinseite eine Methylgruppe (in Stellung [4])
mehr hat, die Wärmeregulation (schwach gelbliches Pulver vom Smp. 183
bis 185°, in kaltem Wasser schwer löslich).
Kaninchen:
11 Uhr 20Min. Temp.38,7Grad 5,0Heuinfus 4 Uhr 40Min. Temp. 40,9Grad 0,5 peros
12
7'
—
77
77
38,1
77
5
„ 20 „
„ 39,2 „
1
77
—
7'
77
39,0
77
G
" !? ”
„ 38,4 „
2
77
05
77
77
40,1
77
6
77 ^5 „
„ 38,1 „
3
77
—
77
77
40,4
77
7
n „
„ 38,2 „
3
77
45
77
77
40,9
77
Gruppe geknüpft sei, da bei unserem Körper eine solche Gruppe gar nicht vor¬
handen ist.
1) Vergl. auch oben S. 32.
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Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
38
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J. Biberfeld,
Eine von den bisher besprochenen Körpern chemisch principiell ver¬
schiedene Reihe stellen die von mir untersuchten Derivate des Imino-
pyrins dar. Iminopyrin wird durch Einwirkung von Ammoniak auf
Antipyrinchlorid erhalten 1 ) und kann durch das Formelbild
HNiC.^Nn.CHo
HCi
C.CH.
dargestellt werden, d. h. es ist ein Antipyrin, in dem das in Stellung [5]
befindliche Sauerstoffatom durch den zweiwerthigen Rest = NH ersetzt
ist (1 Phenyl 2. 3 dimethyl 5 iminopyrin). Die einfachste dieser Ver¬
bindungen war das Benzoyliminopyrin (1 Phenyl 2. 3 dimethyl
5 benzoyliminopyrin), von der ich das salzsaure Salz zur Verfügung
hatte. Wie F. Stolz 2 ) nachgewiesen hat, erfolgt die Salzbildung bei
dem Iminopyrin nicht wie beispielsweise bei den Alkaloiden und auch
beim Pyramidon durch Addition des Säuremoleküls an die basische
Gruppe, sondern in folgender Weise: Durch Einwirkung von z. B. HCl
geht die Formel
2^ 6 H 6
HN=c/\n.CH 3 + HC1
über in die Formel
HCL=Jc.CH s
,CaH s
N
H,N—c/\n/
CI
\CH,
HC 1 '—l'C.CHs;
und dasselbe gilt natürlich auch für die Derivate des Iminopyrins. Wie
man sieht wird der Stickstoff in Stellung [2] fünfwerthig und der Körper
ist als das Salz einer Ammoniumbase anzusehen. Das salzsaure
Benzoyliminopyrin wird demnach repräsentirt durch die Formel
H \
C 6 H 6 C0/ N
n C8Hs ci
c/\N<f°
HO!—»C.CH,
(die Base schmilzt bei 176 das Chlorhydrat ist in Wasser ziemlich
leicht löslich; Pikrinsäure fällt die Lösung).
Das Präparat erwies sich als recht giftig: 0,35 subcutan und
1,0 per os tödteten mittelgrosse Kaninchen unter Krämpfen 3 ), die anti¬
pyretische Wirkung war unerheblich:
1) F. Stolz, Ber. d. d. chem. Ges. Bd. 36. S. 380.
2 ) 1. c.
3) Im Anfänge der Vergiftung und bei kleineren Dosen trat deutlich eine be¬
täubende Wirkung hervor; dies spricht gegen die Auffassung von S. Frankel
(1. cit. S. 268), dass die antineuralgische Wirkung des Antipyrins an die CO-
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Pharmakologische Studien über einige Pyrazolondcrivate.
39
Kaninchen:
9 Uhr
* 15 Min.
Temp. 39,0
Grad Inject, v. Heuinfus.
10
Uhr 55 Min.
Temp. 40,0
9 »
40 „
» 39,0
ii
11
ft 30 „
ft 39,8
io *
io n
» 40,0
V
12
7) n
« 40,8
10 „
35 „
n 40,3
„ 0,5 per os
12
ft 30 „
„ 41,0
Complicirter sind folgende zwei Präparate: Antipyrylimino-
pyrin und Methylantipyrylirainopyrin. Die erstere Base, in Wasser
schwer löslich, Smp. 202°, wird erhalten, wenn man statt des
Ammoniaks Amidoantipyrin auf Antipyrinchlorid ein wirken lässt; sie
hat danach die Formel:
ch 3 .n /x ,co n c ‘ Hs
I 1 /V
CHjC 1 ^C—N=cr |N.CH S
Hc!—‘C.CHj.
Therapeutish ist die Base wenig wirksam:
Kaninchen: 8Uhr45Min. Temp.41,8Grad (tiebert inFolge einer schweren
Augenverletzung) •
1,0 per os
9
n
30
ii
ii
41,8
11
10
ii
10
ii
ii
41,2
11
10
ii
55
ii
ii
41,7
11
11
n
30
ii
ii
41,8
11
12
n
—
ii
ii
41,7
li
12
ii
35
ii
ii
41,7
11
2
ii
—
ii
ii
41,7
11
Kaninchen:
8 Uhr 45Min. Temp.39,0Grad 5,0 Heuinfus 2Uhr 45Min. Temp.40,2Grad
9
„ 30
11
11
39,0
ii
3 „
50 „
77
40,2 „
10
„ 10
11
11
39,1
ii
4
10 „
17
39,7 ,.
11
„ 30
V
11
39,5
ii
4 „
50 „
Ii
40,0 „
12
,, 35
11
11
39,9
ii
4 „
15 „
11
40,0 „
2
11
11
n
40,1
ii
6
71
11
40,0 ,.
1,5 peros
Besser beeinflusst das Methylantipyriliminopyrin 1 ), also der
Körper, der auf der Iminopyrinseite eine Methylgruppe (in Stellung [4])
mehr hat, die Wärmeregulation (schwach gelbliches Pulver vom Smp. 183
bis 185°, in kaltem Wasser schwer löslich).
Kaninchen:
11 Uhr 20Min. Temp.38,7Grad 5,0Heuinfus 4 Uhr 40Min. Temp. 40,9Grad 0,5 peros
12
ii
—
71
n
38,1
11
5
„ 20 „
„ 39,2 „
1
71
—
11
ii
39,0
71
6
„ io „
„ 38,4 „
2
11
05
11
ii
40,1
71
6
„ 35 „
11 ^8,1 „
3
71
—
11
ii
40,4
11
7
ft 1°
77 „
3
ri
45
11
n
40,9
11
Gruppe geknüpft sei, da bei unserem Körper eine solche Gruppe gar nicht vor¬
handen ist.
1) Vergl. auch oben S. 32.
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
40
J. Biberfeld,
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doch ist diese Wirkung nicht befriedigend, denn, wie folgender Versuch
beweist, ist 0,3 fast ohne Einfluss:
Kaninchen:
9 Uhr lOMin. Temp. 39,4Grad 5,0 Heuinfus 12Uhr30Min. Temp.40,1 Grad 0,3 per os
10
» 35 »
„ 39,5 „
2 „ - „
„ 40,8 „
10
11
n 05 ,,
n 35 „
» 40,7 „
n 40,5 „
2 „ 55 „
„ 41,1 „
Auch die Chlorhydrate der beiden letztgenannten Basen habe ich
untersucht. Ihrer Constitution nach sind sie, wie erwähnt, als salzsaure
Salzo von Ammoniumbasen zu betrachten, denen folgende Structur zu¬
zuschreiben ist:
N
CHjNf
CH,C
ICO
H
N
C—N—C /Xv N< C1
HC
CH S
C.CH S
bezw.
CH S N
CH 3 C
N
/\
CcH 5
CO
C-N
e„n.
N
-c^ n ,,n< c1
CH.
CH S C-c. ch 3
Das ersterwähnte Chlorhydrat (Smp. 242°, leicht löslich in Wasser)
ist per os selbst in relativ hohen Dosen schlecht oder gar nicht wirksam:
Kaninchen:
7
Uhr 40
Min.
Temp. 38,5 Grad 10 Heuinfus
11
Uhr
30
Min.
Temp. 40,6
8
n
30
n
„ 38,9 „
12
10
n
,. 40,7
9
11
50
n
„ 40,6 „ 0,75 per os
1
n
55
n
n 40,6
10
V
50
11
n 41,0 „
2
11
40
n
„ 40,7
Subcutan wirkt es etwas energischer, erreicht aber auch so bei
Weitem nicht das Pyramidon:
Kaninchen:
9 Uhr 10 Min. Temp. 39,1 Grad 10,0 Heuinfus
0,3 subcutan
10 „
15 „
„ 40,6
11 „
10 „
„ 40,5
12 „
15 „
„ 40,7
1 Uhr 45 Min. Temp. 40,4 Grad
2 v. 25 „ „ 40,1 „
3 „ 20 „ „ 40,0 „
Das salzsaure Salz des Methylantipyriliminopyrins kommt dagegen
häufig dem Pyramidon nahe:
Kaninchen:
8 Uhr
— Min. Temp. 39,2 Grad 5,0 Heuinfus
2 Uhr
—
Min. Temp. 39,9 Grad
9 „
n » 39,9 „
2 „
45
n ii 39,5 „
10 „
20 „ „ 40,0 „
3 „
40
ii ii 39,5 „
11 „
11 n 40,0 „
4 „
30
SQ 4
ii ii ?i
12 „
— „ „ 40,7 „ 0,2 subcutan
4 „
15
39 9
n ii ^. 7 ,.' „
Go >gl<
Original ffom
UNIVERSETY OF MICHIGAN
Pharmakologische Studien über einige Pyrazolonderivate.
41
Die Giftigkeit des Präparates ist aber grösser als die des Pyra-
midons; 0,2 pro Kilogramm sind für Hunde tödtliche Dosis. Von einer
Empfehlung klinischer Erprobung habe ich abgesehen, theils aus diesem
Grunde, theils auch, weil die Verbindung entsprechend ihrem Charakter
als Ammoniumbase, wie ich mich am Frosche überzeugt habe, curare-
artig lähmend auf die motorischen Nervenendigungen wirkt. Und wenn
sich nun auch diese Eigenschaft in den therapeutisch bei Thieren wirk¬
samen und erforderlichen Dosen nicht bemerkbar machte, so bietet das
natürlich keine Gewähr, dass nicht gelegentlich beim Menschen, wenn
aus Unverstand oder Versehen übermässig grosse Mengen genommen
worden sind, Lebensgefahr durch die Lähmung der Athraungsmusculatur
herbeigeführt werden könnte. — Vom Antipyrin sind in der Literatur
Fälle berichtet, in denen viele Gramm ohne schwere Schädigung genommen
worden sind.
Auch einige Combinationen von Antipyrinen mit anderen, z. Th.
narkotisch wirkenden, Substanzen habe ich geprüft. Von Interesse ist
besonders der Körper Antipyriliminodiäthylbarbitursäure
C 6 « s
O.X /
X> C—NH 0C y
’\
(C 2 h 5 ) 2 c
,c-
I I
0
✓
C = N-
I
NH
CH S
ch 3
der nach seiner Constitution die Wirkungen des Antipyrins und des
Veronals vereinigen konnte (weisses Pulver vom Smp. 260°, in Wasser
und verdünnten Säuren nicht löslich, löslich in verdünnter Natronlauge
und in heissem Alkohol). Er erwies sich antipyretisch und hypnotisch
als unwirksam. — Ebenso wenig brauchbar waren die Präparate Bis-
antipyril-Piperazin 1 ) und Thiobisantipyrin 2 ):
Kaninchen, gebrauchtes Thier . . 11 Uhr 35 Min. Terap. 40,4 Grad
t
5,0 Heuinfus
und
0,7 Bisantipyril-Piperazin per os
Kaninchen:
,/
n
?i
11
40,4
71
| 12
n
35
71
11
40,7
71
os 12
55
71
11
41,2
77
9
71
05
11
11
40,2
17
3
71
—
77
H
41,0
17
7 Uhr 30 Min. Terap. 39,0
8 „ 30
■ 71
77
39,2
!) „ 30
11
71
39,9
10 „ -
11
71
40,5
10 „ 45
11
71
40,6
11 30
11
71
40,7
12 „ -
71
71
40,4
2 „ -
71
71
40,6
1,5 Thiobisantipyrin per os
1) Luft, Ber. d. deutsch, chem. Ges. Bd. 38. S. 4046.
2) Höltzcke, Dissertat. Rostock. 1891. S. 44.
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Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
42 J. Biberfeld, Pharmakologische Studien über einige Pyrazolonderivate.
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3 Uhr — Min. Temp. 40,7 Grad
3 „ 50 „ „ 40,6 „ 1,5 per os
5 „ 30 „ „ 40,8 „
6 „ 20 „ „ 40,7 „
7 „ 05 „ „ 40,8 „
Eine Analogie zu dem von Robert (1. c. S. 33 u. 34) besprochenen [4]
Amidoantipyrin bildet das [4] Piperidylantipyrin (weisses Pulver vom
Smp. 144°, schwer löslich in Wasser, leicht in Alkohol und verdünnten
Säuren. Die wässerige Lösung des Chlorhydrates wird durch FeCl s
und HN0 2 vorübergehend blau gefärbt). Während Robert bei seinem
Präparate eine ungewöhnlich geringe Giftigkeit festgestellt hat, gilt von
dem von mir untersuchten Präparate nicht das Gleiche: 1,5 per os
tödtete ein Raninchen von 2500 g innerhalb von 24 Stunden. Die anti¬
pyretische Wirkung blieb hinter der des Pyramidons weit zurück:
Kaninchen:
9 Uhr 30 Min. Temp. 39,4 Grad Heuinfus 11 Uhr 45 Min. Temp. 39,4 Grad
10 „ 30 „ „ 40,2 „ 0,3 per os 12 „ 15 „ „ 39,9 „
11 „ 10 „ „ 39,3 „ 1 „ 40 „ „ 40,8 „
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
IV.
Aus dem Institut für allgemeine und experimentelle Pathologie der
Universität in Lemberg.
lieber die Bedeutung der Nebennieren in der Pathologie
und Therapie der Rachitis.
Von
Dr. Robert Quest.
Seit den bahnbrechenden Entdeckungen von Szymonowicz,
Cybulski, Oliver und Schäfer über die blutdrucksteigernde Eigen¬
schaft der Substanz der Nebennieren ist die Literatur über die Function
dieser Organe ganz bedeutend angewachsen 1 ). Die meisten Arbeiten
beschäftigen sich mit dem Wesen der blutdrucksteigernden Wirkung,
andere mit den pathologisch-anatomischen Veränderungen, welche bei
mangelhafter Ausbildung oder Erkrankung dieser Organe (Morbus Addisoni)
oder bei Einverleibung ihrer Substanz im Organismus zu Tage treten.
Letztere haben besonderes Interesse gewonnen, als es Josuö 2 ) gelang,
durch intravenöse Einspritzungen von Adrenalin bei Kaninchen arterio-
sclerotische Veränderungen experimentell hervorzurufen. Was die Ursachen
des Auftretens dieser Veränderungen anbelangt, stimmen die Ansichten
der Autoren nicht überein; einige sehen den Hauptgrund in der Blut¬
drucksteigerung, andere nehmen eine specifisch toxische Wirkung des
Adrenalins an. Zu den letzteren gehört anch Josue, welcher nach
wiederholten Einspritzungen von blutdrucksteigernden Dosen von Nicotin
keine derartigen Veränderungen hervorzurufen vermochte. Um die Ein¬
wirkung des Adrenalins auf den Blutdruck auszuschliessen, hat Braun 3 )
gleichzeitig mit Adrenalin Amylnitrit injicirt, welches bekanntlich den
Blutdruck herabsetzt. Trotzdem traten Verkalkungsherde in der Gefäss-
wand auf. Zu diesem Resultate gelangt auch Sturli 4 ), welcher Kaninchen
Methylaminobrenzkatechin einspritzte.
Rzetkowski 5 ) dagegen ist der Meinung, dass die pathologischen
Veränderungen in der Gefässwand vor Allem durch den gesteigerten
1) Siehe Literatur bei Chwostek. Ergehn, d. allgem. Pathologie. IX. Jahrg.
2. Abtheilung und Miesowicz, Rozpraw. Acad. Um. 1906.
2) Josue, La presse m^dicale. 1903.
3) Braun, Münch, med. Wochenschr. 1905.
4) Sturli, Münch, med. Wochenschr. 1905.
5) Rzetkowski, Berl. klin. Wochenschr. Berlin. 1904.
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
44
R. Quest,
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Blutdruck bedingt sind. Dieser Ansicht sind auch Boveri 1 11 ) und
Zebrowski 2 ), welche Verkalkungsherde in der Aorta von Kaninchen
gefunden haben und zwar ersterer bei Verabreichung eines Infuses aus
Tabak mittelst des Magenschlauches, letzterer beim Einathmen von
Tabakrauch durch die Lungen wie auch durch intravenöse Injection eines
solchen Extractes; ebenso konnte Orlowski 8 ) zahlreiche arterio-
sclerotische Herde in der Aorta von Kaninchen uachweisen nach Ein¬
wirkung von blutdrucksteigernden Mitteln wie Digalen, Strophantin und
Adonidin. Nach Fischer 4 ) kann man die nach Adrenalininjectionen auf¬
tretenden Veränderungen nicht ausschliesslich als Folge der Blutdruck¬
steigerung ansehen. „Die schwere Kachexie der Thiere und die nach
den Injectionen stets auftretende Glycosurie zeigen uns, dass hier schwere
Störungen des Stoffwechsels mit im Spiele sind.“
Die arteriosclerotischen Herde treten vor Allem in der Wand der
Aorta auf, in anderen Arterienzweigen dagegen nur in vereinzelten
Fällen, so z. B. in den 3 Fällen von Erb 6 ), wo die Nierenarterien be¬
troffen waren. Die besprochenen Veränderungen wurden nur bei
Kaninchen gefunden, während sie bei Hunden und Affen (in 2 Versuchen
von Erb) nicht zum Vorschein kamen. Ob die bei Kaninchen experi¬
mentell erzeugte Arteriosclerose mit dem beim Menschen auftretenden
Krankheitsbilde etwas Analoges darstellt, ist jedenfalls noch nicht ent¬
schieden. Der Frage über die Beziehungen zwischen Nebennieren und
den Stoffwechselvorgängen im Organismus wurde verhältnissraässig wenig
Aufmerksamkeit geschenkt. Es liegen bisher nur Untersuchungen über
N-Stoffwechsel bei Addison’scher Krankheit vor. Panzer 6 ) konnte
dabei Retention von N constatiren. Die Ergebnisse bei Darreichung
von Nebennierentabletten fielen nicht übereinstimmend aus, indem einige,
wie Pikard 7 ), Allaria und Veramini 8 ) eine Steigerung des Eiweiss¬
zerfalls sahen, während Senator 8 ) das Gegentheil beobachtete.
Dass durch Adrenalininjectionen ein gewisser Eingriff auf den Kohlen¬
hydratstoffwechsel ausgeübt wird, haben Blum 9 ), Herter und Wake¬
mann 10 ), Singer 13 ), Zuelzer 12 ) und Metzger 18 ) gezeigt, indem sie nach
Adrenalineinspritzungen und zwar sowohl auf subcutanera als auch intra¬
venösem Wege bei Kaninchen und Hunden stets Glycosurie (bis über
5 pCt. Dextrose) nachweisen konnten. Der Kalkstoffwechsel blieb
1) Boveri, cit. nach Orlowski.
2) Zebrowski, Centralbl. f. allgem. Pathol. 1907. No. 9.
3) Orlowski, Przeglad lek. 1906. No. 15.
4) Fischer, Münch, med. Wochenschr. 1905. No. 1.
5) Erb, jun., Archiv f. experim. Pathologie u. Pharmakologie. 1905. Bd. 53.
6) Panzer, Wiener klin. Wochenschr. 1899.
7) Pikard, Berl. klin. Wochenschr. 1898.
8) Citirt nach Chwostek. 1. c.
9) Blum, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 71 und Pflüger’s Arch. Bd. 90.
10) Herter u. Wakemann, cit. nach Centralbl. f. Physiologie. 1903.
11) Singer, Therap. Monatsh. 1902. H. 1.
12) Zuelzer, Berl. klin. Wochensch. 1901. No. 48.
13) Metzger, Münch, med. Wochenschr. 1902. No. 12.
Gck igle
Original fru-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber die Bedeutung der Nebennieren etc.
45
merkwürdigerweise bisher unberücksichtigt, obgleich die pathologisch
anatomischen Veränderungen an den Gefässen — die Arteriosclerose —
eine Alteration desselben vermuthen Hessen.
Für eine Kalkretention nach Verfütterung von Nebennierensubstanz
schienen auch die klinischen Beobachtungen von Stöltzner 1 ) zu sprechen,
welcher einen aussergewöhnlich günstigen Einfluss dieser Therapie auf
den Verlauf der Rhachitis sah.
Es wurden an der Berliner Kinderklinik 71 Kinder auf diese Weise
behandelt. Am meisten macht sich der Einfluss dieser Therapie auf
das Allgemeinbefinden geltend. Von den rhachitischen Symptomen werden
am auffallendsten gebessert die Schweisse, die Craniotabes, die Ver¬
zögerung des Zahndurchbruches, die Verzögerung des Sitzen-, Stehen-
und Gehenlemens, die Empfindlichkeit gegen Berührungen, die Unruhe
und die abnorme vasomotorische Erregbarkeit der Haut. Es schwand
der von Stöltzner beschriebene, eigenthüraliche Geruch des Urins der
Rhachitiker nach Trimethylamin. Die abnorme Weichheit des Thorax und
die Kyphose der Lendenwirbelsäule wurden geringer. Am wenigsten
auffallend war der Einfluss der Behandlung auf die Grösse der Fontanelle,
den rhachitischen Rosenkranz und die Epiphysenschwellungen der langen
Röhrenknochen.
Der Glottiskrampf und die übrigen Symptome der Spasmophilie
wurden garnicht beeinflusst. Oft tritt schon in der ersten Woche der
Behandlung eine wesentliche Besserung ein. Erhärtet wurden diese Be¬
obachtungen durch histologische Untersuchungen 2 3 ) der Knochen von
rhachitischen Kindern, die mit Nebennierensubstanz behandelt waren und
an anderen Krankheiten ad exitum gekommen sind. Es wurden von
ihm 9 Fälle untersucht, davon 4 mit hochgradiger, 1 mit mittelschwerer,
3 mit massiger und 1 mit leichter Rhachitis. Die Behandlung dauerte
3 Tage bis 4 Wochen. Stöltzner hebt nun bei seinen Untersuchungen
— neben anderen auf einen Heilungsprozess hindeutenden Merkmalen —
insbesondere einen Befund hervor, nämlich, dass die breite für den
rhachitischen Knochen typische Zone osteoiden Gewebes eine starke
Affinität zu Silber zeigt, also stark argentophil ist. Da nur bereits ver¬
kalktes Gewebe diese Eigenschaft zeigt, nimmt Stöltzner an, dass darin
bereits der Uebergang des osteoiden Gewebes in echtes Knochengewebe,
also ein Heilungsprocess eingeleitet ist.
Die ausserordentlich günstigen Heilerfolge konnten jedoch von
Kinner 8 ), Netter 4 ), Hönigsberger 5 ), Langstein 6 ) u. A. nicht bestätigt
werden. Die Misserfolge letzterer Autoren führt Stöltzner auf die un¬
gleiche Wirkung der angewandten Präparate zurück und spricht die An-
1) Stöltzn er, Ueber Behandlung der Rhachitis mit Nebennierensubstanz. Jahr¬
buch f. Kinderheilk. Bd. 51. No. 1 u. 2.
2) Stöltzner, Histologische Untersuchungen der Knochen an 9 mit Neben¬
nierensubstanz behandelten Kindern. Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 53.
3) Kinner, Inaug.-Diss. Breslau 1901.
4) Netter, Jahrb. f. Kinderheilk. 1900. Bd. 52.
5) Hönigsberger, Münch, med. Wochenschr. 1900. No. 16.
6) Langstein, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 53.
Difitized
by Google
Original fru-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
46
R. Quest,
Digitized by
sicht aus 1 ), dass die Rhachitistherapie wahrscheinlich doch auf diesem
Gebiete liege.
Heubner 2 ) äussert sich in seinem Lehrbuch betreffs dieser Frage
folgendermaassen: Am eingehendsten und gründlichsten hat Stöltzner
eine dahingehende Hypothese zu stützen versucht, dass der Rinde der
Nebenniere hier eine Rolle zuzuschreiben sei — aber es ist bis jetzt
daran gescheitert, dass auf histologischem Wege sich solch subtile che¬
mische Fragen nicht wollen lösen lassen.
Um nun zu sehen, ob wir durch Stoffwechselversuche etwas Näheres
über das Wesen der erwähnten Processe erfahren könnten, habe ich
einige diesbezügliche Untersuchungen vorgenommen.
Eigentlich sollte dabei auf Anregung von Doc. Dr. ßiernacki eine
andere Frage ergründet werden und zwar, inwiefern die Steigerung des
Blutdruckes und die damit einhergehenden Veränderungen in der Zu¬
sammensetzung des Blutes sich in den Stoffwechselvorgängen kundgiebt 3 ).
Die mitgetheilten Versuche sollen auch ein Glied in der Reihe der
diesbezüglichen Untersuchungen darstellen. Die Untersuchungen wurden
an einem jungen, im Wachsthum begriffenen Hunde angcstellt.
Nachdem in der Vorperiode der N- und CaO-Stoffwechsel unter
normalen Verhältnissen festgestellt worden war, schloss sich daran eine
Periode, in welcher dem Thiere täglich eine Dose Adrenalin (von Parke,
Davis u. Cie.) subcutan injicirt wurde, in der darauf folgenden Nach¬
periode konnten dann die Nachwirkungen der Behandlung studirt werden.
Da nach den Untersuchungen von Rüdel 4 ) die Kalkausscheidung
von der Schnelligkeit der Darmperistaltik in gewissem Grade abhängt,
musste, um eindeutige Resultate zu erhalten, eine Nahrung gewählt
werden, bei welcher die Stuhlentleerungen regelmässig erfolgten. Die
Ernährung bestand im I. und II. Versuche in Maisabkochungen, im
III. Versuche wurde dazu täglich eine Portion Milch gegeben. Dabei
hatte der Hund täglich 1—2 geformte Stühle, welche fast regelmässig
in der Zeit abgegeben wurden, während welcher derselbe behufs Reini¬
gung des Käfigs herausgelassen wurde. Der Stuhl wurde auf eine unter-
gehaltene Schale gesammelt; um dabei keinen Urin zu verlieren, wurde
ihm ein Recipient aus dickem Glas umgebunden.
Der Stickstoff wurde nach Kjeldahl, der Kalk nach vorheriger
Ausfüllung des Eisens wagenanalytisch als CaO bestimmt.
Versuch I (24. 1.—4. 2.).
Nachdem der Hund bereits 2 Wochen lang auf Maismehlabkochungen gesetzt
war, bekam er jetzt in den ersten 2 Tagen der Vorperiode täglich 300 g Maismehl
abgekocht in 1,2 Liter Leitungswasser -)- 10 g Kochsalz; von da ab während des
ganzen Versuches täglich 250 g Maismehl abgekocht in 1 Liter Leitungswasser -j- 10 g
Kochsalz. Die Portionen wurden stets vollständig aufgezehrt. Vom 5. bis 8. Versuchs-
1) Stöltzner, Pathologie und Therapie der Rhachitis. Berlin 1904.
2) Heubner, Lehrbuch der Kinderheilkunde. 1903.
3) Holobut, Ueber die Beziehungen zu Blutdruck und Zusammensetzung des
Blutes. Wiener klin. Wochenschr. 1905. No. 49. — Biernacki und Holobut,
Zeitschrift für experim. Pathologie und Therapie. 1907.
4) Rüdel, Archiv für experim. Pathologie und Pharmakologie. Bd. 33.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
lieber die Bedeutung der Nebennieren etc.
47
tage erhielt er pro Tag 1 g einer Adrenalinlösung 1 : 10000 subcutan injicirt. ln
dieser Zeit machte sich bei ihm eine starke Unruhe bemerkbar und auch der Appetit
war geringer, indem die Portion nicht wie vorher sofort nach der Darreiohung, sondern
erst im Laufe einiger Stunden verzehrt wurde. Daran schloss sich eine 4tägige Nach¬
periode. Die Resultate der N- und Ca-Ausscheidung sind in der folgenden Tabelle
zusammengestellt. Sie sind pro Tag berechnet. Das Körpergewicht bat in dieser
12tägigen Versuchsdauer (24. 1.—4. 2.) von 7220 g auf 7650 g zugenommen. Die Zahl
der rothen Blutkörperchen betrug in der Vorperiode 9180000, nach der 2. Adrenalin-
injection 9750000.
Tabelle I.
N-Gehalt
in
Resorbirt
wurde
Rctinirt
wurde
CaO-Gehalt in
Retinirt
wurde
©
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1
3,1830
1,3812
3,9961
74,314
0,8131
15,120
0,1460
0,0609
0,1775
-0,0924
—
Adrenalin¬
periode
4
4,8885
3,1757
i 1,4289
3,4596
70,770
0,2839
5,807
0,1428
0,0222
0,2720
-0,1514
Aach¬
1
-0,1540
periode
4
4,8885
3,0690
1,0984
3,7901
77,449
0,7211
14,755
0,1428
0,0104
0,2864
i —
Wir ersehen aus dieser Tabelle, dass die N-Ausscheidung in der
Adrenalinperiode — wenn auch nicht beträchtlich — gesteigert ist, sich
jedoch in der Nachperiode wieder den Werthen der Vorperiode nähert.
Anders verhält es sich mit der Kalkausscheidung. Dieselbe beträgt in
der Adrenalinperiode pro Tag 0,059, in der Nachperiode 0,0616 mehr
als in der Vorperiode. Merkwürdig ist, dass die Kalkausscheidung im
Urin in der II. und III. Periode fast um das Drei- bezw. Sechsfache
sinkt, dagegen im Koth stetig zunimmt.
Versuch II (3. 4.-9. 4.)
bestand aus einer Vorperiode und einer Adrenalinperiode von je 3 Tagen, ln letzterer
bekam er täglich 2 ccm einer Adrenalinlösung (1 : 10000) subcutan eingespritzt. Die
Bestimmung der Ausscheidung in der Nachperiode musste in diesem Versuche unter¬
lassen werden, weil das Thier in derselben seine Portionen nicht vollkommen verzehrte.
Daneben trat grosse Unruhe und eine zweitägige Stuhlverhaltung (in der Nachperiode)
auf. Als Nahrung erhielt er täglich 250 g Maismehl aufgekocht in 1 Liter Leitungs¬
wasser mit 10 g Kochsalz. Das Körpergewicht, welches vom Ende des letzten Versuches
von 7650 g bis auf 9260 g (3. 4.) gestiegen war, zeigt in den ersten Versuchstagen
Gleichgewicht (9. 4. 9250 g), sinkt aber in der Nachperiode und später stärker bis
auf 8820 g (24. 4). Die Zahl der rothen Blutkörperchen beträgt in der Vorperiode
10110000, nach der 2. Adrenalininjection 9720000.
Es macht sich auch hier eine Steigerung der N-Ausscheidung neben
Verminderung der N-Resorption bemerkbar. In der Adrenalinperiode
steigt auch hier die Kalkausscheidung und zwar um 0,0788 mehr gegen
die Vorperiode. Im Urin sinkt sie über die Hälfte, im Koth steigt sie
beträchtlich an.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
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Ketöhsai?. .aüJgeköQht in 800 ccüj LqUungsw&ssCr Uh«i ans 300 ccm KuhitVil^h : $\<y
cnlSimit also mehr KalJc als in den früheren Versuchen, wo widusoheinltch w^ii »le?
geringen kalknomgen m der IVahrung und vielleicht auch vvegen der starken Hartwig
des Hundes; auch die Viuprüden negative Kalkbilahzen aiifwh;sen 1 ). Am 4. und
k. Versuchs tage, Junten pro die l 1 /,, ccm, um Ü. Tage 1 ccm einer Adroniitiulosung
1 : 10000 emgesp ritzt. Ks stet Hon sieh wie in den früheren Versuchen Aufregung
und verTnjttderter Appetit eia. JÖäa KüipergeWteht sinkt etwas Wahrend, des Ver¬
suchesnämlich von 0500 g auf.Ü4U0
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In der Vorhnnodo werden pro Tag U*WK*2 !>, CaO Horna u?, während
in der ’Ä(1 rejottlii ip&wfjfo tun 0,0311> in der :'N«>hpenodo (mb ,0,0000
mehr ai^gesduedün werden, und /war steigt in iOühmu Verbuche die
^geschiedene Kalhmenge sowohl !m Kot U als a*jr&. iro Om
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suchen.
l! Aus der jüngst ersdiiermuer.' AiVh von i> o? h borg 'ktfthik' *« •Knviterhcili,.
Hk fa;j ist zu ersehen, ibiss » im* kctjlohydi^h'-schc Xahrune - wie sic in menten
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auch in gcruigv-ron* %Uh^S^ <»!s bei edbt un MifnhkU reichen Nahrung. .
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48
K. Quest,
Tabelle ff.
Heber die Bedeutung der Nebennieren etc.
4B
Bei Betrachtung der Resultate in allen 3 Versuchen muss man zur
Ueberzcugung gelangen, dass dieselben keineswegs die Annahme einer
günstigen Beeinflussung des Kalkstoflwechscls — im Sinne einer ver¬
mehrten Retention — stützen können, ja im Gcgenthcil ist daraus nur
eine ungünstige Wirkung auf den Kalkstoffwcchsel zu ersehen. Dieser
ungünstige Einfluss ist anhaltend, ja er steigert sich in der Nachperiode
in Versuch I und II.
Den N-Stoffwechsel scheint das Adrenalin im geringeren Maasse zu
beeinflussen. Wir sehen in allen 3 Versuchen, dass der Stickstoffansatz
in der Adrenalinperiode geringer war; diese Erscheinung ist jedoch nur
vorübergehend, denn in der Nachperiode steigt der Stickstoffansatz wieder
zur Norm an.
Es kann hier auch nicht der Einwand geltend gemacht werden,
dass das Präparat unwirksam war, denn dasselbe zeigte in einer ganzen
Reihe von Experimenten, welche gleichzeitig zu anderen Zwecken im
Institute damit angestellt wurden, stets prompte Wirkung.
Auf Grund der Erfahrungen, welche eine ganze Reihe von Pädiatern
mit der Nebennierenbehandlung bei Rhachitikern gemacht hat, wie auch
auf Grund meiner Stoffwechselversuche kann die Theorie Stoeltzner’s
von der Beziehung zwischen Rhachitis und Nebenniere nicht aufrecht ge¬
halten werden. Die Erfolge, welche man sich mit der Nebennieren¬
behandlung bei Rhachitis versprach 1 ), haben sich ebenso wenig bewahr¬
heitet, wie bei der Anwendung anderer bei Rhachitis empfohlener organo-
therapeutischer Präparate, so des Thyreoidins [Lanz 2 ), Hcubner 3 ),
Knöpfelraacher 4 )] und des Extractes der Thymusdrüse [Mettcn-
heimer 5 ), Stöltzner und Lissauer 6 ), Sinnhuber 7 )].
Die nach Adrenalininjectionen auftretende, von einer Reihe von
Autoren beschriebene Glycosurie 8 ) sowie auch die in meinen Versuchen
festgestellten Veränderungen im Stickstoff- und Kalkstoffwechsel scheinen
dafür zu sprechen, dass die Ursache für das Auftreten ven Arterio-
sclerose bei Kaninchen nach Adrenalineinspritzungen nicht allein in dem
gesteigerten Blutdruck, sondern vielmehr in einer toxischen Wirkung auf
den gesammten Organismus zu suchen ist.
1) Neuerdings werden subcutane Injectionen von Adrenalin nach Bossi auch
bei ' >steomalasie empfohlen.
2) Lanz, Volkmann’s Sammlung klin. Vortr. 1894.
3) Heubner, Berliner klin. Wochenschr. 1896. No. 31.
4) Knöpfelmacher, Wiener klin. Wochenschr. 1895. No. 41.
5) Mettenheimer, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 46. 1898.
6) Stöltzner und Lissauer, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 50. 1899.
7) Sinnhuber, Zeitschr. f. klin. Med. 1904.
8) Die Zuckerprobe im Urin war in den Adrenalinperioden unserer Versuche
stets positiv.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie 5. B«J.
4
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
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v.
%
Aus der Königl. Universitäts-Kinderklinik München.
Vergleichende Untersuchungen über den Complementbestand
im Körper natürlich und künstlich ernährter Thiere.
Von
Dr. med. A. Heimann,
Kinderarzt in Klhorfcld. vormals Assistent der Klinik.
Im Mittelpunkte des Problemes der Säuglingsernährung steht nach
wie vor die Frage, worauf der essentielle Unterschied in den Erfolgen
der natürlichen Ernährung einerseits und jeder „rationellen 1 * Form
künstlicher Ernährung andererseits begründet ist. Dieser Unterschied
kann beruhen auf einem mit jeder Form künstlicher Ernährung ver¬
bundenen Schaden, oder auf einem durch die natürliche = artgleiche
Ernährung dem Säugling vermittelten Nutzen. Im ersteren Falle müssen
wir uns vorstellen, dass manche Säuglinge eine angeborene Widerstands¬
fähigkeit gegen jenen Schaden besitzen, im letzteren Falle, dass manche
Säuglinge diesen Nutzen ohne Nachtheil zu entbehren vermögen.
Die bisherigen Hypothesen sind fast durchwegs Schaden¬
hypothesen. Eine Nutzhypothese wurde jüngst von Pfaundler 1 ) ver¬
treten. Pfaundler meint, dass der besondere Nutzen der arteigenen
Milch an besondere, nur innerhalb der Species übertragbare „Nutzstoffe“
geknüpft sei und stellt die Frage, ob es sich bei diesen Nutzstoffen
etwa um Substanzen von Complementcharakter handle, die den Vorgang
der inneren oder assimilirenden Verdauung, der „Tropholyse“, im
Organismus des Säuglings fördern.
Pfaundler betrachtet den experimentell prüfbaren Gehalt von
Körperflüssigkeiten an hämolytisch und bakteriolytisch wirkendem
Complement als Indicator für das Vorhandensein der vermeinten tropho-
lytischen Complemente, was angesichts der Lehre Ehrlich’s von der
Analogie und Wesens-Verwandtschaft zwischen Hämolyse, Bakteriolyse
und „Tropholyse“ selbst Jenem gerechtfertigt erscheinen wird, der sich
der Ansicht Buchner’s, Bordet’s und Anderer von der Einheit des
Alexines (= Complementes) nicht anschliesst.
1) Münch, nied. Wochenschr. 1907. No. 1 u. 2. Verhandl. der Gesellseh. für
Kinderheilkunde. Dresden 1907.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Vergleichende Untersuchungen über den Complenienlitestand im Körper ctc. ol
Die wichtigsten Befunde zur Beantwortung obiger Frage sind bisher
der von Pfaundler und Moro 1 ) bezw. von Moro 2 ) erbrachte Nachweis
des Vorkommens von hämolytischen und bakteriolytischen Compleraenten
in verschiedenen Milcharten und der von Moro 3 ) erbrachte Nachweis
des erheblich höheren und constanteren Complcmentgehaltes im Blut¬
serum der natürlich ernährten Säuglinge verschiedener Species gegen¬
über künstlich ernährten (Menschen und Thieren). Es erhebt sich aber
die Frage, ob der actuelle, humorale Bestand an Complementen
das eigentlich Maassgebende für die Ernährungsfunction ist.
In Bezug auf bakterioly tische Vorgänge im Organismus wurde mit
Recht mehrfach betont, dass für den Erfolg dieser Abwehrbestrebungen
nicht so sehr der habituelle Gehalt der normalen Körpersäfte (des Blut¬
plasmas) an bakteriolytisch wirkenden Stoffen maassgebend sei, als
vielmehr die dem Organismus in wechselndem Maasse eigenthümlichc
Fähigkeit, solche Wehrkräfte im Bedarfsfälle (im „Kriegsfälle“) rasch
zu mobilisiren und am Orte der Infection, „am Kriegsschauplätze“ zu
concentriren. Es fragt sich, ob solche Erwägungen auch in Bezug auf
die uns interessirenden biolytischen Vorgänge der Ernährung Geltung
haben.
Hier liegen die Verhältnisse aber offenbar ganz anders. Erstens
ist die Tropholyse im Gegensatz zur Bakteriolyse und Hämolyse ein im
Rahmen physiologischer Verhältnisse, ein „im Frieden“ ablaufender
Process, in Bezug auf dessen Werkzeuge mithin eine solche „Mobili-
sirung“ nicht in Betracht kommt. Zweitens beziehen sich die obigen
Ausführungen über die Bakteriolyse vorwiegend auf (specifische) Immun¬
körper, deren Production eben durch den eintretenden Bedarf angeregt
wird, während für die Tropholyse, einen durch die Receptorcn der sess¬
haften Körperzellen vermittelten und an diesen selbst ablaufenden Vor¬
gang von humoralen Substanzen vermuthlich nur Complemente gefordert
werden.
Trotzdem haben wir getrachtet, nach Thunlichkeit auch über den
„potentiellen“ Bestand an Complementen im thierischen Organismus
unter verschiedenen Ernährungsbedingungen dadurch Aufschluss zu ge¬
winnen, dass wir den (hämolytischen) Vorgang in den Körper des Ver¬
suchstieres selbst verlegten.
Derartige Versuche, die Hämolyse intravital, intravasculär vor sich
gehen zu lassen, sind schon vielfach gemacht worden. Es bedarf
dazu nur der Zufuhr geeigneter künstlicher Amboceptoren, denn das
Complement des Säugerblutes bewirkt nur deshalb keine Biolvse
der eigenen Blutkörperchen, weil es an geeigneten Zwischenkörpern
fehlt. Solche kann man in Gestalt eines inactivirten Immunhämolysins
subcutan, intraperitoneal oder auch intravenös dem Versuchstiere ein-
bringen.
1) Diese Zeitschrift, 1907
2) Ebenda.
3) Verhandl. d. Gesellsch. fiir Kinderheilkunde. Dresden 1907 und Miinch.
med. Wochcnschr. 1907. No. 44.
1 *
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
A. Hei mann,
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52
Gr über l ) behandelte Meerschweinchen mit 4—10 ccm eines inactivirten Immun-
hiimolysins intraperitoneal. Er konnto 8 -12 Stunden später Hämoglobinurie und
Herabsinken der Erythrocytenzahl von 5 Millionen auf 0,8—0,9 Millionen beobachten.
Cantacuzene 2 ) arbeitete an Kaninchen, die er mit einem vom Meerschweinchen ge¬
wonnenen Serum präparirte. Er injicirte das Serum subcutan und intravenös und
studirte vor Allem das Verhalten der Elemente des Blutes selbst. Er fand ein je
nach der. Stärke der Dosis wechselndes Verhalten: sofortige Zunahme der Erythro-
cyten bei schwachen Dosen, sofortiges Absinken bei grossen Dosen und plötzlichen
Tod des Thieres bei ganz grossen Dosen. Mit dem Sinken der Erythrocytenzahlen
gingen Veränderungen im qualitativen und quantitativen Verhalten der Leukocyten,
der Blutplättchen sowie auch des Hämoglobin-Gehaltes einher, auf deren specielles
Verhalten wir nicht weiter oingehen. Bei wiederholter Injection konnte man ein ver¬
schiedenes Verhalten beobachten, ein Sinken oder auch ein Ansteigen der Zahlen der
rothen Blutkörperchen je nach dem Zeitpunkte, den man zur Reinjection wählte.
Cantacuzene war durch passende Wahl des Zeitpunktes in der Lage, die Blut¬
körperchenzahl beträchtlich zu steigern. Vor diesen Autoren hatten Beifante und
Carbone 3 ) die Toxicität eines für Kaninchen-Erythrocyten specifischen Pferdeimmun¬
serums festgestellt. Weiter hatte Kraus nach Injection geringer Mengen eines Immun¬
serums bei Hunden schwere Krankheitsbilder herbeiführen können. Er hatte bei 58°
inactivirtes Serum benutzt und 2—3 Tage nach der Application Schwäche, Ataxie,
Icterus, Hämoglobinämie, Auftreten kernhaltiger rother Blutkörperchen, Leukocytose,
Hämaturie, Hämoglobinurie und Exitus im Coma beobachtet. Mit Sternberg hat er
dann noch genauere Untersuchungen angestellt. K. und St. haben hauptsächlich
Hunde zu ihren Experimenten benutzt. Sie konnten zunächst bei intravenöser In¬
jection von Dosen von 5—10 ccm Tod innerhalb 15—20 Min. beobachten, ohne dass
im Blute hämolytische Erscheinungen sich gezeigt hätten. Es handelte sich wahr¬
scheinlich um einen acuten toxischen Tod. W'eiter untersuchten sie die Folgen sub-
cutaner Injectionen hämolytisch wirkender Sera bei einmaliger Injection grösserer und
auch bei mehrmaliger Injection kleinerer Dosen. Bei dem ersteren Vorgehen trat
innerhalb 4—5 Tagen der Tod ein. Die Thiere wurden anämisch oder auch (und
zwar bei den grösseren Dosen) icterisch und dyspnoisch und schieden Blut im Urin
aus. Im Blute fanden sich kernhaltige rothe Blutkörperchen, sowie Polychromatophilie.
Die Zahlen der Leukocyten waren erhöht. Bei der Obduction war vielfach das Blut
lackfarben. Die Leber bot die Zeichen der Gallenstauung und enthielt oft nekrotische
Stellen. Die Milz erwies sich als auffallend gross und dunkel; sie war sehr blutreich
und die in ihr befindlichen nur schwach färbbaren Erythrocyten waren zu grossen
scholligen, diffus roth gefärbten Klumpen verbacken. Das Knochenmark war roth,
Bei wiederholter Injection kleinerer Dosen war der Verlauf kein principiell anderer,
nur zog er sich etwas in die Länge. Es entwickelte sich eine starke Anämie, es kam
nicht zu einer Gallenstauung. Bei Kaninchen konnten die Autoren ähnliche Er¬
scheinungen herbeiführen. Es entwickelte sich jedoch stets eine Anämie, nie ein
Icterus. Mit Bakteriohämolysinen konnten sie nur bei Kaninchen und nicht bei Hunden
ähnliche Krankheitsbilder erzeugen.
Schliesslich hat noch Reh ns 4 ) die Einwirkung der Cytotoxine in vivo studirt.
Auch er beobachtete Exitus nach wenigen Tagen. Die Milz erwies sich bei der Öb-
duction als vergrössert. Der Urin war frei von Hämoglobin. Nach seiner Meinung
kommt die Hämolyse dadurch zu Stande, dass frei circulircndes hämolytisches Alexin
1) Münch, med. Wochcnschr. 1901.
2) Annales de Pinstit. Pasteur. 1900. S. 378.
8) Cit. nach Kraus u. Sternberg, Centralhl. f. Bakteriol. 1902. S. 903.
4) Kef. Central bl. f. Bakteriol. Bd. 85. S. 798. 1904.
Gck igle
Original fro-m
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Vergleichende Untersuchungen über den Complementbestand im Körper etc. 53
auf die Erythrocyten trifft, die durch die Zufuhr des Amboceptors sensibilisirt dem
Angriff erliegen.
Aus allen diesen Untersuchungen geht übereinstimmend hervor,
dass es möglich ist, mit inactivirtem spccifisch hämolytischem Serum
auch im Körper des lebenden Thieres die rothen Blutkörperchen zur
Auflösung zu bringen. Der Untergang dieser Elemente führt zu be¬
stimmten charakteristischen klinischen Erscheinungen und auch beraerkens-
werthen Obductionsbefunden.
Die klinischen Erscheinungen und die Veränderungen an den Organen
werden ceteris paribus umso schwerer sein, je mehr wirksame Com-
plemente in dem Organismus des injicirten Thieres unmittelbar dis¬
ponibel sind und je mehr — im Falle des Verbrauches — von den
Zellen nachgeliefert werden. Somit müssen die Folgen der intravitalen,
intravasculären Hämolyse auf Injection hämolytischer Immunkörper unter
zweckentsprechenden Versuchsbedingungen ein quantitativ . verwertbarer
Ausdruck des actuellen und potentiellen Complementbestandes sein.
Was nun unsere Versuche anlangt, so benutzten wir Hunde und Kaninchen als
Vcrsuchsthiere. Das Hundeimmunbämolysin wurde von Hasen gewonnen, die 4 mal
mit je 3 ccm defibrinirten Hundeblutes intravenös in Intervallen von 5—7 Tage be¬
handelt worden waren. Vor der Injection wurde der hämolytische Titer mittelst Meer-
schweinchencomplement bestimmt und zwar ergab sich, dass 0,1 com einer 1 : 100
Serumverdünnung im Stande war, 0.5 ccm einer 5 proc. Hundeblutkörperchen-Auf-
schweramung fast complet zu lösen. Das Serum eines anderen Hasen, der auf die¬
selbe Weise vorbehandelt war, löste in x / m Verdünnung fast complet. Dieses Thier,
dessen Serum zu einer zweiten Versuchsreihe diente, wurde vorher noch einmal mit
Hundeblut injioirt. Das Serum, vor der Anwendung nochmals austitrirt, löste wie
jenes des ersten Hasen. Das Serum wurde bei allen Versuchen subcutan beigebracht,
nachdem es zuvor durch halbstündiges Erhitzen auf 56° inactivirt worden war.
Ein Theil der Thiere wurde natürlich, ein Theil mit gekochter Kuhmilch, resp.
zur Erhöhung der Calorienzufuhr mit Hausrahm ernährt. Die künstliche Ernährung
wurde jedoch nicht sofort nach der Geburt, sondern bei der ersten Serie am dritten
Tage, bei der zweiten erst am fünften Tage eingeleitet. Es scheint [nach gleich¬
zeitigen Untersuchungen von Moro 1 ) an Thieren verschiedener Gattung] die natür¬
liche Ernährung gerade in den ersten Lebenstagen für die Erhaltung des Thieres von
ausschlaggebender Bedeutung zu sein. Von den künstlich genährten Hunden, bei
denen wir die Kuhmilchernährung schon am 3. Lebenstage einleiteten, gingen 2 zu
Grunde, während solches bei den späteren Versuchen nicht mehr vorkam, und bei
einem Thiere, das wir erst am 9. Tage künstlich zu ernähren begannen, ein direct
gut zu nennendes Ernährungsresultat erzielt wurde. Das Thier nahm in ähnlicher
Weise wie die natürlich ernährten zu. Für den Menschen scheinen übrigens ähnliche
Verhältnisse obzuwalten. Czerny und Keller 2 ) machen ausdrücklich darauf auf¬
merksam, wie wichtig für den Ernährungserfolg es ist, wenn der menschliche
Säugling auch nur eine Woche lang Frauenmilch erhalten hat.
Die Zahl der Einzelmahlzeiten richtete sich nach den Bedürfnissen der Thiere.
Die Fütterung erfolgte 1—2 stündlich mit einer 7 ständigen Nachtpause. Die Thiere
gewöhnten sich bald an das Saugen aus dev Flasche und schienen die Nahrung auch
gerne zu nehmen. Schwierig gestaltete sich die Fliege, besonders die Trockenhaltung.
1) Münchn. med. Wochensehr. 1907. No. 45.
2) Handb. der Ernährung etc. S. 528.
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56
A. Hei mann,
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Tabelle des Körpergewichts, der oingespritzten Dosis und der Dosis berechnet
auf 100 g Thier bei Versuch i:
Körpergewicht
Dosis
pCt.
c . .
340 g
10 ccm
3
F . .
680 g
10 „
1,5
D . .
320 g
4 „
1,3
E . .
. . 750 g
4 *
0,5
Die Dosis des ersten Versuches war zu gross gewählt worden. Die Thiere
gingen nach Verlauf weniger Stunden zu Grunde. Wir waren deshalb nicht in der
Lage, Beobachtungen über die Veränderungen, die sich durch die klinischen Unter¬
suchungsmethoden feststellen Dessen, intra vitam zu machen. Dies zu ermöglichen,
wurde ein zweiter Wurf junger Hunde in den Versuch eingestellt.
Wurf einer kleinen Spitzhündin vom 10. 5. Zwei von den 4 Thieren dioses
Wurfes werden am 15. 5. zur Einleitung der künstlichen Ernährung vom Mutterthicre
getrennt (ß, d). Das Gewicht aller Jungen beträgt an diesem Tage:
a *.
fl -
r •
d .
315 g
310 g
315 g
315 g
| rehbraunes Fell
1 weisses Fell*
Die künstlicho Ernährung wird in der oben beschriebenen Weise geleitet. Wir
haben jedoch dieses Mal die Tagesportionen festgestellt und sie in der nachfolgenden
Tabelle zusammengestellt.
Tabelle der a
fgenommenen Kahmmengen:
Datum:
Thier ß:
Thier d:
18. 5.
Mg
100 g
10. 5.
100 g
00 g
20. 5.
05 g
65 g
21. 5.
85 g
88 g
22. 5.
—
40 g
23. 5.
—
88 g
24. 5.
—
110 g
25. 5.
—
140 g
26. 5.
—
00g
Was das Ernährungsresultat anlangt, so haben wir bei diesem Wurfe keinen
Todesfall als alleinige Folge der Kuhmilchverfütterung zu verzeichnen. Diese That-
sache erklärt sich wohl durch den Umstand, dass die Thiere um einige Tage länger
dem Mutterthiere belassen wurden. Im Uebrigen unterscheiden sich die Flaschcnthierc
dieses Wurfes weder in ihrem Benehmen noch in ihrem Aeusseren von denen des
ersten.
Das Hämolysin, das wir anwandten, war von einem anderen Hasen gewonnen.
Sein Titer war jedoch derselbe wie bei dem ersten Versuche.
II. Versuch:
21. 5. Die rehbraunen Thiere a und ß erhalten eine subcutanc Injection von
1,0 ccm Hämolysin.
Gewicht der Brusttbiere 514 g.
Blutuntersuchung des Brusthieres « am 21. 5. (vor der Injection): Ervthro-
cyten 5120000, Leucocytcn 10000.
22. 5. Erythrocyten 3136000. Bei der Färbung des Blutes zeigen sich zahl¬
reiche, polychromatophile, spärliche kernhaltige Erythrocyten. Die Schleimhäute sind
sehr blnss. Das Thier ist elend uund saugt nicht mehr.
Gck igle
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Vergleichende Untersuchungen über den Complementbcstand im Körper etc. 55
1. Versuch:
10. 5. Tier C und F werden mit 10 ccm lmniunscrum subcutan behandelt.
Die Injection wird um 7 Uhr Abends am Rücken vorgenommen.
Beide Thiere gehen im Laufe der Nacht ein.
An demselben Abend und zu derselben Stunde erhalten D und E 4 ccm des¬
selben Serums.
Blutuntersuchung boi 1): Erythrocytenzahl 5516800, Lcukocytcnzahl 8000
„ „ E: „ 4 3936(X>, „ 14800.
Histologisch bietet das Blut keine auffallenden Abweichungen von dem gewöhn¬
lichen Bilde.
Auch diese beiden Thiere gehen im Laufe der Nacht ein.
Obduction: 1. Flaschenthier C: Fettpolster ausserordentlich gering ent¬
wickelt. Die Organe sind alle sehr klein. Die Thymus ist weisslich, die Lungen
sind sehr blutarm. Im Herzen sind Speckgerinnsel, das daneben noch vorhandene
flüssige Blut ist farblos. Milz von dunkelblaurother Farbe, Leber scheint auch sehr
blutreich, in den Gefassen der letzteren finden sich Blutgerinnsel. Niere und Blase
enthalten keinen blutigen Inhalt, die Bauchhöhle keine freie Flüssigkeit.
Blutausstriche aus der Milz zeigen sehr wenige Blutkörperchenschatten.
2. Flaschenthier D: Der Befund deckt sich im Wesentlichen mit dem vor¬
stehenden. Wir verzichten deshalb auf einen ausführlicheren Bericht.
o. Brustthier F: Fettpolster sehr gut entwickelt. Die Organo sind be¬
deutend grösser als bei dem Flaschenthier, ln der Bauchhöhle befindet sich viel
blutig gefärbte Flüssigkeit, in der Blase blutiger Urin. Milz und Leber sind tief
dunkel blauroth. Im Herzen geronnenes Blut. Die Brustorgane, speciell Lunge und
Thymus sehr blass.
Blutausstriche aus Milz und Leber ergeben reichliche Blutkörperchenschatton.
4. Brustthier E: Im Wesentlichen bieten die Organe denselben Befund wie
bei dem sub 3 geschilderten Thiere. Der einzige Unterschied ist der, dass die Blase
keinen blutig gefärbten Urin enthält.
Histologische Untersuchung: Stücke der Milz und der Leber von C und
F werden nach Vorbehandlung mit Formel in steigendem Alkohol gehärtet und nach
Einbettung in Paraffin geschnitten. Die Schnitte werden mit Hämatoxylin (Ehrlich)
und Eosin gefärbt.
1. Oie Milz von F. ist sehr blutreich. Dabei sind an vielen Stellen die
einzelnen Erythrocyten nicht mehr deutlich von einander zu trennen; sie bilden viel¬
mehr eine einzige durch Eosin roth gefärbte Masse. Gegenüber dem reichlichen
Gehalt an rothen Blutkörperchen verschwinden die Pulpaelemente fast völlig. Man
sieht auch nur spärliche Follikel, ln diesen und zwar intracellulär, mehr aber noch
extracellulär, findet sich viel Pigment.
Die Leber des gleichen Thieres erscheint sehr blutreich. Die Capiilaren sind
völlig erfüllt von rothen Blutkörperchen. An einzelnen Stellen linden sich Blutungen
in das Gewebe, die zum Untergang der Leberzellenbalken geführt haben. In den
Leberzellen ist viel Pigment eingelagert. Vielfach sind daneben in den Zellen
Vacuolen (ausgelaugte Fetttröpfchen).
2. Die Leber des Flaschenthieres C unterscheidet sich von der zuvor
beschriebenen nicht wesentlich: auch hier der grosse Blutreichthum, auch hier die
Blutungen. Weniger beträchtlich ist die Pigment- und Fetteinlagerung.
Die Milz ist jedoch ^iel weniger schwer afficirt. Der Blutgehalt ist auch hier
sehr gross, jedoch nicht in dem Maasse wie bei dem Brustthiere. Ucberall sind auch
die einzelnen Erythrocyten deutlich von einander zu trennen. Die Follikel sind zahl¬
reicher und grösser, die Pulpa ist viel zellreicher. Unter den Zellen fallen viele mit
grossem Kern und reichlichem Protoplasma auf (Riesenzellen).
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58 A. Hei mann,
Tabelle des Körpergewichts, der eingespritzten Dosis und der Dosis berechnet
auf 100 g Thier bei Versuch 11.
Körpergewicht Dosis pCt.
cc . . 514 g 1 ccm 0,10
ß . - 336 g 1 „ 0,29
Zusammenstellung der Zahlen der Erythrocytcn:
Brustthier it
Flaschonthicr {
21. 5. .
. 5,1 Millionen
5,9 Millionen
22. 5. .
• 3,1 „
4,3 „
23. 5. .
—
1,3 n
24. 5. .
—
1,3 „
III. Versuch. Die weissen Thicre y und d, ein natürlich und, das letztere ein
künstlich genährtes Thier erhalten am 21. 5. eine subcutane lnjection von 0,25
Hämolysin.
Gewicht des Brustthieres 507 g.
22. 5. Starkes Zittern, wenig Fresslust. Die Bauchhaut (Ort der lnjection)
ödematös.
23. 5. Zahl der Erythrocytcn 3240800, von ihnen sind ziemlich viele poly¬
chromatophil. Gewicht 488 g.
24. 5. Zahl der rothen Blutkörperchen 3900800, einzelne kernhaltige Erythro¬
zyten erscheinen im Blut. Gewicht 538 g.
25. 5. Erythrocytenzahl 3289600. Histologisch derselbe Befund wie am 24. 5.
Gewicht 579 g.
Wieder völliges Wohlbefinden.
Gewicht des Flaschenthieres d 334 g.
22. 5. Allgemeinbefinden ist nicht gestört. Urin enthält kein Blut.
23. 5. Zahl der Erythrocyten 5830400, unter ihnen finden sich vereinzelte
polychromatophile. Gewicht 367 g.
24. 5. Zahl der Erythrocyten 5270400, wenig mehr polychromatophile. Ge¬
wicht 401 g.
25. 5. Zahl der Erythrocyten 5004800; histologisch ein ähnlicher Befund.
Gewicht 420 g.
Tabelle des Körpergewichtes, der eingespritzten Dosis und der Dosis berechnet
auf 100 g Thier bei Versuch III.
Körpergewicht
Dosis
pCt.
r ■
. 507 g
0,25 ccm
0,049
d
. . 334 g
0,25 ,,
0,075
IV. Versuch. Dieselben Thiere werden am 25. 5. subcutan mit 0,75 ccm
Hämolysin behandelt.
Das Brustthier wiegt an diesem Tage 579 g. Erythrocytenzahl 5289600.
26. 5. Erythrocytenzahl 1516800. Das Blut ist sehr hell und wässerig; in ihm
finden sich jetzt zahlreiche kernhaltige rothe Blutkörperchen.
Das Thier ist sehr matt, die Athemfrcquenz steigt auf 60.
Gewicht 579 g.
27. 5. Erythrocytenzahl 1254400, zahlreiche von diesen sin»! polychromatophil,
erhebliche Grössenunterschiede unter ihnen. Gewicht 531 g.
28.5. Erythrocytenzahl 194 8 800, enorm viele sind polychromatophil. Die
Schleimhäute zeigen eine hochgradige Blässe. Gewicht 530 g.
29.5. Erythrocytenzahl 1648000. Es eireuliren jetzt zahlreiche kernhaltige
rothe Blutkörperchen. Gewicht 590 g.
Gck igle
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Vergleichende Untersuchungen über den Complementbestand im Körper etc. 59
30. 5. Erythrooytenzahl 2290400. Wieder normale Athemfrequenz. Gewicht
623 g.
31. 5. Erythrooytenzahl 4387200. Die Zahl der polychromatophilen rothcn
Blutkörperchen ist beträchtlich gesunken; die hochgradige Anämie ist einer fast ge¬
wöhnlichen Färbung der Schleimhäute gewichen. Das Thier hat sich völlig erholt
und kann am Leben erhalten werden.
Das Flaschenthier d wiegt am Tage der injection 420 g. Erythrooytenzahl
5004800.
26. 5. Erythrooytenzahl 2912000. Es finden sich unter den rothon Blut¬
körperchen nur einzelne kernhaltige. Das Thier ist sehr matt und hat keine Fresslust.
Die Athemfrequenz steigt auf 84. Der Urin enthält kein Blut. Gewicht 431 g.
27. 5. Erythrocytenzahl 1720500. Jetzt treten viel mehr polychromatophile
auf; dagegen sind nur wenig kernhaltige rothe zu finden. Die Schleimhäute sind in¬
zwischen sehr blass geworden. Das Thier will heute die Flasche überhaupt nicht
mehr nehmen. Da wir befürchten, es zu verlieren, geben wir es an diesem Tage um
10 Uhr Früh dem Mutterthiere bei, wo es bis zum 29. 5. 12 Uhr Mittags verbleibt,
um von da ab wieder künstlich ernährt zu werden. Gewicht 432 g.
28.5. Erythrocytenzahl 2656000; ausserordentlich zahlreiche polychromatophile,
die auch starke Grössenunterschiede aufweisen. Allgemeinbefinden besser; noch hoch¬
gradige Blässe. Athmung bedeutend weniger frequent, 50 in der Minute. Gewicht
446 g.
29. 5. Erythrocytenzahl 1574000. Gewicht 480 g.
30. 5. Erythrocytenzahl 3081200. Gewicht 460 g.
31. 5. Erythrocytenzahl 4739200. Auch qualitativ nähert sich jetzt das Blut¬
bild wieder mehr der Norm. Die Zahl der polychromatophilen, sowie der kernhaltigen
rothen Blutkörperchen sinkt wieder.
Das Thier hat sich auch sonst völlig erholt und wird am nächsten Tage für
andere Versuche benutzt.
Es sei noch bemerkt, dass sich während der ganzen Dauer des Versuches im
Urin nie Gallenfarbstoff nachweisen liess. Nur einmal, am 27. 5., gelang es im lange
centrifugirten Harn vereinzelte rothe Blutkörperchen zu finden.
Tabelle des Körpergewichts, der eingeführten Dosis und der Dosis berechnet auf
100 g Thier bei Versuch IV.
Körpergewicht Dosis pCt.
y . . 580 g 0,75 ccm 0,13
() . . 420 g 0,75 „ 0,18
Tabelle der Blutkörperchenzahlen im Versuch III und IV.
Brustthier y Flaschcnthicr 6
23.
5.
3,2 Millionen
5,8 Millionen
24.
5.
... 3,9 „
5,3
7)
25.
5.
. . . 3,3
5,0
T)
26.
5.
. . . 1,5
2,9
n
27.
5.
. . . 1,3
1,7
T)
28.
5.
. . . 1,9 „
2,7
n
29.
5.
... 1,7 ,.
1,0
30.
5.
. . . 2,3 ,.
3,1
r>
31.
5.
... 4,4 ,.
4)<
r>
Versuche an Kaninchen.
Wurf einer Häsin vom 23. 5. Am 30. 5. w T erdcn von den .S Thicrcn des Wurfes
4 zur künstlichen Ernährung vom Mutterthiere getrennt.
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60
A. Hei mann,
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Den Thieren wird ebenso wie den jungen Hunden in 1 resp. 2 ständigen Pausen
die Vollmilch gegeben. Nachts wird eine 7 ständige Pause gemacht. Von den so
ernährten Thieren geht eines am 5. Tage nach dem Beginn des Versuches unter
dysenterischen Erscheinungen zu Grunde. Ein anderes verlieren wir am 11. Tage,
ohne dass sich schwere Störungen von Seiten des Darmtractus bemerkbar machten;
auch die übrigen zwei gehen an demselben Tage ein. Nur diese beiden letzten sind
mit hämolytischem Serum behandelt worden. Das Aussehen der künstlich genährten
Thiere unterscheidet sich in charakteristischer Weise von dem der natürlich ernährten.
Das Fell der ersteren ist eigenthümlich struppig, die Beine, speciell die Vorderbeine,
sind verkrümmt, das Abdomen ist stark aufgetrieben.
Keines der Thiere überlebt, wie bereits erwähnt, den 12. Tag seit der Einleitung
der Flasohenernährung. Aus diesem Grunde sind auch die letzten Versuche nicht
mehr verwerthbar, weil wir nicht in der Lage sind, die Schädigungen, die allein
durch die Ernährungsstörung herbeigeführt sind, von den durch die Zufuhr des Serums
bedingten zu trennen. Wir müssen deshalb auch darauf verzichten, über den letzten
Theil unserer Versuche ausführlich zu berichten. Bemerkenswerth erscheint nur
noch, dass die schwere Ernährungsstörung an den Gewichtscurven der Thiere kaum
zum Ausdruck kommt. Es erfolgt zwar in den ersten Tagen ein leichter Gewichts¬
abfall, an diesen schliesst sich aber eine continuirliche Zunahme an.
Das Hämolysin, das wir benutzten, war von Meerschweinchen gewonnen, die
7 mal, und zwar in Intervallen von zuerst 5 später 7 Tagen intraperitoneal mit
Kaninchenerythrocyten behandelt worden waren. Das inactivirto Serum löste in einer
Menge von 0,1 ccm in Vioo Verdünnung 0,5 ccm 5 pCt. Kaninchenblutkörperchen-
Aufschwemmung unter Zusatz von Meerschweinchen-Complement.
Versuch I. 5. 6. Die hellgelben Kaninchen a # und b' erhalten eine subcutane
Injection von 0,25 ccm Hämolysin.
Das Brustthier a' wiegt an diesem Tage 223 g.
Die Zahl der Erythrocyten beträgt an diesem Tage 4603400.
6. 6. Erythrocytenzahl 4710400. Allgemeinbefinden ungestört. Gewicht 226 g.
7.6. Erythrocytenzahl 3974400. Gewicht 235 g.
Das Flaschenthier b' wiegt am 5. 6. 173 g.
Erythrocytenzahl 4646700.
6. 6. Keine genaue Zählung der rothen Blutkörperchon zu ermöglichen, jeden¬
falls besteht keine Verminderung ihrer Zahl. Gewicht 175 g.
7. 6. Erythrocytenzahl 5 504000. Gewicht 187 g. Urin ohne Albumen und
Sanguis.
Versuch II. 5. 6. Die weissen Kaninchen c' und d' werden mit 0,5 ccm
Hämolysin injicirt.
Das Brustthier c' wiegt an diesem Tage 246 g.
Die Erythrocytenzahl beträgt 4617600.
6. 6. Erythrocytenzahl 3094000, Gewicht 256 g. Allgemeinbefinden gut.
7. 6. Erythrocytenzahl 4499200, Gewicht 266 g.
Das Flaschenthier d' wiegt 188 g.
Keine genaue Zählung der Blutkörperchen durchführbar.
6. 6. Erythrocytenzahl 5347200. Gewicht 193 g.
7. 6. Erythrocytenzahl 4175200. Gewicht 197 g. Urin enthält weder Blut noch
Eiweiss.
Wir möchten nicht unterlassen, wenigstens summarisch noch über den Einfluss
einer vierfachen Dosis bei den mit 0,25 ccm resp. einer 3 fachen Dosis bei den mit
0,5 ccm behandelten Thieren zu berichten.
Bei den ersteren sinkt die Erythrocytenzahl in ziemlich gleichmässiger Weise,
bei den letzteren die des künstlich genährten in besonders hohem Maasse. Dabei ist
Gck igle
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Vergleichende Untersuchungen über den Complemenlbcstand im Körper etc. Ul
bei dem natürlich ernährten Tliietu keinerlei Storung des Allgemeinbefindens zu er¬
kennen, wohl aber bei dem andern.
Wir sind jedoch, wie schon oben hervorgehoben, geneigt, dies vielmehr auf die
Schädigung durch die künstliche Ernährung zuriiekzuführen. Bezüglich der qualita¬
tiven Veränderungen an den rothen Blutkörperchen sei bemerkt, dass sie sich in ähn¬
licher Weise wie bei den Versuchen an Hunden einstellten. Nur beobachteten wir
zahlreiche Erythrocyten mit basophiler Körnelung, die wir bei den Experimenten an
den Hunden nicht gesehen haben.
Recapituliren wir nun kurz die Ergebnisse der Versuche. Wir
haben bei unseren ersten 4, mit grossen Dosen behandelten Hunden
alle dem Einfluss des hämolytischen Serums erliegen sehen. Es bot
jedoch die Milz und auch der übrige Befund schwerere Veränderungen
bei dem natürlich ernährten Thier. Im zweiten Versuche sinkt die
Erythrocytenzahl bei dem kräftigen, wohlgenährten Brustthier schnell und
erheblich; das Thier erliegt dem Eingriff innerhalb 2 mal 24 Stunden.
Bei dem mit der gleichen Menge behandelten kleinen künstlich genährten
Controlthier erfolgt die Reaction viel langsamer. Innerhalb 2 mal
24 Stunden, der Zeit, in der das Brustthier schon eingegangen war, ist
überhaupt die Erythrocytenzahl erst gesunken. Es dauert fast 5 mal
24 Stunden, bis auch dieses Thier zu Grunde geht. Aehnlich verhalten
sich auch die mit noch kleineren Serummengen behandelten weiteren
Thicre. Auch hier fällt bei dem natürlich ernährten die Blutkörperchen¬
zahl schnell und erheblich; bei dem künstlich genährten tritt nur
langsam und weniger ausgiebig der Effect zu Tage. Bei der aber¬
maligen Injection ist die Verspätung der Reaction noch daran er¬
kennbar, dass die niederste überhaupt gefundene Zahl beim Flaschen-
thiere 2 mal 24 Stunden später angetroffen wird*).
Das Körpergewicht fällt bei dem natürlich ernährten Thiere jedes¬
mal nach der Behandlung etwas, während an der Gewichtscurve des
Flaschcnthieres der Eingriff spurlos vorüber geht.
Aehnlich liegen die Verhältnisse bei den ersten Kaninchen versuchen.
Besonders auffallend erscheint auch hier bei dem natürlich ernährten
Thiere das Absinken der Erythrocytenzahl, während bei den künstlich
genährten eine Steigerung der Zahl sich bemerkbar macht.
Es ergeben sich hier Analogien mit Beobachtungen Cantacuzenes.
Es wirken Mengen bei dem einen Thiere als kleine, die bei dem anderen
sich in Bezug auf ihre Wirkung als grosse erweisen.
Es ist somit eine Verschiedenheit im Verhalten natürlich und
künstlich ernährter Thiere in stets gleichem Sinne beobachtet worden:
das natürlich genährte Thier wurde durch den Eingriff schwerer
geschädigt, als das künstlich genährte. Dieses Verhalten ist
um so bemerkenswerther, als die Thiere stets mit absolut gleichen
Dosen behandelt wurden, also die an Körpergewicht zum Theil sehr
1) Dio Beurtheilung des Resultates bei der Reinjection wird dadurch etwas
erschwert, dass wir nicht sicher wissen, ob beide Thiere im gleiohen Stadium der
Blutveränderung weiter behandelt wurden; es ist nicht ausgeschlossen, dass das
natürlich genährte Thier sich schon wieder im Reparationsstadium befand, während
bei dem andern erst die Blutkörperchenzahl im Sinken begriffen war.
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62 A. IIeimann, Vergleich. Untersuchungen über den Complernentbcstund etc.
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erheblich rückständigen künstlich genährten Thicre mit relativ weit
grösseren Dosen. Es ist ferner um so bemerkenswerther, als die
Flaschenthiere durchwegs schon durch den Nährschaden in einen un¬
günstigen, ja zum Theil an sich schon lebensbedrohenden Allgeraein-
zustand versetzt worden waren. Jedem anderen Gifte wären sicher die
Flaschenthiere viel eher erlegen, als die Brustthiere. Das auf den ersten
Blick paradoxe Verhalten der Thiere dem Hämolysin gegenüber ist nur
dadurch zu erklären, dass dieses Gift eben nicht für sich, sondern aus¬
schliesslich unter Mitwirkung eines, dem gesunden Organismus inne¬
wohnenden Agens seine specifische Wirkung entfaltet. Wir stehen hier
vor dem eigenartigen Falle, dass eine im Dienste wichtiger physiologi¬
scher Functionen stehende lvörpersubstanz in Folge eines äusseren Ein¬
griffes ihre Wirkung gegen den eigenen Organismus kehrt. Die
Complemente werden — gewissermaassen irre geführt durch die ein-
gebrachten hämolytischen Amboceptoren — zu Schädlingen und die
Amboceptoren selbst derart zu einem merkwürdigen Gifte, das kräftige
gesunde Brustthiere weit mehr als dystrophische Flaschenthiere schädigt.
Die Eingangs gestellte Frage aber wird dahin zu beantworten sein,
dass bei den Flaschenthieren der actuelle und potentielle
Complementbestand ein reducirter war; nur so ist die relative
Begünstigung dieser Thiere im Hämolysin versuch zu erklären.
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VI.
Zur operativen Behandlung gewisser Lungenkrankheiten
(Emphysem und Tuberculose).
11. Theil.
Von
Ludwig Hofbauer (Wien).
(Mit 2 Abbildungen im Text.)
Im ersten Theile 1 ) wurden einige normal- und pathologisch-physio¬
logische Untersuchungen vorgeführt, welche erweisen, dass die Grund¬
lagen für die operative Behandlung des Emphysems und der Tuberkulose
nicht ohne Weiteres zu acceptiren seien. Ueberdies geben dieselben Hin¬
weise auf physiologisch richtigere Wege für die Behandlung der in Rede
stehenden Krankheiten. Dieselben sollen im Folgenden kurz skizzirt
werden. Bei der
Spitzentuberkulose
wurde die Operation deshalb vorgeschlagen, weil diese Erkrankung die
Folge einer durch mangelhafte Anlage der Rippenknorpel bedingten Ver¬
kürzung der oberen Rippenringe darstelle. Nun wurde aber im ersten
Theile dargethan:
1. Ist die Verkürzung der oberen Rippen nicht ohne Weiteres als
Ausdruck mangelhafter Anlage zu betrachten, sondern stellt (zum
mindesten oft) lediglich die Folge insufficientcr ßethätigung der oberen
Rippen bei der Athmung dar. (Diese Beschränkung einer Atheminsuffi-
cienz auf die oberen Rippen erklärt sich nach den Darlegungen des
ersten Theiles damit, dass die oberen Brustabschnitte fast nur bei ver¬
tiefter Athmung in Function treten.)
2. Die Verkürzung der oberen Rippenringe veranlasst zwar den
sichtbaren phthisischen Habitus, ist jedoch nicht als Ursache für die
Minderwertigkeit der darunter gelegenen Lungenspitzen (im Sinne einer
gesteigerten Disposition letzterer zur Tuberkulose) anzusehen. Vielmehr
sind diese beiden Veränderungen Coeffekte und durch dieselbe Ursache,
die insufficiente respiratorische Bethätigung, bedingt. (Da durch die Ath¬
mung die Blutversorgung und Lyraphströmung der respiratorisch thätigen
Lungenpartien eine ganz exquisite Steigerung erfährt, bedeutet respirato-
1) Diese Zeitschrift. Hd. IV.
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L Hof Lauer,
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rische Unthätigkeit eine Herabsetzung der Ernährung in den Lungen¬
spitzen der mit denselben ungenügend Athmenden. Der phthisische Habitus
ist als Coeffcct der herabgesetzten Athmung bedingt durch mangelhafte
respiratorische Bethätigung des oberen Thorax i. e. durch Wegfall der
Athemrcize während der Wachsthumsperiodc.)
Dem entsprechend ergiebt sich, dass behufs Steigerung der respira¬
torischen Function der Lungenspitzen die Activirung tiefer Athmung
eingeleitct werden muss, die Vornahme von Athemübungen, bei welchen
eine verstärkte Action der oberen Brustabschnitte intendirt und con-
trollirt wird.
Zu dieser Schlussfolgerung muss man selbst dann kommen, wenn
man das mangelhafte Wachsthum der oberen Rippen als Folge an¬
geborener mangelhafter Entwickelung ansieht und nicht als Folge mangel¬
hafter Function. Auf jeden Fall wird die gesteigerte respiratorische
Inanspruchnahme den Effect erzielen, dass die darunter liegenden Lungen¬
partien besser durchblutet und besser ernährt und gegen Infection wider¬
standsfähiger gemacht werden.
Durch solche Athemübungen wird überdies, falls es sich um jüngere
Individuen handelt, das Wachsthum der betreffenden oberen Thorax¬
partien angeregt. Wenn demgegenüber Freund meint, durch Athem¬
übungen werden die Knorpelanlagen nicht wesentlich verändert und
„demgemäss können Athemübungen den durch Knorpelverkürzung in
der oberen Apertur stenosirten, phthisischen Thorax in keiner Weise
verändern“ 1 ), so spricht gegen diese rein theoretische Annahme nicht
bloss die Erfahrung der Kinderärzte (s. Fränkel, cit. im I. Theil, S. 20f>),
sondern auch die geläufigen theoretischen allgemeinen physiologischen
Vorstellungen. Selbst wenn (was, wie gesagt, noch lange nicht be¬
wiesen ist) die Knorpclverkürzung auf mangelhafter Anlage beruhte, so
ist' es doch leicht verständlich und hat viele Analoga zur Seite, dass
selbst mangelhaft angelegte Organe durch systematische Functions-
steigerung in Folge der gesteigerten Wachsthumsreize sich gut ent¬
wickeln.
Werden solche Athemübungen während der Wachsthumszeit ge¬
macht, dann wird dauernder Nutzen geschaffen dadurch, dass die oberen
Thoraxabschnitte normal sich entwickeln, die Lungenspitzen dauernd
besser durchblutet werden, weil ihre Blutgefässe in Folge der häufigen
Hyperämisirung sich besser entwickeln.
, Wenn hingegen nach Abschluss der Wachsthumsperiode die Athem¬
übungen einsetzen, so kann dieser dauernde Nutzen kaum erzielt werden;
nur für die Dauer der Athemübung wird bessere Durchblutung und Er¬
nährung der Lunge erzielt, bis auf den dauernden Nutzen, dass durch
die Bahnung dieser Athembewegung (Exner) dieselbe weiterhin leichter
auslösbar bleibt.
Nur in den Fällen, welche in Folge von Verknöcherungen anato¬
misch begründete Behinderung der respiratorischen Beweglichkeit der
oberen Thoraxpartien aufweisen, muss der Chirurg eingreifen, um diese
1) Diese Zeitschrift. Btl. IV. S. 217.
Gck igle
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Zur operativen Behandlung gewisser Lungonkrankliciten.
05
Bewegliehkeitsbehinderung zu climinircn. Bei der Verknöcherung der
Rippenknorpel 1 ) und ebenso bei Immobilisirung des Stcrnalwinkels 2 )
können nämlich die lnspirationsmuskeln der oberen Thoraxabschnitte
sich nicht bethätigen, sie können keine Hyperämie der Lunge erzielen.
In solchen Fällen allerdings muss chirurgisch die Starre des oberen
Thorax beseitigt werden, um dann erst durch Athemübungen die ge¬
wünschte Hyperämie der Lunge zu erzielen und auf dem Wege der
consecutiven besseren Gewebsernährung die Tubcrculose wirksam zu be¬
kämpfen, wie beispielsweise in dem Falle von Kausch 3 ). Selbstredend
dürfen hierbei die Athemübungen nur mit allen Cautelen aufgenommen
werden. Die eigentliche Domäne der Atmungsgymnastik stellen näm¬
lich die Fälle von phthisischem Habitus vor Etablirung tuberculöser In-
fection dar. Dieselben sollen — in Berücksichtigung des Voran¬
gehenden — womöglich vor Abschluss der Wachsthumsperiode
behandelt werden, um bleibeuden Nutzen: Verschwinden des
phthisischen Habitus und dauernde Kräftigung der Lungen¬
spitzen zu erzielen.
Während die chirurgische Behandlung der Spitzentubereulose in den
letzterwähnten Fällen am Platze ist, weil sie den bis dahin brach gelegten
lnspirationsmuskeln Gelegenheit schafft, entsprechende Effecte zu erzielen,
kann die für das
Emphysem
vorgeschlagene Mobilisation des Thorax durch chirurgischen Eingriff
kaum jemals nöthig werden. Sie erübrigt sich schon deshalb, weil hier
nicht so wie in den vorerwähnten Fällen durch die Operation normale
Bewegungsmechanismen wieder möglich gemacht, sondern im Gegentheil
Verhältnisse geschaffen werden, welche den physiologischen völlig ent¬
gegengesetzt sich erweisen.
Normaler Weise wird der obere Brustkasten von den Inspirations¬
muskeln bewegt und geweitet. Ist durch pathologische Veränderung der
normaliter beweglichen Theile (Rippenknorpel, Sternalgelenk) die Beweg¬
lichkeit des knöchernen Thorax unmöglich gemacht, dann erstrebt und
erzielt der Chirurg durch Operation die Restitutio ad integrum (seitens
der unbeweglich gewordenen Theile). Die Ausathmung hingegen wird selbst
dann, wenn die Rippen im physiologischen Ausmaasse beweglich sind, nicht
dadurch vertieft, dass die Rippen gegen das Thoraxcentrum gepresst werden,
sondern lediglich in der Form, dass das Zwerchfell in das Thoraxinnere
hineingetrieben wird. Davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man
vertiefte Ausathmung in Form eines Hustenstosses versucht und hierbei die
Hände auf den Brustkasten einerseits, auf die Bauchwand andererseits
legt. Die Rippen werden beim Hustcnstoss dem Thoraxcentrum nicht an¬
genähert. Bloss die Bauchmuskulatur besorgt die Luftaustreibung, indem
1 ) Z. B. der Fall von Kausch, Deutsche med. Wochenschr. 1907.
2) S. dieshez.: Kotschild, Der Stcrnahvinkel. Frankfurt 1900.
3) J. c.
Zeitschrift f. exp- Pathologie u. Therapie, ö. Bd. ^
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L. Hof bauet*
U<>
sie durch straffe Contraction die ßaucheingcweide in die Diaphragma¬
kuppel presst.
Dieser Exspirationsmodus erweist sich auch bei rein mechanischer
Betrachtung als der denkbar beste, ausgiebigste. Gleicht doch der
Brustkasten einer aus hartem Material gefertigten Schale mit Aus¬
führungsrohr, deren breite Mündung durch eine elastische Membran ver¬
schlossen ist (s. Fig. 1.). Um aus einer solchen Kapsel Luft auszu¬
treiben, würde wohl Niemand sich bemühen, die harten Wände der
Kapsel gegen das Centrum derselben zu treiben und die Kapsel zu
diesem ßehufe zu zertrümmern; durch Eindrücken der elastischen Mem¬
bran werden weitaus leichter stärkere Effecte erzielt. Das Zwerchfell
stellt eine exspiratorisch vollkommen schlaffe Membran dar, welche die
breite Oeffnung des einer solchen Schale ähnlichen knöchernen Thorax
verschliesst, der Action der Bauchmuskeln, resp. der consecutiven Vor¬
wölbung gegen das Thoraxinnere keinerlei wesentlichen Widerstand ent¬
gegensetzt. Die Luftaustreibung auf diesem Wege ist daher sicherlich
schon aus mechanischen Gründen als die rationellste anzusehen.
Fig. 1.
Beim Emphysem nun stellt die Luftaustreibung das therapeutische
Ziel dar. Um dieses zu erreichen, wird es sich schon aus mechanischen
Gründen empfehlen, nicht den knöchernen Thorax anzugreifen. Ueber-
dies lässt sich durch Uebungsbehandlupg so leicht Bahnung und Stär¬
kung der abdominalen Exspiration erreichen 1 ) und werden bei Mobili-
sirung der Rippen den physiologischen diametral entgegengesetzte Ver¬
hältnisse geschaffen. An dieser Auffassung ändert auch der Einwurf
wenig, dass durch Hochtreibung des Zwerchfells lediglich eine Verbesse¬
rung der Ausathmung erzielt werde (Kraus), beim Emphysem jedoch
auch die Einathmung erschwert sei und eine Besserung derselben durch
Zwerchfellhochtreibung nicht zu erzielen sei, wohl aber durch Mobili-
sirung der Rippen. Dieser Einwand entfällt schon mit Rücksicht darauf,
dass das exspiratorisch hochgetriebene Zwerchfell bei seiner darauf
folgenden inspiratorischen Contraction einen um so weiteren Weg zurück¬
zulegen hat, um zu seiner Inspirationsstellung zu gelangen. Vertiefung
der Einathmung bei der Uebungsbehandlung des Emphysems resultirt
fernerhin deshalb, weil letztere die Lungen, welche durch die starke
Blähung weiterer inspiratorischer Füllung unfähig wurden, von ihrer
Restluft theilweise befreit, wodurch weiterhin die inspiratorische Blähung
erleichtert wird.
1) S. diesbez.: Uebungsbehandlung des Lungeneinphysenis. Zeitschr. f. physik.
u. diätet. Therapie. Januar 1908.
Original fro-m
UNIVERSITf OF MICHIGAN
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kTtoor-lsMf sehr energisch comptifbiri^n mli einer Kraftefli}alljin^; weleivc wir kaum 44
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fesi der l'borax eines Kaninchens sehr zart und nacbgiHbg ist, sh werden,
dürfen* ik$$ der Effcbt enter Thora* compröSsian beim Ale rieften ^f.^I
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08
L. llofbaucr,
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Diesem Versuche über die Wirkung der Thoraxcompression reihte ich eineh
anderen an: Wie die Athmung beeinflusst wird, wenn man statt des Thorax das
Abdomen manuell comprimirt. Nach unserem Kaninchenexperimente gelingt es, wie
die erhaltenen Curven so wie die Druckmessungen (cf. Tabelle F, 2. Abschnitt) er¬
weisen, durch manuelle Compression des Bauches die Athmung stärker zu beeinflussen
als bei Compression des Brustkorbes. Bei Compression des Abdomens erreichen wir
es, den intrapleuralen Druck exspiratorisch sogar dem Nullpunkte sehr bedeutend zu
nähern, zuweilen sogar gleich Null zu machen. Auch der AthemefTect wird ein
grösserer. Der Einfluss einer Bauchcompression auf die Athmung ist also viel wirk¬
samer als eine Thoraxcompression. Das Abdomen setzt einer Compression keine
knöchernen Widerstände entgegen wie der Thorax. Die Muskelwiderstände, welche
unter Umständen recht beträchtliche sein können und volle Beachtung verdienen,
kommen sowohl bei dem Brustkörbe wie auch bei dem Bauche in Betracht und
werden besonders bei muskelstarken Individuen den EfTect einer manuellen Com¬
pression fast aufheben können . . . Physiologisch dürfte jedenfalls die Compression
des Abdomens nach unsern Versuchen am Thiere wirksamer und aussichtvoller sein
als die des Thorax. Auch beim Menschen werden wohl die Verhältnisse sehr ähnlich
liegen, wie aus dem Besprochenen hervorgeht.“
Förderung der Ausathmung durch Hochtreibung des Dia¬
phragmas erweist sich nach den Resultaten aller diesbezüg¬
lichen Experimente als physiologisch richtiger und wirkungs¬
voller als die durch Mobilisirung oder Compression des
knöchernen Thorax erzielte.
Ueberdies ist zu Gunsten der Uebungsbchandlung (im Gegensätze
zur thoraealen Förderung der Athmung) hervorzuheben, dass die con-
secutiven Herzbeschwerden der Emphyscraatikcr wohl günstig durch
die abdominale Athmungssteigerung beeinflusst werden, zu welchem
Urtheil man auf Grund der vorliegenden Experimentalarbeiten wohl be¬
rechtigt sein dürfte. Durch die Förderung der abdominalen Exspiration
und die damit zusammenhängende Förderung der Zwerchfellsbewegungen
wird nämlich der günstige Einfluss, welchen die Athmung auf die Blut¬
bewegung ausübt 1 ), ganz wesentlich unterstützt, während die Steigerung
der costalen Athmung viel weniger hierbei in Betracht kommen kann.
Für die Richtigkeit dieser Darlegungen sprechen wohl Experimente,
welche ergeben, dass die respiratorischen Blutdruckschwankungen (dieser
sichtbare Ausdruck der Unterstützung der Herzarbeit durch die Athmung)
fast lediglich von der Zwerchfellbewegung abhängig sind. Schwein¬
burg hat in einer vor längerer Zeit erschienenen Arbeit 2 ) dargethan,
dass der Einfluss der Athmung auf die Circulation nahezu lediglich ab¬
hängig sei von der Zwerchfellsbewegung.
Er kommt auf Grund seiner Versuche zu dem Schlüsse, „dass mit der
Lähmung des Zwerchfells die respiratorischen Blutdruckschwankungen
ganz oder nahezu verschwinden und hieraus kann wohl mit Sicherheit ge¬
schlossen werden, dass die Action des Zwerchfells sich zum mindesten in
sehr hohem Grade an dem Zustandekommen dieser Schwankungen be¬
theiligt“.
1) S. diesbzgl. Herzmuskelkraft und Kreislauf. Wiener klin. NVochenschr. 1907.
No. 13
2) Arcli. f. Anat. u. Pliysiol. 1SS1.
Gck igle
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Zur operativen Behandlung gewisser Lungenkrankheiten.
69
„Um nun zu entscheiden, ob der Ausfall der Blutdruckschwankungen nach der
Phrenicusdurchschncidung auf jenen Aenderungen beruhe, welche oberhalb des
Zwerchfells, d. i. im Thoraxraume oder unterhalb derselben, d. i. im Bauchraume
sich geltend machen, musste untersucht werden, wie sich bei Eröffnung der Bauchhöhle
die respiratorischen Blutdruckschwankungen gestalten. Durch die Eröffnung der
Bauchhöhle werden nämlich nur die intraabdominalen Druckschwankungen beseitigt,
die Aenderungen des Lungen Volumens aber müssen sich gleich bleiben. Wie nun Fig. 4a
und 4 b, die einem diesbezüglichen Versuche entnommen sind, lehren, sind hier die
respiratorischen Blutdruckschwankungon auffallend geringer als die vor der Eröffnung
beobachteten.
Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass an dem Ausfälle der respiratori¬
schen Blutdruckschwankungen nach der Phrenicusdurchschncidung nur unterhalb des
Zwerchfellos eingetretene Aonderungen Schuld tragen.“
Wenn weiterhin Schwein bürg meint, dass einerseits die Förderung
des Blutzuflusscs zum Herzen die inspiratorische Blutdrucksteigerung be¬
dingen könne, andererseits jedoch die Blutabflusserschwerung durch Com-
pression des Splanchnieusgebietcs und im Letzteren den wesentlichen
Entstchungsgrund gefunden zu haben meint, so muss dem entschiedenst
entgegengetreten werden. *
Die Förderung der Blutlaufcs kommt vielmehr nahezu
lediglich durch inspiratorische Steigerung des venösen Ab¬
flusses, insbesondere aus den infradiaphragmalcn Organen zu
Stande. Von einer Erschwerung des arteriellen Blutabflusses in das
Splanchnicusgebiet hingegen, welche in Folge der inspiratorischen Steige¬
rung des abdominalen Druckes cintretcn soll, kann kaum die Rede sein.
Bei den geringen Druckwerthen, welche im venösen Abflusssystem, ins¬
besondere so nahe dem Herzen, wie cs bei .den abdominalen Venen der
Fall ist, herrschen, bedeutet die inspiratorische Drucksteigerung im
Abdomen eine Steigerung des Venendruckes um ein Mehrfaches seiner
Grösse. Bei dem ziemlich hohen Druck in der Aorta abdominalis und
ihren Aesten kann Steigerung des auf dem Gefässc lastenden Druckes
um den geringen Werth kaum in Betracht kommen. Hierbei muss
weiterhin darauf hingewiesen werden, dass im gleichen Sinne auch noch
die Verschiedenheit in der Wanddicke der Arterien und Venen wirkt.
Die dicke Arterienwand setzt dem von aussen einwirkenden
abdominalen Druck vielmehr Widerstand entgegen als die so
dünne Venenwand.
Dass in der That nicht die Erschwerung des Abflusses in die
Bauchgefässe die respiratorischen Druckschwankungen im arteriellen
System hervorrufe, sondern der vermehrte Zufluss des venösen Blutes
(hauptsächlich aus den Bauchorganen), bedingt durch die Erhöhung des
intraabdominalen Druckes einerseits, des negativen Druckes im Thorax
andererseits, erweisen Versuche, bei welchen die Aorta oberhalb des
Zwerchfells coraprimirt oder ligirt wird. Bei denselben bleiben trotz
dieser Ligatur die respiratorischen Druckschwankungen im vollen Aus-
maasse erhalten (s. Fig. 2).
Wäre die Annahme richtig, dass die respiratorischen Blutdruck¬
schwankungen auf der durch inspiratorische Steigerung des abdominalen
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70 L. Hofbauer, Zur operativen Behandlung gewisser Lungenkrankheiten.
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Fig. 2.
(Nach Kanders, Zeitschrift für klinische Mcdicin. Bd. 21.)
C — Carotisdruck, V = Druck im linken Vorhof.
Trotz Aorteneomprcssion bleiben die respiratorischen Druckschwankungen im venösen
und arteriellen Kreislauf erhalten.
Druckes vcranlassten Erschwerung des Blutabflusscs in die Bauchgcfässc
beruhe, dann müssten die respiratorischen Blutdruckschwankungen in
dem Momente aufhören, wo durch Ligatur der Aorta oberhalb des
Abganges der Bauchgefässe jeder Einfluss derselben auf den Druck in
den oberhalb der Ligatur gelegenen Gefässbezirken Wegfällen muss. Da
jedoch trotz dieses Eingriffes die respiratorischen Blutdruckschwankungen
sowohl im venösen als auch im arteriellen System erhalten bleiben, muss
diese Blutdruckschwankung durch Verbesserung des venösen Zuflusses
zum Herzen bedingt sein. Abdominale Athmung besitzt einen
fördernden Einfluss auf die Blutbewegung. Derselbe ist haupt¬
sächlich auf die Zwerchfcllsbcwegung zu beziehen und dem
entsprechend dürfte der Schluss berechtigt sein, dass die
bei der Uebungsbehandlung activirte Förderung der Bauch-
athmung gleichzeitig eine Unterstützung der Herzarbeit be¬
deutet.
Gck igle
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VII.
Aus dem k. k. Institut für allgemeine und experimentelle Pathologie
in Graz.
Ueber Herzinsufficienz.
Von
l’rivatdoccnt Dr. Hans Eppinger und Dr. Erich von Knaffl.
(Hierzu Tafel 1.)
Es können tiefgreifende Veränderungen am Klappenapparat des
Herzens ausgebildct erscheinen, ohne dass es zu einer schwerwiegenden
Störung im gesammten Kreislauf kommen muss. Auch im Experimente,
wo es in der Hand des Einzelnen gelegen ist, das normale Spiel der
zur Bewegung des Blutes dienenden Vorrichtungen, nämlich der Herz¬
klappen zu stören, sehen wir kaum jene schweren Erscheinungen auf-
treten, wie sie bei herzklappenkranken Individuen leider nur zu oft zu
beobachten sind. Fast nie tritt bei Thieren sofort nach Durchstossung
z. B. der Aortenklappen irgend welche Insufficienzerscheinung auf.
Sowohl beim Menschen als auch im Thierexperimente müssen einzelne
Herzabschnitte mehr Kraft aufbieten, um der Mehrarbeit, die sich durch
die Undichte der Klappen ergiebt, nachzukommen. Diese Ausgleichs-
Vorrichtung steht aber jedem Herzen zur Verfügung und auf sie allein
kommt es an, wie sich der durch den Herzklappendefect geschädigte
Organismus weiterhin verhält.
An jedes gesunde Herz können bis zu einem gewissen Grade
höhere Forderungen an Arbeitskraft herantreten, und kommt auch den¬
selben jeder intacte Herzmuskel durch Steigerung seiner Kraft leicht
nach. Gehen aber diese Erfordernisse an Mehrarbeit über das Durch-
schnittsmaass des alltäglich Nothwendigen, und währen sie, was be¬
sonders wichtig ist, ununterbrochen, wie solche Bedingungen ganz be¬
sonders bei Klappenfehlern gegeben sind, dann muss der Herzmuskel,
um dieser dauernden Ueberlastung nur halbwegs nachzukommen, in sich
erstarken, d. h. er hypertrophirt. Auf diese Weise können anatomisch
schwere Klappenfehler durch viele Jahre hindurch ohne nennenswerthe
Ciroulationsstörungen und mit solchen verbundene Begleiterscheinungen
vertragen werden, d. h. sie sind unter diesen Verhältnissen compensirt,
und es verhält sich ein solches Herz, wenigstens bis zu einem gewissen
Zeitpunkte, wie ein normales, das seine Arbeit ohne Benachtheiligung
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Go igle
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72 H. Eppinger u. E. v. Knaffl,
des Gesammtorganismus zu leisten im Stande ist. Indem, so weit sich
die Verhältnisse am Klappenapparate anatomisch abschen lassen, oft viel
geringgradigere Klappendefecte von viel schwerwiegenderen Erscheinungen
begleitet werden, erscheint cs einerseits überflüssig, eine Unterscheidung
zwischen schweren und leichten Klappenfehlern zu treffen. Andererseits aber
erscheint die Beurthcilung der Musculatur des Herzens als ausserordentlich
wichtig, indem man doch stets auf die Function des Herzmuskels zurück¬
greifen muss. In der Musculatur ist ja die eigentliche Kraft zur Bewältigung
der täglichen Herzarbeit einbegriffen, und sie muss vor Allem berück¬
sichtigt werden, wenn man sich vorstellen will, dass durch sie auch jene
schweren Druckschwankungen, die bei jedem Klappenfehler entstehen,
dauernd beglichen werden sollen. In vielen Fällen sieht man aber,
dass bald früher, bald später die wenn auch kräftige Herzpumpe
ihrer gesteigerten Aufgabe, die sic anfänglich noch recht gut be¬
wältigen konnte, nicht jnchr nachkommt, indem sic immer weniger und
wertiger Flüssigkeit aus der Peripherie schöpft, so dass schliesslich
der Organismus unter der Last der rückständigen Flüssigkcits-
säulc einerseits, und andererseits wegen der Unmöglichkeit des noth-
wendigen Sauerstoff- und Kohlensäure-Transportes zusammenbricht bezw.
zu Grunde geht.
Aber auch im compensirtcn Stadium eines Herzfehlers kann eine
gewisse Minderwerthigkcit der, wenn auch massigen Herzmusculatur be¬
obachtet werden. Denn vergleicht man die Leistungsfähigkeit eines mir
Klappenfehler behafteten, compcnsirten Herzens mit der eines normalen,
so lehrt die Erfahrung, dass ihre Grenzen viel enger gesteckt sind, als
wie unter gewöhnlichen Verhältnissen. Trotz Hypertrophie, die sich
nur zubald in Gefolge eines Klappenfehlers ausbildet, erscheint die
Wcrthigkcit des Herzens herabgesetzt; denn es ist nicht allen excessivcn
Anforderungen, die herantreten, gewachsen; es ermüdet früher als das
eines gesunden Individuums.
Auf Grund von klinischen Erfahrungen wissen wir, dass sowohl das
gesunde als auch und noch mehr das klappenkrankc Herz doch auch
das eine oder andere Mal insufficient werden kann, und zwar dann,
wenn die eventuellen Anforderungen an den Herzmuskel die maximale
Leistungsfähigkeit desselben überschreiten, oder was dasselbe ist, wenn
die Accommodationsbreite, die dem Herzen zur Verfügung steht, geringer
wird. Es sinkt die Herzkraft bis auf oder gar bis unter das zur Er¬
haltung des Kreislaufes in der Ruhe nöthige Maass. Es ist gleichgiltig,
welcher Anschauung man sich anschliesst, nämlich ob der hyper¬
trophische Herzmuskel im Stadium der Compensation die gleiche
Accommodationsbreite besitzt, wie ein normaler, oder nicht. Sicherlich steht
die Thatsache fest, dass hypertrophische Herzen leichter erlahmen als
gesunde, und dass es in diesen Fällen häufiger zu Compensationsstörungen
kommen kann. Ich brauche nur an die gar nicht so seltene Thatsache
zu erinnern, dass bei übermässiger, in förmlichem Missverhältnisse zur
Ursache stehender Hypertrophie des Herzens sich eine klinisch bedroh¬
liche, ja tüdtliehc Jlerzinsuflieienz einstellen kann. Deswegen muss man
leider sagen, dass jedem hypertrophischen Herzmuskel eine bedenkliche
Gck igle
Original fro-m
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Ueber Herzinsufücienz.
73
Prognose gestellt werden muss, gleichgültig ob man es mit einer Hyper¬
trophie bei einem Klappenfchlerhcrzen oder mit einem Herzen eines
Nephritikcrs oder Arteriosklerotikers zu thun hat Stets muss man
auf der Hut sein, denn nur zu leicht versagt ein solchos hypertrophi¬
sches Herz bei Gelegenheiten, die sonst ein gesundes Herz spielend
überwindet.
Gerade aber die Thatsachc, dass der hypertrophische Herzmuskel
nur zu Jcicht der Möglichkeit einer Insufficienz ausgesetzt ist, hat es
mit sich gebracht, dass man die Hypertrophie an und für sich mit der
Insufficienz in Zusammenhang bringen, beziehungsweise als gleichbedeutend
erachten wollte, so zwar, dass bereits in dem Zunehmen der Muskelmassc
der Keim zur Entstehung der Störung der Herzthätigkeit gelegen sein
sollte. So schlimm ist das nicht, denn wenn dem so wäre, so könnte man
cs kaum verstehen, warum oft stark hypertrophirte Herzen z. B. die der
Ncphritikcr häufig viele Jahre hindurch keinerlei Zeichen einer wesent¬
lichen Störung darbieten, während schon bei ganz geringfügigen Klappen¬
fehlern, nach kurzem Bestände, ohne dass es zu einer ausgesprochenen
Hypertrophie gekommen wäre, die Herzkraft abfällt. Denn Hypertrophie
ist doch gewiss ein Reparationsvorgang und insofern ein förmlich
physiologischer Akt der Muskelerstarkung, mit welcher nicht sofort
die Vorstellung eines krankhaften Vorganges verbunden zu sein
braucht; man könnte im Gegentheil sagen: nur solange, als die reine
Hypertrophie besteht oder eventuell zunimmt, kann Compensation be¬
stehen.
Die Frage nach den eigentlichen Ursachen der Insufficienz des
Herzmuskels ist oft aufgeworfen worden, und die Beantwortung ist fast
ebenso oft verschieden ausgefallen. Die Ursache davon liegt darin, dass
in häufigen Fällen von Herzinsufficienz ein anatomisches Substrat für
dieselbe mit den bis jetzt bekannten Mitteln nicht nachgewiesen werden
kann, so dass unterschiedlichen Deutungen Raum geschaffen wird.
Allerdings ist es dem Kliniker ziemlich leicht, zu entscheiden, ob
derzeit das Herz compensirt ist oder nicht, wogegen es den pathologi¬
schen Anatomen recht schwer, bis unmöglich werden kann, dem Leichen¬
herzen allein abzulesen, ob es seiner Aufgabe als Druck- und Säugpumpe
intra vitam voll und ganz, oder nicht nachgekommen ist. Sind einmal
sicht- und greifbare Folgeerscheinungem am Herzen selbst und ins¬
besondere am Körper, wie z. B. Hydrops, zu entnehmen, dann ist cs
leicht zu bestimmen, bis zu welchem Grade das Herz seiner Aufgabe
nicht nachgekomraen ist.
Die Thatsache, dass der hypertrophische Herzmuskel leichter er¬
lahmt, hat Martius (1) in der Art zu erklären gesucht: das hyper¬
trophische Herz versagt deshalb leichter, weil es höheren Ansprüchen
gegenüber weniger an Reservekraft zuzusetzen hat; und cs besitzt trotz
seiner Hypertrophie weniger Reservekraft, weil die durch den Klappen¬
fehler dauernd für die blosse Unterhaltung des Kreislaufes in Anspruch
genommene Energiemenge grösser ist, als der Zuwachs an Kraft durch
die Hypertrophie. Es wird dabei nicht vorausgesetzt, dass der hyper¬
trophische Muskel minderwerthig sei, sondern bloss angenommen, dass
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74
II. Eppinger u. E. v. Knaffl,
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der Muskel um so schneller versagt, je häufiger und je länger er maximal
oder nahezu maximal angestrengt wird. Wenn auch die Anschauungen
von Martius in vieler Beziehung, speciell wenn man die klinischen Er¬
fahrungen berücksichtigt, verständlich sind, so muss man sich trotzdem
sagen, dass sie doch nur den Werth einer Hypothese beanspruchen, für
die ein exacter Beweis aussteht. Die Leipziger Kliniker, vor allem
Krehl (2) und Romberg (3) unterzogen sich der grossen Mühe, die
unterschiedlichen Herzen, die während des Lebens Zeichen der Insufficicnz
darboten, auch einer genauen histologischen Untersuchung zu unterziehen.
Von ihnen wird der Standpunkt vertreten, dass die muthmaasslichc
Ursache der Herzinsufficienz in einer Veränderung der anatomischen
Structur der Herzmusculatur gelegen sei, nachdem sich zwar nicht in
allen, aber doch in weitaus der Mehrzahl der hypertrophischen Herzen
myocarditische Herde zeigten, welche durch dieselben Schädlichkeiten
bedingt sein sollten, wie eben die Veränderungen an den Klappen selbst.
Ucber diese von andern Klinikern ebenfalls beobachteten Thatsachcn
kann natürlich nicht hinweggegangen werden; jedoch ergeben sich den
Gegnern dieser Lehre noch genügend Anhaltspunkte, die und zwar zum
Theil mit Recht gegen die Anschauungen der Leipziger Schule ins
Treffen geführt werden. Vor allem muss auf Fälle hingewiesen werden
— und solche sind ja auch Krehl und Romberg bekannt —, bei denen
sich schwere schwielige Myocarditiden vorfinden, die ganz abgesehen
davon, dass sie sicher schon längere Zeit bestanden haben müssen, sich
ausserordentlich ausgebreitet zeigten, und wo trotzdem intra vitam
keinerlei Zeichen von Incompensationsstörung bestanden hatte; und
andererseits muss auch auf gegentheilige Fälle aufmerksam gemacht
werden, in denen die schwersten Zeichen einer langbestehenden In-
sufficienz beobachtet wurden, ohne dass es gelang, histologisch hin¬
länglich erklärende oder sichere Veränderungen am Herzen dafür ver¬
antwortlich zu machen. Dass die gemeinten anatomischen Veränderungen
des Myocards zu Functionsstörungen der Herzthätigkeit führen können,
scheint kaum zweifelhaft; sie aber allein als Ursache der Insuffizienz
hinzustellen, dürfte zu weit gegangen sein, um so mehr als sie mit den
thatsächlichen klinischen Befunden kaum übereinstimmen. In der
Absicht, trotzdem irgend welche erklärliche Anhaltspunkte für eine
funktionelle Schädigung des Myocardes zu erbringen, glaubte man die
unterschiedlichen Muskelzelldegenerationen in irgend welchen Zusammen¬
hang mit der Herzschädigung bringen zu sollen. Derzeit erscheint
jedoch die Frage der histologisch nachweisbaren Degenerationen so ver¬
wickelt und in Neubearbeitung begriffen, dass es besser ist, ausser die
rein mikroskopischen Untersuchungen auch solche nach anderer Richtung
hin zu pflegen. Dass nun nervöse Momente auf die Herzthätigkeit ein¬
wirken können, ist eine bekannte Thatsache, und es ist daher die Mahnung
v. Schrötter’s (4), bei Beurtheilung der möglichen Ursachen der Herz¬
insufficienz die nervösen Einflüsse in Erwägung zu ziehen, ausserordentlich
berücksichtigenswerth. Daher wäre es von grösster Wichtigkeit, wenn
man sich genau über das Verhältniss des gemeinsamen Zusammcn-
arbeitens zwischen Nerven und Muskeln orientiren und namentlich den
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Ueber Hcrz.insufficienz.
75
anatomischen Läsionen des extra- und intracardialen Nervensystems
nachgehen könnte, zu deren Durchführung cs allerdings bis jetzt an
entsprechenden Methoden mangelt. Wenn man nun versuchen wollte,
alle jene krankhaften Processe zu berücksichtigen, welche erfahrung-
gcraäss das Einsetzen einer Hcrzinsufficienz begünstigen, so fällt es
schwer, ein richtiges Urtheil zu finden, und dies um so mehr, als sich bei
krankhaften Zuständen die Schädlichkeiten selten nur auf ein Moment
beschränken, sondern in Wirklichkeit zu meist verschiedenen Noxen
miteinander combinirt erscheinen, so dass die Zahl der Möglichkeiten,
auf welche Weise ein Herzmuskel insufficient wird, ausserordentlich
gross ist.
Zu einer ähnlichen Ueberlegung sind Aschoff und Tawara (10)
am Schlüsse ihrer ausgedehnten Untersuchungen über die pathologisch¬
anatomischen Grundlagen der Herzschwäche gekommen, da sie bei der
Entstehung der Herzschwäche ausser ausgedehnten Zerstörungen des
Reizlcitungssystems functioneilen Schädigungen des Herzens, deren Ur¬
sache sowohl im Herzen, als auch ausserhalb desselben zu finden sind,
eine wesentliche Rolle beimessen. Diesbezüglich weisen sie auf die
vortrefflichen Schilderungen der ausserhalb des Herzens gelegenen
Ursachen der Herzschwäche hin, die von Krehl und Romberg her¬
rühren.
Nun giebt es ein Moment, das unserer Anschauung nach noch sehr
wenig beachtet wird, und das ist der Einfluss der Ernährung des
Gesammtorganismus auf die Kraft des Herzens. Schon ein
normales Herz, das seine Arbeit voll leisten soll, ist auf ununterbrochene,
entsprechend reichliche Durchströmung mit geeignetem Nährmaterial an¬
gewiesen; um wie viel mehr muss es ein krankes oder gar ein hyper¬
trophisches Herz sein, das an Masse das Doppelte bis Mehrfache seines
früheren Gewichtes angenommen. Es ist eine nur zu häufig zu beob¬
achtende klinische Erfahrung, dass herzklappenkranke Individuen —
ganz abgesehen von noch anderen, möglicher Weise complicirenden Um¬
ständen, z. B. intercurrircnden acuten Erkrankungen — so lange sie
unter günstigen Ernährungsbedingungen stehen, sich eines relativen Wohl¬
befindens erfreuen. Tritt jedoch eine Verschlechterung der gesammten
Ernährung auf, und somit eine Abnahme der vitalen Kräfte, dann melden
sich auch nur zu bald die ersten Erscheinungen einer beginnenden Herz-
insuflicienz, die bald bei anhaltend schwacher Ernährung dauernd wird
und jedem therapeutischen Hülfsmittel trotzt. Auch ist weiter bekannt,
dass man sich vor jeder einzuleitendcn Entfettungscur genau über die
muthmaassliche Leistungsfähigkeit des Herzens orientiren soll, da
Herzschwächezustände nach solchen zu weit getriebenen Curen garnicht
so selten zur Behandlung gelangen. Schliesslich scheint die Thatsache,
dass Fälle von acuter Iferzdilatation nach schwerer Arbeit vorwiegend
bei unterernährten Individuen zu beobachten sind, desgleichen für eine
genaue Berücksichtigung der Ernährungsbedingungen bei Beurtheilung
der Hcrzinsufficienz zu sprechen. Ganz ähnliche Verhältnisse sind be¬
kannt bezüglich der peripheren Musoulatur; wenigstens konnte Zuntz (f)j
constatiren, dass längeres Hungern eine auffallende Herabsetzung der
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76
H. Eppinger u. E. v. Knaffl,
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Leistungsfähigkeit des arbeitenden Individuums bewirkt, indem bereits
massig erhöhte Arbeit genügt, um an die Grenze des Könnens zu ge¬
langen, was sieh am besten daran erkennen lässt, dass die Pulsfrequenz
beträchtlich steigt, der Puls sehr klein und flatternd wird.
Dank der neueren experimentellen Forschungen ist es durch die
sogenannte Durchblutungsmethodc gelungen, selbst todte Säugethierherzen
wieder zur Thätigkcit zu bringen. Fasst man die vielen Resultate dieser
Experimente kurz zusammen, so lässt sich sagen, dass das Herz des
Warmblüters zur Aufrechterhaltung selbst stundenlanger Schlagfähigkeit
einer eigentlichen Ernährungsflüssigkeit direct nicht bedarf, und man
könnte auf Grund dieser Meinung geneigt sein, eine einflussreiche Be¬
deutung der Ernährung auf die Herzthätigkcit zu leugnen. Wenn man
dagegen berücksichtigt, dass das Schlagen des herausgeschnittenen Herzens
doch nur auf Stunden aufrecht erhalten werden kann, eben nur so lange
als vielleicht in den Muskelzellen verbrennbare Stoffe vorhanden sind,
und man andererseits weiss, dass ein solches Herz fast gar keine Arbeit
zu leisten im Stande ist, sondern eben nur schlägt, dann wird man
sich dazu cntschliessen müssen, einen nothwendigen Factor für die ge¬
hörige Thätigkcit des Herzens in einer zweckmässigen Ernährung zu er¬
blicken.
In diesem Sinne scheinen auch folgende Ucberlcgungen beachtens¬
wert}): Während des Hungerzustandes lebt der Organismus auf Kosten
seiner eigenen Substanz; vergleicht man unter diesen Verhältnissen die
procentuellen Verluste an Gewebe bei einzelnen Organen, so zeigt sich,
dass bei denjenigen Organen, welche am meisten zu leisten haben, wie
z. B. das Herz, die Verluste am geringsten sind. Aus diesen Ucber-
legungen scheint sich folgende Deutung als zweckmässig zu ergeben:
während des Hungerzustandes ist der Organismus auf seine eigenen, in
den unterschiedlichen Organen abgelagerten Nahrungsdepots angewiesen,
und cs geben daher alle Organe ihre Beiträge zum Unterhalt des gc-
sammten Körpers. Die Organe aber, welche zur Erhaltung des Lebens
am nothwendigsten sind, schöpfen am meisten aus diesen Depots und
arbeiten also auf Kosten der übrigen Organe. Wenn man sich nicht von
dieser gewiss richtigen Ueberlegung leiten Hesse, könnte man leicht zu
einer entgegengesetzten Deutung kommen, nämlich, dass der Herzmuskel
von allen Organen am wenigsten Nahrung bedarf.
Der ruhende periphere Muskel hat eine verhältnissmässig geringe
Blutzufuhr; hat jedoch der Muskel Arbeit zu leisten, so strömen dem
Muskel grössere Blutmengen zu, was gleichbedeutend ist mit erhöhter
Zufuhr der Nahrung. Zieht man zwei verschieden grosse Muskeln in
Betracht, so wird man richtig schliessen dürfen, dass der grössere
Muskel auch einer grösseren Blutzufuhr bedarf. Ganz ähnliche Regeln
dürften auch, obwohl diesbezügliche Untersuchungen fehlen, für die Herz-
musculatur gelten, sodass man wohl mit ziemlicher Berechtigung an¬
nehmen darf, dass der hypertrophische Herzmuskel, um überhaupt mit
seiner ganzen Masse in gewöhnlicher, also in nicht angestrengter Weise
zu arbeiten, einer grösseren Zufuhr an Nährmaterial bedarf, als unter
gleichen Bedingungen ein normal grosser. Um wie viel mehr muss erst
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Uober Herzinsufficienz.
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die Nahrungszufuhr gesteigert sein, wenn das Herz dauernd an der
Grenze seiner maximalen Leistungsfähigkeit arbeitet.
Die Frage nach dem Einfluss der Ernährung auf den Herzmuskel
ist meines Wissens auf experimentellem Wege noch nicht berührt worden.
Die Leistungsfähigkeit einer Maschine wird beurtheilt aus der in der
Zeiteinheit geleisteten Arbeit. Wollten wir uns ein Urtheil über die
Tüchtigkeit der Herzmaschine bilden, so müssten wir zwei Componenten
in Erwägung ziehen: einerseits die in der Zeiteinheit gelieferte Blut¬
menge und anderseits den dabei erhaltenen Blutdruck im Aortensystera.
Wir begnügten uns, bloss den einen Factor zu erschlossen, und ver¬
folgten den von ßomberg und Hasenfeld (6) eingeschlagenen Weg,
wobei es darauf ankam, zu prüfen, welche Kraft der linke Ventrikel
aufzubieten im Stande ist, wenn dessen Aorta thoracica oberhalb des
Zwerchfelles abgebunden wird. Die Höhe der eintretenden Druck¬
steigerung im arteriellen System ist zwar kein genaues Maass — wegen
Vernachlässigung oben erwähnter zweiter Componente — für die Arbeit
des linken Ventrikels. Wird jedoch in allen Versuchen derselbe Eingriff
vorgenoramen, so erscheint trotzdem die Höhe des arteriellen Druckes
ein genügend ausreichendes Maass für die Fähigkeit des Herzens zur
Leistung äusserster Arbeit. Comprimirt man äie Aorta, so kommt es zu
einer starken Steigerung der Widerstände im arteriellen Stromgebiete
des Organismus. Ein in die Carotis eingeführtes Manometor orientirt
über den im Anfangstheil der Aorta herrschenden Druck. Wenn man
nun diese Abkleramung längere Zeit bestehen lässt, so sinkt allmählich
der Blutdruck am Manometer. Das Herz hat während dieser ganzen
Zeit gegen enorme Widerstände zu kämpfen, und aus der Blutdruckcurve
zeigt sich, bis zu welchem Grade das Herz dieser Anforderung nach-
zukomraen im Stande war.
Von Romberg und Hasenfeld wurden diese Versuche — und
zwar am Kaninchen — in der Absicht angestellt, zu ermitteln, ob sich
Unterschiede zwischen dem normalen und dem künstlich hypertrophisch
gemachten Herzen ergeben; der Unterschied, der sich dabei zeigte, war
der, dass bei Thieren mit Aortcninsufficienz der arterielle Druck nach
Abkleramung der Aorta thoracica nicht so hoch ansteigt und auch nur
kürzere Zeit auf der Höhe bleibt, als beim gesunden Herzen.
Die von uns an gesunden Thieren gefundenen Curven decken sich
fast vollständig mit denen von Romberg und Hasenfeld; trotzdem
wollen wir eine solche, um sie den folgenden Curven gegenüber stellen
zu können, beilegen.
Versuch I. Ein gut genährtes, kräftiges Kaninchen (2680 g) wird nach In-
jection von Morphium (Curare wurde nicht verwendet) künstlich respirirt, und ein
Quecksilbermanometer in die Carotis dextra eingebunden. Nach Spaltung der Haut
in der linken Axiliarlinie wurde bis auf die Rippen eingegangen, und 5 bis 6 Rippen
mit starken Seidefäden umgriffen und nachher doppelt abgebunden. Nach Eröffnung
des Thorax wurde die Aorta unter leichtem Beiseitedrängen der Lunge etwas ober¬
halb des Zwerchfelles mobilisirt und auf einen Pean’sehen Schieber gelegt, ohne
ihn sofort zu schliessen. Nachdem man die Wundlläehen wieder aneinander gelegt
hatte, wurde die Aorta wieder ahgeklemmt. Während der Dauer des Versuches blieb
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II. Eppingcr u. E. v. Knaffl,
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der Schieber liegen. Der Einfluss der WiedcröfTnung des Schiebers auf den Blut¬
druck wurde von uns nicht weiter beobachtet. Der Blutdruck, der meist zwischen
80—90 mm Hg schwankte, stieg fast sofort auf 165 mm Hg und liel nun ganz all¬
mählich wieder auf seine ursprüngliche Höhe zurück (meist nicht vor der 40. Minute
nach Abklemmung der Aorta thoracica); cf. Fig. 1.
Bevor wir uns die Aufgabe stellen konnten, den eventuellen Einfluss
der Unterernährung auf das hypertrophische Herz zu studiren, war es
nothwendig, auch schon am normalen Thiere die Leistungsfähigkeit des
Herzens nach Hunger zu prüfen. Die Versuchsanordnung war die gleiche
geblieben wie vorher, nur bekamen die Thiere, bevor die Blutdruck¬
messungen angestellt wurden, mehrere Tage (meist 4—6 Tage) nichts
zu fressen. Wasser wurde den Thieren gereicht. Damit den Kaninchen
auch die Möglichkeit genommen werde, die immerhin noch an Nahrung
reichen Faeces zu verzehren, wurde der Boden der Käfige dementsprechend
gebaut, so dass auch diese Möglichkeit einer Nahrungszufuhr ausblieb.
Um den Abbau der Nahrungsdepots möglichst zu beschleunigen und voll¬
ständig zu gestalten, wurden in vielen Fällen — wo es geschah, soll
ausdrücklich betont werden — entsprechende Mengen von Phloridzin
gereicht. Ich möchte mir erlauben, jetzt derartig angestellte Versuche
anzuführen.
Versuch II. Ein Kaninchen hat ein Anfangsgewicht von 2340 g, hungert
5 Tage, bekommt ausserdem am 2., 3., 4., 5. Tage je 0,5 g Phloridzin; mit einem
Endgewicht von 1700 g wird das Thier in Vorsuch genommen; die einleitenden
Operationen waren dieselben, wie oben erwähnt. Nach Abschnürung der Aorta
schnellt der Druck sofort rasch in die Höhe und erreicht fast den doppelten Blut¬
druck (152 mm Hg). Bereits zehn Minuten nach Beginn des eigentlichen Versuches
ist der Druck wieder auf ursprünglicher Höhe, sinkt noch tiefer, bis auf 70 mm Hg.,
bleibt einige Zeit in diesem Niveau, scheint sich dann etwas zu erholen, um noch
tiefer zu fallen bis auf 60 mm Hg. Wir haben bei diesem Thier einen weiteren Ver¬
such angeschlossen. Auf die Besprechung dieses letzteren Versuches, sowie auf die
Deutung der folgenden Curve wollen wir später eingehen. Versuch II ist in Curven-
form ausgedrückt in Fig. 2.
Versuch III. Ein Kaninchen (2200 g) hungert 5 Tage; das Gewicht sinkt
auf 1740 g; das Thier bekam kein Phloridzin. Der Blutdruck steigt (cf. Fig. 3.)
nach der Aortenabklemmung von 84 mm Hg auf 150 mm Hg., fällt binnen 3 Minuten
auf 106 mm Hg, erreicht nach kurzer Zeit abermals eine Höhe von 116 mm Hg, fällt
jedoch dann wieder allmählich und erreicht bereits 35 Minuten nach Beginn der
Aortenabschnürung das erste Niveau. Nachher lallt der Druck noch weiter, wird
jedoch nicht bis zum Ende verfolgt.
Versuch IV. Ein Kaninchen (2800 g) hungert 5 Tage; täglich subcutane
Zufuhr von 0,5 g Phloridzin. Das Körpergewicht sank auf 2200 g; die Steigerung
nach der gewöhnlichen Operation ist eine nicht so hochgradige, indem der Blutdruck
nur von 80 mm auf 145 mm Hg steigt; im Uebrigen zeigt die Curve fast das
normale Verhalten; erst nach 40 Minuten ist der Druck wieder auf 80 mm Hg ge¬
fallen. Auf den weiteren Verlauf des Versuches soll ebenfalls erst später eingegangen
werden (cf. Fig. 4.).
Versuch V. Grosses kräftiges Thier verliert in einer 6tägigen Hungerperiode
sehr an Gewicht. Von 3100 g auf 2450 g. Trotzdem zeigt das Thier bei Beginn des
Versuches keinerlei Zeichen irgend welcher hochgradigen Schwäche. Der Blutdruck
steigt nach Abklemmung der Aorta von 90 mm Hg auf 160 mm Hg, fällt ziemlich
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ITeber 11 e rz i n s u ITi ci en z.
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rasch herab, ist nach ca. 17 Minuten auf seiner ursprünglichen Höhe angelangt, fällt
noch weiter und erreicht nach 25 Minuten GO mm Hg (cf. Fig. 5) Bei diesem Thiere
wurde der Versuch fortgesetzt, wovon später die Rede sein wird.
Versuch VI. Ein Thier, 25GO g schwer, hungert 5 Tage und wiegt schliesslich
2150 g. Der im Bginne des Versuches bestehende Druck von 84 mm Hg geht nach
der Operation auf 145 mm Hg hinauf. Der Abfall geschieht allmählich; immerhin
ist die Anfangshöhe bereits nach 25 Minuten erreicht (cf. Fig. 6). Fortsetzung des
Versuches später.
Versuch VII. Das Körpergewicht des 2700 g schweren Thieres fällt während
einer 5tägigen Hungerperiode, während welcher ausserdem noch 3 mal 0,5 g
Phloridzin gereicht wurden, auf 2400 g. Die Abklemmung der Aorta zeigt folgenden
Verlauf: Der Blutdruck, der vor dem Versuche um 80 mm Hg herum schwankte,
stieg rasch auf 140 mm Hg, hielt eine Zeit lang an und fiel dann allmählich ab.
Nach 33 Minuten ist abermals der Druck von 80 mm Hg erreicht. Heber den weiteren
Verlauf des Versuches soll später berichtot werden (cf. Fig. 7).
Bevor wir in die Deutung dieser Versuche eingehen, möchte nur
noch berichtet werden, dass die erwähnten 7 Versuche nur Proben sind
aus einer grossen Anzahl solcher Experimente.
Wie schon oben erwähnt, wurde die Leistungskraft eines normalen
Herzens vielfach von Romberg und Hasenfeld erprobt. Sie lässt sich
curvenmässig aasdrücken. Unsere Ergebnisse decken sich fast vollständig
mit den Resultaten der beiden Autoren, so dass uns reichliche normale
Controllversuche zur Verfügung stehen. Wenn wir nun diesen ziemlich
typischen Blutdruckcurven unsere von Hungerthieren herstammenden
gegenüber stellen, so lassen sich die Ergebnisse allerdings nicht so genau
zusammen fassen, nachdem eine erforderliche Congruenz der Beobachtungen
nicht vorzuliegen scheint. Alles in Allem genommen können wir aber
doch sagen, dass sich einige gemeinsame Punkte herausgreifen lassen.
Trotz der Schädigung des Organismus müssen wir die starke Leistungs¬
fähigkeit des Herzens bewundern. Stets vermag das Herz eines Hunger-
thieres einen beträchtlichen Blutdruck zu überwinden; es zeigt sich
jedoch die Kraft des Herzens, um diesen Blutdruck zu bewältigen, bei
den verschiedenen Thieren auch verschieden. In einigen Fällen (als
deren Typus ich auf die Versuche II und V hinweisen möchte) lässt
sich entschieden eine frühzeitige Insufficienz des Herzmuskels erkennen.
Allerdings zeigt sich auch bei den normalen Herzen — darauf weisen
Romberg und Hasenfeld ganz besonders hin — eine grosse Ver¬
schiedenheit der individuellen Herzkraft, indem sowohl wechselnde Höhe
des Druckes, den das Herz durch seine Mehrarbeit herbeiführte, zur
Beobachtung kam, als auch ein verschieden rascher Abfall schon unter
normalen Verhältnissen zu erkennen war. Trotzdem glauben wir aber
sagen zu müssen, dass, wenn auch stets beträchtliche Höhen des Blut¬
druckes, und zwar fast so wie unter normalen Umständen erreicht
wurden, der Abfall meist steiler erfolgte, d. h. Insufficienz der
Herzmuskulatur früher einsetzte. Ganz besonders zeigen dies die
Fälle II und V. Auch verfügen wir über Versuche, bei welchen plötz¬
liches Erlöschen der Herzkraft hinzutrat, was allerdings gelegentlich
auch unter normalen Umständen Vorkommen kann.
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KO H. Eppinger u. E. v. Knaffl,
Bei den Untersuchungen, ob starke Verfettung des nicht hyper¬
trophischen Herzmuskels eine Schädigung der Herzkraft bewirkt, kamen
Hasenfeld und Fenyvessy (7), die sich der gleichen Methode, wie
wir, bedienten, ebenfalls zu keinem ganz eindeutigen Resultate. Sicher¬
lich lässt sich auch aus ihren Versuchen eine nur wenig beeinträchtigte
Leistungsfähigkeit selbst eines durch fettige Degeneration schwer ge¬
schädigten Herzens erkennen.
Es wurde bereits erwähnt, dass die einzelnen Organe im Hunger¬
zustande verschieden rasch an Gewicht verlieren, und dass speciell das
Herz lange seinen Gewichtsbestand zu erhalten vermag. Man muss
wegen der Wichtigkeit einzelner Organe sich vorstellen, dass im Zu¬
stande der Inanition gewisse Nahrungsbestandtheile nicht am Ort ihrer
Ablagerung vollständig zersetzt werden, sondern gleichsam verllüssigt an
die Säftemassen abgegeben werden, um dorthin zu gelangen, wo be¬
sonderer Gewebshunger besteht. Dieses gleichsam symbiotische Leben
der Organe, wobei gewisse Gewebspartien auf Kosten anderer sich nähren,
dürfte beim Erhalten des Betriebsmateriales der Herzkraft sicher eine
grosse Rolle spielen. Dass z. B. dem Herzen immer noch Kohlehydrate,
also das vornehmste Brennmaterial der Muskeln, zur Verfügung stehen
dürften, das zeigen am besten die Blutanalysen an Hungerthiercn;
wenigstens schwindet der Zuckergehalt des Blutes trotz möglichst aus¬
gedehnter Inanition nie vollständig. Ich glaube, die mächtige Leistungs¬
fähigkeit des Herzens selbst des hungernden Organismus in solchem
Sinne erklären zu sollen.
Die genauen Untersuchungen Romberg’s und Hasenfeld’s zeigen
weiter, dass der Druck von gut compensirten Aorteninsufficienzhcrzen
nach Abklemmen der Aorta nicht so stark in die Höhe getrieben werden
kann, wie unter normalen Verhältnissen. Aber auch der Druckabfall
war im Vergleich zur *Norm in der ersten Zeit des Versuches beträcht¬
licher, und auch die Dauer der Druckerhöhung hielt nur kürzere Zeit
an, und in der späteren Zeit der Compression schienen die Curvcn beim
normalen und beim mit Klappenfehler behafteten Thier gleich zu sein. —
Eine auffallende Ermüdung des hypertrophischen Herzens giebt sich also
nicht deutlich zu erkennen. Man kann daher sagen, dass, auf Grund
der Versuche von Romberg und Hasenfeld, der in Folge Aorten-
insufficienz hypertrophische Herzmuskel bei gesteigerter Arbeit ebenso
gut functionirt wie ein normales Herz. Dagegen zeigt sich der hyper¬
trophische Herzmuskel insofern insufficient, als er nicht im Stande ist,
den Blutdruck so hoch hinaufzutreiben, wie der normale. Romberg
und Hasenfeld sagen, dass die Höhe der Drucksteigerung bei Aorten-
insuffieienz nur von dem Grade der diastolischen Erweiterungsfähigkeit
des linken Ventrikels abhängig ist, und bloss die Ausdauer des Herzens
von der Kraft der systolischen Contractionen bestimmt wird. Und sie
kommen zu dem Schlüsse, dass der für die Extraarbeit verfügbare Theil
der Kraft, welcher bei der Systole zur Entfaltung kommt, bei dem
hypertrophischen Herzen mit Aorteninsufficienz und dem Herzen mit
Schlussfähigkeit der Klappen nicht verschieden ist, und dass somit
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Ueber Herzinsufficienz.
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die Reservekraft des hypertrophischen und des normalen Herzmuskels
gleich ist.
Es war nun sehr interessant zu untersuchen, welchen Einfluss die
Unterernährung des Organismus auf die Kraft des hypertrophischen
Herzens ausübt. Dass hochgradige Verfettung des Aorteninsufficienz-
herzens die Leistungsfähigkeit desselben ausserordentlich hcrabsetzen
kann — weit stärker als es hochgradige Verfettung beim normalen
Herzen thut — lehren die Versuche von Hasenfeld und Fenyvessy.
Ebenso bekannt ist es, dass künstlich erhöhter Widerstand im arteriellen
System rasches Sinken des Blutdruckes zur Folge hat, und das Zu¬
schnüren der Aorta sehr bald zum Tode des Herzens führt. Doch
bevor ich in die Diskussion obiger Frage eingehe, sollen einige Versuche,
welche den Einfluss der Unterernährung auf das hyper¬
trophische Herz beleuchten sollen, vorgeführt werden.
Versuch VIII. Einem kräftigen Kaninchen werden nach Cohn heim von der
rechten Carotis aus.die Aortenklappen mit einer nicht zu dünnen Sonde durchstossen.
Durch mehrmaliges Vor- und Zurückziehen der Sonde wird der Klappenapparat
möglichst geschädigt. Die Wunde nach dieser Operation heilt glatt ab. Ein deut¬
liches diastolisches Geräusch zeigt, dass die Klappen entsprechend verletzt wurden.
In den drei folgenden Monaten nimmt das Thier an Gewicht etwas zu; dasselbe stieg
von 2670 auf 2710 g; nach dieser Zeit Hessen wir das Thier 5 Tage hungern. Das
Gewicht fiel auf 2300 g; eine auffallende Dyspnoe des Thieres bei Beginn des Ver¬
suches war nicht zu bemerken; nach den vorbereitenden Operationen wurde in ge¬
wöhnlicher Weise die Aorta abgeklemmt. Der Mitteldruck, der allerdings sehr
schwankte (zwischen 85 und 110 mm Hg), stieg von 95 mm Hg auf 134 mm Hg;
rasch fiel derselbe abwärts; 20 Minuten nach der eigentlichen höchsten Drucksteige¬
rung schlug das Herz nicht mehr. Bei der Section des Herzens zeigte sich die
linke Aortenklappe fast vollkommen abgerissen. Eine starke Hypertrophie des
linken Herzens war nicht sicher nachweisbar (cf. Fig. 8).
Versuch IX. Ein kräftiges Thier, das in gleicher Weise vorbehandelt wurde,
verliert im Verlaufe der darauf folgenden 3 Monate an Gewicht etwas. Das Körper¬
gewicht war im Anfang 2240 g, vor der Hungerperiode 2160 g. Das Thier, das ein
deutliches Aorteninsufficienzgeräusch nachweisen liess, sollte 5 Tage hungern. Am
4. Tage wurde dasselbe todt aufgefunden; das Gewicht war in dieser Zeit auf 1900 g
gesunken. Bei der Section war das Herz in diastolischem Zustande.
Versuch X. Ein kräftiges Thier, das bereits 3 Monate naoh einer Aorten-
klappendurchstossung gelebt hatte, und auch etwas an Körpergewicht verlor (von
2410 auf 2380 g), und dann einer 5tägigen Hungerperiode ausgesetzt wurde (mittler¬
weile war das Gewicht auf 1980 g herabgesunken), zeigte nach der Aortenabklemmung
folgende Druckcurve: Der Druck in der Carotis war 90 mm Hg. Gleich nach dem
Abklemmen schnellt der Druck auf 130 mm Hg, fällt sofort wieder auf 80 mm Hg,
steigt abermals auf 125 mm Hg und fällt dann wieder rasch auf 75 mm Hg. Dieses
Auf- und Niedersteigen des Druckes wiederholt sich noch einige Male; staffelförmig
lallt aber der Mitteldruck herunter. Zehn Minuten nach der Abklemmung schlägt
das Herz nicht mehr. Die eine Klappe zeigte einen Querriss, die andere war fast
ganz abgerissen; deutliche Hypertrophie des linken Ventrikels.
Wir haben 8 Thieren die Aortenklappen durchstossen. Ein Thier
ging bald nach der Operation zu Grunde, so dass uns zu den Hunger¬
versuchen nur 7 Thiere zur Verfügung standen. In der Hungerperiode
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. f>. Bü. ß
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gingen 2 Thiere zu Grunde; an beiden zeigten sich schwere Ver¬
änderungen an den Klappen; eine Hypertrophie des linken Ventrikels
war noch nicht deutlich zu erkennen. Aehnlich wie im Versuch VIII
(siehe Curvc 8) verhielten sich nach Aortenabkleramung 2 weitere Thiere.
Ein Kaninchen, das allerdings nur eine ganz geringe Aortcnklappcn-
verlctzung ohne Ausbildung einer Hypertrophie zeigte, verhielt sich wie
ein normales Thier. Die Druckcurvc glich der in Fig. 3 abgebildcten.
Ein Kaninchen ging gleich nach der Abklemmung der Aorta, ohne dass
cs zu einer Drucksteigerung gekommen wäre, zu Grunde. Unter all-
mäligcm Absinken des Blutdruckes erfolgte der Tod des Thieres. Es
zeigte sich bei der Obduction eine Verwachsung des Pericards mit
dem Herzen. Ausserdem war in der Bauchhöhle freie Flüssigkeit; das
Thier war schon während der 3 Monate stark abgomagert; das Körper¬
gewicht fiel von 2670 g auf 2280 g. Trotzdem machte es eine 5 tägige
Hungerperiode durch. Das 7. Thier ist das unter Versuch X be¬
schriebene.
Wir haben es leider unterlassen, bei allen, specicll auch bei den
normalen Herzen den Versuchen eine genaue histologische Untersuchung
folgen zu lassen. Immerhin erscheint cs interessant, dass gerade an
jenen zwei Herzen, welche von Aortcninsufficienzthiercn stammten und
bereits in der Hungerperiode starben, zwar nur leichte aber immer¬
hin zahlreiche, myocarditische Herdveränderungen vorgefunden werden
konnten.
Wiewohl wir nun bei Beurtheilung der vorliegenden Versuche uns
bemühen wollen, eine strenge Kritik walten zu lassen, so müssen wir
doch sagen, dass der Hungerzustand auf das hypertrophische Herz einen
ganz anderen Einfluss zu haben scheint, als auf das normale. Mit Aus¬
nahme eines einzigen Falles wurde von den Thieren der Eingriff der
Aortenabkleramung nicht vertragen; zwei Thiere erlagen schon in der
Inanitionsperiodc. Meist steigt nach Abklemmung der Blutdruck be¬
deutend in die Höhe; er erreicht aber nie so hohe Werthe, wie sic in
den Versuchen an normalen Herzen unter gleichen Verhältnissen be¬
obachtet wurden. Dass nun in den meisten Fällen der Druck im
arteriellen System rasch zu sinken beginnt, hängt davon ab, wie lange
das Herz im Stande ist, gegen gesteigerten Widerstand bei vermehrter
Füllung zu arbeiten. Nachdem die Ausdauer des Herzens von der
Kraft der systolischen Contractionen bestimmt wird, und wir in un¬
seren Fällen ein rasches Versagen des Herzens bei Absinken des Blut¬
druckes beobachten konnten, müssen wir sagen, dass Inanition für
den hypertrophischen Herzmuskel nicht gleichgültig ist, in¬
dem sie jenen Thcil seiner Kraft, welcher gelegentlich bei grösseren An¬
strengungen, die das Herz zu leisten gezwungen ist, zur Verfügung stehen
soll, nämlich seine Reservekraft herabsetzt. Wir haben, wie schon er¬
wähnt, mehrere der hypertrophischen Herzen genau histologisch unter¬
sucht und haben bei denselben Anhaltspunkte für die Annahme theils
frischerer, theils älterer Entzündungsherde erbringen können. Allerdings
können wir berichten, dass auch die gesunden Controlherzen, soweit mit
dem blossen Auge beurtheilt werden kann, Veränderungen darboten, die
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man allenfalls als pathologisch ansprechen kann. Wir haben das Vor¬
kommen dieser Veränderungen deswegen hervorgehoben, um zu zeigen,
dass wir weit davon entfernt sind, in eventuellen Ernährungsstörungen
der Herzmusculatur die alleinige Ursache der Herzinsufficienz erblicken
zu wollen. Gerade so wie cs nicht angcht, zu behaupten, dass
der Befund pathologischer Veränderungen das schlicssliche
Erlahmen eines Klappenfehlerherzens erklärt, ebenso ist es
unzulässig, die mangelhafte Ernährung des Herzens allein für
die Abnahme der Herzkraft verantwortlich zu machen.
Wenn man bei Kaninchenherzen, die bereits nicht mehr schlagen
und aus dem Körper hcrausgenommen worden sind, von der Aorta aus
die Coronargefässe mit Blut, das constant auf einer Temperatur von ca.
38° C. erhalten wird, unter einem gewissen Druck einflicsscn lässt, so
gelingt es leicht, die Herzthätigkeit wieder anzuregen. Ersetzt man das
Blut durch physiologische Kochsalzlösung, so gelingt es zwar auch Herz¬
schläge hervorzurufen, doch lange nicht mit jener Energie und Dauer¬
haftigkeit, wie bei Perfusion mit Thierblut. Bei den Versuchen, die
das Herz eigentlich treibenden Agentien zu ermitteln, wurden die ver¬
schiedensten theils hemmenden, theils fördernden Substanzen verwendet.
Auf zwei Bestandteile muss besonderes Gewicht gelegt werden, nämlich
auf Sauerstoff und Dextrose. Locke (8) fand, dass wenn man
Ringer’schc Lösung durch das Herz treibt, dasselbe in Thätigkeit
versetzt wird; doch ist die Herzaction nur sehr schwach. Leitet man
dabei Sauerstoff unter Atmosphärendruck ein, so vergrössern sich die
Herzschläge; doch dauert dieses Spiel nicht lange, indem bereits nach
zwei Stunden das Herz erlahmt. Setzt man jedoch der Durchblutungs-
flüssigkcit 0,1 pCt. Dextrose zu, so verstärken sich die Herzschläge und
halten ohne Verminderung der Herzthätigkeit 7 Stunden an. Der Ein¬
fluss der Dextrose wird noch sicherer gezeigt, wenn die zuckerhaltige
Flüssigkeit durch einfache Ringer’sche Lösung ersetzt, und dann
abermals Dextrose zugeführt wird, worauf die neuerlich gesteigerte Herz¬
thätigkeit sich zu erkennen giebt. Ganz anders als Dextrose verhalten
sich Maltose und Lactose, welche keinerlei Wirkung auf das Herz zeigen.
Dagegen scheint Lävulose einen ähnlichen, erregenden Einfluss zu besitzen,
wie Traubenzucker. Die strittige Frage bei diesen Versuchen ist die:
wirkt die Dextrose bloss als Reizmittel, oder ist der Zucker Nahrung
für die Mnsculatur? Die Thatsache, dass bei einer rein anorganischen
Diät, nämlich Ringer’scher Lösung, das Herz ebenfalls zur Thätigkeit
gezwungen wird, scheint gegen die letztere Ansicht nicht zu sprechen.
Man kann sich doch vorstellen, dass das Durchfliesscn der Ringer’schen
Lösung nur dazu dient, um die Stoffwechselschlacken, welche im Herz-
gefässsystem angehäuft sind, wegzuschwemmen, und dass während dieser
Zeit das Herz noch auf Kosten seiner eigenen Energicvorräthe Arbeit
leistet. Sind dieselben aufgezehrt, so stellt das Herz seine Thätigkeit
ein. In diesem Sinne wäre der Zusatz des Traubenzuckers zur
Perfusionsflüssigkeit als kraftsparendes Nährmaterial aufzufassen. Neue
Befunde, die von Locke und Rosen heim (9) stammen, unterstützen
die Anschauung, dass die automatische Herzthätigkeit an eine Speisung
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H. Eppinger u. E. v. Knaffl.
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mit Nährsubstanzen wie z. B. dem Traubenzucker gebunden sei. Es
wurde ein 5—6 g schweres Herz durchblutet mit Flüssigkeit, der
0,1 pCt. Dextrose zugefügt wurde. Es gelang einen Verlust an Trauben¬
zucker (0,05—0,09 g) im Verlaufe der Durchspülung des schlagenden
Herzens nachzuweisen. Andere daneben angestcllte Controlversuchc
schliessen den Einfluss von Glycolysc und Fäulniss aus.
Diese soeben erwähnten Versuche waren zum Thcil die Veranlassung
für unser Vorhaben, den Einfluss der Unterernährung auf die Herz-
thätigkeit zu studiren. Und es dürften nun in der That unsere bis
jetzt erwähnten Versuche geeignet sein, die Beziehung des Trauben¬
zuckers als Nährmateriel ira Stoffwechsel der Herzmusculatur im Sinne
von Locke zu stützen. Denn es war sehr naheliegend, zu untersuchen,
ob bei unseren Versuchen in der Zeit, als das Herz bereits zu erlahmen
beginnt, Traubenzucker irgend welchen Einfluss auf die Herzthätigkeit
nimmt. Zu diesem Behufe möchte ich jetzt wiederum auf unsere bereits
demonstrirten Curven eingehen und nochmals auf unsere Versuche 11
bis VIII zurückkommen.
Im Versuche II haben wir gesehen, wie bei einem normalen
hungernden Thier der Blutdruck ziemlich rasch abgefallen ist, da bereits
nach 10 Minuten die ursprüngliche Höhe erreicht wurde; 30 Minuten
nach Abklemraung ist nur mehr eine Höhe von 50 mm Hg. zu ver¬
zeichnen. Jetzt injicirten wir 3 ccm einer 10 proc. Traubenzuckerlösung
in eine Ohrvene. In den folgenden Minuten fiel der Druck nicht weiter
herab. Erst 10 Minuten nach der letzten Injection stieg der arterielle
Druck wieder allmälig an, und erreichte nach 25 Minuten ganz langsam
ansteigend wieder eine Höhe von 95 mm Hg.; 40 Minuten nach der
Traubenzuckerinjection hatte der Druck noch nicht die Anfangshöhe
erreicht.
Versuch V (cf. Fig. 5) demonstrirt ebenfalls den ausserordentlichen
Einfluss einer intravenösen Dextroseinjection. Ein Herz, das nach Unter¬
ernährung des gesammten Organismus rasch zu erlahmen droht, bessert
seine Leistungsfähigkeit binnen kürzester Zeit (5 Minuten), sobald intra¬
venös Traubenzucker zugefuhrt wurde; Auch in diesem Falle wurden
3 ccm einer 10 proc. Dextroselösung in eine Ohrvene injicirt. Ver-
hältnissmässig rasch steigt der Druck empor und ist nach der Injection
höher als der Mitteldruck, der vor der Abklemmung der Aorta gemessen
werden konnte. Auch hier hält der Druck geraume Zeit an und ist erst
nach 40 Minuten nach der Injection wieder auf ursprünglicher Höhe an¬
gekommen. Ueber ähnliche Resultate verfügen wir noch in 5 Fällen;
bloss einmal war keine so ausgesprochene Wirkung zur Geltung ge¬
kommen, wie in den erwähnten beiden Versuchen.
Die übrigen Curven geben ein Bild davon, wie andere Zuckerarten
auf den Blutdruck wirken. So wurde im Anschluss an den Compressions-
versuch IV (cf. Fig. 4) Lävulose in gleicher Concentration und Art ver¬
abfolgt; nämlich 3 ccm einer 10 proc. Lävuloselösung. Es ergab sich,
dass, wenn man die Wirkung von Dextrose und Lävulose miteinander
vergleicht, der Anstieg des Blutdruckes im letzteren Falle nicht so stark
ist und auch früher abfällt.
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Feber Hcrzinsuflicienz.
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Rohrzucker hat gar keinen Effect gezeigt. Im Versuche VI (Fig. 6)
haben wir, nachdem der Druck im arteriellen System bereits unter das
Mittelniveau gefallen war, zuerst Rohrzucker in lOproc. Lösung intravenös
applicirt. Der Druck fällt weiter. Wir warteten noch 20 Minuten, weil
häufig der Einfluss des Zuckers erst nach geraumer Zeit sich geltend
macht; doch ist in dieser Zeit der Druck noch tiefer gefallen. Zur Con-
trolle wurde jetzt Traubenzucker verabfolgt (0,3 g). Sehr bald begann
der Druck wieder zu steigen und erreichte fast den ursprünglichen
Mitteldruck. Von den übrigen Zuckerarten haben wir noch Lactose und
Pentose geprüft. Ein sicherer Erfolg konnte dabei nicht beobachtet
werden. Höchst interessant ist der Einfluss, den das Glycogen auf den
Ablauf des Blutdruckes nimmt. Im Anschluss an den Versuch VII
(Fig. 7) wurde Glycogen in lOproc. Lösung in der Menge von 0,3 g
verabreicht. Der Blutdruck, der binnen 30 Minuten nach der Com-
pression der Aorta allmählich wieder auf seine ursprüngliche Höhe an¬
gelangt war, steigt nach Injection des Glycogens wieder an. Gleich
nach der Verabfolgung tritt nicht die Wirkung ein, sondern erst nach
5 bis 10 Minuten; dann aber klimmt ziemlich rasch der Druck in die
Höhe, steigt auf 110 mm Hg an — der Mitteldruck war vor dem Ver¬
suche 80 mm Hg —, hält lange Zeit an (nämlich 10 Minuten) und fällt
jetzt erst ganz langsam wieder herunter. Schliesslich soll noch Er¬
wähnung finden, dass wir auch versucht haben, den Blutdruck nach
Corapression der Aorta bei einem Aorteninsufficienzherzen durch Injection
von Dextrose zu beeinflussen. Es fiel der Druck im arteriellen System
so rasch, wie im Versuche VIII, und es gelang nicht das Absinken des
Druckes aufzuhalten.
Diese Versuche haben gezeigt, dass die intravenöse Einführung von
Dextrose, Lävulose und Glycogen im Stande ist, Einfluss zu nehmen
auf das gesaramte Gefässsystem, und dass speciell das Sinken des Blut¬
druckes eines Hungerthieres nach Corapression der Aorta nicht nur auf¬
gehalten werden kann, sondern dass der Blutdruck neuerlich wieder
ansteigt und auf beträchtlicher Höhe verweilen kann. Es erheben sich
nun folgende Fragen: Wo greift die Dextrose an? Ist Dextrose Speise
für das erlahmende Herz, das dann neues Nährmaterial besitzt und
wieder stärkere Arbeit zu leisten im Stande ist? Oder ist Zucker ein
Reizmittel, welches die äussersten Kräfte der Herzmusculatur an¬
spannt? oder übt Dextrose eine Wirkung auf das periphere Gefäss¬
system aus?
Säramtliche diese Fragen genauer zu beantworten, ist vor der Hand
nicht möglich. Irgend welchen Einfluss auf das periphere Gefässsystem
glauben wir aber schon auf Grund unserer Versuche mit grosser Wahr¬
scheinlichkeit ausschliessen zu können. Wie wir gesehen haben, wurde
in säramtlichen Versuchen dem Herzen durch Abklemmen der Aorta
ein Widerstand gegenüber gestellt; das Herz muss jetzt durch den nicht
abgebundenen Gefässbezirk die gleiche Blutraenge wie früher treiben;
dies geschieht unter Zuhülfenahme der noch vorhandenen Reservekraft des
Herzens. Aber zwischen Herzen und abgeklemrater Aorta und in jenem
Bezirke, wo ein freies Strömen des arteriellen Blutes noch möglich ist,
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
II. K|>jm ngcr u. K. v. Knaffl,
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«(>
kommt es zu erhöhtem Blutdrücke. So lange ein solcher Blutdruck an¬
hält, ist das ein Zeichen, dass das Iler/, noch nicht erlahmt ist. Wenn
nun allmählich der erhöhte Blutdruck nachlässt, so kann dies in zwei¬
facher Weise gedeutet werden. Entweder wird die zur Verfügung
bleibende Gefässbahn weiter, und der durch die Abklemmung der Aorta
gesetzte Widerstand in der peripheren Blutbahn etwas ausgeglichen, oder
die Herzkraft lässt nach; und weil in diesem Falle nicht mehr so viel
Blut in den Anfangstheil der Aorta getrieben wird, sinkt der Blutdruck.
Die Thatsachen, dass je länger der Versuch ausgedehnt wird, desto
leichter Lungenödem eintritt, weiter dass sehr häufig unter plötzlichem
Absinken des Blutdruckes das Herz aufhört zu schlagen, sprechen ent¬
schieden zu Gunsten der Anschauung, dass der Abfall des Blutdruckes
mit dem Erlahmen der Herzkraft und nicht mit der Beeinflussung der
Gefässbahn in Beziehung gebracht werden darf. Wenn nun dem ohne¬
hin schon erlahmten Herzen neuerdings ein Widerstand entgegengesetzt
werden würde, dann müsste um so schneller die Herzkraft erlahmen,
wovon uns auch in diesem Sinne angestellte Versuche überzeugt haben.
Nachdem nun Traubenzuckerinjection Steigerung des Blutdruckes, die
mit dem Erlahmen des Herzens unvereinbar wäre, nach sich zieht, so
glauben wir sagen zu müssen, dass der Angriffspunkt des Trauben¬
zuckers sicher im Herzen liegt. Ob als blosser Reiz oder als Nähr¬
material für das gleichsam aus Hunger erlahmende Herz, soll an anderer
Stelle zur Sprache kommen. Die Vermuthung, dass Traubenzucker
eventuell in Folge seiner Viscosität blutdrucksteigernd wirken könnte,
wird entkräftet durch die Thatsache, dass z. B. Rohrzucker, in eben so
starker Conccntration wie Traubenzucker verabreicht, keinerlei Wirkung
ausübt. Auch nach intravenöser Einführung von Gelatine (Versuch 111,
wo 5 ccm einer 5 proc. Gelatinelösung intravenös und langsam cingeflösst
wurden, die sicher die Viscosität des Blutes zu steigern vermögen) liess
sich keine Blutdrucksteigerung erzielen. Sehr eigentümlich ist der Be¬
fund, dass Glycogen ebenfalls einen so starken Einfluss auf das Herz
auszuüben scheint. Einige solcher Befunde würden sich, wenn man der
Ansicht hinneigen wollte, dass die eingeführten Zucker direct als Nähr¬
material wirken würden, mit der Anschauung über Glycogcnbildung ver¬
einen lassen. Dass aber Glycogen selbst, welches kaum als Transport¬
mittel der Kohlenhydrate in Betracht kommt, als directes Nährmaterial
aufzufassen sei, wäre jedenfalls sehr auffallend.
Sicher können diese Befunde, die von einer Beeinflussung der
Kohlenhydrate auf die Herzkraft zeugen, im Sinne der Anschauung, dass
der Ernährungszustand des Gesammtorganismus die Herzkraft bedingt,
ausgebeutet werden. Trotzdem möchten wir uns eine gewisse Reserve
aufcrlegen, und nur ein besonderes Gewicht auf unsere Auseinander¬
setzungen im ersten Thcil legen. Wir konnten dort nachweisen, dass
der Curvenverlauf des Blutdruckes bei sonst gesunden Thieren, die aber
unter schlechte Ernährungsverhältnisse gebracht wurden, nach Ab¬
klemmen der Aorta oft anders beschaffen ist, als bei normalen Thieren.
Im Allgemeinen kann man sagen, dass, je stärker die Abmagerung
war, desto deutlicher sich Unterschiede nachweisen Hessen.
Gck igle
Original fro-rn
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Leber llcrzinsuflicicnz.
87
Wenn auch in diesen Fällen die Leistungsfähigkeit des Herzens noch
eine entsprechende war, und das Herz durch Mehrarbeit einen ganz be¬
trächtlichen Druck einerseits aufbieten, andererseits bewältigen konnte,
so war der Abfall der Druckenden bei den Hungerthieren meist ein
steilerer, und auch die Ausdauer des Herzens zur Arbeit gegen ver¬
mehrte Füllung heruntergesetzt.
In manchen Fällen jedoch, wo es nicht gelang, das Körpergewicht
trotz mehrtägigen Hungers stärker zu reduciren, verlief die Blutdruck-
curve nicht viel anders, als unter normalen Verhältnissen.
Ganz anders scheinen die Bedingungen bei hypertrophischen Herzen
zu stehen. Je grösser ein peripherer Muskel ist, desto mehr Nahrung
braucht er, um seiner Function in jedem Ausmaasso nachzukommen.
Ein hypertrophischer Herzmuskel wird unter gewöhnlichen Verhältnissen,
die also keine grossen Kraftanstrengungen erfordern, und so lange er
gehörig mit Nahrung versorgt wird, mit seiner Kraft auskommen. So¬
bald ihm aber grössere Arbeit zugemuthet wird, so wird er nur für
kurze Zeit schlechte Ernährungsbedingungen des gesammten Organismus
vertragen. Jeder Muskel hat in sich gewisse Reservestofle abgelagert,
die für den momentanen Verbrauch ausreichen; dauert jedoch die ver¬
mehrte Arbeit, die der Muskel zu leisten hat, länger, dann müssen von
weiter gelegenen Stellen her rasch Mittel herbeigeschafft werden, um die
dem arbeitenden Muskel näher stehenden Depots wieder mit neuem
Material zu füllen. Und selbst im vorgeschrittenen Hungerzustand sind
noch immer Möglichkeiten vorhanden, um lebenswichtige und stets
arbeitende Organe möglichst ausreichend mit mehr Material zu versorgen.
Beim normalen Herzmuskel dürfte, wenn in Folge erhöhter Arbeit die
eigenen Depots erschöpft sind, die im Hungerzustand gering bemessene
Zufuhr an Mehrstoffen genügen, um bei vermehrter Arbeit ein Erlahmen
der Herzkraft für längere Zeit hintanzuhalten. Das hypertrophische
Herz braucht dagegen schon im Ruhezustand wegen seiner Muskelmasse
mehr Nährmaterial. Sind daher nach erhöhter Arbeit die eigenen Depots
verloren gegangen, dann muss sich der Zuschuss an Mehrstoffen von den
peripheren Theilen des Organismus her ausgiebiger gestalten, und dies
in desto grösserem Ausraaasse, wenn weiterhin das Herz mehr Kraft
aufbieten soll. Der hungernde Organismus scheint einem solchen Er¬
forderniss nicht nachkommen zu können, und deswegen dürfte der hyper¬
trophische Herzmuskel im Hungerzustande bei erhöhter Arbeit früher
erlahmen, als unter gleichen Umständen der normale. In wieweit der
Einfluss der intravenösen Zuckerinjcctionen im Sinne einer Ernährung zu
verwerthen ist, müssen weitere Untersuchungen lehren. Im Allgemeinen
dürfte man sich schon jetzt eher für als dagegen aussprechen.
Literatur.
1. Martius, Allgemeine Kreislaufstörungen. Lubarsch - Osterstag, Ergebnisse 1.
1895.
*2. Krehl, Archiv für klin. Medicin. 1890. — Pathologische Physiologie. 4. Aull.
1906.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
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SS II. Hppingcr u. E. v. Knallt, (Jeher Herzinsufficienz.
3. Homberg, Archiv f. klin. Med. Bd. 53. — Lehrbuch der Krankheiten des
Herzens und der Blutgefässe. Stuttgart, Enke, 1906.
4. Schrötter, Verhandlungen des Congresses für innere Medicin. 1891.
5. Zuntz, Dubois’ Archiv. 1894.
6. Romberg und Hasenfeld, Archiv f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 39.
7. Hasenfeld und Fenyvessy, Berliner klin. Wochensohr. 1899. No. 4.
8. Looke, Centralbl. f. Phys. 1900. —Journal of Physiol., Proc. phys. Soc. XXXI.
2. p. XIII.
9. Locke und Rosenheim, Journal of Physiol., Proc. phys. Soc. XXXI. 2.
p. XIV.
10. Aschoff und Tawara, Die heutige Lehre von den patholog.-anatom. Grund¬
lagen der Herzschwäche. Jena 1906.
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VIII
Aus der I. medicinischen Universitätsklinik in Wien.
Die Einwirkung des Arsen auf die Autolyse.
Von
Dr. Leo Hess und Dr. Paul Saxl.
Erfahrungen aus jüngster Zeit haben gezeigt, dass dem Arsen neben
seinen sonstigen pharmakologischen Wirkungen ein besonderer Einfluss
auf protozoäre Affectionen zukomme (5). Insbesondere konnte
Löffler den Nachweis liefern, dass unter der Einwirkung des Arsen
sowohl in vitro wie auch im Thierkörper die Trypanosomen der Nagana-
Krankheit rasch vernichtet werden. Von einem anderen Gesichtspunkte
ausgehend, konnte Laqueur (4) für das Chinin, dessen deletärer Einfluss
auf Protozoen schon seit langem bekannt ist, zeigen, dass dasselbe im
Stande sei, den postmortalen Eiweissabbau der Zellen zu hemmen.
Die Aehnlichkeit der pharmakologischen Wirkung des Arsen und
des Chinin führte uns darauf, die Einwirkung der arsenigen Säure auf
die Autolyse zu studiren, zumal uns überdies die zufällige Beobachtung
von Organen, die für andere Zwecke mit arseniger Säure injicirt und im
Brutschränke der postmortalen Autolyse überlassen worden waren, gelehrt
hatte, dass sich diese wesentlich besser conservirten als Organe ohne
Arsenzusatz l )
Die zum Nachweise dieser Vermuthung angestellten Versuche be¬
standen darin, dass die Leber eines eben getödteten Kaninchens, von
Gallenblase und grossen Gefässen befreit, in annähernd gleiche, genau
gewogene Portionen getheilt wurde, die in fein zerschnittenem Zustande
in gleich grosse, gut abschliessende Glasgefässe eingetragen wurden. Es
wurden hierauf je 15 ccm physiologischer Kochsalzlösung und je 5 ccm
einer l l / 2 proc. Aufschwemmung von arseniger Säure 2 ) in Wasser,
anderen Portionen nur 20 ccm physiologischer Kochsalzlösung zugefügt
und schliesslich allen Portionen je 2 ccm Toluol zugesetzt. Die luft¬
dicht abgeschlossenen Gefässe wurden gut durchgeschüttelt und im Brut¬
schrank bei einer Temperatur von 37° C. durch 1 bis 10 Tage der
Autolyse überlassen. Wiederholte Züchtungsversuche ergaben Sterilität
1) Die bessere Conservirung von Arsen-Leichen ist schon lange bekannt.
2) Wir verwendeten arsenige Säure, da diese und deren Salze in der Therapie
am häufigsten verwendet werden.
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UMlVERSiTY OF MICHIGAN
90
L Hess u. P. Saxl
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der Organportionen. Sowohl frische Controlportionen, als auch die auto-
lysirtcn Portionen wurden auf ihren Gehalt an löslichem Eiwciss unter¬
sucht, die coagulablen Eiweisskörper nach dem Vorgänge von E. Schle¬
singer (9) ausgcfällt. Die einzelnen Portionen wurden mit Essigsäure
zur deutlich sauren Rcaction angesäuert, unter Zusatz einiger Cubik-
centimcter einer 1 proc. Kaliummonophosphat-Lösung bis zum Sieden
erhitzt und abfiltrirt, im Filtrat der Stickstoff nach Kjcldahl bestimmt.
Zur Controle wurde jedesmal das Filtrat halbirt und in jeder Hälfte
die Stickstoffbestimmung vorgenommen.
Aus einer grossen Zahl von Versuchen seien die folgenden hier
angeführt.
Versuch 1.
Gewicht
der Leber¬
substanz
Zustand des
Organs
Zusatz ton
arseniger
Säure
(1,5: 100,0)
Löslicher N-Gehalt in g
Zunahme von
löslichem N
in g, berechnet
auf lOgLebcr-
substanz
in der Leber¬
portion
berechnet auf
j 10 g Leber¬
substanz
5,G
frisch
0
0,0112
I 0,0199
_
4,55
\ nach 1 tägig.
0
0,0190
0,0361
0,0162
4,SO
/ Autolyse
5 ccm
0,0123
0,0287
0,008S
3,90
\ nach 1 Vs tag.
0
0,0304
0,0778
0,0579
3.97
/ Autolvse
5 ccm
0,0194
0,0479
0,0280
4,40
\ nach 6 tägig.
0
0,0342
0,0776
0,0577
4. IG
/ Autolyse
5 ccm
0,0314
0,0750
0,0551
Versuch 2.
3,1
frisch
0
0,0108
0,0336
—
3.77
\
5 ccm
0,0258
0.0683
0,0347
2,53
1 nach 2 tägig.
5 ccm
0,0153
0,0602
0.0266
3,45
| Autolvse
0
0,0330
j 0,1008
0,0672
3,OG
t
0
0,0307 j
! 0,0994
0,0658
2,74
\ nach 3 tägig.
5 ccm
0,0217
0,0718
0,0382
2,55
1 Autolyse
0
0,0343
0,1344
0,1008
Versuch 3.
3,6
frisch
0
0,0221
0,0612
—
3,35
\ nach 1 tägig.
0
0,0399
0,1171
0,0559
4,10
/ Autolyse
5 ccm
0,0283
1 0,0670
0,0058
4,85
\ nach 8 tägig.
0
0,0621
0,1358
0,0746
4,70
/ Autolvse
5 ccm
0,0612
, 0,1301
1
0,0689
Diese Versuche beweisen deutlich den hemmenden Einfluss
der zugesetzten arsenigen Säure. Da dieser in den ersten
Stadien der Autolyso am lebhaftesten ist, späterhin abnimmt
und g^egen Ende überhaupt nicht mehr erkennbar ist, lässt
sich wohl mit grosser Wahrscheinlichkeit ein primärer, die
Zellen selbst schädigender Einfluss ausschliesscn 1 ).
1) In den seltenen Fällen, in denen bereits die frische Leber einen hohen Gehalt
an löslichem Eiweiss aufwies (für die frische Leber etwa 0,08 g N auf 10 g Substanz),
war der hemmende Einfluss des Arsens bei obiger Versuchsanordnung in der Regel nicht
zu constatiren. Dieses Verhalten fanden wir am häufigsten bei alten, gut gemästeten
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Original ffom
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Die Einwirkung des Arsen auf die Autolyse.
91
Es handelte sieh nun darum, die minimale, eben noch wirksame
Conccntration der arsenigen Saure zu ermitteln. Als solche verwendeten
wir 1 ccm einer kalt gesättigten wässrigen Lösung der arsenigen Säure
(arsenige Säure löst sich in der Kälte im Wasser nur in minimalen
Spuren, nach Kunkel im Verhältnisse 1I355) 1 ).
Versuch 4.
Gewicht
«1er Leber¬
substanz
Zustand des
Organs
Zusatz von
arseniger
Säure
Löslicher N-üehalt in ^
in der Leber- .berechnet auf
! 10 g Leber-
pcrtion | substani!
Zunahme von
löslichem N
in g, berechnet
auf 10 g Leber¬
substanz
5,2
frisch
0
0,0189
0,0363
—
5,0
\
0
0,0522
0,1044
0,0781
4,7
1 ccm gesättigter
Lösung
0,0462
0,0983
0,0620
4,7
' nach 1 tägig.
5 ccm gesättigter
Lösung
0,0470
0,1000
0,0637
5,2
’ Autolvsc
i
10 ccm gesättigter
Lösung
0,0494
, 0,0950
0,0587
5,8
1
5 ccm übersättigt.
Lösung
(1,5: 100,0)
0,0503
0,0867
0,0504
Versuch 5.
0 0 , 0*221 i 0,0012 —
0 0,0399 i 0,1171 0,0559
1 ccm gesättigter 0,0252 ( 0,0950 0,0338
Lösung j
5 ccm gesättigter 0,0370 l 0.0924 0,0312
Lösung
5 ccm übersättigt. 0,0283 0,0670 0,0058
Lösung (T,5:100,0)
Wie aus Versuch 4 und 5 hervorgeht, war auch bei hoch¬
gradiger Verdünnung die hemmende Wirkung der arsenigen
Säure noch deutlich zu erkennen. Zu entscheiden war noch die
Frage, ob diese Wirkung eine specifische sei oder sich auch auf andere
proteolytische Fermente erstrecke.
Zu diesem Behufe wurden Verdauungsversuche, mit und ohne Zusatz
von Arsen, mit Pepsin, Trypsin und Erepsin angcstellt, welches letztere
nach den Angaben von C. Cohnheim (2) gewonnen worden war. Die
quantitative Bestimmung derVerdauungsproducte erfolgte nach Löhlein (0).
Versuch 6.
| Aciditätszunahmc nach
iVo Ihard; titr. 100 ccm
Pepsinlösung.31,6 ccm Vio n NaOH
Dieselbe Menge Pepsinlösung + 10 ccm ars. Säure (1,5:100) 37,2 „
Trypsinlösung.43,4 „
Dieselbe Menge Trypsinlösung -f-10 ccm ars. Säure (1,5:100) 38,8 „
Thieren. Bei niedrigem Gehalt der frischen Leber an löslichem Kiweiss fanden wir
immer die Hemmungs-Wirkung.
1) Kunkel, A., Handbuch der Toxikologie. 1901. S. 254.
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Y >> r * üfcJi ?•
■
X*;!' ;
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Aciditdtszujalime
nach Volhkr«)
• ■ - .
fö£$ cc o» V lir rri iS^OH
Dies'rijii * '. ■■ vT,i. l: uii;- -j- |5 -hvj nr^'- Säure (J.vUMÖÖ) ' 50,4
Si'mu! li-ts.s sich oh» Itemwender Einfluss der >u'.sf uipen
Säurt* auf den Ei weissabbau .durch die gen aunian Fermente
nt flu eouslatiren. Wir müssen daher det arsenigert Säure
v'iiie .speeifiseli hemmende Wirkung auf die aüfölyti.strhe ZeM-
flin e-tioij /,uer k e n n en. .
Ao ^ g ^ lm der "in gewisser Hinsicht ähnlichen Wirk aus.* des
Arsen und Chinm .aui" Protozoen kormterr sviremen woiteretV Paralltdisnius
in ihrer iiemrwwden Einwirkung auf das auioly tische Ferment. fesTsfellcn.
Wir erinnert! hier daran, dass von einigen Autoren - ’.! dem Arsen auch
tiiiie ei weiss» juirend e . Wirkung zugeschrieltou wird < : 7 ), wie dies von
Chinin sehen lange bekannt ist. Endlich sei noch darauf Inngewics»'«,
dass in der hemmenden Wirkung des Arsens auf die Autohse die Mog-
liidtkeit eiiner Erkljiruug selbes das Wachxfhum maligner Tumoren ein¬
schränkenden Einflusses* zu •suchen' ist.
Wiederholt wurde von verschurdecier Sede die toxische Wirkung des
Arsen mit der des Phosphor vcrglieberi. Nach 'len vorliegenden Unter¬
suchungen m ihr Verhaltet- der postmoröleft; Äutijiyse geeomiber em
direct: eeef*ns;iiyliobHS f!^r : ::t-Wf< d'hi!irsÄehe. die finrlüreb an BüdmitifVier
im, Vordergründe ties \iergift'Ä%^ln!d«H stehi.
Dennoch besieht in ihrer Einwirkung auf die Autolyse, insoferi! eine
Uebereitistirnmung, als, ebenso wie das Arsen bloss in den ersten
Phasen der Audolyse seine hemmende Wirkung entfaltet, die*
beschleunigende Wirkung des tiidsphor (;8) nur tu den Anlaogs-
sta.d ien zurecht besteh! und £pa.terhifl nteht inehr zu erkennen
ist. Sowohl die Wirkung des Arseä wie die das. ■ Vliüsplint:
durften speei fische Kar. äh satoi en-Wirkungen sein: die des
Phö»phW| bltbfe b^j^teuuiggTicLp; die des Arsen eine ho in riahndu
K a la i y sä t o r - AV i r k un g D.
)) Sieiifr v. N»•**i?• d öo, H&ndbucb 'dar l’aUiohiiii*» ii*-s SnaTwi'discb.
2) Wahrend der t.'nickiegiing dieser Arbeit ersebinn on Vortrag reo K. Latjueij t,
iloi ijeit gleiehfails mit dem ISinlluss das Arsen auf. die AnUiljse belasst, zu |%4
gleichen Ibsulnufl knmtui, dieses über instd'urh mub'i'S deutetv als er *:li0 Bminllussu-ng
der Zii.ilujuolyse durch Arsen !ur etwas fein postnimtalos aiispiiclit.
0 ri^g ilhcH-frc m ~ ^
JNFVErRSE-TY. ÖF •MICHi
Go gle
Die Einwirkung des Arsen auf die Autolyse.
93
Literatur.
1. Arinkin, M.. lieber den Einfluss einiger anorganischer und organischer Säuren
auf die Autolysc der Leber. Zeitsohr. für physiologische Chemie. 53. 1907.
2. Cohn heim, 0., Die Umwandlung des Eiweisses durch die Darmwand. Zeitschr.
für physiologische Chemie. 33. 1901.
3. Jacoby, M., Ueber die Beziehungen der Leber- und Blutveränderungen bei
Phosphorvergiftung zur Autolyse. Zeitschr. f. physiolog. Chemie. 30. 1900.
4. Laqueur, E.. Ueber die Wirkung des Chinins auf Fermente mit Rücksicht auf
seine Beeinflussung des Stoffwechsels. Arch. für experim. Pathologie. 55. 1900.
5. Löffler, F. und Rühs, K., Die Heilung der experimentellen Nagana (Tsetse¬
krankheit). Deutsche medicinische Wochenschrift. 1907. No. 34.
6. Löh lein, W., Ueber die Volhard’sche Methode der quantitativen Pepsin¬
bestimmung durch Titration. Hofmeister, Beiträge zur chemischen Physiologie
und Pathologie. 7. 1906.
7. v. Noorden, C., Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels. 2. Aufl. 1907.
2. Bd. S. 756.
8. Saxl, P., Ueber die Beziehungen der Autolyse zur Zellverfettung. Hofmeisters
Beiträge. 10. 1907.
9. Schlesinger, E., Untersuchungen über die Abhängigkeit der autolytischen Pro-
cesse von physiologischen und pathologischen Verhältnissen. Hofmeister’s Boiträge.
4. 1904.
10. W iener, H., Ueber den Einfluss der Reaction auf die autolytischen Vorgänge.
Centralblatt für Physiologie. 19. 349.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
IX.
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Aus der medicinischen Klinik der Academie für practische Medicin
in Düsseldorf. — Director: Prof. Dr. A. Hoffmann.
Ueber Morphium-Diabetes.
Von
Dr. W. Spitta, t
.\>si*toiiten der Klinik.
Die Literatur, welche Aufschluss geben will über die Schicksale,
welche das Morphium im menschlichen und thierischcn Organismus er¬
leidet, ist eine sehr umfangreiche. Sic lässt sich im Wesentlichen dahin
zusammenfassen, dass schon kurze Zeit nach Einverleibung des Giftes,
sei cs in die ßlutbahn, sei es in die Lymphbahn, dasselbe als solches
nicht mehr oder nur in ganz geringen Mengenverhältnissen, und dann meist
in Magen- und Darmcanal [Alt 1 ), Marm6 2 ), Leineweber, Tauber 3 )]
nachweisbar ist. Nach Ansicht der meisten älteren Autoren erleidet es
eine Umsetzung, die den Nachweis des Giftes als solches unmöglich machen.
[Taylor 4 ), Erdmann 6 ), Cloctta 6 ), Büchner 7 ), Jaques 8 ) u. A.]
Aus der sorgsamen Arbeit von E. Landsberg 9 ) entnehmen wir,
„dass das Morphium sowohl subcutan als per os gegeben allcrhöchstcns
nur in Spuren im Urin zu finden ist“, und zwar nur dann, wenn das
Vermögen des Blutes, Morphium zu zersetzen, durch das demselben ent¬
sprechende Quantum erschöpft ist.
Landsberg stellt sich hierzu in schroffen Gegensatz zu Kautz¬
mann 10 ), der auf Grund seiner Versuche behauptet, dass der Nachweis
1) Alt, Berliner klin. Wochenschr. 1875. No. 48.
2) Marmc, Untersuchungen z. acut. u. chron. Morphiumvergiftung. Deutsche
mcd. Wochenschr. 1883. No. 14.
3) Ueber das Schicksal des Morphiums im thierischen Organismus. Archiv f.
exp. Path. u. Pharmakol. 27.
4) Taylor, Die Gifte. Uebers. von Seydcler. Cöln 1802.
5) Annal. d. Chem. u. Pharm. Bd. 122. S. 300.
0) Cloctta, Virchow’s Archiv. 35. — Archiv f. exp. Path. u. Pharm. 50.
7) Büchner, Neues Repcrtor. f. Pharmacie. 1807.
8) Ja<|ucs, Essai sur la localisation des alealoides dans le foie. These. 04.
Brüssel 1880.
0) Landsberg, Archiv f. Physiol. Bd. 23. S. 413.
10) Kautzmann, Beiträge für d. gerichtlich chem. Nachweis d. Morphins u.
Narcotins in thierischen Flüssigkeiten u. Geweben. Dorpat 1808.
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Ueber Morphium-Diabetes.
95
des Morphiums im Harn mit kaum geringerer Schärfe gelinge, als bei
manchen Metallgiften. Auch Burkart 1 ) und Harrington 2 3 ) haben im
Gegensatz dazu Morphium trotz sorgfältiger Untersuchung und Burkart
selbst bei chronischer Morphiumvergiftung, also bei Einnahmen grosser
Giftmengen, im Urin nicht finden können. Es könnte jedoch dieses
Resultat seine Erklärung finden in der Annahme, die Faust 8 ) der Ge¬
wöhnung des Organismus an das Alcaloid zu Grunde legt.
Bei dem Zwiespalt, der bezüglich des Morphiumnachweises im Urin
besteht, lag es nahe, nicht das Morphium als solches, sondern ein Um-
wandlungsproduct zu suchen. Arbeiten in dieser Richtung liegen vor
u. A. von Donath 4 5 ), der vergeblich als Spaltungsproduct Dehydro-
morphin im Urin gesucht hatte, und ferner von Stolnikow 6 ).
„Nach Einführung von Morphium und Morphin-Schwefelsäuro in den
Organismus steigt nach ihm die Quantität der Aetherschwefelsäure im
Verhältnis zu der Schwefelsäure in den Sulfaten im Harn unverkennbar.
Eine Ausscheidung von Morphin in dem Harn in Gestalt von Morphin-
Actherschwcfelsäurc findet nicht statt. Wir haben nicht einmal die ge¬
ringsten Spuren der Morphin-Aetherschwefelsäure im Urin erhalten
können. Folglich wird die Vermehrung der Aetherschwefelsäure nicht
direct durch Morphin, sondern durch andere Körper hervorgerufen.“
Auch Alarme behauptet, dass ein Theil des Morphins zu Oxydi-
morphin oxydirt werde. Er hat aber im Urin dafür keinen Anhaltspunkt
gefunden.
Mit Recht konnte Faust in seiner oben genannten Arbeit sagen,
dass nach dem, was die Literatur an Ergebnissen bezüglich des Morphin¬
nachweises im Urin gebracht hat, „cs mit Sicherheit fcststeht, dass man
bei Untersuchungen über das Schicksal dieses Alkaloides im thicrischcn
Organismus die im Harn erscheinenden Mengen der unveränderten oder
umgcwandelten Substanz unberücksichtigt lassen kann.“
In eine andere Bahn werden die Untersuchungen gelenkt durch die
Beobachtung, dass nach Morphiumgenuss im Urin eine rcducircnde Sub¬
stanz ausgeschieden wird. Von allen älteren Autoren wird diese als
Zucker (Glycose) angesprochen.
In seiner Biographie „Die Morphiumsucht“ beschreibt Lewinstcin 6 ) 1
wohl zum ersten Mal einige Fälle, „in denen nach Morphiumgenuss Rc-
duction des Kupfcr-Oxydhydrats zu Kupfer-Oxydul eintrat, und in den
ersten zwei Tagen nach der Entwöhnung des Alkaloides eine Drehung
1) Burkart, Weitere Mittheilungen über chronische Morphium Vergiftung.
Bonn 1882.
2) Grundriss d. Arzneimittellehre. Schmiedeberg. HL. Aull. 1895.
3) Faust, Ueber die Ursachen der Gewöhnung an Morphin. Archiv f. exper.
Path. u. Pharm. Bd. 44.
4) Donath, Das Schicksal des Morphiums im Organismus. Pllüger’s Archiv.
38. 1886. S. 3G.
5) Stolnikow, Ueber die Bedeutung der Hydroxylgruppen in einigen Giften
(Bericht der Deutschen ehern. Gesellschaft. 17. Ref. 384). Iloppe-Seyler’s Zeitsrhr.
f. phys. Ohcm. Bd. VIII.
6) Lewinstein, Berliner klin. Woehensehr. 1875. No. 4*.
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96
W. Spitta,
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der Polarisationsebene nach links; bei einem dritten Fall wurde die
Polarisationsebene nicht abgelenkt 44 . Zur ßcurtheilung dieses Svmptomes
bemerkt Verfasser nur, dass die Rcduction nicht von Chloral herrühren
könne.
Auch Muskulus 1 ) und Mering fanden, ähnlich wie Lewinstein,
eine Reduction, und dass eine Linksdrehung im Morphiumharn, „und
zwar eine viel stärkere, als durch Morphin bedingt sein kann, selbst
wenn man annimmt, dass alles Morphium unzersetzt in den Harn über¬
gegangen sei u .
1879 konnte C. Eckhard 2 ) in seiner Arbeit. über den Morphium¬
diabetes schreiben, dass er unter den verschiedenen Formen, Diabetes
experimentell zu erzeugen, die Morphiuminjection als die bei weitem am
practischbeste anerkennen müsse. Unfehlbar rufe sie Hydrämie und
Diabetes hervor. Den Nachweis des Zuckers erbringt Eckhard durch
die Gährungsprobe und die Reduction mit Fehling’scher Lösung.
Araki 3 ) förderte das Verständniss des Zustandekommens der redu-
cirenden Eigenschaften des Morphiumurins durch seine Untersuchungen
„über die Bildung von Milchsäure und Glycose im Organismus bei Sauer¬
stoffmangel 14 . An der Hand verschiedener Vergiftungen prüft er diese
Verhältnisse unter Anderem auch unter Zuhülfenahme des Morphiums.
Die Versuche sind angestellt an Fröschen, Kaninchen und Hunden. Auf
die Endresultate seiner Arbeit komme ich an anderer Stelle zurück, hier
sei nur erwähnt, dass auch er die Reduction als eine Folge von Auf¬
treten der Glycose im Morphiumurin auffasst. In der Besprechung der
Versuchsordnung bei Araki heisst es wörtlich:
„Zum Nachweis von Glycose wurde von mir in den zu schildernden
Versuchen, ausser der Reduction von Kupferoxyd in alkalischer Lösung,
die Gährung, die Darstellung des Glycosazons in deutlichen Krystallen
und die Circumpolarisationsprüfung benützt. Zur quantitativen Bestim¬
mung, soweit Material hierzu disponibel war, dienten Cireum-
polarisation und Gährung mit Bierhefe. Wenn das vorhandene Unter¬
suchungsmaterial nicht sehr reichlich zu Gebote stand, habe ich mich
begnügt, durch Trommer’s Probe und Prüfung mit Phenylhydrazin bei
Siedetemperatur festzustellen, ob viel oder wenig Glycose in der Flüssig¬
keit enthalten war, weil es mir in erster Linie darum zu thun war,
über das Vorhandensein und die Quantität von Milchsäure im Harn — Blut
— und in Organen der Versuchstiere sicheren Aufschluss zu erhalten. 44
Prüft man nun speciell die Ergebnisse des Glycosenachwcises bei
Araki, soweit sie für den Morphiuraharn in Betracht kommen, so findet
man folgende Angaben:
Versuche an Fröschen:
1. Versuch 0,02 Morph, hydrochl. subcutan .... Zucker fehlt
2. „ 0,02 „ „ in d. Lymphsäcke . „ r
1) Ber. d. ehern. Ges. 1875. S. 662 IT.
2) Beiträge zur Anat. u. Physiol. 1879.
3) Araki, (Jeher die Bildung von Milchsäure u. Glycose im Organismus bei
Sauerstoffmangel. Zcitschr. physiol. Chcrn. 15.
Gck igle
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Ueber Morphium-Diabetes.
97
Versuche an Kaninchen:
1.Versuch 0,00 Morph, hydrochl.subcutan Zucker in bedeut. Menge
bei guter Fütterung { 2.
I 3.
bei inaniert. Thier 4.
n n v
Zucker fehlt.
Versuche an Hunden:
< 1.Versuch 0,01 Morph, hydrochl. subcutan Zucker in bedeut. Menge
bei ffutcr Fütterung j 2. „ 0,02 „ - „ „ „ „ „
' n n n n n n n n
bei inaniert. Thier 4. „ 0,02 „ „ „ Zucker fehlt.
Es ist zu bedauern, dass eine quantitative Bestimmung des Zuckers
hier nicht angestellt worden ist. In der Besprechung der Literatur be¬
tont der Verfasser eingangs dieser Arbeit, dass bei den spärlichen An¬
gaben cs wünschenswerth wäre, zunächst die Frage zu entscheiden, ob
die Rcduction, die der Harn nach der Einführung des Morphins in den
Organismus zeigt, durch das Auftreten von Glvcosc oder durch eine
andere unbekannte Substanz hervorgerufen wird.
Da im Verlauf der Abhandlung stets in den Tabellen „Zucker“ an¬
geführt ist, so glaube ich, dass dadurch Araki sich die Antwort selbst
gegeben hat.
Dass diese Reduction an Traubenzucker gebunden sein muss, be¬
tont mit aller Schärfe Luzatto 1 ) und ebenso Naunyn in seinem
„Diabetes mellitus“. Naunyn schreibt unter Anderem, dass nach
Morphium-, Aether- und Chloroformnarkose häufig Zucker bis zu
mehreren Procenten auftritt. Aus der Arbeit von Luzatto führe ich
den Beweis vom Nachweis der Glycose wörtlich an.
Verfasser spritzt Hunden 4—5 cg Morphium pro Kilo Körper¬
gewicht ein und findet dann im Urin eine verhältnissmässig kurz an¬
dauernde Reduction. Ueber das Zustandekommen und die Natur der¬
selben schreibt er Folgendes: „Das Reductionsvermögen des Harns nach
Morphiumvergiftung ist niemals sehr stark, mit Fehling’scher Lösung
titrirt, entspricht es ungefähr 5—6 p.M. Dextrose, gewöhnlich aber ist
cs noch geringer (2 — 4 p.M.) und da bei meinen Hunden die aus¬
geschiedene Harnraenge 300—400 ccm betrug, so ergiebt sich, dass die
rcducirende Substanz auf Dextrose berechnet nie mehr als 2 g betrug.
Das Reductionsvermögen des Harns ist zweifellos an das Vorhanden¬
sein von Traubenzucker gebunden. In der That war der Harn —
oder besser die mit ammoniakalischer Bleilösung isolirte Substanz —
optisch rechtsdrehend, mit Bierhefe gährungsfähig, zeigte nicht die
Farbenreactionen der Pentosen oder der Glycuronsäure und gab mit
Phenylhydrazinhydroehlorid und Natriumacetat einen sehr reichlichen
Niederschlag von Osazonkrystallen, welche nach wiederholtem Um-
krystallisiren aus Alkohol und aus Pyridin den Schmelzpunkt bei 203
bis 206 hatten. Dieser Schmelzpunkt entspricht bekanntlich dem des
1) Luzatto, Ueber die Natur und die Ursache d. Morph.-Glyeosurie. Archiv
f. exp. Fath. u. Pharm. 52. t
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. n
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98
W. Spitta
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Traubenzuckerosazons. Deshalb scheint es mir nicht erforderlich, weitere
Beweise für die Dextrosenatur der reducirenden Substanz beizu bringen.“
Nach Luzatto ebenso wie nach Araki bekommt man die Reduction
nur nach reichlicher Fütterung und ferner nimmt die Glycosurie mit der
Morphiumgewöhnung ab (Faust). Im Gegensatz zu den letztgenannten
Autoren betont Scclig 1 ), dass die glycosurischc Wirkung des Morphiums
sehr grossen Schwankungen unterworfen und überhaupt sehr inconstant
seien.
Interessant ist die Angabe von Jac. G. Otto 2 ) über den Zucker¬
gehalt des Blutes und den Gehalt an rcducircndcr nicht gährungsfähiger
Substanz des Blutes unter verschiedenen Umständen. Er prüfte zuerst das
normale Blut, und dann unter Anderem auch das Blut von mit Morphium
narkotisirten Thicrcn, und fand, dass der Gehalt an Zucker im Blut
etwas ansteige, dass aber der Gehalt an reducirender nicht gährungs¬
fähiger Substanz in diesem Falle noch erheblicher ansteige. Damit
stimmt für ihn die öfter angeführte Dissonanz zwischen quantitativer
Zuckerbestimmung durch Titration einerseits und Gährung andererseits
überein. See gen 3 ) wendet sich in einer neueren Arbeit gegen diese
Schlussfolgerung. Achnlich wie die Morphiumglycosurie werden die
Glycosurien auch nach anderen Giften, wie Curare, Strychnin, Amylnitrit,
Nitrobenzol, Kohlenoxyd, Schwefelkohlenstoff u. a. beobachtet. Wie schon
im Nachweis des Auftretens von Zucker nach Einführung dieser Substanzen
in den Organismus bezüglich der Regelmässigkeit des Eintretens Meinungs¬
verschiedenheiten herrschen, so ist dies noch mehr der Fall bezüglich
ihrer Erklärung.
Nach Pflüger handelt es sich nur um einen ähnlichen Vorgang
wie beim Zuckerstich-Diabetes. Wohl auf nervösem Wege (Eckhard)
kommt cs zu einer Glycogenausschwcmraung aus der Leber, zur
Glyeämie und in Folge dessen zur Glycosurie. Dafür würden u. a. die
Versuchsreihen von Aracki sprechen. Er fand, dass bei gutgenährten
Thieren (Hunden und Kaninchen) Zucker nach Morphiumeinfuhr auftritt,
bei hungernden nicht. Ferner fand Aracki für die Sauerstoffabsperrung
(Versuche im pneumatischen Kasten) und für die Kohlen-Oxydvergiftung,
Langendorff 4 ) bezüglich der Strychninvergiftung und Sebold und
Hoffmann 5 ) für die Vergiftung mit Amylnitrit, dieselben Verhältnisse,
ln allen diesen Fällen tritt die Glycosurie nur bei gutgenährten Thicrcn
ein, bei Glvcogenarmen bezw. entleberten Thieren wird sie stets ver¬
misst. von Noordcn in seiner Pathologie des Stoffwechsels konnte in
dem Abschnitt über Pathogenese der Glycosurie schreiben, dass immer
dann, wo unter solchen und ähnlichen Verhältnissen transitorische Glycos-
1) Scelig, Leber Actherglyeosurio und ihre Beeinflussung durch intravenöse
Sauerstolfinfusion. Archiv f. exp. Path. u. Pharm. 52.
2) .lac. G. Otto. Ueher den Gehalt des Blutes an Zucker und reducirender
Substanz unter verschiedenen Umständen. Areh. f. Physiol. Bd. 35. S. 4G7.
*») Seegen, l eher giilmmgsinifiihigo rodurirende Substanzen im Blut. Pflügers
Archiv. Bd. .»7. S.
4» Langendorff, Areh. f. Annt. u. Physiol. 1SS7.
5 j Schuld, Ani) Initritdi.'ibctes. Inaug.-Diss. März 1«S74.
Gck igle
Original fru-m
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Ueber Morphium-Diabetes.
99
urie auftritt, reichliche Füllung der Leber mit Glycogen angenommen j
werden dürfe. Im Gegensatz dazu wies Straub 1 ) nach, dass bei der
Kohlenoxydvcrgiftung der Glycogengehalt der Leber keine wesentliche
Bedeutung habe. Ja, es bewirke Eiweisshungcr, selbst bei überwiegender
Kohlehydratzufuhr, ein Verschwinden der Glycosurie und cs tritt bei
Zufuhr von reinem Kohlehydrat keine Glycosurie auf, vielmehr komme
der Zucker im Urin wesentlich nach reichlicher Eiweisszufuhr zu Stande.
Es konnte Langendorff 2 ) nach Curarevergiftung Zucker selbst nach
Exstirpation der Leber deutlich nachweisen.
Eine zweite Theorie erklärt das Auftreten von Zucker in den be¬
sprochenen Fällen als Folge eines Mangels an Oxydation. Loewi in
seiner Abhandlung „über Arzneimittel und Gifte in ihrem Einfluss auf
den Stoffwechsel“ sondert hierbei solche ab, die für Sauerstoffmangel
charakteristische Symptome hervorrufen. Es kann sich dabei handeln
um eine Störung der Sauerstoffzuleitung zu den Geweben, oder um eine
Störung der Oxydationsfähigkeit der Gewebe selbst. Diese Theorie wird
gestützt durch Versuche über den Curare-Diabctes, der nach Schiff
und Sauer 3 ) bei künstlicher Athmung ausbleibt. Ferner konnte Seelig 4 )
bei Acthcr-Glycosuric durch gleichzeitige Sauerstoffinfusionen die
Glycosurie aufhalten, eine bestehende allerdings nicht zum Verschwinden
bringen. Naunyn bezeichnet die Morphium-Glycosurie ebenso wie
die Aether-Glycosurie als eine sogenannte Narkoscn-Glvcosurie, denn
nach reichlicher Aether-Inhalation ohne Narkose tritt sie nicht auf.
Ferner spricht noch gegen die Theorie des Sauerstoffmangels, dass
es Fälle schwerer langdauernder Atheminsufficicnz bei Menschen giebt,
die keine Glycosurien aufweisen und zwar auch bei Menschen mit sonst
gutem Ernährungszustand.
Auf die Theorie Paul Meyer’s von der unvollkommenen Oxydation
des Traubenzuckers und der Bildung von gepaarter Glycuronsäurc komme
ich später zurück. Auch die neuesten Untersuchungen haben keine
völlige Klarheit zu verschaffen gewusst. Es handelt sich wohl um zwei
Fragen. Ist die reducirende Substanz im Morphiumurin Zucker und
stammt dieser Zucker dann von dem Zuckerstoffwechscl her in der
Form, wie sie einerseits durch Glycogenausschwemmung aus der Leber,
andererseits durch Oxydationsraangel angenommen wird, oder liegt die
Sache am Ende so, dass die reducirende Substanz ein Umwandlungs-
product des Morphiums selbst ist. Schon die in der Litteratur öfters
erwähnte Linksdrehung, ferner die merkwürdige Form der Reduction,
ferner das verschiedene Verhalten der Glycosazonbildung musste stutzig
machen. Auf Grund dieser theoretischen Ucberlegungen wandte ich
mich zuerst der Untersuchung folgender Frage zu:
Ist die reducirende Substanz im Morphiumurin Zucker oder
nicht?
1) Straub, Arch. f. exp. l’ath. u. Pharmu-col. Brl. 38. 1897.
2) Langendorff, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1880.
3) Sauer, Ueber den sog. Curarediabetes. Arch. f. Physiol. Bd. 49. S. 423.
4) Seelig, s. ob. citirte Arbeit.
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W. Sp itt a
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Bevor ich auf dio Beschreibung der Darstellungsweise der reducirenden
Substanz eingehe, sei hervorgehoben, dass die Untersuchungen allesammt
an einem und demselben Individuum vorgenommen sind. Es handelte
sich dabei um einen Morphinisten, einen noch ziemlich kräftigen Mann,
der schon seit 7 Jahren sich sehr hohe Dosen Morphium einspritzt. Da
die Angaben eines Morphinisten nie zuverlässig sind, so möge genügen,
dass er während der dreimonatigen Beobachtung hier im Krankenhaus
pro Tag 9—10 Spritzen einer 1 proc. Lösung erhalten hat. Die Urin¬
mengen schwankten zwischen 1500—2000 ccm und wurden jedesmal
sofort verarbeitet. Etwaiges Eiweiss wurde vorher ausgefällt, was aber
nur zweimal nothwendig war. Jedesmal ergab eine kleine Probe des
Urins schwache, aber noch deutliche Reduction. Das specifische Gewicht
war niemals auffallend hoch, es bewegte sich stets in den Grenzen
der Norm.
Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, dass jedesmal nach
Fällungen, Auswaschungen genau die Reductionsfähigkeit nachgeprüft
wurde. Für den Fall einer Nachprüfung mache ich darauf aufmerksam,
dass die reducirendc Substanz sehr empfindlich ist gegen concentrirte
Mineralsäuren.
Zur Darstellung des reducirenden Körpers wird der Urin mit Essig¬
säure angesäuert und mit Bleiacetat unter Hinzufügung von Barium¬
chlorid vollständig ausgefällt. Alsdann wird mit Ammoniak sorgfältig
neutralisirt, mit basischem Bleiacetat gefällt und der Niederschlag,
in dem die reducirende Substanz sich befindet, gut ausgewaschen, mit
Schwefelwasserstoff zerlegt, wiederholt mit Aether ausgeschüttelt und im
Vacuum zu einem kleinen Volumen eingedampft. Zu der erhaltenen
conccntrirtcn Lösung, die wegen Anwesenheit von Salzsäure sauer reagirt,
wird zur Entfernung des Chlors Silbercarbonat zugesetzt, und in das
klare Filtrat zur Entfernung des überschüssigen Silbers Schwefelwasserstoff
eingeleitet. Das Filtrat wird mit Chinin in reiner Substanz versetzt,
so lange sich dies noch löst; dabei scheidet sich dann ein dunkler
schmieriger Körper ab, der abfiltrirt und zur vollständigen Auswaschung
mit Wasser durchgeknetet wird. Das erhaltene klare Filtrat wird im
Vacuum eingedampft, wobei sich dann kleine feine seidenglänzendc
Nadeln abscheiden, die in Alkohol löslich, in Aether unlöslich sind. Der
fast trockene Rückstand wird mit gewöhnlichem Alkohol aus dem Kolben
gespült und mit Aether versetzt, bis kein Niederschlag mehr entsteht
Nun wird unter Umständen mit Thierkohle zur völligen Klarheit filtrirt
und wieder im Vacuum eingedampft. Dabei bleibt ein syrupförmiger
Rückstand, der wasserlöslich ist. Der erhaltene Syrup wird wieder¬
holt mit Aether durchgerieben, wobei er vollständig fest und pulverig
wird.
Die so erhaltene Substanz stellt ein Chininsalz des fraglichen Körpers
dar. Zur Darstellung des freien Körpers versetzt man die erhaltene
wässrige Lösung des Chininsalzes mit Ammoniak, schüttelt zur Entfernung
des Chinins wiederholt mit Aether und fällt die nun ehininfreic Lösung
mit basischem Bleiacetal, entfernt, das Blei mit Schwefelwasserstoff und
dunsiet das Filtrat im Exsiccator ein. Es entsteht ein farbloser lack-
Gck igle
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Ueber Morphium-Diabetes. 101
artiger Körper, der schwach bitter schmeckt, aber keine Chininrcaction
giebt.
Die Eigenschaften des sogenannten Chinin salz es des fraglichen
Körpers sind folgende:
Das Salz stellt eine exquisit bitterschmeckende, amorphe, pulverige,
weis$lichgelbe Masse dar, die sich leicht in Wasser löst, in allen anderen
Lösungsmitteln dagegen unlöslich ist. Der Schmelzpunkt des Salzes liegt
bei 110°. Nach längerem Stehen entwickeln sich auf der wässerigen
Lösung reichlich Schimmelpilze. Die Lösung dreht das polarisirte Licht
nach links. Die Eigenschaften des Salzes, welche die fragliche Substanz
als einen Zucker erscheinen lassen, sind, 1. die Rcduction, 2. die
Gährung, 3. die Glycosazonbildung.
Die Drehung des polarisirten Lichtes nach links kann auch auf das
Chinin zurückgeführt werden. Auf Grund mehrerer Analysen Hessen sich
procentisch folgende Zahlen ermitteln:
für C. 57,60 pCt. — H. 7,04 pCt, — N. 5,21 pCt.
Die freie Substanz ist im Gegensatz zum Chininsalz nicht in trockener
Form darzustellen gewesen. Sie bildet einen lackartigen Körper von
hellgelber Farbe, ganz schwach bitterem Geschmack, ist spielend leicht
löslich in Wasser, sonst in keinem Lösungsmittel. Die Reaction ist
scharf sauer, sie bildet Salze mit Chinin und Blei, und ist in neutraler
Lösung quantitativ mit basischem Bleiacetat fällbar. Sie reducirt alka¬
lische Kupferlösung, bildet Osazonkrystalle mit Phenylhydrazin, gährt
mit Bierhefe, dreht das polarisirte Licht nicht. „Auch nach vorher¬
gehender Fällung wird das Licht nicht abgelenkt“. Die Substanz ist
stickstofffrei. (Die Prüfung der freien Substanz auf etwa noch ent¬
haltendes Chinin war negativ.)
Auffallend ist die merkwürdige Art der Rcduction. Einmal geht
sie selbst bei beträchtlicher Concentration der Lösung erst nach langem
Kochen und dann ruckweise vor sich. Eine ähnliche Reductionsart fand
ich nur beschrieben bei
Pentosen.
Es ist dies um so interessanter als Jastrowitz und Salkowski 1 )
acute und chronische 2 ) Pentosurien zuerst beschrieben haben, und dass
unter anderem E. Reale 3 ) Pentosen im Urin eines Morphinisten gefunden
hat. Wenn auch im Allgemeinen Pentosen als Zuckerarten gelten,
welche nicht gähren, so fällt dies deshalb nicht so sehr ins Gewicht,
als u. a. in neuerer Zeit Bendix 4 ), Schöne, Tollens 5 ) Vergährung
der Pentosen beschrieben haben. Da die vorliegende Substanz das pola¬
risirte Licht nicht dreht, so könnte es sich nur um eine racemische
1) Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1892. 19; Zeitschr. f. phys. Chem. 27. 507;
Berl. klin. Wochenschr. 1895. 17. S. 364; Blumenthal, Bert. klin. Wochenschr.
1895. 26.
2) Genauere Literaturangaben s. v. Noorden, Ilandb.d.Pathol.d.Stoffwechsels.
3) Reale, Centralbl. f. inn. Med. 15. 680. 1894. Umber,
4) Bendix, Chem. Centralbl. 1900.
5) Schöne, Tollens, Chem. Centralbl. 1901.
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102
\V. Spitta
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Form handeln und es wäre dieser Körper als Beispiel für das Auf¬
treten eines Racemkürpers im Organismus von grossem Interesse. Gegen
eine Pentose spricht aber für meinen Körper das Fehlen der Pcntosen-
Reactionen, wie sie von Tollens 1 ) und Salkowski 2 ) angegeben sind.
— Im Anschluss an die Pentose möchte ich für meine Substanz
auch die
Glycuronsäure
ablehnen. In den sorgfältigen Arbeiten von P. Mayer 3 ) und C. Neu-
berg 4 5 ) (Physiologie der Glycuronsäure) findet man unter anderen Sub¬
stanzen auch das Morphium angegeben, als eine Substanz, die geeignet
ist, Glycuronsäureausseheidung zu erzeugen, und C. Neuberg in seiner
Abhandlung „über die selteneren Störungen im Kohlehydratstoffwechsel u
führt aus, „dass die Glycuronsäurepaarung eine rein chemische Maass¬
regel der Schutzwehr darstellt“. P. Mayer will die bisher bestehende
Ansicht, dass aromatische Substanzen als gewöhnliche Paarlinge der
Glycuronsäure (u. a. Phenol, Indoxyl) sich ausschliesslich zunächst mit
Schwefelsäure paaren, dahin modificiren, dass bei auch schon geringer
Quantität paarungsfähiger Körper sich diese an Glycuronsäure binden.
Wenn Mayer auch bei Fehlen eines Anlasses zur Vermehrung paarungs¬
fähiger Körper Glycuronsäurevermehrung findet, so denkt er sich den
Vorgang so, dass die Glycosc unvollständig verbrennt und bei der Gly¬
curonsäure Halt macht. Als Stütze dieser seiner Theorie der unvoll¬
ständigen Zuckeroxydation führt er u. a. auch an, dass nach dem Ge¬
brauch von Chloralhydrat, Nitrobenzol und Morphium 6 ) bald Glveose
bald die entsprechende Glycuronsäure in den Harn übergehe.
Fine gepaarte Glycuronsäure ist der von mir beschriebene Körper,
wegen des Mangels der Farbenreaetionen und wegen der mangelnden
Fähigkeit das polarisirte Licht abzulenken, nicht. Auch erfolgt beim
Kochen des Körpers mit Schwefelsäure — wodurch die Paarung gesprengt
würde — keinerlei Drehung des polarisirten Lichtes. Auch ist es mir
nicht gelungen, ein krystallisirendes Salz (Natrium, Kalium, Blei, Cin¬
chonin) herzustellen.
Bei der Besprechung der Darstellung des Körpers fällt ferner auf,
dass er sich quantitativ ausfällen lässt in neutraler Lösung durch
basisches Bleiacetat. Aehnliches fand Külz 6 } bei der Darstellung einer
Substanz im Urin, die er nachher in nahe Beziehung zu Lävulose
brachte. Er schreibt darüber: „Immerhin wird man auf Grund dieses
1) Tollens, Allen, Ann. chem. pharm. 260. 1890.
2) Salkowski, Zeitschr. f. phys. Chem. 27. 514.
;i) P. Mayer, Zeitschr. f. phys. Chem. 29. 256. 1900, 32. 518. 1901, Berl.
kl in. Wochenschr. 1903. 13 u. 22.
4) Neuberg, Ergehn, d. Phys. Abth. I. 433—443. Genauere Literaturangabe
Neuberg, Die seltenen Störungen d. KohlehydratstotYwechsels. v. Noorden, Handb.
5) Naunyn, Diabetes mellitus.
0) Külz, Arch. f. Biologie. Bd. 9. S. 180. Ueber das Vorkommen einer links-
drehendon wahren Zuckerart im Harn. Ueber Liivulosurien s. die Arboiten über spon¬
tane Liivulosurien u. Liivulosämie. Kos in u. La band, Zeitschr. f. klin. Med. 47. 182.
Die hier beschriebenen Fälle waren meist Diabetesformen mit combinirter Lävulosurie.
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103
lieber Morphium- Oiabetrs.
differenten Verhaltens gegen BJeiessig nicht belügt sein, die Möglichkeit,
dass die active Substanz doch mit Lävulose identisch sei, ohne weiteres
in Abrede zu stellen, denn es wäre denkbar, dass die Fällbarkeit der
Lävulose durch Bleiessig in einem Harn durch besondere nicht über¬
sehbare Verhältnisse veranlasst sein könnte. u — Und in der That kommt
der von mir aus Morphiumurin dargestellte Körper seiner procentisehen
Zusammensetzung nach von allen Zuckerarten — und darum handelt es
sich doch wohl mit Sicherheit — der
Lävulose
am nächsten. Es berechnet sich
für Fructose Chinin
C. 61,90 pCt.
H. 7,14 „
N. o,55 „
für das Chininsalz des
fraglichen Körpers
o7,G6 pCt.
7,04 „
0,21 „
Prüfen wir darauf weitere Merkmale: Gährung positiv, Reduction
positiv (auch beim Fruchtzucker findet man eine schwächere und ver¬
langsamte Reduction), Osazonbildung positiv.
Schmelzpunkt des Fructosazons bei 205° C.; Schmelzpunkt des
Osazons des fraglichen Körpers bei 211° 0.
Ferner ist bei meinem Körper die für die Lävulose angegebene
Salzsäure-Resorcinprobe nach Seliwanoff und die Diphenylaminprobe
deutlich positiv. Hauptsächlich die erstgenannte Probe gelang mir sofort
sehr schön. Ueber die Bildung von Salzen lässt sich streiten, der
fragliche Körper bildet Salze, z. B. das Chinin und Bleisalz. „Ein
Baryumsalz konnte ich wegen Mangels an Substanz nicht darstellend
die Fructose als Ketonzucker aber auch. Different ist das Verhalten
nur in Beziehung auf die Drehung und die Fällbarkeit in basischem Blei.
Sehr nahe kommt die fragliche Substanz einem Körper, der von Leo
gefunden wurde und später den Namen Laiose bekommen hat. Auch
dieser Körper fällt mit Bleiacetat in alkalischer Lösung quantitativ,
steht aber dadurch im Gegensatz zu der beschriebenen fraglichen Substanz,
dass er nicht gährt und das polarisirte Licht nicht dreht.
Zur Uebersichtlichkeit lasse ich hier eine Zusammenstellung der
etwa in Betracht kommenden Substanzen und ihrer Eigenschaften folgen:
'
Fragliche
Substanz
Trauben¬
zucker
Lävulose |
Glykuron-
siiure
Pcntose
Leiose
Inosit
Gestalt ....
lackartig
kryst.
Syrup
Syrup
_
Syrup
krvst.
Drehung ....
0
+
—
freie gepaarte
schwach
—
0
+
+
Reduction ....
+
+
+
+
+
0
+
Gährung ....
+ 1
+
+
0
0?
0
0
Osazonbildung . .
Fällbarkeit mit bas.
+
+
+
? 1
+
l -U
1 o
Blei.
+
quantit.
0
0
1 +
0
0
!
o
Fällbarkeit mit bas.
Blei und Ammoniak
+
1
0
0
+
0
+
0
quantit.
t
1
1
quantit.
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104 \V. Spitta, Heber Morphium-Diabetes.
Die Untersuchungen dieses merkwürdigen aus Morphiumurin dar¬
gestellten Körpers haben gezeigt, dass die reducirende Substanz entgegen
den weitverbreiteten Ansichten sicherlich keine Glycose ist. Ebenso
keine Glycuronsäure-Verbindung oder gar Pentose.
Es handelt sich meiner Ansicht nach um eine Säure (Reaction und
Salzbildung), die der Fructose ausserordentlich nahe steht und die bisher
noch nicht bekannt ist.
Ueber die Regelmässigkeit des Auftretens dieser Substanz nach
Morphingabe, ferner über die quantitativen Ausscheidungsverhältnisse in
Beziehung zur Einfuhr des Alcaloides, sodann über eine etwaige Ab¬
hängigkeit von Kohlehydrat oder eiweissreicher bezw. -armer Diät behalte
ich mir eingehende Untersuchungen vor.
Herr Dr. Spitta ist vor der Correctur dieser Arbeit, die von seinen
hiesigen Collegen besorgt wurde, einer schweren Pneumonie erlegen. Der
Tod des lleissigen, zu den besten Hoffnungen berechtigenden jungen
Collegen hat die Fortsetzung der in dieser Arbeit unternommenen Studien
abgebrochen, die ihm ein ehrenvolles Gedenken sichern. Hoffmann.
Gougle
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X.
Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere
die des Herzschalles. 1 )
Von
Dr. Heinrich Gerhartz,
A.-si f«*nt (!«•.•* ine» 1 ii-i 11 iscli-|*olik 1 ini*i**hen Instituts dor l'nivrrsitat Berlin.
[Mit 7 Abbildungen Im Text.
In der Medicin zielen wir mit vollem Rechte hin auf den Ersatz
der subjectiven Beurtheilung von Vorgängen durch die objective Auf¬
zeichnung. Sie zertheilt schnell vorübergehende und dadurch der Be-
urtheilung entfallende Erscheinungen in bis zu beliebiger Feinheit
analvsirbare zeitliche Einheiten, verbindet zeitlich und örtlich Getrenntes
zu gleichzeitiger objectiver Vergleichung und gestattet, in vielen Fällen
wenigstens, Anhaltspunkte für Qualitäten zu gewinnen, indem dieses
werthvolle Princip die Anwendung des exactesten aller Instrumente,
der Rechnung, erlaubt.
Fehlerfreie Constructionen vorausgesetzt, vermögen w r ir so einwand¬
freie und unverhüllte Blicke in die registrirten Vorgänge zu thun.
Diese souveräne Methodik bedingt, dass die Fortschritte in der
Medicin eng geknüpft sind an die Vervollkommnung der technischen
Wissenschaften. So ist es unzweifelhaft, dass die Aufzeichnung des
Herzschalles, in dem sich am besten Zustand und Arbeit dieses Organes
widerspiegelt, an die Regeln anzuknüpfen hat, welche die physikalische
Wissenschaft für die Methodik der Niederschrift kennt. Hier haben Medi¬
cin und Physik identisches Ziel, nur die Anwendung ist Variation, so dass
ich mich im Interesse eines besseren Verständnisses der späteren Ausführun¬
gen manchenorts zu einer historischen Auseinandersetzung genöthigt sehe.
I. Kritik und Methodik.
Was wir mit dem Ohre wahrnehmen und fixiren wollen, sind dem
physikalischen Begriff der „Töne u sich mehr oder weniger näherndo
1) Die wesentlichen Ergebnisse dieser Arbeit sind bereits vor drei Jahren ge¬
wonnen und niedergeschrieben worden. Obwohl auch jetzt (Anfang Januar 1908)
noch kein Abschluss der Arbeiten erzielt ist, übergebe ich sie dennoch nach Erledi¬
gung aller principiellen Fragen zur Publication, einestheils wegen der immer zahl¬
reicher werdenden ein schlägigen Veröffentlichungen, dann aber, weil es mir wegen
anderweitiger Arbeiten immer schwerer wird, in der gleichen Intensität auf dem Ge¬
biete weiter zu arbeiten.
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Klänge oder aber Geräusche, welche den unteren Schwcllenwcrth der
Intensität, Schwingungszahl, der Dauer und des Anklanges überschritten
haben und unter einer gewissen oberen Grenze von 50000 Schwingungen
liegen.
Klänge und Geräusche sind keine scharfen Gegensätze. Beides sind
Klangeindrücke, die durch nicht isochrone Schwingungen des schall¬
zuleitenden oder schallerzeugenden Mediums hervorgerufen werden; aber
die Klänge stehen den reinen Tönen näher, obwohl auch sie streng ge¬
nommen Geräusche sind. Die „Herztöne“ sind Geräusche, die nur
deshalb „Töne“ genannt werden, um sie im klinischen Sprachgebrauch
von den längerdauernden pathologischen Schallerscheinungen, die mehr
den Charakter des Unregelmässigen haben, zu unterscheiden.
Ueber das, was die Geräusche gegenüber den Klängen darstellen,
ist bisher keine Einheitlichkeit erzielt. Je nachdem die eine oder andere
Erklärung angenommen wird, sind also die Herzgeräusche auch entweder
eine Composition von Tonempfindungen gleichzeitig klingender verschieden
hoher oder ein Nacheinanderklingen solcher Töne, oder, wie Stumpf
meint, ein selbstständiges Schallphänomen, oder aber, nach Mach, eine
Combination von Tönen, deren Zahl, Höhe und Intensität mit der Zeit
variirt.
Wesentlich ist, dass eine Synthese von Geräuschen aus Theiltönen
verschiedener Höhe möglich ist (Derinert) und ein allmählicher Ueber-
gang von Klang zu Geräusch bei allmählicher Verkürzung des Geräusches
beobachtet wird; denn daraus ergiebt sich, dass es sich bei der Analyse
der Geräusche hauptsächlich darum handelt, in gleicher Weise, soweit
möglich, neben der Aufsuchung der Einzeltöne eine Diffcrenzirung der
Theiltöne und des Endeffectes nach Qualität und Quantität eintreten zu
lassen. Wie bei den Tönen, kommt es also auch hier darauf an, die
Beschaffenheit von Dauer, Stärke, Gleichmässigkeit und Höhe der
Geräusche zu eruiren und die Theiltöne nach Höhe, Stärke und Dauer
zu analysiren.
Die Analyse der Geräusche kann analog der der Klänge nach den
Principicn der physiologischen oder der instrumenteilen Klang¬
analyse geschehen.
Was die erstere anlangt, so ist ja das Ohr in der günstigen Lage,
nicht nur zwei gleichzeitig erklingende Töne einzeln wahrzunehmen,
sondern auch noch aus mehr zusammengesetzten Klängen die Töne bis
zu einer gewissen Grenze, die nach Individuum, Uebung und Art der
Klangmasse variirt, einzeln herauszuhören. So soll auch aus dem
Gehörseindruck, der als „erster Herzton“ gilt, das Ohr zwei Tongebilde
abscheiden können, einen Muskel- und einen Klappenton.
Den Timbre, wie er in den klinisch gebrauchten Ausdrücken des
blasenden, hauchenden usw. Geräusches Ausdruck findet, vermag das
Ohr ausgezeichnet zu differenziren.
Für die Höhe der Geräusche („Töne“) ist das schon weniger der
Fall. Da sie durch ein oder mehrere im Geräusch vorhandene und
vorherrschende Töne bedingt ist, unterliegt ihre Bestimmung den für
die Beurtheilung der Tonhöhe geltenden Gesichtspunkten. Um die
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Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen. insbesondere die des Herzschalles. 107
musikalische Festlegung der Hcrzgeräuschc hat sich Küchenmeister
verdient gemacht. Die Schwierigkeit dieser Bestimmung wächst um¬
gekehrt proportional der Intensität und Dauer: sind die Geräusche sehr
leise und kurz, so sind die in ihnen liegenden Töne nicht mehr zu
differenziren.
Die Messung der Intensität der Herzgeräusche ist von geringem
physiologischen und klinischen Interesse, da sie zum Theil eine Function
des Schallleitungsvermögens der das Herz umgebenden Theile darstellt.
Jedenfalls genügt für ihre Bestimmung die Beurtheilung vermittels des
Gehörorgans. Für klinische Zwecke ist erine instrumentelle Messung
durch H. Vierordt 1 ), Gärtner und Bettelheim, sowie Bock 2 ) ver¬
sucht worden. Die Methodik ist unvollkommen. Die Schallstärkemessung
ist selbst für reine Klänge trotz der grossen Fortschritte, die durch die
Arbeiten von Rayleigh, Toepler-Boltzmann, Wien, Sharpe und
Webster 3 ), Altberg 4 5 ), Zernov 6 ) und Andere gewonnen wurden und
eine Messung in absolutem Maasse anbahnten, weit von einer endgültigen,
vollbefriedigenden Lösung entfernt. Die Schwierigkeiten liegen zunächst
in der grossen Zahl der von der Schallquelle ausgehenden Impulse, dann
aber in der ausserordentlichen Kleinheit der durch die Verdichtungen
und Verdünnungen veranlassten Druckschwankungen der Luft.
Die Dauer der Geräusche ist da, wo es sich um geringe Differenzen
handelt, nur schwer, bezw. überhaupt nicht mit dem Ohre zu beurtheilen.
Wir sehen also, dass die physiologische Klang- und Geräuschanalyse
in sehr vielen Fällen versagt. Abgesehen von individuellen Unterschieden
in der Fähigkeit zu analysiren, wird diese Zerlegung um so schwieriger,
je geringer die Intensität ist, je geringer die Stärkeunterschiede der
Theiltöne sind, je grösser deren Consonanz ist, je näher ihre Schwingungs-
zahlcn beieinanderliegen und je mehr sie zeitlich zusammenfallen.
Als Ersatz und als Ergänzung der physiologischen Geräuschanalyse
ist eine Reihe mehr oder weniger weitreichender Wege begangen worden,
mit künstlichen Methoden die Geräusche zu analysiren.
Einestheils zielen diese Methoden darauf hin, die einzelnen, im
Geräusch vorhandenen Theiltöne zur Resonanz zu bringen und sie so aus
dem Compositum zu isoliren (Helmholtz, Hensen, Wintrich). Dieser
Weg hat das Missliche, dass auch die harmonischen Obertöne des Grund¬
tones verstärkt werden.
Auf der anderen Seite wird das vollkommene Ziel angestrebt, die
Klangmasse auf dem Wege der Ueberleitung auf ein Gas, oder eine
1) Vierordt, Ein Verfahren zur Messung der Intensität akustisoher Zeichen.
58. Vers. d. Naturf. u. Aerzte i. Strassburg (4. Sect. f. inn. Med.).
2) Bock, H., Die Messung der Stärke der Herztöne, ein diagnostisches Hilfs¬
mittel. Berl. klin. Wochenschr. 1900. S. 502.
3) Sharpe, B. F., Science (N.S.)Bd.9. 1899. p.808-811. —Webster,A.G.,
u. Sharpe, B. F., ebenda. Bd. 8. 1898. p. 532.
4) Altberg, W., Druckkräfte der Schallwellen. Drudes Annalen d. Physik.
1903. Bd. 11. S. 405.
5) Zernov, Uebcr absolute Messungen der Schallintensität. Annalen d. Physik.
1907. Bd. 21. (4. Folge.) S. 131-^141.
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11. Gerhart-z.
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Membran, oder auf beides zusammen, deren Ausschläge ja sichtbar zu
machen sind, oder auch mit Hülfe der Schlierenmethode Toepler’s,
oder auch auf noch anderem sinnreichen Wege zur Verzeichnung zu
bringen, um dann an dem Geschriebenen die Isolirung und Beurtheilung
vornehmen zu können.
Diese Methoden sind der physiologischen Klangbeurtheilung, ins¬
besondere hinsichtlich der Feststellung der Dauer der Geräusche, aber
auch in mancher anderen Beziehung leicht überlegen, sodass sie die
eigentliche Methode darstellen, da, wo es sich wie bei den Horz-
geräuschen, hauptsächlich um den zeitlichen Ablauf handelt.
Wir präcisiren also die Aufgabe der Herzgeräuschregistrirung als die
einer wichtigen Methodik zu dem Zwecke, die akustischen Begleit¬
erscheinungen der Herzthätigkeit in der Form einer Herzgeräuschcurve
aufzuschreiben, deren akustische Charaktere nach den physikalischen
Methoden der Klanganalyse feststellbar sind, und die zeitlichen Momente
des Auftretens und Abschlusses der Geräusche in richtiger Wiedergabe
des wirklichen Ablaufes erkennbar und messbar zu machen.
Es ist wünschenswerth, auch hier so weit zu kommen wie in der
Vocalanalyse. Dort sind wir im Stande, „schon aus der mathematischen
Zerlegung einer Klangcurve mit ziemlicher Sicherheit zu ersehen, ob wir
es mit einem weichen oder scharfen, einem vollen oder hohlen Klange
zu thun haben würden, falls das Ohr ihn vernähme 1 ) 44 . Es ist nicht
wahrscheinlich, dass dieses Ziel erreichbar ist; denn in den Vocalcurven
treten die harmonischen Antheile, die der Fourier-Analyse unterworfen
werden können, in den Vordergrund, während die hier vorwiegenden
schwer erschliessbaren unharmonischen Coraponenten nur schwer mit
Hülfe der Schwerpunktsmethode hervorgesucht werden können. Um so
wichtiger aber ist für die physiologische Verwerthung der Methode eine
schnelle Ansprechungsfähigkeit so kleinwelliger Bewegungen, also eine
möglichste Verkürzung der Latenzzeit.
Die aufgestellten Erfordernisse sind bei den bisherigen Methoden
nicht in einem der Bedeutung des Gegenstandes gerecht werdenden
Maasse vorhanden. Die meisten Versuche sind an der Wahl einer ge¬
eigneten Uebertragungseinrichtung und einer ausreichenden Vergrösserung
gescheitert, fast alle aber haben die Zuleitung nicht in einem die alleinige
Uebertragung von Geräuschen garantirenden Verfahren bewirkt. Im
einzelnen wird das weiter unten gezeigt werden, nachdem die allgemeinen
theoretischen Grundlagen der klassischen Registrirmethodik, soweit nöthig,
besprochen sind.
Die weiter unten zur Beschreibung kommende Methode stammt im
Princip von Ruhm er (Berlin). Sie ist von ihm zum Studium der
Grammophon-Merabranschwingungen benutzt worden. Für die Zwecke
der Physiologie und Klinik reichte dies nicht aus und es waren in Folge
dessen zahlreiche nicht unwesentliche Abänderungen in der Construction
erforderlich. Ich halte es für eine Pflicht der Dankbarkeit und Hoch-
1) Schäfer, K. L., Der Gehörssinn, in NageFs Handb. d. Physiol.des Menschen.
Braunschweig 1905. Bd. 111.
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Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Herzschalles. 109
achtung, an dieser Stelle für die Bereitwilligkeit und Liberalität, mit der
er seine Erfahrung dem wichtigen Problem der Herzgeräuschregistrirung
geliehen hat, Herrn Ruhm er herzlichst zu danken. Für mich sind die
Stunden, in denen ich mit ihm darüber conferirte, hierdurch die schönsten
und lehrreichsten geworden.
Ueber die Zuleitung des Schalles.
Wird in einen Phonographentrichter gesprochen, so erhält die Re¬
ceivermembran zweierlei Impulse, einmal die Luftstössc, die den Bewe¬
gungen der Mundorgane ihre Entstehung verdanken, dann aber Schall¬
schwingungen. Hier besteht also das, was aufgezeichnet wird, aus einer
Combination zweier, von einander verschiedener Luftbewegungen. Da das
Eine wie das Andere mit den specifischen Eindruck des Wiederzu¬
gebenden bedingt, ist die Einrichtung nothwendig.
Bei der Aufzeichnung des Herzschalles ist es anders. Zwar haben
wir auch hier in der den Körper umgebenden Luft eine Combination beider
Bewegungen, eines Theils an Ort und Stelle verbleibender Verdichtungen
und Verdünnungen der Luft, andererseits von Progressivbewegungen, die
in der Art erfolgen, dass durch den lctus cordis die nächste Luftmasse
in der Richtung des aufzuzeichnenden Schalles fortgeschleudert wird;
aber, was hier registrirt werden soll, ist der von diesen durch die Be¬
wegungen des Herzens hervorgebrachten Luftstössen befreite Schall.
Diese Luftstösse, die durch die Herzbewegung verursacht werden,
sind so überwiegend und störend, dass sie bei dem Auftreffen auf Mem¬
branen schon ausserordentlich grosse Excursionen veranlassen, wenn die
Töne die Membran noch lange nicht zu sichtbarer Reaction bringen.
Es leuchtet ein, dass die angegebenen Methoden zur Herzgeräusch¬
registrirung keine brauchbaren sind, wenn dieser wesentlichste Punkt
nicht genügende Berücksichtigung findet.
Von den publicirten Verfahren war die Einthovcn’sche 1 ) Methode
die erste, die, nachdem Ewald 2 ) in einer Besprechung der Hürthle’schen 3 )
Arbeit darauf aufmerksam gemacht hatte, diesen groben Fehler zu ver¬
meiden bestrebt war.
Fig. 1.
Einthoven half sich mit einem Kunstgriff in der Weise, dass er
durch das Oeffnen des Hahnes eines seitlich an der Zuleitung angebrachten
1) W. Einthoven u. M.A.J. Geluk, Die Kegistrirung der Herztöne. Pfliiger’s
Archiv. 1894. Bd. 57. S. 617.
2) A. Ewald, Centralbl. f. Physiol. Bd. 7. S. 52.
3) K. Hürthle, 1. Mittheil, auf dem Physiol.-Congress zu Lüttich. 29. Aug.
1892. 2. Zur unmittelbaren Registrirung der Herztöne. Centralbl. f. Phvsiol. 1904.
Bd. 18. S. 617.
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Rohres freie Communication zwischen der in der letzteren eingeschlossenen
und der äusseren Luft schuf, ln der That sieht man bei dieser Ein¬
richtung auch noch, wenn die Membranexeursionen eine erhebliche Ver-
grösserung erfahren, die durch die Progressivbewegung der Luft hervor¬
gerufenen Schwingungen verschwinden. Geht man aber weiter in der
Vergrösserung der Ausschläge der Membran, so sind deutlich in den bei
offenem System aufgezeichneten Curven die Pulsationen, die den Luft-
stössen (Cardiogramm) entsprechen, wiederzuerkennen, wovon man sich
leicht durch Ausmessung der Curven überzeugen kann.
Frank hat, augenscheinlich hieran anknüpfend, die Theorie einer
solchen Einrichtung zu entwickeln gesucht und berechnet, dass die
Schwingungen einer mit einem Loch versehenen Kapsel eine Mischung
der ersten Ableitung der Schwingungen und der Schwingungen selbst
darstcllen 1 ). Die Frank’sche Einrichtung ist aber mit der Einthoven-
schcn nicht direct zu vergleichen; denn bei letzterem ist das Rohr, das
sicherlich nach den Intentionen des Constructeurs die sich geradlinig
fortpflanzenden Pulsationsbewegungen aufnehmen sollte, in der Richtung
des auftreffenden Schalles angebracht, während das bei der Einrichtung,
die Frank getroffen hat, nicht der Fall ist. Das ist aber wesentlich;
denn in dem im rechten Winkel bei Einthoven’s Methode abgehenden
Rohr herrscht nicht derselbe Druck wie in dem freien Stutzen, und
ausserdem handelt es sich in dem ersteren nicht nur um Luftstösse,
sondern mindestens um die Summe von diesen und ihnen superponirten
anders gearteten Schallwellen. Es ist also in dem System ähnlich wie
die Wirkung des Windes bei der Schallfortpflanzung in freier Luft, wofür
Röber und van Rees den Effect theoretisch abgeleitet haben. Da der
hier unbekannte Winkel, in dem diese Progressivbewegungen wirken,
wesentlich für die theoretische Durchrechnung des Systemes ist, wird es
wohl nie möglich sein, die bei der Geräuschregistrirung vorliegenden
physikalischen Verhältnisse in einen richtigen rechnerischen Ausdruck
zu kleiden.
Man sieht also, dass die Eintho ven’sche Vorrichtung keine Sepa¬
ration der beiderlei Luftbewegungen gestattet und also die Entstellung
der Geräuschcurven nicht hindert. Da auch Frank und alle übrigen
Autoren, die bisher Methoden zur Aufzeichnung der Herzgeräusche
publicirt haben, auf diesen wichtigen Punkt keine Rücksicht nehmen
und auch nicht den Versuch machen, die Schwierigkeiten, mit deren
Eliminirung die Brauchbarkeit der Methode erst gewährleistet ist, zu be¬
seitigen, muss man annehmen, dass sie die Bedeutung dieses Punktes
entweder verkannt haben oder aber die Methode Einthovcn’s still¬
schweigend als richtig acceptiren, woraus folgt, dass alle bisherigen
Methoden nicht als einwandfrei angesehen werden dürfen.
Im alltäglichen Leben machen wir die Erfahrung, dass das beste
Verfahren, Luftstösse zu eliminiren, ein starrer Abschluss ist, dass aber
Schallwellen, wenn sic an einen solchen Widerstand gelangen, Schwin-
1) 0. Frank, Construction und Theorie eines neuen Tachographen. Xeitschr.
f. Biol. 1907. Bd. ;30. S. 303--308.
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Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Herzschalles. 111
gungen erzeugen, welche sich jenseits desselben der Luft raitthcilen und,
wenn auch mit verminderter Intensität, so doch nicht in ihrem Charakter
modificirt, dahinter wahrgenommen werden können. Wir gehen also am
sichersten, wenn wir nach dem Vorschläge von Ru hm er diesen Weg
wählen, so dass wir so zu einer Zuleitungseinrichtung kommen, die aus
einem cylindrischen Rohr (um die allseitige Ausbreitung der Schallwellen
zu hindern) besteht, das durch eine den Schall gut leitende, aber durch
die Pulsationen nicht eindrückbare Wand verschlossen ist.
ln einer früheren Arbeit 1 ) habe ich besprochen, wie am besten der
Schall möglichst ohne Aenderung seiner Qualität und Intensität fort-
gcleitct werden kann. Ich habe meinen dortigen Ausführungen noch
hinzuzufügen, dass ich für die Aufzeichnung des Schalles nach den aus¬
gezeichneten Experimenten von Meissner 2 ) Bedenken trage, hier die
Collectivwirkung der Schalltrichter, die fast alle Autoren — Frank
verwendet sogar das ausserordentlich fehlerrciche Phonendoskop — be¬
nutzen, anzubringen, nachdem diese Versuche dargethan haben, dass
Schalltrichter die Amplituden dos Grundtoncs verkleinern und die ge¬
wisser Obertönc vergrössern, also eine Entstellung der Klangzusammen¬
setzung bewirken, während dies kurze cylindrische Eingangsrohre nicht thun.
Die Klangregistrirung.
Sehr selten ist es möglich, die Schwingungen eines tönenden Körpers
direct zu beobachten. Ist, wie es bei dem Herzen der Fall ist, der schall-
erzeugendc Körper überhaupt nicht sichtbar, oder übersteigt die Art
seiner Schwingungen die Analysirfähigkeit des Auges, so kann davon
erst recht keine Rede sein; denn die Longitudinalschwingungen der
schallzuführenden Luft sind einer Beobachtung nicht zugänglich. Es
müssen Methoden eingeführt werden, welche die Verdichtungen und Ver¬
dünnungen der Luft in sichtbare anders geartete elastische Bewegungs¬
formen, die fixirbar sind, umsetzen. Bei dieser Uebertragung von Luft¬
wellen auf feste oder flüssige Körper liegt die Gefahr sehr nahe, dass
Entstellungen unterlaufen. Die Ursachen dafür liegen in der Trägheit
der Massen, die in Bewegung gesetzt werden müssen, in ihrem Schwin¬
gungscharakter, welcher von vielen Factoren, z. B. von der Elasticität
abhängt, und in der Wirkung noch sonstiger Einflüsse, welche erfahrungs-
gemäss Klänge und Geräusche verändern, wozu z. B. die in geschlossenen
Systemen auftretenden Resonanzwirkungen gehören. Dazu kommen für
die einzelnen Uebertragungsarten noch specielle Hindernisse in Betracht.
Sind auch viele dieser Einflüsse an und für sich scheinbar von unter¬
geordneter Bedeutung, so kann doch ihre Summirung bei so schwachen
Intensitäten, wie die Herzgeräuschschwmgungen sie besitzen, erhebliche
Fehler in der Beurtheilung zur Folge haben. Sie verlangen deshalb ein-
1) H. Gerhartz, Zur Frage des Stethoskopes. Deutsches Arch. f. kl in. Med.
1907. Bd. 90. S. 501-505.
2) Rieh. Wachsmuth, Klangaufnahmen an Blasinstrumenten, eine Grundlage
für das Verständniss der menschlichen Stimme. Nachgelassenes Manuscript von
Georg Meissner. Pilüger’s Arch. 1907. Bd. 116, S. 54.‘> 000.
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gehende Berücksichtigung und ihr Studium allein ist im Stande ein rich¬
tiges Urtheil über Werth und Unwerth der Registrirmethodik zu bilden.
Seit jeher haben sich Membranen zur Ueberleitung von Schall¬
schwingungen gasförmiger Massen als sehr vortheilhaft erwiesen. Sie
sind als flächenförmige Körper auf ihrer ganzen Ausdehnung mit Luft,
umgeben und sind leichte Massen, welche durch Spannung elastisch
werden, Eigenschaften, die sie zur Klangregistrirung recht eignen.
Die directe Beobachtung von dergleichen Merabranbewegungen ist
sehr schwierig und nur selten möglich. Die Erwartungen, nach Be-
Streuung der Membranen mit Lycopodium, Korkstaub und Achnlichem
den Chladni’schen Figuren analog gestaltete Bilder experimentell er¬
zeugen zu können, sind nicht erfüllt worden. Solche Versuche sind
vielleicht wegen der zu geringen Elasticität und Steifigkeit der Membranen
gescheitert, oder auch, wie R. Ewald 1 ) annimmt, deshalb, weil die auf
die Membran gestreuten Pulver „zu starke seitliche Impulse empfangen,
um brauchbare Schallbilder zu bilden u ? und wegen der Aenderung, die
bei einer sehr grossen Empfindlichkeit der Membran für leichteBelastungcn
jede Anhäufung der Pulver in der Schwingungsw r eise erzeugt.
Erst Ewald ist es durch eine sinnreiche Methode gelungen, Mem¬
branbilder von Klängen und Geräuschen direct mit dem Mikroskop zu
beobachten.
Beim Ansprechen auf Geräusche geben die Ewald’schen Kautschuk¬
membranen ganz coraplicirte und schwer analysirbare Bilder, die denen
ähnlich sind, die das Ruhmer’sche Photographophon erzeugt. Die
Ewald r schen Schallbilder geben die Intensitäten in wohl genügender
Weise wieder, lassen aber vor Allem nicht den Rhythmus, den zeit¬
lichen Ablauf, verfolgen, weshalb die Methode für unsere Zwecke nicht
zu verwerthen ist, abgesehen davon, dass es unmöglich ist, von Tönen
und Geräuschen von geringerer Intensität überhaupt solche Bilder herzu-
stellen, wovon ich mich oft überzeugt habe. Den Vortheil hätte das
Verfahren, wenn es hier anwendbar wäre, dass eine Wiedergabe durch
die Ruhmer’sche Methode der Selenzellen-Schallreproduction mit Aus¬
sicht auf Erfolg versucht werden könnte.
Die somit erwiesene Unmöglichkeit, durch eine directe Beobachtung
den Vortheil einer äussersten Verkürzung der Latenzzeit und gewichts¬
losen Uebertragung neben einer Reihe sonstiger vortheilhafter Umstände
zu gewinnen, hat dazu geführt, die schwer sichtbaren Membranbewegungen
in bequemer und deutlicher wahrnehmbare und auflösbare Bewegungs-
forraen auf eine ebene Schreibfläche zu übertragen. Durch die Ein¬
führung dieses Hülfsraittels werden aber gleichzeitig so viele Möglich¬
keiten, in einseitiger Weise die Schwingungsform der Membran ab¬
zuändern, eingeführt, dass die constructive Anordnung der Uebertragungs-
weise geradezu für die Güte vieler Registrirvorrichtungcn bestimmend
ist, wobei nicht zu vergessen ist, dass die Membran trotz alledem den
wesentlichsten Factor abgeben muss. Ist sie unzureichend, schwingt sie
1) .i. Rieh. Ewald, Zur Physiologie des Labyrinths. VI. Mitth. Pflügers
Archiv. l,m Bd. 7(i. S. 152fT.
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Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Herzschalles. 113
falsch, so «ist natürlich auch mit einer idealen Ueberleitung nichts gewonnen.
Wir haben also zu erörtern, wodurch eine wahre Membranschwingung
garantirt ist.
Die Membranschwingungen x ).
Membranen schwingen in Transversalschwingungen. Sind sie frei
von jeder Spannung, so sind ihre Schwingungen durch Biegungselasticität
bedingt, und es gilt für sie die Secbeck’sehe Formel. In der Praxis
giebt cs aber keine spannungsfreien Membranen, sondern alle besitzen
eine gewisse, mehr oder weniger grosse Spannung, mit deren Zunahme
ihre Elasticität wächst. Die Theorie der Membranen ist somit in jedem
Falle ein Problem der Elasticität.
Die theoretische Beurtheilung der Membranbewegung leidet an der
durch das mehr oder weniger ungleichartige molekulare Gefüge ihres
Materiales bedingten Unvollkommenheit und dadurch, dass die Spannung
unmittelbar nicht experimentell messbar ist. In Folge dessen ist es
unmöglich, die physikalischen Vorgänge bei einer bestimmten Membran
vollkommen, zu berechnen. Es sind aber doch Gesetze bekannt, die
für die Schwingungsvorgängc derselben von grundsätzlicher Bedeutung
sind und im Experimente ihre Probe bestanden haben. Ihre Kcnntniss
ist deshalb zur Beurtheilung von Material, Form und Verwendbarkeit
von Membranen nothwendig geworden.
Wird eine Membran aus ihrer Gleichgewichtslage gebracht und dann
sich selbst überlassen, so schwingt sic so lange in harmonischen
Schwingungen, bis sie in Folge der Reibung ihrer Moleküle untereinander
und mit der umgebenden Luft zur Ruhe kommt. Sie macht hierbei
zwei Thcilbewegungen durch, eine sogenannte „erzwungene Be¬
wegung 44 , die allein von der bewegenden Kraft bestimmt wird und eine
der übertragenen Klanghöhe entsprechende Schwingung ist, sowie eine
„freie Schwingung 44 . Diese letztere — wie wir noch sehen werden
für die Membranschwingungsart von grosser Bedeutung — ist eine
Function der mechanischen Beschaffenheit der Membran. Sie äussert
sich im Mit- und Nachtönen der Membran. Das Mittönen, hervorgerufen
durch den Anstoss der äusseren Kraft, beruht auf einem Mittönen der
Eigentöne der Membran mit dem übertragenen Ton; das Nachtönen ist
das Erklingen des Membraneigentones nach dem Wegfall der genannten
Kraft.
Beide Erscheinungen stören durch Modification des übertragenen
Schalles und Verwischung seiner Begrenzung.
Da die Energie der freien Schwingung von der molekularen Kraft
der inneren Reibung und dem Luftwiderstand sehr bald aufgezehrt wird,
sind hier Wege vorgezeichnet, ihren schädlichen Einfluss durch Dämpfung
zu eliminiren und so die Güte der Membran zu heben. Giebt man also
1) Bezüglich der Theorie der Membranschwingung siehe ausser den Hand¬
büchern der Physik: V. Wietlisbach, Handbuch der Telephonie. Bearbeitet von
Dr. R. Weber. Wien 1899.
Hauptsächlich sind auch die Ergebnisse der‘experimentellen Untersuchungen
Kuhmer’s über die Schwingungen von Schallplatten vervverthet worden.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. ^
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der Luft eine sehr grosse Berührungsfläche, d. h. nimmt man Membranen
von grossem Durchmesser, so hat man damit eine zur Aufnahme von
Schallschwingungen wie zur Dämpfung gleich vortheilhafte Einrichtung
getroffen. Damit hat cs nun auch seine Schwierigkeit. Grosse
Schwingungsfläche und freie Schwingung schliessen sich zwar bis zu
einem gewissen Grade aus, aber es wächst mit der Grösse der Fläche
auch die Masse; und grosse Massen sind in Folge der Trägheit nicht
im Stande, den schnellen Vibrationen der Luftwellen zu folgen. Auch
deshalb dürfte bei grossen Membranen wenig gewonnen sein, weil die
Trägheit die Randgebiete hindern wird, an den Schwingungen der Mitte
theilzunehmen.
Das Gesagte kann natürlich nur für im Ganzen ohne Knotenlinien
schwingende, also nicht zu flexible und zu wenig gespannte Membranen,
so wie sic für unseren Zweck und z. B. das Telephon, den Phonographen
u. Aehnl. allein in Betracht kommen, Geltung besitzen. Bei sehr dünnen
und biegsamen Membranen ohne erheblicheren Spannungswerth entstehen
stehende Wellen, die entweder dadurch zu Stande kommen, dass laufende
Wellen von dem die Membran haltenden Rahmen reflcctirt Werden, oder
auf die Membran einwirkende Impulse gleichzeitig von gegenüberliegenden
Theilen ausgehen. Das Wellenbild, das dann entsteht, ist ein Ausdruck
der primären Impulse (Ewald). In solchen Fällen sind ganz minimale
Belastungen der Membran, z. B. schlecht vcrtheiltc Oelschichten, schon
im Stande, die Schwingungen sehr erheblich zu stören. Eine gewisse
Elastizität der Membran ist für unsere Zwecke deshalb nöthig, weil es
nur so gelingt, einen möglichst grossen Theil derselben zum Schwingen
zu bringen und die Membran voll auszunutzen.
Man sieht, dass das Material, aus dem die Membran besteht, von
grosser Bedeutung ist. Die verschiedensten Stoffe sind gewählt worden,
ohne dass bisher eine Einigung über das zweckmässigste Material erzielt
worden wäre. Rigollot und Chavanon 1 ) nahmen Collodium, Lcbc-
deff 2 ) und nach ihm Samojloff 3 ) Kork bezw. Suberit, Hermann 4 )
versuchte Eisen, Glimmer, Glas, Carton, Holz und noch andere Stoffe,
Edison anfangs Seide zum Phonographen, Hensen 5 ) Gummi, Blase,
Collodium, Goldschlägerhaut, Glimmer, Glas. Meissner hat, wie Wachs-
muth 6 ) in der Publication des nachgelassenen Manuscriptes mittheilt,
für die Receiverschallplattc seines Phonographen Ebonit am geeignetsten
gefunden. Eisen, Glas, Kork, Schildpatt u. A. waren weniger gut be¬
funden worden. Es hat sich bei diesen Versuchen herausgestellt, dass
im Allgemeinen biegsame Membranen an und für sich gut sind, aber
1) Rigollot u. Chavanon, Journal de physique. 1883. (2.) Bd. 2. S. 553.
2) P. Lebedeff, Journ. d. russ. physik.-ehern. Gesellsch. (russ.). Bd. 26.
S. 21)0. — Cit. n. Samojloff 3 ).
3) A. Samojloff, Zur Vocalfrago. Plliigcr’s Archiv. 1800. Bd. 78. S. 1 ff.
4) Hermann, Siehe seine Arbeiten in Ptlüger’s Archiv. Bd. 45. S. 182;
Bd. 47. S. 44 u. 347; Bd. 53. S. 1; Bd. 58. S. 255, 61 u. 169.
5) V. Hensen, Feber die Schrift von Schallbewegungen. Zeitsehr. f. Biol.
1887. Bd. 23 (N. F. Bd. 5). S. 43.
6) \\ a c h s in u t h - M e i s s n e r, 1. e.
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Die Aufzeichnung von Sohallerscheinungen, insbesondere die des Herzschalles. 115
viele Nachtheile haben, nächst den obengenannten den der Schwierigkeit,
in sicherer Weise Ucbertragungseinrichtungen anzubringen, so dass von
vielen die starren Membranen vorgezogen wurden. Hermann hält die
letzteren allein für brauchbar, aber natürlich nur, wenn eine sorgfältige
Dämpfung, die allerdings hier am schwierigsten ist, stattfindet, da sonst
die starren Membranen auf verschiedene Schallimpulse mit der gleichen
Sinuscurve antworten, schwirren und schlottern. Saraojloff glaubte im
erwähnten Suberit eine Substanz gefunden zu haben, welche beide Eigen¬
schaften, sowohl die der biegsamen als die der starren Membranen, mit
einander vereinigt. Frölich 1 ) hat das Thema experimentell erfolgreich
angegriffen. Er studirte die Aenderungen, welche eine Schwingungscurve
durch Passiren einer Membran erfährt, durch das Studium der Abände¬
rung, welcho bekannte Schwingungsformen durch Telephonmerabranen
oder Platten aus Pappe, thierischer Haut und Gummi erfahren. Es
ergab sich, dass alle Membranen um so besser Schwingungen wieder¬
geben, je näher diese letzteren der Sinuscurve stehen. Anderen
Schwingungsformen, z. B. der Mäandcrlinie gegenüber, versagten die
Pappe- und Blasenmembranen, wenn sie ungedämpft blieben, vollständig.
Je schneller die Eigenschwingungen verschwanden, je schneller also die
erzwungene Schwingung in Wirksamkeit trat, desto besser wurde die
primäre Schwingung wiedergegeben. Insofern gab eine Telephonracmbran
z. B. trotz ihrer scheinbaren Steifheit und Dicke coraplicirtc Klänge bis¬
weilen besser wieder als die anderen, nicht künstlich gedämpften
Membranen.
In dem in dieser Arbeit beschriebenen Registrirapparat sind Collo-
diummembranen vorhanden. Die Prüfung der verschiedenen Materialien
ist jedoch noch nicht abgeschlossen.
Die Dämpfung der Membranschwingungen.
Empfindlichkeit einer Membran und Richtigkeit ihrer Schwingungen
sind zwei Anforderungen, welche sich z. Th. entgegengesetzt verhalten.
Steigt die Schwingungsfähigkeit, so werden die Empfindlichkeit und das
Vermögen, auch auf feinste Impulse zu reagiren, grösser; erhöht man die
Dämpfung, so wird die Richtigkeit mehr verbürgt, aber die Anspruchs¬
fähigkeit lässt nach. Es ist klar, dass man bei Schwingungen von so
geringer Intensität, wie die Herzgeräusche sie repräsentiren, in einem
gewissen Dilemma sich befindet, indem ohne eine gewisse Grösse der
Empfindlichkeit eine Registrirung vollständig aussichtslos ist, anderer¬
seits eine Dämpfung erheblicheren Grades nicht entbehrt werden kann.
Es ergiebt sich so, dass es hier von ausschlaggebender Bedeutung
ist, wie die Dämpfung bewirkt wird, und dass der Grad, mit dem sic
wirkt, variabel ist und der Amplitude der Vibrationen entspricht.
Die Dämpfung kann dann als genügend angesehen werden, wenn
sie die bestimmten Klängen und Geräuschen zukomraenden Schwingungen
erkennbar macht und die Membran nicht auf verschiedene Schall-
1) 0. Frölich, Ueber eine neue Methode zur Darstellung von Schwingungs-
curven. Electrotechn. Zeitschr. Bd. 10. S. 369.
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erscheinungen mit denselben Bewegungen und in Folge dessen mit den¬
selben Curvenbildern antworten lässt; d. h. es müssen mit verschiedenen
Schallerscheinungen möglichst verschiedene Bilder erhalten werden.
Dieser Indicator ist natürlich sehr unzuverlässig und wenig objectiv.
Aber die Methoden, auf künstlichem, experimentellem Wege den
Dämpfungsgrad festzustellen, sind bisher mangelhaft. Die graphische
Messung, wie sie von Hensen 1 ) und Pipping 2 ) ausgeführt wurde, die
auf der plötzlichen Entziehung eines auf den Schreibhebel wirkenden
Gewichtes — sodass dann die Hebelbewegungcn für sich geschrieben
werden — beruht, hat nur eine bedingte Verwendbarkeit; auf der anderen
Seite ist die Methode, die Samojloff, von Holowinski 3 ) u. A. ver¬
wandten, und in der Aufzeichnung eines kurzen Schlages besteht, wie
ersterer selbst zugegeben hat, auch noch lange nicht zutreffend. Der
Weg, den Frank 4 5 ) versucht, die raathemathischc Durchrechnung der
Membranarbeit, ist wohl sicher verfrüht, wenn nicht für durch Schallwellen
hervorgerufene Membranschwingungen vorläufig unmöglich. Solange die
Physik das sicher erstrebenswerthe Ziel der theoretischen Durcharbeitung
für die einfachen technischen Constructionen nicht erreicht hat, ist hier
erst recht noch nicht damit zu arbeiten.
Als völlig einwandfreier Weg, die Dämpfung und überhaupt die Güte
der Gesammtheit der Einrichtungen bcurtheilen zu können, wäre die
Untersuchung des Effectes, den die Rückverwandlung der Curven in
Schallerscheinungen ergiebt, anzusehen. Dieser Weg ist wohl zuerst,
wenn man vom Phonographen absieht, von Liesegang 6 ) begangen
worden. Ruhm er 6 ) hat die photographophonischen Aufnahmen der
Sprache mittelst lichtempfindlicher Selenzellen in vollendeter Weise
wiedergegeben. Es liegen also schon einige Erfahrungen auf diesem
Gebiete vor. Für unsere Zwecke kann nur eine Reproduction mit dem
Grammophon nach entsprechender Umwandlung der photographirten Curven
in Frage kommen.
Die Schreibvorrichtungen.
Ist eine Membran gut gedämpft, schwingt sie also den Schallwellen
entsprechend, so liegt das Ideal darin, diese Bewegungen gewichtslos
zu übertragen; denn auf diese Weise wird ein Constructionsglied, das
viele Fehlerquellen in sich schliessen kann, eliminirt.
Das Ziel, die Belastung auf ein Minimum reduziren zu können, ist
1) Hensen, 1. c.
2) Pipping, H., Zur Lehre von den Vocalklängen. Zeitschr. f. Biol. 1895.
Bd. 31.
3) von Holowinski, A., Physiologische und klinische Anwendungen eines
neuen Mikrophons usw. Zeitschr. f. klin. Med. 1893. Bd. 23. S. 363.
4) Frank, 0., Construction und Durchrechnung von Registrirspiegeln. Zeit¬
schrift f. Biol. 1905. Bd. 46 und spätere Arbeiten in derselben Zeitschrift.
5) Liesegang, ft. E., Phonographie und Photographie. Photogr. Archiv.
1890. Bd. 31. S. 302.
6) ltuhnior, E., Kinetnatographische Flanimenbogenaufnahmen und das Photo¬
graphophon, ein photographischer Phonograph. Elektroteehn. Zeitschr. 1901. S.830.
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t>ie Aufzeichnung von Schallerscheinungcn, insbesondere die des llerzschalles. 117
durch die Einführung der König’schcn 1 ) Flammen erreicht. Für unsere
Zwecke wird aber der Vortheil der fast gewichtslosen Arbeit dadurch
zum grössten Theile wieder zerstört, dass der Raum, durch welchen das
Gas (in der Regel Acetylen) ausströmt, bei kleinen Membranvibrationen
sehr klein sein muss, die Form Veränderungen wegen ihrer geringen Licht¬
stärke sehr schwer zu fixiren sind, keine Vergrösserung zulassen und die
Bilder auch der unbeeinflussten Flamme nicht gleichmässig bleiben. Das
Verfahren ist besonders von Frölich 2 3 ), Austin 8 ) und Marage 4 ) aus¬
gebildet worden und hat sich für grössere Schallintensitäten als recht
vorteilhaft erwiesen. Von Marbe 5 * ) ist es in jüngster Zeit auch für die
Registrirung der Herzgeräusche direct angegeben worden. Auf die
Methode Marbe’s, bei der durch die Flammen Russbilder erzeugt werden,
näher einzugehen, ist um so weniger nöthig, als weder die Zuleitung
den vorliegenden complicirten Verhältnissen gerecht wird, noch die durch
die Methode erhaltenen Schallbilder eine Handhabe zu einer erfolgreichen
Beurtheilung bieten. Die bisher publicirten Bilder sind ohne Zweifel
Cardiogramrae.
Viele Versuche wurden unternommen, die Vorzüge des Telephons
und Mikrophons, Schallwellen in bequom mess- und registrirbare
elektrische Energie überführen zu können, auszunutzen. Seit die nur die
flöhe übertragenden Telephone von Bourseul und Reis in dem Telephon
von Bell eine solche Vollendung erhalten hatten, dass die Erhaltung
der Tonklangfarbe erreicht war, konnte ja ernstlich an die Benutzung
von Mikrophonen und Telephonen zur Aufnahme und Wiedergabe von
Herzgeräuschen gedacht werden.
Soll das Telephon Geräusche richtig wiedergeben, so müssen
natürlich vor dem zweiten Telephon die Schallwellen genau denen gleich
sein, welche die Schwingungen der ersten Telephonmembran erzeugten.
Das geht nur, wenn eine Zerlegung in genau die gleichen Partialtöne
erfolgt, diese Theiltöne, soweit sie zusammengehören, mit derselben Ge¬
schwindigkeit weiter geleitet werden und an der Aufnahme- und Wieder¬
gabestelle die Amplituden der verschiedenen einfachen Wellen in dem¬
selben Verhältnisse zu einander stehen. Darnach muss es gewagt
erscheinen, mit einer so complicirten Anordnung, wie sie Telephon und
Mikrophon darstellen, eine vollkommene Wiedergabe der Schallschwingungen
zu verlangen. Das erste Hinderniss ist schon die Membran. Könnte
diese aus einem auf Luftwellen fein rcagirenden Material bestehen, so
brauchte ihre freie Schwingung, obwohl das Gesetz von der Proportionalität
1) König, R., Die manometrischen Flammen. Annal. d. Physik u. Chemie.
1872. Bd. 146. S. 161. — Nagel, W. A., Ueber König’sche Flammen. Arch. f.
Physiol. Physiol. Abth. 1905. Suppl.-Bd., 1. Hälfte. S. 62.
2) Frölich, 0., Ueber eine neue Methode zur Darstellung der Schwingungs-
curven. Elektrotechn. Zeitschr. Bd. 10. S. 345.
3) Austin, L. \V., Anwendung der Manometerflamme beim Telephon. Physik.
Revue. 1901. Bd. 12. S. 121.
4) Marage, Bullet, de la Soc. fran$. de physique. 1900. S. 137.
5) Marbe, Karl, Registrirung der Herztöne mittels russender Flammen. Pflüg.
Archiv. 1907. Bd. 120. S. 205-209.
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der Wirkung zu der wirkenden Kraft wohl kaum noch für eine so grosse
in Bewegung zu setzende Kraft zu Recht besteht, nicht so hinderlich
zu sein. Diese freie Membranschwingung ist aber von der mechanischen
Beschaffenheit der schwingenden Platte abhängig. Und diese letztere ist
der Uebelstand beim Telephon; denn die Trägheit der eisernen Membran-
raasse ist stets deshalb eine sehr grosse, weil ihrer Leichtigkeit und
Dünne durch die Anforderungen des magnetischen Feldes eine Grenze
gesetzt ist. Es wird nämlich die Intensität des letzteren durch dünnere
als 0,2 mm dicke Membranen schon herabgesetzt. Aus demselben
Grunde, d. h. auch wegen der allzu erheblichen Trägheit, ist auch der
mittlere Mcmbranthcil allein einer Schwingung fähig, sodass die Rand¬
stellen völlig in Ruhe bleiben. Nun wächst dio Güte der Membran-
schwingung nicht nur mit dem Klcinerwerden der Mcrabranmasse, sondern
sie ist daneben noch direct proportional der Steifigkeit der Membran
und der Grösse des Luftwiderstandes. Liegt das Letztere hier auch
günstig, so sind doch immerhin Steifigkeit und Elasticität nicht solche,
wie sic für vollkommene Plattcnschwingungcn beansprucht werden
müssen. Versuche, das schwere Eisen durch Aluminium oder Kupfer
zu ersetzen, haben wenig Erfolg gehabt. Wie Mcrcadicr 1 ) gezeigt hat,
müssen die Ströme bei der Verwendung von Kupfermembranen doppelt
so stark sein, als wenn Eisenmembranen benutzt werden; dagegen gab
dabei das Eisen kräftigere Laute als Aluminium und Kupfer. Neben dem
geringfügigen specifischen Magnetismus von Aluminium und Kupfer spielt
hier noch die in Folge der Variationen des Magnetismus im Eisenkern
des Telephons erzeugte elektrodynamische Induktion eine Rolle, sodass
also Eisenmembranen der magnetischen lnduction die grössere Kraft,
Aluminium und Kupfer aber der elektrodynamischen lnduction ihre
schwächere, aber die Klangfarbe besser wiedergebende Wirkung ver¬
danken. Es kommt also bei einer Aenderung des Materiales der Membranen
nicht viel heraus.
Von Wiersch 2 ) ist auf einen Uebelstand der Mikrophonraembranen
hingewiesen worden, der darauf beruht, dass infolge des loseren elek¬
trischen Contactes bei der Reibung der Contactstellen die Schwingungs¬
zahlen der aufgenommenen Töne modificirt werden.
Viele Autoren haben sich der Hoffnung hingegeben, mit Hülfe von
Telephon und Mikrophon eine wünschenswerte Verstärkung und damit
eine Erleichterung der Registrirung erzielen zu können. In der That
wird ja durch das Hinzukoramen des Batteriestromes, der eine additive
Arbeit leistet, eine Verstärkung hervorgerufen. Dieser Strom erzeugt
Stromcontacte, und würden nicht bei übergrosser Zufuhr von Strom die
diese Stromschwankungen vermittelnden Kohlenkörper des Mikrophons
schliesslich verbrennen und der sie zusammenhaltende Baumwollen¬
ring zerstört werden, man hätte so einen Weg gefunden. In Wirk-
1) Mercadier, Compt. rend. 15. April 1889.
2) E. Wiersch, lieber die Deutlichkeit acustischer Heproductionen unter dem
Einfluss der Eigentöne, sowie über Membranen zur möglichst deutlichen Wiedergabe
der Sprache. Ann. d. Phys. 1905. Bd. 17. (4. Folge.) S. 999-1005.
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Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Horzschalles. 1 1D
lichkcit wird aber durch die ausserordentliche Erhöhung des inneren
Widerstandes (oft mehrere Hundert Ohm) eine Verschlechterung der
Mikrophone herbeigeführt. Germain 1 ) hat sich nun so geholfen, dass
er mehrere Mikrophone parallel in einen Stromkreis schaltete und so
den Strom theilte. Während dann in jedem einzelnen Mikrophon nur
ein schwacher Strom kreiste, konnten doch insgesammt 0,5—25 MA
erreicht werden. Ob der Apparat wirklich das hält, was die Theorie
verspricht, vermag ich aus eigner Erfahrung nicht zu beurtheilen.
Mit einer auf ähnlichem Principe beruhenden Anordnung habe ich nichts
Wesentliches erreichen können.
Ein anderer Weg, die Intensität der aufgenommenen Schallphänomene
zu heben, eine Verstärkung des im Telephon vorhandenen permanenten
Magnetismus bis zur Sättigung, könnte schon deshalb nur bis zu einem
gewissen Punkte getrieben werden, weil dann die Membran durch die
magnetische Kraft durchgebogen und unelastisch werden würde, und damit
würden natürlich ihre Schwingungen vermindert, da eine Membran die
grössten Elongationen dann macht, wenn sie um ihre normale Ruhelage
schwingt.
Geräusche mit Telephon und Mikrophon ohne Entstellung zu ver¬
stärken, dürfte nach dem Gesagten kaum gelingen. Es ist schon viel
erreicht, wenn die Reproduction rein und in ursprünglicher Intensität
geschieht. Mit den älteren Systemen war auch das höchst unvollkommen
zu bewirken. Auch von Holowinski, der sich eingehend mit der Ver-
werthbarkeit des Mikrophons zur Registrirung der Herzgeräusche be¬
schäftigt hat, ist in Uebcreinstimmung mit anderen Autoren zu dem Er¬
gebnisse gelangt, dass Mikrophon und Telephon nie vollkommen das
Ohr ersetzen können. Dennoch aber besitzt die Methode mit Hülfe
besserer Instrumente, als sie früher von Holowinski, Hürthle und
Einthoven zur Verfügung standen, immerhin einen gewissen Werth
auch für die Uebertragung schwacher Herzgeräusche.
Mit den hierfür geeignetsten Telephonen erreichte ich soviel, dass
auch noch leise Geräusche recht gut fortgeleitet wurden, allerdings natür¬
lich in etwas geringerer Intensität, mit welcher sie das Ohr bei der
dirccten Auscultation wahrnahm. Es haben sich mir in zahlreichen Ver¬
suchen die bekannten „lautsprechenden Telephone u von Mix & Genest 2 ),
bei denen zur Vergrösserung der Lautstärke nicht nur die Kohlenmembran,
sondern auch die von der Membran ebenfalls durch Kohlenkörnerfüllung
getrennte Kohlenscheibe frei beweglich angeordnet ist, am besten be¬
währt. Dazu ist die Verwendung eines oonisch sich verjüngenden, in
zwei Hörschläuche endenden, ungefähr 30 cm langen Trichters nöthig.
Andere, auch weit empfindlichere Mikrophone erwiesen sich, da sie
zu sehr den Klang entstellten, als unbrauchbar. In jedem Falle aber
1) Germain, Das lautsprechende Telephon. Prometheus. 1891). 10. S. 5f»8.
— Ruhmer, Mehrfach-Mikrophon. Der Mechaniker. 1901. S. 109.
2) Die Apparate wurden mir zu diesen Versuchen bereitwilligst von der Firma
Mix u. Genest, Berlin, zur Verfügung gestellt, wofür ich auch an dieser Stelle
meinen besten Dank abstatte.
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.stören, auch bei den besten Instrumenten, knatternde Nebengeräusche.
Für das Hören bedingen sie nicht nothwendig eine erhebliche Entstellung,
da man sie durch Uebung aus dem Gehörten ausschalten lernt 1 ); beim
Registriren müssen sie sich aber durch unliebsame Entstellungen der
Curven bemerkbar machen, so dass also die principielle Verwendung für
diesen Zweck, auch abgesehen von den oben geltend gemachten Gründen,
schon hierdurch unzulässig erscheinen muss. Die Aufnahme und Wieder¬
gabe im Telephon und Mikrophon ist eben von sehr vielen Einflüssen,
welche man nicht in der Hand hat, abhängig; diese bedingen die ln-
eonstanz der Resultate.
Allerdings hat die Verwendung eines Mikrophons zur Geräusch-
registrirung den verführerischen Vortheil einer Ueberführbarkeit der
Schalloscillationen in leicht messbare elektrische Energie, und das hat
vor allem die häufige Anwendung bedingt. Von von Holowinski sind
zur gewichtslosen Uebcrtragung der Amplituden schwingender Mikrophon¬
membranen Interferenzstreifen benutzt worden. Die gleiche Methode
(Intcrferenzstrcifen einer Natriumflamme) haben Cauro 2 ) und das Tcle-
graphcn-Ingenieurbureau des Rcichspostamtes zum Studium der Telephon¬
plattenschwingung mit Nutzen verwendet.
Diese Methoden scheinen mir, sowohl was Durchsichtigkeit des Ver¬
fahrens als Vcrgrösserungsfähigkeit, Bequemlichkeit der Fixirung der
Liehtphänomenc und Analysirbarkeit der Curven angeht, jetzt durch
andere überholt zu sein und erfordern demnach keine nähere Besprechung.
Ebenso können hier die Rcgistrirungen mit Hülfe der Schlierenmethode,
der oscillographischcn Fixirung [Blondel 3 )], der magnetischen
Ablenkung der Kathodenstrahlen [E. Ruhmcr 4 )] als aussichtslos
füglich übergangen werden. Um auf die Arbeit von Holowinskrs
hier kurz zurückzukommen, sei erwähnt, dass er nur darauf ausging, die
chronometrischen Verhältnisse der Geräusche in exacten Zahlen auszu¬
drücken und ihre synchrone Lage auf anderen gleichzeitigen Wellen zu
bestimmen.
Zu der Zeit, in der zuerst die Hcrzgeräuschregistrirung versucht
wurde, lag es ohne Zweifel am nächsten, das Lippmann’sche Capillar-
1) Für die Demonstration von Schallerscheinungen im Hörsaal ist die
Auscultation am Hörer bei den „lautsprechenden Telephonen“ genügend zuverlässig.
Die Telephone werden zu diesem Zweck am besten hintereinander geschaltet. Die
Batteriespannung muss, entsprechend dem durch die vermehrte Zwischenschaltung von
Telephonen erhöhten Ohm’schen Widerstande vergrössert werden. Diese Methode,
die Schallerscheinungen einem grösseren Hörerkreise gleichzeitich zu demonstriren,
ist sicherlich praktischer als die von Bendersky (Intern, med. Congr. Rom 1894)
angegebene, die darin besteht, dass von einem Aufnahme - Stethoskop mehrere
Schläuche, die in Stethoskopen endigen, abgehen.
2) J. Cauro, Vibration des placjues telephoniques. Journ. de phys. 1899.
Bd. 8. p. 485; sowie Scances soc, fram;. de phys. 1899. p. 60 u. 117.
8) A. Blondel, Acad. des Sciences; sowie Compt. rend. 11. XI. 1901.
4) E. Ru hm er, Photogr. Rundschau. 1903. Bd. 18. S. 53.
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Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Herzschalles. 121
clcktromctcr zur Schallaufzeichnung zu nehmen (Einthoven) 1 ). Ab¬
gesehen von der verwerflichen Benutzung des Mikrophons an und für
sich, haften jedoch dem Capillarelcktrometer, wie wir heute wissen,
nicht unerhebliche principielle Fehler an, worauf besonders Hermann 2 )
hingewiesen hat. Die Nachtheile des Instrumentes liegen in der nicht
linearen Beziehung zwischen elektromotorischer Kraft und Wirkung, in
dem ungleichen Effect beider Stromrichtungen, in der Variabilität der
Constanten und in dem Mangel an Empfindlichkeit für Ströme mit
grossem Widerstande, so dass es namentlich für die Veranschaulichung
des zeitlichen Ablaufes von Vorgängen nur beschränkten Werth besitzt.
Hinsichtlich der von Burch 3 ) nnd Einthoven 4 ) angegebenen Verfahren,
die gewonnenen Curvcn zu corrigiren, sind von Hermann und Gilde-
meister 6 ^ erhebliche Bedenken geltend gemacht worden, welche darin
gipfeln, dass „selbst bei Capillaren mit genau oder annähernd logarith-
mischer Normalcurve und gleicher Reaction für beide Stromrichtungen
kaum mehr als eine annähernde Richtigkeit gewonnen werden kann“.
Einthoven 6 ) hat diese Nachtheile selbst erkannt und das Capillar-
elcktrometcr durch die Construction des Saitengalvanometers ersetzt, bei
dem die Bewegungen photographirt werden, die beim Durchfliesscn eines
elektrischen Stromes durch einen dünnen versilberten Quarzfaden, der in
einem starken magnetischen Felde ausgespannt ist, entstehen und nicht
die elektrische Spannung wie beim Capillarelcktrometer, sondern die
Stromstärke gemessen wird. Die Verbesserung der Aufzeichnungshülfs-
mittcl compensirt aber nicht die principielle Fehlerhaftigkeit der Ver¬
wendung des Telephons und Mikrophons 7 ).
1) W. Einthoven, 1. c. — Siehe ferner: Ueber die Form des menschlichen
Elektrocardiogramms. Pflüger’s Archiv. 1895. Bd. 60. S. 101. — W. Einthoven
und K. de Lint, Ueber das normale menschliche Elektrocardiogramm und über die
capillarelektrometrische Untersuchung einiger Herzkranken. Pflüger’s Archiv. 1900.
Bd. 80. S. 139.
2) A. L. Hermann, Ueber Rbeo-Tachygraphie. Pflüger’s Archiv. 1891.
Bd. 41. S. 451.
3) Burch, Philosoph. Transact. Roy. Soc. 1893. Bd. 183. A. S. 81. — Pro-
ceed. Roy. Soc. 1895. Bd. 59. S. 18. u. 1896. Bd. 60. S. 329.
4) W. Einthoven, Ueber den Einfluss des Leitungswiderstandes auf die Ge¬
schwindigkeit der Hg-Bewegung in Lippmann’s Capillarelektrometer. Pflüger’s
Archiv. 1895. Bd. 60. S. 91.
5) Beitrag zur Theorie des Capillarelektrometers. Eine Vorrichtung zum Re-
gistriren u. s. w. Pflüger’s Archiv. 1900. S. 79. S. 1.
6) W. Einthoven, Die galvanometrische Registrirung des menschlichen
Elektrocardiogramms u. s. w. Pflüger’s Archiv. 1903. Bd. 99. S. 472.
7) Das eben Gesagte gilt z. Th. natürlich auch für die Kempf-Hartman n-
sche (Annalen d. Physik. 1902. Bd. 8. S. 481), Hülsmeyer’sche (Americ. Patent
No. 766355. 1904) Anordnung und die Hürthle’sche Methode der Herztonregistri-
rung. Hürthle hat zuerst das Telephon für diesen Zweck benutzt, beanspruchte
aber für seine Methode, wie von Holowinski, nicht die Darstellung der Qualität
der Geräusche. Die Schwingungen der Telephonmembran versetzten den primären
Strom eines Inductionsapparates in Schwankungen; von hier aus geschah die Re-
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122
H. Gerhartz
Alle eben besprochenen Einrichtungen 1 ) haben zur Voraussetzung,
dass die den Schall auf nehmende Membran den au ft reffenden Im¬
pulsen genau entsprechend vibrirt. Das trifft aber nur in den seltensten
Fällen zu und für gewöhnlich ist die Einrichtung einer besonderen Dämp¬
fung nicht zu umgehen; es ist natürlich zweckmässig, dann die Dämpfung
mit der Vorrichtung zur Uebertragung der gedämpften Schwingungen
zusaramenfallen zu lassen. Man ist schon in der ersten Entwicklungs¬
zeit der Schallregistrirung so verfahren, z. ß. an dem ersten Tonregistrir-
apparat von W. Weber 2 ) und bei allen ähnlichen späteren, bei denen
ein Hebel die Mcmbranexcursionen schreibt (Hensen’scher Sprach-
zeichner, Phonautograph von Scott und König u. A.). Die Methode
der Hebclübertragung wurde bald verlassen, denn man fand, dass die
Dämpfung für complicirtere Schallerscheinungen versagte (Phonautograph
von Scott und König und von Sehneebcli und Hipp); in anderen
Fällen lag die Schwelle der noch registrirbaren Intensitäten zu hoch.
Auch die radiale Befestigung des Hebels, zuerst von Hcnsen eingeführt,
später von Brünings 3 ) und Frank 4 ) verwendet, befriedigte nicht. Der
Grund dafür liegt aber nicht, wie Hensen glaubte, darin, dass eine
genügende Nachahmung der beim Trommelfell vorliegenden Verhältnisse
nicht erzielt werden konnte, sondern meines Erachtens ohne Zweifel in
der ungleichraässigcn Belastung und in dem Umstande, dass mehr die
Randbewegungen der Membran als die wirksamen Mittcexcursionen ge¬
schrieben werden 5 ).
gistrirung mittels eines Nervmuskelpräparates. Spätere vielfache Versuche Hiirthle’s,
diese erste, nur den Moment des Auftretens der Herztöne anzeigende Methode zu ver¬
vollkommnen, sind nicht zu einem befriedigenden Ergebniss gelangt.
1) Der Phonograph, dessen Einführung durch Hermann für die Physiologie
der Sprache so erhebliche Fortschritte bedeutet, bezw. den endgültigen Ausschlag
gegeben hat, ist für unsere Zwecke nicht zu benutzen. Ich habe mich vielfach davon
überzeugt, dass auch mit den vollkommensten Edison’sehen Phonographen eine
Aufnahme von Herzgeräuschen unmöglich ist. Die Nebengeräusche übertönen Alles.
Der Phonograph hat nur für Schallerscheinungen grösserer Intensität Bedeutung.
Ihre Mängel hat aber auch dann diese Methode. Der Klang wird unzweifelhaft ver¬
ändert, die Sprache z. B. näselnd, gewisse Vocale herrschen vor und auch eine mehr
oder weniger störende Undeutlichkeit ist wahrzunehmen. Am meisten aber schaden
doch die überlauten Nebengeräusche. Das Grammophon scheidet aus, da die käuf¬
lichen Apparate nur zur Wiedergabe dienen. Für die Herstellung der Platten werden
Apparate benutzt, die die gleichen Mängel haben wie die Phonographen. Die Auf¬
nahme von Herzgeräuschen wurde übrigens von der Gesellschaft für unmöglich
erklärt.
2) W. Weber, In G. Schilling’s Universallexikon der Tonkunst.
3) W. Brünings, Beiträge zum Studium des Tetanus. Pflüger’s Archiv.
1903. Bd. 93. S. 303.
4) 0. Frank, Die unmittelbare Ilegistrirung der Herztöne. Münchener med.
Wochenschr. 1904. S. 953.
5) Es ist klar, dass dies auch für die Fälle gilt, wo die Poggendorf’sche
Methode in Anwendung gekommen ist und statt des Hebels ein Spiegel die Membran
belastet. Die Methode, bei der die Excursionen der Membran in den Bewegungen
eines von einem Spiegelchen reflectirten Lichtstrahles beobachtet werden, ist für das
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•SdjLÜvuiTi de 1 * ^cliaHplÄt vvp«^u von Heniuan schon früh benutzt wollen,
jiettm.iuf* rlnb^i in »ir-i \V»*is*v «lass derAnker durch; ?w*?rt?eätnt in Ä
Miftef.la.ue erha'tten wurde r« t* d $#•; im labilen Obuobgewiohi sich befand. Fruikh
■und Vrwk-p' kitteten atif die .Membrun ein Spiegfdchen auf. das ; 3i>mU
nd ab bewegte. Po 11 afc~Vfrag {.OiK nuck
eufsmnen der Me^ibran entspr^choml auf
£. Ruh mer. Bekannte Verfahren Von photographischer Fixiriirtg Von Schalf^ellerj.
Berlin 1Ö03V) übertrug die »riesten Meti>hrnniluh: hbiegr ungen im Mfcinbrunmittel-
pufiKte auf eilten um Achsen ^lagorten Spiegel. Besondere Erwähnung veniftf&it di»
At< .und W ei.se. wie Steh 'S am o j i •> f i (t. c.j gelodten buh h> fcheilte die Schwtn-
gütigen einer K'orkmenibran. in der Art einem Spiegel mit, cdfe auf ein ^ükrecbf zvt
.MCT/ihrarirtache gerichtetes Stübchen ein Würfel, der mit dem Spiegel ;<rmirt war, mir...
einer. Kante angrilT. Er gewann dadurch den Vorzug rollender Aienning. iyüsk ty>i
ilreifaeber itebe)verdrösset«ng und guter Dampfung. Ks ist aber woh( nkdii zu
teugnen, dass? die Schwere der in Bewegung zu setzenden Wurfeimasseu die Empfind-
bdd.eH sehr r*dunj*ii muss*.;
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H. Gerb a r 1 1 ,
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beigegebenen Illustrationen, die mir in liebenswürdiger Weise von Herrn
Ruhm er zur Verfügung gestellt wurden, ist das klar ersichtlich. Diese
Bilder wurden während der Schwingungen der betreffenden Membranen
(kinematographisch) aufgenommen, indem ein Lichtstrahl nach und nach
über die Membran herübergeschoben wurde. In Figur 2 handelt es sich
um eine kreisrunde Glimmermembran, welche am ganzen Rande gleich-
massig (nach Figur) eingespannt war. Die Achse der Membran hat beim
Versuch nicht horizontal gelegen; daher kommt die Verzerrung des Mem¬
branbildes zu Stande. Wird die Umwerthung auf eine horizontale Achse»
vorgenommen, so entsteht ein Bild, wie es Figur 2 a zeigt. Daran sieht
man deutlich, dass diejenigen Randpartien der Membran, welche
dem Rande am nächsten liegen, keine Excursionen machen, dass
danndicCurvenlinie erst langsam, dann immer steiler zur Mitte-
excursion ansteigt. Diese Anordnung entspricht der Art und Weise,
wie in den bisherigen Registrirapparaten die Membran angebracht war.
Figur 3 und 3a illustriren die Verhältnisse, wie sie bei einer Mem¬
bran vorliegen, welche am Rande zwischen zwei scharfen Schnei¬
den frei aufliegt. In dieser Art verhält sich die Membran in dem in
dieser Arbeit beschriebenen Registrirapparat. Der Vortheil, den eine
solche Construction vor der eben besprochenen hat, leuchtet ein: die
Randgebiete machen schon dicht an der Einspannvorrichtung
ergiebige Excursionen und erhöhen dadurch die Gcsaromtausschläge,
wodurch die Membran voll ausgenutzt wird.
An diesen Abbildungen wird nun auch klar, dass eine radiäre Be¬
festigung des Schreibers sich den am Rande thatsächlich vorhandenen
Membrandurchbiegungen unter keinen Umständen anzuschmiegen vermag,
also nothwendig die Membranschwingungen deforrairen muss. Ein weiterer
Nachtheil der radiären Befestigung ist der, dass die Excursionen wenig
ausgenutzt werden. Dazu kommt noch, was an Figur 3 zu erkennen
ist, dass auch geringfügige Auflagerungen oder andere Dinge, welche die
Excursionen an einer Stelle des Randes hindern und in der Regel un¬
erkannt bleiben, den Schwingungscharakter der Randpartien in einer
Weise fälschen, dass von einer Proportionalität zwischen den die Mem¬
bran treffenden Impulsen und den Membranvibrationen gar keine Rede
mehr sein kann. Das gilt besonders alles für grosse Membranen, die,
wie wir oben gezeigt haben, wegen der Elimination der freien Schwingung
Vorzüge vor kleinen verdienen.
Das über die Randdurchbiegungen Gesagte betrifft natürlich auch
die neueste Construction Frank’s. Die Herztonkapsel besteht hier „aus
einer Trommel, deren Rand einen Kreisbogen bildet, dessen Enden durch
ein gerades Stück wie eine Sehne verbunden sind a . Die Belastung der
Membran hat die Sehne als Basis. Da die Membran an der Sehne ge¬
spannt ist, und sich hier die Randspannung mit der am Kreisbogen ent¬
lang functionirenden combinirt, muss man schliessen, dass gerade dort,
von wo die Excursionen geschrieben werden, sich die grössten Defor¬
mitäten ausbilden (1. c. S. 341).
Eine kurze Ueberlegung giebt über Abnahme der Schwingungen
und Form der Membran Aufschluss. Es ist ersichtlich, dass die Schall-
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Original fro-m
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1.23..
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OF MICHfG
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H. Gerhartz
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das Wesentliche, welches die Güte des Verfahrens in erster Reihe be¬
dingt, eine gut gedämpfte Membran ist. Sie hat die Erfordernisse zu
erfüllen, dass zunächst die Merabranschwingungcn von dem Orte der
besten Schwingungsamplituden aus übertragen werden, dass die Art der
Schwingungen der Schallplatte nicht einseitig abgeändert werden darf,
und dass die richtige Membranbewegungen garantirende Dämpfung dort
angreift, wo die Entnahme für die Uebertragung vor sich geht. Des
weiteren hat sich oben ergeben, dass die Einführung eines gewichtslosen
Lichthebels nach dem Vorbilde zahlreicher in der Physik verwendeter
Registririnstruraente aus verschiedenen Gründen und nicht zuletzt wegen
der Möglichkeit, die Vergrösserung der zu schreibenden Schwingungen
in hohem Maasse herbeiführen zu können, ein Erforderniss des Grund¬
satzes ist, jede Entstellung auf dem Wege von der Membran bis zur
Schreibfläche unter allen Umständen zu meiden, bezw. die unumgäng¬
lichen Massentheile auf ein Minimum zu reduciren.
II. Die Oonstruction des Herzschallschreibers.
Obwohl die Principien der Construction endgültig festliegcn und
der Apparat zu Aufnahmen, welche seine Brauchbarkeit erwiesen, bereits
benutzt wurde, sind in den technischen Details Abänderungen in Folge
weiterer praktischer Erfahrungen natürlich zu erwarten. Ein theilweiser
Umbau ist schon jetzt in Angriff genommen. Ich thcile deshalb im
Folgenden den constructiven Aufbau nur insoweit mit, als es für das
Verständniss der Arbeitsweise des Registrirapparates erforderlich ist und
werde die detaillirte Beschreibung später bringen. Da sich ferner der
Wiedergabe der erhaltenen Curven technische Schwierigkeiten entgegen¬
stellen, sehe ich hier vorläufig davon ab, um die Publication der Arbeit
nicht länger zu verzögern.
Physiologische wie klinische Beurtheilung erfordern es, die einzelnen
Phasen des Herzschalles in die sonstigen Erscheinungen des Ablaufes
der Herzarbeit einzureihen. Da nun die Aufzeichnung des Cardiogramms
besonders nach den fruchtbaren Arbeiten 0. Frajik’s und auch aus
manchen anderen Gründen nicht den Anspruch erheben kann, in dem
Maasse eine objective Wiedergabe wichtiger Herzfunctionen darzustellen,
als es die Aufzeichnung so kurzdauernder Erscheinungen, wie es die
Herzgeräusche sind, erfordert, ist man genöthigt, als wahren Vergleichs¬
modus die Auscultation eines anderen Ostiums zu wählen, um bei der
Beurtheilung von dem II. Herzton, der mit grosser Sicherheit auf den
Schluss der Semilunarklappen zurückgeführt werden kann, ausgehen zu
können.
Allerdings ist damit kein Ideal erreicht; der Vortheil, dass so eine
das Gleiche bezweckende und in absolut derselben Weise arbeitende
Vergleichsmethode geschaffen ist, dürfte aber überwiegend sein.
Alle Schallaufnahmetheile des Registrirapparates sind demgemäss
doppelt vorhanden.
Der Apparat ist in dem physikalischen Laboratorium von Ruhm er
ausgeführt worden.
Gck igle
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Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Herzschalles. 127
Aufbau des Apparates.
Zur Ueberleitung der Membranbewegung auf die photographische
Platte bezw. Films sind Gauss’schc Lichthebel in Anwendung gezogen.
Dadurch ist ein beträchtlicher Umfang des Apparates bedingt. Es hat
sich aber durch geeignete Wahl und Unterbringung der nothwendigen
Zubehöre erreichen lassen, dass die Dimensionen keine die Bequem¬
lichkeit der Handhabung und der Aufstellung hindernde Ausdehnung
angenommen haben.
Fig. 4.
Membrantheil, von oben gesehen.
X und S = Magnetpole. M = Membran. St — Uebcrtragungsstäbchcn. Sp — Spiegel.
P = Plättchen aus Stahl, mit 2 stählernen Nadelspitzen Na. Po --- Polschuhe. Z —
Zulcitungsrohr. H = Halter, in dem das Uebcrtragungsstäbchcn St ruht.
Fig. 5.
Spiegel mit Plättchen.
Zur besseren Ucbersicht über die Methode und all das, was die
Construetion an technischen Details verlangt, sei im Voraus soviel be¬
merkt, dass die Uebertragung der Bewegungen der senkrecht stehenden
Membran durch ein horizontal liegendes leichtes Stäbchen auf einen
kleinen Spiegel geschieht. Dieser letztere lehnt an das Stäbchen an
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H. Gerhartz,
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und wird durch Magnetismus festgchalten. Auf den Spiegel fällt von
einer Lichtquelle ein Lichtstrahl. Bewegt sich der Spiegel, veranlasst
durch die Bewegung der Membran, so macht der von dem Spiegel
zurückgeworfene Lichtstrahl diese Excursionen vergrössert mit und bringt
sie auf einer ablaufenden Filmrolle zur Darstellung.
Somit ergiebt sich die Anordnung: 1. zweier getrennter Theile,
welche die Membran mit der Zuleitung enthalten — sie seien der Kürze
halber „Membrantheile“ genannt — 2. zweier das Licht abblcndender
Tuben mit der Lichtquelle gleich „Lichtzulcitung“ und 3. einer
„photographischen Camera“ mit »einem Uhrwerk, das die Rotations¬
geschwindigkeit der die Lichtcurven aufnehmenden Filmrollen bedingt
und regulirt.
Die technische Anordnung der Theile wird am besten aus der bei¬
gegebenen Abbildung ersehen. Es sind im Wesentlichen zwei auf einem
Grundbrett befestigte Gehäuse, zwischen denen sich ein freier Raum
befindet.
In dem einen Kasten liegen die beiden Schallzuleitungsvorrichtungen
mit dem ganzen Merabrantheilc; in dem anderen ist die Lichtquelle.
Beide Kasten sind, um von der letzteren Licht auf die Membran fallen
lassen zu können, durch zwei Tuben verbunden. Camera und Regulir-
werk sind räumlich zwischen beiden Tuben untergebracht.
Der Membrantheil.
Die Membran, welche die Schallschwingungen aufnimmt, ist durch
die Kanten zweier Metallringe von dreieckigem Querschnitt aufgespannt,
in dem sie entsprechend ihrer eigenen Elasticität und Spannung spielen
kann, d. h. sie ist nicht, wie es z. B. bei Gummimembranen nothwendig
wäre, künstlich an ihrer Peripherie gespannt. Das hat den Vortheil,
dass bei Temperaturdifferenzen und ähnlichen Einflüssen keine inneren
Spannungen entstehen können und die Spannungsverhältnissc der Membran
somit sich immer gleich bleiben, während die von Gummimembranen
wechseln würden und kaum nach allen Richtungen hin gleichmässig sein
könnten. Der die Membran haltende Ring ist in einen hohlen Cvlinder
einschraubbar, der aussen ein Gewinde trägt, innen aber nach der der
Membran abgewandten Seite conisch erweitert ist und hier das Schall¬
zuleitungsrohr, dicht anpassend, aufnehraen kann. Die lichte Weite
beider Cylinder ist gleich, und den gleichen Durchmesser hat auch der
das Gewinde besitzende enge Theil des Membranringes. Durch diese
Einrichtungen ist es möglich, die Membran in einen in der Kastenwand
sitzenden Ring hinein- und herauszuschrauben, die Membran also dem
Spiegel zu nähern oder zu entfernen.
Ebenfalls an der Wandung des den Apparat umgebenden Kastens
ist ein hufeisenförmiger Stahlmagnet befestigt, dessen Pole nach oben
gerichtet sind, und der an der geschlossenen Seite kreisrund gebogen ist.
Beide Pole tragen nach dem Inneren des Apparates zu eiserne Fortsätze,
die so in jederseits zwei mit Gewinde versehene, mit dem Magneten
fest verbundene Eisenklötzchen eingeschraubt werden können, dass sie
sich mehr oder weniger zu nähern vermögen. Von diesen' Polschuhen
Gck igle
Original from
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Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Herzschalles. 129
•
besitzt der eine zwei Kerben, in die sehr feine stählerne Nadelspitzen,
die an einem ausserordentlich leichten quadratischen Stahlplättchen
sitzen, genau passen. Wird also dieses Plättchen dem Polschuh genähert,
so schnappen die Stifte, wenn es richtig gehalten wird, in die Kerben
ein. Das Plättchen wäre nun in zwei feinen Punkten um die durch die
Spitzenenden gedachte Achse äusserst leicht beweglich, wenn nicht von
der anderen Seite des Magneten her, je nach der Einstellung des dort
angebrachten Polschuhes mehr oder weniger stark, durch die magne¬
tische Kraft des Poles die Bewegungen des Stahlplättchens gedämpft
würden. Diese Vorrichtung ermöglicht cs, das Plättchen, welches durch
die nähere oder entferntere Vorrückung der Membran in einen beliebigen
Winkel zur Verticalen eingestellt werden kann, in seiner Excursions-
fähigkeit in weitem Umfange zu variiren, wobei durch die Anordnung des
Stahlplättchens in die geradlinige Verbindung der beiden magnetischen
Schwerpunkte eine einseitige Dämpfung vermieden wird.
Membran und Stahlplättchen sind durch ein äusserst leichtes Stäbchen,
welches nur den Forderungen der Festigkeit genügt und das in einem
an dem erstbesprochenen Pol befestigten, am freien Ende durchlöcherten
Fortsätze leicht verschiebbar ruht, verbunden, so dass also hierdurch
die reducirten Excursionen der Membran, soweit sie nicht durch die
Dämpfung reducirt werden, gleichartige Bewegungen des Plättchens be¬
dingen müssen.
Auf dem Plättchen ist in der Weise, dass ein Durchmesser auf der Ver¬
bindungslinie der beiden Kerben liegt, verspiegelt. Demgemäss gilt also das
oben für die Excursionen des Stahlplättchens Gesagte auch für den Spiegel.
Die Lichtzuleitung.
Das zum Schreiben der Spiegelexcursionen nöthige Lichtbündel hat
in einer Osramlampe seine Quelle. Die Lampe wird durch im Apparat
selbst angebrachte Trockenelemente gespeist; mittels eines Nickelin¬
drahtes als Widerstand kann die Intensität der Lichtquelle regulirt
werden. Die gebräuchlichen Lampen weisen zu dicke Fäden auf, als
dass sie einen punktförmigen Lichtpunkt abgeben könnten. Es wurden
deshalb Osramlampen mit möglichst dünnem und kurzem Faden eigens
hergestellt und davon solche ausgesucht, welche einen völlig senkrecht
zur Längsachse der Birne gerichteten Faden besassen.
Vor der Lampe ist beiderseits eine Blende aufgestellt, durch welche
das nun punktförmige Lichtbündel jederseits auf zwei Prismen fällt.
Diese Prismen befinden sich zwei ausziehbaren und ineinander schicb-
baren Tuben gegenüber, so dass das Licht, das durch die Prismen
hindurchgeht, durch die Längsachse der Tuben fällt und zwar in weiterer
Verlängerung dieser Achse auf den Spiegel des Membrantheiles. Die
Prismen sind in verschiedener Richtung etwas zu bewegen. Innerhalb
der Tuben ist eine Convexlinse so justirt, dass der auf dem Spiegel
sichtbare Lichtstrahl punktförmig erscheint.
Die Camera.
Die photographische Camera befindet sich in der Mitte zwischen
den beiden Tuben, da die Lichtstrahlen nach der Mitte des Apparates
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd.
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130 H. Gerhartz, Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen etc.
•
zu reflectirt werden. Sie fallen dort, wenn der Belichtungsschieber auf¬
gezogen ist, auf eine ebene Schreibfläche, welche durch ein zwischen
zwei parallel liegenden Rollen sich wegziehendes straff gespanntes Film¬
band gebildet wird. Natürlich ist, damit der Schrcibpunkt sich in einer
vollkommenen Ebene bewegt, durch verschiedene Vorrichtungen dafür
Garantie gegeben.
Die Filmrollen werden von einem ausserordentlich gleichraässig
gehenden, um Erschütterungen des Apparates zu vermeiden, weit abseits
stehenden Uhrwerk vermittels einer biegsamen Welle angetrieben; die
Geschwindigkeit des Ablaufes kann genau regulirt werden. Der Antrieb
wird durch ein Hebelsystem ausgelöst.
Durch diese Einrichtungen glaube ich wesentliche Vorzüge vor allen
ähnlichen Constructioncn erzielt zu haben. Diese liegen:
1. in der Garantie, dass thatsächlich nur Schallwellen aufgezeichnet
werden,
2. in der stets gleichmässigen Spannung der Aufnahmcm'embran, so
dass mit ihr bei der theoretischen Durchrechnung als einer Kon¬
stanten gerechnet werden kann,
3. in der optimalen Aufnahme der Membranbewegungen,
4. in der nicht durch Gewichtsbclastung herbeigeführten und durch
Reibung complicirten Dämpfung, sondern im Ersatz einer solchen
durch eine genau messbare, variable, die Reibung zu einem un¬
wesentlichen Factor reducirende magnetische Dämpfungs¬
vorrichtung,
f>. in der einerseits durch Variation der Entfernung zwischen
Spiegeldrehachse und Angriffspunkt des die Membranbewegungen
übertragenden Stäbchens, andererseits durch auf optischem
Wege herbeigeführte Vergrösserung der Lichthebel bewerkstelligte
Verlängerung der Excursioncn.
Auf Grund der Kcnntniss der einzelnen im Registrirapparat wirk¬
samen Grössen ist es möglich, die Amplituden der geschriebenen Curven
auf genau messbare Membranexcursionen zurückzuführen.
Ich stehe nach den vorstehend gemachten Ausführungen nicht an
zu behaupten, soweit die in der Literatur niedergelcgten Mittheilungen
erkennen lassen, den ersten einwandfreien Weg zur Aufzeichnung von
Schallerschcinungen auch geringerer Intensität gewiesen zu haben.
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XI.
Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Jena.
Beiträge zur Kenntniss der Gicht.
8. Das Auftreten von Glykokoll im Blute.
Von
H. Kionka.
Hierzu Tatei II und III und 1 .Skizze im Text.)
In einer früheren aus dem hiesigen Institut hervorgegangenen und
hier veröffentlichten Arbeit wurde von Frey (1) mitgctheilt, dass nach
Zusatz von Harnsäure zu überlebendem Blute in demselben Glykokoll
auftretc. Dieser Befund wurde später von uns (2) bestätigt. Da er
aber trotzdem angegriffen und — zunächst ohne Nachprüfung — die von
uns fcstgestellte Thatsache bestritten wurde, so schien es mir nöthig
der Frage noch einmal nachzugehen und womöglich den ganzen Vorgang
durch Feststellung weiterer Thatsachen noch mehr sicher zu stellen.
Die Methode, die zur Bestimmung von Glykokoll und anderen
Amidosäuren jetzt allgemein angewandt wird, ist bekanntlich die von
E. Fischer und Bergell ausgearbeitete, mittels £-Naphthalinsulfochlorid
die Bildung schwer löslicher und mehr oder weniger gut krystallisircndor
Verbindungen der /J-Nathalinsulfosäure mit den verschiedenen Amido¬
säuren zu erzielen. Diese Methode, welche von ihren Erfindern ursprüng¬
lich zu rein synthetischen Zwecken ausgearbeitet war, hat sich aber
als Nachweismethöde recht wenig bewährt. Sie ist eigentlich überhaupt
nur für den Nachweis von Glykokoll anzuwenden. Aber auch da giebt
sie schon bei Harnuntersuchungen quantitativ recht wenig brauchbare
Resultate. Rechnet doch Hirschstein (3) neuerdings sogar bloss mit
einer Ausbeute von 20 pCt.
Wenn wir mit dieser Methode an den Nachweis von Glykokoll im
Blute herangehen wollten und auch hcrangegangen sind, so mussten
wir natürlich auf noch schlechtere Ausbeuten gefasst sein. So ergab
sich für uns die Unannehmlichkeit, dass wir am Schluss stets nur
äusserst geringe Mengen des Reactionsproductes erhielten, deren ein¬
wandfreie Identifioirung mit grossen Schwierigkeiten verknüpft war.
