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Full text of "Zeitschrift Für Experimentelle Pathologie Und Therapie 5.1909 UM"

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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

EXPERIMENTELLE PATHOLOGIE 

UND 

THERAPIE 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

L. BRIEQER (BERLIN), H. E. HERING (PRAG), 

F. KRAUS (BERLIN), R. PALTAUF (WIEN). 


FÜNFTER BAND. 

MIT 8 TAFELN, 10 ABBILDUNGEN, 38 CU UV EX UND 1 SKIZZE IM TEXT. 


BERLIN 1909. 

VERLAG VON AUGUST HIRSCH WALD. 

NW. UNTER DEN LINDEN 08. 


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Inhalt. 

Seite 


Heft 1 : Ausgegeben am 27. Mai 1908. 

I. Aus der Breslauer Universitäts-Kinderklinik. Ueber den Einfluss von 
Schilddrüsendarreichung auf den Stickstoffwechscl von Kindern. Von 

Dr. Arnold Orgler. 1 

II. Aus der chem. Abtheil, des patholog. Instituts der Universität Berlin. 

Ueber den Aschengehalt einiger Se- und Excrete des Körpers (Magen¬ 
saft, Faeces, Sperma). Von A. Albu (Berlin). 17 

III. Aus dem pharmakolog. Institut der Universität Breslau. Pharmakolo¬ 

gische Studien über einige Pyrazolonderivate. Von D. Joh. Biber¬ 
feld. 28 

IV. Aus dem Institut für allgemeine und experimentelle Pathologie der 
Universität in Lemberg. Ueber die Bedeutung der Nebennieren in 

der Pathologie und Therapie der Rachitis. Von Dr. Robert Quest. 43 

V. Aus der Königl. Universitäts - Kinderklinik München. Vergleichende 
Untersuchungen über den Coinplementbcstand im Körper natürlich 

und künstlich ernährter Thierc. Von Dr. med. A. Heimann. . . 50 

VI. Zur operativen Behandlung gewisser Lungenkrankheiten (Emphysem 
und Tuberculose). II. Theil. Von Ludwig Hofbauer (Wien). (Mit 

2 Abbildungen im Text.). 63 

VII. Aus dem k. k. Institut für allgemeine und experimentelle Pathologie in 
Graz. Ueber Herzinsufficienz. Von Privatdocent Dr. Hans Eppinger 

und Dr. Erich von Knaffl. (Hierzu Tafel I.). 71 

VIII. Aus der I. medicin. Universitätsklinik in Wien. Die Einwirkung des 

Arsen auf die Autolyse. Von Dr. Leo Hess und Dr. Paul Saxl . 89 

IX. Aus der medicinischen Klinik der Acaderaie für practische Medicin in 

Düsseldorf. Ueber Morphium-Diabetes. Von Dr. W. Spittaf . . 94 

X. Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Herz¬ 
schalles. Von Dr. Heinrich Gerhartz. (Mit 7 Abbildungen im 
Text.).105 


XI. Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Jena. Beiträge 
zur Kenntniss der Gicht. 8. Das Auftreten von Glykokoll im Blute. 

Von H. Kionka. (Hierzu Tafel II und III und 1 Skizze im Text.) 131 

Xll. Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Jena. Beiträge 
zur Kenntniss der Gicht. 9. Weiteres über das Ausfallen der Urate. 

Von H. Kionka. 142 

XIII. Aus dem Laboratorium der medicinischen Klinik in Basel. Experi¬ 
menteller Beitrag zur Ernährung von Ratten mit künstlicher Nahrung 
und zum Zusammenhang von Ernährungsstörungen mit Erkrankungen 
der Coiyunctiva. Von Dr. Paul Knapp, Augenarzt in Basel. (Hier¬ 
zu Tafel IV.). . 147 


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194533 - 


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Aus der Breslauer Universitäts-Kinderklinik. 

Ueber den Einfluss von Schilddrfisendarreichung auf den 
Stickstoffwechsel von Kindern. 

Von 

Dr. Arnold Orgler, 

ehemaligem Assistenten der Klinik. 


Als nach dem Vorgänge von Leichtenstern 1 ) Schilddrüsen häufiger 
medicamentös* verabreicht wurden, stellten sich bei manchen Patienten, 
auch bei Kindern, schädliche Wirkungen ein, die auf die Schilddrüsen 
bezogen und daher mit dem Namen „artificieller Thyreoidismus“ belegt 
wurden. Dem gegenüber hat Gregor 2 3 ) gezeigt, dass selbst die dauernde 
Verfütterung grosser Mengen frischer Schilddrüsen bis zu 82 g 
(= 55 Tabletten) an Kinder keinen Einfluss auf ihr Allgemeinbefinden, 
auf Körpergewicht, Puls, Respiration oder Blutdruck erkennen liess. 
Gregor führte in Uebereinstimmung mit Lanz 8 ) die beschriebenen un¬ 
glücklichen Zufälle darauf zurück, dass hier postmortal zersetzte Schild¬ 
drüsen oder Präparate, die aus derartigen Drüsen hergestellt waren, ver¬ 
abfolgt waren. In der That sind in den letzten Jahren derartige Fälle 
nicht mehr beschrieben worden, obwohl die Schilddrüsentherapie Jahre 
lang bei einer grossen Anzahl idiotischer Kinder in nicht zu kleinen 
Dosen angewendet wurde. Auch der zufällige einmalige Genuss von 
sehr zahlreichen Tabletten hat in einzelnen Fällen zu keinerlei Ver¬ 
giftungssymptomen geführt, so bei einem von Becker 4 5 ) beobachteten 
Kinde, das an einem Tage 90 Tabletten zu sich nahm, ferner bei einem 
Kinde, das auf einmal den Inhalt einer Flasche, ca. 40 Tabletten, als 
niedliche Bonbons verspeiste 6 ); trotz dieser grossen Dosen wurden 
keinerlei Störungen festgestellt. Idiotische Kinder, bei denen die The¬ 
rapie Jahre lang fortgeführt wurde, gediehen dabei körperlich gut, ohne 


1) Leichtenstern, Deutsche med. Wochenschr. 1894. S. 932. 

2) Gregor, Monatsschrift f. Kinderheilkunde. Bd. 1. 1902. 

3) Lanz, Deutsche med. Wochenschr. 1895. S. 597. 

4) Becker, Deutsche med. Wochenschr. 1895. S. 600. 

5) Private Mittheilung von Herrn Prof. Czerny. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. j 


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2 


A. Orgler, 


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dass sich allerdings ein sicherer Einfluss auf die geistige Entwickelung 
nachweisen Hess. Diese Beobachtungen an Kindern stehen in einem 
gewissen Gegensätze zu den bei gesunden Erwachsenen gemachten Er¬ 
fahrungen. Seitdem die Schilddrüsen als Entfettungsraittel empfohlen 
waren 1 ), wurden eine grosse Reihe von StolTwechselversuchen angestellt, 
um die Ursache der Körpergewichtsabnahme bei Schilddrüsenfütterung 
festzustellen. Obwohl bei fast allen Untersuchungen die Menge der ver¬ 
abreichten Schilddrüse bedeutend geringer war als in den Gregor’schen 2 ) 
Versuchen — nur David 3 ) hat bis zu 50 Tabletten in seinen Versuchen 
gegeben, meist ohne eine schädliche Nebenwirkung dabei zu sehen — 
trat in allen Fällen eine Steigerung der Stickstoffausscheidung auf, so 
dass meistentheils die Stickstoffbilanz negativ wurde 4 ). Einigen Autoren, 
P. Fr. Richter 5 ), Scholz 6 ), Zinn 7 ) Vermehren 8 ), gelang es aller¬ 
dings, die Kostanordnung so reichlich zu treffen, dass eine negative 
Bilanz vermieden wurde, aber auch hier war die Stickstoffausscheidung 
immer vermehrt. Das Körpergewicht nahm in der Mehrzahl der Fälle 
ab, nur bei einzelnen Patienten blieb es unbeeinflusst; so berichtet Ver- 
mehren, dass bei einem seiner Kinder sich das Körpergewicht nicht 
änderte, bei einem zweiten dagegen eine geringe Zunahme eintrat. Auch 
war in diesen Versuchen die Steigerung der Stickstoffausscheidung im 
Urin nur in geringem Maasse vorhanden. Von den meisten Beobachtern 
wurde ferner eine Erhöhung der Pulszahl und eine Beschleunigung der 
Athmung beobachtet. Diese Differenz im Verhalten der Kinder von 
Gregor und Vermehren gegenüber Erwachsenen konnte ihre Ursache 
einmal darin haben, dass Kinder gar nicht oder nur in geringem Maasse 
auf Schilddrüsenzufuhr reagiren, oder dass sie in der Lage sind, die 
eventuell eintretenden Schädigungen besser zu compensiren. Es erschien 
daher wünschenswerth, sich über diesen Punkt durch Stoffwechselversuche 
Aufklärung zu verschaffen. 

Zu diesem Zwecke habe ich an 4 Kindern das Verhalten der Stick¬ 
stoffausscheidung unter dem Einfluss von grossen Gaben frischer Schild¬ 
drüsen studirt, bei 2 Kindern wurde ausserdem noch ein Controlversuch 
mit Jodkali und bei einem ein Versuch mit Jodeigon gemacht, um den 
Einfluss von anorganisch gebundenem Jod und künstlich jodirtem Eiweiss 


1) Leichtenstern, 1. c. 

2) Gregor, 1. c. 

3) David, Zeitschrift f. Heilkunde. 1896. Bd. 17. S. 439. 

4) Bleibtreu und Wendelstadt, Deutsche med. Wochenschrift. 1895. 
S. 3a7. — Dennig, Münch, med. Wochenschr. 1895. S. 389 u. 464. — Dinkler, 
Münch, med. Wochenschr. 1896. S. 513. — Grawitz, Münch, med. Wochenschr. 
1896. S. 312. — Irsai, Deutsche med. Wochenschr. 1896. S. 439.— Jacquet- 
Swenson, Zeitschr. f. klin. Med. 1900. Bd. 41. S. 375. — Magnus-Levy, 
Zeitschr. f. klin. Med. 1897. Bd. 33. S. 269. — Treupel, Münch, med. Wochen¬ 
schrift. 1896. S. 117. 

5) Paul Friedrich Richter, Centralbl. f. inn. Med. 1896. S. 65. 

6) Scholz, Centralbl. f. inn. Med. J895. S. 1041. 

7) Zinn, Berl. klin. Wochenschr. 1897. S. 577. 

8) Vermehren, Deutsche med. Wochenschr. 1893. S. 1037. 


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Ober cUth Einfluss -VoB.äfl^IddriassniJsrfoidrUing agf'dfeti ^faMlelTwetslisel etc. % 

kenntm jfiä Icnu-ri Die frisch v*.»rtr ScM&tiliHiöC' jge)tef«j‘t«n Se.hilddnl'Sej» 
wurden von Fett und ftiodegewebn frei dir fagcsponkiinon. lit 

sterilisirten tVägegläscheii abgpwngun, du- Grl&fer luftdicht mit I’araffiiT 
abgedichlri und in Mi», das »»ehrroal.i a»-h KaHits, gewechselt wurde, 
anftewaiml. Die'Vcr.suciibtuahruhg beÄtand aas Milch und Zwieback ; dir 
Abgrenzung des heilen Milchkutbrs geschah dadurch, dass am Abend 

Ftniiärv«' icntl am lirtrpn trftrfh soiiW'r Atta« 



ans' .he$s>mv $esuItste: als die mii Heidelbeeren oder . Kohle 

/Vn^er dem Gesairinitetickstofr m .fö'n’r and Ausfuhr wurde fipiih die 



enge. 


i. Fall. 

K; H. ? Mg Jahre alt, nufgetfomamn am l J. 31. OZc südi Ende Aaguslfraton 
Anfälle auf, die ohnmaobisähnlich waren. L>as Kind stieria nach einem Punkt, '•griff 
mit d^n Händon aaeh Gegensfamien. die nicht <]& -ywi$n> .im Hctto, wüh’üa vh alle 
KheratAH und schlug einen Purzelbaum. Nach dem Anfall 1 ~2 Stunden langer 
Suhbf für Anfälle traten gewöhnlich 2ma( am Tage auf; Intervall zwischen den 
zitäütmxi ÄnfäUmr ca. 8 tage, ttas Kind wurde ftedraelnu'ng $«**? ÄitfeHu auf 
die Sbtmn duifgcnommen. Kräftig gebauter dünge mit Vütziigliolmn färben, lumgerr: 
ohne Jbfundi. liorztone: etwas unrein. Abdomen, Haborgane: ohne Befund. Urin: 
fr&tvoi( Eiweiß und Zucker. Am 12. li. Früh Morgend ;> l / 2 Uhr ein hv>u*ttsoher 
Änfolb keioe Krämpf'-, keine Sims men, Vfym Vyitoose.. Svnsornim- mü, Auf Auf¬ 
forderung wiederholt er den Anfall amhrmals,-steht danach sofort auf m»d ist 
/munter, ; , . '. : 


b Verbuch (cf, Tabelle b. 

l)auer tteSr Versuche?: Vom 17. ll. Ob Morgens bis 2]. TL Morgens. 
Gewicht zu Beginn des Versuches: 27 T 1 kg, 

Oßvricbi; am Ende dAK V^mielißs: kg. 



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N - B i 1 Ti n 

N der Einfuhr in 4 Tagen f>2.lvtöü j.-m .'he — IftffiSS 

N . Ausfuhr „ -4 r ^ 4fMiOflP ~ - - ■ 12,4022 

N-Bilanz in 4 Tagen — -f- 2,i>‘/40 j/ro dm -f- ü/GoIO 








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A. Orgler, 


2. Versuch (cf. Tabelle II). 
Dauer des Versuches: Vom 26. 11. bis 1. 12. 
Gewicht zu Beginn des Versuches: 27 kg. 

Gewicht am Ende des Versuches: 26,5 kg. 


Tabelle II. 



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I. 

II. 

III. 

IV. 

V. 

Milch + Zwieb.f Thyreoid. 

2007.3 + 200,1 4- 20,0 
2000,4+ 200,1 + 20,0 
2004,7 + 200,6 + 40,0 

+ 200,0 Wasser 

1998.4 + 200,3 + 40,0 
+ 200,0 Wasser 

2000,1 + 200,0+ 50,0 
4- 200,0 Wasser 

11,291 

10.284 

10,743 

! 10,349 

| 10.129 

1 

2,9901 

2,9901 

3,0783 

3,0335 

2,9886 

i 

0,638 

0,638 

1,276 

1,276 

1,595 

14,9191 

13,9121 

15,0973 

14,6585 

14,7126 

ccm 

1490 

1280 

1100 

1340 | 

1040 * 

1 

14,270 

14,275 

15,803 

16,406 

16,312 

>5,823 

I 


. 

10010,9 +1001,1 +170,0 
+ 600,0 Wasser 

52,796 

15,0806 

5,423 

i 

73,2996 

6250 j 

77,066 

5,823 

82,889 


N - B i 1 a n z. 

N der Einfuhr in 5 Tagen = 73,2996 pro die = 14,6599 

N „ Ausfuhr „ 5 „ = 82,8890 „ „ = 16,5779 

N-Bilanz in 5 Tagen = — 9,5894 pro die = —1,9180 

Während des Versuches trat am 29. 11. eine kleine abendliche Temperatur¬ 
steigerung von 37,8° auf. 

Das Kind hatte also in den 4 Tagen der Vorperiode 2,53 g Stickstoff retinirt, 
d. h. täglich 0,63 g; in der 5tägigen Schilddrüsenperiode verlor es 9,59 g Stickstoff, 
also täglich 1,92 g N. Das bedeutet eine tägliche Verschlechterung der Stickstoff¬ 
bilanz um 2,55 g. Wie aus der Tabelle II ersichtlich ist, trat entsprechend der 
höheren Schilddrüsenzufuhr in den drei letzten Versuchstagen auch eine höhere Stick¬ 
stoffausscheidung ira Urin auf; doch bestand kein Parallelismus zwischen der Höhe 
der Schilddrüsenzufuhr und der Grösse der Stickstoffausscheidung; denn am letzten 
Tage zeigte trotz einer um 10 g hpheren Dosis die Stickstoffausscheidung gegenüber 
dem Vortage keine Steigerung. Das Körpergewicht sank in der Vorperiode bei guter 
Stickstoffretention um 200 g, in der Schilddrüsenperiode um 500 g, um sich nach 
Beendigung des Versuches auf einem Gewicht von 26,3 kg zu halten. Auffallend 
war es, dass das Kind an den letzten drei Versuchstagen über heftigen Durst klagte, 
obwohl es 2 Liter Flüssigkeit zu sich nahm, so dass ihm noch täglich 200 g Wasser 
zugelegt werden mussten. Das Allgemeinbefinden zeigte keine Störung, der Knabe 
war lustig und vergnügt. Die abendliche Temperatursteigerung am 29. 11. beruhte 
auf einer leichten Pharyngitis. 


2. Fall. 

Kind Z., 7 Jahre alt, einziges Kind; Mutter nervös; Keuchhusten mit 3 Jahren; 
im 4. Jahre Masern, Varicellen, Darmkatarrh; mit 5 Jahren Scharlach; leidet sehr 
häufig an Hitze, Stuhlgang nie in Ordnung, bald dünn, bald etwas obstipirt; wird 
am 5. 12. 05 wegen fieberhafter Angina der Poliklinik zugeführt und am 20. 1. OG 
auf die Klinik aufgenommen. 


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Ubrr «len fonjhfä* von ^cbildvIrü^nJarnuehung f iut'den Sti<;kstolV\v^«;h,sei nie. 

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' Sprache xnätdU einen Seift ■■$&&' neürrjpdthisdhftn- Eiftdrück 

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Ltautr des .Versttß.hM Vom ,25. 1. 06 Morgens' bis 29. JL 06 Magens; , • »< 
G^widn. m Beginn des Versuches kV,4 hg 
Gewkbf tm Etide. des Versuches; 15,3 kg* 

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K-Bttani in 4 16? j>po ; dfe! ^=--4- 04547' 

£: .(cf. Tabelle IV). 

- Dauer des Versuches: Vorn 3k k Morgens .bis 4. lk Morgens. 
Gefühl i\i Beginn ä|| Versuche;*:' 16,0 kg. 

GevGeht mn Endo dos Vernicht: 15,7 kg, 

T u DeM ß IV. 


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Dauer des Versuches: Vom fl. 4L Morgens bis ID. 11, Morgens, 
(iewioht zu Beginn des VeiSue)jKfi; 15,8 kg. 

Gewicht a.ra Endo des Versuches: 15,6 Hg, 

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Ausgabe-N f 4 * -- 45,0344 * 

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N-Bjiam* in 4 Tagen • —'4«UtAld pro die 

4. Versueh lof, TabeHo Vh. 

Dauer d»s Versuches: Vom.21. I L Morgens hi* 25, 11. Morgens 

Gewicht zu Beginn des Versnobest: 15,3 Tg\ 

Gewicht um Endo des Versuches 15,4 Kg 

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Eiunahum-N )u /TAVtgGe ffijföHti pjo #v -f 

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4- y Aa- pro idie : 

in der Vorperjode hallo «4s Kind in vier Tagen 1,32 g N oder pro (be 0,45 ;/. 
an^o^tzi. ln der Schildtlnisenpenode verlor es dagegen ddld g N. (L in iaglich t.ib l\ 
m» «bF dm Vorsehlechterunü; der Bilanz* 0*4 £ “der täglich ldvg.N beträgt;- AV,\htv-.nd 
•!(■• .lo«!vvrsuchrr>. Kann mau zwei Perioden vnn allerdings nur je zwei '.ragen mmo“ 
seiieidtni; du- die Stühlen; Imuug ziem lieh rogelmassig erVolgifi, habe jcli die tägliche 
S't(okstolfaassol*oidung berechnet, und .w r.gmhi -ich dann, dass bei »rnnr Ughcbcn 
Zufuhr von 1 g dodkalium die Stickshdlbilauz etwas besser war als in dar Vmpom*dc, 
dass dngegeu bei einer Zufuhr von täglich 1.5 £ Jvidhaliuui eim* mhvbiit in*Ycusc-hleeh- 


Digil 


Go gle 


UNIV ERStTYOF-MlCHE GA N" 



Üobei den Eiuftu.ss von '>•!.ilddtusciiriArnuoiiiin^ ajff den AtoTshdfwechsti ok\ 7 

veruog der HtkksloilVetenUo?) anltrat. Die Ztifti hc von K Alteniiftli filhrVc ic der 4* Fe* 
r?<5<Jö. m 'einet bedmitefld b^$eren‘ S!iok«t 9 fffßt^ti# ; jti der.Vötjgefii>«le>- alteirngs 
wurde. im Versuch 4 doppelt'soviel SlicksiolT /mgofubn aU.im ersten Yer^uob* Störend 
war in diesen Vörsarlton. dass der Stiolistöftobölt; der Milch mnl —ifatdrStte 
'hr auch der Fettechalt m tlei Vnrpeiiodo bedeutend gornfgef war als ir» den spateren 
Versuchen, so dass das .Kind trotz gleiThfaliuhetider Milöhtoenge-.iin ersten Versuch 
die geringste StickstolT*' Und Cidönenmeng> erhall. 

PtO Viru;u» sst'lioid nng terter) der Y\»pprrioi.'le ihren. tundvigste.n Werth, in; 

der dmiperuwlo -tWg sie etwas an. d&fffc? hei Zufuhr von Schilddrüsen Und war 
niiturgemass in der Thyinüsperiode, also hei Zufuhr mickünhakigef Nahrung, um 
höchsten. 

tvÖrj»rrgevvicld zeigte Keine Beoinllus^ung inner Sehilddrüveiid.ureichuiitr; 

• M ./ayii*.in Titöser. mja 200 u, aber -diese Abnahme blb\b innerhalb der 

Grenzen der :KärpHrgwirditsschwi>nkungan hei d feste Kind^ ühephaMph Die höchste 
GewTi'lHw>ahnahme von : # *00 u zeigte das Kim] in liet.l ml periode und auch diese 
Srhwiinkmvg blifefr 'innerhalb der physu.dogisehiU) j»reite der Gewietitsanderuogen. 

Während des Aui^nt ha Uns auf der Klinik hatte das Kind, irouoero keim* Körper- 
gew»eht.$zunialuue: eintet, sich glanzend erholt. LVhatte blühende- Farben bekommen, 

. dky Tutel km waten deutlich kleiner geworden a.js ; hei der Aufnahme, die nervösen- 
Hes.-diwerdeh..des Kindes wären bedeutend gebessert,- Klagen ü)$i tepf$»teiettW 
Keinen uhochaupk fitcln vor; Der Aufenthalt. nt der veränderten Umgebung hatte auf 
: <U^4vtflliA»oeii gity* .besonders- günstigen Einfluss iuisgeubl, 


K. \V,, 0 Jahre alt, seit dem iy Jahre .in poliklinischer ßedfeäpIitMttg wegen’ 

1 ‘bumlaufen und rocidivirenden RrViochilidon. Aulgenonuner! den & :y Ot*. Ziemlich 

geiler junge nut .garte: Partei; ,ßkae,tn des Kase.hei'ngtvbgös,. Bridge;•.'; 
iyyphbse deroberen fiitistwirbeJsnule, abstehende Schultern, wenig Oervicaldrüsen. 
Vmsihm) fit^ht gi'uSs, tmngin, l-er, temion: ohne Befund. Patejimrefloie 
lobhaft, .panuienreliexe horabgeseUL 

X. Vor such (cf. Tabelle V.lik 
hau»M‘ <los Versuches: Vom 12. -1. 00 frujv bis 1,6. •>. früh. 

Gewicht 211 Beginn des Versuches: 24 t S Tg, 

Gewicht am Ende des Vmtete: 25,4 %« 

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X-Bilanz io ^ 

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2. Verbuch■ (»f. Tab^iie Vlil). 

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Dauer des Versucht** ; Vnm 26, 3. 06 früh Id? äß; $* früh. 

Gewicht *ü Xiogmii des Wsuohov- & t 7 kg, 

GewicM- a/n Ende des Versuches: 2(\,0 kg. 

Wahrend diesem Versuches zeigten sinh ah? Zeichen der lodwirkting massig starke 
Ööryaa, Webte Conjunctivitis und .Jodacne. 


$Sjih'-}fr >W$vifib : ‘f* iÖX' ; ^ . ’ . 7 ./ «, 

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Einnahme-N in 4 Tagen 
Ausgabe-N 4 ;■,,,; 

N r -Bilanz in 4 Tagen 


;{. V bt > u i\h (cf. Tabelle 1X.) 
Dauer des Versuches: Vmi # 4> früh bis 8 4,.ftüh. 
Gewicht su Beginn des Versuches; 25,8 kg- 
Am Ende des Versuches : 25.6 kg. 

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Auhgabe^X 


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.X-JhlanX-dh 5 Tagen 


45,7477 pro 

Am 5. t Margens trat etwas Efbrechnn auf, die Tetnjmraüir Äheods' betrug 
57,7, am 6. E Morgens 57,4, Abends 57 >7, a;vi 7. Morgens -57,2. ' Die Pulszahlen 
Acbwanivton wEhrend der VersnObi? i'Aviscbon D)0 und lüO, nur am 5. 4, Morgens nach 
domi Eibro< hc.i wurden UO thdse gozaidt. Abends 120. Am 7, i2o t/uise. am ^ 








Ueber den Einfluss von Schilddrüsendarreichung auf den Stickstoffwechsel etc. 


9 


124 Pulse. Dooh waren auch an den früheren Tagen bei dem leicht erregbaren Kinde 
manchmal 120 Pulse gezählt worden. 

Mit Ausnahme des 3. Tages im Versuch 3 verliefen die Stoffwechselversuche 
ohne jede Störung, das Kind befand sich vollkommen wohl, war lustig und guter 
Dinge. Das Erbrechon am Morgen des 5. 4. muss auf die allmählich sich immer 
steigernde Abneigung des Kindes gegen die Milchdiät zurüokgeführt werden. Dieser 
Widerwille gegen Milch war am Schluss des Versuches so gross, dass das Kind sofort 
zu brechen anfing, als einige Tage nach Versuch 3 und dann nooh einmal zwei 
Wochen später ein neuer Versuch angefangen werden sollte. Trotz der schönsten 
Versprechungen war der Knabe nicht mehr dazu zu bewegen, diese Milchdiät vier 
Tage hindurch zu sich zu nehmen. Von weloher Bedeutung aber derartige psychische 
Erregungen sein können, zeigt das Körpergewicht des Knaben. Am 11. 4. Körper¬ 
gewicht 25,4 kg. An diesem Tage auf zwei Milchmahlzeiten zweimal Erbrechen, dann 
wieder allgemeine Kost. Am nächstfolgenden Tage: Körpergewicht 24,9, am 13. 4. 
24,7 kg. Dann stieg das Körpergewicht mit Schwankungen auf 25,9 kg am 23. 4. An 
diesem Tage erfolgte nach einer Milchmahlzeit Erbrechen. Die Milchdiät wurde sofort 
ausgesetzt, am nächsten Tage war das Körpergewicht um 900 g, auf 25,0 kg ge¬ 
sunken. Derartige Schwankungen sind wohl zum grössten Theil, da das Kind die 
übrige Nahrung in anscheinend ausreichender Menge zu sich nahm, auf Schwankungen 
des Wassergehaltes zurückzuführen. 

Die Stickstoffbilanz der Vorperiode war negativ. Das Kind gab trotz genügen¬ 
der Calorienzufuhr in 4 Tagen 3,58 g Stickstoff, also täglich 0,88 g ab. Auch in der 
Jodperiode verlor das Kind täglich 1,31 gN von seinem Körpereiweiss während 4Tagen, 
also täglich 0,33 g. Diese negative Stickstoffbilanz verschlechterte sich in der Schild¬ 
drüsendarreichung ganz gewaltig. Das Kind gab hier in 5 Tagen 15,7 g N, gleich 
3,15 g N täglich ab. 

In directem Gegensatz zu der negativen Stickstoffbilanz steht das Körpergewicht. 
Im Vorversuche nahm das Kind trotz erheblichen Eiweissverlustes dauernd zu. Die 
Körpergewichtszahlen betragen: 

12. 3. 24,8 kg. 

13. 3. 25,0 kg. 

14. 3. 25,1 kg. 

15. 3. 25,2 kg. 

16. 3. 25,4 kg. 

Die Zunahme beträgt hier also 600 g. Auch in der Jodperiode nahm das Körper¬ 
gewicht um 300 g zu, dagegen trat in der fünftägigen Schilddrüsenperiode nur eine 
Abnahme von 200 g ein. Wenn man den verloren gegangenen Stickstoff als Muskel¬ 
fleisch berechnet, hätte das Kind während der Schilddrüsenfütterung ca. 500 g an 
Fleisch verloren, da es aber thatsächlioh nur 200 g abgenommen hat, muss es in 
dieser Zeit 300 g einer stickstofffreien Substanz (Fett oder Wasser) angesetzt haben. 

Die Harnsäureausscheidung war in der Vorperiode am niedrigsten, in der Jod¬ 
periode trat eine ganz unbedeutende Steigerung auf, und während der Schilddrüsen¬ 
verabreichung wurde die meiste Harnsäure ausgesohieden. 

4 . Fall. 

M. W., 9 Jahre alt, stets gesund, aufgenommen den 7. 6. 06, kräftig gebauter 
Junge, guter Ernährungszustand, etwas eingesunkene Claviculargruben, wenig Hals¬ 
drüsen, schlechte Zähne, Tonsillen klein, Pharynx gewulstet, innere Organe: ohne 
Befund. Reflexe: lebhaft, Faciaiisphänomen: beiderseits positiv. 

1. Versuch (cf. Tabelle X). 

Dauer des ersten Versuches: Vom 12. 6. 06 Morgens bis 16. 6. Morgens. 

Gewicht zu Beginn des Versuches: 26,9 kg. 

Am Ende des Versuches 26,7 kg. 


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Whhrrnd der VürverM;<'h-4 ?>ir-fc's*OlT^I(didi{£TiM'iehi: do* ». macln >ieii un 

VnrUiiife dev 'V» v i-<in:]«<•-: mr» d»M*tln;f‘&* XijSJoiM^s n-v Ssn-.fcr:lnHVsu>/-idn?idmi^ »m Urin 
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Ueber den Einfluss von Schilddrüsendarreichung auf den Stickstoffwechsel etc. 11 


Tabelle XII. 


Einnahmen: 

Ausgaben: 

Tag 

Nahrungsmenge j 

— -G 1 

£ J2 | 

’S s§ | 

9 u , 
53 'ä 

s iS i 

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O 41,0 1 

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I 

u | 

£ 

O 

g 

£ g 

S,g* 

CO « 

3 c/) 

I. 

II. 

III. 
IV. 

Milch+Zwieb.+Jodeig. 
2199,2+237,0+ 3,75 
2197,74 236,0+ 5.3 
2200,3+233,94 6,2 
2199,5+236,5+ 6,05 1 

| 11,0467 
| 10,8170 
| 10,81221 
10,66561 

3,6673 
| 3,6519 
! 3,6193 
3.6596 

1 

0,3062 ' 15,0202 

1 0,4968,14,9657 
0,5812 1 15,0127 
| 0,5671 | 14,8923 

2080 

1635 

1155 

1295 

! 

12,6360 

12,7944 

11,8786 

12,6553 

0,2499 
| 0,2758 
, 0,2844’ 
, 0,27651 

J 6,0767 

j 

1 


8796,7+943,4 • 21,30 j 

43,341 b\ 14,5981 

1,9513 

59,8909 

6165 

49,96431 1,0866 6,0767 56,0410 


N - B i 1 a n z. 

Einnahme-N in 4 Tagen = 59,S909 pro die = 14,9727 

Ausgabe-N „ 4 = 56,0410 » , ^ 14,0102 

N-Bilanz in 4 Tagen = + 3,8499 pro die = + 0,9625 

von 3,8 g Stickstoff oder täglich 0,96 g auf. Die Harnsäureausscheidung war, ent¬ 

sprechend den vorhergehenden Versuchen, in derVorperiode und während derJodeigon- 
zufuhr am niedrigsten und zeigte in der Schilddrüsenperiode einen täglichen An¬ 
stieg um 0,09 g Harnsäure. 

Das Körpergewicht, das in den ersten Tagen des Aufenthaltes auf dor Klinik 
um 800 g zugenommen hatte, nahm während des Vorversuches um 200 g ab und hielt 
sich in der Schilddrüsenperiode auf gleicher Höhe. Nach Beendigung des Versuches 
nahm das Körpergewicht langsam ab, um am 29. 6. den niedrigsten Stand mit 25,8 kg 
zu erreichen. Vom 29. 6. bis 2. 7. stieg es dann wieder auf 26,5 kg. Die Pulszahlen 
zeigten während des Schilddrüsenversuches keine Abweichungen von der Norm. Der 
Knabe befand sich während des Aufenthaltes auf der Klinik vollkommen wohl, nur 
am Morgen des 1. Jodeigontages nahm er die erste Portion mit Widerwillen und 
brach danach etwas. Sonst wurde das Pulver gut genommen. 

In einem 5. Versuche trat bei einer tägliohen Zufuhr von ca. 40 g frischer 
Schilddrüsen eine Gewichtsabnahme von 500 g in 4 Tagen auf. Ein Stickstoffwechsel¬ 
versuch war bei diesem Kinde nicht durchzuführen. n 

ln allen 5 Versuchen zeigte sich also trotz des Genusses grosser 
Mengen von frischer Schilddrüse in Bestätigung der Beobachtungen 
Gregor’s keine Beeinflussung des Allgemeinbefindens. Säramtliche Kinder 
fühlten sich während der Schilddrüsenperiode völlig wohl und munter. 
Puls und Athmung wurden ebenfalls in Bestätigung der Gregor’schen 
Angaben nicht beeinflusst. Dagegen zeigte sich, dass die Schilddrüsen¬ 
darreichung, in völliger Uebereinstiramnng mit den Beobachtungen an 
Erwachsenen, die Eiweisszersetzung beträchtlich erhöht; bei den beiden 
ersten Versuchskindern, die in der Vorperiode eine mehr oder minder 
grosse Stickstoffretention aufwiesen, trat eine negative Bilanz auf, im 
dritten Versuch, in dem schon während des Vorversuches eine negative 
Stickstoffbilanz vorhanden war, wurde dieselbe bedeutend grösser, und 
im vierten Versuch, in dem Stickstoffgleichgewicht bestand, fand ent¬ 
sprechend den übrigen Versuchen eine Stickstoffabgabe vom Organismus 
statt. Es verschlechterte sich die Bilanz bei Kind H. um 2,6 g täglich, 
bei Kind Z. um 1,6 g, bei Kind R. W. um 2,2 g und bei Kind M. W. 


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12 A. Orgler, 

um 2,2 g gegenüber der Vorperiode; pro Tag und pro Kilogramm wurden 
demnach abgegeben: 

von Kind H. 0,096 g X 

von Kind Z.0,1 g X 

Kind R. W.0,09 g N 

Kind M. W.0,08 g N 

Die Stickstoffabgabe pro Kilogramm und Tag ist also ziemlich 
gleichmässig. 

Dem gegenüber hatte das organisch gebundene Jod in dem Jod- 
cigonversuch bei Kind M. W. keinen Einfluss auf die Stickstoflausscheidung. 
Auch das anorganisch gebundene Jod führte in Bestätigung der Versuche 
von Bock 1 ), Magnus-Levy 2 3 ), Smirnoff 8 ) bei Kind R. W. trotz der 
hohen Gabe von 3 g Jodkaliura täglich zu keiner Erhöhung der Stickstoff¬ 
ausscheidung. Bei Kind Z. scheint allerdings das Jod einen Einfluss auf 
die Stickstoffausscheidung im Sinne einer Herabsetzung der Stickstoff bilanz 
gehabt zu haben; denn während in der zweitägigen Periode mit 1 g 
Jodkalium keine Beeinflussung der Bilanz sich zeigte, trat bei einer täg¬ 
lichen Zufuhr von 1,5 g des Salzes eine erhöhte Stickstoffausscheidung 
im Urin auf, und dementsprechend sank die Menge des retinirten Stick¬ 
stoffes ganz erheblich; doch ist die Versuchsdauer (zwei Tage) zu kurz, 
um aus diesem einen Falle irgend welche weitergehenden Schlüsse zu 
ziehen. Bemerkenswerth ist, dass dieses Kind Z. keine Jodwirkung 
zeigte, während bei Kind R. W. sich in der Jodperiode eine deutliche 
Jodacne und ein leichter Schnupfen einstellten. 

Die Harnsäureausscheidung war in der Vorperiode bei allen Kindern 
am niedrigsten. Durch Jodkaliumzufuhr wurde sie bei Kind R. W. 
garnicht beeinllusst, dagegen trat eine deutliche Vermehrung bei Kind Z. 
auf, bei dem auch die Stickstoffretention in den letzten zwei Tagen be¬ 
deutend geringer war; Jodeigon hatte keinen Einfluss auf die Harn¬ 
säureausscheidung. In dpr Schilddrüsenperiode trat entsprechend der 
Zufuhr purinhaltiger Körper eine Steigerung der Harnsäureausscheidung 
auf, die bei Kind Z. täglich 0,12 g (ca. 50 pCt.), bei Kind R. W. 0,08 
(33 pCt.), bei Kind M. W. 0,09 (33 pCt.) betrug. Diese Vermehrung der 
Harnsäureausscheidung ist nicht als specifische Wirkung der Schild¬ 
drüsenzufuhr anzusehen, da nach den Untersuchungen von Paul Mayer 4 ) 
Schilddrüsentabletten keinen Einfluss auf die Harnsäurenausscheidung 
haben. Die Zufuhr von Kalbsmilch führte bei Kind Z. zu einer erheb¬ 
lichen Vermehrung der Harnsäureausscheidung. 

Das Körpergewicht zeigte in zwei Fällen eine deutliche Abnahme 
von je 500 g, die ausserhalb der Schwankungen des Körpergewichtes 
lag; in den drei anderen Fällen trat keine sichere Beeinflusssung des 
Körpergewichtes ein. Die geringfügigen Abnahmen bei diesen drei 
Kindern liegen innerhalb der Gewichtsschwankungen der Kinder überhaupt. 

1) Bock, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 5. S. 393. 1869. 

2) Magnus-Levy, 1. c. 

3) Smirnoff citirt nach Maly. 18S4. S. 397. 

4) Faul Mayer, Deutsche med. Wochenschr. 1896. S. 186. 


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Ueber den Einfluss von Schilddrüsendarreichung auf den Stickstoffwechsel etc. 13 

Nehmen wir aber einmal an, es handele sich in diesen Fällen nicht 
um Schwankungen des Körpergewichtes, sondern um durch die Schild¬ 
drüsenmedikation hervorgerufene Verluste, und berechnen wir die aus 
der Stickstoffabgabe resultirenden Eiweissverluste auf Muskelsubstanz, so 
ergiebt sich unter Berücksichtigung des Körpergewichtes folgende Tabelle: 



Abnahme an Muskel¬ 
substanz aus N-Vcr- 
lust berechnet (100 g 
Muskel = 3.3 g N) 

Körpergewichts- * Zu- oder Abnahme 

abnahme an N-freier Substanz 

I 

Kind H. i 

— 300 g 

— 500 g — 200 g 

Kind Z. ! 

-150 g 

— 200 g 1 — 50 g • 

Kind R. W. | 

— 500 g 

— 200 g + 300 g 

Kind M. \V. ' 

— 250 g 

-200 g ' +50g 


Die vier Kinder verhalten sich also ganz verschieden. Zwei von 
ihnen geben in der Schilddrüsenperiode noch stickstofffreie Substanzen 
ab, die beiden letzten setzten dagegen derartige Körper in verschieden 
hoher Menge an. Für den Ansatz oder die Abgabe an stickstofffreien 
Materialien des Körpers kommen nur Fett und Wasser in Betracht. 

Würden diese Körpergewichtsschwankungen nur auf x\enderungen 
des Fettgehaltes beruhen, so ergäbe sich folgende Fettbilanz: Kind fl. 
hat in der Vorperiode 2,5 g N = 75 g Muskelsubstanz angesetzt und 
200 g an Körpergewicht verloren, mithin 275 g Fett abgegeben. In der 
Schilddrüsenperiode beträgt aber, wie oben berechnet, die Abnahme an 
stickstofffreien Materialien nur 200 g; es sind also in der Vorperiode 
75 g Fett mehr vom Körper abgegeben worden. Kind Z. setzt in der 
Vorperiode 1,8 g N = 60 g Muskel an, nimmt aber 100 g an Körper¬ 
gewicht ab. Es würde also 160 g an Fett verloren haben gegenüber 
nur 50 g in der Schilddrüsenperiode. Kind M. W. nimmt bei Stickstoff¬ 
gleichgewicht in der Vorperiode 200 g ab, es verliert also 200 g Fett; 
in der Schilddrüsenperiodc weist es dagegen einen Fettansatz von 50 g auf. 

Aus dieser Art der Berechnung würde sich also ergeben, dass in 
der Schilddrüsenperiode die Fettretention besser ist, als bei unbeein¬ 
flusstem Stoffwechsel. Dagegen sprechen aber sämratliche Erfahrungen 
über die Wirkung der Schilddrüsen auf den Körper. Ist doch dieses 
Medikament als Entfettungsmittel vielfach mit Erfolg angewandt worden. 
Wenn auch in einer Reihe von Respirationsversuchen [Magnus-Levy 1 ), 
Jacquet und Svenson 2 ), Andersen und Bergmann 3 )] keine deut¬ 
liche Steigerung der C0 2 -Ausscheidung und 0 2 -Aufnahme nachweisbar 
war, während dieser Einfluss bei anderen gesunden Versuchspersonen 
constatirt werden konnte [Magnus-Levy 4 5 ), Stueve 6 ), Thiele und 


1) Magnus-Levy, 1. c. 

2) Jacquet u. Svenson, Zeitschr. f. klin. Mcdicin. 1900. Bd. 41. S. 375. 

3) Andersen u. Bergmann, Skandinavisches Archiv f. Physiologie. 1898. 
Bd. 8. S. 326. 

4) Magnus-Levy, 1. c. 

5) Stueve, citirt nach Noorden, Handb. d. Pathologie d. Stoffwechsels. 

Bd. II. S. 323. 


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A. Orgler, 

Nehring 1 )] hat sich ein Herabgehen der Kohlensäureausscheidung und 
der Saüerstoffaufnahme nirgends gezeigt, so dass wir keinen Anhalts¬ 
punkt dafür haben, dass die Fettretention beim Menschen unter dem 
Einfluss der Schilddrüsen günstiger ist, als ohne diese. Aus den Unter¬ 
suchungen von Voit 2 ) beim Hunde geht mit Sicherheit hervor, dass der 
Fettansatz, der bei seinen Versuchsthieren auch in der Schilddrüsen¬ 
periode vorhanden war, niedriger war als in der Vorperiode. 

Am deutlichsten widerlegt das Verhalten des Körpergewichtes bei 
Kind R. W. die Annahme, dass derartige Aenderungen des Gewichtes 
nur auf den Fettstoffwechsel zurückzuführen sind. Dieses Kind giebt in 
der Vorperiode 3,5 g N = 100 g Muskelsubstanz ab. Es nimmt aber 
600 g an Körpergewicht zu, hat also 700 g an stickstofffreiem Material 
angesetzt. 

In der Nahrung (1800 g Milch mit ca. 3 pCt. Fett) erhält es täglich 
54 g Fett oder in vier Tagen ca. 220 g Fett. Davon gehen schätzungs¬ 
weise 10 pCt. im Koth verloren. Es bleiben also dem Organismus 
200 g Fett zum Ansatz übrig. Die fehlenden 500 g Fett, d. h. täglich 
120 g, müsste das Kind demnach aus den Kohlehydraten der Nahrung ge¬ 
bildet haben. Das ist möglich, aber schwer vorstellbar, da nach unseren 
Anschauungen über die Rolle der Kohlehydrate diese in erster Reihe als 
Eiweisssparer dienen und erst dann als Fett angesetzt werden, wenn sie 
ihr Hauptamt erfüllt haben. 

Calorisch berechnet erhält das Kind in vier Tagen 7,1 Liter Milch 
ä 650 Cal. = 4610 Cal. und 860 g Zwieback (100 g Zwieback 
= 300 Cal.) = 2600 Cal., also zusammen rund 7200 Cal. Davon bringt 
es 5600 Cal. als Fett (700 g Fett; lg Fett = 8 Cal. gerechnet) zum 
Ansatz; es hätte also zur Bestreitung seines Haushaltes nur 1600 Cal. 
aus der Nahrung und 100 Cal. aus dem vom Körper abgegebenen 
Eiweiss = 1700 Cal. oder pro die 420 Cal. verbraucht; d. h. das Kind 
wäre mit 16 Cal. pro Tag und Kilogramm ausgekommen. Das ist völlig 
ausgeschlossen, sodass in diesem Falle die Gewichtszunahme zum 
grössten Theil auf Wasseransatz beruhen muss. In der Schilddrüsen¬ 
periode erhielt das Kind in 5 Tagen 270 g Fett, also abzüglich des 
Verlustes im Koth, 250 g zur freien Verfügung des Organismus; da es 
300 g an stickstofffreier Substanz angesetzt hat, müsste es also selbst 
bei dem colossalen Stickstoffverlust von 15,7 g noch 50 g Fett aus 
Kohlehydraten gebildet haben. 

Wir kämen also zu ganz merkwürdigen Resultaten, wollten wir die 
Körpergewichtsänderung nur auf die Zu- oder Abnahme des Fettbestandes 
zurückführen. Solche Berechnungen sind ja, so lange keine Respirations¬ 
versuche angestellt werden, völlig hypothetisch, und ich bin hier nur 
deswegen ausführlich darauf eingegangen, weil Erich Müller 3 ) in seiner 
umfangreichen Arbeit über „Stoffwechselversuche an 32 Kindern usw.“ 


1) Thiele u. Nehring, Zeitschi. f. klin. Medicin. 1896. Bd. 30. S. 41. 

2) Voit, Zeitschr. f. Biologie. 1897. Bd. 35. S. 116. 

3) Erich Müller, Biochemische Zeitschr. 1907. Bd. 5. S. 143. 


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Ueber den Einfluss von Schilddrüsendarreichung auf den Stickstoflfwechsel etc. 15 


auf diese Art der Berechnung grossen Werth legt und auf diesem Wege 
den Nährstoffbedarf der Kinder ermitteln zu können glaubt. Auch die 
Berechnung der vom Körper abgegebenen Stickstoffmengen als Muskel¬ 
fleisch ist nicht richtig, da, je nachdem stiekstoifreicherc oder -ärmere 
Gewebe verloren gehen, die thatsächlichen Verluste grösser oder kleiner 
ausfallen, als die auf Muskelsubstanz berechneten Wcrthe. 

Wir müssen also auf Grund dieser Berechnung annehmen, dass ein 
grosser Theil der Körpergewichtsschwankungen in meinen Versuchen auf 
Acnderung des Wassergehaltes beruht. 

Das Flüssigkeitsbedürfnis war bei den Kindern verschieden. In 
Fall 1 und Fall 5 trat trotz der grossen Flüssigtaitszufuhr von 2 Litern 
vom zweiten oder dritten Tage des Schilddrüsenversuches ab so starkes 
Durstgefühl auf, dass den Kindern noch 200 bis 300 ccm Wasser 
täglich zugelegt werden mussten; die drei anderen Kinder kamen dagegen 
mit den zugemessenen Flüssigkeitsquanten aus. Im Fall 1 ist die Diurese 
deutlich vermehrt, im Fall 5 konnte sie nicht festgestellt werden, bei 
den drei übrigen Kindern tritt keine deutliche Vermehrung auf. Polyurie 
und Polydipsie sind von verschiedenen Beobachtern [David 1 ), Andersen 
und Bergmann 2 3 ), Scholz 8 ) undDennig 4 5 )] bemerkt worden; Dobrowski 6 ) 
fand bei seinen sämratlichen Kindern vermehrte Diurese und starkes 
Durstgefühl; doch lässt sich keine Gesetzmässigkeit zwischen dem Ver¬ 
halten des Körpergewichtes und der vermehrten Flüssigkeitsaufnahme 
feststellen, wenn es auch auffallend ist, dass meine beiden Kinder, bei 
denen ein starkes Durstgefühl auftrat, eine starke Körpergewichtsabnahme 
zeigten. Allerdings bestehen hinsichtlich der Fähigkeit, Wasser zu 
retiniren, die grössten individuellen Schwankungen. Giebt es doch 
Menschen, die selbst im Hunger bei unbeschränkter Flüssigkeitszufuhr 
an Körpergewicht zunehmen [Tuczek 6 )]. Gerade das Kind R. W. zeigte 
in diesem Punkte ein auffallendes Verhalten. So setzte es in der Vor¬ 
periode trotz negativer Stickstoffbilanz reichlich Wasser an; als nach 
Abschluss des Schilddrüsenversuches ein neuer Versuch angestellt werden 
sollte, brach, wie oben geschildert, das Kind die erste Milchportion aus 
und weigerte sich, die Versuchsnahrung weiter zu nehmen; obwohl das 
Kind sofort gemischte Kost bekam und an diesem Tage anscheinend 
hinreichend ass, stürzte das Körpergewicht von 25,9 kg auf 25,0 kg ab. 
Dies alles spricht dafür, dass bei manchen Kindern Veränderungen des 
Körpergewichtes grösstentheils auf Schwankungen des Wassergehaltes 
beruhen und dass eine gute Körpergewichtszunahme nicht immer 
identisch ist mit Fett- oder Eiweissansatz. Es kann, wie aus dem 
Versuch I bei diesem Kinde hervorgeht, vom Körper Eiweiss abgegeben 


1) David, l. c. 

2) Andersen u. Bergmann, 1. c. 

3) Scholz, 1. c. 

4) Dennig, 1. c. 

5) Dobrowski, Archiv f. Kinderheilkunde. 1897. Bd. 21. 

6) Tuczek, Archiv f. Psychiatrie. 1884. Bd. 15. S. 784. 


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16 A. Orgler, Ueber den Einfluss von Schilddrüsendarreichung etc. 

werden, und trotzdem das Körpergewicht in Folge einer starken Wasser¬ 
retention sich beträchtlich erhöhen. 

Aus meinen Versuchen ergiebt sich demnach, dass in Bestätigung 
der Gregor’schen Versuche die Verabreichung grosser Schilddrüsen¬ 
mengen das Allgemeinbefinden, Puls und Athmung bei Kindern nicht 
beeinflusst; das Körpergewicht wird nur in einem Theil der Fälle 
verändert. Dagegen tritt in allen Fällen in Bestätigung der Re¬ 
sultate bei Erwachsenen eine nicht unbeträchtliche negative Stickstoff¬ 
bilanz auf. 


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II. 


Aus der chemischen Abtheilung des pathologischen Instituts der 

Universität Berlin. 

Ueber den Aschengehalt einiger Se- und Excrete des Körpers 
(Magensaft, Faeces, Sperma). 

Von 

A. Albu (Berlin). 

Als um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die ersten exacten 
Untersuchungen über den Aschengehalt einiger pathologischer Aus¬ 
scheidungen des Körpers angestellt wurden, lieferte 1861 auch der 
damals in Würzburg wirkende berühmte Kliniker Baraberger dazu 
einen wcrthvollen Beitrag mit einer quantitativen Aschenanalyse des 
Sputums bei verschiedenen Lungenkrankheiten 1 ). Baraberger betonte, 
dass er diese Untersuchungen unternommen habe in der Idee, durch 
einen Vergleich des Aschengehalts der Se- und Excrete des Körpers 
mit dem Salzgehalt des Blutes Anhaltspunkte für die Beurtheilung des 
Antheils der anorganischen Substanzen an pathologischen Vorgängen im 
Organismus zu finden. Diese Anregungen haben hier und da Beachtung 
gefunden. So hat z. B. Salkowski 2 ) als Erster den Umfang des Alkali¬ 
stoffwechsels im Organismus durch cxacte quantitative Analysen in Harn, 
Fäces, Sputum und Blutserum ermittelt. Am energischsten verfolgt 
wurden diese Gedanken von dem Marburger Kliniker F. W. Beneke, 
der in zahlreichen Arbeiten den Störungen im Umsatz der anorganischen 
Salze einen breiten Platz im Rahmen der Stoffwechselerkrankungen ein¬ 
räumte 3 ). 

Aber diese Anfänge zu einer Physiologie und Pathologie des Mineral¬ 
stoffwechsels sind allmählich fast vollständig vergessen worden, nachdem 
die klinisch-chemische Forschung in den letzten Jahrzehnten in ganz 
andere Bahnen gelenkt worden ist. Erst in neuester Zeit ist die Auf¬ 
merksamkeit auf die Bedeutung der anorganischen Salze für den Gesammt- 
stoffwechsel im Organismus von Neuem gelenkt worden durch die Unter¬ 
suchungen von Bunge und Tigerstedt und ihren Schülern, von Blau- 

1) Würzburger med. Zeitschr. Bd. 2. 

2) Virchow’s Archiv. Bd. 53. 1871. 

3) Grundlinien der Pathologie des Stoffwechsels. Von F. W. Beneke. 
Berlin. 1874. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 9 


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A. Albu, 

berg, Tangl, Rumpf und Dennstedt, Sootbeer, Tobler u. A., 
vor Allem aber durch durch die Ergebnisse des Studiums der physika¬ 
lisch-chemischen Wirkung der Salze im Körper. Auf Grund der neu 
gewonnenen Anschauungen und Erkenntnisse haben dann Neu berg und 
ich vor wenigen Jahren eine kritische Sichtung des gesammten bisherigen 
Wissens auf diesem Gebiete gebracht 1 ). Wir haben dabei auch hervor¬ 
gehoben, dass zur richtigen Würdigung der pathologischen Bedeutung 
der zahlreich vorliegenden Einzelanalysen der verschiedensten Ausschei¬ 
dungen des Körpers die Kenntniss der normalen Aschenzusammensetzung 
der Se- und Excrete unerlässlich ist. Das Wenige, das in dieser Hin¬ 
sicht bisher bekannt ist, haben wir in unserem Buche zusaramengestellt 2 ) 
und dabei auf die zahlreich klaffenden Lücken hingewiesen. Einige 
wenige derselben auszufüllen, war der Zweck der Untersuchungen, über 
deren Ergebniss im Folgenden kurz berichtet ist. 

Bei diesen Untersuchungen, die auf einem so wenig beackerten Felde 
sich bewegen, war es nothwendig, zum Theil überhaupt erst eine Me¬ 
thodik ausfindig zu machen. Dadurch sind manche Unvollkommenheiten 
und Lücken zu erklären und wohl zu entschuldigen, welche das Er¬ 
gebniss dieser Untersuchungen noch aufweist. 


I. Vom Magensaft des Menschen liegt bisher in der Literatur über¬ 
haupt noch keine Aschenanalyse vor. 

Für die beiden Analysen, die im Folgenden mitgetheilt werden, ver¬ 
wendete ich: 

1. Den Magensaft eines Falles von extremer Hypersecretion und 
Hyperchlorhydrie, welchen ich seit 5 Jahren zu beobachten Gelegenheit 
habe. Der continuirlich vorhandene Magensaftfluss erfährt anfallsweise 
eine ausserordentliche Steigerung, welche in Erbrechen von stark sauer 
riechender und reagirender trüber wässeriger Flüssigkeit zum Ausdruck 
kommt. Diese Flüssigkeit enthält ebenso wie der aus dem nüchternen 
Magen ausgeheberte Inhalt niemals Speisereste, zuweilen nur Hefe in 
Sprossung, daneben spärliche Epithelien, Leukocyten und freie Zellkerne. 

Die Säurewerthe des zur Analyse verwendeten, durch Ausheberung dos nüch¬ 
ternen Magens gewonnenen Saftes betrugen: 

91 ccm Vio NaOH für freie Salzsäure 
112 „ y i0 „ „ Totalacidität 

d. h. 0,33 bez. 0,41 pCt. HCl. 

200 ccm Magensaft wurden eingedampft und ergaben 0,4866 g Trockensubstanz. 
Bei der Veraschung derselben wurde 0,0083 g wasserunlösliche Substanz gefunden, 
welche aus Spuren von Eisen-, Calcium- und Magnesiumverbindungen bestand. 

Gesammtasohe = 0,4743 g = 97,47 pCt. der Trockensubstanz. 

Es wurde auf 250 ccm Wasser aufgefüllt. 

Gesammtalkali (Alkalichloride) = 0,4655 g = 98,31 pCt. der Asche. 

Chlor = 0,2508 g = 52,87 pCt. der Asche. 


1) Physiologie und Pathologie des Mineralstoffwechsels. Von A. Albu und 
C. Neuberg. Berlin. 1906. 

2) 1 . c. Cap. III. S. 31-60. 


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l’eber den Aschengehalt einiger Se- und Excrete des Körpers. 


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PtCI 6 K 2 = 0,3380 g in 100 ccm der auf 250 ccm aufgefüllten Asche = 
34,83 pCt. K 2 0. 

NaCl = 0,2047 g = 22,87 pCt. Na^. 

Schwefelsäure und Phosphorsäure konnten nicht in nachweisbaren Mengen con- 
statirt werden. 

2. Wurde der Magensaft der bekannten Bickel’schen Versuchs¬ 
person verwendet, welche wegen impermeabler Oesophagusstrictur eine 
permanente Magenfistel trägt. 

Der Magensaft wurde nach einer Scheinfütterung innerhalb einiger Stunden auf¬ 
gefangen. Mit diesem Magensaft, der also speichelfrei ist, wurde in gleicher Weise 
verfahren, wie mit dem vorigen. 

100 ccm wurden eingedampft und verascht. Darin waren 0,0043 pCt. wasser¬ 
unlösliche Bestandtheile enthalten = 2,39 pCt. der Asche. Diese machte 0,1801 g 
aus. Der wasserlösliche Theil davon wurde auf 250 ccm aufgefüllt und hiervon 100 com 
zur Bestimmung der Alkalichloride verwendet. 

K 2 PtCl 6 = 0,1310 g = 35,62 pCt. K 2 0. 

KCl = 0,1010 g; NaCl = 0,0748 g = 0,0397 g Na 2 0 = 22,05pCt. derAsche. 

Die Chlorbestimmung wurde in 50 ccm Asche vorgenommen; sie ergab 
0,0724 g AgCl = 49,73 pCt. CI. 

Ein Vergleich der beiden Analysen ergiebt trotz der physiologischen Differenz 
der Magensäfte für die Hauptbestandtheile gut übereinstimmende Werthe: 


CI 

k 2 o 

NajjO 

52,87 

34,83 

22,87 

49,73 

35,62 

22,65 

(Procentgehalt der Asche). 


II. In Bezug auf den Koth findet sich in der Literatur zwar eine 
grössere Zahl von Analysen betreffs des Gesammtaschengehaltes, aber 
nur wenige mit quantitativer Feststellung der einzelnen Salze. Gamgee 
citirt in seinem bekannten Buche „Chemie der Verdauung“ 1 ) drei ältere 
Analysen von Fleitmann, Porter und Enderlin; dazu ist 1893 eine 
Analyse von Grundzach 2 ) gekommen; sonst liegen nur noch vollstän¬ 
dige Aschenanalysen für Säuglingsfaeces bei Brust- und Kuhmilchnabrung 
von Blauberg 3 ) vor. Schliesslich ist noch zu erwähnen, dass Fr. 
Müller 4 ) eine genaue quantitative Analyse des Kothes im Hungerzustand 
(bei Cetti) durchgeführt hat. Dieses spärliche Material verliert dadurch 
noch an Werth, dass die Resultate der einzelnen Autoren mehr oder 
minder von einander abweichen oder sich sogar sehr widerspruchsvoll 
gegenüberstehen. Die Differenz der Analysen findet ohne Weiteres ihre 
Erklärung darin, dass fast jeder Autor nach einer anderen Methodik ge¬ 
arbeitet hat. Es fehlt leider noch eine allgemein anerkannte Technik der 
Aschenanalyse für die organischen Se- und Excrete des Körpers. Es 
ist dabei stets besondere Rücksicht auf den Umstand zu nehmen, dass 
einzelne Mineralbestandtheile im Koth organisch gebunden sich vorfinden, 
so z. B. ein grosser Theil des Phosphors an Nuclein und Lecithin. 

1) Deutsche Uebersetzung. Leipzig 1897. 

2) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 23. 1893. 

3) Experimentelle und kritische Studien über Säuglingsfaeces. Berlin 1897. 

4) Virchow’s Archiv. Bd. 131. 1893. Supplementheft. 

2 * 


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A. Albu, 


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Die älteren Methoden der Aschenanalysen erscheinen heute nicht 
mehr brauchbar. In neuerer Zeit hat Blauberg 1 ) grossen Wert darauf 
gelegt, dass die Trennung der in HCl löslichen Bestandtheile des Kothes 
erst nach der Veraschung vorgenommen wird. Ob dabei erhebliche 
Differenzen in der Aschenzusammensetzung sich ergeben, lässt sich zur 
Zeit noch nicht übersehen. 

Nach den von mir gemachten Erfahrungen erscheint es mir noth- 
wendig, für die Aschenanalyse des Koths folgendes zu beachten: Die 
Kieselsäure, die in jedem Koth in beträchtlichen Mengen vorhanden ist, 
kann unter Umständen störend wirken, besonders bei der Herstellung 
alkalischer Schmelzen, z. B. zur Bestimmung von Phosphor, Schwefel 
und Chlor. Bei der Kieselsäure unterscheidet man bekanntlich eine 
alkalilösliche und eine alkaliunlösliche. Die erstere geht beim Schmelzen 
mit Alkalien vollständig, die letztere z. Th. in Lösung, und sie finden 
sich dann im Filtrat in der Form löslichen Alkalisilikats. Beim Ansäuern 
fällt die Kieselsäure aus, und zwar zeigt sie sich dann in Form einer 
leichten diffusen Trübung. In dieser Form mag sie bisher wohl oft 
übersehen oder für ganz unwesentlich gehalten worden sein, da sie bei 
schlechter Beleuchtung vollständig unsichtbar sein kann. Erwärmt man 
aber die Flüssigkeit einige Zeit auf dem Wasserbade, so ballt sich die 
leichte Trübung schnell zu kleinen Wölkchen zusammen und setzt sich 
schliesslich in Form eines weissen flockigen Niederschlages zu Boden. 
Um die lösliche Kieselsäure quantitativ zu entfernen, wurde folgender- 
maassen verfahren: Die Flüssigkeit wurde nach Zusatz der betreffenden 
Säure (bei P und CI Salpetersäure, bei S Salzsäure) auf dem Wasserbade 
vollständig zur Trockne eingedampft, mit etwas Wasser und der be¬ 
treffenden Säure einige Zeit digerirt und dann die unlöslich gewordene 
Kieselsäure abfiltrirt. 

Die Art und Weise der Herstellung der Gesamratasche ist nirgends 
beschrieben. Ich habe sie in folgender Weise vorgenommen: Es wurde 
auf trockenem Wege verascht, wobei dann nach dem Ausziehen der 
Asche mit Wasser und Salzsäure schliesslich nur die Kieselsäure unlös¬ 
lich zurückblieb. Das wässrige und salzsaure Extract wurde dann auf 
dem Wasserbad zur Trockne verdampft und nach etwa 6 Stunden im 
Trockenschrank bei 110° getrocknet, bis Gewichtsconstanz eingetreten 
war. Schwach geglüht durfte unter keinen Umständen werden, da hierbei 
Calcium und Magnesium leicht ihr Chlor abgeben und in die Oxyde über¬ 
gehen können. Die Asche wurde dann gewogen, gelöst und in ein 
Kölbchen zu 250 ccm übergeführt. In den einzelnen Bestimmungen wurden 
alsdann gewöhnlich 50 ccm dieser Lösung verwendet. Chlor wurde in 
einer besonderen Portion bestimmt. 

Die Kenntniss des Aschengehalts der Faeces hat nicht nur Werth 
für die Beurtheilung der Ausnutzung der Nahrungssalze, sondern auch 
der Gesammtnahrung, weil nach unseren neueren Anschauungen der Salz¬ 
gehalt einen unverkennbaren Einfluss auf die Verwerthung der orga¬ 
nischen Nährstoffe ausübt. Das geht z. B. klar aus den Untersuchungen 

1) 1. c. 


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Ueber den Aschengehalt einiger Se- und Exerete des Körpers. 


21 


Rubner’s 1 ) und Fr. Müller’s 2 ) über die Ausnutzung reiner Mileh- 
nahrung hervor: Die relativ hohe N-Ausscheidung ira Koth (vom un- 
verwertheten Milcheiweiss stammend) ist z. Th. durch den grossen Kalk¬ 
gehalt der Milch hervorgerufen, welcher in der Kothasche einen Gehalt 
von 41,2 pCt. Kalk ausmacht (etwa y 7 des gesammten Trockenkothes!) 
und dadurch einen Theil des organischen Nahrungsrestes mit sich fort- 
reisst. 

In neuerer Zeit haben übrigens einige Arbeiten aus dem physiolo¬ 
gischen Institute Tigerstedt’s in Helsingfors mit Sicherheit nachge¬ 
wiesen, dass an dem Aschengehalt des Koths die Darmsecrete d. h. die 
Abscheidungen seitens der Darm wand einen erheblichen Antheil haben. 
Nach den Untersuchungen von Tigerstedt jun. 3 ) und namentlich von 
ßenvall 3 ) stammen vom P 20—41 pCt., vom Ca. 30—13—50pCt. und 
vom Magnesium 17—27 pCt. der Gesamratausscheidungen im Koth vom 
Darmsecret. Ferner hat Ury 4 ) eine quantitative Bestimmung der von 
der Darmwand abgeschiedenen Salze gemacht durch Extraction der 
frischen Faeces mit Wasser, wobei die unlöslichen Nahrungsrückstände 
auf dem Filter Zurückbleiben. Dabei ergab sich, dass vom Kalk der 
Faeces 4,3 pCt., vom Phosphor 26,2 pCt. und vom Magnesium 40,5 pCt. 
in den wässrigen Auszug übergehen, also als Darmsecret zu betrachten 
sind. Die Menge des abgeschiedenen Darmsecrets schwankt nun wiederum 
erheblich je nach der Art der zugeführten Nahrung, welche im Darm 
zur Verarbeitung und zur Aufsaugung gelangt. Für den Säuglingskoth 
hat Blauberg 5 ) ermittelt, dass die Unterschiede in der Zusammensetzung 
der Asche bei natürlicher und künstlicher Ernährung im Grossen und 
Ganzen mit den Differenzen im Aschengehalt der Muttermilch und der 
Kuhmilch parallel gehen. Blauberg fand in 100 Theilen der in HCl 
löslichen Asche: 



bei Brustnahrung 

Kuhmilchnahrung 

k 2 o 

25,00 

11,27 

NajO 

4,20 

— 

CaO 

31,15 

34,63 

MgO 

8,75 

5,33 

Fe,O s 

1,91 

1,50 

cf 

3,45 

3,40 

so 3 

3,81 

2,62 

p 2 o 6 

11,81 

15,28 


Mit Rücksicht darauf, dass bei frei gewählter Kost die Aschen¬ 
zusammensetzung des Koths des Erwachsenen stets in weiten Grenzen 
schwanken muss, welche durch die Differenz im qualitativen und quan¬ 
titativen Salzgehalt der Nahrung bedingt sind, habe ich für die weiterhin 
mitgetheilten drei Kothanalysen nur eine ganz bestimmte Standardkost 


1) Zeitschrift für Biologie. Bd. 15. 1879. 

2) Zeitschrift für klin. Med. Bd. 12. 1887. 