Wir benützten dazu ebenso wie alle anderen mit dieser Methode
Arbeitenden die Fällung mit Baryumchlorid und die Feststellung des
Schmelzpunktes. Nie reichte die erhaltene Menge des Endproductes zu
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einer Elementaranalyse oder auch nur zu einer N-Bestimmung aus. Aber
auch diese letztere würde ebensowenig wie die genannten anderen Re-
actionen und Bestimmungen ein absolut sicherer Nachweis für die be¬
treffende Verbindung mit Glykokoll oder einer anderen Aminosäure
gewesen sein. Es kam als weitere Schwierigkeit dazu, dass sich ent¬
sprechend dem Ausgangsmaterial sicherlich öfters verschiedene gleich»
zeitig neben einander vorhandene Aminosäuren an der Reaction mit
/?-Naphthalinsulfosäurc betheiligten und daher häufig verschiedene End-
producte im Gemisch Vorlagen. Ferner bildet sich bei dieser Methode
bekanntlich sehr leicht das Amid der genannten Säure, das trotz wieder¬
holter Behandlung mit Ammoniak doch in Spuren immer wieder im
Endproduct enthalten ist.
Es schien daher wünschenswerth zur Idcntificirung des Endproductes
bei dieser Methode einen ganz andern Weg zu beschreiten, auf dem es
möglich wäre, selbst ganz geringe Mengen der fraglichen Substanz mit
Sicherheit zu identificiren.
Dieses Ziel suchte ich auf krystallographischem Wege zu er¬
reichen. Dieser Weg schien mir von vornherein gute Aussichten zu
bieten. Denn einmal ist die Bestimmung einer Krystallform mittels
mikroskopischer Beobachtung und Messung bereits an äusserst kleinen
Krystallen oder Krystalltrümmern möglich. Sodann aber giebt die Fest¬
stellung einer bestimmten Krystallform die völlig untrügliche Gewissheit,
dass es sich nur um die eine betreffende Substanz handeln kann, für
welche dieses selbige krystallinische Verhalten festgestellt ist. Denn es
ist eine der wichtigsten Grundlagen der Krystallographie, dass „ver¬
schiedene Substanzen unter gleichen oder verschiedenen physikalischen
Bedingungen zwar manchmal in geometrisch ähnlichen, niemals aber in
Krystallen, in denen je gleiche Richtungen physikalisch und geometrisch
gleich wären, krystallisiren a (Linck).
Man kann also durch Messung der geometrischen Verhältnisse
irgend welcher vorliegender Krystalle und durch gleichzeitige Feststellung
physikalischer Grössen (optisches Verhalten, Spaltbarkeit etc.) mit ab¬
soluter Sicherheit die betreffende Substanz identificiren.
Die krystallographische Untersuchung gehört zu dem wichtigsten
Rüstzeug der Mineralogen. Man kann aber diese Methoden auch sehr
wohl zu anderen Zwecken verwenden und sie an Stelle chemischer
Prüfungen benützen, wenn, wie hier in unserem Falle, die zur Verfügung
stehenden Substanzmengen zu letzterer nicht ausreichen.
Ueber die Einzelheiten dieser ersichtlich recht vielfach verwend¬
baren Methode soll an anderer Stelle ausführlich berichtet werden.
Zur Ausführung der Untersuchungen, welche im Folgenden geschil¬
dert werden sollen, wandte ich mich an den Direktor des hiesigen
mineralogischen Instituts Herrn Geheimrath Linck, welcher mir nicht
nur die Apparate seines Instituts in liebenswürdiger Weise zur Verfügung
stellte, sondern mich auch bei der Ausführung der Untersuchungen in
jeder Weise mit Rath und That unterstützte und auch die von mir ge¬
wonnenen Resultate nachprüfte und bestätigte. Ich sage ihm auch an
dieser Stelle meinen besten Dank dafür.
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Beiträge zur Kenntniss der Gicht.
133
Es musste meine Aufgabe sein die eventuell am Schluss der
chemischen Methode erhaltenen krystallinischen Substanzen als Ver¬
bindungen der /^-Naphthalinsulfosäure mit Glykokoll oder anderen Amido-
säuren krystallographisch zu identificiren. Dazu war es zunächst noth-
wendig, das krystallographische Verhalten der etwa in Frage kommenden
Verbindungen genau zu kennen. Zu diesem Zwecke stellte ich mir die
betreffenden Verbindungen nach der Fischer-Bergell’schen Methode
aus reinen Substanzen dar. Ich wählte dazu ausser Glykokoll (von den
Höchster Farbwerken bezogen) Leucin, linksdrehend, und Alanin, inactiv,
(beides von E. Merck, Darmstadt, bezogen). Das zur Herstellung der
Verbindungen benützte /tf-Naphthalinsulfochlorid stammte von Kahl bäum,
Berlin. Ausserdem stellte ich mir zum Vergleich auch das Amid der
/f-Naphthalinsulfosäure dar, da. dieses sich, wie oben gesagt, sehr häufig
bei Anwendung dieser Methode als Beimengung im Endproduct findet.
Die krystallographische Untersuchung dieser Verbindungen ergab
folgendes:
I. /tf-Naphthalinsulfoglykokoll.
Diese Verbindung zeigte krystallographisch mehrere Modifikationen.
Und zwar konnte ich drei verschiedene Krystallformen bei dieser Substanz
feststellen. Jedoch war es nicht ersichtlich, welche Momente bestimmend
dafür waren, dass die Substanz in dieser oder in jener Form krystallisirte.
Ohne Einfluss darauf war bestimmt das Lösungsmittel, aus welchem die
Krystallisation erfolgte. Es fanden sich sogar häufig, wie auch aus den
folgenden Photographien zu ersehen ist, verschiedene Krystallformen dicht
neben einander in ein und demselben Präparat. Hingegen schien es,
als ob die Temperatur, bei welcher die Krystallisation stattfand, und
die Geschwindigkeit des Krystallisationsvorganges von Bedeutung für die
Form der sich bildenden Krystalle wären. Wiederholt liess sich auch
beobachten, dass zuerst aus einer Lösung nur Krystalle einer bestimmten
Form ausfielen. Blieb aber die Lösung mit dem krystallinischen Sediment
einige Zeit stehen, so traten allmählich immer mehr Krystalle einer
andern Form neben denen der ursprünglichen auf, die ihrerseits nach
und nach verschwanden, so dass schliesslich nur noch Krystalle der
zweiten Form zu finden waren. (Es ist dies ein Verhalten, das man an
vielen in verschiedenen Modifikationen krystallisirenden Substanzen be¬
obachtet.)
Die von mir beobachteten Krystallisationsformen des ß-Naphthalin-
sulfoglykokolls sind folgende:
1. Bei schwacher Vergrösserung sieht man Rosetten oder Büschel
nadelförmiger Krystalle, wie es auch auf Fig. 2 (neben den grossen
rhombischen Plättchen) zu sehen ist.
Bei stärkerer Vergrösserung sieht man, dass die Kryställchen in
Form nadelförmiger, schmaler, dünner Plättchen ausgebildct sind, welche
manchmal an dem einen Ende in ein Büschel feinster gerader Nadeln
aggregiren.
Winkelmessungen waren bei der Schmalheit der Plättchen nicht
möglich.
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Die Auslöschung ist parallel und senkrecht zur Längsrichtung der
Plättchen.
Lichtbrechung gering, Stärke der Doppelbrechung ebenfalls gering.
Bei etwas breiteren Plättchen beobachtet man ein symmetrisch aus¬
tretendes Achsenbild 2achsiger Krystalle. Und zwar liegt die optische
Achsenebene in der Längsrichtung der Krystalle.
Der grössere Brechungsexponent liegt dagegen senkrecht zur Längs¬
richtung.
Danach dürften die Krystalle wahrscheinlich dem rhombischen
System angehören.
Der beobachtete Achsenwinkcl ist so klein, dass er sicher der spitze
ist. Die Krystalle sind also optisch positiv.
2. (siehe Fig. 1). Die Krystalle sind ausgebildet in Form von schein¬
bar hexagonalen Plättchen. Die Winkclmcssungen ergaben:
^ a, ^ b, ^ d und ^e = 125°;
und ^f= 110°.
(siehe beifolgende Skizze!)
Lichtbrechung gering.
Auslöschung grade, parallel den Kanten ab und de.
Man sieht der Kante c d bezw. a b genähert den seitlichen Austritt
einer optischen Achse 2 achsiger Krystalle. Die optische Achsenebene
liegt in der Syrametriccbene der scheinbar monoklinen Krystalle und
steht senkrecht zur Kante a b.
Zu derselben Krystallform gehören auch, wie aus nebenstehender
Skizze ersichtlich ist, folgende, gleichfalls beobachtete Krystalle:
Die Krystalle sind ausgebildet in Form von Plättchen mit rhombischer
Begrenzung. Die Winkelmessungcn ergaben:
^ u und y — 55°,
_ ß und d — 125°.
Gck igle
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Beiträge zur Kenntniss der Gicht.
135
Man sicht, dass die Winkel (i und S die gleiche Grösse haben wie
die Winkel a und d bezw. b und c bei den eben beschriebenen hexa¬
gonal begrenzten Krystallcn. Diese letztere Form entsteht (s. Skizze)
aus der rhombischen durch Abschrägung der spitzen Winkel a und
Damit stimmt auch die zu 110° gemessene Grösse der durch die Ab¬
schrägung neu entstandenen Winkel c und f.
Aber nicht nur geometrisch, sondern auch in ihrem physikalischen
Verhalten stimmen diese beiden Krystallformen überein.
Die Auslöschung ist bei den Rhomben parallel zu den Kanten «, d
und /¥, y. — Die Spaltbarkeit, die sich an einigen Krystallcn feststellen
liess, verläuft senkrecht dazu.
Man sieht den seitlichen Austritt einer Achse 2achsiger Krystalle.
Die optische Achsenebenc liegt parallel zur Spaltbarkeit.
Die Krystalle gehören also dem monoklinen Systeme an.
3. (siehe Fig. 2). Die Krystalle sind ausgcbildet in Form rhombi¬
scher Plättchen. Die Winkelmcssungen ergaben für den spitzen
Winkel 70,5°.
Lichtbrechung gering; Doppelbrechung ebenfalls gering.
Auslöschung grade, in der Richtung der langen Diagonale.
Man sieht den seitlichen Austritt einer optischen Achse eines
2achsigcn Krystalls im spitzen Winkel der Krystalle.
Der grössere ßrcchungscxponent parallel der kürzeren Diagonale.
Die Krystalle gehören danach dem monoklinen System an.
n. /tf-Naphthalinsulfoalanin.
Diese Substanz krystallographiseh zu idcntificircn ist nicht ge¬
lungen. Sie krystallisirt bekanntlich viel schwerer als die entsprechende
Glykokoll Verbindung. Die krystallographisohe Untersuchung ergab
folgendes:
Am Boden, des Gefässes liegen krümlige, gelbliche Massen von
harter Consistenz. Zerdrückt zeigt sich unter dem Mikroskop eine ölige,
gelblich-graue Masse schaumiger Structur. In ihr eingebettet finden sich
zahlreiche Körner einer krystallinischen doppelbrcchenden Substanz, in
welcher einzelne Krystallindividuen nicht mit derart genügender Deut¬
lichkeit zu erkennen sind, dass eine weitere Identificirung möglich wäre.
in. jtf-NaphthaUnsulfoleucin.
Diese Verbindung bot krystallographiseh mehr Anhaltspunkte (siehe
Fig. 3).
Die Untersuchung ergab folgendes:
Die Krystalle sind ausgebildct in Form verzweigter Bäumchen, die
einzelnen Aestchen sind bogenförmig abstehend und in einer Ebene an¬
geordnet, sie bilden lange flache Blättchen, die nach der einen Seite
eine ziemlich ganzrandige Begrenzung zeigen, nach der andern in viele
einzelne Fiedern aufgelöst sind. Die einzelnen Fiedern sind Hache nadel¬
förmig erscheinende Gebilde mit stumpfer Spitze.
Die Fiederchen spalten in einem Winkel von 112° zur Längsrichtung.
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Die Plättchen löschen ungefähr parallel zur Längsrichtung aus. —
Es besteht Unscharfheit der Kanten.
Lichtbrechung gering.
Doppelbrechung sehr stark. Die Krystalle zeigen zwischen gekreuzten
Nikols das Weiss höherer Ordnung.
Man sieht den stark seitlichen Austritt einer optischen Achse eines
2achsigen Krystalles. Und zwar liegt die optische Achsenebene senk¬
recht zur Längsrichtung der Krystalle.
Der grössere Breehungsindex liegt in der Längsrichtung der Plättchen.
Die Krystalle gehören wahrscheinlich dem monoklinen System an.
IV. ^-Naphthalinsulfamid.
Diese Verbindung krystallisirt sehr leicht in gut bestimmbaren
Krystallen. — Die Krystalle kommen in zwei Ausbildungen vor, ent¬
weder als kleine scheinbare Rhomboeder oder als dünne rhombisch oder
hexagonal begrenzte Plättchen (siehe Fig. 4). Die dicken Kryställchen
stellen sich dar als eine Combination von rhombischem Prisma mit Basis;
an einigen tritt auch noch ausserdem das Brachypinakoid auf. — Die
grösseren Krystalle sind tafelförmig nach der rhombischen Basis.
Die letzteren, die Plättchen, zeigen im auffallenden Lichte die
Interferenzfarben dünner Plättchen.
Der spitze Winkel der Rhomben ist — bei den Plättchen gemessen
— 72°.
Lichtbrechung gering.
Auslöschung auf den Rhombcnilächen diagonal, auf den Prismen
parallel den Kanten.
Auf der Basis ist der symmetrische Austritt zweier optischer Achsen
zu beobachten. Man sieht das Achsenbild 2achsiger Krystalle. Und
zwar liegt die optische Achsenebene parallel der langen Diagonale des
Rhombus, also parallel dem Makropinakoid.
Der grössere Brechungsexponent entspricht der kurzen Diagonale,
also der Brachydiagonale.
Hiernach ergiebt. sich, dass die Krystalle dem rhombischen
System angehören.
Uebersehen wir diese krystallographischen Analysen, so zeigt sich,
dass die verschiedenen Substanzen recht gute Unterschiede in ihrem
Verhalten aufweisen. Sie sind genügend, um eine sichere Unterscheidung
von einander zu ermöglichen.
Die Alaninverbindung wird wegen ihrer schweren Krystallisir-
barkeit wrnhl kaum zu Verwechslungen Veranlassung geben. Die ebenfalls
noch ziemlich schlecht, aber immerhin bedeutend leichter krystallisirende
Leucinverbindung ist charaktcrisirt durch die Bildung dauerhafter
baumförmiger Krystallskelette, das optische Achsenbild, die Richtung der
Auslöschung und die in einem gemessenen Winkel dazu verlaufende
Spaltungsrichtung. — Die Glykokollverbindung bietet drei gut
charakterisirte Krystallmodificationen, und auch für das Amid ist die
Krystallforra mit aller Sicherheit festgestellt.
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Beiträge zur Konntniss der Gicht.
137
Dabei zeigt sich aber, dass zwischen den Krystallcn des Amids und
jenen der Glykokollverbindung doch eine gewisse Aehnlichkeit besteht,
die wohl bei ungenügender Untersuchung auf den ersten Blick zu Ver¬
wechslungen führen könnte.
Das Amid sowohl wie die Modilication 3 der Glykokollverbindung zeigen
rhombisch, manchmal auch hexagonal begrenzte Plättchen. Der spitze
Winkel der Amidkrystalle misst 72°, der der Krystalle der Glykokoll¬
verbindung 70,5°. Der Unterschied ist also nur gering. Jedoch zeigt
sich sofort ein deutlicher Unterschied zwischen diesen beiden Krystall-
formen, wenn man das optische Achsenbild feststellt. Dasselbe ergiebt,
dass die Krystalle des Amids dem rhombischen System, die der Glykokoll¬
verbindung dem monoklinen System angehören.
Man sieht hieraus, wie wenig aus einfachem Beschauen und Angabe
der geometrischen Form der beobachteten Krystalle zu schliessen ist, wie
es für gewöhnlich nur geschieht.
Nach diesen Feststellungen ging ich daran mit Hülfe dieser Methode
im Blute nach Zusatz von Harnsäure nach eventuell auftretendem Gly-
kokoll zu suchen.
Ich benutzte dazu Hammelblut und Hundcblut. Im einzelnen stellten
sich die Versuche folgendermaassen:
I. Hammelblut.
•1400 ccm frischen Blutes werden mit 8 Litern Wasser vordünnt; dazu gesetzt
21,6 g Harnsäuro und Lithiumoxyd bis zur schwach alkalischen Reaction. Darauf
unter Chloroformzusatz 24 Stunden im Brutschrank bei 39° stehen gelassen.
Dann werden 100 ccm davon entnommen, enteiweisst und ihr Harnsäuregehalt
nach Salkowski bestimmt. Es waren darin enthalten:
0,1696 g Harnsäure, in der Gesammtmenge des Blutes also: 19,3344 g Harn¬
säure. — Zugethan waren: 21,6 g. Es wurden also von der zugesetzten Harnsäure
89.51 pCt. wiedergefunden.
Das nicht zur Harnsäurebestimmung verwandte Blut wurde nach Fi sch er-
Bergeil mittels /f-Naphthalinsulfochlorid auf Glykokoll untersucht.
Der erhaltene krystallinische Niederschlag wurde krystallographisch auf die
Glykokollverbindung der //-Naphthalinsulfosäure untersucht.
II. Hundeblut.
890 ccm frisch aus der Ader gelassenen Blutes, mit 1000 ccm Wasser verdünnt,
dann mit 2,0 g Harnsäure und mit Lithiumoxyd bis zur schwach alkalischen Reaction
versetzt. Darauf 4 Stunden lang unter Fluornatriumzusatz im Schüttelapparat bei
constanter Temperatur von 39° (genau 38 °—40°) geschüttelt.
Hierauf wie oben auf Glykokoll verarbeitet. Der erhaltene Niederschlag wie
oben w T eitcrbohandelt.
III. Hundeblut.
340 ccm frisch entnommenen Blutes werden mit 1000 ccm Wasser verdünnt und
mit 2,0 g Harnsäure, mit 2,0 g Fluornatrium und mit Lithiumoxyd bis zur schwach
alkalischen Reaction versetzt.
Darauf werden drei Portionen zu jclOOccm a, b und c zur Harnsäurebestimmung
entnommen.
Das Uebrige wird im Schüttelapparat 4 Stunden lang bei constanter Temperatur
von 39° geschüttelt.
Darauf wiederum drei Portionen zu je 100 ccm A, B und C entnommen.
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Diese sowie die vorher entnommenen Portionen a, b und c werden nach Sal-
kowski auf Harnsäure verarbeitet. Und zwar werden immer gleichzeitig neben
einander verarbeitet Portion a und A, Portion b und B und Portion c und C.
Es ergaben sich folgende Zahlen:
Portion a: 0,1371 g. — Portion A: 0,1224 g Harnsäure.
„ b: 0,1320 g. - „ B: 0,0923 g „
* o: 0,1097 g. — „ C: 0,0947 g „
Uder in Procenten der ursprünglich zugesetzten Harnsäuremenge ausgedrückt :
Portion a: 91,2 pCt. — Portion A: 82,0 pCt.
» 88,4 „ — « B: 61,9 „
„ »= 73,5 „ - „ C: 63,4 „
Das heisst, es fanden sich Differenzen zwischen den gleichzeitig verarbeiteten
Portionen, von denen je eine vor und eine nach dem Schütteln entnommen war, zu
9,2 pCt. zwischen Portion a und A,
26,5 „ „ „ b „ B und
10,1 „ „ „ c „ C.
Jedoch liegen trotzdem sicherlich die gefundenen Differenzen noch innerhalb der
Versuchsfehler, wie sie bei dieser Versuchsanordnung gegeben waren. Denn in
Portion A, also nach dem Schütteln, findet sich ein höherer Harn säure werth (82,0pCt.
der ursprünglich zugesetzten) als in Portion c, also vor dem Schütteln entnommenen
(73,5 pCt.). — Es ist noch zu erwähnen, dass die Abmessung der einzelnen Portionen
deswegen einige Schwierigkeiten machte, weil das Blut bei diesem Versuche sofort in
grossen Klumpen geronnen war, die vollständig zu zerkleinern vielleicht nicht voll¬
kommen gelang. — Daher wohl die grossen Schwankungen der wiedergefundenen
Harnsäurewerthe. — Jedenfalls sind wir nicht berechtigt aus diesem Versuche —
ebenso wenig wie aus dem oben mitgotheilten Versuche mit Hammelblut — den
Schluss zu ziehen, dass von der dem Blute zugesetzten Harnsäure ein Theil zerstört
worden sei.
Das nicht zur Harnsäurebestimmung verwandte Blut wurde wie oben auf Gly-
kokoll verarbeitet.
Die aus diesen drei Versuchen mittels der Fischer-Bergell’schen
Behandlung mit /J-Naphthalinsulfosäure gewonnenen Niederschläge er¬
wiesen sich zunächst natürlich als stark verunreinigt. Dies ging sowohl
aus den Versuchen einen Schmelzpunkt zu bestimmen wie aus der
krystallographischen Untersuchung hervor. Wohl schmolzen einige Theile
des Niederschlages bereits bei 155°, jedoch blieben andere Theile immer
noch ungeschmolzen und schmolzen erst bei weit höheren Temperaturen,
zum Theil erst bei 215°, erwiesen sich also als Amid, was auch aus
dem Verhalten eines Theiles des Niederschlages gegenüber Ammoniak
hervorging.
Die krystallographische Untersuchung ergab zunächst auch keine
reinen Bilder. Man sah fast stets krümelige, unregelmässig begrenzte
Massen, aus deren Peripherie wohl hier und dort, namentlich nach
längerem Stehen der Niederschläge, durchsichtige, nadelförmige Krystalle
hervorwuchsen. Die rosetten- oder büschelförmige Anordnung derselben,
— die wir ja, wie oben gezeigt, nur bei der Glykokollverbindung an¬
getroffen hatten, — sprach ja wohl dafür, dass es sich auch hier in
diesen mit ß-Naphthalinsulfosäure nach der angegebenen Art behandelten
Lösungen um diese Verbindung handeln mochte. Jedoch ein exacter
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Beitrage zur Kenntniss der Gicht.
139
Beweis dafür war in diesen noch so unreinen, zunächst gewonnenen
Niederschlägen nicht zu erbringen.
Dieser Befund zusammen mit den angestclltcn Versuchen zur Be¬
stimmung des Schmelzpunktes erweisen, dass es völlig unstatthaft ist,
wie es manchmal geschieht, aus Wägungen solcher Art gewonnener Mengen
dieses „Rohproductes 44 irgend welche Schlüsse auf quantitative Verhält¬
nisse zu ziehen.
Indessen gelang es doch zu sicheren Schlüssen zu kommen. Durch
eine weitere Behandlung dieser und einiger weiterer in andern analog
angestellten Versuchen gewonnener Niederschläge mit Ammoniak und
erneutes Ausfällen mit Säure und wiederholtes Umkrystallisiren erhielten
wir ein zwar an Menge bedeutend redueirtes Präparat, das aber in einigen
Fällen den Schmelzpunkt von 154° genau zeigte. Und auch die krystallo-
graphische Untersuchung führte uns zum gleichen Resultat. Während
zuerst sich im Mikroskop nur Krystallbilder der oben beschriebenen un¬
klaren Art zeigten, wie eines in Fig. 5 dargestellt ist, gelang es schliesslich
durch verschiedene Modifikationen des Krystallisationsvorganges so schöne
und grosse Krystalle zu erzielen, wie sie z. B. in Fig. 6 wiedergegeben sind.
An solchen Krystallen Hessen sich auch die geometrischen und ein
grosser Theil der physikalischen Verhältnisse mit aller Sicherheit fest¬
stellen. So wurde folgendes Protokoll erhoben:
Die Krystalle sind ausgebildet in Form rhombischer oder hexagonal
begrenzter Plättchen. Die eine Spitze sitzt im Concrement verwachsen.
— Der spitze Winkel der Krystalle misst 70,5°.
Lichtbrechung gering; Doppelbrechung ebenfalls gering.
Auslöschung gerade, bei den Rhomben in der langen Diagonale, bei
den hexagonal begrenzten Plättchen parallel einer Kante.
Man sieht den seitlichen Austritt einer optischen Achse eines
‘2achsigen Krystalles im spitzen Winkel des Rhombus.
Der grössere Brechungsindex liegt parallel der kurzen Diagonale im
Rhombus, also senkrecht zur optischen Achsenebene.
Die Krystalle gehören danach dem monoklinen System an.
Man sieht hieraus, dass sich dieser krystailographische Befund in
.jeder Richtung mit dem Befunde deckt, den wir oben an der Modification 3
des //-Naphthalinsulfoglykokolls erhoben hatten.
Und da auch der schliesslich festgestellte Schmelzpunkt mit dem
Schmelzpunkt dieser Verbindung übereinstimmt, so ist also auf diesem
krystallographischen Wege der unzweifelhafte Nachweis geliefert,
dass es sich in jjer vorliegenden Substanz wirklich um die
Glykokollverbindung der /J-Naphthalinsulfosäure handelt.
Damit ist es also erwiesen, dass im Blute nach Harnsäure¬
zusatz Glykokoll auftreten kann, und wir können diese von
uns bereits früher aufgestellte Behauptung nach wie vor auf¬
recht erhalten.
Es ist aber nunmehr weiter die Frage zu erörtern, ob das im Blute
aufgefundene Glykokoll auch aus der zugesetzten Harnsäure stammt.
Unsere oben mitgetheilten bei diesen Versuchen gleichzeitig ange¬
stellten Harnsäurebestimmungen haben ja, wie wir gezeigt haben, in
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keiner Weise den Beweis erbracht, dass von der zugesetzten Harn¬
säure etwas verloren gegangen, also möglicherweise zerstört sei. Wie
wir aber schon wiederholt früher derartigen Untersuchungen gegenüber
hervorgehoben haben, kann man aus dem negativen Ausfall einer solchen
quantitativen Methode, die mit so grossen durch Versuchsfehler bedingten
Verlusten rechnen muss wie die Harnsäurebestimmung im Blute, nicht
entscheiden, ob etwa doch kleinste Mengen von Harnsäure — denn um
solche würde es sich ja hierbei doch nur handeln — zerstört worden
sind oder nicht. — Bs kommen ja aber für die Herkunft dieses im
Blute auftretenden Glykokolls auch noch ganz andere Möglichkeiten in
Betracht, wie ebenfalls von uns schon in ausführlicher Weise dargelegt
worden ist (2). Diese Möglichkeiten sind um so mehr in Betracht zu
ziehen, als nach den neueren Untersuchungen von Wiener und Wiechowsky
(4) die Entstehung von Glykokoll aus Harnsäure sehr unwahrscheinlich
geworden ist und deswegen selbst Wiener, welcher als erster diesen
Weg der chemischen Harnsäurezerstörung angenommen hatte, an seiner
ursprünglichen Ansicht nicht mehr festhält.
Allerdings rechnet Hirschstein (3) mit dieser Art der Harnsäure¬
zersetzung. Er hat auch aus seinen Versuchen den Schluss gezogen,
dass um so mehr Harnsäure zu Glykokoll umgewandelt würde, je höher
die Alkaleseenz bei dem Ablauf dieses Processes sei. Er suchte dadurch
die auffallenden Befunde Embden’s (5) zu erklären, wonach bei Arbeiten
in stark alkalischen Lösungen in jedem Menschen- und Thierharn Gly¬
kokoll nach der ^-Naphthalinsulfosäure-Methode zu finden sei.
Da auch Wiener und Wiechowsky (4) ein sogar völliges Ver¬
schwinden der Harnsäure aus Lösungen, durch welche längere Zeit Luft
durchgeleitet wurde, festgestellt hatten, so schien es uns wünschenswerth
noch einmal unsererseits diese Frage nachzuprüfen und zu untersuchen,
ob etwa nach Behandlung von Harnsäurelösungen mit Alkali in diesen
Glykokoll auf wirklich sichere Weise nachzuweisen wäre. Wir stellten
unsere Versuche mit Harnsäurelösungen unter Zusatz wechselnder Mengen
von Alkali in folgender Weise an.
1. 100 ccm einer 2 proc. Harnsäurelösung in 10 proc. Natronlauge eine Stunde
lang gekocht; alsdann auf Glykokoll verarbeitet: kein Niederschlag mit ^-Naphthalin-
sulfochlorid.
2. 1,0 g Harnsäure werden in 200 ccm einer 0,5 proc. Natronlauge mit 10 ccm
einer 10 proc. ätherischen Lösung von /tf-Naphtbalinsulfochlorid 14 Stunden lang ge¬
schüttelt und weiter auf Glykokoll verarbeitet: leichte Trübung.
3. Dieselbe Versuchsanordnung: starke milchige Trübung; dieselbe ist unlöslich
in Ammoniak, also als durch entstandenes Amid gebildet zu betrachten.
4. 1,0 g Harnsäure in 200 ccm 2,5proc. Natronlauge gelöst etc.: keine Trübung,
kein Niederschlag.
5. 1,0 g Harnsäure in 200 ccm einer 5 proc. Natronlaugo gelöst etc.: kein
Niederschlag, keine Trübung.
Die Harnsäure war zu diesen Versuchen stets vorher frisch umkrystallisirt worden.
Also weder durch Kochen in starker Natronlauge noch durch
14 ständiges Schütteln mit Natronlauge von verschiedener Concentration
liess sich aus Harnsäure Glykokoll gewinnen.
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Beiträge zur Kenntuiss der Gicht.
141
Danach ist der Abbau der Harnsäure über Glykokoll überhaupt
sehr unwahrscheinlich, und wir werden auch für das von uns im Blute
gefundene Glykokoll wohl andere Quellen annehmen müssen als die vorher
zugesetzte Harnsäure. Möglicherweise entsteht das Glykokoll beim Abbau
der aus den zu Grunde gehenden Zellen stammenden Kernsubstanzen.
Bei der Anfertigung der beigegebenen Mikrophotographien wurde ich
in liebenswürdiger Weise von Herrn Dr. Koehlcr unterstützt, wofür ich
ihm an dieser Stelle meinen besten Dank sage.
Literatur.
1. E. Frey, Diese Zeitschrift. Bd. II. S. 36.
2. H. Kionka und E. Frey, Daselbst. Bd. III. S. 597.
3. L. Hirschstein, Daselbst. Bd. IV. S. 118.
4. Wiener und Wiechowsky, Hofmeister’s Beiträge. Bd. IX. S. 247.
5. Embden und Reese, Daselbst. Bd. VII. S. 411.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel II und III.
Die Mikrophotographien wurden mit einem Zeiss’schen mikrophotographischen
Apparat bei senkrechter Stellung des Mikroskopes angefertigt. Benutzt wurde ein
Zeiss’sches Mikroskop.
1. £-Naphthalinsulfoglykokoll, rein dargestellt. Lin. Vergr. 70fach. Ocular 4.
Object. Apochrom. 16. Ap. 0,30.
2. Dasselbe* — Lin. Vergr. 75fach. Ocular 4. Object. Apochrom. 16. Ap. 0,30.
3. /tf-Naphthalinsulfoleucin, rein dargestellt. — Lin. Vergr. 17fach. Ocular 2.
Object. A 2 . Ap. 0,09.
4. /^-Naphthalinsulfamid, rein dargestellt. — Lin. Vergr. 70facb. Ocular 4.
Object. Apochrom. 16. Ap. 0,30.
5. /^Naphthalinsulfoglykokoll (?), aus Hammelblut. — Lin. Vergr. 256fach.
Ocular 4. Object. Apochrom. 4. Ap. 0,95.
6. ^-Naphthalinsulfoglykokoll, aus Hundeblut. — Lin. Vergr. 75fach. Ocular 4.
Object. Apochrom. 16. Ap. 0,30.
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XII.
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Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Jena.
Beiträge zur Kenntniss der Gicht.
ft. Weiteres über das Ausfallen der Urate.
Von
H. Kionka.
Wie wir im Vorhergehenden gesehen haben, sind ‘ wir nach dem
jetzigen Stande unseres Wissens nicht mehr dazu berechtigt ohne Weiteres
eine Entstehung von Glykokoll beim Abbau der Harnsäure anzunehmen.
Allerdings ist es nach den neuesten Veröffentlichungen von Wicchowsky
(1) auch nicht möglich den Beweis zu erbringen, dass beim Menschen,
wie beim Hund und Kaninchen ein Abbau der Harnsäure etwa über
Allantoin stattfinde. Die ganze Frage nach dem Abbau der Harnsäure
beim Menschen ist zur Zeit unentschieden.
Wir hatten seiner Zeit diese Frage, die nichts mit unseren eigent¬
lichen Untersuchungen zu thun hat, auch nur in Angriff genommen, da
man damals nichts weiter über die Herkunft des Glykokolls wusste.
Damals existirten nur — noch völlig unbestritten! — die Angaben von
Wiener (2), wonach der Abbau der Harnsäure über Glykokoll verliefe.
Damals lagen auch nur die ersten klinischen Glykokollbefunde beim
Gichtiker von Ignatowski (3) vor, und auch diese waren noch von
keiner Seite bestritten, obwohl Monate seit ihrer Veröffentlichung ver¬
gangen waren. Wir waren also damals zu jmseren Annahmen und zu
der Aufstellung unserer Theorie über das Wesen der Gicht vollkommen
berechtigt.
Jetzt liegen die Verhältnisse, nachdem so viele neue Thatsachen
durch experimentelle und klinische Untersuchungen zahlreicher Forscher
bekannt geworden sind, ganz anders. Wir kennen jetzt andere Quellen
des Glykokolls. Hat doch kürzlich Raubitschek (4) sogar ein aus
Albumosen Aminosäuren abspaltendes Ferment „Erepsin“ aus Darm¬
schleimhaut isolirt.
Wir müssen daher unsere seiner Zeit aufgcstellte Theorie in diesem
Sinne modificiren. ln ihrem Brincip bleibt sie aber bestehen; daran
ändern auch die veränderten Ansichten über die Herkunft des Glykokolls
und den Abbau der Harnsäure nichts.
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25 ccm Harnsäurelösung + 25 ccm 5pr»c. Sodalösung.
Reiträge zur Kenntniss der Gicht.
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144
II. Kionka,
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Die von uns festgestellte Thatsache, dass bei schwach alkalischer
Reaction Glykokoll beschleunigend auf das Ausfallen saurer Urate aus
Harnsäurclösungen wirkt, haben wir durch zahlreiche Nachprüfungen voll¬
kommen sichergestellt. Ja wir haben das gleiche Verhalten Harnsäure¬
lösungen gegenüber auch für eine Anzahl von andern „sauren“ Sub¬
stanzen festgestellt, so für einige andre Aminosäuren und vor allem auch
für Allantoin.
Aus den zahlreichen Versuchsreihen sei hier nur folgende mitgethcilt:
Es wurden je 0,5 g Lithiumoxyd in 4 Portionen in 170 ccm Wasser gelöst und
Harnsäure im Ueberschuss zugesetzt, dann 48 Stunden lang im Brutschrank bei 40°
stehon gelassen und abfiltrirt. Von den Filtraten wurde die eine Menge I. ohne Zusatz
gelassen, Portion II. wurde mit 0,5 g Leucin (linksdrehend), Portion UI. mit 0,5 g
Allantoin und Portion IV. mit 1,0 g Alanin (optisch inactiv) versetzt. Von jeder
dieser 4 Portionen wurden je 25 ccm mit 25 ccm einer 5 proc. Sodalösung versetzt
und fortlaufend beobachtet. Ausserdem wurden noch je 50 ccm der 4 Portionen
entnommen und ohne Sodazusatz gleichfalls fortlaufend beobachtet.
Ueber die Bildung der Niederschläge ergaben in den einzelnen Portionen die
Beobachtungen die in vorstehender Tabelle angegebenen Resultate.
Man sieht aus dieser Zusammenstellung, dass auf Harnsäurelösungen
alle drei geprüften Substanzen in demselben Sinne wirken, wie cs früher
von uns für Glykokoll festgestellt wurde. Bei Anwesenheit von Leucin,
Allantoin oder Alanin bildet sich früher saures Urat und kommt infolge
seiner schweren Löslichkeit zum Ausfallen, als dies in Harnsäurelösungen
ohne diese Zusätze der Fall ist. Besonders deutlich zeigen dies die
durch Sodazusatz stärker alkalisch gemachten Lösungen. Bei den Lö¬
sungen ohne Sodazusatz begann das Ausfallen der Urate erst viel später,
doch zeigten sich auch hier die gleichen Differenzen.
Am wenigsten wirksam in diesem Sinne erwies sich das Leucin.
Deutlich stärker wirksam sind das Alanin und das Allantoin. Es ist
dabei zu berücksichtigen, dass das letztere wegen seiner schwereren
Löslichkeit nur in halb so starker Concentration angewandt werden
konnte wie das Alanin. Ueberhaupt ist bei allen in dieser Versuchs¬
reihe geprüften Substanzen deren geringe Löslichkeit zu beachten. Bei
dem leicht löslichen Glykokoll war es möglich bei diesen Versuchen
mit viel stärker concentrirten Lösungen zu arbeiten; und dementsprechend
waren auch die Wirkungen dieser Lösungen auf die Ausfällung der Urate
weit grössere. Vergleicht man aber die Grösse der Wirkungen dieser
Lösungen mit der gleich niedrig conccntrirter Glykokolllösungen, so sieht
man, dass auch diesen drei Substanzen ein recht erhebliches Ausfällungs¬
vermögen zukommt.
Die obige Versuchsreihe zeigt auch deutlich, dass, wie wir früher
schon für das Glykokoll gezeigt haben, es sich nur um die Beschleuni¬
gung eines Processes handelt, der in gleicher Weise, nur langsamer,
auch ohne die Zusätze dieser Substanzen in Harnsäurelösungen verläuft.
Die Substanzen wirken also wie „Katalysatoren“. Und die Unterschiede
in dem sichtbaren Effect dieses Vorganges, also in der Menge der nach
einer bestimmten Zeit ausgefällten Urate, verschwinden allmählich wieder.
Ist die Ausfüllung beendet, so sind die Mengen der gesammten aus-
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Beiträge zur Kenntniss der Gicht.
145
gefällten Urate in allen Lösungen mit und ohne Zusatz gleich. Dies ist
in der obigen Versuchsreihe erreicht bei den Lösungen mit Sodazusatz
nach 16 Stunden, in den Lösungen ohne Sodazusatz nach etwa 3 Tagen.
Aus diesen Versuchen geht also hervor, dass auch noch andere
„saure“ Producte, namentlich Aminosäuren, in gleicher Weise uratfällend
wirken wie Glykokoll. Ihre Anwesenheit im Organismus des Gichtikers
wird daher bei dem gleichzeitigen Harnsäurereichthum desselben als eine
Schädlichkeit anzusehen sein, wie wir dies bei der Entwicklung unserer
Theorie für das Glykokoll gezeigt haben. Es wird demnach ein reich¬
licheres Entstehen derartiger Verbindungen bei den verschiedenen Abbau¬
vorgängen — vielleicht auch bei dem Abbau der Harnsäure — für den
Gichtiker von ebenso grosser Bedeutung sein wie die Gegenwart grösserer
Mengen von Harnsäure selbst.
Nach dieser Richtung können wir also alles in unserer Theorie Ent¬
wickelte nach wie vor aufrecht erhalten. Wohl aber müssen wir in einer
andern Richtung unsere frühere Ansicht ändern.
In einer Arbeit von Wohlgemuth (5), die uns leider nur im Referat
zugänglich war, findet sich ein Versuch an einem Gichtiker, welchem
sehr grosse Mengen Glykokoll eingegeben wurden. Die gleichzeitig an
diesem Patienten angestelltcn Bestimmungen der täglich ausgeschiedenen
Glykokollmengen ergaben, dass nur sehr wenig von dem eingegebenen
Glykokoll im Harn wiedererschien. Wenn nun auch, wie wir in der
vorhergehenden Arbeit gezeigt haben, die angewandte 1 ) Methode der
Glykokollbestimmung nur sehr'unvollkommene quantitative Werthe giebt,
die Glykokollausbeutc mit der Fischer-Bcrgell’schen Methode nach
Hirschstein’s (6) Annahme sogar nur etwa 20 pCt. betragen soll, so
glauben wir doch nach dem Ausfall dieses Versuches von Wohlgemuth
nicht mehr ohne weiteres an unserer Annahme festhalten zu dürfen, dass
das Glykokollzerstörungsvermögen beim Gichtiker gegenüber dem Nor¬
malen vermindert sei.
Man nimmt bisher an, dass die Umwandlung des Glykokoll zu
Harnstoff oder einer Vorstufe desselben durch ein wohl in der Leber ge¬
bildetes Ferment geschehe. Wir haben die Versuche Loewi’s (7), auf
welchen diese Annahme beruht, nachgeprüft und in verschiedener Weise
modificirt. Unsere sehr zahlreichen Versuche in dieser Richtung, über
welche später einmal ausführlich berichtet werden soll, haben uns aber
zu dem Schlüsse geführt, dass dieser ganze Process des Glykokollabbaues
viel complicirter verläuft, als man bisher annahm, und dass es sich
dabei wohl nicht nur um die Wirkung eines einzigen Fermentes handele,
sondern um mehrere nach einander und neben einander verlaufende
Vorgänge.
Jedenfalls scheinen die bei diesem Process in Frage kommenden
Ferraentthätigkeiten beim Gichtiker nicht gestört zu sein. Wohl aber
halten wir nach wie vor an der Vorstellung fest, das Wesen der Gicht
beruhe in qualitativen oder quantitativen Störungen von Fermentthätig-
1) Wohlgemuth benutzte die Isonaphthylcyanat-Methode, welche kaum bessere
Resultate liefert, als die Methode mit ^-Naphthalinsulfochlorid.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. jq
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146 H. Kionka, Beiträge zur Kenntniss der Gicht.
keiten, die eine Rolle spielen bei den verschiedenen Abbauvorgängen im
Organismus. Von wesentlicher Bedeutung ist es dabei, dass hierbei Pro-
ducte in grösserer Menge entstehen können, welche, wie unsere Versuche
einwandfrei ergeben haben, das Ausfallen von Uraten befördernd wirken,
mögen diese Aminosäuren oder sonstigen gleichsinnig wirkenden Producte
aus dem Abbau der Harnsäure oder den Kernsubstanzen zu Grunde
gehender Zellen, aus absterbender Knorpel- oder Bindegewebssubstanz
oder sonstigen Abbau Vorgängen stammen.
Literatur.
1. Wiechowsky, Hofmeister’s Beiträge. Bd. XI. S. 109.
2. Wiener, Archiv f. .exper. Pathologie und Therapie. Bd. 42.
3. Ignatowski, Hoppe-Seyler’s Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. 42. S. 371.
4. E. Raubitschek, Diese Zeitschrift. Bd. IV. S. 675.
5. Wohlgemuth, Biochem. Zeitschr. Bd. I. S. 332.
6. L. Hirschstein, Diese Zeitschrift. Bd. IV. S. 118.
7. Loewi, Hoppe-Seyler’s Zeitsohr. f. physiol. Chemie. Bd. 25. S. 511.
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XIII.
Aus dem Laboratorium der medicinischen Klinik in Basel.
Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Ratten mit
künstlicher Nahrung und zum Zusammenhang von Er¬
nährungsstörungen mit Erkrankungen der Conjunctiva.
Von
Dr. Paul Knapp, Augenarzt in Basel.
(Hierzu Tafel IV.)
Die bactcriologische Forschung hat der Ophthalmologie besonders
auf dem Gebiete der Erkrankungen von Conjunctiva und Cornea wichtige
Entdeckungen und grosse Fortschritte gebracht.
Sic hat uns ermöglicht, besonders bei der Conjunctiva zahlreiche
Erkrankungen, die man früher nur klinisch auseinander zu halten ver¬
mochte, auch nach ätiologischen Gesichtspunkten zu trennen, indem sie
für eine ganze Anzahl von Conjunctivitiden uns auch den specifischen
Erreger hat kennen lernen.
Von andern Erkrankungen der Conjunctiva, wie z. B. dem Trachom,
kennen wir zwar den krankheitserregenden Mikroorganismus noch nicht,
doch haben wir allen Grund, einen solchen anzunchmen.
Neben diesen auf einen speciellen Erreger zurückzuführenden Katarrhen
giebt es noch andere, wo wenigstens nach dem heutigen Stande unseres
Wissens die Mikroorganismen nicht als unmittelbare Krankheitsursache
angesprochen werden können.
Sehen wir selbstverständlich ab von allen durch traumatische Ein¬
wirkung entstandenen Conjunctivitiden, so kennen wir doch noch weitere
Fälle, wo wir die Entzündungsursache nicht in der unmittelbaren An¬
wesenheit von Bacterien suchen müssen, sondern in der Wirkung ihrer
Toxine.
So sieht man z. B. bei Gonorrhoe nicht allzu selten eine heftige
Conjunctivitis auftreten, deren Zusammenhang mit dem Tripper nach den
vielen bis jetzt gemachten Beobachtungen nicht in Zweifel zu ziehen ist,
bei der aber im Conjunctivalsecret keine Gonokokken gefunden werden.
Die Erklärung hierfür ist z. Th. die, dass es sich dabei um eine
Fernwirkung der Gonokokken vermittelst ihrer Toxine handelt. Andere
Forscher neigen mehr der Ansicht zu, dass die Gonokokken in diesen
Fällen nur in den Gefässen ev. auch im Gewebe der Schleimhaut sitzen,
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und auf diese Weise eine Reizung verursachen können. Eine Uebersicht
über diese verschiedenen Theorien findet sich in dem Buch von Axen-
feld, „Die Bacteriologic in der Augenheilkunde“.
Dass ßactcriengifte % auf die Bindehaut sehr reizend einwirken können,
ist ja allgemein bekannt.
So wies z. B. Morax (1) nach, dass Kaninchen nach Instillation
von Diphtherictoxin in den Bindehautsack eine heftige diphtherische Con¬
junctivitis bekamen, ebenso bewirkte Gonokokkentoxin eine kurze aber
heftige Entzündung.
Ferner erhielt Valcnti (2) bei diesen Thieren sehr heftige Binde¬
hautentzündung nach subcutaner Injcction der Toxine des Bactcrium coli.
In neuester Zeit hat endlich die unter dem Namen Ophthalraorcaction
beschriebene Entzündung der Conjunetivalschlcimhaut bei Tubcrculösen
nach Eintropfen einer Tubcrculinlösung grosses und berechtigtes Auf¬
sehen hervorgerufen.
Wenn auch z. Th. die Ansichten über diese zuerst von Wolff-
Eisner (16) angegebene und von Calraette (17) zur praktischen An¬
wendung gebrachte Methode noch nicht abgeklärt sind, so handelt es
sich doch jedenfalls um eine äusserst interessante und auch praktisch
sehr wichtige Thatsache.
Wir haben also einmal Conjunctivitiden mit specifischcn Erregern
im Conjunctivalsack oder wenigstens die Gewissheit von solchen, ferner
Katarrhe, die verursacht werden durch die Toxine anderswo ctablirter
Bacterien. Zu diesen beiden Gruppen gehören anch die Bindehaut¬
entzündungen bei lnfcctionskrankheiten, wie Masern, Scharlach und
Influenza.
Doch lassen sich nicht alle Conjunctivitiden in diesen beiden Gruppen
unterbringen.
Besonders viel umstritten ist z. B. die Frage nach der Ursache der
scrophulösen Augenentzündungen. Bekanntlich gehen die Meinungen
darüber, ob die Scrophulose nur eine besondere Form der Tuberculose
oder eine Krankheit sui generis sei, noch stark auseinander.
Das scheint erwiesen, dass die scrophulose Augenentzündung nicht
auf eine directe Einwirkung des Tuberkelbacillus zurückzuführen ist,
diesbezügliche Untersuchungen sind bis jetzt fast ausnahmslos negativ
ausgefallen. Von vielen Forschern wird deshalb bei dieser Krankheit
weniger Bacterienwirkung als vielmehr eine eigenthümliche allgemeine Er¬
nährungsstörung oder eine uns noch unbekannte Reizwirkung angenommen.
Auch hier verweise ich auf das oben erwähnte Buch von Axenfeld,
wo sich eine Zusammenstellung der verschiedenen Befunde und Theorien
findet. Nicht unwichtig erscheint cs, dass man bei der oben erwähnten
Ophthalmorcaction schon öfter die Entstehung von Phlyctänen beob¬
achtet hat.
Sonst ist über den Zusammenhang von Conjunctivalerkrankungen
mit anderen Leiden wenig mehr zu sagen.
Nur bei Gicht und Rheumatismus sieht man gelegentlich äusserst
hartnäckige und mit dem Allgemeinleiden ohne Zweifel in Zusammenhang
stehende Augenkatarrhe und sogar Ilornhautgeschwiire auftreten.
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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Hatten mit künstlicher Nahrung etc. j-Pd
Besonders Fuchs (3) weist mit Nachdruck auf einen derartigen Zu¬
sammenhang hin, ferner sind auch von Trousseau (4) und Leber (5)
anfallsweiso auftretende Hyperämien der Conjunctiva beschrieben worden,
die höchstwahrscheinlich mit Gicht in Zusammenhang standen. Der
Vollständigkeit wegen möge hier auch noch die Xerosis conjunctivae
aufgeführt werden, diese eigentümliche besonders bei schweren Er¬
nährungsstörungen auftretende Erkrankung. Allerdings handelt es sieh
hierbei nicht um einen entzündlichen Process, sondern um eine Ver¬
dickung und Verhornung des Epithels.
Diese gichtischen, rheumatischen, xerotischen und vielleicht auch noch
die scrophulösen Conjunctivalerkrankungen wären also die einzigen, wo
die Ursache weniger in Bacterienwirkung als vielmehr in Störungen des
Stoffwechsels und des Ernährungszustandes zu suchen ist.
Immerhin sei hier noch eine Notiz aus Luigi Luciani (6) erwähnt,
wonach Gley bei thyreoidectomirten Hunden eitrige Katarrhe der Con¬
junctiva und Hornhautgeschwüre auftreten sah; die Originalarbeit war
mir bisher nicht zugänglich. Dieser letztere Befund findet sich noch
öfter bei experimentellen Arbeiten über Schilddrüsenexstirpation erwähnt,
es ist aber sehr fraglich, ob diese Katarrhe nicht nur als Folge der
Verblödung und Unreinlichkeit der operirten Thiere aufzufassen sind.
Bei der Seltenheit derartiger Beziehungen und dem fast völligen
Fehlen experimentellen Beweismaterials war es daher für mich von
grossem Interesse, als mein Freund, Herr Privatüocent Dr. Falta, mir
mittheilte, dass er an Ratten bei Fütterungsversuchen mit künst¬
licher Nahrung das Auftreten von starken eitrigen Augen¬
katarrhen und Hornhautgeschwüren beobachtet habe.
Eine Nachprüfung dieses für uns Ophthalmologen überaus inter¬
essanten und ganz neuen Befundes erschien mir umso mehr angezeigt,
als die Versuche von Falta und Noeggerath (7), weil nur an wenigen
Thieren ausgeführt, nicht als völlig beweisend gelten konnten.
Weiterhin war es auch vom physiologischen Gesichtspunkte aus
wünschcnswerth, ihre Versuche an einem grösseren Material eingehender
zu controlliren.
Ihre Versuche hatten ergeben, dass es weder mit einfachen noch
mit ganz complicirten künstlichen Nahrungsgemischen möglich ist, Ratten
dauernd am Leben zu erhalten. Aehnliche Versuche speciell an Ratten
waren vorher schon von Henriques und Hansen (8) ausgeführt worden.
Letztere fütterten die Thiere mit einem Gemisch von Casein, Fett,
Kohlehydraten und Salzen. Dieselben gediehen damit ganz gut und
nahmen sogar an Körpergewicht zu.
Doch erstreckten sich diese Versuche nur auf 3—4 Wochen, und
daraus entstanden Ergebnisse, die, wie wir später sehen werden, zu
falschen Folgerungen führen mussten.
Derartige Versuche müssen nämlich oft auf sehr lange Zeit aus¬
gedehnt werden, sie können, wie sich aus meinen Experimenten ergeben
hat, 5—6 Monate dauern.
Entgegen den Folgerungen von Henriques und Hansen hatten
Falta und Noeggerath gefunden, dass die Thiere zwar oft vvochen-
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lang im Gleichgewicht bleiben konnten, dass sie aber zum Schluss doch
unter starkem Gewichtsverlust zu Grunde gingen. Ich stellte mir nun
auch die Aufgabe, womöglich den Grund aufzufinden, warum
die Ratten mit der künstlichen Nahrung nicht konnten am
Leben erhalten werden.
Bekanntlich können z. B. Mäuse mit Milch monatelang ernährt
werden, und befinden sich wohl dabei.
Fügt man dagegen alle organischen und unorganischen Bestandtheile
der Milch zusammen, so kann man diese Thiere damit nicht am Leben
erhalten, wie aus den Versuchen von Lunin (9) hervorgeht.
Lun in glaubt den Einwand, dass den Thieren die einförmige ge¬
schmacklose Nahrung widerstand und sie deshalb verhungerten, ablehnen
zu müssen, da auch in den letzten Tagen die Thiere noch fressen, und
fast stets Nahrungsreste im Darm gefunden werden.
Er vermuthete den Grund in dem Fehlen eines uns bis jetzt
unbekannten lebenswichtigen Bestandtheiles der Milch, oder
in einer Aenderung der gegenseitigen Beziehungen der Milch¬
bestand theile. Den Pflanzenphysiologen ist es schon lange gelungen,
Pflanzen mit einem künstlichen Nahrungsgemisch zu ernähren.
Trotz des Misslingens der bisherigen diesbezüglichen Versuche am
Thier hoffte ich doch, durch weitere und unter etwas anderen Gesichts¬
punkten vorgenommene Experimente die Erkenntniss dieses Problems zu
fördern.
Was die Technik anbetrifft, so folgte ich im Allgemeinen den An¬
gaben von Falta und Noeggerath, hauptsächlich auch, um ein mög¬
lichst ähnliches Vergleichsmaterial zu erlangen.
Als Versuchsthiere dienten mir ausschliesslich Ratten, meistens
weisse ausgewachsene männliche Thiere. Bei den spätem Versuchen
mussten aus Mangel an Material gelegentlich auch noch nicht ganz er¬
wachsene gescheckte Thiere verwendet werden.
Einige wenige wurden in Blechkesseln gehalten, die meisten aber,
selbstverständlich einzeln, in grossen weithalsigen Flaschen mit abge¬
sprengtem Boden. Diese wurden mit dem Hals nach unten in einem
Gestell aufgehängt, als Boden dieses Käfigs diente ein weitmaschiges,
auf dem verjüngten Halstheil aufruhendes, verzinktes Drahtnetz. Der
Hals darunter wurde durch ein engmaschiges Netz geschlossen, dort
blieben Koth und eventuell durch das obere Netz durchgefallene
Nahrungsreste liegen, während der Urin in eine darunter gestellte Schale
abfloss.
Oben wurden die Gläser durch ein beschwertes Fliegennetz gedeckt,
es ist das nicht unwichtig, da die Thiere sich sonst bald mit grosser
Geschicklichkeit aufs Fliegenfangen verlegen. Futter und Wasser be¬
fanden sich in getrennten Schalen und wurden täglich erneuert, die
Käfige überhaupt peinlichst sauber gehalten.
Der Reinlichkeit wegen, und um ganz sicher zu sein, dass die Thiere
nichts anderes fressen konnten, wurde ganz davon abgesehen, ihnen
irgend eine Unterlage zu geben, wie Holzwolle, Watte etc.; die durch¬
schnittlich sehr lange Lebensdauer bewies auch, dass dies wohl kaum
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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Ratten mit künstlicher Nahrung etc. 151
einen Nachtheil mit sich brachte. Alle 8 Tage wurden die Thiere in
einem Glascylinder gewogen.
Zu den Nahrungsgemischen wurden verwendet:
1. Eiweisskörper: Ovalbumin, puriss. pulv., Casein puriss.
(v. Hammarsten), Albumin, Blutfibrin, Hämoglobin, alles von Merk
bezogen, ferner Blutglobulin, das uns von den Höchster Farbwerken
in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt worden war.
2. Fett: Durch Schmelzen gereinigtes amerikanisches Schweinefett.
3. Kohlehydrate: Amylum und reiner Traubenzucker (Merk).
4. Salze: Ich gebrauchte folgendes Salzgemisch nach Bunge (10):
Kal. carbon.
. 17,6
Calc. phosph. .
. 28,6
Calc. carbon. .
10,0
Magn. chlor. .
3,8
Aquae ad .
. 240,0
20 ccm dieser Schüttelmixtur enthielten demnach 5 g Salze.
Bei späteren Versuchen wurden dann noch verwendet: nucleinsaures
Natrium (Bochringer), Cholesterin (Merk) und fein pulverisirtes Lecithin
nach Bergei 1 hergestellt.
Die Herstellung des Nahrungsgeraisches erfolgte folgendermaassen:
Zuerst wurden die pulverförmigen Substanzen in einer Reibschale gut
durcheinander gemengt. Dazu kam dann die erforderliche Menge Wasser
nebst der Salzmischung, zum Schluss wurde das Fett zugegeben und
das Ganze durch tüchtiges Kneten zu einem Teig verarbeitet, der im
Eisschrank zugedeckt aufbewahrt wurde.
Ich folgte also in diesen Beziehungen fast durchweg den Angaben
von Falta und Noeggerath, nur hatten diese in der Salzmischung noch
Milchsalze und Pferdeblutserurasalze, welche ich wegliess.
Allgemein kann gesagt werden, dass die Thiere reichlich und gern
frassen, nur gegen das Lebensende hin pflegte die Fresslust stark abzu¬
nehmen, auch waren sie mit Ausnahme der letzten Wochen meist ganz
munter und fühlten sich offenbar wohl.
Nach dem Tode wurden sie regelmässig secirt, Leber und Nieren
und, wo es nöthig erschien, auch andere Organe wurden mikroskopisch
untersucht.
Das Futter wurde sehr reichlich zugemessen, so dass immer noch
etwas übrig blieb.
Während der ganzen Versuchsdauer wurde in jeder Serie die zuge-
theilte Nahrung bei je 2 Thieren regelmässig abgewogen und der Rest
täglich zurückgewogen, so dass also für jeden Tag die aufgenommene
Nahrungs- und Calorienmenge berechnet werden konnte.
Von vornherein schien mir eine derartige calorimetrische Controle
für die Beurtheilung der Versuche von grösster Wichtigkeit zu sein.
Allerdings sei gleich zugegeben, dass die so gefundenen Werthe
keinen Anspruch auf absolute Genauigkeit machen können.
Einmal schleppten die Thiere die Nahrungsbrocken im Käfig herum,
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und verunreinigten sie mit Urin, dann trockneten die Reste in den 24 Stunden
immer etwas ein, so dass also gewisse Fehler entstehen mussten.
Immerhin waren dieselben bei allen Thieren constant, so dass sie
also für die allgemeine Beurtheilung wohi kaum in Betracht fallen.
I. Serie (Ovalbuminratten).
Wenden wir uns nun der Besprechung unserer Versuche zu. In
in erster Linie wurde eine Serie durchgeführt mit einem Nahrungs¬
gemisch, das wir als Ovalbuminkuchen bezeichnen wollen.
Dasselbe bestand aus:
Ovalbumin, puriss
Amylum
Traubenzucker
Fett . . .
Salzmixtur
Wasser
120 g
250 g
50 g
60g
20 g (5 g Salze)
100 g
Zur Berechnung des calorimetrischen Werthes wurde speciell für
Eiweiss nicht der physiologische, sondern der totale Verbrennungswerth
angenommen aus vergleichenden Gründen, die ich später erörtern werde.
Die Angaben beziehen sich durchweg auf grosse Calorien. Als Durch¬
schnittswerth wurde berechnet:
für 1 g Ovalbumin . . . =5,7 Cal.
n 1 g Amylum . . . . = 4,2 „
„lg Traubenzucker . . =3,7 „
„lg Schweinefett . . . = 9,3 „
Es enthält also der ganze 600 g schwere Kuchen 2477 Calorien,
1 g also rund 4,13 Calorien. Mit diesem Nahrungsgemisch wurden
6 Ratten gefüttert, eine davon ertrug cs schlecht, sic litt von Anfang
an unter starken Diarrhoen und ging daran zu Grunde, ich habe sie
deshalb bei der Beschreibung ausgelassen.
Auch die anderen 5 hatten anfangs etwas Durchfall, der aber unter
kleinen Dosen Bisraut bald verschwand, sie gewöhnten sich an die
Nahrung und lebten lange Zeit im besten Wohlbefinden.
Einzeln aufgeführt war der Verlauf bei diesen 5 Thieren folgender:
No. I.
Anfangsgewicht .... 255 g.
Lebensdauer.21 Wochen.
Endgewicht.152 g.
Im Laufe der 15. Woche links Auftreten von Lichtscheu und etwas Secretion, in
der 20. Woche auch rechts starker Katarrh, der in den letzten Lebenstagen beider¬
seits sehr stark war. Corneae intact.
Section und mikroskopische Untersuchung der inneren Organe ergaben ausser
hochgradiger Abmagerung nichts Abnormes.
No. II.
Anfangsgewicht . . . . 217 g.
Lebensdauer.17 Wochen.
Endgewicht.141 g.
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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Hatten mit künstlicher Nahrung etc. 153
Im Laufe der 14. Woche zuerst links Conjunctivitis, die in der gleichen Woche
auch auf dem rechten Auge sich entwickelte.
Sehr starke schleimige Secretion, zum Schluss auch eine oberflächliche bauchige
Trübung beider Corneae, jedoch ohne eigentliches Geschwür.
No. 111.
Anfangsgewicht .... 175 g.
Lebensdauer.24 Wochen.
Endgewicht.106 g.
Die ersten Anzeichen der Bindehautentzündung traten hier in der 21. Woche
auf dem rechten Auge auf, bald wurde auch das linke ergriffen, und es bestand gegen
das Ende ein doppelseitiger, sehr heftiger Katarrh, der links sogar zu einem kleinen
Comealgeschwür führte.
In den letzten Tagen etwas Blut im Urin, bei der Seotion fanden sich in der
Lunge zahlreiche miliare Knötchen, Milz etwas vergrössert, im rechten Nierenbecken
weissliche Massen, im Dünndarm blutig schleimiger Inhalt, die Innenwand dor Blase
bedeckt mit einem weissen Schorf.
Offenbar handelte es sich, wie auch die nähere Untersuchung ergab, um eine
allgemeine Miliartuberculose.
No. IV.
Anfangsgewicht .... 247 g.
Lebensdauer.23 Wochen.
Endgewioht.174 g.
Zuerst in der 20. Woche links Auftreten von Conjunctivitis, sehr bald doppel¬
seitiger sehr heftiger Katarrh, der links zu einem grossen perforirenden Hornhaut¬
geschwür führte, auch rechts beginnendes Ulcus.
Da das Thier offenbar am Verenden war, so wurde es am Ende der 23. Woche
getödtet. Innere Organe normal.
No. V.
Anfangsgewicht .... 285 g.
Lebensdauer.24 Wochen.
Endgewicht.140 g.
Das Thier wurde am Anfang der 19. Woche sehr struppig und marode, erstes
Auftreten der Conjunctivitis gleich doppelseitig in der 23. Woche, rasch starker
Katarrh mit oberflächlicher Trübung der Hornhäute in den nasalen Partien.
Section ohne Befund.
Ueberblicken wir kurz das Resultat dieser 5 Versuche, so muss in
erster Linie die lange Lebensdauer der Thierc hervorgehoben werden,
ein Beweis, dass die Zusammensetzung der Nahrung doch eine recht
• zweckmässige war.
Das erste Auftreten der mich in erster Linie interessirenden Augen -
katarrhe erfolgte durchschnittlich 3—4 Wochen vor dem Lebensende, bei
No. V sogar erst in der vorletzten Woche.
Das erste Symptom bestand in der Regel in Lichtscheu und Auf¬
treten von etwas Secret im nasalen Lidwinkel. Dann wurden die Lider
geröthet und die Absonderung meist so stark, dass die Augen kaum
mehr geöffnet werden konnten.
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I 3 . Knapp.
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In Folge dessen stellten sich z. Th. oberflächliche Trübungen der
Cornea ein, in zwei Fällen sogar richtige Hornhautgeschwüre.
Da dieselben keine weiteren Besonderheiten darboten, so glaube
ich eine genauere mikroskopische Beschreibung hierüber auslassen zu
dürfen.
Ich habe öfter das Socret auf Agar und Gelatine abgeimpft, es
wuchsen stets massenhaft Colqnien von Staphylococcus pyogenes
albus und einzelne von Staphylococcus pyogenes aureus, also
Mikroorganismen, die wir normaler Weise schon im Bindehautsack vor¬
finden können.
Es sei nochmals betont, dass die Thiere ganz separat in ge¬
schlossenen Glasflaschen gehalten wurden, so dass also eine gegenseitige
Infection ausgeschlossen war.
Bei der Section wurde regelmässig auf eine eventuelle Darm-
obstruction gefahndet, da ich auf Zugabe von die Peristaltik anregenden
Stoffen verzichtet hatte; es wurde nichts Derartiges aufgefunden.
Leber, Milz und Nieren wurden durchweg mikroskopisch untersucht,
es wurde aber nichts Abnormes gefunden, mit Ausnahme der rechten
Niere von Ratte 111, die offenbar in den letzten Lebenswochen eine
Miliartuberculose bekam. Ohne diese zufällige Erkrankung hätte gerade
dieses Thier wohl noch beträchtlich länger gelebt.
Ueber das Körpergewicht, das alle 8 Tage bestimmt wurde, giebt
Curve 1 Aufschluss.
Wir ersehen daraus, dass mit Ausnahme von Ratte III am Anfang
ein z. Th. recht starker Abfall erfolgte.
Die Erklärung ergiebt sich sehr leicht daraus, dass die Thiere, wie
früher bemerkt, am Anfang fast durchweg an Durchfall und verringerter
Fresslust litten, daher dieser steile Abfall.
Mit der Angewöhnung an die Nahrung erfolgte dann allgemein eine
erhebliche Zunahme, späterhin eine ganz langsame, aber öfter durch
einzelne Steigerungen unterbrochene Abnahme.
Mehrfach fällt die Curve gegen das Ende zu sehr steil ab.
Bei Ratte I und II ist die aufgenöramene Calorienmenge für die
ganze Versuchsdauer ausgerechnet worden, ihr Verhältnis zu dem
Körpergewicht ist in Curve 2 dargestellt.
Zum besseren Verständniss sei bemerkt, dass in dieser sowie in den
folgenden Tabellen über das Verhältniss von Gewicht und Calorienauf-
nahme das Körpergewicht durch eine aus ge zöge ne und die Calorien-
raenge durch eine punktirte Linie in gleicher Dicke dargestellt ist.
Links befindet sich die Scala für das Gewicht und rechts für die
Calorien pro Woche und Tag.
Die Curve bedarf keiner langen Erläuterung, sie giebt sehr deutlich
wieder, wie entsprechend den grossen Schwankungen der Caloriencurven
auch die Körpergewichtscurven auf und abgehen, jedoch mit weniger
grossen Ausschlägen.
Es sei hier auch darauf hingewiesen, wie gross die Calorienmenge
ist, welche die Thiere bei guter Fresslust aufnehmen.
In den ersten 12—13 Wochen waren es mit einer kurzdauernden
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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Hatten mit künstlicher Nahrung etc. 155
Ausnahme 50—70 Calorien pro Tag, sogar in der letzten Woche noch
30 und 38 Calorien.
Erinnern wir uns daran, dass der Mensch täglich pro 1 kg Körper¬
gewicht rund 35 Calorien braucht, während z. B. die ca. 250 g schwere
Ratte I in den ersten 15 Wochen täglich durchschnittlich mindestens
60 Calorien, also pro 1 kg Körpergewicht 240 Calorien aufnahm, so
ersieht man daraus, wie enorm gesteigert das Calorienbedürfniss dieser
kleinen Thiere gegenüber demjenigen des Menschen ist.
Aehnliche Zahlen finden wir bei Rubner (11), indem er für Mäuse
bei 121,3 g Anfangsgewicht 25,7 Calorien, also pro 1 kg und 24 Stunden
212 Calorien Nahrungsbedarf nachwies.
Es geht daraus hervor, dass diese Thiere selbst bei schein¬
bar noch reichlicher Nahrungsaufnahme doch schon unter¬
ernährt sein können, ein Factor, den man bei der Beurtheilung
dieser Versuche sehr im Auge behalten muss.
II. Serie (Caseinratten).
Die zweite Versuchsreihe wurde mit einem Kuchen ausgeführt, der
an festen Bestandtheilen gleich zusammengesetzt war wie der Ovalbumin¬
kuchen, nur wurde statt Ovalbumin Casein, puriss. genommen.
Er enthält demnach:
Casein, puriss.
. . 120 g
Amylum
. . 250 g
Traubenzucker.
. . 50g
Schweinefett
• . 60 g
Salzmixtur.
• • 20 g
Wasser. .
. . 300 g
Berechnen wir für 1 g Casein als Werth 5,8 Calorien, so enthielt
l g dieser Nahrung = rund 3,1 Calorien.
Damit wurde eine Serie von 5 Ratten gefüttert unter im Uebrigen
gleichen Versuchsbedingungen wie bei der ersten Reihe.
Der Verlauf gestaltete sich wie folgt:
No. I.
Anfangsgewicht . . . . 1G5 g.
Lebensdauer. G Wochen.
Endgewicht.8i g.
Im Laufe der 5. Woche zuerst links dann rasch beiderseits starker Augenkatarrh.
Innere Organe normal.
No. II.
Anfangsgewicht .... 243 g.
Lebensdauer. G Wochen.
Endgewicht.114 g.
Auch hier in der5. Woche zuersteinseitige dann doppelseitige heftige Conjunctivitis.
Section ohne Befund.
No. III.
Anfangsgewicht .... 254 g.
Lebensdauer.Gy 2 Wochen.
Endgewicht.125 g.
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Am Anfang der 5. Woche auch bei diesom Thier doppelseitiger heftiger Katarrh.
Section ohne Befund.
No. IV.
Anfangsgewicht .... 206 g.
Lebensdauer.18 Wochen.
Endgewicht.101 g.
Zum ersten Male zeigt sich hier in der 5. Woche etwas Katarrh, der aber zeit¬
weise wieder ganz verschwand. Erst in der 16. Woche links starke eitrige Con¬
junctivitis, das rechte Auge blieb bis zum Tode gesund.
Section ohne Befund.
No. V.
Anfangsgewicht . . . . 241 g.
Lebensdauer.10 Wochen.
Endgewicht.116 g.
Der erste leichte Katarrh trat doppelseitig in der 5. Woche auf, links blieb er
aber sehr gering bis zur letzten Woche, wo sich doppelseitig heftige Conjunctivitis
entwickelte.
Bei der Section ergaben sich einzelne Dünndarmschlingen etwas dilatirt und
mit breiigem Koth gefüllt, geformte Kothballen im Rectum, sonst nihil.
Die Körpergewichtscurven dieser 5 Thiere sind in Curve 3 wieder¬
gegeben.
Es zeigt sich hier ein auffallender Unterschied gegenüber den
Ovalbuminratten, indem von der ersten oder spätestens von der zweiten
Woche an ein steiler Abfall vorhanden ist; die gesammte Lebensdauer
wird dadurch viel kürzer.
Es starben 3 dieser Thiere schon nach 6 Wochen, während eins
11 und nur eins 18 Wochen lebte.
Das letztere hatte auch mehrere Wochen lang stark abgenommen,
zeigte dann aber von der 10. Woche an wieder eine auffällige Steigerung
des Körpergewichtes, der es. seine längere Lebensdauer verdankte.
Es liegt sehr nahe, aus der verschiedenen Lebensdauer der beiden
Serien den Schluss zu ziehen, dass Casein gegenüber Ovalbumin minder-
werthig sei, denn auch hier frassen alle Thiere bis zum Schluss.
Auch Falta und Noeggerath hatten ganz ähnliche Differenzen
erhalten und daraus den Schluss abgeleitet, dass die ceteris paribus ver¬
fütterten Eiweisskörper sich biologisch nicht gleich verhalten.
Betrachten wir aber in Curve 4 die Caloriencurven, so ergiebt sich
eine ganz andere Erklärung.
Sie zeigt zur Evidenz, wie der gewaltige Abfall der Gewichtscurven
bedingt ist durch einen ebenso steilen Abfall der Caloriencurven. Ver¬
gleichen wir z. B. die Calorienaufnahme der ungefähr gleich schweren
Ovalbuminratte I und Caseinratte II an Hand einer kleinen Tabelle.
Calorienaufnahme von Ovalbuminratte I und Cascinrattell.
Woche
1
2 !
1
I 3
4
! 5 i
6
7
1
8 |
9
10
11
12
1
13 j
14
15
16
17
18
19
20
21
22l
1
-SJ
1 '1
Ovalb.-
Ratte 1
Casein-
Ratte II
419
389
277)401
313)267
493
270
448
;-2oi!
434 392Uoi 41)3
|
205 - — -
491
1
1
473,470
1
1 ! !
529 493 4G0
1 1 :
430
421
1 ~ ^
382
379
258
202
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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Ratten mit künstlicher Nahrung etc. 157 -
Man ersieht daraus, dass die Caseinratte von der dritten Woche an
an Calorien nicht viel mehr als die Hälfte aufgenommen hat gegenüber
der Ovalbuminratte.
Leider wurde bei der länger am Leben gebliebenen Cascinrattc IV
keine regelmässige Bestimmung der Nahrung vorgenommen, immerhin
betrug bei ihr in der 9. Woche die Caloricnaufnahme noch 285 Cal.,
bei No. V in derselben Woche = 248 Cal., also auch Wcrthe, die be¬
deutend unter derjenigen der Ovalbuminratte stehen.
Wenn schon der Caseinkuchen mehr Wasser enthielt als der
Ovalbuminkuchen, und also in gleicher Menge weniger Nährwerth
repräsentirte, so dürfte doch der Grund für die grosse Differenz in
der Lebensdauer einfach darin liegen, dass er den Thieren weniger
gut mundete, und dieselben also von Anfang an damit unterernährt
waren.
Man ersieht daraus, wie wichtig derartige calorimetrische Be¬
stimmungen bei solchen Fütterungsversuchen sind, und wie leicht man
ohne sic zu ganz falschen Schlüssen kommen kann.
Bei allen Caseinratten trat regelmässig eine starke Conjunctivitis
auf, in höherem Grade allerdings immer erst zu Beginn der letzten
Lebenswoche, sie war also direct ein prämortales Zeichen.
Die bacteriologischc Untersuchung des Secretes ergab auch hier
vorzugsweise Staphylococcus pyogenes albus, seltener aureus.
Mikroskopisch wurde nirgends in den inneren Organen etwas
Pathologisches entdeckt. Auch hier fehlten mit einer Ausnahme
Kothstauungen, die man eventuell als Todesursache hätte anschen
können.
III. Serie (Universalratten).
Die dritte Versuchsreihe wurde durchgeführt mit einem com-
plicirteren Nahrungsgemisch, das wir als Universalkuchen bezeichnen
wollen.
Derselbe enthielt ausser Eiweiss, Fett und Kohlehydraten noch
verschiedene andere Stoffe, welche wir als lebenswichtig betrachten
können.
Leider konnte ich nicht für alle hierzu verwendeten Zuthaten
genaue calorimetrische Angaben finden, ich setzte für Globulin, Hämo¬
globin und Albumin 5,9 Cal. an, für Fibrin = 5,6 Cal. Ueber den
Abbau von Lecithin und Cholesterin im Organismus wissen wir bekannt¬
lich recht wenig, ich berechnete für beide den Werth des Fettes, also
9,3 Cal., bei der geringen verwendeten Menge fällt auf alle Fälle der
Fehler nicht in Betracht.
Von nucleinsaurem Natron machte ich 2 eigene Bestimmungen und
fand dafür = 2,8 Cal. Diese sowie die später angeführten calori-
inetrischcn Bestimmungen wurden mit der Berthelot’schen Bombe aus¬
geführt, und zwar jewcilcn von einer zu bestimmenden Substanz min¬
destens 2 Verbrennungen.
Die genauere Zusammensetzung des Kuchens war folgende:
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" 158
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P. Knapp,
Ovalbumin .
• 30 g
Cholesterin .
• 2,5
g
Casein, puriss. .
. 30 g
Lecithin .
• 3,0 g
Blutglobulin
• 10 g
Schweinefett .
. 60
g
Blutalbumin
• 20 g
Amylum .
. 250
g
Blutfibrin
. ‘20 g
Traubenzucker .
. 50
g
Hämoglobin .
• 10 g
Salzmixtur .
. 20
g
Nucleinsaures Natr.
. 10 g
Wasser .
. 225
g'
Unter Zugrundelegung der oben erwähnten caloriraetrischen Zahlen
würde demnach 1 g dieses Kuchens rund 3,5 Calorien enthalten.. Be¬
sonders anfangs wurde dieser Kuchen von den Thieren sehr gerne und
in enormen Quantitäten gefressen.
Bei den zuerst gestorbenen Ratten No. VI und III wurden bei der
Section Veränderungen der Nieren gefunden, die ich auf Einwirkung des
nucleinsauren Natrons bezog.
Ich verwendete deshalb von dieser Substanz von der 10. Woche an
nur noch die Hälfte des früheren Quantums.
Der Verlauf der einzelnen Fälle war wie folgt:
No. I.
Anfangsgewicht .... 237 g.
Lebensdauer.16 Wochen.
Endgewicht.160 g.
Zeitweise etwas Eczem am Hals, im rechten Auge vorübergehend etwas Secret,
gegen das Ende zu Augen ganz klar.
Section ohne Befund.
No. II.
Anfangsgewicht .... 228 g.
Lebensdauer.13 Wochen.
Endgewicht.125 g.
Augen stets ganz klar; Section ohne Befund.
No. III.
Anfangsgewicht .... 245 g.
Lebensdauer. 9y 2 Wochen.
Endgewicht.152 g.
Das Thier sah bereits nach einigen Wochen sehr struppig aus, am Hals und
Bauch Eczem, zeitweise, besonders gegen das Ende zu leichte Conjunctivitis mit
geringer Secretion.
Sectionsbefund: Herz gross, schlaff, Leber makroskopisch normal, linke
Niere enorm gross, hat mehr als das doppelte Volumen einer normalen, Oberfläche
etwas böckrig, Durchschnittsfläche schwarzroth. Rechte Niere ebenfalls stark ver-
grössert und von etwas unebener Oberfläche.
Milz desgleichen vergrössert, sonst keine weiteren Abnormitäten.
Mikroskopischer Befund: Siehe später!
No. IV.
Anfangsgewicht . . . . 218 g.
Lebensdauer.13 Wochen.
Endgewicht.109 g.
Gck igle
Original fro-m
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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Ratten mit künstlicher Nahrung etc. 159
Am Hals zeitweise etwas Eczem, im rechten Auge vorübergehend Spur Secret,
sonst und besonders gegen das Ende zu keine Conjunctivitis.
Section ohne Befund.
No. V.
Anfangsgewicht . . . . 217 g.
Lebensdauer.15 Wochen.
Endgewicht.145 g.
Augen stets klar, am Halse etwas Eczem.
Section ohne Befund.
No. VI.
Anfangsgewicht .... 168 g.
Lebensdauer. 6 Wochen.
Endgewicht.109 g.
Augen stets gesund; bei der Seotion findet sich bei beiden Nieren eine etwas
höckrige Oberfläche, Milz normal.
Die Körpergewiohtscurven dieser H Thiere sind in Curve 5 auf¬
gezeichnet.
Es ist entschieden auffällig, dass trotz dieser coraplicirten Zusammen¬
setzung der Nahrung die Ratten nicht nur nicht am Leben erhalten
werden konnten, sondern durchschnittlich sogar weniger lang lebten als
z. B. die Ovalbuminratten. Allerdings ist wenigstens bei zwei davon, bei
No. III und VI, die Ursache für die kurze Lebensdauer vorwiegend in
den Nierenveränderungen zu suchen, bei Men übrigen konnten zwar keine
Veränderungen mehr nachgewiesen werden, doch ist es nicht unmöglich,
dass auch bei ihnen die Nucleinsäure schädigend und lebensverkürzend
eingewirkt hat.
Anfangs frassen die Thiere enorme Quantitäten, was auch daran
ersichtlich ist, dass das Körpergewicht mit einer Ausnahme am Anfang
gleich blieb oder sogar anstieg.
In Curve 6 finden sich Gewichts- und Caloriencurven von Ratte I
und 13.
Auch an dieser Curve ist sehr leicht ersichtlich, wie der starke
Gewichtsabfall von der 3. Woche an offenbar bedingt ist durch den ge¬
waltigen Abfall der beiden Caloriencurven.
Auffällig an dieser Serie war das fast regelmässige Auftreten von
eczematösen Stellen, besonders am Hals; ob dies Zufall war, oder mit
der Nahrung irgend welchen Zusammenhang hatte, wage ich nicht zu
entscheiden.
Augenkatarrhe blieben mit Ausnahme von No. III ganz weg,
höchstens wurde ganz vorübergehend eine Spur Secret notirt, und auch
bei Ratte III erreicht^ die Conjunctivitis lange nicht den Grad, wie es
bei den früheren Versuchen die Regel gewesen war.
Wenden wir uns nun nochmals den Nierenveränderungen zu, die ich
bei No. VI und ganz besonders bei No. III gefunden hatte, und die ich
glaube auf das nucleinsäure Natron zurückführen zu müssen.
Nach den Versuchen von Schittenhelm und Bendix (12) wissen
wir, dass intravenöse Verabreichung von Nucleinsäure bei Kaninchen zu
schweren Nierenveränderungen führt.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
160
P. Knapp,
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Sie fanden bei ihren Versuchen schwere hämorrhagische Nephritis,
zahlreiche Cylindcr aus Blutkörperchen und solche hyalinen Charakters,
wahrscheinlich aus Nucleinsänrc bestehend. Ferner bestanden Ablage¬
rungen in den Harncanälchen, z. Th. in Form von Sphärolithen, z. Th.-
als harnsäureähnliche Gebilde.
Aus meinen Versuchen scheint hervorzugehen, dass auch bei Dar¬
reichung per os kleine Dosen von Nucleinsäure bei langdauernden Ver¬
suchen im Stande sind, schwere Nierenveränderungen hervorzurufen.
Bei der zuerst verendeten Ratte VI waren die Veränderungen noch
sehr wenig ausgesprochen, die Nierenoberfläche war etwas uneben, es
fanden sich ganz spärliche hyaline Cylinder, aber sonst noch keine
sicheren Zeichen von Entzündung. Gewaltige Veränderungen bestanden
dagegen bei den stark vergrösserten Nieren von Ratte III.
Die Vascularisation war sehr stark vermehrt, das ganze Organ
geradezu vollgepfropft mit grossen hyalinen Cylindern.
Das Epithel der Glomeruli war abgeplattet, aber sonst nicht ver¬
ändert, dagegen zeigte das Epithel der Tubuli contorti stellenweise
Nekrosen.
Im Stroma einzelne Hämorrhagien, sonst ausser mächtiger Hyper¬
ämie nichts Abnormes.
In der Leber fanden sich im Centrum der Acini grobe fettige De¬
generationen, weiterhin auffällige Ungleichheiten in der Grösse der Kerne
der Leberzellen, sonst aber keifle weiteren Veränderungen.
Milz geschwellt, mikroskopisch aber ohne Besonderheiten.
Herrn Prof. Hedinger, der die Liebenswürdigkeit hatte, die Prä¬
parate durchzusehen, sei auch an dieser Stelle der herzlichste Dank aus¬
gesprochen.
Wie schon erwähnt, wurde nach diesem Befund die Quantität des
nucleinsauren Natrons auf die Hälfte reducirt; die Thatsache, dass die
4 anderen Thiere keine pathologischen Veränderungen mehr aufweisen,
dürfte auch dafür sprechen, dass die Nucleinsäure die Ursache ge¬
wesen war.
Ucberblicken wir einmal kurz das Resultat dieser 3 Versuchsreihen.
Alle Thiere waren am Ende stark abgemagert, in einzelnen Fällen
war sogar ein Gewichtsverlust von über 50 pCt. zu constatiren, während
man sonst als Grenze für die Lebensmöglichkeit 40 - 45 pCt., nach
Luigi Lueiani (13) im äussersten Falle 48—49 pCt. annimmt.
Alle frassen bis zum Tode, höchstens mit Ausnahme des letzten
oder auch vorletzten Lebenstages, im Magen fanden sich oft noch Nah¬
rungsreste, im Darme stets Koth.
Was das Auftreten der mich in erster Lime interessirenden Con¬
junctivitis anbetrifft, so können die Beobachtungen Falta’s auch mit
meinen grösseren Versuchsreihen nur gestützt werden, Ovalbumin- und
Caseinratten bekamen ausnahmslos heftige Katarrhe, die Uni¬
versalratten nur ausnahmsweise und in ganz leichtem Grade.
Obschon nun alle Thiere genau unter den gleichen Versuchsbeding¬
ungen lebten, so können doch verschiedene Einwände gemacht werden.
Gck igle
Original fro-m
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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Ratten mit künstlicher Nahrung etc. 161
Einmal Hesse sich sagen, dass der Aufenthalt in dem ungewohnten
Tageslicht die Ursache war. Um diesen Einwand zu entkräften, habe
ich lange Zeit bei einzelnen Thieren den Käfig mit Tüchern verhängt,
jedoch entwickelte sich bei diesen der Katarrh genau in gleicher Weise
wie bei den im vollen Lichte lebenden.
Weiterhin muss mit Recht besonders darauf hingowiesen werden,
dass die Katarrhe wenigstens in stärkerem Grade immer orst gegen das
Lebensende zu auftraten, also zu einem Zeitpunkte, wo die Resistenz¬
fähigkeit des Körpers ohnehin vermindert und dadurch die Disposition
für eine zufällige Infection schon vorhanden war.
Diese Erklärung ist entschieden sehr plausibel, das fast völlige Aus¬
bleiben des Katarrhs bei den 6 Universalratten könnto immerhin noch
ein Zufall gewesen sein.
Dem gegenüber darf hervorgehoben werden, dass wir nicht gewohnt
sind, selbst bei schworen kachcktischcn Zuständen derartige Conjuncti¬
vitiden anzutreffen. Die Annahme ist also doch wohl berechtigt, dass da •
neben dem Marasmus noch irgend eine andere Ursache, irgend eino durch
die Ernährung bedingte Schädlichkeit raitspiclen dürfte.
An Hand der folgenden Versuche soll dieso Frage noch weiter er¬
örtert werden.
Auch über andere Fragen sollten weitere Experimente noch Klarheit
bringen.
Warum gingen die Thiorc überhaupt alle zu Grunde? Trug
ungenügende Caloricnaufnahme die Schuld daran, oder resorbirto der Darm
die einförmige Nahrung nicht mehr genügend, oder fehlte in dem Nahrungs¬
gemisch irgend etwas, wodurch trotz genügender Resorption die Fortdauer
des Lebens unmöglich wurde, oder waren cs alle 3 Gründe zusammen?
Diese Fragen bedingten die Fortführung der Versuche unter fol¬
genden Gesichtspunkten.
Einmal musste überhaupt die. Caloricnmongc fcstgcsteilt
werden, die ein solches Thier bei natürlicher Ernährung
braucht, um am Leben zu bleiben, und um sein Normalgowicht
beizubehalten. Zweitens musste festgcstollt werden, ob
Ratten, die man bei natürlicher Nahrung an Unterernährung
zu Grunde gehen lässt, Conjunctivitis bekommen odcr*nicht.
Drittens musste durch calorimetrischc Bestimmungen des
Kothes festgestellt werden, ob die Ausnützung der künstlichen
Nahrung zu allen Zeiten die gleiche war oder nicht.
Gelang es, diese drei Fragen zu beantworten, so war damit für das
Vcrständniss der erhaltenen Resultate schon viel gewonnen.
Ueber die Mehrzahl dieser Versuche werde ich mehr summarisch
berichten, da die Mittheilung aller Details ohne Belang wäre.
In erster Linie fütterte ich 4 Ratten mit Milchpujver, und wollte
damit das zum Leben nothwendige Calorienminimum feststellen.
Ich weiss nicht, aus welchen Gründen die Thiere diese Nahrung
schlecht ertrugen, sie bekamen alle Diarrhoe und gingen nach 3—4 Wochen
zu Grunde. Nicht viel bessere Resultate erhielt ich mit Fleischfütterung.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. j i
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t
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162
Es kara hierbei möglichst fettfreies Pferdefleisch zur Ver¬
wendung, das im Eisschrank aufbewahrt wurde.
Möglicherweise veränderte sich aus letzterem Grunde das Fleisch
in den Käfigen sehr rasch (diese Versuche wurden im Sommer vorge¬
nommen) und bildete aus dieser Ursache ein ungeeignetes Nahrungs¬
mittel, jedenfalls gingen von 5 Ratten 4 in 2 - 3 Wochen zu Grunde,
und nur eine konnte längere Zeit am Leben erhalten werden. Dieselbe
hatte ein Anfangsgewicht von 192 g, sie konnte mit einer täglichen
Fleischration von 20 g 15 Wochen lang erhalten werden, ihr Gewicht
schwankte in den letzten Wochen zwischen 140 und 150 g.
Von der 16. Woche an setzte ich die Tagesration auf 18 g herunter,
daraufhin ging das Thier unter raschem Gewichtsabfall nach 14 Tagen
zu Grunde.
Da nun nach einer calorimctrischen Bestimmung von Herrn Privat-
docent Dr. Stähelin 100 g dieses Fleisches 150 Calorien enthielten,
so würden also für dieses Thier ca. 30 Calorien täglich das Existenz¬
minimum gebildet haben. Dieser einzig gelungene Versuch konnte
natürlich nicht maassgebend sein, und so sah ich mich zu weiteren Ex¬
perimenten veranlasst.
Von 4 mit Hundekuchen gefütterten Thicren gingen 3 nach 3 bis
4 Wochen zu Grunde, wie die Section ergab, höchst wahrscheinlich an
Verstopfung, nur eins lebte 7 Wochen lang, leider war cs mir wegen
längerer Abwesenheit unmöglich gewesen, gerade dieses Thier genauer
zu controlliren.
Bei Fütterung mit Milch gingen 4 Ratten ebenfalls an Verstopfung
nach 3—4 Wochen zu Grunde, Zusatz von etwas Magnesiumsalzen zur
Beförderung der Peristaltik erwies sich als nutzlos. Wohl hätte Zu¬
führung von Cellulose die Obstipation verhindert, doch hätte sich dann
die Calorienaufnahme nicht mehr berechnen lassen, da Cellulose un¬
zweifelhaft auch zum Theil ausgenützt wird. Etwas mehr Glück hatie
ich mit Reisfütterung, indem ich, einem freundlichen Rath von Herrn
Dr. Falta folgend, zur Beförderung der Peristaltik Hornspähne bei¬
fügte, die absolut unverdaulich sind.
Als calorirnetrischen Werth des Reises fand ich für 1 g = 3,418Calorien.
Von diesen Reisratten blieb die erste, die ein Anfangsgewicht von
176 g hatte, mit 15 g Reis pro die völlig im Gleichgewicht, mit 12 g
erfolgte eine leichte Abnahme, mit 10 g sank das Gewicht stärker und
blieb 4 Wochen lang zwischen 142 und 150 g, eine weitere successivc
Verringerung der Nahrungszufuhr bis auf 7 g pro die führte nach weiteren
14 Tagen den Tod herbei. Versuchsdauer 10y 2 Wochen.
Dieses Thier blieb also mit 12—13 g Reis = 47—51 Calorien im
Gleichgewicht, 10 g Reis = 39 Calorien waren entschieden das Mi¬
nimum zur dauernden Erhaltung seines Lebens.
Bei einer zweiten Reisratte kam ich ebenfalls ziemlich genau zu
dem gleichen Resultat.
Weiterhin machte ich mehrere Fütterungsversuche mit gepulvertem
Grahambrot.
Allerdings starben auch von diesen mehrere Thiere frühzeitig an
Gck igle
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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Ratten mit künstlicher Nahrung etc. 163
Verstopfung, doch gelang es, wenigstens 3 davon bei steigender Unter¬
ernährung über 6 Wochen am Leben zu erhalten.
Den calorimetrischen Werth von 1 g getrockneten Grahambrotes
bestimmte ich auf 3,968 Calorien. Mit diesem Futter blieb z. B. eine
168 g schwere Ratte mit 10 g = 40 Calorien pro die wochenlang ganz
wenig unter ihrem Anfangsgewicht, eine weitere Reduction auf 9 und
später auf 8 g hatte starkes Sinken des Körpergewichtes bis auf 125 g
zur Folge, wo cs mit dieser Nahrungsmenge wochenlang stehen blieb.
Die 2 andern Graharabrotthierc gebrauchten bei einem Körpergewicht
von 145 und 168 g ebenfalls 36 und 40 Calorien zur Erhaltung ihres
Status quo, also ganz ähnliche Wcrthe. Wir finden also bei Rcisfütterung
zur Erhaltung des Gleichgewichts einen Calorienbedarf von ca. 270 Ca-
loricn pro die und 1 kg Körpergewicht, bei Grahambrot ca. 240 Calorien.
Wir können daraus entnehmen, dass die durchschnittlich 200—250 g
schweren Thiere unserer ersten Versuchsserien zur Erhaltung ihres Gleich¬
gewichts doch ungefähr einen täglichen Calorienbedarf von wenigstens
50—60 Calorien haben mussten. Ich bin mir allerdings wohl
bewusst, dass diese Berechnungen und Vergleiche nur einen
ganz approximativen Werth haben.
Für ganz genaue Bestimmungen des Caloricnbcdarfes müssten die
Thiere unter gleicher Temperatur gehalten werden, was hier nicht geschah.
Ferner ist besonders die Ausnützung der verschiedenen Eiweiss¬
arten eine ganz verschiedene.
Nach einer in Bunge’s Lehrbuch der Physiologie II. Bd. S. 87 u. 88
zusamracngc&tclltcn Tabelle ist z. B. die Menge des unresorbirten Ei-
weisses in Procentcn des aufgenommenen
bei Rindfleisch ... 2,5 pCt.
v Weizenbrot . . . 19,9 „
„ Schwarzbrot . . . 32 „
7) . n
Es sind das sehr beträchtliche Unterschiede, die natürlich bei den
verschiedenartigen Eiweisstoffen, die zur Verwendung kamen, allzu weit¬
gehende calorimetrische Vergleiche nicht zulassen.
Die überaus gute Ausnützung des Fleischeiwcisses erklärt uns auch,
warum die Fleischratte mit einer geringeren Calorienzufuhr auskam.
Immerhin scheinen diese Berechnungen doch annähernd richtig zu sein,
wenn wir die Caloriencurven der 3 Anlangsserien daraufhin ansehen.
Aus vergleichenden Gründen hatte ich überall nicht den physiolo¬
gischen sondern den totalen Verbrennungwerth des Eiweisses berechnet,
so dass die gefundenen Werthe viel besser einander gegenübergestellt
werden können.
Die beiden Ovalbuminratten nahmen sehr lange dieses postulirtc
Minimum von 50—60 Calorien auf, und blieben deshalb auch längere Zeit
wenigstens annähernd im Gleichgewicht, die Caseinratten gelangten schon
in der zweiten Woche unter diese Zahl, daher auch ihr rascherer Abfall.
Auch die Universalratten waren schon von der dritten Woche an
unterernährt, und gingen deshalb auch unerwartet früh zu Grunde. Die
Todesursache war also in erster Linie in der ungenügenden
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Nahrungsaufnahme zu suchen, wenn die Thiere auch Anfangs gern
frassen, so wurden sie doch früher oder später der einförmigen Kost
überdrüssig, und verhungerten geradezu am gefüllten Futtertroge.
Diese Thatsachc und weiterhin der grosse Calorienbedarf dieser
kleinen Thiere sind zwei Factoren, die bei derartigen experimentellen
Versuchen für die Beurtheilung des ganzen Verlaufes von ausschlag¬
gebender Bedeutung sind, sie sind aber, wie mir scheint, bei allen
früheren derartigen Versuchen viel zu sehr ausser Acht gelassen worden.
Ob cs gelingt, den Appetit der Thiere durch Zugabe von Gewürzen,
Fleischcxtract etc. dauernd rege zu erhalten, das ist eine Frage, der
ich experimentell noeh nicht näher getreten bin.
Jedenfalls wären weitere derartige Versuche sehr interessant, denn
erst, wenn es gelingen würde, den Thieren auch wirklich ihren
täglichen Calorienbedarf dauernd beizubringen, dann könnte
die Frage endgültig entschieden wurden, ob das Leben mit
derartigen künstlichen Stoffen nicht doch erhalten werden
kann.
Die lange Lebensdauer specicll der Ovalbuminratten lässt diese
Möglichkeit jedenfalls nicht als ausgeschlossen erscheinen.
Solange aber die Thiere bei solchen Versuchen offenbar in erster
Linie aus Appctitmangel und Unterernährung eingehen, so lange sind
alle Speculationen darüber überflüssig, ob und was für lebenswichtige
Stoffe in der Nahrung noch gefehlt hätten.
Kehren wir noch einmal zur Frage über die Genese der beobachteten
Conjunctivitis zurück.
Wie aus den vorherigen Angaben hervorgeht, habe ich über 20 Ratten
mit Fleisch, Milchpulver, Milch, Hundekuchen, Reis und Grahambrot
gefüttert.
Der grössere Theil daran starb an Complicationen, die übrigen liess
ich absichtlich an Unterernährung zu Grunde gehen.
Alle ohne Ausnahme zeigten bei ihrem Lebensende eine starke Ab¬
magerung, also einen Zustand von allgemeiner Körperschwäche, den man
als Hauptgrund (ür die beobachteten Katarrhe ansehen könnte.
Nun beobachtete ich aber unter dieser grossen Zahl von Versuchs-
thieren nur einmal einen Conjunctivalkatarrh von mässiger Stärke,
nämlich bei einer Reisratte, also bei einer Nahrung, der man auch
vielleicht den Vorwurf allzu grosser Einfachheit machen muss.
Bei allen anderen Thieren fehlte auch im letzten Stadium jede Spur
einer Secretion von Seiten der Conjunctiva.
Angesichts dieser Thatsachc scheint mir doch die Ver-
muthung berechtigt zu sein, dass es nicht nur die prämortale
Resistenzlosigkcit war, welche die Thiere zu derartigen
Katarrhen prädisponirte, sondern, dass wir eine weitere
Ursache in der Art der Nahrung suchen müssen, vielleicht in
dein Kehlen eines ganz bestimmten wichtigen Körpers. Ob
dies der Fall ist, und welches eventuell dieser Körper sein könnte, das
ist freilich eine Frage, die nach meinen Versuchen noch nicht entschieden
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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von kalten mit künstlicher Nahrung etc. 1(>5
werden kann, und zu deren Lösung es noch sehr zahlreicher und mühe¬
voller Experimente bedürfen wird.
Von diesem Gesichtspunkt aus ist es von ganz besonderem Interesse,
dass die Ratten, welche mit dem Universalkuchen gefüttert worden
waren, keine Conjunctivitis bekamen.
Wie Herr Schlachthausverwalter Dr. Siogmund mir in freund¬
licher Weise mittheilte, kann man auch bei Pferden und Hunden nach
schlechter oder ungenügender Ernährung Conjunctivitiden beobachten;
ob und inwiefern dieselben allerdings endogenen Ursprungs sind, das
lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden.
Die bei mehreren Ovalbuminratten aufgetretenen Hornhautgeschwüre
boten keine Besonderheiten. Die Secretion war oft so hochgradig, dass
die Lider fast ganz zugeklebt blieben, cs bildeten sich so zuerst ober¬
flächliche Macerationsdefecte, und bald darauf eigentliche Geschwüre.
Dass bei den Caseinratten Geschwüre nicht vorkamen, mag wohl daher
kommen, weil bei ihnen die Conjunctivitis in Folge des rascher ein¬
tretenden Todes nie so lange dauerte und sie deshalb auch weniger
leicht zu Hornhautcomplicationen führen konnte.
Ich hatte mir auch noch die Aufgabe gestellt zu untersuchen, ob
die Ausnützung der künstlichen Nahrung im Darm zu den verschiedenen
Lebensperioden auch wirklich gleichmässig erfolgte.
Ich fütterte deshalb 2 Ratten mit dem Caseinkuchen, und bestimmte
von jeder Woche den calorimetrischen Werth des Kothes. Die bei dem
ersten dieser Thiere gefundenen Werthc finden sich in folgender Tabelle
wiedergegeben:
Woche
Körpergewicht
am Anfang der
Woche
Calorien
im Futter
Calorien
im Koth
Procente der
im Koth
gefundenen
Calorien
I.
136 g
316
7,124
2,25 pCt.
II.
137 g
277
2,903
1,05 r
III.
132 g
301
5,081
1,68 r
IV.
— 2 Tage
117 g
203
4,335
2,13 r
Endgewicht = 100 g.
Leider ist das Ergebniss dadurch etwas gestört, dass in der ersten
Woche sehr reichliche, etwas diarrhoische, und in der zweiten Woche
nur sehr spärliche Kothentleerungen erfolgten.
Die anfängliche leichte Diarrhoe mag den Grund bilden, warum in
der ersten Woche die grösste Calorienmenge im Koth gefunden wurde.
Während der 3 folgenden Wochen zeigt sich ein successives An¬
steigen des Caloriengehaltes der Fäces, in der zweiten Woche fanden
sich 1,05 pCt. der aufgenoramenen Calorien im Kothe wieder, in der
vierten Woche dagegen 2,13 pCt., also das Doppelte.
Auch der zweite Versuch ergab ein Ansteigen der Calorienmenge
im Koth, leider aber konnte ich wegen eines Fehlers bei den Bestim¬
mungen kein durchweg genaues Resultat erhalten.
Ich wollte deshalb auf den einen ausserdem durch die unregel-
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massige Kothentlcerung gestörten Versuch nicht abstcllcn, sondern
machte noch eine weitere Bestimmung.
Hierbei traf ich ganz besondere Vorsichtsmaassregeln, um möglichst
genaue VVerthc zu erhalten und alle Fehlerquellen thunlichst zu ver¬
meiden.
Die Nahrung wurde in Form eines dünnen Breies gereicht, um ein
Zerbröckeln und Verschleppen derselben zu verhindern; ferner nahm ich
die doppelte Quantität Salze, um eine möglichst gleichmässige Koth-
entleerung zu erzielen.
Wenn trotzdem der hier auch bestimmte N-Gchalt des Harns nicht
als zuverlässig bezeichnet werden muss, so liegt eben der Grund darin,
dass auch bei der grössten Vorsicht ein Vermengen des Urins mit Futter¬
resten nicht ganz auszuschliessen war.
Im Uebrigen verlief dieser Versuch sehr gut und ohne die geringste
Störung, die Lebensdauer des Thieres betrug 4 Wochen — 2 Tage.
Die einzelnen gefundenen Zahlen finden sich in folgender Tabelle
vereinigt:
Woche
Körpergewicht
am Anfang der
Woche
1
Calorien j
im Futter 1
i
Calorien
im Koth
Procente der
j im Koth
gefundenen
Calorien
N. im Harn
1.
179 g
407.7
6,88S
1,64 pCt.
1,85 g
II.
181 g
299.7 l
5,551 j
| 1,85 -
2,2 g
III.
lfiS g
21C,
4,457
1 2,06 „
0,872 g
IV.
— 2 Tage
139 g
135 1
3,722
2,76 „
1,3G1 g
Hndgewicht — 110 g.
Diese Tabelle ergiebt ein sehr klares und instructives Bild.
Erstens ersehen wir daraus, dass dieses Thier in der ersten Woche
täglich durchschnittlich 58 Calorien aufgenommen hatte, eine Menge, die
bei diesem Körpergewicht nach unseren früheren Berechnungen zur Er¬
haltung des Gleichgewichts reichlich genügen musste, wir finden denn
auch sogar einen kleinen Gewichtsansatz.
In der zweiten Woche sank die Aufnahme auf 43 Calorien, dies
genügte bereits nicht mehr ganz, es trat eine leichte Abnahme ein, die
in den folgenden Wochen rapid zunahm.
Auf die Stickstoffbestimmung des Urins möchte ich, wie schon
betont, nicht allzu viel Gewicht legen, da Fehlerquellen nicht aus¬
zuschliessen waren, es scheint die N-Ausschcidung in den letzten fünf
Tagen angestiegen zu sein, offenbar war dies der Zeitpunkt, wo das
Körperfett aufgezehrt war, und eine stärkere Einschmelzung von Körper-
eiweiss begann.
Ganz besonders instructiv aber ist die Colonne, in welcher ver¬
zeichnet ist, wie viel Procente der aufgenommenen Calorien im Kothe
sich wieder fanden. Wir sehen da deutlich ein progressives An¬
steigen während der 4 Wochen, in der ersten waren es 1,64 pCt., in
der vierten dagegen 2,76 pCt.
Es entspricht dieser Befund schon dem früher erhobenen, nur ist
Gck igle
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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Ratten mit künstlicher Nahrung etc. 1G7
der ganze Verlauf in diesem besonders sorgfältig und ohne Störung
durchgeführten Fall ganz besonders klar zu sehen
Es scheint daraus hervorzugehen, dass die Ausnützung der
Nahrung im Laufe des Versuches successive schlechter zu
werden pflegt.
Dieses Verhalten der Verdauungsorgane ist wohl kaum als ein
Folgezustand der durch die ungenügende Nahrungsaufnahme erzeugten
chronischen Inanition aufzufassen.
Wenigstens finden wir in der menschlichen Pathologie keine Ana¬
logie dafür, da die Ausnützung der Nahrung sowohl nach acutem
Hunger als im Zustand der chronischen Unterernährung normal bleibt.
Es ist viel wahrscheinlicher, dass das geschmacklose, einförmige,
künstliche Nahrungsgemisch eine Verringerung der Verdauungssäfte
und dadurch eine schlechtere Ausnützung der Nahrung herbeiführte.
Die Studien von Pawlow (14) u. A. haben die Bedeutung des
Appetits für die Secretion der Verdauungssäfte zur Genüge bewiesen.
Das ist auch eine bekannte physiologische Thatsache, dass Leute,
die mit einer einförmigen Kost genährt werden, allmählich den Appetit
verlieren und abmagern [Abderhalden (15)].
Es ist eben von der grössten Bedeutung, dass die Nahrung nicht
nur nahrhaft, sondern auch appetitreizend sei; wenn dem Futter die
letztere Eigenschaft abgeht, so verlieren die Thiere den Appetit und
verhungern zuletzt, wie aus meinen Versuchen hervorgeht.
Die beiden zuletzt genannten Thiere lebten nur auffallend kurze
Zeit, der Tod trat ein, bevor die sonst übliche Gewichtsabnahme von
40—50 pCt. vorhanden war.
Der Grund liegt wohl darin, dass es sich um junge, noch nicht
ganz ausgewachsene Thiere handelte, die noch nicht viel Körperfett im
Vorrath hatten. Ich möchte endlich nicht unterlassen zu erwähnen, dass
die letzte Ratte von den 8 mit Caseinkuchen gefütterten die einzige
war, welche keine Conjunctivitis bekam.
Ich kann mir kaum denken, dass der erhöhte Salzgehalt der
Nahrung die Ursache davon bildete. Wenigstens habe ich 3 andere
Ratten mit einem Kuchen gefüttert, der Ovalbumin, Casein etc. sowie
doppelte Salzmenge enthielt.
Diese ebenfalls jungen Thiere starben auch schon nach 4 Wochen
und zeigten alle gegen das Ende zu Lichtscheu und beginnende Secretion.
Allerdings kam eine stärkere Conjunctivitis wohl wegen des raschen
Hinsterbens nicht mehr zur Entwickelung.
Dies führt mich zu einem Einwand, der nicht unberücksichtigt
bleiben darf.
Man könnte sagen, dass die mit natürlicher Nahrung gefütterten
Thiere nur deshalb keinen Katarrh bekamen, weil sie meist vorzeitig an
Complicationen zu Grunde gingen, so dass also die Conjunctivitis sozu¬
sagen gar nicht Zeit fand, sich zu entwickeln.
Dem ist entgegenzuhalten, dass eine Fleischratte, eine mit Hunde¬
kuchen, zwei mit Reis und drei mit Grahambrot gefütterte länger als
6 Wochen lebten, dazu kommen noch 6 Universalratten.
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
1«8
1\ Knapp,
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Von diesen 13 Thieren bekam eine Reisratte einen mittel¬
starken, und eine Universalratte einen leichten Augenkatarrh,
die anderen aber nichts.
Von 13 Casein- und 0valburainratten blieb der Katarrh
nur bei einer Caseinratte aus, bei allen anderen war er meist
sehr stark. Dieser Unterschied ist doch recht auffallend und kann
kaum mehr nur durch Zufall entstanden sein.
Es handelt sich ja hier um bisher ganz unbekannte und äusserst
schwer zu beurtheilende Verhältnisse.
Selbst auf Grund dieser zahlreichen und langwierigen Unter¬
suchungen wäre es jedenfalls voreilig, allzu weitgehende Schlüsse zu
ziehen.
Immerhin glaube ich, das Ergebniss in folgenden Sätzen zusaramen-
fassen zu dürfen:
1. Es gelingt nicht, Ratten mit künstlicher Nahrung
dauernd am Leben zu erhalten. Der Grund liegt hauptsäch¬
lich darin, dass die Thiere bei der reizlosen einförmigen Kost
den Appetit verlieren, in geringerem Grade wohl auch darin,
dass die Nahrung mit zunehmender Appetitlosigkeit im Darm
auch weniger gut ausgenützt wird.
2. Ratten, die in ihrem Nahrungsgemisch nur einzelne
Eiweisskörper, Fett, Kohlehydrate und Salze bekommen,
zeigen fast ausnahmslos gegen Ende ihres Lebens eine
Neigung zu starker Conjunctivitis.
3. Ratten, die mit complicirteren künstlichen Gemischen
oder mit natürlicher Nahrung gefüttert werden, zeigen der¬
artige Katarrhe nur ausnahmsweise und dann in geringerem
Grade, bei letzterer Kost auch dann nicht, wenn man sie an
Unterernährung zu Grunde gehen lässt. Die Vermuthung er¬
scheint deshalb berechtigt, dass nicht nur die allgemeine
Körperschwäche, sondern auch die Art der Nahrung für der¬
artige Conjunctivitiden prädisponirend wirken kann.
4. Bei länger fortgesetzter Fütterung mit nucieinsaurem
Natron können sich schwere Nephritis sowie fettige Degene¬
rationen in der Leber einstellen.
Zum Schlüsse ist es mir eine angenehme Pflicht, den Herren Prof.
His, Voit und Gerhardt, die mir alle Hülfsmittel des Laboratoriums
in liebenswürdigster Weise zur Verfügung stellten, meinen besten Dank
auszuspreghen. *
Ganz besonderen Dank aber schulde ich meinem Freunde, Herrn
Privatdocent Dr. Falta in Wien, für die Anregung zu dieser Arbeit,
sowie für die werthvolle Mithülfe und die zahlreichen guten Rathschläge
bei diesen Untersuchungen.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Hatten mit künstlicher Nahrung etc. 169
Literatur.
1. Morax, Wirksamkeit der Toxine in der Aetiologie der Bindehautentzündungen.
IX. Internat. Congress in Utrecht.
2. Valenti, Sulla azione di alcune sostanze tossiche sulla congiuntiva oculare.
Archiv, di ottalm. 1900. VIII. p. 20.
3. Fuchs, Lehrbuch der Augenheilkunde.
4. Trousseau, Fluxion de la conjonctive. 1896. Heoueil d’ophth.
5. Leber, Discussion zu dem Vortrag von Wagenmann: Einiges über Augen¬
erkrankungen bei Gicht. Bericht über die 25. Versammlung in Heidelberg.
6. Luigi Luciani, Physiologie des Menschen. 1905. II. Bd.
7. Falta und Nöggerath, Fütterungsversuche mit künstlicher Nahrung. Beiträge
zur chem. Physiologie und Pathologie. Bd. VII. p. 313ff.
8. Henriques und Hansen, Ueber Eiweisssynthese im Thierkörper. Zeitschr. f.
physiol. Chemie. Bd. 43.
9. Lunin, Ueber die Bedeutung der anorg. Salze für die Ernährung des Thieres.
Zeitschr. f. phys. Chemie. Bd. 5.
10. Socin (Arbeit aus Bungo’s Laboratorium), In welcher Form wird Eisen re-
sorbirt. Zeitschr. f. phys. Chemie. Bd. 15.
11. Rubner, Gesetze des Energieverbrauches. Leipzig u. Wien 1902.
12. Schittenhelm und Bendix, Ueber das Schicksal der in die Blutbahn ge¬
brachten Nucleinsäure. Deutsche med. Wochenschr. 1904.
13. Luigi Luciani, Das Hungern. 1890.
14. Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. Bergmann. Wiesbaden 1898.
15. Abderhalden, Lehrbuch der physiologischen Chemie.
IG. Wolff-Eisner, Discussion zum Vortrag von Pirquet (Sitzung der Berliner
med. Gesellsch. 8. Mai 1907). Ref Berliner klin. Wochenschr. No. 22.
17. Calmette, Sur un nouveau procödd de diagnostic de la tuberculose chez
Phomme par ophthalmordaction ä la tuberculine. Compte rendu des seances de
Pacad^mie des Sciences. No. 24. 17. Juni 1907.
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Original fru-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XIV.
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Aus dem Laboratorium der hydrotherapeutischen Anstalt der
Universität Berlin.
Beitrag zur Quecksilberausscheidung nach Thiopinolbädern
bei Schmierkur.
Von
Dr. G. Diesselhorst.
Von verschiedenen Seiten namentlich Badeärzten wird empfohlen,
die Schmiercur bei Syphilitikern mit einer Schwefelbade- bezw. auch
Trinkcur zu combiniren, weil dadurch grössere Quecksilberdosen (bis zu
15 g grauer Salbe) ohne Schädigung vertragen und so eine energische
Behandlung auch bei gegen Hg empfindlichen Patienten ermöglicht werde.
Andere Forscher dagegen behaupten, dass eben durch die Schwefelbäder
die Wirkung des Quecksilbers in Folge von Sulfidbildung sich abschwäche
und daher Intoxicationen ausblieben. Von Winkler 1 ) sind sogar ein¬
gehende theoretische Speculationen über die chemischen Vorgänge zwischen
Schwefel und Quecksilber im Organismus angestellt worden, die angeb¬
lich zur Entstehung eines löslichen unterschwefligsauren Quecksilberalkalis
führen sollen. Da aber diese Annahme nicht experimentell bewiesen
ist, so hat die ganze Betrachtung nur einen sehr hypothetischen Charakter.
Meine Untersuchungen betrafen einen kräftigen Patienten von 37 Jahren,
bei welchem vor ca. 8 Wochen plötzlich Hemiplegie entstanden war in
Folge von Lues, die vor 14 Jahren acquirirt, damals nur ganz oberfläch¬
lich behandelt wurde. Neben der Schmiercur kam das „Thiopinol-
Schwefelbad“, eine Lösung von Alkalisulfiden mit Nadelholzölen com-
binirt in folgender Weise zur Anwendung. Zunächst erhielt der Patient
während der ersten drei Touren der Schmiercur (3 g Ung. Hydrag. c.
resorb. par. täglich, 6 Tage lang) am 7. Tage ein Rcinigungs- und im
Anschluss daran das obige Schwefelbad. Sodann folgte in der vierten
Tour abwechselnd an einem Tage ein Schwefelbad und am nächsten eine
Einreibung von 3 g Quecksilbersalbe. Die fünfte bis siebente Tour der
Schmiercur wurde ohne Schwefelbehandlung durchgeführt, dagegen nach
der letzten Einreibung zum Schluss noch drei Schwefelbäder gegeben.
Die Ausscheidungen des Patienten untersuchte ich fast täglich nach der
1) Deutsche Medicinal-Zeitung. 1902. 32.
Gck igle
Original fro-m
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Beitrag zur Quecksilberausscheidung nach Thiopinolbädern bei Schmierkur. 171
von mir beschriebenen Methode 1 ) auf Quecksilber. Die Ergebnisse folgen
hier tabellarisch.
Datum
Urin
Faeces
Bemerkungen
Menge in ccm
Hg. mg
Menge in g
Hg. mg
26. 10.
750
0
am28.10.Schmier-
;
kur begonnen.
3 g ung. hydr.
29.
600
0
60
Spur
30.
425
sehr ger.Spur
—
—
31.
800
Spur
195
Spur
mehralsi.Urin
1. 11.
1100
geringe Spur
85
Spur
3. 11. Reinigungs-
u. Schwefelbad.
2.
1200
starke Spur
—
—
4.
750
Spur
85
Spur
4.11. 2. Tour 3 g.
mehralsi.Urin
5.
1200
Spur
—
—
6.
—
i -
105
starke Spur
7.
1100
Spur
—
—
8.
—
—
Spur
10.11. Sehw.-Bad.
11.
700
Spur
160
starke Spur
11.11. 3. Tour 3 g.
13.
1000
Spur
—
—
16.
1000
Spur
70
Spur
17.11. Schw.-Bad.
18.
430
! Spur
150
0,2
18.11. 4.Tour 3g.
22.
1000
| Spur
—
19.11. Schw.-Bad.
u.s. w. bis 26. 11.
23.
1100
! starke Spur
—
—
25.
1200
0.1
—
—
27.11. 5. Tour 3g.
2. 12.
700
0,1
—
—
3.12. Reinig.-Bad.
4.
750
0,6
—
—
4.12. 6. Tour 3 g.
6.
1150
0,4
—
—
9.
750
0,3
—
—
9.12. Reinig.-Bad.
7. Tour 3 g.
10.
900
0,1
55
0,2
11.
1000
0,5
45
0,2
12.
1300
0,5
—
14.
1455
0,7
68
0,2
14.12. Reinig.-Bad
15.
1100
, 0,9
—
—
15.12. Schw.-Bad.
16.
800
1 0,7
140
0,1
16.12. Schw.-Bad.
17.
1150
0,7
110
0,1
17.12. Schw.-Bad.
18.
—
—
46
0,1
19.
1150
0,4
115
0,1
20.
800
0,5
100
0,1
Unter Spur sind Mengen unter 0,1 mg zu verstehen.
Es sei noch bemerkt, dass auch im Speichel des Patienten eine
geringe Spur Quecksilber nachgewiesen werden konnte.
Aus obigen Zahlen ergiebt sich nun, dass die Ausscheidung von
Quecksilber nicht völlig verhindert wird, dagegen weit unter die Grösse
hinabgedrückt ist, welche sie bei einer reinen Schmiercur annimmt. Es
stimmt diese Thatsache überein mit früheren Beobachtungen Elsenberg’s
und anderer Autoren, welche zuerst ein Schwefelbad und eine Stunde
nachher sehr grosse Dosen Ung. ein. vorschrieben. In unserem Falle
bewirkte aber schon wöchenlich ein Schwefelbad, dass überhaupt bloss
Spuren von Hg im Urin und Faeces während dreier Wochen einer
1) Berl. klin. Wochenschr. 1907. 39.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
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172 G. Picsselhorst, Beitrag zur Q.uocksilbcrausscheidung etc.
Schmiercur mit der üblichen Menge Salbe auftraten. Am Ende der
vierten Woche scheint trotz der häufigeren Schwefelbäder eine kleine
Zunahme der Hg-Elimination bis zur Grenze der Wägbarkeit eingetreten
zu sein. Nach dem Aussetzen der Schwefelcur stieg die ausgeschiedene
Hg-Menge langsam an, ohne jedoch nach drei Wochen Werthe zu er¬
reichen, wie ich sie früher gefunden habe. Schliesslich ergiebt sich aus
meinen Untersuchungen, dass, nachdem in Folge der Schmiercur bereits
wägbare Mengen Hg in Urin und Faeces auftraten, durch Wiederaufnahme
der Schwefelbäder die Hg-Absonderung nicht plötzlich bis auf Spuren
aufhört, sondern nur ganz allmählich sinkt.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XV.
Aus der II. medicinischen Klinik in Berlin.
Ueber das Venenphftnomen.
Von
J. Meinertz.
Der Blutkreislauf besitzt ein Gefälle, das sieh auf dem weiten Wege
von der linken Kammer des Herzens durch den Körper bis zum Atrium
der anderen Seite in sehr ungleicher Weise ändert, ln den Verzwei¬
gungen der Arterien und namentlich in den Capillarcn nimmt der Druck
rasch ab, so dass er in den Venen noch wenige Millimeter beträgt;
und weiterhin nach der Einmündungsstelle der grossen Venen in den
Vorhof zu sinkt er noch tiefer bis zu negativen Werthen. Es wäro
eine wesentliche Ergänzung der in letzter Zeit mit mehrfachen Methoden
und praktisch werthvollen Erfolgen gemachten Untersuchungen des arte-
teriellen Druckes beim lebenden Menschen, wenn uns auch ein klinisch
brauchbares Verfahren zur Verfügung stände, mit welchem wir den Druck
am niedrigsten Punkte des Gefälles, nämlich im rechten Atrium ab¬
schätzen könnten. Denn dieser Druck unterliegt doch wohl einer Reihe
von Einflüssen, die für die Pathologie bestimmter Herzkrankheiten
von Bedeutung sind und für deren ßeurtheilung wir in der Messung jenes
Werthes eine bemerkenswerthe Handhabe hätten. Auch eine systema¬
tische Vergleichung der Druckwerthe vom Anfang und Ende des Krcis-
laufsgefälles könnte vielleicht Gesichtspunkte für die Auffassung gewisser
Circulationsstörungen ergeben.
Nun hat bekanntlich Gärtner 1 ) eine sehr einfache Methode an¬
gegeben, mittels deren er den im rechten Vorhof vorhandenen Druck
bestimmen zu können glaubt. Er erhebt die obere Extremität, nachdem
sich deren Hautvenen durch Herabhängen gefüllt haben, langsam bis zu
der Höhe, in der die Hautvenen collabiren und zu einem flachen Bande
werden, und ermittelt dann den senkrechten Abstand des Niveaus, in
dem dieses „Vcnenphänoraen“ eintritt, vom Niveau des rechten Vorhofes.
Eine Flüssigkeitssäule von der Höhe dieses Abstandes sei das Maass
für den im Vorhofe herrschenden Druck; denn eben diesen Druck müsse
das Venenblut mit Hülfe der Schwerkraft überwinden und thue das in
dem Augenblicke, in dem cs nach hydrostatischen Gesetzen eine Flüssig¬
keitssäule von jener Höhe darstellt.
1) Münchener med. Wochcnschr. l^OM. S. 2038.
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Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
174
J. Meinertz,
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Grundsätzlich ein gleiches Verfahren hatte vor Gärtner schon
Frey 1 ) angewandt. Während Letzterer aber in dem Venenphänomen
nur ein beiläufiges Maass für den Vorhofsdruck sieht, zu einer
exacteren Bestimmung dagegen auf anderem Wege zu gelangen sucht,
behauptet Gärtner, die Beobachtung des Venenphänomens setze uns
in den Stand, den Druck im rechten Vorhof in physikalisch einwandfreier
Weise zu bestimmen, und ferner, wir könnten mit Hülfe dieses Ver¬
fahrens das Vorhandensein von Stauungen im rechten Herzen nicht bloss
mit voller Sicherheit erkennen, sondern auch den Grad der Störung
messen und den Ablauf von Veränderungen verfolgen.
Mehr, als dies wirklich geschehen ist, hätte man auf Nachprüfungen
dieser Angaben durch die Versuche rechnen dürfen. Eine einfache Ab¬
lehnung haben sie doch wohl nicht verdient 2 ).
Zunächst entsteht die Frage, welche Phase des Vorhofsdrucks hier
gemeint ist. Denn dieser Druck wechselt beständig und zeigt die be¬
kannte, am Thier experimentell festgestellte Curve. Gärtner meint den
Minimaldruck zu messen; denn wegen der nächsten vom Herzen aus
stromaufwärts gelegenen Venenklappe, die gleichsam als ein sich herz-
vvärts öffnendes Ventil in einem Minimum-Manometer wirke, könne sich
der Druck, der den Minimumdruck übersteige, nicht bis in die peri¬
pherischen Venen fortsetzen. Das erscheint nun nicht ohne Weiteres
einleuchtend. Der Minimaldruck im Vorhof ist doch sicher negativ; das
ist beim Thier direct nachgewiesen. Warum muss denn aber ein Gefälle
von mehreren Centimetern Höhe hergestellt werden, damit die Venen
sich nach dem Vorhof entleeren? Man könnte als abflusshemmendes
Moment nur die innere Reibung anführen. Dann muss man jedoch auch
folgende Ueberlegung gelten lassen: Die Blutsäule ist nicht im Stande,
den raschen Schwankungen des Vorhofsdruckes zu folgen und kann nicht
in dem kurzen Zeitraum des Minimaldrucks (nur in diesem können nach
der Gärtner’schen Ueberlegung die Venenklappen offen sein) plötzlich
nach dem Vorhofe abfliessen. Vielmehr wird bereits im nächsten Mo¬
mente höheren Druckes die Bewegung gehemmt, die Klappen werden
geschlossen, und das würde sich erst dann ändern, wenn in einer
gewissen Höhe über dem Niveau des Vorhofs die Blutsäule ein Gewicht
erreicht hätte, das ausreichte, während der ganzen Peristole, also auch
in dem Zeitpunkte des maximalen Vorhofsdruckes, die Venenklappe offen
zu erhalten und so den Abfluss nach dem Vorhofe zu ermöglichen. In
diesem Falle würden wir also gerade den maximalen Vorhofsdruck
bestimmen.
1) Deutsches Archiv f. klin. Med. 1902. öd. 73. S. 511.
2) Es sind einige Nachprüfungen vorgenommen worden, so von Prym
(Münchener med. Wochenschr. 1904. No. 2), Peters (ibid. S. 1107), Abbruzzetti
(Riforma medica. 1904. No. 36—40), ohne dass eine Klärung der Frage herbei¬
geführt worden wäre. Die Arbeit des letztgenannten Autors war mir im Original
nicht zugänglich; aus dem Referat (Deutsche med.Wochenschr. 1904. S. 1617) geht
hervor, dass A. das Venenphänomen nicht allgemein als Ausdruck des im Vorhof
herrschenden Druckes gelten lasseu will und ihm keine besondere klinische Bedeutung
beilegt.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber das Venenphänomen.
175
Aber zu der Unsicherheit, die Grösse des Einflusses der inneren
Reibung abzuschätzen, kommt noch eine weitere Schwierigkeit. Zweifellos
hat der im Yorhofe herrschende Druck einen Einfluss auf die Höhe, in
der das Venenphänomen eintritt; cs fragt sich nur, ob dieser Einfluss
der einzige ist, oder ob jener Werth noch anderen Bedingungen unter¬
liegt. Da ist denn zunächst hervorzuheben, dass das Venenblut mit
einer Geschwindigkeit strömt, die von verschiedenen Factoren abhängig
ist, und ferner, dass diese Geschwindigkeit jedenfalls sehr wechselt mit
der Weite der Bahnen, in denen sich das Blut dem Herzen zu bewegt.
In dieser Hinsicht wird man anerkennen müssen, was Frey 1 ) über
die Beziehungen der Hautvenen des Armes zu den tiefer gelegenen
Bahnen sagt. Nach der Ansicht dieses Autors collabiren die oberfläch¬
lichen Venen, sobald die tieferliegenden, die nach ihrer anatomischen
Anlage stets offen und dem äusseren Luftdrucke nicht ausgesetzt sind,
dem Blutrückflusse genügen, sobald also der gesammte Querschnitt der
Armvenen auch ohne die Hautvenen die gesammte Blutmenge abzuführen
im Stande ist; und das wird dann der Fall sein, wenn unter dem Ein¬
flüsse der Schwerkraft die Strömung in den Venen eine solche Ge¬
schwindigkeit erlangt hat, dass auch durch den engeren Gesammtquer-
schnitt in der Zeiteinheit die Menge Blut abströmen kann, die der zu¬
geführten Menge gleich ist. Das Niveau, in dem diese Geschwindigkeit
erreicht wird, hängt natürlich auch mit von dem im Vorhofe herrschenden
Druck ab, sehr wesentlich aber von der Menge des der Extremität zu¬
strömenden Blutes. Da wir diese letztere Grösse gar nicht in Rechnung
zu ziehen im Stande sind, so bringen wir eine neue Unbekannte in die
Gleichung, die uns die Beziehungen zwischen Venencollaps und Vorhofs¬
druck darstellen soll.
Da hiernach also der eine Factor, der auf den Eintritt des Venen¬
phänomens Einfluss hat, durch die nach den Bedürfnissen wechselnde
Menge Blut verschiedenartig und unberechenbar beeinflusst wird, so kann
der Eintritt des Vencncollapscs auch nicht einmal als relatives Maass
des Vorhofsdruckes betrachtet werden.
So berechtigt die Einwände Frey’s gegen die Exactheit der Gärtner’sehen
Methode scheinen, so wenig überzeugend sind aber auch Frey’s eigene Versuche,
aus der Messung des in den Venen herrschenden Druckes ein Maass für die „saugende
Kraft u des Herzens herzuleiten. Frey will den Venendruck in der Weise bestimmen,
dass er die betreffende Vene in die Höhe des Niveaus des rechten Vorhofs bringt und
sie nun mittels einer Pelotte, die messbar belastet ist, comprimirt; streicht er hieraul
das centrale Ende der Vene leer und verringert allmählich die Belastung, so tritt ein
Moment ein, in dem das gestaute Blut unter der comprimirenden Pelotte wieder her-
vorschiesst. Der in diesem Augenbliok zur Belastung verwendete Druck soll dem in
in der Vene herrschenden Drucke gleich sein; und da von der Peripherie nach dem
Vorhofe zu der Druck in ziemlich constanter Weise abnimmt, so hatten wir in der
Feststellung des Druckes in einer peripherischen Vene zugleich ein relatives Maass
für den am tiefsten Punkte des Gefälles, im Vorhofe, herrschenden Druck.
Zunächst könnte man dem entgegenhalten, dass sich der Einwand, der gegen die
Methode des Venenphänomens erhoben wurde (die Verschiedenheit der Strömungs¬
geschwindigkeit betreffend), auch gegen diese Methode insofern Vorbringen lässt, als
1) Münchener med. Wochenschr. HK)4. S. 5(>*2.
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Go igle
Original fru-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
176
J. Meinertz,
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eine Verschiedenheit der Stromgeschwindigkeit eine Verschiedenheit der Vis a tergo
bedingt; und man kann durch Messung des Druckes in einer gestauten Vene über¬
haupt niemals den wahren Werth des in ihr herrschenden Druckes erfahren, da im
frei strömenden Blute ein ganz anderer Bruchtheil der Triebkraft als Seitenwand¬
druck zur Geltung kommt als im gestauten. Dies wird bei der grossen Anpassungs¬
fähigkeit der Venenwand an ihren Inhalt besonders bedeutungsvoll werden: die Vene
füllt sich stärker, erweitert sich, die Wand geht auseinander, ändert ihre Elasticitäts-
constante etc.
Aber auch abgesehen hiervon ist es unmöglich, eine Vene durch Vermittelung
einer Pelotte so zu belasten, dass man in dem angewandten Gewicht einen Ausdruck
für den von innen auf die Wand des Gefässes wirkenden Druck der strömenden
Flüssigkeit zu sehen berechtigt ist. Bereits v. Basch hat bei Gelegenheit einer Mit¬
theilung über sein Sphygmomanometer 1 ) betont, dass man, um die Spannung im
Arterienrohr zu messen — und dasselbe gilt mutatis mutandis auoh für die Vene —,
nicht nur das Gewicht kennen müsse, mit dem man den Puls belastet, sondern auch
die Grösse der Fläche, auf die jenes Gewicht drückt. Denn sonst arbeitet man ja in
der Gleichung p = hf (p = Gewicht, h = Spannung im Gefass, f = Grösse der
gedrückten Fläche) mit 2 Unbekannten. Es ist in der That leicht einzusehen, dass
eine ebene Pelotte, die bei blosser Berührung dem drehrunden Gefässe zunächst nur
in einer Linie anliegt, bei wachsendem Druck aber in einer beständig wechselnden
Fläche, in jedem Augenblick einen andern Bruchtheil des auf ihr lastenden Druckes
dem in dem Gefässe herrschenden Druck entgegensetzt, niemals aber den gesammten.
Freilich ist die Forderung, die v. Basch stellt, überhaupt unerfüllbar; auch sein
Ausweg, statt der starren Pelotte gewissermaassen eine Luftpelotte, einen durch eine
Kautschukmembran verschlossenen Trichter zu nehmen, der sich dem Gefässe an¬
schmiegt, und andererseits mit einem Manometer in Verbindung steht, ist physikalisch
nicht einwandfrei, v. Basch deducirt folgendermaassen: Durch eine Kautschuk¬
membran, die sich der Arterie genau anschliesst, eliminirt man f aus der oben ge¬
nannten Gleichung. Denn an die Stelle von p tritt jetzt h^, das Product aus Druck
im Trichter und Kautschukfläche. Also hjfj = hf. Da aber die Membran gleich
der Fläche ist, der sie sich anpasst, so ist f x = f und daher h x = h, das heisst,
der Aussendruck der auf der Arterie lastet, ist gleich dem Innendruck, der dio
Arterienwand in Spannung versetzt. Genau die gleichen Erwägungen würden auch
für die Messung des Druckes in den Venen in Betracht kommen.
Aber hierbei ist nicht berücksichtigt die Deformation, die die Kautschuk¬
membran mit steigendem Druck erfährt. Es ist zweifellos richtig, dass unter der
Voraussetzung gleich elastischen Materials des die Flüssigkeit führenden Rohres und
der Pelottenmembran durch Messung des pneumatischen Druckes auf die Membran
der specifische Flüssigkeitsdruck im Zustande der Ruhe (der hydrostatische Druck)
gemessen werden kann, aber nur unter folgenden Bedingungen:
1. Die Deformationsarbeit muss bei Pelotte und Rohr gleich sein. Das wird
unter gewöhnlichen Verhältnissen nur der Fall sein, wenn die Berührungsfläche
beider eben ist; sonst überwiegt eines der beiden Drucke und das Gleichgewicht ist
nicht mehr vorhanden.
2. Die in Frage kommenden Drucke müssen von einer solchen Grössenordnung
sein, dass dio in der Membran und im Rohr erzeugten Druckspannungen im Vergleich
hierzu zu vernachlässigen sind.
Letztere Bedingung scheint mir im vorliegenden Falle nicht vorhanden zu sein;
sie ist um so beachtenswerther, je verschiedener die Querschnitte von Membran und
Gcfässrohr sind. Der Querschnitt der Membran ist bei dem Sphygmomanometer
v. Basch’s bedeutend grösser als der des Gefässrohrs und noch erheblicher ist diese
1) Wiener med. Wochenschr. 1899. S. UJ57.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber das Venenphänomen.
177
Differenz bei der Sahii’schen Modification des Apparats v. Basch’s 1 )- Bei dieser
Verschiedenheit lässt sich auch die Bedingung 1 nicht erfüllen.
Es ist bei diesen Ausführungen immer angenommen worden, dass sich die
Flüssigkeit in dem Gefässrohre in Buhe befindet, dass es sich also um hydro¬
statische Verhältnisse handelt. Berücksichtigt man aber, dass wir es mit einer
strömenden Flüssigkeit zu thun haben, die eine gewisse lebendige Kraft besitzt, also
mit hydrodynamischen Verhältnissen, so ergeben sich ausser den genannten noch
eine grössere Zahl von Einwendungen gegen das Princip, den im Gefässrohre herr¬
schenden Druck durch Belastung von aussen zu bestimmen.
Die Grössenordnung allor dieser Fehlerquellen beim Versuche, den arteriellen
Druck zu messen, ist nicht derartig, dass auf diese Weise nicht gut brauchbare Ver-
gleichswerthe erhalten werden könnten; sicher aber fallen sie bei den niederen
Werthen des Venendrucks schwer ins Gewicht, sobald man jene für die Messung des
arteriellen Druckes erdachten Methoden auf den Venendrnck überträgt.
Die bisherigen theoretischen Erwägungen kennten uns aber nicht
der Aufgabe entheben, durch ausgedehnte Beobachtungen den Werth des
„Venenphänomens“ für praktische klinische Zwecke zu prüfen. Denn
cs war ja immerhin möglich, dass wir mit Hülfe der Gärtner’schen
Methode, wenn wir auch nicht, wie ihr Autor es dachte, den Druck im
rechten Vorhof messen, doch bei Untersuchung einer grösseren Zahl von
Patienten eine gewisse Reihe von relativen Werthen erhielten, die für
bestimmte Fragen diagnostischer oder prognostischer Art hätten von
Interesse werden können. Hier schien es nun besonders wichtig zu sein,
einerseits die Höhe des Eintritts des Venenphänomens bei verschiedenen
Menschen mit und ohne Circulationsstörungen zu bestimmen und anderer¬
seits den Einfluss bestimmter äusserer Einwirkungen, also namentlich
körperlicher Arbeit, auf den Eintritt jenes Phänomens bei Gesunden
wie im Vergleich dazu bei Patienten mit Circulationsstörungen kennen
zu lernen. Ein weiterer hier wichtiger Gesichtspunkt ergab sich erst im
Verlaufe der Untersuchungen.
Es wurde genau in der von Gärtner vorgeschriebenen Weise ver¬
fahren. Zur Messung der Niveauhöhe des Venencollapses diente der von
Gärtner angegebene einfache Apparat, der aus einem feststehenden
senkrechten Metallstabe mit Centimetereintheilung und einem an diesem
beweglichen wagerechten Arm besteht. Dessen freies Ende wird zu¬
nächst in die Höhe des Vorhofs des Patienten gebracht und der ge¬
fundene Werth am Maassstabe abgelesen; dann wird der Arm langsam
an dem Maasstab in die Höhe geführt und dabei genau der Zeitpunkt
beobachtet, in dem der Venencollaps eintritt. Die Differenz zwischen
der Höhe, in der dies geschieht, und der ursprünglich abgelesenen giebt
die Niveauhöhe des Venenphänomens in Centimetern. Welchen Punkt
man dabei als Ausgangspunkt annehmen will, ist ziemlich willkürlich,
denn der Vorhof hat eine Ausdehnung von mehreren Centimetern Höhe.
Gärtner selbst nimmt als Nullpunkt die Insertionsstellc der fünften
Rippe am Brustbein an, wesentlich aus einem praktischen Gesichts¬
punkte, weil nämlich nach seiner Erfahrung dies das tiefste Niveau ist,
auf dem das Venenphänomen einzutreten pflegt und er also auf diese
1) Sahli, Klin. Untersucliungsmethoden. 1905. S 130.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd.
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
178
J. Meinertz,
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Weise nur positive Wcrthe erhält. Ich habe bei meinen Untersuchungen
die lnscrtionsstelle der dritten Rippe gewählt, weil etwa diese der
Einmündungsstelle der oberen Hohlvene in den rechten Vorhof ent¬
spricht.
Ich habe zunächst, um die nöthige Uebung zu gewinnen, eine grosse
Anzahl Menschen in der geschilderten Weise geprüft; diese Zahlen mit-
zutheilen hätte keinen besonderen Werth.
Dann aber habe ich Patienten, und zwar zunächst solche mit an¬
scheinend intakten Circulationsorganen, später mit Circulationsstörungen
behaftete, nachdem die Höhe des Venenphänomens festgestellt war, eine
gemessene Zeit lang körperliche Arbeit verrichten lassen, d. h. ich habe
sie an einer nicht ganz leicht gehenden Centrifuge drehen lassen, natür¬
lich bei den pathologischen Fällen mit der nöthigen Vorsicht, unter
steter Controlle des Pulses etc., aber jedenfalls immer, bis ein deut¬
licher Grad von Dyspnoe erzielt war. Patienten, bei denen aus irgend
welchen Gründen früher aufgehört werden musste, sind nicht mit in die
Tabelle aufgenommen worden. Einige Patienten, deren Circulations-
störung so schwer war, dass die erwähnte Art der Muskelbewcgung
nicht möglich schien, liess ich gewisse leichte andere Muskelbewegungen
ausführen. Die Tabelle giebt darüber Auskunft. Unmittelbar nach Be¬
endigung der Muskelarbeit wurde die Höhe des Eintritts des Venen¬
phänomens wieder bestimmt. Irgend welche sonstige durch die Arbeit
herbeigeführten Aenderungen der Circulation planmässig zu constatiren,
wurde absichtlich unterlassen, da es ja gerade darauf ankam, den un¬
mittelbaren Effect der Muskelaction auf das Venenphänoraen festzu¬
stellen, durch irgend welche sonstigen Manipulationen, wie Messung des
arteriellen Blutdruckes etc., Zeit verloren und die Feststellung des un¬
mittelbaren Effects illusorisch gemacht worden wäre.
Ich theile nun die so gewonnenen Ergebnisse mit. Die Resultate der
ersten beiden Tabellen sind an Menschen gewonnen, deren Circulations-
organe anscheinend keine Störung darboten. Diese Fälle zerfallen wieder
in zwei Reihen, von denen die erste (die auf der ersten Tabelle ver¬
zeichnet ist) die Fälle umfasst, in denen die Thätigkeit des Drehens gar
keinen Einfluss auf die Höhe des Eintritts des Venenphänomens er¬
kennen liess. Diesen 23 Fällen der ersten Tabelle stehen die folgenden
11 der zweiten Tabelle gegenüber, bei denen ein solcher Einfluss deut¬
lich in die Erscheinung trat. Bei beiden Kategorien sekwankte die Höhe
etwa zwischen — 5 und -f- 5 cm. Während aber bei den erstgenannten
Fällen der gleiche Werth auch nach dem Centrifugendrehcn gefunden
wurde, zeigte bei den anderen Fällen jener Werth eine deutliche Steige¬
rung um 1—8 cm, d. h. der Venencollaps erfolgte hier nach dem
Drehen in einem um so viel Centimeter höheren Niveau als vorher.
Besonders bedeutsam aber ist die Thatsache, dass diese Steigerung in
den Fällen, in denen darauf geachtet wurde (dieser Gesichtspunkt ergab
sich erst im Laufe der Untersuchung und es wurde daher leider nicht
von Anfang an die Aufmerksamkeit hierauf gerichtet), nur an den
Venen derjenigen Hand beobachtet werden konnte, mit der
die körperliche Bewegung ausgeführt, die Centrifuge gedreht
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber das Venenphänomen. 179
worden war. Auf die Bedeutung dieser Thatsache soll später noch
eingegangen werden.
Die pathologischen Fälle betreffen im Wesentlichen Patienten mit
Herzaffectionen, und zwar der verschiedensten Art und des verschie¬
densten Grades, von leichten, gut compensirten Formen bis zu den
schwersten Compensationsstörungen. Die 67 pathologischen Fälle sind
nach dem gleichen, oben angegebenen Princip in zwei Reihen eingetheilt.
Die 52 Fälle der Tabelle 3 betreffen die Patienten, bei denen die
körperliche Arbeit eine Veränderung des in Frage stehenden Werthes
nicht zur Folge hatte, die 15 Fälle der Tabelle 4 solche Fälle, bei
denen sich ein solcher Einfluss feststellen liess. Was zunächst bei allen
diesen mit Circulationsstörungen behafteten Patienten in die Augen fällt,
ist die Thatsache, dass sich fast sämmtliche Werthe innerhalb der¬
selben Grenzen bewegen, die auch bei Menschen mit intactem
Circulationsapparat festzustellen waren. Auch die ausgepräg¬
testen Formen von Circulationsstörung mit den deutlichsten Erscheinungen
der Stauung (s. z. B. Fall 19, 31, 38, 48) zeigten keinerlei Werthe, die
vom Normalen irgendwie abwichen. Die einzige Ausnahme bildet der
Fall 9 (Tabelle 3), der eine ältere Patientin betrifft, die die Erschei¬
nungen der ausgeprägten Aorteninsufficienz mit Dyspnoe und Albuminurie
darbot, und bei der vor wie nach der Arbeitsleistung der ungewöhnliche
Werth von 17 cm gefunden wurde.
Bei den Patienten der zweiten Kategorie (Tabelle 4) entspricht die
nach der Arbeit beobachtete Erhöhung des Niveaus des Venenphänomens
im Allgemeinen ebenfalls den bei normalen Menschen gefundenen Werthen.
Nur bei einigen Fällen sind hier bedeutendere Abweichungen zu con-
statiren, so einmal eine Erhöhung um 18,5, ein anderes Mal um 15,5 cm,
aber keineswegs bei besonders schweren Formen von Herzerkrankungen:
die bedeutendste Erhöhung nach der Muskelanstrengung findet sich in
einem Falle von relativ leichter, gut compensirter Mitralinsufficienz.
Irgend ein Einfluss der Art oder des Grades der Circulationsstörung auf
den Eintritt oder das Fehlen einer derartigen Niveauerhöhung durch
körperliche Arbeit liess sich nicht feststellen: auf beiden Tabellen,
3 und 4, sind die verschiedensten Formen und Grade von Herz¬
erkrankungen verzeichnet.
Was aber als besonders bemerkenswerth hervorgehoben werden
muss, ist die Thatsache, dass auch hier in allen Fällen, in denen darauf ge¬
achtet wurde, die erwähnte Niveauerhöhung nur an den Venen
derjenigen Hand eintrat, mit der der Patient die Centrifugc
gedreht hatte.
Diese letztere Beobachtung erscheint deshalb so bedeutungsvoll,
weil sie auf’s Klarste erweist, dass jene Erhöhung nicht auf Grund
einer Erhöhung des Drucks im rechten Vorhof zu Stande gekommen ist,
sondern lediglich auf peripherischen Ursachen beruht; denn es
wäre nicht einzusehen, warum eine centrale Einwirkung sich nur auf die
Venen der einen Extremität erstrecken sollte.
Hierdurch erhalten wir eine Bestätigung der vorher gemachten An¬
nahme, dass die Höhe des Eintritts des Venenphänomens zwar auch
12 *
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
180
Meinertz
Digitized by
von dein im Vorhof herrschenden Druck abhängig ist, dass aber peri¬
pherische Ursachen eine bedeutende und unbestimmbare Rolle spielen,
und zwar vor allem die wechselnde Füllung der Gefässe. Be¬
trachtet man unter diesem Gesichtspunkte die auf den Tabellen vcr-
zeichneten Fälle, so kann man sagen, dass meistens (in 101 Fällen
75 mal) die durch Muskelarbeit der •betreffenden Extremität herbeigeführte
Vermehrung der Blutfülle nicht bedeutend genug gewesen ist, um eine
wahrnehmbare Niveauerhöhung des Venenphänomens herbeizuführen (eine
nur wenige Millimeter betragende Erhöhung kann dem Beobachter ent¬
gehen; da der Venencollaps doch nicht so blitzartig erfolgt, so kann
man etwa l / 2 cm nach oben und nach unten als Fehlergrenze bezeichnen);
es bleiben aber genug Fälle (26 von 101), in denen jene Vermehrung
der Blutfülle in der Extremität so bedeutend war, dass eine deutlich
messbare Niveauerhöhung zu Stande kam, und zwar letzteres unter¬
schiedslos bei Menschen mit normalen und bei solchen mit pathologisch
veränderten Circulationsorganen.
Nach diesen Beobachtungen kann man dem Venenphänomen eine
besondere Bedeutung für die Messung des Drucks im rechten Vorhof
oder für die klinische Beurtheilung irgend eines Krankheitsbildes nicht
zuerkennen. Gärtner sagt: 1. Die Beobachtung des Venenphänomens
setzt uns in den Stand, den Druck im rechten Vorhof in physikalisch
einwandfreier Weise zu bestimmen. 2. Wir können mit Hülfe der hier
beschriebenen Methode das Vorhandensein von Stauungen im rechten
Herzen nicht bloss mit voller Sicherheit erkennen, sondern auch den
Grad der Störung messen und den Ablauf von Veränderungen verfolgen;
wir werden auch den Einlluss von therapeutischen Maassnahmen in
sicherer Weise verfolgen können.
Beide Annahmen müssen auf Grund der vorstehenden Ucberlegungen
und der mitgetheilten klinischen Beobachtungen bestritten werden. Wir
können dem Venenphänomen, wie gesagt, eine besondere praktische Be¬
deutung in der angedcuteten Richtung nicht beilegen.
Muskelarbeit wird nicht das einzige Moment sein, das den Füllungszustand der
Venen der betreffenden Körperregion beherrscht. Was aber diese selbst betrifft, so
übersteigt vermuthlich die Blutcirculation des tetanisirten Muskels den Bedarf. Neben
dor geleisteten Arbeit an sich dürften für die Incongruenz verschiedene, darunter
auch constitutionelle Momente entscheidend sein. Die Verschiedenheiten der
Reactionsweise würden auch in verschiedenen Abffussgeschwindigkeiten des Venen-
blutes einen Ausdruck finden und so vielleicht auch die Niveauhöhe des Venen¬
phänomens beeinflussen können. Es ist nun in der Tabelle bei einigen Fällen an¬
gegeben, dass die Niveauerhöhung des Phänomens nach der Muskelarbeit nur kurze
Zeit bestand und nach wenigen Minuten wieder der ursprüngliche Werth erreicht
wurde (s. Tabelle IV. No. 2, 8). Es müsste systematisch festgestcllt werden, nach
welcher Dauer der Körperarbeit sich bei dem Einzelnen die Aenderung einstellt, wie
lange sie besteht und mit welchen etwaigen sonstigen Abweichungen gewisse Be¬
sonderheiten im Verhalten jener Erscheinung verbunden sind. Es ist möglich, dass
auf diese Weise das Venenphänomen, das sich als Maasstab für den im rechten
Vorhof herrschenden Druck nicht bewährt hat, als Maassstab für andere Fragen
wieder einigen Werth gewinnt.
Gck igle
• Qrigiralfrcm
UNIVERSITY OF MICHIGAN
181
LVber das Venenphänomen.
Tabelle.
No.
Name, Stand,
Alter, Geschlecht
Krankheit
Zeitdauer des
Centrifugen-
drehens
Minuten
Höhe des
Vonenphäno-
mens vor
dem Drehen
Höhe des
Venenphäno¬
mens nach
dem Drehen
I.
A.,Conditor, *24 J.,
männl.
Ncurastbenia
10 I
2,2
2,2
»)
G., Tischler, 37 J.,
männl.
Catarrhus apicum
10
•2,0
2,0
3.
S., Hausdiener,
*21 J., miinnl.
Neurasthenia
10
0
0
4.
D., Milchkühler,
35 männl.
Catarrhus apicum
10 i
1,0
1
1,0
N., Tapezierer,
*23 .1., männl.
Cat. apic. susp.
10
0
0
G.
B., Eisen fraise r,
*27 .J.. männl.
Cat. apic.
10
4,0
4,0
i.
P.. Kaufmann,
25 J., männl.
Pharyngitis
10
‘■2,0
2,0
s.
K., Fleischer,
25 J., männl.
Cat. apic.
10
1
i
3,2
3.2
( J.
Sch., Stein träger,
45 J., männl.
Bronchitis
8 I
‘2,2
2,2
lu.
Z.. Telegraphen¬
gehülfe.20 J.,m.
Mässigc Tuber¬
kulose d. Lungen
7 1
0
0
11.
R.. Lederarbeiter,
21 J., m.
Apic. suspect.
8 1
0
0
12.
B.. Schutzmann,
36 J., m.
Cat. apic.
8
1,0
1,0
13.
M.. Schlosser,
41 J„ m.
Neurasthenia
10
1,1
1,1
14.
R., Schlosser,
38 J., m.
Cat. apic.
10
2,8
2,8
15.
P., Schlosser,
19 J., m.
Cat. apic. dext.
10 i
links 0
rechts 0
links 0
rechts 0
Bei tiefer Inspirat,
rechts starker
IG.
K., Feilenhauer,
*28 J., m.
Cat. apic.
15 !
1,0
1,0
negativerVenen-
puls. links nicht.
IT.
L., Gärtner, 36 J.,
männl.
Cat. apic.
iO |
- 1,0
- 1,0
18.
E., Tischler, 29 J.,
männl.
Apiccs suspect.
10
2,0
1
2,0
19.
G., Stuckateur,
20 J., m.
Apiccs suspect.
13
| - 2,0
1
- 2,0
*20.
N., Rohrleger,
37 J., m.
Kein obj. Befund
15
0
0
21.
R., Glasarbeiter,
37 J., m.
Cat. Apic. sin.
10
— *2,5
- 2,5
22.
H., Friseur, *22 J.,
männl.
Cat. apic. dext.
9
— 1,0
- 1,0
23.
B., Tischler, 29 .T.,
männl.
Anaemie
Apices susp.
11
- 5,0
- 5,0
1.
E., Wickler a. D.,
43 J., m.
Phthisis pulm.
3
' 1.0
4,0
•>'
B., Maurer, 28 J.,
männl.
Kein obj. Befund
a) 5
b) 10
j 2,0
1 a) 3,0
1 b) 7,3
3.
4,
B, Bauarbeiter,
37 J„ im
Po tato ri um
10
4,0
1
5,0
H., Kellner, 28 J.,
miinnl.
Cat. apic.
10
5,7
i
6.7
Digitized by
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
No.
Name, Stand,
Alter, Geschlecht
Krankheit
Zeitdauer des
Centrifugen-
drehens
Minuten
Höhe des
Venenphäno¬
mens vor
dem Drehen
Höhe des
Venenphäno¬
mens nach
dem Drehen
5.
St., Feuerwehrm.,
46 J.. m.
Ncurasthenia
15
3,7
5,7
6.
D., Schlosser, m.
Albuminuria
15
2,0
rechts 10,0
links 2,0
7.
F., Bahnarbeiter,
40 J., m.
Cat. apic.
y
0
i
1,0
8.
Sch., Maschinen-
streicher,41 J.,m.
Cat. apic.
14
0
rechts 4,0
links 0
9.
Cz.,Tischler, 27 J.,
männl.
Cat. apic.
10
- i,o
1
rechts 5,0
links —1,0
Der 'Werth recL>
5.0 geht i. weru
10 .
M., Buchhalter,
35 .1., m.
Cat. apic.
8
; — 3,0
!
1
0, kleinere,
vorher un-
sichtb. Venen,
jetzt — 3.0
Min. Ruhe wi*i
auf — 1.0.
11.
W„ 43 J., weibl.
Kein obj. Befund
10
2,0
rechts 6,0 (die¬
selbe Vene),
andere 2,0,
links ebenso
Alle Venen \
weiter gewunbn
auch links.
1.
B., 51 .)., weibl.
Myocarditis,
Insuffic.etStenosis
mitralis
Leichte Be¬
wegung: hoch-
grad. Dyspnoe
o,c
0,G
•>
Sch., Drechsler,
45 .1., miinnl.
Insuflic. aortae,
Insuffic.etStenosis
mitralis, Myocard.
(Cyanose, Dyspnoe
irregulärer Puls)
Massige Turn¬
bewegungen
mit Armen u.
Beinen
4,0
1
4,0;
1
3.
H., 25 .)., weibl.
Mitralinsufficienz
und Stenose,
leidl. compensirt
2V 2
— ‘2,0
! - 2.0
4.
F.H., 17 .1., weibl.
Mitralinsuff., gut
compens., geringe
subj. Beschwerden
7
- 1,5
- 1,5
5.
H., 42 J .. weibl.
Aorteninsuff. höh.
Grades, subj. er-
hebl. Beschwerden
1
1
0
0
6.
Sch., 32 .1., weibl.
Insuffic. mitralis,
gut compensirt,
allerlei subjective
Beschwerden
5
3,0 I
i
3,0
7.
N., 34 J., weibl.
Mitralstenose,
leidl. compensirt
■V, |
->,5
2,5
8.
W., 68 J., weibl.
Mitralinsufficienz
(Cyanose, Dyspn.)
.‘i !
I
ü !
0
y.
B., 62 .1., weibl.
Insuffic. aortae,
Dyspnoe,
Albuminurie,
keine Oedeme
5
17,0
17,0
10.
T., Spiegelarb.,
27 J., miinnl.
Insuffic.etStenosis
mitralis, ziemlich
gut compensirt
2
1
1.5
o !
1,5
n.
F., Monteur, 28 J.,
miinnl.
Insuffic. aortae et
mitralis,
Myocarditis
4
1
0
12.
0., 36 J., weibl.
Insuffic. mitralis,
zieml. gut comp.
Graviditas mens. 11
4
o ;
i
0
Digitized by
Go», igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Heber das Venenphänomen.
183
0.
Name, Stand,
Alter, Geschlecht
Krankheit
Zeitdauer des
Centrifugen-
drehens
Minuten
Höhe des
Vcnenphäno-
raens vor
dem Drehen
Höhe des
Venenphäno¬
mens nach
dem Drehen
3.
K., 39 J., weibl.
Mitralinsufficienz,
gut compensirt
5
— 1,5
— 1,5
4.
R., 54 J., weibl.
Mitralinsufficienz,
massige Oedeme
7
— 2,0
— 2,0
5.
M., Kaufmanns¬
lehrling, 16 J.,m.
Insuffic. aortae et
mitr. erhebl.Grad.
5>/ 2
— 2,0
— 2,0
6.
K., 56 J., weibl.
Insuffic. mitralis,
zieml. gut comp.
3
1,5
1,5
7.
Ci, 30 weibl.
Ins. mitr., Schmer¬
zen, Dysp. b. ger.
Anstrengungen
2
— 2,0
- 2,0
8.
6., Plätterin, w.
Insuffic. mitralis
gut compensirt
7
1.0
1,0
19.
(»., 46 J., weibl.
Insuffic. aortae er¬
heblichen Grades,
starke Dyspnoe
Eine Treppe
ziemlich rasch
herab u. hinauf
0
0
Hochgradige
Dyspnoe nach
dem Treppen-
20 .
U., *25 J., weibl.
Insuffic. mitralis,
gut compensirt
7
— 2,0
- 2,0
steigen.
21.
St., 19 J.„ weibl.
Insuffic. mitralis,
erheblich. Grades,
starke Herzhyper¬
trophie, Dyspnoe
4
— 1,0
- 1.0
-*2
S., Kanzleidiener,
58 J., männl.
Insuffic. aortae,
Atroph, granularis
renum. Hyperglob.
6'/,
0
0
Betrifft nur die
feinsten Venen.
Die anderen col-
23.
S., 31 J., weibl.
Insuffic. mitralis,
leichten Grades
7
1,0
1,0
labiren in um so
grösserer Höhe,
24.
P., 34 J., weibl.
Ausgepr. Stenosis
aortae, Insuffic. et
Stenosis mitralis
iy 3
0
1
0
je stärker sie
sind.
•25.
St.. 39 J., weibl.
Ausgeprägte
Insuffic. mitralis,
leidl. compensirt
4
— 3,0
— 3,0
2G.
Sch., 57 J., weibl.
Insuffic. aortae er¬
heblichen Grades,
Dyspnoe b. gering.
Anstrengungen
3?
0
0
27.
S., 43 J., weibl.
Insuffic. aortae.
Stenos. et Insuffic.
mitr., Tabes dors.
31/2
— 2,0
- 2,0
!
28.
29.
L., Bauarbeiter,
19 J., männl.
Insuffic. mitralis,
gut compensirt
6
— 3.0
— 3,0
L., 28 J., weibl.
Myocarditis
6 1/2
— 2,0
— 2,0
30.
Sch., Tischler,
54 J., männl.
Insuffic.et Stenosis
mitr., Myocarditis
8
— 3,0
1
— 3,0
MancheVenen col-
labiren über¬
31.
L., 31 J., weibl.
Insuffic. mitralis,
leichten Grades
12
— 4,0
- 4,0
haupt nicht,
auch nicht bei
32.
33.
W., 30 J., weibl.
Insuffic.etStenosis
mitralis, erheb¬
lichen Grades
4
— 6,0
— 6,0
senkrechter
Haltung.
V., Musiker, 15 J.,
männl.
Insuffic.etStenosis
mitralis, leichten
Grades
12
1
0
rechts 0
andere + 4
links 0
Dieselbe Vene, die
vorher in Höhe
0 collabirte,
34.
Sch., 53 J., weibl.
Insuffic. mitralis
leichten Grades
9
— 5,0
— 5,0
col labirt 11 ac h-
her in Höhe 4.
35.
K., Hausdiener,
33 J., männl.
Myocarditis,
Herzhypertrophie,
Alkoholismus
12
2,0
2,0
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
184
•I. MeinorU,
No.
Name, Stand,
Alter, Geschlecht
Krankheit
Zeitdauer des
Ceotrifugen-
drehens
Minuten
Höhe des
Vcncnphäno-
mens vor
dem Drehen
Höhe des
Venenphäno¬
mens nach
dem Drehen
36.
B., Locoinotiv-
führer, 40 J., m.
Myocarditis,
starke Dyspnoe
10
0
0
37.
H., 34 J., weibl.
Insuffic. aortae
erheblich. Grades]
6
— 3.5
— 3,5
38.
J., Näherin, 25 J.,
weibl.
Insuffic.etStenosis
mitralis. erhebl.
Grades, Albumin¬
urie, Cyan ose,
Dyspnoe
3
- 2,0
©
'T'i
1
39.
U., 52 «1.. weibl.
Nephrit, chronica,
starkeSpannung d.
Pulses,Klingender
11 . Aorten ton
3
2.0
2,0
40.
V., 63 J., weibl.
Arteriosclerosis
6
rechts 7,0
links 15.0
rechts 7,0
links 15,0
Die Venen c«»lla-
biren bei <]••'.
41.
B., 31 ,1.. weibl.
Ausgeprägte
Insuffic. mitralis,
Cyanose
11
1,8
1,8
verschieden^* 1
Höhen.
42.
S.. 45 J„ weibl.
Ausgesprochene
Insuffic. mitralis,
gut compensirt,
Adipositas
12
1,5
1,5
Beides beiderseits
43.
E., 33 J., weibl.
Insuffic.etStenosis
mitralis, leidlich
compensirt
7
— 1.0
— 1,0
Vor u. nach l.r
Weiterung
Venen durö
44.
Sch., 40 ,1., weibl.
Vasomotorica
Systol. Geräusch
am Cor.
7
1,0
1,0
heisses \\.vvr
gleich.
45.
11., 52 J.. weibl.
Insuffic. aortae
erheblich. Grades
15
1 — 11,0
[andere 0
i andere 4- 15,0
ebenso
46.
K., 27 J., weibl.
Iusuffic. mitralis,
leidlich gut com¬
pensirt,Myocardit.
10
— 3,0
— 3.0
47.
H., 46 J., weibl.
Insuffic. aortae
erheblich. Grades
11
2,5
2,5
48.
M.. 44 J., weibl.
Insuffic. mitralis,
erhbl.Grad.,Cyan.,
Albuminurie
16
- 1,0
- 1,0
49.
K., 36 J.. weibl.
Insuffic.etStenosis
mitralis,
ausgesprochen
12
- 3.0
i
— 3,0
50.
Sch., 35 J.. weibl.
Insuffic. mitralis.
deutlich aus¬
gesprochen, subj.
Magenbeschwerd.
\)
— 4,0
— 4,0
51.
H., 21 J., weibl.
Insuffic. mitralis
leichten Grades
8
- 2,^
— 2.5
52.
H., Schaffner, 62 J.,
männl.
Nephrit, chronica,
sehr gespannter
Puls
3,0
3,0
1 .
M., Schlosser,
58 J., miinnl.
Insuffic.etStenosis
mitralis,
Emphysem,
Stauungslcbcr,
Zuweilen Al bumen
10
4.2
i
I
6.2
i
l
Digitized by
Go», igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ucbor das Venonphanomen.
185
No.
Name, Stand,
Alter, Geschlecht
Krankheit
Zeitdauer des
Centrifugcn-
drehens
Minuten
i Höhe des
Venenphäno¬
mens vor
dem Drehen
Höhe des
Venenphäno¬
mens nach
dem Drehen
2 .
D., 34 J., weibl.
Insuffic. mitralis,
gut compensirt
8
— 0,5
15,5
10,0
2,5
— 0,5
In wenigen Min.
wird absteigend
d. vorher. Werth
wieder erreicht.
3.
St., Schlosser,
19 J., männl.
Insuffic. mitralis,
gut compensirt
10
2,3
12,3
9,3
wieder zurück-
gehend.
4.
Pf., 61 J., weibl.
Insuffic. mitralis
leichten Grades
8
‘2.0
4,5
!j.
K., 44 J., weibl.
Insuffic. mitralis
massigen Grades
4V,
5,5
9,5
G.
T., Maurer, 36 J.,
männl.
Stenosis mitralis.
leidl.gut compcns.
10
2,0
3,5
7.
K., Briefträger,
25 J., männl.
Insuffic. mitralis,
gut compensirt
10
0
rechts 18,5
links 2,0
S.
G, 33 J , weibl.
Insuffie.etStenosis
mitral, mäss. Grad.
Schmerzen
8
— 5,0
1
rechts 3.0
— 5,0
links — 5,0
1 wieder auf d.al ten
/ Werth zuriiek-
gehend.
9.
Sch.. 28 .1., weibl.
Insuffic. mitralis,
gut compensirt
4
1,0
i !
rechts 3,5
links 1,0
10 .
G., 29 J., weibl.
Insuffic. mitralis
leichten Grades
5
— 2.0 1
i i
rechts: Erst b
d. Armes lang
links — 2
ici senkr. Haltung
sam.Vencncollaps.
n.
B., Zettel verkauf.,
45 J., männl.
Insuffic. aortae,
sehr ausgesproch.
10
2.0 !
rechts 11,0
links — 2,0
bald wied.zurück¬
gehend.
1 *2.
W, 61 J., weibl.
Insuffie.etStenosis
mitralis
4
1,0
rechts 5,0
links 1,0
bald wied.zurück¬
gehend.
13.
L, 42 .1 . weibl.
Insuffic. mitralis,
leidlich compens.,
Struma
6
1,0
rechts 8,0
links 1,0
bald wied.zurück¬
gehend.
14.
L.W., Verkäuferin,
23 J., weibl.
Insuffic. mitralis,
gut compensirt,
Vasomotorica
7
0
rechts 2,0
links 0
15.
Sch.. 43 .1., weibl.
Insuffic. aortae,
ausgesprochen,
Emphys. pulmon.,
Adipositas
5
2.0
rechts 10,0
links 2,0
schnell wieder
zurückgehend.
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XVI.
Digitized by
Aus der II. medicinischen Klinik in Berlin.
Vergleichende Ausnutzungsversuche an normalen und
habituell obstipirten Menschen.
Von
Privatdocent Dr. Dimitri Pletnew (Moskau).
Die Darraentleerung geschieht bei gesunden Menschen meistentheils
täglich. Es giebt aber eine gewisse Zahl von Leuten, bei denen der
Darm sich seltener — einmal in 2—4 Tagen unabhängig von der
Nahrungsart und Menge — entleert. Bei solchen Leuten muss diese Ver¬
langsamung der Stuhlentleerung als eine physiologische Erscheinung, als
eine individuelle Besonderheit betrachtet werden. Dies um so mehr als
die betreffenden Menschen mit ihrer habituellen Obstipation sich voll¬
ständig gesund fühlen, in ihrer musculären oder psychischen Berufs-
thätigkeit nicht im mindesten gestört sind, und keine Erscheinungen von
gastrointestinaler Autointoxication darbieten.
Als Ursachen für solche habituelle Obstipation werden angeführt
eine abnorme nervöse Einstellung der Colon- und Rectumperistaltik
(Nothnagel), eine Insufficienz der glatten Darmmuskulatur wegen
schwächerer Entwickelung der Muscularis des Dickdarms — anstatt
0,5—1,0 mm nur 0,12—0,25 mm (Nothnagel).
Nicht selten erscheint die habituelle Obstipation als eine Begleit¬
erscheinung der Neurasthenie (Dunin, Bouveret, Fleiner). Der patho¬
genetische Zusammenhang dieser beiden Zustände wird damit bewiesen,
dass mit der Neurasthenie auch die Darrastörung verschwindet.
Auch mechanische Verhältnisse spielen eine gewisse Rolle in der
Pathogenese der habituellen Obstipation. Einknickungen der Darm¬
schlingen, angeborene oder erworbene Lageveränderungen des Colon
transversum kommen hier in Betracht.
Ich erinnere mich eines Fräuleins, welches im Uebrigen gesund war
und bei welcher der Darm sich einmal in 2—4 Tagen entleerte. Diese
Trägheit des Colons quälte nicht das Mädchen, sondern ihre Mutter.
Trotz verschiedener Behandlung (Massage, Douchen, Elektricität u. s. w.)
konnte die habituelle Obstipation nicht beseitigt werden. Im Alter von
21 Jahren erkrankte das Mädchen an Appendicitis, weshalb sie operirt
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Vergl. Ausnutzungs versuche an normalen u. habituell obstipirten Menschen. 187
wurde. Bei der Operation ergab sich eine anormale Lage des Colon
transversum. * Letzteres machte einen Bogen, welcher von der Leber zur
Synchondrosis pubica herabreichte, um sich wieder bis zur Milz zu
heben. Das Fräulein überstand glücklich die Operation. Seitdem sind
mehrere Jahre verflossen. Das Mädchen heirathete, hat zwei Kinder
geboren und ist vollkommen gesund, ungeachtet der habituellen Obsti¬
pation, die ohne jede Veränderung geblieben ist.
In der letzten Zeit haben Schmidt, Strasburger und Lohrisch
als Ursache für chronische habituelle Obstipation eine zu gute Aus¬
nutzung der eingeführten Nahrung hervorgehoben. IhrerMeinungnach
werden die Nahrungsstoffe schon im Dünndarm so vollständig ausgenutzt,
dass für die Bakterien, die normaler Weise ihre Thätigkeit im Dickdarm
entfalten, der nöthige Nährboden fehlt. In Folge dessen entwickeln sich
die Darmbakterien in ungenügender Quantität. Letzteres hat spärliche
Umsetzungen zur Folge, so dass der physiologische Reiz für die
Peristaltik fehlt und der Darm nicht jeden Tag zur Entleerung kommt.
Lohrisch bringt zu seiner Ansicht auch vergleichende Zahlen, mit
denen er das Verhältnis des Kothes von Obstipirten zu dem der nor¬
malen Menschen charakterisirt. Seine Ergebnisse sind folgende: Die
Gesammtmenge der frischen Stühle der habituell Obstipirten verhält sich
zu denen der Normalen wie 125,5 : 249,5. Die Trockensubstanz ver¬
hält sich wie 33,9 : 59,3. Die Verhältnisse der Werthe von a) N,
b) Fett und c) Kohlehydraten sind folgende: a) 1,55:2,98, b) 8,36:13,78,
e) 1,39 : 1,80. Diese Zahlen hat Lohrisch bei den untersuchten
Menschen unter dem Einflüsse der bekannten Schmidt-Strasburger-
schen Probediät gewonnen.
Meine eigenen Untersuchungen sind an Gesunden und Kranken gemacht.
Die drei gesunden Menschen waren frei von jeglicher Krankheit und
entleerten jeden Tag ihren Darmcanal. Unter den sechs Kranken waren
vier, deren Grundkrankeit zur Zeit der Beobachtung keinen Einfluss auf
die Darmentleerung haben konnte. Es handelte sich nämlich um
habituell Obstipirte mit gut compensirten Mitralfehlern, mit katarrhalischen
Erscheinungen in der Lungenspitze ohne Fieber. Im Falle 9 handelte
es sich um einen abgelaufenen Icterus catarrhalis und im Falle 8 war
ein Mann mit allgemeiner Arteriosklerose, der an Stuhlverstopfung litt,
welche meistens von Darmkrampferscheinungen begleitet waren (Dyspragia
intermittens intestinalis arteriosclerotica).
Um die Ergebnisse meiner Untersuchungen mit denen von Loh risch
bequem vergleichen zu können, wählte ich die gleiche Versuchsanordnung
und Berechnung wie dieser. Jeder Versuch dauerte 3 Tage; die letzten
12 Stunden vor dem Beginn des Versuches nahmen die Versuchspersonen
keine Nahrung. 12 Stunden vor dem Versuch wurde (Ausnahme —
gesunde, nicht obstipirte Individuen) eine Stuhlentleerung durch ein
Klysma (3 Glas) erzielt. Wenn am dritten oder vierten Tage spontan
kein Stuhl abging, wurde derselbe am vierten Tag durch einen Wasser¬
einlauf erzielt. Die Kothabgrenzung geschah mit Carmin — 0,3 Carmin
in einer Oblate — mit der ersten Probediät und mit der ersten Portion
der Nahrung am 4. Tag. Als Nahrung wurde während 3 Tage die be-
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
188
D. Pletnew,
No. 1 )
Name
Diagnose
Gesammt-
calorien
aufge¬
nommen,
calorimetr.
bestimmt
rV
c
trocken
Wasser
Trockene
Substanz
procen tisch ,
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1.
L.
Normal
1
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i
1
i
I
1. Tag
2365,2
130,8 ! 34,7
96,1 |
26,5 |
2,2 !
6,34
2. Tag
2348,8
70,5 | 30,2
40,3 |
42,83
1,44
4,77
3. Tag
2357,8
60,7 | 20 65
40,05 j
34,02
1,13
5.47
in Sumn
ia auf 3Tag>
e berechnet
7071,8
262,0 j 85,55
176,45
32,65
1
4,77
5,56
2.
G.
Normal
i
i
1
i
i
1. Tag
2365,2
130,65 ; 26,97
103,68 j
20,7 1
2,05
9,S6
2 Tag
2348,8
130,8 26,15
104,65 j
20,0 i
1,97
Z,41
3. Tag
2357,8
115,8 1 29,4
86,4
25,4
1,95
6,32
in Sumr
ia auf 3 Tag
e berechnet
7071,8
377,05 1 82,52
|
294,73!
21,1
5.97
7.23
3.
W.
Normal
1
1 .
1
|
1. Tag
2356,8
120,4 ' 24,8
95,G
20,6
1,72
6,93
2. Tag
2362,7
71,6 ' 22,3
49.3 !
31.14
1,30
5,82
3. Tag
2360,2
68,5 20.6
47,9 !
30,07
1.28
6,21
in Suim
ia auf 3 Tag
c berechnet
7079,7
260,5 67,7 1192,8
26.0
4,3
6,38
4.
Ko.
Chron.
1. Tag
Obstip.
2356,8
am 4. Tage i —
—
—
—
—
2. Tag
2362,7
mit Wasser- —
—
—
—
—
3. Tag
2360,7
cinlauf —
—
—
—
—
in Sumr
na auf 3 Tag
e berechnet
7079,7
125,0 33,0
V
V
5,36
5.
Küs.
Chron.
j
1. Tag
Obstip.
2358,8
am 4. Tage j —
— !
—
—
—
2. Tag
2350,5
spontan —
—
—
—
—
3. Tag
2357,2
—
—
—
—
—
in Sumi
na auf 3 Tag
e berechnet
7000,5
170,0 31,0
139,0
18,25
1.59
5,13
G.
Sch.
Chron.
i
1. Tag
Obstip.
2368,2
am 4. Tage —
—
—
—
—
2. Tag
2361,8
mit Wasser- —
. —
—
; —
—
3. Tag
2352,0
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1 —
—
—
—
in Sumi
na auf 3 Tag
je berechnet
7062,0
1282,5 61,0
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V
2,8
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Siv.
Chron.
am 4. Tage !
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i
1. Tag
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—
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2. Tag
2361,8
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3. Tag
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V
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—
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2,5 ;
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in Sumi
na auf 2 Tag
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, 2,5 !
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R.
Abgelauf.
i
i i
i i
i i
; 1
1. Tag
Icterus
2349,5
am 4. Tage | —
| — 1
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—
2. Tag
catarrhal.
2361,2
spontan ! —
' — 1
—
! — ■
—
3. Tag
2364,5
—
1 _ '
—
i — i
—
in Summa auf 3 Tage berechnet
7075,2
120,0 28,54
I 91,46
23,8
1.55
5,8
l)«Die Urinmenge in den Fällen 1, 2 und 3 ist vermindert im Vergleich mit anderen
waren wahrend grosser Hitze, weshalb sie viel Wasser mit Schweiss, eventuell auch mit Athmung
Digitized by
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Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHIGAN
Vergl. Ausnutzungsversuche an normalen u. habituell obstipirten Menschen. 189
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85,73
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—
850,0
12,44
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70,88
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—
830,0
11,39
1,37 ,
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35,50
10,35
12,0
2,89
277,31
i
301,78
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2880,0
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10,16
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0,92 1
112,31 !
127.45
1150,0
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1,21
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3,68
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114,80 '
128,82
—
850,0
13.34
1,57
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11,3
3,13
10,61
0,85
107.05
119,65
—
850,0
12,32
1,54
6,97
31,46 ,
10,63
1
12,88
2,62
333,66
375,92
i !
5,3
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1
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' 0.72
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—
1300,0
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—
1250,0
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34,64
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i
1,0 !
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1
_
! |
1900,0
14,7
0,77
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—
—
—
1 -
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—
—
1600,0
13,92
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—
—
—
—
—
—
—
1800,0
13,88
0,77
8,35
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! 77,22
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i 1
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5300,0
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_
_
_
_
_
1
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16.28
1 0,77
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—
—
—
—
—
—
—
1750,0
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—
—
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—
—
—
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—
1100,0
1 11,98
1,09
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23,0
2,45
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177,92
2,51
4300,0 | 37,69 0,87 25,23
Der Kranke sammelte nicht den
—
—
—
—
, —
—
—
Urin <
3xact, so dass
dessen
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20.5
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Analyse ausgeschlossen war.
__
1230,0
13.47
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—
—
—
—
—
—
—
850,0
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—
—
—
—
—
—
—
830.0
11,31
1.36
6,99
16.24
9,71
34.02
1,32
148,94
153,14
2.19
2910.0
37,30
1,21
24,47
Fällen. Dieser Unterschied erklärt sich auf die Weise, dass die Fälle 1. 2 und 3 im Versuche
abgaben.
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHIGAN
190
D. Pletnew
Digitized by
kannte Schmidt-Strasburger sch e Probediät angewendet, und zwar
in folgender Anordnung:
Morgens 7 Uhr: 0,5 Liter Milch, 50 g Zwieback.
Vormittags 10 Uhr: 0,5 Liter Haferschleim aus 40 g Hafergrütze, 10 g Butter,
200 g Milch, 1 Ei. *
Mittags 1 Uhr: 125 g gehacktes Rindfleisch mit 200 g Butter leicht über¬
braten; 250 g Kartoffelbrei (190 g gemahlene Kartoffeln, 100 g Milch und 10 g
Butter).
Nachmittags 3 Uhr: wie Morgens.
Abends 7 Uhr: wie Vormittags.
Die Nahrung und die Ausscheidungsproductc wurden jeden Tag
doppelt (Controlle!) untersucht. Von den Ausscheidungsproducten wurden
Drin und Koth untersucht. Bei Zusammenstellung wurden alle Zahlen
auf dreitägige Frist berechnet, da die Schwankungen an einzelnen Tagen
in diesem Falle keine besondere Rolle spielen.
Der Stickstoff wurde nach Kjeldahl bestimmt. Das Eiweiss
wurde aus N durch Multipliciren mit 6,25 ausgerechnet.
Die Kohlenstoffbestimmung geschah im Kopfcr’schen Ver¬
brennungsofen.
Das Fett wurde nach Soxleth bestimmt.
Die Kohlehydrate wurden bestimmt durch Ujcbcrführung in
Traubenzucker. 2—3 g fettfreie Substanz wurden mit 27* proc. Salz¬
säure 2 Stunden im Rückflusskühler gekocht und in dieser Flüssigkeit
die Kohlehydrate als Zucker durch Polarisation und durch Titration mit
Knapp^cher Lösung bestimmt.
Ferner wurde der calorimetrische Werth von Koth und Nahrung
bestimmt. Dies geschah auf doppeltem Wege. Erstens indirect durch
Berechnung nach bekannten Standardzahlen und zweitens direct durch
Verbrennung in der BertheloAschen Bombe. Auf diese Weise wird,
wie bekannt, die gesammte Energie, welche in der betreffenden Materie
in latenter Form enthalten ist, in Wärme übergeführt.
Bei der Berechnung bediente ich mich folgender Zahlen: für Eiweiss
5,7, für Kohlehydrate 4,1, für Fette 9,3. Gegen die Zahlen 4,1 und
9,3 kann kein Einwand gemacht werden. Was die Standardzahl 5,7,
die von Stohmann zur Berechnung des Eiweisses vorgeschlasen ist,
angeht, so will ich hier nicht auf theoretische Ueberlegungen eingehen.
Ich habe die Zahl 5,7 angewandt aus dem Grunde, weil auch Lohrisch
sich ihrer bediente.
Bei Uebersicht der Tabelle sieht man zunächst, dass die chemisch
vermittelst der Standardzahlen und calorimetrisch bestimmten Brenn-
werthe des Kothes in allen Fällen nicht übereinstimmen. Die direct
gefundenen Brennwerthe sind höher als die berechneten. Loh risch
hat bei seinen Berechnungen dieselben Ergebnisse gefunden, und zwar
schwanken seine Differenzen in breiteren Grenzen (von 5,8 bis 17 pCt.)
als in meinen.
Die Ursachen dieser von uns beiden gefundenen Differenzen sind
verschiedene. Es wird nämlich das ganze Aetherextract als Fett be¬
rechnet, während das Aetherextract ausser Fett noch Lecithin und Cholesterin
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Vergl. Ausnutzungsversuche an normalen u. habituell obstipirten Menschen. 191
enthält, deren Brcnnwerthe höher sind. Die Methode der Kohlehydrat¬
bestimmung leidet an Ungenauigkeiten; es sind in der Nahrung Sub¬
stanzen vorhanden, die nicht mit in Zucker invertirt werden. Endlich
können die im Koth vorhandenen Gallenfarbstoffc, Gallensäuren und
andere organischen und anorganischen Stoffe, welche in kleinen Mengen
dort sind, auch bei ihrer Verbrennung eine gewisse Wärmemenge ent¬
wickeln.
Wenn wir jetzt das Vcrhältniss der gefundenen Ergebnisse bei
Normalen und habituell Obstipirten vergleichen, so bekommen wir
folgende Zahlen:
Normale Habit. Obstip.
Gesammtkoth, trocken 1 ). 78,59 39,0
X. 5,01 2,16
C. 33,89 17,48
Fett. 9,83 9,03
Kohlehydrate. 2,44 2,03
Gesammtcalorien im Calorimeter bestimmt .... 314,07 180,35
Auf 100 aufgenommene Calorien im Koth ausgeschieden 4,4 3,03
Was den Fall 9, in welchem es sich um einen abgelaufenen Icterus
catarrhalis handelt, betrifft, so passen seine Zahlen in die der habituell
Obstipirten. Es wird nur ein etwas höherer Gehalt des Kothes an Fett
beobachtet. Man kann sich leicht vorstellen, dass nach der über¬
standenen Krankheit die Fettresorption nur allmählich zur Norm gelangt,
weshalb er auch in diesem Fall etwas höher ist, als in der Norm. Der
l Überschuss an Fettgehalt ist auch ganz gering.
Was den Kranken mit Dyspragia intestinalis intermittens artcrio-
sclerotica anbelangt, so ist sein Koth ausgezeichnet durch ziemlich
reichlichen Gehalt an Wasser, Stickstoff etc. Die procentische Calorien¬
ausscheidung pro Tag ist 4,51. Diese Ergebnisse können auf folgendem
Wege erklärt werden. Die Obstipation scheint in solchen Fällen be¬
dingt zu sein durch Abschwächung der musculären Kraft des Darmes
in Folge verschlechterter Verhältnisse der Darmcirculation. Es ist un¬
bekannt, ob auf diesem Wege auch dessen Secretion vermindert ist. Für
eine solche Voraussetzung giebt es keinen Anhaltspunkt. Im Gegentheil,
der Koth ist ja im Wesentlichen Seeretionsproduet des Darms, wie man
es aus Beobachtungen an hungernden und unter verschiedenen Versuchs¬
anordnungen genährten Thieren und Menschen schliessen kann. Deshalb
ist auch der Gehalt des Kothes unserer Arteriosclerotiker an ver¬
schiedenen Bestandtheilen keineswegs vermindert. Der Darm secernirt
gut, er bringt nur langsam seinen Inhalt zur Ausscheidung.
Ob die Ausnutzung dabei geschädigt wird, bleibt dahingestellt.
1) Die frischen Kothe exact zu vergleichen ist kaum möglich, da in mehreren
Fällen die Darmentleerung mit Wassereinlauf erzielt wurde.
Die Zahlen sind genommen als Durchschnitt von allen Fällen einer und der¬
selben Gruppe.
Fall 8 — die Dyspragia intestinalis intermittens arteriosclerotica und Fall 9
— abgelaufener Icterus catarrhalis werden einzeln beurthcilt.
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Original fro-m
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192
D. Pletnew,
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Was den Urin betrifft, so sind die Ergebnisse der Untersuchungen
folgende:
N ges.
C .
Normalo Habit. Obstipirte
40,39 42,96
24,04 27,33
Es besteht also ein gewisser Unterschied in N- und C-Ausschei-
dung bei Normalen und habituell Obstipirtcn. Dieser Unterschied ist
nicht gross und die Zahl der Versuchspersonen ist nicht ausreichend,
als dass man daraus sichere Schlüsse machen könnte, um so mehr, da die
Zahlen in einzelnen Fällen sich viel mehr nähern, als die Durchschnitts¬
zahlen. So ist im Fall 3 (Norm.) 42,5 N und 25,64 C in 3 Tagen
ausgeschieden uud im Fall 7 (habit. Obst.) sind die betreffenden Zahlen:
37,69 N und 25,23 C. Unter solchen Bedingungen verlieren die Durch¬
schnittszahlen ihren absoluten Werth.
Vergleichen wir die von Lohriseh und von mir erhaltenen Zahlen,
so finden wir gewisse Unterschiede in den Werthen der Gesunden, wie
auch der habituell Obstipirten. Die Unterschiede sind nicht so gross,
dass sie die principielle Gleichheit in den Beobachtungen verwischen.
Diese Verschiedenheit weist nur auf individuelle Schwankungen in der
Zusammensetzung des Kothes verschiedener Menschen. Wir brauchen
uns nur zu erinnern an die Verschiedenheiten einzelner Zahlen bei beiden
Hungcrkünstlcrn Cctti und Breithaupt, die Fr. Müller be¬
obachtet hat:
Cetti ßreithaupt
in 10 Tagen* ausgeschieden in 6 Tagen ausgeschieden
Koth, feucht .
. 220,1
57,0
Koth, trocken .
. 36,175
12,01
N . . . .
3,164
0,68
Fett . . .
. 13,54
3,41
Asche .
4,759
1,509
A uf
einen Tag berechnet:
Koth, frisch
. 22,01
9,5
Koth, trocken .
3,3818
2,0
N . . . .
0,316
0,113
Fett . . .
1,354
0,57
Asche .
0,476
0,251
Wenn hungernde Menschen verschiedene Mengen Koth mit ver¬
schiedenem Gehalt an Bestandtheilen ausschciden, so ist es gar nicht
wunderbar, wenn Menschen, die in ihren Magendarmcanal Nahrung,
resp. physiologischen Reiz, der seine Secretion hervorruft, einführen,
verschiedene Mengen von Darmsccret auf die Nahrung ergiessen.
Es bleibt noch die theoretische Anschauung von Schmidt, Stras-
burger und Lohrisch zu besprechen. Wie oben erwähnt, sind diese
Autoren der Meinung, dass in manchen Fällen eine zu gute Ausnutzung
der Nahrung als Ursache der habituellen Obstipation erscheint. Sichere
Beweise für diese Hypothese fehlen vorläufig. Der verminderte Gehalt
an verschiedenen Bestandtheilen des Kothes ist nicht ausschlaggebend
Gck igle
Original from
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Vergl. Ausnutzungsversuche an normalen u. habituell obstipirten Mensch n. 193
fiir diese Anschauung. Die Beobachtungen der genannten Autotcn sowie
meine eigenen sprechen nur dafür, dass der Koth habituell Obstipirter
ärmer an verschiedenen Bestandteilen ist, als der der Normalen. Aber
es bleibt immer fraglich, ob diese Resultate auf verminde 1 Sccrction
zurückzuführen sind, oder auf bessere Ausnutzung der Nanrung. Indi¬
viduelle Schwankungen, die an hungernden Thiercn und Menschen be¬
obachtet sind (vergl. die oben angeführten Zahlen von Fr. Müller),
sowie wechselnde Quantität und Qualität des Kothes bei verschiedener
Nahrung kann viel mehr für verminderte Secretion als für bessere
Nahrungsausnutzung sprechen. Und nicht ohne Recht spricht Prauss-
nitz nicht von „gut oder schlecht ausnutzbarer a Kost, sondern von
„mehr oder weniger kothbildender“ Nahrung.
Wäre die Anschauung von Schmidt, Strasburger und Lohrisch
richtig, so würden die betreffenden Individuen auch vielleicht instinctiv
kleinere Nahrungsmengen einführen zur Bewahrung ihres Gleichgewichts.
Das ist aber nicht der Fall.
Wenn mit einer verminderten Secretion eine functionell ungenügende
Thätigkeit der Darmmuscularis auf anatomischer Basis oder auch ohne
diese sich vereinigt, so sind damit ebenfalls Bedingungen vorhanden
zum Entstehen einer habituellen Obstipation.
Literatur.
Nothnagel, Die Erkrankungen des Darms und des Peritoneums. 1898.
Dun in, Ueber habituelle Stuhlverstopfung, deren Ursachen u. Behandlung. Berliner
Klinik. 1894.
Bouveret, La neurasthenie. 1893.
Fleiner, Ueber Behandlung der Constipation u. s. w. Berliner klin. Wochenschr.
1893.
Schmidt, Die Functionsprüfung des Darmes mittels der Probekost u. s. w. 1904.
Strasburger, Untersuchungen über die Bakterienmenge in menschlichen Fäces.
Zeitschrift, f. klin. Med. XLV1. 1902.
Loh risch, Die Ursachen der chronischen habituellen Obstipation im Lichte syste¬
matischer Ausnutzungsversuche. Deutsches Archiv f. klin. Med. LXXIX. 1904.
Derselbe, Calorimetrische Fäcesuntersuchungen. Zeitschr. f. physiol. Chemie. XL1.
1904.
Stohmann, Ueber den Wärmewerth der Bestandtheile der Nahrungsmittel. Zeitschr.
f. Biologie. Neue Folge. XIII. 1895.
Fr. Müller, Untersuchungen an zwei hungernden Menschen. Virchow’s Archiv.
CXXXI. 1893. Supplementheft.
Fraussnitz, Untersuchungen über das Verhalten animalischer und vegetabilischer
Nahrungsmittel im Verdauungscanal. Zeitschr. f. Biologie. XXXV. 1897.
Zeitschrift f. ei]i. Pathologie u. Therapie Bd.
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Original fro-m
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XVII.
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Ueber die Wirkungen des Physostigmins auf muskuläre
Organe.
Mit Beziehung auf die Untersuchungen von Dr. Ii. Winterberg.
Von
Professor Dr. Erich Harnack (Halle a. S.).
Als ich vor mehr als dreissig Jahren gemeinsam mit Dr. Wit-
kowski 1 ) daran ging, die Wirkungen des Physostigmins möglichst all¬
seitig zu analysiren, da waren wir genöthigt, uns zuvor das Alkaloid
aus der Bohne rein darzustellen. Die damaligen Handelspräparate be¬
standen aus krümlichen schwarzbraunen Schmieren, und die meisten
Forscher, die vor uns mit Physostigmin gearbeitet, hatten sich eben
unreiner Präparate bedient. In der Augenheilkunde wurde nur das
Calabarbohnenextract (in kleinen Papierquadraten!) angewendet. Die
lsolirung des Alkaloides war wegen der Zersetzlichkeit seiner Lösungen
keineswegs leicht, aber es gelang uns, dasselbe in Form einer klaren
hellgelben Masse, die zu leimartigen Plättchen eintrocknetc, zu gewinnen,
indem wir im Wesentlichen einer von Hesse angegebenen Methode
folgten. Irgend eine Verbindung der Base in krystallisirter Form hcr-
zustellen war uns nicht möglich, daher wir auf die Elemcntaranalysc
verzichteten. Nach dem ganzen Verhalten erhielten wir den Eindruck,
dass wir es mit einem sehr complicirt zusammengesetzten Moleküle zu
thun hätten. Gleich darauf gelang es dann der Firma E. Merck in
Darmstadt, das Salicylat der Base in Form einer klaren, scheinbar un-
krystallisirten, schwach gelblichen Masse darzustellen. Dies ist das
Präparat, welches ich nun etwa 28 Jahre aufbewahrt und Herrn
Dr. Win t erb erg 2 ) für seine Versuche überlassen habe, bei denen es
sich als sehr stark wirksam erwies. Sicherlich ein seltenes Präparat,
wenn man erwägt, dass das Physostigmin doch zu den ziemlich leicht
zersetzlichen Alkaloiden gehört. Merck stellte dann aber bald auch
ein schön krystallisirtes Salicylat des Physostigmins her, das ich 3 ) in
Betreff der miotischen Wirkung prüfte und sehr wirksam fand und das
1) Harnack und Witkowski, Archiv f. exper. Path. u. Pharinakol. Bd. V.
S. 401. 1870.
2) Winterberg, Diese Zeitsohr. Bd. IV. 1007. 1.
;») Harnack, Archiv f. exper. Path. u. Pharinakol. Bd. XII. S. XJ6 f. 1880.
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Original fro-m
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Ucbcr die Wirkungen des Physostigmins auf muskuläre Organe.
1115
daraufhin in den Arzneischatz aufgenornmen wurde. Später haben fran¬
zösische Chemiker das Alkaloid analysirt und die ßruttoformcl: C 1B H 21 -
N 3 0 2 gefunden. Wonn nun darnach auch der Stickstoffgehalt für ein
Alkaloid ein selten hoher ist und über 15 pCt. beträgt, so muss ich
doch gestehen, ich hatte eigentlich erwartet, dem Physostigmin würde
ein höheres Molekulargewicht zukommen. Ob nun das Physostigmin in
diesem schön krystallisirten Salze mit dem von uns damals dargestellten
amorphen vollkommen identisch ist, das ist vorläufig noch nicht sicher
anzugeben, freilich auch nicht das Gegentheil bewiesen. Winterberg
fand das ihm von mir gelieferte, so alte Präparat sogar noch etwas
kräftiger wirksam als das jetzige von Merck bezogene krystallisirte
Salicylat! ln der Art der Wirkung konnte er aber keinen Unterschied
constatiren. Zu beachten ist auch, dass man später ein Isophysostigmin
aus der Bohne gewonnen hat, das dem Physostigmin isomer, aber als
freie Base in Aether schwer löslich sein, dabei sehr energisch ravotisch
wirken soll. Die Frage bleibt also vorläufig eine offene, ich will daher
nicht weiter darauf eingehen und mich auf den Standpunkt stellen, als
ob die Präparate des wirklichen Physostigmins von damals und jetzt
identisch seien.
Bei eingehender Analyse der Wirkung nach allen Richtungen hin
gelangten Witkowski und ich zu dem Wahrscheinlichkeitsschlusse,
dass das Physostigmin, was seine Wirkung auf Organe mit contractilen
Elementen (Herz, Jris, Darm, willkürliche Muskeln) anlangt, auf die
lebende glatte und quergestreifte Muskelfaser selbst einwirkt, indem
es deren Contraetilität erhöht oder direct als Reiz wirkt. In Betreff des
M. sphincter iridis war übrigens diese Annahme schon vor uns von dem
Franzosen Martin Damourettc ausgesprochen worden. Von den
späteren Forschern hat ein Theil unsere Angaben bestätigt und vervoll¬
ständigt, während Andere, ohne das thatsächlicho Material wesentlich zu
vermehren, durch ihre Beobachtungen zu dem Schlüsse gelangten, dass
an den bezeichneten Wirkungsorten diebetreffenden Nervenendapparate
durch das Physostigmin gereizt werden, die Muskelfasern selbst aber
nicht oder doch nicht in erster Linie. Es handelt sich also zunächst
um die Deutung der übereinstimmend festgestellten Thatsachen, d. h.
mit anderen Worten, um die genaue Localisirung der Wirkung. Auf die
sich ausschliesslich auf das Warmblüterherz beziehenden neuesten Unter¬
suchungen von Winterberg gehe ich unten näher ein. Ich möchte nun
zunächst darauf hinweisen, auf Grund welcher Erwägung Witkowski
und ich zu unserer Annahme, dass die Wirkung die Muskelfaser betrifft,
gelangt sind. Es geschah auf Grund einer allgemeinen Voraussetzung,
die damals wohl von nahezu* allen Pharmakologen getheilt wurde. Man
hielt es für unmöglich, dass ein Nervenapparat, der durch ein
lähmendes Gift seiner Erregbarkeit vollständig beraubt worden,
durch ein gleich darauf zugeführtes erregendes Gift überhaupt beein¬
flusst werden könnte, sofern eben das erstere Gift noch nicht eliminirt
worden und die complet lähmende Wirkung demnach noch zu unter¬
halten im Stande wäre; denn — so meinte man — complet gelähmt
heisst eben: zur Zeit durch nichts erregbar. Man nahm daher auch
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196
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E. Harnack,
an, dass der erregend wirkende Antagonist, wenn er mit dem complet
lähmenden genau auf den gleichen Nervenapparat einwirkte, gegen den
letzteren niemals aufzukomraen im Stande sei, während die umgekehrte
Gegenwirkung sich leicht erzielen, der zuvor erregte Apparat sich ohne
grosse Schwierigkeit lähmen lässt. Als Beispiel kann man etwa an¬
führen das Verhalten des Apomorphins in der Narkose. Durch Chloro¬
form etc. wird das Brechcentrum gelähmt, so dass in tiefer Narkose
das Apomorphin nicht emetisch wirkt; das Respirationscentrum wird
aber nicht gelähmt und kann in tiefer Narkose durch Apomorphin so
heftig gereizt werden, dass die Frequenz der Athmung sich ver¬
achtfacht.
Die allgemeine Gültigkeit des obigen Satzes ist mir aber doch im
Laufe der Zeiten allmählich zweifelhaft geworden. Was wissen wir denn
überhaupt von den Beziehungen des einen oder des anderen Giftes zu
dem Chemismus eines bestimmten Nervenapparates oder auch der
lebenden Zelle überhaupt? Wenig oder nichts. Selbst die gegenwärtig
mit besonderer Vorliebe und keineswegs erfolglos betriebene Forschung
über den Zusammenhang zwischen chemischer Structur und Wirkungsart
giebt uns über das eigentliche Warum? doch noch keinen Aufschluss,
abgesehen davon, dass die Grundlage der ganzen Structurtheorie doch
noch nicht als eine für alle Zeiten unabänderlich feststehende angesehen
werden kann. Mit allen den schönen Vorstellungen, dass es in einem
Fall das Fett, im anderen das Lecithin sei, welches in der Nervenzelle
die Ursache für die chemisch-physikalische Anziehung zwischen letzterer
und dem Agens bilde, ist doch noch wenig anzufangen. Ehrlich hat
neuerdings gegen die pharmakologische Forschung den Vorwurf erhoben,
sie frage zu ausschliesslich nach dem Was und Wie, zu wenig nach
dem Warum. Ich halte diesen Vorwurf für unbegründet; denn Unter¬
suchungen, die den zur Lösung der Frage Warum? führenden Weg
bahnen, werden heut zu Tage, wie gesagt, in grosser Zahl und in weitem
Umfang ausgeführt und haben für die Gewinnung „synthetischer Arznei¬
mittel“ schon werthvolle Früchte gezeitigt. Und wenn w r ir nach dem
Warum? forschen, weshalb mit den complicirtesten Agentien beginnen,
von deren Structur wir noch kein Ahnung haben, warum nicht mit den
einfachsten, wie etwa Quecksilber, Blei etc., in deren Molekülen es
keine haptophoren und toxiphoren Gruppen geben kann?
Wir wissen nur, dass der Nervenapparat oder die Zelle in dem
einen Moment das ihnen nahe gebrachte Agens mit Begierde aufnimmt,
um es nach einiger Zeit (falls nicht das Agens zerstört oder die Zelle
vernichtet worden ist) mit der gleichen Energie wieder zu eliminiren.
Wird nun der Zelle bald nach dem ersten Agens ein zweites zugeführt,
wer kann wissen, ob sie letzteres — je nach seiner Qualität — nicht
noch begieriger aufniramt, dadurch aber in den Stand gesetzt wird, das .
erste um so rascher zu eliminiren oder zu vernichten? War das erste
ein lähmendes Gift, so ist allerdings die specifische Function der Zelle
zeitweilig sistirt, aber das braucht nicht zu verhindern, dass das zweite
— erregende — Gift seinen Weg in die Zelle etc. findet und nun (ich
Gck igle
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Heber die Wirkungen des Physostigmins auf muskuläre Organe.
197
habe dabei natürlich einen Ncrvcnapparat im Sinne) die Function wieder-
herstellen hilft.
Die Möglichkeit, dass auch bei einem wahren Antagonismus das
erregende Gift Sieger bleiben kann, nicht muss, wird also nicht in Ab¬
rede gestellt werden können. Nimmt man diese Möglichkeit an, dann
fällt allerdings der Zwang, die Physostigminwirkung als eine direct
muskuläre aufzufassen, weg; nimmt man sie dagegen nicht an, dann
bleibt freilich schwer für eine andere Auffassung Raum.
Beim Physostigmin liegt nämlich die Sache so, dass es am Herzen,
der Iris, dem Darm, den willkürlichen Muskeln etc. über die die bezüg¬
lichen Nervenendapparate complet lähmenden Gifte Sieger bleibt. Hält
man etwas Derartiges für den Fall eines wahren Antagonismus für
unmöglich, dann bleibt nur die Annahme, dass das Physostigmin die
Muskelfaser selbst beeinflusst, oder man muss zu sehr complicirten Vor¬
stellungen über die Einrichtung der Nervenendapparate greifen, indem
man sich dieselben etwa in mehrere Strecken getheilt denkt, von denen
die am periphersten gelegene zwar vom erregenden Physostigmin, nicht
aber von den bezüglichen lähmenden Giften beeinflusst wird. Der Anta¬
gonismus wäre dann wieder kein „wahrer“.
Auf die Thatsache, dass das Physostigmin über die lähmenden
Gifte Sieger bleibt, möchte ich im Einzelnen etwas näher eingehen. Zu¬
nächst in Bezug auf das Auge, die pupillenverengernde Wirkung. Hier
erweist sich das Physostigmin als Sieger über das Atropin, was andere
Myotiea (Pilokarpin, Muskarin etc.) eben nicht vermögen, die zum Thcil
deswegen für die Augenheilkunde auch nicht die gleiche Brauchbarkeit
besitzen als jenes. Bringt man in jedes Auge einer grossen Katze je
einen Tropfen einer lproc. Atropinsulfatlösung, unter Verhütung jeden
Verlustes, so zeigen sich nach gewisser Zeit beide Pupillen als maximal
erweitert, ca. 12 mm im Durchmesser, die Irisränder bei Vorderansicht
nicht mehr sichtbar. Bringt man nun z. B. ins linke Auge die gleiche
Menge Physostigminsalicylat (2 gtt. einer y 2 proc. Lösung), so ist nach
knapp zwei Stunden die rechte Pupille noch genau so weit wie vorher,
die linke dagegen selbst bei trüber Beleuchtung auf 4—5 mm im Quer¬
durchmesser reducirt. Stellt man den Versuch so an, dass man gleich¬
zeitig in das rechte Auge das Physostigmin, in das linke das Atropin
(in den obigen gleichen Dosen) einträufelt, so sieht man nach zwei
Stunden die rechte Pupille zu einem eben noch sichtbaren feinen Strich 1 )
contrahirt, bei voller Beschattung sich vorübergehend mässig dilatirend.
Dagegen ist die linke maximal erweitert, auf Belichtung nicht reagirend.
Giebt man jetzt, und zwar wieder in den obigen gleichen Dosen, in das
rechte Auge Atropin, in das linke Physostigmin, so beobachtet man
1) Bei der Physostigminmiose berühren sich wohl die Irisränder nie, was bei
der örtlichen Muskarinwirkung sehr \rohl der Fall sein kann. Auch dieses Moment
scheint für gewisse Unterschiede in der Wirkung beider zu sprechen: vielleicht reizt
das Physostigmin auch die — freilich bestrittenen — schwachen diktatorischen
Muskelfasern der Iris?
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Vj. Ifarnack
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198
nach einer Stunde, dass beide Pupillen bei sehr schwacher Beleuchtung
eine gleiche mittlere Weite (8—9 mm) bekommen haben, die zunächst
auch anhält.
Bei Anwendung gleicher Dosen also contrahirt das Physostigmin
die Atropinpupille auf ca. 7s des Durchmessers (bei überwiegender Dosis
des ersteren sogar noch mehr); umgekehrt wird die zuvor durch Phy¬
sostigmin verengerte Pupille durch die gleich grosse Atropindosis zu
einer mittleren, nicht maximalen Erweiterung gebracht. Es gewinnt also
den Anschein, als ob immer das zuletzt zugeführte Agens der Sieger
bliebe, und das liesse sich so deuten, dass bei der Aufnahme des zweiten
Giftes das erste aus dem Nervenapparat theilweise verdrängt und eli-
minirt wird. Auffallend bleibt aber immerhin, dass z. B. das Muskarin
sich anders verhält: es wirkt auf die Atropinpupille gar nicht, und die
durch Muskarin verengerte Pupille wird durch Atropin maximal erweitert
wie die normale. Nimmt man an, das Physostigmin reize den M. sphincter
selbst, so erklären sich die Thatsachen scheinbar ganz gut; denn da$s
die Physostigminpupille durch Atropin zu einer mittleren Weite ge¬
bracht wird, ist begreiflich, da mit der Lähmung der Oculoraotorius-
endungen alle Reize allmählich wegfallen, die dem Sphincter vom Centrum
her zugehen. Auch bei plötzlicher voller Beschattung pflegt sich die
Physostigminpupille ein wenig zu erweitern, was sich aus dem plötz¬
lichen Wegfall der auf den Sphincter durch Reflexact übertragenen Licht¬
reize erklären lässt. Den gleichen Effect muss selbstverständlich die
Durchschneidung des N. oculomotorius ausüben.
Am Darme gestalten sich die Verhältnisse ganz analog, indem
auch hier das Physostigmin über das die bezüglichen Nervenapparate in
der Darmwand lähmende Atropin Sieger bleibt und einen Darmkrampf
auch nach der durch Atropin bewirkten Erschlaffung des Darmes her¬
vorbringt. Auch hier vermag das Muskarin unter den gleichen Be¬
dingungen nicht das Gleiche zu bewirken. Die Alternative bleibt dem¬
nach die gleiche: entweder Wirkung des Physostigmins auf die Muskel¬
faser selbst, oder das lähmende Gift wird durch das erregende Phy¬
sostigmin (nicht aber durch Muskarin) aus den Nervenapparaten gleichsam
verdrängt, resp. seine Eliminirung befördert. Die Darmwirkung ist es
auch nahezu allein, vermöge deren das Physostigmin ausserhalb der
Augenheilkunde heut zu Tage noch praktisch benutzt wird. Viele
rühmen seine Wirksamkeit bei Darmträgheit und -atonie in hohem Grade;
immerhin ist — zumal bei der üblichen subcutanen Anwendung — Vor¬
sicht wegen der lebensgefährlichen Wirkungen des Physostigmins auf
Rückenmark, Medulla etc. geboten.
Ganz ähnlich liegen auch die Verhältnisse an den willkürlichen
Muskeln: nur ist es hier nicht das Atropin, sondern das die motorischen
Nervenendapparate lähmende Curare, über das das Physostigmin Sieger
bleibt. Nach den Versuchen von Pal 1 ) und von Rothberger 2 ) stellt
das Physostigmin die Thätigkeit des durch Curare inactiv gemachten
1) Pal, Centralblatt f. Physiologie. Bd. 14. 1900. S. 255.
2) Rothberger, Pflügers Archiv. Bd. 87. 1901. 8. 117.
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Feber die Wirkungen des Physostigmins auf muskuläre Organe.
199
Muskels wieder her, namentlich am Zwerchfell (Athcmbewcgung). Im
Reagcnzglasc neutralisiren sich die beiden Gifte aber keineswegs. Es
bleibt demnach auch hier die gleiche Alternative: entweder das
Physostigmin wirkt auf die Muskelfaser selbst oder das lähmende Gift
wird durch das erregende gewissermaasson aus dem Nervenendapparat
verdrängt, falls man nicht annehmen will, dass der Endapparat zwar
in Folge der Curarewirkung nicht mehr leitete, wohl aber für Physostigmin
noch erregbar blieb, was ziemlich auf das Gleiche herauskommen würde.
Endlich könnte man auch hier die wenig wahrscheinliche Annahme
machen, dass der allerperipherste Theil der Nervenendausbreitung
zwar durch das erregende, nicht aber durch das lähmende Gift beein¬
flusst wird.
Etwas complicirter, wenngleich im Wesentlichen analog, liegen die
Verhältnisse am Herzen, wenigstens so weit zunächst das Froschherz
in Frage kommt. Hier kommt freilich, worauf ich schon unlängst hin¬
gewiesen habe 1 ), zuvörderst Alles darauf an, ob man der modernen rein
myogenen Theorie der Herzfunction huldigt. Thut man das, so bleibt
überhaupt keine andere Annahme, als dass das Physostigmin auf den
Herzmuskel selbst einwirkt, und zwar vor Allem auf die Automatic er¬
zeugenden Sinusfasern (oder richtiger: Muskelzellcn). Daraus würde sich
dann wohl auch erklären, warum Schweder 2 3 ) (unter Kobert’s Leitung)
den an der Atrioventricularfläche abgeschnürten Ventrikel durch
Physostigmin nicht zum Schlagen bringen konnte, falls etwa die Ab¬
schnürung so geschah, dass die Sinusfasern oberhalb derselben blieben.
Indes neige ich mich, und zwar gerade auf Grund der einschlägigen
pharmakologischen Thatsachen, der myogenen Herztheorie nicht zu und
bleibe bei der älteren Annahme der automatischen oder muskuloraotori-
schen Centren (Ganglien) des Froschherzens stehen. Das Physostigmin
hebt nun am Froschherzen zunächst den diastolischen Jodalstillstand
auf 8 ). Dieser letztere lässt sich aber auf Grund der älteren neurogenen
Theorie nur aus einer Lähmung der automatischen Centren des Frosch¬
herzens erklären. Es bleibt also auch hier das erregende Gift zunächst
Sieger über das lähmende, und die Alternative ist die gleiche wie oben:
entweder das Physostigmin reizt muskuläre Theile des Herzens direct,
oder das lähmende Gift wird aus dem Nervenapparat durch das erregende
gewissermaassen verdrängt, climinirt, und die Function der automatischen
Centren zeitweilig wieder restituirt. Aber auch das durch Kupfcr-
doppelsalze nahezu zum Stillstand in halber schlaffer Diastole ge¬
brachte Froschherz wird durch Physostigmin wieder zum Schlagen ge¬
bracht 4 * ). Dass durch Kupfer der Herzmuskel selbst (nach vorgängiger
Reizung) gelähmt wird, so dass er schliesslich auch auf directen fara-
1) Vgl. Harnaok, Archiv f. Anat. u. Physiol. Physiol. Abtheil. 1904. S. 415.
2) Schweder, Ueber Eserin etc. Diss. Dorpat 1889.
3) Vgl. Harnaok und Witkowski, Archiv f. exper. Path. u. Pharmakol.
Bd. XI. S. 1. 1879.
4) Vgl. Harnack und Ha fern an n, Archiv f. exper. Path. u. Pharmakol.
Bd. 17. S. 145 u. Tafel IV, Fig. Vd u. e. 1883.
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200
E. Harnack
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dischen Reiz nicht mehr reagirt, davon kann man sich, wie überhaupt
am Froschrauskel, leicht überzeugen. Die Frage, ob das Physostigmin
seine Wirkung durch Reizung der Herzcentren oder des Herzmuskels zu
Stande bringt, mag hier offen bleiben.
An dem den Herzen der Skorpionen ähnlich gebauten Herzen des
Molukkenkrebses (Limulus) hat neuerdings Carlson Versuche angestellt
und daraus geschlossen, das Physostigmin wirke primär erregend nur
auf den Ganglienapparat, nicht auf die muskulären Thcile des Herzens
ein. Von einem wirbellosen Thier ist freilich eine directe Uebertragung
auf das Froschherz ebenso unthunlich wie von diesem auf das Warm¬
blüterherz.
Die kürzlich von Winterberg angestellten Versuche beschränken
sich auf das Säugethierherz, und hier beobachtet der Autor vor Allem
eine Steigerung der Erregbarkeit des kardialen Heramungsapparates
durch das Physostigmin, eine Wirkung, die von Witkowski und mir
seiner Zeit nicht constatirt worden war. Indem er letzteres an sich mit
Recht betont, beachtet der Autor vielleicht zu wenig: erstens, dass man
seit dreissig Jahren über die Wirkung der Vagusreizung auf das Herz
manches zugelernt hat, was damals noch nicht so bekannt war, und so¬
dann, dass für uns seiner Zeit das Froschherz das wichtigere Object war,
wir aber hier vor Allem zu beweisen hatten, dass das Physostigmin
die Vagusendigungen nicht lähmt. Will man wissen, ob es sic
erregt, so muss man natürlich vor Allem naehweisen, dass es sie nicht
lähmt. Die Meinung aber, das Physostigmin lähme den Hemmungs¬
apparat im Froschherzen, war von Forschern, die vor uns gearbeitet
hatten, mehrfach ausgesprochen worden und schien auch nicht so fern-
liegend. Einmal hebt das Physostigmin den Muskarinstillstand auf,
scheint also darin dem Atropin gleich zu wirken, was andererseits gar
nicht der Fall ist, indem es den Herzschlag verlangsamt und verstärkt,
und sodann wird in der Physostigminwirkung die faradische Reizung des
Froschvagus sehr bald erfolglos. Unsere Aufgabe war es nun, zu er¬
weisen, dass das Physostigmin sich so verhält, nicht weil es die Vagus¬
endigungen lähmt, sondern weil es den Herzmuskel — sei es nun direct
oder durch Vermittelung der automatischen Ganglien — erregt. Diesen
Beweis suchten wir zunächst durch den Versuch: Muskarin-Physostigrain-
Kupfer-Atropin zu führen. Wenn Winterberg Bedenken gegen diesen
Versuch hat, so theile ich dieselben insofern, als auch ich den Beweis
auf diesen Versuch allein nicht stützen möchte. Es werden dabei vier
Herzgifte nach einander zur Wirkung gebracht und es kommt ungemein
auf die richtige Dosirung etc. dabei an. Ich habe mich aber keines¬
wegs auf diesen Versuch beschränkt; schon mit Witkowski (1. c. S. 422)
stellte ich Versuche am Coats’sehen Herzvaguspräparate an und später
habe ich (mit Ha fern an n, 1. c.) sehr mühsame Versuche mit dem
gleichen Präparate in Combination mit dem Froschherzapparate von
Williams ausgeführt. Hierbei ergab es sich, dass, sowie man das
Physostigmin derart mit dem herzlähmenden Kupfer combinirt, dass das
Herz nicht mehr abnorm kräftig schlägt, die faradische Reizung des Frosch¬
vagus wieder den schönsten Effect ergiebt (Stillstand von X / A Minute,
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Ueber die Wirkungen des Physostigmins auf muskuläre Organe.
201
cf. Harnack und Hafemann, 1. c. Tafel IV, Fig. Va—c). Der Vagus
wird also weder vom Physostigmin noch vom Kupfer gelähmt; letzteres
war nämlich auch unrichtiger Weise, und zwar von Luchsinger, be¬
hauptet worden. Ebenso wenig aber wird beim Frosch der Vagus durch
Physostigmin erregt; denn die künstliche Reizung des Vagusstammes
wird beim Frosch in der Physostigrainwirkung erfolglos, beim Säuge¬
thier aber nicht, wie wir sehr bald feststellen konnten. Es verhält sich
hier also ähnlich wie mit dem Digitalin: die Pulsverlangsaraung durch
Digitalisgiftc beruht beim Säugethier sicher auf Vagusreizung (reflectorisch ?),
beim Frosche aber nicht.
Für das Physostigmin haben nun die Versuche von Winterberg
eine Erregung der Vagusendigungen im Säugethierherzen ergeben, und
zwar augenscheinlich eine ganz directe. Eine solche Wirkung haben
seiner Zeit Witkowski und ich nicht constatirt. Wenn Winterberg
meint, wir hätten sie übersehen, weil wir unseren Versuchsthieren durch
starke Curarisirung die Vagi gelähmt hätten, so irrt er doch und Über¬
sicht dabei erstens, dass wir am Hunde trotz starker Curarisirung die
faradische Vagusreizung erfolgreich gefunden haben (H. u. W., 1. c. S. 434)
und zweitens, dass wir (S. 433) ausdrücklich angeben, das Physostigmin
verlangsame den Puls, auch nachdem durch Atropin oder Curare der
Einfluss der Hemmungsnerven völlig ausgeschaltet worden. Es war uns
also die Möglichkeit der Vaguslähmung durch Curare nicht nur wohl
bekannt, sondern wir haben auch mit voller Absicht die Wirkung bis
zu dieser Intensität gesteigert. Die Pulsverlangsamung durch Physostigmin
trotz vollständiger Lähmung der Vagi durch Atropin oder Curare hat ja
auch Winterberg (Punkt 4 seiner Conclusionen) bestätigt.
Warum haben wir aber die Vaguserregung durch Physostigmin
beim Warmblüter nicht beobachtet? Wenn es nicht doch eine Ver¬
schiedenheit der Präparate war, so ist zunächst darauf hinzuweisen, dass
man jetzt über den Einfluss einer starken Vagusreizung auf das Herz
etwas mehr weiss als vor über dreissig Jahren. Es könnten aber noch
andere Gründe hinzukommen. Einmal hatten wir auch am Warmblüter¬
herz zunächst zu beweisen, dass das Physostigmin die Vagi nicht lähmt.
Das liess sich freilich hier sofort und sehr leicht darthun, da die Vagus¬
reizung in der Physostigminwirkung nicht, ‘wie beim Frosch, er¬
folglos wird.
Sodann beobachteten wir bei unseren Blutdruckversuchen haupt¬
sächlich zwei »Momente der Physostigminwirkung: das Herz schlägt lang¬
samer und kräftiger und der Blutdruck kann, wenigstens zeitweilig, er¬
höht werden. Die erstere Erscheinung Hesse sich natürlich mit einer
Vagusreizung in Einklang bringen, die letztere aber nicht, und da das
Physostigmin, was Winterberg ja bestätigt hat, den Puls auch am
atropinisirten Herzen verlangsamte, so konnten wir nach der damaligen
allgemeinen Voraussetzung nicht schliessen, dass die Verlangsamung auf
einer Vagusreizung beruhe. Die Verhältnisse des Blutdrucks gestalten sich
in der Physostigrainwirkung complicirter, weil Einflüsse vom centralen
Nervensystem aus durch die Vasomotoren etc. hinzukommen können, so
dass grössere Dosen den Blutdruck nachträglich zu erniedrigen scheinen.
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202
E. Harnack,
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Winterborg schliesst übrigens (Punkt 7 seiner Conclusionen), dass
das Physostigmin wahrscheinlich auch eine „dirccte Reizwirkung auf das
Herz u besitze, und ich glaube ihm darin beistimmen zu müssen. Das
würde sich übrigens meines Erachtens am besten am isolirten Warm¬
blüterherzen entscheiden lassen. Therapeutisch wäre wohl das
Physostigmin nicht nur bei tachykardischen Anfällen, die auf primärer
Herabsetzung des Vagustonus beruhen, sondern wahrscheinlich auch als
ein Herzanalepticum brauchbar, wenn es eben nicht durch die
schlimmen Wirkungen vom Centralnervensystem her so bald gefährlich
würde. Durch Morphin lassen sich diese Wirkungen zum Theii be¬
seitigen, soweit sie erregende sind, aber sie können leider rasch zu
lähmenden werden.
Zur Entscheidung der wichtigen principiellen Frage, von der ich
oben ausgegangen bin, ist aber von erheblicher Bedeutung der Punkt 8
der Conclusionen Winterberg’s: darnach wird nämlich innerhalb ge¬
wisser Grenzen nicht nur die Atropin- und Curare-, sondern auch
die Nikotinlähmung des Vagus durch Physostigmin aufgehoben.
Hier kann es sich doch nur um den nämlichen Nervenapparat handeln
und das Physostigmin bleibt also auch hier Sieger über die lähmenden
Gifte, genau wie an den willkürlichen Muskeln gegenüber dem Curare.
Damit wäre die frühere principielle Auffassung, dass solches nicht mög¬
lich sei, widerlegt und damit fiele zugleich auch der Zwang, die
Physostigminwirkung als directe Muskelwirkung zu deuten, weg. Auf¬
fallend bleibt indes, dass sowohl Pal wie Rothbcrger betonen, das
Physostigmin sei ein directer Antagonist des Curares, aber nicht des
Atropins, während Witkowski und ich und viele anderen Beobachter
eher das Umgekehrte beobachteten. Da ist unzweifelhaft noch ein ge¬
wisser Widerspruch im Thatsächlichen vorhanden und das* bringt mich
immer wieder auf Zweifel an der vollen Identität der Präparate, mag
aber vielleicht auch an gewissen Verschiedenheiten der Versuchs¬
bedingungen liegen.
Wie dem aber auch sein mag, so viel scheint doch zweifellos fest¬
gestellt zu sein, dass das Physostigmin bei bestimmten Combinationen
dem den gleichen Nervenapparat lähmenden Gifte gegenüber Sieger
bleibt. Damit gewinnt die Physostigminwirkung überhaupt ein be¬
sonderes Interesse, Man kann vielleicht nicht sagen, dass es in diesem
seinem Verhalten einzig dasteht, aber der Fall ist doch ein verhältniss-
mässig seltener, und andere den Nervenapparat erregende Gifte, wie
Muskarin etc., vermögen es eben nicht. Warum verhält sich gerade das
Physostigmin so? Hier wäre in der That die Beantwortung der Frage
nach dem Warum? von grösster Bedeutung.
Mit der thatsächlichen Anerkennung eines solchen Verhaltens des
Physostigmins fällt aber auch der Zwang zur Annahme einer directen
Muskelwirkung weg und fällt auch die früher allgemein acceptirte prin¬
cipielle Auffassung, von der ich bei meinen Darlegungen ausgegangen
bin. Berücksichtigt man das antagonistische Verhalten im Einzelnen, so
gewinnt man in der That den Eindruck, als ob das erregende und
das lähmende Gift sich um den Nervenapparat, auf den sie einwirken,
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lieber die Wirkungen des Physostigmins auf muskuläre Organe.
203
stritten, und dass es abgesehen von den Dosirungsverhältnisscn auch
von sonstigen Umständen abhängt, wer zeitweilig Sieger bleibt. Roth-
bcrger beobachtete, dass der durch Curare inactiv gemachte Muskel
durch Physostigmin wieder zur Function gebracht wird, am leichtesten
das Zwerchfell, aber auch alle sonstigen willkürlichen Muskeln, die dann
durch erneute Curarisirung wieder inactiv werden. Das zuletzt zu¬
geführte Gift erringt also einen gewissen Vorrang, durchaus analog dem,
was ich in Betreff des Verhältnisses: Physostigmin zu Atropin an der
Iris beobachtet habe. Giebt man das erregende und lähmende Mittel
zugleich gemengt, so überwiegt erheblich das letztere. Die beiden Gifte
wirken aber auf einander — im Reagenzglase — chemisch gar nicht
ein und es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie in dem lebenden Organe
direct auf einander einwirken. Man kann nur annchmen, dass das
zuletzt zugeführte das erste verdrängt, und war das erste das lähmende,
so kann eben die verloren gegangene Function wieder restituirt werden.
So hat uns die ungemein interessante Wirkung des Physostigmins
auf muskuläre Organe werthvolle Aufschlüsse gegeben und eine nicht
uncrheblicho Modificirung einer principiell-pharmakologischen Auffassung
veranlasst. Immerhin muss man zugeben, dass der Beweis, dass das
Physostigmin nicht auch auf muskuläre Elemente selbst ein wirkt, bisher
noch nicht strict hat geführt werden können: ich vermag denselben auch
nicht mit Sicherheit aus den Versuchen von Rothberger zu entnehmen,
obschon er selbst den Schluss zieht, dass Curare und Physostigmin auf
den nämlichen Angriffspunkt einwirken, was dann natürlich nur der
motorische Nervenendapparat sein könnte.
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Druck ron
.Schumacher in Berlin N. 24.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
EXPERIMENTELLE PATHOLOGIE
UND
THERAPIE
IIERAUSGEGEBEN
VON
L. BRIEQER (BERLIN), H. E. HERING (PRAG),
F. KRAUS (BERLIN), R. PALTAUF (WIEN).
FÜNFTER BAND. ZWEITES HEFT.
MIT 4 FIGUREN UND 33 CURVEN IM TEXT.
BERLIN 1908.
VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD.
NW. UNTER DEN LINDEN 68.
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Inhalt.
Seite
XVIIl Aus der I. medicini.schen Universitätsklinik in Wien Zur Aetiologic
und Pathogenese der Tetanie. Von Dr Carl Ru dinge r . . . . 205
XIX. Aus der II. medicin. Klinik der Universität Berlin. Zur Stoffwcchsel-
pathologie der Gicht. VII. Mittheilung. Das Verhalten verfütterter
Purinbasen bei der Gicht. Von Theodor Brugsch und Alfred
Schittenhelm (Mit 1 Curve im Text.) . .215
XX. Untersuchungen über die Blutgerinnung in Krankheiten. Von Prof.
Dr. Th. Pfeiffer (Graz).227
XXL Aus der II. medicin. Universitätsklinik in Berlin. Schilddrüse und
Glykosurie. Von Dr Itahel Hirsch.233
XXII. Aus der medicinischen Klinik der Universität Marburg a L. Zur
Pharmakologie der Kreislaufscoordination. Von V. Sonnen kalb.
(Curven in Diagrammformat am Ende der Arbeit).241
XXIII. Aus der experimentell-biolog. Abtheil, des patholog. Instituts Berlin.
Ergotina styptica und Herzarbeit. Nach Versuchen am überlebenden
Warmblüterherzen. Von G Zuelzer. (Mit 3 Figuren und 21 Curven
im Text.).295
XXIV. Ueber Versuche einer specitischen Fermenttherapie des Diabetes. Vor¬
läufige Mittheilung. Von G. Zuelzer. 307
XXV. Aus der II. medicin. Klinik Berlin. Abkühlung als Krankheitsursache.
Von Dr. Wolfgang Siegel, Arzt in Bad Reichenhall.319
XXVI. Aus der experimentell-biologischen Abtheilung des Pathologischen
Instituts der kgl. Universität Berlin. Untersuchungen über Pankreas¬
diabetes, besonders über das Blut der Vena pancreatico-duodenalis.
Von Dr. Alfred Alexander und Dr. Rudolf Ehrmann. . . . 367
XXVII. Aus dem pharmakolog. Institut der deutschen Universität in Prag.
Ueber Inositurie und die physiologische Bedeutung des lnosits. Von
cand. med. EmilStarkenstcin.378
XXVIII. Aus dem Laboratorium der Erlanger medicinischen Klinik. Ueber
den zeitlichen Ablauf der Uricolyse. Von Werner Künzel und
Alfred Schittenhelm.389
XXIX. Aus dem Laboratorium der Erlanger medicinischen Klinik. Gegen¬
seitige Beeinflussung der Fermente des Nucleinstoffwechsels. Von
Werner Künzel und Alfred Schittenhelm.393
XXX. Aus der II. medicin. Klinik der Universität Berlin. Ueber die Ab¬
sorption der Harnsäure durch Knorpel. Von Theodor Brugsch
und Julius Citron. 400
XXXI. Aus der II. medicin. Klinik Berlin. Zur Frage des Harnsäureinfarctes
der Neugeborenen. Von Theodor Brugsch und Alfred Schitten¬
helm .405
XXXII. Aus der inneren Abtheilung des Gemeindekrankenhauses in Pankow.
Zur Physiologie und Pathologie der Athmung. Von M. Bönniger.
(Mit 1 Abbildung und 2 Curven im Text.).409
XXXIII. Bemerkungen zu H. Kionka’s neuesten Beiträgen zur Kenntniss der
Gicht. (Diese Zeitschrift. 1908. Bd. V. II. I. S. 131—146.) Von
Theodor Brugsch und Alfred Schittenhelm.426
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XVIII.
Aus der I. mediclnischen Universitätsklinik in Wien.
Zur Aetiologie und Pathogenese der Tetanie 1 ).
Von
Dr. Carl Rudinger«
v. Frankl-Hochwart nimmt auch in der letzten Auflage seiner
Monographie „Die Tetanie der Erwachsenen“ die Art des Vorkommens
dieses Prozesses zur Grundlage einer Einteilung, die das klinisch ein¬
heitliche Krankheitsbild in 7 Typen auflöst 2 ). Die Voraussetzung, dass
dieses Eintheilungsprinzip der ätiologischen Forschung dienen könnte, hat
sich bis heute nicht erfüllt; dagegen erscheint mir die Bemerkung statt¬
haft, dass die Ueberschätzung des Grundleidens bei einzelnen Formen
wenigstens zur Negation der Selbstständigkeit der Tetanie geführt hat,
ohne dass die Erklärungsversuche diesem Vorgänge eine genügende Stütze
hätten geben können.
Besonders betont erscheinen diese Verhältnisse bei der sogenannten
Tetania gastrica. Eine ganze Anzahl von Hypothesen soll die Abhängig¬
keit des Krampfes von dem Magen- resp. Darmleiden beweisen. Aber
wie widersprechend alle diese Hypothesen sind, und namentlich wie wenig
befriedigende Aufklärung sie insgesaramt geben können, haben Jonas
und ich in einer kritischen Besprechung der Tetanietheorien dieser
Art gezeigt und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass man bei Be¬
rücksichtigung der später zu besprechenden Momente direkt gezwungen
ist, die Tetanie als einen selbstständigen Process anzusprechen.
Und wie bei der Magendilatationstetanie begnügte man sich bei den
1) Nach einem Vortrage in der Wiener Gesellschaft für innere Medicin am
7. November 1907.
2) I. Die Tetanie bei sonst gesunden Individuen (idiopathische Tetanie).
II. Die Tetanie bei Magen; und Darmaffectionen.
III. Die Tetanie bei acuten Infectionskrankheiten.
IV. Die seltenen Formen der Tetanien nach Vergiftungen mit eingeführten
Substanzen.
V. Die Tetanie der Maternität.
VI. Die Tetanie naoh Kropf-(Epithelkörperchen) Exstirpation und die bei
Schilddrüsenmangel (?).
VII. Die Tetanie im Zusammenhänge mit anderen Nervenkrankheiten.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. IM. | i
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206
C. Rud i nger,
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übrigen Formen mit dem post hoc ergo propter hoc, um zu einer
Aetiologie zu gelangen. Dieser Schluss ist aber nur für die nach Kropf¬
exstirpation auftretende Tetanie berechtigt. Von Nathan Weiss zuerst
in Verbindung gebracht mit dem operativen Eingriff, wurde ihre Ab¬
hängigkeit von den Epithelkörperchen erst in den letzten Jahren er¬
wiesen. Diese Beziehungen sind so sichergestellt, dass es mir über¬
flüssig erscheint, auf die Bedeutung noch näher einzugehen, die man vor
dieser Erkenntniss der Schilddrüse für das Zustandekommen der Tetanie
beigelegt hat.
Im Thierexperiment haben seit Vassale und Generali viele Unter¬
sucher Tetanie im Anschlüsse an die isolirte Exstirpation der Epithel¬
körperchen auftreten gesehen. Eine vollständige Parathyreoidektomic
lässt mit absoluter Sicherheit in jedem einzelnen Falle tetanische Krämpfe
erwarten, die, wie die Erfahrung lehrt, wenigstens bei einzelnen Thier¬
arten einen tödtlichen Ausgang nehmen. Nicht so constant ist der Aus¬
fall der partiellen Parathvreoidektomie; doch auch hier treten gelegentlich
ohne greifbare äussere Ursache vorübergehend tetanische Anfälle auf.
Ueber die Art des Zusammenhanges zwischen Epithelkörperchen und
Tetanie ist heute folgende, schon von Vassale inaugurirte Vorstellung
wohl die gangbare:
Die Epithelkörperchen sind entgiftende Organe. Ihre hauptsächliche
Funktion besteht darin, gewisse, vornehmlich das Nervensystem schädigende
Gifte zu neutralisircn. Der tetanische Krampf ist also das Resultat
zweier Factoren: der Functionsschädigung der Epithelkörperchen und
eines bekannten oder supponirten Giftes. Der erste Faktor allein genügt
für das Zustandekommen des tetanischen Anfalles nicht, er setzt aber
die Disposition und verräth sich durch die Zeichen, die das Bild der
latenten Tetanie ausmachen. Der zweite Faktor — das Gift jeder Art —
löst den tetanischen Anfall aus. 1 )
Die Regelmässigkeit tetanischer Anfälle aber bei graviden partiell
parathyreoidektomirten Thicren legt den Gedanken nahe, auch diese Form
der Tetanie mit dem Epithelkörpcrchcnverlust in Zusammenhang zu
bringen. Der Einwand, dass der Schluss von dem Einflüsse der Gravidität
auf das Zustandekommen der tetanischen Krämpfe nicht zwingend ist,
da dieselben ja auch sonst scheinbar spontan auftreten, wird durch eine
Beobachtung Erdheim’s widerlegt. Eine Ratte, die partiell parathv-
reoidektomirt wurde, blieb bis zum Eintritt der Gravidität gesund. In
diesem Zustande acquirirtc das Thier tetanische Krämpfe, die mit dem
Abschluss der Gravidität durch Abortus prompt schwinden. Beobachtungen,
die Adler und Thaler unter gleichen Verhältnissen an einer grösseren
Anzahl von Thieren angestellt haben, stützen durch den vollständig
übereinstimmenden Ausfall den Befund Erdheim’s. Wenn ferner eine
Hündin, der Vassale drei Epithelkörperchen entfernt hat, während der
ganzen Dauer der Laktation tetanische Anfälle hatte, die mit der Unter¬
brechung des Sauggeschäftes plötzlich schwanden, so wird man nur
1) Bei der spontanen Tetanie nach partieller Epithelkörperexstirpation bleibt
das auslösende Moment in der Kegel unbekannt.
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Zur Aetiologie und Pathogenese der Tetanie.
207
schwer den Einfluss der Laktation auf das Zustandekommen der Krämpfe
bei einem disponirten Thiere negircn können.
So hat also das’ Experiment für zwei Formen der Tetanie die
ätiologische Basis geschaffen. Einen vollständig übereinstimmenden Ver¬
gleich mit diesen Verhältnissen lässt die menschliche Tetanie nur in
einer Form zu. — Es ist dies die unbewusste oder ungewollte Mit¬
entfernung von Epithelkörperchen bei der Schilddrüsenopcration. Es
genügt wohl, dass ich auf die überzeugenden Ausführungen von Pineies
verweise, die die leichte Möglichkeit und grosse Wahrscheinlichkeit einer
Mitentfernung von Epithelkörperchen in allen jenen Fällen betonen, bei
denen sich nach Strumaoperationen Tetanie einstellte, und deren Folge¬
richtigkeit in den Ergebnissen der genauen anatomisch-histologischen
Untersuchungen Erdheim’s eine ausgiebige Bestätigung findet.
Stellt das Experiment und der chirurgische Eingriff eine Volums¬
verminderung des funktionsfähigen Epithelkörpergcwebes durch Ent¬
fernung ganzer Epithelkörperchen dar, so finden wir dasselbe Resultat in
einem, wenn der Ausdruck gestattet ist, zarter ausgeführten natürlichen
Experiment bei der Kindertetanie.
Erdheim fand bei Kindern, die zu Lebzeiten Tetanie aufgewiesen
hatten, Blutungen oder Reste derselben, Blutpigment, im Parenchym der
Epithelkörperchen. Für die Deutung dieses Befundes ist gewiss ent¬
scheidend, dass Erdheim mit der theoretisch fundirten Erwartung
Veränderungen dieser Organe zu finden, an die Untersuchung der Drüsen
ging. Wer aber sonst noch an ihren Beziehungen zu der Kindertetanie
zweifeln wollte, wird den Untersuchungen Yanasc’s, die eine folge¬
richtige Ausnützung der Erfahrungen Erdheim’s darstcilen, überzeugende
Beweiskraft nicht absprechen können.
Yanasc prüfte intra vitam die elektrische Erregbarkeit bei einer
grossen Zahl von Kindern ohne Rücksicht auf das Krankheitsbild und
verglich die Befunde in den verfügbaren Fällen mit den Ergebnissen der
histologischen Untersuchung der Epithelkörperchen. Er kam zu der
fast nicht mehr überraschenden Thatsache, dass der normalen elektrischen
Erregbarkeit eine normale Beschaffenheit der Epithelkörperchen entsprach.
Dagegen hatten alle Kinder unter einem Jahre, die eine elektrische
Uebcrerregbarkeit der Nerven aufgewiesen hatten, Blutungen in das
Parenchym der Epithelkörperchen, Blutungen, deren Ausdehnung parallel
ging dem Grade der elektrischen Uebererregbarkeit. Jenseits des ersten
Lebensjahres fänden sich Reste von Blutungen, in einzelnen Fällen war
der Befund ein normaler. Es sei schon hier hervorgehoben, dass zwischen
hochgradiger Veränderung und histologisch normaler Beschaffenheit der
Epithelkörperchen die Quantität des Blutpigmentes einen ganz allmählichen
Uebergang erkennen lässt. Da nun nach den Erfahrungen Erdheim’s
und Yanase’s die Blutung — sie erfolgt nach der Anschauung der beiden
Autoren in der ersten Zeit des extrauterinen Lebens — während des
ersten Lebensjahres zur Resorption gelangt, so ist damit die Annahme
gerechtfertigt, dass die histologisch unverändert gefundenen Epithel¬
körperchen vorher durch Blutungen geschädigt sein könnten. Dass aber
auch im späteren Kindesalter solche Veränderungen Vorkommen,
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208
C. Rudinger,
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demonstriren zwei Fälle Yanase’s, ein 2 1 / 2 .iähriges und ein 12 Jahre
altes Kind, die unter Convulsionen tetanischen Charakters ad finem ge¬
kommen waren. In beiden Fällen war ßlutpigraent in den Epithel¬
körperchen nachweisbar.
Eine besondere Bedeutung gibt den Befunden Yanase’s die Be¬
rücksichtigung des Umstandes, dass eine grosse Zahl der untersuchten
Kinder nur die Zeichen latenter Tetanie bot. Der Nachweis derselben
ist meist ein zufälliger. Die Zeichen der latenten Tetanie müssen direkt
gesucht werden, sonst entgehen sie der Beobachtung. So sind also
Befunde von Veränderungen der Epithelkörperchen, die, wie es in den
Publikationen in der Regel heisst, ohne Zeichen der Tetanie — i. e. im
gewöhnlichen Sprachgebrauch ohne Krämpfe — einhergingen, keineswegs
als Gegenbeweis für die den Epithelkörperchen supponirte funktionelle
Bedeutung zu verwerthen. Solange man nicht in jedem einzelnen Falle
sein Augenmerk auf die latente Tetanie richtet, solange darf man aus
dem zufälligen Befunde an den Epithelkörperchen keinen Zweifel an den
Beziehungen dieser Organe zur Tetanie construiren.
In den letzten Jahren häufen sich die Berichte über Befunde von
Tuberkulose der Epithelkörperchen (Benjamins, Schmorl, König¬
stein, Pepere, Carnot und Delion, Stumme). Die letzten zwei
Autoren berichten über Tetaniesymptome, die bei den Kranken nach¬
gewiesen werden konnten. Im Falle Stumme’s bestand das Chvostek’sche
Phänomen. Dieser Fall bietet ein besonderes Interesse, weil er eine
Basedowkranke betraf, die einer Strumektomie unterzogen wurde. Das
Facialisphänomen war vor der Operation s N chon nachweisbar und über¬
dauerte dieselbe, während die Basedowsymptome bei der 5 Monate
später angestellten Untersuchung eine wesentliche Besserung des Zu¬
standes verriethen. Bei der Untersuchung der entfernten Strumapartie
wurde ein makroskopisch scheinbar normales Epithelkörperchen gefunden,
das mikroskopisch im Centrum einen käsigen Herd erkennen liess. Bei
dieser Gelegenheit möchte ich auf die Häufigkeit des Chvostek’schen
Phänomens bei Phthisikern hinweisen. v. Frankl-Hochwart hob diese
Coincidenz als erster hervor; Schlesinger fand es bei 133 Tuberkulösen
64 mal und hält es geradezu für ein Frühsymptom der Lungen¬
tuberkulose. Ich glaube aber, dass man mit Rücksicht auf den eben
geschilderten Befund dieses Zeichen doch der Tetanie wird zurechnen
müssen, wie es in letzter Zeit mit starker Betonung Chvostek unter
Anlehnung an diesen Fall thut.
Die Patientin von Carnot und Delion wies in den letzten Tagen
typische tetanische Krämpfe auf. Die histologische Untersuchung der
Epithelkörperchen ergab tuberkulöse Veränderungen derselben.
Der wichtigste Schluss, den man aber aus dem Zusammentreffen
von latenter oder manifester Tetanie und Tuberkulose der Epithel¬
körperchen ziehen darf, ist der, dass die Ergebnisse der experimentellen
Tetanieforschung ohne jede Einschränkung für die Deutung der mensch¬
lichen Tetanie herangezogen werden dürfen. Alle Arten der Epithel¬
körperchenschädigung — operative Entfernung, Blutung und Tuberkulose —
bedeuten eines: eine Verminderung des funktionsfähigen Parenchyms.
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Zur Aetiologie und Pathogenese der Tetanie.
209
Es liegen hier offenbar die Verhältnisse viel klarer und einfacher, als
z. B. bei den Schilddrüsenprocessen. Nichts lässt sich gegen den Ge¬
danken einwenden, dass die Tetanie oder wenigstens die Disposition zu
derselben eine Folge quantitativer Veränderungen der Epithelkörperchen
ist, ein Effekt, der sich im Experiment sehr leicht erreichen lässt.
Unter dieser Beleuchtung gewinnen die Versuche von Erd heim,
Thaler und Adler wesentlich an Bedeutung. Sie beweisen, dass die
Gravidität eines der vielen Momente darstellt, die den tetanischen Krampf
auslösen können. Ganz analoge Fälle finden sich aber auch in der
menschlichen Pathologie. Frauen, die nach Strumcktomie eine passagere
Tetanie acquirirt haben oder tetaniefrei geblieben sind, weisen in der
Gravidität eine Exacerbation oder erstmaliges Auftreten der tetanischen
Krämpfe auf. Lässt sich die Thatsache auch nicht verschleiern, dass
es sich um parathyreoprive Formen handelt, so ist doch die Frage ge¬
stattet, ob man aus der Unmöglichkeit in vivo eine organische Ver¬
änderung der Epithelkörperchen nachzuweisen das Recht beziehen darf
zu der Annahme, dass dieselben normal sind. Ich glaube, die bis¬
herigen histologischen Befunde sprechen eher für das Gegentheil, und cs
erscheint mir nicht gewagt, den einzigen Unterschied zwischen der
spontanen und der postoperativen Graviditätstetanie darin zu suchen,
dass bei der letzten Form die Ursache der Disposition bekannt ist,
während bei der ersteren diese selbst nur supponirt wird.
So bleiben denn drei Formen der v. Frankl-Hochwart’schen
Tetanieeintheilung übrig, bei denen der Nachweis der Beziehungen zwischen
Epithelkörperchen und Tetanie bisher weder durch histologische noch
durch experimentelle Befunde erbracht werden konnte: die epidemisch-
endemische Tetanie der Handwerker, die Tetanie bei Magen- und Darm¬
affektionen und die Tetanie nach Vergiftung mit eingeführten Substanzen.
Bezüglich der letzten Form bringen, glaube ich, die Versuche, die
ich mit weil. Dr. Arthur Berger im Jahre 1905 begonnen und in
diesem Jahre zu Ende geführt habe, einige Aufklärung. Ich will die
Resultate nur kurz skizziren, um nicht durch allzulange Ausdehnung der
Details den Zusammenhang zu stören.
Dem Versuchsplan lag folgender Gedankengang zu Grunde: Wenn
es wahr ist, dass alle Tetanieformen einen pathogenetisch einheitlichen
Process darstellen, dann muss es gelingen bei Thieren, die zu Tetanie
disponiren, durch alle bisher als ätiologischen Faktoren angesprochenen
bekannten Gifte einen Tetanieanfall auszulösen, dagegen muss bei Thieren
ohne tetanische Disposition das in gleicher Weise eingeführte Gilt die
oben erwartete Wirkung vermissen lassen.
Als Versuchsmaterial verwendeten wir Katzen. In leichter Narkose
wurde die elektrische Erregbarkeit geprüft, darauf in mehrtägigen Inter¬
vallen den Thieren folgende Gifte einverleibt: Calomel per os, Morphium,
Atropin, Tuberculin und Ergotin subcutan und Aether durch Inhalation.
Die Thiere Hessen keine Störung des Befindens erkennen, die elektrische
Erregbarkeit blieb unverändert, Trousseau negativ. Nach Exstirpation
der beiden äusseren Epithelkörperchen wurden die Thiere einer litägigen
Beobachtung unterzogen. Anfangs verwendeten wir nur jene Katzen
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210 C. Rudinger,
zu weiteren Versuchen, die kein Zeichen spontaner manifester Tetanie
boten. Später verwendete ich auch Thierc, die im Anschluss an die
Operation eine passagere Tetanie acquirirt hatten, da die Wirkung des
eingeführten Giftes eine eng umschriebene war, und die eventuell auf¬
tretenden Krämpfe bei ihrer zeitlichen Begrenzung nur darauf zurück¬
geführt werden konnten, ln der Regel wurden die Katzen erst nach
14 Tagen einer Prüfung der elektrischen Erregbarkeit unterzogen, die
nur in leichter Narkose mit der nothwendigen Ruhe durchgeführt werden
konnte. Die Untersuchung wurde am Ulnaris angestellt und hatte als
Resultat ausnahmslos eine elektrische Ucberregbarkeit hohen Grades.
Zum Zwecke des Nachweises, in welchem Zeitpunkt sich dieselbe ein¬
stellt, wurde bei einzelnen Thieren die Beobachtungsfrist verkürzt, und
so konnte ich schon am Ende der ersten 24 Stunden das Phänomen der
elektrischen Uebererregbarkeit constatiren. Normalerweise reagirte der
Ulnaris auf K. S. bei 1,2 M. A., auf A. S. bei 2,5—3 M. A. mit minimaler
Zuckung. Nach der Operation war bei 0,3 K. S. und 0,7—1,0 A. S.
eine deutliche Zuckung nachweisbar. Spontane manifeste Krämpfe
wurden in der Zwischenzeit bei der Mehrzahl der Thiere nicht gesehen.
Nach Einverleibung der oben cingeführten Gifte zeigten die Thierc schon
in den ersten 10 Minuten bis 2 Stunden die ersten Zeichen der Tetanie,
die im Verlaufe der nächsten Stunden ihren Höhepunkt erreichte und
dann allmählich abklang. Am nächsten Tage war höchstens vereinzeltes
Pfötchenschütteln zu sehen. Der Grad der manifesten Tetanie war bei
den verschiedenen Thieren ein verschiedener. Einen epileptiformen Anfall
habe ich mit absoluter Sicherheit eigentlich nicht gesehen. Ein einziges
Thier stürzte beim Erwachen aus einer sehr tiefen, lange dauernden
Narkose, in deren Verlaufe das Thier mehrmals asphyktisch geworden
war, nach einigen unsicheren Schritten plötzlich zusammen, wies klonisch¬
tonische Zuckungen auf, reagirte nicht auf Schieben und Stossen. Die
Pupillen waren stark dilatirt. Der Anfall dauerte fast 3 / 4 Minuten.
So ähnlich der Anfall einem epileptischen auch war, so möchte ich ihn
doch nicht damit identificiren, da mir die Nähe der Narkose an der
Bewusstlosigkeit wenigstens mitschuldig zu sein scheint. Sonst sah ich
als schwersten Grad des tctanischen Krampfes das Auftreten am Fuss-
rücken recht häufig.
Diarrhoen nach Milchgenuss oder Einführung von Phenolphthalein
blieben ohne jeden Einfluss; desgleichen traten nach Injektion von 15 bis
20 ccm Serum oder nativen Blutes tetaniekranker Arbeiter Krämpfe
nicht auf. Es entsprach dies unseren Erwartungen; denn erstens glaubten
wir doch die Menge des cinzuführenden Blutes beschränken zu müssen
und begaben uns damit der Möglichkeit, eine genügende Toxindosis dem
thierischen Organismus cinzuvcrleibcn, und zweitens dürfte* die in einem
Zeitpunkte in der Blutbahn circulierende Toxinmenge an und für sich
keine zu bedeutende sein; es scheint sich um einen Nachschub von
Toxinen aus irgend einer Quelle zu handeln, sonst wäre der inter-
mittirendc Charakter der Krämpfe schwer zu verstehen.
Die Resultate dieser Versuche kurz zusammengefasst ergeben also:
Bei Thieren mit tetaniseher Disposition, jedoch ohne manifeste Krämpfe,
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Zar Aetiologie und Pathogenese der Tetanie.
211
gelingt es durch Einverleibung verschiedener Gifte einen tetanischen
Krampfanfall auszulösen. Dieses Ergebnis deckt sich vollständig mit den
Voraussetzungen, mit denen wir an die Versuche gegangen waren. Das
Experiment hat also die Zugehörigkeit einer neuen Tetaniegruppe —
die seltenen Tetanien durch Vergiftung mit eingeführten Substanzen —
zur Tetanie aus Insufficienz der Epithelkörperchen erwiesen, und ich
stehe nicht an, diese Erfahrung auf die menschliche Tetanie zu über¬
tragen.
So zieht sich immer enger der Kreis um jene Gruppen von Tetanie,
hei denen der direkte Nachweis zwischen Beziehungen der Epithel¬
körperchen zur Tetanie noch nicht erbracht ist. Die ätiologische
Forschung hat bisher aber soviel Positives gebracht, dass cs mir heute
ein viel geringeres Wagnis erscheint zu wiederholen, was Pineies vor
einigen Jahren mit grosser Schärfe vorgebracht hat, ohne jedoch trotz
der guten theoretischen Fundirung die allgemeine Zustimmung erlangt zu
haben. Heute erscheint die Wahrheit seiner These durch die experi¬
mentellen und anatomischen Befunde sehr gestützt, die lautet: Die ver¬
schiedenen Tetanieformen stellen pathogenetisch einen einheitlichen Prozess
dar, dem eine Insufficienz der Epithelkörperchen zu Grunde liegt. Die
Ursache derselben, also die Aetiologie im engen Sinne, kann eine ver¬
schiedene sein, für die Pathogenese des Processes ist das ganz irrelevant.
Diesen theoretischen Ausführungen geben die histologischen und experi¬
mentellen Ergebnisse die thatsächliche Grundlage.
Für die Zugehörigkeit der epidemisch-endemischen Arbeitertetanie
und der gastrischen Tetanie zu der Tetanie aus Insufficienz der
Epithelkörperchen spricht, wie dies Jeandelize schon ausführt, die
vollständige Uebereinstimmung des Symptomencomplexes, der das Krank¬
heitsbild begrenzt; ferner spricht dafür der Einiluss der Oertlich-
keit und der Jahreszeit. Das sind zwei Momente, die allen Tetanie¬
gruppen gemein sind, und die sogar sehr deutlich selbst bei den Fällen
nach Kropfexstirpation hervortreten, bei denen man von vornherein eine
Abhängigkeit von Zeit und Ort am wenigsten erwarten würde.
Bezüglich der Magendilatationstetanie liegen negative histologische
Befunde seitens Erd heim vor, der auch die Veränderungen, welche
Mac Callum bei einem Falle von Magentetanie an den Epithelkörperchen
fand, als nicht ausreichend erklärte, um daraus eine Insufficienz der
Epithelkörperchen zu deduciren. Erd he im glaubt den Widerspruch so
aufklären zu können, dass er annimmt, es bestehe in diesen Fällen nur
eine relative Insufficienz der Epithelkörperchen. Ihre Function sei für
normale Verhältnisse ausreichend, werde aber bei der plötzlichen Ueber-
schwemmung des Organismus mit Darmgiften unzureichend. Ich glaube,
dass man zu dieser Concession gar nicht gezwungen ist, denn erstens
erscheint es, wie Escherich sagt, unzulässig, den hypothetischen Darm¬
giften neben so vielen anderen auch noch diese eigenartige, scharf
charakterisirle Wirkung zuzuschreiben, andererseits wäre die Seltenheit
der Tetanie bei Magen- und Darmerkrankungen nicht zu verstehen und
besonders, warum Ort und Zeit auch bei dieser Form der Tetanie eine
so bestimmende Rollo spielt.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
212
C. Rudinger,
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Von 33 Kranken — diese Statistik ist der Monographie von
v. Frankl-Hoch wart entnommen — entfielen auf die tetaniereichen
Monate November bis April 82 pCt., auf die Sommermonate (April bis
Oktober) 18 pCt. v. Frankl-Hoch wart hebt diese in ihrer Bedeutung
vielfach unterschätzte Thatsache hervor. Jonas und ich haben in An¬
lehnung an diese Forschungsrichtung das Material gesichtet und auf
den auffälligen Umstand hingewiesen, dass es Fälle von recidivirender
Magentetanie gibt, die mit Ueberspringung der tetaniearmen Sommer¬
monate im Frühjahr und Spätherbst Krampfanfälle zeigen. „Es wäre“ —
sagt v. Frankl-Hoch wart — „ja doch nicht unmöglich, dass auch
der Ausbruch dieser Formen von einem uns unbekannten Agens abhängt?“
Die Annahme einer specifischen Disposition passt sich viel besser
dem Charakter des Processes an, als die Annahme, dass die Ursache
in der Wirkung nicht fassbarer Darmgifte zu suchen sei, deren Pro¬
duction ja doch nur von der chronischen Darmveränderung abhängt und
nicht von der Jahreszeit. Für die negativen Befunde Erdheim’s an den
Epithelkörperchen will ich bei der Besprechung der letzten Form der
Tetanie — der epidemisch-endemischen der Handwerker — eine Er¬
klärung zu geben versuchen.
Auch bei der Arbeitertetanie ist eine strenge Scheidung zwischen
Disposition und auslösenden Factoren einzuhalten. Einen günstigen Aus¬
gangspunkt für die Beurtheilung dieser Momente scheinen mir jene Fälle
zu bieten, bei denen es zu einer Concurrenz verschiedener auslösender
Processe kommt. Fälle dieser Art sind nicht zu selten, als Paradigma
sei eine Beobachtung Chvostek’s hier kurz angeführt. Im Jänner
acquirirt eine Dienstmagd im Anschluss an einen fieberhaften Magen-
process eine typische Tetanie. Nach Abklingen der Erscheinungen treten
3 Wochen später intermenstruell abermals Krämpfe auf, die einen Tag
anhalten. Eine 10 Tage später applicirte Tuberculininjection löst auf
der Höhe der Temperatursteigerung einen neuerlichen Anfall aus. Nach
einem krampffreien Intervall von einigen Tagen erkrankt die Patientin
an einer Angina, die 4 Tage dauert und in deren Verlaufe gehäufte An¬
fälle zur Beobachtung kommen. Dann schliessen sich an die Menstruation
14 Tage später neuerliche Krämpfe an.
Die Vielseitigkeit der auslösenden Factoren ist an diesem Falle
gerade zur Genüge demonstrirt. Jeder einzelne Krampfanfall reiht den
Fall in eine andere Tetaniegruppc ein. Sollte da nicht der Gedanke
gerechtfertigt sein, dass es sich nur um eine Coincidenz verschiedener
Noxen handelte, die eine bestehende tetanische Disposition manifest
werden Hessen. Ohne Annahme einer einheitlichen Disposition zur
Tetanie ist der Fall nicht verständlich. Die Disposition wäre, wenn ein
Analogieschluss hier gestattet ist, der auf anderen Gebieten medicinischcr
Forschung durchaus nicht so verpönt ist, in einer Insufficicnz der Epithel¬
körperchen zu suchen. Dunkel bleibt allerdings bei der Unmöglichkeit
einer directen Inspection dieser Organe in vivo die Ursache der Functions¬
schädigung. Unberechtigt erscheint mir die Annahme einer Insufficicnz
der Epithelkörperchen aber durchaus nicht. Es liegen hierfür ziemlich
Gck igle
Original fro-m
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Zur Aetiologie und Pathogenese der Tetanie.
213
zahlreiche stützende Befunde vor. Ira Falle von Carnot und Delion
bestand intra vitam Tetanie, die histologische Untersuchung ergab
Tuberculose der Epithelkörperchen. Bei den Fällen von Kindertetanie
wurde zu Lebzeiten der Bestand von Veränderungen der Epithelkörperchen
auch nur vermuthet; die Nekropsie gab dieser Vermuthung recht. Ist es
da so ferne liegend, die Disposition zu tetanischen Krampten auch bei
der Handwerkertetanie in einer Insufficienz der Epithelkörperchen zu
suchen? Ihre Ursache wird intra vitam immer unbekannt bleiben. Die
bisherige Erkenntniss gibt uns jedoch das Recht zu behaupten, dass die
Ursache der Insufficienz eine vielseitige sein kann. Abgesehen von der
Entfernung der Epithelkörperchen beim chirurgischen Eingriff dürfen wir
die Tuberculose und die Blutung als Ursachen der Epithelkörperinsufficienz
ansprechen. Vielleicht werden sich noch andere Processe finden, die
zu einer Destruction der Epithelkörperchen führen, ohne deren Function
zu übernehmen, und sicherlich wird es Fälle geben, bei denen die histo¬
logische Untersuchung resultatlos bleiben, d. h. eine Veränderung gar
nicht nachweisbar sein wird. Zum Vcrständniss dieser Fälle tragen die
Untersuchungen Yanase’s wesentlich bei. Sie beweisen, dass eine ein¬
mal gesetzte Organveränderung ihren schädigenden Einfluss auf die
Function der Epithelkörperchen selbst dann noch nachwirken lässt, wenn
eine sehr weit vorgeschrittene Restitution den ursprünglichen Defekt des
Parenchyms fast vollständig verdeckt hat. Diese Erscheinung lässt die
Vorstellung zu, dass es Noxen geben könnte, die ohne eine histologische
Veränderung der Epithelkörperchen zu erzeugen, doch ihre Function an¬
greifen können. Aufgabe der weiteren ätiologischen Forschung könnte
es sein, dieser Noxe nachzugehen, ihre Wirkung — das möchte ich aber
doch aussprechen — wird bei allen Tetanieformen in einer Insufficienz
der Epithelkörperchen ihren Ausdruck finden.
Literatur.
v. Frankl-Hoch wart, Die Tetanie der Erwachsenen. Alfred Holder. 1907.
Rudinger u. Jonas, Ueber das Verhältniss der Tetanie zur Dilatatio ventriculi.
Wiener kl. therap. Wochenschr. 1904. No. 1.
Vassale u. Generali, Sugli effeti delfestirpazione delle ghiandole paratiroidee.
Rev. d. pat. nerv, et ment. 1896. Vol. 1. Fase. 3 e 7.
Nathan Weiss, Ueber Tetanie. Volkmann’s klin. Vortr. 1880.
Erdheim, Tetania parathyreopriva. Mitth. aus d. Grenzgeb. d. Med. u. Cliir.
XVI. 4 u. 5.
Adler u. Thaler, Discussion zu Erdheim. Wiener klin. Wochenschr. 1906. S. 779.
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p. 491.
Yanaso, Ueber Epithelkörperbefunde bei galvanischer Uebererregbarkeit der Kinder.
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Schmorl, Münch, raed. Wochenschr. 1907. S. 494.
Königstein, Wiener klin. .Wochenschr. 1906. S. 779.
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Original fro-m
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214
C. Rudinger, Zur Aetiologie und Pathogenese der Tetanie.
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Pepere, Le ghiandole paratiroidce. Turin. 1906.
Carnot u. Delion, Parathyroidito tubcrculeuse. C. R. de la Soc. de Riol. LIX.
Stumme, Ein Kall von Basedow mit Tuborculose einer Glandula parathyreoidea.
Dtsch. Zeitschr. f. Chir. Bd. 90. 1907.
Schlesinger, Heber einige Symptome der Tetanie. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 19.
Chvostek, Beiträge zur Lehre von der Tetanie. Wiener klin. Wochenscb. 1907.
No. 17 u. 21.
Mac Call um, Tumor of the parathyroid gland. The Johns Hopkins Hosp. Bull.
1905. No. 168.
Escherich, Zur Kenntniss der teianischen Zustände des Kindesalters. Münch, med.
Wochen sehr. 1907.
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Original fru-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XIX.
Aus der II. medicin. Klinik der Universität Berlin.
Zur Stoffwechselpathologie der Gicht.
VII. Mittheilung 1 2 ).
Das Verhalten verfütterter Purinbasen bei der Gicht.
Von
Theodor Brugsch und Alfred Schittenhelm.
(Mit 1 t'wrvo iiu Text.)
Wir hatten in früheren Versuchen gefunden, dass es sich bei der
Gicht (d. h. der sogenannten „Stoffwechselgicht 142 ) um eine Anomalie des
ganzen fermentativen Systems der Harnsäurebildung und Harnsäure¬
zerstörung, also des Nucleinstoflwechsels handelt. Diese Anomalie
charakterisirt sich durch eine verlangsamte und verringerte Harnsäurc-
bildung und durch eine verlangsamte Harnsäurezerstörung. Die Ver¬
langsamung des Purinstoffwechsels betrifft nicht nur den endogenen Factor
der Harnsäurebildung bezw. -Zerstörung, sondern auch den exogenen.
Wir haben in unserer Mittheilung VI unsere diesbezüglichen Er¬
gebnisse zusammengefasst und können auch dort auf deren Begründung
verweisen.
Unsere damaligen Versuche waren mit Verfütterung von Nuclein-
säure angestellt, indessen schon damals hatten wir betont, dass bei der¬
artigen Versuchen eine Reihe fermentativer intermediärer Processe, die
den stufenweisen Abbau der Nucleinsäure bis zur Harnsäure vermittelt,
einzeln zu verfolgen ist. So muss die Nucleinsäure durch die Darm¬
wand resorbirt werden, dann in der Darmwand und vielleicht in anderen
Organen durch ein Ferment (Nuclease) gespalten werden; die ammoniak¬
haltigen Basen (Guanin und Adenin) müssen weiter durch ein Ferment
(Purindesamidase — Schittenhelm) desamidisirt und das gebildete
Xanthin bezw. Hypoxanthin durch eine Xanthinoxydase in Harnsäure
übergeführt werden; die Harnsäure wird schliesslich durch ein uriko-
lvtisches Ferment wieder zerstört, wobei Harnstoff bezw. Ammoniak ent-
1) Cf. hierzu Brugsch-Schittenhe 1 m, Diese Zeitschrift. 1907. Bd. 4 Mit¬
teilung 1 — VI, ferner diese Zeitschrift. Bd. 2.
2) Centralbl. für StotTwechselpathologie. 1907. No. 22.
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Original ftom
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216
Th. Brugsch und A. Sch ittenhelm,
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steht, zum Theil unverändert ausgeschieden. Man hat also eine Summe
von fermentativen Processen vor sich, die man im einzelnen nicht
beurtheilen kann, wenn man sich auf die Verfolgung des exogenen Purin¬
stoffwechsels nach Verfütterung von Nueleinsäure beschränkt.
Schon damals hoben wir hervor, dass wenn man aus dem sogenannten
exogenen Harnsäurestoffwechsel auf den endogenen Hamsäurestoffwechsel
Rückschlüsse ziehen will, dass man dann nicht nur versuchen müsste,
Anhaltspunkte über die Harnsäureelimination zu gewinnen, sondern auch
über die Harnsäurezerstörung und über die Grösse der Harnsäurebildung.
Wir hoben hervor, dass die Grösse der Harnsäurebildung sich in
detaillirter Weise dadurch zeigen liesse, dass man statt Nueleinsäure
Xanthin, Hypoxanthin, weiter dann Adenin und Guanin einzeln ver¬
füttert, schliesslich auch methylirtc Purine und dass man die Menge der
ausgeschiedenen Basen, der Harnsäure und des Harnstoffes bestimmt
Dieser Aufgabe haben wir uns nachträglich unterzogen und wenn
unsere Versuche auch noch nicht als abgeschlossen gelten können, vor
allem weil uns das Material zur Verfütterung nicht in so reichlichem
Maasse zur Verfügung stand, dass wir unsere Versuche im grossen Maass¬
stabe durchführen konnten, so glauben wir doch, dass die Versuche
geeignet sind, unsere Kenntniss vom Wesen der Gicht insofern zu ver¬
tiefen, als dadurch der Anfang gemacht ist, gewisse Anhaltspunkte über
die Leistung specieller Fermente bei der Gicht im Stoffwechsel versuche
zu gewinnen.
Unseren Beobachtungen liegen Stoffwechselversuche an einem 48 jährigen
Kellner zu Grunde.
Diagnose: Arthritis urica. In der Anamnese keine gichtische Here¬
dität. 1890 zum ersten Male typischer Gichtanfall in beiden Grosszehen¬
gelenken und im linken Fussgelenke. Seitdem ab und an kleine Tophi an
den Ohrmuscheln. Seit 1890 jährlich wiederholt Gichtanfälle. Ende
November 1907 letzter Gichtanfall (Grosszehengelenk rechts; Knie¬
gelenk und Fussgelenk rechts, einige Zeit später wird in gleicher Weise
auch das linke Bein heimgesucht). Anfang Dezember Einlieferung in die
Charite. Während des Aufenthaltes hier (3. Dezember 1907 bis 25. Januar
1908) kein Anfall. Potus (Bier) zugegeben.
Status: mittelgrosser Patient, kräftig gebaut, gutes Fettpolster.
Gewicht 76 kg.
Innere Organe ohne Befund. Linke Ohrmuschel zeigt einige kleine
stecknadelkopfgrosse, Harnsäure (Murexidprobe) enthaltende Tophi. Urin
frei von pathologischen Bestandteilen.
Der Patient wurde vom 4. Dezember an auf eine purinfreie Diät ge¬
setzt, die etwa 8—8,5 g Stickstoff pro Tag enthält; 3 Tage später wird
der Stoffwechselversuch begonnen.
Unser Gichtiker, der sich jenseits des akuten Stadiums befindet,
zeigt einen niedrigen endogenen Harnsäurewerth (unternormalen Werth
zwischen 0,0—0.3 1 ), wie er nach unseren Untersuchungen für die Mehr¬
zahl der Gichtiker charakteristisch ist. Das Verhältnis des Harnsäure-
1) Vergl. Brugsch-Schittenhelm, diese Zeitschrift. Bd. IV. S. 493.
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Zur Stoffwechselpathologie der Gicht.
Periode I.
217
Tag
No.
Urin¬
menge
N
Ü-N
Ü in g
Basen-N
Ü-N
Basen-N
1
1000
6,16
0,0896
0,2688
0,0056
16
2
1540
7,837
0,0914
0,2742
0,0061
15
3
\ 1210
7,054
0,0996
0,2988
0,0095
10,5
4
f 1210
7,054
0,0996
0,2988
0,0095
10,5
5
1400
7,560
0.0952
0,2856
0.0080
11,9
Durchschnitt
0,0951
0,2852
0,0077
Stickstoffes zum Basenstickstoff schwankt über 10, ist also eher hoch,
denn niedrig zu bezeichnen (Periode I).
Wir haben nun diesem Gichtiker zunächst in zwei Perioden je 1 g
chemisch reinen Hypoxanthins verfüttert 1 ).
Periode II.
Tag
No.
Urin¬
menge
N
Ü-N
Ü in g
Basen-N
Ü-N
Basen-N
6
1400
7,784
0,1436
0,4308
0,0080
18
1 g Hypoxanthin
7
1250
7,165
0,1006
0,3018
0,0062
16
per os.
8
1400
7,240
0,0948
0,2844
0,0067
14
9
1440
7,450
0,0887
0,2661
0,0069
13
Periode
III.
Tag
No.
Urin¬
menge
N
Ü-N
Ü in g
Basen-N
Ü-N
Basen-N
10
1600
7,846
0,1462
0,4386
0,0082
18
1 g Hypoxanthin
11
1200
7,762
0,0856
0,2568
0,0056
15
per os.
12
1050
7,362
0,0738
0,2314
0.0065
11
13
740
7,571
0,0786
0,2358
0,0060
12
Verfolgt man die Harnsäurestickstoffausscheidung in der II. Periode,
so erhebt sich der Harnsäurewerth am sechsten Tage, dem Tage, an
dem Mittags 12 Uhr 1 g Hypoxanthin verabreicht wurde, auf 0,1436 g;
er überragt also um 0,1436—0,0951 g = 0,0485 g den endogenen Harn¬
säurewerth der Vorperiode J. Am Tage danach übersteigt der Harn-
säure-N-Werth noch um 0,1006—0,0951 = 0,0055 den endogenen
Harnsäure-N-Werth und am 8. Tage ist der normale endogene Harnsäure-
N-Werth wieder erreicht. Es sind mithin im ganzen 0,0540 g Harnsäure-N
auf das verfütterte Hypoxanthin zu beziehen. Da 1 g Hypoxanthin =
0,412 g Stickstoff enthält, sind von diesem Hypoxanthin-N 13,1 pCt. als
Harnsäure-N wieder zum Vorscheine gekommen. Da sich der Basen-N am
Tage und Nachtage der Hypoxanthinverfütterung nicht vermehrt hat (eine
renale Retention von Harnsäure müssen wir nach unseren bereits früher
1) Das Hypoxanthin wurde uns in freundlichster Weise von der chemischen
Fabrik Böhringer und Söhne in Waldhof bei Mannheim zur Verfügung gestellt.
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218
Th. Krugs ch und A. Schiiten he Im
publicirtcn Erfahrungen bei der Gicht ablehnen), so bleibt keine andere Er¬
klärung übrig, sofern die Resorption des Hypoxanthins vollständig war, und
dafür spricht die Kothanalyse beim nächsten Hypoxanthinversuch in der
Periode III, dass die fehlenden 86,9 pCt. des Hypoxanthin-N als Harn¬
stoff bezw. Ammoniak ausgeschieden worden sind.
Ganz ähnlich gestalten sich die Verhältnisse der Hypoxanthinver-
fiitterung am 10. Tage in der Periode III. Es wird hier auf 1 g Hypo¬
xanthin für 0,1462—0,0951 g Ü-N = 0,0511 über den endogenen Werth
mehr ausgeschieden, während allerdings der Harnsäure-N-Werth des
11. Tages, also des Nachtages bereits etwas unter dem durchschnittlichen
endogenen Werthc der I. Periode liegt. Auch am 11. und 12. Tage zeigt
sich der endogene Basenwerth nicht nennenswerth verändert. Es sind also
von dem verfütterten Hypoxanthin-N (= 0,412 g N) in der 111. Periode
als Ü-N 12,4 pCt. wieder zum Vorschein gekommen. Da der Basen-N
des Kothes der ganzen III. Periode 0,0336 g N beträgt, so ist anzunehmen,
dass das Hypoxanthin hier ganz und gar resorbirt worden ist; wir
müssen also schliessen, dass die fehlenden 87,6 pCt. des Hypoxanthin-N
als Harnstoff-N bezw. NH 3 -N wieder zum Vorschein gekommen sind.
Betrachtet man die Harnsäure-Curvc mach der Hypoxanthincin-
wirkung unter den Gesichtspunkten, unter denen wir früher (l. c.) die
Harnsäure- und Basenausscheidung nach Nucleinsäurevcrfütterung be¬
trachtet haben, so fällt vor allen Dingen die Schnelligkeit auf, mit der
das Hypoxanthin in Harnsäure übergeführt wird und ferner die gering
anhaltende Nachwirkung auf die Harnsäureausscheidung. Es bleibt dafür
keine andere Erklärung übrig als die, dass die Harnsäurebildung
aus Hypoxanthin beim Gichtiker relativ schnell vor sich geht.
Es ist zweckmässig, hier das Verhalten des Gesunden gegenüber der
Hypoxanthinverfüttcrung entgegenzustellen.
Martin Krüger und Julius Schmid haben s. Zt. sehr exakte
Versuche über die Entstehung der Harnsäure aus freien Purinbasen 1 )
angestellt und wir führen, um die Verhältnisse der Hypoxanthinfütterung
beim Gesunden zu zeigen, den entsprechenden Versuch der Autoren an:
Tag
No.
Harn-
menge
Ges.-N
r-N
Basco-N
( -N
Bemerkungen.
Basen-N
10
770
10.95
0,3276
0,0J63
20*1 : 1 Am 10. u. 11. Tage wurden je
1,5 g H vpoxan thin ei ngegeb.
11
1050
11,64
0,5400
0,0184
29,4 : 1
1*2
S85
10,75
0,3168
0,0155
20,4 : 1
13
780
10,41
0,1986
0,0131
15,2: 1
14
605
9,68
0,156*2
0,0131
11,9 : 1
15
610
9,3 i
0,1463
0,0150
9,8 : 1
Auch hier steigt schon während des ersten Tages der Harnsäure¬
stickstoff auf das Doppelte des normalen endogenen Werthes (0,1533 g)
an, erreicht am zweiten Tage sogar den drei- und einhalbfachen Werth,
um am dritten Tage auf den des ersten Tages zurückzugehen. Also
1) Ivossel's Zeitschrift f. physiol. Chemie. 34. Bd. If. 5 u. 6.
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UNIVERSITf OF MICHIGAN
Zur StofTwechselpathologie der Gicht.
219
auch hier sehen wir ein schnelles Ansteigen der Harnsäurcausscheidung
nach der Hypoxanthinverfütterung, was auf eine schnelle Harnsäure¬
bildung aus dem verfütterten Hypoxanthin schliessen lässt. Während
aber in unseren Versuchen von dem Hypoxanthin-N nur 13.1 pCt. bezw.
12,6 pCt. als Harnsäure-N ausgeschieden worden sind, zeigen sich in
dem angeführten Versuche von Krüger und Schmid 62,3 pCt. des
verfütterten Hypoxanthins als Harnsäure-N wieder. Zu einem grossen
Theile beruht die Differenz wohl darauf, dass bei Krüger und Schmid
3 g an 2 Tagen verfüttert wurde, wodurch die Harnsäurebildung eine
weit grössere und dadurch die Harnsäureausscheidung eine relativ um¬
fangreichere werden musste.
Andererseits berechnen Burian und Schur aus einem Minkowski-
schen Versuche mit Hypoxanthinverfütterung beim Menschen eine Um¬
wandlung der verfütterten Base in Harnsäure zu 48,6 pCt. Bei Wieder¬
holung des Versuches fanden die Autoren 46,2 pCt. des Hypoxanthins
in Harnsäure umgewandelt. Auch diesen Werthen gegenüber bleiben die
Harnsäureausscheidungen bei unserm Giehtiker noch niedrige nach der
Verfütterung derselben Base. Man könnte vielleicht auf die Vermuthung
kommen, dass das Hypoxanthin nur zu einem Theile zu Harnsäure oxydirt
und als solche ausgeschieden worden sei, zu einem Theile aber als Hypo¬
xanthin im Körper zurückgehalten sei. Das erscheint uns aber als eine
fern abliegcndc Vermuthung, die umso unwahrscheinlicher wird, wenn man
die Purinbasenausscheidung der nächsten Tage nach der Hypoxanthin¬
ausscheidung betrachtet, aus der doch hervorgeht, dass freies Hypoxanthin
in nennenswerther Menge sich schon einen Tag nach der Hypoxanthinver¬
fütterung nicht mehr im Kreislauf befinden kann, weil mit Wahrschein¬
lichkeit sonst, sich eine Vermehrung der Basenausscheidung vorfinden
müsste (vergl. zum Beispiel hier die von uns angeführte Tabelle von
Krüger und Schmid).
Man könnte (in Analogie der von uns früher bei Nucleinsäure ge¬
machten Befunde) auf die Vermuthung kommen, dass sich zwar die
Hamsäurebildung aus Hypoxanthin relativ schnell vollzieht, aber immerhin
nicht so schnell, dass eine plötzliche Ueberschwemmung des Blutes mit
Harnsäure, die aus Hypoxanthin stammt, stattfindet, vielmehr würde die
allmählich gebildete Harnsäure, weil sie dem Blute langsamer zufliesst,
im grösseren Umfange oxydirt werden können.
Es würde sich dann also um ein gleiches scheinbar paradoxes Ver¬
halten, wie bei der relativ niedrigen Harnsäureausscheidung nach Nuclein-
säureverfütterung, handeln, die wir in unseren früheren Untersuchungen
aus der verlangsamten Harnsäurebildung erklärt haben (vergl. hierzu
unsere Mittheilung III im IV. Bande dieser Zeitschrift).
Wir möchten dieser Annahme folgende Erwägungen entgegenstellen:
Zunächst erscheint es uns zweifelhaft, dass wir bei Verfütterung von
l g Hypoxanthin unter gleichen Verhältnissen beim Gesunden immer
ganz ähnliche Werthe der Harnsäureausscheidung antreffen. Finden
sich doch bei Nucleinsäureverfütterung selbst beim Gesunden so
schwankende Werthe für den exogenen Harnsäure-N, dass es uns ge¬
wagt erscheint, bei den wenigen bisher in der Literatur vorliegenden
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220
Th. Brugsch und A. Schittenhelra,
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Versuchen über exogenen Harnsäure-N nach Hypoxanthinverfütterung
einen bestimmten „Integrativfactor“ aufstellen zu wollen. Hauptsächlich
spricht uns aber gegen die obige Annahme die Schnelligkeit der exogenen
Harnsäureausscheidung und vor Allem deren Beendigung, die uns ein Maass
der Schnelligkeit der Harnsäurebildung aus Hypoxanthin giebt, und da
müssen wir doch sagen, dass die Harnsäurebildung aus Hypoxanthin an
Schnelligkeit bei der Gicht durchaus nicht dem Versucho am Normalen
nachsteht. Der Abbau des Hypoxanthins scheint uns also bei unserem
Gichtiker in normaler Weise vor sich zu gehen.
Wahrend bei dem Abbau des Hypoxanthins nur ein oxydirendes
Ferment, das das Hypoxanthin zu Harnsäure oxydirt, in Kraft tritt,
wobei allerdings die Harnsäure zum Theil noch durch das urikolytische
Ferment abgebaut wird, müssen bei dem Abbau des Guanins und des
Adenins noch desamidirende Fermente in Kraft treten, so dass die Stufen¬
leiter der Fermente bereits complicirter liegt: Purindesamidase, Xanthin-
oxydase, urikolytisches Ferment. Wir haben nun auch das Verhalten des
Gichtikers gegenüber verfütterten Aminopurinen — Guanin und Adenin —
geprüft und möchten, ehe wir unsere Versuche berichten, die in der
Literatur niedergelegten Normalversuche hier anführen.
Nachdem Kossel das Adenin bei Hunden verfüttert hatte mit dem
Erfolge, dass er einen Theil desselben im Harne wiederfand, untersuchte
Minkowski das Adenin auf seine Harnsäure vermehrende Wirkung beim
Hunde, indessen ohne eine solche, noch den Uebergang in Allantoin fest¬
stellen zu können. Da Adenin beim Hunde starke Entzündungen der
Darmschleimhaut, besonders des Duodenum, hervorruft, hatte Minkowski
von einer Verfütterung der Base beim Menschen Abstand genommen.
Nachdem Schittenhelm 1 ) die relativ geringe Giftigkeit des Adenins
bei Kaninchen festgestellt hatte, konnten Krüger und Schraid 2 ) die
Bedenken, welche Minkowski an der Verfütterung dieser Base am
Menschen hinderten, fallen lassen; so stellten die beiden Autoren einen
Norraalstoffwechselversuch mit Verfütterung von Adenin an, den wir für
unseren Versuch durchaus als Normalversuch zu Grunde legen können.
Wir führen deswegen die Beobachtung Krüger’s und Schmid’s genau an:
Tag
No.
Harn-
mengc
Ges.-N
L-N
Basen-N
Ü-N
Basen-N
Bemerkungen.
16
680
10.52
0,1782
0,0195
9,1
0,3 g Adenin.
17
850
11,30
0,1701
0,0156
11,5
18
940
11.30
0,1536
0,0146
10,5
19
530
8,60
0,1267
0,0161
7,9
20
840
12,96
0,2234
0,0269
8,3
3 : 0,2 g Adenin.
21
625
9,85
0,1777
0,0144
12,3
22
785
10,78
0,1620
0,0158
10,2
23
725
10,91
0,1366
0,0144
9,4
Nach Genuss von 0,3 g Adenin (am 16. Tage) mit einem Gehalte
von 0,1554 g Stickstoff sind 0,0507 g der letzteren als Harnsäurestick¬
stoff und 0,0041 g als Basenstickstoff zur Ausscheidung gelangt.
1) Archiv für exper. Path. und Pharm. 1902. Bd. 47. S. 432.
2) 1. c.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Zur Stoffwechselpathologie der Gicht.
221
Im Versuch II am 20. Tage sind von den 0,3108 g Stickstoff der
0,6 g Adenin 0,1032 g als Harnsäurestickstoff und 0,0115 g als Basen¬
stickstoff im Harne wieder erschienen.
In Procenten ausgedrückt sind 32,6—33,0 pCt. des Adenins in Harn¬
säure übergegangen und 2,6—3,7 pCt. haben jedenfalls unverändert den
Organismus passirt.
Nach Krüger und Schmid „ist die Umwandlung des Adenins in
Harnsäure thatsäehlich eine grössere, als die obigen Zahlen angeben.
Denn von den fünf Stickstoffatomen des Adeninmoleküls muss das nach
E. Fischer’s Nomenclatur in 6-Stellung, und zwar in der Amidogruppe
befindliche Atom, da die Oxydation zu Harnsäure sich im menschlichen
Organismus unter Erhaltung des Purinkerns vollzieht, abgespalten werden.
Daher kommen bei der Berechnung von Adenin auf Harnsäure nur vier
Atome des Basenmoleküls in Betracht und sind die erhaltenen Zahlen
mit 5 / 4 zu multipliciren, was die Werthe 40,7 pCt. und 41,2 pCt. ergiebt.“
Dem möchten wir nun die Befunde an unseren Gichtikern bei Adenin-
verfütterung gegenüberstellen.
Periode V. 1 )
Tag
No.
Urin¬
menge
N
Ü-N
Ü in g
Basen-N
Ü-N
Basen-N
Bemerkungen.
22
1070
7,710
0,0809
0,2427
0,0066
12,3
23
1120
7,624
0,0815
0,2445
0,0066
12,4
24
1120
8,01
0,0814
0,2442
0,0082
10,0
23
1450
7,27
0,0862
0,2586
0,0091
9,5
26
1275
8,12
0,0855
0,2565
0,0092
9,3
Durchschnitt
0,0831
0,2493
0,0080
Periode VI.
Tag
No.
Urin¬
menge
N
Ü-N
Ü in g
Basen-N
Ü-N
Basen-N
Bemerkungen.
27
1240
8,216
0,104
0,372
0,0210
5,0
0,7 g Adenin.
28
1320
8,026
0,143
0,489
0,0264
5,5
29
1260
7,923
0,124
0,402
0,0182
6,8
30
1180
8,006
0,102
0,306
0,0140
7,3
31
1220
7,764
0,089
0,267
0,0090
9,9
Betrachten wir zunächst die Curve der Harnsäureausscheidung, so
sehen wir allerdings den Beginn des Harnsäureanstieges über den mittleren
endogenen Werth der Vorperiode bereits am Tage der Adeninverfütterung;
beendigt ist die Mehrausscheidung der Harnsäure über diesen endogenen
Werth hinaus, erst am 3. Tage nach der Adeninverfütterung, da am
4. Tage danach wieder ungefähr der endogene Harnsäurewerth der Vor¬
periode erreicht ist.
Die Mehrausscheidung der Harnsäure an dem 27.—31. Tage gegen¬
über dem endogenen Werth der Vorperiode (0,083 g Ü-N) beträgt 0,147 g
Ü-N. Es sind also von den eingenommenen 0,3626 g N der 0,7 g Adenin
40,5 pCt. als Harnsäure-N wieder zum Vorschein gekommen.
1) Die Periode IV ist hier nicht mit aufgeführt worden.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd.
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
222
Th. Brugsch und A.- Schittenhelm,
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Die Mehrausseheidung der Basen in der Periode VI beträgt gegen¬
über dem endogenen Basenwerthe der V. Periode insgesammt 0,0486 g
Basen-N; es sind also von dem hier per os eingenommenen Adenin-N
(0,3626 g) 1,3 pCt. als Basen- (wahrscheinlich Adenin-)N wieder aus¬
geschieden worden.
Da, wie oben bereits erwähnt, bei der Berechnung von Adenin auf
Harnsäure nur vier Atome des Basenmoleküls in Betracht kommt, so
muss der für die Harnsäure erhaltene Werth von 40,5 pCt. noch mit
5 / 4 multiplicirt werden, was alsdann den Werth von 50,63 pCt. aus Adenin
gebildeter Harnsäure ergiebt. Diese Werthe stimmen nun auffallend gut
mit den von Krüger und Schmid gefundenen Zahlen für den Gesunden
überein; indessen, wenn man die zeitliche Folge des Adeninumsatzes
aus der Harnsäure- und ßasenausscheidung verfolgt, so zeigen sich doch
einige wichtige charakteristische Unterschiede, die sich am besten in
Curven ausdriicken lassen:
Normalversuch. Gichtiker.
Ü9
ffl
m
□
m
m
22
m
m
a
22
22
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SS
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■
■
Beim Normalversuch geht der Umsatz des Adenins, d. h. die Harn¬
säurebildung schneller vor sich als beim Gichtiker, beim Gesunden ist
sie schneller beendet. Charakteristisch ist hier besonders die Curve des
Harnsäure-N
Quotienten —j^seiTN . Beim Gichtiker bleibt nach Adeninverfütterung
das Verhältniss weit länger ein engeres als beim Gesunden, ein Beweis
dafür, dass die Harnsäureumbildung aus Adenin beim Gichtiker lang¬
samer verläuft als im Norraalversuch.
Weniger verwerthbar erscheinen uns die an unserm Gichtiker durch¬
geführten Versuche mit Guanin.
Es sei zunächst der Versuch mit Verfütterung von 1 g salzsauren
Guanins wiedergegeben (Periode VII).
Die Erhöhung des endogenen Ilarnsäure-N-Werthes nach der Guanin-
verfütterung am 36.-39. Tage gegenüber dem endogenen Harnsäure-
N-Werth der V. Periode (= 0,0831) ist so gering, dass aus Guanin-N
Gck igle
Original ffom
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Zur Stoffwechselpatbologie der Gioht. 223
Periode VII.
Tag
No.
Urin¬
menge
N
Ü-N
Basen-N
Ü in g
Ü-N
Basen-N
Bemerkungen.
35
1400
7,962
0,0823
0,0073
0,2469
11,3
36
1460
7,844
0,0899
0,0102
0,2697
8,8
1 g salzsaures
Guanin per os.
37
1420
7,536
0,1091
0,0102
0,3273
10,7
38
1820
8,124
0,1063
0,0106
0,3189
10,3
39
1500
7,964
0,0924
0,0105
0,2772
8,8
nur 0,0653 g Harnsäure-N sich herleiten können. Die Erhöhung des
endogenen Purinbasen-N an diesen Tagen gegenüber dem endogenen Purin-
basen-N der V. Periode beträgt gleichfalls nur 0,0083 g N, ein Werth,
der relativ niedrig ist.
Es tritt die Frage an uns heran, was ist mit dem Rest des Guanin-N
geschehen? Die Untersuchung des Eothes auf Purinbasen (am 36. bis
39. Tage), ergab den relativ hohen Purinbasenwerth von 0,124 g Purin-N.
Dieser Werth erscheint uns weit höher als normal und wir stehen nicht
an, diese Erhöhung des Koth-Purin-N auf eine schlechte Resorption des
Guanins zurückzuführen. Auf diese Weise erklären sich ohne weiteres
die niedrigen exogenen Harnsäure-N- und Purinbasenwerthe nach Guanin-
verfütterung. Die schlechte Resorption würde übrigens auch die geringen
Harnsäure- und Basenausscheidungszahlen erklären, die man bisher am
Normalversuche nach Guaninfütterung beim Menschen (wie beim Hunde)
erzielt hat. So hat Stadthagen 1 ) bei einem Hunde nach Eingabe von
6 g Guanin weder die Harnsäure, noch die Basenausfuhr vermehrt ge¬
sehen. Ein gleiches Resultat erzielten Burian und Schur 2 ) in zwei
Versuchen am Menschen; der einen Versuchsperson (einer 25jährigen
Hysterica) wurde im Verlaufe von 3 Tagen 7,1 g Guanin gegeben, einer
anderen, 19jährigen chlorotischen Patientin, an einem Tage 1,1 g.
Dagegen landen allerdings Krüger und Schmid nach einmaliger
Verfütterung von nur 0,61 g Guanin ein unverkennbares Anwachsen der
Harnsäure.
Wir führen hier den betreffenden Versuch von Krüger und
Schmid an:
Tag
No.
Harn¬
menge
Ges.-N
Ü-N
Basen-N
Ü-N
Basen-N
Bemerkungen.
28
575
9,97
0,1598
0,0158
10,1
0,61 g Guanin.
29
670
10.36
0,1758
0,0162
10,8
30
1145
10,14
0,1462
—
—
Krüger und Schmid halten das, wenn auch geringe Ansteigen der
Harnsäureausscheidung erst am Tage nach der Guaninverfüttcrung für
bemerkenswerth, „während die anderen drei Basen, Hypoxanthin, Adenin
und Xanthin“ ihre Wirkung schon am Tage ihrer Verabreichung selbst
1) Virchow’s Arch. Bd. 109. S. 416.
2) Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 80. S. 317.
15*
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
224
Th. Brugsch und A. Schittenhelm,
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ausüben. Wir glauben, dass sich diese Ausnahme durch die von uns
durch die Purinbasenvermehrung des Kothes gezeigte schlechtere und
schwerere Resorption des Guanins erklärt.
Aus diesem Grunde halten wir auch eine Verwerthung unseres
Guaninversuches zur ßerurtheilung der gichtischen Fermentanoraalie gegen¬
über dieser Base für nicht zulässig, wenngleich wir indessen hervorheben
müssen, dass in unserem Guaninversuche (Periode VIII) die lange Dauer
(2—3 Tage) der, wenn auch geringen exogenen Harnsäureausscheidung
auffällt, die man vielleicht im gleichen Sinne wie bei dem Adeninversuche
deuten könnte 1 ).
Schliesslich möchten wir noch erwähnen, dass wir bei unserm
Gichtiker einen Versuch mit Verfütterung von a-thymonucleinsaurem
Natron angestellt haben und dass sich hier dieselben typischen Verhält¬
nisse finden, wie sie in unserer Mittheilung 111 (1. c.) eingehend be¬
schrieben worden sind. Der Vollständigkeit halber möchten wir auch
diesen Versuch hier anführen.
Periode VIII.
Tag
No.
Urin¬
menge
N
Ü-N
Basen-N
Ü-N
Bemerkungen.
Basen-N
Periode VI.
31
1220
7,764
0,0891
0,0090
9,9
ä
32
1830
io
<N
QO
0,0942
0,0104
9,1
5 g a - thymonucleiu-
Periode VII. I
l
33
1600
8,024
0,1131
0,0146
5,5
saures Na = 0,674 g N
34
1460
8,131
0,0922
0,0110
9.3
Periode VIII.
35
1400
7,962
0,0823
0,0073
11,3
Die exogene Harnsäureausscheidung in der VII. Periode, d. h. die
Erhöhung der Harnsäurewerthe nach der Nucleinsäureverfütterung am
32.—34. Tage, beträgt gegenüber dem endogenen Werth der V. Periode
(0,0831) = 0,0502 g Harnsäure-N und 0,012 g ßasen-N (gegenüber
dem endogenen Werthe von 0,0079 g Basen-N; V. Periode). Da der
Basengehalt von 5 g Thymonucleinsäure, die zugeführt wurden, 0,31 g
beträgt, so sind von dem zugeführten Basen-N 16,2 pCt. als Harnsäure-N
und 4 pCt. als Basen-N wieder ausgeschieden worden; der Rest als
Harnstoff, wie sich aus der N-Curve zu ergeben scheint. Den Verlauf
der Harnsäure-, Basen- und Stickstoffausscheidung nach der Nuclein-
säurezufuhr dürfen wir auch in unserm Falle als charakteristisch für die
Gicht-Fermentanomalie ansehen, da er sich gegenüber der Norm als „ver¬
langsamt u erweist (vergl. hierzu Mitth. III).
Fassen wir die Resultate unserer Versuche zusammen, so können
wir Folgendes sagen:
Bei einem jugendlichen Patienten mit gesunden Nieren, bei dem wir
1) Anmerkung während der Correctur: Ein neuerdings ganz gleich an¬
gelegter Guaninversuch an einem Gichtiker ergab eine exogene Ü-N-Ausscheidung
von 0,08 g Ü-N nach Verfütterung von 1 g salzs. Guanin. Die Ausscheidung dauerte
3 Tage lang.
Gck igle
Original from
UNIVERS1TY OF MICHIGAN
Zur StofTwechselpathologie der Gicht.
225
die klinischen Zeichen einer Arthritis urica feststellen konnten, finden
wir die typischen Zeichen einer Stoffwechselgicht: endogener Harnsäure¬
gehalt des Blutes, niedriger endogener und constanter Hamsäuregehalt
des Urins und beim exogenen Harnsäureversuch mit Nucleinsäurever-
fütterung eine verschleppte und verringerte Harnsäureausscheidung. Dieser
Gichtiker muss also die von uns in früheren Versuchen explicirte Ferment¬
anomalie des gesammten fermentativen Apparates des Nucleinstoff-
wechsels aufweisen, die sich auf folgende Fermente erstrecken kann:
1. Nuclease, 2. Purindesaraidase, 3. Xanthinoxydase, 4. urikolytisches
Ferment.
Dass das urikolytische Ferment im Nucleinstoffwechsel nothgelitten
(aber keineswegs völlig ausgeschaltet ist), bedarf keiner Hervorhebung
mehr. Die Function der Xanthinoxydase hat sich, soweit aus dem
Studium der Verfütterung von Hypoxanthin eine Beurtheilung im Stoff¬
wechsel versuche überhaupt möglich ist, nicht wesentlich — gegenüber
der Norm — beeinträchtigt gezeigt; dagegen erscheint die fermentative
Leistung der Purindesaraidase im Sinne einer verlangsamten Arbeit nach
dem Adenin- (und Guanin-?)Versuche als geschädigt. In wieweit etwa
schliesslich die Nuclease, d. h. das die Nucleinsäure spaltende Ferment,
nothgelitten hat, lässt sich isolirt im Stoffwechselversuche nicht ersehen.
Ein Uebertritt ungespaltener Nucleinsäure in den Harn, bezw.
in das Blut hat sich weder beim Gesunden noch Gichtiker
nach Nucleinsäure feststellen lassen. Diese Versuche sind z. Th.
von Herrn Dr. Pincussohn auf unsere Veranlassung im Laboratorium
der II. raed. Klinik, z. Th. von uns selbst durchaus mit negativem
Erfolge vorgenommen worden. Wir werden indessen an anderer Stelle
eingehend noch auf die Frage der Anwesenheit der Nucleinsäure bezw.
einer (durchaus hypothetischen) Nucleinsäure-Harnsäureverbindung im
Blute eingehen.
Wir können also aus diesen, immerhin noch wenigen Versuchen für
den vorliegenden Fall schliessen, dass die Fermentanomalie der Gicht
hauptsächlich in einer Störung des urikolytischen Ferments und der
Purindesamidase (vielleicht auch der Nuclease?) zu bestehen scheint,
weit weniger bezw. gar nicht in einer Störung der Xanthinoxydase.
Man könnte auf den Gedanken kommen (und es ist uns thatsächlich
dieser Gedanke von anderer Seite geäussert worden), die Beeinträchtigung
nicht nur der Urikolyse, sondern auch der Harnsäurebildung, die sich
im vorliegenden Falle hauptsächlich auf die Störung der Desamidase
concentrirt, sei ein compensatorischer Vorgang. In der That ist ja, da
die Harnsäurebildung beim Gichtiker eingeschränkt ist, dieser besser
daran, als wenn die Harnsäurebildung nicht gestört wäre. Indessen
erscheint uns diese Auffassung zu teleologisch, ist es doch von vornherein
weit wahrscheinlicher, dass das zusammengehörige Fermentsystera — sei
es angeboren, sei es auf Grund von Noxen: Blei, Alkohol etc. — in
gleicher Richtung beeinflusst wird, wobei natürlich die empfindlichsten
Fermente am erheblichsten geschädigt werden müssen. Ferment¬
schädigungen als Compensationserscheinungen aufzufassen, halten wir
zunächst für völlig hypothetisch.
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
226 Th. Brugsch u. A. Schittenhelm, Zur Stoffwechselpathologie der Gicht.
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Schliesslich möchten wir es nicht unterlassen, nochmals ausdrücklich
hervorzuheben, dass die scheinbar isolirtere Schädigung der purin-
desaraidirenden Fermente neben der Schädigung des urikolytischen
Fermentes (vielleicht auch der Nuclease) vorläufig nur an dem einen
Falle von uns festgestellt werden konnte. Es wäre ja durchaus möglich,
dass sich andere Gichtiker etwas anders hierin verhalten. Wir haben
uns indessen schon jetzt zur Veröffentlichung unserer Beobachtung ent¬
schlossen, weil sie weitere Gesichtspunkte in der Beurtheilung der
Stoffwechselpathologie der Gicht zu bieten in der Lage ist.
Zur Frage der Methodik bemerken wir, dass sie sich in allen Punkten
mit der von uns in früheren Untersuchungen (1. c.) geübten deckt.
Gck igle
Original fru-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XX.
Untersuchungen Aber die Blutgerinnung in Krankheiten.
Von
Prof. Dr. Th, Pfeiffer (Graz).
In einer grösseren Versuchsreihe 1 ) konnte ich vor längerer Zeit den
Nachweis erbringen, dass „entzündliche Leukocytose u mit hohem Fibrin¬
gehalt des Blutes zusammentrifft, während bei nicht von Hyperleukocytose
begleiteten Infectionskrankheiten Hyperinose nicht vorkommt. Insgesaramt
24 Fälle von Pneumonie, Erysipel, Polyarthritis rheumatica, Scarlatina
und Lungenabscess bestätigten diese Regel ebensowohl, wie die (9) Blut¬
proben von Abdominaltyphus, Malaria, Sepsis und Katarrhalpneumonie
ohne Vermehrung der weissen Blutkörperchen und des Faserstoffes. Eine
Erklärung für die Zusammengehörigkeit dieser beiden Symptome konnte
damals nicht gewagt und kann auch nach dem gegenwärtigen Stande der
Gerinnungslehre nicht gegeben werden; vielleicht liegt der Schlüssel für
ihr Verständnis in der von P. Th. Müller 2 3 ) sehr wahrscheinlich ge¬
machten Bildung des Blutfibrinogens im Knochenmark, welches ja anderer¬
seits als Ursprungsstätte der Leukocyten gilt.
Im Gegensatz zu dem gefundenen Zusammentreffen von Fibrinkrase
und Leukocytose wurde dann in 3 Fällen myeloider Leukämie (Ehrlich)
der Fibringehalt kaum über die Norm erhöht gefunden und später durch
Bestimmung des Fibrinogen in 4 weiteren Fällen von Leukämie sicher¬
gestellt, dass die relative Kleinheit des Faserstoffgerinnsels leukämischen
Blutes nicht auf Fermentarmuth oder Gerinnungshemmung bezogen werden
kann, sondern, dass die Vermehrung der Muttersubstanz des Fibrins,
welche die Leukocytose regelmässig begleitet, der Leukämie trotz Zu¬
nahme zum Theil gleicher Leukocytenforraen abgeht. 8 )
Im Anschlüsse an diese Untersuchungen schien das Studium weiterer
Componenten des Gerinnungsvorganges von Interesse. Es wurde deshalb
auch schon damals theils bei denselben Blutproben, welche der Fibrin¬
bestimmung dienten, theils bei anderen Fällen derselben Krankheiten,
untersucht, ob das Oxalatplasma bei Zusatz wachsender Mengen
1) Th. Pfeiffer, Zeitschr. f. klin. Med. XXIII.
2) P. Th. Müller, Sitzungsber. der k. Akad. der Wissenschaft, in Wien.
Mathem.-naturw. Klasse. Bd. CXIV. Abth. III u. Bd. CXV. Abth. 111.
3) Th. Pfeiffer, Centralbl. f. inn. Med. 1898. No. 1 und 1904. No. 3*2.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Tb. PGriffen
f'i'n Chlfircalrioiii Pitferouxpii dt*> Begmoev der Faserstoffal«-
'• ht iilinur und der eoinpteten Gelin'nuüg/wjigt. . Die■ ■^■erinniutas-
gesdiWifidigkeit blieb dab«i unbeachtet,. lediglich die Masse des aligti-
scbiedcjnen Fibrins würde in Betracht gezogen
47 e<ao Hlöt «ordw itt Ü.uettf Kalittmejalatli'^öUfi fiS'g : 4f.#$ Wasser; aufge-
btugen. %j«'STetu'dü).seä.'0!iala.tb'l^.tes wurde 0,1 proe. CaCl s -LiSsung in steigender
:Menge; 0 ) r I—-J^^nfl'xORnset'/.t utuI UiSter stundenlang Ibrtgeselzter C-enlrole nntiri,
)»' welch« frühe di« «Otm t'ib«nfM*n auftreten, in w-Ther «las Gerinnsel mas.-i^
Wird ün«i in weich« schliesslich -das ganze Rlut cowpacx geronnen ist. Die Tabr.Uets
etiUiaUetv'nur 4«?n pnifren und oberen OttmzwarfU..
Ii< ür&I.o«« : Weise wurde i« einer kleineren-Zahl «t-r. Hnicn jo 1 c-ein 'Oxalat*
plnsüja hehairdnlt.
Af F&llih theilsi Jobctlose (aponmdii^le tkdils Infections-krankiieiten
mit, und aiimv. leukocvtosc bzw. Hrperinose wurden in dieser Weise
««teeSMCht. Oie für beidft timizrnaelionen — geringst«? bzw. grösste
Fibriribrklimg — .nbgldcseticM Werthe von GaCb schwanken für die Mehr-.
■Stuhl- der Fülle in engen Grenzen Dm Gerinnung begann 20 nn;<r
«t i mal t6ß pCt.i bei Zusatz von 1.4 1,7 oem All proe. C.'aCG-IG'j'sung,
weiten- F mnl z.Wsieben T und 1.2« vorn und nur die retiiliehen 7 Falte
trrfofderten um 0,1 -0,2 eCbl »lehr' oder weniger Kalklösiing. Die Gr-
nnnimg. war beende* 3$ unter 4dmal .(77 pOl.i bei Bin Wirkung von
.1,6—1,1.1 eeitt t’lilorcaieiiintliG'tiig und nur 8 mal war der liötltige Kalk-
zusatz -uni 0,1. ccnv hoher oder niedriger. .'Analoges, gilt für «Jas 11 a sni a,f
inden) unter 8 • tlnTaüfhi« untersuchten IVobrn 6 mal Fibiiu/iiesclinidung
bei 0,7 — 1 com GaOL-Li-sung begann- und 7 mal bei 1,1 —1,4 ccm der«
.selben beendet war.
Tab»11 «s T.
2 ccm ttialatblut. ( | = Beginn, ~p — OüBiptetc Gerum'nnc.7
Untersuchungen über die Blutgerinnung in Krankheiten.
229
X
-S o
= E
* £
Krankheit.
CaCl 2 —
0,1 pCt.
0
O
!>*“»
0
Fibrin¬
stickstoff (g)
in 100 ccm
Plasma.
B 3
> c
0,8
0,9
1.0
1,1
1,2
1,3
1,4
1,5
1,6
1,7
1,8
1,9
2,0
0
0
10
Pneumonie
Temp. 38,1.
'
+
—
—
11
Pneumonie
Temp. 38,2.
.
.
1
+
.
13 000
0.1313
12
Pneumonie.
•
I
—
0,1042
13
Pneumonie
Temp. 38,4.
‘
;
+ i
24 800
0,0932
14
Pneumonie
Temp. 40.
1
•
+
•
24 800
0,0855
15
Pneumonie
Temp. 38,3.
Mening. purul.
>
i
+
16 600
0,0448
16
Pneumonie
Temp. 38,5.
*
1
'
+
'
*
26 600
0,1408
17
Scharlach
Temp. 39,6.
*
.
'
1
+
10 200
0,0519
18
Scharlach
Temp. 39,2.
.
i
+
12 000
0,1155
19
Scharlach.
i
+
24 800
—
20
Polyarthritis
rheumat.
Temp. 38,7.
’
‘
•
1
+
’
*
—
0,0864
21
Polyarthritis
rheumat.
Temp. 38,7.
.
i
+
1
22
Erythema
nodosum.
1
.
+ 1
—
0,0579
23
Otitis supp.
Sinusthromb.
Temp. 37,7.
|
|
j '
1
1
1 * '
i
1 _ 1
I
—
—
24
Sepsis puerp.
Temp. 39.
•
i
i |
1
1
i +
Leu ko*
cytose.
—
25
Sepsis puerp.
•
.
' . i
1
i +
—
—
26
• Sepsis puerp.
Temp. 38,3.
Peritonitis.
1
i
i
+
1
• 1
1
i
! ‘
7 400
0,1042
27
Sepsis puerp.
Phlegm. alba.
Temp. 39,7.
i
+
5 200
0,0561
28
Katarrh. Pneu¬
monie
Temp. 38.
1 •
1
1
i
i
1
8 000
0,0482
29
Pleurit. exsud.
Temp. 39,0.
1 •
1 *
1
i •
.+
i ’
*
Leuko-
cytose.
—
30
Angina
Temp. 37,7.
' |
.
1
I
1
i
—
—
31
Nephr. acuta.
• .
i
| 1
+
—
_
32
Nephr. scarl.
Urämie
Temp. 38,1.
| j
1
i i
!
+
i
8 200
0,0392
33
Typhus abd.
Temp. 38,9.
|
1 .
1
' .
1
•
6 000
0,0520
34
Typhus abd.
Temp. 38,3.
• 1
i
1
1
+
l
i •
i
1 +
i ’
I
i
3 000
0,0630
Digitized fr
Google
Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
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•Tabelle il.
i «’orri »Kalatpiasma.
K Wl).kiifcit
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Pp^uuiormv
- Pfimxufrjfjio.
jV/iviiri.ljftf )*
:Nfipbr\i]$
Jt'ärlfli
Keinesfalls fasst, sicI* ,öir» .2ä»nn«e'rfbätng xwisditr 11 der Natur der
Krankheit und .dem Ablauf des <>nunungsvmgungr'* •— gemessen an
dein liier gewählten Mwa^stalKe m ute.r Fiuleihme hn durch Oxalat un-
•gdritinbar gemacht«.*!) Bfiit vtssj». f'iatana durch .Kalk -- aus den Tabellen
heraus lesen. Gleichviel uh viKirtiiälid V.-rhöitnissa IVeKte» oder Phh*|rK
oiss.ieo vmiiegen, schwanken die Wrrtbfr T«ti Fall y.u Fall, ahne Be-
Kvehutjg auch .zw der 014 mal bestirrunletu Fdn M>y ickskdTmenge oder .w
der .(SO.iiiaf crmiUc'lteK) Leukin yteu^ahl.
JHe VcrwlTunt.liehur.g-, dieser Eruehnjsse. nnrernhei. semec Zeit, weil,
die'finite' des Kalkes in. iöiaiHMnWfcsrirf'Cuss me h ail.'u hvpufhrittsöb «ran
Seither ist die Ke.inHiiss de!flu'ime de. t um inmiug wvsiMwheh giOorrieix
und sind natwiüich. ein»; A-nr-itM bedeutsamer Widersprüche vor •neuen
Untersuchungen über die Blutgerinnung in Krankheiten.
231
Gesichtspunkten aus als nur scheinbar bestehend erkannt worden. Fast
allgemein wird nun auch den Kalksalzen eine Bedeutung für die erste
Phase der Gerinnung, der Bildung des Fibrinfermentes aus unwirksamen
Vorstufen zuerkannt. Im Sinne dieser Auffassung müsste nunmehr aus
vorliegenden Versuchen geschlossen werden, dass entweder dieser Vor¬
gang der Ferraentbildung wenigstens innerhalb gewisser Grenzen unab¬
hängig von der Quantität der gelösten Kalksalze ist, oder dass der Gehalt
der verschiedenen untersuchten Blutsorten an Fermentgeneratoren (um
keinen einer bestimmten Gerinnungshypothese angepassten Ausdruck zu
wählen) keine durch das Wesen der Krankheit bestimmte Differenzen
aufweist.
Die erstgenannte Annahme wäre nicht gerechtfertigt. Es sei dies¬
bezüglich nur beispielsweise auf die Untersuchungen von L. Loeb 1 ) über
das Kalkoptimum für die Zeit und Masse der Gerinnung am Kaltblüter¬
plasma verwiesen. Auch zeigte der eigene Vergleich von Parallelreihen,
die mit verschiedenen Blutmengen bezw. verschieden concentrirten Chlor¬
calciumlösungen aufgestellt wurden, genügende, theilweise genaue Ueber-
einstimraung. Ebenso führte der Vergleich von Oxalatblut und Oxalat¬
plasma vom gleichen Falle zu der plausiblen Voraussetzung von
60—65—70 pCt. Plasma, kann demnach auch als Beleg für die quan¬
titative Beeinflussung der Gerinnung durch Kalksalze gelten.
Beispiele.
Fall 44. Hysterie. 2 ccm Blut 0,1 pCt. CaCl 2 . Gerinnungsbeginn bei 0,9 ccm.
^ v n n n 7) i) 7)
5 » 7) ^,2 7) 7) 7) 7) f)
Fall 1. Erysipel. 2 ccm Blut 0,1 pCt. CaCl 2 . Gerinnungsbeginn bei 0,9 ccm.
^ TI 7) ^,2 7) V 7) 7) v
Fall 42.
Fall 45.
Tetanie. 2 ccm Blut 0,1 pCt. CaCl<>. Complete Gerinnung bei 1,9 ccm.
2 „ „ 0,2 „ „ " „ „ „ 1,0 „
^ 7) 77 ^,2 77 T) V 77 77 ^,5 „
Hysterie. 2 ccm Blut 0,1 pCt. CaCl 2 . Complete Gerinnung bei 2,0 ccm.
0,2
77
M
77
Fall 47. Neurosis toxica. 2 ccm Blut 0,1 pCt. CaCl 2 . Compl. Gerinnung bei 1,8 ccm.
1 „ Plasma 0,1 „ „ „ „ „ M „
(Entspricht 60 pCt. Plasma.)
Fall 10. Pneumonie. 2 ccm Blut 0,1 pCt. CaCl 2 . Compl. Gerinnung bei 1,9 ccm.
1 „ Plasma 0,1 „ „ „ „ „1,5 „
(Entspricht 63 pCt. Plasma.)
Fall 3. Erysipel.
Fall 20. Polyarthritis.
2 ccm Blut 0,1 pCt. CaCl 2 . Compl. Gerinnung bei 1,5 ccm.
1 „ Plasma 0,1 „ „ „ „ „ 1,1 *
(Entspricht 65 pCt. Plasma.)
2 ccm Blut 0,1 pCt. CaCl 2 . Compl. Gerinnung bei 1,7 ccm.
1 „ Plasma 0,1 „ „ „ „ „ 1,2 „
(Entspricht 58 pCt. Plasma.)
1) L. Loeb, Hofmeister’s Beitr. VIII.
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
232 Th. Pfeiffer, Untersuchungen über die Blutgerinnung in Krankheiten.
Digitized by
Somit kann wohl unbedenklich die zweite Annahme gemacht werden,
dass für die untersuchten Fälle keine charakteristische qualitative und
quantitative Unterschiede an zur völligen Umwandlung des Fibrinogens
ausreichenden Fermentvorstufen bestehen. Schittenhelm und Lutter 1 ),
welche den Fermentgehalt mit Alkali oder Kalk activirten pathologischen
Serum (er- und ^-Prothrombin [Morawitz]) an seiner zeitlichen Wirkung
auf reine Fibrinogenlösung massen, fanden gleichfalls zwar Differenzen
der Gerinnungszeiten doch ohne deutliche Abhängigkeit von bestimmten
Krankheitsgruppen. Mehrfach stehen in ihren Tabellen dieselben Krank¬
heiten unter normaler und verlangsamter Gerinnung und die nach Leuko-
cyten- und Fibrinziffer gegensätzlichen Krankheitsprocesse Pneumonie
und Typhus zeigen bei ihnen annähernd gleichen Fermentgehalt des
Serums.
Schliesslich sei noch eine Beziehung der mitgetheilten Vcrsuchs-
resultate zur No lfsehen Gerinnungshypothese angedeutet. Nach Nolf
vereinigt sich bekanntlich Hepatothrombin mit Leukothrorabin bei Gegen¬
wart von Kalksalzen zu Thrombin, welches sich dann mit dem
Fibrinogen verbindet. Das Leukothrombin ist identisch mit dem proteo¬
lytischen Ferment der weissen Blutkörperchen. Da nun die Fermente
der verschiedenen Leukocytenarten charakteristische Unterschiede zeigen,
wäre es — wie L. Loeb schon mit Recht bemerkte 2 ) — von Interesse,
zu prüfen, ob die gerinnungserregende Wirkung der Leukocyten diesen
Unterschieden parallel läuft. Träger der eiweissspaltenden Fermente sind
die neutrophilen polymorphkernigen Leukocyten, also jene Formen,
welche bei der entzündlichen Leukocytose weitaus überwiegen. Da in
solchem Blute wirklich gesteigerte Autolysc nachgewiesen werden kann,
darf auch für unsere Fälle mit theils gezählter, theils mit grosser Wahr¬
scheinlichkeit vorauszusetzender Leukocytose Vermehrung proteolytischen
Enzymes angenommen werden, während ein Einfluss dieses reichlicheren
„Leukothrombins 44 , dessen Wirkung von den Kalksalzen abhängt, nicht
zu erkennen ist. Lässt sich daraus auch kein bindender Schluss gegen
die Hypothese Nolfs ziehen, so bilden andererseits diese Beobachtungen
gewiss keine Stütze für seine Auffassung.
1) Schittenhelm-Lutter, Zeitschr. f. experira. Pathol. Bd. II. S. 562.
2) L/Loeb, Biochem. Centralbl. VI. S. 902.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XXI.
Aus der II. medicin. Universitätsklinik in Berlin.
Schilddrüse und Glykosurie.
Von
Dr. Rahel Hirsch,
klin. Assistentin.
Wie aus der früheren einschlägigen Arbeit 1 ) hervorgeht, ist bei
thyreoidektomirten Hunden, die an den Folgen der Tetanie zu Grunde
gehen, die Assimilationsgrenze für Glukose herabgesetzt und zwar bei
den verschiedenen Thieren quantitativ (in Mengen von 1 — 40 g nach
Zufuhr von 100 g Glukose) variirend.
Da sich nun erfahrungsgemäss dieselbe Erscheinung öfter beim Morbus
Basedowii auch zeigt, muss es zunächst befremdend erscheinen, dass
eine so prägnante Stoffwechselstörung, wie die Glukosurie, einerseits zu
Stande kommt bei einer Erkrankung, die als Zeichen einer gesteigerten
Function eines Organs, des Hyperthyreoidismus gilt, andererseits als
Symptom der Ausfallserscheinungen desselben Organs sich zeigt.
Dass bei thyreoidektomirten Hunden diese Herabsetzung der Assimi¬
lationsgrenze für Traubenzucker geradezu symptomatische Bedeutung für
das Einsetzen der Ausfallserscheinungen hat, geht aus den im Laufe der
letzten zwei Jahre von mir gemachten Beobachtungen, die in den nach¬
folgenden Tabellen zusammengestellt sind, von selbst hervor.
Die Thiere wurden stets wiederholt vor der Operation, die ich in
Aether-Narkose machte, auf ihr Vermögen, Traubenzucker in grossen
Quantitäten zu assimiliren, geprüft. Dasselbe wurde nach der Operation
untersucht, und es stellte sich heraus, dass, solange die Tetanie nicht
eingesetzt hatte, auch die grossen Glukosemengen vom Organismus ver¬
arbeitet wurden; stellte sich Glukosurie aber ein, so konnte dies geradezu
als Zeichen gelten, dass das Thier durch die Thyreoidektomie erkrankt
war. Im Gegensätze hierzu stehen eine ganze Reihe von Versuchen, bei
denen niemals solche Glukosurie zur Beobachtung kam, bei Thieren, die
eben durch Nebenschilddrüsen geschützt waren und blieben; diese Thiere
verhielten sich vollkommen wie normale in jeder Beziehung. Auf
Tablettenzufuhr wurde entsprechend der Compensation diese Glukosurie
herabgedrückt, bezw. die Assimilationsgrenze auf ein höheres Niveau ein¬
gestellt.
1) Rahel Hirsch, diese Zeitschrift. Bd. 111. S. 393.
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
234
R. Hirsch,
Digitized by
Tabelle I.
Hund von löOOOg. Operation am 5. Juni 1907 in Aether-Narkose.
Datum.
Urin¬
menge
ccm
Glukose¬
gehalt
pCt. g
Fütterung.
Bemerkungen.
3.-4. 6.
170
Gern. Kost
4.-5. 6.
160
—
—
Gera. Kost
-f 100g Glukose
5.—G. G.
150
—
—
Gern. Kost
Operiert Nachmittags.
6.—7. G.
170
—
—
Gern. Kost
7.-8. 6.
160
—
—
Gern. Kost
+ 100g Glukose
8.-9. G.
150
—
—
Gern. Kost
Leichte Anfälle.
9.—10. G.
150
4
G
Gern. Kost
+ 100g G1 ukose
Leichte Anfälle. 50 ccm Ader¬
lassblut 3 Stunden nach d.
Nahrungsaufn. 0,244 pCt.
Blutzuckergehalt.
10.—11. 6.
155
—
Gera. Kost
+ 5 Tabletten
Leichte Anfälle. (Tabletten:
Burroughs-Welcome u. Co.)
11. —12. 6.
180
3,4
6,12
Gern. Kost
-f 5 Tabletten
-f- 100g Glukose
Leichte Anfälle. 50ccm Ader¬
lassblut 3 Stunden nach d.
Nahrungsaufn. 0,245 pCt.
Zuckergehalt des Blutes.
12—13. 6.
180
1,4
2,52
Gern. Kost
+ 5 Tabletten
4- 100g Glukose
Leichte Anfälle.
13.-14. G.
280
—
Gern. Kost
-|- 5 Tabletten
Leichte Anfälle.
14.—15. 6.
140
0,7
0,98
Gern. Kost
+ 5 Tabletten
-f lOOgGlukose
Sehr wenige Anfälle.
16.-17. 6.
170
—
Gern. Kost
+ 6 Tab letten
17.-18. 6.
360
0,3
1,08
Gern. Kost
+ 6 Tabletten
18.—19. 6.
150
—
—
Gern. Kost
+ 6 Tabletten
Anfal lsfr ei.
19.—20. 6.
450
1
Gern. Kost
4- 6 Tabletten
Frisst das 3fachc Quan
tum der gewohnten täg¬
lichen gern. Kost, tags¬
über kein Anfall, erst Abends
schnell vorüberg. stark. Anf.
20.—21. 6.
350
Spuren.
i
i
Gern. Kost
+ 7 Tabletten
+ 100g Glukose
Keine Anfälle.
21.-22. 6.
375
_
_
Gern. Kost
+ 7 Tabl e tten
G e w i c b.t: 8950 g.
22.-23. 6.
475
—
—
Gern. Kost
+ 7 Tabletten
23.-24. 6.
375
—
—
Gern. Kost
+ 7 Tabletten
Leichte Anfälle.
24.-25. 6.
360
0,3
1,08
Gern. Kost
+ 7 Tabletten
+ lOOgGlukose
Leichte Anfäl le.
25.-26. 6.
450
"
Gern. Kost
+ 7 Tabletten
26.-27. 6.
450
—
—
Gern. Kost
-f 7 Tabletten
Leichte Anfälle.
27.-28. 6.
450
—
—
Gern. Kost
+ 7 Tabletten
28.-29. 6.
450
—
—
Gern. Kost
t 2 Tabletten
Leichte Anfälle.
30. 6.
—
—
—
— j
Exitus. Gewicht: 8000 g.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Schilddrüse und Glykosurie.
235
Tabelle II.
Hund von 12 000 g. Operation am 10. Juli 1907 in Aether-Narkose.
Datum.
Urin¬
menge
ccm
Glukose¬
gehalt
pct-! g
Fütterung.
Bemerkungen.
5.-6. 7.
300
Gern. Kost
6.—7. 7.
290
—
—
Gern. Kost
7.-8. 7.
295
—
Gern. Kost
+ lOOgGlukose
Gern. Kost
8.-9. 7.
300
—
9.—10. 7.
300
—
Gern. Kost
Nachmittags operirt.
10. —11. 7.
300
—
Gern. Kost
11.—1*2. 7.
350
—
Gern. Kost
+ lOOgG lukose
12.—13. 7.
350
—
—
Gern. Kost
Nachmitt, sehr schwerer
Anfall.
13.—14. 7.
250
—
—
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
14.-15. 7.
300
—
—
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
15.-16. 7.
250
—
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
16.—17. 7.
300
1,8
5,4
Gern. Kost
+ lOOgGlukose
Schwere Anfälle.
17.—18. 7.
250
Spuren.
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
18.-19. 7.
250
—
—
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
19.-20. 7.
250
—
—
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
21-22. 7.
250
—
—
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
22.-23. 7.
350
1,8
6,3
Gern. Kost
+ 100g Glukose
Schwere Anf. 50 ccm Ader¬
lassblut 3 Stunden nach d.
Nahrungsaufn. 0,244 pCt.
Zucker.
23.-24. 7.
300
Spuren.
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
24.-25. 7.
350
—
—
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
25.-26. 7.
525
20,4
12,6
Gern. Kost
+ lOOgGlukose
26.-27. 7.
350
Spuren.
Gern. Kost
Gewicht: 10 750 g.
27.-28. 7.
110
Spuren.
Frisst nicht
Exitus Abends.
Tabelle HI.
Hund von 7500 g. Operation am 24. October 1907 in Aether-Narkose.
Urin-
Glukose-
Datum.
menge
gehalt
Fütterung.
Bemerkungen.
ccm
pCt. i
g
18.—19.
10.
180
Gern. Kost
19.-20.
10.
180
—
—
Gern. Kost
20.—21.
10.
190
—
—
Gern. Kost
21.—22.
10.
180
4- 100g Glukose
Gern. Kost
22.-23.
10.
200
—
—
Gern. Kost
23.-24.
10.
195
—
—
Gern. Kost
24.-25.
10.
200
—
—
Gern. Kost
Am 24. Nachm, operirt.
25.-26.
10.
200
—
—
Gern. Kost
26.-27.
10.
220
—
—
Gern. Kost
27.-28.
10.
300
+ lOOgGlukose
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
28.-29.
10.
320
2
6,4
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
29.—30.
10.
300
—
+ 100g Glukose
Gern. Kost
Schwere Anfälle. Exitus.
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
236
Digitized by
R. Hirsch,
Ueberblickt man die vorliegenden Tabellen, so drängt sich der
Gedanke auf, dass die Schilddrüse hierbei nicht als glykolytisch wirk¬
sames Organ in Betracht kommt, wie man dies beim Pankreas sich
direct oder indirect vorzustellen geneigt ist, sondern, dass es die Be¬
ziehung der Schilddrüse zum Nervensystem ist, die als ätiologischer
Factor hierbei berücksichtigt werden muss, bezw. die Intoxication, welche
die Ausfallserscheinungen bedingt. Die alimentäre Glukosurie, die zuerst
von Kraus 1 ) und Ludwig beim Morbus Basedowii constatirt worden
ist, tritt auch nur in die Erscheinung, wie Hirschl 2 ) auf Grund aus¬
gedehnter Untersuchungen feststellen konnte, sobald das Krankheitsbild
im Zeichen acuter Intoxication steht (starke Abmagerung, Pulsbe¬
schleunigung, Psychosen etc.). In Parallele hierzu stehen die Fälle, bei
denen nach längerem Schilddrüsengebrauch spontane Glukosurie sich
zeigte. Das gemeinsame Moment in allen diesen angeführten Fällen beim
Hyperthyreoidismus sowohl, wie bei den Ausfallserscheinungen der
Tabelle IV.
Iluod von 13 500 g. Operation am 8. Januar 1908 in Aether-Narkose.
Datum.
Urin¬
menge
ccm
Glukose¬
gehalt
pCt. ! g
Fütterung.
Bemerkungen.
4.-5. 1.
250
I
Gera. Kost
5.-6. 1.
230
- -
Gern. Kost
6.-7. 1.
250
- 1 -
Gern. Kost
-f lOOgGlukose
7.-8. 1.
260
- ' —
Gera. Kost
8. -9. 1. /
9. —10. l.\
500
1
_ ~
Gern. Kost
Operirt am 8. Nachmittags.
10.—11. 1.
300
_ I _
Gera. Kost
+ lOOgGlukose
11.—12. 1.
250
— i —
Gern. Kost
Ganz leichte Anfälle.
12.-13. 1.
300
— —
(iem. Kost
13.—14. 1.
450
— , —
Gera. Kost
Schwere Anfälle.
14.—15. 1.
450
3 , 13,50
Gern. Kost
-|- lOOgGlukose
Gern. Kost
Schwere Anfäl le.
15.—16. 1.
250
Spuren.
Schwere Anfälle. Ge¬
wicht: 11 500 g.
16.—17. 1.
200
Spuren.
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
17.-18. 1.
170
Spuren.
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
18.-19. 1.
250
4 10,00
Gern. Kost
-f- lOOgGlukose
Schwere Anfäl le.
19.—20. 1.
160
Spuren.
1
Gern. Kost
+ 5 Tabletten
Leichte Anfälle.
20.-21. 1.
160
_ 1 _
!
Gern. Kost
-p 5 Tabletten
Leichte Anfälle.
21.-22. 1.
250
— i —
Gera. Kost
+ 5 Tabletten
Gewicht: 10 750 g.
22.-23. 1.
500
0,8 4,0
l
Gera. Kost
+ 6 Tabletten
+ lOOgGlukose
Leichte Anfälle.
24.-25. 1.
450
1
Gern. Kost
-p 500 g Milch
-f 7 Tabletten
Exitus. Gewicht: 10500g.
1) Kraus und Ludwig, Wiener klin. Wochenschrift. 1891. No. 40 u. 48.
2) Hirschl, Jahrbücher für Psychiatrie und Neurologie. 1902.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Schilddrüse und Glykosurie.
23?
Tabelle V.
Hündin von 11 750 g. Operation am 24. Januar 1908 in Aether-Narkose.
Datum.
Urin¬
menge
ccm
Glukose-
gchalt
pCt. g
Fütterung.
Bemerkungen.
18.—19. 1.
350
_
Gern. Kost
19.-20. 1.
310
—
—
Gern. Kost
20.-21. 1.
345
—
—
Gern. Kost
+ lOOgGlukose
21.—22. 1.
350
—
—
Gern. Kost
22.-23. 1.
400
—
—
Gern. Kost
23.-24. 1.
400
—
—
Gern. Kost
24.-25. 1.
410
—
_
Gern. Kost
Operirt am 24. 1. Nachm.
25.-26. 1.
375
—
—
Gern. Kost
26.-27. 1.
380
—
—
Gern. Kost
27.-28. 1.
385
—
—
Gera. Kost
28.-29. 1.
350
—
—
Gern. Kost
+ lOOgGlukose
29.—30. 1.
500
—
—
Gern. Kost
30.—31. 1.
350
—
—
Gern. Kost
31.—1. 2.
350
—
Gern. Kost
+ 100g Gl ukose
1.-2. 2.
350
—
—
Gern. Kost
2.-3. 2.
350
—
—
Gern. Kost
Leichte Anfälle.
3.-4. 2.
340
—
—
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
4.-5. 2.
400
4
16
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
+ 100 g Glukose
5.-6. 2.
400
Spuren.
Milch 500 ccm
Schwere Anfälle.
6.-7. 2.
370
—
Säuft nichts.
Abends tot.
Tabelle VI.
Hund
von 7900 g. Operation
am 31. März 1908
in Aether-Narkose.
Urin-
Glukose-
Datum.
menge
gehalt
Fütterung.
Bemerkungen.
ccm
pCt.
1 &
25.-26. 3.
250
_
Gern. Kost
26.-27. 3.
300
—
i —
Gern. Kost
27.-28. 3.
330
—
Gern. Kost
j —
+ lOOgGlukose
28.-29. 3.
300
—
! —
Gern. Kost
29.—30. 3.
300
—
! _
Gern. Kost
30.-31. 3.
300
—
—
Gern. Kost
31.3.—1.4. t
500
Gern. Kost
Operirt am 31. 3. Nach¬
1 .— 2. 4. \
mittags.
2.-3. 4.
280
—
—
Gern. Kost
3.-4. 4.
180
Spuren.
Gern. Kost
|
+ lOOgGlukose
4.-5. 4.
180
—
1 —
Gern. Kost
Leichte Anfälle.
5.-6. 4.
200
—
1 —
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
6.-7. 4.
200
15,4
1 30,8
Gern. Kost
Schwere Anfälle.
+ lOOgGl ukose
7.-8. 4.
—
—•
—
Am 8. 4. tot.
thyreoidektomirten Hunde, ist das Intoxicationsstadiura, insbesondere die
dadurch bedingte Störung des Nervensystems.
Die Athyreose, wie sie sich in dem Krankheitsbilde des Myxoedems
äussert, in directe Parallele zu dem Krankheitsbilde des thvreoidekto-
Zeitsehrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. jg
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
238
R. Hirsch
Digitized by
mirten Thieres zu setzen, ist bei der völligen Verschiedenheit des Symptomen-
complexes und Verlaufes beider Krankheiten unmöglich. Auffallend bleibt
die Beobachtung beim Myxoedem, dass sowohl eine Herabsetzung der
Assimilationsgrenze für Zucker einerseits, als auch eine erhöhte Toleranz
(Hirschl, Knöpfelmacher 1 ) andererseits, auftreten kann. Kraus und
Ludwig suchten in einer beschleunigten Resorption die Ursache dieser
alimentären Glukosurie zu deuten; der Gedanke, dass die Erhöhung der
Toleranz für Traubenzucker in der verlangsamten Resorption beim
Myxoedem in den beobachteten Fällen ihren Ausdruck finden könnte,
ist damit ohne Weiteres gegeben.
Dass als Ursache beim thyreoidektomirten Hunde nicht eine ne¬
phrogene für die Herabsetzung der Assirailationsgrenze in Betracht
kommt, zeigt der Blutzuckergehalt in Tabellen I (11.—12. Juni 1907,
9.—10. Juni 1907), II (22.—23. Juli 1902). Drei Stunden nach der
Nahrungsaufnahme, der neben der gewohnten täglichen gemischten Kost
100 g Glukose beigefügt worden war, betrug der
Blutzuckergehalt 0,245 pCt. , ... rn
bczw. 0,244 pCt. (an 2 ''erschienen Tagen)
bei einer Zuckerausscheidung von
6,0 g Glukose
bezw. 6,3 g „
Die Enteiweissung des Blutes geschah mit Quecksilberjodjodkalium
und Salzsäure, die Zuckerbestimmung nach der Allihn’ sehen Methode.
Was die Beziehung der Schilddrüse zur Pankreasglykosurie anbelangt,
so hat Lorand 2 ) angegeben, dass nach Exstirpation der Schilddrüse
unter Zurücklassung der Parathyreoideae, Hunde, denen das Pankreas
entfernt worden war, keine Zuckerausscheidung mehr zeigten. Ich habe
bei einem Hunde, der 14 Tage lang nach Exstirpation des Pankreas eine
durchschnittliche Glukosenmenge von 4 pCt. ausgeschieden hatte, die
Schilddrüsen vollständig entfernt; die Tetanie setzte am dritten
Tage nach der Operation ein; das Thier frass trotzdem die gewohnte
gemischte Kost und schied dabei 5 pCt. Glucose täglich aus. Am sechsten
Tage nach der Operation frass das Thier nicht mehr; der Urin enthielt
nur noch Spuren von Glukose; am siebenten Tage waren in dem spärlich
entleerten Urine — das Thier frass nichts mehr und nahm auch keine
Flüssigkeit mehr auf — auch nicht mehr Spuren von Traubenzucker vor¬
handen; am Abend des siebenten Tages war das Thier im tetanischen
Anfalle eingegangen. Dass hungernde Pankreasthiere keine Glukosurie
zeigen, ist bekannt. Mein Versuch kann nicht in direkte Parallele zu
dem Lorand’schen gesetzt werden, da ich die Schilddrüsen mit den
Epithelkörperchen exstirpirt hatte. Dass aber die vollständigen Ausfalls¬
erscheinungen, wie sie in der tödtlichen Tetanie sich äussern, die Pankreas-
glvkosurie nicht hemmen, geht aus dem erwähnten Fall evident hervor.
Lorand betont übrigens selber die Möglichkeit, dass das Vcr-
1) Knöpfelmacher, Wien. klin. Wochenschr. 1904. S. 244.
2) Lorand, Transactions of the Puthologicul Society of London. Yol. 57.
1900. Part 1. pag. KL
Gck igle
Original ftom
UMIVERSITY OF MICHIGAN
Schilddrüse und Glykosurie.
239
Tabelle VII.
Hündin von 8000 g Körpergewicht am 3. März 1908.
Urin¬
Glukose¬
Datum.
menge
gehalt
Fütterung.
Bemerkungen.
ccm
pCt. ,
g
3.-4. 3.
500
Gern. Kost
4.-5. 3.
800
—
Gern. Kost
+ 100g Glukose
5. — 6. 3.
420
—
_
Gern. Kost
G.—7. 3.
420
—
Gern. Kost
7.-8. 3.
450
—
—
Gern. Kost
8.-9. 3.
480
— 1
—
Gern. Kost
9.-10. 3.
450
—
—
Gern. Kost
10.—11. 3.
450
—
—
Gern. Kost
11—12. 3.
450
—
—
Gern. Kost
Operirt am 12. 3. Grosse
12.—13. 3.
Verloren.
—
—
Gern. Kost
blutreiche Drüsen. Morph.-
Aether-Narkosc.
13.—14. 3.
400
—
—
Gern. Kost
Gewicht: 7000 g.
14.—15. 3.
420
—
—
Gern. Kost
15.—16. 3.
100
—
—
Gern. Kost
+ lOOgGlukosc
16.—17. 3.
150
—
—
Gern. Kost
17.—18. 3.
250
Spuren.
Spuren.
Gern. Kost
18.—19. 3.
450
Gern. Kost
19.-20. 3.
465
—
I —
Gern. Kost
20.—21. 3.
480
1
+ 100g Glukose
Spuren.
Gern. Kost
21.—22. 3.
500
Spuren.
Gern. Kost
22.-23. 3.
500
—
! —
Gern. Kost
23.-24. 3.
500
—
—
Gern. Kost
24.-25. 3.
500
—
—
Gera. Kost
25.-26. 3.
600
—
—
Gern. Kost
26.-27. 3.
600
—
—
Gern. Kost
27.-28. 3.
620
—
—
Gern. Kost
28.-29. 3.
780
—
—
Gern. Kost
29.—30. 3.
730
—
—
Gern. Kost
30. 3.—1.4.
750
—
—
Gern. Kost
1.—2. 4.
800
—
—
Gera. Kost
6 —7. 4.
860
—
—
Gern. Kost
7.-8. 4.
700
—
—
Gera. Kost
10.—11. 4.
715
—
—
Gera. Kost
11.—12. 4.
1000
—
—
Gera. Kost
12.-13. 4.
700
—
—
Gera. Kost
13.-14. 4.
680
—
—
Gern. Kost
Am 14. wiederum operirt.
14.—15. 4.
—
—
—
Frisst nicht,
Kleine accessorischc
säuft nicht.
Nebenschilddrüse ent¬
15.—16. 4.
25
—
—
Frisst nicht.
fernt (ziemlich tief unten
16.-17. 4.
—
—
—
Frisst nicht.
an der Trachea liegend).
17.—18. 4.
—
—
—
Frisst nicht.
18.-19. 4.
200
1,2
2,4
Mittags
Abends 3 ccm Schilddrüsen¬
get ressen.
saft subcutan.
19.-20. 4.
50
—
—
Frisst nicht,
Abends 3 ccm Schilddrüsen¬
i
säuft nicht.
saft subcutan.
20.—21. 4.
—
—
—
Frisst nicht.
21.-22. 4.
50
2,4 |
1 1,2
Frisst nicht,
Urin eiweisshaltig, enthält
|
säuft nicht.
zahlreiche rotheBlutkörper¬
chen, keine Cylinder.
22.-23. 4.
—
—
i
Frisst nicht,
Abends 3 ccm frisch. Schild¬
i
säuft nicht.
drüsensaft intravenös. In
der Nacht Exitus.
IG*
Digitized by
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
240
ft. Hirsch, Schilddrüse und Glykosurie.
Digitized by
schwinden der Glukose „terminale“ Erscheinung sein könne. Die vor¬
liegenden Versuche zeigen jedenfalls wiederum, wie die in der ersten
Mittheilung, dass bei den thyreoidcktomirten Hunden, bei denen die Aus¬
fallserscheinungen in tödtlicher Tetanie sich äusserten, eine Herabsetzung
der Assimilationsgrenze für Traubenzucker besteht.
Bei einem dieser Hunde, Tabelle VH, trat spontane Glukosurie ein,
ohne dass vermehrte Kohlehydrate zugeführt worden waren, ja selbst,
als das Thier drei Tage keine Nahrung mehr zu sich genommen
hatte. Die subcutane Injection von frischem Schilddrüsensaft hatte in
diesem Falle das Allgemeinbefinden des Thieres in keiner Weise günstig
beeinflusst. Der Hund verweigerte trotz der Injection jegliche Nahrungs¬
aufnahme und starb kurz nach der dritten Injection.
Zusammenfassung.
I. Die vollständige Thyreoidektomie, die in tödtlicher Tetanie sich
charakterisirt, zeigt bei Hunden symptomatisch eine Herabsetzung der
Assimilation für Traubenzucker, wie im Ganzen an 14 Hunden beobachtet
werden konnte.
II. Diese Stoffwechselstörung tritt nicht unmittelbar im Anschluss
an die Operation auf,' sondern erst, sobald sich Ausfallserscheinungen
überhaupt zeigen.
III. Bei einer ganzen Reihe von Thieren (Hunden), denen die Haupt¬
schilddrüsen entfernt worden waren, die aber niemals irgend welche
Krankheitszeichen erkennen Hessen, aber durch Nebenschilddrüsen ge¬
schützt waren, zeigte sich keine Glukosurie nach Zufuhr von 100 g
Traubenzucker.
IV. Eines der Thiere zeigte spontane Glukosurie, auch im hungernden
Zustande; dieser Hund war mit Injectionen von frischem Schilddrüsen¬
saft behandelt worden, ohne dass der Allgemeinzustand des Thieres
günstig dadurch beeinflusst worden wäre.
V. Die Zufuhr von Tabletten begünstigt die Assimilation der Glukose,
insofern sie die Ausfallserscheinungen überhaupt zu compensiren vermag.
VI. Da die Glukosurie erst gleichzeitig mit der Tetanie einsetzt, oft
erst am 4.—5. Tage nach der Operation, ist nicht anzunehmen, dass die
Störung auf eine glykolytische Function der Schilddrüsen hinweist, sondern
als Ausfallssymptom in Zusammenhang mit der Störung des
Nervensystems steht.
VII. Die Glukosurie geht parallel mit Hyperglykaemie.
VIII. Von Thieren mit vollständiger Thyreoidektomie eignen sich
überhaupt nur wenige für Stoffwechseluntersuchungen, da die Thiere theils
im ersten tetanischen An falle eingehen, theils weil sie jegliche Nahrungs¬
aufnahme verweigern und Schlundsondenfütterung bei solchen Hunden
unmöglich ist, da sofort bei Einführung der Sonde ein Anfall ausge¬
löst wird.
Die Arbeit wurde ermöglicht durch die Unterstützung, die mir das
Curatorium der Gräfin Bose-Stiftung zu Thcil werden liess.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XXII.
Aus der medicinischen Klinik der Universität Marburg a. L.
Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
Von
V. Sonnenkalb.
(Curven in Diagraramforinat ara Endo der Arbeit.)
Einleitung.
lieber die Einwirkung der Arzneimittel auf den menschlichen Kreis¬
lauf sind eingehendere Untersuchungen noch nicht angestellt worden.
Man hat sich im allgemeinen begnügt, rein aus dem klinischen Ver¬
lauf von der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines Kreislaufmittels sich
zu überzeugen, und hat dabei manche interessanten Beobachtungen ge¬
macht, deren genauere Analyse mit den damaligen Methoden der
Inspection, Palpation, des Pulszählens und der Feststellung von Diurese
und Athmung jedoch nicht immer gelang. Die Pharmakologie hat uns
dann durch Thierversuche unter Anwendung der verschiedensten Methoden
(Druckmessung, Plethysmographie, Arbeit am isolierten Herzen etc.) die
Pharmakodynamik unserer Kreislaufmittel geklärt und hat uns manchen
werthvollcn Aufschluss gebracht auch über Dinge, die uns klinisch be¬
kannt, aber nicht deutbar waren. Die Werthschätzung dieser wissen¬
schaftlichen Resultate darf jedoch nicht zu weit gehen, denn man muss
immerhin bedenken, dass sie vorwiegend am gesunden Thier gewonnen
worden sind, und dass ihre Uebertragung von einer andern Thiergattung
auf den Menschen nicht für alle Einzelheiten angängig ist. Der Forderung
Pawlow’s, Pharmakologio am kranken Thier zu treiben, ist von ver¬
schiedenen Seiten wohl nachgekommen worden, auch für Untersuchungen
von Kreislaufmitteln. (Romberg, Pässler u. A.), doch sind diese
Untersuchungen nicht sehr zahlreich.
Zur Klärung unserer Kenntnisse ist es aber unbedingt nothwendig,
die Erfahrung am menschlichen Kreislauf, am gesunden wie am
kranken, direkt zu gewinnen. Zwei Momente standen diesem Vorgehen
entgegen; erstens die für eine Anzahl von Präparaten nach Ort und
Jahreszeit oft schwankende Stärke der Arzneimittel die Fixirung des
wirksamen chemischen Complexes, die Anwendungsform und zweitens die
Untersuchungstechnik, ln beiden Punkten haben wir in den letzten
Jahren ganz bedeutende Fortschritte gemacht, indem wir gerade bei
Kreislaufmitteln eine Anzahl von Präparaten erhalten haben, die eine
constante Wirkung besitzen, die sich vor allem auch mit Umgehung
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHIGAN
242
V. Sonnen kalb,
Digitized by
des Magen-Darrakanals anwenden lassen. Auch unsere Technik hat sich
bedeutend verbessert. Die Bestimmungen des diastolischen und systolischen
Blutdrucks (Sahli, Strassburger, Erlanger-Hooker, Massing u. A.)
im Verein mit einem neuen Instrument zur unblutigen Bestimmung des
Blutdrucks (Tonometer-Recklinghausen) haben uns in Stand gesetzt,
uns in den peripheren Gefässgebieten doch mit einer gewissen Genauigkeit
über den dort herrschenden Blutdruck zu orientiren. Dass wir hierbei
natürlich keine absoluten Werthe erhalten, braucht wohl nicht weiter
ausgeführt zu werden. Hat man aber bei ein und demselben Patienten
bei fortlaufenden Bestimmungen immer die gleichen Fehler, so kann man
natürlich mit einiger Reserve Schlüsse aus diesen Bestimmungen auf den
Kreislauf ziehen. Man ist sogar schon weiter gegangen und hat aus der
Combination der systolischen und diastolischen Werthe, in Verbindung
mit der Pulszahl, gewisse Werthe gebildet, die uns über Strömungs¬
geschwindigkeit, Herzarbeit etc. Aufschluss geben und uns die Möglich¬
keit bieten sollen, zwei wichtige Faktoren des Kreislaufs auseinander zu
halten, die Arbeit des Herzens und die der peripheren Gefässe. Näheres
über diese Punkte ist weiter unten ausgeführt.
Damit fallen die hauptsächlichsten hindernden Momente für die
Untersuchung am Menschen fort, und ich habe mich in Folge dessen auf
Veranlassung von Herrn Priv.-Doc. Dr. v. d. Velden 1 ) mit der Wirkung der
wichtigsten Herz- und Gefässmittel auf den menschlichen Kreislauf
eingehend beschäftigt. Ich habe Versuche angestellt mit Campher,
Coffein, Theobromin, Natr. nitros., Chloralhydrat, Morphium,
Kochsalz, Atropin, Kal. jodat. Die beiden letzteren Stoffe, über die
die vorliegenden Versuche noch keine eindeutigen Resultate ergeben haben,
müssen erst noch durch eine längere Reihe von Experimenten in ihrer
Wirkung festgelegt werden. Sodann habe ich mich noch mit einem neueren
Präparat, dem Bromural ^-Monobromisovalerianylharnstoff) beschäftigt,
das uns in bestimmten Fällen in der Marburger medizinischen Klinik so
gute Dienste leistete, dass es uns einer eingehenden Untersuchung werth
erschien.
Ich habe mich bei meinen Versuchen der von v. d. Velden in
seinen Arbeiten festgelegten und ausführlich beschriebenen Functions¬
prüfung des Kreislaufs bedient, und habe dieselbe mit dem v. Reck-
linghausen’schen Tonometer, das wegen seiner exacten Arbeit jetzt
wohl allgemein bevorzugt wird, ausgeführt. Es würde mich zu weit
führen, wollte ich genau auf diese Art der Kreislaufprüfung eingehen, ich
muss dabei auf das im vorigen Jahre erschienene Buch von v. d. Velden 2 j
hinweisen, und kann sie nur mit einigen Worten beschreiben.
Das Wesentliche ist, dass an den Kreislauf bestimmte, ganz genau abzustufende
Anforderungen gestellt werden. Hierbei werden bestimmte Messungen ausgeführt,
die die Art des Zusammenarbeitens von Herz und Gelassen erkennen lassen sollen.
Der zu Untersuchende wird nacheinander 1. horizontal liegend, 2. und 3. sitzend,
und zwar einmal mit horizontal gelagerten und dann mit herabhängenden Beinen,
1) Sitzgsber. d. Gesellsch. z. Bef. d. ges. Naturw. Marburg. I. 1908. 1.
2) Coordinationsstörungen des Kreislaufs. Marburg 1907.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSSTY OF MICHIGAN
Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
243
und 4. stehend mit dem Tonometer gemessen, wobei die Manschette am rechten Arm
in Herzhöhe befestigt und dieser rechtwinklig gebeugt passiv (durch eine Mitella) am
Körper fixiert wird. In jeder Stellung werden diastolischer Werth oscillatorisch,
systolischer Werth palpatorisch in Kubikcentimetern H 2 0 bestimmt, zugleich jedesmal
der Puls und zu Anfang jeder Functionsprüfung die Athmung gezählt. Aus diesen
Werthen ist es nun möglich, den in dem Armbezirk herrschenden Gefässtonus, den
arteriellen Mitteldruck, Pulswelle, Strömungsintensität, einzeln systolische Herzarbeit
und Herzleistung in der Zeiteinheit zu berechnen. Alle Maasse, die sich auf das
Herz beziehen, sind dabei relativ, da sie aus der Peripherie gewonnen sind, und
in bestimmten Fällen überhaupt nicht zu gebrauchen, nämlich dann,
wenn ein Antagonismus der Gefässweite zwischen Peripherie und Splancbnicusgebiet
besteht, der so und so oft verkannt wird. Wir werden darauf später noch genauer
eingehen. Es bat sich nun gezeigt, dass sich beim normalen Menschen ein ganz be¬
stimmter Verlauf der Curven, auch der für die Herzarbeit, ergiebt, der nur in ganz
geringen Grenzen variirt. Ich lasse zunächst aus Veldens Arbeit eine dieser als
normal anzusprechenden Coordinationsprüfungen folgen, eine Curve wie ich sie auch
beim Normalen stets gefunden habe. Dabei haben die in der 1. Rubrik stehenden
Ausdrücke nach der v. d. Velden’schen Definition folgende Bedeutung:
R = Athmungsfrequenz. q = Blutdruckquotient,
n = Pulsfrequenz. n X m = rel. Maass für die Strömungs-
s = systolischer Druck. intensität.
d = diastolischer Druck. m X <1 = rel. Maass für die Herzarbeit,
p = Pulsdruck (Amplitude). m X q X n = rel. Herzarbeit in der
m = Mitteldruck. Zeiteinheit.
Die verschiedenen Stellungen 1—4 (s. oben) sind mit A, B, C, D bezeichnet.
Fig. 1 (Versuch I).
HO
m
J00
Versuch I.
Prot. 1. W. M., 20 Jahre. 15. 12. 1906.
A
B
c !
D
R
!
20
j
n
72 1
70
70 1
78
s
172
180 |
174
168
d
100
105 i
104
102
P
72
75
70
66
m
136
142
139
135
P
<J = sT
0,41
0,41
0.4
0,39
nXp
5148
5250
5140
5148
mX P
s
55,8
58,2
55,6
52,6
m X P X n
s
4017
4074
3892
1 4096
i
Difitized
by Google
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
244
V. Sonnenkalb,
Digitized by
Normaler Mensch. (Aus Velden, Coordinationsstörungen des Kreislaufs, S. 62.)
m und s zeigen etwas höhere Werthe. Roaction in normalen Grenzen, bei D
Neigung zum Abfall, d zeigt einen s annähernd parallelen Verlauf, p, an der
oberen physiologischen Grenze, hält sich mit seinen reactiven Werthen in den als
normal anerkannten Grenzen, während q wie s eine geringe, aber noch physiologische
Tendenz zum Fallen zeigt, n X P hält sich, wie das Minutenproduot, auf gleicher
Höhe. Die Herzarbeit zeigt gegen Ende mehrfach Tendenz zum Fallen. Frequenz-
reaction ist normal.
Resultat: Coordinirtes, normales Bild, alle Werthe in normalen Grenzen.
Nach Strassburger und Hooker spricht der ganze Befund auch für normalen
Verlauf des Kreislaufs.
Der Vergleich pathologischer Verhältnisse mit dieser normalen Curve
der Functionsprüfung lässt nun natürlich einen berechtigten Schluss zu
auf die krankhaften Kreislaufänderungen, und durch die von Velden
durchgeführte Analyse sind wir auch befähigt, nicht nur zu bestimmen,
ob allgemein ein hoher oder tiefer Blutdruck vorliegt, sondern auch,
selbstverständlich mit gewissen Einschränkungen, welche Com-
ponente wir vorwiegend bei den krankhaften Erscheinungen des Kreislaufes
ergriffen ist. Sodann können wir feststellen, ob das pathologische
Functioniren der Kreislaufregulation durch Mehranlorderungen, wie sie
diese Prüfung mit sich bringt, noch gesteigert wird. Sehr oft hat
man im Anfang der Prüfung keine krankhaften Verhältnisse,
sie kommen bei Anforderungen an die beiden Kreislauf-
componenten im Verlauf der Prüfung erst heraus. Zu betonen
ist aber, dass man sich wohl davor hüten muss, die Werthe, die in
directer Beziehung zur Herzarbeit stehen, als absolute anzusehen, denn
sie sind ja gewonnen durch Beobachtung nur eines, und zwar eines be¬
schränkten Abschnittes der Peripherie; doch sind sie für einfach liegende
Verhältnisse untereinander gut zu verwerthen, wenn nämlich gleichsinnige
Veränderungen in allen Gefässgebietcn vorliegen. Nun lehrt aber die
Erfahrung, dass zwischen Peripherie. und Spanchnicusgebiet unter Um¬
ständen ein Antagonismus besteht, dass die gut arbeitenden Vasomotoren
Erweiterungen der Bauchgefässe mit einer peripheren Constriction be¬
antworten und umgekehrt. Dann sind die unter den drei letzten
Rubriken (B, C, D) gewonnenen Werthe als Ausdruck der Herzenergie auf
keinen Fall zu verwerthen. Hält man sich das Obenerwähnte vor
Augen und lässt sich nicht verleiten, durch die gewonnenen Werthe
Schlüsse zu ziehen, zu denen unsere Versuchsraethode eben nicht be¬
rechtigt, so haben wir hier eine Functionsprüfung für den Kreislauf vor
uns, die den klinischen Ansprüchen genügt, wie auch die durch unsere Ver¬
suche gewonnenen Resultate beweisen werden, die eigentlich stets das
aus Thierexperiment und klinischen Erfahrungen hergeleitete Urtheil üher
die entsprechenden Pharmaca bestätigen, ihre Wirkungsweise sogar genauer
und präciser umgrenzen.
Welche Vortheile unsere Versuchsanordnung vor der bei Gebrauch
der Arzneimittel von einzelnen Autoren angewandten Blutdruckmessung
in der gleichbleibenden, meist liegenden Stellung haben, liegt auf der
Hand. Wir sind nur durch Relationen zwischen den Werthen der
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Zur Pharmakologie der Kreislaufsooordination.
245
einzelnen Stellungen berechtigt, einen Schluss auf die Herzarbeit zu
ziehen, namentlich dadurch, dass wir ihr Verhalten den geringen An¬
forderungen des Stellungswechsels gegenüber untersuchen. Zugleich ge¬
winnen wir ein sicheres Urtheil darüber, ob der Tonus der Gefässe
kräftig und constant ist, ob er mit einer normalen oder hypernormalen
Erregbarkeit der Vasomotoren einhergeht. Denn unzweifelhaft giebt es
auch eine mit Vasodilatation einhergehende Uebererregbarkeit der Vaso¬
motoren, also es ist die Aenderung von Tonus und Erregbarkeit nicht
immer gleichsinnig. Dasselbe findet sich auch in Bezug aufs Herz.
Ich stellte nun die I. Messung kurz vor Verabreichung des Mittels
an und sah, wie sich die Kreislaufverhältnisse in ihren beiden Compo-
nenten verhielten, und konnte dann durch weitere, nach Eintritt der
pharmakologischen Wirkung eingeleitete Messungen sehr schön con-
statiren, welche der beiden Componenten vorwiegend, Herz oder Gefässe,
und wie sie beeinflusst wurden. Bemerken möchte ich nur, dass es
nicht immer möglich war, eine völlige Beruhigung vor der Messung in
den einzelnen Stellungen abzuwarten, da wir es oft mit Schwerkranken
zu thun hatten. Wir haben uns dann dadurch geholfen, dass wir die
Stellungsänderung durch Unterstützung möglichst passiv ausführen Hessen
Ich habe jede Versuchsreihe zunächst mit einer Reihe normaler Fälle
begonnen, und bin dann erst zum pathologischen Kreislauf übergegangen,
und es ist hier im allgemeinen schon zu sagen, dass am kranken
Circulationssystem dieselben Veränderungen auf Zufuhr der Pharmaca,
nur noch eclatanter, zu Tage traten wie beim Normalen.
Die Eintheilung der folgenden Capitel ist so getroffen, dass nach einer
kurzen orientirenden Uebersicht über die bisher bekannten Thatsachen
der in Frage stehenden Substanzen, die Resultate zusammenhängend be¬
sprochen werden, wie sie sich aus unseren Untersuchungen ergaben. Am
Schluss der einzelnen Capitel stehen dann diesbezügliche Protokolle, von
denen selbstverständlich nur ein kleiner Theil in extenso mitgetheilt
werden konnte.
Campher.
Die Wirkung des Camphers auf den Kreislauf ist bis jetzt wohl nur thier-
experimentell eingehend untersucht worden. Nach diesen Versuchen zerfällt die
Wirkung des Camphers in 2 Componenten: 1. in die Wirkung aufs Cor, 2. in die
auf die peripheren Gefässe und ihre nervösen Centralapparate. Während nun die
erstere ein viel umstrittenes Gebiet darstellt, darf man die GefässWirkung des
Camphers wohl für das Thier als allgemein anerkannt darstellen. Man hat gefunden,
dass nach Camphergaben am Thier der Blutdruck steigt, und zwar, dass diese
Steigerung eine periodische ist (Wiedemann). 1 ) Diese Druckerhöhung wird nach
den eingehenden Versuchen Wied ernannt hervorgerufen durch eine Erregung der
medullären Vasomotorencentren (cf. auch Lewin). 2 ) Paessler 3 ) wies nach, dass
1) Wiedemann, Beiträge zur Pharmakologie des Camphers. Arch. f. exper.
Pharraakol. Bd. 6.
2) Lewin, Beiträge zur Pharmakologie des Camphers. Arch. f. exper. Pharma¬
kologie. Bd. 27.
3) Paessler, Experimentelle Untersuchungen über die allgemeine Therapie der
Kreislaufstörungen bei acuten Infectionskrankheiten. Deutsch. Arch. f.klin.Med. Bd.64.
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246
V. Sonnen kalb
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eine Steigerung des Tonus nicht nur ain normalen, sondern auch am pathologischen
Kreislauf regelmässig eintritt. Winterberg 1 ) fand zwar nach grossen Dosen eine
Vasodilatation, verlegte aber den Angriffspunkt des Campbers in diesen Fällen in die
peripheren Apparate. Was nun die Wirkung des Camphers aufs Cor anlangt, so
hat sich zunächst gezeigt, dass derselbe auf das normal arbeitende Herz gar keine
Wirkung ausübt, wenigstens beim Säugethier nicht. Gottlieb 2 ) giebt an, dass der
Campher an der absoluten Kraft der normalen Systole keine Aenderungen hervorrufe;
unzweifelhaft günstig ist dagegen die Wirkung, die am geschädigten Cor durch
Campher hervorgerufen wird. Gottlieb präcisirt seine Resultate dahin, dass der
Campher „bei pathologischem Versagen die Anspruchsfähigkeit oder Erregbarkeit des
Herzens steigert, so dass das Herz zu neuen Leistungen fähig wird.“ Im Gegensatz
zu diesen durchweg günstigen Resultaten kam Winterberg 1 ) zu dem Ergebniss, dass
Campher in jedem Falle schädigend auf das Warmblüterherz einwirke. Böhme 3 )
stellte dann noch fest, dass der Campher an den reizerzeugenden Apparaten angreift
im Sinne einer Erregbarkeitssteigerung. Diesen Versuchen, die durchaus nicht ein¬
deutig sind, stehen die günstigen klinischen Erfahrungen gegenüber, wenn auch
Happich unter Umständen eine schädigende Wirkung des Camphers aufs Cor fest-
gestellt hat. Untersuchungen am menschlichen Kreislauf mit den neuen Unter¬
suchungsmethoden fehlen noch.
Gehen wir nun zu unseren Versuchen über, die wir am Menschen
mit der Eingangs besprochenen Methode angestellt haben. Wir haben
im Ganzen 8 Campherversuehe sowohl am Kreislaufgesunden wie am
Kreislaufkranken (Arteriosklerose, decorapensirtes Vitium, Kreislauf-
Insufficicnz in Folge von Infectionskrankheiten, Kreislauf-Neurosen) unter¬
nommen, und zwar haben wir Ol. camph. fort, in Dosen von 1,0—2,0
subcutan injicirt. Erwähnt sei der principielle Unterschied zwischen
unsern Versuchen und den oben erwähnten am Thier unternommenen,
der in der Grösse der angewandten Dosen liegt (2,0 01. camph. = ca.
0,007 pro Kilogramm Mensch gegen 0,5—0,2 pro Kilogramm
Kaninchen). Der Verlauf der Versuche war derartig, dass wir nach
Feststellung der Anfangswerthe die Injection folgen Hessen, und sodann
die 2. Messung ungefähr 20 Minuten, die 3. Messung 50 Minuten nach
der Injection Vornahmen.
Ara meisten ins Auge springt die Wirkung des Camphers auf die
Vasomotoren. In den meisten Fällen sahen wir zunächst eine wenn
auch nicht sehr starke Uebererregbarkeit der Gefässnerven: deutlich
tritt das bei einem Fall von Pneumonie mit gleichzeitiger Kreislauf¬
schwäche hervor (Versuch IV), wo die Spitze der diastolischen Werthe
in der II. Messung bei C liegt, und bei einem Falle von Arteriosklerose
in der II. Messung bei D. Weniger eclatant, aber fast immer vorhanden
war diese Vasomotorenerregbarkeit bei den anderen Versuchen. Anderer¬
seits fanden wir bei einem Mitralvitium, das schwer decompensirt in
die Klinik kam und dessen Kreislauf durch Strophantin und Campher
1) Winterberg, Experimentelle Untersuchungen über die Wirkung des
Camphers auf das Herz und die Gefässe der Säugethiere. Pllüger’s Arch. Bd. 14.
2) Gott lieb, Herzmittel und Vasomotorenmittel. Verb. d. XIX. Cong. f. innere
Med. Wiesbaden 1901.
3) Böhme, Ueber die Wirkung des Camphers auf das durch Chloralhydrat
vergiftete Frosch herz. Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. 52.
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UNIVERSUM OF MICHIGAN
Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
247
schon bedeutend gebessert war (Versuch III), eine geringere Vasomotoren¬
erregbarkeit nach der Injection als bei der I. Messung, wo die Gefäss-
nerven colossal erregt arbeiteten. Neben dieser Uebererregbarkeit des
Vasomotorensystems tritt aber schon gewöhnlich bei der II. Messung
ein kräftigerer Gefässtonus hervor, namentlich da, wo wir es mit
einem labilem Gefässsystem zu thun haben (Versuch II, III); das zeigt
sich einmal in dem Hochgehen der diastolischen Werthe, und dann auch
in einem regelmässigen Verlauf der 2. Curve. Namentlich bei der schon
erwähnten Pneumonie (Versuch IV) wird der Tonus im allgemeinen kräftig
und gleichmässig, während daneben bei C eine geringe Erregbarkeit
hervortritt Den besseren Tonus fanden wir auch bei dem oben er¬
wähnten Mitralvitium (Versuch HI), bei dem dagegen die Erregbarkeit
gleichzeitig abnahra, sowie bei 2 Phthisen, die ja unter ihrem labilen
Gefässsystem oft sehr zu leiden haben. Sein Optimum dagegen erreicht
der Tonus gewöhnlich erst später, nach 50 Minuten, bei der III. Messung.
Wenn man sieht, wie aus einer uncoordinirten oft eine coordinirte Curve
wird, so ist das an und für sich wohl beweisend genug. Der frühere labile
Gefässtonus ist stark, hält sich constant auf seiner Höhe und vermag sich
der oft schwankenden Herzarbeit in vollkommenster Weise anzupassen.
Zugleich vermochten wir in den meisten Curven einen äusserst
günstigen Einfluss auf die Herzarbeit festzustellen. In den meisten
Fällen handelt es sich um eine Regulation der vorher schwankenden
Thätigkeit des Cor, ein besseres Reagiren auf die vermehrten Anforde¬
rungen, die an dasselbe bei den verschiedenen Körperhaltungen gestellt
wurden. Daneben war in einigen Fällen und zwar gerade da, wo der
Kreislauf und die Herzkraft besonders darnieder lagen, ein deutliches
Steigen der Energie sowohl in der Einzel- wie der Gesammtleistung fest¬
zustellen, während es in anderen Fällen ausblieb. Die hauptsächlichste
Herzwirkung des Caraphers scheint also in einem zweckmässigen An¬
sprechen des Cor auf die ihm übermittelten Reize zu bestehen. Die
gute Regulation der Herzthätigkeit konnten wir bei einer Arteriosklerose
beobachten, wo die Herzarbeit bei der I. Messung von A bis D constant
abfiel und nur durch die Pulsfrequenz bei D hochgehalten werden konnte,
bei den anderen dagegen sich mehr auf constanter Höhe hielt. Auch
bei 2 Fällen von Pneumonie (Versuch IV, V) war das zu sehen. Weniger
eklatant, aber doch erkennbar spricht sich dieses Verhalten in den anderen
Protokollen aus. Interessant ist es, dass bei dem oben schon erwähnten
Fall von Mitralinsufficienz (Versuch III), wo das Herz zuerst mit einem
starken, aber schwankenden Kraftaufwand arbeitete, die Arbeitsleistung
offensichtlich auf ein geringes Maass zurückgeführt wurde. Was nun die
absolute Kräftigung der Herzarbeit durch Campher anbelangt, so zeigt
sich eine solche namentlich in 2 Fällen von Pneumonie (Versuch IV, V),
wo das Herz sehr geschwächt und der Puls weich war. In beiden
Fällen steigt die absolute Herzenergie beträchtlich an.
Während so der Camhper auf jede einzelne Kreislaufcomponente einen
unzweifelhaft günstigen Einfluss ausübt, wird die Wirkung dadurch eine
noch bessere, dass das Zusammenarbeiten von Vasomotoren und Cor ein
besseres, oft optimales wird.
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V. ;Sa<i«enk f»|b,
Afidcrerseiis muss man aller <u(iefju)i. wie schon Seh mifdeb-er.g
juiführt, (lass die Wirkung des Cainphers in ihrer Stärke nie genau iia
dosiren ist. Der Erfolg, der in dem einer. Falle eklatant ist, lässt im
anderen doch zuweilen au wünschen -übrig. 1 » Dasselbe gilt von dei
Dauer der.Caroßberwirkung. Sie tritt relativ schnell ein. Immer konnten
wir sie nach spätestens 20 Minoron schon ver/eichncm, ausser in einem
Falle iVet'Siidi V), wo sie erst nach i\0 Mmun-n 1. er vor; rat. ''Anderersei».s
klingt sie sciiii,;!! ab, bei ismteh Versuchen schon nach hi) Minuten und »war
betrifft das Abklingen nicht beide Fäetoreo gleichzeitig. '■ Wir ' sähen ein
Sinken des Tmtus bei- noch hüdigebaliencr Hofzthätigkcit und umgekehfE.
Es ergiebl s'icli also uns den UiOefstichutjgen, dass der Campher ein
gut und nanii'inCmh schnell wirkendes Analepneutß für den ganzen Kicis-
iauf ist; dass er aber wegen seiner kupier, Wirkungsdauer oft, mindestens,.
Sslündliuh in Dosen von 2,0—3,0, gegeben werden muss, wenn länger
dauernde Effecte' erzielt werden sollen. -.Soll-- dem'-'Krakläuf über- ein
akutes Erlahmen bimveggeholfori werden, z. D, beim Colbps. midi der
Narkose,-So wird es liier -vorzügliche Dienste leiden Weiterhin scheun
es seine beste Wirkung da zu-entfalten,. wo baoptsäehlmh das Rep; schwof
durch eine organische Erkrankung seines Muskels geschädigt ist Fs
stinvim dies mit der klinischer, Erfahrung vollständig übereil'.. Es ist
uns nur der F.ir,blink in die Dynamik des Catnphörs am menschlichen
Kreislauf klarer geworden und die Uniieation können wir pr,iciser sU-lleu;
V e .-u v I. il
Pjw(: % Cv Seit,' 20 .tahrt. 4 . - 12 . 1207 su-hc Kig. % hitdrol.
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I. 'Bn. Bei Ü ttit* (>*‘{ipht^D Oefässn mit oinor
{■..rtfiiKhiAß; Idm * DdUed <u:h dirt uiigeiahr auf »lerselbün Hotivs im
<iur.tj) i*ei D sutti. ab/»üaiku. \\ ir haben also eim* v asooioim i;- •.. h * U^bn •
•brr*.Mrba>ir. n L)u: ArU*n ■•!vter.slärkDivn
CuDUdM.linn tnfi B '..«v, .Db* ih>* il'.- i/cc imoifc bin noch sUirKoror. AashDv
XVp.ribc \m C\ wohl tun <iti> bj;^tk v h dhB lei<Atfra^nffn(ractlon- der
i,j! VVii* an :4 im^ten PrüLokttlian kh'hr iMrvor^ftht»
Co gle
Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
249
Peripherie zu überwinden. Bei D fällt Gefässtonus und Herzarbeit gleichsinnig ab.
Das Herz passt sich also den erregten Vasomotoren gut an.
10 Uhr 5 Min.: Subcut. Inject, von 01. camphor. fort. 2,0.
II. 10 Uhr 25 Min.: Während das periphere Gefässsystera sich bei B contrahirt,
lallt die Einzelarbeit des Herzens ab, eine erhöhte Pulsfrequenz paralysirt diese ver¬
minderte Contractionsintensität aber gut. Bei C steigen die peripheren Widerstände
noch mehr, es liegt also eine übernormale Vasomotorenerregbarkeit vor, auch die
Einzelsystole ist kräftiger, die Arbeit in der Zeiteinheit sinkt dagegen ab. Bei D
lasst die Gefässcontraction nach, ebenso die systolische Arbeit des Herzens, während
seine Gesammtlcistung ansteigt. Während also in der Contractionsstärke des Herzens
sich eine Tendenz zum Abfall zeigt, wird durch Pulsverschiebung eine den Ansprüchen
entsprechende Arbeit vom Cor geleistet. Die Widerstände sind in toto etwas erhöht
im Vergleich zu I.
III. 11 Uhr: Bei B ein normales reactives Ansteigen der Widerstände, die bei
II. vorhandene periphere Contraction bei C bleibt hier weg. Der Abfall der Wider¬
stände bei D ist normal gross. Die diastolischen Werthe ergeben also dasselbe Bild
wie bei I., nur sehr gut coordinirt, ein Zeichen von ruhigem, gleichmässigem Tonus,
ln der Arbeit der Einzelsystole erscheint wieder eine leichte Tendenz zum Abfall,
wobei aber durch Steigen der Pulsfrequenz und das ausgezeichnete Zusammenarbeiten
der beiden Kreislauffactoren eine so vorzügliche Regulation geschafTen wird, dass ein
coordinirtes Bild entsteht und der Mitteldruck einen ruhigen, annähernd normalen
Verlauf nimmt.
Versuch III.
Prot. 6. M. V., 22 Jahre. 3. 12. 1907.
Vitium mitrale, kam am 13. 11. schwer decompensirt in die Klinik, am
3. 12. war eine leichte Compensation wieder erreicht.
I. 9 Uhr 40 Min.: Ein sehr erregter Kreislauf. Bei B reagiren die peripheren
Gefässe ganz normal, während das Cor in der Einzelsystole einen übermässigen Kraft¬
aufwand macht, der durch Herabgehen der Pulsfrequenz ausgeglichen wird. Bei C
verringern sich die Widerstände etwas, die Herzarbeit steigt in beiden Werthen nur
wenig an, der Mitteldruck sinkt. Bei D dagegen tritt eine Contraction in Peripherie
und Splanchnicusgebiet ein, also ein Zeichen von Vasomotorenerregbarkeit. Zugleich
steigt die Auswurfsmenge stark an, was allerdings durch ein Herabgehen des Pulses
compensirt wird. Wir findon also auffallende Schwankungen in der Herzenergie, die
etwas durch entsprechende Ausschläge des Pulses wieder ausgeglichen werden.
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Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
250
V. Sonnenkalb
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9 Uhr 50 Min.: subcut. Inject, von 01. camphor. fort. 1,0.
II. 10 Uhr 10 Min.: Das Emporschnellen der systolischen Werthe fallt ganz
weg. Bei B finden wir das normale Verhalten der Gefässe, während aber die Herz¬
arbeit etwas abfallt. Bei C tritt die normale Dilatation der Peripherie ein, verbunden
mit einem leichten Abfall der einzelsystolischen Leistung des Cor, die aber durch
Pulsverlangsamung eine starke Verminderung der Gesammtleistung ergiebt. Bei D
findet sich eine geringe periphere Vasoconstriction, die jedoch gegen die bei I D
sehr abgenommen hat. Herzenergie und -Arbeit in der Zeiteinheit bleiben fast die
gleichen.
Die Widerstände sind gegen I gesteigert, der Tonus der Gefässe ist kräftiger
und constanter. Was das Herz anbetrifft, so ist die Einzelarbeit der Systolen eine
regelmässige geworden, während die Pulszahl noch etwas schwankt.
III. 10 Uhr 40 Min.: Ein fast coordinirtes Bild, wenigstens in den diastolischen
Werthen. Der Tonus ist also gut, die vasomotorische Uebererregbarkcit fällt ganz
weg. Am Herz dagegen tritt eine etwas übernormale Leistung in der Einzelsystole
schon bei B zu Tage, die sich bei C zu einer so übermässigen gestaltet, dass die
Auswurfsmenge beträchtlich ansteigt, allerdings tritt hier der Puls com pensatorisch
mit einem starken Abfall ein. Bei D fällt die Arbeit der Einzelsystole ab, die Gesammt¬
leistung steigt dagegen.
Während also die Vasomotorenthätigkeit auf einem Optimum angelangt ist,
klingt die regulatorische Wirkung aufs Herz schon wieder ab.
Versuch IV.
Prot. 7. R. G., 54 Jahre. 5. 12. 1907.
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I. 9 Uhr 20 Min.: Das typische Bild eines seinen Anforderungen nicht ge¬
wachsenen Kreislaufs. Das Herz arbeitet gegen verringerte Widerstände. Statt der
normalen Reaction findet sich bei B ein weiteres Sinken der peripheren Widerstände,
zugleich mit einer verringerten Arbeit der Einzelsystole, die durch die geringe Puls¬
erhöhung nicht paralvsirt wird. Es sinkt demnach auch dor Mitteldruck. Bei C liegt
von Seiten der Gefässe ein Versuch vor, den Tonus zu erhöhen, während die Einzel¬
systole gleichbleibt und die gesammte Arbeit des Cor rasch weiter sinkt. Bei D tritt
eine collapsartige Erweiterung des Splanchnicusgebietes ein und zugleich eine
geringere periphere Dilatation. Ebenso fällt das Auswurfsvolumen, und da die Reaotion
des Pulses minimal bleibt, die Gesammtleistung des Cor. Also neben einem labilen
Geiasssystem ein erschöpftes Cor.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Zur Pharmakologie der Krcislaufscoordination.
251
9 Uhr 30 Min.: subeut. Inject, von 01. camp hör. fort. 1,5.
II. 10 Uhr 10 Min.: Bei B ein allerdings unter dem Normalen bleibendes An¬
steigen der peripheren Widerstände und ein kräftiges Reagiren der Herzleistungen in
Energie und Action. Bei C steigen die Widerstände etwas an, ein Zeichen für eine
geringe Erregung des Vasomotorensystems. Das Cor zeigt sich auch dem gewachsen,
indem die Contractionsstärke steigt, während sich durch Herabgehen des Pulses die
Gesammtarbeit auf gleicher Höhe hält. Bei D sinken die Gefässwiderstände. Es liegt
eine Erweiterung des Gefässsystems vor, namentlich im Splanchnicusgebiet, bei nur
wenig herabgesetzter Vasoconstriction in der Peripherie. So sehen wir, dass der
gebesserte Gefässtonus, obgleich das Cor in seinen Leistungen auch jetzt wieder
schwächer zu werden droht, das rapide Sinken des Mitteldrucks etwas aufhält. Also
neben einer Besserung der Herzarbeit von A~ C ein relativ guter Gefässtonus durch die
ganze Curve. Der hohe Pulsdruck trotz der gesteigerten Widerstände zeigt deutlich
die Kräftigung der Herzarbeit.
III. 10 Uhr 30 Min.: Bei B lindet die reactive Erhöhung der peripheren Wider¬
stände statt. Trotzdem die Arbeit der Einzelsystole und in geringerem Grade diejenige
der Zeiteinheit herabgeht, bleibt deshalb der Mitteldruck auf seiner Höhe. Bei C sind
die Widerstände ungefähr die gleichen, die Arbeit des Herzens steigt dagegen. Bei
D gehen die Widerstände, namentlich im Splanchnicusgebiete, herab, die Heiz¬
leistungen sinken aber rapid ab, so dass sich das Bild dem von I D wieder nähert.
Während also der bei II gestärkte Gefässtonus nur leise anfängt abzuklingen,
ist die erheblich gebesserte Herzenergie schon beträchtlich zurückgogangen.
Versuch V.
Prot. 8. M., 40 Jahre. 23. 1. 1908.
Zeit:
4,20.
Zeit:
4,50.
Zeit:
5,20.
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Der
Puls weich, irregulär. Horizontale Lage wegen starker Dyspnoe nicht herzustellen.
I. 4 Uhr 20 Min.: Da P. bei A nicht völlig horizontal liegt, so darf die aus¬
bleibende periphere Vasoconstriction noch zum normalen gerechnet werden. Die Herz¬
arbeit steigt etwas an. Dagegen zeigt sich eine Labilität der Splanchnicusgefässe bei
C und D, während die peripheren Gefässe auf die immer zunehmende Splanchnicus-
dilatation mit einer starken Contraction reagiren. Daher steigt trotz des immer
sinkenden Pulsvolumens der Mitteldruck in der Peripherie an. Der Puls macht nur
bei D einen schwachen Anlauf, dem dauernden Abfall der Heizleistungen zu begegnen.
4 Uhr 30 Min.: subeut. Inject, von 01. ca mp hör. fort. 1,5.
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II. 4 Uhr 50 Min.: Bei B tritt in der Peripherie eine Vasodilatation ein. Einzel¬
systolische Arbeit und Mitteldruck sinken gleichzeitig, während ein Fallen der
Gesammtarbeit des Cor durch Pulsvermehrung aufgehalten w T ird. Bei C und D liegen
im wesentlichen dieselben Verhältnisse vor wie bei I. Zustand von Herz und Gefassen
haben also keine nennenswerthe Veränderung erfahren.
III. 5 Uhr 20 Min.: Bei B eine starke periphere Contraction, die um so eher als
vasomotorische Uebererregbarkeit anzusehen ist, als bei A nicht völlig horizontale
Lage des P. vorlag. Es entsteht also bei B ein kräftiger Gefässtonus, der auch bei C
und D anhält. Die Herzleistung, die bei B ziemlich angestiegen ist, fällt bei C und
D langsam .wieder, ohne durch übermässiges Heruntergehen eine Incoordination
hervorzurufen, bei D unterstützt durch erhöhte Pulsfrequenz.
Es zeigen sich also Cor und Vasomotoren den an sie gestellten Anforderungen
gewachsen.
Coffein.
Auch hier muss streng unterschieden werden zwischen der Gefäss-
und der Herzwirkung. Ausser zahlreichen Thierexperimenten stehen uns
eine ganze Reihe am Menschen angestellter Versuche zur Verfügung.
Was die Gefässcompomente anlangt, haben wir es mit einem Mittel zu thun,
das durch starke Gefässcontraction, hervorgerufen durch Reizung der vasomotorischen
Centren, eine Erhöhung des Blutdrucks bewirkt [Wagner 1 ) und Bock 2 )]. San-
tesson 3 ) giebt an, dass die Vasoconstriction um so grösser sei, je niedriger vorher
der Blutdruck war. Riegel 4 5 ) hat am'Menschen übereinstimmende Beobachtungen
gemacht und zwar auch am pathologischen noch ausgeprägter als am normalen. Nur
Aubert 6 ) schliesst sich dieser Ansicht nicht an. Hedbom 6 ) fand fernerhin eine
Dilatation der Coronargefässe, also eine bessere Durchblutung des Herzens bei An¬
wendung von Coffein.
Die Herzwirkung des Coffein äussert sich einmal in einer Aenderung der
Pulsfrequenz und zweitens in einer Beeinflussung der Herzenergie. Ueber die
Pulsveränderung beim Säugethier haben die Untersuchungen ganz einheitliche Re¬
sultate ergeben: Bei kleinen Dosen Pulsverlangsamung, bei grösseren Beschleunigung,
die sich schliesslich, kurz vor dem Stillstand, bis zum Delirium cordis steigert
[Wagner 1 ), Swirski 7 ), Bock 2 )]. Nur Cushny’s 8 ) Versuche ergaben sofort eine
Beschleunigung. Die anfängliche Pulssenkung ist bedingt durch Vagusreizung
[Swirski 7 )], (cf. auch Bock’s Versuche am isolirten Herzen), die Beschleunigung
der Herzaction durch directe Wirkung auf die Reiz aussendenden Theile des Herzens
[Cushny 8 )]. Die grosse Reihe von am Menschen angestelltcn Versuchen (Wagner,
Leblond, Frerichs, Riegel) ergaben bei ganz verschiedenen grossen Dosen
bald eine Erhöhung, bald eine Abnahme der Pulsfrequenz. Es ist das ja dadurch
ganz erklärlich, dass bei dem einen Menschen eben das Vaguscentrum, bei andern
das Cor stärker anspricht.
1) Wagner, Experimentelle^ Untersuch. über den Einfluss des Coffein aufs
Herz u. Gefassapparat. Inaug.-Dissert. Berlin. 1885.
2) Bock, Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. 43.
3) Santessen, Skand. Arch. f. Physiol. Bd. 12.
4) Riegel, Verhandl. d. III. Cong. f. inn. Med. Wiesbaden. 1884.
5) Aubert, Plüger’s Arch. Bd. 5.
6) Hedbom, Skand. Arch. f. Physiol. Bd. 8 u. 9.
7) Swirski, Pflüger’s Arch. Bd. 103.
8) Cushny, Arch. internal, de pharmacodyn. T. IX.
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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
253
Die Energie und die Contractionsgrösse des Cor wird gleichzeitig stark erhöht
[Santesson *), Dreser 2 ) bei kleinen Dosen, Maki 3 ), Hedbom 4 )] und bei der
meist gleichzeitig vorhanden gesteigerten Pulsfrequenz in noch höherem Maase die
Leistung in der Zeiteinheit. Santesson 1 ) macht diese vermehrte Herzarbeit, die
nach ihm bei geschwächtem Kreislauf besonders stark hervortritt, abhängig von einem
Heiz, der von der Erhöhung der peripheren Widerstände ausgelöst wird (cf. die
negativen Resultate Bock’s). Nur Aubert 5 ) fand bei seinen Versuchen eine Ab¬
schwächung der Herzenergie. Wir haben wohl die Berechtigung, aus all den obigen
Ergebnissen auf eine gesteigerte Herzenergie schliessen zu dürfen.
Wir haben mit Coffein natrio-salicyl. 10 Versuche angestellt. Ge¬
wöhnlich wurde die 1. Druckbestimmung 10 Minuten vor, die 2. circa
30 Minuten, die 3. ca. 1 Stunde nach Verabreichung des Coffeins ge¬
macht. Bei den ersten 4 Versuchen verabreichten wir das Mittel per os
in Dosen von 0,3—0,4. Da aber hierbei die Resultate ziemlich ver¬
wischt waren, verwendeten wir bei den folgenden 6 Versuchen die sub-
cutane Injection in Dosen von 0,2, und erhielten mit diesen Gaben sehr
klare Bilder. Nur einmal, bei einer Pneumonie, haben wir 0,36 injicirt.
Was die Wirkung auf die Gefässcomponente des Kreislaufs
anbelangt, so haben wir an allen Fällen bis auf einen, wo wir Cotfein
per os gaben, eine meist sehr erhebliche Steigerung der peripheren Wider¬
stände nachweisen können. Bei einer hochgradigen Arteriosklerose zeigte
sich die Vasoconstriction nur undeutlich, aber auch da war sie vorhanden.
Bei den 3 anderen Versuchen, wo wir Coffein per os verabreichten,
konnten wir nun weiterhin constatiren, dass die Gefässwirkung eintrat,
ohne dass die Arbeitsleistung des Cor irgend welche Veränderung zeigte.
Es scheint also die Erhöhung des Tonus auf kleinere Gaben hin einzu¬
treten, als die Herzwirkung. Weiterhin fanden wir, dass mit dem er¬
höhten Tonus zugleich eine bedeutend gesteigerte Vasoraotoren-
erregbarkeit Hand in Hand ging, so dass z. B. aus einer coordinirten
Kreislaufcurve eine solche wurde, wie wir sie beim Gefäss-Neurotiker so
häufig finden. Und zwar klingt diese Uebererregbarkeit nicht, wie beim
Campher, nach kurzer Zeit ab, sondern ist in fast allen Fällen auch
durch die 3., nach einer Stunde vorgenommenen Messung noch zu ver¬
folgen. Wie hochgradig und geradezu verderblich diese Uebererregbarkeit
werden kann, zeigt uns ein Fall von decompensirter Mitralinsufficienz
(Versuch VIII), der bei Digitalis-Gebrauch eben anfing, sich wieder zu
compensiren. Es tritt hier beim Aufsetzen eine so heftige Vasocon¬
striction ein, dass die Herzarbeit, offenbar bei Vollwirkung des CoflFein,
relativ sinkt. Andererseits sehen wir bei einer Pneumonie (Versuch IX)
mit sehr labilem Gefässsystem eine als Herzreiz gewiss sehr heilsame
geringe Uebererregbarkeit mit gutem Tonus entstehen.
Gehen wir nun zur Wirkung des Coffein auf das Cor über, so
1) 1. c. S. 252 Anmerkung 3.
2) Dreser, Arch. f. exper. Pharmak. Bd. 24.
3) Maki, Ueber den Einfluss des Campher, Coffein, Alkohol auf das Herz.
Inaug.-Dissert. Strassburg. 1884.
4) 1. c. S. 252 Anmerkung 6.
5) 1. c. S. 252 Anmerkung 5.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. i ”
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V. Sonnen kalb,
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konnten wir zunächst bei allen Versuchen ausser bei einem Falle von
Pneumonie, ein mehr oder minder bedeutendes Herabgehen der Puls¬
frequenz constatiren, das oft schon nach 30 Minuten ganz ausgeprägt
war, zuweilen erst nach einer Stunde deutlich hervortrat. Eine Be¬
schleunigung fanden wir jedenfalls nie. Freilich wird das Sinken des
Pulses manchmal dadurch undeutlich, dass, wohl auch als Ausdruck einer
Uebererregbarkeit, ein starkes Emporschnellen stattfindet, sobald an den
Kreislauf die geringsten Anforderungen gestellt werden (Versuch 9, 7).
Es liegt dann also bei A die Pulszahl sehr tief, um dann mehr oder
weniger stark zu steigen. Ferner trat bei unseren Versuchen meist eine
nicht unbeträchtliche Steigerung der absoluten Herzenergie und eine
Erhöhung des Pulsvolumens zu Tage, die Amplitude wurde grösser. Das
fanden wir sowohl beim normalen wie beim pathologischen Kreislauf. Wir
fanden es bei einer hochgradigen Myodegeneratio (Versuch VII) und zwar
so ausgeprägt, dass das Herz offenbar auf die Höhe seiner Leistungskraft ge¬
spannt wurde. Den an dasselbe gestellten Mehranforderungen der Functions¬
prüfung konnte es dann nicht mehr nachkommen; diese Energiesteigerung
fand sich ebenfalls bei einer Arteriosklerose, wo auch das Cor seine
schon vor Coffeininjection gesteigerte Energie noch stark erhöhte. Deut¬
lich, aber weniger eklatant bewiesen uns das auch die meisten andern
Curven. Die Erhöhung der Herzenergie blieb aus bei dem schon er¬
wähnten Vitium mitrale (Versuch 8), wo das sich eben etwas erholende
Cor gegen ein enorm übererregbares Vasomotorensystem arbeiten musste,
und bei einer decompensirten Aortcninsufficienz, wo sich dem Cor, das
an und für sich schon seiner gesteigerten Arbeit nicht gewachsen war,
noch eine erneute Vasoconstriction entgegenstellte. Mit dieser unzweifel¬
haften Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Herzens verbindet sich aber
oft eine sehr starke Uebererregbarkeit. Das zeigt sich ja schon in
dem häufigen Emporschnellen des Pulses, das nicht immer durch ge¬
steigerte Anforderungen von Seiten des Gefässsystems bedingt ist. So
finden wir im Verlauf der systolischen Werthe, wie aber auch im Verlauf
der die Herzenergie bezeichnenden Curven oft Spitzen, die einer Coordi-
nation direct zuwiderlaufen. Ein solches unerwünschtes Emporschnellen
der Herzarbeit finden wir besonders eklatant bei der schon oben er¬
wähnten Aorteninsufficienz in der III. Messung und bei einer Arterio¬
sklerose, also grade in solchen Fällen, wo eine Ueberspannung der Herz¬
leistung eher schädlich wirkt. Dass diese aufs Höchste getriebene Kraft
des Herzens dazu führen kann, dass bei geringen Mehranforderungen es
sich eben erschöpft und versagt, beweist uns eine Myocarditis (Versuch 8)
in seiner 111. Messung, wo die systolischen Werthe und zugleich der
Mitteldruck bei der 3. und 4. Stellung rapide abfallen. Dagegen äussert
sich die Uebererregbarkeit des Cor wenig beim normal arbeitenden Herzen;
die Steigerung von Herzenergie und Pulsvolumen wird dort durch die
Verlangsamung der Pulsfrequenz ausgeglichen.
Auf ein decompensirtes Mitralvitium möchten wir noch hinweisen,
dem sofort nach der Aufnahme in die Klinik 0,7 Strophantin intravenös
injicirt wurde, und wo zwar der Puls von 120 auf 90 sank, ohne dass
aber häufige, eine Stunde lang wiederholte Messungen eine Aenderung
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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
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im Blutdruck zeigten. Nach Injection von 0.4 Coffein, natr. salicyl.
subcutan stiegen sofort systolische und diastolische Werthe beträchtlich
an, während der Puls noch ein wenig weiter sank.
Es sei mir nun gestattet, eine Parallele zwischen der Wirkungsweise
von Campher and Coffein zu ziehen. Der erstere wirkt auf die Gefässe
und das Cor, aber so, dass durch ein leichtes Erregungsstadium hin¬
durch ein gleichraässigerer, constanterer und meist wenig erhöhter Ge-
fässtonus eintritt. neben einer vermehrten Anspruchsfähigkeit des Cor,
die aber durchaus nicht mit gesteigerten Leistungen einherzugehen braucht,
und eigentlich nie von erheblicherer Uebererregbarkeit begleitet ist. So
kommt es, dass auf dem Höhepunkt der Wirkung ein mehr oder weniger
coordinirtes Bild zu Tage tritt. Das fanden wir beim Coffein nie.
Die Vasoconstriction ist unzweifelhaft eine kräftigere, die Hebung der abso¬
luten Herzenergie und der Gesammtleistung des Cor eine stärkere, ja
oft eine bis zur maximalen Arbeitsleistung führende. Damit verbunden
ist aber stets eine beträchtliche Uebererregbarkeit von Herz und Ge-
fässen, die schon beim Versuch am normalen Menschen aus einem coordi-
nirten einen uncoordinirten Kreislauf macht, und beim stark patho¬
logischen Cor, das gewissermassen seine Kraft ökonomisch ausnutzen
muss, zuweilen wohl zu einer unnützen und deshalb schädlichen Kraft¬
vergeudung führt. Hervorzuheben ist dagegen die längere Wirkungs¬
dauer des Coffein. Wir haben in keinem Falle bei der III. Messung, die
in einem Versuche erst anderthalb Stunden nach Verabreichung von
Coffein gemacht wurde, ein Absinken der Wirkung gesehen, während -die
des Camphers oft schon nach 40 Minuten mehr oder weniger abgeklungen
war. Nur bei einem Versuch, wo allerdings nach Verabreichung des
Coffein per os überhaupt kein deutlicher Ausschlag hervortrat, war der
Widerstand nach l l / 2 Stunden auf die Norm zurückgesunken.
Also dürfen wir wohl behaupten, dass das Coffein ein intensives und
wohl nie versagendes Herz- und Gefäss-Analepticum ist, dass den Vorzug
einer langen Wirkungsdauer hat. Die Fälle, in denen es anzuwenden
ist, sind im Wesentlichen dieselben, wie die, die schon beim Campher
Erwähnung fanden, eben überall da, wo ein darniederliegender Kreislauf
acut gebessert werden soll. Vorsicht ist bei der Dosirung, vielleicht
mehr wie beim Campher, dort geboten, wo ein krankes oder dauernd
überangestrengtes Myocard zu kräftigeren Leistungen angeregt werden
soll. Die Klinik lernt daraus, dass der Campher ein ausgezeichnetes,
allerdings nicht starkes, in häufigen Dosen zu gebendes Analepticum für
Cor und peripheres Gefässsystem ist, das vorwiegend bei Erkrankungen
des Herzens anzuwenden ist, aber nicht das Optimum unserer Kreislauf¬
therapie ist, sondern am allerbesten combinirt mit einem Cardiotonicum
seine Verwendung findet. Mit einem Körper aus der Digitalisgruppe ver¬
eint bildet es eine sehr gut ineinandergreifende Kreislauftherapie (Velden L ).
Andererseits ist das Coffein vorwiegend anzuwenden bei acutem Versagen
des peripheren Kreislaufs, wie ja auch schon Paessler und Romberg
erwähnt haben. Giebt man für die Peripherie grosse Dosen, bis zu 1,0
1) Münch, med. Woclienschr. 1906. 44.
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tritt, wie normal, eine periphere Dilatation an, die Herzarbeit sinkt. Bei D tritt eine
geringe Erhöhung der peripheren Widerstande ein, vielleicht als Reaction auf das in
der Einzelleistung beträchtliche, in der Gesammtleistung weniger starke Sinken der
Herzthätigkeit. Absolut (im Vergleich zu 1) leistet also das Cor mehr, ist aber den
Anforderungen relativ weniger gewachsen. Das Gefässsystem zeigt eine leichte Ueber-
erregbarkeit bei kräftigem Tonus.
III. 11 Uhr 35 Min.: Das Cor arbeitet anfangs (A und B) im Vergleich zu II
einzelsystolisoh mehr, was allerdings durch den verringerten Puls für die Gesammt¬
leistung ausgeglichen wird. Bei C und D aber sehen wir einen jähen Abfall in der
Herzenergie. Die Widerstände sind gegen II anfangs ebenfalls erhöht. Bei B finden
wir neben dem Anstieg der Herzarbeit eine geringe periphere Gefässcontractien, so¬
dann macht sich aber bei C und D die anfängliche Labilität des Gefässsystems wieder
geltend, indem d weit unter den Anfangswerth sinkt. Da ebenso die Leistung der
Einzelsystole bei C und D sehr stark abfällt, so sinkt auch der Mitteldruck constant.
Die Gesammtarbeit des Cor steigt bei D durch Hochschnellen des Pulses wieder an.
Das Cor, Anfangs in seinen Leistungen kräftiger, reagirt auf Anforderungen schlechter
als bei der I. Messung; der bessere Gefässtonus, wie wir ihn bei II fanden, klingt ab.
Versuch VIII.
Prot. 6. M. V., 22 Jahre. 25. 11. 1907.
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Mitralostium, im Beginn der Compensation. Er kam am 13. 11. schwer
decompensirt in die Klinik. Puls zeigt noch starke Intermittenzen.
I. 4 Uhr 45 Min.: Stark incoordinirtes Bild. Die diastolischen Werthe liegen
in normaler Höhe, die systolischen Anfangs tief unter derselben, die Herzarbeit ist
also stark erniedrigt. Während nun bei B eine der physiologischen gleichstehende
periphere Gefasscontraction eintritt, steigen die peripheren Widerstände auch bis D
continuirlich an, ohne dass eine Splanchnicuserweiterung vorhanden ist. Es liegt
also eine enorme vasomotorische Uebererregbarkeit vor. Das Herz schnellt, um die
sich immer steigernden Widerstände zu überwinden, in Energie- und Zeiteinheits¬
arbeit bis D continuirlich empor und überschreitet dabei das Maass. Es reagirt also
auch übermässig. So finden wir für ein Cor, das die Decompensation eben zu über¬
winden anfängt, die denkbar ungünstigsten Verhältnisse.
4 Uhr 55 Min.: Coffein, natrio-salicyl. 0,2 subcut. injicirt.
II. 5 Uhr 15 Min.: Die Widerstände sind gegen I noch gestiegen, ebenso die
vasomotorische Uebererregbarkeit. Das Cor leistet im einzelnen wie in der Zeiteinheit
relativ geringere Arbeit, wohl als Ausdruck dafür, dass es den Widerständen nicht
gewachsen ist. Der Puls, bei A niedriger wie bei der gleichen Stellung der I. Messung,
erreicht später dieselbe Höhe.
III. 5 Uhr 55 Min.: Der Gefässtonus hat wieder etwas nachgelassen, eine vaso¬
motorische Uebererregbarkeit, grösser als bei I, tritt aber bei D noch deutlich zu
Tage, ist jedoch geringer wie bei II. Die Herzarbeit steigt bis C steil an, um bei D
etwas nachzulassen. Der Puls ist im Vergleich zu I unbedeutend verlangsamt.
Versuch IX.
Prot. 7. R. G., 54 Jahre. 7. 12. 1907.
Croupöse Pneumonie nach der Krisis. Puls weich. Patient fühlt
sich sehr schwach. In der 1. Stellung muss völlig horizontale Lage, in der 2.
vollkommen verticale Lage des Oberkörpers vermieden werden.
I. 4 Uhr: Bei B finden wir ganz normale reactive Contraction in der Peripherie
(denn bei A Oberkörper nicht ganz horizontal, bei B nicht ganz vertical!). Bei C
tritt aber ein so starker Abfall der Widerstände ein, dass das in Einzel- und Gesammt-
leistung kräftiger arbeitende Cor den Mitteldruck nicht hochzuhalten vermag. Bei D
tritt, wohl reactiv auf eine sehr geringe Splanchnicusorweiterung hin, eine Steigerung
des diastolischen Druckes ein, die Amplitude fällt dabei nur ganz unbedeutend ab.
Also schlechter, labiler Gefässtonus bei gut arbeitendem Cor.
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4 Uhr 5 Minuten: Subcut. Inject, von Coffein, natrio-salicyl. 0,36.
II. 4 Uhr 25 Min.: Im Vergleich zu I sind die Widerstände gestiegen bei
ungefähr gleicher Herzenergie. Bei B reagirt die Peripherie normal, die Herzenergie
bleibt dieselbe, während die Gesammtleistung in Folge von Pulsverlangsamung fällt.
Bei C dagegen steigen die Widerstände, als Zeichen einer zu starken Vasomotoren¬
erregbarkeit. Bei D zeigt sich die normale periphere Vasodilatation bei geringem
Abfall von Einzel- und unbedeutendem Anstieg von Gesammtarbeit des Cor. Also
guter Gefässtonus mit geringer Uebererregbarkeit bei gut arbeitendem Cor.
III. 4 Uhr 45 Min.: Annähernd dieselben Verhältnisse wie bei II bei noch
unbedeutend gesteigerten Widerständen.
Theobromin.
Ueber die Kreislaufwirkung des Theobromin ist im Ganzen wenig
thierexperimentell gearbeitet, namentlich ist die Gefässcomponente wohl
vollständig vernachlässigt worden. Demgegenüber stehen sehr zahlreiche
klinische Erfahrungen, die in der Literatur in vielen Arbeiten nieder¬
gelegt sind, ohne aber zu völlig übereinstimmenden Resultaten geführt
zu haben.
Bock 1 ) hat bei seinen Experimenten am Kreislauf nach Hering-Bock neben
dem Coffein auch Theobromin pur. und Diuretin (Theobr. natr. salicyl.) angewandt und
dabei die gleichen Resultate erhalten: Beschleunigung des Pulses und bei kleinen
Dosen geringe Steigerung, bei grossen stets Abfall des Blutdrucks. Er ist der An¬
sicht, dass Theobromin gleich wie das Coffein einen schädigenden Einfluss aufs Herz
ausübe (cf. auch das Capitol über Coffein). Demgegenüber stehen die klinischen Er¬
fahrungen, dass Theobromin gerade bei cardialem Hydrops, also bei decompensirtem
Herzen als Diuretioum seine günstige Wirkung entfaltet. In allen diesen Fällen ist
eine Kräftigung und Regulation des Pulses beobachtet worden, und wo der Blutdruck
gemessen worden ist, auch eine Steigerung desselben. Kress 2 ) allerdings schiebt
die Besserung derHerzthätigkeit nur auf das Verschwinden des Kreislauf beschwerenden
Momentes des Hydrops. Pfeffer 3 ) dagegen constatirt, dass schon vor wesentlichem
Abnehmen der Wassersucht der Puls kräftig, die Herzaction ruhig wird, Irregulari¬
täten und Dyspnoe verschwinden. Ebenso sind Hoffmann, Geisler, Babcock
und Askanazy der Meinung, dass eine directo günstige Beeinflussung des Herzens
durch Theobromin vorliege. Ja, Schmieden 4 ) giebt an, dass auch ohne vermehrte
Harnabsonderung in wenigen Fällen eine so starke bis zur Arrhythmie gesteigerte Puls¬
beschleunigung eintrat, dass das Mittel abgesetzt wurde. Die Gefässcomponente
des Theobromin hat Breuer 5 ) in einer Arbeit gewürdigt. Er kommt nach Versuchen,
die er bei Nephritikern und Arteriosklerotikern mit hohem Blutdruck gemacht hat, zu
der Ansicht, dass es „den durch weit verbreitete Enge der kleinen Gefässe patho¬
logisch gesteigerten Blutdruck etwas herabsetze.“ Er nimmt also eine vasodilata-
toriscbe Wirkung an. Zugleich giebt er an, dass es der pathologisch gesteigerten
Reflexerregbarkeit entgegen wirke, und so die spastische Gefässverengerung der
Arteriosklerotiker aufhebe. Askanazy 6 ) dehnt die vasodilatatorische Wirkung des
Coffeins auf die Coronargefässe, die Hedbom bei seinen Thierexperimenten gefunden
1) Bock, Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. 43.
2) Kress, Münch, med. Wochenschr. No. 38. 1891.
3) Pfeffer, Centralbl. f. gesammte Therapie. 1891. H. 3.
4) Schmieden, Centralbl. f. klin. Med. 1891. No. 30.
5) Breuer, Münch, med. Wochenschr. 1893. No. 4.
6) Askanazy, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1905. Bd. 56. H. 3 u. 4.
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hat, auch auf das Diuretin aus und begründet so die günstige Wirkung des Diuretins
bei Angina pectoris.
Wir haben mit Theobromin 8 Versuche angestellt, und zwar haupt¬
sächlich (6 Mal) am Arteriosklerotiker, dessen Reaction auf dieses Mittel
augenblicklich wohl das grösste Interesse beansprucht. Wir bedienten
uns dabei des Theobromin. natrio salieyl., des Diuretins (Knoll), das wir
in Dosen von 1,5—2,0 per os gaben. Nachdem wir die I. Messung vor¬
genommen hatten, gaben wir das Mittel und stellten dann die II. Messung
ca. 30, die III. 60—70 Minuten nach dessen Verabreichung an. Auch
hier konnten wir gut die Wirkung auf die Gefässe und die auf das Herz
von einander trennen.
Die Gefässcomponente ist wohl von besonders grossem Interesse.
Zunächst fanden wir bei allen von uns angestellten Versuchen eine Ver¬
minderung der peripheren Widerstände, die um so beträchtlicher war, je
grösser bei der I. Messung die Vasoconstriction war. Wir sahen niemals
bei unseren Versuchsbedingungen ein so hochgradiges Fallen, dass der
diastolische Druck tief unter die normalen Werthe gerückt wäre, dagegen
stellten sich bei der pathologisch gesteigerten Vasoconstriction einiger
Arteriosklerotiker die Widerstände auf die untere Grenze des normalen
Maasses ein. Sehr schön zeigte uns das eine Arteriosklerose (Versuch XII),
deren Herz sehr stark arbeitete, um die stark gesteigerten Widerstände
zu überwinden. Schon nach 25 Minuten waren dieselben auf das Normale
abgesunken. Freilich zeigten die Gefässe einmal (Versuch XII) nach
kurzer Zeit, schon nach 1 Stunde, eine leichte Tendenz, den Tonus
wieder zu erhöhen; es tritt das aber nicht ausgesprochen zu Tage.
Häufig tritt das Maximum der Vasodilatation erst in der III. Messung
hervor. Mit dieser Gefässerweiterung geht nun Hand in Hand eine,
beim Arteriosklerotiker sehr ausgeprägte Erregbarkeitsänderung.
Bei den Fällen zunächst, wo wir es von vornherein mit einem labilen,
schlecht mitarbeitenden Gefässtonus zu thun haben (Versuch X), tritt bei
der II. Messung eine mässig erhöhte Erregbarkeit ein, die bewirkt, dass
die Gefässe auf die gestellten Anforderungen normal und gut reagiren.
Wir sehen bei einem Phthisiker (Versuch X) einen so regelmässigen
Verlauf der diastolischen Werthe in der II. Messung, dass dieselbe im
Vergleich zur I. ausgezeichnet genannt werden darf. Ganz anders ver¬
halten sich iy 2 Stunden nach Verabreichung des Diuretins die Arterio¬
sklerotiker mit ihrem stark übererregbaren Gefässsystem. Während bei dem
Anfangsversuch die peripheren Widerstände schwanken und namentlich
auf das Aufrichten mit starker Vasoconstriction und Steigerung des Mittel¬
druckes reagiren, zeigen sie bei der II. Messung eine ausgesprochene Unter¬
erregbarkeit. Bei einem Falle (Versuch XI), wo wir zuerst eine sehr
starke Uebererregbarkeit constatiren konnten, zeigten die diastolischen
Werthe nach Diuretin fast keinen Ausschlag, bei einem andern (Ver¬
such XII) trat sogar eine leichte periphere Kreislaufschwäche zu Tage.
Dieses Resultat giebt uns auch den Schlüssel zu den günstigen Erfolgen
mit Diuretin bei Gefässspasmen. Vermisst haben wir diese Wirkung
bei einem Arteriosklerotiker, der aber ganz normale Anfangswerthe bot,
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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
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und bei einem solchen mit peripherer Kreislaufschwäche, wo im Gegen-
theil eine Besserung des Tonus hervortrat.
Anders verhalten sich die Gefässverhältnisse bei der III. Messung.
Hier tritt fast ausnahmslos eine oft ganz erhebliche Uebererregbarkeit
des Gefässsystems zu Tage. So sehen wir z. B. bei einem Patienten,
der anfänglich einen ziemlichen schlechten Tonus zeigte, nach 1 Stunde
einen Verlauf der diastolischen Werthe, der deutlich an das Bild eines
Vasomotorikers erinnert; auch bei einem Arteriosklerotiker (Versuch XI)
tritt diese Uebererregbarkeit hervor. Auch in den andern Curven
ist dies mehr oder weniger deutlich ausgeprägt. Dabei bleiben, wie be¬
sonders zu bemerken ist, die Widerstände unter ihrem anfänglichen Werth.
Nur bei einer Arteriosklerose bleibt diese Uebererregbarkeit aus, bei einer
andern zeigte sie sich schon bei der II. Messung, um bei der III. noch
zu steigen.
Darüber, wo das Diuretin angreift, sind bis jetzt am Thier wohl noch keine
Versuche gemacht worden. Die Beobachtung aber, dass das Theobromin unter Um¬
ständen bei bestehenbleibender Gefässdilatation erst lähmend, dann erregend auf die
peripheren Gefasse wirkt, könnte auf folgende Weise ihre Erklärung finden. Man
kann annehmen, dass an ein und dem gleichen nervösen Centralapparat (also hier
vielleicht in der Gefässwand) dasselbe Mittel auf die beiden Functionen, den Tonus
und die Reflex erregbarkeit, in divergenter Richtung ein wirkt; also dass wir im vor¬
liegenden Falle eine Tonusabnahme und eine Erregbarkeitssteigerung annehmen
können für die Fälle, bei denen keine Uebererregbarkeit und kein gesteigerter Blut¬
druck besteht. Dass unter pathologischen Verhältnissen gleichsinnige Veränderungen
der beiden Functionen der nervösen Centralorgane eintreten können, ist ja absolut
nicht auszuschliessen. Jedenfalls ist uns dieser sich auf einen Angriffspunkt be¬
ziehende Erklärungsversuch plausibeler, als die Annahme, dass das Theobromin
lähmende Wirkung auf die Gefässmuskulatur und erregende auf die nervösen Central¬
apparate ausübt.
Die Wirkung des Diuretins auf das Herz scheint im Wesentlichen
mit der des Coffeins identisch zu sein, nur tritt sie weniger stark und
weniger regelmässig ein. Zunächst haben wir auch hier in einigen Fällen
eine Pulsverlangsamung constatircn können, bei einem Arteriosklerotiker
sogar ganz eklatant. Auch hier finden wir das Auftreten grosser Puls¬
schwankungen, das Emporschnellen bei gesteigerten Anforderungen, jedoch
finden wir diese Erscheinungen weniger constant und auch weniger aus¬
geprägt wie beim Coffein. Auch eine Steigerung der Herzenergie konnten
wir an einigen Fällen (Versuche X, XI) beobachten, und es scheint diese
gerade da zum Ausdruck zu kommen, wo das Herz anfänglich nicht mit
gesteigerter Kraft arbeitete. Diese Steigerung blieb aus bei den 2 Ar¬
teriosklerosen (Versuch XII), wo die Herzenergie bei der I. Messung schon
übermässig hohe Werthe ergab. Stets finden wir aber einen einiger-
massen gleichmässigen Verlauf der Herzenergiecurven, d. h. während
die Herzaction schwankend und übererregbar geworden ist, bleibt die
Leistung der einzelnen Systolen eine annähernd constante. Die grossen
Ausschläge in der Gesammtleistung des Cors sind also lediglich auf die
Herzaction zu beziehen.
Aus diesen Versuchsresultaten erklärt sich also, warum das Theo-
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V., San-ivenfeiil'h;
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Her/wirkung eine zu wenig cuo.süiuic zu .sein, als dass man darauf .
’ bauen könnt« ;■ jedenfalls kam* sie, wenn sie emtrite, eine andere. Hit -
therapie, z, B DigitalisanVfWTiiluiiji, uötorstüüeih '• ©ncicljadlich«.St«i#6töPi&f
der Arbeit des Herzens fanden wir in unseren Verstürben jeden fall'.- nie.
Weiterhin beweisen uns die Versuche, wie günstig Dtuntek den Kreis-
lauFstörungen dos Arteriosklerotiker-s erilgcgeinvirkt $e iilierriiassigeT der
oft gesteigerte Tonus ist, xjra so eklatanter führt ihn das l'intoiiti zur
Kortn zurück, obiie ditiis auch hier.'. die doch. ziemlich hüben ange¬
wandten Lhosen eine Kreislauf erselivvcfetid« Dilaiatioo liervorricferi
•i wir finden auch die Kikjar.ung dafür, wie das Ditiret.iu spas-
nröiytiseh auf das tieftisssystetn wirkt. Es tritt ehe« und /.war sehr
bald riaeb der Verabi'ebdiüng fctfi Stadium von dtrecter Igibmlhgiteiir der
Vasotnoloren ein, wenn vorher eine zu grösst IkbcrerregbärkeU, wie wir
sie ja oft bei der Arieaoskh'tuso ] beobaejitvn^ Ijeslanden hatte. Aller¬
dings scheint diese Wirkung .nur tu« ganz kurzer Dauer zu sein. Dabei
fallt hier, wo an das t.Vir vutv Anfang an h«ht? Anfurdernngen gestellt
werden, eine unnütze Steigerung der SJerzilrbeit weg.
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:higän .
Zur Pharmakologie der Ilreislaufscoordination.
263
Da Energie und Gesammtleistung des Cor nicht durch entsprechende Mehrarbeit dafür
eintritt, so sinkt auch der Mitteldruck weit unter den Anfangswerth.
10 Uhr 30 Min.: Verabreichung von Diuret. 1,5 per os.
II. 10 Uhr 55 Min.: Die peripheren Widerstände sind stark gesunken, die
Energie des Herzens ist dagegen gestiegen, daher die grössere Amplitude. Auffällig
ist hier das gute Reagiren des Gefässsystems auf die gestellten Anforderungen, ln
die Herzaction ist dagegen eine leichte Uebererregbarkeit gekommen, und so erklärt
es sich, dass die Werthe für die Zeiteinheitsleistungen von A— ß und von G—D stark
ansteigen, während die Herzenergie sich ziemlich gleichmässig hält.
III. 11 Uhr 25 Min.: Geringes Müdigkeitsgefühl.
Die Widerstände sind weiter unbedeutend gesunken im Vergleich zu I, der
Gefasstonus ist gut, bei B von einer leichten vasomotorischen Uebererregbarkeit be¬
gleitet (zu starkes Reagiren!). Die Herzenergie bleibt bis C auf derselben Höhe wie
bei II, um bei D abzusinken. Deshalb wird trotz nicht übermässiger peripherer
Vasodilatation die Amplitude kleiner. Der bei D beschleunigte Puls hält aber ein zu
starkes Absinken der Gesammtarbeit des Herzens auf. Pulsfrequenz und Herzenergie
arbeiten also gut zusammen.
Versuch XI.
Prot. 3. B,. 15. 11. 1907.
Zeit:
9,35
Zeit:
10,15
Zeit:
10,50
A
B
C |
D
A
B i
C
D
A
B 1
C
i
D
R
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72
78
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s
200
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198
188
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170
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188
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d
98
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76
: 78
76
70
80
84
72
p
102
110
! lio
104
116
i 124
122
126
100
100
104
103
m
149
135
137
I
146
130
138
i
139
139
120
130
■
136
123
P
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0,51
0,58
' 0,57
0,53
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0,62 !
0,61 |
0,62
0,59 ;
0,56
0,55
0,59
n X p
10608
j 8800 11440
10400
8816 1
11904
12200
10584
7600
7200
8112
7828
m X -
s
76,0
78,3
I 78.1
77,4
80,6
85,6
84,8
86,2
70,8
72,8
w
72,9
m X ^ X n
s
7903
6264
8121
7738
6126
8214<
8479
7239
5381
5242
5834 5538
Arteriosklerose. Geringe Dilatatio cordis. Herztöne rein, Action unregel¬
mässig, Pulsus intermittens.
I. 9 Uhr 35 Min.: Hohe systolische Werthe und Puisamplitude, vasomotorische
Uebererregbarkeit und gesteigerte Herzenergie durch die ganze Curve. Während bei
B enormes Fallen der peripheren Widerstände eintritt, bleiben sie dann bei C fast
dieselben, bei D tritt eine sehr starke Vasoconstriction in der Peripherie ein. Der
Verlauf der systolischen Leistungen des Cor bleibt ziemlich ruhig, dagegen macht die
Curve der Zeiteinheitsarbeit in Folge der Pulsschwankung grosse Ausschläge.
9 Uhr 45 Min.: Verabreichung von Diuret. 1,5 per os.
II. 10 Uhr 15 Min.: Die Widerstände sind im Vergleich zu I beträchtlich ge¬
fallen, die Herzenergie ist etwas gestiegen. Dabei ist der Gefasstonus ein con-
stanter, das Vasomotorensystem reagirt mit subnormalen Ausschlägen auf Stellungs¬
wechsel. Auch hier wieder finden wir bei relativ ruhigem Spiel der Herzenergie ein
Tanzen der Zeiteinheitswerthe in Folge der schwankenden Pulszahl.
III. 10 Uhr 50 Min.: Die Widerstände haben die gleiche Höhe wie bei 11, aber
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CövG ioiiihvcitig tet lii*; Efr^tariibil
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Prm • J. ff , 50 JUuv 5 ; I 1007.
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WNlke i;iicni!;^s^ als Ausdruck ü<*sUM^m<:r \V:ir«»Vt- - r ~ a*:siviriler Hei?.-.
ai beiy dabei y^!H»..*üjfi-\ohe und (Hr/-l vhmerr* av'ko»«, 0»n ]< limic« >r\b rn-mm
etQor etwas un«'MifnfMalati rvaeiiuMi peripheren Vasnem^tnotbu* Oifi gaus unaMoniininr-
tn'.-pui^flineMer. der lletom*rgia t das durch Pulserhdhun.ic für \Uy uesauumie'istnng
uns AUr noch vermehr!- wird. Dm 0 faiinu nufritiUer M ets- -ho V, jdmstrmde .H».'b«*»J#T
AVertV* für iiie Umvlmstungiui sinken fbmuaJU surl. in R.h/e riesln auch .der Mit\ i
d’m'L bei Ö rim neben »diiiM «Moniusoheft Uobecbrrcgbarln-n »Hm zimniHh
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H| Idif A Müp : Vi^ibreiriinni: vn»i hnntL Ü,0 nev ’oyri
eirim E.H iUüt{ Ptaiz g.mnar-hE -WAfirmirt hKo di& a\* »»"diM-hmr Werthe mH Eitv-
sr.bränkun.if b*H d«• ’; v'e.rhru Y.-ibmi «■•<)<. vn D •••onHiuiiriieh vü
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i.omis? zum Vüirahoif!. H*» bo» D sujrar .mii mnm v.'iMmn.tnmrheii ('eb^n tr^barkrb
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l und {/.
Nitrite.
Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
265
und Dauer verschiedene Wirkung haben [Marshall 1 )]. Die narkotisirende
Eigenschaft der Alkoholcomponentc tritt bei Amylnitrit vollständig in den
Hintergrund (Schmiedeberg).
Betreffend die Gefässwirkung der Nitrite haben alle Experimente am Säuge¬
thier wie am Menschen die gleichen Resultate ergeben, nämlich eine hochgradige
Dilatation. Ueber den Angriffspunkt aber ist eine Einigung bis jetzt noch nicht erzielt
worden. Im Wesentlichen stehen sich 2 Ansichten gegenüber, die sich hier um den
Namen Lauder-Brunton 2 ), dort um den Filehne’s 7 ) gruppiren. Ersterer schloss
aus seinen Versuchen auf eine directe Wirkung des Amylnitrits auf die Gefässwand,
und zahlreiche Autoren schlossen sich dem an [Pick, Schüller 3 ) Leech 4 5 ), Cash-
Dun st an 6 ), Marshall 1 )]. Mayer-Friedrich 6 ) entnahmen ihren Versuchsresultaten
sogar, dass eine gleichzeitige Wirkung auf die Vasomotorencentren auszuschliessen
sei. Andererseits stellte Filehne 7 ) durch einwandsfreie Experimente das Gegentheil
fest, eine ausschliessliche Einwirkung der Nitrite auf die medullären Centren [cf. auch
Bernstein 8 )]. Ueber die Herzwirkung der Nitrite ist wenig gearbeitet worden, und
im Allgemeinen wird wohl die Ansicht vertreten, dass sie von jedenfalls wesentlicher
Bedeutung nicht sei. Bock 9 ) fand trotz grösster Gaben keine Aenderung von Blut¬
druck und Frequenz am isolirten Herzen (ebenso Lauder-Brunton). Winkler 10 )
glaubt von kleinen Dosen einen günstigen, von grossen einen schädigenden Einfluss
auf die Herzarbeit gesehen zu haben. Filehne und Mayer-Friedrich stellten eine
Steigerung der Pulsfrequenz durch centrale Vaguslähmung fest. Die dabei ja gleich¬
zeitig auftretende Vergrösserung der Auswurfsmengen erklärt wohl auch die Er¬
scheinung, dass der Blutdruck erst bei weitergehender Dilatation der Gefässe sinkt.
Wir wollen noch mit einigen Worten auf die Wirksamkeit der verschiedenen
Nitrite eingehen, die Mars hall 1 ) am Menschen ausgepröbt hät. Die Nitrite der
Alkohole wirken, inhalirt, nach 10 Sekunden, die Pulsbeeinflussung hält aber nur
ca. 2 Minuten an. Nitroglycerin ruft in minimalen Dosen eine Blutdrucksenkung in
2 Minuten hervor, und erhält diese dann anderthalb bis 3 Stunden aufrecht; die Nitrite
der Alkalien wirken langsamer, erst nach 3—4 Minuten, um ihr Maximum nach 15 bis
30 Minuten zu erreichen und nach 1 x / 2 —3 Stunden wieder wirkungslos zu werden.
Wir haben uns bei unsern Versuchen des Natr. nitros. bedient,
das uns in Darreichungsweise wie Dosirung am geeignetsten erschien
und zwar haben wir ausser in einem Falle 0,01 subcutan injicirt, nur
einmal 0,0175. Wir haben das Mittel in 7 Experimenten geprüft, am
Kreislauf-Normalen wie am Kreislauf-Kranken (hauptsächlich Arterio¬
sklerose). Die Versuchsanordnung war die eingangs beschriebene, die
1) Mars hall, A contribution of the pharmacol. action of the organic. nitrates.
Manchester. 1899. On the antagonistic action of Digitalis and the membres of the
nitrate group. (Journal of physiol. Vol. 22).
2) Lauder-Brunton, Ber. d. Verh. d. Sächs. Ges. d. Wissensch. zu Leipzig.
1869. (Math, physik. Klasse.).
3) Schüller, Ueber die Einwirkung einiger Arzneimittel auf die Gehirngefässe.
Berlin, klin. Wochenschr. 1874. (No. 25, 26).
4) Leech, Brit. med. Journ. 1893. 1. Juli.
5) Cas h-Dunstan, Proc. of the Royal Soc. Vol. 49.
6) Mayer-Friedrich, Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. 5.
7) Filehne, Pflügers Arch. Bd. 9 und Dubois’ Archiv. 1878.
8) Bernstein, Pflüger’s Archiv. Bd. 8.
9) Bock, Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. 41.
10) Winkler, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 35 u. 36.
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266 V. Sonnenkalb,
Zeit der II. und III. Messung ca. 30, resp. 60—80 Minuten nach der
Injection.
Ara Auffälligsten ist die schon raeist in der II. Messung sehr be¬
trächtliche Herabsetzung der peripheren Widerstände, die zuweilen
hier schon ihr Maximum erreicht hat. Und zwar scheint sie um so
eklatanter zu sein, je höher der Gefässtonus vorher war. Deshalb ist
sie bei manchem Arteriosklerotiker, namentlich bei einem Fall (Ver¬
such XIV), der sonst aber ganz normale Werthe bot, sehr ausgeprägt.
Nach 1 Stunde verhalten sich die Gefässverhältnisse verschieden. Meist
bleibt die Vasodilatation auf ihrer erreichten Intensität bestehen, nur in
einem Falle von Arteriosklerose (Versuch XIV) sahen wir ein weiteres
starkes Absinken der peripheren Widerstände bei der III. Messung nach
IY 4 Stunden, ln bedeutend geringerem Maasse fanden wir dasselbe bei
einem Anderen. Dagegen konnten wir einmal, bei einer juvenilen Anaemie
mit labilem Gefässsystem, bei dem die I. Drucksenkung schon nicht
eklatant war, nach 70 Minuten ein völliges Verschwinden der vaso-
dilatatorischen Wirkung constatiren, die hier sogar einem etwas die An-
fangswerthe überschreitenden Gefässtonus Platz gemacht hatte. Wir
haben es aber bei den Nitriten — und das ist wohl der hauptsächlichste
Unterschied zum Diuretin, wo nach 1 Stunde eventl. auch schon früher
deutlich eine Uebcrerrcgbarkeit zum Vorschein kam, und nur bei sehr
erhöhten Widerständen ein vorübergehendes ruhigeres Stadium eintrat —
wir haben es also hier mit einer wirklichen Erschlaffung des Gefäss-
systems zu thun, d. h. wir vermissen zuweilen sehr deutlich das com-
pensatorische Spiel des peripheren Gefässsystems bei den wechselnden
Anforderungen. Immer tritt das in der II. Messung zu Tage. Wenn
wir die Anfangswerthe eines stark übererregten Arteriosklerotikers (Ver¬
such XV) mit dem Verlauf der diastolischen Werthe nach 35 und 80 Minuten
vergleichen, so zeigt sich das besonders schön. In der III. Messung hat
überhaupt jedes Reagiren von Seiten des Gefässsystems aufgehört. Auch
ein Vasomotoriker mit grosser anfänglicher Uebererregbarkeit (Versuch XIII)
zeigt in den anderen Messungen etwas subnormal verlaufende Ausschläge
bei den Functionsprüfungen. Bei der HI. Messung ist das Verhalten bei
unsern Versuchen ein verschiedenes. Selten, wie bei dem oben erwähnten
Arteriosklerotiker (Versuch XV), nimmt die Untererregbarkeit noch zu,
meist weicht sic bei - hochgradiger Vasodilatation mehr oder weniger,
so dass die Gefässe auf den Stellungswechsel wieder normal reagiren,
wie uns das ein Arteriosklerotiker besonders deutlich zeigt. Nie haben
wir eine die anfängliche übertreffende Uebererregbarkeit gefunden, und
wenn die oben erwähnte Anämie in ihrer III. Messung vielleicht den Ein¬
druck hervorrufen könnte, so kann man wohl darauf hinweisen, dass hier
die Gefässwirkung eben abgeklungen ist. Andererseits möchten wir aber
auch hervorheben, dass selbst eine hochgradige Gefässerweiterung nie mit
einer ausgeprägten peripheren Kreislaufschwäche einhergeht, wir finden
nie das charakteristische Tiefgehen des Mitteldrucks im 3. und 4. Werth.
Leichte Andeutung davon fanden wir 3 Mal in einem Ausbleiben der
reactiven Vasoconstriction im 2 . Werth (Versuch XV).
In Bezug auf die Herzarbeit dürfen wir wohl schliessen, dass eine
Gck igle
Original fro-m
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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
267
irgend wie nennenswerthe, namentlich eine schädliche Beeinflussung des
Cor nicht besieht. Was zunächst den Puls anlangt, so blieb eine Fre¬
quenzsteigerung stets aus, eher war einige Male das Gegentheil, ein Sinken
der Pulszahl zu constatiren, in einem Falle (Versuch XIV) sogar ganz
deutlich. Weiterhin ist zu bemerken, dass nach der Injection bei
Stellungswechsel oft ein ausgeprägteres Schwanken der Pulsfrequenz ein¬
trat, aber das ist wohl, wie sich auch aus dem Verlauf der Zeiteinheits-
curven der Herzarbeit ergiebt, nur dahin zu deuten, dass das Herz die
subnormale ßeaction des Gefässsystems com pensatorisch ausbalanciren
muss. Nun noch einige Worte zur Herzenergie. Wir fanden kein con-
stantes Hoch- oder Heruntergehen; die Verhältnisse waren wechselnd.
Doch glauben wir das so auslegen zu dürfen, dass eben die Vasodila¬
tation eine verschiedene ist, und in dem einen Falle eine Erleichterung,
im andern, wenn sie zu hochgradig ist, eine Erschwerung der dem Cor
gestellten Aufgaben bedeutet. Wir fanden bei 2 Arteriosklerosen, wo
Anfangs das Herz mit erhöhter Energie arbeitete, ein deutliches Fallen,
bei einer andern wieder (Versuch XIV), wo die Gefässerschlaffung sehr
stark war und das Cor anfangs normal arbeitete, eine Steigerung der
systolischen Herzarbeit. Wir können uns somit der Ansicht nicht ver-
schliessen, dass ein Einfluss der Nitrite auf die Herzarbeit wahrscheinlich
gar nicht vorhanden, oder wenn, bei diesen Dosen ein günstiger sein muss.
Wir haben also in den Nitriten Pharmaka vor uns, die eine starke
und sicher eintretende Vasodilatation hervorrufen, die gleichzeitig die
Erregbarkeit des Gefässsystems, wenigstens auf kurze Zeit, herabsetzen,
und die endlich in diesen Dosen keinen schädigenden Einfluss auf’s Cor
ausüben. Dabei ist die Wirkungsdauer eine befriedigend lange, wenn man
bedenkt, durch welche geringe Dosen sie hervorgerufen und über eine Stunde
lang aufrecht zu erhalten ist. Zum Unterschied gegen das Diuretin haben
wir hier eine gleichsinnige Wirkung auf Tonus und Reflexerregbarkeit, die
jedoch bei den angewandten Dosen nie zur peripheren Kreislaufschwäche
führte.
Versuch XIII.
Prot
. 1.
Li. M,
22 Jahre.
11. 1.
1907 (siehe
Fig.
5).
Zeit:
10,0.
Zeit:
10,45.
Zeit:
11,15.
A i
B i
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D
A 1
C
D
A
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s
142
146
150
140
130
140
138
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130
140
138 1
130
d
66
72
| 78,
62
60
66
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64
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P
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74
74
72
70
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96
95
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101
i
95
q
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0,51
0,48
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0,51
0,54
0,55
0,54
0,54
0,54 1
‘ 0,56
n
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5472
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7176
4480
5920
5032
5760
5040
6688
6216
7104
m
X
p
s
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55,6
1
54,7
56,6
51,3
52,5
54,5
52,8
51,3
55,1
54,5
53,2
m X
p
s
X n
4043
1
4447
4378
5203
3283
4202
3709
i
, 4224
3694
4847
4571
5107
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268
V. Sonnenkalb
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Leichte Lungenaffection. Normales Herz. Keine Kreislaufbe¬
schwerden.
I. 10 Uhr: Eine Vasomotoriker-Curve mit tiefen diastolischen Werthen und
hoher Amplitude. Bei B normales Reagiren der peripheren Gefässe, bei C als Aus¬
druck der Uebererregbarkeit eine weitere periphere Constriction und damit bei an¬
nähernd gleicher Herzarbeit Steigen des Mitteldrucks, bei D eine starke Vasodilatation,
die die diastolischen Werthe wenig unter den Anfangswerth bringt. Gleichzeitig steigt
in Folge der Pulsfrequenzerhöhung die Gesammtarbeit des Cor und hält den Mittel¬
druck etwas höher, als der Vasodilatation entspricht. Die Herzenergie verläuft durch
die ganze Messung ruhig, während Uebererregbarkeit der Gefässe bei schlechtem
Tonus besteht.
10 Uhr 15 Min.: Es werden Natr. nitros. 0,01 subcut. injicirt.
II. 10 Uhr 45 Min.: Herzenergie und Widerstände sind gegen I etwas abgefallen.
Der Verlauf beider Herzcurven ist befriedigend, die Gesammtarbeit des Cor schwankt
etwas in Folge des wechselnden Pulses. Die Messung zeigt bei herabgesetztem Tonus
normales Reagiren der Gefässe.
III. 11 Uhr 15 Min.: Gesicht geröthet.
Es zeigt sich dasselbe Bild wie bei II bei etwas gesteigertem Puls und deshalb
erhöhter Zeiteinheitsarbeit des Cor.
Versuch XIV.
Prot. 5. C. M., 62 Jahre. 14. 1. 1908.
Arteriosklerose. Die bei Aufnahme in die Klinik bestehenden Beschwerden
sind fast ganz verschwunden.
I. 9 Uhr 30 Min.: Ein Bild, in dem sich eine leichte Labilität des Gefässsystems
ausspricht. Das Cor arbeitet gut und ruhig. Bei B tritt eine normale periphere Vaso-
constriction ein, bei C und D aber eine Gefässerweiterung, die das physiologische
Maass überschreitet. Da die Herzenergie dabei auch eine leichte Tendenz zum Fallen
zeigt, so sinkt der Mittcldruck ebenfalls unter den Anfangswerth.
9 Uhr 40 Min.: Subcut. Injection von Natr. nitros. 0,01.
II. 10 Uhr 10 Min.: Ein sehr starkes Herabgehen der Widerstände mit com-
pensatorischer Erhöhung der Herzenergie im Vorgleich zu I, in Folge dessen ein An¬
steigen der Pulswelle. Bei B zeigt der diastolische Werth nur ein geringes Empor¬
gehen, bei C und D halten sich die Widerstände wenig unter dem Anfangswerth,
also ein constanter Gefässtonus bei mangelhaftem Reagiren auf Anforderungen. Die
Gck igle
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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
269
Herzarbeit steigt, um gegen das stark erweiterte Gefasssystem anzukämpfen, von A—C
in beiden Werthen. Das Cor passt sich also den durch Vasodilatation vermehrten
Anforderungen gut an.
111. 10 Uhr 55 Min.: Es ist eine weitere starke Dilatation der Gefässe ein¬
getreten, die Herzarbeit ist annähernd auf gleicher Höhe geblieben. Der gleichmässige
Verlauf der diastolischen Werthe zeigt einen Mangel an Reactionsfähigkeit des Gefäss-
systems. Das Cor passt sich den wechselnden Anforderungen so gut an, dass die
Amplitude in allen Stellungen hoch bleibt.
Versuch XV.
Prot. 3. L. W., 49 Jahre. 14. 1. 1908.
Zeit: 9,55.
Zeit:
10,40.
Zeit:
11,25.
A | B i C
D
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D
A | B
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n
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s
1241 130 142
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118
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122 120
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d
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1
64
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64
64
p
64 58 62
64
58
60
58
60
60 58
56
56
m
92 101 114
104
91
88
93
90
92 91
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92
q =
P
s
0,52! 0,45 0,44
0,47
0,48
0,51 !
0,48
0,5
0,49 0,48
0,47'
0,47
nX
p
4352 4640 4836
5376
4176
4800 4640
5520
4080 4408 4256
5376
m X
p
s
47,8 1 45,4 48,8
1 48,9
1
43,7
44,9
44,6
45,0
45,1 43 , 7 ;
43,2
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w P
m ^
s
X n
3253 3636j3809
4106
3145 3590
i
3571
|4140
3065; 3320 3386
4151
Arteriosklerose, Emphysem. Neurasthenie. Gesicht sehr blass.
Das Herz percutorisch und auscultatorisch normal.
I. 9 Uhr 55 Min.: Es tritt deutlich die vasomotorische Uebererregbarkeit des
Arteriosklerotikers zu Tage, während das Cor sehr ruhig arbeitet und sich in seiner
Gesammtleistung durch Pulsverschiebung den immer steigenden Widerständen anpasst.
Bei A liegen die peripheren Widerstände tief, um bei B mit einer heftigen
Vasoconstriction zu reagiren, bei C eine weitere periphere Gefässverengerung. Da
das Cor sich den Anforderungen gut anpasst, steigt auch der Mitteldruck permanent
bis C. Bei D tritt Vasodilatation ein.
10 Uhr 5 Min.: Es werden Natr. nitros. 0,01 subcut. injicirt.
II. 10 Uhr 40 Min.: Die Widerstände sind im Vergleich zu I (ausgenommen A)
beträchtlich gesunken, bei gleicher noch viel ruhiger verlaufender Einzelarbeit des
Cor. Bei B macht die reactive Contraction jetzt einer Vasodilatation Platz, während
bei C wieder ein leichtes Steigen der peripheren Widerstände zu erkennen ist. Im
allgemeinen ist wohl eine vasomotorische Untererregbarkeit zu constatiren, der sich
die Gesammtarbeit des Cor gut anpasst.
III. 11 Uhr 25 Min.: Bei gleichbleibenden Widerständen und gleichbleibender
Herzarbeit tritt die vasomotorische Untererregbarkeit bei constantem Tonus noch
viel ausgeprägter hervor.
Chloralhydrat.
Von den Autoren, die sich mit Chloralhydrat beschäftigt haben,
wird einstimmig die grosse Aehnlichkeit seiner ‘Wirkungsweise mit der
des Chloroforms betont; wir können uns also auch auf das Letztere,
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. jcj
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
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270 V. Sonnenkalb,
dessen Pharmakodynamik oft der Gegenstand eingehender Forschung ge¬
worden ist, stützen.
Schon frühzeitig hat man die Blutdruck herabsetzende Eigenschaft des Chloro¬
forms kennen gelernt (Linz, Brunner, Gail). Die erste englische Chloroform-
Commission stellte vor dem Druckabfall eine kurze Steigerung fest („stimulirendc“
Wirkung). Die Beobachtungen am leicht narkotisirten Menschen Hessen vcrmuthen,
dass die eintretende Blutdrucksenkung bei begleitender Hyperämie des Gesichts auf
einer Vasodilatation, nicht auf einer Verminderung der Herzkraft beruhe. Schei-
nesson 1 ) hat dies thierexperimentell festgestellt und schloss auf eine Lähmung der
centralen Vasomotorenapparate, was Knoil 2 ) thatsächlick nachweisen konnte.
Beim Ckloralbydrat lässt sich auch eine starke Blutdrucksenkung constatiren, hervor¬
gerufen durch Lähmung der medullären Vasomotorencentren, die so stark sein kann,
dass der Erstickungsversuch negativ verläuft [Lewin 3 )]. Bei grossen Dosen tritt
gleichzeitig eine Lähmung der Peripherie auf, die aber keine so vollständige ist,
dass auf Adrenalin nicht noch Vasoconstriction sich zeigte.
In Bezug auf die Herzwirkung des Chloroforms ist wohl anzunehmen, dass
das normale Herz erst bei einer gewissen Höhe der Narkose durch das Mittel ge¬
schädigt wird [Dieballa 4 * )]. Bei grossen Dosen aber gelang es thierexperimentell
stets, eine directe Herzschädigung hervorzurufen, die nach verminderter Energie
und verlangsamten) Puls zuletzt zum Herzstillstand führte. Mit Chloralhydrat erhielt
Bock 6 ) am isolirten Herzen dieselben Resultate, und auch Hedbom fand nach einem
manchmal eintretenden Stadium der Steigerung der Pulsfrequenz und Pulshöhe ein
Absinken von Schlagzahl und Schlagvolumen des Herzens bis zum Stillstand. Böhme 0 ;
bestätigt das und giebt noch an, dass er öfter in der Herzaction eine Gruppenbildung
habo eintreten sehen. Dass dabei die Contractionsfähigkeit des Herzmuskels nicht das
ausschlaggebende Moment für den schliesslichen Stillstand sei, hatten schon Lieb¬
reich, Rajewski und Harnack-Witkowski 7 ) festgestellt. Während nun die
letzteren auch nachweisen konnten, dass die in Atrien, Sinus und Atrioventricular-
grenze gelegenen nervösen Apparate vorzugsweise durch Chloralhydrat geschädigt
wurden, gelang es Böhme 6 ) exact nachzuweisen, dass nach einem anfänglichen
Stadium, in dem Anspruchsfähigkeit, Lcitungsfähigkeit vom Vorhof zum Ventrikel,
und Leistungsfähigkeit des Muskels gleichsinnig etwas herabgesetzt sind, bei gleich-
bleibenden Leitungsvermögen Anspruchsfähigkeit und Energie, eine Lähmung auf die
Reiz erzeugenden Apparate im Herzen durch Chloralhydrat hervorgerufen wird.
Wir haben am Gesunden wie am Kranken 7 Versuche mit Chloral¬
hydrat unternommen und zwar zum Theil bei Patienten, bei denen eine
Schlaftherapie indicirt war; wir hatten auch Gelegenheit, das Mittel bei
einer Psychose, die an grosse Dosen gewöhnt war, anzuwenden und zu
untersuchen. Wir verabreichten Chloralhydrat in Dosen von 1,0 per os
und erzielten damit in den meisten Fällen die gewünschte Schlafwirkung.
1) Scheinesson, Untersuchungen über den Einfluss des Chloroforms auf die
Wärmeverhältnisse des thierischen Organismus und den Blutkreislauf. Inaug.-Dissert.
Dorpat. 1868.
2) Knoil, Sitzungsber. d. Wien. Akad. Bd. 78. III. Abthl.
3) Levin, Zur Pharmakologie d. Camphergruppe. Arch. f. exper. Phaimakol.
Bd. 27.
4) Pieballa, Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. 34.
ö) Bock, Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. 41.
6) Böhme, Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. f)2.
7) Harnack-Witkowski, Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. 11.
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Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHIGAN
Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
271
Dass wir bei unsern Kreislaufuntersuchungen Erfolge von verschiedener
Intensität erzielten, erklärt sich wohl zum Theil aus der Medication per os,
die ja immer unzuverlässiger ist als die subcutane. Es erscheint uns
nicht zweckmässig, die Gefäss- und Herzwirkung, wie früher, getrennt
abzuhandeln, da hier, mehr wie bei den früher besprochenen Pharraacis,
die Resultate der beiden Componenten in einander greifen.
Constant fanden wir eine mehr oder minder ausgeprägte Vaso¬
dilatation, bei der oft sehr hochgradig die Splanchnicusgefässe betheiligt
waren. Dies Letztere ist nun bestimmend für die von uns berechneten
Wertho für die Herzarbeit. Ist das Splanchnicusgebiet sehr erweitert, d. h.
die in den Bauchgefässen angesammelte Blutmenge gross, so vermindert
sich die Flüssigkeitszufuhr zum Cor und dementsprechend werden Aus¬
wurfsvolumen und die positive vom Herzen geleistete Arbeit geringer,
ohne dass sich aus dem oft starken Herabgehen der Energiewerthe, be¬
rechnet aus der Peripherie, auf eine schädliche Beeinflussung des
Cor schliessen Hesse. So zeigte sich in einem Falle (Versuch XVIII),
wo auch Symptome cerebraler Anämie, hauptsächlich Schwindel, bestanden,
eine so starke Splanchnicusdilatation, dass compensatorisch die peripheren
Widerstände im Armgebiet stark stiegen, um die Circulation aufrecht zu
erhalten. Zum Herzen gelangte trotzdem sehr wenig Blut, die Pulswellen
wurden klein, die Werthe für die Herzarbeit fielen ab. War dies Ver¬
halten schon in der II. Messung deutlich, so trat es in der III. ganz
eklatant zu Tage. Weniger ausgeprägt sahen wir dasselbe bei einem
infantilen Individuum, namentlich in der 3. und 4. Stellung und bei einem
Vasomotoriker. Dabei arbeitete in allen diesen Fällen das Herz ohne
Schwankungen ruhig und gleichmässig weiter durch die ganze Functions¬
prüfung hindurch. In allen andern Fällen, wo wir es wohl mit resistenteren
Kreislaufverhältnissen zu thun hatten, Hess sich eine periphere Vasodila¬
tation verzeichnen bei annähernd gleichbleibender Pulswelle und Herz¬
arbeit. Liess dies den Schluss zu, dass keine oder eine nur wenig aus¬
gesprochene Mitbetheiligung des Splanchnicusgebietes vorliege, so konnten
wir auch hier eine solche nachweisen, indem im Laufe der Functions¬
prüfung der Tonus der Bauchgefässe bei gesteigerten Anforderungen, in
der 3. und namentlich in der 4. Stellung nachliess. Wir fanden dann
das charakteristische Bild, dass der bei B ansteigende diastolische Druck
sich bei C und D auf seiner Höhe hielt, während die Pulsaraplitudc
kleiner wurde. Also hier tritt in den letzten Stellungen eine Kreis-
laufschwächc ira Splanchnicusgebiete zu Tage. Wir sahen dies bei
einem Tabiker in der 111. Messung und bei einem wenig ausgesprochenen
Vasomotoriker (Versuch XVI) in der III. und der IV. Auch eine Arterio¬
sklerose, die schon im Vorversuch diese Verhältnisse bot, zeigte sie, nur
noch ausgeprägter, nach 30 Minuten. Ganz vermisst haben wir diese
Splanchnicusdilatation und die compensatorische periphere Vasocon-
striction nur bei der schon oben erwähnten Psychose; doch wird wohl
der an grosse Dosen gewöhnte Organismus der Narkose gegenüber wider¬
standsfähiger sein. Nie haben wir diese Gefässerweiterung gepaart ge¬
sehen mit einer Untererregbarkeit (cf. Diuretin), im Gegentheil zeigt ja
schon das compensatorische Steigen der peripheren Widerstände, dass die
18 *
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
272
V. Sonnen kalb
Gefässe gut reagiren. In 2 Fällen konnten wir sogar eine vorüber¬
gehende vasomotorische Uebererregbarkeit constatiren, bei einem fast
normalen Kreislauf (Versuch XVI) nach 50 Minuten, bei einem Tabiker
sehr ausgesprochen nach einer y 2 Stunde. Dieser Zustand wich aber
nach kurzer Zeit wieder der vorherbestehenden Erregbarkeit der Gefässe.
Aus den durch unsere Versuche gewonnenen Resultaten halten wir
uns für berechtigt, in den Vordergrund der Chloralhydratwirkung die
starke, immer eintretende Vasodilatation zu stellen, die nicht auf die
Extremitätenperipherie beschränkt zu bleiben braucht, sondern im Gegen-
theil auch im Splanchnicusgebiet so intensiv eintreten kann, dass die dem
Cor zugeführte Blutmenge und in Folge dessen auch das Pulsvolumen
erheblich sinkt. Dann tritt die compensatorische periphere Vasocon-
striction ein. Schwerer ist es, das Verhalten des Herzens zu beurtheilen.
Zweifellos erhält es bei eintretender Splanchnicuserweiterung weniger
Blut und deshalb müssen unsere aus der Peripherie gewonnenen Zahlen
für die Herzarbeit sinken, wir haben also keine Berechtigung, aus dem
Absinken der berechneten Energiecurve des Cor auf eine Schädigung
seiner Kraft zu schliessen. Im Gegentheil glauben wir annehraen zu
müssen, da bei vorhandener peripherer Gefässdilatation Pulsvolumen und
Encrgiewerthe durch den ganzen Versuch durchschnittlich dieselbe Höhe
behalten, dass eine Beeinträchtigung des Herzmuskels durch die von uns
angewandten Dosen nicht stattfand. Das gilt natürlich nur für den
gesunden Herzmuskel; es ist sehr wohl denkbar, dass das geschwächte
Herz bei den Verschiebungen in der Blutmassc und der Erschwerung,
die für dasselbe aus der Stauung in den abhängigen und dilatirten Partien
entsteht, in seiner Leistungsfähigkeit Schaden nimmt.
Versuch XVI.
Prot. 1. D., 19 Jahre. 22. 10. 1907 (siehe Fig. 6).
Zeit: J
8,50.
A '
;
Zeit:
9,25.
Zeit:
9,55.
Zeit:
10,35.
1)
A
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D
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P
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0,32 0,36
0,32 0,25
0,33 0,23
0,3
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0,21
0,21
nX
p
3420 3024
31923612
3332 4000 3600 4536
■
3240 3120 3572 2944
2856 3040 2160
2
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rn X
p
s
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40,8 41,8
42,6 45
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29
35,7
33,5
26,2
26.2
V, P
m a
s
X n
2798 2602
2738 3094
2774 3348
3064 3780
2719 2700
2984 2666
2428 2683
1890
2415
Normale Kreislaufverhältnisse.
1. 8 Uhr 50 Min.: Ein normaler Verlauf der Curve, in der sich nur in einer
etwas heftigen Vasoconstriction bei B eine leichte vasomotorische Erregbarkeit
ausspricht.
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Zar Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
273
9 Uhr 5 Min.: Es wird Chloral. hydrat. 1,0 per os gegeben.
II. 9 Uhr 25 Min.: Die Widerstände sind gegen I abgefallen, verlaufen in
ihrem Spiel ähnlich wie bei der I. Mossung. Die Herzenergie dagegen ist gestiegen
und deshalb die Pulswelle höher. Die Curve zeigt einen ruhigen Verlauf aller
Werthe.
III. 9 Uhr 55 Min.: Die Widerstände halten sich auf der bei II erreichten Tiefe,
zeigen aber hochgradig gesteigerte Vasomotorenerregbarkeit, die in den colossalen
Schwankungen des diastolischenWerthes zu Tage tritt. Bei D zeigt sich Splanchnicus-
dilatation und compensatorische periphere Vasoconstriction. Die Herzenergie ist
wieder auf die Anfangs (bei 1) bestehende Grösse abgesunken.
IV. 10 Uhr 35 Min.: Die Widerstände sind durchschnittlich so hoch wie bei II.
In Folge einer in den letzten Stellungen auftretenden Gefässerweiterung im Splanch-
nicusgebiet bleibt der diastolische Werth auf der bei B erlangten Höhe stehen. Die
Herzenergie ist anfangs ziemlich dieselbe wie bei I, ihr weiterer Verlauf entzieht sich
wegen der Dilatation der Bauchgefässe unserer Beurtheilung.
Versuch XVIL
Prot. 3. W., 29 Jahre. 26. 10. 1907.
Zeit:
10,45.
Zeit:
11,30.
Zeit:
12,15.
A
B
C
D
A
' B 1
C
D
A
B
C
D
R
24
I
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s
171
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1 170
152
172
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152
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! 172
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110
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100
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i
110 |
105
p
61
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: 48
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47
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i 44
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55
m
140
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! 156
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130
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145
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q
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P
s
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°,31
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0,34
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x
P
s
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X n
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3174|
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3081
3167
2807
3776
2830
i
3979
Psychose. An grosse Dosen Chloralhydrat gewöhnt. Kreislauf ohne
organ. Veränderungen.
I. 10 Uhr 45 Min.: Eine Vasomotorikercurve mit sehr hohem Gefässtonus in der
Peripherie und ausgesprochener Gefassübererregbarkeit. Die Herzenergie sinkt bei B
ab und hält sich dann durch die andern Stellungen auf ihrer Höhe.
11 Uhr: Verabreichung von Chloral. hydrat. 1,0 per os.
II. 11 Uhr 30 Min.: Keine subjective Wirkung.
Die peripheren Widerstände sind deutlich gesunken, die vasomotorische Ueber-
erregbarkeit hat etwas nachgelassen. Das Cor arbeitet, wohl reactiv auf die Vaso¬
dilatation, in toto weniger, aber bedeutend ruhiger und gleichmässiger wie bei I.
III. 12 Uhr 15 Min.: Der Vasotonus ist weitorhin beträchtlich abgesunken, es
zeigt sich eine geringe Uebererregbarkeit im Gefässsystem. Dagegen tanzt die Herz¬
energie in ihren Werthen aufgeregt auf und ab, daher die systolischen Spitzen bei B
und D. Die durchschnittliche Leistung des Herzens bleibt dieselbe wie bei II, sie ist
eine inconstante geworden.
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Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
274
V. Sonnen kalb,
Digitized by
Versuch XVIII.
Prot. 2. M. Th., 16 Jahre. 25. 10. 1907.
Zeit:
9,15.
Zeit: 10,0.
Zeit:
10,45.
A
B 1
C 1
D
A
B C
D
A
i
B
C ' D
R
20
i
24^
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P
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s
43,6
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24,5
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m X ^ X n
s
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i
2051 2618 2220
2454
2115
2255 2280 1 2722
i i
Mediastinaltumor. Das Cor zeigt keine pathologischen Befunde.
I. 9 Uhr 15 Min.: Vasomotorikercurve. Bei einer befriedigenden Herzarbeit eine
leichte Uebererregbarkeit des Gefässsystems, die sich namentlich in dem Hochgehen
der peripheren Widerstände bei D äussert, das allerdings zum Theil auch bedingt
wird durch eine leichte Splanchnicusdilatation.
9 Uhr 30 Min.: Chloralhydrat 1,0 per os.
II. 10 Uhr: Im Splanchnicusgebiet tritt eine bis D continuirlich zunehmende
Vasodilatation hervor; der Puls tritt nicht compensatorisch dafür ein, wohl aber das
periphere Gefässsystem, das bei anfänglich fast gleich hohem Widerstand durch starke
Contraction bei B und C den Kreislauf aufrecht zu erhalten sucht. Also deutlich
ausgesprochene Splanchnicusdilatation bei gut arbeitenden peripheren Gefässen. Die
Herzwerthe lassen keinen Vergleich mit denen bei I zu.
Rauschähnlicher Zustand, beim Stehen das Gefühl von Wanken, keine Müdigkeit.
III. 10 Uhr 45 Min.: Die starke Dilatation im Splanchnicusgebiet bleibt bestehen,
der periphere Gefässtonus ist daher von Anfang an sehr hoch, und bleibt constant.
Ein Vergleich der Herzarbeit mit der bei I ist aus unsern Werthen nicht statthaft,
dagegen verläuft sie während der Functionsprüfung gleichmässig und ruhig, zu er¬
kennen aus der nicht wechselnden Höhe der Amplitude.
Das Gefühl von Berauschtsein bleibt bestehen, daneben Müdigkeitsgefühl.
Morphium.
Thierexperimentell ist mit Morphium in Bezug auf seine Kreislauf-
wirkung wenig gearbeitet worden, die meisten Angaben sind Resultate
der Beobachtung, die man am Krankenbett angestellt hat.
Dass Morphin schon in arzneilichen Gaben gefäss er weiternd wirkt, wird von
den meisten Autoren angegeben [Penzoldt 1 ), Tappeiner 2 ), Schmiodeberg 3 )].
Es sprechen dafür die Röthung der Haut und das Wärmegefühl, eventl. auch Haut¬
jucken und das Auftreten von Schweissen und Exanthemen. Schmiedeberg 3 )
1) Penzoldt, Lehrbuch der klin. Arzneibehandlung.
2) Tappeiner, Arzneimittellehre.
3» Schmiedeberg, Grundriss der Pharmakologie.
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Original fro-m
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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
275
glaubt die vorzugsweise Betheiligung der Haut auf die besonders grosse Empfindlich¬
keit dieser vasomotorischen Centren zurückfähren zu können. Er gibt auch an, dass
bei stärkerer Vergiftung die Haut kühl und blass wird in Folge einer allmählich ein¬
tretenden Splanchnicuserweiterung und zu grosser Wärmeabgabe. Brun ton und
Cash (1886) fanden bei morphinvergifteten Thieren ein Sinken der Körpertemperatur
in Folge von vermehrter Wärmeabgabe durch Dilatation der Hautgefässe, und Gott-
lieb 1 ) gelang es beim Kaninchen die durch den Wärmestich auf 41 Grad gesteigerte
Temperatur durch 0,01 Morphin auf die Norm zurückzuführon. Tappeiner aber
ist der Ansicht, dass die schon auf kleine Dosen hin beim Menschen auftretende Be¬
einflussung des Gefässsystems auch bei grösseren nicht wesentlich fortschreite.
Das Herz wird nach den meisten Autoren erst in den letzten Stadien der
Morphinvergiftung beeinflusst [Schmiedeberg 2 ) und Penzoldt 3 )]. Die anfäng¬
liche Steigerung der Pulsfrequenz nach arzneilichen Gaben schiebt Heinz 4 5 ) auf einen
kurz dauernden Erregungszustand, auf den wir auch bei uns zurückkommon werden.
Dagegen giebt Lewin 6 ) an, dass schon bei sehr kleinen Dosen nach der anfänglichen
Beschleunigung ein Sinken der Pulsfrequenz hervorgerufen werde, dass dieses nach
grösseren Gaben schneller und hochgradiger eintrete, in seltenen Fällen schon nach
massigen Gaben bis auf die Hälfte der ursprünglichen Zahlen herunter gehen kann,
und bei starkem Absinken von gleichzeitiger Schwäche und Unregelmässigkeit der
Herzaction begleitot sei. Bei besonders, namentlich durch organische Herzfehler,
dazu disponirten Individuen kann diese Beeinflussung der Herzarbeit in so hohem
Maasse eintreten, dass sie mehr oder weniger plötzlich den Exitus zur Folge hat,
Als Ursache für all diese Erscheinungen sind (nach Lewin) wohl alle Faktoren in
Betracht gezogen worden, denen überhaupt ein Einfluss auf den Kreislauf zuzu¬
schreiben ist: eino Wirkung auf das Vaguscentrum, auf die vasomotorischen Centren,
auf die intracardialen Centren, selbst „wegen Gehirnlähmung Fortfall der gewöhn¬
lichen reflectorischen Impulse für die regulatorischen Organe der Gefäss- und Herz-
arbeit u . Neuerdings nehmen die Autoren fast alle an [Heinz 4 ), Schmiedeberg 2 )],
dass eine in Betracht kommende Schädigung der Herzthätigkeit erst bei hochgradiger
Verlangsamung der Athmung und dadurch hervorgerufener C0 2 -Vergiftung des
Blutes eintrete, die dann entweder auf die Herzganglien selbst oder auf die Herz- und
Gefäss-Centren lähmend einwirke, eventl. auch u. E. bedingt sein könnte durch die
verminderte Saugkraft des Thorax bei zu starker Respirationsverlangsamung.
Wir haben mit Morphium 10 Versuche unternommen, sowohl am
Gesunden wie an Patienten, die anormale Kreislaufverhältnisse boten:
Arteriosklerosen, Vasomotorikern wie auch jungen Menschen in der
Pubertätszeit mit infantilem Herz. Wir versuchten uns auf diese Weise
von der eventl. vorhandenen Schädlichkeit des Morphiums für den Kreis¬
lauf zu überzeugen; am wirklich schwer organisch veränderten Cor
schienen uns die Versuche doch zu gewagt. Wir injicirten Morph, hydrochlor.
0,005—0,01 subcutan, die geringeren Dosen nur bei jugendlichen Per¬
sonen. Nach der Injection Hessen wir bis zur II. Messung durchschnitt¬
lich 40 Minuten, bis zur III. 1 — 1 / 2 Stunden vergehen. In einigen Fällen
nahmen wir später noch eine IV. Messung vor.
Was die Gefäss Wirkung des Morphiums anbetrifft, so sahen wir
1) Gottlieb, Arch. f. exper. Path. und Pharmakol. 26. 419. 1890.
2) 1. c. S. 274 Anmerkung 3.
3) 1. c. S. 274 Anmerkung 1.
4) Heinz, Lehrbuch der Arzneimittellehre.
5) Lewin, Die Nebenwirkungen der Arzneimittellehre. 1893.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
276
V. Sonnenkalb
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stets eine periphere Vasodilatation eintreten, oft sehr beträchtlicher Art.
Wir sahen sie am jugendlichen Kreislauf sehr ausgeprägt, in einem Falle
betrug das Maximum der diastolischen Drucksenkung über 20 cm H 2 0.
Aber auch am älteren Individuum, beim Arteriosklerotiker, war sie vor¬
handen, wenn sie hier auch nicht so hochgradig eintrat. Nur bei einer
Arteriosklerose (Versuch XXII), die anfänglich sehr hohe periphere Wider¬
stände darbot, war ein so starker Abfall der diastolischen Werthe vor¬
handen, dass sie bei der III. Messung in’s Bereich des normalen gerückt
waren. Meist trat die maximale Vasodilatation schon nach 30 Minuten
hervor, um sich dann während des ganzen Versuches annähernd auf der
gleichen Höhe zu halten, seltener erst nach 1 Stunde. In einem Falle
(Versuch XIX), wo das Morphium schlecht vertragen wurde und statt
Beruhigung Schwindel usw. sich zeigte, fanden wir eine halbe Stunde
nach der Injection zunächst ein Ansteigen der Widerstände, zugleich mit
einer vasomotorischen Uebererregbarkeit, was wohl als ein Stadium der
Excitation zu deuten ist, nach 1 Stunde erst die Vasodilatation. Aber in
den andern Fällen haben wir diese Erscheinung völlig vermisst, auch da,
wo ein deutliches psychisches Excitationsstadium vorhanden war. Die
Dauer dieser Vasodilatation scheint eine recht verschieden lange zu sein.
Bei einem jungen Mädchen (Versuch XIX), das ausgesprochen vaso¬
motorisch war, fanden wir sie bei der letzten Messung nach fast 3 Stunden
noch auf ihrem Maximum bestehen, bei einem Arteriosklerotiker (Ver¬
such XXII) war der Gefässtonus nach 3 x / 4 Stunden wieder etwas hoch-
gegangeh, ohne aber seine ursprüngliche Höhe schon erreicht zu haben.
Andererseits konnten wir bei Arteriosklerose constatiren, dass die Wider¬
stände schon nach 1 Stunde auf ihr vorheriges Maass zurückgegangen
waren. Für alle anderen Fälle gilt aber jedenfalls, dass die Vasodila¬
tation nach 1 Stunde noch auf ihrem Maximum stand. Zu betonen ist,
dass diese dilatatorische GefässWirkung in jedem Falle eintritt,
auch dann, wenn psychische Erregung, Nausea, Kopfweh und Schwindel
die Folgen der Morphiuminjection waren, also keine psychische Be¬
ruhigung vorhanden war. Sehr verschieden verhielt sich die Beeinflussung
der vasomotorischen Erregbarkeit durch das Morphium. Meist tritt am
abnorm erregten Gefässsystem in der II. Messung ein Stadium von
normaler oder subnormalcr Erregbarkeit ein, das nach 1 Stunde jedoch
wieder verschwinden kann. Das sahen wir sehr schön bei einem jugend¬
lichen Vasoraotoriker und bei einer Arteriosklerose, wo das unternormale
Reagiren der Gefässe aber erst nach 1 Stunde auftrat. Auch der schon
oben erwähnte Arteriosklerotiker (Versuch XXII) mit den stark erhöhten
Widerständen und starker peripherer Uebererregbarkeit zeigte bei der
II. Messung einen gleichmässigen Gefässtonus, der durch den ganzen
Versuch zu verfolgen war. Doch giebt es auch Fälle, die dies ver¬
missen lassen. Dieses Stadium der gegen den Vorversuch verringerten
vasomotorischen Erregbarkeit geht aber oft schnell vorüber, und wir
finden dann unter Umständen schon nach 1 Stunde das übermässige
Reagiren der Gefässe wieder. Sehr schön zeigten uns das eine Arterio¬
sklerose und ein Knabe, bei dem in der IV. Messung sogar eine die
Anfangsmessung übertrefTende Erregbarkeit eingetreten war. Dabei bleibt
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
277
der verminderte Gefässtonus bestehen oder sinkt noch weiter ab. Das
Abklingen der Gefässwirkung des Morphiums dagegen scheint gewöhnlich
mit einer starken Uebererregbarkeit verknüpft zu sein.
Es folgt die Herzwirkung des Morphiums. Zunächst fanden wir
immer ein starkes Absinken des Pulses, das oft erst in der 111. Messung
eklatant zu Tage trat. Dabei wurde der Verlauf der Pulscurven in der
einzelnen Functionsprüfung oft ruhiger und gleichraässiger. Nur in einem
Falle (Versuch XIX) trat nach V 2 Stunde eine Erhöhung der Pulsfrequenz
hervor, zugleich stiegen, wie schon oben erwähnt, die Widerstände an,
es war ein deutlich ausgeprägtes Excitationsstadium vorhanden; alle andere
Versuche aber Hessen dasselbe vermissen. Sehr deutlich tritt nun in den
meisten Protokollen das Bestreben des Cor zu Tage, den Mitteldruck
trotz der oft sehr starken Vasodilatation möglichst auf seiner Höhe zu
halten. Da nun neben der Gefässerweiterung noch eine Pulsverlang¬
samung eintritt, so lässt sich das nur erreichen durch eine Steigerung
der Herzenergie. Wir sehen dies am vollkommensten erreicht beim
juvenilen übererregbaren Kreislauf, wo das Cor unzulänglich und unzweck¬
mässig arbeitete. Nach der lnjection schnellen die Werthe für die Herz¬
energie stark empor und liegen im Bereiche des Normalen. Das Ab¬
sinken des Mitteldrucks ist dabei ganz minimal oder gar nicht vorhanden.
Aber auch bei dem von vornherein mit übermässiger Kraft arbeitenden
Herzen gewisser Arteriosklerotiker war eine, wenn auch unbedeutende
Steigerung der Herzenergie meist vorhanden, wenigstens in derH. Messung.
Dabei tritt aber keine Erregbarkeitserhöhung im Verlaufe der Energie-
curve zu Tage, sie verläuft nicht unruhiger wie die Anfangsmessung.
Und vielleicht bietet uns diese durch Vasodilatation und Pulsverlang-
samung bedingte Steigerung der Herzenergie das Moment, in dem wir
die klinisch doch häufiger beobachtete schädliche Wirkung des Morphiums
aul’s organisch kranke Herz zu suchen haben. Das geschwächte Cor,
das oft sogar noch gegen einen schlechten Gefässtonus arbeiten muss,
ist einer durch Vasodilatation hervorgerufenen Mehranforderung nicht ge¬
wachsen, es kann die Circulation nicht mehr aufrecht erhalten und ver¬
sagt um so eher, als auch die compensatorische Pulsbeschleunigung aus¬
bleibt. Eine Andeutung, wie dies zu Stande kommt, finden wir bei
einem Arteriosklerotiker (Versuch XX) mit in der Anfangsmessung schon
versagendem Cor. Die Herzenergie ist bei der III. Messung Anfangs
erheblich angestiegen, sinkt aber schon bei der 2. Stellung so stark ab,
dass die peripheren Gefässe, deren Vasomotoren eben hier gut reagiren,
mit einer durch die drei letzten Stellungen hochgehaltenen Vasoconstriction
antworten. Fällt diese Vasoconstriction weg, so ist es dem Cor erschwert,
die Circulation aufrecht zu erhalten. Finden wir sehr stark über die Norm
gehende Herzarbeit bei gesteigerten Widerständen, so bedeutet freilich ein
Sinken des Gefässtonus dem Herzen eine Erleichterung, dann kann offen¬
bar, wie uns eine Arteriosklerose (Versuch XXII) zeigte, die Energiesteige¬
rung ausbleiben. Erwähnt sei noch ein Fall von Morbus sacer mit Anfangs
gesteigerten Hcrzleistungen, wo, trotzdem die peripheren Widerstände weit
unter das Normale sanken, auch die Herzenergie und der Puls stark ab¬
fielen. Vielleicht spielen hier uncontrollirbare nervöse Vorgänge mit.
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278
V. Sonnenkalb,
Das Morphium hat also schon in diesen Dosen einen absolut nicht zu
unterschätzenden Einfluss auf den Kreislauf, bestehend 1. in einer wohl immer
cintretenden, oft recht beträchtlichen peripheren Vasodilatation, die
vorübergehend mit einer Beruhigung der eventuell bestehenden vasomoto¬
rischen Uebererregbarkeit oder sogar mit dem Auftreten einer Untcrerreg-
barkeit einhergehen kann, und 2. in einer Wirkung auf das Herz, die
sich äussert in Pulsverlangsamung und Erhöhung der Energie. Da
diese Energiesteigerung nicht, wenigstens nicht ausschliesslich, durch eine
directe Wirkung des Morphium aufs Herz hervorgerufen ist, sondern in-
direct durch Gefässerweiterung, so bleibt sic aus oder macht im Gegenteil
einor verminderten Arbeit Platz in den Fällen, wo sich dem Cor erhöhte
Widerstände entgegenstellen, die durch M auf das Normalmaass zurück¬
geführt werden. Deshalb sehen wir so oft einem günstigen Einfluss des
Morphiums auf das decompensirte Ilerz in den Fällen von Hochdruck¬
stauung, wo die durch C 0 2 -Vergiftung erregten Vasomotorcncentren eine
Vasoconstriction hervorrufen und so noch dazu beitragen, das kranke
Herz auf seine höchsten Leistungen zu spannen. Hier tritt eine Be¬
ruhigung der nervösen Centralorgane des Gefässsystems ein, die Wider¬
stände sinken, und dem Cor ist Gelegenheit gegeben, seine Kraft zu
schonen. Anders in den Fällen, wo das geschwächte Herz, wie so oft,
gegen einen schlechten Gefässtonus arbeiten muss. Hier verlangt eine
weitere durch Morphium hervorgerufene Gefässdilatation eine Erhöhung
der Leistung, wenn die Circulation aufrecht erhalten werden soll, und
dann wird das kranke Herz um so eher versagen, als auch die com-
pensatorische Pulsbeschleunigung ausbleibt, ja sogar einer Verlangsamung
Platz macht. Hierzu kommen noch die Fälle, wo durch Verlangsamung
der Athmung eine C0 2 -Ueberladung des Blutes hervorgerufen und dadurch
eine directe Schädigung des Herzens und der Gefässeentren gesetzt wird.
Versuch XIX.
Prot. 3. E. E., 17 Jahre. 27. 11. 1907 (siehe Fig. 7).
Zeit. 9.50.
A B C D
Zeit:
A B
10,30.
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Zeit: 11,20.
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A B
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44
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m
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107 115
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95 105 99' 98
99
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109 9P
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P
0,39 0,36 0,39 0,33
0,4 0.33
0.32
0.34
0,44 0,43 0,45 0,42
0,45
0,43
0,42 0.4"
n X
P
3128 4000 3952 3528
3888 4048
3344 4048
3456 4408 4408 4368
37184640
3480 4160
m X
P
s
37 40,7 41,3 34,0
42,8 37,9
37,1
38,4
41,S 45,1 44,5 41,2
44,5
45,1
45,8 41.3
w P
m
s
■ n
2519 3254 3142 2911
3082 3340
•28-21 3381
2675 3431 3386 3457
2851 3612
•2747 3302
Herzneurose. Infantiler Körperbau. Leidet sehr unter nervösen
K r e i s 1 a u f b e s c h w e r d e n.
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UNIVERSUM OF MICHIGAN
Zur r^,>iiH:ib>l*>gjo der Pvroi&laufs».'oor<iiHatio:j
L TfUfe 50 flfer Starke vasomotorische Ueborefregfcarkeit bei ■leidliab'ruhig
verlaufender Hmarbeit. litoi li tind'A sml» ein \nd zu starkes • Kefcgireif der Pcripticne,
doil in Folge dessen', fei ."Kleiner
bei D trat eme Sjdaiiobrninr^diliitalion i#
werd»mW. -Amplitude eine peripheie Yasx'oonstrictiori.
10 Cbr: Morpb. hydtö^-bl/vr, (hO1 Ja m *t
IL10 tibf.^O M'm, i\ Hle/y Jfi den folgerten *.Hes»angenV .starkes ifcfiihl van
feb wimfej, Nausea. Kopfweh, Fühlt im;h sehr tfend, ;\V:<f<dr* und du*
• Ü*fer tt r*gb ö r k eK «t c (l g 0 $,th%eo> vväfeemF (fe if^arfeit ungefähr auf derlei fen Hbfe
genhofen ist. h> i&t Pieo wn‘Hij£g*spruefehM» ExcOal nvu.sstadi um vorhanden*
illt ft Vbi ’2(* Mjn : I*u< pevipfe.h*i, Widerstände sind in i Vergleich in l fe-
Atäj&ttfolt' .jibgesankch, dilic fetfernrfoghiifk^l.;'-d^i v tiei'ass'$]f ,, stt\ins' ist kaum noch ui
'fe werfen. Öle Herzeriergi'e .^l..rH\Tas' an^stb'gen^ -deshalb- isl der itUtölilrunk mir
niedriger a(> fei 1 l>us Vor arbeitet ruhi^. die Minulenailrit lifiU sivdi in
F.dge langsamu;*# auf derselben Hofe wm ib‘ Curvu I
IV. 12 L l.i •■45 Mm.: ScfjimttM, Kopfweh, Xhus.u* sind noch gestiegen:
Ihn- pertyferen W idersifc'niäe' tibi ton atii :t der; bei ilt eidangten ifete nesiehen,
ffiicb aber* tiamenilieh in dem IJ.or.hgefen d«*s dfeOolisrfen Worlbes V»ni V, wieget
fäsbroolMä&cfe IJfifemrvgbäikeil. Die Duorgierurve des Herzens verläuft
^dohfuir'^g und gUuoi» hoch wie t^ei IJI, die Arbeit in der ZViUinfeil. aber M in
Folge tk$ unkenden Vulsm schwankend.
Starke A r t.»rioäJc Ißfose bei ge s v h vv ß o ii l, o m Herz. Das Aufstellen bei
der Functionspmfung hUangt ho hr an, ■.* mit dabei ?'als. intermilt. auf.
L 13 Uhr; Die Uefiptfo teagiron bei ß über normal mul hallen diese Vasuv
constHolinn um*?» bei C aufrecht. Der dadmeh eoi-Utdtemfe» MAimiibeil i*>i <U' bis»;
igttt arbeitend* Gor flieht gewachsen \irrd fnjü \n Ttf'ixw* ;Rifegü v bei D ^üufe ab.
Durch vermehrte Äütfftn such» das Herz eineu zu sinifeu Ai.ü.-h d* s Miüoldntrks bei
t» zu paralrstren.
12 Für 5 Tdid.i Mbrpb. i) ) drochioi. Oj)t sul^ u.t,
' 11. 12 Ohr 30 Min.; Das Siefen bei D sl.r^gt wVrd^rei an, !\. MihO. sich •.mhig.a.
D»e Widerstande sind abgKs»mkon y ||f£
srhwunden. Das C’or, dessen FinzeiafI m-u mosH»1h 5 u IdU« »be Fun' ium■,;V»,p,fu.uu;
gut aus; bei C zeigt sieb sogar eine etwas «ilM>rmii.»:i.:».t; Si'elg.-ruT,^ - mvm- V«- ruFu^u
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280
V. Sonnenkalb
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111. 1 Uhr 5 Min.: Die Herzenergie ist Anfangs weiter angestiegen (bei A),
fällt aber dann ab. Die peripheren Widerstände, die bei A gesunken sind (im Ver¬
gleich zu II), steigen bei B an und halten sich dann auf dieser Höhe, wohl reactiv
auf den Abfall der Herzthätigkeit. Sie halten also, vereint mit gesteigerter Herz¬
action, den Mitteldruck auf seiner Höhe.
P. fühlt sich sehr ruhig und bedeutend wohler wie bei der Anfangsmessung.
Versuch XXL
Prot. 5. F. K., 16 Jahre. 4. 12. 1907.
Zeit:
9,55.
Zeit:
10,50.
Zeit:
11,25.
.
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4087 4787 5264
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3739
5472
4390 5504
Abgelaufene Pleuritis exsudativa. Cor: I Ton etwas unrein,
sonst o. B.
I. 9 Uhr 55 Min.: Ein fast normaler Verlauf der Curve, bei etwas schwankender
Herzaction. Das Cor arbeitet einzelsystolisch schwach, in Folge dessen die niedrige
Amplitude. Das wird einigermaassen ausgeglichen durch sehr frequenten Puls.
10 Uhr 7 Min.: Subcut. Inject, von Morph, hydrochlor. 0,005.
II. 10 Uhr 50 Min.: Die Widerstände sind sehr stark abgesunken. Der Verlauf
der diastolischen Werthe zeigt dabei eine etwas aufgeregte Vasomotorenthätigkeit.
Die Herzarbeit ist in beiden Werthen angestiegen, in Folge ausgesprochener Puls¬
verlangsamung in der systolischen Leistung mehr'wie in der Minutenarbeit.
III. 11 Uhr 25 Min.: P. fühlt sich nicht müde, ist schwindlig, hat Kopfweh.
Die Widerstände sind noch weiter abgesunken, die vasomotorische Ueber-
erregbarkeit hat zugenommen. Die Herzenergie, nur wenig höhor wie bei II, reagirt
prompt auf die bei D folgende Vasoconstriction durch erhöhte Leistungen. Die
Arbeit in der Zeiteinheit wird durch ein Tanzen des Pulses schwankend.
Versuch XXII.
Prot. 10. Str., 62 Jahre. 25. 11. 1907.
Starke Arteriosklerose.
1. 9 Uhr 40 Min.: Typisches arteriosklerotisches Bild mit gesteigerten Wider¬
ständen, starker vasomotorischer Uebererregbaikeit und bedeutendem Kraftaufwand
von Seiten des Cor. Die Leistungen des Herzens passen sich dabei den peripheren
Widerständen durchaus nicht an, sondern steigen in beiden Werthen von A—D
continuirlich, das Herz arbeitet also uncoordinirt.
9 Uhr 50 Min.: Subcut. Inject, von Morph, hydrochloric. 0,01.
Go igle
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UNIVERS1TY OF MICHiGAN
Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
281
Zeit:
9.40.
Zeit:
10,10.
A
B C
D
A
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0,64
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1
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10821
11367
II. 10 Uhr 10 Min.: Die Widerstände sind abgefallen, die vasomotorische Ueber-
erregbarkeit ist gänzlich verschwunden. Trotzdem arbeitet das Herz mit unver¬
minderter Kraftverschwendung weiter und steigt von A—D in seinen Leistungen
beständig an und reisst auf diese Weise den Mitteldruck in die Höhe.
III. 10 Uhr 40 Min.: Die Widerstände sind weiter gesunken bei normaler
Vasomotorenerregbarkeit. Das Herz arbeitet bis C mit noch gleich unsinnigem Kraft¬
aufwand, um bei D in seiner Energie etwas abzusinken. Die Zeiteinheitsarbeit des
Cor ist in Folge leichter Pulsverlangsamung relativ geringer geworden, die Herz¬
action ist ruhiger wie bei I.
IV. 1 Uhr 15 Min.. Die Wirkung auf das Gefässsystem klingt ab, die Wider¬
stände sind gestiegen und damit ist zugleich die vasomotorische Uebererregbarkeit
wiedergekehrt. Das Herz arbeitet einzelsystolisch nicht mehr so erregt, und von B
bis C finden wir noch einen etwas zu starken Anstieg. Dagegen zeigt die Minuten¬
arbeit des Cor, im Ganzen in Folge von Pulsverlangsamung abgesunken, durch ein
Schwanken in der Action dasselbe continuirliche Ansteigen der Werthe von A D
wie bei 1.
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282
V. Sonnenkalb,
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Bromural.
Der «-Monobromisovalerianylharnstoff, das Bromural, ist, ehe er therapeutisch
angewandt wurde, thierexperimentell genau von v. d. Eeckhout 1 ) im
Gottlieb’schen Laboratorium untersucht worden. Dieser giebt nach seinen
Versuchsresultaten an, dass Bromural in therapeutischen Gaben ein gutes
Narkoticum ohne irgend welche unangenehmen Nebenwirkungen auf Circu-
lationsapparat, Darm und andere Organe sei, dass erst in toxischen Dosen, und
zwar hier als l. Symptom, eine Alhmungsverlangsamung eintretc, und dass sich
auch nach tiefster Narkose die Thiere in den meisten Fällen wieder erholen. Die
Narkose wird nicht eingeleitet durch ein Excitationsstadium, nur einige Hunde zeigten
Anfangs unbedeutend gesteigerte Reflexe. Dazu kommt, dass auch dauernde Ver¬
abreichung des Mittels in arzneilichen Gaben nie eine Schädigung der Versuchsthiere
erkennen liess. Die daraus sich ergebende gute Verwendbarkeit des Bromurals als
Hypnoticum und Sedativum ist von Krieger und v. d. Velden 2 ) in der Marburger
medizinischen Klinik ausprobiert und in einer Arbeit schon eingehend klinisch
gewürdigt worden. Die weitere Beobachtung lehrte nun, dass das Mittel dem
Neurastheniker nicht nur als Einschläferungs-, sondern auch als einfaches Beruhi¬
gungsmittel die besten Dienste leistete. Es blieben nach Anwendung von Bromural
unter anderm auch die gewisse Neurastheniker ausserordentlich quälenden Kreislauf¬
symptome oft vollständig weg, das Herzklopfen, die Wallungen, die collapsartigen
Erscheinungen verbunden mit Schwindel und Kopfweh u. s. w. Wir mussten daraus
auf eine günstige Beeinflussung des Kreislaufs schliessen, entweder direct durch
Beruhigung der peripheren und medullären Kreislaufcentren, oder indirect durch
Ausschaltung der die Kreislaufcentren fortgesetzt treffenden, von höher gelegenen
Apparaten ausgehenden Reize. Nun hat v. d. Eeckhout 1 ) in der schon oben er¬
wähnten Arbeit am Thier nachgewiesen, „dass auch starke Dosen den Kreislauf
intact lassen und den Blutdruck und die Erregbarkeit des vasomotorischen Centrums
sowie der Vagi nicht verändern, 14 d. h. also, dass gröbere eventl. schädigend
wirkende Einflüsse das Bromural auf diese Organe nicht ausübt.
Das schliesst aber an und für sich nicht aus, dass die Beruhigung resp. die
leichte Narkose, in welche die Grosshirnzellen durch therapeutische Gaben versetzt
werden, in vermindertem Umfange sich auch auf die medullären Centren erstreckt,
und dort eine so geringe Beeinflussung ausübt, dass sie sich durch die immerhin
groben Versuche am Thier nicht nachweisen lässt, die aber am Menschen bei der
von uns angewandten Functionsprüfung, die ja entschieden schon ganz geringe Ver¬
schiebungen in den Kreislaufverhältnissen erkennen lässt, wohl bemerkbar sein kann.
Wir haben mit Bromural 13 Versuche angestellt bei Kreislauf¬
gesunden, wie beim Kreislaufneurotiker, bei Arteriosklerose und Nephritis.
In den meisten Fällen gaben wir 2 Tabletten, also 0,6 per os, 2 Mal
0,9. Die II. Messung wurde 30—40 Minuten nach Verabreichung des
Mittels angestellt. Was zunächst die subjective Wirkung des Bromurals
anlangt, so fanden wir bei aufgeregten nervösen Patienten meist eine
Linderung der charakteristischen Symptome, der Unruhe, des Angst¬
gefühls, des Herzklopfens und der andern oft so unbestimmten Be¬
schwerden. Dagegen trat, da wir die Versuche meist Vormittags unter¬
nahmen und uns auch nicht bemühten, die von Aussen kommenden
Eindrücke dem Betreffenden ängstlich fern zu halten, der Schlaf meist
1) Eeckhout, Arch. f. exper. Path. u. Pharmakol. Bd. 57. Heft 5 u. 6. 1907.
2) Krieger-Velden, Deutsch, med. Wochenschrift. 1907. No. 6.
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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
283
nicht ein, sondern nur ein geringes Müdigkeitsgefühl. Es lag ja auch
in unserer Absicht, das Bromural von andern Gesichtspunkten aus, als
den in den obigen Arbeiten gewürdigten, zu betrachten.
Was nun die Krcislaufwirkung, die das Bromural am Gesunden
hervorruft, betrifft, so fanden wir, dass sich die im Anfangsversuche
gewonnene normale Curvc bei der II. Messung meist ganz getreu,
höchstens mit den physiologischer Weise vorkommenden kleinen Ver¬
schiebungen wiederholte. Das konnten wir auch constatircn in einem
Falle, wo wir 0,9 verabreichten, die gewöhnlich von uns angewandte
Dosis also um die Hälfte überschritten. Anders beim mehr oder weniger
neurasthcnisch veranlagten Individuum. Hier finden wir ja oft die
Kreislaufsymptome ganz im Vordergrund stehen, die kleinsten psychischen
Reize lösen Verschiebungen in der Blutmenge auf, die sich subjectiv
bald als collapsartige Anfälle, bald als Congestionen, bald als Hitze¬
gefühl u. a. m. am ganzen Körper äussern. Im Vordergrund steht hier
das übermässige, der Zweckmässigkeit oft zuwiderlaufende Reagiren der
beiden Kreislauffactoren, des Herzens und der Gefässe, und deshalb
finden wir oft einen ganz bizarren Verlauf der Curve. Wir haben bei
unsern Versuchen oft Anfangsmessungen gewonnen, die an die bei
Nephritis und Arteriosklerose auftretenden täuschend erinnern (cf.
v. d. Velden, juvenile Arteriosklerose). Der Erfolg, den wir durch
Bromural nach y 2 Stunde verzeichnen konnten, ist kurz gesagt der, dass
aus einer uncoordinirten Curve eine mehr coordinirte geworden ist, oft
eine völlig normale, d. h. also, dass Herz und Gefässe gut und zweck¬
mässig zusammen arbeiten.
Das zeigen uns sehr schön 2 Studenten in den ersten Semestern,
die ja besonders häufig den an sie gestellten Anforderungen nervös nicht
gewachsen sind und deshalb die Hülfe des Arztes beanspruchen, ebenso
ein löjähriger Knabe (Versuch XXIII). Dabei ist zu bemerken, dass
nach der Einnahme von Bromural die Widerstände und die Herzarbeit
sich durchschnittlich auf derselben Höhe halten, wenn sie vorher schon
in physiologischen Grenzen lagen, und dass sie nur normal und ruhig
in ihrem Wechsel verlaufen. Finden wir dagegen neben dem uncoordi¬
nirten Verlauf der peripheren Werthe eine sehr hohe Amplitude, also
eine übernormal starke, durch die Anforderungen nicht bedingte Herz¬
energie und Auswurfsmenge, so fällt nach Bromural die Pulshöhe ab
bei gleichbleibenden Widerständen, das Cor arbeitet also jetzt in jeder
Weise normal und zweckmässig. Wir konnten das erkennen bei einer
sehr starken traumatischen Neurose (Versuch XXV) und bei einem jugend¬
lichen Vasomotoriker (Versuch XXIV). Keinen Erfolg von Bromural
sahen wir nur bei einem schweren Neurastheniker, der bei der II. Messung
collabirtc. Hier hatten aber auch andere Mittel, die wir angewandt
haben, völlig versagt (cf. Campher Seite 245). Dann stellten wir noch
Versuche bei Nephritis und Arteriosklerose an und mussten dort jeden
calmirenden Einfluss des Broraurals auf den Kreislauf vermissen. Da wir
nun also in diesen Fällen, wo doch wohl sicher eine Uebererregbarkeit
der vasomotorischen Centren vorliegt, sowie am normalen Kreislauf keine
Sedative oder narkotische Wirkung constatircn konnten, andererseits die-
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V. Sonnenkalb
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selbe beim Neurastheniker in jedem Falle eintrat, so gestattet uns das viel¬
leicht den Schluss, dass der hauptsächlichste Factor des wohlthätigen
Einflusses des Bromurals auf die Kreislaufneurose darin liegt, dass die von
den höher gelegenen Centren, die einen regulatorischen Einfluss auf die
medullären Apparate ausüben, gesandten Impulse herabgesetzt sind, dass
wir also auch hier den Angriffspunkt in das Grosshirn verlegen müssen.
Freilich haben wir bei einer Arteriosklerose gesehen, dass bei der
II. Messung die enorm gesteigerten Widerstände etwas absanken, ohne
dass allerdings die vasomotorische Uebererregbarkeit beeinflusst wurde.
Ein Phthisiker zeigte bei der II. Messung eine vasomotorische Unter¬
erregbarkeit. Vielleicht ist also doch neben der cerebralen auch eine
geringe medulläre Erregbarkeitsherabsetzung vorhanden, denn wir haben
bei unsern früheren Versuchen oft die Beobachtung gemacht, dass gerade
die bei Arteriosklerose vorkommende periphere Widerstandssteigerung
und der Kreislauf des Phthisikers besonders stark auf therapeutische
Beeinflussung reagiren.
Zu denken wäre also immerhin daran, dass Bromural ein zu
schwaches Narkoticum ist, um in einem ihm nicht adäquaten „Milieu u
zu wirken wie am normalen und auf organischer Grundlage stark über¬
reizten Vasomotorensystera.
Dass wir auch bei einer Nephritis einen Abfall der Widerstände
sahen, scheint uns deshalb nicht von Bedeutung, weil uns lange fortge¬
setzte Beobachtungen gezeigt haben, dass hier der Vasotonus ein oft
plötzlich schwankender ist, wie auch von verschiedenen anderen Autoren
betont wird.
Wir können also sagen, dass beim Neurastheniker und bei der
Kreislaufneurose das Bromural nicht nur als Schlaf-, sondern auch als
einfaches Beruhigungsmittel in Dosen von 0,3—0,6 gute Dienste
leistet, dass nicht nur die subjectiven Beschwerden danach meist
schwinden, sondern dass auch eine objective günstige Wirkung
auf das Circulationssystem nachzuweisen ist. Nie konnten wir einen
irgendwie schädlichen Einfluss auf den Kreislauf oder in anderer Be¬
ziehung constatiren, und es ist ja früher schon hervorgehoben worden,
dass auch dauernde Anwendung in keiner Weise ungünstig auf den
Organismus einwirkt.
Versuch XXIII.
Prot. 10. II. L., 15 .Jahre. 19. 10. 1907 (siehe Fig. 8).
Herz- und Gefässneurose. Cor ohne pathol. Befund.
I. 10 Uhr 30 Min.: Starke vasomotorische Uebererregbarkeit bei einem Schwanken
in der Herzarbeit. Schon bei B spricht sich in dem starken reactiven Hochgehen der
peripheren Widerstände eine Uebererregbarkeit aus. Die weitere Vasoconstriction bei
C ist vielleicht aufzufassen als compensatorisch auf eine Spianchnicusdilatation hin.
Dagegen ist das Hochbleiben des diastolischen Werthes bei D bei gleichzeitiger Er¬
höhung der Amplitude als vasomotorische Erregbarkeit zu deuten.
10 Uhr 35 Min.: Es werden 2 Tabletten Bromural (0,6) per os gegeben.
II. 11 Uhr 5 Min.: Herzarbeit und periphere Widerstände halten sich ungefähr
auf der gleichen Höhe wie bei l. Dagegen arbeiten beide Kreislaufcomponenten jetzt
zweckmässig und zeigen ein normales Reagiren auf Anforderungen.
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Zeit:
10,30.
Zeit: 11,5.
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3022
Versuch XXIV.
Prot. 9. B., 20 Jahre. 10. 12. 1907.
Zeit:
4,35.
Zeit:
5.10.
A
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3511
3964
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4305
Herz- und Gefässneurose mit starken subjectiven Beschwerden.
I. 4 Uhr 35 Min.: Die Herzarbeit ist gesteigert und verläuft erregt und
schwankend in ihren Werthen. Die Pulswelle ist abnorm hoch. Der Gefässtonus ist
inconstant und wird gegen das Ende labil.
4 Uhr 45 Min.: Verabreichung von Bromural 0,6 (2 Tabletten) per os.
II. 5 Uhr 10 Min.: Die Herzarbeit ist im Vergleich zu 1 abgesunken und hält
sich durch die ganze Messung ziemlich gleich auf ihrer Höhe. Der Gefässtonus ist
gut und kräftig, es drückt sich nur bei B in einer etwas hypernormalen peripheren
Vasoconstriction eine Uebererregbarkeit aus. Herz und Gefässe arbeiten also im
Vergleich zu 1 zweckmässiger.
Versuch XXV.
Prot. 11. E., 35 Jahre. 10. 12. 1907.
Traumatische Neurose, Herz ohne besonderen physikalischen
Befund.
I. 10 Uhr 50 Min.: Herz- und Gcfässcomponente verlaufen beide schwankend
und erregt.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. i (j
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Zeit:
10,50.
Zeit:
11,30.
A
B
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2996
3312
3450
4229
Bei B findet sich eine normale periphere Vasoconstriction. Der Abfall der
Widerstände bei C ist etwas zu stark ausgeprägt und da gleichzeitig Herzenergie und
Pulsfrequenz sinken, so fällt der Mitteldruck unter seinen Anfangswerth. Bei D steigt
die Herzarbeit wenig, der Vasotonus der Peripherie aber sehr stark an, als ein Zeichen
starker vasomotorischer Uebererregbarkeit. Die Herzaction verläuft schwankend und
inconstant.
11 Uhr: Verabreichung von Bromural 0,6 per os.
II. 11 Uhr 30 Min.: Wir finden die Herzenergie in toto etwas abgesunken, sie
hält sich gleichmässig und ruhig in ihrem Verlauf. Auch die Action ist nicht mehr
so schwankend wie bei I. In der Gefässcomponente zeigt sich eino leichte Ueber¬
erregbarkeit noch bei C, während bei D der normale Abfall der peripheren Wider¬
stände eintritt. Im allgemeinen kann man sagen, dass der Vasotonus ein constanter
und guter geworden ist, so dass der Mitteldruck einen annähernd normalen Verlauf
nimmt.
Chlornatrium.
Die Wirkung des Kochsalzes auf den Kreislauf ist schon längere
Zeit Gegenstand der Forschung gewesen. Dass es auf das Herz selbst
in geringen Concentrationen eine besondere „chemische 44 (specifische)
Wirkung nicht ausübt, ist allerdings schon lange bekannt; wenigstens
nicht, wenn es, wie bei Durchblutungsversuchen, einer für die Ernährung
des Herzens geeigneten Salzmischung (Ringer-Lösung) beigefügt wird.
In hohen Concentrationen entzieht es, wie allen Geweben, auch dem
Herzmuskel Wasser und schädigt dadurch natürlich dessen Functionen
[Heinz 1 )].
Trotzdem schreibt man dem Kochsalz eine Wirkung auf den Blut¬
druck zu, und zwar führte zu diesem Schluss wohl hauptsächlich die
Beobachtung, die man am Nephritiker machte. Zunächst Hess sich
constatiren, dass beim Nierenkranken unter Umständen eine sehr hoch¬
gradige NaCl-Retention stattfindet, und es lag nahe, diese letztere mit
den beim Nierenkranken bekannten hohen Blutdruck in Verbindung zu
bringen. Eine ganze Reihe namentlich französischer Autoren [Ambard-
1) Heinz, Handbuch d. experiment. Path. und Pliarmakol. Jena 1905.
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Original from
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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
287
ßeaujard 1 )], Läufer 2 ) u. A. stellten danach systematisch Versuche
am Krankenbett des Nephritikers an, und fanden, dass die Höhe des
Blutdrucks in gewissem Umfange abhängig sei von der Kochsalz¬
verhaltung. Weitere Thatsachen über dieses Thema brachte Löwen-
stein 3 ) und stellte für einige Fälle ebenfalls mit grosser Wahrschein¬
lichkeit eine Beziehung zwischen Kochsalzzufuhr und Blutdrucksteigerung
fest. Es ist nun vorerst nicht unsere Aufgabe, auf diesen speciellen Fall,
des Zusammenhangs der nephritischen Blutdrucksteigerung mit Na CI,
näher einzugehen, da wir uns im allgemeinen ein Urtheil über die
Kochsalzwirkung auf den Blutdruck zu verschaffen suchten, und uns bei
unsern Experimenten hauptsächlich auf solche Kreislaufverhältnisse
stützten, die uns etwaige Verschiebungen am deutlichsten zu Gesicht
bringen konnten, das ist der normale Kreislauf, und zwar der des
jugendlichen Individuums (zwischen 17 und 20 Jahren), der nach unsern
Erfahrungen auf medikamentöse Einflüsse besonders stark reagirt. Am
Gesunden ist unseres Wissens bis jetzt nur einmal, von Läufer, ge¬
arbeitet worden, der eine directe Beziehung zwischen Kochsalzzufuhr und
Blutdrucksteigerung feststellte.
Wir haben mit Kochsalz 9 Versuche angestellt, grösstentheils bei
kreislaufgesunden jungen Leuten aus den oben erwähnten Gründen. Je
einmal haben wir eine Nephritis und eine Epilepsie in unsere Versuche
einbezogen, von welch letzterer wir wegen der angenommenen nahen
Beziehung zwischen Kochsalz und Morbus sacer besonders deutliche
Resultate erhofften 4 ) (beide befanden sich ausserdem im H 2 Ü- und NaCl-
Stoffwechsel). Wir gaben in einmaliger Dosis Chlornatrium 5,0—10,0
in lauem Wasser gelöst per os, und zwar nur in so viel Wasser, als
zur völligen Lösung unbedingt nothwendig war; Magen-, Darmbeschwerden
traten danach niemals auf.
Was das Cor anbelangt, so ist es wohl unnöthig, zu erwähnen,
dass bei den von uns angewendeten Kochsalzgaben eine directe Wirkung
aufs Herz nicht verzeichnet werden konnte. Wo eine Aenderung in
Energie und Action eintrat, war diese als einfache reactive Folge auf
die im Gefässsystem hervorgerufenen Verschiebungen anzusehen.
Ueber die GefässWirkung ist zu sagen, dass sie nicht immer
eintritt. In 2 Fällen, wo wir 8,0 Kochsalz, also relativ hohe Dosen,
gaben, konnten wir nicht die geringste Aenderung in Tonus und Er¬
regbarkeit constatiren, auch nach 1 Stunde noch nicht. Das w r äre mit
den bei Nephritis gemachten Beobachtungen übereinstimmend, wo neben
positiven viele völlig negative Resultate zu verzeichnen waren, ln
anderen Fällen trat aber eine sehr deutliche Reaction hervor, deutlicher,
als wir sie erwartet hatten. Zunächst sahen wir bei 2 völlig normalen
Fällen (Versuch XXVI, XXV11I) nach einer Stunde eine sehr ausge-
1) Ambard- Beauj ard, Arch. gener. de med. 1904. S. 520.
2) Läufer, Compt. rend. de la Soc. de biologie. Paris. Sitz. v. 13. 2. 04.
3) Löwenstein, Arch. f. exper. Path. u. Pharmakol. 57. Bd. Heft 1 u. 2.
4) v. d. Velden, Vortr. auf d. 33. Versamml. d. südwestd. Neurolog. u. Irren¬
ärzte. Baden-Baden. Mai 1908. Neurolog. Centralbl. 1908. 13.
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sprochene Erhöhung des Gefässtonus durch die ganze Functions¬
prüfung hindurch. Dasselbe zeigte weniger eclatant die oben erwähnte
Epilepsie bei der III. Messung. Viel constanter aber und auch früher
trat die sehr starke Uebererregbarkeit des Gefässsystems hervor.
Und zwar trat dieselbe 4 Mal in genau gleicher charakteristischer Weise
zu Tage. Es lag der diastolische Werth bei der horizontalen Stellung
noch in derselben Höhe wie im Anfangsversuche, also hier blieben die
peripheren Widerstände dieselben. Sobald aber die durch die Functions¬
prüfung bedingten Anforderungen an den Kreislauf herantraten, also
schon bei B, schnellten die Widerstände in die Höhe und die Vaso-
constriction blieb dann durch die folgenden Stellungen dieselbe. Da wir
es mit normalen kräftigen Kreislaufverhältnissen zu thun hatten und die
Pulswelle annähernd die gleiche blieb, liegt gar kein Grund vor, diese Gefäss-
verengerung in der Peripherie auf antagonistische Vorgänge im Splanchnicus-
gebiet zu beziehen, wir haben es vielmehr mit einer wirklichen, sehr aus¬
gesprochenen allgemeinen Gefässübererregbarkeit zu thun. Es zeigten
uns das 3 normale Menschen (Versuch XXVI, XXVIII) nach 30 Minuten,
einer nach y 2 und 1 Stunde, schliesslich ein jugendlicher anämischer
Vasomotorikcr nach 1 Stunde, während sich hier bei der II., nach
30 Minuten vorgenommenen Messung noch gar keine Veränderung gezeigt
hatte. Bei den 2 Fällen (Versuch XXVI, XXVIII), wo bei der
III. Kreislaufprüfung von vornherein ein gesteigerter Tonus in der
Peripherie vorhanden war, blieb diese starke Uebererregbarkeit aus, sie
zeigte sich nur ganz wenig ausgeprägt in etwas von der Norm ab¬
weichendem Verlaufe der diastolischen Werthe. Hier finden wir auch
die Erklärung dafür, warum die oben erwähnten Versuche anderer
Autoren so oft negative Resultate ergaben. Ganz abgesehen davon,
dass wohl stets nur der systolische Druck festgelegt worden ist, sind
die Versuche lediglich in einer Stellung vorgenommen worden, und wir
haben gesefien, dass ein erhöhter Gefässtonus als Ausdruck starker
vasomotorischer Erregbarkeit meist erst dann hervortritt, wenn der
Kreislauf gewissermaassen aus seiner Ruhelage gebracht wird. Weiterhin
legen unsere Resultate uns den Schluss nahe, dass der Angriffspunkt
des Kochsalzes, wenigstens vorwiegend, in die medullären Vasomotoren¬
apparate zu verlegen sei. Denn eine derartige gleichmässige erregende
Wirkung auf das Gefässsystem liesse sich wohl schwer anders erklären.
Zum Verhalten des Herzens dem Kochsalz gegenüber sei noch fol¬
gendes erwähnt. Herzenergie und Herzaction zeigten in ihren Curven nur
insoweit Verschiebungen, als diese bedingt waren durch die veränderten
Gefässverhältnisse. Dass bei hochgradiger Uebererregbarkeit des Gefäss¬
systems natürlich auch die Herzarbeit entsprechende Schwankungen zeigen
musste, ist selbstverständlich, und es wäre vollkommen unrichtig, den
etwas aufgeregten Verlauf der Herzcurven auf die directe Einwirkung des
Kochsalzes auf das Cor oder seine nervösen Apparate zu schieben, wie
derselbe auch ausblieb, wenn die Wirkung des Chlornatriums auf die
Gefässe zu vermissen war.
Zuletzt möchte ich noch erwähnen, dass wir bei dem Fall von
Nephritis, an dem wir einen Versuch angestellt haben, keine sichere
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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
289
Wirkung constatiren konnten. Es fehlte hier allerdings der charakte¬
ristische hohe Blutdruck, und dann war von vornherein eine Kreislauf¬
schwäche des Splanchnicusgebietes vorhanden (Splanchnoptose), die uns
die so wie so nicht sehr deutlichen Ausschläge völlig verwischte. Bei
der Epilepsie sahen wir eine geringe Steigerung des Gefässtonus nach
einer Stunde, zugleich aber eine Abnahme der vasomotorischen Er¬
regbarkeit. Wir haben schon früher bei einem Fall von Morbus saccr
eine der anzunehmenden direct zuwider laufende Reaction beobachtet
und dieselbe in unserer Arbeit erwähnt. Es scheinen hier andere, sich
der Berechnung noch entziehende Factoren mitzuspielen.
Das Ergebniss unserer Versuche ist also, kurz gesagt, dass das
Kochsalz vorzugsweise die vasomotorische Erregbarkeit steigert,
und zwar oft in sehr hohem Grade, dass ausserdem eine Erhöhung
des Gefässtonus vorhanden sein kann, und dass das Cor nur wahr¬
scheinlich indircct durch die vom Gefässsystem übermittelten Reize beein¬
flusst wird. Die Wirkung tritt in den von uns angewandten Dosen sehr
verschieden stark, eventl. gar nicht ein.
Es stimmt dieser Befund mit Erfahrungen im Thierexperiment überein. Aus
nicht veröffentlichten Protokollen der Velden’schen Arbeit 1 ) „Zur Pharmakologie
des Nervus depressor u geht hervor, dass bei intravenöser Zufuhr 5—lOproc. Koch¬
salzlösung schon nach wenigen (5) Cubikcentimetern, noch ehe eine Steigerung des
Blutdrucks, wie sie ja unter Umständen zu verzeichnen ist, eintritt, die auf electrisohem
Wege geprüfte Anspruchsfähigkeit des Nervus depressor eine sichtlioh bessere wird.
Dasselbe gilt für das medulläre Vasomotorencentrum, dessen Reizung durch temporäre
Abklemmung der mit dem Manometer nioht verbundenen Carotis (O-Mangel) bewirkt
wurde.
Versuch XXVI.
Prot. 3. H. S., 20 Jahre. 17. 2. 1908 (siehe Fig. 9).
Zeit: 9,0.
Zeit:
9,40.
Zeit:
10,10.
A
B
C
D
A
B
C
D
A
B
C
D
R
16
16
16
n
68
76
72
76
64
76
68
76
72
72
76
1 76
s
98
110
108
100
96
120
; 116
110
110
128
116
120
d
58
66
62
58
56
72
j 78
68
72
8?
74
82
P
40
44
46
42
40
48
38
42
38
46
42
! 38
m
78
88
85
79
76
96
97
89
91
105
95
| 101
P
q = s
0,41
0,4
0,43
0,42
0,42
0,4
0,33
0,38
0,35
0,39
0,36
0,32
n X p
2720
3344
3312
3192
2560
3648
2584
3192.
2736
3312
3192
2888
mX^
s
32
35,2
36,5
33,2
31,9
38,4
;
32,0
33,8
31,8
37,8
34,2
32,3
3
X
C/5 *T3
X
o
2175
2655
2632
2582
2043
2918
2177
2570
2293
2722
2599
2456
Ekzem. Normale Kreislaufverhältnisse.
1. 9 Uhr: Völlig normales Bild.
9 Uhr 10 Min.: Es werden Kochsalz 8,0 verabreicht per os.
1) Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 55.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
290
V. Sonnen kalb,
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II. 9 Uhr 40 Min.: Die peripheren Widerstände sind bei A noch unverändert,
steigen aber dann bis C continuirlich und sehr stark an, um bei D nur wenig abzu¬
sinken. Dabei hält sich die Herzarbeit in toto auf derselben Höhe wie bei 1, der
etwas unregelmässige Verlauf der Herzcurven erklärt sich durch das starke Ansteigen
der Widerstände, die Pulswelle zeigt in den einzelnen Stellungen nur geringe
Differenzen. Also starke vasomotorische Uebererregbarkeit bei Anfangs (im Vergleich
zu I) gleichbleibendem Gefässtonus und bei zweckmässiger, den Anforderungen aus¬
gezeichnet nachkommender Herzarbeit.
III. 10 Uhr 10 Min.: Die Widerstände sind stark erhöht, also gesteigerter
Gefässtonus, im Hochgehen des diastolischen Werthes bei D spricht sich eine leichte,
gegen II allerdings bedeutend verminderte vasomotorische Uebererregbarkeit aus. Die
Herzarbeit ist gegen I und II durchschnittlich unverändert und zeigt ein gutes
Reagiren, auch erkenntlich an der fast gleichbleibenden Amplitude.
Versuch XXVII.
Prot, 6. A. G., 21 Jahre. 17. 2. 1908.
Normaler kräftiger Mensch, Cor ohne pathol. Befunde.
I. 8 Uhr 45 Min.: Der Verlauf der diastolischen Werthe ist ganz normal, da¬
gegen spricht sich in der Herzenergiecurve eine leichte Uebererregbarkeit aus, deshalb
sind die Pulsamplituden etwas wechselnd in ihrer llühe.
8 Uhr 55 Min.: Kochsalz 8.0 per os verabreicht.
II. 9 Uhr 30 Min.: Die peripheren Widerstände, bei A auf derselben Höhe wie
in der Anfangsmessung, steigen sodann bis 0 continuirlich an, um bei D nur wenig
ahzufallen; dabei sind die Pulsamplituden ziemlich constant in ihrer Höhe, Herz¬
energie und Kinhoitsarbeit des Cor zeigen sich gegen 1 fast nicht verändert. Also
bei gleicher Herzarbeit ein stark übererregtes Vasomotorensystem mit anfänglich nicht
veränderten W iderständcn.
III. 10 Uhr: Dasselbe Bild wie II, nur hat die vasomotorische Uebererregbarkeit
noch zugenommen.
Versuch XXVIII.
Prot. 4. M. Sch., 21 Jahre. 15. 2. 1908.
D i a b e t r s. X o r m a 1 e K r e i s 1 a u f v e r h ä 11 n i s s e.
I. 10 Uhr 10 Min.: Normaler Verlauf der Curve in allen Werthen.
10 Uhr 20 Min.: Verabreichung von Kochsalz 5,0 per os.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
201
Zeit:
10,10.
Zeit:
10,50.
Zeit:
11,25.
A
! B
C
1 D
A
f’ B
C
D
A
B
i
C
D
R
18
_
16
16
D
72
80
80
84
68
72
76
88
72
76
80
88
S
132
138,
134
134
136
142
146
140
140
150
144
138
d
70
78
74
72
70
80
86
84
88
92
86
86
P
62
60
60
62
66
62
60
56
52
58
58
52
m
101
108
104
103
103
111
116
112
114
121
115
112
P
* = y
0,48
0,43
0,45
0,46
0,49
0,44
0,41
0,4
0,37
0,39
1 0,4
0,38
n X p
4464
4800
4800
1 5208
4488
i
4464
4560
4928
3744
4408
4640
4576
m X P
s
48,5
46,4
46,8
47,4
50,5
48,8
47.6
44,8
42,2
47,2
46,0
42,6
mX-Xn
s
3490
3715|
3744
3980
3432
3516
3615
3942
3047
3586
3680
3745
II. 10 Uhr 50 Min.: Herzenergie und Gesammtarbeit des Cor sind durch¬
schnittlich auf derselben Höhe wie bei I. Die Pulswelle zeigt durch die ganze
Messung annähernd die gleiche Höhe. Dagegen steigen die peripheren Widerstände,
bei A gegen I noch unverändert, durch B bis C continuirlich an und halten sich bis
D auf ihrer Höhe, — also starke vasomotorische Uebererregbarkeit bei gleichbleibender
und zweckmässiger Herzarbeit.
III. 11 Uhr 25 Min.: Herzarbeit in ihrer durchschnittlichen Höhe unverändert.
Dagegen sind die Widerstände von Anfang an stark angestiegen bei fast ganz
normalem Verlaufe der Curve, der Tonus ist also erhöht, ohne irgend welche vaso¬
motorische Uebererregbarkeit.
Schluss.
Diese Arbeit hat aus dem umfangreichen Gebiet erst einige Haupt¬
typen herausgegriffen. Wir stehen noch mitten in Untersuchungen über
die Kreislaufwirkung einer Reihe von anderen Pharmacis, die uns bis
jetzt noch keine einheitlichen Resultate boten, und deshalb noch nicht
spruchreif erscheinen. Hierher gehören Versuche bei NaCl-Infusion,
Dauerversuche bei Nephritis und Epilepsie, die sich im H 2 0- und NaCl-
Stoffwechsel befinden; ferner Untersuchungen über Atropin, Alkohol, Jod
und Digitalispräparate.
Soweit es uns gelungen ist, zu einheitlichen Resultaten über die
Kreislaufwirkung der oben angeführten Pharmaca zu gelangen, haben
wir dieselben eingehend besprochen und haben gefunden, dass sie das
aus Thierexperiraent und klinischer Erfahrung gebildete Urtheil im all¬
gemeinen bestätigen. Trotzdem glauben wir, dass unsere Ergebnisse
manchen Wink geben können über genauere Indication, Wirkungseintritt
Dauer u. s. w.
Resultate:
I. Carapher: Herz- und Gefässanalepticum, das eine Kräftigung des
Vasotonus mit kurzer, schnell vorübergehender Uebererregbarkeit hervor¬
bringt, und gleichzeitig die Anspruchsfähigkeit des Herzens erhöht.
Angewandte Dosen 1,0—2,0 subcut. (01. camphor. fort.)
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
292
V. Sonnen kalb
LI. Coffein: Steigerung von Vasotonus und Herzenergie, verbunden
mit sehr ausgeprägter Uebererregbarkeit beider Kreislaufcomponenten.
Angewandte Dosen 0,2 subcut.
III. Diuretin: Gefässerweiterung mit wechselnder Erregbarkeits¬
änderung (meist erst gleichbleibende oder herabgesetzte, später gesteigerte
Erregbarkeit). Die Herzenergie wird zuweilen grösser und zeigt einen
regelmässigeren Verlauf, die Action wird schwankend.
Angewandte Dosen 1,5—2,0 p. o.
IV. Natr. nitros.: Vasodilatation mit geringer Uebererregbarkeit.
Keine nachweisbare directe Beeinflussung des Herzens.
Angewandte Dosen 0,01 subcut.
V. Chloralhydrat: Hochgradige allgemeine Gefässerweiterung, bei
gleichbleibender oder in seltenen Fällen kurze Zeit dauernder geringer
Uebererregbarkeit. Eine schädigende Wirkung aufs Herz ist bei diesen
kleineren Dosen nicht nachweisbar.
Angewandte Dosen 1,0 per os.
VI. Morphin, hydrochlor.: Vasodilatation mit vorübergehender
geringer Erregbarkeitsherabsetzung beim überregten Kreislauf. Erhöhung
der Herzenergie und der Pulswelle bei Puls Verlangsamung. In seltenen
Fällen vorher ein kurzes Excitationsstadium mit gesteigerten Wider¬
ständen und Uebererregbarkeit beider Kreislaufcomponenten.
Angewandte Dosen 0,005—0,01 subcut.
VII. Bromural: Wirkungslos am normalen Kreislauf. Beim Vaso-
motoriker stellt es normale Verhältnisse her bei gleichbleibender, oder
— bei vorher gesteigerter Herzarbeit — herabgesetzter Energie des
Herzens.
Angewandte Dosen 0,6—1,2 per os.
VIII. Chlornatriura: Gefässübererregbarkeit bei manchmal gesteigerten,
oft aber gleichbleibenden Vasotonus. Eine directe Beeinflussung der Herz¬
arbeit ist nicht nachweisbar.
Angewandte Dosen 5,0—8,0 per os.
Fig. 2 (Versuch II).
01. camph. fort. 2,0 subc.
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Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
293
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Fig. 3 (Versuch VI).
Coffein, natrio-salicyl. 0,2 subc.
Fig. 4 (Versuch X).
Diuretin 1,5 per os.
Fig. 5 (Versuch XIII).
Natr. nitros. 0,01 subc.
Fig. 6 (Versuch XVI).
Chloralhydr. 1,0 per os.
Original fro-m
UNIVERSITf OF MICHIGAN
294 V. Sonnen kalb, Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination.
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Fig. 7 (Versuch XIX).
Fig. 8 (Versuch XXIII).
WO
WO
80
Bromural 0,6 per os.
Fig. 9 (Versuch XXVI.)
Kochsalz 8,0 per os.
Gck igle
Original from
UNIVERSfTY OF MICHIGAN
XXIII.
Aus der experimentell-biolog. Abtheil, des patholog. Instituts Berlin.
Ergotina styptica und Herzarbeit.
Nach Versuchen am überlebenden Warmblüterherzen.
Von
6. Zuelzer.
(Mit 3 Figuren und 2t Curven iin Text.)
Das Ergotin ist als Herz-, richtiger als Gefässmittel von zwei her¬
vorragenden Klinikern, dem Kinderarzt Steffen bei Diphtherie und von
0. Rosenbach in den Fällen empfohlen worden, wo die Digitalis ver¬
sagt, wenn seiner Ansicht nach die hauptsächlichsten Compensations-
störungen nicht in dem Herzmuskel, sondern in den Arterien selbst
liegen, die ihren Tonus verloren haben. Trotz dieser Empfehlung wird
das Ergotin bei Herzaffectionon kaum angewandt und Romberg äussert
sich folgendermaassen: „Das Ergotin wird besser nicht gebraucht. Seine
drucksteigernde Wirkung ist nach den Ergebnissen des Thierversuches
recht zweifelhaft.“ Er hat bei den Kranken eben so wenig wie andere
Autoren eine Wirkung auf den Blutdruck gesehen. „Die von S. Frenkel
mit dem Ergotin-Nienhaus erzielten scheinbar positiven Resultate sind
wegen der starken reactiven Entzündung in ihrem Gefolge kaum als
Ergotinwirkung zu deuten.“
Die mir von Prof. Schleich gelegentlich mitgetheilte Beobachtung,
dass er nach längerem Gebrauch von Ergotin bei unterleibskranken Frauen
häufig eine auflallende Kräftigung des vorher schwachen Herzens gesehen
habe, veranlasste mich bei einigen Herzversuchen an Tauben, das Ergotin
zu versuchen. Das Blosslegen des Herzens bei diesem Thier hat nicht
selten zur Folge, dass das Herz bereits, bevor es zu dem eigentlichen
Versuch kommt, hochgradig alterirt ist, so dass das Thier schon beim
Anlegen der Serres fines stirbt. Mit Hilfe eines mir zufällig zur Ver¬
fügung stehenden Ergotinpräparates, des Ergotina styptica von Egger,
Budapest, gelang es mir, mehrere Male das schon absterbende Herz
wieder vollkommen leistungsfähig zu machen, sei es durch Auftröpfelung
von 1—2 Tropfen auf das vom Pericard entblösste Herz, sei es durch
intravenöse Injection von 2—3 Tropfen in grösserer Verdünnung. Diese
Beobachtung war der Ausgangspunkt systematischer Untersuchungen über
die Wirkungsweise des Ergotins, genauer gesprochen der Ergotina styptica
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
296
G. Zuelzer,
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auf das Herz, denn es schien unwahrscheinlich, dass diese lokale Wirkung
etwas anderes als eine reine Herzwirkung darstellen konnte. Grgotina
styptica-Egger ist ein Secale cornutum-Präparat mit 5 pCt. Stypticin
(Cotarninum hydrochloricum).
Zuerst wurden Versuche an herausgenoramenen Froschherzen an¬
gestellt — die Curven sind mir leider verloren gegangen. Es wurden
1—2 Tropfen auf 100 ccm Ringer’schcr Lösung angewandt und damit
das Herz durchblutet. Die Wirkung war eine derartige, dass sich die
so gewonnenen Curven in nichts von den Curven bei bester Digitalis¬
wirkung unterschieden.
Um die Wirkungsweise der Ergotina styptica auf das Warmblüter¬
herz kennen zu lernen, habe ich die Versuche von Gottlieb und
Magnus, welche den Einfluss der Digitalis auf die Herzarbeit bestimmten,
am herausgeschnittenen Warmblüterherzen (Hund und Katze) wiederholt. 1 )
Ich bediente mich des ein wenig modificirten Langendorff’schen
Apparates zur Durchblutung des Herzens, bei dem bekanntlich von der
Aorta aus das ausgeschnittene Herz durch unter Druck eingeleitetes
körperwarmes Blut, resp. eine Blut-Ringermischung durchblutet wird. Die
Modification dieses hier als bekannt vorausgesetzten Apparates bestand
darin, dass der todte Raum, welcher zwischen dem eingebundenen Herzen
und dem Dreiwegehahn, welcher die Umschaltung vom normalen Blut
zu dem das Medikament enthaltenden Blut bewirkt, fast ganz ausge¬
schaltet wurde. Dieser todte Raum beträgt in den älteren Apparaten
mindestens 5 ccm Inhalt, so dass nach der Umschaltung eine je nach
der Durchflussgeschwindigkeit verschieden lange Zeit vergeht, bis das
Herz nach der Umschaltung von dem neuen Blut gespeist wird. Es ist
weniger der Zeitverlust, welcher störend wirkt, als der Umstand, dass
trotz sorgfältiger Tropfenzählung der Zeitpunkt, in dem das neue Blut
die Coronargefässe des Herzens erreicht, nicht annähernd scharf zu be¬
stimmen ist. Ich habe deshalb in gemeinsamen Versuchen mit Herrn
1) Archiv für experimentelle Pathologie, Bd. 51.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ergotina styptioa und Herzarbeit.
297
Dr. J. Wohlgemuth 1 ) in der in der Aorta einzubindenden kurzen
Glascanüle einen Zweiwegehahn eingeschaltet, dessen einer Weg nach
aussen zu einem Ableitungsrohr (a) führt, während der andere Weg die
Fortsetzung der Aortencanüle (b) bildet (conf. Fig. 1 a u. b). Dadurch
wird es ermöglicht, die zwischen diesem Hahn und dem Dreiwegehahn,
also die im todten Kaum befindliche Blutmenge in dem Augenblick der
Umschaltung fast momentan zu entleeren. Das hier ausfliessende Blut
wird in einer graduirten Röhre aufgefangen, so dass man, nachdem der
todte Raum einmal ausgemessen ist, wahrend der Umschaltung nur eine
entsprechende Menge Blut aus diesem neuen Zwischenhahn abzulassen
braucht, um sicher zu sein, dass das nach Wiederumstellung des Hahnes
in das Herz fliessende Blut das gewollte umgeschaltete Blut ist. Durch
ein in dem Apparat angebrachtes Fenster, durch welches ein zangen¬
artiges Instrument hindurchgesteckt wird, mit Hilfe dessen man den
Hahn umzudrehen vermag, wird es vermieden, das grosse, das Herz von
der Aussenluft abschliessende Glasfenster zu öffnen und so unerwünschte
Temperaturschwankungen herbeizuführen.
Es ist richtig, dass auf diese Weise die Zufuhr des Blutes zum
Herzen bei jeder Umschaltung auf wenige Sekunden unterbrochen wird.
Es mag dies bei bestimmten Versuchsanordnungen, welche die dauernde
Registrirung feinster Herzbewegung bezwecken, störend sein. Bei den
Versuchen, welche die Wirkung eines Herzmittels zum Studium haben,
macht, wie mich eine grosse Reihe von Herzschreibungen gelehrt haben,
das wenig oder nichts aus. Wie aus meinen Curven ersichtlich, schlägt
das Herz bei einer Umschaltung ruhig weiter, oder aber, wenn die
Schreibung angehalten wurde, zeigt der sofort nachher wieder vollkommen
regelmässige Curven verlauf, dass die Herzemährung keine merkbare
Störung erlitten hat.
Bei einer Reihe von Versuchen geschah die Uebertragung der Herz¬
bewegung durch Serres fines, welche am linken Ventrikel angesetzt und
deren Fäden über geeignete Rollen geleitet und mit einer Marey’schen
Kapsel verbunden wurden, welche ihrerseits durch Luftübertragung die
Trommelschreibung mit Hülfe einer zweiten Kapsel bewirkte. Der
Gottlieb’schen Nomenclatur folgend, werde ich diese Schreibung als
„Häkchenschreibung“ bezeichnen. In den späteren Versuchen bediente
ich mich der von Gottlieb angegebenen Herzsonden. Durch die mittelst
eines kurzen Scheerenschnittes in das linke Herzohr gewonnene Oeffnung
wurde ein mit einem Ballon versehener Hartgummikatheter eingeführt
und mit einer Marey’schen Trommel oder einem Hering’schen Wellen¬
schreiber verbunden. Die Verbindung der Herzcanüle mit einem der
genannten registrirenden Apparate geschah mittelst dickwandigen Gummi¬
schlauches. Das ganze Schlauchsystem konnte mit Luft oder Wasser
unter wechselndem Innendruck versehen werden, je nachdem eine iso¬
tonische oder isometrische Herzcurve aufgenommen werden sollte. Die
Höhe des Innendrucks wurde an einem durch ein abgezweigtes T-Rohr
mit dem Canülensystem in Verbindung stehendes Manometer abgelesen.
1) Ccntralbl. f. Physiologie. Bd. XXI. No. 25.
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Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHIGAN
298
G. Zuelzer
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Aus äusseren Gründen erschien es rathsamer, bei der Schreibung eine
liegende Trommel zu benutzen. Da aber die Trommeln der mir zur
Verfügung stehenden Apparate nicht absolut genau gearbeitet waren,
gab ein gewöhnlicher Schreibhebel, der den Niveaudifferenzen der
Trommel nicht folgen konnte, zum Theil undeutliche Curven. Ich be¬
diente mich deshalb eines ad hoc von Herrn Meyer erfundenen, sich
automatisch einstellenden Hebels, den folgende Zeichnung veranschaulicht.
Fig. 2.
Die durchgesteckte Nadel ist frei beweglich und gestattet, allen
Unebenheiten der berussten Trommel zu folgen.
Wenngleich ich, der bequemeren Ausdrucksweise wegen, auch in
der nachfolgenden Beschreibung die schon eben gebrauchte Bezeichnung
der isotonischen und isometrischen Curven beibehalten werde, so ist
doch Nicolai durchaus Recht zu geben, wenn er (im Nagel’schen
Handbuch) die Deutung ablehnt, dass mit Hülfe eines unter einem be¬
stimmten Höhendrucke mit Flüssigkeit gefüllten Ballons, der in den
Ventrikel eingeführt wird, eine isometrische Herzmuskelcurve gewonnen
werden könne. Es wäre nämlich Voraussetzung dafür, dass wirklich eine
isometrische Curve vom Ventrikel geschrieben wird, dass sich der ge-
sammte Ventrikel gegen ein unüberwindbares Hinderniss, wie es durch
die Incompressibilität seines flüssigen Inhaltes dargestellt wird, contrahirt.
Nun ist aber die Herzhöhle kein so gleichmässig rund oder oval ge¬
schaffenes Organ, dass man es mit Hülfe des durch Flüssigkeit gefüllten
Ballons absolut ausfüllen könnte. Es bleibt vielmehr wahrscheinlich an
der Spitze immer ein noch geringfügiger unausgefüllter Raum bestehen.
Nimmt man nun an, dass die Herzcontraction an der Spitze beginnt,
so findet der Muskel hier kein unüberwindbares Hinderniss zu seiner
Contraction, und bei der peristaltischen Fortpflanzung der Contraetions-
welle wird sich ein Theil der Flüssigkeit in den bisher unausgefülltcn
Raum verdrängen lassen, u. s. f.
Diese Feststellung vermindert nicht den Werth dieser Untersuchungs¬
methode der Curvenschreibung unter bestimmtem hohen Innendruck. Die
ganze Langendorff’sohe Methode stellt ja Bedingungen, welche mit
denen des gewöhnlichen Lebens so wie so nicht in Einklang stehen. Bei
Benutzung des sogenannten isometrischen Verfahrens erhalten wir eine
Anschauung, mit welcher Kraft der linke Ventrikel ein ungewöhnlich
grosses — jedenfalls viel grösseres als unter normalen Verhältnissen je
vorkommendes — Hinderniss zu überwinden vermag. Ganz grob ausge¬
drückt kann man vielleicht sagen, dass man bei dem isometrischen Ver¬
fahren die etwas in Misskredit gekommene Reservekraft des Herzens
misst, während das isotonische Verfahren uns über die Gontractions-
vcrhältnisse des unbelasteten Muskels Auskunft giebt.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ergotina styptica und Herzarbeit.
299
Ich komme jetzt zu der Beschreibung der Versuche, welche be¬
weisen, dass wir in der Ergotina styptica-Egger ein Herzmittel besitzen, das
im Stande ist, in ganz analoger Weise eine Steigerung der Herzkraft zu
bewirken, wie dies von der Digitalis bekannt ist. Ich habe auch mit
gewöhnlichen käuflichen Ergotinpräparaten Controllversuche angestellt
und gefunden, dass letztere Präparate keine so eindeutige Wirkung auf
das Herz ausüben wie die Ergotina styptica. Es stellt dieses Präparat
also eine besonders glückliche pharmakologische Combination dar. Die
Erfahrungen, welche aus den Untersuchungen von Gottlieb und seinen
Schülern über die Wirkungsweise der Digitalis gewonnen wurden, ver-
anlassten mich, bei einem Theil der Versuche durch Hinzufügen von
Coffein von vornherein die optimalen Bedingungen für eine gute Herz¬
durchblutung herzustellen. Es ist daher in den späteren Versuchen die
gleiche Coffeinmenge dem normalen und dem Ergotinblut zugesetzt. In
dem Folgenden werden nur eine Auswahl der Curven wiedergegeben,
welche die hier in Rede stehende Wirkung auf das Deutlichste illustriren.
Curve 1 (Häkchenschreibung) illustrirt in deutlicher Weise die Steige¬
rung der systolischen Energie durch Ergotinblut.
Curve 1.
U44444444444AI4444J e ^ °
Hundeherz bei gleicher Umlaufsgeschwindigkeit. Reihe 1 unmittelbar vor, Reihe 2 un¬
mittelbar nach Einschaltung von Ergotina styptica-Blut, 12 Tropfen auf 300 Blut.
Wie lange unter günstigen Bedingungen diese Wirkung anhalten kann,
illustrirt Curve 2.
Curve 2.
■, *' \^j\j >, , - ‘\N\ (Krtfotinblut nach 1 1 / 2 Stunden.)
W/4/t
. .. "V V* '••'"V . V y V* (Nnrmalblut nach V/ 2 Stunden.)
j /j
Isotonische Curve. Katzenherz. Häkchenschreibung. l / 2 Stunde nach Einschaltung
des Ergotin-Blutes hat das Herz noch die in der oberen Reihe ersichtliche Amplitude,
während unmittelbar nach der Einschaltung von normalem Blut die Contraetionen klein
werden. Die unterste Linie Zeit in Fünftel Sekunden.
Die folgenden 3 Curven illustriren die schnelle Wirkung des Ergotins
und zugleich die erhebliche Zunahme der Amplitude.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
U. Znelzef,
Cnrve 3 a.
»j‘N .•
! 2 <.<U in % S£-k.
.
Kanenhwz. Kegietrirboltcrn,. Meyftr’siher ilebf 1- Anfängliche Schreibung.
i’mvo »Jj,
M
!j /.-<■ in
8 iVSVk.
Bei I m.schaltunjr.
C-UTVO ;{c.
/ jr'b' \j'^ y '
,' ^vvW\aa;\;vv\a/ vvw v'vy
v , ' *'2 ^ .. \' Vr / i, .£• •/,£ l i ' G ^ ; r 4 .
-ISacdHlcm djis Herz ^.ßtiindön ihrnfe irm. jwrwalc»«* thi>ils mit'
• Hrgoiinldiit geschlagen luu, k-wirkt lirffutir.k<><,h■ im'nw.in gleicher
Woi.-o- die Anreguifg notier kräftiger dootratikuien»
t%y^4.Ä-
>yr»««alv> 1 > l u L
Go igle
G.rl§iral fh>n1
■■• ÜRliVER-SIW QF'MfcHiG^,
Ergotina styptica und Herzarbeit.
Cum 4b.
301
w ^
Unmittelbar nach Umschaltang. Langsame und schnelle Schreibung.
Um die Ergotinwirkung mit der Digitaliswirkung zu vergleichen,
wurden weitere 10 Minuten später dem normalen Blut 10 Tropfen Digi-
talisdialysat auf 300 Blut zugesetzt, wie durch Curve 5 a Ergotinblut
und b) Digitalisblut illustrirt wird.
Com 5 a.
./vv\Ammmmmmmmm
Curve 5b.
(Natürl.
Grösse.)
Zeit in
Vs Sek.
Die folgende isometrische Curve illustrirt, wie die Ergotina styptica
ein noch gerade merkbar schlagendes Herz zur regelmässigen und kräftigen
Contraction zu bringen vermag.
Curve 6 a.
mmmmmmmm
Zeit in
V'a Sek.
(Natur).
Grösse.)
Herz einer graviden Katze, Innendruck 45 mm, Aussendruck 90 mm, Temperatur 39,5 °,
Schreibung mit dem modificirten Hering’schen Wellenschreiber, dessen Metallplatte
durch eine festgespannte Gummimembran ersetzt ist. Zeit 1 / 5 Sekunde. Normalblut
mit 15 Tropfen lOproc. Coff. natr. benz. auf 300 Blut, Ergotinblut: 12 Tropfen
Ergotina styptica-[-15 Tropfen ColTein auf 300 Blut.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. on
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
302
G. Zuelzer
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Curve 6b.
Zeit in
V« s<*.
(Natürl.
Grösse.)
Von vorn herein schlechte Schreibung, weil schlechtes Schlagen des Herzens, das
bald zu unmerklichen Contractionen übergeht. Bei -j- in b-Umschaltung in Ergotin-
blut, wodurch das Herz zu gleichmässigem kräftigem Schlagen — wenigstens für
einige Zeit — angeregt wird (Fig. 6c).
Curve 6 c.
Zeit in
ÜO i , Sfk.
vV•' V V\WAWW T ’ V'"' V "* -- ’ ‘> llll *i*< l » l| ii | i*iH | l 1 nnw)H)>i)i)iiiiiH'>iliniiiiiii)»iiii))iiiminiMmii))iiiin.ii.,..i..',y..
11,1t.
rö*si\)
Das Ansteigen des Druckes unmittelbar nach der Urnschaltung habe
ich in dieser Weise nie wieder beobachtet. Das Herz blieb bald darauf
in stark contrahirtem Zustande stehen, wie ich es ebenfalls sonst nie
wieder beobachtet habe. Es ist möglich, dass es sich um eine spezifische
Wirkung des Ergotins auf das Herz einer graviden Katze handelt. Weitere
Untersuchungen in dieser Hinsicht behalte ich mir vor.
Curve 7a.
■f*
mmmmmimH m m m ttm m mm m H H H mm mmmmmmmmm m mmmm , Zei '7
Isometrische Curve bei wechselndem Innendruck, Katzenherz, Normalblut mit
15 Tropfen lOproc. CofTeinlösung auf 300 Blut. Innendruck des mit Wasser gefüllten
Ballons anfangs 30 mm, Curve a und b, später 60 mm, Curve c und d. Aussendruck
constant 100 min. Unten Zeit in 1 / 5 Sekunden. Curve 7a bei Umschaltung in
Ergotinblut.
Curve 7 b.
(Xiitfirl. Grösst*.)
(Ergotinblut.;
Normales Blut.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHEGAN
303
Ergotina styptica und tteryarbeit.
Curve 7 c.
(Natürl.
Grösse.)
(Normal
blut.)
60 mm
Zeit in
l / 5 S«*.
Curve 7d.
(Natürl.
Grösse.)
(Ergotiu-
blut.)
_ __ _ _ _ t _ Zeit in
-T- njriuji j tt i.rj rr mm ujjjwwMMMr i , Sek.
Zur Erklärung der sehr eindeutigen Curven sind nur wenige Worte
nöthig. Es tritt in beiden Fällen eine sehr beträchtliche Vergrößerung
der Amplituden (von 1,9 mm auf 4,5 mm, resp. von 2 mm auf 5,2 mm)
bei dem niedrigen Innendruck und eine Erhöhung des mittleren Druckes
ein, welch’ letztere bei dem hohen Innendruck ausbleibt. Die Schlagfolge
des Herzens ist beide Male nach Ergotin erhöht, wie dies auch für die
Digitaliswirkung von Gottlieb für das überlebende Warmblüterherz fest¬
gestellt worden ist.
Diesen am überlebenden Herzen gewonnenen Curven seien noch
einige Carotisdruckschreibungscürven angefügt, welche an lebenden
Thieren gewonnen sind. Die Curven 8a und b illustriren sehr deutlich
die in vielen Versuchen gewonnene Beobachtung.
Curve 8a.
VV\A^yvV\A^VWVv
U VVAW,-- gÄ“Ü
. . . . —rrrnrrrrr-' j mm-r—r Zeit * n
,; 5
Einer mittelgrossen Katze wurden 10 ccm einer Lösung von 100 Tropfen Ergotin
auf 50 ccm Kochsalzlösung intravenös injicirt. Es war dies, wie sich aus anderen
Versuchen ergeben hat, das Optimum für die Katze. Es tritt während des Zulaufen¬
lassens der Lösung eine deutliche Blutdrucksenkung ein, doch sehr schnell werden
die Amplituden grösser und 3 Minuten nach der Zuführung ist die volle Wirkung:
leichte Erhöhung des Blutdrucks, Verlangsamung der Herzaction von 12 Pulsen in
20 l /ö Sekunden auf 8 l /± Pulse in derselben Zeit, sowie eine beträchtliche Zunahme
der Amplitude von 2 auf 4 mm erkennbar.
Curve 8a Zulauf,
„ 8 b unmittelbar nachher,
„ 8c 3 Minuten nachher.
20 *
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Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
304
G. Zuelzer,
Curve 8b.
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MvW Gr..™.;
Zeit in
1 . Sek.
Curve 8 c.
wwvwwwwv^^
(’ 4 mit.
Grösse.)
Zeit in
1 r> Sek.
Es ist nicht leicht, dieses Optimum der Ergotinwirkung stets zu
erhalten. Sehr häufig wurde zwar eine beträchtliche Zunahme der Ampli¬
tude, aber manchmal gleichzeitig ein nicht unbedeutendes Absinken des
Blutdrucks unter der Ergotinwirkung beobachtet. Dies illustrirt beispiels¬
weise folgende Curve 9 a.
Curve 9a.
yVA/VVYV.A^^ Grös'i'j
Zeit
Kater, der schon Tage vorher zu gleichem Versuch verwendet worden war, mit
einem anfänglich niederen Druck. Nachdem im Ganzen G ccm der Ergotinlösung
zugellossen waren, resultirte folgende Curve:
Curve 9 b.
('* 4 »St.
Gröji.si*.)
^r' 1 Sek.
Dass die Blutdrucksenkung, die während des Zulaufens ein tritt,
nicht durch den intravenösen Einlauf der Flüssigkeit an sich bedingt
ist, habe ich durch besondere Versuche festgestcllt, indem ich ein¬
fache Kochsalzlösung bei gleichzeitiger Schreibung zulaufen Hess. Dabei
war, wenn der Flüssigkeitszulauf sich innerhalb massiger Grenzen
hielt, 10—20 ccm, eine merkliche Aenderung in der Pulsschreibung
nicht zu beobachten. Es ist mir nicht gelungen, die Ursachen der
Amplitudenvergrösscrung mit gleichzeitiger Blutdrucksenkung bei un¬
geeigneter Dosierung des Ergotins aufzudecken. Wahrscheinlich handelt
es sieb, um Alterationen auf vasomotorischem Gebiete. Ich habe
versucht, durch gleichzeitige Bestimmung der Ausllussgeschwindigkeit
Gck igle
Original fro-m
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Ergotina styptica und Herzarbeit.
305
aus den Venen des Splanchnicusgebietes vor und nach der Einführung
von Ergotin hier Klärung zu finden, glaube jedoch auf die Veröffent¬
lichung dieser Curven verzichten zu können, da sie die Frage wohl
nicht zu entscheiden geeignet sind. Es sei nur bemerkt, dass der
Verlangsamung des Pulses, der Senkung des Blutdrucks und dem
Höherwerden der Amplitude eine Verlangsamung des venösen Ausflusses
parallel geht.
Wenn wir die Resultate der isotonischen und der sogenannten iso¬
metrischen Schreibung am ausgeschnittenen Hunde- oder Katzenherzen
betrachten, sowie diejenigen, welche bei geeigneter Dosierung am lebenden
Thiere gewonnen sind, so geht zweifellos daraus hervor, dass die
Ergotina styptica-Egger in ausgesprochener Weise die Herz¬
arbeit steigert und in denjenigen Fällen, in denen das Herz bereits zu
versagen droht, den Herzmuskel zu neuer Thätigkeit anzuregen im
Stande ist. Auch der regularisirende Einfluss auf die unregelmässige
Herzthätigkeit ist aus einigen Curven deutlich ersichtlich. Als Beispiel
mögen Curven 3a und 3b dienen, wo vor der Einführung des Ergotin-
blutes ein ausgesprochener Pulsus alternans bestand, während fast
sofort mit der Umschaltung die Pulscurve absolut regelmässig wird.
Auch bei anderen Unregelmässigkeiten war der gleiche regularisirende
Einfluss häufig zu erkennen. Es ist aus dem Vergleich der Curven
am überlebenden Herzen und der am lebenden Thier gewonnenen
Curven ersichtlich, dass ebenso wie bei der Digitalis beim heraus¬
geschnittenen Herzen die Verbesserung der Herzarbeit mit einer Puls¬
beschleunigung einhergeht, während die am lebenden Thier beobachtete
Verbesserung von einer Pulsverlangsaraung, die also central verursacht
sein muss, begleitet ist.
Auf die klinisch-therapeutischen Seite der Ergotinwirkung soll an
anderer Stelle näher eingegangen werden. Hier sei nur kurz mitgetheilt,
dass ich über eine Reihe von Beobachtungen verfüge, die die Wirkung
der Ergotina styptica als durchaus gleichwerthig der Digitaliswirkung
erkennen lassen. Ja, in einigen Fällen, in denen die Digitaliswirkung
versagte, liess sich mit der Ergotina styptica, intramusculär injicirt, noch
eine prompte Wirkung erzielen. Beweisend war in dieser Beziehung ein
Fall von Lysolvergiftung bei einer jungen Frau; ungefähr 24 Stunden
nach der Vergiftung war die Patientin immer noch nicht zum Bewusst¬
sein wiedergekehrt und die Herzaction wurde merklich schwächer, sodass
der Puls bald kaum noch fühlbar war. Es wurde zunächst eine intra¬
venöse Injection von 2 ccm Digalen vorgenommen, ohne dass nach
1 Stunde ein nennenswerther Erfolg zu constatiren war. Darauf wurden
im Verlaufe einer halben Stunde 3 ccm Ergotina styptica intramusculär
injicirt mit dem eclatanten Erfolge, dass der Puls in kurzer Zeit kräftig
wurde; der Kranken kehrte innerhalb einiger Stunden das Bewusstsein
zurück. Nach den Erfahrungen, die ich später noch mit diesem Präparat
gewonnen habe, erscheint gerade die Combination von Digitalis und
Ergotin in verzweifelten Fällen von ausgezeichneter Wirksamkeit. Eine
Reihe von Beobachtungen wurden von Herrn Dr. Brugsch auf der 2. medi-
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306 G. Zuelzer, Ergotina siyptica und Herzarbeit.
cinischen Klinik an Herzkranken gemacht, welche zeigten, dass in der
That auch die Wirkung der per os applicirten Ergotina styptica eine der
Digitalis ähnliche ist (Zunahme der Diurese, Besserwerden des Herzens,
u. s. w.). Bei einigen ambulant behandelten Fällen von chronischer
Herzmuskelinsufficienz fand ich Steigerung des systolischen Druckes
und des Pulsdruckes. Die bisher gemachten Erfahrungen sind noch
zu klein, um in extenso veröffentlicht zu werden, auch konnte damit
die optimale Dosis auch noch nicht festgestellt werden — es wurden
im allgemeinen 3 mal täglich 20—25 Tropfen verabreicht — so dass in
klinischer Hinsicht die kurzen allgemeinen Angaben vorläufig genügen
mögen.
Gck igle
Original fro-m
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XXIV.
Ueber Versuche einer specifischen Fermenttherapie
des Diabetes.
Vorläufige Mittheilung.
Von
G. Zuelzer.
In einer früheren Mittheilung habe ich zu zeigen versucht, dass
zwischen den Producten der inneren Pankreas- und der Ncbennierensecretion
gewisse nahe, antagonistische Beziehungen bestehen, u. a. dass es möglich
ist, durch Injection eines bestimmten Pankreasextractes den Adrenalin¬
diabetes zu unterdrücken. Seither ist es mir gelungen, die Wirksamkeit
dieses Pankreasextractes so zu erhöhen, dass V 2 o“V 50 der früher noth-
wendigen Menge, nämlich 0,2—0,5 g intravenös injicirt, bereits genügen,
jene Suppression der Adrenalin-Glykosurie zu erzielen. Zur Herstellung
des Pankreaspräparates wird die Bauchspeicheldrüse vom lebenden
Thiere, welches auf der Höhe der Verdauung befindlich ist, ent¬
nommen, nachdem die Drüse 1—iy 2 Stunden gestaut wurde. Die
weitere Bereitung des Präparates geschieht durch Enteiweissung, die
ich bisher auf verschiedene Weise vorgenommen habe, ohne dass
jedoch das Ziel, vollkommen verlustlos ein eiweissfreies Präparat zu
gewinnen, erreicht wäre. Mit der Herstellung aber eines wirksamen
Pankreaspräparates schien auch der Versuch gerechtfertigt, den
Pankreasdiabetes, sowohl den experimentellen beim Hunde, wie auch
den genuinen menschlichen Diabetes durch das gleiche Präparat zu
beeinflussen. Theoretisch war dazu die Grundlage durch die Hormon¬
lehre Starlings 1 2 ) — er versteht unter Hormonen die Producte der
inneren Secretion der verschiedenen Organe — bereits geschaffen; auch
hatte dieser Forscher auf Grund seiner übrigen Versuche, auf die hier
nur hingewiesen werden soll, es bereits als wahrscheinlich bezeichnet,
dass es gelingen werde, durch intravenöse Injection geeigneter Pankreas-
extracte die Zuckerausscheidung beim menschlichen Diabetiker günstig
zu beeinflussen.
Pflüger hat jüngst ausgesprochen, dass er nicht eher an die innere
Secretion des Pankreas glauben werde, bis der Nachweis erbracht sei,
1) Congress für Innere Med. 1907.
2) Centralblatt für die Physiologie und Pathologie des Stoffwechsels. 1906.
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Original fro-m
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308
G. Zuelzer,
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dass es gelingt, durch Einverleibung des Productes der inneren Secretion
der Bauchspeicheldrüse den Pankreasdiabetes beim pankreaslosen Hunde
in unzweifelhafter Weise zu beeinflussen. Ich habe bisher in 2 Fällen diese
Forderungen zu erfüllen versucht. Der erste Versuch liegt bereits 2 Jahre
zurück. Ich hatte damals noch kein absolut steriles Präparat und machte die
Injection subcutan. Die Ausscheidungsverhältnisse sind jedoch so eklatant
unter dem Einfluss der Injection geändert, dass auch dieser Versuch eine
gewisse Beweiskraft besitzt. Ein männlicher 8 kg schwerer Hund wurde
am 14. 12. 05 operiert (Totalexstirpation des Pankreas). Er erhielt vom
16. an täglich 300 g Fleisch und 100 g Oel, die er regelmässig ver¬
zehrte. Die Zuckerausscheidungen sind folgende:
16.
12. früh
Menge
120 ccm
Zucker
6,0 pCt. = 7,2 g
nachm.
68 „
8,4 „ = 5,6 g
abends
38 „
6,4 „ = 2,2 g
17.
12. früh
370 ccm
= 15,0 g
5,0 pCt. = 18,5 g
abends
125 „
7,9 „ = 9,8 g
18.
12. früh
80 ccm
= 28,3 g
7,8 pCt. = 6,2 g
mittags
60 „
4,5 „ = 2,7 g
Um 1 und
= 8 > 9 g
um 6 Uhr Injection von je 5 g Präparat in’s Hinterbein
abends
60 ccm
4,5 pCt. = 2,7 g
19.
12. früh
500 „
1,1 „ = 5,5 g
mittags
15 „
= 8,2 g
2,2 „
Um y 2 6 Uhr starb der Hund in Folge eines plötzlichen Austritts
der Därme aus der Bauchnaht und einer damit verbundenen schweren
Blutung. Die Section ergab keine peritonitischen Veränderungen: der
Darm vollkommen weiss und nur wenige punktförmige abgekapselte
Eiterherde.
Uebersieht man diesen Versuch, so fällt in’s Auge, dass bei einem
Pankreashundc in voller Fresslust, bei dem die Zuckerausscheidungen
am 4. und 5. Tage noch im Steigen begriffen sind und der an diesem
Tage 15,0 resp. 28,3 g Zucker ausscheidet, unmittelbar nach der Ein¬
spritzung die Zuckerausscheidung in ganz eklatanter Weise sinkt, ln
der Morgenportion nach der Einspritzung beträgt trotz der Harnfluth
(500 ccm) die Zuckermenge nur 1 pCt., während die entsprechende
Harnfluth 24—36 Stunden vorher einen Zuckergehalt von 5—8 pCt.
aufwies. Der plötzliche Tod kann mit der nachlassenden Zuckeraus¬
scheidung nichts zu thun haben, da er ein zufälliges Ereigniss darstellt,
und die Section ein vollkommen normales Verhalten der Bauchorgane
erwies. Die Harnfluth von 500 ccm ist der beste Beweis dafür, dass
sich der Hund in relativem Wohlsein befand, und dass die verminderte
Zuckerausscheidung auf die Einwirkung des Präparates zu setzen ist.
Es war nicht zu erwarten, dass bei dem ersten Versuch die Zucker-
Gck igle
Original fro-m
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Ueber Versuche einer specifischen Fermenttherapie des Diabetes.
309
ausscheidung auf Null herabgehen würde, da ich absolut keinen Maass¬
stab dafür hatte, welche Mengen Pankreas dalür nöthig sein würden,
um den Ausfall des Pankreas zu decken. Ja, es erscheint überhaupt
nicht wahrscheinlich, dass man beim pankreasexstirpirten Hunde durch
ein- oder zweimalige Injection eine vollkommene Zuckerfreiheit wird
erzielen können, denn wenn man sich beispielsweise den Vorgang der
Zuckerbildung in dem von mir angegebenen Sinne vorstellt, so muss
man annehraen, dass dauernd der in den Körperkreislauf gelangende
Nebennierensaft die zuckermobilisirende Wirkung auf die Leber ausübt,
während das künstlich beigebrachte Pankreaspräparat doch eben nur so
lange wirken kann als es vorhanden ist.
Der zweite Versuch ist an einem von Herrn Dr. Mohr mir liebens-
würdigst zur Verfügung gestellten Pankreashunde, welcher bereits längere
Zeit im exacten Stoffwechsel versuch war, ausgeführt worden.
Der 22 Pfund schwere Hund schied bei reiner Fleischnahrung
(400 g Fleisch täglich) aus:
am 18. 8.
. . . 31,5 g
19. 8.
. . . 26,0 „
20. 8.
. . . 28,5 „
21. 8.
. . . 30,0 „
22. 8.
. . . 22,3 „
am 23. 8.
. • • 24,0 g
24. 8.
. . . 17,0 „
25. 8.
. . . 21,0 „
26. 8.
. . . 14,0 „
am 27. 8.
. . . 19,0 g
28. 8.
. . .23,0 „
29. 8.
. . . 26,0 „
30. 8.
anvollständig.
durchschnittlich also 28,6 g Zucker pro die.
} täglich wurden 5 ccm = 1 g Pankreasextrakt intra¬
venös injicirt.
= pro Tag 19 g durchschnittlich.
J Nachperiode.
Ersichtlich steigt also die Zuckerausscheidung wieder auf die alte
Höhe an. Der Versuch beweist, dass die intravenöse Einspritzung einen
entschiedenen Einfluss auf die Zuckerausscheidung hatte, denn bei ganz
gleicher Ernährung sinkt die Ausscheidung um ca. Vs» um nachher
wieder zur alten Höhe anzusteigen, woraus also zu schliessen ist, dass
der allgemeine Zustand des Hundes ein unveränderter war. Dass der
Einfluss so gering war, lässt sich aus der geringen einverleibten Dosis
erklären. Ich hatte damals nicht mehr wirksames Präparat zur Ver¬
fügung und werde diese Hundeversuche in entsprechender Modification
wiederholen.
Da ich Gelegenheit hatte, bei einem komatösen und zweifellos
moribunden Menschen die Unschädlichkeit des Präparates am Menschen
zu probiren, und ich an diesem Falle bereits eine gewisse Wirksamkeit
in Bezug auf den diabetischen Proccss feststellen konnte, traten bei
meinen Untersuchungen naturgemäss die Thierexperimente in den Hinter¬
grund, ohne dass ich die theoretische Bedeutung dieser Thierversuche
verkennen möchte.
Ich habe die verschiedenen Untersuchungen in den verschiedensten
Krankenhäusern und Kliniken vornehmen müssen, weil geeignetes
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Original fro-m
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310
G. Zuelzer,
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diabetisches Krankenmaterial in den einzelnen Krankenanstalten ein so
äusserst rares war, dass ich nirgends mehr als 1 oder höchstens 2 ge¬
eignete Kranke fand.
Der erste Patient (Privatklinik Professor Sultan) war ein 50jähriger
Diabetiker, bei dem vor 3 Jahren der Diabetes zufällig entdeckt worden
war. Er litt an einer diabetischen Gangrän der linken Zehe mit strang-
förmiger Verbreiterung des gangränösen Processes nach dem Unter¬
schenkel. Bei strenger Diät schied er 6 pCt. Zucker aus. Der Urin
enthielt Aceton und Acetessigsäure. Am 10. 6. wurde die Amputation
des Unterschenkels im oberen Drittel nothwendig. Die Zuckerausscheidung
sank auf 3,6 pCt., doch trat Herzschwäche ein, leichter Icterus und
vollkommenes Darniederliegen des Appetits. Am 17. 6. wurde gemischte
Kost gegeben, am 21.6. war eine leichte Besserung der Herzthätigkeit zu
constatiren. Die Zuckerausscheidung betrug 4,3 pCt., Aceton und Acet¬
essigsäure +, Patient ziemlich benommen. An diesem Tage wurde die
Injection vorgenommen. Es gelang nicht mehr, eine intravenöse Injection
trotz versuchter Stauung zu bewerkstelligen, da die Circalation derart
darniederlag, dass noch einige Minuten nach Abnahme der Stauungsbinde
die Hand und der Unterarm vollkommen kalt und livid blieben. Die In¬
jection wurde deshalb subcutan vorgenommen. Es wurden 3 g Pankreas
in 8 ccm gelöst injicirt. Am nächsten Tage nochmalige Injection von
5 g in 10 ccm Wasser gelöst. Das Auffangen des Urins konnte aus
äusseren Gründen nicht durchgeführt werden, da Patient unter sich liess.
Der allgemeine Eindruck war der, dass der schon moribunde Patient
sich entschieden erholte, dass vor Allem der Appetit besser wurde, und
dass die Benommenheit entschieden nachliess. Am 29. 6. schied Patient
bei reichlichem Milchgenuss 6,4 pCt. Zucker aus, Aceton und Acet¬
essigsäure + . Leider stand kein weiteres Präparat zur Verfügung.
Patient starb am 2. 7., nachdem am 30. 6. erneut schweres Coma ein¬
gesetzt hatte.
Diese Krankengeschichte ist nur mitgctheilt, um die Unschädlichkeit
des Präparates und die Wahrscheinlichkeit einer günstigen Beeinflussung
zu documentiren.
Der nächste Patient (Klinik von Geheimrath Kraus) war der
27jährige Otto G., bei dem seit dem Februar des Jahres der Diabetes
festgestellt war. Der Patient litt an starker rechtsseitiger Phthisis
pulmonum. Hereditäre Belastung bezüglich des Diabetes lag nicht
vor. Bei seiner Aufnahme in die Klinik am 27. 5. betrug die Zucker¬
ausscheidung 6 pCt. bei 4080 Urinmenge, Aceton und Acetessig¬
säure +. Es wurde eine langsame Entziehung der Kohlehydrate vor¬
genommen. Am 30. 5.: Urinmenge 4200, Zucker 4,5 pCt., Aceton und
Acetessigsäure + bei 100 g Kohlehydraten. Vom 7. 6. an war die
Ernährung kohlehydratefrei. Einige Zahlen mögen die weiteren Aus¬
scheidungsverhältnisse illustriren.
Menge
Zucker
Aceton
Acetessigsäure
7. 6.
2600
2,1 pCt.
+
i
~r
s. o.
2600
3.1
i
~r
+
12. 6.
2000
2,3 „
+
+
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber Versuche einer specifischen Fermenttherapie des Diabetes.
311
Menge
Zucker
Aceton
Acetessigsäure
21. 6.
2000
4,0 pCt.
+
i
T
22. 6.
2100
2,0 B
+
+
23. 6.
1800
2,4 „
+
+
24. 6.
1900
2,1 7)
+
+
25. 6.
1750
2,0 „
+
+
26. 6.
wurde die erste Injection und
venös vorgenommen.
zwar versuchsweise
zuerst 1 ccm intra«
2000
2,0 pCt.
+
+
27. 6.
2100
2,0 „
+
i
"T
28. 6.
1400
1,3 „
+
+
29. 6.
1400
1,4 „
+
+
30. 6.
1800
2,0 „
+
+
1. 7. wurden 9 ccm = ca. 2 g der Pankreassubstanz injicirt.
1700
1,8 pCt.
—
—
2. 7.
1600
0,9 „
—
—
3. 7.
1800
Spuren
—
—
4. 7.
1400
1,6 pCt.
+
+
5. 7.
2400
2,5 „
+
+
6. 7.
2200
3,2 „
+
+
7. 7.
3000
4,6 „
+
+
Aus der Krankengeschichte ist noch
zu erwähnen, dass Patient häufig
Fieber bis zu
38° hatte,
und dass in
Folge der Einspritzung keine be-
sondere Fiebererhöhung zu verzeichnen war. Das Resultat erscheint
ziemlich eindeutig. In der kohlehydratfreien Periode betrug die Zucker¬
ausscheidung durchschnittlich 40 g pro Tag, an manchen Tagen be¬
deutend mehr. Schon die Probeinjection von 1 ccm zeigt einen deut¬
lichen, am 2. Tage einsetzenden Einfluss, indem die Zuckerausscheidung
auf 18 bis 20 g herabfällt. Es sei hier gleich hervorgehoben, was sich
in allen späteren Versuchen wiederholen wird, dass die Wirkung des
Präparates in der Regel erst am nächsten oder nächstnächsten Tage
nach der Einspritzung bemerkbar wird. Noch eclatanter ist die Wirkung
der Hauptinjection. Sofort verschwindet die Acetessigsäureausscheidung,
die bisher während der ganzen langen Dauer der Beobachtung niemals
verschwunden war. Am 2. Tage geht die Zuckerausscheidung auf
14,4 g, am 3. Tage nach der Einspritzung auf Spuren zurück, eine Er¬
scheinung, welche ebenfalls bei diesem zweifellos mit schwerem Diabetes
behafteten Kranken niemals beobachtet worden war. Dabei ist zu be¬
merken, dass in dem subjectiven Befinden des Kranken keinerlei Aende-
rung eingetreten war und dass er nach wie vor die gleiche Nahrung zu
sich genommen hat. Am 4. 7. Wiederansteigen der Zuckerausscheidung
und Wiederauftreten von Aceton und Acetessigsäure, am 6. hat die
Zuckerausscheidung wieder die alte Höhe erreicht. Bei dem Kranken
wurde in einer späteren Periode noch einmal eine Einspritzung gemacht,
die ohne Erfolg war, weil, wie sich inzwischen herausgestellt hat, das
damals angewandte Präparat unwirksam war. Da ich die Ursache, aus
welchen manche Pankreaspräparate sich als unwirksam erweisen, noch
nicht kenne, will ich hier nur diejenigen Krankengeschichten anführen,
in denen sich das Präparat als wirksam erwiesen hat. Die Verhältnisse
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312
G. Zuelzer,
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liegen jedenfalls nicht so, dass bei ein und demselben Individuum das
Pankreaspräparat nur einmal wirksam sein kann, wie die Kranken¬
geschichte des 6jährigen Knaben K. M. beweisen wird. Es ist also in
diesem Falle zum ersten Male gelungen, durch Einführung eines Pankreas¬
präparates die Zuckerausscheidung und die Ausscheidung von Aceton
und Acetessigsäure vollkommen, ohne irgend welche gleichzeitigen diäte¬
tischen Maassnahraen zu unterdrücken.
Der nächste Fall betrifft den schon erwähnten 6jährigen Knaben
K. M. aus der Klinik von Geheimrath Senator. Aus der Anamnese ist
hervorzuheben, dass die Eltern und Geschwister gesund sind, Heredität
nicht nachweisbar ist und dass die Zuckerkrankheit etwa um Pfingsten
dieses Jahres entdeckt worden ist. Es handelt sich um ein schwäch¬
liches schmächtiges Kind von reducirtem Ernährungszustände. Der
Knabe wiegt 13 kg, er macht den Eindruck eines Schwerkranken, Gc-
sichtszüge sind müde, der Panniculus adiposus sehr spärlich, Lungen,
Herz und Abdomen sowie das Nervensystem ohne Besonderheiten. Der
Urin ist hellgelb, reagirt sauer und enthält Spuren Eiweiss, Zucker,
Aceton und Acetessigsäure; im Sediment granulirte Cylinder, harnsaures
Natron und Epithelien. Die Urinmenge schwankte zwischen 1500 und
3000 ccm und enthielt in den ersten 8 Tagen 4—4,8 pCt. Zucker,
reichlich Aceton und Acetessigsäure. Am 14. 7. wurden dem Jungen
5 ccm Pankreaslösung = 1 g Pankreasextract in die Cubitalvene ein¬
gespritzt. Am Tage vorher war die Urinmenge leider nicht mehr fest¬
stellbar, der Procentgehalt betrug 4,4.
Menge
Zucker
Aceton
Acetessigsäure
14. 7.
2250
4,4 pCt.
+
I
-r
15. 7.
1600
2,8 „
+
—
16. 7.
2150
2,6 „
ganz schwach
—
17. 7.
2350
2,<5 „
—
—
18. 7.
3600
3,G ,,
+
i
~r
19. 7.
2940
5,0 „
+
i
T
20. 7.
2220
4 4
11
+
+
Dazu ist zu
bemerken,
dass am 14.
7. unmittelbar nach der Ein-
spritzung die Temperatur, die sonst immer normal gewesen war, auf
38,4 0 stieg, und dass unmittelbar nach der Injection häufiges Erbrechen
auftrat. Die Nahrungsaufnahme, die schon an und für sich nicht sehr
reichlich gewesen war (gemischte Kost), blieb noch am nächsten Tage
verschlechtert. Am 16. 7. jedoch ist das Allgemeinbefinden gegen früher
als entschieden gebessert zu bezeichnen. Der Knabe machte einen viel
munteren Eindruck als seit seiner Aufnahme und spielt tagsüber leb¬
haft. Als objectives Zeichen des Besserbefindens sei die Gewichtszu¬
nahme am 22. 7. von 13 kg auf 13,4 kg bemerkt. Im Uebrigen ist
auch in diesem Falle der Einfluss der Einspritzung eindeutig. Die Zucker-
ausscheidung ist zwar in diesem Falle nur unbedeutend zurückgegangen,
aber Aceton und Acetessigsäure sind glatt aus dem Urin verschwunden.
Wenn dem geringen Zurückgehen der Zuckerausscheidung keine Be¬
deutung zuzumessen ist, schon wegen der geringfügigeren Nahrungsauf¬
nahme, so gilt dies nicht für die Beeinflussung der Acidosis. Nach
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber Versuche einer specifiscben Fermenttherapie des Diabetes.
313
allen klinischen Erfahrungen bezüglich dieser Complication des Diabetes
kann das Verschwinden der Acidosis in diesem, wie im vorhergehenden
Falle nur als eine specifische Wirkung des Pankreaspräparates aufgefasst
werden. Am 1. 8. wird die Einspritzung wiederholt. Auch diesmal
wird nur eine geringe Menge 3,5 ccm, etwa 1 g trockenen Pankreas-
extract entsprechend injicirt. Im Anschluss daran trat eine Temperatur¬
erhöhung bis 39,2 0 auf, doch erschwert die gleichzeitig entdeckte Mittel¬
ohrentzündung die Deutung, ob es sich um eine reine Fermentwirkung
oder um eine combinirte Ficbererscheinung handelt. Die Urinausscheidung
verhielt sich wie folgt:
Menge
Zucker
Aceton
Acetessigsäure
29. 7.
2160
3,4 pCt.
+
+
30. 7.
2670
°,2 „
+
+
31. 7.
1890
3,8 „
+
+
1. 8.
1310
„
+
+
2. 8.
2850
2,2 „
schwach
schwach
3. 8.
2050
L8 „
ganz gering
ganz gering
4. 8.
1850
2,4 „
+
+
5. 8.
2100
2,2 „
i
T“
+
Auch diesmal ist zwar eine geringfügige Verminderung der Zucker¬
ausscheidung zu constatiren. Jedoch das Wesentliche erscheint auch hier
wieder, dass die Acidosis, die vorher wieder ganz erhebliche Grade er¬
reicht hatte — die Acetessigsäureausscheidung ist in der Kranken¬
geschichte öfters mit -f- 4- bezeichnet — wieder, wenn auch nicht voll¬
kommen, so doch bis auf Spuren verschwindet. Leider wurde das Kind
bald nachher aus dem Krankenhause herausgenommen. Der allgemein
klinische Eindruck war der, dass bei diesem hoffnungslos kranken Kinde,
dem bei seiner Aufnahme bereits der baldigste Exitus prognosticirt war,
dass das Kind sich ganz entschieden nach den Einspritzungen erholt hatte.
Es ist möglich, dass bessere Resultate erzielt worden wären, wenn von
dem wirksamen Präparat häufigere und auch vielleicht jedesmal kleinere
Einspritzungen gemacht worden wären.
Ebenfalls aus der Klinik von Geheimrath Senator wurde an dem
65jährigen Heinrich M. der Einfluss des Präparates versucht.
Patient litt seit 26 Jahren an Diabetes. Seit etwa 5 Jahren ist an¬
geblich der Zuckergehalt nicht mehr unter 3 pCt. gefallen. Seit ungefähr
1 Jahr beträgt die tägliche Zuckerausscheidung durchschnittlich 5 pCt. Die
inneren Organe sind, abgesehen von der Arteriosklerose, ohne Besonder¬
heiten. Ueber die Ausscheidungsverhältnisse orientirt folgende Tabelle:
Menge
Zucker
Aceton Acetessigsäure
9. 7.
1500
6,6 pCt.
— —
13. 7.
2000
5,5 „
— —
14. 7.
1500
5,5 „
— —
ijection von
10 ccm = 2 g
intravenös.
15. 7.
1000
Spuren
16. 7.
1600
1,0 pCt.
17. 7.
3000
1,0 „
18. 7.
2000
1,2 „
19. 7.
1720
1,6 ,,
Difitized
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
314
G. Zuelzer,
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Menge
Zucker Aceton
20. 7.
1580
2,8 pCt.
21. 7.
1680
2,2 „
22. 7.
2120
3,0 „
27. 7.
1620
4,4 „
28. 7.
3160
4,8 „
29. 7.
2611
3,8 „ Gcmüsetag
30. 7.
2800
3,4 „
Acetessigsäure
Die Einspritzung war in diesem Falle von einem heftigen Schüttel¬
frost, von einer Temperatursteigerung von 35,9 0 C. auf 39,0 0 C. be¬
gleitet. Im zweifellosen Anschluss an die Injeetion traten in dem
übrigens vollkommen zahnlosen Munde ziemlich starke Entzündungs¬
erscheinungen auf, welche über 8 Tage bestehen blieben. Der Kranke
musste in Folge dessen seine ganze Nahrung in breiiger Form zu sich
nehmen. Der Einfluss der Injeetion auf die Zuckerausscheidung ist
zweifellos. Dass das Heruntergehen auf Spuren und später 1 pCt. nicht
nur durch die geringe Nahrungsaufnahme am Tage der Injeetion zurück¬
zuführen, ist durch den Gemüsetag am 28. 7. ziemlich wahrscheinlich
gemacht, denn nachdem an den Tagen vorher die Zuckerausscheidung
ihre alte Höhe wieder erreicht hatte, bewirkte der Gemüsetag nur eine
sehr geringe Senkung des Zuckerausscheidungsniveaus. Der Einfluss des
Pankreaspräparates lässt sich bis etwa zum 26. 7. verfolgen, erst dann
beginnt die Zuckerausscheidung wieder ihre alte Höhe zu erreichen. Die
anamnestische Angabe, dass Patient seit Jahren bei allen möglichen
diätetischen Behandlungskuren niemals zuckerfrei geworden, und dass
seine Ausscheidung überhaupt nicht unter 3 pCt. gesunken sei, erscheint
in diesem Falle glaubwürdig, weil der Patient ein alter Diener Traube’s
ist, an dem viel herumexperimentirt worden ist und bei dem das nöthige
Verständnis für seine Krankheit vorausgesetzt werden kann.
Noch einwandsfreier erscheint der Fall Kreitner, welcher im Jüdischen
Krankenhause (Professor Lazarus) seit Monaten in exactester Weise
beobachtet worden war. Patient ist hereditär bezüglich seines Diabetes
belastet, seine Mutter und eine Schwester sind an der Zuckerkrankheit
gestorben. Der 35jährige Patient wurde vor ca. 4 Jahren diabetisch,
seit l ! / 2 Jahren soll der Zuckergehalt dauernd ca. 6—6y 2 pCt. betragen
haben. Der Status bietet keine Besonderheiten. Die Zuckerausscheidung
verhielt sich bei der gleichen Kost (etwa 90—120 g Grahambrot, sonst
kohlehydratfrei) folgendermaassen:
29. 6.
Zuckermenge
50,7 g
5. 7.
Zuckermenge
59,4 g
30. 6.
47,5 g
6. 7.
32,6 g
1. 7.
01,0 g
7. 7.
48,1 g
2. 7.
40,0 g
8. 7.
37,8 g
3. 7.
04,0 g
9. 7.
44,0 g
4. 7.
68,0 g
10. 7.
46,0 g
Ungefähr die gleichen Ausscheidungsverhältnisse hatten während der
ganzen Aufnahmezeit bestanden. Als einmalige niedrigste Menge ist seit
dem 15. 5. 13,3 g Zucker verzeichnet; Aceton und Acetessigsäure ist nie
beobachtet worden.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSSTY OF MICHIGAN
Ueber Versuche einer specifischen Fermenttherapie des Diabetes.
315
Am 10. 7. wurden dem Kranken intravenös 10 cem des Pankreas¬
präparates injicirt, doch ist am 10. und 11. 7. das Grahambrot ver¬
sehentlich fortgelassen, sodass die Ausscheidungsverhältnisse in der
nächsten Periode auf nicht bestimmbare Einflüsse zurückzuführen sind.
Vom 13. 7. an bis zum Ende der Beobachtung isst der Kranke regel¬
mässig ca. 100 g Grahambrot. Die Ausscheidungsverhältnisse illustrirt
folgende Tabelle:
Zucker Zucker
pCt.
fr Behandlung
pCt.
g
Behandlung
6. 7.
2,8
48^1
25. 7.
1,1
20,6
7. 7.
2,7
37,8
26. 7.
1,7
28,5
9. 7.
2,5
46,0
27. 7.
0,9
20,8
10. 7.
2,0
25,2
28. 7.
0,9
22,3
11. 7.
1,3
18,7 intravenöse Inject.
29. 7.
1,3
24,4
12. 7.
0,7
11,2
30. 7.
0,7
7,2
intravenöse Inject.
13. 7.
2,0
31,2
von 10 g
14. 7.
1,5
18,0
31. 7.
0,1
1,3
90 g Brod
15. 7.
1,4
17,9
1. 8.
0,1
2,0
120 g Brod
16. 7.
1,4
17,3
2. 8.
—
—
90 g Brod
17. 7.
1,5
24,0
3. 8.
--
—
90 g Brod
18. 7.
2,2
36,9
4. 8.
—
--
120 g Brod
19. 7.
1,5
30,0
5. 8.
—
120 g Brod
20. 7.
2,9
49,8
Oi
00
1,3
4,9
21. 7.
1,4
17,9
00
00
2,0
18,9
22. 7.
1,3
27,0
00
^6
4,3
23. 7.
0,8
16,9
26. 8.
4,2
24. 7.
1,0
18,4
Am 30. 7. wurden 10 ccm Pankreaspräparat intravenös injicirt.
Die Temperatur stieg von 36,4 auf 39,3 0 und blieb auch am nächsten
Tage auf dieser Höhe. Am 1. 8. besteht noch 38°, dann* sinkt die
Temperatur zur Norm ab. Trotz der erhöhten Temperatur hat der
Kranke, ausser am Tage der Einspritzung selbst, regelmässig seine bis¬
herige Nahrung incl. des Grahambrodes zu sich genommen. Die Zucker¬
ausscheidung sinkt, wie es in den ersten Fällen beobachtet wurde,
allmählich herab. Erst am dritten Tage hat die Zuckerausscheidung
Null erreicht, die dann 4 Tage lang bestehen bleibt, um allmählich
wieder zur alten Höhe anzusteigen. Gerade der Umstand, dass die
Zuckerausscheidung nicht am Tage der Einspritzung selbst, wo der
Kranke naturgemäss in Folge des mit Schüttelfrost verbundenen hohen
Fiebers wenig genossen hat, Null erreicht, sondern erst 3 Tage später,
spricht dafür, dass es sich hier nicht um ein einfaches Verschwinden
des Zuckers in Folge eines Hungertages handelt, sondern dass das
Ferment allmählich, wie in den vorhergehenden Fällen, seine Wirksamkeit
entfaltet. Zur klinischen Beurtheilung der Einspritzung ist nachzutragen,
dass auch m diesem Falle wie bei M. zahlreiche kleine stecknadelgrosse
Bläschen in der Mundhöhle, speciell am harten Gaumen, aufgetreten sind;
die Stomatitis ist nach 4 Tagen vollkommen abgehcilt.
Der letzte Fall endlich betrifft einen 65 jährigen Kranken (Rixdorfer
Krankenhaus, Professor Sultan), bei dem eine Gangrän des rechten
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316
G. Zuelzer,
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Fusses aufgetreten war. Ueber die Zuckerausscheidung stehen mir
folgende Notizen zur Verfügung:
Am 20. 7. bei 60 g Kohlehydraten 1500 Urin mit 6 pCt. Zucker.
Vom 23.—30. 7. kohlehydratfreie Diät, täglich durchschnittlich 2000 Urin mit
4 pCt. Zucker.
Am 31. 7. 2000 Urin mit 3 1 / 2 pCt. Zucker.
Am 1. 8. werden 10 ccm intravenös injicirt. In Folge dessen starker Schüttel¬
frost und hoher Temperaturanstieg; der Kranke lässt Urin unter sich, so dass derselbe
nicht aufgefangen werden kann.
Am 2. 8. 2y 2 pCt. Zucker, Urinmenge —.
Am 3. 8. 1 pCt. Zucker, Urinmenge —.
Am 4. 8. bei 60 g Kohlehydraten l / 2 pCt., 1500 Menge.
Am 5. 8. wird der Oberschenkel in Chloroformnarkose amputirt.
6.—20. 8. 100 g Kohlehydrate 2—3 pCt. und ca. 1000 Menge.
20.—28. 8. gemischte Kost, ca. 1000 Menge und 1—2 pCt. Zucker.
Vom 29. 8. an ist der Kranke zuckerfrei.
Die Deutung bezüglich des Einflusses, den in diesem Falle das
Pankreaspräparat auf die Zuckerausscheidung gehabt hat, ist schwierig.
Zweifellos wird die Zuckerausscheidung durch die Injection herabgedrückt,
und zwar ist auch hier wieder die Zuckerausscheidung nicht im unmittelbaren
Anschluss an den Fiebertag, an dem der Kranke wenig oder nichts zu sich
genommen hat, am meisten herabgegangen. Am zweiten Tage besteht
vielmehr noch 2,1 pCt. Zucker, am dritten sinkt die Ausscheidung auf
1 pCt., während am vierten trotz 60 g Kohlehydratzunahme die Zucker¬
ausscheidung auf y 2 pCt. herabgeht, so dass der Kranke im Ganzen nur
7,5 g Zucker ausscheidet, während er bei der gleichen Nahrung am
20. 7. 80 g ausgeschieden hatte. Wäre das Herabgehen der Zucker¬
ausscheidung nur durch die Carenz am 1. 8. verursacht worden, so hätte
man am 2. 8. die niedrigste Zuckerausscheidung erwarten müssen. In¬
wieweit die nachher weiter zu beobachtende günstige Gestaltung der Zucker¬
ausscheidung auf die Amputation des Oberschenkels oder auf die Nach¬
wirkung des Pankreaspräparates zu setzen ist, entzieht sich der
Beurtheilung. Es sei nur bemerkt, dass trotz des Herabgehens des
Zuckers am 19. 9. noch einmal eine etwas höhere Amputation an
demselben Bein nothwendig wurde.
Die in den vorstehenden Krankengeschichten raitgetheilten Ergebnisse
berechtigen nur zu dem Schluss, dass es möglich ist, durch Einführung
eines Pankreasextractes die Zuckerausscheidung beim Diabetiker und
ebenso die Ausscheidung von Aceton und Acetessigsäure ohne Aenderung
in der Diät zum Verschwinden zu bringen. Wenn auch in einzelnen
Fällen die Versuchsresultate nicht ganz eindeutig sind, so bieten doch
die Resultate der sämratlichen Fälle zusammengehalten die Möglichkeit,
obigen eindeutigen Schluss zu ziehen. Insbesondere sind in dieser Be¬
ziehung beweisend die Resultate im Falle G., bei dem gar keine Störung
des Allgemeinbefindens, in Folge dessen gar keine Störung in der
Nahrungsaufnahme, keine Temperaturerhöhung die Deutung des Resultates
erschweren. Ferner der Fall M., in dem zweimal das Verschwinden der
Acidosis nach unseren bisherigen klinischen Erfahrungen keinen anderen
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber Versuche einer specifischen Fermenttherapie des Diabetes. 31?
Schluss zulassen, als dass diese Stoffwechseländerung durch das Pankreas¬
präparat bewirkt wurde.
Inwieweit die vorstehenden Versuche die Basis für ein therapeutisches
Vorgehen beim Diabetes abgeben werden, lässt sich z. Z. noch nicht
übersehen. Es wird die nächste Aufgabe sein, zu versuchen, durch
kleine, aber häufigere Injectionen die schweren Injcctionswirkungen, die
in. E. nur als Fermentwirkungen aufzufassen sind, abzuschwächen oder
ganz zu unterdrücken. Die Beobachtung im Falle G., dass bereits
1 ccm der Lösung eine zweifellose Wirkung ausübte, lassen in dieser
Beziehung die Möglichkeit eines Erfolges erhoffen.
Anmerkung bei der Corrcctur.
Seither verfüge ich noch über weitere Beobachtungen, aus denen
der Einfluss des Pankreashormons auf den menschlichen Diabetes deutlich
hervorgeht.
Der eine Fall betrifft eine 44jährige Frau mit Akromegalie und
einem Diabetes mit aussergewöhnlicher Zuckerausscheidung. Die Patientin
(zweite medizinische Klinik der Charite) litt an ausgesprochenem Heiss¬
hunger, und die Ernährung musste diesem Heisshunger Rechnung tragen,
da Versuche, die Nahrung einzuschränken, von schweren allgemeinen
Zuständen und selbst von Auftreten von Acetessigsäure, die sonst fehlte,
gefolgt waren. Bei freier Wahl der Nahrung nahm Patientin etwa 5000
bis 8000 Calorien, darunter 6—700 g Kohlehydrate, durchschnittlich
pro Tag zu sich. Ihre Zuckerausscheidung betrug dabei 6—800 g bei
einer Urinmenge von 14—18 1 täglich. Die Ausscheidungsverhältnisse
kurz vor und unmittelbar nach der Einspritzung von 4 g wirksamer
Substanz werden durch folgende Tabelle illustrirt:
Tag
Einnahme
an Kohle¬
hydrat
Calor.-
Zufuhr
Urin¬
menge
Spec.
Gewicht
Zucker
pCt
Zucker
g
25.-26. 3.
600,9
5800
18 200
1020
3,5
673
26.-27. 3.
655,0
8200
19 600
1020
4
784
27.-28. 3.
563,6
4300
18 200
1023
4,6
856
28.-29. 3.
139,3
1511
9 200
1017
2,2
192
Inject.
29.—30. 3.
459,0
3S13
15 700
1015
2,1
109
30.—31.3.
374,2
3877
18 200
1016
2,5
455
Die sehr nervöse Patientin reagirte auf die Injection mit Schüttel¬
frost, leichten Ohnmachtsanfällen und Kopfschmerzen; am Tage nach
der Injection gab Patientin an, nicht von dem sie sonst so quälenden
Gefühl des Heisshungers geplagt zu sein. Der Einfluss der Einspritzung
ist aus der Tabelle ersichtlich. Am Injectionstage selbst ist das Herunter¬
gehen des Zuckers durch das Erbrechen und die verminderte Nahrungs¬
aufnahme zu erklären. Auffallend ist jedoch die beträchtlich geringere
Zuckerausscheidung (109 g) am zweiten Tage nach der Injection; es ent¬
spricht dies den stets gemachten Beobachtungen. Die Nahrungszuluhr ist
an diesem Tage schon wieder eine überreichliche, wenn auch geringer als
gewöhnlich, aber trotz der Zufuhr von 459 g Kohlehydrat scheidet
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 91
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
318 G. Zuelzer, Ueber Versuche einer specifischen fermenttherapie des Diabetes.
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Patientin nur 109 g Zucker aus. Im Verlaufe der nächsten Zeit steigt
die Zuckerausscheidung wieder auf ca.-700 g pro die.
Der zweite Fall betrifft einen ca. 50jährigen Diabetiker mit einem
grossen, gangränescirenden Karbunkel des Nackens. Bei seiner Auf¬
nahme in die Klinik (Prof. Borchardt) besteht eine Zuckerausscheidung
von 2,5 pCt.; Aceton und Aetessigsäure vorhanden. Der Karbunkel
wird incidirt und gleichzeitig, wie auch in den folgenden Tagen, eine
Injection von je 2 g Pankreashormon vorgenoramen. Die ersten 4 In-
jectionen sind von keiner Reaction (Schüttelfrost) gefolgt. Im Verlaufe
der ersten Tage sinkt die Acetessigsäureausscheidung fast bis zum Ver¬
schwinden, steigt dann wieder etwas an, um wiederum vollkommen zu
verschwinden. Da in den ersten Tagen der Einfluss der Operation ein
schwer zu bestimmender Factor ist, während andererseits die Ein¬
spritzung ohne Schüttelfrost verlief, die Wirksamkeit des Präparates nach
den bisherigen Erfahrungen also nicht über jeden Zweifel erhaben ist,
so muss davon Abstand genommen werden, Aenderungen in dem Urin¬
befund und dem allgemeinen Befinden mit der Einspritzung in irgend
welche Verbindung zu bringen. Vom 2. 3. ab ändern sich die Ver¬
hältnisse. Die Operation liegt 5 Tage zurück, die Wundbehandlung und
die diätetische Behandlung (täglich 100 g Kohlehydrate, Hafermehl und
Milch und 40 g Natrium bicarbonicum) bleiben unverändert bestehen.
Der klinische Befund lautet am 2. 3.: Die Wunde sieht nicht schlecht
aus. Vom 3. ab Verschlechterung der Wunde und Auftreten abendlicher
Temperaturen. Am 4. Abends 38,9° C., am 5. 39,6° C. Gleichzeitig
stärkeres Auftreten von Aceton und Acetessigsäure, die schon ganz ver¬
schwunden war. Abends Injection von 4 g Pankreashormon; Temperatur
steigt von 39,6 0 auf 41 0 C. (Schüttelfröste). Folgende Tabelle illustrirt
das Verhalten:
Tag
Zucker
pCt.
Aceton
Acetessig¬
säure
Temperatur
Abends
3.-4. 3.
1,3
Spuren
0
_
4.-5. 3.
0,9
+
Spuren
38,9°
5.-6. 3.
1,1
+ +
+ +
39,6°
Inject. 41 0 C.
6.-7. 3.
1,3
+
+
39,3°
7.-8. 3.
1,5
schwach
Spuren
38,5°
8.-9. 3.
1,2
0
0
fieberfrei
!
9.—10. 3.
1,5
0
0
—
Von da ab ist der Urin dauernd frei von Aceton und Acetessigsäure
und die Zuckerausscheidung geht im Verlaufe von 10 Tagen allmählich
bis auf 0 herunter. Die Wunde fängt schnell an, sich zu reinigen,
ununterbrochener Heilverlauf.
Die epikritische Betrachtung dieses Falles lässt kaum einen Zweifel
darüber, dass in diesem Falle bei vollkommen gleichbleibender Local¬
behandlung und bei zweifelloser Tendenz zur Verschlechterung der Wund¬
verhältnisse und zum komatösen Ausgang die Zufuhr des Pankreashorraons
das Verschwinden der Acidosis, und damit die Heilung des Patienten
zur Folge gehabt hat.
Gck igle
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XXV.
Aus der II. medicin. Klinik Berlin.
Abkühlung als Krankheitsursache.
Von
Dr. Wolfgan? Siegel,
Arzt in Bad Reichenhall.
Der Eigentümlichkeit des menschlichen Geistes, bei Allem, was
wird, was sich ereignet, nach den Ursachen zu forschen, verdankt die
Menschheit die grössten Fortschritte. Das unaufhörliche Streben nach
Einsicht und Erkenntniss hat überall mehr oder minder weit aus dem
Sumpf überlieferter Ammenmärchen herausgeführt und manche aus dem
Volksglauben in die Wissenschaften übernommenen, lange herrschenden
Hypothesen gestürzt. Den grössten, weil praktisch sichtbaren Vortheil
von diesem Ringen nach Klarheit der Vorstellung hat zweifellos die
Medizin gewonnen. Gar manche Vorstellung, die sich wie ein rother
Faden durch Jahrhunderte hindurchzog, musste sich auf Grund der Er¬
gebnisse exakter Forschung, gewonnen unter Anwendung stets mehr und
mehr vervollkommneter Hilfsmittel und Methoden, eine Correctur ge¬
fallen lassen, manche mussten, weil phantastisch und jeglicher sei es
anatomischer oder physiologischer Grundlage entbehrend nach langem
Kampf zwischen dem Althergebrachten und dem stets angefeindeten
Neuen, „Modernen“, als unhaltbar völlig verworfen werden und behielten
einzig und allein historisches Interesse.
Es wäre aber weit gefehlt, anzunehmen, dass wir Alles besser zu
erklären verständen als unsere Vorgänger oder dass wir heute in allen
Fällen im Stande wären, die Entstehungsursachen von Krankheiten fest¬
zustellen ohne Zuhilfenahme einer schon lange vor uns gebräuchlichen
Erklärung. Wie bewunderte man die scharfe Beobachtungsgabe der
irischen Aerzte Adams und Stokes wegen der so anschaulichen
Schilderung des nach ihnen benannten Symptomencomplexes! Und doch
konnte Pletnew 1 ) jüngst nachweisen, dass schon Morgagni dasselbe
Krankheitsbild ebenso gut gekannt und ebenso schön geschildert hat.
Manche ätiologische Anschauung machte einen wahren Kreislauf
durch, ihr Werth sank und stieg je nach dem momentanen Stand der
1) Ergebnisse der inneren Medizin. Heft l. 1908.
21 *
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
320
W. Siegel,
Wissenschaft und nach der Art der gerade gemachten Fortschritte, der
Mode. Was früher als allgemein giltig angesehen ward und manchmal
da als Lückenbüsser dienen musste, wo man keine andere, -besser passende
Erklärung wusste, fiel, um bald darauf doch wieder ans Tagelicht her¬
vorgezogen zu werden, weil man einsah, dass dieser eben verworfenen
Anschauung doch eine gewisse Bedeutung zukomrat, wenn vielleicht auch
bei Weitem nicht in dem Maasse wie früher.
Bis vor nicht allzu langer Zeit, als man von Bakteriologie noch
nichts wusste, spielte nicht nur in den Augen des gesammten Volkes,
gebildet wie ungebildet, sondern auch in den der „Wissenden“, der
Aerzte, die Erkältung, Verkühlung, als Krankheit erregende Schädlichkeit
eine mächtige, um nicht zu sagen, dominirende Rolle. Der Begriff ist
so sehr in den Sprachgebrauch Aller übergegangen, dass er anstandslos
zu gleicher Zeit in doppeltem Sinn gebraucht werden kann und gebraucht
wird. Mit „Erkältung“ bezeichnet man nicht nur eine bestimmte Kategorie
von Erkrankungen, sondern auch deren wirkliche oder muthmassliche
Ursache. Wenn es auch zu weit gegangen ist, dass einzelne Autoren,
die heutzutage der Erkältung fast jeglichen Einfluss auf die Gesundheit
des menschlichen Organismus abstreiten, behaupten, dass man ihr früher so
ziemlich alle Erkrankungen mit Ausnahme von Frakturen und Luxationen
in die Schuhe schob, so entspricht es doch den Thatsachen, dass man
eine grosse Reihe von Erkrankungen auf sie zurückführte, von denen wir
heute wissen, dass sie durch Bakterien oder nur durch bakterielle Mit¬
wirkung ausgelöst werden können. Diese früher allgemein gültigen An¬
schauungen wurden im Wesentlichen dadurch unterstützt, dass thatsächlich
vor Ausbruch der Krankheit oft eine Kälteeinwirkung (Zugwind oder
Durchnässung) stattgefunden hatte und dass man bei Fehlen jeder anderen
augenfälligen Erklärung nach dem Zunächstliegenden und Sinnfälligen griff.
Man kann aber nicht behaupten, dass früher der Menschheit das
Verständnis für Ansteckung, Infection, gefehlt hätte, und dass man that¬
sächlich, von Traumen abgesehen, nur Erkältung als Krankheitsursache
gekannt habe. Es lässt sich dies direct geschichtlich beweisen. Nie¬
mand wird bestreiten, dass die Contagiosität der Syphilis auch früher
bekannt war, trotzdem die Entdeckung des Erregers erst ein Kind der
jüngsten Tage ist. Als der schwarze Tod im Mittelalter in Deutschland
wüthete, dachte Niemand an Erkältung als Ursache, man suchte sie viel¬
mehr im Wasser vergifteter Brunnen und machte die Juden dafür ver¬
antwortlich; früher glaubte man, der Athem, die Ausathmungsluft der
Schwindsüchtigen trage die Krankheit weiter, bei der an bestimmte
Gegenden gebundenen Malaria hielt man die Ausdünstungen der Sümpfe,
beim Typhus, noch ehe man es mit Bestimmtheit nachweisen konnte,
das Trinkwasser für die Ursache der Erkrankung. Hier gab die Locali-
sation an bestimmte Plätze, die herdweise Ausbreitung dem gesunden
Menschenverstand allerlei dunkle Hinweise, dass irgend ein bestimmtes,
noch wesensunbekanntes Medium die Krankheit bedingt und weiterver¬
breitet.
Wenn also in der That durch Jahrhunderte hindurch bis tief in das
19. hinein mangels jeglicher anderen plausiblen Erklärung manchmal
Original fro-m
UNIVERSITf OF MICHIGAN
Abkühlung als Krankheitsursache.
321
wirklich nur als Nothbehclf Abkühlung sive Erkältung als Ursache von
zahlreichen Krankheiten angesehen wurde, eben weil man keine andere
wusste, wurde dies mit der Geburt und der Entwicklung der Bakterio¬
logie mit einem Schlage anders. R. Koch hatte die Untersuchungs¬
methoden ausgearbeitet und nun ging es an ein eifriges Suchen. Gerade
so wie man früher Erkältung für alles Mögliche und Unmögliche ver¬
antwortlich machte, sollten jetzt die Bakterien und Bacillen, die Alles
schaffenden Geister, jeder gefundene Bacillus der Erreger irgend einer be¬
stimmten Krankheit sein. Bald aber schwand der bakterielle Rausch, wenn
man sich so ausdrücken darf, und machte nüchterner Erwägung Platz.
Das, was die bakterielle Hochfluth ans sichere Land geworfen hatte,
wurde gesichtet, und es zeigte sich nun, dass thatsächlich eine grosse
Reihe von Bakterien specifisch krankmachend wirkte, dass aber eine
ganze Anzahl absolut unschädlich ist, und weiterhin trat das wichtige
Factum zu Tage, dass der Mensch lange Zeit pathogene Keime be¬
herbergen kann, ohne krank sein oder krank werden zu müssen (latenter
Mikrobismus), und dass eben diese Keime dann plötzlich auflodern und
ihre krankmachendc Wirkung ausüben. Es erhob sich nun die Frage,
warum löst der pathogene Keim in dem einen Fall Krankheit aus?
Warum in dem anderen nicht? Warum bedarf cs hier noch eines An-
stosscs? Und welcher Art ist dieser?
So sah man sich in vielen Fällen doch wieder gezwungen, andere,
früher gebräuchliche Erklärungen zu Hülfe zu nehmen, und neben der
Annahme einer Disposition für gewisse Erkrankungen kam unter anderen
auch die Erkältung als ätiologisches Moment wieder mehr zu Ehren, nur
mit dem Unterschied, dass man ihr lediglich die Mithülfe, die Be¬
günstigung, nicht aber die selbstständige Auslösung von Krankheiten zu¬
schrieb.
Man hat die Entstehung einer Krankheit durch Erkältung auf alle
mögliche Weise zu erklären versucht.
In der vorbaktcricllcn Zeit hatte man auf die bekannten Firnissvor-
suche zurückgegriffen. Man hatte Kaninchen ganz oder grösstentheils
rasiert und mit Lack, Leim, Pech oder sonstigen Pflastermassen be¬
strichen; je nach Grösse der gefirnissten Stellen gingen die Thierc mehr
oder minder rasch zu Grunde, kräftige Thiere im Allgemeinen etwas
später. Zuerst glaubte man in der Unterdrückung der Hautathmung und
der dadurch bedingten Retention von AusscheidungsstofTen, also in einer
Selbstvergiftung, die Todesursache sehen zu müssen. Nachdem aber
Bequerel und Brechet 1 ) behauptet hatten, dass der Exitus nach
Firnissung durch den abnormen Wärmeverlust, durch fortschreitende Ab¬
kühlung und Herabsetzung der Körpertemperatur herbeigeführt werde,
erhob sich ein langdauernder Streit über die Retentionstheorie, der trotz
der Angaben von Babak 2 ), dass Kaninchen, mit Kleister oder Gelatine
bestrichen, eine dauernde Mehrabgabe von Wärme bis zu 140 pC. ohne
irgend welche Schädigung ertrugen, durch die vergleichenden Unter-
1) Edenhuizen, Zeitschrift für rationelle Medicin. 1863.
2) Archiv f. ges. Physiol. Bd. 108.
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suchungen von Rud. Winternitz 1 ) endlich zu Ungunsten dieser Theorie
entschieden wurde. R. Winternitz konnte nicht nur die von einigen
Autoren aufgestellte Behauptung, es sei der Tod durch Resorption und
Giftwirkung der zur Firnissung benutzten Stoffe bedingt, dadurch wider¬
legen, dass er Olivenöl und Vaselin benützte, die resorbirt nicht toxisch
wirken, sondern er zeigte auch, dass Kaninchen, die man nur rasierte,
aber nicht firnisste, in gleicher Weise wie gefirnisste zu Grunde gingen,
um so rascher, wenn man sie noch in kälteren Räumen unterbrachte.
Daraus schloss er mit Recht, dass lediglich die Abkühlung, der pro¬
gressive Wärme Verlust, das Sinken der Körpertemperatur unter den
kritischen Punkt in Betracht komme, zumal auch der Obductionsbefund
bei den gefirnissten und bloss abgekühlten Thieren der gleiche war. Ver¬
einzelt wird auch berichtet, dass es gelang, solche Thiere länger am
Leben zu erhalten, wenn man sic sorgfältig in Watte packte, eine Beob-
tung, die mehrfachen Widerspruch hervorrief und auch nicht von allen
Nachuntersuchern bestätigt werden konnte. Der Tod erfolgt einfach
durch Erfrierung, es kommt allmählich zur Lähmung sämmtlicher Centren
im Grosshirn, in der Medulla und im Rückenmark.
Die Reflextheorie sollte die ßuntartigkeit und Mannigfaltigkeit
der Erkältungskrankheiten, die doch schliesslich in der Kälteeinwirkung
eine gemeinsame Ursache haben, erklären. Man nahm an, dass der
Kältereiz durch Vermittlung des Centralnervensystems auf irgend ein
Nerven- oder Gefässgebiet übertragen werde und nun je nachdem Er¬
krankung im Respirationstractus, Rheumatismen, Neuralgien, Magen¬
darmkatarrhe, Nierenentzündung hervorriefe. Kohnstamm 2 ) hat eine
Kältebahn in der formatio reticularis grisea in der Nähe des Athcm-
centrums gefunden und glaubt dadurch den Zusammenhang zwischen Er¬
kältung und Erkrankung der Respirationsschleimhäute klargestellt zu
haben.
Auch die Rosenthal’sche 3 ) Theorie hat längst ihre Geltung ver¬
loren; sie besagte, dass „das in der Peripherie abgekühlte Blut jählings
in die Tiefe des Organismus stürzend auf die Organe krankmachend
einwirke.“ Rosenthal nahm an, dass cs zu einer Dilatation der Haut-
gefässe und Verlangsamung der Circulation und auf diese Weise durch
den längeren Contact mit der Kälte zu einer Herabsetzung der Blut¬
temperatur komme; er sieht den Effect des einen erhitzten Organismus
treffenden Kältemoments in dieser Erniedrigung der Körpertemperatur
und diese sei entscheidend für das Zustandekommen einer Erkältung.
Rosenthal sowohl wie später Affanassiew 4 ) suchten ihre Anschauung
auch experimentell zu beweisen.
Einen wesentlichen Umschwung in der ganzen Auffassung des Er¬
kältungsproblems brachte, wie eingangs erwähnt, das Einsetzen der
1) Archiv f. exper. Pathol. und Therap. Bd. 33. (Vcrgl. Untersuchung über
Firnissung und Abkühlung.)
2) Munch, med. Wocbenschr. No. 16. 1903.
3) Berl. klin. Wochenschr. 1872. No. 38.
4) Centralbl. f. med. Wissensch. 1877.
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bakteriellen Aera. Nachdem man für eine Reihe von Affectionen, die
man früher zu den Erkältungskrankheiten gerechnet hatte, specifische
Erreger gefunden, nahm man solche ohne Weiteres für sämmtliche an
und hielt die Einwirkung der Kälte fast für völlig belanglos. Es ent¬
stand in der Folge ein auch heute noch nicht beendigter Streit darüber,
ob die Bakterien allein die sogenannten Refrigerationserkrankungen aus-
lösen können, oder ob Kälteeinwirkung nöthig sei, weiterhin auch darüber,
wie man sich diese Wirkung zu denken habe, speciell auch über den
Einfluss dieser auf die Krankheitserreger. Den Bakteriologen konnten
frühere Versuche von Heidenhain, soweit sie denselben bekannt waren,
eine willkommene Stütze sein; Heidenhain 1 ) war nicht im Stande,
durch Einblasung eisiger Luft, auch wenn er eine heisse Einblasung vor¬
ausgehen Hess, krankhafte Veränderungen der Trachealschleirahaut zu
erzeugen. Auf der anderen Seite aber erwähnt Friedrich Müller 2 3 )
Versuche von Nebelthau, der Kaninchen virulente Pneumokokken und
Staphylokokken in die Trachea einspritzte, aber bereits nach Verlauf von
einigen Tagen im Respirationsgebiet keine Keime mehr nachweisen konnte.