3) Skandin. Archiv für Physiologie. Bd. 16. 1903. 

4) Deutsche med. Wochenschr. 1901. No. 41. 

5) 1. c. 


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A. Albu 


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benutzt und zwar die von Ad. Schmidt 1 ) zur Functionsprüfung des 
Darms angegebene „Probediät“, welche sich in folgender Weise zu- 
samraensetzt: l l / 2 Liter Milch, 125 g Rindfleisch, 200 g Kartoffeln, 100 g 
Zwieback, 80 g Haferflocken, 20 g Butter und 3 Eier. 

Diese Kost, 2—3 Tage fortgesetzt, liefert einen durch Carrain sehr 
leicht abzugrenzenden Koth, der bei gesundem Darm von gleichraässiger 
Beschaffenheit, gebunden und geformt ist. Die Trockensubstanz beträgt 
ca. 25 pCt., der Gesamrataschengehalt in derselben 12—15 pCt. Von 
der bekanntlich sehr mühsamen Aschenanalyse dieser Kost habe ich Ab¬ 
stand genommen, weil die Ermittelung des Mineralstoffurasatzes ausser¬ 
halb des Rahmens der hier raitgetheilten Untersuchungen lag 2 ). 

Koth II stammt von einer Nahrung, in welcher wegen der Intoleranz 
der Versuchsperson gegen grössere Mengen Milch die oben erwähnte 
Standardkost so verändert war, dass 1 Liter Milch ersetzt war durch 
1 Liter Cacao, zu dem 60 g Cacao, l / 4 Liter Milch und 20 g Zucker 
verwendet waren. Diese Differenz in der Nahrung ist in der Aschen¬ 
zusammensetzung des Kothes deutlich zum Ausdruck gekommen, nament¬ 
lich in Bezug auf die Ausscheidung von Kalk, Phosphor und Magnesium. 

Koth 1. 

Es wurden 2,3806 g Trockensubstanz verascht, welche 0,9870 g = 41,4G pCt. 
Gesammtasche ergaben. 

Kieselsäure = 0,0052 g = 0,52 pCt. der Asche. 

CaO = 0,2380 g = 24,11 pCt. 

Mg 2 0 7 P 2 = 0,0192 g (in 50 ccm) = 3,53 pCt. MgO. 

BaS0 4 = 0,0586 g (in 70 ccm) = 2,03 pCt. S0 3 . 

AgCl aus 1,1465 g Asche (mit Na^jCOg-Zusatz) = 0,0262 g = 5,66 pCt. CI. 

Mg 2 P 2 0 7 (1,2844g Asche auf 250 ccm aufgefüllt und davon 100 ccm) = 0,0878g 
= 10,89 pCt. P 2 0 6 . 

Gesammtalkali (ICOccm von derselben Lösung) = 0,0608g K 2 PtCl ß = 0,2396 g. 

Hieraus KCl = 0,0405g; NaCl=0,0203g; K 2 0 = 27,25pCt.; Na 2 0 = 13,90pCt. 

Koth II. 

Verascht wurden 5,0952 g Trockensubstanz, welche 0,9204 g = 18,06 pCt. 
Gesammtasche ergab. 

Kieselsäure = 0,0108 g = 1,59 pCt. 

CaO (in 50 ccm) = 0,0744 g = 39,54 pCt. 

Mg 2 P 2 0 7 = 0,0040 g = 7,87 pCt. MgO. 

BaS0 4 = 0,0155 g = 2,89 pCt. 

Die Chlorbestimmung ging verloren. 

Mg 2 P 2 0 7 (angewandt 1,7054 g Trockensubstanz = 0,3080 g Asche) = 0,0320 g 
= 33,22 pCt. P 2 0 5 . 


1) A. Schmidt u. J. Strasburger, Die Faeces des Menschen. Berlin 1903. 

2) Die Durchführung der Untersuchung des Salzstoffwechsels unter Benutzung 
einer derartigen Standardkost erscheint aber sehr lohnend und zweckmässig, da es 
bisher eine den gesammten Mineralstoffumsatz umfassende Untersuchung des gesunden 
Menschen überhaupt noch nicht giebt! Eine detaillirte Analyse des Aschengehalts der 
Kost ist eigentlich immer nothwendig, da er bei vielen Nahrungsmitteln in ausser¬ 
ordentlich weiten Grenzen schwankt. Annähernde Durchschnittswerthe können indess 
nach den Tabellen im „Albu-Neuberg“ gewonnen werden. 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber den Aschengehalt einiger Se- und Excrete des Körpers. 


23 


Gesammtalkali (angewandt 1,3688 g Trockensubstanz = 0,2498 g Asche) = 
0,0540; K 2 PtCl 6 = 0,0954 g; KCl = 0,0295 g; NaCl = 0,0245 g. 

K 2 0 = 7,26 pCt.; NaoO = 5,62 pCt. 

Koth III. 

Es wurden 3,9924 g Trockensubstanz verascht, welche 1,4423 g = 36,12 pCt. 
Asche ergab. 

Si0 2 = 0,0187 g = 1,29 pCt. 

CaO = 0,0640 g = 22,18 pCt. 

Mg 2 P 2 0 7 = 0,0456 g = 5,107 pCt. MgO. 

BaS0 4 = 0,0250 g = 2,97 pCt. S0 3 . 

Die Chlorbestimmung ging verloren. 

Mg 2 P 2 0 7 = 0,0904 g = 19,98 pCt. P 2 0 6 . 

Gasammtalkali = 0,0384 g; K 2 PtCl 6 = 0,0730 g; KCl = 0,0225 g; NaCl = 
0,0159 g; K 2 0 = 12,42 pCl.; NajjO = 2,29 pCt. • 

Eine Zusammenstellung dieser drei eigenen Kothanalysen mit den 
in der Litteratur bereits vorhandenen bei frei gewählter Kost ergiebt 
folgendes Resultat: 


In 100 Theilen der Gesammtasche sind enthalten: 


CI 

Na20 

• K 2 0 

PaO 

C 2 0 5 

MgO 

SO s 

Si0 2 

Autor 

5,66 

1 13,90 

27,25 

24,11 

10,89 

3,53 

2,03 

0,52 

) 

— 

I 5,62 

7,26 

39,54 

33,22 

7,87 

2,89 

1,59 

> Standard-Kost: Albu. 

— 

2,92 

12,42 i 

22,18 

19,98 

5,11 

2,97 

1,29 

1 

0,34 

i 0,75 
5,17 
3,82 

18,49 i 
6,10 , 
12,00 

21,36 

26,46 

29,25 

30,98 
36,03 
i 13,76 

10,67 

10,54 

7,58 

1.13 

3.13 
0,64 

1,44 

0,05 

1 Fleisch mann, 

I Porter, Grundzach. 

1,36 

1,96 

19,60 

12,65 

14.52 

12.53 

43,13 

55,75 

1,20 

4,12 

6,34 

3,71 

— 

| Hungerkoth: Fr. Müller. 


Aus diesem spärlichen Vergleichsmaterial 1 ) Schlussfolgerungen ab¬ 
zuleiten, ist nur mit grösster Vorsicht gestattet. Die Ausscheidungs¬ 
verhältnisse im Hungerzustande als Grundlage zu benutzen, wie das 
sonst bei Erörterung der Stoffwechselverhältnisse vielfach mit vollem 
Recht üblich ist, erscheint in diesem Falle misslich, weil die Asche des 
Hungerkothes ja nicht die normalen Abscheidungsproducte der Darm¬ 
wand darstellt, sondern als eine anomale zu betrachten ist, insofern 
nämlich als Phosphor in ganz exorbitanter Menge erscheint, Kalk und 
Magnesia dagegen in Quantitäten, welche weit unter dem Durchschnitt 
bei jedweder Nahrungszufuhr liegt. Diese abnormen Verhältnisse sind 
augenscheinlich durch den gesteigerten Zerfall von Knochengewebe 
und dergleichen bedingt, der dem chronischen Hungerzustand eigentüm¬ 
lich ist und bekanntlich auch in dem gegenseitigen Mengenverhältniss von 
Kalk und Magnesium im Hungerharn zum deutlichen Ausdruck kommt. 
Der Hungerkoth kann also nicht als Basis für die Aufstellung einer 

1) Reichlicher vorhanden ist das Material von Analysen des Hundekotbes bei 
verschiedenartiger Ernährung (Rubner, C. Voit, Fr. Müller u. a.). Diese mit zum 
Vergleich heranzuziehen, nehme ich aber Abstand, weil die Ernährungs- und Re¬ 
sorptionsverhältnisse des Menschen nicht als gleichartig gelten können. 


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Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



24 


A. A1 b u, 


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Norm gelten. Im übrigen sind, von den erwähnten Mineralien abge¬ 
sehen, die Differenzen geringer, als man theoretisch voraussetzen sollte 
— offenbar weil doch, wie schon oben mehrfach erwähnt, ein grosser 
Theil, selbst bis zur Hälfte, auch der anorganischen Kothbestandtheile 
nicht aus den unverdauten Nahrungsresten, sondern von der Darmwand 
stammt. 

Dass die Aschenzusammensetzung des Kothes von der Art der 
Nahrung abhängig ist, erscheint selbstverständlich. Sie wird von der 
Quantität und namentlich der Qualität der Kost in viel höherem Maasse 
beeinflusst, als z. B. der N-Gehalt des Kothes, der doch nur in geringen 
Grenzen schwankt. Schon der ausserordentlich reichhaltige und mannig¬ 
faltige Gehalt der Nahrung an Mineralstoffen bedingt zahlreiche Varia¬ 
tionen in der Ausscheidung. Noch mehr als die N-Ausfuhr wird die 
Aschenausscheickmg durch die jeweilige Mischung verschiedener Nahrungs¬ 
mittel bestimmt und verändert. Aber noch ein zweiter Factor variirt 
constant die Aschenzusammensetzung des Kothes: die individuell stets 
in weiton Grenzen schwankende Resorptionsgrösse der Nahrungssalze, 
und schliesslich noch die beträchtliche, aber stets wechselnde Abscheidung 
der Salze durch das Darmsecret. Aus diesen Gründen muss die 
Aschenzusammensetzung des normalen Kothes immer in erheblich grösserem 
Umfange schwanken, als z. B. die N-Ausfuhr im Koth. Einheitliche 
Zahlen lassen sich selbst bei derselben Person und derselben Kost nicht 
zu jeder Zeit erwarten. Keiner Diät kann eine genau feststehende 
Aschenzusammensetzung entsprechen. Nur so vermag man die theilweis 
recht grossen Differenzen zu erklären, welche sich zwischen den Analysen 
der älteren Autoren sowohl unter einander, wie den raeinigen gegenüber 
finden, die auch zum Theil recht beträchtliche Unterschiede aufweisen, 
obwohl ihnen eine gleichartige, constante Kost zu Grunde liegt. 

Nach obiger Tabelle kann man heute nicht mehr von „Durchschnitts- 
werthen der Aschenzusammensetzung bei gemischter Kost“ sprechen, wie 
es z. B. noch Fr. Müller beim Vergleich der Kothaschen der Hungernden 
that. Wenn er z. B. darin das Ueberwiegen der Alkalien als charakte¬ 
ristisch bezeichnet, so kann das schon nach den älteren analytischen 
Zahlen, geschweige denn nach den von mir gefundenen, nicht als zu¬ 
treffend erachtet werden. 

Es ergiebt sich also als Schlussresultat die Möglichkeit ausser¬ 
ordentlicher Sch wankungen in der Ausscheidung jedes einzelnen 
ßestandtheiles der Kothasche, aber doch immer nur innerhalb 
gewisser Grenzen nach unten wie nach oben. Das scheint mir 
dadurch bedingt zu sein, dass ein grosser Theil, vielleicht der grösste 
Theil der Kothasche nicht aus den Nahrungsresten, sondern von der 
Darrawand stammt. Damit steht die Thatsache in Uebereinstimmung, 
dass das relative Verhältniss der einzelnen Bestandtheile der 
Kothasche zu einander im Grossen und Ganzen ein ziemlich regel¬ 
mässiges ist. Innerhalb einer gewissen Breite der Schwankungen macht 
sich also auch hier doch eine Gesetzmässigkeit geltend! 

Es wird weiteren Forschungen Vorbehalten sein, zu ermitteln, in 
welchem Maasse verschiedene auf ihren Salzgehalt quantitativ genau 


Gck igle 


Original fro-m 

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lieber den Aschengehalt einiger Se- und Excrete des Körpers. 


25 


analysirte Kostformen einen Einfluss auf die Aschenzusamrnensetzung des 
Kothes ausüben. Nur ein Vergleich zwischen dem Aschengehalt der 
Nahrung und des Kothes wird eine volle Aufklärung darüber zu geben 
vermögen, einen wie grossen Antheil die Nahrungssalze überhaupt an der 
Kothasche haben. 

111. In dritter Reihe habe ich es mir angelegen sein lassen, eine 
eine Aschenanalyse menschlichen Spermas zu gewinnen, da eine 
solche noch nicht vorhanden ist. Zwar hat Slowtzoff 1 ) quantitative 
Bestimmungen einiger Mineralbestandtheile gemacht, aber ohne Angabe 
der analytischen Methode und der Zahlenbelege. Auf den von diesem 
Autor gefundenen erstaunlich hohen Kalkgehalt (20 pCt. der Gesammt- 
asche) hat G. v. Bunge 2 ) seine Anschauungen über die Noth- 
wendigkeit der grossen Kalkzufuhr in der Nahrung aufgebaut, um die 
beständige Neubildung aller Gewebe, auch des Spermas, zu ermöglichen. 
Die Zurückhaltung, die sich Bunge in der Verwerthung dieses analyti¬ 
schen Befundes für seine Theorie auferlegt, erscheint mir sehr berechtigt, 
nachdem meine Analyse zu einem ganz anderen Ergebniss geführt hat, 
als diejenigen Slowtzoffs. 

Die Gewinnung des Materials war eine recht schwierige. Nach 
meinen Ermittelungen werden bei einer einzelnen Ejaculation im Durch¬ 
schnitt nicht mehr als 5 ccm Sperma entleert. Die zur Analyse ver¬ 
wendete Menge war ein Gemisch, das von mehreren jungen, kräftigen 
Männern stammte; es war vorder Verarbeitung längere Zeit unter Toluol 
aufbewahrt. Die Trockensubstanz machte 5,3 pCt. des frischen Spermas 
aus [bei Slowtzoff 9,79 pCt. im Mittel von 4 Bestimmungen in sehr 
kleinen Portionen] 3 ), der Aschengehalt 16,6 pCt. der Trockensubstanz 
(bei Slowtzoff im Mittel 9,39 pCt.). 

Sperma-Analyse. 

• 52 ccm; davon 10 ccm direct zur Cl-Bestimmung benutzt. In einer Platin¬ 

schale eingedampft und mit chlorfreiem Na 2 C0 3 geglüht, in HN0 3 aufgenommen, 
gekocht, filtrirt; Filtrat mit AgNO s versetzt. 

AgCl = 0,0616 g 
CI = 0,0152 g, 

das sind 17,2 pCt. CI (auf Aschengehalt berechnet). 

Der Rest (42 ccm) wird in einer gewogenen Platinschale eingedampft und bis 
zur Constanz bei 115° getrocknet; 

in 42 ccm sind 2,2281 g Trockensubstanz. 

Die Trockensubstanz wurde geglüht und die Asche gewogen. 

In 42 ccm Sperma 0,3725 g Aschengehalt, das sind 16,6 pCt. Asche. 

Die Asche wurde in H 2 0 -|- HCl gelöst und auf 100 ccm aufgefüllt. 

Es wurden 20 ccm zu je einer Bestimmung von S und P, Ca und Mg, K und Na 
und Si0 2 , und 15 ccm zur Bestimmung von Fe angewandt. 

1) B. Slowtzoff, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 35. 1902. 

2) G. v. Bunge, Lehrbuch der Physiologie. Bd. 2. S. 119. 

3) Es ist leider nicht angegeben, ob dieselben von einer oder verschiedenen 
Personen stammen. 


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Original fru-m 

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A. Albu, 


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'.V» 

Schwefel und Phosphor. 
s 0,3725 g Substanz 

0,0860 g BaS0 4 
3,17 pCt. S. 

p a j s phosphorsäure-Ammoniummolybdat gefällt, in NH 3 gelöst und als Magne- 
siumammoniumphosphat gefällt und als Mg 2 P 2 0 7 gewogen: 

0,3725 g Substanz 
0,1315 g Mg 2 P 2 0 7 
9,828 pCt. P. 

Calcium und Magnesium. 

Ca 20 ccm der Lösung werden amraoniakalisch gemacht, dann mit Essigsäure 
v rsot/i und mit Ammoninmoxalat das Calciumoxalat gefällt und als CaO gewogen. 

' 1 ‘ 1 0,3725 g Substanz 

0,01 g CaO 
1,91 pCt. Ca. 

Mc ln> Filtrat mit Ammoniak und Dinatriumphosphat das Magnesium als 
Mhcrj v.r.mammoniumphosphat gefällt und als Mg 2 P 2 0 7 bestimmt. 

0,3725 g Substanz 
0,0365 g Mg 2 P 2 0 7 
2,14 pCt. Mg. 

Kalium, Natrium, Kieselsäure. 

^ ccm der Lösung werden mit Baryt und Ammoniumbicarbonat gefällt, und 
V in einer gewogenen Platinschaale eingedampft und geglüht. 

0,0935 g KCl + NaCl. 

\w H.,0 gelöst, auf ein kleines Volumen eingeengt und mit PtCl 4 in alkohol- 
v >,*;>cher Lösung K 2 PtCl 6 gefällt; als Pt gewogen. 

0,3725 g Substanz 
0,0025 g Pt. 

0,001 g K 
0,269 pCt. K. 

Aus der Summe der Chloride und K das Na berechnet: # 

0,3725 g Substanz 
0,0915 g NaCl 
0,035 gNa 
9,30 pCt. Na. 

[Ungelöste Substanz = Kieselsäure. 

0,3725 g Substanz 
0,0585 g Si0 2 
15,7 pCt. Si0 2 1 )]. 

Eisen. 

15 ccm Lösung mit H 2 S0 4 2 mal eingeengt (zur Entfernung von HCl) und zu 
Oxydul reducirt. 

Hierauf mit Vio nKMn0 4 titrirt. Gebraucht: 2 ccm KMn0 4 , das entspricht 
0,0112 g Fe. 

0,3725 g Substanz, also 3,00 pCt. Fe. 

1) Diese auffällig hohe Zahl des Gehalts an Kieselsäure in der Spermaasche 
lässt Bedenken gegen die Richtigkeit der Analyse in diesem Punkte aufkommen. Es 
ist wahrscheinlich, dass hier Si0 2 aus den Glasgefässen gelöst ist. 


Gck igle 


Original frum 

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Ueber den Aschengehalt einiger Se- und Excrete des Körpers. 27 


Ich schliesse 

hier die von 

Slowtzoff angegebenen analytischen 

Zahlen an: 




In 100 Theilen Asche 



CINa 

. . 29,05 

— 

— 

C1K 

. . 3,12 

— 

— 

S0 3 

. . 11,72 

7,65 

— 

CaO 

. . 22,40 

15,08 

— 

E2O3 

. . 28,79 

20,55 

36,04 pCt. 


Diese Zahlen zeigen schon untereinander und theilweise auch zu den 
von mir gefundenen so erhebliche Differenzen, dass es vorläufig wohl 
noch nicht zulässig ist, Durchschnittswerthe für die Aschenzusammen¬ 
setzung des menschlichen Spermas aufzustellen. Es bedarf dazu noch 
weiterer Analysen an einem grösseren Material. • Wahrscheinlich kommen 
aber auch hier nicht unwesentliche individuelle Abweichungen vor. 


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Original fro-m 

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III. 


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Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Breslau. — 
Director: Geh.-Rath Prof. Dr. Filehne. 

Pharmakologische Studien fiber einige Pyrazolonderivate. 

Von 

Dr. Joh. Biberfeld, 

Privatdocent und Institutsassi stent. 


Die grosse praktische Wichtigkeit, die das Antipyrin und das 
Pyramidon gewonnen haben, einerseits, und andrerseits die unerwünschten 
Nebenwirkungen dieser Substanzen in vereinzelten Fällen, lassen es be¬ 
greiflich und wünschenswert erscheinen, dass immer wieder Versuche 
gemacht werden, zu solchen Pyrazolonderivaten zu gelangen, die zwar 
die gleichen therapeutischen Vorzüge besitzen, von denen aber die Neben¬ 
wirkungen nicht zu befürchten sind. Nun sind allerdings schon beim 
Antipyrin derartige Nebenwirkungen nur in einer im Vergleich zu der 
übergrossen Verwendung geringen Zahl beobachtet, und noch viel 
weniger solcher Fälle sind von dem ja ebenfalls in ausserordentlich 
weitem Umfange gebrauchten Pyramidon bekannt gegeben worden. Meist 
sind es überdies Begleiterscheinungen, wie starke Schweissausbrüche und 
ähnliches, von denen ein wirksames Antipyretieum, wie man mit 
Sicherheit Voraussagen kann, nie ganz und bei allen Individuen frei 
sein wird. Trotzdem ist das Streben nach Ersatzmitteln, die noch 
Besseres leisten, an sich natürlich und berechtigt, nur wird man von 
vornherein Mitteln, die nach dem bekannten Schema chemisch dargestellt 
sind, wie Tolypyrin u. dergl. 1 ), mit Misstrauen begegnen müssen. Und 
auch Derivate, die vermöge ihrer Constitution wirklich neue Gesichts¬ 
punkte bieten, werden -wir nur für die Erprobung am Menschen in 
Betracht ziehen können, wenn sie sich im Thierexperiment nicht nur als 

1) Liebreich, Therap. Monatshefte. 1893. S. 180. — Kobert (Beiträge zur 
Kenntniss einiger Pyrazolonderivate, Zeitschr. f. klin. Medicin. Bd. 62. S. 11 des 
Sept.-Abdr.) führt gegen die Allgemeingiltigkeit dieser Anschauung an, dass Codein 
so wesentlich verschieden vom Morphin sei, trotzdem es ebenfalls nur eine Methyl¬ 
gruppe mehr habe. Doch dürfte nicht zu vergessen sein, dass hier die Methylgruppe 
das Phenolhydroxyl des Morphins cachirt, von dem wir als sicher annehmen können, 
dass es für die physiologische Wirkung eine wesentliche Bedeutung besitzt. Eine 
solche Esterbildung ist wohl nicht ohne Weiteres in Parallele zu setzen mit der Ein¬ 
führung einer Methylgruppe am Benzolring. 


Gougle 


Original fro-m 

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Pharmakologische Studien über einige Pyrazolonderivate. 


29 


weniger giftig, sondern und vor Allem auch als besser oder zum mindesten 
als ebenso wirksam wie Pyramidon bezw. Antipyrin erwiesen haben. Diese 
Prüfung der therapeutischen Wirksamkeit im Thierexperiment ist allerdings 
nur in einer Richtung direct möglich, nämlich hinsichtlich der Beein¬ 
flussung experimentell erzeugten Fiebers, während die praktisch vielleicht 
noch wichtigere allgemein narkotische, antineuralgische Eigenschaft sich 
einer experimentellen quantitativen Bestimmung entzieht 1 ). Doch ist 
dies kein wesentlicher Fehler, da die Erfahrung gelehrt hat, dass sowohl 
bei den Pyrazolon-, als auch bei den Anilinderivaten (Aeetanilid, 
Phenacetin etc.) die analgesirende und die antipyretische Wirkung stets 
zusammen und in ungefähr gleichbleibender Relation Vorkommen; von 
einem chemisch den genannten Gruppen angehörenden Präparate kann 
man erwarten, dass es gut schmerzstillend wirken wird, wenn es in 
entsprechender Menge die Fiebertemperatur genügend herabsetzt 2 ). 

In den letzten Jahren habe ich eine Anzahl von Pyrazolonderivaten 
untersucht, die in dem unter Leitung des Herrn Prof. W. Roser 
stehenden wissenschaftlichen Laboratorium der Höchster Farbwerke von 
Dr. F. Stolz dargestellt worden sind, und will im Folgenden hierüber 
berichten, da sich einige für die Beziehung zwischen Constitution und 
Wirkung interessante Punkte herausgestellt haben. — Da alle Präparate 
im Vergleich zu Antipyrin und Pyramidon untersucht wurden, seien hier 
die für diese geltenden wirksamen und toxischen Dosen angeführt: Vom 
Antipyrin erniedrigen an Kaninchen 0,3—0,5 g per os (subcutan etwas 
weniger) deutlich die Fiebertemperatur. Toxisch ist es, nach Fi lehne 3 ), 
zu 1 g subcutan für mittelgrosse Kaninchen, also etwa 0,5 g pro Kilo¬ 
gramm Körpergewicht; dosis letalis etwa bei 1,5 g. Für Hunde ist 
Antipyrin noch weniger giftig; wie Robert (1. c. S. 29) anführt, haben 
Crolas und Hugounencq nach Einzelgaben von selbst 20 g keine 
wesentlichen Störungen gesehen (?). Für Pyramidon fand Fi lehne 
bei Kaninchen schon 0,05 subcutan wirksam; toxisch ist nach ihm 
0,5 g, sicher tödtlich 0,75 g subcutan. Für Hunde fand er 0,1 anti¬ 
pyretisch wirksam, die toxische Dosis hat er für diese Thiere nicht 
mitgetheilt. Nach meinen Versuchen liegt die dosis letalis etwa bei 
0,3 subcutan pro Kilogramm. (Robert, 1. c. S. 38, giebt 0,4 pro Kilo¬ 
gramm oder etwas weniger als tödtliche Dosis an.) — Zur Erzeugung 
des „Fiebers 44 spritzte ich meist den Versuchsthieren (Kaninchen) sterili- 
sirtes Heuinfus (5—10 ccm) ein. In einzelnen Fällen benutzte ich auch 
die nach dem Aronsohn-Sachs’schen Gehirnstich eintretende Temperatur¬ 
erhöhung. 

Unter den in Betracht kommenden Substituirungen am Antipyrin- 
molekül nimmt, wie das Beispiel des Pyramidons gezeigt hat, die Ein- 


1) Einen ziemlich guten Anhalt hierfür giebt die Bestimmung der beim Frosch 
eben noch Stupor, resp. Krämpfe erzeugenden Dosis. 

2) Für die Auffassung von S. Frankel (Arzneimittelsynthese, II. Aufl. S. 286), 
dass die antineuralgische Wirkung einem anderen Atomcomplexe als die anti¬ 
pyretische zukommt, liegt kein genügender Grund vor. 

3) Zeitschr. f. klin. Medicin. Bd. 32. H. 5 u. 6. 


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30 


J. Biberfeld, 


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führung der Amidogruppe, den davon s. Z. von Fi lehne gehegten Er¬ 
wartungen entsprechend, eine bevorzugte Stellung ein. Filehne hob 
schon hervor, dass das Pyraroidon insofern den Substituirungsbestrebungen 
einen gewissen Abschluss gebe, als in ihm das letzte am Pyrazolonringe 1 ) 
des Antipyrins noch freie H-Atom besetzt ist. Es war nun interessant 
zu sehen, wie sich Körper verhielten, in denen die (eventuell alkylirte, 
resp. acetylirte) Amidogruppe am Benzolring eingefügt worden war. Von 
solchen habe ich folgende untersucht: 

In m-Stellung amidirte Körper, also solche von der Constitution: 
C 5 H 7 N 2 OC 6 H 4 NH 2 (1:3), resp. C 5 H 7 N 2 OC 6 H 4 NH * COCH 3 (1:3), m-Amido- 
antipyrin und ra-Acetylamidoantipyrin. 

Von dem einfachen m-Amidoantipyrin stand mir nur eine geringe 
Menge zur Verfügung, sodass ich nur wenige Versuche vornehmen 
konnte; in diesen zeigte sich das Präparat als so gut wie unwirksam. 
Folgenden Versuch führe ich als Beispiel an: 

Kaninchen, am Tage vorher mit Heuinfas inficirt, hat 10 Uhr 50 Min. eine 
Recturatemperatur von 39,7°, erhält dann nochmals 5,0 Heuinfus. 

11 Uhr 25 Min. Temp. 39,4 Grad 4 Uhr 55 Min. Temp. 41,0 Grad 1,0 per os 


12 

71 

— 

11 

„ 40,1 

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0,3 per os 

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11 








Von der AcetylVerbindung hatte ich eine grössere Menge. Ihre 
Giftigkeit ist, wie ich in Uebereinstimmung mit Kobert 2 ) (1. c. S. 41) 
fand, sehr gering. Trotzdem habe ich — meine Versuche liegen zeitlich 
vor denen Kobert’s — von der Empfehlung einer klinischen Erprobung 
abgesehen, da es antipyretisch in sieben angestellten Versuchen nur 
sehr wenig wirkte; z. B.: 

Kaninchen, Tags vorher Heuinfus. 


8 Uhr 

— 

Min. Temp. 40,0 Grad, 

nochmals 5 pCt. Heuinfus 

8 „ 

45 

ii ii 

40,4 

n 


9 „ 

20 

ii ii 

40,6 

ii 


10 „ 

— 

ii ii 

40,7 

ii 

1,5 per os 

10 „ 

55 

” T) 

40,5 

ii 


11 n 

20 

TI ” 

40,4 

ii 


12 „ 

25 

V 

40,5 

TI 


12 „ 

55 

” T) 

40,5 

ii 


1 „ 

55 

ii 11 

40,6 

Ti 


2 „ 

30 

ii 11 

40,5 

11 


3 ii 

10 

11 )» 

40,6 

11 


3 ii 

55 

11 ?l 

40,7 

11 


4 „ 

30 

n n 

40,7 

71 



1) Merkwürdigerweise wird Pyramidon von S. Frankel (Arzneimittelsynthese, 
II. Autl., S. 220) als „Anilin und Antipyrin zugleich“ bezeichnet. 

2) An der betreffenden Stelle ist bei Kobert von der ortho-Verbindung die 
Rede; dies ist jedoch in dem Separatabdruck, den Herr Prof. Kobert an meinen 
Chef, Herrn Geb. Rat Filehne, schickte, handschriftlich in meta corrigirt. 


Gck 'gle 


Original frorn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Pharmakologische Studien über einige Pyrazolonderivate. 31 

Wenn wir somit sehen, dass diese Präparate ihren pharraakodynami- 
schen Effect entweder ganz verloren haben oder aber jedenfalls darin 
weit hinter dem nicht amidirten Körper (Antipyrin) zurückstehen, so 
bleibt, da die Araidirung an sich sonst stets die antipyretische Wirk¬ 
samkeit erhöht, zur Erklärung kaum eine andere Annahme übrig als, 
dass die Amidirung durch Aenderung physikalischer Eigenschaften (wie 
Lipoidlöslichkeit und ähnliches) dem Körper die Möglichkeit genommen 
hat sich in der für eine Wirkung erforderlichen Weise an das Proto¬ 
plasma der betreffenden Zellen anzulagern. Und natürlich ist dies auch 
dann der Grund der geringen Giftigkeit. — Weiterhin spricht mein 
Befund auch dafür, dass das Antipyrin durch sein Gesammtmolekül 
wirkt, nicht nach Aufspaltung in die beiden Ringe 1 ). Denn hätte der 
Organismus die Fähigkeit, eine solche Spaltung in einem einigermaassen 
erheblichen Umfange zu leisten, so müsste ja hier Anilin resp. Acetanilid 
entstehen, und diese würden sicherlich die Temperatur herabsetzen. 

Eine grössere Bedeutung konnte man von vorneherein für die 
in p-Stellung amidirten Derivate erwarten, da diese bei fast allen 
Benzolabkömralingen den entsprechenden m-Verbindungen an physio¬ 
logischer Wirkung überlegen sind. Und das war auch bei unseren Ver¬ 
bindungen meist zutreffend, jedoch nicht in allen Fällen. 

Das p. Diraethylaraidoantipyrin (1 p. dimethylamidophenyl 
2. 3. dimethyl 5 pyrazolon) ist ein weisses Pulver vom Smp. 136—137°, 
in Wasser leicht löslich; die wässrige Lösung wird durch FeCl s roth 
gefärbt; mit salpetriger Säure entsteht grünes p. Dimethylamido 4 nitroso- 
antipyrin. Es beeinflusst die Wärmeregulation sehr energisch, ungefähr 
ebenso wie Pyramidon 2 * ), z. ß.: 

Kaninchen. 1900 g. 


7 

Uhr 40 Min. Temp. 39,1 Grad 5,0 Heuinfus 

1 Uhr 55 Min. 

Temp. 39,1 Grad 

9 

» 15 » 

77 

41,3 „ 0,2 per os 

2 „ 30 

77 

77 

38,8 

77 

10 

» »0 „ 

77 

41,0 „ 

3 „ 10 

77 

77 

39,6 

77 

10 

77 ^5 77 

77 

39,8 „ 

4 „ 15 

77 

77 

40,1 

77 

11 

77 ^ 77 

7 ? 

39,6 „ 

5 » - 

77 

77 

40,3 

77 

12 

n 10 

77 

39,6 „ 

5 „ 50 

77 

77 

40,3 

77 

12 

7) 50 „ 

77 

39,5 „ 

6 „ 20 

77 

77 

40,3 

77 


Hund 5500 g erhält in Zwischenräumen von 3—4 Tagen 0,25, 0,5 
und 0,75 subcutan; ausser Stupor und Erbrechen nichts Besonderes. 
Auf die Dosis von 1,0 geht er innerhalb von 24 Stunden ein. Die 
Giftigkeit ist demnach etwas grösser als die des Pyramidons (dosis letal, 
für Hunde ca. 0,2 pro Kilogramm). Von einer therapeutischen Erprobung 
habe ich daher trotz der kräftigen, dabei langsam einsetzenden und 


1) Hierfür ist auch anzuführen, dass die im Harne isolirten Stoflwechselproducte 
des Antipyrins und des Pyramidons (Antipyrilharnstoff etc. und Rubazonsäure) beide 
Ringe enthalten. Allerdings wäre es immerhin noch möglich, wenn auch nicht eben 
wahrscheinlich, dass gerade der nicht wiedergefundene Theil der eingeführten Menge 
gespalten und dadurch wirksam gewesen sei. 

2) Auch Fi lehne, 1. c. hat den Körper bereits bei flüchtiger Untersuchung 

als sehr wirksam befunden. 


Digitized by 


Go igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



32 


J. Biberfeld, 


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ebenso verklingenden Wirkung Abstand genommen. — Bemerkenswerth 
war, dass bei den toxischen Dosen sowohl Kaninchen als Hunde nicht 
die für Pyramidon typischen Krampferscheinungen darboten; das einzige 
Symptom, das daran erinnerte, war ein kurzdauernder Trismus bei 
Kaninchen; sonst sah ich nur Lähmungserscheinungen. 

Ganz wirkungslos fand ich das Acetylderivat (1 p. Acetylamido- 
phenyl 2.3 dimethyl. 5 pyrazolon; weisses Pulver vom Smp. 221°, 
in Wassser ziemlich leicht löslich; FeCl 3 färbt die Lösung roth, HN0 2 
grün durch Bildung von p. Acetylamido 4 nitrosoantipyrin). Bei einem 
spontan fiebernden Kaninchen (wie die Section erwies, hatte es eine aus¬ 
gedehnte Eiterung des Unterhautzellgewebes) erhielt ich folgenden Ver¬ 
suchsverlauf: 

8 Uhr — Min. Temp. -10,3 Grad 1,5 per os 2 Uhr — Min. Temp. 40,7 Grad 
10 „ - „ » 40,5 „ 3 „ — „ „ 40,9 „ 

10 45 „ „ 40,7 „ 4 „ 10 „ „ 40,6 „ 

11 „ 30 ,, „ 40,8 „ 6 „ r „ 40, i ,, 

1^ »45 „ „ 40,8 „ 

Wie tiefgreifend die Amidirung unter Umständen die physiolo¬ 
gische Wirkung ändert, lehrt uns das Präparat, in dem eine Dimethyl- 
amidogruppe in Stellung (4) am Pyrazolon- und eine zweite solche Gruppe 
in p-Stellung am Benzolring vorhanden ist (1 p. Dimethylamidophenyl 
2.3 dimethyl 4 diraethylamido 5 pyrazolon; leicht löslich in Wasser, 
die wässrige Lösung wird durch FeCI 3 und HN0 2 violett gefärbt; Smp. 
126—127°), also ein p. Dimethylamidopyramidon. Die Giftigkeit 
dieser Substanz übersteigt die des Pyramidons bei Hunden und Kaninchen 
um ein Vielfaches (ca. 0,04 pro kg bei Hunden und 0,02 pro kg bei 
Kaninchen sind schon tödtlich). Die antipyretische Wirkung ist selbst 
nach Dosen, die den toxischen sehr nahe kommen, relativ gering; 

Kaninchen 1900: 

9 Uhr 15 Min. Temp. 39,3 Grad 5,0 Heuinlüs 2 Uhr — Min. Temp. 40,0 Grad 


10 

77 

30 

7i 

n 

40,2 

„ 0,005 subcutan 

3 

77 10 

77 

77 

S9,5 

77 

11 

n 

15 

n 

77 

40,0 

77 

4 

r — 

77 

77 

39,4 

77 

11 

n 

55 

77 

71 

40,3 

7) 

5 

71 

77 

77 

40,0 

77 

12 

r> 

36 


77 

40,8 

,, 0,02 subcutan 

6 

77 

77 


40,4 

T? 


Nach letalen Dosen erfolgte der Tod unter Krämpfen, ähnlich denen 
nach Pyramidon; die beim p. Dimethylamidoantipyrin so ausgesprochenen 
Lähmungserscheinungen traten hier nicht hervor. 

Nach dem Ergebniss dieser Versuche hat das Bestreben, durch Ami¬ 
dirung am Benzol dem Pyramidon gleiehwerthigc oder überlegene Prä¬ 
parate zu erzielen, bisher keinen nennenswerthen Erfolg gehabt. 

Das letzte freie H-Atom am Pyrazolonringe des Antipyrins, das im 
Pyramidon durch die Dimethylamidogruppc ersetzt ist, lässt sich auch 
durch Alkyle substituiren, und mit deren Hilfe ist es wiederum möglich 
weitere Atomgruppen anzugliedern. 

Das einfachste dieser Präparate ist das [4] Methylantipyrin 
(1 Phenyl 2.3.4 trimethyl 5 pyrazolon; weisses Pulver, Smp. 82°, 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Pharmakologische Studien über einige Pyrazolonderivate. 


33 


leicht löslich in Wasser, durch Eisenchlorid roth gefärbt). Es wirkt 
antipyretisch etwas besser als Antipyrin: 

Kaninchen 1600: 

11 Uhr 30Min. Temp. 39,0Grad 10,0Heainfus subcut. 3 Uhr 15 Min. Temp. 38,2 Grad 

12 „ 30 „ „ 39,3 „ 4 „ 30 „ „ 38,5 „ 

1 „ 35 „ „ 40,4 „ 0,2 subcutan 5 „ 10 „ „ 38,8 „ 

2 „ 30 „ „ 39,1 „ 6 „ - „ „ 38,8 „ 


aber auch seine Giftigkeit ist grösser: 

Kaninchen 1500 g erhält 1,0 subcutan, nach 20 Minuten Ausbruch 
von Krämpfen, nach 30 Minuten f. 

Das Präparat wurde daher als ungeeignet zur Erprobung am Menschen 
angesehen. 

Ersetzt man in [4] ein H des dort substituirten Methyls durch die 
Dimethylamidogruppe, so erhält man den Körper 1 Phenyl 2.3 di- 
methyl 4 diäthylaraidomethy 1 5 pyrazolon; in Wasser leicht 
mit alkalischer Reaction löslich, fällt aus einer Lösung von Eisenchlorid 
Fe(OH) s , giebt mit HN0 2 keine Reaction; Smp. 73°. Seiner Constitution 
nach kann also der Körper gewisserraaassen als ein höheres Homologe 
des Pyramidons aufgefasst werden. Seine Wirkung ist schwächer: 


Kaninchen: 9 Uhr 35 Min. Temp. 40,0 Grad (gebrauchtes Thier) erhält 10,0 Heuinfus 
10 „ 30 „ „ 39,0 „ 

12 „ 10 „ „ 41,1 „ 0,2 subcutan 

^ 71 ^ n 77 ^7^ 77 

2 „ 40 „ „ 40,7 „ 

4 77 20 „ „ 41,0 „ 


Um 6 Uhr 25 Min. typischer Pyramidonkrampf, der ca. 1 Min. dauert; 
6 Uhr 30 Min. Temp. 41,0 Grad. Am nächsten Tage 

5,0 Heuinfus 


0,5 subcutan 


Während bei diesem in [4] substituirten Präparate die Giftig¬ 
keit, wie ich feststellte, nicht so gross war wie die des Pyramidons, 
ist sie manchmal höher, wenn die Amidirung in (3) erfolgt. Der Körper 
1 Phenyl 2.4 dimcthyl 3 dimethylamidoraethyl 5 pyrazolon 
(Smp. 86—88°, in Wasser leicht mit alkalischer Reaction löslich; fällt 
aus einer Lösung von Eisenchlorid Fe(OH) a aus, giebt mit HN0 2 keine 
Reaction) tödtete mittelgrosse Kaninchen schon in Dosen von 0,2—0,3 
subcutan unter Streckkrämpfen. In den in Folge dessen allein möglichen 
kleinen Dosen war er antipyretisch wenig wirksam. Dagegen war wieder 
eigenthümlicherweise das Präparat 1 Phenyl 2.4 dimethyl 3 di- 
äthylaminomethyl 5 pyrazolon in Form des salzsauren Salzes 
weniger giftig als Pyramidon. Es ist ein weisses Pulver, in Wasser sehr 
leicht löslich; die Base fällt aus Eisenchloridlösung Fe(OH) s aus und giebt 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 3 


10 n 55 n n 40 > 4 v 

U „ 50 „ „ 40,0 „ 

12 „ 50 „ „ 40,0 „ 

2 „ 20 „ „ 40,7 ,. 

4 11 n n 4 ®> 1 « 

5 n — n « 40 > 6 

^ n ~~ n n 4 ®) ,f ’ « 

7 — 40 4 

* 77 71 n n 


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Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



34 


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J. Biberfeld, 


mit HNOo keine Färbung. Seine Fieber mindernde Eigenschaft ist eben¬ 
falls geringer als die des Pyramidons, aber etwas besser als die des 
Antipyrins: 

Kaninchen: 


7 Uhr 30 Min. Temp. 38,7 

Grad 5,0 Heuinfus 

12 Uhr 

— 

Min. Temp. 39,3 Grad 

9 

77 TI 

ri 

40,7 

„ 0,2 subutan 

2 

77 

05 

77 

77 

39,9 

77 

9 

„ 50 „ 

n 

40,0 

77 

3 

77 

— 

77 

77 

40,3 

77 

10 

„ 20 „ 

n 

39,7 

77 

3 

77 

30 

77 

77 

40,4 

77 

11 

77 ^ 7) 

ri 

39,6 

77 

4 

77 

— 

77 

77 

40,7 

77 


0,1 subcutan 

war nicht mehr wirksam. 









Kaninchen 1700 1,0 subcutan; sehr heftige Krämpfe; nach 1 Stunde 
wieder normal. 

Kaninchen 1900 1,5 subcutan. Nach 30 Minuten f. Das Präparat 
steht demnach sowohl in Beziehung auf Wirkung als auf Toxicität 
zwischen Antipyrin und Pyramidon. 

Verwendet man die (in kaltem Wasser mässig lösliche) Base an 
Stelle des salzsauren Salzes, so erzielt man mit Dosen von 0,5—0,75 
per os noch keinen erheblichen Effect. 

Ferner habe ich das in [3] hydroxylirte Methylantipyrin, also 
1 Phenyl 2.4 dimethyl 3 methylol 5 pyrazolon und einige seiner 
Ester untersucht. Dieses ist ein weisses Pulver vom Srap. 173°, schwer 
löslich in kaltem, leichter in heissem Wasser, sowie in verdünnten Säuren. 
Die wässrige alkoholische Lösung wird durch Eisenchlorid roth ge¬ 
färbt; mit salpetriger Säure giebt sie keine Reaction. Der nicht ver- 
esterte Alkohol wirkt weniger energisch und nicht so andauernd wie 
Antipyrin: 

Kaninchen, gebrauchtes Thier, erhält 0,5 per os: 

10 Uhr 15 Min. Temp. 40,0 Grad 3 Uhr 30 Min. Temp. 39,6 Grad 

11 ti 45 ri Ti 38,3 „ 4 „ 15 „ „ 40,0 „ 

* n v n 3S,8 „ 6 ^ „ 40,2 „ 

2 * 30 „ „ 39,6 „ 


Noch schlechter wirkte manchmal der Benzoylester (1 Phenyl 
2.4 dimethyl 3 benzoylmethylol 5 pyrozalon; weisses Pulver 
vom Smp. 118°, sehr schwer löslich in Wasser, leichter in Alkohol, auch 
in verdünnten Säuren; die alkoholische Lösung wird durch FeCI 3 roth 
gefärbt): 


Kaninchen: 


11 Uhr 50 Min. 

12 „ 15 „ 


30 


Temp. 39,7 Grad (inficirtos Thier) 

„ — „ 0,5 per os 

Ti 39,6 „ 

» 39,4 „ 


3 Uhr 30 Min. Temp. 39,8 Grad 

4 „ 30 „ „ 39,9 „ 

5 „ 30 „ „ 40,2 „ 


Ebenso wenig brauchbar war meist der Salicylester (Smp. 131°, 
kaum löslich in Wasser, löslich in verdünnten Säuren und in verdünnter 
Natronlauge; die Lösung in verdünntem Alkohol wird durch Eisenchlorid 
violett gefärbt), wie folgendes Beispiel zeigt: 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Pharmakologische Studien über einige Pyrazolonderivate. 


35 


Kaninchen, Tags vorher Temperaturstich. 


9 

Uhr 50 

Min. ' 

Temp. 

41,2 

Grad 

1 

Uhr 

55 Min 

i. Temp. 40,6 

Grad 

10 

n 

20 

n 

ii 

41,2 

„ 2,0 per os 

2 

ii . 

30 „ 

„ 40,8 

71 

11 

n 

— 

n 

ii 

40,8 

ii 

3 

n 

30 „ 

„ 40,9 

71 

11 

n 

45 

ii 

ii 

40,8 

ii 

4 

ii 

>1 

„ 41,0 

71 

12 

n 

45 

n 

ii 

40,6 

ii 







Auch der Acetylsalicylsäureester (Smp. 93—94°, unlöslich in 
Wasser, ziemlich leicht löslich in Alkohol; die alkoholische Lösung färbt 
sich mit Eisenchlorid roth) ist fast unwirksam. 

Kaninchen, Tags vorher Temperaturstich. 


7 

Uhr 30 Min. Temp. 40,3 Grad 

2 Uhr 30 Min. T 

emp. 39,9 Grad 

8 

„ 10 

11 71 

40,3 

11 

3 » 

20 

ii 

„ 40,2 

7) 

9 

n 35 

H 11 

40,9 

„ 1,5 per os 

4 „ 

— 

ii 

„ 40,3 

TI 

10 

,. 20 

11 11 

40,7 

71 

5 * 

— 

ii 

„ 40,4 

71 

11 

V 

71 11 

40,4 

11 

5 „ 

30 

ii 

„ 40,4 

7) 

12 

„ 30 

11 71 

40,3 

71 

6 n 

20 

77 

„ 40,5 

71 

1 

„ 45 

11 71 

40,0 

71 







An der geringen Wirkung dieser Ester 1 ) ändert auch die Einführung 
einer Amidogruppe am Benzolringe nichts; der Körper 1 Phenyl 
2. 4 dimethyl 3 p. amidobenzoyl methylol 5 pyrazolon (Smp. 
189°, sehr schwer löslich in Wasser, leicht in Alkohol und verdünnten 
Säuren; die alkoholische Lösung wird durch Eisenchlorid roth gefärbt; 
die salzsaure Lösung wird durch HN0 2 diazotirt) war ganz ohne Ein¬ 
fluss auf die Fiebertemperatur. 

Kaninchen 1900, gebrauchtes Thier. 


7 Uhr 45 Min. Temp. 40,1 Grad Heuinfus. 10 Uhr 55 Min. Temp. 41,4 Grad 


8 

n 

20 

7) 

77 

40,0 

n 

11 

77 

25 

77 

77 

41,2 

77 

8 

71 

55 

7) 

71 

41,0 

71 

12 

71 

05 

77 

71 

41,1 

77 

9 

7) 

30 

77 

71 

41,2 

71 

• 1,0 per os 2 

71 

30 

77 

77 

41,4 

77 

10 

n 

20 

71 

77 

41,6 

71 

3 

71 

55 

77 

77 

42,0 

77 


Theoretisch von Interesse sind mehrere von mir untersuchte Isomere 
des Antipyrins und des Pyramidons, also Substanzen, die sich von diesen 
nur dadurch unterscheiden, dass einzelne Atome, bezw. Atomcomplexe 
ihre Stellung zu einander gewechselt haben. — Von ihnen erwähne ich 
zuerst den Körper 1 Phenyl 2. 4 dimethyl 5 pyrazolon (Smp. 
125°; in Wasser schwerer löslich als Antipyrin, in kaltem leichter als 
in warmem. Die wässerige Lösung giebt mit HN0 2 keine Reaction, mit 
Eisenchloryd färbt sie sich roth; durch Pikrinsäure und Ferrocyanwasser- 
stoffsäure wird die Substanz gefällt). Die antipyretische Wirkung war 
inconstant, wie die folgenden zwei Versuche darthun: 

Kaninchen, gebrauchtes Thier, 
erhält 5,0 Heuinfus.: 

10 Uhr 20 Min. Temp. 39,8 Grad 1 Uhr — Min. Temp. 41,2 Grad 

11 t) 15 ri 7) 3 9,5 „ 

1) In einzelnen Fällen war eine Wirkung zu constatiren; hier war wohl der be¬ 
treffende Ester im Darm gespalten worden. Woran das wechselnde Verhalten lag, 
habe ich nicht feststellen können. 

3 * 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



36 


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J. Biberfeld, 


erhält 0,5 subcutan: 

2 Uhr 20 Min. Temp. 40,9 Grad 4 Uhr 30 Min. Temp. 41,0 Grad 

2 „ M „ „ 40,8 „ 5 n 30 „ „ 40,0 „ 

3 n 25 „ „ 40,5 „ 


dagegen Kaninchen, gebrauchtes Thier: 


11 Uhr 50 Min. Temp. 41,3 Grad 3 Uhr 50 Min. Temp. 39,9 Grad 


9 

“ V 

35 

n 

V 

41,2 

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J! ä5 „ 

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41,2 

„ 0,5 subcutan 

5 

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„ 39,6 77 

9 

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i 

77 1 ® 71 

7) 71 

3 „ 

10 

7) 

n 

40,6 

71 





Zur Verwendung am Menschen eignet sich das Präparat jedenfalls 
nicht. 

Als dem Antipyrin ungefähr gleichwerthig fand ich den Körper 
1. 2 Dimethyl 3 phenyl 5 pyrazolon (von Robert als Isoanti- 
pyrin bezeichnet): 


Kaninchen: 


7 Uhr 30 Min. Temp. 39,3 Grad 5,0 Heuinfus. 

^ 71 45 r „ 39,3 „ 

9 „ 30 „ „ 39,3 „ 

10 „ 35 „ „ 40,6 „ 0,3 subcutan 

11 * 25 * „ 39,1 „ 


12 Uhr — Min. Temp. 39,0 Grad 

2 „ - „ n 39,1 „ 

3 n ~~ -n n 3 9)2 n 

4 n Ti n 3 9»2 n 

'-I ■ M H „ 39, 1 „ 


Da ich nur eine kleinere Menge zur Verfügung hatte, konnte ich 
die Giftigkeit nicht bestimmen. Nach Robert (1. c. S. 33) entspricht 
sie der des Antipyrins. — Das Präparat besitzt demnach keine Vorzüge 
vor Antipyrin. 

Auch das Isomere des Pyramidons, über das Robert berichtet, 
1 Phenyl 2. 5 dimethyl 4 dimethy lamido 3 pyrazolon habe 
ich bereits im Jahre 1904 untersucht und, wie ich vorweg nehmen will, 
im Gegensätze zu ihm, als nicht zur klinischen Prüfung geeignet an¬ 
gesehen. 

Uebereinstimmend mit Robert (1. c. S. 39) habe ich gefunden, dass 
es erheblich weniger giftig als Pyramidon ist: die Dosis letalis für 
Kaninchen liegt erst bei ca. 1 g pro kg subcutan. Dafür bleibt aber 
auch seine antipyretische Wirkung erheblich hinter der des Pyramidons 
zurück. Denn während von diesem, wie angeführt, 0,05—0,1 bereits 
energisch die Fiebertemperatur herabsetzen, bedarf es hierzu von der 
isomeren Verbindung viel grösserer Gaben; z. B.: 


Kaninchen: 

8 Uhr — Min. Temp. 39,4 Grad 5,0 Heuinfus. 

8 „ 45 „ „ 39,6 „ 

9 „ 45 „ „ 40,7 fl 0,15 subcutan 

10 
11 


40 

15 


40,0 

39,5 


11 Uhr 45 Min. Temp. 39,7 Grad 

12 , 15, „ 39,9 „ 

1 n n n 40,2 n 

2 V - V » 40,4 7 

3 n n n 40,5 t, 


Also ein nur massiger und schnell wieder vergehender Temperatur¬ 
abfall nach 0,15. — Ebenso: 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Pharmakologische Studien über einige Pyrazolonderivate. 


37 


Kaninchen: 


8 Uhr — Min. Temp. 39,0 Grad 5,0 Heuinfus. 3 Uhr — Min. Temp. 39,8 Grad 


9 

77 

— 

7) 

TI 

40,2 

7) 

3 

71 

45 

7 ? 

77 

39,7 

71 

10 

7) 

— 

n 

Ti 

40,5 

71 

4 

77 

20 

71 

71 

39,6 

7 ? 

10 

71 

45 

n 

Ti 

40,9 

„ 0,2 subcutan 

5 

77 

- 

71 

71 

39.9 

71 

12 

77 

15 

71 

7) 

40,1 

77 

5 

71 

40 

71 

77 

40,2 

71 

2 

7) 

— 

7) 

7) 

39,8 

71 

6 

71 

15 

71 

71 

40,4 

71 


0,2 Pyramidon würden eine Temperaturerniedrigung von ca. 2,5 bis 
3,0° hervorgebracht haben. 

Wenn nun auch die Verbindung im Vergleiche mit Antipyrin Vor¬ 
züge besitzt, so trifft dies dem Pyramidon gegenüber nicht zu. Ihre 
geringere „therapeutische 44 Wirksamkeit würde es aller Wahrscheinlich¬ 
keit nach erforderlich machen beim Menschen erheblich grössere Dosen 
zu verabreichen, und damit wäre einer der wesentlichen Vortheile, den 
uns die Benutzung des Pyramidons gewährt, zu nichte gemacht. Die 
geringere Giftigkeit würde dafür kaum Ersatz gewähren, zumal thatsäch- 
lich die im Thierexperiraent relativ grosse Toxicität des Pyramidons 
sicherlich nicht für den Menschen gilt. Denn trotz der überaus grossen 
Zahl von Fällen, in denen es verwendet worden ist, sind doch wirkliche 
Intoxicationen kaum zur Kenntniss gelangt. Die geringere Giftigkeit 
eines isomeren Präparates vermag daher nicht die schlechtere Wirkung 
auszugleichen, und deshalb hielt ich es für aussichtslos, Versuche damit 
an Kranken anstellen zu lassen. 

Ferner habe ich einige höhere Homologe des Pyramidons unter¬ 
sucht. Der einfachste Körper dieser Reihe war das Diaethylamido- 
antipyrin (1 Phenyl 2. 3 dimethyl 4 diaethylamido 5 pyrazolon; 
weisses Pulver, mässig löslich in kaltem Wasser, schwerer in warmem; 
in fast allen organischen Lösungsmitteln leicht löslich, ebenso in ver¬ 
dünnter Säure; die wässerige Lösung wird durch salpetrige Säure nicht 
gefärbt; mit Eisenchlorid entsteht eine bald verschwindende Dunkel¬ 
färbung). Der Constitution entsprechend ist das Präparat ungefähr 
ebenso wirksam wie das Pyramidon. In einigen ‘Fällen war die Wirkung 
nicht so ausgesprochen; eine Verstärkung, wie sie als Folge der Er¬ 
setzung von Methyl durch Aethyl beispielsweise beim Dionin im Ver¬ 
hältnis zu Codein meist deutlich zu constatiren ist, trat bei unserem 
Körper niemals ein. Von dem Versuch einer Einführung in die Therapie 
konnte man sich daher nichts versprechen. 

Wird in der eben besprochenen Verbindung das Methyl in Stel¬ 
lung [2] durch Aethyl ersetzt, so erhält man ein Präparat von der Zu¬ 
sammensetzung 1 Phenyl 2 Aethyl 3 Methyl 4 diaethylamino 
5 pyrazolon (weisses Pulver, in Wasser schwerer löslich als das vor¬ 
hergehende Präparat; Smp. 96°). Da es relativ schlecht löslich ist, habe 
ich es ausschliesslich per os gegeben. Bei dieser Darreichungsweise 
war es zum Theil gut wirksam, manchmal aber versagte es fast ganz. 
Weil es überdies ziemlich giftig war (1,5 g per os tödtete ein mittel¬ 
grosses Kaninchen), musste es als praktisch unbrauchbar angesehen 
werden. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



38 


J. Biberfeld, 


Eine von den bisher besprochenen Körpern chemisch principiell ver¬ 
schiedene Reihe stellen die von mir untersuchten Derivate des Imino- 
pyrins dar. Iminopyrin wird durch Einwirkung von Ammoniak auf 
Antipyrinchlorid erhalten 1 ) und kann durch das Formelbild 

jjG 6 H 5 

HN:C^\n.CH 8 

hcLJc.cHj 

dargestellt werden, d. h. es ist ein Antipyrin, in dem das in Stellung [5] 
befindliche Sauerstoffatom durch den zweiwerthigen Rest = NH ersetzt 
ist (1 Phenyl 2. 3 dimethyl 5 iminopyrin). Die einfachste dieser Ver¬ 
bindungen war das Benzoyliminopyrin (1 Phenyl 2. 3 dimethyl 
5 benzoyliminopyrin), von der ich das salzsaure Salz zur Verfügung 
hatte. Wie F. Stolz 2 ) nachgewiesen hat, erfolgt die Salzbildung bei 
dem Iminopyrin nicht wie beispielsweise bei den Alkaloiden und auch 
beim Pyramidon durch Addition des Säuremoleküls an die basische 
Gruppe, sondern in folgender Weise: Durch Einwirkung von z. B. HCl 
geht die Formel 

n c 6 h b 

HN=c/^N.CH 3 + HC1 

hcL=Jc.ch s 

über in die Formel 



und dasselbe gilt natürlich auch für die Derivate des Iminopyrins. Wie 
man sieht wird der Stickstoff in Stellung [2] fünfwerthig und der Körper 
ist als das Salz einer Ammoniumbase anzusehen. Das salzsaure 
Benzoyliminopyrin wird demnach repräsentirt durch die Formel 

n C9H * 

H x N C1 

CeH 6 CO> N - C !M| N <CH 3 
HC'i_Io. CH 3 

(die Base schmilzt bei 176 °; das Chlorhydrat ist in Wasser ziemlich 
leicht löslich; Pikrinsäure fällt die Lösung). 

Das Präparat erwies sich als recht giftig: 0,35 subcutan und 
1,0 per os tödteten mittelgrosse Kaninchen unter Krämpfen 3 ), die anti¬ 
pyretische Wirkung war unerheblich: 

1) F. Stolz, Ber. d. d. ehern. Ges. Bd. 36. S. 380. 

2) 1. c. 

3) Im Anfänge der Vergiftung und bei kleineren Dosen trat deutlich eine be¬ 
täubende Wirkung hervor; dies spricht gegen die Auffassung von S. Frankel 
(l. cit. S. 268), dass die an tineuralgische Wirkung des Antipyrins an die CO- 


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Original frorn 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Pharmakologische Studien über einige Pyrazolonderivate. 


39 


Kaninchen: 

9 Uhr 15 Min. Temp. 39,0 Grad Inject, v. Heuinfus. 10 Uhr 55 Min. Temp. 40,0 Grad 


9 * 

40 „ 

„ 39,0 „ 

U * 30 „ 

„ 39 ,8 

io „ 

io „ 

» 40,0 o 

12 „ - » 

„ 40,8 

10 „ 

35 „ 

„ 40,3 „ 0,5 per os 

12 „ 30 „ 

* 41,0 


Complicirter sind folgende zwei Präparate: Antipyrylimino- 
pyrin und Methylantipyrylirainopyrin. Die erstere Base, in Wasser 
schwer löslich, Smp. 202°, wird erhalten, wenn man statt des 
Ammoniaks Amidoantipyrin auf Antipyrinchlorid ein wirken lässt; sie 
hat danach die Formel: 

CH,.N. /n \CO N° 6 ^ 5 

CH 3 C> Je—N=Cj /N 'jN.CH s 
HCl—J.C. CH,. 


Therapeutish ist die Base wenig wirksam: 

Kaninchen: 8Uhr45Min. Temp.41,8Grad (fiebert inFolge einer schweren 

Augenverletzung) • 

1,0 per os 


9 

77 

30 

77 

77 

41,8 

77 

10 

77 

10 

77 

77 

41,2 

77 

10 

77 

55 

77 

77 

41,7 

77 

11 

77 

30 

77 

77 

41,8 

77 

12 

77 

— 

77 

77 

41,7 

7' 

12 

77 

35 

77 

77 

41,7 

77 

2 

77 

— 

77 

77 

41,7 

77 


Kaninchen: 


8 Uhr 45Min. Temp.39,0Grad 5,0 Heuinfus 2Uhr 45Min. Temp.40,2Grad 


9 

77 

30 

77 

77 

39,0 

77 

3 

77 

50 

77 

77 

40,2 „ 

10 

77 

10 

77 

77 

39,1 

77 

4 

77 

10 

77 

77 

39,7 „ 

11 

77 

30 

77 

77 

39,5 

77 

4 

77 

50 

77 

7' 

40,0 „ 

12 

77 

35 

77 

77 

39,9 

77 

4 

77 

15 

77 

77 

40,0 „ 

2 

77 

— 

77 

n 

40,1 

77 

6 

77 

— 

77 

77 

40,0 „ 


Besser beeinflusst das Methylantipyriliminopyrin 1 ), also der 
Körper, der auf der Iminopyrinseite eine Methylgruppe (in Stellung [4]) 
mehr hat, die Wärmeregulation (schwach gelbliches Pulver vom Smp. 183 
bis 185°, in kaltem Wasser schwer löslich). 

Kaninchen: 

11 Uhr 20Min. Temp.38,7Grad 5,0Heuinfus 4 Uhr 40Min. Temp. 40,9Grad 0,5 peros 


12 

7' 

— 

77 

77 

38,1 

77 

5 

„ 20 „ 

„ 39,2 „ 

1 

77 

— 

7' 

77 

39,0 

77 

G 

" !? ” 

„ 38,4 „ 

2 

77 

05 

77 

77 

40,1 

77 

6 

77 ^5 „ 

„ 38,1 „ 

3 

77 

— 

77 

77 

40,4 

77 

7 

n „ 

„ 38,2 „ 

3 

77 

45 

77 

77 

40,9 

77 





Gruppe geknüpft sei, da bei unserem Körper eine solche Gruppe gar nicht vor¬ 
handen ist. 

1) Vergl. auch oben S. 32. 


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Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



38 


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J. Biberfeld, 


Eine von den bisher besprochenen Körpern chemisch principiell ver¬ 
schiedene Reihe stellen die von mir untersuchten Derivate des Imino- 
pyrins dar. Iminopyrin wird durch Einwirkung von Ammoniak auf 
Antipyrinchlorid erhalten 1 ) und kann durch das Formelbild 

HNiC.^Nn.CHo 


HCi 


C.CH. 


dargestellt werden, d. h. es ist ein Antipyrin, in dem das in Stellung [5] 
befindliche Sauerstoffatom durch den zweiwerthigen Rest = NH ersetzt 
ist (1 Phenyl 2. 3 dimethyl 5 iminopyrin). Die einfachste dieser Ver¬ 
bindungen war das Benzoyliminopyrin (1 Phenyl 2. 3 dimethyl 
5 benzoyliminopyrin), von der ich das salzsaure Salz zur Verfügung 
hatte. Wie F. Stolz 2 ) nachgewiesen hat, erfolgt die Salzbildung bei 
dem Iminopyrin nicht wie beispielsweise bei den Alkaloiden und auch 
beim Pyramidon durch Addition des Säuremoleküls an die basische 
Gruppe, sondern in folgender Weise: Durch Einwirkung von z. B. HCl 
geht die Formel 

2^ 6 H 6 


HN=c/\n.CH 3 + HC1 


über in die Formel 


HCL=Jc.CH s 

,CaH s 


N 


H,N—c/\n/ 


CI 


\CH, 


HC 1 '—l'C.CHs; 


und dasselbe gilt natürlich auch für die Derivate des Iminopyrins. Wie 
man sieht wird der Stickstoff in Stellung [2] fünfwerthig und der Körper 
ist als das Salz einer Ammoniumbase anzusehen. Das salzsaure 
Benzoyliminopyrin wird demnach repräsentirt durch die Formel 

H \ 

C 6 H 6 C0/ N 


n C8Hs ci 

c/\N<f° 


HO!—»C.CH, 


(die Base schmilzt bei 176 das Chlorhydrat ist in Wasser ziemlich 
leicht löslich; Pikrinsäure fällt die Lösung). 

Das Präparat erwies sich als recht giftig: 0,35 subcutan und 
1,0 per os tödteten mittelgrosse Kaninchen unter Krämpfen 3 ), die anti¬ 
pyretische Wirkung war unerheblich: 


1) F. Stolz, Ber. d. d. chem. Ges. Bd. 36. S. 380. 

2 ) 1. c. 

3) Im Anfänge der Vergiftung und bei kleineren Dosen trat deutlich eine be¬ 
täubende Wirkung hervor; dies spricht gegen die Auffassung von S. Frankel 
(1. cit. S. 268), dass die antineuralgische Wirkung des Antipyrins an die CO- 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Pharmakologische Studien über einige Pyrazolondcrivate. 


39 


Kaninchen: 


9 Uhr 

* 15 Min. 

Temp. 39,0 

Grad Inject, v. Heuinfus. 

10 

Uhr 55 Min. 

Temp. 40,0 

9 » 

40 „ 

» 39,0 

ii 

11 

ft 30 „ 

ft 39,8 

io * 

io n 

» 40,0 

V 

12 

7) n 

« 40,8 

10 „ 

35 „ 

n 40,3 

„ 0,5 per os 

12 

ft 30 „ 

„ 41,0 


Complicirter sind folgende zwei Präparate: Antipyrylimino- 
pyrin und Methylantipyrylirainopyrin. Die erstere Base, in Wasser 
schwer löslich, Smp. 202°, wird erhalten, wenn man statt des 
Ammoniaks Amidoantipyrin auf Antipyrinchlorid ein wirken lässt; sie 
hat danach die Formel: 

ch 3 .n /x ,co n c ‘ Hs 

I 1 /V 

CHjC 1 ^C—N=cr |N.CH S 

Hc!—‘C.CHj. 


Therapeutish ist die Base wenig wirksam: 

Kaninchen: 8Uhr45Min. Temp.41,8Grad (tiebert inFolge einer schweren 

Augenverletzung) • 

1,0 per os 


9 

n 

30 

ii 

ii 

41,8 

11 

10 

ii 

10 

ii 

ii 

41,2 

11 

10 

ii 

55 

ii 

ii 

41,7 

11 

11 

n 

30 

ii 

ii 

41,8 

11 

12 

n 

— 

ii 

ii 

41,7 

li 

12 

ii 

35 

ii 

ii 

41,7 

11 

2 

ii 

— 

ii 

ii 

41,7 

11 


Kaninchen: 

8 Uhr 45Min. Temp.39,0Grad 5,0 Heuinfus 2Uhr 45Min. Temp.40,2Grad 


9 

„ 30 

11 

11 

39,0 

ii 

3 „ 

50 „ 

77 

40,2 „ 

10 

„ 10 

11 

11 

39,1 

ii 

4 

10 „ 

17 

39,7 ,. 

11 

„ 30 

V 

11 

39,5 

ii 

4 „ 

50 „ 

Ii 

40,0 „ 

12 

,, 35 

11 

11 

39,9 

ii 

4 „ 

15 „ 

11 

40,0 „ 

2 

11 

11 

n 

40,1 

ii 

6 

71 

11 

40,0 ,. 


1,5 peros 


Besser beeinflusst das Methylantipyriliminopyrin 1 ), also der 
Körper, der auf der Iminopyrinseite eine Methylgruppe (in Stellung [4]) 
mehr hat, die Wärmeregulation (schwach gelbliches Pulver vom Smp. 183 
bis 185°, in kaltem Wasser schwer löslich). 


Kaninchen: 

11 Uhr 20Min. Temp.38,7Grad 5,0Heuinfus 4 Uhr 40Min. Temp. 40,9Grad 0,5 peros 


12 

ii 

— 

71 

n 

38,1 

11 

5 

„ 20 „ 

„ 39,2 „ 

1 

71 

— 

11 

ii 

39,0 

71 

6 

„ io „ 

„ 38,4 „ 

2 

11 

05 

11 

ii 

40,1 

71 

6 

„ 35 „ 

11 ^8,1 „ 

3 

71 

— 

11 

ii 

40,4 

11 

7 

ft 1° 

77 „ 

3 

ri 

45 

11 

n 

40,9 

11 





Gruppe geknüpft sei, da bei unserem Körper eine solche Gruppe gar nicht vor¬ 
handen ist. 

1) Vergl. auch oben S. 32. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





40 


J. Biberfeld, 


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doch ist diese Wirkung nicht befriedigend, denn, wie folgender Versuch 
beweist, ist 0,3 fast ohne Einfluss: 

Kaninchen: 

9 Uhr lOMin. Temp. 39,4Grad 5,0 Heuinfus 12Uhr30Min. Temp.40,1 Grad 0,3 per os 


10 

» 35 » 

„ 39,5 „ 

2 „ - „ 

„ 40,8 „ 

10 

11 

n 05 ,, 

n 35 „ 

» 40,7 „ 
n 40,5 „ 

2 „ 55 „ 

„ 41,1 „ 


Auch die Chlorhydrate der beiden letztgenannten Basen habe ich 
untersucht. Ihrer Constitution nach sind sie, wie erwähnt, als salzsaure 
Salzo von Ammoniumbasen zu betrachten, denen folgende Structur zu¬ 
zuschreiben ist: 


N 


CHjNf 


CH,C 


ICO 


H 


N 


C—N—C /Xv N< C1 


HC 


CH S 
C.CH S 


bezw. 


CH S N 

CH 3 C 


N 

/\ 


CcH 5 


CO 

C-N 


e„n. 


N 

-c^ n ,,n< c1 

CH. 


CH S C-c. ch 3 

Das ersterwähnte Chlorhydrat (Smp. 242°, leicht löslich in Wasser) 
ist per os selbst in relativ hohen Dosen schlecht oder gar nicht wirksam: 

Kaninchen: 


7 

Uhr 40 

Min. 

Temp. 38,5 Grad 10 Heuinfus 

11 

Uhr 

30 

Min. 

Temp. 40,6 

8 

n 

30 

n 

„ 38,9 „ 

12 


10 

n 

,. 40,7 

9 

11 

50 

n 

„ 40,6 „ 0,75 per os 

1 

n 

55 

n 

n 40,6 

10 

V 

50 

11 

n 41,0 „ 

2 

11 

40 

n 

„ 40,7 


Subcutan wirkt es etwas energischer, erreicht aber auch so bei 
Weitem nicht das Pyramidon: 

Kaninchen: 

9 Uhr 10 Min. Temp. 39,1 Grad 10,0 Heuinfus 

0,3 subcutan 


10 „ 

15 „ 

„ 40,6 

11 „ 

10 „ 

„ 40,5 

12 „ 

15 „ 

„ 40,7 


1 Uhr 45 Min. Temp. 40,4 Grad 

2 v. 25 „ „ 40,1 „ 

3 „ 20 „ „ 40,0 „ 


Das salzsaure Salz des Methylantipyriliminopyrins kommt dagegen 
häufig dem Pyramidon nahe: 

Kaninchen: 


8 Uhr 

— Min. Temp. 39,2 Grad 5,0 Heuinfus 

2 Uhr 

— 

Min. Temp. 39,9 Grad 

9 „ 

n » 39,9 „ 

2 „ 

45 

n ii 39,5 „ 

10 „ 

20 „ „ 40,0 „ 

3 „ 

40 

ii ii 39,5 „ 

11 „ 

11 n 40,0 „ 

4 „ 

30 

SQ 4 

ii ii ?i 

12 „ 

— „ „ 40,7 „ 0,2 subcutan 

4 „ 

15 

39 9 

n ii ^. 7 ,.' „ 


Go >gl< 


Original ffom 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Pharmakologische Studien über einige Pyrazolonderivate. 


41 


Die Giftigkeit des Präparates ist aber grösser als die des Pyra- 
midons; 0,2 pro Kilogramm sind für Hunde tödtliche Dosis. Von einer 
Empfehlung klinischer Erprobung habe ich abgesehen, theils aus diesem 
Grunde, theils auch, weil die Verbindung entsprechend ihrem Charakter 
als Ammoniumbase, wie ich mich am Frosche überzeugt habe, curare- 
artig lähmend auf die motorischen Nervenendigungen wirkt. Und wenn 
sich nun auch diese Eigenschaft in den therapeutisch bei Thieren wirk¬ 
samen und erforderlichen Dosen nicht bemerkbar machte, so bietet das 
natürlich keine Gewähr, dass nicht gelegentlich beim Menschen, wenn 
aus Unverstand oder Versehen übermässig grosse Mengen genommen 
worden sind, Lebensgefahr durch die Lähmung der Athraungsmusculatur 
herbeigeführt werden könnte. — Vom Antipyrin sind in der Literatur 
Fälle berichtet, in denen viele Gramm ohne schwere Schädigung genommen 
worden sind. 


Auch einige Combinationen von Antipyrinen mit anderen, z. Th. 
narkotisch wirkenden, Substanzen habe ich geprüft. Von Interesse ist 
besonders der Körper Antipyriliminodiäthylbarbitursäure 

C 6 « s 

O.X / 


X> C—NH 0C y 


’\ 


(C 2 h 5 ) 2 c 

,c- 


I I 


0 


✓ 


C = N- 

I 

NH 


CH S 

ch 3 


der nach seiner Constitution die Wirkungen des Antipyrins und des 
Veronals vereinigen konnte (weisses Pulver vom Smp. 260°, in Wasser 
und verdünnten Säuren nicht löslich, löslich in verdünnter Natronlauge 
und in heissem Alkohol). Er erwies sich antipyretisch und hypnotisch 
als unwirksam. — Ebenso wenig brauchbar waren die Präparate Bis- 
antipyril-Piperazin 1 ) und Thiobisantipyrin 2 ): 

Kaninchen, gebrauchtes Thier . . 11 Uhr 35 Min. Terap. 40,4 Grad 

t 

5,0 Heuinfus 


und 


0,7 Bisantipyril-Piperazin per os 


Kaninchen: 


,/ 

n 


?i 

11 

40,4 

71 

| 12 

n 

35 

71 

11 

40,7 

71 

os 12 


55 

71 

11 

41,2 

77 

9 

71 

05 

11 

11 

40,2 

17 

3 

71 

— 

77 

H 

41,0 

17 


7 Uhr 30 Min. Terap. 39,0 

8 „ 30 

■ 71 

77 

39,2 

!) „ 30 

11 

71 

39,9 

10 „ - 

11 

71 

40,5 

10 „ 45 

11 

71 

40,6 

11 30 

11 

71 

40,7 

12 „ - 

71 

71 

40,4 

2 „ - 

71 

71 

40,6 


1,5 Thiobisantipyrin per os 


1) Luft, Ber. d. deutsch, chem. Ges. Bd. 38. S. 4046. 

2) Höltzcke, Dissertat. Rostock. 1891. S. 44. 


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42 J. Biberfeld, Pharmakologische Studien über einige Pyrazolonderivate. 


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3 Uhr — Min. Temp. 40,7 Grad 

3 „ 50 „ „ 40,6 „ 1,5 per os 

5 „ 30 „ „ 40,8 „ 

6 „ 20 „ „ 40,7 „ 

7 „ 05 „ „ 40,8 „ 

Eine Analogie zu dem von Robert (1. c. S. 33 u. 34) besprochenen [4] 
Amidoantipyrin bildet das [4] Piperidylantipyrin (weisses Pulver vom 
Smp. 144°, schwer löslich in Wasser, leicht in Alkohol und verdünnten 
Säuren. Die wässerige Lösung des Chlorhydrates wird durch FeCl s 
und HN0 2 vorübergehend blau gefärbt). Während Robert bei seinem 
Präparate eine ungewöhnlich geringe Giftigkeit festgestellt hat, gilt von 
dem von mir untersuchten Präparate nicht das Gleiche: 1,5 per os 
tödtete ein Raninchen von 2500 g innerhalb von 24 Stunden. Die anti¬ 
pyretische Wirkung blieb hinter der des Pyramidons weit zurück: 

Kaninchen: 

9 Uhr 30 Min. Temp. 39,4 Grad Heuinfus 11 Uhr 45 Min. Temp. 39,4 Grad 

10 „ 30 „ „ 40,2 „ 0,3 per os 12 „ 15 „ „ 39,9 „ 

11 „ 10 „ „ 39,3 „ 1 „ 40 „ „ 40,8 „ 


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IV. 


Aus dem Institut für allgemeine und experimentelle Pathologie der 
Universität in Lemberg. 

lieber die Bedeutung der Nebennieren in der Pathologie 
und Therapie der Rachitis. 

Von 

Dr. Robert Quest. 


Seit den bahnbrechenden Entdeckungen von Szymonowicz, 
Cybulski, Oliver und Schäfer über die blutdrucksteigernde Eigen¬ 
schaft der Substanz der Nebennieren ist die Literatur über die Function 
dieser Organe ganz bedeutend angewachsen 1 ). Die meisten Arbeiten 
beschäftigen sich mit dem Wesen der blutdrucksteigernden Wirkung, 
andere mit den pathologisch-anatomischen Veränderungen, welche bei 
mangelhafter Ausbildung oder Erkrankung dieser Organe (Morbus Addisoni) 
oder bei Einverleibung ihrer Substanz im Organismus zu Tage treten. 
Letztere haben besonderes Interesse gewonnen, als es Josuö 2 ) gelang, 
durch intravenöse Einspritzungen von Adrenalin bei Kaninchen arterio- 
sclerotische Veränderungen experimentell hervorzurufen. Was die Ursachen 
des Auftretens dieser Veränderungen anbelangt, stimmen die Ansichten 
der Autoren nicht überein; einige sehen den Hauptgrund in der Blut¬ 
drucksteigerung, andere nehmen eine specifisch toxische Wirkung des 
Adrenalins an. Zu den letzteren gehört anch Josue, welcher nach 
wiederholten Einspritzungen von blutdrucksteigernden Dosen von Nicotin 
keine derartigen Veränderungen hervorzurufen vermochte. Um die Ein¬ 
wirkung des Adrenalins auf den Blutdruck auszuschliessen, hat Braun 3 ) 
gleichzeitig mit Adrenalin Amylnitrit injicirt, welches bekanntlich den 
Blutdruck herabsetzt. Trotzdem traten Verkalkungsherde in der Gefäss- 
wand auf. Zu diesem Resultate gelangt auch Sturli 4 ), welcher Kaninchen 
Methylaminobrenzkatechin einspritzte. 

Rzetkowski 5 ) dagegen ist der Meinung, dass die pathologischen 
Veränderungen in der Gefässwand vor Allem durch den gesteigerten 

1) Siehe Literatur bei Chwostek. Ergehn, d. allgem. Pathologie. IX. Jahrg. 
2. Abtheilung und Miesowicz, Rozpraw. Acad. Um. 1906. 

2) Josue, La presse m^dicale. 1903. 

3) Braun, Münch, med. Wochenschr. 1905. 

4) Sturli, Münch, med. Wochenschr. 1905. 

5) Rzetkowski, Berl. klin. Wochenschr. Berlin. 1904. 


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R. Quest, 


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Blutdruck bedingt sind. Dieser Ansicht sind auch Boveri 1 11 ) und 
Zebrowski 2 ), welche Verkalkungsherde in der Aorta von Kaninchen 
gefunden haben und zwar ersterer bei Verabreichung eines Infuses aus 
Tabak mittelst des Magenschlauches, letzterer beim Einathmen von 
Tabakrauch durch die Lungen wie auch durch intravenöse Injection eines 
solchen Extractes; ebenso konnte Orlowski 8 ) zahlreiche arterio- 
sclerotische Herde in der Aorta von Kaninchen uachweisen nach Ein¬ 
wirkung von blutdrucksteigernden Mitteln wie Digalen, Strophantin und 
Adonidin. Nach Fischer 4 ) kann man die nach Adrenalininjectionen auf¬ 
tretenden Veränderungen nicht ausschliesslich als Folge der Blutdruck¬ 
steigerung ansehen. „Die schwere Kachexie der Thiere und die nach 
den Injectionen stets auftretende Glycosurie zeigen uns, dass hier schwere 
Störungen des Stoffwechsels mit im Spiele sind.“ 

Die arteriosclerotischen Herde treten vor Allem in der Wand der 
Aorta auf, in anderen Arterienzweigen dagegen nur in vereinzelten 
Fällen, so z. B. in den 3 Fällen von Erb 6 ), wo die Nierenarterien be¬ 
troffen waren. Die besprochenen Veränderungen wurden nur bei 
Kaninchen gefunden, während sie bei Hunden und Affen (in 2 Versuchen 
von Erb) nicht zum Vorschein kamen. Ob die bei Kaninchen experi¬ 
mentell erzeugte Arteriosclerose mit dem beim Menschen auftretenden 
Krankheitsbilde etwas Analoges darstellt, ist jedenfalls noch nicht ent¬ 
schieden. Der Frage über die Beziehungen zwischen Nebennieren und 
den Stoffwechselvorgängen im Organismus wurde verhältnissraässig wenig 
Aufmerksamkeit geschenkt. Es liegen bisher nur Untersuchungen über 
N-Stoffwechsel bei Addison’scher Krankheit vor. Panzer 6 ) konnte 
dabei Retention von N constatiren. Die Ergebnisse bei Darreichung 
von Nebennierentabletten fielen nicht übereinstimmend aus, indem einige, 
wie Pikard 7 ), Allaria und Veramini 8 ) eine Steigerung des Eiweiss¬ 
zerfalls sahen, während Senator 8 ) das Gegentheil beobachtete. 

Dass durch Adrenalininjectionen ein gewisser Eingriff auf den Kohlen¬ 
hydratstoffwechsel ausgeübt wird, haben Blum 9 ), Herter und Wake¬ 
mann 10 ), Singer 13 ), Zuelzer 12 ) und Metzger 18 ) gezeigt, indem sie nach 
Adrenalineinspritzungen und zwar sowohl auf subcutanera als auch intra¬ 
venösem Wege bei Kaninchen und Hunden stets Glycosurie (bis über 
5 pCt. Dextrose) nachweisen konnten. Der Kalkstoffwechsel blieb 


1) Boveri, cit. nach Orlowski. 

2) Zebrowski, Centralbl. f. allgem. Pathol. 1907. No. 9. 

3) Orlowski, Przeglad lek. 1906. No. 15. 

4) Fischer, Münch, med. Wochenschr. 1905. No. 1. 

5) Erb, jun., Archiv f. experim. Pathologie u. Pharmakologie. 1905. Bd. 53. 

6) Panzer, Wiener klin. Wochenschr. 1899. 

7) Pikard, Berl. klin. Wochenschr. 1898. 

8) Citirt nach Chwostek. 1. c. 

9) Blum, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 71 und Pflüger’s Arch. Bd. 90. 

10) Herter u. Wakemann, cit. nach Centralbl. f. Physiologie. 1903. 

11) Singer, Therap. Monatsh. 1902. H. 1. 

12) Zuelzer, Berl. klin. Wochensch. 1901. No. 48. 

13) Metzger, Münch, med. Wochenschr. 1902. No. 12. 


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Ueber die Bedeutung der Nebennieren etc. 


45 


merkwürdigerweise bisher unberücksichtigt, obgleich die pathologisch 
anatomischen Veränderungen an den Gefässen — die Arteriosclerose — 
eine Alteration desselben vermuthen Hessen. 

Für eine Kalkretention nach Verfütterung von Nebennierensubstanz 
schienen auch die klinischen Beobachtungen von Stöltzner 1 ) zu sprechen, 
welcher einen aussergewöhnlich günstigen Einfluss dieser Therapie auf 
den Verlauf der Rhachitis sah. 

Es wurden an der Berliner Kinderklinik 71 Kinder auf diese Weise 
behandelt. Am meisten macht sich der Einfluss dieser Therapie auf 
das Allgemeinbefinden geltend. Von den rhachitischen Symptomen werden 
am auffallendsten gebessert die Schweisse, die Craniotabes, die Ver¬ 
zögerung des Zahndurchbruches, die Verzögerung des Sitzen-, Stehen- 
und Gehenlemens, die Empfindlichkeit gegen Berührungen, die Unruhe 
und die abnorme vasomotorische Erregbarkeit der Haut. Es schwand 
der von Stöltzner beschriebene, eigenthüraliche Geruch des Urins der 
Rhachitiker nach Trimethylamin. Die abnorme Weichheit des Thorax und 
die Kyphose der Lendenwirbelsäule wurden geringer. Am wenigsten 
auffallend war der Einfluss der Behandlung auf die Grösse der Fontanelle, 
den rhachitischen Rosenkranz und die Epiphysenschwellungen der langen 
Röhrenknochen. 

Der Glottiskrampf und die übrigen Symptome der Spasmophilie 
wurden garnicht beeinflusst. Oft tritt schon in der ersten Woche der 
Behandlung eine wesentliche Besserung ein. Erhärtet wurden diese Be¬ 
obachtungen durch histologische Untersuchungen 2 3 ) der Knochen von 
rhachitischen Kindern, die mit Nebennierensubstanz behandelt waren und 
an anderen Krankheiten ad exitum gekommen sind. Es wurden von 
ihm 9 Fälle untersucht, davon 4 mit hochgradiger, 1 mit mittelschwerer, 
3 mit massiger und 1 mit leichter Rhachitis. Die Behandlung dauerte 
3 Tage bis 4 Wochen. Stöltzner hebt nun bei seinen Untersuchungen 
— neben anderen auf einen Heilungsprozess hindeutenden Merkmalen — 
insbesondere einen Befund hervor, nämlich, dass die breite für den 
rhachitischen Knochen typische Zone osteoiden Gewebes eine starke 
Affinität zu Silber zeigt, also stark argentophil ist. Da nur bereits ver¬ 
kalktes Gewebe diese Eigenschaft zeigt, nimmt Stöltzner an, dass darin 
bereits der Uebergang des osteoiden Gewebes in echtes Knochengewebe, 
also ein Heilungsprocess eingeleitet ist. 

Die ausserordentlich günstigen Heilerfolge konnten jedoch von 
Kinner 8 ), Netter 4 ), Hönigsberger 5 ), Langstein 6 ) u. A. nicht bestätigt 
werden. Die Misserfolge letzterer Autoren führt Stöltzner auf die un¬ 
gleiche Wirkung der angewandten Präparate zurück und spricht die An- 

1) Stöltzn er, Ueber Behandlung der Rhachitis mit Nebennierensubstanz. Jahr¬ 
buch f. Kinderheilk. Bd. 51. No. 1 u. 2. 

2) Stöltzner, Histologische Untersuchungen der Knochen an 9 mit Neben¬ 
nierensubstanz behandelten Kindern. Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 53. 

3) Kinner, Inaug.-Diss. Breslau 1901. 

4) Netter, Jahrb. f. Kinderheilk. 1900. Bd. 52. 

5) Hönigsberger, Münch, med. Wochenschr. 1900. No. 16. 

6) Langstein, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 53. 


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R. Quest, 


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sicht aus 1 ), dass die Rhachitistherapie wahrscheinlich doch auf diesem 
Gebiete liege. 

Heubner 2 ) äussert sich in seinem Lehrbuch betreffs dieser Frage 
folgendermaassen: Am eingehendsten und gründlichsten hat Stöltzner 
eine dahingehende Hypothese zu stützen versucht, dass der Rinde der 
Nebenniere hier eine Rolle zuzuschreiben sei — aber es ist bis jetzt 
daran gescheitert, dass auf histologischem Wege sich solch subtile che¬ 
mische Fragen nicht wollen lösen lassen. 

Um nun zu sehen, ob wir durch Stoffwechselversuche etwas Näheres 
über das Wesen der erwähnten Processe erfahren könnten, habe ich 
einige diesbezügliche Untersuchungen vorgenommen. 

Eigentlich sollte dabei auf Anregung von Doc. Dr. ßiernacki eine 
andere Frage ergründet werden und zwar, inwiefern die Steigerung des 
Blutdruckes und die damit einhergehenden Veränderungen in der Zu¬ 
sammensetzung des Blutes sich in den Stoffwechselvorgängen kundgiebt 3 ). 

Die mitgetheilten Versuche sollen auch ein Glied in der Reihe der 
diesbezüglichen Untersuchungen darstellen. Die Untersuchungen wurden 
an einem jungen, im Wachsthum begriffenen Hunde angcstellt. 

Nachdem in der Vorperiode der N- und CaO-Stoffwechsel unter 
normalen Verhältnissen festgestellt worden war, schloss sich daran eine 
Periode, in welcher dem Thiere täglich eine Dose Adrenalin (von Parke, 
Davis u. Cie.) subcutan injicirt wurde, in der darauf folgenden Nach¬ 
periode konnten dann die Nachwirkungen der Behandlung studirt werden. 

Da nach den Untersuchungen von Rüdel 4 ) die Kalkausscheidung 
von der Schnelligkeit der Darmperistaltik in gewissem Grade abhängt, 
musste, um eindeutige Resultate zu erhalten, eine Nahrung gewählt 
werden, bei welcher die Stuhlentleerungen regelmässig erfolgten. Die 
Ernährung bestand im I. und II. Versuche in Maisabkochungen, im 
III. Versuche wurde dazu täglich eine Portion Milch gegeben. Dabei 
hatte der Hund täglich 1—2 geformte Stühle, welche fast regelmässig 
in der Zeit abgegeben wurden, während welcher derselbe behufs Reini¬ 
gung des Käfigs herausgelassen wurde. Der Stuhl wurde auf eine unter- 
gehaltene Schale gesammelt; um dabei keinen Urin zu verlieren, wurde 
ihm ein Recipient aus dickem Glas umgebunden. 

Der Stickstoff wurde nach Kjeldahl, der Kalk nach vorheriger 
Ausfüllung des Eisens wagenanalytisch als CaO bestimmt. 

Versuch I (24. 1.—4. 2.). 

Nachdem der Hund bereits 2 Wochen lang auf Maismehlabkochungen gesetzt 
war, bekam er jetzt in den ersten 2 Tagen der Vorperiode täglich 300 g Maismehl 
abgekocht in 1,2 Liter Leitungswasser -)- 10 g Kochsalz; von da ab während des 
ganzen Versuches täglich 250 g Maismehl abgekocht in 1 Liter Leitungswasser -j- 10 g 
Kochsalz. Die Portionen wurden stets vollständig aufgezehrt. Vom 5. bis 8. Versuchs- 

1) Stöltzner, Pathologie und Therapie der Rhachitis. Berlin 1904. 

2) Heubner, Lehrbuch der Kinderheilkunde. 1903. 

3) Holobut, Ueber die Beziehungen zu Blutdruck und Zusammensetzung des 
Blutes. Wiener klin. Wochenschr. 1905. No. 49. — Biernacki und Holobut, 
Zeitschrift für experim. Pathologie und Therapie. 1907. 

4) Rüdel, Archiv für experim. Pathologie und Pharmakologie. Bd. 33. 


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lieber die Bedeutung der Nebennieren etc. 


47 


tage erhielt er pro Tag 1 g einer Adrenalinlösung 1 : 10000 subcutan injicirt. ln 
dieser Zeit machte sich bei ihm eine starke Unruhe bemerkbar und auch der Appetit 
war geringer, indem die Portion nicht wie vorher sofort nach der Darreiohung, sondern 
erst im Laufe einiger Stunden verzehrt wurde. Daran schloss sich eine 4tägige Nach¬ 
periode. Die Resultate der N- und Ca-Ausscheidung sind in der folgenden Tabelle 
zusammengestellt. Sie sind pro Tag berechnet. Das Körpergewicht bat in dieser 
12tägigen Versuchsdauer (24. 1.—4. 2.) von 7220 g auf 7650 g zugenommen. Die Zahl 
der rothen Blutkörperchen betrug in der Vorperiode 9180000, nach der 2. Adrenalin- 
injection 9750000. 


Tabelle I. 




N-Gehalt 

in 

Resorbirt 

wurde 

Rctinirt 

wurde 

CaO-Gehalt in 

Retinirt 

wurde 


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Vor¬ 

periode 

4 

5.3773 

i 

1 

3,1830 

1,3812 

3,9961 

74,314 

0,8131 

15,120 

0,1460 

0,0609 

0,1775 

-0,0924 

— 

Adrenalin¬ 

periode 

4 

4,8885 

3,1757 

i 1,4289 

3,4596 

70,770 

0,2839 

5,807 

0,1428 

0,0222 

0,2720 

-0,1514 


Aach¬ 




1 







-0,1540 


periode 

4 

4,8885 

3,0690 

1,0984 

3,7901 

77,449 

0,7211 

14,755 

0,1428 

0,0104 

0,2864 

i — 


Wir ersehen aus dieser Tabelle, dass die N-Ausscheidung in der 
Adrenalinperiode — wenn auch nicht beträchtlich — gesteigert ist, sich 
jedoch in der Nachperiode wieder den Werthen der Vorperiode nähert. 
Anders verhält es sich mit der Kalkausscheidung. Dieselbe beträgt in 
der Adrenalinperiode pro Tag 0,059, in der Nachperiode 0,0616 mehr 
als in der Vorperiode. Merkwürdig ist, dass die Kalkausscheidung im 
Urin in der II. und III. Periode fast um das Drei- bezw. Sechsfache 
sinkt, dagegen im Koth stetig zunimmt. 

Versuch II (3. 4.-9. 4.) 

bestand aus einer Vorperiode und einer Adrenalinperiode von je 3 Tagen, ln letzterer 
bekam er täglich 2 ccm einer Adrenalinlösung (1 : 10000) subcutan eingespritzt. Die 
Bestimmung der Ausscheidung in der Nachperiode musste in diesem Versuche unter¬ 
lassen werden, weil das Thier in derselben seine Portionen nicht vollkommen verzehrte. 
Daneben trat grosse Unruhe und eine zweitägige Stuhlverhaltung (in der Nachperiode) 
auf. Als Nahrung erhielt er täglich 250 g Maismehl aufgekocht in 1 Liter Leitungs¬ 
wasser mit 10 g Kochsalz. Das Körpergewicht, welches vom Ende des letzten Versuches 
von 7650 g bis auf 9260 g (3. 4.) gestiegen war, zeigt in den ersten Versuchstagen 
Gleichgewicht (9. 4. 9250 g), sinkt aber in der Nachperiode und später stärker bis 
auf 8820 g (24. 4). Die Zahl der rothen Blutkörperchen beträgt in der Vorperiode 
10110000, nach der 2. Adrenalininjection 9720000. 

Es macht sich auch hier eine Steigerung der N-Ausscheidung neben 
Verminderung der N-Resorption bemerkbar. In der Adrenalinperiode 
steigt auch hier die Kalkausscheidung und zwar um 0,0788 mehr gegen 
die Vorperiode. Im Urin sinkt sie über die Hälfte, im Koth steigt sie 
beträchtlich an. 


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Ketöhsai?. .aüJgeköQht in 800 ccüj LqUungsw&ssCr Uh«i ans 300 ccm KuhitVil^h : $\<y 
cnlSimit also mehr KalJc als in den früheren Versuchen, wo widusoheinltch w^ii »le? 
geringen kalknomgen m der IVahrung und vielleicht auch vvegen der starken Hartwig 
des Hundes; auch die Viuprüden negative Kalkbilahzen aiifwh;sen 1 ). Am 4. und 
k. Versuchs tage, Junten pro die l 1 /,, ccm, um Ü. Tage 1 ccm einer Adroniitiulosung 
1 : 10000 emgesp ritzt. Ks stet Hon sieh wie in den früheren Versuchen Aufregung 
und verTnjttderter Appetit eia. JÖäa KüipergeWteht sinkt etwas Wahrend, des Ver¬ 
suchesnämlich von 0500 g auf.Ü4U0 


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In der Vorhnnodo werden pro Tag U*WK*2 !>, CaO Horna u?, während 
in der ’Ä(1 rejottlii ip&wfjfo tun 0,0311> in der :'N«>hpenodo (mb ,0,0000 
mehr ai^gesduedün werden, und /war steigt in iOühmu Verbuche die 
^geschiedene Kalhmenge sowohl !m Kot U als a*jr&. iro Om 

Or X-Stet!Wechsel verhall >;ö kfmlioh wie fft den vmigmi Ver¬ 
suchen. 




l! Aus der jüngst ersdiiermuer.' AiVh von i> o? h borg 'ktfthik' *« •Knviterhcili,. 
Hk fa;j ist zu ersehen, ibiss » im* kctjlohydi^h'-schc Xahrune - wie sic in menten 
müder» ersten Versuchen wind,- - halkbilunzen bewirken kann, 

auch in gcruigv-ron* %Uh^S^ <»!s bei edbt un MifnhkU reichen Nahrung. . 



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48 

K. Quest, 



Tabelle ff. 













Heber die Bedeutung der Nebennieren etc. 


4B 

Bei Betrachtung der Resultate in allen 3 Versuchen muss man zur 
Ueberzcugung gelangen, dass dieselben keineswegs die Annahme einer 
günstigen Beeinflussung des Kalkstoflwechscls — im Sinne einer ver¬ 
mehrten Retention — stützen können, ja im Gcgenthcil ist daraus nur 
eine ungünstige Wirkung auf den Kalkstoffwcchsel zu ersehen. Dieser 
ungünstige Einfluss ist anhaltend, ja er steigert sich in der Nachperiode 
in Versuch I und II. 

Den N-Stoffwechsel scheint das Adrenalin im geringeren Maasse zu 
beeinflussen. Wir sehen in allen 3 Versuchen, dass der Stickstoffansatz 
in der Adrenalinperiode geringer war; diese Erscheinung ist jedoch nur 
vorübergehend, denn in der Nachperiode steigt der Stickstoffansatz wieder 
zur Norm an. 

Es kann hier auch nicht der Einwand geltend gemacht werden, 
dass das Präparat unwirksam war, denn dasselbe zeigte in einer ganzen 
Reihe von Experimenten, welche gleichzeitig zu anderen Zwecken im 
Institute damit angestellt wurden, stets prompte Wirkung. 

Auf Grund der Erfahrungen, welche eine ganze Reihe von Pädiatern 
mit der Nebennierenbehandlung bei Rhachitikern gemacht hat, wie auch 
auf Grund meiner Stoffwechselversuche kann die Theorie Stoeltzner’s 
von der Beziehung zwischen Rhachitis und Nebenniere nicht aufrecht ge¬ 
halten werden. Die Erfolge, welche man sich mit der Nebennieren¬ 
behandlung bei Rhachitis versprach 1 ), haben sich ebenso wenig bewahr¬ 
heitet, wie bei der Anwendung anderer bei Rhachitis empfohlener organo- 
therapeutischer Präparate, so des Thyreoidins [Lanz 2 ), Hcubner 3 ), 
Knöpfelraacher 4 )] und des Extractes der Thymusdrüse [Mettcn- 
heimer 5 ), Stöltzner und Lissauer 6 ), Sinnhuber 7 )]. 

Die nach Adrenalininjectionen auftretende, von einer Reihe von 
Autoren beschriebene Glycosurie 8 ) sowie auch die in meinen Versuchen 
festgestellten Veränderungen im Stickstoff- und Kalkstoffwechsel scheinen 
dafür zu sprechen, dass die Ursache für das Auftreten ven Arterio- 
sclerose bei Kaninchen nach Adrenalineinspritzungen nicht allein in dem 
gesteigerten Blutdruck, sondern vielmehr in einer toxischen Wirkung auf 
den gesammten Organismus zu suchen ist. 

1) Neuerdings werden subcutane Injectionen von Adrenalin nach Bossi auch 
bei ' >steomalasie empfohlen. 

2) Lanz, Volkmann’s Sammlung klin. Vortr. 1894. 

3) Heubner, Berliner klin. Wochenschr. 1896. No. 31. 

4) Knöpfelmacher, Wiener klin. Wochenschr. 1895. No. 41. 

5) Mettenheimer, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 46. 1898. 

6) Stöltzner und Lissauer, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 50. 1899. 

7) Sinnhuber, Zeitschr. f. klin. Med. 1904. 

8) Die Zuckerprobe im Urin war in den Adrenalinperioden unserer Versuche 
stets positiv. 


Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie 5. B«J. 


4 


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v. 

% 

Aus der Königl. Universitäts-Kinderklinik München. 

Vergleichende Untersuchungen über den Complementbestand 
im Körper natürlich und künstlich ernährter Thiere. 

Von 

Dr. med. A. Heimann, 

Kinderarzt in Klhorfcld. vormals Assistent der Klinik. 


Im Mittelpunkte des Problemes der Säuglingsernährung steht nach 
wie vor die Frage, worauf der essentielle Unterschied in den Erfolgen 
der natürlichen Ernährung einerseits und jeder „rationellen 1 * Form 
künstlicher Ernährung andererseits begründet ist. Dieser Unterschied 
kann beruhen auf einem mit jeder Form künstlicher Ernährung ver¬ 
bundenen Schaden, oder auf einem durch die natürliche = artgleiche 
Ernährung dem Säugling vermittelten Nutzen. Im ersteren Falle müssen 
wir uns vorstellen, dass manche Säuglinge eine angeborene Widerstands¬ 
fähigkeit gegen jenen Schaden besitzen, im letzteren Falle, dass manche 
Säuglinge diesen Nutzen ohne Nachtheil zu entbehren vermögen. 

Die bisherigen Hypothesen sind fast durchwegs Schaden¬ 
hypothesen. Eine Nutzhypothese wurde jüngst von Pfaundler 1 ) ver¬ 
treten. Pfaundler meint, dass der besondere Nutzen der arteigenen 
Milch an besondere, nur innerhalb der Species übertragbare „Nutzstoffe“ 
geknüpft sei und stellt die Frage, ob es sich bei diesen Nutzstoffen 
etwa um Substanzen von Complementcharakter handle, die den Vorgang 
der inneren oder assimilirenden Verdauung, der „Tropholyse“, im 
Organismus des Säuglings fördern. 

Pfaundler betrachtet den experimentell prüfbaren Gehalt von 
Körperflüssigkeiten an hämolytisch und bakteriolytisch wirkendem 
Complement als Indicator für das Vorhandensein der vermeinten tropho- 
lytischen Complemente, was angesichts der Lehre Ehrlich’s von der 
Analogie und Wesens-Verwandtschaft zwischen Hämolyse, Bakteriolyse 
und „Tropholyse“ selbst Jenem gerechtfertigt erscheinen wird, der sich 
der Ansicht Buchner’s, Bordet’s und Anderer von der Einheit des 
Alexines (= Complementes) nicht anschliesst. 

1) Münch, nied. Wochenschr. 1907. No. 1 u. 2. Verhandl. der Gesellseh. für 
Kinderheilkunde. Dresden 1907. 


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Vergleichende Untersuchungen über den Complenienlitestand im Körper ctc. ol 

Die wichtigsten Befunde zur Beantwortung obiger Frage sind bisher 
der von Pfaundler und Moro 1 ) bezw. von Moro 2 ) erbrachte Nachweis 
des Vorkommens von hämolytischen und bakteriolytischen Compleraenten 
in verschiedenen Milcharten und der von Moro 3 ) erbrachte Nachweis 
des erheblich höheren und constanteren Complcmentgehaltes im Blut¬ 
serum der natürlich ernährten Säuglinge verschiedener Species gegen¬ 
über künstlich ernährten (Menschen und Thieren). Es erhebt sich aber 
die Frage, ob der actuelle, humorale Bestand an Complementen 
das eigentlich Maassgebende für die Ernährungsfunction ist. 

In Bezug auf bakterioly tische Vorgänge im Organismus wurde mit 
Recht mehrfach betont, dass für den Erfolg dieser Abwehrbestrebungen 
nicht so sehr der habituelle Gehalt der normalen Körpersäfte (des Blut¬ 
plasmas) an bakteriolytisch wirkenden Stoffen maassgebend sei, als 
vielmehr die dem Organismus in wechselndem Maasse eigenthümlichc 
Fähigkeit, solche Wehrkräfte im Bedarfsfälle (im „Kriegsfälle“) rasch 
zu mobilisiren und am Orte der Infection, „am Kriegsschauplätze“ zu 
concentriren. Es fragt sich, ob solche Erwägungen auch in Bezug auf 
die uns interessirenden biolytischen Vorgänge der Ernährung Geltung 
haben. 

Hier liegen die Verhältnisse aber offenbar ganz anders. Erstens 
ist die Tropholyse im Gegensatz zur Bakteriolyse und Hämolyse ein im 
Rahmen physiologischer Verhältnisse, ein „im Frieden“ ablaufender 
Process, in Bezug auf dessen Werkzeuge mithin eine solche „Mobili- 
sirung“ nicht in Betracht kommt. Zweitens beziehen sich die obigen 
Ausführungen über die Bakteriolyse vorwiegend auf (specifische) Immun¬ 
körper, deren Production eben durch den eintretenden Bedarf angeregt 
wird, während für die Tropholyse, einen durch die Receptorcn der sess¬ 
haften Körperzellen vermittelten und an diesen selbst ablaufenden Vor¬ 
gang von humoralen Substanzen vermuthlich nur Complemente gefordert 
werden. 

Trotzdem haben wir getrachtet, nach Thunlichkeit auch über den 
„potentiellen“ Bestand an Complementen im thierischen Organismus 
unter verschiedenen Ernährungsbedingungen dadurch Aufschluss zu ge¬ 
winnen, dass wir den (hämolytischen) Vorgang in den Körper des Ver¬ 
suchstieres selbst verlegten. 

Derartige Versuche, die Hämolyse intravital, intravasculär vor sich 
gehen zu lassen, sind schon vielfach gemacht worden. Es bedarf 
dazu nur der Zufuhr geeigneter künstlicher Amboceptoren, denn das 
Complement des Säugerblutes bewirkt nur deshalb keine Biolvse 
der eigenen Blutkörperchen, weil es an geeigneten Zwischenkörpern 
fehlt. Solche kann man in Gestalt eines inactivirten Immunhämolysins 
subcutan, intraperitoneal oder auch intravenös dem Versuchstiere ein- 
bringen. 


1) Diese Zeitschrift, 1907 

2) Ebenda. 

3) Verhandl. d. Gesellsch. fiir Kinderheilkunde. Dresden 1907 und Miinch. 
med. Wochcnschr. 1907. No. 44. 

1 * 


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52 


Gr über l ) behandelte Meerschweinchen mit 4—10 ccm eines inactivirten Immun- 
hiimolysins intraperitoneal. Er konnto 8 -12 Stunden später Hämoglobinurie und 
Herabsinken der Erythrocytenzahl von 5 Millionen auf 0,8—0,9 Millionen beobachten. 
Cantacuzene 2 ) arbeitete an Kaninchen, die er mit einem vom Meerschweinchen ge¬ 
wonnenen Serum präparirte. Er injicirte das Serum subcutan und intravenös und 
studirte vor Allem das Verhalten der Elemente des Blutes selbst. Er fand ein je 
nach der. Stärke der Dosis wechselndes Verhalten: sofortige Zunahme der Erythro- 
cyten bei schwachen Dosen, sofortiges Absinken bei grossen Dosen und plötzlichen 
Tod des Thieres bei ganz grossen Dosen. Mit dem Sinken der Erythrocytenzahlen 
gingen Veränderungen im qualitativen und quantitativen Verhalten der Leukocyten, 
der Blutplättchen sowie auch des Hämoglobin-Gehaltes einher, auf deren specielles 
Verhalten wir nicht weiter oingehen. Bei wiederholter Injection konnte man ein ver¬ 
schiedenes Verhalten beobachten, ein Sinken oder auch ein Ansteigen der Zahlen der 
rothen Blutkörperchen je nach dem Zeitpunkte, den man zur Reinjection wählte. 
Cantacuzene war durch passende Wahl des Zeitpunktes in der Lage, die Blut¬ 
körperchenzahl beträchtlich zu steigern. Vor diesen Autoren hatten Beifante und 
Carbone 3 ) die Toxicität eines für Kaninchen-Erythrocyten specifischen Pferdeimmun¬ 
serums festgestellt. Weiter hatte Kraus nach Injection geringer Mengen eines Immun¬ 
serums bei Hunden schwere Krankheitsbilder herbeiführen können. Er hatte bei 58° 
inactivirtes Serum benutzt und 2—3 Tage nach der Application Schwäche, Ataxie, 
Icterus, Hämoglobinämie, Auftreten kernhaltiger rother Blutkörperchen, Leukocytose, 
Hämaturie, Hämoglobinurie und Exitus im Coma beobachtet. Mit Sternberg hat er 
dann noch genauere Untersuchungen angestellt. K. und St. haben hauptsächlich 
Hunde zu ihren Experimenten benutzt. Sie konnten zunächst bei intravenöser In¬ 
jection von Dosen von 5—10 ccm Tod innerhalb 15—20 Min. beobachten, ohne dass 
im Blute hämolytische Erscheinungen sich gezeigt hätten. Es handelte sich wahr¬ 
scheinlich um einen acuten toxischen Tod. W'eiter untersuchten sie die Folgen sub- 
cutaner Injectionen hämolytisch wirkender Sera bei einmaliger Injection grösserer und 
auch bei mehrmaliger Injection kleinerer Dosen. Bei dem ersteren Vorgehen trat 
innerhalb 4—5 Tagen der Tod ein. Die Thiere wurden anämisch oder auch (und 
zwar bei den grösseren Dosen) icterisch und dyspnoisch und schieden Blut im Urin 
aus. Im Blute fanden sich kernhaltige rothe Blutkörperchen, sowie Polychromatophilie. 
Die Zahlen der Leukocyten waren erhöht. Bei der Obduction war vielfach das Blut 
lackfarben. Die Leber bot die Zeichen der Gallenstauung und enthielt oft nekrotische 
Stellen. Die Milz erwies sich als auffallend gross und dunkel; sie war sehr blutreich 
und die in ihr befindlichen nur schwach färbbaren Erythrocyten waren zu grossen 
scholligen, diffus roth gefärbten Klumpen verbacken. Das Knochenmark war roth, 
Bei wiederholter Injection kleinerer Dosen war der Verlauf kein principiell anderer, 
nur zog er sich etwas in die Länge. Es entwickelte sich eine starke Anämie, es kam 
nicht zu einer Gallenstauung. Bei Kaninchen konnten die Autoren ähnliche Er¬ 
scheinungen herbeiführen. Es entwickelte sich jedoch stets eine Anämie, nie ein 
Icterus. Mit Bakteriohämolysinen konnten sie nur bei Kaninchen und nicht bei Hunden 
ähnliche Krankheitsbilder erzeugen. 

Schliesslich hat noch Reh ns 4 ) die Einwirkung der Cytotoxine in vivo studirt. 
Auch er beobachtete Exitus nach wenigen Tagen. Die Milz erwies sich bei der Öb- 
duction als vergrössert. Der Urin war frei von Hämoglobin. Nach seiner Meinung 
kommt die Hämolyse dadurch zu Stande, dass frei circulircndes hämolytisches Alexin 


1) Münch, med. Wochcnschr. 1901. 

2) Annales de Pinstit. Pasteur. 1900. S. 378. 

8) Cit. nach Kraus u. Sternberg, Centralhl. f. Bakteriol. 1902. S. 903. 

4) Kef. Central bl. f. Bakteriol. Bd. 85. S. 798. 1904. 


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Vergleichende Untersuchungen über den Complementbestand im Körper etc. 53 


auf die Erythrocyten trifft, die durch die Zufuhr des Amboceptors sensibilisirt dem 
Angriff erliegen. 

Aus allen diesen Untersuchungen geht übereinstimmend hervor, 
dass es möglich ist, mit inactivirtem spccifisch hämolytischem Serum 
auch im Körper des lebenden Thieres die rothen Blutkörperchen zur 
Auflösung zu bringen. Der Untergang dieser Elemente führt zu be¬ 
stimmten charakteristischen klinischen Erscheinungen und auch beraerkens- 
werthen Obductionsbefunden. 

Die klinischen Erscheinungen und die Veränderungen an den Organen 
werden ceteris paribus umso schwerer sein, je mehr wirksame Com- 
plemente in dem Organismus des injicirten Thieres unmittelbar dis¬ 
ponibel sind und je mehr — im Falle des Verbrauches — von den 
Zellen nachgeliefert werden. Somit müssen die Folgen der intravitalen, 
intravasculären Hämolyse auf Injection hämolytischer Immunkörper unter 
zweckentsprechenden Versuchsbedingungen ein quantitativ . verwertbarer 
Ausdruck des actuellen und potentiellen Complementbestandes sein. 

Was nun unsere Versuche anlangt, so benutzten wir Hunde und Kaninchen als 
Vcrsuchsthiere. Das Hundeimmunbämolysin wurde von Hasen gewonnen, die 4 mal 
mit je 3 ccm defibrinirten Hundeblutes intravenös in Intervallen von 5—7 Tage be¬ 
handelt worden waren. Vor der Injection wurde der hämolytische Titer mittelst Meer- 
schweinchencomplement bestimmt und zwar ergab sich, dass 0,1 com einer 1 : 100 
Serumverdünnung im Stande war, 0.5 ccm einer 5 proc. Hundeblutkörperchen-Auf- 
schweramung fast complet zu lösen. Das Serum eines anderen Hasen, der auf die¬ 
selbe Weise vorbehandelt war, löste in x / m Verdünnung fast complet. Dieses Thier, 
dessen Serum zu einer zweiten Versuchsreihe diente, wurde vorher noch einmal mit 
Hundeblut injioirt. Das Serum, vor der Anwendung nochmals austitrirt, löste wie 
jenes des ersten Hasen. Das Serum wurde bei allen Versuchen subcutan beigebracht, 
nachdem es zuvor durch halbstündiges Erhitzen auf 56° inactivirt worden war. 

Ein Theil der Thiere wurde natürlich, ein Theil mit gekochter Kuhmilch, resp. 
zur Erhöhung der Calorienzufuhr mit Hausrahm ernährt. Die künstliche Ernährung 
wurde jedoch nicht sofort nach der Geburt, sondern bei der ersten Serie am dritten 
Tage, bei der zweiten erst am fünften Tage eingeleitet. Es scheint [nach gleich¬ 
zeitigen Untersuchungen von Moro 1 ) an Thieren verschiedener Gattung] die natür¬ 
liche Ernährung gerade in den ersten Lebenstagen für die Erhaltung des Thieres von 
ausschlaggebender Bedeutung zu sein. Von den künstlich genährten Hunden, bei 
denen wir die Kuhmilchernährung schon am 3. Lebenstage einleiteten, gingen 2 zu 
Grunde, während solches bei den späteren Versuchen nicht mehr vorkam, und bei 
einem Thiere, das wir erst am 9. Tage künstlich zu ernähren begannen, ein direct 
gut zu nennendes Ernährungsresultat erzielt wurde. Das Thier nahm in ähnlicher 
Weise wie die natürlich ernährten zu. Für den Menschen scheinen übrigens ähnliche 
Verhältnisse obzuwalten. Czerny und Keller 2 ) machen ausdrücklich darauf auf¬ 
merksam, wie wichtig für den Ernährungserfolg es ist, wenn der menschliche 
Säugling auch nur eine Woche lang Frauenmilch erhalten hat. 

Die Zahl der Einzelmahlzeiten richtete sich nach den Bedürfnissen der Thiere. 
Die Fütterung erfolgte 1—2 stündlich mit einer 7 ständigen Nachtpause. Die Thiere 
gewöhnten sich bald an das Saugen aus dev Flasche und schienen die Nahrung auch 
gerne zu nehmen. Schwierig gestaltete sich die Fliege, besonders die Trockenhaltung. 


1) Münchn. med. Wochensehr. 1907. No. 45. 

2) Handb. der Ernährung etc. S. 528. 


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Tabelle des Körpergewichts, der oingespritzten Dosis und der Dosis berechnet 
auf 100 g Thier bei Versuch i: 



Körpergewicht 

Dosis 

pCt. 

c . . 

340 g 

10 ccm 

3 

F . . 

680 g 

10 „ 

1,5 

D . . 

320 g 

4 „ 

1,3 

E . . 

. . 750 g 

4 * 

0,5 


Die Dosis des ersten Versuches war zu gross gewählt worden. Die Thiere 
gingen nach Verlauf weniger Stunden zu Grunde. Wir waren deshalb nicht in der 
Lage, Beobachtungen über die Veränderungen, die sich durch die klinischen Unter¬ 
suchungsmethoden feststellen Dessen, intra vitam zu machen. Dies zu ermöglichen, 
wurde ein zweiter Wurf junger Hunde in den Versuch eingestellt. 

Wurf einer kleinen Spitzhündin vom 10. 5. Zwei von den 4 Thieren dioses 
Wurfes werden am 15. 5. zur Einleitung der künstlichen Ernährung vom Mutterthicre 
getrennt (ß, d). Das Gewicht aller Jungen beträgt an diesem Tage: 


a *. 

fl - 
r • 
d . 


315 g 
310 g 
315 g 
315 g 


| rehbraunes Fell 
1 weisses Fell* 


Die künstlicho Ernährung wird in der oben beschriebenen Weise geleitet. Wir 
haben jedoch dieses Mal die Tagesportionen festgestellt und sie in der nachfolgenden 
Tabelle zusammengestellt. 


Tabelle der a 


fgenommenen Kahmmengen: 


Datum: 

Thier ß: 

Thier d: 

18. 5. 

Mg 

100 g 

10. 5. 

100 g 

00 g 

20. 5. 

05 g 

65 g 

21. 5. 

85 g 

88 g 

22. 5. 

— 

40 g 

23. 5. 

— 

88 g 

24. 5. 

— 

110 g 

25. 5. 

— 

140 g 

26. 5. 

— 

00g 


Was das Ernährungsresultat anlangt, so haben wir bei diesem Wurfe keinen 
Todesfall als alleinige Folge der Kuhmilchverfütterung zu verzeichnen. Diese That- 
sache erklärt sich wohl durch den Umstand, dass die Thiere um einige Tage länger 
dem Mutterthiere belassen wurden. Im Uebrigen unterscheiden sich die Flaschcnthierc 
dieses Wurfes weder in ihrem Benehmen noch in ihrem Aeusseren von denen des 
ersten. 

Das Hämolysin, das wir anwandten, war von einem anderen Hasen gewonnen. 
Sein Titer war jedoch derselbe wie bei dem ersten Versuche. 


II. Versuch: 

21. 5. Die rehbraunen Thiere a und ß erhalten eine subcutanc Injection von 
1,0 ccm Hämolysin. 

Gewicht der Brusttbiere 514 g. 

Blutuntersuchung des Brusthieres « am 21. 5. (vor der Injection): Ervthro- 
cyten 5120000, Leucocytcn 10000. 

22. 5. Erythrocyten 3136000. Bei der Färbung des Blutes zeigen sich zahl¬ 
reiche, polychromatophile, spärliche kernhaltige Erythrocyten. Die Schleimhäute sind 
sehr blnss. Das Thier ist elend uund saugt nicht mehr. 


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Vergleichende Untersuchungen über den Complementbcstand im Körper etc. 55 

1. Versuch: 

10. 5. Tier C und F werden mit 10 ccm lmniunscrum subcutan behandelt. 
Die Injection wird um 7 Uhr Abends am Rücken vorgenommen. 

Beide Thiere gehen im Laufe der Nacht ein. 

An demselben Abend und zu derselben Stunde erhalten D und E 4 ccm des¬ 
selben Serums. 

Blutuntersuchung boi 1): Erythrocytenzahl 5516800, Lcukocytcnzahl 8000 

„ „ E: „ 4 3936(X>, „ 14800. 

Histologisch bietet das Blut keine auffallenden Abweichungen von dem gewöhn¬ 
lichen Bilde. 

Auch diese beiden Thiere gehen im Laufe der Nacht ein. 

Obduction: 1. Flaschenthier C: Fettpolster ausserordentlich gering ent¬ 
wickelt. Die Organe sind alle sehr klein. Die Thymus ist weisslich, die Lungen 
sind sehr blutarm. Im Herzen sind Speckgerinnsel, das daneben noch vorhandene 
flüssige Blut ist farblos. Milz von dunkelblaurother Farbe, Leber scheint auch sehr 
blutreich, in den Gefassen der letzteren finden sich Blutgerinnsel. Niere und Blase 
enthalten keinen blutigen Inhalt, die Bauchhöhle keine freie Flüssigkeit. 

Blutausstriche aus der Milz zeigen sehr wenige Blutkörperchenschatten. 

2. Flaschenthier D: Der Befund deckt sich im Wesentlichen mit dem vor¬ 
stehenden. Wir verzichten deshalb auf einen ausführlicheren Bericht. 

o. Brustthier F: Fettpolster sehr gut entwickelt. Die Organo sind be¬ 
deutend grösser als bei dem Flaschenthier, ln der Bauchhöhle befindet sich viel 
blutig gefärbte Flüssigkeit, in der Blase blutiger Urin. Milz und Leber sind tief 
dunkel blauroth. Im Herzen geronnenes Blut. Die Brustorgane, speciell Lunge und 
Thymus sehr blass. 

Blutausstriche aus Milz und Leber ergeben reichliche Blutkörperchenschatton. 

4. Brustthier E: Im Wesentlichen bieten die Organe denselben Befund wie 
bei dem sub 3 geschilderten Thiere. Der einzige Unterschied ist der, dass die Blase 
keinen blutig gefärbten Urin enthält. 

Histologische Untersuchung: Stücke der Milz und der Leber von C und 
F werden nach Vorbehandlung mit Formel in steigendem Alkohol gehärtet und nach 
Einbettung in Paraffin geschnitten. Die Schnitte werden mit Hämatoxylin (Ehrlich) 
und Eosin gefärbt. 

1. Oie Milz von F. ist sehr blutreich. Dabei sind an vielen Stellen die 
einzelnen Erythrocyten nicht mehr deutlich von einander zu trennen; sie bilden viel¬ 
mehr eine einzige durch Eosin roth gefärbte Masse. Gegenüber dem reichlichen 
Gehalt an rothen Blutkörperchen verschwinden die Pulpaelemente fast völlig. Man 
sieht auch nur spärliche Follikel, ln diesen und zwar intracellulär, mehr aber noch 
extracellulär, findet sich viel Pigment. 

Die Leber des gleichen Thieres erscheint sehr blutreich. Die Capiilaren sind 
völlig erfüllt von rothen Blutkörperchen. An einzelnen Stellen linden sich Blutungen 
in das Gewebe, die zum Untergang der Leberzellenbalken geführt haben. In den 
Leberzellen ist viel Pigment eingelagert. Vielfach sind daneben in den Zellen 
Vacuolen (ausgelaugte Fetttröpfchen). 

2. Die Leber des Flaschenthieres C unterscheidet sich von der zuvor 
beschriebenen nicht wesentlich: auch hier der grosse Blutreichthum, auch hier die 
Blutungen. Weniger beträchtlich ist die Pigment- und Fetteinlagerung. 

Die Milz ist jedoch ^iel weniger schwer afficirt. Der Blutgehalt ist auch hier 
sehr gross, jedoch nicht in dem Maasse wie bei dem Brustthiere. Ucberall sind auch 
die einzelnen Erythrocyten deutlich von einander zu trennen. Die Follikel sind zahl¬ 
reicher und grösser, die Pulpa ist viel zellreicher. Unter den Zellen fallen viele mit 
grossem Kern und reichlichem Protoplasma auf (Riesenzellen). 


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58 A. Hei mann, 

Tabelle des Körpergewichts, der eingespritzten Dosis und der Dosis berechnet 
auf 100 g Thier bei Versuch 11. 

Körpergewicht Dosis pCt. 
cc . . 514 g 1 ccm 0,10 

ß . - 336 g 1 „ 0,29 

Zusammenstellung der Zahlen der Erythrocytcn: 



Brustthier it 

Flaschonthicr { 

21. 5. . 

. 5,1 Millionen 

5,9 Millionen 

22. 5. . 

• 3,1 „ 

4,3 „ 

23. 5. . 

— 

1,3 n 

24. 5. . 

— 

1,3 „ 


III. Versuch. Die weissen Thicre y und d, ein natürlich und, das letztere ein 
künstlich genährtes Thier erhalten am 21. 5. eine subcutane lnjection von 0,25 
Hämolysin. 

Gewicht des Brustthieres 507 g. 

22. 5. Starkes Zittern, wenig Fresslust. Die Bauchhaut (Ort der lnjection) 
ödematös. 

23. 5. Zahl der Erythrocytcn 3240800, von ihnen sind ziemlich viele poly¬ 
chromatophil. Gewicht 488 g. 

24. 5. Zahl der rothen Blutkörperchen 3900800, einzelne kernhaltige Erythro¬ 
zyten erscheinen im Blut. Gewicht 538 g. 

25. 5. Erythrocytenzahl 3289600. Histologisch derselbe Befund wie am 24. 5. 
Gewicht 579 g. 

Wieder völliges Wohlbefinden. 

Gewicht des Flaschenthieres d 334 g. 

22. 5. Allgemeinbefinden ist nicht gestört. Urin enthält kein Blut. 

23. 5. Zahl der Erythrocyten 5830400, unter ihnen finden sich vereinzelte 
polychromatophile. Gewicht 367 g. 

24. 5. Zahl der Erythrocyten 5270400, wenig mehr polychromatophile. Ge¬ 
wicht 401 g. 

25. 5. Zahl der Erythrocyten 5004800; histologisch ein ähnlicher Befund. 
Gewicht 420 g. 

Tabelle des Körpergewichtes, der eingespritzten Dosis und der Dosis berechnet 
auf 100 g Thier bei Versuch III. 



Körpergewicht 

Dosis 

pCt. 

r ■ 

. 507 g 

0,25 ccm 

0,049 

d 

. . 334 g 

0,25 ,, 

0,075 


IV. Versuch. Dieselben Thiere werden am 25. 5. subcutan mit 0,75 ccm 
Hämolysin behandelt. 

Das Brustthier wiegt an diesem Tage 579 g. Erythrocytenzahl 5289600. 

26. 5. Erythrocytenzahl 1516800. Das Blut ist sehr hell und wässerig; in ihm 
finden sich jetzt zahlreiche kernhaltige rothe Blutkörperchen. 

Das Thier ist sehr matt, die Athemfrcquenz steigt auf 60. 

Gewicht 579 g. 

27. 5. Erythrocytenzahl 1254400, zahlreiche von diesen sin»! polychromatophil, 
erhebliche Grössenunterschiede unter ihnen. Gewicht 531 g. 

28.5. Erythrocytenzahl 194 8 800, enorm viele sind polychromatophil. Die 
Schleimhäute zeigen eine hochgradige Blässe. Gewicht 530 g. 

29.5. Erythrocytenzahl 1648000. Es eireuliren jetzt zahlreiche kernhaltige 
rothe Blutkörperchen. Gewicht 590 g. 


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Vergleichende Untersuchungen über den Complementbestand im Körper etc. 59 

30. 5. Erythrooytenzahl 2290400. Wieder normale Athemfrequenz. Gewicht 
623 g. 

31. 5. Erythrooytenzahl 4387200. Die Zahl der polychromatophilen rothcn 
Blutkörperchen ist beträchtlich gesunken; die hochgradige Anämie ist einer fast ge¬ 
wöhnlichen Färbung der Schleimhäute gewichen. Das Thier hat sich völlig erholt 
und kann am Leben erhalten werden. 

Das Flaschenthier d wiegt am Tage der injection 420 g. Erythrooytenzahl 
5004800. 

26. 5. Erythrooytenzahl 2912000. Es finden sich unter den rothon Blut¬ 
körperchen nur einzelne kernhaltige. Das Thier ist sehr matt und hat keine Fresslust. 
Die Athemfrequenz steigt auf 84. Der Urin enthält kein Blut. Gewicht 431 g. 

27. 5. Erythrocytenzahl 1720500. Jetzt treten viel mehr polychromatophile 
auf; dagegen sind nur wenig kernhaltige rothe zu finden. Die Schleimhäute sind in¬ 
zwischen sehr blass geworden. Das Thier will heute die Flasche überhaupt nicht 
mehr nehmen. Da wir befürchten, es zu verlieren, geben wir es an diesem Tage um 
10 Uhr Früh dem Mutterthiere bei, wo es bis zum 29. 5. 12 Uhr Mittags verbleibt, 
um von da ab wieder künstlich ernährt zu werden. Gewicht 432 g. 

28.5. Erythrocytenzahl 2656000; ausserordentlich zahlreiche polychromatophile, 
die auch starke Grössenunterschiede aufweisen. Allgemeinbefinden besser; noch hoch¬ 
gradige Blässe. Athmung bedeutend weniger frequent, 50 in der Minute. Gewicht 
446 g. 

29. 5. Erythrocytenzahl 1574000. Gewicht 480 g. 

30. 5. Erythrocytenzahl 3081200. Gewicht 460 g. 

31. 5. Erythrocytenzahl 4739200. Auch qualitativ nähert sich jetzt das Blut¬ 
bild wieder mehr der Norm. Die Zahl der polychromatophilen, sowie der kernhaltigen 
rothen Blutkörperchen sinkt wieder. 

Das Thier hat sich auch sonst völlig erholt und wird am nächsten Tage für 
andere Versuche benutzt. 

Es sei noch bemerkt, dass sich während der ganzen Dauer des Versuches im 
Urin nie Gallenfarbstoff nachweisen liess. Nur einmal, am 27. 5., gelang es im lange 
centrifugirten Harn vereinzelte rothe Blutkörperchen zu finden. 

Tabelle des Körpergewichts, der eingeführten Dosis und der Dosis berechnet auf 
100 g Thier bei Versuch IV. 

Körpergewicht Dosis pCt. 

y . . 580 g 0,75 ccm 0,13 

() . . 420 g 0,75 „ 0,18 

Tabelle der Blutkörperchenzahlen im Versuch III und IV. 

Brustthier y Flaschcnthicr 6 


23. 

5. 

3,2 Millionen 

5,8 Millionen 

24. 

5. 

... 3,9 „ 

5,3 

7) 

25. 

5. 

. . . 3,3 

5,0 

T) 

26. 

5. 

. . . 1,5 

2,9 

n 

27. 

5. 

. . . 1,3 

1,7 

T) 

28. 

5. 

. . . 1,9 „ 

2,7 

n 

29. 

5. 

... 1,7 ,. 

1,0 


30. 

5. 

. . . 2,3 ,. 

3,1 

r> 

31. 

5. 

... 4,4 ,. 

4)< 

r> 


Versuche an Kaninchen. 

Wurf einer Häsin vom 23. 5. Am 30. 5. w T erdcn von den .S Thicrcn des Wurfes 
4 zur künstlichen Ernährung vom Mutterthiere getrennt. 


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by CjOOglc 


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60 


A. Hei mann, 


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Den Thieren wird ebenso wie den jungen Hunden in 1 resp. 2 ständigen Pausen 
die Vollmilch gegeben. Nachts wird eine 7 ständige Pause gemacht. Von den so 
ernährten Thieren geht eines am 5. Tage nach dem Beginn des Versuches unter 
dysenterischen Erscheinungen zu Grunde. Ein anderes verlieren wir am 11. Tage, 
ohne dass sich schwere Störungen von Seiten des Darmtractus bemerkbar machten; 
auch die übrigen zwei gehen an demselben Tage ein. Nur diese beiden letzten sind 
mit hämolytischem Serum behandelt worden. Das Aussehen der künstlich genährten 
Thiere unterscheidet sich in charakteristischer Weise von dem der natürlich ernährten. 
Das Fell der ersteren ist eigenthümlich struppig, die Beine, speciell die Vorderbeine, 
sind verkrümmt, das Abdomen ist stark aufgetrieben. 

Keines der Thiere überlebt, wie bereits erwähnt, den 12. Tag seit der Einleitung 
der Flasohenernährung. Aus diesem Grunde sind auch die letzten Versuche nicht 
mehr verwerthbar, weil wir nicht in der Lage sind, die Schädigungen, die allein 
durch die Ernährungsstörung herbeigeführt sind, von den durch die Zufuhr des Serums 
bedingten zu trennen. Wir müssen deshalb auch darauf verzichten, über den letzten 
Theil unserer Versuche ausführlich zu berichten. Bemerkenswerth erscheint nur 
noch, dass die schwere Ernährungsstörung an den Gewichtscurven der Thiere kaum 
zum Ausdruck kommt. Es erfolgt zwar in den ersten Tagen ein leichter Gewichts¬ 
abfall, an diesen schliesst sich aber eine continuirliche Zunahme an. 

Das Hämolysin, das wir benutzten, war von Meerschweinchen gewonnen, die 
7 mal, und zwar in Intervallen von zuerst 5 später 7 Tagen intraperitoneal mit 
Kaninchenerythrocyten behandelt worden waren. Das inactivirto Serum löste in einer 
Menge von 0,1 ccm in Vioo Verdünnung 0,5 ccm 5 pCt. Kaninchenblutkörperchen- 
Aufschwemmung unter Zusatz von Meerschweinchen-Complement. 

Versuch I. 5. 6. Die hellgelben Kaninchen a # und b' erhalten eine subcutane 
Injection von 0,25 ccm Hämolysin. 

Das Brustthier a' wiegt an diesem Tage 223 g. 

Die Zahl der Erythrocyten beträgt an diesem Tage 4603400. 

6. 6. Erythrocytenzahl 4710400. Allgemeinbefinden ungestört. Gewicht 226 g. 

7.6. Erythrocytenzahl 3974400. Gewicht 235 g. 

Das Flaschenthier b' wiegt am 5. 6. 173 g. 

Erythrocytenzahl 4646700. 

6. 6. Keine genaue Zählung der rothen Blutkörperchon zu ermöglichen, jeden¬ 
falls besteht keine Verminderung ihrer Zahl. Gewicht 175 g. 

7. 6. Erythrocytenzahl 5 504000. Gewicht 187 g. Urin ohne Albumen und 
Sanguis. 