Fr. Müller citirte noch andere Autoren, die zeigten, dass die normale
Thierlunge eingeimpfte Bakterien in kurzer Zeit unschädlich macht. Er
schliesst daraus, dass Infection allein noch keine Krankheit auslöst,
sondern dass noch andere Momente in Betracht kommen müssen. Er
ist der Meinung, dass Abkühlung auf die Entstehung der Infection be¬
günstigend einwirken kann, indem sie „die Widerstandskraft und damit
die Schutzvorrichtungen des Organismus hcrabsetzt u und zwar möglicher¬
weise durch reflectorische Veränderungen im Vasomotorengebiet und durch
Vermittlung des Blutes, das irgendwie geschädigt würde — freilich ohne
dass der Nachweis hierfür so leicht gelänge — und nun durch die ge¬
bildeten Stoffe die inneren Organe schädige. Für diese letztere An¬
schauung führt er die Thatsaehe in’s Feld, dass die Sectionsbefunde bei
intensiven Abkühlungen und bei Verbrühungen einander fast völlig gleichen
(Haemorrhagien und Infarcte der Lunge, Nierenveränderungen, Gehirn¬
blutungen, Erosionen im Magen und Darm, Thromben im Herzen und
in der Lunge), und gleichwie man bei Verbrühungen die Bildung toxischer
Stoffe, eines Fibrinfermentes, im Blute annähme, so könnte es sich auch
um Aehnliches bei der Abkühlung handeln. Dazu käme bei der Ab¬
kühlung noch die Möglichkeit einer Förderung der Entwicklung der
Bakterien und eine Hemmung des Organismus im Kampfe gegen diese
durch Herabsetzung seiner Körpertemperatur.
Interessant sind Lipari’s 8 ) Versuche: Sämmtliche Thiere, denen er
endotracheal Pncuraoniesputum einspritzte, blieben zunächst gesund; es
starben aber sechs von acht an Pneumonie, als er sie vor oder nach
der Injection der Kälte aussetzte. Auch Einblasen virulenter Kokken
durch eine Tracheotomiewunde führte nicht ohne Weiteres zu Pneumonie.
Li pari nahm an, dass die Kälte das Flimmerepithel der Bronchial-
1) Virchow’s Archiv, ßd. 70.
2) Münch, med. Wochenschr. No. 49. 1897.
3) Baumgarten’s Jahresbericht. 1889.
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Schleimhaut lähme und zugleich eine Schwellung der Schleimhaut hervor-
rufe, wodurch das Eindringen der Infectionskeime erleichtert würde.
Lode hält dem entgegen, dass speciell das Flimmerepithel durch Kälte
nicht geschädigt würde, sei letztere doch das beste Conservirungsmittel
für dasselbe.
Auch Lassar 1 ) spricht sich auf Grund seiner Versuche gegen die
Alleinherrschaft der lnfection aus. Er hatte Kaninchen mit Schwefel¬
calcium enthaart, die Thiere längere Zeit in einem heissen Raum ge¬
halten und sie dann in einen grossen Kübel eiskalten Wassers gebracht,
in dem sie bis zum Halse 1—3 Minuten festgehalten wurden.
Er beobachtete dabei regelmässig Sinken der Aftertemperatur, sowie
nach Ablauf von 1—2 Tagen eine „anfangs minime, später deutlicher
und oft sehr hochgradig werdende Albuminurie mit spärlicher Aus¬
scheidung von hyalinen Cylindern“. Bei seinen Öbductioncn fand er inter¬
stitielle Veränderungen aller Organe. Lassar kommt zu dem Schluss,
dass „lediglich in Folge jäher Temperaturschwankungen krankhafte Ver¬
änderungen und Vorgänge im Körperinnern Platz greifen können. u Er
stellt sich auf den Boden der Roscnthal’schen Theorie und spricht die
Ansicht aus, dass die Infectionskeime nicht die alleinigen und ausschliess¬
lichen Krankheitserreger sind, dass vielmehr manche Organerkrankungen
durch rein physikalische Vorgänge und Veränderung der Lebensver¬
hältnisse bedingt sein können.
Dürk 2 ) hatte Kaninchen 16—36 Stunden bei 37° im Brutschrank
gehalten, wodurch die Temperatur bis auf 41,2° C. stieg, und sie dann
auf 2—7 Minuten mit dem ganzen Körper exclusive Kopf in Eiswasser
gebracht. Die Obduction ergab bei allen Thieren pneumonische Ver¬
dichtungen in der Lunge, in einzelnen Fällen echte lobäre croupösc
Pneumonien mit allen histologischen Merkmalen der menschlichen Pneu¬
monie. Zweimal konnte er dabei Bact. coli com., einmal Bact. coli com.
mit einer Sarcine, einmal nur den Friedländer’schen Pneumococcus
feststellen, in 2 weiteren Fällen konnte die Untersuchung nicht durch¬
geführt werden. Er schloss daraus, dass Erkältung sehr wohl eine
Pneumonie erzeugen kann, indem sie die in der Lunge bereits normaler
Weise vorhandenen Keime anregt, und er sieht die Ursache hauptsächlich
in der Wirkung der Temperaturdifferenz (Erhitzung mit sich daran an¬
schliessender Abkühlung) auf das Gefässsystem, in einer acuten inten¬
siven Hyperämie der Lunge.
Die Resultate Dürk’s konnten weder von Zillescn 3 ) noch von
Reineboth 4 ) bestätigt werden.
Einige Autoren prüften die Frage, ob Abkühlung im Sinne der Er¬
kältung das Zustandekommen und den Verlauf von Infectionen, zu denen
ja die Erkältungen zu rechnen seien, begünstige.
1) Virchow’s Archiv. Bd. 70. 1880.
2) Archiv f. klin. Med. Bd. 58.
3) Cit. nach Chodounsky (Erkältung und Erkältungskrankheiten).
4) Deutsch. Archiv f. klin. Med.
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E. Fischl 1 ) hielt Kaninchen an einem Eisenrahmen gefesselt in
einem mit schmelzendem Eis umgebenen Blechkasten; nach l / 2 — s / 4
Stunde war die Rectaltemperatur um ca. 10° C. gesunken. Die Thiere
erholten sich, und nun spritzte er ihnen, gleichzeitig auch Controllthieren,
Culturen des Fränkel-Weichselbaura’sehen Bacillus in die Ohrvene.
In 10 Fällen erfolgte, wahrscheinlich wegen Anwendung abgeschwächter
oder avirulenter Culturen, überhaupt keine Reaction, in 2 Fällen er¬
krankten die Kühlthicre an nicht tödtlicher Pneumonie, während die Con-
trollen gesund blieben, in 3 weiteren Fällen erfolgte ebenfalls der Exitus
der abgekühlten Kaninchen, während die Controllthiere zwar auch er¬
krankten, aber wieder genasen. Fischl ist vorsichtig genug, um wegen
der Versuchsanordnung und wegen der erzielten intensiven Abkühlung
um 10 0 keine weiteren Schlüsse auf die Erkältungskrankheiten zu ziehen.
A. Lode 2 ) hatte gleichfalls die Beeinflussung der individuellen Dis¬
position zu Infectionskrankheitcn durch Abkühlung zum Gegenstand von
Untersuchungen gemacht. Zur Inficirung benutzte er den Friedländcr-
schcn Bacillus, den von Fränkel-Weichselbaum, Staphylokokken,
Tuberkelbacillus, Cholcravibrio, und gelangt zu dem Schluss, dass die
Disposition zu vielen infectiöscn Erkrankungen durch dauernde oder vor¬
übergehende Abkühlung wesentlich erhöht wird; er fand auch, dass eine
vorherige Erwärmung. Ueberhitzung überflüssig sei; es genügte ihm schliess¬
lich zur Abkühlung die Entfernung des natürlichen Schutzapparates, der
Haare, so dass er auf andere Eingriffe zum Zweck der Abkühlung ver¬
zichtete. Das Wesentliche ist für Lode die Störung der Wärmeöconomie,
die zu einer mehr oder minder starken Herabsetzung der Eigentemperatur
und dadurch zur Steigerung der Disposition führt.
Während die bisher erwähnten Untersucher dem Kälteeinfluss eine
mehr oder minder grosse Bedeutung für die Entstehung der Erkältungs¬
krankheiten zuschreiben, verhält sich Chodounsky 3 ) auf Grund seiner
Thier- und Selbstversuche völlig ablehnend und bestreitet die Möglichkeit
einer Erkrankung oder Begünstigung einer solchen durch Erkältung über¬
haupt. Aus diesem Grunde seien seine Versuche etwas ausführlicher citirt.
Zunächst studierte er am Thier den Verlauf von verschiedenen In-
fectionen (Friedländer’scher Bacillus, Fränkel-Weichselbaum , scher
Bacillus, Hühnercholera, Anthrax, Diphtherie, Bacil. pyocyan. usw.) unter
dem Einfluss einer der Inficirung vorausgehenden oder nachfolgenden Ab¬
kühlung, nachdem die Virulenz der benützten Culturen vorher festgestellt
war. Die Abkühlung wurde entweder durch kalten Luftzug, dem er
manchmal ein kaltes Bad vorausschickte, oder durch Eisbäder bewirkt,
die Thiere jedoch des Haarschutzes nicht beraubt. Die durch Luftzug
(mit oder ohne Bad) erzielte Temperaturerniedrigung schwankte zwischen
0,5—1,0 0 C., die durch das Eisbad hervorgerufene zwischen 2,7—8,5 0 C.
Seine Resultate weichen von den bisher besprochenen in auffälliger Weise
1) Zeitscbr. f. Heilkunde. Bd. XVIII. 4.
2) Archiv f. Hygiene. Bd. XXVIII. 1897.
3) Chodounsky, Erkältung und Erkältungskrankheiten. 1907.
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ab: von 13 durch Zugluft, also relativ massig abgekühlten Kaninchen,
die er mit virulenten Fränkel-Weichselbaum’schen Pneumokokken
intravenös inßcirt hatte, erholten sich drei, von den nicht abgekühlten,
aber gleichfalls inficirten Controllthieren 2; fünf Controllthiere gingen
früher zu Grunde als die abgekühlten. Die Sectionsbefunde boten mit
der einzigen Ausnahme eines Controllthieres, bei dem sehr schwere Ver¬
änderungen Vorlagen, keinen Unterschied.
Die 9 im Eisbad abgekühlten Kaninchen sowie die zugehörigen Con-
trollen — gleichfalls intravenös mit dem Fränkel-Weichselbaum-
schen Bacillus inficirt — gingen gleichzeitig ein, ein Controllthier erlag
18 Stunden früher.
Auch die mit anderen Erregern angestellten Versuche ergaben für
den Einfluss der Abkühlung ein negatives Resultat.
In einer weiteren Versuchsreihe suchte Chodounsky den Einfluss der
Abkühlung auf die Virulenz abgeschwächter oder auf völlig avirulente
Keime festzustellen (Bac. Friedländer, Fränkel-Weichselbaum,
Bac. diphth., Streptokokken). Auch hier lassen die sehr sorgfältig ge¬
führten Protokolle keinen Einfluss erkennen, im Gegentheil, der Procent¬
satz der gestorbenen Kühlthierc ist weitaus geringer als der der Con¬
trollthiere.
Chodounsky kommt in Folge dessen zu dem Schluss: „Die Er¬
gebnisse dieser Thierversuchc sprechen klar gegen die Annahme, dass
der auf den Schleimhäuten oder in den Organen vegetirendc latente
Microbismus zu intensiverem Leben angefacht, oder hier befindliche ab¬
geschwächte, aber immer noch virulente Bakterien durch Erkältungs-
factoren virulenter werden könnten.“
Auf Grund dieser Thierversuche von der völligen Wirkungslosigkeit
aller Erkältungsfactoren überzeugt, führte Chodounsky eine Reihe von
Selbstversuchen aus, die geradezu zur Bewunderung seines Heroismus
und seiner Willensstärke zwingen. 27 Versuche fallen in die Zeit vom
November 1899 bis Januar 1900, als Ch. 57 Jahre alt war. Er setzte
sich wiederholt unmittelbar nach einem kurzen kalten (4 0 C.), warmen
(32—37 0 C.), heissen (40—45 0 C.) Bade oder nach einer 2 Minuten
langen Douche von 7 0 C. nackt und nass bei offener Thür und offenem
Fenster einem scharfen Luftzug bei einer zwischen 4—12 0 C. schwankenden
Temperatur eine Stunde lang aus, ohne sich irgend welche wesentliche
Schädigung seiner Gesundheit zuzuziehen. Die Körpertemperatur (wo
gemessen?) sank beim ersten Versuch, wo er sich nach einem 6 Minuten
dauernden Bad von 8 0 C. nass und entblösst einem Luftzug von 4 0 C.
aussetzte, innerhalb 18 Minuten, vom Beginn des Bades an gerechnet,
von 37,3 auf 34,5 0 C., um allerdings in den nächsten 3 Minuten auf
36,4 und in weiteren fünf Minuten auf 37,2 0 C. zu steigen. Das Tera-
peraturmaximum von 37,95 0 war nach 46 Minuten erreicht, und als der
Versuch nach 60 Minuten abgebrochen wurde, betrug seine Temperatur
37,2 0 bei 84 Pulsen. Bei keinem der folgenden 26 Versuche trat
wieder eine solche Teraperaturerniedrigung ein, sie betrug in maximo
0,5 0 und wurde stets rasch übercompensirt. In den Protokollen finden
wir Bildung einer Gänsehaut, Zittern und reichliche Schüttelfröste notirt.
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Abkühlung als Krankheitsursache.
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Auch die localen Abkühlungsversuchc im Gebiet des N. facialis,
ischiadicus, in der Nieren- und Herzgegend, führten bei Chodounsky
zu keiner Erkrankung; es trat weder Facialislähmung noch Ischias noch
sonst eine Abweichung von seinem normalen Befinden zu Tage. Die
Abkühlung nahm er in der Weise vor, dass er die in Frage kommenden
Körperregionen mit Ausnahme des Facialisgebictes heissen Dämpfen bis
zur Röthung der Haut aussetzte und unmittelbar darnach scharfen Luft¬
zug einwirken liess. Die Aussenterapcratur bewegte sich zwischen einem
Minimum von —15° C. und einem Maximum von -f-5° C.
Diesen Sclbstversuchen, die sämmtlich negativ ausfielen, hielt
Ruhemann 1 ) entgegen, dass Chodounsky mangels virulenter und
culturfähiger Keime in seinen Luftwegen gegen Erkältung geschützt,
immun gewesen sei. Um diesen Einwand zu widerlegen, wiederholte
Chodounsky, der nach seinen eigenen Angaben an chron. Bronchial¬
katarrh leidet, im Februar-März 1906 diese Experimente unter Berück¬
sichtigung seines latenten Microbismus. Sowohl vor als auch während
der Versuche züchtete Honl 2 ) aus dem Sputum sowie von der Tonsille
die verschiedensten Bacterien (Pyocyancus, Fluorcscens, Streptococcus,
Staphylococcus aureus und albus, u. s. w.). Die Proceduren bestanden
in Bädern von 2 °, 5°, 9°, 40 0 und 41 0 C. von ca. 5 Minuten Dauer;
unmittelbar darnach stellte er sich, nackt und nass, wie er war, in einen
scharfen Luftzug bei Temperaturen von 0°, 0,5°, 1°, 1,5° und 10° C.;
die einzelnen Versuche dauerten zwischen 38—54 Minuten, sie waren völlig
negativ und blieben, von einer einmaligen geringen Verschlimmerung des
chronischen Bronchialkatarrhs abgesehen, ohne Einfluss auf den Gesund¬
heitszustand. Es erscheint mir bemerkenswerth, dass keines der kalten
Bäder zu einer auch nur vorübergehenden Herabsetzung der Körper¬
temperatur führte, ein Beweis für die Abhärtung und Gewöhnung.
Man kann es wohl begreifen, wenn Chodounsky abschliessend
sagt: „Erkältungsfactorcn, wie sic klinisch definirt sind, schädigen nicht
und sind ausser Stande, den Organismus des Menschen zu schädigen,
und zwar in keiner Hinsicht, verursachen direct keine Erkrankung und
schaffen auch keine Disposition für Krankheiten überhaupt und für In-
fectionskrankheiten speciell.“ Für ihn sind alle Erkältungskrankheiten
Infeetionskrankheiten. Die abweichenden Resultate der anderen Unter¬
sucher erklärt er durch die Versuchsanordnung; er verwirft ihre Beweis¬
kraft für die Erkältungsfrage mit der Begründung, dass die Art und
Weise der Abkühlung in diesen Experimenten mit dem thatsächlichen
ErkältungsVorgang nichts gemein habe, und dass durch die Versuchs¬
anordnung an sich die Lebensvorgänge der Thiere schon in brutaler Weise
geschädigt würden.
Welche Vorstellung macht man sich von dem Mechanismus der
Erkältungskrankheiten? Wie wirkt der Kältefactor? In welchem Ver¬
hältnis steht die Kälteeinwirkung zu den bacteriellen Erregern, oder,
1) Zeitschr. f. phys. u. diät. Ther. 1904. S. 333.
2 ) Chodounsky, Erkältung u. Erkältungskrankh. 1907.
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um mich modern auszudrücken, welches Verhältnis besteht zwischen der
physikalischen und raikrobischen Componente?
Die Hydrotherapie, deren hohe Bedeutung im Heilschatz kein
denkender Mensch bezweifelt, bedient sich sogenannter Kaltreize in aus¬
gedehntem Maasse. Dabei ist das ganze Streben darauf gerichtet, die
„Reaction 44 zu erzielen, das heisst, es soll sich in jedem Fall an das
Erblassen der Haut, an die Contraction der Hautgefässe — die unmittel¬
bare Folge der Kälteeinwirkung — eine Röthung der Cutis, eine active
Erweiterung der Hautgefässe, die mit Beschleunigung der Circulation
einhergeht, anschliessen; es soll also auf die Anämie sofort eine Hyper¬
ämie folgen. Es handelt sich stets um ganz kurze, aber intensive Kälte¬
einwirkungen, der Effect ist um so besser, je kürzer und intensiver der
Reiz; die Reaction ist gering oder bleibt aus bei schwachem, wenn auch
langdauerndem Reiz. Mit dem Eintreten der Reaction kommt es zu
einem wohligen, behaglichen Wärmegefühl; bei mangelnder Reaction ent¬
steht Kältegefühl und Frieren, Frösteln. Junge, kräftige, gesunde Indi¬
viduen reagiren prompt, schwächliche und ältere schlecht oder gar nicht.
Da letzteres unter allen Umständen vermieden werden muss, so hilft
sich der Hydrotherapeut damit, dass er solche Individuen durch eine
kurz dauernde Packung oder ein kurz dauerndes Glühlichtbad vorwärmt.
Weiterhin wird aus diesem Grunde die Application von Kälteproceduren
mit Frottirungen verbunden, ferner wird noch als Prophylacticum gegen
Erkältung nach hydriatischen Maassnahmen ein Spaziergang empfohlen,
auf heisse Proceduren lässt man stets noch einen kalten Reiz folgen.
Um solch kurze, genau dosierte Kälteeinwirkungen handelt es sich
beim Zustandekommen der Erkältung natürlich nicht, im Gegentheil,
meist sind es relativ wenig intensive Reize von ziemlich langer Dauer,
welche zu Gesundheitsstörungen führen.
Einzelne Autoren waren der Ansicht, dass einen Körper nur dann
eine Erkältung treffen könne, wenn er vorher überhitzt sei. Während
Falk 1 ) der Ueberhitzung und gleichzeitigen Ermüdung insofern eine
wesentliche Bedeutung beimisst, als bei ihnen die „Erkältung am
schädlichsten 4 * sei, während Lassar und Fischl bei ihren Experimenten
die Thiere vorher erwärmen, also stillschweigend eine vorausgehende Er¬
hitzung für nöthig halten, sagt Eisenraann 2 ) ausdrücklich, dass nicht
die Kälte an sich, sondern die Einwirkung einer relativ niederen Tempe¬
ratur auf den erhitzten Organismus Krankheit erzeuge, und auch Dürk,
der die Begriffe „Abkühlung 44 und „Erkältung 44 strenge trennt, ist dieser
Meinung. Er sagt: „Wenn jemand seinen Körper einer sehr niedrigen
Temperatur aussetzt, so wird er eine starke Abkühlung erleiden, ohne
dass deswegen eine Erkältung einzutreten braucht. Wenn aber jemand
in sehr erhitztem Zustand, z. ß. nach einem Aufenthalt in einem sehr
warmen Raum oder nach starker körperlicher Bewegung, also mit stark
dilatirten Hautgefässen, seine Körperoberfläche mit einem Medium von
1) Ueber Entstehung von Erkältungskrankheiten, Arcb. f. Anatomie u. Physio¬
logie. 1874.
2) Arch. f. wissensch. Heilkunde. Bd. V. 2. 1861.
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Abkühlung als Krankheitsursache.
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wesentlich niederer Temperatur in Berührung bringt, dann setzt er sich
einer Erkältung aus. Der Wärmeverlust ist jetzt in der Zeiteinheit ein
sehr grosser, sehr plötzlicher, die erhitzte Körperoberfläche verliert durch
Leitung und Strahlung eine sehr bedeutende Menge der in ihr aufge¬
speicherten Wärme.“
Lode 1 ) konnte im Thierexperimente zeigen, dass diese voraus¬
gehende Erhitzung des Körpers nicht nöthig ist. Aber auch die tägliche
Erfahrung spricht nicht völlig im Sinne Dürk’s. Denn nicht alle Leute,
die überhitzt oder in Schweiss gerathen sich einer Erkältungsmöglichkeit
aussetzen, erkälten sich, und umgekehrt befanden sich sicherlich nicht
alle Erkälteten vorher in erhitztem Zustand. Auch die Hydrotherapie
zeigt, dass die Dürk’schc Erklärung nicht absolut zutrifft. Deshalb
kann sie nicht ohne Weiteres als allgemein gütig anerkannt werden,
wenn man auch zugeben muss, dass eine grosse Anzahl von Erkältungen
auf der Basis einer vorausgehenden Erhitzung zu Stande kommt, freilich
bei weitem nicht in einem auch nur annähernden Verhältniss zur ge¬
gebenen Möglichkeit.
Ausserdem kommen als Erkältungsfactoren in Betracht schlechtes,
id cst feuchtes Wetter bei niedriger Temperatur (Feuchtigkeit der Luft
und des Bodens), langdauernder kühler Luftzug und Durchnässung, sei
sie partiell oder total. Die insensiblen Luftströmungen Rubner’s, 2 3 ) die
bei längerer Dauer trotz Mangels jeglichen Luftzugs doch als unangenehm
und kühl empfunden werden, dürften kaum in Frage kommen; Rubner
selbst ist geneigt, ihnen höchstens bei niederer Aussentemperatur eine
gewisse Bedeutung beizulegen. Trockene Kälte kann nicht hierher ge¬
rechnet werden; denn gerade die schönsten Wintertage sind durch
trockene Kälte charakterisirt. Wenn sie Schaden stiftet, so geschieht
dies, nachdem die ursprüngliche Hautgefässcontraction in eine passive
Dilatation mit Stromverlangsamung übergegangen ist, meist in Form
localer Erfrierungen, z. B. der Ohren, Nase, Wangen, Bildung von Frost¬
beulen, oder sie führt bei entsprechender Intensität nach Eintreten von
starkem Ermüdungsgefühl und Schlafsucht durch Lähmung aller Centren
zum Erfrierungstod. Scharfe Winde lösen in der Regel eine prompte
Reaction aus und spielen als Erkältungsfactoren nur dann eine Rolle,
wenn sie ein im Ruhezustand befindliches Individuum treffen, um so
mehr, wenn dieses erhitzt ist.
Welcher Grad und welche Art von Kältceinwirkung im Einfelfall
zur Erkältung führen kann, hängt von den verschiedensten, uns zum
Theil unbekannten Bedingungen ab, nicht zuletzt von der Eigenart des
Individuums. Aus diesem Grunde ist eine erschöpfende Aufzählung der
Erkältungsmöglichkeiten nicht durchführbar.
Bei der ßeurtheilung des Effects der Kältewirkung war der Gedanke
an die Wärmeentziehung, an die Herabsetzung der Körpertemperatur das
Nächstliegende. Flügge 8 ) ist der Ansicht, dass „Erkältung wesentlich
1) Arch. f. Hyg. Bd. 28. 1897.
2) Arch. f. Hyg. Bd. 50. 1904.
3) Grundriss der Hygiene. S. 83
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durch gewisse zu intensive und zu anhaltende Wärmeentziehungen von
der Haut aus zu Stande kommt. u Auch Lode meint, dass der Wärme¬
entziehung, die sich in der Herabsetzung der Körpertemperatur ausdrückt,
eine grosse Bedeutung zukommen kann, wenn er sagt, dass in der Störung
der Wärmeoconomie die Ursache der erhöhten Disposition liegt. Ich bin
der Meinung, dass eine solche die Körpertemperatur wesentlich herab¬
setzende Wärmeentziehung in praxi zumeist eine für das Zustande¬
kommen der Erkältung belanglose, nicht nothwendige und, wenn sie
überhaupt vorhanden, meist secundäre Erscheinung ist als Ausdruck
einer ganz besonders starken Schädigung. Sicherlich kommt die Er¬
niedrigung der Eigentemperatur, wie auch Lode sagt, nur bei einem ganz
geringen Procentsatz von Erkältungen vor. Die vorliegenden Thier¬
experimente gestatten keine entsprechenden Schlüsse.
Wir wissen, dass, wenn ein höher organisirtes Thier oder der Mensch
mit einem niedriger temperirten Medium in Berührung kommt, dieses
jenem Wärme zu entziehen trachtet. Bei leblosen Gegenständen, bei
Kaltblütern beginnt ein Ausgleich, der Warmblüter aber zeigt das Be¬
streben der Constanterhaltung seiner Eigentemperatur. Dies wird ihm
innerhalb weiter, individuell verschiedener Grenzen durch seinen Wärme¬
regulationsapparat ermöglicht. Er verhindert durch sein physikalisches
Regulationsverraögen, bestehend in der Hautgefässcontraction und in der
consecutiven Verminderung der in der Haut circulirenden Blutmenge, zu¬
nächst den Contact des Blutes mit der Kälte und damit grösseren
Wärmeverlust; je nach der Dauer und Intensität des Vorganges ist er
recht verschieden. Bei genügender physikalischer Regulation ist er gleich
Null, bei ungenügender oder versagender kann er sehr bedeutend werden;
naturgemäss ist die Temperatur der Haut, die von der Kälte direct ge¬
troffen und mit Blut schlecht versorgt wird, stets erniedrigt.
Man hat sich lange darüber gestritten, ob die physikalische oder
chemische Wärmeregulation für die Constanterhaltung der Eigentemperatur
ausschlaggebend sei. Bei diesen Untersuchungen mussten alle willkür¬
lichen Bewegungen, wie sie der Mensch bei intensiver Kälteeinwirkung
fast automatisch vornimrat, als Wärmequellen ausgeschaltet werden. Die
Discussion, an der sich Männer wie Zuntz, Röhrig, Pflüger, Voit,
Senator, Speck betheiligt hatten, fand ihren Abschluss durch eine
Arbeit Löwis 1 ), der zeigte, dass gegenüber dem physikalischen Verhalten
der Haut die chemische Regulation stark in den Hintergrund tritt. Bei
geringer Wärmeentziehung sei die Compensation durch Einschränkung
der Wärmeabgabe vollkommen, weniger vollkommen bei intensiver
Wärmeentziehung. Alsdann vermag aber die chemische Wärmeregulation
unter der Voraussetzung, dass das betreffende Individuum sich ruhig
verhält, also nicht durch Muskelbewegungen Wärme producirt, den Ver¬
lust bei Weitem nicht auszugleichen. So weist Alles auf die ausschlag¬
gebende Bedeutung der physikalischen Eigenschaften der Haut hin.
Es existiren aber auch eine Reihe von Thatsachcn, die beweisen,
dass Herabsetzung der Körpertemperatur durchaus nicht immer krank
1) Pflüger’s Arch. Bd. 4G. 18 ( J0.
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macht oder dass bei eintretender Erkältungskrankheit in Wirklichkeit
nicht immer eine solche vorhanden war. Die Frage ist eben die, ob in
jedem einzelnen Fall eine solche nöthig ist, und ob sie in jedem Fall
zu Erkältung führt. Diese Frage muss sicher verneint werden.
So berichtet Kn oll 1 ), dass er bei Kaninchen durch Infusion von
kalter physiologischer Kochsalzlösung (3—4° C., meist zwischen 0—2° C.)
die Rectaltemperatur innerhalb 107—150 Minuten um 12° bis auf 25°
erniedrigen konnte. Er beobachtete dabei Herabsetzung der Schlag¬
zahl des Herzens und Dehnung der Systole und bei rascher Er¬
niedrigung der Bluttemperatur (etwa 1° in 10 Minuten) eine Verringerung
der sonst bei Infusionen vermehrten Harnsecretion, aber keine Organ¬
veränderungen.
Einige abgekühlte Thiere Chodounsky’s blieben trotz Wärme¬
verlust bis zu 5° C. gesund. Die Temperaturmessungen bei meinen
eigenen später zu besprechenden Abkühlungsversuchen der Hinterbeine von
Hunden lassen eine Herabsetzung der Körpertemperatur als Grundbedingung
für das Zustandekommen einer Erkältungskrankheit kaum erkennen.
Bei langdauernden Operationen sinkt unter dem Einfluss der Narkose
die Körpertemperatur oft bis auf 35°; trotzdem hören wir nur selten
von postoperativen Erkältungskrankheiten, ist doch auch die Aetiologie
der Pneumonie nach Laparotomie noch nicht aufgeklärt!
Auch vom bacteriellen Standpunkt Hesse sich eine solche Annahme
nicht aufrecht erhalten. Die raenschenpathogenen Keime haben ihr
Optimum bei Körpertemperatur; und nun sollen sie erst dann ihre
Wirkung entfalten oder sich vermehren, wenn die Körpertemperatur unter
dieses Optimum gefallen ist? Ein solches Doppelspiel treibt die Natur
nicht. Der frühere Tod der abgekühlten und zugleich inficirten Versuchs-
thiere gegenüber den nicht abgekühlten ist gewiss auf die fortschreitende
Abkühlung zurückzuführen, die auch für sich allein den Exitus herbei¬
zuführen im Stande gewesen wäre. Solche Versuche haben mit Erkältung
sicher nichts zu thun.
Von den vielen hierher gehörigen Thierversuchen will ich nur an
den Pasteur’schen 2 ) Milzbrandversuch an den normaler Weise gegen
Anthrax immunen Hühnern erinnern, der Anfangs ganz falsch verstanden
wurde. Die Hühner, deren Normaltemperatur bei 39° liegt, erlagen der
Anthraxinfection erst, wenn sie auf 37° abgekühlt wurden. Der Effect
der Abkühlung war allerdings eine Herabsetzung der Körpertemperatur,
aber sie begünstigte oder ermöglichte die Infection lediglich dadurch,
dass sie das Huhn auf das Temperaturoptimum des Milzbrandbacillus
brachte. Die auf höherer Eigentemperatur beruhende Immunität des
Huhns existirt nicht gegenüber Milzbrandbacillen mit einem Temperatur¬
optimum bei 40—41°, deren Züchtung zuerst Dieudonne 3 ) gelang.
Von grosser Bedeutung für die Erkältungsfrage sind die Anpassungs¬
versuche. Nachdem Rosenthal festgestellt hatte, dass der wiederholte
1) Arch. f. exp. Path. Bd. 36.
2) Bull, de Pacad. de med. No. 12.
3) Arb. aus d. K. Gesundheitsamt. IX. 1894. S. 492.
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Aufenthalt in überhitzten Räumen bei Weitem nicht mehr so unangenehm
empfunden wird wie beim ersten Mal, zeigte Nasaroff 1 ), dass gut ge¬
nährte Thiere wiederholten Abkühlungen gegenüber schliesslich sich fast
refractär verhalten; der anfängliche Tcraperaturverlust von ca. 3° C.
nach eiskaltem Bad verminderte sich zusehends und betrug schliesslich
höchstens noch 0,5°, wenn es überhaupt zu einem solchen kam. Diese
Gewöhnung an Kälteeinwirkung, eine Umschreibung für Abhärtung, tritt
bei schlecht ernährten Thieren niemals ein. Während Nasaroff glaubt,
dass das Temperaturgleichgewicht hierbei durch die chemische Regulation
aufrecht erhalten würde, sind Drurig und Lode 2 ), welche die Ergeb¬
nisse Nasaroff’s bestätigen konnten, gestützt auf ihre Respirationsver¬
suche bei wiederholten kalten Bädern der Meinung, dass die verminderte
Wärmeabgabe ausschlaggebend sei; sie sagen ausdrücklich, dass der Vor¬
gang der Anpassung bei Hunden in physikalischen, nicht in chemischen
Leistungen des Organismus zu suchen sei und dass er in naher Be¬
ziehung zu jenem Erscheinungscomplex stehe, den man als Abkühlung
bezeichnet. Sie stellen sich vor, dass die durch Kälteeinwirkung hervor¬
gerufene Hauptgefässcontraction längere Zeit bestehen bleibe und der
Uebergang in den Zustand der Erweiterung immer etwas später erfolge.
An dieser Stelle seien auch die gewiss interessanten Untersuchungen
von Fürst 3 ) erwähnt über die anatomischen Vorgänge in der Haut nach
wiederholter Application von Kälte. Beim Menschen wie beim Säuge¬
thier überhaupt fand er eine Verdickung der Epidermis bis auf das Acht¬
fache, der Hauptsache nach bedingt durch starke Grössenzunahme der
einzelnen Zellen, in zweiter Linie durch vermehrte Neubildung derselben.
Das Corium blieb unverändert, an den Gefässen bestand nur Hyper¬
ämie, Exsudation war nicht vorhanden.
Es ist ausser Frage, dass diese für den Warmblüter experimentell
bewiesene Anpassungsfähigkeit ebenso wie die durch wiederholte Kälte¬
einwirkung hervorgerufene Epidermisverdickung von immensem Werth
sind; sie bilden die Grundlage dessen, was man Abhärtung nennt und
sind ein mächtiger Schutz gegen Erkältung, speciell zeigt das Ausbleiben
der Anpassung bei schlecht ernährten Thieren, für den Fall, dass es er¬
laubt ist, beim Thierexperiment gewonnene Erfahrungen auf den Menschen
zu übertragen, warum Menschen von schwacher Constitution oder in
schlechtem Ernährungszustand sich absolut nicht abhärten können und
schon bei der geringsten Herabsetzung der Aussentemperatur intensiv
frieren und frösteln. Ein „dickes Fell“ schützt eben vor Mancherlei.
Wenn auch entsprechende Untersuchungen am Menschen fehlen, so
spricht doch Alles dafür, dass die durch die Einwirkung des Erkältungs¬
factors bedingte Wärmeentziehung gering ist, von Ausnahmefällen abge¬
sehen nur die Haut trifft und für die Erkältungsfrage nicht in ihrer die
Körpertemperatur herabsetzenden Eigenschaft in Frage kommt, vielmehr
in ihrem rein physikalischen Effect auf die Haut. Dieser äussert sich,
1) Virchow’s Arch. Bd. 90.
2) Arch. f. Hyg. Bd. 39. 1900.
3) Zieglers Beiträge. Bd. 24. 1898.
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wie bekannt, in der Contraction der Hautgefässe. Die Folge ist die
Verdrängung des daselbst circulirenden Blutes, eine Anämisirung der
Haut. Die Zeitdauer dieser schwankt in uns unbekannten, individuellen,
aber durch Uebung und Gewöhnung modificirbaren Breiten. Es ist nicht
gesagt, dass dem Fortfall des Reizes die active Erweiterung der Haut¬
gefässe, die Regulirung der Circulation auf dem Fuss folgen muss. Mit
Bestimmtheit lässt sie sich erzielen, wenn wir sie nicht dem Organismus
selbst überlassen, sondern wenn wir einen starken Gegenreiz anwenden.
Bei langdauernder Einwirkung der Kälte kommt es zur Lähmung der
Vasomotoren, zur passiven Dilatation.
Winternitz hatte angenommen, dass das aus der Haut verdrängte
Blut sich in die benachbarten Muskelgebiete ergiesse, doch haben neuer¬
dings Ottfried Müller 1 ) und sein Schüler Bruns 2 ) durch pletysmo-
graphische Untersuchungen am Arm gezeigt, dass dies nicht der Fall
sei. Vielmehr findet die Rückstauung nach den inneren Organen statt.
Für das Lungengebiet und für das Gefässgebiet der Pia mater ist dies
längst experimentell bewiesen. Rossbach und Aschenbrandt 3 ) konnten
an der Katze, deren Trachea bis zur Bifurcation freigelegt war, deraon-
striren, dass Application eines Eisumschlags auf das Abdomen zunächst
eine raschest verschwindende Anämie, dann aber eine langanhaltende
Hyperämie, verbunden mit reichlicher Schleirasecretion, hervorrufe; er¬
setzten sie den Eisumschlag durch einen heissen Ziegelstein, so ver¬
schwand diese Hyperämie, um mit dem Auflegen von Eis wieder zu
erscheinen.
Die Versuche Schüller’s 4 5 ), der am Kaninchen bei Kälteapplication
auf die Haut active Erweiterung der freigelegten Gefässe der Pia mater
sah, wurden von Fredöric 6 ) bestätigt.
Erfahrungsgemäss ist das Respirationsgebiet, von der Nase ange¬
fangen, der Hauptsitz der Erkältungskrankheiten. Man könnte daran
denken, dass der Contact der Nasen- und vielleicht auch noch der
Nasen-Rachenschleirahaut, bei aufgehobener Nasenathmung auch des
Kehlkopfes, mit der kalten Luft die Ursache der Erkältungen sei. Sobald
aber die eingeathraete Luft die Nase passirt hat, dürfte sie dank der
vorwärmenden Function der Nase normaler Weise schon auf Körper¬
temperatur gebracht sein. Tritt ein Mensch in strenger Winterkälte in’s
Freie, so kommt es wohl innerhalb kurzer Zeit zu einer reichlichen Ab¬
sonderung aus der Nase Diese hat jedoch nichts mit einem Schnupfen
zu thun; denn es fehlen nicht nur die bekannten Prodroraalerscheinungen
der Coryza acuta, sondern auch der Verlauf ist ein anderer. Das Secret
ist dünnflüssig, wasserhell, beim Schnupfen zäh-schleimig und schliesslich
eitrig. Diese auf rein vasomotorischen, nicht entzündlichen Vorgängen
beruhende Hypersecretion nimmt mit dem Betreten eines temperirten
1) Leyden’s Zeitschrift. Decembcr 1907.
2) Leyden’s Zeitschrift. Docember 1907.
3) Monatsschr. f. Ohrenheilk. 1881.
4) Arch. f. klin. Med. Bd. 14. 1874.
5) Manipul. de phys. 1892.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 2‘2
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Raumes ein rasches Ende. Bei ausgesprochener Mundathmung reagirt
die Rachenschleimhaut beim Einathmen kalter Luft wie beim Genuss zu
kalter Getränke mit Kälteschmerz und wie die Nasenschleirahaut mit
vorübergehender Hypersecretion. Dass bereits vorhandene chronische
Reizzustände, Entzündungen durch locale Kälteeinwirkung exacerbiren,
dass Rachenkehlkopf- und Luftröhrenkatarrhe durch kalte Getränke,
Champagner, Eis stets verschlimmert * werden, ist als sicher an¬
zunehmen.
Sänger und Sängerinnen sehen bekanntlich in der Einwirkung von
kalter oder Zug-Luft unmittelbar nach einer anstrengenden Production
ihren ärgsten Feind; sie suchen sich durch Ausschaltung der Mund¬
athmung zu schützen, indem sie den Mund mit einem Taschentuch fast
hermetisch abschliessen. Weit wichtiger ist es aber, den ganzen Körper
zu schützen. Dass diese Kategorie von Menschen zu Laryngitiden be¬
sonders disponirt sind, lässt sich nach der herrschenden Anschauung mit
der durch Anstrengung oder Ueberanstrengung geschaffenen localen Dis¬
position im Larynx erklären. Dabei ist Erhitzung des Körpers kein un¬
bedingtes Erforderniss. Schliesslich verweise ich für diese Frage auf die
früher erwähnten Versuche von Heidenhain.
Wir müssen also auch für die mit der Aussenluft in directer Ver¬
bindung stehenden Organe annehmen, dass ihre Schädigung im Allge¬
meinen nicht auf dircctem Weg durch Einathmung kalter Luft erfolgt,
sondern indircct durch Einwirkung des Kältefactors auf die Haut, gleich¬
viel an welcher Stelle.
Das Respirationsgebict erscheint mir für das Studium des Er¬
kältungsproblems trotz seiner bevorzugten Stellung im Rahmen der Er¬
kältungskrankheiten am allerwenigsten geeignet, und zwar aus dem ein¬
fachen Grunde, weil in den oberen Luftwegen stets pathogene, wenn
auch nicht stets vollvirulcnte Keime vorhanden sind. So wenig in der
grössten Mehrzahl der Fälle an der Mitwirkung der ßacterien gezweifelt
werden kann, eben so wenig ist das Maass des Einflusses derselben ab¬
zugrenzen und zu fixiren, und cs dürfte kaum jemals gelingen, im Ex¬
periment fcstzustellcn, welcher Antheil in jedem einzelnen Falle von Er¬
kältung der Kältewirkung oder dem Bacterium zukorarat. Zwei weitere,
von der Wirklichkeit abweichende Punkte, die bei der Beurthcilung der
vorliegenden Versuche zur Vorsicht mahnen, sind die Art der lnficirung
und Abkühlung der Vcrsuchsthiere. Die Thiere werdon mit Keimen bekannter
Virulenz beschickt. Sind trotz der gleichen Giftigkeit die Resultate schon
verschieden, indem die einzelnen mit derselben Kultur inficirten Thiere
sich nicht gleichmässig verhalten, so ist ein Vergleich mit dem Alltäg¬
lichen auch deshalb nicht statthaft, weil die lnficirung vermuthlich mit
mehr Keimen geschieht als in praxi, und weil wir Keime von bekannter
Virulenz benützen, während uns von den im Einzelfall thatsächlich
parasitirenden Bacterien wohl die Pathogenität, aber nicht die Virulenz
bekannt ist.
Die Art und Weise, wie man die Abkühlung vornahm (Entfernung
der Haare, Erniedrigung der Körpertemperatur um 10° C.), entspricht
gleichfalls nicht der Wirklichkeit; die dadurch gesetzte Schädigung ist
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an sich so gross, dass man sich über den Ausgang der Versuche nicht
zu wundern braucht.
Wann die Keime, die für die Erkrankung in Frage kommen, sich
ansiedcln, darüber lässt sich nichts Bestimmtes sagen. Sie können zur
Zeit des Kältetraumas schon vorhanden gewesen sein, sie können sich
kurz vorher oder nachher festgesetzt haben. Dass die Nase und auch
die Mundrachenhöhle stets pathogene Keime enthält, ist längst fest¬
gestellt; weniger sicher und gewiss ist dies für die tieferen Respirations¬
wege. Zwar sagt Dürk, dass die Lunge nicht das keimfreie Organ ist,
für das man es gewöhnlich hält; aber dies ist nicht die Regel, und ich
verweise auf die Mittheilungen von Fr. v. Müller, nach denen von
anderer Seite vorgenommene Plattenimpfungen mit möglichst steril ent¬
nommenen Organtheilen negativ ausficlen. Ich erinnere auch an die
bereits erwähnten Einspritzungsversuche mit virulenten Pneumokokken
oder Pneumoniesputum in die Thiertrachea.
Ruhemann 1 ) nimmt hypothetische, bis jetzt noch unbekannte, für die
Erkältungskrankheiten specifische Keime an; er nennt sic kurzweg „Er¬
kältungserreger“. Sie sollen im Respirationsgebiet stets vorhanden sein
und entweder selbst oder durch ihre Toxine wirken.
Wenn wir also bei der Annahme bleiben, dass der latente Mikro-
bismus nur für die oberen Luftwege bewiesen ist, erhebt sich die Frage:
wie wirkt die Erkältung auf diese Keime ein? Wodurch werden sic
mobil? virulent? Wodurch wird die abgeschwächte Virulenz gesteigert?
Nur vereinzelt wird die Bedeutung des Kältemoments für völlig be¬
langlos gehalten und Erkältung mit lnfection identificirt (Chodounsky,
Kisskalt). Andere Autoren (Schenk, Ruheraann, Kohnstamm)
lassen immerhin eine, wenn auch nicht grosse oder gar ausschlaggebende
Bedeutung desselben zu und sagen, dass für das Zustandekommen
einer sogenannten Refrigerationskrankheit das Zusammentreffen zweier
Componenten nöthig sei, der mikrobischen und physikalischen Com-
ponente. Ohne mich auf die Dürk’schen Versuche, die bekanntlich
keine Bestätigung fanden, zu stützen, hoffe ich durch meine später zu
schildernden Versuche einwandfrei zeigen zu können, dass die mikrobische
Componente sicher nicht für alle Erkältungskrankheiten in Frage kommt,
und dass es auch Erkältungskrankheiten ohne bacterielle Mitwirkung
giebt.
Schon Runge 2 ) hatte deutlich ausgesprochen, dass lediglich das
Verhalten der Circulation nach Einwirkung der Kälte auf die Haut dar¬
über entscheidet, ob eine Erkältung zu Stande kommt oder nicht.
Allenthalben hält man daran fest, dass die Circulationsver-
schiebung, die unter dem Einfluss der Kältewirkung auf die
Haut eintretende Hyperämie im Respirationsgebiet von ein¬
schneidender Bedeutung für die Entstehung von Erkältungen
daselbst ist. Da nun Hyperämie an sich gesunde Organe nicht
krank macht, so muss sie, wenn sie überhaupt Einfluss haben
1) Ist Erkältung eine Krankheitsursache und inwiefern? Tbieme, Leipzig 1898.
2) Ziemssen’s Arch. Bd. XII.
22 *
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soll, in irgend einem Zusammenhang mit der Entwickelung
und Thätigkeit der Bacterien stehen.
Während Hofb au er 1 ) annimmt, dass sie zu vermehrter Ansiedelung,
zu vermehrter Anschwemmung von Keimen führe, behauptet Kisskalt 2 )
auf Grund von Versuchen, bei denen nach Durchschneidung von Nerven
mit vasomotorischen Fasern (Ischiadicus) und sich anschliessender In-
jection von Bacterien gerade im Verbreitungsgebiet dieser Nerven eine
arterielle Hyperämie und gleichzeitig eine auffallend starke Ansiedelung
von Keimen entstand, dass es sich um eine locale Vermehrung handelt,
begünstigt durch die bei der arteriellen Hyperämie im Gegensatz zur
venösen gesteigerten Alcalescenz des Blutes, welche die Gewebe schädige
und so den Boden für die Entwickelung der Bacterien schaffe, und
weiterhin begünstigt durch die in hyperämischen Bezirken verbesserten
Ernährungsbedingungen in Folge vermehrter Sauerstoffzufuhr.
Gegen die Annahme, dass diese Hyperämie die Entstehung von
Erkältungskrankheiten im Respirationsgebiet begünstige und die Ent¬
wickelung und Virulenz der Bacterien steigere, hat man neuerdings die
Bi er’sehe Lehre von der Hyperämie als Heilmittel in’s Feld geführt,
und dadurch eine völlig unbegründete Verwirrung hervorgerufen. Denn
in Wirklichkeit besteht durchaus kein Widerspruch.
Bier ging von dem Gedanken aus, die Hyperämie sei zwar ein
nützlicher Vorgang, aber so, wie sie auftrete, sei sie zu schwach, um
Entzündungen erfolgreich hintanzuhaltcn. Deshalb verstärkte er sie.
Während er ursprünglich nur die künstlich gesteigerte arterielle Hyperämie
anwandte, musste er sich bald von der Ueberlegenheit der venösen
(Stauungs-) Hyperämie überzeugen, weiterhin auch davon, dass die An¬
wendung der arteriellen Hyperämie bei acuten Entzündungen sehr viele
Misserfolge brachte. Deshalb empfiehlt er bei acuten, resp. bakteriellen
Erkrankungen die Stauungshyperämie, bei chronischen Entzündungen, resp.
deren Folgezuständen die arterielle Hyperämie. Letztere wirkt resorbirend
z. B. bei chronischen Gelenkentzündungen, ersterc heilend auf Infections-
krankheiten. Die entzündliche Hyperämie ist nach Bier in letzter Linie
nicht activ, sondern passiv 8 ), der Entzündungsreiz verwandelt den an¬
fänglich schnelleren Blutstrom allmählich in einen langsameren. Dann
erst, wenn es zur Stroraverlangsamung gekommen ist, beginnt die Aus¬
wanderung der Leukocyten, der Durchtritt von Serum, dann erst ent¬
faltet die Hyperämie bei acuten Entzündungen ihre Heilwirkung.
Bier sucht auch die längstbekannte Thatsache, dass nach gewaltigen
Anstrengungen, welche ja mit functioneller Hyperämie einhergehen, nicht
selten Infectionskrankheiten an den überanstrengten Theilen entstehen,
mit seiner Lehre in Einklang zu bringen und sagt, die. functionellc
Hyperämie in den durch Ueberanstrengung geschädigten Geweben sei
eben nicht im Stande, die Entstehung jener Krankheiten zu verhindern;
die Natur verwende ihre volle Kraft stets nur auf eine Function, in
1) Wiener klin. Wochenschr. 1899. No. 5.
2) Arcli. f. llvg. Bd. 39.
3; Bier, Hyperämie als Heilmittel. G. Aull. S. *227.
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unserem Falle auf die Arbeit, und habe deshalb für die Abwehr von
Erkrankungen nichts mehr übrig.
Dass Hyperämie nicht vor Infection, vor Entzündung schützt, dafür
lassen sich auch Beispiele anführen. Ebenso selten, wie die Mamma in
der Norm der Sitz von Infectionen ist, ebenso häufig entstehen Abscesse
bei stillenden Frauen, und niemand zweifelt, dass die Mamma in der
Lactationsperiode bereits hyperämisch ist. Dabei ist die künstlich ge¬
steigerte Hyperämie, die Stauungshyperäraie, rechtzeitig an¬
gewandt, das beste Heilmittel. Eine eben erst abgeheilte oder
chronische Gonorrhoe flackert sehr oft nach Erectionen oder nach einem
Coitus wieder auf, beides doch gewiss mit Hyperämie verbundene Zu¬
stände.
Aus diesen Ausführungen erhellt, dass die Bier’sche künstlich
gesteigerte Hyperämie mit der durch Kälteeinwirkung auf die
Haut im Respirationsgebiet entstehenden nicht das Geringste
zu thun hat, und dass die Bier’schc Lehre in keiner Weise
gegen die Anschauung, dass diese Hyperämie mit der Ent¬
stehung von Erkältungen im Zusammenhang stehe, verwerthet
werden kann. Selbst wenn man diese Beziehung nicht an¬
erkennen will, muss man mindestens zugeben, dass sie sicher
kein Hinderniss bildet. Wenn also Strasser 1 ) in Verneinung der
Bedeutung der collateralen Hyperämie sagt, dass die Bakterien um so
besser bekämpft würden, je mehr Blut dahin käme, je besser die Cir-
culation in dem inficirtcn Gebiet aufrecht erhalten würde, so widerspricht
dies geradezu der Bier’schen Lehre. Er nimmt dafür an, dass der
Erkältungsfactor trophische Veränderungen in der molekularen Structur
der Gewebe hervorrufe, so dass „die Zellen in ihrer protoplasmatischen
Energie verändert, die normale Widerstandskraft nicht mehr entwickeln.“
Menzer 2 ), der in der Infection wohl ein wichtiges, aber nicht das
wichtigste ätiologische Moment für die Erkältungskrankheiten sieht, spricht
der Frühjahrswärme die Kraft zu, „chronische oder latente Leiden in ein
acutes Stadium überzuführen“ und so Erkältungen auszulösen. Er hat
hauptsächlich die von den oberen Luftwegen ausgehenden Erkrankungen
im Auge, aber auch Gelenkrheumatismus und Pneumonie. Besonders die
Einathmung kalter Luft scheint ihm gefährlich, weil sie eine Anämie und
Austrocknung herbeiführe. Auch bei Einwirkung von Kältereizen auf die
flaut soll nach Menzels unzulänglichen Untersuchungen an Menschen
Anämie der Respirationsschleimhaut eintreten. Dieses Zurücktreten des
Blutes von den oberen Luftwegen bewirke eine Verminderung der Wider¬
standsfähigkeit (Abnahme der Secretion, Zellauswanderung usw.) gegen¬
über den schon in Folge früherer Erkrankungen mehr oder weniger
virulenten oder mehr oder weniger im Gewebe eingenisteten Bakterien.
Diese verminderte Widerstandsfähigkeit lässt die Keime im Gewebe
energischer vorwärtsdringen, die dann folgende Krankheit (Schnupfen,
Angina und dergl.) sei der Ausdruck der „Heilreaction“.
1) Strasser, Erkältung und Abhärtung. Deutsche Klinik. Bd. 1 . S. 624.
2) Menzer, Deutsche militär-ärztliche Zeitschrift. Heft l. 1008.
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Menzer, gleichfalls unter dem Einfluss der falsch verstandenen
Bier’schen Lehre stehend, verwechselt im Uebrigen auch die gewöhn¬
liche Anämie mit der reflectorischen durch Gefässcontraction entstandene
Blutleere. Dass eine solche die Entwicklung und das Vorwärtsdringen
von Keimen begünstigt, müsste erst noch bewiesen werden.
Ruhemann 1 ) versucht in einer staunenswerth fleissigen Arbeit die
Erkältungskrankheiten, die nach seiner Auffassung als Infectionskrank-
heiten entweder versteckte Influenzen sind oder durch seine hypothetischen
Erkältungserreger resp. deren Toxine bedingt werden, in Abhängigkeit
von der Sonnenscheindauer, der baktericiden Kraft des Sonnenlichts zu
bringen. Er liefert den statistischen Beweis für die altbekannte Wahr¬
heit, dass das Wetter von grösstem Einfluss auf den Gesundheitszustand
ist, dass an Tagen mit schlechtem Wetter, also auch mit relativ geringer
Sonnenscheindauer Erkältungen häufiger sind. Er geht aber zu weit,
wenn er auf Grund seiner Statistik eine Gesetzmässigkeit construirt.
Sein Satz von dem umgekehrten Verhältniss der Morbidität zur Zahl der
Sonnenscheinstunden lässt sich bei genauerem Studium seiner Tabellen
aus diesen selbst widerlegen.
Eine Thatsache geht aus den bisherigen Darlegungen klar
und deutlich hervor, nämlich die, dass es trotz zahlreicher
und umfangreicher Arbeiten noch nicht geglückt ist, das Er¬
kältungsproblem einwandfrei zu lösen. Die angestellten Versuche
sind den thatsächlichen Verhältnissen auch entfernt nicht angepasst, so
dass die Resultate grösstenteils nur mit Vorsicht gedeutet werden dürfen.
Theoretische Erwägungen allein sind aber ebensowenig im Stande, Klar¬
heit zu bringen. Wir haben die widersprechendsten Anschauungen kennen
gelernt, von denen eigentlich keine recht befriedigen kann. Lode 2 )
scheint die am meisten befriedigende Erklärung zu geben, wenn er sagt:
„Den Erkältungskrankheiten liegen sicherlich nicht einheitliche Vorgänge
zu Grunde. Vielfach spielen sie in das Gebiet der reflectorischen Se-
cretionsstörungen, vielfach scheint ein bloss zufälliges Nacheinander von
Erkältung und Erkrankung unser Urtheil zu trüben. In manchen Fällen
dürften reflectorisch ausgelöste Veränderungen der Schleimhäute die
Wucherung der Krankheitserreger begünstigen, zum Theil scheint jedoch
die Erkältung eine directe Schädigung der Widerstandskraft des Körpers
zu bedeuten.“ Wenn er fortfährt, „indem sie zur Herabsetzung der
Eigenwärme führt,“ kann man ihm freilich nur für die selteneren Fälle
zustimmen; umsomehr aber muss der Einfluss der veränderten Blut-
circulation in Folge der Kälteeinwirkung betont werden, an dem wir fiir’s
Erste festhalten müssen.
Kürzer fixirt Strasser seinen Standpunkt: „Kälteeinwirkung kann
auf trophischem oder vasomotorischem Wege zu Störungen in den
Geweben führen und diese Störungen können entweder selbst Krankheits¬
erscheinungen auslösen oder den Boden für bacteritische Infections-
krankheiten vorbereiten.“
1) Ist Erkältung eine Krankheitsursache und inwiefern? 1898.
2) Archiv f. Hygiene. Bd. 28.
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Abkühlung als Krankheitsursache.
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Wie sich denken lässt, hat man auch Untersuchungen des
Blutes vorgenommen und aus ihnen weitere Aufschlüsse zu erhalten
versucht.
Die von Winternitz 1 ) und seinen Schülern festgestellte Vermehrung
der rothen Blutzellen unter dem Einfluss hydrotherapeutischer Proceduren
ist keine wirkliche, absolute, sondern nach Winternitz auf eine Ueber-
schwemmung des Körpers mit Blutzellen aus solchen Organen zurückzu¬
führen, in denen unter gewöhnlichen Bedingungen Stauungen, Anhäufung
von Blutzellen stattfinde, und von wo unter günstigeren Circulations-
verhältnissen die stagnirenden Zellen in den Kreislauf geworfen würden.
Auch Friedländer machte lediglich die veränderte Vertheilung der Blut-
zellcn in den verschiedenen Gefässprovinzen für die scheinbare Vermehrung
verantwortlich.
Reineboth und Kohlhardt 2 3 ), welche Kaninchen einfach mit den
Händen oder auf dem Spannbrett fixirt fünf Minuten lang in Eiswasser
untergetaucht hielten, fanden, dass diese Abkühlung (um 10—15° C.)
die rothen Blutzellen des kreisenden Blutes schädigt und zu einer bereits
während der Abkühlung beginnenden, verschieden lang dauernden Hämo-
globinämie führt. Die Alteration der rothen Blutzellen drückt sich früh¬
zeitiger im Hämoglobin Verlust des Blutes aus als in der Verminderung
der Zahl der rothen Blutkörperchen. Diese wird erst bei wiederholter
Abkühlung erheblich beeinflusst, und es entsteht zuerst ein chlorotischer,
dann ein anämischer Zustand.
Diese Befunde wurden von Grawitz 8 ), der bei dieser Gelegenheit
seine früheren Versuche nachprüfte, aufs schärfste angegriffen. Grawitz,
der nur eine vermehrte Concentration des Serums, aber keine Härao-
globinämie feststellen konnte, führte die Resultate Reineboth’s und
Kohlhardt's auf mangelhafte Versuchsanordnung und Methodik zurück,
doch fand, wie Zillesen 4 ) berichtet, auch Nebelthau nach sehr
heftigen Abkühlungen schwache Hämoglobinämie.
Für die Erkältungsfrage kommen diese Befunde, selbst wenn man
die Autorität von Grawitz nicht anerkennen wollte, schon wegen der
excessiven Abkühlung nicht in Frage; ebensowenig kann man sie, wie
Strasser, mit der paroxysmalen Hämoglobinurie in Zusammenhang
bringen, die nur bei Menschen, bei diesen aber schon durch Abkühlung
eines Fingers oder einer Hand entsteht, und die sich nach Lichtheim
am Thier experimentell bisher noch nicht hervorrufen Jiess.
Demnach spielen Veränderungen der Blutzellen in Folge der Kälte¬
einwirkung für die Genese der Erkältungskrankheiten keine Rolle. Von
grösserer Bedeutung schienen die Resultate der entsprechenden sero¬
biologischen Forschungen zu sein, wie solche von Lode, Nagelschmidt,
Trommsdorff, Lissauer vorliegen.
1) Centralbl. f. innere Med. 1893. No. 49.
2) D. Arch. f. kl. Medicin. LXV. 1 u. 2. 1899.
3) Zeitschr. f. kün. Medicin. 1891. XXL und Centralbl. f. innere Medicin.
1899. XXI.
4) Ueber Erkältung als Krankheitsursache. Marburg 1899.
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Nagelschmidt 1 ), der in der Ausschaltung der vorhandenen Ab¬
wehrvorrichtungen den Effect der Kältewirkung beim Zustandekommen
von Erkältungen sieht, prüfte das Verhalten der hämolytischen und
bactericiden Kraft des Kaninchenserums gegenüber Hamraelblutkörperchen
unter dem Einfluss der Abkühlung. Nachdem den Thieren Blut ent¬
nommen war, wurden sie 20—30, mitunter auch 45 Minuten lang bis
an den Hals, in Wasser von 5 — 7° C. untergetaucht gehalten, dann ober¬
flächlich abgetrocknet und in den Stall gesetzt. Manche Thiere gingen
bald darnach ein, andere blieben länger am Leben oder erholten sich
ganz. Die Blutentnahme nach dem Bad fand zu verschiedenen Zeiten
statt. Es zeigte sich bei der Mehrzahl der Thiere die hämolytische
Kraft bedeutend herabgesetzt, so dass mitunter das Fünffache der vor
der Abkühlung complett lösenden Dosis die gleiche Hammelblutkörperchen-
aufschwemraung nach der Abkühlung noch nicht complett löste. Nicht
alle Versuche waren in gleicher Weise positiv, manchmal trat sogar der
umgekehrte Effect ein, die hämolytische Kraft war erhöht. Nagel¬
schmidt erklärt diese Erscheinung durch Regeneration, resp. Ueber-
production von Hämolysinen. Dabei fiel ihm „die starke Variabilität
seiner Resultate analog den klinischen Beobachtungen am Menschen“
auf, er constatirte die gleiche „individuelle Variabilität“, also das, was
man ebenso gut individuelle Disposition nennen kann.
Dasselbe Verhalten boten die Hämolysine von Kaninchen, die mit
Hammelblut vorbehandelt waren.
Eine weitere Versuchsreihe machte Nagelschmidt an einem wider¬
standsfähigeren Thier, einer 25 kg schweren Ziege, die er bis an den
Hals in einem Holzzuber mit Wasser bei 7—8° C. 30 Minuten lang
hielt. Die Ziege war nach dem Bade völlig steif, zwei Stunden später
völlig erholt. Auch in diesem Versuch kam es zu fast völligem Verlust
der hämolytischen Fähigkeit bis zum Siebenfachen der vorher complett
lösenden Dosis.
Bei dem 3 Tage später an demselben Thier wiederholten Versuch
machte sich bereits die Gewöhnung geltend: die hämolytische Kraft war
vor und nach der Abkühlung bedeutend stärker als beim ersten Versuch,
das Befinden der Ziege nach dem Bade besser.
Die bactericide Fähigkeit (Bac. coli, Hühnercholera, Typhus,
Staphylokokken und Streptokokken) war bald herabgesetzt, bald unver¬
ändert, bald vermehrt.
Ein Parallelismus zwischen hämolytischer und bactericider Function
war nicht festzustellen.
Nagelschmidt war sich wohl bewusst, dass die intensive Art
seiner Abkühlungen mit einer thatsächlichen Erkältung nichts zu thun
hat; er überträgt seine Resultate nicht auf dieses Gebiet, sondern sucht
bloss einen Beitrag zur Erklärung der Wirkung von Erkältungsmomenten
für das Zustandekommen von Infectionskrankheiten zu liefern. Abhärtung,
Gewöhnung ist für ihn „nichts Anderes als dauernde oder vermehrte
1; Beitr. z. kl. Med. 1904. (Fcstschr. f. Senator).
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Production von Antikörpern gegenüber den Infectionserregern und deren
Toxine. u
Lode 1 ) konnte keine Beeinflussung der bactericiden Kraft beim
Meerschweinchen und Kaninchen constatiren.
Lissauer 2 ) sah bei seinen in Wasser abgekühlten Kaninchen in
fast allen Fällen eine zum Theil sehr bedeutende Abnahme der hämo¬
lytischen Fähigkeit; Erwärmung steigerte sie. Daraus gewinnt er „die
Vorstellung, dass die Erhöhung oder Herabsetzung der Disposition, wie
sie Abkühlung, bezw. Erwärmung des thierischen Organismus zur Folge
hat, auf einer Vermehrung oder Verminderung der im Körper vorhan¬
denen Schutzstoffe beruht . u Zur Kritik dieser Vorstellung bedarf es nur
des Hinweises darauf, dass Erkältungskrankheiten oft, nach manchen
Autoren ausschliesslich, bei erhitztem Körper auftreten, also gerade in
dem Zustande, in welchem nach Lissauer die Schutzstoffe erheblich
verstärkt sind.
Trorarasdorf 3 )', der seine Kaninchen und Meerschweinchen in
rasirtera oder geschorenem Zustande in Wasser oder durch Fesselung
bei einer Aussentemperatur von 1—2° C. abkühltc, erhielt sowohl bei
seinen bactericiden als auch bei seinen hämolytischen Versuchen nur
negative Resultate. Dagegen stellte er eine starke Beeinträchtigung der
Einwanderung und Fressthätigkcit der Leukocyten, der Lyse injicirter
Bacterien fest, die er durch Mangel an Alexinen erklärt, was man zwar
nicht beweisen könne, aber auf Grund anderer Untersuchungen doch
anzunehmen berechtigt sei; es „versagten eben die Alexinquellen der
durch die Abkühlung in ihrer Resistenz geschwächten Thiere.“
Für Tromrasdorf spielt Abkühlung dieselbe Rolle wie Ermüdung,
Hunger oder längere Zeit fortgesetzter Alkoholgenuss, Factoren, welche
die Empfänglichkeit für Infectionskrankheiten, zu denen er auch die
Erkältungen zählt, erhöhen. Doch ist man sich auch hierüber nicht
völlig einig, da z. B. französische Autoren die Widerstandskraft durch
Hunger gesteigert fanden; was den Alkohol betrifft, so sah C. Fraenkel 4 )
sowohl nach einmaliger als auch ira Gegensatz zu Anderen nach mehr¬
maliger Darreichung einen günstigen Einfluss auf die specifisch bacterio-
lytischen Fähigkeiten.
So interessant diese Versuche auch sind, so beweisen sie meines Er¬
achtens für die Genese der Erkältungskrankheiten selbst für den, der in
den Erkältungen vorwiegend Infectionskrankheiten sieht, recht wenig.
Wie bereits früher auseinandergesetzt, ist für das Zustandekommen von
Erkältungen wesentliche Herabsetzung der Körpertemperatur durchaus
nicht nöthig. Nagelschraidt wie auch Trommsdorf erzielen ihre
Resultate aber nur bei einem Wärmeverlust, an dem ein Theil der Thiere
sofort oder nachträglich zu Grunde geht. Dass unter solchen Bedingungen,
1) Arch. f. Hyg. 1897. Bd. 28.
2) Arch. f. Hyg. 1907. Bd. 63.
3) Arch. f. Hyg. 1906. Bd. 59.
4) Berl. kl. Wochenschr. 1905. No. 56.
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die einen schweren Eingriff in die Lebensfähigkeit des Organismus be¬
deuten, auch die biologischen Eigenschaften des Blutes leiden müssen,
ist ohne Weiteres verständlich; es bleibt aber bei den oft recht wider¬
sprechenden Resultaten mehr als fraglich, ob die Autoren bei einer der
Wirklichkeit mehr angepassten Versuchsanordnung Aenderungen gefunden
hätten, andererseits dürften Aenderungen im biologischen Verhalten, die
so gering sind, dass sie sich durch die heutigen feinen Methoden nicht
nachweisen lassen, keinen besonderen Einfluss auf das gesundheitliche
Gleichgewicht ausüben.
Auffällig ist, dass Trommsdorf überhaupt keine Aenderung der
bactericiden Kraft feststellen konnte; um so überraschender ist es, dass
er in dem Verhalten der Säfte das Wesentliche auch für die Entstehung
der Erkältungskrankheiten sieht. Er betrachtet „die arterielle Hyperämie
einzelner Körpertheile, beziehungsweise der Schleimhäute, nur als die
Resistenzherabsetzung unterstützende, deshalb in diesen Fällen nicht
minder wichtige Factoren.“ Man kann ihm kaum beistiramen, wenn er
der Abkühlung der Haut, so wie sie zu Erkältungen führt, die gleiche
Bedeutung wie dem Hunger und der IJebermüdung zuspricht. Diese
beiden Zustände führen zu abnormen Vorgängen im Körper, zu einem
Mehrverbrauch ohne genügenden Ersatz, zur Verminderung der Blut-
alcalescenz, zu einer Acidosis, zu einer thatsächlichen Herabsetzung der
hämolytischen und bacteriolytischen Kraft des Blutes. Solche Verände¬
rungen kann man von den oft recht geringfügigen zur Erkältungs¬
krankheit führenden Kälteeinflüssen nicht erwarten.
Wie man sich vollends die Wirkung „des Versagens der Alexin¬
quellen, der Beeinträchtigung der Einwanderung und Fressthätigkeit der
Leukocyten a auf jene Erkältungskrankheiten vorstellen soll, die nicht
durch Bacterien oder deren Toxine, sondern einzig und allein durch
vasomotorische Störungen, Veränderungen der Blutversorgung hervorge¬
rufen werden, vermag man schlechterdings nicht zu sagen.
Nicht einmal die Frage der Disposition ist durch diese Versuche
geklärt. Dass eine solche auch bei Erkältungen eine grosse Rolle spielt,
scheint mir über allen Zweifel erhaben. Wie anders soll man es sonst
erklären, dass trotz gegebener Infectionsmöglichkeit (latenter Mikrobismus)
und trotz gleichzeitigem Kältetrauma nicht in jedem Fall eine Erkältung
eintritt? Nagelschmidt spricht ja auf Grund seiner so verschieden¬
artigen Resultate auch von dieser individuellen Variabilität, ohne sie er¬
klären zu können. Diese ist nichts Anderes als der gemeinhin Disposition
genannte Zustand, der durch die Constitution des Individuums bedingt,
aber auch erworben sein kann. Worauf er beruht, wissen wir noch
immer nicht mit Bestimmtheit, für die Erkältungen spielt zweifellos die
Beschaffenheit und das Verhalten der Vasomotoren eine grosse Rolle.
Dies geht schon aus den früher erwähnten Anpassungsversuchen, aus
der Möglichkeit der Abhärtung hervor. Freilich wird letztere nie eine
absolute sein, sie kann sogar durch das, was wir Verweichlichung
nennen, wieder verloren gehen; die Verweichlichung macht sich alsdann
in einer Ueberempfindlichkeit der Haut gegenüber den geringsten
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Schwankungen der Aussenteraperatur geltend und führt beim geringsten
Anlass zu Erkältungen. Lernt die Haut gewisse Kältereize nicht
empfinden oder rasch ausgleichen, so ist sie abgehärtet; darin sehen wir
den besten Schutz, der Mangel dieser Fähigkeit bedeutet eine stete Ge¬
fahr. Was sollen da die Complemente? die Alexine?
Die Disposition kann allgemeiner, den ganzen Körper treffender
Natur sein, bei vielen Menschen ist sie lokaler Art und zwar in der
Weise, dass ein bestimmtes, früher schon einmal erkranktes Organ oder
ein Körpertheil als locus minoris resistentiae immer wieder allein auf
den Erkältungsreiz reagirt. Dabei ist die Wirkung eine so prompte,
innerhalb weniger Stunden oft ohne jede Prodromalerscheinungen auf¬
tretende, dass man sich bei der Schnelligkeit der Entwicklung beim
besten Willen nicht einen Einfluss von Bakterien oder deren Toxinen
vorstellen kann (manche Fälle von Schnupfen, Darmkatarrhe, Ischialgie,
Muskelrheumatismus).
Auch die Vertreter des extrem bakteriellen Standpunktes sahen
diese Lücke in der Kette der Beweise für ihre Auffassung und damit die
Nothwendigkeit der Annahme einer Disposition. Fick 1 ) sieht sie in
einer latent bereits vorhandenen Krankheit, welche durch die Erkältung
in eine manifeste verwandelt wird, Ruhemann 2 ) in der Anwesenheit der
pathogenen Keime, und Kisskalt endlich in der durch die Kälteein¬
wirkung auf die Haut entstehenden Hyperämie der inneren Organe. Was
also Ruhemann für Disposition hält, ist für Kisskalt die Ursache der
Erkältungskrankheit und umgekehrt; kein Wunder, wenn keine dieser
Definitionen Beifall findet. Leider vermögen auch wir keine Erklärung
zu geben; doch giebt uns dieser Umstand keineswegs die Berechtigung,
eine Erscheinung, die sich jedem denkenden Menschen täglich von Neuem
aufdrängt, weil unerklärbar, als bedeutungslos zu betrachten.
Aus demselben Grunde ist es durchaus nicht angängig, wie es von
verschiedenen Seiten geschieht, zu behaupten, dass Kälteeinwirkung
für sich allein unmöglich krank machen könne. Das Respirations¬
gebiet kann wegen des latenten Microbismus, wegen der steten Com-
raunication mit der keimhaltigen äusseren Luft zur Entscheidung dieser
Frage gar nicht herangezogen werden; denn so wenig wie man den Ein¬
fluss der Bakterien hier bestreiten kann, ebenso wenig ist man im Stande,
ihn abzugrenzen und zu fixiren. In anderen Gebieten sind aber Er¬
krankungen im Anschluss an Kältetraumen völlig eindeutig beobachtet.
So pflegte Leube in seinen Vorlesungen stets zu erzählen, dass er ein¬
mal gelegentlich einer Eisenbahnfahrt im Winter am offenen Fenster ge¬
sessen und dass einige Stunden später an der dem Zugwinde zugekehrten
Gesichtshälfte eine bald vorübergehende Facialislähmung aufgetreten sei.
Für den Muskelrheumatismus gilt Erkältung gleichfalls als Ursache.
Ru he mann selbst hält hier Bakterien Wirkung für ausgeschlossen und
nimmt Toxine seiner hypothetischen Erkältungserreger als Aetiologie an;
1) Ueber Erkältung. 1887. Zürich.
2) S. 82.
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möglich, dass Untersuchungen von Kraskc 1 ) hier eine acceptable Er¬
klärung geben; er fand nach wiederholter Kälteeinwirkung auf quer¬
gestreifte Muskeln eigenthümlichc Veränderungen; nämlich massenhaften
Zerfall der contractilen Substanz und lebhafte- Regencrationsvorgänge in
der Umgebung, so dass an Stelle der Muskulatur mehr oder weniger
Narbengewebe tritt. Leyden-Goldscheider 2 ) sagen, dass „die Be¬
deutung der Erkältung für die Entstehung gewisser Rückenraarks-
erkrankungen nicht in Abrede gestellt werden kann.“ Ferner hält die
Klinik allenthalben, gestützt auf die Erfahrungsthatsachen, unentwegt
daran fest, das Erkältung und zwar Durchnässung zu einer acuten
parenchymatösen Nephritis führen kann. Freilich lagen bisher einwandfreie
experimentelle Belege nicht vor; aber wie oft fanden gerade in der Medicin
längst feststehende empirische Beobachtungen erst sehr spät ihre wissen¬
schaftlich begründete Bestätigung!
Nur Lassar, R. Winternitz und Zillessen hatten bei ihren Ab¬
kühlungsversuchen Nierenveränderungen gefunden. Wie früher erwähnt,
constatirte Lassar bei seinen Kaninchen Albuminurie und daneben spär¬
liche Ausscheidung von hyalinen Cylindern. Die Albuminurie dauerte
bald nur einige Tage, bald wochen- und monatelang, ja manchmal bis
zum Tode. Mikroskopisch waren interstitielle Entzündungen vorhanden,
vorwiegend in Nieren und Leber, aber auch in Lunge, Herz und sogar
in den Nervenscheiden. „Das Parenchym der entzündeten Organe selbst
war ohne jede Veränderung geblieben. Nirgends hatte der geringste Zer¬
fall oder eine Degeneration Platz gegriffen, dagegen waren die Gefässe,
namentlich in Lunge und Leber oft enorm dilatirt, die Arterien mit
thrombotischen Massen angefüllt.“ Die gleichen Resultate erhielt Lassar
auch bei nicht enthaarten Kaninchen und Hunden in den allerersten
Lebensmonaten bei sonst gleichbleibender Versuchsanordnung.
R. Winternitz 3 ) constatirte bei seinen vergleichenden Untersuchungen
über Firnissung und Abkühlung sehr oft, wenn auch nicht immer,
Albuminurie, Ausscheidung von granulirten und Epitheleylindern. Je länger
die Thicre am Leben erhalten werden konnten, um so intensiver war die
pathologische Beschaffenheit des Nierensecretes. Hin und wieder zeigten
die Nieren Veränderungen und zwar im Ganzen stärker, wenn der Ab¬
kühlungstod später eingetreten war: trübe Beschaffenheit der gewundenen
und Schleifenkanälchen, Quellung der Epithelzellen, geringere Färbbarkeit
der Kerne und sehr vereinzelt Kern- und Epithelnekrose, Veränderungen,
welche Winternitz durch künstliche Abkühlung der Niere ebenfalls,
wenn auch in anderer Localisation und Stärke zu erzielen vermochte.
Zillessen 4 ) fand bei 13 bis auf 28 0 C. abgekühlten Kaninchen nur
3 Mal Nierenveränderungen, E. Fischl 5 ) überhaupt keine.
Es leuchtet ohne Weiteres ein, dass diese Versuche einer Kritik be-
1) Cit. nach Samuel, Eulenb. Realencyklop.
2) Nothnagel, Handbuch X. S. 189,
3) Archiv f. experim. Pathol. Bd. 33.
4) Erkältung als Krankheitsursache, Inaug.-Dissert. Marburg. 1899.
5) Zeitschr. f. Heilkunde. Bd. XV11I. 4.
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züglich ihrer Beweiskraft für die Erkältungsnepliritis nicht Stand zu
halten vermögen.
Zunächst ist es auch hier wieder die die Thiere z. Th. dem Er¬
frierungstod nahe bringende Versuchsanordnuug, welche eine Parallele
mit Erkältung ausschliesst. Dann aber muss den Lassar’schen Ver¬
suchen gegenüber betont werden, dass Albuminurie und Vorhandensein
hyaliner Cylinder, noch dazu beim Kaninchen, das oft schon normaler
Weise Albumin ausscheidet, noch keine acute parenchymöse Nephritis be¬
deutet. Dass eine solche auch thatsächlich nicht vorlag, geht aus dem
Obductionsprotokoll klar hervor, in dem ausdrücklich vermerkt ist, dass
das Parenchym der entzündeten Organe ohne jegliche Veränderung ge¬
blieben war. Die interstitiellen Entzündungen, die Lassar in allen
Organen, sogar im Herz und in den Nervenscheiden gefunden hat, haben
gewiss keine Beweiskraft. Man muss eben auch bedenken, dass das
Bindegewebe besonders beim Kaninchen schon normaler Weise reich¬
licher entwickelt ist als beim Menschen. Auch wäre es möglich, dass
durch das Festhalten der Thiero bis zum Halse im kalten Wasser, was
ja nicht anders möglich ist, als durch Umspannen und Coraprcssion des
Thorax mit den Händen, die Albuminurie erzeugt oder doch beeinflusst
wurde, analog den Com pressionsversuchen Schrei ber’s 1 ) am Menschen.
Die R. Wintcrnitz’schen Versuche haben mit Erkältung überhaupt
nichts gemeinsam, die Thiere gingen an progredienten Wärmeverlust zu
Grunde, erfroren. Auch die Experimente Zillcsscn’s sind nicht ohne
Weiteres als beweiskräftig anzusehen. Ebensowenig liefern meine eigenen
ersten Versuche in dieser Richtung einen experimentellen Beweis. Ich
hatte damals beim Hunde eine Niere in Narkose freigelegt und mit Eis¬
stückchen gekühlt. Da diese Versuche bisher noch nicht in extenso
publicirt worden sind, mögen sie hier Platz finden:
I. Versuch.
Hund No. 8 2 ), weiblicher Foxterrier, ca. s / 4 Jahre alt, Gewicht 13 Pfund 100 g.
19. —20. 3. 07. 300 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Kein Albumen, kein Zucker.
20. —21. 320 ccm Urin, 1019 spec. Gew. Ohne Befund.
Am 21. Nachmittags 5 Uhr wird in Morphium-Aethernarkose die rechte Niere
durch Schnitt vom unteren Rand der 12. Rippe nach abwärts und aussen freigelegt,
ln einem dünnen Gazebeutel werden Eisstückchen auf die Niere gebracht und bleiben
25 Minuten liegen, das sich bildende Eiswasser wird ununterbrochen mit Gazetupfer
aufgesaugt und entfernt. Nach Beendigung der Operation Einstreuen von etwas
Jodoform, Naht; Heilung per primam, glatter Verlauf.
21. —22. Kein Urin, kein Husten, hat sich Abends bereits erholt; ist am 22.
völlig munter, säuft 300 ccm Milch -f- 300 ccm Wasser. Temp. am 22. 38,40° C. 3 )
22. -23. 270 ccm Urin, 1041 spec. Gew. Thier sehr munter, frisst gut. Wunde
nirgends druckempfindlich, heilt gut. Albumen -(-, im Sediment hyaline und
granulirte Cylinder, Nierenepithelien, ganz vereinzelte Erythrocyten. Temp. am 23.
Abends 39,3° C.
1) Archiv f. experinr. Pathol. Bd. 19 u. 20.
2) Hund 1—7 waren Uran-nephritisch.
3) Die normale Temperatur des Hundes schwankt zwischen 38 und 39° C.
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23. -24. 100 ccm Urin, 1050 spec. Gew. Munter, frisst alles auf. Albumen -j-
stark, hyaline, granulivte Cylinder, Nierenepithelien und vereinzelte Erythrocyten;
hustet nicht. Temp. am 24. Morgens 39,8° C.
24. -25. 310 ccm Urin, 1028 spec. Gew. Hat aufgefressen, zittert heftig.
Temp. 38,8° C. Urin stark blutig, Albumen -|- stark, ebenso Blutprobe (Quajak-
tinct. + H 2 0 2 ), alle möglichen Cylinder, Nierenepithelien, massenhaft Erythrocyten
auch Leukocyten.
25. -26. 250 ccm Urin, 1028 spec. Gew. Urin nicht mehr so dunkel, sonst
derselbe Befund. Temp. am 26. Morgens 38,9° C., Abends 39,2° C. Gewicht
12 Pfund 170 g. Hustet nicht.
26. -27. 160 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Albumen -(-, Erythrocyten -f,
granulirte und hyaline Cylinder, Nierenepithelien.
27. -28. 225 ccm Urin, 1035 spec. Gew. Status idem. Gewicht 11 Pfund
450 g.
28. -29. 220 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Noch l / 2 pM. Albumen; Blutprobe
stark -|-; alle möglichen Nierenbestandtheile.
29. —30. 300 com Urin, 1024 spec. Gew. Noch l / 2 pM. Albumen; Blutprobe
stark +; alle möglichen Nierenbestandtheile.
30. —31. 320 ccm Urin, 1023 spec. Gew. Noch 1 / 2 pM. Albumen; Blutprobe
stark +; 11 Pfund; Thier ist munter, Nahrungsaufnahme gut.
31. 3.—1. 4. 280 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Albumen -{-» reichlich hyaline
und granulirte Cylinder, dagegen Erythrocyten vereinzelt.
1. —2. 700 ccm Urin, 1022 spec. Gew. 1 pM. Albumen, sonst unverändert.
2. -3. 370 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Spur Albumen, vereinzelte Cylinder.
3. -4. 575 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Spur Albumen, vereinzelte Cylinder.
Gewicht 9 Pfund 400 g. Wird am 4. gotödtet.
Sectionsprotokoll (Prof. Westenhöffer): Kein Hautödem; bei
Eröffnung der Bauchhöhle Organe in normaler Lage, kein Ascites. Peri¬
toneum glatt, feucht, glänzend; Magen, Darm, Leber, Milz ohne Befund.
Rechte Niere: Kapsel leicht abziehbar, Oberfläche glatt, von grau¬
brauner Farbe, Venac stellatao gut sichtbar. Auf dem Durchschnitt
Rindenschicht von Marksubstanz scharf abgesetzt. Die Rindenschicht ist
von bräunlich-rother, gegen die Marksubstanz zu von violett-rother Farbe.
Die Glomeruli sind als rothe Pünktchen deutlich zu sehen. Marksubstanz
fast weissgrau, ungemein feucht. Im unteren Abschnitt ganz feine
Kalkinfarcte (?) und verfettete Cylinder.
Linke Niere bietet den gleichen Befund.
Lunge ohne Besonderheit. Herz schlaff.
Mikroskopisch in beiden Nieren ausgedehnte trübe
Schwellung, starke Verfettung in den geraden und gewundenen
Kanälchen, die Kerne, da, wo sie vorhanden sind, undeutlich,
an manchen Stellen gar nicht gefärbt, Glomeruli unverändert.
II. Versuch.
Hund 9, graues, männliches Thier, ca. 1 Jahr alt, 23 Pfund 400 g.
23. -24. 3. 07. 350 ccm Urin, 1017 spec. Gew. Kein Albumen, kein Zucker.
24. -25. 330 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Kein Albumen, kein Zucker. Am 25.
Nachmittags 5 Uhr Freilegung der rechten Niere in Narkose, Kühlung mit Eis
25 Minuten, Jodoformpulver. Naht.
25. -26. Kein Urin, das Thier schleppt die Nachhand nach, frisst aber gut.
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26. -27. 350 ccm Urin, 1048 spec. Gew. Albumen -J- schwach, Erythrocyten
und Leukocyten in massiger Menge, hyaline und granulirte Cylinder, frisst wenig.
Abendtcmp. 39,3° C. (trank 300 ccm Wasser).
27. -28. 460 ccm Urin, 1016 spec. Gew. Albumen 4* (stärker), Erythrocyten,
Leukocyten, Nierenepitholien, alle Arten Cylinder. Kann wieder gut gehen, macht
aber matten Eindruck und frisst wenig. Gewicht 22 Pfund 150 g; trank 300 ccm
Wasser.
28. -29. 400 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Urinbefund unverändert; frisst nicht,
macht einen kranken Eindruck, an der Wunde ist nichts fühlbar.
29. —30. 250 ccm Urin, 1024 spec. Gew. Derselbe Urinbefund. Deutliche
Fluctuation in der Umgebung der Wunde, deshalb wird das Thier gotödtet.
Sectionsprotokoll (Prof. Westenhöffer): Beim Oeffnen der ver¬
nähten geschlossenen Wunde entleert sich reichlich leicht blutig gefärbter,
nicht stinkender Eiter. Nach Eröffnung der Bauchhöhle Bauchorganc in
normaler Lage, keine Flüssigkcitsansammlung. Peritoneum glatt und
spiegelnd, feucht. Geringe Injection der Gefässe im Bereich des Ileum,
Serosa feucht, glatt und spiegelnd. Magen, Darm, Leber, Milz ohne
Besonderheit.
Rechte Niere: An der Hinterfläche der Nierenkapsel ira unteren
Drittel eine Abscesshöhle deutlich erkennbar. Kapsel leicht abziehbar.
Die Niere selbst zeigt sich an der entsprechenden Stelle etwas verfärbt.
Auf dem Durchschnitt ist diese Verfärbung kaum sichtbar, dagegen sieht
man in der Rinde entsprechend den Kanälchen zahlreiche gelbliche
Streifen. Die Marksubstanz bietet nichts Besonderes.
Linjke Niere zeigt auf der Oberfläche ca. 8—10 stecknadelkopf¬
grosse Pünktchen von grauer Farbe und weisslichem Centrum. Auf dem
Durchschnitt wie die rechte Niere.
Mikroskopisch: Glomcruli intact, die Kanälchen zeigen
ziemlich gLeichmässig fast überall eine geringe Schwellung
und Trübung der Epithelien. Die Kerne sind erhalten. In den
geraden Kanälchen und theilwcisc in den llenle’schen Schleifen
eine gleichmässige Fettinfiltration.
An beiden Nieren derselbe Befund.
III. Versuch.
Hund 10, männlicher Terrier, s / 4 Jahr alt, 14 Pfund.
2. -3. 4. 07. 320 ccm Urin, 1021 spec. Gew. Frei von Albumen und Zucker.
Am 3. 4. Abends Freilegung der rechten Niere in Narkose, Kühlung 25 Minuten
lang, Naht.
3. —4. 170 ccm Urin, 1045 spec. Gew. Albumen stark positiv, Erythrocyten,
Leukocyten, einige Nierenepithelien; munter, frisst gut.
4. —5. 460 com Urin, 1023 spec. Gew. Hat am 4. 4. 500 ccm Milch mit 10 g
NaCl erhalten. Albumen -f- stark, hyaline, granulirte und Epitheleylinder, Nieren-
epithelien. NaCl-Ausscheidung = 9,499 g. P 2 0 5 = 0,6072 g.
5. -6. Erhält am 5. wiederum 500 ccm Milch 10 g NaCl, ist munter,
frisst gut. 370 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Albumen x / 2 pM. Essb. Urinbefund
wie bisher. NaCl = 9,7828; P 2 0 5 = 0,3737. Gewicht 13 Pfund 150 g.
6. -7. Am 6. 4. 10,0 g NaCl und 500 ccm Milch: munter. 520 ccm Urin,
1026 spec. Gew. Urinbefund unverändert. NaCl = 12,064, P 2 0 5 = 0,4472.
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7. -8. Erhält am 7. 10,0 g NaCl, hat sein Milchgefass umgestossen, so dass
sich Milch dem Urin beimengte. 210 ccm Urin, 1032 speo. Gew. Macht einen
kranken Eindruck.
8. -9. Erhält am 8. 10 g NaCl. 280 ccm Urin, 1032 spec. Gew. l j A pM.
Albumen Essb., Cylinder. NaCl = 7,0644, P 2 0 6 = 0,3164.
9. —10. Am 9. 10 g NaCl. 410 ccm Urin, 1032 spec. Gew. Befund wie
gestern. NaCl = 10,9308; P 2 0 ß = 0,4510.
10. —11. Am 10. 4. 10 g NaCl, Diarrhoe, Koth im Urin.
11. —12. 260 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Albumen -{-, vereinzelte Cylinder
und vereinzelte Erythrocyten, NaCl = 7,2384; P 2 0 5 = 0,4102. Gewicht 12 Pfund
150 g. Am 12* 4. getödtet.
Sectionsprotokoll (Prof. Westenhöffcr): Operationswunde gut
verheilt. Im Abdomen keine Flüssigkeit; Organe in normaler Lage.
Magen, Darm, Leber, Milz ohne Befund.
Linke Niere weich, Kapsel leicht abziehbar. Oberfläche glatt,
von braunröthlicher Farbe, hellere und dunklere Parthien wechseln ab.
Auf der Schnittfläche zeigt sich folgende Schichtung: äusserstc Zone
röthlich, etwa 27 4 mm breit, dann folgt nach innen eine gelblich ge¬
färbte, theilweisc etwas streifige Zone, dann wieder eine hellere, röthliche.
die den Uebergang zur Marksubstanz bildet. Diese beiden Schichten
sind 1—2 mm breit. Dann folgt eine breite, weissliche Zone, während
unmittelbar am Nierenbecken wieder eine röthliche, streifige Zone cinsetzt.
In der äussersten Schicht sind feine punktförmige rothe Flecken (Hämorr-
hagien!). Schnittfläche feucht.
Rechte (abgekühlte) Niere: Kapsel leicht abziehbar, Oberfläche
glatt, Färbung wie links, im Ganzen ist die Rinde trübe und die
Schichtung nicht so scharf abgegrenzt wie links.
Acute parenchym. Nephr. beiderseits (hämorrhagisch).
Lunge ohne Befund, Hypertrophie des rechten und linken Ven¬
trikels. (?)
Die mikroskopische Nierendiagnose fehlt.
IV. Versuch.
Hund 12, männlicher Spitz, % Jahr, Gewicht 14 Pfund 100 g.
17. —18. 10. 07. 320 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Kein Albumen, kein Sacharura.
Am 18. 10. Vormittags Yoll Uhr Freilegung der rechten Niere, Kühlung mit Eis
20 Minuten lang. Temperatur vor der Narkose 38,2° C., am Ende der Abkühlung
35,9° C.; erwacht beim Nähen der Wunde aus der Narkose, 10 Minuten später
Schüttelfrost.
18. —19. Kein Urin, frisst gut, hat aber seine frühere Munterkeit noch nicht
wiedererlangt.
19. —20. 240 ccm Urin, 1016 spec. Gew. Albumen hyaline und granulirte
Cylinder, Nierenepithelien, einige Erythro- und Leukocyten: ist munter, hat alles
aufgefressen.
20. —21. Kein Urin, hat nicht aufgefressen.
21. —22. 160 ccm Urin, 1021 spec. Gew. Albumen +, alle Arten Cylinder,
Blut -}-. Gewicht 13 Pfund 400 g.
22. —23. 300 ccm Urin, 1019 spec. Gew. Viel Albumen, viel Blut, alle Arten
Cylinder; Nierenepithelien.
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Abkühlung als Krankheitsursache.
34 9
23. -24. 210 ccm Urin, 1026 spec. Gew. Viel Albumen und Cylinder, Blut¬
probe (Quajak -f" H 2 0 2 ) stärker als an den vorausgegangenen Tagen.
24. -25. 50 ccm Urin, 1032 spec. Gew. (Temp. 39,5° C.) 1 pM. Albumen
Essb., alle Arten Cylinder, massenhaft Erythrocyten (schwere hämorrhagisohe
Nephritis).
25. -26. 160 ccm Urin, 1035 spec. Gew. Urinbefund wie gestern. Am 26. 10.
wird das Thier durch Chloroforminjection ins Herz getödtet.
Sectionsprotokoll (Oberarzt Dr. Rüge, pathol. Institut, Moabit).
Beim Eröffnen der Bauchhöhle nichts Besonderes, kein Ascites, Organe
in normaler Lage, Peritoneum feucht, glatt, glänzend. Leber, Milz,
Magen, Darm ohne Besonderheit.
Linke Niere: Beim Einschneiden entleert sich reichlich Blut. Auf
der Oberfläche zeigt sich eine fleckige, theilweise dunkelblaurothc, theil-
weise gelbliche Färbung, die anscheinend durch verschiedenen Blutgehalt
hervorgerufen ist. Maasse 22 : 51 : 19. Die Rinde ist auf dem Durch¬
schnitt 5 mm breit, zur Hälfte dunkelblauroth, zur Hälfte gelblich ge¬
zeichnet, mit sehr deutlicher Zeichnung der geraden Canälchen und Ge-
fässe. Zwischen beiden Zonen befindet sich eine ungleichmässige, dunkel-
graurothe Schicht. An die Rinde schliesst sich eine 2 mm breite, röth-
liche, streifige Zone an, worauf die weissliche, gegen die Papille zu röth-
lich gestreifte Marksubstanz folgt. Der ganze Querschnitt der Niere
zeigt deutliche Streifung.
Rechte Niere ist im Ganzen etwas weniger blutreich, die Zeich¬
nung der Oberfläche ist dieselbe wie links. Maasse 23: 50: 19. Die
Rinde ist etwa 5 mm dick, von etwas hellerer Farbe wie links, nament¬
lich die intermediäre Schicht ist schwächer angedeutet wie links. Die
übrigen Schichten stimmen mit den bei der linken Niere beschriebenen
Veränderungen überein.
Lunge frei, im Herzbeutel Blut, am Herzen nichts.
Mikroskopischer Befund beider Nieren (Prosector Dr. Illing,
thierärztliche Hochschule): fettige Degeneration mit Nekrose der
Epithelien einzelner Abschnitte der Tub. contorti und recti;
theilweise Desquamation der abgestorbenen Epithelien. Starke
Füllung sämmtlicher Capillaren. Nierenkörperchen, bis auf
die starke Füllung der Gefässschlingen, und Zwischengewebe
unverändert.
Bei der Besprechung dieser Versuche, von denen der zweite wegen
des paranephritischen Abscesses als unrein zu bezeichnen ist, muss von
vornherein betont werden, dass sie mit Erkältung nichts zu thun
haben. Was sie beweisen, ist die Thatsache, dass Kälte direct
auf die Niere gebracht nicht eine einfache Degeneration her¬
vorruft, sondern einen progredienten, echt entzündlichen Pro-
cess — Unter ähnlichen Bedingungen führt übrigens auch Hitze (Igni-
punctur) zu Schädigungen der Niere —, wie er in seinem klinischen
und mikroskopischen Bild für die acute parenchymatöse Ne¬
phritis charakteristisch ist. Die heftigen Nicrenblutungen konnten
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5 . Bd. 03
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350
W. Siegel.
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mit paroxysmaler Hämoglobinurie nicht verwechselt werden. Denn das
Sediment enthielt massenhaft rothe Blutzellen, ausserdem aber setzten
die Blutungen erst einige Tage nach der Abkühlung ein, während die
paroxysmale Hämoglobinurie sich fast unmittelbar an die Kälteeinwirkung
anschliesst.
Dass die Entzündung trotz einseitiger Abkühlung an beiden Nieren,
noch dazu in gleicher Stärke, auftrat, hatte für den ersten Moment etwas
Ueberraschendes. Doch ist diese Reflexwirkung bei paarigen Organen
längst bekannt: das synchrone Verhalten beider Pupillen des gesunden
Individuums ist eine so regelmässige Erscheinung, dass Abweichungen
als wichtige Symptome aufgefasst werden. Samuel 1 ) berichtet, dass,
wenn eine Hand in kaltes Wasser gesteckt wird, auch die andere sich
etwas abkühlen soll, und bringt man das eine Ohr eines Kaninchens in
heisses Wasser, so erweitern sich auch die Gefässe des Ohres an der
anderen Seite. Für diesen inneren Zusammenhang ist speciell für die
Niere die Steinniere ein schlagender Beweis: trotz einseitiger Steinbildung
kann es zu völliger Anurie kommen. So glaube ich, dass man auch in
unseren Fällen die Miterkrankung der linken als reflectorisch entstanden
annehmen muss, umso mehr als die Krankheitsursache lediglich durch
Beeinflussung der Blutcirculation in der Niere gewirkt hat, deren zarte,
empfindliche Epithelien Ernährungsstörungen nicht lange Widerstand zu
leisten vermögen. Auf welche Weise Ernährungsstörungen in der Niere
zur Entzündung führen, muss später noch erörtert werden. Posner 2 )
neigt zur Ansicht, dass die Erkrankung der zweiten Niere bei bereits
erkrankter anderer, z. B. bei Nierentuberkulose, toxischer Natur sei,
dass ein im zuerst erkrankten Organ gebildetes Nephrotoxin in der bisher
gesunden Niere eine Nephritis erzeuge. In diesem Falle kann man ihm
beistimmen, wenn er aber in dem Umstande, dass nach Entfernung des
primär erkrankten Herdes die zweite Niere rasch wieder zur Norm
zurückkehrt, den Beweis für den toxischen Charakter sieht, so muss auf
jene Fälle hingewiesen werden, wo nach einseitiger Nierenexstirpation
der entzündliche Process in dem secundär erkrankten Organ rapide
Fortschritte machte und rasch zum Exitus führte.
Die nun folgenden Abkühlungsversuche, durch welche die
Frage der Erkältungsnephritis endgiltig gelöst und damit
auch der Streit, ob überhaupt eine Erkältungskrankheit durch
Kälteeinwirkung allein entstehen könne oder nicht, in posi¬
tivem Sinne entschieden wurde, sind sämmtlich von der Haut
aus gemacht. Die Versuchsanordnung geht aus den Protokollen her¬
vor; sämmtliche Obductionen und mikroskopische Diagnosen hat in
liebenswürdigster Weise Dr. Illing, Prosector der thierärztlichen Hoch¬
schule, übernommen.
1) Eulenburg, Realencykl. Erkältung.
2) Deutsche med. Wochenschr. 1900. No. 12 und Albuminurie, Zeitschr. f.
Urologie. 1908.
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Abkühlung als Krankheitsursache.
351
I. Versuch.
Hund 13, weiblicher Spitz, ca. \ l j 2 Jahre alt, Gewicht 12 Pfund 300 g.
29. —30. 10. 07. 280 ccm Urin, 1012 spec. Gew. Kein Albumen.
30. —31. 300 ccm Urin, 1012 spec. Gew. Kein Albumen. Am 31. 10. 11 1 / 2 bis
12 Uhr Vormittags wird in der rechten Nierengegend im Umkreis von 4—5 cm (obere
Grenze: 12. Rippe, mediane Grenze: Wirbelsäule) Eis aufgelegt, um das Eisstück
herum Watte zur Aufsaugung des sich bildenden Schmelzwassers. Die Haare bleiben
intact. Das auf dem Operationstisch nur leicht gefesselte Thier ist während des
ganzen halbstündigen Versuchs sehr unruhig und macht ununterbrochen die heftigsten
Bewegungen. Temperatur zu Beginn 38,2° C., am Ende 38,3° C.
31. 10.—1. 11. 270 ccm Urin, 1017 spec. Gew. Kein Albumen, kein Sediment.
Am 1. 11. Vormittags von \\ l j 2 —12 Uhr wird das Thier an derselben Stelle mit Eis
behandelt, die Haare jedoch in diesem Umkreis zuvor mit der Scheere abgeschnitten.
Der Hund ist wiederum sehr unruhig und zappelt viel. Temp. 38,1° C. bis 38° C.
1. —2. 11. 400 ccm Urin, 1017 spec. Gew. Kein Albumen.
2. —3. 350 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Nihil.
3. -4. 265 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Nihil. Am 4. 11. Vormittags ll 1 ^ bis
12 Uhr wird das Thier in leichter Morphium-Narkose an derselben Stelle in derselben
Weise gekühlt. Das Thier liegt zunächst ruhig, nach 15 Minuten beginnt es leioht
zu zittern, zuerst in der Gesässgegend, dann in der ganzen Naohhand und gegen
Ende des Versuchs am Körper, am stärksten an der Nachhand; wird sofort in den
Käfig zurückgebracht. Temp. 38,3°—35,7° C.
4. —5. 450 ccm Urin, 1016 spec. Gew. Albumen -|-, schwach (Essigsäure
Kochprobe und Essigsäure mit Ferrocyankalium), hyaline und granulirte Cylinder,
Leukocyten.
5. —6. 400 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Albumen -{-, stärker wie gestern, reich¬
lich hyaline und granulirte Cylinder.
6. —7. 270 ccm Urin, 1012 spec. Gew. Albumen wird reichlicher, viele granu¬
lirte, einige epitheliale Cylinder; Erythrooyten und Nierenepithelien. Gewicht 9 Pfund
100 g.
7. —8. 270 ccm Urin, 1012 spec. Gew. Urinbefund unverändert.
8. —9. 250 ccm Urin, 1016 spec. Gew. Urinbefund unverändert.
9. —10. Fehlt.
10. —11. 270 ccm Urin, 1017 spec. Gew. Eiweissreaction schwächer, viel hya¬
line, einige granulirte Cylinder, Leuko- und Erythrocyten.
11. -12. 250 ccm Urin, 1015 spec. Gew. Heute nur Spuren Albumen, wenig
Cylinder, viel Erythrocyten.
12. —13. 420 ccm Urin, Albumen wieder reichlicher, sonst unverändert.
13. —14. 350 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Derselbe Urinbefund.
14. —15. 250 ccm Urin, 1015 spec. Gew. Derselbe Urinbefund.
15. —16. 400 ccm Urin, 1012 spec. Gew. Derselbe Urinbefund. Stark abge¬
magert, Schwäche in der Nachhand.
17. —18. 210 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen immer noch }/ 2 pM. Essb.,
verfettete Epithelien und Cylinder, Leukocyten.
18. —19. Urin versehentlich ausgeleert. Gewicht 8 Pfund 350 g.
19. —20. 20.—21. 500 ccm Urin, 1021 spec. Gew. Albumen -|-, verfettete
Cylinder. Gewioht 8 Pfund 250 g.
21. —22. 250 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Albumen +, Fetttropfen, einige
granulirte Cylinder.
22. -23. 400 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Albumen -j-> verfettete Nieren¬
epithelien, einige granulirte Cylinder. Gewicht 9 Pfund.
23. -24. 24.-25. Kein Urin.
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352
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25. —26. 360 ccm Urin, 1016 spec. Gew. Albumen stark, vereinzelte
(3—4) rothe Blutkörperchen, einige granulirte Cylinder.
26. -27. 240 ccm Urin, 1026 spec. Gew. Status idem.
27. -28. 210 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Idem. Gewicht 8 Pfund 300 g.
28. —29. 300 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen vereinzelte geformte
Elemente. Die abgekühlte Hautparthie nicht erfroren, die Haare wachsen nach
(Dr. Faese, I. Assistent der Poliklinik der Thierärztlichen Hochschule).
29. —30. 200 ccm Urin, 1026 spec. Gew. Albumen +.
1. —2. 12. 200 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen -f-, stark, mehr granu¬
lirte Cylinder. Gewicht 9 Pfund 100 g.
2. -3. 450 cöm Urin, 1015 spec. Gew. Albumen +•
3. -4. 420 ccm Urin, 1019 spec. Gew. Albumen -(-» nur ©inige granulirte
Cylinder. Gewicht 9 Pfund. Am 4. Vormittags durch Herzstich getödtet.
Sectionsprotokoll (Dr. Illing): Makroskopischer Befund:
Herz, Lunge, Halsorgane, Darmcanal, Magen, Milz, Leber, abgesehen
von allgemeiner Anämie in Folge der Verblutung ohne krankhafte Ver¬
änderungen.
Beide Nieren zeigen folgendes: Kapsel an verschiedenen Stellen
mit der Oberfläche verwachsen, sodass etwa ein Drittel der Nierenober¬
fläche mit der Kapsel zusammenhängt. Nieren von gewöhnlicher Form
und Grösse, Consistenz gleichmässig derb. Oberfläche an den freien
Theilen graubraunroth, feucht und glatt. An den verwachsenen Stellen
reisst beim Abziehen der Kapsel das Parenchym ein. Die Schnittfläche
der Rindenschicht ist grauroth, etwas trocken und trübe mit etwas
mattem Glanz. An verschiedenen Stellen kurze rothe Striche und kleine
rothe Punkte, daneben kleine grauweisse Stippchen.
Schnittfläche der Marksubstanz gelbroth, ziemlich feucht und ziem¬
lich glatt. Auch hier finden sich die grauweissen Stippchen an ver¬
schiedenen Stellen.
Die mikroskopische Untersuchung beider Nieren ergab
folgendes: Epithelien der Tubuli contorti fast in allen Theilen deutliche
Kernfärbung mit fein und dicht granulirtem Protoplasma. Glomeruli
stark mit Blut gefüllt, sonst ohne Veränderung. Epithelien der Tub.
recti zumeist überall deutliche Kernfärbung. Protoplasma hell mit ein¬
zelnen groben Granulis. Capillaren an verschiedenen Stellen stark ge¬
füllt. Interstitialgewebe nicht vermehrt. An einzelnen Stellen so¬
wohl in der Rinde wie in der Marksubstanz Anhäufung von
Rundzellen (Lymphocyten), zwischen diesen vereinzelte
Fibroblasten. Durch diese Anhäufungen werden die Tubuli ausein¬
andergedrängt.
Bemerkung: derartige Herde kommen in der gesunden Niere des
Hundes nicht vor.
II. Versuch.
Hund 14, weiblicher Colliebastard, ca. 1 Jahr alt.
18.—19. 11. 360 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Kein Albumen, keine geformten
Elemente, Temp. 38,3°, erhält am 19. 11. Morphium subcutan und wird dann nach
eingetretener Wirkung 1 / 2 Stunde lang auf den Operationstisch gespannt (nicht ge¬
kühlt!), um den Einfluss der Fesselung festzustellen. Nach Beendigung des Versuchs
Temp. 37,8° C.
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Abkühlung als Krankheitsursache.
353
19. —20. 300 ccm Urin, 1024 spec. Gew. Ohne Befund.
20. —21. 450 ccm Urin, 1021 spec. Gew. Ohne Befund. Am 21. Vormittags
11 y 4 Uhr Temp. 38,5°, Morphium subcutan, 11 Uhr 30 Min. auf den Operationstisch
fixirt, Beginn der Kühlung mit Eis in der Nierengegend wie Hund 13, aber auf in-
tacten Haaren. Während des ganzen Versuchs ist der Hund, von der zu kühlenden
Stelle abgesehen, in ein Tuch eingeschlagen. Nach 20 Minuten leichtes Zittern am
Hinterkörper. Temp. 11 Uhr 45Min. = 37,l° C., 12 Uhr (Ende des Versuchs) = 36,8°.
21. —22. 150 ccm Urin, 1035 spec. Gew. Deutlich Albumen -)-, keine geformten
Bestandtheile, Thier ist munter, frisst gut.
22. -23. 120 ccm Urin, 1036 spec. Gew. Albumen -f* (Essigsäure mit Ferro-
cyankalium), Erythrocyten und Leukocyten, einige hyaline und granulirte Cylinder.
Blutprobe positiv (Guajaktinctur H 3 0 o ). Gewicht 14 Pfund 100 g.
23. -24. Fehlt.
24. -25. Fehlt.
25. -26. 270 ccm Urin, 1026 spec. Gew. Albumen -(- (stark), einige Nieren-
epitbelien, zahlreiche Erythrocyten, hyaline und granulirte Cylinder.
26. -27. 110 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Derselbe Befund.
27. -28. Kein Urin; Gewicht 14 Pfund. Das Thier liegt ruhig, macht einen
kranken Eindruck, frisst aber gut.
28. -29. 350 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen
29. —30. 100 ccm Urin, 1036 spec. Gew. Albumen -J-«
1. —2. 12. 270 ccm Urin, 1029 spec. Gew. Albumen -j-, reichlich Erythrocyten
und granulirte Cylinder, vereinzelte Epithelialcylinder. Gewicht 13 Pfund 200 g.
2. -3. 480 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen -j-, keine Epitheleylinder,
aber hyaline und granulirte, sowie Erythrocyten.
3. —4. 410 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Derselbe Befund, Gewicht 13 Pfund 200 g.
4. -5. 50 ccm Urin, 1035 spec. Gew. Derselbe Befund, Gewicht 14 Pfund 100 g.
5. -6. 45 ccm Urin, 1046 spec. Gew. Albumen -f- stark, zahlreiche Nieren-
epithelien, hyaline und granulirte Cylinder, zahlreiche Erythrocyten.
6. -7. 400 ccm Urin, 1035 spec. Gew. Derselbe Befund.
8. -9. 250 ccm Urin, 1040 spec. Gew. Derselbe Befund.
9. —10. Kein Urin.
10. —11. 400 ccm Urin, 1019 spec. Gew. Befund unverändert.
11. —12. 120 ccm Urin, 1036 spec. Gew. Befund unverändert, Gewicht 12 Pfund
400 g.
12. —13. 90 ccm Urin, 1040 spec. Gew.
13. —14. Urin aus Versehen ausgeleert. Das Thier frisst schlecht, ab und zu
Zuckungen über den ganzen Körper.
15. —16. 190 ccm Urin, 1060 spec. Gew. Albumen -f-, vereinzelte Nieren-
epithelien und granulierte Cylinder.
16. —17. Kein Urin; Zuckungen treten immer wieder auf.
17. —18. 160 ccm Urin, 1050 speo. Gew. Albumen 6pM. Essb. zahlreiche
hyaline, granulirte und epitheliale Cylinder, zahlreiche Erythrocyten, Gewicht 13 Pfund.
18. —19. 250 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Derselbe Befund.
19. —20. 450 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen x / 2 pM. Essb., sonst der¬
selbe Befund, frisst wieder gut.
20. —21. 300 ccm Urin, 1012 spec. Gew. Status idem.
21. —22. 400 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Status idem.
22. —23. 250 ccm Urin, 1019 spec. Gew. Albumen 1 pM. Essb., sonst un¬
verändert.
23. -24. 300 ccm Urin, 1022 spec. Gow. Derselbe Urinbefund; frisst sehr
schlecht, ist apathisch, bewegt aber auf Zuruf leicht den Kopf, sehr abgemagert.
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354
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26. -27. 100 ccm Urin, 1036 spec. Gew. Derselbe Urinbefund und Status, Ge¬
wicht 10 Pfund 100 g.
27. -28. 150 ccm Urin, 1042 spec. Gew. Unverändert.
28. -29. 100 ccm Urin, 1040 speo. Gew. Unverändert.
29. —30. 100 ccm Urin, 1039 spec. Gew. Unverändert. Gewicht 9 Pfund 200 g.
Da der Zustand des Thieres sich so verschlimmerte, dass der Exitus eventuell
in der Neujahrsnacht zu erwarten war, wird es, um auf alle Fälle wie bisher ganz
frische Präparate zu erhalten, durch Durchschneiden der Kehle getödtet.
Sectionsprotokoll (Dr. Illing). Makroskopischer Befund:
Thier in sehr schlechtem Ernährungszustand, Musculatur röthlich grau,
feucht und durchscheinend; Bauch eingefallen, in der Bauchhöhle kein
abnormaler Inhalt. Bauchfell überall durchsichtig, feucht und glatt, Ein¬
geweide in natürlicher Lage, Darm, Magen, Milz und Leber ohne Befund.
Rechte Niere: Kapsel leicht abziehbar, Niere glatt, von gewöhn¬
licher Form und Grösse und von derber Consistenz. Oberfläche grau-
blau-gelb, feucht und glatt. Schnittfläche der Rinde von derselben Farbe,
etwas trocken und von mattem Glanz. Marksubstanz grauweiss, feucht
und glatt.
Linke Niere: Kapsel leicht abziehbar, derselbe Befund wie rechts.
Herz sehr schlaff (Verblutung!), ohne Befund, Lunge und Halsorgane
gleichfalls ohne Besonderheit.
Mikroskopischer Befund: Epithelien der Tub. contorti und
recti zeigen im Allgemeinen leidliche Kernfärbung. Da¬
zwischen finden sich einzelne nekrotische Epithelien mit An¬
häufung von Fett in kleinen Mengen und kleinen Tropfen.
Starke Füllung der Capillaren. Nicrenkörperchen und Interstitialgewebe
nicht verändert.
Im Allgemeinen nimmt man an, dass es ganz besonders Durch-
nässungen der Füsse sind, welche zu acuter parenchymatöser
Nephritis führen. In den folgenden Versuchen hat die Abkühlung
dementsprechend stattgefunden.
III. Versuch.
Hund 15. ca. l / 2 Jahr alt, männlich, 12 Pfuud.
13. —14. 12. 170 ccm Urin, 1019 spec. Gew. Nihil.
14. —15. 150 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Nihil.
15. —16. 120 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Nihil; Körpertemperatur 39,5° C. Be¬
ginn des Versuchs 10 Uhr 43 Min. Das Thier steht mit den Hinterbeinen bis
zu den Knien in kaltem Wasser (4° C.) und wird an den Vorderfüssen in
aufrechter Stellung festgehalten. Haare intact. Nach 2 Minuten leichtes
Zittern und Unruhe. 10 Uhr 48 Min. Athmung deutlich beschleunigt, Zittern starker;
10 Uhr 50 Min. sehr unruhig, 10 Uhr 53 Min. Ende des Versuchs. Dauer des Ver¬
suchs 10 Minuten. Wassertemperatur am Ende des Versuchs 5° C. Temp. 39,2° C.
Das Thier wird sofort unabgetrocknet in den Käfig zurüokgebracht, ist munter
und frisst gut.
16. —17. 120 ccm Urin, 1060 spec. Gew. Albumen -{- ( l / 2 pM. Essb.), 2 bis
3 granulirte Cylinder, einige Leukocyten, frisst gut.
17. —18. 60 ccm Urin, 1045 spec. Gew. Albumen alle Arten Cylinder,
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Abkühlung als Krankheitsursache.
355
Nierenepithelien, einige Erythrocyten. Das Thier wird am 18. 12. Morgens tot im
Käfig gefunden, Obduction am 18. 12. Mittags 1 Uhr.
Sectionsprotokoll (Dr. Illing). Makroskopischer Befund:
Leib stark aufgetrieben. Musculatur blass, anämisch. In der Bauch¬
höhle theils flüssiges, theils geronnenes braunrothes Blut, circa V 4 Liter.
Auf der Unterfläche des linken Leberlappens vier grosse, frische, ober¬
flächliche Risse, 2 mm lang, 3 mm tief. (NB. Der Diener giebt zu, dem
Hunde einen Tritt versetzt zu haben.) Brusthöhle ohne abnormen Inhalt.
Organe anämisch.
Rechte Niere etwas vergrössert, sehr anämisch; Kapsel leicht ab¬
ziehbar. Oberfläche braun-grau, feucht und glatt. Schnittfläche der
Rinde gelb-grau, etwas trübe mit leichtem matten Glanz, ziemlich glatt,
keine Hämorrhagicn. Marksubstanz gelbrosa, feucht und glatt. An
einzelnen Stellen der Rindensubstanz sind die Glomeruli als rothe
Pünktchen sichtbar.
Linke Niere zeigt denselben Befund.
Die übrigen Bauchhöhlenorgane ohne Besonderheit.
Im Herzbeutel kein abnormer Inhalt. Linkes Herz gut contrahirt.
Im rechten Vorhof und in der rechten Kammer wenig flüssiges, hellrothes
Blut und etwas speckhäutiges Gerinnsel.
Herzmuskel von derber Consistenz, Oberfläche graubraun, feucht und
glänzend, ebenso auf dem Durchschnitt Endocard und Klappen glatt,
durchsichtig.
Beide Lungen, Halsorgane ohne Befund.
Mikroskopischer Befund: In allen Theilen Epithelien der Tubuli
contorti und recti, Nierenkörperchen, Blutgefässe und Zwischengewebe
unverändert.
IV. Versuch.
Hund 16. Schwarzer Dachsbastard, männlich, ca. J / 2 Jahr alt, 12 Pfund 100 g.
18. —19. 12. 280 ccm Urin, 1014 spec. Gew. Nihil.
19. —20. 300 ccm Urin, 1012 spec. Gew. Nihil; Tcmp. 38,4° C. Am 20. 12.
Vormittags 10 Uhr 55 Min. Hinterbeine bis zu den Knien in Wassor (3° C.)
eingetaucht, aufrecht stehend an den Vorderbeinen festgehalten, Haare
intact. Schon nach 2 Minuten leichtes Zittern am ganzen Körper, nach 5 Minuten
wird es stärker, das Thier wird unruhig, winselt; Athmung beschleunigt. Ende des
Versuchs 11 Uhr 5 Min. Kommt sofort unabgetrocknet in den Käfig zurück. Wasser-
teraperatur 3°, Rectaltemp. 38,4°, eine Stunde später 38,3°. Das Thier ist munter
wie zuvor, frisst gut.
20. —21. Kein Urin: ist aber munter und frisst alles auf.
21. —22. 700 ccm Urin. 1016 spec. Gew. Albumen -f- (Y 2 pM. Essb.), Nieren-
epithelien, zerfallene Cylinder, reichlich Erythrocyten und Leukooyten.
22. -23. Kein Urin.
23. —24. 550 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen -(-, vereinzelte hyaline
Cylinder, einige Erythrocyten.
25.—26. u. 26.-27. 1200 ccm Urin, 1010 spec. Gew. Derselbe Befund, Gewicht
10 Pfund 400 g.
27. —28. 300 ccm Urin, 1028 spec. Gew. Spur Albumen.
28. -29. 65 ccm Urin. 1042 spec. Gew. Albumen -j- (1 pCt. Essb.), zahlreiche
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zerfallene Cylinder, Niorenepithelien und rothe Blutzellen; frisst sehr schlecht und
verhält sich auffallend ruhig.
29.—30. 12. 60 ccm Urin, 1060 spec. Gew. Urinbefund wie gestern; hat nichts
gefressen. Wird am 30. 12. Morgens todt im Käfig gefunden.
Sectionsprotokoll (Dr. Illing). Makroskopischer Befund:
An der Oberfläche der Bauchdecken nichts Aussergewöhnliches. Muscu-
latur ziemlich anämisch. Bei Eröffnung der Bauchhöhle zeigt sich
klare, röthlich-gelbe Flüssigkeit, ca. 100 ccm (Ascites). Ein¬
geweide in gewöhnlicher Lage. Bauchfell durchsichtig, feucht und überall
glatt. Milz ohne Befund, etwas Stauungsleber.
Linke Niere: Kapsel leicht abziehbar. Oberfläche graubraun, feucht
und glatt. Consistenz derb. Rindenschicht auf der Schnittfläche grau¬
braun, etwas trocken, mit etwas mattem Glanz und ziemlich glatt. Mark¬
substanz röthlich-grau, feucht und glatt.
Rechte Niere: Derselbe Befund wie links.
Blase prall gefüllt, Herz schlaff, dilatirt, Lunge, Halsorgane ohne
Befund.
Mikroskopischer Befund: Zahlreiche Epithelien der Tubuli
contorti und recti zeigen schwache Kernfärbung und Zerfall
des Protoplasmas. In einzelnen Abschnitten der Harnkanälchen
finden sich Anhäufungen von kleinen Fetttröpfchen. Nieren¬
körperchen, Zwischengewebe und Blutgefässe unverändert.
V. Versuch.
Hund 17. Männlich, ca. 1 / 2 Jahr alt, 10 Pfund 400 g.
14. —15. 1. 08. 120 ccm Urin, 1027 spec. Gew. Spur Albumen, im Sedi¬
ment nichts.
15. —16. 380 ccm Urin, 1023 spec. Gew. Spur Albumen, im Sediment
niohts; ist munter, frisst gut. Dieser Versuch sollte den Einfluss der
Erkältung auf eine bereits bestehende (in diesem Falle chronische) Nephritis
zeigen. Am 16. 1. Temp. 38,3°; 10 Uhr 50 Min. bis 11 Uhr Abkühlung der
Hinterbeine wie bisher, Wassertemperatur zu Beginn 5°, am Ende 5,5° C.;
Rectaltemperatur 38,4°; eine Stunde später 38,1° C. Das anfänglich starke Zittern
lässt gegen Ende des Versuchs etwas nach.
16. —17. 160 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Albumen stark-)-, hyaline und
granulirte Cylinder, Niorenepithelien, Erythrocyten in ganzen Conglomeraten,
Leukocyten.
17. —18. 40 ccm Urin. Albumen 2pM. Essb., alle Arten Cylinder, massenhaft
Erythrocyten, Niorenepithelien, Sediment blutroth. Gewicht 10 Pfund 490 g.
18. —19. 350 ccm Urin, 1012 spec. Gew. Wie gestern.
19. —20. 70 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Albumen lpM., Erythrocyten, granu¬
lirte Cylinder nicht mehr so massenhaft, Nierenepithelien; Gewicht 10 Pfund 150 g.
20. —21. 160 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Urinbefund unverändert.
21. —22. 190 ccm Urin, 1021 spec. Gew. Albumen 1 / 2 pM., einige granulirte
und hyaline Cylinder; keine Erythrocyten. Am 22. 1. Vormittags 12 Uhr durch Durch¬
schneidung der Kehle getödtet und wie immer sofortige Obduction.
Sectionsprotokoll (Dr. Illing). Makroskopischer Befund:
Männliches, ca. 6 Monate altes Thier in gutem Ernährungszustand. In
der Bauchhöhle ca. 50 ccm helle, klare, bernsteingelbe Flüssig¬
keit (Ascites).
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Abkühlung als Krankheitsursache.
357
Magen, Darm, Leber, Milz, ebenso Herz, Lunge, Halsorgane ohne
Befund, Herz schlaff.
Linke Niere: Kapsel leicht abziehbar, Niere von gewöhnlicher Form
und Grösse und von derber Consistenz. Oberfläche graubraun, feucht
und unregelmässig gekörnt. Schnittfläche der Rinde braungrau, feucht
und ziemlich glatt, von grauweissen Streifen durchzogen, Rinde relativ
schmal, Marksubstanz röthlich-grau, feucht und glatt.
Rechte Niere zeigt denselben Befund.
Mikroskopischer Befund beider Nieren: Die Epithelien der
Tubuli recti und contorti sind im Allgemeinen getrübt, Kerne
zeigen grossentheils gute Färbung, in einzelnen Epithelien
finden sich kleine Fetttröpfchen und schwächere Kernfärbung.
In den meisten Nierenkörperchen ist die Kapsel vom Glome-
rulus abgedrängt, sonst nichts verändert. Das Zwischen¬
gewebe ist bedeutend verbreitert. Die Harnkanälchen werden
an zahlreichen Stellen und auf grosse Strecken durch Herde
von Rundzellen, Fibroblasten und Bindegewebszellen ver¬
drängt. Die Blutgefässe zeigen nichts Besonderes.
VI. Versuch.
Hund 18, weiblich, ca. s / 4 Jahr alt, Gewicht 14 Pfund.
22. -23. 1. 08. 350 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Nihil.
23. -24. 300 ccm Urin, 1019 spoc. Gew. Nihil.
24. -25. 270 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Nihil. Am 25. 1. Vormittags 12 Uhr
Aftertemp. 39,2° C., Wassertemp. 4° C.; von 12 Uhr 10 Min. bis 12 Uhr 20 Min.
Abkühlunng der Hinterbeine bis zu den Knien bei intacten Haaren in
der üblichen Weise. Zittern und Unruhe nicht auffallend stark. Am Ende des
Versuchs Wassertemp. 5° C., Rectaltemp. 38,8° C. Das Thier kommt sofort unabge-
trocknet in den Käfig zurück.
25. -26. 350 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Beim Kochen mit Essigsäure hauch-
förmige Trübung, Albumen also schwach positiv; 3—4 Erythrocyten, ebensoviele
hyaline und granulirte Cylinder. Thier ist munter.
26. -27. 72 ccm Urin, 1034 spec. Gew. Albumen stärker positiv, Erythrocyten
und Cylinder wie gestern, Nierenepithelien. Das Thier wird viel ruhiger.
27. -28. 140 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Albumen +, 1 pCt. Essb.; reichlich
Erythrocyten, hyaline und granulirte Cylinder, Nierenepithelien. Das Thier ist still,
hat seine Munterkeit völlig verloren, liegt ruhig, frisst aber gut. Gewicht 12 Pfund
300 g.
28. -29. 200 oom Urin, 1032 spec. Gew. i Derselbe Befund.
29. —30. 400 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Albumen -j-, weniger Erythrocyten,
einige verfettete Nierenepithelien, viel hyaline, aber nur ganz vereinzelt granulirte
Cylinder. Befund und Status besser. Gewicht 12 Pfund 200 g. Am 30. 1. Vormittags
von 12 Uhr 40 Min. bis 12 Uhr 50 Min. wird das Thier nochmals in derselben Weise
gekühlt. Das Thier knickt leicht in den Knien ein und zittert heftig.
30. —31. 120 ccm Urin, 1038 spec. Gew. Albumen -f- (1 pM. Essb.), Nieren¬
epithelien vermehrt, hyaline und granulirte Cylinder sowie Erythrocyten unverändert.
31. —1. 2. Erhält eine tägliche Zulage von 8 / 4 1 Milchsuppe. 420 ccm
Urin, 1020 spec. Gew. Albumen -f- (Y 2 pM. Essb.), geformte Elemente, auch
Erythrocyten stark vermehrt, verfettete Nierenepithelien.
1.—2. 500 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Albumen -(-» l U pM. Essb., reichlich
geformte Bestandtheile, aber weniger wie gestern. Gewicht 12 Pfund.
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2. -3. 300 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Am 2. keine Milchsuppe, Albumen
V 2 pM. Essb., keine Erythrocyten, aber massenhaft hyaline und granulirte Cylinder,
Nierenepithelien.
3. -4. 420 ccm Urin, 1026 spec. Gew. Am 3. Zulage von 3 / 4 1 Milchsuppe,
Albumen +» keine Erythrocyten, viel hyaline und granulirte Cylinder, 2 Epithel-
cylinder, Nierenepithelien. Gewicht 11 Pfund 450 g.
4. -5. 200 ccm Urin, 1040 spec. Gew. Derselbe Befund.
5. -6. 180 ccm Urin, 1040 spec. Gew. ( 3 / 4 1 Milchsuppe), Befund derselbe,
Gewicht 11 Pfund 470 g; in den unteren Parthien des Abdomens Percussionsschall ab¬
geschwächt, über dem Thorax beiderseits Dämpfung; kein Husten; das Thier liegt
ruhig.
6. --7. 45 ccm Urin, 1045 spec. Gew. Hat nichts mehr gofressen. Albumen
1 pM. Essb., massenhaft Erythrocyten, Nierenepithelien und alle Arten Cylinder.
Wird am 7. 2. Morgens todt im Käfig gefunden.
Sectionsprotokoll (Dr. Illing): Makroskopischer Befund:
Weibliches Thier, ca. 8 / 4 Jahr alt, stark abgemagert. In der Bauch¬
höhle etwa 75 ccm hellgelbe, klare Flüssigkeit (Ascites).
Eingeweide in gewöhnlicher Lage. Bauchfell durchsichtig, feucht und
glatt. Körpermusculatur im Allgemeinen sehr feucht.
Rechte Niere: Kapsel leicht abziehbar, Niere von gewöhnlicher
Form und Grösse und schlaffer Consistenz. Oberfläche graubraun, feucht
und glatt. Schnittfläche der Rinde graugelb - braun, etwas trocken,
ziemlich glatt mit leichtem mattem Glanz. Markstrahlen deutlich sichtbar.
An einzelnen Stellen in der Rinde hellrothe Striche und Punkte. Mark¬
substanz auf dem Durchschnitt grauroth, feucht und glatt.
Linke Niere: Kapsel leicht abziehbar, Blutungen etwas geringer,
sonst derselbe Befund wie rechts.
Leber blutreich, sonst ohne Befund. Milz von gewöhnlicher Form,
etwas vergrössert, Consistenz weich, Oberfläche blauroth, feucht und glatt,
Schnittfläche roth, feucht und grob gekörnt. Pulpa vermehrt, springt in
Form von kleinen Prominenzen über die Schnittfläche vor. Trabckel-
system undeutlich sichtbar.
Magen und Darm ohne Befund.
In den Brustfeilsäcken etwa 500 ccm einer röthlich-gclbcn,
nicht trüben, sondern klaren Flüssigkeit (Hydrothorax), in der
graugelbe fädige Gerinnsel enthalten sind. Brustfell diffus und ramiform
geröthet, etwas trocken und rauh, die Oberfläche an einzelnen Stellen
mit graugelben fädigen, spinngewebeähnlichen Massen bedeckt, die sich
leicht abheben lassen.
Im Herzbeutel etwa 30 ccm gelbe, klare Flüssigkeit
(Hydropericard), die sich berührenden Herzbeutelblätter sind feucht
und glatt.
Herz schlecht contrahirt, im rechten wie im linken Herzen relativ
viel schlecht geronnenes, schwarzrothes Blut und je ein grosses, speck¬
häutiges Gerinnsel. Oberfläche des Herzens grauroth, feucht und glatt.
Herzmuskel von etwas mürber Consistenz, auf dem Durchschnitt grau¬
roth, trocken und trübe. Die Innenhaut des Herzens sowie der grossen
Gefässe und der Klappenapparat durchsichtig, feucht und glatt.
Lungen liegen frei in den Brustfellsäcken, sind gross, haben sich
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Abkühlung als Krankheitsursache.
359
schlecht contrahirt. Spitzen- und Herzlappen der rechten und linken
Lunge von derber Consistcnz, Zwerchfellslappen beiderseits weich,
elastisch und lufthaltig, Oberfläche des Spitzen- und Herzlappens der
rechten und linken Lunge blauroth, etwas trocken und trübe und an
an verschiedenen Stellen mit einem graugelben, fädigen, netzartigen Belag
bedeckt, der sich leicht abheben lässt.
Zwerchfellslappen der rechten und linken Lunge an der Oberfläche
blassroth, trocken, trübe und rauh.
Schnittfläche des Spitzen- und Herzlappens beider Lungen grauroth,
sehr feucht und ziemlich glatt. Bei leichtem seitlichen Druck fliesst
von der Schnittfläche eine graubraune, trübe, railchchocolade-ähnliche
Flüssigkeit in ziemlich grosser Menge ab.
Schnittfläche des Zwerchfelllappens beiderseits hellroth, etwas feucht
und ziemlich glatt.
Halsorgane, abgesehen von dem allgemeinen Oedem der
Musculatur, ohne Befund.
Mikroskopischer Befund der Nieren: Nekrose zahlreicher
Epithelien der Tubul. contorti et recti, schwache Färbung
sämmtlicher noch vorhandener Kerne der Harnkanälchen-
epithelien. Fett in grossen Mengen und grossen Tropfen in
zahlreichen Tub. recti et contorti. Geronnenes, feinkörniges
Exsudat an einzelnen Stellen zwischen den Harnkanälchen.
Starke Füllung sämmtlicher Blutgefässe.
VII. Versuch.
Hund 19, ca. 9 Monate altes, weibliches Thier. Gewicht 14 Pfund.
12. —13. 2. 08. 360 ccin Urin, 1015 spec. Gew. Nihil.
13. —14. 380 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Am 14. Vormittags von 11 Uhr bis
11 Uhr 10 Min. Kühlung der Hinterbeine bis zu den Knien bei intacten
Haaren. Temp. 38,7° C.—38,7° C., Wassertemp. 4° C., am Ende des Versuchs
5V 2 0 C. Während des Versuchs Zittern und Unruhe; nachdem das Thier, wie bisher,
unmittelbar nach Beendigung des Versuchs unabgetrocknet in den Käfig zurück¬
gebracht war, fängt es heftig zu zittern an, zuerst am Hinterkörper, dann am ganzen
Körper.
14. —15. 120 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Albumen -f- ( l / i pM. Essb.), ver¬
einzelte hyaline und granulirte Cylinder, Erythrocyten und Nierenepithelien; das
Thier ist munter, frisst gut. Temp. 38,7° C.
15. —16. 140 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen -|- (schwächer), Sediment
unverändert; frisst gut, ist aber etwas stiller.
16. —17. 110 ccm Urin, 1021 spec. Gew. Albumen -f* wie gestern, fast kein
Sediment; ist ziemlich still, hustet nicht; Gewicht 13 Pfund 100 g.
17. —18. 430 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Albumen -f-, Sediment reichlich,
einige hyaline und granulirte Cylinder, einige Erythrocyten.
18. —19. 290 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Derselbe Urinbefund; Gewicht
13 Pfund 400 g.
19. —20. 230 ccm Urin, 1045 spec. Gew. Albumen -f- (1 pM. Essb.), im
Sediment zahlreich geformte Bestandtheile, Nierenepithelien, Erythrocyten. Gewicht
13 Pfund, 250 g.
20. —21. 100 ccm Urin, 1052 spec. Gew. Albumen -[- ( l / 3 pM. Essb.),
Sedimentbefund unverändert. Seit gestern leichter Durchfall.
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21. —22. 35 ccm Urin. Befund wie gestern; ist viel ruhiger, hat nicht aufge-
fressen, aber erbrochen, hustet nicht. Temp. 38,8° C. Percussionsschall über
dem Abdomen gedämpft, über don Lungen nicht; Gewicht 13 Pfund 450 g.
22. -23. 190 ccm Urin, 1054 spec. Gew. Urinbefund derselbe; hat alles auf¬
gefressen, ist wieder munterer.
23. -24. 550 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Status idem.
24. -25. 750 ccm Urin, 1010 spec. Gew. Urinbefund geringer.
25. -26. 180 ccm Urin, 1042 spec. Gew. Derselbe Befund. Gewicht 13 Pfund
400 g.
26. -27. 190 com Urin, 1042 spec. Gew. Albumen -j-, mehr granulirte Cylinder.
27. —28. 20 ccm Urin. Albumen -J-, Nierenepithelien, hyaline, granulirte
Cylinder, Erythrocyten; hat nicht aufgefressen, ist auch nicht mehr so munter.
28. -29. 240 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Derselbe Befund.
29. 2.—1. 3. Sonntag —.
1. —2. 470 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Unverändert. Gewicht 13 Pfund.
2. -3. 370 ccm Urin, 1026 spec. Gew. Status idem.
3. -4. 260 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Albumen -j- ( l j 2 pM. Albumen),
wenig geformte Elemente. Gewicht 12 Pfund 300 g.
4. -5. 270 ccm Urin, 1028 spec. Gew. Albumen -}- ( l / 2 pM. Essb.), sonst
wie gestern.
5. —6. 500 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen (*/ 4 pM. Essb.), ziem¬
lich viel geformte Bestandtheile, auch Erythrocyten.
6. -7. 520 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Sowohl Albumen als auch die übrigen
Nierenbestandtheile geringer.
8. -9. 300 ccm Urin, 1024 spec. Gew. Unverändert. Gewicht 12 Pfund.
9. —10. 400 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Unverändert. Gewicht 11 Pfund 450 g.
Am 10. 3. durch Durchschneiden der Kehle getödtet.
Sectionsprotokoll (Dr. Illing): Makroskopischer Befund:
ca. 9 Monate alter, stark abgemagertes weibliches Thier. In der Unter¬
haut und unter dem Bauchfell liegt wenig gelblich-weisses Fettgewebe
von wässeriger, gallertiger Beschaffenheit. Die Körpcr-
musculatur ist grauroth und wässerig.
Die Bauchorgane befinden sich in normaler Lage. Bauchfell
feuchter wie normal. Magen, Darm, Leber, Milz, Herz, Lunge ohne
Veränderung.
Rechte Niere: Kapsel schwer abziehbar, hängt an verschiedenen
Stellen mit der Oberfläche der Niere zusammen. Das Parenchym reisst
beim Abziehen der Kapsel an diesen Stellen ein. Oberfläche braungrau,
im Allgemeinen feucht, glatt und glänzend bis auf die eingerissenen
Stellen. An der Oberfläche finden sich einige über hirsekorngrosse, grau-
weisse Punkte.
Schnittfläche der Rinde bräunlich-grau, feucht und ziemlich glatt;
an verschiedenen Stellen sieht man kleinerbsengrosse, grauweisse
Punkte, die mit den hellen Punkten der Oberfläche in Zusammenhang
stehen. Die Markschicht ist auf dem Durchschnitt röthlich-wciss, feucht
und glatt.
Linke Niere ergiebt denselben Befund.
Mikroskopischer Befund beider Nieren: Mikroskopisch findet
man sowohl in der rechten wie in der linken Niere in den
Tubuli contorti einzelne nekrotische Epithelien mit gering-
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Abkühlung als Krankheitsursache.
361
gradiger Ansammlung von kleinen Fetttröpfchen. Die übrigen
Epithelien in der Rinden- und Markschicht zeigen gute Kernfärbung. Die
Glomeruli sind unverändert, ebenso im Allgemeinen das Interstitialgewebe.
Die oben beschriebenen kleinerbsengrossen Herde bestehen
aus einer Ansammlung von Rundzellen mit einzelnen Fibro¬
blasten.
Besprechung.
Auf die klinischen Einzelheiten, wie das Auftreten von
Ascites und Oedem der Musculatur (Versuch IV, V, VI),
Zuckungen (Versuch II), Erbrechen (Versuch III), auf das neuer¬
dings von Schlayer 1 ) betonte Missverhältnis zwischen kli¬
nischem Bild und pathologischem Befund, auf die aus Ver¬
such HI hervorgehende Thatsache, dass die functionelle Stö¬
rung der anatomisch sichtbaren Läsion vorauseilt, kann hier
nicht eingegangen werden, so interessant diese experimentellen
Ergebnisse auch sind. Auch auf die Verschlimmerung einer
bereits bestehenden Nephritis in Folge der Durchnässung sei
nur hingewiesen. Uns interessirt an dieser Stelle nur die
Aetiologie.
Dass Bacterien die Entzündung hervorgerufen haben sollten, lässt
sich nicht annehmen; zum mindesten dürfte sich kaum ein Moment an¬
führen lassen, das für eine lnfection auch nur entfernt spräche, denn
die Nieren sind normaler Weise keimfrei; wie aber soll man sich vor¬
stellen, dass Keime den ganzen Körper passiren, ohne irgendwo Er¬
scheinungen zu machen, und erst ganz zuletzt in der Niere ihre krank¬
machende Thätigkeit entfalten. Auch von einer aufsteigenden Erkrankung
kann keine Rede sein, denn es war weder eine eitrige Cystitis noch
Pyelitis vorhanden. Selbst Versuch VI (Hund 18), der einzige Fall, wo
überhaupt eine Pneumonie aufgetreten war, spricht nicht für lnfection,
denn die Pneumonie, vermuthlich durch ein anderes Thier eingeschleppt,
trat erst 7 Tage nach der zweiten Abkühlung auf, als der Hund schon
12 Tage nephritisch war. Ebenso wenig kann man eine Wirkung von
Bacterientoxinen annehmen, da die Bacterien selbst sich doch nirgends
documentirten. So kommen wir schon per exclusionem zu der Annahme,
dass einzig und allein die durch die Durchnässung, d. h. Ab¬
kühlung der Haut der Füsse gesetzten Circulationsstörungen
die Nierenerkrankung ausgelöst haben.
Den Weg zur Erklärung des Mechanismus der Erkältungsnephritis
zeigen uns Versuche von Wertheimer 2 ) (Lyon). Wertheimer fand,
dass, wenn er einen Eisumschlag auf die Haut (Abdomen) eines
Hundes brachte, das Volumen der Niere sich verkleinerte. Er
maass die Menge des vor und nach der Eisapplication aus der Nieren¬
vene abfliessenden Blutes und fand eine starke Verringerung nach der¬
selben. Daraus schloss er, dass bei Kälteeinwirkung auf die Haut
1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 91. 1907.
2) De l’influence de la röfrigeration etc. Arch. de pbysiol. 1894. S. 308.
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die Nierengefässe sich gleichzeitig mit den Hautgefässen zu¬
sammenziehen. Durchschnitt er sämmtliche Nerven im
Nierenhilus, so schlug dieses correspondirende Verhalten in
ein gegensätzliches um, d. h. während die Hautgefässe sich
Contrahirten, vergrösserte sich das Nierenvolumen, entstand
daselbst eine Hyperämie wie im Respirationsgebiet. Er.konnte
ferner constatiren, dass, wenn er die Kälte längere Zeit
(10 Minuten) einwirken liess, die renale Vasoconstriction auch
noch nach Entfernung des Eisumschlags von der Haut längere
Zeit anhielt.
Die weiteren Schlüsse ergeben sich von selbst: Die Vasocon¬
striction in der Niere führt zur Ischämie, die Ischämie zu Er¬
nährungsstörungen, und diesen fallen die zarten empfind¬
lichen Nierenepithelien zum Opfer. Wie daraus eine echte acute
parenchymatöse Nephritis entsteht, erklärt uns Ribbert 1 ). Ribbert,
der von seinem pathologisch-anatomischen Standpunkt aus nur dann die
Bezeichnung „Entzündung“ für berechtigt hält, wenn die 4 Cardinal-
symptome (Hyperämie, Exsudation, Emigration, Zellwucherung) gegeben
sind und demgemäss die Bezeichnung „parenchymatöse Entzündung“
nicht mehr im landläufigen Sinne gelten lassen will, sagt 2 3 ): „Die
Parenchymveränderung hat ihrem Wesen nach nichts mit der nach¬
folgenden Entzündung zu thun, sie ist lediglich die Schädlichkeit, welche
die Entzündung hervorruft.“ Als Beispiel nimmt er die Niere. «Die
untergegangenen Zellmassen 8 ) oder die aus den entarteten
stammenden abnormen Stoffwechselprodukte veranlassen nun
ihrerseits entzündliche Vorgänge.“
Jedenfalls steht die von uns gegebene Erklärung mit den modernsten
pathologisch-anatomischen Anschauungen in vollstem Einklang; sie giebt
uns ungezwungen und ohne Zuhilfenahme irgend welcher Hypothesen
klaren Aufschluss. Das klinische Bild bei unseren Versuchs-
thieren wie auch der von competentester Seite erhobene
pathologisch-anatomische Befund zeigen einen progredienten,
entzündlichen Process und entsprechen völlig dem, was so¬
wohl der Kliniker als auch der pathologische Anatom unter
einer acuten parenchymatösen Nephritis verstehen.
Ich habe versucht, den Beweis für die Richtigkeit der Wcrtheimer-
schen Versuche und meiner von diesen abgeleiteten Erklärung indirect zu
erbringen. Ich ging von dem Gedanken aus, dass, wenn thatsächlich die
Gefässcontraction in der Haut und in der Niere isochron eintreten und
wenn ferner die Ischämie der Niere für die Entstehung der Nierenent¬
zündung ausschlaggebend ist, bei gleicher Art der Abkühlung die Ne¬
phritis ausbleiben müsse, wenn es gelingt, die Ischämie rasch zu be¬
seitigen. Es giebt hydrotherapeutische Massnahmen, z. B. Ganzabreibungen,
Halbbäder, bei denen durch Frottiren der Haut die primäre Kälte-
1) Ribbert, Die Bedeutung der Entzündung. 1905.
2) 1. c. S. 20.
3) 1. c. S. 63.
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Abkühlung als Krankheitsursache.
363
Wirkung auf die Haut sofort ausgeglichen wird. Ich kühlte nun einen
Hund in der gewöhnlichen Weise an den Hinterbeinen bis zu den Knieen
bei intakten Haaren 10 Minuten lang, frottirte sofort 5 Minuten lang
energisch die nassen Beine bis zur Trockenheit, jagte das Thier noch
einige Minuten im Laboratorium herum und brachte es dann erst in den
Käfig. Der Verlauf war folgender:
VIII. Versuch (Frottirungsversuch).
Hund 20. Weibliches, ca. s / 4 Jahre altes Thier, Gewicht 9 Pfund 300 g.
14. —15. 3. 08. 280 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Nihil.
15. —16. 250 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Nihil; im Sediment nur Salze. Am
16. 3. 12 Uhr 30 Min. Temp. 38,5°; Wassertemp. 4° C. Abkühlung der Hinterbeine
bis zu den Knien bei intacten Haaren von 12 Uhr 33 Min. bis 12 Uhr 43 Min.; während
des Versuchs zittert das Thier allmählich am ganzen Körper. Wassertemp. am Schluss
5° C. Beide Beine werden sofort energisch trocken gerieben; Temp.
38,4° C. Der Hund wird einige Minuten im Laboratorium herumgejagt
und dann erst in den Käfig gebracht.
16. —17. 375 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Kein Albumen; im Sediment nur
Salze; ist munter und frisst gut.
17. —18. 320 ccm Urin, 1024 spec. Gew. Spur Albumen, hauchförmige Trübung
der Essigsäurekochprobe; im Sediment nur Salze.
18. -19. 200 ccm Urin, 1038 spec. Gew. Kein Albumen; Salze, Bakterien.
19. —20. 230 ccm Urin, 1028 spec. Gew. Kein Albumen; wenig Sediment,
nur Salze; Gewicht 9 Pfund 300 g.
20. —21. 120 ccm Urin, 1028 spec. Gew. Kein Albumen; wenig Sediment, nur
Salze. Am 21. 3. von 11 Uhr 30 Min. bis 11 Uhr 40 Min. Wiederholung des
Frottirungsversuchs. Wassertemp. 4° C. bis 5° C., Rectaltemp. 39° — 39,2°.
Während des Versuchs 1 Minute lang Einathmen von Amylnitrit. Zittern nicht wahr¬
nehmbar.
21. —22. 260 ccm Urin, 1034 spec. Gew. Kein Albumen, im Sediment nur
Salze; hat nicht alles aufgefressen (Amylnitrit!) ist aber völlig munter.
22. -23. 190 ccm Urin, 1024 spec. Gew. Kein Albumen, im Sediment nur
Salze in grossen Mengen und Bakterien.
23. -24. 320 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Kein Albumen, im Sediment nur
Salze, einige Leukocyten und Bakterien. Gewicht 9 Pfund 150 g. Am 24. 3. von
11 Uhr 15 Min. bis 11 Uhr 25 Min. Abkühlung wie bisher, doch wird das Thier
aus dem Wasser unabgetrocknet sofort in den Käfig zurückgebracht.
Temp. 38,4—38,5° C., Wassertemp. 4°—5° C. Während des Versuchs nur wenig
Zittern, das im Käfig ziemlich heftig wird.
24. -25. 350 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Kein Albumen; viel Salze, Leuko¬
cyten in mässiger Menge, Bakterien, vereinzelt Erythrocyten.
25. —26. 130 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Albumen schwach -f-, im Sediment
nur Salze und Bakterien; frisst sohlecht.
26. —27. 180 ccm Urin, 1028 spec. Gew. Albumen 2—3 Nierenepithelien
und ebensoviele hyaline und granulirte Cylinder im ganzen Präparat; Salze. Gewicht
9 Pfund. Nach einigen Tagen schwand das Albumen und auch die Nierenbestand-
theile, um später nochmals aufzutreten.
12. —13. 4. 400 ccm Urin, 1021 spec. Gew. Spur Albumen, 2 bis 3 granulirte
Cylinder.
13. —14. 500 ccm Urin, 1010 spec. Gew. Albumen -]- (stärker), einige granulirte
Cylinder und Erythrocyten.
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Original fro-m
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364
W. Siegel,
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14. —15. 500 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Albumen einige granulirte und
hyaline Cylinder, Erythrocyten, Nierenepithelien.
15. —16. 200 com Urin, 1020 spec. Gew. Albumen -j-, ganz vereinzelte Cylinder,
einige Erythrocyten. In den folgenden Tagen gingen die Erscheinungen weiter zurück,
das Thier wird am 21. 4. durch Entbluten getötet.
Sectionsprotokoll. Makroskopischer Befund: Cadaver be¬
findet sich in gutem Ernährungszustand. In der Unterhaut und unter
dem Bauchfell liegt reichlich gelbweisses Fettgewebe von lappigem Bau.
Die Bauchorgane haben die gewöhnliche Lage. In der Bauchhöhle kein
fremder Inhalt. Darmkanal, Magen, Milz, Leber, Pankreas und Harn¬
blase, ebenso Lunge, Herz und Halsorgane ohne Sonderheiten.
Rechte Niere von gewöhnlicher Form und Grösse. Kapsel mit
Ausnahme einer kleinen Stelle in der Nähe des Hilus mit dem Nieren¬
parenchym nicht verwachsen. Das Nierengewebe reisst beim Abziehen
der Kapsel an dieser Stelle ein. Oberfläche sonst ohne Besonderheiten,
braungrau, feucht und glatt. Auf der Schnittfläche Rindenschicht grau¬
braunrot mit deutlicher Rindenzeichnung, feucht und ziemlich glatt. An
verschiedenen Stellen sowohl der Rinde wie der Marksubstanz findet man
grauweisse, stecknadelkopfgrosse Stippchen.
Linke Niere derselbe Befund. Ausserdem findet man an dem
kranialen Pole auf der Oberfläche zahlreiche, reiskorngrosse, grauweisse
Herde. Auf dem Durchschnitt sieht man, dass von diesen Herden gelb-
lich-weisse Stränge durch Rinden- und Marksubstanz zum Hilus ziehen.
Mikroskopisch: Rechte Niere: Die Korne der Epithelien der
Tubuli contorti und recti sind in allen Theilen gut gefärbt, das Proto¬
plasma ist fein und dicht gekörnt. In einzelnen Tub. cont. findet
man kleine Fetttröpfchen. Die Glomeruli sind ohne Veränderungen.
Das Interstitialgewebe ist deutlicher als gewöhnlich sichtbar.
Die makroskopisch beschriebenen Stippchen bestehen vor¬
nehmlich aus Rundzellen mit einzelnen Fibroblasten und
fertigen Bindegewebszellen.
Die linke Niere zeigt dasselbe mikroskopische Bild. Ausserdem
findet man eine deutliche Vermehrung des interstitiellen
Bindegewebes. Die mit blossem Auge gesehenen-Stränge be¬
stehen zum grössten Theil aus Fibroblasten, fertigen Binde¬
gewebszellen und nur einzelnen Rundzellen.
Path.-anat. Diagnose: Nephritis interstitialis fibroblastica.
Da aus äusseren Gründen diese Versuchsreihe nur an einem Thier
durchgeführt werden konnte, ist das Resultat nur mit Vorsicht zu ver-
werthen. Jedoch in Anbetracht des Umstandes, dass die sieben voraus¬
gehenden Versuche ohne Frottirung sämmtlich positiv ausfielen, muss
man doch wohl der Frottirung, resp. dem dadurch bedingten Ausgleich
der durch die Kälteeinwirkung veränderten Circulation einen bestimmenden
Einfluss zuschreiben, umsomehr als nach der dritten Abkühlung, nach
welcher das Thier unabgetrocknet in den Käfig zurückgebracht wurde,
eine leichte acute Nephritis eintrat. Dabei fiel auf, dass die Erscheinungen
etwas später, als sonst und auch bei Weitem nicht so intensiv sich
Gck igle
Original fro-m
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Abkühlung als Krankheitsursache.
365
zeigten. Die Gewöhnung an den wiederholten Kältereiz kam nicht nur
im Verhalten des Thieres während der zweiten und dritten Abkühlung zum
Ausdruck, sondern auch in der langsameren Entwicklung der Krankheit.
Dass im gewöhnlichen Leben die Erkältungsnephritis nicht häufiger
ist, erklärt sich leicht, wenn man neben der Gewöhnung noch in Betracht
zieht, dass die meisten Menschen durch körperliche Bewegung den nor¬
malen Gang der Blutcirculation aufrecht zu halten suchen, dass speciell die
Füsse, die ja auch bekleidet und beschuht sind, durch eben diese Bewegung
sich bald erwärmen und dass nicht wenige Menschen, besonders im Winter,
die nasse Fusswäsche wechseln und sich dabei tüchtig frottiren.
Vielleicht sind acute nephritische Reizungen als Folge von Er¬
kältungen beim Menschen häufiger als wir wissen. Beobachtungen, welche
auch zu einer zeitweisen Unterbrechung meiner Versuche zwangen, legen
diesen Verdacht nahe. Ende December 1907 und während der ersten
Hälfte Januar 1908 herrschte in Berlin abwechselnd Schneefall und Tau¬
wetter. Fast sämmtliche während dieser Periode unserem Laboratorium
zugeführten Hunde (12 Thiere) zeigten bei absolut erhaltener Munterkeit
und Fresslust leichte Reizerscheinungen von Seiten der Niere, so dass
sic für meine Zwecke unbrauchbar waren. Ehe die Thiere zu uns ge¬
bracht werden, haben sie sich Tage lang im Freien herumgetrieben, und
es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass der ununterbrochene
Aufenthalt im Schnee und Schneewasser verantwortlich zu machen ist.
Diese das Befinden in keiner Weise störenden acuten Nierenreizungen
machen auch die bei Hunden, besonders Jagdhunden 1 ), so häufige Schrumpf¬
niere verständlich, zumal doch die ganze Reihe der für den Menschen
bekannten ätiologischen Schädlichkeiten in Wegfall kommen muss.
Ebenso gut ist es denkbar, dass auch beim Menschen leichte rasch
vorübergehende Nierenreizungen im Anschluss an Erkältungen (Durch¬
nässungen) nicht so selten sind. Nur werden sie aus den verschie¬
densten Gründen nicht diagnosticirt. Es kann das Krankheitsgefühl
fehlen oder so unbedeutend und von so kurzer Dauer sein, dass ein Arzt
nicht beigezogen wird, oder es wird nur eine einfache Erkältung an¬
genommen und der Urin mangels irgend welcher auf die Nieren hin¬
weisender Symptome gar nicht untersucht. Auf diese Weise unter¬
bleibt die Diagnose. Vielleicht liegt hierin die Ursache für so manche
chronische Nephritis, Schrumpfnicre.
Die Erklärung, die Strasser 2 ) für die Entstehung der Erkältungs¬
nephritis giebt, hat mit der unsrigen nicht viel gemein; er sagt: „Die
Niere wird bei Kältereiz lange in einem ischämischen Zustand sein
können, welcher selbst die Epithelien schädigt, und sie wird auch leicht
nach einer solchen Ischämie in einen Zustand stärkster Hyperämie ge-
rathen können, welche auch wieder schädlich wirkt. In welcher Weise
dann ein eventueller Uebergang einer Nierenhyperämie zur Nephritis
1) Von einem enragirten Jäger erfahre ich, dass er und alle seine Jagdfreunde
ihre nassgewordenen Hunde nach der Jagd in warme Räume bringen und trocken
reiben lassen.
2) Deutsche Klinik, I. Band, Erkältung und Abhärtung.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 24
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366
W. Siegel, Abkühlung als Krankheitsursache.
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stattfindet, ist unklar. Doch muss man sagen, dass dazu Bakterien und
deren Toxine nicht unbedingt nötbig sind, sondern dass auch chemische
Toxine abnormer Art genügen.“
Die Wortheimcr’schen Versuche decken auch die „geheimnisvollen
Beziehungen zwischen Haut und Niere“ auf, von denen Krehl 1 ) spricht.
Zusammenfassung.
Diese Versuche liefern den Beweis dafür, dass Abkühlung
der Haut an und für sich ohne Mitwirkung von Bakterien
einzig und allein durch Veränderung der Circulation und
die dadurch gesetzten Ernährungsstörungen thatsächlich
Krankheiten hervorrufen kann.
Sie zeigen weiter, dass eine Herabsetzung der Körper¬
temperatur durchaus nicht absolutes Erforderniss für die Ent¬
stehung von Erkältungen ist; wahrscheinlich wäre in Ver¬
such I und II, wo es zu Temperaturerniedrigung von 2,6° C.
resp. 1,7° C. kam, dio Nephritis auch ohne diese aufgetreten;
zum Theil ist das Sinken der Temperatur auf die Fesselung
derThiere und vielleicht auch bis zu einem gewissen Grad auf
die Morphiumnarkose zu beziehen.
Dio aus unseren Versuchen sich ergebenden Folgerungen
lassen sich auf das Respirationsgebiet nicht übertragen,
einmal wegen der Anwesenheit von Bakterien in den oberen
Luftwegen, dann aber vor Allem wegen des principiell ver¬
schiedenen Verhaltens der Blutcirculation bei Kälteeinwirkung
auf die äussere Haut: in der Niere parallel der Haut Anämie,
im Respirationsgebiet Hyperämie.
Der thatsächliche Einfluss dieser Hyperämie, die mit der
Bier’schen künstlich gesteigerten nicht in Parallele gesetzt
werden darf, ist experimentell noch nicht klargestcllt.
Das Verhalten der Vasomotoren ist von der grössten, für
einzelne Affectionen von geradezu ausschlaggebender Be¬
deutung.
Erkältungskrankheiten können nach dem heutigen Stand
unserer Kenntnisse unter Betheiligung von Bakterien oder
deren Toxinen entstehen, aber ebenso gut auch ohne diese.
Die Affectionen, welche wir unter der Bezeichnung „Er¬
kältungskrankheiten“ zusammenfassen, haben weder eine ein¬
heitliche Ursache noch einen einheitlichen Entstehungs¬
mechanismus.
1) Path. Physiologie.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XXVI.
Aus der experimentell*biologischen Abtheilung des Pathologischen
Instituts der kgl. Universität Berlin.
Untersuchungen Ober Pankreasdiabetes, besonders über das
Blut der Vena pancreatico-duodenalis.
Von
Dr. Alfred Alexander und Dr. Rudolf Ehrmann.
Die Untersuchungen wurden zur Prüfung der Frage angestellt, ob
vom Pankreas aus Stoffe auf dem Blutwege abgeführt würden, die durch
Beeinflussung des Vagosympathicus für den Zuckerstoff Wechsel maass¬
gebend wären 1 )* Es wurde nun einerseits untersucht, ob das aus dem
Pankreas abfliessende Blut die Folgen der Pankreasexstirpation beseitigt,
andererseits ob es einen Einfluss auf den Vagus oder den Syrapathicus
au fzuweisen hat.
Die erste Versuchsreihe bestand darin, dass Blut aus der Vena
pancreatica von Thieren in den verschiedensten Fütterungsstadien und
nach der verschiedensten Art der Fütterung in die Vena jugularis oder
in die Vena femoralis von pankreaslosen Hunden infundirt wurde. Es
zeigte sich nun, dass eine Beeinflussung der Glykosurie im Ganzen nicht
stattfand und dass in den wenigen Fällen, wo die Zuckerausscheidung
herabging, es sich um eine Erscheinung handelte, die manchesmal auch
ohne jeden äusseren Eingriff zur Beobachtung kam. Ausserdem wurde
auch Blut aus der Vena pancreatico-duodenalis vermischt mit Secretin
infundirt. Wir geben die folgenden Versuchsbeispiele:
Versuche I—III.
Hund II. Pankreas am 31. 4. 07 exstirpirt. Der Urin wird von Mittags 1 Uhr
bis zum anderen Tage um 1 Uhr, möglichst portionsweise, gesammelt.
Datum
Urin¬
menge
Dextrose
pCt.
Gramm
3. 5. 07
750
6,0
45,0
4. 5. 07
630
5,4
34,0
Um 4 Uhr 15 Min. erhält er in die Vena saphena
50 ccm defibrinirten Blutes, das aus der Vena
pancreatico-duodenalis eines 4 Stunden vor
d. Entblutung mit gemischter Kost gefütterten
Hundes gewonnen war. Beim Aufbinden lässt
er ca. 150 ccm Urin.
1) Vergl. die Ausführungen des einen von uns (Congr. f. inncro Med. Wien, 1908).
24*
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368
A. Alexander u. R. Ehrmann,
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Datum
Urin-
menge
Dextrose
pCt.
Gramm
5. 5. 07
ca. 150
?
V
510
4.6
23,46
180
6,3
11,34
34 8
(Verlust.)
6. 5. 07
320
5,3
16,96
Um 3 Uhr SO Min. erhält er 150 ccm defibri-
530
6,0
31,80
nirten Vena pancreatica-Blutes infundirt, von
48,76
einem Hunde, der IV 2 Stunde vor der Ent-
blutung reichlich Kartoffel + 50g Rohrzucker
erhalten, aber nur wenig gefressen hatte.
7. 5. 07
* 860
4,2
36,12
360
5,0
18,0
54,12
8. 5. 07
780
5,2
40,56
Erhält um 3 Uhr 145 ccm Pankreasvenenblutes
235
4,4
10,34
intravenös, das von einem Thier stammt, das
50,9
372 Stunde vor der Entblutung gemischtes
Futter und 1 Stunde vorher noch 200 ccm Vig -
Normat-HCl durch die Schlundsonde erhalten
hatte.
9. 5. 07
730
6,5
47,45
260
4,8
12,48
59,93
10. 5. 07
720
7,6
54,72
200
4,5
9,0
63,72
11. 5. 07
735
6,0
51,0
160
4,5
7,2
58,2
Fand ein Rückgang oder Schwund des Zuckers aus dem Urin nach
einer Infusion statt, wie z. ß. bei Hund 1, der nach einer Infusion von
40 ccm Pankreasvenenblutes am 15. 4. 07, am übernächsten Tag eine
Portion Urin ohne Zuckergehalt entleerte, so kann das kaum auf die
Infusion bezogen werden, da bereits auch ohne Eingriff einmal zucker¬
freier Urin entleert worden war.
Was die Ausscheidung von zuckerfreiem Harn bei pankreas¬
diabetischen Hunden anlangt, so ist schon von Minkowski 1 ) ein Fall
mitgctheilt worden, bei dem einige Tage vor dem Exitus der Urin zucker¬
frei wurde. Bei der Section fand sich ein Abscess in der Bauchhöhle.
Vor kurzem hat auch Mohr 2 ) berichtet, dass ein pankreasloser Hund
keine Glycosurie aufwies, dagegen einen Blutzuckergehalt von 0,32 pCt.
Während es sich bei Minkowski um Schwund und Rückgang der
Glycosurie bei entkräftetem Thier kurz vor dem Tode handelt, geht aus
dem Falle von Mohr und aus unserem Falle, wo sich das Thier voll¬
kommen wohl befand, und erst 23 Tage später durch Entblutung ge-
tödtet wurde, hervor, dass pankreaslose, aber sonst noch kräftige
Thiere vorübergehend Urin ohne Zucker ausscheiden können.
Das gleiche Thier schied einige Tage später eine Portion Urin aus, die
1 ) Minkowski, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 31.
2) Mohr, Zeitschr. f. exp. Path. u. Ther. 1907. Bd. 4.
Gck igle
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Untersuchungen über Pankreasdiabetes etc.
369
eine enorm grosse Menge Zucker enthielt. Der Urin ergab polarisirt
eine Rechtsdrehung, die einer Zuckermenge von über 31 pCt. entsprach.
Nach Fehling titrirt ergaben sich 32 pCt. Der aufs 20fache verdünnte
Urin liess,. im Gährungsröhrchen angesetzt, die Grenzmarke von 1 pCt.
weit hinter sich zurück, was also einem Zuckergehalt von weit mehr
als 20 pCt. entspricht. Der Urin, der einen widerlich süssen Geschmack
hatte, war noch nach 8 Tagen, bei Zimmertemperatur stehend, in Folge
seines hohen Zuckergehaltes vollkommen frei von Bakterientrübung.
Als weitere Beobachtungen, die bei diesen Versuchen gemacht wurden,
sei noch kurz das Folgende mitgetheilt:
Es fand sich in einigen Fällen Ausscheidung von Neutralfett in
grösseren Mengen im Urin, das eine klare, dicke Schicht über der Harn¬
flüssigkeit bildete.
Bei den zu diesen Untersuchungen verwandten Thieren und bei den
zu anderen Zwecken pankreasexstirpirten Hunden, fand sich in allen
Fällen, wenn auch nicht andauernd, sondern nur zeitweise, ein obstartiger
Geruch und Aceton im frisch gelassenen Harn. Bei den frisch getödteten
oder gestorbenen Thieren war dieser obstartige Geruch bei der Section
stets wahrnehmbar.
Minkowski 1 ) giebt an, mässige Mengen Aceton häufiger gefunden
zu haben, Brugsch und Bamberg 2 3 ) haben Aceton nur selten festgestellt.
Linksdrehende Substanzen nach Vergährung haben wir durch Polari¬
sation nur ganz vereinzelt aufgefunden. In der Mehrzahl der Fälle
zeigten die Thiere starken Icterus. Es ergab sich aber bei der Section,
dass bei geringem Druck auf die Gallenblase mit Leichtigkeit sich Galle
in den Darm entleeren liess. Die Frage, ob es sich hierbei um einen
abnorm leichten Uebergang der Galle aus den Gallenkapillaren der
diabetischen Leber in die Blutgefässe handelt, oder ob vielleicht eine
geringe katarrhalische Veränderung der Duodenalschleimhaut schon ge¬
nügt um den Austritt der Galle zu verhindern, oder ob es sich etwa
um eine Veränderung im nervösen Mechanismus der Papilla duodenalis
handelt, muss noch weiter untersucht werden. Bayliss und Starling 8 )
haben schon auf den Zusammenhang zwischen Pankreas- und Gallen-
secrction hingewiesen. Der eine von uns hat Untersuchungen am duo¬
denumlosen Hund angestellt, bei dem der Gallenpankreasgang als Fistel
an die Bauchdecken genäht worden war. Es zeigte sich nun, dass falls
eine Pankreassecretion hervorgerufen wurde, gleichzeitig eine gesteigerte
Gallenmenge aus der Fistel abfloss. Es ist daher möglich, dass bei den
pankreaslosen Hunden der Icterus dadurch zustande kam, dass die
Papilla duodenalis nach dem Wegfall des Mechanismus der Pankreas¬
secretion auch für den damit Hand in Hand gehenden Mechanismus der
Gallensecretion vielleicht gestört wurde.
Von Interesse ist noch der folgende Befund. Bei Hund III, dem
am 1. 6. 07 das Pankreas exstirpirt wurde, und der am 10. 7. 07 starb,
1) Minkowski, 1. c.
2) Brugsch u. Bamberg, Centralbl. f.d.ges. Phys.d.Stoffwechsels. 1908. No. 1.
3) Bavliss und Starling, Journ. of Physiol. 28.
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370
A. Alexander u. K. Ebrmann,
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fand sich, dass die Leber im Gegensatz zu der sonst gefundenen Fett¬
leber der pankreasdiabetischen Tliiere roth und makroskopisch nicht ver¬
fettet aussah. Dieses Thier hat am 18. Tage nach der Pankreas¬
exstirpation 18 Tage Jang täglich 75 g Rohrzucker erhalten. Nun ist
von Rosenfeld nachgewiesen worden, dass durch Verabreichung von
Kohlehydraten die sich beim Diabetes ausbildende Fettleber verhütet
wird. Da in unserem Falle das Thier schon 18 Tage diabetisch war,
ehe die Rohrzuckerdarreichung einsetzte, so ist es wahrscheinlich, dass
bereits eine Fettleber bestand, und es scheint demnach möglich zu sein,
dass bereits bestehende Fettleber noch nachträglich durch grosse Gaben
von Zucker wieder beseitigt werden kann.
Erwähnen möchten wir noch, dass wir bei einem der diabetischen
Thicre wiederholt Ercctionen auftreten sahen.
Es wurden weiterhin Versuche darüber angestellt, ob dem Serum
des aus der Vena pancreatico-duodenalis ausfliessenden Blutes eine
Wirkung auf den Sympathicus oder Vagus zukommt. Eine Vaguswirkung
des Blutes nach intravenöser Injection in ein zweites Thier wurde nicht
beobachtet, ebenso wenig eine Wirkung auf die sympathischen blutgefäss¬
erweiternden und -verengernden Nerven. Der am Kymographion ver-
zeichnete Blutdruck blieb bei der Injection von 10 ccm Pankreatica-
scrum vollkommen unverändert. Ein weiteres Testobject für eine Sym-
pathicuswirkung bietet die von dem einen von uns angegebene Methode
des enucleirtcn belichteten Froschbulbus. Es wurde von mehreren Paaren
Froschbulbi immer der eine in Serum aus der Carotis oder Vena
femoralis, der andere in Serum aus der Vena pancreatico-duodenalis ge¬
legt, wobei in den meisten Fällen die kurz vor der Einmündung der
Vena pancreatico-duodenalis in die Vena portae vom Duodenum kommenden
grösseren Venen unterbunden worden waren, daneben auch alle die
anderen vom Duodenum kommenden Venen, soweit dies möglich ist.
Da in 6 unter 10 Versuchen die Pupillen im Pancreaticaserum eine
Spur grösser wurden als im Controllserum, so war es möglich, dass
vielleicht diese geringfügige Erweiterung durch Fermente hervorgerufen
war. Es zeigte sich aber, dass sie weder auf die Wirkung von diasta-
lischem Ferment noch auf die von Trypsin zurückzuführen war.
Bei diesen Versuchen zeigte sich, dass eine lproc. Lösung käuf¬
lichen Pankreatins in physiologischer NaCI-Lösung die Pupille, gegen¬
über einer physiologischen NaCI-Lösung, mässig stark erweitert. Ge¬
kocht zeigte die Pankrcatinlösung ungeschwächte Wirkung, woraus sich
ergiebt, dass cs sich nicht um eine Fermentwirkung handeln kann,
sondern dass wahrscheinlich eine Wirkung der Salzconcentration oder
eine Säurewirkung (die Lösung verhielt sich gegen Lakmus sauer) in
Folge der Herstellung des käuflichen Pankreatins vorliegt.
Die Ursache davon, dass Serum aus dem Blute der Vena pancreatico-
duodenalis, das möglichst frei von Blut aus den Duodenumvenen ge¬
wonnen wurde, eine ganz geringe Erweiterung meist einhergehend mit
einer Verzerrung der Froschpupille im Vergleich zum Serum aus der
Vena femoralis hervorrief, konnte nicht sicher ermittelt werden. Es
handelt sich vielleicht um Stoffe, die vom Darm aus in den Blutstrom
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Untersuchungen über Pankreasdiabetes etc.
371
abgeführt werden und die durch eine Säurereizung oder eine Störung
der Isotonic des Serums sich als geringe Pupillenerweiterung documentiren.
So waren von diesen 6 Fällen kurz vor der Entblutung 3 Thicren Säuren
und einem Thier eine Alkalilösung eingegossen worden.
Wie das folgende Versuchsbeispicl zeigt, wurden die etwas weiteren
Pupillen des Pankreaticaserums nach Zusatz gleicher Mengen einer Atropin¬
lösung nicht so weit als die im femoralen Serum ruhenden Pupillen. In
einem anderen Falle wurden die Pupillen im Pankreaticaserum erst etwas
weiter, dann nach einigen Stunden enger als die Controllobjectc.
Versuch IV (26. 11. 1907).
Hund erhält um 8 Uhr gemischtes Futter, um 12 Uhr 30 Min. dann 250 ccm
Vjq Normal-HCl durch die Schlundsonde, um 1 Uhr in leichter Aethornarkose Blut¬
entnahme durch Glascanülen aus der Vena pancreatico-duodenalis, nach Unterbindung
der grösseren Venen vom Duodenum, dann Blutentnahme aus der Vena femoralis.
Das geschlagene Blut wird centrifugirt und die Sera gewonnen.
Zu dem einen Bulbus von 11 Paar Froschbulbi kommt dann Pancreaticaserum,
zu dem anderen Feraoralisserum. Nach 3 Stunden sind die Pupillen im Pan¬
creaticaserum in 10 Fällen weiter und leicht verzerrt, in 1 Fall gleich
dem Serum aus der Femoralis.
Dann wird zu 5 von den 11 Bulbipaaren je 3 Tropfen 1 proc. Atropin hinzu-
gofügt. Nach 2y 2 Stunden ist nunmehr in 4 von den 5 Fällen die Pupille im
Pancreaticaserum -f- Atropin enger als die Pupille im Femoral-
serum -f- Atropin.
Ergebnisse.
1. Das aus dem Pankreas abfliessende Blut ruft bei pankrcaslosen
Hunden nach Infusion in den Blutkreislauf weder Verhinderung noch
Rückgang der Zuckerausscheidung hervor, es ist dabei gleichgültig, in
welcher Vordauungsphase die Thiere sich befanden, die das Blut lieferten 1 ).
2. Das Serum, das aus dem Blut der Vena pancreatico-duodenalis
möglichst frei vom Blut der aus dem Duodenum kommenden Gefässe
gewonnen ist, hat keine Wirkung auf den Blutdruck.
3. Es besitzt keine Wirkung auf den Nervus vagus.
4. Auf den Nervus sympathicus, untersucht an der Pupille des
cnuclcirtcn belichteten Froschbulbus, hat es ebenfalls keine ausge¬
sprochene Wirkung, jedoch wurde in 6 von 12 Fällen eine ganz geringe
Pupillenerweiterung gefunden; manchmal mit einer geringeren Ansprech¬
bark eit für Atropin, verbunden oder gefolgt von einer geringen Ver¬
engerung, beides im Hinblick auf die Controllpupillcn. Die erweiterten
Pupillen zeigten meist eine geringe Verzerrung der normalen Ovalform.
5. Pankreaslose, sonst gesunde und muntero Hunde können Urin¬
portionen entleeren, die keinen Zucker enthalten.
6. Bei allen Thieren konnte im frisch gelassenen Urin sehr häufig
Aceton nachgewiesen werden.
7. Bei den meisten Thieren trat Icterus auf, obwohl bei der Section
1 ) Nachdem der eine von uns beobachtet hatte, dass Chlorcalciumlösungen beim
Kaninchen die Adrenalinglykosurie meist verhindern (Ehrmann, Berlin. Med. Gesell¬
schaft, Sitzung v. 17. 6. 08) haben wir bei weiteren pankreaslosen Hunden wiederholt
Chlorcalciumlösungen infundirt, stets ohne Rückgang für die Dextroseaussoheidung.
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372
A. Alexander u. R. Ehrmann,
durch leichten Druck auf die Gallenblase schon Galle in den Darm
übertrat. Die Ursachen sind noch nicht geklärt.
8. Durch Zuckerverfütterung wurde .die sonst bei pankreasdiabetischen
Hunden beobachtete Leberverfettung verhindert bezw. eine wahrscheinlich
schon bestehende (18 Tage nach der Pankreasexstirpation) beseitigt.
Protokolle.
Hund I. Pankreas exstirpirt am 26. 3. 07, wird am 9. 5.07 entblutet, lebte 45 Tage. Urin von
2 Uhr bis zum nächsten Mittag 2 Uhr gemessen. Pankreasvenenblut stets in leichter Aether-
narkose entnommen.
Datum.
Futter.
Urin menge.
ccm
Dextrose.
Bemerkungen.
26.3. 07
—
—
—
11,30 Uhr Pankreas total ei-
stirpirt.
28. 3. 07
—
320
1,2 pCt. - 3,80 g
29. 3. 07
Gemischte Nahrung.
520
1,0 pCt. = 5,2 g
30. 3. 07
Desgl.
180
1,7 pCt. = 3,06 g
2. 4. 07
Desgl.
1400
0,8 pCt. = 11,2g
3. 4. 07
Desgl.
210
1,2 pCt. = 2,52 g
4. 4. 07
Desgl.
400
0 pCt. = 0 g
Nylander: 0. Polarisation: 0.
5. 4. 07
Desgl.
300
3,0 pCt. = 9,0 g
10. 4. 07
Desgl.
350
3,0 pCt. = 10,5 g
11 . 4. 07
500 g Pferdefleisch,
500 ccm Wasser.
? Verlust.
2,8 pCt.
12. 4 07
460 g Fleisch,
500 ccm Wasser
genommen.
500
7,5 pCt. = 37,5 g
Aceton: 0. Acetessigsäure: 0.
/3-Oxybuttersäure: 0.
13. 4. 07
400 g Pferdefleisch,
500 ccm Wasser
genommen.
350
4,0 pCt. = 14,0 g
Aceton: 0. Acetessigsäure: 0.
Auf dem Urin schwimmt eine
ca. 1 cm dicke Fettschicht.
14. 4. 07
370 g Fleisch,
230 ccm Wasser.
300
4,3 pCt. = 12,0g
Geruch des Urins schwach obst¬
artig, keinFett mehr. Aceton -. +.
Acetessigsäure: 0.
15. 4. 07
415 g Fleisch,
370 ccm Wasser
genommen.
230
3,3 pCt. = 7,7 g
Natrium-Nitroprussidprobe: -f.
Lieben’sche Probe mit dem
Destillat des Urins: -f-. Ace:-
essigsäure: 0. Nach Vergährung
keine Linksdrehung. Versuch.
4,15 Uhr in die Vena jugulari*
dextra 40 ccm defibrinirtes Blut
aus der Vena pancreatica eines
gefütterten Hundes. (Während
des Vorgangs lässt der Hund
ca. 50 ccm Urin.)
16. 4. 07
290 g Fleisch,
200 ccm Wasser.
(ca. 50 ccm ver¬
loren.)
250
4,0 pCt, = ca. 12 g
Urin riecht obstartig. Aceton
(Nitroprussid u. Lieben.) Acet¬
essigsäure : 0. ß - Oxybutter-
säure*. 0.
17. 4. 07
450 g Fleisch,
180
3,0 pCt. = 5,4 g
Obstartiger Geruch des Urins.
18. 4. 07
100 ccm Wasser.
90
0 pCt. — 0 g
Aceton: +. Acetessigsäure: 0.
Nach Vergährung keine Links¬
drehung.
460 g Fleisch,
300 ccm Wasser.
400
5,7 pCt. = 22,8 g
Riecht sehr schwach obstartig
19. 4. 07
460 g Fleisch,
200 ccm Wasser.
300
4,3 pCt. = 12,0 g
Vergährt zeigt sich keine Links¬
drehung. Versuch: 3,30 Uhr in
die 1. Vena jugular. wird 100 ccm
defibrinirtes Blut aus der Vena
pancrcat. eines jung., nüchtern.
Hundes, der Tags zuvor Pferde¬
fleisch erhalten hatte, infundirt.
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Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Untersuchungen über Pankreasdiabetes etc.
373
Datum.
Futter.
Urinmenge.
Dextrose.
Bemerkungen.
ccm
4.
07
460 g Fleisch,
420
9,5 pCt. = 39,9 g
Obstartig riechend. Aceton:+.
500 ccm Wasser.
50
4,0 pCt. — 2.0 g
Acetessigsäure: 0.
41,9 g
21. 4.
07
240 g Fleisch,
500
10,1 pCt. = 50,5 g
Obstartig riechend. Aceton: +.
200 ccm Wasser.
11 Uhr a. m.
22. 4.
07
460 g Fleisch,
310
8,0 pCt. = 24,8 g
500 ccm Wasser.
31,0 pCt. = 26,3 g
51,1 g
23. 4.
07
460 g Fleisch,
400
4,6 pCt. = 18,4 g
Obstartig riechend. Aceton: +•
450 ccm Wasser.
70
4,8 pCt. = 3,4 g
40
6,4 pCt. = 2,5 g
24,3 g
24. 4.
07
240 g Fleisch,
70
1,8 pCt. = 3,36 g
200 ccm Wasser.
180
4,6 pCt. = 8,28 g
100
4,3 pCt. = 4.30 g
350
16,94 g
25. 4. 07
Wasser umgegossen,
Umgegoss. Wass.
2,0 pCt. = 13,4 g
350 g Fleisch.
670
5,6 pCt. = * 2,8 g
50
16,2 g
26. 4.
07
280 g Fleisch,
270
3,8 pCt. = 10,26 g
370 ccm Wasser
150
3,0 pCt. = 4,50 g
genommen.
'420
14,76 g
27. 4.
07
240 g Fleisch,
250 ccm Wasser.
280
4,2 pCt. = 11,76 g
28. 4.
07
320 g Fleisch,
200
5,4 pCt. = 10,8 g
Geruch: Obstartig. Licbcn’schc
250 ccm Wasser.
Probe: 0. Acetessigsäure: 0.
29. 4.
07
200 g Fleisch,
320
4,0 pCt. = 12,8 g
Stark obstartiger Geruch. Aceton¬
200 ccm Wasser.
proben: +. Acetessigsäure: 0.
30. 4.
07
460 g Fleisch,
310
6,0 pCt. = 18,6 g
Versuch: Hund gestern 6 Uhr
500 ccm Wasser
Verlust
p. m. mit Kartoffeln, Brot u.
genommen.
ca. 20 ccm
Fleisch gefüttert, heute früh
nochmals mit Reis u. Kartoffeln.
9 Uhr aus d. Vena pancreatica
ca. 50 ccm Blut entnommen.
10 Uhr Einfliessen von 50 ccm
defibrinirten Blutes in die 1.
Vena saphena. (Hund lässt kurz
nach d. Einlauf ca. 20ccm Urin.)
1. 5.
07
330 g Fleisch,
7 Uhr 120
2,8 pCt. = 3,30 g
200 ccm Wasser.
12,10 Uhr 40
1.30 Uhr 60
6,0 pCt. = 3.60 g
8,4 pCt. = 5,04 g
220
12,24 g
Hund lässt um
6 Uhr ca. 200 ccm
Urin auf d. Boden.
2 . 5.
07
160 g Fleisch,
(Verl.ca.200ccm)
4,6 pCt. = 9,20 g
Aceton: +. Acetessigsäure: 0.
250 ccm Wasser.
7 Uhr 200
0,7 pCt. = 0,42 g
10 Uhr 60
0,6 pCt. = 0,24 g
1,30 Uhr 40
9,88 g
300
3. 5.
(Verlust).
07
360 g Fleisch,
400 ccm Wasser.
270
4,0 pCt. = 10,8 g
Aceton: 0. Acetessigsäure: 0.
4. 5.
07
70 g Fleisch,
300
5,3 pCt. = 15,4 g
Versuch: 3,30 Uhr 30 ccm
100 ccm Wasser.
Blut aus der Vena pancreatica
eines gemischt gefüttert. Hund es
in die 1. Vena saphena infundirt.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
374
A. Alexander u. R. Ehrmann,
Datum.
Futter.
Urinraenge.
ccm
Dextrose.
Bemerkungen.
5. 5. 07
280 g Fleisch,
300 ccm Wasser.
7,30 Uhr 115
11 Uhr 75
190
4,8 pCt. = 5,52 g
5,2 pCt. = 8,90 g
9,42 g
0 . 5. 07
160 g Fleisch,
150 ccm Wasser.
130
1,2 pCt. = 1,56 g
Sehr stark nach Aceton riechend.
Aceton:+. Acetessigsäure 0.
NachVergährungLinksdrcbuog:
7. 5. 07
100 g Fleisch,
60 ccm Wasser.
8,30 Uhr 120
1 Uhr 90
210
4.4 pCt. = 52,89 g
0,8 pCt. = 0,72 g
60,0 g
0,1 pCt.
8 . 5. 07
230 g Fleisch,
250 ccm Wasser.
y
6 pCt.
9. 5. 07
H
und II. Pankreas c
xstirpirt am 30. 4
. 07. Getödtet am 9
Durch Halsschnitt getödtet. Blut
riecht intens, nach Aceton, Leber
hellgelb, verfettet. Section:
Viele Drüsen im Mesenterium.
Keine Reste v. Pankreasgewebe
mehr (Dr. Davidsohn). Niereo:
Mark homogen weisslich.
. 6. 07, gelebt 40 Tage.
30. 4. 07
—
—
—
Pankreas exstirpirt, 10 Uhr a. ra.
1 . 5. 07
Wasser.
—
—
Erbrechen.
2. 5. 07
200g Fleisch, Wasser.
200
2,5 pCt. = 5,0 g
3. 5. 07
200 g Fleisch,
400 ccm Wasser.
750
6,0 pCt. = 45,0 g
4. 5. 07
500 g Fleisch,
500 ccm Wasser
genommen.
630
5,4 pCt. = 34,0 g
Einige Fettaugen auf d. Urin. Ver-
such: Hund, der um 10,30 Uhr
reichlich gefressen, wird zwisch.
2,30 u. 3 Uhr aus d. Vena pan-
creatica Blut entnommen, das
defibrinirtwird. 4,15 Uhr wirdd.
Hund 11 50ccm dieses defibrinir-
ten Pankreasvenenbluts in die 1.
V. saphenainfundirt. (Beim Auf¬
binden lässt er ca. 150 ccm Urin.'i
5. 5. 07
490 g Fleisch,
500 ccm Wasser.
(Verlust 150ccm)
7,30 Uhr 510
11 Uhr 180
690
4,6 pCt. = 23,46 g
6,3 pCt. = 11,34 g
34,80 g
Viel Fettaugen auf dem Urin.
6 . 5. 07
600 g Fleisch,
800 ccm Wasser
genommen.
Gest. Abend 320
8,30 Uhr a.m. 530
850
5,3 pCt. = 16.96 g
6,0 pCt. = 31,80 g
48,76 g
Versuch: 3,30 bis 4 Uhr werden
150 ccm Pankreasvenenblut in
dieV.saphenainfundirt. Derbe
treffende Hund hatte um 12 Uhr
Kartoffeln mit 50 g Zucker er¬
halten, aber nur wenig davon ge¬
fressen. 1 */2 St. späte r (1.30 U h r
Blutentnahme aus d.V. pancreat.
7. 5. 07
Dcsgl.
7.30 Uhr 860
1 Uhr 360
1220
4,2 pCt. = 36,12 g
5,0 pCt. = 18.0 g
54,12 g
Fett auf dem Urin.
S. 5. 07
Desgl.
8,30 Uhr 780
3,35 Uhr* 235
1015
5,2 pCt. = 40,56 g
4,4 pCt. = 10,34 g
50,9 g
Versuch: 3 Uhr erhält 145ccm
Pankreasvenen blut infundirt.
Der betreffende Hund hatte
gestern gefressen und bekam
heute um 11 Uhr gemischte
Nahrung. Um 2,5 Uhr 200 ccm
VioN. = HCl durch d. Schlund-
sonde, dann wird das Blut a^
der V. pancreatica entnommen.
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Original fro-m
UMIVERSITY OF MICHIGAN
Untersuchungen über Pankreasdiabetes etc.
375
Datum.
Futter.
Urinmenge.
ccm
Bemerkungen.
9. 5 07
600 g Fleisch,
800 ccm Wasser.
7,30 Uhr 780
1 Uhr 260
990
6,5 pCt. = 47,45 g
4,8 pCt. = 12,45 g
59,93 g
Aceton: +.
10. 5. 07
Desgl.
8,30 Uhr 720
2 Uhr 200
920
7,6 pCt. = 54,72 g
4,5 pCt. = 9,0 g
63,72 g
Aceton: -f.
11. 5. 07
Desgl.
8 Uhr 735
1,30 Uhr 160
895
6,0 pCt. = 51,0 g
4,5 pCt. = 7,2 g
58,2 g
Aceton: + .
12. 5. 07
Desgl.
800
6,6 pCt. == 52,0 g
13. 5. 07
660 g Fleisch,
800 com Wasser.
780
5,5 pCt. = 42,4 g
U 5. 07
600 g Fleisch,
800 com Wasser.
(Verlust.)
250
4,9 pCt. = 12,25 g
Urinverlust (aus Versehen weg¬
gegossen).
15. 5. 07
Desgl.
750
5,2 pCt. = 39,60 g
Riecht obstartig; keine Acet-
essigsäure. Aceton: +.
16. 5. 07
Desgl.
980
4,9 pCt. = 48,02 g
Urin enthält ziemlich viel Fett.
17. 5. 07
520 g Fleisch,
800 ccm Wasser.
490
7,0 pCt. = 34,3 g
Thier weniger lebhaft, Urin riecht
stark obstartig. Aceton: +.
18. 5. 07
580 ff Fleisch,
800 ccm Wasser.
730
5,3 pCt. = 38,69 g
Sehr stark obstartig riechend.
Thier munter.
19 5. 07
Hat nur ca. 300 g
Fleisch gefr., 680 ccm
Wasser.
1000
Riecht stark ohstartig.
20. 5. 07
300 g Fleisch,
300 ccm Wasser.
12 Uhr 600
12,30 Uhr 230
?
3,4 pCt. = 7,82 g
Munter.
21 . 5. 07
300 g Fleisch,
500 ccm Wasser.
1050
55J0 pCt. = 57,75 g
Aceton: ■+.
22. 5. 07
Desgl.
850
4,4 pCt. = 37,4 g
Aceton: +.
23. 5. 07
Desgl.
Nicht untersucht.
24. 5. 07
Desgl.
2000
5,5 pCt. = 110,0g
Hat Durchfalle.
25. 5 07
Desgl.
2000
5,5 pCt. = 110,0 g
Desgl.
2«. 5. 07
Desgl.
Urin mit Koth
gemischt.
Desgl.
27. 5. 07
Desgl.
800
3,2 pCt. = 25,0 g
Wegen der Durchfälle erhält der
Hund um 9,30 Uhr 5 g Calc.
carbonc. i. Wasser durch Sonde.
Thier zeigt häufige Ercctionen.
28. 5. 07
600 g Fleisch,
2 Uhr 60
3,6 pCt. = 34,56 g
Keine Durchfälle mehr. Erec-
29. 5. 07
800 ccm Wasser
genommen.
4 Uhr 270
3,5 pCt. = 9,45 g
43,01 g
tionen des Penis. Versuch:
Der blutspendende Hund erhielt
gestern und heute um 11,45 Uhr
88 g Dextroselösung, trinkt dar¬
auf massig Milch. Um 2,45 Uhr
(nach 3 St) entblutet. 5 Uhr
Einfliessenlassen in die 1. Vena
iugularis von 250ccm Pankreas¬
venenblut -f- ca. 30ccmSecretin-
lösung. (Der saure Sch leimhaut-
extract des Duodenums zweier
Hunde stark alkalisch gemacht.)
600 g Fleisch,
800 ccm Wasser.
1300
2,7 pCt. = 35,1 g
30. 5. 07
Desgl.
450
3,2 pCt. = 14,4 g
31. 5. 07
Desgl.
1350
4,0 pCt. = 54,0 g
Hund munter, hat gross. Appetit.
1. 6. 07
800 g Fleisch,
800 ccm Wasser.
1070
4,2 pCt. = 44,99 g
Aceton: 0.
2. 6. 07
Desgl.
1010
4.6 pCt. = 46,46 g
Aceton: 0.
3. 6. 07
—
1270
5,0 pCt. ■= 63,5 g
Durchfälle.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
376
A. Alexander u. R. Ehrmann,
Datum.
Futter.
Urinmenge.
ccm
Dextrose.
. Bemerkungen.
4. 6. 07
700 g Fleisch,
800 ccm Wasser
genommen.
1150
6,0 pCt. = 69,0 g
5. 6. 07
700 g Fleisch,
800 ccm Wasser.
900
5,0 pCt. = 49,5 g
6. 6 07
Desgl.
1100
4,8 pCt.— 52,8 g
7. 6. 07
Desgl.
750
4,2 pCt. = 31,5 g
8 6. 07
Desgl.
1500
4,0 pCt. = 52,0 g
Versuch: 200 ccm Pankreas
venenblut mit 30 ccm Secretin
infundirt in die V. jugularis.
9. 6. 07
500 g Fleisch,
800 ccm Wasser.
1 Uhr 1150
1,10 Uhr 100
1250
2,7 pCt. = 31,05 g
0,4 pCt. — 0,04 g
31,45 g
Hund II durch Entbluten ge-
tödtet. Leber verfettet.
Hund III. Pankreas exstirpirt am 1.6. 07, gestorben 10. 7. 07, gelebt 40 Tage.
1. 6. 07 — — — Operation.
2. 6. 07 — Hat noch keinen —
Urin gelassen.
3. 6. 07 800 ccm Wasser getr. 2,30 Uhr 190 1,0 pCt. = 9,0 g
4. 6. 07 Hat 700 ccm Wasser 750 3,8 pCt. = 28,5 g
getr., 500 g Fleisch
gefressen.
5. 6. 07 450 ccmWassergetr., 400 9,2 pCt. = 16,8 g
500 g Fleisch.
6.6.07 2,45Uhr500gFleisch, 500 5,6 pCt. = 28,0 g
500 ccm Wasser getr. |
3 Uhr.
7 Uhr.
7. 6. 07 800 ccm Wasser, 760 3,0 pCt. = 22,8 g
380 g Fleisch.
8. 6. 07 500 ccmWasser getr., 1,30 Uhr 420 5,4 pCt. = 22,6 g Versuch: 3,30 Uhr 120 com
500 g Fleisch. Blut aus der V. pancreatio-)-
duodenalis eines gefütterten
Hundes werden mit 20 cm
Secretin in die linke Unter¬
schenkelvene infundirt.
0. 6. 07 500 g Fleisch, 1 Uhr 700 3,2 pCt. = 22,4 g Aceton: +.
800 ccm Wasser. 2 Uhr 100 1,2 pCt. = 1,2 g
800 23,6 g
10. 6.07 Hat360gFleischgefr., 350 3,4 pCt. = 11,0 g Aceton: -f.
400 ccm Wasser getr.
11. 6. 07 500 g Fleisch, 700 3,2 pCt. = 22,4 g Aceton: +.
800 ccm Wasser
genommen.
12. 6. 07 Desgl. 550 2,2 pCt. = 17,10 g Aceton: 0.
13.-14. 500 g Fleisch, 1050 2,3 pCt. = 24,15 g
6. 07 350 ccm Wasser.
15. 6. 07 780 ccm Wasser, 600 5,3 pCt. = 31,8 g
500 g Fleisch.
16. 6. 07 Desgl. 700 4,0 pCt. = 28,0 g
17. 6. 07 Desgl. 700 4,2 pCt. = 29,4 g
18. 6. 07 300 ccm Wasser, 300 4,0 pCt. = 12,0 g
500 g Fleisch.
19. 6. 07 800 ccmWasser, darin 1000 7,0 pCt. = 70,0 g
75 g Rohrzucker,
150 g Fleisch.
20. 6. 07 500 g Fleisch, 1000 10,8 pCt. = 108,0 g
75 g Zucker in
800 ccm Wasser.
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Original fro-m
UNIVERSUM OF MICHIGAN
Untersuchungen über Pankreasdiabetes etc.
377
Datum.
Futter.
Urinmenge.
ccm
Dextrose.
Bemerkungen.
21. 6. 07
230 g Fleisch,
800 ccm Wasser mit
75 g Zucker.
730
9,7 pCt. = 70,8 g
22. 6. 07
Alles getr., geringer
Zuckerrückstand am
Boden; nur 50 g
Fleisch gefr.
790
7,8 pCt. = 61,6 g
23. G. 07
900 ccm Wasser -f-
75 g Zucker, 280 g
Fleisch gefr.
900
(Verlust.)
7,0 pCt. = 63,0 g
Trinkt vor Durst etwas Urin,
den er in die Fleischschaale
gelassen.
24. 6 . 07
115 g Fleisch,
900 ccm Wasser mit
75 g Zucker.
850
7,2 pCt. = 59,7 g
25. 6. 07
300 g Fleisch,
800 ccm Wasser mit
75 g Zucker.
900
7,0 pCt. = 63,0 g
Versuch: 3,30 Uhr 150 ccm
Pankreasvenenblut werden in-
fundirt, der dazu benutzte
Hund war drei Stunden vorher
gefüttert worden und hatte
vor dem Auf binden 30 g Rohr¬
zuckerlösung per os erhalten.
2(1 6 . 07
75 g Zucker in
900 ccm Wasser,
300 g Fleisch.
900
6,8 pCt. = 61,7 g
27. 6. 07
Desgl.
900
7,0 pCt. = 63,0 g
28. 6. 07
Desgl.
1000
7,4 pCt. = 74,0 g
29 6 . 07
30 6 . 07
400 g Fleisch,
75 g Zucker in
900 ccm Wasser.
Desgl.
900
?
7,6 pCt. = 68,4 g
?
1. 7. 07
Desgl.
1500
5,8 pCt. = 87,0 g
2. 7. 07
Desgl.
1500
5,8 pCt. = 87,0 g
3. 7. 07
75 g Zucker in
900 ccm Wasser,
5 g Na. bicarb.
900
6,9 pCt. = 62,0 g
Urin schwach alkalisch.
4. 7. 07
75 g Zucker in
900 ccm Wasser,
dazu 25 g Na 2 C0 8 .
1200
6,0 pCt. = 72,0 g
Urin alkalisch.
5. 7. 07
360 g Fleisch,
900 ccm Wasser mit
75 g Zucker u. 5 g
NasCOa.
880
8,7 pCt. = 76,56 g
G. 7. 07
Hat alles Fleisch
stehen lassen, 900ccm
Wasser ohne Zusatz.
320
(Verlust.)
8,0 pCt. = 25,6 g
7. 7. 07
Kein Fleisch gefr.,
900 ccm Wasser.
250
7,4 pCt. = 18,5 g
8 . 7. 07
Desgl.
350
7,4 pCt. =-* 25,9 g
9 7. 07
800 ccm Wasser.
230
2,0 pCt. = 4,6 g
Thier ganz theilnahmslos, liegt
auf der Seite, vollkommen un¬
fähig zum Sitzen.
10. 7. 07
Exitus. Section: Leber: roth,
nicht verfettet wie bei früheren
Thieren. Keine Pankreasreste.
Die
e-d by
Go», igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XXVII.
Aus dem pharmakolog. Institut der deutschen Universität in Prag.
Digitized by
Ueber Inositurie und die physiologische Bedeutung
des Inosits.
Yon
cand. mcd. Emil Starkenstein,
Demonstrator am Institut.
Die physiologischen Arbeiten über den Inosit lassen sich mit Rück¬
sicht auf die Vorstellungen, die man von der Chemie dieses Körpers
hatte, in zwei Gruppen theilen. Die erste und bei weitem grössere blieb
nicht unbeeinflusst von den ersten chemischen Untersuchungen. Scherer (1),
der den Inosit im Herzmuskel des Rindes entdeckte, stellte lür ihn die
empirische Formel C 6 H 12 0 8 fest. Trotzdem ihm die wichtigsten Eigen¬
schaften des Traubenzuckers fehlten, wurde er doch auf Grund des
süssen Geschmacks und mit Rücksicht auf die Summenformcl den
Zuckern zugezählt und für eine dem Traubenzucker nahestehende Modi-
fication angesehen. Von diesen Gesichtspunkten aus waren nun auch die
ersten physiologischen Arbeiten über den Inosit geleitet. Man suchte
seine Beziehung zum Stoffwechsel und sein Verhalten beim Diabetes
mellitus und insipidus zu ergründen.
Im Jahre 1882 fand Maquenne (2), dass dem Inosit die Structur-
formel des Hcxahydrohexaoxybenzols zukomme, und dies fand später
durch Darstellung einer Reihe von Benzolderivaten aus Inosit seine Be¬
stätigung. Die nach dieser Zeit veröffentlichten Arbeiten über den Inosit
befassten sich zum grossen Theil mit dem Nachweis desselben im Thier-
und Pflanzenreich, theilweise war das Augenmerk auf etwaige Ueber-
gänge von Inosit in Zucker gerichtet, in dem Sinne, dass der Inosit als
ein Bindeglied zwischen Kohlehydraten und den aromatischen Körpern
angesehen werden könnte. Das Resultat der Untersuchungen über die
Verbreitung des Inosits war, dass er in keinem Organ des thierischen
Organismus fehle, dass er sich ebensoweit verbreitet im Pflanzenreich
vorfindet und aus diesem in zahlreiche Stoffe übergehe. So findet er
sich im Bier, Wein, Brot u. s. w. Eine ausführliche Zusammenstellung
der diesbezüglichen Litteratur findet sich bei Li pp mann (3), auf die ich
hier verweisen möchte.
Was nun die früheren Arbeiten über die physiologische Bedeutung
des Inosits anbelangt, so führten diese zu keinem einwandfreien Resultat,
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Ueber Inositurie und die physiologische Bedeutung des Inosits.
379
da sich die Ergebnisse der einzelnen Autoren in manchen Punkten wider¬
sprachen. Es schien daher gerechtfertigt, einige der bereits früher be¬
handelten Fragen neuerlich zu untersuchen; so vor Allem: 1. Hat die
Inositurie eine Beziehung zur Glykosurie? 2. Die Bedeutung
der Inositurie beim Diabetes insipidus und bei künstlich er¬
zeugter Polyurie. 3. Die physiologische Bedeutung des Inosits.
4. Schicksal des Inosits im Thierkörper. — Der zur Untersuchung
verwendete Inosit ward von der Gesellschaft für Chemische In¬
dustrie in Basel aus Phytin dargestellt, und es sei derselben an dieser
Stelle für das wcrthvolle Präparat der beste Dank ausgesprochen.
I.
Die zum Theil widersprechenden Resultate früherer Untersuchungen
dürften hauptsächlich auf die mangelhafte Darstellung des Inosits zurück¬
zuführen sein. Die am meisten gebrauchte Darstellungsmethode Cooper-
Lanes (4) beruht auf Ausfüllung des Harns oder der Gewcbsextracte
mit neutralem Bleiacetat, dann Fällen des Inosits mit basischem Blei¬
acetat, Zersetzen des Niederschlags mit Schwefelwasserstoff und Aus¬
fällen des Inosits aus dem eingeengten Filtrat mit Aether-Alkohol.
Bourquelot(ö) empfahl, den Harn zuerst mit Bleiacetat in sauerer,
dann in neutraler Lösung zu fällen und anschliessend den Inosit mit
basischem Bleiacetat. Etwas modificirt wurden diese Methoden von
Paul Mayer (6). Vor Kurzem hat Meillere (7) angegeben, den Harn
zuerst mit Baryumnitiat, Bleinitrat und Silbernitrat zu fällen und das
Filtrat mit basischem Bleiacetat.
Bei all den angeführten Methoden fehlen ßelegzahlen für die Er¬
giebigkeit derselben. Bei meinen quantitativen Untersuchungen fand ich,
dass sie alle mehr oder weniger grosse Verluste an Inosit bedingen,
oder dass dieser durch die Alkohol-Aetherfällung mit Schmieren aus dem
Harn verunreinigt war. Die besten Resultate hat Paul Mayer mit der
von ihm angegebenen Methode erzielt.
Ich habe es nun versucht, dio bisher gebrauchten Methoden dahin
zu modificiren, dass einerseits die Ausbeute eine fast quantitative wurde,
anderseits der Inosit frei von Verunreinigungen und schmelzpunktsrcin
zur Wägung kam. Der Gang dieser bei meinen Untersuchungen ver¬
wendeten Methode ist folgender:
Der Harn oder der nach Auscoagulirung des Eiwcisses erhaltene
wässerige Organextrakt wird schwach mit Essigsäure angesäuert und
mit Baryumnitrat und Silbernitrat ausgefällt. Um das langwierige Nach¬
waschen zu vermeiden, empfiehlt es sich, von dem Filtrat aliquote Thcile
zu nehmen und dies am Schluss nach der Wägung in Rechnung zu ziehen.
Das Filtrat wird mit Natriumphosphat versetzt und mit Natronlauge
alkalisch gemacht. (Es wird neben den alkalischen Erden auch das
überschüssige Silber ausgefällt.) Nach neuerlichem Filtriren wird wiederum
schwach angesäuert und mit neutralem Bleiacetat in geringem Ueber-
schuss versetzt. Das Filtrat dieser Fällung wird durch Ammoniak
alkalisch gemacht, mit basischem Bleiacetat vollständig ausgefällt und
einige Stunden stehen gelassen. Hierauf filtrirt und wäscht man den
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380 E. Starkenstein,
Niederschlag. Dieser wird mit Schwefelwasserstoff zersetzt, das Filtrat
zur Trockene eingedampft.
Den Rückstand nimmt man in wenig Wasser auf und kocht mit
Thierkohle. Das vollkommen klare und farblose Filtrat wird nun mit
concentrirter Essigsäure versetzt und fast zur Trockene eingedampft,
dann in wenig concentrirter Essigsäure aufgenommen und mit absolutem
Alkohol oder Methylalkohol versetzt. Nach einiger Zeit kann man den
auskrystallisirten Inosit auf ein gewogenes Filter bringen, mit Aether
waschen, trocknen und wägen. — Zur Identificirung wurde neben der
Scherer’schen Inositreaction in der Modifikation von Salkowski (5)
auch meistens, wo es die Mengenverhältnisse des erhaltenen Inosits zu-
liessen, eine Schraelzpunktbestimmung gemacht (ca. 217°).
Mit dieser Methode konnte ich aus Harnen, denen Inosit in Mengen
von 0,05—0,5 g zugesetzt wurde, 92—96 pCt. wiedergewinnen, ander¬
seits Hessen sich damit auch Spuren von Inosit im Harne nachweisen.
II.
Auf Grund dieser Darstellungsraethode suchte ich nun vor Allem
der Frage näher zu treten, ob der Inosit beim Diabetiker in irgend
welcher Beziehung zur Glykosurie stehe, ferner die Bedeutung seines
Auftretens im normalen Harn und bei Diabetes insipidus festzustellen.
Die älteren Untersuchungen dieser Fragen gehen auf die Namen
Külz, Strauss und Vohl zurück. Es galt vor Allem festzustellen, ob
das Auftreten von Inosit im Harn etwas Pathologisches oder Physio¬
logisches sei. Während nun Külz (8) im normalen Harn keinen Inosit
fand, behauptet Hoppe-Seyler (9), dass er in Spuren in jedem normalen
Harne vorkomrae.
Dähnhard (10) gelang es, aus 16 Pfund Rinderharn 0,1 g Inosit
darzustellen. In einer Abhandlung über die einfache, zuckerlose Harn¬
ruhr theilt Strauss (11) die Beobachtung von drei Fällen mit, wo nach
reichlichem Wassergenuss Inosit im Harn auftrat; es schien sich um eine
Ausschwemmung der in den Organen abgelagerten Substanz zu handeln. —
Um sich von der Richtigkeit dieser Auffassung zu überzeugen, versuchte
Külz (12) die experimentelle Nachprüfung dieser Erscheinung am
Kaninchen. Er injicirte grosse Mengen physiologischer Kochsalzlösung,
und konnte in dem gesammelten Harn thatsächlich Inosit nachweisen.
Auch durch Versuche am Menschen konnte er die Beobachtung von
Strauss bestätigen.
Das Auftreten von Inosit im Harn bei Diabetes insipidus glaubte
man auf dieselbe Ursache zurückführen zu können, auf eine Aus¬
schwemmung des Inosits der Gewebe. Eine Reihe späterer Unter¬
suchungen über Diabetes insipidus nahm auf das Auftreten von Inosit
Rücksicht, doch sind die Resultate nicht übereinstimmend. Es fanden
Neukomm (13), Schulze (14), Mosler(15) und Ebstein (16) stets
Inosit im Harn bei Diabetes insipidus, während Pribram (17) und
Bürger (18) diesen nicht nachweisen konnten.
Während nun diese Art von Inositurie in der Annahme der Aus¬
schwemmung eine leichte Erklärung fand, die sich durch das Experiment
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Peber lnositurie und die physiologische Bedeutung des Inosits.
381
stützen Hess, glaubte man, dass die lnositurie, die bisweilen bei
Diabetes mellitus auftritt, in einer engeren Beziehung zur Glykosurie
stehe. Die erste diesbezügliche Mittheilung stammt von Vohl(19). Er
beobachtete bei einem Diabetiker eine ständige Abnahme des Zuckers,
während sich das somatische Verhalten des Patienten nicht gebessert
hatte. Vohl dachte nun. es könnte an Stelle des Zuckers lnosit ge¬
treten sein, und es gelang ihm thatsächlich, in der täglichen Harnmenge
18—20 g lnosit nachzuweisen. Eine zweite ähnliche Beobachtung,
jedoch mit viel geringerer Inositraenge, ist von Leva (20) mitgetheilt.
Dieser fand bei plötzlicher Abnahme des Zuckers 0,00128—0,0788 pCt.
lnosit im Ham eines Diabetikers.
Angeregt durch die Mittheilung Vohl’s versuchte cs Külz durch
Untersuchungen am Diabetiker festzustellen, ob der lnosit in irgend
welcher Beziehung zum Zucker stehe. Er suchte nachzuweisen, ob der
lnosit einen Einfluss auf die Glykogenbildung habe, ob er die Zucker¬
ausscheidung des Diabetikers beeinflusse und ob per os eingeführter
lnosit im Harn erscheine, ob ferner nicht schon im normalen Harn
Spuren von lnosit zu finden wären. Die Versuche führten zu dem
Resultat, dass eingeführter lnosit weder die Glykogenbildung noch die
Zuckerausscheidung beeinflusse. Von 30—50 g per os verabreichten
Inosits fand Külz nur 0,9 pCt. im Harn wieder. Er schloss daher, dass
der lnosit fast vollkommen verbrannt werde, eventuell als Energiequelle
für den Diabetiker an Stelle von Zucker dienen könnte.
Da aber die Substanz als solche wegen ihres äusserst hohen Preises
als Nährmittel nicht verwendet werden konnte, so empfahl Külz Salat
aus grünen Bohnen, die ja reichliche Mengen von lnosit enthalten. Külz
selbst gab einem Diabetiker solche Mengen von Bohnensalat, dass nach
seinen Angaben eine ganze Familie hätte satt werden können; dies
führte starke Diarrhöen herbei, lnosit konnte aber im Harn nicht nach¬
gewiesen werden. In Folge dessen bezweifelte Külz auch, wie bereits
erwähnt, dass normaler Harn lnosit enthalte.
In neuerer Zeit suchten Meillere und Camus (21) die Beziehung
der lnositurie zur Glykosurie experimentell zu belegen. Sie fanden, dass
der Piqüre eine Inositausscheidung folge, in deren Höhepunkt die Glykos¬
urie einsetze, auf der Höhe der letzteren ist die lnositurie verschwunden.
Während nun die bisherigen Arbeiten keinen eindeutigen Schluss
zulassen, ob der lnositurie eine Bedeutung als Stoffwechselanoraalie zu¬
komme, so glaube ich auf Grund einer Reihe von Untersuchungen dies
in Abrede stellen zu können. Es scheint das vermehrte Auftreten von
lnosit im Harn hauptsächlich durch Polyurie bedingt zu sein, und diese
Bedeutung kommt der lnositurie ebenso beim Diabetes mellitus zu wie
beim Diabetes insipidus.
Vor Allem konnte ich in jedem normalen Harn bei Untersuchung
ganzer Tagesmengen Spuren von lnosit nachweisen. Analog den Ver¬
suchen von Strauss und Külz (1. c.) fand ich die Inositmenge nach
reichlichem Wassergenuss entsprechend der vermehrten Harnmenge ver¬
mehrt. Ich untersuchte ferner einige Diabetikerharne mit 6—8 pCt.
Zucker. Von den Resultaten seien einige hier angeführt: In 2 1 Harn
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd.
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B. S tar k (Mi st ei n y
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fand ich (nach bis zur lnactivität derselben durchgeführter Vergährung)
0,16 g Inosit = 0,008 pCt. ln 3580 ccm Harn (ebenso behandelt)
waren 0,2043 g = 0,007 pCt. enthalten. Vergleicht man diese Zahlen
mit den von Leva (1. c.) angegebenen lnositwerthen (0,001 pCt. bis
0,07 pCt.), so ergiebt sich, dass diese in dieselbe Werthgrenze fallen,
und es lasst sich schon mit grosser Wahrscheinlichkeit sagen, dass sich
solche Mengen von Inosit in jedem Diabetikerharn finden.
Dass für eine derartige Inositausscheidung die bestehende Glvkosurie
nicht erst irgend welche Bedingungen schaffe, ergab sich aus der Unter¬
suchung eines Falles von Diabetes insipidus. ln einer Tagesmengc
von 5 1 zuckerfreien Harns fanden sich 0,4583 g Inosit = 0,0089 pCt.,
eine Zahl, die den früheren und den von Leva angegebenen vollkommen
nahesteht. Schliesslich ist auch das perccntuclle Verhältniss der Inosit-
menge im normalen Harn (0,001—0,003 pCt.) diesen Angaben analog. —
Selbst die experimentelle lnositurie, wie sic Meillere und Camus be¬
schrieben, möchte ich nicht als einen Widerspruch zu der Annahme an-
sehen, dass die lnositurie in keiner Beziehung zur Glykosurie stehe,
sondern lediglich durch vermehrte Wasserausscheidung bedingt sei; denn
in der genannten Mittheilung der beiden Autoren finden sich keine
Zahlen über die Stärke der Diurese, und wir wissen, nach den Angaben
Claude-Bernards, dass die Piqüre auch von einer mehr minder aus¬
giebigen Diurese begleitet ist. Dies würde auch das Ansteigen der
Inositausscheidung erklären.
Anderseits bewiese dieses Experiment einen Uebergang der lnositurie
in Glykosurie, während bei den mitgetheiiten Untersuchungen gerade das
Umgekehrte der Fall war. Es müsste sich schliesslich eine Beziehung
von lnositurie zur Zuckerausscheidung auch bei andern experimentell er¬
zeugten Glykosurien nachweisen lassen. Nun fand ich aber bei Phlo-
rhidzin-Kaninchcn trotz starker Glykosurie in der Inositausscheidung
keine Aenderung gegenüber der Norm. Die Harnmenge war ebenfalls
nicht nennenswert!) vermehrt. Was den Fall Vohl’s betrifft, so lässt
sich dieser nur schwer deuten, da in der genannten Mittheilung alle
näheren Angaben bezüglich der Glykosurie und Grösse der Harnaus¬
scheidung fehlen. Doch wäre die bereits öfter geäusserte Annahme
nicht von der Hand zu weisen, dass es sich hier um einen Uebergang
von Diabetes mellitus in Diabetes insipidus handelte. Erwähnt sei ferner
noch, dass auch Henri Georges (22) in zahlreichen Krankheitsfällen
ohne Glykosurie vermehrte Inositausscheidung beobachtete.
Die angeführten Versuche dürften wohl zu dem Resultate führen,
dass die lnositurie als keine specielle Stoffwechselstörung
anzusehen ist, dass sie in keiner Beziehung zur Glykosurie
stehe, sondern lediglich eine durch vermehrte Wasseraus¬
scheidung vermehrte Ausschwemmung des im normalen Harn
in Spuren vorkommenden Inosits ist. Doch schliessen es diese
Versuche nicht aus, dass zwischen dem Inosit und den Kohlehydraten
innere Beziehungen bestehen, eine Annahme, die vor wenigen Tagen von
Neuberg (23) dadurch bestätigt wurde, dass cs ihm gelang aus dem
Inosit Furfurol abzuspalten.
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Üeber Inositurie und die physiologische Bedeutung des Inosits.
38)4
111 .
Physiologische Bedeutung des Inosits in den Geweben.
Der Jnosit wurde unter den Extractivstoffen des Muskels entdeckt
und es lag die Frage nahe, ob er ähnlich dem Glykogen oder Zucker
zur Ernährung des Muskels und des Organismus beitrage. — Gestützt
wurde diese Behauptung durch die weite Verbreitung, die der Inosit im
Thierkörper hat: er findet sich in jedem Organe. Gleichverbreitet ist
der Inosit im Pflanzenreich und cs führten auch die Untersuchungen
Meillere’s (24) zu dem Schluss, dass der Inosit als ein normaler
Bestandtheil des Parenchyms der Blätter von höheren Pflanzen
anzusehen ist. — Auch das von Postcrnak (25) in den Pflanzen
entdeckte Phytin enthält Inosit gebunden. Phytin zerfällt mit Salzsäure
gekocht in Inosit und Phosphorsäure. Nun haben aber weitere Unter¬
suchungen ergeben, dass die Menge des in den Pflanzen vorkommenden
Inosits mit dem Alter der Pflanze variirt; er findet sich in den un¬
reifen Früchten viel reichlicher als in den reifen und auch die im Wachs-
thura begriffenen Organe führen ihn in grösserer Menge, als die aus¬
gewachsenen. Diese Befunde legten den Schluss nahe, dass der Inosit
beim Wachsthum der Zelle verbraucht werde. Auch Soasc (28) kam
zu dem Schluss, dass der Inosit mit Beginn des Keimens erscheint*
wenn alle Reservestolle erschöpft sind, verschwindet auch der Inosit.
Von diesen Befunden im Pflanzenreiche ausgehend suchte ich nun
festzustcllen, ob nicht im Thierreiche ein ähnliches Verhalten vorliege
und die folgenden Versuche können dies bestätigen. Ich untersuchte die
Gehirne und die Skelettmuskulatur von jugendlichen und alten Individuen
und fand stets in den jugendlichen Organen mehr Inosit als in den aus¬
gewachsenen. In den Gehirnen von 8 jungen Kaninchen eines Wurfes
(20 Stunden alt) fand ich in 0,85 g Trockensubstanz 0,0612 g Inosits
7,2 pCt. Im Gehirn des Mutterthieres dagegen in 2,6 g Trockensubstanz
nur 0,3 pCt. — Im Gehirn eines einige Tage alten Kalbes fand ich in
278 g frischer Substanz 0,5663 g = 0,2 pCt., im Gehirn eines alten
Stieres dagegen in 407 g frischer Substanz 0,3299 g = 0,081 pCt. Inosit,
Es dürfte also im Thierreich ebenso wie im Pflanzenreich der Inosit für
das Wachsthum der Zelle von Bedeutung sein. Dafür spricht auch sein
Vorkommen im Sperma und ich konnto ihn nun auch im Dotter des
Hühnereis nachweiscn (0,02 pCt.). — Da sich ferner zeigte, dass der
Inosit aus der Muskulatur eines Kaninchens, das 11 Tage hungerte, nicht
geschwunden war, so ist wohl anzunehmen, dass er nicht aus der
Nahrung stammt und in den Organen abgelagert wird, sondern als ein
normaler Zellbestandtheil anzusehen ist.
IV.
Schicksal des Inosits im Thierkörper,
Grobe Versuche über das Schicksal des Inosits im Thierkörper führte
als erster Külz aus. Er injicirte Kaninchen Inosit und sah, dass er in
den Harn überging (alimentäre Inositurie). Das Schicksal der Substanz
im Körper glaubte er aus den bereits citirten Versuchen am Menschen
25 *
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384 E. Starkenstein,
deduciren zu können. Da von 50 g per os gegebenen Inosits nur 0,9 pCt.
im Harn wiedercrsehienen, nahm Külz an, dass der Körper Inosit
nahezu vollständig verbrenne, dass ferner Inosit auf Grund dieser That-
sache als eine Energiequelle für den Diabetiker anzusehen sei.
Vor einigen Jahren nahm Giacosa (26) diese Versuche wieder auf.
Er injicirte einem Kaninchen und einem Hunde 3—4 g Inosit intravenös
und fand ca. 25 pCt. wieder. Genauere Versuche über die Grösse der
Inositausscheidung wurden von Paul Meyer (l.c.) durchgeführt. Nach
subcutaner Injection grösserer Mengen von Inosit (bis zu 10 g) fand
dieser bis zu 50 pCt. der Substanz im Harn wieder. Bei Verabreichung
per os dagegen erhielt er nur geringe Werthe.
Es schien von allem Anfang an unwahrscheinlich, dass eine Substanz,
die sich in solcher Verbreitung im Körper findet, nach Zuführung voll¬
ständig verbrannt werden sollte. Dagegen spricht auch der bereits er¬
wähnte Befund, dass selbst nach 11 tägigem Hungern die Muskulatur
eines Kaninchens nicht frei von Inosit war. Allerdings wird beim
Hungerthier der Inosit besser ausgenützt, worauf auch schon Paul
Mayer hinwies.
Ich wiederholte nun die bereits angestellten Versuche der Inosit-
verfütterung und fand Werthe, die den von Paul Mayer angegebenen
wohl am nächsten kommen. Bei Verfütterung per os an Kaninchen fand
ich von 0,5 g ca. 5 pCt. wieder. Nach subcutaner Injection derselben
Menge 42 pCt., nach intravenöser gegen 50 pCt. Nach subcutaner In¬
jection von 2 g fand ich 57,9 pCt. wieder. Es ist selbstverständlich, dass
das procentuelle Verhältnis der ausgeschiedenen Inositmenge zur cin-
geführten bei steigender Dosis noch bedeutend ansteigt. Anderseits ist
zu beachten, dass diese gereichten Dosen von Inosit in gar keinem Ver¬
hältnis stehen zu den Mengen, wie sie Külz verfütterte. Allerdings
könnten die Versuche, wo die Substanz per os verabreicht wurde, doch
für eine langsamere Ausnützung und für vollständigere Verbrennung
sprechen. Nun hat aber Meillere (27) gezeigt, dass der Eberth’sche
Typhusbacillus den Inosit angreift, Bacterium coli commune ihn nahezu
vollständig vergährt. Ich habe mich ebenfalls davon überzeugen können,
dass Inosit einer Bouillon zugesetzt, von Bacterium coli in grosser Menge
zerstört wird. Diese Thatsache spricht nun dafür, dass Versuche mit
Inosit verfütterung per os bezüglich der Beurtheilung des Nährwerthes
dieser Substanz ganz unbrauchbar sind; denn wenn der Inosit bereits
im Darm von Bakterien zerstört wird, ehe er zur Resorption gelangt, so
kann naturgemäss sein Abbau dem Körper nicht zu Gute kommen.
Im Anschluss seien noch die Ergebnisse einiger Versuche mit
Phytin erwähnt. Bei den früheren derartigen Untersuchungen wurde
stets nur die Zunahme des P-Gehaltes des Harns in Rechnung gezogen
und nur Giacosa untersuchte auch den Harn auf Inosit, fand diesen
aber nicht. Es schien nun die Annahme berechtigt, dass der im Phvtin
enthaltene Inosit in grösserer Menge im Harn erscheinen müsse, wenn
es zu einer nennenswerthen Resorption und intermediären Spaltung des
Phytins kommt. Nun konnte ich aber auch nach Verfütterung von 5 g
Phytin (entsprechend nahezu 1 g Inosit) an Kaninchen nur ganz geringe
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I’eber Inositurie und die physiologische Bedeutung des Inosits.
385
Mengen von Inosit im Harn finden, was wohl dafür spricht, dass die
Spaltung des Phytins schon im Magen oder Darm erfolgt und der ab¬
gespaltene Inosit dasselbe Schicksal erleidet, wie der per os verfütterte.
Es wäre nun noch die Frage zu beantworten, was aus dem Inosit
bei der Oxydation im Körper und bei der Vergährung durch Bacteriura
coli entsteht. In vitro kann man den Inosit durch Salpetersäure, Chrom¬
säure, Kaliumpermanganat, in Tetraoxychinon (Rhodizonsäure, Krokon-
säure), in Oxalsäure, Ameisensäure und Kohlensäure überführen. Die
Entstehung der ersten Substanzen im intermediären Stoffwechsel erscheint
unwahrscheinlich; denn es haben mir einige Versuche gezeigt, dass die
durch Salpetersäure gebildeten Oxydationsproducte Tetraoxychinon -f-
Rhodizonsäure beim Kaninchen starke Albuminurie zur Folge haben,
was auch nach Verfütterung grosser Mengen von Inosit nie der Fall ist.
Dasselbe ist nach Injection von krokonsaurem Natron der Fall. Des¬
gleichen ist die Bildung von Oxalsäure bei der Ungiftigkeit des Inosits
ausgeschlossen.
Ich versuchte es ferner, Inosit in vitro mit Wasserstoffsuperoxyd zu
oxydiren, erhielt aber nur dieselben Oxydationsproducte, die durch Sal¬
petersäure gebildet werden.
Bedeutungsvoller für die Abbauproducte des Inosits schien aber die
Beziehung zur Milchsäuregährung. Hilger (29) und Vohl (30) hatten ge¬
zeigt, dass Inosit mit faulem Käse zusammengebracht, in Milchsäure
übergehe. Während der erstere Paramilchsäure fand, konnte letzterer
nur die inactive Gährungsmilchsäure nachweisen. Man hielt wohl mit
Rücksicht auf diese Befunde die Möglichkeit nicht für ausgeschlossen,
dass auch im Körper aus Inosit Milchsäure entstehe. Doch fehlen hier¬
über die entsprechenden Untersuchungen. Paul Mayer (1. c.) fand wohl
im Harn nach Inositinjectionen einen rechtsdrehenden Körper, den er
jedoch nicht charakterisiren konnte, der aber auch nichts mit der Milch¬
säure gemein hatte.
Aus welchen Substanzen die Milchsäure im Körper und bei der
Totenstarre entsteht, ist noch nicht genügend bekannt [vgl. Hammarsten
(31)]. Ara nächsten liegt die Annahme, dass die Milchsäure aus dem
Glykogen entstehe und es ist in der That bei der Milchsäurebildung
eine Abnahme des Glykogens beobachtet worden. Andererseits hat je¬
doch Böhm gezeigt, dass es zu gar keinem Glykogen verbrauch kommt,
und er fand ferner, dass die Menge der entstehenden Milchsäure dem
Glykogengehalte nicht proportional ist. Unter solchen Umständen und
da sogar glykogenfreie Muskeln hungernder Tauben nach Demant nach
dem Tode noch Milchsäure liefern, ist es kaum möglich, die Milchsäure¬
bildung auf das Glykogen allein zurückzuführen. Es müssen also noch
andere Muttersubstanzen für die Milchsäure im Körper vorhanden sein.
Nun war nach den Befunden von Hilger und Vohl die Annahme be¬
rechtigt, dass der Inosit ebenfalls eine Quelle für die Milchsäurebildung
ist. Es sprach dafür auch seine weite Verbreitung in der Körper¬
muskulatur.
Um nun über diese Frage irgendwelchen Aufschluss zu bekommen,
untersuchte ich das Verhalten des Inosits bei der Autolyse, bei welcher
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E. Starken stoin,
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nach den Untersuchungen von Magnus-Levy (32), Mochizuki und
Arima(33), Kikkoji (34) u. a. zweifellos Milchsäure gebildet wird und
ich fand, dass bei diesen Vorgängen der Inosit thatsächlich aus den Ge¬
weben schwindet. Bei der Vergährung des Inosits durch Bacterium coli
fand ich gleichfalls eine in Aether lösliche Säure, die die Uffclroann-
sche Reaction gab und schwache Rechtsdrehung zeigte. Es scheint also
hier ebenfalls Milchsäure zu entstehen.
Weiterhin wurde es versucht, den Inosit durch überlebende Organe
zu oxydiren.
Es wurden 0,5 g Inosit mit Organbrei (Leber und Muskel) bei 37°
durch 4 Stunden im Motor geschüttelt, und zwar in zwei Theilen. Der
eine wurde vor dem Schütteln aufgekocht, der andere nativ der Ferment¬
wirkung überlassen. Es war mir nur möglich, aus dem aufgekochten
Theil 90 pCt. Inosit wiederzugewinnen, aus dem nativen dagegen nur
60 pCt., so dass wohl ein Theil durch die oxydirenden (autolytischen?)
Fermente zerstört worden sein dürfte.
Bei Oxydation von Inosit mit Leber resp. Muskel allein, zeigte es
sich, dass die Oxydation durch Muskelfermente im höheren Maasse vor
sich gehe, als durch die Leberfermente.
In einer zweiten, gleich behandelten Probe wurde auf Milchsäure
geprüft, und es zeigte sich in dem nativ gelassenen Theile eine Ver¬
mehrung derselben. In Folge Mangels an genügenden Mengen von Inosit
konnte ich das Zinklactat nicht darstellen und musste mich nur an die
Stärke der Uffelmann'schen Reaction halten.
Während der Ausführung dieser Versuche erschien eine neuerliche
Mittheilung Paul Mayer’s (35), dass es ihm gelungen sei, den Ueber-
gang von Inosit in Milchsäure nachzuweisen. Der Nachweis geschah in
exacter Weise durch Darstellung des Zinklactates. Doch konnte Mayer
nur die inactive Gährungsmilchsäure finden, die nach seiner Meinung
allerdings auch im Körper in die active Modifikation übergehen könnte.
Es erscheint somit auf jeden Fall wahrscheinlich, dass der Inosit
neben anderen Substanzen als Quelle für die Milchsäurebildung im Körper
angesehen werden kann.
Die Resultate der vorstehenden Untersuchungen lassen sich in
folgenden Sätzen zusammenfassen:
1. Die Inositurie ist als keine specielle Stoffwechselstörung anzu¬
sehen und dürfte auch in keiner Beziehung zur Glykosurie stehen. Sie
scheint beim Diabetes mellitus ebenso wie beim Diabetes insipidus
lediglich eine durch vermehrte Wasserausscheidung vermehrte Aus¬
schwemmung des Inosits der Gewebe zu sein.
2. Jeder normale Harn enthält Spuren von Inosit.
3. Der Inosit ist als normaler Zellbestandtheil anzusehen und es
dürfte ihm, analog wie im Pflanzenreiche, auch beim Wachsthura der
thierischen Zelle eine gewisse Rolle zukoramen. Dafür spricht sein Vor¬
kommen im Sperma und im Eidotter sowie sein reichlicheres Vorhanden¬
sein in den im Wachsthum begriffenen Geweben.
4. Der Inosit wird vom Körper nur in geringen Mengen zerstört
und erscheint nach subeutuner und intravenöser Injection im Harn. Die
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Leber Inositurie und die physiologische Bedeutung des Inosits.
387
Verabreichung per os zum Nachweis der Oydationsfähigkeit ira Körper
ist unzulässig, da Inosit von Bacterium coli commune gespalten wird.
5. Unter den Abbauproducten des Inosits ira Körper liess sich auf
Grund qualitativer Reactionen Milchsäure nachweisen. Der Inosit ist
also auch als Quelle der Milchsäure ira thierischen Körper zu betrachten.
Litteratur.
1. Scherer, Liebig’s Annalen. 73. 222; 81 375.
2. Maquenne, Compt. rend. de PAccad. d. Sc. 104.
3. Lippmann, Die Chemie der Zuckerarten. 1904. I. 1024.
4. Cooper-Lane, Methode zur Bestimmung des Inosits. Liebig’s Annalen. 117.
p. 118.
5. Bourquelot, 6. Congress f. angew. Chemie in Rom, cit. nach Jahresb. d.
Pbarmaz. 1906.
6 . Paul Mayer, Ueber die physiolog. Bedeutung des Inosits. Biochem. Zeitschrft.
11. 392.
7. Meillere, Recherche de Pinosite dans les tissus, les secretions et les excretions.
Compt. rend. de la Soc. d. Biol. LX. 225.
8 . Külz, Sitzungsber. d. Ges. zur Förderung der Naturw. in Marburg. 1875 u. 1876.
Beiträge zur Patholog. u. Therapie des Diabetes mellitus. 1868.
9. Hoppe-Seyler, cit. nach F. Blumental, Pathologie des Harns. Berlin 1903.
S. 165.
10. Dähnhardt, Notizen zur Chemie des Harns. Kiel 1868.
11. Strauss, Die einfache, zuckerlose Harnruhr. Dissert. Tübingen 1870.
12. Külz, Ueber das Auftreten von Inosit im Kaninchenharn. Med. Centralbl. 1875.
13. Neukomm, Ueber das Vorkommen von Leucin, Tyrosin und anderen Umsatz-
stoffen im mensohl. Körper bei Krankheiten. Dissert. Zürich 1889. 12.
14. Schulze, Reicheres Archiv. 1863. S. 29.
15. Mosler, Virchow’s Archiv. 43. S. 229.
16. Ebstein, Ueber Beziehungen des Diabetes insipidus zur Erkrankung des Nerven¬
systems.
17. Pribram, Untersuchungen über die zuckerlose Harnruhr. Prager Vierteljahrs¬
schrift. 1871. Bd. 12. S. 28.
18. Bürger, Ueber Perspiratio insensibilis bei Diabetes mellitus und insipidus.
Deutsch. Arch. f. klin. Medicin. Bd. 11. S. 343.
19. Vohl, Archiv f. physik. Heilkunde. 1858. Neue Folge. IJ. 410.
20. Leva, Klinische Beiträge zur Lehre des Diabetes mellitus. Deutsch. Arch. f.
klin. Medic. 48. S. 173.
21. Meillere et Camus, Inosurie experimentale consecutive ä une lesion du plaucher
du 4. ventricule. Compt. rend. de la Soc. de Biol. 1905. p. 159.
22. Henri Georges, Die Inosurie. Chemische und klinische Studien. These de
Paris. 1906. LXl. No. 77. 160. Cit. n. Maly, Jahresb. d. Thierchemie. 36.
S. 786.
23. Neuberg, Biochem. Zeitschrift. 1908. IX. 551.
24. Meillere, Contribution ä Pötude biochimique de l’inosite. L’inosite dans le
Regne vög^tal. Compt. rend. de la Soc. de Biol. 1907. 286.
25. Posternack, Beitrag zum ohemischen Studium der Chlorophyllassimilation.
Ueber das erste Verbindungsproduct der Phosphorsäure in den Chlorophyll¬
pflanzen mit einigen Bemerkungen über die physiolog. Rolle des Inosits. Cit.
nach Maly, Jahresb. d. Thierchem. 30. S. 825.
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388 E. Starkenstein, (eher Inositurie u. d. physiologische Bedeutung d. Inosits.
26. Giacosa, Verhalten des Inosits im Organismus. Giornale della R. Aocad. di
Torino. 68. Cit. nach Maly, Jahresb. d. Thierchem. 35. S. 80.
27. Meillere, Action de quelques bacilles sur Pinosite, diffdronciation du „Coli u et
de TEberth. Compt. rend. de la Soc. de Biol. 1907. S. 1096.
28. M. Soase, L’inosite nelle piante. Annali d. R. Acoad. di Agricoltura di Torino.
XLIX. Cit. n. Centralbl. f. Physiol. 1906. S. 772.
29. Hilger, Neues Vorkommen des Inosits im Pflanzenreich und Ueberführung
desselben in Paramilchsäure. Liebig’s Annalen. 160 S. 333.
30. Vohl, Geber die Art der aus Inosit entstandenen Milchsäure. Ber. d. d. chem.
Ges. 9. S. 984.
31. Hammarsten, Lehrbuch d. phys. Chemie. 1907. S. 463.
32. Magnus-Levy, Hofmeister’s Beiträge. II. 261.
33. Mochizuki und R. Arima, Ueber die Bildung von Rechtsmilchsäure bei der
Autolyse der thierisohen Organe. Zeitschr. f. physiolog. Chemie. 49. S. 108.
34. T. Kikkoji, Zeitschr. f. physiolog. Chemie. 53. S. 415.
35. Paul Mayer, Biochem. Zeitschrift. IX. 531.
Gck igle
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XXVIII.
Aus dem Laboratorium der Erlanger medicinischen Klinik.
lieber den zeitlichen Ablauf der Uricolyse.
Von
Werner Künzel und Alfred Schittenhelm.
Bereits im Jahre 1860 hat Stoekvis 1 ) in Amsterdam Harnsäure¬
zersetzung durch Organbrei beobachtet. Später hat Brunton 2 ) in
Gemeinschaft mit Bokenham die Versuche wieder aufgenommen und
die Angaben von Stoekvis bestätigt; er stellte fest, dass durch Er¬
wärmen von harnsauren Salzen mit Brei von Verdauungsleber Harnsäure
zersetzt und Harnstoff gebildet wird, während in Lebern von Thieren,
welche gefastet haben, angeblich Harnsäure nicht zersetzt wird. Dann
hat Wiener 3 ) festgestellt, dass der Niere, der Leber und dem Muskel
des Rindes harnsäurezerstörende Fähigkeiten zukomraen, Burian 4 ) hat
für die Leber und den Muskel, Ascoli 6 ) für die Leber des Rindes
dieselbe Beobachtung gemacht. Schittenhelm 5 ) hat festgestellt, dass
ein uricolytisches Ferment in der Niere, der Leber, dem Muskel und
vielleicht dem Knochenmark des Rindes zu finden ist, während die Milz,
die Lunge und der Darm wohl Harnsäure zu bilden, aber nicht zu zer¬
stören vermögen. Schittenhelm hat dann weiter das uricolytische
Ferment aus dem Nierenextract durch Anwendung der Rosell’schen
Fällungsmethodc zu isoliren vermocht. Die so gewonnenen Ferment-
1) Stoekvis, Bijdragen tot de Physiol. van het acidum uriemn. 1859. Nederl.
Tijdschrift voor Geneeskunde und Donder’s Archiv f. d. holländ. Beitrage. Utrecht.
1860. Bd. 2. S. 268.
2) Brunton, Centralbl. f. Physiol. Bd. 19. No. 1. S. 9 und Arch. scienc.
St. Petersburg 1904. (Pawlow’s Festschrift.)
3) H. Wiener, Ueber Zersetzung und Bildung von Harnsäure im Thierkörper.
Arch. f. exper. Path. und Pharmak. 1899. Bd. 42. S. 373.
4) R. Burian, Ueber die Oxydation und die vermeintliche synthetische Bildung
von Harnsäure im Rinderleberauszug. Zeitschr. f. physiol. Chem. 1904/05. Bd. 42.
S. 497.
5) Ascoli, Ueber die Stellung der Leber im NucleinstofTwechsel. Pflüger’s
Archiv. Bd. 72. S. 340.
6) A. Schittenhelm, Ueber die Harnsäurebildung und Harnsäurezersetzung
in den Auszügen der Rinderorgane. Zeitschr. f. physiol. Chem. 1905. Bd. 45. S. 121
und Ueber das uricolytische Ferment. Zeitschr. f. physiol. Chem. 1905. Bd.45. S. 161.
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390
\V. Kvinzel u. A. Schiiten heim,
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lösungen zeigten eine sehr intensive Wirksamkeit. Dass es sich thal-
sächlich um ein Ferment handelte, und dass nicht etwa der alkalische
Charakter der Lösung oder gar geringe Mengen in Lösung gebliebener
Uratsalze das wirksame Princip darstellten, bewies er damit, dass er
Versuche mit derselben Fermentlösung ansetzte, welche vorher bis zu einer
halben Stunde auf 100° erwärmt worden war. Dabei zeigte sich, dass in
dieser abgekochten Lösung bei analoger Versuchsanordnung die Harnsäure¬
zerstörung eine nur ganz minimale war. Endlich haben Wiechowski
und Wiener 1 ) Versuche unternommen über Eigenschaften und Darstellung
des harnsäurezerstörenden Ferments der Rinderniere und Hundeleber.
Dieselben stellten fest, dass dasselbe eine nur bei schwach alkalischer
oder neutraler Reaction wirkende Oxydase ist. Die jeweilige Grösse
der Zersetzung ist nicht nur abhängig von der Fermentmenge und
Wirkungszeit, sondern innerhalb gewisser Grenzen auch von der zur
Verfügung stehenden Menge Harnsäure. Sie haben dann noch die
Wirkung verschiedener physikalischer und chemischer Eingriffe auf das
Ferment in Betracht gezogen. Die Forscher arbeiteten dabei stets mit
Organpulvern, welche durch rasches, wenige Stunden währendes Trocknen
der blutfreigespülten überlebenden Organe in dünnster Schicht bei 37°,
Vermahlen mit Toluol in einer Farbcnreibmaschine, Abnutschen und
Farbstoff frei waschen mit Toluol auf der Nutsche hergestellt waren. Diese
Organpulver wurden dann mit schwacher (0,025 proc.) Sodalösung ex-
trahirt und das Extract als Fermentlösung benutzt.
In der Erwägung, dass möglichst frischer Organextract doch wohl
wirksamere Fermentlösung geben dürfte, wie eine Fermentlösung, welche
durch derartig intensive Eingriffe auf das Organ hergestellt werden, be¬
nutzten wir zu unseren Versuchen keine isolirten Fermentlösungen,
sondern frische Organextracte.
Dieselben wurden so hergestellt, dass wir frisch vom Schlachtbof
bezogene Rinderniere sofort mit der Fleischhackmaschine fein zermahlten,
den so erhaltenen Brei mit zwei Theilen Wasser gut verrührten und
unter Zusatz von etwas Toluol und etwas Chloroform mehr oder weniger
lang stehen Hessen. Dann wurde colirt, durch Watte und dann durch
in Wasser aufgeschwemrates, fein vertheiltes Filtrirpapier auf der Nutsche
filtrirt. Von dem gewonnenen Filtrat versetzten wir jeweils 350 ccm
mit 0,3 g Harnsäure, welche in möglichst wenig Normalnatronlauge ge¬
löst war, an. Die Versuche gingen bei einer Temperatur von 37 0
wechselnde Zeit, wobei wir in altbewährter Weise einen kräftigen Luft¬
strom durchleiteten. Nach Abbruch des Versuchs wurde das Rcactions-
gemenge aufgekocht, mit Natronlauge bis zur stark alkalischen Reaction
versetzt, die so erhaltene Lösung mit Essigsäure coagulirt und im Filtrat
die Purinkörper mit der Kupfersulfat-Bisulfitmethode gefällt. Die er¬
haltenen Kupferoxydulverbindungen wurden auf dem Filter gesammelt
und säurefrei gewaschen, dann in heissem Wasser suspendirt und mit
Schwefelwasserstoff zerlegt. Das klare Filtrat wurde unter Zusatz von
1) Wiechowski und Wiener, lieber Eigenschaften und Darstellung des harn¬
säurezerstörenden Fermentes. Hofmeister’s Beiträge. 1907. Bd. X.
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Ueber den zeitlichen Ablauf der Uricolyse.
391
10—15 ccm einer lOproc. Salzsäure auf ca. 10 ccm eingeengt. Die
wiedergewonnenc Harnsäure wurde nach Horbaczewski durch Lösen
in concentrirtcr Schwefelsäure und Wiederausfällen durch Verdünnen aufs
4 fache Volumen gereinigt.
Versuchsreihe A.
350 ccm Nierenextract, zu dessen Bereitung das mit Wasser an¬
gesetzte zerkleinerte Nierengewebe über Nacht gestanden hatte, plus 0,3 g
Harnsäure in Normalnatronlauge gelöst bei 37° unter ständiger Luftdurch-
leitung unter Zusatz von Toluol und Chlorolorm.
Versuch I wurde nach 1 / 2 Stunde unterbrochen.
Wiedererhaltcn 0,21 g Harnsäure, also zerstört 30 pCt.
Versuch II wurde nach 1 Stunde unterbrochen.
Wiedererhalten 0,16 g Harnsäure, also zerstört 47 pCt.
Versuch III wurde nach 2 Stunden unterbrochen.
Wiedererhalten 0,125 g Harnsäure, also zerstört 58 pCt.
Versuch IV wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedererhalten 0,07 g Harnsäure, also zerstört 77 pCt.
Versuch V wurde nach 6 Stunden unterbrochen.
Wiedererhaltcn Spuren Harnsäure. Nahezu alle Harnsäure zerstört.
Versuchsreihe B.
Neuer, analog wie oben geschildert, gewonnener Nierenextract wurde
ebenso angesetzt.
Versuch VI wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedererhalten 0,07 g Harnsäure, also zerstört 77 pCt.
Versuch VII wurde nach 6 Stunden unterbrochen.
Wiedererhalten Spuren Harnsäure. Nahezu alle Harnsäure zerstört.
Versuch VIII wurde nach 7 Stunden unterbrochen.
Wiedererhalten keine Harnsäure. Alle Harnsäure zerstört.
Versuch IX wurde nach 7 Stunden unterbrochen.
Wiedererhaltcn keine Harnsäure. Alle Harnsäure zerstört.
Versuchsreihe C.
Von der ganz frisch zerkleinerten und sofort angesetzten Niere wurde
eine Hälfte bereits nach 3—4 Stunden colirt und filtrirt und sofort wie
oben zur Luftdurchleitung angesetzt.
Versuch X wurde nach 2 Stunden unterbrochen.
Wiedererhalten 0,03 g Harnsäure, also zerstört 90 pCt.
Versuch XI wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedererhalten keine Harnsäure. Alle Harnsäure zerstört.
Die» zweite Hälfte desselben Extracts wurde nach 24 Stunden colirt
und filtrirt und ebenso angesetzt.
Versuch XII wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedererhalten keine Harnsäure. Alle Harnsäure zerstört.
Versuch XIII wurde nach 7 Stunden unterbrochen.
Wiedererhalten keine Harnsäure. Alle Harnsäure zerstört.
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392 \V. Künzel u. A. Schittenhelm, lieber den zeitlichen Ablauf der Uricolyse.
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Versuchsreihe D.
Ganz frisch gewonnener Extract wie in Versuch X und XI der Ver¬
suchsreihe C angesetzt.
Versuch XIV wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedererhalten keine Harnsäure. Alle Harnsäure zerstört.
Versuchsreihe E.
Der Nierenextract wurde nach einem halben Tag wie oben verarbeitet.
Versuch XV wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedererhalten 0,08 g Harnsäure, also zerstört 73 pCt.
Versuch XVI wurde nach 7 Stunden unterbrochen.
Wiedererhalten keine Harnsäure. Alle Harnsäure zerstört.
Versuchsreihe F. Einfluss der Verdünnung.
Frischer Nierenextract wurde nach dreistündigem Stehen wie oben
verarbeitet.
Versuch XVII, 100 ccm Nierenextract wurden auf 350 ccm mit
destillirtem Wasser aufgefüllt und wie oben verarbeitet.
Der Versuch wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedererhalten 0,13 g Harnsäure, also zerstört 57 pCt.
Versuch XVIII, 350 ccm desselben Nierenextracts wie oben verarbeitet.
Der Versuch wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedererhalten 0,02 g Harnsäure, also zerstört 93 pCt.
Versuchsreihe G. Einfluss von Säure.
Versuch XIX, 350 ccm Nierenextract mit 0,3 g Harnsäure in 5 ccm
Normalnatronlauge gelöst plus 10 ccm Normalschwefelsäure.
Versuch wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedererhalten 0,22 g Harnsäure, also zerstört 27 pCt,
Aus den Versuchen geht klar hervor, dass die Harnsäure¬
zerstörung in den Nierenextracten einen sehr rasch ablaufenden
Process darstellt, indem nach 7 Stunden, häufig auch, ins¬
besondere bei Verarbeitung ganz frischen Nierenextracts schon
nach 4 Stunden keine Spur der zugegebenen Harnsäure mehr
nachzuweisen war. Offenbar hat längeres Stehen des Nierenextracts
einen leicht abschwächenden Einfluss auf die Intensität der Uricolyse,
sodass dieselbe zwar noch quantitativ zu Ende geführt wird, aber längere
Zeit dazu benöthigt.
Ferner geht aus der Versuchsreihe F hervor, dass die Fermentmengc
von wesentlichem Einfluss auf die Schnelligkeit der Fermentreaction ist,
indem dieselbe um so geringer ist, je weniger Ferment angewandt wird.
Endlich zeigt uns Versuchsreihe G, dass die Harnsäurezerstörung bei
saurer Reaction überaus gehemmt ist. Ob diese Hemmung auf directer
Schädigung des Ferments durch die saure Reaction beruht, oder auf
schlechterer Angreifbarkeit der vielleicht ausgefällten Harnsäure, lässt
sich aus dem einen Versuch nicht klar ersehen. Jedenfalls stimmt die
Beobachtung aber mit den Angaben von Wiechowski und Wiener
über die Einwirkung der Säure überein.
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XXIX.
Aus dem Laboratorium der Erlanger medicinischen Klinik.
Gegenseitige Beeinflussung der Fermente des Nuciein-
stoffwechsels.
Von
Werner Künzel und Alfred Schittenhelm.
Um zu erkennen, wie sich das urieolytische Ferment der Harnsäure
in statu nascendi gegenüber verhält, haben wir mit Guanin beschickten
Milzcxtract, in welchem nachgewiesenerinaassen (besondere Controll-
versuche) eine sehr intensive und schnell ablaufende Bildung von Harn¬
säure vor sich geht 1 ), mit Nierenextract, der auf seine gut functionirende
urieolytische Fähigkeit untersucht war, gemischt und in diesem Gemisch
den Ablauf der Uricolyse zeitlich verfolgt. Dabei kamen wir auf eigen¬
artige Beeinflussungen der Extracte untereinander, wodurch die Ferraent-
wirkungen zeitlich sehr wesentlich raodificirt wurden.
Wir wählten also die Versuchsanordnung so, dass wir eine gut harn¬
säurebildende Fermentlösung mit der harnsäurezerstörenden vermischten.
Aus früheren Versuchen Schittenhelra’s war bekannt, dass zum Studium
der Harnsäurebildung aus Purinbasen sich am besten Extracte der Rinder¬
milz eigneten, in welchen auch bequem die zwei Etappen der Harnsäure¬
bildung zu verfolgen sind, die Uesamidirung und die Oxydation. Die Ver¬
suche sind mit Guanin angestellt. Die Umsetzung des Guanins in Harn¬
säure nimmt folgenden Weg: Guanin—Xanthin—Harnsäure.
Lässt man durch einen mit Guanin beschickten Milzextract bei 37°
einen starken Luftstrom hindurch, so ist, wenn man die Reaction schon
nach 10—15 Minuten unterbricht, kein Guanin mehr nachweisbar, dafür
aber Xanthin und Harnsäure. Xanthin erhält man ferner leicht, indem
man die Reaction bei Brutschranktemperatur ohne Luftdurchleitung vor-
sichgehen lässt. Lässt man bei Luftdurchleitung den Versuch eine Stunde
und länger gehen, so findet man danach sämmtliches Guanin bereits
quantitativ in Harnsäure umgesetzt 1 ).
Auf dieser Erfahrung fussend, haben wir mit Guanin beschickten
Milzextract zu gleichen Theilen mit Nierenextract gemischt und er¬
warteten nun, dass die durch den Milzextract aus dein Guanin bei Luft-
1) S. hierzu A. Schittenhelm, Leber die Fermente des NucleinstofTwechsels.
Zeitschr. f. physiol. Chem. 1908. Bd. ö(>.
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394
\V. Künzel und A. Schiiten heim,
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durchlcitung sich bildende Harnsäure sehr schnell von dem uricolytischen
Ferment des Nierenextracts zerstört werde. Das war aber nicht der
Fall. Vielmehr stellten sich die Verhältnisse bedeutend modificirt dar.
Die Darstellung des Nierenextracts geschah wie im ersten Theil,
und zwar benutzte») wir zu den Versuchen stets einen Nierenextract,
dessen tadellose uricolytischc Fähigkeit in den oben mitgctheilten Ver¬
suchen zu gleicher Zeit sicher festgestellt wurde.
Den Milzextract stellten wir uns in analoger Weise her, nachdem
wir die Milzpulpa aus ihrer Kapsel herauspräparirt hatten. Auch hier
wurde ein Theil Organ und zwei Thcile Wasser genommen. Es kann
sofort bemerkt werden, dass der Milzextract beim Aufbewahren viel
langsamer an Wirksamkeit verliert, wie der Nicronextract.
Die Isolirung der Purinkörper nach Abbruch des Versuchs geschah
durch Fällung im enteiweissten Extract durch Kupfcrsulfat-Bisulfit. Die
Kupferoxydulverbindungcn wurden mit Schwefel Wasserstoff zerlegt und
salzsauer eingeengt. Der nach mehrstündigem Stehen abgeschiedene
Niederschlag wurde abßltrirt und nach Horbaczcwski umgefällt. Dabei
erhält man die Harnsäure, welche auf dem Filter gesammelt und ge¬
wogen wurde. Die Filtrate, das salzsaure und das schwefelsaure, wurden
vereinigt, mit Natronlauge alkalisch gemacht, mit Essigsäure angesäuert
und nun nochmals mit der Kupfermethode gefällt. Das Filtrat der
Schwefelwasserstoffzersetzung wurde cingedampft, der Rückstand mit
verdünntem Ammoniak gelöst. Dabei geht das Xanthin in Lösung,
während etwa vorhandenes Guanin ungelöst bleibt. Es kann hier sofort
bemerkt werden, dass, abgesehen von einem Versuch, wo Nierenextract
mit Guanin angesetzt war, nie Guanin wiedergefunden wurde. Das in
Ammoniak gelöste Xanthin wird durch Einengung von Ammoniak befreit
und dann weiter auf 3—5 ccm eingeengt. Das so erhaltene Xanthin
wurde dann abfiltrirt, mit Alkohol und Aether gewaschen und gewogen.
Versuchsreihe A.
175 ccm Milzextract plus 0,3 g in wenig Normalnatronlauge gelöstes
Guanin plus 175 ccm Nierenextract unter Zusatz von Chloroform und
Toluol bei 37° und beständigem Durchleiten eines starken Luftstroms.
Versuch 1 wurde nach l / 2 Stunde unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,1 g Harnsäure,
0,14 g Xanthin.
Es sind demnach von dem zugesetzten Guanin 47 pCt. als Xanthin
wiedergefunden worden, ca. 50 pCt. in Harnsäure umgesetzt und
davon nur 20 pCt. zerstört.
Versuch H wurde nach 1 Stunde unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,1 g Harnsäure,
0,11 g Xanthin.
Es sind demnach von dem zugesetzten Guanin 37 pCt. als Xanthin
wiedergefunden worden, ca. 00 pCt. in Harnsäure umgesetzt und
davon 30 pCt. zerstört.
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Gegenseitige Beeinflussung der Fermente des NucleinstofTwechsels.
395.
Versuch iII wurde nach 2 Stunden unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,18 g Harnsäure,
0,04 g Xanthin.
Es sind demnach von dem zugesetzten Guanin 13 pCt. als Xanthin
wiedergefunden worden, ca. 87 pCt. in Harnsäure umgesetzt und
davon 33 pCt. zerstört.
Versuchsreihe B.
Die Extractc wurden ebenso angesetzt wie in Versuchsreihe A.
Versuch IV wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,15 g Harnsäure,
0,04 g Xanthin.
Es waren demnach von dem zugesetzten Guanin 13 pCt. als Xanthin
wiedergefunden worden, ca. 87 pCt. in Harnsäure umgesetzt, aber
davon nur 42 pCt. zerstört.
Versuch V wurde nach 7 Stunden unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,17 g Harnsäure,
Spuren Xanthin.
Es wurde also nahezu alles Guanin in Harnsäure umgesetzt, von der
umgesetzten Harnsäure aber nur 49 pCt. zerstört.
Versuchsreihe C.
350 ccm Milzextract plus 0,24 g Guanin plus 350 ccm Nierenextract
werden ebenso angesetzt wie in Versuchsreihe'A.
Versuch VI wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,15 g Harnsäure,
0,16 g Xanthin.
Es sind demnach von dem zugesetzten Guanin 66 pCt. als Xanthin
wiedergefunden worden, ca. 45 pCt. in Harnsäure umgesetzt.
Es ergeben sich darnach mehr Harnsäure und Xanthin zusammen,
als dem zugesetzten Guanin entspräche. Das kommt davon her, dass
sowohl in dem Milz- wie in dem Nierenextract Purinkörper von vorn¬
herein enthalten waren, welche ebenfalls mitbestimmt w'urdcn. Jeden¬
falls ist in diesem Versuch die Harnsäurezersetzung eine ganz minimale,
resp. garnicht vorhanden, und der Versuch beweist zugleich, dass die
Resultate der übrigen Versuche eher zu niedrig, wie zu hoch berechnet
sind. Noch deutlicher treten diese Verhältnisse in der nächsten Ver¬
suchsreihe zu Tage.
Versuchsreihe D.
350 ccm Milzextract plus 0,3 g Guanin plus 350 ccm Nierenextract.
Versuch VII wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,21 g Harnsäure,
0,17 g Xanthin.
Es sind demnach von dem zugesetzten Guanin 66 pCt. als Xanthin
wiedergefunden w r orden, ca. 63 pCt. in Harnsäure um gesetzt.
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396
W. Künzel und A. Schittenlielm,
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Versuch VIII wurde nach 7 Stunden unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,15 g Harnsäure,
Spuren Xanthin.
Die merkwürdigen Resultate der Versuche mit dem Gemisch von
Milzextract und Nierenextract mit Guanin führten dazu, dass nunmehr
der Einfluss des Nierenmilzgemisches auf zugesetzte Harn¬
säure direct studirt werden musste.
Versuchsreihe E.
175 ccm Nierenextract plus 0,3 g Harnsäure plus 175 ccm Milz¬
extract.
Versuch JX wurde nach 2 Stunden unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,16 g Harnsäure.
Demnach wurden 47 pCt. der Harnsäure zerstört.
Versuch X wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,11 g Harnsäure.
Demnach wurden 67 pCt der Harnsäure zerstört.
Versuchsreihe F.
350 ccm Nierenextract plus 0,3 g Harnsäure plus 350 ccm Milz¬
extract.
Versuch XI wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,19 g Harnsäure.
Demnach wurden 37 pCt. der Harnsäure zerstört.
Versuchsreihe G.
350 ccm Nierenextract plus 0,3 g Harnsäure plus 350 ccm Milz¬
extract.
Versuch XII wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,21 g Harnsäure.
Demnach wurden 30 pCt. der Harnsäure zerstört.
Versuch XIII wurde nach 7 Stunden unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,08 g Harnsäure.
Demnach wurden 73 pCt. der Harnsäure zerstört.
Nachdem auf diese Weise auch bei der mit Harnsäure direct vor¬
genommenen Versuchsanordnung eine starke Beeinflussung des Ferment¬
vorgangs festgestellt war, unternahmen wir zur weiteren Klärung Ver¬
suche, in denen einmal aufgekochter Nierenextract zu frischem
Milzextract, das andere Mal zu aufgekochtera Milzextract
frischer Nierenextract zugesetzt wurde. Es sollte dabei vor allem
die Frage entschieden werden, ob es sich bei der Beeinflussung um eine
Fermentwirkung oder aber um eine Einwirkung anderer in den Extractcn
vorhandener Substanzen, wie z. B. Salze etc., handelt.
Versuchsreihe H.
350 ccm aufgekochter Nierenextract plus 0,3 g Guanin plus 350 ccm
frischer Nierenextract.
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Gegenseitige Beeinflussung der Fermente des NuclemstofTwechsels. 39?
Versuch XIV wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,4 g Harnsäure.
Es ist daraus klar, dass sämmtliches Guanin quantitativ in
Harnsäure umgesetzt wurde.
350 ccm aufgekochter Milzextract plus 0,3 g Harnsäure plus 350 ccm
frischer Nierenextract.
Versuch XV wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedergefunden: Spuren Harnsäure.
Es war also alle beigegebene Harnsäure zerstört.
Der Nierenextract hat also genau so gut gearbeitet, wie in den Ver¬
suchen der vorstehenden Arbeit 1 ) und wie wenn keine Mischung Vorgelegen
hätte, indem er innerhalb 4 Stunden sämmtliche zugesetzte Harnsäure
glatt zersetzte.
Zum Schluss haben wir noch eine Versuchsreihe angestellt, welche
den Einfluss des Milzextracts auf die Harnsäure und den Einfluss des
Nierenextracts auf Guanin darlegen soll.
Versuchsreihe I.
350 ccm Milzextract plus 0,3 g Harnsäure.
Versuch XVI wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,32 g Harnsäure.
Folglich besitzt der Milzextract für sich keine harnsäure¬
zerstörende Wirkung.
350 ccm Nierenextract plus 0,3 g Guanin.
Versuch XVII wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,23 g salzsaures Guanin (= 0,165 g Guanin);
Spuren Xanthin.
Es wurden darnach 55 pCt. des Guanins wiedergefunden.
Analytischer Beleg der aus den verschiedenen Versuchen ver¬
einigten Harnsäure- und Xanthinpräparaten:
1. Harnsäure: 0,155 g Substanz verbrauchten nach Kjeldahl
37,0 ccm 7 10 Normal-Oxalsäure.
Verlangt: 33,33 pCt. N.
Gefunden: 33,42 pCt. N.
2. Xanthin: 0,1022 g Substanz verbrauchten 26,82 ccm 7io Normal-
Oxalsäure.
Verlangt: 36,84 pCt. N.
Gefunden: 36,73 pCt. N.
Es haben sich also in diesen Versuchen eigenartige Beein¬
flussungen gezeigt, indem einerseits der Milzextract die harn¬
säurezerstörende Eigenschaft des Nierenextracts äusserst
intensiv hemmt und andrerseits der Nierenextract die harn¬
säurebildende Eigenschaft des Milzextracts merklich hintan¬
hält. Es liegen hier wohl schwerlich Wirkungen eines proteolytischen
Ferments vor; denn sowohl der Nierenextract, wie der Milzextract für
1) Dieses Heft, S. 389.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd.
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398 W. Künzei und A. Schittenheim,
sich enthalten ja bereits solche, und cs müsste also, wenn man die
Störung auf die Proteolyse zurückführen wollte, eine solche schon im
einfachen ungemischten Versuche ebenso zu Tage treten. Uebrigens ist
die Einwirkung des proteolytischen Ferments keineswegs eine sehr
intensive, was uns auch ein Versuch zeigte, den wir speciell nach dieser
Richtung hin unternahmen. Allerdings müsste zur endgültigen Ent¬
scheidung eine grössere Versuchsreihe herangezogen werden. Da aber
die Resultate sehr gut zusammen stimmen, so wollen wir hier kurz über
den Versuch berichten.
Versuchsreihe K.
350 ccm Nierenextract plus ca. 2 ccm 10 proc. Ammoniak plus 2 g
Pankreatin (Rhenania), dessen gute Wirksamkeit durch besondere Ver¬
suche festgestellt war, wurden über Nacht mit Chloroform und Toluol
in den Brutschrank gestellt. Dann wurde das Gemisch, wie üblich,
filtrirt und mit 0,3 g Harnsäure angesetzt.
Versuch XVIII wurde nach 4 Stunden unterbrochen. Wieder¬
gefunden: 0,06 g Harnsäure.
Demnach wurden 80 pCt. der Harnsäure zerstört.
Zur Controlle, ob nicht bereits das Ammoniak irgend eine Schädigung
hervorruft, wurde folgender Controllversuch angesetzt. 350 ccm Nieren¬
extract plus ca. 2 ccm 10 proc. Ammoniak eine Nacht im Brutschrank,
dann filtrirt und, wie üblich, mit 0,3 g Harnsäure angesetzt.
Versuch XIX wurde nach 4 Stunden unterbrochen.
Wiedergefunden: 0,07 g Harnsäure.
Demnach wurden 73 pCt. der Harnsäure zerstört.
So wenig der hemmende Einfluss auf die Proteolyse in den Extracten
zurückgeführt werden kann, so wenig können die kochbeständigen Be¬
standteile der Extracte dafür verantwortlich gemacht werden; denn
in den Versuchen, in welchen je ein aufgekochter Extract mit einem un-
aufgekochten zusammengebracht wurde, verlief die Reaction genau, in den
Grenzen und mit der Schnelligkeit, wie wir sie von den Einzelversuchen
her kennen. Trotz der Anwesenheit des aufgekochten Nierenextracts
wurde durch den Milzextract zugesetztes Guanin überall schnell und
völlig quantitativ in Harnsäure uragesetzt, und ebenso zerstörte der
Nierenextract trotz der Anwesenheit von aufgekochtem Milzextract zu¬
gesetzte Harnsäure in normaler Weise. Es ist also klar, dass hier eine
gegenseitige Beeinflussung fermentativer Kräfte vorliegt. Wir
sind geneigt, daran zu denken, dass das stark active uricolytische
Ferment dieActivität der bei der Harnsäurebildung wirkenden
Fermente abschwäeht, und umgekehrt. Allerdings sind zur end¬
gültigen Entscheidung weitere Versuche nöthig.
Jedenfalls aber steht als wichtiges Resultat der Untersuchung fest,
dass das Organ, welches beim Rinde die eklatanteste Harn¬
säurebildung veranlasst, hemmend auf die Thätigkeit des
Organs wirkt, welchem die intensiveste Harnsäurezerstörung
zugehört.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSfTY OF MICHIGAN
Gegenseitige Beeinflussung der Fermente des Nucleinstoffwechsels. 399
Es dürfte diese Beobachtung Licht auf mancherlei Resultate werfen,
welche bisher nicht so leicht zu erklären waren. So finden wir z. B.
in der Leber, ebenso in der Niere selbst nebeneinander zweifellos die
Fermente der Harnsäurebildung und -Zerstörung vertreten. Das beweisen
die früheren Versuche Schittenhelm’s und Burian’s. Aber die Harn¬
säurebildung und die Harnsäurezerstörung lässt sich mit diesen Organen
in vitro keineswegs in der intensiven Weise erreichen, wie die einzelnen
Processe mit denjenigen überlebenden Organen erreicht werden können,
welche scheinbar nur die eine oder die andere Umsetzungsfähigkeit be¬
sitzen.
Es dürfte eben auch da, sobald bei der Extraction der Fermente
durch Wasser dieselben in hochwirksamen activen Zustand versetzt sind,
eine gegenseitige Beeinflussung stattfinden.
Dass diese im normalen Organismus nicht bereits im Leben auf-
tritt, ist sicherlich damit zu erklären, dass hier, wie überall, die Fer¬
mente in einem inactiven Zustand innerhalb der Zelle festgelegt sind und
nur dann, wenn der Organismus sie braucht und in dem Maasse, als
sie gebraucht, werden, aus dem inactiven Zustand in den activen über¬
geführt werden.
Stellen wir uns vor, dass unter gewissen pathologischen Verhält-
hältnissen gewissermaassen eine Hypersecretion eines der Fermente statt¬
hat, so müsste dann ein ähnlicher Zustand schon im Leben innerhalb
des Organs auftreten, wie er in vitro direct beobachtet werden kann,
das heisst, es müsste dann zu einer Hemmung im fermentativen Ablauf
des Harnsäurestofiwechsels kommen, welcher sowohl die Harnsäure¬
bildung, wie die Harnsäurezerstörung betreffen müsste.
Bekanntlich haben Brugsch und Schittenhelm D in einer Reihe
von Abhandlungen die Gicht als Folge einer Hemmung des ganzen Purin¬
stoffwechsels erklärt. Sie sind dazu gekommen durch den Vergleich des
normalen und pathologischen Nucleinstoffwechsels. Aus der Verfolgung des
exogenen Purinstoffwechsels konnten sie schliessen, dass beim Gicht¬
kranken eine verlangsamte Purinbasenumbildung i. e. verlangsamte Harn¬
säurebildung vorliegt. Diese Störung betrifft jedoch auch die endogene
Harnsäure, welche in den meisten Fällen einen auffallend niedrigen
Werth zeigt. Als zweite Etappe in der Stoffwechselstörung der Gicht
stellen die beiden Autoren eine verminderte bezw. verlangsamte Harn¬
säurezerstörung fest, sodass also bei der Gicht die ganze Reihe der
Fermentprocesse des Nucleinstoffwechsels in einem weniger intensiven
Tempo arbeitet, wie normaler Weise.
Diese im Stoffwechsel versuch gefundenen Ergebnisse
werden nunmehr offensichtlich gestützt durch die Resultate
der vorliegenden Versuchsreihen. Wird doch in diesen ex¬
perimentell das erzeugt, was beim Gichtkranken pathologischer¬
weise der Organismus besorgt. Die Vorstellung, dass hier eine
1) Brugsch, Th. und Schittenhelm, A., Zur StofTwechsclpathologie der
Gicht. Zeitschr. f. experim. Pathol. und Therap. 1907. Bd. 4. Mitth. 1 — 6 und
Bd. 6, Mitth. 7.
26* ; : •'
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Original fro-m
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400 W. Künzel u. A. Schittcnheim, Gegenseitige Beeinflussung d. Fermente etc.
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Störung im ganzen Fermentapparat des Nueleinstoffwechsels
statthat, gewinnt feste Gestalt, und es ist ein Weg gegeben, auf
dem eine experimentell fundirte Erklärung für die eigenartige pathologische
Störung erbracht werden kann.
Mithin geben unsere Versuche nicht nur einen interessanten Beitrag
für die experimentelle Physiologie, sondern sie dienen auch dazu, in den
wichtigen Fragen der pathologischen Physiologie Klarheit zu verschaffen.
Als Nebenbefund erwähnen wir noch, dass wiederum Ueberein-
stimmung mit früheren Versuchen festgelegt ist, dass beim Rind die
Milz scheinbar keine harnsäurezerstörende Fähigkeiten besitzt. Wenn wir
jedoch bedenken, dass selbst ein so intensiv harnzerstörendes Organ wie
die Niere durch Beimengung von Milzextract so beträchtlich in ihrer
Thätigkeit nach dieser Richtung gestört wird, dann ergiebt sich daraus
die Nothwendigkeit, bei derartigen Befunden in vitro mit den Schlüssen
auf das lebende Organ vorsichtig zu sein. Es ist wohl möglich, dass
der Rindermilz neben der Harnsäurebildung im Leben auch eine Harn¬
säurezerstörung zukommt, diese Harnsäurezerstörung aber kann in vitro
nicht beobachtet werden, weil die überaus activen harnsäurebildenden
Fermente die Harnsäurezerstörung vollkommen lahm legen.
Aehnlich verhält es sich mit der Harnsäurebildung im Nierenextract.
Dass hier eine solche zweifellos stattfindet, zeigten schon frühere Ver¬
suche von Schittenhelm, und auch der vorliegende Versuch darf wohl
als Beweis dafür angenommen werden; denn von dem zugesetzten Guanin
ist nur mehr ungefähr die Hälfte wiedergefunden worden, während die
andere Hälfte zum kleineren Theil als Xanthin erhalten werden konnte,
zum Theil völlig in Verlust gerieth. Es muss angenommen werden, dass
dieser verlorene Rest in dem Extract über das Xanthin zu Harnsäure
umgesetzt wurde, und als solche der sofortigen Zerstörung anheimfiel,
sodass für das lebende Organ zweifellos eine rege Harnsäurebildung neben
der Harnsäurezerstörung angenommen werden dürfte. Genau so liegt es
bei der Leber und ebenso wohl auch beim Muskelgewebe, nur dass
vielleicht in einem Organ diese, im anderen jene Fermentgruppe das
Uebergewicht hat, während wieder andere einen gewissen Gleichgewichts¬
zustand besitzen.
Daraus, dass die Harnsäurebildung und die Harnsäurezersetzung
nicht in allen Organen gleich intensiv vor sich geht, erklärt es sich
ferner, dass trotz der intensiven Harnsäurezerstörung gewisser Organe
ständig geringe Mengen Harnsäure im Blute kreisen und mit dem Urin
abgeschieden werden. Wenn die Harnsäurebildung und die Harnsäure¬
zerstörung überall gleichen Schritt hielten, dann könnte es ja nicht zu
einer Ausfuhr von Harnsäure durch die Niere kommen.
Wir können darum wohl sagen, dass unsere angeführten Feststellungen
sehr geeignet sind, neues Licht auf manche, bis jetzt noch dunkle und
schwer verständliche Vorgänge des Nueleinstoffwechsels zu werfen.
Gck igle
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
XXX.
Aus der II. medicin. Klinik der Universität Berlin.
Ueber die Absorption der Harnsäure durch Knorpel.
Von
Theodor Brugsch und Julius Citron,
kl in. Assistenten.
Almagia 1 ) hatte im Hofmeister’schen Laboratorium zeigen
können, dass Harnsäurelösungen, denen Pferdeknorpel zugesetzt wurde,
nach längerem Stehen an Concentration abnahraen, und zwar soll
nach Almagia diese Abnahme dadurch bedingt sein, dass die Knorpel¬
substanz das Vermögen besitzt, aus sehr verdünnten Lösungen von harn¬
saurem Natron die Harnsäure in erheblicher Menge zu absorbiren und sic
in krystallinischer Form abzulagern.
Der Befund von Almagia erscheint uns für das Problem der Gicht
insofern von weittragender Bedeutung, als dadurch sich vielleicht die Ab¬
lagerung der Harnsäure in den Gelenkknorpeln erklären würde, nachdem
einmal die stetige Anwesenheit der Harnsäure (selbst bei purinfreier Er¬
nährung) im venösen Armblut für den Gichtiker bewiesen worden ist.
Wir haben aus diesem Grunde die Versuche Alraagia’s aufgenommen
und sie im weitesten Umfang zu stützen versucht.
I. Versuche mit Pferdeknorpel frisch geschlagener Thiere.
Versuch a): 39g Pferdeknorpel vomSternura in Stücke von etwa 1 ccm
gehackt, werden in 800 ccm einer schwach alkalischen Harnsäurelösung von
0,098 pCt. Harnsäure-N gebracht. Die Lösung bleibt (nach Toluolzusatz)
4 Wochen im Brutschrank bei 37° stehen.
Der gewaschene Knorpel wird alsdann durch 6 ständiges Kochen
am Rückflusskühler mit 300 ccm einer 4 proc. H 2 S0 4 -Lösung auf¬
geschlossen, die Lösung (der nicht gelöste geringe Rest wird verrieben)
wird mit Alkali neutralisirt, nach Zugabe eines kleinen Ueberschusses
von Alkali aufgekocht, dann durch Ansäuren mit Essigsäure ent-
eiweisst und aus dem Filtrat mit einer Kupfer-Bisulfitlösung die Harn¬
säure gefällt.
1) Marco Almagia, Zur Lehre vom Harnsäurestoffwechsel. III. Mittheilung.
Hofmeisters Beitr. Bd. VII.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
402
Th. Brugsch und J. Citron,
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Es wurden 0,110 g Harnsäure in etwa 35 g Knorpel gefunden,
mithin für 100 g Knorpel etwa 0,33 g Harnsäure.
(ln zwei Knorpelstückchen war durch Anfertigung von feinen Schnitten
der mikroskopische Beweis erbracht worden von der Anwesenheit von
prismatischen Harnsäurekrystallen ähnlich denen, wie Almagia sie ab¬
bildet.)
Versuch b): 39 g Pferdcknorpel vom Sternum werden in kleine
Stücke von etwa 0,5 ccm gehackt und in 800 ccm einer schwach alkalischen
Harnsäurelösung von 0,098 pCt. Harnsäure-N gebracht, 4 Wochen in
dieser Lösung, der Toluol zugesetzt worden war, bei 37° im Brutschrank
belassen und dann in gleicher Weise aufgeschlossen wie im Versuche a).
Es wurden wiedergefunden 0,143 g Ü in etwa 35 g Knorpel. Für 100 g
Knorpel berechnet also = 0,42 g Ü. In den nicht aufgeschlossenen
Knorpelstückchen Hess sich mikroskopisch krystallinische Harnsäure nach-
weisen.
II. Versuche mit Menschenknorpel.
Versuch a: 4,5 g Menschenknorpel 1 ) (von den Rippen eines Er¬
wachsenen) werden in 400 ccm einer Lösung von harnsaurem Natron ge¬
bracht, die in 100 ccm 0,00396 g Ü-N enthält. Nach 20 tägigem Stehen
im Brutschrank enthält die Lösung nur noch 0,00196 g Ü-N (Analyse
durch Silber- und Kupferfällung); mithin haben die 400 ccm der Harn¬
säurelösung 0,008 g Ü-N oder 0,024 g Ü verloren (für 100 g Knorpel be¬
rechnet = 0,5 g Ü).
Versuch ß: 10 g Menschenknorpel vom Knie eines Erwachsenen
werden in 800 ccm einer Lösung von harnsaurem Natron gebracht, die
in 100 ccm = 0,00396 g Ü-N enthält. Nach 20 tägigem Stehen im
Brutschrank bei 37° enthält die Lösung nur noch 0,00182 g Ü-N; mithin
sind an Harnsäure aus der Lösung zu Verlust gegangen = 8 X 0,00214 g
Ü-N = 0,01712 oder 0,05136 g Ü (für 100 g Knorpel berechnet =
0,5 g Ü).
Die Knorpelstücke des Versuches « und ß werden, nachdem sie
gut gewaschen sind, mit 150 ccm 4 proc. H. 2 S0 4 -Lösung durch 4 ständiges
Kochen am Rückflusskühler aufgeschlossen; die Lösung dann mit Alkali
neutralisirt, nach Hinzufügen eines Ueberschusses von Alkali aufgekocht,
dann mit Essigsäure angesäuert und coagulirt und im Coagulationsfiltrate
durch Kupfer-Bisulfit die Harnsäure ausgefällt; auf diese Weise wurden
0,033 g Ü erhalten. Nach der Berechnung (aus dem Verluste der Harn¬
säurelösungen a und ß) hätten aus dem Knorpel wiedergefunden werden
müssen 0,075 g Ü.
Versuch y: 9,5 g Knorpel aus dem Kniegelenk eines Kindes werden
in 500 ccm einer schwach alkalischen Harnsäurelösung gebracht, die in
100 ccm = 0,00196 g Ü-N enthält. Nach 14 tägigem Stehen im Brut-
1) Wir verdanken den Menschenknorpel der Liebenswürdigkeit von Herrn Pro-
sector Dr. Pick, dem wir hierfür unsern Dank aussprechen.
Gck igle
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Ucber die Absorption der Harnsäure durch Knorpel.
403
schrank bei 37° (unter Toluolzusatz) enthält die Lösung nur noch
0,00077 g Ü-N in 100 ccm; mithin wurden absorbirt 5 X 0,00119 g Ü-N
= 0,00595 g Ü-N oder 0,01785 g Ü. Für 100 g Knorpel berechnet
= 0,18gÜ.
Versuch d: 9,2 g Knorpel von den Rippen eines Erwachsen werden
in 300 ccm einer schwach alkalischen Losung gebracht, die 0,00392 pCt.
Harnsäure-N enthält. Nach 14 tägigem Stehen im Brutschrank bei 37°
(unter Toluolzusatz) finden sich an Harnsäure wieder 0,00168 pCt. Harn¬
säure-N; mithin sind zu Verlust gegangen = 3 X 0,00224 = 0,00672 Ü-N
= 0,02016 g Ü (für 100 g Knorpel = 0,2 g Ü).
Versuch t: 5 g Knorpel vom Kniegelenk eines Erwachsenen werden
in 300 ccm einer Lösung von 0,00392 pCt. Harnsäure-N gebracht. Nach
14 tägigem Stehen im Brutschrank bei 37° (unter Toluolzusatz) finden
sich wieder = 0,00126 pCt. Harnsäure-N; mithin sind zu Verlust ge¬
gangen = 3 X 0,00266 Ü-N = 0,00798 Ü-N = 0,02394 g Ü (für 100 g
Knorpel berechnet = 0,48 g Ü).
Zunächst konnten wir also die Versuche Almagia’s für das Harn¬
säureabsorptionsvermögen des Pferdeknorpels vollständig bestätigen, in¬
dem (in Uebereinstimmung mit Almagia) von 100 g Knorpel in dem
einen Falle für 100 g Knorpelsubstanz 0,3 g Harnsäure, in dem anderen
Fall 0,42 g Harnsäure absorbirt worden war; und zwar konnte diese
Harnsäure durch Aufschliessen mit Schwefelsäure direct aus
dem Knorpel wiedergewonnen werden.
In genau gleicher Weise wie der Knorpel des Pferdes zeigt auch
der Knorpel vom Menschen, wie wir feststellen konnten, ein hohes Ab¬
sorptionsvermögen für Harnsäure; und zwar unterscheidet sich
hierin der Knorpel eines Erwachsenen nicht von dem des
Kindes, der Knorpel der Rippen nicht von dem des Kniegelenks,
so dass wir annehmen müssen, dass dem Knorpel ganz generell
die Eigenschaft zukoramt, Harnsäure absorbiren zu können,
ganz gleich, ob die Harnsäure in concentrirter Lösung oder
in stark verdünnter Lösung vorhanden ist.
Schon Almagia zieht für die Pathologie der Gicht den Schluss,
dass die Anhäufung von Uraten im Knorpel des Gichtkranken als der
Ausdruck eines vorübergehend oder dauernd erhöhten Uratgehaltes der
Gewebssäfte aufgefasst werden muss, und wir können uns dieser Auf¬
fassung nur voll anschliessen, nachdem einmal bewiesen ist, dass der
Harnsäuregehalt des Gichtikerblutes endogen oder exogen für das venöse
Extremitätenblut stets erhöht ist.
Eine Auffassung möchten wir aber aufs energischste zurück¬
weisen, welche in der Gichtliteratur weit verbreitet ist und welche direct
einen Hemmschuh bildet für die ganze Auffassung der Harnsäureablagerung
im Knorpel: das ist die Ansicht, dass die Harnsäure im Blute ausfallen
müsse und dass so die Uratablagerungen zu Stande kämen.
Diese Auffassung hat zuletzt ja noch Kionka vertreten und
die letzte Mittheilung Kionka’s „Beiträge zur Kenntniss der Gicht u ,
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404
Th. Brugsch und J. Citron,
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Mitth. 9, „Weiteres über das Ausfallen der Urate“ 1 ) gipfelt darin, dass
Kionka nachweist, dass eine Anzahl saurer (u. A.) Substanzen (Glykokoll,
Leucin, Alanin, Allantoin) beschleunigend auf das Ausfallen saurer Urate
aus Harnsäurelösungen wirkt. Kionka meint nun, dass ein reichlicheres
Entstehen derartiger Verbindungen bei den verschiedenen Abbauvorgängen
— vielleicht auch bei dem Abbau der Harnsäure (? d. Ref.) — für
den Gichtiker von ebenso grosser Bedeutung sei, wie die Gegenwart
grösserer Mengen Harnsäure, in dem Sinne nämlich (nach der früher
von ihm entwickelten Theorie), dass diese Substanzen das Ausfallen der
Harnsäure im Körper beförderten.
Wer viel Gichtikerblut auf Harnsäure zu untersuchen Gelegenheit hat,
der weiss sehr bald, dass das Gichtikerblut nicht im entferntesten eine
gesättigte Harnsäurelösung vorstellt, mithin ist es auch an sich schon
wenig wahrscheinlich, dass diese Substanzen (Alanin, Leucin, Glykokoll)
das Ausfallen der Harnsäure bewirken können, ganz abgesehen von der
vagen Vermuthung, dass überhaupt sehr viele dieser Substanzen im Blute
vorhanden seien.
Es handelt sich also im Körper nicht um ein Ausfallen aus
gesättigten Lösungen wie im Reagenzglase, sondern viel eher
um Absorptionen der Harnsäure aus relativ schwach harnsäure¬
haltigen Säften durch Gewebe, die eine Affinität zur Harn¬
säure besitzen; das kann, will man nicht die ganze Lehre von
der Gicht discreditiren, nicht scharf genug betont werden.
Wie wenig beweisend aber die Versuche Kionka’s sind, das zeigen
3 von uns angestellte Versuche, die seine Theorie bezügl. der Urat-
ablagerungen bei der Gicht widerlegen.
Es wurden je 20 g Knorpel vom Sternum des Pferdes in je 200 ccm
schwach alkalischer Harnsäurelösung (0,3 g + 5 ccm Norm NaOH) gebracht,
unter Toluolzusatz die Lösungen mehrere (5) Tage bei 37° im Brut¬
schrank belassen, nachdem zur Lösung I nichts zugesetzt worden war,
zu Lösung II 1 g Alanin, zu Lösung III 1 g Leucin, zu Lösung IV
V 2 g Tyrosin.
Die Knorpel wurden aufgeschlossen und es fand sich in
Lösung I = 0,018 g Ü
» 11 = 0,00 „ „
fl 111 = 0,00 „ „
fl IV = 0,00 „ *
Also durch den Zusatz jener die Uratausfällung beschleunigenden
Aminosäuren ist das Knorpelabsorptionsvermögen für Harnsäure nicht
gefördert, sondern gehemmt worden; entschieden ein für die Kionka’sche
Theorie, die wir auch sonst schon für erledigt halten, nicht gerade er¬
mutigendes Resultat.
Schliesslich wollen wir noch erwähnen, dass wir an Kaninchen (und
Hunden) intravenöse Injectionen von Lösungen von harnsaurem Natron
1) In dieser Mittheilung behauptet Kionka, dass Raubitschek sogar ein aus
Albumosen abspaltendes Ferment Erepsin aus Darmschleimhaut isolirt hat. Das
Verdienst kommt aber Cohnheim (Zeitschr. f. phys. Chemie, 1901, Bd. 33) zu!
Gck igle
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lieber die Absorption der Harnsäure durch Knorpel.
405
gemacht haben und versucht haben, die Affinität des Knorpels zur
Harnsäure am lebenden Organismus dadurch zu erweisen, dass wir nach
dem Tode der Thiere den gesammten Knorpel durch 4 proc. Schwefel¬
säure aufschlossen und auf Harnsäure untersuchten. Vor der Hand
hatten allerdings unsere Versuche noch kein positives Resultat erzielt,
einzig wohl aus dem Grunde, weil es nicht gelungen ist, den Thieren
die genügend grossen Harnsäuremengen durch die schnell thrombosirenden
Ohrvenen beizubringen. An den Kaninchenohren fanden sich einige
kleine Tophi, die mit Harnsäure gefüllt waren, indessen bestand hier
die Möglichkeit, dass bei der Injection in die Ohrvene etwas Harnsäure
direct in den Ohrknorpel verspritzt wurde.
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XXXI.
Aus der II. medicinischen Klinik der Universität Berlin.
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Zur Frage des Harnsäureinfarctes der Neugeborenen.
Von
Theodor Brugsch und Alfred Sohittenhelm.
Bekanntlich finden sich bei Kindern, die zwischen dem 2. und
14. Tage nach der Geburt gestorben sind, häufig Ablagerungen von harn-
saurem Ammon in Form kleiner Kugeln in den Sammelröhren der Mark¬
kegel der Niereif, welche man mit dem Namen Harnsäureinfarct belegt.
Nach Ebstein spielen neben der Ablagerung in den Sammelröhren auch
nekrotische Processe des Parenchyms selbst eine Rolle, deren Ursache
Ebstein in der nekrotisirenden Eigenschaft der Harnsäure sieht.
Zur Erklärung dieses Infarctes müssen folgende Fragen erörtert
werden.
1. Besitzen die Organe des neugeborenen Kindes, insbesondere die
Niere ein Harnsäurezerstörungsvermögen?
2. Besteht überhaupt ein Unterschied zwischen dem Harnsäure¬
zerstörungsvermögen der Rinde und den Markkegeln der Niere?
3. Zeichnet sich der Säuglingsharn in den ersten 14 Lebenstagen
durch besonderen Harnsäurereichthum aus, sodass ein Ausfallen der
Harnsäure in Folge abnorm starker Concentration bereits innerhalb des
ableitenden Harnsystems möglich ist?
4. Wie verhält sich die Reaction des Harns?
Was zunächst die erste Frage betrifft, so darf es wohl durch die
Versuche von Schittenhelm und Schmid 1 ) als sicher gestellt gelten,
dass die Niere des neugeborenen Kindes (wie die andern harnsäure¬
zerstörenden Organe) an sich ein uricolytisches Vermögen in gleicher
Weise besitzt, wie man es bisher aus thierexperimentellen Erfahrungen
für die Nieren der Säugethiere und der erwachsenen Menschen annehmen
kann. Indessen bestünde doch die Möglichkeit, dass ein Auskrystallisiren
der Harnsäure in den Lumina der Sammelröhren der Markkegel und die
Ablagerung im Parenchym damit zusammenhängt, dass die Localisation
des uricolytischen Fermentes principiell in den Nieren an bestimmte Ab¬
schnitte des Parenchyms gebunden ist, so dass z. B. die Rinde ein
1) Abbau des Nucleinstoffwechsels in menschlichen Organen. Diese Zeitschrift.
1907. Bd. IV. S. 424.
Gck igle
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Zur Frage dos Harnsäureinfarctes der Neugeborenen. 407
starkes Harnsäurezerstörungsvermögen besitzt, während die Papillen davon
frei sind.
Wir haben diese Frage experimentell angegriffen und zwar mit
Pferde- und Rindernieren. Zu diesem Zwecke wurden in möglichst
exacter Weise die Papillen der Niere auspräparirt und andererseits die
obersten Schichten der Nierenrinde durch flache Messerschnitte abgetrennt.
Die so isolirten Bestandtheile (Rinde und Markkegel) wurden nunmehr
nach feinster Zerkleinerung (Fleischhackmaschine, Zerkleinerung durch
Glas + Kieselguhr) mit 2 Theilen Wasser angesetzt, mehrere Stunden
stehen gelassen, colirt und durch Watte filtrirt. Auf diese Weise er¬
hielten wir ein Rinden- und ein Papillenextract. Unter Zusatz von
Chloroform und Toluol und einer abgewogenen Menge von Harnsäure
wurden die Extracte theils im Brutschrank (mehrmaliges Umschütteln),
theils im Wasserbad bei 35° C. unter Luftdurchleitung 24 Stunden (bezw.
7 Stunden) belassen. Danach mit Alkali kurz aufgekocht, mit Essig¬
säure coagulirt und im Coagulationsfiltrat mit der Kupfersulfat-Bisulfit-
fällung die Harnsäure isolirt.
Versuche mit Pferdenieren.
Versuch la. Papillenextract. 300 ccm -j- 0,4 g Ü in 6 ccm
Normal-NaOH gelöst. 24 Stunden im Brutschrank; mehrmaliges IJm-
schütteln. Wiedergefunden = 0,2 g U.
Es waren also 50 pCt. Harnsäure zerstört.
Versuch lb. Rindenextract. 300 ccm -f- 0,4 g U in 6 ccm
Normal-NaOH gelöst. 24 Stunden im Brutschrank unter Umschütteln.
Wiedergefunden = 0,3 g Ü.
Es waren also 25 pCt. Harnsäure zerstört.
Versuch 2a. Papillenextract. 300 ccm mit 0,3 g Ü gelöst in
5 ccm Normal-NaOH. 24 Stunden unter Luftdurchleitung im Wasserbad.
Wiedergefunden kein Gramm Ü.
Zerstört wurden also 100 pCt. der Harnsäure.
Versuch 2b. Rindenextract. 300 ccm in gleicher Weise an¬
gesetzt. Wiedergefunden 0,03 g Ü.
Zerstört wurden also 90 pCt. der Harnsäure.
Versuch 3a. Papillenextract. 300 ccm (wie Versuch 2 mit
0,3 g Ü angesetzt). Wiedergefunden 0,15 g Ü.
Zerstört wurden 50 pCt. der Harnsäure.
Versuch 3b. Rindenextract. 300 ccm in gleicher Weise wie
3 a mit 0,3 g Ü angesetzt. Wiedergefunden 0,003 g Ü.
Zerstört wurden 99 pCt. der Harnsäure.
Versuche mit Rindernieren.
Versuch 4a. Papillenextract. 300 ccm; zugesetzt 0,6 g Ü,
gelöst in 9 ccm Normal-NaOH. 7 Stunden auf dem Wasserbad bei Luft¬
zuleitung. Wiedergefunden 0,0 g Ü.
Es wurde also die gesammte Harnsäure zerstört (100 pCt.).
Versuch 4b. Rindenextract. 300 ccm; zugesetzt 0,6 g (j in
gleicher Weise wie 4a angesetzt. Wiedergefunden 0,0 g Ü.
Es wurde also die gesammte Harnsäure zerstört (100 pCt.).
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408 Th. Brugsc-h u. A. Schittenhelm, Zur Frage d. Ilarnsäureinfaretes etc.
Es ergiebt sich somit aus unseren Versuchen ganz einwandsfrei, dass
man von einer Localisation des uricolytischen Fermentes in be¬
stimmten Zellcomplexen des Nierenparenchyms nicht reden
kann, wenigstens nicht, was Rinde und Mark (bezw. Papillen)
betrifft. Wir gehen wohl nicht zu weit, wenn wir diese Verhältnisse auch
auf die Niere des Neugeborenen übertragen und behaupten, dass unmöglich
die Ablagerung des harnsauren Ammons in den Markkanälchen nur des¬
halb zu Stande kommen könne, weil etwa hier das uricoly tische Ferment
schwach vertreten sei bezw. fehle. Wir müssen also zur Erklärung des
harnsauren Infarctes des neugeborenen Kindes andere Möglichkeiten heran¬
ziehen. Damit kommen wir zur Erörterung unserer Frage 3 und 4.
Einmal zeigt sich nämlich die Harnsäureausscheidung beim Neu¬
geborenen derart hoch, dass z. ß. nach Horbaczewski das Verhältnis
der Harnsäure zum Gesammtstickstoff nicht wie beim Erwachsenen
1—2 pCt. beträgt, sondern 7—8 pCt. Der Urin der Neugeborenen darf
also als stark harnsäurereich gelten. Die Ursache für diesen Harnsäure¬
reichthum müssen wir in dem Umstande suchen, dass das Blut der
Neugeborenen einen bedeutenden Gehalt Leukocyten hat, die, wie ja die
Verfolgung der Leukocytenzahlen beweisen, einer baldigen Zerstörung
anheimfallen.
In den durch den Leukocytenzerfall freigewordenen Leukonucleinen
befindet sich aber die Muttersubstanz der Purinbasen, die selbstverständ¬
lich eine vermehrte Harnsäurebildung zur Folge haben muss und dadurch
kommt es auch zur vermehrten Ausscheidung von Harnsäure. Anderer¬
seits ist aber der Urin der Neugeborenen auffallend reich an Ammoniak.
Diese Verhältnisse werden vorzüglich durch einen Versuch von Sjöqvist 1 ),
dessen Zahlen wir anführen, illustrirt:
Auf 100 Urin-N:
Harnsäure A m m oniak
I. Vor dem lnfarct .... 7,9 7,8
II. Während des Infarcts. . . 8,5 8,1
III. Nach dem lnfarct .... 3,0 9,6
Also während und vor dem lnfarct abnorm hohe Werthe an Harn¬
säure wie an Ammoniak, die ohne weiteres die Bedingungen für das
Ausfallen von harnsaurem Ammon geben. Rechnen wir noch hinzu,
dass gleichzeitig eine Ausscheidung von hyalinen Substanzen in den
Harnwegen der Niere eintritt, so kann man sich wohl vorstellen, dass
die Ausflockung des harnsauren Ammons dadurch beschleunigt, vielleicht
sogar hervorgerufen wird; es liegen die Verhältnisse damit ähnlich, wie
bei der Urolithiasis und bei den bekannten Experimenten von Ebstein 2 )
und Nikolai er, nur mit dem Unterschiede, dass hier harnsaures Natrium
im sauren, dort harnsaures Ammon im alkalischen mit Ammoniak an¬
gereicherten Urin ausfällt 3 ).
1) Cit. nach Hamraarsten, Lehrb. d. physiol. Chemie. 4. Aufl. S. 421.
2) Natur und Behandlung der Harnsteine. Wiesbaden. 1884.
3) Cf. ferner Brugsch und Schittenhelm, Gicht, Nierengicht und Uratstein-
diathese. Centralbl. f. Stoffwechsel. Dec. 1907.
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XXXII.
Aus der inneren Abtheilung des Gemeindekrankenhauses in Pankow.
Zur Physiologie und Pathologie der Athmung 1 ).
Von
H. Bönniger.
(Mit 1 Abbildung und 2 Curven im Text.)
I.
Die Athmung des Menschen geschieht auf der einen Seite durch
Muskelkraft, auf der anderen durch gewisse elastische Kräfte. Es sind
dies die Elasticität der Lunge und die des Brustkorbs. Nach allgemeiner
Annahme haben wir es bei ruhiger Athmung ausschliesslich mit activer
Inspiration alternirend mit passiver Exspiration zu thun. Also wirkte
bei ruhiger Athmung die Elasticität nur im Sinne der Exspiration. Es
ist ohne weiteres klar, dass nach einer tiefen Exspiration die Elasticität
des Thorax auch im umgekehrten Sinne, d. h. erweiternd wirken muss.
In der Regel aber wirken beide Factoren gleichsinnig, d. h. im Sinne ^der
Exspiration. Es scheint mir nun von grösstem Interesse, Anhaltspunkte
dafür zu gewinnen, welche Rolle diese beiden Factoren, die elastische
Kraft der Lunge und des Thorax bei der Athmung spielen. Versuche,
welche sich in dieser Richtung bewegen, sind über den alten Donders-
schen Versuch nicht weit hinausgekommen. Dieser ermittelt bekanntlich
den Druck, welchen die Lunge bei der Leiche auf ein Manometer aus¬
übt, wenn die Pleurahöhlen eröffnet werden. In der Leiche muss nämlich
ein Gleichgewichtszustand herrschen. Der Thorax steht über seiner
eignen Gleichgewichtslage hinaus in Exspirationsstellung und hält der
Spannung der Lunge das Gleichgewicht (vom Zwerchfell wollen wir hier
zunächst absehen). Dass der Donders’sche Werth von der augen¬
blicklichen nicht bekannten Füllung der Lunge diese wieder vom Stande
des Zwerchfells und namentlich auch von der Elasticität des Thorax ab¬
hängig ist, liegt auf der Hand.
Es scheint mir daher nothwendig, die complicirten Verhältnisse
möglichst zu vereinfachen und die einzelnen Coraponenten getrennt zu
untersuchen.
Was die Elasticität des Thorax betrifft, so wird die Bestimmung
1) In extenso auf dem diesjährigen Congress für innere Medicin in Wien vor¬
getragen.
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dieser, ganz abgesehen von anderen Schwierigkeiten, deshalb nicht leicht
möglich sein, weil der Einfluss der Intercostalmuskeln nicht auszuschalten
wäre. Trotzdem glaube ich, dass derartige Versuche, wenn auch noch
so roh, werthvolle Resultate ergeben würden. Es leuchtet z. B. ohne
weiteres ein, wie ungeheuer verschieden die elastische Kraft des Thorax
eines alten Mannes und die eines Kindes sein muss.
Zunächst galt cs jedoch die elastischen Kräfte der Lunge zu messen.