Versuch II. 5. 6. Die weissen Kaninchen c' und d' werden mit 0,5 ccm 
Hämolysin injicirt. 

Das Brustthier c' wiegt an diesem Tage 246 g. 

Die Erythrocytenzahl beträgt 4617600. 

6. 6. Erythrocytenzahl 3094000, Gewicht 256 g. Allgemeinbefinden gut. 

7. 6. Erythrocytenzahl 4499200, Gewicht 266 g. 

Das Flaschenthier d' wiegt 188 g. 

Keine genaue Zählung der Blutkörperchen durchführbar. 

6. 6. Erythrocytenzahl 5347200. Gewicht 193 g. 

7. 6. Erythrocytenzahl 4175200. Gewicht 197 g. Urin enthält weder Blut noch 
Eiweiss. 

Wir möchten nicht unterlassen, wenigstens summarisch noch über den Einfluss 
einer vierfachen Dosis bei den mit 0,25 ccm resp. einer 3 fachen Dosis bei den mit 
0,5 ccm behandelten Thieren zu berichten. 

Bei den ersteren sinkt die Erythrocytenzahl in ziemlich gleichmässiger Weise, 
bei den letzteren die des künstlich genährten in besonders hohem Maasse. Dabei ist 


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Vergleichende Untersuchungen über den Complemenlbcstand im Körper etc. Ul 


bei dem natürlich ernährten Tliietu keinerlei Storung des Allgemeinbefindens zu er¬ 
kennen, wohl aber bei dem andern. 

Wir sind jedoch, wie schon oben hervorgehoben, geneigt, dies vielmehr auf die 
Schädigung durch die künstliche Ernährung zuriiekzuführen. Bezüglich der qualita¬ 
tiven Veränderungen an den rothen Blutkörperchen sei bemerkt, dass sie sich in ähn¬ 
licher Weise wie bei den Versuchen an Hunden einstellten. Nur beobachteten wir 
zahlreiche Erythrocyten mit basophiler Körnelung, die wir bei den Experimenten an 
den Hunden nicht gesehen haben. 

Recapituliren wir nun kurz die Ergebnisse der Versuche. Wir 
haben bei unseren ersten 4, mit grossen Dosen behandelten Hunden 
alle dem Einfluss des hämolytischen Serums erliegen sehen. Es bot 
jedoch die Milz und auch der übrige Befund schwerere Veränderungen 
bei dem natürlich ernährten Thier. Im zweiten Versuche sinkt die 
Erythrocytenzahl bei dem kräftigen, wohlgenährten Brustthier schnell und 
erheblich; das Thier erliegt dem Eingriff innerhalb 2 mal 24 Stunden. 
Bei dem mit der gleichen Menge behandelten kleinen künstlich genährten 
Controlthier erfolgt die Reaction viel langsamer. Innerhalb 2 mal 
24 Stunden, der Zeit, in der das Brustthier schon eingegangen war, ist 
überhaupt die Erythrocytenzahl erst gesunken. Es dauert fast 5 mal 
24 Stunden, bis auch dieses Thier zu Grunde geht. Aehnlich verhalten 
sich auch die mit noch kleineren Serummengen behandelten weiteren 
Thicre. Auch hier fällt bei dem natürlich ernährten die Blutkörperchen¬ 
zahl schnell und erheblich; bei dem künstlich genährten tritt nur 
langsam und weniger ausgiebig der Effect zu Tage. Bei der aber¬ 
maligen Injection ist die Verspätung der Reaction noch daran er¬ 
kennbar, dass die niederste überhaupt gefundene Zahl beim Flaschen- 
thiere 2 mal 24 Stunden später angetroffen wird*). 

Das Körpergewicht fällt bei dem natürlich ernährten Thiere jedes¬ 
mal nach der Behandlung etwas, während an der Gewichtscurve des 
Flaschcnthieres der Eingriff spurlos vorüber geht. 

Aehnlich liegen die Verhältnisse bei den ersten Kaninchen versuchen. 
Besonders auffallend erscheint auch hier bei dem natürlich ernährten 
Thiere das Absinken der Erythrocytenzahl, während bei den künstlich 
genährten eine Steigerung der Zahl sich bemerkbar macht. 

Es ergeben sich hier Analogien mit Beobachtungen Cantacuzenes. 
Es wirken Mengen bei dem einen Thiere als kleine, die bei dem anderen 
sich in Bezug auf ihre Wirkung als grosse erweisen. 

Es ist somit eine Verschiedenheit im Verhalten natürlich und 
künstlich ernährter Thiere in stets gleichem Sinne beobachtet worden: 
das natürlich genährte Thier wurde durch den Eingriff schwerer 
geschädigt, als das künstlich genährte. Dieses Verhalten ist 
um so bemerkenswerther, als die Thiere stets mit absolut gleichen 
Dosen behandelt wurden, also die an Körpergewicht zum Theil sehr 

1) Dio Beurtheilung des Resultates bei der Reinjection wird dadurch etwas 
erschwert, dass wir nicht sicher wissen, ob beide Thiere im gleiohen Stadium der 
Blutveränderung weiter behandelt wurden; es ist nicht ausgeschlossen, dass das 
natürlich genährte Thier sich schon wieder im Reparationsstadium befand, während 
bei dem andern erst die Blutkörperchenzahl im Sinken begriffen war. 


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62 A. IIeimann, Vergleich. Untersuchungen über den Complernentbcstund etc. 


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erheblich rückständigen künstlich genährten Thicre mit relativ weit 
grösseren Dosen. Es ist ferner um so bemerkenswerther, als die 
Flaschenthiere durchwegs schon durch den Nährschaden in einen un¬ 
günstigen, ja zum Theil an sich schon lebensbedrohenden Allgeraein- 
zustand versetzt worden waren. Jedem anderen Gifte wären sicher die 
Flaschenthiere viel eher erlegen, als die Brustthiere. Das auf den ersten 
Blick paradoxe Verhalten der Thiere dem Hämolysin gegenüber ist nur 
dadurch zu erklären, dass dieses Gift eben nicht für sich, sondern aus¬ 
schliesslich unter Mitwirkung eines, dem gesunden Organismus inne¬ 
wohnenden Agens seine specifische Wirkung entfaltet. Wir stehen hier 
vor dem eigenartigen Falle, dass eine im Dienste wichtiger physiologi¬ 
scher Functionen stehende lvörpersubstanz in Folge eines äusseren Ein¬ 
griffes ihre Wirkung gegen den eigenen Organismus kehrt. Die 
Complemente werden — gewissermaassen irre geführt durch die ein- 
gebrachten hämolytischen Amboceptoren — zu Schädlingen und die 
Amboceptoren selbst derart zu einem merkwürdigen Gifte, das kräftige 
gesunde Brustthiere weit mehr als dystrophische Flaschenthiere schädigt. 

Die Eingangs gestellte Frage aber wird dahin zu beantworten sein, 
dass bei den Flaschenthieren der actuelle und potentielle 
Complementbestand ein reducirter war; nur so ist die relative 
Begünstigung dieser Thiere im Hämolysin versuch zu erklären. 


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VI. 


Zur operativen Behandlung gewisser Lungenkrankheiten 
(Emphysem und Tuberculose). 

11. Theil. 

Von 

Ludwig Hofbauer (Wien). 

(Mit 2 Abbildungen im Text.) 


Im ersten Theile 1 ) wurden einige normal- und pathologisch-physio¬ 
logische Untersuchungen vorgeführt, welche erweisen, dass die Grund¬ 
lagen für die operative Behandlung des Emphysems und der Tuberkulose 
nicht ohne Weiteres zu acceptiren seien. Ueberdies geben dieselben Hin¬ 
weise auf physiologisch richtigere Wege für die Behandlung der in Rede 
stehenden Krankheiten. Dieselben sollen im Folgenden kurz skizzirt 
werden. Bei der 

Spitzentuberkulose 

wurde die Operation deshalb vorgeschlagen, weil diese Erkrankung die 
Folge einer durch mangelhafte Anlage der Rippenknorpel bedingten Ver¬ 
kürzung der oberen Rippenringe darstelle. Nun wurde aber im ersten 
Theile dargethan: 

1. Ist die Verkürzung der oberen Rippen nicht ohne Weiteres als 
Ausdruck mangelhafter Anlage zu betrachten, sondern stellt (zum 
mindesten oft) lediglich die Folge insufficientcr ßethätigung der oberen 
Rippen bei der Athmung dar. (Diese Beschränkung einer Atheminsuffi- 
cienz auf die oberen Rippen erklärt sich nach den Darlegungen des 
ersten Theiles damit, dass die oberen Brustabschnitte fast nur bei ver¬ 
tiefter Athmung in Function treten.) 

2. Die Verkürzung der oberen Rippenringe veranlasst zwar den 
sichtbaren phthisischen Habitus, ist jedoch nicht als Ursache für die 
Minderwertigkeit der darunter gelegenen Lungenspitzen (im Sinne einer 
gesteigerten Disposition letzterer zur Tuberkulose) anzusehen. Vielmehr 
sind diese beiden Veränderungen Coeffekte und durch dieselbe Ursache, 
die insufficiente respiratorische Bethätigung, bedingt. (Da durch die Ath¬ 
mung die Blutversorgung und Lyraphströmung der respiratorisch thätigen 
Lungenpartien eine ganz exquisite Steigerung erfährt, bedeutet respirato- 


1) Diese Zeitschrift. Hd. IV. 


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L Hof Lauer, 


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rische Unthätigkeit eine Herabsetzung der Ernährung in den Lungen¬ 
spitzen der mit denselben ungenügend Athmenden. Der phthisische Habitus 
ist als Coeffcct der herabgesetzten Athmung bedingt durch mangelhafte 
respiratorische Bethätigung des oberen Thorax i. e. durch Wegfall der 
Athemrcize während der Wachsthumsperiodc.) 

Dem entsprechend ergiebt sich, dass behufs Steigerung der respira¬ 
torischen Function der Lungenspitzen die Activirung tiefer Athmung 
eingeleitct werden muss, die Vornahme von Athemübungen, bei welchen 
eine verstärkte Action der oberen Brustabschnitte intendirt und con- 
trollirt wird. 

Zu dieser Schlussfolgerung muss man selbst dann kommen, wenn 
man das mangelhafte Wachsthum der oberen Rippen als Folge an¬ 
geborener mangelhafter Entwickelung ansieht und nicht als Folge mangel¬ 
hafter Function. Auf jeden Fall wird die gesteigerte respiratorische 
Inanspruchnahme den Effect erzielen, dass die darunter liegenden Lungen¬ 
partien besser durchblutet und besser ernährt und gegen Infection wider¬ 
standsfähiger gemacht werden. 

Durch solche Athemübungen wird überdies, falls es sich um jüngere 
Individuen handelt, das Wachsthum der betreffenden oberen Thorax¬ 
partien angeregt. Wenn demgegenüber Freund meint, durch Athem¬ 
übungen werden die Knorpelanlagen nicht wesentlich verändert und 
„demgemäss können Athemübungen den durch Knorpelverkürzung in 
der oberen Apertur stenosirten, phthisischen Thorax in keiner Weise 
verändern“ 1 ), so spricht gegen diese rein theoretische Annahme nicht 
bloss die Erfahrung der Kinderärzte (s. Fränkel, cit. im I. Theil, S. 20f>), 
sondern auch die geläufigen theoretischen allgemeinen physiologischen 
Vorstellungen. Selbst wenn (was, wie gesagt, noch lange nicht be¬ 
wiesen ist) die Knorpclverkürzung auf mangelhafter Anlage beruhte, so 
ist' es doch leicht verständlich und hat viele Analoga zur Seite, dass 
selbst mangelhaft angelegte Organe durch systematische Functions- 
steigerung in Folge der gesteigerten Wachsthumsreize sich gut ent¬ 
wickeln. 

Werden solche Athemübungen während der Wachsthumszeit ge¬ 
macht, dann wird dauernder Nutzen geschaffen dadurch, dass die oberen 
Thoraxabschnitte normal sich entwickeln, die Lungenspitzen dauernd 
besser durchblutet werden, weil ihre Blutgefässe in Folge der häufigen 
Hyperämisirung sich besser entwickeln. 

, Wenn hingegen nach Abschluss der Wachsthumsperiode die Athem¬ 
übungen einsetzen, so kann dieser dauernde Nutzen kaum erzielt werden; 
nur für die Dauer der Athemübung wird bessere Durchblutung und Er¬ 
nährung der Lunge erzielt, bis auf den dauernden Nutzen, dass durch 
die Bahnung dieser Athembewegung (Exner) dieselbe weiterhin leichter 
auslösbar bleibt. 

Nur in den Fällen, welche in Folge von Verknöcherungen anato¬ 
misch begründete Behinderung der respiratorischen Beweglichkeit der 
oberen Thoraxpartien aufweisen, muss der Chirurg eingreifen, um diese 


1) Diese Zeitschrift. Btl. IV. S. 217. 


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Zur operativen Behandlung gewisser Lungonkrankliciten. 


05 


Bewegliehkeitsbehinderung zu climinircn. Bei der Verknöcherung der 
Rippenknorpel 1 ) und ebenso bei Immobilisirung des Stcrnalwinkels 2 ) 
können nämlich die lnspirationsmuskeln der oberen Thoraxabschnitte 
sich nicht bethätigen, sie können keine Hyperämie der Lunge erzielen. 
In solchen Fällen allerdings muss chirurgisch die Starre des oberen 
Thorax beseitigt werden, um dann erst durch Athemübungen die ge¬ 
wünschte Hyperämie der Lunge zu erzielen und auf dem Wege der 
consecutiven besseren Gewebsernährung die Tubcrculose wirksam zu be¬ 
kämpfen, wie beispielsweise in dem Falle von Kausch 3 ). Selbstredend 
dürfen hierbei die Athemübungen nur mit allen Cautelen aufgenommen 
werden. Die eigentliche Domäne der Atmungsgymnastik stellen näm¬ 
lich die Fälle von phthisischem Habitus vor Etablirung tuberculöser In- 
fection dar. Dieselben sollen — in Berücksichtigung des Voran¬ 
gehenden — womöglich vor Abschluss der Wachsthumsperiode 
behandelt werden, um bleibeuden Nutzen: Verschwinden des 
phthisischen Habitus und dauernde Kräftigung der Lungen¬ 
spitzen zu erzielen. 

Während die chirurgische Behandlung der Spitzentubereulose in den 
letzterwähnten Fällen am Platze ist, weil sie den bis dahin brach gelegten 
lnspirationsmuskeln Gelegenheit schafft, entsprechende Effecte zu erzielen, 
kann die für das 

Emphysem 

vorgeschlagene Mobilisation des Thorax durch chirurgischen Eingriff 
kaum jemals nöthig werden. Sie erübrigt sich schon deshalb, weil hier 
nicht so wie in den vorerwähnten Fällen durch die Operation normale 
Bewegungsmechanismen wieder möglich gemacht, sondern im Gegentheil 
Verhältnisse geschaffen werden, welche den physiologischen völlig ent¬ 
gegengesetzt sich erweisen. 

Normaler Weise wird der obere Brustkasten von den Inspirations¬ 
muskeln bewegt und geweitet. Ist durch pathologische Veränderung der 
normaliter beweglichen Theile (Rippenknorpel, Sternalgelenk) die Beweg¬ 
lichkeit des knöchernen Thorax unmöglich gemacht, dann erstrebt und 
erzielt der Chirurg durch Operation die Restitutio ad integrum (seitens 
der unbeweglich gewordenen Theile). Die Ausathmung hingegen wird selbst 
dann, wenn die Rippen im physiologischen Ausmaasse beweglich sind, nicht 
dadurch vertieft, dass die Rippen gegen das Thoraxcentrum gepresst werden, 
sondern lediglich in der Form, dass das Zwerchfell in das Thoraxinnere 
hineingetrieben wird. Davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man 
vertiefte Ausathmung in Form eines Hustenstosses versucht und hierbei die 
Hände auf den Brustkasten einerseits, auf die Bauchwand andererseits 
legt. Die Rippen werden beim Hustcnstoss dem Thoraxcentrum nicht an¬ 
genähert. Bloss die Bauchmuskulatur besorgt die Luftaustreibung, indem 


1 ) Z. B. der Fall von Kausch, Deutsche med. Wochenschr. 1907. 

2) S. dieshez.: Kotschild, Der Stcrnahvinkel. Frankfurt 1900. 

3) J. c. 

Zeitschrift f. exp- Pathologie u. Therapie, ö. Bd. ^ 


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L. Hof bauet* 


U<> 

sie durch straffe Contraction die ßaucheingcweide in die Diaphragma¬ 
kuppel presst. 

Dieser Exspirationsmodus erweist sich auch bei rein mechanischer 
Betrachtung als der denkbar beste, ausgiebigste. Gleicht doch der 
Brustkasten einer aus hartem Material gefertigten Schale mit Aus¬ 
führungsrohr, deren breite Mündung durch eine elastische Membran ver¬ 
schlossen ist (s. Fig. 1.). Um aus einer solchen Kapsel Luft auszu¬ 
treiben, würde wohl Niemand sich bemühen, die harten Wände der 
Kapsel gegen das Centrum derselben zu treiben und die Kapsel zu 
diesem ßehufe zu zertrümmern; durch Eindrücken der elastischen Mem¬ 
bran werden weitaus leichter stärkere Effecte erzielt. Das Zwerchfell 
stellt eine exspiratorisch vollkommen schlaffe Membran dar, welche die 
breite Oeffnung des einer solchen Schale ähnlichen knöchernen Thorax 
verschliesst, der Action der Bauchmuskeln, resp. der consecutiven Vor¬ 
wölbung gegen das Thoraxinnere keinerlei wesentlichen Widerstand ent¬ 
gegensetzt. Die Luftaustreibung auf diesem Wege ist daher sicherlich 
schon aus mechanischen Gründen als die rationellste anzusehen. 


Fig. 1. 



Beim Emphysem nun stellt die Luftaustreibung das therapeutische 
Ziel dar. Um dieses zu erreichen, wird es sich schon aus mechanischen 
Gründen empfehlen, nicht den knöchernen Thorax anzugreifen. Ueber- 
dies lässt sich durch Uebungsbehandlupg so leicht Bahnung und Stär¬ 
kung der abdominalen Exspiration erreichen 1 ) und werden bei Mobili- 
sirung der Rippen den physiologischen diametral entgegengesetzte Ver¬ 
hältnisse geschaffen. An dieser Auffassung ändert auch der Einwurf 
wenig, dass durch Hochtreibung des Zwerchfells lediglich eine Verbesse¬ 
rung der Ausathmung erzielt werde (Kraus), beim Emphysem jedoch 
auch die Einathmung erschwert sei und eine Besserung derselben durch 
Zwerchfellhochtreibung nicht zu erzielen sei, wohl aber durch Mobili- 
sirung der Rippen. Dieser Einwand entfällt schon mit Rücksicht darauf, 
dass das exspiratorisch hochgetriebene Zwerchfell bei seiner darauf 
folgenden inspiratorischen Contraction einen um so weiteren Weg zurück¬ 
zulegen hat, um zu seiner Inspirationsstellung zu gelangen. Vertiefung 
der Einathmung bei der Uebungsbehandlung des Emphysems resultirt 
fernerhin deshalb, weil letztere die Lungen, welche durch die starke 
Blähung weiterer inspiratorischer Füllung unfähig wurden, von ihrer 
Restluft theilweise befreit, wodurch weiterhin die inspiratorische Blähung 
erleichtert wird. 

1) S. diesbez.: Uebungsbehandlung des Lungeneinphysenis. Zeitschr. f. physik. 
u. diätet. Therapie. Januar 1908. 



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/o» äjäiraii'v <mi I’clullndluifg y evv h :■> o r t,ufUrunl<boibM». f>7 

Für di«/ jjMmgkcft dieser flvviuvdioiHT ^prmiuui TJyo$ vraiUve. w cMic 

E.; AronD vor Jahren v (um har Treu/dcrn Uo ilofeJh<$v uebk 

wie hei der f MtHngsl'«elian\jO'ihi;, bloss- inspiratorisch der akliwuuate Druck, 
uoioiaiui war, wurde die Äihrmau: duich di.9V>Uh»*o \v«\v».'ntMi iMmsseff. 
i>i^er Amor dbie nämlich hei Kaomdion. deren waMtwkttiler und inrri- 
pleuraler Druck und verxeiohnei. nvanmTj Thomfe um) 

•euh ahdomtnale Cnnipresamn auä, 

,.i>er KiTeri jeder (!ompre^?unij (s<>. deUThbw) hi: an tkm kurven deuÜiDh ar- 
-fenrdtirli and ist wjHrtrtteli mich bei ä&ft tdurkim^sun^n -»U h «0»| nachweisbar.. t . 
l.-h uuichte noch besonders h^rvorhebfrn* dass wir. fefti Unseren Kvinnnmenty« «len 
kTtoor-lsMf sehr energisch comptifbiri^n mli einer Kraftefli}alljin^; weleivc wir kaum 44 
w%J hwra Mepschen auftu bteten wagen wurden. Wenn wir daitn m$$ TÄ&ftkfcd« 
fesi der l'borax eines Kaninchens sehr zart und nacbgiHbg ist, sh werden, 

dürfen* ik$$ der Effcbt enter Thora* compröSsian beim Ale rieften ^f.^I 
.' '-.mtiigGr nachgiebigem, und viel tu uskeistärkerem Thorax.: 6iu noch wÄS&itödi go~ 
ringerer sein wird . . . 

Tabelle V (nach % Aron, Zeitschr. W kHu. Mod ßdU54p 


23. Juni 1902 Kaninchen mn* Hg 

#?*V. .' 


bis*;:>v;.fc \*i$C • • fofprtATVhit^n* • 

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08 


L. llofbaucr, 


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Diesem Versuche über die Wirkung der Thoraxcompression reihte ich eineh 
anderen an: Wie die Athmung beeinflusst wird, wenn man statt des Thorax das 
Abdomen manuell comprimirt. Nach unserem Kaninchenexperimente gelingt es, wie 
die erhaltenen Curven so wie die Druckmessungen (cf. Tabelle F, 2. Abschnitt) er¬ 
weisen, durch manuelle Compression des Bauches die Athmung stärker zu beeinflussen 
als bei Compression des Brustkorbes. Bei Compression des Abdomens erreichen wir 
es, den intrapleuralen Druck exspiratorisch sogar dem Nullpunkte sehr bedeutend zu 
nähern, zuweilen sogar gleich Null zu machen. Auch der AthemefTect wird ein 
grösserer. Der Einfluss einer Bauchcompression auf die Athmung ist also viel wirk¬ 
samer als eine Thoraxcompression. Das Abdomen setzt einer Compression keine 
knöchernen Widerstände entgegen wie der Thorax. Die Muskelwiderstände, welche 
unter Umständen recht beträchtliche sein können und volle Beachtung verdienen, 
kommen sowohl bei dem Brustkörbe wie auch bei dem Bauche in Betracht und 
werden besonders bei muskelstarken Individuen den EfTect einer manuellen Com¬ 
pression fast aufheben können . . . Physiologisch dürfte jedenfalls die Compression 
des Abdomens nach unsern Versuchen am Thiere wirksamer und aussichtvoller sein 
als die des Thorax. Auch beim Menschen werden wohl die Verhältnisse sehr ähnlich 
liegen, wie aus dem Besprochenen hervorgeht.“ 

Förderung der Ausathmung durch Hochtreibung des Dia¬ 
phragmas erweist sich nach den Resultaten aller diesbezüg¬ 
lichen Experimente als physiologisch richtiger und wirkungs¬ 
voller als die durch Mobilisirung oder Compression des 
knöchernen Thorax erzielte. 

Ueberdies ist zu Gunsten der Uebungsbchandlung (im Gegensätze 
zur thoraealen Förderung der Athmung) hervorzuheben, dass die con- 
secutiven Herzbeschwerden der Emphyscraatikcr wohl günstig durch 
die abdominale Athmungssteigerung beeinflusst werden, zu welchem 
Urtheil man auf Grund der vorliegenden Experimentalarbeiten wohl be¬ 
rechtigt sein dürfte. Durch die Förderung der abdominalen Exspiration 
und die damit zusammenhängende Förderung der Zwerchfellsbewegungen 
wird nämlich der günstige Einfluss, welchen die Athmung auf die Blut¬ 
bewegung ausübt 1 ), ganz wesentlich unterstützt, während die Steigerung 
der costalen Athmung viel weniger hierbei in Betracht kommen kann. 
Für die Richtigkeit dieser Darlegungen sprechen wohl Experimente, 
welche ergeben, dass die respiratorischen Blutdruckschwankungen (dieser 
sichtbare Ausdruck der Unterstützung der Herzarbeit durch die Athmung) 
fast lediglich von der Zwerchfellbewegung abhängig sind. Schwein¬ 
burg hat in einer vor längerer Zeit erschienenen Arbeit 2 ) dargethan, 
dass der Einfluss der Athmung auf die Circulation nahezu lediglich ab¬ 
hängig sei von der Zwerchfellsbewegung. 

Er kommt auf Grund seiner Versuche zu dem Schlüsse, „dass mit der 
Lähmung des Zwerchfells die respiratorischen Blutdruckschwankungen 
ganz oder nahezu verschwinden und hieraus kann wohl mit Sicherheit ge¬ 
schlossen werden, dass die Action des Zwerchfells sich zum mindesten in 
sehr hohem Grade an dem Zustandekommen dieser Schwankungen be¬ 
theiligt“. 


1) S. diesbzgl. Herzmuskelkraft und Kreislauf. Wiener klin. NVochenschr. 1907. 
No. 13 

2) Arcli. f. Anat. u. Pliysiol. 1SS1. 


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Zur operativen Behandlung gewisser Lungenkrankheiten. 


69 


„Um nun zu entscheiden, ob der Ausfall der Blutdruckschwankungen nach der 
Phrenicusdurchschncidung auf jenen Aenderungen beruhe, welche oberhalb des 
Zwerchfells, d. i. im Thoraxraume oder unterhalb derselben, d. i. im Bauchraume 
sich geltend machen, musste untersucht werden, wie sich bei Eröffnung der Bauchhöhle 
die respiratorischen Blutdruckschwankungen gestalten. Durch die Eröffnung der 
Bauchhöhle werden nämlich nur die intraabdominalen Druckschwankungen beseitigt, 
die Aenderungen des Lungen Volumens aber müssen sich gleich bleiben. Wie nun Fig. 4a 
und 4 b, die einem diesbezüglichen Versuche entnommen sind, lehren, sind hier die 
respiratorischen Blutdruckschwankungon auffallend geringer als die vor der Eröffnung 
beobachteten. 

Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass an dem Ausfälle der respiratori¬ 
schen Blutdruckschwankungen nach der Phrenicusdurchschncidung nur unterhalb des 
Zwerchfellos eingetretene Aonderungen Schuld tragen.“ 

Wenn weiterhin Schwein bürg meint, dass einerseits die Förderung 
des Blutzuflusscs zum Herzen die inspiratorische Blutdrucksteigerung be¬ 
dingen könne, andererseits jedoch die Blutabflusserschwerung durch Com- 
pression des Splanchnieusgebietcs und im Letzteren den wesentlichen 
Entstchungsgrund gefunden zu haben meint, so muss dem entschiedenst 
entgegengetreten werden. * 

Die Förderung der Blutlaufcs kommt vielmehr nahezu 
lediglich durch inspiratorische Steigerung des venösen Ab¬ 
flusses, insbesondere aus den infradiaphragmalcn Organen zu 
Stande. Von einer Erschwerung des arteriellen Blutabflusses in das 
Splanchnicusgebiet hingegen, welche in Folge der inspiratorischen Steige¬ 
rung des abdominalen Druckes cintretcn soll, kann kaum die Rede sein. 
Bei den geringen Druckwerthen, welche im venösen Abflusssystem, ins¬ 
besondere so nahe dem Herzen, wie cs bei .den abdominalen Venen der 
Fall ist, herrschen, bedeutet die inspiratorische Drucksteigerung im 
Abdomen eine Steigerung des Venendruckes um ein Mehrfaches seiner 
Grösse. Bei dem ziemlich hohen Druck in der Aorta abdominalis und 
ihren Aesten kann Steigerung des auf dem Gefässc lastenden Druckes 
um den geringen Werth kaum in Betracht kommen. Hierbei muss 
weiterhin darauf hingewiesen werden, dass im gleichen Sinne auch noch 
die Verschiedenheit in der Wanddicke der Arterien und Venen wirkt. 
Die dicke Arterienwand setzt dem von aussen einwirkenden 
abdominalen Druck vielmehr Widerstand entgegen als die so 
dünne Venenwand. 

Dass in der That nicht die Erschwerung des Abflusses in die 
Bauchgefässe die respiratorischen Druckschwankungen im arteriellen 
System hervorrufe, sondern der vermehrte Zufluss des venösen Blutes 
(hauptsächlich aus den Bauchorganen), bedingt durch die Erhöhung des 
intraabdominalen Druckes einerseits, des negativen Druckes im Thorax 
andererseits, erweisen Versuche, bei welchen die Aorta oberhalb des 
Zwerchfells coraprimirt oder ligirt wird. Bei denselben bleiben trotz 
dieser Ligatur die respiratorischen Druckschwankungen im vollen Aus- 
maasse erhalten (s. Fig. 2). 

Wäre die Annahme richtig, dass die respiratorischen Blutdruck¬ 
schwankungen auf der durch inspiratorische Steigerung des abdominalen 


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70 L. Hofbauer, Zur operativen Behandlung gewisser Lungenkrankheiten. 


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Fig. 2. 



(Nach Kanders, Zeitschrift für klinische Mcdicin. Bd. 21.) 

C — Carotisdruck, V = Druck im linken Vorhof. 

Trotz Aorteneomprcssion bleiben die respiratorischen Druckschwankungen im venösen 
und arteriellen Kreislauf erhalten. 

Druckes vcranlassten Erschwerung des Blutabflusscs in die Bauchgcfässc 
beruhe, dann müssten die respiratorischen Blutdruckschwankungen in 
dem Momente aufhören, wo durch Ligatur der Aorta oberhalb des 
Abganges der Bauchgefässe jeder Einfluss derselben auf den Druck in 
den oberhalb der Ligatur gelegenen Gefässbezirken Wegfällen muss. Da 
jedoch trotz dieses Eingriffes die respiratorischen Blutdruckschwankungen 
sowohl im venösen als auch im arteriellen System erhalten bleiben, muss 
diese Blutdruckschwankung durch Verbesserung des venösen Zuflusses 
zum Herzen bedingt sein. Abdominale Athmung besitzt einen 
fördernden Einfluss auf die Blutbewegung. Derselbe ist haupt¬ 
sächlich auf die Zwerchfcllsbcwegung zu beziehen und dem 
entsprechend dürfte der Schluss berechtigt sein, dass die 
bei der Uebungsbehandlung activirte Förderung der Bauch- 
athmung gleichzeitig eine Unterstützung der Herzarbeit be¬ 
deutet. 


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VII. 


Aus dem k. k. Institut für allgemeine und experimentelle Pathologie 

in Graz. 

Ueber Herzinsufficienz. 

Von 

l’rivatdoccnt Dr. Hans Eppinger und Dr. Erich von Knaffl. 

(Hierzu Tafel 1.) 


Es können tiefgreifende Veränderungen am Klappenapparat des 
Herzens ausgebildct erscheinen, ohne dass es zu einer schwerwiegenden 
Störung im gesammten Kreislauf kommen muss. Auch im Experimente, 
wo es in der Hand des Einzelnen gelegen ist, das normale Spiel der 
zur Bewegung des Blutes dienenden Vorrichtungen, nämlich der Herz¬ 
klappen zu stören, sehen wir kaum jene schweren Erscheinungen auf- 
treten, wie sie bei herzklappenkranken Individuen leider nur zu oft zu 
beobachten sind. Fast nie tritt bei Thieren sofort nach Durchstossung 
z. B. der Aortenklappen irgend welche Insufficienzerscheinung auf. 
Sowohl beim Menschen als auch im Thierexperimente müssen einzelne 
Herzabschnitte mehr Kraft aufbieten, um der Mehrarbeit, die sich durch 
die Undichte der Klappen ergiebt, nachzukommen. Diese Ausgleichs- 
Vorrichtung steht aber jedem Herzen zur Verfügung und auf sie allein 
kommt es an, wie sich der durch den Herzklappendefect geschädigte 
Organismus weiterhin verhält. 

An jedes gesunde Herz können bis zu einem gewissen Grade 
höhere Forderungen an Arbeitskraft herantreten, und kommt auch den¬ 
selben jeder intacte Herzmuskel durch Steigerung seiner Kraft leicht 
nach. Gehen aber diese Erfordernisse an Mehrarbeit über das Durch- 
schnittsmaass des alltäglich Nothwendigen, und währen sie, was be¬ 
sonders wichtig ist, ununterbrochen, wie solche Bedingungen ganz be¬ 
sonders bei Klappenfehlern gegeben sind, dann muss der Herzmuskel, 
um dieser dauernden Ueberlastung nur halbwegs nachzukommen, in sich 
erstarken, d. h. er hypertrophirt. Auf diese Weise können anatomisch 
schwere Klappenfehler durch viele Jahre hindurch ohne nennenswerthe 
Ciroulationsstörungen und mit solchen verbundene Begleiterscheinungen 
vertragen werden, d. h. sie sind unter diesen Verhältnissen compensirt, 
und es verhält sich ein solches Herz, wenigstens bis zu einem gewissen 
Zeitpunkte, wie ein normales, das seine Arbeit ohne Benachtheiligung 


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72 H. Eppinger u. E. v. Knaffl, 

des Gesammtorganismus zu leisten im Stande ist. Indem, so weit sich 
die Verhältnisse am Klappenapparate anatomisch abschen lassen, oft viel 
geringgradigere Klappendefecte von viel schwerwiegenderen Erscheinungen 
begleitet werden, erscheint cs einerseits überflüssig, eine Unterscheidung 
zwischen schweren und leichten Klappenfehlern zu treffen. Andererseits aber 
erscheint die Beurthcilung der Musculatur des Herzens als ausserordentlich 
wichtig, indem man doch stets auf die Function des Herzmuskels zurück¬ 
greifen muss. In der Musculatur ist ja die eigentliche Kraft zur Bewältigung 
der täglichen Herzarbeit einbegriffen, und sie muss vor Allem berück¬ 
sichtigt werden, wenn man sich vorstellen will, dass durch sie auch jene 
schweren Druckschwankungen, die bei jedem Klappenfehler entstehen, 
dauernd beglichen werden sollen. In vielen Fällen sieht man aber, 
dass bald früher, bald später die wenn auch kräftige Herzpumpe 
ihrer gesteigerten Aufgabe, die sic anfänglich noch recht gut be¬ 
wältigen konnte, nicht jnchr nachkommt, indem sic immer weniger und 
wertiger Flüssigkeit aus der Peripherie schöpft, so dass schliesslich 
der Organismus unter der Last der rückständigen Flüssigkcits- 
säulc einerseits, und andererseits wegen der Unmöglichkeit des noth- 
wendigen Sauerstoff- und Kohlensäure-Transportes zusammenbricht bezw. 
zu Grunde geht. 

Aber auch im compensirtcn Stadium eines Herzfehlers kann eine 
gewisse Minderwerthigkcit der, wenn auch massigen Herzmusculatur be¬ 
obachtet werden. Denn vergleicht man die Leistungsfähigkeit eines mir 
Klappenfehler behafteten, compcnsirten Herzens mit der eines normalen, 
so lehrt die Erfahrung, dass ihre Grenzen viel enger gesteckt sind, als 
wie unter gewöhnlichen Verhältnissen. Trotz Hypertrophie, die sich 
nur zubald in Gefolge eines Klappenfehlers ausbildet, erscheint die 
Wcrthigkcit des Herzens herabgesetzt; denn es ist nicht allen excessivcn 
Anforderungen, die herantreten, gewachsen; es ermüdet früher als das 
eines gesunden Individuums. 

Auf Grund von klinischen Erfahrungen wissen wir, dass sowohl das 
gesunde als auch und noch mehr das klappenkrankc Herz doch auch 
das eine oder andere Mal insufficient werden kann, und zwar dann, 
wenn die eventuellen Anforderungen an den Herzmuskel die maximale 
Leistungsfähigkeit desselben überschreiten, oder was dasselbe ist, wenn 
die Accommodationsbreite, die dem Herzen zur Verfügung steht, geringer 
wird. Es sinkt die Herzkraft bis auf oder gar bis unter das zur Er¬ 
haltung des Kreislaufes in der Ruhe nöthige Maass. Es ist gleichgiltig, 
welcher Anschauung man sich anschliesst, nämlich ob der hyper¬ 
trophische Herzmuskel im Stadium der Compensation die gleiche 
Accommodationsbreite besitzt, wie ein normaler, oder nicht. Sicherlich steht 
die Thatsache fest, dass hypertrophische Herzen leichter erlahmen als 
gesunde, und dass es in diesen Fällen häufiger zu Compensationsstörungen 
kommen kann. Ich brauche nur an die gar nicht so seltene Thatsache 
zu erinnern, dass bei übermässiger, in förmlichem Missverhältnisse zur 
Ursache stehender Hypertrophie des Herzens sich eine klinisch bedroh¬ 
liche, ja tüdtliehc Jlerzinsuflieienz einstellen kann. Deswegen muss man 
leider sagen, dass jedem hypertrophischen Herzmuskel eine bedenkliche 


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Ueber Herzinsufücienz. 


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Prognose gestellt werden muss, gleichgültig ob man es mit einer Hyper¬ 
trophie bei einem Klappenfchlerhcrzen oder mit einem Herzen eines 
Nephritikcrs oder Arteriosklerotikers zu thun hat Stets muss man 
auf der Hut sein, denn nur zu leicht versagt ein solchos hypertrophi¬ 
sches Herz bei Gelegenheiten, die sonst ein gesundes Herz spielend 
überwindet. 

Gerade aber die Thatsachc, dass der hypertrophische Herzmuskel 
nur zu Jcicht der Möglichkeit einer Insufficienz ausgesetzt ist, hat es 
mit sich gebracht, dass man die Hypertrophie an und für sich mit der 
Insufficienz in Zusammenhang bringen, beziehungsweise als gleichbedeutend 
erachten wollte, so zwar, dass bereits in dem Zunehmen der Muskelmassc 
der Keim zur Entstehung der Störung der Herzthätigkeit gelegen sein 
sollte. So schlimm ist das nicht, denn wenn dem so wäre, so könnte man 
cs kaum verstehen, warum oft stark hypertrophirte Herzen z. B. die der 
Ncphritikcr häufig viele Jahre hindurch keinerlei Zeichen einer wesent¬ 
lichen Störung darbieten, während schon bei ganz geringfügigen Klappen¬ 
fehlern, nach kurzem Bestände, ohne dass es zu einer ausgesprochenen 
Hypertrophie gekommen wäre, die Herzkraft abfällt. Denn Hypertrophie 
ist doch gewiss ein Reparationsvorgang und insofern ein förmlich 
physiologischer Akt der Muskelerstarkung, mit welcher nicht sofort 
die Vorstellung eines krankhaften Vorganges verbunden zu sein 
braucht; man könnte im Gegentheil sagen: nur solange, als die reine 
Hypertrophie besteht oder eventuell zunimmt, kann Compensation be¬ 
stehen. 

Die Frage nach den eigentlichen Ursachen der Insufficienz des 
Herzmuskels ist oft aufgeworfen worden, und die Beantwortung ist fast 
ebenso oft verschieden ausgefallen. Die Ursache davon liegt darin, dass 
in häufigen Fällen von Herzinsufficienz ein anatomisches Substrat für 
dieselbe mit den bis jetzt bekannten Mitteln nicht nachgewiesen werden 
kann, so dass unterschiedlichen Deutungen Raum geschaffen wird. 
Allerdings ist es dem Kliniker ziemlich leicht, zu entscheiden, ob 
derzeit das Herz compensirt ist oder nicht, wogegen es den pathologi¬ 
schen Anatomen recht schwer, bis unmöglich werden kann, dem Leichen¬ 
herzen allein abzulesen, ob es seiner Aufgabe als Druck- und Säugpumpe 
intra vitam voll und ganz, oder nicht nachgekommen ist. Sind einmal 
sicht- und greifbare Folgeerscheinungem am Herzen selbst und ins¬ 
besondere am Körper, wie z. B. Hydrops, zu entnehmen, dann ist cs 
leicht zu bestimmen, bis zu welchem Grade das Herz seiner Aufgabe 
nicht nachgekomraen ist. 

Die Thatsache, dass der hypertrophische Herzmuskel leichter er¬ 
lahmt, hat Martius (1) in der Art zu erklären gesucht: das hyper¬ 
trophische Herz versagt deshalb leichter, weil es höheren Ansprüchen 
gegenüber weniger an Reservekraft zuzusetzen hat; und cs besitzt trotz 
seiner Hypertrophie weniger Reservekraft, weil die durch den Klappen¬ 
fehler dauernd für die blosse Unterhaltung des Kreislaufes in Anspruch 
genommene Energiemenge grösser ist, als der Zuwachs an Kraft durch 
die Hypertrophie. Es wird dabei nicht vorausgesetzt, dass der hyper¬ 
trophische Muskel minderwerthig sei, sondern bloss angenommen, dass 


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II. Eppinger u. E. v. Knaffl, 


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der Muskel um so schneller versagt, je häufiger und je länger er maximal 
oder nahezu maximal angestrengt wird. Wenn auch die Anschauungen 
von Martius in vieler Beziehung, speciell wenn man die klinischen Er¬ 
fahrungen berücksichtigt, verständlich sind, so muss man sich trotzdem 
sagen, dass sie doch nur den Werth einer Hypothese beanspruchen, für 
die ein exacter Beweis aussteht. Die Leipziger Kliniker, vor allem 
Krehl (2) und Romberg (3) unterzogen sich der grossen Mühe, die 
unterschiedlichen Herzen, die während des Lebens Zeichen der Insufficicnz 
darboten, auch einer genauen histologischen Untersuchung zu unterziehen. 
Von ihnen wird der Standpunkt vertreten, dass die muthmaasslichc 
Ursache der Herzinsufficienz in einer Veränderung der anatomischen 
Structur der Herzmusculatur gelegen sei, nachdem sich zwar nicht in 
allen, aber doch in weitaus der Mehrzahl der hypertrophischen Herzen 
myocarditische Herde zeigten, welche durch dieselben Schädlichkeiten 
bedingt sein sollten, wie eben die Veränderungen an den Klappen selbst. 
Ucber diese von andern Klinikern ebenfalls beobachteten Thatsachcn 
kann natürlich nicht hinweggegangen werden; jedoch ergeben sich den 
Gegnern dieser Lehre noch genügend Anhaltspunkte, die und zwar zum 
Theil mit Recht gegen die Anschauungen der Leipziger Schule ins 
Treffen geführt werden. Vor allem muss auf Fälle hingewiesen werden 
— und solche sind ja auch Krehl und Romberg bekannt —, bei denen 
sich schwere schwielige Myocarditiden vorfinden, die ganz abgesehen 
davon, dass sie sicher schon längere Zeit bestanden haben müssen, sich 
ausserordentlich ausgebreitet zeigten, und wo trotzdem intra vitam 
keinerlei Zeichen von Incompensationsstörung bestanden hatte; und 
andererseits muss auch auf gegentheilige Fälle aufmerksam gemacht 
werden, in denen die schwersten Zeichen einer langbestehenden In- 
sufficienz beobachtet wurden, ohne dass es gelang, histologisch hin¬ 
länglich erklärende oder sichere Veränderungen am Herzen dafür ver¬ 
antwortlich zu machen. Dass die gemeinten anatomischen Veränderungen 
des Myocards zu Functionsstörungen der Herzthätigkeit führen können, 
scheint kaum zweifelhaft; sie aber allein als Ursache der Insuffizienz 
hinzustellen, dürfte zu weit gegangen sein, um so mehr als sie mit den 
thatsächlichen klinischen Befunden kaum übereinstimmen. In der 
Absicht, trotzdem irgend welche erklärliche Anhaltspunkte für eine 
funktionelle Schädigung des Myocardes zu erbringen, glaubte man die 
unterschiedlichen Muskelzelldegenerationen in irgend welchen Zusammen¬ 
hang mit der Herzschädigung bringen zu sollen. Derzeit erscheint 
jedoch die Frage der histologisch nachweisbaren Degenerationen so ver¬ 
wickelt und in Neubearbeitung begriffen, dass es besser ist, ausser die 
rein mikroskopischen Untersuchungen auch solche nach anderer Richtung 
hin zu pflegen. Dass nun nervöse Momente auf die Herzthätigkeit ein¬ 
wirken können, ist eine bekannte Thatsache, und es ist daher die Mahnung 
v. Schrötter’s (4), bei Beurtheilung der möglichen Ursachen der Herz¬ 
insufficienz die nervösen Einflüsse in Erwägung zu ziehen, ausserordentlich 
berücksichtigenswerth. Daher wäre es von grösster Wichtigkeit, wenn 
man sich genau über das Verhältniss des gemeinsamen Zusammcn- 
arbeitens zwischen Nerven und Muskeln orientiren und namentlich den 


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Ueber Hcrz.insufficienz. 


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anatomischen Läsionen des extra- und intracardialen Nervensystems 
nachgehen könnte, zu deren Durchführung cs allerdings bis jetzt an 
entsprechenden Methoden mangelt. Wenn man nun versuchen wollte, 
alle jene krankhaften Processe zu berücksichtigen, welche erfahrung- 
gcraäss das Einsetzen einer Hcrzinsufficienz begünstigen, so fällt es 
schwer, ein richtiges Urtheil zu finden, und dies um so mehr, als sich bei 
krankhaften Zuständen die Schädlichkeiten selten nur auf ein Moment 
beschränken, sondern in Wirklichkeit zu meist verschiedenen Noxen 
miteinander combinirt erscheinen, so dass die Zahl der Möglichkeiten, 
auf welche Weise ein Herzmuskel insufficient wird, ausserordentlich 
gross ist. 

Zu einer ähnlichen Ueberlegung sind Aschoff und Tawara (10) 
am Schlüsse ihrer ausgedehnten Untersuchungen über die pathologisch¬ 
anatomischen Grundlagen der Herzschwäche gekommen, da sie bei der 
Entstehung der Herzschwäche ausser ausgedehnten Zerstörungen des 
Reizlcitungssystems functioneilen Schädigungen des Herzens, deren Ur¬ 
sache sowohl im Herzen, als auch ausserhalb desselben zu finden sind, 
eine wesentliche Rolle beimessen. Diesbezüglich weisen sie auf die 
vortrefflichen Schilderungen der ausserhalb des Herzens gelegenen 
Ursachen der Herzschwäche hin, die von Krehl und Romberg her¬ 
rühren. 

Nun giebt es ein Moment, das unserer Anschauung nach noch sehr 
wenig beachtet wird, und das ist der Einfluss der Ernährung des 
Gesammtorganismus auf die Kraft des Herzens. Schon ein 
normales Herz, das seine Arbeit voll leisten soll, ist auf ununterbrochene, 
entsprechend reichliche Durchströmung mit geeignetem Nährmaterial an¬ 
gewiesen; um wie viel mehr muss es ein krankes oder gar ein hyper¬ 
trophisches Herz sein, das an Masse das Doppelte bis Mehrfache seines 
früheren Gewichtes angenommen. Es ist eine nur zu häufig zu beob¬ 
achtende klinische Erfahrung, dass herzklappenkranke Individuen — 
ganz abgesehen von noch anderen, möglicher Weise complicirenden Um¬ 
ständen, z. B. intercurrircnden acuten Erkrankungen — so lange sie 
unter günstigen Ernährungsbedingungen stehen, sich eines relativen Wohl¬ 
befindens erfreuen. Tritt jedoch eine Verschlechterung der gesammten 
Ernährung auf, und somit eine Abnahme der vitalen Kräfte, dann melden 
sich auch nur zu bald die ersten Erscheinungen einer beginnenden Herz- 
insuflicienz, die bald bei anhaltend schwacher Ernährung dauernd wird 
und jedem therapeutischen Hülfsmittel trotzt. Auch ist weiter bekannt, 
dass man sich vor jeder einzuleitendcn Entfettungscur genau über die 
muthmaassliche Leistungsfähigkeit des Herzens orientiren soll, da 
Herzschwächezustände nach solchen zu weit getriebenen Curen garnicht 
so selten zur Behandlung gelangen. Schliesslich scheint die Thatsache, 
dass Fälle von acuter Iferzdilatation nach schwerer Arbeit vorwiegend 
bei unterernährten Individuen zu beobachten sind, desgleichen für eine 
genaue Berücksichtigung der Ernährungsbedingungen bei Beurtheilung 
der Hcrzinsufficienz zu sprechen. Ganz ähnliche Verhältnisse sind be¬ 
kannt bezüglich der peripheren Musoulatur; wenigstens konnte Zuntz (f)j 
constatiren, dass längeres Hungern eine auffallende Herabsetzung der 


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H. Eppinger u. E. v. Knaffl, 


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Leistungsfähigkeit des arbeitenden Individuums bewirkt, indem bereits 
massig erhöhte Arbeit genügt, um an die Grenze des Könnens zu ge¬ 
langen, was sieh am besten daran erkennen lässt, dass die Pulsfrequenz 
beträchtlich steigt, der Puls sehr klein und flatternd wird. 

Dank der neueren experimentellen Forschungen ist es durch die 
sogenannte Durchblutungsmethodc gelungen, selbst todte Säugethierherzen 
wieder zur Thätigkcit zu bringen. Fasst man die vielen Resultate dieser 
Experimente kurz zusammen, so lässt sich sagen, dass das Herz des 
Warmblüters zur Aufrechterhaltung selbst stundenlanger Schlagfähigkeit 
einer eigentlichen Ernährungsflüssigkeit direct nicht bedarf, und man 
könnte auf Grund dieser Meinung geneigt sein, eine einflussreiche Be¬ 
deutung der Ernährung auf die Herzthätigkcit zu leugnen. Wenn man 
dagegen berücksichtigt, dass das Schlagen des herausgeschnittenen Herzens 
doch nur auf Stunden aufrecht erhalten werden kann, eben nur so lange 
als vielleicht in den Muskelzellen verbrennbare Stoffe vorhanden sind, 
und man andererseits weiss, dass ein solches Herz fast gar keine Arbeit 
zu leisten im Stande ist, sondern eben nur schlägt, dann wird man 
sich dazu cntschliessen müssen, einen nothwendigen Factor für die ge¬ 
hörige Thätigkcit des Herzens in einer zweckmässigen Ernährung zu er¬ 
blicken. 

In diesem Sinne scheinen auch folgende Ucberlcgungen beachtens¬ 
wert}): Während des Hungerzustandes lebt der Organismus auf Kosten 
seiner eigenen Substanz; vergleicht man unter diesen Verhältnissen die 
procentuellen Verluste an Gewebe bei einzelnen Organen, so zeigt sich, 
dass bei denjenigen Organen, welche am meisten zu leisten haben, wie 
z. B. das Herz, die Verluste am geringsten sind. Aus diesen Ucber- 
legungen scheint sich folgende Deutung als zweckmässig zu ergeben: 
während des Hungerzustandes ist der Organismus auf seine eigenen, in 
den unterschiedlichen Organen abgelagerten Nahrungsdepots angewiesen, 
und cs geben daher alle Organe ihre Beiträge zum Unterhalt des gc- 
sammten Körpers. Die Organe aber, welche zur Erhaltung des Lebens 
am nothwendigsten sind, schöpfen am meisten aus diesen Depots und 
arbeiten also auf Kosten der übrigen Organe. Wenn man sich nicht von 
dieser gewiss richtigen Ueberlegung leiten Hesse, könnte man leicht zu 
einer entgegengesetzten Deutung kommen, nämlich, dass der Herzmuskel 
von allen Organen am wenigsten Nahrung bedarf. 

Der ruhende periphere Muskel hat eine verhältnissmässig geringe 
Blutzufuhr; hat jedoch der Muskel Arbeit zu leisten, so strömen dem 
Muskel grössere Blutmengen zu, was gleichbedeutend ist mit erhöhter 
Zufuhr der Nahrung. Zieht man zwei verschieden grosse Muskeln in 
Betracht, so wird man richtig schliessen dürfen, dass der grössere 
Muskel auch einer grösseren Blutzufuhr bedarf. Ganz ähnliche Regeln 
dürften auch, obwohl diesbezügliche Untersuchungen fehlen, für die Herz- 
musculatur gelten, sodass man wohl mit ziemlicher Berechtigung an¬ 
nehmen darf, dass der hypertrophische Herzmuskel, um überhaupt mit 
seiner ganzen Masse in gewöhnlicher, also in nicht angestrengter Weise 
zu arbeiten, einer grösseren Zufuhr an Nährmaterial bedarf, als unter 
gleichen Bedingungen ein normal grosser. Um wie viel mehr muss erst 


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Uober Herzinsufficienz. 


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die Nahrungszufuhr gesteigert sein, wenn das Herz dauernd an der 
Grenze seiner maximalen Leistungsfähigkeit arbeitet. 

Die Frage nach dem Einfluss der Ernährung auf den Herzmuskel 
ist meines Wissens auf experimentellem Wege noch nicht berührt worden. 
Die Leistungsfähigkeit einer Maschine wird beurtheilt aus der in der 
Zeiteinheit geleisteten Arbeit. Wollten wir uns ein Urtheil über die 
Tüchtigkeit der Herzmaschine bilden, so müssten wir zwei Componenten 
in Erwägung ziehen: einerseits die in der Zeiteinheit gelieferte Blut¬ 
menge und anderseits den dabei erhaltenen Blutdruck im Aortensystera. 
Wir begnügten uns, bloss den einen Factor zu erschlossen, und ver¬ 
folgten den von ßomberg und Hasenfeld (6) eingeschlagenen Weg, 
wobei es darauf ankam, zu prüfen, welche Kraft der linke Ventrikel 
aufzubieten im Stande ist, wenn dessen Aorta thoracica oberhalb des 
Zwerchfelles abgebunden wird. Die Höhe der eintretenden Druck¬ 
steigerung im arteriellen System ist zwar kein genaues Maass — wegen 
Vernachlässigung oben erwähnter zweiter Componente — für die Arbeit 
des linken Ventrikels. Wird jedoch in allen Versuchen derselbe Eingriff 
vorgenoramen, so erscheint trotzdem die Höhe des arteriellen Druckes 
ein genügend ausreichendes Maass für die Fähigkeit des Herzens zur 
Leistung äusserster Arbeit. Comprimirt man äie Aorta, so kommt es zu 
einer starken Steigerung der Widerstände im arteriellen Stromgebiete 
des Organismus. Ein in die Carotis eingeführtes Manometor orientirt 
über den im Anfangstheil der Aorta herrschenden Druck. Wenn man 
nun diese Abkleramung längere Zeit bestehen lässt, so sinkt allmählich 
der Blutdruck am Manometer. Das Herz hat während dieser ganzen 
Zeit gegen enorme Widerstände zu kämpfen, und aus der Blutdruckcurve 
zeigt sich, bis zu welchem Grade das Herz dieser Anforderung nach- 
zukomraen im Stande war. 

Von Romberg und Hasenfeld wurden diese Versuche — und 
zwar am Kaninchen — in der Absicht angestellt, zu ermitteln, ob sich 
Unterschiede zwischen dem normalen und dem künstlich hypertrophisch 
gemachten Herzen ergeben; der Unterschied, der sich dabei zeigte, war 
der, dass bei Thieren mit Aortcninsufficienz der arterielle Druck nach 
Abkleramung der Aorta thoracica nicht so hoch ansteigt und auch nur 
kürzere Zeit auf der Höhe bleibt, als beim gesunden Herzen. 

Die von uns an gesunden Thieren gefundenen Curven decken sich 
fast vollständig mit denen von Romberg und Hasenfeld; trotzdem 
wollen wir eine solche, um sie den folgenden Curven gegenüber stellen 
zu können, beilegen. 

Versuch I. Ein gut genährtes, kräftiges Kaninchen (2680 g) wird nach In- 
jection von Morphium (Curare wurde nicht verwendet) künstlich respirirt, und ein 
Quecksilbermanometer in die Carotis dextra eingebunden. Nach Spaltung der Haut 
in der linken Axiliarlinie wurde bis auf die Rippen eingegangen, und 5 bis 6 Rippen 
mit starken Seidefäden umgriffen und nachher doppelt abgebunden. Nach Eröffnung 
des Thorax wurde die Aorta unter leichtem Beiseitedrängen der Lunge etwas ober¬ 
halb des Zwerchfelles mobilisirt und auf einen Pean’sehen Schieber gelegt, ohne 
ihn sofort zu schliessen. Nachdem man die Wundlläehen wieder aneinander gelegt 
hatte, wurde die Aorta wieder ahgeklemmt. Während der Dauer des Versuches blieb 


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II. Eppingcr u. E. v. Knaffl, 


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der Schieber liegen. Der Einfluss der WiedcröfTnung des Schiebers auf den Blut¬ 
druck wurde von uns nicht weiter beobachtet. Der Blutdruck, der meist zwischen 
80—90 mm Hg schwankte, stieg fast sofort auf 165 mm Hg und liel nun ganz all¬ 
mählich wieder auf seine ursprüngliche Höhe zurück (meist nicht vor der 40. Minute 
nach Abklemmung der Aorta thoracica); cf. Fig. 1. 

Bevor wir uns die Aufgabe stellen konnten, den eventuellen Einfluss 
der Unterernährung auf das hypertrophische Herz zu studiren, war es 
nothwendig, auch schon am normalen Thiere die Leistungsfähigkeit des 
Herzens nach Hunger zu prüfen. Die Versuchsanordnung war die gleiche 
geblieben wie vorher, nur bekamen die Thiere, bevor die Blutdruck¬ 
messungen angestellt wurden, mehrere Tage (meist 4—6 Tage) nichts 
zu fressen. Wasser wurde den Thieren gereicht. Damit den Kaninchen 
auch die Möglichkeit genommen werde, die immerhin noch an Nahrung 
reichen Faeces zu verzehren, wurde der Boden der Käfige dementsprechend 
gebaut, so dass auch diese Möglichkeit einer Nahrungszufuhr ausblieb. 
Um den Abbau der Nahrungsdepots möglichst zu beschleunigen und voll¬ 
ständig zu gestalten, wurden in vielen Fällen — wo es geschah, soll 
ausdrücklich betont werden — entsprechende Mengen von Phloridzin 
gereicht. Ich möchte mir erlauben, jetzt derartig angestellte Versuche 
anzuführen. 

Versuch II. Ein Kaninchen hat ein Anfangsgewicht von 2340 g, hungert 
5 Tage, bekommt ausserdem am 2., 3., 4., 5. Tage je 0,5 g Phloridzin; mit einem 
Endgewicht von 1700 g wird das Thier in Vorsuch genommen; die einleitenden 
Operationen waren dieselben, wie oben erwähnt. Nach Abschnürung der Aorta 
schnellt der Druck sofort rasch in die Höhe und erreicht fast den doppelten Blut¬ 
druck (152 mm Hg). Bereits zehn Minuten nach Beginn des eigentlichen Versuches 
ist der Druck wieder auf ursprünglicher Höhe, sinkt noch tiefer, bis auf 70 mm Hg., 
bleibt einige Zeit in diesem Niveau, scheint sich dann etwas zu erholen, um noch 
tiefer zu fallen bis auf 60 mm Hg. Wir haben bei diesem Thier einen weiteren Ver¬ 
such angeschlossen. Auf die Besprechung dieses letzteren Versuches, sowie auf die 
Deutung der folgenden Curve wollen wir später eingehen. Versuch II ist in Curven- 
form ausgedrückt in Fig. 2. 

Versuch III. Ein Kaninchen (2200 g) hungert 5 Tage; das Gewicht sinkt 
auf 1740 g; das Thier bekam kein Phloridzin. Der Blutdruck steigt (cf. Fig. 3.) 
nach der Aortenabklemmung von 84 mm Hg auf 150 mm Hg., fällt binnen 3 Minuten 
auf 106 mm Hg, erreicht nach kurzer Zeit abermals eine Höhe von 116 mm Hg, fällt 
jedoch dann wieder allmählich und erreicht bereits 35 Minuten nach Beginn der 
Aortenabschnürung das erste Niveau. Nachher lallt der Druck noch weiter, wird 
jedoch nicht bis zum Ende verfolgt. 

Versuch IV. Ein Kaninchen (2800 g) hungert 5 Tage; täglich subcutane 
Zufuhr von 0,5 g Phloridzin. Das Körpergewicht sank auf 2200 g; die Steigerung 
nach der gewöhnlichen Operation ist eine nicht so hochgradige, indem der Blutdruck 
nur von 80 mm auf 145 mm Hg steigt; im Uebrigen zeigt die Curve fast das 
normale Verhalten; erst nach 40 Minuten ist der Druck wieder auf 80 mm Hg ge¬ 
fallen. Auf den weiteren Verlauf des Versuches soll ebenfalls erst später eingegangen 
werden (cf. Fig. 4.). 

Versuch V. Grosses kräftiges Thier verliert in einer 6tägigen Hungerperiode 
sehr an Gewicht. Von 3100 g auf 2450 g. Trotzdem zeigt das Thier bei Beginn des 
Versuches keinerlei Zeichen irgend welcher hochgradigen Schwäche. Der Blutdruck 
steigt nach Abklemmung der Aorta von 90 mm Hg auf 160 mm Hg, fällt ziemlich 



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ITeber 11 e rz i n s u ITi ci en z. 


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rasch herab, ist nach ca. 17 Minuten auf seiner ursprünglichen Höhe angelangt, fällt 
noch weiter und erreicht nach 25 Minuten GO mm Hg (cf. Fig. 5) Bei diesem Thiere 
wurde der Versuch fortgesetzt, wovon später die Rede sein wird. 

Versuch VI. Ein Thier, 25GO g schwer, hungert 5 Tage und wiegt schliesslich 
2150 g. Der im Bginne des Versuches bestehende Druck von 84 mm Hg geht nach 
der Operation auf 145 mm Hg hinauf. Der Abfall geschieht allmählich; immerhin 
ist die Anfangshöhe bereits nach 25 Minuten erreicht (cf. Fig. 6). Fortsetzung des 
Versuches später. 

Versuch VII. Das Körpergewicht des 2700 g schweren Thieres fällt während 
einer 5tägigen Hungerperiode, während welcher ausserdem noch 3 mal 0,5 g 
Phloridzin gereicht wurden, auf 2400 g. Die Abklemmung der Aorta zeigt folgenden 
Verlauf: Der Blutdruck, der vor dem Versuche um 80 mm Hg herum schwankte, 
stieg rasch auf 140 mm Hg, hielt eine Zeit lang an und fiel dann allmählich ab. 
Nach 33 Minuten ist abermals der Druck von 80 mm Hg erreicht. Heber den weiteren 
Verlauf des Versuches soll später berichtot werden (cf. Fig. 7). 

Bevor wir in die Deutung dieser Versuche eingehen, möchte nur 
noch berichtet werden, dass die erwähnten 7 Versuche nur Proben sind 
aus einer grossen Anzahl solcher Experimente. 

Wie schon oben erwähnt, wurde die Leistungskraft eines normalen 
Herzens vielfach von Romberg und Hasenfeld erprobt. Sie lässt sich 
curvenmässig aasdrücken. Unsere Ergebnisse decken sich fast vollständig 
mit den Resultaten der beiden Autoren, so dass uns reichliche normale 
Controllversuche zur Verfügung stehen. Wenn wir nun diesen ziemlich 
typischen Blutdruckcurven unsere von Hungerthieren herstammenden 
gegenüber stellen, so lassen sich die Ergebnisse allerdings nicht so genau 
zusammen fassen, nachdem eine erforderliche Congruenz der Beobachtungen 
nicht vorzuliegen scheint. Alles in Allem genommen können wir aber 
doch sagen, dass sich einige gemeinsame Punkte herausgreifen lassen. 
Trotz der Schädigung des Organismus müssen wir die starke Leistungs¬ 
fähigkeit des Herzens bewundern. Stets vermag das Herz eines Hunger- 
thieres einen beträchtlichen Blutdruck zu überwinden; es zeigt sich 
jedoch die Kraft des Herzens, um diesen Blutdruck zu bewältigen, bei 
den verschiedenen Thieren auch verschieden. In einigen Fällen (als 
deren Typus ich auf die Versuche II und V hinweisen möchte) lässt 
sich entschieden eine frühzeitige Insufficienz des Herzmuskels erkennen. 
Allerdings zeigt sich auch bei den normalen Herzen — darauf weisen 
Romberg und Hasenfeld ganz besonders hin — eine grosse Ver¬ 
schiedenheit der individuellen Herzkraft, indem sowohl wechselnde Höhe 
des Druckes, den das Herz durch seine Mehrarbeit herbeiführte, zur 
Beobachtung kam, als auch ein verschieden rascher Abfall schon unter 
normalen Verhältnissen zu erkennen war. Trotzdem glauben wir aber 
sagen zu müssen, dass, wenn auch stets beträchtliche Höhen des Blut¬ 
druckes, und zwar fast so wie unter normalen Umständen erreicht 
wurden, der Abfall meist steiler erfolgte, d. h. Insufficienz der 
Herzmuskulatur früher einsetzte. Ganz besonders zeigen dies die 
Fälle II und V. Auch verfügen wir über Versuche, bei welchen plötz¬ 
liches Erlöschen der Herzkraft hinzutrat, was allerdings gelegentlich 
auch unter normalen Umständen Vorkommen kann. 


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KO H. Eppinger u. E. v. Knaffl, 

Bei den Untersuchungen, ob starke Verfettung des nicht hyper¬ 
trophischen Herzmuskels eine Schädigung der Herzkraft bewirkt, kamen 
Hasenfeld und Fenyvessy (7), die sich der gleichen Methode, wie 
wir, bedienten, ebenfalls zu keinem ganz eindeutigen Resultate. Sicher¬ 
lich lässt sich auch aus ihren Versuchen eine nur wenig beeinträchtigte 
Leistungsfähigkeit selbst eines durch fettige Degeneration schwer ge¬ 
schädigten Herzens erkennen. 

Es wurde bereits erwähnt, dass die einzelnen Organe im Hunger¬ 
zustande verschieden rasch an Gewicht verlieren, und dass speciell das 
Herz lange seinen Gewichtsbestand zu erhalten vermag. Man muss 
wegen der Wichtigkeit einzelner Organe sich vorstellen, dass im Zu¬ 
stande der Inanition gewisse Nahrungsbestandtheile nicht am Ort ihrer 
Ablagerung vollständig zersetzt werden, sondern gleichsam verllüssigt an 
die Säftemassen abgegeben werden, um dorthin zu gelangen, wo be¬ 
sonderer Gewebshunger besteht. Dieses gleichsam symbiotische Leben 
der Organe, wobei gewisse Gewebspartien auf Kosten anderer sich nähren, 
dürfte beim Erhalten des Betriebsmateriales der Herzkraft sicher eine 
grosse Rolle spielen. Dass z. B. dem Herzen immer noch Kohlehydrate, 
also das vornehmste Brennmaterial der Muskeln, zur Verfügung stehen 
dürften, das zeigen am besten die Blutanalysen an Hungerthiercn; 
wenigstens schwindet der Zuckergehalt des Blutes trotz möglichst aus¬ 
gedehnter Inanition nie vollständig. Ich glaube, die mächtige Leistungs¬ 
fähigkeit des Herzens selbst des hungernden Organismus in solchem 
Sinne erklären zu sollen. 