Wintrich 1 ) hat zuerst Versuche in dieser Richtung gemacht. Er unter¬
scheidet Lungentonus und Elasticität, da er mit Donders fand, dass
die todte Lunge leichter aufzublähen ist als die lebende. Die Kräfte,
die bei der todten Lunge in Betracht kommen, nennt er die rein physi¬
kalischen, gegenüber dem vitalen Tonus, den er auf Muskelkräfte zurück¬
führt. Um diese Annahme zu rechtfertigen, müsste erst der Nachweis
dieser Muskelfasern in den Alveolen erbracht sein. Vor der Hand liegt
es näher in der Füllung und dem Tonus der Gefässe die Ursache zu
suchen. Den physikalischen Antheil der Contractionskraft der Lunge
schätzt er auf 4 /s der ganzen, er misst ihn durch Vergleich von Volumen
und angewandtem Druck. Die gefundenen Werthe sind bei derselben
Lunge ausserordentlich constant, viele Tage hindurch. Zahlen bringt er
nicht und seine Versuche wurden an Kaninchen- und Hundelungen ge¬
macht. In neuester Zeit hat Liebermeister 2 ) wiederum an Kaninchen
und zum Thcil auch an einzelnen menschlichen Lungenlappen Elasticitäts-
bestiraraungen vorgenommen mit einer ähnlichen Versuchsanordnung, wie
ich sie weiter unten beschreiben werde.
Bevor ich auf meine eigenen Untersuchungen eingehe, kann ich
nicht umhin, hier wiederum einmal auf den Begriff der Elasticität ein¬
zugehen, da derselbe in fast allen medicinischen Lehrbüchern in dem
vulgären Sinne angewandt wird und nicht im streng physikalischen. So
begegnet man gerade beim Emphysem stets dem Vergleich mit einem
Gummiband, dessen Elasticität durch andauernde Dehnung verloren ge¬
gangen ist. Nun ist bekanntlich Gummi sehr wenig elastisch und in¬
sofern ist der Vergleich schon richtig, indem auch die Lunge eine sehr
kleine Elasticität besitzt. Wie beim Gummi ist aber die Grenzveränderung
der Lunge eine sehr grosse, d. h. man kann sie sehr stark dehnen,
ohne dass die Elasticitätsgrenze überschritten wird. Nur in diesem
Sinne, also im vulgären, trügen die elastischen Fasern ihren Namen
mit Recht 3 ); gerade sie sind es, die eine grössere Dehnung gestatten,
ohne dass die Elasticitätsgrenze überschritten wird. Man könnte den
Satz Rosenthal’s in Herraann’s Handbuch umkehren und sagen, dass
das Gewebe der Lungen einen geringen Grad von Elasticität besitzen
muss, geht aus seiner Structur hervor. Im physikalischen Sinne sind
alle die Gewebe, die reich an elastischen Fasern sind, sehr wenig
elastisch, z. B. die Haut, die Gefässe. Das elastischste Gewebe des
1) Virchow’s Handbuch, Krankheiten der Respirationsorgane. 1854.
2) Centralblatt f. Pathologie. 1907. Die Arbeit wurde mir erst nach Abschluss
meiner Untersuchungen bekannt.
3) cf. Triepel, Einführung in die physikalische Anatomie. Wiesbaden. 1902.
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Zur Physiologie und Pathologie der Athraung.
411
Körpers ist der Knochen. Trotzdem spielt natürlich die kleine Elasticität
der Lunge eine grosse Rolle bei der Athraung.
Dieselbe lässt sich annähernd schätzen, wenn man die Lunge mit
einem bestimmten Druck aufbläst und nun das Volumen bestimmt
oder auch entsprechend Donders* Versuch den Druck bestimmt,
den die mit einem bestimmten Luftvolumen gefüllte Lunge auf ein
Manometer ausübt. Beide Wege Hessen sich in folgender Versuchs¬
anordnung vereinigen. Die aus der Leiche hcrausgeschnittene Lunge
kommt in ein mit einem doppelt durchbohrten Stopfen geschlossenes
GlasgefäsS, welches zweckmässig aus 2 Theilen besteht, die mittels
Glasschliff aufeinanderpassen. Die eine Bohrung verbindet das Bronchial¬
lumen mit einem Manometer von engem Lumen (zur Verminderung des
schädlichen Raumes), anderseits durch Dreiweghahn mit einem Spiro¬
meter. Die andere Bohrung verbindet das Innere des Glasgefässes mit
einem anderen Manometer, mit Luftpumpe und einem Gefäss mit positivem
Druck (s. Figur). Ich bin mir nun vollkommen darüber klar, dass diese
Versuchsanordnung eine rohe ist; es ist ausgeschlossen, auf diese Weise
eine mathematisch genaue Zahl für die elastische Spannung der Alveolen¬
wände zu bekommen. Schon die Vielheit derselben, die sicherlich ver¬
schiedene Füllung der einzelnen Alveolen lässt eine Beziehung der
elastischen Spannung zum Volumen nur cum grano salis zu. Immerhin
ist es klar, dass uns eine solche Versuohsanordnung ausserordentlich
viel mehr sagen muss, als der Donders’sche Versuch 1 ), dessen äusserst
complicirte Bedingungen hier doch wesentlich einfacher gestaltet sind
und in genau zu übersehender Richtung variirt werden können.
Eine annähernd gleichraässige Spannung und Füllung der Lungen¬
alveolen ist natürlich Voraussetzung für unsere Untersuchungen. Bei
der von allen Seiten gleichraässig wirkenden Kraft darf man wohl mit
1) Cf. Perls, Bescheidene Resultate von 100 Bestimmungen. Archiv f. klin.
Med. 1869. S. 1.
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einiger Berechtigung annehmen, dass die Dehnung überall ziemlich die¬
selbe ist.
Es soll nicht bestritten werden, dass die Blähung der Randpartien
eine etwas stärkere ist, wie die der centralen. Denn diese sind in
ihrer Dehnungsfähigkeit durch Gefässe und Bronchien zweifellos sehr
beeinflusst. Trotzdem ist der Unterschied in der Füllung nicht so be¬
deutend, wie man sich an Schnitten gefrorener Lungen überzeugen kann,
dass dadurch das Resultat unserer Untersuchungen gestört werden könnte.
(Anm. Ich beabsichtige genauere Messungen in dieser Richtung anzustellen).
Ich sehe einen Beweis für meine Auffassung darin, dass sich eine
wesentliche Form Veränderung der Lunge nicht feststellen lässt, wenn
man sie nach der Aufblähung unter den entsprechenden -f- Druck setzt.
Es ist nothwendig, hier kurz auch die Frage zu erörtern, wie sieh
diese Verhältnisse im Leben gestalten. Hier stehen sich zwei Ansichten
diametral gegenüber, die eine, ältere, vertritt besonders Rosenthal 1 )
und Hermann 2 ), die andere in ihrer schärfsten Form Tendeloo 3 ).
Nach den ersteren wird der Raumtheil jedes Alveolarraumes um einen
gleichen Bruchtheil vergrössert, wenn die Raumvergrösserung auch nur
am unteren Ende der Lunge Platz hat [Rosenthal 4 )]. Tendeloo
stellt demgegenüber den Satz 5 ) auf: „Eine örtlich auf die Lunge an einer
beschränkten Stelle einwirkende ausdehnende oder zusammendrückende
Kraft ruft nur örtlich beschränkte, kaum in die Umgebung fort¬
gepflanzte Dimensionsänderungen hervor . a Ich glaube, die Wahrheit
dürfte auch hier in der Mitte liegen. Man kann sich leicht bei der
Blähung der Lunge in der Glasglocke überzeugen, wie weit die Zug¬
wirkung in die Tiefe geht. Wenn nämlich ein Theil der Lunge der
Glaswand anliegt, so kann auf diesen natürlich nur in der Peripherie
direct die saugende Kraft der verdünnten Luft einwirken. Trotzdem
kann man sich auch die innersten Theile deutlich blähen sehen; der
Unterschied in der Grösse der Alveolen ist nicht bedeutend. Gelegent¬
lich wandert ein Lungenlappen eine ganze Strecke am Glase vorbei.
Diese Beweglichkeit der Lunge besteht, normale Verhältnisse voraus¬
gesetzt, auch in vivo, da sie ja nur am Hilus fixirt ist. Dieses Moment
hat Tendeloo zu wenig berücksichtigt. Der Vergleich mit einer über
einen Ring gespannten Membran ist durchaus nicht den wahren Ver¬
hältnissen entsprechend.
Auf der andern Seite muss man zugeben, dass die Gegenseite
durchaus nicht den Beweis erbracht hat, dass die Spannung überall in
der Lunge gleich ist. Solange der Innendruck gleich Athmosphärendruck,
ist wirklich kein Grund einzusehen, warum es so sein sollte, wenn nicht
der Zug ganz gleichmässig wirkt. Nun ist bei völlig normalen Ver¬
hältnissen wohl der Bau des Thorax und der Mechanismus der Athmung
1) Hermann’s Handbuch. 1880.
2) Bei Freund, Diese Zeitschrift. 190G. S. 479.
3) Tendeloo, Studien über die Ursachen der Lungenkrankheiten. 1902.
4) Cf. auch Hermann ? s Auseinandersetzungen, I. c. S. 489.
5) 1. c. S. 22. Der ganze Satz ist bei Tendeloo gesperrt gedruckt.
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Zar Physiologie und Pathologio der Athmung.
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ein derartiger, dass wenigstens bei gewisser Tiefe der Athmung die Er¬
weiterung an jeder Stelle der betreffenden Lungenmasse entspricht. Man
könnte vielleicht annehmen, dass die unteren Partien durch das Zwerch¬
fell und die so bedeutend grössere Erweiterungsfähigkeit der unteren
Thoraxpartien doch im Yortheil wären. Bis zu einem gewissen Grade
mag das zutreffen; so kann man gelegentlich bei der Röntgenuntersuchung
Schatten in der Lungensubstanz auffällig weit auf- und abwärts wandern
sehen bei tiefer Athmung. Im Uebrigen aber glaube ich doch, dass die
Zwcrchfellathmung im allgemeinen sehr überschätzt wird. Wie bedeutend
die Thoraxathmung sein kann, geht aus den Untersuchungen von Loewy 1 )
hervor, der bei künstlicher Athmung, bei der die Zwerchfellsathmung in
Wegfall kommt, vielmehr das Zwerchfell im umgekehrten Sinne sich be¬
wegt und daher die Werthe verkleinern muss, ganz erstaunliche hohe
Zahlen fand 2 3 ), bei der Methode von Silvester-Broich Mittelwerthe von
1700—2300, Höchstwerth 3000 ccm. Loewy macht dazu die Bemerkung,
dass diese Werthe nicht ganz den der vitalen Capacität erreichten;
jedenfalls blieben sie also nicht erheblich unter demselben.
Ganz anders werden natürlich die Verhältnisse, wenn Verwachsungen
oder Veränderungen in der Elasticität des Thorax, Athemlähmungen,
raumbeschränkende Processe oder dergleichen vorliegen. In allen diesen
Fällen ist die Bewegungsmöglichkeit für einzelne Lungenabschnitte be¬
schränkt, die Luftfüllung in Folge dessen in diesen eine mangelhafte.
Für unsere Versuchsanordnung können wir, wie oben auseinander¬
gesetzt, eine annähernd gleichmässige Spannung annehmen.
Man könnte nun weiterhin den Einwurf machen, dass die lebende
Lunge sich anders verhielte, wie die todtc. Es ist hier eine Arbeit
Grossmann’s 1 ) zu erwähnen, der den Einfluss der Blutfülle auf die
Dehnbarkeit der Lunge untersucht hat. Trotz der grossen Zahl seiner
Versuche, scheinen mir seine Schlussfolgerungen nicht ganz einwandsfrei.
Es besteht eine unüberbrückbare Kluft zwischen dem 1. und 2. Theil
seiner Arbeit. In dem ersten kommt er zu dem Resultat, dass der
Binnenraum der Lunge mit der Drucksteigerung in der Pulmonalis wächst.
Gilt dieser Satz für jede Luftlüllung, so wäre doch mit anderen Worten
die Lunge dehnbarer. Da der Innendruck gleich 0 ist, so müsste einer
Vergrösserung des Binnenraumes eine erhöhte Dehnbarkeit entsprechen.
Dies das Resultat des 1. Theiles. Für die wenig Luft gefüllte Lunge
mag es vielleicht zutreffend sein. In dem 2. Theil seiner Arbeit findet
Grossmann, dass die Dehnbarkeit durch Blutstauung geringer wird,
was ja von vornherein das wahrscheinlichere war. Immerhin sind diese
Drucksteigerungen so excessive, dass sie für unsere Untersuchungen
nicht in Betracht kommen. Seine Versuche an Leichenlungen lassen
den Grad nicht erkennen, wie weit die künstliche Durchblutung die
1) Bert. klin. Wochenschr. 1908. S. 1134.
2) Es wäre interessant diese Versuche an Menschen verschiedenen Alters and
Geschlechts, Emphysemen etc. auszufübren und sie mit dor Vitalcapacität zu ver¬
gleichen.
3) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. XVI.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 27
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Dehnbarkeit erhöht. Ich habe stärker gestaute oder ödematose Lungen
von der Untersuchung ausgeschlossen. Man kann dann wohl annehmen,
dass der Fehler bei allen Lungen annähernd der gleiche ist, wie oben
schon bemerkt nach Wintrich 1 / 5 des ganzen Werths.
Dass im übrigen Leichenveränderungen keinen Einfluss haben, betont
schon Wintrich. Die Elasticität ändert sich in vielen Tagen nicht,
und selbst die Fäulniss ruft keine wesentliche Aenderung hervor, dagegen
ist die Lunge dann sehr leicht zcrreisslich.
Im Einzelnen gestaltet sich meine Untersuchung folgendermaassen:
Die Lunge wird möglichst schonend aus dem Brustkasten herausge¬
nommen. Da völlig normale Lungen ohne jede Verwachsungen der
Pleura eine Rarität beim Erwachsenen sind, so kann das seine Schwierig¬
keiten haben. Man muss dann die Pleura costalis mit herausnehmen,
cv. können kleinere Verletzungen gleich mit einem Faden unterbunden
werden. Nun wird zunächst das Volumen der Lunge bestimmt. Von
grösster Bedeutung ist nämlich für uns die Minimalluft, d. h. die Luft,
welche nach der Herausnahme der Lunge noch in derselben zurückbleibt.
Diese wird gewonnen, indem wir das Gewicht auf das Volumen der
Lungensubstanz selbst umrechnen durch Division mit 1,06, dem ver¬
mutlichen specifischcn Gewicht derselben (Herrmann) und letzteres
Volumen vom Gesamtvolumen abziehen. Nunmehr wird die Lunge
raontirt in der oben angegebenen Weise. Sie wird dann durch Evacuirung
des äusseren Glasgcfässes aus dem Spirometer mit Luft gefüllt, z. B.
mit einem Druck von —200 mm H 2 0 (Atmosphärendruck = 0 gesetzt).
Bei diesem Druck pflegt eine ziemlich gleichmässigc Blähung, die natür¬
lich erstes Erforderniss ist, zu erfolgen. Wenn das äussere Manometer
auf —200 stehen bleibt, wird das Spirometer ausgeschaltet und das
äussere Manometer auf 0 gestellt. Dann stellt sich das innere Mano¬
meter auf einen Druck entsprechend dem Donders-Versuch. Nun wird
der Hahn zum Spirometer geöffnet, die Lunge collabirt. Man sieht dann
an der Einstellung des Spirometers, ob Luft in der Lunge zurückge¬
blieben ist. Nach einer Reihe von Ablesungen bei verschieden hohem
Druck wird das Volumen der Lunge wiederum bestimmt. Eine besondere
Schwierigkeit ist das Fehlen des O-Punkts für unsere Bestimmungen.
Der augenblickliche Füllungszustand der Lunge kann natürlich als solcher
nicht gelten. So müssen wir schon den absoluten 0 Punkt nehmen,
d. h. wir nehmen elastische Vollkommenheit an und setzen damit voraus,
dass die Lunge völlig luftledr~ collabiren würde, wenn die elastische
Spannung der Alveolenwand kein Hinderniss fände. Darauf komme ich
noch zurück. Diesen absoluten O-Punkt bestimmen wir durch die
Minimalluft: Wir rechnen sie also einfach zu den an unserem Spirometer
gefundenen Zahlen zu.
Ich gebe nun als Beispiel das Untersuchungsprotokoll der rechten
Lunge einer 18 jährigen Frau (Körperlänge 165 cm). Die Lunge war
kaum verwachsen und völlig normal.
Gewicht 327 g = 308 ccm. Volumen 450 ccm. Minimalluft 142 ccm.
Bei —100 erfolgt nicht die geringste Blähung.
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Zur Physiologie und Pathologie der Athmung.
4lS
Spirometerstand. Manometer I. Manometer 11.
1000
— 200
+ 190
cs bleiben 150 ccm Rest
250
— 40
+ 36
600
— 100
+ 96
850
— 140
+ 130
1000
— 200
—
1250
— 300
+230
1300
— 360
+ 250
Die Bestimmung
des Gesamtvolumens am
Schluss des
Versuchs
ergiebt 550 ccm, die Minimalluft beträgt demnach jetzt 242 ccm.
Sehr viel übersichtlicher gestaltet sich das Ergebniss, wenn wir die
Zahlen in Form von Curven aufzeichnen. Auf der Ordinate sind die
Volumina, auf der Abscissc der gleichzeitige Stand des äusseren Mano¬
meters eingetragen. Da in der Lunge der Druck gleich dem Atmosphären-
Druck ist, sind Umrechnungen nicht erforderlich (Curve 1).
Die Curven zeigen in der Regel einen auffälligen Knick in ihrem
Verlauf; sie steigen steil an und verlaufen von einem bestimmten Punkte
an sehr flach. Mit Worten gesagt: Das Lungengewebe ist ausserordentlich
leicht dehnbar bei geringer Belastung und dehnt sich bei grösserer
kaum mehr. Kinderlungen zeigen diesen Knick nicht, sie sind also bei
starker Belastung relativ dehnbar, im Uebrigcn sehr viel elastischer.
Dieser Befund zeigt eine gewisse Analogie mit Untersuchungen, die ich
seiner Zeit über die Elasticität der Haut gemacht 1 ). Es zeigte sich,
dass die Haut, welche längere Zeit einer stärkeren Dehnung aus¬
gesetzt war, bei geringer Belastung eine geringere Elasticität zeigt, bei
stärkerer aber normal ist. Das Gesetz, welches wohl sonst für die
meisten Gewebe des Körpers gilt, dass nämlich die Elasticität im Alter
zunimmt, kommt anscheinend dadurch bei der Lunge nicht zum Aus¬
druck. Im übrigen sind meine Untersuchungen noch nicht zahlreich
genug, um sichere Schlüsse bezüglich des Alters etc. zuzulassen. Auf
eine weitere Analogie mit der Haut sei jedoch hier noch hingewiesen.
Die Spannung desselben ist beim Neugeborenen am geringsten und wird
grösser mit dem Heranwachsen, indem das Wachsthum der Haut gegen¬
über dem der Knochen zurückbleibt. Man wächst in seine Haut hinein.
Auch der Thorax wächst stärker wie die Lunge. So muss nothwendig
die Spannung derselben, welche beim Neugeborenen gleich 0 ist, grösser
werden.
Wenn wir die normale Athmung berücksichtigen, so bewegt sich die
Mittellage nach Bohr 2 ) (Mittellinie der ruhigen Athmungscurve) um 2500
bis 3000 herum. Nehmen wir nun für eine Lunge 1250 ccm, so handelt
es sich hier um einen Druck, der 150 H 2 0 nicht übersteigt. Es ist
selbstverständlich, dass bei der Einathmung die höheren Drucke wirksam
sind, denn wir müssen bedenken, dass der Druck in der Lunge nicht
1) Diese Zeitschrift. Bd. 1.
2) Archiv für klin. Medicin. 1907. S. 335.
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gleich 0 ist und die Füllung der Lungen schnell vor sich gehen muss.
Aber die Kraft, welche wir aufweriden müssen, um die Lunge zu dehnen,
interessirt uns ja für die Ausathmung weniger, denn die Elasticität der
Lunge kommt ja für diese in erster Linie in Frage. Und da ist zu
sagen, dass der Druck, welchen die gespannte Lunge auf ein Mano-
Curve 1 1 ).
ccra
meter ausübt, noch sehr viel geringer ist, als der negative Druck,
welchen wir berechnen, um die Lunge zu dehnen. Wenn nämlich der
Druck aussen gleich Atmosphärendruck wird, so zieht sich die Lunge
1) Die Werthe für die Kinderlungen sind durch Multiplication mit einer dem
Alter der Kinder entsprechenden Zahl gewonnen.
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Zur Physiologie und Pathologie der Athruung.
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etwas zusammen, sie hebt das Manometer (bei dem kleinen Kaliber des¬
selben spielt das keine Rolle) und die Luft wird comprimirt. Die
Spannung wird geringer als der Widerstand ist, den die Lunge der
Dehnung entgegensetzt. Also das innere Manometer zeigt einen geringen
Ausschlag.
Die Werthe sind z. B. folgende:
— 60+ 52 —200+ 160
— 100+ 90 —240 + 184
— 100+134 —300 + 210
— 180+ 150 —360 + 234 mm H 2 0
Wie man sieht, werden die Differenzen immer bedeutender und das
ist ja selbstverständlich, da die Luft bei höherem Druck stärker kom¬
primiert, die Spannungsdifferenz also eine grössere wird 1 ). Der Werth
von 150 wird also noch kleiner und wir dürften es bei der normalen
Athmung mit Spannungen zu thun haben, die 100 mm H 2 0, etwa 8 mm Hg
nicht viel übersteigen. Der Donder’sche Mittelwerth beträgt 6 mm Hg,
also ein nicht viel höherer Werth. Was leistet nun die Elasticität der
Lunge für die normale ruhige Athmung. Bei der Inspiration kommen
nach Donders und Hutchinson 30—37,6 mm Hg, also 5 — 6 fache
Werthe in Betracht. Für die Exspiration sind meines Wissens bisher
derartige Werthe nicht festgestellt. Wenn wir annehmen, dass die Ex¬
spiration nur passiv erfolgt, so müssten die Werthe natürlich etwas
geringer sein, aber doch nicht bedeutend. Dann aber kommt der
geringe Druck, den die elastische Lunge auszuüben vermag, für die
ruhige Athmung des normalen Menschen kaum in Frage. Es muss die
elastische Kraft des Thorax sein, welche die Exspiration ganz überwiegend
zu Stande bringt. Dass mittelst unserer Exspirationsmusculatur Druck¬
steigerungen hervorgerufen werden können, die das 30 fache jenes Drucks
ausmachen, sei beiläufig erwähnt (Valentin).
Von ausschlaggebender Bedeutung für die Frage nach dem Antheil
der elastischen Thoraxspannung an der Exspiration ist die exspira-
torische Ruhestellung, wenn ich mich so ausdrücken darf; ich ver¬
stehe darunter die äusserstc Exspirationsstellung bei ruhiger Athmung.
Ist diese exspiratorische Ruhestellung identisch mit der Leichenstellung,
vielfach irreführend als Normalstellung bezeichnet? Wenn der Thorax
sich auch in der exspiratorischen Ruhestellung in Inspirationsstellung be¬
findet, so kann natürlich seine elastische Spannung für die Ausathmung
voll wirken. Wird also die absolute Gleichgewichtslage des Thorax
nicht überschritten, so wird die Bedeutung der Elasticität der Lunge
eine sehr geringe. Ich habe versucht, dieser Frage näher zu treten, in¬
dem ich Anhaltspunkte für das Volumen des Thorax kurz vor und nach
dem Tode zu gewinnen trachtete. Da hat schon die einfache Messung des Um¬
fangs des Thorax in einer Höhe, die durch eine horizontale Marke festgelegt
war, einen gewissen Werth. Indem dann noch die Höhe des Zwerchfell-
1) Allerdings kommt hier ein anderes Moment hinzu, das ist dio gleich-
massigere Füllung der Lunge bei den + Werthen, während bei den — Werthen die
Randzonen etwas stärker gefüllt sind.
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Standes mittelst des Orthodiagraphen in der Weise bestimmt war, dass
der Abstand von einer am Rücken festgeklebten Marke kurz vor und nach
dem Tode gemessen wurde, bin ich zu dem Resultat gekommen, dass
sich in der That in der Regel die exspiratorische Ruhestellung keineswegs
mit der Leichenstellung deckt, dass vielmehr die erstere eine ausge¬
sprochene Inspirationsstellung bedeutet. Es stimmt das mit dem Resultat
überein, welches Gad an Kaninchen zuerst festgestellt. Für den Thorax
sind die Unterschiede ja natürlich gering, da seine Elasticität im Gegen¬
satz zur Lunge eine sehr grosse, seine Grenzveränderung aber klein ist.
Immerhin handelt es sich doch um mehrere Centimeter. Das Zwerch¬
fell tritt ganz bedeutend höher, als es bei der exspiratorischen Ruhe¬
stellung im Leben stand. Wie gering die elastische Kraft der Lunge
gegenüber der Elasticität des Thorax ist, beweist die ausserordentlich
geringfügige Erweiterung, welche der Thorax bei Eröffnung der Pleuren
erfährt. Sie ist mit der rohen Messung des Umfangs überhaupt nicht
immer mit Sicherheit festzustellen, auch wenn sich die Lungen gut
retrahiren. Dabei ist auch die Bewegung des Zwerchfells keine erheb¬
liche bei Eröffnung der Pleura. Wenn nur die elastische Kraft der Lunge
es wäre, welche das Zwerchfell in die Höhe zöge, so müsste dieses doch
erheblich nach unten treten, die Druckverhältnisse im Abdomen dürften
hier maasgebend sein. Ich glaube demnach, dass die Elasticität der
Lunge für die Exspirationsbewegung selbst nur geringe Bedeutung hat.
Damit muss man aber der Elasticität der Lunge eine andere Rolle in
dem Spiel der Athmung zuerkennen. Es liegt auf der Hand, dass, wenn
die Lunge garnicht elastisch wäre, eine einigermaassen gleichmässige
Blähung absolut ausgeschlossen wäre. Darin scheint mir eine
wichtige Aufgabe derselben zu liegen, sie sorgt für eine mög¬
lichst gleichmässige Ausdehnung. Diese Auffassung findet in der
Beobachtung ihre Stütze, dass solange die Alveolarspannung nicht einen
gewissen Grad erreicht hat, die Aufblähung eine ganz ungleichmässige
ist, zum Thcil fehlt sie gänzlich.
Eine 2. Aufgabe der Lungenclasticität ergiebt sich aus
folgendem:
Gegenüber Lichtheim muss ich betonen, dass cs ganz unmöglich
ist, aus einer Lunge, welche der Leiche entnommen ist, irgend nennens-
werthe Mengen Luft auszutreiben durch noch so hohen Druck. Man
könnte einwenden, dass die Verhältnisse in vivo vielleicht doch andere
wären, da meine Versuchsanordnung diese nur sehr unvollkommen
wiedergiebt. Letzteres ist zweifellos richtig, aber darauf kommt es ja
nicht an. Es handelte sich darum, die complicirten Verhältnisse der
Athmung zu vereinfachen. Nun kann ich mir aber nicht denken, inwie¬
fern es einen Unterschied machen sollte auf die Druckverhältnisse in der
Lunge, ob der anliegende Thorax und das Zwerchfell dieselbe zusammen¬
drückt oder die comprimirte Luft des Aussengefässes. Dieser Ver¬
schluss der Alveolen ist von grosser Bedeutung, denn nur er ist es, welcher
einen weiteren Collaps der Lunge hindert. Sein Mechanismus ist nicht
leicht verständlich. Wenn man nämlich eine in unserem Glase aufge¬
blähte Lunge collabiren lässt, so sinkt sie auf ein bestimmtes Volumen
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Zur Physiologie und Pathologie der Athmung.
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zusammen in relativ kurzer Zeit; wie schon gesagt, lässt sich dann
durch Druck nichts mehr austreiben. Wenn man aber nun die Lunge
sich selbst überlässt, so kann in Stunden noch eine recht erhebliche
Luftraenge entweichen, ich habe 50 bis 100 ccm gemessen. Ich habe
das so oft gesehen, dass ein Zweifel ausgeschlossen. Wie das aber zu
Stande kommt, das dürfte nicht leicht zu beantworten sein. Dass
übrigens der Verschluss nicht immer nur am Uebergang in die Infundibula
liegt, geht wohl daraus hervor, dass man bei Druck auf geblähte Alve¬
olen die Luft in benachbarte hineintreiben kann, was nicht möglich wäre,
wenn die Passage in den Bronchien frei wäre. Dieser Verschluss tritt
erst dann ein, wenn die Spannung in der Lunge unter ein gewisses
Maass gesunken ist. Sic sehen eine 2. wichtige Aufgabe der Lungen-
elasticität. Die Minimalluft ist also von 2 Factoren abhängig, von der
Elasticität der Alveolen und der Neigung der Bronchien zum Verschluss.
Die erstere kann man auch für die collabirte Lunge annähernd zahlen-
mässig feststellen, indem man bei abgestellter Luftzufuhr dio Lunge unter
negativen Druck setzt. Man kann wohl annehmen, dass z. B. bei dem
Druck von —200 der Verschluss gelöst ist und kann aus der Differenz
beider Manometer Schlüsse auf die Spannung ziehen. Berücksichtigt
man, dass die Spannung hier noch grösser wird, indem die Luft in den
Alveolen verdünnt wird, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass in
einzelnen Fällen die elastische Spannung eine äusserst minimale in der
collabirten Lunge ist. Ich fand z. B. Differenzen von 7 (—200 —193)
bei älterem Manne; bei einem Kinde 52 (—200 —148) mm H,0. Ja
bei einem 7 Monat alten Fötus, der nur ganz kurze Zeit gelebt, ergab
sich eine Differenz von 104 (—200—96).
Da glaube ich, muss man wohl annchmen, dass der schlechtere
Collaps in jenem Falle wohl auf die Verminderung der Elasticität zurück¬
zuführen ist. Ich möchte betonen, dass damit durchaus nicht gesagt
ist, dass auch die elastische Vollkommenheit verloren gegangen wäre.
Diese Dinge sind durchaus zu trennen.
II.
Was geht nun aus diesen Versuchen für dio Pathologie der Athmung
hervor? Das Emphysem besteht, wie der Name sagt, in einer Blähung
der Lunge. Von Laenncc stammt dieser Name, und er fand ihn am
Sectionstisch. Das Charakteristische sah er darin, dass die geblähte
Lunge nicht collabirte. Nun hat man diese Vorstellung gleich auf das
Krankenbett übertragen und sagt: Das Emphysem besteht darin, dass
die Lunge sich nicht auf ihr normales Volumen zusammenzieht. Diese
Vorstellung hat die Voraussetzung, dass die exspiratorische Ruhestellung
des Emphysematikers mit der Leichenstellung identisch wäre. Diesen
Beweis hat aber bisher niemand geliefert. Es müsste ferner die Reserve¬
luft völlig verschwunden sein, was auch keineswegs der Fall. Dazu
kommt, dass die Diagnose des Emphysems sich auf gewisse äussere
Merkmale stützt, Form, Starre des Thorax, Tiefstand des Zwerchfelles,
Dyspnoe, Schachtelschall etc. Auf Grund dieser Symptome schliessen
wir auf ein Volumen pulmonum auctum. Stimmt nun das klinische
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Emphysem stets mit dem pathologisch-anatomischen überein? Diese
Frage ist durchaus zu verneinen und es erscheint dringond noth-
wendig, diese Begriffe streng zu trennen. Ich meine also, wir
bleiben zunächst einmal bei dem pathologisch-anatomischen Begriff stehen
und betrachten das alveolöse Emphysem des Volumen pulmonum auctum.
Ich schliesse damit die mehr oder weniger localen Emphyseme zunächst
aus, welche pathologisch-anatomisch am meisten als solche imponiren. Da
existiren nun meines Wissens in der Litteratur zahlenmässige Werthc über¬
haupt nicht. Das Ausbleiben des Collapses ist kein Beweis für eine Blähung.
Wenn wir die oben erwähnte Arbeit von Perl durchsehen, so finden wir,
dass der Donders’sche Druck bei allen möglichen Erkrankungen gleich
0 ist. Das hat dann offenbar andere Gründe. Abgesehen von Ver¬
wachsungen, ist hier in erster Linie zu nennen Hochdrängung des Zwerch¬
felles. Nun könnte man ja das wohl unterscheiden, denn die Lunge
hat in diesem Falle nicht das Volumen pulmonum auctum. Dieses
schätzt man nach dem Augenmaass. Wenn man aber erst einmal das
Volumen der Lunge misst, so wird man finden, dass man sich da sehr
täuschen kann und andererseits giebt es Volumina pulmonum aucta, die
in einer echten Vermehrung des Lungenvolumens bestehen. Da bleibt
dann die sichtbare Blähung der Alveolen. Ja, wenn man da Höhlen bis
Taubeneigrösse hat, so kann natürlich kein Zweifel sein. Aber ich
möchte betonen, dass solche Veränderungen Vorkommen, ohne dass im
Ganzen ein vermehrtes Luftvolumen festzustellen ist.
Nun ist allerdings zu bedenken, dass bekanntlich alle Theile der
Lunge niemals gleichmässig gebläht sind, so wechseln gerade beim Em¬
physem atelectatische und emphysematose Partien ab. Dies kommt
zum Theil daher, dass die Bronchiallumina verstopft sind, zum Theil
aber auch von der häufig geringen Eigiebigkeit der Athemzüge ante
mortem. Es ist deshalb zweckmässig, die Lunge stark aufzublähen, so-
dass sie in allen Theilen möglichst gleichmässig gefüllt ist. Das ist bei
genügendem Druck in der Regel wohl möglich. Nun lässt man die
Lunge wieder collabiren und findet nun nicht selten ein ganz erhebliches
anderes Volumen als vorher. Zum Beispiel fand ich in einem Falle zu¬
erst Gesamtvolumen 1200 ccm bei 711g Gewicht, woraus sich die
Minimalluft auf 530 ccm berechnet. Bei der zweiten Messung 1960 Ge¬
samtvolumen, also Minimalluft 1290 ccm. Dieselbe ist um das Doppelte
gewachsen. Es kann kein Zweifel sein, dass man diese Lunge patho¬
logisch-anatomisch als eine emphysematose bezeichnen muss, obgleich
die ursprüngliche Minimalluft keinen zu hohen Werth ergab. Von einem
anderen Fall möchte ich berichten, dessen Minimalluft nur 292 betrug,
bei dem klinisch Emphysem anzunehmen war, exquisit fassförmiger
starrer Thorax. Möchte aber hier gleich erwähnen, dass auch der um¬
gekehrte Fall eintreten kann, dass nämlich das Volumen, nachdem die
Lunge aufgebläht war, kleiner ist, wie vorher. Darauf komme ich
zurück. Zunächst will ich auf die Elasticität der emphysematosen Lunge
eingehen. Sie will man ja neuerdings ganz ausschalten (Bohr). Ich
habe oben gesagt, dass meiner Ansicht nach die Elasticität der Lunge
für die Athembevvegung selbst nur eine geringe Rolle spielt. Aber trotz-
Gck igle
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Zur Physiologie und Pathologie der Athmung.
421
dem kommt der Elasticitätsverlust als ätiologisches Moment sehr in Be¬
taacht. Ich habe oben darüber berichtet, dass die Minimalluft der
collabirten Lunge auch mit dem stärksten Drucke nicht auszutreiben ist.
Das gilt auch für das Emphysem. Es gelingt nicht, die grossen Era-
physemblasen auch nur im geringsten dauernd zu verkleinern, wenn man
selbst 300 mm Hg auf sie wirken lässt. Ja, ich will hier einen
weiteren Versuch anführen, den ich bei emphysematosen Lungen mit
Bronchitis wiederholt mit Regelmässigkeit anstellen konnte. Wenn man
eine solche Lunge aufbläht, dann plötzlich unter hohen Druck setzt, so
zieht sie sich zunächst schneller zusammen, wie bei Atmosphärendruck.
Es bleibt aber, wie man am Spirometer ablesen kann, ein grösserer
Rest Luft, als wenn man die Lunge sich selbst überlässt. Es
handelt sich um Volumina von 100 und mehr ccm. Diese Versuche könnten
möglicherweise von grosser practischer Bedeutung sein, und ich möchte
darauf hinweisen, dass unter gewissen Bedingungen diese Versuchsan¬
ordnung im Leben gegeben sein könnte, wenn man einen Emphysematikcr
in einen Atmungsstuhl setzt. Dass es für die Lungenwand nicht von
Vortheil wäre, unter ganz exorbitant hohen Druck gesetzt zu werden,
liegt auf der Hand.
Ich komme darauf noch zurück und möchte zunächst noch bei dem
pathologisch-anatomischen Emphysem verweilen. Ich habe schon im
physiologischen Theil auseinandergesetzt, dass der Collaps der Lungen
von zwei Factoren abhängig ist, einmal von der Elasticität der Alveolen,
zum andern von dem Verschluss der kleinsten Bronchien. Was nun die
Elasticität betrifft, so habe ich schon gesagt, dass diese im Alter bei
geringer Dehnung im Allgemeinen bedeutend herabgesetzt ist, somit die
Bedingungen für das Zustandekommen des Emphysems entschieden ge¬
geben ist. So kann ich sagen über die von mir untersuchten Lungen,
dass bei denen, welche die geringste Elasticität besitzen, auch die
Minimalluft (nach mehrfacher Aufblähung) am grössten ist. Andererseits
kann ich ihnen über mehrere Beobachtungen Mittheilung machen, welche
beweisen, von wie grosser Bedeutung der erwähnte Verschluss ist. Zu¬
nächst Folgendes:
Es handelt sich um einen Menschen, der klinisch die Zeichen des
Emphysems bot mit starker Bronchitis. Die rechte Lunge hatte ein
Volumen von 1617 ccm, das Gewicht 895 g. Ergo Miniraalluft 773 ccm.
Nachdem die Lunge stark aufgebläht, hat sie collabirt das Volumen 1880,
Miniraalluft 1030 ccm. Ich bemerke, dass die Aufblähung eine ziemlich
gleichmässige war. Nunmehr wurde die Lunge unter hohen Druck ge¬
setzt, nachdem die Bronchialcanüle mit dem Finger verschlossen war.
Indem nun in kurzen Zwischenräumen der Verschluss geöffnet wurde,
hustete die Lunge ein ziemlich zähes, schleimiges Secret aus. Nachdem
dies mehrfach wiederholt und das Secret entfernt war, betrug das
Volumen 1600, die Minimalluft 756, hatte also um 274 ccm abgenommen.
Das Gegenstück kann ich Ihnen in einer kindlichen Lunge geben,
bei der zufällig Wasser aus dem Spirometer in die stark geblähte Lunge
aufgesogen wurde. Dieselbe collabirte fast garnicht und zeigte ein
typisches Volumen pulmonum auctum. Leider kann ich das zahlen-
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422
M. Bönniger,
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massig hier nicht belegen. Man sicht, die alte Theorie Laennecs ohne
Weiteres über Bord zu werfen, ist wohl nicht berechtigt.
Nachdrüeklichst betone ich hiermit nochmals, dass diese Dinge
sich alle nur auf das anatomische Emphysem beziehen. Ob sie auch
für das Leben ven Bedeutung sind, hängt in erster Linie davon ab, ob
die Minimalluftwerthe, welche wir bei unseren Lungen finden, überhaupt
in Betracht kommen. Von normalen Menschen wissen wir, dass er eine
Reserveluft von ungefähr 1600 ccm hat. Die Residualluft beträgt ca.
1200. Es bedarf noch eines umfangreichen Materials, um die Frage zu
entscheiden, ob zunächst der normale Mensch bis auf seine Minimalluft
exspiriren kann; ich glaube das nicht. Die Elasticität des Thorax wird
wohl das erste Hinderniss abgeben. Noch wichtiger ist die Frage für
den Emphysematiker, wie ich schon oben andeutetc. Den höchsten
Werth für die Minimalluft fand ich mit 1270 ccm, das w’ürde für beide
Lungen 2540 ausmachen, sicherlich ein sehr hoher Werth. Die Mittel¬
lage liegt nach Bohr um 2500 und 3000 herum, auch für seine Em¬
physeme. Dass sie bei unserem Emphysematiker höher lag, ist wohl
nicht zu bezweifeln. Man muss also die Möglichkeit zugeben, dass alle
jene Momente, welche wir beim anatomischen Emphysem kennen gelernt
haben, auch hier Giltigkeit haben können; zum Mindesten in Bezug auf
die Verkleinerung der Reserveluft. Wie verhält es sich aber mit der
exspiratorischen Ruhestellung beim Emphysem? Würde diese mit der
Leichenstellung übereinstimmen, so hätte dieser Emphysematiker über¬
haupt keine Reserveluft, vorausgesetzt, dass kein Collaps bei der Thorax-
cröfTnung einträte. Es würde jene Grenze, bei der die oben formulirten
Gesetze des pathologischen Emphysems gelten, schon bei ruhiger Athraung
erreicht. Es liegt auf der Hand, wie wichtig die Feststellung dieser
Verhältnisse ist.
Ich habe nun in. der oben beschriebenen Weise solche Bestimmungen
gemacht, es scheint nach meinen allerdings spärlichen Untersuchungen,
als wenn die exspiratorischc Ruhestellung des Emphyseraatikcrs weit
über der Leichenstellung 1 ) liegt,' sein Thorax sich also in exquisiter
Inspirationsstellung befindet. Die Elasticität des Thorax ist sicher sehr
erhöht, zahlenmässige Feststellungen stehen noch aus; sie müsste also die
Exspiration des Emphysematikers sogar erleichtern.
In neuerer Zeit ist man auf ganz verschiedenem Wege zu der
Meinung gekommen, dass das vermehrte Luftbedürfniss die Ursache des
Emphysems wäre, Bohr auf Grund seiner spirometrischen Untersuchungen,
Hofbauer 2 ) mittelst des Röntgenverfahrens. Letzterer meint, die Ver¬
tiefung der Athmung bewirkte stets eine Erhöhung der exspiratorischen
Ruhestellung (Tiefertreten des Zwerchfells). Nach Bohr erhöht sich die
Mittellage. Nun hat dieses übereinstimmende Resultat zweier so ver¬
schiedener Methoden etwas Bestechendes. Sehen wir uns zunächst die
Argumente Hofbauer’s an. Gemeinsam mit Holzknecht 3 ) hat er ge-
1) Es ist hier stets auf das Volumen liezug genommen. Das I.uftvolumen bei
der exspiratorischen Ruhestellung ist also grösser wie bei der Leichenstellung.
2) Mittheilungen aus dem Laborat. für radial. Diagnostik u. Therapie. II. Heft.
3) Ebendas.
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423
funden, dass die vertiefte Athmung ausschliesslich von der Inspiration
bestritten wird. Und sie geben gleich mit einer bemerkenswerthen
Sicherheit die Erklärung für dieses Verhalten. Sie sagen „die auf elastischen
Kräften beruhende Exspiration ist einer Steigerung nicht fähig, wohl
aber die musculäro Inspiration. Die Verwendung der exspiratorischen
Auxiliarmuskcln bleibt zunächst aus, weil diese die Heranziehung eines
fremden Mechanismus bedeuten würde“.
Nun, dieser fremde Mechanismus scheint mir doch nicht so un¬
gebahnt zu sein. Man kann sehr gut an sich selbst beobachten,
dass derselbe sehr häufig in Function tritt. Und ich glaube, abgesehen
von jedem Räuspern, Sprechen, Singen, Husten, Niessen etc. tritt bei
jeder forcirtcn Atmung derselbe in Action. Auch schliesst das Herab¬
gehen auf dieselbe exspiratorische Ruhestellung nicht die exspiratorischen
Muskelkräfte aus. Bekanntlich können diese am besten wirken, wenn
Curve 2 [nach Bohr 1 )].
Vitalcapaeität.
die Lunge sich in maximaler Inspirationsstellung befindet. Ich weiss
nicht, wie die Zwerchfellbeobachtungen der genannten Autoren gewonnen
sind. Sie schreiben nur „wenn man entweder auf Befehl oder in Folge
des Gefühls von Lufthunger seine Athmung vertiefen will etc.“ Dass
hier willkürliche Athmung nichts beweist, ist selbstverständlich. Wenn
man einen Menschen auffordert, tiefer zu athmen, so wird er in 90 von
100 Fällen verstehen, dass er seine Lungen stärker mit Luft anfüllen
soll. Das kann man ja bei der Auskultation immer beobachten. Maass¬
gebend kann hier nur die unwillkürliche Athmung sein. Man muss Luft¬
hunger herstellen. Das geht auf zweierlei Weise; einmal durch Muskel¬
arbeit, andererseits durch künstliche .Behinderung der Athmung. Ich
habe in derselben Weise wie Holzknecht den Stand des Zwerchfelles
markirt, nur habe ich zwei Bleimarken, eine hinten, welche den fixen
Punkt darstellen soll (was sie allerdings nicht ganz thut, da die Wirbel-
1) 1. c. und Wiener med. Wochenschr. 1907. No. 41.
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M. Bönniger,
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säule sich bei tiefer Athmung streckt), eine vorn, die bei der Inspiration
in die Höhe steigt. Also eine Inspirationsbewegung des Thorax markirt.
Ich habe gefunden, dass schon nach leichter Anstrengung in der Regel
die exspiratorische Ruhestellung des Zwerchfelles höher liegt als bei
ruhiger Athrnung, während die vordere Thoraxmarke ebenfalls in die
Höhe steigt. Ich sehe in den Untersuchungen Bohr’s eine Bestätigung
meiner Befunde, denn aus seinen Zahlen geht hervor, dass die Mittel¬
lage bei vertiefter Athmung sich zwar nach oben verschiebt, die exspira¬
torische Ruhestellung aber sehr viel tiefer tritt (cf. die Curven nach
Bohr).
Bei der Behinderung der Athmung und zwar gleichmässig für In-
und Exspirationen kann man im Gegensatz hierzu kein Hinaufgehen der
exspiratorischen Ruhestellung des Zwerchfells bemerken, vielmehr bleibt
sie die gleiche oder bewegt sich noch etwas nach abwärts. Hier tritt
also in der That eine stärkere Luftfülluug der Lunge ein. Es wird hier
natürlich in sehr intensiver Weise die exspiratorische Muskelkraft in
Anspruch genommen, ohne dass die exspiratorische Ruhestellung er¬
reicht wird.
Die Untersuchungen Bohr’s halte ich für ungeheuer w<?rthvoll. Eine
derartige Analyse der Athmung an einem möglichst grossen Material
würde in Verbindung mit den obigen Untersuchungen Klarheit in die
Auffassung des Emphysems bringen 1 )- Leider steht mir ein solcher
Apparat nicht zur Verfügung. Es ist etwas schwierig, sich durch die
Zahlen Bohr’s hindurchzuarbeiten. Unverständlich ist mir, warum Bohr
seine graphisch aufgezeichncten Curven uns durch lange Zahlenreihen
ersetzt. Ich habe seine Zahlen so weit möglich wieder in Curven um¬
geschrieben und nun gewinnt man ein sehr anschauliches Bild der ver¬
schiedenen Athraungstypen. Wenn man aber die Curven nebeneinander
sieht, so ist man erstaunt über die Schlussfolgerungen Bohr’s. Er sagt:
die Mittellage ist beim Emphysem erhöht. Thatsächlich schwankt sie bei
Gesunden und Emphysematikern, deren leider nur zwei zur Untersuchung
gekommen sind, um einen ziemlich gleichmässigen Werth. Die bei
weitem grösste Mittellage (über 4000 ccm) hat ein Sportsman mit der
unglaublich grossen Totalcapacität von über 7000. Hat dieser Mann
ein Emphysem? Nein. Denn seine Reserveluft hat den grossen Umfang
von fast 3000 ccm, also demnach wäre die Mittellinie nicht das Maass¬
gebende. Vielleicht die Residualluft, wie man ja im Allgemeinen an¬
nimmt. Aber auch diese ist in den Zahlen Bohr’s nicht wesentlich ver-
grössert. Dazu kommt, dass die Residualluft ein von der Willkür in
hohem Maasse abhängige Grösse ist, und gerade bei Leuten mit Athem-
not ist diese an sich verringert. Wenn wir aus den Zahlen Bohr’s
etwas Charakteristisches herauslesen können, so wäre es die Herab¬
setzung der Vitalcapacität. Die Complementärluft ist in dem einen
Falle mehr verringert als die Reserveluft. Weder die Mittellagc noch
1) Allerdings nicht in dem Sinne Bohr’s. Es ist unmöglich aus der erhöhten
Mittelcapicität auf ein vermehrtes Luftbedürfniss schliessen zu wollen, da die erhöhte
Mittelcapicitat in der Definition des Emphysems enthalten ist.
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die Residualluft ist in stärkerem Grade verändert als die Vitalcapaeität.
Wenn also Bohr mit der Erhöhung der Mittellage Recht hätte, so sind
es keine Emphysematiker gewesen, die er als solche angesprochen. Sind
es aber klinisch wirklich solche gewesen, so könnte die Erhöhung der
Mittellage nicht das charakteristische sein. Allerdings meine ich, dass
in dem Begriff des Emphysems die stärkere Luftfüllung enthalten ist.
Und wenn wir einen solch echt emphysematosen Brustkorb sehen
mit Umfang von über 100 cm, dazu Tiefstand des Zwerchfells, so ist
wohl nicht zii zweifeln, dass der Luftgehalt ein erhöhter sein muss. Es
wäre deshalb eine umfassendere Arbeit im Sinne Bohr’s zur definitiven
Entscheidung über diese Frage sehr erwünscht.
Zum Schluss möchte ich eine Beobachtung raittheilen, die für die
Aetiologie des localen Emphysems von grosser Bedeutung ist. Es handelt
sich um ein 4 1 / 2 Monate altes Kind. Die Elasticitätscurve der rechten Lunge
ist oben wieder gegeben. Sie zeichnete sich durch ihre ausserordentliche
Resistenz gegen so hohe Drucke (380 mm) aus, wie sie meistens zur
Zerreissung führten. Die linke Lunge unterschied sich äusserlich nicht
von jener. Als ich sie jedoch mit geringem Druck etwa —150 mm
aufblähen wollte, zeigte sich ein ausgesprochenes locales Emphysem, mit
grossen bis linsengrossen Blasen, die sich vom pathologischen Emphysem
in nichts unterschieden. Längeres Liegen konnte nicht die Ursache sein.
Die Lunge war nur 1 Tag älter wie jene. Ausserdem habe ich sonst
niemals etwas Aehnliches beobachtet, selbst bei stark faulenden Lungen.
Da kein hoher Druck angewendet wurde, auch sonst die Ver¬
hältnisse völlig dieselben waren wie immer, so kann die Ursache nur in
der Beschaffenheit des Gewebes gesucht werden (Virchow’s Theorie).
In der That habe ich mich weiterhin bei einer kindlichen Lunge über¬
zeugt, dass cs gelingt, dieselbe durch Quetschung so zu schädigen,
dass dann bei der Aufblähung ein locales Emphysem entsteht.
Mit der Virchow’schen Theorie finden auch die localen Emphyseme,
welche sich in der nächsten Nachbarschaft von kleinen pneumonischen Herden
zuweilen finden, am besten ihre Erklärung. Die Tendeloo’schen Theorien
befriedigen hier nicht, denn es ist ganz unmöglich, dass durch solche kleine
Herde die Druckverhältnisse so gestört werden sollten, dass sie zu diesen
schweren Veränderungen führten. Durch hohen Druck gelingt es übrigens
niemals ein locales Emphysem zu Stande zu bringen, da die Lunge bei
solchem an einen oder mehreren Stellen zerreisst, sodass cs schliesslich
unmöglich wird, einen entsprechenden Druck zu behalten. Welcher Art
die krankhafte Beschaffenheit der Gewebe, die zum localen Emphysem
führt, ist, fehlt mir jeder Anhaltspunkt. Jedenfalls halte ich es für nicht
richtig, hier nur die elastischen Fasern zu berücksichtigen, wie das
meist geschehen.
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XXXIII.
Bemerkungen zu H. Kionka’s neuesten „Beiträgen zur
Kenntniss der Gicht.“
(Diese Zeitschrift. 1908. Bd. 5. H. 1 . S. 131 —146.)
Von
Theodor Brugsch und Alfred Schittenhelm.
H. Kionka glaubt in seiner Mittheilung No. 8 seiner „Beiträge zur Kenntnis der
Gicht“ den unzweifelhaften Beweis erbracht zu haben, dass im Blute nach Harnsäurc-
zusatz Glykokoll auftreten kann. Der Nachweis des Glykokolls geschah als /if-Naph-
thalinsulföverbindung, die er nach mehrmaligem Umkrystallisiren auf krystallo-
graphischem Wege bestimmte, und die auch in einigen Fällen den Schmelzpunkt von
154° genau zeigte.
Was nun zunächst den krystallographischen Beweis anlangt, den Kionka für
unzweifelhaft hält, so möchten wir hierzu bemerken, dass dieser vom chemischen
Standpunkte aus ein absolut ungewöhnlicher ist. Unseres Wissens dürfte in der
Chemie eitle Substanz schwerlich als exakt definirt gelten, wenn nur ein krystallo-
graphischer Befund vorliegt; aber auch der Schmelzpunkt kann zu erheblichen
Irrthümern führen, wenn, wie hier möglich (siehe Kionka), Gemische vorliegen.
Bis jetzt ist für das normale Blut auch nicht nach Ilarnsäurezusatz ein
exakter analytischer Beweis erbracht worden, dass darin Glykokoll
im freiet) Zustande enthalten ist; es dürfte wohl kaum zu weit gegangen sein,
einen derartig exakten Beweis zu verlangen, ehe man unabweisbar mit der
Möglichkeit des Vorkommens von Glykokoll im Blut rechnet. Dass diese
Möglichkeit vorliegen kann, haben wir schon früher (diese Zeitschrift Bd. IV
S. 550) zugegeben.
Erfreulich ist es, dass Kionka sich endlich bezüglich dor Zerstörung der
Harnsäure durch Blut auf den Standpunkt stellt, den Brugsch und Schittenhelm
energisch vertreten haben, dass nämlich das Blut uricolytische Fähigkeiten
in irgend in Betracht kommender Weise nicht besitzt. Kionka erachtet es
in seinen beiden Mittheilungen nicht der Mühe für werth, unsere mühevollen Unter¬
suchungen, die lediglich der Anlass waren, seine Befunde einer klärenden Nach¬
untersuchung zu unterziehen, zu citiren. Er umgeht diese Nothwendigkeit. Er citirt
uns auch nicht da, wo es sich um die angebliche Abspaltung von Glykokoll aus
Harnsäure handelt, nicht da, wo er von der Vcrfütterung von Aminosäuren an Gicht¬
kranke spricht.
Wir wissen sicher, dass Kionka unsere Arbeiten, die seine Theorie ins Herz
tretTen, genau kennt. Wenn er aber auf unsere Arbeiten hin erneute Versuche auf¬
nimmt, die in gleicher Richtung laufen und zum Theil zu gleichen Resultaten führen,
Gck igle
Original from
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Th. Brugsch u. A. Sch ittenhelm, Bemerkungen zu H. Kionka’s Artikel etc. 427
so entspricht es den allgemein üblichen wissenschaftlichen Gepflogen¬
heiten, correct zu citiren.
Und noch eins: Kionka schliesst seine Mittheilung 9: „Wohl aber halten wir
nach wie vor an der Vorstellung fest, das Wesen der Gicht beruhe in qualitativen
und quantitativen Störungen von Fermentthätigkeiten, die eine Rolle spielen bei den
verschiedenen Abbauvorgängen im Organismus“.
Was denkt sich denn Kionka mit dieser diffusen Behauptung, mit der
alles und nichts gesagt und bewiesen ist? Und er fährt fort:
„Von wesentlicher Bedeutung ist es dabei, dass hierbei Producte in grösserer
Menge entstehen können, welche, wie unsere Versuche einwandsfrei ergeben haben,
auf das Ausfallen von Uraten befördernd wirken, mögen diese Aminosäuren oder
sonstigen gleichsinnig wirkenden Producte aus dem Abbau der Harnsäure oder den
Kernsubstanzen zu Grunde gehender Zellen aus absterbenden Knorpel- oder Binde-
gewcbssubstanz oder sonstigen Abbauvorgängen stammen.“
Dass diese Ansicht falsch ist, wird Kionka aus der im selben Hefte stehenden
Mittheilung Brugsch’s und Citron's erfahren, die beweist, dass das Absorptionsver¬
mögen des Knorpels für Harnsäure durch Aminosäuren nicht befördert, sondern
eher gehemmt wird.
Wir halten die Kionka 7 sehe Theorie im ganzen Umfange für erledigt.
Berlin, im August DOS.
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l QO J
Druck von L. Schumacher in Berlin N. 24 .
C crjd ^
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XXXIV.
Ueber Polycyth&mie nebst Beiträgen zur klinischen Blut¬
untersuchung.
Von
Prof. Dr. Egmont Münzer (Prag).
(Hierzu Tafel V und 2 Curren ’ra Text.)
Im Jahre 1903 lenkte Osler (1) die allgemeine Aufmerksamkeit auf
ein, wie er annahro, neues klinisches Krankheitsbild „chronische Cyanose
mit Polycythämie und Milzvergrösserung“. Den gleichen Symptomen-
complex hatte bereits 10 Jahre vorher Vaquez(2) beschrieben, ohne
allerdings für seine Beobachtung allgemeine Aufmerksamkeit zu erreichen;
erst seit der Osler’schen Publication werden von allen Seiten gleich¬
artige Beobachtungen mitgetheilt.
Ein Jahr später stellte Geisböck (3) der Vaquez-Osler’schen
Form der Polycythämie eine andere durch ausserordentliche Blutdruck¬
steigerung charakterisirte Form an die Seite. Geisböck selbst warf
bereits die Frage auf, in welchem Zusammenhänge Polycythämie und
Blutdrucksteigerung wären und äusserte Anfangs die Vermuthung, „dass
die Polycythämie als solche vielleicht durch Erhöhung der Viscosität als
Ursache für die Blutdrucksteigerung aufzufassen sei.“
Ich selbst hatte über die gleiche Frage meine Meinung dahin ge-
äussert (4), dass Erhöhung der Viscosität keine Blutdrucksteigerung ver¬
anlassen dürfte und konnte mich hierbei auf die in der Litteratur nieder¬
gelegten und eigene Beobachtungen von Polycythämie stützen. Anderer¬
seits aber hatte ich die Frage aufgeworfen, ob nicht die als häufigste
Ursache der hohen Blutdrucksteigerung anzusehende allgemeine Arterio¬
sklerose gleichzeitig die Ursache der Polycythämie darstelle. Durch die
arteriosklerotische Veränderung der kleinen Gefässe käme es einmal zur
starken Blutdrucksteigerung, andererseits aber zur Störung des Gas¬
austausches resp. zur behindorten Sauerstoffzufuhr zu den Geweben.
Ich schrieb (1. c. S. 159): „Sauerstoffmangel wird aber durch jede
ungenügende Blutzufuhr zu den Gewebszellen herbeigeführt also auch
durch eine so starke arteriosklerotische Veränderung der Arteriolen, dass
es zur erheblichen Blutdrucksteigerung kommt. Hier begegnen sich der
abnorm hohe Blutdruck in Folge der Verengung der Arteriolen und der
abnorm niedrige in Folge ungenügender Muskelkraft des Herzens oder
uncompensirter Herzfehler in dem gleichen Ergebniss: Mangelhafte Sauer-
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 28
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430
E. Münzer,
Stoffversorgung der Gewebe und daher auch in der gleichen secundären
Wirkung: Vermehrung der Erythrocyten. u
Man könnte hier noch die Frage aufwerfen, ob wirklich der oben
ausgesprochene Schluss: Mangelhafte Sauerstoffversorgung der Gewebe
führe zur Vermehrung der rothcn Blutzellen, sicher nachgewiesen sei;
doch glaube ich, dass einerseits nach den Angaben Naunyn’s (5) sowie
Pentzoldt-Toenniessen’s (6) über den Einfluss chronischer Dyspnoe
und schwerer angeborener Herzfehler auf das Blut, andererseits nach
den zahlreichen seit Paul Bert und Viault (7) angestellten Unter¬
suchungen über die Wirkung des Höhenklimas, insbesondere nach den
ausserordentlich eingehenden kritischen und experimentellen Unter¬
suchungen von Zuntz (8) und seinen Schülern an der Richtigkeit dieses
Schlusses nicht gezweifelt werden kann.
Damit ist nicht gesagt, dass jede Polycythämie die oben betonte
Ursache haben müsse, da doch die gleichen Veränderungen bei anderen
Krankheitszuständen (CO-P-Vergiftung) beobachtet wurden, ja für einzelne
Fälle die Möglichkeit einer Entstehung der Polycythämie durch primäre
Erkrankung des erythroblastischen Antheiles des Knochenmarks betont
wurde.
Ich werde später Gelegenheit finden, diese Frage eingehend zu dis-
cutiren und will jetzt zur Mittheilung meiner einschlägigen Kranken¬
beobachtungen übergehen. Bevor ich dies jedoch thue, sei es gestattet,
noch eine Reihe von Vorfragen bezüglich der klinischen Blutuntersuchung
zu besprechen und zwar die Färbung, Hämoglobin- und Viscositäts-
bestimmung des Blutes.
Was die Färbung der Blutpräparate betrifft, so dürfte wohl die
Jenner’sehe bezw. May-Grünwald’sche am meisten Empfehlung ver¬
dienen. Zur Durchführung derselben bedarf es keiner besonderen
Fixation, da die in Methylalkohol gelösten Farbstoffe die Fixation be¬
sorgen. Die Präparate werden, nachdem sie lufttrocken geworden sind,
mit der Farblösung zusaramengebracht, mit Wasser abgespült, getrocknet
und sind bereits zur Untersuchung fertig; dabei kommen bei der Be¬
handlung mit dieser Farblösung alle Einzelheiten fein differencirt zur
Anschauung, sie ist panoptisch, sodass im Allgemeinen diese Färbung
sich für den practischen Arzt am meisten empfehlen dürfte.
Handelt es sich um eine Untersuchung bezüglich des Verhaltens
der einzelnen Leukocytenformen im Blute, dann dürfte es jedoch nicht
angezeigt sein, sich auf die Resultate einer Färbung allein zu verlassen
und für solche Untersuchungen wäre ausserdem die Färbung einzelner
Präparate mit Triacid, jener von Ehrlich empfohlenen Lösung und mit
Giernsalösung am meisten empfehlenswerth.
Was die Bestimmung des Hämoglobins betrifft, so wird in neuerer
Zeit der FJeischl-Micscher’sche Apparat mit Recht als besonders
exact empfohlen, daneben wird in einer grossen Zahl von Kliniken mit
dem Apparate Sahli’s gearbeitet.
Es ist mir ein Bedürfniss, an dieser Stelle ein irriges Urtheil,
welches ich über den letztgenannten Apparat fällte, richtigstellen zu
können. Ich hob seinerzeit (1. c.) — Türk’s Angabe bestätigend —
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l T eber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuchung. 431
hervor, dass beim Apparate Sahli’s die Vergleichslösung viel zu licht
erscheint, sodass normales Blut an meinem Apparate bis ca. 120 ver¬
dünnt werden musste, um der Vergleichslösung zu gleichen, und erwähnte
ferner „das Auftreten dunkler Streifen und Flecken in der Farbstoff¬
lösung“ nach längerem unbenutztem Stehen des Instrumentes.
Sahli betonte mir gegenüber brieflich, dass er auf das Auftreten
dieser Flecken seiner Zeit aufmerksam gemacht hätte und dieselben
durch energisches Schütteln verhindert werden können. Uebrigens hat
er bei den neuen Apparaten eine Glasperle in dem Röhrchen belassen,
welche die gründliche Durchmischung der Flüssigkeit wesentlich er¬
leichtert. Der etwas lichtere Farbenton der alten Standardlösung hindert,
wie Sahli an gleicher Stelle mit Recht hervorhebt, die Gebrauchs¬
fähigkeit des Apparates nicht und verlangt eben nur eine entsprechende
Umrechnung.
Um jedoch auch hier möglichst dem Bedürfnisse des practischen
Arztes entgegenzukommen, ist die Standardlösung in den neueren
Apparaten etwas dunkler gewählt, sodass thatsächlich ziemlich exact
normales Blut bis etwa 100 verdünnt werden muss, um den gleichen
Farbenton zu geben.
Um ein eigenes Urtheil über die Gebrauchsfähigkeit des Apparates
in seiner neuen Form zu gewinnen, habe ich eine Reihe von ver¬
gleichenden Bestimmungen bei demselben Blute mit Flcischl, Fleischl-
Miescher und Sahli gemacht, deren Resultate die nachstehende Tabelle
(S. 432—433) bringt.
Aus derselben ersehen wir, dass der Sahli’sche Apparat sowohl
bei Verminderung als bei Vermehrung des Hämoglobingehaltes ein mit
Fleischl-Miescher ausgezeichnet übereinstimmendes Resultat ergiebt,
ja es muss unter solchen Umständen die Frage aufgeworfen werden, ob
nicht die Bestimmung nach Sahli für den Practiker jener mit dem
Fleischl-Miescher’schen Apparate vorzuziehen ist.
Ich habe bezüglich des Fleischl-Miescher’schen Apparates bereits
in jener oben citirten Arbeit hervorgehoben, dass die Farbe des Keils
mit der Blutlösung nicht vollkommen übereinstimmt. Es machte sich
dieser Mangel bei den Anämien weniger geltend; dagegen ist bei Ver¬
mehrung des Hämoglobingehaltes die Farbendifferenz sehr auffallend —
die Blutlösung zeigt einen entschiedenen Stich ins bläuliche gegenüber
dem Farbenkeil —, sodass man oft nur der Helligkeit nach die Ein¬
stellung vornehmen kann. Dabei reicht bei hochgradigen Polycythämien
der Keil bei Verdünnung 1:200 häufig nicht aus, wenigstens nicht für
die grössere Kammer, sodass man in solchen Fällen auf die Ablesungen
mit der kleineren Kammer angewiesen ist.
Ein fernerer Nachtheil des Fleischl-Miescher’schen Apparates
ist die bei demselben nöthige Verwendung künstlichen Lichtes, wodurch
die Untersuchung erschwert ist, sodass es fraglich erscheint, ob dieses
Instrument trotz seiner allerdings wesentlichen Vortheile — der exacten
Dosirung der zur Bestimmung benutzten Blutraenge und der Möglichkeit
von Doppelbestimmungen — zur allgemeinen Verwendung empfohlen
werden kann. Diese Frage ist um so berechtigter, als ein Vergleich der
28 *
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
432
E. Münzer,
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Viscosität bei
Name
Zeit
20° C. nach
No.
und
Krankheit.
der Unter-
Blutdruck.
Alter.
suchung.
Hess.
Deter-
mann.
1.
Herr W.,
Arteriosclerosis uni-
26. 5. 1906
200 syst.
49 J.
versalis. (Poly-
cythaeraia hypertr.)
150 diast.
2.
Herr H.,
Desgl.
1. 6. 1906
170 sysi.
—
—
60 J.
110 diast.
3.
Herr M.,
Desgl.
21. 9. 1906
195 syst.
—
48 J.
17. 12. 1907
130 diast.
165 syst.
8,6
__
110-130 diast.
4.
Herr K.,
Desgl.
28. 4. 1906
200 syst.
—
—
64 J.
Gicht.
130 diast.
18. 5. 1906
150 syst.
100 diast.
5.
Herr B.,
Arteriosclerosis univ.
2. 10. 1906
250 syst.
—
—
60 J.
170-190 diast.
6.
Herr In-
Hämophilie. Anaeraia
28. 12. 1906
—
—
gen. D.,
gravis. Herzschwäche.
19. 2. 1907
—
—
45 J.
Amyloidosis?
8. 9. 1907
115 syst.
90 diast.
24. 6. 1908
115 syst.
80 diast.
7.
Frl. M.,
28 J.
Chlorose.
1. 10. 1907
110 syst.
90 diast.
—
—
8.
Frau T.,
Anaemia gravis;
10. 12. 1907
105 syst.
M
—
70 J.
Achylia gastrica.
80 diast.
9.
Herr L.,
Anaemia gravis;
22. 3. 1907
160 syst.
_
66 J.
Tumor lienis.
120 diast.
•
9. 6. 1907
—
—
—
11. 11. 1907
130 syst.
9Ö diast.
4,0
I
i
10.
Frl. A.,
23 J.
Asthma bronch.
23. 11. 1907
125 syst.
—
1 _
(Chlorosis).
100 diast.
11.
Herr W.
Ren. granulat.
2. 12. 1907
190 syst.
4,4
—
140 diast.
(ohne
Hirudin)
i
12.
Herr Fr.,
Polycythaemia vera.
)
53 J.
/
Herr Th.,
> siehe süäter.
13.
Desgl.
55 J.
1
Gougle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber Polycythämie nebst Beitragen zur klinischen Blutuntersuohung. 433
Haemoglobin nach
Sahli.
Fleischl.
Fleischl-Miescher.
.
135 pCt. = 15,7 g
(= 112,5 pCt.)
—
15,46 g= 110,4 pCt.
130 pCt. = 15,1 g
—
—
—
• “
14,22 g= 100,0 pCt.
125 pCt. = 14,5 g
(= 104,1 pCt.)
110
. —
100 pCt.= 11,6g
(= 83,3 pCt.)
—
11,16 g = 80 pCt.
—
—
2,16 g = 15,4 pCt.
1 = 101 =2,36g =
11 = 13/ 16,8 pCt.
40 pCt.
46 pCt.
—
I = 24Va 32 = 5,76 g
11 = 33 / = 41,1 pCt.
32 pCt. = 4,48 g
—
I = 21 \ 26 = 4,68 g =
11 = 26/ 33,4 pCt.
46 pCt. = 6,44 g
1 = (38-41)1 =40,4 g
II = (30—31)/= 38 pCt.
Mittel = 39 = 50 pCt.
= 7g.
62 pCt. = 8,7 g
I=(80,2)=37,7l 7 4 ® =
II= < 40 ’ 2 > föpll
54pCt. = 7,5g
64 pCt. = 8,96 g
I = 33141 = 7,38 g =
11 = 41/ 52,7 pCt.
83 pCt. = 11,6g
—
I — j ) 70,7 =
11 _ (5.-58) J 1 ^
100 pCt. = 14,0 g
i
) 79 =
I=(74-81) 79,4 (14,04 g
II=(60-67) 79,0 = 100
1 pCt.
Bemerkungen.
Alter Sahli ’scher Appa¬
rat, bei welchem 120 =
100 pCt. = 14 g Hglb.
Ausgesprochene Poikilo-
cytose. Starke relative
Vermehrung der eosino¬
philen Leukocyten!
Im Harn sehr vielEiweiss;
starke Leberschwellung.
Erythrocyten=4 Mill.?
Leukocyten = 8 000.
Erythrocyten = 2 V 2 Mill.
Leukocyten = 6 2CK>.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
434
E. Münzer,
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mit dem Apparate Fleischl-Miescher’s gemachten Bestimmungen mit
jenen des Sahli’schen Instrumentes zeigt, dass letzteres bei exactem
Arbeiten mit ersterem übereinstimmende Resultate ergiebt. Da die
Bestimmung mit dem Apparate Sahli’s bei jeder Lichtquelle durch¬
geführt werden kann, rasch und einfach durchführbar ist, so darf wohl
für die Fälle klinischer Verwerthung mit Recht dem Apparate
Sahli’s der Vorzug zugesprochen werden.
Ich komme nun zur Besprechung zweier Apparate, welche im ver¬
flossenen Jahre zur Bestimmung der Viscosität des Blutes angegeben
wurden und den für den practischen Arzt zu kostspieligen Hirsch-
Beck’schen (9) Apparat ersetzen sollten.
Deterraann (10) hat auf dem Congresse für innere Medicin ein
Viscosimeter beschrieben, welches ebenso einfach als •zweckentsprechend
erscheint. Eine capillare Röhre trägt an den beiden Enden Erweiterungen,
welche je 0,1 ccm Blut fassen. In die eine Ampulle wird also das zu
untersuchende Blut angesaugt und nun die Zeit gemessen, welche diese
Menge Blut braucht, um aus der einen Erweiterung durch das capillare
Mittelstück auszufliessen.
Da Capillare und Ampullen von einem Wassermantel umgeben sind,
so ist die Temperatur, bei welcher die Viscositätsprüfung vorgenommen
wird, exact bestimmt. Um die Gerinnung des Blutes zu verhindern,
muss demselben etwas Hirudin zugesetzt werden. Der Apparat hat den
kleinen Nachtheil, dass man doch etwas über 0,1 ccm Blut braucht,
also schon einen ordentlichen Einstich in die Fingerkuppe oder in die
Ohrläppchen machen muss und dass man andererseits, um die Gerinnung
dieses Blutes zu hindern, etwas Hirudin zusetzen muss; doch ist wie
bereits Determann hervorhebt und uns vielfache eigene Untersuchungen,
deren ausführlichePublication durch mich und Herrn Dr. F. Bloch (Franzens¬
bad) demnächst erfolgen wird, ergeben haben, diese ßlutraenge spielend leicht
aus dem Ohrläppchen bezw. der Fingerkuppe zu gewinnen und der
Hirudinzusatz ändert, wie eine Reihe von Autoren zeigte und wir be¬
stätigen können, in den geringen Spuren, welche nothwendig sind, um
die Gerinnung einer so kleinen Blutmenge zu hindern, die Viscosität
durchaus nicht, während andererseits die Möglichkeit gegeben ist, mehrere
Bestimmungen auszuführen, ohne dass Gerinnung eintritt. Diesen Vor¬
theil bietet insbesondere der Apparat Determann’s, da man durch
einfaches Umdrehen des Apparates um 180° die untere Ampulle, in
welche das Blut (ähnlich wie bei Sanduhren) abgeflossen ist, nach auf¬
wärts dreht und nun den Versuch von neuem beginnt, indem jetzt aus
dieser wiederum das Blut in die nach unten gedrehte Erweiterung abfliesst.
Ein anderer Apparat, welcher etwas später zur Bestimmung der
Viscosität angegeben wurde, stammt von Hess (11). Hier sind neben¬
einander zwei Glasröhrchen mit capillarem Mittelstück angebracht; in
der einen findet sich destillirtes Wasser, in der anderen das auf seine
Viscosität zu prüfende Blut. Indem man nun auf die beiden Flüssig¬
keitssäulen durch Luftverdünnung einen gleichmässigen Zug ausübt,
bestimmt man von Zeit zu Zeit, wie weit im Vergleiche zur Blutsäule
die Wassersäule durch die Capillare vorgedrungen ist und hat so
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuohung. 435
direct die Viscosität des Blutes bezogen auf Wasser als Einheit ge¬
messen.
Zur Bestimmung der Viscosität des Blutes mit diesem Apparate
braucht man viel weniger Blut und gelingt es mitunter eine Be¬
stimmung ohne Hirudin durchzuführen. Wiederholte Bestimmungen mit
derselben Blutprobe sind meist nicht durchführbar, weil das Blut ge¬
wöhnlich inzwischen gerinnt.
Dabei muss man noch die Berechtigung eines weiteren, schon von
Determann erhobenen Einwandes zugeben, dass nämlich die Temperatur
des am Apparate von Hess angebrachten Thermometers durchaus nicht
der Temperatur des Wassers sowie der des Blutes entsprechen muss.
Dr. Bloch und ich haben, da dieser Apparat sonst ausserordentlich
schön arbeitet, den Versuch gemacht, die Mängel desselben zu beheben,
indem wir in ähnlicher Weise wie beim Determann’schen Apparate,
denselben mit einem Wassermantel umgaben und die Capillaren ver¬
längerten.
Da es schliesslich aus Gründen der Nachcontrolle und Exactheit
der Bestimmung wünschenswerth erscheint, den Grad der Luftverdünnung,
bei welchem die Ansaugung erfolgt, zu beachten und genau festzustellen,
haben wir an entsprechender Stelle ein Manometer eingeschaltet, wobei
gleichzeitig die Möglichkeit geboten war, den Apparat so zu gestalten,
dass er bequem gereinigt werden kann 1 ).
Es unterscheiden sich nun die Apparate nur dadurch, dass beim
H irsch-Beck’schen Apparat das Blut unter einem gewissen bestimmten
Drucke durch die Capillare getrieben wird, beim Determann’schen
Apparat die treibende Kraft die Schwerkraft ist, während bei unserem
Apparate Ansaugung durch Luftverdünnung die bewegende Kraft für
Blut und Wasser gleichzeitig darstellt.
Nach diesen Auseinandersetzungen möchte ich nun etwas eingehender
zwei mit Polycythämie und chronischer Cyanose einhergehende Krank¬
heitsfälle beschreiben, welche ich im verflossenen Jahre zu beobachten
Gelegenheit hatte.
I.
HerrF., 53 Jahre alt, seit einigen Monaten an auffallender
Schlafsucht leidend. Fettleibigkeit. Auffallende Röthe (Cya¬
nose) des Gesichts; innere Organe normal. In 1 cmm Blutes
fast 10 Millionen rothe Blutzellen, Hämoglobin 18,15 g. Dar¬
reichung von Thyreoidintabletten. Genesung.
Am 6. 11. des Jahres 1906 wurde Herr J. F., ein damals 53jähriger Mann von
seinen Angehörigen in meine Ordination gebracht mit der Angabe, dass derselbe seit
einigen Monaten weder seinem Berufe nachgehen könne, noch auch im Stande wäre,
irgend welchen gesellschaftlichen Verkehr zu pflegen, da er an einer immer¬
währenden Schlafsucht leide und mitten im Sprechen, auch im Stehen ein¬
schlafe; sonst fühle er sich ganz wohl.
Der mittelgrosse eher kleine Kranke machte beim blossen Anblick einen höchst
auffallenden tragikomischen Eindruck. Der an und für sich abnorm grosse Schädel
1) Siehe unsere demnächst in der „Medicinischen Klinik“ erscheinende Arbeit.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
436
E. Münzer
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war — besonders hervorstechend an den Ohren — tiefblauroth gefärbt; in dem dicken
Gesichte blinzelten die kleinen Augen schläfrig hervor. Der Schädelumfang betrug
63 cm, der Hals war kurz gedrungen, ein typischer Blähhals, ohne dass man irgend
etwas von einer Struma nachweisen konnte. Der Thorax breit, die Hautvenen in der
Schulterhöhe und an der Vorderfläche der Brust vermehrt gefüllt sichtbar. Die
Athmung überall schön vesiculär zu hören. Die Herzdämpfung vollkommen normal
gross, der Puls beschleunigt, die Herztöne vollkommen begrenzt. Der Blutdruck
130 systol.
Haut des Rumpfes keine Cyanose zeigend; der Unterleib gespannt.
Harn dunkel, ent-
90—100 diast.
enthielt keine freie Flüssigkeit; Leber und Milz nicht zu tasten,
hält eine Spur Eiweiss, keinen Zucker. Körpergewicht 103 kg.
Die auffallendsten Erscheinungen waren also die Schlafsucht und hochgradige
Cyanose des oberen Theiles des Körpers, hauptsächlich des Gesichts.
Die Schlafsucht wurde auf eine Kohlensäureüberladung des Hirnblutes zurück¬
geführt und die ganzen Erscheinungen als Folgen einer Stauung im Gebiete der Vena
cava superior aufgefasst. Die Ursache hierfür konnte nur im Brustkörbe gesucht
werden, ohne dass die Untersuchung weitere diesbezügliche Anhaltspunkte gewährte
(siehe später).
Von diesem Gesichtspunkte aus geleitet, wurde eine entsprechende Diät mit
möglichster Einschränkung der Fette und Kohlenhydrate angeordnet und gleichzeitig
Jodnatrium in wässriger Lösung gegeben.
Einen Monat später, am 3. 12. stellte sich der Kranke neuerdings vor; der Zu¬
stand schien etwas, aber in sehr geringem Grade gebessert. Herr F. gab an, eher eine
Verminderung seiner Schlafsucht zu empfinden, dagegen habe er — offenbar in Folge
des Jods — Thränenträufeln und die Augenlider seien ständig geschwollen.
Objectiv war das Körpergewicht auf 101,3 kg gesunken, sonst waren die Er¬
scheinungen ziemlioh unverändert.
Die Hämoglobinbestimmung nach Fleischl-Miescher ergab 18,34 pCt. und
die Zahl der rothen Blutzellen im Cubikmillimeter betrug 9,8 Millionen, die der Leuko-
cyten 5500.
Da also der Erfolg für eine vierwöchentliche Behandlung gering war, das Jod
andererseits auffallende Beschwerden verursachte, wurden nun zur Entfettung Schild¬
drüsentabletten der Firma Burroughs, Wellcome & Co. versucht und zwar anfangs 1,
später 2 Tabletten zu 0,1 g pro Tag. Dabei hatte der Kranke den Auftrag, sich alle
8 Tage vorzustellen, um die Kur sofort unterbrechen zu können, falls das Medicament
nicht vertragen würde.
Am 11. 12., also bereits eine Woche nach Beginn dieser Behandlung kam
der Kranke mit der Angabe, sich wesentlich wohler zu fühlen und weniger schlaf¬
süchtig zu sein. Er zeigte ein besseres Aussehen, die Cyanose war fast ganz ge¬
schwunden, das Körpergewicht betrug jetzt 98 kg, war also in 7 Tagen um 3,3 kg
zurückgegangen. Der Halsumfang betrug jetzt 48 cm, also um 2 cm weniger. Der
Harn enthielt noch immer eine Spur Eiweiss; im Blute (Triacid-Färbung) 31 pCt.
Lymphocyten, 6 pCt. eosinophile, 63 pCt. neutrophile polynukleäre Leukocyten.
Am 26. 12. Schlafsucht fast vollkommen geschwunden, der Kranke fühlt sich
sehr wohl.
Objectiv: Aussehen vollkommen normal, auch im Liegen keine Cyanose; die
Venen auf der vorderen Brustseite kaum mehr zu sehen, das Gewicht 96,3 kg, Hals¬
umfang 47y 2 cm; Athmung vollkommen vesiculär, Herztöne rein begrenzt, Pols 92,
95 105
Blutdruck palpatorisch —, oscillatorisch im Harne eine Spur Eiweiss, kem
Zucker.
9. 1. Gewicht 95 kg, Halsumfang 46 3 /4 cm. Im Harne kein Eiweiss. Die Blut-
Gougle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ucber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuchung. 437
Untersuchung ergiebt rothe Blutzellen 8,2 Millionen,
weisse Blutzellen 5500, mikroskopisch normal. Hämo¬
globingehalt nach F lei sch 1 122 = 17,1 g, nach
Fleischl-Miescher 17,97 g.
Therapeutisch wurde die Diät unverändert weiter
behalten, dagegen mit Thyreoidintabletten auf eine
täglich zurückgegangen.
6. 2. Aussehen vollkommen normal, Gewicht
92,7 kg. Halsweite 46 cm. Im Harne kein Eiweiss,
kein Zucker. Rothe Blutzellen 8,5 Millionen, weisse
5000 im Cubikmillimeter. Hämoglobin nur nach
Fleisohl bestimmt, 15,1 g?
25. 4. Befinden andauernd sehr gut, schläft gut,
vielleicht etwas schläfriger. Objectiv: Gewicht 92,1 kg.
Halsweite 47 cm, Athmung und Herzbefund normal.
Im Harne kein Eiweiss, kein Zucker. Die Blutunter¬
suchung ergab 8y 2 Millionen rothe Blutzellen, 8200
weisse (nach der Mittagmahlzeit) in 1 cmm; Hämo¬
globin nach Fleischl 117 = 16,38 g. Nach längerem
Liegen auf dem Untersuchungsbette wird der Schädel
bezw. der hintereTheil der Ohrläppchen doch cyanotisch.
Thyreoidintabletten ganz ausgesetzt.
Da der Kranke schon etwas freiere Diät genommen
hat, wird strenge Beachtung der Diät angeordnet.
27. 11. Herr F., der sich vollkommen gesund
fühlt, kommt nur über meinen Wunsch zur Unter¬
suchung. Er zeigt ein vollkommen normales Aussehen,
doch tritt im Liegen noch deutliche cyanotische Färbung
des hinteren Randes beider Ohrmuscheln ein. Die
Halsweite 47 cm, keine Struma. Die Athmung sehr
schön vesiculär, die Herzdämpfung der Percussion naoh
normal gross. Auch die Röntgenaufnahme lässt
nichts sicher pathologisches erkennen. Die
Herztöne vollkommen begrenzt. Der Puls 76, regel¬
mässig, weich; der Blutdruck wie die graphische Auf-
115
nähme (Fig. 1) zeigte - fi -, also normale Verhältnisse
oU
darbietend (0 = Oberarm, V = Vorderarm, Manschette).
Die Sphygmobolometrie zeigte, dass Veränderungen
der grossen Gefässe ebenfalls ausgeschlossen werden
können.
Im Unterleib weder Milz- noch Leberschwellung
nachweisbar; Harn licht, enthält weder Eiweiss noch
Zucker. Die Blutuntersuchung ergab Hämoglobin nach
Sahli 16,5 = 118 pCt. Hämoglobin, nach Fleisohl-
M iescher 125,1 pCt. = 17,52 g Hämoglobin.
Blut nach Jenner gefärbt — (574 Leukocyton
gezählt) — ergiebt: 26 pCt. Lymphocyten, 70 pCt.
neutrophile und 3 pCt. eosinophile polynukleäre Leuko-
cyten, ausserdem 2 basophile polynukleäre Leukocyten
gezählt.
13. 1. 1908. Gewicht 92,9 kg. Innere Organe
O t-i
<V
o >
S
6C
CU 3
CO <3
X O
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Go igle
;V'-= O
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
438
E. Münzer,
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normal; im Harn kein Eiweiss, kein Zucker, Hämoglobin nach Sahli 110 pCt. =
15,4 g; Viscosität nach Hess: mit und ohne Hirudin = 6,8 (Temperatur 19° C.).
Nach Determann: (Hirudinblut — Temperatur 20,5°) = 8,54.
Mikroskopische Blutuntersuchung:
Jenner: Giemsa: Triacidfärbung
Lymphocyten .... 30 pCt. 29,9 pCt. 27 pCt.
polynukleäre { eosino P^ ile Jj ” J! ” Jf ”
1 \ neutrophile 66 „ 67,1 „ <0 „
Im G i e m s a - Präparate ein basophiler polynukleärer Leukocyt.
(S. Uebersichtstabelie S. 439.)
Ueberblicken wir die vorliegende Krankheitsgeschichte, so ist wohl
kein Zweifel, dass wir es mit der ausgesprochensten Polycythämie zu
thun haben.
Die Geisböek’sche Form liegt nach den ßlutdruckverhältnissen
nicht vor, andererseits fehlt aber auch der Milztumor und ist die Ver¬
dauung stets vorzüglich gewesen, sodass jede Stauung im Pfortaderkreis¬
lauf ausgeschlossen ist.
Die schwere Cyanose des Gesichts, die Ausdehnung der Venen an
der oberen Brustapertur bezw. in Schulterhöhe und die starke Schlaf¬
sucht deuten auf eine Störung der Circulation im Gebiete der oberen
Hohlvene mit C0 2 -Ueberladung des Blutes. Eine Veränderung der Lungen,
welche diese Störung erklären konnte, war mit Sicherheit auszuschliessen
und konnte nur an eine Veränderung im Circulationssysteme selbst ge¬
dacht werden. Am nächsten lag die Annahme einer enormen Fett¬
ansammlung im Mediastinum; auch an eine substernale Struma musste
gedacht werden. Bezüglich des Einwandes, dass bei Störung des Rück¬
flusses des Blutes im Gebiete der Vena cava superior Oedeme im ge¬
stauten Gefässgebiete beobachtet werden müssten, könnte man darauf
hinweisen, dass Stauung in diesem Gefässgebiete nicht so rasch zum
Oedeme führen müsse, weil die reichlicher austretende Lymphe dank der
Schwere vermehrt abströme.
Von diesem Gesichtspunkte aus wurde die Therapie geleitet und
der Erfolg scheint für die Richtigkeit des entwickelten Gedankenganges
zu sprechen; mit zunehmender Abmagerung schwand die Cyanose und
ging gleichzeitig die Polycythämie bezw. die Hämoglobinvermehrung
zurück.
II.
Herr T., 55 Jahre alt, zeigt Polycythämie mit Cyanose und
Milztumor, keine Blutdrucksteigerung; l 1 / 2 Millionen rothe,
Anfangs 20000, später 12000 weisse Blutzellen im Cubikmilli-
meter Blut. Hämoglobin ca. 19,0 g. Gestörte Fettresorption
im Darme?
Ara 5. Juli des Jahres 1907 consultirte mich der 55jährige Herr T. mit der An¬
gabe, dass er bis zum Jahre 1906 vollkommen gesund gewesen sei: Im Februar 1906
hätte er eine linksseitige Rippenfellentzündung durchgemacht, bei der er allerdings,
wie er angab, sehr wenig fieberte und nur häufigen Schmerz in der linken Seite, ent¬
sprechend dem Rippenbogen gefühlt hätte. Nach 14 Tagen wäre er ausgegangen,
doch hätte sich der Schmerz wiederholt, er wäre wieder einige Tage gelegen. Nach
Gck igle
Original fru-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
440
E. Münzer,
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neuerlichem Ausgehen trat wiederum dieser Schmerz links unten auf und nun wäre
eine Empfindlichkeit in der linken Seite zurückgeblieben, die nur allmählich nach¬
gelassen hatte. Während dieser Zeit sei eine auffallende Röthe des Gesichts ein¬
getreten, die aber, da sich Herr T. nicht krank fühlte und seiner Beschäftigung nach¬
ging, nicht weiter beachtet wurde.
Im Januar und Februar des Jahres 1907 hätte er eine schwerere Halsentzündung
durchgemacht, nach welcher zum ersten Mal Eiweiss im Harn constatirt wurde.
War er sohon während der Rippenfellentzündung abgemagert, so sei seit der
Halsentzündung diese Abmagerung ganz auffallend hervorgetreten.
Im Sommer des Jahres 1907 hätte er 3 Wochen in Karlsbad zugebracht ohne
nennenswerthen Erfolg; es sei andauernd Eiweiss im Harne, dabei fühle er sich
ausserordentlich schwach, schlafe schlecht, hätte keinerlei Bauchschmerzen aber
immer dünnen Stuhl.
Die Untersuchung des Kranken am 5. 7. ergab: Starke Röthe des Gesichts
(nicht eigentliche Cyan ose, sondern wie dies von einer Reihe von x\utoren hervor¬
gehoben wurde, mehr Kirsch röthe), Athmung vesiculär, nur links hinten unten
etwas abgeschwächt. Herzdämpfung nicht wesentlich verändert, Herzaction regelmässig,
150
Herztöne verstärkt, Puls 104, Blutdruck palpatorisch —q* Im Unterleib keine freie
Flüssigkeit, Leber ein wenig vergrössert, tastbar, Milz stark vergrössert, hart. Im
Ham viel Eiweiss, kein Zucker; keine Acet-Essigsäure; Diazo-Reaction negativ;
mikroskopisch viele stark granulirte und epitheliale Cylinder, keine rothen Blutzellen,
keine Eiterzellen.
Die Untersuchung des Blutes ergiebt l l j 2 Millionen rothe, über 20000 weisse
Blutzellen im Cubikmillimeter. Hämoglobin nach Sahli 135=18,9, nach Fleischl
140 = 19,6.
Die Behandlung war eine rein diätetische.
13. 9. Der Kranke fühlt sich wohler, der objective Befund ziemlich un¬
verändert.
22. 10. Befund unverändert, Puls 104, Blutdruck palpatorisch und graphisch
120
. Höhe der Leberdämpfung in der Mamillarlinie 19,3 cm; Längsdurchmesser der
90
Milz 15,6 cm.
9. 11. Muss mit der Diät sehr vorsichtig sein, weil die geringste Schädlichkeit
grosse Schmerzen im Rücken und in der Milzgegend herbeiführt, Hämoglobin nach
Sahli 137—140=19,18—19,6, nach Fleischl-Miescher nicht gut zu bestimmen,
weil das Blut einen Stich ins Bläuliche zeigt, gegenüber dem Farbenkeile.
Die Bestimmung mit der grossen Kammer ca. 112 ergebend, für welche Zahl die
Berechnungsskala nicht angegeben ist. Die Bestimmung mit der kleinen Kammer er¬
giebt im Durchschnitt 96, woraus sich bei 200facher Verdünnung 21,57 g Hämoglobin
berechnet; dabei zeigt das Blut auffallende Gerinnbarkeit; mikroskopisch:
18 pCt. Lymphozyten; 1 pCt. eosinophile, 80 pCt. neutrophile polynukleäre Leuko-
oyten; 2 pCt. Mastzellen (Jennerfärbung). Während also im erst mitgetheilten Falle
die relativen Verhältnisse der einzelnen Leukocytenformen im Blute ebenso wie in den
Fällen Reckzeh’s (12) normal erschienen, constatiren wir in diesem Falle in Ueber-
einstimmung mit Türk, Bence, Senator u. A. (13) eine relative Verminderung der
Lymphooyten bei gleichzeitiger relativer Vermehrung der neutrophilen polynukleären
Leukocyten. — Noch deutlicher tritt dieses Verhältniss in den folgenden Bestimmungen
zu Tage.
8. 12. Gesicht noch immer diffus roth-violett gefärbt, der Körper dagegen eine
blassrothe Hautfarbe zeigend, nur die Fingerspitzen und Hohlhände zeigen auf-
Gck igle
Original fro-m
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Ueber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuchung. 441
fallende Rothfärbung. Litten’s Zwerchfellphänomen links undeutlich, rechts deut¬
lich zu sehen. Athmung vesiculär, nur links rückwärts im Subscapularraum ab¬
geschwächt gegenüber rechts und mitunter feines Knisterrasseln daselbst hörbar.
Die Jugularvenen leicht dilatirt, zeigen stark pulsatorische Erschütterungen. Die
Herzdämpfung ein wenig nach links vergrössert; die absolute Heizdämpfung zeigt
eine horizontale Ausdehnung von 8,2 cm und eine solche von 10 om in der Diagonale
bei einem Brustumfang von 85 cm.
120
M.! = 10,3 cm, M. r = 2,0 cm, L. = 14,4 om. Puls 92, Blutdruck
yu
(S. Fig. 2).
Es sei mir an dieser Stelle gestattet, auf die Blutdruckverhältnisse
bei Polycythämie einzugehen. Dass bei derselben die theoretisch ver-
muthete Blutdrucksteigerung vermisst wird, fiel gleich den ersten Beob¬
achtern auf; wohl wurde in einer Reihe von Fällen (Osler [1. c.], Rosen¬
gart [14], Bence [1. c., 1. Fall], Senator [1. c.]) eine Erhöhung des
Haft TV fi 19 1007
Blutdruckes festgestellt, doch wurde von allen Beobachtern erkannt, dass
die Blutdrucksteigerung zum Wesen der Erkrankung nicht gehöre, wie
denn auch eine Reihe von Autoren eine solche bei ihren Kranken ver¬
missten (Weintraud, Loramel, Glaessner [15].
So erscheint es erklärlich, dass Geisböck von diesen Fällen jene
abtrennte, bei welchen als Folge allgemeiner Arteriosclerose hohe Blut¬
drucksteigerung vorhanden war, da man, wie auch ich (1. c.) betonte,
in diesen Fällen einen Zusammenhang zwischen beiden Erscheinungen
der Polycythämie und der Arteriosclerose nicht ganz von der Hand
weisen kann; darüber noch später.
Im Unterleib deutliche Vergrösserung der Leber und Milz, erstere weich, ziem¬
lich glattrandig, letztere hart. Die Höhe der Leberdämpfung in der Mamillarlinie
16,4 cm.
Die Milz reicht nach vorne bis in die Nabelhöhe, nach oben bis zur 8. Rippe,
zeigt einen Längsdurchmesser von 18 cm und am Rippenbogen eine Breite von 15 cm.
Zahl der Blutzellen 7 Millionen rothe, 12000 weisse im Cubikmillimeter.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
442
E. Münzer,
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Was die einzelnen Leukocytenformcn betrifft, ergab Jennerfärbung:
15 pCt. Lymphocyton,
81 l neutrophile } P° lynukleäre ^ukocyten,
ausserdem 1 basophilen polynukleären Leukocyten.
Ein ganz ähnliches Resultat ergaben die späteren Untersuchungen, so jene am
13. 2. 1908.
Fleischl = 18 3 / 4 g = 133,6 pCt. Hämoglobin, Sahli = 19,18 g= 137 pCt.
Hämoglobin. Fleischl-Miescher grosse Kammer nicht gut ablesbar zwischen 101
und 108; kleine Kammer 83, 83, 88, 90, 90, Durchschnitt 86,8 = 19,32 g = 138 pCt.
Hämoglobin. Bezüglich der Viscosität verweise ich auf die Tabelle (S. 444—445), aus
welcher hervorgeht, in welch’ hohem Grade dieselbe erhöht ist; wenn auch die Be¬
stimmungen mit beiden benützten Apparaten (Hess und Determann) wesentlich
differiren und die mit dem Determann’schen Apparate gewonnenen Werthe, welche
sich zwischen 19,9—23,7 für rj bewegen, hier ausser Acht gelassen werden, so
zeigen die Bestimmungen mit dem Hess’schen Apparate noch immer Werthe, welche
2 1 /* mal so hoch sind als unter normalen Verhältnissen, da wir die Viscosität des
normalen menschlichen Blutes als 5,4 ansehen können, während im vorliegenden Falle
nach Hess r\ einen Werth von 12,4—14,0 repräsentirte. Welche Bedeutung der Vis¬
cosität aber für die Circulation zukommt, kann hier nicht eingehender auseinander¬
gesetzt werden und sei diesbezüglich insbesondere auf die interessanten Auseinander¬
setzungen von Hess (16) einerseits, du Bois-Reymond, Brodie und Müller (17)
andererseits hingewiosen.
Der Harn dunkelbraun, enthält viel Eiweiss, keinen Zucker. Mikroskopisch sehr
viele granulirte Cylinder. Eiweiss nach Essbaoh 2> l / 2 pM.
Sehr interessant gestaltete sich das Resultat der Stuhluntersuchung nach Probe¬
diät: Stuhl geformt, reagirt schwach alkalisch, enthält makroskopisch keine Binde-
gewebsfetzen. Mikroskopisch: Alles gut verdaut, nur auffallend viele, wie Fetttropfen
aussehende Gebilde. Mit Essigsäure sehr viel Fettsäurekrystalle und Seifennadeln:
mit Sudan und Marchi-Reagens ausserordontlich viele Fetttropfen.
28. 3. 1908. Hämoglobin nach Sahli: 122.
Viscosität nach
Hess Determann Münzer-Bloch
12-12,4 25,0 11,5-11,64.
Ueberblicken wir die vorliegende Krankheitsgeschichte, so sehen wir
ein typisches Beispiel jener von Vaquez-Osler geschilderten Form der
Polycythämie mit Milztumor und Cyanose.
Merkwürdig ist, dass jenes von Bence (18) auf Grund eingehender
Uebcrlegungen und Beobachtungen empfohlene Verfahren der Sauerstoff¬
behandlung hier vollkommen versagte. Auch Rotky (19) fand nach
O-Inhalation bei einem Kranken eine sehr starke Erniedrigung der Blut-
viscosität; doch hatte dieser Kranke gleichzeitig Jodsalz erhalten. —
Wir haben unseren Kranken durch Tage hindurch grosse Mengen von Sauer¬
stoff einathmen lassen, ohne einen Einfluss oder irgend welchen Erfolg
auf die Viscosität zu beobachten (s. Tabelle S. 444—445). An dem
Einflüsse der O-Inhalationen ist nach den eingehenden Beobachtungen
Bence’s nicht zu zweifeln; warum dieser Einfluss im vorliegenden Falle
ausblieb, muss offen gelassen werden, doch sei es gestattet, darauf hin-
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuchung. 443
zuweisen, dass auch Bence ähnliches beobachtete, wie sein Fall 2
(Deutsche med. Wochenschr., 1906) lehrt, wo nach Inhalation von 60 1
Sauerstoff Hämoglobin und Viscosität unverändert scheinen.
Es sei mir übrigens gestattet, darauf aufmerksam zu machen, dass
nach Löwy’s(20) Angaben die hier gefundenen Aenderungen wahr¬
scheinlich weniger auf Rechnung des Sauerstoffs als auf die der ge¬
änderten Athmungsmechanik zu setzen sind.
Sehr interessant und für die Diagnose vielleicht von Bedeutung er¬
scheint das Ergebniss der Stuhluntersuchung; ob wir die häufigen nicht
diarrhoischen Stuhlentleerungen und was bedeutungsvoller, das Vor¬
handensein von ausgesprochenem Fettstuhl, einfach als Resultat der
Stauung ansehen können, oder ob nicht vielmehr hier eine für das Krank¬
heitsbild bedeutsame Erscheinung vorliegt, müssen weitere Untersuchungen
lehren. Bei Stauungen im Gebiete der Pfortader sind ja, wie wir ins¬
besondere bei atrophischer Lebercirrhose sehen, häufige, meist diarrhoische
Stuhlentleerungen Regel, doch konnte ich eine derartige Störung der
Fettresorption in solchen Fällen bisher nicht nachweisen. Allerdings ist
mein diesbezüglich verarbeitetes Material zu gering, um sichere Schlüsse
zu gestatten. Es wird Gegenstand weiterer Untersuchungen sein müssen
festzustellen, ob hier eine differentialdiagnostisch verwerthbare Erscheinung
vorliegt oder nicht.
Und nun sei es gestattet, die Pathogenese und Bedeutung der Poly¬
cythämie, jenes Symptoms, welches das besondere Interesse der Acrzte
erregte und die damit parallel gehende Steigerung des. Hämoglobin¬
gehaltes und der Viscosität des Blutes zu besprechen.
Die letztgenannte Erscheinung beruht, wie wir nach den Unter¬
suchungen aller Autoren, die sich mit dieser Frage beschäftigten (Ewald
und Jacoby, Weber-Watson, Hirsch-Beck, Bence [1. c.], Deter-
mann [21], annehmen können, vorzüglich auf der Vermehrung der
rothen Blutzellen in der Raumeinheit; Verminderung des Sauerstoff¬
gehaltes bezw. Steigerung des Kohlensäuregehaltes des Blutes führt wohl
zu entsprechenden Aenderungen der rothen Blutzellen und beeinflusst
dementsprechend die Viscosität; ich verweise nur auf die entsprechenden
Arbeiten und Angaben von Haro, Ewald (1. c.), Hamburger, v. Lim-
beck, Horacs v. Koranyi und Bence (22). Doch sind die auf diese
Weise gesetzten Aenderungen zu gering, um die ausserordentlichen Vis-
cositätswerthe, die wir bei der Polycythämie beobachten, zu erklären.
Bence, der diesbezügliche Untersuchungen an defibrinirtem Schweine-
blute anstellte, findet „nach Sättigung durch Kohlensäure 6,9, 7,55, 6,57;
gegenüber den entsprechenden Werthen von Sauerstoffsättigung, welche
5,62, 5,63, 5,4 betragen“. Rotky (1. c.) hat eine ähnliche Bestimmung an
menschlichem mit Hirudin versetztem Blute angestellt; eine Portion des
Blutes wurde mit C0 2 , eine andere mit Sauerstoff gesättigt und zeigte rj im
1. Falle einen Werth von 5,58; im 2. Falle einen solchen von 5,18, also
eine deutliche aber doch mässige Steigerung der Viscosität des C0 2 ge¬
sättigten Blutes. Einen gleichen Versuch machten über meinen Wunsch
A. Löwy und Fr. Müller (Berlin) — und danke ich beiden Herren an
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444
E, Münzer,
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Uebersichts-
Zeitd. Unter¬
suchung.
w
's
P-i
Blutdruck.
nach
Hess.
V i s c o s
nach
De ter-
mann.
i t ä t
bei
nach
Hess.
20° G.
nach
Deter-
mann.
Hämoglobin nach
Sahli. J“;
5. 7.
1907
104
150
110
—
—
135 pCt. ! 140 pCt. -
= 18,9 g 1 = 19,6 g i
13. 9.
1907
96
145
105
—
—
—
—
- 1 - -
22. 10.
1907
104
gra¬
phisch
120
90
130 pCt, , — -
= 18,2 g;
! !
9. 11.
1907
137-140 — I nicht zu
pCt. = berechnen
19,2-19,6 g II 96 =
1 ; 154pCt.=
! 21,6 g
8. 12.
1907
92
gra¬
phisch
120
90
Vor Nach
O-Athmung
12 | 12
bei 21 oc.
i
(12,3)
137 pCt. 133 pCt. , 138pCt.=
= (19,18g) =(18,75g) 19,32 g
12. 12.
1907
—
—
12
(21 °C.) 1
1
ij
(12,3);
—
— — —
5. 1.
1908
Ohne 1 Mit
Hirudin
11,4! 11,3 j
21° C. 1
245"
(21,5 °C.)
11,39
19,2-21,5
126 — —
7. 1.
1908
11,8 14 ;
21o C.
294"
20° C.
144 !
22,6
128 - —
ohne
und mit
Hirudin-
blut.
8. 1.
1908
—
—
11,4 i 13,2
20° C. 1
309"
20° C.
13,2 ,
1
23,7
128 — —
14. 1.
1908
—
—
12,4 1
(20o C.)
258,8"
(20° C.)
12,4 I
19,8
136 —
13. 2.
1908
13,22
(20,8o C.)
280,3"
(20,8 oc.)
13,5
21,9
124 — —
28. 3.
1908
—
—
—
—
12,4
25,5
122 - —
dieser Stelle herzlichst für ihre Freundlichkeit. — Das zur Verwendung ge¬
nommene Blut war Nabelschnurblut; dasselbe wurde defibrinirt, nun
durch eine Portion 0 2 , durch eine zweite C0 2 durchgeleitet — und in
beiden die Viscosität mit dem Apparate Beck-Hirsch bei einer Temperatur
von 37,9° C. bestimmt. Dieselbe betrug
bei 0 2 -Blut . . 4,1,
bei CÖ 2 -Blut. . 4,6, also Zunahme = 0,5 oder 12,2 pCt.
Dass die Viscosität des Blutes an und für sich so gering ist, dürfte
nicht auffallen, da wir ja bereits durch Burton-Opitz (23) wissen, dass
die Viscosität des defibrinirten Blutes geringer ist als jene des normalen
Blutes; im übrigen können wir in Uebereinstimmung mit allen anderen
Autoren den viscositätssteigernden Einfluss der C0 2 bestätigen, anderer-
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Leber Polycythämie nübst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuchung. 445
t a b e 11 e.
Zahl der
Erythrocyten
und
Leukocyten.
Mikroskopisches Verhalten der
Leukocyten bei Färbung nach
Jenner, Triacid, Gicmsa.
Bemerkungen.
E. = 7,5 Mill.
L. = 20500.
Cyan ose; J .eher- Milz sch w e 11 un g.
viel Eiweiss.
Im llarn
Blut sehr dunkel.
Jenner: 18 pCt. Lymphocyten.
1 „ eosin. 1 polynukl.
80 „ neutr. / Leukocyten,
2 „ Mastzellen.
Blut zeigt auffallende Gerinnbarkeit.
II = % = 868 x 200 x 5/4 = 21,57
Hämoglobin in 100.
g
E. = 7 Mill.
L.= 12 200.
Jenner*. 15 pCt. Lymphocyten,
4 - eosin. 1 polynukl.
81 „ neutr. / Leukocyten,
einige basoph.-polynukl. Leuk.
Vor und nach der Inhalation von Sauer¬
stoff war r;=12.
Hämoglobin I 101 —108 . . 105
II 83-90 . . S6,8
7j = 12 nachdem in den letzten 3 Tagen
180 1 Sauerstoff* inhalirt hat.
Bestimmung am 5. 1. nach der In¬
halation 50 I Sauerstoff.
Nach Inhalation von 180 I Sauerstoff am
5., 6. und 7.
1 Tag später!
Blut aus dem Ohrläppchen genommen.
Jenner pOt.
Lymphocyten . 14 6
cosin. \ polyn. 1,3
neutr. / Leukoe. 83,6
Triacid pCt.
12,2
85,6
Spccifisches Gewicht des Blutes (Methode
Hamm er sch lag): 1068.
rj mit eigenem Apparate: 11,64.
seits aber sehen wir, dass die Viscosität des Blutes selbst nach maxi¬
maler C0 2 -Sättigung auch nicht annähernd jene Höhe erreicht, welche
das zellreiche, polycythämische Blut aufweist.
Wir müssen also für die Steigerung der Viscosität die Vermehrung
der rothen Blutzellen verantwortlich machen. Wodurch kommt es nun
zu dieser Polycythämie? Vielleicht giebt uns die Betrachtung jener
Krankheitszustände, bei welchen überhaupt eine solche Vermehrung der
rothen Blutzellen beobachtet wurde, einen Anhaltspunkt.
Trachten wir die in der Litteratur niedergelegten Beobachtungen zu
sichten, so können wir folgende Formen von Polyglobulien unterscheiden.
1. Die Polycythämie mit chronischer Cvanosc und Milztumor
(Vaqucz [2], Osler [1],
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
446
E. Münzer,
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2. die Polycythämic mit Cyanose ohne Milztumor.
Hier haben wir einige Unterarten zu unterscheiden:
a) Congenitale Herzfehler (Pulmonalstenose) (Weil [24J, Fromherz
[24] ), überhaupt
b) alle Zustände chronischer Dyspnoe (Naunyn [5], Pentzoldt
und Toeniessen [6], Piotrowski-Limbeck [6a]), bezw. um unver¬
bindlicher zu sprechen, die durch Affectionen im Gebiete des Brustkorbes
herbeigeführten Störungen der Blutlüftung (eigene Beobachtung Fall 1,
Fall 3 Weintraud? [1. c.]), wobei ich speciell auf das wirkliche, rare-
ficirende Emphysem aufmerksam machen möchte.
3. Die Geisböck’sche Form der Polycythämie mit hoher Blut¬
drucksteigerung (Störung der Sauerstoffversorgung der Gewebe).
4. Polycythämie bei Aufenthalt in hoch gelegenen Orten (ver¬
minderter Sauerstoffdruck der Luft).
5. Polycythämien bei Vergiftungen: Phosphorvergiftung (Taussig
[25] , v. Jaksch [26], Silbermann [27], v. Limbeck [1. c.]); Kohlen¬
oxydvergiftung (Münzer und Palma [28], v. Limbeck, v. Jaksch,
Reinhold [29]); Nitrobenzolvergiftung (Bondi [30]) und Antifebrin-
vergiftung (Stengel, cit. nach Lommel [31]).
Ad 5. Von diesen verschiedenen Formen der Polycythämie haben die
unter 5. angeführten, mit dem Symptomencomplexe der Polycythaemia
vera nichts zu thun, eine Behauptung, welche im Folgenden eingehender
begründet sei.
Bei der acuten Phosphorvergiftung hat zunächst Taussig aus der
v. Jaksch’schen Klinik und v. Jaksch selbst, sowie Silbermann auf
die vorübergehende starke Vermehrung der rothen Blutzellen aufmerksam
gemacht; v. Limbeck bestätigte diese Angaben.
Doch ist diese Vermehrung nicht constant und im einzelnen Falle
der Befund selbst sehr wechselnd. So finden wir z. B. in der Arbeit
Taussig’s im Falle VI notirt:
12. 2. 5,1 Millionen rothe Blutzellen,
Fall VII:
13. 2. 8,1
14. 2. 4,7
7. 3. 5,4
10. 3. 7,4
und 11. 3.
4,2
4,6
(starke Leibschmerzen).
früh (erbricht früh, hat
starke Leibschmerzen),
abends,
abends.
15. 3. geheilt entlassen.
In genetischer Hinsicht möchte ich diese Polycythämien nicht als
wirkliche Vermehrung der rothen Blutzellen auffassen, sondern als relative
Vermehrungen, bedingt durch Aenderung der Blutzusammensetzung.
Wir dürfen eben nicht vergessen, dass diese Kranken in den ersten
Tagen der Vergiftung erbrechen; selbst wenn dies aber nicht der Fall
ist, nehmen diese Kranken in den ersten Tagen keine Nahrung zu sich,
bezw. erhalten keine Nahrung und werden ausserdem aus therapeutischen
Rücksichten mit Abführmitteln behandelt. Für die Annahme einer nur
relativen Vermehrung der Blutzellen sprechen ferner die oft innerhalb
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
l'eber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuchung. 447
eines Tages sich vollziehenden Schwankungen (Taussig,
Fall VII), bei welchen auch trotz fortschreitender Intoxication, Rückgang
einer kurz zuvor nachgewiesenen Vermehrung festgestellt wird.
Aber auch die bei experimenteller Phosphorvergiftung bei Thieren
angestellten Untersuchungen sprechen gegen die Annahme einer wirk¬
lichen Polycythämie. Einerseits wissen wir, dass bei einer Reihe von
Thieren acute Phosphorvergiftung zu einem direct sichtbaren Zerfall der
rothen Blutzellen führt. Diese Thatsachen haben für das Huhn bereits
Frankel und Röhmann (32) festgestellt und Taussig hat in seiner
kleinen Studie die Angaben dieser Autoren bestätigt, die Acnderung des
mikroskopischen Blutbildes genau studirt und eingehend geschildert.
Bei meinen seinerzeitigen Untersuchungen über den Einfluss der
Phosphorvergiftung auf den Stoffwechsel (33) habe ich diese Frage nur kurz
gestreift und lege bei dem Interesse, welches diese Beobachtungen be¬
sitzen, Bilder von den bei Hühnern zu beobachtenden Blutbefunden nach
Phosphorvergiftung vor. — Die Präparate wurden nach Aldehoff ge¬
färbt und zeigt Tafel V Fig. a ein normales Blutbild, Fig. b die Ver¬
änderung des Blutes 36 Stunden nach der Vergiftung und Fig. c die
Verhältnisse kurz vor dem ca. 48 Stunden nach der Vergiftung erfolgten
Exitus.
Bei Thieren andererseits, bei welchen trotz Phosphorvergiftung der
mikroskopisch sichtbare Blutzerfall fehlt, wie z. B. beim Kaninchen, bei
denen aber auch das Erbrechen, die Diarrhoe, kurz die zur Eindickung
des Blutes führenden klinischen Erscheinungen der menschlichen Phos¬
phorvergiftung nicht vorhanden sind, vermisst man, wie dies Taussig
zeigte, die beim Menschen beobachtete Vermehrung der rothen Blutzellen.
Das sind wohl genügend triftige Gründe, welche für die Phosphor¬
vergiftung die oben aufgestellte Behauptung gerechtfertigt erscheinen lassen.
Was die Kohlenoxydvergiftung betrifft, haben, wie bereits v. Lim-
beck hervorhebt, ich und Palma in zwei einschlägigen Beobachtungen,
welche aus unserer Assistentenzeit an der v. Jaksch’schen Klinik
stammen, eine massige Vermehrung der rothen Blutzellen und der Leuko-
cyten festgestellt. Wir fanden
1. bei einem 26 Jahre alten Manne, der eine Temperatur von 38
bis 39,4° C. aufwies und vollkommen benommen war, am 19. 1.2. 1892
5,7 Millionen rothe, 13000 weisse Blutzellen, und in einem
2. Falle bei einer 30 Jahre alten Frau, die eine Temperatur von
37,8° C. zeigte und ebenfalls stark soporös war, am 12.11.93 5,3 Millionen
rothe, 10000 weisse Blutzellen, v. Limbeck (1. c. S. 234) hat in zwei
Fällen von Leuchtgasvergiftung noch stärkere Vermehrung der rothen
Blutzellen nachgewiesen (5,7 und 6,6 Millionen), v. Jaksch bringt in
seinem Buche über Vergiftungen jene zwei von mir und Palma mit
Rücksicht auf den Stoffwechsel raitgetheilten Beobachtungen und eine
dritte, ein 23jähriges Weib betreffend, bei welchem 4,8 und 4,0 Millionen
rothe ßlutzellen bei einem Hämoglobin geh alte von 9,8 bezw. 10,5 g (nach
Fleischl) festgestellt wurden.
Wie man sieht, handelt es sich auch hier, wenn überhaupt doch nur um
eine ganz geringe und, was wichtiger erscheint, vorübergehende Ver-
29*
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
448
E. Münzer,
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raehrung, zu deren Erklärung die gegebenen Verhältnisse, Hunger¬
zustand etc. ausreichend sein dürften. Die Beobachtung von Rein¬
hold (29) möchte ich hier ganz ausschliessen. In den von diesem
Autor mitgetheilten Fällen handelt es sich um chronische Anämien,
zu deren Erklärung chronische Kohlendunstvergiftung angenommen
wird. Das Blutbild selbst ist höchst bemerkenswerth; zunächst fällt
die ausserordentliche Vermehrung der Blutzellen bei stark vermindertem
Hämoglobingehalt auf, dann überraschen die starken Schwankungen
des Hämoglobins, da wir an einem Tage 62 pCt., am nächsten wieder
90 pCt. und am dritten wieder nur 76 pCt. Hämoglobin und parallel
gehende enorme Schwankungen der rothen Blutzellen verzeichnet finden.
Ich möchte also diese höchst interessante Beobachtung als ätiologisch
unsicher ausschliessen, eine Verwerthung dieser Beobachtung weiteren
Studien überlassend.
Bei der Nitrobenzolvergiftung hat Bondi (30) aus der v. Jaksch-
schen Klinik in einem Falle, welchen ich und Palma (1. c.) zu einer
genauen Analyse der Harnausscheidung verwendeten, eine Vermehrung
der rothen Blutzellen auf 6,3 Millionen festgestellt. Leider wurde die
Zählung in diesem Falle nur einmal vorgenommen.
Ebenso hat Stengel, wie Lomrael (31) angiebt, in einem Falle
von Antifebrinvergiftung über 6 Millionen rothe Blutzellen constatirt.
Zur Erklärung der Polycythämien in diesen Fällen möchte ich ähn¬
lich wie bei der Kohlenoxyd Vergiftung eine relative Vermehrung der
rothen Blutzellen in der Volumeneinheit annehmen, will aber die Mög¬
lichkeit einer wirklichen Polycythämie bei länger dauernder Nitrobenzol¬
vergiftung oder bei chronischer bezw. wiederholter Antifebrinvergiftung
nicht in Abrede stellen.
Die eben besprochenen Formen der Polycythämie unterscheiden
sich, wie man sieht, gewaltig von den unter 1 —4 genannten Poly¬
cythämien. Bei letzteren liegt eine wirkliche Vermehrung der rothen
ßlutzellen in der Volumeinheit vor, die ausserordentlich hohe Grade
erreichen kann, die chronischer Natur ist und dereu Ursache wir in
Uebereinstimmung mit einer Reihe von Autoren besonders Arcangeli
(34) und Fromherz(24) in Störungen des Gasaustausches seitens des
Blutes juchen, sei es um eine Störung der Blutlüftung in der Lunge
oder in anderen grossen Gefässgebieten, sei es, um ungenügende Blut¬
zufuhr zu den Geweben, sei es, um ungenügenden Sauerstofifdruck der
umgebenden Luft.
Ad 1. Für die Vaquez-Osler’sche Form der Polycythämie hat
eine Beobachtung Lommel’s besondere Bedeutung, bei welcher die
Autopsie „eine chronische Kreislaufstörung im Pfortadergebiete in
Gestalt einer alten theilweisen Obliteration der Pfortader und ihrer Leber¬
äste“ erwies.
Eine ähnliche Ursache möchte ich auch für den von mir mitgetheilten
Fall T. vermuten.
In einer Reihe anderer in diese Gruppe gehöriger Fälle ist bei der
Autopsie immer nur der Milztumor festgestellt, ohne dass sonst Wesent¬
liches über eventuelle Gefässveränderungen ausgesagt wäre.
Gen igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Biutuntersuchung. 449
Ad 2. Noch viel deutlicher und einleuchtender erscheint die oben
für die Polycythaemia vera angegebene Ursache bei jenen unter 2. an¬
geführten Formen von Polycythämie, bei denen wir 2 Unterarten aus¬
einander hielten.
Bezüglich der Pulmonalstenose resp. der angeborenen Herzfehler
liegen die alten Beobachtungen von Weil (24) und die neueren von
Fromherz(24) vor. Schon Weil stellte bei seinen Beobachtungen die
Veränderung des Knochenmarks und die Umwandlung in rothes Mark
fest und den gleichen Befund finden wir bei Fromherz notirt.
Die der angeborenen Pulmonalstenosc analoge Störung
der Blutlüftung ist für Erwachsene in dem wahren substan¬
tiellen rareficirenden Emphysem gegeben, ja die hier gegebene
Störung der Blutlüftung ist intensiver, als in jenen Fällen von congenitaler
Pulmonalstenose, da hier neben der Verkleinerung der Blutfläche eine
Verkleinerung auch der athmenden Fläche gegeben ist.
Es ist nun in höchstem Maasse merkwürdig, dass jene Krankheit,
bei welcher wir von vornherein die hochgradigste Polycythämie erwarten
sollten, so wenig als ätiologischer Factor derselben berücksichtigt wurde.
Ich selbst erinnere mich aus der Zeit vor dem Bekanntwerden der
Vaquez-Osler’schen Form an wirkliche Emphyseme mit hochgradigster
Cyanose, Spuren Eiweiss im Harn, ohne natürlich an Polycythämie auch
nur gedacht zu haben.
Dass aber die Bedeutung des wirklichen Emphysems für die Poly¬
cythämie bis in die jüngste Zeit unerkannt bleiben konnte, ist zu ver¬
wundern; und doch zeigen zwei Publicationen aus den letzten Jahren,
die eine von Kikuchi (35) aus dem Jahre 1904, die andere von
Glaessner (1. c.) aus dem Jahre 1906, dass dem so sei.
Kikuchi theilt aus der Klinik v. Jaksch die Beobachtung einer
47 Jahre alten Frau mit, die in den letzten Tagen ihres Lebens (6. 4.
1904), benommen und tief cyanotisch, auf die Klinik gebracht wurde.
Die Blutzählung am 8. 4. und 9. 4. ergab eine mässige Polycythämie
von 6,2 bezw. 5,7 Millionen rothen Blutzellen; am 9. 4. ging die Kranke
zu Grunde. Die pathologisch-anatomische Diagnose lautete: „Emphysema
pulmonum. Bronchitis catarrhalis chronica c. Bronchicctasia“.
Anstatt nun für die vorhandene Polycythämie das Emphysem heran¬
zuziehen, wird dieser ätiologische Zusammenhang direct abgelehnt und
heisst es dort: „doch kann das Emphysem unmöglich die Polycythämie,
die Plethora, vor allem nicht den Befund an kernhaltigen rothen Blut¬
körperchen erklären“, und so wird zur Erklärung der vorhandenen Er¬
scheinungen ein Zusammenhang zwischen den geringen bronchiectatischen
Ausdehnungen und der Polycythämie vermuthet.
Aehnliches finden wir bei Glaessner. Hier handelt es sich um
einen 44 Jahre alten Mann, welcher (8. 3. 1906) ebenfalls schon in sehr
schlechtem Zustande auf die Abtheilung' gebracht wurde, starke Cyanose,
Oedem der Unterschenkel und Füsse darbot. Bezüglich des Lungen¬
befundes heisst es: „über den Lungen, deren Grenzen etwas tiefer stehen,
allenthalben heller Percussionsschall, verschärftes Vesiculärathmen, ver¬
längertes Exspirium und feine bronchitische Geräusche“.
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450
E. Münzer,
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Die Blutuntersuchung, welche höchst exact und genau durchgeführt
wurde, ergab hochgradige Polycythämie und das Vorhandensein von 10
bis ll'/ 2 Millionen rothen Blutzellen im Cubikrailliraeter.
Im Obductionsprotokoll heisst es bezüglich der Lungen: „während
die linke Lunge nur substanzärmer und auffallend blutreich ist, lässt die
rechte Lunge auf dem Durchschnitte reichliche brüchige Blutgerinnsel
erkennen, die in den Aesten der Arteria pulmonalis stecken“ und be¬
züglich des Herzbefundes heisst es: „das Herz in toto vergrössert, der
linke Ventrikel zeigt nur eine geringe Dickenzunahme seiner Wand,
während der rechte Ventrikel deutlich dilatirt ist und eine bis D/ä cm
dicke Wand erkennen lässt. Ebenso ist der rechte Vorhof dilatirt und
hypertrophisch. Klappen an allen Ostien zart.“
Die pathologisch-anatomische Diagnose lautete: „Hypertrophia cordis
praec. ventr. dextri, Plethora, Degeneratio grisea funicul. posterior, med.
spinalis, Infarctus pulm. dextri.“
Diese pathologisch-anatomische Diagnose ist unvollständig. Die
Hypertrophie des rechten Ventrikels erscheint unbegründet und ist, wie
aus dem Sectionsprotokolle hervorgeht (Substanzarmuth der linken Lunge),
sicher durch wirkliches Emphysem hervorgerufen. Es ist interessant und
besonders hervorzuheben, dass in beiden Fällen das Knochenmark roth
war und sowohl bei Kikuchi als bei Glaessner die mikroskopische
Untersuchung des Kuochenmarkes das Vorhandensein reichlicher Normo-
blasten erkennen liess.
Ich betone dies, weil in der eingehenden Untersuchung von Schur
und Löwy (36) über das Verhalten des Knochenmarkes in Krankheiten,
diese Autoren auch über drei Fälle von Knochenmarksuntersuchung bei
Herzfehlern berichten und stets hyperämisches Fettmark fanden, wobei
die rothe Farbe des Knochenmarkes auf Hyperämie zurückgeführt wird.
Zur Erklärung der Polycythämie seines Falles wendet sich Glaessner
gegen die Annahme eines Circulationshindernisses, meint „Stauung und
Plethora vera sind eben grundsätzlich verschiedene Processe“ und sieht,
das für die Plethora vera Charakteristische in der Knochenmarks-
Veränderung. Dass dem nicht so ist und dass bei sicheren Stauungen
— ich verweise auf das Vorangehende — die gleiche Veränderung ge¬
funden wird, macht diese Annahme hinfällig.
Ad 3. Was die Geisböck’sche Form betrifft, findet sich jene Auf¬
fassung, welche zur Erklärung der hier vorhandenen Blutvermehrung am
besten fundirt erscheint, am Eingänge vorliegender Arbeit; doch muss
an dieser Stelle betont werden, dass für diese Form von Polycythämie
auch eine andere Deutung möglich erscheint, da ja Hess (37) bereits
darauf hinwies, dass bei starker Blutdrucksteigerung durch Mehraustritt
von Flüssigkeit in die Lymphe das Blut vielleicht concentrirter erscheint.
Ein solcher Modus wäre hier um so eher möglich, als auch die
Blutvermehrung selten so hohe Grade erreicht, wie in den Fällen von
Polycythaemia vera.
Auch ist cs mir unbekannt, ob in Fällen der Geisböck’schen
Form bei eventuellen Autopsien das Knochenmark untersucht wurde, bezw.
die Umwandlung desselben in rothes Mark festgestellt werden konnte.
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Ueber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuchung. 451
Möchte ich also für diese Form der Polycythämie vorderhand die Möglich-
keit einer andersartigen Erklärung ihrer Genese zugeben, so tritt für die
4. Form diese Anschauung wieder in ihre vollen Rechte. Es hat ins¬
besondere Zuntz mit seinen Mitarbeitern sicher feststellen können, dass
die Vermehrung des Blutfcs bei Aufenthalt in Höhenluft parallel geht mit
einer Umwandlung des Knochenmarks in rothes Mark, wobei Franz
Müller speciell vermehrte Entleerung junger rother Blutzellen in die
Circulation nachwies.
Nachdem wir so diese Formen der Polycythaemia vera mehr weniger
auf eine einheitliche Ursache zurückführen konnten, drängt sich jetzt nur
die Frage auf, wieso es bei der Vaquez-Osler’schen Form der Poly¬
cythämie, aber auch bei den anderen zu jener Reizung des Knochenmarks
kommt und ob eine derartige Umwandlung des Knochenmarkes in
jugendliches rothes Mark immer bei der Polycythämie vorhanden ist.
Der Fall Soundby und RusselUs sowie jener Brcuer’s (38) er¬
ledigen die letzte Frage dahin, dass Fälle von Polycythämie auch ohne
Veränderung des Knochenmarks Vorkommen können, da eine solche in
diesen Fällen vermisst wurde. Ein solches Verhalten des Knochenmarks
ist aber wohl als Ausnahme anzusehen und wollen wir von diesen Fällen,
deren Erklärung noch aussteht, derzeit absehen 1 ).
Wie kommt es nun zu dieser Reizung des Knochenmarks in den
Fällen wahrer Polycythämie?
Hier ist vor allem auf die zunächst von Mohr (39), dann von
Lommel (1. c.) festgestellte Thatsache einer Schädigung des Hämo¬
globins hinzuweisen. Diese beiden Autoren zeigten, dass bei Fällen
von Polycythämie das Hämoglobin an der unteren Grenze seiner Wertig¬
keit bezüglich Sauerstoffaufnahme steht. Und wenn auch Senator in
seinen Fällen nachweisen konnte, dass solche Kranke genügend Sauerstoff
aufnehmen und Kohlensäure abgeben, so ist dies, wie schon Lommel be¬
tonte, kein Widerspruch, da ja das Blut des Polycythämikers ausser¬
ordentlich viel häraoglobinreicher ist. „Es handelt sich sozusagen um
eine Qualitätsverschlechterung (des Hämoglobins A. d. A.), die so be¬
deutend war, dass die starke Steigerung der Quantität nur gerade eine
Compensation herbeiführen konnte 44 (Lommel, 2. Mittheil. S. 90).
Es scheint also, dass bei Stauung in grösseren Gefässgebieten das Hämo¬
globin eine qualitative Verschlechterung erleidet, durch welche es minder
befähigt erscheint zur Sauerstoflaufnahme und damit wäre auch das Vor¬
kommen von Polycythämie in jenen Fällen verständlich gemacht, in welchen
es sich um Stauung des Blutes in umschriebenen Gefässgebieten handelte.
Die weitere Frage ist nun die, ob eine derartige qualitative Ver¬
schlechterung des Hämoglobins auch primär eintreten kann, wie Lommel
zur Erklärung der ohne nachweisbare Stauung verlaufenden Polycythämien
annimmt. Die Entscheidung dieser Frage möchte ich offen lassen;
1) Sollte es sich in diesen Fällen vielleicht darum handeln, dass an Stelle des
aus unbekannten Gründen versagenden Knochenmarks die Hämopoese in jenen Organen
wieder erwacht, welche in früher Embryonalzeit Blutbildner waren, wie Leber, Milz
und Lymphdrüsen?
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452
E. Münzer
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kritische Lectürc des bisher Mitgetheilten lässt an dem Vorkommen
einer Polycvthämie ohne jegliche Stauung, falls nicht die unter 3.
und 4. iS. 446) angeführten ursächlichen Momente in Betracht kommen,
begründete Zweifel wach werden und möchte ich meiner Meinung Aus¬
druck geben, dass wir bei genügender Aufmerksamkeit in diesen Fällen
von Polycvthämie eine sei es allgemeine, sei es umschriebene Stauung
linden dürften.
Die Verschlechterung des Hämoglobins, welche ich in Ueberein-
stimmung mit Mohr und Lommel als Folge der ungenügenden Blut-
Jüftung in einem grösseren Gefässgebiete annehraen möchte, könnte
ebenso wie der verminderte SauerstofTdruck im Höhenklima zu einer
Reizung der blutbildenden Organe, vor allem des Knochenmarks führen.
Die Knochenmarksveränderung wäre als secundäre Erscheinung auf¬
zufassen und besässc teleologisch gesprochen reparatorischen Zweck,
durch reichliche Erzeugung rother Blutzellen soll die qualitative Ver¬
schlechterung des Hämoglobins ausgeglichen werden.
Die Annahme einer primären Knochenmarkserkrankung zur Erklärung
der beobachteten Polycvthämie, wie sie zunächst von Vaquez aus¬
gesprochen wurde, dem sich Weber-Watson (40) anschloss, und wie
sie sich angedeutet wiederum bei Türk findet, erscheint nicht genügend
gestützt, womit nicht gesagt ist, dass nicht Beobachtungen primärer
Knochenmarkserkrankungen mit secundärer Polyglobulie Vorkommen
können. Vorderhand aber besteht kein Grund zu einer solchen Annahme
und weder die Vermehrung der Leukocyten, wie sie in einer Zahl dieser
Fälle beobachtet wurde, noch die Veränderung an den rothen Blutzellen
beweisen den primären Charakter der Knochenmarksaflection.
Literatur.
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Blutes mit der des Oxalatblutes, des defibrinirten Blutes und des Blutserums bei
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454 E. Münzer, Ueber Polycythämie nebst Beiträgen z. klinischen Blutuntersuchung.
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disease). International clinics. Vol. IV.
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XXXV.
Aus der medicinischeu Klinik zu Halle a. S.
Ueber das Auftreten des gelösten Eiweisses in den Fflces
Erwachsener und sein Nachweis mittelst der Biuretreaction.
Von
Dr. Iwaho Tsuehiya in Tokio (Japan).
Die meisten älteren Untersuchungen, welche sich damit beschäftigten,
durch den Nachweis von Producten der Eiweissverdauung die zu schnelle
Entleerung des Darminhaltes oder die Resorptionsstörung des Nahrungs-
eiweisses im Darme festzustellen, waren sowohl in den ihnen zu Grunde
liegenden Ueberlegungen als auch in ihren Methoden unvollkommen.
Wie schon vor mehreren Jahren von Ury 1 ), Albu und Calvo 2 3 ) nach¬
gewiesen wurde, besitzen alle früheren Methoden, bei denen nicht auf
die Entfernung der stets vorhandenen Nucleoproteide und des Hydrobili-
rubins aus den Fäces geachtet wurde, wegen des Mangels an Genauig¬
keit und Fehlerlosigkeit keine Beweiskraft.
Die mit Berücksichtigung dieser Fehlerquellen von Ury, Simon 8 ),
Albu und Calvo angegebenen Methoden können daher allein zum zu¬
verlässigen Nachweis gelöster Eiweisskörper in den Fäces dienen. Neuer¬
dings hat Schiössmann 4 ) unter Leitung von Prof. Ad. Schmidt sich
noch einmal eingehend mit der Frage beschäftigt. Er sagt, dass „den
Methoden obiger Forscher allerdings auch, wie bei der Schwierigkeit des
Gegenstandes verständlich ist, gewisse Nachtheile anhaften, welche sie
für die Praxis mehr oder weniger ungeeignet erscheinen lassen. Be¬
sonders dürfte das Verfahren nach Albu und Calvo für kleinere Eiweiss¬
mengen ganz ungeeignet sein.“
Er hat deshalb versucht, an einem grösseren Material pathologischer
und normaler Fälle den Werth der Simon’schen und Ury’schen Methoden
nachzuprüfen und erhielt fast bei der Hälfte der Fälle ganz verschiedene
Resultate. Die Fehlerquellen zu studieren, hat er weiter gearbeitet und
gefunden, dass sie beiden Methoden anhaften. Er konnte jedoch bei der
Ury’schen Methode die Fehlerquelle durch sorgfältige Verwendung von
1) Ury, Archiv f. Verdauungskr. Bd. IX. 1903.
2) Albu und Calvo, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 52. H. 1 u. 2. 1904.
3) Simon, Archiv f. Verdauungskr. Bd. X. 1904.
4) Schiössmann, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 60. H. 3 u. 4. 1906.
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I. Tsuchiya,
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Kieselguhr soweit reduciren, dass sie für gewöhnliche Untersuchungen
ausser Betracht kommen konnte. Seine Modification der Ury’schen
Methode ist folgende:
Die Fäces (Tagesmenge) werden unter langsamem Zusetzen von
Wasser gut verrieben und weiterhin mit Wasser bis zu ziemlich dünn¬
flüssiger Consistenz (ca. 500 ccm Vol.) verdünnt. Einige Stunden stehen
lassen. Filtriren durch doppelte Faltenfilter. Trübes Filtrat zur Klärung
durch ein mit wenig Kieselguhr beschicktes Filter filtrirt. Filtrat ist klar.
Durch sehr vorsichtigen Zusatz von 30proc. Essigsäure Ausfällen der
Nucleoproteide. Die hierbei entstehende Trübung wird durch doppeltes
Filter ein- bezw. mehrraal abfiltrirt.
a) Erhält man dadurch wasserklare Filtrate, so überzeugt man sich
durch Zusatz von wenigen Tropfen 3—5proc. Essigsäure, ob alles Nucleo-
proteid ausgefällt ist, und stellt dann die Eiweissproben an.
b) Bleiben die Filtrate trüb, so lässt man sie jetzt nochmals durch
ein kleines mit wenig Kieselguhr bestreutes Filter hindurchgehen und
untersucht in den nunmehr stets klaren Lösungen auf Eiweiss, ebenfalls,
nachdem man zuvor die Controllprobe auf vollständige Entfernung der
Nucleoproteide gemacht hat.
Die Eiweissreactionen werden in dreifacher Weise vorgenomraen: als
Kochprobe (unter NaCl-Zusatz), Salpetersäure-Ringprobe und Ferro-
cyankaliprobe.
Dieses Schlössmann’sche Verfahren ist zwar zuverlässig und für
klinische Zwecke vollkommen ausreichend, aber es erfordert viel Zeit
(mindestens 5 oder 6 Stunden). Wer einmal diese Untersuchung anstellt,
wird bald erfahren, wie schwer und umständlich es ist, eine klare und
nucleoproteidfreie Flüssigkeit zu bekommen. Dieser Nachtheil ist ein
grosses Hinderniss für die allgemeine Anwendung in der Praxis. Da
der ständige Fortschritt der Functionsprüfung des Darmes mittelst der
Fäcesuntersuchung das Vorhandensein einer für die Praxis noch schneller
und leichter ausführbaren Methode erwünscht macht, habe ich mich auf
Anregung des Herrn Prof. Ad. Schmidt damit beschäftigt, mit Hülfe
der Biuretreaction das gelöst vorhandene Eiweiss in den Fäces nach¬
zuweisen.
Das Princip meiner Untersuchungsmethode besteht darin, dass man
zunächst die Nucleoproteide im wässrigen Fäcesextract sich vollkommen
niederschlagen lässt und das Hydrobilirubin möglichst daraus entfernt.
Wenn man alsdann in das so behandelte Fäcesextract ein kleines Stück
Kupfersulfatagar hineinwirft, quillt dieses nach gewisser Zeit auf und
zieht die nucleoproteid- und hydrobilirubinfreie Flüssigkeit ein. Taucht
man jetzt dieses Kupfersulfatagar in die Natronhydratlösung hinein, so
wird in den Fällen, wo in den Fäces gelöstes Eiweiss enthalten ist, sich
die Biuretreaction zeigen.
Den durch Essigsäure fällbaren Eiweisskörper (Nucleoproteid) in
dem Fäcesextract mit Sicherheit vollkommen auszufällen, ist sehr
schwierig. Wie schon die früheren Forscher nachgewiesen haben, ist es
selbst in dem klaren Filtrat ausserordentlich schwer, den richtigen Säure¬
gehalt, bei dem das Nucleoproteid vollkommen ausfällt, zu treffen. Denn
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Ueber das Auftreten des gelösten Eiweisses in den Fäces Erwachsener etc. 457
bei einem Ueberschuss von Essigsäure wird dieser Körper theilweise
wieder gelöst. Nach meinen zahlreichen Versuchen erscheint es mir
indess nicht so schwer, diesen Körper im nicht filtrirten Fäcesextract
ausfallen zu lassen, wenn man die Reaction der Flüssigkeit genau prüft
und dementsprechend Essigsäure hinzufügt. Bei saurer Reaction muss
eine kleine, bei neutraler eine mittelgrosse, bei alkalischer eine grosse
Menge Essigsäure verwendet werden. Die Endreaction muss immer
mässig stark sauer sein. Ich habe häufig diese Flüssigkeit, zu der Essig¬
säure hinzugesetzt war, durch ein mit wenig Kieselguhr beschicktes
doppeltes Faltenfilter filtrirt. Das klare Filtrat zeigte niemals Essig¬
säureniederschlag.
Was nun das Hydrobilirubin anbelangt, so stört dasselbe nicht allein
die Biurctreaction durch seine Farbe, sondern es wird diese Reaction,
wie Salkowsky 1 ) zuerst an Urin und Fäces gezeigt und später Albu
und Calvö 2 ) nachgeprüft haben, manchmal auch durch Hydrobilirubin
selbst hervorgerufen. Obgleich die Fäces gewöhnlich sehr reich an
Hydrobilirubin sind, so kommt doch diese Störung der Biurctreaction
durch Hydrobilirubin keineswegs immer vor. Solche Fäces, welche trotz
grossen Hydrobilirubingehaltes keine Biuretreaction geben, sind gar nicht
so selten, wie es Salkowsky schon bei Harnen genau nachgewiesen hat.
Bei der Entfernung des Hydrobilirubins aus der Flüssigkeit ist es
wichtig, bevor man dieselbe mit Chloroform ausschüttelt, sie mit Alkohol
zu versetzen. Denn nach Salkowsky nimmt das Chloroform ohne
Alkohol nur äusserst wenig Farbstoff auf. Nach dieser Angabe habe ich
auch zur Entfernung des Hydrobilirubins aus dem Fäcesextract Chloro¬
form und Alkohol gebraucht und damit den Körper soweit entfernt, dass
er für gewöhnliche Untersuchungen ausser Betracht kommen konnte.
Die Herstellung des Kupfersulfatagars wird folgenderraaassen aus¬
geführt:
2 g Agar-Agar werden mit 100 ccm Wasser in einer Porcellan-
schale gekocht, bis es ganz gelöst ist. Zu dieser dickflüssigen Lösung
fügt man 10 ccm einer lOproc. Kupfersulfatlösung hinzu und rührt dann
um. Hierauf giesst man sie sofort in mehrere Glasröhrchen über, die
eine Länge von ungefähr 20—30 cm und einen Durchmesser von un¬
gefähr 0,8—1,0 cm haben. Diese Glasröhrchen sind vorher an dem
einen Ende mit einem Kork verschlossen worden, während das andere
Ende offen geblieben ist. Nachdem man nun die Lösung hineingegossen
hat, verschliesst man auch das offene Ende mit einem Kork oder noch
besser mit einem metallischen Deckel, um das Austrocknen zu verhüten.
So konnte ich cs über ein halbes Jahr lang gut aufbewahren. Beim
Gebrauch schiebt man den Kork auf der einen Seite des Glasröhrchens
immer mehr in dasselbe hinein, sodass der erstarrte Kupfersulfatagar-
cylinder auf der anderen Seite immer weiter hcrausgleitet und man be¬
liebig grosse Scheiben abscheiden kann. Bei meinen Versuchen hat sich
ein ungefähr 1 cm langer Cylinder als geeignet erwiesen.
1) Salkowsky, Berl. klin. Wochenschr. No. 17. 1897.
2) Albu und Ca Ivo, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 52. H. 1 u. 2. 1904.
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I. Tsuchiya,
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Nun will ich zur Beschreibung meiner Untersuchungsmethode über¬
gehen.
Eine taubeneigrosse Menge (etwa 5 g) der gut verriebenen ganzen
Fäcesmasse wird unter Zusatz von Wasser nochmals verrieben und bis
zu ziemlich dünnflüssiger Consistenz verdünnt. Von dieser Flüssigkeit
thut man 10 ccm in einen kleinen Porcellanmörscr und prüft mit
Lakmuspapier genau die Reaction derselben. Je nach der Stärke der
Reaction lügt man mehr oder weniger lOproc. Eisessigalkohol (10 ccm
Eisessig-f-90 ccm 95proc. Alkohol) hinzu, am besten folgendermaassen:
Bei massig saurer Reaction.0,5 ccm
„ schwach saurer oder neutraler Reaction . . . 1,0 „
„ schwach alkalischer Reaction . . . •. . . 1,5 „
„ stark alkalischer Reaction.2.0—2,5 „
Nach dem Zusatz von Eisessigalkohol wird die ganze Masse
wiederum gut verrieben. Hierauf setzt man ca. 5 ccm Chloroform hinzu
und verreibt zum dritten Male. Dann giesst man die ganze Flüssigkeit
in ein Reagensglas und lässt sie stehen. Nach einigen Minuten sinken
die groben Partikelchen des Fäcesextractes zusammen mit dem Chloro¬
form zu Boden, während sich eine meist hellgelbe, manchmal .schwach
bräunlichgelbe, fein getrübte Flüssigkeit oben abscheidet. Diese fein ge¬
trübte Flüssigkeit giesst man in ein zweites Reagensglas und wirft ein
Scheibchen Kupfersulfatagar hinein. Eine Stunde hierauf nimmt man
dieses Scheibchen wieder heraus und wäscht es mit Wasser aus. Sind
die wässrigen Fäcesauszüge reich an Eiweiss, so behält es zumeist seine
schöne tiefblaue Farbe. In den Fällen jedoch, wo sie nur eine Spur
oder gar kein Eiweiss enthalten, zeigt es eine etwas bräunlich-hellblaue
Farbe. Nun schneidet man ein kleines Stück von dem Scheibchen ab
und bringt dasselbe in ein Porcellanschälchen oder eine auf weissem
Papier gelegene Glasschale. Ist in den Fäces gelöstes Eiweiss enthalten,
so tritt auf Zusatz von verdünnter Natron- resp. Kalilauge am Rande
des Scheibchens sofort, selten aber nach einigen Minuten eine schöne
Biuretreaction auf. Meist zeigt die Biuretreaction hier eine hellviolette
Farbe mit einem Stich ins Blaue. Den ganzen Versuch kann man in
anderthalb Stunden vollenden.
Was die Empfindlichkeit und klinische Brauchbarkeit meiner Methode
anbelangt, ist es von Wichtigkeit, dass dieselbe bei normalen Fäces keine
Reaction aufweist, während sie bei pathologischen Baces, in denen das
gelöste Eiweiss durch andere genaue Methoden nachzuweisen ist, eine
deutliche Reaction zeigt.
Zur Ausführung dieser Controlle habe ich deshalb meine Unter¬
suchungen in folgender Weise ausgeführt:
Die gesammten B'äces wurden unter langsamem Zusatz von Wasser
verrieben und bis zur flüssigen Consistenz verdünnt. Hiervon wurden
10 ccm zur Untersuchung nach meiner Methode gebraucht, während der
Rest zunächst einige Stunden stehen gelassen, sodann filtrirt und zum
Nachweis von gelöstem Eiweiss mittelst der Schlössraann’schen Modi-
fication der Ury’schen Methode verwendet wurde.
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Ueber das Auftreten des gelösten Eiweisscs in den Fäcos Erwachsener etc. 459
Die Thatsaehe, dass gelöstes Eiweiss in den Fäces gesunder Er¬
wachsener nicht vorkommt, ist bereits vonUry, Simon, Albu, Calvo
und Schiössmann festgestellt worden. Ich habe zwölf normale Stuhl¬
gänge von verschiedenen darmgesunden Patienten und gesunden In¬
dividuen untersucht. Sowohl die neue Methode, als auch die Schlöss-
mann’sche Modification zeigten bei keinem derselben Spuren von Eiweiss.
Selbst bei krankhaften Zuständen der Verdauungsorgane (Anacidität,
Hyperacidität, Carcinoma ventriculi, Ulcus ventriculi, Gallenabschluss,
Leberkrebs, Appendicitis, Invagination, Typhus abdominalis, Enteritis
tuberculosa) trat, wenn die Fäces normal geformt waren, bei
beiden Methoden keine Eiweissreaction auf. Nur eine Ausnahme gab
es, bei der man auch in den geformten Fäces Spuren von gelöstem
Eiweiss finden konnte: In den Fällen, wo vorher reichliches Eiweiss in
den flüssigen Fäces enthalten war, waren manchmal auch in den ge¬
formten Fäces, die kurz nach der Besserung des Krankheitszustandes
entleert waren, noch Spuren der Eiweissreaction vorhanden (s. Tabelle I,
No. 25, 66, 79).
Besonders möchte ich hier hervorheben, dass ich bei der Unter¬
suchung von 23 Stühlen der typischen intestinalen Gährungs-
dyspepsie nur in einem Falle Eiweiss gefunden habe, während es
Schiössmann fünfmal in 8 Fällen nachweisen konnte. In meinem
einen Falle, wo diese hartnäckige Krankheit schon seit langer Zeit be¬
standen hatte, fand ich regelmässig in den weichen Entleerungen Eiweiss.
Hierbei bemerkte ich auch zusammen mit Dr. Berger, dass das Eiweiss
mehrere Tage hindurch nicht auftrat, wenn man dem Kranken ein anti¬
septisches Mittel gab und die erhebliche saure Gährung bis unter die
normale Höhe herabsinken liess. Diese Thatsaehe kann man, wie schon
Schlössraann bei seinen Fällen gethan hat, so erklären, dass durch
die Gährungsproducte ein chemischer Reiz auf die Darmwand ausgeübt
wird, der nicht nur die Beschleunigung der Peristaltik bewirkt, sondern
sicherlich auch eine Transsudation von Serum hervorzurufen vermag.
Ad. Schmidt 1 ) hat hervorgehoben, dass „die Untersuchung auf ge¬
löstes Eiweiss eigentlich nur bei diarrhöischen Stühlen in Betracht
kommt und bei diesen nur dann, wenn die Frage zur Discussion steht,
ob die zu Grunde liegende Störung rein functioneller Natur ist oder ob
organische Veränderungen (Katarrhe, Geschwüre) angenommen werden
müssen 44 . Nach dieser Angabe und nach meinen oben ausgeführten
Resultaten, habe ich den Eiweissnachweis mittelst der Schlössmann-
schen Modification und der neuen Methode hauptsächlich bei den diar-
rhöischen Fäces ausgeführt.
Die Resultate habe ich in folgender Tabelle zusammengestellt:
1) Ad. Schmidt, Die Functionsprüfung des Darmes mittelst der Probekost.
II. Aufl. S. 21.
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Go igle
Original fru-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
460
I. Tsuch iya,
Tabelle 1.
No.
Datum
1908
Klinische
Diagnose
Consistenz
des Stuhls
Reaction
des wässrigen
Stuhl ex tracts
Nucleo-
proteid-
gehalt
c ,
O s 1
Z er
S.jo
£ * 1 Ä r
5^3 e o
cb v m Js m
* « « o ö
£ = « •«
S C
2 §
« £
et -
© e.
f-s?
1.
20.
6.
Vorübergehende
Darmstörungcn
wässrig
schw. alkalisch
i reichlich
—
—
2.
10.
7.
Vorübergehende
Darms törun gen
wässrig
schw. alkalisch
wenig
Spur
+
3.
11.
7.
Vorübergehende
Darmstörungen
wässrig
schw. alkalisch
mässig
~
4.
14.
7.
Vorübergehende
Darmstörungcn
wässrig
schw. alkalisch
mässig
5.
11.
7.
Vorübergehende
Darmstörungen
wässrig
1 schw. alkalisch
wenig
6.
16.
7.
Casus idem
do.
schw. sauer
do.
•—
—
7.
11.
7.
Vorübergehende
Darmstörungen
wässrig
schw. alkalisch
wenig
—
—
8.
16.
7.
Casus idem
do.
neutral
do.
—
—
9.
4.
8.
Nervöse Diarrhoe?
wässrig
schw. sauer
wenig
—
—
10.
8.
8.
Vorübergehende
Darmstörungen
wässrig
schw. alkalisch
reichlich
11.
15.
8.
Nervöse Diarrhoe
wässrig
wässrig
schw. alkalisch
mässig
—
—
12.
27.
6.
Nephritis chron.
schw. alkalisch
wenig
—
—
13.
1.
7.
Casus idem
do.
do.
mässig
—
—
14.
4.
7.
Casus idem
do.
do.
do. 1
—
—
15.
1.
8.
Enteritis chron.
wässrig
1 schw. alkalisch ;
reichlich
—
—
16.
3.
8.
Casus idem
do.
do.
mässig
—
—
17.
6.
8.
Casus idem
do.
do.
reichlich
—
—
18.
4.
9.
Vorübergehende
Darmstörungen
dünn breiig
schw. alkalisch
mässig
—
19.
9.
9.
Enteritis chron.
dünn breiig
schw. alkalisch ;
reichlich
—
—
20.
22.
9.
Vorübergehende
Darmstörungen
wässrig
mässig alkalisch ;
wenig
21.
27.
9.
Vorübergehende
Darmstörungen
wässrig
stark alkalisch !
mässig
22.
25.
6.
Enteritis acuta
wässrig
schw. alkalisch
mässig
0,4 pM.
+
23.
26.
6.
Casus idem
dünn breiig
do.
do.
stark
+
24.
27.
6.
Casus idem
do.
do.
do.
schwach
+
25.
4.
7
Casus idem
weich geformt
do.
reichlich
Spur
+
26.
3.
7.
Enteritis acuta
wässrig
stark alkalisch
reichlich
mässig
+
27.
13.
7.
Enteritis acuta
wässrig
stark alkalisch
mässig
Spur
+
28.
7.
7.
Enteritis chron.
wässrig
schw. alkalisch
wenig
schwach
+
29.
8.
7.
Enteritis acuta
wässrig
schw. alkalisch
reichlich
2 pM.
+
30.
9.
7.
Casus idem
do.
do.
do.
1,5 pM.
+
31.
11.
7.
Casus idem
breiig
do.
mässig
—
—
32.
21.
7.
Enteritis acuta
w ei cli
schw. alkalisch
wenig
schwach
+
33.
23.
7.
Casus idem
do.
neutral
Spur
—
—
34.
23.
7.
Gastroenter. acut.
wässrig
schw. sauer
Spur
■ Spur
+
35.
28.
7.
Enteritis acuta
wässrig-
schw. alkalisch
mässig
mässig
+
36.
8.
8.
Gastroenter. acut.
wässrig
schw. alkalisch
reichlich
4 pM.
+
37.
12.
8.
Casus idem
weich
do.
do.
Spur
+
38.
14.
8.
Casus idem
geformt
do.
do.
—
—
39.
4.
8.
Enteritis acuta
wässrig
schw. alkalisch
reichlich
Spur
+
40.
13.
8.
Casus idem
geformt
do.
do.
—
—
41.
13.
8.
Enteritis acuta
wässrig
schw. alkalisch
wenig
Spur
+
42.
15.
8.
Casus idem
do.
do.
do.
0,2 pM.
+
43.
23.
8.
Casus idem
weich
do.
Spur
—
—
44.
4.
9.
Gastroenter. acut.
wässrig
mässig alkalisch
reichlich
0,2 pM.
+
45.
9.
9.
Casus idem
weich
schw. alkalisch
mässig
Spur
+
46.
13.
9.
Casus idem
geformt
do.
reichlich
—
—
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Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Heber das Auftreten des gelösten Eiweisses in den Eäces Erwachsener etc. 461
No.
Datum
1908
Klinische
Diagnose
Consistcnz
des Stuhls
Reaction
des wässrigen
Stuhl ex tracts
Nucleo-
proteid-
gehalt
a .
.2 ö .
1 * o
S S s»
j--S o
rsg. 2
® 'S ja ja *
£ to t> o «
S 73 W«Ö
W
Eiweissreaction
nach d. neuen 1
Methode
47.
6.10.
Gastroenter. acut.
dünn breiig
neutral
wenig
0,8 pM.
+
48.
8.10.
Casus idem
do.
do.
do.
1,2 pM.
4-
49.
22. 6.
Darmtuberkulose
wässrig
mässig alkalisch
mässig
0,8 pM.
+
50.
26. 6.
Casus idem
do.
do.
wenig
0,6 pM.
+
51.
8. 7.
Darmtuberkulose
wässrig
stark alkalisch
wenig
0,2 pM.
-fr-
52.
16. 7.
Casus idem
dünn breiig
mässig alkalisch
do.
Spur
+
53.
16. 7.
Darmtuberkulose
wässrig
stark alkalisch
mässig
Spur
+
54.
31. 7.
Casus idem
do.
do.
reichlich
mässig
+
55.
1. 8.
Darm tuberkulöse
breiig
mässig alkalisch
reichlich
schwach
+
56.
4. 8.
Casus idem
geformt
do.
wenig
—
57.
28. 7.
Darmtuberkulose
wässrig
mässig alkalisch
mässig
0,4 pM.
+
58.
4. 8.
Casus idem
weich
neutral
Spur
schwach
+
59.
11. 8.
Darmtuberkulose
wässrig j
mässig alkalisch
reichlich
4 pM.
-t-
60.
16. 8.
Casus idem
do.
schw. alkalisch
do.
2,8 pM.
+
61.
25. 8.
Casus idem
weich
do.
do.
0,8 pM.
+
62.
13. 9.
Darmtuberkulose
wässrig
wässrig
schw. alkalisch
wenig
0,3 pM.
+
63.
18. 9.
Darm tuberkulöse
schw. alkalisch
reichlich
3 pM.
+
64.
5. 7.
Typhus abdom.
dünn breiig
stark alkalisch
reichlich
mässig
+
65.
7. 7.
Casus idem
breiig
' do.
do.
mässig
+
66.
9. 7.
Casus idem
weich geformt
schw. alkalisch
mässig
Spur
+
67.
21. 8.
Typhus abdom.
wässrig
schw. alkalisch
reichlich
1,4 pM.
+
68.
8. 9.
Casus idem
weich
do.
mässig
schwach
+
69.
1. 9.
Typhus abdom.
wässrig
mässig alkalisch
reichlich
1 pM.
+
70.
17. 8.
Colitis chron.
wässrig
wässrig I
schw. alkalisch
reichlich
Spur
+
71.
3. 8.
Peritonitis acuta
schw. alkalisch
reichlich
0,4 pM.
+
72.
4. 8.
Casus idem
do.
do.
do.
0,3 pM.
+
73.
2. 7.
Amyloiddarm
wässrig
schw. alkalisch
wenig
1,4 pM.
+
74.
9. 7.
Casus idem
do.
do.
do.
1,2 pM.
+
75.
12. 7.
Casus idem
weich
do.
do.
mässig
+
76.
16. 7.
Perniciöse Anämie
weich
schw. alkalisch
mässig
Spur
+
77.
27. 7.
Casus idem
dünn breiig
wässrig
do.
do.
schwach
+
78.
1. 7.
Taenia mit
Enteritis acuta
schw. alkalisch
reichlich
schwach
+
79.
12. 7.
Casus idem
geformt
do.
do.
Spur
+
80
17. 8.
Invagination
wässrig
schw. alkalisch |
Spur
4 pM.
+
Aus dieser Tabelle geht hervor, dass die neue Methode ein mit der
Schlössmann’schen Modification der Ury’schen Methode ganz überein¬
stimmendes Resultat erzielen konnte. loh habe den Farbengrad der
neuen Methode nicht besonders angegeben. Man wird jedoch, wenn man
sich etwas mit derselben beschäftigt, sehr bald im Stande sein, mit
Hülfe der Intensität der Farbenreaction den approximativen Eiweissgehalt
zu schätzen.
Zur quantitativen Bestimmung des Eiweissgehaltes in den mit Kiesel-
guhr filtrirten Fäcesextracten habe ich mein Albuminimeter 1 ) benutzt,
nachdem ich die Flüssigkeit auf das zwei- oder dreifache verdünnt hatte,
um ein specifisches Gewicht von 1006—1008 zu erreichen. Die
Esbach’schen Röhrchen waren für die Bestimmung einer so geringen
Eiweissmenge, wie sie in dem wässrigen Fäcesextract vorhanden ist,
nicht geeignet und das Esbach'sehe Reagens erzeugte oft selbst bei
1) Tsucbiya, Centralbl. f. inn. Med. No. 24. 1908.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 3Q
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
462
I. Tsuchiya,
Digitized by
etwas höherem Eiweissgehalt nur starke Trübung, jedoch keinen Nieder¬
schlag, wie cs beim Urin manchmal der Fall ist. Mein Reagens
(alkoholische Phosphorwolframsäurelösung) dagegen versagte niemals.
Die mit meinem Albuminimeter bestimmte Eiweissmenge stimmte bei
den Untersuchungen, die ich ausgeführt habe, ungefähr mit der mittelst
des WägungsVerfahrens festgestellten Eiweissraenge überein, zum Beispiel:
No. aus Eiwoissgehalt mit meinem Eiweissgehalt durch
Tabelle I. Albuminimeter bestimmt Wägung bestimmt
60 2,8 pCt. 2,95 pCt.
67 1,4 „ 1,2 „
Es ist jedoch unmöglich, die Fäces immer zu einer bestimmten
dünnflüssigen Consistenz zu verdünnen. Bei mehrmaliger Untersuchung
derselben Fäces wird man daher immer von einander abweichende
Resultate bekommen. Deshalb hat es auch keinen grossen Zweck, den
Eiweissgehalt der Fäces quantitativ genau zu bestimmen.
Zwischen der Reaction und dem Nucleoproteidgehalt des wässrigen
Fäcesextractes findet man keinen bestimmten Zusammenhang. So trat
bei gleicher Reaction in einem Falle ein sehr starker, in einem anderen
ein sehr schwacher Essigsäureniederschlag auf. Im allgemeinen jedoch
findet man, dass in dem alkalischen Fäcesextract mehr Nucleoproteid
enthalten ist als in dem sauren, weil dasselbe die Eigenschaft besitzt,
sich in alkalischer Flüssigkeit leichter zu lösen.
Was das Vorkommen von gelöstem Eiweiss bei den verschiedenen
mit diarrhöischen Fäces einhergehenden Krankheiten anbetrifft, so habe
ich die Resultate meiner Untersuchungen in folgender Uebersichtstabelle
zusammengestellt:
Tabelle II.
Diagnose
u
o
T3
Jm 43
i-O O
3
Positive Eiweissreactionen
Ö
o
Om®
> K
Anzah
Fälle
Anzah
unter
Fäces
Spur
Mittelstarke
Trübung
Nieder¬
schlag
43 O ^
ci te 2
bc.r: g
<u M 2
2
Vorübergebende Darm¬
störungen .
10
12
1 '
11
Nervöse Diarrhoe . . .
2
2
—
—
—
2
Enteritis acuta. . . .
9
18
5
5
5
3
Enteritis chronica. . .
3
5
—
1
—
4
Gastroenteritis acuta. .
4
7
3
—
4
—
Darmtuberkulose . . .
8
14
2
3
9
—
Typhus abdominalis . .
3
6
1
3
2
—
Colitis chronica . . .
1
1
1
—
—
—
Amyloiddarm ....
1
3
—
1
2
—
Invagination.
1
1
—
—
1
—
Peritonitis acuta . . .
1
2
—
—
2
—
Fern iciösc Anämie . .
1
2
1
! i
i '
—
Nephritis chronica . .
1
3
—
3
Aus der Tabelle geht hervor, dass die Eiweissreaction keineswegs
bei allen diarrhöischen Fäces auftritt. Bei vorübergehenden Darm¬
störungen, die durch Diätfehler etc. verursacht waren und nach ein- bis
zweimaligen diarrhöischen Entleerungen von selbst wieder ausheilten,
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber das Auftreteu des gelösten Eiweisses in den Fäces Erwachsener etc. 463
ferner bei der nervösen Diarrhoe und der chronischen Nephritis, deren
Diarrhoe man als toxische bezeichnen kann, habe ich, selbst bei ausser¬
ordentlich dünnflüssigen Fäces, kein Eiweiss nachweisen können. Aus¬
nahmsweise trat einmal in einem Fall von vorübergehenden Darm¬
störungen die Eiweissreaction auf. Da jedoch hier den Fäces ziemlich
reichlicher Schleim beigemengt war, so ist dies nicht zu verwundern.
Bei den übrigen Krankheiten, bei denen entweder Geschwüre oder heftige
Katarrhe bestanden, konnte ich fast in allen diarrhöischen Fäces Eiweiss
mit Sicherheit nachweisen. Bei der chronischen Enteritis war dies jedoch
nicht immer der Fall.
Die stärkste Eiweissausschoidung kam bei Enteritis acuta, Gastro¬
enteritis, Darmtuberkulose, Typhus abdominalis, Amyloiddarm, Invagination
und Peritonitis acuta vor. In diesen Fällen waren in den Fäces oft
grosse Mengen gewöhnlichen Schleimes vorhanden. Wie Ad. Schmidt 1 )
zuerst gezeigt hat, war derselbe manchmal aber sehr fein zersetzt und
dem Stuhl auf das Innigste beigemischt.
Der Eiweissgehalt der diarrhöischen Entleerungen nahm im All¬
gemeinen mit der fortschreitenden Besserung des Krankheitszustandes ab,
und für gewöhnlich konnte man in den kurz nach der Besserung ent¬
leerten Fäces kein Eiweiss mehr Anden. In einigen Fällen jedoch, wo
die Darmstörungen ziemlich schwer und der Eiweissgehalt der Fäces
hochgradig gewesen waren, habe ich, wie ich schon oben angegeben
habe, auch noch in den geformten Fäces Spuren von Eiweiss nach¬
gewiesen.
Da Ury, Schiössmann und Ad. Schmidt nachgewiesen haben,
dass gelöstes Eiweiss in den Fäces Erwachsener fast immer nur von der
Darmwand selbst transsudirtes Serum ist und nicht von Nahrungsresten
abstammt, habe ich meine Untersuchungen nicht nach dieser Richtung
ausgedehnt.
Ich hatte auch Gelegenheit, künstlich durch Arzneien hervorgerufene
diarrhöische Entleerungen zu untersuchen. Da bis jetzt in der Literatur
nichts über das gelöste Eiweiss solcher Fäces erwähnt worden ist,
möchte ich mich hier, trotzdem meine Untersuchungen in diesen Fällen
nur unvollkommen genannt werden können, ganz kurz darüber auslassen.
Die verschiedenen Abführmittel wurden den Individuen verabreicht,
nachdem ich vorher einmal die Fäces derselben auf ihren Eiweissgehalt
untersucht hatte. Die Untersuchungen wurden wie bei den obigen
pathologischen Diarrhoen ausgeführt.
Die Tabelle III (S. 464) zeigt, dass es wie bei den pathologischen
Diarrhoen, auch bei den durch Abführmittel erzeugten diarrhöischen Ent¬
leerungen keinen innigen Zusammenhang zwischen Consistenz, Reaction,
Nucleoproteid- und Eiweissgehalt gibt. Der Nucleoproteidgehalt war
jedoch hier bei den wässrigen Fäces ziemlich deutlich gesteigert.
Die Eiweissreaction bei den durch Abführmittel hervorgerufenen
Entleerungen ging in ihrer Intensität mit der Stärke der Reizwirkung
der Mittel auf die Darmwand parallel. Durch Calomel erzeugte diar-
1) Schmidt, Fäces des Menschen. 1905. S. 139.
30*
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
464
I. Tsuchiya,
Tabelle 111.
No.
Datum
1908
Klinische
Diagnose
Abführ¬
mittel
Consistenz
des Stuhls ,
Reaction des
wässrigen
Stuhlextracts
1
i
Nuclco-
proteid-
gehalt
Ui
rf i*i
•r* .= © •*
W •= JS, *
k et © o v
1
1.
9. 3.
Intestinale
Gährungs-
dyspepsie +
Darmkatarrh
0
weich
nicht unter¬
sucht |
Spur
0,4 pM.
!
nicht
unter¬
sucht
2.
10. 3.
Casus idem
Calomel 0,3
dünn breiig
do.
reichlich
0,7 pM.
do.
3.
12. 3.
Casus idem
0
weich
do.
wenig
0,4 pM.
do.
4.
14. 3.
Casus idem
Calomel 0,3
dünn breiig
do.
reichlich
0,9 pM.
do.
5.
20. 3.
Gesund
Calomel 0,2
wässrig
do.
wenig
0,5 pM. ,
do.
6.
27. 3.
Gesund
Calomel 0,3
wässrig
do.
reichlich
0,5 pM.
do.
7.
7. 9.
Achylia gastr.
Calomel 0,2
breiig
schw. alkal.
massig
0,4 pM.
—
8.
9. 9.
Casus idem
Calomel 0,1
weich
do.
reichlich
0,3 pM. 1
—
9.
13. 9.
Casus idem
Calomel 0,2
weich
do.
massig
0,6 pM.
T
10.
21. 6.
Verstopfung
01. Ricini
2 Esslöffel
wässrig
schw. alkal.
i
reichlich
Spur ,
11.
23. 6.
Gesund
01. Ricini
2 Esslöffel
wässrig
schw. alkal.
j
mässig |
| Spur *
+
12.
27. 6.
Verstopfung
01. Ricini
2 Esslöffel
wässrig
neutral
' mässig
Spur
13.
6. 7.
Verstopfung
01. Ricini
2 Esslöffel
wässrig
schw. alkal.
■ reichlich
I
| Spur
T
14.
24. 7.
Gesund
Ol. Ricini
2 Esslöffel
wässrig
1 schw. alkal.
! reichlich
!
1 Spur
T
15.
30. 6.
Gesund
Bitterwasser
1 Tasse
wässrig
neutral
reichlich
16.
18. 7.
Gesund
Carlsbadersalz
1 Esslöffel
wässrig
j schw. alkal.
massig
17.
19. 9.
Duodcnal-
katarrh
Mag. sulf. 15,0
Bitterwasser
weich
1 neutral
i
wenig
1
—
18.
1. 10.
Habituelle
Verstopfung
Mag. sulf. 20,0
Bitterwasser
dünn breiig
i schw. alkal.
wenig
i
i
-
19.
9. 10.
Casus idem
Calomel 0,2
norm, geformt
! schw\ alkal.
Spur
| —
20.
16. 10.
Casus idem
Calomel 0,3
2 mal
dünn breiig
| do.
1
i
; reichlich
! 1,6 pM.
1
rhöische Stühle enthielten bei weicher Consistenz, nicht aber bei ge¬
formter (No. 19) stets ziemlich reichlichen Schleim und gaben immer
eine starke Eiweissreaction. Ricinusöl, dessen Reizwirkung auf die Darm¬
wand bedeutend schwächer ist, erzeugt immer nur Spuren der Eiweiss¬
reaction. Bei Darreichung von Magnesium sulfuricum, Carls badersalz
und Bitterwasser konnte ich kein gelöstes Eiweiss in den Fäces con-
statiren.
Zum Schluss sei mir gestattet, die Resultate meiner Untersuchungen
kurz zusammenzufassen:
1. Da meine Methode einerseits ebenso genau ist wie die Sch lös s-
mann’sche Modification der Ury’schen Methode, andererseits viele Zeit
durch dieselbe erspart werden kann, so lässt sie sich für practisch-
klinische Zwecke empfehlen. Die Nachtheile, dass durch meine Methode
der Eiweissgehalt quantitativ nicht genau und der Nuoleoproteidgehalt
überhaupt nicht bestimmt werden kann, kommen nicht in Betracht, da
Digitized b)
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Ueber das Auftreten des gelösten Eiweisses in don Fäces Erwachsener etc. 4(>5
Beides sowohl nach den früheren Forschern, als auch nach meinen
Resultaten practisch nicht berücksichtigt zu werden braucht.
2. Gelöstes Eiweiss kommt für gewöhnlich nur in den diarrhöischen
Entleerungen, sehr selten auch in den geformten Fäces vor. Constatirt
man das Auftreten desselben, so kann man annehraen, dass eine Trans¬
sudation von Serum durch die Schleimhaut des Darmes hierdurch statt¬
findet (Ad. Schmidt).
3. Die mittelst der Abführmittel entleerten diarrhöischen Fäces ent¬
halten Eiweiss, je nach der Stärke des Reizes, der auf die Darmwand
ausgeübt wird.
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XXXVI.
Aus der IL medicinischen Klinik der Kgl. Charite.
Die Beeinflussung der Darmresorption durch den Abschluss
des Pankreassaftes,
nebst anatomischen Untersuchungen über die Histologie des Pankreas
nach Unterbindung seiner Gänge beim Hunde.
Von
Dr. Albert Niemann.
Seit Claude Bernard ist die Frage, welche Folgen der Abschluss
des Pankreassaftes vom Darm beim Hunde hat, vielfach experimentell
zu beantworten versucht worden; man kann aber trotzdem nicht sagen,
dass es bis jetzt gelungen sei, sie völlig zu entscheiden. Es soll hier
nicht die ganze, über diesen Gegenstand erschienene Litteratur aufgerollt,
sondern nur auf die wichtigsten Arbeiten hingewiesen werden.
Das Pankreas des Hundes besitzt, wie wir hier voranschicken wollen,
meist mehr als einen, gewöhnlich 2, oft sogar 3—4 Ausführungsgänge,
deren Auffindung zum Zwecke der Unterbindung mitunter recht schwierig
ist. Als erster hat Rosenberg auf diese für die Operation wichtige
Thatsache hingewiesen 1 ). In neuester Zeit haben Hess 2 ) und Sinn 3 )
über die Anatomie der Pankreasgänge und die anatomischen Folgen ihrer
Unterbindung einwandfreie Untersuchungen angestellt, deren Ergebnisse
Hess folgendermaassen zusammenfasst:
„Das Hundepankreas besitzt für gewöhnlich 3 Ausführungsgänge:
1. den „Hauptgang“, der aus 2 starken Aesten entsteht und das Haupt¬
kanalsystem der Drüse darstellt, 2. den „Nebengang“, der weiter auf¬
wärts mit dem Ductus choledochus zusammen mündet und 3. einen
„mittleren“, zwischen beiden mündenden, ziemlich starken Gang. Sehr
häufig communiciren Gang 2 und 3 mit dem Hauptkanalsystem. Mit¬
unter entspringt aus der Pars descendens des Pankreas noch ein vierter
Gang. Variationen in Zahl, Weite und Anordnung der Gänge sind häufig. ü
Bezüglich der Unterbindung der Pankreasgänge beim Hunde sagt
Hess: 1. Es gelingt in einer Anzahl von Fällen, bei der Operation
3 Ausführungsgänge aufzufinden, zu unterbinden und zu durchschneiden.
1) Pflüger’s Archiv. Bd. 70.
2) Pflüger’s Archiv. Bd. 118; ferner Naturwissensch. Arch. Bd. I.
3) Dissert. Marburg 1907.
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Beeinflussung der Darmresorption durch den Abschluss des Pankreassaftes etc. 467
2. Die genaue Untersuchung des Pankreas nach dem Tode der operirten
Thiere (Präparirung, Injection, Serienschnitte des gehärteten Organs)
liefert den Beweis, dass es trotz sorgfältigster Operation und auch bei
Kenntniss der Thatsache, dass das Pankreas mehr als 2 Ausführungs¬
gänge besitzen kann, nur in wenigen Fällen gelingt, alle Gänge zu
unterbinden und damit einen völligen Abschluss des Pankreassecretes
vom Darme zu erreichen. 3. Unterbindung aller Ausführungsgänge führt
zu Störungen der Fettresorption und zu totaler Sklerose des Pankreas¬
gewebes; entgeht ein Gang der Unterbindung, so hängt es von der
Weite dieses Ganges und seiner Communication mit dem Hauptkanal-
systera ab, ob die Sklerose ganz oder theilweise ausbleibt. u
Abgesehen von älteren Untersuchungen (Hedon 1892 1 2 ), de Dominicis
1896 2 ) kam Ugo Lombroso 3 ) nach Unterbindungsversuchen am Hunde¬
pankreas zu dem Schlüsse, dass die Unterbindung und Durchschneidung
der Ausführungsgänge nicht durchaus zur Atrophie und Sklerose des
Organs zu führen braucht, wenngleich man theilweise derartigen Er¬
scheinungen begegnen kann.
Die oben erwähnten exacten Versuche Hess’ und seiner Schüler
scheinen diese Beobachtungen zu widerlegen, indessen werde ich auf
Grund eigener Versuche diese Frage weiter unten noch ausführlich dis-
cutieren.
Aus der Schwierigkeit der Unterbindung der Pankreasgänge und
besonders aus dem Umstande, dass bei der Operation leicht ein Gang
übersehen werden kann, ergiebt sich, dass cs schwer ist, in ein wands¬
freier Weise die Resorptionsverhältnisse des Darmes nach Abschluss des
Pankreassaftes zu prüfen.
So fand z. B. Rosenberg, nachdem er bei einem Hunde zunächst
2 Gänge unterbunden hatte, die Fettausnützung herabgesetzt auf 86,23 pCt.;
diese Herabsetzung glich sich in einer längeren Reihe von Ausnutzungs¬
versuchen langsam wieder aus (92,68 pCt., 96,19 pCt., 94,99 pCt.,
96,89 pCt., 97,1 pCt., 97,49 pCt., 98,95 pCt., 96,99 pCt.). Nunmehr
wurde ein dritter Gang unterbunden, wodurch sich die Ausnutzung nicht
wesentlich verschlechterte (94,11 pCt., später 98,31 pCt. und 98,19 pCt.).
Bei einer nochmaligen Laparotomie wurde der nach der Milz hinziehende
Ast des Pankreas auch jetzt noch von normalem Aussehen und normaler
Consistenz befunden, woraus Rosen berg schloss, dass ein das Secret
dieses Driisentheiles abführender Gang immer noch vorhanden sein musste.
Bei einem anderen Versuchshunde unterband Rosenberg alle Gänge,
indem er das Pankreas mittels einer Hohlsonde stumpf vom Duodenum
abdrängte, sodass er alle zwischen Pankreas und Darm sich ausspannenden
Gefässe und Gänge übersehen konnte; alle diese Gefässe und Gänge
wurden dann doppelt unterbunden und durchschnitten unter Erhaltung
der Arteria und Vena pancreatico-duodenalis. Bei der ca. 3 / 4 Jahre
später erfolgten Section zeigte sich das Pankreas vollkommen sklerosirt.
1) Arch. de m6dec. expdriment. 1892.
2) Att. R. Accademia Medico-Chirurgica, Napoli 1898.
3) Compt. rend. de la soc. biol. 1904.
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468
A. Niemanti,
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Die Resultate der Ausnutzungsversuche, welche mit einer Fleisch-Schmalz¬
oder Fleisch-Reis-Kost angestellt wurden, seien in folgender Tabelle
Rosenberg’s wiedergegeben:
No. des
Ausnutzung in pCt.
Bemerkungen
Versuchs
N
Fett
1 .
82,35
95,31
2.
83,00
90,10
3.
80,54
85,22
4.
74,76 !
90,06
5.
59,44
94,20
Milchdiät.
G.
82,04
90,80
7.
74,20
82,83
8.
78,46
75,29
9.
66,28
82,62
10.
65,47
73,09
11.
67,45
88,18
12.
64,90
64,16
13.
28,69
84,16
Milchdiät.
14.
67,38
75,71
15.
67,85
75,57
16.
17.
51,04
65,09
23,55
62,45
J der Hund ist krank.
Abgesehen von den beiden letzten Versuchstagen, an denen der
Hund krank war und die deshalb für die Untersuchung nicht in Betracht
kommen, lässt sich bei allen Versuchen eine deutliche Herabsetzung der
Resorption feststellen; der N, den ein gesundes Thier zu mehr als 90 pCt.
verwerthet, wurde hier im günstigsten Falle nur zu 83 pCt. ausgenutzt,
und im Laufe der Zeit sank die Resorptionsgrösse sogar zu einigen
60 pCt. herab. Etwas günstiger gestaltete sich die Resorption des
Fettes, die zum Teil eine normale oder doch von der Norm nicht wesent¬
lich abweichende war; später gingen allerdings auch hier die Resorptions¬
grössen zurück. An den Tagen der Milchdiät — der Milch-N wird
beim Hunde an sich schlechter ausgenutzt als der Fleisch-N — liegen
die Resorptionszahlen noch tiefer wie an den Fleischtagen, dagegen sind
die Resorptionszahlen für Fett bei der Milchdiät relativ hohe.
Dieser Versuch Rosenberg’s ist allerdings nicht voll beweisend für
die Beurtheilung der Frage, welche Folgen der Abschluss des Pankreas¬
saftes vom Darme hat; denn abgesehen von der Unterbindung seiner
Ausführungsgänge musste das Pankreas auch schon deshalb atrophieren,
weil die zur Arteria und Vena panereatico-duodenalis führenden Gefässe
abgebunden worden waren. Der Versuch besagt, ebenso wie die übrigen
Versuche Rosenberg’s, nur, dass, wenn nach Abschluss des Pankreas¬
saftes die Drüse einer langsamen Degeneration verfällt, diese Atrophie
zunächst nur eine geringe Störung der N-Ausnutzung zur Folge hat,
während die Fettresorption eine Zeit lang noch normal oder doch an¬
nähernd normal bleibt und erst nach mehr oder weniger langer Zeit
gleichzeitig mit einem weiteren Sinken der N-Resorption geschädigt wird.
Ebenfalls nicht durchaus beweisend sind die Versuche von Lom-
Gck igle
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Beeinflussung der Darmresorption durch den Abschluss des Pankreassaftes etc. 469
broso 1 ), da es nicht unwahrscheinlich ist, dass in einem Theil seiner
Fälle die Unterbindung der Pankreasgänge keine vollständige war. Nach¬
stehend seien die von ihm gefundenen Werthe wiedergegeben:
Hund I, Gew. 7800 g, operirt am 1. 7. 03.
Versuch vom 4.— 8. 7.: Fettverlust im Koth 78,8 pCt.
» >, 8.-12. 7.: „ „ „ 46,2 „
ti * 12.-16. 7.: „ „ „ 22,1 „
Hund II, Gew. 7450 g, operirt am 28. 8. 03.
Versuch vom 4.—10. 9.: Fettverlust im Koth 15,7 pCt.
n n 10. 14. 9.: „ n n 8,1 „
Hund III, Gew. 9100 g, operirt am 27. 1. 04.
Versuch vom 28. 1.—7. 2.: Fettverlust im Koth 24,2 pCt.
„ „ 7.—17. 2.: „ „ „ 14,5 „
Jedenfalls sind die Fettverluste bei diesen Unterbindungsversuchen
keine hochgradigen, wenn man von Hund I absieht, bei dem möglicher¬
weise eine nicht näher zu erklärende Störung (Peritonitis) die auffällig
schlechte Fettausnutzung in den ersten Tagen bewirkt hat.
Von den neuesten Untersuchungen seien hier schliesslich noch die
von Hess 2 ) und seinen Mitarbeitern Sinn 3 ) und Happel 4 ) gefundenen
Werthe angeführt, die auf Grund ganz exacter Unterbindungsversuche
gewonnen worden sind.
o Ja
T3 §
. ca
O £
Zahl und Lage
der bei der Operation
unterbundenen
Gänge
Ausnutzung
in pCt. von
Verhalten des Pankreas
N
Fett
7.
2 (Haupt- und
Nebengang)
97,69
98,55
Pankreas härter wie normal.
8.
1 (Hauptgang)
97,9
98,0
unverändert.
9.
3 (2 Gänge an der
Papilla major u.
1 Nebengang)
97,7
98,7
Pankreas sklerosirt ausser der Pars
descendens.
10.
2 (Haupt- und
Nebengang)
96,8
98,0
Pankreas sklerosirt bis auf eine 5: 2,5 cm
grosse, hinten am Duodenum liegende
Partie, das Abflussgebiet des mittl. Ganges.
11.
2 (Haupt- und
NebengaDg)
87,5
95,9
Pankreas nur in der Nähe des Darmes
mässig sklerosirt.
12.
1 (Hauptgang)
78,7
89,9
Pankreas derb sklerosirt bis auf den etwas
weicheren äussersten Theil d. Pars horizont.
13.
2 (Hauptgang und
mittlerer Gang)
42,0
48,4
Pankreas derb sklerosirt bis auf ein ganz
kleines weicheres Stück der Pars lienalis.
14.
3 (Hauptgang,
NebengaDg,
mittlerer Gang)
54,68
4,73
Totale Sklerose.
1) Comptes rendus de la sooit$t4 do Biologie de Paris, März 1904.
2) Naturwissenschaft!. Archiv. Bd. I.
3) 1. c.
4) Dissertation. Marburg 1906.
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470
A. Niemann,
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Fall 13 muss aus der Beurtheilung ausscheiden, da der Hund an
Enteritis und Pleuritis purulenta duplex erkrankt war. Unter den
übrigen Versuchen steht Fall 14 in auffallendem Gegensatz zu den
anderen Fällen 7—12.
Fall 14 zeigt eine ausserordentlich schlechte Resorption, ähnlich
wie man sie nach totaler Pankreasexstirpation findet. Da in diesem
Falle sicher alle Gänge unterbunden waren, was mit gleicher Sicherheit
von den Fällen 7—12 nicht behauptet werden kann, so scheint aller¬
dings der Schluss naheliegend, dass vollständiger Abschluss des
Pankreassaftes vom Darm erhebliche Störungen der Darmresorption zur
Folge hat, während eine solche hochgradige Störung unterbleibt, wenn
auch nur ein kleiner Gang noch frei mit dem Darme communicirt.
Hess schliesst selbst: „Es sind demnach auch kleinere Theile des
Pankreas im Stande, eine zur Ausnutzung der Nahrungsstoffe aus¬
reichende Sekretmenge zu liefern.“
Ich kann jedoch einen derartigen Schluss nicht für zutreffend halten
und vermag meine abweichende Ansicht durch das Ergebniss einer
Anzahl von Versuchen zu begründen, die theils von mir selbst und theils
von Herrn Dr. Brugsch ausgeführt wurden, der so gütig war, mir die¬
selben zur Verfügung zu stellen.
Brugsch hat bei 3 Hunden die Ausführungsgänge des Pankreas
unterbunden, und zwar je 2 Gänge: erstens den Hauptausführungsgang, der
ungefähr da einmündet, wo die Pars descendens mit der Pars duodenalis
zusammentrifft, und zweitens einen dicht neben dem Ductus choledochus
einmündenden Gang. Nach 1 bis 2 Wochen wurden an diesen Hunden
Ausnutzungsversuche angestellt und nach etwa 3 Wochen wurden sie
getödtet, nachdem ein jeder erst 24 Stunden gefastet und dann eine
tüchtige Fleischmahlzeit erhalten hatte.
Obwohl nun bei diesen 3 Hunden das Pankreas nicht völlig
sklerosirt war, mithin die Möglichkeit besteht, dass noch ein Gang bei
der Unterbindung übersehen worden ist, so konnte Brugsch doch mit
Sicherheit nachweisen, dass kein Trypsin bezw. Trypsinogen im Darm¬
inhalte vorhanden war. Es war also nicht anzunehmen, dass sich
Pankreassaft in irgendwie nachweisbarer Menge an der Darmverdauung
betheiligt hatte.
Nachstehend seien die Versuchsresultate Brugsch’s im einzelnen
wiedergegeben.
Hund A. Weisser Pudel, Gewicht 1060 g, Unterbindung der
Pankreasgänge (Haupt- und Nebengang) am 26. 2.
7. 3.: 1. Ausnutzungsversuch.
Der Hund erhielt 3 Tage lang: je 200 g Fleisch mit 7 g N und 6,4 g Fett
40 g Butter mit 34,0 g Fett
Alsoerhielt der Hund insgesammt: 600 g Fleisch mit 21gNundl9,2 g Fett
120 g Butter mit 102,0 g Fett
Summa 21gNundl21,2gFett
Trockensubstanz des mit Carmin abgegrenzten Kothes 42 g.
Gougle
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Beeinflussung der Darmresorption durch den Abschluss des Pankreassaftes etc. 471
Es wurden iraKoth ausgeschieden: 1,864g N = 8,9pCt.d. eingenomm. N
7,64gFett=6,3pCt. „ „ Fettes
davon: 44 pCt. Neutralfett
66 pCt. Fettsäuren (freie u. gebundene).
Resorbirt wurden also an N: 91,1 pCt.
an Fett: 93,7 pCt.
13. 3.: 2. Ausnutzungsversuch.
Der Hund erhielt 3Tage lang: je 1,5 1 Milch,
also insgesamrat 4,5 1 Milch mit 23,4 g N und 177,3 g Fett
Trockensubstanz des mit Carmin abgegrenzten Kothes 53 g.
Es wurden imKoth ausgeschieden: 2,93 g N = 12,5pCt. d. eingenomm. N
9,76 g Fett = 5,5 pCt. „ „ Fettes
davon: 39,3pCt. Neutralfett
60,7pCt. Fettsäuren (freie u. gebund.).
Resorbirt wurden also an N: 87,5 pCt.
an Fett: 94,5 pCt.
Am 19. 3. wird der Hund nach einer reichlichen Fleischmahlzcit
auf der Höhe der Verdauung getödtet; im Dünndarminhalt lässt
sich kein Trypsin bzw. Trypsinogen nachweisen.
Hund B. Schwarzer Spitz, Gewicht 1760 g, Unterbindung der
Eankreasgänge (Haupt- und Nebengang) am 27. 2.
8. 3.: 1. Ausnutzungsversuch.
DerHunderhicltin3Tag.insgcsammt:600gFleischmit 21gN und 19,2 g Fett
120gButter mit 102,0 g Fett
Summa 21gNund 121,2gFett
Trockensubstanz des durch Carmin abgegrenzten Kothes: 56 g.
Es wurden imKoth ausgeschieden: 2,64 g N= 12,5 pCt. d. eingenomm. N
11,38 g Fett = 9,4pCt. „ „ Fettes
davon: 42,6 pCt. Neutralfett
54,4 pCt. Fettsäuren (freie u.gebund.).
Resorbirt wurden also an N: 87,5 pCt.
an Fett: 90,6 pCt.
17. 3.: 2. Ausnutzungsversuch.
DerHunderhieltin3Tageninsgesammt: 5,51 Milch mit 28,0gN u. 160,0gFett
Trockensubstanz des durch Carmin abgegrenzten Kothes: 62 g.
Es wurden imKoth ausgeschieden: 4,96 g N= 17,7pCt.d.eingenomm.N
17,32g Fett= 10,8 pCt. „ „ Fettes
davon: 46,1 pCt. Neutralfett
53,9 pCt. Fettsäuren (freie u. gebund.).
Resorbirt wurden also an N: 82,3 pCt.
an Fett: 89,2 pCt.
Am 21. 3. wird der Hund nach einer reichlichen Fleischmahlzeit
auf der Höhe der Verdauung getödtet; im Diinndarminhalt lässt sich
kein Trypsin bezw. Trypsinogen nachweisen.
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472
A. Niemann,
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Hund C. 15,40 g schwere Hündin, Unterbindung des Haupt- und
Nebenganges des Pankreas. Nach 10 Tagen
A usnutzungsversuch.
DcrHunderhieltin4Tag.insgesammt: 600gFleischmit 21,0 gN u.19,2 gFett
200gButter mit 172,0 gFett
Summa 21,0gNu. 191,2gFett
Trockensubstanz des mit Carmin abgegrenzten Kothes: 48 g.
Es wurden im Koth ausgeschieden: 1,98 g N =9,4pCt. d. eingenomm. N
16,43 g Fett = 8,6 pCt. „ „ Fettes
davon: 25,3 pCt. Neutralfett
74,7 pCt. Fettsäuren (freie u. gebund.).
Resorbirt wurden also an N: 90,6 pCt.
an Fett: 91,4 pCt.
2 Tage später wird der Hund nach einer reichlichen Fleischmahlzeit
auf der Höhe der Verdauung getödtet; im Dünndarminhalt lässt sich
kein Trypsin bezw. Trypsinogen nachweisen.
Eine Zusammenstellung der von Brugsch in diesen Versuchen
gefundenen Werthe ergiebt:
N-Resorption
Fett-
Resorption
Bei Ilund A: Versuch 1
91,1 pCt.
93,7 pCt.
. 2
87,5 „
94,5 „
, , B: „ 1
87,5 „
90,6 „
, 2
82,3 „
89,2 „
X X C . . . .
90,6 „
91,4 x
Allerdings ist die Resorption für N und Fett in allen 5 Fällen
gegenüber der Norm vielleicht um ein geringes herabgesetzt, keineswegs
ist aber die Resorptionsstörung eine irgendwie erhebliche, obwohl sich
kein Pankreassaft mehr in den Darm ergossen haben kann; denn sonst
hätte sich ja Trypsin bezw. Trypsinogen im Dünndarminhalt nachweisen
lassen müssen.
Ich komme nun zu den Versuchen, die ich selbst angestellt und
mit denen ich die Untersuchungen von Brugsch weitergeführt habe.
Im Anschluss an diese Versuche habe ich zur Controlle über die ana¬
tomisch-histologischen Veränderungen, welche durch die Unterbindung
der Ausführungsgänge im Pankreas hervorgerufen werden, die betreffen¬
den Drüsen auch mikroskopisch untersucht.
Es wurden bei 2 Hunden zunächst die Ausführungsgänge unter¬
bunden, und zwar 1. der Hauptausführungsgang und 2. der dicht neben
dem Ductus choledochus mündende Nebengang; nach Abheilung der
Bauchwunde wurden beide Hunde exakten Resorptionsversuchen unter¬
zogen, wobei der Koth mit Carmin abgegrenzt wurde.
Bei Hund I wurde dann, nachdem eine Reihe von Versuchen ange¬
stellt war, in einer erneuten Operation die Pars descendens des Pankreas
exstirpirt, da dieser Theil der Drüse relativ wenig atrophirt zu sein
schien, hiernach wurden nochmals Resorptionsversuche gemacht.
Gck igle
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Beeinflussung der Darmresorption durch den Abschluss des Pankreassaftos etc. 473
Schliesslich wurden beide Hunde getödtet, und zwar Hund I 2 Monate,
Hund II 1 Monat nach der Unterbindungsoperation, im Darminhalt der
Nachweis von Trypsin zu führen versucht, das Pankreas in toto ent¬
nommen, in Formalin gehärtet und mikroskopisch untersucht.
Hund II erhielt ausserdem 4 Stunden vor der Tödtung eine abge¬
messene und analysirte Mahlzeit und es wurde dann nach Eröffnung des
Cadavers der Inhalt der einzelnen Darmabschnitte gleichfalls analysirt.
Auf diese Untersuchungen werde ich gemeinsam mit Brugsch an
anderer Stelle noch zurückkommen.
Nachstehend seien meine Versuchsresultate im einzelnen wieder¬
gegeben:
Hund I. Gewicht 1800 g. Unterbindung der Pankreasgängc
(Haupt- und Nebengang) am 21. 3.
28. 3. 1. Ausnutzungsversuch.
Der Hund erh. 2000 g Milch mit 10,36 g N
54,6 g Fett
Im Koth wurden ansgeschiedeu 1,48 g N = 14,3 pCt. d. eingenomm. N
4,41g Fett = 8 „ „ „ Fettes
davon 44,7 pCt. Neutralfett
35,0 pOt. Fettsäuren
20.2 pCt. Seifen (auf Fettsäuren berechnet).
Resorbirt wurden also 85,7 pCt. N
92,0 pCt. Fett.
6. 4. 2. Ausnutzungsversuch.
Der Hund erhielt
250 g Brod u. 100 g Butter mit 2,46 g N
79,46 g Fett
Ina Kothe wurden ausgesebieden 0,9 g N = 36,7 pCt. d. eingenomm. N
1,0 g Fett = 1,3 „ „ „ Fettes
davon 38,1 pCt. Neutralfett
32,6 pCt. Fettsäuren
29.2 pCt. Seilen (auf Fettsäuren berechnet).
Resorbirt wurden also 63,3 pCt. N
98,7 pCt. Fett.
13. 4. 3. Ausnutzungsversuch.
Der Hund erh. 250 g Fleisch mit 8,38 g N
6,38 g Fett
Im Kothe wurden ansgeschieden 0,51 g N = 6,1 p€t. d. eingenomm. N
0,56 g Fett = 8,8 „ „ „ Fettes
davon 48 pCt. Neutralfett
38.2 pCt. Fettsäuren
13,9 pCt. Seifen (auf Fettsäuren berechnet).
Resorbirt wurden also 93,9 pCt. N
91,2 pCt. Fett
Thcilvveise Exstirpation des Pankreas am 29. 4.
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474
A. Nieiuann,
6. 5. 4. Ausnutzungsversuch.
Der Hund crh. 2000 g Milch mit 8,8 g N
51,2 g Fett
Im Kothe wurden aasgeschieden 0,53 g N = 6,1 pCt. d. eingenomm. N
1.22 g Fett = 2,4 „ „ „ Fettes
davon 31,1 pCt. Neutralfett
41.1 pCt. Fettsäuren
36.1 pCt. Seifen (auf Fettsäuren berechnet).
Resorbirt wurden also 93,9 pCt N.
97,6 pCt. Fett.
14. 5. 5. Ausnutzungsversuch.
DerHunderh.250gBrodu.lOOgButtermit 2,5gN
86,95 gFett
Im Kothe wurden ansgeschieden 0,96g N = 38,5 pCt. d. eingenomm. N
' 1,1g Fett = 1,3 „ „ „ fettes
davon 39,4 pCt. Neutralfett
41.2 pCt. Fettsäuren
19,4 pCt. Seifen (auf Fettsäuren berechnet).
Resorbirt wurden also 61,5 pCt. N.
98,7 pCt. Fett.
Am 20. 5. wurde der Hund getödtet. Der in abdomine verbliebene
Rest des Pankreas zeigte sich geschrumpft, von weisslicher Färbung und
derber Consistenz. Im Danndarminhalt liess sich' Trypsin bezw.
Trypsinogen nicht nachweisen.
Hund II. Gewicht 1860 g. Unterbindung der Pankreasgänge
(Haupt- und Nebengang) am 6. 4.
13. 4. 1. Ausnutzungsversuch.
Der Hund erhielt
250 g Brod u. 100 g Butter mit 3,5 g N
82,29 g Fett
Im Kothe wurden aasgeschieden 0,64 g N = 18,4pCt. d. eingenomm. N
1.23 g Fett = 1,5 „ „ „ Fettes
davon 60,6 pCt. Neutralfett
30.3 pCt. Fettsäuren
9,0 pCt. Seifen (auf Fettsäuren berechnet).
Resorbirt wurden also 81,6 pCt. N
98,5 pCt. Fett.
23. 4. 2. Ausnutzungsversuch.
Der Ilund crh. 2000 g Milch mit 8,0 g N
52,0 g Fett
Im Kothe wurden ansgeschieden 0,53 g N = 6,6 pCt. d. eingenomm. N
1,15gFett = 2,2 „ „ „ Fettes
davon 39,8 pCt. Neutralfett
45 pCt. Fettsäuren
15,2 pCt. Seifen (auf Fettsäuren berechnet).
Resorbirt wurden also 93,4 pCt. N
97,8 pCt. Fett.
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Beeinflussung der Darmresnrption durch den Abschluss des Pankreassaftes otc. 475
30. 4. 3. Ausnutzungsversuch.
Der Hund erh. 250 g Fleisch mit 8,6 g N
6,38 g Fett
lin Kothe wurden ansgeschieden 0,61 g N = 7,1 pCt. d. eingenomm. N
0,92 g Fett = 14,4 „ „ „ Fettes
davon 59,3 pCt. Neutralfett
16,7 pCt. Fettsäuren
24,0 pCt. Seifen (auf Fettsäuren berechnet).
Resorbirt wurden also 92,9 pCt. N
85,6 pCt. Fett.
Am 7. 5. wurde der Hund getödtet. Auch hier war das Pankreas
atrophisch und sclerosirt, auch hier liess sich Trypsin bezw. Trypsinogen
im D&nndarminhalt nicht nachweisen.
Nachstehend eine tabellarische Uebersicht über die in meinen Ver¬
suchen gefundenen Werthe:
Art der
Nahrung
Resor
in pC
N
ption
t. von
Fett
Bemerkungen
Hund I. Versuch 1
Milch
85,7
92,0
2
Brot u. Butter
63,3
98,7
3
Fleisch
93,9
91,2
„ 4
Milch
93,9
97,6
Nach theilweiser Exstirpation
des Pankreas
„ 5
Brot u. Butter
61,5 1
98,7
Hund II. „ 1
Brot u. Butter
81,6
98,5
* 2
Milch
93,4 |
97,8
, 3
Fleisch
92,9
85,6
Abgesehen von einzelnen Ungleichheiten in der Ausnutzung, die auf
die Verschiedenheit der gereichten Nahrungsmittel (Fleisch, Milch, Brot,
Butter) zurückzuführen sind und die man auch bei Versuchen an
normalen Individuen findet, liegen die Resorptionswerthe ungefähr im
Bereiche der Norm und decken sich mit den von Brugsch in seinen
oben angeführten Versuchen gefundenen.
Die relativ hohen N-Verluste bei den Versuchen Hund I, 2 und 5 und Hund II 1
dürften darauf zurückzuführen sein, dass hier jedesmal Brot und Butter gegeben wurde
und dass bei dieser voluminösen, aberN-armen Kost die N-Ausgabe schon durch die
Darmsecrete eine relativ grosse werden muss.
Es war also sowohl bei Brugsch’s wie bei meinen Versuchen die
Resorption im Allgemeinen eine normale, obwohl der Pankreassaft im
Darme fehlte. Dass dies Letztere der Fall war, wird dadurch bewiesen,
dass es uns nicht gelungen ist, im Darminhalt des auf der Höhe der
Verdauung geschlachteten Thieres Trypsin bezw. Trypsinogen nach¬
zuweisen.
Wir können demnach aus unseren Versuchen den Schluss
ziehen, dass das Fehlen des Pankreassaftes im Darme an sich
keine Verschlechterung der Resorption bewirkt.
Wir können also auch mit Sicherheit die Behauptung von Hess
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476
A. Niemann,
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zurückweison, dass nur dann die Resorption intact sei, wenn der eine
oder der andere Gang noch erhalten und so die Gelegenheit zur
Absonderung von Pankreassaft in den Darm noch gegeben ist.
Meine Versuche gaben mir sodann Gelegenheit, die Einwirkung der
Unterbindung der Pankreasgänge auf die histologische Structur der
Drüse näher zu studiren.
Lombroso, der sich in' einer Anzahl ausgedehnter Versuche an
Hunden mit dieser Frage beschäftigt hat, kommt, wie schon erwähnt,
zu dem Schlüsse, dass die Ligatur beim Hunde nicht nothwendig zur
Sklerose und Atrophie führt, eine Ansicht, die durch die Untersuchungen
von Hess widerlegt zu werden scheint. Zur Entscheidung dieser Frage
mögen die folgenden Befunde beitragen.
Hund I.
Pars descendens (5 Wochen nach der Ligatur exstirpirt):
Auf dem Querschnitt dieses Theiles der Drüse zeigen sich die
centralen Ausführungsgänge erheblich erweitert und von einer Lage neu¬
gebildeten Bindegewebes umgeben. Das Parenchym völlig nekrotisch:
ohne erkennbare Acinuszeichnung, die Kerne ungefärbt, nur an einigen
Stellen eine Andeutung von Kernfärbung. Nur eine kleine Zone am
Rande der Drüse zeigt noch annähernd normale Beschaffenheit, doch ist
auch hier die Acinuszeichnung verwischt, während die Kerne stellenweise
gut gefärbt erscheinen. Keine Karyokinesen. Langerhans’sche Inseln normal.
Pars duodenalis (nach dem Tode, 2 Monate nach der Ligatur,
untersucht):
Ausführungsgänge stark erweitert, vermehrte Bindegewebsneubildung
um die Gänge herum. Drüsenparenchym total nekrotisch, ohne Andeu¬
tung von Acini, Kern- und Protoplasraazeichnung. Stark injicirte Blut¬
gefässe.
Pars lienalis (gleichfalls nach dem Tode untersucht):
Centrale Drüsengänge erweitert und mit einer dicken Lage neuge¬
bildeten Bindegewebes umgeben. Drüsenparenchym nur in einer
schmalen Zone an der Peripherie erhalten, während das Centrum der
Drüse zu nekrotisiren beginnt. (Acinuszeichnung verwaschen, Kerne un¬
deutlich bezw. gar nicht gefärbt.) Einzelne Acini an der Peripherie er¬
scheinen erheblich erweitert. Zwischen den Acini findet sich eine klein¬
zellige Infiltration. Keine Karyokinesen. Langerhans’sche Inseln deut¬
lich erhalten.
Hund II.
Die Drüse wurde nach dem Tode, 1 Monat nach der Unterbindung,
untersucht.
Pars descendens: Auf dem Querschnitt zeigt sich Erweiterung
der centralen Gänge und starke Bindegewebsentwicklung. Totale
Sklerose des Parenchyms im Centrum; nur in der Peripherie erkennt
man einige noch leidlich erhaltene Acini mit schlecht gefärbten Kernen,
Pars duodenalis: Erweiterung der Ausführungsgänge mit starker
ßindegewebswucherung. Blutgefässe strotzend gefüllt. Fast totale
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Beeinflussung der Darmresorption durch den Abschluss des Pankreassaftes etc. 477
Sklerose des ganzen centralen Drüsenparenchyms, nur eine schmale Zone
an der Peripherie erhalten. Langerhans’sche Inseln gut erhalten.
Pars lienalis: Centrale Nekrose, Erweiterung der Gänge mit Binde-
gewebsentwicklung um sie herum. In der Peripherie leidlich erhaltene
Acini, deren Lumen etwas erweitert ist. Keine Karyokinesen.
Aus diesen anatomischen Untersuchungen ergiebt sich, dass nach
Unterbindung der Gänge bei beiden Drüsen völlig normales Drüsengewebe
fast gar nicht mehr zu finden war. Es tritt also nach der Ligatur eine
Nekrose des Drüsengewebes ein, die zunächst die centralen Partien er¬
greift, peripherwärts fortschreitet und von starker Bindegewebsentwick-
lung gefolgt ist.
Dass bei einzelnen Theilen der von mir untersuchten Drüsen sich
an der Peripherie noch gut erhaltene Acini fanden, kann keineswegs auf
ein unvollständiges Unterbinden der Ausführungsgänge zurückgeführt,
sondern muss damit erklärt werden, dass die Nekrose um einen Gang
herum langsam fortschreitet und die peripher gelegenen Partien dadurch,
dass sie den geringsten Secretionsdruck auszuhalten haben, am meisten
geschönt werden.
Als Ursache der Nekrose muss einzig und allein die Unterbindung
der Ausführungsgänge angesehen werden, da die Gefässe bei der
Operation stets sorgfältig erhalten wurden.
Da eine ganz allgemeine Nekrose in meinen Fällen noch nicht ein¬
getreten war, so besteht allerdings die Möglichkeit, .dass die erhalten
gebliebenen peripheren Acini noch eine gewisse Leistungsfähigkeit für
die innere Secretion besessen haben, indessen können sie nach den
oben dargelegten Erfahrungen ein Secret in den Darm hinein
unmöglich entleert haben.
Der Ansicht von Lombroso, dass die Unterbindung der Pankreas¬
gänge nicht zur Atrophie führt, vermag ich mich daher nicht anzu-
schliessen.
Zum Schlüsse möchte ich nicht verfehlen, Herrn Dr. Brugsch für
die Anregung zu diesen Versuchen sowie für seine Unterstützung bei den
Operationen meinen aufrichtigsten Dank zu sagen.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd.
31
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XXXVII.
Aus der medicinischen Klinik der Universität Halle a. S.
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Der Vorgang der Cellulose- und Hemicellulosenverdauung
beim Menschen und der Nährwerth dieser Substanzen für
den menschlichen Organismus.
Von
Dr. Hans Lohrisch,
Spccialnrzt für Magen-, Darin- uml Stoffwechselkrankheiten in Chemnitz, früherem Oberarzt der Klinik.
Nach der agriculturchenrischen Analyse besteht die Pflanze aus
Wasser, Proteinsubstanz, Fett, stickstofffreien Extractstoffen, Rohfaser
und Asche. Während nun bezüglich des Nährwerthes und der Ver¬
daulichkeit der Proteinstoffe, der Fette und eines Theiles der stickstoff¬
freien Extractstoffe, nämlich der Stärke, Zweifel nicht mehr bestehen,
lassen einige Bestandtheile der stickstofffreien Extractstoffe und der Roh¬
faser, nämlich die Hemicellulosen und die Cellulose, in dieser Be¬
ziehung noch viele Fragen und Wünsche offen, welche in der vorliegenden
Arbeit erörtert werden sollen.
Die Rohfaser, zuerst von Henneberg und Stohmann (1) so be¬
nannt, besteht aus der Cellulose und den sogenannten incrustirenden
Substanzen, dem Lignin und Cutin. Das gegenseitige Verhältniss dieser
Stoffe schwankt naturgeraäss je nach der Herkunft der Rohfaser inner¬
halb gewisser Grenzen, ist aber insofern ein constantes, als die Cellulose
stets den Hauptantheil der Rohfaser bildet, während Lignin und Cutin
in wesentlich geringerer Menge in der Rohfaser enthalten sind. Erbsen¬
strohrohfaser z. B. enthält nach König (2) 64 pCt. Cellulose, 30,1 pCt.
Lignin und 5,9 pCt. Cutin.
Zu den N-freien Extractstoffen zählt nach E. Schulze (3) von den
organischen Pflanzenbestandtheilen alles, was nicht zum Protein, zum
Fett und zur Rohfaser gerechnet wird. Demnach schliesst der Begriff
„N-freie Extractstoffe“ eine grosse Anzahl verschiedenartiger Substanzen
ein. Es steht fest, dass die N-freien Extractstoffe zum grössten Theil
aus Kohlehydraten und verwandten Substanzen bestehen. Wenn wir von
andersartigen Bestandtheilen, den organischen Säuren, Gerbstoffen etc.
absehen, so können wir nach E. Schulze (3) die Kohlehydrate der
N-freien Extractstoffe in 3 Gruppen eintheilen. Diese sind 1. wasser¬
lösliche Substanzen. Hierzu gehören die Zuckerarten (Mono- und Di-
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Original fro-m
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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 479
saccharide, Dextrose, Rohrzucker), ferner einige lösliche Polysaccharide,
von denen vor allem die Lupeose, eine Hemicellulose, zu nennen ist.
2. In Wasser unlösliche Kohlehydrate, die durch diastatische Fermente
unter Zuckerbildung gelöst werden können. Der Hauptvertreter dieser
Gruppe ist die Stärke. 3. Kohlehydrate, die in Wasser unlöslich sind
und auch durch diastatische Fermente nicht oder nur langsam gelöst
werden, jedenfalls nicht unter Bildung von Zucker. Zu dieser Gruppe
gehören die sogenannten Hemicellulosen.
Es interessiren uns also in der vorliegenden Arbeit lediglich die
Cellulose und die Hemicellulosen, und zwar vom Gesichtspunkte
ihrer Verdaulichkeit und ihres Nährwerthes für den thierischen und
menschlichen Organismus aus. Ehe ich auf diese Frage näher eingehe,
erscheint es mir wünschenswerth, in aller Kürze einen Ueberblick über
die Entwicklung der Lehre von den genannten Substanzen, über ihre
chemischen Eigenschaften und über das, was bisher beim Menschen und
Thier über ihren Nährwerth und ihre Verdaulichkeit bekannt ist, zu geben.
Zunächst einige historische Daten, wobei ich mich theilweise an die
Angaben von Reiss (4) halte. Der Begriff Cellulose ist von
Payen 1 ) im Jahre 1844 eingeführt worden, wobei er von der Ansicht
ausging, dass die Cellulose die Muttersubstanz aller pflanzlichen Zell¬
membranen sei, dass alle pflanzlichen Membranen sich aus derselben
chemischen Verbindung C 6 H 10 O 6 = Cellulose bildeten und dass sie des¬
halb sich auch alle chemisch gleich verhalten müssten, z. B. bezüglich
der Reaktion auf Jod und Schwefelsäure, wobei er Blaufärbung fand.
Nachdem sich auch andere Forscher (vergl. Reiss) in diesem Sinne aus¬
gesprochen hatten, hielt man lange Zeit an dieser Einheitstheoric von
der Zusammensetzung der Zellmembranen fest. Durch Nägeli (5)
wurde dieser Einheitsbegriff noch mehr erweitert; er liess nämlich jeden
Unterschied zwischen Stärke und Cellulose fallen und glaubte, dass
Stärkekörner und Zellmembranen lediglich Combinationen verschiedener
Kohlehydrate seien, wobei er sich allerdings nur auf mikrochemische
Untersuchungen stützte. Fremy (6) war es, der zuerst verschiedene
Arten von Pflanzenraembrantheilen unterschied (Cellulosegewebe, Pektose-
gewebe, Epidermalgewebe); seine Versuchsergebnisse konnten aber Nach¬
prüfungen [Payen (7)] nicht standhalten, so dass seine Ansichten ver¬
lassen wurden. Wichtigere Thatsachen waren es, welche die Theorie
von der einheitlichen Zusammensetzung der Zellmembranen ins Schwanken
brachten. Einmal die Entdeckung von Sachs (8), dass bei der Keimung
der Dattelsamen die Verdickungsschichten der Endosperrazellen gelöst
und verbraucht werden, während die primäre aus Cellulose bestehende
Zellmembran erhalten bleibt, ein deutlicher Hinweis darauf, dass die
Verdickungsschichten und die primären Zellmembranen stofflich ver¬
schieden sein müssen. Sodann konnte Frank (9) 1866—1867 auf
Grund mikrochemischer Untersuchungen, welche sich auf die verdickten
Wandungen des Endosperms und der Cotyledonen einer Anzahl von
Pflanzensamen bezogen, beobachten, dass diese Verdickungsschichten sich
1) Mömoires sur les developpements des v6g6taux cit Reiss (4).
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480
H. Lohrisch,
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schon mit Jod allein blau färbten, während dies die reine Cellulose¬
membran nicht thut, wiederum ein Fingerzeig, dass hier doch wohl
chemische Unterschiede zwischen der eigentlichen Cellulose und den Ver¬
dickungsschichten bestehen. Noch wichtigere Aufschlüsse brachte die
Entdeckung, dass die verschiedenen ßestandtheile der Zellwandungen sich
gegen verdünnte Mineralsäuren in der Hitze ganz verschieden verhielten.
Schon 1867 findet sich bei Nägeli und Schwendener (10) ein Hin¬
weis darauf, dass die Cotyledonen gewisser Pflanzen in Säuren leicht
löslich sind. 1869 berichtete Sie wert (11), dass er beim Kochen von
Lupinensamen mit 1-procentiger Schwefelsäure eine beträchtliche Zucker¬
menge in Lösung erhielt. Die zuckerbildende Substanz bezeichnete
Sie wert als „verwerthbare Cellulose“. A. Beyer (12) und
Eichhorn (13) entdeckten in den Jahren 1869/71 in den Lupinensamen
ein in Wasser, Alkohol und verdünnten Säuren lösliches Kohlehydrat,
ohne dessen Natur genauer festzustellen. Nun finden sich erst seit 1882
wieder genauere Angaben über diese in verdünnten Säuren löslichen
Kohlehydrate. In diesem Jahre berichtete Müntz (14) über ein in den
Luzernesamen enthaltenes Kohlehydrat, welches in Wasser und Alkohol
löslich war und beim Kochen mit verdünnten Mineralsäuren Galactose
lieferte. Er bezeichnete dieses Kohlehydrat, welches er rein darstellen
konnte, als „la galactine“. 1884 gewann Bauer (15) aus dem Agar-
Agar durch Hydrolyse reichliche Mengen eines Zuckers mit den Eigen¬
schaften der Galactose. Es gelang ihm nicht, die Muttersubstanz des
Zuckers rein darzustellen; er nannte sie Galactin und identifizirtc sie
mit der Müntz’schen „galactine“. Von Wichtigkeit war auch das, was
über den Einfluss von Natronlauge auf die Zellwandbestandtheile bekannt
wurde. Wieler (16) fand, dass durch Natronlauge aus Hölzern je nach
der Concentration der Lauge verschiedene Cellulosen gelöst wurden, und
Koch (17) gelang es andererseits, mit Natronlauge das Holzgurami zu
extrahiren, welches nach seinen chemischen Eigenschaften von der Cellu¬
lose getrennt werden muss. Nachdem W. Hoffmeister (18) die An¬
gaben Wieler’s und Koch’s bestätigt hatte, stand es fest, dass Natron¬
lauge nicht nur Cellulose, sondern auch ihr chemisch verwandte Sub¬
stanzen löst.
Durch alle diese Thatsachen wurde es immer wahrscheinlicher, dass
die Zellwandung in ihren verschiedenen Schichten nicht aus einer ein¬
heitlichen Substanz besteht. Zur definitiven Klärung der Frage haben
aber hauptsächlich erst die seit 1886 veröffentlichten Untersuchungen
von E. Schulze und seinen Schülern und von Reiss (4) beigetragen.
Anknüpfend an die Arbeiten von Beyer und Eichhorn (12, 13) be¬
richtete E. Steiger (19), einer der Mitarbeiter von Schulze, 1886 über
das Vorkommen eines wasserlöslichen beim Kochen mit Säure Galactose
liefernden Kohlehydrates in den Lupinensamen, welches er als Galactan
bezeichnete. Da dieses Galactan stärkere Rechtsdrehung zeigte, als das
Müntz’sche, nannte er es 0-Galactan und schlug für das Müntz’sche
den Namen «-Galactan vor. 1887 berichteten Schulze und
Steiger (20), dass in den Lupinensamen neben dem /9-Galactan noch
ein anderes wasserunlösliches Kohlehydrat vorkomrat, welches beim
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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 481
Kochen mit dünnen Säuren ebenfalls Galactose liefert. Dieses Kohle¬
hydrat nannten die Autoren Paragalactin. Einen eingehenden Bericht
über 0-Galactan 1 ) und Paragalactin Hessen sie 1889 folgen (21, 22).
Im gleichen Jahre stellte Reiss (4) aus dem dickwandigen Endosperm
des Steinnusssamens eine Zuckerart her, die er Seminose nannte und in
der er ein neues Kohlehydrat entdeckt zu haben glaubte. Dieser Zucker
wird seiner Ansicht nach aus dem Theil der Cellulose, der bei der
Keimung der Samen verbraucht wird, also aus den Verdickungs¬
schichten, gebildet. Er nannte diesen Celluloseanteil „Reserve-Cellulose“
und unterschied damit die Verdickungsschichten als Reserve-Cellulose
von der gewöhnlichen lediglich als Stützgerüst gebrauchten Cellulose.
Wie Emil Fischer und J. Hirschberg (23) noch in demselben Jahre
zeigen konnten, ist die Seminose identisch mit der Mannose. Schulze,
Steiger und Maxwell (24) waren dann von den Lupinensamen zur
Untersuchung anderer Pflanzensaraen übergegangen und fanden auch in
den Samen der Sojabohne, der Erbse, Wicke, Ackerbohne, Kaffeebohne,
ferner in den Dattelkernen, den Cocos- und Palmenkuchen Paragalactin
oder, wie sie es mit Tollens (25) nannten, Paragalactan. Sie fanden
noch andere Zuckerarten (Pentosen, Mannose), welche gleichzeitig mit
Paragalactan in den verschiedenen Samen Vorkommen können.
Hatte man bisher, mit Ausnahme vom Agar-Agar, nur die Samen
der Pflanzen auf Kohlehydrate untersucht, so zeigten nun Schulze und
Steiger (26), dass auch in den grünen Pflanzen selbst ähnliche in
Wasser unlösliche Kohlehydrate Vorkommen, die bei der Hydrolyse
Zucker liefern. Sie fanden in Rothklec und Luzernepflanzen ein
Galaetose lieferndes Kohlehydrat, von dem sie es unentschieden Hessen,
ob es mit dem Paragalactan identisch ist. Hierher gehören auch
spätere Beobachtungen Schellenberg’s (27), wonach sich im untersten
Internodium des Halmes von Molinia coerulea (Besenried) auf den pri¬
mären Membranen der Parenchymzeilen im Herbst eigentümliche Ver¬
dickungsschichten bilden, welche im Frühjahr wieder aufgelöst werden.
Bei der Hydrolyse liefern diese Verdickungsschichten nach Schulze und
Castoro (28) Lävulose, Dextrose und Xylose. Während bei der Hydro¬
lyse der fraglichen Substanzen äusserst selten Dextrose entstand, lieferte,
wie Schulze (29) zeigte, die reine Cellulose stets und fast ausschliess¬
lich Dextrose.
Es machte sich nun bald das Bestreben geltend, die verschiedenen
Zucker liefernden Substanzen zu classificiren. Schulze (24) wendete sich
gegen die Reiss’sche Bezeichnung löslicher Zellwandbestandtheile als
„Reserve-Cellulose“. Er wollte unter Cellulose nur den Antheil der Zell¬
wand verstehen, der die typischen Cellulose - Reactionen giebt. Die
übrigen Kohlehydrate, welche sämmtlich durch dünne Mineralsäuren
in Zucker überführt werden, fasste er zunächst unter dem Namen
„paragalactanartige Substanzen“ zusammen. Ferner hielt er es für
1) Da sich spater herausstellte, dass in dem /S-Galactan noch andere
Zuckerarten, nämlich Fruktose und noch ein anderes nicht näher bekanntes Kohle¬
hydrat enthalten waren, wurde es als Lupeose (22) bezeichnet.
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482
II. Loh risch
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zweckmässig (29), die einzelnen Zellwandbestandtheile durch die beim
Kochen mit verdünnten Säuren aus ihnen erhaltenen Glukosen nament¬
lich zu charakterisiren, so dass also Xylose aus Xylan, Galactose aus
Galactan u. s. w. entstehen würden, wobei man noch durch Bezeichnung
mit «, ß resp. „meta a und „para u feinere chemische und physikalische
Unterschiede andeuten kann. Für die ganze Gruppe der paragalactan-
artigen Substanzen schlug er 1892 den Namen Hemieellulosen (29) vor.
Bei der weiteren Untersuchung zahlreicher Samen und grüner
Pflanzen, die E. Schulze und seine Mitarbeiter ausführten, hat sich ge¬
zeigt, dass von den Zuckerarten am häufigsten Pentosen (Arabinose,
Xylose) und Hexosen (Galactose) gefunden wurden, dass demnach die
verbreitetsten Hemieellulosen die Pentosane und Hexosane sind. Die
folgende, E. Schulze (3) entnommene Tabelle giebt hierüber Aufschluss.
No.
Versuchsobjecte
Bezeichnung der bei der Hydrolyse erhaltenen
Glukosen
'i
Samen der gelben Lupine .
Galactose und eine Pentose (Arabinose?)
2
„ blauen Lupine .
Galactose und Arabinose
3
„ „ behaarten Lupine
Galaclose und Arabinose
4
„ ,, Erbse ....
Galactose
5
„ „ Wicke ....
Galactose
6
„ „ Ackerbohne . .
Galactose
7
„ „ Sojabohne . .
Galactose
8
„ „ Kaffeebaums . .
Galactose und Mannose
9
„ „ Capuzinerkresse
Galactose, Dextrose und Xylose
10
„ „ Pfingstrose . .
Galactose und eine Pentose
11
„ „ Dattel ....
Galactose und Mannose
12
Cocosnusskuchen ....
Galactose (und Mannose?)
13
Palmkernkuchen ....
Galactose und Mannose
14
Sesam kuchen.
Mannose und Arabinose
15
Weizenklcie.
Arabinose und Xylose
IG
Roggenkleie.
Arabinose und Xylose
17
Maisklcie.
Xylose
18
Unterstes Internodium des
Dextrose, Fluctosc (?) und Xylose
Halmes des Besenrieds .
19
Rothklcepfianzen ....
Galactose
20
Luzernepflanzen ....
Galactose
Im Laufe der Jahre sind diese Untersuchungen an zahlreichen
anderen Pflanzen weitergeführt worden, welche hier aufzuzählen zu weit
führen würde. Erwähnen will ich noch, dass König und Bettels (30)
auch die Meeresalgen auf ihren Gehalt an Hemicellulose geprüft haben
und in ihrer Arbeit eine grössere Tabelle darüber geben. Es zeigt sich
auch hier das überwiegende Vorkommen der Pentosen und der Galactose.
Ferner hat Karl Müller (31) die Grünalgen, Flechten und Moose auf
ihren Hemicellulosegehalt untersucht und auch hier hauptsächlich Pentosen
und Galactose gefunden. Aus demselben Jahre stammen die ausgedehnten
Untersuchungen Ulander’s (32) wie über die Kohlehydrate der Flechten.
Seitdem ist den grundlegenden Schulze’schen Arbeiten etwas principiell
Neues auf dem Gebiete der Chemie der Hemieellulosen und Cellulose
nicht hinzugefügt worden, sodass ich den historischen Ueberblick hiermit
abschliessen kann.
Schon aus dem Vorstehenden geht hervor, dass es von jeher grosse
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Der Vorgang der Cellulose- n. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 483
Schwierigkeiten gemacht hat, exacte Unterschiede zwischen den einzelnen
Hemicellulosen und der Cellulose zu machen. Dass es auch heute noch
nicht möglich ist, in jedem Falle eine sichere Entscheidung zu treffen,
ist bei der Fülle der vorkommenden Hemicellulosen und ihrer Zucker¬
arten, über die man sich in v. Lippmann's Chemie der Zuckerarten
(33) vorzüglich orientiren kann, verständlich. Auch der folgende kurze
Leberblick über die chemischen Eigenschaften der Hemicellulosen und
der Cellulose wird darthun, dass oft fliessende Uebergänge zwischen den
einzelnen Formen bestehen. Da es unmöglich ist, auf alle Arten der
Hemicellulosen im Rahmen der vorliegenden Arbeit einzugehen, wird im
folgenden immer nur von den wichtigsten, den Pentosanen und Hexosanen,
die Rede sein.
Makro- und mikrochemisches Verhalten der Hemicellulosen und
der Cellulose.
Löslichkeit in Wasser. Cellulose ist nach den Angaben aller
Autoren weder in kaltem noch in heissem Wasser löslich. Die Hemi¬
cellulosen sind zum Theil in Wasser löslich, so z. B. das jS-Galaetan von
E. Steiger (19), welches später Lupeose genannt wurde. Schulze und
Castoro (34) kochten einen Paragalactan und Araban enthaltenden Rück¬
stand von Lupinensamen mit Wasser, Hessen erkalten und Hessen dann
unter Toluolzusatz 5—6 Tage bei 35—40° stehen. Dabei gingen 9,4 pCt.
Hemicellulose in Lösung. In kaltem Wasser konnten sie keine Lösung
erzielen. Schulze, Steiger und Maxwell (24) konnten durch Erhitzen
von Paragalactan im Dampftopf 2 Stunden lang bei l 1 /,—2 Atmosphären
Druck einen Theil des Paragalactans auflösen.
Verhalten gegen Laugen. W. Hoffmeister (35) unterschied
lösliche und unlösliche Cellulose nach ihrem Verhalten gegen ver¬
dünnte Natronlaugen verschiedener Concentration. Cellulose ist demnach
in dünner Natronlauge in geringem Grade löslich. Späterhin aber
modificirte er (36) diese Ansicht insofern, als nicht alles, was er durch
Natronlauge gelöst hatte, zur Cellulose zu rechnen war, sondern z. Th.
zum Holzgummi (Xylan) gehörte.
Auch die übrigen Hemicellulosen ausser Xylan sind in verdünnter
Natronlauge löslich. Bei Extraction der Internodien von Molinia, welche
Xylan, Dextran und Lävulan enthalten, löst sich in 0,05 procentiger (28)
Natronlauge ein Theil der Hemicellulose. Unter der Einwirkung kalter
5 procentiger Natronlauge beobachteten Schulze und Castoro (34)
Quellung und Auflösung eines grossen Theiles eines paragalactoaraban-
haltigen Rückstandes aus Lupinensamen. Die Einwirkung kochender
10 und 5 procentiger Kalilauge auf Paragalactan prüften Schulze,
Steiger und Maxwell (24) und fanden auch hier Lösung. Bei ein-
stündigem Erhitzen mit Aetzkali löst sich nach Schulze (37) der grösste
Theil von Xylan, allerdings nicht alles. Cellulose dagegen wird nach
Hoppe-Seyler (38) durch Aetzkali, in wenig Wasser gelöst, nicht
wesentlich angegriffen. Xylan wird auch durch 5 procentige Natronlauge
gelöst [Schulze (29)].
Verhalten gegen Säuren. Eine der hervorstechendsten Eigen-
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schäften der Hemicellulosen, wichtig auch insofern, als sie allen Heim¬
cellulosen zukommt, ist ihr Verhalten gegen verdünnte Mineralsäuren.
Wie erwähnt, hatte schon Siewert(ll) beim Kochen mit 1 procentiger
Schwefelsäure die Beobachtung gemacht, dass dabei Zucker gebildet
wurde. Alle späteren Autoren, die sich mit dieser Frage beschäftigt
haben, haben dies bestätigt und als Muttersubstanz des Zuckers die
Hemicellulosen erkannt. Es ist dies diejenige Eigenschaft der Hemi¬
cellulosen, durch die sie sich wesentlich von der Cellulose unterscheiden.
Für die Menge des zu erhaltenden Zuckers ist die Dauer des Kochens
von Einfluss. Schulze und Castoro (39) kochten die Hemicellulosen
der Internodien von Molinia mit 1 procentiger Schwefelsäure; es lösten
sich dabei nach 1 Stunde Kochen 38 pCt., nach 2 Stunden Kochen
40,8 pCt. der Hemicellulosen. Ferner kochten Schulze und Castoro
(34) Paragalactoaraban mit \ l / A procentiger Schwefelsäure; nach 1 Stunde
Kochen waren 93,92 pCt., nach 2 Stunden Kochen 94,29 pCt. der Hemi¬
cellulosen gelöst. 3 procentige Schwefelsäure ist nach Schulze, Steiger
und Maxwell (24) ein gutes Lösungsmittel für Paragalact an. Ein gleich
gutes Lösungs- und Verzuckerungsmittel ist dünne Salzsäure. 0,1 pro¬
centige Salzsäure, unter Toluolzusatz bei 40° auf Paragalactan einwirkend,
löst in 5 Tagen 88,8 pCt., in 6 Tagen 91,5 pCt. der Hemicellulosen (34).
Nach Mittheilung von Schellenberg (27) quellen die Hemicellulosen der
Moliniainternodien in 50 procentiger kalter Salzsäure auf und lösen sich
rasch, sind aber auch in kochender 5 procentiger Salzsäure schnell löslich.
Paragalactan wird ferner durch kochende 1 procentige Salzsäure und
kalte 10 procentige Salzsäure (24) gelöst. Beim Verzuckern der Hemi¬
cellulosen mit Säuren muss man sich aber immer folgendes vergegen¬
wärtigen, worauf Schulze (3) aufmerksam macht: Man erhält dabei fast
niemals die der Theorie nach zu erwartende Zuckermenge vollständig.
Die Umwandlung der Hemicellulosen in Zucker, die Inversion, voll¬
zieht sich bei den verschiedenen Arten mit verschiedener Geschwindig¬
keit. Die hydrolytische Spaltung ist kein glatt verlaufender Proccss,
sondern neben der Inversion tritt in geringem Grade eine Wirkung ent¬
gegengesetzter Art, eine sogen. Reversion, ein. Bei längerem Erhitzen
mit verdünnter Salzsäure und Schwefelsäure werden die Zucker nach und
nach wieder zerstört, besonders gern der Fruchtzucker. Darum ist es
häufig sehr schwer, gut übereinstimmende Resultate zu bekommen, wie
ich auch selbst häufig erfahren habe. So ist es wohl auch zu erklären,
dass Saiki (40) in vielen Fällen nach 3—5 ständigem Kochen von Algen
mit 2 procentiger Salzsäure wesentlich geringere Zuckerwerthe fand als
nach einstündigem Kochen: Agar-Agar gab z. B. nach 1 Stunde 64,1 pCt.,
nach 3 Stunden 49,5 pCt., nach 5 Stunden 46,3 pCt. Zucker.
Auch organische Säuren vermögen Hemicellulosen zur Lösung zu
bringen, z. B. löst Eisessig (29) bei 12 ständigem Kochen bei 90° Para¬
galactan reichlich auf, die Lösung giebt aber Zuckerreaktion erst nach
Zusatz von Salzsäure und nochmaligem mehrstündigen Kochen, ln der¬
selben Weise wirkt heisse 10 procentige Weinsäurelösung auf Para¬
galactan (24).
Hiergegen ist nun die Cellulose in verdünnten Mineralsäuren so gut
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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 485
wie unlöslich, wenn auch beim Kochen mit verdünnten Säuren ganz
geringe Mengen in Lösung gehen mögen. Eine Hydrolyse der Cellulose
ist, wie Schulze (29) nachgewiesen hat, nur möglich unter Anwendung
conccntrirter Mineralsäuren. Wenn man einen Theil Cellulose mit fünf
Theilen conccntrirter Schwefelsäure und 1,7 Theilen Wasser 24 Stunden
stehen lässt, verdünnt und filtrirt und das Filtrat kocht, so erhält man
in allen Fällen Traubenzucker. Nur aus der Cellulose der Kaffeebohne
und des Sesam- und Kokoskuchens wurde neben Traubenzucker auch
Mannose erhalten. Man unterscheidet demnach Dextrosocellulose und
Mannosocellulose, welche sich in ihren sonstigen chemischen Eigenschaften
völlig gleichen.
Verhalten gegen Oxydationsmittel. Sehr wenig widerstands¬
fähig sind die Heraicellulosen gegen Oxydationsmittel. Salpetersäure vom
spec. Gewicht 1,15, mit Paragalactan im Wasserbad erwärmt, löst resp.
zerstört einen Theil der Hemicellulose unter Entwicklung rother Dämpfe
und Schleimsäurebildung (29). Das Lifschütz’sche (41) Gemisch ver¬
dünnter Schwefelsäure und Salpetersäure wirkt schon in der Kälte zer¬
störend auf die Hemicellulosen, ebenso das Salzsäure-Kaliurachlorat-
gemisch der Hoffmeister’schen Chlorgemischmethode (18). Nach meinen
Erfahrungen, die ich bei Anwendung der Cellulosemethode von Simon-
Lohrisch (42) auf Hemicellulosen gesammelt habe, wirkt auch 30proc.
Wasserstoffsuperoxyd zerstörend auf Heraicellulosen.
Verhalten gegen Alkohol. Lupeose ist in heissem Alkohol
löslich (22). Im übrigen dient der Alkohol als Fällungsmittel für ge¬
löste Hemicellulosen und Cellulose. Xylan z. B. wird aus alkalischer
Lösung durch Alkohol gefällt [Schulze (29)], aber auch die übrigen
Hemicellulosen. Die in 5proc. Natronlauge lösliche Cellulose wird nach
Hoffmeister (35) durch Alkohol ebenfalls quantitativ gefällt.
Verhalten gegen Kupferoxydammoniak. Anfänglich schrieb
man nur der Cellulose die Eigenschaft zu, in Kupferoxydammoniak lös¬
lich zu sein [Hoffmeister (18)]. Auch E. Schulze war zunächst dieser
Ansicht (24). Es stellte sich später aber heraus, dass auch die Hemi¬
cellulosen, wenigstens zum Theil, in Kupferoxydammoniak löslich sind
[Schulze (29)]. Aehnliche Beobachtungen machte Reiss (4).
Verhalten gegen Jodchlorzink- und Jodschwefelsäure.
Wässrige oder alkoholische Jodlösung und Jodjodkalilösung giebt nach
Schellenberg (27) keine Blaufärbung mit Cellulose oder Hemicellulose.
Dagegen färben Jodchlorzink und Jodschwefelsäure Cellulose und Hemi¬
cellulosen ohne Unterschied blau resp. violett, in stärkerer oder geringerer
Intensität. Dies zeigten Schellenberg (27), ferner Schulze und
Castoro (34) für das Paragalactoaraban und für die Reiss’schc Reserve¬
cellulose.
Die Hemicellulosen unterscheiden sich demnach von der Cellulose
zwar nur in wenigen, aber doch so charakteristischen Punkten, dass
man auf Grund dieser Unterschiede sehr wohl eine scharfe Trennung
zwischen Hemicellulosen und Cellulose vornehmen kann. Am geeignetsten
erscheint noch immer der Vorschlag von Schulze (29, 37), die Zell-
wandbestandtheile, die sich in heissen verdünnten Mineralsäuren nicht
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lösen, sich andererseits aber in concentrirten Säuren lösen und dabei
Dextrose resp. Mannose liefern, zur Cellulose zu rechnen, Hemicellulosen
aber die Zellwandbestandtheilc zu nennen, die in verdünnten Säuren
löslich sind und dabei verschiedene Zuckerarten, aber nicht oder fast
nie Dextrose liefern. Die Reiss’sche Reservecellulose (Seminose =
Mannose) würde zu den Hemicellulosen zu rechnen und die Abtrennung
einer Rubrik „Reservecellulose“ damit überflüssig sein. Dass es trotz¬
dem nicht in jedem Fälle leicht sein wird, eine exacte Unterscheidung
zu treffen, zeigt das Beispiel des Xylans, welches nach Schulze (37) in
verschiedenen Modificationen vorkommt, die zum Theil heissen ver¬
dünnten Mineralsäuren widerstehen, aber keine Dextrose, sondern Xylose
liefern. Chemisch stellt die Cellulose nach Schulze (29) ein Anhydrid
der Dextrose, die Hemicellulosen polymere Anhydride der übrigen Zucker¬
arten dar.
Die Methoden der quantitativen und qualitativen Bestimmung und
Darstellung der Cellulose und der Hemicellulosen.
Bezüglich der Methoden der quantitativen Cellulosebestimmung
kann ich auf meine frühere Arbeit (43) verweisen. Daselbst findet sich
eine genaue Zusammenstellung der Methoden.
Nachzutragen ist noch eine Methode von Lifschütz (41): Cellulosehaltiges
Material wird mit einem Gemisch von 1 Vol. conc. Schwefelsäure und 3 Vol. Salpeter¬
säure vom spec. Gewicht 1,4 übergossen und sich längere Zeit selbst überlassen. Es
bleibt dann die Cellulose als eine hellgelbe Masse zurück, die abültrirt, gewaschen,
mit verdünnter Sodalösung gekocht, wiederum filtrirt und gewaschen wird.
Ferner ist von König (2) 1907 ein neues Verfahren zur quantitativen Cellulose¬
bestimmung angegeben worden: 3 g lufttrockene Substanz werden mit 200 g Glycerin
von 1,23 spec. Gewicht, welches 20 g conc. Schwefelsäure im Liter enthält, bei
133—137° gekocht. Man lässt erkalten, verdünnt die gekochte Masse auf ca. 500 ccm,
kocht nochmals auf und filtrirt heiss durch Asbest in einem Gooch , sehen Tiegel.
Der Rückstand wird mit Wasser, Alkohol und Aether gewaschen, dann mit dem
Asbest in ein etwa 800 ccm fassendes Becherglas gebracht und mit ca. 150 ccm
chemisch reinem 3 gewichtsproc. Wasserstoffsuperoxyd und 10 ccm 24proc. Ammoniak
versetzt und ca. 12 Stunden stehen gelassen. Dann werden 10 ccm 30proc. Wasser¬
stoffsuperoxyd zugesetzt, der Zusatz noch einige Male wiederholt, auch noch einige
Male 5 ccm 24proc. Ammoniaks zugegeben, bis die Masse weiss geworden ist. Dann
erwärmt man 2 Stunden im Wasserbad und filtrirt wieder durch Asbest. Der ge¬
waschene Rückstand wird sammt dem Asbest mit 75 ccm Kupferoxydammoniak er¬
wärmt, dann durch einen Gooch’schen Tiegel filtrirt. Das Filtrat wird mit 300 ccm
SOproc. Alkohol versetzt und stark gerührt. Hierdurch scheidet sich die Cellulose in
grossen Flocken quantitativ wieder aus. Sie wird auf dem Filter gesammelt, gewogen
und verascht.
• Das König’schc Verfahren liefert jedenfalls sehr reine Cellulose, ist
aber doch sehr zeitraubend, der alte Uebclstand der meisten Cellulose-
bestimmungs-Methoden. Ich habe bisher immer mit dem von Simon
und mir (42, 43) angegebenen Verfahren gearbeitet und bin damit sehr
zufrieden. Wenn König (2) gegen die Methode Bedenken äussert, weil
gelöste Stärke durch den Alkohol wieder ausgefällt werden könnte, so
hat dies zunächst keine Bedeutung für die Untersuchung menschlicher
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Der Vorgang der Cellulose- u. HernicellulosenVerdauung beim Mensohen etc. 487
Fäces, für die die Methode ursprünglich gedacht war. In den mensch¬
lichen Fäces sind so minimale Stärkereste vorhanden, dass hierdurch
Fehler nicht bedingt werden können. Ich wende die Methode aber nicht
nur für die Untersuchung menschlicher Excremente an, sondern auch
für Cellulose-Bestimmungen in Thierkoth und allen möglichen pflanzlichen
Objekten, gleichviel, ob sie sehr stärke- oder hemicellulosereich sind.
Stärke und Hemicellulose werden durch das schmelzende Alkali und
durch den Zusatz von Wasserstoffsuperoxyd doch wohl nicht nur gelöst,
sondern direkt zerstört, zumal so geringe Mengen, wie sie für gewöhn¬
lich bei unserer Methode zur Verwendung kommen. Ich schliesse dies
aus dem Verhalten sehr hemicellulosereichen Materials und reiner Stärke
wenn man diese Stoffe nach unserer Methode behandelt. Wenn ich die
Methode an Agar-Agar ausführte, so erhielt ich in gut übereinstimmen¬
den Versuchen einen Rückstand von 0,6 pCt., der sich mikrochemisch
als Cellulose erwies, während die überaus reichlich vorhandene Hemi¬
cellulose des Agars durch den Alkohol aus der stark alkalischen Lö¬
sung nicht ausgefällt wurde.
Versuche mit reiner Stärke verliefen folgendermaassen:
I. II.
Zur Verwen¬
dung kamen: 1,0912 g Stärke (Trockensubstanz) 0,8279 g Stärke
Rückstand
nach Abzug
von Asche: 0,0011 = 0,1008 pCt. 0,0008 = 0,0966 pCt.
Dieser minimale Rückstand gab mit Jodchlorzink Violettfärbung,
aber keine Blaufärbung mit starker Jodjodkalilösung.
Uebrigens haben wir in unserer ersten Publication (42) den Vor¬
schlag gemacht, sehr stärkereicho Substanzen vorher mit Diastase zu
behandeln. Man würde die Methode auch nicht wesentlich erschweren
und verlängern, wenn man ein l x / 2 stündiges Kochen mit 2procentiger
Salzsäure einschalten würde. Doch ist dies — wie gesagt — bei der
gewöhnlichen Verwendung sehr kleiner Mengen Materials (1—2 g) nicht
nöthig. Nur für den Fall, dass man mit unserer Methode grössere Mengen
reiner Cellulose herstellen nnd dazu grosse Mengen (100 g) Material auf
einmal verarbeiten will, würde ich rathen, eine Kochperiode mit 2procen-
tiger Salzsäure einzuschalten, weil es bei Anwendung so grosser Mengen
Materials möglich wäre, dass hierbei das schmelzende Alkali und das
Wasserstoffsuperoxyd nicht auf alle Theile des Materials so gleichmässig
einwirken könnte, wie bei Anwendung von nur 1—2 g. In der That
habe ich bei Anwendung so grosser Mengen nach Kochen mit Salzsäure
in dem salzsauren Filtrat öfters Zuckerreaktion nachweisen können, was
mir bei Verwendung kleiner Mengen Materials nie möglich war.
Kleiber (44) hat bei einer vergleichenden Nachprüfung einiger
Cellulose-Methoden [Weender Verfahren, F. Schulze, Hoffmeister’s
Chlorgemisch-Methode, Lange (vergl. 43)] nicht immer übereinstimmende
Resultate erzielt und schlägt als Verbesserung vor, bei den einzelnen
Methoden einen Kochprozess mit iy 4 procentiger Schwefelsäure einzu¬
schieben. Er hat den Versuch gemacht, die Zellwandbestandtheilc
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(Hemicellulosen-j-Cellulose-f-Inkrusten) insgesammt zu bestimmen. Dazu
behandelte er ca. 3 g Substanz mit 0,15 oder 0,42procentiger Kalilauge
2—3 Tage. Wenn reichlich Stärke vorhanden war, liess er vor der
Kalilauge einen wässerigen Malzauszug einwirken. Dann wurde filtrirt.
mit Alkohol und Aether gewaschen, Protein uud Asche abgezogen. Der
Rückstand besteht aus den Zellwandbestandtheilen.
Um die gesammte Hemicellulosenmenge in einer pflanzlichen Sub¬
stanz zu ermitteln, kochte Kleiber die in der eben beschriebenen Weise
isolirten Zellwandbestandtheile noch mit P^procentiger Schwefelsäure
und bestimmte durch Wägung unter Abzug von Protein und Asche, wie
viel Substanz durch das Kochen in Lösung gegangen war. Der Ge¬
wichtsverlust entspricht der Hemicellulosenmenge. Das Verfahren ist,
wenn man vorher erst die Zellwandbestandtheile rein darstellen will,
offenbar ein sehr umständliches und zeitraubendes und ist ausserdem,
wie Kleiber selbst angiebt, ungenau.
Ein anderer Weg, die Gesammtmenge der Hemicellulosen in pflanz¬
lichem Material zu bestimmen, ist der, die Hemicellulosenmenge durch
die Menge des bei der Hydrolyse entstehenden Zuckers auszudrücken.
Auch diese Methode leidet aber an Ungenauigkeiten, weil — wie schon
oben auseinander gesetzt — das Kochen mit Säure kein gleichmässig
verlaufender Process ist.
Weit exakter sind die Methoden zum qualitativen Nachweis der
einzelnen Hemicellulosen durch Darstellung und Bestimmung ihrer
Zucker. Es handelt sich dabei darum, die Zucker krystallisirt darzu¬
stellen, ihren Schmelzpunkt, ihren Drehungswinkel und ihre Osazone zu
untersuchen. Man verfährt dabei etwa in der Weise, wie z. B. Schulze,
Steiger und Maxwell (24) ihren paragalactanhaltigen Rückstand unter¬
suchten: Das Material wird mit 1—2procentiger Schwefelsäure oder
Salzsäure ca. 1 Stunde lang gekocht. Die von dem Ungelösten abfil-
trirte Flüssigkeit wird mit der gleichen Menge Wasser verdünnt und zur
Vollendung der Verzuckerung noch 2 Stunden lang gekocht. Dann wird
sie durch Einträgen von überschüssigem Baryumkarbonat von der Säure
befreit und im Wasserbad bei gelinder Wärme bis zum Syrup einge¬
dunstet. Der Syrup wird wiederholt mit absolutem Alkohol ausgekocht.
Die alkoholische Lösung wird zum Syrup eingedunstet. Aus dem Syrup
krystallisirt der Zucker aus und wird durch Umkrystallisirung aus ver¬
dünntem Weingeist gereinigt.
Wenn man einen möglichst hemicellulosereichen und möglichst
N-freien Rückstand aus Pflanzentheilen erhalten will (24), extrahirt man
die nach Möglichkeit zerkleinerten und getrockneten Pflanzen mit Wasser,
Alkohol und Aether. Dann wird zur Entfernung der Eiweisssubstanzen
das Material längere Zeit mit dünner Kalilauge behandelt oder mit Pan¬
kreassekret verdaut. Aus einem derartigen Rückstand wird dann der
Zucker in der eben geschilderten Weise gewonnen.
Im Einzelnen gestaltet sich die Darstellung und Bestimmung der
wichtigsten und, wie wir gesehen haben, am häufigsten vorkommenden
Hemicellulosen, nämlich der Hexosane und Pentosane, folgendermaassen,
wobei ich mich theilweise an die Darstellung bei v. Lippmann (33) halte.
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a) Hexosane.
Paragalactan (Paragalactoaraban), kommt in zahlreichen Pflanzen¬
samen vor. Zur Darstellung zieht man die Samen mit Wasser, Alkohol,
Aether und 0,2proccntiger Kalilauge aus und erhält die Substanz als
weisse bis gelbliche feste Masse. Bei der Hydrolyse bekommt man
Galactose und eventl. Arabinose.
a-Galactan, wie schon erwähnt, von Müntz (14), im Luzerne¬
samen gefunden, kommt noch vor in den Bohnen, in der Gerste und im
Malze. Es sind weisse Knollen von der Formel C 6 H 10 O 6 . Die wässerige
Lösung zeigt Rechtsdrehung: a D = + 84,6°. Bei der Hydrolyse entsteht
Galactose.
d-Galactan, identisch mit einer von Payen (45) aus Meeresalgen
gewonnenen Hemicellulose, die er „gelose“ nannte. Die Bezeichnung
d-Galactan stammt von Toi lens (25). Die Formel ist C 6 H 10 O 6 .
d-Galactan dreht rechts und giebt bei der Hydrolyse Galactose.
Mann an findet sich in der Hefe, der Presshefe, im Salepschleim,
im Johannisbrot und in zahlreichen anderen Pflanzen. Man erhält
Mannan aus Hefe durch Kochen mit Kalkmilch, entkalkt mit Ammonium¬
oxalat und fällt das Mannan mit 96procentigem Alkohol aus dem
Filtrat. Dieses Mannan hat die Formel C 6 H 10 O 5 , dreht rechts,
« D = -f-283,7—287,6° und giebt bei der Hydrolyse Mannose.
Lupeose, früher für /J-Galactan gehalten, kommt im Lupinen¬
samen vor. Sie lässt sich aus den Samen durch 80procentigen Alkohol
extrahiren. Der Auszug wird durch Gerbsäure, Bleizucker und Phos¬
phorwolframsäure gereinigt, die Lupeose durch absoluten Alkohol gefällt.
Sie ist ein weisses amorphes hygroskopisches Pulver von der Formel
(C 12 H 22 0 1 i)2. Sie dreht rechts, a D = 148,75°. Bei der Hydrolyse
erhält man 50 pCt. Galactose und 50 pCt. eines Gemisches von Fruk¬
tose mit einem anderen rechtsdrehenden Zucker.
Die genannten Hemicellulosen sind noch durch eine gemeinsame
Gruppenreaktion gekennzeichnet ; sie geben beim Erwärmen mit Salpeter¬
säure Schleimsäure (46).
Der aus ihnen hauptsächlich entstehende Zucker, die Galactose,
hat folgende Eigenschaften: Formel C 6 Hi 2 0 6 . Die Krystalle schmelzen
bei 161—162°. a D = 81,37°. Die Galactose zeigt Birotation. Sie
ist nach C. Neuberg (47), v. Lippmann (33) und Fischer und
Thierfelder (48), entgegen zahlreichen gegentheiligen Angaben, mit den
meisten Hefearten vergährbar. Beim Erhitzen mit Salpetersäure entsteht
Schleimsäure. Bei Behandlung mit Brom entsteht Galactonsäure, welche
wiederum ein charakteristisches Cadmiumsalz [liefert. Ferner wird die
Galactose an den Eigenschaften ihres Phenylbydrazons und Osazons erkannt.
b) Pentosane.
Araban wird gewonnen durch Erhitzen des von Fett, Protein und
Stärke möglichst befreiten und zerkleinerten Untersuchungsmaterials mit
dünner Natronlauge oder Kalkmilch. Aus der Lösung wird das Araban
durch Salzsäure und Weingeist gefällt. Es ist eine weiche gummöse
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Masse von der Formel C 5 H 8 0 4 und zeigt Linksdrehung; «d = — 123°.
Bei der Hydrolyse entsteht Arabinose von der Formel C 5 H 10 0 5 mit
dem Schmelzpunkt 160°. Diese ist rechtsdrehend (« D = -|- 104 — 105°)
und zeigt Multirotation. Sie vergährt nicht. Wichtig für ihre Erkennung
ist ihr Bromphenylhydrazon und ihr Osazon, welches in essigsaurer
Lösung jedes Drehungsvermögen verliert.
Xylan oder Holzgummi, besonders reichlich im Buchenholz und
im Holz verwandter Laubbäume, ferner im Kirschholz und Haferstroh.
Es wird aus den zerkleinerten Hölzern gewonnen durch Extraktion mit
4—5 procentiger Natronlauge und Fällung durch 96 procentigen Alkohol,
oder man erhitzt das zerkleinerte Material nach Salkowski (49) mit
6 procentiger Natronlauge und fällt das Xylan mit Fehling’scher Lösung
aus. Xylan von der Formel C 6 H 8 0 4 ist ein fein poröses Pulver. Es
ist linksdrehend, a D = — 80 bis 84°. Bei der Hydrolyse entsteht Xylose,
welche in schönen weissen Nadeln krystallisirt, rechts dreht
(a D = -f- 18—20°) und keine Hefegährung zeigt. Das essigsaure Osazon
der Xylose dreht im Gegensatz zu dem der Arabinose links.
Auch die Pentosane und Pentosen haben Gruppenreaktionen gemein¬
sam, die zu ihrem qualitativen und quantitativen Nachweis dienen. Eine
qualitative Probe ist folgende: Beim Erwärmen einer Pentose mit Salz¬
säure und Phloroglucin tritt kirschrothe Farbe ein. Hat man es mit
Pentosanen zu thun, so bringt man diese erst durch Kochen mit Salz¬
säure in Lösung und setzt der Lösung Phloroglucin zu, worauf dann
ebenfalls Rothfärbung eintritt. Zur quantitativen Bestimmung der Pentosane
und Pentosen benutzt man die von Tollens und seinen Mitarbeitern (46)
gefundene Eigenschaft, beim Destilliren mit 12 procentiger Salzsäure
Furfurol zu geben. In dem Destillat, in dem man die Salzsäure mit
Na 2 C0 3 gesättigt hat, kann man das Furfurol durch essigsaures Phenyl¬
hydrazin ausfällen. Der Furfurolniederschlag, ein Hydrazon, wird
gewogen. Die Berechnung erfolgt nach der Formel (50):
Furfurol = Hydrazon X 0,516 X 0,0104
Pentosan = Furfurol X 1,84.
Man kann das Furfurol auch mit Phloroglucin fällen und den Nieder¬
schlag als Phloroglucid wiegen. Die Formel zur Berechnung des Phloro-
glucids hat Tollens (51) gegeben.
(Phloroglucid -j- 0,0052 g) X 1,111 = Arabinose
(Phloroglucid -f- 0,0052 g) X 0,920 = Xylose.
Im Anschluss hieran möchte ich einige Bemerkungen bezüglich des
Cellulose- und Hemicellulosematerials machen, dessen ich mich bei
meinen Untersuchungen bedient habe.
Ich habe durchgängig mit reiner Cellulose, nicht mit Rohfaser
gearbeitet. Die Cellulose stellte ich mir selbst nach der Methode Simon-
Lohrisch (42, 43) aus fein gepulvertem Weisskraut her. Da bei Ver¬
wendung kleiner Mengen Materials die Ausbeute an Cellulose immer sehr
gering ist, wurden grössere Mengen Weisskraut (100—200 g) auf einmal
verarbeitet. Ich habe deshalb aus den oben schon angeführten Gründen
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den nach der Behandlung mit Alkali und H 2 0 2 und nach dem Fällen
mit Alkohol bleibenden Rückstand noch l 1 /* Stunde mit 2 procentiger
Salzsäure gekocht. Die so erhaltene Cellulose war in trockenem Zustande
weiss, leicht zerreiblich, enthielt nur Spuren von Stickstoff, mikroskopisch
keine Stärke, gab mit Chlorjodzink Violettfärbung mit Ausnahme ganz
spärlicher sich gelb färbender Partikelchen und enthielt 1,6 pCt. Asche.
Zu den Versuchen mit Hemicellulose benutzte ich als Fütterungsmaterial
Agar-Agar, den durch heisses Wasser löslichen Auszug verschiedener
Meeresalgen, die zu den Florideen gehören und den asiatischen Meeren
entstammen. Der Agar ist nach den übereinstimmenden Untersuchungen
aller Autoren, die sich damit beschäftigten, sehr hemicellulosereich.
Der erste, der die Hemicellulose des Agar isolirte, war Payen 1859 (45).
Er nannte die Substanz „gelose“; dieselbe ist nach Tollens identisch
mit d-Galactan. 1876 veröffentlichte Reichardt (52) Untersuchungen
über die Kohlehydrate des Agar. Er erhielt ein Kohlehydrat von der
Formel Ci 2 H 22 O n und identificirte es mit einem von ihm in Möhren
und Rüben gefundenen Pararabin. Der nächste Untersucher des Agar
war 1884 Bauer (15). Er stellte mit aller Sicherheit fest, dass der bei
der Hydrolyse aus Agar entstehende Zucker Galactose ist, sodass die
Hemicellulose des Agar zum weitaus grössten Theile aus Galactan be¬
stehen würde. Ein Versuch, das Galactan rein darzustellen, gelang
Bauer nicht vollständig. Dieses Galactan ist nach Bauer identisch mit
dem von Müntz (14) aus Luzernesaraen dargestellten. In neuerer Zeit
(1905) haben König und Bettels (30) den Agar nochmals eingehend
untersucht und die Befunde Bauer’s in allen Punkten bestätigt. Sie
fanden bei der Hydrolyse ebenfalls Galactose, daneben bildete sich
Lävulinsäure; die im Agar enthaltene geringe Cellulosemenge fiel dabei
in hellen Flocken aus. Den Gcsammtkohlehydratgehalt des Agar fanden
sie in verschiedenen Agarsorten zu 70,58 und 63,96 pCt.
Ich habe für meine Zwecke den Agar von mehreren Sorten gut
klein geschnitten, reichlich gemischt und in verschiedenen Proben den
Kohlehydratgehalt bestimmt. Ich bediente mich in allen Fällen der
Methode von Strasburger unter Anwendung der Volhard-Pflüger’schen
Kupferrhodanürmethode (53), die die besten Resultate geben soll. Trotz¬
dem ich mich peinlich an die vorgeschriebenen Kochzeiten gehalten habe,
habe ich bei dem Agar nicht immer ganz gleichraässige Resultate er¬
halten, während ich bei Untersuchung anderer Substanzen immer sehr
gut übereinstimmende Zahlen bekam. Es liegt dies offenbar an der er¬
wähnten verschieden intensiven Einwirkung der Mineralsäuren auf die
Hemicellulosen. Ich erhielt aus Agar folgende Zuckermengen (als Dex¬
trose berechnet): 73,3 pCt., 89,3 pCt., 76,7 pCt., 69,4 pCt., im Durch¬
schnitt 77,2 pCt. Der Wassergehalt des Agars betrug durchschnittlich
23,3 pCt. Stickstoff wurde nicht gefunden. Der Cellulosegehalt war
0,6 pCt.
Schien zu Folge seines hohen Hemicellulosegehaltes dieser Agar
schon sehr geeignet zu Versuchszwecken, so war es doppelt willkommen,
dass es Herrn Dr. Karl Dieterich, Director der chemischen Fabrik
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Helfenberg bei Dresden gelungen ist, den Agar in eine Form zu bringen,
in der er schon in kaltem Wasser löslich ist und bleibt.
Das Präparat, dessen Herstellungsweise mitzutheilen Herr
Dr. Dieterich sich Vorbehalten hat, ist ein hellgelbes trockenes Pulver
von neutraler Reaction, welches sich in kaltem Wasser sehr leicht zu
einer braunen klebrigen Flüssigkeit auflöst, die nach Malz riecht. Das
Präparat ist nicht ganz zuckerfrei; man erhält aus der kalten wässerigen
Lösung nach Kochen mit Fehling 7 scher Lösung mittelst der Kupfer-
rhodanürmethode 3,5—4,1 pCt. Zucker. Lässt man die wässerige Lösung
18 Stunden bei 37° stehen, so geht mehr Agar in Zucker über; man
erhält dann in der erwähnten Weise 16,9—20,4 pCt. Zucker. Nach
Kochen des Agars mit Wasser iy 2 Stunde lang liefert er 13,9—16,02 pCt.
Zucker. Bei der Hydrolyse mit 2 procentiger Salzsäure iy 2 Stunden
lang erhält man aus dem Agar (Trockensubstanz) durchschnittlich 67,8 pCt.
Zucker (Mittel von 3 verschiedenen Bestimmungen: 68,3 pCt., 68,8 pCt.,
66,3 pCt.). Stickstoff und Cellulose enthält der lösliche Agar nicht.
Im Einzelnen verhält sich die wässerige und salzsaure Lösung des
löslichen Agars folgendermaassen:
I.
Wässerige Agarlüsung
II.
Schwefelsäure Agarlösung
(mit 5 proc. H 2 S0 4
1 V 2 Stunde gekocht)
III.
Schwefelsäure
Agarlösung,
mit Hefe
24 Stunden im
Brutschrank
Trommer
Undeutlich, lehmfarbige
schmutzige Braunfärbung
Stark positiv, mit Bildung
reichlich ziegelrothen Cu-
Oxyduls
Wie bei 1.
Nylander
Nach langem Kochen
Schwarzfärbung
Sehr schnell eintretende
Schwarzfärbung
Wie bei I.
Polarisation
Geringe Linksdrehung
Starke Rechtsdrehung
Wie bei I.
liefe
Kein Gas
Reichlich Gasbildung
Wie bei I.
Pentosen-
reaction
—
—
—
Lävulose-
reaction
—
■
Da der gebildete Zucker durch die früheren Untersuchungen zur
Genüge als Galactose gekennzeichnet ist, konnte von diesbezüglichen
Untersuchungen Abstand genommen werden. Die geringe Linksdrehung
der wässerigen Lösung scheint mir daraufhin zu deuten, dass in dem
Agar auch eine geringe Menge Pentosan enthalten ist. Toi lens (50)
fand im Agar 1,66 pCt. Pentosan.
Im Folgenden bezeichne ich den von der chemischen Fabrik
Helfenberg hergestellten Agar als „löslichen“ Agar zum Unterschied von
dem „gewöhnlichen“ Agar.
Die Rolle der Cellulose und der Hemicellulosen im Stoffwechsel
der Pflanzen.
Bevor ich dazu übergehe, das Verhalten der Cellulose und der
Hemicellulosen im thierischen und menschlichen Verdauungskanal zu er-
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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 493
örtern, dürfte es von Interesse sein, in aller Kürze der Rolle zu ge¬
denken, die die Cellulose und die Hemicellulosen im Stoffwechsel der
Pflanzen spielen.
Der Cellulose kommt lediglich die Aufgabe zu, als Stützgerüst der
Pflanze zu dienen. Ganz anders die Hemicellulosen. Schon ihr Sitz
zeigt, dass sie bestimmte Aufgaben haben müssen, denn sie sitzen, wie
alle Autoren, z. B. Schulze (3, 34), Reiss (4) und Schellenberg (27)
übereinstimmend fanden, hauptsächlich in den Samen der Pflanzen, und
zwar bilden sie dort die Wandverdickungen der Zellen des Endosperms
bezw. der Cotyledonen. Der Nachweis der Hemicellulosen an diesen
Stellen gelingt mikrochemisch leicht: Wenn man Schnitte von den Coty¬
ledonen oder dem Endosperm mit Wasser, Alkohol, Aether und lprocen-
tiger Kalilauge behandelt und dann mit Salzsäure kocht, so zeigen die
Zellwände deutliche Substanzverluste [Schulze, Steiger und Max¬
well (24)]. Ich habe schon früher erwähnt, dass die Hemicellulosen nicht
ausschliesslich in den Samen sitzen, sondern auch in den Schalen der
Samen und in den grünen Pflanzen Vorkommen, allerdings bei weitem
nicht so reichlich.
Das überaus reichliche Vorkommen der Hemicellulosen in den
Pflanzensamen weist darauf hin, dass sie bei der Keimung der Samen
eine Rolle zu spielen haben. Der erste, der diese Entdeckung machte,
war Sachs (8), und zwar bei der Keimung der Dattel. Er fand, dass
die Verdickungsschichten der Endospermzellen bei der Keimung voll¬
ständig gelöst werden, während die primäre Membran (Cellulose) erhalten
bleibt. Reiss (4) hat später an zahlreichen Pflanzensamen die Sachs-
schen Untersuchungen nachgeprüft, sie bestätigt und zum Theil ergänzt.
Auf makrochemischem Wege haben Schulze, Steiger und Maxwell (24)
und E. Schulze (54) zur Lösung der Frage beigetragen, sie untersuchten
gekeimten und ungekeimten Lupinensamen quantitativ auf Hemicellulose
und fanden im gekeimten Samen wesentlich geringere Mengen. Aus
allen diesen Untersuchungen und denen zahlreicher anderer Autoren geht
mit Sicherheit hervor, dass die Hemicellulosen als Reservematerial
dienen, dazu bestimmt, beim Keimungsvorgang gelöst und zur Ernährung
der jungen Pflänzchen verwendet zu werden. Nach Reiss (4) geht die
Auflösung der Wandverdickungen auf verschiedene Weise vor sich:
1. Durch allmähliches „Abschraelzen“ von innen nach aussen.
2. Durch „intralamelläre“ Lösung, d. h. die succedane Resorption
findet für benachbarte Zellen zwischen ihren Innenlamellen statt. Die
Mittellamelle bleibt.
3. Durch intralamelläre Verflüssigung, d. h. die secundären Schichten
werden „simultan“ verflüssigt, einschliesslich der Mittellamelle.
4. Durch intralamelläre Lösung mit gleichzeitiger „Corrosion“.
5. Durch „Corrosion“ unter gleichzeitigem Abschmelzen.
6. Ausschliesslich durch „Corrosion“.
Für die Art der Auflösung ist es gleichgültig, ob die Hemicellulosen
dem Endosperm oder den Cotyledonen angehören.“
Zeitschrift f. erp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 32
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Ueber die Löslichkeit und Verdaulichkeit der Cellulose und der
Hemicellulosen im thierischen und menschlichen Darmkanal.
1. Cellulose.
In meinen früheren Arbeiten (43, 55) habe ich in ausführlicher
Weise alles,, was über das Verhalten der Cellulose gegen Enzyme und
Bakterien, über ihre Verdaulichkeit und ihren Nährwerth bei Thier und
Mensch bekannt ist, zusammenhängend dargestellt und zum Theil durch
eigene Untersuchungen ergänzt. Es genügt deshalb, nur die wichtigsten
Momente nochmals hervorzuheben:
Die Cellulose wird beim höheren Pflanzenfresser, besonders bei den
Wiederkäuern, in reichlichem Masse verdaut. Es herrschte lange Zeit
Unklarheit darüber, ob die Cellulose im Darm nach Art der Stärke ge¬
löst und als Zucker resorbirt oder ob sie lediglich durch Einwirkung
von Bakterien zersetzt wird, wobei nur ein Theil ihrer Zersetzungspro-
ducte (Essig- und Buttersäure) dem Organismus zu Gute käme und ihr
Nährwerth bedeutend sinken würde. Diese Frage ist jetzt für den
Wiederkäuer besonders durch die Respirationsversuche Kellner’s (56)
am Rind soweit gelöst, dass die Cellulose mit grösster Wahrscheinlich¬
keit in ein lösliches Stadium überführt wird, in dem sie zum grössten
Theil resorbirt wird, während nur ein kleiner Theil der bakteriellen
Zersetzung anheimfällt. Damit würde die Cellulose ein den übrigen
Kohlehydraten fast gleichwerthiges Nahrungsmittel sein.
Für den Fleischfresser hatte man jede Möglichkeit der Cellulose¬
verdauung bisher geleugnet. Dies scheint nach meinen Untersuchungen
(55) aber zum mindesten nicht allgemein gültig zu sein, wenigstens konnte
ich beim Hunde ziemlich reichliche Celluloseverdauung nachweisen.
Ganz verschieden hinsichtlich ihrer Fähigkeit Cellulose zu verdauen
scheinen sich die niederen wirbellosen Pflanzenfresser zu verhalten. Für
die Raupen, in deren Darrasaft in vitro Celluloselösung nicht beobachtet
wird, habe ich (55) durch Ausnutzungsversuche nachgewiesen, dass sie
die Cellulose in der That quantitativ wieder ausscheiden. Für die ein¬
zelne Raupe fanden sich in 2 gut gehenden Versuchen folgende Zahlen:
I. II.
Aufgenommen: 0,0331 0,0299 Cellulose
Ausgeschieden: 0,0325 0,0309 „
Ich habe weiterhin auch die Celluloseverdauung bei Schnecken nach¬
geprüft, was um so mehr von Interesse war, als bekanntlich bei der
Schnecke (Helix pomatia) im Sekret der Mitteldarmdrüse eine energisch
wirkende Cytase gefunden worden ist. Ich benutzte dazu grosse Exem¬
plare von Helix pomatia und verfütterte an diese in derselben Versuchs¬
anordnung wie bei meinen Raupenversuchen grüne und zarte Blätter vom
Kopfsalat, die von ihren dicken Mittelrippen befreit waren. Diese Ver¬
suche verliefen folgendermaassen:
Gck igle
Original fro-m
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Der Vorgang der Cellulose- u. Hcmicellulosenverdauung beim Menschen etc. 495
I. 12 Schnecken.
Salattrockensubstanz: = 5,20 pCt.
Cellulosegehalt der Salattrockensubstanz: 1,663 pCt.
Futter: 36,30 frische Blätter = 1,8876 Trockensubstanz.
Blätterrückstand: 0,6132 „
Gefressen: 1,2744 Trockensubstanz.
= 0,0212 Cellulose.
Ausgeschieden: 0,4020 Trockenkoth = 0,0039 „
mit 0,97 pCt. Cellulose
Verdaut: 0,0173 Cellulose
= 81,6 pCt.
II. 7 Schnecken.
Salattrockensubstanz = 5,184 pCt.
Cellulosegchalt der Salattrockensubstanz = 4,14 pCt.
Futter: 48,430 frische Blätter = 2,5106 Trockensubstanz
Blätterrückstand: 1,2577 „
Gefressen: 1,2529 Trockensubstanz
= 0,0519 Cellulose
Ausgeschieden: 0,3730 Trockenkoth = 0,0311 „
mit 8,33 pCt. Cellulose
Verdaut: 0,0208 Cellulose
= 40,1 pCt.
Bei der Anstellung derartiger Versuche mit Schnecken laufen
natürlich gewisse Fehler mit unter, die sich bei den Raupen vermeiden
lassen. Der Schneckenkoth ist weich, und es erschwert die Schleim-
production der Thiere das Sammeln des Kothes und das Trennen des¬
selben von den Blättern. Diese Schwierigkeiten sind aber nicht so
gross, dass man sie nicht bei peinlichster Aufmerksamkeit umgehen
könnte, und ich bin sicher, dass mir keine gröberen Versuchsfehler, die
das Resultat wesentlich beeinflussen könnten, unterlaufen sind.
Cytasen hat man nur bei niederen Thieren und in Pflanzen gefunden.
Merkwürdiger Weise fehlen sie bei den Wiederkäuern, die so reichlich
Cellulose verdauen, in den Extrakten und Sekreten der Verdauungsorgane
und -Schleimhäute vollständig. Auch ich habe in Organsäften und
-Extrakten bei Anwendung reiner Cellulose niemals eine Lösung der
Cellulose beobachten können, wie folgende Zahlen zeigen:
Angewendete
Cellulose
Zurückgewog.
Cellulose
Schweinspankreaspresssaft ....
0,415
0,449
0,529
0,533
Schweinspankreasextract (mit Soda¬
0.480
0,501
lösung extrahirt).
0,533
0,575
Pankreaspresssaft + Darmschleimhaut-
0,239
0,245
presssaft (Schwein) zu gleichen Theilen
0,822
0,832
M| rn
32 *
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H. Lohrisch,
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496
Die Verdauungsflüssigkeiten waren mit Toluol versetzt und wurden
mit der Cellulose 43 bis 48 Stunden bei 37° gehalten. Wie man sieht,
hat auch die Combination von Pankreas mit Darmsaft, von der man
etwa eine Activirung des Pankreas hätte erwarten können, keinen Ein¬
fluss. Die etwas höheren zurückgewogenen Cellulosewerthe erklären sich
durch Verunreinigungen, die trotz Filtrirens und reichlichen Waschens
aus den Verdauungsflüssigkeiten zurückgeblieben sind.
Reichliche Lösung von Cellulose hat man bisher nur in dem natür¬
lichen, mehr oder weniger flüssigen Inhalt des untersten Dünndarms,
Coecums, Dickdarms und Recturas beim Wiederkäuer, Pferd und
Kaninchen beobachtet. Mit diesem auffallenden Vorgang haben sich
besonders V. Hofmeister (57), Holdefleiss (58) und Scheunert (59)
beschäftigt.. Es ist bisher nicht gelungen, aus dem genannten Darm¬
inhalt eine Cytase zu gewinnen, und es ist deshalb noch nicht ganz klar,
auf welchem Wege die Cellulose gelöst wird, ob durch Enzyme oder
Bakterien, oder etwa durch beide zusammen. Scheunert fand, dass
filtrirte Coecalflüssigkeit viel weniger Cellulose löst, als nur colirte.
Am geringsten war die Celluloselösung in Berkefeldfiltraten. Je bakterien¬
ärmer also die Flüssigkeit war, desto geringer war die Celluloselösung.
Scheunert schreibt deshalb ausschliesslich den Bakterien eine Rolle
bei der Lösung der Cellulose im Coecalinhalt zu. Hofmeister und
Holdefleiss neigen dagegen zu der Auffassung, dass es Enzyme sind,
die im Coecalinhalt lösend wirken. Dass die Filtrate geringere Lösung
zeigen, hatte schon Holdefleiss bemerkt, führte dies aber darauf zurück,
dass bei dem sehr langsam vor sich gehenden Filtriren durch Einwirkung
der atmosphärischen Luft die Enzyme in den Verdauungsflüssigkeiteil
unwirksam würden. Nach Hofmeister lösen Fäulnis, Bakterien und
Vibrionen die Cellulose nicht, sie heben aber die celluloselösende Kraft
der Darmflüssigkeiten nicht auf, „Kochhitze dagegen zerstört die Eigen¬
schaft der Darraflüssigkeiten, Cellulose zu lösen, total. Die Wahr¬
scheinlichkeit tritt immer lebhafter hervor, dass die Lösung der Cellu¬
lose durch ein Ferment bedingt wird. u
Wie man sieht, stehen sich auch hier wieder, wie so oft bei allen
Cellulose betreffenden Fragen, die Ansichten schroff gegenüber; und doch
wäre gerade eine befriedigende Lösung der Frage, wie die Cellulose¬
lösung im Coecalinhalt vor sich geht, sehr wünschenswerth und für die
ganze Cellulosefrage überhaupt von principieller Bedeutung. Ich habe
deshalb eine Nachprüfung der Scheunert’schen Untersuchungen vor¬
genommen und ging dabei von dem Standpunkt aus, gekochten, also
nicht verdauenden Coecalinhalt mit Coecalbakterien zu impfen und zu
sehen, ob nach der Impfung wieder Celluloselösung eintritt. Ich hoffte
damit Anhaltspunkte für die Entscheidung der Frage, ob Enzyme oder
Bakterien dabei thätig sind, zu gewinnen. Gleichzeitig wollte ich den
von Holdcfl eiss angenommenen Einfluss des längeren Stehens an der
Luft auf die verdauende Kraft des Coecalinhalts prüfen.
Ich verwendete Coecalflüssigkeiten vom Pferd, die dem frisch ge¬
schlachteten Thiere entnommen und möglichst schnell in colirtera Zustand
Gck igle
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Der Vorgang der Cellulose- u. Heraicellulosenverdauung beim Menschen etc. 497
zur Verwendung kamen. Mit den ungekochten Colaten von 5 frischen
Cöcalflüssigkeitcn wurde zunächst die celluloselösende Eigenschaft der
Flüssigkeiten nochmals festgestellt. Sodann wurden 2 von diesen Colaten
gekocht, mit Cöcalbakterien geimpft und in diesem Zustande auf Cellulose¬
lösung untersucht. Die Versuche wurden so angestellt, dass die ab¬
gewogene Cellulosemenge in kleinen Bechergläsern zunächst mit etwas
destillirtem Wasser im Brutschrank längere Zeit zum Quellen gebracht
wurde, um den Verdauungsflüssigkeiten ein besseres und schnelleres Ein¬
dringen in die Cellulose zu ermöglichen. Dann erst wurden die Ver¬
dauungsflüssigkeiten (ca. 50 ccm) zugesetzt, worauf die Bechergläser mit
Inhalt auf ca. 3 Tage im Brutschrank bei 37—40° gehalten wurden.
In den Colaten waren mikroskopisch nur kleine Cellulosereste zu sehen,
massenhaft Bakterien und viele lebende Protozoen verschiedener Formen.
Besonders letzteren hat man ja Bedeutung für die Celluloselösung zu¬
geschrieben (59). Gekocht wurden die Colate in grossen Kochkolben
am Rückflusskühler 3—4 Stunden lang, ohne dass durch starkes Schäumen
viel verloren gegangen wäre. Die Sterilität der gekochten Colate wurde
durch Impfung von Bouillonröhrchen controllirt. Das gekochte Colat
blieb vor der Impfung mit Cöcalbakterien zunächst einen Tag im Brüt¬
schrank. Erwies es sich dabei als steril, so erfolgte die Impfung und zwar
wurden 2 Proben von Colat I (vergl. Tab. II) mit dem Inhalt von vier
Bouillonröhrchen, die mit Bakterien von dem frisch entnommenen Cöcal-
inhalt I geimpft und stark getrübt waren, versetzt. Bei Colat II wurden
10 ccm des dem frisch geschlachteten Pferd entnommenen Cöcalinhaltes
III, welcher Cellulose gut löste und lebende Protozoen enthielt, zugesetzt.
Die geimpften Proben kamen auf ca. 3 Tage in den Brütschrank zurück.
Danach wurde die Flüssigkeit vom Ungelösten abfiltrirt, was oft längere
Zeit in Anspruch nahm, obwohl ich nicht nöthig hatte, erst mit iy 4 pro-
centiger Kalilauge zu kochen, wie Scheunert vorschlägt. Dann wurde
reichlich mit Wasser, Alkohol und Aether gewaschen, gewogen und
verascht. Der Aschegehalt der angewendeten und restirenden Cellulose
wurde abgezogen. Meine Versuche unterscheiden sich von denen Hof¬
meisters und Scheunert’s dadurch, dass sie mit reiner Cellulose
angestellt sind, nicht mit Rohfaser, dass also auch die Resultate sich
auf reine Cellulose beziehen. Bei Anwendung von Rohfaser ist, wie
Hofmeister bemerkt, doch auch der die Rohfaser incrustirenden Sub¬
stanzen zu gedenken, die zur Lösung kommen können. Deshalb lässt
Hofmeister bei Anwendung von Rohfaser z. B. eine Lösung von 8,8 pCt.
Rohfaser nicht als Beweis für Lösung von Cellulose gelten, sondern
betrachtet Cellulose erst dann gelöst, wenn ca. 20 pCt. Rohfaser in
Lösung gegangen sind. Auch eine etwaige Lösung von Pentosanen
kommt als Fehlerquelle bei Anwendung von Rohfaser in Betracht; denn
dass in der Rohfaser der Weender-Methode Pentosane enthalten sind,
haben Tollens, E. Schulze und Winterstein häufig constatirt (50).
Wie die Tabelle I zeigt, hat eine reichliche, zum Theil über 50 pCt.
betragende Lösung der reinen Cellulose in den frischen Colaten statt¬
gefunden. Im Versuch No. 4 hatte ich eine Cellulose verwendet, die ich
nicht mit Alkohol und Aether getrocknet, sondern unter Wasser auf-
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498 H. Lohrisch,
Tabelle I.
No.
Verdauungs-
tlüssigkcit
ö q
t- cö
CQ *-
s «
Std.
Angewendete
Cellulose
Ungelöste
Cellulose
0 §
« ©
•2 3
<£> zz
00
pCt,
Bouillonröhrchen
1 .
Colat I, vor Vj 2 Std.
dem Thier entnom¬
men, alkalisch
Colat II, vor 3 V 2 Std.
entnomm., alkalisch
71V*
1,179
1,199
0,551
0,556
53,3
53,6
Reichl. Wachsthum,
starke Trübung.
2.
721/2
0,640
0,486
24,1
do.
3.
Colat III, vor 1 3 / 4 Std.
entnomm., alkalisch
92
0,714
0,503
28,4
do.
4.
Colat IV, vor 4 Std.
entnomm., alkalisch
71 V«
4,529
3,423
24,4
do.
5.
Colat V, vor 2 V 4 Std.
entnomm., alkalisch
72
1 ,OS99
0,7870
27,8
do.
Tabelle II.
6.
Colat I, gekocht
72
0,706
0,709
0
Steril.
0,830
0,845
0
7.
Colat I, gekocht,
731/2
1,227
1,226
0
Vor der Impfunc
mit Bouilloncultur
1,221
1.251
0
steril, nach der
geimpft
Impfung reichliches
Wachstimm.
8.
Colat 11, gekocht,
mit 10 ccm Colat III
96
0,856
0,870
0
do.
geimpft
bewahrt hatte. Ich wollte damit prüfen, ob etwa die getrocknete Cellu¬
lose schwerer angreifbar sei als die in feinster Vertheilung befindliche in
Wasser aufgefangene. Hofmeister hatte gefunden, dass eine so auf¬
bewahrte Rohfaser leichter lösbar war. In meinem Falle konnte ich
dies nicht bestätigen, sodass ich späterhin immer getrocknete Cellulose
verwendete. Bestätigt wird, wie die Tabelle II zeigt, die Hofmeister’sche
Angabe, wonach gekochte Colate ihre Lösungsfähigkeit einbüssen. Die
bei dem Wiegen der Rückstände zumeist erhaltenen etwas höheren Werthe
beruhen auf Verunreinigungen (Bakterien, Cellulosereste), die aus den
Colaten stammen und beim Filtriren zurückgehalten werden. Die
Tabelle II zeigt weiterhin, dass Zusatz von Colatbakterien die gekochten
Colate nicht befähigt, Cellulose zu lösen.
Weitere Versuche sollten Aufschluss darüber geben, ob das Filtriren
der Flüssigkeiten Einfluss auf die Lösung der Cellulose hat. Das
Filtriren wurde durch grosse doppelte Faltenfilter von Schleicher & Schüll
vorgenommen, einmal (No. 11) wurde der Cöcalinhalt reichlich mit Kiesel-
guhr versetzt und dann filtrirt, wobei ein fast klares Filtrat erhalten
wurde. Die Resultate enthält Tabelle III.
Das Filtriren hebt also in der That die Lösung der Cellulose voll¬
ständig auf. Hierbei können zwei Faktoren in Frage kommen: die
Verminderung der Bakterien im Filtrat oder ein etwaiger Einfluss des
beim Filtriren unvermeidlichen längeren Stehens der filtrirenden Flüssig-
Gck igle
Original fro-m
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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemioellulosenverdauung beim Menschen eto. 499
Tabelle III.
No.
Verdauungs¬
flüssigkeit
a fl
m £
Std.
Angewendete
Cellulose
Ungelöste
Cellulose
Gelöste
P Cellulose
Bouillonröhrchen
9.
Colat I. 12 mal
durch doppeltes
Filter fiitrirt
72
0,740
1,232
0,736
1,229
0
0
Langsam eintreten¬
des, massig reich¬
liches Wachsthum.
10 .
Colat II,
1 mal fiitrirt
70
1,100
1,105
0
Reichliches Wachs-
thura.
11.
Colat II,
Kieselguhrfiltrat
72
1,450
1,445
0
Sehr langsam ein¬
tretendes u. gering
bleibendes Wachs¬
thum.
keit an der Luft, wobei die Luft mit dem Filtrat in innige Berührung
zu kommen Gelegenheit hat.
Um hierfür womöglich einige Anhaltspunkte zu finden, wurden noch
folgende Versuche ausgeführt. Ich Hess colirten und uncolirten Cöcal-
inhalt bei Zimmertemperatur und im Brütschrank bei 38° verschieden
lange Zeit unbedeckt unter öfterem Umrühren stehen. In einem Versuch
(No. 19) wurde ein Colat 24 Stunden in Eis aufbewahrt. Hatte der
Cöcalinhalt uncoliert an der Luft gestanden, so wurde er natürlich zur
Anstellung des VerdauungsVersuches colirt. Die Versuche sind in ihren
Einzelheiten auf den Tabellen IV, V und VI verzeichnet.
Tabelle IV.
No.
Verdauungs¬
flüssigkeit
fl fl
B %
Std.
Angewendete
Cellulose
Ungelöste
Cellulose
»o Gelöste
P Cellulose
Bouillonröhrchen
12 .
Coecalinhalt II,
24 Std. bei Zimmer¬
temperatur uncolirt
72
0,924
0,837
9,4
Reichliches Wachs¬
thum.
13.
Coecalinhalt II,
9 Tage bei Zimmer¬
temperatur uncolirt
718/ 4
1,305
1,354
0
Reichliches Wachs¬
thum.
14.
Colat I, 24 Std.
bei Zimmertemperat.
76
0,722
0,738
0
Reichliches Wachs¬
thum.
Es ist ein Einfluss des Stehens an der Luft bei Zimmertemperatur
nicht zu verkennen. Im Cöcalinhalt, der uncolirt gestanden hat, nimmt
die Celluloselösung umsomehr ab, je länger die Flüssigkeit gestanden
hat. Als Colat aufbewahrter Cöcalinhalt ist schon nach 24 Stunden
unwirksam.
Auch in Tabelle V ist ein deutlicher Einfluss des Stehens an der Luft
zu erkennen, nur dass hier das Lösungsvermögen nicht so rasch ver¬
schwindet wie bei der Aufbewahrung bei Zimmertemperatur. Es nimmt
aber schrittweise ab, je länger der Coecalinhalt gestanden hat.
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Go gle
Original fro-m
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500 H. Loh risch,
Tabelle V.
No.
Vcrdauungs-
flüssigkeit
«ö
CO *-
.C
s 2
Std.
Angewendete
Cellulose
Ungelöste
Cellulose
■o Gelöste 1
2 Cellulose |
Bouillonröhrchen
15.
Coecalinhalt III,
4 V 2 Stunden
uncolirt bei 38°
88
1,504
1,089
27,6
Reichliches Wachs¬
thum
16.
Coecalinhalt III,
9 3 / 4 Stunden
uncolirt bei 38°
88
0,831
0,678
18,4
do.
17.
Coecalinhalt V,
19 1 /* Stunden
uncolirt bei 38°
73
1,2213
1,0115
17,9
do.
18.
Coecalinhalt 11,
27V2 Stunden
uncolirt bei 38°
72
0,990
0.824
16,8
do.
Tabelle VI.
No.
Vcrdauungs-
iÜissigkeit
Sg
« 2
rC
fl O
£ w
Std.
Angewendete
Cellulose
1
Ungelöste
Cellulose
1
T3 Gelöste |
2 Cellulose
Bouillonrührchen
19.
Colat II, 27V 2 Std.
in Eis
72-/4
0,918
0,709
22,7
Massig reichliches
Wachs th um
Hier (Tabelle VI) ist das Lösungsvermögen für Cellulose nur in
geringem Grade vermindert.
Den Einfluss einer etwaigen bakteriellen Thätigkeit bei der Cellu¬
loselösung sollten noch folgende Untersuchungen illustrieren: Es wurde
der Versuch gemacht, durch Zusatz antiseptischer Substanzen das
Bakterienwachstum zu hemmen, ohne jedoch eine etwaige Enzymwirkung
aufzuheben. Dazu benutzte ich Carbollösung, Thymol und Toluol und
erhielt dabei folgende Zahlen:
Tabelle VII.
No.
Verdauungs¬
flüssigkeit
■*5 m
§
PQ i-
rfl
fl °
fl 92
1—1
Std.
Angewendete
Cellulose
Ungelöste ^
Cellulose
Gelöste
2 Cellulose
Bouillonröhrchen
20 .
Colat V (50 ccm)
mit 15 ccm 2 proc.
Carbollösung
69v 4
0,7553
0,5627
25,5
Leichte Trübung
21 .
Colat V (50 ccm)
mit 5 ccm Toluol
721/*
0,7738
0,7840
0
Steril
22 .
Colat V mit reich¬
lich Thymol
70
1,0303
1,0570
0
Steril
23.
Colat IV mit reich¬
lich Thymol
72
3,695
3,715
0
Leichte Trübung
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Der Vorgang der Cellulose- u. HemicellulosenVerdauung beim Menschen etc. 501
Zu diesen Versuchen möchte ich folgendes bemerken: Bestätigt
wird durch dieselben zunächst die von allen Untersuchern festgestellte
Fähigkeit des Coecalinhaltes, Cellulose zu lösen, ferner die hemmende
Wirkung des Kochens. Ein Theil meiner Resultate lässt sich aber durch
die Annahme aussschliesslicher bakterieller Zersetzung der Cellulose
nicht genügend erklären. So ist es doch sehr auffallend, dass bei der
Impfung mit Coecalbakterien und Protozoen die Celluloselösung ausbleibt.
Es müsste, wenn man die bakterielle Lösung zur Voraussetzung macht,
dann doch wenigstens eine nachweisbare, wenn auch geringe Cellulose¬
lösung eintreten. Auffallend ist auch die allmähliche Hemmung der
Celluloselösung, die eintritt, wenn die Coecalflüssigkeiten bei 38° kürzere
ödere längere Zeit aufbewahrt werden. Hier haben offenbar die Bak¬
terien und Protozoen die besten und auch ganz gleichmässigen Bedin¬
gungen für ihr Weiterleben, was sich darin zeigt, dass in dem 24 Stunden
stehenden Coecalinhalt noch lebende Protozoen zu sehen waren. Trotz¬
dem wird die Celluloselösung mit der Länge des Stehens geringer. Ver¬
gleicht man hiermit die kaum verminderte Celluloselösung im Eiscolat,
in dem die Lebensbedingungen für die Bakterien schlechter, die Bedin¬
gungen für die Erhaltung der enzymatischen Wirksamkeit aber gute
waren, so drängt sich hier doch der Gedanke auf, dass es zum mindesten
nicht ausschliesslich Bakterien sind, welche Cellulose lösen, sondern dass
auch Enzyme thätig sind, welche beim längeren Stehen an der Luft an
Wirksamkeit einbüssen. Dasselbe kann man, glaube ich, aus den Ver¬
suchen No. 12—14 bei Zimmertemperatur entnehmen. Es waren auch
hier die Bakterien unter gleichmässigen Lebensbedingungen, wenn auch
nicht unter so günstigen wie bei 38°. Trotzdem macht sich auch hier
die Länge der Aufbewahrungszeit durch Verminderung der Cellulose¬
lösung bemerkbar.
Ich verhehle mir andererseits aber nicht, dass auch manches für
eine Bakterienwirkung zu sprechen scheint. So besonders die Hemmung
der Celluloselösung beim Filtriren. Allerdings haben die Flüssigkeiten
gerade hierbei Gelegenheit, in innige und wiederholte Berührung mit der
atmosphärischen Luft zu kommen und dadurch an enzymatischer Wirk¬
samkeit einzubüssen. Auch der Umstand, dass bei 38° die Cellulose¬
lösung am besten erhalten bleibt, kann zu Gunsten der bakteriellen
Lösung gedeutet werden. Schliesslich sprechen auch noch die Versuche
mit Thymol und Toluol in diesem Sinne, womit aber wiederum nicht
übereinstimmt, dass bei Carbolzusatz, wobei das Bakterienwachsthum
stark vermindert war und Protozoen lebend sicher nicht mehr vorhanden
sein konnten (wenigstens waren die Protozoen im Mikroskop ohne Be¬
wegung) die Celluloselösung kaum gehemmt war.
Ich möchte mich deshalb bei Beurtheilung der Frage, ob im Coecal¬
inhalt die bakterielle oder enzymatische Celluloselösung für wahrschein¬
licher gelten soll, auf Grund meiner Untersuchungen mit aller Vorsicht
ausdrücken und nur sagen, dass man nach den Hofmeister’schen
Untersuchungen eben so wenig berechtigt ist, ohne Weiteres jede bak¬
terielle Thätigkeit bei der Celluloselösung auszuschliessen, als man
aus den Scheunert’schen Untersuchungen, die ja auf den ersten Blick
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502
H. Lohrisch,
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viel Bestechendes haben, die Frage als definitiv entschieden im Sinne
einer bakteriellen Lösung ansehen kann. Meine Untersuchungen ergeben
doch eine Anzahl von Punkten, die nicht recht zu der Annahme aus¬
schliesslicher bakterieller Lösung passen und die man, glaube ich, nicht
wird ignoriren können. Die definitive Lösung der Frage bleibt weiteren
Untersuchungen Vorbehalten.
Was über die Verdauung der Cellulose im menschlichen Darrakanal
und ihre Verwerthung im menschlichen Organismus bisher durch die
Untersuchungen früherer Autoren und eigene Untersuchungen bekannt
geworden ist, habe ich in früheren Arbeiten (43, 55) zusamraengestellt.
Meine eigenen Resultate gipfelten in folgenden Punkten: Der Mensch ist
im Stande, die Cellulose je nach dem Alter, dem Ursprung und der
härteren oder zarteren Beschaffenheit des cellulosehaltigen Nährmaterials
mehr oder weniger gut, unter Umständen vollständig auszunutzen.
Ich habe die Celluloseausnutzung auch bei einer Anzahl von Magen- und
Darmerkrankungen bestimmt und dabei folgende Mittelwerthe erhalten:
Celluloseausnutzung
in pCt.
Normale.57,9
Chron. habituelle Obstipation .... 81,4
Gährungsdyspepsie.37,8
Gastrogene Diarrhöen.29,5
Fettstuhl bei Ikterus.. 27,8
Fettstuhl bei Pankreaserkrankung . . . 20,9
2. Hemicellulosen.
Das Verhalten der Hemicellulosen im thierischen Magendarrakanal
ist bei weitem nicht so eingehend studirt wie das der Cellulose. Die
Wirkung von Enzymen und Bakterien auf Hemicellulosen und ihre Ver¬
daulichkeit soll im Folgenden kurz geschildert werden:
Schulze, Steiger und Maxwell (24) konnten bei Behandlung
ihres paragalactanhaltigen Rückstandes mit Diastase Lösung der Hemi-
cellulose, aber keine Zuckerbildung constatiren, eben so bei Behandlung
des Paragalactoarabans. Wenn sie die Hemicellulose 5—6 Tage lang
bei 35—40° mit den Fermenten im Brutschrank hielten, so löste
Diastase 38,1 pCt., Takadiastase 35,3 pCt. Ptyalin löste 40,4 pCt.
Kochte man die abfiltrirte Lösung mit Salzsäure, so gab sie danach
deutliche Zuckerreaktion, ein Beweis, dass Hemicellulose in Lösung
gegangen sein musste. Ebenso verhielt sich Pankreatin, welches 15,3 pCt.
löste. Pankreassekret dagegen löste nach Schulze, Steiger und
Maxwell (24) Hemicellulose nicht auf. Dieselben Autoren fanden, dass
ein Extract von Magenschleimhaut Hemicellulose löst; sie setzten die
Lösung der Hemicellulose nicht auf Rechnung des Pepsins, sondern
schrieben sie der zugesetzten Salzsäure zu, welche etwa zu 1 pCt. in
der Lösung enthalten war. Schulze (34), der später fand, dass schon
0,1 proc. Salzsäure Hemicellulose löst, glaubte, dass bereits im Magen
unter dem Einfluss der Magensalzsäure ein Theil der Hemicellulose in
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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 503
Lösung gehen kann. Dies konnte Slowtzoff (60) bestätigen: Wenn er
gekochten und ungekochten Magensaft mit 0,2—0,3 proc. Salzsäure auf
Xylan wirken liess, so trat in beiden Proben Zuckerbildung ein.
Ptyalin und Pankreas lösten Xylan nicht.
In neuerer Zeit hat Saiki (40) mit einer Anzahl von Meeresalgen,
darunter Agar-Agar, Verdauungsversuche ausgeführt. Wenn er die Algen
mit Speichel, Pankreassecret nach Injection von Secretin, Pankreas-
extract und Darraextract von Hunden und Schweinen, ferner mit Malz-
und Takadiastase und Inulase bei 40° 20 Stunden im Brutschrank hielt,
so konnte er bei Verwendung von irländischem und isländischem Moos
nur mit Takadiastase und Inulase geringe Zuckerbildung nachweisen.
Ich selbst habe versucht, den löslichen Agar durch Fermente in Zucker
überzuführen, ohne allerdings genaue quantitative Zuckerbestimmungen
dabei auszuführen. Eine wässerige dünne Agarlösung giebt mit Trommer,
wie schon erwähnt, eine trübe, schmutzig braune Farbe beim Erhitzen,
die gegen die sonstige Reaction bei Untersuchung zuckerhaltiger Flüssig¬
keiten, bedingt durch den Ausfall schön rothen Kupferoxyduls, stark
absticht. Wenn ich nun gelösten Agar mit Speichel, Takadiastase, Pan¬
kreaspresssaft und Pankreatinsodalösung, welche sämmtlich sich gegen
Stärke wirksam zeigten, versetzte, 3 Tage im Brutschrank liess und
dann in der gleichen Verdünnung wie eine wässerige Controllagarlösung
die Trommerprobe anstellte, so erhielt ich niemals einen deutlich posi¬
tiven Ausfall der Probe, sondern immer nur die erwähnte schmutzig
braunrothe Färbung, woraus ich schloss, dass eine wesentliche Ver¬
zuckerung nicht stattgefunden hatte.
Bemerkenswerth ist, dass auch für die Hemicellulosen beim niederen
Thier hydrolysirende Fermente gefunden worden sind. Seilliere fand
im Secret des Hepato-Pankreas von Helix pomatia (61), im Secret des
Verdauungskanals gewisser Käferlarven (Phymatodes variabilis L.) (62),
ferner ausser bei Helix pomatia auch bei anderen Helixarten und bei
der sogenannten Egelschnecke (Limax) und schliesslich im Hepato-Pan¬
kreas der Napfschnecke (Patella vulgata L.) (63), die zu den Gastropoden
gehört, ein Ferment, welches Xylan energisch in Zucker umwandelt und
welches er Xylanase nannte.
Ueber das Verhalten der Hemicellulosen gegen Bakterien ist wenig
bekannt. Saiki (40) prüfte die Einwirkung von Coliculturen auf Nähr¬
böden, welche aus gepulverten Meeresalgen und Moosen bestanden und
mit Witte-Pepton versetzt waren. Er konnte hierbei keine Zuckerbildung
beobachten. Auf einem der Nährboden (Agar-Agar, Cetraria, Chondrus)
fand sich regelmässig eine geringe Gasentwicklung. Frühere Unter¬
suchungen von Hoppe-Seyler (64) machen es wahrscheinlich, dass die
Hemicellulose unter Umständen in ähnlicher Weise einer Vergährung
anheimfallen kann wie die Cellulose: Wenn er lufttrockenes Xylan mit
Flussschlamm versetzte, beobachtete er wie bei der Cellulose eine langsam
eintretende Gährung unter Bildung von Essigsäure, Kohlensäure und
Sumpfgas, welche ausserordentlich lange Zeit in Gang blieb, so dass
noch nach einem halben Jahre reichliche Gasentwicklung vorhanden war.