Die genauen Untersuchungen Romberg’s und Hasenfeld’s zeigen 
weiter, dass der Druck von gut compensirten Aorteninsufficienzhcrzen 
nach Abklemmen der Aorta nicht so stark in die Höhe getrieben werden 
kann, wie unter normalen Verhältnissen. Aber auch der Druckabfall 
war im Vergleich zur *Norm in der ersten Zeit des Versuches beträcht¬ 
licher, und auch die Dauer der Druckerhöhung hielt nur kürzere Zeit 
an, und in der späteren Zeit der Compression schienen die Curvcn beim 
normalen und beim mit Klappenfehler behafteten Thier gleich zu sein. — 
Eine auffallende Ermüdung des hypertrophischen Herzens giebt sich also 
nicht deutlich zu erkennen. Man kann daher sagen, dass, auf Grund 
der Versuche von Romberg und Hasenfeld, der in Folge Aorten- 
insufficienz hypertrophische Herzmuskel bei gesteigerter Arbeit ebenso 
gut functionirt wie ein normales Herz. Dagegen zeigt sich der hyper¬ 
trophische Herzmuskel insofern insufficient, als er nicht im Stande ist, 
den Blutdruck so hoch hinaufzutreiben, wie der normale. Romberg 
und Hasenfeld sagen, dass die Höhe der Drucksteigerung bei Aorten- 
insuffieienz nur von dem Grade der diastolischen Erweiterungsfähigkeit 
des linken Ventrikels abhängig ist, und bloss die Ausdauer des Herzens 
von der Kraft der systolischen Contractionen bestimmt wird. Und sie 
kommen zu dem Schlüsse, dass der für die Extraarbeit verfügbare Theil 
der Kraft, welcher bei der Systole zur Entfaltung kommt, bei dem 
hypertrophischen Herzen mit Aorteninsufficienz und dem Herzen mit 
Schlussfähigkeit der Klappen nicht verschieden ist, und dass somit 


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Ueber Herzinsufficienz. 


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die Reservekraft des hypertrophischen und des normalen Herzmuskels 
gleich ist. 

Es war nun sehr interessant zu untersuchen, welchen Einfluss die 
Unterernährung des Organismus auf die Kraft des hypertrophischen 
Herzens ausübt. Dass hochgradige Verfettung des Aorteninsufficienz- 
herzens die Leistungsfähigkeit desselben ausserordentlich hcrabsetzen 
kann — weit stärker als es hochgradige Verfettung beim normalen 
Herzen thut — lehren die Versuche von Hasenfeld und Fenyvessy. 
Ebenso bekannt ist es, dass künstlich erhöhter Widerstand im arteriellen 
System rasches Sinken des Blutdruckes zur Folge hat, und das Zu¬ 
schnüren der Aorta sehr bald zum Tode des Herzens führt. Doch 
bevor ich in die Diskussion obiger Frage eingehe, sollen einige Versuche, 
welche den Einfluss der Unterernährung auf das hyper¬ 
trophische Herz beleuchten sollen, vorgeführt werden. 

Versuch VIII. Einem kräftigen Kaninchen werden nach Cohn heim von der 
rechten Carotis aus.die Aortenklappen mit einer nicht zu dünnen Sonde durchstossen. 
Durch mehrmaliges Vor- und Zurückziehen der Sonde wird der Klappenapparat 
möglichst geschädigt. Die Wunde nach dieser Operation heilt glatt ab. Ein deut¬ 
liches diastolisches Geräusch zeigt, dass die Klappen entsprechend verletzt wurden. 
In den drei folgenden Monaten nimmt das Thier an Gewicht etwas zu; dasselbe stieg 
von 2670 auf 2710 g; nach dieser Zeit Hessen wir das Thier 5 Tage hungern. Das 
Gewicht fiel auf 2300 g; eine auffallende Dyspnoe des Thieres bei Beginn des Ver¬ 
suches war nicht zu bemerken; nach den vorbereitenden Operationen wurde in ge¬ 
wöhnlicher Weise die Aorta abgeklemmt. Der Mitteldruck, der allerdings sehr 
schwankte (zwischen 85 und 110 mm Hg), stieg von 95 mm Hg auf 134 mm Hg; 
rasch fiel derselbe abwärts; 20 Minuten nach der eigentlichen höchsten Drucksteige¬ 
rung schlug das Herz nicht mehr. Bei der Section des Herzens zeigte sich die 
linke Aortenklappe fast vollkommen abgerissen. Eine starke Hypertrophie des 
linken Herzens war nicht sicher nachweisbar (cf. Fig. 8). 

Versuch IX. Ein kräftiges Thier, das in gleicher Weise vorbehandelt wurde, 
verliert im Verlaufe der darauf folgenden 3 Monate an Gewicht etwas. Das Körper¬ 
gewicht war im Anfang 2240 g, vor der Hungerperiode 2160 g. Das Thier, das ein 
deutliches Aorteninsufficienzgeräusch nachweisen liess, sollte 5 Tage hungern. Am 
4. Tage wurde dasselbe todt aufgefunden; das Gewicht war in dieser Zeit auf 1900 g 
gesunken. Bei der Section war das Herz in diastolischem Zustande. 

Versuch X. Ein kräftiges Thier, das bereits 3 Monate naoh einer Aorten- 
klappendurchstossung gelebt hatte, und auch etwas an Körpergewicht verlor (von 
2410 auf 2380 g), und dann einer 5tägigen Hungerperiode ausgesetzt wurde (mittler¬ 
weile war das Gewicht auf 1980 g herabgesunken), zeigte nach der Aortenabklemmung 
folgende Druckcurve: Der Druck in der Carotis war 90 mm Hg. Gleich nach dem 
Abklemmen schnellt der Druck auf 130 mm Hg, fällt sofort wieder auf 80 mm Hg, 
steigt abermals auf 125 mm Hg und fällt dann wieder rasch auf 75 mm Hg. Dieses 
Auf- und Niedersteigen des Druckes wiederholt sich noch einige Male; staffelförmig 
lallt aber der Mitteldruck herunter. Zehn Minuten nach der Abklemmung schlägt 
das Herz nicht mehr. Die eine Klappe zeigte einen Querriss, die andere war fast 
ganz abgerissen; deutliche Hypertrophie des linken Ventrikels. 

Wir haben 8 Thieren die Aortenklappen durchstossen. Ein Thier 
ging bald nach der Operation zu Grunde, so dass uns zu den Hunger¬ 
versuchen nur 7 Thiere zur Verfügung standen. In der Hungerperiode 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. f>. Bü. ß 


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H. Eppinger u. E. v. Knaffl, 


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gingen 2 Thiere zu Grunde; an beiden zeigten sich schwere Ver¬ 
änderungen an den Klappen; eine Hypertrophie des linken Ventrikels 
war noch nicht deutlich zu erkennen. Aehnlich wie im Versuch VIII 
(siehe Curvc 8) verhielten sich nach Aortenabkleramung 2 weitere Thiere. 
Ein Kaninchen, das allerdings nur eine ganz geringe Aortcnklappcn- 
verlctzung ohne Ausbildung einer Hypertrophie zeigte, verhielt sich wie 
ein normales Thier. Die Druckcurvc glich der in Fig. 3 abgebildcten. 
Ein Kaninchen ging gleich nach der Abklemmung der Aorta, ohne dass 
cs zu einer Drucksteigerung gekommen wäre, zu Grunde. Unter all- 
mäligcm Absinken des Blutdruckes erfolgte der Tod des Thieres. Es 
zeigte sich bei der Obduction eine Verwachsung des Pericards mit 
dem Herzen. Ausserdem war in der Bauchhöhle freie Flüssigkeit; das 
Thier war schon während der 3 Monate stark abgomagert; das Körper¬ 
gewicht fiel von 2670 g auf 2280 g. Trotzdem machte es eine 5 tägige 
Hungerperiode durch. Das 7. Thier ist das unter Versuch X be¬ 
schriebene. 

Wir haben es leider unterlassen, bei allen, specicll auch bei den 
normalen Herzen den Versuchen eine genaue histologische Untersuchung 
folgen zu lassen. Immerhin erscheint cs interessant, dass gerade an 
jenen zwei Herzen, welche von Aortcninsufficienzthiercn stammten und 
bereits in der Hungerperiode starben, zwar nur leichte aber immer¬ 
hin zahlreiche, myocarditische Herdveränderungen vorgefunden werden 
konnten. 

Wiewohl wir nun bei Beurtheilung der vorliegenden Versuche uns 
bemühen wollen, eine strenge Kritik walten zu lassen, so müssen wir 
doch sagen, dass der Hungerzustand auf das hypertrophische Herz einen 
ganz anderen Einfluss zu haben scheint, als auf das normale. Mit Aus¬ 
nahme eines einzigen Falles wurde von den Thieren der Eingriff der 
Aortenabkleramung nicht vertragen; zwei Thiere erlagen schon in der 
Inanitionsperiodc. Meist steigt nach Abklemmung der Blutdruck be¬ 
deutend in die Höhe; er erreicht aber nie so hohe Werthe, wie sic in 
den Versuchen an normalen Herzen unter gleichen Verhältnissen be¬ 
obachtet wurden. Dass nun in den meisten Fällen der Druck im 
arteriellen System rasch zu sinken beginnt, hängt davon ab, wie lange 
das Herz im Stande ist, gegen gesteigerten Widerstand bei vermehrter 
Füllung zu arbeiten. Nachdem die Ausdauer des Herzens von der 
Kraft der systolischen Contractionen bestimmt wird, und wir in un¬ 
seren Fällen ein rasches Versagen des Herzens bei Absinken des Blut¬ 
druckes beobachten konnten, müssen wir sagen, dass Inanition für 
den hypertrophischen Herzmuskel nicht gleichgültig ist, in¬ 
dem sie jenen Thcil seiner Kraft, welcher gelegentlich bei grösseren An¬ 
strengungen, die das Herz zu leisten gezwungen ist, zur Verfügung stehen 
soll, nämlich seine Reservekraft herabsetzt. Wir haben, wie schon er¬ 
wähnt, mehrere der hypertrophischen Herzen genau histologisch unter¬ 
sucht und haben bei denselben Anhaltspunkte für die Annahme theils 
frischerer, theils älterer Entzündungsherde erbringen können. Allerdings 
können wir berichten, dass auch die gesunden Controlherzen, soweit mit 
dem blossen Auge beurtheilt werden kann, Veränderungen darboten, die 


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Ueber Herzinsufficienz. 


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man allenfalls als pathologisch ansprechen kann. Wir haben das Vor¬ 
kommen dieser Veränderungen deswegen hervorgehoben, um zu zeigen, 
dass wir weit davon entfernt sind, in eventuellen Ernährungsstörungen 
der Herzmusculatur die alleinige Ursache der Herzinsufficienz erblicken 
zu wollen. Gerade so wie cs nicht angcht, zu behaupten, dass 
der Befund pathologischer Veränderungen das schlicssliche 
Erlahmen eines Klappenfehlerherzens erklärt, ebenso ist es 
unzulässig, die mangelhafte Ernährung des Herzens allein für 
die Abnahme der Herzkraft verantwortlich zu machen. 

Wenn man bei Kaninchenherzen, die bereits nicht mehr schlagen 
und aus dem Körper hcrausgenommen worden sind, von der Aorta aus 
die Coronargefässe mit Blut, das constant auf einer Temperatur von ca. 
38° C. erhalten wird, unter einem gewissen Druck einflicsscn lässt, so 
gelingt es leicht, die Herzthätigkeit wieder anzuregen. Ersetzt man das 
Blut durch physiologische Kochsalzlösung, so gelingt es zwar auch Herz¬ 
schläge hervorzurufen, doch lange nicht mit jener Energie und Dauer¬ 
haftigkeit, wie bei Perfusion mit Thierblut. Bei den Versuchen, die 
das Herz eigentlich treibenden Agentien zu ermitteln, wurden die ver¬ 
schiedensten theils hemmenden, theils fördernden Substanzen verwendet. 
Auf zwei Bestandteile muss besonderes Gewicht gelegt werden, nämlich 
auf Sauerstoff und Dextrose. Locke (8) fand, dass wenn man 
Ringer’schc Lösung durch das Herz treibt, dasselbe in Thätigkeit 
versetzt wird; doch ist die Herzaction nur sehr schwach. Leitet man 
dabei Sauerstoff unter Atmosphärendruck ein, so vergrössern sich die 
Herzschläge; doch dauert dieses Spiel nicht lange, indem bereits nach 
zwei Stunden das Herz erlahmt. Setzt man jedoch der Durchblutungs- 
flüssigkcit 0,1 pCt. Dextrose zu, so verstärken sich die Herzschläge und 
halten ohne Verminderung der Herzthätigkeit 7 Stunden an. Der Ein¬ 
fluss der Dextrose wird noch sicherer gezeigt, wenn die zuckerhaltige 
Flüssigkeit durch einfache Ringer’sche Lösung ersetzt, und dann 
abermals Dextrose zugeführt wird, worauf die neuerlich gesteigerte Herz¬ 
thätigkeit sich zu erkennen giebt. Ganz anders als Dextrose verhalten 
sich Maltose und Lactose, welche keinerlei Wirkung auf das Herz zeigen. 
Dagegen scheint Lävulose einen ähnlichen, erregenden Einfluss zu besitzen, 
wie Traubenzucker. Die strittige Frage bei diesen Versuchen ist die: 
wirkt die Dextrose bloss als Reizmittel, oder ist der Zucker Nahrung 
für die Mnsculatur? Die Thatsache, dass bei einer rein anorganischen 
Diät, nämlich Ringer’scher Lösung, das Herz ebenfalls zur Thätigkeit 
gezwungen wird, scheint gegen die letztere Ansicht nicht zu sprechen. 
Man kann sich doch vorstellen, dass das Durchfliesscn der Ringer’schen 
Lösung nur dazu dient, um die Stoffwechselschlacken, welche im Herz- 
gefässsystem angehäuft sind, wegzuschwemmen, und dass während dieser 
Zeit das Herz noch auf Kosten seiner eigenen Energicvorräthe Arbeit 
leistet. Sind dieselben aufgezehrt, so stellt das Herz seine Thätigkeit 
ein. In diesem Sinne wäre der Zusatz des Traubenzuckers zur 
Perfusionsflüssigkeit als kraftsparendes Nährmaterial aufzufassen. Neue 
Befunde, die von Locke und Rosen heim (9) stammen, unterstützen 
die Anschauung, dass die automatische Herzthätigkeit an eine Speisung 

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mit Nährsubstanzen wie z. B. dem Traubenzucker gebunden sei. Es 
wurde ein 5—6 g schweres Herz durchblutet mit Flüssigkeit, der 
0,1 pCt. Dextrose zugefügt wurde. Es gelang einen Verlust an Trauben¬ 
zucker (0,05—0,09 g) im Verlaufe der Durchspülung des schlagenden 
Herzens nachzuweisen. Andere daneben angestcllte Controlversuchc 
schliessen den Einfluss von Glycolysc und Fäulniss aus. 

Diese soeben erwähnten Versuche waren zum Thcil die Veranlassung 
für unser Vorhaben, den Einfluss der Unterernährung auf die Herz- 
thätigkeit zu studiren. Und es dürften nun in der That unsere bis 
jetzt erwähnten Versuche geeignet sein, die Beziehung des Trauben¬ 
zuckers als Nährmateriel ira Stoffwechsel der Herzmusculatur im Sinne 
von Locke zu stützen. Denn es war sehr naheliegend, zu untersuchen, 
ob bei unseren Versuchen in der Zeit, als das Herz bereits zu erlahmen 
beginnt, Traubenzucker irgend welchen Einfluss auf die Herzthätigkeit 
nimmt. Zu diesem Behufe möchte ich jetzt wiederum auf unsere bereits 
demonstrirten Curven eingehen und nochmals auf unsere Versuche 11 
bis VIII zurückkommen. 

Im Versuche II haben wir gesehen, wie bei einem normalen 
hungernden Thier der Blutdruck ziemlich rasch abgefallen ist, da bereits 
nach 10 Minuten die ursprüngliche Höhe erreicht wurde; 30 Minuten 
nach Abklemraung ist nur mehr eine Höhe von 50 mm Hg. zu ver¬ 
zeichnen. Jetzt injicirten wir 3 ccm einer 10 proc. Traubenzuckerlösung 
in eine Ohrvene. In den folgenden Minuten fiel der Druck nicht weiter 
herab. Erst 10 Minuten nach der letzten Injection stieg der arterielle 
Druck wieder allmälig an, und erreichte nach 25 Minuten ganz langsam 
ansteigend wieder eine Höhe von 95 mm Hg.; 40 Minuten nach der 
Traubenzuckerinjection hatte der Druck noch nicht die Anfangshöhe 
erreicht. 

Versuch V (cf. Fig. 5) demonstrirt ebenfalls den ausserordentlichen 
Einfluss einer intravenösen Dextroseinjection. Ein Herz, das nach Unter¬ 
ernährung des gesammten Organismus rasch zu erlahmen droht, bessert 
seine Leistungsfähigkeit binnen kürzester Zeit (5 Minuten), sobald intra¬ 
venös Traubenzucker zugefuhrt wurde; Auch in diesem Falle wurden 
3 ccm einer 10 proc. Dextroselösung in eine Ohrvene injicirt. Ver- 
hältnissmässig rasch steigt der Druck empor und ist nach der Injection 
höher als der Mitteldruck, der vor der Abklemmung der Aorta gemessen 
werden konnte. Auch hier hält der Druck geraume Zeit an und ist erst 
nach 40 Minuten nach der Injection wieder auf ursprünglicher Höhe an¬ 
gekommen. Ueber ähnliche Resultate verfügen wir noch in 5 Fällen; 
bloss einmal war keine so ausgesprochene Wirkung zur Geltung ge¬ 
kommen, wie in den erwähnten beiden Versuchen. 

Die übrigen Curven geben ein Bild davon, wie andere Zuckerarten 
auf den Blutdruck wirken. So wurde im Anschluss an den Compressions- 
versuch IV (cf. Fig. 4) Lävulose in gleicher Concentration und Art ver¬ 
abfolgt; nämlich 3 ccm einer 10 proc. Lävuloselösung. Es ergab sich, 
dass, wenn man die Wirkung von Dextrose und Lävulose miteinander 
vergleicht, der Anstieg des Blutdruckes im letzteren Falle nicht so stark 
ist und auch früher abfällt. 


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Feber Hcrzinsuflicienz. 


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Rohrzucker hat gar keinen Effect gezeigt. Im Versuche VI (Fig. 6) 
haben wir, nachdem der Druck im arteriellen System bereits unter das 
Mittelniveau gefallen war, zuerst Rohrzucker in lOproc. Lösung intravenös 
applicirt. Der Druck fällt weiter. Wir warteten noch 20 Minuten, weil 
häufig der Einfluss des Zuckers erst nach geraumer Zeit sich geltend 
macht; doch ist in dieser Zeit der Druck noch tiefer gefallen. Zur Con- 
trolle wurde jetzt Traubenzucker verabfolgt (0,3 g). Sehr bald begann 
der Druck wieder zu steigen und erreichte fast den ursprünglichen 
Mitteldruck. Von den übrigen Zuckerarten haben wir noch Lactose und 
Pentose geprüft. Ein sicherer Erfolg konnte dabei nicht beobachtet 
werden. Höchst interessant ist der Einfluss, den das Glycogen auf den 
Ablauf des Blutdruckes nimmt. Im Anschluss an den Versuch VII 
(Fig. 7) wurde Glycogen in lOproc. Lösung in der Menge von 0,3 g 
verabreicht. Der Blutdruck, der binnen 30 Minuten nach der Com- 
pression der Aorta allmählich wieder auf seine ursprüngliche Höhe an¬ 
gelangt war, steigt nach Injection des Glycogens wieder an. Gleich 
nach der Verabfolgung tritt nicht die Wirkung ein, sondern erst nach 
5 bis 10 Minuten; dann aber klimmt ziemlich rasch der Druck in die 
Höhe, steigt auf 110 mm Hg an — der Mitteldruck war vor dem Ver¬ 
suche 80 mm Hg —, hält lange Zeit an (nämlich 10 Minuten) und fällt 
jetzt erst ganz langsam wieder herunter. Schliesslich soll noch Er¬ 
wähnung finden, dass wir auch versucht haben, den Blutdruck nach 
Corapression der Aorta bei einem Aorteninsufficienzherzen durch Injection 
von Dextrose zu beeinflussen. Es fiel der Druck im arteriellen System 
so rasch, wie im Versuche VIII, und es gelang nicht das Absinken des 
Druckes aufzuhalten. 

Diese Versuche haben gezeigt, dass die intravenöse Einführung von 
Dextrose, Lävulose und Glycogen im Stande ist, Einfluss zu nehmen 
auf das gesaramte Gefässsystem, und dass speciell das Sinken des Blut¬ 
druckes eines Hungerthieres nach Corapression der Aorta nicht nur auf¬ 
gehalten werden kann, sondern dass der Blutdruck neuerlich wieder 
ansteigt und auf beträchtlicher Höhe verweilen kann. Es erheben sich 
nun folgende Fragen: Wo greift die Dextrose an? Ist Dextrose Speise 
für das erlahmende Herz, das dann neues Nährmaterial besitzt und 
wieder stärkere Arbeit zu leisten im Stande ist? Oder ist Zucker ein 
Reizmittel, welches die äussersten Kräfte der Herzmusculatur an¬ 
spannt? oder übt Dextrose eine Wirkung auf das periphere Gefäss¬ 
system aus? 

Säramtliche diese Fragen genauer zu beantworten, ist vor der Hand 
nicht möglich. Irgend welchen Einfluss auf das periphere Gefässsystem 
glauben wir aber schon auf Grund unserer Versuche mit grosser Wahr¬ 
scheinlichkeit ausschliessen zu können. Wie wir gesehen haben, wurde 
in säramtlichen Versuchen dem Herzen durch Abklemmen der Aorta 
ein Widerstand gegenüber gestellt; das Herz muss jetzt durch den nicht 
abgebundenen Gefässbezirk die gleiche Blutraenge wie früher treiben; 
dies geschieht unter Zuhülfenahme der noch vorhandenen Reservekraft des 
Herzens. Aber zwischen Herzen und abgeklemrater Aorta und in jenem 
Bezirke, wo ein freies Strömen des arteriellen Blutes noch möglich ist, 


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II. K|>jm ngcr u. K. v. Knaffl, 


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«(> 


kommt es zu erhöhtem Blutdrücke. So lange ein solcher Blutdruck an¬ 
hält, ist das ein Zeichen, dass das Iler/, noch nicht erlahmt ist. Wenn 
nun allmählich der erhöhte Blutdruck nachlässt, so kann dies in zwei¬ 
facher Weise gedeutet werden. Entweder wird die zur Verfügung 
bleibende Gefässbahn weiter, und der durch die Abklemmung der Aorta 
gesetzte Widerstand in der peripheren Blutbahn etwas ausgeglichen, oder 
die Herzkraft lässt nach; und weil in diesem Falle nicht mehr so viel 
Blut in den Anfangstheil der Aorta getrieben wird, sinkt der Blutdruck. 
Die Thatsachen, dass je länger der Versuch ausgedehnt wird, desto 
leichter Lungenödem eintritt, weiter dass sehr häufig unter plötzlichem 
Absinken des Blutdruckes das Herz aufhört zu schlagen, sprechen ent¬ 
schieden zu Gunsten der Anschauung, dass der Abfall des Blutdruckes 
mit dem Erlahmen der Herzkraft und nicht mit der Beeinflussung der 
Gefässbahn in Beziehung gebracht werden darf. Wenn nun dem ohne¬ 
hin schon erlahmten Herzen neuerdings ein Widerstand entgegengesetzt 
werden würde, dann müsste um so schneller die Herzkraft erlahmen, 
wovon uns auch in diesem Sinne angestellte Versuche überzeugt haben. 
Nachdem nun Traubenzuckerinjection Steigerung des Blutdruckes, die 
mit dem Erlahmen des Herzens unvereinbar wäre, nach sich zieht, so 
glauben wir sagen zu müssen, dass der Angriffspunkt des Trauben¬ 
zuckers sicher im Herzen liegt. Ob als blosser Reiz oder als Nähr¬ 
material für das gleichsam aus Hunger erlahmende Herz, soll an anderer 
Stelle zur Sprache kommen. Die Vermuthung, dass Traubenzucker 
eventuell in Folge seiner Viscosität blutdrucksteigernd wirken könnte, 
wird entkräftet durch die Thatsache, dass z. B. Rohrzucker, in eben so 
starker Conccntration wie Traubenzucker verabreicht, keinerlei Wirkung 
ausübt. Auch nach intravenöser Einführung von Gelatine (Versuch 111, 
wo 5 ccm einer 5 proc. Gelatinelösung intravenös und langsam cingeflösst 
wurden, die sicher die Viscosität des Blutes zu steigern vermögen) liess 
sich keine Blutdrucksteigerung erzielen. Sehr eigentümlich ist der Be¬ 
fund, dass Glycogen ebenfalls einen so starken Einfluss auf das Herz 
auszuüben scheint. Einige solcher Befunde würden sich, wenn man der 
Ansicht hinneigen wollte, dass die eingeführten Zucker direct als Nähr¬ 
material wirken würden, mit der Anschauung über Glycogcnbildung ver¬ 
einen lassen. Dass aber Glycogen selbst, welches kaum als Transport¬ 
mittel der Kohlenhydrate in Betracht kommt, als directes Nährmaterial 
aufzufassen sei, wäre jedenfalls sehr auffallend. 

Sicher können diese Befunde, die von einer Beeinflussung der 
Kohlenhydrate auf die Herzkraft zeugen, im Sinne der Anschauung, dass 
der Ernährungszustand des Gesammtorganismus die Herzkraft bedingt, 
ausgebeutet werden. Trotzdem möchten wir uns eine gewisse Reserve 
aufcrlegen, und nur ein besonderes Gewicht auf unsere Auseinander¬ 
setzungen im ersten Thcil legen. Wir konnten dort nachweisen, dass 
der Curvenverlauf des Blutdruckes bei sonst gesunden Thieren, die aber 
unter schlechte Ernährungsverhältnisse gebracht wurden, nach Ab¬ 
klemmen der Aorta oft anders beschaffen ist, als bei normalen Thieren. 
Im Allgemeinen kann man sagen, dass, je stärker die Abmagerung 
war, desto deutlicher sich Unterschiede nachweisen Hessen. 


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Leber llcrzinsuflicicnz. 


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Wenn auch in diesen Fällen die Leistungsfähigkeit des Herzens noch 
eine entsprechende war, und das Herz durch Mehrarbeit einen ganz be¬ 
trächtlichen Druck einerseits aufbieten, andererseits bewältigen konnte, 
so war der Abfall der Druckenden bei den Hungerthieren meist ein 
steilerer, und auch die Ausdauer des Herzens zur Arbeit gegen ver¬ 
mehrte Füllung heruntergesetzt. 

In manchen Fällen jedoch, wo es nicht gelang, das Körpergewicht 
trotz mehrtägigen Hungers stärker zu reduciren, verlief die Blutdruck- 
curve nicht viel anders, als unter normalen Verhältnissen. 

Ganz anders scheinen die Bedingungen bei hypertrophischen Herzen 
zu stehen. Je grösser ein peripherer Muskel ist, desto mehr Nahrung 
braucht er, um seiner Function in jedem Ausmaasso nachzukommen. 
Ein hypertrophischer Herzmuskel wird unter gewöhnlichen Verhältnissen, 
die also keine grossen Kraftanstrengungen erfordern, und so lange er 
gehörig mit Nahrung versorgt wird, mit seiner Kraft auskommen. So¬ 
bald ihm aber grössere Arbeit zugemuthet wird, so wird er nur für 
kurze Zeit schlechte Ernährungsbedingungen des gesammten Organismus 
vertragen. Jeder Muskel hat in sich gewisse Reservestofle abgelagert, 
die für den momentanen Verbrauch ausreichen; dauert jedoch die ver¬ 
mehrte Arbeit, die der Muskel zu leisten hat, länger, dann müssen von 
weiter gelegenen Stellen her rasch Mittel herbeigeschafft werden, um die 
dem arbeitenden Muskel näher stehenden Depots wieder mit neuem 
Material zu füllen. Und selbst im vorgeschrittenen Hungerzustand sind 
noch immer Möglichkeiten vorhanden, um lebenswichtige und stets 
arbeitende Organe möglichst ausreichend mit mehr Material zu versorgen. 
Beim normalen Herzmuskel dürfte, wenn in Folge erhöhter Arbeit die 
eigenen Depots erschöpft sind, die im Hungerzustand gering bemessene 
Zufuhr an Mehrstoffen genügen, um bei vermehrter Arbeit ein Erlahmen 
der Herzkraft für längere Zeit hintanzuhalten. Das hypertrophische 
Herz braucht dagegen schon im Ruhezustand wegen seiner Muskelmasse 
mehr Nährmaterial. Sind daher nach erhöhter Arbeit die eigenen Depots 
verloren gegangen, dann muss sich der Zuschuss an Mehrstoffen von den 
peripheren Theilen des Organismus her ausgiebiger gestalten, und dies 
in desto grösserem Ausraaasse, wenn weiterhin das Herz mehr Kraft 
aufbieten soll. Der hungernde Organismus scheint einem solchen Er¬ 
forderniss nicht nachkommen zu können, und deswegen dürfte der hyper¬ 
trophische Herzmuskel im Hungerzustande bei erhöhter Arbeit früher 
erlahmen, als unter gleichen Umständen der normale. In wieweit der 
Einfluss der intravenösen Zuckerinjcctionen im Sinne einer Ernährung zu 
verwerthen ist, müssen weitere Untersuchungen lehren. Im Allgemeinen 
dürfte man sich schon jetzt eher für als dagegen aussprechen. 


Literatur. 

1. Martius, Allgemeine Kreislaufstörungen. Lubarsch - Osterstag, Ergebnisse 1. 
1895. 

*2. Krehl, Archiv für klin. Medicin. 1890. — Pathologische Physiologie. 4. Aull. 
1906. 


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SS II. Hppingcr u. E. v. Knallt, (Jeher Herzinsufficienz. 

3. Homberg, Archiv f. klin. Med. Bd. 53. — Lehrbuch der Krankheiten des 

Herzens und der Blutgefässe. Stuttgart, Enke, 1906. 

4. Schrötter, Verhandlungen des Congresses für innere Medicin. 1891. 

5. Zuntz, Dubois’ Archiv. 1894. 

6. Romberg und Hasenfeld, Archiv f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 39. 

7. Hasenfeld und Fenyvessy, Berliner klin. Wochensohr. 1899. No. 4. 

8. Looke, Centralbl. f. Phys. 1900. —Journal of Physiol., Proc. phys. Soc. XXXI. 

2. p. XIII. 

9. Locke und Rosenheim, Journal of Physiol., Proc. phys. Soc. XXXI. 2. 

p. XIV. 

10. Aschoff und Tawara, Die heutige Lehre von den patholog.-anatom. Grund¬ 
lagen der Herzschwäche. Jena 1906. 


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VIII 

Aus der I. medicinischen Universitätsklinik in Wien. 

Die Einwirkung des Arsen auf die Autolyse. 

Von 

Dr. Leo Hess und Dr. Paul Saxl. 


Erfahrungen aus jüngster Zeit haben gezeigt, dass dem Arsen neben 
seinen sonstigen pharmakologischen Wirkungen ein besonderer Einfluss 
auf protozoäre Affectionen zukomme (5). Insbesondere konnte 
Löffler den Nachweis liefern, dass unter der Einwirkung des Arsen 
sowohl in vitro wie auch im Thierkörper die Trypanosomen der Nagana- 
Krankheit rasch vernichtet werden. Von einem anderen Gesichtspunkte 
ausgehend, konnte Laqueur (4) für das Chinin, dessen deletärer Einfluss 
auf Protozoen schon seit langem bekannt ist, zeigen, dass dasselbe im 
Stande sei, den postmortalen Eiweissabbau der Zellen zu hemmen. 

Die Aehnlichkeit der pharmakologischen Wirkung des Arsen und 
des Chinin führte uns darauf, die Einwirkung der arsenigen Säure auf 
die Autolyse zu studiren, zumal uns überdies die zufällige Beobachtung 
von Organen, die für andere Zwecke mit arseniger Säure injicirt und im 
Brutschränke der postmortalen Autolyse überlassen worden waren, gelehrt 
hatte, dass sich diese wesentlich besser conservirten als Organe ohne 
Arsenzusatz l ) 

Die zum Nachweise dieser Vermuthung angestellten Versuche be¬ 
standen darin, dass die Leber eines eben getödteten Kaninchens, von 
Gallenblase und grossen Gefässen befreit, in annähernd gleiche, genau 
gewogene Portionen getheilt wurde, die in fein zerschnittenem Zustande 
in gleich grosse, gut abschliessende Glasgefässe eingetragen wurden. Es 
wurden hierauf je 15 ccm physiologischer Kochsalzlösung und je 5 ccm 
einer l l / 2 proc. Aufschwemmung von arseniger Säure 2 ) in Wasser, 
anderen Portionen nur 20 ccm physiologischer Kochsalzlösung zugefügt 
und schliesslich allen Portionen je 2 ccm Toluol zugesetzt. Die luft¬ 
dicht abgeschlossenen Gefässe wurden gut durchgeschüttelt und im Brut¬ 
schrank bei einer Temperatur von 37° C. durch 1 bis 10 Tage der 
Autolyse überlassen. Wiederholte Züchtungsversuche ergaben Sterilität 

1) Die bessere Conservirung von Arsen-Leichen ist schon lange bekannt. 

2) Wir verwendeten arsenige Säure, da diese und deren Salze in der Therapie 
am häufigsten verwendet werden. 


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90 


L Hess u. P. Saxl 


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der Organportionen. Sowohl frische Controlportionen, als auch die auto- 
lysirtcn Portionen wurden auf ihren Gehalt an löslichem Eiwciss unter¬ 
sucht, die coagulablen Eiweisskörper nach dem Vorgänge von E. Schle¬ 
singer (9) ausgcfällt. Die einzelnen Portionen wurden mit Essigsäure 
zur deutlich sauren Rcaction angesäuert, unter Zusatz einiger Cubik- 
centimcter einer 1 proc. Kaliummonophosphat-Lösung bis zum Sieden 
erhitzt und abfiltrirt, im Filtrat der Stickstoff nach Kjcldahl bestimmt. 
Zur Controle wurde jedesmal das Filtrat halbirt und in jeder Hälfte 
die Stickstoffbestimmung vorgenommen. 

Aus einer grossen Zahl von Versuchen seien die folgenden hier 
angeführt. 


Versuch 1. 


Gewicht 

der Leber¬ 
substanz 

Zustand des 

Organs 

Zusatz ton 
arseniger 
Säure 

(1,5: 100,0) 

Löslicher N-Gehalt in g 

Zunahme von 
löslichem N 
in g, berechnet 
auf lOgLebcr- 
substanz 

in der Leber¬ 
portion 

berechnet auf 
j 10 g Leber¬ 
substanz 

5,G 

frisch 

0 

0,0112 

I 0,0199 

_ 

4,55 

\ nach 1 tägig. 

0 

0,0190 

0,0361 

0,0162 

4,SO 

/ Autolyse 

5 ccm 

0,0123 

0,0287 

0,008S 

3,90 

\ nach 1 Vs tag. 

0 

0,0304 

0,0778 

0,0579 

3.97 

/ Autolvse 

5 ccm 

0,0194 

0,0479 

0,0280 

4,40 

\ nach 6 tägig. 

0 

0,0342 

0,0776 

0,0577 

4. IG 

/ Autolyse 

5 ccm 

0,0314 

0,0750 

0,0551 



Versuch 2. 



3,1 

frisch 

0 

0,0108 

0,0336 

— 

3.77 

\ 

5 ccm 

0,0258 

0.0683 

0,0347 

2,53 

1 nach 2 tägig. 

5 ccm 

0,0153 

0,0602 

0.0266 

3,45 

| Autolvse 

0 

0,0330 

j 0,1008 

0,0672 

3,OG 

t 

0 

0,0307 j 

! 0,0994 

0,0658 

2,74 

\ nach 3 tägig. 

5 ccm 

0,0217 

0,0718 

0,0382 

2,55 

1 Autolyse 

0 

0,0343 

0,1344 

0,1008 



Versuch 3. 



3,6 

frisch 

0 

0,0221 

0,0612 

— 

3,35 

\ nach 1 tägig. 

0 

0,0399 

0,1171 

0,0559 

4,10 

/ Autolyse 

5 ccm 

0,0283 

1 0,0670 

0,0058 

4,85 

\ nach 8 tägig. 

0 

0,0621 

0,1358 

0,0746 

4,70 

/ Autolvse 

5 ccm 

0,0612 

, 0,1301 

1 

0,0689 


Diese Versuche beweisen deutlich den hemmenden Einfluss 
der zugesetzten arsenigen Säure. Da dieser in den ersten 
Stadien der Autolyso am lebhaftesten ist, späterhin abnimmt 
und g^egen Ende überhaupt nicht mehr erkennbar ist, lässt 
sich wohl mit grosser Wahrscheinlichkeit ein primärer, die 
Zellen selbst schädigender Einfluss ausschliesscn 1 ). 


1) In den seltenen Fällen, in denen bereits die frische Leber einen hohen Gehalt 
an löslichem Eiweiss aufwies (für die frische Leber etwa 0,08 g N auf 10 g Substanz), 
war der hemmende Einfluss des Arsens bei obiger Versuchsanordnung in der Regel nicht 
zu constatiren. Dieses Verhalten fanden wir am häufigsten bei alten, gut gemästeten 


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Die Einwirkung des Arsen auf die Autolyse. 


91 


Es handelte sieh nun darum, die minimale, eben noch wirksame 
Conccntration der arsenigen Saure zu ermitteln. Als solche verwendeten 
wir 1 ccm einer kalt gesättigten wässrigen Lösung der arsenigen Säure 
(arsenige Säure löst sich in der Kälte im Wasser nur in minimalen 
Spuren, nach Kunkel im Verhältnisse 1I355) 1 ). 

Versuch 4. 


Gewicht 

«1er Leber¬ 
substanz 

Zustand des 

Organs 

Zusatz von 

arseniger 

Säure 

Löslicher N-üehalt in ^ 

in der Leber- .berechnet auf 
! 10 g Leber- 
pcrtion | substani! 

Zunahme von 
löslichem N 
in g, berechnet 
auf 10 g Leber¬ 
substanz 

5,2 

frisch 

0 

0,0189 

0,0363 

— 

5,0 

\ 

0 

0,0522 

0,1044 

0,0781 

4,7 


1 ccm gesättigter 
Lösung 

0,0462 

0,0983 

0,0620 

4,7 

' nach 1 tägig. 

5 ccm gesättigter 
Lösung 

0,0470 

0,1000 

0,0637 

5,2 

’ Autolvsc 

i 

10 ccm gesättigter 
Lösung 

0,0494 

, 0,0950 

0,0587 

5,8 

1 

5 ccm übersättigt. 
Lösung 
(1,5: 100,0) 

0,0503 

0,0867 

0,0504 


Versuch 5. 

0 0 , 0*221 i 0,0012 — 

0 0,0399 i 0,1171 0,0559 

1 ccm gesättigter 0,0252 ( 0,0950 0,0338 

Lösung j 

5 ccm gesättigter 0,0370 l 0.0924 0,0312 

Lösung 

5 ccm übersättigt. 0,0283 0,0670 0,0058 

Lösung (T,5:100,0) 

Wie aus Versuch 4 und 5 hervorgeht, war auch bei hoch¬ 
gradiger Verdünnung die hemmende Wirkung der arsenigen 
Säure noch deutlich zu erkennen. Zu entscheiden war noch die 
Frage, ob diese Wirkung eine specifische sei oder sich auch auf andere 
proteolytische Fermente erstrecke. 

Zu diesem Behufe wurden Verdauungsversuche, mit und ohne Zusatz 
von Arsen, mit Pepsin, Trypsin und Erepsin angcstellt, welches letztere 
nach den Angaben von C. Cohnheim (2) gewonnen worden war. Die 
quantitative Bestimmung derVerdauungsproducte erfolgte nach Löhlein (0). 

Versuch 6. 

| Aciditätszunahmc nach 
iVo Ihard; titr. 100 ccm 

Pepsinlösung.31,6 ccm Vio n NaOH 

Dieselbe Menge Pepsinlösung + 10 ccm ars. Säure (1,5:100) 37,2 „ 

Trypsinlösung.43,4 „ 

Dieselbe Menge Trypsinlösung -f-10 ccm ars. Säure (1,5:100) 38,8 „ 

Thieren. Bei niedrigem Gehalt der frischen Leber an löslichem Kiweiss fanden wir 
immer die Hemmungs-Wirkung. 

1) Kunkel, A., Handbuch der Toxikologie. 1901. S. 254. 



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Y >> r * üfcJi ?• 


■ 

X*;!' ; 


' 

. . 


Aciditdtszujalime 
nach Volhkr«) 


• ■ - . 



fö£$ cc o» V lir rri iS^OH 


Dies'rijii * '. ■■ vT,i. l: uii;- -j- |5 -hvj nr^'- Säure (J.vUMÖÖ) ' 50,4 

Si'mu! li-ts.s sich oh» Itemwender Einfluss der >u'.sf uipen 
Säurt* auf den Ei weissabbau .durch die gen aunian Fermente 
nt flu eouslatiren. Wir müssen daher det arsenigert Säure 
v'iiie .speeifiseli hemmende Wirkung auf die aüfölyti.strhe ZeM- 
flin e-tioij /,uer k e n n en. . 

Ao ^ g ^ lm der "in gewisser Hinsicht ähnlichen Wirk aus.* des 
Arsen und Chinm .aui" Protozoen kormterr sviremen woiteretV Paralltdisnius 
in ihrer iiemrwwden Einwirkung auf das auioly tische Ferment. fesTsfellcn. 
Wir erinnert! hier daran, dass von einigen Autoren - ’.! dem Arsen auch 
tiiiie ei weiss» juirend e . Wirkung zugeschrieltou wird < : 7 ), wie dies von 
Chinin sehen lange bekannt ist. Endlich sei noch darauf Inngewics»'«, 
dass in der hemmenden Wirkung des Arsens auf die Autohse die Mog- 
liidtkeit eiiner Erkljiruug selbes das Wachxfhum maligner Tumoren ein¬ 
schränkenden Einflusses* zu •suchen' ist. 

Wiederholt wurde von verschurdecier Sede die toxische Wirkung des 
Arsen mit der des Phosphor vcrglieberi. Nach 'len vorliegenden Unter¬ 
suchungen m ihr Verhaltet- der postmoröleft; Äutijiyse geeomiber em 

direct: eeef*ns;iiyliobHS f!^r : ::t-Wf< d'hi!irsÄehe. die finrlüreb an BüdmitifVier 



im, Vordergründe ties \iergift'Ä%^ln!d«H stehi. 

Dennoch besieht in ihrer Einwirkung auf die Autolyse, insoferi! eine 
Uebereitistirnmung, als, ebenso wie das Arsen bloss in den ersten 
Phasen der Audolyse seine hemmende Wirkung entfaltet, die* 
beschleunigende Wirkung des tiidsphor (;8) nur tu den Anlaogs- 
sta.d ien zurecht besteh! und £pa.terhifl nteht inehr zu erkennen 
ist. Sowohl die Wirkung des Arseä wie die das. ■ Vliüsplint: 
durften speei fische Kar. äh satoi en-Wirkungen sein: die des 
Phö»phW| bltbfe b^j^teuuiggTicLp; die des Arsen eine ho in riahndu 
K a la i y sä t o r - AV i r k un g D. 

)) Sieiifr v. N»•**i?• d öo, H&ndbucb 'dar l’aUiohiiii*» ii*-s SnaTwi'discb. 

2) Wahrend der t.'nickiegiing dieser Arbeit ersebinn on Vortrag reo K. Latjueij t, 
iloi ijeit gleiehfails mit dem ISinlluss das Arsen auf. die AnUiljse belasst, zu |%4 
gleichen Ibsulnufl knmtui, dieses über instd'urh mub'i'S deutetv als er *:li0 Bminllussu-ng 
der Zii.ilujuolyse durch Arsen !ur etwas fein postnimtalos aiispiiclit. 


0 ri^g ilhcH-frc m ~ ^ 

JNFVErRSE-TY. ÖF •MICHi 


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Die Einwirkung des Arsen auf die Autolyse. 


93 


Literatur. 

1. Arinkin, M.. lieber den Einfluss einiger anorganischer und organischer Säuren 
auf die Autolysc der Leber. Zeitsohr. für physiologische Chemie. 53. 1907. 

2. Cohn heim, 0., Die Umwandlung des Eiweisses durch die Darmwand. Zeitschr. 
für physiologische Chemie. 33. 1901. 

3. Jacoby, M., Ueber die Beziehungen der Leber- und Blutveränderungen bei 
Phosphorvergiftung zur Autolyse. Zeitschr. f. physiolog. Chemie. 30. 1900. 

4. Laqueur, E.. Ueber die Wirkung des Chinins auf Fermente mit Rücksicht auf 
seine Beeinflussung des Stoffwechsels. Arch. für experim. Pathologie. 55. 1900. 

5. Löffler, F. und Rühs, K., Die Heilung der experimentellen Nagana (Tsetse¬ 
krankheit). Deutsche medicinische Wochenschrift. 1907. No. 34. 

6. Löh lein, W., Ueber die Volhard’sche Methode der quantitativen Pepsin¬ 
bestimmung durch Titration. Hofmeister, Beiträge zur chemischen Physiologie 
und Pathologie. 7. 1906. 

7. v. Noorden, C., Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels. 2. Aufl. 1907. 
2. Bd. S. 756. 

8. Saxl, P., Ueber die Beziehungen der Autolyse zur Zellverfettung. Hofmeisters 
Beiträge. 10. 1907. 

9. Schlesinger, E., Untersuchungen über die Abhängigkeit der autolytischen Pro- 
cesse von physiologischen und pathologischen Verhältnissen. Hofmeister’s Boiträge. 
4. 1904. 

10. W iener, H., Ueber den Einfluss der Reaction auf die autolytischen Vorgänge. 
Centralblatt für Physiologie. 19. 349. 


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IX. 


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Aus der medicinischen Klinik der Academie für practische Medicin 
in Düsseldorf. — Director: Prof. Dr. A. Hoffmann. 

Ueber Morphium-Diabetes. 

Von 

Dr. W. Spitta, t 

.\>si*toiiten der Klinik. 


Die Literatur, welche Aufschluss geben will über die Schicksale, 
welche das Morphium im menschlichen und thierischcn Organismus er¬ 
leidet, ist eine sehr umfangreiche. Sic lässt sich im Wesentlichen dahin 
zusammenfassen, dass schon kurze Zeit nach Einverleibung des Giftes, 
sei cs in die ßlutbahn, sei es in die Lymphbahn, dasselbe als solches 
nicht mehr oder nur in ganz geringen Mengenverhältnissen, und dann meist 
in Magen- und Darmcanal [Alt 1 ), Marm6 2 ), Leineweber, Tauber 3 )] 
nachweisbar ist. Nach Ansicht der meisten älteren Autoren erleidet es 
eine Umsetzung, die den Nachweis des Giftes als solches unmöglich machen. 
[Taylor 4 ), Erdmann 6 ), Cloctta 6 ), Büchner 7 ), Jaques 8 ) u. A.] 

Aus der sorgsamen Arbeit von E. Landsberg 9 ) entnehmen wir, 
„dass das Morphium sowohl subcutan als per os gegeben allcrhöchstcns 
nur in Spuren im Urin zu finden ist“, und zwar nur dann, wenn das 
Vermögen des Blutes, Morphium zu zersetzen, durch das demselben ent¬ 
sprechende Quantum erschöpft ist. 

Landsberg stellt sich hierzu in schroffen Gegensatz zu Kautz¬ 
mann 10 ), der auf Grund seiner Versuche behauptet, dass der Nachweis 

1) Alt, Berliner klin. Wochenschr. 1875. No. 48. 

2) Marmc, Untersuchungen z. acut. u. chron. Morphiumvergiftung. Deutsche 
mcd. Wochenschr. 1883. No. 14. 

3) Ueber das Schicksal des Morphiums im thierischen Organismus. Archiv f. 
exp. Path. u. Pharmakol. 27. 

4) Taylor, Die Gifte. Uebers. von Seydcler. Cöln 1802. 

5) Annal. d. Chem. u. Pharm. Bd. 122. S. 300. 

0) Cloctta, Virchow’s Archiv. 35. — Archiv f. exp. Path. u. Pharm. 50. 

7) Büchner, Neues Repcrtor. f. Pharmacie. 1807. 

8) Ja<|ucs, Essai sur la localisation des alealoides dans le foie. These. 04. 
Brüssel 1880. 

0) Landsberg, Archiv f. Physiol. Bd. 23. S. 413. 

10) Kautzmann, Beiträge für d. gerichtlich chem. Nachweis d. Morphins u. 
Narcotins in thierischen Flüssigkeiten u. Geweben. Dorpat 1808. 


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Ueber Morphium-Diabetes. 


95 


des Morphiums im Harn mit kaum geringerer Schärfe gelinge, als bei 
manchen Metallgiften. Auch Burkart 1 ) und Harrington 2 3 ) haben im 
Gegensatz dazu Morphium trotz sorgfältiger Untersuchung und Burkart 
selbst bei chronischer Morphiumvergiftung, also bei Einnahmen grosser 
Giftmengen, im Urin nicht finden können. Es könnte jedoch dieses 
Resultat seine Erklärung finden in der Annahme, die Faust 8 ) der Ge¬ 
wöhnung des Organismus an das Alcaloid zu Grunde legt. 

Bei dem Zwiespalt, der bezüglich des Morphiumnachweises im Urin 
besteht, lag es nahe, nicht das Morphium als solches, sondern ein Um- 
wandlungsproduct zu suchen. Arbeiten in dieser Richtung liegen vor 
u. A. von Donath 4 5 ), der vergeblich als Spaltungsproduct Dehydro- 
morphin im Urin gesucht hatte, und ferner von Stolnikow 6 ). 

„Nach Einführung von Morphium und Morphin-Schwefelsäuro in den 
Organismus steigt nach ihm die Quantität der Aetherschwefelsäure im 
Verhältnis zu der Schwefelsäure in den Sulfaten im Harn unverkennbar. 
Eine Ausscheidung von Morphin in dem Harn in Gestalt von Morphin- 
Actherschwcfelsäurc findet nicht statt. Wir haben nicht einmal die ge¬ 
ringsten Spuren der Morphin-Aetherschwefelsäure im Urin erhalten 
können. Folglich wird die Vermehrung der Aetherschwefelsäure nicht 
direct durch Morphin, sondern durch andere Körper hervorgerufen.“ 

Auch Alarme behauptet, dass ein Theil des Morphins zu Oxydi- 
morphin oxydirt werde. Er hat aber im Urin dafür keinen Anhaltspunkt 
gefunden. 

Mit Recht konnte Faust in seiner oben genannten Arbeit sagen, 
dass nach dem, was die Literatur an Ergebnissen bezüglich des Morphin¬ 
nachweises im Urin gebracht hat, „cs mit Sicherheit fcststeht, dass man 
bei Untersuchungen über das Schicksal dieses Alkaloides im thicrischcn 
Organismus die im Harn erscheinenden Mengen der unveränderten oder 
umgcwandelten Substanz unberücksichtigt lassen kann.“ 

In eine andere Bahn werden die Untersuchungen gelenkt durch die 
Beobachtung, dass nach Morphiumgenuss im Urin eine rcducircnde Sub¬ 
stanz ausgeschieden wird. Von allen älteren Autoren wird diese als 
Zucker (Glycose) angesprochen. 

In seiner Biographie „Die Morphiumsucht“ beschreibt Lewinstcin 6 ) 1 
wohl zum ersten Mal einige Fälle, „in denen nach Morphiumgenuss Rc- 
duction des Kupfcr-Oxydhydrats zu Kupfer-Oxydul eintrat, und in den 
ersten zwei Tagen nach der Entwöhnung des Alkaloides eine Drehung 


1) Burkart, Weitere Mittheilungen über chronische Morphium Vergiftung. 
Bonn 1882. 

2) Grundriss d. Arzneimittellehre. Schmiedeberg. HL. Aull. 1895. 

3) Faust, Ueber die Ursachen der Gewöhnung an Morphin. Archiv f. exper. 
Path. u. Pharm. Bd. 44. 

4) Donath, Das Schicksal des Morphiums im Organismus. Pllüger’s Archiv. 
38. 1886. S. 3G. 

5) Stolnikow, Ueber die Bedeutung der Hydroxylgruppen in einigen Giften 
(Bericht der Deutschen ehern. Gesellschaft. 17. Ref. 384). Iloppe-Seyler’s Zeitsrhr. 
f. phys. Ohcm. Bd. VIII. 

6) Lewinstein, Berliner klin. Woehensehr. 1875. No. 4*. 


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96 


W. Spitta, 


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der Polarisationsebene nach links; bei einem dritten Fall wurde die 
Polarisationsebene nicht abgelenkt 44 . Zur ßcurtheilung dieses Svmptomes 
bemerkt Verfasser nur, dass die Rcduction nicht von Chloral herrühren 
könne. 

Auch Muskulus 1 ) und Mering fanden, ähnlich wie Lewinstein, 
eine Reduction, und dass eine Linksdrehung im Morphiumharn, „und 
zwar eine viel stärkere, als durch Morphin bedingt sein kann, selbst 
wenn man annimmt, dass alles Morphium unzersetzt in den Harn über¬ 
gegangen sei u . 

1879 konnte C. Eckhard 2 ) in seiner Arbeit. über den Morphium¬ 
diabetes schreiben, dass er unter den verschiedenen Formen, Diabetes 
experimentell zu erzeugen, die Morphiuminjection als die bei weitem am 
practischbeste anerkennen müsse. Unfehlbar rufe sie Hydrämie und 
Diabetes hervor. Den Nachweis des Zuckers erbringt Eckhard durch 
die Gährungsprobe und die Reduction mit Fehling’scher Lösung. 

Araki 3 ) förderte das Verständniss des Zustandekommens der redu- 
cirenden Eigenschaften des Morphiumurins durch seine Untersuchungen 
„über die Bildung von Milchsäure und Glycose im Organismus bei Sauer¬ 
stoffmangel 14 . An der Hand verschiedener Vergiftungen prüft er diese 
Verhältnisse unter Anderem auch unter Zuhülfenahme des Morphiums. 
Die Versuche sind angestellt an Fröschen, Kaninchen und Hunden. Auf 
die Endresultate seiner Arbeit komme ich an anderer Stelle zurück, hier 
sei nur erwähnt, dass auch er die Reduction als eine Folge von Auf¬ 
treten der Glycose im Morphiumurin auffasst. In der Besprechung der 
Versuchsordnung bei Araki heisst es wörtlich: 

„Zum Nachweis von Glycose wurde von mir in den zu schildernden 
Versuchen, ausser der Reduction von Kupferoxyd in alkalischer Lösung, 
die Gährung, die Darstellung des Glycosazons in deutlichen Krystallen 
und die Circumpolarisationsprüfung benützt. Zur quantitativen Bestim¬ 
mung, soweit Material hierzu disponibel war, dienten Cireum- 
polarisation und Gährung mit Bierhefe. Wenn das vorhandene Unter¬ 
suchungsmaterial nicht sehr reichlich zu Gebote stand, habe ich mich 
begnügt, durch Trommer’s Probe und Prüfung mit Phenylhydrazin bei 
Siedetemperatur festzustellen, ob viel oder wenig Glycose in der Flüssig¬ 
keit enthalten war, weil es mir in erster Linie darum zu thun war, 
über das Vorhandensein und die Quantität von Milchsäure im Harn — Blut 
— und in Organen der Versuchstiere sicheren Aufschluss zu erhalten. 44 

Prüft man nun speciell die Ergebnisse des Glycosenachwcises bei 
Araki, soweit sie für den Morphiuraharn in Betracht kommen, so findet 
man folgende Angaben: 

Versuche an Fröschen: 

1. Versuch 0,02 Morph, hydrochl. subcutan .... Zucker fehlt 

2. „ 0,02 „ „ in d. Lymphsäcke . „ r 

1) Ber. d. ehern. Ges. 1875. S. 662 IT. 

2) Beiträge zur Anat. u. Physiol. 1879. 

3) Araki, (Jeher die Bildung von Milchsäure u. Glycose im Organismus bei 
Sauerstoffmangel. Zcitschr. physiol. Chcrn. 15. 


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Ueber Morphium-Diabetes. 


97 


Versuche an Kaninchen: 

1.Versuch 0,00 Morph, hydrochl.subcutan Zucker in bedeut. Menge 


bei guter Fütterung { 2. 

I 3. 

bei inaniert. Thier 4. 


n n v 
Zucker fehlt. 


Versuche an Hunden: 

< 1.Versuch 0,01 Morph, hydrochl. subcutan Zucker in bedeut. Menge 
bei ffutcr Fütterung j 2. „ 0,02 „ - „ „ „ „ „ 

' n n n n n n n n 

bei inaniert. Thier 4. „ 0,02 „ „ „ Zucker fehlt. 


Es ist zu bedauern, dass eine quantitative Bestimmung des Zuckers 
hier nicht angestellt worden ist. In der Besprechung der Literatur be¬ 
tont der Verfasser eingangs dieser Arbeit, dass bei den spärlichen An¬ 
gaben cs wünschenswerth wäre, zunächst die Frage zu entscheiden, ob 
die Rcduction, die der Harn nach der Einführung des Morphins in den 
Organismus zeigt, durch das Auftreten von Glvcosc oder durch eine 
andere unbekannte Substanz hervorgerufen wird. 

Da im Verlauf der Abhandlung stets in den Tabellen „Zucker“ an¬ 
geführt ist, so glaube ich, dass dadurch Araki sich die Antwort selbst 
gegeben hat. 

Dass diese Reduction an Traubenzucker gebunden sein muss, be¬ 
tont mit aller Schärfe Luzatto 1 ) und ebenso Naunyn in seinem 
„Diabetes mellitus“. Naunyn schreibt unter Anderem, dass nach 
Morphium-, Aether- und Chloroformnarkose häufig Zucker bis zu 
mehreren Procenten auftritt. Aus der Arbeit von Luzatto führe ich 
den Beweis vom Nachweis der Glycose wörtlich an. 

Verfasser spritzt Hunden 4—5 cg Morphium pro Kilo Körper¬ 
gewicht ein und findet dann im Urin eine verhältnissmässig kurz an¬ 
dauernde Reduction. Ueber das Zustandekommen und die Natur der¬ 
selben schreibt er Folgendes: „Das Reductionsvermögen des Harns nach 
Morphiumvergiftung ist niemals sehr stark, mit Fehling’scher Lösung 
titrirt, entspricht es ungefähr 5—6 p.M. Dextrose, gewöhnlich aber ist 
cs noch geringer (2 — 4 p.M.) und da bei meinen Hunden die aus¬ 
geschiedene Harnraenge 300—400 ccm betrug, so ergiebt sich, dass die 
rcducirende Substanz auf Dextrose berechnet nie mehr als 2 g betrug. 
Das Reductionsvermögen des Harns ist zweifellos an das Vorhanden¬ 
sein von Traubenzucker gebunden. In der That war der Harn — 
oder besser die mit ammoniakalischer Bleilösung isolirte Substanz — 
optisch rechtsdrehend, mit Bierhefe gährungsfähig, zeigte nicht die 
Farbenreactionen der Pentosen oder der Glycuronsäure und gab mit 
Phenylhydrazinhydroehlorid und Natriumacetat einen sehr reichlichen 
Niederschlag von Osazonkrystallen, welche nach wiederholtem Um- 
krystallisiren aus Alkohol und aus Pyridin den Schmelzpunkt bei 203 
bis 206 hatten. Dieser Schmelzpunkt entspricht bekanntlich dem des 


1) Luzatto, Ueber die Natur und die Ursache d. Morph.-Glyeosurie. Archiv 
f. exp. Fath. u. Pharm. 52. t 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. n 


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W. Spitta 


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Traubenzuckerosazons. Deshalb scheint es mir nicht erforderlich, weitere 
Beweise für die Dextrosenatur der reducirenden Substanz beizu bringen.“ 
Nach Luzatto ebenso wie nach Araki bekommt man die Reduction 
nur nach reichlicher Fütterung und ferner nimmt die Glycosurie mit der 
Morphiumgewöhnung ab (Faust). Im Gegensatz zu den letztgenannten 
Autoren betont Scclig 1 ), dass die glycosurischc Wirkung des Morphiums 
sehr grossen Schwankungen unterworfen und überhaupt sehr inconstant 
seien. 

Interessant ist die Angabe von Jac. G. Otto 2 ) über den Zucker¬ 
gehalt des Blutes und den Gehalt an rcducircndcr nicht gährungsfähiger 
Substanz des Blutes unter verschiedenen Umständen. Er prüfte zuerst das 
normale Blut, und dann unter Anderem auch das Blut von mit Morphium 
narkotisirten Thicrcn, und fand, dass der Gehalt an Zucker im Blut 
etwas ansteige, dass aber der Gehalt an reducirender nicht gährungs¬ 
fähiger Substanz in diesem Falle noch erheblicher ansteige. Damit 
stimmt für ihn die öfter angeführte Dissonanz zwischen quantitativer 
Zuckerbestimmung durch Titration einerseits und Gährung andererseits 
überein. See gen 3 ) wendet sich in einer neueren Arbeit gegen diese 
Schlussfolgerung. Achnlich wie die Morphiumglycosurie werden die 
Glycosurien auch nach anderen Giften, wie Curare, Strychnin, Amylnitrit, 
Nitrobenzol, Kohlenoxyd, Schwefelkohlenstoff u. a. beobachtet. Wie schon 
im Nachweis des Auftretens von Zucker nach Einführung dieser Substanzen 
in den Organismus bezüglich der Regelmässigkeit des Eintretens Meinungs¬ 
verschiedenheiten herrschen, so ist dies noch mehr der Fall bezüglich 
ihrer Erklärung. 

Nach Pflüger handelt es sich nur um einen ähnlichen Vorgang 
wie beim Zuckerstich-Diabetes. Wohl auf nervösem Wege (Eckhard) 
kommt cs zu einer Glycogenausschwcmraung aus der Leber, zur 
Glyeämie und in Folge dessen zur Glycosurie. Dafür würden u. a. die 
Versuchsreihen von Aracki sprechen. Er fand, dass bei gutgenährten 
Thieren (Hunden und Kaninchen) Zucker nach Morphiumeinfuhr auftritt, 
bei hungernden nicht. Ferner fand Aracki für die Sauerstoffabsperrung 
(Versuche im pneumatischen Kasten) und für die Kohlen-Oxydvergiftung, 
Langendorff 4 ) bezüglich der Strychninvergiftung und Sebold und 
Hoffmann 5 ) für die Vergiftung mit Amylnitrit, dieselben Verhältnisse, 
ln allen diesen Fällen tritt die Glycosurie nur bei gutgenährten Thicrcn 
ein, bei Glvcogenarmen bezw. entleberten Thieren wird sie stets ver¬ 
misst. von Noordcn in seiner Pathologie des Stoffwechsels konnte in 
dem Abschnitt über Pathogenese der Glycosurie schreiben, dass immer 
dann, wo unter solchen und ähnlichen Verhältnissen transitorische Glycos- 

1) Scelig, Leber Actherglyeosurio und ihre Beeinflussung durch intravenöse 
Sauerstolfinfusion. Archiv f. exp. Path. u. Pharm. 52. 

2) .lac. G. Otto. Ueher den Gehalt des Blutes an Zucker und reducirender 
Substanz unter verschiedenen Umständen. Areh. f. Physiol. Bd. 35. S. 4G7. 

*») Seegen, l eher giilmmgsinifiihigo rodurirende Substanzen im Blut. Pflügers 
Archiv. Bd. .»7. S. 

4» Langendorff, Areh. f. Annt. u. Physiol. 1SS7. 

5 j Schuld, Ani) Initritdi.'ibctes. Inaug.-Diss. März 1«S74. 


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Ueber Morphium-Diabetes. 


99 


urie auftritt, reichliche Füllung der Leber mit Glycogen angenommen j 
werden dürfe. Im Gegensatz dazu wies Straub 1 ) nach, dass bei der 
Kohlenoxydvcrgiftung der Glycogengehalt der Leber keine wesentliche 
Bedeutung habe. Ja, es bewirke Eiweisshungcr, selbst bei überwiegender 
Kohlehydratzufuhr, ein Verschwinden der Glycosurie und cs tritt bei 
Zufuhr von reinem Kohlehydrat keine Glycosurie auf, vielmehr komme 
der Zucker im Urin wesentlich nach reichlicher Eiweisszufuhr zu Stande. 
Es konnte Langendorff 2 ) nach Curarevergiftung Zucker selbst nach 
Exstirpation der Leber deutlich nachweisen. 

Eine zweite Theorie erklärt das Auftreten von Zucker in den be¬ 
sprochenen Fällen als Folge eines Mangels an Oxydation. Loewi in 
seiner Abhandlung „über Arzneimittel und Gifte in ihrem Einfluss auf 
den Stoffwechsel“ sondert hierbei solche ab, die für Sauerstoffmangel 
charakteristische Symptome hervorrufen. Es kann sich dabei handeln 
um eine Störung der Sauerstoffzuleitung zu den Geweben, oder um eine 
Störung der Oxydationsfähigkeit der Gewebe selbst. Diese Theorie wird 
gestützt durch Versuche über den Curare-Diabctes, der nach Schiff 
und Sauer 3 ) bei künstlicher Athmung ausbleibt. Ferner konnte Seelig 4 ) 
bei Acthcr-Glycosuric durch gleichzeitige Sauerstoffinfusionen die 
Glycosurie aufhalten, eine bestehende allerdings nicht zum Verschwinden 
bringen. Naunyn bezeichnet die Morphium-Glycosurie ebenso wie 
die Aether-Glycosurie als eine sogenannte Narkoscn-Glvcosurie, denn 
nach reichlicher Aether-Inhalation ohne Narkose tritt sie nicht auf. 

Ferner spricht noch gegen die Theorie des Sauerstoffmangels, dass 
es Fälle schwerer langdauernder Atheminsufficicnz bei Menschen giebt, 
die keine Glycosurien aufweisen und zwar auch bei Menschen mit sonst 
gutem Ernährungszustand. 

Auf die Theorie Paul Meyer’s von der unvollkommenen Oxydation 
des Traubenzuckers und der Bildung von gepaarter Glycuronsäurc komme 
ich später zurück. Auch die neuesten Untersuchungen haben keine 
völlige Klarheit zu verschaffen gewusst. Es handelt sich wohl um zwei 

Fragen. Ist die reducirende Substanz im Morphiumurin Zucker und 

stammt dieser Zucker dann von dem Zuckerstoffwechscl her in der 

Form, wie sie einerseits durch Glycogenausschwemmung aus der Leber, 
andererseits durch Oxydationsraangel angenommen wird, oder liegt die 
Sache am Ende so, dass die reducirende Substanz ein Umwandlungs- 
product des Morphiums selbst ist. Schon die in der Litteratur öfters 
erwähnte Linksdrehung, ferner die merkwürdige Form der Reduction, 
ferner das verschiedene Verhalten der Glycosazonbildung musste stutzig 
machen. Auf Grund dieser theoretischen Ucberlegungen wandte ich 

mich zuerst der Untersuchung folgender Frage zu: 

Ist die reducirende Substanz im Morphiumurin Zucker oder 
nicht? 


1) Straub, Arch. f. exp. l’ath. u. Pharmu-col. Brl. 38. 1897. 

2) Langendorff, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1880. 

3) Sauer, Ueber den sog. Curarediabetes. Arch. f. Physiol. Bd. 49. S. 423. 

4) Seelig, s. ob. citirte Arbeit. 