Slowtzoff (60) fand, dass Xylan in faulender Flüssigkeit erst vom
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8. Tage ab verschwindet. Dass es Bakterien giebt, die Heraicellulose
durch Vergährung lösen können, hat auch Ankersmit (65) gezeigt.
Es sind Stäbchen, welche mit dem Bacillus asterosporus identisch sind.
Er konnte dieselben aus Heu züchten. Sie kamen aber nur in geringer
Zahl vor und können seiner Ansicht nach bei den Verdauungsvorgängen
im Darrakanal des Rindes keine wesentliche Rolle spielen.
Ueber die Verdaulichkeit der Hemicellulosen liegen eine grössere
Anzahl Untersuchungen vor. Ich beginne mit den niederen Pflanzen¬
fressern. Hier habe ich bei den schon oben erwähnten Versuchen an
Raupen (55) und Schnecken gleichzeitig mit der Cellulose auch die
Hemicellulosen des Futters und der Excreraente bestimmt. Für die
Raupen erhielt ich folgende Zahlen:
I.
Gefressen: 6,696 Trockensubstanz = 1,5133 Hemicellulose
Ausgeschieden: 4,672 Trockenkoth = 0,8082 „
Verdaut: 0,7051 Hemicellulose
= 46,6 pCt.
II.
Gefressen: 5,437 Trockensubstanz = 1,2288 Hemicellulose
Ausgeschieden: 3,788 Trockenkoth = 0,5265 „
Verdaut: 0,7023 Hemicellulose
= 57,1 pCt.
Raupen verdauen also Hemicellulosen ziemlich gut, ebenso aber
auch Schnecken, wie folgende Zahlen zeigen:
1 .
Gefressen: 1,2744 Trockensubstanz = 0,0926 Hemicellulose
Ausgeschieden: 0,4020 Trockenkoth = 0,0857 „
Verdaut: 0,0069 Hemicellulose
= 7,45 pCt.
II.
Gefressen: 1,2529 Trockensubstanz = 0,1328 Hemicellulose
Ausgeschieden: 0,3730 Trockenkoth = 0,0407 „
Verdaut: 0,0921 Hemicellulose
= 69,3 pCt.
Bei der Prüfung der Verdaulichkeit der Hemicellulosen beim höheren
pflanzenfressenden Thiere ist man fast immer von den Pentosanen aus¬
gegangen, da dieselben sich am reichlichsten in den grünen Futtermitteln
finden. Folgende Versuche illustriren das Verhalten der Pentosane:
Stone und Jones (66) haben Heu an Schafe verfüttert und den
Pentosangehalt des Futters mit dem des Kothes verglichen. Das Futter
enthielt 8,85—16,16 pCt. Verdaut wurden 44—71 pCt. Pentosan.
Weiterhin hat Weiskc (67) Versuche über die Pentosanausnutzung an¬
gestellt. Verfüttert wurde an Hammel Wiesenheu mit 27,64 pCt. und
Hafer mit 15,55 pCt. Pentosanen. Es gelangten durchschnittlich 65,1 pCt.
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Her Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 505
Pcntosane zur Verdauung. Bei Kaninchen erhielt Weiske bei Hafer¬
fütterung eine Verdauung der Pentosane von 53,81 pCt. Aehnliche
Resultate erzielten Lindsey und Holland (68) bei Verfütterung von
Heu und Biertrebern; hier betrug die Verdaulichkeit 55—89 pCt. Nach
Slowtzoff’s (60) Untersuchungen wurde von Kaninchen reines Xylan im
Mittel zu 55,78 pCt. ausgenutzt. Endlich cxistiren noch Ausnutzungs¬
versuche von Saiki (40) an Hunden. Er fand für Chondrus crispus eine
Ausnutzung von 40 pCt., für Cetraria islandica nur eine solche von 19 pCt.
Meine eigenen Untersuchungen über die Verdaulichkeit der Hemi-
cellulosen beim Thier erstrecken sich auf Hunde und Kaninchen 1 ). Ich
benutzte als Futter gewöhnlichen und löslichen Agar. Es wurde mittels
der Strasburger’schen Methode der Gehalt des Agars und der Ex-
creraente an zuckerbildender Substanz ermittelt. Für den gewöhnlichen
Agar betrug er 77,2 pCt., für den löslichen Agar 67,8 pCt. Die Resultate
giebt die Tabelle wieder.
Futter
Aufgenommencr
Agar = Hemicellulose
Aus¬
geschiedene
Hemicellulose
Verdaute
Hemicellulose
pCt.
Kaninchen I
Gewöhnlicher Agar
18,77 = 14,48
7,1
50,9
Kaninchen 11
do.
11,8 = 9,11
4,71
48,3
Kaninchen III
Löslicher Agar (in
9 Tagen eingeführt)
95,9 = (55,02
14,2
78.1
Hund
do.
53 = 35,9
11,7
67,3
Ueber die Verdaulichkeit der Hemicelluloscn beim Menschen ist sehr
wenig bekannt. Es existiren nur einige Ausnutzungsversuche mit Algen
und Moosen von Poulsson (69) und Saiki (40). Poulsson verabreichte
in zwei Versuchen an gesunde Personen Cetraria islandica (Isländische
Flechte 2 ). Die eine Person nahm 218,79 g Cetraria-Kohlehydrate und
verdaute 107,76 g = 49,25 pCt. Eine zweite Person verdaute von
209,55 Kohlehydraten 96,85 g = 46,22 pCt. Saiki stellte folgende
Versuche an:
Nahrung
Ausgeschiedene
Hemicellulose
Verdaute
Hemicellulose
pCt.
20 Agar =
10 Hemicellulose 8 )
9,2
8
24 Agar =
12 Hemicellulose
8,8
27
40 Wakama =
4,7 Hemicellulose
3,4
28
45 Kombu =
11,4 Hemicellulose
2,5
78
1) Die Kaninchen wurden gleichzeitig zu anderen Versuchszwecken benutzt,
über welche weiter unten berichtet wird. Daselbst finden sich auch genauere An¬
gaben über die Verfütterung des Agars und das Sammeln des Kothes. Beim Hund
liess sich der Koth mit Carmin und Knochen exakt abgrenzen.
2) DiegebräuohlicheBezeichnung „isländisches Moos u ist nach Poulsson falsch.
3) Nach Saiki berechnet.
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3;«iki eitirt Dntersuchüngeii von ö,slvinra (TO), wefeher die.- Aus»
nfitziiiu; der- Kohlehydrate der gewöhnlichen - gomijHddertvKest' M. itü >**'-*-••
•ii<> der Kohlehydrate der Vhnsresalgcn und Moose dorc-hsehiiiitltdi nur
tu :>y,S put. fand.
Ich habe m.sbe.v'>ndere die 'Verdaulichkeit .des lösliche« Agars 'beim
Men.sr.heii sfudirt. Oer lösliche'Agar wird iw weilen Wim :mcasehlie.ben-
Darm schlecht, vertragen, reizt manchmal und macht gern etwas. Leib-
schmerz, Koller« und besoideunigten Stuhlgang, zuweilen starke Diarrhöen.
In; anderen Fallen -erregt' er selbst tu grösseren Dosen keinerlei
Kmplir,düngen, Der Agarkoth ist, wenn keine Diarrhöen auflreten, diek-
br.-i-.v um] klebrig. Der Agar wurde m Losung verabreicht, entweder
• n Wasser, Kaffee oder 'Bouillon. Die übrige Kost war völlig kolde-
Itydiatfrei. ln den , in dei Tabelle wtodfjrgegebenen Versuchen in, in,
muih der Aufnahme dos Agars-' kein«. Störungen (Diarrhöe») ein.
AWi>exi‘>umujtt
b N^uvFi/in^s hat Helo< \a (/bus<:imft t. evpmtn. PaUioL un«l Tvrapie l 1 »,
% L fId !!) u*•*ipö t liu-.’SDtiMinjjvfi über <1 id Ol^tipaiidn nadi^epnift n»1
Mar!» tle.T ,ju*iDiiuü\>n Srit.;* hin. für ftilveiss, Feit und Köhkhy»irat*?. jr;
allen Po olden ärigt.
Der Vorgang der Cellulose- u. llemicellulosenverdauimg beim Menschen etc. 507
Weitere Untersuchungen über den Ablauf der Cellulose- und Hemi-
celluloseverdauung beim Menschen und über den Nährwerth und Nutz¬
effect der genannten Substanzen für den menschlichen Organismus.
Nachdem festgestellt ist, dass der Mensch Cellulose und Hemi-
cellulosen reichlich zu verdauen vermag, erhebt sich die Frage, ob es
erlaubt ist, den Modus der Verdauung dieser Substanzen, wie er von
Kellner (56) für den Wiederkäuer festgestellt ist, ohne weiteres auf den
Menschen zu übertragen, oder ob hier etwa die Verdauungsvorgänge sich
nach der Tappeiner’schen (72) Theorie von der Celluiosegährung,
analog welcher nach den oben erwähnten Untersuchungen Hoppe-
Seyler’s (64) ja auch eine Hemicellulosengährung vorzukommen scheint,
abspielen.
Gährungsprocesse kommen nach Kellner’s Untersuchungen beim
Wiederkäuer höchstens für den Theil der Cellulose und Hemicellulosen
in Frage, der nicht gelöst und resorbirt wird. Der grösste Theil der
genannten Substanzen wird resorbirt, und zwar konnte Kellner in seinen
gross angelegten und mit allen Cautelen ausgeführten Respirations¬
versuchen am Ochsen mit aller Sicherheit feststellen, dass die Cellulose
und die Furfurol gebenden Substanzen (Pentosane) an der Fettbildung
theilnehmen und Eiweiss sparen. Dieses Verhalten der Pentosane und
Cellulose hat nichts Ueberraschendes, wenn man sich einmal vergegen¬
wärtigt, welche Mengen der fraglichen Substanzen denn der Wiederkäuer
verarbeitet. Zum Beispiel verzehrt und verdaut ein Ochse von 680 kg
innerhalb 24 Stunden folgende Quantitäten (56):
Trocken¬
futter
Roh¬
protein
Fett
N-freie
Extractstoffe
pentosanfrei
Pentosane
Rohfaser
kg
kg
kg
kg
kg
kg
Verzehrt:
10,283
1,160
0,212
3,284
2,309
3,185
Im Koth:
3,887
0,422
0,097
0,890
0,824
1,281
Verdaut:
6,396
0,738
0,115
2,394
1,485
1,904
Bei Betrachtung dieser Zahlen erscheint es schon von vornherein
ganz undenkbar, dass Substanzen, welche über die Hälfte des Futters
und der verdauten Substanz ausmachen, lediglich als Ballast für den
Darm oder nur dazu eingeführt werden, um durch Bakterien zersetzt
und damit des grössten Thciles ihres Nährwerthes beraubt zu werden.
Ein 680 kg schweres Thier kann von der verhältnissmässig geringen
Menge Eiweiss, Fett und Kohlehydrate, welche übrig bleibt, wenn wir
die Pentosane und die Rohfaser als nutzlos anschen würden, seinen Be¬
darf nicht decken. Gerade die Pentosane und die Rohfaser sind es, mit
denen das Thier sein Kohlehydratbedürfniss befriedigt und Fett ansetzt.
Kurz, ein derartiges Verhalten würde allem, was wir über die Zweck¬
mässigkeit der physiologischen Ernährungs- und Verdauungsvorgänge
beim Thier wissen, widersprechen. Die Unmöglichkeit einer solchen
Annahme ist ja auch durch Kellner hinreichend gezeigt worden.
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Da nun der Verdauungskanal des Menschen wesentlich anders be¬
schaffen ist als der der Wiederkäuer und hier doch bei der Cellulose¬
verdauung ganz andere Vorgänge stattfinden könnten, so würde es nicht
angängig sein, ähnliche Verhältnisse beim Menschen vorauszusetzen, wenn
sich nicht aus meinen (43) früheren Untersuchungen über Cellulose eine
Anzahl von Thatsachen ergeben hätten, die es sehr wahrscheinlich
machen, dass die Verdauung in derselben Weise vor sich geht, wie beim
Pflanzenfresser, d. h. dass die Cellulose in eine lösliche Form gebracht
und als solche zum grössten Theil resorbirt wird, während nur ein kleiner
Theil der Zersetzung durch Mikroorganismen anhcimfällt. Die Gründe,
die mich zu dieser Annahme veranlassten, waren folgende:
1. Der auffallende Antagonismus zwischen Celluloseverdauung und
Bakteriengehalt im Koth bei der chronischen habituellen Obstipation.
Hier findet trotz verminderten Bakteriengehaltes eine wesentlich bessere
Celluloseausnutzung statt wie beim Normalen.
2. Der auffallende Antagonismus zwischen der Energie der Gährungs-
processe und der Grösse der Oelluloseverdauung bei den Fällen von
Gährungsdyspepsie. Trotzdem hier die Cellulose reichlich Gelegenheit
zur Vergährung hat, ist ihre Lösung wesentlich schlechter als beim
Normalen.
3. Verhält sich die Cellulose bezüglich ihrer Ausnutzung wie
Eiweiss, Fett und Kohlehydrate, d. h. in den Fällen, in denen diese
Nahrungsbestandtheile am besten ausgenutzt werden, zeigt auch die
Cellulose die höchsten Ausnutzungswerthe und umgekehrt.
4. Die Cellulosesumpfgasgährung ist ein so langsam verlaufender
Process, dass bei der schnellen Passage des Darminhaltes durch den
menschlichen Darm den Gährungsbakterien kaum Zeit bleibt, genügend
in Action zu treten. Diese Ansicht vertritt Slowtzoff (60) auch für
die Hemicellulosen auf Grund seiner Versuche mit Xylan. Eine aus¬
schliesslich bakterielle Lösung der Cellulose ist noch nicht einmal für
den Cöcalinhalt des Pflanzenfressers sichergestellt.
Da sich nun für die Hemicellulosen dasselbe Verhalten, wenigstens
bezüglich der Punkte 1, 3 und 4 herausgestellt hat und Cellulose und
Hemicellulosen auch in ihrem sonstigen oben geschilderten Verhalten
zahlreiche Analogien aufweisen, so ist man, glaube ich, berechtigt, die
aus dem Verhalten der Cellulose sich ergebenden Folgerungen bezüglich
des Verdauungsvorganges auch ohne weiteres auf die Hemicellulosen zu
übertragen.
Noch ein weiteres Moment spricht beim Pflanzenfresser für Resorption
der Pentosane, nämlich das häufige Auftreten von Pentosanen im Harn.
Im Kaninchenharn sind nach Neuberg und Wohlgemuth (73) stets
Pentosane vorhanden. Bei Verfütterung reiner Pentosane treten diese
in erheblichen Mengen in den Harn über. Vom leicht löslichen Araban
fanden Neuberg und Wohlgemuth 9 pCt., vom Xylan Slowtzoff
(60) 1,5—4,6 pCt., und zwar als lösliches Xylan, im Urin wieder,
wobei ein Uebergang der Pentosane in reducirende Zucker nie beob¬
achtet wurde. Weiske (67) fand bei Schafen und Kaninchen bei
Heu- und Haferfütterung meist nur schwache Furfurolreaction iin
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Der Vorgang der Cellulose- u. HemicellulosenVerdauung beim Menschen etc. 509
Ham. Das Auftreten von Pentosanen im Harn wäre nicht zu erklären,
wenn diese Substanzen nicht als solche resorbirt würden und in das
Blut und die Körpersäfte eindrängen. In der That konnte Slowtzoff
(60) in den Muskeln, in der Leber und im Blut seiner Xylanthiere Xylan
Dachweisen. Der normale menschliche Ham ist dagegen pentosanfrei.
Es kann aber bei gesteigerter Zufuhr pentosanhaltigen Materials auch
beim Menschen solches in den Harn übertreten. Nach Beobachtungen
Blumenthal’s (74) scheinen einzelne Individuen zur Ausscheidung von
Pentosanen, zu einer „alimentären“ oder, wie C. Neuberg (47) als
bessere Benennung vorschlägt, „arteficiellen“ Pentosanurie disponirt zu
sein, wenigstens konnte er wiederholt nach Genuss von Heidelbeeren,
Kirschen und Pflaumen Pentosane in einer Menge von 0,2—0,5 pCt. im
Harn sonst normaler Personen auftreten sehen. Blumenthal (74) stellt
sich vor, dass die Nahrungspentosane hydrolytisch in monomolekuläre
reducirende Zucker (rechtsdrehende 1-Arabinose) überführt werden. Neu-
berg (47) bemerkt hierzu, dass das Vorkommen reducirender Pentosane
im Harn nach Genuss von Früchten eine sehr seltene Erscheinung ist.
Immerhin spricht die Thatsache doch dafür, dass die Hemicellulosen,
wenigstens die Pentosane, auch vom Menschen resorbirt werden können.
Setzt man nun, wofür alles spricht, beim Menschen Lösung und Resorption
der Cellulose und der Hemicellulosen voraus, wobei man mit Schulze (3)
von vornherein annehmen kann, dass die leicht hydrolysirbare Hemi-
cellulose der Cellulose an Nährwerth nicht nur gleichsteht, sondern sie
sogar noch übertrifft, so würde es von grösster Wichtigkeit sein fest¬
zustellen, welches denn die bei der Verabreichung dieser Substanzen
entstehenden Endprodukte sind und in welcher Form diese Körper
resorbirt werden. Denn wenn auch die - Cellulose als Nahrungsmittel
praktisch für den Menschen kaum in Frage kommt, da die Cellulose¬
mengen, die der Mensch aufnehmen kann, dazu viel zu klein sind, so
wäre eine Lösung dieser Frage für die menschliche Physiologie doch
von grossem theoretischen Interesse. Auch die Hemicellulosen haben
zunächst rein theoretisches Interesse, denn solange der Mensch genügende
Mengen Hexosen und deren Derivate, die unzweifelhaft leichter hydrolysirt
werden, in seiner Nahrung hat, solange benutzt er das leichter assimilir-
bare Material [Neuberg (47)]. Da es aber gelingt, wie wir gesehen haben,
beim Menschen so grosse Mengen Hemicellulosen einzuführen und zur
Verdauung zu bringen, dass ihre Resorption den Stoffwechsel unbedingt
in irgend einer Form beeinflussen muss, was bei den geringen vom
Menschen verdauten Cellulosemengen nicht immer der Fall zu sein
braucht, so können die Hemicellulosen neben dem rein theoretischen
Interesse auch eine grosse praktische Bedeutung für die Ernährung des
Menschen gewinnen, dann nämlich, wenn es sich darum handelt, die
Hexosen in der Nahrung aus irgend welchen Gründen durch andere
Kohlehydrate zu ersetzen.
Der einfachste Vorgang der Hemicelluloseverdauung würde, wie auch
Weiske(67) und Blumenthal (74) annahmen, der sein, dass die Hemi¬
cellulosen wie Stärke in ihre entsprechenden Zucker überführt werden,
als solche zur Resorption gelangen und hierauf oxydirt werden, dass sic
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie, b. Bd. 33
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510
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der Hauptsache nach als Heizstoff sowie als Eiweiss und Fett sparendes
Material im Organismus Verwendung finden. Dann käme es nur darauf
an zu wissen, wie die verschiedenen Zuckerarten im Organismus ver-
werthet werden, ob sie sich insbesondere verhalten wie Traubenzucker,
d. h. ob sie Glykogen bilden.
Ueber das Verhalten der verschiedenen Zucker liegen eine grosse Anzahl Unter¬
suchungen vor, von denen ich nur die wichtigsten kurz erwähnen will. Von der
Galactose ist folgendes bekannt: Hofmeister (75) stellte fest, dass Galactose und
Milchzucker von allen Zuokerarten am leichtesten in den Harn übergehen. C. Voit
(76) sprach nun zunächst dem Milchzucker und der Galactose die Fähigkeit Glycogen
zu bilden ab auf Grund von Versuchen an ausgewachsenen Kaninchen, Den Grund
dieser negativen Ergebnisse zeigte später Weinland (77). Er fand nämlich im
Dünndarm junger Säugethiere, Hunde und Kaninchen eine Lactase, weiche den aus¬
gewachsenen Kaninchen fehlt. Die Fähigkeit Glycogen zu bilden ist demnach bei
jungen Kaninchen vorhanden, ausgewachsenen Kaninchen aber, wie sie C. Voit
benutzte, fehlt sie. Auch andere Autoren fanden, dass Galactose im Stande ist,
Glycogen zu bilden, so Kausch und Socin (78) beim Hunde, Cremer (79) und
Sommer (80) beim Kaninchen. In neuerer Zeit hat Brasch (81) wieder ausgedehnte
Untersuchungen über Galactose und Milchzucker angestellt und gefunden, dass die
Assimilationsgrenzo für Galactose beim normalen Menschen zwischen 30 und 40 g
liegt (gegen 100—150 g Dextrose). Bei Ueberschreitung dieser Grenze wird aber
nur ein Bruchtheil der über die Grenze hinaus zugeführten Galactose zur Aussoheidung
gebracht. Hunde reagirten auf Zufuhr kleiner Galactosemengen mit schwacher,
auf Zufuhr grosser Mengen mit starker Galactoseausscheidung. Ein Dackel von 9 Kilo
schied von 50 g Galaotose 16,02 g im Harn aus. Interessant ist, dass bei Verfütterung
von 20—30 g Milchzucker an Hunde der Harn nicht reducirt, dass aber auf 10—15 g
Galactose Reduction eintritt. Brasch erklärt dies so, dass die Abspaltung der
Galactose von der Lactose im Darm selbst oder in der Darm wand in sehr langsamem
Tempo stattfindet, sodass immer nur minimale Mengen Galactose der Leber zugeführt
werden, welche innerhalb der Assipoilationsfähigkeit liegen. Bei Zufuhr reiner
Galactose in grösseren Mengen tritt aber oine Ueberschwemmung der Leber ein und
diese vermag die eingeschwemmte Menge nicht mehr zu bewältigen. Hier liegt also
ein ähnliches Verhältnis vor wie zwischen Stärke und Dextrose. Ob Galactose
Glycogen bildet, prüfte Brasch (81) nach dem Vorgang von Cremer und Ritter
(82) an Phlorhizinhunden und -Kaninchen. Er fand bei Verabreichung der Galactose
per os bei beiden Thiersorten gleichmässig ein Absinken der N-Ausscheidung, einen
Anstieg der Zuckerausscheidung und durch diese beiden Momente bedingt eine Er¬
höhung des Coefficienten D : N. Es wird ein Theil der Galactose verbrannt, ein
Theil giebt Veranlassung zur Erhöhung der ausgeschiedenen Dextrose, ein Theil
wird als Galactose im Harn wieder ausgeschieden. Es findet also unzweifelhaft
Glycogenbildung statt, wenn auch in beschränkterem Maasse als aus Traubenzucker.
Auch über die Verwerthung der Pentosen existiren eine grosse Zahl von
Arbeiten, von denen ich wiederum nur die wichtigsten anführen will. Nach der
Entdeckung der Pentosurie von Salkowski und Jastrowitz (83) 1892 fand Ebstein
(84), dass Arabinose und Xylose auch in kleinsten Dosen nicht vom Menschen assi-
milirt werden können. Auch Frentzel (85) und Neuberg und Wohlgemuth (86)
fanden keine Glycogenbildung aus Pentosen. Dagegen wies Cremer (79) nach, dass
der Mensch Arabinose sehr wohl zu assimiliren vermag und dass Xylose und
Arabinose beim Huhn, Arabinose und Rhamnose beim Kaninchen Glycogen bilden.
Lindemann und May (87) fanden, dass die Rhamnose im Organismus des gesunden
Menschen bis zu 92 pCt. verwerthet wird. Ausgezeichnete Verwerthung fand auch
v. Jacksch (88) für die drei Pentosen beim Menschen. Arabinose wird nach
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Der Vorgang der Cellulose- u. HemicellulosenVerdauung beim Menschen etc. 511
Bergell (89) vom Gesunden in solcher Menge verbrannt, dass sie bezüglich ihres
kalorischen Werthes den Mono- und Disacchariden gleiohsteht. Kaninchen konnten
durch Gewöhnung täglich 20 g Arabinose vertragen, ohne dass der Ham reducirte.
Schliesslich hat noch Crem er (90) durch Respirationsversuche gezeigt, dass die
Rhamnose im Organismus in der That verbrennt. Die neuesten Untersuchungen
über die Pentosen stammen von Brasch (81), wieder an Phlorhizinhunden und
Kaninchen ausgeführt. Er fand interessanter Weise, dass bei beiden Thieren im
Gegensatz zur Galactose die N-Ausscheidung meist ansteigt, häufig sogar sehr be¬
trächtlich. Dabei war die Zuokerausscheidung meist nicht gesteigert, nur beim
Arabinose- und Rhamnose-Kaninchen in mässigem Grade, sodass der Coefficient D : N
zumeist sank. Es lässt sich also hier nach Brasch eine deutliche Glycogenbildung
beim Hunde aus Pentosen nicht nachweisen, beim Kaninchen ist sie möglich. Den
eigenthümlichen Anstieg der N-Ausscheidung konnte er auch bei nicht diabetischen
Hungerthieren zumeist feststellen.
Die Galactose ist somit als sicherer Glycogenbildner charakterisirt.
Bezüglich der Pentosen gehen die Ansichten auseinander, doch ist
immerhin Glycogenbildung aus Pentosen von einzelnen Autoren mit
Sicherheit beobachtet worden.
Wenn demnach aus der Cellulose und den Hemicellulosen wirklich
Zucker gebildet würde, so stände der Nährwerth dieser Substanzen ausser
allem Zweifel. Nun ist aber nach Beobachtung von Prof. Schmidt
und mir (91) die Voraussetzung einer Zuckerbildung aus Cellulose, für
den Menschen wenigstens, nicht ohne weiteres zutreffend. Wenn wir an
Diabetiker Cellulose verfütterten, so fanden wir die Zuckerausscheidung
nie vermehrt. Zur Illustration dieser Thatsache lasse ich die tabellarischen
Protokolle zweier Fälle von Diabetes, die in unserer früheren Mittheilung
nicht aufgenommen sind, hier folgen (S. 512 und S. 513).
Wir schlossen aus diesen Versuchen, dass Cellulose nicht in Zucker
überführt wird, konnten andererseits aber auch, da die Acidosis nicht
vermehrt war, nicht zu der Auffassung kommen, dass die Cellulose nach
Tappeiner (72) in flüchtige Fettsäuren aufgespalten worden sei.
Schon bei unseren Cellulose-Diabetesversuchen' sprachen wir die
Vermuthung aus, es möchten sich auch die Hemicellulosen ebenso wie
die Cellulose verhalten. Es lag nahe, nachdem uns in dem löslichen
Agar ein hemicellulosereiches Präparat zur Verfügung stand, auch grössere
Mengen Hemicellulose an Diabetiker zu verfüttern. Es war anzunehraen,
dass, wenn im Darm eine Zerlegung der Agarhemicellulose, also des
Galactans, in Galactose stattfände, die Versuche ebenso verlaufen müssten,
als wenn man Diabetiker mit reiner Galactose füttern würde.
Ueber derartige Versuche mit Galactose liegen eine Anzahl Berichte vor:
F. Voit (92) verabreichte an Diabetiker 100 resp. 150 g Lactose und erhielt 49 resp.
114 g Traubenzucker mehr im Harn, als an den Vortagen. In einem anderen Versuch
verfütterte er (93) an einen Diabetiker 100 g Galactose und erhielt eine Steigerung
von 76 auf 146 Traubenzucker. Galactose war im Urin nicht nachzuweisen.
Galactose als solche verabreicht, trägt also ebenso wie die aus Milchzucker ab¬
gespaltene zur Vermehrung des Traubenzuckers im Urin bei. Dasselbe zeigt ein
Versuch von Minkowski (94) am pankreasexstirpirten Hunde: Auf 50 g Milch¬
zucker erfolgte eine Mehrausscheidung von Traubenzucker um 40 bis 45 g; ferner
Versuche von Sandmeyer (95): Auf Milchzuckergaben von 40—50 g fand er bei
33*
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-$g Diabetes mellitus.
V.-r^och H. M., ou.\ c tr'as>enb;!.ln.s<'jiafloer, 27 Jahre
Hunden erhebliche Mehrausseheidang ym Trauben-
iuckär und' wahTseböinlicb keinen Milchzucker im Harn: auf 60 g GalactnS'i’V
: S7'^ g Tvauberizucker im Harn mehr ausgeschieden, wobei nur geringe Mengi»b UfOar-
) 0 i Harn geiuiuKui wurden. Nach diesen Versuchen w T ar,zu schli^eii, daa.H
^f'^akitöcer ö.öl^e^'e ^esf^c in Traubenzucker zu überführen vermag als der
uennak Alensch. In dieser Beziehung gaben Versuche von Bauer (96) und ttfiisch
(#i) etw^as andere Resultate. Nach Ba u er stdvejden lekhUv Diabetiker bei geringer
tiaJdcu^edamddning weder Dc*th>se noch Galaeioso aus, hei grossen; Mengen tritt
üalaetHMine auf. Soh-vvere Diabetiker scheiden bei geodngcr 'G'ftlactosedich no
/.um:- t Dtvdrosi* aus, bei grossen. Wbngerr Dextrose und Galuciw. . Km
Diabetiker von Brasch Vehied auf l.HD g Galaotosn 7J$ gr mt 100 g Oa)äoU>f*& :7'4 ? A %
Trmdi<*n/iiel(tM mehr aus; ein fiuttelsehwcrcr Diabetiker, reugdtc auf HK) g Uai#
nfit emer Mehrausscireidung von 36 g Traahtfpfctftfke'r* Dhßltdand ß*/&s<Sh im Öege6-
sau. zu den anderen Autoren ziemlich betrughtlirlm Gal.'uH.nsemnngtJti. im .Harn wieder
und glaubt, dass F. V on. (92, 93) und Sa n d tn ey nx Wjg dn- Gateiose im Hör»
•ibr«schon haben. Immerhin zeigen äbei auch diese Veimche, dass die .Gaiaglfise t?*
reichlicher Zufuhr den TraubenzneGn beim Diabetiker vermehrt. Nach Aufnahme
von Jt)g f a pd Brasch übngens beim DiaMifo* keine Gabktose iin Harn, d. h. die
A*:»nviliUlatisg'mkö liegt beim Diabetiker nicht tiefer als beim Gesunden.
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Der Vorgang der Cellulose- u. llemicellolöscHrerdaurmg Wim Menschen etc
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Uebnr das Verhalten der Peotosen heim Diabetiker Ist folgendes bekannt: \lb»
stein ($4).fand, dass der Diabetiker Ar&binose und Xytose niehHu assimOiren vermag,
lrn Gegensatz hierzu fanden Dindemann und May (87) bei einem vorher zuckerfreien
Diabetiker nach/Aufnahme v,on KOg Ilbamnn^e 7,2? g im Harn, 2,85 g im Roth
wieder. Der Diabetiker zerlegt also die Rhafitoose zuu» giösstenThoil ohne dass
die Taubenznekferuu^sebeidung erhöbt wird. AOwdmgs fand sieh bei deorvorher
zuckerfreien. Fa Oe ulen Woeir der Dh am ja ose eine geringe Menge Traubenzucker
in$ H&rn auch ubW de« hinaus* was die Autoren auf eine S^tnfli^iutg
durch die Rhamnuse zUrdckfMhrßn.y
isytyerixi?» 4 ^, e 21 ur!h Beicgeli (89) bei Verabreichung eon Ärabinose an
kückm-fcetß.-Dmbotäker msöht*, uhne; dass hmn die TraubeHzuck-araus^chniifnng von
der D;ham?iOÄe.ve(bst hätte abüotnn können, v. Jaclisch (97) fand bei Ihabehiiern
;irabi?»d9Ä*')rtrlT4 "zu 48—82 pCl. im Harn äu$-
• ’i :: '^t-bd-hi’ : ;Äi©t-..^ST-:Ä;4jE^st!« , fc«kdii'tf|g;' und damit die Zucfeeimsselintdung sehr stark
(*. DD von^bSyiSTraüb^Ti^uvker; m dem Versuch au)- 529,82 Trauben zu citer am
' Versue/istag , bci Verabreich oug vö*> .5ü g Arabinosu) und muoht Diarrhöen; . LYv lose
macht, er« Kiwuisszm bDJ ; cmr. aber nur in Spiuen im Harn «ul: Uliumnosp er hü I» i
die N-AusscbeidUng, macht Dutrrhüen und wird zu 27—40pGi. im ijarn ?i.w^^iViefiejiV
Schlink^icll' ’fani! noch B v as eh (81dus? Ai ^biuo5e beim J «iahetjk*r dio 'Hy Ütfc
Co gle
• ..fV.V •.;.(v;\ö‘rig i na I fro m
UNfyEESfjY OF MICHIGAN
#4 Cf
Digitized by
514 H. Lohtisch,
sobeidung stark erhöht, weniger Rhamnose und Xylose, ohne dass dabei die Trauben¬
zuckerausscheidung in die Höhe ging. Es ist danach im ganzen ein ungünstiger
Einfluss, den die Pentosen auf den Diabetes haben.
Bei Anstellung der Cellulose-Diabetikerversuche von Prof. Schmidt
und mir (91), die wir im Februar 1906 in Angriff nahmen, ebenso bei
Ausführung der Versuche über die Toleranz der Diabetiker gegen Hemi-
cellulosen, die ich im Winter 1907 ausführte und über die ich im folgenden
berichten will, waren uns ähnliche Versuche von Poulsson (69) unbekannt
geblieben. Auch Poulsson hält es von vornherein für wahrscheinlich,
dass die Hemicellulosen im Organismus des Menschen zerlegt und aus¬
genutzt werden und dass sie als Nahrungsmittel für den Menschen eine
Rolle spielen können, besonders beim Diabetiker als Ersatz für Stärke
und Zucker, eine Vermuthung, welche auch von Prof. Schmidt und
mir (91) für Cellulose und Hemicellulosen ausgesprochen wurde und die
Veranlassung zu unseren Untersuchungen gab. Poulsson hat 4 Versuche
an Diabetikern ausgeführt. Als Fütterungsmaterial benutzte er die
Cetraria islandica und in einem Falle auch die Cetraria nivalis. Nach
einigen ergebnisslosen Versuchen gelang es ihm, aus den Flechten ein
Brot herzustellen: die Flechten wurden grob gemahlen, als Bindemittel
diente Hühnereiweiss und es wurde bei möglichst niedriger Temperatur
gebacken. Dieses Brot ist, wie ich mich selbst überzeugt habe, ziemlich
trocken und besitzt einen unangenehm faden Geschmack. Es sieht
schwarzbraun aus und dürfte, wenigstens in unseren Gegenden, nicht
gerade gern genommen werden.
Die Versuche von Poulsson sind folgende:
1. 42jähriger Mann. Bei strenger Diät täglich 50—60 g Zucker im Harn. Auf
gewöhnliches Brot starker Anstieg des Zuckers und der Diurese. Tägliche Zucker¬
menge vor dem Versuch 48—50 g, währond des Versuchs, wobei in 6 Tagen 380 g
Flechtenbrot (Cetraria nivalis) = 304 Flechtenkohlehydrate genommen wurden,
44—45 g, in der Nachperiode 48—57 g.
2. 63jährige Frau. Bei strenger Diät zuckerfrei. Nach 200 g Weizenbrot
75—94 g Zucker. Bei 263 g Flechtenbrot (Cetraria islandica) = 184 g Kohlehydrate
in 6y 2 Tagen zuckerfrei. Bei 75 g Weizenbrot in \ x / 2 Tagen 9 g Zucker im Harn.
3. 55jähriger Mann. Bei strenger Diät 20 g Zucker. Bei tägl. 100 g Flechten¬
brot 20 g Zucker, bei tägl. 175 g Flechtenbrot 20 g, bei tägl. 200 g Flechtenbrot
35—45 g Zucker im Harn. Auf 100 g Weizenbrot 80—90 g Zucker.
4. 65jährige Frau. Bei strenger Diät zuckerfrei. Auf tägl. 100 g Weizenbrot
42—46 g Zucker. Auf tägl. 100 g Flechtenbrot 36—44 g Zucker.
Poulsson citirt aus der älteren Litteratur noch Külz (Beitr. z. Path. und
Therap. d. Diabetes mellitus, Marburg 1874) und Cantani (Der Diabetes mellitus.
Aus dem Italienischen von S. Hahn. Berlin 1877), welche beide das Flechtenbrot
für Diabetiker empfehlen, ohne specielle Versuche mitteilen zu können, ferner eine
Angabe eines norwegischen Arztes Bugge (Forhandlinger i det medicinske Selskab.
Kristiania 1879), welcher bei einem Diabetiker bei Ersatz von gemischter Kost durch
Flechtenbrot Sinken der Diurese und der Zuckermenge fand.
Die Cetraria islandica enthält nach den übereinstimmenden Analysen
von Poulsson (69) und K. Müller (31) eine wasserlösliche Hemicellu-
lose, das Lichenin, welches bei der Hydrolyse Dextrose liefert, ferner
wasserunlösliche Hemicellulosen, nämlich Dextran, Galactan und in
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 515
geringerer Menge Pentosan. Nach Ulander (32) ist auch noch Mannan
in der Flechte enthalten. Ganz entsprechend ist nach Poulsson auch
die Cetraria nivalis zusammengesetzt. Meiner Ansicht nach ist die
Zusammensetzung aus so vielen Hemicellulosen zur Anstellung von Ver¬
suchen an Diabetikern nicht sehr vorteilhaft, denn wenn wirklich Zucker
gebildet würde, so würde man nicht entscheiden können, welcher der
Hemicellulosen die Zuckerausscheidung zur Last fällt. Deshalb ist es
besser, einfach zusammengesetzte Präparate zu verfüttern. Der von
mir verwendete Agar, der nur Galactan enthält, entspricht dieser
Forderung. Ferner vermisse ich bei Poulsson Angaben über die in
den Fäces wieder ausgeschiedenen Hemicellulosemengen. Nach meinen Er¬
fahrungen (s. o.) ist die Ausnutzung der Hemicellulosen beim Menschen
so verschieden, dass es mir nicht angängig erscheint, wie dies Poulsson
thut, die bei 2 Versuchen an Gesunden erhaltenen, wenn auch gut über¬
einstimmenden Verdauungszahlen (49,25 und 46,22 pCt.) gleichsam als
Standardzahlen auch auf alle anderen Fälle anzuwenden. Beim Menschen
kann man doch nicht immer eine gleich gute Verdauung derartiger
Substanzen erwarten, wie etwa beim Pflanzenfresser, dessen Darm zur
Verarbeitung solcher Pflanzen besser eingerichtet ist. Deshalb ist es
richtiger, beim Menschen in jedem Falle die Ausnutzung der Hemicellulosen
zu bestimmen, wenn man nicht auf Vermuthungen angewiesen sein will.
Den Einfluss der Hemicellulosen auf die diabetische Stoffwechsel-
störung prüfte ich an 2 Diabetikern unter Controlle dei Zucker-, N- und
Acetonausscheidung bei möglichst gleicher Diät. Alles Nähere ist aus
den Tabellen (S. 516—517 und S. 518—519) ersichtlich.
Das Resultat der Versuche ist kurz folgendes: Diabetiker mit
sehr geringer Toleranz gegen die gewöhnlichen Kohlehydrate vertragen
die Hemicellulose des Agars sehr gut, d. h. sie reagiren darauf weder
mit vermehrter Zuckerausscheidung noch mit stärkerer N-Ausscheidung,
verhalten sich also ganz anders, als der Diabetiker bei Galactose-
fütterung und geben damit eine Bestätigung der Erfahrungen, die
Poulsson (69) bei seinen Diabetikern und Prof. Schmidt und ich (91)
bei den Cellulosediabetikern gesammelt haben. Besonders überzeugend
wirkt Versuch II mit seiner so überaus reichlichen Heraicellulosenaus-
nutzung. N - Retentionen, wie wir sie bei den Cellulosediabetikern
beobachtet haben, kamen nicht vor. Etwas auffallend und verschieden
von den Cellulose versuchen ist das Verhalten der Acetonausscheidung.
In meinen beiden Versuchen ist in der Agarperiode die Gesammtaceton-
raenge erhöht; der 2. Agartag liefert immer die höchsten Acetonwerthe.
Von der Bedeutung dieser Vermehrung der Acetonraenge wird später
die Rede sein.
Da ein ungünstiger Einfluss der Hemicellulosen auf die diabetische
Stoffwechselstörung nicht zu erkennen ist, so kommen sie als Nahrungs¬
mittel für den Diabetiker ernstlich in Frage. Es ist kein Grund vor¬
handen zu der Annahme, dass die Menge der resorbirten Hemicellulose
nicht auch vollständig für den Organismus verwerthet wird. Unter der
Voraussetzung, dass sie nur als Brennmaterial fungirt, würden die im
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Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
516
H. Lohrisch,
Digitized by
Versuch I. S., Josef, Bergarbeiter, 18 Jahre.
Datum
Diät
N
Fett
Kohle¬
hydrate
18. 11.
200 gehacktes Rindfleisch, 200 Kalbsbraten,
29,85
196,9
179,5
1907
100 Butter, 300 Weissbrot, 50 Speck,
50 Käse, 500 Milch, 150 Ei, 600 Bouillon
= 3144,8 Calorien.
19. 11.
do.
29,85
196,9
179,5
20. 11.
0,5 Carmin, do.
29,85
196,9
179,5
21. 11.
do.
29,85
196,9
179,5
22. 11.
— 92 Kalbsbraten, — 24 Käse, — 12 Speck
23,58
182,9
179,5
Mittelwerthe pro Tag in Periode I
27,76
192,2
179,5
23. 11.
0,5 Carmin, 200 Rindfleisch, 200 Kalbs-
29,87
196,9
179,5
braten, 128,3 Butter, 300 Weissbrot,
25 Speck, 50 Käse, 500 Milch, 150 Ei,
600 Bouillon.
24. 11.
200 Rindfleisch, 200 Kalbfleisch, 156,6 Butter,
300 Weissbrot, 50 Käse, 500 Milch, 150 Ei,
600 Bouillon.
29,88
196,9
179,5
25. 11.
do.
29,88
196,9
179,5
Mittelwerthe pro Tag in Periode II
29,88
196,9
179,5
26. 11.
0,5 Carmin, 200 Rindfleisch, 200 Kalbs-
28,63
188,03
164,2
braten, 156,6 Butter, 300 Weissbrot,
50 Käse, 250 Milch, 150 Ei, 600 Bouillon.
27. 11.
200 Rindfleisch, 200 Kalbsbraten, 156,6
31,13
205,8
190,8
Butter, 300 Weissbrot, 50 Käse, 750 Milch,
150 Ei, 600 Bouillon.
28. 11.
Wie am 24. 11.
29,88
196,9
179,5
Mittelwerthe pro Tag in Periode UI
29,88
196,9
179,5
29. 11.
Wie am 24. 11., 0,5 Carmin.
29,88
196,9
179,5
Versuch 1 verdauten 54,9 g Hemicellulose 23,7 g Fett, die im Ver¬
such II verdauten 107,7 g 34,3 g Fett sparen können, d. h. 100 g ein¬
geführter Hemicellulose könnten je nach der Grösse ihres Verdauungs-
coefficienten 16—32 g Fett vor der Verbrennung schützen. Es sind
dies ähnliche Zahlen, wie wir sie auch für die Cellulose herausgerechnet
haben (91). Doch besteht insofern ein grosser Unterschied zwischen
Cellulose und Hemicellulose, als es beim Menschen kaum möglich ist,
täglich 100 g Cellulose zuzuführen, wogegen es nicht schwer sein
dürfte, täglich 100 g Hemicellulose aufnehmen zu lassen.
Diese nicht uninteressanten Ergebnisse beim Diabetiker forderten
dazu auf, dieselben Verhältnisse auch beim Pflanzenfresser zu unter¬
suchen, denn es war denkbar, dass hier andere Vorgänge stattfänden.
Es waren hierbei vor allem 2 Punkte zu berücksichtigen:
Gck igle
Original fro-m
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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 517
Diagnose: Diabetes mellitus.
1. war der Einfluss der Agarhemicellulose, des Galactans, auf die
N-Ausscheidung des Pflanzenfressers zu prüfen und mit dem der Galac-
tose zu vergleichen, deren N-sparende Wirkung Brasch (81) gezeigt
hat. Hierzu schienen nach dem Vorgang nach Brasch Hungerthiere
am geeignetsten zu sein.
2. war festzustellen, ob die Agarhemicellulose eben so wie die
Galactose beim diabetischen Pflanzenfresser die Zuckerausscheidung ver¬
mehrt und ob sie Glycogen bildet.
Auch für diese Versuche, über die ich im Folgenden berichten will,
habe ich seiner quantitativ besseren Verdaulichkeit wegen, mit nur
wenigen Ausnahmen, den Agar benutzt, da es statthaft erschien, die
dabei etwa gewonnenen Resultate auch auf die Cellulose zu übertragen.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
518
Digitized by
H. Lohrisch,
Versuch II. C., Gustav, Schlosser, 31 Jahre.
Datum
Diät
N
Fett
Kohle¬
hydrate
26. 11.
1907
150 Ei, 100 Butter, 25 Speck, 25 Käse,
120 gehacktes Rindfleisch, 100 Kalbs¬
braten, 300 Semmel, 500 Milch, 300 Bouillon
= 2633,1 Calorien.
19,99
159,57
178,11
27. 11.
28. 11.
29. 11.
0,5 Carmin, do.
do.
do.
19,99
19,99
19,99
159,57
159,57
159,57
178,11
178,11
178,11
Mittelzahlen pro Tag in Periode I
19,99
159,57
178,11
30. 11.
1. 12.
2. 12.
0,5 Garmin, do.
do.
do.
19,99
19,99
19,99
159,57
159,57
159,57
178,11
178,11
178,11
Mittelzahlen pro Tag in Periode II
19,99
159,57
178,11
3. 12.
4. 12.
5. 12.
0,5 Carmin, do.
do.
do.
19,99
19,99
19,99
159,57
159,57
159,57
178,11
178,11
178,11
Mittelzahlen pro Tag in Periode III
19,99
159,57
178,11
6. 12.
7. 12,
0,5 Carmin, do.
do.
19,99
19,99
159,57
159,57
178,11
178,11
1. Das Verhalten der Hemicellulosen beim hungernden
Pflanzenfresser.
Zu diesen Versuchen wurden 2 Kaninchen (Männchen) von annähernd
gleichem Gewicht katheterisirt, gewogen und in Käfige gesetzt, welche
ein genaues Sammeln von Koth und Urin gestatteten. Die Thiere be¬
kamen nur Wasser und hungerten zunächst zwei Tage. Dann wurde
dem einen Kaninchen gewöhnlicher klein geschnittener Agar vorgelegt,
welcher begierig gefressen wurde. Das Controlthier hungerte weiter.
Die Agarfütterung wurde so lange fortgesetzt, als das Thier frass.
Meist hörte aber die Fresslust schon am zweiten Agartage vollständig
auf. Dann wurde das Thier wieder auf Carenz gesetzt. Die Thiere
wurden jeden Morgen zu bestimmter Stunde katheterisirt, der Katheter¬
urin mit dem Urin der letzten 24 Stunden und dem Käfigspülwasser
vereinigt, der Koth sorgfältig gesammelt. Nach dem Katheterisiren
wurde gewogen. Wasserconsum und Urinmengen wurden genau festge¬
stellt. Der Harnstickstoff wurde nach Kjeldahl bestimmt. Die Menge
des verdauten Agars wurde durch Vergleich der Zuckermenge in Futter
und Koth festgestellt. Das Sammeln der einem bestimmten Futter ent¬
sprechenden Fäcesmenge ist bei Kaninchen kaum in exacter Weise
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 519
Diagnose: Diabetes mellitus. Hochgradige chron. habituelle Obstipation.
möglich, da es nur schwer gelingt, den Darm, insbesondere den Blind¬
darm, vor Anstellung des Versuchs vollständig zu entleeren. Ich habe
-den Koth immer vom Beginn der Agarperiode an gesammelt und diesen
mit dem gesamraten Darminhalt, der bei der Section noch gefunden
wurde, vereinigt. Auf diese Weise dürften die Werthc für Zucker im
Koth vielleicht etwas zu hoch ausgefallen sein, so dass die Menge des
verdauten Agars in Wirklichkeit etwas höher sein wird. Der aufge¬
nommene gewöhnliche Agar beeinflusste die Form des Kothes in keiner
Weise, ln dem Blinddarminhalt waren keine Agarstückchen mehr zu sehen.
(Hier folgt Tabelle S. 5*20.)
In der ersten Versuchsreihe ist ein deutlicher Einfluss des verdauten
Agars auf die N-Ausscheidung nicht zu sehen, wenn auch am 1. Agar¬
tage die N-Menge etwas heruntergeht. Das Agarthier war am 5. Tage
schon so matt, dass es das Hungerthier wohl kaum überlebt hätte, auch
wenn es nicht durch einen unglücklichen Zufall vorzeitig gestorben wäre.
Der Gewichtsanstieg bei der Aufnahme des Agars erklärt sich durch die
damit verbundene Wasserretention. Im Versuch II ist bei dem Agarthier
die N-Ausscheidung deutlich vermindert. Das Agarthier überlebt das
Hungerthier um 1 Tag.
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Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
20 Min. V. bis I — i — 9 42 800 0,3740
520
H. Lohrisch
Digitized by »öle
Original fro-m
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L. am IG. 1*2. 1907 Morgen« 9 Uhr 20 Min. Kaninchen lb, wiegt am IG. 12. 1907 Morgen»
dom Kathoterisircn 1112 g. nach dom Kathoterisiren 1177 g.
Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenrerdauung beim Menschen etc. 521
Section von Kaninchen la: Hochgradigste Abmagerung, im
Magen Wasser und etwas gequollener Agar. Duodenum und obere
Dünndarmhälfte leer. Unterer Dünndarm wenig gefüllt. Coecum
strotzend gefüllt, starke Füllung der oberen Dickdarmhälfte. Rectum
leer, Darmschlingen nicht durch Gas gebläht. Organe der Brust- und
Bauchhöhle ohne Besonderheiten.
Section von Kaninchen Ib: Füilung des Darms etwa wie bei
Kaninchen Ia, besonders im Coecum reichlicher Inhalt.
Section von Kaninchen Ha: Dickdarm und Coecum stark gefüllt,
im Dünndarm dünnbreiiger Inhalt, ohne dass man Agarstückchen darin
erkennen könnte. Brust- und Bauchorgane intact.
Section von Kaninchen Ilb: Das Thier biotet wie Kaninchen Ila
das Bild hochgradigster Abmagerung bei gesunden inneren Organen.
Coecum stark gefüllt.
Kaninchen lila, wiegt am 28. 12. 1907, 11 U. V., Kaninchen 111 b, wiegt am 28.12.1907,11 U.V.,
nach dem Katheterisiren 1340 g. nach dem Katheterisiren 1538 g.
Datum
Futter =
löslicher
Agar luft¬
trocken
O..H
£ 6
US ä)
a
’C
a
53
28. 12. 11 U. V., bis 29. 12.
9 U. 22 Min. V.
—
1226
0,4960
29. 12. 9 U. 22 Min. V. bis
30. 12. 9 U. 40 Min. V.
8
1193
0,8360
30. 12. 9 U. 40 Min. V. bis
31. 12. 9 U. 30 Min. V.
20 j
1200
0,6139
31. 12. 07 9 U. 30 Min. V. bis
1. 1. 08 9 U. 30 Min. V.
16 i
1135
0,5410
1. 1. 9 U. 30 Min. V. bis
2. 1. 9 U. 30 Min. V.
3
1066
0,5337
2. 1. 9 ü. 30 Min. V. bis
3. 1. 9 U. 30 Min. V.
16
1021
0,8070
3. 1. 9 U. 30 Min. V. bis
4. 1. 9 U. 30 Min. V.
23 ge¬
wöhnlich.
Agar
gefressen.
1013
1,3380
4. 1. 9 U. 30 Min. V. bis
5. 1. 9 U. 45 Min. V.
5,7 ge-
wohnlich.
Agar
gefressen.
893
1
0,5030
5. 1. 9 ü. 45 Min. V. bis
6. 1. 9 ü. 45 Min. V.
13 1
i
i
868
1,100
6. 1. 9 U. 45 Min. V. bis
7. 1. (todt).
24 j
1
887
2,5090
Kaninchen lila bat aufgenommen:
105 lösi. Agar=95,9Trockensubstanz = 65,02 Hernie.
28,7 gewöhnlichen
Trockenagar =22,1 »
87,12 Hemic.
ausgeschie den: 63,5 Trockenkoth = 25,27 „
verdaut: 61,85 Hemic.
28. 12. 11 U. V. bis 29. 12.
9 U. 22 Min. V.
29. 12. 9 U. 22 Min. V. bis
30. 12. 9 U. 25 Min. V.
30. 12. 9 U. 25 Min. V. bis
31. 12. 9 U. V.
31. 12. 9 U. V. bis 1. 1.
08 9 U. V.
1. 1. 9 U. V. bis 2. 1.
9 U. V.
2. 1. 9 U. V. bis 3. 1.
9 U. V.
3. 1. 9 U. V. bis 4. 1.
9 U. V.
4. 1. 9 U. V. bis 5. 1.
9 U. 30 Min. V.
5. 1. 9 U. 30 Min. Y. bis
6. 1. 9 U. 20 Min. V.
6. 1. 9 U. 20 Min. Y. bis
7. 1. 9 U. 20 Min. V.
7. 1. 9 U. 20 Min. V. bis
8. 1. 9 U. 20 Min. V.
8. 1. 9 ü. 20 Min. V. bis
9. 1. 9 U. 20 Min. V.
9. 1. 9 U. 20 Min. V. bis
10. 1. 9 U. 20 Min. V.
— 1532 0,1530
— 1484 0,9450
— 1448 0,8680
— 1412 0,4367
— 1392 0,2504
— 1327 0,2475
— 1293 0,6050
— 1243 [0,9150
— 1228 0,8960
— j 1224 1,2450
! i
— | 1155 0,3170
k. 1
— 1122 1,1427
— 1103 I 0,4700
Lebt noch bis zum 13. 1. 190S.
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHIGAN
522
H. Lohrisch,
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In einer dritten Versuchreihe wurde löslicher Agar verfüttert. Die
Thiere wurden wie oben vorbehandelt und hungerten einen Tag. Das
eine Thier bekam den löslichen Agar in wässeriger Lösung mittelst
Schlundsonde eingeführt. Am 7. und 8. Tag wurde dem Thier, weil
sich Durchfälle eingestellt hatten, an Stelle des löslichen Agars gewöhn¬
licher Agar vorgelegt, von dem es leidlich frass. Infolge der Unruhe
der Thiere war es bei diesen Versuchen nicht immer möglich, den
Wasserconsum und die Urinmengen unverdünnt exact zu messen; deshalb
habe ich von einer Wiedergabe der entsprechenden Zahlen in der Tabelle
(S. 521) abgesehen. Der gesammelte Koth wurde auch hier wieder mit
dem bei der Section gewonnenen Darminhalt vereinigt.
In diesen Versuchen kann von einer Beeinflussung der N-Ausschei-
dung durch die verdaute Hemicellulose keine Rede sein. Der Eiweiss¬
zerfall zeigt bei beiden Thieren Schwankungen, geht aber doch mit einer
gewissen Regelmässigkeit vor sich so, dass bei beiden Thieren am
2. Tag eine starke Steigerung der N-Ausscheidung erfolgt (nach Verbrauch
des Glycogens), worauf ein langsames Absinken der N-Ausscheidung bei
leidlich gleichmässigen Werthen zu beobachten ist, während gegen den
Exitus hin die N-Ausscheidung wieder ansteigt. Der Verlauf entspricht
also ungefähr dem von C. Voit (98) für das hungernde Thier festge¬
stellten. Trotz reichlicher Hemicelluloseverdauung nimmt das Agarthier
rapid ab und stirbt viele Tage vor dem Controlthier.
Section Kaninchen lila: Der ganze Verdaunngstract stark
gebläht. Dünndarm wenig gefüllt, Coecum mit reichlich dünnbreiigem
Koth, Dickdarm leer.
Section Kaninchen IIIb: Im Coecum noch reichlich Inhalt.
2. Das Verhalten der Hemicellulosen im Organismus
des diabetisch gemachten Pflanzenfressers.
Für diese Versuche benutzte ich Kaninchen, die durch Phlorhizin
diabetisch gemacht wurden. Die Thiere hungerten zunächst 2 Tage und
standen dann 2 Tage unter Phlorhizin, ehe der eigentliche Fütterungs¬
versuch begann. Sie erhielten auf 800 — 1500 g Gewicht 12stündlich
subcutan 1,0 Phlorhizin, um sie nach Möglichkeit in einen totalen
Phlorhizindiabetes [Lusk (99)] mit dem Quotienten 2,8 : 1 zu bringen.
Misserfolge kamen hierbei häufig vor insofern, als die Kaninchen unter
dem Einfluss des Phlorhizins oft collabirten und unter Krämpfen sehr
schnell starben. Sie zeigten sich so empfindlich gegen Phlorhizin, dass
mit möglichst geringen Mengen auszukommen gesucht wurde. Aus dem¬
selben Grunde wurde auch nicht in jedem Versuch der Forderung
Brasch’s (81) entsprochen, dass man eigentlich erst das Verhältnis
D: N des 3. Phlorhizintages als Maass des durch Nahrungszufuhr unbe¬
einflussten Stoffumsatzes ansehen dürfe. Dieser Forderung genügen die
Fälle I, IV und VII. Die Thiere wurden in Käfigen gehalten, die das
Sammeln des Urins gestatteten. In regelmässig 24stündigcn Perioden
wurde katheterisirt, der Katheterurin mit dem spontan entleerten Urin
und dem Spülwasser vereinigt. Nach dem Katheterisircn wurde gewogen.
Der Urinstickstoff wurde nach Kjeldahl, der Zucker nach Strasburger
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHiGAN
Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 523
bestimmt. Verfüttert wurde löslicher Agar (mittelst Schlundsonde), ge¬
wöhnlicher Agar und reine Cellulose.
Kaninchen I erhielt nach 2tägiger Carenz 12stündlich 1,0 Phlor-
hizin. Gewicht zu Beginn der Phlorhizinperiode 1595 g.
Nahrung
D
N
D : N
Gewicht
1. Phlorhizintag:
—
6,347
2,095
3,03
1500 g
2.
—
Urin verloren gegangen
1400 g
3-
—
4,906
1,912
2,57
1307 g
f-
20 g lösl. Agar
7,492
2,963
2,53
1263 g
T)
20 g lösl. Agar
6,409
2,377
2,69
1140 g
Es findet keine einseitige Steigerung von
i D oder N statt. Der
Quotient bleibt zi
emlich constant und
nähert sich dem
Werthe
2,8.
Kaninchen
11 wird wie Kaninchen 1 behandelt. Gewicht
zu Beginn
der Phlorhizinperiode 1030 g.
Nahrung
D
N
D : N
Gewicht
1. Phlorhizintag:
—
2,137
1,058
2,02
979 g
2-
—
2,403
1,181
2,03
908 g
3.
20 g lösl. Agar
2,375
1,196
1,99
885 g
4-
10 g lösl. Agar
0,584
0,352
1,66
874 g
D und N verhalten sich ähnlich
wie bei
Kaninchen I,
nur dass
hier der Quotient auffallend niedrig ist.
Kaninchen
III behandelt wie
Kaninchen
I. Gewicht
zu Beginn
der Phlorhizinperiode 1803 g.
Nahrung
D
N
D: N
Gewicht
1. Phlorhizintag:
—
4,525
2,432
1,86
1693 g
2-
—
4,213
2,212
1,90
1620 g
3- n
25 g lösl. Agar
1,183
0,833
1,42
1555 g
Keine einseitige Beeinflussung der Zucker- oder N-Ausscheidung.
Die Zuckerausscheidung wird immer durch den Eiweisszerfall geregelt.
Auch hier wieder auffallend niedriger Quotient.
Aehnlich liegen die Verhältnisse bei Kaninchen IV, vorbehandelt
wie Kaninchen I. Gewicht am Ende des 2. Phlorhizintages 1429 g.
Nahrung D N D: N Gewicht
3. Phlorhizintag: — 8,490 4,135 2,05 1305 g
4. „ 20 g gewöhnl. Agar 5,262 3,505 1,50 1234 g
Kaninchen V, wie Kaninchen I behandelt. Gewicht zu Beginn
der Phlorhizinperiode 1582 g, am Ende des 1. Phlorhizintages 1425 g.
Nahrung D N D: N Gewicht
2. Phlorhizintag: — 3,704 1,826 2,03 1320 g
3. „ 10 g reine Cellulose 4,560 2,350 1,94 1238 g
4. „ 5 g reine Cellulose 4,1722 2,196 1,90 1125 g
5. „ — 3,281 2,023 1,62 1009 g
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
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524 H. Lohrisch,
Kaninchen VI, wie Kaninchen I behandelt. Gewicht am Ende
des 2. Phlorhizintages 1444 g.
Nahrung
D
N
D: N
Gewicht
3.
Phlorhizintag:
10 g reine Cellulose
1,622
0,855
1,9
1434 g
4.
V
5 g reine Cellulose
7,420
2,632
2,82
1308 g
5.
r>
—
2,250
1,239
1,81
1230 g
6.
Ti
—
2,721
1,486
1,83
1130 g
Kaninchen
VII, hungert 2 Tage, bekommt dann
12 stündlich 2 g
Phlorhizin subcutan. Gewicht am Ende des 1.
Phlorhizintages 2374 g.
Nahrung
D
N
D:N
Gewicht
2.
Phlorhizintag:
—
7,672
2,341
3,28
2273 g
3.
TI
—
10,200
3,360
3,06
2137 g
4.
TI
20 g reine Cellulose
10,890
3,388
3,21
2045 g
5.
n
—
9,128
3,517
2,59
1897 g
6.
n
—
8,532
3,125
2,73
1808 g
Die Cellulose versuche liefern dasselbe Ergebnis wie die Agarversuche:
Kein auffallender Anstieg der Zuckerausscheidung, keine N-sparende
Wirkung, keine Erhöhung des Quotienten, mithin kein Grund zu der
Annahme, dass aus der Cellulose oder der Hemicellulose Glycogen ge¬
bildet wird. Abweichend verhält sich nur Versuch VI, in dem am
2. Cellulosetag ein Anstieg der Zuckerausscheidung über das Maass der
N-Ausscheidung hinaus erfolgt und der Quotient erhöht ist. Ueber die
Ursache dieses Verhaltens kann ich mich nicht bestimmt äussern; ich
glaube jedenfalls nicht, dass man darin etwa einen Beweis für Glycogen-
bildung aus Cellulose sehen kann, nachdem die anderen Versuche mit
viel grösseren Cellulosemengen in dieser Beziehung negativ ausgefallen sind.
Die vorstehenden Versuche mit ihren immerhin nicht uninteressanten
Resultaten helfen nicht über die Schwierigkeiten hinweg, die der Be¬
antwortung der Frage nach dem Ablauf der Hemicelluloseverdauung
entgegenstehen. Wir wissen, dass Cellulose und Hemicellulosen vom
Menschen reichlich verdaut werden, wir haben allen Grund anzunehraen,
dass ihre Verdauung nach Analogie der Stärke abläuft, sind uns aber
über die Umwandlungen, die diese Substanzen bei der Verdauung er¬
fahren, noch vollständig im Unklaren und wissen nur, dass beim Menschen
kein Zucker und beim Thiere kein Zucker und kein Glycogen gebildet
wird. Um diese Frage nach Möglichkeit weiter aufzuklären, schienen
Respirationsversuche am geeignetsten zu sein. Ich will im folgenden
kurz über eine Anzahl derartiger Versuche berichten. Ich benutzte auch
hierbei, seiner quantitativ besseren Verdaulichkeit wegen den löslichen
Agar (mit Ausnahme eines Versuchs), da es statthaft erschien, die dabei
gewonnenen Resultate auch auf die Cellulose zu übertragen. Die Ver¬
suche wurden mit Hülfe des Zuntz-Geppert’schen Appartes ausgeführt.
Nach den Versuchen von Magnus-Lewy (100) am Zuntz-Geppert’schen
Apparat gestaltet sich beim Hund der Gaswechsel bei Kohlehydratfütterung folgender-
rnaassen: Schon in den beiden ersten Stunden nach Einnahme reichlicher Mengen
Kohlehydrate (500 g Reis = 400 g Stärke) findet eine erhebliche Zunahme der Ver-
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Der Vorgang der Cellulose- u. HemicellulosenVerdauung beim Menschen etc. 525
brennungsprooesse statt, bis das Maximum (-|- 39 pCt. 0 2 ) in der 6. bis 8. Stunde
erreicht wird. Von der 12. Stunde ab sinkt der 0 2 -Verbrauch und fallt dann
schneller, sodass von der 14. bis 15. Stunde ab die 0 2 -Werte die Nuohternwerte nur
wenig übertreffen. Der respiratorische Quotient steigt dabei schon in der ersten
Stunde auf 0,90 an, d. h. schon in allerkürzester Zeit beginnt die Verdauung und
Resorption der Kohlehydrate. Er hält sich dann von der 4. bis 12. Stunde fast
durchweg auf 1,0, woraus hervorgeht, dass die einmal resorbirten Kohlehydrate auoh
sofort am Stoffwechsel theilnehmen und bei genügend reichlicher Zufuhr das Körper¬
fett ganz und jedenfalls auch einen Theil des Eiweisses aus dem Stoffwechsel ver¬
drängen. Von der 13. Stunde ab sinkt der R.Q ganz allmählich und kommt naoh
24 Stunden auf einem Worth an, der etwas höher ist als der Nüchternwerth. Die
C0 2 -Production erfährt bei Kohlehydratzufuhr eine Steigerung, die höher ist als die
des 0 2 . Die Berechnung der Sauerstoffverbrennung für 24 Stunden ergab, dass der
Hund nach Abzug des für das zersetzte Eiweiss verbrauchten 0 2 wesentlich weniger
0 2 consumirt hatte als zur Verbrennung der 400 g Stärke erforderlich gewesen wäre.
Der Ueberschuss an Stärke war wahrscheinlich als Glycogen abgelagert worden. Aus
der in der 5. bis 12. Stunde fast dauernd eingehaltenen Höhe des R.Q (1,02 bis 1,06)
kann ferner geschlossen werden, dass aus den Kohlehydraten Fett unter C0 2 -Ab-
spaltung gebildet worden ist. Dass Kohlehydrate zu Fett umgewandelt werden
können, ist ja sicher nachgewiesen.
In einigen Versuchen am Hund bei Fütterung mit einer nur dem nothwendigsten
Bedarf gerade entsprechenden Menge von Kohlehydraten (300 g Reis) zeigten die
verschiedenen Processe eine deutlich geringere Steigerung als bei überschüssiger
Zufuhr von Stärke. Die Steigerung des 0 2 -Verbrauchs tritt auch hier bereits in der
ersten Stunde ein. Ein Maximum von 12—20 pCt. wird in der 6. bis 8. Stunde
erreicht; dann geht die Verbrennung rasch zurüok und erreicht die Anfangswerthe
in der 10. bis 12. Stunde. Der R.Q wächst sehr bald nach Einnahme des Futters
und erreicht in der 5. bis 8. Stunde beinahe den Werth 1,00. Die C0 2 -Production
zeigt keine wesentliche Veränderung gegenüber dem oben geschilderten Verhalten.
Beim Menschen steigt bei Verzehrung von 140—160 g Stärke in Form von
Brot der 0 2 -Verbrauch in den ersten drei Stunden bis um 33 pCt. In der
dritten Stunde sinkt die 0 2 -Curve ab und erreicht in der 4. bis 5. Stunde
ziemlich die ursprüngliche Höhe. Dann beginnt ein neuer kleinerer Anstieg
während mehrerer Stunden, der nach Magnus-Lewy (100) vielleicht auf die
erst in späteren Stunden nach der Aufnahme eintretende Darmverdauung zu be¬
ziehen sein könnte. Der R.Q ist schon in der ersten Stunde deutlich erhöht, ist
am höchsten in der 2. bis 3. Stunde, geht aber über den Werth von 0,91 nicht
hinaus, d. h. die Umwandlung und Resorption der Stärke findet hier nicht so schnell
und energisch statt, um eine Ueberschwemmung des ganzen Körpers mit Kohlehydraten
und einen fast völligen Ausschluss der anderen Körperbestandtheile von der Oxydation
zu ermöglichen, wie das beim Reishund der Fall ist. Es kreisen aber noch in der
4. bis 5. Stunde reichlich Kohlehydrate im Körper, ohne dass die Oxydationsprocesse
wesentlich erhöht wären, „ein Beweis dafür, dass nicht das Kreisen mit der Nahrung
zugeführter verbrennlicher Moleküle an sich unbedingt den Umsatz im Körper steigern
müsse“.
Bei Rohr- und Traubenzuckeraufnahme ist beim Menschen der 0 2 -Verbrauch
in der ersten Stunde ebenfalls deutlich gesteigert, allerdings weniger als bei Brot¬
verzehr. Der R.Q. steigt ebenfalls in der ersten Stunde schon stark an, bis zu 0,93.
Ein Theil des Zuckers wird, wie der R.Q zeigt, sofort verwendet, ein anderer Theil
wird zunächst der Verbrennung entzogen und bei der völligen Ruhe der Versuchs¬
person als Glycogen deponirt. Denn der thierische Organismus hat das Bestreben,
„sich in der Ruhe, selbst bei absoluter Carenz (in diesem Falle aus den Zerfalls-
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5 . Bd. 34
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
H. Loli fisch
H t.nr uns 10 l/br 5 Mm. vciiffonags 30U curat t'rm rmt
1,8?« N von 10 Uhr Min. Vormittags bis* 5 I hr -10 Min, Nachmittag«
700 «fim Urin mit -*>.,37 N- Im Kult» worden *2f>,4 HemieeHniosen
w i--')!*!- aiisgeschteden, mir den 100 g Aear sind 81.9 HemicelJulosen
.unfsreooinmen worden: V-crdaat .sind also jift.a üemieelhiloson ■= •.§8.3 j<Ct.
SSiftÄkthr
nein
%Wi. ?.w «,<U'i 'ij'övte.
■■■
Ä«-.pp«<c>rH* • OJftir l$%l?
U Ja» ; ZWH ‘ J-yi »
ft s&ft 1 iwj& ft vtiftj-s
t tXfii iOit'.H -
ühr.-uh
t?H,54
Vorvn !i U 44 jähriger gesunder Mann. Uewieht 59,0 kg, War
sefum frftW fmolig Versucfeimfson für Ik'Sj/irattonsYersnefcc, rühmet sehr
ruhig und gkudun. : i.vsig. heil .14 Stunden nüchtern. Beginn des Versi.K'iSs
am *28. 3. 08 Monoms | Ohr 40 Mm. Nimmt von 10 Uhr bis iO Uhr
ft Mio V.ii-fmli.'ijrs 30 g 'löslichen Agar in Furta von Tafesetü?ft, dk er
kV»tftund jnit ftuiem Glase Wasser verschluckt, rmd 80 g Agar ' n Wasser
aiismunen 11.0 g Agar -■- (>7,8 Hmnieellulose. Im Koth 23,4
H'.m'i'ft'ilulosc. verdau'!. 44.4 Herne. eft$OÄf - ft5,5 pCi.
Vers"uch III. I.'orstdbe Mann wie m Versuch 11, wiegt jetzt 57,8 kg,
«li-clncrn seit -13 Stunden Beginn des Yerätoefe» am ff. 4. 08. 7 Uhr
*28 Min. '.Morgens. Aihmung verlauft ohne Storung. Nimmt von 8 Uhr
bis 8 Uhr 40 Alm. WO g Agar, m Wasser .goibst.
'il i
v< .
’ft | ft tV., ■ j fY». L
i<r.
-f jO.v f
.euer ;
l)ftt Vorgang d<sr Oejld)^- u. flfmicellulösenverdauung beim Menschen etc, 527
Zu Versuch II.
Ä'tflJfnVö'.c
••rat
48 <V) j M 44 iM b.ftUO MW.'n 1 :> 6.53
^iUO k&St -IM - o.tT'5 -. tftM* .
b ' 0,7%* - 1»K\I» . 1451 i
süföi . 4,ö4- Z.i l -iMM ■ iw-Jüf.
■ilMidyM «,»H* ’ .‘2rtW? IW.iWi.
MfcÜjöS ti,«vi IM,'..*
‘.»WO -.R,t-t)4»f.Y : '157.50
*:vüi tö'»J irti u:rfi?, 4-a.i;-- i ; i..
S߻C 45& 1 $M- JV?U . -iUMr, i$ 8 .U
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dH »?.?;<(». jt'i.it» i Mt;*#
ä), io., i,ii( +47 i i$m
Zn Versuch 111.
Zunahme-
5.4-5 tö;,2,mn\iM 0.7SST IT3.55 1*8,04
N ü e h i Ö. Ö v. r t !> • 0 7H1) . 153,33» 138.04
5.51 ->M «-ÄJ.V - 178.47 145.S8
»UÖ t,% &M)' im-M UM»
WM -UM 1074 185.7)3 145h.U
•1,ii4 OHM nn.t r trau
£jÜ 84.15 0.660 IHM 140.14
4 3 414
+ 5 +-18'/.
+ 7 +12
-4 1Ü 4- 11
458Vs: -4l«'A
Diese 3 Versoebe sind, wie die Tabellen zeigen,, ziemlich gleich-
massig ausgefallen:
Der 0 2 -YerbraiH‘,h zeigt. ziinÄclfsf .geriugftii A»5ii«e, $®ht' aber in
d«b 4. Stunde auf de« Nychtevhwgrtli zurück{Id oderAsogar unter den
Nüchtern werth herunter (Mi. Nur ''inVersuch (11 hüll sieh der <» a Ver¬
brauch in der 4. Stunde auf einet über den Nüchtern wen h wenig hinaus-
gehenden Höhe. Von der 5. - +». StnrKlc ab lindet, in allen 4 Füllen cm
allmählicher 0 2 -Anstieg statt, dgr im Fall Hl 28 1 /? fA’>. .erreicht. Also
gar keine oder nur unbedettfemle Steigerung des 0 ; -Verbniü, iis Zur Zeit
der He>’,»ice! Io losenverdaaafig.
£>ie COj>Frod«<.-li'>n steief iro Gcgensai/. hierzu in der 4- *»*.<
4. Stunde in allen Fällen an, äm stärksten- und sehr gteichm:issi|j p
den Versnoben 1 uml 111. Von der 7. Stunde ab sinkt die .C-Cb-Aus-
seiuudung sehr schnell und bleibt hei 1 und J! sehr niedrig ja. Mdb-f
528
H. Lohrisoh,
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unter dem Nüchternwerth, während sie bei III zwar in der 5. Stunde
auch sinkt, aber nur unbedeutend.
Der respiratorische Quotient verhält sich in allen Versuchen
sehr gut übereinstimmend, wie folgende Zusammenstellung zeigt:
a
_£2
Stunden nach der Aufnahme des Agars
s ►
z
1 .
2. 3.
! i
4.
,
5.
6.
7.
8.
9. |
10.
11 .
12.
13.
I.
II.
III.
0,768
0,786
0,739
0,768
i i
0,76610,835 0,860
— |0,7940,825
' — |0,815|0,800
0,770
0,767
0.774
0,735
0,724
0,714
i
0,693
0,730
0,703
1 1 1
0,618
i
0,669
0,764
0,768 0,766 0,315 0,8280,770 0,735 0,719 — 0,69310,716. — 0,618
0,669
In der 1. und 2. Stunde jiach Aufnahme des Agars ist der R. Q.
nicht beeinflusst. Ein deutlicher Anstieg des R. Q. findet aber in der
3. Stunde statt, der seinen Höhepunkt in der 4. Stunde erreicht. In
der 5. Stunde langsamer Abfall, von der 6. Stunde an ziemlich rasches
Sinken des R. Q. bis zu auffallend niedrigen Werthen. Dieser starke
Abfall des R. Q. in den späteren Stunden nach Aufnahme des Agars,
den ich auch in einigen anderen Versuchen, auf die ich unten zurück-
komraen werde, beobachtete und der stärker ist als der, den Magnus-
Lewy (100) beim hungernden Menschen beobachtet hat, veranlasste
mich, das Verhalten des R. Q. auch noch über die 13. Stunde nach
Aufnahme von löslichem Agar hinaus zu verfolgen (Versuch IV). Ich
benutzte dazu die Versuchsperson der Versuche II und III.
Versuch IV. Der Mann nimmt am 4. 4. 08 y 2 l Uhr Mittags
Kartoffeln mit Rosinensauce. Am 4. 4. Abends 11 Uhr bis 5. 4. Nachts
y 2 l Uhr nimmt er 100 g löslichen Agar, 80 g in Wasser gelöst, 20 g
in Tabletten. Versuch beginnt am 5. 4. 08 Morgens 8 Uhr 33 Min.
No. des
Versuchs
Beginn
P des |
M Versuchs
Dauer
des Versuchs
in Minuten
1 o
g :
~ an a 1
& •— 1
1 ^
tß
ccm
J3
O
3
O
o
pCt.
r §
■
■ o §
,
1 £
pCt.
sc
rO
0 0 2 -Ver-
| brauch pro
Minute
£> &£
• o q
m a .5
§|*
ccm
Zeit nach
Beginn der
Agarauf¬
nahme
1
8,33 24
4602
4,20
2,59
0,617 193,28
119,19
10. Stunde
2
11,22 23
4842
4,18
2,97
! 0,710 202,39
143,81
13. „
3
1,6 22
2,38 23
[ 4910
4,11
2,90
j 0,706 | 201,90
142,39
15. *
4
4740
4,53
3,17
| 3,30
0,700 | 214,72
150,26
16. „
5
3,18 23
4819 j
4,86
0,679 | 236,20
159,03
17. ,
Auch hier zeigen die R. Q. stellenweise ausserordentlich niedrige
Werthe, besonders wenn man damit die Nüchternwerthe desselben
Mannes in den Versuchen II und III, nämlich 0,786 und 0,739, vergleicht.
Diese Versuche scheinen mir folgende Deutung zuzulassen: Das
Verhalten des R. Q. zeigt, dass die eingeführte flemicellulose in der
That in den Stoffwechsel eintritt und wie Stärke verbrannt wird. Die
Verdauung und Resorption der Heraicellulose beginnt aber im Gegensatz
zu der Stärke erst in der 3. Stunde und erreicht in der 4. Stunde ihren
Gck igle
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Der Vorgang der Cellalose* u. Hemicellulosenverdaaong beim Mensohen etc. 5‘2if
Höhepunkt. Der Einfluss der Hemicellulose auf den Stoffwechsel hört
bereits von der 5. Stunde an wieder auf. Die Betheiligung der resor-
birten Hemicellulose am Stoffwechsel ist auch nicht so gross, dass sie
im Stande wäre, Eiweiss und Fett ganz aus dem Stoffwechsel zu ver¬
drängen, denn dann müsste der R. Q. höher sein, den Werth 1,0 erreichen
und sich länger auf dieser Höhe halten. Sehr auffallend ist es nun, dass
der 0 2 -Verbrauch gerade zur Zeit des höchsten R. Q. kaum gesteigert
ist, ja sogar gleich dem Nüchternwerth oder kleiner als dieser sein
kann, während gleichzeitig die C0 2 nur mässig vermehrt ist. Dieses
Verhalten deutet darauf hin, dass die Hemicellulose Körperraaterial vor
der Oxydation schützt, so dass der durch die Verbrennung der Hemi-
ccllulose bedingte Mehrverbrauch von 0 2 durch die Sparung von Eiweiss
oder Fett compensirt wird.
Ueber den Eiweissumsatz und die Grösse der Verbrennungsprocesse
und der Wärmebildung in der Nüchtern- und in der Agarperiodo giebt
folgende nach dem Vorgänge von Zuntz (vcrgl. 101) am Versuch 1 als
Beispiel durchgeführte Berechnung Aufschluss.
Eiweissumsatz. Die Versuchsperson I scheidet in der Nüchtern¬
periode in der Zeit von 8 Uhr bis 10 Uhr 5 Min. Morgens, also bis
zum Beginn der Agaraufnahme, im Urin pro Minute 0,015 g N aus.
15 mg N entsprechen einem Zerfall von 93,7 mg Eiweiss. Dieselbe
Person scheidet in der Agarperiode von 10 Uhr 5 Min. Morgens bis
5 Uhr 40 Min. Nachmittags pro Minute 0,0096 g N aus. 9,6 mg N
entsprechen einem Zerfall von 60 mg Eiweiss. Es ist also in der Agar¬
periode weniger Eiweiss zersetzt worden.
Verbrennungsprocesse und Wärmebildung. In der Nüchtern¬
periode beträgt der gesammte Gaswechsel pro Min.:
ccm 0 2 ccm C0 2 cal. R. Q.
240,48 182,12 — 0,768
davon kommen auf 93,7 mg Eiweiss pro Min. 90,5 73,2 412,3 —
Es kommen auf Fett und Kohlehydrate 149,98 108,92 — 0,726
Bei einem R. Q. von 0,726 ist der calorische Factor von 1 ccm
0 2 = 4,709; 149,98 ccm 0 2 entsprechen 706,2 calorien. Es sind also
im Ganzen 1118,5 calorien (412,3-)-706,2) in der Minute gebildet
worden.
Vergleichen wir damit den Gaswechsel zur Zeit des höchsten R. Q.
Hier beträgt der Gasumsatz pro Min.:
ccm 0 2 ccm CO, cal. R. Q.
240,99 207,17 — 0,860
davon kommen auf 60 mg Eiweiss pro Min. 57,97 46,90 264 —
Es kommen auf Fett und Kohlehydrate 183,02 160,27 — 0,876
Bei 0,876 R. Q. ist der calorische Factor des 0 2 = 4,894;
183,02 0 2 = 895,70 calorien, also sind im Ganzen 1159,70 calorien
(2644-895,70) pro Min. gebildet worden.
Wenn wir die während der ganzen Dauer der Agarperiode gebildete
Wärme aus dem durchschnittlichen Minutengaswcchsel von 10 Uhr
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530 0. Lohrisch,
5 Min. Morgens an bis zum Ende des ganzen Versuchs 5 Uhr 10 Min.
Nachmittags berechnen, so erhalten wir folgende Zahlen:
ccm 0 2 ccmC0 2 cal. R.Q.
247,75 193,77* — 0,782
davon kommen auf 60 mg Eiweiss pro Min. 57,97 46,90 264 —
Für Fett und Kohlehydrate 189,78 146,87 — 0,774
Bei 0,774 R. Q. ist der Calorienfactor des 0 2 = 4,771;
189,78 ccm 0 2 = 905,44 cal. Im Ganzen sind pro Min. 1169,44 cal.
gebildet worden.
Noch richtiger ist es vielleicht, die Menge der gebildeten Wärme
für die Zeit zu berechnen, in der an dem Verhalten des R.Q. eine deut¬
liche Hemicellulosewirkung auf den Stoffwechsel zu erkennen ist, nämlich
von Beginn der Nahrungsaufnahme an bis zum Ende des Einzelversuchs
No. 6, also von 10 Uhr 5 Min. morgens bis 3 Uhr 5 Min. nachmittags.
Dabei erhalten wir folgende Zahlen:
ccm0 2 ccmC0 2 cal. R.Q.
242,85* 196,26 — 0,808
Davon kommen auf 60 mg Eiweiss pro Min. 57,97 46,90 264 —
Für Fett und Kohlehydrate 184,88 149,36 — 0,807
Bei 0,807 R. Q. ist der calorische Factor des 0 2 = 4,809. 184,88 0 2
= 889,09 cal. Es sind im Ganzen 1153,09 cal. in der Minute gebildet
worden.
Es schwankt also bei den verschiedenen Berechnungsarten die Wärme¬
bildung in der Agarperiode in ziemlich engen Grenzen, von 1169—1153 cal.
pro Minute. Wenn man die letzte Berechnung als die richtigste gelten
lässt, so stehen sich folgende Wärmebilanzen gegenüber:
In der Agarperiode: 1153,09 calorien.
In der Nüchternperiode: 1118,5 n
Differenz: 34,59 calorien.
Diese Differenz ist aber nicht bedingt durch eine wesentliche Ver¬
mehrung der Oxydationsprocesse, sondern in der Hauptsacho dadurch,
dass der 0 2 in der Agarperiode bei einem durchschnittlichen R. Q. von
0,807, also unter dem Einfluss der Hemicelluloseverbrennung, einen
höheren calorischen Factor hat (4,809) als in der Nüchternperiode bei
einem R. Q. von 0,726 (4,709). Das zeigt eine einfache Rechnung:
Wenn wir in der Agarperiode mit demselben calorischen Werth des 0 2
rechnen, wie in der Nüchternperiode (184,88.4,709), so erhalten wir
für die Agarperiode: 1134,59 calorien
für die Nüchternperiode: 1118,5 „
Differenz: 16,09 calorien,
also eine bedeutend geringere Differenz.
Dass bei der Agarfütterung aber nicht nur Körpcreiwciss, sondern
auch anderes Körpermatcrial gespart wird, geht aus Folgendem hervor:
Gck igle
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Der Vorgang der Cellalose- u. Hemicellulösenverdauung beim Menschen etc. 531
In der Nüchternperiode hat die Versuchsperson in der Minute
93,7 mg Eiweiss umzusetzen.-
ccm 0 2 ccm C0 2
240,48 182,12
93,7 mg Eiweiss = 90,5 73,2
149,98 108,92
149,98 0 2 werden also für die Verbrennung von Körperfett und -Kohle¬
hydraten verbraucht.
In der Agarperiode hat die Versuchsperson ausser dem zerfallenen
Eiweiss noch ein gewisses Quantum Hemicellulose zu verarbeiten. Die
Menge der verdauten Hemicellulose, für die Zeit von 10 Uhr 5 Min. morgens
bis 3 Uhr 5 Min. nachmittags berechnet, stellt sich pro Minute folgender-
maassen: Es sind von 10 Uhr 5 Min. morgens bis 3 Uhr 5 Min. nach¬
mittags, also in 240 Minuten, 36,5 Hemicellulose verdaut worden, welche
als Stärke berechnet, zur Verbrennung 30251,2 ccm 0 2 brauchen. Auf
die Minute kommen 0,152 Hemicellulose = 125,9 ccm 0 2 . Man kann
ohne weiteres annehmen, dass dieses geringe Quantum Hemicellulose in
der Minute vollständig verbrennt, andernfalls würde der R. Q., dessen
Werth in den Versuchen an sich schon nicht sehr hoch ist, diesen Werth
kaum erreichen können. Es gestaltet sich nun unter Berücksichtigung
der Hemicelluloseverbrennung der Minuten-0 2 -Verbrauch für die Agarperiode
folgendermaassen:
ccm 0 2 ccm C0 2
242,85 196,26
60 mg Eiweiss 57,97 46,90
184,88 149,36
0,152 Hemicellulose 125,9 125,9
58,98 23,46
Es sind also für die Verbrennung von anderem Körpermaterial, nach
Abrechnung des Eiweisses, 91 ccm 0 2 weniger verbraucht worden als in
der Nüchternperiode, d. h. es ist ausser Eiweiss noch anderes Körper¬
material gespart worden. Dabei dürfte es.sich in der Hauptsache wohl
um Körperfett handeln, nachdem die Versuchsperson seit 21 Stunden
keine Kohlehydrate ausser dem Agar aufgenommen hat. 91 ccm 0 2
entsprechen 45 mg Fett. 100 g verdauter Hemicellulose sind demnach
im Stande rund 22 g Eiweiss und 30 g Fett vor der Verbrennung zu
schützen, ein immerhin nicht unbeträchtliches Quantum.
Die folgende Tabelle giebt einen Respirationsversuch (Versuch V)
bei Verfütterung reiner Cellulose wieder. Versuchsperson ist derselbe
Mann, wie in den Versuchen II, III und IV. Gewicht 58 kg. Nüchtern
seit 14 Stunden. Beginn des Versuchs 6 Uhr morgens. Von 8 Uhr
15 Min. bis 9 Uhr 15 Min. morgens wird ein grösseres Quantum reiner
Cellulose in feuchtem Zustande verzehrt. Diese Cellulose ist bei ihrer
Darstellung nicht mit Alkohol und Aether getrocknet worden, sondern
in feuchtem Zustande aufbewahrt worden, weil man annehmen konnte,
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II. Lohrisch,
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dass diese in feinster Verkeilung befindliche Cellulose leichter angreif¬
bar sei als die trocken verzehrte. Die Menge der aufgenommenen feuchten
Cellulose entspricht einer Trockensubstanzmenge von 73,6 g. Davon
werden im Koth 55,1 g wieder ausgeschieden; es sind also 18,5 g Cellu¬
lose verdaut worden.
No. des j
Versuchs
cj Beginn des 1
? Versuchs
i
Dauer des Ver¬
suchs in Minuten
g Athemgrösse
3 pro Minute
XX i
§ g
g 0 2 -Verbrauch
B pro Minute j
§ -2
pH 3
^.2
o
ccm
Zunahme
Zeit nach Beginn
der Cellulose- 1
aufnahme
S -2
JS Jw O
u 1 O 3
o 03
O
.
<5 1
pCt. pCt.
1
j RQ
i
% des 0 2 -
.^Verbrauchs
O der C °2-
f* Production
1
6,43
24 '4695
4,14 3,33
0,804
194,37
1 156,34
1
2
7,25
27 j 3981|
4,77 | 3,68
0,772
189,89
146,50
—
—
—
i
Nüchtern werth:
0,788
192,13
151,42
—
—
—
3
10,11
1 26 142371
4,59 I 3,37
0,734
194,47
142,79
+ 1
-57*
2. Std.
4
11,27
27 4230
4,43 1 3,40
0,792
187.38 i
143,82
- 2« /,!
— 5
4. ,
5
12,36
24 1 4649 1
4,36 j 3,23,
0,740
202,69 !
150,16
+ 5«,V
— 1
5- .
6
1,30
24 47681
4,27 . 3,10 1
0,726 i
203,49
147,81
+ 6
-27*
6. „
7
2,58
25 | 4390l
4,63 | 3,22
0,700
203,26
141,36
+ 6 ;
-67,
7. ,
8
4,40
22 5041 :
4,44 1 3,10 |
0,700
223,82
157,78
+ 167*1+4
9. ,
9
6,22
23 14859
4,35 | 3,01
0.692 |
211,37
146,26
+ 10
— 3V 2
11. .
10
7,53 |
21 5290
4,15 ! 3,01
1 !
0,725 1
219,53
159,23
i
+ 14 j
+ 5
12- ,
In diesem Versuch zeigt der R. Q. eine gewisse Uebereinstimmung
mit den Agarversuchen, insofern als er in der 4. Stunde den höchsten,
den Nüchternwerth allerdings nur wenig übersteigenden Werth zeigt.
Dann fällt er langsam ab und erreicht wieder ziemlich niedrige Werthe.
Der 0 2 -Verbrauch ist in der 4. Stunde wiederum am niedrigsten, steigt
dann aber ziemlich schnell an. Auffallend sind die niedrigen C0 2 -Werthe.
Nach dem Verhalten des R. Q. zu urtheilen, findet also auch Verdauung
und Resorption der Cellulose analog der der Heraicellulose statt, nur ist
die Steigerung des R. Q. eine geringe, da die Verdauung der Cellulose
leider nur in sehr bescheidenem Maassstabc stattgefunden hat.
Es wird durch die Respirationsversuche mit Sicherheit nachgewiesen,
dass die Hemicellulosen (und die Cellulose) vom Menschen verdaut und
resorbirt werden und dass sie sich am Kraftwechsel betheiligen. Nach
der Einstellung des R. Q. zu urtheilen, geht ihre Verbrennung in der¬
selben Weise vor sich wie die der Stärke und des Zuckers. Dass kein
höherer R. Q. dabei zu erzielen ist, mag einmal daran liegen, dass die
Hemicellulosen an sich schwerer verdaut und langsamer resorbirt werden
als Stärke und Zucker, hat seine Ursache aber hauptsächlich wohl darin,
dass es nicht gelingt den Organismus, wie z. B. beim Hund mit Stärke,
mit Hemicellulosen zu überschwemmen, sodass diese vorwiegend zur Ver¬
brennung kommen und das Körpereiwciss und -fett ganz aus den
Oxydationsprocessen ausschalten könnten, denn von 100 g verzehrter
Stärke werden eben 100 g resorbirt, von 100 g Heraicellulose aber meist
weniger als die Hälfte. Deshalb werden die Hemicellulosen den Stoff¬
wechsel niemals so intensiv beeinflussen können, wie die gewöhnlich
genossenen Kohlehydrate, wozu sie aber ohne Zweifel befähigt sind, wenn
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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 533
man sie in rascherem Tempo und ebenso reichlich wie Starke zur
Resorption bringen könnte. Die geringe Hemicelluloseroenge, welche
pro Minute zur Verfügung steht, wird vollständig verbrannt. Dabei
wird ein gewisses Quantum Eiweiss und Fett vor der Verbrennung
geschützt.
Der Nutzeffect, den die Hemicellulosen unser diesen Umständen für
den menschlichen Organismus haben können, ist also der eines wärme¬
liefernden und Körpermaterial vor der Verbrennung schützenden
Nahrungsmittels. In dieser Beziehung unterscheiden sich die Hemicellu¬
losen zwar von den gewöhnlichen Kohlehydraten (Stärke), der Unter¬
schied ist aber doch wohl nur ein quantitativer, insofern als die resor-
birten Heraicellulosenmengen eben zu gering sind, um mehr als Wärme
zu bilden. Wenn man sie wie die Stärke im Ueberschuss zuführen
könnte, so würden sie wahrscheinlich auch Glykogen bilden. Sicherlich
verhält sich eben so die reine Cellulose, nur dass es hier noch schwieriger
ist, dem Organismus so grosse Mengen einzuverleiben, dass sie einen
deutlichen Ausschlag geben könnte.
Einen anderen Weg des Abbaues der Hemicellulosen als den über
Zucker anzunehmen geben die Versuche ra. E. keine Veranlassung.
Wenn trotzdem bei Diabetikern, auch bei reichlicher Hemicellulosevcr-
dauung, keine Steigerung der Zuckerausscheidung zu beobachten war, so
erklärt sich das einmal so, dass, wie Brasch (81) zeigte, die Assimi¬
lationsgrenze für Galactose, um die es sich ja bei der Agarfütterung
handelt, beim Diabetiker nicht tiefer liegt wie beim Gesunden. Sodann
ist aber zu bedenken, dass es nicht dasselbe ist, ob ein Diabetiker
10 g Traubenzucker oder 10 g Galactan nimmt. Die 10 g Trauben¬
zucker werden mit grosser Schnelligkeit resorbirt und vermögen bei ge¬
nügender Intoleranz die Zuckerausscheidung zu erhöhen. Die Umwand¬
lung von 10 g Galactan in Zucker und ihre Resorption geht aber offen¬
bar so langsam vor sich, der Eintritt in den Organismus erfolgt so
allmählich, dass auch der intolerante Diabetiker Zeit gewinnt, sie zu
verbrennen. So unterbleibt beim Diabetiker eine Erhöhung der Zucker¬
ausscheidung und die aufgenommene Hemicellulosc geht dem Organismus
nicht verloren. Es ist demnach auch aus den Diabetikerversuchen,
glaube ich, nicht auf principielle qualitative Unterschiede im Abbau der
Hemicellulosen und der Stärke zu schliessen, sondern auch hier sind es
nur die quantitativ schlechteren Bedingungen für die Zufuhr und Re¬
sorption der Hemicellulosen, welche den Diabetiker den Hemicellulosen
gegenüber tolerant erscheinen lassen. Die Diabetikerversuche verlieren
dadurch nicht an Werth, zeigen sie doch, dass man in den Hemicellu¬
losen ein Kohlehydrat hat, welches man auch schweren Diabetikern
unbedenklich verabreichen kann ohne befürchten müssen, die Glykosurie
zu vermehren. Die Hemicellulosen sind in der That auf Grund ihrer
in den Respirationsversuchen zu Tage tretenden Eigenschaften ein Ersatz
für Zucker und Stärke, der beim Diabetiker mit Vortheil verwendet
werden kann.
Dieselben Ueberlegungen haben auch für die Versuche am diabe¬
tischen Thier Geltung. Wenn man hier grössere Mengen Galactan zur
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534
H. Lohrisch,
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Resorption bringen könnte, würde vielleicht auch eine Glykogenbildung
zu constatiren sein, ebenso wie bei Galactosefütterung.
Wenn man den Abbau der Hemicellulose nicht über Zucker gehen
lassen will, so käme als weitere Möglichkeit die Aufspaltung der Hemi¬
cellulose und der Cellulose in flüchtige Fettsäuren in Betracht. Das ist
aber, wenigstens für die Dünndarmverdauung, nach dem Ausfall der
Respirationsversuche ausgeschlossen. Es bliebe dann nur noch übrig
anzunehmen, dass die Hemicellulosen als solche resorbirt werden. Hier¬
für könnten einige schon oben citirte Beobachtungen sprechen, nämlich
das Auftreten von Pentosanen im Harn, von Neuberg und Wohl-
gemuth (73), Slowtzoff (60) und Weiske (67) am Kaninchen, von
Blumcntbal (74) am Menschen beobachtet, welch letzteres Yorkommniss
von Neuberg (47) allerdings für sehr selten gehalten wird. Auch der
Umstand, dass Slowtzoff (60) das verfütterte Xylan in den Organen
und im Blut seiner Versuchsthiere nach weisen konnte, giebt zu denken.
Man würde sich aber zu dieser Auffassung, die ein physiologisches
Novum bedeuten würde, doch wohl erst auf Grund des sicheren
experimentellen Nachweises definitiv entschliessen können. Vorläufig
scheint mir kein zwingender Grund für diese Annahme vorzuliegen.
Noch einige Bemerkungen bezüglich der zeitweise auffallend niedrigen
Werthe der R. Q. in den späteren Stunden nach der Agaraufnahme,
wenn also die Dünndarmverdauung schon völlig abgelaufen ist Beim
hungernden Menschen hat Magnus-Lewy (100) als niedrigsten Werth
0,69 gefunden, v. Noorden (102) macht aber darauf aufmerksam, dass
der R. Q. im Hunger zuweilen unter den theoretischen Werth 0,7 ab¬
sinken kann. Nach v. Noorden ist dies darauf zurückzuführen, dass
im Hunger neben C0 2 eine gewisse Menge von C-haltigen Verbindungen
(Aceton, Acetessigsäure, ß - Oxybuttersäure) ausgeschieden werden.
Lehmann und Zuntz (cit. nach v. Noorden) schlossen aber weiterhin
aus dieser Erscheinung, dass bei der absoluten Ruhe und Ausschaltung
jeder Muskelbewegung kleine Mengen Glykogen — aus den zersetzten
Eiweisskörpern stammend — sich in Leber und Muskeln anhäufen
können. Für die Richtigkeit dieser Vermuthung sprechen Versuche, in
denen bei Muskelarbeit, wobei der Glykogenumsatz gesteigert ist, ein
höherer R. Q. gefunden wurde. Ob diese Momente bei meinen Versuchen
eine Rolle spielen, lasse ich dahin gestellt; ich habe jedenfalls keinen
Grund irgend welche Versuchsfehler als Ursache der niedrigen Quotienten
anzunehmen. Auf eine andere Möglichkeit möchte ich aber hinweisen:
Vielleicht könnten die niedrigen Quotienten werthe in meinen Fällen
dadurch bedingt sein, dass noch im Dickdarm ein Theil der nicht resor-
birten Hemicellulose und der Cellulose unter dem Einfluss von Bakterien
in flüchtige Fettsäuren aufgespalten wird und diese vom Dickdarm aus
resorbirt werden. Die niedrigen Quotienten würden dann erklärlich sein,
denn wir wissen durch die Untersuchungen von Munck (103) und
Mallevre (104), dass die theoretischen R. Q. des buttersauren und
essigsauren Natrons 0,6 resp. 0,5 sind und dass bei intravenöser
Injection dieser Substanzen die R. Q. sich den theoretischen Werthen
nähern. Da die Hemicellulosen und die Cellulose bekanntlich durch
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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 535
Bakterien in flüchtige Fettsäuren zerlegt werden können, möchte ich
wenigstens auf die Möglichkeit dieser Erklärung für meine auffallend
niedrigen R. Q. verwiesen haben. Vielleicht hängt damit auch die bei
den Hemicellulosediabetikern in der Agarperiode auftretende Vermehrung
der Acetonausscheidung zusammen.
Ergebnisse.
1. Cellulose und Hemicellulosen sind chemisch nahe verwandte,
auf Grund ihrer chemischen Eigenschaften aber meist scharf zu trennende
Substanzen.
2. In ihrem physiologischen Verhalten zeigen Cellulose und Hemi¬
cellulosen keine wesentlichen Unterschiede.
3. Der Mensch verdaut unter normalen Verhältnissen durchschnitt¬
lich 50 pCt. der zugeführten Cellulose und Hemicellulosen. Personen mit
chronischer habitueller Obstipation verdauen 70—80 pCt.
4. Es gelingt beim Menschen ungleich grössere Mengen Hemicellu¬
losen zur Verdauung zu bringen als Cellulose.
5. Die Verdauung der Hemicellulosen und der Cellulose erfolgt
beim Menschen in derselben Weise, wie die der Stärke. Die genannten
Substanzen werden im Darm in ihre entsprechenden Zucker überführt.
Ihre Umwandlung und Resorption erfolgt wesentlich langsamer als die
der Stärke. Die resorbirten Mengen werden im menschlichen Organismus
vollständig verbrannt. Dabei wird Eiweiss und Fett vor der Verbrennung
geschützt. Es nicht daran zu zweifeln, dass die Cellulose und die
Hemicellulosen Glykogen bilden würden, wenn es gelänge, sie im Ueber-
schuss zur Resorption zu bringen. Aufspaltung der Cellulose und Hemi¬
cellulosen in flüchtige Fettsäuren erfolgt im Dünndarm nicht. Möglicher¬
weise wird aber ein kleiner Theil des nicht resorbirten Materials im
Dickdarm in flüchtige Fettsäuren zerlegt und als solche resorbirt.
6. Cellulose und Hemicellulosen sind für schwere Diabetiker ein
unschädlicher Ersatz für die gewöhnlichen leicht resorbirbaren Kohle¬
hydrate. Speciell die Hemicellulosen dürften für diese Zwecke practisch
in Frage kommen.
Literatur.
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536
H. Loh risch,
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35) W. Hoffmeister, Die Cellulose und ihre Formen. Landwirthsch. Jahrbücher.
1889. Bd. 18.
36) Derselbe, Das Cellulosegummi. Landwirthsch. Versuchsstationen. 1891. Bd. 39.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschon etc. 53/
37) E. Schulze, Zur Chemie der pflanzlichen Zellmembran. 111. Abhandl. Zeitschr.
f. physiol. Chemie. 1894. Bd. 19.
38) Hoppe-Seyier, Ebendaselbst. Bd. 13.
39) Schulze und Casioro, Beiträge zur Kenntniss der Hemicellulosen. II. Eben¬
daselbst. 1903. Bd. 39.
40) Saiki, The digestibility and utilization of some polysaccharide carbohydrates
derivod from Lichens and Marine Algae. The Journal of Biological Chemistry.
1906. Vol. II. No. 3.
41) Lifschütz, Ueber die Einwirkung von Salpeterschwefelsäure auf Pflanzenfasern.
Ber. d. Deutsch, ehern. Gesellsch. 1891. 24. Jahrg.
42) 0. Simon und Loh risch, Eine neue Methode der Cellulosebestimmung in
Nahrungsmitteln und Päces. Zeitschr. f. physiolog. Chemie. 1904. Bd. 42.
43) Lohriscb, Ueber die Bedeutung der Cellulose im Haushalte des Menschen.
Ebendaselbst. 1906. Bd. 47.
44) Kleiber, Versuche zur Bestimmung des Gehalts einiger Pflanzen und Pflanzen-
theile an Zellwandbestandtheilen, an Hemicellulosen und an Cellulose. Land-
wirtbschafü. Versuchsstationen. 1900. Bd. 54.
45) Payen, Sur la gälose et les nids de salangane. Compt. rendus hebdom. 1859.
Vol. 49.
46) Toi lens, Untersuchungen über Kohlehydrate. Landwiithschaftl. Versuchsstat.
1891. Bd. 39.
47) C. Neuberg, Die Physiologie der Pentosen und der Glukuronsäuren. Ergehn,
der Physiol. 1904. I. Abtheilung. Biochemie.
48) Fischer und Thierfelder, Verhalten der verschiedenen Zucker gegen reine
Hefen. Ber. d. Deutsch, chem. Gesellsch. 1894. 27. Jahrg. Bd. II. S. 2031.
49) Salkowski, Ueber die Darstellung des Xylans. Zeitschr. f. physiol. Chemie.
1901/02. Bd. 34.
50) Toi lens, Ueber die in den Pflanzenstoffen und besonders den Futtermitteln ent¬
haltenen Pentosane, ihre Bestimmungsmethoden und Eigenschaften. Journal für
Landwirthsoh. 18%. 44. Jahrgang.
51) Derselbe, Ueber die Bestimmung der Pentosen und Pentosane. Zeitschr. f.
physiolog. Chemie. 1902. Bd. 36.
52) Reichardt, Archiv f. Pharmak. 1876. H. 7.
53) Schmidt und Strasburger, Die Fäces des Menschen im normalen und krank¬
haften Zustande. U. Theil. Berlin 1905.
54) E. Schulze, Ueber die Zellwandbestandtheile der Cotyledonen von Lupinus
luteus und Lupinus angustifolius und über ihr Verhalten während des Keimungs¬
vorganges. Zeitschr. f. physiol. Chemie. 1895/%. Bd. 21.
55) Loh risch, Ueber die Verdauung und Verwerthung der Rohfaser und Cellulose
im tbierischen und menschlichen Organismus. Centralbl. f. d. gesammte Physiol.
und Pathol. des Stoffwechsels. 1907. Neue Folge. No. 21.
56) Kellner, Untersuchungen über den Stoff- und Energieumsatz des erwachsenen
Rindes bei Erhaltungs- und Productionsfutter. Landwirthsohaftl. Versuchsstat.
1900. Bd. 53.
57) V. Hofmeister, Ueber Celluloseverdauung beim Pferde. Archiv f. wissensch.
und pract. Thierheilkunde. Bd. XI. S. 46.
58) Holdefleiss, Die Bedeutung des verdauten Antheils der Rohfaser für die
thierische Ernährung. Berichte aus dem physiol. Laboratorium u. der Versuchs¬
anstalt des landwirthschaftl. Instituts der Universität Halle. 1895. Heft 12.
59) Scheunert, Beiträge zur Kenntniss der Celluloseverdauung im Blinddarm und
des Enzymgehaltes des Cöcalsecretes. Zeitschr. für physiolog. Chemie. 1906.
Bd. 48.
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Original fru-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
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•538 H. Lohrisch,
60) Slowtzoff, Ueber das Verhalten des Xylans im Thierkörper. Ebendaselbst.
1901/02. Bd. 34.
61) Sei liiere, Sur la prßsence d’une diastase hydrolysante la Xylane dans le suc
gastro-intestinal de l’escargot. Comptes rendus. 1905. Vol. I. p. 409.
62) Derselbe, Sur une diastase hydrolysante la Xylane dans le tube digestif de
certaines larves de Calöopteres. Ebendaselbst. 1905. Vol. I. p. 940.
63) Derselbe, Sur la prösence de la Xylanase chez difförents Mollusques gastero-
podes. Ebendaselbst. 1905. Vol. 11. p. 20.
64) Hoppe-Seyler, Die Methangährung der Essigsäure. Zeitsohr. f. physiol. Chem.
1887. Bd. 11.
65) Ankers mit, Untersuchungen über die Bakterien im Verdauungskanal des
Rindes. Centralbl. f. Bakteriologie. 1906. Bd. 40.
66) Stone und Jones, Verdaulichkeit der Pentosane. Centralbl. f. Agriculturchemie.
1893. 22. Jahrg.
67) Weiske, Ueber die Verdaulichkeit der in den vegetabilischen Futtermitteln ent¬
haltenen Pentosane. Zeitschr. f. physiol. Chemie. 1895. Bd. 20.
68) Lindsey und Holland, Die Verdaulichkeit der Pentosane. Centralbl. f. Agri¬
culturchemie. 1895. 24. Jahrg.
69) Poulsson, Untersuchungen über das Verhalten einiger Flechtenkohlenhydrate
im menschlichen Organismus und über die Anwendung derselben bei Diabetes
mellitus. Upsala Läkareförenings Förh and Ungar. Neue Folge. Bd. 11. Suppl.
1906. Festschrift für Hammarsten. — Derselbe, Om den islandske lav som
naerings middel og om anvendelse af lavbrod ved sukkersyge. Nordisk Tids-
skrift for Terapi. 1907.
70) Oshima, U. S. Dept. of Agric., Office of Exper. Stations, Bull. No. 159. 1905.
71) Lohrisoh, Die Ursachen der chronischen habituellen Obstipation im Lichte
systematischer Ausnutzungsversuche. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 79.
72) Tapp ein er, Untersuchungen über die Gährung der Cellulose, insbesondere
über deren Lösung im Darmcanal. Zeitschr. f. Biolog. 1884. Neue Folge. Bd. 2.
73) Neuberg und Wohlgemuth, Ueber das Verhalten stereo-isomerer Substanzen
im Thierkörper. I. Mittheilung. Ueber das Schicksal der 3 Arabinosen im Ka¬
ninchenleibe. Zeitschr. f. physiol. Chemie. 1902. Bd. 35.
74) Blumenthal, Die Pentosurie. Deutsche Klinik. 1903. Bd. 3.
75) Hofmeister, Ueber Resorption und Assimilation der Nährstoffe. Arch. f. exper.
Path. u. Pharm. 1888. Bd. 25.
76) C. Voit, Ueber die Glykogenbildung naoh Aufnahme verschiedener Zuokerarten.
Zeitschr. f. Biolog. 1891. Bd. 28.
77) Wein 1 and, Beiträge zur Frage naoh dem Verhalten des Milohzuokers im Körper,
besonders im Darm. Ebendas. 1899. Bd. 38.
78) Kausch und Socin, Sind Milchzucker und Galaktose directe Glykogenbildner?
Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 1893. Bd. 31.
79) Crem er, Ueber das Verhalten einiger Zuokerarten im thierischen Organismus.
Zeitschr. f. Biolog. 1892. Bd. 29.
80) Sommer, Zur Verwerthung des Milchzuckers im thierischen Organismus. Habil.-
Schrift. Würzburg 1899.
81) Brasch, Ueber das Verhalten nicht gährungsfähiger Kohlehydrate im thierischen
Organismus. Mit besonderer Berücksichtigung des Diabetes. Zeitschr. f. Biolog.
1907. Neue Folge. Bd. 32.
82) Cremer und Ritter, Phlorhidzinversuche am Carenzkaninchen. Ebendaselbst.
1892. Bd. 29.
83) Salkowski und Jastrowitz, Ueber eine bisher nicht beobachtete Zuckerart im
Harn. Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1892. No. 19.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 539
84) Ebstein, Einige Bemerkungen zum Verhalten der Pentosen im menschlichen
Organismus. Virchow’s Arch. Bd. 129.
85) Frentzel, Ueber Glykogenbildung im Thierkörper nach Fütterung mit Holz¬
zucker. Pflüger*« Arch. 1894. Bd. 56.
86) Neuberg u. Wohlgemuth, Ueber d-Arabinose, d-Acetonsäure und die quan¬
titative Bestimmung von Arabinose. Zeitschr. f. phys. Chemie. 1902. Bd. 35.
87) Lindemann und May, Die Verwerthung der Rbamnose vom normalen und vom
diabetischen menschlichen Organismus. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 56.
88) v. Jacksch, Ueber alimentäre Pontosurie. Zeitschr. f. Heilk. 1899. Bd. 20.
89) Bergeil, Das Verhalten der 1-Arabinose im normalen und diabetischen Organis¬
mus. Festschr. f. v. Leyden. Bd. 6.
90) Cremer, Ueber die Verwerthung der Rbamnose im thierischen Organismus und
einige damit zusammenhängende Fragen der Physiologie der Kohlehydrate.
Zeitschr. f. Biolog. 1901. Neue Folge. Bd. 24.
91) Ad. Schmidt u. Lohrisch, Ueber die Bedeutung der Cellulose für den Kraft¬
wechsel der Diabetiker. Deutsche med. Wochenschr. 1907. No. 47.
92) Fr. Voit, Ueber das Verhalten der Galaktose beim Diabetiker. Zeitschr. f.Biolog.
1892. Bd. 28.
93) Derselbe, Dasselbe. Ebendas. 1892. Bd. 29.
94) Minkowski, Untersuchungen über den Diabetes mellitus nach Exstirpation des
Pankreas. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 1893. Bd. 31.
95) Sandmeyer, Ueber die Folgen der partiellen Pankreasexstirpation beim Hund.
Zeitsohr. f. Biolog. 1895. Bd. 31.
96) Bauer, Weitere Untersuchungen über Galaktosurie. Vortrag, gehalten in der
Gesellsch. f. inn. Med. u. Kinderheilk. in Wien. October 1906. Ref. Centralbl.
f. inn. Med. 1906. No. 47. S. 1176.
97) v. Jaoksch, Ueber die alimentäre Pentosurie der Diabetiker. Deutsches Arch.
f. klin. Med. Bd. 63.
98) C. Voit, Ueber die Verschiedenheiten der Eiweisszersetzung beim Hungern.
Zeitschr. f. Biolog. 1866. Bd. 2.
99) Graham Lusk, Ueber Phlorhidzindiabetes und über das Verhalten desselben
bei Zufuhr verschiedener Zuckerarten und von Leim. Ehendas. 1898. Bd. 36.
100) Magnus-Lewy, Ueber die Grösse des respiratorischen Gaswechsels unter dem
Einfluss der Nahrungsaufnahme. Pflüger’s Arch. 1894. Bd. 55.
101) Derselbe, Physiologie des Stoflwechsels. In v. Noorden’s Handbuch der
Pathol. des Stoffwechsels. 1906. Bd. 1.
102) v. Noorden, Der Hunger und die chronische Unterernährung. Ebendas. 1906.
Bd. 1. S. 483.
103) Munk, Der Einfluss des Glycerins, der flüchtigen und festen Fettsäuren auf
den Gasweohsel. Pflüger’s Arch. 1890. Bd. 46.
104) Mallevre, Der Einfluss der als Gährungsproducte der Cellulose gebildeten
Essigsäure auf den Gas Wechsel. Ebendas. 1891. Bd. 49.
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xxxvm.
Aus der mediciuischen Universitätsklinik zu Halle a. H.
Ueber „organisch“ gebundenes Chlor im Harn.
Von
Priv.-Doc. Dr. med. 0 . Baumg&rten.
Die Frage, ob ein Theil der Harnchloride in organischer Bindung
zur Ausscheidung kommt, war bisher in keiner Weise entschieden. Ab¬
gesehen von einzelnen früheren Autoren haben sich neuerdings A. Ber-
lioz und E. Lepinois 1 ) um die Entscheidung dieser Frage bemüht.
Fehlerhafte Methoden führten zu Resultaten, nach denen 10—40 pCt.
der Gesammt-Cl-Menge als organisches CI ausgeschieden würde. A. Petit
und P. Terrat 2 3 ) verglichen die Ergebnisse der directen Cl-Bestimmung
mit den aus der Harnasche gewonnenen Chloriden und fanden so über¬
haupt kein organisch gebundenes CI oder nur Spuren desselben. Zu
positiven Ergebnissen kam Dioscoride Vitali 8 ), indem er von dem
durch Veraschung mit Soda gewonnenen Gesammtchlor das nach den
üblichen Methoden bestimmte anorganische abzog. Neuerdings sprechen
sich J. Ville und J. Moitessier 4 ) und ebenso G. Meillere 5 ) gegen die
Annahme von organisch gebundenem CI im Urin aus. Die genannten
Forscher behaupteten, dass die Spuren CI, welche der directen Aus¬
füllung mit AgN0 3 entgehen, durch den Harnstoff und andere Extractiv-
stoffe zurückgehalten würden.
Die Verschiedenheit aller bisherigen Ergebnisse veranlasste mich za
einer neuen Bearbeitung der Frage nach organischem CI im Urin. Gleich¬
zeitig konnten dadurch eventuell Beziehungen zu dem Zustandekommen
der verminderten Cl-Ausscheidung bei fieberhaften Erkrankungen, speciell
bei der Pneumonie, sich ergeben.
Zu diesem Zweck wurde eine mit der Pipette abgemessene Ham-
menge (nach sorgfältigster Ausfüllung des Eiweisses) zunächst zwecks
1) Chem. Centralbl. 1894. S. 912 u. 1895. S. 495.
2) Ibidem, 1894. S. 246.
3) Maly’s Jahresberichte. 31. 1897. Bd. II. S. 44.
4) Ibidem. Bd. I. S. 413, 414.
5) Ibidem.
Gougle
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Ueber „organisch 41 gebundenes Chlor im Harn.
541
Reduction etwa vorhandener Chlorate 1 ) mit Natriuranitrit und rauchender
Salpetersäure versetzt, am folgenden Tage mit einem Ueberschuss von
AgNO s -Lösung gefällt, im Dunkeln filtrirt und sorgfältig mit destillirtem
Wasser nachgewaschen. Das vollkommen klare Filtrat wird auf dem
Wasserbade auf ca. Vs seines Volumens eingeengt und nochmals filtrirt.
Zugesetztes Silbernitrat rief keine Fällung hervor. Die so erhaltene,
völlig klare Flüssigkeit wird nunmehr mit CI-freiem Säuregemisch (conc.
HN0 3 und conc. H 2 S0 4 ana) nach Vorschrift von A. Neu mann 2 ) ver¬
ascht und in eine mit verdünnter AgNO a -Lösung beschickte Vorlage
überdestillirt. Der Rückstand in der Retorte wird nach beendeter Ver¬
aschung mit destillirtem Wasser verdünnt und zur Prüfung auf etwa der
Destillation entgangenes 3 ) CI- mit einigen Tropfen Ag-Lösung versetzt.
Ura dem Einwand der Cl-Retention durch Harnstoff zu begegnen,
wurden 50 ccm einer Lösung von 2 pCt. C0(NH 2 ) 2 + 1 pCt. CINa in
der üblichen Weise mit Ag-Lösung gefällt. Die berechnete AgCl-Menge
betrug 1,225 g. Erhalten wurden 1,2209 AgCl und 1,2218 AgCl.
Auch künstliche Lösungen, wie sie schon der Zusammensetzung des
Harns näher kamen, ergaben keine Retention von Chlor durch die in
denselben vorhandenen Körper. Aus einer Lösung von 50 ccm y 2 pCt.
phosphorsaures Natrium, y 4 pCt. schwefelsaures Natrium, Vio pCt. Harn¬
säure, 2pCt. Harnstoff, lpCt. Kochsalz wurden 1,2228 und 1,2232 AgCl
(berechnet 1,2238 AgCl) gewonnen.
Urine, in der angegebenen Weise von Gesunden und einem fieber¬
losen, schweren Diabetiker untersucht, ergaben regelmässig der Fällung
entgangene Mengen Halogens, die sich erst durch das Veraschungsver¬
fahren nach weisen Hessen. Die Werthe betrugen, auf die 24 ständige
Harnmenge als AgCl berechnet, durchschnittlich 0,5 bis 2, auch 2,5 Deci-
gramm. Grössere Mengen wurden kaum nachgewiesen. Dagegen wurden
Werthe, die noch nicht 0,1 erreichten, verhältnissmässig häufig fest¬
gestellt.
Von den verschiedenen Fällen croupöser Pneumonien, deren Harn
ich zu analysiren Gelegenheit hatte, sei nur folgender kurz erwähnt:
Emma E., 21 J. alt, erkrankte plötzlich am 13. 1. mit Schüttel¬
frost, Seitenstechen und hohem Fieber. Am 18. 1. bestand bei der Auf¬
nahme in die Klinik doppelseitige pneumonische Infiltration vom Scapular-
winkel an abwärts und in der rechten Seite, über den gedämpften
Partien, Bronchialathmen und Knisterrasseln. Am 19. 1. erfolgte eine
partielle Krise, in anderen Theilen der Lunge ein Fortschreiten der
Pneumonie. Am 22. 1. bestand auch über der rechten Spitze geringe
Dämpfung. Im Uebrigen war eine deutliche Aufhellung des Percussions-
1) M. Scholtz, Arcli. f. Pharmacie. Bd. 243. S. 353. 1905. Diese Vorsicht
wurde beibehalten, obwohl sich nie Differenzen der erhaltenen AgCl-Menge vor und
nach dem Reductionsverfahren ergaben. Jedenfalls wird durch den Zusatz von
Natriumnitrit der vorhandene Harnstoff zerstört. Millon, Ann. d. Chemie u. Phar¬
macie. Bd. 3. — Herrn. Hildebrandt, Viorteljahrsschr. für gerichtl. Medicin.
Bd. 32. 1907.
2) Zeitschr. f. physiolog. Chemie. 1902. Bd. 37. H. 2. S. 118 IT.
3) Dasselbe war nie der Fall.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. q t
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
542
0. Baumgarten,
schalls zu bemerken. Ara 24. 1. bestand nur geringe Tympanie in den
abhängigen Theilen beiderseits. Am 29. 1. war in den abhängigen
Theilen der linken Lunge ein geringes pleuritisches Exsudat nachweisbar.
Ara 31. 1. bestand dasselbe in gleicher Höhe auch rechts. Die Probe-
punction ergab einige Cubikcentimeter seröser Flüssigkeit. In den nächst¬
folgenden Tagen trat Resorption des Exsudats ein, so dass die Kranke
am 14. 2. mit normalem Lungenbefund entlassen werden konnte.
Der Uebersicht wegen stelle ich Temperaturen, Harnmengen und
Chlorbestimraungen in nachstehender Tabelle zusammen.
Datum
Temperaturen
Urin¬
menge
18. 1.
19. 1.
20 . 1 .
21 . 1 .
22 . 1 .
23. 1.
39,0 39,4 39,6 39,8
39,1 39,5 39,7 39,3
39,0 39,1 39,6 39,5
37.9 38,5 38,3 38,4
38,0 38,3 38.4 38,4
38.9 38,0 37,7 37,8
750
500
600
500
410
1300
24. 1.
25. 1.
26. 1.
27. 1.
28. 1.
29. 1.
30. 1.
31. 1.
1 . 2 .
2 . 2 .
37.3 37,9 37,8 37,9
37.4 36,9 37,3 37,2
38,1 36,9 37,3 36,8
36,7 36,7 37,2 37,1
normale Temp.
desgl.
desgl.
desgl.
desgl.
desgl.
1340
1200
840
1470
5400 I
ä 1800 |
4230 I
ä 1410 j
fällbares
nicht fällbares
Halogen in 100 ccm Harn
0,22720
0,0215
0,10710
0,0215
0,10835
0,0069
0,15475
0,0115
0,56605
0,0090
0,95830
nicht sicher
wägbar
1,19005
0,0156
1,02290
0,0033
0,87420 ,
0,0094
1,0620
0,011
Durchschnitts¬
werth pro Tag
0,58470
1 nicht sicher
j wägbar
Durchschnitts¬
| Durchschnitts-
werth pro Tag
} werth pro Tag
0,97100
1 0,0091
fällbares ! nicht fällbare
Halogen in der Tagesportion
1,7040 0,16125
0,5355 0,10750
0,6501 0,04140
0,77$8 0,05750
2,3208 0,03690
12,4579 ?
I
15,9467 0,20904
12,2748 ; 0.03960
7,3483 ! 0,07896
15,6114 j 0,16170
Durchschnitts- j Durchschoit*'
werth pro Tag } werth pro Ta:
10,5246 I ?
Durchschnitts- J Durchschnitt'
werth pro Tag i > werth pro Ta:
13,6911 I 0,12831
Anmerkung: Die angeführten Werthe sind als Ag CI berechnet. Dass hier, wie bei sämmtliehe'
Bestimmungen Chlor vorlag, bewies die sofortige Löslichkeit des Silbersalzes in Ammoniak. Zudem hatt:
die betr. Patienten weder vorher noch während der Beobachtungsdauer Jod- oder Bromsalze bekomm::
Die angeführten Zahlen sind die Durchschnittswerthe von jedesmal zwei gut miteinander übereinstimmend
Analysen.
Die Harne der übrigen uncomplicirten, croupösen Pneumonien mit
typischer Krisis ergaben dieselben Resultate betr. des nicht durch Silber
fällbaren Chlors. Unter diesen Umständen konnten neue Ergebnisse von
der Untersuchung anderer fieberhafter Erkrankungen kaum erwartet
werden. Und in der That ergab die Beobachtung eines Falles von
Scharlach und Masern bis zum Ende der Abschuppung und eines in die
Reconvalescenz eintretenden Typhuskranken nichts Neues. Ich verzichte
daher auf die Mittheilung der Tabellen.
Auch die Verabfolgung von 10 und 20 g Kochsalz in nahezu con-
centrirter Lösung Morgens nüchtern bei Gesunden und Pneumonikern
mit nahezu vollständiger Cl-Retention blieb ohne erkennbaren Einfluss
auf die Menge des nicht durch Silber fällbaren Halogens.
Fasse ich die bisher erzielten Resultate zusammen, so sind die erst
durch den Veraschungsprocess gewonnenen Cl-mengen in weitgehendstem
Maasse unabhängig
1. von der Kochsalzzufuhr mit der Nahrung,
2. von der Temperatur des betr. Individuums, denn
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Ueber „organisch“ gebundenes Chlor im Harn.
543
a) normale Harne,
b) Fieberurine (Pneumonie-Masern-Scharlach),
c) Harne vor und nach der Krisis
geben gleiche Mengen, wahrscheinlich organisch gebundenen Chlors.
Dieser letzte Punkt erschien mir darum besonders wichtig, als damit
die Frage nach den Ursachen der Retention der Chloride bei fieberhaften
Erkrankungen, speciell bei der Pneumonie, nicht einmal eine wenigstens
thcilweise Erklärung durch etwa vermehrt ausgeschiedenes „organisches 44
Chlor finden konnte.
Welcher Natur der durch Fällung nicht nachweisbare, erst durch
das Veraschungsverfahren gewonnene Chlorantheil ist, lässt sich vorläufig
nicht bestimmen. Durch Ausschüttelung des Urins mit 1 ) Aether oder
Aetherextraction des auf dem Wasserbade verdampften Harns im Soxhlet
konnten nur Bruchtheile des „organischen 44 Chlors gefunden werden.
1) Auch hier natürlich mit der Vorsicht, doch die Veraschung erst nach Filtration
des in Wasser aufgenommenen, mit AgN0 3 -Lösung versetzten Verdampfungsrückstandes
vorgenommen wurde.
35*
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XXXIX.
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Aus der medicinischen Klinik der Universität Bonn.
Ueber die auscultatorische Methode der Blutdruckmessung
mit besonderer Berücksichtigung des diastolischen Blutdrucks.
Von
Heinrich Bickel.
(Mit 1 Curve im Text)
Seit einigen Jahren ist man bemüht, Methoden zu finden, die es
uns ermöglichen sollen, ausser dem systolischen oder maximalen Blat-
druck auch den Werth des diastolischen oder minimalen Druckes zahlen-
mässig zu bestimmen. Denn man hatte erkannt, dass der Werth des
diastolischen und damit auch des mittleren Blutdruckes keineswegs der
Höhe des systolischen Druckes parallel zu gehen braucht, und dass für
das feinere Verständnis des Kreislaufmcchanismus die Messung des dia¬
stolischen Druckes der des systolischen an Bedeutung mindestens gleich
kommt. So hat Strasburger darauf hingewiesen, dass der Pulsdruck,
worunter er die Differenz zwischen systolischem und diastolischem Blut¬
druck versteht, bei Berücksichtigung ganz bestimmter Momente als an¬
näherndes Maass für die Grösse des Schlagvolumens dienen könne.
Der Vergleich des Pulsdruckes mit dem Maximaldruck erlaubt uns
ferner nach der Ansicht Strasburger’s in einer Reihe von Fällen einen
Einblick in das Verhältnis der Herzarbeit zu dem Widerstand in den
Gefässen. Es ist allerdings letzthin, besonders auf Grund der Arbeiten
von H. v. Recklinghausen, eingewendet worden, dass derartige
Schlüsse unzulässig seiet), weil wir die Weitbarkeit des arteriellen
Systems, insbesondere der peripheren Gefässe, nicht in Rechnung setzen
könnten. Demgegenüber aber muss betont werden, dass es in der
Praxis eine ganze Reihe von Fällen giebt, in denen wir mit jenen Me¬
thoden wesentlich detaillirtere Schlüsse auf das Verhalten des Kreis¬
laufs ziehen können, als dies früher möglich war. Insbesondere sind
die Resultate dann sicher brauchbar, wenn die erhaltenen Werthe sich
in entgegengesetzter Richtung ändern, als dies durch einen Fehler, der
durch die wechselnde Capacität des Gefässsysteras bedingt wäre, her¬
vorgebracht würde.
So sollte man z. B. erwarten, dass im heissen Bade, in Folge der
starken Gefässerwciterung und der damit verbundenen Vergrösserung der
Capacität des Arterienreservoirs, der Pulsdruck kleiner werden müsste.
Gck igle
Original fro-m
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Ueber die auscultatorisohe Methode der Blutdruckmessung etc. 545
Man könnte aus einer solchen Abnahme des Pulsdrucks nicht schlicssen,
dass das Schlagvolumen abgenommen habe. Wenn aber in Wirklich¬
keit, wie dies aus den Untersuchungen von J. Strasburger 1 ) hervor¬
geht, die Pulsamplitude im heissen Bad grösser wird, sich also umge¬
kehrt verhält, als es von der Beeinflussung seitens des Gefässsystems
zu erwarten wäre, so unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass damit
eine Vergrösserung des Schlagvolumens erwiesen ist. Derartige Bei¬
spiele Hessen sich noch mehr anführen; es muss eben jeder Fall für
sich durchdacht werden. Und wenn auch nicht wenige Fälle übrig
bleiben, in denen ein Non liquet ausgesprochen werden muss, so berech¬
tigt das noch nicht, diese Betrachtungen für überflüssig zu erklären, so
lange nicht etwas Besseres an ihre Stelle gesetzt ist.
Wenn also die Bedeutung, die dem diastolischen Druckwerth zu¬
kommt, zur Zeit noch lange nicht in jeder Hinsicht klargestellt ist, so
beweisen doch weiterhin die Versuche von Masing 2 ), Strasburger 3 )
und Stursberg 4 ) über das Verhalten der Blutdruckwerthe nach Körper¬
arbeit, wie unvollkommen uns der systolische Druckwerth allein über
den Zustand des Herzens unterrichtet.
Die zahlreichen Methoden und Apparate, die zur Messung des dia¬
stolischen Blutdrucks bisher construirt wurden, gründen sich im Grossen
und Ganzen auf zwei Principien. Das eine Princip, von Janeway 5 ),
Masing 6 ), Strasburger 7 ) und Sahli 8 ) entdeckt, findet den diasto¬
lischen Druckwerth dann, wenn bei langsam steigendem Druck in der
comprimirenden Manschette der Puls peripher von der Manschette eben
kleiner wird. Das andere Princip misst den diastolischen Druck dann,
wenn bei langsam sinkendem Druck in der Manschette die Druck¬
schwankungen in dieser deutlich kleiner werden. Das letztere Princip
der Blutdruckmessung haben besonders Erlanger 9 ) und Heinrich
von Recklinghausen 10 ) bearbeitet und durch verhältnissmässig einfach
zu handhabende Apparate der Praxis zugänglich gemacht.
Dem letzteren Princip dürfte wohl auch die jüngste Methode zuzu¬
ordnen sein, welche neuerdings Korotkow 11 ) entdeckte und später auch
von Fellner 12 ) beschrieben wurde, die den palpirenden Finger und die
1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 82. S. 459.
2) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 74. S. 2 % 53.
3) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 54. S. 390. Tabelle 2.
4) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 90. S. 548.
5) New York Univ. Bullet, of the Med. Sciences. 1901. Vol. 1. p. 105. Citirt
nach H. v. Recklinghausen.
6) 1. c.
7) 1. c. p. 373. Ausserdem Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 82. S. 459.
8) Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 81. S. 493.
9) The Johns Hopkins Hospital Reports. Vol. Xli. 1904. Ausserdem Americ.
Journ. of Physiol. Vol. X. 1904, und Proceed. of Americ. Physiol. Soc. p. XIV.
Citirt nach H. v. Recklinghausen.
10) Arch. f. experim. Pathologie u. Pharmakologie. Bd. 55. S. 375.
11) Berichte d. kaiserl. militärärztlichen Akademie Petersburg. 1905. Bd. 12.
No. 4. S. 395, und 1906. Bd. 12. No. 2. S. 284. Citirt nach W. Ettinger.
12) Verhandlungen des Congresses f. inn. Med. 1907. S. 404.
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Beobachtung der Ausschläge des Tonometerzcigers durch die Ausculta-
tion des Arterienrohres ersetzten. Da über die Brauchbarkeit dieser
auscultatorischen Methode bis jetzt noch wenige Untersuchungen vor-
genonomen sind, so unterzog ich mich in der vorliegenden Arbeit der
Aufgabe, die durch Auscultation gefundenen Wcrthe mit den Blutdruck-
werthen zu vergleichen, welche mit bestimmten anderen Methoden er¬
mittelt werden.
Ein Vergleich der auscultatorischen Methode mit der oscillatorischcn
von Recklinghausen liegt bereits in der Arbeit von J. Fischer 1 )
vor. Diese Arbeit erschien, als ich schon den grössten Theil meiner
Untersuchungen beendet hatte. Ich kann gleich erwähnen, dass ich im
Wesentlichen in ihren Resultaten eine Bestätigung meiner Messungen
gefunden habe. Fischer verwendet aber nur die oscillatorische Me¬
thode zum Vergleich, und es fragt sich, ob es ausreichend ist, die
oscillatorische Methode als absoluten Maassstab für die Brauchbarkeit
einer neuen Methode zu verwenden, welche zudem wahrscheinlich auf
demselben Princip beruht, wie die oscillatorische. Aus diesem Grunde
wurde in den vorliegenden Untersuchungen ausser der oscillatorischen
Methode auch eine Methode jenes an erster Stelle genannten Principes
zum Vergleich herangezogen. Und zwar wählte ich hierzu vorwiegend
die palpatorische Methode von Strasburger, die wegen ihrer grossen
Einfachheit wohl die gebräuchlichste Methode ihrer Gruppe ist. Ich
habe ausserdem, um dem Vorwurf zu entgehen, dass meinen Palpations¬
befunden nicht die genügende Sicherheit zuerkannt werden könne, eine
Anzahl Messungen unter Anwendung des Sphygmographen ausgeführt.
Da es ferner noch immer nicht klar entschieden werden kann, ob die
Methode, die das Kleinerwerden des Pulses an der Peripherie berück¬
sichtigt, oder die Betrachtung der Oscillationen in der Manschette den
richtigeren Werth für den diastolischen Druck liefert, so dachte ich
daran, ob es vielleicht möglich wäre, in der auscultatorischen Methode
einen Anhaltspunkt für die Bcurtheilung jener beiden Methoden zu finden.
Bevor wir die bei der vorliegenden Untersuchung erhaltenen Werthe
betrachten, sei kurz die Art und Weise geschildert, wie bei der Unter¬
suchung verfahren wurde. Der zur Messung dienende Apparat bestand
aus dem Tonometer, der breiten Manschette und der Luftpumpe von
Recklinghausen 2 3 ) und aus dem Phonendoskop von Bazzi und Bi-
anchi. In 8 Fällen wurde die graphische Methode von Sahli 8 ) hin¬
zugezogen, die ja das, was man mit dem Finger fühlt, objectiv vor
Augen führt. Hierbei wurde der Jaquet’sche Sphygmocardiograph an¬
gewandt und ein die Druckwerthe selbstthätig registrirendes Manometer,
welches Herr Dr. Stursberg construirt hat, und für dessen bereitwillige
Ueberlassung ich ihm bestens danke.
Unterhalb der um den rechten Oberarm liegenden Manschette wurde das Phonen¬
doskop, nachdem das an der Platte befindliche Stäbchen abgeschraubt war, mit der
1) Deutsche med. NVochenschr. 34. Jahrg. S. 1141.
2) 1. c. p. 412.
3) Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. 81. S. 493.
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Ueber die auscultatorische Methode der Blutdruckmessung etc.
547
ganzen Platte dort aufgelegt, wo die A. cubitalis aus dem Sulcus bicipitalis medialis
in die Ellenbeuge tritt. Es ist gewiss empfehlenswert!), sich anstatt des Stethoskops
nach dem Vorgang Krylow’s eines Phonendoskops zu bedienen. Man müsste so
wie er ein flexibles Stethoskop benutzen, weil man andernfalls sehr schlecht an den
Sulcus bicip. medial, herankommt und auch kaum zu gleicher Zeit das Manometer
ablesen kann. Das Phonendoskop bringt weiterhin das auscultatorische Phänomen
viel prägnanter zum Ausdruck. Ausserdem ist mit dem Gebrauch des Stethoskops
leicht eine ungleichmässige und zu starke Compression der auscultierten Arterie ver¬
knüpft. Bei der grossen flach aufliegenden Platte des Phonendoskops ist eine Com¬
pression der Arterie überhaupt ausgeschlossen. Nebengeräusche sind bei dem
Phonendoskop ohne weiteres von dem eigentlichen Klangphänomen zu untorscheiden
und sind bei weitem nicht so störend wie bei dem Stethoskop. Zur möglichsten
Vermeidung derselben empfiehlt es sich, an dem Phonendoskop, um es nicht festhalten
zu müssen, zwei Gewichte anzubinden, die zu beiden Seiten des in seinen vorderen
zwei Dritteln auf der Tischkante liegenden, supinirten Unterarmes herabbängen.
Auf der medialen Seite, auf der das Phonendoskop schief aufliegt, genügt ein Gewicht
von ca. 350 g, auf der lateralen Seite ein solches von 500 g. Durch den so aus¬
geübten gleichmässigen Druck werden unerwünschte Stenosengeräusche, die bei dem
Stethoskop so leicht auftreten, vermieden und der Arterienton wird noch weiter ver¬
stärkt, ohne dass deshalb eine falsche Beurtheilung des wahren Phänomens zu be¬
fürchten wäre. Denn, wie später gezeigt werden wird, handelt es sich hier in
erster Line nicht um die Qualität des Tones, auch nicht um seine absolute Intensität,
sondern um die Beobachtung seines An- und Abschwellens. Je deutlicher aber das
Klangphänomen ist, desto besser lassen sich seine Veränderungen erkennen. — In den
wenigen Fällen, in denen die Pulsation der Cubitalarterie schwer zu fühlen und das
auscultatorische Phänomen schlecht zu hören ist, ist es bisweilen zweckmässig, auf
das Phonendoskop das Stäbchen aufzuschrauben und dieses auf die Auscultationsstelle
aufzusetzen.
Während bei der graphischen Registrirung das Stursberg’sehe Manometer zur
Verwendung kam, wurde bei der übrigen Untersuchung das Reck linghausen’scho
Tonometer als druckmessendes Instrument angewandt. Zur Ausübung der Com¬
pression diente bei der ganzen Untersuchung die Luftpumpe und die 13 cm breite
Manschette von Recklinghausen, die fest angelegt wurde.
Bei der palpatorischen Messung wurde für den systolischen Druck wie üblich
verfahren: Der Luftdruck in der Manschette wurde so lange gesteigert, bis der
periphere Puls in der Radialis für den palpirenden Finger sicher verschwunden war.
Während nun der Druck in der Manschette langsam sank, wurde derjenige Druckwerth
notirt, bei dem der Radialispuls oben wieder zu fühlen war, Um den diastolischen
Druck palpatorisch zu ermitteln, verfuhr ich so, wie Stiasburger *) es angiebt:
Zunächst wurde durch ziemlich rasches Steigern des Compressionsdruckes vom Null¬
punkt aus ungefähr die Zone bestimmt, innerhalb deren der Radialpuls deutlich ab¬
nahm. Durch wiederholte langsame Drucksteigerung innerhalb dieser Zone wurde
der Moment der Abnahme des Pulses noch genauer gefunden. Hierbei bot in den
meisten Fällen das eigentümliche Klopfen der Arterie unter dem palpirenden Finger
einen sicheren Anhaltspunkt. War das Klopfen längere Zeit hindurch zu fühlen, so
gab der oberste Punkt desselben den Anhalt für die Bestimmung des diastolischen
Druckes. Während bei Personen, deren Radialis gut gefüllt ist, der diastolische
Werth durchgängig verhältnissmässig leicht zu palpiren ist, bereiten Fälle mit weniger
gut gefüllter Arterie häufig Schwierigkeiten. In diesen Fällen räth Strasburger,
I) Zeitschrift für klin. Medicin Bd. 54. S. 385. Ausserdem Deutsches Archiv
für klin. Medioin. Bd. 82. S. 467.
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den Druck in der Manschette für kurze Zeit über den systolischen Druck hinaus za
steigern, sodass jeder Blutzufluss zum Arm aufhört, und darnach die Messung von
neuem zu beginnen. Nach meiner Erfahrung erleichtert dieses Vorgehen in vielen
Fällen die Messung ausserordentlich.
Als Controle der palpatorischen Messung des diastolischen Druckes wurde, wie
gesagt, in 8 Fällen die graphische Methodo benutzt. Diese ist in ihrer Anwendung
zwar sicherlich schwerer als die palpatorische. Aber wenn sie gelingt, steht sie hin¬
sichtlich der Objectivität ihrer Resultate wohl allen übrigen Methoden voran. Die
Art ihrer Anwendung hat Stursberg 1 ) in seiner Arbeit „Ueber das Verhalten des
systolischen und diastolischen Blutdrucks naoh Körperarbeit etc. u zusammengefasst.
Das dort beschriebene Vorgehen hat Stursberg inzwischen, wie erwähnt, duch die
Construction eines selbstthätig registrirenden (noch nicht veröffentlichten) Manometers
in vortheilhafter Weise vereinfacht. Das Stursberg’sche Manometer hat vor dem
von A. Bingel 2 ) construirten den Vorzug, dass es nicht wie dieses nur von
10 zu 10 mg Hg markirt, sondern je 5 mm. Für die genaue Auswerthung der
Curven ist dies von nicht zu unterschätzender Bedeutung. — Der Sphygmokardiograph
wurde fest angeschnallt, und gemäss den Vorschriften von Sahli wurden unter das
obere Ende der Schiene beiderseits zwei Flaschenkorkhälften gelegt, um jeden Druck
auf die Gefässe zu vermeiden. Nur bei sorgfältiger Anwendung dieser Regeln gelang
es mir, einwandfreie Curven zu erhalten; nur so kann dio störende venöse Stauung
einigermaassen vermieden werden. Tritt diese aber trotzdem auf, so zeigt die Curve
oft ein deutliches Ansteigen über das ursprüngliche Niveau. Dieses Ansteigen
beginnt meist schon bei geringer Compression und ist vielfach verbunden mit einem
frühzeitigen Kleinerwerden der Pulswelle. Die dann erhaltenen Werthe, nicht nur
für den diastolischen, sondern auch für den systolischen Druck, liegen beide unter¬
halb der Werthe, welche mit den andern Methoden gefunden werden und eine solche,
gewissermaassen nach unten verschobene Curve ist natürlich unbrauchbar. Ausser
dem Ansteigen der Pulscurve diente mir vor allem das Verhalten des systolischen
Druckwerthes als Kriterium für die Brauchbarkeit einer Curve; lag der graphische
Werth tiefer als der nachher gefundene palpatorische, so verwarf ich die Curve als
Stauungscurve. Denn es liogt in der grösseren Feinheit der graphischen Methode
begründet und ist durch die Erfahrung bestätigt, dass einwandfreie Curven für den
systolischen Druck eher einen höheren, nie aber einen tieferen Werth ergeben als die
Palpation. Die venöse Stauung muss besonders unter solchen Verhältnissen auf-
treten, die eine Ansammlung des Blutes im Vorderarm begünstigen, d. h., sie entsteht
in erster Linie bei Individuen mit weiten Armvenen und gut gefüllter Arterie und
ferner dann, wenn der Arm schon vorher wiederholt comprimirt war. Im letzteren
Fall füllen sich die arteriellen Gefässe stärker mit Blut. Diese Erscheinung hängt
nach Bier damit zusammen, dass ein Gewebe, dessen Blutzufuhr eine Zeit lang ab¬
geschnitten war, bei Wiederherstellung des Kreislaufs das arterielle Blut kräftig
anzieht. Da, wie oben gesagt, diese Erscheinung dazu benutzt werden kann, um
bei Individuen mit schlecht gefüllter Radialis die Palpation zu erleichtern, dürften
dieselben Verhältnisse, die die Ausführung der palpatorischen Methode erleichtern,
diegraphische Methode erschweren. Da die eine Methode oft schwer auszufübren ist,
wo die andere leicht ist, ergänzen sich die beiden Methoden in gewissem Sinne.
Wenn ich von den zahlreichen misslungenen Curven im Anfang ganz absehe, so muss
ich doch immerhin betonen, dass auch später nicht selten die graphische Registrirung
wegen der auftretenden Stauung unausführbar war. Da, wie gesagt, die Erfahrung
lehrt, dass die Stauung umso eher auftritt je mehr schon vorher untersucht ist,
1) Deutsches Archiv für klin. Medizin. Bd. 90. S. 548.|
2) Münchener medicin. Wochenschrift. 1906. S. 1246.
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Ueber die auscultatorische Methode der Blutdruckmessung etc.
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machte ich es mir zur Regel, die graphische Methode stets im Anfang der Unter¬
suchung vorzunehmen, wo der Blutgehalt des Armes noch nicht durch zahlreiche
Compressionen des Oberarmes vermehrt war. An den aufgezeichneten Curven wurde
die Stelle, an der die Pulswelle an Höhe abnahm, genauer durch Ausmessen mit dem
Cirkel bestimmt. Der an dieser Stelle registrirte Druckwerth war der diastolische
Druck.
Die oscillatorische Messung wurde nach den Vorschriften Recklinghausen’s 1 )
gehandhabt. Der systolische Druck kann nach Recklinghausen auf oscillatorischem
Wege in der Weise bestimmt werden, dass man bei sinkendem Compressionsdruck
beobachtet, wo an der oberen Grenze der maximalen Schwankungen des Tonometer¬
zeigers die kleinen Ausschläge in dio grossen übergehen. Dies ist in einer Reihe
von Fällen ausserordentlich deutlich zu sehen. Aber in der Mehrzahl der Fälle ist
diese Beobachtung, wie auch von Recklinghausen sagt, nicht so einfach. Da
ausserdem der systolische Druck palpatorisch und auscultatorisch mit ziemlich leichter
Mühe zu bestimmen ist, dürfte die oscillatorische Messung des systolischen Druckes
keinen praktischen Werth haben. — Während der systolische Druck die obere Grenze
der grossen Oscillationen bildet, liegt der diastolische Werth nach v. Recklinghausen
an der unteren Grenze derselben. Die Stelle, wo die grossen Oscillationen in kleinere
übergehen, ist fast immer deutlich zu erkennen. Auch hier wurde, wie bei der
palpatorischen Messung, der gesuchte Punkt allmählich immer genauer bestimmt, und
zwar bei Nachlassen des Druckes.
Es sei hier an einige bekannte Erscheinungen erinnert, die, unbeaohtet, bei
jeder Blutdruckmessung zu falschen Resultaten führen können. *— Ich meine den
blutdrucksteigernden Einfluss der Muskelarbeit, die der zu Untersuchende verrichtet,
bis er sich an den Untersuchungstisch gesetzt hat, und sodann die ebenfalls mit
Blutdruckerhöhung verknüpfte psychischo Erregung, mit welcher der zu Untersuchende
der Messung entgegonsieht. Der Einfluss dieser beiden Momente pflegt bald früher
bald später abgeklungen zu sein. Doch ist hierauf hesonders bei der graphischen
Messung zu achten, die aus dem erwähnten Grunde stets zu Anfang vorgenommen
werden musste. Soll die graphische Registrirung unterbleiben, so kann man ja sofort
mit der Untersuchung beginnen und sich zunächst über die ungefähre Lage der Druck-
werthe orientiren. Indem man dann die Werthe durch wiederholte Messungen immer
genauer zu bestimmen sucht, ist die anfängliche Drucksteigerung bald abgeklungen,
und man findet schliesslich constant denselben Werth, der als der richtige angesehen
werden darf.
Es erübrigt nun noch die Methodik der auskultatorischen Blutdruckmessung zu
erörtern. Diese Methode wurde zuerst von Korotkow Ende des Jahres 1905 auf
einer wissenschaftlichen Versammlung der militärärztlichen Academie zu Petersburg
demonstrirt. Da mir der Bericht hierüber nicht zur Verfügung stand, referire ich
nach der Arbeit von Ettinger 2 ), in der dieser die Ansichten Korotkow’s und
Krylow’s über die neue Methode einer Kritik unterzieht und die Ergebnisse eigener
Untersuchungen mittheilt. Korotkow legte um die Mitte des Oberarmes die Riva-
Rocci’sche Manschette, steigerte in ihr den Luftdruck zunächst über den systolischen
Druckwerth und liess ihn dann allmählich sinken. Hierbei auscultirte er peripher
von der Manschette die Brachialarterie mittelst eines Stethoskops und unterschied an
dem Klanphänomen, welches er hierbei wahrnahm, 3 Phasen: Zuerst, als der Druck
bis zu einer gewissen Höhe gesunken war, hörte er kurze Töne. Den bei dem Auf¬
treten dieser Töne beobachteten Manoraeterstand betrachtete er als den systolischen
Druckwerth. Beim weiteren Nachlassen des Druckes traten als 2. Phase sogenannte
1) Archiv für experim. Pathologie u. Pharmakologie Bd. 55. S. 434.
2) Wiener klin. Wochenschrift. 20. Jahrgang No. 33.
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„systolische Druckgeräusche“ auf. Auf diese folgte schliesslich eine Phase zweiter
Töne, die den Schluss bildete; den beim Aufhören des Phänomens beobachteten
Manometerstand dachte sieb Korotkow als diastolischen Druckwerth. Das erste
Auftreten des Phänomens beweist nach Korotkow, dass ein Theil der Pulswelle
wieder unter der Manschette durchdringt, dass also der Blutdiuck eben den Druck in
der Manschette zu überwinden vermag. Gerade bei dem Beginn der 1. Phase ist also
der Druck in der Manschette gleich dem systolischen Blutdruck. Korotkow fand
das auscultatorische Maximum um durchschnittlich 10—12 mg Hg höher als das
palpatorische. Dass die Töne lokal in der Arterie, an der Stelle der Compression,
entstehen, bedarf wohl keiner weiteren Erörterung. Wenn sie, wie Bozowsky
meinte, vom Herzen aus fortgeleitet wären, so müssten sie, sagt Krylow, am deut¬
lichsten zu hören sein, wenn der Zufluss des Blutes vollständig frei ist, d. b. ohne Com¬
pression ; das ist aber keineswegs der Fall. — Schwieriger als die Frage des systolischen
Druckes dürfte bei der auscultatorischen, wie bei allen anderen Methoden, die Frag®
des diastolischen Druckes liegen. Das Verschwinden aller auscultatorischen Er¬
scheinungen entspricht nach Korotkow dem Momente, in welchem das Blut wieder
frei durch die Brachialarterie fliesst, es „bestimmt folglich den sog. minimalen oder
diastolischen Blutdruck“. Die letztere Annahme findet sich auch in allen übrigen
Arbeiten über die auscultatorische Blutdruckmessung. Nur Strasburger 1 ) bemerkt,
in einer Abhandlung über die Messung des diastolischen Blutdrucks beim Menschen,
dass die untere Grenze des Tonmaximums mit dem palpatorisch gefundenen
diastolischen Druck übereinstimme, das Aufhören des Tones dagegen mit dem
oscillatorisch gefundenen Werth. Die Annahme, dass gerade das Verschwinden des
Tones dem diastolischen Druck gleichkomme, scheint bis jetzt einer genügenden Be¬
gründung zu entbehren. Bevor wir jedoch hierauf näher eingehen, seien noch die
Ansichten von Krylow, W. Ettinger, B. Fellner und J. Fischer über das aus¬
cultatorische Verfahren in der Hauptsache wiedergegeben.
Krylow unterscheidet zwischen typischen und atypischen Fällen. Er aus-
cultirte mit einem Phonendoskop und erkannte in typischen Fällen dieselben 3 Phasen
wie Korotkow. In den sog. atypischen Fällen beobachtet Krylow folgende Mög¬
lichkeiten: 1. Die Geräusche der 2. Phase fehlen und man hört nur Arterientöne.
2. Die 3. Phase, d. h. die Phase der zweiten Töne fehlt, und die 2. Phase der
Geräusche bildet den Schluss. 3. Man hört nur Geräusche; bei Arrhythmie findet
man die Geräusche von Tönen unterbrochen. 4. Bei Aorteninsufficienz hört bisweilen
die 3. Phase nicht auf, d. h. man hört auch ohne Compression Arterientöne.
Im Gegensatz zu Korotkow und Krylow unterscheidet W. Ettinger 2 ) vier
Phasen. Er bediente sich bei der Auscultation eines flexiblen Stethoskops mit
Celluloidplatte. In den beiden ersten Phasen stimmt er mit Korotkow und Krylow
überein. Nämlich die erste Phase umfasst die ersten Töne, die zweite ist gegeben
durch das hinzukommende Geräusch. Als 3. Phase fasst er die Töne zusammen, die
nach dem Verschwinden des Geräusches auftreten, und die „in der Kegel laut,
klingend, jedenfalls lauter als während der ersten Phase“ sind. „Später wird dieser
Ton, welcher zuweilen geradezu metallisch klingt, immer dumpfer“. Diese letzten
dumpfen Töne bilden bei Ettinger die 4. Phase. Allo die genannten Phasen hat
Ettinger unter 235 Untersuchungen 200 mal wiedergefunden, ln den übrigen
35 Fällen fehlte meistens die 2. und 3. Phase oder eine von diesen beiden. Er sagt,
dass es sich in fast allen diesen Fällen um eine nachweisbere Erkrankung des Herzens
gehandelt habe. In 5 Fällen von Aorteninsufficienz war der Arterienton dauernd,
d. h. auch ohne Compression zu hören. Wie bei Korotkow und Krylow, so be-
1) Deutsche medicin. Wochenschrift. 1908. S. 102.
2) Wiener klin. Wochenschrift. 20. Jahrgang, No. 33. S. 6 d. Separatabdrucks.
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lieber die auscultatorische Methode der Blutdruckmessung etc.
551
zeichnen auch bei Ettinger die Grenzen des auscultatorischen Phänomens den
systolischen und diastolischen Druck. Unter 232 Untersuchungen fand Ettinger
den Maximaldruck auscultatorisch 207 mal um durchschnittlich 16 mm Hg höher als
palpatorisch. Das ausoultatorische Minimum, d. h. das Verschwinden des Arterien¬
tones, lag in 130 Fällen niedriger als das palpatorische Minimum; 18 mal war cs
gleich dem palpatorischen Minimum und 71 mal höher als dasselbe. Indem Ettinger
die auscultatorische Methode mit der palpatorischen vergleicht, findet er, dass das
palpatorische Minimum in 188 Fällen annähernd mit dem Verschwinden des Tones
zusamroenfiel, in 39 Fällen dagegen ungefähr der vorletzten Phase entsprach. Weiter¬
hin bebt Ettinger hervor, dass bei Pulsus celer die auscultatorischen Erscheinungen
am deutlichsten seien. Andererseits behauptet er aber, dass Fälle von weit vor¬
geschrittener Aorteninsufficienz sich am wenigsten für die auscultatorische Blutdruck¬
messung eigneten.
Die auscultatorische Methode blieb seit ihrer Entdeckung durch Korotkow
längere Zeit unbekannt, bis sie im Jahre 1907 ihren zweiten Entdecker in B. Fellner 1 )
fand. Auch Fellner constatirte, dass das auscultatorische Phänomen am besten zu
hören ist, wenn man den Druck in der Manschette von einem Ueberdruck aus all¬
mählich sinken lässt. Er benutzte die Riva-Rocci’sche Manschette und ein gewöhn¬
liches Stethoskop. Bei einem Vergleich der neuen Methode mit anderen Methoden
der Blutdruckmessung fand er, dass die Grenzen, innerhalb deren das auscultatorische
Phänomen auftritt, ziemlich genau mit den Werthen übereinstimmen, die oscillatorisch
nach Recklinghausen für den systolischen und diastolischen Blutdruck gefunden
werden. Was die palpatorische Methode betrifft, so liegt nach Felln er’s Ansicht
das Maximum auscultatorisch um durchschnittlich 5—10 mm Hg höher als palpatorisch.
Das Minimum auscultatorisch war entweder gleich dem palpatorischen oder wich um
5—10 mm Hg nach unten oder oben ab. Einzelne Phasen unterscheidet Fellner
nicht bei der auscultatorischen Beobachtung. Da auch er der Ansicht ist, dass der
diastolische Druck dem Aufhören des Arterientones gleich sei, sieht auch er in den
Fällen von selbständigem Tönen der Arterie ungeeignete Untersuchungsobjecte.
ln der vor kurzem erschienenen vorläufigen Mittheilung von J. Fischer 2 )
handelt es sich u. a. um einen Vergleich der auscultatorischen mit der oscillatorischen
Methode, Fischer findet in 150 Fällen eine weitgehende Uebercinstimmung der
auscultatorischen und oscillatorischen Methode. Im Falle einer Differenz soll das
auscultatorisch gefundene Maximum stets tiefer liegen als das oscillatorisch fest¬
gestellte, und das auscultatorische Minimum soll dann etwas höher liegen als das
pscillatoriscbe. Fischer unterscheidet dieselben Phasen des Klangphänomens wie
Ettinger.
Alle die genannten Autoren verlegen den diastolischen Blutdruck
einfach an das Ende der auscultatorischen Erscheinungen, ohne dem so
regelmässigen An- und Abschwellen des Arterientones besondere
Beachtung zu schenken. Nur Strasburger macht darauf aufmerksam,
dass die untere Grenze des Ton - Maximums mit dem palpatorisch
gefundenen Minimum übereinzustimmen scheine. In den 40 Messungen,
die ich vornahm, und die in den Tabellen niedergelegt sind, bestätigte
sich dies.
k Ich möchte das auscultatorische Phänomen etwa folgendermaassen
beschreiben: Indem ich den Luftdruck in der Armmanschette von einem
Ueberdruck langsam sinken lasse, treten Töne auf, die zuerst sehr leise
1) Verhandlungen des Congresses für innere Medicin. 1907. S, 404.
2) Deutsche medicin. Wochenschrift. 34. Jahrgang, S. 1141.
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sind und allmählich immer lauter werden. Bisweilen geht diesen Tönen
als allererstes Zeichen ein vereinzeltes ziemlich lautes Geräusch voraus.
Während die Töne an Intensität zunehmen, wird in einem Theil der
Fälle neben ihnen früher oder später ein Geräusch hörbar, das ebenfalls
an Intensität zunimmt und von verschiedener Dauer ist. Irgend eine
Regelmässigkeit kann ich in dem Auftreten und der Beschaffenheit dieses
Geräusches nicht finden. Während das Geräusch schnell verschwindet,
werden die Töne immer lauter, in manchen Fällen tyrapanitisch und
nehmen einen mehr oder weniger „klingenden“ Charakter an. Nachdem
sie kurze Zeit dieselbe Intensität behalten haben, nehmen sie meistens
plötzlich an Stärke ab und werden schnell leise, klanglos und dumpf,
um früher oder später zu verschwinden. Diese Stelle des plötzlichen
Umschlages ist oft sehr deutlich und fällt meistens mit der unteren
Grenze des Ton-Maximums zusammen. Nur in Fällen hohen Pulsdrucks,
also besonders bei Aorteninsufficienz, erfolgt die Abnahme der Töne
nicht so plötzlich. Aber da in solchen Fällen der Ton sehr laut ist, ist
auch hier die untere Grenze des Ton-Maximums stets leicht zu finden.
Wenn ich die auscultatorischen Erscheinungen in Phasen einzu-
theilen hätte, würde ich 3 Phasen unterscheiden: Eine 1. Phase, die
von dem ersten Auftreten des Klangphänomenes bis zum Auftreten der
lauten, tyrapanitischen Töne reicht; an den Anfang oder das Ende dieser
Phase fällt das Geräusch, wenn ein solches überhaupt vorhanden ist.
Der Bereich des Ton-Maximums wäre die 2. Phase, in welcher der
Arterienton laut ist und seine Intensität wenig ändert; am Ende dieser
Phase erreicht er aber doch seine grösste Stärke. Die 3. Phase endlich
wäre die Zone, in der der Arterienton schnell abnimmt. Die Grenze
zwischen 1. und 2. Phase ist natürlich nicht genauer festzulegen, zumal
das Geräusch seinen Platz wechselt. Ferner ist in den Fällen von selb¬
ständigem Tönen der Cubitalis die untere Grenze der 3. Phase nicht
sicher zu bestimmen. Im Uebrigen fand ich aber die 3 Phasen in
meinen sämratlichen Untersuchungen wieder.
Je höher der Pulsdruck war, desto deutlicher trat der Arterienton
hervor. Aus diesem Grunde sind die Fälle mit hohem Pulsdruck,
besonders also Aorteninsufticienzen, für die Beobachtung am dankbarsten.
In diesen Fällen werden die auscultatorischen Erscheinungen nicht nur
sehr laut gehört, sondern sie dehnen sich auch innerhalb sehr weiter
Druckgrenzen aus, so dass hier alle Einzelheiten am besten zu studiren
sind. Dieser Deutlichkeit und Verlängerung der gesammten Erscheinungen
ist es wohl auch zuzuschreiben, dass man bei Aorteninsufficienzen an
der unteren Grenze des Ton-Maxiraums nicht sofort eine rasche Abnahme
der Ton-Intensität, sondern zuerst eine langsamere wahrnimmt.
Wenn ich nunmehr die Druckwerthe, die ich in 40 Untersuchungen
für die untere Grenze des Ton-Maximums und das Verschwinden, des
Tones fand, mit den Werthen vergleiche, welche in eben diesen Fällen
die palpatorisehe und oscillatorische Methode ergab, zeigt sich etwa
Folgendes:
1. Verhalten der unteren Grenze des Ton-Maxiraums zum oscilla-
torischen Werth des diastolischen Druckes: Die untere Grenze
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Ueber die auscultatorische Methode der Blutdruckmessung etc.
553
Sämmtliche Blutdruckzahlen mit Ausnahme der eingeklammerten bedeuten em Wasser.
No.
Name, Stand
Diagnose
Pulsfrequenz
Systolisch-
palpatorisch
Diastolisch-
palpatorisch
Diastolisch-
oscillatorisch
Untere Grenze des
Ton-Maximums
Verschwinden
des Tones
Bemerkungen
1
B., Anstreicher
43
Chronische Bleiver¬
giftung
56
170
125
110
130
110
Diastol.-palpator. un¬
sicher
2
B., Haus¬
bursche
21
Mitralinsufficienz
56
145
85
75
90
70
Untere Grenze des
Ton-Maximums un¬
sicher
3
N., Metzger¬
geselle
29
Palpitatio cordis,
Neurasthenie
84
145
110
95
120
95
—
4
R., Strassen-
bahnführer
35
Abgelaufene Appen-
dicitis
64
170
130
120
130
120
Diastol.-palpator. un¬
deutlich
5
Sp., Weber
35
Neurasthenie
80
145
110
95
100
90
—
6
L., Weber
40
Neurasthenie,
accidentelles systo¬
lisches Geräusch an
der Spitze
62
190
120
110
115
100
7
B., Heizer
55
Tabes dorsalis
48
210
125
115
120
110
—
8
B., Schlosser
59
Arteriosklerose, inter¬
stitielle Nephritis,
Neurasthenie
82
175
120
110
!
118
108
Wechselnde Wcrthe
für den Ton
9
Sch., Heizer
32
Traeheitis
80
155
115
100
120
110
—
10
R., Ackerer
41
Hysterie, interstitielle
Nepritis
78
170
i
!
130
105
125
115
Sehr wechselnde
Werth e
11
K., Friseur
43
Pneumonie, in der
Lösung begriffen
104
140
100
85
; 95
85
—
12
F., Landwirth
60
Dolores in abdomine
60
140
100
85
95
85
—
13
B., Dreher
56
Debilitas univcrsalis
64
140
95
87
95
87
Wechselnde Werthc
14
B., Buch¬
drucker
53
Kyphoskoliose, Dys¬
pnoe, Granularniere
Bronchitis
88
175
130
110
i
125
110
—
15
Sch., Bahn¬
assistent
63
76
170
j 120
| 105
1,8
100
—
16
St., Gastwirth
33
Acute Nephritis
63
| 220
180
155
170
155
—
17
B., Musiker
50
Interstitielle
Nephritis
88
200
140
i
110
135
i
120
i
—
18
Z. M., Fabrik¬
arbeiter
18
Fried reich’sche
Ataxie
80
| 155
120
i
j 90
125
j 90
19
Ph., Ackerer
65
Serratuslähmung,
Nephrit, chronica,
Arteriosklerose
76
240
130.
90
130
105
|
Graphische Methode
wegen Stauung un¬
ausführbar
20
T., Bergmann
31
Sarkom der Scapula
mit Lähmung des
linken Armes
76
| 130
110
85
|
105
1 85
21
Kn., Fabrik¬
arbeiter
56
Chronische Nephritis,
Mitralinsufficienz,
Trauma
84
240
165
140
155
140
22
Br., Tage¬
löhner
38
Mitralinsufficienz u.
Aorteninsufficienz
68
150
110
85
110
, 85
Graphische Methode
wegen Stauung un¬
möglich
23
B., Schleifer
40
Ischias leichten
Grades
80
170
130
115
125
i
, 115
—
24
H., Uhrmacher
57
Arteriosklerose,
Granularniere
84
185
125
90
110
60
85: Ton sehr leise
25
H., Rentner
65
Arteriosklerose,
Apoplexie
80
1 205
150
115
140
120
—
26
B., Bureau¬
schreiber
44
Arteriosklerose,
Neurasthenie
60
180
135
115
, 130
| 108
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
554
H. Bickel,
No.
Name, Stand
Alter |
Diagnose
Pulsfrequenz
Systolisch- |
palpatorisch
Diastolisch- i
palpatorisch I
Diastolisch-
oseillatorisch
Untere Grenze des
Ton-Maximums
Verschwinden
des Tones j
Bemerkungen
27
K.,Anstreicher
46
Nihil
64
145 ,
110
90
102
90
28
J., Bergmann
18
Epilepsie
78 1
140 >
105
90
100
| 40
70—40: Ton sehr leise
29
Frau B.
60
Apoplexie, Arterio¬
sklerose
82 |
230
140
120
1 130
105
120 : Rasche Abnahme
des Tones
30
H., Ackerer
46
Aorteninsufficienz
ao i
180
75
55
75
25
55: Rasche Abnahme
des Tones
31
H., Schreiner
44
Aorteninsufficienz
72
150
70
55
65
35
50: Rasche Abnahme
des Tones
32
F., Stahl¬
schleifer
27
Aorteninsufficienz,
Phthisis pulm.
80
180
105
75
100
1
Diastolisch-
graphisch ^
asche Abnahme
les Tones
33
S., Maurer
21
Aorteninsufficienz
82,
170 j
i
75
50
65
j
—
77
(57 Hg)
40: Rasche
Abnahme de*
Tones
34
T., Zimmer¬
mann
30
Neurasthenie
76
155
110
100
iio !
1
95
108
(80 Hg)
—
35
M., Invalide
35
Phthisis pulm.
80
145
100
80
95
!
70
95
(70 Hg)
—
36
N., Invalide
45
Chronische Nephritis
80
1
130 '
110
90
105 1
1 90
102
(75 Hg)
37
Z., Bergmann
21
Multiple Sklerose
80
150 i
100
85
105 ,
85
(70Hg)
38
M., Steingut¬
arbeiter
29
Pulmonal-Stcnose
offener Ductus Bo-
talli?
88 1
160 j
120
' 100
125
115
113
(84 Hg)
Ton undeut¬
lich
39
Fr., Hausirer
64
Asthma bronchiale,
Emphysem, chro¬
nische Bronchitis
64
1
185
125
100
115 ,
105
121
(89 Hg)
Diastolisch-
palpator.
undeutlich
40
Gl., Gärtner
58
Trauma, Adipositas
universalis
68 ,
170
125
i
110
i
120
i i
115
126
(93 Hg)
des Ton - Maxiraums lag in sämmtlichen Fällen höher als das
Kleinerwerden der Oscillationen im Tonometer.
2. Verhalten der unteren Grenze des Ton-Maximums zum palpa-
torischen Werth des diastolischen Druckes: Die untere Grenze
des Ton-Maximums lag in der Regel zwischen dem palpatorischen
und dem oscillatorischen Werth und war dabei, mit Ausnahme von
4 Fällen, stets näher dem palpatorischen als dem oscillatorischen
Werth, (ln 3 von den genannten 4 Fällen lag sie gerade in der
Mitte zwischen palpatorischem und oscillatorischem Minimum; nur
in einem einzigen Fall fand ich sie näher dem oscillatorischen
Werth des diastolischen Druckes.)
In 27 Fällen, d. h. ca. 7l0 aller meiner Messungen, lag die
untere Grenze des Ton-Maximums um durchschnittlich 6 l / 2 cm
Wasser tiefer als das palpatorische Minimum. In 6 Fällen fiel die
Digitized by
Gougle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
lieber die auscultatorische Methode der Blutdruckmessung etc.
555
untere Grenze des Ton-Maximums mit dem palpatorisch gefundenen
Werth zusammen, und in 7 Fällen lag sie (um durchschnittlich
b l / 2 cm Wasser) höher als das palpatorische Minimum.
3. Verhalten des Verschwindens des Arterientones zum palpa-
torischen Werth des diastolischen Druckes: Wenn schon das
Maxiraum des Tones in den meisten Fällen tiefer liegt als der
palpatorische Werth für den diastolischen Druck, so gilt dies erst
recht für das Verschwinden des Tones; hier traf es für alle
Fälle zu.
4. Verhalten des Verschwindens des Arterientones zum oscil-
latorischen Werth des diastolischen Druckes: Das Verschwinden
des Tones lag, mit Ausnahme von 2 Fällen, stets dem oscilla-
torischen Werth näher als dem palpatorischen. (In diesen 2 Aus¬
nahmefällen fand ich es näher dem palpatorischen Werth.) — In
16 Fällen, d. h. 4 /10 aller Fälle, fiel das Verschwinden des Tones
mit dem oscillatorischen Werth des diastolischen Druckes zusammen.
In ebenfalls 16 Fällen lag es tiefer als das oscillatorische Minimum
und zwar — von 7 Fällen mit abnorm langem Tönen der Arterie
abgesehen — um durchschnittlich 6 cm Wasser. In 8 Fällen
endlich lag das Verschwinden des Tones um durchschnittlich
9y 2 o* 11 Wasser höher als das oscillatorische Minimum.
5. Verhalten des graphischen Werthes des diastolischen Druckes
zum palpatorischem: Der graphische Werth des diastolischen
Druckes lag in den 8 Fällen, in denen er gemessen wurde, um
durchschnittlich 3y a cm Wasser tiefer als der palpatorische Werth,
aber stets dem palpatorischen Minimum näher als dem oscilla¬
torischen. — Es sei daran erinnert, dass aus den früher angeführten
Gründen, welche die Stauung im Arm betreffen, die palpatorische
Messung erst nach der graphischen vorgenoramen wurde. Es könnte
daher der naheliegende Einwand gemacht werden, dass ich mich
bei der palpatorischen Messung durch das bereits bekannte Resultat
der graphischen Messung hätte beeinflussen lassen. Eine derartige
Beeinflussung war jedoch ausgeschlossen, da der graphische Werth
zunächst nur in mm Hg gegeben war, während der palpatorische
am Recklinghausen’schen Tonometer in cm Wasser gemessen
wurde, also nach einer anderen Scala, deren Verhältniss zu den
Hg-Werthen mir nicht geläufig war. Ausserdem wurden die Curven
erst hinterher genauer ausgemessen.
6. Verhalten des graphischen Werthes des diastolischen Druckes
zur unteren Grenze des Ton-Maximums: Wenn der gra¬
phische Werth in 6 von den 8 Fällen unterhalb des palpatorischen
Werthes lag, so musste er in Folge dessen auch näher als dieser
an der unteren Grenze des Ton-Maximums liegen (vergl. Abs. 2);
denn dieses Letztere lag ja meist tiefer als der palpatorische
Werth. Und in der That schwankte der graphische Werth um die
untere Grenze des Ton-Maximums und lag im Durchschnitt nur
V 2 cm Wasser unterhalb derselben.
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
556
H. Bickel
Digitized by
Ziehen wir das Mittel aus allen diesen Beobachtungen,
so zeigt es sich, dass die untere Grenze des Ton-Maximums
am genauesten mit dem graphischen Werth, am zweitbesten
mit dem palpatorischen Werth des diastolischen Druckes über¬
einstimmt, dass dagegen das Verschwinden des Tones im
Ganzen dem oscillatorischen Werth entspricht. Man darf also,
wenn man die Differenzen auf die Schwierigkeiten der Messung
und sonstige Fehlerquellen zurückführt, daraus wohl den
Schluss ziehen, dass bei der auscultatorischen Methode die
untere Grenze des Ton-Maximums demjenigen Werth ent¬
spricht, den die Palpation, resp. die graphische Messung für
den diastolischen Druck ergiebt, das Verschwinden des Tones
dagegen demjenigen, der durch die oscillatorische Methode
als diastolischer Druck bezeichnet wird.
Das Gesagte dürfte in dem folgenden Schema noch übersichtlicher
zum Ausdruck kommen. Die in dem Schema enthaltenen Zahlen (cm
Wasser) bedeuten die Durchschnittszahlen für die betreffenden Werthe,
wie sie sich aus den Tabellen ergeben. Das Schema entspricht also
nicht den normalen Verhältnissen. Aber für das Studium der hier in
Frage stehenden Dinge sind ja, wie schon vorhin dargetan wurde, gerade
die Fälle mit erhöhtem Blutdruck und hohem Pulsdruck besonders lehr¬
reich. Der Verlauf der Curve soll ungefähr das An- und Abschwellen
des Arterientones kennzeichnen.
Zu jenem Resultat, dass das Verschwinden des Tones dem oscilla¬
torischen Minimum entspreche, kam auch letzthin Fischer, dessen
Untersuchungen offenbar mit denselben Instrumenten ausgeführt sind wie
die meinigen. Auch mit Ettinger stimme ich insofern überein, als er
in 130 Fällen das Verschwinden des Arterientones niedriger fand als den
diastolischen Druck, palpatorisch gemessen; er sagt, dass in einer Reihe
von Fällen der palpatorische Werth der vorletzten Phase des Tones
entsprach. Weshalb er andererseits in 71 Fällen für das Verschwinden
des Tones einen höheren Werth bekam als palpatorisch, weiss er selbst
nicht zu erklären; mit diesem letzteren Befund stehen auch, wie oben
ausgeführt, in keiner Weise meine Ergebnisse in Einklang. Ebenso
stimmen diese, was die genauere Localisation angeht, nicht mit der
Angabe Fellner’s überein, dass das Aufhören des Tones mit dem pal¬
patorischen Minimum Zusammenfalle oder 5—10 mm Hg- ober- oder
unterhalb desselben liege. Doch bediente sich Fellner zur Auscultation
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber die auscultatorische Methode der Blutdruckmessung etc. 557
eines gewöhnlichen Stethoskops, und dieses halte ich aus den früher
erwähnten Gründen, was die auscultatorische Methode anbelangt, für kein
geeignetes Beobachtungsinstrument.
Nach der Ansicht aller derer, die bisher über die auscultatorische
Methode gearbeitet haben, sind die Fälle, in denen der Arterienton
dauernd, d. h. auch ohne Compression zu hören ist, nicht für die Be¬
stimmung des diastolischen Druckes geeignet. Bei der in dieser Arbeit
gegebenen Beschreibung der Auscultationsphänomene liegt die Sache
anders. Denn wenn auch in diesen Fällen in der That das Verschwinden
des Tones nicht als Criterium zu gebrauchen ist, so ist das Ton-
Maximum gerade hier besonders deutlich zu hören. Und diejenigen,
welche den palpatorischen Werth des diastolischen Druckes für den
richtigen Werth halten, werden in der unteren Grenze des Ton-Maximums
einen guten Anhaltspunkt für die Bestimmung des diastolischen Druckes
gewinnen. In den Fällen von abnorm langen Tönen der Arterie war in
der Gegend des oscillatorischen Werthes übrigens doch eine Veränderung
des Tones zu beobachten. Es pflegte bei Aorteninsufficienzen an dieser
Stelle die Ton-Intensität, die bis dahin nur langsam abgenommen hatte,
plötzlich schneller abzunehmen.
Was den systolischen Druck betrifft, so fand ich den ausculta-
torischen Werth mit dem oscillatorischen sehr nahe übereinstimmend.
Der palpatorische lag bei aufmerksamer Palpation meistens 5—10,
seltener 15 oder gar 20 cm Wasser niedriger als jene beiden. Wie
Ettinger zu der grossen Differenz von im Durchschnitt 16 mm Hg
kommt, ist mir nicht wohl erklärlich. Auch Korotkow und Fellner
fanden nicht einen so grossen Unterschied; nach Korotkow beträgt die
Differenz durchschnittlich 10 — 12, nach Fellner nur 5—10 mm Hg.
Wenn es möglich wäre, das Zustandekommen des Arterientones zu
erklären und zu entscheiden, ob die untere Grenze des Ton-Maximums
oder das Verschwinden des Tones dem diastolischen Blutdruck entspricht,
so wäre damit ^uch ein Anhaltspunkt für die Frage gegeben, ob die
palpatorische oder oscillatorische Methode die richtigere Zahl für den
diastolischen Druck liefert. Vor Allem aber hängt von dieser Ent¬
scheidung der Werth der auscultatorischen Methode selbst ab. Denn
wenn es sich heraussteilen sollte, dass das Verschwinden des Tones dem
diastolischen Druck entspräche, so würde damit die auscultatorische
Methode in allen jenen Fällen versagen, in denen der Ton langsamer
als gewöhnlich abnimmt oder gar dauernd zu hören ist. Es lohnt daher
sich klar zu machen, welche physikalischen Vorgänge dem Klang-
phänoraen zu Grunde liegen.
Wenn wir zunächst von dem speciellen Falle der Compression der
Arterie absehen und die Vorgänge ins Auge fassen, welche sich bei dem
normalen Pulsschlag abspielen, so ist es offenbar, dass die Arterienwand
jedesmal unter dem Anschlag der Pulswelle dank ihrer Elasticität in
transversale Schwingungen geräth. Diese Schwingungen erfolgen aber
nicht um eine einzige bestimmte Gleichgewichtslage, sondern gewisser-
maassen um unzählige Gleichgewichtslagen, die die Arterienwand während
der Dehnung, die sie in der Systole erfährt, durchläuft. Die Amplitude
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. g6
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Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
558
H. Bickel,
Digitized by
der Schwingungen muss nun nach den Gesetzen der Physik umso
grösser sein, je grösser die Dehnbarkeit der Arterienwand ist, und
je stärker der Anstoss ist, den dieselbe erfährt. Unter normalen Ver¬
hältnissen sind die Schwingungen der Arterie zu unbedeutend, als dass
sie als Ton wahrzunehmen wären. Anders wird dies, wenn die Arterie
von aussen gleichmässig comprimirt wird.
Wenn wir den Luftdruck in der Manschette über den systolischen
Druck hinaus steigern, klappt die Arterienwand im Bereich der Man¬
schette zusammen und verharrt in diesem Zustand so lange, als der
Aussendruck stärker ist als der systolische Blutdruck. Sinkt jetzt der
Aussendruck ein wenig unter den systolischen Druck, so tritt das
Blut auf dem Gipfel der Pulssystole unter einem geringen Druck unter
die Manschette und klappt die collabirte Arterie auseinander. Um die
Entstehung des hierbei wahrzunehmenden Tones zu begreifen, müssen
wir uns klar machen, dass die Schwingungsamplitude der Arterienwand
in engster Beziehung zu ihrer Dehnbarkeit steht. Ihre Dehnbarkeit ist
aber dann am grössten, wenn die Arterie völlig entspannt ist; nach
Wertheim 1 ) entspricht nämlich die Dehnungscurve der Arterienwand
ungefähr einer Hyperbel. Da also die Dehnbarkeit und folglich auch
die Schwingungsamplitude der entspannten und collabirten Arterie am
grössten ist, so ist es wohl verständlich, weshalb trotz der geringen
Erschütterung, die die Arterienwand von der eindringenden Pulswelle
erhält, eine Tonwahrnehraung zu Stande kommt. Bei weiterem Sinken
des Compressionsdruckes bleibt, solange der Aussendruck den diasto¬
lischen Blutdruck übertrifft, das Optimum der Dehnbarkeit der Arterie
zu Beginn der Systole bestehen, da die Arterienwand jedesmal in der
Diastole collabirt. Dagegen wird unterdessen die Differenz zwischen
dem systolischen Blutdruck und dem Aussendruck mit der Abnahme der
Compression immer grösser und damit auch die Kraft, welche die Arterie
in Schwingungen versetzt. Aus diesem immer stärker werdenden Anstoss
ist es zu erklären, weshalb der Arterienton an Intensität zunirarat. Die
Zunahme des Tones findet ihre Grenze dann, wenn dieT^ifferenz zwischen
systolischem Blutdruck und Aussendruck gleich dem Pulsdruck ist und
damit ihr Maximum erreicht; in diesem Moment ist der Aussendruck
gleich dem diastolischen Blutdruck. Weshalb die Ton-Intensität von
nun an wieder abnimmt, erklärt sich folgendermaassen: Sobald der
Aussendruck unter die Höhe des diastolischen Druckes sinkt, klappt die
Arterie nicht mehr in der Diastole zusammen, weil der Druck, um den
der diastolische Blutdruck den Aussendruck von nun an übertrifft, dazu
verwandt wird, die Arterie dauernd, d. h. auch in der Diastole zu
dehnen. Da aber die angespannte Arterie weniger dehnbar ist und, bei
gleichem Anstoss, nicht so ausgiebige Schwingungen vollführt wie die
entspannte Arterie, so nimmt der Arterienton an Intensität ab. Während
also der Druck der Pulswelle sich jetzt gleich bleibt und gleich dem
Pulsdruck ist, nimmt die Dehnbarkeit schnell ab.
Um diese Verhältnisse an einem Zahlenbeispiel zu erläutern, be-
1) Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. S. 209.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
*
Uebor die auscultatorische Methode der Blutdruckmessung etc. 559
rechnete ich aus den Zahlen, die Strasburger *) empirisch für die durch
veränderte Wandspannung bedingten Voluraveränderungen der Brachial¬
arterie fand, das Dilatationsverrnögen der Arterienwand, und zwar in
Bezug auf ihren Umfang. Denn die verschiedene Spannung und Dehn¬
barkeit, von der bisher die Rede war, bezieht sich ja nicht auf die
Arterie hinsichtlich ihrer Länge; die Spannung der Arterie bezüglich
ihrer Länge bleibt nämlich so gut wie unverändert, in der Systole wie
in der Diastole, mit und ohne Compression. Wohl aber erweitert sich
bei jeder Systole ihr Lumen, und in diesem Sinne wird die Arterie
dilatirt. Unter der „Längsdilatation 44 eines gedehnten Drahtes verstehen
die Physiker das Verhältniss von Verlängerung zu ursprünglicher Länge.
Dieser Quotient, angewandt auf die Spannung des Arterienringes, giebt
uns ein Maass für die Dehnbarkeit der Arterienwand, d. h. für die eine
Componente, von der die Ton-Intensität abhängig ist; und zwar be¬
rechnete ich die Dilatation des Arterienringes in Bezug auf eine Er¬
höhung des Innendrucks in der Arterie um 10 mm Hg. Es würde hier
zu weit führen, die Art der Berechnung im Einzelnen zu wiederholen.
Die für die Dehnbarkeit gefundenen Zahlen geben also an, um wieviel
sich die Längeneinheit des Arterionumfanges dehnen würde, wenn zu
dem betreffenden Druck, der die Arterie in der Diastole dehnt, ein Druck
von 10 mm Hg hinzukämc. Indem der systolische Druck 120, der
diastolische 80 mm Hg betragen möge, gestalten sich die Veränderungen
im Bereich der Manschette folgendermaassen:
Druck in der j
Manschette j
i
Druck, der
die Arterie
in Schwin¬
gungen
versetzt
. Dehnbarkeit
der Arterie
zu Beginn der
Systole
Druck, der
die Arterie in
der Diastole
dehnt
130 j
0
1
0,1414
0
Systolischer Druck . . ,
120
0
0,1414
0
110
10
0,1414
0
100
20
0,1414
0
90
30
0,1414
0
80
40
0,1414
0
Diastolischer Druck . .
70
40
0,1225
10
60
40
0,0612
20
50
40
0,0257
30
40
40
0,0251
40
30
40
0,0346
50
20
40
0,0137
60
10
40
0,0234
70
0
40
1 0,0132
80
Aus der Tabelle wird ersichtlich, wie einerseits der Anschlag der
Pulswelle innerhalb der Manschette bis zu dem Punkt des diastolischen
Druckes immer kräftiger wird und gleichzeitig damit die Dehnbarkeit
constant ihren grössten Werth besitzt, während abwärts vom diastolischen
Druck der Druck des Pulses sich gleich bleibt, dagegen der Werth für
1) Deutsche medicin. Wochenschrift. 34. Jahrgang. S. 58. Tabelle 3.
36*
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
560
II. Bickel,
Digitized by
die Dehnbarkeit abnimmt. Und zwar sieht man weiterhin, wie die
Dehnbarkeit der Arterienwand bei ea. 70 mm Aussendruck sehr schnell
abzunehraen beginnt, wie sie sich dann von ca. 50 mm an beinahe
gleich bleibt; man darf daher annehmen, dass die Schwingungen
mindestens bei 50 mm, wahrscheinlich aber schon bei einem höheren
Aussendruck zu schwach sind, um die Wahrnehmung eines Tones zu
ermöglichen. Im Grossen und Ganzen dürfte also diese Rechnung mit
den thatsächlichen Verhältnissen ziemlich gut übereinstimmen.
Die Erklärung für das An- und Abschwellen des Tones
sei nochmals kurz dahin zusammengefasst, dass die Zunahme
des Tones von der Zunahme der Kraft der Pulswelle abhängt
und seine Abnahme von der Abnahme der Dehnbarkeit der
Arterienwand. Auf die Grenze zwischen Zu- und Abnahme des
Arterientones, d. h. an die untere Grenze des Maximums fällt also der
diastolische Druckwerth. Denn in dem Moment, wo der Aussendruck
gleich ist dem diastolischen Innendruck, ist die Arterienwand während
der Diastole noch nicht gedehnt, aber sie klappt auch nicht mehr zu¬
sammen. In diesem Moment erreicht die Kraft der Pulswelle ihr
Maximum, und von hier ab nimmt bei weiterem Sinken des Aussen¬
drucks die Dehnbarkeit der Arterieuwand in Folge ihrer Anspannung ab.
Folglich sind hier die Bedingungen für das Zustandekommen eines Tones
am günstigsten.
Wenn auch die eben erörterten Momente für das Zustandekommen
der Auscultationserscheinungen von ausschlaggebender Bedeutung sein
dürften, so ist doch keineswegs ausser Acht zu lassen, dass noch andere
Momente wie beispielsweise die von Krylow und Ettinger angeführten
in Betracht kommen und den Arterienton in ihrem Sinne beeinflussen.
Gesagt sei auch, dass Strasburger die eben vorgetragene Anschauung
nicht theilt, sondern der Ansicht ist, dass das besondere Verhalten
der Randparthien der Manschette die Lage des Ton-Maximums in erster
Linie bestimme. Es bedürfen eben diese Dinge noch weiterer eingehen¬
der Untersuchungen, und es ist im Augenblick nicht zu sagen, ob die
untere Grenze des Ton-Maximums auch wirklich mit absoluter Genauig¬
keit die Stelle des diastolischen Druckes bezeichnet.
Wenn also nach den bisherigen Ausführungen die Annahme Stras¬
burger’s, dass der diastolische Druck mit der unteren Grenze des Ton-
Maxiraums ungefähr übereinstimme, grosse Wahrscheinlichkeit gewinnt,
so ist damit der Werth der auscultatorischen Methode grösser, als die
Meisten bisher glaubten. Denn dann ist der diastolische Druckwerth
gerade besonders leicht in den Fällen zu bestimmen, in denen der Ton
am lautesten erscheint; dazu gehören aber eben die Fälle, in denen der
Ton langsamer als gewöhnlich verschwindet. Die Länge der 3. Phase
hat also keine Bedeutung für die Bestimmung des diastolischen Druckes.
Wie ferner aus Strasburger’s Versuchen über die Volumver¬
änderungen der Brachialarterie und der darauf aufgebauten Berechnung
über die Dehnbarkeit der Arterie hervorgeht, stehen Pulsdruck und
Dehnbarkeit der Arterienwand einerseits und die Volumveränderungen
andererseits in engen Beziehungen. Damit ist die principiello Zusammen-
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber die auscaltatorische Methode der Blutdruckmessung etc.
5(51
gehörigkeit der auscultatorischen und oscillatorischen Methode gegeben.
Wenn diese beiden Methoden in ihrer Anwendung dennoch so deutliche
und constante Differenzen ergeben, so liegt dies vielleicht zum Theil an
einem Fehler in der oscillatorischen Messung. Strasburgcr x ) hat
darauf aufmerksam gemacht, dass der diastolische Druck wahrscheinlich
nicht an der so gut markirten Stelle der deutlichen Abnahme der Oscil-
lationen, sondern möglicher Weise etwas weiter oben zu suchen sei, und
bezeichnet als Merkmale für diese weiter oben liegende Stelle das eigen¬
tümliche „Hängenbleiben“ und Zittern des Tonometerzeigers. In der
That zeigt es sich, wenn man zugleich auscultatorisch und oscillatorisch
misst, dass diese Stelle mit dem Ton-Maximum besser übereinstimmt.
Das Zittern und Hängenbleiben des Zeigers ist aber keineswegs in allen
Fällen so deutlich ausgesprochen, als dass man sicher wäre, wo der
diastolische Werth liegt, und in solchen Fällen hat dann die oscilla-
torische Methode nicht mehr den Vortheil der leichten Anwendbarkeit,
den man ihr vor allen anderen Methoden zuzusprechen geneigt war. Es
will mir sogar scheinen, als ob das Kleinerwerden des Pulses unter dem
palpirenden Finger in den meisten Fällen eher leichter zu beobachten
sei als jene oft undeutlichen Veränderungen in den Oscillationen. Da
ferner das An- und Abschwellen des Arterientones so leicht und be¬
stimmt zu controliren ist, dürften die einfachen Mittel der Auscultation
und Palpation bei der Messung des Blutdruckes im Allgemeinen sicher
zum Ziele führen und in ihrer combinirten Anwendung für den theuren
Apparat von Recklinghausen einen geeigneten Ersatz bilden.
Zum Schlüsse erfülle ich die angenehme Pflicht, Herrn Geh. Med.-
Rat Prof. Dr. Schultzc für die Ueberlassung des Materials, Herrn Prof.
Dr. Strasburger für die Anregung und Unterstützung bei der Anfertigung
der Arbeit ehrerbietigst zu danken.
1) Deutsche medicin. Wochenschrift. 34. Jahrgang. S. 102.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
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XL.
Aus der II. inneren Abtheilung des städt. Krankenhauses am Urban
zu Berlin.
Ueber die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe
auf das Blut.
Experimentelle Untersuchungen im Anschluss an Kuhn’s Berichte über
seine Lungensaugmaske.
Von
Max Priese (Kemberg).
(Mit 1 Abbildung im Text.)
In Heft 5 der Deutschen Militärärztlichen Zeitschrift vom Jahre 1906
machte Kuhn (Berlin) die Mittheilung, dass es ihm gelungen sei, mit
Hülfe einer eigens construirten „Saugmaske“ eine Hyperämie in den
Lungen zu erzeugen. Durch seine Maske wollte Kuhn heilend auf den
Krankheitsprocess in tuberculösen Lungen einwirken.
Schon Bier war bei der Ausbildung seines Stauungsverfahrens von
der Erfahrung geleitet worden, dass die hypcräraischen Lungen be¬
stimmter Herzkranker selten an Tuberculose erkrankten, während die
anämischen Lungen der Pulmonalstenotiker relativ häufig der Tubercu¬
lose anheimfallen (Rokitansky). Während Bier die Hyperämie durch
Guramibinden oder Saugapparate erzeugte, suchte Kuhn eine Hyper¬
ämie der Lungen durch Erschwerung der Einathmung zu erzielen.
Schon vor Kuhn hatte M. Wassermann in Meran .Lungenhyper¬
ämie zu erzeugen gesucht, indem er seine Patienten durch enge Röhren
einathmen liess. Doch sind diese Versuche wenig bekannt geworden
und auch Kuhn nicht bekannt gewesen.
In neuester Zeit hat Wise bei Tuberculösen Lungenstauung dadurch
zu erzeugen gesucht, dass er die Patienten auf einem von ihm constru-
irten Liegestuhl ruhen lässt. Hierbei befinden sie sich in Bauchlage
mit erhöhtem Gesäss, tief liegendem Kopf und Füssen J ). Hier soll
also allein durch die Lagerung eine Hyperämie der Lungen zu Stande
kommen.
Kuhn hat eine Maske gebaut, bei der die Einathmung durch die
Nase mittelst Klappventilen erschwert ist, während die Ausathraung
1) The Lancet. 1908. No. 4422.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Uober die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe auf das Blut.
563
durch Mund und Nase leicht von Statten geht 1 ). Er suchte die Ent¬
stehung der vorläufig noch hypothetischen Lungenhyperämie an einem
Lungenmodell zu deraonstriren. Bei der erschwerten Inspiration stieg in
dem Modell die in Capillarröhren befindliche, das Capillarblut der
Lungen darstellende Flüssigkeit ganz beträchtlich. Ferner zeigte Kuhn
Röntgenbilder, auf denen man sah, wie durch die Erschwerung der In¬
spiration das Zwerchfell nach oben gezogen wurde. Eine zugleich sicht¬
bare Undeutlichkeit in der Zeichnung des Bronchialbaumes sprach Kuhn
als Folge des vermehrten Blut- und verminderten Luftgehaltes der
hyperämischen Lungen an. Wenn somit die Lungenhyperämie als Folge
der Maskenathmung nicht direct bewiesen ist, kann man sie immerhin
als wahrscheinlich annehmen.
Blumenthal machte dann die Beobachtung, dass nach der Masken¬
athmung eine auffällige Vermehrung der rothen Blutkörperchen im peri¬
pheren Kreislauf auftrat. Andere Untersucher bestätigten dies.
Kuhn setzte diese Vermehrung in Parallele mit der, welche man
bei Menschen und Thieren nach längerem Aufenthalt im Höhenklima
gefunden hatte.
In einer zweiten Mittheilung 2 ) berichtete er von einer ganzen Reihe
von Fällen, bei denen es bei verschiedenen Erkrankungen gelungen war,
nach längerer Anwendung der Maske eine erhebliche, bis auf 9 Millionen
reichende Vermehrung der rothen Blutkörperchen im peripheren Kreis¬
lauf nachzuweisen. Zugleich war eine Vermehrung der weissen Blut¬
körperchen und des Hämoglobins aufgetreten. Diese Vermehrung wurde
von Vielen bestätigt, die auf Kuhn’s Veranlassung seine Patienten nach¬
untersuchten.
Dass es sich aber um eine wirkliche Vermehrung, nicht um eine
scheinbare, durch veränderte Vertheilung im Gefässsystem bedingte,
handele, konnte Kuhn nicht ein wandsfrei nachweisen.
Er hatte schon nach zwei Stunden Vermehrungen der Erythrocyten
um 1 Million gefunden. Es war auffällig, dass sich so schnell eine so
starke Vermehrung von Blutkörperchen finden sollte, und Kuhn selbst
führte diese Anfangs auftretende Vermehrung auf eine veränderte Blut-
vertheilung zurück. Daneben sollte es aber eine wirkliche, dauernde
Vermehrung geben.
Es ist denkbar, dass die durch die Maske veränderten Druck¬
verhältnisse im Thorax eine andere Vertheilung des Blutes im Körper
bewirken, so dass in den Hautcapillaren eine Hyperämie zu Stande
kommt. Doch sagt Kuhn: „ . . . wir konnten bei der Entnahme des
Blutes aus der Vena mediana cubiti keine wesentliche Abweichung gegen¬
über den Hautcapillaren des Ohres, Fingers und der Zehe feststellen U8 ).
Doch war es nicht ohne Weiteres einzusehen, weshalb sich zu¬
gleich mit den rothen und dem Hämoglobin auch die weissen Blut¬
körperchen vermehrten. Kuhn suchte dies dadurch zu erklären, dass
1) Deutsche med. Wochensehr. 1906. No. 37.
2) Deutsche med. Wochenschr. 1907. No. 35.
3) a. a. 0.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
M. Pt-iesf?,
hAiu-.: Das ist eine etwas gckünsteLtc Erklärung, da der föiffvgr doch
S't'.vs! • z. B. bei der A^rdauunpienkoeviesiU — Rviftha«« nicht so
sehr ätif die Wahrung des gewöhnlichen ProcmlverhälKiisse» bedacht
ist. Und doch wäre eme befriedigende Eyklafufig liier besonders zu
wünschen, da eint glenddpimsige Vermehrung von Kothen.■ Wei.ssw and
Ifatnoelobin sehr ,?.y tj.itnsteu der später zu besprei-ivetnteü Ewdieirwng%-
theorie sprechen wurde, -v
Es ist njitS' d.ie FtöjSjfc, ob dht von Kuhn gefundener)... heute wohl
meist anerkannten i IHutveräridonmgini eine Folge von Lungenhyper-
äraie sind.
Auf Anregung des Herrn Frof, in. Ptehßj dem tch für seine
Unterstützung za Danke verpflichtet bin, .unternahm ich vom Winter U»Ü?
bis .Sommer 1'aOS im 'Sta.iti:»<.’heir - Krankenhause am Urban zu BerSjn
eine Reihe' von Versuchen an Kaoineheri, um fest/.ustellen, ob siph durch
nnng die ln- und Exspiration behindert, d. h. die Thiore. worden me-
thoilistjh-tti künstliche Dyspnoe versetzt. Dies geschah durch eine von
mir (»Anilfiiirfru \ thftmiViiiäLrjv rlin nnf .Ion oivi,»-/. Rvt.-.lv Ä .• K -- ..hsn
ptegonstättden
DaböratonttpiVorhände?) sind, hersf eilen.
Trotz, der Einfachheit erfüllt sie ihnen Zweck sehr gut. -- An den Rand
f ö'u.t;K liteinöti 1 riehtutSj in den die: Aia.se des Thicres•■■gut; (nnmnpasst,
klebt man aussen und innen breite HaA'jiflasterstrfifcn rinp an. so dass
•sie eme etwa :» em breite, weiche Mn!.r.-.ehe!te bilden. Diese soll an
dom Kopl gut ansehlies.se ri. iMmi worden zwei etwa ',4 m lange
■''Weifen von breitem Öand, die in der Si.t(e - ihrer Finge einen kleinen
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Ueber die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe auf das Blut.
565
Schlitz erhalten, über den Stiel des Trichters gezogen und kreuzweise
mit Heftpflaster so befestigt, dass vier rechte Winkel entstehen. Die
vier freien Enden dienen zum Befestigen der Maske am Kopf des Thieres.
Die beiden horizontalen werden hinter den Ohren geknotet, die verti-
calen auf dem Rücken des Thieres. Ueber das Trichterrohr wird dann
ein Gummischlauch gezogen, der mit einer Klemme beliebig stark ab¬
geklemmt werden kann.
Mit solchen Masken sind alle folgenden Versuche angestellt. Die
Anfangs sehr ungeberdigen Thiere gewöhnen sich trotz der Dyspnoe
bald an das Athmen durch die Maske, so dass eine Fesselung niemals
nöthig war.
Die Thiere wurden täglich etwa 1 Stunde lang in ziemlich starke
Dyspnoe versetzt. Je stärker die Athmungsbehinderung ist, desto stär¬
kere Excursionen machen die Flanken des Thieres bei der Athmung.
Ferner sinkt bei mittelstarker Wirkung der Maske die Zahl der Athem-
züge auf etwa dio Hälfte der normalen, beim Kaninchen etwa 100 pro
Minute betragenden Frequenz. Schliesslich kann man die Stärke der
Athmungsbehinderung durch ein mittelst T-Rohres angeschaltetes Mano¬
meter messen.
Da bei der Athmung durch solche Masken In- und Exspiration
durch dieselbe Stenose geschehen muss, kann es nicht zu einer dauernden
Lungenhyperämie kommen. Das Blut, welches während eines Inspi-
riums etwa stärker angesaugt sein sollte, wird während der folgenden
Exspiration auch stärker weggedrückt. Subjectiv wird sich allerdings
die Erschwerung der Inspiration stärker bemerkbar machen. Es wird
also keine Stauungshyperämie der Lunge erzeugt, wohl aber wahrschein¬
lich eine vermehrte Blutcirculation. Ausserdem ist die Ventilation der
Lunge verringert.
Die Versuchsanordnung war folgende: Zuerst wurde bei einem er¬
wachsenen Kaninchen A, das zu keinen Versuchen benutzt wurde, die
normale Erythrocytenzahl mit dem Thoma-Zeiss-Apparat bestimmt.
Ferner wurde das Hämoglobin nach Fleischl und nach Flcischl-
Miescher bestimmt, das specifische Gewicht des Blutes und des Blut¬
serums nach Hammerschlag. Die Bestimmungen nach Hammer¬
schlag sollten nur zur Controle dienen; ich möchte auf die Resultate
dieser nicht gerade exacten Methode keinen zu grossen Werth legen.
Erst nach längerer Uebung gelang es, die grossen Fehlerquellen,
die der Thoma-Zeiss-Methode anhaften, möglichst zu vermeiden.
Jedenfalls ist auch der Geübte, wenn er nur eine Kammer auszählt, vor
groben Irrthümem nicht geschützt. Es wurde daher eine Zählung nur
dann für zuverlässig erachtet, wenn sich aus zwei verschiedenen Pi¬
petten annähernd gleiche Werthe ergaben. Einen grossen Theil der
Controlzählungen hat Herr Medicinalpraktikant Biernath ausgeführt;
ich bin ihm hierfür zu grossem Danke verpflichtet, denn durch solche
von einem zweiten Untersucher ausgeführte Parallelzählungen kann eine
Methode, die leicht zu Selbsttäuschungen führt, nur an Objectivität ge¬
winnen.
Während ich Anfangs für die Rothen eine Verdünnung 1 : 100 phy-
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
566
M. Priese,
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siologischer NaCl-Lösung wählte, weil ich so genauere Resultate zu er¬
halten hoffte, fand ich später, dass bei Verdünnungen 0,5:100 die
Einzelzählungen viel besser übereinstimmten. Genau genommen, darf
man allerdings die Verdünnungen
1
100
0 , 5 ^
100,5
nicht gleich 2 : 1 setzen;
doch ist der Fehler unwesentlich.
Beim Zusammensetzen der Kammer scheint mir Folgendes beach-
tenswerth: Man erhält stets zu hohe Werthe, wenn man einen etwas
hohen Tropfen über dem Zählnetz eine Weile stehen lässt, bevor man
das Deckglas hinüberschiebt. Auch können bei sehr hastigem Zusammen¬
setzen der Kammer die Erythrocyten, die sich eben zu senken beginnen,
durch eine entstehende Welle bei Seite geschwemmt werden, so dass
man zu niedrige Werthe erhält.
Ich möchte die Vermeidung der Fehler, die sich bei der Zusammen¬
setzung der Kammer ergeben können, für wichtiger halten, als die Dis-
cussion über die Abhängigkeit oder Unabhängigkeit der Kammer vom
Luftdruck, über die so viel gestritten worden ist 1 ).
Aus alledem erhellt, dass man die Resultate der Methode sehr
genau controliren muss, wenn es sich um Feststellung absoluter Werthe
handelt. Denn es ist sicher, dass ein Untersucher, der gewohnheits-
mässig einen hohen Tropfen auf die Mitte der Zählfläche bringt und
dann bis zum Aufschieben des Deckglases 10 Secunden braucht, dauernd
höhere Werthe erhält, als ein anderer, der seinen Tropfen sofort auf
dem Kammerboden vcrtheilt und die Kammer in 2 Secunden zu¬
sammensetzt.
Wenn es sich aber, wie in unserem Falle, um etwas Relatives -
Vermehrung — handelt, so kann man die Resultate der Thoma-Zeiss-
Methode bei gleichmässiger Technik als genügend zuverlässig ansehen.
Das Blut wurde bei meinen Versuchen der Ohrrandvene des Ka¬
ninchens durch Einstich entnommen.
Bei Zählungen am Menschen ist es nicht gleichgültig, ob die
Zählung bei nüchternem Magen oder nach einer Mahlzeit erfolgt. Beim
Kaninchen, das ständig etwas frisst, ohne Mahlzeiten inne zu halten,
kommt dies nicht in Betracht.
Es ergab sich nun für Thier A, das, wie erwähnt, zu keinen Ver¬
suchen benutzt wurde, folgendes Blutbild A (s. Tabelle).
Mit einem zweiten Kaninchen B beginnt die eigentliche Versuchs¬
reihe. Es war ein noch nicht ausgewachsenes Weibchen, bei dem erst
einige Bestimmungen des normalen Blutbildes gemacht wurden. Durch
die sofort nach der Maskenathmung vorgenommenen Zählungen wollte
ich feststellen, ob sich nach Anwendung der Maske acute Veränderungen
im Blutbild finden. Ich betone nochmals, dass hier nur venöses Blut
zur Bestimmung benutzt wurde. Das Nähere ergiebt umstehende Tabelle:
Auffällig hoch sind die Werthe, welche sich am ersten Bestimmungs-
1) Biirker, Münch, med. Wochenschr. 1905. No. 6. — Meissen, Ebendas.
1905. No. 14.
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Ueber die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe auf das Blut. 567
A (männlich).
Datum
Rote
Hämoglobin
Spec.
Gewicht
Millionen
Fleischl
Fleischl-
1 Miescher
Blut
i Serum
16. 11. 1907
5,5
_
_
1040
_
19. 11.
5,60
5,68
50
47
1039
—
26. 11.
5,04
5,68
46
45
1038
1018
10. 12.
5,62
5,71
—
! 47
1044
1021
B (weiblich).
Datum
(Maske)
Athemzüge
pro Minute
Rothe
Millionen
Weisse
Hb
r, . Fleischl-
Hclschl Miescher
Spec.
Blut
Gewicht
Serum
28. 1. 08
6,28
10800
52
1046
1019
6,59
30. 1.
—
—
4,92
8500
45
48
1043
1018
5,10
1. 2.
—
120
5,08
8400
43
48
1042
1020
5,10
49
2 Stunden Maske,
50
5,10
8100
48
49
1041
1017
dann Zählung
5,37
50
4. 2.
130
5,28
9300
51
52
1037
1016
5,48
1 9700
do.
62
6,48
8400
47
50
1034
1016
6,92
9500
8. 2.
—
120
4,82
7500
50
51
1037
1019
4,85
10300
52
i
2 Stunden Maske
56
—
—
—
—
—
—
11. 2.
—
130 i
5,40
6800
47
51
1033
1016
1
5,80
9200
i
2 Stunden Maske,
55 |
5,60
6800
48
50
1037 |
1016
dann Zählung
1
5,80
8400
12. 2.
— 1
125
4,80
6800
46
50
1033
1018
5,10 1
8600
1
51
tage fand
en. Zwei Tage später
waren alle Werthe gesunken, ohne dass
das Thier irgend einer Behandlung unterzogen wurde.
Es zeigte sich dann am ersten Behandlungstage keine wesentliche
Aenderung des Blutbildes nach zweistündiger Maskenathmung, obgleich
die Athmungsbeschränkung zuletzt ziemlich forcirt wurde. Einige Tage
später fanden sich im Durchschnitt 5,38 Mill. Rothe, nach andcrthalb-
stündiger Maskenathmung waren 6,70 Mill. vorhanden, während die Zahl
der weissen Blutkörperchen unverändert blieb, der Hb-Gehalt und das
specifische Gewicht des Blutes sogar sank.
Hier war wohl eine jener plötzlichen Vermehrungen aufgetreten,
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568
M. Priese
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von denen auch Kuhn berichtet, und die man oft bei Ballonaufstiegen
gefunden hat. Sie wird als eine scheinbare Vermehrung in Folge ver¬
änderter Blutvertheilung betrachtet. Da aber der Hb-Befund mit der
Vermehrung nicht übereinstimmt, handelte es sich vielleicht nur um eine
Klumpenbildung während der Erythrocytenbestimmung. Jedenfalls war
die Vermehrung nach drei Tagen gänzlich geschwunden.
Während der nächsten Wochen sank die Zahl der Erythrocyten
langsam; sie erreichte nicht wieder den Werth, welchen wir Anfangs
bei dem Thier gefunden hatten. Dies konnte verschiedene Ursachen
haben:
1. Konnte es die Folge der Maskenathmung sein; so hat ja auch
Kuhn ein anfängliches Sinken der Erythrocytenzahl bei seiner Masken¬
athmung beschrieben; doch erstreckte sich dies nie über so lange Zeit.
2. Konnte es eine Folge des wiederholten zu starken Blutver¬
lustes sein.
Denn ich beherrschte Anfangs die Technik der Blutentnahme nicht
genügend, sodass das Thier bei den zahlreichen Bestimmungen, die
jedesmal gemacht wurden, ziemlich viel Blut verlor. Die Menge des bei
den Zählungen verlorenen Blutes ist beim Menschen natürlich ohne Be¬
deutung; bei dem relativ kleinen Kaninchen aber ist der Blutverlust
aus der manchmal heftig blutenden Veno nicht ohne Bedeutung. Dieser
Verlust kann eine etwa aufgetretene Erythrocyten Vermehrung einfach
verdeckt haben. Wahrscheinlich ist das Thier durch beides, Blutverluste
und Verschlechterung des Allgemeinbefindens durch die forcirte Dyspnoe
heruntergekommen. Denn bei den später behandelten Thieren wurde
stärkerer Blutverlust und Forcirung der Athmungsbehinderung vermieden
und die Erscheinung trat nicht wieder auf.
Nach etwa 8 tägiger Anwendung der Maske waren bei dem Thier B
Blutpräparate angefertigt worden (Plehn’sche Modification der Roma¬
tt owski-Färbung). Es fanden sich auffallend viel Blutplättchen, sonst
nichts Abnormes, namentlich keine kernhaltigen Rothen. Ein unmittel¬
bar nach zweistündiger Maskenathmung angefertigtes Präparat zeigte
keinen Unterschied von einem vorher gefärbten.
Ich änderte jetzt die Methode, indem ich nicht jedesmal eine Be¬
stimmung der in den Tabellen aufgeführten Werthe machte. Vielmehr
musste das Thier eine Reihe von Tagen athmen, dann wurde die Ver¬
änderung bestimmt.
Bei dem Kaninchen C, einem jungen Weibchen, ergab sich vor der
Behandlung folgendes Blutbild als Durchschnitt von vier Zählungen:
Rothe . . . 6,02 Mill.
Weisse . . . 8600.
Hb nach Fleischl-Miescher 57.
Auffällig sind bei diesem Thier ebenso wie bei Thier B die hohen
Anfangswerthe für Erythrocyten. Es hängt dies vielleicht damit zu¬
sammen, dass beides junge wachsende Thiere waren, denn alle ausge¬
wachsenen Thiere zeigten niedrigere Werthe.
Eine Uebersicht über das Blutbild beim Thier C ergiebt die fol¬
gende Tabelle. Zu ihrer Erklärung möchte ich anfügen, dass ich hier
Gck igle
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570 M. Priese,
auch feststellen wollte, ob sich nach Anwendung der Maske Unterschiede
im venösen und im Capillarblut finden lassen. Es ist allerdings nicht
leicht beim Kaninchen Capillarblut zu bekommen; am Ohr geht cs wegen
der zahllosen kleinen Gefässe wohl überhaupt nicht sicher. Ich befreite
eine Stelle auf dem Rücken des Thieres von Haaren und scarificirte sie.
Aus der Tabelle erhellt erstens, dass sich wesentliche Unterschiede
zwischen Venen- und Capillarblut nicht feststellen Hessen.
Betrachten wir dann die Veränderungen, die sich während der Be¬
handlung im Blutbild des Thieres C zeigten. Ara ersten Tage ging
nach etwa zweistündiger Maskenathmung die Erythrocytenzahl etwas in
die Höhe, von 5,90 auf 6,68 Mill. im Durchschnitt. Dagegen war der
Hb-Gehalt wieder, wie wir es schon einmal bei Thier B gefunden batten,
gesunken. Findet hierbei ein Austritt und Zerfall von Hb statt? Oder
erleidet das Hb Veränderungen, die seine färberische Qualität schwächen?
Diese Fragen lassen sich vor der Hand nicht beantworten.
Trotz des Anwachsens der Erythrocytenzahl war auch das speci-
fische Gewicht des Gesammtblutes gesunken; dagegen war die Leuko-
cytenzahl von 8600 auf 12 050 gestiegen.
Am 26. 2. hatte das Thier nach achttägiger Maskenathmung im
Durchschnitt nur 5,56 Mill. Rothe gehabt, die Behandlung wurde fort¬
gesetzt und am 7. 3. fanden sich 24 Stunden nach der letzten An¬
wendung der Maske 7,26—7,35 Mill. Rothe im venösen Blut, im Capillar¬
blut sogar 7,48—7,78 Mill. Hier kann von keiner augenblicklichen Ver¬
mehrung die Rede sein. Es war innerhalb von drei Wochen eine Ver¬
mehrung der Rothen um 1,40 Mill. aufgetreten. Dabei hatte sich die
Zahl der Leukoeyten nicht vermehrt, der Hb-Gehalt nach Fleischl
war etwas gestiegen, nach Fleischl-Miescher unverändert geblieben.
Am 11. 3. fanden sich im Durchschnitt 7,73 Mill. Erythrocyten, am
17. 3. nach fortgesetzter Maskenathmung 7,77. Auch die Zahl der
weissen Blutkörperchen war jetzt etwas gestiegen; einen deutlichen An¬
stieg zeigte auch der Hb-Gehalt. Dabei zeigte sich das specifischc
Gewicht des Serums und des Blutes gegen die beim normalen Thier
erhaltenen Werthe nicht verändert, namentlich das Serum zeigte keine
höhere Concentration.
Der weitere Verlauf des Versuchs wurde durch eine Erkrankung
des Thieres complicirt. Ein schon Anfangs vorhanden gewesener, an¬
scheinend tuberculöser Abscess an der Nase des Thieres hatte sich in
der letzten Zeit erheblich vergrössert, am 23. 3. wurde er eröffnet und
begann dann zu verheilen. Immerhin war das Thier ziemlich matt und
elend geworden. Am 5. 4. fanden sich trotz fortgesetzter Anwendung
der Maske nur noch 6,43 Mill. Rothe im Durchschnitt (gegen 6,02 vor
der Behandlung); dagegen betrug die Zahl der Weissen 18 000, was
wohl auf Rechnung der Eiterung zu setzen ist.
Leider brach sich das Thier am folgenden Tage in Folge eines
Falles aus 1 m Höhe die Halswirbelsäule.
Die Section ergab eine Fractur zwischen 2. und 3. Halswirbel, ein
grosses Hämatom am Hals, Blutthromben im Wirbelcanal. Die Lungen
waren hellgclb-röthlich, nirgends fanden sich in ihnen Blutungen oder
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lieber die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe auf das Blut.
571
emphysemähnliche Bildungen. Auch die übrigen Organe zeigten keine
pathologischen Veränderungen. Das Knochenmark war überall roth (es
handelte sich ja um ein junges Thier).
Da der Tod 1 / 2 Tag nach der Maskenathmung eingetreten war,
konnte man natürlich nicht erwarten, irgend welche Zeichen von stärkerer
Durchblutung an den Lungen zu finden. Jedenfalls fanden sich keine
makroskopisch sichtbaren Veränderungen, die man als eine Folge der
Maskenathmung hätte ansehen können.
Nun wurden die Versuche gleichzeitig mit 4 Kaninchen fortgesetzt.
Es waren drei ausgewachsene, nicht trächtige Weibchen, die alle schon
einmal Junge gehabt hatten, und ein ausgewachsenes, altes Männchen.
Die Thiere befanden sich in leidlich gutem Ernährungszustand, waren
eher etwas mager als fett.
Eines der Thiere, E, hatte beim Beginn der Versuche geschwollene
Lymphdrüsen am Thorax, die ich als Folge einer localen Infection, wie
man sie bei Stallkaninchen häufig findet, ansah. Doch zeigte der Ver¬
lauf, dass es sich um eine ernstere Affection handelte, denn die Drüsen
wurden immer grösser, abscedirten und nach vier Wochen ging das Thier
zu Grunde. Es hatte während dieser Zeit etwa jeden zweiten Tag durch
die Maske geathmet, doch erfolgte der Tod ehe eine Bestimmung des
Blutbildes gemacht wurde. Jedenfalls ist er nicht auf Rechnung der
Maskenathmung zu setzen.
Die übrigen Thiere (D, F, G) mussten 8 Wochen lang fünf Mal
wöchentlich etwa eine Stunde lang durch die Maske athmen. Es wurde
bei ihnen nur eine mittelstarke Beschränkung der Athmung ausgeübt.
Es wurde nur Blut aus der Ohrvene benutzt, das Hb wurde stets
nach Fleischl-Miescher bestimmt, da die Werthe hier bei den früheren
Versuchen constanter gewesen waren, als bei der Fleischl-Methodc.
Das Blutbild verhielt sich folgendermaasscn (s. Tabelle D).
Es fand sich also nach etwa einem Monat eine Vermehrung der
Rothen von 5,32 (Durchschnitt) auf 6,57; nach weiteren zehn Tagen
betrug der Durchschnittswerth der Rothen 6,39 Mill. Der Hb-Gehalt
war während der sechs Wochen von 53 auf 56 gestiegen, die Leuko-
cytenzahl hatte sich nicht wesentlich geändert. Das specifische Gewicht
des Blutes war von 1043 auf 1047 gestiegen; für das Serum ergab sich
der Werth 1020, was etwa dem Normalwerth beim Kaninchen entspricht.
Die Maskenathmung wurde fortgesetzt und nach weiteren vierzehn Tagen
ergaben sich als Durchschnittswerte:
R. . . . 7,09 Mill.
W. . . . 18 000
Hb ... 65
Blut spec. Gew. . . . 1046
Serum spec. Gew. . . 1021
also eine gegen die Anfangszahlen sehr beträchtliche Steigerung aller
Werthe, mit Ausnahme des specifischen Gewichts des Serums.
Während der zweimonatigen Behandlung hatte das Thier, bei aller¬
dings nicht hervorragender Pflege von seinem 2880 g betragenden Anfangs¬
gewicht etwa 300 g verloren.
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572
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M. Priese,
D. (weiblich).
Datum
Maske
Hb
Rothe
Mill.
Weisse
Spec.
Blut
Gewicht
, Serum
QO
—
52
53
5,33
5,41
8000
12500
—
—
11. 4.
—
52
54
5,23
5,30
—
1043
—
18. 4.
Vo Std.
—
—
—
—
—
19. 4.
3
i 4 +
—
—
—
—
—
22. 4.
1
—
—
—
—
—
23. 4.
1
—
—
—
—
—
24. 4.
l
—
—
—
—
—
29. 4.
1
—
—
—
—
—
1. 5.
1
—
—
—
—
—
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9. 7.
59
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5,58
5,71
—
—
Nach weiteren vier Wochen, während denen das Thier nur fünf Mal
kurze Zeit geathmet hatte, fanden sich ira Durchschnitt 5,65 Mill. Ery-
throcyten und 59 Hb-Gehalt.
D. h. es war jetzt fast wieder eine Rückkehr zu den Werthen, die
vor der Behandlung da waren, erfolgt; doch war das Hämoglobin, ebenso
wie es sich langsamer als die Rothen vermehrte, auch langsamer ge¬
sunken. Während die Erythrocyten schon fast den Anfangswerth er¬
reicht hatten, war das Hämoglobin noch beträchtlich vermehrt.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Uebor die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe auf das Blut. 573
Am 9. 7., also vier Wochen nach Abschluss der systematischen
Behandlung wurde das Thier D secirt. Das Mark der langen Röhren¬
knochen glich makroskopisch dem thätigen, lymphoiden Mark, es war
gleichmässig röthlich, doch nicht himbeerfarben. Mikroskopisch erwies
es sich als lymphoides Mark mit wenigen Erythroblasten.
Ich möchte auf den Befund am Knochenmark nicht viel Werth
legen, denn die langen Röhrenknochen kleiner Thiere behalten normal
sehr lange lymphoides Knochenmark. Man kann also in unserem Falle
die lymphoide Beschaffenheit nicht ohne weiteres als Folge der Masken-
athmung ansehen. Andererseits könnte die verhältnissraässig geringe
Erythrocytenvermehrung sehr wohl von den kleinen spongiösen Knochen
besorgt werden, ohne dass die langen Röhrenknochen thätiges Mark ent¬
halten.
Beim Thier F fand sich ein ähnliches Verhalten des Blutbildes wie
bei D. Die Erythrocytenzahl betrug vor der Behandlung im Durch-
F. (weiblich).
Datum
Maske
Hb
Rothe
Mill.
Weisse
Blut
spec. Gew.
9.
4.
50
4,78
10000
1040
51
4,97
10200
—
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4.
52
5,03
10700
1044
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—
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Std.
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6.
Section
1
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—
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5 . Bd. 37
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
574
M. Priese,
Digitized by
schnitt 4,96 Mill.; nach einmonatiger Behandlung 6,50 Mill. und nach
sechs Wochen 6,90 Millionen. Während der Behandlung war der Hb-
Gehalt von 51 auf 55 gestiegen, das specifische Gewicht des Blutes von
1042 auf 1046; die Leukocyten hatten sich nicht so stark vermehrt
wie bei Thier D. Während der Behandlung hatte das Thier F von
seinem 3250 g betragenden Gewicht 50 g verloren.
Zwei Monate nach Beginn der Behandlung wurde das Thier, das
munter war und gut frass, getödtet. Bei der Section ergaben sich an
den Lungen keine Veränderungen. Das Knochenmark war in den langen
Röhrenknochen Fettraark mit grösseren Inseln von rothem Mark; in den
kurzen Knochen fand sich überwiegend rothes Mark.
Die genaueren Zahlen ergiebt die vorstehende Tabelle F.
Nicht so günstig waren die Ergebnisse beim Thier G, einem alten
G. (männlich).
Datum
Maske j
| Hl)
1
Rothe
Mill.
Weisse 1
1
Blut
spec. Gew.
10. 4.
1
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— 1
—
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
(Jeber die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe auf das Blut. 575
Männchen. Vielleicht war das Thier zu alt, vielleicht war es zu unge-
berdig, denn es athmete nicht so regelmässig durch die Maske wie die
Weibchen. Es hatte schon vor der Behandlung mehr Erythrocyten als
diese, im Durchschnitt 5,53 Mill., auch einen höheren Hb-Gehalt, durch¬
schnittlich 55.
Auffällig war es, dass sich am 10. 4. ein Hb-Gehalt von 62 und
ein entsprechend hohes specifisches Gewicht des Blutes fand; vier Tage
später war Beides erheblich gesunken, ohne dass das Thier einer Be¬
handlung unterworfen wurde. Sollte der Blutverlust bei der ersten
Bestimmung so viel ausgemacht haben? Oder schwankt der Hb-Gehalt
in uncontrolirbarer Weise? Jedenfalls haben die Erythrocyten diese
Schwankung nicht mitgemacht 1 ).
Nach dreiwöchiger Maskenathmung fand sich eine Vermehrung der
Rothen um etwa 1 Million. Doch sank nach weiteren vier Wochen, trotz
dauernder Maskenanwendung, die Zahl der Rothen wieder auf 5,70, war
also gegen den Anfang nur wenig erhöht. Eben so zeigte sich keine
Hb-Vermehrung.
Dabei hatte das Thier während der Behandlung über 200 g zuge¬
nommen. —
Ueberblicken wir die Resultate der Versuche: es fanden sich bei
vier mit periodisch erzeugter Dyspnoe behandelten Kaninchen Ver¬
änderungen im Blutbilde, die sich in der Zählkammer als eine erhebliche
Vermehrung der Erythrocyten, z. Th. auch der Leukocyten darstellen.
Dabei zeigte das Blut eine Erhöhung seines specifischen Gewichtes, nicht
aber das Serum. Der Hb-Gehalt war langsam gestiegen.
Ganz ähnliche Veränderungen, wie Kuhn bei seinen Patienten und
ich bei meinen Thieren fand, sind schon lange als Folge eines Aufent¬
haltes im Höhenklima bekannt. Mit Recht macht Grawitz darauf auf¬
merksam, dass man auseinander halten muss
1. ob bei längerem Aufenthalt im Gebirge eine Steigerung der Blut¬
bildung eintritt;
2. ob der Organismus auf eine Verminderung des 0 2 -Gehaltes der
Luft mit einer dieser Verringerung parallel gehenden, sofortigen
Steigerung der Blutzellenbildung reagirt.
Für den Vergleich mit meinen Versuchen kommt nur die erste
Frage in Betracht; denn wir haben nach Anwendung der Maske zwar
einige Male acute Veränderungen im Blutbilde gefunden, doch waren sie
im Vergleich zu den allmählich auftretenden Veränderungen unbedeutend
und später haben wir auf acute Veränderungen nicht mehr gefahndet.
Schon Kuhn hatte die Wirkung seiner Maske mit der des Höhen¬
klimas in Parallele gestellt und es spricht vieles dafür, dass es sich um
ähnliche Vorgänge handelt. Allerdings kann dann nicht das Höhenklima
als Ganzes die Ursache der bekannten Veränderungen sein.
Ueber die im Höhenklima auftretende Blutveränderung sind sechs
verschiedene Theorien aufgestellt worden:
1) Nachtrag bei der Correctur: Vergl. H. P. T. Oerum, Deutsche med.
Wochensehr. 1908. No. 28.
37*
Difitized
by Google
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
576
M. Priese
Digitized by
1. es handelt sich um eine Neubildung von Erythrocyten [P. Bert,
Viault, Miescher];
2. die Lebensdauer der Erythrocyten ist verlängert [A. Fick];
3. das Blut wird eingedickt [Grawitz];
4. es kommt zu einer Ueberfüllung des Capillarkreislaufs [N. Zuntz];
5. es wird Plasma aus den Blutgefässen in die Umgebung gepresst
[G. v. Bunge];
6. die Zählkammer ist nicht constant, sondern vom Luftdruck
abhängig [A. Gottstein].
Wenn man diese Theorien auf die Wirkung der Saugmaske und
meiner Maske beziehen will, so muss die letztgenannte Theorie wegfallen.
Für das Gebirge möchte ich ihr nicht jede Bedeutung absprechen.
Meist wird aber nur betont, dass sich die Karamerhöhe durch den Luft¬
druck ändern kann. Es scheint mir aber auch beachtenswerth, dass
sich die Erythrocyten bei geringerem Luftdruck in der gleichen Ver¬
dünnungsflüssigkeit wahrscheinlich schneller zu Boden senken und so
beim Zusaramensetzen der Kammer ein Fehler zu Stande kommt. Ob
hierüber schon Versuche angestellt sind, ist mir nicht bekannt.
Jedenfalls kommen barometrische Schwankungen für meine Versuche
nicht in Betracht, denn sie wurden stets in demselben Laboratorium bei
annähernd gleicher Temperatur gemacht.
Auch gegen die Theorie von Grawitz sprechen meine Versuche,
denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass das Blut durch täglich ein-
stündige Maskenathmung dauernd eingedickt werden sollte. Im Gegen-
theil, bei der Maskenathmung ist die Wasserabscheidung durch die Lunge
eher herabgesetzt, denn es sammelt sich in der Maske bald Condens-
wasser an, so dass das Thier eine verhältnissmässig gesättigte Luft ein-
athmet. Uebrigens sprechen gegen die Eindickungstheorie auch die
Untersuchungen, die A. Plehn an Menschen und Thieren, die starkem
Dursten ausgesetzt waren, gemacht hat. 1 ) Er fand in exacten Versuchen,
dass das Blut in seinem Wassergehalt sehr constant blieb.
Bei einer Eindickung durch Wasseraustritt müsste man auch eine
Erhöhung der Serumconcentration finden und ein der Eindickung parallel
gehendes Ansteigen des Hb-Gehaltes. Nun haben wir auch bei starker
Vermehrung der Erythrocyten das specifische Gewicht des Serums auf
seinem Normalwerthe gefunden; andererseits hält die Vermehrung des
Ilb-Gehalts mit dem Wachsen der Erythrocytenzahl durchaus nicht
gleichen Schritt, sie hinkt erheblich nach. Z. B. entsprach nach sechs
Wochen Maskenathmung beim Thier F einer Vermehrung des Hb-Ge-
haltes um 8 pCt. eine Vermehrung der Erythrocytenzahl um 39 pCt.!
und bei Thier D einer nach sieben Wochen vorhandenen Erythrocyten-
vermehrung um 32 pCt. eine Hb-Vermehrung von 22 pCt.
Gegen die Anwendung der Theorien von Zuntz und v. Bunge auf
meine Versuche lässt sich ein wenden, dass es nicht leicht zu denken ist,
weshalb eine relative Vermehrung der Rothen durch Plasmaaustritt oder
eine abnorme Vertheilung im ßlutgefässsystem während der doch recht
1) A. Plehn, Die Wasserbilanz des Blutes. Deutsches Arch. f. klin.Med. Bd.91.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
lieber die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe auf das Blut.
577
kurzen Maskenathmung sich dann zu einem dauernden Zustand ausbilden
soll. Gegen eine Ueberfüllung des Capillarkreislaufs spricht auch die
Thatsache, dass ich in dem Capillarblut des Rückens und in der Ohr¬
randvene fast übereinstimmende Resultate fand. Bei den acuten, beim
Uebergang in’s Höhenklima auftretenden und auch von Kuhn beob¬
achteten Veränderungen mag trotzdem eine Verdrängung von Blut in
den Capillarkreislauf oder Plasmaaustritt eine Rolle spielen.
Da beim Menschen häufige Venenpunetionen sich mit Rücksicht auf
die Psyche der Patienten verbieten, hat Kuhn seine Zählungen wohl
meist am Capillarblut gemacht. Dort fand er ganz acute, erhebliche
Erythrocytenvermehrungen schon nach zweistündiger Maskenathmung.
Wir dagegen konnten selbst nach (orcirter Anwendung unserer Maske
im Venenblut keine erhebliche acute Zunahme finden. Nur einmal erhielt
ich bei Thier B eine Zunahme um iy 4 Millionen nach iy 2 stündiger
Athmung, doch entsprach ihr nicht einmal eine Zunahme des Hb, so
dass es sich vielleicht um einen Zufallsbefund handelt.
Fick’s Theorie rechnet mit einer vermehrten Lebensdauer der
Erythrocyten im Gebirge. Sie dürfte schwer zu erweisen oder zu wider¬
legen sein, da wir noch keine Mittel besitzen, um das Alter von Blut¬
körperchen zu bestimmen.
Am wahrscheinlichsten scheint mir die Neubildungstheorie zu sein;
für sie spricht das oben erörterte langsame Anwachsen des Hb-Gehaltes,
für sie auch das von mir oft beobachtete Auftreten von wenig gefärbten
Erythrocyten. Dass man keine kernhaltigen Rothen findet — es wurde
nur einige Male von uns danach gesucht — spricht nicht gegen Neu¬
bildung.
Denn bei dem Ersatz zu Grunde gegangener Erythrocyten, der bei
wirksamer Anaemiebehandlung und nach Schwarzwasserfieber, oft ganz
rapide vor sich geht, wo es sich also sicher um eine Neubildung handelt,
findet man recht spärlich Normoblasten. Während also das Fehlen von
Norraoblasten nicht gegen die Neubildungstheorie spricht, kann ich das
Verhalten des Hb grade als eine bedeutende Stütze dieser Theorie
anführen.
Auffallend an meinen Resultaten ist das Verhalten des Gewichts
der Thiere. Es ist ja bekannt, dass Kaninchen beim Uebergang von
der Winter- zur Sommerfütterung in ihrem Gewicht etwas zurückgehen,
merkwürdig ist aber, dass Thier D, welches am Meisten auf die Masken¬
athmung mit Erythroeytenvermehrung reagirt hat, die grösste Gewichts¬
abnahme zeigt; das Thier F hatte geringere Erythroeytenvermehrung und
dabei nur 50 g verloren. Dagegen hat Thier G, bei dem die Masken¬
athmung nach anfänglichem geringen Erfolge resultatlos blieb, über
200 g zugenommen. Kuhn hat bei der Anwendung seiner, ja principiell
verschiedenen Maske dagegen Gewichtszunahme beobachtet.
Zum Schluss möchte ich noch eine Beobachtung anführen, die ein
französischer Arzt, Dr. Monneyrat, in einer Mittheilung an die
Akademie der Wissenschaften veröffentlicht hat. 1 ) M. fand, dass ein
1) Citirt nach de Parville, Annales polit. et iitteraires. 1907.
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
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578 M. Priese, L'eber die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe auf das Blut.
Mensch mit 5,2 Millionen rothen Blutkörperchen nach achttägiger
Automobil fahrt 6,7 Millionen aufwies; der Hb-Gehalt war von 98 auf
102 pCt. gestiegen.
Wenn sich die etwas unwahrscheinlich klingende Mittheilung weiter
bestätigt, so hätten wir schon vier Wege, eine Erythrocytenvermehrung
zu erzeugen: Automobilfahrten, Höhenaufenthalt, Kuhn’sche Saugmaske,
künstliche Dyspnoe. Es ist sehr wohl möglich, dass bei diesen vier
Methoden dasselbe wirksame Princip im Spiele ist; doch lassen sieh
hierüber bisher nur Hypothesen aufstellen.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Es ist schon lange bekannt
(Naunyn 1872), dass bei vielen mit Erschwerung der Circulation oder
Respiration einhergehenden Erkrankungen sich Erythrocytenvermehrungen
finden. Infolge ständiger Dyspnoe findet sich Polyglobulie bei Asthma,
Emphysem, gewissen Herzfehlern. Aber auch durch periodisch wieder¬
holte, künstlich erzeugte Dyspnoe konnte ich'bei Kaninchen Erythrocyten¬
vermehrung hervorrufen. Bei einer Anzahl von Thiercn erhielt ich nach
längerer Behandlung Veränderungen im Blutbild, die sich im Zählapparat
als eine Vermehrung der Rothen bis zu 39 pCt. (Thier F), der Weissen
bis zu 77 pCt. (Thier D) darstellten. Zugleich trat eine Vermehrung des Hb-
Gehaltes bis zu 22 pCt. (Thier D) auf, die aber hinter der entsprechenden
Erythrocytenvermehrung zurückblieb. Es handelt sich wahrscheinlich
nicht um eine scheinbare, sondern um eine wirkliche Vermehrung. Doch
liess sich dies mit den angewandten Methoden nicht beweisen. Die kost¬
spielige Bestimmung des Gesammthaemoglobins konnte ich nicht ausführen.
Als Ursache der Veränderungen nehme ich nicht eine Lungen-
hyperaemie, sondern einen durch die periodisch stark verminderte
O-Spannung auf das Knochenmark ausgeübten Reiz an.
Die heilende Wirkung der Hyperaemie ist allgemein anerkannt; ob
aber die Erythrocytenvermehrung ein Vortheil für den Organismus ist,
scheint mir fraglich.
Gck igle
Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XLI.
Aus der inneren Abtheilung des städt. Luisenhospitals zu Dortmund.
(Chefarzt: Privatdocent Dr. Volhard.)
Ueber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen
Blutdrucks durch Genuss alkoholischer Getränke ver¬
schiedener Concentration.
Von
Dr. raed. M. John,
Secundftrant der Abtheilung.
(Hierzu Tafel VI, VII und VIII.)
Die vorliegenden Versuche sind angestellt, um Aufschluss darüber
zu gewinnen, in welcher Weise der Alkohol etwa in der gleichen Menge
und Concentration, wie er ira täglichen Leben in Form von Bier von
durchaus noch als massig Geltenden genossen wird, den Blutdruck zu
beeinflussen im Stande ist. Ich habe daher zu ermitteln versucht, wie
IY 2 Liter einer 3proc. alkoholischen Flüssigkeitsmenge, innerhalb einer
Stunde getrunken, auf das Verhalten des Blutdrucks ein wirken. In
vielen Fällen habe ich aber auch die Wirkung einer 6proc. alkoholischen
Flüssigkeitsmenge von iy 2 Liter einer vergleichenden Prüfung unter¬
zogen, oder den Alkohol in concentrirter Form, natürlich in geringerer
Menge, als Cognac oder Schnaps oder als letzteren Getränken etwa ent¬
sprechend verdünnten Aethyl-Alkohol verabreicht. Dabei bin ich mir
von vornherein bewusst gewesen, dass die durch unblutige Messungen
des systolischen und diastolischen Druckes am Oberarm des Menschen
gewonnenen Zahlen nur mit äusserster Vorsicht gedeutet werden dürfen,
wenn ich auch nicht die in einer überaus kritischen Abhandlung von
0. Müller niedergelegten Bedenken gegen die Verwerthung der Messungs¬
resultate theilen kann. Auf einige der an sich gewiss zu beachtenden Ein¬
wände 0. Müllers möchte ich gleich hier kurz eingehen, da sie mir
doch in ihrer Tragweite eingeschränkt werden zu können scheinen.
Eine Erörterung darüber, ob wir in der That mit der v. Reckling-
hausen’schen Methode den wirklichen diastolischen Druck bestimmen
können, glaube ich mir ersparen zu dürfen, da diese Frage lediglich auf
experimentellem Wege endgültig zu entscheiden sein wird. Es genüge
darauf hinzuweisen, dass wir bei hinreichend ausgebildeter Technik in
der Lage sind, klinisch sehr wohl verwerthbare Anhaltspunkte zu ge¬
winnen. Indes würden wir selbst aus Druckmessungen, welche die
thatsächlich in der Arterie z. B. unter Einfluss von Alkohol sich ab¬
spielenden Druckschwankungen absolut genau wiedergeben, noch keine
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Digitized by
580 M. .John,
Schlussfolgerungen auf die Wirkung des Alkohols ziehen dürfen, wenn die
Armarterien schon für gewöhnlich so rasch aufeinander folgenden Kaliber¬
schwankungen unterworfen wären, wie sie 0. Müller bei seinen
plethysmographischen Messungen beobachtet hat. Dass Blutdruck¬
schwankungen im Verlauf des Tages und bei äusseren psychischen Ein¬
flüssen irgend welcher Art Vorkommen können, dass dieselben nament¬
lich bei den ersten Messungen am deutlichsten zu Tage treten, darauf
ist von vielen Seiten hingewiesen worden. Aber diese Schwankungen
fallen, wie ich mich oft genug überzeugen konnte, nach hinreichender
Gewöhnung an den Messungsvorgang bei fortlaufenden Messungen, nur
klein aus (ausgenommen bei Arteriosklerotikern). Dagegen sind bei
denselben Personen unter Einfluss von Alkohol, Nicotin mehr oder
minder erhebliche, oft ganz charakteristische Druckschwankungen zu
verzeichnen.
Wie steht es indes mit der Frage, die in ihrer Wichtigkeit von
v. Recklinghausen bereits gewürdigt und von 0. Müller wieder ganz
besonders für die geringe Verwerthbarkeit der Blutdruckmessungen ein¬
gehend discutirt wurde, nämlich: Ist es überhaupt gestattet, zahlen-
mässig Grösse und Schwankung der Amplitude zu verwerthen bezw. zu
Vergleichen heranzuziehen, wenn wir nicht einigermaassen genau die
sogenannte Weitbarkeit der Gefässe sowohl des Armes wie des ganzen
Körpers abzuschätzen in der Lage sind? Nun, einige Anhaltspunkte für
die Abschätzung der Weitbarkeit der Armgefässe zu gewinnen, dürfte
möglich sein unter Berücksichtigung der 3 von v. Recklinghausen auf¬
gestellten Sätze: „1. Bei gleichbleibendem Druck wird mit wachsendem
Gefässtonus die relative Inhaltszunahme (Weitbarkeit der Arterien) kleiner,
bei abnehmendem Gefässtonus grösser. 2. Blutdrucksteigerung pflegt
intra vitam mit einer Vermehrung des Gefässtonus Hand in Hand
zu gehen. Hierbei wird höchstwahrscheinlich die relative Inhalts¬
zunahme kleiner. Blutdrucksenkung dürfte die entgegengesetzten Ver¬
änderungen zur Folge haben. 3. Im Alter und bei Arteriosklerose wird
vermuthlich die relative Inhaltszunahme vermindert. Bei Ausbildungen
von Aneurysmen kann sie auch vermehrt sein.“ Indes ist auch hier, soweit
eine Aenderung des Tonus für eine Aenderung der Weitbarkeit (relative
Inhaltszunahme) verantwortlich gemacht werden soll, zu bedenken, dass
graduelle Unterschiede in der Stärke des Tonus bestehen können und dass
die relative Inhaltszunahme unter Umständen innerhalb unbedeutender
Schwankungen desselben unverändert bleiben kann. Für die Wahrschein¬
lichkeit dieser Annahme wäre eine bereits von Klemperer gemachte Beob¬
achtung anzuführen, die an dieser Stelle noch dürch ein Beispiel bestätigt
werden soll. Wurde der linke Arm einer meiner Versuchspersonen in kaltes
Wasser getaucht, so stiegen die vor dem Eintauchen constatirten Blut¬
druck werthe 162 (92) cm H 2 0 auf 192 (100) cm H 2 0 an, die Amplitude
also von 70 auf 92 cm H 2 0. Eine Vermehrung des Füllungszuwachses ist
hierbei wohl nicht anzunehmen, denn unter Einfluss der kühlen Tempe¬
ratur dürften sich die Armgefässe kaum erweitern. Demnach ist hier die
Vcrgrösserting der Amplitude nur einer Erhöhung des Tonus zuzuschreiben.
Aber selbst wenn die Möglichkeit, die Weitbarkeit der Armgefässe
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Ueber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 581
abzuschätzen, in vollem Umfange bestände, so wäre damit die Verwendbar¬
keit der Amplitude als Maassstab für die Grösse des Schlagvolumens nicht
gerechtfertigt. Denn die Weitbarkeit der Summe aller Gefässe bleibt in
jedem Falle noch ein unbestimmbarer Factor. Die Körpergefässe sind ja
bekanntlich zur selben Zeit durchaus nicht immer gleichmässig dem Blut¬
strom geöffnet, können sich vielmehr gerade entgegengesetzt verhalten,
wie z. B. eine Reaction im Gefässgebiete des Splanchnicus die umgekehrte
Reaction im peripheren Gefässgebiete zur Folge haben kann.
Die Kenntnis dieser Thatsachen wird uns jedenfalls vor einseitiger
Beurtheilung der Messungsergebnisse bewahren und uns zu bedenken
geben, dass eine Aenderung in der Grösse der Amplitude der Arteria
bracchialis auf sehr verschiedene Weise zu Stande kommen kann, worauf
besonders R. von den Velden in seiner Habilitationsschrift „Coordinations-
störungen des Kreislaufes“ hinweist. Dafür wird beispielsweise in dem
einen Falle eine ganz local bedingte active Aenderung des Lumens oder
des Tonus der Armgefässe verantwortlich gemacht werden müssen, ein
anderes Mal eine Aenderung der Circulation im Splanchnicusgebiet, ein
drittes Mal gar eine Aenderung der gesammten Circulation in Folge von
schwerer Alteration der Herzthätigkeit. Gestattet aber das Thierexperiment
die eine oder die andere Möglichkeit einzuengen, erfahren wir z. B. durch
Kochmann’s Untersuchungen, dass die durch Alkohol bedingten Blut¬
druckänderungen auf Grund einer Beeinflussung des Gefässnervensystems
des Splanchnicusgebietes zu Stande kommen, jedenfalls nicht durch Alte¬
ration der Herzthätigkeit, so sind durch Kenntniss dieser Thatsachen die
beim Menschen gewonnenen Messungsergebnisse unserem Verständniss
schon weit näher gerückt.
Noch von einem anderen Gesichtspunkte aus muss es als lohnende
Aufgabe betrachtet werden, zu ermitteln, ob und welche Aenderungen des
Blutdruckes in der Art. bracch. unter dem Einfluss von Alkohol oder Nicotin
zu constatiren sind, selbst wenn die Unmöglichkeit besteht, diese Aende¬
rungen bezüglich ihrer inneren Ursache genau analysiren zu können. Denn
sobald auch nur an der Art. bracch. Blutdruckänderungen erheblicheren
Grades, wie sie normaler Weise erwartet werden dürfen, zu registriren sind,
muss doch wohl eine Alteration des ganzen Kreislaufs angenommen werden.
Und für das Verständnis der Frage, wie weit Alkohol oder Nicotin als
ein zu Arteriosklerose prädisponirendcs Moment in Betracht zu ziehen
sind, ist es immerhin wichtig zu wissen, ob und mit welcher Gesetzmässigkeit
unter der Einwirkung der genannten Gifte bei fortlaufenden Messungen
Schwankungen des Blutdruckes (in der Arteria bracchialis) zu verzeichnen
sind. Denn fortgesetzte Blutdruckschwankungen können an sich durch
den mechanischen Effect eine Schädigung der Gefässwand bedingen, wie
ja auch neuerdings zu den ätiologischen Momenten der Arteriosklerose
das Auftreten häufiger Blutdruckschwankungen (in Folge fortgesetzter
psychischer Erregungen) zugerechnet wird. Es dürfte also nach dem
Nachweis solcher Blutdruckschwankungen unter dem Einfluss von Alkohol
und Nicotin das Zustandekommen der Arteriosklerose bereits verständlich
sein, ohne dass noch eine directe Schädigung der musculären Elemente
durch die Gifte nachgewiesen werden müsste.
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582
M. John,
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Um nun die Einwirkung einer schwach alkoholhaltigen Flüssigkeits¬
menge beispielsweise von 1 l / 2 Liter auf den Blutdruck bezw. den der
Alkoholcomponente zuzuschreibenden Antheil an sich kennen zu lernen,
musste zunächst auseinandergehalten werden, in welchem Umfange die
Zufuhr eines derartig grossen Flüssigkeitsquantums an und für sich
Blutdruckschwankungen hervorzurufen im Stande ist.
Ich liess daher in jedem Falle in einem Vorversuche l 1 /, Liter
Wasser trinken, und dann erst reichte ich den Alkohol in der oben an¬
gegebenen Form. Es erschien mir dies um so nothwendiger, als die
Versuche, die Einwirkung einer bestimmten Flüssigkeitsmenge auf den
Blutdruck durch Messung desselben festzustellen, noch keineswegs sehr
zahlreich sind.
Meine Versuche gestalteten sich also im Einzelnen folgendermaassen:
Nachdem die Versuchspersonen durch mehrfache an verschiedenen Tagen
bei Bettruhe vorgenomraene Messungen zuletzt annähernd constante Blut-
druckwerthe aufwiesen, wurde an einem bestimmten Tage in Abständen
von 10—30 Minuten durch 4—5—6 Stunden, also den ganzen Vormittag
hindurch, fortlaufend der systolische und diastolische Druck stets 2 bis
3 mal hintereinander gemessen. Am nächsten oder einem der nächsten
Tage wurden früh nüchtern l l / 2 Liter Wasser gegeben, nachdem vorher
an drei, mindestens aber zwei verschiedenen Zeiten durch mehrfach
hintereinander erfolgende Messungen der Ausgangsdruck festgestellt
worden war. Dann wurde in möglichst nahen Abständen 5—6 Stunden
lang fortlaufend weiter gemessen. In der gleichen Weise ging ich vor bei
der Darreichung der eigentlichen Versuchsflüssigkeit (Wasser-j-reiner
Aethylalkohol-f-Himbeersaft). Bemerkt zu werden verdient, dass für ge¬
wöhnlich die ersten 5 Stunden, von Beginn des Versuches an gerechnet,
nichts genossen werden durfte. In dieser Maassnahme könnte vielleicht
eine mit den Gepflogenheiten des täglichen Lebens in Widerspruch
stehende Willkür erblickt werden, indem hier in der Regel der Alkohol
nicht in nüchternem Zustande genossen wird. Meine Versuchsanordnung
wurde indess von anderen mir wichtiger erscheinenden Gesichtspunkten
aus gegeben. Die Zuführung einer ganz bestimmten Flüssigkeitsmenge
sollte gleichzeitig als Diureseversuch Verwerthung finden, und deshalb
schien mir die Zuführung fester Speisen schon bald nach Verabreichung
der Flüssigkeit nur die Resorption derselben zu verzögern und die Diurese
auch uncontrolirbar beeinflussen zu können.
Bezüglich der Technik und aller Einzelheiten, die bei den mit dem
v. Recklinghausen’schen Tonometer ausgeführten Messungen zu be¬
obachten sind, darf ich wohl auf früher Gesagtes verweisen. Die ge¬
fundenen Werthe sind in Curven eingetragen, und zwar ist immer der
systolische und diastolische Blutdruck, der Pulsdruck, der Blutdruck¬
quotient, sowie die Pulsfrequenz vermerkt. In den meisten Curven ist
oberhalb des systolischen Druckes auch die Grösse der Oscillationen
eingezeichnet und am Fusspunkte der Curve die zugeführte Flüssigkeits¬
menge, ferner die Grösse der Urinabsonderung mit dem jedesmaligen
specifischen Gewicht desselben. Das Einträgen der zugeführten und ab¬
gesonderten Flüssigkeitsmenge auf die Curve dient eigentlich nur zur
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Ueber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 583
Ergänzung der Messungsresultate, um verfolgen zu können, ob gewisse
Abweichungen in der Flüssigkeitsausscheidung auch von einem ganz
bestimmten abweichenden Verhalten der Blutdruckwerthe gefolgt sind.
Ausserdem handelte es sich im Interesse anderer Versuche, die Gegen¬
stand einer anderen Zusammenstellung werden sollen, noch darum, mög¬
lichst ausgedehnte Erfahrungen über Verlauf und Dauer normaler und
pathologischer Trinkdiuresen zu gewinnen. Schon aus diesem Grunde
hatte sich auch bei den vorliegenden Versuchen eine genaue Registri-
rung der Ausscheidungsdauer der innerhalb einer Stunde aufgenommenen
Flüssigkeitsmenge von 1 1 / 2 Litern als wünschenswert erwiesen.
Noch ein Wort darüber, warum ich den sogenannten Strasburger-
schen Blutdruckquotienten für die einzelnen Blutdruckwerthe ausgerechnet
und eingezeichnet habe. Ich will damit keinen Maassstab für die Grösse
des Schlagvolumens oder die Herzarbeit aufgestellt haben, was ich für
ebenso unzulässig halten würde wie z. B. 0. Müller, der zur Be¬
urteilung der Herzarbeit schon eher die Verwertung der Formel: A-F
Sec. Vol.
(Araplitudenfrequenzproduct) = \y e itba r k e it zu ^ assen würde. Aber nach
Strasburger’s Untersuchungen scheinen in diesem Quotienten die Aus¬
dehnungsverhältnisse der Arterien bei einem bestimmten Minimaldruck
auf einen gewissen Füllungszuwachs hin Berücksichtigung zu finden.
Und das Verhältniss von Pulsdruck zum Maximaldruck ist nach seinen
Darlegungen so lange als ein annähernd constantes anzusehen, als sich
der Füllungszuwachs des Gefässes nicht erheblich ändert, allerdings —
muss hinzugesetzt werden — auch nicht der Tonus. Demnach müsste
Aussicht vorhanden sein, bei gleichbleibendem Tonus Aenderungen in
der Blutfüllung der Armgefässe mit Aenderungen des Blutdruckquotienten
zusaramenfallen zu sehen. Und in der That kann in Fällen, wo nicht
nur der Pulsdruck, sondern auch der Blutdruckquotient klein ist, z. B.
im Collaps, eine geringe Füllung der Armgefässe mit Fug und Recht
angenommen werden.
Aus den Curven ist ersichtlich, dass die den Blutdruckquotienten
darstellende Linie weniger ausgesprochene Schwankungen aufweist, wie
die dem Maximal-Minimal- und Puls-Druck entsprechende, und dass er¬
hebliche Schwankungen im Blutdruckquotienten nur bei hochgradigen
Aenderungen in der Circulation, die gleichzeitig auch eine veränderte
Füllung in den Armgefässen bedingt, zu bemerken sind.
Um für meine Fälle den Spielraum der Subjectivität möglichst
einzuschränken und um ganz unabhängig von bereits früher vorge-
nomraenen Blutdruckmessungen und Untersuchungen zu irgend einem
Ergebniss gelangen zu können, unterzog ich die Literatur über experi¬
mentelle Beeinflussung des Herzens und Gefässystems durch Alkohol
erst nach Beendigung meiner Versuche einer Durchsicht, wobei ich nur
Messungen des systolischen, nicht auch des diastolischen Druckes vor¬
liegend fand.
Versuche.
I. Heinrich S., 23 Jahre, bis auf vereinzelte epileptische Anfälle
stets gesund gewesen. Keine nachweisbaren Organerkrankungen, insonder-
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584 M. John,
heit Herz und Gefässsystem ohne feststellbare krankhafte Veränderungen.
Kein Alkoholabusus.
Die am 18. 9. 07 vorgenommene fortlaufende Messung [Tafel VI,
Curve l 1 )] ergiebt für die Werthe s, d, P, A, Q 2 ) fast gerade, fortlaufende
Linien, mit anderen Worten geringe Schwankungen, welche für s = 6 cm,
tür d = 10 cm, für A — 8 cm H 2 0 und für Q = 0,4 betragen.
Am 20.9. erhielt Patient nüchtern 1 l / 2 Liter Wasser (Tafel VI,
Curve 2). Während der Aufnahme der Flüssigkeit und einige Minuten
nach beendeter Aufnahme derselben steigt s etwas an, im Ganzen um
10 cm, um bald wieder zur Norm abzufallen; ähnlich verhält sich d,
dementsprechend auch A und Q. Jedenfalls sind hier schon grössere
Schwankungen sichtbar wie in der vorigen Curve; bei A bis fast um
20 cm H 2 0, bei Q um 0,8. Etwa 4 Stunden nach Aufnahme der Flüssig¬
keit sind 1600 ccm im Urin ausgeschieden.
Am 21. 9. erhielt Patient nüchtern 1 l / 2 Liter einer 3proc. alkoholischen
Himbeerwasserlimonade (Tafel VI, Curve 3). Bald nach Einnahme derselben,
am deutlichsten ausgesprochen eine halbe Stunde darnach, ein Absinken von
d um etwa 12cm H 2 0 bei gleichbleibendera s, in Folge dessen Grösserwerden
von A um 12 cm H 2 0, Ansteigen von Q um 0,1, gleichzeitig Erhöhung von
P und Grösserwerden der Oscillationen, von 4 Theilstrichen am Tonometer
auf 5. Puls fühlte sich sehr voll und kräftig an. Etwa eine Stunde
später, also 1 1 / 2 Stunden nach Aufnahme der Flüssigkeit ist s bei wieder
bis zum Ausgangswerth ansteigendem d etwas gesunken, gleichzeitig
auch A. Es sind 1800 ccm Flüssigkeit (durch den Urin) ausgeschieden.
Tafel VI, Curve 4, 5, 6 veranschaulicht das Verhalten des Blut¬
druckes unter dem Einfluss einer bestimmten Menge (150 ccm) 36 proc.
Cognac, 40 proc. Branntwein oder reinen mit Wasser auf eine Concen-
tration von 45 pCt. verdünnten Aethylalkohols. Hier finden sich weit
erheblichere Schwankungen wie unter dem Einfluss von l l / 2 Liter 3 proc.
alkoholischer Flüssigkeit und zwar hochgradiger bei Cognac und Brannt¬
wein, wie bei dem reinen Aethylalkohol. Die Schwankungen kommen
zum Ausdruck in einem starken Absinken von s, bei Branntwein um
25—30 cm H 2 0 unter den Ausgangswerth, bei Cognac nach vorüber¬
gehendem Ansteigen um 10 cm H 2 0 in einem darauffolgenden Absinken
um 22 cm H 2 0 unter den Ausgangswerth, während d in beiden Fällen
nur um etwa 10 cm H 2 0 absinkt. Dementsprechend Kleinerwerden von
A. In Q nur geringere Aenderungen; P erhöht, Grösse der Oscillationen
nicht beeinflusst. Dasselbe Verhalten, nur nicht so stark ausgesprochen,
auch unter Einfluss von reinem Aethylalkohol.
II. Albert N., Eisenarbeiter, 42 Jahre. Wegen rechtsseitiger Radialis-
lähmung in Behandlung. Sonst ohne nachweisbare Veränderungen der
Organe. Auf Grund der Blutdruckmessung Verdacht auf Arteriosklerose.
1) Da unter jeder weiteren Versuchsreihe die Bezeichnung Curve 1, 2 etc.
wiederkehrt, ist auf den Tafeln der besseren Uebersichtlichkeit wegen den einzelnen
Curven die Nummer der Versuchsreihe I, II etc. vorgedruckt.
2) s = systolischer Blutdruck, d = diastolischer Blutdruck, P = Pulsfrequenz,
A = Amplitude (Pulsdruck), Q = Blutdruckquotient.
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lieber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 585
Starker Potator, x / 4 —V 2 Liter Schnaps und iy 2 Liter Bier täglich.
Raucher.
Tafel VI, Curve 1 bringt die Werthe für die fortlaufende Messung,
die grössere Schwankungen aufweisen wie bei der vorigen Versuchs¬
person, für s um 8 , für d um 15, für A um 20 cm H 2 0 und für Q um
0 , 12 . P zwischen 60 und 72. Sehr wahrscheinlich sind diese sozu¬
sagen schon in der Norm auftretenden ziemlich erheblichen Blutdruck¬
schwankungen der Ausdruck einer im Uebrigen nicht nachweisbaren durch
den Potus bedingten Arteriosklerose.
Noch deutlicher zu beobachtende Blutdruckschwankungen finden
sich in Tafel VI, Curve 2 , nachdem Patient nüchtern iy 2 Liter Wasser
getrunken hat. Die Schwankungen betragen hier für s 34, für d 22 ,
für A 30 cm H 2 0, für Q 0,14. P zwischen 60 und 72. Während
Einnahme der Flüssigkeit leichtes Steigen von s und d, eine halbe
Stunde nach beendeter Zufuhr Absinken beider Werthe, am hochgradigsten
nach 2 Stunden. Zu dieser Zeit befindet sich d aber über dem Aus¬
gangswerth, A in Folge dessen jetzt erheblich gesunken. 2 l / 2 Stunden
nach beendeter Flüssigkeitszufuhr Ausscheidung von 2000 ccm Urin.
In Tafel VI, Curve 3 ist die Wirkung von 172 Liter einer 3 proc.
alkoholischen Himbeerwasserliraonade dargestellt. Diese ist hier ähnlich
wie bei der vorigen Versuchsperson, allerdings nicht so ausgesprochen, zumal
hier für die Bewerthung der Grösse der Blutdruckänderungen die bei
dem Patienten schon an und für sich normaler Weise stärker auf¬
tretenden Blutdruckschwankungen in Anrechnung bezw. in Abzug zu
bringen sind. Der an Alkohol gewöhnte Patient wird offenbar durch
denselben nicht in dem Maasse mehr beeinflusst, wie ein noch nicht
daran gewöhnter. Jedenfalls ist hier bald nach beendigter Zufuhr ein
Ansteigen von A und Q in Folge Absinkens von d, nachher, am ausge¬
sprochensten wieder nach 1 bis iy 2 bis 2 Stunden, deutliches Absinken
von s und Ansteigen von d, in Folge dessen auch Absinken von A und
Q. Zu dieser Zeit die Anfangs 5 Theilstrich grossen Oscillationen nur
mehr 3 Theilstrich gross. 3 Stunden nach beendeter Flüssigkeitszufuhr
Ausscheidung von 2100 ccm Urin.
Am 18. 9. und 19. 9. (Tafel VI, Curve 4, 5) erhielt Patient je
iy 2 Liter einer 6 proc. alkoholischen Himbeerwasserlimonade, wobei eine
ähnliche am 18. 9. übrigens stärker als am 19. 9. ausgesprochene Wirkung
zu constatiren war, wie bereits bei der 3 proc. alkoholischen Flüssigkeits¬
menge. Verhalten der Oscillationen am 19. 9. beachtenswerth. Die An¬
fangs 4 Theilstrich grossen Oscillationen zur Zeit der grössten Amplitude
5 Theilstrich gross, zur Zeit der kleinsten Amplitude vorübergehend nur
3 Theilstrich. Die Diurese, die schon beim Wasserversuch eine ausser¬
ordentlich ausgiebige war, unter Einfluss von Alkohol noch stärker. Am
19. 9. ist z. B. ein Liter mehr ausgeschieden wie eingenommen war.
Das Trinken einer Flasche Moselwein (Tafel VI, Curve 6 ) bleibt
ohne wesentlichen Einfluss auf den Blutdruck. Die Curve zeigt kaum
andere Schwankungen wie die der fortlaufenden Messung.
Am 26., 27., 28. 9. (Tafel VI, Curve 7, 8 , 9) erhielt N. in einer
Zeit von 2 Stunden je 250 ccm 36proc. Cognac, 40proc. Branntwein
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M. John
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resp. 45proc. Aethylalkohol. Wie bei der vorerwähnten Versuchsperson
bleibt auch hier gegenüber den Versuchen mit einer 3proc. resp. 6proc.
alkoholischen Flüssigkeitsmenge von iy 2 Liter das gleich nach Einnahme
derselben auftretende Anwachsen von A aus, es kommt vielmehr zu
einem erheblichen Absinken von A bis um 30 cm H 2 0 und zwar in
Folge von Niedrigerwerden von s bei gleichbleibendem oder sogar
geringem Ansteigen von d. A am kleinsten etwa 1 / 2 bis 1 Stunde,
nachdem das letzte Quantum der Versuchsflüssigkeit genommen ist. Am
ausgesprochensten sind die erwähnten Schwankungen wieder nach dem
Genuss von Cognac; nach Genuss von Branntwein, der allerdings nach
Behauptung des Patienten „besser war und nicht so brannte“, wie der
täglich gewohnte, so wie nach Genuss von Aethylalkohol etwa gleiche
Blutdruckänderungen. Bemerkenswerth an diesen Messungen ist die That-
sache, dass die Pulsfrequenz keiner nennenswerthen Steigerung unterlag.
Da bei den folgenden Versuchspersonen Messungen des Blutdruckes
nach Genuss von Alkohol in concentrirter Form nicht wiederkehren, ausser
zu anderen Zwecken in XVI und XVII, so möchte ich gleich hier hervor¬
heben, dass die Einwirkung des concentrirten Alkohols auf den Blutdruck
eine weitgehendere ist als die des stark verdünnten. Allerdings ist die in
einer 3proe. oder 6proc. alkoholischen Lösung eingeführte Alkoholmenge
auch bedeutend geringer als die in 150 resp. 250 ccm einer 40—50proc.
alkoholischen Lösung. Die Alkoholwirkung wird übrigens verstärkt durch
die in Cognac oder Schnaps enthaltenen Extractivstoffe, wenigstens waren
die Blutdrucksschwankungen gegenüber dem reinen Alkohol bei Cognac in
beiden Fällen deutlicher ausgesprochen und bei der ersten Versuchsperson,
wo noch keine Gewöhnung an Branntwein vorlag, auch nach Genuss
von Branntwein.
Sehr interessant und lehrreich sind die Messungsergebnisse, welche
an den beiden folgenden Versuchspersonen gefunden wurden. Diese
wurden nämlich den Versuchen in der Reconvalescenz nach einer
Pneumonie resp. Erysipel unterzogen und zwar einmal kürzere Zeit,
einmal längere Zeit nach Ueberstehen der Infection, mit anderen Worten,
das erste Mal zu einer Zeit, wo sich das Herz und Gefässsystem von
der stattgehabten Infection noch nicht so gut erholt hatte, wie bei den
später unternommenen Versuchen. Letztere wurden kurz vor der Ent¬
lassung angestcllt, nachdem die an anderer Stelle empfohlene Prüfung
des Herz-Gefässsystems durch Heraustretenlassen aus dem Bett schon
seit Tagen keine wesentlichen Steigerungen der Pulsfrequenz mehr
ergeben hatte. Erwähnt zu werden verdient noch, dass es sich bei
dem ersten der beiden um einen Patienten handelte, der bereits zwei
Mal eine schwere croupöse Pneumonie durchgemacht hatte und auch
diesmal schwerer erkrankt war als der zweite.
III. Franz F., 17jähriger Lehrling. Vor l l / 4 Jahr, Anfang 1906,
zum ersten Mal an schwerer Lungen- und Rippenfellentzündung erkrankt
gewesen. Lag bereits vom 7. 2. bis 6. 3. 07 auf der Abtheilung wegen
schwerer linksseitiger Unterlappenpneumonie, wo erst am 9. Tage Fieber¬
abfall eingetreten war. Wurde am 30. 5. 07 wegen croupöser Pneumonie
des rechten Oberlappens wieder aufgenoramen. Am 2. 6. war der rechte
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Ueber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 587
Mittellappen und am 4. 6. auch der rechte Unterlappen befallen, am
7. 6. Entfieberung, seitdem ständig fieberbrei. Nicht nur während der
Fieberperiode, sondern auch nachher wurde bei dem Patienten täglich
der Blutdruck gemessen, wobei in der Fieberperiode oft ein auffallend
kleiner Pulsdruck constatirt werden konnte, der mit Besserung des Zu¬
standes durch Absinken von d wieder grösser wurde.
Eine fortlaufende Messung am 23. 6. (Tafel VI, Curve 1) ergiebt
Schwankungen des Blutdrucks, die namentlich von der zweiten Stunde
der Messung an nur als sehr geringfügig zu bezeichnen sind.
Nach Zuführung von iy 2 Liter Wasser am 25. 6. (Tafel VI, Curve 2)
waren bis 1 Stunde nach beendigter Flüssigkeitsaufnahme keine nennens-
werthen Blutdruckschwankungen aufgetreten, worauf für 2 Stunden die
Messungen unterbrochen werden mussten, da Patient eingeschlafen war.
Am 6. 7. (Tafel VI, Curve 3) bekam er iy 2 Liter einer 3proc. alko¬
holischen Himbeerwasserlimonade. Schon gegen Ende der Flüssigkeitszufuhr
macht sich ein deutliches Absinken von s und Ansteigen von d, in Folge
dessen Kleinerwerden von A und Q bemerkbar. Die Aenderungen der
Werthe in demselben Sinne werden bei Ansteigen von P und auffallendem
Kleinerwerden der Oscillationen am Manometer noch erheblicher, bis d
schliesslich überhaupt nicht mehr messbar ist.
Am 30. 7. also 3y 2 Woche später, gleichfalls l 1 / 2 Liter 3proc. alko¬
holischer Himbeerwasserlimonade (Tafel VI, Curve 4). Hier zeigte sich ein
ganz anderes Verhalten. Bald nach beendeter Flüssigkeitszufuhr Absinken
von A und Q in Folge Ansteigens von d bei Gleichbleiben von s; l / 2 bis
1 Stunde später, trotz weiteren leichten Ansteigens von d, wieder Grösser¬
werden von A nicht ganz bis zum Ausgangswerth, in Folge beträchtlichen
Ansteigens von s. P gleichfalls erhöht und Oscillationen grösser wie noch
eben zuvor. Dann aber wieder ausgesprochenes Kleinerwerden von A
in Folge jähen Absinkens von s und massigen Abfallens von d. Oscil¬
lationen am Manometer wieder kleiner wie Anfangs. 3 Stunden nach
Flüssigkeitszufuhr sind 1800 ccm im Urin ausgeschieden.
Im Gegensatz hierzu fallen am nächsten Tage, wo Patient nur
l 1 /., Liter Wasser trinkt (Tafel VI, Curve 5), die Blutdruckschwankungen
weniger in die Augen, vor allem hält sich s nach vorübergehender
anfänglicher Steigerung über dem Ausgangswerth im Uebrigen etwa auf
derselben Höhe, während d mässig bis auf 14 cm H 2 0 ansteigt, so dass
A bis zu 14 cm H 2 0 unter den Ausgangswerth absinkt und zwar etwa
1 Stunde nach beendigter Flüssigkeitszufuhr. P nicht so erheblichen
Schwankungen unterworfen und Grösse der Oscillationen so gut wie
unverändert. Diurese nicht so ausgiebig wie tags zuvor.
IV. Gustav v. R., 24 Jahre, Arbeiter. Nie krank gewesen. Lag
vom 11. 6. bis 31. 7. auf der Abtheilung wegen Erysipel. Erkrankt
am 9. 6.; bis 20. 6. Fieber bis 40°, vom 21. 6. ab fieberfrei.
Die fortlaufende Messung am 26. 6. (Tafel VII, Curve 1) lässt im Ver¬
halten von s und d sowie A und Q nur geringfügige Schwankungen erkennen.
Tags darauf, wo Patient l l / 2 Liter Wasser trinken musste (Tafel VII,
Curve 2), ebenso unbeträchtliche Schwankungen der Blutdruckwerthe.
Denn die während der Flüssigkeitsaufnahme bemerkbare ziemlich erheb-
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liehe Steigerung von s bei wenig verändertem d und in Folge dessen
Grösserwerden von A und Q sind wohl nicht als Ausdruck einer
Beeinflussung des Blutdrucks durch die Flüssigkeitszufuhr als solche
aufzufassen, vielmehr durch eine andere Ursache bedingt, vielleicht theil-
weise durch einen thermischen Reiz auf die Magenschleimhaut ausgelöst.
Jedenfalls sind mir derartige immerhin beachtenswerthe Steigerungen
namentlich des systolischen Druckes bald nach Beginn oder im Verlaufe
der Flüssigkeitsaufnahme, wo kaum schon ein Theil zur Resorption
gelangt sein konnte, verschiedentlich begegnet, die bei Wiederholung des
Versuches, oder, wenn statt des kalten Wassers lauwarmer Thee gereicht
wurde, geringfügiger ausfielen, was z. B. bei der folgenden Versuchs¬
person mit grosser Deutlichkeit zu ersehen ist.
Erhält Patient statt der l l / 2 Liter Wasser iy 2 Liter einer 6proc.
alkoholischen Himbeerwasserlimonade (Tafel VII, Curve 3), so sind sehr
starke Schwankungen in s, d, A, Q und P zu bemerken, nicht wie bei
den früheren Versuchen im Sinne eines anfänglichen Ansteigens und
darauf folgenden Absinkens hauptsächlich der Werthe von s und A,
sondern ohne irgend welche Gesetzmässigkeit.
Bei Wiederholung desselben Versuches am 30. 7. (Tafel VII, Curve 4)
sind die Schwankungen weit geringer und noch am deutlichsten für s
und A im Sinne eines allmählichen Absinkens ausgeprägt.
V. Heinrich Schw., 54 Jahre, Maurer. Arteriosclerose. Täglich
V,— 3 / 4 Liter Schnaps zugegeben. Hat schon mehrfach auf der Abtheilung
gelegen, einmal wegen acuten Rauschzustandes; wies bei zahlreichen
Messungen grosse Schwankungen und Inconstanz der Blutdruck werthe
auf, was deswegen hervorgehoben zu werden verdient, damit die z. B.
unter Einfluss von Alkohol sich geltend machenden Blutdruckänderungen
auch von diesem Gesichtspunkte aus bewerthet werden können.
Für diesen Fall sind die Curven von 2 fortlaufenden Messungen an¬
gegeben.
Auf Tafel VII, Curve 1, Schwankungen von s um 30, von d um 24 cm
H 2 0, auf Tafel VII, Curve 2 von s um 22 und d um 14 cm H 2 0. Im
Allgemeinen sind aber die Schwankungen von s und d gleichsinnig, so
dass A und Q keine so grosse Excursionsbreite aufweisen.
Am 22.7. trank Patient nüchtern l 1 /«» Liter Wasser (Tafel VII, Curve 3).
Während der Flüssigkeitsaufnahme und noch x / 2 Stunde nachher Ansteigen
von s um 40 cm H 2 0, während d nur um 20 cm H 2 0 ansteigt, dem¬
entsprechend A zu dieser Zeit um über 20 cm H 2 0 erhöht. Eine Stunde
nach beendeter Flüssigkeitszufuhr s wieder zum Ausgangswerth gefallen,
d noch leicht erhöht. Von da ab Blutdruckwerthe innerhalb derselben
Schwankungen, wie an den Tagen zuvor, nur dass hier gegen Mittag zu
der Druck höher war wie am frühen Morgen, an den Trinktagen dagegen
eine deutliche Tendenz zum Fallen erkennen liess. Hier finden sich also
ausgenommen die vorübergehenden Blutdruckänderungen während und
bald nach beendigter Flüssigkeitsaufnahme keine charakteristischen
Schwankungen.
Am nächsten Tage (Taf. VII, Curve 4) erhielt Patient l l / t Liter
warmen Thee. Bis auf eine flüchtige Steigerung von s und d gegen
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lieber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 589
Ende der Flüssigkeitszufuhr keine gröberen Schwankungen der Blut-
druckwerthe.
Auf Curve 5 und 6 (Taf. VII) sind die durch \ l f 2 Liter einer 3proc.
resp. 6proc. alkoholischen Himbeerwasserlimonade verursachten Blutdruck*
Änderungen dargestellt. Beide Curven ohne wesentliche Unterschiede.
Charakteristisch ist hier das ständige Absinken von s und d nach vorüber¬
gehender anfänglicher Steigerung im Vergleich zu dem schon erwähnten
Ansteigen von s im Laufe der Messung auf Curve 1 und 2 (Taf. VII).
Immerhin ist die Alkoholwirkung nicht so offenkundig, wie in anderen
Versuchen. Der Patient ist offenbar auch sehr an Alkohol gewöhnt.
Auffallend ist dagegen an den Alkoholtagen eine die an den Wasser¬
tagen bei weitem übertreffende Flüssigkeitsausscheidung.
VI. Friedrich W., 63 Jahre, Brauereibesitzer. Chron. Nephritis,
seit 3 / 4 Jahren Albumen im Urin festgestellt. Seit l x / 4 Jahren kurz-
athmig und Anfälle von schwerer Athemnoth. Herz erheblich ver-
grössert. Erhöhter Blutdruck. Angeblich stets massig im Alkohol gewesen.
Auf Tafel VII, Curve 1, ist das Verhalten des Blutdruckes nach
Trinken von \ l j 2 Liter Wasser graphisch registrirt, auf Tafel VII, Curve 2,
nach Genuss einer gleich grossen alkoholischen Flüssigkeitsmengc.
Wesentliche Unterschiede lassen sich nicht herausfinden.
VII. Franz B., 62 Jahre, Arbeiter. Kam am 12. 2. 1907 wegen
schwerer Herzinsufficienz in Folge hochgradigen Emphysems auf Station.
Gleichzeitig schwere Arteriosklerose. Seit April leidliches Wohlbefinden.
Am 26. 6. (Tafel VII, Curve 1) trinkt Patient l 1 /, Liter Wasser.
Dabei kommt es zu anfänglicher Steigerung von s um über 40 cm H 2 Ü
gerade am Ende der Flüssigkeitsaufnahme. Auch d ist angestiegen,
ebenso A. Etwa 1 — l l / 2 Stunde später bewegen sich die Werthe mit
Ausnahme einer geringfügigen Erhebung von d ungefähr in derselben
Höhe wie vor Beginn des Versuches, also abgesehen von der anfäng¬
lichen Drucksteigerung keine augenfällige Beeinflussung der Blutdruck-
werthe.
Nachdem Patient l l / 2 Liter einer 3 proc. alkoholischen Himbeer¬
wasserlimonade getrunken hat (Taf. VII, Curve 2), eine anfängliche, nicht
so bedeutende, aber länger andauernde Steigerung von s.
Dagegen ganz anders nimmt sich die Curve 3, Taf. VII, aus nach
Genuss von i 1 /*, Liter einer 6 proc. alkoholischen Himbeerwasserlimonade.
Hier ist es zu keiner Drucksteigerung gekommen, vielmehr bei nur wenig
schwankendem d zu einem continuirlichen Absinken von s um 36 cm H 2 0.
Infolgedessen fällt auch A um über 30 cm H 2 0 unter den Ausgangs¬
werth, während z. B. in Taf. VII, Curve 1, überhaupt kein und in Taf. VII,
Curve 2, nur ein geringes (10 cm H 2 0) Abfallen unter den Ausgangs¬
werth zu constatiren gewesen war. 1—2 Stunden nach beendeter
Flüssigkeitsaufnahme sind die angedeuteten Aenderungen am stärksten
ausgesprochen.
VIII. Philipp S., 47 Jahre, Kaufmann. Potator. Erlitt vor 1 Jahr
zum ersten Male, vor 4 Wochen zum zweiten Male je einen leichten
Schlaganfall. Hoher Blutdruck, Anfangs über 300 cm H 2 0. Im Urin
Spuren von Albumen und Cvlinder. Am 10. 1. Aufnahme, am 15. 1.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd.
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wieder unbedeutender Schlaganfall, am 12. 2. Entlassung und Anfang
April in Folge eines erneuten Schlaganfalles ad exitum gelangt.
Ueber Tafel VIII, Curve 1 — fortlaufende Messung — ist nicht viel
zu sagen.
Curve 2 und 3, Tafel VIII, giebt die Blutdruckschwankungen wieder,
nachdem Patient je \ l j 2 Liter Wasser zu sich genommen hatte. Ein
nennenswerther Unterschied ist nur im Verhalten von A zu finden,
welches bei dem letzten Wasser versuch grössere Schwankungen aufweist
wie bei dem ersten. Dass in beiden Fällen eine weit geringere Diurese
zu verzeichnen ist wie sonst, will ich nur erwähnen, aber an dieser
Stelle die Ursache hierfür keiner Besprechung unterziehen.
Die Alkoholwirkung auf den Blutdruck ist in einem zwischen beiden
Wasserversuchen angestellten Alkohol versuch — \ l / 2 Liter einer 3proc.
alkoholischen Himbeerwasserlimonade — auf Tafel VIII, Curve 4, graphisch
dargestellt. Hier sind deutlich ziemlich beträchtliche Schwankungen von
s bei geringfügigem Abfallen von d zu erkennen, weiterhin auch vorüber¬
gehende Steigerung von A um über 20 cm H 2 0 über den Ausgangswerth
hinaus, Steigerung von P von 68 bis 84, Grösserwerden der Oscillationen
und endlich eine bei weitem ausgiebigere Flüssigkeitsausscheidung, wie bei
der Verabreichung der gleichen Menge Wassers.
Im Folgenden will ich in aller Kürze einige weitere Messungsergeb¬
nisse erwähnen, aber auf die Wiedergabe der Curven, sowie auf Be¬
sprechung der Blutdruckverhältnisse bei fortlaufenden Messungen und
nach Trinken von Wasser verzichten.
IX. Wilhelm B., 39 Jahre, Kaufmann. Chronische Nephritis mit
geringen Eiweissmengen ohne erhebliche ßlutdrucksteigerung. 180 (110) cm
H 2 0. Geniest täglich nur mässigc Alkoholmengen, starker Raucher. Unter
Einfluss von l l / 2 Liter einer 3proc. alkoholischen Himbeerwasserlimonade
Anfangs Sinken von d bis um 20 cm H 2 0, später auch von s gleichfalls
bis um 20 cm H 2 0, also vorübergehende Vergrösserung von A. Steigerung
der Pulsfrequenz von 52 auf 72.
X. Adalbert H., 50y 2 Jahre, ohne Beschwerden und ohne krank¬
haften Befund. Sehr mässig im Alkohol. P /2 Liter einer 3proc. alko¬
holischen Himbeerwasserlimonade ruft fast gleichmässige Schwankungen
von s und d um 22 cm H 2 0 hervor, und zwar Anfangs, während der
Flüssigkeitsaufnahme, Steigen über den Ausgangswerth, dann bis 1 Stunde
später Fallen auf den Ausgangswerth, von da ab wieder Steigen um 20 cm
über den Ausgangswerth, so dass A nur vorübergehend um 16 cm H 2 0
schwankt, meist etwas über den Ausgangswerth erhöht. P 64—74.
XI. Heinrich K., 70 Jahre, Arbeiter. Arteriosklerose. Blutdruck
160 (96) cm HoO. Mässiger Potator. Selbst durch P/o Liter einer 6proe.
alkoholischen Himbeerwasserlimonade keine hochgradigen Blutdruck¬
schwankungen. Absinken von s um etwa 20 cm bei fast unverändertem
d bezw. Absinken desselben um 8 cm, also Verkleinerung von A. An
zwei verschiedenen Versuchstagen ein fast übereinstimmendes Ergebniss.
P steigt von 60 auf 72.
XII. Konrad E., 50 Jahre, Maschinenmeister. Chronische Nephritis
mit geringen Mengen Eiweiss und erhöhtem Blutdruck 270 (164) cm 1I 2 0.
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Heber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 591
Aufnahme wegen Hemiplegia sinistra. Während Aufnahme von IV 2 Liter
einer 6proc. alkoholischen Himbeerwasserlimonade vorübergehende Steige¬
rung, dann deutliches Absinken von s und Ansteigen von d, am aus¬
gesprochensten 1— V/ 2 Stunden nach Aufnahme der Flüssigkeit, so dass
zu dieser Zeit A um über 30 cm H 2 0 gefallen ist. Gleichzeitig Steigerung
von P von 60 auf 84.
XIII. Paul M., 47 Jahre, Maschinist. Aneurysma und lnsufficienz
der Aorta. Seit Juni 1906 krank. Die Wirkung von IV 2 Liter einer
6proc. alkoholischen Hirabeerwasserlimonade ist folgende: Nach anfäng¬
licher Steigerung von s um 20 cm H 2 0 während der Flüssigkeitsaufnahme
Absinken von s l 1 / 2 Stunden nach beendeter Flüssigkeitsaufnahme um
40 cm HoO unter den Ausgangswerth, d sinkt weniger tief ab, 10 bis
20 cm H 2 0. A schwankt zwischen 142 und 86 cm H 2 0. P unwesent¬
lich verändert.
XIV. Adolf B., 58 Jahre, Arbeiter. Arteriosklerose. Starker Pfeifen¬
raucher. Potus in nicht glaubhafter Weise negirt. Hier lässt das Trinken
von P/o Liter einer 6 proc. alkoholischen Himbeerwasserlimonade fast die
gleichen Wirkungen erkennen, wie bei der vorherigen Versuchsperson.
Während und am Schluss der Flüssigkeitsaufnahme vorübergehende Steige¬
rung von s um über 20 cm H 2 0 und von d um über 10 cm H 2 0, darauf
wieder Abfallen hauptsächlich von s. 2 Stunden nach beendeter Flüssig¬
keitszufuhr s um über 20 cm H 2 0 unter den Ausgangswerth, d wieder
bis auf den Ausgangswerth gesunken, s sinkt noch weiter.
XV. Kaspar Sch., 50 Jahre, Ober-Eisenbahn-Assistent. Wegen
eines Ohnmachtsanfalles (Epilepsie) auf die Abtheilung aufgenomraen
ohne nachweisbaren krankhaften Organbefund. Gegen Ende und un¬
mittelbar nach Aufnahme von l 1 / 2 Liter einer 6 proc. alkoholischen
Hirabeerwasserlimonade massige Steigerung von s und Absinken von d, so
dass A etwas vergrössert ist. Bereits 1 Stunde später dieselben Werthe
wie Anfangs und nachher noch geringfügige Schwankungen unter die
Ausgangs werthe herunter.
Es kann nicht meine Absicht sein, auf die immerhin ziemlich um¬
fangreiche Literatur über Alkohol näher einzugehen. Eine zusaramen-
fassende Uebersicht findet sich zudem in den Arbeiten von Kochmann
und Bachem, deren experimentelle Untersuchungsergebnisse ich einer
kurzen Besprechung unterziehen will, um die Anschauung dieser Autoren
über die Wirkungsweise des Alkohols zu kennzeichnen und dann mit
meinen Versuchsresultaten zu vergleichen.
Kochmann untersuchte zunächst die Wirkung des Alkohols auf das Warm-
blüterherz; dann aber auch bestimmte er mit dem Gaertner’schen Tonometer den
systolischen Blutdruck beim Menschen unter Einfluss von Alkohol. Er fand, dass bei
dem nach der Bock’schen Methode isolirten Herzen eine eben bemerkbare Schädigung
desselben bei 0,8pCt. Alkoholgehalt des Blutes zu constatiren sei und dass die minimal-
tödtliche Dosis einem Alkoholgehalt des Blutes von 4 pCt. entspreche. Für das nach
der Langendorf’schen Methode untersuchte Herz betragen die Zahlen 0,4 und 2 pCt.
Eine efreitirende Wirkung auf das Herz konnte niemals nachgewiesen werden, sondern
immer nur eine schädigende, die einfach in einer Einschränkung der Horzthätigkeit
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bestand. „Das Herz erschlaffte vielleicht in der Diastole etwas weniger stark als
vorher und besonders die Systole wurde in ihrer Ausgiebigkeit kleiner, je nach der
Höhe der Concentration an Alkohol mehr oder weniger“. Pulsfrequenz verlangsamt.
Die Schädigung des Herzens war eine flüchtige, weil „der Alkohol zu der Muskel¬
substanz nur in eine lockere, sehr wenig stabile Beziehung tritt, ohne eigentliche
Alteration des Muskelgewebes zu verursachen' 4 und weil nach seinen Versuchen „der
Alkohol schon nach 3 Minuten zum grössten Theil aus dem Blute geschwunden ist“.
Etwa l / 2 Minute nach intravenöser Einverleibung dos Alkohols liess sich eine Blut¬
drucksenkung beobachten, die nach einer weiteren halben Minute einer etwa 2 Minuten
dauernden Blutdrucksteigerung Platz gemacht hatte. Bei den Versuchen am Menschen,
wo nur bis 1 Stunde nach beendeter Flüssigkeitseinfuhr in Abständen von 5 Minuten
fortlaufend gemessen wurde, zeigte sich eine deutliche Steigerung, am ausge¬
sprochensten 1 / 2 Stunde nach Genuss von 50- 80 ccm 10 proc. Alkohols, also sehr
geringer Mengen. Den Angriffspunkt für die Wirkung des Alkohols verlegt Koch mann
„auf ein Gebiet zwischen Rückenmark und periphere Gelasse“, das „höchstwahrschein¬
lich der Herrschaft des weit verzweigten sympathischen Geflechts des Abdomens mit
seinen zahlreichen Ganglienzellen und Ganglienzellhaufen untersteht“. Denn nach
Ausschaltung von Gehirn und Rückenmark wurde eine höhere Steigerung beobachtet
und nach Unterbindung der Aorta descendens nach dem Abgang der Arteria subclavia
niemals eine Steigerung sondern immer nur eine Senkung. Blutdrucksenkung und
Pulsverlangsamung liess sich nicht, im Gegensatz zu Hascovec, durch Vagusreizung
erklären, da kein Unterschied bei erhaltenem und ausgeschaltetem Vagustonus gefunden
wurde. Durch Steigerung des Blutdruckes kann „indirect das Herz in Folge besserer
Durchblutung des Coronargefasssystems zu grösserer Thätigkeit angeregt werden“.
Im Gegensatz zu den Versuchsergebnissen Kochmann’s fand Bachem in
3 von 7 Fällen in Uebereinstimmung mit Loeb nach sehr kleinen Gaben 0,2—0,25 ccm
20 proc. Alkohol (gegen 2 ccm 10 proc. bis 9 ccm 20 proc. Alkohol bei Koch mann)
„eine deutliche Verbesserung der Herzthätigkeit mit Blutdrucksteigerung“. Letztere
fiel bei dem künstlich durch weinsaures Kupferoxyd-Natrium oder Phosphoröl oder
Chloralhydrat geschwächten Herzen etwas geringer aus. „Das geschwächte Herz
reagirt also nur 2 / 3 so stark auf Alkohol wie das gesunde“. Durch Blutdruckmessungen
an sich selbst nach Genuss alkoholischer Getränke, die an absolutem Alkohol nie mehr
wie 20—25 ccm, gewöhnlich sogar nur 10—15 ccm enthielten, stellte er Blutdruck¬
steigerungen fest am ausgesprochensten 1 / 2 Stunde nach Einnahme der Flüssigkeit.
„Als Ursache der Bludrucksteigerung muss in erster Linie vermehrte und verstärkte
Herzthätigkeit gelten“. Bachem widerspricht weiter auf Grund von Versuchen am
Thier der Behauptung Kochmann’s, dass die Blutdrucksteigerung unabhängig vom
Contralnervensystem zu Stande kommt, indem er nach Ausschaltung des Vasomotoren¬
centrums dje Blutdrucksteigerung geringer als sonst ausfallen sah, während Koch-
mann das umgekehrte Verhalten festgestellt hatte. Auch die vorzugsweise Beein¬
flussung des Splanchnicusgefässgebietes durch den Alkohol leugnet Bachem, da er
nach Unterbindung der Aorta descendens in der Brusthöhle die gleiche Blutdruck¬
steigerung erhielt wie in den Normalversuchen.
So weit die Ansichten der genannten Autoren, welche die oft ent¬
gegengesetzten Anschauungen und noch bestehende Meinungsverschieden¬
heiten über die Wirkungsweise des Alkohols getreulich genug wieder¬
spiegeln. Was indes die Beweiskraft der Unterbindung der Aorta des¬
cendens für oder gegen die erwähnte vorzugsweise Beeinflussung des
Splanchnicusgefässgebietes durch Alkohol anlangt, so möchte ich darauf
hinweisen, dass die Abklemmung eines so grossen Gefässgebietes die
Circulation schwer schädigt und an und für sich ebenso wohl eine er-
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Ueber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 593
hebliche Blutdrucksteigerung als bei insufficientcn Herzen eine beträcht¬
liche Blutdrucksenkung hervorrufen kann. Diese Thatsache ist durch die
Arbeiten von Hcnsen, Katzenstein u. a. hinreichend bekannt und
lässt es in hohem Grade bedenklich erscheinen, den Kreislauf so erheblich
zu reduciren.
Auf Grund meiner Versuche, welche zunächst hauptsächlich von
dem Gesichtspunkte aus angestellt wurden, wie die im täglichen
Leben häufig genossenen Alkoholmengen auf den Blutdruck Gesunder
und Kranker einwirkten, liess sich in vielen Fällen ein durchaus
charakteristisches Verhalten desselben erkennen. Wie schon hervor¬
gehoben, ist zunächst die Zufuhr von iy 2 Liter Wasser auf nüchternen
xMagen nicht ganz gleichgültig für das Verhalten des Blutdruckes.
Es kommt nämlich öfters zu einer zuweilen ziemlich beträchtlichen
Steigerung hauptsächlich des systolischen Druckes noch während der
Flüssigkeitsaufnahme, andere irgendwie erhebliche etwa später ein¬
setzende Schwankungen des Blutdruckes werden dagegen vermisst. Ob
diese Blutdrucksteigerung nur durch stärkere Füllung des Gefässsystems
oder durch andere Momente veranlasst wird, ist nicht so leicht zu er¬
klären. Möglich, dass die nicht immer gerade als angenehm empfundene
Belastung des nüchternen Magens mit iy 2 Liter Wasser ein Gefühl des Un¬
behagens auslöst und dieses die blutdrucksteigernde Ursache abgiebt, oder
dass das etwa alle 5 Minuten erfolgende Leeren eines Glases kalten
Wassers einen indirecten oder Üirecten thermischen Reiz auf die Unter-
leibsgefässe auszuüben im Stande ist, der eine Gefässcontraction und in Folge
dessen Blutdrucksteigerung bedingte. Thatsache bleibt, dass Blutdrucksteige¬
rung in vielen Fällen beobachtet wird, aber seltener dann, wenn die auf
nüchternen Magen verabreichten iy 2 Liter eine schwache alkoholische
Lösung darstellen und dass sie auch dann noch, allerdings geringfügiger auf-
tritt, wenn, wie in V, statt des kalten Wassers lauwarmer Thee gegeben wird.
Was die GesammtWirkung von l l / 2 1 einer 3 proc. resp. 6 proc.
alcoholischen Lösung anbelangt, so habe ich in meinen Versuchen
ein anfängliches nennenswerthes Steigen des systolischen Druckes, das
Kochmann und Bachem bei ihren freilich geringeren Alkoholgaben
am ausgesprochensten y 2 Stunde nach Einnahme der Flüssigkeit auftreten
sahen, nur selten beobachten können. Allerdings nimmt in meinen Ver¬
suchen das Trinken der Flüssigkeit allein eine volle Stunde Zeit in An¬
spruch. Ich eonstatirte mit Ausnahme der Fälle, wo überhaupt kein
deutlicher Einfluss (V, VI, XV) oder lediglich ganz regellose, aber deut¬
lich ausgesprochene Schwankungen (IV, VIII, X) zu verzeichnen waren,
oder wo die Wirkung wegen zeitweilig herabgesetzter Widerstandsfähigkeit des
Organismus eine zu intensive war (111) folgendes charakteristisches
Verhalten, in I. und II. am deutlichsten zu Tage tretend. Gegen
Ende der Flüssigkeitszufuhr, nachdem also schon theilweise Resorption
cingetreten ist und unmittelbar nachher war eine auffallende Ver-
grösserung der Amplitude gewöhnlich durch Sinken des diastolischen
Druckes bei gleichbleibendem oder nur wenig ansteigendem systolischen
Druck zu constatiren. Zur selben Zeit wurden am Tonometer die
Os eil lationen grösser wie vor Beginn des Versuches. Der Puls
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fühlte sich ausserordentlich voll und kräftig an. Dieses Stadium
dauerte meist nur 1 / 2 — s / 4 Stunde. Dann machte sich eine deut¬
liche Verkleinerung der Amplitude bemerkbar, meist in Folge
continuirlichen Absinkens des systolischen Druckes bei un¬
verändertem oder nur wenig ansteigendem diastolischen Druck. Die
Oscillationen am Tonometer fielen jetzt kleiner aus, oft sogar be¬
deutend kleiner wie zu Beginn des Versuches. Der Puls fühlte sich
weniger voll und weniger kräftig an, die Frequenz war meist
(allerdings durchaus nicht immer wie z. B. im Versuch 7, 8, 9 sub II.)
um 20 und mehr Schläge in der Minute gestiegen. Dieses II. Stadium
hatte etwa 1 — 1 1 / 2 Stunde nach beendeter Flüssigkeitszufuhr
seinen Höhepunkt erreicht. 1 / 2 — 1 Stunde später war für gewöhn¬
lich die Wirkung abgeklungen oder begann wenigstens deutlich ab¬
zuklingen. Hinzufügen will ich noch, dass die Diurese nach Genuss
der 3 proc. oder 6 proc. alkoholischen Flüssigkeit stets eine reichlichere
war, wie nach derselben Menge reinen Wassers.
Das eben erwähnte I. Stadium, die Vergrösserung der Ampli¬
tude, fehlte zuweilen, war bezw. nicht nachweisbar, wenn statt
3 proc. eine 6 proc. alkoholische Flüssigkeit zu trinken gegeben war wie
in VII, oder wenn der Alkohol in concentrirter Form und
grösserer Menge verabreicht wurde wie in I und II nach Genuss
von 150 resp. 250 ccm 36 proc. Cognac, 40 proc. Schnaps oder 45 proc.
reinen Aethylalkohol. Hier kam es von vornherein zu einem ziem¬
lich beträchtlichen Absinken des systolischen Druckes bei gleichzeitigem,
aber nicht so erheblichen Abfallen des diastolischen Druckes, sodass die
Amplitude mehr oder weniger verkleinert wurde, (in II sehr
deutlich ausgesprochen, bei I nicht so deutlich). Reiner Aethylalkohol
wirkte selbst in stärkerer Concentration (45proc.) noch nicht so intensiv wie
Cognac oder Schnaps in schwächerer Concentration (36 proc. resp. 40 proc.).
Von grossem Interesse scheinen mir, worauf ich an Ort und Stelle
schon hingewiesen habe, die in Fall III angestelltcn Versuche zu sein.
Bei acuter Schädigung des Kreislaufes war die Wirkung eine weit
wuchtigere, sodass die Amplitude auffallend klein wurde und schliesslich
nicht mehr zu messen war. Interessant ist hierbei auch die weiter ge¬
machte Beobachtung, dass einige Wochen später, also bei vorgeschrittener
Reconvalescenz, dasselbe 3 proc. alkoholische Getränk sich merklich
milder in seiner Wirkung erwies.
In einigen anderen Fällen (IV, VIII. X) documentirt sich die Wirkung
des Alkohols auf den Blutdruck lediglich dadurch, dass derselbe ständigen
regellosen Schwankungen unterworfen ist, bald im Sinne einer Ver¬
grösserung, bald im Sinne einer Verkleinerung der Amplitude.