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W. Sp itt a 


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Bevor ich auf dio Beschreibung der Darstellungsweise der reducirenden 
Substanz eingehe, sei hervorgehoben, dass die Untersuchungen allesammt 
an einem und demselben Individuum vorgenommen sind. Es handelte 
sich dabei um einen Morphinisten, einen noch ziemlich kräftigen Mann, 
der schon seit 7 Jahren sich sehr hohe Dosen Morphium einspritzt. Da 
die Angaben eines Morphinisten nie zuverlässig sind, so möge genügen, 
dass er während der dreimonatigen Beobachtung hier im Krankenhaus 
pro Tag 9—10 Spritzen einer 1 proc. Lösung erhalten hat. Die Urin¬ 
mengen schwankten zwischen 1500—2000 ccm und wurden jedesmal 
sofort verarbeitet. Etwaiges Eiweiss wurde vorher ausgefällt, was aber 
nur zweimal nothwendig war. Jedesmal ergab eine kleine Probe des 
Urins schwache, aber noch deutliche Reduction. Das specifische Gewicht 
war niemals auffallend hoch, es bewegte sich stets in den Grenzen 
der Norm. 

Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, dass jedesmal nach 
Fällungen, Auswaschungen genau die Reductionsfähigkeit nachgeprüft 
wurde. Für den Fall einer Nachprüfung mache ich darauf aufmerksam, 
dass die reducirendc Substanz sehr empfindlich ist gegen concentrirte 
Mineralsäuren. 

Zur Darstellung des reducirenden Körpers wird der Urin mit Essig¬ 
säure angesäuert und mit Bleiacetat unter Hinzufügung von Barium¬ 
chlorid vollständig ausgefällt. Alsdann wird mit Ammoniak sorgfältig 
neutralisirt, mit basischem Bleiacetat gefällt und der Niederschlag, 
in dem die reducirende Substanz sich befindet, gut ausgewaschen, mit 
Schwefelwasserstoff zerlegt, wiederholt mit Aether ausgeschüttelt und im 
Vacuum zu einem kleinen Volumen eingedampft. Zu der erhaltenen 
conccntrirtcn Lösung, die wegen Anwesenheit von Salzsäure sauer reagirt, 
wird zur Entfernung des Chlors Silbercarbonat zugesetzt, und in das 
klare Filtrat zur Entfernung des überschüssigen Silbers Schwefelwasserstoff 
eingeleitet. Das Filtrat wird mit Chinin in reiner Substanz versetzt, 
so lange sich dies noch löst; dabei scheidet sich dann ein dunkler 
schmieriger Körper ab, der abfiltrirt und zur vollständigen Auswaschung 
mit Wasser durchgeknetet wird. Das erhaltene klare Filtrat wird im 
Vacuum eingedampft, wobei sich dann kleine feine seidenglänzendc 
Nadeln abscheiden, die in Alkohol löslich, in Aether unlöslich sind. Der 
fast trockene Rückstand wird mit gewöhnlichem Alkohol aus dem Kolben 
gespült und mit Aether versetzt, bis kein Niederschlag mehr entsteht 
Nun wird unter Umständen mit Thierkohle zur völligen Klarheit filtrirt 
und wieder im Vacuum eingedampft. Dabei bleibt ein syrupförmiger 
Rückstand, der wasserlöslich ist. Der erhaltene Syrup wird wieder¬ 
holt mit Aether durchgerieben, wobei er vollständig fest und pulverig 
wird. 

Die so erhaltene Substanz stellt ein Chininsalz des fraglichen Körpers 
dar. Zur Darstellung des freien Körpers versetzt man die erhaltene 
wässrige Lösung des Chininsalzes mit Ammoniak, schüttelt zur Entfernung 
des Chinins wiederholt mit Aether und fällt die nun ehininfreic Lösung 
mit basischem Bleiacetal, entfernt, das Blei mit Schwefelwasserstoff und 
dunsiet das Filtrat im Exsiccator ein. Es entsteht ein farbloser lack- 


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Ueber Morphium-Diabetes. 101 

artiger Körper, der schwach bitter schmeckt, aber keine Chininrcaction 
giebt. 

Die Eigenschaften des sogenannten Chinin salz es des fraglichen 
Körpers sind folgende: 

Das Salz stellt eine exquisit bitterschmeckende, amorphe, pulverige, 
weis$lichgelbe Masse dar, die sich leicht in Wasser löst, in allen anderen 
Lösungsmitteln dagegen unlöslich ist. Der Schmelzpunkt des Salzes liegt 
bei 110°. Nach längerem Stehen entwickeln sich auf der wässerigen 
Lösung reichlich Schimmelpilze. Die Lösung dreht das polarisirte Licht 
nach links. Die Eigenschaften des Salzes, welche die fragliche Substanz 
als einen Zucker erscheinen lassen, sind, 1. die Rcduction, 2. die 
Gährung, 3. die Glycosazonbildung. 

Die Drehung des polarisirten Lichtes nach links kann auch auf das 
Chinin zurückgeführt werden. Auf Grund mehrerer Analysen Hessen sich 
procentisch folgende Zahlen ermitteln: 

für C. 57,60 pCt. — H. 7,04 pCt, — N. 5,21 pCt. 

Die freie Substanz ist im Gegensatz zum Chininsalz nicht in trockener 
Form darzustellen gewesen. Sie bildet einen lackartigen Körper von 
hellgelber Farbe, ganz schwach bitterem Geschmack, ist spielend leicht 
löslich in Wasser, sonst in keinem Lösungsmittel. Die Reaction ist 
scharf sauer, sie bildet Salze mit Chinin und Blei, und ist in neutraler 
Lösung quantitativ mit basischem Bleiacetat fällbar. Sie reducirt alka¬ 
lische Kupferlösung, bildet Osazonkrystalle mit Phenylhydrazin, gährt 
mit Bierhefe, dreht das polarisirte Licht nicht. „Auch nach vorher¬ 
gehender Fällung wird das Licht nicht abgelenkt“. Die Substanz ist 
stickstofffrei. (Die Prüfung der freien Substanz auf etwa noch ent¬ 
haltendes Chinin war negativ.) 

Auffallend ist die merkwürdige Art der Rcduction. Einmal geht 
sie selbst bei beträchtlicher Concentration der Lösung erst nach langem 
Kochen und dann ruckweise vor sich. Eine ähnliche Reductionsart fand 
ich nur beschrieben bei 

Pentosen. 

Es ist dies um so interessanter als Jastrowitz und Salkowski 1 ) 
acute und chronische 2 ) Pentosurien zuerst beschrieben haben, und dass 
unter anderem E. Reale 3 ) Pentosen im Urin eines Morphinisten gefunden 
hat. Wenn auch im Allgemeinen Pentosen als Zuckerarten gelten, 
welche nicht gähren, so fällt dies deshalb nicht so sehr ins Gewicht, 
als u. a. in neuerer Zeit Bendix 4 ), Schöne, Tollens 5 ) Vergährung 
der Pentosen beschrieben haben. Da die vorliegende Substanz das pola¬ 
risirte Licht nicht dreht, so könnte es sich nur um eine racemische 

1) Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1892. 19; Zeitschr. f. phys. Chem. 27. 507; 
Berl. klin. Wochenschr. 1895. 17. S. 364; Blumenthal, Bert. klin. Wochenschr. 
1895. 26. 

2) Genauere Literaturangaben s. v. Noorden, Ilandb.d.Pathol.d.Stoffwechsels. 

3) Reale, Centralbl. f. inn. Med. 15. 680. 1894. Umber, 

4) Bendix, Chem. Centralbl. 1900. 

5) Schöne, Tollens, Chem. Centralbl. 1901. 


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102 


\V. Spitta 


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Form handeln und es wäre dieser Körper als Beispiel für das Auf¬ 
treten eines Racemkürpers im Organismus von grossem Interesse. Gegen 
eine Pentose spricht aber für meinen Körper das Fehlen der Pcntosen- 
Reactionen, wie sie von Tollens 1 ) und Salkowski 2 ) angegeben sind. 
— Im Anschluss an die Pentose möchte ich für meine Substanz 
auch die 

Glycuronsäure 

ablehnen. In den sorgfältigen Arbeiten von P. Mayer 3 ) und C. Neu- 
berg 4 5 ) (Physiologie der Glycuronsäure) findet man unter anderen Sub¬ 
stanzen auch das Morphium angegeben, als eine Substanz, die geeignet 
ist, Glycuronsäureausseheidung zu erzeugen, und C. Neuberg in seiner 
Abhandlung „über die selteneren Störungen im Kohlehydratstoffwechsel u 
führt aus, „dass die Glycuronsäurepaarung eine rein chemische Maass¬ 
regel der Schutzwehr darstellt“. P. Mayer will die bisher bestehende 
Ansicht, dass aromatische Substanzen als gewöhnliche Paarlinge der 
Glycuronsäure (u. a. Phenol, Indoxyl) sich ausschliesslich zunächst mit 
Schwefelsäure paaren, dahin modificiren, dass bei auch schon geringer 
Quantität paarungsfähiger Körper sich diese an Glycuronsäure binden. 
Wenn Mayer auch bei Fehlen eines Anlasses zur Vermehrung paarungs¬ 
fähiger Körper Glycuronsäurevermehrung findet, so denkt er sich den 
Vorgang so, dass die Glycosc unvollständig verbrennt und bei der Gly¬ 
curonsäure Halt macht. Als Stütze dieser seiner Theorie der unvoll¬ 
ständigen Zuckeroxydation führt er u. a. auch an, dass nach dem Ge¬ 
brauch von Chloralhydrat, Nitrobenzol und Morphium 6 ) bald Glveose 
bald die entsprechende Glycuronsäure in den Harn übergehe. 

Fine gepaarte Glycuronsäure ist der von mir beschriebene Körper, 
wegen des Mangels der Farbenreaetionen und wegen der mangelnden 
Fähigkeit das polarisirte Licht abzulenken, nicht. Auch erfolgt beim 
Kochen des Körpers mit Schwefelsäure — wodurch die Paarung gesprengt 
würde — keinerlei Drehung des polarisirten Lichtes. Auch ist es mir 
nicht gelungen, ein krystallisirendes Salz (Natrium, Kalium, Blei, Cin¬ 
chonin) herzustellen. 

Bei der Besprechung der Darstellung des Körpers fällt ferner auf, 
dass er sich quantitativ ausfällen lässt in neutraler Lösung durch 
basisches Bleiacetat. Aehnliches fand Külz 6 } bei der Darstellung einer 
Substanz im Urin, die er nachher in nahe Beziehung zu Lävulose 
brachte. Er schreibt darüber: „Immerhin wird man auf Grund dieses 

1) Tollens, Allen, Ann. chem. pharm. 260. 1890. 

2) Salkowski, Zeitschr. f. phys. Chem. 27. 514. 

;i) P. Mayer, Zeitschr. f. phys. Chem. 29. 256. 1900, 32. 518. 1901, Berl. 
kl in. Wochenschr. 1903. 13 u. 22. 

4) Neuberg, Ergehn, d. Phys. Abth. I. 433—443. Genauere Literaturangabe 
Neuberg, Die seltenen Störungen d. KohlehydratstotYwechsels. v. Noorden, Handb. 

5) Naunyn, Diabetes mellitus. 

0) Külz, Arch. f. Biologie. Bd. 9. S. 180. Ueber das Vorkommen einer links- 
drehendon wahren Zuckerart im Harn. Ueber Liivulosurien s. die Arboiten über spon¬ 
tane Liivulosurien u. Liivulosämie. Kos in u. La band, Zeitschr. f. klin. Med. 47. 182. 
Die hier beschriebenen Fälle waren meist Diabetesformen mit combinirter Lävulosurie. 


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103 


lieber Morphium- Oiabetrs. 

differenten Verhaltens gegen BJeiessig nicht belügt sein, die Möglichkeit, 
dass die active Substanz doch mit Lävulose identisch sei, ohne weiteres 
in Abrede zu stellen, denn es wäre denkbar, dass die Fällbarkeit der 
Lävulose durch Bleiessig in einem Harn durch besondere nicht über¬ 
sehbare Verhältnisse veranlasst sein könnte. u — Und in der That kommt 
der von mir aus Morphiumurin dargestellte Körper seiner procentisehen 
Zusammensetzung nach von allen Zuckerarten — und darum handelt es 
sich doch wohl mit Sicherheit — der 


Lävulose 

am nächsten. Es berechnet sich 

für Fructose Chinin 

C. 61,90 pCt. 

H. 7,14 „ 

N. o,55 „ 


für das Chininsalz des 
fraglichen Körpers 
o7,G6 pCt. 

7,04 „ 

0,21 „ 


Prüfen wir darauf weitere Merkmale: Gährung positiv, Reduction 
positiv (auch beim Fruchtzucker findet man eine schwächere und ver¬ 
langsamte Reduction), Osazonbildung positiv. 

Schmelzpunkt des Fructosazons bei 205° C.; Schmelzpunkt des 
Osazons des fraglichen Körpers bei 211° 0. 

Ferner ist bei meinem Körper die für die Lävulose angegebene 
Salzsäure-Resorcinprobe nach Seliwanoff und die Diphenylaminprobe 
deutlich positiv. Hauptsächlich die erstgenannte Probe gelang mir sofort 
sehr schön. Ueber die Bildung von Salzen lässt sich streiten, der 
fragliche Körper bildet Salze, z. B. das Chinin und Bleisalz. „Ein 
Baryumsalz konnte ich wegen Mangels an Substanz nicht darstellend 
die Fructose als Ketonzucker aber auch. Different ist das Verhalten 
nur in Beziehung auf die Drehung und die Fällbarkeit in basischem Blei. 
Sehr nahe kommt die fragliche Substanz einem Körper, der von Leo 
gefunden wurde und später den Namen Laiose bekommen hat. Auch 
dieser Körper fällt mit Bleiacetat in alkalischer Lösung quantitativ, 
steht aber dadurch im Gegensatz zu der beschriebenen fraglichen Substanz, 
dass er nicht gährt und das polarisirte Licht nicht dreht. 

Zur Uebersichtlichkeit lasse ich hier eine Zusammenstellung der 
etwa in Betracht kommenden Substanzen und ihrer Eigenschaften folgen: 


' 

Fragliche 

Substanz 

Trauben¬ 

zucker 

Lävulose | 

Glykuron- 

siiure 

Pcntose 

Leiose 

Inosit 

Gestalt .... 

lackartig 

kryst. 

Syrup 

Syrup 

_ 

Syrup 

krvst. 

Drehung .... 

0 

+ 

— 

freie gepaarte 

schwach 

— 

0 




+ 

+ 



Reduction .... 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

0 

+ 

Gährung .... 

+ 1 

+ 

+ 

0 

0? 

0 

0 

Osazonbildung . . 

Fällbarkeit mit bas. 

+ 

+ 

+ 

? 1 

+ 

l -U 

1 o 

Blei. 

+ 

quantit. 

0 

0 

1 + 

0 

0 

! 

o 

Fällbarkeit mit bas. 
Blei und Ammoniak 

+ 

1 

0 

0 

+ 

0 

+ 

0 


quantit. 

t 


1 

1 


quantit. 




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104 \V. Spitta, Heber Morphium-Diabetes. 

Die Untersuchungen dieses merkwürdigen aus Morphiumurin dar¬ 
gestellten Körpers haben gezeigt, dass die reducirende Substanz entgegen 
den weitverbreiteten Ansichten sicherlich keine Glycose ist. Ebenso 
keine Glycuronsäure-Verbindung oder gar Pentose. 

Es handelt sich meiner Ansicht nach um eine Säure (Reaction und 
Salzbildung), die der Fructose ausserordentlich nahe steht und die bisher 
noch nicht bekannt ist. 

Ueber die Regelmässigkeit des Auftretens dieser Substanz nach 
Morphingabe, ferner über die quantitativen Ausscheidungsverhältnisse in 
Beziehung zur Einfuhr des Alcaloides, sodann über eine etwaige Ab¬ 
hängigkeit von Kohlehydrat oder eiweissreicher bezw. -armer Diät behalte 
ich mir eingehende Untersuchungen vor. 


Herr Dr. Spitta ist vor der Correctur dieser Arbeit, die von seinen 
hiesigen Collegen besorgt wurde, einer schweren Pneumonie erlegen. Der 
Tod des lleissigen, zu den besten Hoffnungen berechtigenden jungen 
Collegen hat die Fortsetzung der in dieser Arbeit unternommenen Studien 
abgebrochen, die ihm ein ehrenvolles Gedenken sichern. Hoffmann. 


Gougle 


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X. 


Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere 
die des Herzschalles. 1 ) 

Von 

Dr. Heinrich Gerhartz, 

A.-si f«*nt (!«•.•* ine» 1 ii-i 11 iscli-|*olik 1 ini*i**hen Instituts dor l'nivrrsitat Berlin. 

[Mit 7 Abbildungen Im Text. 


In der Medicin zielen wir mit vollem Rechte hin auf den Ersatz 
der subjectiven Beurtheilung von Vorgängen durch die objective Auf¬ 
zeichnung. Sie zertheilt schnell vorübergehende und dadurch der Be- 
urtheilung entfallende Erscheinungen in bis zu beliebiger Feinheit 
analvsirbare zeitliche Einheiten, verbindet zeitlich und örtlich Getrenntes 
zu gleichzeitiger objectiver Vergleichung und gestattet, in vielen Fällen 
wenigstens, Anhaltspunkte für Qualitäten zu gewinnen, indem dieses 
werthvolle Princip die Anwendung des exactesten aller Instrumente, 
der Rechnung, erlaubt. 

Fehlerfreie Constructionen vorausgesetzt, vermögen w r ir so einwand¬ 
freie und unverhüllte Blicke in die registrirten Vorgänge zu thun. 

Diese souveräne Methodik bedingt, dass die Fortschritte in der 
Medicin eng geknüpft sind an die Vervollkommnung der technischen 
Wissenschaften. So ist es unzweifelhaft, dass die Aufzeichnung des 
Herzschalles, in dem sich am besten Zustand und Arbeit dieses Organes 
widerspiegelt, an die Regeln anzuknüpfen hat, welche die physikalische 
Wissenschaft für die Methodik der Niederschrift kennt. Hier haben Medi¬ 
cin und Physik identisches Ziel, nur die Anwendung ist Variation, so dass 
ich mich im Interesse eines besseren Verständnisses der späteren Ausführun¬ 
gen manchenorts zu einer historischen Auseinandersetzung genöthigt sehe. 

I. Kritik und Methodik. 

Was wir mit dem Ohre wahrnehmen und fixiren wollen, sind dem 
physikalischen Begriff der „Töne u sich mehr oder weniger näherndo 

1) Die wesentlichen Ergebnisse dieser Arbeit sind bereits vor drei Jahren ge¬ 
wonnen und niedergeschrieben worden. Obwohl auch jetzt (Anfang Januar 1908) 
noch kein Abschluss der Arbeiten erzielt ist, übergebe ich sie dennoch nach Erledi¬ 
gung aller principiellen Fragen zur Publication, einestheils wegen der immer zahl¬ 
reicher werdenden ein schlägigen Veröffentlichungen, dann aber, weil es mir wegen 
anderweitiger Arbeiten immer schwerer wird, in der gleichen Intensität auf dem Ge¬ 
biete weiter zu arbeiten. 


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10« 


H. Gerhartz, 


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Klänge oder aber Geräusche, welche den unteren Schwcllenwcrth der 
Intensität, Schwingungszahl, der Dauer und des Anklanges überschritten 
haben und unter einer gewissen oberen Grenze von 50000 Schwingungen 
liegen. 

Klänge und Geräusche sind keine scharfen Gegensätze. Beides sind 
Klangeindrücke, die durch nicht isochrone Schwingungen des schall¬ 
zuleitenden oder schallerzeugenden Mediums hervorgerufen werden; aber 
die Klänge stehen den reinen Tönen näher, obwohl auch sie streng ge¬ 
nommen Geräusche sind. Die „Herztöne“ sind Geräusche, die nur 
deshalb „Töne“ genannt werden, um sie im klinischen Sprachgebrauch 
von den längerdauernden pathologischen Schallerscheinungen, die mehr 
den Charakter des Unregelmässigen haben, zu unterscheiden. 

Ueber das, was die Geräusche gegenüber den Klängen darstellen, 
ist bisher keine Einheitlichkeit erzielt. Je nachdem die eine oder andere 
Erklärung angenommen wird, sind also die Herzgeräusche auch entweder 
eine Composition von Tonempfindungen gleichzeitig klingender verschieden 
hoher oder ein Nacheinanderklingen solcher Töne, oder, wie Stumpf 
meint, ein selbstständiges Schallphänomen, oder aber, nach Mach, eine 
Combination von Tönen, deren Zahl, Höhe und Intensität mit der Zeit 
variirt. 

Wesentlich ist, dass eine Synthese von Geräuschen aus Theiltönen 
verschiedener Höhe möglich ist (Derinert) und ein allmählicher Ueber- 
gang von Klang zu Geräusch bei allmählicher Verkürzung des Geräusches 
beobachtet wird; denn daraus ergiebt sich, dass es sich bei der Analyse 
der Geräusche hauptsächlich darum handelt, in gleicher Weise, soweit 
möglich, neben der Aufsuchung der Einzeltöne eine Diffcrenzirung der 
Theiltöne und des Endeffectes nach Qualität und Quantität eintreten zu 
lassen. Wie bei den Tönen, kommt es also auch hier darauf an, die 
Beschaffenheit von Dauer, Stärke, Gleichmässigkeit und Höhe der 
Geräusche zu eruiren und die Theiltöne nach Höhe, Stärke und Dauer 
zu analysiren. 

Die Analyse der Geräusche kann analog der der Klänge nach den 
Principicn der physiologischen oder der instrumenteilen Klang¬ 
analyse geschehen. 

Was die erstere anlangt, so ist ja das Ohr in der günstigen Lage, 
nicht nur zwei gleichzeitig erklingende Töne einzeln wahrzunehmen, 
sondern auch noch aus mehr zusammengesetzten Klängen die Töne bis 
zu einer gewissen Grenze, die nach Individuum, Uebung und Art der 
Klangmasse variirt, einzeln herauszuhören. So soll auch aus dem 
Gehörseindruck, der als „erster Herzton“ gilt, das Ohr zwei Tongebilde 
abscheiden können, einen Muskel- und einen Klappenton. 

Den Timbre, wie er in den klinisch gebrauchten Ausdrücken des 
blasenden, hauchenden usw. Geräusches Ausdruck findet, vermag das 
Ohr ausgezeichnet zu differenziren. 

Für die Höhe der Geräusche („Töne“) ist das schon weniger der 
Fall. Da sie durch ein oder mehrere im Geräusch vorhandene und 
vorherrschende Töne bedingt ist, unterliegt ihre Bestimmung den für 
die Beurtheilung der Tonhöhe geltenden Gesichtspunkten. Um die 


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Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen. insbesondere die des Herzschalles. 107 


musikalische Festlegung der Hcrzgeräuschc hat sich Küchenmeister 
verdient gemacht. Die Schwierigkeit dieser Bestimmung wächst um¬ 
gekehrt proportional der Intensität und Dauer: sind die Geräusche sehr 
leise und kurz, so sind die in ihnen liegenden Töne nicht mehr zu 
differenziren. 

Die Messung der Intensität der Herzgeräusche ist von geringem 
physiologischen und klinischen Interesse, da sie zum Theil eine Function 
des Schallleitungsvermögens der das Herz umgebenden Theile darstellt. 
Jedenfalls genügt für ihre Bestimmung die Beurtheilung vermittels des 
Gehörorgans. Für klinische Zwecke ist erine instrumentelle Messung 
durch H. Vierordt 1 ), Gärtner und Bettelheim, sowie Bock 2 ) ver¬ 
sucht worden. Die Methodik ist unvollkommen. Die Schallstärkemessung 
ist selbst für reine Klänge trotz der grossen Fortschritte, die durch die 
Arbeiten von Rayleigh, Toepler-Boltzmann, Wien, Sharpe und 
Webster 3 ), Altberg 4 5 ), Zernov 6 ) und Andere gewonnen wurden und 
eine Messung in absolutem Maasse anbahnten, weit von einer endgültigen, 
vollbefriedigenden Lösung entfernt. Die Schwierigkeiten liegen zunächst 
in der grossen Zahl der von der Schallquelle ausgehenden Impulse, dann 
aber in der ausserordentlichen Kleinheit der durch die Verdichtungen 
und Verdünnungen veranlassten Druckschwankungen der Luft. 

Die Dauer der Geräusche ist da, wo es sich um geringe Differenzen 
handelt, nur schwer, bezw. überhaupt nicht mit dem Ohre zu beurtheilen. 

Wir sehen also, dass die physiologische Klang- und Geräuschanalyse 
in sehr vielen Fällen versagt. Abgesehen von individuellen Unterschieden 
in der Fähigkeit zu analysiren, wird diese Zerlegung um so schwieriger, 
je geringer die Intensität ist, je geringer die Stärkeunterschiede der 
Theiltöne sind, je grösser deren Consonanz ist, je näher ihre Schwingungs- 
zahlcn beieinanderliegen und je mehr sie zeitlich zusammenfallen. 

Als Ersatz und als Ergänzung der physiologischen Geräuschanalyse 
ist eine Reihe mehr oder weniger weitreichender Wege begangen worden, 
mit künstlichen Methoden die Geräusche zu analysiren. 

Einestheils zielen diese Methoden darauf hin, die einzelnen, im 
Geräusch vorhandenen Theiltöne zur Resonanz zu bringen und sie so aus 
dem Compositum zu isoliren (Helmholtz, Hensen, Wintrich). Dieser 
Weg hat das Missliche, dass auch die harmonischen Obertöne des Grund¬ 
tones verstärkt werden. 

Auf der anderen Seite wird das vollkommene Ziel angestrebt, die 
Klangmasse auf dem Wege der Ueberleitung auf ein Gas, oder eine 


1) Vierordt, Ein Verfahren zur Messung der Intensität akustisoher Zeichen. 
58. Vers. d. Naturf. u. Aerzte i. Strassburg (4. Sect. f. inn. Med.). 

2) Bock, H., Die Messung der Stärke der Herztöne, ein diagnostisches Hilfs¬ 
mittel. Berl. klin. Wochenschr. 1900. S. 502. 

3) Sharpe, B. F., Science (N.S.)Bd.9. 1899. p.808-811. —Webster,A.G., 
u. Sharpe, B. F., ebenda. Bd. 8. 1898. p. 532. 

4) Altberg, W., Druckkräfte der Schallwellen. Drudes Annalen d. Physik. 
1903. Bd. 11. S. 405. 

5) Zernov, Uebcr absolute Messungen der Schallintensität. Annalen d. Physik. 

1907. Bd. 21. (4. Folge.) S. 131-^141. 


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11. Gerhart-z. 


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Membran, oder auf beides zusammen, deren Ausschläge ja sichtbar zu 
machen sind, oder auch mit Hülfe der Schlierenmethode Toepler’s, 
oder auch auf noch anderem sinnreichen Wege zur Verzeichnung zu 
bringen, um dann an dem Geschriebenen die Isolirung und Beurtheilung 
vornehmen zu können. 

Diese Methoden sind der physiologischen Klangbeurtheilung, ins¬ 
besondere hinsichtlich der Feststellung der Dauer der Geräusche, aber 
auch in mancher anderen Beziehung leicht überlegen, sodass sie die 
eigentliche Methode darstellen, da, wo es sich wie bei den Horz- 
geräuschen, hauptsächlich um den zeitlichen Ablauf handelt. 

Wir präcisiren also die Aufgabe der Herzgeräuschregistrirung als die 
einer wichtigen Methodik zu dem Zwecke, die akustischen Begleit¬ 
erscheinungen der Herzthätigkeit in der Form einer Herzgeräuschcurve 
aufzuschreiben, deren akustische Charaktere nach den physikalischen 
Methoden der Klanganalyse feststellbar sind, und die zeitlichen Momente 
des Auftretens und Abschlusses der Geräusche in richtiger Wiedergabe 
des wirklichen Ablaufes erkennbar und messbar zu machen. 

Es ist wünschenswerth, auch hier so weit zu kommen wie in der 
Vocalanalyse. Dort sind wir im Stande, „schon aus der mathematischen 
Zerlegung einer Klangcurve mit ziemlicher Sicherheit zu ersehen, ob wir 
es mit einem weichen oder scharfen, einem vollen oder hohlen Klange 
zu thun haben würden, falls das Ohr ihn vernähme 1 ) 44 . Es ist nicht 
wahrscheinlich, dass dieses Ziel erreichbar ist; denn in den Vocalcurven 
treten die harmonischen Antheile, die der Fourier-Analyse unterworfen 
werden können, in den Vordergrund, während die hier vorwiegenden 
schwer erschliessbaren unharmonischen Coraponenten nur schwer mit 
Hülfe der Schwerpunktsmethode hervorgesucht werden können. Um so 
wichtiger aber ist für die physiologische Verwerthung der Methode eine 
schnelle Ansprechungsfähigkeit so kleinwelliger Bewegungen, also eine 
möglichste Verkürzung der Latenzzeit. 

Die aufgestellten Erfordernisse sind bei den bisherigen Methoden 
nicht in einem der Bedeutung des Gegenstandes gerecht werdenden 
Maasse vorhanden. Die meisten Versuche sind an der Wahl einer ge¬ 
eigneten Uebertragungseinrichtung und einer ausreichenden Vergrösserung 
gescheitert, fast alle aber haben die Zuleitung nicht in einem die alleinige 
Uebertragung von Geräuschen garantirenden Verfahren bewirkt. Im 
einzelnen wird das weiter unten gezeigt werden, nachdem die allgemeinen 
theoretischen Grundlagen der klassischen Registrirmethodik, soweit nöthig, 
besprochen sind. 

Die weiter unten zur Beschreibung kommende Methode stammt im 
Princip von Ruhm er (Berlin). Sie ist von ihm zum Studium der 
Grammophon-Merabranschwingungen benutzt worden. Für die Zwecke 
der Physiologie und Klinik reichte dies nicht aus und es waren in Folge 
dessen zahlreiche nicht unwesentliche Abänderungen in der Construction 
erforderlich. Ich halte es für eine Pflicht der Dankbarkeit und Hoch- 


1) Schäfer, K. L., Der Gehörssinn, in NageFs Handb. d. Physiol.des Menschen. 
Braunschweig 1905. Bd. 111. 


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Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Herzschalles. 109 


achtung, an dieser Stelle für die Bereitwilligkeit und Liberalität, mit der 
er seine Erfahrung dem wichtigen Problem der Herzgeräuschregistrirung 
geliehen hat, Herrn Ruhm er herzlichst zu danken. Für mich sind die 
Stunden, in denen ich mit ihm darüber conferirte, hierdurch die schönsten 
und lehrreichsten geworden. 

Ueber die Zuleitung des Schalles. 

Wird in einen Phonographentrichter gesprochen, so erhält die Re¬ 
ceivermembran zweierlei Impulse, einmal die Luftstössc, die den Bewe¬ 
gungen der Mundorgane ihre Entstehung verdanken, dann aber Schall¬ 
schwingungen. Hier besteht also das, was aufgezeichnet wird, aus einer 
Combination zweier, von einander verschiedener Luftbewegungen. Da das 
Eine wie das Andere mit den specifischen Eindruck des Wiederzu¬ 
gebenden bedingt, ist die Einrichtung nothwendig. 

Bei der Aufzeichnung des Herzschalles ist es anders. Zwar haben 
wir auch hier in der den Körper umgebenden Luft eine Combination beider 
Bewegungen, eines Theils an Ort und Stelle verbleibender Verdichtungen 
und Verdünnungen der Luft, andererseits von Progressivbewegungen, die 
in der Art erfolgen, dass durch den lctus cordis die nächste Luftmasse 
in der Richtung des aufzuzeichnenden Schalles fortgeschleudert wird; 
aber, was hier registrirt werden soll, ist der von diesen durch die Be¬ 
wegungen des Herzens hervorgebrachten Luftstössen befreite Schall. 

Diese Luftstösse, die durch die Herzbewegung verursacht werden, 
sind so überwiegend und störend, dass sie bei dem Auftreffen auf Mem¬ 
branen schon ausserordentlich grosse Excursionen veranlassen, wenn die 
Töne die Membran noch lange nicht zu sichtbarer Reaction bringen. 

Es leuchtet ein, dass die angegebenen Methoden zur Herzgeräusch¬ 
registrirung keine brauchbaren sind, wenn dieser wesentlichste Punkt 
nicht genügende Berücksichtigung findet. 

Von den publicirten Verfahren war die Einthovcn’sche 1 ) Methode 
die erste, die, nachdem Ewald 2 ) in einer Besprechung der Hürthle’schen 3 ) 
Arbeit darauf aufmerksam gemacht hatte, diesen groben Fehler zu ver¬ 
meiden bestrebt war. 


Fig. 1. 



Einthoven half sich mit einem Kunstgriff in der Weise, dass er 
durch das Oeffnen des Hahnes eines seitlich an der Zuleitung angebrachten 

1) W. Einthoven u. M.A.J. Geluk, Die Kegistrirung der Herztöne. Pfliiger’s 
Archiv. 1894. Bd. 57. S. 617. 

2) A. Ewald, Centralbl. f. Physiol. Bd. 7. S. 52. 

3) K. Hürthle, 1. Mittheil, auf dem Physiol.-Congress zu Lüttich. 29. Aug. 
1892. 2. Zur unmittelbaren Registrirung der Herztöne. Centralbl. f. Phvsiol. 1904. 
Bd. 18. S. 617. 


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H. Gerhartz, 


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Rohres freie Communication zwischen der in der letzteren eingeschlossenen 
und der äusseren Luft schuf, ln der That sieht man bei dieser Ein¬ 
richtung auch noch, wenn die Membranexeursionen eine erhebliche Ver- 
grösserung erfahren, die durch die Progressivbewegung der Luft hervor¬ 
gerufenen Schwingungen verschwinden. Geht man aber weiter in der 
Vergrösserung der Ausschläge der Membran, so sind deutlich in den bei 
offenem System aufgezeichneten Curven die Pulsationen, die den Luft- 
stössen (Cardiogramm) entsprechen, wiederzuerkennen, wovon man sich 
leicht durch Ausmessung der Curven überzeugen kann. 

Frank hat, augenscheinlich hieran anknüpfend, die Theorie einer 
solchen Einrichtung zu entwickeln gesucht und berechnet, dass die 
Schwingungen einer mit einem Loch versehenen Kapsel eine Mischung 
der ersten Ableitung der Schwingungen und der Schwingungen selbst 
darstcllen 1 ). Die Frank’sche Einrichtung ist aber mit der Einthoven- 
schcn nicht direct zu vergleichen; denn bei letzterem ist das Rohr, das 
sicherlich nach den Intentionen des Constructeurs die sich geradlinig 
fortpflanzenden Pulsationsbewegungen aufnehmen sollte, in der Richtung 
des auftreffenden Schalles angebracht, während das bei der Einrichtung, 
die Frank getroffen hat, nicht der Fall ist. Das ist aber wesentlich; 
denn in dem im rechten Winkel bei Einthoven’s Methode abgehenden 
Rohr herrscht nicht derselbe Druck wie in dem freien Stutzen, und 
ausserdem handelt es sich in dem ersteren nicht nur um Luftstösse, 
sondern mindestens um die Summe von diesen und ihnen superponirten 
anders gearteten Schallwellen. Es ist also in dem System ähnlich wie 
die Wirkung des Windes bei der Schallfortpflanzung in freier Luft, wofür 
Röber und van Rees den Effect theoretisch abgeleitet haben. Da der 
hier unbekannte Winkel, in dem diese Progressivbewegungen wirken, 
wesentlich für die theoretische Durchrechnung des Systemes ist, wird es 
wohl nie möglich sein, die bei der Geräuschregistrirung vorliegenden 
physikalischen Verhältnisse in einen richtigen rechnerischen Ausdruck 
zu kleiden. 

Man sieht also, dass die Eintho ven’sche Vorrichtung keine Sepa¬ 
ration der beiderlei Luftbewegungen gestattet und also die Entstellung 
der Geräuschcurven nicht hindert. Da auch Frank und alle übrigen 
Autoren, die bisher Methoden zur Aufzeichnung der Herzgeräusche 
publicirt haben, auf diesen wichtigen Punkt keine Rücksicht nehmen 
und auch nicht den Versuch machen, die Schwierigkeiten, mit deren 
Eliminirung die Brauchbarkeit der Methode erst gewährleistet ist, zu be¬ 
seitigen, muss man annehmen, dass sie die Bedeutung dieses Punktes 
entweder verkannt haben oder aber die Methode Einthovcn’s still¬ 
schweigend als richtig acceptiren, woraus folgt, dass alle bisherigen 
Methoden nicht als einwandfrei angesehen werden dürfen. 

Im alltäglichen Leben machen wir die Erfahrung, dass das beste 
Verfahren, Luftstösse zu eliminiren, ein starrer Abschluss ist, dass aber 
Schallwellen, wenn sic an einen solchen Widerstand gelangen, Schwin- 

1) 0. Frank, Construction und Theorie eines neuen Tachographen. Xeitschr. 
f. Biol. 1907. Bd. ;30. S. 303--308. 


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Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Herzschalles. 111 


gungen erzeugen, welche sich jenseits desselben der Luft raitthcilen und, 
wenn auch mit verminderter Intensität, so doch nicht in ihrem Charakter 
modificirt, dahinter wahrgenommen werden können. Wir gehen also am 
sichersten, wenn wir nach dem Vorschläge von Ru hm er diesen Weg 
wählen, so dass wir so zu einer Zuleitungseinrichtung kommen, die aus 
einem cylindrischen Rohr (um die allseitige Ausbreitung der Schallwellen 
zu hindern) besteht, das durch eine den Schall gut leitende, aber durch 
die Pulsationen nicht eindrückbare Wand verschlossen ist. 

ln einer früheren Arbeit 1 ) habe ich besprochen, wie am besten der 
Schall möglichst ohne Aenderung seiner Qualität und Intensität fort- 
gcleitct werden kann. Ich habe meinen dortigen Ausführungen noch 
hinzuzufügen, dass ich für die Aufzeichnung des Schalles nach den aus¬ 
gezeichneten Experimenten von Meissner 2 ) Bedenken trage, hier die 
Collectivwirkung der Schalltrichter, die fast alle Autoren — Frank 
verwendet sogar das ausserordentlich fehlerrciche Phonendoskop — be¬ 
nutzen, anzubringen, nachdem diese Versuche dargethan haben, dass 
Schalltrichter die Amplituden dos Grundtoncs verkleinern und die ge¬ 
wisser Obertönc vergrössern, also eine Entstellung der Klangzusammen¬ 
setzung bewirken, während dies kurze cylindrische Eingangsrohre nicht thun. 

Die Klangregistrirung. 

Sehr selten ist es möglich, die Schwingungen eines tönenden Körpers 
direct zu beobachten. Ist, wie es bei dem Herzen der Fall ist, der schall- 
erzeugendc Körper überhaupt nicht sichtbar, oder übersteigt die Art 
seiner Schwingungen die Analysirfähigkeit des Auges, so kann davon 
erst recht keine Rede sein; denn die Longitudinalschwingungen der 
schallzuführenden Luft sind einer Beobachtung nicht zugänglich. Es 
müssen Methoden eingeführt werden, welche die Verdichtungen und Ver¬ 
dünnungen der Luft in sichtbare anders geartete elastische Bewegungs¬ 
formen, die fixirbar sind, umsetzen. Bei dieser Uebertragung von Luft¬ 
wellen auf feste oder flüssige Körper liegt die Gefahr sehr nahe, dass 
Entstellungen unterlaufen. Die Ursachen dafür liegen in der Trägheit 
der Massen, die in Bewegung gesetzt werden müssen, in ihrem Schwin¬ 
gungscharakter, welcher von vielen Factoren, z. B. von der Elasticität 
abhängt, und in der Wirkung noch sonstiger Einflüsse, welche erfahrungs- 
gemäss Klänge und Geräusche verändern, wozu z. B. die in geschlossenen 
Systemen auftretenden Resonanzwirkungen gehören. Dazu kommen für 
die einzelnen Uebertragungsarten noch specielle Hindernisse in Betracht. 
Sind auch viele dieser Einflüsse an und für sich scheinbar von unter¬ 
geordneter Bedeutung, so kann doch ihre Summirung bei so schwachen 
Intensitäten, wie die Herzgeräuschschwmgungen sie besitzen, erhebliche 
Fehler in der Beurtheilung zur Folge haben. Sie verlangen deshalb ein- 

1) H. Gerhartz, Zur Frage des Stethoskopes. Deutsches Arch. f. kl in. Med. 
1907. Bd. 90. S. 501-505. 

2) Rieh. Wachsmuth, Klangaufnahmen an Blasinstrumenten, eine Grundlage 
für das Verständniss der menschlichen Stimme. Nachgelassenes Manuscript von 
Georg Meissner. Pilüger’s Arch. 1907. Bd. 116, S. 54.‘> 000. 


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H. Gerhartz, 


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gehende Berücksichtigung und ihr Studium allein ist im Stande ein rich¬ 
tiges Urtheil über Werth und Unwerth der Registrirmethodik zu bilden. 

Seit jeher haben sich Membranen zur Ueberleitung von Schall¬ 
schwingungen gasförmiger Massen als sehr vortheilhaft erwiesen. Sie 
sind als flächenförmige Körper auf ihrer ganzen Ausdehnung mit Luft, 
umgeben und sind leichte Massen, welche durch Spannung elastisch 
werden, Eigenschaften, die sie zur Klangregistrirung recht eignen. 

Die directe Beobachtung von dergleichen Merabranbewegungen ist 
sehr schwierig und nur selten möglich. Die Erwartungen, nach Be- 
Streuung der Membranen mit Lycopodium, Korkstaub und Achnlichem 
den Chladni’schen Figuren analog gestaltete Bilder experimentell er¬ 
zeugen zu können, sind nicht erfüllt worden. Solche Versuche sind 
vielleicht wegen der zu geringen Elasticität und Steifigkeit der Membranen 
gescheitert, oder auch, wie R. Ewald 1 ) annimmt, deshalb, weil die auf 
die Membran gestreuten Pulver „zu starke seitliche Impulse empfangen, 
um brauchbare Schallbilder zu bilden u ? und wegen der Aenderung, die 
bei einer sehr grossen Empfindlichkeit der Membran für leichteBelastungcn 
jede Anhäufung der Pulver in der Schwingungsw r eise erzeugt. 

Erst Ewald ist es durch eine sinnreiche Methode gelungen, Mem¬ 
branbilder von Klängen und Geräuschen direct mit dem Mikroskop zu 
beobachten. 

Beim Ansprechen auf Geräusche geben die Ewald’schen Kautschuk¬ 
membranen ganz coraplicirte und schwer analysirbare Bilder, die denen 
ähnlich sind, die das Ruhmer’sche Photographophon erzeugt. Die 
Ewald r schen Schallbilder geben die Intensitäten in wohl genügender 
Weise wieder, lassen aber vor Allem nicht den Rhythmus, den zeit¬ 
lichen Ablauf, verfolgen, weshalb die Methode für unsere Zwecke nicht 
zu verwerthen ist, abgesehen davon, dass es unmöglich ist, von Tönen 
und Geräuschen von geringerer Intensität überhaupt solche Bilder herzu- 
stellen, wovon ich mich oft überzeugt habe. Den Vortheil hätte das 
Verfahren, wenn es hier anwendbar wäre, dass eine Wiedergabe durch 
die Ruhmer’sche Methode der Selenzellen-Schallreproduction mit Aus¬ 
sicht auf Erfolg versucht werden könnte. 

Die somit erwiesene Unmöglichkeit, durch eine directe Beobachtung 
den Vortheil einer äussersten Verkürzung der Latenzzeit und gewichts¬ 
losen Uebertragung neben einer Reihe sonstiger vortheilhafter Umstände 
zu gewinnen, hat dazu geführt, die schwer sichtbaren Membranbewegungen 
in bequemer und deutlicher wahrnehmbare und auflösbare Bewegungs- 
forraen auf eine ebene Schreibfläche zu übertragen. Durch die Ein¬ 
führung dieses Hülfsraittels werden aber gleichzeitig so viele Möglich¬ 
keiten, in einseitiger Weise die Schwingungsform der Membran ab¬ 
zuändern, eingeführt, dass die constructive Anordnung der Uebertragungs- 
weise geradezu für die Güte vieler Registrirvorrichtungcn bestimmend 
ist, wobei nicht zu vergessen ist, dass die Membran trotz alledem den 
wesentlichsten Factor abgeben muss. Ist sie unzureichend, schwingt sie 

1) .i. Rieh. Ewald, Zur Physiologie des Labyrinths. VI. Mitth. Pflügers 
Archiv. l,m Bd. 7(i. S. 152fT. 


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Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Herzschalles. 113 


falsch, so «ist natürlich auch mit einer idealen Ueberleitung nichts gewonnen. 
Wir haben also zu erörtern, wodurch eine wahre Membranschwingung 
garantirt ist. 

Die Membranschwingungen x ). 

Membranen schwingen in Transversalschwingungen. Sind sie frei 
von jeder Spannung, so sind ihre Schwingungen durch Biegungselasticität 
bedingt, und es gilt für sie die Secbeck’sehe Formel. In der Praxis 
giebt cs aber keine spannungsfreien Membranen, sondern alle besitzen 
eine gewisse, mehr oder weniger grosse Spannung, mit deren Zunahme 
ihre Elasticität wächst. Die Theorie der Membranen ist somit in jedem 
Falle ein Problem der Elasticität. 

Die theoretische Beurtheilung der Membranbewegung leidet an der 
durch das mehr oder weniger ungleichartige molekulare Gefüge ihres 
Materiales bedingten Unvollkommenheit und dadurch, dass die Spannung 
unmittelbar nicht experimentell messbar ist. In Folge dessen ist es 
unmöglich, die physikalischen Vorgänge bei einer bestimmten Membran 
vollkommen, zu berechnen. Es sind aber doch Gesetze bekannt, die 
für die Schwingungsvorgängc derselben von grundsätzlicher Bedeutung 
sind und im Experimente ihre Probe bestanden haben. Ihre Kcnntniss 
ist deshalb zur Beurtheilung von Material, Form und Verwendbarkeit 
von Membranen nothwendig geworden. 

Wird eine Membran aus ihrer Gleichgewichtslage gebracht und dann 
sich selbst überlassen, so schwingt sic so lange in harmonischen 
Schwingungen, bis sie in Folge der Reibung ihrer Moleküle untereinander 
und mit der umgebenden Luft zur Ruhe kommt. Sie macht hierbei 
zwei Thcilbewegungen durch, eine sogenannte „erzwungene Be¬ 
wegung 44 , die allein von der bewegenden Kraft bestimmt wird und eine 
der übertragenen Klanghöhe entsprechende Schwingung ist, sowie eine 
„freie Schwingung 44 . Diese letztere — wie wir noch sehen werden 
für die Membranschwingungsart von grosser Bedeutung — ist eine 
Function der mechanischen Beschaffenheit der Membran. Sie äussert 
sich im Mit- und Nachtönen der Membran. Das Mittönen, hervorgerufen 
durch den Anstoss der äusseren Kraft, beruht auf einem Mittönen der 
Eigentöne der Membran mit dem übertragenen Ton; das Nachtönen ist 
das Erklingen des Membraneigentones nach dem Wegfall der genannten 
Kraft. 

Beide Erscheinungen stören durch Modification des übertragenen 
Schalles und Verwischung seiner Begrenzung. 

Da die Energie der freien Schwingung von der molekularen Kraft 
der inneren Reibung und dem Luftwiderstand sehr bald aufgezehrt wird, 
sind hier Wege vorgezeichnet, ihren schädlichen Einfluss durch Dämpfung 
zu eliminiren und so die Güte der Membran zu heben. Giebt man also 

1) Bezüglich der Theorie der Membranschwingung siehe ausser den Hand¬ 
büchern der Physik: V. Wietlisbach, Handbuch der Telephonie. Bearbeitet von 
Dr. R. Weber. Wien 1899. 

Hauptsächlich sind auch die Ergebnisse der‘experimentellen Untersuchungen 
Kuhmer’s über die Schwingungen von Schallplatten vervverthet worden. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. ^ 


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der Luft eine sehr grosse Berührungsfläche, d. h. nimmt man Membranen 
von grossem Durchmesser, so hat man damit eine zur Aufnahme von 
Schallschwingungen wie zur Dämpfung gleich vortheilhafte Einrichtung 
getroffen. Damit hat cs nun auch seine Schwierigkeit. Grosse 
Schwingungsfläche und freie Schwingung schliessen sich zwar bis zu 
einem gewissen Grade aus, aber es wächst mit der Grösse der Fläche 
auch die Masse; und grosse Massen sind in Folge der Trägheit nicht 
im Stande, den schnellen Vibrationen der Luftwellen zu folgen. Auch 
deshalb dürfte bei grossen Membranen wenig gewonnen sein, weil die 
Trägheit die Randgebiete hindern wird, an den Schwingungen der Mitte 
theilzunehmen. 

Das Gesagte kann natürlich nur für im Ganzen ohne Knotenlinien 
schwingende, also nicht zu flexible und zu wenig gespannte Membranen, 
so wie sic für unseren Zweck und z. B. das Telephon, den Phonographen 
u. Aehnl. allein in Betracht kommen, Geltung besitzen. Bei sehr dünnen 
und biegsamen Membranen ohne erheblicheren Spannungswerth entstehen 
stehende Wellen, die entweder dadurch zu Stande kommen, dass laufende 
Wellen von dem die Membran haltenden Rahmen reflcctirt Werden, oder 
auf die Membran einwirkende Impulse gleichzeitig von gegenüberliegenden 
Theilen ausgehen. Das Wellenbild, das dann entsteht, ist ein Ausdruck 
der primären Impulse (Ewald). In solchen Fällen sind ganz minimale 
Belastungen der Membran, z. B. schlecht vcrtheiltc Oelschichten, schon 
im Stande, die Schwingungen sehr erheblich zu stören. Eine gewisse 
Elastizität der Membran ist für unsere Zwecke deshalb nöthig, weil es 
nur so gelingt, einen möglichst grossen Theil derselben zum Schwingen 
zu bringen und die Membran voll auszunutzen. 

Man sieht, dass das Material, aus dem die Membran besteht, von 
grosser Bedeutung ist. Die verschiedensten Stoffe sind gewählt worden, 
ohne dass bisher eine Einigung über das zweckmässigste Material erzielt 
worden wäre. Rigollot und Chavanon 1 ) nahmen Collodium, Lcbc- 
deff 2 ) und nach ihm Samojloff 3 ) Kork bezw. Suberit, Hermann 4 ) 
versuchte Eisen, Glimmer, Glas, Carton, Holz und noch andere Stoffe, 
Edison anfangs Seide zum Phonographen, Hensen 5 ) Gummi, Blase, 
Collodium, Goldschlägerhaut, Glimmer, Glas. Meissner hat, wie Wachs- 
muth 6 ) in der Publication des nachgelassenen Manuscriptes mittheilt, 
für die Receiverschallplattc seines Phonographen Ebonit am geeignetsten 
gefunden. Eisen, Glas, Kork, Schildpatt u. A. waren weniger gut be¬ 
funden worden. Es hat sich bei diesen Versuchen herausgestellt, dass 
im Allgemeinen biegsame Membranen an und für sich gut sind, aber 

1) Rigollot u. Chavanon, Journal de physique. 1883. (2.) Bd. 2. S. 553. 

2) P. Lebedeff, Journ. d. russ. physik.-ehern. Gesellsch. (russ.). Bd. 26. 
S. 21)0. — Cit. n. Samojloff 3 ). 

3) A. Samojloff, Zur Vocalfrago. Plliigcr’s Archiv. 1800. Bd. 78. S. 1 ff. 

4) Hermann, Siehe seine Arbeiten in Ptlüger’s Archiv. Bd. 45. S. 182; 
Bd. 47. S. 44 u. 347; Bd. 53. S. 1; Bd. 58. S. 255, 61 u. 169. 

5) V. Hensen, Feber die Schrift von Schallbewegungen. Zeitsehr. f. Biol. 
1887. Bd. 23 (N. F. Bd. 5). S. 43. 

6) \\ a c h s in u t h - M e i s s n e r, 1. e. 


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Die Aufzeichnung von Sohallerscheinungen, insbesondere die des Herzschalles. 115 

viele Nachtheile haben, nächst den obengenannten den der Schwierigkeit, 
in sicherer Weise Ucbertragungseinrichtungen anzubringen, so dass von 
vielen die starren Membranen vorgezogen wurden. Hermann hält die 
letzteren allein für brauchbar, aber natürlich nur, wenn eine sorgfältige 
Dämpfung, die allerdings hier am schwierigsten ist, stattfindet, da sonst 
die starren Membranen auf verschiedene Schallimpulse mit der gleichen 
Sinuscurve antworten, schwirren und schlottern. Saraojloff glaubte im 
erwähnten Suberit eine Substanz gefunden zu haben, welche beide Eigen¬ 
schaften, sowohl die der biegsamen als die der starren Membranen, mit 
einander vereinigt. Frölich 1 ) hat das Thema experimentell erfolgreich 
angegriffen. Er studirte die Aenderungen, welche eine Schwingungscurve 
durch Passiren einer Membran erfährt, durch das Studium der Abände¬ 
rung, welcho bekannte Schwingungsformen durch Telephonmerabranen 
oder Platten aus Pappe, thierischer Haut und Gummi erfahren. Es 
ergab sich, dass alle Membranen um so besser Schwingungen wieder¬ 
geben, je näher diese letzteren der Sinuscurve stehen. Anderen 
Schwingungsformen, z. B. der Mäandcrlinie gegenüber, versagten die 
Pappe- und Blasenmembranen, wenn sie ungedämpft blieben, vollständig. 
Je schneller die Eigenschwingungen verschwanden, je schneller also die 
erzwungene Schwingung in Wirksamkeit trat, desto besser wurde die 
primäre Schwingung wiedergegeben. Insofern gab eine Telephonracmbran 
z. B. trotz ihrer scheinbaren Steifheit und Dicke coraplicirtc Klänge bis¬ 
weilen besser wieder als die anderen, nicht künstlich gedämpften 
Membranen. 

In dem in dieser Arbeit beschriebenen Registrirapparat sind Collo- 
diummembranen vorhanden. Die Prüfung der verschiedenen Materialien 
ist jedoch noch nicht abgeschlossen. 


Die Dämpfung der Membranschwingungen. 

Empfindlichkeit einer Membran und Richtigkeit ihrer Schwingungen 
sind zwei Anforderungen, welche sich z. Th. entgegengesetzt verhalten. 
Steigt die Schwingungsfähigkeit, so werden die Empfindlichkeit und das 
Vermögen, auch auf feinste Impulse zu reagiren, grösser; erhöht man die 
Dämpfung, so wird die Richtigkeit mehr verbürgt, aber die Anspruchs¬ 
fähigkeit lässt nach. Es ist klar, dass man bei Schwingungen von so 
geringer Intensität, wie die Herzgeräusche sie repräsentiren, in einem 
gewissen Dilemma sich befindet, indem ohne eine gewisse Grösse der 
Empfindlichkeit eine Registrirung vollständig aussichtslos ist, anderer¬ 
seits eine Dämpfung erheblicheren Grades nicht entbehrt werden kann. 

Es ergiebt sich so, dass es hier von ausschlaggebender Bedeutung 
ist, wie die Dämpfung bewirkt wird, und dass der Grad, mit dem sic 
wirkt, variabel ist und der Amplitude der Vibrationen entspricht. 

Die Dämpfung kann dann als genügend angesehen werden, wenn 
sie die bestimmten Klängen und Geräuschen zukomraenden Schwingungen 
erkennbar macht und die Membran nicht auf verschiedene Schall- 


1) 0. Frölich, Ueber eine neue Methode zur Darstellung von Schwingungs- 
curven. Electrotechn. Zeitschr. Bd. 10. S. 369. 


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erscheinungen mit denselben Bewegungen und in Folge dessen mit den¬ 
selben Curvenbildern antworten lässt; d. h. es müssen mit verschiedenen 
Schallerscheinungen möglichst verschiedene Bilder erhalten werden. 

Dieser Indicator ist natürlich sehr unzuverlässig und wenig objectiv. 
Aber die Methoden, auf künstlichem, experimentellem Wege den 
Dämpfungsgrad festzustellen, sind bisher mangelhaft. Die graphische 
Messung, wie sie von Hensen 1 ) und Pipping 2 ) ausgeführt wurde, die 
auf der plötzlichen Entziehung eines auf den Schreibhebel wirkenden 
Gewichtes — sodass dann die Hebelbewegungcn für sich geschrieben 
werden — beruht, hat nur eine bedingte Verwendbarkeit; auf der anderen 
Seite ist die Methode, die Samojloff, von Holowinski 3 ) u. A. ver¬ 
wandten, und in der Aufzeichnung eines kurzen Schlages besteht, wie 
ersterer selbst zugegeben hat, auch noch lange nicht zutreffend. Der 
Weg, den Frank 4 5 ) versucht, die raathemathischc Durchrechnung der 
Membranarbeit, ist wohl sicher verfrüht, wenn nicht für durch Schallwellen 
hervorgerufene Membranschwingungen vorläufig unmöglich. Solange die 
Physik das sicher erstrebenswerthe Ziel der theoretischen Durcharbeitung 
für die einfachen technischen Constructionen nicht erreicht hat, ist hier 
erst recht noch nicht damit zu arbeiten. 

Als völlig einwandfreier Weg, die Dämpfung und überhaupt die Güte 
der Gesammtheit der Einrichtungen bcurtheilen zu können, wäre die 
Untersuchung des Effectes, den die Rückverwandlung der Curven in 
Schallerscheinungen ergiebt, anzusehen. Dieser Weg ist wohl zuerst, 
wenn man vom Phonographen absieht, von Liesegang 6 ) begangen 
worden. Ruhm er 6 ) hat die photographophonischen Aufnahmen der 
Sprache mittelst lichtempfindlicher Selenzellen in vollendeter Weise 
wiedergegeben. Es liegen also schon einige Erfahrungen auf diesem 
Gebiete vor. Für unsere Zwecke kann nur eine Reproduction mit dem 
Grammophon nach entsprechender Umwandlung der photographirten Curven 
in Frage kommen. 


Die Schreibvorrichtungen. 

Ist eine Membran gut gedämpft, schwingt sie also den Schallwellen 
entsprechend, so liegt das Ideal darin, diese Bewegungen gewichtslos 
zu übertragen; denn auf diese Weise wird ein Constructionsglied, das 
viele Fehlerquellen in sich schliessen kann, eliminirt. 

Das Ziel, die Belastung auf ein Minimum reduziren zu können, ist 

1) Hensen, 1. c. 

2) Pipping, H., Zur Lehre von den Vocalklängen. Zeitschr. f. Biol. 1895. 
Bd. 31. 

3) von Holowinski, A., Physiologische und klinische Anwendungen eines 
neuen Mikrophons usw. Zeitschr. f. klin. Med. 1893. Bd. 23. S. 363. 

4) Frank, 0., Construction und Durchrechnung von Registrirspiegeln. Zeit¬ 
schrift f. Biol. 1905. Bd. 46 und spätere Arbeiten in derselben Zeitschrift. 

5) Liesegang, ft. E., Phonographie und Photographie. Photogr. Archiv. 
1890. Bd. 31. S. 302. 

6) ltuhnior, E., Kinetnatographische Flanimenbogenaufnahmen und das Photo¬ 
graphophon, ein photographischer Phonograph. Elektroteehn. Zeitschr. 1901. S.830. 


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t>ie Aufzeichnung von Schallerscheinungcn, insbesondere die des llerzschalles. 117 


durch die Einführung der König’schcn 1 ) Flammen erreicht. Für unsere 
Zwecke wird aber der Vortheil der fast gewichtslosen Arbeit dadurch 
zum grössten Theile wieder zerstört, dass der Raum, durch welchen das 
Gas (in der Regel Acetylen) ausströmt, bei kleinen Membranvibrationen 
sehr klein sein muss, die Form Veränderungen wegen ihrer geringen Licht¬ 
stärke sehr schwer zu fixiren sind, keine Vergrösserung zulassen und die 
Bilder auch der unbeeinflussten Flamme nicht gleichmässig bleiben. Das 
Verfahren ist besonders von Frölich 2 3 ), Austin 8 ) und Marage 4 ) aus¬ 
gebildet worden und hat sich für grössere Schallintensitäten als recht 
vorteilhaft erwiesen. Von Marbe 5 * ) ist es in jüngster Zeit auch für die 
Registrirung der Herzgeräusche direct angegeben worden. Auf die 
Methode Marbe’s, bei der durch die Flammen Russbilder erzeugt werden, 
näher einzugehen, ist um so weniger nöthig, als weder die Zuleitung 
den vorliegenden complicirten Verhältnissen gerecht wird, noch die durch 
die Methode erhaltenen Schallbilder eine Handhabe zu einer erfolgreichen 
Beurtheilung bieten. Die bisher publicirten Bilder sind ohne Zweifel 
Cardiogramrae. 

Viele Versuche wurden unternommen, die Vorzüge des Telephons 
und Mikrophons, Schallwellen in bequom mess- und registrirbare 
elektrische Energie überführen zu können, auszunutzen. Seit die nur die 
flöhe übertragenden Telephone von Bourseul und Reis in dem Telephon 
von Bell eine solche Vollendung erhalten hatten, dass die Erhaltung 
der Tonklangfarbe erreicht war, konnte ja ernstlich an die Benutzung 
von Mikrophonen und Telephonen zur Aufnahme und Wiedergabe von 
Herzgeräuschen gedacht werden. 

Soll das Telephon Geräusche richtig wiedergeben, so müssen 
natürlich vor dem zweiten Telephon die Schallwellen genau denen gleich 
sein, welche die Schwingungen der ersten Telephonmembran erzeugten. 
Das geht nur, wenn eine Zerlegung in genau die gleichen Partialtöne 
erfolgt, diese Theiltöne, soweit sie zusammengehören, mit derselben Ge¬ 
schwindigkeit weiter geleitet werden und an der Aufnahme- und Wieder¬ 
gabestelle die Amplituden der verschiedenen einfachen Wellen in dem¬ 
selben Verhältnisse zu einander stehen. Darnach muss es gewagt 
erscheinen, mit einer so complicirten Anordnung, wie sie Telephon und 
Mikrophon darstellen, eine vollkommene Wiedergabe der Schallschwingungen 
zu verlangen. Das erste Hinderniss ist schon die Membran. Könnte 
diese aus einem auf Luftwellen fein rcagirenden Material bestehen, so 
brauchte ihre freie Schwingung, obwohl das Gesetz von der Proportionalität 

1) König, R., Die manometrischen Flammen. Annal. d. Physik u. Chemie. 
1872. Bd. 146. S. 161. — Nagel, W. A., Ueber König’sche Flammen. Arch. f. 
Physiol. Physiol. Abth. 1905. Suppl.-Bd., 1. Hälfte. S. 62. 

2) Frölich, 0., Ueber eine neue Methode zur Darstellung der Schwingungs- 
curven. Elektrotechn. Zeitschr. Bd. 10. S. 345. 

3) Austin, L. \V., Anwendung der Manometerflamme beim Telephon. Physik. 
Revue. 1901. Bd. 12. S. 121. 

4) Marage, Bullet, de la Soc. fran$. de physique. 1900. S. 137. 

5) Marbe, Karl, Registrirung der Herztöne mittels russender Flammen. Pflüg. 

Archiv. 1907. Bd. 120. S. 205-209. 


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der Wirkung zu der wirkenden Kraft wohl kaum noch für eine so grosse 
in Bewegung zu setzende Kraft zu Recht besteht, nicht so hinderlich 
zu sein. Diese freie Membranschwingung ist aber von der mechanischen 
Beschaffenheit der schwingenden Platte abhängig. Und diese letztere ist 
der Uebelstand beim Telephon; denn die Trägheit der eisernen Membran- 
raasse ist stets deshalb eine sehr grosse, weil ihrer Leichtigkeit und 
Dünne durch die Anforderungen des magnetischen Feldes eine Grenze 
gesetzt ist. Es wird nämlich die Intensität des letzteren durch dünnere 
als 0,2 mm dicke Membranen schon herabgesetzt. Aus demselben 
Grunde, d. h. auch wegen der allzu erheblichen Trägheit, ist auch der 
mittlere Mcmbranthcil allein einer Schwingung fähig, sodass die Rand¬ 
stellen völlig in Ruhe bleiben. Nun wächst dio Güte der Membran- 
schwingung nicht nur mit dem Klcinerwerden der Mcrabranmasse, sondern 
sie ist daneben noch direct proportional der Steifigkeit der Membran 
und der Grösse des Luftwiderstandes. Liegt das Letztere hier auch 
günstig, so sind doch immerhin Steifigkeit und Elasticität nicht solche, 
wie sic für vollkommene Plattcnschwingungcn beansprucht werden 
müssen. Versuche, das schwere Eisen durch Aluminium oder Kupfer 
zu ersetzen, haben wenig Erfolg gehabt. Wie Mcrcadicr 1 ) gezeigt hat, 
müssen die Ströme bei der Verwendung von Kupfermembranen doppelt 
so stark sein, als wenn Eisenmembranen benutzt werden; dagegen gab 
dabei das Eisen kräftigere Laute als Aluminium und Kupfer. Neben dem 
geringfügigen specifischen Magnetismus von Aluminium und Kupfer spielt 
hier noch die in Folge der Variationen des Magnetismus im Eisenkern 
des Telephons erzeugte elektrodynamische Induktion eine Rolle, sodass 
also Eisenmembranen der magnetischen lnduction die grössere Kraft, 
Aluminium und Kupfer aber der elektrodynamischen lnduction ihre 
schwächere, aber die Klangfarbe besser wiedergebende Wirkung ver¬ 
danken. Es kommt also bei einer Aenderung des Materiales der Membranen 
nicht viel heraus. 

Von Wiersch 2 ) ist auf einen Uebelstand der Mikrophonraembranen 
hingewiesen worden, der darauf beruht, dass infolge des loseren elek¬ 
trischen Contactes bei der Reibung der Contactstellen die Schwingungs¬ 
zahlen der aufgenommenen Töne modificirt werden. 

Viele Autoren haben sich der Hoffnung hingegeben, mit Hülfe von 
Telephon und Mikrophon eine wünschenswerte Verstärkung und damit 
eine Erleichterung der Registrirung erzielen zu können. In der That 
wird ja durch das Hinzukoramen des Batteriestromes, der eine additive 
Arbeit leistet, eine Verstärkung hervorgerufen. Dieser Strom erzeugt 
Stromcontacte, und würden nicht bei übergrosser Zufuhr von Strom die 
diese Stromschwankungen vermittelnden Kohlenkörper des Mikrophons 
schliesslich verbrennen und der sie zusammenhaltende Baumwollen¬ 
ring zerstört werden, man hätte so einen Weg gefunden. In Wirk- 


1) Mercadier, Compt. rend. 15. April 1889. 

2) E. Wiersch, lieber die Deutlichkeit acustischer Heproductionen unter dem 
Einfluss der Eigentöne, sowie über Membranen zur möglichst deutlichen Wiedergabe 
der Sprache. Ann. d. Phys. 1905. Bd. 17. (4. Folge.) S. 999-1005. 


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Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Horzschalles. 1 1D 

lichkcit wird aber durch die ausserordentliche Erhöhung des inneren 
Widerstandes (oft mehrere Hundert Ohm) eine Verschlechterung der 
Mikrophone herbeigeführt. Germain 1 ) hat sich nun so geholfen, dass 
er mehrere Mikrophone parallel in einen Stromkreis schaltete und so 
den Strom theilte. Während dann in jedem einzelnen Mikrophon nur 
ein schwacher Strom kreiste, konnten doch insgesammt 0,5—25 MA 
erreicht werden. Ob der Apparat wirklich das hält, was die Theorie 
verspricht, vermag ich aus eigner Erfahrung nicht zu beurtheilen. 
Mit einer auf ähnlichem Principe beruhenden Anordnung habe ich nichts 
Wesentliches erreichen können. 