Weiterhin wären auch noch Fälle zu erwähnen, wo keine deutliche
(XV) oder nur geringfügige (V, VIII) Blutdruckschwankungen gefunden
werden konnten. In den beiden letzteren Fällen lag wohl eine Gewöhnung
an ziemlich hohe Alkoholdosen vor, und es ist anzunehraen, dass die
Gewöhnung die Giftwirkung abschwächt. Um aber bei dem Herzgesunden
(XV), der keineswegs an Alkohol gewöhnt war, das Ausbleiben irgend
welcher nennenswerther Blutdruckänderungen selbst nach Verabreichung
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Ueber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 595
einer 6proc. alkoholischen Flüssigkeitsmenge zu verstehen, kann man sich
wohl nur vorstellen, dass entweder einzelne Individuen wenig oder gar nicht
empfänglich gegen Alkohol sind, oder aber, dass nicht alle Circulations-
änderungen unbedingt sicher durch die Blutdruckmessung erkannt
werden können. Diese letzte Annahme scheint mir deswegen vereinzelt
in diesem oder jenem Falle zuzutreffen, weil es mir vorgekommen
ist, dass ich bei bezw. trotz deutlich erkennbarer peripherer Gefäss-
dilatation (bald nach Genuss alkoholischer Getränke) keine vergrösserte
Amplitude finden konnte. Es bleibt daher die Möglichkeit offen, dass
der Alkohol selbst in den Fällen, wo Blutdruckänderungen nicht festzu¬
stellen sind, wenigstens Circulationsänderungen in der Peripherie ver¬
ursacht, die natürlich auch nicht ohne Belang zu sein brauchen.
Die Frage, ob die Pulsfrequenz durch den Alkohol alterirt wird,
oder nicht, lässt sich nach meinen Versuchen nicht ganz eindeutig be¬
antworten. Wenigstens blieb bei der Versuchsperson II gerade nach
Genuss höherer Alkoholdosen trotz ausgesprochenster Blutdruckänderung
(kleine Amplitude in Folge erheblichen Absinkens des systolischen
Druckes) die Pulsfrequenz so gut wie unbeeinflusst. Das ändert natür¬
lich nichts an der Thatsache, dass in der weitaus überwiegenden Mehr¬
zahl der Fälle ein mehr oder weniger bedeutendes Ansteigen derselben
zu beobachten ist. Ob nun die in Schmiedeberg’s Pharmakologie
ausgesprochene Ansicht, dass eine Zunahme der Pulsfrequenz nicht von
der Alkoholwirkung abhängig sei, zutrifft oder nicht, lasse ich dahin¬
gestellt. Dass sie nur „die Folge des lebhaften Gebahrens sei und nach
den zuerst von Zimmerberg unter Ausschluss aller störenden Umstände
ausgeführten Unsersuchungen bei völliger Ruhe des Körpers ausbleibe“,
kann ich insofern nicht bestätigen, als an meinen Versuchspersonen die
Alkoholwirkung stets unter Ausschluss aller störenden Umstände ver¬
folgt werden konnte und trotzdem meist, wie schon gesagt, die Puls¬
frequenz erheblich anstieg.
Der Versuch einer Deutung der Messungsresultate muss naturgemäss
nach den vorausgeschickten Erörterungen auf grosse Schwierigkeiten
stossen, und es gelingt vielleicht auch nur auf dem Umwege eines Ver¬
gleiches (der durch die Alkoholwirkung bedingten Blutdruckverhältnisse) mit
(diesen sehr ähnlichen) unter anderen pathologischen Bedingungen zu Stande
kommenden Blutdruckänderungen, wo wir die thatsächlichen Circulations-
Vorgänge genauer überschauen, bezüglich der ersteren einige Beziehungen
zwischen Wirkung und Ursache aufzufinden. Ich möchte daher zum Ver¬
gleich heranziehen das Verhalten des Gefässsystems im Verlaufe resp. im
Gefolge von Infectionskrankheiten. Es ist durch die Arbeiten von Rom¬
berg und Pässler, Hasenfeld, Pässler und Rolly, Wiesner,
Wiesel u. a. bekannt, dass durch eine Infektion mehr das Gefässsystem
wie das Herz geschädigt wird, und dass der Tod bei Infectionskrank¬
heiten in Folge von Gefässschwäche eintritt. Das Blut sammelt sich
dann im Gefässgebiet des Splanchnicus an, in den anderen Körper-
gefässen circulirt nur wenig Blut, sodass es gewissermaassen zur Ver¬
blutung in die Bauchgefässe hinein kommen kann. Blutdruckmessungen
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bei derartigen bedrohlichen Zuständen ergeben nun stets eine kleine
Amplitude und kleine Oscillationen. Auch bei schon in der Reconvales-
cenz befindlichen derartigen Kranken lässt die Blutdruckmessung eine
kleine Amplitude und kleine Oscillationen erkennen mit gleichzeitiger
Steigerung der Pulsfrequenz, sobald sie aus dem Bett heraus eine auf¬
rechte Körperhaltung einnehmen, weil dann eben, worauf ich früher hin¬
gewiesen habe, und was auch R. von den Velden in seiner schon er¬
wähnten Arbeit hervorhebt, die Bauchgefässe noch nicht im Stande sind,
die in Folge hydrostatischer Momente eintretende passive Erweiterung
durch entsprechende Contraction ihrer Wandung auszugleichen.
Die beiden Thatsachen, dass 1. bei Infectionskrankheiten in Folge
von Circulationsschwäche oft eine Ueberfüllung des Splanchnicusgebietes
vorhanden ist, dass 2. gerade bei derartigen bedrohlichen Zuständen die
Blutdruckmessung eine kleine Amplitude ergiebt, entweder nur durch Ab¬
sinken von s, oder durch Ansteigen von d bei wenig oder garnicht ver¬
ändertem s, dürften wohl als feststehend angesehen werden. Aber dass
auch sonst eine kleine Amplitude immer nur auf eine Ueberfüllung des
Splanchnicusgebietes zurückzuführen sei, ist natürlich keineswegs anzu¬
nehmen. Darauf ist in den einleitenden Bemerkungen bereits hingewiesen
worden. Demgemäss brauchte also die in einem bestimmten Stadium der
Alkoholwirkung resultirende kleine Amplitude nicht unbedingt die Folge
einer Ueberfüllung des Splanchnicusgebietes zu sein. Aber sie wird
nicht anders als im Sinne einer geringeren Blutversorgung der Peripherie
gedeutet werden können, schon deshalb, weil es ausgeschlossen ist, dass
es unter dem Einfluss von Alkohol zu einer schweren Schädigung des
Herzens mit consecutiver secundärer Kreislaufschwäche komme, ln ex¬
perimentellen Untersuchungen waren Herzschädigungen nur bei einem
Gehalt des Blutes an Alkohol nachzuweisen, wie er nach Genuss der von
mir verabreichten Dosen gar nicht erreicht wird.
Indess zunächst sollte die Berücksichtigung dieser Analogien allein
noch keine Grundlage für eine endgültige Anschauung über die Wirkungs¬
weise und den Angriffspunkt des Alkohols abgeben. Ich versuchte vielmehr
noch auf anderem Wege an die Lösung dieser Frage heranzutreten und
womöglich festzustellen, ob die Wirkung des Alkohols nicht eine
ähnliche sei wie die eines anderen gefässerweiternden und blut¬
druckherabsetzenden Mittels, z. B. des Chloralhvdrats, d. h. ob sich
der Blutdruck unter der Einwirkung von Chloral ähnlich verhalte, wie
unter Einfluss von Alkohol. Weiterhin ermittelte ich, wie die peripheren
Gefässe auf thermische Reize in der Norm, unter der Chloral-, und
unter der Alkohol-Wirkung reagirten. Es ist durch v. Recklinghausen
sowohl wie durch Klemperer bekannt, dass die Armgefässc durch
Wärme und Kälte beeinflusst werden. Ersterer fand an den durch
warme Einpackungen des Armes dilatirten Gefässen grosse, an den stark
contrahirten Gefässen eines frierenden Menschen geringe pulsatorischc
Schwankungen, letzterer an einer durch Eintauchen des Armes in kaltes
Wasser in einen erhöhten Tonus versetzten Arterie eine grössere Am¬
plitude, als an der durch warmes Wasser erschlafften des anderen Armes.
Diese Beobachtungen scheinen sich gewissermassen zu widersprechen,
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lieber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 597
und es besteht vielleicht keine Berechtigung, thermische Reize zur
Prüfung der Anspruchsfähigkeit der Gefässe heranzuziehen. Aber der
Widerspruch ist nur ein scheinbarer, ganz abgesehen davon, dass beide
Beobachtungen überhaupt nicht direct miteinander vergleichbar sind.
Denn unter den pulsatorischen Schwankungen, von den von Reckling¬
hausen spricht, sind nicht etwa Aenderungen der Amplitude, sondern
lediglich des Pulsvolumens (Füllungszuwachses) zu verstehen. Eine
Aenderung des Füllungszuwachses braucht nicht in jedem Falle durch
eine Aenderung der Amplitude zum Ausdruck zu kommen, dann
wenigstens nicht, wenn die Spannung des Gefässes (Minimaldruck)
irgend wie verändert ist. Nach den Untersuchungen Strasburger’s
und von Fürst und Soetbeer wird die Druckschwankung (Amplitude)
nur bei gleich bleibendem Ausgangsdruck durch einen grösseren oder
kleineren Füllungszuwachs vergrössert oder verkleinert, während bei
sich änderndem Ausgangsdruck ein und derselbe Füllungszuwachs ganz
verschiedene Druckschwankungen hervorruft, und zwar kleinere bei
niedrigem, grössere bei höherem Ausgangsdruck. Es wäre also je nach
dem Ueberwiegen des einen oder des anderen Factors auch der Fall
denkbar, dass beispielsweise bei noch nicht sehr stark herabgesetzter
Spannung der Arterienwand, aber sehr starker Pulsvolumenschwankung,
thatsächlich eine grössere Amplitude zu verzeichnen ist, wie vor Ein¬
wirkung der Temperatur, und diese Möglichkeit kann sehr wohl be¬
stehen, wie wir bald sehen werden.
Zur Prüfung der Anspruchsfähigkeit der Gefässe habe ich — das
will ich gleich vorwegnehmen — Temperaturen von 41—42 °C. bzw.
von 10° C. verwendet. Das Eintauchen des Armes in warmes Wasser,
das allerdings nur um 5—6° die Körpertemperatur übertraf, führte zu
einer kaum nennenswerthen Verkleinerung der Amplitude durch gering¬
fügiges Absinken von s und eventuell auch d, das Eintauchen in kaltes
Wasser dagegen zu einer deutlicher ausgesprochenen Vergrösserung der
Amplitude infolge eines ziemlich beträchtlichen Ansteigens von s und
nur geringfügigen Ansteigens von d. Das Ansteigen von s erfolgte nicht
plötzlich, sondern allmählich, s war also nicht unmittelbar nach Ein¬
tauchen in kaltes Wasser am höchsten, wie ausnahmsweise auf das einmal
am Schluss der fortlaufenden Messung noch vorgenommene Eintauchen in
kaltes Wasser hin, sondern nachdem der Arm bereits 2—3 Minuten der
Einwirkung der kühlen Temperatur ausgesetzt war. Und gerade dieser
Umstand spricht am deutlichsten dafür, dass die als Kältereaction ge¬
deutete Blutdruckänderung nicht, wie vielleicht in dem erwähnten Aus¬
nahmefall, psychischen Ursprungs ist. Denn Blutdrucksteigerung durch
psychische Alterationen, oder beispielsweise durch Reizung der Nasen¬
schleimhaut vermittelst Ammoniak treten urplötzlich auf, um bald wieder
abzuküngen. Die Einwirkungsdauer betrug immer nur 5 Minuten. Lasse
ich aber wesentlich höhere Temperaturen längere Zeit (Wasser von 50° C.
V 4 — l / 2 Stunde) einwirken, so verhält sich die Amplitude ganz anders,
wie nachstehende Tabelle veranschaulicht.
Was die in der Tabelle angeführten diastolischen Druckwerthe an-
belangt, so ist in Betracht zu ziehen, dass der diastolische Druck viel-
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Systolischer
Blutdruck
Diastolischer
Blutdruck
Amplitude
cm H 2 0
Ausgangsdruck (nach mehrfachen Messungen). . .
148
68
80
5 Min. nach Eintauchen des Armes in Wasser von
42° C.
140
66
74
Nach 10 Min. langer Einwirkung des warmen Wassers
(Wassertemperatur seit 5 Min. 44° C.) . . . .
140
62
78
Nach 15 Min. langer Einwirkung des warmen Wassers
(Wassertemperatur seit 5 Min. 48° C.) . . . .
154
62
92
Nach 20 Min. langer Einwirkung des warmen Wassers
(Wassertemperatur seit 5 Min. 50° C.) . . . .
154
56
98
Nach 25 Min langer Einwirkung des warmen W r assers
(Wassertemperatur seit 10 Min. 50° C.) . . . .
146
52
94
Nach 30 Min. langer Einwirkung des warmen Wassers
(Wassertemperatur seit 15 Min. 50° C.) . . . .
142
52
90
leicht etwas zu tief bestimmt ist. Die schon vor Beginn des Versuches
den Arm fest umschliessende Manschette wird natürlich durch die
unter Einfluss so beträchtlicher Temperaturen sich weiter ausdehnenden
Weichtheile noch straffer angezogen. Die Oscillationen müssen daher
ceteris paribus wegen Verkleinerung des Luftraumes der Manschette
etwas grösser ausfallen, in Folge dessen der Punkt, an welchem der
diastolische Druck angenommen wurde, nun tiefer zu liegen kommen.
Aber selbst wenn diesem Umstande Rechnung getragen wird, ist die
Vergrösserung der Amplitude noch offenkundig. Wir können also durch
Eintauchen des Armes in warmes Wasser je nach der Einwirkungsdauer
und Temperatur desselben das eine Mal eine Verkleinerung, das andere
Mal eine Vergrösserung der Amplitude erzielen. Ganz ähnlich verhält es
sich mit der Beeinflussung der Amplitude durch Kälte, die längere Zeit,
mindestens 20—50 Min., ein wirken kann, was gleichfalls durch nach¬
folgende Tabelle zu ersehen ist.
Systolischer
Blutdruck
Diastolischer
Blutdruok
Amplitude
cm H 2 0
Ausgangsdruck (nach mehrfachen Messungen). . .
144
66
78
5 Min. nach Eintauchen des Armes in Wasser von
10° C.
158
72
86
Nach 10 Min. langer Einwirkung '
1
156
68
8S
V* 1 0 „ „ r |
|
162
72
90
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i von W'asser, das
146
68
78
. 30 „ „ (
} stets auf 10—12°
146
72
74
- 40 „
| C. temperirt war
146
82
64
„ 50 „ . ]
146
82
64
Im Gegensatz zu der vorhergehenden Tabelle ist in dieser der
diastolische Druck eher als etwas zu hoch bestimmt anzusehen. Durch
die Kälte wird nämlich das Volumen des Armes verkleinert, die Man-
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lieber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 599
schette liegt in Folge dessen nicht mehr so gut an, wodurch sich der
Manschettenluftrau in dementsprechend vergrössert. Die Oscillationen
fallen daher kleiner aus und nehmen früher diejenige Excursionsbreite
an, bei welcher der Punkt für den diastolischen Druck festgelegt wurde.
Hier wäre also in Wirklichkeit für die Amplitude ein etwas höherer Werth
in Rechnung zu stellen, was aber das Verhältniss der einzelnen Zahlen
unter einander kaum beeinträchtigt. Und, worauf es ankommt, das
deutliche Kleinerwerden der Amplitude, nachdem das kühle Armbad
bereits */ 2 — 3 A Stunden gedauert hatte, ist in jedem Falle unverkennbar.
Für die Verwerthbarkeit der Messungsresultale war es von ausserordentlicher
Bedeutung, dass der Patient, bei welchem die vorstehenden Messungen ausgeführt
wurden, diese in keiner Weise subjectiv irgend wie unangenehm empfand. Er vertrug
das bereits 1 ständige Verweilen fast des ganzen linken Armes in kaltem Wasser von
10° C. eben so gut, wie die warme Temperatur von 50° C.
Ich gebe zu, dass dieser ganze Untersuchungsmodus auf besondere
Feinheit keinen Anspruch erheben darf, immerhin hat er doch einige
bemerkenswerthe Thatsachen zu Tage gefördert.
Auf die von R. von den Velden und Bröking empfohlene
Methode zur Functionsprüfung der Arterien wollte ich aus mehreren
Gründen nicht zurückgreifen. Einmal hätte ich z. B. auf Grund mehr¬
fach an einem und demselben Individuum in den 4 verschiedenen
Stellungen vorgenommener Messungen oft untereinander verschiedene
Diagramme construiren können, so dass es mir im gegebenen Falle
schwer geworden wäre, zu entscheiden, wo sicher von der Norm ab¬
weichende Verhältnisse vorliegen und wo nicht. Ausserdem habe ich
mich davon überzeugen können, dass, wenn die Patienten von der
Stellung D wieder in die Stellung A zurückgebracht wurden, garnicht
so selten der Blutdruck erst nach 10 Minuten und später zum Ausgangs¬
druck zurückgekehrt war. Mit anderen Worten, durch eine derartige
Functionsprüfung würde im Ganzen für etwa Y 2 Stunde die Beobachtung
der unter Einfluss des Alkohols auftretenden Blutdruckschwankungen
unterbrochen, wenn nicht überhaupt geradezu gestört worden sein. Denn
irgend welche geringfügige Bewegungen während der ßeobachtungszeit,
selbst nur das Verweilen ausser Bett, lassen, worüber ich mir durch
diesbezügliche Messungen Gewissheit verschaffen konnte, keine so typischen
Blutdruckschwankungen mehr zu Stande kommen, wie die Bettruhe. Dass
fernerhin die für eine derartige Prüfung nothwendige verhältnissmässige lange
Zeitdauer von l / 2 Stunde die Möglichkeit einer Wiederholung derselben inner¬
halb kürzerer Zeiträume weit mehr einschränkt, wie die nur wenige
Minuten beanspruchende Prüfung der Reactionsfähigkeit der Gefässe ver¬
mittelst thermischer Reize, sei nur nebenbei bemerkt.
Ausser der Reactionsfähigkeit bestimmte ich noch im Stadium der
Alkohol- resp. Chloralwirkung die Pulsfrequenz in liegender Stellung (A)
und nachher in aufrechter Haltung (D). Es kam mir nämlich darauf
an, festzustellen, ob hier beim Lagewechsel gleichfalls eine so erhebliche
Vermehrung der Pulsschläge zu constatiren sein würde, wie bei einer im
Gefolge von Infectionskrankheiten auftretenden Circulationsschwächee.
In den nun folgenden Curven ist der Zeitpunkt, wo der Uebergang
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600
M. .lohn,
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von A in D erfolgte, durch ein D unterhalb der Pulslinie vermerkt,
während der Zeitpunkt des Eintauchens in kaltes oder warmes Wasser
E E
durch einen Pfeil mit darunterstehendem ^ oder w gekenn¬
zeichnet ist. Ich habe nun an den beiden Versuchspersonen Karl Sch.
und Oscar M., die gerade wegen der geringen Schwankungen ihrer Blut¬
druck werthe bei fortlaufenden Messungen sehr geeignet erscheinen mussten,
zahlreiche Messungen zur Prüfung der Einwirkung von 1 oder 2 g
Chloralhydrat oder bestimmter Mengen Alkohol vorgenommen. Z. B.
verfolgte ich wiederholt die Wirkung ein und derselben Dosis dieses
oder jenes Mittels, habe allerdings der Raumersparniss halber immer nur
eine Curve gebracht.
Versuche.
XVI. Karl Sch., 51 Jahre, Bergmann. Wegen linksseitiger Omalgie
in Behandlung. Ohne irgendwelchen Organbefund. Täglich Vi
Vs Eiter Schnaps.
Bemerkenswerth auf Curve 1, Taf. VIII, ist einmal eine kaum
nennenswerthe Aenderung von P bei D. Die Reaction auf Eintauchen
in warmes Wasser besteht in einem Abfallen von s um 8 und d um
4 cm HoO, also in einer Verkleinerung von A um 4 cm H 2 0, beim
Eintauchen in kaltes Wasser in einem Ansteigen von s bis um 30,
von d bis um 6 cm H 2 0, also Vergrößerung von A um 24 cm H 2 0.
Hervorgehoben zu werden verdient der Umstand, dass gleichzeitig mit der
Erhöhung des Gefässtonus durch den Kältereiz ein deutliches Grösser¬
werden der Oscillationen am Tonometer z. B. von 5 auf 6 Theilstriche
zu constatiren war.
Auf Curve 2 und 3, Taf. VIII, sind die nach Verabreichen von
1 und 2 g Chloralhydrat erfolgten Blutdruckänderungen dargestellt. 1 g
Chloralhydrat wirkt bereits ebenso wie 2 g, und zwar in diesem Falle
ähnlich wie 150 ccm Branntwein in I oder 250 ccm in II, nur dass
beim Chloral das an der Bracchialarterie zu beobachtende, mit Verklei¬
nerung von A einhergehende Absinken von s bei unverändertem d,
etwa 8 / 4 Stunden nach Einnahme des Mittels am ausgesprochensten und
V 2 — 3 / 4 Stunden später schon wieder abgeklungen war. P verändert
sich nur wenig, ausser um 2 Uhr (V 2 Stunde nach dem Mittagessen).
Gefässreactionen zur Zeit der ausgesprochensten Chloralwirkung ungefähr
der Norm entsprechend, iy 2 Stunde später stärker ausgesprochen.
Unter Einfluss von 400 ccm (40,4 pCt. Alkohol) Korn (Taf. VHI,
Curve 4) — und zwar waren bei dieser absichtlich gross gewählten
Dosis genau die gleichen, immerhin bemerkenswerthen Thatsachen
festzulegen, wie bereits bei 200 und 300 ccm — wurden gegen Ende
der Flüssigkeitsaufnahme, wo sich also die Alkoholwirkung noch nicht
genügend stark etablirt hatte, etwa annähernd normale, vielleicht auch
schon etwas geringfügiger ausfallende Gefässreactionen bemerkt, und was P
beim Uebergehen in aufrechte Haltung (D) anlangt, keine nennenswerthe
Aenderungen, trotzdem die Pulszahl im Vergleich zum Beginn der
Messung schon erheblich angestiegen war. Zur Zeit der ausgesprochen¬
sten Alkoholwirkung fielen die thermischen Gefässreactionen aber merk*
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lieber <lio Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. BOI
lieh kleiner aus. s stieg z. B. das eine Mal nur um 18, das andere
Mal sogar nur um 14 cm H 2 0 an. P wurde bei dem Lagewechscl um
24 Schläge erhöht, ein Verhalten, wie cs den bei der Kreislaufschwäche
beobachteten pathologischen Verhältnissen schon sehr nahe kommt.
XVII. Oscar M., 41 Jahre, Arbeiter. Wegen rheumatischer Be¬
schwerden in Behandlung, ohne nachweisbare Organerkrankung. Vor
10 Jahren rechtsseitige Hemiplegie, die sich aber vollständig zurück-
gebildet hat. Lues negirt. Wassermann’sche Reaction negativ. Früher
y 2 Liter Schnaps und etwa 3 Liter Bier pro die, seit dem Schlaganfall
angeblich etwas weniger Alkohol.
Zu Curve 1, Taf. VIII, auf welcher gelegentlich der fortlaufenden
Messung die auf Eintauchen in kaltes und warmes Wasser hin erfol¬
genden Blutdruckschwankungen registrirt sind, ist weiter nichts zu be¬
merken, als dass letztere in diesem Falle weniger ausgiebig ausfallen,
wie im vorigen. Die Anspruchsfähigkeit des Gefässsystems bezw. der
einzelnen Gefässe auf thermische Reize bewegt sich offenbar in engeren
Grenzen. Aus diesem Grunde ist der durch die Blutdruckmessung er¬
kennbare Effect von 2 g Chloralhydrat (Taf. VIII, Curve 2) wohl auch
nicht so ausgesprochen, wie bei der vorhergehenden Versuchsperson,
zumal nicht die bei der ersten Messung erhaltenen Werthe als Aus-
gangswerthe gelten können, sondern die bei der zweiten oder dritten
kurz vor Verabreichung der 2 g Chloralhydrat festgestellten, s weist
nur geringfügiges Absinken, d ein ebenso geringfügiges Ansteigen auf,
in Folge dessen Kleinerwcrden von A bis um etwa 14 —16 cm 1I 2 0.
Gefässreactionen 1 — 1V 4 Stunde nach Einnahme des Mittels ohne Unter¬
schied von der Norm, P aber gegen die Norm erhöht, sobald aus
liegender aufrechte Stellung eingenommen wird. V/ 2 Stunde später
fallen die Gefässreactionen noch geringfügiger aus.
400 ccm (40,4 pCt. Alkohol) Korn (Taf. VIII, Curve 3/, die auch
hier keine intensivere Wirkung entfalten, wie bereits 200 und 300 ccm,
lassen in typischer Weise zuerst ein Stadium der vergrösserten Ampli¬
tude durch Ansteigen von s bei geringfügigem Absinken von d erkennen,
wobei gleichzeitig die Oscillationen deutlich grösser geworden sind,
später aber, 2 Stunden nach Einnahme der Flüssigkeit am ausge¬
sprochensten, das Stadium der kleinen Amplitude, hauptsächlich in Folge
beträchtlichen Absinkens von s. P beginnt während der Flüssigkeits¬
aufnahme zu steigen und ist gegen Ende derselben dauernd um etwa
16 Schläge erhöht. Beim Heraustreten aus dem Bett (D) selbst zur
Zeit der ausgesprochensten Alkoholwirkung keine ungewöhnliche Steige¬
rung von P, wie sie bei der vorhergehenden Versuchsperson unter den
gleichen Bedingungen zu beobachten gewesen war. Die Reaction der
Arragefässe auf thermische Reize weichen deutlich von dem normalen
Verhalten ab. Schon im Stadium der grossen Amplitude kommt es auf
Eintauchen in kaltes Wasser nicht mehr zu einem Ansteigen von s, wohl
noch zu einer Yergrösserung von A, aber in Folge Absinkens von d.
Im Stadium der kleinen Amplitude ist beim Eintauchen in warmes
Wasser noch ein an die Norm erinnerndes Verhalten zu erkennen, da¬
gegen reagiren die Gefässe auf Kälte so gut wie garnicht.
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Aus diesen Versuchen geht hervor, dass die Wirkung von 1—2 g
Chloral, wenn überhaupt eine solche, wie in XVI, durch die Blutdruck¬
messung zu constatiren ist, sich bis zu einem gewissen Grade ähn¬
lich verhält, wie die des Alkohols, insofern, als auch hier an der Art.
bracchialis zu einer bestimmten Zeit eine deutliche Verkleinerung der
Amplitude zu erkennen ist. Aber die Pulsfrequenz ist nicht erhöht und
ändert sich auch beim Heraustreten aus dem Bett in nicht so ausge¬
sprochener Weise, wie z. B. nach der Einwirkung des Alkohols. Die
Hauptsache aber ist, dass die Chloralwirkung die Reactionsfähigkeit der
Gefässe nicht aufhebt, sie vielmehr, wie in XVI, eher steigern kann,
vorausgesetzt, dass die angewandte Untersuchungsmethode so feine Unter¬
schiede zu machen gestattet.
Die Alkoholwirkung dagegen bedingt eine starke Herabsetzung oder
gar völliges Verschwinden der Reactionsfähigkeit der Gefässe auf Kälte¬
reize. Dabei bleibt aber noch zu erörtern, ob die sonst bei Appli¬
cation von Kälte zu beobachtende Vergrösserung der Amplitude jetzt
deswegen nur geringer ausfällt oder vermisst wird, weil die Gefässe
keinen erhöhten Tonus mehr anzunehmen vermögen, oder weil die peri¬
pheren Gefässe weit schlechter mit Blut gefüllt sind, als unter normalen
Verhältnissen, und nur in Folge der schlechteren Füllung alle auf Rech¬
nung des veränderten Gefässtonus zu setzenden Pulsdruckschwankungen
geringer ausfallen. Der Umstand, dass trotz der Alkoholwirkung überhaupt
Aenderungen des Gefässtonus besonders durch die Wärme noch zu ver¬
merken sind, spricht mehr für die letzte Annahme. Dass die Gefässreactionen
auf thermische Reize allein etwa deswegen geringfügiger ausfallen sollten,
weil die Temperaturempfindung der Haut nach der Ansicht Schmiede-
berg’s unter Einfluss von Alkohol abgestumpft ist, glaube ich nicht,
denn in meinen Versuchen wurde das Eintauchen in kaltes Wasser im
Stadium der Alkoholwirkung ebenso gut empfunden, wie unter voll¬
ständig normalen Verhältnissen.
Die eben erwähnten vergleichenden Untersuchungen über das Ver¬
halten des Blutdruckes unter Einwirkung von Chloral und Alhohol, vor
Allem die dabei vorgenommenen Prüfungen der Reactionsfähigkeit der
Gefässe auf thermische Reize haben zwar absolut sicheren Aufschluss
über den Angriffspunkt und die Wirkungsweise des Alkohols nicht er¬
bracht. Trotzdem glaube ich, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der
weitgehenden Analogien der Blutdruckverhältnisse bei der Alkoholver¬
giftung und bei der Circulationsschwäche in Folge von Infektionskrank¬
heiten Folgendes sagen zu dürfen:
Die im sogenannten ersten Stadium der Alkohol Wirkung
sich geltend machende grosse Amplitude, einhergehend mit
grossen Oscillationen am Tonometer, ist ein Ausdruck der
Ueberfüllung des peripheren Kreislaufs. Die Blutüberfüllung
eines grossen Körpergebietes ist nur möglich, wenn ein
anderer Gefässbezirk gleichzeitig weniger Blut enthält. Es
liegt daher nahe, anzunehmen, dass zur Zeit der grossen
Amplitude, also der Erschlaffung und Erweiterung des peri¬
pheren Gefässbezirkes die Gefässe des Splanchnicusgebietes
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Ueber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 603
sich verengt haben. Das im zweiten Stadium zu beobach¬
tende auffallende Kleinerwerden der Amplitude ist das
Zeichen für eine schlechtere Füllung bezw. Contraction der
A’rmgefässe, veranlasst durch eine Ueberfüllung des Splanch-
nicusgebietes, dessen einzelne Gefässc nun mehr oder we¬
niger erschlafft und erweitert sind.
Die Wirkung des Alkohols auf das Gefässgebiet des
Splanchnicus wäre demnach zunächst eine erregende, dann
eine lähmende, bei grösseren oder sehr hohen Dosen von
vornherein eine lähmende, wobei ich bemerken möchte, dass
nach Schmiedeberg „eine direct erregende Wirkung des
Alkohols sich an keinem Organe nachweisen lässt. a
Besteht diese Annahme zu Recht, so ist es auch durchaus wahr¬
scheinlich, dass der Angriffspunkt des Alkohols, wie Koch mann an¬
nimmt, auf das Gebiet des Splanchnicus verlegt werden kann trotz der
gegentheiligen Ansicht Bachem’s, welcher meint, „dass eine Erwei¬
terung peripherer Gefässe stattfindet; ob und in welchem Maasse andere
Arterien des Körpers dabei verengert werden, erscheint* sehr fraglich,
jedenfalls sind es nicht, wie Kochmann annimmt, die Gefässe des
Splanchnicusgebietes“.
Noch eine schwerwiegende, gewiss äusserst bemerkenswerthe That-
sache, die sich bei meinen Versuchen ergeben hat, möchte ich für die
Richtigkeit der eben von mir dargelegten Ansicht und der Kochmann-
schen Schlussfolgerungen in die Wagschale werfen. Wie beispielsweise
in Versuchsreihe I auf Curve 2 und 3, ferner in V auf den Curven
3—6 zu ersehen ist, war bereits unter normalen Verhältnissen die
Urinausscheidung nach Verabreichung alkoholischer Getränke oft eine
reichlichere, wie nach Verabreichung einer gleich grossen Menge Wassers.
Noch viel deutlicher machte sich dieser Unterschied bemerkbar, wenn
in pathologischen Fällen das Wasserausscheidungsvermögen der Niere
hinter dem normalen Verhalten wesentlich zurückblieb. Aus Curve 3 in
VIII ist zu ersehen, dass nach Verabreichung von iy 2 Liter Wasser nur
625 ccm Urin, bei Verabreichung der gleich grossen 3 proc. alkoholischen
Flüssigkeitsmenge 1625 ccm Urin in derselben Zeit ausgeschieden
wurden.
Die Erscheinung, dass von den innerhalb 1 Stunde verabreichten \ l / 2 Liter
Wasser in den darauffolgenden 4—5 Stunden nur ein Theii wieder ausgeschieden
wird, — eine ausführliche Besprechung dieserVerhältnisse soll, wie schon erwähnt, in
einer anderen Arbeit erfolgen — ist nicht nur bei gewissen Formen und Stadien der
Nephritis zu beobachten, sondern auch bei Leuten, die klinisch auf Grund hoch¬
gradiger Blutdrucksteigerung, Herzhypertrophie und Spuien von Albuinen im Urin
mit deutlichem mikroskopischen Befund den Verdacht auf Schrumpfniere sehr wahr¬
scheinlich machen. Nach meinem Dafürhalten ist bei einer Reihe derartiger Patienten
aus hier nicht näher zu erörternden Gründen lediglich eine hochgradige Hypertonie
anzunehmen, in Folge einer über den ganzen Körper sich erstreckenden Erkrankung
gerade der kleinsten Arterien. Wenigstens ergab ganz kurz gesagt die mikroskopische
Untersuchung der Nieren des eben erwähnten Patienten in Versuchsreihe VIII keine
irgend wie angedeutete interstitielle Nephritis. Das schlechte Ausscheidungsvermögen
würde dann so zu erklären sein, dass wegen der das Gefässlumen stark einschränken-
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den Erkrankung gerade der kleinsten Arterien in der Zeiteinheit nicht genügend Blut
die Nieren durchströmen kann.
Ist weiterhin der Körper durch tagelange starke Einschränkung des
täglichen Flüssigkeitsquantums bis auf x / 2 Liter wasserarm gemacht, so
retinirt der normale Mensch bei einem unter derartigen Bedingungen
angestellten Diureseversuch einen grossen Theil der eingeführten
Flüssigkeit, scheidet dagegen weit mehr aus, sobald ein schwach alko¬
holisches Getränk gereicht wird.
Diese Thatsachen können nach meinem Dafürhalten garnicht anders
gedeutet werden, als dass es unter dem Einfluss von Alkohol zu einer
Erweiterung des Splanchnicusgebietes und also auch der Nierengefässe
kommt. Dann müssen in der Zeiteinheit die Nieren von einer grösseren
Blutmenge durchströmt werden, was eine reichlichere Flüssigkeitsaus¬
scheidung zur Folge hat. Nun sollen allerdings nach der Ansicht
Siegelt, die derselbe durch Versuche von Wertheimer für genügend
begründet hält, die Nierengefässe ebenso reagiren wie die Hautgefässe.
Sie müssten also in der fraglichen Zeit in gleicher Weise wie diese
gerade schlecht mit Blut gefüllt sein. Abgesehen davon, dass bei
schlechter Füllung der Nierengefässe kaum eine unter Umständen so er¬
heblich gesteigerte Diurese in befriedigender Weise erklärt zu werden
vermöchte, scheinen mir die citirten Versuche Wertheimer’s den Beweis
für ein derartiges Verhalten der Nierengefässe nicht zu liefern.
Aus meinen Blutdruckmessungen weitgehende Nutzanwendungen auf
die Gepflogenheiten des täglichen Lebens zu ziehen, unterlasse ich. Es
genüge, festgestellt zu haben, dass bei einer ganzen Reihe von Menschen
der auf eine Stunde vertheilte Genuss von iy 2 Liter Bier von etwa
3 pCt. Alkoholgehalt bereits Aenderungen des Blutdruckes herbeiführen
wird, dass die Wirkung derselben Flüssigkeitsraenge von doppeltem
Alkoholgehalt meist deutlicher zum Ausdruck kommt, und dass letztere
noch übertroffen wird durch kleinere Mengen (150—250 ccm) concen-
trirten Alkohols. Die Feststellungen irgend welcher Blutdruckschwan¬
kungen unter Einfluss von Alkohol kann für sich allein auch gar nicht
zur Entscheidung der Frage über die Schädlichkeit des Alkohols heran¬
gezogen, sondern nur als Beitrag dazu betrachtet werden, ganz abge¬
sehen davon, dass die Schädlichkeit des Alhohols wohl überhaupt kaum
noch bewiesen zu werden braucht.
Zum Schluss noch ein Wort darüber, ob nach den vorliegenden
Untersuchungen dem Alkohol in der Therapie ganz besonders der Circu-
lationsschwäche im Verlaufe von Infectionskrankheiten die Bedeutung
beigelegt werden darf, die ihm von mancher Seite noch immer zuerkannt
wird, oder ob er vielleicht nicht geradezu contraindicirt erscheinen
muss. Nun, am Krankenbett werden wohl nur ganz ausnahmsweise so erheb¬
liche Alkoholmengen, wie sie Gegenstand meiner Untersuchungen gewesen
sind (auf absoluten Alkohol berechnet 45 — 90— 100 ccm), innerhalb
der kurzen Zeit von 1 Stunde zur Anwendung kommen. Man müsste
denn gerade in dieser Zeit mindestens eine halbe Flasche Sect oder
V 2 Liter schweren Wein verabreichen lassen. Aber selbst wenn lediglich
weit geringere Dosen verwendet würden, wäre erst noch nachzu-
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lieber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. (505
weisen, dass dabei niemals ein ähnliches Verhalten beobachtet werden
kann, wie nach den von mir gewählten Mengen, und zwar nicht nur
bei Personen, die bereits an Alkohol gewöhnt sind, sondern auch
dann, wenn noch keine Giftgewöhnung vorhanden ist (III). Aus den
von Kochmann und Bachem am Menschen mit kleinen Alkoholgaben
angestellten Versuchen ist dies nicht ersichtlich, da beide die Messungen
nicht lange genug fortgeführt und auch nur den systolischen Druck
bestimmt haben. Wenn ich es also als bedenklich hinstelle, den
Alkohol überhaupt zur Bekämpfung der durch Infectionskrankheiten
bedingten Circulationsschwäche heranzuziehen, so wird mir vielleicht der
Einwurf erhoben werden: die practische Erfahrung lehre doch, dass der
Alkohol oft eine sichtliche Besserung auf das Befinden ausübe, dass der
Puls sich wieder kräftiger anfühle u. s. w. Derartige Wahrnehmungen
werden wohl zweifellos gemacht. Ich habe ja auch zeigen können, dass
im Beginn der Alkoholwirkung, wo die grosse Amplitude zu constatiren
ist, der Puls sich voller anfühlt und die Peripherie besser durchblutet,
das Splanchnicusgebiet also wahrscheinlich entlastet ist. Aber eben so
konnte ich zeigen, dass später ein umgekehrtes Verhalten zu beobachten
ist, kleiner, frequenter Puls, Verkleinerung der Amplitude, wahrschein¬
lich also schlechte Blutversorgung der Peripherie und Ueberfüllung des
Splanchnicusgebietcs. Und gerade diese, doch immerhin nahe liegende
Möglichkeit einer schliesslichen Lähmung des Gefässgebietes des
Splanchnicus durch Alkohol müsste die Befürchtung erwecken, dass die
durch ihn zu bekämpfende Kreislaufschädigung bei Infectionskrankheiten
in letzter Linie nur ungünstig beeinflusst werden kann. Ganz anders
liegt die Sache, wenn es sich darum handelt, eine durch Gefässspasmen
bedingte Circulationsschwäche zu behandeln. Hier kann vielleicht, ich
sage „kann“, wenn es sich beispielsweise um spastische Erscheinungen
im Gefässgebiet des Splanchnicus handelt, die lähmende Wirkung
grösserer Alkoholdosen geradezu ein therapeutisches Resultat bedeuten.
Ganz ausserhalb des Rahmens meiner Arbeit gelegen sind natürlich
Erörterungen darüber, in wie weit der Alkohol -im Allgemeinen in der
Therapie von den vielen anderen Gesichtspunkten aus, die für seine
Anwendung massgebend gewesen sind und noch sind, Berücksichtigung
verdient oder nicht.
Zusammenfassung.
Der Alkohol ruft in Mengen, die ich zum Gegenstand
meiner Untersuchung gemacht habe, in vielen Fällen beachtens¬
werte Blutdruckschwankungen hervor, die oft einen ganz
charakteristischen Verlauf nehmen. Nach anfänglichem
Grösserwerden der Amplitude ist 1—2 Stunden nach Verab¬
reichung des Alkohols ein deutliches Kleinerwerden der¬
selben zu beobachten, in Folge Absinkens des systolischen
Druckes bei unverändertem oder nur wenig veränderten
diastolischen.
Die Pulsfrequenz ist meist deutlich gestiegen.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd.
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606 M. John, lieber d. Beeinflussung d. systolischen u. diastolischen Blutdrucks.
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Aenderungen der Amplitude nach Eintauchen des Armes
in warmes oder kaltes Wasser fallen geringfügiger aus, wie
in der Norm, die Reactionsfähigkeit der Gefässe scheint also
herabgesetzt, wahrscheinlich in Folge schlechter Füllung der
peripheren Gefässe bei gleichzeitiger Ueberfüllung des
Splanchnicusgebietes.
Von der Alkoholwirkung verschieden ist die des Chlorais.
Nur in einem Falle hatte letztere bezüglich Blutdruck- und
Pulsdruckcurve eine gewisse Aehnlichkeit mit der ersteren
(XVI), Hess aber die beim Alkohol ausgesprochene Steigerung
der Pulsfrequenz und Herabsetzung der Reactionsfähigkeit
der peripheren Gefässe vermissen*
Die unter Einfluss von Alkohol sich abspielenden Er¬
scheinungen erinnern an das Verhalten des Kreislaufs bei
Girculationsschwäche, wie sie im Gefolge infectiöser Er¬
krankungen zu beobachten ist.
Die Wirkungsweise des Alkohols besteht in einer elec-
tiven Beeinflussung des Splanchnicusgefässgebietes im Sinne
einer anfänglichen Contraction seiner Gefässe, die bald einer
Dilatation Platz macht.
Zur Bekämpfung der Kreislaufschwäche bei Infections-
krankheiten dürfte der Alkohol in den hier verwandten
Dosen ungeeignet erscheinen.
Literatur.
1) C. Bachem, Ueber die Blutdruckwirkung kleiner Alkoholgaben bei intra¬
venöser Injection. Arch. intern, de Pharm, et de Therapie. Vol. XIV. Fase. V und VI.
2) Derselbe, Ueber den Einfluss kleiner Mengen alkoholischer Getränke auf
den Blutdruck des Menschen. Arch. für d. ges. Phys. Bd. 114.
3) Derselbe, Alkohol und Warmblüterherz. Centralbl. f. inn.Med. 1907. No.34.
4) M. John, Ueber die Technik und klinische Bedeutung der Messung des systo¬
lischen und diastolischen Blutdruckes. Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd.93. H.5u.6.
5) M. Kochmann, Die Einwirkung des Alkohols auf das Warmblüterherz. Arch.
intern, de Pharm, et de Therapie. Vol. XIII. Fase. V und VI.
6) Derselbe, Experimentelle Beiträge zur Wirkung des Alkohols auf den Blut¬
kreislauf des Menschen. Arch. intern, de Pharm, et de Thörapie. Vol. XV.
7) 0. Müller, Die unblutige Blutdruckmessung und ihre Bedeutung für die
practische Medicin. Med. Klin. 1908. Heft 2—4.
8) 0. Schmiedeberg, Pharmakologie. 1906.
9) W. Siegel, Abkühlung als Krankheitsursache. Zeitschr. f. exp. Path. u.
Ther. Bd. 5. H. 2.
10) R. von den Velden, Coordinationsstörungen des Kreislaufs. Habili¬
tationsschrift. Marburg 1907. 1
Anmerkung. Die hier nicht angeführte Literatur ist in 4 und 5 nachzusehen.
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XLII.
Aus der II. medicinischen Klinik der Charit6.
Ueber das Verhältniss von Lues, Tabes und Paralyse zum
Lecithin.
Von
Dr. Georg 1 Peritz.
Soll die Anschauung, dass die Tabes und Paralyse parasyphilitische
Erkrankungen sind, richtig sein, so muss man sich vorstellen, dass
ein Bindeglied existirt zwischen der Syphilis und der Tabes und Para¬
lyse. Als dieses Bindeglied hat man syphilitische Toxine schon vielfach
angenommen. Ich habe nun im Anfang dieses Jahres die Hypothese
aufgestellt, dass im Körper der Syphilitischen Toxine vorhanden sind,
welche eine grosse Affinität zum Lecithin besitzen. Nach meiner An¬
sicht sollten Verbindungen entstehen ähnlich den Toxolecitiden. Die im
Körper vorhandenen Toxine sollten das Lecithin binden, das sonst dem
Organismus für seine speciellen Aufgaben zu Gute kommt. Diese Ver¬
bindung zwischen Lecithin und syphilitischem Toxin sollte auf Grund
meiner Versuche durch den Darm im Kothe ausgeschieden werden. Wenn
diese Annahme richtig war, so musste durch das syphilitische Toxin
allmählich der Organismus einer Verarmung an Lecithin verfallen. Diese
Verarmung sollte den Grund abgeben für die Entstehung der Tabes
oder der Paralyse. Mit dieser Hypothese wurde die Tabes und Para¬
lyse aus einer Organerkrankung in die Reihe der Allgemeinerkrankungen
gerückt. Nicht nur das Nervensystem ist dann erkrankt, sondern der
ganze übrige Organismus, da ja bekanntlich das Lecithin in der Zell¬
funktion eine grosse Rolle zu spielen hat. Denn das Lecithin bildet
einen Theil der semipermeablen Membranen der Zellen, deren Vorhanden¬
sein für die osmotischen Vorgänge ausschlaggebend ist. Wenn nun
ferner meine Hypothese richtig ist, so muss man nicht nur Verände¬
rungen im Centralnervensystem finden können, es müssen auch solche
an anderen Organen vorhanden sein. Ja, diese Veränderungen an anderen
Organen müssen einen viel sichereren Beweis fär meine Annahme er¬
geben, als die Veränderungen im Gehirn. Denn wenn man im Central¬
nervensystem, besonders bei der Tabes, eine Verminderung an Lecithin
feststellt, so wäre der Einwurf berechtigt, dass die Degeneration der
Hinterstränge als das Primäre eine Abnahme an Lecithin, an dem das
39*
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Original fro-m
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608
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G. Peritz,
Nervensystem besonders reich ist, zur Folge haben müsste. Lässt sich
aber an anderen Organen eine Verminderung des Lecithingehaltes auf¬
finden, so ist dort der Einwand unmöglich, dass es sich um einen
secundären Process handelt. Ausserdem ergiebt sich aus meiner Hypo¬
these, dass im Blut, in dem ja wahrscheinlich die syphilitischen Toxine
nach der grundlegenden Entdeckung Wassermann’s kreisen, eine
Steigerung des Lecithinspiegels vorhanden sein muss. Wenn ich also
meine Hypothese beweisen wollte, so war der Weg für mich vor¬
gezeichnet. Ich musste einmal im Serum von Syphilitischen, von
Tabikern und Paralytikern den Lecithingehalt bestimmen, dann musste
ich ein Organ untersuchen, das normal grössere Mengen Lecithin enthält
und schliesslich noch einmal an weiteren Kranken feststellen, ob meine
Entdeckung, dass der Koth der Tabischen und Paralytischen mehr
Lecithin enthält als normal, aufrecht zu erhalten ist. Nun hat aber
auch die Entdeckung Wassermann’s in uns die Vorstellung gefestigt,
dass im Serum der Syphilitiker, Tabiker und Paralytiker gewisse Stoffe
kreisen, welche vielleicht zum Lecithin eine besondere Affinität haben.
Wenigstens Hess die Entdeckung von Porges und Meyer, dass das
Lecithin das syphilitische Antigen ersetzen kann, diese Annahme be¬
rechtigt erscheinen. Ich habe darum auch bei allen Fällen, bei denen
ich das Serum chemisch auf Lecithin untersuchte, die Wassermann’sche
Reaction geprüft. Und ich glaube, dass gerade durch den Vergleich
dieser beiden Versuchsreihen sich nicht nur interessante, sondern auch
praktisch wichtige Resultate ergeben haben.
Im Ganzen wurden von mir 19 Sera von an Tabes leidenden
Kranken untersucht und 6 Paralytiker-Sera. Ausserdem habe ich mit
Dr Blumenthal zusammen 10 Sera von Syphilitikern aus der Haut¬
klinik der Charite von Herrn Geheimrath Lesser untersucht. Die Unter¬
suchungen an den Sera von Luetikern werden noch von uns beiden fort¬
gesetzt, um verschiedene Fragen weiter zu studiren. Schliesslich habe
ich mit Dr. Glikin am Thierphysiologischen Institut der Landwirt hschaft-
lichen Hochschule das Knochenmark von 5 Paralytikern und 1 Tabiker
untersucht. Auch diese Untersuchungen werden noch fortgesetzt.
Ehe ich nun über die Resultate der verschiedenen Untersuchungen
berichte, möchte ich mit einigen Worten auf die Methode der Lecithin-
bestimmung eingehen. Es erscheint mir dies sehr wiohtig, da es darauf
ankommt, eine Methode zu haben, welche möglichst alles Lecithin aus
den Organen extrahirt. Nach den neuesten Untersuchungen über die
Lecithine erscheint diese Extraction nicht ganz einfach. Aus den
Arbeiten von Thudichum 1 ), ferner von Erlandsen 2 3 ), Bang 8 ), schliesslich
von Thierfelder 4 * ) und seinen Schülern haben wir erfahren, dass es
Lecithine giebt, welche nur in Alkohol löslich sind. Schon Hoppe-
1) Th u dich um, Chemische Constitution des Gehirns. 1901.
2) Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. 51. S. 71.
3) Ergebnisse der Physiologie. Bd. 2.
4) Stern u. Thierfelder, Zeitsohr. f. physiol. Chemie. Bd. 53; Mac Leau.
Bd. 57.
Gck igle
Original fro-m
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lieber das Verhältnis von Lues, Tabes und Paralyse zum Lecithin. 609
Seyler hatte darauf hingewiesen, dass ein Theil des Lecithins an
Eiweissstoffe gebunden ist und dass dieser Theil sich schwer in Aether
löse. Die vorher erwähnten Untersuchungen zeigen aber, dass es sich
um bestimmte Verbindungen handele, welche nicht identisch sind mit
den Lecithinen, die in Aether löslich sind. Die Vorschriften, welche in
Hoppe-Seyler’s Handbuch zur Extraction des Lecithins gegeben werden,
sind nicht genügend, um alles Lecithin aus den Organen oder aus den
Excreten zu gewinnen. Daher mag es kommen, dass z. B. Kauffmann
in seiner „Monographie über die Pathologie des Stoffwechsels bei Para¬
lytikern“ so geringe Werthe erhält. Ich werde allerdings noch später
auf diesen Punkt zurückkommen. Um möglichst alles Leciihin, das
vorhanden ist, zu gewinnen, habe ich die Methode von Dr. Glikin an¬
gewandt. Darnach wird das Serum mit Seesand getrocknet bei etwa
36°. Es wird dann 24 Stunden im Soxleth mit Aether extrahirt, dann
24 Stunden mit Alkohol und schliesslich wieder 24 Stunden mit Chloro¬
form. Die so erhaltenen Extracte werden verdampft, die Rückstände
mit Aether aufgenommen, filtrirt und schliesslich der Aether des Filtrates
verjagt. Der Rückstand ist als Rohfett anzusehen. Er wird nach der
Neumann’schen Methode aufgeschlossen, mittelst Salpeterschwefelsäure¬
gemisch und dann nach Neumann bestimmt. Die Berechnung des
Lecithins aus der gefundenen Phosphorsäure ist eigentlich nach den
heutigen Untersuchungen nicht recht zulässig, da wir wissen, dass es
Lecithine giebt, die einen höheren Procentgehalt an Phosphor haben als
3,6. Wenn ich mich doch entschlossen habe, in dieser Arbeit die
Lecithinzahlen zu berechnen, so geschieht dies aus dem Grunde, um
einen gewissen Anhalt zu haben für die vorhandenen Mengen an Fett,
welche im Serum Normaler wie der uns hier beschäftigenden Kranken
kreisen. Die Bestimmungen im Kothe wie im Knochenmark werden
nach denselben Grundsätzen ausgeführt.
Wie wichtig es ist, die zu extrahirenden Stoffe gründlich mit
Alkohol zu extrahiren, geht aus meinen Untersuchungen der verschiedenen
Extracte hervor, worauf auch E. Schultze 1 ) besonders hinweist. Ich
habe sowohl im Serum normaler wie in dem der Tabiker, Luetiker und
Paralytiker gesondert den Phosphorgehalt des Aether-, Alkohol- und
Chloroform-Extractes bestimmt (Tabelle I).
Es ergiebt sich also aus diesen Untersuchungen, dass im Serum
nur sehr geringe Mengen ätherlösliche Lecithine enthalten sind. Die
grössten Mengen finden sieh ihn Alkolmlex'ract, doch kann unter Um*
ständen der Alkoholextract ebenso wie der Chloroformauszug gleiche
Mengen Lecithine enthalten. Nach der Behandlung mit Alkohol scheinen
die Lecithine ätherlöslich zu werden. Denn verschiedentlich habe ich
beobachten können, dass der ganze Alkoholextract im Aether nachher
löslich war, ohne dass sieh noch ein Rückstand ergeben hätte. Ich
gehe auf diese Thatsache deswegen ein, weil jüngst in einer Discussion
1) E. Schulze, lieber die Darstellung von Lecithin usw. Zeitschr. f. physiol.
Chemie. Bd. 55. S. 338.
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610
G. Peritz,
Tabelle I.
Extract.
Fett
j Lecithin
Normal
Aether
! 0,864
No. 10
Alkohol
, 0,746
1,033
Chloroform
! 0,842
0,886
Normal
Aether
! 2,641
geringe
No. 8
Alkohol
1
2,221
Mengen
1,431
Chloroform
0,387
, 1,021
Lues
Aether
0,918
' Spuren
No. 1
Alkohol
0,935
1,093
Chloroform
0,486
1 1,034
Lues
Aether
5,709
0,461
No. 7
Alkohol
2,041
1,473
Chloroform
1,140
1,574
Tabes
Aether
1,173
—
No. 8
Alkohol
1,693
1,158
Chloroform
0,066
1,350
Paralyse
Aether
2,185
—
No. 10
Alkohol
1,700
| 0,095 j
1,589
Chloroform
1,222
Leonor Michaelis behauptet hat, dass Lecithinpeptone überhaupt nicht
in Aether zu lösen seien.
Im Ganzen wurden von mir 12 normale Sera auf Lecithin unter¬
sucht. Es handelt sich meistens bei der Herkunft dieser Sera um
Kranke der Charite, die sich in der Reconvalescenz befanden oder um
solche, die an leichtem Rheumatismus litten.
Keines dieser Sera zeigte eine Ablenkung. In Tabelle II finden
sich diese Sera zusammengestellt: In der ersten Reihe der Ausfall der
Wassermann’schen Reaction, in der zweiten der Gehalt von 1000g
Tabelle II.
No.
Diagnose
Name
Wasser*
mann’sche
Reaction
1000,0 I
Fettgehalt
g Serum
Lecithin
Bemerkungen
1
Neuritis
S.
5,743
0,875
2
Leichte Myo-
carditis, Re¬
convalescenz
PI.
2,886
1,234
3
Rheumatismus
Br.
—
2,639
2,062
—
4
do.
Si.
—
3,801
2,434
—
5
Neurasthenie
Sp.
—
5,336
2,159
—
6
Hysterie
w.
—
3,527
2,664
Blutentnahme nach dem
2. Frühstück
7
do.
w.
—
4,239
2,486
2. Blutentnahme 8 Tage
nach der ersten
8
Neurasthenie
J.
—
5,249
2,451
—
9
Lupus
Tr.
—
4,109
2,216
—
10
Normal
H.
—
2,452
1,919
—
11
do.
Tr.
—
4,852
2,313
—
12
do.
1
Fr.
—■
0,559
l
2,272
—
Gck igle
Original fro-m
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Ueber das Verhältniss von Lues, Tabes und Paralyse zum Lecithin. 611
Serum an Fett abzüglich des Lecithins und in der dritten Reihe die in
1000 g Serum enthaltenen Mengen Lecithin. Die höchsten Werthe,
welche ich gefunden habe, sind 2,66 g Lecithin. Bei diesem Kranken
konnte ich im Verlauf von etwa 8 Tagen zweimal einen Aderlass vor¬
nehmen. Bei der zweiten Untersuchung wurde der Gehalt an Lecithin
auf 2,48 bestimmt. Es ist also eine ziemlich geringe Schwankung des
Lecithingehaltes zu constatiren. Im Durchschnitt kann man wohl sagen,
dass der Lecithingehalt bei normalen Menschen etwa 2—2,2 g beträgt.
Bornstein, der vor Kurzem ebenfalls Bestimmungen des Lecithingehaltes
im Serum Normaler und Paralytiker angestellt hat, giebt für normale
Menschen einen Gehalt von 2,2—2,4 pCt. an. Erben giebt als normalen
Lecithingehalt ira Serum 1,8; 2,0; 2,1 pCt. an. Vergleicht man mit
diesen Lecithinzahlen den Gehalt des Serums an Fett, so sieht man,
dass hier bei Weitem grössere Schwankungen vorhanden sind. Während
der Gehalt an Lecithin zwischen 0,87 und 2,66 variirt, so ist der Fett¬
gehalt in einer viel grösseren Breite variabel, von 0,56 bis 5,74. Nun
kann man nicht den Einwand erheben, dass der Fettgehalt hier als
Folge der Nahrungsaufnahme anzusehen ist. Den in der Charitö be¬
findlichen Kranken wurde stets das Blut vor dem ersten Frühstück
entnommen. Nur der Patient, bei dem zweimal das Blut untersucht
wurde, hatte das erste wie das zweite Frühstück genossen. Bei den
ambulanten Patienten, von denen das Blut entnommen wurde, war
zwischen dem ersten Frühstück und der Blutentnahme immer ein Zeit¬
raum von 6 Stunden gelegen, in denen sie nichts genossen hatten. Zum
ersten Frühstück erhielten diese Menschen stets eine Tasse schwarzen
Kaffee und zwei trockene Semmeln.
Tabelle III.
No.
Diagnose
Name
Wasser-
mann’sche
Reaction
1000,0 j
Fettgehalt
f Serum
Lecithin
Bemerkungen
1
Lues
Z.
+++
2,337
2,128
2
do.
Bd.
+ -H-
2,702
2.586
—
3
do.
H.
-+++
4,921
2,915
—
4
Lues, Primär-
aflection
•N.
+
0,774
2,893
—
5
do.
N
+++
3,947
2,503
—
6
Lues
Schw.
-H-+
3,8*29
3,743
—
7
do.
Fw.
3,099
4,015
—
8
Luetische
Hemiplegie
Schl.
T
7,938
3,509
—
9
do.
Schl.
—
1.121
1,954
nach Schmiercur
10
Lues
Z.
+ ++
2,719
3,898
—
11
do.
w.
+++
2,165
2,596
—
In Tabelle III finden sich die von mir in Gemeinschaft mit
Dr. Blumenthal untersuchten Sera von Luetikern. Bei allen diesen
wurde die Wassermann’sche Reaction positiv gefunden. Bei einem
Fall einer luetischen Hemiplegie wurde die Untersuchung zweimal vor¬
genommen, einmal vor und das zweite Mal nach der Schmierkur.
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Original fro-m
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612
G. Peritz
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Während das Serum vor der Schmierkur ablenkte, war nach derselben
die Ablenkung geschwunden. Vor der Schmierkur war bei dieser Patientin
der Lecithingehalt 3,5. Nach der Schmierkur betrug er nur 1,95. Auf
dieses interessante Ergebnis müssen wir nachher noch einmal zurück¬
kommen. Bei einem zweiten Patienten wurde ebenfalls das Serum zwei¬
mal untersucht. Es handelte sich bei ihm um einen Primäreffect. Bei
der ersten Untersuchung war die Ablenkung nur schwach. Der Lecithin¬
gehalt betrug 2,89. Bei der zweiten Untersuchung, bei der die Ab¬
lenkung sehr ausgesprochen war, war er auf 2,5 gesunken. Aus der
Tabelle ersieht man, dass bei Luetikern der Lecithingehalt deutlich erhöht
ist. Vier Luetiker von den 10 haben einen Lecithingehalt über 3,5 g.
Der Fettgehalt schwankt auch hier wieder in weiten Grenzen. Es lässt
sich nicht wie beim Lecithingehalt eine Steigerung über das Normale
feststellen, sondern wir erhalten auch hier Zahlen, welche durchaus im
Rahmen der Zahlen bleiben, die wir bei Normalen fcststcllen können,
nur der Werth von 7,9 in dem ersten Serum der luetischen Hemiplegie,
erscheint sehr hoch.
Auch bei den 19 Tabikern und den 7 von mir untersuchten Para¬
lytikern können wir eine erhebliche Steigerung des Lecithingehaltcs ioi
Serum constatiren. Die Höchstzahl, welche erreicht wurde, ist 6,15 pM.
Ebenso fand 0. Bornstein 1 ) bei Paralytikern einen Gehalt von 4,0—4,4 pM.
Lecithin im Serum und Kauffmann in einem Fall 3,6 pM. Lecithin.
Bei einem Paralytiker konnte ich überhaupt kein Lecithin im Serum
Tabelle IV.
No.
Diagnose
Name
Wasser-
mann’sche
Reaction
1000,0 I
Fettgehalt
g Serum
!
Lecithin
Bemerkungen
1
Tabes
Och.
+
| 1,564
2,575
2
do.
Wa.
4
5,728
—
3
do.
Frd.
++
6,442
, 3,031
—
4
do.
Fr.
444
—
! 1,869
—
5
do.
Fr.
++ +
0,0
4,741
!
6 Tage 3,0 Cholesterin
in 100 g Oel
6
do.
Kl.,Vater
4-44
3,065
2,689
—
7
do.
Kl.. Sohn
44 +
0,354
2,814
Lues congenita
8
do.
Spr.
4
2,962
2,508
—
9
do.
ltg.
+ 4+4
4,278
4,096
—
10
Paralyse
Schk.
4+4
3,980
2,811
Schmicrcur
11
do.
Schb.
+44
1,339
3,058
—
12
do.
Klg.
+4+
0,992
3,187
—
13
do.
Gb.
4+4
7,964
4,778
Schmiercur. Rothe Blut¬
körperchen enthielten
kein Lecithin
14
do.
Fr.
+4-44
6,267
0,0
1
Epileptiker seit dem 13.,
Luesseitdem 20.Lcbens-
jahre; in den rothen
Blutkörperchen
Spuren Lecithin.
15
Taboparalysc
L
4+4
'2,280 |
5,418
1) Referat Ncurol. Centralbl. 1908.
Gck igle
Original fro-m
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Leber das Verhältniss von Lues, Tabes und Paralyse zum Lecithin. 613
. Tabelle V.
No.
Diagnose
Name
Wasser-
raann-sche
Reaction
1000,0 g Serum
Fettgehalt: Lecithin
Bemerkungen
1
Tabes
M.
3,202
■ 2,004
2
do.
Bl.
—
2,75
: 2,25
—
3
do.
Bl.
—
4,837
j 2,843
2. Untersuchung nach
3 Monaten
4
do.
J.
—
4,620
I 2,517
Tabes macht seit 3 Jahren
keine Fortschritte
5
do.
Lk.
—
2,396
j 1,037
—
6
do.
Lk.
0,942
4,750
"j
6 Tage 3,0 Cholesterin
in 100 g Oel, 4 Tage
danach 2. Blutentnahme
7
do.
Stb.
—
5,046
i 3,156
—
8
do.
Mor.
—
0,993
1 3,449
—
9
do.
Fr.
—
4,745
; 3 > 4
Lues congenita
10
do.
Gr.
—
2,887
5,304
—
11
Paralyse
H.
—
—
6,154
—
finden. Vergleicht man nun aber die Zahlen in Tabelle IV und V, in
denen die Tabiker und Paralytiker gesondert wurden nach ihrer positiven
oder negativen Wassermann’schcn Reaction, so ergiebt sich das inter¬
essante Resultat, dass der Lecithinspiegel bei denjenigen Tabikern und
Paralytikern am höchsten ist, die keine Ablenkung haben. Hier ist zu
betonen, dass es bei allen diesen nicht ablenkenden Sera sich um solche
von Patienten handelte, die von einer überstandenen Lues wussten.
Während bei den Sera mit positiver Reaction der Höchstwerth 4,7 ist,
wird er bei den negativen Fällen von zweien überschritten und zwar um
ein beträchtliches. Man muss sich vor Augen halten, dass es sich hier
um 1000 g Serum handelt. Da wir aber eine Serummenge von 2 bis
2 '/ 2 Liter im Minimum im menschlichen Organismus annehmen müssen,
so kreist also bei einem Gehalt von 6,1 g pM. Lecithin ein Ueberschuss
von 8—10 g im Serum.
Bei zwei Patienten wurde der Gehalt des Serums an Lecithin zwei¬
mal bestimmt. In einem Fall war die Wassermann’sche Reaction
negativ, in dem anderen positiv. Während die erste Untersuchung bei
beiden Fällen ausserordentlich niedrige Werthe ergab, wurde bei der
zweiten Untersuchung auch wieder in beiden Fällen 4,7 g Lecithin fest¬
gestellt. Die Fälle sind deswegen noch besonders erwähnenswerth, weil
sie in der Zwischenzeit 3 g Cholesterin täglich erhalten hatten. Ich
lasse es^dahingcstellt, ob diese Einnahme von Cholesterin eine Einwirkung
ausgeübt hat oder ob dies nur Zufälligkeiten sind.
Auf einen anderen Punkt möchte ich hier noch hinweisen. Serum
No. 10 der Tabelle V stammt von dem Patienten, den ich in meiner
ersten Veröffentlichung erwähnt hatte. Bei ihm war nach Einspritzung
von Lecithin die Ablenkung geschwunden. Auch jetzt lenkt sein Serum
nicht ab. Es zeigt aber eines der höchsten Werthe an Lecithin. Ich
habe seitdem nie wieder direct das Schwinden der Wassermann’schen
Reaction nach'Lecithin-Injectionen beobachten können. Ich möchte aber
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614
G. Peritz,
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hier auf eine Beobachtung aufmerksam machen. Wenn ich meine Zahlen
der ablenkenden und nicht ablenkenden Fälle von Tabes berechne, so ergiebt
sich eine erhebliche Verschiedenheit meiner Zahlen mit denen aller übrigen
Untersucher. Ich hatte im Ganzen bei 32 Tabikern die Wassermann’sche
Reaction ausgeführt, davon waren 18 Fälle positiv und 14 negativ. Ich
finde also 56,25 pCt. positiv und 43,75 pCt. negativ, dagegen ist die
Durchschnittszahl bei den übrigen Untersuchungen 70 pCt. positiver und
30 pCt. negativer Fälle. Sobald ich aber diejenigen negativen Fälle ab¬
ziehe, im Ganzen 6 Fälle, welche von mir schon früher längere Zeit
mit Lecithin-Injectionen behandelt worden sind, so komme ich zu den
gleichen Zahlen wie die übrigen Untersucher, zu 69,23 pCt. positiver
und 30,77 pCt. negativer Fälle. Man könnte indirect daraus den Schluss
ziehen, dass auch bei diesen durch Injection von Lecithin die Wasser-
mann’sche Reaction negativ geworden ist. Porges 1 ) hat in einem
Falle nach neunwöchiger Lecithinbehandlung ebenfalls die Ablenkung
schwinden sehen.
ln meiner ersten Veröffentlichung über diese meine Untersuchungen
hatte ich die Lecithinmengen angegeben, welche ich im Rothe von zwei
Tabikern und einem Taboparalytiker gefunden hatte. Ich habe nun bei
zwei weiteren Tabikern und zwei Paralytikern noch Stoffwechselversuche
angestellt. Von den beiden Tabikern zeigte der eine eine positive
Wassermann’sche Reaction, der andere eine negative. Alle vier Kranke
haben eine gleichmässige Nahrung erhalten und zwar: 1500 ccm Milch,
150 g Fleisch, 200 g gekochten Reis, 100 g Butter und 210 g Weiss¬
brot. Bei den beiden Tabikern dauerte der Versuch 16 Tage. Im
Beginn wurde eine Blutentnahme gemacht und am letzten Tage der
Nachperiode. Die beiden Patienten erhielten vom 7. —13. Tage täglich
3 g Cholesterin. Bei den beiden Paralytikern erstreckte sich der Versuch
nur über 5 Tage. Bei beiden Kranken wurde eine Schmierkur vor¬
genommen. Aus Tabelle VI ergiebt sich, dass sich bei beiden Paralytikern
eine Steigerung des Lecithingehalts im Serum, aber ein geringerer Gehalt
an Lecithin im Koth fand. Dagegen hatten die beiden Tabiker erheb¬
liche Lecithinmengen im Koth. Bei beiden ist der Gehalt des Serums
im Lecithin auffällig gering in der ersten Periode, während im Gegensatz
dazu die Ausscheidung im Koth aussergewöhnlich hoch ist. Bei dem
Tabiker Fr. sinkt nun die Ausscheidung im Koth, während der Lecithin¬
gehalt im Serum ansteigt. Bei dem Tabiker L. erreicht die Lecithinmcnge
in der zweiten Periode den enormen Werth von 7,2 g. Ich möchte
allerdings glauben, dass hier das Oel, welches zur Lösung des Cholesterin
diente, dazu beigetragen hat, die Ausscheidung zu erhöhen. Vielleicht
haben die grossen Fettmassen rein physikalisch das Lecithin mitgeführt.
Aus der Gegenüberstellung der Lecithinausscheidung im Koth und der im
Serum kreisenden Lecithinmengen ersieht man, dass ein Parallelismus
zwischen beiden Vorgängen nicht immer vorhanden sein muss. Es wäre
möglich, dass zeitweise in irgend einem Organ Retentionen von Lecithin
stattfänden ehe diese Mengen in den Darm entleert werden. Vielleicht
1) Wiener klin. Wochenschr. ltK)8. S. 748.
Gck igle
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Ueber das Verhältniss von Lues, Tabes und Paralyse zum Lecithin. 615
Tabelle VI.
-
—
' fl
JS
r O
fl- 2
a |
8«
Lecithin im
Koth pro die
o
w
s
o „
3 a
.5 2
5-9
1000 g
Leci- j
Serum
Fett
3.S
5SS
thin im '
[ im
£ 8
£
Serum
Serum
1
Tabopara-
Perl. 4,078
14,83
8,26
_
lytiker J.
. 2. 2,42
13,80
1
2
Tabiker W.
+
. 1. 3,112
„ 2. 0,799
7,26
8,2
2,62
2,575»)
! 5,728
3
Tabische Schl.
+
„ 1. 0,466
„ 2. 0,136
„ 8. 0,557
, 4. 1,534
4,32
—
j
i
i
3,82
5,97
8,09
4
Tabiker Fr.
4+4
. 1. 2,299
. 2. 1,872
. 3. 1,116
7,83
7,83
7,83
1.1,869 (
2. 4,741| 0,0
5
Tabiker L.
„ 1. 3,084
. 2. 7,221
» 3. 4,252
7,83
7,83
7,83
1. 1,037
2.4,750
2,396
0,942
6
Paralytiker G.
444
0,1311
4,778
1 7,964
in den rothen
Blutkörper¬
chen 0,0 Lee.
7
Paralytiker
444
0,510
7,83
2,803
l 3,988
—
Sch.
i
spielt die Leber und die Gallenblase das vermittelnde Organ, über
welches die Ausscheidung der Lecithide vom Blut in den Darm erfolgt.
Betrachtet man nun die ganze Tabelle, welche die Untersuchungs¬
ergebnisse von 7 Kranken enthält, so ergiebt es sich, dass die Aus¬
scheidung des Lecithins im Koth durchaus nicht andauernd hoch ist.
Bei No. 2 ist die Ausscheidung in der ersten Periode hoch und in der
zweiten Periode übersteigt sie kaum die normalen Werthe. Bei No. 3
ist die Ausscheidung in den ersten drei Perioden also während 15 Tage
niedrig, um dann in der Nachperiode einen hohen Werth zu erreichen.
Wenn daher Kauffmann bei seinen Untersuchungen Phosphormengen
gefunden, die etwa denen Normaler entsprechen, so erscheint dies nach
meinen Untersuchungen wohl möglich. Ich bin aber nicht sicher, ob
nicht auch die durchaus nicht zureichende Methode, die Kauffmann
anwandte, an dem geringen Befund an Phosphorsäure schuld ist. Kauff¬
mann findet im Serum eines Paralytikers 3,64 g Lecithin in 1000 ccm
Serum. Ihm ist nicht klar, wie man bei der erheblichen Menge von
Lecithin im Serum von einer Lecithinverarmung sprechen kann. Ich
hoffe, meine Auseinandersetzungen werden dazu führen, Klarheit zu
schaffen. Dagegen möchte ich einen Irrthum berichtigen, dem ich in
meiner ersten Publication verfallen bin. Ich habe damals angenommen,
dass die Abnahme des Lecithingehaltes im Kothe von der ersten zur
zweiten Periode bei den Tabikern, die ich untersuchte, zurückzuführen
sei auf die von mir bei ihnen gemachten Lecithininjectionen. Aus der
1) Die Lecithinbestimmung im Serum ist 1 Jahr nach dem StofTwechselversuch
vorgenommen worden.
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G. Peritz,
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Gesammtheit der Zahlen der Tabelle VI muss man jedoch schliessen,
dass die Höhe der Lecithinausscheidung an sich gewissen Schwankungen
unterworfen ist.
Ich hatte im Anfang dieser Arbeit auseinandergesetzt, dass vom
theoretischen Standpunkt eine Verarmung des Organismus an Lecithin
sich in allen Organen, die Lecithin enthalten, offenbaren müsse. Ich
hatte angenommen, dass eine solche Verminderung sich im Knochenmark
würde nach weisen lassen. Das Knochenmark enthält nach G likin
erhebliche Mengen Lecithin, selbst bei einem 88jährigen Manne werden
in den Röhrenknochen noch 1,83 g Lecithin auf 100 g Fett gefunden.
Ein 34jähriger Mann hatte 3,30 g Lecithin im Knochenmark. Im
Durchschnitt findet Glikin 1 ) beim erwachsenen Menschen 2,4 g Lecithin.
Meine Untersuchungen in Gemeinschaft mit Dr. Glikin an den Röhren¬
knochen von 5 Paralytikern und einem Tabiker, die alle im Alter von
30—45 Jahren standen, ergaben nicht nur eine Verminderung
des Lecithingehaltes, sondern einen vollkommenen Schwund oder
nur geringe Spuren Lecithin. Der Höchstgehalt, den wir fanden,
war 0,29 pCt. bei einer Paralytischen im Alter von 31 Jahren. Es
stellt dies den zehnten Theil des normalen Befundes dar 2 ). Im An¬
schluss an diese überaus einheitlichen Ergebnisse unserer Untersuchung
des Knochenmarks möchte ich einen Befund erwähnen, welcher in
Parallele zu setzen ist mit diesen Ergebnissen und der meines Erachtens,
wenn auch bislang nur in 2 Fällen constatirt, ausserordeutlich interessant
ist. Ich fand bei dem Paralytiker G., No. 13 der Tabelle V, in den
rothen Blutkörperchen keine Spur von Lecithin, bei dem Paralytiker Fr.
nur Spuren Lecithin. Da ja die rothen Blutkörperchen aus dem
Knochenmark stammen, so ist anzunehmen, dass bei diesen Para¬
lytikern das Knochenmark schon seines Lecithingehaltes beraubt war.
Interessant ist dieser Befund deswegen, weil wir meinen, dass ohne
Lecithin eine Zelle nicht functionsfähig ist. Ein Analogon zu diesem
Befunde bilden die Untersuchungen Erben’s 3 ), der fand, dass bei
Diabetikern der Lecithingehalt der rothen Blutkörperchen abnimmt.
Dazu kommen dann noch die Ergebnisse der Untersuchungen von
Klemperer und Umber 4 5 ). Sie fanden im Coma diabeticum eine Ver¬
mehrung des Lecithingehaltes im Blute. Ebenso haben Frugoni und
Marchetti 6 ) im Coma diabeticum eine Lipoidämie nachgewiesen. Durch
1) Glikin, Biochem. Zeitschrift. Bd. IV. S. 235.
2) ln zwei Fällen, die ich jüngst untersuchte, fand ich normalen Lecithingehalt
im Knochenmark. Bei dem einen Fall ist es zweifelhaft, ob eine Paralyse vorgolegen
bat. ln dem anderen Fall ist dagegen die Diagnose einer Paralyse als sicher anzu¬
sehen. Hier scheint es sich um eine sehr langsam verlaufende Form gehandelt zu
haben, die intercurrent durch eine Tuberculose zum Abschluss gelange. Für den
langsamen Verlauf spricht wenigstens die Angabe der Krankengeschichte, dass die
Pat. sich etwa bis 14 Tage vor dem Exitus noch ruhig, geordnet und freundlich ge¬
halten habe. Die Dauer der Krankheit scheint zwei Jahre betragen zu haben.
3) Erben, Wiener klin. Wochenschr. Sitzungsber. 1907. S. 1417.
4) Klemperer und Umber, Zeitschrift f. klin. Med. 1907. S. 145.
5) Frugoni und Marchetti, Berliner klin. Wochenschr. 1908. S. 1844.
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lieber das Verhältniss von Lues, Tabes und Paralyse zum Lecithin. t>17
diese Thätsachen werden die tebischen Veränderungen, die bei Diabetes
nicht selten gefunden werden, in ein neues Licht gerückt. Man sieht,
dass auch hier das Lecithin eine Rolle spielt.
Ehe ich auf die Besprechung meiner Befunde eingehe, möchte ich
noch auf die Untersuchung von Apelt und Schümm mit einigen Worten
hin weisen. Diese beiden Autoren haben in der Spinalflüssigkeit die
Phosphorsäure bestimmt. Sie fanden, abgesehen von der Urämie, die
höchsten Werthe an Phosphorsäure in der Spinalflüssigkeit der an
Dementia paralytica leidenden Kranken. Als Parallelbefund zu dem von
Apelt und Schümm 1 ) festgestellten hohen Gehalt der Spinalflüssigkeit
an Phosphorsäure bei einem Fall von Urämie kann ich berichten, dass
ich ebenfalls bei einer Urämischen im Coraa 3,95 g Lecithin gefunden
habe. Stellt man dazu noch die Reichardt’schen 2 ) Resultate, dass bei
narkotisirten Hunden eine Zunahme des Lecithingehaltes des Serums
stattfindet, so ergiebt sich daraus, dass wohl vorübergehend eine
Steigerung des Lecithingehaltes im Serum unter dem Einwirken narko¬
tischer Stoffe eintritt, während aber im Serum der Luetiker, Tabiker und
Panalytiker dauernd eine Steigerung des Lecithinspiegels im Serum vor¬
handen ist.
Fassen wir die Resultate unserer Untersuchung zusammen, so ergiebt
sich einmal eine erhebliche Steigerung des Lecithinspiegels im Serum.
Diese Steigerung erreicht nicht nur 50pCt., sondern auch 100 und 200pCt.
Die Vermehrung des Lecithins im Serum erscheint um so klarer, sobald
man sich vor Augen hält, dass doch ungefähr im menschlichen Organismus
272 Liter Serum kreisen. Nimmt man an, dass für gewöhnlich 5 g
Lecithin im Serum sich finden, so kreisen schon bei einer Vermehrung
des Lecithingehaltes um 50 pCt. 77 2 g Lecithin. Bei einem Gehalt
von 3,5 g Lecithin in 1000 ccm Serum würde dann das Plus 3,75 g betragen
und bei 6 g in 1000 ccm Serum 10 g Lecithin. Kaufmann meint, dass es
nicht leicht zu verstehen wäre, wie bei der reichlichen Nahrungsaufnahme
von Lecithin eine Verarmung an Lecithin im Organismus stattfinden könne.
Im Durchschnitt nehmen wir ungefähr bei einer gemischten Nahrung
8 g Lecithin täglich auf. Im Fall 3 meiner ersten Publication, der
Milch 2 Liter, Schabefleisch 100 g, Kartoffelmus 200 g, Weissbrot 75 g
und 60 g Butter erhielt, betrug der Mittelwerth der täglichen Lecithin¬
einnahme 4,317 g. Nach den verschiedenen Untersuchungen wird sicher
im Darm ein Theil der Lecithine durch Darm- und Pankreasfermente
zerlegt. Ob eine Synthese des Lecithins im Organismus stattfindet, ist
nicht mit Sicherheit anzunehmen. Im jugendlichen Alter ist sie vielleicht
wahrscheinlich. Wenn 60 pCt. des in der Nahrung eingeführten Lecithins
der Zersetzung entgingen, so würden nicht viel mehr als 5 g Lecithin
in das Serum gelangen können. Diese Menge würde den täglichen Bedarf
des Organismus decken müssen. Es ist ja möglich, dass auch noch ein
Plus gedeckt werden kann. Immerhin scheint es schon aus blossen
Berechnungen nicht unmöglich, dass bei einer dauernden Heranziehung
1) Archiv f. Psych. Bd. 44. H. 2.
2) Zeitschrift f. klin. Med. Bd. 65. H. 3—4.
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G. Peritz,
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des Lecithins zu anderen Zwecken als zu denen es physiologisch bestimmt
ist, eine Verarmung an Lecithin eintritt. Aus unseren Untersuchungen
am Knochenmark geht es aber deutlich hervor, dass diese Annahme
einer Verarmung des Organismus an Lecithin nicht in der Luft schwebt.
Bei 5 Paralytikern und 1 Tabiker findet sich ein so einheitliches Resultat,
wie man es selten bei pathologisch - chemischen Untersuchungen zu
sehen Gelegenheit hat. Gerade die Einheitlichkeit der Resultate veran-
lasste mich schon jetzt Schlüsse aus diesen Befunden zu ziehen, wenn
auch manchem vielleicht die Zahl von 6 untersuchten Röhrenknochen
noch nicht genügend erscheinen mag. Vielleicht giebt es noch andere
Krankheiten, bei denen durch Toxine das Lecithin in Anspruch genommen
wird. Die Untersuchungen von Calmette und seinen Schülern 1 ) über die
Toxine der Tuberkelbacillen, des Tetanus und der Diphtherie sprechen
dafür, dass sicher eine grosse Reihe von Bakterien Toxine produciren,
die eine Bindung mit dem Lecithin eingehen. Ebenso habe ich schon
vorher auf die Affinität der Lecithine zu den Narcotica, sei es, dass sie
inhalirt oder im Organismus producirt werden, hingewiesen. In keinem
Fall scheinen es aber so dauernde Vorgänge zu sein, die eine Inanspruch¬
nahme des Lecithins herbeiführen wie bei der Lues. Denn wir sehen,
dass Luetiker, die vor 20—30 Jahren die Lues acquirirt haben, die in
dieser Zeit scheinbar gesund waren, noch immer eine positive Wasser¬
mann'sehe Reaction aufweisen. Die Ausscheidung des Lecithins scheint
durch den Darm zu erfolgen. Wie ich zeigen konnte, scheint sie aber
nicht andauernd so gleichmässig zu sein und auch nicht parallel zu
gehen mit der Vermehrung des Lecithins im Serum. Ich machte darauf
aufmerksam, dass möglicher Weise etwa in der Gallenblase Retentionen
stattfänden, so dass die Ausscheidungen dann nur zeitweise auftreten
würden. Wenn auch im Detail noch viele Fragen zu beantworten sind,
so geht doch aus meinen Untersuchungen so viel hervor, dass im Groben
die Hypothese einer Verarmung des Organismus an Lecithin als Ursache
der Tabes und Paralyse auf einer sichereren Grundlage zu stehen
scheint, als bei meiner ersten Veröffentlichung.
In meiner ersten Publication habe ich die Vermuthung ausgesprochen,
dass es sich vielleicht bei der vermehrten Ausscheidung des Lecithins
im Kothe um die Ausscheidung von Toxolecitiden handele oder um
Verbindungen ähnlicher Natur. Auf Grund des Befundes, dass in einem
Fall durch Leeithininjeetion die Wasfcermann’sche Reaction, die An¬
fangs positiv war, sich in ihr Gegentheil umkehrte und ferner auf Grund
der Entdeckung von Porges, dass das Lecithin das syphilitische Antigen
ersetzen könne, sprach ich die Ansicht aus, dass auch im Organismus
innige Beziehungen bestehen zwischen den Körpern, welche die Wasser¬
mann'sehe Reaction bedingen und dem Lecithin. Sieht man sich nun
unsere Zahlen unter diesem Gesichtspunkte an, so muss man zugestehen,
dass gerade diejenigen Fälle, welche nicht ablenken, und die sicher Lues
gehabt hatten, zum Theil recht hohe, ja die höchsten Werthe an Lecithin
1) C. r. de l’Academie des Sciences. 30. März 1908; Petit, C. r. de las soc.
de biol. 15. Mai 1908.
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Ueber das Verhältniss von Lues, Tabes und Paralyse zum Lecithin. 61i)
geben. Es ist auch eigenartig, dass der Tabiker, bei dem nach Lecithin-
injcctionen die Wassermann’schc Reaction zum Schwinden gebracht
wurde, einen so hohen Werth wie 5,3 g Lecithin im Serum aufweist.
Für diese Thatsache giebt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder hat
das Lecithin mit den die Ablenkung bedingenden Körpern nichts zu thun
oder aber es besteht thatsächlich eine Beziehung zwischen ihnen. Unter
dem ersten Gesichtswinkel wäre die Steigerung des Lecithins im Serum
bei Luetikern, Tabikern und Paralytikern im Ganzen schwer verständ¬
lich. Um uns ein Bild von dieser Zunahme zu verschaffen, müssen wir
immer annehmen, dass irgend welche Stoffe im Serum vorhanden sind,
welche das Lecithin an sich fesseln, ebenso wie es bei der Narkose
durch die narkotischen Stoffe geschieht. Würden wir aber diese An¬
nahme machen, so sind wir nur noch einen Schritt davon entfernt, die
Wasser m an n’sche Reaction in Beziehung zu setzen zur erkannten
Steigerung des Lecithins im Serum. Ich habe schon mehrfach auf die
Punkte hingewiesen, die die Annahme einer Affinität zwischep den ab¬
lenkenden Körpern und dem Lecithin zn beweisen scheinen. Ich betonte
schon vorher, dass es mir zwar noch nicht gelungen sei, durch Lecithin-
Injectionen die Wassermann’sche Reaction wieder zum Schwinden zu
bringen. Es muss jedoch auffällig erscheinen, dass die Berechnung
meiner ablenkenden und nicht ablenkenden Fälle eine Verschiebung um
13,75 pCt. gegenüber denen anderer Forscher zu Gunsten der nicht ab¬
lenkenden Fälle ergiebt. Unter diesen Fällen, die nicht ablenken, be¬
findet sich eine Anzahl solcher, die von mir lange Zeit mit Lecithin-
Injectionen behandelt worden sind. Ziehe ich die schon behandelten
Fälle ab, so erhalte ich dieselben Zahlen wie die übrigen Untersucher.
Auch aus dieser Berechnung scheint sich zu ergeben, dass eine Be¬
ziehung zwischen Lecithin und dem ablenkenden Körper vorhanden ist.
Auf einen anderen Punkt möchte ich noch hinweisen. Während das
Lecithin nicht immer das syphilitische Antigen zu vertreten vermag, ist
der alkoholische Extract des Ochsenherzens stets als Ersatz für das
syphilitische Antigen zu gebrauchen. Nun wissen wir aus den Unter¬
suchungen Erlandsen’s, dass der alkoholische Extract des Herzens
hauptsächlich Lecithine enthält vom Charakter der Diamidomonophos-
phatide. Die Beziehung wird noch eine engere, wenn wir uns die Er¬
gebnisse der verschiedenen Extractuntersuchungen des Serums, die ich
in Tabelle I angeführt habe, vor Augen halten. Im Serum sowohl
Normaler wie der Luetiker, Tabiker und Paralytiker finden sich nur ge¬
ringe oder gar keine Mengen ätherlöslicher Lecithine. Dagegen ist die
Hauptmenge der Lecithine im Alkohol löslich. Es scheint sich also im
Wesentlichen bei den Bindungsvorgängen im Serum zwischen ablenkenden
Substanzen und Lecithinen um derartige nur alkohollösliche Lecithine
zu handeln. Schliesslich möchte ich noch auf ein Factum mich be¬
ziehen, welches auch für die Bindung zwischen Lecithin und ablenkenden
Substanzen zu sprechen scheint. Im Fall No. 7 der Tabelle III (luetische
Hemiplegie) war die Wassermann’sche Reaction positiv und nach einer
Schmiercur war die Reaction geschwunden. Bei der ersten Serumunter¬
suchung vor der Schmiercur betrug der Lecithingehalt 3,5 g, nach der
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620 G. Peritz, Ueber das Verhältniss von Lues, Tabes u. Paralyse zum Lecithin,
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Schmiercur nur noch 1,95. Stellen wir daneben die andere Beobachtung,
in der durch Lecithin-Injectionen die Wassermann’sche Reaction zum
Schwinden gebracht wurde, so ergiebt sich hier gerade das Gegentheil.
Hier ist der Lccithinspicgel ausserordentlich hoch. Am ehesten würden
diese beiden Facta sich erklären lassen durch die Annahme, die wir ge¬
macht haben, dass nämlich zwischen Lecithin und ablenkenden Sub¬
stanzen eine Bindung stattfindet. Dann wäre die Steigerung auf der einen
Seite erklärlich, während es auch verständlich würde, dass durch eine
Schmiercur nicht nur, wie man ja schon aus manchen Beobachtungen
weiss, die Ablenkung schwindet, sondern auch eine Abnahme des
Lecithins resultirt. Ich möchte noch eine Beobachtung anführen, die zu
Gunsten dieser Annahme spricht. In einem Falle fand ich im Serum,
das 24 Stunden nach einer Lecithin-Injection auf die Ablenkung unter¬
sucht wurde, dieselbe vollkommen geschwunden. Das Serum sah
wie Milch aus. Bei einer späteren Untersuchung lenkte das Serum
wieder ab. Vielleicht liesse sich durch künstliche Steigerung des Lecithins
im Serum auch ohne Injection experimentell vorübergehend das Schwinden
der Ablenkung herbeiführen.
Supponirt man eine solche Bindung zwischen Lecithin und den
Körpern, die die Ablenkung bedingen entweder in rein chemischem oder
chemisch-physikalischem Sinne, so würde das Vorhandensein einer Ab¬
lenkung besagen, dass im Serum einer solchen Person ein Ueberschuss
über Lecithin an ablenkenden Substanzen vorhanden ist. Es liesse sich
aber bei negativem Ausfall der Wassermann’schen Reaction das Vor¬
handensein oder Fehlen von Lues erst dann entscheiden, wenn man
wüsste, ob die vorhandene Lecithinmenge im Serum normal oder ge¬
steigert ist. Dafür, dass das Fett in irgend einer Beziehung zu den
ablenkenden Substanzen steht, geben meine Untersuchungen keinen An¬
halt. Denn die Fettbestimmungen zeigen bei Luetikern, Tabikern und
Paralytikern keine Verschiedenheiten gegenüber denen bei Normalen.
Gewiss wird von Vielen die Frage ausgeworfen werden, warum nicht
jede Lues, die jahrelang eine Ablenkung im Serum bedingt, zur Tabes
und Paralyse führt. Denn bei dem grossen Reichthura an Lipoiden im
Centralnervensystem wird ja gerade dieses Organ am ehesten unter einer
Verarmung leiden. Es erscheint aber doch nicht unwahrscheinlich, dass
diese Verarmung gleichmässig den ganzen Organismus trifft und dass
vielleicht bei Individuen, deren Lecithinhaushalt an sich sehr gross ist
und bei denen nicht gar zu grosse Mengen ablenkender Substanzen
kreisen, die Schädigung des Centralnervensystems durch den Verlust an
Lecithin sehr gering ist. Ferner liegt aber auch die Möglichkeit vor, dass
bei manchen Individuen das Lecithin aus anderen Organen gezogen wird,
die vielleicht bei diesenlndividuen einen Locusminorisresistentiae darstellen.
Auf die Bedeutung des Lecithins für den Organismus brauche ich
nach den vielen Arbeiten, die über dieses Thema in den letzten Jahren
erschienen sind, nicht noch einmal einzugehen. Ich weise nur auf die
Arbeiten von Meyer und Overton, von Porges und Höber hin. Höber 1 )
1) Höber, Beiträge zur physik. Chemie der Erregung und der Narkose. Arch.
f. d. ges. Physiologie. Bd. 120. S. 492.
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l'eber das Verhältnis von Lues, Tabes und Paralyse /.um Lecithin. 621
hat sogar in seiner letzten Arbeit versucht, den Actionsstrom auf die
physikalisch-chemischen Veränderungen in den colloidalen Lipoiden, be¬
sonders im Lecithin, zurückzu/ühren.
Es bleibt noch manche Frage bei diesem Problem zu lösen. Be¬
sonders wichtig erscheinen mir die Untersuchungen über die Art der
Lecithine, welche im Serum kreisen und welche in Verbindung mit den
Körpern treten, die die Ablenkung bedingen. Wenn die Behauptung
Erlandsen’s zu Recht besteht, dass die alkohollöslichen Lecithine stets
Diamidomonophosphatide sind, so müsste man annehmen, dass im Serum
wesentlich solche sich befinden und dass diese auch wesestlich die
Bindung mit den ablenkenden Substanzen eingehen. Auch für unsere
therapeutischen Maassnahmen wäre diese Erkenntniss von Wichtigkeit.
Denn bis jetzt führt man nur Gemische aller Lecithine ein, während
man bei der Erkenntniss, dass bestimmte Lecithine nur das Reactions-
product abgeben können, man diese Substanzen einzuführen suchen
muss. Aus unseren Tabellen geht ferner deutlich hervor, dass das
Lecithin nicht die supponirten Luestoxine entfernt. Die einfachste Er¬
klärung ist die, dass das Lecithin sie absättigt. Daraus folgt aber
auch, dass das Lecithin nicht als Heilmittel der Syphilis anzusehen ist.
Bei der Tabes und Paralyse handelt es sich aber nicht mehr nur um
die ablenkenden Körper, sondern um die jahrelang bestehende Ent¬
ziehung des Lecithins und der daraus resultirenden Verarmung an
Lecithin. Erfahrungsgemäss werden Schmiercuren von Tabikern sehr
schlecht vertragen. Im Wesentlichen wird es sich darum handeln, zu
versuchen, ob man nicht durch Lecithininjectionen der Verarmung an
Lecithin entgegen arbeiten kann, vielleicht auch, ob man durch combi-
nirte Anwendung von Quecksilber und Lecithin einmal die Bildung von
Luestoxinen beseitigen und das zweite Mal durch Lecithininjectionen
dem Organismus wieder neue Lecithinmengen zu führen könnte.
Aus meinen Untersuchungen ergiebt sich also, dass im Serum von
Luetischen, Tabischen und Paralytischen der Lecithinspiegel gegen die
Norm erhöht ist, dass ferner zeitweise grosse Mengen Lecithin bei
Tabikern und Paralytikern im Kothe ausgeschieden werden und dass
schliesslich im Knochenmark von Paralytikern und Tabikern ein voll¬
ständiger Schwund des Lecithins zu constatiren ist. Es ist wahrschein¬
lich, dass eine Bindung zwischen Lecithin und ablenkenden Substanzen
stattfindet und dass der positive oder negative Ausfall der Wasser¬
mann'sehen Reaction bei Kranken, die an Lues leiden, abhängig ist
von der Menge des vorhandenen Lecithins. Ein negativer Ausfall der
Wassermann'sehen Reaction könnte einmal besagen, dass keine ab¬
lenkenden Substanzen mehr im Serum kreisen oder zweitens, dass ge¬
nügend Lecithin im Serum vorhanden ist, um die ablenkenden Substanzen
abzusättigen. Es erscheint also die Annahme berechtigt, dass die Tabes
und Paralyse auf einer Verarmung des Organismus an Lecithin beruht
und dass die Lues-Toxine diese Verarmung bedingen.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd.
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XLIII.
Aus der I. medicinischen Universitäts-Klinik in Wien.
Versuche fiber die Einwirkung von Arzneimitteln
auf überlebende Coronargefässe.
Von
Hans Eppinger und L. Hess.
Die Angriffspunkte der verschiedenen Arzneikörper sind theils die
Zellen der Organe, theils das Gefäss- und Nervensystem. In Folge dessen
stellen die am lebenden Organismus nach Einverleibung von Arzneien
beobachteten Erscheinungen zumeist eine Resultante dar aus einer
specifischen Beeinflussung von Organzellen und einer allgemeinen Ein¬
wirkung auf Gefässe und Nerven. Das Studium der ersteren für sich
allein stösst im lebenden Thierkörper auf unüberwindliche Schwierigkeiten;
der einzig mögliche Weg hierzu ist die Beobachtung des isolirten, künst¬
lich durchbluteten Organs. Dieser Weg erweist sich aber auch nützlich
für das Studium der Einwirkung von Giften auf die Gefässe, indem das
wechselnde Verhalten der Ausflussmenge des künstlich unter bestimmtem
Druck durch ein Organ hindurch getriebenen Blutes ein Urtheil erlaubt
über die Aenderungen, welche die Weite der betreffenden Gefässe unter
der Einwirkung von pharmakologischen Agentien erfährt. Allerdings
bleibt bei dieser Methode und eben so bei der der Bestimmung der
Ausflussmenge des Blutes am lebenden Thiere unbestimmt, welcher Theil
der Gefässbahn (Arterien, Venen, Capillaren) betroffen war. Dem
gleichen Bedenken unterliegt die onkometrische Methode. Da mit den
Gefässen die Gefässnerven gleichzeitig der Giftwirkung ausgesetzt sind,
gestatten beide Methoden nicht, die Gefäss- von der Nervenwirkung zu
unterscheiden. Nur eines lässt sich mit Leichtigkeit erkennen, ob nämlich
der Angriffspunkt des betreffenden Pharmakon im centralen oder auch
im peripheren Nervensystem gelegen ist. Manche Organe zeigen aber
eine gewisse Vitalität auch ohne künstliche Oirculation. Lässt sich
unter solchen Umständen eine Arzneiwirkung feststellen, dann geschieht
sie zweifellos direct, zum Mindesten ohne Betheiligung der Gefässe,
eine Trennung zwischen Zell- und Nervenwirkung lässt sich auch so
nicht strenge durchführen. Ein Schritt weiter war einerseits die Ver¬
wendung von Organbrei, anderseits das Studium an isolirten Nerven-
und Blutgefässen.
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Versuche über die Einwirkung von Arzneimitteln auf überlebende Coronargefässe. 623
Von wie hoher practischer Bedeutung es sein kann, die Wirkung
eines Arzneikörpers auf die Zellen eines Organs, auf seine Gefässe und
Nerven getrennt zu kennen, zeigt am besten das Studium der Herz¬
wirkung der Digitalis.
Der günstige Einfluss, den die Körper der Digitalis-Gruppe auf das
geschwächte Herz zu nehmen vermögen, ist uns durch die alltägliche,
klinische Beobachtung geläufig. Die Darreichung der Digitalis ist keine
unbegrenzte und nach Ueberschreitung gewisser Grenzen tritt eine schäd¬
liche Einwirkung auf das Herz hervor. Eben so zeigt das Experiment
am Thier, dass bei Anwendung von grossen Digitalisdosen die anfängliche
Hebung der Herzkraft in ihr Gegentheil Umschlägen und das Herz zum
Stillstand kommen kann. Auch bei Anwendung von therapeutisch statt¬
haften Dosen stellen sich in manchen Fällen unerwünschte Neben¬
wirkungen ein, die allem Anschein nach mit der Beeinflussung des Herz¬
muskels in keinem directen Zusammenhang stehen.
Wegen der in manchen Fällen auftretenden hochgradigen Pulsver¬
langsamung wurde der Digitalis eine vagotrope Wirkung zugeschrieben.
Gewisse Anhaltspunkte führten zu der Annahme, dass auch die Coronar¬
gefässe nicht unbeeinflusst bleiben, ein Umstand, der deshalb von grosser
practischer Bedeutung ist, weil eine Verbesserung der Digitaliswirkung
einerseits durch gleichzeitige Darreichung von negativ vagotropen Mitteln,
anderseits von sicher gefässerweiternden Agentien zu erwarten ist.
Wäre der Nachweis einer die Coronargefässe verengenden Componente
in der Digitalis mit Sicherheit erbracht, so wären wir genöthigt, entweder
von vornherein die Anwendung grosser Digitalis-Dosen zu unterlassen
oder ihre unerwünschte Einwirkung auf die Coronar-Arterien durch gleich¬
zeitige Zufuhr von gefässerweiternden Mitteln zu paralysiren. Denn
darüber kann kein Zweifel bestehen, dass die ungestörte Function eines
Organs eine ausreichende Circulation zur Voraussetzung hat.
Es ist bekannt, dass Adrenalin, intravenös verabfolgt, Gefässcon-
traction und Blutdrucksteigerung zur Folge hat. Den vermehrten Widerstand
in der Peripherie vermag das Herz durch vermehrte Arbeit zu überwinden.
Eine derartige Mehrleistung des Herzens wäre auffallend, wenn an der
allgemeinen Gefässcontraction auch die Kranzarterien betheiligt und daher
die Blutversorgung des Herzens verschlechtert wäre. In der That konnte
auch Langendorff 1 ) nachweisen, dass Adrenalin die Coronarge¬
fässe nicht nur nicht verengert, sondern sogar mächtig er¬
weitert.
Für das Studium von Arzneiwirkungen auf isolirte Gefässe eignet
sich vorzüglich die Methode von 0. B. Meyer 2 ), die im Wesentlichen
darin besteht, dass die Veränderungen der Länge eines ausgespannten
Arterienquerschnittes durch Hebelübertragung auf einer Kymographion-
Trommel registrirt werden. Im Princip lehnt sich dieses Verfahren den
1) v. Langendorff, Leber die Innervation der Coronargefässe. Centralbl. f.
Physiologie. 1907. S. 551 ff.
2) 0. B. Meyer, Ueber einige Eigenschaften der Gofässrnuskulatur. Zeitschrift
für Biologie. 48. 1906. S. 352 ff.
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024
H. Eppinger und L. Hess
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älteren kymographischen Methoden an. Vorbedingung ist die Anwendung
von Gefässen frisch geschlachteter Thiere, aber auch dann ist wiederholte
Controle nöthig.
Des weiteren muss berücksichtigt werden, dass die Gifte nicht wie
unter physiologischen Umständen bloss von der Intima her wirken,
sondern das Gefäss von allen Seiten umspülen. Wenngleich practisch
auch bei diesem Verfahren die Trennung zwischen Gefäss- und Neben¬
wirkung unmöglich ist, erscheint es doch in vielen Fällen in hohem
Grade wahrscheinlich, dass es sich um Nervenwirkung handle. Nach
dieser Methode wurden die im Folgenden mitzutheilenden Versuche ange¬
stellt. —
Von hohem theoretischen Interesse ist die Frage, ob der von
Langendorff aufgedeckte Antagonismus von Herz- und peripheren Ge¬
fässen dem Adrenalin gegenüber auch bei anderen Arzneistoffen in Er¬
scheinung tritt. Das Adrenalin ist eine Substanz, die am Sympathicus
angreift, seine Wirkung ist Contraction der peripheren, Erweiterung der
Herzgefässe. Da ein Antagonismus zwischen sympathischen und auto¬
nomen Nerven unzweifelhaft besteht, erschien es möglich, dass sichere
„Vagusmittel 44 im Gegensatz zum Adrenalin die peripheren Arterien
erweitern und die Coronargefässe verengen. Ein solches Vagusmittel ist
das Pilocarpin und das in seiner Wirkung verwandte Physostigmin.
Von beiden steht es fest, dass sie im lebenden Thiere die peripheren
Gefässe erweitern. Von beiden liess sich am herausgeschnittenen, frischen
Gefässquerschnitte zeigen, dass sie die peripheren Gefässe erweitern,
während sie die Coronararterien zur Verengerung bringen. Es scheint
somit der Antagonismus zwischen sympathischen und autonomen Nerven¬
giften auch hinsichtlich der Gefässwirkung zu Recht zu bestehen.
Vom Cholin ist es seit Lohmann’s 1 ) Untersuchungen bekannt, dass
es am lebenden Thiere die Gefässe erweitert und am herausgeschnittenen,
überlebenden Darm die Bewegungen hemmt. Diese am peripheren
Gefässsystem zu constatirende, dem Adrenalin antagonistische Function
findet eine Analogie in dem Verhalten der Coronararterien des Herzens:
Cholinchlorhydrat bewirkt auch in starker Verdünnung eine
Contraction der Kranzgefässe.
Dieser Antagonismus von Herz- und peripheren Gefässen bei Ein¬
wirkung von Adrenalin, Pilocarpin, Physostigmin, Cholin ist gleichzeitig
wohl ein Hinweis darauf, dass es sich bei den genannten Substanzen in
erster Linie um Nerven- und nicht um Gefässmuskel-Beeinflussung
handelt. Das Atropin beispielsweise, das sich sonst negativ vagotrop
zu verhalten pflegt, lässt einen Gegensatz zwischen Herz- und peripheren
Gefässen nicht erkennen; beide werden durch Atropin dilatirt, vielleicht
deshalb, weil es sich bei der Atropinwirkung in erster Linie um
Beeinflussung der Gefässmuskulatur handelt. Eben so wirkt das Calcium,
das sicherlich ein Muskelgift darstellt, gleichsinnig — nämlich contra-
hirend — auf beide Gruppen von Gefässen. Der Calciumwirkung identisch
ist die Wirkung des Barium, conträr die der Nitrite (Natürlich war in
1) Pflüger’s Archiv 1908. Bd. 122. S. 203 if.
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Versuche über die Einwirkung von Arzneimitteln auf überlebende Coronargefässe. 625
allen Fällen die angewendete Giftconcentration so gering, dass Salz¬
wirkung auszuschliessen war).
Geprüft wurde des Weiteren eine ganze Anzahl von bekannten
Herz- und Gefässmitteln hinsichtlich ihrer Einwirkung auf die Kranz-
gefässe. Es stellte sich heraus, dass die Digitaliskörper (Digalen,
Digitoxin, Strophantin) die Coronar- und peripheren Arterien ver¬
engen, die Coffein- und TJieobromin - Salze sie erweitern 1 ).
Von Jodpräparatenliess sich kein Effect nachweisen. Die von Zülzer 2 )
jüngst empfohlene Ergotina styptica Egger erweiterte die Gefässe
des Herzens und dürfte auch aus diesem Grunde für die Herztherapie
von Wichtigkeit sein.
Uebersichts-Tabelle.
Angewendete Substanz
Coronaria
Peripheres
Gefäss
Adrenal. hydrochl. Takamine
i
Erweiterung 1
Verengerung
Cholin, hydrochlor. Mercz .
Verengerung ,
Erweiterung
Physostigmin, salicylic. . . .
Verengerung i
Erweiterung
Pilocarpin, hydrochl.
Chlorbaryum.
Verengerung
I
Erweiterung
Digitoxin.
Digalen Cloetta.
> Verengerung
! Verengerung
Strophantin Böhringer . . .
Atropin, sulfur.
1
Erweiterung
1
Erweiterung
Ergotina styptica Egger . .
Erweiterung
| —
Natr. nitrosum.
Erweiterung
1 Erweiterung
Natr. jodatum.
ohne Wirkung
In das Versuchsgefäss, das 10 ccm Ringer’sche Flüssigkeit (Temperatur 37 bis
40° C.) enthielt, wurden 1—2 Tropfen einer 1 prom. wässerigen Lösung der jeweils
angewendeten Substanz eingeträufelt. Die Jodsalze wurden ausserdem auch in stärkerer
C-oncentration (1 pCt.) geprüft. Bezüglich der näheren' Details der Versuchsanordnung
siehe die Originalabhandlung von 0. B. Meyer, 1. cit.
1) In oncometrischen Versuchen an Kaninchennieren fanden Jonescu u. Loewi
(Archiv f. experimentelle Pathologie. 1908. Bd. 59. S. 711 ff.) Erweiterung der
Nierenarterie durch minimale Digitalisdosen,
2) Zeitschrift f. experimentelle Pathologie und Therapie. Bd. 5. 1908. S. 295.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XLIV.
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Aus der Königl. dermatolog. Universitätsklinik zu Breslau.
(Director: Geh. Med.-Rath Prof. Dr. A. Neisser.)
Ueber die hämolytische Wirkung des Sublimats.
Von
Dr. Sh. Dohi aus Tokio (Japan).
Es ist seit langem bekannt, dass das Sublimat ein ungemein heftiges
Blutgift ist. Genaue Untersuchungen dieser Erscheinung wurden bisher
selten vorgenommen. Neuerdings haben nun Detre und Seilei 1 ) über
die hämolytische Wirkung des Sublimats eine ausführliche Untersuchung
gemacht. Im Anschluss daran hat noch Hans Sachs 2 ) einige Versuche
mitgetheilt. Für Syphilidologen hat die ganze Frage natürlich noch ein
besonderes Interesse, und so habe ich Gelegenheit genommen, diese
Subliraathämolyse noch einmal zu untersuchen. Im grossen und ganzen
stimmen unsere Resultate mit denen von Detre und Seilei überein;
doch sind wir in mehreren Punkten zu anderen Ergebnissen gekommen.
Wir werden hier die Resultate unserer Versuche etwas genauer mit¬
theilen.
I. Die Blutresistenz gegen die hämolytische
Wirkung des Sublimats.
Bei allen unseren Versuchen verwendeten wir nach der Angabe von
Detre und Seilei immer eine etwas hypertonische, nämlich 1 proc.
Kochsalzlösung. Einerseits stellten wir mit dieser Kochsalzlösung die
verschiedenen Concentrationen des Sublimats, und andererseits die 5proc.
defibrinirte Menschenblutemulsion her. Zu je 1 ccm von verschieden ver¬
dünnten Sublimatlösungen setzten wir 0,1 ccm der 5 proc. Blutemulsion.
Im Verlauf unserer Versuche haben wir die Thatsache festgestellt,
dass die äusserst verdünnten Sublimatlösungen, und zwar
unter 1:500 000, in einigen Stunden nach der Herstellung schon
ihre hämolytische Wirkung ganz oder mehr oder weniger ver¬
lieren; seitdem haben wir sie jedesmal aus der 1 proc. Originallösung
des Sublimats frisch hergestellt.
Die hämolytische Wirkung des Sublimats gegen ungewaschenes
1) Berliner klin. Wochenschr. 24. Juli 1904. Wiener klin. Wochensohr. No. 45,
40. 1904.
2) Wiener klin. Wochenschr. No. 35. 1905.
Gck igle
Original fro-m
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Ueber die hämolytische Wirkung des Sublimats.
627
Menschenblut tritt nur bei einer gewissen Concentration derselben und
nach einer gewissen Zeit auf. Bei 37° C innerhalb der ersten Stunde
zeigt sich Hämolyse bei einer Concentration von 1 : 10 000—1 : 150 000;
bei noch grösserer Verdünnung tritt die Hämolyse erst nach längerer
Einwirkung ein. Wir haben die Versuchsröhrchen immer 2 Stunden bei
37° C und dann 18 Stunden bei Zimmertemperatur gehalten. Nach
unserer Erfahrung scheint dieses Verfahren viel besser zu sein, weiljnan
dadurch das Resultat viel deutlicher und genauer beobachten kann;
dagegen wird durch längere Einwirkung der Wärme (5 Stunden) die
klare complette Lösung wieder etwas getrübt.
Nach mehreren Untersuchungen des ungewaschenen Menschenblutes
haben wir durchschnittlich die folgeude Scala bekommen:
Tabelle I.
Verdünnung
1 Std. in
2 Std. in
18 Std. in
Sublimats
37° C.
370 C.
Zimmertemperatur
1: 10 000
1 : 12 500
etwas
incomplet
etwas
incomplet
\Die obere Schicht der
1 Flüssigkeit gelbröth-
( lieh klar, und auf
1: 15 000
incomplet
incomplet
1 : 25 000
incomplet
incomplet
1 oder weniger weiss-
1 / liehe Niederschläge.
1 : 50 000
incomplet
incomplet
1 : 75 000
complet
complet
complet
1 : 100 000
complet
complet
complet
1: 150 000
Spuren
complet
complet
1: 200 000
0
complet
complet
1: 250 000
0
complet
complet
1: 333 000
0
Spuren
complet
1: 400 000
0
0
complet
1: 500 000
0
0
complet
1: 600 000
0
0
incomplet
1: 750 000
0
0
stark
1:1000 000
0
0
Spuren
1:1500 000
0
0
0
Die Lösungszone der Subliraatverdünnung reicht von 1 : 10 000
bis 1:1 000 000. An der oberen Grenze dieser Lösungszone, nämlich
1 : 10 000—1 : 50 000, tritt keine complette Lösung ein, sondern bei
Zimmertemperatur sieht man nach 18 Stunden mehr oder weniger weiss-
liche Niederschläge auf dem Boden, aber keine rothen Blutkörperchen.
Diese Niederschläge bilden sich aus einer chemischen Verbindung zwischen
Quecksilber und Eiweiss des Blutes. Sie treten blos bis zu einer Sublimat-
concentration von etwa 1:50 000 ein; bei weiterer Verdünnung nicht
mehr. Die obere Schicht der Flüssigkeit zeigt sich gelb-röthlich klar.
Wenn man die Röhrchen schüttelt, so wird die Flüssigkeit wieder un¬
durchsichtig. Je concentrirter die Sublimatlösung ist, desto reichlicher
fallen die Niederschläge aus.
Bei verschiedenen Individuen zeigt die obere complette Lösungs¬
grenze nur wenige Schwankungen. Dagegen weist die untere complette
Lösungsgrenze relativ grössere Schwankungen auf, und diese Schwankungen
kann man bei der unteren Grenze viel deutlicher und genauer als bei
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S li. D o h i,
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der oberen beobachten.. Im Laufe unserer Untersuchung schwankte
diese untere complette Lösungsgrenze zwischen 1:400 000—1:750 000
und die partielle Lösung zwischen 1 : 750 000—1: 1 000 000. Wenn
man die Probe noch länger bei Zimmertemperatur fortsetzt, so geht die
untere partielle Lösungsgrenze noch weiter nach abwärts.
Wie man bei Tabelle I sieht, tritt die Hämolyse in der ersten Stunde
bis 1 : 150 000, in der zweiten bis 1 : 333 000 bei 37° C und in den
weiteren 18 Stunden bei Zimmertemperatur bis 1000 000 ein. Also
fängt die Hämolyse desto schneller an, je concentrirter die Sublimat¬
lösung ist. Um die Blutresistenz zu bezeichnen, berechnen wir immer
die untere complette Lösungsgrenze nach der ganzen Beobachtungsdauer.
Ausser der Concentration und der Einwirkungszeit des Sublimats ist die
Schnelligkeit der Hämolyse auch zu der Temperatur proportionirt. Bei
niedriger Temperatur tritt die Hämolyse ganz langsam oder unvollständig
ein; dagegen bei höherer Temperatur, z. B. im Wasserbade von 45° C
tritt die complette Lösung bei Verdünnung von 1 :150 000 schon inner¬
halb 20 Minuten ein, während Spuren von Lösung bei derselben Ver¬
dünnung in der ersten Stunde bei 37° C sich zeigen.
Die vorher angegebene Scala (Tab. I) ist ein Lösungswerth des
nativen Menschenblutes, in dem ausser den Blutkörperchen noch
Serum enthalten ist. Wenn die 5 proc. defibrinirte Blutemulsion durch
Centrifugiren und Abpipettiren von der serumhaltigen Flüssigkeit befreit
wird, und dann solche von neuem mehrfach durch 1 proc. Kochsalzlösung
ersetzt wird, so bekommt man eine serumfreie, gewaschene Blutkörperchen¬
emulsion. Diese isolirten Blutkörperchen sind gegen Sublimat
viel empfindlicher als die native Blutemulsion. Durch ver¬
gleichende Versuche des nativen Blutes und der gewaschenen Blut¬
körperchen desselben Individuums erhält man folgende Resultate:
Tabelle II.
Verdünnung
des Sublimats
1: 600 000
1: 750 000
1:1 000 000
1:1 500000
1 : 2 000 000
i
Natives Blut
F. W.
complet
incomplet
0
0
j
0
Gewaschenes Blut
F. W.
complet
complet
complet
incomplet
Spuren
Natives Blut
E. F.
incomplet
incomplet
Spuren
0
l
0
Gewaschenes Blut
E. F.
complet
complet
complet
incomplet
Spuren
Der Unterschied des Lösungswerthes zwischen beiden beruht nach
Detre und Seilei darauf, dass das enthaltende Serum in der nativen
Blutemulsion eine neutralisirende Eigenschaft für die vergiftende Wirkung
des Sublimats (Schutzwirkung) besitzt. Näheres über die Schutzwirkung
des Serums werden wir unter dem betreffenden Kapitel sagen.
Zwischeh Syphilitikern und Nichtsyphilitikern konnten
wir Verschiedenheit der Blutresistenz nicht constatiren, eben¬
sowenig zwischen dem Blute von Syphilitikern mit positiver oder negativer
Syphilisseroreaction.
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Original fram
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Ueber die hämolytische Wirkung des Sublimats.
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Wir haben auch im Laufe unserer Versuche Gelegenheit gehabt,
das Blut eines Patienten mit Quecksilberidiosynkrasie zu untersuchen.
In der Verrauthung, dass das Blut dieses Menschen auch eine empfind¬
lichere Eigenschaft gegen die hämolytische Wirkung des Sublimats haben
kann, untersuchten wir den Lösungswerth dieses Blutes und gleichzeitig
den des Blutes anderer Menschen als Controle. Doch konnten wir
keine Differenz zwischen beiden constatiren.
Was den Einfluss der Quecksilberbehandlung auf die Resistenz
des Blutes anlangt, so scheint er uns nach unseren Versuchen nicht
bedeutend zu sein. Zum Vergleiche haben wir die Blutresistenz von
den schon mit Quecksilber behandelten und nichtbehandelten Patienten
untersucht und haben folgende Scala bekommen:
Tabelle III.
Blutkörperchenresistenz von nicht Hg behandelten Individuen.
Fälle
Seroreact. 1
Verdünnun
g des Sul
| 1:750000^
Dlimats
1:400000
1:500000
| 1:600000
1:1000000 1
1:1500000
1. R. K.
+
complet
complet
complet
1 incomplet
Spuren
0
2. F. S.
-h
complet
complet |
complet
incomplet
Spuren
0
3. H. K.
0
complet
i complet
complet
I complet !
Spuren
0
4. A. G.
+
complet
i incomplet
incomplet
massig
Spuren
0
5. A. H.
+
complet
complet
! complet
incomplet i
0
0
6. N. T.
0
complet
complet i
incomplet
stark
Spuren
0
7. F. E.
complet
complot 1
incomplet
incomplet
Spuren
0
Tabelle IV.
Blutkörperchenresistenz nach Hg-Behandlung.
Fälle
-u»
<v
u,
o
bl
©
<72
Hg-Behandlung
Verdünnung des Sublimats
1:400000! 1:500000 1:600000 1:750000
1 i
1:1000000
1:1500000
1. P. S.
0
12 Calomelinject.
complet | complet j incomplet incomplet
Spuren
0
2. L. S.
0
11 Calomelinject.
complet | incomplet incomplet stark
0
0
3. R. S.
0
10 01. ciner.-Inject.
complet complet complet 1 complet
Spuren
j 0
4. B.N.
+
9 Calomelinject.
complet 1 complet complet incomplet
Spuren
0
5. K.B.
+
11 Calomelinject.
complet complet massig | Spuren
0
0
6. R.H.
0
14 01. ciner.-Inject.
complet | incomplet, massig massig
0
0
'• J. S.
+
14 Calomelinject.
complet i complet complet j incomplet
i ■ ! i
incomplet
0
Wenn man nun mit den unteren completten Lösungsgrenzen der¬
selben eine Curve beschreibt, so sieht man zwischen beiden keine be¬
sondere Differenz von Schwankungen des Lösungswerthes; bei beiden
schwankt der Titer zwischen 1:400 000 und 1 : 750 000. Nur bei der
partiellen Lösungsgrenze weist diese eine etwas grössere Schwankung
bei den behandelten Patienten auf; doch scheint es uns keine nennens-
werthe Differenz zu sein. (Siehe Tab. V).
Um den etwaigen Einfluss von Quecksilberbehandlung in relativ
enorm grossen Dosen auf die Blutresistenz zu untersuchen, haben wir
bei zwei Kaninchen folgende Versuche vorgenommen. Zuerst stellten
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Sh. Dohi,
Tabelle V.
wir den Lösungstiter für Kaninchenblut in normalem Zustande fest; dann
injieirten wir alle Tage je 3 mg Sublimat ins subcutane Gewebe, und
dann machten wir in den verschiedenen Zeiträumen ßlutuntersuchungen
bei denselben Kaninchen. Die Resultate sind folgende:
Tabelle VI.
Erstes Kaninchen.
Verdünnung
des Sublimats
1:600000
1:750000
1:1000000
1:1500000 i
1
1:2000000
Vor Injection
complet
complet
complet
Spuren
i
i
0
Nach 1 Injection
complet
complet
complet
massig
0
„ 6 .
complet
complet
complet
stark
0
„ 12 „
complet
complet
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0
> 17 ,
complet
incomplet
0
0
i
0
Zweites Kaninchen.
Vor Injection
complet
complet
incomplet
0
0
Nach 1 Injection
complet
complet
incomplet
0
0
- 6 ,
complet
complet
incomplet
massig
Spuren
„ 11 *
complet
complet
complet
complet
stark
, 17 *
complet
complet
complet
Spuren
0
* 22 ,
complet
complet
complet
0
i
0
Bei beiden Kaninchen bleibt die untere complette Lösunsgrenze nach
der ersten Injection in derselben Höhe wie in normalem Zustande. Beim
ersten Kaninchen wurde die Blutresistenz ein wenig empfindlicher nach
6 Injectionen, und beim zweiten viel empfindlicher nach 11 Injectionen;
beim ersten deutlich resistenter und beim zweiten weniger resistenter
nach weiteren Injectionen. Doch liegt die complette Grenze beim
zweiten nach 22 Iujeetionen noch etwas niedriger als im normalen Zu¬
stande. Aus diesen Resultaten der Thierexperimente konnten wir also
ebenfalls keinen sicheren Einfluss der Quecksilberbehandlung auf die
Blutresistenz constatiren. Es sei hier erwähnt, dass auch Detre und
Seilei einen bedeutenden Einfluss der Hg-Behandlung auf die Blut¬
resistenz gegenüber der Sublimatwirkung nicht constatiren konnten. Heber
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632
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sucht. In Tabelle VII befindet sich der Lösungswerth nach der ersten
Stunde bei 37° C und in Tabelle VIII nach der ganzen Beobachtungs¬
dauer. Bei der ersten bemerkt man eine gewaltige Differenz des
Lösungswerthes zwischen den verschiedenen Thierarten; bei der letzteren
ist diese Differenz relativ geringer. Von den Blutarten, die wir zu
unseren Untersuchungen gewonnen haben, ist das Kaninchenblut am
empfindlichsten und das Taubenblut am resistentesten gegen die hämo¬
lytische Wirkung des Sublimats.
Beim Kaninchenblut tritt die complette Lösungszone schon nach
der ersten Stunde bei 37° C von 1:25 000 bis 1:600 000 ein, und
nach der ganzen Beobachtungsdauer geht er nur ein wenig noch weiter
nach unten bis 1:1 000 000; also braucht die complette Hämolyse beim
Kaninchenblut nur sehr kurze Zeit.
Das Taubenblut löst sich nach der ganzen Beobachtungsdauer von
1:5 000 bis 1:600 000; doch setzen sich am Boden sämratlicher
Röhrchen in dieser Zone weissliche Niederschläge ab.
Das Affenblut hat ungefähr gleiche Blutresistenz wie beim Menschen;
doch die Zeitdauer bis zur completten Lösung ist etwas kürzer.
Die Empfindlichkeit des Pferdeblutes ist nach der ganzen Be¬
obachtungsdauer wie beim Kaninchen: aber die Lösung tritt hier viel
langsamer ein, wie man es in Tabelle VII sieht. An der oberen Grenze
der Lösungszone sieht man eine ziemlich reichliche Menge von weiss-
lichen Niederschlägen.
Das Hammelblut löst sich nach der ersten Stunde gar nicht bei
verschiedenen Verdünnungen des Sublimats; erst nach der zweiten Stunde
bei 37° C tritt die Hämolyse von 1 : 8 000 bis 1 : 500 000 ein, und nach
weiteren 18 Stunden bei Zimmertemperatur geht die Lösung bis
1:1 000 000. Also ist die Zeitdauer bis zur Lösung beim Hammelblut
äusscrst lang.
Der Lösungswerth des Schweineblutes ist nach der ganzen Be¬
obachtungdauer fast gleich wie beim Hammelblut; aber die Lösung tritt
etwas schneller als bei letzterem ein, nämlich nach der ersten Stunde
sieht man die incomplette Lösung von 1 : 5 000 bis 1 :250 000. An
einigen Röhrchen der oberen Lösungsgrenze bemerkt man eine ziemlich
reichliche Menge von weisslichen Niederschlägen.
Das Meerschweinchenblut ist viel resistenter gegen Sublimatlösung
und braucht längere Zeitdauer bis zur Lösung als Kaninchenblut.
Beim Froschblut (gewaschenes Blut) tritt die Hämolyse nach der
ersten Stunde gar nicht bei verschiedener Concentration des Sublimats
ein wie bei Hammelblut; nach der zweiten Stunde (37° C) treten Spuren
der Lösung von 1:150 000 bis 1:500 000 auf, und nach weiteren
18 Stunden in Zimmertemperatur sieht man an der Oberfläche eine farb¬
lose, wasserklare Flüssigkeit und am Boden der Röhrchen gelblichbraune
Niederschläge bei der Verdünnung von 1 : 5000 bis 1 : 100 000, und bei
weiterer Verdünnung abwärts bis 1 :2 000 000 an der Oberfläche eine
röthliche, klare Hämoglobinschicht und am Boden eine weissliche Ab¬
setzung.
Bei Kalb- und Rinderblut liegen die Verhältnisse etwas anders;
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHIGAN
lieber die hämolytische Wirkung dos Sublimats.
633
zuerst tritt die Hämolyse in der Umgebung von 1:150 000 ein, und
bei längerer Zeitdauer geht die Lösung nach aufwärts bis 1 : 5000 und
nach abwärts 1 : 1 000 000. In allen Röhrchen dieser Lösungszone sieht
man eine ganz klare gelb-röthliche Hämoglobinschicht, keine Spur von
weisslichen Niederschlägen.
Wie wir oben beschrieben haben, ist die Zeitdauer bis zur Lösung
bei derselben Concentration für die verschiedenen Thierblutarten sehr ver¬
schieden. Um diese Zeitdauer noch genauer zu beobachten, haben wir
beim Menschen-, Kaninchen-, Rinder- und Hammelblut mehreremal exacte
Untersuchungen gemacht.
Die Zeit, die von Anfang bis zum Beginn der Hämolyse vergangen
war, bezeichnen wir als die Incubationszeit der Hämolyse. Die Zeit,
die vom Beginn der Hämolyse bis zur completten Lösung verflossen ist,
bezeichnen wir als die Geschwindigkeit der Hämolyse. Wie man
in Tab. IX sieht, ist die Geschwindigkeit in allen Fällen ausnahmslos
um so schneller, je kürzer die Incubationszeit dauert. Beim Menschen-
und Hamraelblut richtet sich die Kürze der Incubationszeit nach der
Concentration der Sublimatlösung, z. B. beim Menschenblut ist die
Minutenzahl der Incubation bei der Verdünnung 1 : 15 000 acht Minuten,
und bei 1 : 500 000 sechzig Minuten. Beim Kaninchenblut und besonders
beim Rinderblut zeigt die Incubationszeit ganz andere Verhältnisse; bei
der Verdünnung 1:100 000 ist die Minutenzahl der Incubation am
kürzesten (6 Minuten) und weiter nach aufwärts und abwärts wird die
Zeitdauer immer länger. Zwischen Kaninchen- und Hammelblut zeigt die
Zeitdauer von Incubation und Geschwindigkeit der Hämolyse grosse
Differenzen, beim ersten ist in allen Verdünnungen des Sublimats die
Zeitdauer bedeutend kürzer als beim letzteren.
Tabelle IX.
a) Minutenzahl vom Anfang bis zum Beginn der Hämolyse. (Incubationszeit der
Hämolyse.)
b) Minutenzahl vom Anfang bis zur eompleten Lösung.
Minutenzahl vom Beginn der Hämolyse bis zur eompleten Losung. (Ge¬
schwindigkeit der Hämolyse.)
Verdünnung
des Sublimats
Menschen 1
a b c
Kaninchen
a b c
Rind
a b
i
c !
Hammel
a b
c
1 : 5 000
i
13V 2 —22
8 V 2
12 —
15
3
1 : 10 000
—
—
15-22
7
14—
17
3
1 : 15 000
8 - 9
l
—
13 Vs—18
41/2
15—
20
5
1 : 25 000
872-12
3V*
5— 6
1
13-17
4 i
I 0 V 2 —
22
6 i/o
1 : 50 000
10—13
3
2 3 / 4 — 3
74
8—12
4 '
16—
23
7
1 : 100 000
13—17
4
2 */.,— 3
7 2
6 — 9
3
21 —
30
9
1 : 200 000
20-31
11
3— 4
1
12—16
4
21 —
30
9
1 : 333 000
30-46
16
4— 6
2
19-24
5
29—
42
13
1 : 500 000
60—90
30
8-11
3
32—42
10
36—
51
15
1 : 750 000
—
—
—
75—
120
45
1: 1 000 000
—
30-50
20
—
—
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
634
Sh. Dohi
Digitized by
II. Die Schutzwirkung des Serums und der Blutzellen gegen die
hämolytische Wirkung des Sublimats.
Aus der Differenz der Lösungswerthe zwischen den nativen und
gewaschenen Blutkörperchen kann man leicht vermuthen, dass das
Serum gegen die vergiftende Einwirkung des Sublimats eine schützende
Eigenschaft besitzt. Wenn man ein Serum in verschiedenen Mengen zu
einer Sublimatlösung fügt, so bemerkt man thatsächlich, dass die
Sublimatlösung ihre hämolytische Einwirkung gänzlich oder
nur zum Theil verliert. Zu unseren Untersuchungen haben wir
immer die Sublimatlösung von 1:200000 als Gift, und die mit lproc.
Kochsalzlösung 5 mal verdünnte Menschenserumlösung, die im Wasser¬
bade von 55° C. während 30 Minuten erwärmt wurde, sowie als Test¬
flüssigkeit die 5 proc. gewaschene Haramelbluteraulsion angewandt.
Zuerst setzten wir in je 1 ccm Sublimatlösung eine verschiedene Dosis
der inactivirten Serumlösung zu, und nach 15 Minuten noch 0,1 ccm
von Hammelblutemulsion. Dieser Versuch zeigte Folgendes:
Tabelle X.
Menge des
reinen Serums
ccm
1 Std. in i
37° C.
2 Std. in
37° C.
18 Std. in
' Zimmer¬
temperatur
0,020
1
0 1
complct
complet
0,030
0
0
' complet
0,035
0
0
Spuren
0,040
0
0
0
0,045
0
0
j 0
0,050
0
0
i 0
Nun sehen wir, dass 0,04 ccm Serum gegen die vergiftende Wirkung
von 1 ccm 1:200000 Sublimatlösung vollständig schützt, das heisst:
0,04 ccm Menschenserum neutralisirt 0,005 mg Sublimat. Bei mehr¬
maligen Untersuchungen und bei verschiedenen Menschen schwankte die
Schutzdosis des Serums von 0,035—0,05 ccm.
Nun haben wir die Schutzwirkung des Serums in einer anderen
Versuchsordnung geprüft. Eine verschiedene Dosis des inactivirten
Menschenserums wird zunächst mit je 0,1 ccm Hammelblutemulsion ge¬
mischt, dann 1 ccm 1 : 200000 Sublimatlösung zugesetzt. Das Resultat
zeigt fast keine Differenz des Schutzwerthes gegenüber der früheren
Versuchsanordnung (s. Tabelle XI). Gleichzeitiger Serum- und Giftzusatz
schützt also die rothen Blutkörperchen vor der Vergiftung. Die Bindung
zwischen Serum und Sublimat erfolgt demnach augenblicklich und die
Schutzkraft des Serums ist daher nicht abhängig von der Bindungsdauer
zwischen Serum und Gift.
Es ist sehr interessant, diese Thatsache nicht bloss vom theore¬
tischen, sondern auch vom therapeutischen Gesichtspunkt aus zu be¬
trachten. Wenn man die Sublimatlösung in subcutane oder intramuscu-
läre Gewebe injicirt, so verbindet sich das Sublimat zuerst zum grossen
Theil mit dem Uymphsafte; nur ein Theil des Giftes geht vielleicht un-
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Uebor die hämolytische Wirkung des Sublimats.
635
verändert als Sublimat in’s Blutgefässsystem, und hier übt das Serum
wieder seine Schutzkraft aus, so dass bedeutende Schädigungen der
Blutzellen nicht erfolgen können.
Tabelle XI.
Menge des reinen Serums
ccm
0,02
0,03
o
©
0,05
Blutzusatz nach der Serum-
Sublimatverbindung . . .
complet
1
i
complet
i
| Spuren
!
, o
Sublimatzusatz zur Serum-
Blutmischung .
complet
complet
j massig
0
Im Laufe der Untersuchungen haben wir auf eine etwaige Differenz
der Schutzwirkung des Serums bei negativer oder positiver Syphilis-
reaction geprüft, und zwischen beiden konnten wir keine Unterschiede
finden, wie bei der Blutresistenz.
Die Schutzwirkung des Serums wird durch hohe Temperatur stark
verändert. Wenn man das Serum 30 Minuten bis 66° C. erwärmt, so
schützt 0,2 ccm Serum nicht mehr gegen die vergiftende Wirkung von
1 ccm 1 : 200000 Sublimatlösung, während das bei 55° erwärmte Serum
schon mit 0,04 ccm vollständig schützt.
Wie wir schon oben geschrieben haben, bindet das Sublimat sich
zuerst mit dem Serum in der zugefügten Blutemulsion, und greift dann
mit dem Ueberreste der vergiftenden Einwirkung die Blutzellen an.
Wenn man aber die gewaschene, serumfreie Blutemulsion zu der
Sublimatlösung setzt, so geht die Verbindung direct zwischen den Blut¬
körperchen und dem Gifte vor sich. Es entsteht die Frage, wie viel
Zeit zur Verbindung zwischen der letalen Dosis des Sublimats und den
Blutzellen nöthig sei. Mit anderen Worten: Kann man nach der Be¬
rührung der Blutzellen mit dem Gifte durch die spätere Zufügung von
Serum den Tod der Blutzellen verhindern? Um diese Frage zu beant¬
worten, haben wir folgenden Versuch gemacht. Zu je 1 ccm 1:200000
Sublimatlösung setzten wir 0,1 ccm gewaschene Hamraelblutemulsion zu,
und nach Ablauf bestimmter Zeiten fügten wir 0,1 ccm inactivirtes
Menschenserum zu, d. h. eine Menge, die der doppelt neutralisirenden
Dosis bei gleichzeitigem Gift-Serura-Zusatz entspricht. Die Resultate sind
folgende:
Tabelle XII.
Zeit¬
bestimmung
beim Zusatz
des Serums
1 Std. in
37° C.
i
! 2 Std. in
37° C.
i
18 Std. in
j Zimmer-
; temperatu r
sobald
0
0
0
5 Secunden
0
! o
0
10 „
0
0
Spuren
20
0
0
incomplet
30
0
0
complet
60
0
complet
complet
120
0
1 complet
complet
l
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UNIVERSITf OF MICHIGAN
G36
Sh. Dohi,
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Bald und bis 5 Secunden nach der Berührung der Blutzellen mit
dem Gifte kann man die Blutzellen durch den Zusatz des Serums voll¬
ständig retten; aber 10 Secunden nach der Berührung verankert
sich ein Theil des Sublimats bereits an die Blutzellen. Nach
30 Secunden kann man die Blutzellen nicht mehr retten, und sie lösen
sich complet auf. Aus diesem Versuche kann man ersehen, dass die
Blutzellen sich mit dem Gifte sehr schnell verbinden.
Ueber die Schutzwirkung des Serums bei verschiedenen Thierarten
haben wir auch mit derselben Methode wie bei Menschen untersucht.
Es ergab sich Folgendes:
Tabelle XIII.
Menschen i
Pferd
Rind |
Kalb 1
Schwein
Meerschwein¬
chen I
Kaninchen
Hammel
Menge des reinen Serums
in Oubikcentimetern .
o
©
©
!
0,06 1 0,05 ! 0,08 j 0,05
: i l i
' t
I
0,12 0,0a
Wenn man die Schutzkraft verschiedener Sera vergleicht, so hat
das Menschenserum eine sehr starke Schutz Wirkung; dagegen sind das
Kaninchen- und das Pferdescrum viel schwächer, ungefähr ein Drittel
vom Menschenserura.
Wie verhält es sich nun mit der Bindungskraft der rothen
Blutkörperchen für das Sublimat?
Die einfach letale Dose des Sublimats für 0,1 ccm 5 proc. Menschen¬
blut = 0,005 ccm reines Blut beträgt, wie wir gesehen haben,
ca. 0,002 mg. Die doppelte Menge Gift löst auch die doppelte Menge
Blut. Setzt man hingegen zu 0,005 ccm Blut die doppelt letale Gift¬
dose = 0,004 mg zu und fügt nach Eintritt der Hämolyse weitere
0,005 ccm Blut bei, so erfolgt nunmehr keine Auflösung des neu zu¬
gesetzten Blutes. Das zuerst zugesetzte Blut hat demnach mehr Sub¬
limat verankert, als es zur Hämolyse bedurfte. Dieses Verhältniss
haben wir beim Kaninchenblut untersucht und die folgenden Resultate
bekommen (s. Tabelle XIV):
Bei der ersten Zufügung der Kaninchenblutemulsion ist die untere
complete Lösungsgrenze nach einer Stunde bei 37 0 C. in der Verdünnung
1 : t>00000; in diesem Falle ist die letale Dosis für Kaninchenblut etwa
0,0016 mg Sublimat. Bei der zweiten Blutzufügung ist die untere cora-
plete Lösungsgrenze auf 1 :50000 gesunken, während bei der Ver¬
dünnung 1:75000, die 0,0133 mg Sublimat. enthält, noch complete
Hemmung eingetreten ist. Trotz der achtfachen letalen Dosis lösen sich
die Blutzellen hier garnicht mehr auf. Wohin ist die etwa siebenfache
Menge der letalen Dosis des Sublimats (0,0133 mg — 0,0016 mg =
0,0117 mg Sublimat) verschwunden?
Man muss annehmen, dass diese Giftdosis schon bei dem erst¬
maligen Blutzusatz gebunden worden ist. Thatsächlich haben die Blut-
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHIGAN
l'ober die hämolytische Wirkung des Sublimats. 637
Tabelle XIV.
Verdünnung
des Sublimats
Erster
Blutzusatz
Zweiter
Blutzusatz
Dritter
Blutzusatz
Sublimat-
gchalt in 1 ccm
einer Ver¬
dünnung
mg
1 : 10 000
0
0
0
0,1000
1 : 11 000
0
0
complet
0,0900
1 : 12 000
0
0
complct
0,0800
1 : 15 000
0
Spuren
complct
0,0660
1: 25 000
complct
complet
complet
0,0400
1: 50 000
complet
complet
0
0,0200
1: 75 000
complet
0
0
0,0133
1 : 200 000
complet
0
0
0,0050
1 :400 000
complet
, o
0
0,0025
1 :500 000
complet
0
0
0,0020
1 : 600 000
complet
0
0
0,0016
1 : 750 000
incomplet
0
0
0,0013
körperchen sehr starke Schutzwirkung gegen das vergiftende Sublimat,
wie Detre und Seilei betonten. Diese Autoren fanden, dass die Blut-
zellcn in dieser Beziehung ungefähr 5—10 mal so stark wie das Blut¬
serum wirkten. Nach unseren Untersuchungen ist dio Schutzwirkung
der Blutzellen noch viel stärker. Wir haben diese Versuche folgender-
maassen ausgeführt: Das durch die Venalpunction gewonnene Menschen¬
blut wurde mit 1 proc. Kochsalzlösung vollständig gewaschen, und dann
wurde 1 ccm dieser gewaschenen Blutzellen in 9 ccm destillirtem Wasser
gelöst. So bekommt man eine 10 proc. dunkelrothe Blutzellenlösung,
die wir mit 1 proc. Kochsalzlösung abermals um das Zehnfache ver¬
dünnten. Eine verschiedene Menge dieser 1 proc. Blutzellenlösung
Messen wir mit 1 ccm 1 :200000 Sublimatlösung binden, und setzten
dann dazu je 0,1 ccm 5 proc. gewaschene Hammelblutemulsion. Der
Werth der Schutzwirkung der Menschenblutlösung war fast jedesmal
derselbe. Die Resultate sind folgende:
Tabelle XV.
Menge der
1 proc. Blut-
zellcnlösung
ccm
1 Std. in
37o C.
2 Std. in
37° C.
18 Std. in
Zimmer¬
temperatur
0,05
0
complet
complet
0,07
0
massig
complet
0,08
0
Spuren
complet
0,09
0
0
incomplet
0,10
0
0
massig
0,12
0
0
0
Nun sehen wir, dass 0,12 ccm 1 proc. Blutzellenlösung (0,0012 ccm
Blutzellen) vollständig schützen. Wir erinnern daran, dass der Schutz¬
werth des Menschenserums gegen dieselbe Giftdosis ungefähr 0,04 ccm
betrug: also ist die Schutzkraft der Blutzellen etwa 30 mal stärker als
die des Serums. Die Schwankung des Schutzwerthes der Blutzellen ist
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. ^j
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Google
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
638
Sh. Do hi,
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bei verschiedenen Menschen sehr gering, ungefähr von 0,0010—0,0013 ccm.
Bei der Erwärmung verliert die Blutzellenlösung ihre Schutzkraft um so
mehr, je höher die Temperatur ist. Bei einer halben Stunde Erwärmung
auf 55° C. bleibt der Schutzwerth unverändert; aber nach Erwärmung
auf 66° C. schützen erst 0,01 ccm Blutzellcn gegen die gleiche Dosis
des Giftes, und auf 86° C. 0,05 ccm.
Ausser beim Menschen haben wir auch bei verschiedenen Thierarten
die Schutzkraft der Blutzellen in ganz gleicher Behandlungswcisc unter¬
sucht. Es ergab sich Folgendes:
Tabelle XVI.
Menschen
T3
J—
T3
a
2$
Kalb
Schwein
' ' ' j
Hammel
Kaninchen
Taube
Menge der 1 proc. Blut¬
zellenlösung in Cubik-
centiinetern.
0,12
i 0,15
0,25
0,20
0,20
j 0,12
0,18
0,09
Bei den von uns geprüften Thierarten schützen die Taubenblutzellcn
am meisten und die Kinderblutzellen am geringsten; doch ist die Schutz¬
wirkung der Blutzellen ausnahmslos in allen Fällen wenigstens mehr als
20 mal stärker als die Schutzkraft des eigenen Serums.
Wenn wir die untere complete Lösungsgrenze, die Schutzkraft des
Serums und der Blutzellen mit einander vergleichen, so finden wir sehr
interessante Beziehungen zwischen der Blutresistenz und der Schutz¬
wirkung des Serums.
Tabelle XVII.
——Blutresistenz. -Schutzkraft des Serums.
Wie man sieht, laufen die Curven der Blutresistenz und der Schutz¬
kraft des Serums parallel in allen Fällen. Wenn das Blut gegen das
Gift resistenter ist, so schützt das Serum stärker; dagegen zeigt das
sehr giftcmpfindliehc Blut auch eine schwächere Schutzwirkung des
Gck igle
OrigiPal from
UNIVERS1TY OF MICHIGAN
(Jeher die liiimolytische Wirkung des Sublimats.
639
Serums. Die Curvc der Schutzkraft der Blutzellcn ist beim Menschen,
beim Schwein und Hammel mit der Blutresistenz ungefähr parallel; bei
den übrigen Thieren aber ist sie von den anderen zwei Curven ganz
getrennt.
III. Welche Bestandteile des Serums und der rothen Blutkörperchen
spielen die Hauptrolle bei der Schutz Wirkung?
Wie wir oben erwähnten, enthält das Serum und die Blutzellen
einen schützenden Stoff gegen die hämolytische Wirkung des Sublimats.
Detre und Seilei 1 ) kamen durch ihre Untersuchungen dieses Punktes
zu dem Schlüsse, dass die Lipoide im Allgemeinen und im Speciellen
das Lecithin eine Affinität zu dem Sublimat besitzen. Diese Schluss¬
folgerung zogen sic hauptsächlich daraus, dass das Blutserum durch die
Ausschüttelung mit Aethcr und Chloroform einen grossen Theil der
Schutzkraft verliert, und dass die hämolytische Einwirkung der Sublimat¬
lösung durch die Ausschüttelung mit Lecithinlösung, die in Acther oder
Chloroform gelöst wird, bedeutend vermindert wird.
Sachs bekam bei seiner Nachprüfung andere Resultate. Er
trennte die Eiweissstoffe von den Lipoiden des Serums durch Alkohol¬
fällung, und dann bestimmte er die Schutzkraft einerseits des Nieder¬
schlages, andererseits des Alkoholextractes. Das Extract erwies sich in
keiner Weise schützend; dagegen enthielt der ei weisshaltige Niederschlag
den grössten Theil der Schutzstoffe. Er untersuchte auch die Aus¬
schüttelung des Serums mit Aether und Chloroform; doch konnte er die
Schutzwirkung des Serums garnicht herabsetzen. Nach seinen Resultaten
betonte er, dass das Sublimat im Wesentlichen an die Eiweisskörper
des Serums und nicht an die Lipoide gebunden wird. Das Lecithin
selbst hemmte die Sublimathämolyse in keiner Weise.
Detre und Seilei 2 ) bestätigten in weiteren Untersuchungen ihre
frühere Anschauung und führten den Hauptunterschied zwischen den
Sachsschen und ihren Versuchen darauf zurück, dass Sachs mit un¬
verdünntem Kaninchenserum arbeitete, sie dagegen hochverdünnte Serum¬
lösungen zur Ausschüttelung verwendeten. Sie betonten weiter, die
Differenz der Anschauung nur darin zu sehen, „dass Sachs allein den
Eiweissstoffen eine HgCI 2 bindende Fähigkeit zuschreibt, wo wir hingegen
ausser den Eiweissstoffen auch den Lipoiden diesbezüglich eine Wichtigkeit
beimessen“.
Da ich auch diese interessante Frage geprüft habe, möchte ich hier
kurz über meine Versuche berichten. Zuerst haben wir in folgenden
Versuchsanordnungen untersucht, ob das Serum durch Schütteln mit
Aether oder Chloroform einen Theil seiner Schutzstoffe einbüsst oder
nicht. Die mit 1 proc. Kochsalzlösung fünfmal verdünnte Serumlösung
wird eine halbe Stunde auf 55° C. im Wasserbade erwärmt. Mit dieser
Serumlösung haben wir auf dreierlei Weise weiter gearbeitet.
1) Wiener klin. Wochenschr.
24. Juli 1904.
2) Wiener klin. Wochenschr.
No. 45 u. 46. 1904. — Berliner klin. Wochenschr.
No. 42. 1905.
41*
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
640
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Sh. Dohi,
a) Der Serumlösung setzt man eine ungefähr gleiche Menge Aether
zu, schüttelt eine Viertelstunde kräftig, dann pipettirt man die Serum¬
lösung ab und erwärmt sie eine halbe Stunde auf 45° C. im Wasser¬
bade, um den absorbirten Aether aus der Serumlösung zu entfernen;
darnach lässt man diese Lösung etwa 24 Stunden in Zimmertemperatur
stehen, b) Die Serumlösung wird mit Chloroform statt mit Aether ver¬
setzt und genau so wie bei a bearbeitet, c) Als Controle wird die
Serumlösung ohne Aether und ohne Chloroform auch gleich wie bei a
behandelt. Den verschiedenen Dosen dieser drei Serumlösungen wird je
1 ccm 1 : 200000 Sublimatlösung zugesetzt, und dann dazu 0,1 ccm
Haramelblutemulsion. Einen derartigen Versuch zeigte die folgende
Tabelle:
Tabelle
XVlIi.
Monge des
reinen Serums
ccm
Natives
Serum
Mit Aether
geschütteltes
Serum
Mit Chloroform
geschütteltes
Serum
0,030
coraplct
complet
complct
0,035
0,040
complct
complet
complet
Spuren
Spuren
incomplct
0,045
0
0
0
0,050
0
0
0
0,060
0
0
0
Wie die Tabelle zeigt, bemerkt man keine Differenz der Schutzkraft
zwischen der mit Aether behandelten und der Controlc-Serumlösung.
Nur ersieht man daraus, dass Sublimat mit 0,04 ccm mit Chloroform
geschütteltem Serum eine „incomplete-“ Hämolyse erkennen lässt,
während dieselbe Menge mit den zwei anderen Serumlösungen nur
„Spuren“ Lösung zeigt. Im Grossen und Ganzen bleibt die Schutzkraft
des Serums in derselben Höhe (0,045) bei allen drei Serumlösungen.
Wir können also durch unsere Untersuchungen nachweisen, dass die
Hauptbestandtheile der Schutzstoffe des Serums im Aether
und Chloroform unlöslich sind.
Nun haben wir weiter die Schutzwirkung bei den einzelnen, wichtigen
Bestandteilen des Blutes untersucht. Zuerst untersuchten wir, wie sich
das Lecithin gegen das Sublimat verhält. Wir haben folgende Gift¬
lösungen mit vier verschiedenen Lecithinpräparaten (Grübler, Merk, Agfa,
Kahlbaum) hergestellt, a) 0,2 g jedes Lecithinpräparates wird in 20 ccm
Chloroform gelöst und dazu 40 ccm 1 : 200 000 Sublimatlösung zugefügt,
3 Stunden im Schüttelapparat geschüttelt; nach zweistündigem Centri-
fugiren pipettiren wir die obere klare Schicht ab, erwärmen eine Stunde
auf 45° C im Wasserbade und 24 Stunden bei Zimmertemperatur,
b) Als Controle setzen wir auch 20 ccm Chloroform ohne Lecithin zu
40 ccm 1 : 200 000 Sublimat und behandeln dieses Gemisch in derselben
Weise wie bei a. Aus diesen Giftlösungen geben wir y i0 ccm bis
10 / 10 ccm in je 10 Glasröhrchen und verdünnen mit 1 proc. Kochsalz¬
lösung im Ganzen bis 1 ccm und dazu fügen wir wie gewöhnlich 1 ccra
Gck igle
Original fro-m
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lieber die hämolytische Wirkung des Sublimats.
641
gewaschene Hammelblutcmulsion zu. Das Resultat nach der gesammten
Beobachtungsdauer zeigt die folgende Tabelle:
Tabelle XIX.
Verdünnungsgrad der Giftlösung in Cubikcentimetern
'%« ' 9 /io 1 */.o ! Vio 1 , ho : i %0 VlO ! */l* 1 2 /.o
1 1 1 1 !
Vio
g sä bio f Controle.
rnmnl r*nmnl ttnmnl cnmnl r».nmnl rftmnl rnmnlJ f.rtmnl. ftnmnl.
0
^ g i! \Lecithin Grübler. .
£* o 'S Controle.
compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. 0
compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl.| Spur
compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl.. Spur
,compl. j compl. j compl. compl. compl. compl. 1 compl. compl. | compl. Spur
compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. j 0
% *2 Jj j Lecithin Merck . .
£ -2 2 j Lecithin Agfa . . .
'Lecithin Kahlbaum
Es geht aus diesen Versuchen hervor, dass sich keine bedeutende
Differenz der hämolytischen Wirkung sowohl zwischen den mit Lecithin
geschüttelten Giftlösungen und der Controle, als auch zwischen den ver¬
schiedenen Lecithinpräparaten erwies. Also zeigen die Lecithine
in keiner Weise eine Schutzwirkung gegen die Hämolyse des
Sublimats. Wie Sachs betonte, wird die Incubationszeit der Hämolyse
im Gegentheil durch die Ausschüttelung mit dem Lecithin bei allen
Präparaten beträchtlich verkürzt.
Tabelle XX.
Verdünnungsgrad
der Giftlösung, ccm.
V.»
4/10 !
3 /.o
: 2 /i«> ■
Vio
•= a “ ’
C 3 S i
1 Controle
0
0
0
0
0
? gil
Lecithin Grübler . .
incomplct
Spuren ,
0
0
0
+* o 2 /
Sei
^ Lecithin Merck . . .
incompiet
Spuren -
Spuren
0
0
i Lecithin Agfa . . .
incomplet
incomplet ,
Spuren
0
0
53« J
| Lecithin Kahlbaum . .
incomplct 1
0
0
0
0
Tabelle XX zeigt das Resultat nach einer Stunde bei 37° C. Bei
den mit Lecithin geschüttelten Giftlösungen tritt die Hämolyse schon
nach einer Stunde bis s /io e ' n i während die Lösung bei der Controle
noch gar nicht vor sich geht. Ob das Lecithin selbst eine hämolytische
Wirkung besitzt, haben wir auch weiter geprüft. Detre und Sei lei
erklären nämlich die Unterschiede zwischen ihren Resultaten und denen
von Sachs auch damit, dass Sachs mit einem an und für sich härao-
lysirenden Lecithin gearbeitet hatte, sie selbst aber mit einem Präparat,
das diese Wirkung nicht besass. Wir haben vier Lecithinemulsionen von
jedem Präparat mit lproc. Kochsalzlösung hergestellt. Diesen Emulsionen
setzten wir gewaschenes Hammelblut zu. Nach der ganzen Beobachtungs¬
dauer ist das Resultat wie Tabelle XXI zeigt.
Man kann daraus ersehen, dass jedes unserer Lecithine eine sehr
starke hämolytische Wirkung hat, nämlich 0,7—3 mg Lecithine lösen
schon complet 0,1 ccm 5proc. Hammelblutemulsion. Wir konnten ein
nicht hämolytisch wirkendes Lecithin überhaupt nie bekommen. Die
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UNIVERSlTY OF MICHIGAN
chüttclt
642
Sh. Dohi,
Tabelle XXI.
Menge von Ler-ithin
g
0,0001
0,0003
0,0005 0,0007 ■
0,0010
1
0,0030
0,0050
Lecithin Grübler .
0
stark
i !
incomplet incomplet
complet
compl.
compl.
Lecithin Merck . .
massig
stark
incomplet, complet j
complet
compl.
compl.
Lecithin Agfa . .
0
Spur
massig
stark
incomplet
compl.
compl.
Lecithin Kahlbaum
0
massig
stark
incomplet
complet
compl.
compl.
Thatsache, dass Lipoide (Lecithin, Seifen, Alkohol, Organextracte etc.)
selbst hämolytisch wirken, ist ja auch in den letzten Jahren immer
mehr bekannt geworden. Wir glauben aber nicht, dass die an und für
sich hämolysirende Wirkung des Lecithins die etwaige sublimatbindende
verdecken kann; denn dann wäre es doch unverständlich, warum der
Titer der mit den verschiedenen und verschieden stark hämolysirenden
Lecithinen geschüttelten Sublimatlösungen genau derselbe bleibt, wie in
der ohne Lecithin geschüttelten Controle.
Um die Schutzwirkung des Cholesterins (Grübler) zu unter¬
suchen, haben wir dieses eben so wie beim Lecithin behandelt. Das
Resultat ist folgendes:
Tabelle XXII.
Verdünnungsgrad der
Giftlösung, ccm.
<0 ^
O ^
3
V2
Controle
Cholesterin
Controle
Cholesterin
,0 /io * %o 8 /io V10 6 /io Vio
compL compl. 1 compl. compl. compl. compl. I corapl.
compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl.
compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl.
compl.! compl. compl. compl. compl. compl. compl.
3 /io
compl.
incompl.
compl.
incompl.
incompl.
0
incompl.
0
r
0
0
0
0
Nun kann man in dieser Tabelle eine kleine Differenz zwischen der
mit Cholesterin ausgeschüttelten Giftlösung und der Controle ersehen.
Diese Differenz ist aber so gering, dass von einer Schutzwirkung des
Cholesterins kaum gesprochen werden kann.
Schliesslich haben wir unsere Versuche über Schutzwirkung auf die
einzelnen Eiweissstoffe des Blutes gerichtet. Um zu erfahren, ob
das Albumin, der Haupteiweissstoff des Serums, eine Schutzkraft gegen
die hämolytische Wirkung des Sublimats in sich hat, haben wir mit dem
entfetteten Seruraalbumin (Grübler) den folgenden Versuch vorgenommen.
0,01 g, 0,05 g und 0,1 g des Serumalbumins werden je in 20 ccm
1 : 200000 Sublimatlösung gelöst und nach mehrmaliger Schüttelung
24 Stunden aufbewahrt. Aus diesen Giftlösungen uud der ohne Albumin
genau eben so behandelten Controle-Giftlösung nehmen wir ‘/io bis
10 / l0 ccm in je 10 Röhrchen und verdünnen diese Giftlösung mit 1 proc.
Kochsalzlösung im Ganzen bis 1 ccm, und dazu setzen wir je 0,1 ccm
gewaschene Hammelblutemulsion zu. Das Resultat nach 2 Stunden im
Brutofen und nach 18 Stunden bei Zimmertemperatur zeigt folgende Tabelle:
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Ueber die hämolytisohe Wirkung des Sublimats.
Tabelle XXIII.
643
Verdünnungsgrad der
Giftlösung, ccm.
io/,«
/10
9 /io
8 /io
V.o
V.o
; V.o
I
1
Vto
l .i
I ' 10
' ' Vxo
1
V.o
^ 1 1 Controle
compl. compl.
compl.
compl.
compl.
compl.
compl.
compl.
compl.
incompl.
5 ’ä ) Albumin 0,01 g
compl. ! compl.
compl.
compl. incompl.
incompl.
incompl.
massig
Spuren
o
% I J Albumin 0,05 g
incompl. massig
Spuren
Spuren
! 0
0 !
0
0
0
0
§ 2 1 Albumin 0,1 g
zn l
0 ,
0
0
1 0
1
0
0
i 0
i
0
0
0
0,1 g Serumalbumin vernichtet vollständig die hämolytische Wirkung
von 20 ccm 1 : 200000 Sublimatlösung, also neutralisirt 0,1 mg reines
Sublimat.
Die Schutzwirkung des Globulins haben wir mit dem Globulin 1 )
(Grübler) geprüft. Das Globulin ist schwer löslich in Wasser; bei einem
Zusatz von einer sehr geringen Menge von Alkali löst es sich jedoch.
Wir haben mit diesem Globulin zweierlei Giftflüssigkeiten hergestellt, die
eine nicht alkalisch, die andere schwach alkalisch durch Zusatz von
Natronlauge. Die weitere Versuchsbehandlung war genau dieselbe wie
beim Albumin. 0,01 g und 0,1 g Globulin, die in schwach alkalischer
Sublimatlösung gelöst werden, schützen beide vollkommen gegen die
hämolytische Einwirkung von 20 ccm 1 : 200000 Sublimatlösung. Aus
diesem Resultate kann man wohl berechnen, dass sich 1 cg Globulin
mit 0,1 mg Sublimat verbindet und eine hämolytische Wirkung nicht
mehr auftreten lässt. Man bemerkt also deutlich, dass die Schutzwirkung
des Globulins viel stärker als beim Albumin ist.
Tabelle XXIV.
Verdünnungsgrad der
Giftlösung, ccm.
,0 /io
1 1 r
9 /10 1 9 ho | V.o | e /io
i ! 1
V.o
VlO
V.o
V.o
V.o
/ ^3 .
Controle
compl.
compl. corapJ compl. 1 compl.
i * •
compl. compl. compl.- compl. lincompl.
.§ li J5\ G,obulin °> 01 b
incompl.
; stark stark 1 massig massig
Spur
0
i
0
0
0
CS \
SS \J3 Ä
Controle
compl.
compl. compl. compl. compl.! compl.
compl.
compl.
stark 1
0
*§ 1 £ iä {Globulin 0,01 g
0
0 i 0 0 0
i o
0
0
0
0
Globulin 0,1 g
0
0 0 () | 0
i 0
i 0
1
0
0
0
Das Hämoglobin pur. cryst. (Merk), der Haupteiweissstoff der
Blutzellen, schützt auch äusserst stark gegen die hämolytische Wirkung
des Sublimats. Wir haben die Schutzwirkung des Hämoglobins auch in
derselben Versuchsanordnung wie beim Albumin geprüft. 0,1 g und
0,05 g Hämoglobin entziehen die hämolytische Wirkung von 20 ccm
1 : 200000 Sublimatlösung völlig. 0,01 g Hämoglobin lässt nur bei
l0 / 10 ccm Giftlösung eine minimale Lösung eintreten. Also 1 cg Hämo¬
globin neutralisirt 0,1 mg Sublimat; die Schutzkraft von Hämoglobin
und Globulin ist also ungefähr gleich.
1) Wir haben zur Untersuchung immer das Globulin benutzt, weil wir das
Serumglobulin leider nicht bekommen konnten.
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<>44 Sh. Dohi,
Tabello XXV.
Verdünnungsgrad der
Giftlösung. ccm.
l °/.D
8 /.o
s /.o 7 /.o
V.0
5 /l*
©
o
'.0
^ 1
a §
i Controle
compl.
compl.
compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl.
stark
— -o
© ■—
25 ce <
/ Hämoglobin 0,01 g
Spur |
0
0 0
0
0
0 0
0
0
S.S ,
| Hämoglobin 0,05 g
0
0
0 0
0
0
0 0
0
0
«3 -Q j
<V 3 1
'-T W \
f Hämoglobin 0,1 g
i
0
1
0
1
0 0
0
0
0 0
0
0
Aus den Ergebnissen unserer Versuche konnten wir feststellen, dass
die Hauptbestandteile der Schutzstoffe gegen die hämoly¬
tische Einwirkung des Sublimats das Globulin und das
Albumin im Serum, sowie das Hämoglobin in den Blut¬
zellen sind.
Die hämolytische Wirkung von 0,005 mg Sublimat wird ungefähr
durch 5 mg Serumalbumin, 0,5 rag Globulin oder durch 0,5 mg Hämo¬
globin vollständig aufgehoben. Wie wir früher beschrieben haben,
schützen 0,04 ccm Menschenserum oder 0,0012 ccm Blutzellen völlig
gegen die oben genannte Giftmcngc. Diese Serumdosis enthält etwa
2,8 mg Eiweissstoffe, und diese Eiweissmenge ist nach dem, was wir
oben über die schützende Wirkung des Albumins und Globulins gesehen
haben, völlig ausreichend, um die Schutzkraft des Serums zu erklären.
In 0,0012 ccm Blutzellen sind etwa 0,4 mg Hämoglobin enthalten.
Diese Hämoglobindosis entspricht auch fast der Dosis, die wir bei
unseren Schutzversuchen mit reinem Hämoglobin festgestellt haben.
Zusammenfassung.
1. Das Sublimat gehört zu den starken Blutgiften; die lösende Zone
liegt zwischen 1: 10000—1 : 1000000.
2. Die äusserst verdünnte Sublimatlösung verliert in einigen Stunden
nach der Herstellung schon ganz oder einen Theil ihrer hämolytischen
Wirkung; man muss sie also jedes Mal frisch herstellen.
3. Die Stärke der Hämolyse ist von der Wirkungszeit des Sublimats
und der Temperatur sehr abhängig.
4. Die Blutresistenz der gewaschenen Blutkörperchen ist viel geringer
als die des nativen Blutes.
5. Syphilitiker und Nichtsyphilitiker, sowie Individuen mit positiver
und negativer Syphilisreaction zeigen in der Empfindlichkeit ihres Blutes
gegenüber dem Sublimat keine Differenzen. Auch die Quecksilber¬
behandlung wirkt weder verstärkend noch vermindernd auf die Sublimat-
rcsistenz des Blutes.
6. Das Blut der verschiedenen Thierarten zeigt untereinander
beträchtliche Differenzen.
7. Die Incubationszeitdauer der Hämolyse ist einerseits bei den ver¬
schiedenen Thierarten, andrerseits je nach der Concentration des Sublimats
bei gleicher Temperatur sehr verschieden.
8. Das Serum schützt die Blutzellen gegen die hämolytische Wirkung
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Ueber die hämolytische Wirkung des Sublimats.
645
des Sublimats. Das Gift verbindet sich zuerst mit dem Serum und greift
dann mit dem Reste seiner Wirkung die Blutzellen an.
9. Die Blutzellen verbinden sich mit der letalen Dosis des Giftes
sehr schnell; schon 30 Secunden nach der Berührung mit dem Gifte
kann man die Blutzellen durch Serumzusatz nicht mehr retten.
10. Die Blutzellenlösung schützt selbst äusserst stark gegen die
Giftwirkung; ungefähr 30 Mal stärker als das Serum. Die Blutzellen
haben die Fähigkeit mehr Sublimat zu binden, als zu ihrer Auflösung
nöthig ist.
11. Die Schutzwirkung des Serums und der Blutzellenlösung ist bei
den verschiedenen Thierartcn sehr verschieden. Man findet in allen
Fällen interessante Beziehungen zwischen der Blutresistenz und der
Schutzwirkung des Serums.
12. Das Serum verändert durch Schütteln mit Aether und Chloro¬
form seine Schutzwirkung gar nicht; also sind die Hauptbestandtheile
der Schutzstoffe des Serums in Aether und Chloroform unlöslich.
13. Eine sublimatbindende Fähigkeit des Lecithins im Sinne von
Detre und Seilei konnte nicht nachgewiesen werden.
14. Die Ei weissstoffe spielen die Hauptrolle bei der Schutz Wirkung:
(Globulin, Albumin und Hämoglobin). Die Schutzwirkung von Hämoglobin
und Globulin ist gleich stark und übertrifft diejenige des Albumins um
das Zehnfache.
Herrn Geh. Medicinalrath Professor Dr. A. Neisser spreche ich für
die Überlassung des Materials, und Herrn Dr. C. Bruck für die An¬
regung und weitgehende liebenswürdige Unterstützung bei der Ausführung
meiner Untersuchungen den herzlichsten Dank an dieser Stolle aus.
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XLV.
Aus der II. medicinischen Klinik.
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Der Stoff* und Energieumsatz beim infantilen Myxödem
und bei Adipositas universalis, mit einem Beitrag zur
Schilddrfisenwirkung.
Von
Dr. med. 6 . von Bergmann,
Privatdoront u. Assistent an der II. med. l'niv.-Klinik der Charil«'-.
Im Jahre 1882 erschien ein Buch BoucharcTs (1) „Maladies par
ralentisseraent de la nutrition“. In die Theorie, welche dieser Titel zum
Ausdruck bringt, wird fast alles einbezogen, was wir heute als Stoff¬
wechselkrankheiten ansehen, und manches andere mehr. Die Vorstellung
des „Ralentissement“ als Ursache für das, was wir in noch schwerer zu
begrenzender Weise in der Pathologie als „Diathese“ bezeichnen, ist
bisher viel missbraucht. Sie gerieth in Misscrcdit bei den Pathologen,
nicht minder bei den Praktikern der Klinik. Aber die Zeichen der
neuesten Zeit weisen darauf hin, dass fester begründet die alte Vor¬
stellung wieder auflebt, allen Fehden zum Trotz, die eine berechtigte
wissenschaftliche Kritik gegen das „Ralentissement“ geführt hat.
Halten wir zunächst zu sicherer Begriffsbestimmung daran fest,
dass eine Verlangsamung im Ablauf irgend eines Stoffwechselvorganges
zu einer quantitativen Herabsetzung der Stoffwechselleistung immer führen
wird, wenn die verlangsamten Vorgänge ständig, d. h. continuirlich ab¬
laufen. Eine Verlangsamung in der Resorption von Dextrose führt
zu einer geringeren Anhäufung des Zuckers im Blute, d. i. offenbar die
Ursache, dass eine Glycosuria examylo nicht zu Stande kommt unter
Bedingungen, bei denen die Glycosuria e saccharo eintritt.
Wir werden die oft auf dasselbe hinauslaufenden Bezeichnungen
des „Ralentisseraent“ und der „Herabsetzung der Leistung“ nicht trennen
und meist von einer Herabsetzung, als dem weiteren Begriff sprechen,
die sich äussern mag auch als Verlangsamung des zeitlichen Ablaufes der
Leistung. Das Resultat der Verlangsamung einer Leistung in der Zeit¬
einheit ist eben, das ist ja selbstverständlich, ein quantitativ geringerer
Endeffect.
„Die specifische Verringerung des Stoffwechsels ist ein
Vorgang, der jedenfalls schwierig, nur unter Voraussetzung
einer Reihe von thatsächlichen Beobachtungen, an denen es
Gck igle
Original fro-m
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Der Stoffe u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 647
z. Z. völlig gebricht, nachgewiesen werden könnte“ sagtRubner
(2). Wenn ich diesen kritischen Satz an den Eingang der ganzen Er¬
örterung setze, so geschieht es, um mit der von Rubner betonten
Schwierigkeit des Nachweises die Ausführlichkeit in der Darstellung,
namentlich auch des thatsächlich Beobachteten zu rechtfertigen. Wie
steht es mit unserer Kenntniss von Herabsetzung der Leistungen
im Organismus? Die Herabsetzung der Function eines Organes
oder Organsystems ist dem Pathologen wie dem Kliniker die gang¬
barste Vorstellung aus Experiment wie ärztlicher Erfahrung geschöpft.
Die Herabsetzung von Einzelfunctionen des Intcrmediärstoff-
wechsels ist auch für den Menschen bereits gründlich studirt. Ich brauche
nur an Schlagworte zu erinnern, wie Cystinuric, Alcaptonurie, an das
Auftreten der Acetonkörper im Harn, alles Stoffe, deren weiterer Abbau
im lntcrmediärstoffwechsel normale Function ist und die offenbar wegen
der Herabsetzung der Leistung eines intermediären Processcs sich in der
Säftemasse anhäufen und zur Ausscheidung kommen. Für die Gicht
haben Brugsch und Schittenhelm (3) es gezeigt, dass jenes Inein-
andergreifen der Fermente, wie es zum Abbau der Nucleine nothwendig
ist, gestört ist durch functionelles Versagen verschiedener fermentativer
Fähigkeiten.
Für den Diabetes hat in letzter Zeit Mohr (4) wichtige Befunde er¬
hoben, nach denen es scheint, dass die Fähigkeit, Zucker zu verbrennen,
auch dem schwersten Diabetes nicht ganz verloren gegangen ist, dass
nur die Anspruchsfähigkeit der Zellmasse lür die Zuckerverbrennung
herabgesetzt ist, sodass erst eine höhere Zuckerconcentration des Blutes
im Stande ist, als ein die Verbrennung auslösender Reiz zu wirken.
Der Vorgang äussert sich auch darin, dass der respiratorische Quotient,
der die Zuckerverbrennung anzeigt, (R.Q. = 1) viel später erscheint, als
beim Gesunden. Recht eigentlich also ein „Ralentissement“ in der
Zuckerverbrennung.
Ich habe mit Herrn cand. mcd. Guggenheimer Befunde er¬
hoben, die von ganz anderer Fragestellung ausgehend, recht gut zu der
Auffassung Mohr’s vom Diabetes passen, wenn auch heute keines¬
wegs abgeschlossen, mögen sie doch an dieser Stelle gestreift werden.
Wir wollten lediglich nachsehen, ob die Toleranz für Kohlehydrate beim
Diabetes eine bessere würde, wenn die zuckerbildenden Stoffe gleich-
massig auf den Tag vertheilt würden und verfolgten deshalb die
Schwankungen der 24 ständigen Zuckerraenge nach Verabreichung der¬
selben Menge Kohlehydrate den einen Tag in einer, den andern Tag in
vielen, d. h. 5—6 Portionen. Meine Annahme, dass bei einer einmaligen
Dosis in Folge Ueberhäufung des Blutes mit Glykose die Glykosurie
grösser sein würde, bestätigte sich in manchen Fällen durchaus nicht.
Es wurde bei genau abgewogener an allen Tagen gleicher Kost bei mehreren
Diabeteskranken unter gut vergleichbaren Bedingungen das paradoxe
Verhalten constatirt, dass sie bei einmaliger Verabreichung einer Kohle¬
hydratmenge in 24 Stunden wesentlich weniger, ja keinen Zucker aus¬
schieden, während bei Vertheilung auf 5—6 mal am Tage erheblich
grössere Zuckermengen im Harn auftraten. Die Versuche sind mit Vor-
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Original fro-m
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648
G. v. Bergmann
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sicht zu deuten, namentlich betonen wir, dass durchaus nicht in jedem
Falle, auch nicht stets bei demselben Kranken dies paradoxe Verhalten
zu constatiren ist. Es muss ja die richtige quantitative Beziehung zur
Toleranz getroffen sein, soll dies Verhalten manifest werden.
Wir sind versucht, die Resultate dahin zu deuten, dass die starke
Ueberhäufung der Säftemasse mit Dextrose als stärkerer Reiz, gewisser-
maassen reflectorisch, eine stärkere Verbrennung (fermentativ) auslösen
kann. Oder dem Gedankengange Mohr’s folgend: Der höhere Zucker¬
spiegel löst eine Zuckerverbrennung noch aus, während der niedere (bei
langsamem Zuströmen des Zuckers ins Blut) den Brand für Zucker nicht
mehr oder nicht in demselben Maassc anzufachen vermag. Schon Külz (5)
hat Diabetesfälle beobachtet, die das gleiche von uns beobachtete Ver¬
halten paradoxer Art zeigten, ohne eine Deutung dafür zu geben.
Wir sehen also, wie der verachtete Begriff der „Verlangsamung“ in
neuer Form präcise Gestalt gewinnt und grundlegend wird für zwei der
wichtigsten Stoffwechselkrankheiten, für die Gicht und den Diabetes
mellitus.
Wie steht es mit der Herabsetzung der Verbrennungen bei
der Fettsucht, bei der ähnliche Vorstellungen von altershcr die Forscher
beherrscht haben? Bleiben wir zunächst, dem bis jetzt entwickelten
Gedankengang folgend, bei dem Ablauf der intermediären Vorgänge
des Stoffumsatzes.
Die Fragen der Fettbildung aus Kohlehydraten, des Fetttransportes,
der Fettablagerung, wie der Fettverbrennung, stehen heute im Brenn¬
punkt des Interesses, nicht minder wie jene der fettähnlichen Stoffe,
der Lipoide. Die Ergebnisse der letzten Jahre haben es ermöglicht,
dass wir methodisch einige Probleme des Intermediär-Stoffwechsels der
Fette angehen können. Da ist einmal die Lehre vom Abbau der Fette
insbesondere von der Oxydation der Fettsäuren in ausgezeichnet
systematischer Weise studirt; ich erinnere nur an Erabden’s (6)
Forschungen; ich erinnere an den Ausbau der Lehre von den Aceton¬
körpern. Die Kenntniss der letzteren hat z. B. Waldvogel veranlasst,
zu ermitteln, ob die Spaltung der /*-Oxybuttersäure zu Aceton beim
^Fettleibigen verlangsamt ist. Seine positiven Resultate haben in Nach¬
prüfungen an der II. mcd. Klinik (Dr. Bcuttcnmüller) keine Bestätigung
gefunden, eine umfassendere Nachprüfung steht noch aus. Da ist die
Beobachtung von Neisser und Bräunig (7), dass die Hämokonien des
Blutes feinste Fetttröpfchen sind, deren Auftreten von der Fettresorption,
deren Verschwinden mit noch unbekannten Umwandlungen der Tröpfchen
zusammenhängt. Eine Fortsetzung dieser Studien hat Roichcr bereits
gelehrt, dass das Auftreten der Hämokonien bei verschiedenen Er¬
krankungen sich different verhält.
Da ist endlich die merkwürdige von Pavy im letzten Jahre ver¬
öffentlichte Beobachtung, nach der die Umwandlung von Kohlehydrat zu
Fett sich, wenigstens zum Theil, schon in der Darmwand abspiclt. Bei
Kaninchen, die längere Zeit gehungert hatten, waren nach Haferlüttcrung
die Chylusgcfässe dicht mit Fett gefüllt. Ich habe diese Angabe mit
Reicher nachgeprüft und kann schon hier bemerken, dass allerdings
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Der StolT- u. Enorgieumsaiz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. G49
Hungerkaninchen nach Fütterung mit Hafer die Chylusgefässe strotzend
gefüllt mit Fett zeigen. Analysen des Hafers zeigten aber, dass er
bis 5 pCt. Fett enthält. Fütterten wir mit oinem durch wiederholte
Extractionen im wesentlichen entfetteten Hafer, so waren auch die
Chylusgefässe des Kaninchens nicht gefüllt. Damit dürfte diese Stütze
für Pavy’s Annahme einer Fettbildung aus Kohlehydraten in der Darra-
wand hinfällig geworden sein 1 ).
Endlich sind wir beschäftigt nachzuweisen, ob parallel mit dem Auf¬
treten von Fetten und Lipoiden im Blut, z. B. bei Phosphorvergiftung,
die Substanz erscheint, die ich als anticomplementär nachgewiesen habe.
Nur jene Mittel der Methode habe ich hier berührt, die mich jüngst
beschäftigten. Alles methodisch Vorliegende ist aber nur eine sehr be¬
scheidene Handhabe, generelle intermediäre Störungen im Fett-Stoff¬
wechsel aufzudecken.
Im Hinblick auf die gichtische und diabetische Stoffwechselstörung
ist es ja ein sehr naheliegender Analogieschluss, etwa für die Fettsucht
sich vorzustellen, Fett werde ungenügend verbrannt und gelange deshalb
zum Ansatz, oder auch die Umwandlung der Kohlehydrate zu Fett voll¬
ziehe sich leichter wie ihre Verbrennung und das sei der Grund zur
Fettaufspeicherung. Für diejenige physiologische Betrachtungsweise, die
in den Fetten und Kohlehydraten isodynam sich vertretende Energie¬
quellen sieht, die nach Maassgabe des Bedürfnisses des Organismus
herangezogen werden, haben diese Speculationen von Intermediärstörungen,
obwohl sie auf dem Gebiete intermediärer Stoffwechselvorgänge zunächst
reine Speculationen bleiben, trotzdem die Bedeutung einer bei allen
ßilanzaufstellungen beachtenswerthen Möglichkeit. Der Organismus müsste
an Stelle des für ihn nicht ausnutzbaren Fettes mehr Kohlehydrate und
Eiweiss für seinen Energiebedarf heranziehen; dann würde er aber schein¬
bar einen grösseren Caloricnbedarf haben als der normale Organismus.
Er würde z. B. bei einer fettreichen Kost trotz genügender Calorienzufuhr
Körpereiweiss einschmelzen müssen. Mag man auch wie oben angedeutet
ähnliche Hypothesen noch vielfach modificiren, die Ergebnisse des
Gesaramtstoffwechsels sprechen heute strictissime gegen eine solche
Analogiehypothese mit Diabetes und Gicht. Die intermediäre Forschung
andererseits versagt bis jetzt völlig Abweichungen in dieser Richtung
erkennen zu lassen. Wir werden weiter sehen, dass gerade die klinischen
Beobachtungen, die immer und immer wieder die Hypothese einer Herab¬
setzung der Gesammturasetzungen aufleben lassen, durch solche Fett¬
suchtstheorie einer ungenügenden Fettverbrennung nicht im geringsten
verständlich würden.
Das Angeführte mag genügen, als Rechtfertigung dessen, dass ich
mich im Folgenden nur mit der Grösse des gesammten Stoff- und Kraft¬
wechsels beschäftige und nur in diesem Sinne das Ralentissement bei der
Fettsucht in Betracht ziehe.
Gleich eingangs ist mit allem Nachdruck zu betonen, dass kaum
jemals daran gezweifelt worden ist, dass auch die monströsesten Grade
1) Siehe des Näheren in diesem Heft die Notiz über den gleichen Gegenstand.
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Go igle
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G50
G. v. Bergmann,
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von Fettmast ohne das eonstitutionelle Moment erzielt werden können.
Die Mästungsmöglichkeit willkürlich dazu gewählter Thierc beweist das
zur Genüge. Eben so wie unser gesammtes Wissen vom Stoffwechsel
cs beweist, dass ein Fettansatz bei überreichlicher Ernährung mit Kohle¬
hydraten und Fetten auch ohne jede eonstitutionelle Anlage gesetzmässig
zu Stande kommen muss, dann am Meisten, wenn diejenigen Einflüsse,
die den Stoffwechsel mehren, d. h. Muskelarbeit und eiweissreichc Kost
gering sind. Dass auch klinisch ein reiches Material als Beleg solcher
Mastfettsucht vorliegt, bedarf keines Wortes.
„Der Verbrauch ist gering gegenüber der Zufuhr“; das ist
mit einem Satz die Formel für die Genese jeder Fettsucht. Auch wenn
notorisch eonstitutionelle Momente, wie z. B. Trägheit und Phlegma oder
wenn z. B. ein übermässiger Appetit vorliegt, ein Factor, den man eben¬
falls als constitutionell auffassen könnte, wollen wir doch für alle diese
Fälle an der Bezeichnung Mastfettsucht festhalten. Die Mastfettsucht
ist kein Problem mehr, sie ist allen Klinikern geläufig, eine längst
erwiesene Thatsache und mit allen aetiologischen Factoren, mit allen
Krankheiten, die sie im Gefolge hat, ein interessantes Capitel der
Pathologie, in dem noch wichtige Fragen ihrer Entscheidung harren, wie
Wasserhaushalt, Ueberhitzung, Grenzen der Muskelleistung überhaupt
Insufficienz der Wärmeregulationsmittel in Bezug auf die Breite der An¬
passung und manches andere.
Ungelöstes Problem ist heute wie ehedem die Frage: Giebt es bei
Fettsüchtigen, bei einigen wenigen etwa, eine Herabsetzung des Umsatzes
gegenüber der Norm in dem Sinne, dass bei absolut vergleichbaren
Bedingungen ein Individuum einen geringeren Calorienumsatz hat, wie
ein anderes normales und deshalb, gerade deshalb fettsüchtig wird und
bleibt. Das allein möchte ich im Folgenden verstanden wissen, wenn
ich von constitutioneller Fettsucht, im Gegensatz zur Fettmast spreche.
Damit kehre ich zur ursprünglichen Fragestellung zurück. Es giebt, so
haben wir eben ausgeführt, eine Herabsetzung von allen möglichen
Abläufen im Intermediärstoffwechsel; giebt es auch Vorgänge, die sich
in einer Herabsetzung der Gesammtheit des Umsatzes ausdrücken?
Dass es Steigerungen des Gesammtumsatzes giebt, ist mehr als
geläufig, abgesehen von jeder Nahrungsaufnahme und besonders jeder
grösseren Eiweissration, die die bekannte Steigerung des Calorienumsatzes
hervorruft, sind Beispiele aus der Pathologie des Morbus Basedow, viele
Fälle von Fieber, namentlich auch die Aenderung, die durch Medication
von Schilddrüse unter Umständen auf tritt; für letztere Wirkung werde
ich im Folgenden weitere anschauliche Belege bringen.
Wie steht es mit der Verringerung des Stoffwechsels? Es ist
zur Genüge bekannt, dass ein einwandsfreier Beweis in Betreff der Fett¬
sucht in der Literatur nicht vorliegt; ähnlich steht es mit den offenbar
verwandten Zuständen nach der Castration. Die Versuche von Löwy
und Richter (11), mittels der Zuntz-Methode angestellt, beweisen
eigentlich bei der Castration die Herabsetzung. Die in viel längeren
Zeiträumen durchgeführten Beobachtungen Lüthje’s(12) sprechen dagegen.
Letztere Versuche sind mit Recht von Löwy und Richter beanstandet.
Gck igle
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Der StolT- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 651
Die Entscheidung dieser Controverscn ist nur zu erwarten, wenn alle
Mängel der bisher verwendeten Methodik ausgeschaltet werden, d. h. am
besten im Thiercalorimeter 24 Stunden-Versuchc vor und nach der
Castration in verschiedenen Perioden angestellt werden, im Hunger
sowohl wie im Stoffgleichgcwicht bei Ausschluss lebhafterer Bewegungen.
(Versuche, die von mir in Aussicht genommen sind.)
Bei einem Krankheitssypus ist die Herabsetzung der Verbrennungen
von Magnus-Lcvy (13) in zahlreichen Zuntz-Versuchen demonstrirt
beim „sporadischen Cretinisraus a und beim schweren Myxödem. So fand
Magnus-Levy bei einem Cretinen nur 53 pCt. des normalen Ruhe-
Nüchternwerthes, bei einer schweren Cachexia struraipriva 58 pCt., beim
schweren echten Myxödem ähnlich niedere Zahlen, Andersson konnte
dies bestätigen. Der Beweis einer Herabsetzung des Stoffurasatzcs während
24 Stunden in vollständig durchgeführten Versuchen stand noch aus.
Solche Versuche sind am Myxödem von mir zunächst
angestellt worden. Für die Berechnung der gewonnenen Resultate
ergiebt sich noch ein sehr wesentlicher Vortheil. Es ist bei Fettsüchtigen,
wie wir sehen werden, kaum möglich, ein objectives Maass zu gewinnen,
nach dem der Calorienumsatz mit dem des normalen Menschen ver¬
glichen werden kann. Beim Myxödem liegen nicht so hochgradige
Abweichungen von der Norm in Bezug auf Oberflächengrösse oder Ver-
hältniss des Körpergewichts zur Länge vor, dass Vergleiche mit Normal-
werthen zu beanstanden wären.
Ausserdem lege ich hiermit, so viel ich sehe, die ersten Stoff¬
wechsel versuche vor, die mit Berücksichtigung der respiratorischen Aus¬
scheidungen am infantilen Myxödem überhaupt angestellt sind. Es wird
sich zeigen, dass die gefundene Herabsetzung nicht wohl auf grössere,
körperliche Ruhe des Kindes oder ähnliche äussere Verhältnisse zu
beziehen ist und damit ist der Beweis einer Verringerung des
Calorienumsatzes im Princip erbracht.
Ein für alle Mal betone ich gleich hier, dass ich mich nicht ein¬
lassen kann eine Theorie dieses verringerten Calorienumsatzes zu
geben. Es ist schwer, das für einige Fälle der Pathologie, wie die
Cachexia strumipriva, das schwere Myxödem, für einige Inanitionszustände
und ähnliches feststehende Phänomen der Einschränkung des Bedarfes
zu deuten. Man hat in den Kreisen der Klinik geglaubt, auch für diese
Erscheinungen dadurch ein tieferes Verständnis zu gewinnen, dass man
sagte, der sonst meist im Bereiche physikalischer Wärmeregulation sich
bewegende Mensch regulire nun chemisch.
Die gleichen Vorstellungen sind für die Fieberlehre, für den Morbus
Basedow und wohl auch für eine Reihe anderer Erscheinungen der
Pathologie vielleicht fruchtbar, überhaupt dann, wenn Verbrennungen
gegenüber der Norm gesteigert sind, ohne dass sonst dafür bekannte
Anlässe vorliegen (wie etwa die Steigerung in Folge von Nahrungs¬
aufnahme [EiweisskostJ oder erhöhte sichtbare Muskelarbeit). Beim
Fieber mit vermehrtem Umsatz oder beim Morbus Basedow u. s. w. muss
eine chemische Mehr-Zersetzung aus inneren Ursachen ja ganz gewiss
angenommen werden und es ist, am Meisten für das Fieber, verständlich,
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dass dies aus Gründen der Wärmeregulation, der Einstellung auf ein
höheres Temperaturniveau, geschieht im Sinne der Fiebertheorie Lieber¬
meisters, wie Friedrich Müller es andeutet und in eingehender Weise
F. Kraus es aufgebaut hat zu einer einheitlichen Fiebertheorie, durch
welche die widerspruchsvollen Ergebnisse der Stoffzersetzung im Fieber
nunmehr unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt verständlich würden.
Auf Uebergänge von einem Regulationsmechanismus zum andern weist
ja Rubner hin, wenn er sagt, dass „beide Arten der Regulation sehr
wohl täglich bei dem Menschen nebeneinander Vorkommen können, nach
reichlicher Mahlzeit die physikalische, im Uebrigen die chemische
Regulation . u
Stellt man die Hypothese auf, die heute sicher bewiesene Minderung
des Umsatzes bedeute auch eine Verschiebung der Grenzen beider
Regulationsmechanismen, so sagt man damit aus, dass ein Individuum
die chemische Einschränkung der Verbrennungen noch weiter treiben
kann wie ein anderes. Wenn wir also für den Basedow und andere
Mehrungen Regulationsmaassnahmen annähmen, zu denen auch das nor¬
male Individuum nur unter anderen Aussenbedingungen fähig wäre,
müssten wir zur Erklärung der Minderung eine Fähigkeit heranziehen,
die das normale Individuum unter keinen Umständen in dem Maassc
besitzt, d. h. wir nähmen an, z. B. das Myxödem hat einen geringeren
Umsatz wie der Normale, es ist im Stande, sich bei geringeren Um¬
setzungen auf seinem Teniperaturniveau zu erhalten. Nach allem Diesem
könnte man den Eindruck gewinnen, dass mit der Erklärung, Mehrungen
und Minderungen des Umsatzes seien aufzufassen als abnorme Maass¬
nahmen der Wärmeregulation, kaum mehr ausgesagt wäre, wie mit der
Thatsache der Mehrung und Minderung an sich.
Es verhält sich dennoch anders. Der Beweis, dass eine Minderung
eine chemische Regulationsmaassnahme ist, kann meines Erachtens ge¬
führt werden. Hier möchte ich aber darauf nicht eingehen.
Der Nachweis, dass es solche Herabsetzungen giebt, möge genügen.
Jede nähere Erklärung fehlt genau genommen; ist ja selbst die dem
Allem zu Grunde liegende Auffassung des Wesens der chemischen
Regulirung noch strittig. Was in dieser Beziehung vorgebracht ist, sind
vorläufig nur Worte. Ich bitte also keinerlei weitere Theorie zu suppo-
niren, wenn im Folgenden gesprochen wird von „Verringerung des
Calorienumsatzes oder Herabsetzung des Stoffwechsels. u
Nachdem im Folgenden für ganze Tagesversuche bestätigt ist, dass
cs in diesem Sinne eine Herabsetzung des Stoffwechsels in
der That giebt, sind jene Einwände, die a priori gegen das Vorhanden¬
sein einer constitutioneilen Fettsucht gemacht werden, abzulehnen. —
Es ist gezeigt, dass es eine Herabsetzung von Organleistungen, dass es
eine Herabsetzung von intermediären Stoffumsetzungen, dass es eine
Herabsetzung auch im gesammten Stoffumsatz giebt. Wird dieses auch
nur an einem fettsüchtigen Individuum bewiesen, so muss geschlossen
werden, dass es ausser der Mastfettsucht eine echte constitutionelle
Fettsucht giebt, mag sie auch noch so selten sein.
Was ist cs denn nun, was den Arzt immer wieder zu dem Vor-
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Der Stoff- u. Energien msatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 653
urtheil drängt, dass solche constitutionelle Fettsucht existirt? Gewiss
ist es ein oberflächliches Urtheil, das hinter monströsen Graden von
Fettsucht eine primäre constitutionelle Erkrankung liegen müsse. Aber
immer und immer wieder tauchen vor einem kritisch urtheilenden
Kliniker Patienten auf, die von Jugend an ohne Zeichen von Trägheit
und Phlegma bei sehr schwachem Appetit fettsüchtig wurden, bei dem
es ihm trotz energischer Beschränkung der Nahrungszufuhr, trotz red¬
lichster Muskelübungen von Seiten des Kranken kaum oder in sehr
ungenügendem Maasse gelingt, eine Entfettung zu erzielen. Noorden (14),
der in seiner Monographie der Fettsucht und im Handbuche des Stoff¬
wechsels gewiss sich aller nur möglichen Kritik befleissigt, verschliesst
sich dieser ärztlichen Erfahrung nicht und führt aus eigener Beobachtung
sehr eclatante Fälle an, um nur einen herauszugreifen:
Ein 35jähriger Herr, Länge 170 cm, wiegt 102 kg, 3 Monate später
101 kg. Er hat in der Zwischenzeit eine bei jeder Mahlzeit genau
abgewogene, ganz gleichmässige, Nahrung zu sich genommen, die nicht
mehr als 2000 Calorien pro die beträgt. Der Patient hat täglich in
seinem Beruf 8 km in der Ebene zu gehen, leistet ausserdem eine Steig¬
arbeit von mindestens 400 Calorien pro Tag und ist bei 8 Stunden
Schlaf des Nachts (kein Nachmittagsschlaf) fast den ganzen Tag auf den
Beinen.
2000 Calorien bei 102 kg Gewicht und der beschriebenen Muskel¬
arbeit ist eine ganz erhebliche Unterernährung. Die Oberfläche nach der
Meeh’schen Formel würde betragen 2,7 qm. Auch für diese Zahl ein
zu niedriger Calorienumsatz.
Ein Grund, an dem Mitgetheilten zu zweifeln, liegt, wenn man die
näheren Ausführungen Noorden’s noch in Betracht zieht, nicht im
Mindesten vor.
Durch den Vergleich mit einem anderen Kranken wird das noch
deutlicher. Ein Patient von 98 kg geht wenig, bekommt die gleiche
Kost und nimmt schon in einem Drittel der Zeit (in 4 Wochen) fast um
5 kg ab, auch später bei gleicher Calorienzufuhr noch weitere rapide
Abnahmen.
Andere Fälle Noorden’s, ein Fall von Salomon (15) und die Er¬
fahrungen vieler anderen Kliniker, die kritisch in dieser Frage denken wollen,
spricht also mit aller Energie dafür, dass Fälle eines geringen Calorien-
bedarfes ganz entschieden Vorkommen, mögen sie auch nicht häufig sein.
Meine eigenen Erfahrungen, namentlich an der Patientin L., über
die ich des Weiteren berichte, sprechen schon nach der empirischen
Ermittelung der Kost ganz in gleichem Sinne.
Gegenüber diesen gehäuften Beobachtungen kann sich der Kliniker
nicht bei den Einwänden beruhigen, die gemacht worden sind. Dass
Kranke lügen und betrügen, dass eine Nahrung calorienreich sein und
doch kleines Volumen haben könne, dass die Dosirung von Muskelarbeit
nach den Angaben des Kranken unmöglich sei u. s. w. So viele Fälle
auch solcher Kritik geopfert werden müssen, es bleiben Fälle übrig ?
die anzuzweifeln entschieden etwas Gekünsteltes hat.
Die Einwände a priori gegen Herabsetzung des Calorienumsatzes
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5 . Bd. 49
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sind bereits beseitigt, bleibt Jenen, die an die constitutionelle Fettsucht
aus ärztlicher Erfahrung glauben, den zahlenmässigen Beweis zu führen.
An emsigen Versuchen hat es nicht gefehlt und doch, Versuche in
grossem Maassstabe, 24 Stundenversuche sind über diese Frage kaum
angestellt, bis auf den klassischen Versuch Rubner’s (2) an dem fett¬
süchtigen Knaben und seinem mageren Bruder, das sind eigentlich die
einzigen. Sie sind methodisch das nachzuahmende Muster für die Art,
wie vorgegangen werden muss, und ich habe mich im Folgenden be¬
müht, mich, so gut ich konnte, in Ausführung und Berechnung nur an
sie zu halten, wenn ich auch aus äusseren Gründen, aus Rücksichten
auf die Kranken oft genug die Versuchsanordnung habe weniger günstig
treffen müssen.
In dem Suchen nach dem Beweise einer Herabsetzung der Calorien-
production bei Fettsucht haben die Forscher von allen Eventualitäten,
an die sie gedacht haben, sich beherrschen lassen und die Versuchs¬
anordnung entsprechend gegliedert. Neben der Hauptfrage, ob im Stoff¬
gleichgewichte eine Herabsetzung der Calorienproduction gegenüber dem
Normalen vorkommt [Rubner’s Versuche (2)J, ist der sogenannte Ruhe-
Nüchternwerth der Zuntz-Schule sehr häufig studirt worden. Auch
hier gelang am herangezogenen Materiale der Beweis einer constitutionellen
Fettsucht nicht, es geben aber die, welche mit jener Methodik gearbeitet
haben, zu, dass der Calorienurasatz ständig um 10 pCt. nach oben und
unten vom Mittelwerthe beim selben Individuum abweichen darf, d. h.
um 20 pCt., ohne dass daraus es berechtigt ist, Schlüsse zu ziehen, ja,
wenn nicht bei mittlerem Körpergewicht eine Herabsetzung von 500 bis
700 Calorien herauskommt, so führt Magnus-Lewy (16) aus, beweisen
diese Schwankungen d. h. Minderungen um 35—40 pCt. des Grund¬
umsatzes gegenüber der Norm noch keine constitutionelle Abweichung.
Und trotzdem sollte man meinen, dass ein Individuum, welches fast
ständig auch nur 10 pCt. weniger Calorien braucht wie ein anderes, sonst
ganz mit ihm vergleichbares, durch diese constitutionelle Eigenschaft er¬
hebliche Fettmengen anhäufen könnte. Nur riesige Abweichungen von
der Norm werden sich also mit dieser Methode als Beweise für eine
constitutionelle Fettsucht verwenden lassen.
Ein neuer Gedanke tauchte auf mit der Vermuthung von Jaquet
und Svenson (17), dass die Steigerung der Verbrennungen, die nach
Nahrungsaufnahme eintreten, beim Fettsüchtigen geringer seien, wie beim
Normalen. Rechnerisch zeigten sie, dass in einem Jahre ein nicht un¬
erheblicher Fettansatz auf diese Weise möglich sei. Die Experimente
stützten mit ihrem Ausfall diese Hypothese. Bei den Steigerungen nach
Nahrungsaufnahme muss zunächst berücksichtigt werden, wieviel davon
in 24 Stunden, etwa durch spätere Herabsetzungen sich wieder ausgleicht.
Nur das Plus in 24 Stunden kann für den Fettansatz von Bedeutung
werden. Nimmt man gerade für die Fettsucht ein Ralentissement
in den Abläufen der Oxydation an, so zieht sich eben die Steigerung
des Calorienumsatzes über längere Zeit hin, und die Summe kann denn-
noch die gleiche sein. Auf einen Grundfehler in der Deduction von
Jaquet und Svenson (17) ist weiter von Noorden (14) und Magnus-
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Dor StolT- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 655
Lewy(16) hingewiesen. Es ist die Steigerung nur beim gleichen In¬
dividuum zu berücksichtigen und nicht der Grundumsatz eines anderen
rechnerisch heranzuziehen. Ausserdem fragt es sich, ob die Erhöhung
nach Nahrungsaufnahme wirklich in absoluten Zahlen geringer ist als bei
anderen, nicht fettsüchtigen Individuen. Es fragt sich ferner, ob ihre
angenommenen Ruhe-Nüchterwerthe, die etwa 12 Stunden nach der
Nahrungsaufnahme gewonnen sind, wirklich solche waren. Staehelin (18)
zeigte jüngst, dass nach 16 Stunden die Werthe bei einem Fettsüchtigen
deutlich tiefer lagen als nach 12 Stunden, ein Verhalten, das wieder für
ein Ralentissement im Ablauf der Verbrennung spräche. Trifft das auf
mehr wie den einen von ihm in wenigen Versuchen beobachteten Fett¬
süchtigen zu, so ist damit ein neues Kriterium gegen Jaquet und Sven-
son (17) erbracht. Man sollte jedenfalls gerade bei Fettsüchtigen mit
der Zuntzmethode nur nach 18 stündigem Hungern untersuchen und
auch dann nur, wenn die letzte Mahlzeit spärlich und namentlich arm
an Kohlehydraten gewesen ist.
Endlich, und das erscheint mir nicht genügend betont, wenn auch
die gesammte Steigerung nach Nahrungsaufnahme bei Erhaltungskost
wegfiele, so bedeutet das eine Ersparung von 7 bis 15 pCt. des gesamraten
Calorienumsatzes. Ich habe vorhin erwähnt, dass gerade die Zuntzschule
betont, ein Individuum mit um 10 pCt. verringertem Ruheumsatz gegen¬
über dem Umsatz des Durchschnittes falle noch ganz in die Breite des
Normalen. Es wäre also mit der Hypothese von Jaquet und Sven-
son (17) quantitativ nicht mehr erklärt, als mit jenen constitutioneilen
Varianten, welche von der Zuntzschule ohne weiteres als bestehend zu¬
gegeben werden.
Staehclin’s (18) neueste Versuche und die Beobachtungen von
Jacjuet und Svenson (15) geben uns immerhin den Hinweis, dass eine
Verlangsamung der Oxydation bei einzelnen Fettsüchtigen vorzukomraen
scheint, ebenso Versuche von Reach (37). In 24 Stunden kann sich dieses
vollkommen wieder ausgleichen, ja in Versuchen, die aus dem Laboratorium
Tigerstedt’s (19) in diesen Tagen erschienen sind, wird bei einigen Fett¬
süchtigen gezeigt, # dass bei Tages versuchen eine Abweichung von der Norm
nicht vorhanden ist. Auch ich bringe in zwei Versuchen weiteres Material
zur Klärung dieser Frage. Ich finde, um das hier vorwegzunehmen, nach
einer Mahlzeit keinen höheren Calorienumsatz als im Hunger. Die Ver¬
suche dauerten 10 Stunden. Betont sei aber hier noch eines gleich¬
zeitig als eine wesentliche Einschränkung des Werthes solcher Versuche.
Die Steigerung nach Nahrungsaufnahme ist bekanntlich so gut wie aus¬
schliesslich durch das Eiweiss der Nahrung bedingt 1 ). Soll nun diese
Steigerung deutliche Ausschläge geben, so sind Eiweissgaben erwünscht,
welche womöglich über dem Nahrungsbedarf liegen oder wenigstens wenn
das, wie beim Menschen unmöglich ist, sollte die ganze Kost eine über¬
schüssige, sehr eiweissreiche sein. Zeigte doch Rubner am Hunde, dass
kleine Eiweissmengen, die unter dem Bedarf liegen, keine merkbare
1) Eine jüngst erschienene Publication Staehelin’s scheint eine stärkere
„spec. dynam. Steigerung“ auch für Fett und Kohlehydrate nachzuweisen.
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Steigerung des Calorienurosatzes bewirkten, Fette auch dann nicht, wenn
sie den Bedarf ganz wesentlich überstiegen.
Ueber meine Versuche habe ich an späterer Stelle dieser Schrift
zu discutiren. Die Hypothese von Jaquet und Svenson (17) ist dann
nur dem Beweise zugänglich, wenn nach mindestens 24stündiger Nahrungs¬
entziehung eine den Bedarf weit überschreitende, sehr ei weissreiche
Kost gegeben wird und der Calorienumsatz eines 24 Stunden-Versuches
dann wesentlich geringer ausfällt, wie in Vergleichs versuchen an Nor¬
malen.
Wir werden übrigens noch sehen, dass die Wirkung überschüssiger
Kost auch dann noch schwer zu deuten ist, weil ausser der specifisch
dynamischen Wirkung des Eiweisses noch andere Verhältnisse raitspielen
(die secundäre Steigerung). Machen wir uns aber von vornherein klar,
dass auch ein Beweis der Hypothese von Jaquet und Svenson, wie
ich ihn hier verlangt habe, für die Lösung gerade der Räthsel, die den
Kliniker bei der Fettsucht immer wieder fesseln, wenig Werth hat. Handelt
es sich ja zunächst garnicht darum, zu erklären, wie der Fettsüchtige
auf Nahrungsüberschüsse reagirt, sondern warum anscheinend, man
denke an Noorden’s Beispiel (14), auch bei calorienarmer Kost
eine Körpergewichtszunahme oder wenigstens keine genügende
Abnahme erfolgt. Es liegt trotz allen vorliegenden negativen
Resultaten immer noch am nächsten zu suchen nach einer Herabsetzung
des Grundumsatzes bei solchen Kranken und deshalb bleiben Versuche
im Nahrungsgleichgewicht oder im Hungerzustande oder bei Unterer¬
nährung die folgerichtigste Versuchsanordnung, wenn anders die ärzt¬
lichen Beobachtungen zum Anlass genommen werden, an eine Herab¬
setzung bei Fettsucht zu denken.
Trotz alledem, es hat das höchste Interesse festzustellen, ob wirk¬
lich der Ablauf der Zersetzungen beim Fetten in langsamerem Tempo
sich vollzieht, wie beim Gesunden. Und braucht sich das auch nicht
bei jedem Fetten für 24 Stunden in einer Herabsetzung des Calorien¬
umsatzes zu äussern, exorbitante Grade solcher Verlangsamung müssten
zu einer Summirung unverbrannter Nahrung und damit zur Fettablagerung
führen. Damit Hesse sich die Fettsucht oder sagen wir 'etwa ein grosser
Theil der Fettsüchtigen unter einer gemeinsamen pathologischen Störung
subsummiren, die Verlangsamung im Ablauf der Zersetzungen, die nur in
höheren Graden im 24Stunden-Umsatz zum Ausdruck käme, sonst vielleicht
erst bei Nahrungsüberschüssen bei einigen Individuen auch nie für die
24 stündige Bilanz in Betracht käme. Befunde gestörter intermediärer
Function beim Fetten, wie sie von Waldvogel (20) behauptet sind oder
andere, oben gekennzeichnete ähnliche Abweichungen fänden so ihre Er¬
klärung. Das alles sind nicht lediglich Speculationen. So wenig der
Beweis einer Herabsetzung des Umsatzes in 24 Stunden in Bezug auf
die specifisch dynamische Wirkung der Nahrung erbracht ist, es ist
eine geringere Erhöhung über das Hungerniveau nach Nahrungsaufnahme
ja geradezu ein Heruntergehen unter dieses für kürzere Zeit bewiesen,
nicht nur durch J. u. Sv., vor allem jüngst durch Staehelin (18), auch
durch Reach und ich bringe an zwei Kranken weiteres Material. Mögen
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Der Stoll- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 657
es wenige Versuche von jedem der Autoren sein, die Uebereinstimmung
von ganz verschiedenen Seiten macht die Resultate wichtig.
Die Curve der Zersetzungen nach Aufname einer Nahrung,
namentlich in Bezug auf die einzelnen Nahrungsbestandtheile und gleich¬
zeitig in Beziehung gebracht zur Gesammttagszersetzung, erscheint nach
dem wenigen schon Vorliegenden von höchster Bedeutung. Sie gewährt
auch auf anderen Gebieten der Pathologie wichtige Einblicke (Diabetes-
Theorie Mohr’s), (4) namentlich aber auch für ein constitutionelles Maass
ist sie von eminenter Wichtigkeit zur Ermittelung dessen, was Bouchard (1)
mit „Temperament 1 * bezeichnen wollte. „Le tempörament est la
caracteristique dynamique de Porganisme; c’est tout ce qui conceme la
Variation individuelle des activites nutritives“.
Versuche nach der Zuntz-Methode genügen nicht dem Sehnen nach
einem constitutioneilen Maasse ein ausreichendes Zahlenmaterial zur
Grundlage zu geben, auch wenn noch so viele im Tage angestellt werden.
Es bedarf unbedingt daneben der Bestimmung des 24 ständigen Calorien-
umsatzes.
Ich habe zu diesem Zwecke eine Combination beider Unter¬
suchungsmethoden mir ausgedacht und durchgeführt, die ich kurz
beschreiben möchte, obwohl ich Versuchszahlen hier noch nicht bringen
kann.
Steyrer (21) erwähnt die Möglichkeit, in der Voit-Pettenkofer-
Kaminer die Versuchsperson mit dem Zuntz-Tornister Respirationsver¬
suche machen zu lassen, mit jener trockenen Gasuhr, wie sie für die
Monte-Rosa-Expedition (22) verwendet wurde. Als ich dies durchführen
wollte, wurden mir viele Nachtheile klar.
Abgesehen davon, dass die trockenen Gasuhren sehr schnell in den
Bälgen undicht werden, und deshalb fast täglich neu zu aichen sind,
müsste man für jeden neuen Zuntz-Versuch die Kammer öffnen, um
die Sammelburetten für die Gasanalyse auszuwechseln und den Apparat
zum nächsten Versuch herzurichten. (Schnurablauf, Wasserfüllung usw.)
Da wäre es schon einfacher, den Hauptversuch für kurze Zeit mehrmals
zu unterbrechen und mit dem Patienten ausserhalb des Kastens Re¬
spirationsversuche nach Zuntz durchzuführen.
Man kann aber, und das ist das Wesentliche meiner Apparatanordnung,
den Kranken im Kasten belassen, die 24 ständige Kohlensäure- und
Wasserbestimmung nach Voit-Pettenkofer ununterbrochen durchführen
und trotzdem, so oft man will, einen Zuntz-Versuch einschalten.
Die Gasuhr nach Zuntz steht im selben Zimmer wie der Voit-
Pettenkofer’sche Respirationsapparat, aber ausserhalb des Kastens,
also dem Experimentator jeder Zeit bequem zugänglich. Eine dichte
Rohrleitung führt vom Patienten im Kasten durch ein gedichtetes Loch
in der Kasten wand bis zur Zuntz’schen Gasuhr. Von ihrem Auslass
wiederum führt eine rückläufige Leitung bis in den Kasten hinein und
endet dort frei. Die Versuchsperson nimmt auf ein telephonisches
Zeichen das Mundstück und verschliesst die Nase. Die Ventile sind an
der Innenwand des Kastens fest angemacht und nun entnimmt der
Patient seinen Sauerstoff aus der Kastenluft nahe der Oeffnung des Ein-
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Stromes und athmet die Luft durch die Zuntz’sche Gasuhr hindurch. Von
dort kehrt die gemessene Ausathmungsluft in den Kasten zurück. Es
geht für den Hauptversuch nichts verloren, ausser den 200 ccm
Exspirationsluft, die in den 10—30 Minuten der Dauer eines Zuntz-
versuches aus einer Nebenleitung in der bekannten Weise entnommen
werden. Dadurch kann man, ohne den Hauptversuch zu beeinträchtigen,
so lange den Kranken mit dem Mundstück durch die Ventile athmen
lassen, bis die Athmung ideal gleichmässig geworden ist, ehe man mit
dem Versuch beginnt. In dieser ganzen Zeit geht für die Voit-Petten-
kofer-Bestiramung nichts verloren, auch nicht wenn jeder Versuch nach
Geppert-Zuntz über eine Stunde ausgedehnt wird. Ich bediene mich
zum Sammeln der Luftprobe einfacher Büretten von 200 ccm Inhalt,
deren ich so viele, wie ich will, hintereinander schalten kann, um die
procentische Menge an Sauerstoff und Kohlensäure in den einzelnen
Proben in einem anderen Raum später analysiren zu können. Die
Verluste an Kohlensäure für den Hauptversuch durch diese Probeentnahme
liegen weit unter 1 pCt. Ein Wasserverlust wird ebenfalls fast völlig
vermieden, da ich die Gasuhr mit Vaselinöl fülle, und die Condensation
des Wassers in der Rohrleitung eben so gut vernachlässigt werden darf
wie im grossen Kasten selber. Im Uebrigen hätte cs keine Schwierig¬
keiten, gewogene Schwefelsäureflaschen in den Einstrom zu schalten, die
ausströmende Luft ebenfalls zu trocknen und damit den Fehler mit
voller Sicherheit zu vermeiden.
Ich habe also eine Versuchsanordnung geschaffen, die es ermöglicht,
während eines ununterbrochenen 24stündigen Versuches im Voit-Petten-
kofer’schen Respirationsapparat beliebig oft Versuche mit der Methode
von Zuntz einzuschalten, und damit eine Curve der C0 2 -Ausscheidung
der O-Aufnahme wie des respiratorischen Quotienten gleichzeitig neben
der 24 ständigen Bilanz des C, N und des Wassers aufzustellen. Es ist
mit diesen Apparaten möglich, den Zersetzungsablauf als constitutionellen
Factor im Hunger, nach Nahrungsaufnahme, nach Muskelarbeit u. s. w.
zu studiren. Ein „Ralentissement de la nutrition u könnte auch da
zahlenmässig bewiesen werden, wo es in 24ständiger Bilanz als völlig
ausgeglichen, nicht nachweisbar ist.
Halten wir uns stets gegenwärtig, dass das Problem der Verlang¬
samung bei Fettsucht erwachsen ist aus ärztlicher Erfahrung und doch
weit mehr ist, als eine Vermuthung, seit gute Beobachtungen des Kost-
maasses da sind (man denke an Noorden’s Fälle), welche eigentlich
das constitutionelle Moment beweisen. Es entspricht nicht wissenschaft¬
licher Kritik, anzuführen, dass Menschen sich kaum je absolut sicher
controliren lassen, sobald Resultate, gegen die ganz das Gleiche vor¬
gebracht werden könnte, in entgegengesetzter Richtung verwendet werden.
Darum aber lege man bei allen Discussionen für und
wider die Stoffwechselverringerung bei Fettsucht folgende
zwei Maassstäbe an: 1. frage man sich, ist die Vorstellung
von der Art der Herabsetzung, die die Autoren beherrscht,
überhaupt geeignet das zu erklären, was empirisch an That-
sachenmatcrial schon vorliegt (z. B. den oben citirten Fall
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Noorden’s u. a.)? 2. ist die angewandte Methode im Stande,
nur gewaltige Abweichungen erkennen zu lassen oder auch
mittlere Grade der vermutheten Störung? Darnach vor allem
bewerthe man zunächst die Resultate.
Magnus-Lewy (23) hat als Erster alle geäusserten Vermuthungen
in Bezug auf die Ursache der Verlangsamung dahin zergliedert, dass er
an Möglichkeiten einer Herabsetzung des Stroffwechsels 3 anführt:
1. Es könnte vermindert sein der Grundumsatz.
Sofern darunter verstanden wird der sogenannte „Ruhe-Nüchtern¬
werth“ ist er nur mit der Zuntz-Methode bestimmbar, und die ist nur
zum Nachweis recht ansehnlicher Herabsetzungen geeignet, wie ich zeigte.
2. „Die Steigerung nach Muskelarbeit ist herabgesetzt.“ Beweisendes
Material liegt hierfür nicht vor. Abgesehen davon, das wird gewöhnlich
nicht betont, leistet gerade ein anscheinend schon träger Fettsüchtiger
oft mehr Arbeit wie der Normale, hat er doch mit gleicher Muskulatur
weit grössere Lasten zu bewegen und zu heben. Schon deshalb ist es
unwahrscheinlich, dass er auf diesem Gebiete genügend erspart, um die
vorliegenden Beobachtungen zu erklären, selbst wenn er bei Muskelarbeit
weniger Energie umsetzen sollte.
3. „Die Steigerung nach Nahrungsaufnahme kann herabgesetzt
sein.“ Es ist auf die Mängel im vorliegenden Material hingewiesen und
hier vor allem ebenfalls zu betonen, dass die Hypothese genügen mag,
nachzuweisen, dass jemand auch auf diese Weise Fett ansetzen könnte,
dass sie aber keinesfalls genügt, die schon vorhandenen Beobachtungen
an einzelnen Fettsüchtigen zu erklären.
Als Einwand gegen solche Zergliederungsart ist hervorzuheben, dass
im Bereiche chemischer Wärmeregulation (s. o.) eine geringere Steigerung
nach Muskelarbeit wie nach Nahrungsaufnahme sich zeigen müsste, wenn
man Rubner’s Auffassung gelten lässt.
Es giebt ferner eine Bedingung, durch die der Calorienumsatz
gesteigert werden kann, eine Bedingung, deren Umkehrung vielleicht eine
Herabsetzung des Calorienumsatzes begreiflich macht. Sie kann mit
gleichem Recht für eine Hypothese der constitutionellen Fettsucht heran¬
gezogen werden. Das ist, so viel ich sehe, nicht geschehen. Erst
Staehelin (18) hat in jüngster Zeit andeutungsweise diese Verhältnisse
in Betracht gezogen.
Rubner (24) findet an Hunden ausser der Erhöhung des Gesararat-
umsatzes nach Eiweisszufuhr, die als specifisch dynamische Wirkung des
Eiwcisses von ihm aufgefasst wird, und sofort (d. h. innerhalb eines
24-Stunden-Versuches) nachweisbar ist, eine andere Art der Erhöhung
des Gesammtumsatzes nach abundanter Kost. Sie tritt nicht sogleich
ein, meist erst nach 8 und mehr Tagen. Sie lässt sich nicht daraus
erklären, dass der Körper etwa durch Eiweissmast um so viel reicher
an Stickstoffsubstanz geworden ist, so dass diese „secundäre Steigerung“
durch die Massen Vermehrung des Versuchsindividuums zu erklären wäre.
Nein, es ist eine Vermehrung der Calorienproduction, die nach einiger
Zeit zu Stande kommt, wenn bei abundanter Kost gerade auch die
Stickstoffzufuhr über den Bedarf geht. Das führt dazu, dass schliesslich
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bei dauernd vermehrter Zufuhr der Organismus sieh auf das erhöhte
Niveau einstellt (hier liegt die Steuerung gegen eine schrankenlose
Fleischmast). Ich meine, es ist ein recht ähnliches Phänomen dem¬
jenigen, welches man unter dem Namen „Luxusenergieverbrauch“ in den
Kreisen der Klinik als Hypothese schon längst zu beweisen sich bemühte
und was längst bewiesen in der Fülle der Versuchsresultate Rubner’s,
anscheinend von den Meisten unbemerkt, verborgen geblieben ist.
Die Sache ist von so fundamentaler Bedeutung, dass ich aus
Rubner’s „Gesetzen des Energieverbrauches und der Ernährung“ citire:
„Es handelt sich um allmählich zunehmende Wirkung der Kost, welche
schliesslich mit einem Wärmegleichgewicht endet, aber aus einem ein¬
fachen Anwuchs nicht zu erklären ist.“
„Es liegt also eine erst allmählich sich ausbildende Wirkung der
Nahrung vor, welche nur unter Steigerung der Wärmebildung über die
Körpermasse hinaus und in beschleunigtem Tempo zu einem Wärme¬
gleichgewicht führt.“
Die „secundäre Steigerung“ macht in einem Versuche z. ß. eine
Mehrung um 32 pCt. des Hungerumsatzes aus.
Auch die „secundäre Steigerung 11 wird anscheinend, wie die primäre
(die „specifisch dynamische“), im Wesentlichen nur durch Eiweiss, kaum
durch Fette und Kohlehydrate bedingt. Sie kommt bei gemischter,
eiweissreicher Kost ebenfalls aufs Deutlichste zur Geltung.
„Der Eiweissansatz ruft nur dann eine secundäre Nahrungswirkung
hervor, wenn eine abundante Kost vorliegt.“
Die Wirkung erlischt plötzlich mit dem nachfolgenden Hungerzustand,
bleibt aber anscheinend ständig vorhanden, so lange die abundante Kost
gleichmässig gereicht wird. Daraus folgt, dass eine dauernde Zustands¬
änderung der Zelle nach Rubner nicht herbeigeführt wird.
„Neben einer starken primären kann eine kurze secundäre und
neben einer geringen primären eine mächtige secundäre Wirkung vor¬
handen sein.“
„Leider sind langdauernde Experimente mit grösseren Ueberschiissen
auch an Hunden unausführbar, da sie die Nahrung verweigern.“
Dürften nicht länger dauernde Experimente mit gemischter, eiweiss¬
reicher Kost am Menschen eher möglich sein? Als Criteriura für Eiweiss¬
reichthum genügt ja wohl ein Stickstoffansatz beim Uebergang zu solcher
abundanten Kost. Es wird ja längst vermuthet, dass sehr viele Menschen
eine überreiche Kost, die eiweissreich ist, verzehren.
Magnus-Lewy (16) meint, wenn ich ihn recht verstehe, die spe¬
cifisch dynamische Wirkung des Eiweisses käme beim Menschen nicht
erheblicher zur Geltung. Jede Steigerung gegenüber dem Hungerwerthe
nach Nahrungsaufnahme ist in der Ausdrucks weise Rubner’s (24) eine
specifisch dynamische.
Es ist demnach kaum zu zweifeln, dass auch die secundäre
Nahrungswirkung beim Menschen zu beweisen ist, ja vielleicht werden
schon vorhandene Thatsachen durch diese Erklärung verständlich.
Ich führe im Zusammenhang mit dieser Lehre Rubner’s das an,
was in der Regel für den Luxusenergieverbrauch herangezogen wird
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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 661
(s. die Ausführungen Magnus-Lewy’s in Noorden’s Handbuch). Ich
verweise vor Allem auf die Versuche von R. 0. Neumann (25).
Diese höchst exact durchgeführten Selbstversuche, während deren
sich der Autor, bei so gut wie völlig unverändertem Körpergewicht,
10, 4 und 8 Monate im Gleichgewicht hielt mit rund 2200, 2400 und
1770 Calorien in 24 Stunden und ganz gleicher täglicher Beschäftigung,
sind nicht zu ignoriren. Unterschiede in der Arbeitsleistung, die ständig
den Umsatz von 1770 auf 2400 Calorien gesteigert hätten, müssten auch
einem weniger gewissenhaften Beobachter wie Neumann aufgefallen
sein, sie bedeuten eine ansehnliche Mehrleistung. Gegen diese Versuche
vermag eigentlich Magnus-Lewy nichts Wesentliches vorzubringen,
als dass sie nur Berechnungen aus der genossenen Nahrung sind.
Rubner weist darauf hin, wie ernsthafte Bedeutung gerade solche in
langen Reihen exact durchgeführte Bestimmungen der Kost haben.
Es bleibt meines Dafürhaltens keine andere Deutung, als dass das
gleiche Individuum in langen Zeitperioden mit verschiedenen Caiorien-
mengen sich ins Gleichgewicht gesetzt hat. Die Unterschiede in der
Eiweisszufuhr im Sinne einer specifisch-dynamischen Steigerung erklären
das nicht.
Noch auffallender werden diese Verhältnisse beleuchtet durch den
Vergleich mit Selbstversuchen Renvall’s, der bei vergleichbarer Tliätig-
keit und gleichem Körpergewicht nur mit der doppelten Calorienmenge
sich ins Gleichgewicht zu setzen vermochte. Auch hier handelt es sich
um monatelang durchgeführte Versuche. Es befriedigt wenig die Deutung
die Magnus-Lewy, dem ich diesen Vergleich entnehme, für die grossen
Differenzen giebt, wenn er sie mit der Verschiedenartigkeit der Bewegungen
durch das verschiedene Temperament der Autoren erklärt. Zumal
R. 0. Neumann gewiss in seinen Bewegungen nicht besonders phleg¬
matisch ist, wie sich jeder überzeugen kann. Bedenkt man, wie ver¬
schwindend wenige Stoffwechselversuche durch längere Zeit durchgeführt
sind, so verdienen diese wenigen vorliegenden Beobachtungen ernsthafteste
Berücksichtigung. Es kann hier nicht der Ort sein, alles Vorliegende
heranzuziehen. Ich möchte nur im Gegensatz zu diesen Versuchen an
normalen Individuen, die ein verschiedenes Calorienbedürfnis, bei ver¬
schiedenen Individuen, ja die sogar ein verschiedenes Calorienbedürfnis,
auch beim selben Individuum zu verschiedenen Zeiten mir zu beweisen
scheinen, kurz erwähnen, was von Herabsetzung des Umsatzes in patho¬
logischen Fällen vorliegt.
Da ist jener hochgradig abgemagerte Patient Magnus-Lewy’s, bei
dem eine weit stärkere Herabsetzung, als seiner Inanition entspricht,
nicht bezweifelt werden kann. Da ist in der Typhusreconvalescenz von
Svenson ähnliches demonstrirt. Friedrich Müller constatirt bei einem
durch eine Oesophagusstrictur hochgradig Abgemagerten aus der Kost¬
bestimmung, dass das Calorienbedürfnis herabgesetzt ist, er sieht sich
veranlasst zu dem Schluss, „dass bei länger dauernder Unterernährung
allmählich eine Anpassung zu Stande kommt, sodass sich der Körper mit
einer geringeren Nahrungszufuhr leidlich auf seinem Stande erhalten
kann“. Aehnliches ist noch von manchen Autoren gefunden (Ne bei tau,
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662
G. v. Bergmann
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v. Noorden). Mag man gegen andere Fälle dies oder jenes einzuwenden
haben, es existiren noch genug, die eher für als gegen die angezogenen
Beziehungen sprechen. Bei einem gesunden Arbeiter von Boys liegen
z. B. Zahlen vor, die nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen sind.
An den Umsatz im Winterschlaf, wie an die oben citirten Fälle von
Myxödem sei nur nebenher erinnert.
Einen sicheren Beweis des allmählichen Heruntergehens des Calorien-
umsatzes bei chronischer Unterernährung erbringt eine Publication von
Falta, Grote und Staehelin an einem Hunde im Jaquet’schen
Respirationsapparate. Es sinkt die Calorienproduction pro Quadratmeter
Oberfläche von 918 auf 845, pro kg und Stunde von 1,59 auf 1,51
(Durchschnittszahlen). Endlich hat Benedict mit der idealen Apparatur
Atwater’s eine Herabsetzung der Calorienproduction auch bei acutem
Hunger bewiesen, die stärker ist, als sie der Abnahme der Körpermasse
entspricht. War dieses auch bisher für den acuten Hunger in den Ver¬
suchen Rubner’s nicht so eclatant zu erweisen, so schreibt Rubner
dennoch, „als Gesammtergebnis lässt sich feststellen, dass bei durch
acuten wie protrahirten Hunger hervorgerufenen Aenderungen der Körper¬
masse die Intensität der Wärmebildung wie diese Masse selbst abnimmt,
wobei wir aber betonen, dass namentlich, was die extremsten Fälle
anbelangt, sowohl eine Beschleunigung als auch eine geringe Ver¬
zögerung des Abfallens beobachtet werden kann, ein Umstand, welcher
auf die zahlreichen Einflüsse zurückgeführt ^werden muss, die wir speciell
ausgeführt und kurzweg unter den Begriff der Individualität zusammen¬
gefasst haben*. Ich hebe den Hinweis auf die Individualität hervor, wenn
ihre Definition sich auch nicht ganz decken mag mit dem, was etwa die
Aerzte darunter verstehen.
Bedenken wir, dass negative Resultate für das hier aufgeworfene
Problem nur in zweiter Reihe Bedeutung haben, so kann man sich ra. E.
garnicht dem Schluss entziehen, dass sowohl bei schweren pathologischen
Processen von Inanition (Reconvalescenz) als auch bei Normalen eine
Einschränkung des gewöhnlichen Calorienumsatzes vorkommt und so
sehr man weitere Belege wünschen mag, es ist bereits an der Thatsache
festzuhalten, dass nicht immer der Umsatz bedingt ist von Grösse,
Gewicht oder Oberfläche oder Ernährungszustand eines Individuums, dass
zwei Individuen gleicher Grösse unter den gleichen Bedingungen auch
einmal verschiedenen Umsatz haben können. Mag ein stärkeres Herunter¬
gehen unter das Normalniveau auch eine Seltenheit sein, ein Zustand,
der in das Gebiet der Pathologie greift, auf Grund des vorliegenden
Thatsachenmaterials scheint mir folgendes nicht mehr zu leugnen:
Bei chronischer Ueberernährung kann sich der Organismus
chronisch auf ein höheres Niveau als das des Fütterungs¬
minimums in seinem Calorienumsatz einstellen, so lange die
Ueberernährung andauert. Bei chronischer Unterernährung
kann er auf ein niedriges Niveau allmählich sinken. Also ist
auch trotz erwiesenem, völligem Nahrungsgleichgewicht beim selben Indi-
vidium ein verschiedener Calorienumsatz möglich. Mit anderen Worten,
das Calorienbedürfniss eines Individuums ist auch bei unveränderten
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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 663
klimatischen Bedingungen keine Constante. Das Niveau kann unter gewissen
Ernährungsbedingungen nach oben und unten verschoben werden, so
unter dem Einfluss chronisch überreicher Ernährung, oder chronischer
Unterernährung. Dass es ausserdem noch andere „innere“ Einflüsse giebt,
ist zum Mindesten für die Pathologie sicher (Myxoedem).
Es ist zu fordern, dass diese Bedingungen für den Menschen weiter
geprüft werden; sie sind geeignet, unsere Anschauungen vom Bedarf
wesentlich umzugestalten. Lediglich die geringe Anzahl von wochenlang
durchgeführten Versuchen in dieser Richtung erklärt unser Nichtwissen,
nicht etwa das Vorhandensein von Resultaten wochenlanger Versuchs¬
dauer, die das Gegentheil bewiesen.
Für unsere Frage nach der constitutioneilen Fettsucht ergiebt sich
eine Hypothese, welche das Problem allgemeiner fasst und in Beziehung
setzt zu constitutionellen Varianten des Stoffwechsels überhaupt.
Ist für alle sonst vergleichbaren Individuen die Fähigkeit, das Niveau
des Calorienurasatzcs unter den besprochenen Bedingungen zu erhöhen
oder zu erniedrigen das gleiche, oder giebt es da Variationen?
In diesem Sinne wäre derjenige mehr zur Fettsucht disponirt, der
eine geringere Fähigkeit zu „secundärer Steigerung“ hätte, oder derjenige,
der eine erhöhte Fähigkeit besitzt, chronischer Unterernährung sich an¬
zupassen.
Damit ist die Frage constitutioneller Fettsucht in die viel all¬
gemeinere aufgelöst, ob in der Anpassung an mehr oder weniger Calorien-
zufuhr im erörterten Sinne ein individueller Factor steckt oder ob er
nur abhängt von äusseren Bedingungen. Oder noch allgemeiner gefragt,
ob das Calorienbedürfniss nur bedingt ist von den bekannten äusseren
Factoren, der Nahrungsaufnahme, der Muskelleistung, des Klimas und
Aehnlichem.
Giebt es ein Schwanken aus inneren Ursachen, auch nur in dem
Sinne, wie Rubner(24) die Individualität andeutet, so ist für den
Menschen bewiesen, dass es solche giebt, die constitutionell zur Fett¬
sucht mehr disponirt sind, wie andere, d. h. es giebt eine constitutionelle
F ettsucht.
Das vorliegende Material ist in diesem Sinne verwerthbar.
Allgemeines über die Methodik.
In Bezug auf alles Nähere der Methodik verweise ich auf die Ver¬
suche von Dr. Steyrer, die im vierten Band dieser Zeitschrift
Seite 725 und folgende veröffentlicht worden sind. Meine ersten
Versuche sind zu gleicher Zeit wie die seinen ausgeführt und
alles Nähere über die Grenzen der Teraperaturschwankungen und des
Feuchtigkeitgehaltes der Luft, über die Genauigkeit des Apparates, die
Art der Wasserbestiraraung u. s. w. kann dort nachgesehen werden.
Ich erwähne nur in Kürze, dass der Apparat nach dem Principe der
Voit-Pettenkofer’schen Respirationskammer gebaut ist in der Modi-
fication, wie ihn Geheimrath Rubner benutzt. Die C0 2 -Bestimmungen
werden im Theilstrome durch Zurücktitriren einer vorgelegten Menge
von Barytlauge mittels Oxalsäure bestimmt. Zum grossen Theil habe
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664
G. v. Bergmann,
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ich leider die Wasserbestimraungen nicht verwerthen können, da sie nur
annähernde und nicht exacte Werthe gaben, denn die Uringläser, bisweilen
auch die Getränke waren nicht in verschlossenen Behältern im Apparate,
die Wäsche und das Bett sind nicht vor und nach jedem Versuch ‘
genau gewogen, namentlich fehlte uns eine genaue Waage um einen
Unterschied im Gewicht des Bettes selbst um Decigramme nachzuweisen.
Die Kranken befanden sich ruhig im Apparate, bei den 24 Stunden-Ver-
suchen lagen sie meist nur des Nachts und einige Stunden am Tage im
Bett, sonst sassen sie, standen auch kürzere Zeit im Apparate, immer¬
hin sind die Bewegungsmöglichkeiteil bei der Enge der Kammer durch¬
aus beschränkte. Während der Hungerversuche von 4 und 8 Stunden
waren die Patienten ständig im Bett, schliefen aber nicht, als einzige
Beschäftigung stand ihnen Lectüre zur Verfügung. Während der 24 Stunden-
Versuche durften die Patienten ein bis zweimal etwa für eine knappe halbe
Stunde den Apparat verlassen zur Aufnahme der Mahlzeiten. Andere
Mahlzeiten, die in der Zwischenzeit genommen wurden, waren schon
vorher in den Apparat hineingestellt. Nach Möglichkeit wurde auch in
dieser Pause der Koth gesammelt. Nach Verschluss der Thür des
Apparates wurde die grosse Gasuhr meist für eine Zeit bis zum Ausgleich
der Luft im Apparate allein in Gang gesetzt, und erst dann der unter¬
brochene Versuch wieder fortgesetzt, sodass für 24 Stunden meist nur
1V 2 Stunden zu interpoliren waren. Eine rechnerische Ueberlegung
zeigt, dass diese Vorsicht übrigens nicht nöthig ist.
Ausscheidungen (Harn und Koth).
ln Bezug auf die Ausscheidungen ist zu erwähnen, dass Stick-
stoffbestimmungen ebenso wie in der Nahrung nach Kjeldahl, Kohlen-
stoffbestimraungen mit der Liebig’schen Methode der Elementaranalyse
im Kopfer’schen Verbrennungsofen selbstverständlich stets als Doppel¬
analysen vorgenommen wurden. Die calorischen Bestimmungen in Harn
und Koth sind, wie bei den einzelnen Versuchen nachzusehen ist, nicht
stets ausgeführt. Ich zeige dort ausführlicher an einem Beispiel, wie die
Berechnungen mit den Rubner’schen Standardzahlen in den Fällen, wo
ich mich ihrer bediente, glänzend übereinstimmende Werthe mit der
directen Bestimmungsmethode geben. Wo es sich um trockene Pulver
handelte, wie in der fettfreien Nahrung und im Koth, wurden Pastillen
gepresst, deren Gewicht bestimmt, und die Verbrennung der Pastille in
der Berthelot’schen Bombe durchgeführt. Bei der calorischen Be¬
stimmung flüssiger Substanzen habe ich mich zunächst an die Modification
gehalten, die von Steyrer (21) in der obenerwähnten Arbeit wieder¬
gegeben ist. Es ist dafür erforderlich, wenigstens bei einer calorienarmen
Flüssigkeit wie dem Harn, dass mehrmals auf die Celluloseblöcke auf¬
getropft wird und jedesmal wieder bei 100° im luftverdünnten Raum
durch den ein schwacher Luftstrom streicht, die Trocknung vorgenommen
wird. Die Methodik ist wohl einwandsfrei, da sie aber häufige Ueber-
wachung und möglichst schnelles Arbeiten erfordert, wenn Verluste durch
Zersetzung des Harns nicht eintreten sollen, habe ich mich später der
Gck igle
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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 665
Methode bedient, die von Zuntz und seiner Schule ganz allgemein an¬
gewandt wird und genügend übereinstimmende Werthe ergiebt. Die gut
bei 100° zur Gewichtskonstanz getrockneten, gewogenen Celluloseblöcke
werden in kleine Porzellanschälchen gestellt, und 5 ccm Flüssigkeit auf
die Blöcke aufgetropft, in einem Male; was an Flüssigkeit nicht gleich
aufgesogen wird, sammelt sich zunächst in den Schälchen; sie kommen
mit den Blöcken in einen Exsiccator mit frischer Schwefelsäure, der gut
evacuirt wird, sodass auch bei Zimmertemperatur die wesentliche Ein¬
trocknung nach 12—18 Stunden stattgefunden hat. Es ist im Labora¬
torium von Zuntz gezeigt, dass wesentliche Verluste dabei nicht ent¬
stehen, da bei Zimmertemperatur die Zersetzung eines sauren Urins
auch in 24 Stunden nicht ernstlich in Betracht kommt. Man muss nur
auf eines achten, dass man vor der Verbrennung mit dem an einer
Pincette gehaltenen trockenen Block das Porzellanschälchen gut aus¬
wischt, bis die Porzellanfläche sauber, weiss, glatt und spiegelnd aus¬
sieht. Gelingt das einmal nicht ideal, so bringt man ein Paar Tropfen
Wasser in die Schale, fasst den Celluloseblock wieder mit einer Pincette
und wischt das Schälchen noch einmal aus. Die Methode erwies sich
mir als quantitativ.
Rubner macht den Einwand, dass der Verbrennungswerth der
Cellulose an sich so viel grösser ist, als derjenige von 5 ccm Harn, so
dass kleine unvermeidliche Fehler der Methode sich stark summiren, da
sie nur auf die Calorienberechnung des Harnes entfallen. Man kann
sich aber wiederum mit Rubner damit beruhigen, dass die Calorien-
menge des Harns namentlich für die von mir angestellten Hungerversuche
in der Berechnung des Gesammtcalorienumsatzes eine höchst unbedeutende
Rolle spielen.
Für die Versuche bei Ernährung der Patienten ist grossentheils
sowieso die indirecte Berechnung der Calorienzufuhr, die ja die Abzüge
für Harn und Koth gleich einbegreift, von mir gewählt worden. In
weiteren Versuchen wäre allerdings die Calorienbestimmung im Trocken¬
rückstand des Harns ohne Verwendung von Blöcken weit vorzuziehen.
Für die Bestimmung des Aetherextractes der Nahrung ist die Methode
mittels der Blöcke durchaus gerechtfertigt, handelt es sich doch im
Gegensatz zum Urin um eine sehr calorienreiche Lösung.
Für die Kohlenstoffbestimmung des Harns sei noch bemerkt, dass
5 ccm Harn direct in Schiffchen gebracht wurden, der Harn war wiederum
im Exsiccator über Schwefelsäure bei gutem Vacuum ebenfalls in 12 bis
18 Stunden fast völlig eingetrocknet. Hat man für die Kohlenstoff¬
bestimmungen mit dieser Methode kein Bedenken, und auch Steyrer
hat dieses nicht gehabt, so lässt sich auch gegen die Art der Harn¬
eintrocknung nach Zuntz, die ich oben beschrieben habe, nichts ein¬
wenden.
Nahrung.
Die Bestimmungen in der Nahrung wurden ganz in der Weise
vorgenommen, wie Steyer (21) sie methodisch ausgearbeitet hat; dass
man auf diese Weise absolut zuverlässige Analysenzahlen erhält, beweist am
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666
G. v. Bergmann,
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besten die Tabelle der Nahrungsanalysen, z.B. der Versuche am Patienten M.
Da die Art der Bestimmung mir exacter erscheint, wie die Bestimmung
aller einzelnen Bestandtheile einer Kost und da sie ausserdem oft nur
den zehnfachen Theil an Arbeit bedeutet gegenüber der Methodik, die
sonst in der Stoffwechselforschung auch heute noch die verbreiteteste
ist, will auch ich noch einmal auf die Art und Weise eingehen, wie ich
die Nahrung verarbeitet habe. Die Tabellen sind zudem ein weiterer
eclatanter Beleg, wie wenig man anfangen kann mit einer Berechnung
der Nahrung etwa nach feststehenden Tabellen, habe ich doch bei drei
Nahrungsgemischen zu verschiedenen Zeiten genau dieselbe Menge Roh-
producte abgewogen und wie ohne Weiteres aus der Tabelle zu ersehen
ist, recht wesentliche Schwankungen im Gehalt der einzelnen Bestand¬
theile gefunden. Ich verweise nur auf die Schwankungen an Stickstoff
zwischen 22 und 24 g.
Genau die Hälfte aller Nahrungsmittel, die die Versuchspersonen
bekommen, wird frisch in grob zerkleinertem Zustande abgewogen
z. B. Brot, Fleisch, Käse u. s. w. Ich habe die Nahrungsmittel für den
Kranken M. stets roh gewogen; der Kranke war daran gewöhnt,
keine Spur von der gereichten Nahrung übrig zu lassen. Wenn das
Fleisch z. B. als Beefsteak zubereitet war, so wurde vom Kranken mit
Brot die Bratpfanne gründlich ausgewischt, so dass Bratensauce und
Butter kaum verloren gingen. Es braucht kaum erwähnt zu werden,
dass die Nahrung stets unter Controle einer Schwester von den Patienten
zu sich genommen wurde, ja, dass sie auch sonst, so gut es anging,
controlirt wurden. Gesetzt auch, dass an versuchsfreien Tagen dies in
idealer Weise nicht möglich war, denn der Kranke war nicht in einem
Zimmer internirt, da er, wegen seiner Fettleibigkeit nicht mit Unrecht,
reichlich Bewegung verlangte, so ist doch an den Versuchstagen in den
kurzen Zeiten, die er ausserhalb des Apparates zubrachte, die aufmerk¬
samste Controle auf ihn verwendet worden, in diesem Sinn auch der
eine und andere Versuch, den ich ausgeführt habe, vollständig weggelassen
worden, wenn mir die Controle nicht genügend erschien. Ich fahre in
der Methodik der Nahrungsbestimmung fort. Die einzelnen Schalen mit
den abgewogenen halben Portionen von Fleisch, Brot, Käse u. s. w.
wurden bei 100° etwa 24 Stunden getrocknet, diejenigen Nahrungs-
bestandtheile von ihnen, die Fett enthalten, werden im Soxhletapparate
drei Tage lang je 8—10 Stunden extrahirt. Der nunmehr fettfreie Inhalt
der Papierhülsen lässt sich leicht in einer Kaffeemühle zu einem ganz
feinen Pulver zermahlen. Die Verluste betragen, wie ich mich gelegent¬
lich überzeugt habe durch Wägung vor und nach dem Mahlen, nicht
1 pCt. Man hat nun für die Durchführung der Analysen zwei Portionen,
ein trockenes, fettfreies Pulver, das vor der Analysenbestimmung noch
bis zur Gewichtsconstanz getrocknet ist und einen Aetherextract, der
auf eine bestimmte Menge gebracht ist und auf dessen gleichraässige
Temperatur (bei der Analysenentnahme mittels Pipette) besonders zu
achten ist (wegen der starken Voluraenveränderung des Aethers, auch
bei geringen Temperaturunterschieden). An Analysen ist dann lediglich
auszuführen
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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 667
im fettfreien Pulver
die Stickstoffbestimmung,
die Kohlenstoffbestimmung,
die Calorienbestimmung,
die Menge der Kohlehydrate und der Asche;
im Aetherextract 1 )
die Kohlenstoffbestimmung,
die Calorienbestimmung,
die Fettmenge = Aetherextractraenge.
Wenn ich statt dieser vereinfachten Methode die Bestimmungen in
den Einzelbestandtheilen der Nahrung hätte durchführen müssen, so hätte
ich für meine Nahrungsmischung etwa je 6 Doppelbestimmungcn für
Kohlenstoff, Stickstoff und Calorien, ausserdem eine ganze Reihe von
Kohlehydrat-, Fett- und Aschenbestimmungen durchführen müssen, ja,
die Kohlenstoffmenge des Fettes und der calorische Werth des Fettes
wäre nur indirect durch Rechnung bestimmt. Dabei handelt es sich bei
der von mir verabreichten Kost noch um eine sehr einfach zusammen¬
gesetzte. Es erübrigt nur noch zu erwähnen, dass die Methode selbst¬
verständlich ganz eben so gut bei Berücksichtigung der zubereiteten
Speisen durchführbar ist, wie ich es für die Patientinnen L. und W.
später auch durchgeführt habe, dass man also eine besondere Einfachheit
in der Kost durchaus nicht mehr in künftigen Stoffwechseluntersuchungen
aus analytischen Gründen zu bevorzugen haben wird.
Ich möchte noch darauf hinweisen, dass bei der gewählten Kost
eine relativ so grosse Verschiedenartigkeit in der Zubereitung der
Nahrung möglich war, dass ein Patient (M.) fast 2 Monate lang mit nur
geringen Unterbrechungen stets dieselbe Nahrung zu sich nahm. Er
nahm das Ochsenfleisch theils als Rindfleisch allein gekocht, theils als
dicke mit Reis gekochte Suppe, dann als Beefsteak, Schmorbraten, rohes
Schabefleisch, theils warm, theils kalt zu sich, ähnlich den mit Wasser
gekochten Reis mit Butter, mit Käse oder mit Zucker, oder auch als
Suppe zusammen mit dem Fleisch.
Versuche am Myxödem.
(Dass ich an einem Patienten der Kinderklinik der Königl. Charitö meine Unter¬
suchungen anstellen durfte, dafür sage ich Herrn Geheimrath Heubner meinen ganz
besonderen Dank. Eine ganze Reihe von Bestimmungen in derNabrung, wie imHarn und
Koth sind von Frl. Dr. Wed eil, damals Volontärassistentin an der Kinderklinik aus¬
geführt worden, die Krankengeschichte ist ein Auszug der Aufzeichnungen der Klinik.)
H. G., 1 Jahr 3 Mon. Das Kind war schon einmal im Alter von 6 Monaten in
der Charite; es wog bei der Geburt l l / 2 Pfund, hat 7 Wochen lang die Brust be¬
kommen, dann künstliche Ernährung. Schon seit der Entwöhnung leidet es häufig an
Schluckbeschwerden; es wird beim Trinken ganz steif und blau, verdreht die Augen
und bekommt keine Luft. Fast bei jeder Nahrungsaufnahme diese Erscheinungen.
Bei der ersten Aufnahme im September 1906 wird die Diagnose auf schweres in¬
fantiles Myxödem gestellt. Das Fettpolster ist von einer eigenthümlich schlaffen,
1) Der Stickstoff konnte hierin vernachlässigt werden.
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Google
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668
G. v. Bergmann,
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teigigen Consistenz; besonders ist dies an den unteren Extremitäten und im Gesicht
wahrzunehmen, hier besonders die Gegend der oberen Augenlider, um die Nase herum
und an den Ohren. Die Haut der Stirn lässt sich in weichen, teigigen Falten ver¬
schieben. Das Gesicht macht einen gedunsenen Eindruck, der Ausdruck ist blöde,
der Mund steht fortwährend offen, man sieht die verdickte Zunge etwas hervorstehen,
das Geschrei des Kindes ist grunzend, das Kind reagirt mit 6 Monaten in keiner
Weise auf äussere Eindrücke. Schilddrüse nicht fühlbar, es muss schon damals
wiederholt mit der Sonde ernährt werden, hat am 10. 10. 06 einen Erstickungsanfall,
der mit Campher und Uebergiessungsbädern bekämpft wurde; das Kind wird dabei
ganz steif und blau. Es haben sich noch am selben Tage in kurzen Intervallen vier
solche Anfälle wiederholt. Auf Schilddrüsenzufuhr bessert sich während des ersten
Chariteaufenthaltes das Befinden in eclatanter Weise, die myxödematöse Schlaffheit
Datum
Nahrung
Gewicht
i
Bemerkungen |
i
| Datum
!
Nahrung
Gewicht
Bemerkungen
1907
1907
19. 6.
—
7400
— |
26. 7.
600 V. M.
6445
Resp. Vers. III.
20. 6.
—
—
0,1 Thyreoidea
21.6.
—
7550
' 27. 7.
600 V. M.
—
Resp. Vers.
22. 6.
750V.M.D
—
—
0,1 Thyreoidea
23. 6.
650 V. M.
—
— !
i 28. 7.
600 V. M.
—
Resp. Vers.
24. 6.
650 V. M.
7750
— 1
0,1 Thyreoidea
25. 6.
600 V. M.
—
Resp. Vers. 1. j
29. 7.
600 V. M.
6505
Resp. Vers.
26. 6.
600 V. M.
—
do.
■
0,1 Thyreoidea
27. 6.
600 V. M.
—
do.
30. 7.
600 V. M.
—
0,1 Thyreoidea
28. 6.
600 V. M.
—
do.
31.7.
600 V. M.
—
0,1 Thyreoidea
29. 6.
750 V. M.
7500
do.
| 1.8.
600 V. M.;
6450
—
30. 6.
700 V. M. ,
—
—
! 2.8.
600 V. M.
—
1.7.
582 V. M.
7500
—
' 3.8.
600 V. M. ,
6470
—
2. 7.
650 V. M.
—
Resp. Vers.
1 4.8.
600 V. M. !
—
—
0.3 Thyreoidea
5. 8.
— 1
6440
—
3.7.
—
—
Resp. Vers.
6. 8.
450 V. M.
—
—
0,3 Thyreoidea
7. 8.
650 V. M.
6450
—
4. 7.
—
7400
Resp. Vers.
8. 8.
600 V. M.
—
—
0,3 Thyreoidea
9. 8.
700 V. M.
6420
5. 7.
650 V. M.
—
—
10. 8.
700 V. M.
—
6.7.
550 Y. M.
—
—
11.8.
700 V. M. ,
—
—
7. 7.
750 V. M.
—
—
12. 8.
700 V. M.
6500
—
8.7.
600 V. M.
7150
—
13. 8.
700 V. M.
—
-
9. 7.
660 V. M.
7130
—
14. 8.
700 V. M. |
6500
—
10.7.
650 V. M.
7040
—
15. 8.
650 V. M.
—
—
11.7.
750 V. M.
—
—
16. 8.
—
6580
‘ -fe-
12. 7.
700 V. M.
6890
—
17.8.
650 V. M.
—
--
13. 7.
700 V. M.
6855
—
18. 8.
600 V. M.
—
—
14. 7.
700 V. M.
6825
—
19. 8.
600 V. M.
—
15.7.
780 V. M.
6825
20. 8.
600 V. M.
—
--
16. 7.
880 V. M.
6825
21.8.
600 V. M.
6950
—
17. 7.
700 V. M.
6850
—
22. 8.
600 V. M.
—
—
18. 7.
600 V. M.
6830
Resp. Vers. II. |
23. 8.
600 V. M.
7060
—
19.7.
600 V. M.
—
do.
24. 8.
600 V. M.
—
20. 7.
600 V. M.
—
do.
25. 8.
600 V. M.
—
--
21.7.
600 V. M.
—
do.
26. 8.
600 V. M. 1
7100
—
22.7.
600 V. M.
6580
do.
: 27. 8.
600 V. M.
—
—
23. 7.
600 V. M.
_ !
1 28. 8.
600 V. M. ,
7050
—
24.7.
600 V. M.
—
—
! 29.8.
800 V. M. |
—
—
25. 7.
600 V. M.
6575
0,1 Thyreoidea,
; 30. 8.
600 V. M.
6920
—
' 31.8.
450 V. M.
—
—
1) (V. M. = Vollmilch. Für die Versuchstage finden sich die exacteren Mengen
der genossenen Milch im Folgenden.)
Gck igle
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Der Stoff- u. Enorgieuuisatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 669
der Haut ist geschwunden, das Kind vermag ohne Schlundsonde Nahrung zu sich zu
nehmen; es fängt an zu läoheln. Das Kind liegt behaglich mit dem Finger im Munde
da. Im Ganzen eine unzweifelhafte Besserung der myxödematösen Symptome.
2. Aufnahme am 29. August 1907 mit 1 Jahr und 3 Monaten. Seit der ersten
Entlassung ging es dem Kind körperlich gut, es machte aber geistig gar keine Fort¬
schritte. Greift krampfhaft nach einem vorgehaltenen Gegenstand, verfolgt ihn mit
den Augen, reagirt aber auf nichts weiter. Das Kind bekam als Nahrung 6—800 ccm
Vollmilch und zweimal täglich „Päppchen a von Semmel oder Zwieback. Das Kind
kommt jetzt wegen Augenentzündung, Husten und dünner Stühle in die Charitö. Ich
sehe von diesen Leiden, die während der Behandlung in der Heubner’schen Klinik
geheilt wurden, hier vollständig ab. Zu Beginn der Stoffwechselversuche lag von
diesen Erkrankungen nichts mehr vor. aus dem Status hebe ich nur noch heraus:
„ln der Entwickelung stark zurückgebliebenes Kind, das mit idiotischem Gesichts¬
ausdruck im Bette liegt. Die Haut des ganzen Körpers sieht gedunsen aus, bei Be¬
tasten fühlt sie sich, besonders an der Stirn, wie eine Speckschwarte an. Derart
verdickte Haut giebt auch der Nase, den Lippen und dem Halse ein unförmiges Aus¬
sehen. Dieselbe Verdickung hat auch die Zunge zu einem unförmigen dicken Organ
verwandelt, das in der Mundhöhle keinen Platz hat, sodass der Mund dauernd offen
steht, was zu dem stupiden Ausdruck beiträgt. Intelligenz gering; vorgehaltene
Gegenstände werden nicht fixirt“.
„Schilddrüse ist nicht zu fühlen, Puls verlangsamt, 80 in der Minute. Das
Kind schreit viel, das Geschrei hat einen unnatürlich grunzenden Character, das Kind
muss mit der Sonde gefüttert werden. Maasse des Kindes: Länge 65 cm, Kopf¬
umfang 43y 2 , Leibumfang 45 cm. Das Kind, welches wegen seiner Verdauungs¬
störung auf geringe Nahrungsquantitäten und bald auf rohe Vollmilch gesetzt wird,
nimmt zunächst von 7450 g auf 7000 g ab. Es wird am 31. 7. mit 6920 g Körper¬
gewicht entlassen, ln der Periode der Versuche, also zwischen dem ersten und
29. Juli schwankt das Körpergewicht zwischen 7500 und 6450 und zwar ist diese
Körpergewichtsabnahme die rapideste, welche das Kind überhaupt durchmacht, sie
setzt ein mit dem Beginn der Schilddrüsenfütterung. Ich gebe zu besserer Ueber-
sicht einen Auszug aus der Tabelle über Gewichte und Ernährung (s. die vorige
Seite). Eine Temperatursteigerung im Anschluss an den gleich zu beschreibenden
Collaps fällt jedenfalls ausserhalb der angestellten Versuche.
Nach der Verabreichung von Schilddrüsensubstanz auch diesmal entschiedene
Besserung der Symptome 14 .
Es handelt sich also um einen klinisch sehr ausgeprägten Fall, um
ein schweres, typisches, infantiles Myxödem, bei dem die körper¬
liche und geistige Entwickelung in hohem Maasse gelitten hat,
das trotz der myxödematösen Verdickungen mit 5 / 4 Jahren nur 7 kg
wiegt und 65 cm lang ist, also in seiner Grösse Verhältnisse bietet, wie
sie etwa für ein 6 Monate altes Kind noch normal sein mögen. Wenn
wir bei diesem Kinde den Energieumsatz feststellen, so ist das nach
2 Richtungen interessant, erstens fragt es sich: entspricht der Calorien-
umsatz dem Alter oder den Grössenverhältnissen des Kindes, bezüglich
richtiger der Grösse seiner Oberfläche? Es ist ja bekannt, dass viele
Autoren noch immer meinen, dass auch das Alter des Kindes für den
Calorienbedarf maassgebend sei, haben doch gerade deshalb Rubner’s
Vergleiche des Energieumsatzes am ausgewachsenen Zwerg und am
ebenso grossen wachsenden Kinde einen ganz besonderen Werth. Uns
interessirt, wie ich glaube, in richtigerer Fragestellung das Problem:
Entspricht der Calorienumsatz des Kindes dem eines Normalen
Zeitschrift f. exp. Pathologie n. Therapie. 5. Bd. 4 g
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670
G. v. Bergmann,
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von gleicher Oberfläche? oder ist der Calorienumsatz ein
geringerer? Vergleichszahlen besitzen wir durch die klassischen Unter¬
suchungen von Rubner und Heubner genug, während langdauemdo
Stoffwechselversuche beim infantilen Myxödem meines Wissens mit der
exacten Methodik Rubner’s überhaupt noch nicht durchgeführt sind,
wie wir das eingangs bereits erörtert haben.
Es ist mir nicht möglich gewesen, erwachsene Patienten zu längerem
wie 24stündigem Aufenthalt in der Kammer zu bewegen, schon dadurch
haben die Versuche am kleinen Kinde ihren besonderen Werth. Das
Kind liegt angeschnallt auf seinem Ruhebett, damit Harn und Koth
restlos aufgefangen werden können. Es ist angeschnallt in einer Weise,
dass es Kopf und Arme frei, die Beine nur in geringerem Maasse
bewegen kann, ganz in der Weise, wie das wohl bei allen Respirations-
Stoffwechselversuchen an Säuglingen durchgeführt worden ist. 5 Mal in
24 Stunden, stets zu denselben Zeiten bekommt das Kind die Flasche.
Im ersten Versuch wurde die Milch mit der Schlundsonde beigebracht,
weil das Kind in Folge der verdickten Zunge die Flasche nicht nehmen
wollte. Zur selben Zeit, wie die Verabreichung der Nahrung, erfolgte
die Sammlung von Harn und Koth. Der Harn wird mit einer bekannten
Menge Essigsäure, ausserdem mit Thymol versetzt und um Zersetzungen
ganz zu hindern, im Gefrierkasten aufbewahrt. Alle Portionen von
4 Tagen vereinigt, der Koth ebenfalls angesäuert, wird gewogen, dann
gleich in einer grossen Schale eingedarapft, die frisch aufgefangenen
Portionen nach Wägung stets den alten eindampfenden zugefügt.
In Bezug auf die Milch ging ich so vor, dass reichlich so viel
Milch zu Beginn der Versuchsreihe frisch vorhanden war, als in 4 Tagen
gebraucht wurde. Eine sicher ausreichende Quantität wurde zu Beginn
des Versuches gemischt und durch einen minimalen Formalinzusatz
conservirt, die Milch dann in die sterilen Flaschen, je 160 ccm eingefüllt
und kühl aufbewahrt. Von dieser Milch bekam das Kind jedes Mal
eine Flasche angeboten. Die in der Sonde, bezüglich den Flaschen,
bleibenden Rückstände wurden von 4 Tagen vereinigt, gemessen und
von der ursprünglichen Menge in Abzug gebracht. In 2 Proben jeder
Mischmilch wurde für je eine viertägige Periode Stickstoff, Kohlenstoff
einzeln, Fett und Kohlehydrate nach der Angabe des § 668 in Hoppe-
Seyler etc. bestimmt. Die procentischen Werthe wichen zwar nicht un¬
erheblich in den drei verschiedenen Versuchen ab, bei Berücksichtigung
des Trockenrückstandes aber würden sich die Differenzen verringern 1 ).
Dieser wurde nicht bestimmt, vielmehr wurde für alle Bestimmungen
von der frischen Milch ausgegangen, die zu analvsirenden Mengen sind
also mit der Pipette abgemessen.
Das Kind, das seiner Krankheit entsprechend sich indolent verhielt,
war in seinen Bewegungen in den drei Versuchsreihen sehr gleichmässig,
eine auffallende Muskelruhe bestand keineswegs. Auch die Dauer des
1) Im Uebrigen ist es in der II eubner’sehen Klinik bekannt, dass die ver¬
wendete „Nieder-Ludwisdorfer Milch“ stark in ihrer Zusammensetzung schwanken
kann, sie ist fettarm, auch nicht reich an Kohlehydrat.
Gck igle
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Der Stoll- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 07 1
Schlafens und Wachens wich nicht auffällig ab. In der ersten Versuchs¬
reihe hatte es einmal erbrochen. Die Menge des Erbrochenen konnte
durch sofortige Wägung der Kleidung von der Nahrung in Abzug ge¬
bracht werden. Eine Versuchsreihe, bei der, vielleicht in Folge von
Thyroideawirkung, das Kind collabirte, und im Collaps eine profuse
Schweisssekretion ausbrach, sodass Kampfer gegeben werden musste,
wurde unterbrochen und ist gar nicht berücksichtigt.
Das Wechseln der Gummibeutel für den Urin und der Unterlage
für den Koth, wie die Aufnahme der Nahrung dauerten jedes Mal etwa
20—30 Minuten. Während dieser Zeit waren zwei Wärterinnen im
Respirationskasten bei offener Thür mit dem Kinde beschäftigt. Nach
Schluss der Thür wurde der Apparat eine halbe Stunde blind in Gang
gesetzt, diese Zeit reicht vollkommen zur Entfernung der C0 2 aus der
Zimmerluft, bezüglich der von den Wärterinnen gelieferten C0 2 , aus.
So mussten in 24 Stunden je etwa 4—5 Stunden ausfallen. Es wurden
aber die für 19—20 Stunden erhaltenen Werthe durch Interpolation auf
24 Stunden umgerechnct. Da stets etwa dieselben Tagesstunden aus¬
fielen, da ferner sie denselben Tageszeiten in Bezug auf die Nahrungs¬
aufnahme des Kindes entsprachen, d. h. etwa 15 Minuten vor und
40 Minuten nach jeder Nahrungsaufnahme, so bieten die drei Versuchs¬
reihen völlig untereinander vergleichbare Werthe, ja es ist wohl
sicher, dass durch diese Interpolation keinesfalls zu niedrige Werthe
gefunden werden, handelt es sich doch um die ersten s / 4 Stunden nach
Nahrungsaufnahme, in denen eine spccifische Steigerung durch die
Nahrung am wenigsten in Betracht kommen wird. Will man aber selbst
zugeben, dass sie von der vorhergehenden Nahrungsaufnahme vorhanden
sein könnte, so ist es doch sicher, dass die Steigerung nach Nahrungs¬
aufnahme nicht nur in der einen Stunde der Versuchsunterbrechung in
Betracht kommt; es sind also die relativen Werthe der drei Versuchs¬
reihen ohne jede Frage vollkommen verwerthbar, es nähern sich aber
auch durch die Interpolation und die Art, wie die Pausen dem Versuch
eingeschaltet wurden, die absoluten Werthe sehr nahe dem wahren
Verbrauch. Nur etwa Ye der 96stündigen Versuchszeit wird ja inter-
polirt, und nur wenige Procent Abweichung vom wahren Werth sind bei
der Interpolation anzunehraen. Für jede Versuchsreihe liegen die Fehler
in gleichem Sinne und sind gleich hoch. Es wird sich zeigen, dass die
Resultate weit ausserhalb solcher Irrthümer liegen.
Die lange Versuchszeit, die gleichartige Nahrung, die Milch, in
der Fett, Kohlehydrate direct und das Eiweiss aus dem Stickstoff bestimmt
wurde, die gleichmässige Ruhe der Versuchsperson lassen diese Versuche
besonders brauchbar erscheinen, nicht zum Mindesten aber der Umstand,
dass wir beste Vergleichszahlen durch die exacten Untersuchungen von
Rubner und Heubner (30) an normalen Säuglingen besitzen.
Der erste Versuch wurde vom 25. 6. bis 29. angestellt. Das Kind,
das vorher noch keine Schilddrüse bekommen hatte, sollte erst unbeeinflusst
auf seinen Calorienbedarf untersucht werden. Es hatte vorher bei Zufuhr
von 600—700 ccm Vollmilch pro Tag im Wesentlichen etwas abgenommen,
allerdings bei ungehinderter Bewegung im Bett. Bei der geringeren Bc-
43*
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672
wegungsfreiheit im Apparate war die Körpergewichtsabnahme, wie wir sehen
werden, gering. Unmittelbar nach Abschluss des ersten Versuches wurde
3 Mal 0,1 g Thyroidea (Borroughs, Welcome und Comp.) verabreicht
und schon am zweiten Tage dieser Medication ein neuer Versuch
begonnen. Er musste, wie oben erwähnt, abgebrochen werden, weil das
Kind collabirte, ganz in der Art, wie die Autoren es bei Vergütung mit
Schilddrüsensubstanz beschrieben haben. Es geht aus der Kranken¬
geschichte jedoch hervor, dass auch ohne Schilddrüsenzufuhr das Kind
schon ein halbes Jahr zuvor und auch bei diesem Krankenhausaufenthalte
ähnliche Anfälle von Cyanose, Collaps und profusen Schweissen gehabt
hat. Die Thyroideazufuhr wurde ausgesetzt, das Kind erholte sich, und
ein zweiter Versuch ohne Schilddrüse sollte unternommen werden. Nach
den Erfahrungen anderer und auch nach eigenen einschlägigen solchen,
ist es mir hinterher zweifelhaft geworden, ob dieser Versuch 2 als ein
ohne Schilddrüseneinfluss angestelltcr anzusehen ist, waren doch nach der
Verabreichung nicht drei Wochen verstrichen, wir wissen aber, dass
der Einfluss der Schilddrüse oft genug erst durch Wochen und Monate
abklingt. Während des letzten, des dritten Versuches, wurde drei Mal
0,03 Thyroidea pro die verabreicht. Mit der Fütterung war ein Tag
vor Beginn des Versuches begonnen. Auch hier wieder kann man im
Zweifel sein, ob ein Schilddrüseneinfluss vorliegen muss, wenn man sieht,
wie häufig die Wirkung auf den Stoffwechsel erst nach Wochen einsetzt.
Es kommt für unsere Versuche an dieser Stelle nur auf den Calorien-
umsatz im Ganzen an, und jedenfalls steht cs fest, dass der erste
Versuch der Reihe mit Sicherheit ohne Einfluss von Schilddrüse aus¬
geführt wurde. Auch ein einziger Versuch beweist hier genug, da er
das Mittel ist aus 4 Mal 24 Stunden, in denen hintereinander die Unter¬
suchung durchgeführt wurde.
Versuch 1.
Nahrungsverhältnisse: Das Kind erhält pro Tag 600 ccm Milch,
also 4 X 600 (— 150, erbrochen) = 2250 ccm Milch.
Darin sind enthalten: N 10,14 g
C 113,02 g
Fett 60,1 g
Kohlehydrat 90,0 g
Aus dem Stickstoff wurde das Eiweiss berechnet durch Multiplication
mit 6,25, dann wäre Eiweiss: = 63,4 g. Zur Berechnung des calorischen
Werthes dieser Nahrung habe ich mich der gewöhnlichen Rubner’schen
Standardzahlen bedient und erhalte 1190,6 Caloricn für die gesammte
Milchmenge. Im Versuch III wurde, wie wir später sehen werden, die
Calorienmenge der Milch mit der Berthelot’schen Bombe direct be¬
stimmt, eben so die Calorien für Harn und Koth, es ergaben sich aus¬
gezeichnet übereinstimmende Werthc (s. später). Es zeigte sich auch
hier wieder, dass die Calorienbcrechnung aus den Rubner’schen Standard¬
zahlen vollkommen gerechtfertigt ist, so dass ich auf die directe Calorien-
bestimmung in Harn, Koth und der Nahrung ohne Weiteres verzichten konnte.
Die Calorienbcrechnung nach Rubner wurde folgendermaassen ausgeführt:
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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 673
N X 26 = 263,6
Fett X 9,3 = 558
Zucker X 4,1 = 369
Summa 1190,6 Calorien.
Bei dieser Berechnungsart sind die Calorienvcrluste für Harn und
Koth bekanntlich schon mit in Rechnung gebracht 1 ).
Die Ausscheidungen betrugen:
Für den Harn:
Harnmengc. 1640 ccm
Stickstoff. 8,35 g
Kohlenstoff. 6,0 g
Für den Koth:
Kothmenge feucht . . . 141,6 g
trocken . . . 30,3 g
also Wassergehalt desKothes 111,3 g
Kohlenstoff.11,49 g
Stickstoff. 0,93 g
In der Respiration . . . 118,8 g C.
Aus diesen Bestimmungen lässt sich die Bilanz für Stickstoff und
Kohlenstoff ohne Weiteres aufstellen.
Stickstoffbilanz.
Stickstoff im Harn . . . 8,35 g
im Koth . . . 0,43 g
Summe der Ausscheidungen 9,28 g
Stickstoffeinnahme . . . 10,14 g
Stickstoffbilanz . . . . -f- 0,86 g
Wir haben also eine positive Stiekstoffbilanz und zwar hat
das Kind in den vier Tagen 0,86 Stickstoff retinirt, pro die 0,22. Eine
recht geringe Menge. Jedenfalls hat die zugeführte Slickstoffmenge für
seine Bedürfnisse vollständig genügt, obgleich sie ganz gewiss als sehr
niedrig zu bezeichnen ist.
Kohlenstoffbilanz.
Der Kohlenstoff in der Respiration betrug 118,8
im Harn. 6.0
im Koth .... . . 14,5
Summe der Kohlenstoffausgaben . . . 139,3
Kohlenstoffeinnab men.113,2
Kohlenstoff bilanz.— 26,1
1) Die Standardzahlen für einzelne Milchbestandtheile sind eigentlich: Casein 4,4,
Milchzucker 3,9, Butterfett 9,2. Mit diesen [selbst aller N als Casein gerechnet (!)]
findet man die Werthe auf Tabelle S. 677 unten in eckigen Klammern, sie weichen
nur ganz innerhalb der übrigen unvermeidlichen Fehlergrenzen ab. Ich habe die
anderen Standardzahlen als die für meine Beweisführung eher ungünstigeren ver¬
wendet, in diesem Sinne auch den Extractiv N als Eiweiss in Berechnung gestellt.
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(»74
Diese negative Kohlenstoffbilanz mehrt sich noch um jenen Kohlen¬
stoffantheil, den der Körper gebraucht hat zum Aufbau des Eiweisses
bei der Stickstoffretcntion d. h. 0,86 X 3,22. Es wären also 2,77 noch
hinzu zu zählen, somit hätten wir die negative Bilanz von 28,9 Kohlen¬
stoff aus zersetztem Körperfett.
Calorien-Berechnung.
Den 28,9 g Kohlenstoff entsprechen 355,8 Calorien aus Körperfett.
(Fett C X 12,31.) Von diesen haben wir in Abzug zu bringen die
durch den Eiweissansatz ersparten Eiweisscalorien, N X 34 d. h.
29,2 Calorien. Es sind also vom Körper abgegeben 326,6 Calorien.
In der Nahrung waren Bruttocalorien, d. h. vom Körper vollständig zu ver¬
wendende Calorien 1190,6 (s. oben), dazu 326,6, also der wahre
Calorienumsatz 1517,2, das wäre pro Tag 379 Calorien.
Wir sehen also, dass das Kind bei ungenügender Nahrungszufuhr sich
doch reichlich in Stickstoffgleichgewicht gehalten hat, dass es dagegen
etwa Ve des gesammten Calorienbedarfs von seinem Körperbestande
decken musste. Im Ganzen sehen wir in diesem ersten Versuche einen
ungemein niedrigen Calorienumsatz. Darauf kommen wir noch später
zurück.
Versnch 2.
Nahrungsverhältnisse: In 4 Tagen, ebenso wie im ersten Versuch
2250 ccm Milch. In der Milch sind enthalten:
Kohlenstoff. 123,7 g
Stickstoff. 9,70 g
Eiweiss. 60,6 g
(Berechnet aus dem Stickstoff X 6,25)
Fett . 69,8 g
Kohlehydrate. 95,85 g
Mittelst der Standardzahlen berechnet sich hieraus
Eiweisscalorien .... 252
Fettcalorien.649
Zuckercalorien .... 393
also zugeführt
. 1294 Cal.
Die Ausscheidungen betrugen:
1. für den Harn:
Menge.
. . 1250 ccm
Stickstoff ....
• • 8,28 g
Kohlenstoff . . .
5,5 g
2. Für den Koth: feucht . . .
. . 292,0 g
trocken.
• • 27,2 g
Wassermenge . . .
. . 265,0 g
Kohlenstoff . . .
• • 12,94 g
Stickstoff ....
• • 1,36 g
3. Für die Respiration:
Kohlenstoff....
. . 137,9 g
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l>er Stoff- u. Knergicumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 675
Aus diesen Zahlen ergeben sich folgende Bilanzen:
Stickstoff im Harn . . . 9,82 g
im Koth . . . . 1,36 g
Summe der Ausscheidungen 10,18 g
Stickstoffeinnahme . . . 9,70 g
Stickstoffbilanz . . — 0,38 g
Wir haben also in diesem Versuche im Gegensatz zum ersten eine
negative Bilanz, die sich ohne Weiteres aus der geringeren Stickstoff¬
zufuhr in der Milch erklärt. Der Stickstoffverlust, der weniger als 0,1
pro Tag beträgt, ist so gering, dass der Versuch mit vollem Recht an¬
zusehen ist als angestellt bei gutem Stickstoffgleichgewicht.
Kohlenstoffbilanz:
Kohlenstoff d. Respiration
137,9
g
Kohlenstoff im Harn . .
5,5
g
im Koth.
12,9
g
Summe der Ausgaben
156,3
g
Kohlenstoff der Einnahmen
123,7
_g
Kohlenstolfbilanz . .
— 32,6
g
Um aus diesen Zahlen den Kohlenstoff aus zersetztem Körperfett
zu berechnen, bedarf es einer kleinen Corrcctur, nämlich des Abzuges
desjenigen Kohlenstoffes, der auf die negative Stickstoffbilanz zu be¬
ziehen ist. Es wären also 1,2 in Abzug zu bringen, d. h. 31,4 g Kohlen¬
stoff wären als zersetzt aus Körperfett anzusehen (ich vernachlässige
stets die Berücksichtigung des Glykogens (s. o.).
Die calorischen Verhältnisse.
Es sind als Calorien aus Eiweisssubstanzen des Körpers in Rechnung
zu setzen. 12,9
Aus Körperfett . . . 386,5
Summe 399,4
dazu Calorien der Nahrung 1294,0
Summe 1693,4
Der wahre Calorienumsatz beträgt also 1693 bei Stickstoffgleich¬
gewicht, dabei hat der Körper etwa x / 8 seines Bedarfes durch die
Calorien seiner Körpersubstanz gedeckt.
Versuch 3.
Nahrungsverhältnisse: DieaufgenommeneMilchmengcbeträgt 2297ccm,
darin sind enthalten:
Kohlenstoff.136,1 g
Stickstoff. 11,45 g
Daraus berechnet Eiweiss 71,6 g
Weiter sind enthalten:
Fett. 59,7 g
Kohlehydrat. 121,7 g
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Daraus berechnet sich
an Eiweisscalorien . . . 297,7 g
Fettcalorien. 555,0 g
Kohlehydratcalorien . . 499,0 g
Summe 1351,7 g Cal.
In diesem Versuche habe ich, wie oben erwähnt, auch die direkte
Bestimmung mit der Berthelot’schcn Bombe vorgenommen und finde N
für die Gesamtmenge Milch. 1476 Cal.
Davon kommen in Abzug
Calorien aus Harn 60,2
Koth. 84,0 144,2 „
1332,0 Cal.
Ich finde also mit der direkten Berechnung 1332, mit der Be¬
rechnung nach den Rubner’schen Zahlen 1352 Calorien oder gar nur
1344, gewiss ausgezeichnet übereinstimmende Werte. Ich lege der weiteren
Berechnung nur aus Gründen der Analogie mit dem Versuche 1 und 2
den berechneten Calorienwerth zu Grunde. Die Ausscheidungen betrugen
1. für den Harn
Menge. 920 ccm
Stickstoff ...... 8,23 g
Kohlenstoff. 6,4 g
2. für den Koth
Menge feucht. 609 g
trocken.42 g
Wasser. 567 g
Schon aus den Zahlen geht hervor, dass einige Stühle dieser Periode
diarrhoisch waren. Die Ausnutzung ist denn auch eine etwas schlechtere.
Im Koth:
Kohlenstoff. 19,34 g
Stickstoff. 2,47 g
Stickstoffbilanz.
Die Bilanzen betragen:
Stickstoff im Harn . . . 8,23 g
Im Koth ,. 2,47 g
Summe der Ausscheidungen 10,70 g
Stickstoffeinnahmen ... 11,45 g
Stickstoffbilanz . . . -f- 0,75 g
Auch hier also besteht ein ziemlich gutes Stickstoffgleichgewicht,
eine geringe Stickstoffmenge wird rctiniert.
Kohlenstoffbilanz.
In der Respiration . . .
118,9
g
Kohlenstoff im Harn . .
6,4
g
Kohlenstoff im Koth . .
19,3
g
Summe d. Kohlenstoffausg.
144,6
g
Kohlenstoffeinnahmcn . .
136,1
_g
Kohlenstoffbilanz . .
- 8,5
g
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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 677
Es ist also im letzten Versuch auch ein fast ideales Kohlenstoff¬
gleichgewicht erzielt, nur der Consequenz halber berechne ich auch
hier die genaue Kohlcnstoffabgabe des Körpers, indem ich 2,4 Kohlen¬
stoff zur negativen Bilanz addire, als jener Kohlenstoff, der der Stick¬
stoffretention entspricht und erhalte 10,9 Kohlenstoff aus zersetztem
Körperfett.
Calorische Verhältnisse.
Eiweisscalorien des Körpers sind erspart infolge der positiven
Stickstoffbilanz 25,5, Fettcalorien sind zugesetzt 134,2, d. h. es sind
108,7 Calorien aus Körpersubstänz zu addiren zu den Calorien der
Nahrung.1351,7
108,7
1460,4
N u. C-Bilanzen des Myxödem.
I.
II.
in.
N. + N. im Harn.
8,35
8,82
8,23
+ N. im Koth.
1,36
2,47
Summe der Ausscheidungen.
9,28
10,18
10,70
N.-Einnabme.
10,14
9,70
11,45
N.-Bilanz.
+ 0,86
-0,38
+ 0,75
C + C der Respiration.
118,8
137,9
118,9
-f C im Harn.
6,0
5,5
6,4
4- C im Koth.
14,5
12,9
19,3
Summe C. der Ausgaben.
139,3
156,3
144,6
C.-Einnahmen.
113,2
123,7
136,1
C-Bilanz .
- 26,1
— 32,6
-8,5
Eiweiss-C der Bilanzen.
(N-Bilanz X 3,23)
— 2,77
.
+ 1,2
-2,4
C. des zersetzten Körperfettes ....
— 28,9 1
— 81,4
— 10,9
Fettcal. d. Körp. (C d. Kürperfetts X 12,31)
355,8 ;
386,5 !
134,2
Eiw.-Cal. des Körpers (N. x 34) ...
— 29,2 !
+12,9 |
— 25,5
Summe der Cal. aus Körpersubstanz . .
326,6
399,4 1
T t
108,7
Calorien-Bilanz u. Umsatz.
i. i
II.
i
III.
+ N. x 26 q
+ Fett x 9,3
+ Zucker X 4,1
i
10,14 x 26 = 263,6
60,1 x 9,3 = 558 ;
90 x 4,1 =369 i
i
9,70 X 26 = 252
69.8 X 9,3 = 649
95.9 X 4,1 = 393
11,45 x 26 = 297,7
59.7 X 9,3 = 555,0
| 121,7 x 4,1 = 499,0
Summe.
-f- Cal. der Körpersubst.
[1188] ! ) +1190,6
4 326,6 (
[1288] >) + 1294
+ 399,4
[1344] q +1351,7
+ 108,7
Wahrer Cal.-Umsatz . .
1517,2 |
1693,4
1460,4
1) Siehe die Anmerkung S. 673 unten!
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«78
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G. v. Bergmann,
( alorienproduction des Myxödem.
I.
II.
III.
Wahrer Calorien-Umsatz in 4 Tagen . .
1517 Cal.
1693 Cal.
1460 Cal.
Berechnet direct aus Nahrungs-Caloricn
— (Harn 4- Koth) Cal. u. s. w. ...
1441 Cal.
In 24 Stunden.
379 Cal.
423 Cal.
365 (360) Cal.
Körpergewicht.
7,75 kg
6,83 kg
6.45 kg
Oberfläche.
0,4817 qm
0,4428 qm
0,426 qm
Calorien pro kg.
49,213 Cal.
61,99 Cal.
56,59 Cal.
Calorien pro 1 qm Oberfläche ....
787 Cal.
956 Cal.
857 (845) Cal.
1 1 —
- .-
. - -_ —
Versuch
I.
II.
III.
4 Tage (96 Std.)
4 Tage (96 Std.)
4 Tage (96 Std.)
aus 83 Std. ber.
aus 81 Std. ber.
aus 79 Std. ber.
f Milchmenge . . .
2250
2250
2297
Bruttocalorien. . .
[1188]
[1288]
[1344] direct be-
stimmt: 1476
1 Ges.-C.
113,2
123,7
136,1
a
In.
10,14
9,70
11,45
2 <
43
Eiweiss (berechn, als
eö
Je
| N x 6,25 ....
[63.4]
[60,6]
[71.6]
f Fett .
60.1
69,8
59,7
2,7 pCt.
3.1 pCt.
2,6 pCt.
1
Kohlehydrate . . .
90.0
95,85
121,7
4 pCt.
4,26 pCt.
5,3 pCt.
Respirations-C .
118,8
137,9
118,9
Respirations-Wasser . . .
—
—
750
Harnmenge .
1640
1250
920
Harn*Calorien .
—
—
60,2
Harn-N .
8,35
8,82
8,23
Harn-C .
6,0
o,5
6,4
Koth feucht .
141,6
292
609
Koth
trocken .
30,3
27,2
42
Koth-Wasser.
111,3
265
567
Koth C.
14,49
12,94
19,34
Koth-N. .......
0,93 |
1,36
2,47
Körpergewicht.
7750
7500
6830
6580
6445
6505
Differenzen des Gewichts .
— 250
— 250
+ 60
oder
wenn wir die direete Bestimmung
mit der Bombe verwerthen,
1441 Calorien.
Wasserbilanz.
Für den Versuch 3 allein kann ich eine Wasserbilanz aufstellen, in
den anderen Versuchen ist aus Versehen die Wägung einiger Schwefel¬
säurekölbchen unterblieben. Ausgeschieden wurde an Wasser mit der
Respiration. 750 ccm
Mit dem Koth .... 567 g
Mit dem Harn .... 920 g
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSUM OF MICHIGAN
Der Stoff- u. Kncrgieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 679
(dabei sind die festen Bestandteile des Harns nicht berücksichtigt!)
Es wäre an Wasser ausgeschieden 2237, und die Milchmenge betrug
2297; auch hier ist die Menge der festen Bestandteile nicht bestimmt.
Obwohl es also nicht möglich ist, eine exacte Wasserbilanz aufzustellen,
folgt doch, dass annähernd ein Gleichgewichtszustand in Wasserzufuhr
und Wasserausscheidung bestand. Es ist der dritte Versuch derjenige,
in welchem eine recht grosse Ucbereinstimmung der Stickstoff-,' Kohlen¬
stoff- und Wasserbilanzen bestand; auch das Körpergewicht beweist
diese, ich darf wohl sagen, ideale Einstellung, denn das Kind hat in
4 Tagen nur um 60 g sein Körpergewicht im Sinne einer Zunahme ge¬
ändert. Zur besseren Uebersicht bringe ich nochmals die wesent¬
lichsten Resultate in Form von Tabellen. Wir sehen aus ihnen
am besten das Stickstoffgleichgewicht sämtlicher Versuche; es schwankt
die Stickstoffausscheidung zwischen 8,23 und 8,82, obwohl die Zufuhr
in der Nahrung grösseren Schwankungen unterliegt, die z. Th. durch die
wechselnde Ausnützung der Nahrung ausgeglichen werden. Ebenso ist
die Kohlenstoffausscheidung in der Respiration im Versuche 1 und 3 eine
vollkommen übereinstimmende. Der beste Beweis, dass der grosse
Voit-Pettenkofer’sche Apparat bei unserer Versuchsanordnung zur
Bestimmung der gasförmigen Ausscheidung des Kohlenstoffes vollkommen
ausgereicht hat, der beste Beweis, wie glänzend überhaupt Vergleiche
aufgestellt werden können, wenn die Versuchsdauer ein Vielfaches von
24 Stunden beträgt. Man sieht so recht im Gegensatz zu den Resul¬
taten der Zuntz’schen Methode, wie mehr oder weniger Muskel¬
bewegung, wie etwas kürzerer oder längerer Schlaf, wie andere Factoren,
die bei kürzeren Versuchen so auffällige und lehrreiche Differenzen
geben, im Laufe des Tages und namentlich im Laufe mehrerer Tage
sich vollkommen ausgleichen, so dass durch Wochen auseinander liegende
Versuche geradezu frappirend übereinstimmende Analysenzahlen ergeben
können. Wir werden das im Verlauf dieser Arbeit noch wiederholentlich
constatiren können. Ich verweise zum Schluss der Berechnung dieser Ver¬
suche ganz besonders auf die Tabelle S. 678 oben, aus der die Calorien-
berechnung pro Kilogramm Körpergewicht und pro Quadratmeter Ober¬
fläche zu ersehen ist.
Resultate und Discussion der Versuche an Myxödem.
Die erhaltenen Resultate interessiren uns im Zusammenhänge dieser
Schrift ganz vorwiegend von der Fragestellung aus: Zeigt sich eine
Herabsetzung des Stoffumsatzes?
Betrachten wir vorwiegend in diesem Sinne den Versuch HI.
Innerhalb 4 Tagen eine N-Rentention von 0,7*5 g, eine Einschmelzung
aus Körpersubstanz von 8,5 g C.
Für 4 X 24 Stunden ist zu sagen, dass also ein recht gutes Stoff¬
gleichgewicht besteht. Es äussert sich ebenso in der Wasserbilanz, wenn
diese auch nicht vollständig aufgestellt werden konnte, so dass ich das
entstehende Oxydationswasser gamicht erst berücksichtigt habe. Es
findet die gute Bilanz der Einnahmen und Ausgaben ihre Be-
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
680
(j. v. Bergmann,
Digitized by
stätigung in der Wägung des Kindes, das 60 g in 4 Tagen zugenommen
hat, d. h. sieh annähernd vollständig im Gleichgewichte hielt.
Das ist mit rund 600 ccm Vollmilch pro die bei 6,5 kg Gewicht
möglich gewesen, also mit einer Nahrung, die bei directer calorimetrischer
Bestimmung in 4 Tagen 1480 Calorien zuführte.
Für den Körper kamen nach Abzug von Harn und Koth 1332 Cal,
in Betracht, oder mit den Standardzahlen berechnet 1352.
Ich habe schon betont, dass hier ein neuer Beleg dafür gegeben ist.
wie ausgezeichnete Werthe die Rechnung mit den Rubner’schen Standard¬
zahlen ergiebt.
Unsere Berechnung zeigte oben, dass wir für dieses Kind, das sich
im Versuch III völlig im Gleichgewicht befindet, anzunehmen haben in
4 Tagen einen Calorienumsatz von 1460, d. h. pro Tag 365 Calorien.
Berechnet man mit Heubner(31) den Bedarf auf 70 Calorien pro
Kilo, so wären 6,5 X 70 Calorien erforderlich, wenn man von dem für
das Wachsthum nöthigen Ueberschuss ganz absieht, d. h. 455 Calorien
oder anders ausgedrückt statt 70 Calorien finde ich nur 56,6 Ca¬
lorien pro Kilo und Tag.
Ich begründe später ausführlich, dass die Beziehungen zur Körper¬
oberfläche weit mehr mir für unsere Frage von Wichtigkeit scheint. Nun
auf die Oberfläche bezogen sind es 850 Calorien für 1 qm.
Auf diese Ergebnisse ist umsomehr Gewicht zu legen,
als es sich nicht um einen Tages versuch, sondern um das
Mittel aus 4 aufeinanderfolgenden Tagen handelt.
Gut vergleichbar mit diesem ist der Versuch I. Die C0 2 -Aus-
scheidung in der viertägigen Reihe ist sogar ganz genau dieselbe. Der
beste Beweis, wie gleichmässig und vergleichbar die Abläufe des Energie¬
umsatzes bei viertägigen Versuchsperioden werden.
Der Calorienumsatz berechnet sich freilich dennoch etwas anders.
Erstens: das Kind wiegt über 1 kg mehr im Versuch I, sodass die
Beziehungen auf kg und Oberfläche eine andere wird.
Zweitens: Die zugeführte Nahrungsmenge war geringer statt 1352
Reincalorien erhält das Kind nur 1191. Es ist klar, dass dement¬
sprechend die Bilanzen andere werden müssen. Es muss das Kind bei
gleichem Bedarf und weniger Nahrung von seiner Körpersubstanz mehr
zusetzen; dementsprechend liegt in diesem Versuche kein Stoffgleich¬
gewicht vor, es besteht eine negative C-Bilanz von rund 30 g. D. h.
356 Calorien werden in 4 Tagen aus Körperfett zur ungenügenden
Nahrungsmenge hinzugeliefert.
Trotzdem, und das ist recht interessant, wird die N-Bilanz nicht
negativ, ein neuer Beweis für das, worauf Rubner und Heubner(30)
hingewiesen haben, dass der kindliche Organismus mit Zähigkeit
seine N-Substanz festhält und selbst aus ungenügender
Nahrung sein Stickstoffbedürfniss zu decken vermag.
In meinen Versuchen liegt eine N-Retention nicht vor, es besteht
in allen dreien ein ziemlich vollkommenes N-Gleiehgewicht trotz ver¬
schieden grosser Unterernährung.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
I>er Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 681
Wir streifen hier nur jenes Moment, dass das Stickstoffbedürfnis
beim Myxödem besonders niedrig sein soll.
Auch im Versuch 1 richtet sich der Organismus so ein, dass bei
ungenügender Nahrung soviel vom Körper eingeschmolzen wird, dass
etwa der gleiche Calorienumsatz resultirt, wie im Versuche III bei an¬
nähernd ausreichender Kost.
Statt 1460 erhalte ich 1517 Calorien, also recht nahe aneinander¬
liegende Werthe, nämlich für 24 Stunden 379 und 365 Calorien.
Berechnet man die Zahlen wieder auf kg und Oberfläche, so sind
diese Werthe noch niedriger wie in Versuch III; ich erhalte pro kg
49 Calorien. (Normal sind 70 Calorien) und pro qm Oberfläche
787 Calorien.
Die Differenz bei dieser Berechnung zwischen Versuch I und 111,
würde noch geringer werden, wenn für den Versuch III dieselbe Ober¬
fläche eingesetzt wird, wie für Versuch I. Da eine rapide Abmagerung
stattgefunden hat, ist das berechtigt, denn die partielle Inanition führt
zu einem Ernährungszustand, auf den die Oberflächenberechnung nicht
mehr vollständig anwendbar ist.
Ich bin also aus zwei je viertägigen Versuchsperioden berechtigt,
das Calorienbedürfnis des myxödematösen Kindes anzugeben mit 790
Calorien pro qm Oberfläche.
Ich habe endlich noch einen Grund, den Versuch I in den Vorder¬
grund zu stellen, weil er sicherlich frei ist von einem Einfluss der
Schildrüsenfütterung.
Für den höheren Calorienumsatz des Versuches II möchte ich be¬
sonders darauf hinweisen, dass hier ein steigernder Einfluss der Schild¬
drüsensubstanz nach dem Gesagten durchaus möglich ist, wenn die Be¬
handlung auch eine kurze war und bei Beginn des Versuches schon eine
Zeit lang ausgesetzt war. Es würde diese Annahme dazu gut stimmen,
dass trotz einer etwas calorienreicheren Nahrung, wie im Versuch I die
negative Kohlenstoffbilanz etwas grösser ist. Wie dem auch sei, gross
ist die Steigerung in der Calorienproduction nicht, es ist auch möglich,
dass lebhaftere Bewegungen, die ich allerdings nicht beobachtet habe,
oder periodische Schwankungen im Zustande des Myxödems mitgespielt
haben. Auch im Versuch II liegen die Werte für den Umsatz tief,
wenn auch nicht tief genug, um für unser Problem beweisend
zu sein.
Der Beweis hingegen wird durch die beiden Versuchsreihen I und
III, wie ich meine, sicher geführt, um so mehr, als wir schöne Ver-
gleichswerthe durch Rubner und Hcubner (30) besitzen.
Sie untersuchten u. A. einen künstlich ernährten Säugling von
7 kg Gewicht, also von gleichem Gewichte wie unser Patient.
Das Kind war l l j 2 Monate alt, sein Umsatz betrug in 24 Stunden
593 Calorien, während ich 365 und 379 Calorien, als höchsten
W,erth 423 Calorien finde.
Ich lasse an Säuglingen und Kindern mit vergleichbarer Methodik
gewonnene Werthe folgen:
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
682
G. v. Bergmann,
Digitized by
Für 1 qm Oberfläche wurde gefunden (nach Rubner):
Atrophisches Kind.
. 1090
Cal.
„ „ (Kindcrmehl) . . .
. 1036
n
Brustkind.
. 1006
n
8 kg schweres Kind (Kuhmilch) . . .
. 1143
n
1290
n
1279
77
1300
77
Meine Wcrthe am infantilen Myxödem .
787
77
r> n v n n
857
77
v n r> n n
956
77
Dabei ist, wie ausgeführt, der letzte Werth auszuschalten und die
Berechnungsart des niedrigsten Werthes die zuverlässigste.
Damit ist zum ersten Male mit genauer Stoffwechsel¬
bilanz und Berücksichtigung der respiratorischen Aus¬
scheidung gezeigt, dass der Stoffumsatz beim Myxödem in
der That deutlich herabgesetzt ist, dass das Myxödem im
Stande ist, sich mit einer Nahrungsmenge in’s Gleichgewicht
zu setzen, die für ein normales Kind desselben Gewichtes
ganz ungenügend wäre.
Die Herabsetzung des Stoff- und Energieumsatzes ist
damit principiell bewiesen.
Schon die Versuche mit der Methode von Zuntz und andere Stoff¬
wechselversuche hatten ja ergeben, dass schwere Fälle von Myxödem
eine Herabsetzung des Sauerstoffverbrauches und der Kohlensäureaus¬
scheidung zeigen. Damit stimmen meine Resultate völlig überein.
Was also nach den Untersuchungen anderer Autoren, vor Allen
denen Magnus - Lewy’s in zahlreichen Versuchen mittels des Zuntz-
Geppert’schen Respirationsapparates als bewiesen gelten musste, in
erster Stelle für das Myxödem, aber auch lur andere Zustände in der
Pathologie, mag nun auch für denjenigen, der unbedingt Tagesversuche
als Beweise verlangt, festgestellt gelten, in diesem Sinne glaube ich
zunächst die an die Spitze meiner Auseinandersetzungen gestellte Auf¬
forderung Rubner’s beantwortet zu haben, dass der Beweis einer
Herabsetzung des Umsatzes in einer Reihe von thatsäehlichen
Beobachtungen sichergestellt ist. Mag man die Fähigkeit des Organismus,
seinen Verbrauch unter den gewöhnlichen Mindestumsatz einzuschränken,
wie immer sich zu deuten versuchen und demnach benennen, das
Thatsächliche ist, so denke ich, festgestellt.
Versuche an Fettsucht! gen.
A.
Patient „M‘ £ .
Anamnese und Befund.
Patient M., Brauer, 33 Jahre, allgemeine Fettsucht, ln der Ver¬
wandtschaft nichts von Fettsucht bekannt. Patient, der schon immer
recht stark gewesen ist, kam im Jahre 1902 in die Charite, weil er
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 683
plötzlich an Körpergewicht stark zunahm und beim Bücken, Treppensteigen
und anderen Anstrengungen Athemnoth verspürte. Seither ist die
Zunahme des Körpergewichts allmählich immer noch grösser geworden.
Um magerer zu werden, suchte er am 4. December 1905 die Charite
auf; er hat 4—6 Liter Bier täglich getrunken, wenig Schnaps. Appetit
sehr gut, Stuhlgang regelmässig. Kleiner untersetzter Mann von kräftigem
Knochenbau, kräftiger Muskulatur und mächtig entwickeltem Fettpolster.
Der Kranke hat einen sehr freundlichen, stets heiteren Gesichtsausdruck,
ist von lustigem, sehr friedfertigem Temperament und mit allem zufrieden,
so dass er schon aus diesem Grunde für die Versuche hervorragend
geeignet ist. Insbesondere verzehrt er jede ihm gebotene Nahrung und
isst sie restlos, wie oben beschrieben, auf. Er interessirt sich selbst
mit grosser Lebhaftigkeit für die Sammlung des Urins und Kothes,
kommt überhaupt in jeder Weise den Anforderungen des Experimentes
entgegen. Aus dem Status sei nur besonders hervorgehoben, dass schwerere
Erscheinungen von Herzinsufficienz nicht beobachtet wurden. Die Herztöne
sind leise, Spitzcnstoss ist nicht zu tasten, die absolute Herzdämpfung
reicht nach links bis zur Mamillarlinie. Niemals wurde eine Spur von
Oedemen constatirt. Die Athemnoth erschien als nicht eigentliche
cardiale Athemnoth im Sinn einer Herzinsufficienz, sondern nur im Sinne
der grossen Muskelarbeit, die er bei der Grösse seines Gewichtes bei
jeder intensiveren Bewegung zu leisten hatte. Leber nicht vergrössert,
im Urin niemals Albumen. Die Temperatur bewegt sich immer in
normalen Grenzen, Puls zwischen 60 und 75, Athmung um 20. Bauch¬
umfang 1,18 m. Das Körpergewicht ist während des fünfmonatlichen
Aufenthaltes von 115 kg auf 98,5 gesunken.
Tabelle I.
Harnmenge und Stickstoff des Patienten M.
Datum
1906
25.-26. 1.
27. 1.
28. 1.
29. 1.
1 — 2 . 2 .
3. 2.
4. 2.
6 . 2 .' ?>)
7. 2.
9. 2 8 '(JI“)
17.-18. 2.
19. 2.
20 . 2 .
21 . 2 .
22 . 2 .
23. 2. („III")
Menge
ccm
N
K
Bemerkungen
Datum
Menge
ccm
N
K
Bemerkungen
1
i
25. 2.
2600
20,49
2660
: 23,16
|
26. 2. („IV“)
2580
22,25
2720
20,56
i
2500
i 19,08
10. —11. 3.
2000
20,66
vom 6. 3. an
2300
1 18,13
:
11.-13. 3.
1740
17,98
2 1 Wasser u.
2620
1 17,24
i
i
12. 3. („V“)
2010
21,90
3-6 Tablett,
2630
2400
2280
2480
! 16,07
18,1
, 17,8
1 21,18
I
i
14. 3.
15. 3.
16. 3. („VP)
1965
2020
2010
20,14
19,0
19,64 ,
2620
, 21,57
i
26.-27. 3.
2540 !
18,5
2570
, 22,52
28. 3.
2460
18,48
2550
19,95
!*
29. 3. („VH“)
2610 1
18,54
2610
2620
2360
2600
i 23,68
22,23
19,55
20,38
Vom 17. 2.
an täglich
Tabletten
30. 3.
Ql Q
i.4. (Lviii*)
2640 l
2700
2700
19,32
20,44
20,50
2900
2540
19,7
22,90
bis zum 26.2.
Wasser belieb.
2. 4.
3. 4. (JX“)
2500
2680
18,56
17,31
Digitized by
Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Digitized by
()84 G. v. Bergmann,
Allgemeines Verhalten.