Ein anderer Weg, die Intensität der aufgenommenen Schallphänomene 
zu heben, eine Verstärkung des im Telephon vorhandenen permanenten 
Magnetismus bis zur Sättigung, könnte schon deshalb nur bis zu einem 
gewissen Punkte getrieben werden, weil dann die Membran durch die 
magnetische Kraft durchgebogen und unelastisch werden würde, und damit 
würden natürlich ihre Schwingungen vermindert, da eine Membran die 
grössten Elongationen dann macht, wenn sie um ihre normale Ruhelage 
schwingt. 

Geräusche mit Telephon und Mikrophon ohne Entstellung zu ver¬ 
stärken, dürfte nach dem Gesagten kaum gelingen. Es ist schon viel 
erreicht, wenn die Reproduction rein und in ursprünglicher Intensität 
geschieht. Mit den älteren Systemen war auch das höchst unvollkommen 
zu bewirken. Auch von Holowinski, der sich eingehend mit der Ver- 
werthbarkeit des Mikrophons zur Registrirung der Herzgeräusche be¬ 
schäftigt hat, ist in Uebcreinstimmung mit anderen Autoren zu dem Er¬ 
gebnisse gelangt, dass Mikrophon und Telephon nie vollkommen das 
Ohr ersetzen können. Dennoch aber besitzt die Methode mit Hülfe 
besserer Instrumente, als sie früher von Holowinski, Hürthle und 
Einthoven zur Verfügung standen, immerhin einen gewissen Werth 
auch für die Uebertragung schwacher Herzgeräusche. 

Mit den hierfür geeignetsten Telephonen erreichte ich soviel, dass 
auch noch leise Geräusche recht gut fortgeleitet wurden, allerdings natür¬ 
lich in etwas geringerer Intensität, mit welcher sie das Ohr bei der 
dirccten Auscultation wahrnahm. Es haben sich mir in zahlreichen Ver¬ 
suchen die bekannten „lautsprechenden Telephone u von Mix & Genest 2 ), 
bei denen zur Vergrösserung der Lautstärke nicht nur die Kohlenmembran, 
sondern auch die von der Membran ebenfalls durch Kohlenkörnerfüllung 
getrennte Kohlenscheibe frei beweglich angeordnet ist, am besten be¬ 
währt. Dazu ist die Verwendung eines oonisch sich verjüngenden, in 
zwei Hörschläuche endenden, ungefähr 30 cm langen Trichters nöthig. 
Andere, auch weit empfindlichere Mikrophone erwiesen sich, da sie 
zu sehr den Klang entstellten, als unbrauchbar. In jedem Falle aber 


1) Germain, Das lautsprechende Telephon. Prometheus. 1891). 10. S. 5f»8. 
— Ruhmer, Mehrfach-Mikrophon. Der Mechaniker. 1901. S. 109. 

2) Die Apparate wurden mir zu diesen Versuchen bereitwilligst von der Firma 
Mix u. Genest, Berlin, zur Verfügung gestellt, wofür ich auch an dieser Stelle 
meinen besten Dank abstatte. 


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120 H. Gerhartz, 

.stören, auch bei den besten Instrumenten, knatternde Nebengeräusche. 
Für das Hören bedingen sie nicht nothwendig eine erhebliche Entstellung, 
da man sie durch Uebung aus dem Gehörten ausschalten lernt 1 ); beim 
Registriren müssen sie sich aber durch unliebsame Entstellungen der 
Curven bemerkbar machen, so dass also die principielle Verwendung für 
diesen Zweck, auch abgesehen von den oben geltend gemachten Gründen, 
schon hierdurch unzulässig erscheinen muss. Die Aufnahme und Wieder¬ 
gabe im Telephon und Mikrophon ist eben von sehr vielen Einflüssen, 
welche man nicht in der Hand hat, abhängig; diese bedingen die ln- 
eonstanz der Resultate. 

Allerdings hat die Verwendung eines Mikrophons zur Geräusch- 
registrirung den verführerischen Vortheil einer Ueberführbarkeit der 
Schalloscillationen in leicht messbare elektrische Energie, und das hat 
vor allem die häufige Anwendung bedingt. Von von Holowinski sind 
zur gewichtslosen Uebcrtragung der Amplituden schwingender Mikrophon¬ 
membranen Interferenzstreifen benutzt worden. Die gleiche Methode 
(Intcrferenzstrcifen einer Natriumflamme) haben Cauro 2 ) und das Tcle- 
graphcn-Ingenieurbureau des Rcichspostamtes zum Studium der Telephon¬ 
plattenschwingung mit Nutzen verwendet. 

Diese Methoden scheinen mir, sowohl was Durchsichtigkeit des Ver¬ 
fahrens als Vcrgrösserungsfähigkeit, Bequemlichkeit der Fixirung der 
Liehtphänomenc und Analysirbarkeit der Curven angeht, jetzt durch 
andere überholt zu sein und erfordern demnach keine nähere Besprechung. 
Ebenso können hier die Rcgistrirungen mit Hülfe der Schlierenmethode, 
der oscillographischcn Fixirung [Blondel 3 )], der magnetischen 
Ablenkung der Kathodenstrahlen [E. Ruhmcr 4 )] als aussichtslos 
füglich übergangen werden. Um auf die Arbeit von Holowinskrs 
hier kurz zurückzukommen, sei erwähnt, dass er nur darauf ausging, die 
chronometrischen Verhältnisse der Geräusche in exacten Zahlen auszu¬ 
drücken und ihre synchrone Lage auf anderen gleichzeitigen Wellen zu 
bestimmen. 

Zu der Zeit, in der zuerst die Hcrzgeräuschregistrirung versucht 
wurde, lag es ohne Zweifel am nächsten, das Lippmann’sche Capillar- 


1) Für die Demonstration von Schallerscheinungen im Hörsaal ist die 
Auscultation am Hörer bei den „lautsprechenden Telephonen“ genügend zuverlässig. 
Die Telephone werden zu diesem Zweck am besten hintereinander geschaltet. Die 
Batteriespannung muss, entsprechend dem durch die vermehrte Zwischenschaltung von 
Telephonen erhöhten Ohm’schen Widerstande vergrössert werden. Diese Methode, 
die Schallerscheinungen einem grösseren Hörerkreise gleichzeitich zu demonstriren, 
ist sicherlich praktischer als die von Bendersky (Intern, med. Congr. Rom 1894) 
angegebene, die darin besteht, dass von einem Aufnahme - Stethoskop mehrere 
Schläuche, die in Stethoskopen endigen, abgehen. 

2) J. Cauro, Vibration des placjues telephoniques. Journ. de phys. 1899. 
Bd. 8. p. 485; sowie Scances soc, fram;. de phys. 1899. p. 60 u. 117. 

8) A. Blondel, Acad. des Sciences; sowie Compt. rend. 11. XI. 1901. 

4) E. Ru hm er, Photogr. Rundschau. 1903. Bd. 18. S. 53. 


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Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Herzschalles. 121 

clcktromctcr zur Schallaufzeichnung zu nehmen (Einthoven) 1 ). Ab¬ 
gesehen von der verwerflichen Benutzung des Mikrophons an und für 
sich, haften jedoch dem Capillarelcktrometer, wie wir heute wissen, 
nicht unerhebliche principielle Fehler an, worauf besonders Hermann 2 ) 
hingewiesen hat. Die Nachtheile des Instrumentes liegen in der nicht 
linearen Beziehung zwischen elektromotorischer Kraft und Wirkung, in 
dem ungleichen Effect beider Stromrichtungen, in der Variabilität der 
Constanten und in dem Mangel an Empfindlichkeit für Ströme mit 
grossem Widerstande, so dass es namentlich für die Veranschaulichung 
des zeitlichen Ablaufes von Vorgängen nur beschränkten Werth besitzt. 
Hinsichtlich der von Burch 3 ) nnd Einthoven 4 ) angegebenen Verfahren, 
die gewonnenen Curvcn zu corrigiren, sind von Hermann und Gilde- 
meister 6 ^ erhebliche Bedenken geltend gemacht worden, welche darin 
gipfeln, dass „selbst bei Capillaren mit genau oder annähernd logarith- 
mischer Normalcurve und gleicher Reaction für beide Stromrichtungen 
kaum mehr als eine annähernde Richtigkeit gewonnen werden kann“. 
Einthoven 6 ) hat diese Nachtheile selbst erkannt und das Capillar- 
elcktrometcr durch die Construction des Saitengalvanometers ersetzt, bei 
dem die Bewegungen photographirt werden, die beim Durchfliesscn eines 
elektrischen Stromes durch einen dünnen versilberten Quarzfaden, der in 
einem starken magnetischen Felde ausgespannt ist, entstehen und nicht 
die elektrische Spannung wie beim Capillarelcktrometer, sondern die 
Stromstärke gemessen wird. Die Verbesserung der Aufzeichnungshülfs- 
mittcl compensirt aber nicht die principielle Fehlerhaftigkeit der Ver¬ 
wendung des Telephons und Mikrophons 7 ). 


1) W. Einthoven, 1. c. — Siehe ferner: Ueber die Form des menschlichen 
Elektrocardiogramms. Pflüger’s Archiv. 1895. Bd. 60. S. 101. — W. Einthoven 
und K. de Lint, Ueber das normale menschliche Elektrocardiogramm und über die 
capillarelektrometrische Untersuchung einiger Herzkranken. Pflüger’s Archiv. 1900. 
Bd. 80. S. 139. 

2) A. L. Hermann, Ueber Rbeo-Tachygraphie. Pflüger’s Archiv. 1891. 
Bd. 41. S. 451. 

3) Burch, Philosoph. Transact. Roy. Soc. 1893. Bd. 183. A. S. 81. — Pro- 
ceed. Roy. Soc. 1895. Bd. 59. S. 18. u. 1896. Bd. 60. S. 329. 

4) W. Einthoven, Ueber den Einfluss des Leitungswiderstandes auf die Ge¬ 
schwindigkeit der Hg-Bewegung in Lippmann’s Capillarelektrometer. Pflüger’s 
Archiv. 1895. Bd. 60. S. 91. 

5) Beitrag zur Theorie des Capillarelektrometers. Eine Vorrichtung zum Re- 
gistriren u. s. w. Pflüger’s Archiv. 1900. S. 79. S. 1. 

6) W. Einthoven, Die galvanometrische Registrirung des menschlichen 
Elektrocardiogramms u. s. w. Pflüger’s Archiv. 1903. Bd. 99. S. 472. 

7) Das eben Gesagte gilt z. Th. natürlich auch für die Kempf-Hartman n- 
sche (Annalen d. Physik. 1902. Bd. 8. S. 481), Hülsmeyer’sche (Americ. Patent 
No. 766355. 1904) Anordnung und die Hürthle’sche Methode der Herztonregistri- 
rung. Hürthle hat zuerst das Telephon für diesen Zweck benutzt, beanspruchte 
aber für seine Methode, wie von Holowinski, nicht die Darstellung der Qualität 
der Geräusche. Die Schwingungen der Telephonmembran versetzten den primären 
Strom eines Inductionsapparates in Schwankungen; von hier aus geschah die Re- 


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Alle eben besprochenen Einrichtungen 1 ) haben zur Voraussetzung, 
dass die den Schall auf nehmende Membran den au ft reffenden Im¬ 
pulsen genau entsprechend vibrirt. Das trifft aber nur in den seltensten 
Fällen zu und für gewöhnlich ist die Einrichtung einer besonderen Dämp¬ 
fung nicht zu umgehen; es ist natürlich zweckmässig, dann die Dämpfung 
mit der Vorrichtung zur Uebertragung der gedämpften Schwingungen 
zusaramenfallen zu lassen. Man ist schon in der ersten Entwicklungs¬ 
zeit der Schallregistrirung so verfahren, z. ß. an dem ersten Tonregistrir- 
apparat von W. Weber 2 ) und bei allen ähnlichen späteren, bei denen 
ein Hebel die Mcmbranexcursionen schreibt (Hensen’scher Sprach- 
zeichner, Phonautograph von Scott und König u. A.). Die Methode 
der Hebclübertragung wurde bald verlassen, denn man fand, dass die 
Dämpfung für complicirtere Schallerscheinungen versagte (Phonautograph 
von Scott und König und von Sehneebcli und Hipp); in anderen 
Fällen lag die Schwelle der noch registrirbaren Intensitäten zu hoch. 
Auch die radiale Befestigung des Hebels, zuerst von Hcnsen eingeführt, 
später von Brünings 3 ) und Frank 4 ) verwendet, befriedigte nicht. Der 
Grund dafür liegt aber nicht, wie Hensen glaubte, darin, dass eine 
genügende Nachahmung der beim Trommelfell vorliegenden Verhältnisse 
nicht erzielt werden konnte, sondern meines Erachtens ohne Zweifel in 
der ungleichraässigcn Belastung und in dem Umstande, dass mehr die 
Randbewegungen der Membran als die wirksamen Mittcexcursionen ge¬ 
schrieben werden 5 ). 

gistrirung mittels eines Nervmuskelpräparates. Spätere vielfache Versuche Hiirthle’s, 
diese erste, nur den Moment des Auftretens der Herztöne anzeigende Methode zu ver¬ 
vollkommnen, sind nicht zu einem befriedigenden Ergebniss gelangt. 

1) Der Phonograph, dessen Einführung durch Hermann für die Physiologie 
der Sprache so erhebliche Fortschritte bedeutet, bezw. den endgültigen Ausschlag 
gegeben hat, ist für unsere Zwecke nicht zu benutzen. Ich habe mich vielfach davon 
überzeugt, dass auch mit den vollkommensten Edison’sehen Phonographen eine 
Aufnahme von Herzgeräuschen unmöglich ist. Die Nebengeräusche übertönen Alles. 
Der Phonograph hat nur für Schallerscheinungen grösserer Intensität Bedeutung. 
Ihre Mängel hat aber auch dann diese Methode. Der Klang wird unzweifelhaft ver¬ 
ändert, die Sprache z. B. näselnd, gewisse Vocale herrschen vor und auch eine mehr 
oder weniger störende Undeutlichkeit ist wahrzunehmen. Am meisten aber schaden 
doch die überlauten Nebengeräusche. Das Grammophon scheidet aus, da die käuf¬ 
lichen Apparate nur zur Wiedergabe dienen. Für die Herstellung der Platten werden 
Apparate benutzt, die die gleichen Mängel haben wie die Phonographen. Die Auf¬ 
nahme von Herzgeräuschen wurde übrigens von der Gesellschaft für unmöglich 
erklärt. 

2) W. Weber, In G. Schilling’s Universallexikon der Tonkunst. 

3) W. Brünings, Beiträge zum Studium des Tetanus. Pflüger’s Archiv. 
1903. Bd. 93. S. 303. 

4) 0. Frank, Die unmittelbare Ilegistrirung der Herztöne. Münchener med. 
Wochenschr. 1904. S. 953. 

5) Es ist klar, dass dies auch für die Fälle gilt, wo die Poggendorf’sche 
Methode in Anwendung gekommen ist und statt des Hebels ein Spiegel die Membran 
belastet. Die Methode, bei der die Excursionen der Membran in den Bewegungen 
eines von einem Spiegelchen reflectirten Lichtstrahles beobachtet werden, ist für das 


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dass Hb«f »liest.,- .sowie die liaiul|>artiHU j< nach der :fehispa.n.> 

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Monfbran. 

: . v;h;^t>Aufnahme.; 


Membran durcli^paniiL 

IV»} toi) (jj i\u ii uh vi*n Stiha I'I mom-hrujH'iJ, 
-ho C-ui-if fest c*ingesp;?r»nt 


•SdjLÜvuiTi de 1 * ^cliaHplÄt vvp«^u von Heniuan schon früh benutzt wollen, 
jiettm.iuf* rlnb^i in »ir-i \V»*is*v «lass derAnker durch; ?w*?rt?eätnt in Ä 

Miftef.la.ue erha'tten wurde r« t* d $#•; im labilen Obuobgewiohi sich befand. Fruikh 
■und Vrwk-p' kitteten atif die .Membrun ein Spiegfdchen auf. das ; 3i>mU 

nd ab bewegte. Po 11 afc~Vfrag {.OiK nuck 


eufsmnen der Me^ibran entspr^choml auf 
£. Ruh mer. Bekannte Verfahren Von photographischer Fixiriirtg Von Schalf^ellerj. 
Berlin 1Ö03V) übertrug die »riesten Meti>hrnniluh: hbiegr ungen im Mfcinbrunmittel- 
pufiKte auf eilten um Achsen ^lagorten Spiegel. Besondere Erwähnung veniftf&it di» 
At< .und W ei.se. wie Steh 'S am o j i •> f i (t. c.j gelodten buh h> fcheilte die Schwtn- 
gütigen einer K'orkmenibran. in der Art einem Spiegel mit, cdfe auf ein ^ükrecbf zvt 
.MCT/ihrarirtache gerichtetes Stübchen ein Würfel, der mit dem Spiegel ;<rmirt war, mir... 
einer. Kante angrilT. Er gewann dadurch den Vorzug rollender Aienning. iyüsk ty>i 
ilreifaeber itebe)verdrösset«ng und guter Dampfung. Ks ist aber woh( nkdii zu 
teugnen, dass? die Schwere der in Bewegung zu setzenden Wurfeimasseu die Empfind- 
bdd.eH sehr r*dunj*ii muss*.; 

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124 


H. Gerb a r 1 1 , 


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beigegebenen Illustrationen, die mir in liebenswürdiger Weise von Herrn 
Ruhm er zur Verfügung gestellt wurden, ist das klar ersichtlich. Diese 
Bilder wurden während der Schwingungen der betreffenden Membranen 
(kinematographisch) aufgenommen, indem ein Lichtstrahl nach und nach 
über die Membran herübergeschoben wurde. In Figur 2 handelt es sich 
um eine kreisrunde Glimmermembran, welche am ganzen Rande gleich- 
massig (nach Figur) eingespannt war. Die Achse der Membran hat beim 
Versuch nicht horizontal gelegen; daher kommt die Verzerrung des Mem¬ 
branbildes zu Stande. Wird die Umwerthung auf eine horizontale Achse» 
vorgenommen, so entsteht ein Bild, wie es Figur 2 a zeigt. Daran sieht 
man deutlich, dass diejenigen Randpartien der Membran, welche 
dem Rande am nächsten liegen, keine Excursionen machen, dass 
danndicCurvenlinie erst langsam, dann immer steiler zur Mitte- 
excursion ansteigt. Diese Anordnung entspricht der Art und Weise, 
wie in den bisherigen Registrirapparaten die Membran angebracht war. 

Figur 3 und 3a illustriren die Verhältnisse, wie sie bei einer Mem¬ 
bran vorliegen, welche am Rande zwischen zwei scharfen Schnei¬ 
den frei aufliegt. In dieser Art verhält sich die Membran in dem in 
dieser Arbeit beschriebenen Registrirapparat. Der Vortheil, den eine 
solche Construction vor der eben besprochenen hat, leuchtet ein: die 
Randgebiete machen schon dicht an der Einspannvorrichtung 
ergiebige Excursionen und erhöhen dadurch die Gcsaromtausschläge, 
wodurch die Membran voll ausgenutzt wird. 

An diesen Abbildungen wird nun auch klar, dass eine radiäre Be¬ 
festigung des Schreibers sich den am Rande thatsächlich vorhandenen 
Membrandurchbiegungen unter keinen Umständen anzuschmiegen vermag, 
also nothwendig die Membranschwingungen deforrairen muss. Ein weiterer 
Nachtheil der radiären Befestigung ist der, dass die Excursionen wenig 
ausgenutzt werden. Dazu kommt noch, was an Figur 3 zu erkennen 
ist, dass auch geringfügige Auflagerungen oder andere Dinge, welche die 
Excursionen an einer Stelle des Randes hindern und in der Regel un¬ 
erkannt bleiben, den Schwingungscharakter der Randpartien in einer 
Weise fälschen, dass von einer Proportionalität zwischen den die Mem¬ 
bran treffenden Impulsen und den Membranvibrationen gar keine Rede 
mehr sein kann. Das gilt besonders alles für grosse Membranen, die, 
wie wir oben gezeigt haben, wegen der Elimination der freien Schwingung 
Vorzüge vor kleinen verdienen. 

Das über die Randdurchbiegungen Gesagte betrifft natürlich auch 
die neueste Construction Frank’s. Die Herztonkapsel besteht hier „aus 
einer Trommel, deren Rand einen Kreisbogen bildet, dessen Enden durch 
ein gerades Stück wie eine Sehne verbunden sind a . Die Belastung der 
Membran hat die Sehne als Basis. Da die Membran an der Sehne ge¬ 
spannt ist, und sich hier die Randspannung mit der am Kreisbogen ent¬ 
lang functionirenden combinirt, muss man schliessen, dass gerade dort, 
von wo die Excursionen geschrieben werden, sich die grössten Defor¬ 
mitäten ausbilden (1. c. S. 341). 

Eine kurze Ueberlegung giebt über Abnahme der Schwingungen 
und Form der Membran Aufschluss. Es ist ersichtlich, dass die Schall- 


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muss nülliweudigur Weise wieder zu einer Uöforomtiün der Membran 
itVItren. l)ara;us: folgt, dass der Punkt des Söh'V't^it jj j der 
S^jnverjmtikt. und Är^nffspUtikt der Masse iku U*% : i¥ 

eiaeiti Punkt %\i $*igirosj&jk}icn m ilssen w*s \\W fc^f einer, tretet 
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; Die Anordnung der M&nbr&Ü erfolgt am fiesren in vertikale» 

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j$ji nilhf die «Uiaiitat der tk-rbus^iin wirderirrUen, mler d-u >:tu:M:tm 
YerhaHmssv vmvisduoe so liegt das lkdmY{uss. imotr einer Verln-st nm- 
der surhaudemu^ MtUlHuim dringend vm\ {>a- ideal liierfiiY. mu b .d»>m-. 
die nlmgen t^iiög^n d*$ i‘H»ideuu\r, zw heuFtlndleu sind, i&K dm u« ••■..- | 
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OF MICHfG 


126 


H. Gerhartz 


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das Wesentliche, welches die Güte des Verfahrens in erster Reihe be¬ 
dingt, eine gut gedämpfte Membran ist. Sie hat die Erfordernisse zu 
erfüllen, dass zunächst die Merabranschwingungcn von dem Orte der 
besten Schwingungsamplituden aus übertragen werden, dass die Art der 
Schwingungen der Schallplatte nicht einseitig abgeändert werden darf, 
und dass die richtige Membranbewegungen garantirende Dämpfung dort 
angreift, wo die Entnahme für die Uebertragung vor sich geht. Des 
weiteren hat sich oben ergeben, dass die Einführung eines gewichtslosen 
Lichthebels nach dem Vorbilde zahlreicher in der Physik verwendeter 
Registririnstruraente aus verschiedenen Gründen und nicht zuletzt wegen 
der Möglichkeit, die Vergrösserung der zu schreibenden Schwingungen 
in hohem Maasse herbeiführen zu können, ein Erforderniss des Grund¬ 
satzes ist, jede Entstellung auf dem Wege von der Membran bis zur 
Schreibfläche unter allen Umständen zu meiden, bezw. die unumgäng¬ 
lichen Massentheile auf ein Minimum zu reduciren. 

II. Die Oonstruction des Herzschallschreibers. 

Obwohl die Principien der Construction endgültig festliegcn und 
der Apparat zu Aufnahmen, welche seine Brauchbarkeit erwiesen, bereits 
benutzt wurde, sind in den technischen Details Abänderungen in Folge 
weiterer praktischer Erfahrungen natürlich zu erwarten. Ein theilweiser 
Umbau ist schon jetzt in Angriff genommen. Ich thcile deshalb im 
Folgenden den constructiven Aufbau nur insoweit mit, als es für das 
Verständniss der Arbeitsweise des Registrirapparates erforderlich ist und 
werde die detaillirte Beschreibung später bringen. Da sich ferner der 
Wiedergabe der erhaltenen Curven technische Schwierigkeiten entgegen¬ 
stellen, sehe ich hier vorläufig davon ab, um die Publication der Arbeit 
nicht länger zu verzögern. 

Physiologische wie klinische Beurtheilung erfordern es, die einzelnen 
Phasen des Herzschalles in die sonstigen Erscheinungen des Ablaufes 
der Herzarbeit einzureihen. Da nun die Aufzeichnung des Cardiogramms 
besonders nach den fruchtbaren Arbeiten 0. Frajik’s und auch aus 
manchen anderen Gründen nicht den Anspruch erheben kann, in dem 
Maasse eine objective Wiedergabe wichtiger Herzfunctionen darzustellen, 
als es die Aufzeichnung so kurzdauernder Erscheinungen, wie es die 
Herzgeräusche sind, erfordert, ist man genöthigt, als wahren Vergleichs¬ 
modus die Auscultation eines anderen Ostiums zu wählen, um bei der 
Beurtheilung von dem II. Herzton, der mit grosser Sicherheit auf den 
Schluss der Semilunarklappen zurückgeführt werden kann, ausgehen zu 
können. 

Allerdings ist damit kein Ideal erreicht; der Vortheil, dass so eine 
das Gleiche bezweckende und in absolut derselben Weise arbeitende 
Vergleichsmethode geschaffen ist, dürfte aber überwiegend sein. 

Alle Schallaufnahmetheile des Registrirapparates sind demgemäss 
doppelt vorhanden. 

Der Apparat ist in dem physikalischen Laboratorium von Ruhm er 
ausgeführt worden. 


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Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Herzschalles. 127 


Aufbau des Apparates. 

Zur Ueberleitung der Membranbewegung auf die photographische 
Platte bezw. Films sind Gauss’schc Lichthebel in Anwendung gezogen. 
Dadurch ist ein beträchtlicher Umfang des Apparates bedingt. Es hat 
sich aber durch geeignete Wahl und Unterbringung der nothwendigen 
Zubehöre erreichen lassen, dass die Dimensionen keine die Bequem¬ 
lichkeit der Handhabung und der Aufstellung hindernde Ausdehnung 
angenommen haben. 


Fig. 4. 



Membrantheil, von oben gesehen. 

X und S = Magnetpole. M = Membran. St — Uebcrtragungsstäbchcn. Sp — Spiegel. 
P = Plättchen aus Stahl, mit 2 stählernen Nadelspitzen Na. Po --- Polschuhe. Z — 
Zulcitungsrohr. H = Halter, in dem das Uebcrtragungsstäbchcn St ruht. 


Fig. 5. 



Spiegel mit Plättchen. 


Zur besseren Ucbersicht über die Methode und all das, was die 
Construetion an technischen Details verlangt, sei im Voraus soviel be¬ 
merkt, dass die Uebertragung der Bewegungen der senkrecht stehenden 
Membran durch ein horizontal liegendes leichtes Stäbchen auf einen 
kleinen Spiegel geschieht. Dieser letztere lehnt an das Stäbchen an 


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H. Gerhartz, 


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und wird durch Magnetismus festgchalten. Auf den Spiegel fällt von 
einer Lichtquelle ein Lichtstrahl. Bewegt sich der Spiegel, veranlasst 
durch die Bewegung der Membran, so macht der von dem Spiegel 
zurückgeworfene Lichtstrahl diese Excursionen vergrössert mit und bringt 
sie auf einer ablaufenden Filmrolle zur Darstellung. 

Somit ergiebt sich die Anordnung: 1. zweier getrennter Theile, 
welche die Membran mit der Zuleitung enthalten — sie seien der Kürze 
halber „Membrantheile“ genannt — 2. zweier das Licht abblcndender 
Tuben mit der Lichtquelle gleich „Lichtzulcitung“ und 3. einer 
„photographischen Camera“ mit »einem Uhrwerk, das die Rotations¬ 
geschwindigkeit der die Lichtcurven aufnehmenden Filmrollen bedingt 
und regulirt. 

Die technische Anordnung der Theile wird am besten aus der bei¬ 
gegebenen Abbildung ersehen. Es sind im Wesentlichen zwei auf einem 
Grundbrett befestigte Gehäuse, zwischen denen sich ein freier Raum 
befindet. 

In dem einen Kasten liegen die beiden Schallzuleitungsvorrichtungen 
mit dem ganzen Merabrantheilc; in dem anderen ist die Lichtquelle. 
Beide Kasten sind, um von der letzteren Licht auf die Membran fallen 
lassen zu können, durch zwei Tuben verbunden. Camera und Regulir- 
werk sind räumlich zwischen beiden Tuben untergebracht. 

Der Membrantheil. 

Die Membran, welche die Schallschwingungen aufnimmt, ist durch 
die Kanten zweier Metallringe von dreieckigem Querschnitt aufgespannt, 
in dem sie entsprechend ihrer eigenen Elasticität und Spannung spielen 
kann, d. h. sie ist nicht, wie es z. B. bei Gummimembranen nothwendig 
wäre, künstlich an ihrer Peripherie gespannt. Das hat den Vortheil, 
dass bei Temperaturdifferenzen und ähnlichen Einflüssen keine inneren 
Spannungen entstehen können und die Spannungsverhältnissc der Membran 
somit sich immer gleich bleiben, während die von Gummimembranen 
wechseln würden und kaum nach allen Richtungen hin gleichmässig sein 
könnten. Der die Membran haltende Ring ist in einen hohlen Cvlinder 
einschraubbar, der aussen ein Gewinde trägt, innen aber nach der der 
Membran abgewandten Seite conisch erweitert ist und hier das Schall¬ 
zuleitungsrohr, dicht anpassend, aufnehraen kann. Die lichte Weite 
beider Cylinder ist gleich, und den gleichen Durchmesser hat auch der 
das Gewinde besitzende enge Theil des Membranringes. Durch diese 
Einrichtungen ist es möglich, die Membran in einen in der Kastenwand 
sitzenden Ring hinein- und herauszuschrauben, die Membran also dem 
Spiegel zu nähern oder zu entfernen. 

Ebenfalls an der Wandung des den Apparat umgebenden Kastens 
ist ein hufeisenförmiger Stahlmagnet befestigt, dessen Pole nach oben 
gerichtet sind, und der an der geschlossenen Seite kreisrund gebogen ist. 
Beide Pole tragen nach dem Inneren des Apparates zu eiserne Fortsätze, 
die so in jederseits zwei mit Gewinde versehene, mit dem Magneten 
fest verbundene Eisenklötzchen eingeschraubt werden können, dass sie 
sich mehr oder weniger zu nähern vermögen. Von diesen' Polschuhen 


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Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Herzschalles. 129 

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besitzt der eine zwei Kerben, in die sehr feine stählerne Nadelspitzen, 
die an einem ausserordentlich leichten quadratischen Stahlplättchen 
sitzen, genau passen. Wird also dieses Plättchen dem Polschuh genähert, 
so schnappen die Stifte, wenn es richtig gehalten wird, in die Kerben 
ein. Das Plättchen wäre nun in zwei feinen Punkten um die durch die 
Spitzenenden gedachte Achse äusserst leicht beweglich, wenn nicht von 
der anderen Seite des Magneten her, je nach der Einstellung des dort 
angebrachten Polschuhes mehr oder weniger stark, durch die magne¬ 
tische Kraft des Poles die Bewegungen des Stahlplättchens gedämpft 
würden. Diese Vorrichtung ermöglicht cs, das Plättchen, welches durch 
die nähere oder entferntere Vorrückung der Membran in einen beliebigen 
Winkel zur Verticalen eingestellt werden kann, in seiner Excursions- 
fähigkeit in weitem Umfange zu variiren, wobei durch die Anordnung des 
Stahlplättchens in die geradlinige Verbindung der beiden magnetischen 
Schwerpunkte eine einseitige Dämpfung vermieden wird. 

Membran und Stahlplättchen sind durch ein äusserst leichtes Stäbchen, 
welches nur den Forderungen der Festigkeit genügt und das in einem 
an dem erstbesprochenen Pol befestigten, am freien Ende durchlöcherten 
Fortsätze leicht verschiebbar ruht, verbunden, so dass also hierdurch 
die reducirten Excursionen der Membran, soweit sie nicht durch die 
Dämpfung reducirt werden, gleichartige Bewegungen des Plättchens be¬ 
dingen müssen. 

Auf dem Plättchen ist in der Weise, dass ein Durchmesser auf der Ver¬ 
bindungslinie der beiden Kerben liegt, verspiegelt. Demgemäss gilt also das 
oben für die Excursionen des Stahlplättchens Gesagte auch für den Spiegel. 

Die Lichtzuleitung. 

Das zum Schreiben der Spiegelexcursionen nöthige Lichtbündel hat 
in einer Osramlampe seine Quelle. Die Lampe wird durch im Apparat 
selbst angebrachte Trockenelemente gespeist; mittels eines Nickelin¬ 
drahtes als Widerstand kann die Intensität der Lichtquelle regulirt 
werden. Die gebräuchlichen Lampen weisen zu dicke Fäden auf, als 
dass sie einen punktförmigen Lichtpunkt abgeben könnten. Es wurden 
deshalb Osramlampen mit möglichst dünnem und kurzem Faden eigens 
hergestellt und davon solche ausgesucht, welche einen völlig senkrecht 
zur Längsachse der Birne gerichteten Faden besassen. 

Vor der Lampe ist beiderseits eine Blende aufgestellt, durch welche 
das nun punktförmige Lichtbündel jederseits auf zwei Prismen fällt. 
Diese Prismen befinden sich zwei ausziehbaren und ineinander schicb- 
baren Tuben gegenüber, so dass das Licht, das durch die Prismen 
hindurchgeht, durch die Längsachse der Tuben fällt und zwar in weiterer 
Verlängerung dieser Achse auf den Spiegel des Membrantheiles. Die 
Prismen sind in verschiedener Richtung etwas zu bewegen. Innerhalb 
der Tuben ist eine Convexlinse so justirt, dass der auf dem Spiegel 
sichtbare Lichtstrahl punktförmig erscheint. 

Die Camera. 

Die photographische Camera befindet sich in der Mitte zwischen 
den beiden Tuben, da die Lichtstrahlen nach der Mitte des Apparates 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 


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130 H. Gerhartz, Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen etc. 

• 

zu reflectirt werden. Sie fallen dort, wenn der Belichtungsschieber auf¬ 
gezogen ist, auf eine ebene Schreibfläche, welche durch ein zwischen 
zwei parallel liegenden Rollen sich wegziehendes straff gespanntes Film¬ 
band gebildet wird. Natürlich ist, damit der Schrcibpunkt sich in einer 
vollkommenen Ebene bewegt, durch verschiedene Vorrichtungen dafür 
Garantie gegeben. 

Die Filmrollen werden von einem ausserordentlich gleichraässig 
gehenden, um Erschütterungen des Apparates zu vermeiden, weit abseits 
stehenden Uhrwerk vermittels einer biegsamen Welle angetrieben; die 
Geschwindigkeit des Ablaufes kann genau regulirt werden. Der Antrieb 
wird durch ein Hebelsystem ausgelöst. 


Durch diese Einrichtungen glaube ich wesentliche Vorzüge vor allen 
ähnlichen Constructioncn erzielt zu haben. Diese liegen: 

1. in der Garantie, dass thatsächlich nur Schallwellen aufgezeichnet 
werden, 

2. in der stets gleichmässigen Spannung der Aufnahmcm'embran, so 
dass mit ihr bei der theoretischen Durchrechnung als einer Kon¬ 
stanten gerechnet werden kann, 

3. in der optimalen Aufnahme der Membranbewegungen, 

4. in der nicht durch Gewichtsbclastung herbeigeführten und durch 
Reibung complicirten Dämpfung, sondern im Ersatz einer solchen 
durch eine genau messbare, variable, die Reibung zu einem un¬ 
wesentlichen Factor reducirende magnetische Dämpfungs¬ 
vorrichtung, 

f>. in der einerseits durch Variation der Entfernung zwischen 
Spiegeldrehachse und Angriffspunkt des die Membranbewegungen 
übertragenden Stäbchens, andererseits durch auf optischem 
Wege herbeigeführte Vergrösserung der Lichthebel bewerkstelligte 
Verlängerung der Excursioncn. 

Auf Grund der Kcnntniss der einzelnen im Registrirapparat wirk¬ 
samen Grössen ist es möglich, die Amplituden der geschriebenen Curven 
auf genau messbare Membranexcursionen zurückzuführen. 

Ich stehe nach den vorstehend gemachten Ausführungen nicht an 
zu behaupten, soweit die in der Literatur niedergelcgten Mittheilungen 
erkennen lassen, den ersten einwandfreien Weg zur Aufzeichnung von 
Schallerschcinungen auch geringerer Intensität gewiesen zu haben. 


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XI. 


Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Jena. 

Beiträge zur Kenntniss der Gicht. 

8. Das Auftreten von Glykokoll im Blute. 

Von 

H. Kionka. 

Hierzu Tatei II und III und 1 .Skizze im Text.) 

In einer früheren aus dem hiesigen Institut hervorgegangenen und 
hier veröffentlichten Arbeit wurde von Frey (1) mitgctheilt, dass nach 
Zusatz von Harnsäure zu überlebendem Blute in demselben Glykokoll 
auftretc. Dieser Befund wurde später von uns (2) bestätigt. Da er 
aber trotzdem angegriffen und — zunächst ohne Nachprüfung — die von 
uns fcstgestellte Thatsache bestritten wurde, so schien es mir nöthig 
der Frage noch einmal nachzugehen und womöglich den ganzen Vorgang 
durch Feststellung weiterer Thatsachen noch mehr sicher zu stellen. 

Die Methode, die zur Bestimmung von Glykokoll und anderen 
Amidosäuren jetzt allgemein angewandt wird, ist bekanntlich die von 
E. Fischer und Bergell ausgearbeitete, mittels £-Naphthalinsulfochlorid 
die Bildung schwer löslicher und mehr oder weniger gut krystallisircndor 
Verbindungen der /J-Nathalinsulfosäure mit den verschiedenen Amido¬ 
säuren zu erzielen. Diese Methode, welche von ihren Erfindern ursprüng¬ 
lich zu rein synthetischen Zwecken ausgearbeitet war, hat sich aber 
als Nachweismethöde recht wenig bewährt. Sie ist eigentlich überhaupt 
nur für den Nachweis von Glykokoll anzuwenden. Aber auch da giebt 
sie schon bei Harnuntersuchungen quantitativ recht wenig brauchbare 
Resultate. Rechnet doch Hirschstein (3) neuerdings sogar bloss mit 
einer Ausbeute von 20 pCt. 

Wenn wir mit dieser Methode an den Nachweis von Glykokoll im 
Blute herangehen wollten und auch hcrangegangen sind, so mussten 
wir natürlich auf noch schlechtere Ausbeuten gefasst sein. So ergab 
sich für uns die Unannehmlichkeit, dass wir am Schluss stets nur 
äusserst geringe Mengen des Reactionsproductes erhielten, deren ein¬ 
wandfreie Identifioirung mit grossen Schwierigkeiten verknüpft war. 
Wir benützten dazu ebenso wie alle anderen mit dieser Methode 
Arbeitenden die Fällung mit Baryumchlorid und die Feststellung des 
Schmelzpunktes. Nie reichte die erhaltene Menge des Endproductes zu 

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H. Kionka, 


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einer Elementaranalyse oder auch nur zu einer N-Bestimmung aus. Aber 
auch diese letztere würde ebensowenig wie die genannten anderen Re- 
actionen und Bestimmungen ein absolut sicherer Nachweis für die be¬ 
treffende Verbindung mit Glykokoll oder einer anderen Aminosäure 
gewesen sein. Es kam als weitere Schwierigkeit dazu, dass sich ent¬ 
sprechend dem Ausgangsmaterial sicherlich öfters verschiedene gleich» 
zeitig neben einander vorhandene Aminosäuren an der Reaction mit 
/?-Naphthalinsulfosäurc betheiligten und daher häufig verschiedene End- 
producte im Gemisch Vorlagen. Ferner bildet sich bei dieser Methode 
bekanntlich sehr leicht das Amid der genannten Säure, das trotz wieder¬ 
holter Behandlung mit Ammoniak doch in Spuren immer wieder im 
Endproduct enthalten ist. 

Es schien daher wünschenswerth zur Idcntificirung des Endproductes 
bei dieser Methode einen ganz andern Weg zu beschreiten, auf dem es 
möglich wäre, selbst ganz geringe Mengen der fraglichen Substanz mit 
Sicherheit zu identificiren. 

Dieses Ziel suchte ich auf krystallographischem Wege zu er¬ 
reichen. Dieser Weg schien mir von vornherein gute Aussichten zu 
bieten. Denn einmal ist die Bestimmung einer Krystallform mittels 
mikroskopischer Beobachtung und Messung bereits an äusserst kleinen 
Krystallen oder Krystalltrümmern möglich. Sodann aber giebt die Fest¬ 
stellung einer bestimmten Krystallform die völlig untrügliche Gewissheit, 
dass es sich nur um die eine betreffende Substanz handeln kann, für 
welche dieses selbige krystallinische Verhalten festgestellt ist. Denn es 
ist eine der wichtigsten Grundlagen der Krystallographie, dass „ver¬ 
schiedene Substanzen unter gleichen oder verschiedenen physikalischen 
Bedingungen zwar manchmal in geometrisch ähnlichen, niemals aber in 
Krystallen, in denen je gleiche Richtungen physikalisch und geometrisch 
gleich wären, krystallisiren a (Linck). 

Man kann also durch Messung der geometrischen Verhältnisse 
irgend welcher vorliegender Krystalle und durch gleichzeitige Feststellung 
physikalischer Grössen (optisches Verhalten, Spaltbarkeit etc.) mit ab¬ 
soluter Sicherheit die betreffende Substanz identificiren. 

Die krystallographische Untersuchung gehört zu dem wichtigsten 
Rüstzeug der Mineralogen. Man kann aber diese Methoden auch sehr 
wohl zu anderen Zwecken verwenden und sie an Stelle chemischer 
Prüfungen benützen, wenn, wie hier in unserem Falle, die zur Verfügung 
stehenden Substanzmengen zu letzterer nicht ausreichen. 

Ueber die Einzelheiten dieser ersichtlich recht vielfach verwend¬ 
baren Methode soll an anderer Stelle ausführlich berichtet werden. 

Zur Ausführung der Untersuchungen, welche im Folgenden geschil¬ 
dert werden sollen, wandte ich mich an den Direktor des hiesigen 
mineralogischen Instituts Herrn Geheimrath Linck, welcher mir nicht 
nur die Apparate seines Instituts in liebenswürdiger Weise zur Verfügung 
stellte, sondern mich auch bei der Ausführung der Untersuchungen in 
jeder Weise mit Rath und That unterstützte und auch die von mir ge¬ 
wonnenen Resultate nachprüfte und bestätigte. Ich sage ihm auch an 
dieser Stelle meinen besten Dank dafür. 


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Beiträge zur Kenntniss der Gicht. 


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Es musste meine Aufgabe sein die eventuell am Schluss der 
chemischen Methode erhaltenen krystallinischen Substanzen als Ver¬ 
bindungen der /^-Naphthalinsulfosäure mit Glykokoll oder anderen Amido- 
säuren krystallographisch zu identificiren. Dazu war es zunächst noth- 
wendig, das krystallographische Verhalten der etwa in Frage kommenden 
Verbindungen genau zu kennen. Zu diesem Zwecke stellte ich mir die 
betreffenden Verbindungen nach der Fischer-Bergell’schen Methode 
aus reinen Substanzen dar. Ich wählte dazu ausser Glykokoll (von den 
Höchster Farbwerken bezogen) Leucin, linksdrehend, und Alanin, inactiv, 
(beides von E. Merck, Darmstadt, bezogen). Das zur Herstellung der 
Verbindungen benützte /tf-Naphthalinsulfochlorid stammte von Kahl bäum, 
Berlin. Ausserdem stellte ich mir zum Vergleich auch das Amid der 
/f-Naphthalinsulfosäure dar, da. dieses sich, wie oben gesagt, sehr häufig 
bei Anwendung dieser Methode als Beimengung im Endproduct findet. 

Die krystallographische Untersuchung dieser Verbindungen ergab 
folgendes: 

I. /tf-Naphthalinsulfoglykokoll. 

Diese Verbindung zeigte krystallographisch mehrere Modifikationen. 
Und zwar konnte ich drei verschiedene Krystallformen bei dieser Substanz 
feststellen. Jedoch war es nicht ersichtlich, welche Momente bestimmend 
dafür waren, dass die Substanz in dieser oder in jener Form krystallisirte. 
Ohne Einfluss darauf war bestimmt das Lösungsmittel, aus welchem die 
Krystallisation erfolgte. Es fanden sich sogar häufig, wie auch aus den 
folgenden Photographien zu ersehen ist, verschiedene Krystallformen dicht 
neben einander in ein und demselben Präparat. Hingegen schien es, 
als ob die Temperatur, bei welcher die Krystallisation stattfand, und 
die Geschwindigkeit des Krystallisationsvorganges von Bedeutung für die 
Form der sich bildenden Krystalle wären. Wiederholt liess sich auch 
beobachten, dass zuerst aus einer Lösung nur Krystalle einer bestimmten 
Form ausfielen. Blieb aber die Lösung mit dem krystallinischen Sediment 
einige Zeit stehen, so traten allmählich immer mehr Krystalle einer 
andern Form neben denen der ursprünglichen auf, die ihrerseits nach 
und nach verschwanden, so dass schliesslich nur noch Krystalle der 
zweiten Form zu finden waren. (Es ist dies ein Verhalten, das man an 
vielen in verschiedenen Modifikationen krystallisirenden Substanzen be¬ 
obachtet.) 

Die von mir beobachteten Krystallisationsformen des ß-Naphthalin- 
sulfoglykokolls sind folgende: 

1. Bei schwacher Vergrösserung sieht man Rosetten oder Büschel 
nadelförmiger Krystalle, wie es auch auf Fig. 2 (neben den grossen 
rhombischen Plättchen) zu sehen ist. 

Bei stärkerer Vergrösserung sieht man, dass die Kryställchen in 
Form nadelförmiger, schmaler, dünner Plättchen ausgebildct sind, welche 
manchmal an dem einen Ende in ein Büschel feinster gerader Nadeln 
aggregiren. 

Winkelmessungen waren bei der Schmalheit der Plättchen nicht 
möglich. 



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Die Auslöschung ist parallel und senkrecht zur Längsrichtung der 
Plättchen. 

Lichtbrechung gering, Stärke der Doppelbrechung ebenfalls gering. 
Bei etwas breiteren Plättchen beobachtet man ein symmetrisch aus¬ 
tretendes Achsenbild 2achsiger Krystalle. Und zwar liegt die optische 
Achsenebene in der Längsrichtung der Krystalle. 

Der grössere Brechungsexponent liegt dagegen senkrecht zur Längs¬ 
richtung. 

Danach dürften die Krystalle wahrscheinlich dem rhombischen 
System angehören. 

Der beobachtete Achsenwinkcl ist so klein, dass er sicher der spitze 
ist. Die Krystalle sind also optisch positiv. 

2. (siehe Fig. 1). Die Krystalle sind ausgebildet in Form von schein¬ 
bar hexagonalen Plättchen. Die Winkclmcssungen ergaben: 

^ a, ^ b, ^ d und ^e = 125°; 
und ^f= 110°. 

(siehe beifolgende Skizze!) 



Lichtbrechung gering. 

Auslöschung grade, parallel den Kanten ab und de. 

Man sieht der Kante c d bezw. a b genähert den seitlichen Austritt 
einer optischen Achse 2 achsiger Krystalle. Die optische Achsenebene 
liegt in der Syrametriccbene der scheinbar monoklinen Krystalle und 
steht senkrecht zur Kante a b. 

Zu derselben Krystallform gehören auch, wie aus nebenstehender 
Skizze ersichtlich ist, folgende, gleichfalls beobachtete Krystalle: 

Die Krystalle sind ausgebildet in Form von Plättchen mit rhombischer 
Begrenzung. Die Winkelmessungcn ergaben: 

^ u und y — 55°, 

_ ß und d — 125°. 


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Beiträge zur Kenntniss der Gicht. 


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Man sicht, dass die Winkel (i und S die gleiche Grösse haben wie 
die Winkel a und d bezw. b und c bei den eben beschriebenen hexa¬ 
gonal begrenzten Krystallcn. Diese letztere Form entsteht (s. Skizze) 
aus der rhombischen durch Abschrägung der spitzen Winkel a und 
Damit stimmt auch die zu 110° gemessene Grösse der durch die Ab¬ 
schrägung neu entstandenen Winkel c und f. 

Aber nicht nur geometrisch, sondern auch in ihrem physikalischen 
Verhalten stimmen diese beiden Krystallformen überein. 

Die Auslöschung ist bei den Rhomben parallel zu den Kanten «, d 
und /¥, y. — Die Spaltbarkeit, die sich an einigen Krystallcn feststellen 
liess, verläuft senkrecht dazu. 

Man sieht den seitlichen Austritt einer Achse 2achsiger Krystalle. 
Die optische Achsenebenc liegt parallel zur Spaltbarkeit. 

Die Krystalle gehören also dem monoklinen Systeme an. 

3. (siehe Fig. 2). Die Krystalle sind ausgcbildet in Form rhombi¬ 
scher Plättchen. Die Winkelmcssungen ergaben für den spitzen 
Winkel 70,5°. 

Lichtbrechung gering; Doppelbrechung ebenfalls gering. 

Auslöschung grade, in der Richtung der langen Diagonale. 

Man sieht den seitlichen Austritt einer optischen Achse eines 
2achsigcn Krystalls im spitzen Winkel der Krystalle. 

Der grössere ßrcchungscxponent parallel der kürzeren Diagonale. 

Die Krystalle gehören danach dem monoklinen System an. 

n. /tf-Naphthalinsulfoalanin. 

Diese Substanz krystallographiseh zu idcntificircn ist nicht ge¬ 
lungen. Sie krystallisirt bekanntlich viel schwerer als die entsprechende 
Glykokoll Verbindung. Die krystallographisohe Untersuchung ergab 
folgendes: 

Am Boden, des Gefässes liegen krümlige, gelbliche Massen von 
harter Consistenz. Zerdrückt zeigt sich unter dem Mikroskop eine ölige, 
gelblich-graue Masse schaumiger Structur. In ihr eingebettet finden sich 
zahlreiche Körner einer krystallinischen doppelbrcchenden Substanz, in 
welcher einzelne Krystallindividuen nicht mit derart genügender Deut¬ 
lichkeit zu erkennen sind, dass eine weitere Identificirung möglich wäre. 


in. jtf-NaphthaUnsulfoleucin. 

Diese Verbindung bot krystallographiseh mehr Anhaltspunkte (siehe 
Fig. 3). 

Die Untersuchung ergab folgendes: 

Die Krystalle sind ausgebildct in Form verzweigter Bäumchen, die 
einzelnen Aestchen sind bogenförmig abstehend und in einer Ebene an¬ 
geordnet, sie bilden lange flache Blättchen, die nach der einen Seite 
eine ziemlich ganzrandige Begrenzung zeigen, nach der andern in viele 
einzelne Fiedern aufgelöst sind. Die einzelnen Fiedern sind Hache nadel¬ 
förmig erscheinende Gebilde mit stumpfer Spitze. 

Die Fiederchen spalten in einem Winkel von 112° zur Längsrichtung. 


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Die Plättchen löschen ungefähr parallel zur Längsrichtung aus. — 
Es besteht Unscharfheit der Kanten. 

Lichtbrechung gering. 

Doppelbrechung sehr stark. Die Krystalle zeigen zwischen gekreuzten 
Nikols das Weiss höherer Ordnung. 

Man sieht den stark seitlichen Austritt einer optischen Achse eines 
2achsigen Krystalles. Und zwar liegt die optische Achsenebene senk¬ 
recht zur Längsrichtung der Krystalle. 

Der grössere Breehungsindex liegt in der Längsrichtung der Plättchen. 

Die Krystalle gehören wahrscheinlich dem monoklinen System an. 

IV. ^-Naphthalinsulfamid. 

Diese Verbindung krystallisirt sehr leicht in gut bestimmbaren 
Krystallen. — Die Krystalle kommen in zwei Ausbildungen vor, ent¬ 
weder als kleine scheinbare Rhomboeder oder als dünne rhombisch oder 
hexagonal begrenzte Plättchen (siehe Fig. 4). Die dicken Kryställchen 
stellen sich dar als eine Combination von rhombischem Prisma mit Basis; 
an einigen tritt auch noch ausserdem das Brachypinakoid auf. — Die 
grösseren Krystalle sind tafelförmig nach der rhombischen Basis. 

Die letzteren, die Plättchen, zeigen im auffallenden Lichte die 
Interferenzfarben dünner Plättchen. 

Der spitze Winkel der Rhomben ist — bei den Plättchen gemessen 
— 72°. 

Lichtbrechung gering. 

Auslöschung auf den Rhombcnilächen diagonal, auf den Prismen 
parallel den Kanten. 

Auf der Basis ist der symmetrische Austritt zweier optischer Achsen 
zu beobachten. Man sieht das Achsenbild 2achsiger Krystalle. Und 
zwar liegt die optische Achsenebene parallel der langen Diagonale des 
Rhombus, also parallel dem Makropinakoid. 

Der grössere Brechungsexponent entspricht der kurzen Diagonale, 
also der Brachydiagonale. 

Hiernach ergiebt. sich, dass die Krystalle dem rhombischen 
System angehören. 

Uebersehen wir diese krystallographischen Analysen, so zeigt sich, 
dass die verschiedenen Substanzen recht gute Unterschiede in ihrem 
Verhalten aufweisen. Sie sind genügend, um eine sichere Unterscheidung 
von einander zu ermöglichen. 

Die Alaninverbindung wird wegen ihrer schweren Krystallisir- 
barkeit wrnhl kaum zu Verwechslungen Veranlassung geben. Die ebenfalls 
noch ziemlich schlecht, aber immerhin bedeutend leichter krystallisirende 
Leucinverbindung ist charaktcrisirt durch die Bildung dauerhafter 
baumförmiger Krystallskelette, das optische Achsenbild, die Richtung der 
Auslöschung und die in einem gemessenen Winkel dazu verlaufende 
Spaltungsrichtung. — Die Glykokollverbindung bietet drei gut 
charakterisirte Krystallmodificationen, und auch für das Amid ist die 
Krystallforra mit aller Sicherheit festgestellt. 


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Beiträge zur Konntniss der Gicht. 


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Dabei zeigt sich aber, dass zwischen den Krystallcn des Amids und 
jenen der Glykokollverbindung doch eine gewisse Aehnlichkeit besteht, 
die wohl bei ungenügender Untersuchung auf den ersten Blick zu Ver¬ 
wechslungen führen könnte. 

Das Amid sowohl wie die Modilication 3 der Glykokollverbindung zeigen 
rhombisch, manchmal auch hexagonal begrenzte Plättchen. Der spitze 
Winkel der Amidkrystalle misst 72°, der der Krystalle der Glykokoll¬ 
verbindung 70,5°. Der Unterschied ist also nur gering. Jedoch zeigt 
sich sofort ein deutlicher Unterschied zwischen diesen beiden Krystall- 
formen, wenn man das optische Achsenbild feststellt. Dasselbe ergiebt, 
dass die Krystalle des Amids dem rhombischen System, die der Glykokoll¬ 
verbindung dem monoklinen System angehören. 

Man sieht hieraus, wie wenig aus einfachem Beschauen und Angabe 
der geometrischen Form der beobachteten Krystalle zu schliessen ist, wie 
es für gewöhnlich nur geschieht. 

Nach diesen Feststellungen ging ich daran mit Hülfe dieser Methode 
im Blute nach Zusatz von Harnsäure nach eventuell auftretendem Gly- 
kokoll zu suchen. 

Ich benutzte dazu Hammelblut und Hundcblut. Im einzelnen stellten 
sich die Versuche folgendermaassen: 

I. Hammelblut. 

•1400 ccm frischen Blutes werden mit 8 Litern Wasser vordünnt; dazu gesetzt 
21,6 g Harnsäuro und Lithiumoxyd bis zur schwach alkalischen Reaction. Darauf 
unter Chloroformzusatz 24 Stunden im Brutschrank bei 39° stehen gelassen. 

Dann werden 100 ccm davon entnommen, enteiweisst und ihr Harnsäuregehalt 
nach Salkowski bestimmt. Es waren darin enthalten: 

0,1696 g Harnsäure, in der Gesammtmenge des Blutes also: 19,3344 g Harn¬ 
säure. — Zugethan waren: 21,6 g. Es wurden also von der zugesetzten Harnsäure 
89.51 pCt. wiedergefunden. 

Das nicht zur Harnsäurebestimmung verwandte Blut wurde nach Fi sch er- 
Bergeil mittels /f-Naphthalinsulfochlorid auf Glykokoll untersucht. 

Der erhaltene krystallinische Niederschlag wurde krystallographisch auf die 
Glykokollverbindung der //-Naphthalinsulfosäure untersucht. 

II. Hundeblut. 

890 ccm frisch aus der Ader gelassenen Blutes, mit 1000 ccm Wasser verdünnt, 
dann mit 2,0 g Harnsäure und mit Lithiumoxyd bis zur schwach alkalischen Reaction 
versetzt. Darauf 4 Stunden lang unter Fluornatriumzusatz im Schüttelapparat bei 
constanter Temperatur von 39° (genau 38 °—40°) geschüttelt. 

Hierauf wie oben auf Glykokoll verarbeitet. Der erhaltene Niederschlag wie 
oben w T eitcrbohandelt. 

III. Hundeblut. 

340 ccm frisch entnommenen Blutes werden mit 1000 ccm Wasser verdünnt und 
mit 2,0 g Harnsäure, mit 2,0 g Fluornatrium und mit Lithiumoxyd bis zur schwach 
alkalischen Reaction versetzt. 

Darauf werden drei Portionen zu jclOOccm a, b und c zur Harnsäurebestimmung 
entnommen. 

Das Uebrige wird im Schüttelapparat 4 Stunden lang bei constanter Temperatur 
von 39° geschüttelt. 

Darauf wiederum drei Portionen zu je 100 ccm A, B und C entnommen. 


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Diese sowie die vorher entnommenen Portionen a, b und c werden nach Sal- 
kowski auf Harnsäure verarbeitet. Und zwar werden immer gleichzeitig neben 
einander verarbeitet Portion a und A, Portion b und B und Portion c und C. 

Es ergaben sich folgende Zahlen: 

Portion a: 0,1371 g. — Portion A: 0,1224 g Harnsäure. 

„ b: 0,1320 g. - „ B: 0,0923 g „ 

* o: 0,1097 g. — „ C: 0,0947 g „ 

Uder in Procenten der ursprünglich zugesetzten Harnsäuremenge ausgedrückt : 

Portion a: 91,2 pCt. — Portion A: 82,0 pCt. 

» 88,4 „ — « B: 61,9 „ 

„ »= 73,5 „ - „ C: 63,4 „ 

Das heisst, es fanden sich Differenzen zwischen den gleichzeitig verarbeiteten 
Portionen, von denen je eine vor und eine nach dem Schütteln entnommen war, zu 
9,2 pCt. zwischen Portion a und A, 

26,5 „ „ „ b „ B und 

10,1 „ „ „ c „ C. 

Jedoch liegen trotzdem sicherlich die gefundenen Differenzen noch innerhalb der 
Versuchsfehler, wie sie bei dieser Versuchsanordnung gegeben waren. Denn in 
Portion A, also nach dem Schütteln, findet sich ein höherer Harn säure werth (82,0pCt. 
der ursprünglich zugesetzten) als in Portion c, also vor dem Schütteln entnommenen 
(73,5 pCt.). — Es ist noch zu erwähnen, dass die Abmessung der einzelnen Portionen 
deswegen einige Schwierigkeiten machte, weil das Blut bei diesem Versuche sofort in 
grossen Klumpen geronnen war, die vollständig zu zerkleinern vielleicht nicht voll¬ 
kommen gelang. — Daher wohl die grossen Schwankungen der wiedergefundenen 
Harnsäurewerthe. — Jedenfalls sind wir nicht berechtigt aus diesem Versuche — 
ebenso wenig wie aus dem oben mitgotheilten Versuche mit Hammelblut — den 
Schluss zu ziehen, dass von der dem Blute zugesetzten Harnsäure ein Theil zerstört 
worden sei. 

Das nicht zur Harnsäurebestimmung verwandte Blut wurde wie oben auf Gly- 
kokoll verarbeitet. 

Die aus diesen drei Versuchen mittels der Fischer-Bergell’schen 
Behandlung mit /J-Naphthalinsulfosäure gewonnenen Niederschläge er¬ 
wiesen sich zunächst natürlich als stark verunreinigt. Dies ging sowohl 
aus den Versuchen einen Schmelzpunkt zu bestimmen wie aus der 
krystallographischen Untersuchung hervor. Wohl schmolzen einige Theile 
des Niederschlages bereits bei 155°, jedoch blieben andere Theile immer 
noch ungeschmolzen und schmolzen erst bei weit höheren Temperaturen, 
zum Theil erst bei 215°, erwiesen sich also als Amid, was auch aus 
dem Verhalten eines Theiles des Niederschlages gegenüber Ammoniak 
hervorging. 

Die krystallographische Untersuchung ergab zunächst auch keine 
reinen Bilder. Man sah fast stets krümelige, unregelmässig begrenzte 
Massen, aus deren Peripherie wohl hier und dort, namentlich nach 
längerem Stehen der Niederschläge, durchsichtige, nadelförmige Krystalle 
hervorwuchsen. Die rosetten- oder büschelförmige Anordnung derselben, 
— die wir ja, wie oben gezeigt, nur bei der Glykokollverbindung an¬ 
getroffen hatten, — sprach ja wohl dafür, dass es sich auch hier in 
diesen mit ß-Naphthalinsulfosäure nach der angegebenen Art behandelten 
Lösungen um diese Verbindung handeln mochte. Jedoch ein exacter 


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Beitrage zur Kenntniss der Gicht. 


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Beweis dafür war in diesen noch so unreinen, zunächst gewonnenen 
Niederschlägen nicht zu erbringen. 

Dieser Befund zusammen mit den angestclltcn Versuchen zur Be¬ 
stimmung des Schmelzpunktes erweisen, dass es völlig unstatthaft ist, 
wie es manchmal geschieht, aus Wägungen solcher Art gewonnener Mengen 
dieses „Rohproductes 44 irgend welche Schlüsse auf quantitative Verhält¬ 
nisse zu ziehen. 

Indessen gelang es doch zu sicheren Schlüssen zu kommen. Durch 
eine weitere Behandlung dieser und einiger weiterer in andern analog 
angestellten Versuchen gewonnener Niederschläge mit Ammoniak und 
erneutes Ausfällen mit Säure und wiederholtes Umkrystallisiren erhielten 
wir ein zwar an Menge bedeutend redueirtes Präparat, das aber in einigen 
Fällen den Schmelzpunkt von 154° genau zeigte. Und auch die krystallo- 
graphische Untersuchung führte uns zum gleichen Resultat. Während 
zuerst sich im Mikroskop nur Krystallbilder der oben beschriebenen un¬ 
klaren Art zeigten, wie eines in Fig. 5 dargestellt ist, gelang es schliesslich 
durch verschiedene Modifikationen des Krystallisationsvorganges so schöne 
und grosse Krystalle zu erzielen, wie sie z. B. in Fig. 6 wiedergegeben sind. 

An solchen Krystallen Hessen sich auch die geometrischen und ein 
grosser Theil der physikalischen Verhältnisse mit aller Sicherheit fest¬ 
stellen. So wurde folgendes Protokoll erhoben: 

Die Krystalle sind ausgebildet in Form rhombischer oder hexagonal 
begrenzter Plättchen. Die eine Spitze sitzt im Concrement verwachsen. 
— Der spitze Winkel der Krystalle misst 70,5°. 

Lichtbrechung gering; Doppelbrechung ebenfalls gering. 

Auslöschung gerade, bei den Rhomben in der langen Diagonale, bei 
den hexagonal begrenzten Plättchen parallel einer Kante. 

Man sieht den seitlichen Austritt einer optischen Achse eines 
‘2achsigen Krystalles im spitzen Winkel des Rhombus. 

Der grössere Brechungsindex liegt parallel der kurzen Diagonale im 
Rhombus, also senkrecht zur optischen Achsenebene. 

Die Krystalle gehören danach dem monoklinen System an. 

Man sieht hieraus, dass sich dieser krystailographische Befund in 
.jeder Richtung mit dem Befunde deckt, den wir oben an der Modification 3 
des //-Naphthalinsulfoglykokolls erhoben hatten. 

Und da auch der schliesslich festgestellte Schmelzpunkt mit dem 
Schmelzpunkt dieser Verbindung übereinstimmt, so ist also auf diesem 
krystallographischen Wege der unzweifelhafte Nachweis geliefert, 
dass es sich in jjer vorliegenden Substanz wirklich um die 
Glykokollverbindung der /J-Naphthalinsulfosäure handelt. 

Damit ist es also erwiesen, dass im Blute nach Harnsäure¬ 
zusatz Glykokoll auftreten kann, und wir können diese von 
uns bereits früher aufgestellte Behauptung nach wie vor auf¬ 
recht erhalten. 

Es ist aber nunmehr weiter die Frage zu erörtern, ob das im Blute 
aufgefundene Glykokoll auch aus der zugesetzten Harnsäure stammt. 

Unsere oben mitgetheilten bei diesen Versuchen gleichzeitig ange¬ 
stellten Harnsäurebestimmungen haben ja, wie wir gezeigt haben, in 


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140 H. Kionka, 

keiner Weise den Beweis erbracht, dass von der zugesetzten Harn¬ 
säure etwas verloren gegangen, also möglicherweise zerstört sei. Wie 
wir aber schon wiederholt früher derartigen Untersuchungen gegenüber 
hervorgehoben haben, kann man aus dem negativen Ausfall einer solchen 
quantitativen Methode, die mit so grossen durch Versuchsfehler bedingten 
Verlusten rechnen muss wie die Harnsäurebestimmung im Blute, nicht 
entscheiden, ob etwa doch kleinste Mengen von Harnsäure — denn um 
solche würde es sich ja hierbei doch nur handeln — zerstört worden 
sind oder nicht. — Bs kommen ja aber für die Herkunft dieses im 
Blute auftretenden Glykokolls auch noch ganz andere Möglichkeiten in 
Betracht, wie ebenfalls von uns schon in ausführlicher Weise dargelegt 
worden ist (2). Diese Möglichkeiten sind um so mehr in Betracht zu 
ziehen, als nach den neueren Untersuchungen von Wiener und Wiechowsky 
(4) die Entstehung von Glykokoll aus Harnsäure sehr unwahrscheinlich 
geworden ist und deswegen selbst Wiener, welcher als erster diesen 
Weg der chemischen Harnsäurezerstörung angenommen hatte, an seiner 
ursprünglichen Ansicht nicht mehr festhält. 

Allerdings rechnet Hirschstein (3) mit dieser Art der Harnsäure¬ 
zersetzung. Er hat auch aus seinen Versuchen den Schluss gezogen, 
dass um so mehr Harnsäure zu Glykokoll umgewandelt würde, je höher 
die Alkaleseenz bei dem Ablauf dieses Processes sei. Er suchte dadurch 
die auffallenden Befunde Embden’s (5) zu erklären, wonach bei Arbeiten 
in stark alkalischen Lösungen in jedem Menschen- und Thierharn Gly¬ 
kokoll nach der ^-Naphthalinsulfosäure-Methode zu finden sei. 