Das Nähere über seine Nahrungsverhältnisse vom 1. 2.—8. 4. 06
ist bei der allgemeinen methodischen Besprechung schon auseinander¬
gesetzt. Der Kranke machte sich an den Tagen, die weiter entfernt
von den eigentlichen Versuchstagen lagen, viel Körperbewegungen, be¬
sonders verrichtete er mit grossem Eifer Muskelarbeit, wie Eimer hinauf-
und heruntertragen oder im Hofe Holz spalten. Er nahm dabei bei der
stets gleichen Kost erheblich ab, wurde er aber auf dem Zimmer ge¬
halten und verrichtete dabei keine besondere Muskelleistung, so war die
Körpergewichtsabnahme z. Th. fehlend, z. Th. eine geringe. Zwei Tage
spätestens vor jedem Versuche musste er seine Thätigkeit im Wesent¬
lichen einstellen, er durfte zwar ausser Bett sein, sich aber nur auf der
Station oder den Gängen der Klinik bewegen und leichtere Arbeit ver¬
richten. In dieser Zeit ist die Controle über seine Urinausscheidung
naturgemäss eine bessere, als während der Arbeiten im Freien, trotz¬
dem glaube ich, dass die oft in ziemlich breiten Grenzen schwankenden
Stickstoffzahlen eher beruhen auf einem Schwanken zwischen Körper¬
gewichtsverlust und Körpergleichgewicht, als auf dem Verloren-
Tabelle II.
Nahrungstabelle des Patienten M.
Kohle-
hydrat- l
Zulage
Nahrung I
Nahrung
II
i 111
! Sunaq«^
Nahrung
IV
!
Nahrung frisch.
600 !
1190 :
i
1190
1190
I
Nahrung wasserfrei .
„ „ (— Fett) ....
222
1
667 1
(572)
701
(603,6)
684
~
Fett .
—
! 94,8
I 97,4
109,0
1
Eiweiss (berechnet als N X 6,25) . .
7,4
berechnet
aus C.:
137,5
1 direct
1 bestimmt:
157,8
direct
be¬
stimmt i
143,2
direct
be¬
stimmt
|
Kohlehydrate (als Dextrose!) ....
215
i 400,2
412,1
411,0
—
Asche .
—
! 16,7
18,4
| 20,4
Summe der festen Bestandtheile (berechnet)
—
; 649,2
685,7
' 683,6
—
Wasser.
378
' 523
489
506
_
Fett-Cal. (direct bestimmt).
—
912
960
1 1072
' -
Andere Cal. ^direct bestimmt) . . .
—
2531
i 2674
2664
—
Summe der Catorien.
888
3443
3634
3736
3726
Fett-C (direct bestimmt).
—
72,0
74,6
82,3
l —
Kohlehydr.-C.(ber. als40pCt.d. Kohlchydr.)
(86)
160,0
165,0
164,4
1
Eiw.-C (berechnet als N x 3,3) . . .
4,0
73,0
81,0
1
76,0
I
i
Berechnete Kohlenstoff-Summe ....
(90)
305,0
1 320,6
j 322,7
l -
Gefundener C. (für Eiw. -f- Kohlehydr.) .
—
235,6
247,8
247,2
—
Summe der C. (direct bestimmt) . . .
90,4
307,6
322,4
329.5
328,6
N .
1,9
22,0
24,6
, 23,0
22,7
be¬
stimmt
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHIGAN
1 >er SlolV- u. ftmTgi (‘Umsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 685
gehen von Urinmengen in Folge weniger scharfer Controle. Immerhin
sieht man in den den eigentlichen Versuchen benachbarten Tagen eine
Stickstoffausscheidung, die dem Versucbstage recht nahe liegt, und die
umsomehr den Schluss gerechtfertigt erscheinen lässt, dass die Stick¬
stoffausscheidung unter den wechselnden Bedingungen des Körper¬
gewichts und auch des Factors der Schilddrüsenmedication beeinflusst
worden ist. Ich gebe hier (s. Seite 683) die Tabelle über Harn¬
mengen und Stickstoffmengen, soweit sie in der Periode, die meine
Versuche umfassen, festgestellt wurden. Nehmen wir an, dass im All¬
gemeinen 22—24 g Stickstoff täglich gereicht wurden, das geht aus den
drei ausführlichen Nahrungsanalysen hervor, so hat sich der Kranke in
der ersten Zeit annähernd auf diese Menge eingestellt (im Koth gehen
ja 1—2 g verloren). Namentlich sicht man dieses an den Tagen um
die eigentlichen Versuchstage, diese sind besonders gekennzeichnet (durch
römische Ziffern), während in den späteren Versuchen ganz unzweifelhaft
Stickstoff retinirt wird, wenn wir auch über die Gesammtheit des re-
tinirten Stickstoffs keine e\acten Angaben machen können, fehlen doch
die Bestimmungen an einzelnen Tagen, und zwar gerade an Tagen, an
denen der Kranke eine andere Kost nach seiner Wahl zu sich nehmen durfte.
Der Patient wurde vom 25. Januar 1906 bis zum 3. April 1906
auf seinen Nahrungsbedarf und seine Ausscheidungen im Harn unter¬
sucht. Er verstand sich dazu, den grösseren Theil der Zeit stets
die gleiche Art und Menge der Nahrung in 24 Stunden zu sich zu
nehmen, die Anfangs ungelähr nach seinen Wünschen in ihrer Menge
bestimfnt war. Es kam mir weiter darauf an, in keinem Fall den Pa¬
tienten einer Unterernährung auszusetzen und ihm reichlich Eiweiss zu¬
zuführen, wollte ich doch ursprünglich vorwiegend den Einfluss der
Schilddrüsenzufuhr auf den Stoffwechsel des Fettleibigen feststellen. Es
beschäftigte mich, wie später auseinandergesetzt wird, ganz vorwiegend
die Frage: Wirkt denn wirklich die Stoffwechselsteigerung durch die
Schilddrüsensubstanz ausschliesslich oder auch nur vorwiegend auf den
Eiweissstoffwechsel im Sinne eines specifischen Eiweissgiftes, oder wird
der Calorienumsatz im Ganzen erhöht, und ist es durch geeignete Diät
möglich, die Erhöhung der Stickstoffausfuhr zu beschränken oder zu
vermeiden? Wir werden sehen, dass meine Versuche am Kranken „M. u
eine Antwort auf diese Frage zulassen, aber andererseits für die Frage
des Calorienbedarfes bei Fettsucht überhaupt ein wichtiges Resultat und
eine Ergänzung dessen bieten, was Rubner(2) am fettsüchtigen Knaben
in seiner berühmten Versuchsreihe festgestellt hat.
Die Versuche am Patienten „M. u
Der Kranke erhielt vom 4. 2. bis 3. 4., im Wesentlichen nur mit
einer Unterbrechung zwischen dem 27. 2. und 10. 3., die erwähnte
gleichartige Kost. Sie bestand aus 300 g mageren Ochsenfleisches (es
wurde stets dieselbe Fleischart vom gleichen Schlächter bezogen), 500 g
Schwarzbrot, 150 Reis, 150 Schweizerkäse, 70 Butter, 20 Zucker. An
den eigentlichen Versuchstagen wurde so viel Proviant besorgt, dass in
der Regel für 2 nur wenige Tage auseinanderliegende Versuche derselbe
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. B«l.
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
686
G. v. Bergmann,
Digitized by
Vorrath ausreichte. Die Zusammensetzung der Nahrung ist mit der
Methodik bestimmt, die von Steyrer ausführlich angegeben worden ist
(s. o.). Die gewonnenen Zahlen, wie sie aus der Tabelle zu ersehen
sind, beweisen am besten, wie zuverlässig die Werthe sind, welche mit
dieser Methodik erhalten wurden. Die Eiweissmenge ist aus dem Stick¬
stoff durch Multiplication mit 6,25 berechnet, das Fett theils direct,
theils aus dem Kohlenstoffgehalt des Aetherextractes, die Kohlehydrate
als Dextrose nach Invertirung des fettfreien Nahrungspulvers durch
zweistündiges Kochen am Rückflusskühler mit 2 proc. Salzsäure. Ausser¬
dem wurde die Asche im fettfreien Pulver, der Kohlenstoff ebendort und
im Aetherextract bestimmt. Alles Nähere geht aus der Tabelle II
hervor. Es wurde z. B. für das fettfreie Pulver 572 g gefunden, dazu
94,8 g Fett = 667 g.
Für Eiweiss ist berechnet .... 137,5 g
Für Kohlehydrate. 400,2 g
Für Asche. 16,7 g
Für Fett.94,8 g
Das ergiebt 649,2 g
Tabelle III.
Ausscheidungen des Patienten M.
Versuchs-No. |
und Datum i
i
Nahrungs-No.
cv. Zulage
u .Tabletten
<£f Gewicht *
I
II
a r n
C
Cal.
Koth
Respiration
h
1 C CO,
SS -
CJ
bO
c
o
X
Menge
trocken
N
C
Cal.
I.
III.
be-
1906
° 0 7
rechnet
Koth I
6. 2.
N °’ 7
N 8,55
(4 Tage)
104,0
2480
21,18
14.8
181,1
35
2,5
14,6
188
—
309
1133
II.
III.
C
Koth I
9. 2.
^ 0 ,J i
(4 Tage)
103,5
2550
19,95
11,37
170,6
35
2,5
14,6
188
—
324
11 SS
III.
IV.
c
Koth 11
23. 2.
Tabletten
N 0,59
(6 Tage)
102,5
2540
22,90
13,51
195,8
33
1,97
15,3
183
—
323
1184
IV.
IV.
C
Koth II
26. 2.
Tabletten
N
(6 Tage)
102,0
2580
■22,25
13,35
: 190,2
33
1,97
15,3
183
—
323
1184
V.
I.
C
i
Koth III
12. 3.
Tabletten
0,59
(5 Tage)
99,0
2010
21,90
11,92
183,0
27
2,0
16,0
137
—
475
1742
VI.
I.
C
16. 3.
Zulage u.
v 0,o7
iN
1
Koth V
Tabletten
98,0
2010
19,64
11,19
167,9
39
3,0
17.5
195
3597
423
1 551
VII.
II.
C
29. 3.
Tabletten
v 0,72
Koth IV
97,0
1610
18.54
12,6
166,0
37
2,24
16.7
197
2195
367
1346
VIII.
II.
c
1. 4.
Tabletten
Koth IV
97,0
2030
20,50
11,28
175,3
37
2,24
16,7
197
1852
402
1423
IX.
11.
c
3. 4.
Zulage u.
0,6 9
Koth V
Tabletten
| 96,0
1680
17,31
11.94
148,0
39
3,0
17,5
195
2350
407
1412
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 687
feste Bestandteile, während die directe Bestimmung 667 g erfordern
würde. Drei solche Nahrungsmengen sind ausführlich analysirt, und
zwar wurde die Nahrung I am 12. 3. allein, am 16. 3. mit einer Kohle¬
hydratzulage verabreicht. Die Nahrung II am 29. 3.. 1. 4. und 3. 4.,
am letzteren Tage ebenfalls mit einer Kohlehydratzulage. Die Nahrung III
ist am 6. 2. und 9. 2. verabfolgt. Für die Nahrungen am 23. 2. und
Tabelle IV.
Koth des Patienten M.
Koth „ir
Koth „III“
Koth „IV U
Koth „V“
(bei Zulage)
8.—13. 3. 1906
14.—18. 3. 1906
20.—23. 3. 1906
6 Tage (5 Stühle)
5 Tage
4 Tage
—
198 g trocken
137 g trocken
147 g trocken
—
33 g pro die
27 g pro die
37 g pro die
39 g pro die
N 1,97 pro die
N 2,0 pro die
N 2,24 pro die
N 2,97 pro die
Cal. 183 pro die
Cal. 137 pro die
Cal. 197 pro die
Cal. 195 pro die
C 15,3 pro die
C 16,7 pro die
C 17,5 pro die
26. 2. sind Analysen nicht ausgeführt. Bei den Berechnungen habe ich
die Werthe der Nahrung III an diesen Tagen zu Grunde gelegt, weil
der Stickstoffgehalt, der allein bei diesen Nahrungsportionen bestimmt
wurde, am nächsten dem Stickstoff der Nahrung III kommt. Er betrug
22,7, der Stickstoff der Nahrung III 23,0 g. Entsprechend ist die
Kohlenstoffmenge um die Menge von mir herabgesetzt, welche dem
0,3 g Stickstoff entspricht, und ebenso die Calorienmenge. In der Tabelle
befindet sich eine Rubrik als „Kohlehydratzulage“. Sie wurde nur einmal
am 3. 4. bestimmt und dieselben Werthe auch bei dem anderen Versuch
zu den Nahrungen 1 bezüglich II hinzuaddirt. Die Verabfolgung von
Kohlehydraten sollte mich darüber belehren, ob durch diese Eiweisssparer
ein eventueller Stickstoffverlust weiter zurückgedrängt werden könnte.
Die Ausscheidungen sind für den Harn aus der Tabelle No. III zu
ersehen. Die Calorien sind nicht direct bestimmt, vielmehr aus dem
Stickstoff durch Multiplication mit dem Factor 8,55 berechnet. Der
Koth wurde stets von mehreren Tagen gesammelt, was bei der Gleich-
mässigkeit der Kost entschieden die exacteste Methode war, so der
Koth 2 vom 8. bis 13. 3. Die Werthe sind dem Versuch 5 zu Grunde
gelegt. Koth 3 vom 14. 3. bis 18. 3. für Versuch 6. (Siehe die Ta¬
belle IV.) Der Koth 1 ist als Durchschnitt berechnet, er wurde nicht
analysirt. Die Ausscheidungen
in der Respiration waren folgende:
Versuch I . .
. . . 309 g
II . .
. . . 324 g
, HI • •
. . . 323 g
„ iv • •
. . . 323 g
V • •
. . . 475 g
, VI . .
. . . 423 g
„ VII . .
. . . 367 g
„ VIII . .
. . . 402 g
, IX . .
. . . 407 g
44*
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
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Au ‘i*u* V.mu.^b^n-'tl, JU und IV, rKter.
de« Vershoiuhi V] 11 und !X aihd dir l. : id.terrn^tur>(UHngrn vollfcomnKU.
ähnlich wie wir sic immr Versuch I aml HI des hin<■'>■-
hüben.
Ich '<idh;* nunmehr iji Tabelle V j&g Hdnn/am *iw>; in
der Art, wm ich e« mit aiisluluInher teMÜrimr l^r»mdm,t heim Alp-
ödem gnthitn habe.
Dm Siiek:vi bJffhiliiit sa:\\ sind im . Alf^rmemen 'i\iU\ d,:^:ö;Jri: : Äi'r..
Km he von Amr^mbcn ist jnnä.lirrnd .Sl.it- ksudfgleidhireM'icht ermrlH, . so
fei den.. Vcr&tirl»c.n'■!, il und VI, Kfluddi.-here {.msiiiye IMir^on z&igßi
Ile Vof-Mirdij V||, V] II und IX. Nimmt hum d in >d iekfcColf best im rmwgiury,
die auvU im d»m da/w^eheum-mmden Ta^eti >ui^eiuhrt wurden, hrtjtfü
so ha? m dieser sjmutcm >'eö ein nicht urnndiebln hm St <Wt~
cemmbrn. ||a dir StirkstolDufnhr amfehenui diu gleich* war. wie in den
eist.rn VerMu iuuu so i>t die ^nristige Kilariz /.um Thru) vielleicht auf die
Vermeerr (vör|n.*rmas>r 9u bty.fr ho?) Jedenfalls ist trtffe der Verabreich uny
v on S •hildtlrüsen cm 'germi;eiVr Siirkstnll bedarf zu cmisiaiiren, als in
dun Vnrs.nlM'!! ffeim St: |i {kld f üsertzu fe |»r. Wir kommen darauf nur II a*-
• uhriioher rmmh. laut r;**•}»t»*n wir die !\ o h 1 1 • r»^ iu> f ( b i 5 ac*»'»•. su sehen
wir mdem uiimn -feist wUhium <j leirlmu’vuch't in. \e»>mfee 1 feerm^i tfesrfe
V. • Oriyiral from. •
ÜNfVEKSSTf OFMICHIGÄN
Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 689
Tabelle VI.
Berechnung des Calorien-Umsatzes bei Patient M.
i.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
— (Harn -f Koth-Cal.) . . .
369
359
379
373
320
363
363
372
343
— positive Eiweiss-Calorien des
Körpers.
—
18,7
~
—
—
19,0
123,1
63,2
187,0
Summe aller abzuziehenden Cal.
369
377
379
373
320
382,0
486,1
435,2
530
+ Fett-Cal. aus Körpersubstanz
82,5
274,5
198,2
222,8
2205,9
683,2
1053,7
1398,4
508,4
-j- Nahrungs-Cal.
3736,0
3736,0
3726,0
3726,0
3443,0
4331,0
3634,0
! 3634,0
4522,0
negative Eiw.-Cal. des Körpers
22,1
1
| 74,8
52,7
j 64,6
—
—
—
Summe dieser Calorien
3840,6
! 4010,5
3999,0
4001,5
5713,5
5014,2
4687,7
5032,4
5030,4
— Summe der abzuziehenden Cal.
369,0
377,7
t
379,0
373,0
320,0
j 382,0
486,1
435,2
530,0
Differenz gleich wahrer Umsatz
in 24 Stnnden.
3471,6
i
3632,8
3620,0
3628,5
5393,5
4632,2
4201,6
4597,2
•ft»
o
o
V
rund
3472
3633
3620 (
3629 |
5394
, 4632
j 4202
4597
4500
tive Bilanzen, die sehr nahe beieinander liegen, in den Versuchen II,
III, IV und IX, während in den Versuchen V bis VIII eine erhebliche
Menge Kohlenstoff, zum Theil eine ganz gewaltige solche, vom Körper
selbst zugegeben werden muss zur Bestreitung des Oalorienbedarfs.
Uebersichtlicher gestalten sich die Verhältnisse, wenn wir die Calorien-
berechnung in Betracht ziehen, s. Tab. VI. Die Zahlen sind gewonnen
Tabelle VII.
Der C-alorien-Umsatz auf kg und Oberfläche bezogen bei Patient
No.
Gewicht
kg
Oberfläche [
! (Meeh’s j
Formel) |
qm |
Gesammt-
Calorien j
Production
Calorien
, Calorien
pro kg
Calorien
I Calorien
pro qm
1 Calorien
I.
104,0
2,720
3472
33,4
1276
H.
103,5
2,712
1 3633
35,1
1340
III.
102,5
2,693
3620
| 34,5
; 1344
IV.
102,0
2,685
3629
i 35,6
1 1352
V.
99,0
2,632
5394
54,5
j 2049
VI.
98,0
2,615
4632
47,3
! 1772
VII.
97,0
2,597
| 4202
43,3
| 1618
VIII.
97,0
2,597
j 4597
47,4
1 1770
IX.
96,0
^ 2,579 .
4500
| 46,9
; 1745
ganz in derselben Berechnungsweise, wie ich es in den Versuchen beim
Myxödem in extenso auseinandergesetzt habe. Die Calorien von Harn und
Koth sind addirt und zu ihnen die Calorien aus Eiweiss dann hinzugezählt,
wenn eine positive Stickstoffbilanz vorhanden war, und zwar ist die
Anzahl der Calorien, die zu den Harn- und Kothcalorien zu addiren
ist, gleich der Zahl der positiven Stickstoffbilanz X 34. Die Calorien
aus eingeschmolzenem Körperfett sind berechnet aus der Zahl der nega-
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Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
690
G. v. Bergmann,
Digitized by
tiven Kohlenstoffbilanz X 12,31. Zu diesen Calorien aus Körperfett
sind die Calorien aus Körpereiweiss zu addiren, d. h. die negative Stick¬
stoffbilanz X 34. Es vollzieht sich die Rechnung daher so, dass addirt
werden zu den Nahrungscalorien die Calorien aus eingcschmolzenem
Körperfett und aus eingeschmolzenem Körpereiweiss; von diesen kommt
in Abzug die Summe der Calorien aus Ham und Koth. Ist kein Eiweiss
des Körpers zugesetzt, sondern ist Stickstoff retinirt worden, so werden
nur addirt die Calorien aus eingeschmolzenem Körperfett und die
Nahrungscalorien. Es kommen in Abzug die Calorien, die durch den
Stickstoffansatz erspart sind und die Calorien aus Harn und Koth. In
dieser Weise ist die obige Tabelle IV zu verstehen; sie enthält in der
letzten Zeile den wahren Umsatz in 24 Stunden, wie er aus dieser Be¬
rechnung folgt. Man sieht in den Versuchen I bis IV die eclatanteste
Uebereinstimmung im Calorienumsatz. Alle folgenden Versuche zeigen
eine erhebliche Steigerung gegenüber diesen 4 ersten. Die Ueberein¬
stimmung der Versuche I bis IV ist eine so gute, dass die Ungenauigkeit,
dass eines der Nahrungsgemische nur in Bezug auf den Stickstoff ana-
lysirt wurde, ruhig vernachlässigt werden kann, und dass andererseits
eine Steigerung um nur 10 pCt. doch schon als sichere Steigerung des
Calorienumsatzes von mir aufgefasst wird, meist aber und ganz be¬
sonders im Versuche V ist ja die Steigerung eine viel eclatantere. Die
letzte Tabelle, Tab. VII, zeigt die Gesammtcalorienproduction be¬
rechnet auf das Kilo Körpergewicht und auf das qm Ober¬
fläche. Die Oberfläche nach der Formel von Meeh berechnet. Leider
ist eine genaue Aufstellung der Wasserbilanz auch für diese Versuche
nicht möglich gewesen, weil die Wassermenge im Koth, weil die Wasser¬
menge des Harns nicht bestimmt wurde, und weil vor Alldm auch die
Wassermengen im Respirationsapparat für diese Versuche meist nicht
ganz zuverlässig sind, ich hatte zweierlei Forderungen ausser Acht ge¬
lassen, die Uringefässe in der Kammer waren nicht vor Verdunstung
geschützt, das Gewicht des Bettes war zum Schluss des Versuches nicht
genau bestimmt worden; ich sehe daher zunächst von einer Aufstellung
der Bilanzen des Wassers vollständig ab.
B.
Da die Werthe für den Calorienumsatz beim untersuchten Patienten
M., der sich, wie ich zeigen konnte, ungefähr im Nahrungsgleichgewicht
befand, keine niederen waren, vielmehr, wie wir noch weiter sehen
werden, sehr vergleichbar sind den Werthen, die Rubner (2) beim fett¬
süchtigen Knaben gefunden hat, versuchte ich in anderer Weise dem Problem
der Herabsetzung des Calorienumsatzes bei Fettsucht näherzukommen.
Es besteht, wie ich oben erörtert habe, die Möglichkeit, dass die
physiologische Steigerung, die der Ruhe-Nüchternwerth erfährt, wenn
ich mich mit der Diction der Zuntz’schen Schule ausdrücken soll, dass
diese Steigerung geringer ausfällt wie beim Normalen,' also etwa die
Steigerung des Calorienumsatzes nach Muskelarbeit oder nach Nahrungs¬
aufnahme. In Beziehung zu letzterer Hypothese wurden ja oben die
Versuche von Jaquet und Svenson (17) erwähnt mit den Einwänden,
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 691
die ihren Resultaten zum Theil mit Recht gemacht werden. Ehe ich
mit ähnlicher Fragestellung Versuche anstellen konnte, hatte ich zunächst
den Werth im Hunger festzustellen. Ich beabsichtigte das jedenfalls in
längeren Zeitperioden zu thun. Zu diesem Zweck wollte ich, eben wegen
meiner Erfahrungen am Patienten M. nicht einen beliebigen Fettsüchtigen
verwenden. Ich habe zwei Jahre lang das Material der II. Klinik be¬
obachtet, ehe ich zwei Individuen fand, bei denen mir die Lösung des
Problems aussichtsvoll schien. Ich hielt mich bei meiner Beobachtung
daran, ob bei einer Kost, die annähernd auf ihren Caloriengehalt sich
schätzen Hess, und die höchstens für die Patienten nach dem gewöhn¬
lichen Kostmaasse ausreichend sein konnte, die betreffenden Fettsüchtigen
Zunahmen und ob sie bei knapper Kost, bei anscheinend sicherer Unter¬
ernährung wenig oder auch garnicht abnahmen. So ungenau diese
Methode ist und so vollkommen verwerflich, um wissenschaftliche
Schlüsse aufzubauen, ich möchte sie jedem empfehlen, der künftig die
principielle Frage einer Herabsetzung des Stoffwechsels bei Fettsucht ver¬
folgt. Wenn überhaupt eine Herabsetzung besteht, ist nur dann Aussicht
vorhanden, sie zu beweisen, wenn es sich um Kranke handelt, die bei
dieser oberflächlichen Berechnung des Stoflfverbrauchs von der Norm
abzuweichen scheinen. Von einer Reihe von Fettsüchtigen, es mögen
8 —9 gewesen sein, die ich in diesem Sinne beobachtet habe — ich
habe dabei durchaus nicht nur auf höchste Grade von Fettsucht geachtet
— schienen zwei Patientinnen mir im angedeuteten Sinne geeignet. Sie
nahmen auch bei recht calorienarmer Kost nicht ab, eine stärkere Ab¬
nahme wurde erst deutlich, wenn Hungertage eingeschaltet wurden.
Die Patientinnen, die selbst die Hungertage wünschten, als Mittel
zur Besserung des sie belästigenden Zustandes, waren also besonders
geeignet zur Gewinnung von Ruhe-Nüchternwerthen in meinem eben
auseinandergesetzten Sinne. Es handelt sich selbstverständlich nicht um
die Ruhe-Nüchternwerthe im Sinne der Zuntzschule, keine absolute
streng beobachtete Muskelruhe mit möglichster Entspannung der ganzen
Musculatur auf einem Ruhebett, es handelt fcich um einfache Bettruhe.
Bewegungen durften die Patientinnen im Bette ausführen. Sie hielten
Bücher beim Lesen, legten sie auch wieder fort, erhoben sich etwa
um Urin zu lassen und Aehnliches, kurz, es wurde nur die Ruhe von
mir angestrebt, die bei einer 8 stündigen Versuchsdauer im Bette ge¬
wöhnlich ist. Die Versuche waren durchweg am Tage angestellt; die
Patientinnen schliefen in dieser Zeit nicht.
Nach Zuntz ist der Nüchternwerth nach 12—14 Stunden erreicht.
Ich habe die Patientinnen zu grösserer Vorsicht stets erst später,
frühestens nach 16 Stunden in den Kasten gebracht. Ich ersehe hinter¬
her aus Experimenten Staehelin’s, die in jüngster Zeit erschienen sind,
dass diese Versuchsanordnung eine glückliche war, da der Nüchternwerth
vielleicht gerade bei Fettleibigen nach 12 Std. durchaus nicht immer
erreicht ist. 18 Std. vorher oder noch früher erhielten die Patientinnen
eine calorienarme Kost, die namentlich wenig Kohlehydrate enthielt,
scheint doch gerade die Kohlehydrat Verdauung und Verbrennung sich
unter Umständen besonders lang hinzuziehen. Die Patientinnen befanden
Digitized by
Go gle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
«92
G. v. Berg man il ,
Digitized by
sich schon Wochen vor dem Beginn der Versuche in Unterernährung.
Ich werde bei der Patientin L. dieses an der Kostmenge, die sie 'zu
sich nahm, zeigen.
Patientin „P. u .
Anamnese und Befund.
39 Jahre alt, Haushälterin und Köchin. Bis zu ihrem 20. Lebens¬
jahre war Pat. nicht sonderlich corpulent; sie ist dann dicker geworden,
jedoch hielt sich die Zunahme ihres Körpergewichts in bescheidenen
Grenzen. Erst vom 34. Lebensjahre an ist die Zunahme sehr beträcht¬
lich geworden. Pat. selbst gibt an, dass sie sehr phlegmatisch sei, sie
ist keine Potatrix. Pat. hat angeblich niemals viel gegessen. Aus dein
Status: Hochgradige Corpulenz, schwammiges Fettpolster. Spitzenstoss
nicht zu fühlen, Herzgrenze links ein Querfinger ausserhalb der
Maramillarlinie. An der Herzspitze punctum maximum eines systolischen, an
allen Orten hörbaren Geräusches, Accentuation des zweiten Pulmonaltons.
(Vor 6 Jahren Influenza.) Puls Anfangs arrythraisch, es besteht ausserdem
eine leichte Cystitis. Die Cystitis ist zu Beginn ‘der Versuche berc'ts
vollständig verschwunden; es findet sich in den analvsirten Urinen nie¬
mals Eiweiss. Puls ist später stets regelmässig, Cyanose und Oedeme
wurden trotz der sicherlich bestehenden Mitralinsuflicienz nicht gefunden.
1. Hungerversuch.
Bei der Patientin wurden eine Reihe von Respirationsversuchen
ausgeführt, von denen 8 technisch einwandsfrei sind; davon sind
6 Hungerversuche. Die Patientin erhielt gegen Abend die letzte
calorienarme Mahlzeit. Von da an hungerte sie, nur Wasser durfte sie
nach Belieben zu sich nehmen. Am nächsten Vormittag kam sie in
den Apparat und blieb in ihm ohne Unterbrechung 8 Stunden; nur
während dieser Zeit wurde der Urin gesammelt, in ihm Stickstoff,
Kohlenstoff und Calorien bestimmt. Die drei eisten der 6 Hunger¬
versuche sind ohne Schilddrüsenzufuhr ausgeführt. Während der Ver¬
suche 4—6 wurden 6—»7 Schilddrüsentabletten gegeben, und zwar
wurde mit der Medication am Abend vor Beginn eines jeden Versuches
erst begonnen und die letzten Tabletten innerhalb der ersten 2 Stunden
der Versuchsdauer verzehrt, ln der Zwischenzeit erhielt die Kranke
keine Tabletten. Ich lasse zunächst die Hungerversuche folgen. Datum
und genauere Zeitangabe geht aus der Tabelle hervor. Die Harnaus-
Scheidungen während
der 8 Stunden
verhalten
sich wie folgt:
Harnmenge
Stickstoff
Kohlenstoff
Calorien
Versuch I.
680 ccm
4,39 g
3,0 g
39,0
„ ii.
730 „
4,8 g
3,0 g
42
„ in.
610 „
3,5 g
1,9 g
40,6
* iv.
(6 Thyreoideatabl.)
670 „
4,2 g
3,0 g
63,9
Versuch V.
(6 Thvreoideatabl.)
920 „
3,8 g
9 7 ^
45,0
Versuch VI.
(7 Thyreoideatabl.)
1040 g
4,1 g
1,6 g
62,3
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSSTY OF MICHIGAN
Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 693
Die respiratorischen Verhältnisse waren folgende:
Im ersten Versuch:
Wasser 623 ccm Kohlenstoff 61,6 g
lm zweiten Versuch:
Wasser 836 ccm Kohlenstoff 61,8 g
lm dritten Versuch:
Wasser 626 ccm Kohlenstoff 51,7 g
Im vierten Versuch:
Wasser 300 ccm Kohlenstoff 62 g
lm fünften Versuch:
Wasser fehlt Kohlenstoff 63 g
Im sechsten Versuch:
Wasser 589 ccm Kohlenstoff 60 g
Ausscheidungen der Patientin „P. u .
O 1~
r— Q
II
Datum
Bemerkungen
Harnmenge
N. C. 1 Cal.
|
aus Harn
Wasser C.
aus der
Respiration
Gewichts¬
differenz
Flüssig¬
keitszufuhr
I.
8 Std. Hunger
680
4,39
[13,17]
3,0
[9,01
39,0
[117]
623 1 61,0
[1869] [184,8]
0,3 kg
975
11.
S Std. Hunger
730
4,8
[14,4]
3,0
[9,0]
42,0
[126]
836 61,8
[2508] [185,4]
0,8 kg
400
111.
8 Std. Hunger
610
3,5
[10,5]
1.9
[5,7]
40.6
[122]
626 51,7
[1978] [155]
0,9 kg
125
IV.
8 Std. Hunger
6 Thyreoidea-
Tabletten
670
4,2
[12,6]
3,0
[9.0]
63,9
[192]
<x> ca
o o
o o
1—1
1 —1
OC
M kg
155
V.
8 Std. Hunger
6 Tabletten
920
3,8
[11,4]
2,7
[8,1]
I 45
| [135]
— 63
[189]
1.1 kg
| 265
1
VI.
VII. fehlt
8 Std. Hunger
7 Tabletten
1040
4,1
[12,3]
1.6
[4,8]
62,3
'[186,9]
589 ■ 60
[1767] [180]
1,2 kg
' 290
VIII.
10 Std. Hunger
Nahrung I.
99 g C.
9,3 g N.
1250 Cal.
880
«,1
[14.64]
!
3,4
[8,2]
63,7
[152,9]
813 62
[2439] [148,8]
1,6 kg
250
IX.
10 Std. Hunger
Nahrung II.
80,7 g C.
8,0 g N.
1011 Cal.
680
6,3 |
|
2,7
r6,5j
; 50,0
[120,0]
f;
1
870 | 73
[2610] [175,2]
1,0 kg
1
i
1
300
1
Des besseren Vergleichs halber mit den 24 Stunden-Versuchen habe
ich in der umstehenden Tabelle die Werthe auf 24 Stunden umgerechnet.
Da der Umsatz in der 18.—26. Hungerstunde als constant angenommen
wird, ist das, wie ich glaube, ein zuverlässiges Verfahren. Im Hunger
würde die Patientin in 24 Stunden also ausgeschieden haben diejenigen
Werthe, welche auf der oben stehenden Tabelle in eckigen Klammern
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Digitized by
(594 G. v. Bergmann,
Auf 24 Stunden berechnete Bilanzen der Patientin P.
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
N. im Harn.
13,2
14,4
10,5
12,6
11,4
12,3
N. im Koth.
0,2
0,2
0,2
| 0,2
0,2
0.2
Summa des N.
13,4
14,6
10,7
12,8
11,6
12,5
(Sa. des N. X 34) = Eiweiss-Calorien
455
496
364
435
394
425
(Sa. des N.. 3,22) = Eiwciss-Kohlcnstoff
43
47
35
41
37
40
C. der Respiration.
135
185
155
186
189
ISO
C. im Harn.
9,0
9,0
5.7
9,0
8,1
4,8
C. im Koth.
6,0
6,0
6,0
6,0
6.0
6,0
Summe der C.-Ausscheidung ....
200
200
167
201
203
191
— Eiweiss-C.
43
47
35
41
37
40
— Fctt-C.
157
157
132
160
166
151
(Fett-C.. 12,31) = Calorien aus Fett . .
1933
1933
1625
1970
2044
1859
Calorien aus Eiweiss.
455
496
364
435
394
425
Summe der Calorien.
2388
2429
1989
2405
2438
2284
Calorien aus Harn.
117
126
122
192
135
187
Calorien aus Koth (berechnet) ....
97
97
97
97
97
97
— Summe der ausgeschiedenen Calorien
214
223
219
289
232
284
+ Summe der umgesetzten Calorien . .
2388
2429
1989
2405
2438
2284
('alorieit-Production.
2174
2206
1770
2116
2206
2000
stehen. Alle diese Werthe sind aus den direct ermittelten von 8 bezw.
10 Stunden auf 24 Stunden umgerechnet.
Aus diesen Werthen berechneteich ähnlich wie früher den wahren
Calorienumsatz. Da keine Nahrungszufuhr stattgefunden hat, ist also
die gesammte Stickstoffausfuhr und Kohlenstoffausfuhr zu rechnen, wie
eine negative Stickstoffbilanz und negative Kohlenstoffbilanz von gleicher
Grösse. Es vollzieht sich also die Rechnung wie folgt: Die Stickstoff¬
ausfuhr ist gleich Stickstoff im Harn -f- Stickstoff im Koth. Als
Stickstoffgehalt des Hungerkothes, der nicht bestimiht wurde, da er bei
der Hungerperiode, die nur wenig mehr wie 24 Stunden betrug, nicht
exact bestimmt werden konnte, habe ich 0,2 g Stickstoff angenommen.
Der N der Ausfuhr mit 34 multiplicirt ergäbe die Calorien, die als
Eiweiss des Körpers verbrannt worden sind. Von diesen sind später
die Calorien in Harn und Koth abzuziehen. Die Kohlenstoffbilanz er-
giebt sich aus Addition des Kohlenstoffs in der Respiration, des Kohlen¬
stoffs im Harn und des Kohlenstoffs im Kothe. Der letztere wurde von
mir für 24 Stunden mit 6 g gerechnet. Von dieser Kohlenstoffsummc
kommt in Abzug die Kohlenstoffzahl, die der eingeschmolzenen Stick¬
stoffsubstanz entspricht, also die Summe der Stickstoffausscheidungen
X 3,22; das ergiebt dann das, was wir als Fettkohlenstoff auch früher
bezeichnet haben. Es ist Eingangs darauf hingewiesen, wie und mit
welchem Rechte wir den Kohlenstoff aus Glykogen vernachlässigen.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 695
Ich verweise auf das dort Auseinandergesetzte. Der Fettkohlenstoff
X 12,31 ergiebt die aus Körperfett stammenden Calorien. Zu ihnen
sind zu addiren die Calorien aus Eiweiss und von dieser Summe die
Calorien von Harn und Koth in Abzug zu bringen. Die Harncalorien
wurden direct bestimmt, die Kothcalorien berechnet, indem ich 2 g
Trockenkoth im Hunger annahm, im Gramm nach Rubner 48,5 Calorien,
d. h. 97 Calorien.
Es ist zuzugeben, dass gerade bei der Berechnung des Hunger-
kothes, bei der ich eigene Zahlen nicht verwenden konnte, dass ferner
bei der Umrechnung von 8 Stunden-Werthen auf 24 Stunden-Werthe
Fehler entstehen können, vielleicht sind sogar jene Werthe exacter, die die
Calorien in Harn und Koth direct nicht berücksichtigen, d. h. die gewonnen
werden aus der Multiplication der StickstofFausscheidungen mit dem
Factor 26; dabei wären die Abzüge für den Calorien Verlust in Harn
und Koth einbegriffen. Sehr erhebliche Unterschiede — das ist
rechnerisch leicht zu sehen — ergiebt aber auch diese Berechnungsart
gegenüber der unseren nicht. Betrachten wir die auf S. 694 stehenden
Werthe, so finden wir eine fast totale Uebereinstimmung des Calorien-
umsatzes in den verschiedenen Versuchen während des Hungers, bis
auf Versuch III, ein Beweis, wie gleich massig bei der Patientin der
Stoffverbrauch im Hunger sich verhielt.
Ich glaube nach dem Eingangs Gesagten genügt die Berechnungsart,
wie sie aus der Tabelle zu ersehen ist, zum Verständniss, wie die er¬
haltenen Resultate gewonnen sind. Eine Schwankung in der Calorien-
production, wenn man vom Versuche III absieht, ist nur vorhanden
zwischen 2000 und 2306.
Nahrung der Patientin P.
Bestehend aus:
Kartoffelbrei 150 g, Kalbfleisch 150 g, Rührei 120 g, Brot 50 g, Butter 15 g.
Nahrung I
Nahrung II
Menge feucht
485
485
Fettfreies Pulver trocken .
152
144
Fett ....
60
50
Aetherextract
c. . .
Cal. .
37,95
536,0
24,4
411,0
8,56
IN. . .
9,30
Fettfreies Pulver
C. . .
61,0
57,3
1 Cal. .
720
601
Gesamt-C. . .
99 l
80,7
Gesamt-Cal. . .
1256
1011
Eiweiss (her. als N X 6,25)
58,0
54,0
Kohlehydrat bestimmt . .
77,5
72,0
Fett ....
60,0
50,0
II. Versuch nach Nahrungsaufnahme.
Es wurden ferner noch zwei Versuche an derselben Patientin nach
Nahrungsaufnahme durchgeführt und zwar hungerte die Kranke
wiederum etwa 24 Stunden. Dann erhielt sie eine Nahrung, bestehend aus
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696
G. v. Bergmann,
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60 g Fett, 58 g Eiweiss, 77,5 g Kohlenhydraten im ersten Versuche (Versuch
VIII). Die Nahrung enthielt 1256 Calorien; die Art der Nahrungs¬
berechnung ist genau ausgeführt, wie in den Versuchen am Patienten M.
Sie bestand aus Kartoffelbrei, Kalbfleisch, Rührei, Brot und Butter.
Die Nahrung im zweiten Versuche (Versuch IX) enthielt 50 g Fett, 54 g
Eiweiss, 72 g Kohlehydrate, 1011 Calorien, auch hier sind die Calorien
direct in der Berthelot’schen Bombe bestimmt, das Eiweiss aus dem
Stickstoff berechnet, Kohlehydrate und Fett direct bestimmt, ausserdem
Aethcrextract und fettfreies Pulver auf Kohlenstoff analysirt (s. Tab.
„Nahrung der Pat. P.“ auf Seite 695). Nachdem Patientin die Nahrung
verzehrt hat, bleibt sie 10 Stunden im Kasten.
Es werden folgende Werthe gefunden:
Versuch VIII. 1. Nahrungsversuch, dazu 6 Thyreoideatabletten.
Patient erhält mit der Nahrung 99 g Kohlenstoff, 9,3 g Stickstoff,
1256 Calorien.
Harnmenge Stickstoff Kohlenstoff Calorien
880 darin: 6,1 3,4 63,7
Die respiratorischen Ausscheidungen betragen Wasser 813, Kohlen¬
stoff 62 g.
lercchnung der Nahrungs-
Versuche an
Patientin I
I.
11.
N im Harn.
14,6
15,1
N im Koth.
2,0
2,0
Summe des N der Ausfuhr
16,6
17,1
Eiweiss-Calorien ....
9,3
8,6
N-Bilanz.
-7,3
— 8,5
C der Respiration ....
149
175
C im Harn.
8,2
6,5
15,0
C im Koth.
15,0
Summe der C-Ausscheidung
+ 172,2
+ 196,5
C-Einnahme.
99
80,7
C-Bilanz.
— 73 C.
— 116 C.
Eiweiss-C.
23,5
27,4
Fett-C.
49,5
, 88,6
(Fett-C. 12,31)=Cal. ausFett
609
1091
Kürper-Eiweiss-Calorien . .
248
289
Summe der Kürper-Calorien
857
1380
Nahrungs-Calorien ....
1256
1011
Summe aller Calorien . .
2113
, 2391
— Calorien aus Harn . .
153
1 120
— Calorien aus Koth . . .
180
180
Summe (Harn + Koth) . .
333
| 300
Wahrer Calorien-Umsatz .
1780
j 2091
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHtGAN
Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 607
Versuch IX. 2. Nahrungsversuch. Patientin nimmt auf mit der
Nahrung 80,7 g Kohlenstoff, 8,6 g Stickstoff, 1011 Calorien; die Aus¬
scheidungen verhalten sich wie folgt:
Harnmenge Stickstoff Kohlenstoff Calorien
680 darin: 6,3 2,7 50,0
Die respiratorischen Ausscheidungen betragen Wasser 870, Kohlen¬
stoff 73.
Auch hier habe ich zum Vergleiche die Werthe auf 24 Stunden um¬
gerechnet (s. die Tabelle dieser Seite). Absolut genommen ist das natürlich
nicht berechtigt. Die Steigerung im Calorienumsatz nach Nahrungs¬
aufnahme bewirkt in den ersten 10 Stunden einen anderen, in der Norm
gewiss höheren Umsatz, als im übrigen Antheil eines Tages Versuches.
Ich sehe davon aber ganz ab da ich lediglich Vergleichszahlen mit den
Nüchternwerthen erhalten wollte, um zu sehen, ob bei längeren Versuchs¬
perioden eine Steigerung nach geringer Nahrungsaufnahme überhaupt
vorhanden ist; weisen doch die Versuche von Jaquet u. Svenson (17)
und anderer Autoren darauf hin, dass einer Erhöhung nach Nahrungs¬
aufnahme beim Fettsüchtigen sogar ein tieferes Sinken unter das Niveau
des Nüchternwerthes folgen kann. Das Wichtigste ist, ob sich
diese Verhältnisse bei Betrachtung mehrerer Stunden im Sinne
einer Niveauerhöhung oder Herabsetzung des Calorienumsatzes
äussern.
Meine an sich nicht berechtigte Umrechnung der 10 ersten Stunden
nach Nahrungsaufnahme auf 24 Stunden bezweckt also nur auszudrücken,
ob im Vergleich zum Ruhowerth in der Gesamratheit der ersten 10 Stunden
Der Calorien-Umsatz. auf Kilogramm und Oberfläche bezogen
bei Patientin P.
No. des
Versuchs
Gewicht
Ges.-Cal.
Production
^ Oberfläche
Cal. pro kg
24 Stunden
Cal. pro qm
24 Stunden
Bemerkungen
1 .
1 ;
96,2 ; 2174 i 2,58
22,7 843
Berechnet aus
95,9
8 Std. Hunger
!
i
14—22 Std.
i
nach d. Essen
11 .
95,5 | 2206 | 2,58
23,0 855
do.
94,7 '
1
III.
96,1 1 1770 I 2,58
18,4, 686
do.
—
95,2
IV.
96,0 2116 2,58
22,0 , 821
do.
—
94,9
6 Tabletten
V.
96,0 2206 2,58
23.0 i 855
do.
—
94,9 .
6 Tabletten
VI.
94,4,2000 2,55
21,2 784
do.
—
93 , 2 ;
6 Tabletten
VIII.
92,1 1780 2,49
19,3 715
Berechnet aus
Mahlzeit nach 24 stündig. Hunger
90,5
10 Std. unmit¬
eingenommen. 6 Tabletten, 60
telbar nach
Fett, 58 Eiweiss, 77,5 Kohle¬
einer Mahlzeit
hydrate = 1256 Cal.
IX.
90,5 2091 2,48
23,1 843
do.
Keine Tabletten, 50 Fett, 54 Ei¬
89,5
weiss. 72 Kohlehydr. = 1011 Cal.
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Original fro-rn
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698
G. v. Bergmann,
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bei meiner Patientin eine Steigerung des Calorienumsatzes stattfindet.
Auf diese Fragen geben die berechneten Zahlen unmittelbare Antwort.
In der voraufgehenden Tabelle sind sie in der Art berechnet, wie beim
Patienten M. Für den Stickstoff im Koth ist der Werth 2,0 willkürlich
angenommen; die Stickstoffbilanz ist so berechnet, als wenn in den fol¬
genden 14 Stunden eine weitere Nahrung nicht gegeben wäre. Es werden
dann negative Kohlenstoffbilanzen von 73 und 116 erhalten und negative
Stickstoffbilanzen von 7,3 und 8,5. Die Fettcalorien, die vom Körper
zuzuzählen sind, betragen 609 und 1091, die Eiweisscalorien 248 und
289. Sie werden zur aufgenommenen Calorienmenge addirt, die Calorien
für Harn und Koth kommen in Abzug und wir erhalten 1780 und
2091 Calorien als Umsatz. Soviel man für diese Fälle gegen die
erwähnte Berechnungsart ein wenden mag, es genügt schon, auf die
Kohlenstoffmenge zu achten, die in der Respiration in den 10 Stunden
ausgeschieden ist und ebenso auf die ausgeschiedene Stickstoffraenge,
um den Schluss zu ziehen, dass die in 10 Stunden nach der Nahrungs¬
aufnahme vom Körper umgesetzten Calorien nicht gesteigert sind gegen¬
über den Hungerversuchen. Wir haben das später noch zu beleuchten.
Ueber die Deutung eines Einflusses, oder richtiger des offenbar fehlenden
Einflusses der Schilddrüsenraedication ebenfalls an späterer Stelle. Zum
Schlüsse der zahlenmässigen Resultate noch eine Tabelle über den Ca-
lorienumsatz auf Kilogramm und Oberfläche bezogen (s. S. 697 unten).
Patientin L.
An einer zweiten Patientin wurden die Hungerversuche von mir
ebenfalls wiederholt; die Patientin blieb nur 4 Stunden im Respirations¬
apparat, und zwar die 20.—24. Stunde, bezüglich die 21.—25. Stunde
nach einer calorienarmen Mahlzeit, die um die Mittagszeit des Vortages
genossen war. Die Gontrole, dass in der Zwischenzeit wirklich nichts
von ihr gegessen wurde, ist zuverlässig durchgeführt. Nur 2 dieser Ver¬
suche sind methodisch fehlerfrei.
Anamnese und Befund.
Die Patientin ist 25 Jahre alt, sie ist Blumenarbeiterin. Die ganze
Familie soll etwas fettleibig sein, besonders die Verwandten mütter¬
licherseits. In den letzten Jahren hat Patientin ungefähr 60 Pfund an
Körpergewicht zugenommen. Sie wiegt jetzt, d. h. bei der Aufnahme
am 2. October 1907, 87 kg. Seit einigen Monaten Herzklopfen und
Athemnoth bei musculären Leistungen, aber auch Nachts im Bett. Sie
kommt in die Charite, um eine Entfettungscur durchzuraachen.
Die Menses, die im 13. Lebensjahr begonnen haben, sind nie regel¬
mässig eingetreten, oft erst nach 8 und 13 Wochen; am Tage vor der
Aufnahme nach 7 Monaten wieder zum ersten Mal die Menstruation.
Die auffallenden Störungen der Menstruationen gerade in den letzten
Jahren gleichzeitig mit der Körpergewichtszunahme um 30 kg lassen an
einen Zusammenhang der Fettsucht mit den Generationsorganen denken.
Patientin hat ein sehr reichlich entwickeltes Fettpolster, ist nicht an¬
ämisch; leichtes Oedem an den unteren Exlremitäten, keine Zeichen für
Gck igle
Original frorn
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I>er Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 699
einen organischen Klappenfehler. Puls 60, gut gefüllt. Im Urin nichts
Besonderes. Sie macht bei ihrem ersten Charitöaufenthalte eine Angina
durch, die aber nach wenigen Tagen ohne Residuen abklingt. Mitte
Januar bis Anfang Februar 1908 wird sie nochmals auf der Klinik be¬
obachtet.
Ermittlung der frei gewählten Kost
Es ist nicht uninteressant, aus den täglich genossenen Nahrungs¬
mengen, die ich zum Theil nur ganz ungefähr auf ihren Nahrungsgehalt
geschätzt habe, zu sehen, eine wie geringe Nahrungsmenge die Kranke
verzehrte. Ich bemerke, dass durch lange Zeit, durch Wochen diese
Nahrungsaufnahmen notirt sind; ich will aber hier nur einige Tage an¬
führen und dabei auf das Körpergewicht nicht allzu grossen Werth legen,
ist ja auf die Tendenz zu leichten Oedemen im Status hingewiesen. Mir
liegt mehr in Anbetracht des Eingangs Erörterten daran, recht nach¬
drücklich zu zeigen, wie diese Patientin, und das gleiche gilt von der
eben besprochenen Kranken P., durch Wochen und Monate in einem
Zustand der Unterernährung sich befunden hat, im Gegensatz zum
Patienten M., der eine sehr viel reichlichere Calorienzufuhr ständig er¬
hielt, dort auf das Kilogramm Körpergewicht rd. 30 Calorien, hier etwa
10—15 Calorien.
Ich führe an: 21. 1. 07 Körpergewicht 83,5 kg, des Morgens 250 Thee ohne
Milch und Zucker. Mittagbrot 1 ): 75 g Fleisch, 15 g Butter, 200 ccm Wasser, Abends
250 g Kartoffeln, 100 g Hering, zusammen etwas mehr wie 500 Calorien.
22. Januar. Frühstück 480 ccm Kaffee, 2. Frühstück 60 g Käse, 20 g Butter,
140 g Schrippe, 480 g Milch. Mittagbrot: 300 g Gemüse, 120 g Fleisch, 200 g Suppe.
Nachmittag: 480ccm Kaffee, Abends 480ccmThee, 400ccm Selters, etwa 1400Calorien.
23. Januar. Gewicht 83,8 kg. Morgens: Thee 400 ccm. Mittags: 130 g Kar¬
toffeln, 100 g Fisch, 225 ccm Bouillonsuppe. Abends: 70 g Schrippe, 65 g Brot, dünn
mit Butter bestrichen, 500 ccm Kaffee, rund 700 Calorien.
24. Januar. Körpergewicht 83kg. 1. Frühstück: 500 ccm Kaffee, 70g Schrippe.
2. Frühstück: 70 g Schrippe, 10 g Butter, 50 g Käse. Mittagbrot: 200 g Salzkartoffeln,
100 g Kalbfleisch. Abendbrot: 70 g Schrippe, 60 g Brot, dünn mit Butter bestrichen.
Ich rechne 1200 Calorien.
25. Januar. Frühstück: 480 ccm Kaffee, 20 ccm Milch, 70 g Schrippe. Mittag¬
brot: 120 g Kartoffeln, 60 g Fleisch. Nachmittags: 500 g Kaffee, 20 g Milch, 70 g
Schrippe, 10 g Butter. Abends: 300 ccm Thee, 250 ccm Selters, 70 g Brot, dünn mit
Butter. Etwa 700 Calorien. Zum Schluss 83,7 kg (am 21. 83,7 kg).
Ich könnte diese Liste noch sehr viel weiter aufführen. Im All¬
gemeinen ist wohl monatelang, bei von der Kranken frei gewählter Kost,
nicht mehr gegessen worden. Da ihr gar kein Zwang auferlegt wurde
und sie nur den einen, geradezu leidenschaftlichen Wunsch hatte, abzu¬
nehmen, ist an der Richtigkeit der Zahlen nicht zu zweifeln. Die
Kranke ging ziemlich viel herum. Es ist nicht zu leugnen, dass zu Zeiten
deutliche Gewichtsabnahmen bei dieser Kost erfolgten. So hat sie vom
2. 10. bis 20. 11. von 91 bis 85 kg abgenommen und vom 16. 1. bis
3. 2. von 87,2 bis auf 83,3 kg, beide Male in der Zwischenzeit aller¬
dings noch eine Angina durchgemacht mit Temperaturen bis über 39°.
1) Nach 24ständigem Hungern.
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700 (i. v. ßergman n,
1. Versuche im grossen Respirationsapparat.
Die Patientin wurde am 21. 1. von 11 Uhr Vormittags bis 3 Uhr
Nachmittags untersucht, nachdem sie am 20. 1. um 2 Uhr die letzte
Mahlzeit zu sich genommen hatte. Sie schied 29,6 g Kohlenstoff in
dieser Zeit aus, d. h. 7,4 g pro Stunde, 177.6 g in 24 Stunden.
Während der Zeit wurden 550 ccm Urin gelassen, darin 2,48 g Stickstoff
und 1,90 g Kohlenstoff, d. h. 11,4 g Kohlenstoff in 24 Stunden im Harn
und 14,88 g Stickstoff. Mit den Correcturen für Hungerkoth gerechnet
wie bei der Pat. P., erhalte ich für 24 Stunden einen Calorienumsatz
von 2195 Calorien und zwar Eiweisscalorien 393, sogenannte Fett-
calorien 1802. Der nächste Versuch wurde ausgeführt am 31. 1. von
2—6 Uhr Nachmittags, nachdem am 30. 1. um 6 Uhr Abends die
letzte Mahlzeit genossen war. Kohlenstoff in 4 Stunden 25,92; pro Stunde
6,48 g in 24 Stunden 155,5 g. — Urin 500 ccm, darin Stickstoff 2,36.
Kohlenstoff 1,65, also in 24 Stunden 14,2 g Stickstoff und 9,9 g Kohlen¬
stoff. Das würde ergeben einen Calorienumsatz von 1900, darunter
Eiweisscalorien 374, Fettcalorien 1526, berechnet auf 1 qm Ober¬
fläche erhalte ich im I. Versuch 930,5, im II. 805,4 Calorien.
Es lässt sich nicht leugnen, dass 4 Stunden-Versuche im Voit-
Pettenkofer’schen Respirationsapparate in Bezug auf ihre Kürze an
der Grenze des Zulässigen stehen und dass die Fehler der Titration für
die Kohiensäurebestiramung entsprechend grössere sind als in 8 oder
gar 24 Stunden-Versuchen. Immerhin zeigt uns der Vergleich mit den
Werthen bei der Pat. P., dass die Zahlen gewiss verwerthbar sind, wenn
ich auch aus den Differenzen zwischen beiden Versuchen 1900 und
2200 Calorien wegen der kurzen Versuchsdauer keine Schlüsse in irgend
einer Richtung ziehen werde.
4-8tunden-Versuch im Voit-Pcttcnkofer-Apparat.
Bemerkungen
Gesammt-
davon
Calorien
Cal.-Umsatz
Kiwciss-Cal.
Fett-Cal.
pro qm
21—25 Hunger-Stunden .
2195
393
1802
930.5
20—24 Hunger-Stunden .
1900
374
1526
805,4
2 Versuche mit der Zuntz-Methode.
Es lag mir endlich an Vergleichen meiner Ruhewerthe im Voit-
Pettenkofer-Apparate mit den eigentlichen Ruhe-Nüchtern-Werthen im
Sinne von Zuntz. Die Patientin liess sich auch nach ihrer Entlassung
bestimmen, am Zuntz’schen Respirationsapparate einige Versuche an
sich machen zu lassen. Sie ruhte sich erst etwa l / 2 Stunde auf einem
Ruhebette aus und erst dann wurden die Versuche ausgeführt. Es sind
nur wenige Versuche vorgenommen, die noch weiter ergänzt werden
sollen. Ich möchte deshalb die vorhandenen an dieser Stelle nur mit
einigem Vorbehalt geben. Die gute Uebereinstimmung unter einander
berechtigt mich aber doch, sie hier zu bringen. Der eine Versuch
vom 12. 4. 08 ist ein Ruhe-Nüchtern-Versuch, 22 Stunden vorher, am
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSfTY OF MICHIGAN
Der StolT- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem 11 . bei Adipositas univers. 701
Versuche mit dem Zuntz-Geppcrt’schcn Respirationsapparat.
11. 4. 1908
5 Stunden
nach einer
Mahlzeit
12. 4. 1908
22 Stunden
nach einer
Mahlzeit
ccm Minuten Werth 0 2 . .
211,8 ccm
215,1 ccm
ccm Minuten Werth C'Ö 2
171,8 ccm
154,9 ccm
Resp.-Q.
0,8
0,72
Stunden g Werth C0 2 . .
20,62 g
18,59 g
pro 24 Stunden ....
494 g
464,0 g
C in 24 Stunden ....
135 g
121,7 g
Cal. per 24 Stunden . . .
1461 Cal.
1484 Cal.
Cal. per Kilogramm . . .
17,4
17,7
Cal. per Quadratmeter . .
619,3 !
629,1
(84 kg Gewicht, nach Meeh 2,36 qm Oberfläche.)
Mittag des voraufgegangenen Tages, war eine eiweissreiche Mahlzeit,
250 g Schabefleisch, verzehrt worden. Der Versuch dauerte 10 Minuten,
die Minutenwerthe in Cubikcentimeter sind Sauerstoff 215,1, Kohleusäure
154,9, der respiratorische Quotient 0,72.
Der andere Versuch vom 11. 4 . 08 wurde 5 Stunden nach jener
Mahlzeit durchgeführt, dauerte ebenfalls 10 Minuten. An Minutenwerthen
finde ich Sauerstoff 211,8, Kohlensäure 171,8, respiratorischer Quotient
0,81.
Ich habe in der üblichen Weise diese Cubikcentiraeter-Minutenwerthe
in Stunden-Gram-Werthe umgerechnet und weiter die ausgeschiedene
C0 2 und damit auch den Kohlenstoff für 24 Stunden berechnet. Letzteres
lediglich, um einen nur ganz groben Vergleich mit den Werthen der
Voit-Pettenkofer-Versuche zu haben.
Ferner findet sich in der beigegebenen Tabelle ausgerechnet der
Calorienumsatz für 24 Stunden aus dem Sauerstoffverbrauch (0 2 -Minuten-
Werth multiplicirt mit dem Factor 690). Die Zahl ist ausserdem noch
auf das Kilogewicht und die Oberfläche bezogen worden.
Es ist nicht daran zu denken, dass diese Art der Berechnung auch
nur annähernd dem wahren Calorienumsatz entspricht. Die Zahlen be¬
zwecken nur das eine, zu zeigen, dass der Ruhe-Nüchtern-Werth ent¬
schieden erheblich niedriger liegt als die im Ruhe-Versuch bei Nüchtern¬
heit im grossen Respirationsapparate erhaltenen Werthe. Im Uebrigen
kommt es mir im Wesentlichen auf die Versuche im grossen Apparat
an, diese dagegen haben nur ganz untergeordnete Bedeutung.
Wir sehen auch hier keine Steigerung nach Nahrungsaufnahme
ähnlich wie bei der Patientin P. So wenig auf einen Einzelversuch zu
geben sein mag, die Werthe beider Versuche (629 und 619 Calorien
pro Quadratmeter) bezüglich die Sauerstoff-Cubikcentimeter-Minutenwerthe
liegen so nahe bei einander, dass sie vielleicht doch in diesem Sinne
gedeutet werden dürfen.
Man vergleiche die Werthe mit der Tabelle, die Magnus-Levy (16)
in Noorden’s Handbuch auf S. 280 giebt. Man wird sie pro Quadrat¬
meter Oberfläche tiefer finden, als die dort zusammengestellten. Es sei
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie b. Bd. 45
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
702
G. v. Bergmann,
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nochmals betont, dass die beiden Versuche nur einem Vergleich mit den
4 und 8 Stunden-Versuchen dienen sollen, in welchem Sinne, wird die
später folgende Discussion der Resultate .ergeben.
C.
Wie wir später sehen werden, genügt das bis hierher dar¬
gelegte Zahlenmaterial noch nicht, das Problem der constitu-
tionellen Fettsucht einwandsfrei in bejahendem Sinne zu ent¬
scheiden.
Ich habe deshalb einige Monate später in jüngster Zeit bei der
Patientin L. und einer weiteren Kranken (W.) die Versuche von Neuem
aufgenommen. Es schien mir denn doch der 24 ständige Gesammt-
umsatz bei einer annähernd zureichenden Kost den verlässigsten Maass¬
stab abzugeben.
Von der Kranken W. habe ich aus der Krankengeschichte zu be¬
richten :
Sie ist 33 Jahre alt, die Frau eines Gürtlers. Die Mutter der
Patientin ist recht corpulent, aber nicht in dem Maasse wie die Kranke
selbst. Andere Anhaltspunkte in Bezug auf Heredität bietet ihre
Familie nicht.
Patientin will „schon immer“, seit frühester Kindheit auffallend
dick gewesen sein. Allmählich ist es immer schlimmer geworden, bis
vor l 1 ^ Jahren. Patientin führt schon seit langem eine sitzende Lebens¬
weise. Sie näht viel an der Nähmaschine. Sie hat sich stets wenig
Bewegung im Freien gemacht.
Schon seit Langem bevorzugt sie kaltes Essen bis auf den Kaffee,
den sie in grossen Mengen heiss zu trinken gewohnt ist. Seit Januar
1908 hat sie sich nach ihrer Angabe wie folgt ernährt:
Morgens 2 Tassen Kaffee mit wenig Milch. Um 11 Uhr eine mit
Butter bestrichene Schrippe mit Wurst. Um 2 Uhr eine Schrippe mit
Butter und eine Tasse Kaffee, desgl. um 7 Uhr. Patientin will bei
dieser Kost nicht abgenommen haben.
Seit 1902 leidet sie beim Treppensteigen und schnellen Gehen an
Athemnoth, im letzten Halbjahr ist dies besonders stark geworden, sie
verspürt auch Herzklopfen. Ab und zu ein wenig geschwollene Füsse.
der Patientin wird im Mai eine Schilddrüsencur verordnet, täglich 1 bis
2 Tabletten. Trotz der gleichen oben geschilderten Diät nimmt das
Körpergewicht vom 27. Mai bis 22. Juni von 94 auf 94,3 kg zu. Aus¬
setzen der Schilddrüsenmedication.
Menstruation meist unregelmässig. Aus dem Status ist ausser dem
hochgradig entwickelten Fettpolster nur hervorzuheben die recht leisen
Herztöne an der Herzspitze, der erste Ton etwas dumpf, der zweite
Pulmonalton leicht accentuirt, der Herzspitzenstoss nicht zu tasten,
keine Oedeme.
Die Versuche wurden ganz analog angestellt, wie bei dem Pa¬
tienten M., nur ist zu betonen, dass beide Patientinnen sich länger im
Bett aufhiclt.cn und überhaupt wohl etwas ruhiger verhielten wie dieser.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Der StolT- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 703
Pat. „L.“ N-Ansgcheidnng im Harn.
Datum
Von — bis
!
1 Stundenzahl
Urinmenge
j N
Auf 24 Stunden
berechnet N
Juli
i
'
8.-9.
8 bis 8 früh
24
1280
9,53
—
9.-10.
24
1195
—
8,43
—
10.—13.
3 X 24
750
—
8,41
—
650
—
900
—
13.—14.
24
640
—
8,87
—
14—15.
V
24
835
—
7,62 L. I.
—
15.-17.
2 x 24
2280
- j
10,23
83 kg
17.-18
24
1135
11,57 L. II.
—
18.-19.
V
24
1230
—
11,44
—
19.—20.
V
24
1175
—
12,66
—
25.-28.
8 früh bis 8 früh
4 x 24
_
42,28
10,57
—
31.-1.
8 bis 6,30 früh
22 St. 30Min.
1075
8,82
9,41
—
August
l
1—2
6,30 bis 6,30 früh
24
1885
—
11,93 L. III.
—
2.-3.
6,30 bis 10,40
28
865 :
7,29 !
6,25
82 kg
3.-4.
10,40 bis 10,40
24 .
1745
- 1
11,92 L IV.
—
4.-5.
10,40 bis 8 früh
21 St. 20Min.
915 j
7,79
8,77
—
5.-6.
8 bis 8 früh
24 |
985 |
—
8,99
—
Fat. „W.“ I. Periode.
Nahrung, täglich annähernd: Milch 250 g, Kaffee 1000, Schrippen 150, Wurst 35,
Butter 30. — Körpergewicht: 88,2—88,5 kg.
Datum
Urin gesammelt
von — bis
Stundenzahl
Urinmenge
a*
Auf 24 Stunden
berechnet
Juli
13.—15.
8 a. m. bis 3,45 p. m.
56
I
1325
10,13
4.34
15.-16.
3,45 p. m. bis 3,45 p.m.
24
735 ! —
5,19 W. III.
—
16.-18.
3,45 p. m. bis 8 a. m.
40 St. 30Min.
| 1205 i
6,82
4,08
—
18.—19.
8 a. m. bis 8 a. m.
24
470 | - |
4,13
—
19.-20.
8 a. m. bis 8 a. m.
24
840
4,77
—
II. Periode.
Nahrung, täglich annähernd: Milch 250 g, Kaffee 1000, Schrippen 150, Wurst 65,
Butter 60, Kalbfleisch 70, Gemüse 70. — Körpergewicht: 88,1—86 kg.
1
<v I
sc
Datum
Urin gesammelt stundenzahl |
o
E i
N
Auf 24 Stunden
von — bis
c
berechnet
i :
£
Juli
24.-25.
10 a. m. bis 10 a. m. 24
1020
i
7,57
25. -26.
26. -27.
10 a. m. bis 8 a. m. 22 1
8 a. m. bis 8 a. m. 24 / *
1615
15,73
8,21
—
28.-29.
10 a. m. bis 10 a. m. 24
600 |
—
7,31 W. IV.
--
29.—30.
10 a. m. bis 6,30a.m. , 20 St. 30Min.
185 1
7,24
8,40
—
30.-31.
6,30 a.m. bis 6,30 a.m. 24
400
—
5,45 W. V
—
45*
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
704
Digitized by
G. v. Bergmann,
r L.“ Nahrungsbercchnung der Pat. *L. U (24 Std. Versuche).
L. I
L. II
L. UI
L. IV
Milch.
550 g
900 g
1000 g
1280 g
Schrippen.
175
175
220
225
Wurst.
40
70
70
100
Butter.
50
60
60
80
Kalbfleisch.
80
70
70
70
Kartoffelpüree.
200
168
200
200
Nahrungspul ver (fett frei in Gramm)
238,3
284,0
301,0
371,2
Asche..
5,3
11,53
7,2
8.4
N.
10,54
13,87
13,10
16,25
c.
99,20
! 120,2
136,58
148,9
Actherextract = Fett in Gramm
90,4
106.9
' 118,1
i 154,5
C.
65,9
74.1
1 78.9
106,3
Gesammt- C.
165,1
194,3
215.4
1 255,2
Eiweiss (N . 6,25).
65,9
S 86,7
! 81,9
101,6
Kohlehydrate (berechnet aus d. Differenz)
167,1
186,0
i 212,0
261,0
Fett.
90,4
106,9
118,1
154,5
Calorien aus Eiweiss.
270,0
355,4
343,4
416,3
Calorien aus Kohlehydraten ....
685,1
762,6
869,2
1070,1
Calorien aus Fett.
S41,l
994,2
1098,3
1437,2
Summe der Calorien.
1796,0
2112,0
! 2311,0
2923,6
n W.“
Nahrungsbercchnung der Pat. „W.“.
Googl
W. III
1
W. IV
W. V
Milch.
i
400 g
250 g
130 g
Kaffee.
1500
1000
500
Schrippen.
210
145
20
Wurst.
70
65
10
Butter.
80
60
15
Kalbfleisch.
—
70
—
Schabefleisch.
70 1
—
i
Kohlrabi.
— i
70
i “
Nah rungspul ver (fett frei in Gramm)
231,5
1 260,0
1 23.3
Asche.
5,3
' -
1,18
N.
10,68
11,57
1,24
C.
96,38
105,2
14,0
Aetherextraet; = Fett in Gramm . .
128,62
98,61
25,62
C.
83,57
71,29
17,8
Gesammt-C.
179,95
176,49
31,8
Eiweiss (N . 6,25).
66,75
72,31
7,75
Kohlehydrate (berechnet aus d. Differenz)
159,45
182,0
14,4
Fett.
128,62
98,61
25,62
Calorien aus Eiweiss.
273,5
296,5
31,8
Calorien aus Kohlehydraten.
552,7
746,2
59,0
Calorien aus Fett.
J 196,2
917,1
238,3
Summe der Calorien.
2022,4
1959,8
3291
le
Original fro-m
UINIVERSETY OF Ml<
Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 1 05
Es dürfen aber die Versuche nicht aufgefasst werden als
bei strenger Bettruhe angestellt, oder gar vergleichbar mit
solchen Versuchen bei beabsichtigter Ausschaltung jeder
Muskelbewegung, etwa im Sinne der Ruhe-Nüchtern-Versuche
der Zuntz-Schule.
Es gelang nicht in dem Maasse beide Kranken zu so gleichmässiger
Nahrungsaufnahme zu bewegen, wie den Patienten M. Während an den
Versuchstagen selbst mit Erfolg darauf gedrungen wurde, dass die
Kranken auch wirklich das verzehrten, was ihnen zugewogen wurde, ge¬
schah es dazwischen, und gerade bisweilen an dem einem Respirations¬
versuche folgenden Tage, dass die Kranken nicht unwesentlich weniger
verzehrten. Das ist meines Erachtens der Grund, dass die Stickstoff¬
mengen, z. B. am Tage nach dem Versuche „L. III tt oder „L. IV U
wesentlich niedriger sind als am Versuchstage. Immerhin ist eines
sicher, dass nicht stets Stickstoffgleichgewicht vor Beginn des Versuches
erzielt war. Dass trotzdem dem der Kost entsprechende N in den Aus¬
scheidungen während der Versuchsdauer erscheint, muss zum Mindesten
für die Versuche, die Morgens begannen, angenommen werden, zeigte doch
gerade Stähelin jüngst wieder, dass die Stickstoffausscheidung schon
nach 12 Stunden unter ähnlichen Bedingungen mit Sicherheit als vollendet
angesehen werden kann. Auch für die Kohlenstoff-Bilanz bin ich be¬
rechtigt dies anzunehmen. Der Versuch „W. Ill u ist der einzige, der
nicht des Morgens seinen Anfang genommen hat. Seine grosse Analogie
mit dem Versuche „W. V u giebt mir meines Erachtens auch hier ein Recht,
die Bilanzen aus dem 24 Stunden-Versuch zu ziehen, namentlich auch,
weil die Stickstoffausscheidung vor und nach dem Versuchstage nicht höher,
ja sogar niedriger ist. Sollte ich also für diese Versuche auch nicht in
dem Maasse berechtigt sein, eine Aufstellung des gesamraten Calorien-
umsatzes als den thatsächlichen Verhältnissen entsprechend anzusehen,
wie bei dem Patienten M., so sind die Zahlen doch vollkommen ein¬
deutig genug das gerade zu demonstriren, worauf es mir ganz besonders
ankomrat.
Ich gebe zunächst das gesammte Zahlenmaterial wieder, und zwar
zunächst die Harn- und Stickstoffausscheidungen für die Kranken „L. u
und „W. u während und in den Zeiten um die Versuche. Siehe die
Tabellen der Seite 703. Es folgt auf Seite 704 die Aufstellung der Nahrungs¬
mengen, wie sie an den Versuchstagen genossen wurden mit der Be¬
rechnung der Calorien. Ich habe mich nur auf die indirecte Calorien-
berechnung mittels der Rubner’schen Standardzahlen eingelassen, zeigte
mir doch das bis dahin gewonnene Zahlenmaterial, dass diese Be¬
rechnungsart genau so verwendbare Resultate giebt, als die directe Be¬
rechnung mit der Stohmann’schen Bombe in der Nahrung abzüglich
der Bombenwerthe für Harn und Koth. Ebenso habe ich mit demselben
Rechte wie Rubner die Kohlehydrate hier nur indirect bestimmt, aus
der Differenz des fettfreien Pulvers einerseits und der Summe für Asche
und dem aus dem Stickstoff berechneten Eiweiss (N X 6,25) andererseits.
Was an Werthen noch fehlt, so vor Allem die Kohlenstoffzahlen,
ist des weiteren in den nun folgenden Tabellen über die „Bilanzen 1 * zu
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
G. v. Bergmann,
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?0G
ersehen. Vom Koth wäre noch hier anzuführen, dass von der Patientin
„W.“ zwei, von „L.“ eine Kothmischung mehrerer Tage bei annähernd
gleicher Kost ausgewählt worden ist, und auf 24 Std. bezogen in die
Bilanzen eingesetzt wurde. Ich lasse die Bilanzen der Versuche „W.“
und „L.“ folgen. Sie lassen am Besten die so verschiedenen Be¬
dingungen übersichtlich erkennen.
24 ständige Bilanzen bei der Patientin L.
L. I. Calorien der Einnahmen 1796.
N der Einnahmen
.... 10,54g
C der Einnahmen
Resp.-C 124,3 |
165,0 g
N im Harn 7,62 )
N im Koth 1,5 J
| der Ausgaben 9,12 g
Harn-C 5,6 > der Ausgaben
Koth-C 8,0 1
138,0 g
Bilanz + 1,42 g N
Bilanz + 27,0 g C
[Berechneter Gesammt-Umsatz ca. 1460 Cal. 1 )]
L. II.
Calorien der Einnahmen 2112.
N der Einnahmen
.13,87 g
C der Einnahmen
Resp.-C 180,0 1
. . .
194,3 g
N im Harn 11,57 \
N im Koth 1,5 /
der Ausgaben 13,07 g
Harn-C 5,88 > der Ausgaben
KothC. 8,0 1
193,9 g
Bilanz -t 0,8 g N
Bilanz
-t- 0.4 g C
[Berechneter Gesammt-Umsatz ca. 2100.]
L. III.
Calorien der Einnahmen 2310.
N der Einnahmen
.13,10 g
C der Einnahmen
Resp.-C 190,4 1
215,0g
N im Harn 11,931
N im Koth 1,5 /
der Ausgaben 13,43 g
Harn-C 8,9 > der Ausgaben
Koth-C 8.0 J
207,3 g
Bilanz — 0,33 g N
Bilanz + 7,7 g C
[Berechneter Gesammt-Umsatz ca. 2200.]
L. IV.
Calorien der Einnahmen 2924.
N der Einnahmen
.16,25 g
C der Einnahmen
Resp.-C 147,8 \
255,0 g
N im Harn 11,921
N im Koth 1,5 /
der Ausgaben 13,42 g
Harn-C 10,0 > der Ausgaben
Koth-C 8,0 1
165,8 g
Bilanz -t 2,83 g N Bilanz -+- 90,0 g C
[Berechneter Gesammt-Umsatz ca. 1800.]
24 ständige Bilanzen bei der Patientin W.
W. III.
Calorien der Einnahmen 2025.
N der Einnahmen .... 10,68 g
51 im Kdth of } der Ausgaben 6,1g
C der Einnahmen
Resp.-C 137,1 \
Harn-C 4,0 > der
Koth-C 7,2 J
Bilanz 4 4,58 g N
[Berechneter Gesammt-Umsatz 1780.]
. . . . 180,0 g
Ausgaben 158,3 g
Bilanz 4- 21,7 g C
W. IV.
Calorien der Einnahmen 1960.
N der Einnahmen.11,57 g
IZlZlS) der Ausgaben
C der Einnahmen
Resp.-C 191,7 \
Harn-C 6,7 } der
Koth-C 7,0 )
Bilanz -f 3,59 g N
[Berechneter Gesammt-Umsatz 2340.]
. . . . 176.5 g
Ausgaben 205,4 g
Bilanz — 28,9 g C
1) Der Gesammtumsatz ist ganz nach dem beim Myxödem und den anderen
Versuchen angewandten Principe berechnet.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 707
W. V. Calorien der Einnahmen 329.
N der Einnahmen.1,24 g C der Einnahmen.31,8 g
Resp.-C 188.2 j
SXo 150 ' 4 «
Bilanz — 4,48 gN Bilanz — 118,6 gC
[Berechneter Gesammt-Umsatz 1760.]
Betrachten wir zunächst die Resultate bei der Patientin „L.“, so
finden wir in den Versuchen „L. II“ und „L. III“ ein relativ aus¬
reichendes Nahrungsgleichgewicht, wenigstens ist bei der hier getroffenen
Versuchsanordnung ein Stickstoffgleichgewicht von -j- 0,8 und — 0,3 als
vollständig ausreichend anzusehen. Auch eine Kohlenstoffbilanz von
-f- 7,7 liegt wohl noch innerhalb der Fehler. Wir sehen also, dass die
Patientin mit einer Calorienzufuhr von 2100 bis 2300 sich ins Gleich¬
gewicht gesetzt hat, ein Werth, der mit den bisher an der Patientin
„L.“ ermittelten Werthen aufs Beste harmonirt. Dabei schied die Patientin
in 24 Stunden 180 bis 190 g Kohlenstoff mit der Respiration aus.
Dies geschieht bei einer Stickstoffzufuhr von rund 13—14 g.
Im Versuche „L. IV“ waren die Einnahmen wesentlich höher, rund
2900 Calorien und 16 g Stickstoff. Es ist daher das zu Erwartende,
das sowohl Stickstoff, wie nicht stickstoffhaltige Substanzen im Körper
zum Ansatz verwendet werden. Diese positive Stickstoffbilanz beträgt
fast -(-3 g, die Kohlenstoff bilanz -|- 90 g. Rechnen wir diese Bilanzen
in der früheren Weise aus, (auf die Ungenauigkeit bei einer Glykogen¬
aufspeicherung wurde ja oben schon hingewiesen), so sind doch in diesem
Falle eigentlich mehr Calorien erspart, als dem Umsätze der Versuche
„L. I“ und „L. III“ nach eigentlich zu erwarten war, und dieser
stärkeren Einsparung entspricht denn auch die Kohlenstoffausscheidung
von nur 147,8 g. Aber ich will auf diese Abweichung, die schliesslich
noch immerhin in Berechnungsfehlern und mangelnden Gleichgewichts¬
verhältnissen ihre Erklärung finden könnte, weiter kein Gewicht legen.
Als sehr merkwürdig und ganz aus dem Rahmen des bis jetzt
hier Festgestellten fallend, ist der Versuch „L. I“ anzusehen.
Auf ihn bitte ich zunächst die volle Aufmerksamkeit zu
richten. Wir hatten für die Versuche „L. II“ und „L. UI“ soeben er¬
fahren, dass die Kranke bei Zufuhr von 2100—2300 Calorien sich im
guten Gleichgewicht, nicht nur Stickstoffgleichgewicht, sondern in einem
Gleichgewicht der Gesammtumsetzungen befunden hatte; dieselbe Kranke
zeigt wenige Tage zuvor, dass sie mit weit geringeren Calorien-
mengen auskommen kann, nur 1800 Calorien wurden gereicht
und die Kranke befindet sich nicht nur nicht im Gleich¬
gewichte, sondern sie zeigt deutlich die Tendenz auch noch
von dieser Nahrungsmenge zu ersparen.
An der Tendenz zum Ersparen ist nicht zu zweifeln, bei nur 165 g
Kohlenstoff der Einnahme behält sie im Versuch „L. I“ noch zurück, bei
200 g Kohlenstoff der Einnahmen scheidet sie andere Male (Versuch II und
III) ca. 185 g aus.
Das Auffallendste von Allem ist hierbei die Menge des Kohlen-
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stoffs in den respiratorischen Ausscheidungen. Sie betrug 124,3 g gegen¬
über 180 und 190 g der Versuche „L. lL a und „L. Ill u !
Wollte man ähnlich wie früher bei dem Patienten M. den wahren
Umsatz aus diesen Zahlen bestimmen, so würde man nur rund 1500 Ca-
lorien erhalten. Mag man gegen diese Berechnungsart auch dies und
jenes geltend machen, die respiratorische C-Ausscheidung von nur 124,3 g
iu 24 Stunden ist nicht zu bezweifeln. Vcrgleichswerthe aus der Lite¬
ratur werden uns später die Bedeutung dieser Zahl noch deutlicher machen.
Bei alledem bleibt dieser Versuch „L. I u nur ein Versuch und es
ist wichtig genug, dass die Versuche an der Kranken W. ihn in
bester Weise ergänzen.
Ich möchte mit dem Versuche „ W. V u beginnen. Aus einem Ge¬
fühl von Unbehagen im Unterleibe, dessen Ursache von den Gynäkologen
durch alte Verwachsungen an den Genitalien aufgeklärt wurde, nahm
die Kranke bei diesem Versuch V nur sehr geringe Nahrungsmengen zu
sich. Ich berechne 330 Calorien mit 1,24 g Stickstoff und 31,8 g Kohlen¬
stoff. Der Werth des Versuches kommt also für die Bilanzaufstellung
einem Hungerversuche sehr nahe. Es sind also auch die nega¬
tiven Bilanzen gross. Für Stickstoff —4,88, für Kohlenstoff — 118,0.
Es würde sich daraus ein Calorienbedarf bezüglich ein
Calorienumsatz von 1760 Calorien ergeben. Wichtig ist, dass die
Menge des ausgeschiedenen Kohlenstoffs 138,2 g beträgt.
Der Versuch „W. I1I U ist aufs Beste vergleichbar mit diesem Versuche
„W. V u : Die 24 ständige Kohlenstoffausscheidung ist hier genau ebenso
gross, 137,1 g. Eine Calorienzufuhr von rund 2000 giebt dem
Körper Veranlassung Calorien zu ersparen, und zwar findet
sich eine Retention an Stickstoff von 4,6 g, an Kohlenstoff
von 1,7 g, man müsste den Gesammtcalorienumsatz mit 1780 Ca¬
lorien berechnen, also genau so hoch wie in Versuch „W. V u .
Ueberblicken wir in Bezug auf die Stickstoffcurve den vorangehenden
Tag und die dem Versuche „W. Ill u folgenden Tage, so finden wir
durchgehends auffallend niedrige Stickstoffwerthe, Werthe von 4—5 g,
obwohl am Versuchstage „W. lll u 10 g, an den übrigen Tagen jeden¬
falls doch mehr gereicht wurde, als dieser geringen Stickstoffausscheidung
entspricht.
Ich finde also eine Periode mit einer Tendenz zum Eiweissansatz
und nach dem Versuche „W. 1II U zu schliessen, wohl ebenso zum An¬
satz der Nichteiweissstoffe, ganz dieselbe Tendenz zu geringem Umsätze
sehen wir, wie gesagt, im Versuche „W. V u . Dieser Versuch steht nun
am Ende einer II. Periode, in welcher die Stickstoffausscheidung ent¬
schieden eine höhere war, nach den Aufzeichnungen des Krankenblattes
sind auch die Nahrungsmengen im Allgemeinen grössere gewesen, wie
in der ersten Periode. Der Versuch ,,W. IV“, der während der Zeit
grösserer Nahrungsaufnahme angestellt wurde, zeigt nun ebenfalls noch
die Tendenz zur Stickstoffretention, während im Gegentheil die nicht-
stickstoffhaltigen Substanzen vom Körper eher abgebaut worden sind.
Jedenfalls zeigt die Kohlenstoffausscheidung in der Respiration einen
wesentlich höheren Werth, den Werth von 192. Eine Kost von rund
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t)er Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 709
2300 Calorien würde hier den Bedarf wohl erst gedeckt haben. In
„W. III a und „W. lV a sind fast gleiche Calorienmengen gereicht, für
„W. III U ein deutlicher Ueberschuss, für „W. IV u dagegen durchaus
nicht. Die Patientinnen W. und L. sind in ihrem Körpergewicht nicht
so wesentlich verschieden, dass nicht auch sämmtliche der besprochenen
Versuche unter einander vergleichbar wären.
Fassen wir die Resultate noch einmal zusammen, so sehen
wir an Tagen mit einer Kohlenstoffausscheidung in der Respiration von
180 bis 192 g einen Bedarf von 2100 bis 2300 Calorien bei voll¬
kommenem Nahrungsgleichgewicht, oder ebenso bei der Tendenz zu
Eiweissansatz und geringem Körperfettverlust. Es sind das die Ver¬
suche W. IV, L. II und L. III. In directem Gegensatz zu ihnen
stehen die Versuche W. V, W. III und L. I. Allen dreien gemeinsam
ist eine wesentlich geringere 24 stündige Respirations-Kohlenstoffaus¬
scheidung. Sie beträgt 123,3 bis 138,2 g. Unter ihnen ist ein Hunger¬
versuch, während die beiden anderen Versuche beide positive Bilanzen
zeigen, d. h. der Körper hat .nicht etwa nur im Hunger seinen Bedarf
auf ein Minimum reducirt, er hat mit einer Kost Ersparnisse ge¬
macht die zu Zeiten für ihn gerade nur Erhaltungsdiät, ja
selbst Unterernährung bedeutet hatte.
Es ist gar keine Frage, dass die Ergebnisse der Versuche L. II,
L. III und W. IV sich ganz in den Rahmen des auch sonst geläufigen
einpassen, während wir dagegen sehen werden, dass die Versuche L. I,
W. III und W. V dazu im Widerspruch stehen. Mag man die Resultate
sich deuten wie man will (ich kann nicht leugnen, dass mir ein Einfluss
durch vorhergegangene Ernährungsbedingungen nicht als die einzige Er¬
klärungsmöglichkeit sich aufdrängt), eine periodische Verschiedenheit
im Bedarf, die durch äussere Verhältnisse allein ihre Er¬
klärung nicht findet, scheint mir hier demonstrirt. Sie er¬
scheint mir ein wichtiger Befund im Zusammenhang mit all den Er¬
gebnissen auf die in der Einleitung nachdrücklich hingewiesen ist, auf
die Ergebnisse von wechselndem Bedarf von R. 0. Neumann, auf den
geringen Bedarf nicht nur beim Myxödem und verwandten Zuständen,
auch bei lnanition, Kachexie, Reconvalescenz (F. Müller, Swenson,
Magnus-Levy). Auf die Herabsetzung im acuten Hunger (Benedict)
bei chronischer Unterernährung (Falta, Grote, Staehelin) u. s. w.
Auf die Bedeutung der absoluten Höhe dieser Werthe muss ich im
Folgenden eingehen, wenn es sich darum handelt, ob eine Herabsetzung
bei der Fettsucht hiermit bewiesen ist. Hier nur dieses Rückverweisen
auf die Einleitung, da ich auf die Frage des wechselnden Bedarfes zu
verschiedenen Zeiten im Rahmen dieser Schrift, nicht weiter eingehen will.
Allgemeine Discussion der Versuche an Fettsüchtigen.
I. Discussion der Anamnese.
Der Patient M. war seines Zeichens Brauer, hat als solcher stets
5—6 Liter Bier am Tage getrunken, ausserdem noch reichlich feste
Nahrung genossen. Also schon nach der Anamnese ein Mann, der ent¬
schieden, absolut genommen, zu viel Calorien zugeführt hat. Dazu sein
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Phlegma, wie es ja zusammen mit der gutmüthigen Freundlichkeit das
klassische Temperament der „fetten Leute“ ist. Schon in diesem
Aeusserlichen erinnert er an den fettsüchtigen Knaben Rubner’s (2),
von dem dieser z. B. anführt: „Es scheint sich um ein von Jugend auf
etwas träges und ruhiges Kind gehandelt zu haben“, und „er war
ferner, wie man annimmt, ein starker Esser“. So oberflächlich eine
ärztliche Betrachtungsweise sein mag, die auf solche Schätzungen
Schlüsse aufbaut, Individuen, wie mein Patient M. oder ähnliche
würden nach ihrer ganzen Eigenart nicht so leicht den beobachtenden
Arzt auf die Idee gebracht haben, in der Fettsucht constitutionelle
Momente zu suchen, derart, wie sie Eingangs auseinandergesetzt wurden.
Solche Fälle sind ja klinisch geradezu Typen für Mastfettsucht.
Kommt noch dazu, dass wir für die letzten Monate nichts von einer
rapiden Zunahme des Körpergewichts hören, dass also anscheinend die
Tendenz zur Mast während der Zeitperiode, in der der Kranke unter¬
sucht wurde, fehlte.
Einen Gegensatz hierzu bietet die. klinische Betrachtung der Pa¬
tientin L. ln der Ascendenz, bei den Verwandten mütterlicherseits, ist
Fettsucht vorhanden. In den letzten Jahren hat die Fettsucht ganz
besonders zugenommen, namentlich aber, obwohl die Kranke erfüllt
ist vom intensiven Wunsche abzunehmen und ihre ohnehin nicht grosse Ess¬
lust nicht befriedigt, es gelingt ihr nicht oder kaum, wesentlich abzunehmen.
Die Patientinnen P. und W. stehen in diesem Typus anschei¬
nend zwischen beiden Extremen, gehören jedoch schon anamnestisch
eher zum Typus der Patientin L.
Ich möchte mit diesem Hinweis auf das Allgemeine der Anamnese
ja nicht missverstanden werden. Es ist unendlich oft betont worden,
wie trügerisch solche ärztliche oder, beinahe richtiger gesagt, laienhafte
Betrachtungsweise für die Lösung eines so schwerwiegenden Problems
ist, wie wenig wir anfangen können mit Angaben, wie „viel“ oder
„wenig“ essen, wie die Grösse beruflicher Muskelleistungen kaum zu
schätzen ist, und vieles andere mehr. Ich meine, die lange Reihe von
Zahlen, die ich mich beizubringen bemüht habe, beweist am besten,
dass auch ich nur aus Zahlen deduciren will. Trotzdem sollte man nur
unter den Fällen, die anamnestisch aussehen nach constitutioneller Fett¬
sucht, überhaupt die Hoffnung haben, einmal einen Kranken zu finden,
bei dem die Störung, die hypothetisch angenommen wird, so mächtig
sein könnte, dass der verlangte Beweis geführt werden kann. Noor¬
den (14) hat das klar und einfach betont und uns, wie wir sahen, auf
solche klinisch besonders eklatanten Beispiele hingewiesen. Aber gerade
in der Literatur derjenigen Fälle, die mit der Zuntz’schen oder auch
anderer Methodik untersucht sind, begegnen uns nicht selten, solche
Kranke, bei denen nach der Anamnese an constitutionelle Fettsucht von
vornherein nicht zu denken ist.
II. Discussion der klinischen Beurtheilung.
Ein zweiter, noch wichtigerer Hinweis als die Anamnese ist gegeben
in der Beachtung der Kost, die nach freier Wahl genommen wird;
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Der Stoff- u Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 711
sie sagt, genügend lange durchgeführt, in Verbindung mit Körper¬
gewichtsbestimmungen, entschieden sehr Wesentliches aus. Rubner
betont es mit Nachdruck, und Auffallendes genug, ich verweise nur auf
die Beobachtungen von Noorden (14), Salomon (15) u. Schwenke¬
becher (32), liegt in dieser Beziehung vor. Sehe ich meine Patienten
von diesem Gesichtspunkt aus an, so ist zu sagen, der Patient M.
wählte sich nach freier Wahl, trotz des Wunsches, abzunehmen, eine
Kost, die auch mit Rücksicht auf das hohe Körpergewicht doch reich
an Calorien erscheint, zumal wir das Gewicht an Fett nicht voll in
Rechnung zu setzen berechtigt sind. Die Patientin L. mag ja energischer
in ihrem Wunsche, entfettet zu werden, gewesen sein. Jedenfalls ist
ihre freigewählte Kost, aus deren Bestimmung ich einige Tage angeführt
habe, ungleich ärmer an Calorien. Beides passt zu den anamnestischen
Angaben der Kranken, nach denen der eine ein starker, die andere ein
sehr schwacher Esser gewesen ist.
Bei allen Kranken handelt es sich um eine universelle Fettsucht;
namentlich beim Manne ist die Fettablagerung am Bauche besonders
hochgradig ausgesprochen. Ein gradezu monströser Grad von Adiposität
besteht bei keinem, am wenigsten bei der Patientin L. Dass bei der
Kranken P. eine Mitralinsufficienz, dass bei den anderen Kranken leichte
Grade von Herzmuskelinsufficienz Vorgelegen haben, berücksichtige ich
nicht. Weder auf die Körpergewichtsdifferenzen, noch auf Wasserreten¬
tionen, die bei der Wasserbilanz zum Ausdruck gekommen wären, ist
ein wesentliches Gewicht bei den Stoffwechselbilanzen von mir gelegt
worden. Um schwere Störungen des Circulationsapparates hat es sich
bei keinem der drei gehandelt und die Oedeme der Patientin P. waren,
wenn überhaupt nachweisbar, als leichteste Schwellungen am unteren
Drittel des Unterschenkels vorhanden.
Ich möchte, so selbstverständlich es sein mag, doch mit allem
Nachdruck auf den Irrthum hinweisen, dass ein Theil der Forscher, die
eine constitutionelle Fettsucht anzunehmen geneigt sind, glauben, sie am
ehesten bei den monströsen Formen zu finden und bei den leichten
Graden von Adiposität sie viel weniger suchen. Dafür liegt nun wirk¬
lich ein Grund nicht mehr vor, sobald man den Standpunkt naiver Be¬
trachtung verlassen hat, sobald es nicht mehr das Staunen vor den
Fettmassen ist, was den Gedanken an die Herabsetzung der Verbrennung
wachruft. Ja, es ist durchaus denkbar, bei Leuten mit ganz normal
entwickeltem Panniculus adiposus, die höchstens aus Erfahrung wissen,
dass sie zum Dickwerden neigen, eine constitutionelle Fettsucht zu de-
monstriren. Während andererseits jedes Mastschwein oder jede gemästete
Gans uns beweist, dass höchste, die Gesundheit vernichtende Grade von
Fettsucht in tausenden von Fällen täglich experimentell erzeugt werden
können, ohne dass besondere Anlagen vorhanden zu sein brauchen. (Es
werden weibliche Schweine und ebenso Gänse im Allgemeinen nicht
castrirt, ja Landwirthe sagten mir, dass castrirte Thiere durchaus nicht
leichter zu mästen sind wie andere; es geschieht das mehr, weil der
Geschmack des Fleisches durch die Castration eine Aenderung erfahren soll.)
Auch meine Fälle zeigen, dass gerade der Fettleibigste unter den
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drei Kranken für eine herabgesetzte Calorienproduction schon gar nicht
in Frage kommt. Das Gleiche habe ich bei mehreren monströsen Fett¬
süchtigen, deren Nahrungsaufnahme durch längere Zeit approximativ be¬
stimmt wurde, festgestellt und sie gerade deshalb zu genauen Stoff¬
wechselversuchen gar nicht erst herangezogen.
III. Discussion der Bilanzen.
Die Versuche bei genau bestimmter Kost sollten nach Möglichkeit
so eingerichtet sein, dass die Patienten sich im Stoffgleichgewicht be¬
fanden und nicht überernährt wurden. Weist ja Rubner mit Nach¬
druck darauf hin, dass über den Calorienumsatz nichts Zuverlässiges
auszusagen ist, sobald eine Ueberernährung stattfindet. Die Ueber-
ernährung führt ja nicht nur zum Ansatz, sie steigert beim Menschen
den Calorienumsatz in einer Weise, die bei gemischter Kost schwer
richtig zu beurtheilen ist (s. o.).
Nun der Patient M. befindet sich z. B. in Versuch 1 in vollständig
befriedigendem Gleichgewicht der zugeführten und umgesetzten Stoffe.
Die Stickstoffbilanz in 24 Stunden beträgt weniger wie 0,7 g Stickstoff¬
verlust, die Kohlenstoffbilanz weniger wie 9,0 g Verlust. Zahlen, die
wohl noch in die Fehlerbreite der Berechnungsart fallen dürften. Im
Ganzen höchstens lOOCalorien Verlust bei einem Umsatz von 3500 Calorien!
Wenn es auffällt, dass an Versuchen, die sich über Wochen hin¬
ziehen, der Patient so ungemein gut vergleichbare Zahlen in Bezug auf
den Calorienverbrauch geliefert hat, obwohl die Versuche theils von
8—8 Uhr oder auch von 1—1 und dazwischen durchgeführt wurden, so ist
das verständlich, weil auch in den Zwischentagen fast stets, und nament¬
lich 3—4 Tage vor jedem Versuche, fast genau die gleichen Nahrungs¬
quantitäten zu genau denselben Tageszeiten verabfolgt wurden. Ein
Beweis, dass sich durch solche Versuchsanordnung auch beim Menschen
eine ideale Gleichmässigkeit im Ablauf der Verbrennungsprocesse er¬
zielen lässt. Wenn mitten in der Verdauungsperiode, z. B. des ersten
Frühstückes, ein Versuch einsetzt, so schliesst er nach 24 Stunden
offenbar in annähernd derselben Phase der Verdauung des nächsten
ersten Frühstücks ab.
In den späteren Versuchen (Versuch II—IX) sind die negativen
Kohlenstoffbilanzen zwar grössere; sie betragen in 4 Versuchen unter 25,
dann aber bis 185 g Kohlenstoff aus Körpersubstanz in 24 Stunden.
Nun, die negative Bilanz thut einer Berechnung des Calorienumsatzes
lange nicht den Eintrag, wie eine überreiche Zufuhr von Calorien. Auch
beim stärksten Körperverlust wird doch noch beim Patienten „M. u die
grössere Hälfte des Bedarfes durch Calorien der Nahrung gedeckt (Ver¬
such V). Im übrigen nähme ich nach Rubner den Unterschied der
Wärmebildung zwischen absolutem Hunger und Nahrungsgleichgewicht
mit etwa 8 pCt. Herabsetzung beim Hunger an, wäre das Resultat auch
noch verwerthbar.
Die Stickstoffbilanzen schwanken im Falle M. nach der positiven
und der negativen Seite. In drei Versuchen ist die Stickstoffausfuhr
und Stickstoffeinfuhr genügend vollständig im Gleichgewicht. Daneben
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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 713
linden wir aber zwei Stickstoffretentionen von 3,6 g (Versuch VII) und
gar 5,5 g (Versuch IX), die als Zeichen von Ueberernährung zu deuten
wären, ständen nicht deutlich negative Kohlenstoffbilanzen ihnen zur Seite.
Wir können also mit Rücksicht auf Kohlenstoff- und Stickstoff¬
bilanz zusaramenfassend sagen, die Versuche sind nicht anzusehen als
angestellt bei Nahrungsüberschuss. Mit der oben erwähnten Reserve
dürfen wir also Schlüsse aufbauen aus dem von mir berechneten Ca-
lorienumsatz. Dies gilt ähnlich von den zwei Versuchen an der Pat. P.,
die auch als Versuche mit Unterernährung oder höchstens im Nahrungsgleich¬
gewicht anzusehen sind. Genaueres ist darüber nicht auszusagen. Nahm
doch die Patientin nach 24 stündigem Hunger eine Mahlzeit zu sich,
deren Wirkung 10 Stunden lang beobachtet wurde. Für 24 Stunden
hätte diese Nahrung Unterernährung bedeutet, für 10 Stunden genügt
sie anscheinend als Erhaltungsdiät; exact lässt sich das bei dieser Form
der Versuchsanordnung nicht ausdrücken. Es ist ja erwähnt, wie diese
Umrechnung auf 24 Stunden nicht absolute Werthe, aber brauchbare
Vergleichswerthe angeben will. Ueber die ganz besonders wichtigen
24-Stunden-Versuche an L. und W. ist bereits oben das Nöthige aus¬
einandergesetzt (s. S. 706—709).
IV. Discussion der Berechnungsart.
In Bezug auf die Berechnungsart des Calorienumsatzes bin ich
bemüht gewesen, mich ganz an die Berechnungsart von Rubner zu
halten. Sie ist, so weit das anging, nach dem Beispiele ausgeführt, das
mir die „ Beiträge zur Ernährung im Knabenalter mit besonderer Berück¬
sichtigung der Fettsucht 44 an die Hand gegeben haben 1 ). Ich lege Werth
darauf, zu betonen, dass, was man auch gegen lingenauigkeiten der Be¬
rechnungsart Vorbringen möge, die Correcturen unwesentlich sind gegenüber,
dem Wesentlichen meiner Resultate, ganz in demselben Maasse, wie das auf
Rubner’s Resultate zutrifft. Dies gilt auch von einer Unzulänglichkeit
der Berechnungsart, auf die ich besonders hinweisen will. Ich habe
stets, auch bei den Hungerversuchen, die negative Kohlenstoffbilanz,
so weit sie nicht auf den Abbau von Körpereiweiss zu beziehen ist, als
Einschraelzung von Körperfett berechnet und unberücksichtigt gelassen,
die Umsetzung von Glykogen, die ganz gewiss dabei eine recht wesent¬
liche Rolle spielt. Die Zahlen würden, namentlich bei den Hunger¬
versuchen, eine durchaus nicht kleine Aenderung erfahren, wenn die Ca-
lorienberechnung das Glykogen berücksichtigen könnte. Der Fehler mag
um so grösser sein, je grösser die negative Kohlenstoffbilanz ist. Es
wäre also ein Theil des Kohlenstoffwerthes der negativen Bilanz nicht
mit dem Factor 12,31 zu multipliciren, der aus dem Kohlenstoff die
aus Fett gebildeten Calorien berechnet, sondern mit der Zahl 9,43.
Damit fällt aber der Werth für den wahren Umsatz noch niedriger aus,
1 ) So gut ich weiss, dass von anderer Seite diese Berechnungsart und die dabei
üblichen Bezeichnungen bemängelt werden, es schien mir rathsam, mich klar und
entschieden an eine Betrachtungsweise des Stoffwechsels zu halten, die bei meiner
Methodik die gegebene war und die meiner Ueberzcugung nach consequent ist. mag
im Einzelnen auch mancher Werth unsicher, selbst falsch sein.
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als der von mir berechnete. Folglich ist für das Problem, zu dessen
Lösung ich einen Beitrag liefern will, meine Berechnungsart nur un¬
günstig, was ich in den Tabellen als „wahren Calorienumsatz“ hinstelle,
ist eher zu hoch und nicht zu tief. Um so beweisender, wenn ich einen
niedrigen Calorienumsatz, z. B. beim Myxödem, finde.
Endlich haben wir noch kurz zu streifen, welchen Einfluss die
Lufttemperatur und die Luftfeuchtigkeit im Respirationsapparate auf die
von mir erhaltenen Calorienwerthe ausgeübt haben könnten. Bei
Steyrer (21) ist zu ersehen, dass die Werthe, namentlich für die Tem¬
peratur, durch die günstige Lage des Versuchszimmers kaum je mehr
als 3° von einander abweichen, sie lagen allermeist zwischen 18 und
21°. Auch ich kann an meinen Protokollen das bestätigen. Ich weise
hier nur noch darauf hin, dass beim Menschen, der im Wesentlichen
nach Rubner sich in den Breiten der physikalischen Regulation bewegt,
der Einfluss von Temperatur und Luftfeuchtigkeit nicht so wesentlich
für die Calorienproduction in Betracht kommen soll. Schon darum, weil
die ihn umgebende Temperatur und Feuchtigkeit ja nicht diejenige des
Kastens ist, sondern die zwischen Haut und Kleidung. Die Kranken
lagen im Bett mit einem Hemd bekleidet, mit einem Laken und einer
leichten wollenen Decke zugedeckt. Waren sie auf, so trugen sie die
Charitetracht, bestehend aus einem leichten, baumwollenen, waschbaren
Stoff, nie haben sie das Gefühl auch nur leichten Frierens oder die Em¬
pfindung lästiger Hitze gehabt, sie haben stets in den Grenzen der Be¬
haglichkeit sich befunden.
Der Einfluss der Schilddrüsenverabreichung auf die Fettsucht.
A. Discussion der Latenzperiode.
. Bei dem Fall von Myxödem hatten wir gesehen, dass ein Einfluss
der Schilddrüse vielleicht vorhanden war. Jedenfalls war in der vier¬
tägigen Periode, die sicher frei von jedem Schilddrüseneinfluss sein musste,
die Calorienproduction am niedrigsten.
In den Versuchen an der Patientin P. tritt w r eder im Hunger noch
nach Nahrungsaufnahme eine wesentliche Veränderung in der Stickstoff¬
ausfuhr oder in der gesammten Calorienproduction ein. Dagegen sehen
wir bei dem Kranken M. ungemein deutlich vom Versuch V an einen
Einfluss der Schilddrüse im Sinne eines vermehrten Calorienumsatzes.
Gegen 3400—3600 Calorien vorher, steigen die Werthe auf 5400 und
wenn sie auch später sinken, das Niveau geht nicht mehr unter
4200 herunter, selbst nachdem schon ein paar Tage die Schilddrüsen-
Tabletten nicht mehr gereicht wurden. Es handelt sich also um eine
Erhöhung von etw r a */ 4 bis l / 2 der ursprünglichen Werthe (25—50 pCt.).
Die Versuche am Patienten M. scheinen mir in mehrfacher Hin¬
sicht sehr lehrreich. Sie zeigen deutlich, wie der Einfluss der Schild¬
drüse nicht sofort einsetzt, sondern in Bezug auf die gesammte Calorien¬
production vom 17. 2. bis mindestens nach dem 26. 2., also sicher
über 10 Tage, auf sich warten lässt. Erwiesen ist von mir die erste
Steigerung am 12. 3., also nach 25 Tagen. Die Mehrzahl der Autoren
stimmt darin völlig überein, dass der Einfluss der Thyreoidea auf den
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Stoffwechsel erst nach längerer Verabreichung eintritt, nach 2—3 Wochen,
um dann wiederum langsam abzunehmen. Der Fall M. ist ein eclatantes
Beispiel mehr für diese Beobachtung. Er erklärt damit gleichzeitig,
warum im Falle P. ein Einfluss nicht zu erkennen ist, bekam doch die
Kranke immer nur am Versuchstage, und da etwa erst einen halben
Tag vor Beginn des eigentlichen Versuches, das Mittel. Er war also
von mir eine ganz ungeeignete Versuchsanordnung getroffen, deren
negatives Ergebniss unsere Erfahrung über den Einfluss der Schilddrüse
auf den Stoffumsatz bestätigt. Selbstverständlich besteht die andere
Möglichkeit, dass die Patientin überhaupt nicht auf das Mittel reagirt
hat, was ja häufig genug vorzukoraraen scheint.
Bleiben wir bei der Beachtung des Falles M. stehen. Es ist
interessant, dass der Organismus offenbar eine ganze Zeit braucht, bis
er auf die Verabreichung von Schilddrüsensubstanz mit Erhöhung des
Calorienumsatzes reagirt. Es verhält sich hier anders wie mit dem
übrigen Einfluss nach Thyreoidea-Zufuhr, z. B. im Experiment nach
intravenöser Injection. Da tritt der Vagus-, bezüglich Sympathicus-
Einfluss, momentan hervor. Vielleicht wirft gerade dieses Verhalten ein
Licht auf die Art der Wirkung der Thyreoidea-Medication und deutet
an, dass Verschiebungen in der Regulation einige Zeit brauchen, um
sich zu äussern als eine Erhöhung des Niveaus der Calorienproduction.
Im Uebrigen möchte ich es hier vermeiden, Stellung zu nehmen zum
Problem, ob die Erscheinungen in Verhältnissen der Wärmeregulation
oder in anderer Weise ihre Erklärung finden können.
B. Discussion der Erhöhung der Calorienproduction.
Sehr wichtig bleibt eine zweite Feststellung, die aus den Tabellen
mit Evidenz hervorgeht. Es geht in meinem Falle die Vermehrung der
Calorienproduction nicht auf Kosten des Eiweisses, sie geht mindestens
in gleichem Maasse auf Kosten der stickstofffreien Körpersubstanz, ja
wenn die Nahrungsverhältnisse richtig getroffen sind, kann trotz der
Steigerung des Calorienumsatzes Stickstoff sogar retinirt
werden. In meinen Versuchen finden sich für diese Behauptung meiner
Ansicht nach zwingende Beweise. Ich stelle das Wesentlichste aus den
Tabellen, was hierfür in Betracht kommt, zusammen (s. Tabelle S. 716).
Um nur eines herauszugreifen: Patient M. (Versuch II) setzt im
Ganzen um 3633 Calorien und ist dabei im Gleichgewicht in Bezug auf
die Stickstoffeinfuhr und -Ausfuhr, während er die nicht erhebliche
negative Kohlenstoffbilanz von 20,5 g zeigt. Die Kost war also an¬
nähernd ausreichend. So verhielt er sich, ehe er Schilddrüse erhielt.
In Versuch VIII und IX hat die Schilddrüsenzufuhr seinen Umsatz
deutlich, sagen wir rund um 25 pCt. gesteigert, sic beträgt 4500 bis
6400 Calorien, dazu hat der Kranke an Körpergewicht um rund 8 kg
eingebüsst. Er bekommt nur etwas weniger Calorien in der Nahrung
(Versuch VIII) und statt 20 g C aus Körpersubstanz abzugeben oder
sogar wie im Versuch I noch weniger, hat er eine negative Kohlenstoff¬
bilanz von rund 108 g. Trotzdem wird die Stickstoffbilanz nicht un¬
günstiger, im Gegentheil, während er vorher im Stickstoffgleichgewicht
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Bilanzen zur Uebersicht der Schilddrüsen wirk ung auf X-Umsatz
und Calorienproduetion. Patient M.
Laufende No.
, X-
| Bilanz i
i
! i
C-
Bilanz
Calorien !
der Nahrung
Eiweiss-Cal.
des Körpers
Fett-Cal.
des Körpers
Calorien-
Umsatz
I.
- 0,68
-8,9
3367
— 22,1
— 82,5
3472
II.
—
+ 0,55
— 20.5
3377
+ 18,7
— 274,5
3633
—
III.
Tabl.
— 2,2
— 23,2
3347
— 74,5
— 198,2
3620
—
IV.
— \\bb
— 23,1
3353
— 52,7
— 222,8
3629
Es beginut
die Steigerung
der Calorien-
production*.
V.
— 1,9
— 185,3
3123
- 64,6
- 2205,9
5394
—
VI.
-
+ 0,56
— 53,7
3968
1 (Zulage *.)
+ 19,0
- 683,2
4632
—
VII.
+ 3,62
— 73,9
3271
+ 123,1
- 1053,7
4202
—
VIII.
r>
+ 1,86
— 107,6
3262
(Zulage:)
+ 63,2
- 1398,4
4597
—
IX.
7)
+ 5,5 ,
— 23,6
4179
+ 187,0
— 508,4
4500
—
war,
setzt er nun 2
g Stickstoff an.
Wir sehen also
und
die anderen
Versuche der Tabelle sagen ira Wesentlichen ganz das Gleiche
aus, dass trotz einer erheblichen Körpergewichtsabnahme die
Stickstoffsubstanzen zu Zeiten vollkommen geschont werden
können, ja, dass bis zu 3 g Stickstoff retinirt werden kann. Ja noch
mehr, als ich dem Patienten eine Kohlehydratzulage verabfolgte, wirkte
diese erstens in dem Sinne, dass das erhöhte Calorienbedürfniss nunmehr
im selben Maasse von der Nahrung gedeckt wurde, wie vor der Epoche
der Caloriensteigerung. Die negative Bilanz betrug nur noch 23,5 g, ähnlich
wie in den Versuchen II—IV. Zweitens aber, die Zulage wirkte als
Eiweissersparung; wir finden die höchste Retention von 5,5 g N, und
die niedrigste Harnstickstoffzahl der ganzen 2 monatigen Beobachtungszeit.
Damit ist gezeigt, dass eine Steigerung des Calorienum-
satzes um 25—50 pCt. durch Schilddrüsenzufuhr herbeigeführt
werden kann. Wird diese Steigerung durch Vermehrung stick¬
stofffreien Materials in der Nahrung gedeckt, so kommt es
selbst unter Umständen zu erheblicher Stickstoffretention;
wird sic nicht gedeckt, aber auch die Nahrungsmenge gegen
die Vorzeit nicht eingeschränkt, so braucht in dieser Periode
eine Stickstoff ein busse auch nicht cinzutreten. So gut ich
weiss, dass die Individuen anscheinend sehr verschieden reagiren,
angesichts dieser Erfahrung fragt es sich doch, ob es rathsam ist, wenn
man Eiweisseinbusse vermeiden will, die Einschränkung des Kostmaasses
mit der Thyreoidea-Zufuhr zu combiniren, wie es wohl regelmässig in
der Praxis geschieht. Fürchtet man sich wenigstens so sehr vor dem
Stickstoffverluste, so kann man, um diesen zu vermeiden, die Verab¬
folgung einer vorher zureichenden Kost mit Schilddrüsenzufuhr combi¬
niren und doch eine Einschmelzung von Fett erzielen. Uebrigens ist
auch in anderen meiner Versuche, in denen eine Eiweisseinbusse des
Körpers hervortritt, namentlich in Versuch V, der Verlust im Vergleich
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Der Stoff- o. Energieumsatz beim infantilen Myxödem n. bei Adipositas univers. 717
mit der Fetteinschmelzung ein recht geringer. Vielleicht liegt das daran,
dass die gewählte Nahrung relativ eiweissreich gewesen ist. Es findet
sich z. B. in Versuch V eine Einbusse an Calorien aus Körperfett von
rund 2200, von Körpereiweiss an 220 Calorien, also nur der zehnte
Theil der vom Körper herangezogenen Calorien liefernden Materialien
war Eiweiss! Ob in der Vorperiode, ähnlich wie in Versuchen von
Richter (33) und solchen von Scholz (34), eine Aufspeicherung stick¬
stoffhaltigen Materials stattgefunden hatte, bleibt dahingestellt.
C. Discussion des N-Umsatzes.
Das Verhalten des Stickstoffstoffwechsels weicht von der Mehrzahl
der bisher bei Schilddrüsenroedication vorliegenden Beobachtungen ab.
Es ist aber darauf hinzuweisen, dass die meisten Beobachtungen an
Fettsüchtigen angestellt sind bei einer Kost, die erheblich unter dem
ursprünglichen Nahrungsbedarf lag [nur ein Versuch Zinn’s (35) bildet
eine Ausnahme), und dass trotz dieser Kost auch die anderen Autoren
constatiren, dass die Stickstoffeinbusse beim Fetten eher geringer ist
als beim Normalen. Magnus-Levy (16), der all’ diese Befunde in
Noorden’s Handbuch kritisch zusammenstellt und dem ich hier im
Hinblick auf die Literatur im Wesentlichen folge, sagt in diesem Sinne, dass
die Fettleibigen, „ebenso wie gegen andere den Eiweissbestand schädigende
Einflüsse, auch gegen die Wirkung der Schilddrüsenzufuhr verhältnissmässig
besser geschützt sind, als Personen mit weniger reichlichen Reserven“.
Immerhin bleibt eine ansehnliche Retention von Stickstoff
trotz erhöhten Calorienumsatzes eine bisher bei Thyroidea-
Einfluss kaum bekannte Thatsache. Die N-Retention ist allerdings
auch bei mir um so stärker, je besser der erhöhte Calorien bedarf durch
vermehrte Zufuhr in der Nahrung gedeckt ist, d. h. je weniger der
Körper eigenes Material zusetzen muss.
Zeigt sich denn nun an meinem Patienten garnichts von einer
Steigerung des Stickstoffumsatzes nach Verabreichung von
Thyreoidea-Tabletten? Es liegt bereits Material vor, das in dem
Sinne spricht, als wenn Erhöhung des Gesammtumsatzes und Erhöhung
des Stickstoffstoffwcchsels bis zu einem gewissen Grade unabhängig von
einander ablaufen, selbst in dem Maasse unabhängig, dass in einem
Falle Stickstoffsteigerungen eintreten, eine Vermehrung der gesaramten
Calorienproduction aber überhaupt nicht beobachtet wird. Die Verab¬
reichung der Tabletten erfolgte schon vom 17. 2. an, also nach dem
Versuche II. Während wir nun im Versuch I und II so gut wie völliges
Stickstoffgleichgewicht sehen (eine negative Bilanz von 0,7, eine posi¬
tive von 0,6), sehen wir hinterher in den Versuchen III, IV und V
negative Bilanzen von 1,6, 1,9 und 2,2. Auch die Stickstoffwertbe im
Harn an den Tagen vom 17. 2. bis etwa zum 14. 3. 06, also gerade
während der Zeit dieser Versuche, sind im Durchschnitt höher als zuvor.
Daraus folgt, dass eine Steigerung des Stickstoffumsatzes durch die
Schilddrüse wohl stattgefunden hat, dass es aber während dieser
Epoche zunächst überhaupt nicht zu einer Vermehrung des gesammten
Calorienumsatzes gekommen ist (Versuch III und IV).
Zeitschrift f. exp. Pathologie n. Therapie. 5. Bd. ic
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G. v. Bergmann,
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Im Versuch V ist noch eine geringe Steigerung der Stickstoffausfuhr
vorhanden, dann im Versuch VI ist sie vollständig verschwunden, die
Versuche VII, VIII und IX zeigen uns eine Stickstoffretention, während
die gesammte Calorienproduetion jetzt gesteigert bleibt. Würde man
dieses graphisch ausdrücken, so stiege die Curve der Stickstoff¬
ausfuhr fast unmittelbar nach Verfütterung der Tabletten an,
und sänke gerade zu der Zeit, wo ziemlich steil die Curve der
Calorienproduetion sich erhöbe. Diese steigt nunmehr an,
während die Stickstoffcurve sinkt, selbst unter das Niveau
der normalen Ansscheidung (als Zeichen von N-Retention). Ich
habe mich so lange bei diesen Verhältnissen aufgehalten, weil die, sit
venia verbo, Dissociation beider Curven in meinem Falle lehrreich
scheint und vielleicht verstehen lässt die Verhältnisse bei Schilddrüsen¬
zufuhr überhaupt. Meist, so scheint es nach der Literatur, schneiden
sich die Curven nicht so steil wie in meinen Versuchen, sondern laufen
eine Zeit in gleichem Sinne neben einander, das ist offenbar die Zeit,
in der am häufigsten der Stoffumsatz untersucht worden ist. Diese
theoretische Anschauungsweise mag dazu dienen, meine Resultate nicht
als Gegensatz, sondern als Erweiterung der bisher vorliegenden anzu¬
sehen, und bei der Deutung die eiweiss-toxische von der den Calorien-
umsatz steigernden Componente bei einer therapeutischen Ueberlegung zu
trennen, es wird dann, je nach dem Grade der Fettsucht, je nach Art
und Zusammensetzung der Kost, je nach Art und Dosirung der Medi-
cation, endlich je nach der individuellen Eigenart des Patienten einmal
die toxische, ein ander Mal die den Umsatz steigernde Componente in
den Vordergrund treten. Mein Fall gehört zu denen, die jedenfalls in
hohem Maasse geeignet waren für die Entfettungstherapie mit Schild¬
drüsensubstanz: Die Tendenz zu Stickstoff Verlusten war gering, die
Tendenz zu erhöhtem Umsatz gut. Für meine Auffassung finden sich
jedenfalls genügend Belege in der Literatur, obwohl nirgends diese Deutung
so nahe gelegt wird, wie durch meine Resultate. Es ist übrigens die
momentane Erhöhung der Stickstoffausfuhr oft so deutlich, dass geradezu
eine Ausschwemmung von Extractivstoffen als Erklärung angenommen
worden ist. Sollte andererseits in meinem Falle der voraufgehende Stick-
stoffverlust als solcher nicht den Anlass dazu geben, dass der Körper
hinterher geradezu die Tendenz hat, Stickstoff zu retiniren, analog etwa
den Stickstoffretentionen bei einem Typhusreconvalescenten oder ähn¬
lichem ?
D. Discussion therapeutischer Folgerungen.
Als praktische Regel, wenn ich, natürlich mit der nöthigen Reserve,
verallgemeinern darf, folgt, dass man nicht aus Angst vor Stickstoff¬
verlusten bei einer Schilddrüsencur mit Eiweiss überfüttern soll, dadurch
bewirkt man („specifisch dynamische Wirkung“) eine Erhöhung des
Calorienumsatzes, die geradezu auch Stickstoffverluste herbeiführen kann.
Meine Versuche zeigen, dass auch während der Schilddrüscnwirkung eine
Kohlehydratzulage eiweisssparend wirkt (so auch Versuch VI). Es
ist Aufgabe einer rationell gewählten Mischung der Kost, die
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Der Stoff* u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 719
Stickstoffverluste ganz erheblich einzudämmen. Mag es nicht
immer gelingen; dass es gelingen kann, habe ich gezeigt. Es leistet
die Schilddrüsenzufuhr in meinem Falle das Gleiche, als wenn ich die
Kost um 25—50pCt. eingeschränkt hätte, für welchen Fall Noorden
mit Dapper (36) ja ebenfalls gezeigt hat, dass Stickstoffverluste sich
fast ganz verhindern lassen. Ich betone, dass ich an dieser Stelle voll¬
kommen absehe von anderen directen oder indirecten toxischen Einflüssen,
namentlich auf nervösem Gebiet, die die Schilddrüse bei der Verab¬
reichung sicherlich oft genug hat und die manchmal eine Contraindication
darstellen, bei meinen Kranken spielten sie eine wesentliche Rolle nicht,
und bei vorsichtiger, lange fortgesetzter Anwendung, glaube ich, wird in
sehr vielen Fällen eine Contraindication in solchem Sinne kaum gegeben sein.
Es kann nicht genug betont werden, dass eine Steigerung des
Gesammtcalorienumsatzes vorkommt, ohne dass das Eiweiss
wesentlich, d. h. specifisch, geschädigt zu werden braucht. Auch für
das Fieber und den Morbus Basedowii und Aehnliches hat es lange
genug gebraucht, bis diese Auffassung sich Bahn gebrochen hat. Hat
doch das Interesse des internen Klinikers lange Zeit Befriedigung ge¬
funden im Verfolgen des Stickstoffumsatzes mittels der Kjeldahl-
Bestimmung, da dem Kliniker das Studium des Umsatzes der stickstoff¬
freien Materialien methodisch verschlossen blieb. Der toxogene Eiweiss¬
zerfall wird in seinen rechten Grenzen stets grösste Bedeutung haben,
aber manche Stoffe, die früher als Eiweissgifte galten, scheinen „Agentien“
zu sein, die als „Reaction“ eine Erhöhung des Gesammtumsatzes bedingen;
dieser wird befriedigt je nach secundären Umständen, das eine Mal
mehr durch Einschmelzung stickstoffhaltigen Materiales, das andere Mal
durch Heranziehung der Fette und Kohlehydrate. Klarer als die Betrach¬
tung des respiratorischen Quotienten in den Versuchen nach der Methode
von Zuntz, giebt uns die gesammte Kohlenstoffbilanz darüber Auf¬
schluss. Die Bestimmung der C0 2 in der Athmung zusammen
mit dem Kohlenstoff in Harn und Koth klärt uns darüber
besser auf als Schlüsse, die auf den respiratorischen Quo¬
tienten aufgebaut werden. Dafür hoffe ieh einen Beitrag im Sinne
der Arbeiten Rubner’s erbracht zu haben.
Die Maasseinheit für den Calorienumsatz.
Betrachten wir nunmehr endlich die Grösse des Umsatzes bei
unseren Fettsüchtigen. Das ist es ja, was in letzter Linie die Antwort
geben muss auf die Kernfrage der Lehre einer constitutioneilen Fettsucht.
Das Problem einer Herabsetzung des Umsatzes bietet für die Fett¬
sucht in seiner Lösung deshalb meist grössere Schwierigkeiten, als etwa
für das Myxödem und Zustände von chronischer Unterernährung, weil man
sich gerade hier über die Einheit am wenigsten einig ist, auf die der
Calorienumsatz bezogen werden könnte. Die Beziehung auf eine Maass¬
einheit scheint aber die Voraussetzung eines möglichen Vergleiches. Der
Vergleich zwischen 1 kg eines Normalen und eines Fettsüchtigen ist
unsinnig, das ist längst bekannt, und ohne Weiteres einleuchtend, wenn
man z. B. an die wechselnde Zusammensetzung eines Kilogramms Mensch
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G. v. Bergmann,
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in Bezug auf die Menge an Eiweissgewebe und den relativ todten Ballast
des Fettgewebes denkt. Daraus ging wie von selbst der Wunsch hervor,
wirklich auf 1 kg lebender Substanz mit Ausschluss des Fettballastes
die Vergleiche zu beziehen. Rechnerisch sind solche Versuche zwar
ausgefiihrt worden, aber ganz abgesehen von der höchst ungenauen
Schätzung ist es kaum das Richtige, sich vorzustellen, dass die Grösse
des Calorienumsatzes abhängt von der Menge der sogenannten lebenden
Substanz. „Nicht die Organmasse bedingt den Energieumsatz“, ebenso¬
wenig wie etwa die Grösse der Nahrungszufuhr. Mögen beide Dinge
ihren Einfluss üben als Factoren, die auch in Betracht kommen, seit
Rubner’s Arbeiten könnte sich jeder überzeugen lassen, dass die lebende
Organmasse den verschiedensten Kraftumsatz in der Zeiteinheit zu leisten
im Stande ist, je nach den Anforderungen, die an sie gestellt werden.
Was an Anforderungen in der Ruhe an sie herantritt, das ist im We¬
sentlichen proportional der Körperoberfläche, und selbst dort, wo durch
complicirtere, z. B. culturelle Anpassung dieser Zusammenhang kein un¬
mittelbarer mehr ist, gilt das Oberflächengesetz Rubner’s. Mit
exacter Methodik, zunächst bewiesen für ausgewachsene Hunde verschie¬
denster Grösse, fand es seine Bestätigung an Menschen aller Altersstufen.
Für mich aber ist es von ganz besonderer Wichtigkeit, dass Rubner
gerade auch für den Vergleich der Fettleibigen mit den Nor¬
malen es bewiesen hat, dass der Umsatz nach der Oberfläche
und nicht etwa nach dem Körpergewicht abzüglich des Fett¬
ballastes sich richtet, man vergleiche die eingehende und überzeu¬
gende Deduction in den „Beitr. z. Ernähr, im Knabenalter“ u. s. w.
S. 44 u. ff. Ich habe deshalb als vernünftigsten Maassstab für die Be-
urtheilung des Stoffumsatzes des myxödematösen Kindes nur diesen ernst¬
haft verwerthet. Es ist merkwürdig, dass in der Pädiatrie noch immer
fast ausschliesslich mit dem Kilogramm als Maass für das Calorien-
bedürfniss gerechnet wird.
Die Bestimmung der Oberfläche bietet methodisch freilich
speciell für die Fettsucht gewisse Schwierigkeiten. Die neuere Zeit
hat aber Mittel und Wege an die Hand gegeben, die Oberflächen¬
bestimmung am Menschen befriedigender zu lösen als bisher, ich bedaure,
nur theilweise diesen Errungenschaften gefolgt zu sein, liegt doch ein
grosser Theil meiner Versuche länger als 2 Jahre zurück.
Die Bestimmung der Oberfläche nach der bisher üblichen Formel
Meeh’s (37) hat den einen unleugbaren Vortheil, dass alle Angaben der
Literatur, sofern nur das Gewicht der Versuchsindividuen bekannt ist,
sich noch nachträglich auf die Flächeneinheit umrechnen lassen. Auch
ich musste in den Tabellen noch vorwiegend nach dieser Formel rechnen.
Als Constante für den Menschen gilt die Zahl 12,3. Sie ist zu multi-
3
2
pliciren mit der V Körp.-Gew. Ucbrigens schreibt man diese Formel
3
weit vernünftiger K.V P 2 (wobei K = Constante, P = Gewicht) oder
2
K. P 3 . Die Formel ist recht ungenau; bei hohen Graden von
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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 721
Mästung giebt sie besonders grosse Fehler. Magnus-Levy meint, sie
wiche um 8 pCt. nach oben und unten vom Mittelwerthe ab. Ich citire
nach Bouchard, der wohl am eingehendsten von allen Autoren diese
Dinge bearbeitet hat, dass er z. B. bei einer anscheinend normalen Frau
13 pCt. Unterschied zwischen dem Werth der Formel Meeh’s und der
unmittelbaren Berechnung findet, bei einem hochgradig Fettsüchtigen
selbst 36 pCt. Fehler!! In meinen zwei mit beiden Methoden berech¬
neten Fällen finde ich Fehler wenig über + 10 pCt., für nicht zu hohe
Mästungsgrade dürfte der Fehler auch kaum grösser sein. Man vergesse
nicht, dass bei so grossen Fehlern der Me etlichen Formel die Resultate
schon erhebliche Abweichungen zeigen müssen, wenn sie etwas beweisen
sollen, oder dass schon ganz ansehnliche Verschiedenheiten durch die
Ungenauigkeit der Berechnung verborgen bleiben können.
Bouchard (38) hat mit scharfsinniger Ueberlegung durch eine Reihe
von Correcturen für Mast, Körperlänge und Aehnliches, die rein empi¬
risch in mühseligen unendlich vielen Messungen gewonnen sind, die Ober¬
flächenberechnung ganz wesentlich verbessert. Wenn Bouchard einerseits
nach Berücksichtigung aller Correcturen die Oberfläche berechnete und
sie verglich mit der directen, über 2 Stunden Zeit erfordernden Messung
der Individuen, so fand er eine für diese Zwecke ausgezeichnete Ueber-
einstimmung beider Werthe. Kann ja die Grösse der Oberfläche doch
niemals beim Menschen ganz ideal in Rechnung gezogen werden, es
spielt die Oberfläche der Kleidung eigentlich dabei eine Rolle, es macht
ferner einen Unterschied, ob die Arme dem Rumpfe anliegen, ob die
Beine gespreizt sind oder nicht und Aehnliches. Ich habe leider nur
bei den beiden zuletzt von mir untersuchten Patientinnen nach
Bouchard’s Formel rechnen können, weil mir vorher die ausführliche
Publication im Traite de Pathologie Generale, Tome III, nicht in die Hand
gekommen war; erst aus diesem ersah ich, dass das Maass, welches
Bouchard als „tour de taille tt bezeichnet, nicht das ist, was man als
Taillenurafang anzunehmen gewohnt ist; vielmehr ausgedrückt wird durch
die Länge eines Maassbandes, das in schiefer Ebene am Menschen von
hinten unten nach vorn oben verläuft. Hinten angelegt an der concavsten
Stelle des Lendenprofils, muss das Band flach der Körperoberfläche an¬
liegen, dann kommt es vorne bei mageren Individuen dicht über dem
Nabel zusammen, während es bei starkem Abdomen immer mehr zum
Epigastrium heraufrückt, lediglich wenn man darauf achtet, dass das
Band möglichst in ganzer Fläche dem Körper anliegt. Es ist das ein
Maass, welches, in mittlerer Respirationsstellung bestimmt, in der That
geschickt den Mästungszustand mit zum Ausdruck bringt, der zudem
durch einen empirischen Factor noch weiter in Berechnung gestellt wird.
Eine gewisse Unsicherheit haftet freilich der Bestimmung dieses Maasses
(C) an, doch machen Abweichungen um 2—3 cm für das Gesammt-
resultat wenig aus. Dieser Excurs scheint mir wichtig, weil die deutsche
Literatur, mit einer Ausnahme, über die eben so geistvolle wie unendlich
mühselige Berechnungsart Bouchard’s hinweggeht, die jetzt, nachdem
seine Tabellen ausführlich veröffentlicht sind, spielend einfach für jeden
Einzelfall auszuführen ist. Sie muss fundamental werden, als Maass
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722
G. v. Bergmann,
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aller energetischen Vergleiche des Umsatzes. Rubner allein, soweit
ich sehe, benutzt eine Formel Bouchard’s, obwohl ich nicht ermitteln
konnte, wo Bouchard diese Formel angiebt und ob der Taillenumfang,
wie eben beschrieben, von ihm genommen ist, bezüglich, ob nicht eine
ältere Berechnungsformel Bouchard’s von Rubner verwendet wurde,
für die das gewöhnliche Taillenmaass gelten mag.
In Zukunft ist eine Berechnung nach B.’s Formel stets vorzuziehen,
immerhin bleibt Meeh’s Formel noch brauchbarer als etwa die Be¬
ziehung auf das Kilogramm Körpergewicht. Die Art der Berechnung
folgt hier.
Berechnung nach Bouchard’s Formel:
Patientin „L.“
Gewicht (Poids).84 kg = P
Länge (Taille).16,8 dem = H
„Tour de Taille“.9,0 dem = C
(nicht zu verwechseln mit Taillen-Umfang!)
p
Segment r6el.5,15 = —
p
Für den Werth £. =5,15 findet sich in Bouchard’s Tabelle die empirische
n
Formel:
49 t;i
0,431 ‘ C + 4,28 + =±
Auf die ganze Höhe bezogen (' 16,8) mit Einsetzung der Werthe für C:
[o,431 • 9,0 + 4,28 + ^] • 16,3 = 2,10qm.
(Nach Meeh 2,86 qm [über 12 pCt. Abweichung].)
Für das Gewicht 82 kg = P (Versuch „L. III“ und „L. IV“) und sonst gleiche
p
Maasse (H u. C) ist - = 5,03; dafür giebt die Tabelle:
[o,433 • C -f 4,23 + — ( ] H = 2,08 qm
(ich habe deshalb für „L.“ als Oberfläche stets mit dem Werth 2,10 gerechnet.)
Pat. „W.“
*P“ = 88 bis 86 (kg) *H“ = 15,2 (dem) „C“ = 11,0 (dem)
[S = 86 k e ] ¥ 5 ’ 75 ¥ 5 ' 62
,425 • C + 4,48 + ] . H = 2,66 qm für 88 kg,
für 5,62: [o,426 - 0 + 4,44-1- ^—] • H = 2,26 qm für 86 kg.
Nach Meeh: statt 2,66 — 2,48 qm (ca. + 10 pCt.),
„ 2,26 — 2,40 qm (ca. — 10 pCt).
[Ich habe als Oberflächenwerth 2,66 gewählt, für die Versuche W. III u. W. IV
ist er ohne Weiteres zutreffend, die rapide Abnahme um den Versuch W. V herum,
lässt die gleiche Oberfl. richtiger erscheinen, da die Höhe des Umsatzes für W. III u.
W. V absolut gleich ist.]
für 5,75: 0
Die Grösse der Calorienprodnction bei den Fettsüchtigen in Beziehung
zur Oberfläche.
I. Der Patient „M u .
ich setzte aus den früheren Tabellen, s. S. 689 Tab. VII, die Werthe
für den Caloricnumsatz, bezogen aui die Oberfläche, nach Meeh, hierher.
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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 723
Versuch I . . . . 1276
„ II ... . 1340
„ III ... . 1344
„ IV ... . 1352
Die Werthe liegen nahe genug beisammen, um als Mittelwerth bei
Berücksichtigung der Versuche II, III und IV die Zahl 1345 aufzustellen.
Vergleichen wir sie mit dem Werthe, den Rubner für die beiden Knaben
ermittelt hat. Der Vergleich ist sehr wohl zulässig, da für die Aufgabe
des Wachsthums das Plus des 24 ständigen Verbrauchs rechnerisch ganz
vernachlässigt werden kann, da ferner Rubner ausführlich gezeigt hat,
dass eine specifische Aenderung des Stoffurasatzes, wie Sonden und
Tigerstedt (40) ihn vermuthet hatten, für die Jugend nicht vorhanden ist.
Rubner findet beim mageren Knaben für 1 qm Oberfläche im
Stoffgleichgewicht 1290 Cal., für den fetten Knaben 1321 Cal.; meine
Werthe für den Patienten M. liegen zwischen 1270 and 1352. Die
Werthe stimmen also ganz ausgezeichnet überein.
Dieselben Schlüsse, welche Rubner für den einen fettsüchtigen
Knaben zieht, sind also ganz in derselben Weise auch für meinen Pa¬
tienten M. gültig, auch für ihn gilt es, dass die Calorienproduction
keinesfalls gegenüber der Norm in den 4 Versuchen herabgesetzt war.
Auf die Erhöhung der Calorienproduction unter dem Einfluss der
Schilddrüse ist schon vorher eingegangen (s. S. 714—719).
II. Die Patientinnen „P.“ und „L.“.
1. Nach Nahrungsaufnahme. Zunächst sind die Versuche
nach Nahrungsaufnahme bei der Patientin P. zu besprechen. Ich
erhielt, berechnet auf 24 Stunden, nach einer etwa dem Bedarf ent¬
sprechenden Mittagsmahlzeit für 1 qm Oberfläche einmal den Calorien-
umsatz von 715, im Versuch II 843 Cal., im Hunger Werthe rund zwischen
700 und 850. Es ist also keinesfalls nach Nahrungsaufnahme eine Er¬
höhung des Calorienumsatzes nachweisbar.
Auf Seite 697 ist darauf hingewiesen, dass ich mich durchaus
nicht für berechtigt halte, weitgehende Schlüsse aus diesen Resultaten in
in der Richtung zu ziehen, die die Hypothese von Jaquet und Swenson
andeutet. Dass die Art der Berechnung gerade dieser Versuche auf
24 Stunden nur eine ganz annähernde ist, wurde bei Besprechung der
erhaltenen Werthe dargethan. Dass zweitens ein sicheres Urtheil, wie
weit die Kost zureichend war, nicht möglich ist, wurde gleichfalls aus¬
einandergesetzt. Zu einem Studium über die specifisch-dynamischen
Wirkungen der Nahrung sind diese Resultate also nicht geeignet, giebt
es doch auch an Normalen Beobachtungen in der Literatur, wonach der
Calorienumsatz bei Erhaltungsdiät gegenüber dem Hungerbedarf kaum
merkbar gesteigert ist. leb erinnere an alte Versuche von Voit und
Pettenkofer (41) an einem Uhrmacher, welche im Hunger bei mässiger
Arbeit einen Calorienumsatz von 2320 Cal. fanden, bei Nahrungsgleich¬
gewicht von 2362 Cal.
Nur der eine Schluss ist gerechtfertigt, dass die Patientin P. bei
etwa zureichender Kost keine wesentliche Erhöhung gegenüber dem
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724
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Hungerumsatze zeigt, das ist vor Allem für die folgende Beurtheilung
ihres Hungerumsatzes wichtig.
2. Der Umsatz iro Hunger. Er wurde bei den Patientinnen P.
und L., wie oben geschildert, bestimmt. In 6 Versuchen an der Pat. P.
erhalten wir pro Quadratmeter Oberfläche . . 843 Cal.
855 „
686 n
821 „
855 „
bei der Patientin L. in 2 Versuchen .... 930 Cal.
und 805 „
oder besser nach Bouchard’s Formel bei 2,10 qm. Für „L“ 1045 und
905 Calorien 1 ).
Wir finden bei Rubner für den Quadratmeter Oberfläche Werthe,
die ganz vorwiegend zwischen 1000 und 1290 liegen, sowohl beim Kind,
Generaltabelle.
Vergleich Rubncr's und meiner Resultate für den Umsatz in 24 Stunden
pro 1 qm Oberfläche.
Zahlen nach Rubner
Eigene Versuche, im Wesentlichen nach der
Grösse des Umsatzes geordnet. Die mit * be¬
zeichnten Versuche sind nach Bouchards Ober-
flächen-Formel gerechnet
Calor.
Bemerkungen
Kind (Kuhmilch)
Säugling (Brustkind)
do.
Atrophisches Kind
Atroph. Kind (Kuhmilch)
1143
1221
1006
1036
1090
Myxödem
II.
III.
I.
956
857
787
aus 4 X 24 Std. berechnet
do.
do.
Fettsüchtiger Knabe
Magerer Knabe
Erwachsene im Mittel
(bei Ruhe u. mittlerer Kost)
Mann (94 kg)
do. (58 kg)
do. (67 kg)
do. (71 kg)
do. (99 kg)
Greise (Männer und Weiber)
Mittelzahlen
Weiber, Mittelzahlen
Zahlen, deren absolute Nie
keit ausserhalb der Fehlergi
der Caloricnberechnung odei
Oberflächenbcrcchnung fäl
1321
1290
1189
1180
1030
1066
1116
973
1099
1004
drig- (
renze 1
* der )
lt (
M. IV.
M. III.
M. 11.
M. I.
L. III.*
W. IV. •
L. II.*
L. Vers, b
P. V.
P. 11. j
P. I.
P. IX.
P. IV.
L. Vers, a
L. IV.*
P. VI.
P. VIII.
1 L. I.* 1
P. III. 1
W. III.* 1
W. V.*
1352
1344
1340
1276
1048*
1035*
1000*
931
855
855
843
843
821
805
864*
784
715
695*
686
669*
662*
24 Std. Versuch
do.
do.
do.
do.
do.
do.
aus 4 Std. berechnet
Hunger aus 8 Std. berechnet
do.
do.
Nahrung aus lOStd. berechn.
Hunger aus 8 Std. berechnet
aus 4 Std. berechnet
24 Std. Versuch
Hunger aus 8 Std. berechnet
Nahrung aus lOStd. berechn.
24 Std. Versuch
Hunger aus 8 Std. berechnet
24 Std. Versuch
do.
1) Bei besserer Oberflächenrechnung und Berücksichtigung des Hungerzustandes
nähern sich die Werthe von „P u , die über 800 sind, allenfalls der tiefsten Normalz&hl.
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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 725
wie beim Erwachsenen. Rechnen wir selbst im Hungerzustande einen
etwas niedrigeren Stoffumsatz, so bleiben die meisten der von mir ge¬
fundenen Werthe doch relativ niedrige, die Werthe von 686 im Hunger
und 700 nach Nahrungsaufnahme sind sogar schon als sicher pathologisch
niedrige anzusehen, wie noch ausgeführt werden soll.
Dabei sind diese Zahlen unter Bedingungen gewonnen, aus denen
folgen muss ein höherer Calorienumsatz als im Schlaf oder bei absoluter
Muskelruhe. Um zu zeigen, dass diese Werthe absolut höher liegen müssen,
als Ruhe-Nüchternwerthe derselben Patienten, habe ich an der Patientin L.
zwei Respirationsversuche nach Zuntz oben angeführt, die das bestätigen.
Auch hier bekomme ich, wie gezeigt ist, sowohl in Nüchternheit,
wie nach Nahrungsaufnahme Werthe, die deutlich unter denen liegen, die
bisher beschrieben wurden. Diese Versuche berechnet auf 24 Stunden
und 1 qm Oberfläche ergeben 619 und 629 Cal. So wenig solche Be¬
rechnungsart von 10 Minuten auf 24 Stunden eigentlich zulässig ist, nur
als Vergleich mit den ebenso berechneten Resultaten anderer Autoren
können uns die Zahlen dennoch dienen. Die niedrigste Zahl, die ich
pro Quadratmeter Oberfläche in der Zusammenstellung Magnus-Levy’s
finde, beträgt 710. Ich finde 625 und dabei handelt es sich bei dem
Werth von 710 noch um ein etwas fettleibiges Individuum. Für die
weitere Argumentation will ich von den Versuchen nach der Methode von
Zuntz, gegen die Ein wände erhoben werden könnten, vollständig absehen.
Ich glaube also nur einen Theil dieser älteren Versuche an den Kranken
P. und L. wohl als solche bezeichnen zu können, die für eine Herab¬
setzung des Calorienumsatzes sprechen.
Die neueren Versuche an „L.“ und „W. u .
Ein Theil meiner neueren Versuche zeigt aber dies Verhalten aus
zwei Gründen viel sicherer, einmal handelt es sich um 24 Stunden-Ver¬
suche und zweitens konnte die Beziehung zur Oberfläche nach der
exacteren Formel Bouchard’s aufgestellt werden. Ein anderer Theil der
neueren Versuche demonstrirt wiederum normalen Umsatz. Nach der
Grösse des berechneten Calorienumsatzes gruppirt, demon¬
strirt die nebenstehende Tabelle die Gesammtheit meiner Ver¬
suche, und daneben methodisch vergleichbare Resultate von
Rubner (s. S. 724 unten).
Das Ergebniss der Grösse des Umsatzes bei der Fettsucht.
Wir haben gesehen, unter welchen Voraussetzungen die Berechnung auf
die Oberflächeneinheit uns einige Sicherheit bietet. Ich will aber auch
für diejenigen, die sich mit der Beziehung auf die Oberfläche noch nicht
befreunden können, andere Vergleiche heranziehen. Man gestatte mir,
der Kürze halber, nur einige Versuche hier zu discutiren, bei welchen
ich den geringsten Umsatz gefunden habe, und die meines Erachtens in
ihrer Berechnungsart in dem Umfange, wie ich die Zahlen verwerthe,
einwandsfrei sind. Ausser den drei Versuchen, die ich hier in Betracht
ziehen will, kommen übrigens auch die zwei Versuche an der Patientin
P. mit besonders niederem Umsätze durchaus in Betracht, da sie aber
beide nicht ganze Tagesversuche sind, lasse ich sie hier fort, lernen wir
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aus ihnen doch nichts anderes, als was aus den nun zu betrachtenden
Ergebnissen der Versuche „L. 1“, „W. III“ und „W. V“ zu ersehen ist.
Man lasse für das Folgende ja nicht aus dem Auge, dass es sich
nicht um kurz dauernde Versuche bei angestrebter Ausschaltung jeglicher
Bewegung handelt („Grundumsatz“—Ruhe-Nüchtornwerth), oder etwa um
Versuche in tiefem Schlaf, sondern um den Umsatz während eines vollen
Tages mit seinen wechselnden Bedingungen, um einen Aufenthalt nicht
die ganze Zeit im Bett, ohne irgend eine Einschränkung der gewöhn¬
lichen Muskelbewegungen, soweit sie bei phlegmatischen Personen in
einem ziemlich engen Raum in Betracht kommen. Es sind also zum
Vergleiche nicht einmal solche Bedingungen an Normalen heranzuziehen,
die mit „Bettruhe“ bezeichnet werden, ungünstigstenfalls sind es 24Stunden-
Versuche, die in ihrem Verhalten als zwischen „Bettruhe“ und „Zimmer¬
ruhe“ liegend nach der üblichen Terminologie aufzufassen sind.
Legen wir zunächst den berechneten 24 ständigen Calorien-
umsatz zu Grunde, mit der Einschränkung für die Berechnungsgenauig¬
keit, die ausführlichst wiederholt hier besprochen wurde, so finden wir
als Zahlen 1460, 1760 und 1780 Calorien oder pro Quadratmeter 695,
669und662 (Bouchard’s Formel) proKilogramm 17,4, 20,5, 20,2Calorien.
Diese Werte lassen sich nach verschiedenen Gesichtspunkten zum
Vergleiche heranziehen; sie sind am ehesten vergleichbar mit denen
anderer Individuen im Voit-Pettenkofer’schen Respirationsapparat.
Oben haben wir den Vergleich für die Oberfläche in dieser Beziehung
gezogen, für das Kilogramm nehme ich die Rubner’schen Zahlen der
beiden Knaben oder des Patienten M. mit 34—40 Calorien pro Kilo¬
gramm. Wir sehen, dass unsere Zahlen ganz wesentlich niedriger liegen.
Man mag hiergegen geltend machen, dass unsere Patientinnen sich
wesentlich weniger Bewegung gemacht hätten, aber selbst dieses in
weitestem Maasse zugegeben, so zeigt auch eine andere Ueberlegung
mit Sicherheit die Niedrigkeit der Zahlen für die gegebene Versuchs¬
anordnung. Es ist bekannt und gerade von der Zuntz’schen Schule
bewiesen, dass der sogenannte „Grundumsatz“ nur bei Ausschaltung
jeder Muskelbewegung die wahren, tiefen Werthe giebt, oder umgekehrt
ausgedrückt, dass schon geringfügige Bewegungen den Umsatz deutlich
mehren. Stimmen meine bei relativer Bewegungsfreiheit an-
gestellten Versuche in der Grösse ihrer Werthe überein mit
den sonst nur als Grundumsatz zu erhaltenden Zahlen, so ist
damit bewiesen, dass der Umsatz meiner Patientinnen absolut
tiefer gelegen ist, wie der aller bisher untersuchten Fälle.
Ich glaube, diese Ueberlegung ist zwingend. Ich suche also für die
Werthe von 1500—1780 Calorien in 24 Stunden, wie beschaffene Indi¬
viduen diese Werthe als „Grundumsatz“ haben, und finde in den Tabellen
Magnus-Levy’s solche Werthe bei Individuen von 60—80 kg. Also
der 24 Stunden-Umsatz meiner Individuen ohne Einschränkung der
Bewegungen ist gleich dem Umsatz normaler Individuen in kurzen
Zeitperioden nur dann, wenn jene mit Aufbietung aller Aufmerksamkeit
jede Muskelaction vermeiden und bewegungslos auf dem Rücken liegen
oder wenn sie in tiefstem Schlaf verharren. Suche ich dagegen in
Gck igle
Original fro-m
UNIVERS1TY OF MICHIGAN
Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas unirers. 727
Magnus-Levy’s Tabellen den Umsatz normaler Individuen unter ent¬
sprechenden Bewegungsverhältnissen, also etwa in der Breite zwischen
Zimmerruhe und Bettruhe, so finde ich, dass im Allgemeinen nur Indi¬
viduen unter 50 kg jene Werthe zeigen, die ich bei Personen über
80 kg festgestellt habe.
Rechnen wir nach dem Umsatz pro Kilogramm, so wären nach
Magnus-Levy, selbst bei Bettruhe, wenigstens 27,5 Calorien zu rechnen,
während nur wieder bei Grundumsatz Werthe von 22 Calorien zu erwarten
sind, die noch über den meinen liegen.
Nicht berechtigt aber ist es, wie man das freilich auch vor¬
geschlagen hat, fette Versuchspersonen etwa zu vergleichen mit nicht
fetten Individuen gleicher Höhe. So gleichgültig ist denn die Fettmasse
doch nicht, dass es für den Umsatz eines Individuums z. B. von 160 cm
Länge gleichgültig ist, ob es 60 oder 120 kg wiegt. Ich dächte, dass
Rubner dies zur Genüge bewiesen hat.
Für eine Hyperkritik scheint mir indess eine andere Ueberlegung
vielleicht noch überzeugender. Es ist die Betrachtung der Menge
der mit der Respiration ausgeschiedenen C0 2 . Der niedrigste
Werth, der in mehrstündigen Versuchen in der gesammten Literatur von
Staehelin (42) aufgefunden wurde, betrifft eine Versuchsperson von
Benedict, einen zweiten ebenso niederen Werth gab ein Selbstversuch
Staehelin’s, beide im Hunger ausgeführt, beide bei gewollter Aus¬
schaltung jeglicher Muskelthätigkeit, der eine gewonnen bei festem
Schlaf. Es gilt also für die in diesen beiden Versuchen gefundenen
Werthe das Gleiche, was oben vom Grundumsatz auseinander gesetzt
wurde. Diese Werthe müssten wesentlich niedriger liegen als meine
24 Stunden-Werthe. Dieser niedrigste Ruhenüchtern-Werth der Literatur
ist, für 24 Stunden berechnet, 476,4 g C0 2 . Für meine Versuche finde
ich den Werth 476,7 als den niedrigsten, also genau dieselbe Zahl bei
einem im Körpergewicht wesentlich schwereren Individuum von 83 kg.
Benedikt’s Mann wiegt 65,6, Staehelin’s 67,2 kg. Jene sind
Grundumsatzwerthe, meine Werthe, wie gesagt, bei freier Be¬
wegung gewonnen.
Wir haben die Schwierigkeit gesehen, eine ideale Art des Vergleiches
zu finden, ja, eine skeptische Kritik fordert mit Recht, dass nur einer
Erniedrigung des Grundumsatzes um 30—50 pCt. eine Bedeutung
zugeschrieben werde. Man scheide hier scharf zwischen einer Zahl, - die
so niedrig ist, dass keine kritische Betrachtungsweise ihr etwas an-
haben kann und die hierdurch eine Hypothese beweist, und zwischen
einer Erniedrigung, die dem Beweise methodisch nicht zu über¬
windende Schwierigkeiten bereiten mag, die aber für die Pathologie
schon vollkommen Ursache einer constitutionellen Fettsucht sein könnte.
Auch die ständige Erniedrigung der Umsetzungen um 10 pCt. gegenüber
der Norm kann begründet sein in einer Art constitutioneller Neigung
zur Fettsucht. Richtig ist nur, dass mit der Bestimmung des „Grund¬
umsatzes“ solche Abweichungen sich nie beweisen lassen werden.
Es giebt aber trotz Allem eine, wie mir scheint, voll¬
ständig einwandsfreie Art des Vergleiches, bei dem auch geringere
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728
G. v. Bergmann
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Unterschiede als solche von 40 pCt. als beweisend hcrangezogen worden
können; so einfach der Vergleich ist, man hat, so viel ich sehe, an ihn
noch nicht gedacht.
Es ist bewiesen, dass es Fette giebt mit normalem Umsatz. Das
einzige, wirklich vernünftige Vergleichsobject für ein Individuum, das
verdächtig ist der constitutioneilen Fettsucht, ist solch’ ein fettleibiges
Individuum mit normalem Umsatz. Da ist es möglich, 2 Individuen
von annähernd gleichem Körpergewicht und gleicher Körperlänge hcraus-
zufinden; ist dann unter sonst vollkommen vergleichbaren Bedingungen
der 24stündige Umsatz beim einen deutlich niedriger als beim anderen,
dann ist der Beweis geführt.
Ich glaube mich berechtigt, diesen Vergleich auf Grund
meines Beobachtungsmaterials anzustellen. Ich habe Ver¬
suche an Fetten, in denen ein normaler Umsatz bewiesen ist,
ich wähle dafür die Versuche mit 2100—2300 Calorienumsatz
und mit einer 24stündigen respiratorischen Kohlenstoffaus¬
scheidung von 180—190 g C., diesem entgegen setze ich die
Werthe 1500—1700 Calorien und eine Kohlenstoffmenge in der
Respiration von 124—138 g. Nichts kann bei diesem Vergleich dafür
angeführt werden, dass die Werthe von 2100—2300 Calorien unter den
gegebenen Versuchsbedingungen zu hohe sind, auch waren die Kranken
in gutem Stoffgleichgewichte.
Eine Paradoxie, das ist früher schon ausgeführt, enthält dieser
Vergleich. Es handelt sich um ein und dieselben Individuen, die solche
wechselnde Verhältnisse bieten (W. und L.). Wer sich daran stösst,
der möge auf zwei weitere Versuchsreihen an fettleibigen Individuen mit
normalem Calorienumsatz als Vergleichsobjectc verwiesen werden, deren
Berechnung von mir noch nicht völlig abgeschlossen ist und deshalb im
nächsten Hefte erscheint. Für mich ist gerade dies wechselnde Ver¬
halten bei denselben Individuen sehr lehrreich. Warum die Individuen
L. und W. — (das Gleiche gilt übrigens auch für die Pat. P.). — zu
Zeiten den höheren Umsatz gehabt haben, übrigens einen normal hohen
Umsatz, darüber lässt sich streiten. Ich glaube nicht, dass grössere
Unruhe oder auch klimatische Verhältnisse eine Steigerung bedingt haben,
dafür sah ich bei anderen Individuen bei sonst gleicher Versuchsanordnung
den Umsatz viel zu constant; ich verweise auf meine Versuche am Pat. M.
oder auf die Mehrzahl der Hungerversuche an der Pat. P. Ist man aber
auch anderer Ansicht, die niedrigen Calorien und namentlich
C0 2 -Werthe bleiben bestehen. Ich halte mich mit Heranziehung
anderer eigener und der sonst verwerthbaren Zahlen der Literatur voll
berechtigt, die gefundenen Werthe von 2100—2300 Calorien und von
180—195 g Kohlenstoff als die Normalzahlen, die unter den gegebenen
Versuchsbedingungen als die niedrigsten einem Vergleich zu Grunde zu
legen sind, hier aufzustellen, dann scheint es aber, dass im
Vergleich zu diesen niedersten Normalwerthen die 24 Stunden-
Werthe von 1500—1780 Calorien und die 124—138 g Kohlenstoff
eine Herabsetzung des Umsatzes zum Ausdruck bringen, der
das Vorhandensein einer constitutioneilen Fettsucht sichert.
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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 729
Inhaltsübersicht.
Einleitung (S. 646 -663): Das Problem geminderter Umsetzung im Intermediär¬
stoffwechsel und in der Gesammtöconomie.
Allgemeines über die Methodik (S. 663—667).
Versuche am Myxödem (S. 667—679).
Resultate und Discussion der Versuche am Myxödem (S. 679—682).
Versuche an Fettsüchtigen (S. 682—709).
Allgemeine Discussion der Versuche an Fettsüchtigen (S. 709—714): Dis¬
cussion der Anamnese, der klinischen Beurtheilung, der Bilanzen, der Berech¬
nungsart.
Der Einfluss der Schilddrüsen Verabreichung auf die Fettsucht
(S. 714—719): Latenzperiode, Erhöhung der Calorienproduction, Stickstoffumsatz,
therapeutische Folgerungen.
Die Messeinheit für den Calorienumsatz (S. 719—722).
Die Grösse der Calorienproduction bei den Fettsüchtigen in
Beziehung zur Oberfläche (S. 722—725).
Das Ergebniss der Grösse des Umsatzes bei der Fettsucht
(S. 725-728).
Literatur.
1) Bouohard, Maladie par ralentissement de la nutrition. Paris, Librairie Savy.
1882.
2) Rubner, Beiträge zur Ernährung im Knabenalter mit besonderer Berücksichtigung
der Fettsucht. Berlin, Hirschwald. 1902.
3) Brugsch und Schittenhelm, Zeitschr. für experim. Path. u. Therap. Bd. 3
und 4.
4) L. Mohr, Untersuchungen über den Diabetes mellitus. Zeitsohr. f. exper. Path.
u. Therap. Bd, 4. S. 910. 1907.
5) Külz, Beiträge z. Path. u. Therap. d. Diabetes mellitus. Marburg 1874.
6) Embden, Hofmeister’s Beiträge. Bd. 11. No. 23—26. 1908.
7) Neisser und Bräunig, Ueber Verdauungslipämie. Zeitschr. f. experim. Path.
u. Therap. Bd. 4. S. 747. 1907.
8) Reicher, Münchener med. Wochenschr. 1907. Biochem. Zeitschr. 1907. Zeit¬
schrift f. klin. Med. 1908.
9) Pavy, Deutsch von Moeckel. Ueber den Kohlehydratstoffwechsel. Physiol.
Vorträge. Leipzig, Engelmann. 1907.
10) v. Bergmann und Savini, Das hämolytische Hemmungsphänomen bei Phos¬
phorvergiftung und anderen pathologischen Processen. Zeitschr. f. experim. Path.
u. Therap. Bd. 4. S. 817. 1907.
11) Löwy und Richter, Sexualfunotion und Stoffwechsel. Engelmann’s Arch.
1899. Suppl.-Bd. S. 174 und Centralbl. f. Physiol. Bd. 16. S. 449.
12) Lüthje, Ueber Castration und ihre Folgen. Arch. f. experim. Path. u. Therap.
Bd. 48 u. 50. 1903.
13) Magnus-Levy, Ueber Myxödem. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 53. S. 201. 1904.
14) v. Noorden, Die Fettsucht in NothnagePs Handbuch und Handbuch der Patho¬
logie des Stoffwechsels. Bd. 2. 1907. Hirschwald.
15) Saloraon, Ueber Durstcuren. v. Noorden’s Sammlung klin. Abhandlungen.
Heft 6. Berlin 1905.
16) Magnus-Levy, Noorden’s Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels. Bd. 1
u. 2. 1907. Hirschwald.
17) Jaquet und Svenson, Stoffwechsel fettsüchtiger Individuen. Zeitschr. f. klin.
Med. Bd. 41. S. 375. 1900.
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Original fru-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
730 G. v. Bergmann, Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem etc.
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18) Staehelin, Zeitschr. f. klin. Med.
19) v. Willebrand, Ueber den Stoffwechsel fettsüohtiger Menschen. Skandinavisches
Arch. f. Physiol. Bd. 20. S. 152-161.
20) Waldvogel, Zur Pathogenese der Fettsucht. Deutsches Arch. f. klin. Med.
Bd. 89. S. 342. 1906.
21) Steyrer, Ueber den Stoff und Energieumsatz bei Fieber, Myxödem und Morbus
Basedow. Zeitschr. f. experim. Path. u. Therap. Bd. 4. S. 720. 1907.
22) Zuntz, etc., Höhenklima und Bergwanderungen in ihrer Wirkung auf den
Menschen. Deutsches Verlagshaus, Bong u. Co. 1906.
23) Magnus-Levy, Untersuchungen zur Schilddrüsenfrage. Zeitschr. f. klin. Med.
Bd. 33. S. 269. 1897.
24) Rubner, Gesetze des Energieverbrauchs und der Ernährung. Leipzig und Wien,
Deuticke. 1902.
25) R. 0. Neu mann, Zur Lehre vom täglichen Nahrungs bedarf. Aroh. f. Hygiene.
Bd. 45. S. 1. 1903.
26) Renval, Skandinavisches Archiv für Physiologie. Bd. 16. S. 94. 1904.
27) Friedrich Müller, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 16. S. 4% u. Leyden’s Hand¬
buch der Ernährungstherapie. 1903. Thieme.
28) Falta, Grote und Staehelin, Versuoho über Kraft und Stoffwechsel und den
zeitlichen Ablauf der Zersetzung unter dem Einfluss verschiedener Ernährung
beim Hunde. Hofmeisters Beiträge. 1907. Bd. 9. S. 368.
29) Benedict, U. S. Department of agriculture. Bull. 1906 u. 1907.
30) Rubner und Heubner, Die natürliche Ernährung des Säuglings. Zeitschr. f.
Biol. Bd. 36. — Die künstliche Ernährung eines normalen und eines atrophischen
Säuglings. Zeitschr. f. Biol. Bd. 38. — Zur Kenntniss der natürlichen Ernährung
des Säuglings. Zeitsohr. f. experim. Path. u. Therap. Bd. 1. S. 1.
31) Heubner, Die Energiebilanz des Säuglings. Zeitschr. f. diätetische u. physik.
Therapie. Bd. 1. S. 5. Berl. klin. Wochenschr. 1901. Verhandl. der Ges. f.
Kinderheilk. 1897. Jahrbuch f. Kinderheilk. Bd. 11. S. 61.
32) Schwenkebecher, Ueber die Ausscheidung des Wassers durch die Haut.
Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 79. S. 29. 1904.
33) P. Fr. Richter, Eiweisszerfall nach Schilddrüsenfütterung. Centralbl. f. innere
Med. 1896.
34) W. Scholz, Schilddrüsenbehandlung und Stoffwechsel des Menschen. Centralbl.
f. innere Med. 1895. S. 1041.
35) Zinn, Ueber einen Stoffwechselversuch mit Schilddrüsentabletten bei Fettsucht.
Berl. klin. Wochenschr. No. 27. 1897.
36) v. Noorden und Dapper, Ueber den Stoffwechsel fettleibiger Menschen bei
Entfettungscuren. Berl. klin. Wochenschr. 1894. No. 24.
37) Reach, Stoffwechselerkrankungen an einem fettleibigen Knaben. Salkowski-
Festschrift. 1904.
38) Bouchard, Traitä de Pathologie gönörale. Tome III. Paris, Masson. 1900.
40) Sonden und Tigerstedt, Skand. Arch. f. Physiol. Bd. 6. S. 1. 1895.
41) Voit und Pettenkofer, nach v. Rechenberg, Ernährung der Hausweber.
1890. Bd. 45. (Cit. nach Noorden’s Handbuch. Bd. 1. S. 481.)
42) Staehelin, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 66. H. 3 u. 4.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
XLVI.
Aus der II. medicinischen Klinik der Universität Berlin.
Ueber die Grenzen der Hippursflurebildung beim Menschen.
(Kritik einer Arbeit von Dr. Lewinski 1 ) aus der Minkowski’schen
Klinik, Greifswald, zugleich ein Beitrag zur Methodik der Hippur-
sfturebestimmung.)
Von
Theodor Brugsch.
Im Centralblatt für Stoffwechselkrankheiten hatte ich 1907 eine
kurze Mittheilung über die Rolle des Glykokolls beim Menschen im
intermediären Stoffwechsel veröffentlicht, in der auch einige Versuche
über die Hippursäureausscheidung nach Benzoesäureverfütterung beim
Menschen wiedergegeben wurden. Ich fand nach Eingabe von 16,4 g
Benzoesäure nur 4,92 g Hippursäure wieder und vermuthete deshalb,
dass man beim Menschen durch Yerfütterung von Benzoesäure nicht
mehr Glykokoll dem Organismus entziehen kann, als man nach unseren
Erfahrungen bei der Hydrolyse des Eiweiss über dessen Glykokollgehalt
erwarten sollte.
Diese Arbeit hat Lewinski zum Ausgangspunkt seiner Unter¬
suchungen genommen und seinerseits das Hippursäuresynthesevermögen
des Menschen studirt.
Dabei kommt er dann zu folgenden Versuchsresultaten.
Versuch I. Verabreicht 12 g Benzoesäure, wiedergefunden 12,48
(als Hippursäure) id est 104 pCt. der Einnahme.
Versuch II. Verabreicht 20 g Benzoesäure, wiedergefunden 19,92 g
an Glykokoll gebundene Benzoesäure = 99,6 pCt. der Einnahme.
Versuch III. Verabreicht 25 g Benzoesäure, wiedergefunden 23,97 g
als Hippursäure, als ungepaart 1,65 g, i. Sa. = 25,62 = 102,5 pCt. der
Einnahme.
Versuch IV. Verabreicht 40 g Benzoesäure, wiedergefunden
als gebundene an Glykokoll = 27,61 g
als freie = 9,69 g.
Dazu kommt als Benzoesäureglykuronsäure (entsprechend dem Gehalt
1) Arch. f. expcrim. Patb. u. Pharm. Bd. 58. 1908.
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732
Th. Brugseh,
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des Harns an 0,25 pCt. rechtsdrehender Substanz) = 4,18 g 1 ). In Summa
also wiedergefunden = 41,48 g = 103,7 pCt. der Einnahme.
Berechnet man dabei, dass bei gemischter Diät der Mensch etwa
0,7—1,0 g Hippursäure, also etwa 0,5—0,7 g Benzoesäure ausscheidet,
so müssen wir zu dem Resultate kommen, dass Lewinski geradezu
ideal gearbeitet haben muss.
Wie sticht er dabei ab gegen Autoren wie Harsveld u. Stokvis,
die, wie Lewinski selbst citirt, an gesunden und nierenkranken Menschen
durchschnittlich 50—60 pCt. Verluste der zugeführten Benzoesäure erhalten.
Und nun gar meine Versuche! Ich finde eine relativ so kleine
Menge Hippursäure, dass sie sich ja nicht im entferntesten mit den
Mengen von Lewinski messen kann. Seo 2 ) an der Minkowski’schen
Klinik hat auch bereits die Erklärung dafür an der Hand:
„Derartige Verschiedenheiten in den Resultaten können selbstver¬
ständlich nur durch Versuchsfehler erklärt werden. Sofern es sich um
Mängel der zur quantitativen Bestimmung angewandten Methoden handelt,
so können diese durch Controlbestimmungen, durch Nachprüfungen und
Vergleiche mit den Resultaten besserer Methoden allenfalls ermittelt
werden. Sehr viel bedenklicher ist eine andere Fehlerquelle, weil diese
im Einzelfalle in einem sehr verschiedenen und nachträglich nicht con-
trolirbaren Grade sich geltend machen kann: das ist die Zersetzbarkeit
der Hippursäure durch Fermente und Bakterien. u
Also die leichte Zersetzbarkeit der Hippursäure wäre bei mir anzu¬
schuldigen!
Ich kannte die bezügliche Literatur sehr gut und wusste, dass in
ammoniakalischen und eiweissreichen Harnen Hippursäure sich leicht
zersetzt; die von mir untersuchten Harne waren indessen sauer, eiweiss-
frei und wurden frisch untersucht. Ich habe übrigens, um den Einfluss
der Zersetzlichkeit der Hippursäure kennen zu lernen, 5 g Hippursäure
zu 1 Liter hippursäurefreiem Harn zugesetzt, diese 24 Stunden offen
stehen lassen und die Hippursäure in annähernd derselben Menge wieder¬
gewonnen. Ich kann daher Seo versichern, dass das nicht die Differenz
unserer Versuchsresultate ist.
Bleibt die Frage der Methodik. Ehe ich auf diese näher eingehe,
möchte ich nur wenige Worte über die Möglichkeit einer mehr minder
vollständigen Resorption von Benzoesäure sagen. Diese Möglichkeit liegt
ja vor, ist indessen, wie mich neuere Versuche, auf die ich demnächst
zurückkomme, gelehrt haben, nicht sehr gross, wenn man benzoesaures
Natron verfüttert.
Hingegen kann schon eine gewisse Differenz in der Ausbeute der
Hippursäure zu Stande kommen, wenn man, statt auf ein- oder zweimal
die Benzoesäure zu geben, wie ich es in meinen früheren Versuchen
gemacht habe, die Benzoesäure über den Tag vertheilt giebt. Das würde
1) Berechnet nach Magnus-Levy.
2) Ueber die Hippursäurespaltung durch Bakterien und ihre Bedeutung für
den Nachweis von Benzoesäure und Glykokoll im Harne. Arch, f. exper. Path. u.
Pharm. Bd. 58. 1908.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
lieber die Grenzen der Hippursäurebildung beim Menschen.
733
indessen nicht die grossen Differenzen zwischen Lewinski und mir
erklären können.
Es bleibt also an der Methodik hängen. Ich habe die Hippursäure-
bestimraung derart angestellt, dass ich den Alkoholextract des alkalisch
eingedampften Urins vorsichtig abdarnpfte, mit Salzsäure zerlegt und,
nachdem er mit Petroläther ausgeschüttelt worden war, mit Essigäther
extrahirte. Den Essigäther liess ich in offener Schale verdampfen, ver¬
seifte den Rückstand durch mehrstündiges Kochen mit KOH am Rück¬
flusskühler und unterwarf schliesslich die Benzoesäure nach Ansäuern der
alkalischen Lösung durch Phosphorsäure der Darapfstromdestillation. Die
Benzoesäure wurde dann gravimetrisch festgestellt. Das Verfahren wurde
seiner Zeit von Wiechowski ausprobirt und ist fraglos für den Nach¬
weis kleiner Mengen Benzoesäure bezw. Hippursäure vortrefflich. Bei
grösseren Mengen scheinen nach meinen jetzigen Erfahrungen Verluste
kaum vermeidlich, und so ist es auch durchaus möglich, ja wahrschein¬
lich, dass die Hippursäuremengen, die ich erhalten habe, zu klein aus¬
gefallen sind. Indessen würde das immer noch nicht die grossen Diffe¬
renzen zwischen mir und Lewinski erklären.
Lewinski verwandte das Schmiedeberg-Bunge’sche Verfahren
der Hippursäurebestiramung. Da ich das Verfahren genau kenne und
die Leistungsfähigkeit desselben geprüft habe, so kann ich nur sagen,
dass ich nicht im Stande bin, mit der souveränen Sicherheit wie Le¬
winski die Hippursäure mit nur einem Verlust von 2 pCt. wiederzu¬
finden. Reinigt man gar die Hippursäure durch Umkrystallisiren mit
Thierkohle, so dass die Hippursäure rein krystallisirt, so erhält man zu
kleine Werthe, oft sogar viel zu kleine Werthe; es ist deshalb ja auch
die Bestimmung der Hippursäure als Benzoesäure nach Dampfstrom¬
destillation vorgeschlagen worden.
Aber ganz abgesehen davon würde diese Methode bei der Verar¬
beitung grösserer Hippursäuremengen beim Menschen bisher noch als die
relativ brauchbarste anzusehen sein und Lewinski’s Resultate durchaus
als einwandsfrei anzusehen sein, wenn nicht — sich folgender unschein¬
barer Passus bei Lewinski vorfände.
Lewinski sagt: „Zur Methode ist zu bemerken: der frisch ent¬
leerte Harn wurde in einer Vorlage gesammelt, in der sich 30 ccm Acid.
carbol. liqu. befanden.“
Mit derartig carbolisirten Harnen stellt Lewinski die Hippursäure¬
bestimmung nach Schmiedeberg-Bunge an! Lewinski hätte sich
aber wohl Folgendes überlegen können: In Alkohol ist Carbol glänzend
löslich, in Essigäther ebenso, wenn nicht noch besser! Bei der Anstellung
der Hippursäurebestiramung in dieser Weise bei carbolisirten Harnen be¬
kommt man unfehlbar Carbol in den Essigätherextract und wägt un¬
fehlbar Carbol mit der Hippursäure. Das Schlimme ist, dass,
wenn man nicht daran gedacht hat, einem sehr leicht dieser Umstand
entgehen kann, wie er ja Lewinski völlig entgangen ist.
Ich habe in einem Versuche die Carbolsäure vor der Hippursäure¬
bestimmung zugesetzt und dabei natürlich viel zu grosse Werthe gegen¬
über der Controlbestimmung erhalten.
Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. ah
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
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Th. Brugsch,
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Dadurch entziehen sich natürlich sämmtliche Werthe
Lewinski’s der sicheren Beurtheilung. Die Versuche sind
werthlos. Wie wunderbar hat bei Lewinski der Zufall mitgespielt,
dass er ihn stets 100 pCt. der Benzoesäure wiederfinden liess!
Es lässt sich auch nicht dagegen ein wenden, dass man den Harn
eindampft und ebenso den Alkoholextract. Natürlich wird dabei mehr
minder viel Carbol dabei entweichen, je nach dem Grade des Ein¬
dampfens, aber längst nicht alles, und eine Bestimmung, bei der
man durch Zusatz von Substanzen, die in die Extractmittel
hineingehen, sich ganz uncontrolirbare Verhältnisse schafft,
darf man füglich nicht als chemisch bezeichnen.
Lewinski schreibt S. 399 seiner Arbeit:
„Zudem war es für die hier aufgeworfenen Fragen zweifellos von
Vortheil, dass bei dieser Methode die Hippursäure in Substanz zur
Darstellung gelangt, so dass eine Identißcirung der gewonnenen Sub¬
stanz und eine Controle ihrer Reinheit jederzeit leicht möglich war.“
Weder aber findet man in dem Protokolle seiner Versuche etwas
über Schmelzpunktsanalyse, noch über Analyse des N-Gehaltes der Sub¬
stanz. Ich habe gerade bei der Analyse des Schmelzpunktes in dem
ä la Lewinski angestellten Versuche Carbolsäurekrystalle und Hippur-
säurekrystalle durch ihre verschiedenen Schmelzpunkte differenziren
können.
Zur Fortsetzung der von mir begonnenen und s. Zt. auch in Aus¬
sicht gestellten Versuche hatte ich Herrn Dr. Tsuchiya aufgefordert,
der sich dieser Mühe unterzogen hat und dessen Methode, wie ich mich
persönlich überzeugt habe, einwandsfrei war. Seine Resultate sub-
stituiren daher die Lewinski’schen, die sich in jeder Weise
einer wissenschaftlichen Beurtheilung entziehen 1 ).
Schliesslich möchte ich mir noch einige Bemerkungen zur Bestimmung
der Hippursäure beim Menschen gestatten. Ich bin dazu angeregt durch
Magnus-Levy’s Untersuchungen über die Benzoe-Glykuronsäure.
Zur Bestimmung der Gesammtbenzoesäure beim Menschen reicht
nach unseren jetzigen Erfahrungen die Schmiedeberg-Bunge’sche
Methode nicht aus, da in den Alkoholextract zwar ein Theil der Benzoe-
säure-Glykuronsäure hineingeht, der alsdann als freie Benzoesäure be¬
stimmt wird, z. Th. aber auch in dem Rückstand bleibt 2 ).
Magnus-Levy schlägt deshalb für benzoesäure- und hippursäure¬
reiche Urine vor, den Urin auf 1 / 4 —y 6 einzudampfen und ihn mit
kleinen Mengen Schwefelsäure zu fällen und die ausgefallene Hippursäure
nach Trocknung und Waschung zu wägen. Das Filtrat mit Aether zu
extrahiren und den Aetherextract weiter auf freie Benzoesäure (die
z. Th. vielleicht auch noch aus der Glykuronsäure-Benzoesäure stammen
mag) und Hippursäure zu verarbeiten. Auf diese Weise sollen sich die
Hippursäure und freie Benzoesäure am besten trennen lassen.
1) Siehe die Arbeit von I)r. Tsuchiya in diesem Hefte.
2 ) Es sei hier auch ausdrücklich betont, dass durchaus nicht immer in den
Alkoholextract die gesummte Hippursäuie bozw. Benzoesäure (freie) hineingeht!
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
lieber die Grenzen der Hippursäurebildung beim Menschen.
735
Ich habe das Verfahren geprüft und möchte es für menschliche
Harne dahin modificiren, dass man den (hippursäurereichen) Harn event.
bei nicht zu stark alkalischer Reaction nur so weit eindampft, dass
seine Concentration ca. (und wenigstens) 1 proc. Hippursäure beträgt.
Zu 100 ccm Harn setzt man dann 5 ccm conc. H 2 S0 4 und lässt
24 Stunden auf Eis stehen; dann fällt die Hippursäure in schönen
langen Nadeln (zu 80—90 pCt. der Gesammtmenge) aus; diese Hippur¬
säure wird abgenutscht und mit wenig Wasser gewaschen, getrocknet,
dann mit Petroläther mehrmals gewaschen, getrocknet (und provisorisch
gewogen).
Das Filtrat (Urin -f- Waschwasser) wird 5 mal mit Aether ausge¬
schüttelt, der Aether einige Male mit Wasser gewaschen, das zu dem
Filtrat zurückgegossen wird. Den Aether lässt man in flacher Schale
abdunsten, extrahirt mit Petroläther (5 X 20 ccm). (Man benutzt den
zur Reinigung der Hippursäure gebrauchten.) Der Petroläther wird im
Schütteltrichter mehrmals mit Barytwasser ausgeschüttelt, das Baryt¬
wasser mit Phosphorsäure angesäuert und der Dampfstromdestillation
unterworfen. Das Destillat kann titrirt und auf Benzoesäure berechnet
werden (freie Benzoesäure). Der Rückstand in der Porzellanschale wird
in 100 ccm Wasser aufgenommen und zusammen mit der ersten (bereits
provisorisch gewogenen) Hippursäure dann unter Zusatz von 100 ccm
concentrirter H 2 S0 4 der Dampfstromdestillation unterworfen. Das
Destillat kann wieder titrirt und auf Benzoesäure (als gebundene) bezw.
Hippursäure berechnet werden. (Besser ist die gravimetrische Be¬
stimmung.)
Um nun die Gesamratbenzoesäure zu bestimmen, verfährt man nach
dem Vorbilde von Pfeiffer, Bloch und Riecke 1 ), indem man den
Harn bei einer Concentration von 50 pCt. H 2 S0 4 destillirt. Man muss
es indessen aber nicht so machen, wie z. B. auch Seo es angestellt
hat, dass man einfach destillirt und dann, wenn sich die Concentration
geändert hat, wieder H 2 0 zusetzt und wieder destillirt, sondern einfacher
und sicherer so, dass man den Harn bei einer Concentration von
50 pCt. H 2 S0 4 , die sich während des ganzen Versuches völlig aufrecht
erhalten lässt, der Dampfstromdestillation unterwirft. Man destillirt
dabei 2 Liter Wasser durch indem man in die Vorlage Na^CC^ giebt,
dampft das alkalische Destillat ein und extrahirt mit Petroläther in einer
Extractionsflasche, nachdem man mit HCl angesäuert hat. Der Petrol¬
äther wird in entsprechender Flasche abgeblasen und die Benzoesäure
gewogen (vergl. Wiechowski, Hofmeisters Beiträge. Bd. VII).
Auf diese Weise erhält man dann 1. die Gesammtbenzoesäure,
2. die an Glykokoll gebundene und 3. die ungebundene Benzoesäure,
als Differenz die Glukuronsäure-Benzoesäure.
Man kann statt dessen auch das Filtrat der Hippursäure, das mit
Aether mehrmals extrahirt wurde, der Dampfdestillation unterworfen,
nachdem man noch concentr. H 2 S0 4 (bis zur Concentr. von 50 pCt.)
1) Mittheilungen des landwirtschaftlichen Instituts der Universität Breslau.
11. 237-293. 1905.
47*
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Go igle
Original fro-m
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736 Th. Brugsch, Ueber die Grenzen der Hippursäurobildung beim Menschen.
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zugesetzt hat; dann erhält man im Destillat die Glukuronsäure-Benzoe¬
säure als Benzoesäure.
Diese Methodik der Hippursäure-Benzoesäure- und Glykoronsäure-
benzoesäurebestimmung dürfte sich als die quantitativste und einwands¬
freieste bei grösseren Benzoesäure- bezw. Hippursäuremengen empfehlen.
Auch bei der Schmiedeberg-Bunge’schen Hippursäurebestimmung dürfte es
sich empfehlen, nach Verdunstung des Essigäthers und nach Extraction des Rück¬
standes mit Petroläther die Hippursäure, statt sie mit Thierkohle zu reinigen, der
Dampfstromdestillation in einer Concentration von 50 pCt. H 2 S0 4 zu unterwerfen und
das Destillat in oben angegebener Weise gravimetrisch oder titrimetrisch zu bestimmen.
Nach der oben angegebenen Weise habe ich nun bei einem Patienten,
dem 30 g Na. benzoicum verabreicht worden waren, im Harn (2 Liter)
an Gesammtbenzoesäure wiederfinden können:
Durch Dampfstromdestillation mit 50 pCt. H 2 S0 4
= 22,2 g Benzoesäure (das sind rund 90 pCt. der Einnahme).
An freier Benzoesäure = 0.
An glykokollgebundener Benzoesäure = 11,6 g.
Mithin waren als Benzoesäureglykuronsäure vorhanden =
10,6 g Benzoesäure = 43 pCt. der aufgenommenen Benzoesäure und
47,7 pCt. der ausgeschiedenen Benzoesäure.
Da nunmehr auf diese Weise eine exacte Trennung der drei
Fractionen möglich geworden ist, verdient die Frage der Benzoesäure¬
bindung im Organismus erneutes Interesse; ich habe gemeinsam mit
Dr. Tsuchiya die Versuche darüber aufgenommen und werde in Kürze
darüber berichten. (Die Versuche sind bereits abgeschlossen und werden
im nächsten Heft dieser Zeitschrift publicirt.)
Gck igle
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XL VII.
Aus der II. medicin. Universitätsklinik Berlin.
Ueber den Umfang der Hippursfturesynthese beim Menschen.
Von
Dr. Iwaho Tsuchiya in Tokio (Japan).
In einer Arbeit über die Rolle des Glykokolls im intermediären
Eiweissstoffwechsel beim Menschen 1 ) kam Brugsch auf Grund einiger
Versuche nach Benzoesäurefütterung zu dem Resultat, dass man durch
grosse Mengen Benzoesäure intermediär dem Menschen nicht mehr
Glykokoll entziehen kann, als man nach dem erwarten kann, was wir
durch die Hydrolyse des Eiweisses in vitro über den Glykokollgehalt
des Eiweisses wissen.
In der Minkowski’schen Klinik hat nun Lewinski 2 ) auf Grund
der Arbeit von Brugsch Versuche in gleicher Richtung angestellt, wobei
er fand, dass man durch Benzoesäurezufuhr beim Menschen dem Orga¬
nismus Glykokollmengen entziehen kann, „deren Beziehung zum Gesammt-
N den von Brugsch normirten Grenzwerth von 3 pCt. weit hinter
sich lässt.“
Die Versuche von Lewinski sind aber, wie Brugsch in der vor¬
hergehenden Mittheilung kurz darlegt, für die Beurtheilung dieser Ver¬
hältnisse werthlos, weil Lewinski, um die Gefahr der Hippursäure¬
spaltung zu umgehen, dem Harn jedesmal 30 ccm Acidum carbolicum
liquefactum zugesetzt hat. Da die Carbolsäure von Alkohol und Essig¬
äther gut aufgenommen wird, so ist das, was Lewinski als Hippursäure
wog, eben nicht reine Hippursäure, sondern eine Mischung von Hippur¬
säure und Carbol (das unter diesen Umständen auch krystallisiren kann).
Die Frage der Hippursäuresynthese steht also vorläufig noch auf
dem von Brugsch verlassenen Standpunkte, dessen Versuche ich auf
seine Veranlassung fortgesetzt habe.
Um der Gefahr der nachträglichen Hippursäurespaltung im Urin zu
entgehen, die im Uebrigen durchaus nicht (bei saurem Urin) so gross
ist, wie die Erfahrungen der Min ko ws kUschen Klinik zu zeigen scheinen,
habe ich dem unmittelbar von den Patienten in eine Flasche entleerten
1) Centralbl. f. die Path. u. Physiol. des Stoffwechsels. 1907. No. 14.
2) Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 58. 1908.
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738
I. Tsuchiya,
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Urin Chloroform zugesetzt (Durchschüttelung des Urins!), wodurch jede
Spaltung der Hippursäure sicher vermieden wird.
Die Benzoesäure wurde in kleineren Portionen über den Tag (d. h.
innerhalb 12 Stunden) vertheilt gegeben, der Harn während 24 Stunden,
vom Beginn des Versuches an gerechnet, aufgefangen.
Als Verfahren der Hippursäurebestimmung wählte ich die von
Schmiedeberg und Bunge angegebene Methode, wobei ich zum An¬
säuern des Alkoholextractes in den meisten Fällen Phosphorsäure statt
Salzsäure verwandte; im Uebrigen wurde meine Bestimmung der Hippur¬
säure ganz nach der von den Autoren gegebenen Vorschrift ausgeführt.
Die Personen, denen die Benzoesäure verabreicht wurde, waren
Patienten, die nur an arthritischen Beschwerden litten, deren innere
Organe aber sonst völlig gesund waren.
Versuch I.
Frau E. 50 Jahre. Erhält innerhalb 12 Stunden 2 mal 2 g Aci¬
dum benzoicum.
24 ständige Harnmenge 1000 ccm.
Ausgeschieden:
Gesammt-N = 13,02 g.
Hippursäure = 2,136 g.
Glykokoll-N in der Hippursäure = 0,167 g.
Demnach Glykokoll: Gesammt-N = 1,28 pCt.
Versuch 11.
Frau E. 50 Jahre. Erhält innerhalb 12 Stunden 3 mal 2 g Aci¬
dum benzoicum.
24 ständige Harnmenge 1900 ccm.
Ausgeschieden:
Gesammt-N = 13,98 g.
Hippursäure — 3,28 g.
Glykokoll-N in der Hippursäure = 0,256 g.
Glykokoll-N: Gesammt-N = 1,83 pCt.
Versuch III.
Frau E. 50 Jahre. Erhält innerhalb 12 Stunden 15 g Acidum
benzoicum (in 5 Portionen).
24 ständige Harnmenge = 2680 ccm.
Gesammt-N = 12,16 g.
Hippursäure = 4,88 g.
Glykokoll-N in der Hippursäure = 0,382 g.
Glykokoll-N: Gesammt-N = 3,14 pCt.
Versuch IV.
Frau E. 50 Jahre. Erhält innerhalb 12 Stunden (in 5 Portionen)
20 g Acidum benzoicum.
24 ständige Harnmenge = 1820 ccm.
Gesammt-N = 11,62 g.
Hippursäure = 6,701 g.
Glykokoll-N in der Hippursäure = 0,524 g.
Glykokoll-N: Gesammt-N = 4,51 pCt.
Gck igle
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Ueber den Umfang der Hippursäuresynthese beim Menschen. 739
Versuch V.
Frau E. 50 Jahre. Erhält innerhalb 12 Stunden (in 5 Portionen)
15 g benzoesaures Natron = 12,3 g Benzoesäure.
Gesammt-N = 11,38 g.
Hippursäure = 6,92 g.
Glykokoll-N in der Hippursäure = 0,541 g.
Glykokoll-N: Gesammt-N = 4,75 pCt.
Versuch VI.
Frau E. 50 Jahre. Erhält innerhalb 12 Stunden (in 5 Portionen)
20 g benzoesaures Natron = 16,4 g Benzoesäure.
Ausgeschieden:
Urinmenge 2250 ccm.
Gesammt-N — 11,66 g.
Hippursäure = 11,5 g.
Glykokoll-N in der Hippursäure = 0,899 g.
Glykokoll-N: Gesammt-N = 7,71 pCt.
Versuch VII.
Frau B. 40 Jahre. Erhält innerhalb 12 Stunden (in 5 Portionen)
15 g benzoesaures Natron = 12,3 g Benzoesäure.
Ausgeschieden:
Urinmenge 1070 ccm (innerhalb 12 Stunden).
Gesammt-N = 6,08 g.
Hippursäure = 4,43 g.
Glykokoll-N in der Hippursäure = 0,346 g.
Glykokoll-N: Gesammt-N = 5,7 pCt.
Versuch VIII.
Patient G. 50 Jahre. Erhält innerhalb 12 Stunden (in 6 Portionen)
30 g benzoesaures Natron = 24,6 g Acidum benzoicum.
Ausgeschieden:
Urinmenge = 2000 ccm.
Gesammt-N = 12,04 g.
Hippursäure = 17 g 1 ).
Glykokoll-N in der Hippursäure = 1,33 g.
Glykokoll-N: Gesammt-N = 11,04 pCt.
Ueberblicken wir diese Versuche, so ergiebt sich zunächst, dass man
allerdings durch sehr grosse, über den Tag vertheilte Dosen von Benzoe¬
säure dem menschlichen Organismus mehr Glykokoll entziehen kann,
als dem Werthe entspricht, den man in vitro durch Hydrolyse einer
Menge Eiweiss erhält, welche der während der Benzoesäureausscheidung
ausgeschiedenen Stickstoffmenge des Harns adaequat ist. Indessen sind
die Maximalwerte keineswegs derartig grosse, dass man ohne Weiteres
anzunehmen berechtigt wäre, dass beim Menschen das Glykokoll wirklich
1) Die Bestimmung der Hippursäure wurde hier nach einer anderen Methode
ausgeführt (s. die vorangehende Arbeit von Brugsch).
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
I. Tsuchiya
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no
auf anderem Wege entstünde als durch fermentative Hydrolyse des
Eiweisses. Vergleicht man die durch Benzoesäure herausgezogenen
N-Mengen in ihrer Relation zum Gesammtstickstoff mit den Mengen, die
man beim ausgesprochenen Herbivoren herausziehen kann, so tritt das
Hippursäurepaarungsvermögen beim Menschen fraglos zurück gegenüber
dem Herbivoren. So fand beispielsweise Wiechowski 1 ) beim Kaninchen
das Verhältniss von N bis au f 64 pCt. heraufgehend, Magnus-
Gesammt-Is r
Lcvy 2 ) beim Hammel bis zu 27,8 pCt. Allerdings lässt sich der Ein¬
wand erheben, dass auch beim Menschen durch noch viel grössere Dosen
sich der Quotient ^jkokoll N ^ ^ re j6 en lässt, das mag ja sein,
Gesammt-N
indessen ist es unwahrscheinlich, dass sich auch dann dieser Quotient
bis zu solcher Höhe erhebt, wie bei den Herbivoren.
Verfolgt man in unseren Versuchen das Verhältniss der als Hippur¬
säure ausgeschiedenen Benzoesäure zu der eingegebenen Benzoesäure, so
erhalten wir folgende Werthe:
ö
b
a
Ausgeschiedene
b X 100
'o
3
Eingegebene Benzoe¬
Hippursäure auf
a
C/i
Ui
säure in Gramm
Benzoesäure
>
berechnet
pCt.
1
n
4
Versuche i g
1,455
2,234
36,4
37,2
in
IV
mit reiner < ^
Benzoesäure [ gQ
3,323
4,56
22,15
22,8
V
Versuche ( 12,3
4,61
37,5
VI
mit Benzoe- < 16,4
7,83
47,8
vm
säure-Natron [ 24,6
11,58
47,1
Ueberblickt man diese Zahlen, so kann man Folgendes sagen: Ent¬
weder ist die verabreichte Benzoesäure nicht ganz resorbirt worden, oder
aber der Körper des Menschen ist principiell nicht im Stande, die ge-
sammte Benzoesäure mit Glykokoll zu entgiften. Den Rest würde er
dann entweder als freie Benzoesäure oder als eine in anderer Form ge¬
bundene Benzoesäure ausscheiden müssen 3 ). Dass er letzteres wirklich
thut, nehmen wir vorweg und bemerken gleichzeitig, dass nach unseren
gemeinsam mit Brugsch erhobenen Erfahrungen, die wir demnächst
publiciren werden, die Bindung der Benzoesäure in anderer Form beim
Menschen eine grosse Rolle spielt.
Was die Resorption anbelangt, so wird benzoesaures Natron nach
unseren Erfahrungen anscheinend vollständig resorbirt, darüber werden
wir demnächst ebenfalls mit Brugsch zusammen berichten; indessen
scheint es, als ob die Benzoesäure, als solche verfüttert, nicht so gut
1) Hofmeisters Beiträge. Bd. VII.
2) Münch, med. Wochenschr. 1905. S. 2168.
3) Die Möglichkeit einer Oxydation von Benzoesäure käme allerdings auch in
Frage; darüber werden wir später berichten.
Gck igle
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lieber den Umfang der Hippursäuresynthese beim Menschen.
741
resorbirt würde, daher die relativ niedrigen Werthe des Verhältnisses
— Hippursäure^ j n ( j en Versuchen 111 und IV.
eingenommene Benzoesäure
Wäre nun der Organismus wirklich im Stande, selbst bei sehr
grossen Dosen von verabreichter Benzoesäure stets bis zu 50 pCt. der
Benzoesäure zu entgiften, so Hesse sich a priori das Maximum der
Glykokollausscheidung (bei Kenntniss der N-Menge des 24 Stunden-Harns)
berechnen. Indessen beweisen Versuche von Weiske 1 ) und Magnus-
Levy 2 ), dass beim Hammel das Hippursäuresynthesevermögen doch bis
zu einem gewissen Grade limitirt ist. 15 g Benzoesäure wandelt der
Hammel noch glatt in Hippursäure um. Bei Dosen von 40—50 g wird
indessen bereits 11—15,8 (Minimalwerthe!) in anderer Weise als an
Glykokoll gepaart ausgeschieden; dabei scheint nach den in der Lite¬
ratur vorliegenden Versuchen die Hippursäuresynthese progressiv mit der
verabreichten Dosis Benzoesäure abzunehmen. Das Gleiche sollte man
auch für den Menschen annehmen; dass dem wirklich so ist, werden
unsere Versuche, die wir weiter unternommen haben, lehren.
1) Zeitsohr. f. Biol. Bd. 12.
2) 1. c.
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XL VIII.
Aus der II. medicinischen Klinik der Königl. Charite.
Ein Beitrag zum Verhalten des Trypsins jenseits
der Darmwand.
Von
Dr. Karl Bamberg,
Vol.-Aesistent der Klinik.
Es giebt in der menschlichen wie in der thierexperimentellen Pa¬
thologie Processe, bei denen viel Pankreaszellinhalt bezüglich Pankreas-
secret vom Peritoneum aus zur Resorption gelangen muss, Processe, die
man als acute Pankreatitis, acute Pankreasnekrose, oder auch besser
mit Chiari (1) als „Pankreasautodigestion“ bezeichnet.
Die Resorption dieser Stoffe führt, wie v. Bergmann (2) und Gu-
leke (2) gezeigt haben, zur tödtlichen Vergiftung. Es besteht die Mög¬
lichkeit, dass als Folge der vermehrten Resorption grössere Mengen von
aus dem Pankreas stammenden Substanzen im Urin ausgeschieden werden.
Vor Allem ist demnach zu prüfen, ob Trypsin im Urin erscheint, und
dann, ob gewisse Serumveränderungen in Bezug auf tryptische und anti-
tryptische Kräfte sich bemerkbar machen. Beides könnte diagnostische
Bedeutung gewinnen.
Es ist dies ein Gedankengang, dem v. Bergmann wiederholt ge¬
folgt ist. Im Anschluss an seine und Guleke's experimentelle Arbeiten be¬
züglich des Wesens und der Todesursache bei acuter Pankreasautodigestion
habe ich auf Veranlassung von Dr. v. Bergmann die folgenden Unter¬
suchungen angestellt, die sich uns bald dahin erweiterten, allgemeiner
zu fragen, was wird aus dem Trypsin, bezüglich den tryptischen Fer¬
menten überhaupt jenseits der Darmwand? Während der Verdauung
müssen ja höchst wahrscheinlich erhebliche Trypsinmengen in die Blut¬
bahn gelangen, welches ist dort ihr Schicksal, und wie verhält sich
Trypsin, das auf anderem Wege beigebracht wird, etwa subcutan oder
vom Peritoneum aus in der Art, wie es bei den Experimenten zur Er¬
zeugung acuter Pankreasautolyse v. Bergmann (2) und Guleke (2)
ausgeführt haben?
Die nächste Aufgabe war es, in obigem Sinne die schon oft stu-
dirten Fragen nach dem Auftreten von Trypsin im Harn unter normalen
und pathologischen Bedingungen noch einmal anzugehen.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHtGAN
Ein Beitrag zum Verhalten des Trypsins jenseits der Darmwand.
743
Die Literatur über dieses Gebiet ist sehr umfangreich. Aeltere An¬
nahmen über ein regelmässiges Vorhandensein von Trypsin im Harn
(Sahli, Gehrig) wurden durch eine gründliche Kritik Leo’s (3) besei¬
tigt. Eine eingehende Arbeit Hoffraann’s (4), bei Grützner ausge¬
führt, kam dann ebenfalls zu dem Ergebniss, dass Trypsin im Harn in
der Norm niemals vorkommt. Für unsere Fragestellung ist aber ein
Befund von ganz besonderer Bedeutung, auf den Hoffmann ganz am
Schluss seiner Arbeit hinweist. Er fand bei einem Kaninchen nach
Unterbindung des Ductus pancreaticus Trypsin in reichlicher Menge im
Harn. Die späteren Befunde in der Literatur sind fast durchgehend
dahin einig, dass Trypsin im Harn nicht vorkommt. Nur in neuester
Zeit wurden positive Resultate publicirt von Brodzki (5). Das Wider¬
sprechende erklärt sich zum Theil in der Schwierigkeit einer für den
Urin völlig einwandsfreien Methode. Das Lösen einor Fibrinflocke, das
Verweilen von Mett'sehen Röhren durch lange Stunden in einer Flüssig¬
keit von so wechselnder Salzconcentration wie dem Harn, das leichte
Faulen des alkalisch gemachten Urins u. s. w. trug zum Theil Schuld
an den widersprechenden Resultaten, v. Bergmann hat nun vor län¬
gerer Zeit bei normalen und im Gegensatz dazu bei Hunden nach ex¬
perimenteller Pankreasautodigestion versucht, Trypsin im Harn aufzu¬
finden. Fast alle verfügbaren Methoden wurden herangezogen: Der
Nachweis durch die Lösung einer einfachen Fibrinflocke, oder die Ver¬
dauung von Eiweissscheibchen, der Nachweis mit durch Magdalaroth ge¬
färbtem Fibrin, der Nachweis mit Mett’schen Röhren, auch nach Ge¬
winnung des Ferments im Uranylacetatniederschlage. Am einwands¬
freiesten erschien noch die Methode von Schümm. Sie besteht im
Auftreten von Tyrosinnadeln in einer Lösung von Wittepepton als Aus¬
druck der tryptischen Verdauung. Neben ganz vorwiegend negativen
Resultaten gelang v. Bergmann in einem Falle experimenteller acuter
Pankreasnekrose des Hundes mit der Schumm’schen Methode der
Nachweis von Trypsin im Urin. Die Versuche sind eben wegen ihres
vorwiegend negativen Charakters anderwärts nicht publicirt worden.
Die abgebrochenen Versuche nahm ich nun wieder auf, nachdem
uns Fuld im Herbst 1907 die jetzt viel citirte Methode eines quanti¬
tativen Trypsinnachweises zur Verfügung gestellt hatte. Gross (6) hat
vor Fuld eine fast gleiche Methode publicirt. Nunmehr war Aussicht
vorhanden, das Problem zur Entscheidung zu führen.
Ich habe auf die Technik der Methode, die von uns zum Nach¬
weise antitryptischcr Wirkung erweitert wurde, an dieser Stelle nicht
ausführlich cinzugehen, ist sie doch in einer Arbeit von v. Bergmann
und Kurt Meyer (7) ausführlich in Bezug auf ihre Technik publicirt
worden. Gerade für den Nachweis von Trypsin im Harn bietet die
Caseinmethode im Gegensatz zu den früheren erhebliche Vortheile. Vor
Allem kommt die Gefahr, die frühere Untersucher vielfach irre geleitet
hat, nämlich die bakterielle Zersetzung des Urins nicht in Betracht, da
man im Stande ist, im frisch gelassenen Urin, nachdem er eine halbe
Stunde im Brutschrank geblieben ist, schon das Resultat zu erhalten.
Die überaus einfache Methode, bei der alle Controlen bequem angestellt
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
744
K. Bamberg,
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werden können, dürfte so sicher sein, dass technische Irrthümer wohl
mit Gewissheit ausgeschaltet werden können.
Man hat geltend gemacht, Trypsin werde im Harn deshalb nicht
gefunden, weil in der meist sauren Lösung das Harnpepsin das Trypsin
zerstöre, oder weil der Urin überhaupt nachtheilige Wirkung auf das
Trypsin habe.
Nachdem ich mich überzeugt hatte, dass ich mit der von mir ge¬
wählten Versuchsanordnung ein Decimilligramm des Trypsin, purissimum
Grübler in Lösung noch deutlich nachweisen konnte, und dass die
gleiche Menge einer 1 proc. Lösung stets fast genau gleich starke tryp-
tische Wirkung entfaltete (gleiche Lösungsbedingungen und Alkalescenz
vorausgesetzt), setzte ich zu 10 ccm menschlichen Urins, ebenso zu
Kaninchen- und Hundeharn 1 ccm einer 1 proc. Trypsinlösung. Nach
10 und 24 Stunden bei Zimmertemperatur, auch nach lOstündigem
Verweilen im Thermostaten war Trypsin auch in saurem Urin noch in
Mengen nachweisbar, die mit der Controle, bei der das Trypsin lediglich
mit physiologischer Kochsalzlösung versetzt war, gut übereinstimmten.
Gleichzeitig mit dem Zusatz der Caseinlösung wurden die Urine selbst¬
verständlich neutralisirt beziehungsweise schwach alkalisch gemacht
(s. Tabelle I).
Tabelle I.
Menschenharn sauer 9 ccm + 1 ccm einer cinprocentigcn Trypsinlösung (Trypsin,
purissimum Grübler).
Nach 10 und 24 Stunden bei Zimmertemperatur; beide Mal derselbe Ausfall
und zwar
1 proc.
Trypsinlösung
Kochsalz¬
lösung
Caseinlösung
Ausfall
ccm
ccm
ccm
1,0
0
2
verdaut
0,5
0,5
2
verdaut
0,1
0,9
2
nicht verdaut
0
1
2
nicht verdaut
Nach 10 und 24 Stunden in Thermostaten (2 gleiche Versuche).
1,0
0
2
verdaut
0,5
0,5
2
verdaut
0,1
0,9
2
nicht verdaut
0
1
2
nicht verdaut
Also auch nach 24 Stunden im Brutschrank kein Zurückgehen der tryp-
tischen Wirkung.
Damit ist gezeigt, dass die angenommene secundäre Zer¬
störung des Trypsins im Urin eine wesentliche Rolle nicht
spielt, also auch nicht den Grund für die negativen Befunde
des Trypsins im Urin abgeben kann.
Ich habe dann 14 menschliche Urine und 8 Hunde-Urine auf ihren
Trypsingehalt untersucht. Die Controlen wurden stets in der Weise
ausgeführt, dass die Urine in zwei Portionen getheilt wurden; die eine
Portion wurde aufgekocht, die andere nicht, mit beiden Proben wurden
Gck igle
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Ein Beitrag zum Verhalten des Trypsins jenseits der Darrawand.
745
die gleichen Reihen angesetzt. Jedesmal ergab sich, dass in beiden
Reihen die Resultate völlig übereinstimmten, dass also eine Verdauung
des Caseins niemals stattgefunden hatte, im Gegensatz zu anderen Con¬
trolversuchen, bei denen eine Spur Trypsinlösung (0,05 ccm einer lproc.
Lösung) zu 0,5 Urin zugesetzt waren; zur grösseren Anschaulichkeit
setze ich eines zahlreicher dieses Verhalten illustrirender Beispiele hierher
(s. Tabelle II).
Tabelle II.
Urinmcnge
ccm
Kochsalz¬
lösung
ccm
Caseinlösung
ccm
Ausfall
5
0
2
nicht verdaut
3
0
2
do.
1
0
2
do.
0,5
0,5
2
do.
0.3
0,7
2
do.
0,2
0,8
2
do.
0,1
0,9
2
do.
( 0,5+ 0,05 ccm
0,5
2
verdaut
Controle ( einer 1 proc.
1 Trypsinlösung
In der Meinung, dass die Verdauungsthätigkeit einen Einfluss in
Bezug auf die Trypsinausscheidung haben könne, habe ich bei denselben
Individuen, Menschen wie Hunden, zu verschiedenen Zeiten nach reich¬
licher Nahrungsaufnahme den Urin untersucht, aber stets mit negativem
Erfolge.
Ich komme also zunächst zu dem Schlüsse, dass im
menschlichen, wie im Kaninchen- und Hundeurin normaler
Weise eine tryptische Wirkung nicht nachweisbar wird mit
einer Methode, welche im Stande ist, in 5 ccm Urin noch 0,05 ccm
Trypsinlösung (1 proc. Lösung des Trypsin purissimum Grübler), d. h.
5 Decimilligramm des Pulvers ganz unzweifelhaft nachzuweisen.
Mein Resultat steht mit den älteren Angaben, soweit sie der Kritik
standgehalten haben, vollkommen im Einklang, scheint aber zu wider¬
sprechen den jüngsten Befunden von Brodzki (5), die für den Säug¬
lingsurin bis zu einem gewissen Grade von Benfey (8) bestätigt worden
sind. So chemisch einwandsfrei in der That der Nachweis einer proteo¬
lytischen Wirkung dadurch sein mag, dass der nicht coagulable Stick¬
stoff einer eiweisshaltigen Flüssigkeit zunimmt (Methode von Brodzki),
so sehr ist doch zu bedenken, dass bei der bekannten Schwierigkeit,
Eiweiss quantitativ in saurer Lösung zu coaguliren, auf kleine Differenzen
kein Gewicht gelegt werden darf. Es ist die Methode, durch Fällung
mit Säuren nachzuweisen, ob Casein in einer Lösung noch vorhanden
ist, gewiss chemisch auch etwas Zuverlässiges, wenn man bedenkt, dass
die Urine für unseren Nachweis immer stark verdünnt sind. Dass
Brodzki und Benfey aber auch erheblichere Unterschiede im Stick¬
stoff gefunden haben, als sie durch solche Irrthümer zu erklären wären,
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746
K. Bamberg,
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steht ausser Frage. Der Gegensatz meiner und ihrer Resultate liegt
meines Erachtens einfach darin begründet, dass sie 24 Stunden dem
Ferment Gelegenheit gegeben haben, verdauend einzuwirken, ich dagegen
nur 30 Minuten. In der That fand sich denn auch eine proteolytische
Wirkung, wenn ich, mit Mengenverhältnissen des Trypsins arbeitend, die
nach 30 Minuten nicht nachweisbar waren, meine Eprouvetten 24 Stunden
lang im Brutschränke stehen liess. Ich bin näher diesem Verhalten
nicht nachgegangen. Für unsere specielle klinische Fragestellung kommt
es vor Allem an auf das quantitative Resultat, dass in 5 ccm normalen
Urins jedenfalls weniger als 5 Decimilligramm trockenen käuflichen
Trypsinpulvers enthalten sein müssen, denn eine grössere Menge wäre
mit meiner Methode mit Sicherheit nachweisbar gewesen. Kleinere Mengen
Trypsin, die immerhin für andere Fragestellungen wichtig sein mögen,
lassen sich mit meiner Versuchsanordnung nicht nachweisen; über sie
wird also hier kein Urtheil abgegeben. Gerade darin liegt aber ein
Vortheil unserer Methode, dass wir, und darauf kommt es für unsere
Zwecke an, ein quantitatives Minimalmaass besitzen.
Ich habe nun 5—7 kg schweren Hunden Trypsinlösungen subcutan
beigebracht und verfolgt, bei welchen Dosen und wie lange nach der
Injection Trypsin im Harn auftritt. Auch bei Dosen von 0,5 g trockenen
Pulvers, als Lösung injicirt, war kein Trypsin im Urin nachweisbar.
Dagegen fand sich nach subcutaner Injection einer Lösung von 1,0 Trypsin
purissimum Grübler eine deutliche Ausscheidung, die über 24 Stunden
anhielt und nach approximativer Berechnung etwa die Hälfte der ein¬
geführten Dosis wieder erscheinen liess. Ich mache dabei allerdings die
willkürliche Annahme, dass das Proferment, welches wohl auch im Pulver
enthalten ist, nicht weiter beim Passiren des Körpers activirt wurde.
Damit ist gezeigt, dass erst gewaltige Dosen vom Körper
in der Form wirksamen Trypsin durch den Harn in nennens-
werther Menge eliminirt werden. Es kommt also anscheinend
parenteral zugeführtes Trypsin nicht leichter zur Ausschei¬
dung, wie in den Darm nach einer Mahlzeit ergossenes ver¬
dauendes Secret.
Schwindet damit die Hoffnung auch beinahe vollständig bei chro¬
nischem Zugrundegehen von Pankreasgewebe, etwa der Entwickelung
einer Pankreasnekrose, Trypsin im Harn zu finden, so wäre in einzelnen
klinischen Fällen sehr beschleunigter Pankreasautolyse ein Auftreten
immer noch denkbar. Ich habe, ganz analog wie v. Bergmann und
Guleke vorgegangen sind, das Pankreas eines Hundes in die Bauch¬
höhle eines anderen Versuchstieres implantirt. Ich beobachtete ganz
wie sie dieselben Vergiftungserscheinungen, die rasch innerhalb 24 Stunden
zum Tode führten, und kann auch den typischen Sectionsbefund nur be¬
stätigen; zum Theil sah ich ebenfalls schöne Fettgewebsnekrosen in der
Bauchhöhle, namentlich an Stellen, die mit den Pankreasstückchen in
unmittelbarer Berührung gewesen waren. Im Urin fand sich einmal
Trypsin unter 6 Fällen gerade eben nachweisbar; sonst waren auch hier
die Befunde stets negativ.
Endlich hatte ich Gelegenheit, an einem von Herrn Dr. Brugsch
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ein Beitrag zum Verhalten des Trypsins jenseits der Darmwand.
747
operirten Hunde den Urin nach Unterbindung des Hauptpankreasganges
zu untersuchen. Ich erhielt ebenfalls ein negatives Resultat.
Zusammengenommen mit dem einen positiven Resultate Hoffmann’s
am Kaninchen, mit dem positiven Befunde v. Bergmann’s, von dem
ich oben berichten durfte, führen auch meine Untersuchungen zu dem
Schlüsse, dass wohl einmal bei acutestem Zugrunde gehen des
ganzen Pankreas klinisch Trypsin im Urin gefunden werden
könnte, dass aber bei Weitem in der Mehrzahl der Fälle
gerade wie in unseren Experimenten das Resultat ein nega¬
tives sein dürfte. Aussicht auf diagnostische Verwerthbarkeit dieses
Befundes besteht also so gut wie nicht.
All dies Beobachtete lehrt uns in Uebereinstiminung mit den
früheren Autoren, dass Trypsin erst bei Ueberflutung des Organismus in
nennenswerther Weise zur Ausscheidung gelangen kann, dass dagegen
schon von sehr erheblichen Mengen nichts oder so gut wie nichts im
Urin erscheint.
Was wird aus dem Trypsin im Organismus? Die gewöhnliche An¬
nahme, dass es zerstört wird, erscheint mir nicht die einzige Möglich¬
keit. Es giebt mehrere solche, ausser der eigentlichen „Zerstörung 14 ,
d. h. wohl der chemischen totalen Destruction, nämlich ein Verschwinden
des Trypsins durch
1. Ablagerung in den Organen,
2. Neutralisation durch einen Antikörper,
3. endlich Dissociation des wirksamen Complexes, wenn man die
Annahme macht, dass erst das Zusammentreten von Protrypsin und
Kinase das eigentliche active Trypsin ausmacht. Die Forschung über
die proteolytischen Fermente in den Organen (autolytische Fermente) hat
erschlossen, dass es andere proteolytische Fermente sind, als das Pan¬
kreastrypsin [Jakobi (9)]. Aehnlich steht es mit dem jüngst viel
studirten proteolytischen Leukocytenferment [Jochmann und Müller
(10)]. Es ist aber dennoch möglich, dass neben den autolytischen
Fermenten auch Pankreastrypsin in den Organen unter Umständen vor¬
handen ist. Wichtiger erschien, den Zusammenhang mit dem anti-
tryptischen Verhalten des Serums zu ergründen, wie er seit den Arbeiten
Hahn’s (11), Landsteincr’s (12), Glässner’s (13), Camus’ und
Gley’s (14) u. A. m. bekannt ist.
Wir überzeugten uns, wie gut gerade eine antitryptische Function
mit unserer Methode nachgewiesen werden kann, indem wir einfach die
tryptische Kraft einer Lösung mit und ohne Serumzusatz miteinander
verglichen. Enteiweisste ich übrigens das Serum mit Kaolin, und ver¬
suchte ich dann die antitryptische Kraft im Filtrat festzustellen, so war
diese verloren gegangen.
Die von uns geübte Methode fand später Verwendung für eine
Austitrirung klinischer Fälle zum Zwecke einer Nachprüfung der
Brieger’schen Antitrypsinbestimmung, wie v. Bergmann und Meyer
(7) auseinandergesetzt haben. Niemals, auch nicht nach grössten In-
jectionen von Trypsin oder nach experimenteller Pankreasautolyse im Cavum
peritonei wurde die antitryptische Kraft des Serums überneutralisirt,
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
748
K. Bamberg,
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d. h. niemals ist im Serum nach solchen Eingriffen von mir proteo¬
lytische Wirksamkeit gefunden worden. Dagegen beobachtete ich öfters
ein verschieden starkes antitryptisches Verhalten im Serum der Hunde.
Diese Schwankungen sind von mir nicht völlig aufgeklärt worden. Es
zeigte sich aber jedenfalls nach Trypsininjection jedesmal eine Ver¬
mehrung des Antitrypsins, ebenso wiederholt nach experimenteller Pankreas¬
autodigestion. Ich habe dies mit v. Bergmann in der Berliner
klinischen Wochenschrift mitgetheilt und weise auf diese Publication hin
(15). Das gleiche Thier zeigte nach Trypsininjection einen höheren
Titer wie vorher, und das schon nach allerkürzester Zeit; daraus scheint
hervorzugehen die Fähigkeit des Organismus, mit antitryptischen Stoffen
sehr schnell auf Trypsineinfuhr zu antworten, sodass es eben nicht zum
Auftreten überschüssigen Trypsins im Organismus kommt. Die Regel¬
mässigkeit einer gewissermaassen immunisatorischen Antitrypsinbildung
ist durch weitere Thierversuche noch sicher zu stellen.
Die letzte Möglichkeit, der ich mich zuwandte, liegt in der An¬
nahme begründet, dass das Trypsin gewissermaassen latent würde; fassen
doch manche, vor allem Delezenne (16) die Umwandlung von Pro¬
trypsin in Trypsin so auf, wie eine Vereinigung von Protrypsin und
Kinase zum eigentlichen Trypsin, analog etwa wie in der modernen
Blutgerinnungslehre das Thrombin ein complexer Stoff ist und ähnlich die
meisten Hämolysine. In diesem Sinne habe ich studirt, ob im Urin
oder im Serum ein durch Kinase activirbares Protrypsin vorhanden ist.
So wurde ich zum Studium der Enterokinase geführt, gegen die ja nach
Delezenne das Antitrypsin des Serums gerichtet ist, sodass dieses
eigentlich eine Antienterokinase wäre. Nach Delezenne’s Vorschriften
habe ich Kinase aus abgeschabter Dünndarmschleimhaut wie aus frischem
Fibrin gewonnen und mich überzeugt, dass im Urin auch durch Ki¬
nase activirbares Protrypsin nicht vorhanden ist. Es konnte
mit meiner Enterokinase sehr schön demonstrirt werden, dass die ver¬
wendete Trypsinlösung reichlich Protrypsin enthält, d. h. nach Kinase¬
zusatz war der Titer proteolytischer Wirksamkeit ein viel
höherer (s. Tabelle III).
Versuche, nachzuweisen, ob das Antitrypsin wirklich eine Anti¬
enterokinase ist, haben noch zu keinem einwandsfreien Resultate geführt.
Es ergab sich bei bestimmten Mengenverhältnissen ein paradoxes Ver¬
halten, das an Analogien mit der Complementablenkung erinnert, wenn
man Kinase und Protrypsin vergleicht mit Corapleraent und Amboceptor.
Ein Amboceptorüberschuss scheint die Proteolyse durch solche Ablenkung
hemmen zu können.
v. Bergmann und Meyer sind des Weiteren damit beschäftigt,
die Rolle der Kinase und des Protrypsins in diesem Sinne zu unter¬
suchen. Soviel geht aber schon aus meinen Untersuchungen
hervor, dass die antitryptische Kraft im Serum, die schnell
um ein Mehrfaches gesteigert werden kann, genügt, selbst
grosse Mengen durch den Darm oder auf anderem Wege auf¬
genommenes Trypsin zu neutralisiren. Das erscheint nach
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ein Beitrag zum Verhalten des Trypsins jenseits der Darmwand.
749
Tabelle III.
a)
Serum
ccm
1 proc.
Trypsin lösung
ccm
Kochsalz¬
lösung
ccm
Caseinlösung
ccm
Ausfall
1
0,2
0
2
nicht verdaut
0,5
0,2
0,5
2
do.
0,3
0,2
0,7
2
do.
0,2
0,2
0,8
2
do.
Vio 1,0
0,2
0
2
do.
V io 0,5
0,2
0,5
2
do.
Vio 0,8
0,2
0,7
2
verdaut
V 10 0,2
0,2
0,8
2
do.
Vioo LO
0,2
0
2
do.
b)
Serum
ccm
1 proc.
Trypsinlösung
ccm
Enterokinase
ccm
Kochsalz¬
lösung
ccm
Caseinlösung
ccm
Ausfall
Vio
0,5
0,2
0,5
0,5
2
verdaut
V.o
0,5
0,2
0,05
0,5
2
do.
V10
0,5
0,2
0,005
0,5
2
do.
0
0,5
0,5
2
nicht verdaut
allem Vorausgegangenen der Grund, weshalb keine oder nur
unwesentliche Mengen von wirksamem Trypsin durch den
Harn eliminirt werden.
Literatur.
1) Chiari, Zeitsobr. f. Heilk. Bd. 18. — Prager med. Wochenschr. 1900. — Ver-
handl. d. Deutschen pathol. Ges. Bd. 5.
2) v. Bergmann, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Ther. Bd. 3. S. 401. 1906.
Guleke, Arch. f. klin. Chir. Bd. 78 u. 81. 1906 u. 1908.
3) Leo, Pllüger’s Arch. Bd. 39. S. 246.
4) Hoffmann, Pflüger’s Arch. Bd. 41. S. 148.
5) Brodzki, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 63. 1907.
6) Gross, Arch. f. exper. Pharm. Bd. 58. 1907.
7) v. Bergmann u. Meyer, Berlin, klin. Wochenschr. 1908. No. 37.
8) Benfey, Biochemische Zeitschrift. Bd. 10. 1908.
9) Jakobi, Ergebnisse der Physiol. Bd. 11. S. 213 ff.
10) Jochmann u. Müller, Münch, med. Wochenschr. 1906. No. 29, 31. 1907.
No. 8.
11) Hahn, Berl. klin. Wochenschr. 1897.
12) Landsteiner, Centralbl. f. Bakt. 1900.
13) Glassner, Hoffmeisters Beiträge. Bd. 4. S. 79.
14) Kamus u. Gley, Comptes rendus de la soc. de biol. Tome 49. p. 829. 1897.
15) v. Bergmann u. Bamberg, Berl. klin. Wochenschr. 1908. No. 30.
16) Delezenne, Comptes rendus de la soc. de biol. Tome 53—55.
Zeitschrift f. exp. Pathulogie u. Therapie. 5. Pd.
48
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Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
XL1X.
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Aus der II. medicin. Universitätsklinik und der chemischen
Abtheilung des pathologischen Universitäts-Instituts zu Berlin.
Zur Kenntniss der prämortalen Stickstoffsteigerung').
Von
Dr. Karl Reicher,
poliklin. Assistent.
Zu den strittigen Fragen des Hungerstoffwechsels gehört trotz der
Arbeiten von E. Voit, F. N. Schulz und ihren Schülern noch immer
die Frage nach der Ursache des prämortalen Anschwellens der Eiweiss¬
zersetzung. Während Voit die Verarmung des Organismus an Fett
dafür verantwortlich macht, beschuldigt Schulz Nekrosen grösserer
Zellcomplexe und Autointoxicationen einer ursächlichen Rolle. Es ver¬
lohnte sich daher, dieser Frage mit Zuhülfenahme der Dunkelfeld¬
beleuchtung näher zu treten und damit gleichzeitig zu untersuchen, ob
man nicht auf diese Weise überhaupt das Eintreten von Fett in den
Stoffwechsel und die Dauer dieser Betheiligung annähernd bestimmen
könnte? Es ist Ihnen ja, meine Herren, bekannt, dass man im Blute
ultramikroskopisch unter bestimmten Verhältnissen, am schönsten nach
Fettnahrung, lebhaft tanzende Theilchen sieht, die frühere Untersucher
(Mühlmann, Neumannn, Neisser und Bräuning, Schelble) mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch chemische und Farb-
stoffreactionen sowie durch Schmelzpunktbestimraungen als Fett bezw.
Lipoide agnoscirt haben. Es ist nun selbstverständlich, dass bei einem
im Vergleich zur Verdauung theilweise entgegengesetzten Transporte des
Fettes aus den Depots zu den Stätten des Verbrauchs die Ultratheilchen,
die man vielleicht als Steatoconien bezeichnen könnte, ebenfalls in
Erscheinung treten.
Eine Vermehrung des Blutfettes bei hungernden Thieren unter ge¬
legentlicher Hervorrufung einer Lipämie ist ja seit den Untersuchungen
von Daddi, Schulz und Mi es eher bekannt, und zwar wies speciell
Schulz eine regelmässige Erhöhung des Blutfettgehaltes im Hunger¬
zustande um 30—100 pCt. nach, während Daddi bloss bei kurz
1) Nach einem am b. November 1908 in der Gesellschaft der Charitöärzte ge¬
haltenen Vortrage.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Zur Kenntniss der prämortalen StickstofTsteigerung.
751
dauernder Karenz zu gleichen Resultaten kam, nach mehr als 14tägigem
Hunger dagegen den Aetherextract des Blutes wieder abnehmen sah,
ein Befund, der auch für unsere Untersuchungen von Bedeutung ist.
Kumagava und Kaneda ermittelten bei einem hungernden Hunde
0,49 pCt., bei einem gefütterten Controlthier 0,22 pCt. Fett im Blute.
Bönniger konnte diese Befunde bei chronischer Unterernährung des
Menschen in einem Falle von Oesophaguscarcinom (1,4 pCt. Blutfett
gegenüber 0,75—0,85 der Norm) bestätigen. Auf welchem Wege der
Fetttransport im Hunger vor sich geht, ob wesentlich auf enterogenem
oder parenteralen, darüber habe ich topographische quantitative Fett¬
bestimmungen angestellt, welche indess noch zu keinem einheitlichen
Resultate geführt haben. Die Momente, welche den gesteigerten Ver¬
brauch von Körperfett während der Hungerszeit veranlassen, sind kurz
folgende: Der hungernde Fleischfresser, den wir speciell im Auge haben,
bestreitet zunächst seinen Gesammtumsatz vorzüglich aus den Kohle-
hydratvorräthen des Organismus und bloss zu einem kleinen Procentsatz
aus Körpereiweiss. Die Kohlehydrate sind zum grossen Theile am
3. bis 4. Hungertage aufgebraucht, wenn auch ein kleiner Rest derselben
sich bis in die Spätstadien hinein erhält und auch eine Neubildung
während des Hungers sicher erwiesen ist. Für die Kohlehydrate tritt
nun am 3. oder 4. Tage in isodynamer Menge das Fett ein, während
das Eiweiss im Maximum mit 15pCt. an dem Gesammtumsatze be¬
theiligt ist. Bloss bei Regenwürmern, so weit wenigstens bisher be¬
kannt, steht die Glykogonverbrennung bis zum 10. Hungertage im
Vordergründe, und erst von da an werden bei ihnen die Fettvorräthe in
bedeutenderem Maasse herangezogen unter gleichzeitigem allmählichen
Sinken des respiratorischen Quotienten (J. E. Besser). Bei Dunkel¬
feldbeleuchtung kann man nun zunächst gewisse Anhaltspunkte dafür
gewinnen, wann das Fett in dominirender Weise in den Hungerstoff¬
wechsel eintritt, und zu welchem Zeitpunkte es aus ihm wieder ver¬
schwindet. Wir sehen nämlich im Ultramikroskope am ersten
Hungertage nichts oder fast garnichts von Ultratheilchen des
Blutes, am 2., bei manchen Thieren am 3. oder gar erst am
4. Tage, werden die Steatoconien immer zahlreicher, und
schliesslich kann man von mässiger Reichlichkeit in jedem
Gesichtsfelde sprechen. Das Fehlen bezw. die Spärlichkeit
der Ultratheilchen entspricht der Glykogenperiode, das
Reichlichwerden im Wesentlichen dem Beginn der vor¬
herrschenden Fettzersetzung. Dieses durch die Anwesenheit zahl¬
reicher Steatoconien charakterisirte ultramikroskopische Blutbild kann
nun entweder bis zum Tode anhalten oder unter noch zu besprechenden
Umständen ziemlich plötzlich eine Aenderung erfahren.
Was die Versuchsmethodik anlangt, so wurden kleine bis mittel¬
grosse Hunde zum Experiment verwendet und täglich Gesammt-Harn-
stickstoff (Kjeldahl), Ammoniak (nach Krüger und Reich, Schitten-
helm), Aceton in der Atemluft (Apparat von Waldvogel) und im Urin
(nach Huppert-Messinger), 0-Oxybuttersäure (nach Magnus-Levy
und Mohr), Gesammtphosphor- und Gesammtschwefelsäure bestimmt.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
752
K. Reicher,
Versuch I.
Hungertag
Gewicht
S
C/2
O
O
g
Mi
a
1
£
<
g
Ammoniak-N
in pCt. des
Gesarnmt-N
Aceton
ß-Oxy-
B butter¬
en
saure
Gesammt-
aceton als
/2-Oxybutter-
säure berechn.
mg
der
Athemluft
mg
des Harns
mg
1.
4700
2,576
0,2847
9,1
167,0
1,4
40
341,4
2.
4650
2,408
0,272
9,3
149,0
6,7
40
318,7
3.
4600
2,52
0,181
5,91
102,0
3,0
35
222,0
4.
4500
2,24
0,164
6,02
232,0
16,0
50
476,0
5.
4380
2,52
0,197
6,44
149,0
1,9
40
310,0
6.
4250
1,82
0,164
7,41
55,7
7,7
20
133,0
7.
4160
2,408
0,199
6,81
649,8
1,9
20
140,0
8.
4090
2,464
0,196
6,54
55,7
4,8
20
136,0
9.
4000
2,475
0,238
7,93
18,6
3,8
20
; 60.0
10.
3850
2,117
0,217
8,43
46,4
0,9
10
95,0
11.
3800
i 2,688
0,311
9,54
51.1
2,4
10
96,0
12.
3600
3,044
0,292
7,90
41,8
3,7
5
86.0
13.
3450
3,92
0,394
8,26
8,4
0
0
15,0
14.
3200
4,592
i 0,267
! 4,78
5,1
0
0
9.0
15.
2800
5,376
0,223
i 3,41
5,26
i o
ü
9,0
Versuch II.
Hungertag
rC
ö
'S
V
o
g
Gesammt-
" N
m:
cs
'£
o
iz; cß
i CD
•S" 0 !
Aceton
mg S
Gesammt-
aceton als
^-Oxy butter¬
säure berechn.
mg
£
4
g
Id i
£ Ä CO
I-Sö
der
Athemluft
mg |
des Harns
mg
1.
11800
2,464
0,157
5,25
27,8
16,4
!
_ 1
78.2
2.
11050
2,744
0,180
5,4
37,1
14,5
10
102.4
3.
10850
2,856
0,0816
4,7
41,8
17,4
Spuren
106,0
4.
10500
2,885
0,149
4,25
62.2
14,5
Spuren
136,3
5.
10300
3,276
0,1428
3,2
74,3
10,2
10
151,3
6.
10000
1,512
0,0986
5,3
79,9
7,7
20
176,8
7.
10000
1,848
0,136
6,05
79,3
5,8
20
162,3
8.
9950
1,848
0,1836
8,1
83,5
9,2
30
194,8
9.
9800
1,524
0,1496
8,1
60,3
13,5
30
161,9
10.
9650
1,400
0,102
4,8
18,6
4,8
40
128,0
11.
9450
2,146
0,1428 i
4,0
88,2
6,8
50
270.0?
12.
9350
2,128
0,1632
6,3
74,2
7,7
40
226.7
13.
9250
2,66
0,1496
4,6
88,2
7,7
30
206,6
14.
9100
1,316
0,1564
9,3
— ?
10,0
20
’j
15.
9070
1,736
0,136
6,4
37,1
: 44,9
30
171,8
16.
9000
2,128
0,136
5,2
259,9
: 12,1
20
406,6
17.
8770
2,18
0,1632
6,1
28,0
i 13,9
10
i 201,1
18.
—
2,296
0,1396
5,3
— ?
9,8
10
?
19.
8700
2,24
0,1768
6,5
167,1
10,5
10
347,9
20.
8550
2,016
, 0,1904
7,7
134,6
17,9
Spuren
273,0
21.
8450
1,232
0,1632
10,8
157,8
12,6
—
305,0
22.
8400
1,428
0.1496
8,6
120,7
5,8
—
226,4
23.
8300
2,184
0,136
5,1
171,7
4,8
—
355,9
24.
8130
2,072
0,1292
5,1
129,9
6,8
—
245,9
Da nach Schaefer und Sadowenne die N-Ausscheidung durch gleichzeitiges
Dürsten oder Wassertrinken nicht wesentlich alterirt wird, erhielten die Thiere täglich
400 ccm Wasser, und wenn sie es zum Theile verweigerten, wurde ihnen der Rest mit
der Schlundsonde verabreicht.
Was zunächst die Stickstoffausscheidung betrifft, so können wir
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
753
Zur Kenntniss der prämortalen StickstolTsteigerung.
Versuch III.
bß
43
*~
o
bß
a
3
Gcsammt-
N
e
Ammoniak
8
Ammoniak--
N in pCt. j
** des Ge- |
sammt-N
A c 0 1 0 n
Athomlafl desHarns
mg | mg
ß-Oxy-
butter¬
säure
mg
Gesammt-
aceton als
/9-Oxybuttcr-
säure berechn.
mg
1.
2,688
0,172
4,51
- 1 13,5
0
24,2
2.
2,968
0,192
5,33
- 9,7
0
17,4
3!
2,464
0,240
8,00
85,7 : 5,8
10
142,3
4.
2,296
0,194
8,77
79,2 2,9
10
. 155.3
5.
3,046
0,258
6,99
92,8 ! 5,8
Spuren
155,5
6.
2,408
0,166
5,68
60,3 { 7,3
0
120,8
7.
2,828
0,245
7,13
55,7 ! 5,8
0
109,9
8.
2,744
0,224
6,73
65 2,9
0
121,5
9.
3,192
0,305
7,88
55,7 2,9
0
104,9
auch hier wieder die bekannte Erscheinung beobachten, dass Anfangs im
Hunger neben dem stabilen auch noch das labile oder circulirende
Eiweiss am Stoffwechsel Theil nimmt und daher die Anfangswerthe für
die N-Ausfuhr relativ hoch sind. Je reichlicher die dem Hunger vor-
ausgehendc Ernährung an Eiweiss und Kohlehydraten war,, desto
grösser fallen diese N-Zahlen natürlich aus. Nach Ablauf dieser Periode
stellt sich dann der Organismus auf ein bestimmtes N-Miniraum ein,
das bekanntlich namentlich bei Berücksichtigung der Gewichtsverluste
eine ziemliche Constanz aufweist.
Der Eiweiss- und Fettstoffwechscl kann nun beim Hungerthiere,
wie Ihnen, meine Herren, bekannt, auf zweifache Art verlaufen, wobei
die Relation der beiden Körper — Fett und Eiweiss — zu einander
eine maassgebende Rolle spielt. Entweder finden sich reichliche Fett¬
ablagerungen im Körper, dann führt der langsam sinkende Eiweissverlust
nach längerer Hungerszeit ohne Stickstoffsteigerung zum Tode, oder es
tritt bei mittleren oder geringen Ausgangsmengen von Fett nach längerer
oder kürzerer Zeit eine Steigerung der Stickstoffausscheidung und kurz
darauf der Tod ein. Der Einfluss der ursprünglich vorhandenen Fett¬
menge auf die Dauer der Hungerszeit erhellt u. A. aus den Versuchen
Falck’s, der einen fettarmen Hund nach 24tägigem Hunger verlor,
während ein fettreicher Hund 60 Tage aushielt. Je länger der Hunger
andauert, desto mehr tritt das Eiweiss gegenüber dem Fett in der
Deckung des Calorienbedarfes zurück. Das Fett muss natürlich aus
den Depots entnommen werden, circulirt in grösserer Menge im Blut —
daher die Lipämie oder zum mindest Blutfettvermehrung — und wird
in den Organzellen zersetzt. Voit stellt sich nun vor, dass bei dem
Wiederersatz des circulirenden Fettes immer wieder Depotfett angegriffen
wird, bis schliesslich der Organismus an Fett so weit verarmt, dass die
Verluste an circulirendem Fett nicht mehr leicht und schliesslich gar-
nicht mehr gedeckt werden können. Die Verarmung an circulirendem
Fett folgt also der Verminderung des Depotfettes nach. Thatsächlich
büsst das Fettgewebe im Hunger 93—97 pCt. ein (Chossat, Voit).
Diese Beziehungen zwischen Eiweiss- und Fettzersetzung bleiben bis
tief in die untersten Thierklassen in Geltung, so z. B. biissen die Fett-
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depots der Frösche im Hungerzustande relativ viel mehr Fett ein,
nämlich 80,25 pCt., während vom Eiweissbestande bloss 37,5 pCt. ver¬
loren gehen. Auch Slowzoff kommt auf Grund seiner 5 Jahre
dauernden Studien über Hungerstoffwechsel niederer Thiere zu dem
Schlüsse, dass letztere im Allgemeinen ca. 85,65 pCt. ihres Fettgehaltes
verlieren. Mit der procentualen Verminderung der Fettzersetzung muss
natürlich wieder die Eiweisseinschraelzung eine Zunahme erfahren. Nach
Voit tritt diese Erhöhung der Eiweisszersetzung ein, wenn der Eiweisszerfall
wieder über 16pCt. der Gesammtzersetzung decken muss. Nach Ver¬
suchen Ru bn er’s finden sich allerdings auch bei ausgesprochener prä¬
mortaler Stickstoffsteigerung noch 2—3 pCt. Fett (auf Trockensubstanz
berechnet) im Körper des Thieres, doch scheinen diese geringen Fett¬
mengen einen Rest darzustellen, welcher zur Constitution der Zelle etwa
in Form von Fett-Eiweissverbindungcn ebenso nothwendig ist, wie ein
gewisser Wasser- und Salzgehalt. Die Grösse des Eiweisszerfalles er¬
scheint demnach im Wesentlichen als eine Function des Fetteiweiss¬
quotienten im Thierkörper. Diese Beziehungen scheinen so fest zu sein,
dass man aus der Grösse des Eiweisszerfalles den jeweiligen Fettgehalt
im lebenden Thiere abzuschätzen vermag (Rubner, Voit).
Die prämortale Steigerung der N-Ausscheidung kann man durch
Zufuhr von stickstofffreien Substanzen verhüten, so versuchte dies Koll
mit Erfolg durch subcutan injicirtes Oel und L. Kaufmann mit Rohr¬
zucker. Bei Thieren, welche diese Nahrung längere Zeit vertragen,
verhindern 25—35 g Rohrzucker, also 97 bezw. 139 Calorien bei einem
Calorienbedarf von 100 bezw. 185 Calorien den Eintritt der prämortalen
N-Steigerung. Diese Versuche Kaufmann’s, besonders aber 2 der¬
selben, beweisen ganz deutlich, dass in vielen Fällen von prämortalem
Stickstoffanstieg Fettverarraung ursächlich in Betracht kommt, denn
Kohlenhydrate und Fette vertreten einander bekanntlich in isodynamen
Mengen. Das geht auch aus Heilner’s sorgfältigen Untersuchungen
neuerdings hervor, indem bei Verabreichung von Traubenzucker per os
in dem vorher zersetzten Fette isodynamen Mengen die Grösse der Ge¬
sammtzersetzung und die Wärmeproduction des Thieres keine Aenderung
erfuhr, sondern bloss eine Kohlensäuresteigerung in der Ausathmungsluft
cintrat. Deutlich illustriren dies Heilner’s Tabellen:
Versuch
2. Tag
3. Tag
4. Tag
5. Tag
Ib
12,22
0,416
12,78
10,35
II b
12,83
1,26
10,71
III b
12,24
11,97
0,7
11,78
IV b
14,85
12,11
0,62
12,63
An den fett gedruckten Tagen wurde Traubenzucker verfüttert, die
Zahlen bedeuten das verbrannte Fett in Gramm. Allerdings hat diese
Argumentation eine Schwäche, denn Kohlehydrate sparen Eiweiss und
könnten schon dadurch eino prämortale Stickstoffvermchrung vermindern.
So erzielte auch llcilner in den meisten Versuchen unter dem Einfluss
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Zur Kenntniss der prämortalen Stickstoflsteigerung.
755
der beigebrachten Kohlehydratmcngen einen Abfall der N-Ausscheidung,
und zwar in einzelnen Versuchen eine Ersparniss uro 29,1 pCt., 12,6 pCt.
und 14,69 pCt. Uebrigens hat Voit schon 1869 festgestellt, dass durch
reichliche Kohlehydratzufuhr 9—15 pCt. Eiweiss erspart werden können.
Vergleicht man aber die Mengen Eiweiss, die durch Kohlchydratver-
fütterung geschont werden können, mit der Grösse der Stickstoff¬
steigerung, so findet man beim Hunde und bei der Katze Erhebungen
des Eiweissumsatzes ante mortem über das Doppelte des Hungerminimuros,
ja bei Kaninchen kann nach Rubner’s Angaben die prämortale Steigerung
so bedeutend werden, dass aus dem Eiweiss thatsächlich der ganze Ca-
lorienbedarf des Thieres gedeckt wird. Es stehen somit einer möglichen
Ersparniss von maximal 29,1 pCt. Eiweiss bei Kohlehydratzufuhr Steige¬
rungen des Eiweisszerfalles um mindestens 100 pCt. gegenüber, ein Vcr-
hältniss, welches doch ziemlich eindeutig dafür spricht, dass die 70 pCt.
der N-Steigerung auch durch Heranziehung der Sparwirkung der Kohle¬
hydrate nicht wcttgemacht werden könnten. Ich habe nun in IJnkennt-
niss der Versuche von Hei ln er, welche ganz einwandfrei darthun, dass
das zugeführte Kohlehydrat durch seine Verbrennung das Fett schützt,
auch einem Hungerhunde 2 Tage hindurch per os 30 g Rohrzucker
verabreicht, und obwohl bei seinem Gewichte von 3,125 kg diese Menge
nicht ganz seinem Calorienbedürfnisse 1 ) entsprach, zeigte er doch an
den beiden Kohlehydrattagen eine deutliche Verminderung
der Steatoconien im Ultramikroskope. Der Stickstoff fiel dabei
nur ganz unmerklich ab.
Trotz aller dieser Untersuchungen sind, wie schon eingangs hervor¬
gehoben, die letzten Ursachen der prämortalen Stickstoffsteigerung noch
nicht einheitlich und befriedigend klargestellt, so zwar, dass noch immer
der Voit’schen Lehre von der ätiologischen Bedeutung der Fottverar-
mung die F. N. Schulz^schc Anschauung gegenüberstcht, welche ur¬
sprünglich folgendermaassen formulirt war: Es kommt vor dem Hunger¬
tode zum partiellen Absterben von Zellen und Zellgruppen, die während
des Hungers beständig das Material zur Deckung des Stoffwechsels her¬
gegeben; diese nekrotischen Zellen werden von anderen noch lebens¬
kräftigen Zellen aufgezehrt und daher die Steigerung der N-Ausschei-
dung. Zwar hat später Schulz unter der Wucht der gegen seine De-
ductionen von E. Voit und L. Kaufmann vorgebrachten Einwände seine
ursprüngliche Ansicht in gewissen Funkten modificirt, doch giebt er auch
in seinen neuesten interessanten Hungerversuchen (gemeinsam mit Stübel
und Hempel) bloss die Möglichkeit zu, dass eine relative Verarmung
des Körpers an Fett zu einer erheblichen Stickstoffsteigerung führen
kann, hält aber nach wie vor an dem Zugrundegehen von Zellraassen
fest und denkt ähnlich wie Tigerstedt und v. Noorden an die Mög¬
lichkeit von Autointoxicationen. Wir hätten dann neben einem inanitiellen
einen toxischen Eiweisszerfall. Interessant ist jedenfalls Schulz’s Beob-
1) Der Hund hätte ungefähr 264 Calorien benothigt; davon würden auf Eiweiss
ungefähr 40 Calorien und auf Fett 224 Calorien entfallen. Letzteren wären 54 g Rohr¬
zucker isodynam.
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achtung, dass ein Hund, der übrigens zu den Hungerkünstlern seiner
Rasse gehört, nach einer bestimmten Hungerzeit eine prämortale Stick¬
stoffsteigerung aufweist, nach Darreichung geringer Nahrungsmengen sie
verliert und später bei einem zweiten Hungerturnus bei demselben —
allerdings bloss berechneten — Fettbestande angelangt, wie bei der
ersten Stickstoffsteigerung von dieser nicht betroffen wird. Wie dem
auch nun sei, das Ultramikroskop giebt uns, meine Herren, für die Be-
urtheilung der zur Discussion gestellten Frage folgende Thatsachen an
die Hand: Bei Hunden, die kein Anschwellen der prämortalen
Ei Weisszersetzung erkennen lassen, sieht man andauernd
bis unmittelbar vor dem Tode massig reichliche Steatoconien
in jedem Gesichtsfelde der Blutpräparate (3 Hunde). In dem
einen Falle aber, bei dem sich ein eklatanter Anstieg der
N-Ausfuhr einstellte, verschwanden die Ultratheilchen bis
auf 1—2 im Gesichtsfelde einen Tag vor dem Beginn der
vermehrten Stickstoffausscheidung. Diese Befunde sprechen
edenfalls eher für die Voit’sche und mehr gegen die Schulz-
sche Anschauung. Wir können uns nun vorstellen, dass die Ver¬
mehrung der Eiweisszersetzung erst dann beginnt, wenn nur mehr so
viel Fett im Organismus zurückgeblieben ist, als von den Zellen als
Protoplasmabestandthcil zähe festgehalten wird, eine Ansicht, welche
neuerdings auch Slowzoff besonders bezüglich des Lecithins ausge¬
sprochen. Durch die Untersuchungen von Löb ist ferner festgestellt,
dass gewisse Zellen erst zusamracnbrechen, wenn ihnen die lebenswich¬
tigen Lipoide entrissen sind. Da es nun während des Hungers zu einer
immer weiter fortschreitenden Fett- und Lipoidverarmung des Organismus
kommt, können wir uns ganz gut vorstellen, dass zur Zeit des Eintritts
des prämortalen N-Anstiegs die Zellen so weit ihrer Lipoide beraubt
sind, dass sie zusammenbrechen und ihr Eiweiss preisgeben. Anderer¬
seits ist auch Abderhalden’s Uebcrlegung erwägenswerth, dass das
Fett als Lösungsmittel für viele Stoffe eine grosse Rolle spielt und bei
dem ausgedehnten Stofftransporte während des Hungers von den Stätten
der Ablagerung zu denen des Verbrauchs von Bedeutung sein könnte.
Verarmt nun der Organismus an diesem Lösungsmittel, so leidet dann
der ganze Stoffaustausch Noth. Einer Anregung von Noorden’s in
seiner Abhandlung über „Hunger und chronische Unterernährung“ folgend,
wurden auch von mir bei einem Kaninchen, das nach längerem
Hungern prämortal folgenden Anstieg der Stickstoffcurve
zeigte (0,73 g N, 2,07 g N, 3,99, 4,25), sämmtlichc Organe einge¬
bettet, geschnitten und nach verschiedenen Methoden der Protoplasraa-
und Kernfärbung tingirt und nach Nekrosen gefahndet. Es Hessen
sich aber solche nirgends in auffälliger Weise feststellen, womit auch
eine Voraussetzung von Schulz aus der Betrachtung ausscheidet, es sei
denn, dass man functionelle Veränderungen ohne sichtbare histologische
Veränderungen anzunehmen geneigt ist.
Was die Verluste an Körpergewicht anbelangt, so tritt der Tod bei
Säugcthieren in der Regel ein, wenn sie über 40 pCt. ihres Anfangs¬
gewichts verloren haben (Chossat). Die in Versuch I ermittelte Ein-
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Zur Kenntniss der prämortalen Stickstoffsteigcrung.
757
busse von 38,3 pCt. des Anfangsgewichts steht mit dieser Angabe in
guter Uebereinstimmung. Es wird jedoch in einzelnen Fällen von be¬
deutenden Schwankungen um diesen Mittelwerth berichtet; einen solchen
Grenzwerth stellt unser Hund II vor, welcher bei einem Gewichtsverlust
von 28,04 pCt. bereits einging. Theilen wir die Hungerzeit in mehrere
Perioden, so drängt sich uns das entgegengesetzte Verhalten von Fall I
und II auf. Während Hund I das seltene Beispiel constant ansteigenden
Gewichtsverlustes darbietet, mit der stärksten Einbusse in der Zeit der
prämortalen N-Steigerung (20,2 pCt. des Anfangsgewichts), nähern sich
die Gewichtsabnahmen bei Hund II der von Luciani postulirten Hyperbel,
indem die Wcrthe von 8,85 pCt. allmählich bis auf 3,7 pCt. absinken,
wie die beigefügte Tabelle lehrt.
---
— - • - - — ' r- - 'TW--. -7;*r
Hund
I verliert
Hund 11 verliert
vom 1.—5. Hungertagc
6,8 pCt. des Anfangsgew.
vom 1.—5. Hungertage 8,S5 pCt. des Anfangsgew.
* 5.-10. „
11,3 . ,
„ 5.-10.
„ 5,75 f> . ff n
* 10.-15.
20,2 „ ,
„ 10.-15.
, 5,14 „ „
im Ganzen
W , »
r 15.—20.
n 4,6 „ v
. 20.-24.
V 3, / r „ r>
im Ganzen 28,04 r
Würdigen wir nun noch, meine Herren, die Acetoncurve einer näheren
Betrachtung, so fällt uns in dem Falle mit prämortaler Stickstoffsteige¬
rung das Sinken der gesammten Acctonkörperausscheidung 2 Tage vor
dem Anstieg des Eiweissumsatzes auf, und zwar von einem Höchstwerthe
von 476 mg, bezw. von durchschnittlich 250 mg auf 60 mg, 15 mg und
endlich 9 mg. Man ist nun heute so ziemlich darüber einig, dass Fett¬
säuren die hauptsächliche Quelle der Acetonkörper abgeben. Bildet da
nicht auch dieses auffällige Zusammentreffen von prämortaler
N-Steigerung mit der bedeutenden Verminderung der Aceton¬
körper eine Stütze für die Voit’sche Theorie von der ätiologischen
Bedeutung der Fettverarmung? Macht doch auch Brugsch das Ein¬
schmelzen von Fett im Hunger für die Acidosis und das Fehlen des
Fetts in einem Falle von ungewöhnlich hochgradiger Abmagerung in
Folge von Scirrhus oesophagei für das Ausbleiben der Diazcturie ver¬
antwortlich. Den diametralen Gegensatz dazu bildet die hohe Durch¬
schnittsziffer von 292 mg ^-Oxybuttersäure von den letzten 6 ohne Stick¬
stoffsteigerung überstandenen Tagen im Versuche II. Derartige Thiere
sind ja nach obigen Ausführungen als fettreich anzusehen. Allerdings
darf man über dem Fette die noch ungeklärte Rolle der Kohlehydrate
nicht vergessen, denn schon Kohlehydratzulagen, die nur einen Theil des
Fettes im Hungerstoffwechsel zu sparen vermögen, lassen die Aceton-
urie beträchtlich herabsinken. Lehrreich ist in dieser Beziehung Ver¬
such III, bei dem in den ersten 2 Tagen die Acetonkörpermengen sich
in ganz bescheidenen Grenzen halten zu einer Zeit, wo noch Glykogen,
also Kohlehydratvorräthe, dem Körper zur Verfügung stehen. Während
ferner in der Norm 60—70 pCt. des Gesammt-Acetons den Körper mit
der Athemluft verlassen (Müller, Mohr), kehrt sich dieses Verhältnis
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bei völliger Nahrungsentziehung häufig um. ln meinen Fällen da¬
gegen lässt sich, ähnlich wie in den späteren Carenztagen der von
ßönniger und Mohr untersuchten Hungerkünstlerin Schenk eine
Mehrausscheidung durch die Luft gegenüber dem Harn fest-
stcllen, theilweise auch bei Einbeziehung der /J-Oxybuttcrsäurewerthe.
Auch Langstein und Meyer berichten Achnliches von ihren bei Kin¬
dern vorgenommenen Untersuchungen. Die 0-Oxybuttersäureausschcidung
fehlt fast durchweg in Versuch No. III. Bei diesen sonst unerklärlichen
Schwankungen haben wir mit Mohr einem individuellen Factor eine ur¬
sächliche Rolle zuzuweisen.
Angesichts des Umstandes, dass in meinen sämmtlichen Hungerver¬
suchen eine Acidosis zu verzeichnen ist, haben wir, m. H., erfahrungs-
gemäss auch eine Aramoniakvermehrung zu erwarten. Nach früheren
Meinungsverschiedenheiten, ob man die absolute Amraoniakzahl odor die
Relation (NH 3 ) N : Gcsammt-N als maassgebend zu betrachten hat, hat
man sich derzeit über folgende Grundsätze geeinigt: Die absolute
Ammoniakzahl ist nur unter Berücksichtigung der Gesammt-N-Ausfuhr
zu verwerthen. Bei starker Eiweisseinschmelzung wird eine absolute
Erhöhung der NH 3 -Zahlen nicht auffallen, bei geringgradiger Eiweiss¬
zersetzung jedoch erregt eine hohe absolute NH 3 -Menge immer Verdacht
auf Acidosis. Eine Erhöhung des (Quotienten (NH 3 ) N: N spricht immer
für eine Säuerung des Blutes. Die Acidosis im Hunger ist schon wieder¬
holt, neuerdings von Bönniger und Mohr, sowie Brugsch kritisch
gewürdigt worden. Es dürfte hier daher der Hinweis genügen, dass in
meinen Fällen die Amraoniak-N-Werthe im Allgemeinen zwischen 6,5 bis
8 pCt. des Gesaramt-N schwanken, also Werthen, welche niedriger liegen,
als die genannten Autoren und Cathcart bei hungernden Menschen ge¬
funden. Ausnahmsweise hatte ich je einmal 10,8 und 9,54 pCt.
Ammoniak-N zu verzeichnen. Ferner wäre beachtenswerth, dass die
absoluten und relativen Aramoniakzahlen, welche in Versuch
No. I eine ansehnliche Höhe bereits erklommen hatten - , einen Tag,
nach dem die prämortale N-Steigerung eingesetzt hatte, unerwarteter
Weise, statt anzusteigen, deutlich herabgingen, nämlich von 9,4 pCt.
auf 7,95 pCt., 6,28 pCt., 3,02 pCt. und endlich 3,41 pCt. Achnliches
gilt auch von den absoluten Zahlen. Dazu passt sehr gut das voll¬
kommene Verschwinden der Acetonkörper aus dem Urin und das be¬
deutende Herabgehen derselben in der Athemluft in diesem Versuche.
Dieser Befund illustrirt ganz deutlich die engen Beziehungen, welche
zwischen Säuerung des Blutes durch Acetonkörper und Mehrausscheidung
von Ammoniak bestehen.
Die Ergebnisse meiner Untersuchungen an Hunden möchte ich nun,
m. H., folgendermaassen zusammen fassen:
Die Beobachtung des Hungerblutes bei Dunkelfcldbe-
leuchtung bildet eine werthvolle Ergänzung der chemischen
Untersuchungsmethoden. Das Fehlen bezw. die Spärlichkeit
der ultramikroskopisch sichtbaren Fctttheilchen (Steatoconien)
entspricht der Glykogenperiode im Beginn und der prämor¬
talen Stickstoffsteigerung am Ende des Hungers. Solange
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Zur Kenntniss der prämortalen Stickstoffsteigerung.
759
die Fettzersetzung im Vordergrund steht, ist stets massige
Reichlichkeit der Steatoconien zu verzeichnen. Bleibt der
prämortale Stickstoff an stieg aus, so erhält sich das eben
skizzirte Bild usque ad finum. Durch Kohlehydratfüttcrung
kann, man das Körperfett während des Hungers schonen und
dementsprechend die Ultrathcilchen grösstentheils aus dem
Blutbilde verschwinden sehen. Auffälliger Weise fällt in
einem Falle der prämortale N-Anstieg mit einem bedeutenden
Absinken der Acetonkörperausscheidung (von durchschnittlich
250 mg auf 9 mg) und einer Verminderung der absoluten und
relativen NH 3 -Mengen zusammen, während in den Fällen ohne
prämortale Mehrausfuhr von N gegen Ende der Hungerperiode,
also bei bis zum Tode anhaltender starker Fetteinschmelzung,
im Gegentheil andauernd hohe Werthc von Acetonkörpern zu
verzeichnen sind (durchschnittlich 292 mg in den letzten
6 Tagen des Versuches II). In allen Fällen überwiegt die
Ausscheidung der Acetonkörper durch die Athemluft die mit
dem Harne erfolgende. Bei einem Kaninchen mit prämortalem
Anschwcllen der N-Ausfuhr Hessen sich keine Nekrosen mi¬
kroskopisch feststellcn. Dies sowie die ultramikroskopischen
und chemischen Befunde sprechen eher für die Richtigkeit der
Voit’schen und mehr gegen die Schulz’sche Theorie von der
prämortalen N-Steigerung.
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Derselbe, Die Grösse des Eiweisszerfalles im Hunger. Zeitschr. f. Biol. 1901.
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Derselbe, Die Bedeutung des Körperfottes für die Eiweisszersetzung des hungernden
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Derselbe, Ueber die Ursache der Zunahme der Eiweisszersetzung während des
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Waldvogel, R., Die Acetonkörper. Stuttgart 1903.
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Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHIGAN
L.
Aas der II. medicinischen Universitätsklinik (Berlin).
Zur Pavy’schen Hypothese der Fettbildung in der Darmwand.
Von
Priv.-Doc. Dr. G. von Bergmann und Dr. K. Reicher.
F. VV. Pavy stellt in seinen Vorträgen über den KohlehydratstolT-
wechsel 1 ) die Behauptung auf, dass die Kohlehydrate in der Darmwand
zu Fett umgewandelt werden.
Er führt ungefähr Folgendes aus: Füttert man Pflanzenfresser
(Kaninchen) mit kohlehydratreichem, aber fettarmem Futter, z. ß. mit
Hafer, und tödtet man die Thierc einige Stunden nachher, so findet man in
dem erölfneten Abdomen die Dünndarmschlingen weiss, opak aussehend,
mit milchigen Streifen an der Oberfläche. Auch die Chylusgefässc des
Mesenteriums sind deutlich sichtbar. An dem geöffneten Darme sieht
man auch die innere Oberfläche mehr oder weniger weiss. Während
ferner die Darmzottenzellen im Hunger mikroskopisch so gut wie kein
Fett enthalten, zeigen dieselben nach der Haferfütterung strotzende
Füllung mit Fetttröpfchen. Es bestünden demnach dieselben Verhältnisse
wie nach directer Fettfütterung. Den Einwand, dass das Fett in den
Lymphbahnen und Darmzotten aus dem Fett des verwendeten Hafers
stammt, weist Pavy entschieden zurück, spricht vielmehr auf Grund
der angeführten Thatsachen den Darmzottenzellen die Fähigkeit zu,
Kohlehydrate in Fett umzuwandeln. Ja, er geht viel weiter und meint,
dass zunächst in der Regel alle Kohlehydrate in der Darmwand zu Fett
umgewandelt werden. Dadurch werde vermieden, dass sie als freier
Zucker in die Blutbahn gelangen. Denn Zucker im Blute bedeute
Zucker im Harn. Träte er aus dem Darme als solcher in das Blut
ein, so würde die dem Diabetes eigenthümliche pathologische Erscheinung
der Glykosurie der gewöhnliche physiologische Zustand sein. Des
Weiteren bekennt sich Pavy zu der Anschauung, dass die Leberzellen
nur aushilfsweise aus Kohlehydraten Fett bilden, wenn nämlich die
Darmzotten ihre Aufgabe bei zu reichlicher Zufuhr nicht bewältigen
können. Soweit der Autor.
Die angeführten Behauptungen stehen nun durchwegs zu den
1) Deutsch von Dr. K. Moeckel. Leipzig, Engelmann. 1907.
Original fro-m
UNIVERSITf OF MICHIGAN
762
G. v. Bergmann und K. Reicher,
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herrschenden Lehrraeinungen in diametralem Gegensätze. Während aber
der Ausspruch, Zucker im Blute bedeute Zucker im Harne, auf Grund
zahlreicher einwandfreier Arbeiten als völlig unrichtig zurückgewiesen
werden muss, und auch die Resorption von Zucker durch die Blutbahn
ohne vorhergehende Assimilation sicher erwiesen ist, fordert die Hypo¬
these einer Umwandlung von Kohlehydraten in Fett in der Darmwand
selbst schon wegen ihrer principiellen Bedeutung zu einer genauen
Nachprüfung auf. Denn wenn auch — darin muss man Magnus-Levy
beipflichten — gar kein erkennbarer Grund vorliegt, warum die so leicht
verbrennbaren und vielfach benöthigten Kohlehydrate immer erst in Fett
übergehen sollten, so schien uns doch die Möglichkeit ernsthafter Be¬
rücksichtigung werth, zu sehen, ob bei überschüssiger Kohlehydratzufuhr
nicht doch ein gewisser Theil schon in der Darmwand in Fett um¬
gewandelt werden kann.
Es ist ja allerdings bekannt, dass bei überschüssiger Kohlehydrat¬
zufuhr zunächst die Glykogendepots, nämlich Leber und Muskeln, bis
zu einem gewissen Grade sich mit Glykogen an füllen und erst bei
weiterer Zufuhr die Kohlehydrate in Fett umgewandelt werden. Wo
diese Umwandlung stattfindet, ob an den Orten der Fettablagerung, also
in den Zellen des Unterhautzellgewebes (Rosenfeld) oder in der Leber,
das ist noch strittig. In ersterem Falle könnte eine morphologisch
fixirte Phase dieses biochemischen Processes durch den von Gierke 1 )
in gewissen Stadien der Kohlehydratmast erbrachten Glykogen-Nachweis
im subcutanen Fettgewebe von Meerschweinchen nachgewiesen sein.
Wir gingen nun bei unseren Versuchen folgenderraaassen vor: Wir
Hessen 2 Kaninchen zunächst 12—24 Stunden hungern und überzeugten
uns dann durch Osmium- und Sudanpräparate aus verschiedenen Darm¬
abschnitten, dass das Darmepithel überall fettfrei war. Verfütterten wir
nun reichlich Hafer, so ergab zu schnelles Töten der Thiere keine
brauchbaren Resultate, weil der Magen noch mit Speiseresten erfüllt
war, also die Resorption sich noch nicht in vollem Gange befand. Erst
von 6 Stunden Intervall an sahen wir die Darmwand und die Mesen-
teriallvmphgefässe strotzend mit milchiger Flüssigkeit erfüllt. Mikro¬
skopisch fanden sich massenhaft Fetttröpfchen in den Basaltheilen der
Zottenzellen. Die Beobachtungen Pavy’s wären also soweit vollkommen
richtig. Pavy hält cs für ausgeschlossen, dass die 5 pCt. Fett, welche
Hafer enthalten kann, eine so deutliche Füllung der Chylusgefässc be¬
dingen könnten. Das schien uns denn doch dringend eines Versuches
zu bedürfen. Wir haben daher den Hafer zermahlen und ihn mit
Alkohol-Aether tagelang extrahirt, bis dass weitere Extractionen
kein Fett mehr nachweisen Hessen. Nach entsprechender Hunger¬
zeit haben wir dieses fettfreie oder mindestens sehr fettarme Pulver nun
verfüttert. Es wurde von den Kaninchen reichlich genommen. Nach
dieser Fütterung mit entfettetem Hafer fanden wir in 3 Versuchen weder
1) Verhandlungen der Deutschen Pathol. Ges. 10. Tagung. 1906 und Ergeb¬
nisse von Lubarsch und Ostertag. XI. Jahrg. 11. Abth.
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Zur Pavy’schen Hypothese der Fettbildung in der Darmwand.
763
makroskopisch noch mikroskopisch in den Darmzotten oder
in den Lymphgefässen Fett. Das gleiche negative Resultat
ergaben reichliche Fütterungen mit Stärke, Traubenzucker
oder einem Gemenge von beiden (z. Th. mit der Schlundsonde
applicirt).
Durch diese Versuche glauben wir den Beweis für die Un¬
richtigkeit dieses Theiles der Pavy’schen Hypothese erbracht
zu haben 1 ).
1) Physiologie des Stoffwechsels in v. Noorden’s Handbuch. Bd. I. 190G.
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LI.
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Aus dem Privatlaboratorium von Dr. Hans Friedenthal,
Nicolassee bei Berlin.
lieber Veränderungen der Blutreaction bei intravenöser
Einführung von Säure und Alkali.
Von
Dr. van Westenrijk, St. Petersburg und Dr. Hans Friedenthal,
Assistent am klin. Inst. d. (Jrns.sfürstin l’anlowna. Nicolassee bei Berlin.
(Mit 2 Curven im Text.)
ln einer Reihe von früheren Arbeiten hat der eine von uns 1 2 3 ’ * auf
die Wichtigkeit der Thatsachc hingewiesen, dass das Blutserum des
Menschen und der anderen Wirbelthiere eine sehr annähernd neutrale
Reaction besitzt, welche mit Indicatoren am sichersten und bequemsten
nachgewiesen werden kann. Eine grosse Reihe von Flüssigkeiten, früher
für stark alkalisch gehalten, theilt die annähernd neutrale Reaction mit
dem Blutserum. Die thierischen Flüssigkeiten besitzen ausserdem all¬
gemein eine physiologisch hochbedeutsame Resistenz gegen Rcactions-
verschiebungen, so dass sie sich nur mit unverhältnissmässigem Aufwand
in ausgesprochen saure und stark alkalische Flüssigkeiten umwandeln
lassen. Diesem Befund einer annähernd neutralen Reaction des Blut¬
serums stand anfänglich der von Rudolf Höbcr bei Gaskettenmessungen
erhobene Befund einer starken Alkalescenz des Blutes entgegen (Rudolf
Hob er, „Ueber die Hydroxylionen des Blutes. Pflüger’s Archiv. LXXXI.
S. 522). Wie vermuthet, war aber dieses Resultat von Höher in Folge
von Messungsfehlern erhalten, welche bis zu 1000 pCt. der Mcssungs-
grösse erreicht hatten, verursacht durch Fortführung der Kohlensäure,
welche von maassgebendstem Einfluss auf die Blutreaction sein musste.
Der eine von uns hatte bereits in seiner ersten Arbeit (1901) darauf
hingewiesen, dass die wichtige Resistenz der thierischen Flüssigkeiten
1) Hans Friedenthal, Ueber die Reaction des Blutserums der Wirbelthiere
und die Reaction dor lebendigen Substanz im Allgemeinen. Verworn’s Archiv für
allgemeine Physiologie. 1901 und 1904.
2) Hans Friedonthal, Die Bestimmung der Reaction einer Flüssigkeit mit
Hülfe von Indicatoren. Zeitschr. f. Elektrochemie. 1904.
3) Hans Friedenthal, Ueber Iteactionsbestimmungen im natürlichen Serum
und über Herstellung einer zum Ersatz des natürlichen Serums geeigneten Salzlösung.
Yerh. d. physiolog. Uesellsch. Berlin 1902/03.
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Veränderungen d. ßlutreaction bei intravenöser Einführung von Sänro u. Alkali. 765
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van Westenrijk u. H. Friedenthal,
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gegen eine Aenderung der Reaction ihcilweise auf der Anwesenheit von
kohlensauren Salzen beruht. Die Anwesenheit amphoterer Colloide in
hoher Concentration stellt das zweite nicht minder wichtige Schutzmittel
gegen Rcactionsverschiebung dar. In einer späteren Arbeit (Pflüger’s
Archiv. 99. S. 572. 1903) bestätigte denn auch Höbcr die inzwischen
von Frankel und von Farkas auch mit Gasketten bereits vor ihm
nachgewiesene Neutralität des Blutserums. Eine grosse Reihe von
Prüfungen mit den von Nernst angegebenen Gasketten von Seiten ver¬
schiedener Autoren bestätigte auch die grosse Zahl der mit der Indicatoren-
methode als annähernd neutral nachgewiesenen Körpersäfte von Thieren
und Pflanzen.
Die kolorimetrische Bestimmung der wässrigen Flüssigkeiten mit Hülfe
von Indicatoren, welche die Bestimmung der Reaction in Körperflüssig¬
keiten lebender Thierc und deren Rcactionswechsel bei Ruhe und Arbeit
auf einfache Weise zu erkennen gestattet, hat bisher nur in wenigen
Fällen eine Anwendung innerhalb der klinischen Medicin erfahren. Es
sei deshalb an dieser Stelle noch einmal die geringe Zahl von Indicatoren
angeführt, bei deren Verwendung sämmtliche in Wasser möglichen Rc-
actionsstufcn bestimmt werden können 1 ).
Mit Hülfe eines Kolorimeters lässt sich die Reaction einer ungefärbten
klaren Lösung bei Anwendung der Normalstufen bis auf wenige Procente
genau bestimmen. Durch Titration erfahren wir den Gehalt einer Lösung
an Alkali, welches nicht an starke Säuren gebunden ist, und den Gehalt
an Säure, welche nicht an starkes Alkali gebunden ist. Voraussetzung
für genaues Titrircn ist die Wahl eines Indicators, welcher ein schwächerer
Elektrolyt ist als die schwächste Säure oder Base in der zu unter¬
suchenden Flüssigkeit. Die Tabelle der Indicatoren giebt Aufschluss
über den für jeden Fall geeigneten Indicator 2 ) und zugleich Aufschluss
über den H+-Jonengehalt der Titrationsflüssigkeit am Ende der Titration.
Ein etwaiger Ucberschuss lässt sich also leicht in Rechnung ziehen.
Durch Titration können wir Aufschluss darüber erhalten, welche
Reservekräfte dem lebenden Organismus zu Gebote stehen, um Ver¬
schiebungen der Reaction des Blutes zu verhindern oder wenigstens ab¬
zuschwächen. Die Literatur über Säurevergiftung findet sich wieder¬
gegeben in einer unter Leitung von Professor Tan gl ausgeführten Arbeit
von Dr. Alexander Szily. (Arbeiten auf dem Gebiete der chemischen
Physiologie von Dr. Franz Tangl. Bonn 1906. Verlag von Martin
Hager.) In dieser Arbeit war Verfasser zu dem Resultat gekommen,
dass Hunde intravenöse Säureeinspritzung viel schlechter vertragen als
Kaninchen, trotzdem weder die Aschenanalysen des Blutes für die Mineral-
alkalescenz, noch der von Fr. Kraus gemessene C0 2 -Gehalt des Blutes
sehr erhebliche Differenzen zwischen Kaninchenblut und Hundeblut er-
1) Die Vereinigten Fabriken für Laborationsbedarf in Berlin N, Chausseestr. 3,
liefern die zur Reactionsbestimmung nöthigen Indicatoren mit Farbtafel sowie die
Stufenlösungen nach den Angaben von H. Friedenthal.
2) Genauere Angaben über Kolorimetrie und Titration siehe E. Salm. Studie
über Indicatoren. Dissertation. Aachen 1906.
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Veränderungen d. Blulreaotion bei intravenöser Einführung von Säuic u. Alkali. 767
kennen lassen. Der Tod der Thiere erfolgte bei rund lXlO~ 6 H+im
Blute bei Hunden und Kaninchen. Der titrirbare Alkaligehalt betrug
beim Tode nur noch 3xlO _3 OH~ beim Hunde gegenüber 3xlO _2 OH~
beim Kaninchen. Der Gehalt des normalen Säugerblutes an titrirbarera
Alkali beträgt durchschnittlich ebenfalls 3xlO~ 2 OH~. So wichtig in
physiologischer und klinischer Hinsicht die Resistenz der Körpersäfte
gegen Reactionsversehiebung ist, so wenig geben die bisherigen ex¬
perimentellen Untersuchungen ein Bild von den unmittelbaren Folgen ge¬
ringer Vermehrungen oder Verminderungen des H+-Jonengehaltes der
Körpersäfte.
In den folgenden Untersuchungen wurde zunächst die Einwirkung
von intravenöser Einführung von Säure und Alkali auf Herz und Blut¬
druck untersucht, die tödtliche Dosis für Alkali und Säuren von sehr
verschiedener Dissociationsconstante festgestellt und mit Hülfe von Indi-
catoren die Resistenz gegen Reactionsversehiebung bei Alkali- und Säure¬
zufuhr geprüft. Wie in den Versuchen von Szily wurde die Geschwin¬
digkeit der Alkali- und Säureeinfuhr genau regulirt. Die Injcction
erfolgte herzwärts in die Vena jugularis aus einer Bürette, wobei durch
eine Klemmschraube die Einlaufsgeschwindigkeit regulirt wurde. Der
Blutdruck und die Herzbewegung wurde durch einen Tambourarterio-
graphen 1 ) aufgenommen, bei welchem die Arterie nicht geöffnet zu werden
braucht, so dass Störungen durch Gerinnungen ausgeschlossen waren.
Um über die Reaction der Körpersäfte und ihre Aenderung während der
Säureeinfuhr Aufschluss zu erhalten, wurde vereinzelt mit Neutralroth
versetzte Säurelösung injicirt. Die Section ergiebt nach Einführung dieses
und anderer Indicatoren ein anschauliches Bild von den vorhandenen
Alkalidepots im Körper. Da im Uebrigen nicht alle Indicatoren im Blut¬
serum reversibel reagiren — allein abhängig vom momentanen H+-Gehalt
— ist gerade bei Blutreactionsbestimmungen allein mit Indicatoren Vor¬
sicht geboten und die Resultate stets mit mehreren Indicatoren zu con-
troliren. Poirrier’s Blau z. B. färbt sich im Serum von 1 X 10~ 7 H+
allmählich rosa wie in einer Alkalilauge von 1 X 10~ 12 H+, auch
cf-Naphtholbenzoin erleidet totale Umwandlung wie durch starkes Alkali.
Neutralroth und Phenolphthalein dagegen wechseln ihre Farbe auch im
Serum proportional dem H+-Ionongehalt. Den Indicatoren mit allmäh¬
licher Umwandlung ist bisher wenig Beachtung geschenkt worden, weil
sie für Titrationszwecke unbrauchbar sind; für das Verständnis der In-
dicatoruinwandlung bei wechselndem H+-Gehalt sind gerade diese von
entscheidender Bedeutung, da sie eine sprechende Widerlegung der Dis-
sociationstheorie der Indicatoren liefern.
Versuche mit intravenöser Einführung von Alkali.
Da starke Laugen die Gefässwände auf lösen und bei längerer Ver¬
suchsdauer zerstören, benutzten wir eine concentrirte Sodalösung, wolche
6,9 pCt. Na 2 C0 3 enthält, zur Verminderung des H+-Gehaltes. Diese
1) Construirt von H. Friedonthal. Erhältlich bei Zimmermann, Berlin N.,
Chausseestr. 2c.
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van Westenrijk u. H. Frieden thal
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Lösung entspricht, mit lndicatoren geprüft, rund einer 1 X 10 U *H+-
Lösung. Versuchsthiere waren ausschliesslich starke Kaninchen von über
sechs Pfund Gewicht. Die Geschwindigkeit des Einlaufes wurde so
regulirt, dass etwa entsprechend 0,25 ccm Normal-OH - pro Kilogramm
und Minute einflossen. Die gesättigte Sodalösung entspricht einer 1,3-
Normal-OH~-Lüsung in Bezug auf Absättigung von Säuren, die stärker
dissociiren als H 2 C0 3 . Die Thiere vertrugen in maximo die intravenöse
Einführung von 1,6 g Na 2 C0 3 pro Kilogramm bei der erwähnten Ein-
laufsgeschwindigkcit.
Versuch 10. Juli 1907. Kaninchen, weiblich, 3200 g.
Der Versuch beginnt mit langsamem Einlassen der Sodalösung in
die Vene. Die Carotis schreibt eine Curve mittelst eines gewöhnlichen
Kymographion auf die berusste Oberfläche einer Trommel.
Vor Alkaliwirkung
Mach Alkaliwirkung
Nach der Einführung der ersten 8,9 ccm der Lösung wurde eine
erste Portion des Blutes (etwa 20 ccm) aus der freigelegten anderseitigen
Carotis entnommen. Die Herzthätigkeit war vor der Injection regel¬
mässig, die Pulsschläge klein. Nach Einführung von im Ganzen 35 ccm
der Lösung wurde das Kaninchen unruhig. Reichlich Urin wurde spontan
entleert. Der Puls, welcher schon nach Einführung von etwa 29 ccm
der Lösung eine bedeutende Vergrösserung gezeigt hatte, wurde ausser¬
ordentlich kräftig. Im Ganzen war die Curve unregelmässig und zeigte
Arhythmie. Dann wurde eine zweite Portion Blut entnommen. Schon
nach 39,6 ccm im Ganzen trat der Tod ein. Die letzten Cubikcenti-
meter waren versehentlich etwas schneller wie die früheren eingeführt
worden. Nach dem Tode entnahmen wir aus dem Herzen noch etwas
Blut, aus der Blase den Harn. Der Harn wurde gleich untersucht, das
Blutserum am folgenden Tage, nachdem es ca. 24 Stunden im Eisschrank
gestanden hatte. Die erste Portion des Blutserums zeigte mit lndicatoren
einen H-Ionengehalt entsprechend der Stufe VIII, während die Titration
mit 1 /io _norma ^ er Salzsäure und Alizarin als lndicator 1 ccm der Säure
auf 1 ccm des Serums verbrauchte. Es entsprach also die titrirbare
Alkalescenz des Blutes einer Vio -normalen OH-Lösung. Die zweite
Portion des Serums zeigte mit lndicatoren einen H-Ionengehalt zwischen
den Stufen IX und X (Alizarin violett, Azolitrain grauviolett, Neutralroth
gelb, «-Naphtholbenzoin grün, Alkannin violett, Phenolphtalein rosa),
enthielt also 5 X 10 -lü H-Ionen.
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Veränderungen d. Blutreaction bei intravenöser Einführung von Säure u. Alkali. 769
Bei der zweiten Titration verbrauchten wir 1,5 ccm der Ni 0 -Säure
auf 1 ccm des Serums, die Alkalescenz des letzteren entsprach folglich
einer 0,15 normalen OH-Lösung. Die dritte Portion des Serums end¬
lich zeigte mit Indicatoren denselben H-Ionengehalt wie die zweite, ent¬
hielt also 5 X 10~ 10 H-Ionen, während bei Titration 2 ccm der Säure
1 ccm des Serums entsprachen, die Alkalescenz entsprach also einer
0,2-normalen OH"-Lösung. Sie hat also beträchtlich zugenommen.
Die beiden Portionen des Harnes zeigten mit Indicatoren denselben
H-Ionengehalt, entsprechend der Stufe VIII. Während also die Titra-
tions-Alkalescenz des Blutes um 100 pCt. zugenomraen hatte, war der
H-lonengehalt um 1500 pCt. gesunken. 0,88 g Na 2 C0 3 tödteten pro
Kilogramm Thier bei diesem Versuch.
Versuch 11. Juli 1907. Kaninchen von 3200 g Körpergewicht.
Wie früher wurde eine Carotis und eine Vene freigelegt, ausserdem
beide Nieren abgebunden, damit kein Verlust an Alkali durch den Urin
möglich wäre. Dem Kaninchen führten wir wieder eine concentrirte
Sodalösung in die Vena jugularis ein. Erst nach etwa 40 ccm begannen
Unruhe und clonische Krämpfe. Der Puls wurde schon nach den ersten
4 ccm grösser, später sehr gross, sonst ganz regelmässig (vergl. Ab¬
bildungen). So verhielt sich der Puls, bis 64 ccm eingelaufen waren.
Dann wiederholten sich die Krämpfe und die Herzthätigkeit wurde unregel¬
mässig, bis schliesslich nach weiteren 9 ccm der Tod eintrat.
Das Blut wurde nach den ersten 64 ccm geprüft und eine zweite
Portion nach dem Tode entnommen.
Die erste Portion zeigte mit Indicatoren einen H-Ionengehalt ent¬
sprechend der Stufe IX. (Alizarin violett, Neutralroth gelb, Akannin
rothviolett, Phenolphtalein rosa). Bei der Titration verbrauchten wir im
Mittel 1,7 ccm der Säure auf 1 ccm, so dass die Alkalescenz einer
0,17-normalen OH-Lösung entsprach.
Die zweite Portion erwies sich alkalischer. Mit Indicatoren ent-
entsprach sie den Stufen IX—X, enthielt folglich 5 X IO -10 H-Ionen
(Alizarin violett, Neutralrot gelb, a-Naphtholbenzoin grün, Alkannin violett,
Phenolphtalein rosa). Bei der Titration verbrauchten wir 2,5 ccm der
Säure auf 1 ccm des Serums, die Alkalescenz entsprach einer 0,25-nor-
raalen OH-Lösung.
Das Thier starb nach Einführung von 73 ccm concentrirter Na 2 C0 3 -
Lösung. Die tödtliche Dosis betrug 1,6 pro Kilogramm Thier.
Versuche mit Salzsäureeinführung.
Wir führten diese Versuche ganz wie diejenigen mit Sodalösung
durch. Variationen der Salzsäureconcentration erreichten wir dadurch,
dass eine Doppelt-Normallösung der Salzsäure mit physiologischer Koch¬
salzlösung auf verschiedene Grade verdünnt wurde.
Versuch 15. Juli 1907. Kaninchen, Männchen, von 2600 g
Körpergewicht.
Einführung einer 0,4 - normalen Salzsäurelösung. Die Flüssigkeit
floss langsam ein (1 ccm im Zeitraum von 1 Min. 27 Sec.). Nach etwa
5 ccm wurde das Thier unruhig, der Puls wurde viel grösser, aber
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770
van Westcnrijk u. H. Friedenthal,
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unregelmässig. Nach 10,6 ccm unterbrachen wir die Injection. Es
folgte eine neue Einführung schneller wie die frühere (3 ccm in 1 Min.
7 Sec.). Der Puls blieb etwas unregelmässig, bald aber glich sich die
Störung wieder aus. Nach etwa 16 ccm wurde der Herzschlag kleiner
und häufiger, bis er nach weiteren 4 ccm, also im Ganzen nach 20 ccm,
wieder unregelmässig wurde. Unruhe stellte sich ein, Zittern des Thieres
wurde sehr bemerkbar, die Körpertemperatur war tief heruntergesunken
im Rectum 32° C.). Nach 25 ccm verstärkte sich die Unruhe, be¬
schleunigte sich die Herzthätigkeit bis auf 200 Herzschläge in einer
Minute. Lautes Schnaufen des Thieres wies auf Lungenödem. Unter
klonischen Krämpfen trat der Tod nach im Ganzen 25,8 ccm ein. Das
Blut, welches nach dem Tode aus dem Herzen entnommen wurde, war
V/or Saurewirtiung
hach Säurewirkung
lackfarbig geworden und konnte deshalb mit Indicatoren nicht bequem
geprüft werden. Vom Urin waren etwa 10 ccm in der Blase vorhanden,
er entsprach nach der Indicatorenmethode den Stufen VIII—IX, enthielt
also 5 X 10~° H-Jonen. 4 ccm Normal-H** Lösung pro Kilogramm
tödteten bereits das Thier.
Versuch 17. Juli 1907. Kaninchen, Weibchen, von 3000 g
Körpergewicht.
Einführung einer 0,4-normalen Salzsäurelösung mit einer Schnellig¬
keit von circa 2 ccm in einer Minute. Nach etwa 40 ccm vergrösserten
sich die Pulsbilder, noch stärker aber nach 60 ccm. Die Herzthätigkeit
war dabei regelmässig im Gegensatz zu dem früheren Versuch. Nach
82 ccm trat Unruhe ein und der Puls wurde klein, das Thier zitterte,
ln diesem Zustande führten wir ihm noch weitere 28 ccm ein bis zum
Tode des Thieres. Im Ganzen erhielt es 110 ccm, d. h. 44 ccm nor¬
maler Salzsäurelösung, 14,6 ccm Normalsäure pro Kilogramm Thier.
Noch während des Lebens entnahmen wir dem Thiere etwas Blut. Diese
letzte Portion gerann selbst in 24 Stunden nicht, das Serum war dunkel-
roth verfärbt.
Mit Indicatoren geprüft entsprach das Serum der Stufe IX:
1 X 10 9 H+ (Alizarin violett, Neutralroth gelb, Azolitmin blau, Phenol¬
phthalein rosa). Urin war in geringer Menge in der Blase vorhanden,
entsprach der Stufe VII (Alizarin violett, Neutralroth rosa, Azolitmin
violett, rothes Lackmuspapier etwas blau, blaues unverändert).
Versuch 18. Juli 1907. Kaninchen, Männchen, von 5000 g Körper¬
gewicht.
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Veränderungen d. Blutreaction bei intravenöser Einführung von Säure u. Alkali. 771
Einführung einer 0,6-normalen Salzsäurelösung. Nach 19 ccm trat
Unruhe ein und der Puls wurde sehr gross. (Vcrgl. Abbildungen).
Dem Thiere wurde Blut aus der Carotis entnommen. Der Versuch
nach Einführung von im Ganzen 22,5 ccm, d. h. von 13,5 ccm normaler
Lösung, aufgehoben. Das Kaninchen starb nach 36 Stunden. Normal¬
säure 2,7 ccm pro Kilogramm Thier. Das Serum entsprach mit Indi-
catoren den Stufen VIII—IX, enthielt also 5 X 10~ 9 H-Ionen (Azolitmin
blauviolett, Alizarin violett, Neutralroth orange, «-Naphtholbenzoin orange,
Phenolphthalein schwach rosa). Nach der Titration entsprach die Alkalcs-
cenz des Serums einer 0,1-normalen OH-Lösung.
Versuch 20. Juli 1907. Kaninchen, Weibchen, von 3700 g Körper¬
gewicht.
Einführung einer 0,8-normalen Salzsäurelösung. Im Beginn des
Versuchs erhielt das Thier versehentlich 6 ccm in einer halben Minute.
Es hörte auf zu athmen, der Puls verschwand. Darauf erholte sich das
Thier und nach Einführung von 10 ccm vergrösserte sich der Puls. Nach
Einführung von im Ganzen 12,4 ccm, d. h. von 9,9 ccm normaler Lösung
starb plötzlich das Kaninchen. Bei Section erwies es sich, dass das
Thier schwanger gewesen war. Das Blutserum war lackfarbig, zeigte
mit Lackmuspapier geprüft eine neutrale Reaction, mit Indicatorcn aber
entsprach es der Stufe VIII (Alizarin und Azolitmin violett, Neutralroth
orange, Alkannin rosa, Phenolphthalein farblos). Bei der Titration ver¬
brauchten wir 0,6 ccm der Säure auf 1 ccm des Serums, also entsprach
die Alkalescenz des letzteren einer 0,06-normalen OH-Lösung.
Versuch 20. Juli 1907. Kaninchen, Männchen, von 3200 g Körper¬
gewicht.
Einführung einer 0,8-normalen Salzsäurelösung mit einer Schnellig¬
keit von 3,6 ccm in einer Minute. Diesmal veränderte sich der Puls
nicht wesentlich. Nach 18,5 ccm, d. h. nach 14,8 ccm normaler Lösung
traten Unruhe, Krämpfe und Tod ein unter den Erscheinungen eines
Lungenödems und Herzparalyse.
Das Blutserum (aus dem Herzen entnommen) war wieder roth ver¬
färbt und zeigte mit Lackmuspapier geprüft eine neutrale Reaction. Mit
Indicatoren entsprach es den Stufen VII—VIII, enthielt also 5xl0 8 H-
Ionen (Alizarin und Azolitmin schwach violett, Neutralroth schwach
orange, Phenolphthalein farblos). Bei der Titration verbrauchten wir
0,4 ccm der Säure auf 1 ccm des Serums; die Alkalescenz des letzteren
entsprach folglich einer 0,04 normalen OH-Lösung.
Versuch 30. Juli 1907. Kaninchen, Weibchen, von 2800 g Körper¬
gewicht.
N
Einführung von —-normaler Salzsäurelösung mit Schnelligkeit von
5—8 ccm in einer Minute. Nach 40 ccm wurde der Puls höher. Nach
49 ccm, d. h. nach 4,9 ccm normaler Lösung, begann Unruhe und bald
trat der Tod ein. Das Blut konnte nicht titrirt werden.
Versuch 30. Juli 1907. Kaninchen, Männchen, von 2700 g Körper¬
gewicht.
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772
van Westenrijk u. If. Friedenthal,
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Einführung zuerst von Alkali und dann von Salzsäure. Einführung
"N”
von jQ’Kalilauge mit einer Schnelligkeit von 3 ccm in einer Minute,
später etwas schneller. Nach 8 ccm wurde der Puls höher, nach 24 ccm
begann Unruhe. Es wurde noch 1 ccm (im Ganzen 25 ccm) zugeführt
und dann mit der Alkalizufuhr aufgehört.
N
Jetzt begann die Einführung der -—Salzsäurelösung. Wir behielten
die Geschwindigkeit von 5 ccm Lösung in einer Minute bei. Der Puls,
welcher bei Beginn der Säureeinführung klein geworden, wurde nach
12 ccm höher. Nach 40 ccm wurde das Thier unruhig. Nach 50 ccm
wurde der Puls bedeutend höher, nach weiteren 50 ccm (also 100 ccm
im Ganzen) wieder kleiner. Später wurde das Thier wiederholt unruhig.
Weitere 100 ccm konnten dem Thiere cingeführt werden, ohne den Tod
des Thieres herbeizuführen. Es erhielt also im Ganzen 200 ccm, d. h.
20 ccm normaler Lösung, 7,4 ccm NH+ pro Kilogramm Thier. Gegen
Schluss des Versuchs untersuchten wir den Urin. Er entsprach den
Stufen VIII und IX, enthielt also 5 X 10 _9 H-Ionen (Alizarin violett,
Neutralroth orange, Phenolphthalein rosa, rothes Lackmuspapier bläulich,
blaues unverändert).
Der nächste Versuch (31. Juli 1907) galt der Einführung von Vier
normaler Salzsäurelösung mit aufgelöstem Neutralroth, um eine intra-
vitale Färbung' der Körperflüssigkeiten zu erzielen. Kaninchen, Männchen,
von 2400 g Körpergewicht.
Wir Hessen die Flüssigkeit mit Schnellikgeit von 5 ccm in einer
Minute einfliessen. Im Anfang des Versuchs war die rectale Temperatur
37,9° C. Nach 20 ccm wurde eine vorübergehende Unruhe notirt. Nach
50 ccm wurde der Puls höher. Weitere 19 ccm waren zufällig etwas
schnell eingeführt worden, wodurch wahrscheinlich ein vorzeitiger Tod
des Versuchsthieres bewirkt wurde. Das Thier starb, flüssiger Schaum
trat aus der Nase hervor. (Dieses Zeichen von Lungenödem haben wir
auch in früheren Versuchen von Säurevergiftung wahrgenommen.) Die
rectale Temperatur vor dem Tode war 35,8° C. Das Kaninchen erhielt
also im Ganzen 69 ccm, d. h. 6,9 ccm normaler H-Lösung.
Bei der Section beobachteten wir dio Färbung der Muskeln und
Eingeweide. Die Musculatur war schön rosa gefärbt. Der Dünndarm
war schwach rosa, während der Dickdarm gelborange aussah. Die Leber
und Milz blieben normal gefärbt, die an dem Dünndarm haftenden, sehr
ausgebildeten Peyer’schen Plaques zeigten Rosafärbung. Der Harn war
orange verfärbt, d. h. entsprach der Stufe VIII, was mittelst anderer
Indicatoren bestätigt wurde (Phenolphthalein farblos). Das Blut, welches
wir gleich nach dem Tode der Carotis entnommen hatten, wurde centri-
fugirt und untersucht. Das Serum zeigte eine schwach rosige Färbung
und entsprach mit Indicatoren der Stufe VIII (Alizarin violett, Azolitmin
schwach violett, Neutralroth und a-Naphtholbenzoin orange, Alkannin
rosa, Phenolphthalein farblos). Mit y i0 -normaler Salzsäurelösung und
Alizarin als lndicator titrirt verbrauchte das Serum 0,3 ccm der Säure
auf 1 ccm, entsprach also einer 0,03-normalen OH-Lösung.
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Veränderungen d. Blutreaotion bei intravenöser Einführung von Säure u. Alkali. 773
In den nächsten zwei Versuchen prüften wir die Wirkung der intra¬
venösen Injection einer Essigsäurelösung. Wir benutzten dazu eine nor¬
male Lösung, die wir herstellten, indem wir zur Verdünnung, wie auch
in früheren Versuchen, eine physiologische Kochsalzlösung nahmen.
Versuch 1. August 1907. Kaninchen, Männchen, 2200 g Körper¬
gewicht.
Sorgsame Einführung der normalen Essigsäurelösung. Das Thier
war schon vor dem Beginn der Einführung unruhig. Die Unruhe dauerte
an bis zum Tode, welcher nach 10,5 ccm erfolgte. Aus dem dem Herzen
entnommenen und centrifugirten Blute erhielten wir ein roth verfärbtes
Serum. Obwohl unsicher, konnten wir doch mit Indicatoren einen H-
Gehalt feststellen, welcher den Stufen VII—VIII entsprach (Alizarin
schwach violett, Neutralroth unverändert, Alkannin rosa, Phenolphthalein
farblos). Titrirt verbrauchte das Serum 0,8 ccm y 10 -norroaler Salzsäure¬
lösung auf 1 ccm, d. h. entsprach einer 0,08-normalen OH-Lösung.
Versuch 1. August 1907. Kaninchen, Weibchen, 2500 g Körper¬
gewicht.
Sehr langsame Einführung (1 ccm in einer Minute) der normalen
Essigsäurelösung. Nach den ersten 7 ccm trat Unruhe ein, später war
das Thier bis zum Ende des Versuchs ganz ruhig. Nach 18 ccm sank
die Temperatur, welche im Beginn des Versuchs 37 °C. betragen hatte,
bis auf 36° C. Nach Einführung von 30 ccm sank die Temperatur auf
35,5° C. Der Versuch wurde nach Einführung von im Ganzen 32 ccm
aufgehoben, nachdem aus der Carotis einige Cubikcentimcter Blut ent¬
nommen waren. Das Serum wurde in diesem Falle gleich centrifugirt
und entsprach, mit Indicatoren geprüft, den Stufen VII—VIII (Alizarin
schwach violett, Neutralroth unverändert, kaum orange, Alkannin rosa¬
violett, Phenolphthalein farblos). Bei der Titration entsprach die
Alkalescenz des Serums einer 0,05 NOH-Lösung (1 ccm des Serums ver¬
brauchten 0,5 ccm V 10 -normaler Salzsäurelösung). Das Thier starb über
Nacht.
Ein weiterer Versuch (3. August 1907) hatte den Zweck, zu prüfen,
ob eine Alkalescenzzunahme auf einer Zersetzung der rothen Blut¬
körperchen beruhen könne, wie früher angegeben worden ist. Wir führten
deshalb einem Kaninchen destilliertes Wasser intravenös ein, um eine
theilweise Auflösung der rothen Blutkörperchen zu erzielen. Kaninchen,
Weibchen, 2500 g Körpergewicht. Einführung von auf etwa 30° C. er¬
wärmtem, destillirtem Wasser mit Schnelligkeit von zuerst 3 ccm, später
(nach 35 ccm) 4 ccm in einer Minute. Die rectale Temperatur war im
Anfänge des Versuchs 35,9° C., nach Einführung von 85 ccm sank sie
unter 34,8° C. Der Versuch verlief ungestört, das Thier zeigte zeitweise
Unruhe. Die Pulsfrequenz war 129 in einer Minute. Im Verlaufe einer
Stunde waren 179 ccm eingeflossen. Nach Einführung von 230' ccm
verminderte sich die Pulsfrequenz auf 44 in einer Minute. In andert¬
halb Stunden waren bis zum Tode des Thieres etwa 300 ccm eingeführt.
Eine Probe des Blutes wurde vor dem Versuche der Carotis ent¬
nommen, eine zweite während des Todes.
Von der ersten Portion erhielten wir ein ungefärbtes Serum, welches
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774 van Westenrijk u. H. Friedenthal, Veränderungen d. Blutreaotion etc.
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mit lndicatoren dor Stufe VIII entsprach (Alizarin schwach violett,
Neutralroth orange, Alkannin rosaviolett, Phenolphthalein farblos) und bei
der Titration auf 1 ccm 0,8 ccm 1 /io' norma ^ er Salzsäurelösung verbrauchte,
d. h. einer 0,08-normalen OH^-Lösung entsprach.
Das Serum der zweiten Portion war dunkelroth gefärbt, und mit
Alizarin gab es keinen Farbenumschlag, weshalb mit diesem Indicator
nicht titrirt werden konnte. Mit lndicatoren zeigte das Serum einen H-
Jonengehalt entsprechend etwa der Stufe VII (grosser Ueberschuss von
Alizarin, Spur lila, Neutralroth unverändert). Höchstens könnte man
einen H-Jonengehalt zwischen den Stufen VH und VIH liegend annehmen.
Zusammenfassung der Resultate.
Bei intravenöser Einführung von Säure sowohl wie von Alkali tritt
eine erhebliche Verstärkung der Pulses (VagusWirkung) ein. Die Puls-
curven bei Vermehrung wie bei Verminderung des H + -Gehaltes des
Blutes ähneln einander in überraschender Weise.
Berücksichtigt man die Maximalwerte bei Einführung von Alkali
und Säure, so tödteten bereits 3 ccm Normal-(OH - -) Lösung pro Kilo¬
gramm Thier, während 14,6 ccm Normal-H+-Lösung pro Kilogramm zur
Tödtung erforderlich waren.
Die Resistenz der Blutserums gegen Verminderung des H+-Jonen-
gehaltes ist sehr viel geringer als gegen Erhöhung des H+-Jonengehaltes.
Ein H+-Jonengehalt des Blutes von 5 X10 -10 H+ bezeichnet die
untere Grenze des mit dem Leben des Thieres verträglichen H+-Jonen-
gehaltes.
Durch die intravenöse Einführung von destillirtem Wasser wird der
H+-Jonengehalt des Blutes selbst bei reichlicher Auflösung rother Blut¬
körperchen nicht wesentlich verändert.
Die Dissociationsconstante (die Stärke) einer Säure ist ohne Einfluss
bei intravenöser Einführung, solange die Constante erheblich grösser ist
als die der Kohlensäure. Da das Gesammtblut eines 4000 g schweren
Kaninchens rund 30 ccm einer Normal-Alkalilösung entspricht bezüglich
Säurebindungsvermögen, im Experiment aber nach Einführung von 45 ccm
Normalsäurelösung noch reichlich titrirbares Alkali im Blute nachweisbar
war, ist der Transport von Alkali aus dem Körper bei intravenöser
Säurezufuhr sicher erwiesen.
Mit lndicatoren lässt sich Alkalicntnahmc aus der Musculatur bei
intravenöser Säureeinfuhr nachweisen.
Druck von L. Schumacher in Berlin N. 24.
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