Da auch Wiener und Wiechowsky (4) ein sogar völliges Ver¬ 
schwinden der Harnsäure aus Lösungen, durch welche längere Zeit Luft 
durchgeleitet wurde, festgestellt hatten, so schien es uns wünschenswerth 
noch einmal unsererseits diese Frage nachzuprüfen und zu untersuchen, 
ob etwa nach Behandlung von Harnsäurelösungen mit Alkali in diesen 
Glykokoll auf wirklich sichere Weise nachzuweisen wäre. Wir stellten 
unsere Versuche mit Harnsäurelösungen unter Zusatz wechselnder Mengen 
von Alkali in folgender Weise an. 

1. 100 ccm einer 2 proc. Harnsäurelösung in 10 proc. Natronlauge eine Stunde 
lang gekocht; alsdann auf Glykokoll verarbeitet: kein Niederschlag mit ^-Naphthalin- 
sulfochlorid. 

2. 1,0 g Harnsäure werden in 200 ccm einer 0,5 proc. Natronlauge mit 10 ccm 
einer 10 proc. ätherischen Lösung von /tf-Naphtbalinsulfochlorid 14 Stunden lang ge¬ 
schüttelt und weiter auf Glykokoll verarbeitet: leichte Trübung. 

3. Dieselbe Versuchsanordnung: starke milchige Trübung; dieselbe ist unlöslich 
in Ammoniak, also als durch entstandenes Amid gebildet zu betrachten. 

4. 1,0 g Harnsäure in 200 ccm 2,5proc. Natronlauge gelöst etc.: keine Trübung, 
kein Niederschlag. 

5. 1,0 g Harnsäure in 200 ccm einer 5 proc. Natronlaugo gelöst etc.: kein 
Niederschlag, keine Trübung. 

Die Harnsäure war zu diesen Versuchen stets vorher frisch umkrystallisirt worden. 

Also weder durch Kochen in starker Natronlauge noch durch 
14 ständiges Schütteln mit Natronlauge von verschiedener Concentration 
liess sich aus Harnsäure Glykokoll gewinnen. 


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Beiträge zur Kenntuiss der Gicht. 


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Danach ist der Abbau der Harnsäure über Glykokoll überhaupt 
sehr unwahrscheinlich, und wir werden auch für das von uns im Blute 
gefundene Glykokoll wohl andere Quellen annehmen müssen als die vorher 
zugesetzte Harnsäure. Möglicherweise entsteht das Glykokoll beim Abbau 
der aus den zu Grunde gehenden Zellen stammenden Kernsubstanzen. 

Bei der Anfertigung der beigegebenen Mikrophotographien wurde ich 
in liebenswürdiger Weise von Herrn Dr. Koehlcr unterstützt, wofür ich 
ihm an dieser Stelle meinen besten Dank sage. 

Literatur. 

1. E. Frey, Diese Zeitschrift. Bd. II. S. 36. 

2. H. Kionka und E. Frey, Daselbst. Bd. III. S. 597. 

3. L. Hirschstein, Daselbst. Bd. IV. S. 118. 

4. Wiener und Wiechowsky, Hofmeister’s Beiträge. Bd. IX. S. 247. 

5. Embden und Reese, Daselbst. Bd. VII. S. 411. 

Erklärung der Abbildungen auf Tafel II und III. 

Die Mikrophotographien wurden mit einem Zeiss’schen mikrophotographischen 
Apparat bei senkrechter Stellung des Mikroskopes angefertigt. Benutzt wurde ein 
Zeiss’sches Mikroskop. 

1. £-Naphthalinsulfoglykokoll, rein dargestellt. Lin. Vergr. 70fach. Ocular 4. 
Object. Apochrom. 16. Ap. 0,30. 

2. Dasselbe* — Lin. Vergr. 75fach. Ocular 4. Object. Apochrom. 16. Ap. 0,30. 

3. /tf-Naphthalinsulfoleucin, rein dargestellt. — Lin. Vergr. 17fach. Ocular 2. 
Object. A 2 . Ap. 0,09. 

4. /^-Naphthalinsulfamid, rein dargestellt. — Lin. Vergr. 70facb. Ocular 4. 
Object. Apochrom. 16. Ap. 0,30. 

5. /^Naphthalinsulfoglykokoll (?), aus Hammelblut. — Lin. Vergr. 256fach. 
Ocular 4. Object. Apochrom. 4. Ap. 0,95. 

6. ^-Naphthalinsulfoglykokoll, aus Hundeblut. — Lin. Vergr. 75fach. Ocular 4. 
Object. Apochrom. 16. Ap. 0,30. 


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XII. 


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Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Jena. 

Beiträge zur Kenntniss der Gicht. 

ft. Weiteres über das Ausfallen der Urate. 

Von 

H. Kionka. 

Wie wir im Vorhergehenden gesehen haben, sind ‘ wir nach dem 
jetzigen Stande unseres Wissens nicht mehr dazu berechtigt ohne Weiteres 
eine Entstehung von Glykokoll beim Abbau der Harnsäure anzunehmen. 
Allerdings ist es nach den neuesten Veröffentlichungen von Wicchowsky 
(1) auch nicht möglich den Beweis zu erbringen, dass beim Menschen, 
wie beim Hund und Kaninchen ein Abbau der Harnsäure etwa über 
Allantoin stattfinde. Die ganze Frage nach dem Abbau der Harnsäure 
beim Menschen ist zur Zeit unentschieden. 

Wir hatten seiner Zeit diese Frage, die nichts mit unseren eigent¬ 
lichen Untersuchungen zu thun hat, auch nur in Angriff genommen, da 
man damals nichts weiter über die Herkunft des Glykokolls wusste. 
Damals existirten nur — noch völlig unbestritten! — die Angaben von 
Wiener (2), wonach der Abbau der Harnsäure über Glykokoll verliefe. 
Damals lagen auch nur die ersten klinischen Glykokollbefunde beim 
Gichtiker von Ignatowski (3) vor, und auch diese waren noch von 
keiner Seite bestritten, obwohl Monate seit ihrer Veröffentlichung ver¬ 
gangen waren. Wir waren also damals zu jmseren Annahmen und zu 
der Aufstellung unserer Theorie über das Wesen der Gicht vollkommen 
berechtigt. 

Jetzt liegen die Verhältnisse, nachdem so viele neue Thatsachen 
durch experimentelle und klinische Untersuchungen zahlreicher Forscher 
bekannt geworden sind, ganz anders. Wir kennen jetzt andere Quellen 
des Glykokolls. Hat doch kürzlich Raubitschek (4) sogar ein aus 
Albumosen Aminosäuren abspaltendes Ferment „Erepsin“ aus Darm¬ 
schleimhaut isolirt. 

Wir müssen daher unsere seiner Zeit aufgcstellte Theorie in diesem 
Sinne modificiren. ln ihrem Brincip bleibt sie aber bestehen; daran 
ändern auch die veränderten Ansichten über die Herkunft des Glykokolls 
und den Abbau der Harnsäure nichts. 


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25 ccm Harnsäurelösung + 25 ccm 5pr»c. Sodalösung. 


Reiträge zur Kenntniss der Gicht. 


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II. Kionka, 


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Die von uns festgestellte Thatsache, dass bei schwach alkalischer 
Reaction Glykokoll beschleunigend auf das Ausfallen saurer Urate aus 
Harnsäurclösungen wirkt, haben wir durch zahlreiche Nachprüfungen voll¬ 
kommen sichergestellt. Ja wir haben das gleiche Verhalten Harnsäure¬ 
lösungen gegenüber auch für eine Anzahl von andern „sauren“ Sub¬ 
stanzen festgestellt, so für einige andre Aminosäuren und vor allem auch 
für Allantoin. 

Aus den zahlreichen Versuchsreihen sei hier nur folgende mitgethcilt: 

Es wurden je 0,5 g Lithiumoxyd in 4 Portionen in 170 ccm Wasser gelöst und 
Harnsäure im Ueberschuss zugesetzt, dann 48 Stunden lang im Brutschrank bei 40° 
stehon gelassen und abfiltrirt. Von den Filtraten wurde die eine Menge I. ohne Zusatz 
gelassen, Portion II. wurde mit 0,5 g Leucin (linksdrehend), Portion UI. mit 0,5 g 
Allantoin und Portion IV. mit 1,0 g Alanin (optisch inactiv) versetzt. Von jeder 
dieser 4 Portionen wurden je 25 ccm mit 25 ccm einer 5 proc. Sodalösung versetzt 
und fortlaufend beobachtet. Ausserdem wurden noch je 50 ccm der 4 Portionen 
entnommen und ohne Sodazusatz gleichfalls fortlaufend beobachtet. 

Ueber die Bildung der Niederschläge ergaben in den einzelnen Portionen die 
Beobachtungen die in vorstehender Tabelle angegebenen Resultate. 

Man sieht aus dieser Zusammenstellung, dass auf Harnsäurelösungen 
alle drei geprüften Substanzen in demselben Sinne wirken, wie cs früher 
von uns für Glykokoll festgestellt wurde. Bei Anwesenheit von Leucin, 
Allantoin oder Alanin bildet sich früher saures Urat und kommt infolge 
seiner schweren Löslichkeit zum Ausfallen, als dies in Harnsäurelösungen 
ohne diese Zusätze der Fall ist. Besonders deutlich zeigen dies die 
durch Sodazusatz stärker alkalisch gemachten Lösungen. Bei den Lö¬ 
sungen ohne Sodazusatz begann das Ausfallen der Urate erst viel später, 
doch zeigten sich auch hier die gleichen Differenzen. 

Am wenigsten wirksam in diesem Sinne erwies sich das Leucin. 
Deutlich stärker wirksam sind das Alanin und das Allantoin. Es ist 
dabei zu berücksichtigen, dass das letztere wegen seiner schwereren 
Löslichkeit nur in halb so starker Concentration angewandt werden 
konnte wie das Alanin. Ueberhaupt ist bei allen in dieser Versuchs¬ 
reihe geprüften Substanzen deren geringe Löslichkeit zu beachten. Bei 
dem leicht löslichen Glykokoll war es möglich bei diesen Versuchen 
mit viel stärker concentrirten Lösungen zu arbeiten; und dementsprechend 
waren auch die Wirkungen dieser Lösungen auf die Ausfällung der Urate 
weit grössere. Vergleicht man aber die Grösse der Wirkungen dieser 
Lösungen mit der gleich niedrig conccntrirter Glykokolllösungen, so sieht 
man, dass auch diesen drei Substanzen ein recht erhebliches Ausfällungs¬ 
vermögen zukommt. 

Die obige Versuchsreihe zeigt auch deutlich, dass, wie wir früher 
schon für das Glykokoll gezeigt haben, es sich nur um die Beschleuni¬ 
gung eines Processes handelt, der in gleicher Weise, nur langsamer, 
auch ohne die Zusätze dieser Substanzen in Harnsäurelösungen verläuft. 
Die Substanzen wirken also wie „Katalysatoren“. Und die Unterschiede 
in dem sichtbaren Effect dieses Vorganges, also in der Menge der nach 
einer bestimmten Zeit ausgefällten Urate, verschwinden allmählich wieder. 
Ist die Ausfüllung beendet, so sind die Mengen der gesammten aus- 


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Beiträge zur Kenntniss der Gicht. 


145 


gefällten Urate in allen Lösungen mit und ohne Zusatz gleich. Dies ist 
in der obigen Versuchsreihe erreicht bei den Lösungen mit Sodazusatz 
nach 16 Stunden, in den Lösungen ohne Sodazusatz nach etwa 3 Tagen. 

Aus diesen Versuchen geht also hervor, dass auch noch andere 
„saure“ Producte, namentlich Aminosäuren, in gleicher Weise uratfällend 
wirken wie Glykokoll. Ihre Anwesenheit im Organismus des Gichtikers 
wird daher bei dem gleichzeitigen Harnsäurereichthum desselben als eine 
Schädlichkeit anzusehen sein, wie wir dies bei der Entwicklung unserer 
Theorie für das Glykokoll gezeigt haben. Es wird demnach ein reich¬ 
licheres Entstehen derartiger Verbindungen bei den verschiedenen Abbau¬ 
vorgängen — vielleicht auch bei dem Abbau der Harnsäure — für den 
Gichtiker von ebenso grosser Bedeutung sein wie die Gegenwart grösserer 
Mengen von Harnsäure selbst. 

Nach dieser Richtung können wir also alles in unserer Theorie Ent¬ 
wickelte nach wie vor aufrecht erhalten. Wohl aber müssen wir in einer 
andern Richtung unsere frühere Ansicht ändern. 

In einer Arbeit von Wohlgemuth (5), die uns leider nur im Referat 
zugänglich war, findet sich ein Versuch an einem Gichtiker, welchem 
sehr grosse Mengen Glykokoll eingegeben wurden. Die gleichzeitig an 
diesem Patienten angestelltcn Bestimmungen der täglich ausgeschiedenen 
Glykokollmengen ergaben, dass nur sehr wenig von dem eingegebenen 
Glykokoll im Harn wiedererschien. Wenn nun auch, wie wir in der 
vorhergehenden Arbeit gezeigt haben, die angewandte 1 ) Methode der 
Glykokollbestimmung nur sehr'unvollkommene quantitative Werthe giebt, 
die Glykokollausbeutc mit der Fischer-Bcrgell’schen Methode nach 
Hirschstein’s (6) Annahme sogar nur etwa 20 pCt. betragen soll, so 
glauben wir doch nach dem Ausfall dieses Versuches von Wohlgemuth 
nicht mehr ohne weiteres an unserer Annahme festhalten zu dürfen, dass 
das Glykokollzerstörungsvermögen beim Gichtiker gegenüber dem Nor¬ 
malen vermindert sei. 

Man nimmt bisher an, dass die Umwandlung des Glykokoll zu 
Harnstoff oder einer Vorstufe desselben durch ein wohl in der Leber ge¬ 
bildetes Ferment geschehe. Wir haben die Versuche Loewi’s (7), auf 
welchen diese Annahme beruht, nachgeprüft und in verschiedener Weise 
modificirt. Unsere sehr zahlreichen Versuche in dieser Richtung, über 
welche später einmal ausführlich berichtet werden soll, haben uns aber 
zu dem Schlüsse geführt, dass dieser ganze Process des Glykokollabbaues 
viel complicirter verläuft, als man bisher annahm, und dass es sich 
dabei wohl nicht nur um die Wirkung eines einzigen Fermentes handele, 
sondern um mehrere nach einander und neben einander verlaufende 
Vorgänge. 

Jedenfalls scheinen die bei diesem Process in Frage kommenden 
Ferraentthätigkeiten beim Gichtiker nicht gestört zu sein. Wohl aber 
halten wir nach wie vor an der Vorstellung fest, das Wesen der Gicht 
beruhe in qualitativen oder quantitativen Störungen von Fermentthätig- 

1) Wohlgemuth benutzte die Isonaphthylcyanat-Methode, welche kaum bessere 
Resultate liefert, als die Methode mit ^-Naphthalinsulfochlorid. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. jq 


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146 H. Kionka, Beiträge zur Kenntniss der Gicht. 

keiten, die eine Rolle spielen bei den verschiedenen Abbauvorgängen im 
Organismus. Von wesentlicher Bedeutung ist es dabei, dass hierbei Pro- 
ducte in grösserer Menge entstehen können, welche, wie unsere Versuche 
einwandfrei ergeben haben, das Ausfallen von Uraten befördernd wirken, 
mögen diese Aminosäuren oder sonstigen gleichsinnig wirkenden Producte 
aus dem Abbau der Harnsäure oder den Kernsubstanzen zu Grunde 
gehender Zellen, aus absterbender Knorpel- oder Bindegewebssubstanz 
oder sonstigen Abbau Vorgängen stammen. 


Literatur. 

1. Wiechowsky, Hofmeister’s Beiträge. Bd. XI. S. 109. 

2. Wiener, Archiv f. .exper. Pathologie und Therapie. Bd. 42. 

3. Ignatowski, Hoppe-Seyler’s Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. 42. S. 371. 

4. E. Raubitschek, Diese Zeitschrift. Bd. IV. S. 675. 

5. Wohlgemuth, Biochem. Zeitschr. Bd. I. S. 332. 

6. L. Hirschstein, Diese Zeitschrift. Bd. IV. S. 118. 

7. Loewi, Hoppe-Seyler’s Zeitsohr. f. physiol. Chemie. Bd. 25. S. 511. 


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XIII. 

Aus dem Laboratorium der medicinischen Klinik in Basel. 


Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Ratten mit 
künstlicher Nahrung und zum Zusammenhang von Er¬ 
nährungsstörungen mit Erkrankungen der Conjunctiva. 

Von 

Dr. Paul Knapp, Augenarzt in Basel. 

(Hierzu Tafel IV.) 


Die bactcriologische Forschung hat der Ophthalmologie besonders 
auf dem Gebiete der Erkrankungen von Conjunctiva und Cornea wichtige 
Entdeckungen und grosse Fortschritte gebracht. 

Sic hat uns ermöglicht, besonders bei der Conjunctiva zahlreiche 
Erkrankungen, die man früher nur klinisch auseinander zu halten ver¬ 
mochte, auch nach ätiologischen Gesichtspunkten zu trennen, indem sie 
für eine ganze Anzahl von Conjunctivitiden uns auch den specifischen 
Erreger hat kennen lernen. 

Von andern Erkrankungen der Conjunctiva, wie z. B. dem Trachom, 
kennen wir zwar den krankheitserregenden Mikroorganismus noch nicht, 
doch haben wir allen Grund, einen solchen anzunchmen. 

Neben diesen auf einen speciellen Erreger zurückzuführenden Katarrhen 
giebt es noch andere, wo wenigstens nach dem heutigen Stande unseres 
Wissens die Mikroorganismen nicht als unmittelbare Krankheitsursache 
angesprochen werden können. 

Sehen wir selbstverständlich ab von allen durch traumatische Ein¬ 
wirkung entstandenen Conjunctivitiden, so kennen wir doch noch weitere 
Fälle, wo wir die Entzündungsursache nicht in der unmittelbaren An¬ 
wesenheit von Bacterien suchen müssen, sondern in der Wirkung ihrer 
Toxine. 

So sieht man z. B. bei Gonorrhoe nicht allzu selten eine heftige 
Conjunctivitis auftreten, deren Zusammenhang mit dem Tripper nach den 
vielen bis jetzt gemachten Beobachtungen nicht in Zweifel zu ziehen ist, 
bei der aber im Conjunctivalsecret keine Gonokokken gefunden werden. 

Die Erklärung hierfür ist z. Th. die, dass es sich dabei um eine 
Fernwirkung der Gonokokken vermittelst ihrer Toxine handelt. Andere 
Forscher neigen mehr der Ansicht zu, dass die Gonokokken in diesen 
Fällen nur in den Gefässen ev. auch im Gewebe der Schleimhaut sitzen, 

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P. Knapp 


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und auf diese Weise eine Reizung verursachen können. Eine Uebersicht 
über diese verschiedenen Theorien findet sich in dem Buch von Axen- 
feld, „Die Bacteriologic in der Augenheilkunde“. 

Dass ßactcriengifte % auf die Bindehaut sehr reizend einwirken können, 
ist ja allgemein bekannt. 

So wies z. B. Morax (1) nach, dass Kaninchen nach Instillation 
von Diphtherictoxin in den Bindehautsack eine heftige diphtherische Con¬ 
junctivitis bekamen, ebenso bewirkte Gonokokkentoxin eine kurze aber 
heftige Entzündung. 

Ferner erhielt Valcnti (2) bei diesen Thieren sehr heftige Binde¬ 
hautentzündung nach subcutaner Injcction der Toxine des Bactcrium coli. 
In neuester Zeit hat endlich die unter dem Namen Ophthalraorcaction 
beschriebene Entzündung der Conjunetivalschlcimhaut bei Tubcrculösen 
nach Eintropfen einer Tubcrculinlösung grosses und berechtigtes Auf¬ 
sehen hervorgerufen. 

Wenn auch z. Th. die Ansichten über diese zuerst von Wolff- 
Eisner (16) angegebene und von Calraette (17) zur praktischen An¬ 
wendung gebrachte Methode noch nicht abgeklärt sind, so handelt es 
sich doch jedenfalls um eine äusserst interessante und auch praktisch 
sehr wichtige Thatsache. 

Wir haben also einmal Conjunctivitiden mit specifischcn Erregern 
im Conjunctivalsack oder wenigstens die Gewissheit von solchen, ferner 
Katarrhe, die verursacht werden durch die Toxine anderswo ctablirter 
Bacterien. Zu diesen beiden Gruppen gehören anch die Bindehaut¬ 
entzündungen bei lnfcctionskrankheiten, wie Masern, Scharlach und 
Influenza. 

Doch lassen sich nicht alle Conjunctivitiden in diesen beiden Gruppen 
unterbringen. 

Besonders viel umstritten ist z. B. die Frage nach der Ursache der 
scrophulösen Augenentzündungen. Bekanntlich gehen die Meinungen 
darüber, ob die Scrophulose nur eine besondere Form der Tuberculose 
oder eine Krankheit sui generis sei, noch stark auseinander. 

Das scheint erwiesen, dass die scrophulose Augenentzündung nicht 
auf eine directe Einwirkung des Tuberkelbacillus zurückzuführen ist, 
diesbezügliche Untersuchungen sind bis jetzt fast ausnahmslos negativ 
ausgefallen. Von vielen Forschern wird deshalb bei dieser Krankheit 
weniger Bacterienwirkung als vielmehr eine eigenthümliche allgemeine Er¬ 
nährungsstörung oder eine uns noch unbekannte Reizwirkung angenommen. 
Auch hier verweise ich auf das oben erwähnte Buch von Axenfeld, 
wo sich eine Zusammenstellung der verschiedenen Befunde und Theorien 
findet. Nicht unwichtig erscheint cs, dass man bei der oben erwähnten 
Ophthalmorcaction schon öfter die Entstehung von Phlyctänen beob¬ 
achtet hat. 

Sonst ist über den Zusammenhang von Conjunctivalerkrankungen 
mit anderen Leiden wenig mehr zu sagen. 

Nur bei Gicht und Rheumatismus sieht man gelegentlich äusserst 
hartnäckige und mit dem Allgemeinleiden ohne Zweifel in Zusammenhang 
stehende Augenkatarrhe und sogar Ilornhautgeschwiire auftreten. 


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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Hatten mit künstlicher Nahrung etc. j-Pd 

Besonders Fuchs (3) weist mit Nachdruck auf einen derartigen Zu¬ 
sammenhang hin, ferner sind auch von Trousseau (4) und Leber (5) 
anfallsweiso auftretende Hyperämien der Conjunctiva beschrieben worden, 
die höchstwahrscheinlich mit Gicht in Zusammenhang standen. Der 
Vollständigkeit wegen möge hier auch noch die Xerosis conjunctivae 
aufgeführt werden, diese eigentümliche besonders bei schweren Er¬ 
nährungsstörungen auftretende Erkrankung. Allerdings handelt es sieh 
hierbei nicht um einen entzündlichen Process, sondern um eine Ver¬ 
dickung und Verhornung des Epithels. 

Diese gichtischen, rheumatischen, xerotischen und vielleicht auch noch 
die scrophulösen Conjunctivalerkrankungen wären also die einzigen, wo 
die Ursache weniger in Bacterienwirkung als vielmehr in Störungen des 
Stoffwechsels und des Ernährungszustandes zu suchen ist. 

Immerhin sei hier noch eine Notiz aus Luigi Luciani (6) erwähnt, 
wonach Gley bei thyreoidectomirten Hunden eitrige Katarrhe der Con¬ 
junctiva und Hornhautgeschwüre auftreten sah; die Originalarbeit war 
mir bisher nicht zugänglich. Dieser letztere Befund findet sich noch 
öfter bei experimentellen Arbeiten über Schilddrüsenexstirpation erwähnt, 
es ist aber sehr fraglich, ob diese Katarrhe nicht nur als Folge der 
Verblödung und Unreinlichkeit der operirten Thiere aufzufassen sind. 

Bei der Seltenheit derartiger Beziehungen und dem fast völligen 
Fehlen experimentellen Beweismaterials war es daher für mich von 
grossem Interesse, als mein Freund, Herr Privatüocent Dr. Falta, mir 
mittheilte, dass er an Ratten bei Fütterungsversuchen mit künst¬ 
licher Nahrung das Auftreten von starken eitrigen Augen¬ 
katarrhen und Hornhautgeschwüren beobachtet habe. 

Eine Nachprüfung dieses für uns Ophthalmologen überaus inter¬ 
essanten und ganz neuen Befundes erschien mir umso mehr angezeigt, 
als die Versuche von Falta und Noeggerath (7), weil nur an wenigen 
Thieren ausgeführt, nicht als völlig beweisend gelten konnten. 

Weiterhin war es auch vom physiologischen Gesichtspunkte aus 
wünschcnswerth, ihre Versuche an einem grösseren Material eingehender 
zu controlliren. 

Ihre Versuche hatten ergeben, dass es weder mit einfachen noch 
mit ganz complicirten künstlichen Nahrungsgemischen möglich ist, Ratten 
dauernd am Leben zu erhalten. Aehnliche Versuche speciell an Ratten 
waren vorher schon von Henriques und Hansen (8) ausgeführt worden. 

Letztere fütterten die Thiere mit einem Gemisch von Casein, Fett, 
Kohlehydraten und Salzen. Dieselben gediehen damit ganz gut und 
nahmen sogar an Körpergewicht zu. 

Doch erstreckten sich diese Versuche nur auf 3—4 Wochen, und 
daraus entstanden Ergebnisse, die, wie wir später sehen werden, zu 
falschen Folgerungen führen mussten. 

Derartige Versuche müssen nämlich oft auf sehr lange Zeit aus¬ 
gedehnt werden, sie können, wie sich aus meinen Experimenten ergeben 
hat, 5—6 Monate dauern. 

Entgegen den Folgerungen von Henriques und Hansen hatten 
Falta und Noeggerath gefunden, dass die Thiere zwar oft vvochen- 


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P. Knapp, 


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lang im Gleichgewicht bleiben konnten, dass sie aber zum Schluss doch 
unter starkem Gewichtsverlust zu Grunde gingen. Ich stellte mir nun 
auch die Aufgabe, womöglich den Grund aufzufinden, warum 
die Ratten mit der künstlichen Nahrung nicht konnten am 
Leben erhalten werden. 

Bekanntlich können z. B. Mäuse mit Milch monatelang ernährt 
werden, und befinden sich wohl dabei. 

Fügt man dagegen alle organischen und unorganischen Bestandtheile 
der Milch zusammen, so kann man diese Thiere damit nicht am Leben 
erhalten, wie aus den Versuchen von Lunin (9) hervorgeht. 

Lun in glaubt den Einwand, dass den Thieren die einförmige ge¬ 
schmacklose Nahrung widerstand und sie deshalb verhungerten, ablehnen 
zu müssen, da auch in den letzten Tagen die Thiere noch fressen, und 
fast stets Nahrungsreste im Darm gefunden werden. 

Er vermuthete den Grund in dem Fehlen eines uns bis jetzt 
unbekannten lebenswichtigen Bestandtheiles der Milch, oder 
in einer Aenderung der gegenseitigen Beziehungen der Milch¬ 
bestand theile. Den Pflanzenphysiologen ist es schon lange gelungen, 
Pflanzen mit einem künstlichen Nahrungsgemisch zu ernähren. 

Trotz des Misslingens der bisherigen diesbezüglichen Versuche am 
Thier hoffte ich doch, durch weitere und unter etwas anderen Gesichts¬ 
punkten vorgenommene Experimente die Erkenntniss dieses Problems zu 
fördern. 

Was die Technik anbetrifft, so folgte ich im Allgemeinen den An¬ 
gaben von Falta und Noeggerath, hauptsächlich auch, um ein mög¬ 
lichst ähnliches Vergleichsmaterial zu erlangen. 

Als Versuchsthiere dienten mir ausschliesslich Ratten, meistens 
weisse ausgewachsene männliche Thiere. Bei den spätem Versuchen 
mussten aus Mangel an Material gelegentlich auch noch nicht ganz er¬ 
wachsene gescheckte Thiere verwendet werden. 

Einige wenige wurden in Blechkesseln gehalten, die meisten aber, 
selbstverständlich einzeln, in grossen weithalsigen Flaschen mit abge¬ 
sprengtem Boden. Diese wurden mit dem Hals nach unten in einem 
Gestell aufgehängt, als Boden dieses Käfigs diente ein weitmaschiges, 
auf dem verjüngten Halstheil aufruhendes, verzinktes Drahtnetz. Der 
Hals darunter wurde durch ein engmaschiges Netz geschlossen, dort 
blieben Koth und eventuell durch das obere Netz durchgefallene 
Nahrungsreste liegen, während der Urin in eine darunter gestellte Schale 
abfloss. 

Oben wurden die Gläser durch ein beschwertes Fliegennetz gedeckt, 
es ist das nicht unwichtig, da die Thiere sich sonst bald mit grosser 
Geschicklichkeit aufs Fliegenfangen verlegen. Futter und Wasser be¬ 
fanden sich in getrennten Schalen und wurden täglich erneuert, die 
Käfige überhaupt peinlichst sauber gehalten. 

Der Reinlichkeit wegen, und um ganz sicher zu sein, dass die Thiere 
nichts anderes fressen konnten, wurde ganz davon abgesehen, ihnen 
irgend eine Unterlage zu geben, wie Holzwolle, Watte etc.; die durch¬ 
schnittlich sehr lange Lebensdauer bewies auch, dass dies wohl kaum 


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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Ratten mit künstlicher Nahrung etc. 151 

einen Nachtheil mit sich brachte. Alle 8 Tage wurden die Thiere in 
einem Glascylinder gewogen. 


Zu den Nahrungsgemischen wurden verwendet: 

1. Eiweisskörper: Ovalbumin, puriss. pulv., Casein puriss. 
(v. Hammarsten), Albumin, Blutfibrin, Hämoglobin, alles von Merk 
bezogen, ferner Blutglobulin, das uns von den Höchster Farbwerken 
in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt worden war. 

2. Fett: Durch Schmelzen gereinigtes amerikanisches Schweinefett. 

3. Kohlehydrate: Amylum und reiner Traubenzucker (Merk). 

4. Salze: Ich gebrauchte folgendes Salzgemisch nach Bunge (10): 


Kal. carbon. 

. 17,6 

Calc. phosph. . 

. 28,6 

Calc. carbon. . 

10,0 

Magn. chlor. . 

3,8 

Aquae ad . 

. 240,0 


20 ccm dieser Schüttelmixtur enthielten demnach 5 g Salze. 

Bei späteren Versuchen wurden dann noch verwendet: nucleinsaures 
Natrium (Bochringer), Cholesterin (Merk) und fein pulverisirtes Lecithin 
nach Bergei 1 hergestellt. 

Die Herstellung des Nahrungsgeraisches erfolgte folgendermaassen: 
Zuerst wurden die pulverförmigen Substanzen in einer Reibschale gut 
durcheinander gemengt. Dazu kam dann die erforderliche Menge Wasser 
nebst der Salzmischung, zum Schluss wurde das Fett zugegeben und 
das Ganze durch tüchtiges Kneten zu einem Teig verarbeitet, der im 
Eisschrank zugedeckt aufbewahrt wurde. 

Ich folgte also in diesen Beziehungen fast durchweg den Angaben 
von Falta und Noeggerath, nur hatten diese in der Salzmischung noch 
Milchsalze und Pferdeblutserurasalze, welche ich wegliess. 

Allgemein kann gesagt werden, dass die Thiere reichlich und gern 
frassen, nur gegen das Lebensende hin pflegte die Fresslust stark abzu¬ 
nehmen, auch waren sie mit Ausnahme der letzten Wochen meist ganz 
munter und fühlten sich offenbar wohl. 

Nach dem Tode wurden sie regelmässig secirt, Leber und Nieren 
und, wo es nöthig erschien, auch andere Organe wurden mikroskopisch 
untersucht. 

Das Futter wurde sehr reichlich zugemessen, so dass immer noch 
etwas übrig blieb. 

Während der ganzen Versuchsdauer wurde in jeder Serie die zuge- 
theilte Nahrung bei je 2 Thieren regelmässig abgewogen und der Rest 
täglich zurückgewogen, so dass also für jeden Tag die aufgenommene 
Nahrungs- und Calorienmenge berechnet werden konnte. 

Von vornherein schien mir eine derartige calorimetrische Controle 
für die Beurtheilung der Versuche von grösster Wichtigkeit zu sein. 

Allerdings sei gleich zugegeben, dass die so gefundenen Werthe 
keinen Anspruch auf absolute Genauigkeit machen können. 

Einmal schleppten die Thiere die Nahrungsbrocken im Käfig herum, 


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und verunreinigten sie mit Urin, dann trockneten die Reste in den 24 Stunden 
immer etwas ein, so dass also gewisse Fehler entstehen mussten. 

Immerhin waren dieselben bei allen Thieren constant, so dass sie 
also für die allgemeine Beurtheilung wohi kaum in Betracht fallen. 


I. Serie (Ovalbuminratten). 

Wenden wir uns nun der Besprechung unserer Versuche zu. In 
in erster Linie wurde eine Serie durchgeführt mit einem Nahrungs¬ 
gemisch, das wir als Ovalbuminkuchen bezeichnen wollen. 

Dasselbe bestand aus: 


Ovalbumin, puriss 

Amylum 

Traubenzucker 

Fett . . . 

Salzmixtur 

Wasser 


120 g 

250 g 
50 g 

60g 

20 g (5 g Salze) 

100 g 


Zur Berechnung des calorimetrischen Werthes wurde speciell für 
Eiweiss nicht der physiologische, sondern der totale Verbrennungswerth 
angenommen aus vergleichenden Gründen, die ich später erörtern werde. 
Die Angaben beziehen sich durchweg auf grosse Calorien. Als Durch¬ 
schnittswerth wurde berechnet: 

für 1 g Ovalbumin . . . =5,7 Cal. 

n 1 g Amylum . . . . = 4,2 „ 

„lg Traubenzucker . . =3,7 „ 

„lg Schweinefett . . . = 9,3 „ 

Es enthält also der ganze 600 g schwere Kuchen 2477 Calorien, 
1 g also rund 4,13 Calorien. Mit diesem Nahrungsgemisch wurden 
6 Ratten gefüttert, eine davon ertrug cs schlecht, sic litt von Anfang 
an unter starken Diarrhoen und ging daran zu Grunde, ich habe sie 
deshalb bei der Beschreibung ausgelassen. 

Auch die anderen 5 hatten anfangs etwas Durchfall, der aber unter 
kleinen Dosen Bisraut bald verschwand, sie gewöhnten sich an die 
Nahrung und lebten lange Zeit im besten Wohlbefinden. 

Einzeln aufgeführt war der Verlauf bei diesen 5 Thieren folgender: 


No. I. 

Anfangsgewicht .... 255 g. 

Lebensdauer.21 Wochen. 

Endgewicht.152 g. 

Im Laufe der 15. Woche links Auftreten von Lichtscheu und etwas Secretion, in 
der 20. Woche auch rechts starker Katarrh, der in den letzten Lebenstagen beider¬ 
seits sehr stark war. Corneae intact. 

Section und mikroskopische Untersuchung der inneren Organe ergaben ausser 
hochgradiger Abmagerung nichts Abnormes. 

No. II. 

Anfangsgewicht . . . . 217 g. 

Lebensdauer.17 Wochen. 

Endgewicht.141 g. 


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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Hatten mit künstlicher Nahrung etc. 153 

Im Laufe der 14. Woche zuerst links Conjunctivitis, die in der gleichen Woche 
auch auf dem rechten Auge sich entwickelte. 

Sehr starke schleimige Secretion, zum Schluss auch eine oberflächliche bauchige 
Trübung beider Corneae, jedoch ohne eigentliches Geschwür. 

No. 111. 

Anfangsgewicht .... 175 g. 

Lebensdauer.24 Wochen. 

Endgewicht.106 g. 

Die ersten Anzeichen der Bindehautentzündung traten hier in der 21. Woche 
auf dem rechten Auge auf, bald wurde auch das linke ergriffen, und es bestand gegen 
das Ende ein doppelseitiger, sehr heftiger Katarrh, der links sogar zu einem kleinen 
Comealgeschwür führte. 

In den letzten Tagen etwas Blut im Urin, bei der Seotion fanden sich in der 
Lunge zahlreiche miliare Knötchen, Milz etwas vergrössert, im rechten Nierenbecken 
weissliche Massen, im Dünndarm blutig schleimiger Inhalt, die Innenwand dor Blase 
bedeckt mit einem weissen Schorf. 

Offenbar handelte es sich, wie auch die nähere Untersuchung ergab, um eine 
allgemeine Miliartuberculose. 

No. IV. 

Anfangsgewicht .... 247 g. 

Lebensdauer.23 Wochen. 

Endgewioht.174 g. 

Zuerst in der 20. Woche links Auftreten von Conjunctivitis, sehr bald doppel¬ 
seitiger sehr heftiger Katarrh, der links zu einem grossen perforirenden Hornhaut¬ 
geschwür führte, auch rechts beginnendes Ulcus. 

Da das Thier offenbar am Verenden war, so wurde es am Ende der 23. Woche 
getödtet. Innere Organe normal. 

No. V. 

Anfangsgewicht .... 285 g. 

Lebensdauer.24 Wochen. 

Endgewicht.140 g. 

Das Thier wurde am Anfang der 19. Woche sehr struppig und marode, erstes 
Auftreten der Conjunctivitis gleich doppelseitig in der 23. Woche, rasch starker 
Katarrh mit oberflächlicher Trübung der Hornhäute in den nasalen Partien. 

Section ohne Befund. 

Ueberblicken wir kurz das Resultat dieser 5 Versuche, so muss in 
erster Linie die lange Lebensdauer der Thierc hervorgehoben werden, 
ein Beweis, dass die Zusammensetzung der Nahrung doch eine recht 
• zweckmässige war. 

Das erste Auftreten der mich in erster Linie interessirenden Augen - 
katarrhe erfolgte durchschnittlich 3—4 Wochen vor dem Lebensende, bei 
No. V sogar erst in der vorletzten Woche. 

Das erste Symptom bestand in der Regel in Lichtscheu und Auf¬ 
treten von etwas Secret im nasalen Lidwinkel. Dann wurden die Lider 
geröthet und die Absonderung meist so stark, dass die Augen kaum 
mehr geöffnet werden konnten. 


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I 3 . Knapp. 


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In Folge dessen stellten sich z. Th. oberflächliche Trübungen der 
Cornea ein, in zwei Fällen sogar richtige Hornhautgeschwüre. 

Da dieselben keine weiteren Besonderheiten darboten, so glaube 
ich eine genauere mikroskopische Beschreibung hierüber auslassen zu 
dürfen. 

Ich habe öfter das Socret auf Agar und Gelatine abgeimpft, es 
wuchsen stets massenhaft Colqnien von Staphylococcus pyogenes 
albus und einzelne von Staphylococcus pyogenes aureus, also 
Mikroorganismen, die wir normaler Weise schon im Bindehautsack vor¬ 
finden können. 

Es sei nochmals betont, dass die Thiere ganz separat in ge¬ 
schlossenen Glasflaschen gehalten wurden, so dass also eine gegenseitige 
Infection ausgeschlossen war. 

Bei der Section wurde regelmässig auf eine eventuelle Darm- 
obstruction gefahndet, da ich auf Zugabe von die Peristaltik anregenden 
Stoffen verzichtet hatte; es wurde nichts Derartiges aufgefunden. 

Leber, Milz und Nieren wurden durchweg mikroskopisch untersucht, 
es wurde aber nichts Abnormes gefunden, mit Ausnahme der rechten 
Niere von Ratte 111, die offenbar in den letzten Lebenswochen eine 
Miliartuberculose bekam. Ohne diese zufällige Erkrankung hätte gerade 
dieses Thier wohl noch beträchtlich länger gelebt. 

Ueber das Körpergewicht, das alle 8 Tage bestimmt wurde, giebt 
Curve 1 Aufschluss. 

Wir ersehen daraus, dass mit Ausnahme von Ratte III am Anfang 
ein z. Th. recht starker Abfall erfolgte. 

Die Erklärung ergiebt sich sehr leicht daraus, dass die Thiere, wie 
früher bemerkt, am Anfang fast durchweg an Durchfall und verringerter 
Fresslust litten, daher dieser steile Abfall. 

Mit der Angewöhnung an die Nahrung erfolgte dann allgemein eine 
erhebliche Zunahme, späterhin eine ganz langsame, aber öfter durch 
einzelne Steigerungen unterbrochene Abnahme. 

Mehrfach fällt die Curve gegen das Ende zu sehr steil ab. 

Bei Ratte I und II ist die aufgenöramene Calorienmenge für die 
ganze Versuchsdauer ausgerechnet worden, ihr Verhältnis zu dem 
Körpergewicht ist in Curve 2 dargestellt. 

Zum besseren Verständniss sei bemerkt, dass in dieser sowie in den 
folgenden Tabellen über das Verhältniss von Gewicht und Calorienauf- 
nahme das Körpergewicht durch eine aus ge zöge ne und die Calorien- 
raenge durch eine punktirte Linie in gleicher Dicke dargestellt ist. 

Links befindet sich die Scala für das Gewicht und rechts für die 
Calorien pro Woche und Tag. 

Die Curve bedarf keiner langen Erläuterung, sie giebt sehr deutlich 
wieder, wie entsprechend den grossen Schwankungen der Caloriencurven 
auch die Körpergewichtscurven auf und abgehen, jedoch mit weniger 
grossen Ausschlägen. 

Es sei hier auch darauf hingewiesen, wie gross die Calorienmenge 
ist, welche die Thiere bei guter Fresslust aufnehmen. 

In den ersten 12—13 Wochen waren es mit einer kurzdauernden 


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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Hatten mit künstlicher Nahrung etc. 155 


Ausnahme 50—70 Calorien pro Tag, sogar in der letzten Woche noch 
30 und 38 Calorien. 

Erinnern wir uns daran, dass der Mensch täglich pro 1 kg Körper¬ 
gewicht rund 35 Calorien braucht, während z. B. die ca. 250 g schwere 
Ratte I in den ersten 15 Wochen täglich durchschnittlich mindestens 
60 Calorien, also pro 1 kg Körpergewicht 240 Calorien aufnahm, so 
ersieht man daraus, wie enorm gesteigert das Calorienbedürfniss dieser 
kleinen Thiere gegenüber demjenigen des Menschen ist. 

Aehnliche Zahlen finden wir bei Rubner (11), indem er für Mäuse 
bei 121,3 g Anfangsgewicht 25,7 Calorien, also pro 1 kg und 24 Stunden 
212 Calorien Nahrungsbedarf nachwies. 

Es geht daraus hervor, dass diese Thiere selbst bei schein¬ 
bar noch reichlicher Nahrungsaufnahme doch schon unter¬ 
ernährt sein können, ein Factor, den man bei der Beurtheilung 
dieser Versuche sehr im Auge behalten muss. 

II. Serie (Caseinratten). 

Die zweite Versuchsreihe wurde mit einem Kuchen ausgeführt, der 
an festen Bestandtheilen gleich zusammengesetzt war wie der Ovalbumin¬ 
kuchen, nur wurde statt Ovalbumin Casein, puriss. genommen. 

Er enthält demnach: 


Casein, puriss. 

. . 120 g 

Amylum 

. . 250 g 

Traubenzucker. 

. . 50g 

Schweinefett 

• . 60 g 

Salzmixtur. 

• • 20 g 

Wasser. . 

. . 300 g 


Berechnen wir für 1 g Casein als Werth 5,8 Calorien, so enthielt 
l g dieser Nahrung = rund 3,1 Calorien. 

Damit wurde eine Serie von 5 Ratten gefüttert unter im Uebrigen 
gleichen Versuchsbedingungen wie bei der ersten Reihe. 

Der Verlauf gestaltete sich wie folgt: 

No. I. 

Anfangsgewicht . . . . 1G5 g. 

Lebensdauer. G Wochen. 

Endgewicht.8i g. 

Im Laufe der 5. Woche zuerst links dann rasch beiderseits starker Augenkatarrh. 
Innere Organe normal. 

No. II. 

Anfangsgewicht .... 243 g. 

Lebensdauer. G Wochen. 

Endgewicht.114 g. 

Auch hier in der5. Woche zuersteinseitige dann doppelseitige heftige Conjunctivitis. 
Section ohne Befund. 

No. III. 

Anfangsgewicht .... 254 g. 

Lebensdauer.Gy 2 Wochen. 

Endgewicht.125 g. 


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1\ Knapp, 


15« 


Am Anfang der 5. Woche auch bei diesom Thier doppelseitiger heftiger Katarrh. 

Section ohne Befund. 

No. IV. 

Anfangsgewicht .... 206 g. 

Lebensdauer.18 Wochen. 

Endgewicht.101 g. 

Zum ersten Male zeigt sich hier in der 5. Woche etwas Katarrh, der aber zeit¬ 
weise wieder ganz verschwand. Erst in der 16. Woche links starke eitrige Con¬ 
junctivitis, das rechte Auge blieb bis zum Tode gesund. 

Section ohne Befund. 

No. V. 

Anfangsgewicht . . . . 241 g. 

Lebensdauer.10 Wochen. 

Endgewicht.116 g. 

Der erste leichte Katarrh trat doppelseitig in der 5. Woche auf, links blieb er 
aber sehr gering bis zur letzten Woche, wo sich doppelseitig heftige Conjunctivitis 
entwickelte. 

Bei der Section ergaben sich einzelne Dünndarmschlingen etwas dilatirt und 
mit breiigem Koth gefüllt, geformte Kothballen im Rectum, sonst nihil. 

Die Körpergewichtscurven dieser 5 Thiere sind in Curve 3 wieder¬ 
gegeben. 

Es zeigt sich hier ein auffallender Unterschied gegenüber den 
Ovalbuminratten, indem von der ersten oder spätestens von der zweiten 
Woche an ein steiler Abfall vorhanden ist; die gesammte Lebensdauer 
wird dadurch viel kürzer. 

Es starben 3 dieser Thiere schon nach 6 Wochen, während eins 
11 und nur eins 18 Wochen lebte. 

Das letztere hatte auch mehrere Wochen lang stark abgenommen, 
zeigte dann aber von der 10. Woche an wieder eine auffällige Steigerung 
des Körpergewichtes, der es. seine längere Lebensdauer verdankte. 

Es liegt sehr nahe, aus der verschiedenen Lebensdauer der beiden 
Serien den Schluss zu ziehen, dass Casein gegenüber Ovalbumin minder- 
werthig sei, denn auch hier frassen alle Thiere bis zum Schluss. 

Auch Falta und Noeggerath hatten ganz ähnliche Differenzen 
erhalten und daraus den Schluss abgeleitet, dass die ceteris paribus ver¬ 
fütterten Eiweisskörper sich biologisch nicht gleich verhalten. 

Betrachten wir aber in Curve 4 die Caloriencurven, so ergiebt sich 
eine ganz andere Erklärung. 

Sie zeigt zur Evidenz, wie der gewaltige Abfall der Gewichtscurven 
bedingt ist durch einen ebenso steilen Abfall der Caloriencurven. Ver¬ 
gleichen wir z. B. die Calorienaufnahme der ungefähr gleich schweren 
Ovalbuminratte I und Caseinratte II an Hand einer kleinen Tabelle. 


Calorienaufnahme von Ovalbuminratte I und Cascinrattell. 


Woche 

1 

2 ! 

1 

I 3 

4 

! 5 i 

6 

7 

1 

8 | 

9 

10 

11 

12 

1 

13 j 

14 

15 

16 

17 

18 

19 

20 

21 

22l 

1 

-SJ 

1 '1 

Ovalb.- 
Ratte 1 
Casein- 
Ratte II 

419 

389 

277)401 

313)267 

493 

270 

448 

;-2oi! 

434 392Uoi 41)3 

| 

205 - — - 

491 

1 

1 

473,470 

1 

1 ! ! 

529 493 4G0 

1 1 : 

430 

421 

1 ~ ^ 

382 

379 

258 

202 

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1 

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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Ratten mit künstlicher Nahrung etc. 157 - 


Man ersieht daraus, dass die Caseinratte von der dritten Woche an 
an Calorien nicht viel mehr als die Hälfte aufgenommen hat gegenüber 
der Ovalbuminratte. 

Leider wurde bei der länger am Leben gebliebenen Cascinrattc IV 
keine regelmässige Bestimmung der Nahrung vorgenommen, immerhin 
betrug bei ihr in der 9. Woche die Caloricnaufnahme noch 285 Cal., 
bei No. V in derselben Woche = 248 Cal., also auch Wcrthe, die be¬ 
deutend unter derjenigen der Ovalbuminratte stehen. 

Wenn schon der Caseinkuchen mehr Wasser enthielt als der 
Ovalbuminkuchen, und also in gleicher Menge weniger Nährwerth 
repräsentirte, so dürfte doch der Grund für die grosse Differenz in 
der Lebensdauer einfach darin liegen, dass er den Thieren weniger 
gut mundete, und dieselben also von Anfang an damit unterernährt 
waren. 

Man ersieht daraus, wie wichtig derartige calorimetrische Be¬ 
stimmungen bei solchen Fütterungsversuchen sind, und wie leicht man 
ohne sic zu ganz falschen Schlüssen kommen kann. 

Bei allen Caseinratten trat regelmässig eine starke Conjunctivitis 
auf, in höherem Grade allerdings immer erst zu Beginn der letzten 
Lebenswoche, sie war also direct ein prämortales Zeichen. 

Die bacteriologischc Untersuchung des Secretes ergab auch hier 
vorzugsweise Staphylococcus pyogenes albus, seltener aureus. 

Mikroskopisch wurde nirgends in den inneren Organen etwas 
Pathologisches entdeckt. Auch hier fehlten mit einer Ausnahme 
Kothstauungen, die man eventuell als Todesursache hätte anschen 
können. 

III. Serie (Universalratten). 

Die dritte Versuchsreihe wurde durchgeführt mit einem com- 
plicirteren Nahrungsgemisch, das wir als Universalkuchen bezeichnen 
wollen. 

Derselbe enthielt ausser Eiweiss, Fett und Kohlehydraten noch 
verschiedene andere Stoffe, welche wir als lebenswichtig betrachten 
können. 

Leider konnte ich nicht für alle hierzu verwendeten Zuthaten 
genaue calorimetrische Angaben finden, ich setzte für Globulin, Hämo¬ 
globin und Albumin 5,9 Cal. an, für Fibrin = 5,6 Cal. Ueber den 
Abbau von Lecithin und Cholesterin im Organismus wissen wir bekannt¬ 
lich recht wenig, ich berechnete für beide den Werth des Fettes, also 
9,3 Cal., bei der geringen verwendeten Menge fällt auf alle Fälle der 
Fehler nicht in Betracht. 

Von nucleinsaurem Natron machte ich 2 eigene Bestimmungen und 
fand dafür = 2,8 Cal. Diese sowie die später angeführten calori- 
inetrischcn Bestimmungen wurden mit der Berthelot’schen Bombe aus¬ 
geführt, und zwar jewcilcn von einer zu bestimmenden Substanz min¬ 
destens 2 Verbrennungen. 

Die genauere Zusammensetzung des Kuchens war folgende: 


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" 158 


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P. Knapp, 


Ovalbumin . 

• 30 g 

Cholesterin . 

• 2,5 

g 

Casein, puriss. . 

. 30 g 

Lecithin . 

• 3,0 g 

Blutglobulin 

• 10 g 

Schweinefett . 

. 60 

g 

Blutalbumin 

• 20 g 

Amylum . 

. 250 

g 

Blutfibrin 

. ‘20 g 

Traubenzucker . 

. 50 

g 

Hämoglobin . 

• 10 g 

Salzmixtur . 

. 20 

g 

Nucleinsaures Natr. 

. 10 g 

Wasser . 

. 225 

g' 


Unter Zugrundelegung der oben erwähnten caloriraetrischen Zahlen 
würde demnach 1 g dieses Kuchens rund 3,5 Calorien enthalten.. Be¬ 
sonders anfangs wurde dieser Kuchen von den Thieren sehr gerne und 
in enormen Quantitäten gefressen. 

Bei den zuerst gestorbenen Ratten No. VI und III wurden bei der 
Section Veränderungen der Nieren gefunden, die ich auf Einwirkung des 
nucleinsauren Natrons bezog. 

Ich verwendete deshalb von dieser Substanz von der 10. Woche an 
nur noch die Hälfte des früheren Quantums. 

Der Verlauf der einzelnen Fälle war wie folgt: 

No. I. 

Anfangsgewicht .... 237 g. 

Lebensdauer.16 Wochen. 

Endgewicht.160 g. 

Zeitweise etwas Eczem am Hals, im rechten Auge vorübergehend etwas Secret, 

gegen das Ende zu Augen ganz klar. 

Section ohne Befund. 


No. II. 

Anfangsgewicht .... 228 g. 

Lebensdauer.13 Wochen. 

Endgewicht.125 g. 

Augen stets ganz klar; Section ohne Befund. 

No. III. 

Anfangsgewicht .... 245 g. 

Lebensdauer. 9y 2 Wochen. 

Endgewicht.152 g. 

Das Thier sah bereits nach einigen Wochen sehr struppig aus, am Hals und 
Bauch Eczem, zeitweise, besonders gegen das Ende zu leichte Conjunctivitis mit 
geringer Secretion. 

Sectionsbefund: Herz gross, schlaff, Leber makroskopisch normal, linke 
Niere enorm gross, hat mehr als das doppelte Volumen einer normalen, Oberfläche 
etwas böckrig, Durchschnittsfläche schwarzroth. Rechte Niere ebenfalls stark ver- 
grössert und von etwas unebener Oberfläche. 

Milz desgleichen vergrössert, sonst keine weiteren Abnormitäten. 

Mikroskopischer Befund: Siehe später! 

No. IV. 

Anfangsgewicht . . . . 218 g. 

Lebensdauer.13 Wochen. 

Endgewicht.109 g. 


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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Ratten mit künstlicher Nahrung etc. 159 


Am Hals zeitweise etwas Eczem, im rechten Auge vorübergehend Spur Secret, 
sonst und besonders gegen das Ende zu keine Conjunctivitis. 

Section ohne Befund. 

No. V. 

Anfangsgewicht . . . . 217 g. 

Lebensdauer.15 Wochen. 

Endgewicht.145 g. 

Augen stets klar, am Halse etwas Eczem. 

Section ohne Befund. 

No. VI. 

Anfangsgewicht .... 168 g. 

Lebensdauer. 6 Wochen. 

Endgewicht.109 g. 

Augen stets gesund; bei der Seotion findet sich bei beiden Nieren eine etwas 
höckrige Oberfläche, Milz normal. 

Die Körpergewiohtscurven dieser H Thiere sind in Curve 5 auf¬ 
gezeichnet. 

Es ist entschieden auffällig, dass trotz dieser coraplicirten Zusammen¬ 
setzung der Nahrung die Ratten nicht nur nicht am Leben erhalten 
werden konnten, sondern durchschnittlich sogar weniger lang lebten als 
z. B. die Ovalbuminratten. Allerdings ist wenigstens bei zwei davon, bei 
No. III und VI, die Ursache für die kurze Lebensdauer vorwiegend in 
den Nierenveränderungen zu suchen, bei Men übrigen konnten zwar keine 
Veränderungen mehr nachgewiesen werden, doch ist es nicht unmöglich, 
dass auch bei ihnen die Nucleinsäure schädigend und lebensverkürzend 
eingewirkt hat. 

Anfangs frassen die Thiere enorme Quantitäten, was auch daran 
ersichtlich ist, dass das Körpergewicht mit einer Ausnahme am Anfang 
gleich blieb oder sogar anstieg. 

In Curve 6 finden sich Gewichts- und Caloriencurven von Ratte I 
und 13. 

Auch an dieser Curve ist sehr leicht ersichtlich, wie der starke 
Gewichtsabfall von der 3. Woche an offenbar bedingt ist durch den ge¬ 
waltigen Abfall der beiden Caloriencurven. 

Auffällig an dieser Serie war das fast regelmässige Auftreten von 
eczematösen Stellen, besonders am Hals; ob dies Zufall war, oder mit 
der Nahrung irgend welchen Zusammenhang hatte, wage ich nicht zu 
entscheiden. 

Augenkatarrhe blieben mit Ausnahme von No. III ganz weg, 
höchstens wurde ganz vorübergehend eine Spur Secret notirt, und auch 
bei Ratte III erreicht^ die Conjunctivitis lange nicht den Grad, wie es 
bei den früheren Versuchen die Regel gewesen war. 

Wenden wir uns nun nochmals den Nierenveränderungen zu, die ich 
bei No. VI und ganz besonders bei No. III gefunden hatte, und die ich 
glaube auf das nucleinsäure Natron zurückführen zu müssen. 

Nach den Versuchen von Schittenhelm und Bendix (12) wissen 
wir, dass intravenöse Verabreichung von Nucleinsäure bei Kaninchen zu 
schweren Nierenveränderungen führt. 


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160 


P. Knapp, 


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Sie fanden bei ihren Versuchen schwere hämorrhagische Nephritis, 
zahlreiche Cylindcr aus Blutkörperchen und solche hyalinen Charakters, 
wahrscheinlich aus Nucleinsänrc bestehend. Ferner bestanden Ablage¬ 
rungen in den Harncanälchen, z. Th. in Form von Sphärolithen, z. Th.- 
als harnsäureähnliche Gebilde. 

Aus meinen Versuchen scheint hervorzugehen, dass auch bei Dar¬ 
reichung per os kleine Dosen von Nucleinsäure bei langdauernden Ver¬ 
suchen im Stande sind, schwere Nierenveränderungen hervorzurufen. 

Bei der zuerst verendeten Ratte VI waren die Veränderungen noch 
sehr wenig ausgesprochen, die Nierenoberfläche war etwas uneben, es 
fanden sich ganz spärliche hyaline Cylinder, aber sonst noch keine 
sicheren Zeichen von Entzündung. Gewaltige Veränderungen bestanden 
dagegen bei den stark vergrösserten Nieren von Ratte III. 

Die Vascularisation war sehr stark vermehrt, das ganze Organ 
geradezu vollgepfropft mit grossen hyalinen Cylindern. 

Das Epithel der Glomeruli war abgeplattet, aber sonst nicht ver¬ 
ändert, dagegen zeigte das Epithel der Tubuli contorti stellenweise 
Nekrosen. 

Im Stroma einzelne Hämorrhagien, sonst ausser mächtiger Hyper¬ 
ämie nichts Abnormes. 

In der Leber fanden sich im Centrum der Acini grobe fettige De¬ 
generationen, weiterhin auffällige Ungleichheiten in der Grösse der Kerne 
der Leberzellen, sonst aber keifle weiteren Veränderungen. 

Milz geschwellt, mikroskopisch aber ohne Besonderheiten. 

Herrn Prof. Hedinger, der die Liebenswürdigkeit hatte, die Prä¬ 
parate durchzusehen, sei auch an dieser Stelle der herzlichste Dank aus¬ 
gesprochen. 

Wie schon erwähnt, wurde nach diesem Befund die Quantität des 
nucleinsauren Natrons auf die Hälfte reducirt; die Thatsache, dass die 
4 anderen Thiere keine pathologischen Veränderungen mehr aufweisen, 
dürfte auch dafür sprechen, dass die Nucleinsäure die Ursache ge¬ 
wesen war. 


Ucberblicken wir einmal kurz das Resultat dieser 3 Versuchsreihen. 

Alle Thiere waren am Ende stark abgemagert, in einzelnen Fällen 
war sogar ein Gewichtsverlust von über 50 pCt. zu constatiren, während 
man sonst als Grenze für die Lebensmöglichkeit 40 - 45 pCt., nach 
Luigi Lueiani (13) im äussersten Falle 48—49 pCt. annimmt. 

Alle frassen bis zum Tode, höchstens mit Ausnahme des letzten 
oder auch vorletzten Lebenstages, im Magen fanden sich oft noch Nah¬ 
rungsreste, im Darme stets Koth. 

Was das Auftreten der mich in erster Lime interessirenden Con¬ 
junctivitis anbetrifft, so können die Beobachtungen Falta’s auch mit 
meinen grösseren Versuchsreihen nur gestützt werden, Ovalbumin- und 
Caseinratten bekamen ausnahmslos heftige Katarrhe, die Uni¬ 
versalratten nur ausnahmsweise und in ganz leichtem Grade. 

Obschon nun alle Thiere genau unter den gleichen Versuchsbeding¬ 
ungen lebten, so können doch verschiedene Einwände gemacht werden. 


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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Ratten mit künstlicher Nahrung etc. 161 


Einmal Hesse sich sagen, dass der Aufenthalt in dem ungewohnten 
Tageslicht die Ursache war. Um diesen Einwand zu entkräften, habe 
ich lange Zeit bei einzelnen Thieren den Käfig mit Tüchern verhängt, 
jedoch entwickelte sich bei diesen der Katarrh genau in gleicher Weise 
wie bei den im vollen Lichte lebenden. 

Weiterhin muss mit Recht besonders darauf hingowiesen werden, 
dass die Katarrhe wenigstens in stärkerem Grade immer orst gegen das 
Lebensende zu auftraten, also zu einem Zeitpunkte, wo die Resistenz¬ 
fähigkeit des Körpers ohnehin vermindert und dadurch die Disposition 
für eine zufällige Infection schon vorhanden war. 

Diese Erklärung ist entschieden sehr plausibel, das fast völlige Aus¬ 
bleiben des Katarrhs bei den 6 Universalratten könnto immerhin noch 
ein Zufall gewesen sein. 

Dem gegenüber darf hervorgehoben werden, dass wir nicht gewohnt 
sind, selbst bei schworen kachcktischcn Zuständen derartige Conjuncti¬ 
vitiden anzutreffen. Die Annahme ist also doch wohl berechtigt, dass da • 
neben dem Marasmus noch irgend eine andere Ursache, irgend eino durch 
die Ernährung bedingte Schädlichkeit raitspiclen dürfte. 

An Hand der folgenden Versuche soll dieso Frage noch weiter er¬ 
örtert werden. 

Auch über andere Fragen sollten weitere Experimente noch Klarheit 
bringen. 

Warum gingen die Thiorc überhaupt alle zu Grunde? Trug 
ungenügende Caloricnaufnahme die Schuld daran, oder resorbirto der Darm 
die einförmige Nahrung nicht mehr genügend, oder fehlte in dem Nahrungs¬ 
gemisch irgend etwas, wodurch trotz genügender Resorption die Fortdauer 
des Lebens unmöglich wurde, oder waren cs alle 3 Gründe zusammen? 

Diese Fragen bedingten die Fortführung der Versuche unter fol¬ 
genden Gesichtspunkten. 

Einmal musste überhaupt die. Caloricnmongc fcstgcsteilt 
werden, die ein solches Thier bei natürlicher Ernährung 
braucht, um am Leben zu bleiben, und um sein Normalgowicht 
beizubehalten. Zweitens musste festgcstollt werden, ob 
Ratten, die man bei natürlicher Nahrung an Unterernährung 
zu Grunde gehen lässt, Conjunctivitis bekommen odcr*nicht. 

Drittens musste durch calorimetrischc Bestimmungen des 
Kothes festgestellt werden, ob die Ausnützung der künstlichen 
Nahrung zu allen Zeiten die gleiche war oder nicht. 

Gelang es, diese drei Fragen zu beantworten, so war damit für das 
Vcrständniss der erhaltenen Resultate schon viel gewonnen. 

Ueber die Mehrzahl dieser Versuche werde ich mehr summarisch 
berichten, da die Mittheilung aller Details ohne Belang wäre. 


In erster Linie fütterte ich 4 Ratten mit Milchpujver, und wollte 
damit das zum Leben nothwendige Calorienminimum feststellen. 

Ich weiss nicht, aus welchen Gründen die Thiere diese Nahrung 
schlecht ertrugen, sie bekamen alle Diarrhoe und gingen nach 3—4 Wochen 
zu Grunde. Nicht viel bessere Resultate erhielt ich mit Fleischfütterung. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. j i 


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P. Knapp 


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162 


Es kara hierbei möglichst fettfreies Pferdefleisch zur Ver¬ 
wendung, das im Eisschrank aufbewahrt wurde. 

Möglicherweise veränderte sich aus letzterem Grunde das Fleisch 
in den Käfigen sehr rasch (diese Versuche wurden im Sommer vorge¬ 
nommen) und bildete aus dieser Ursache ein ungeeignetes Nahrungs¬ 
mittel, jedenfalls gingen von 5 Ratten 4 in 2 - 3 Wochen zu Grunde, 
und nur eine konnte längere Zeit am Leben erhalten werden. Dieselbe 
hatte ein Anfangsgewicht von 192 g, sie konnte mit einer täglichen 
Fleischration von 20 g 15 Wochen lang erhalten werden, ihr Gewicht 
schwankte in den letzten Wochen zwischen 140 und 150 g. 

Von der 16. Woche an setzte ich die Tagesration auf 18 g herunter, 
daraufhin ging das Thier unter raschem Gewichtsabfall nach 14 Tagen 
zu Grunde. 

Da nun nach einer calorimctrischen Bestimmung von Herrn Privat- 
docent Dr. Stähelin 100 g dieses Fleisches 150 Calorien enthielten, 
so würden also für dieses Thier ca. 30 Calorien täglich das Existenz¬ 
minimum gebildet haben. Dieser einzig gelungene Versuch konnte 
natürlich nicht maassgebend sein, und so sah ich mich zu weiteren Ex¬ 
perimenten veranlasst. 

Von 4 mit Hundekuchen gefütterten Thicren gingen 3 nach 3 bis 
4 Wochen zu Grunde, wie die Section ergab, höchst wahrscheinlich an 
Verstopfung, nur eins lebte 7 Wochen lang, leider war cs mir wegen 
längerer Abwesenheit unmöglich gewesen, gerade dieses Thier genauer 
zu controlliren. 

Bei Fütterung mit Milch gingen 4 Ratten ebenfalls an Verstopfung 
nach 3—4 Wochen zu Grunde, Zusatz von etwas Magnesiumsalzen zur 
Beförderung der Peristaltik erwies sich als nutzlos. Wohl hätte Zu¬ 
führung von Cellulose die Obstipation verhindert, doch hätte sich dann 
die Calorienaufnahme nicht mehr berechnen lassen, da Cellulose un¬ 
zweifelhaft auch zum Theil ausgenützt wird. Etwas mehr Glück hatie 
ich mit Reisfütterung, indem ich, einem freundlichen Rath von Herrn 
Dr. Falta folgend, zur Beförderung der Peristaltik Hornspähne bei¬ 
fügte, die absolut unverdaulich sind. 

Als calorirnetrischen Werth des Reises fand ich für 1 g = 3,418Calorien. 

Von diesen Reisratten blieb die erste, die ein Anfangsgewicht von 
176 g hatte, mit 15 g Reis pro die völlig im Gleichgewicht, mit 12 g 
erfolgte eine leichte Abnahme, mit 10 g sank das Gewicht stärker und 
blieb 4 Wochen lang zwischen 142 und 150 g, eine weitere successivc 
Verringerung der Nahrungszufuhr bis auf 7 g pro die führte nach weiteren 
14 Tagen den Tod herbei. Versuchsdauer 10y 2 Wochen. 

Dieses Thier blieb also mit 12—13 g Reis = 47—51 Calorien im 
Gleichgewicht, 10 g Reis = 39 Calorien waren entschieden das Mi¬ 
nimum zur dauernden Erhaltung seines Lebens. 

Bei einer zweiten Reisratte kam ich ebenfalls ziemlich genau zu 
dem gleichen Resultat. 

Weiterhin machte ich mehrere Fütterungsversuche mit gepulvertem 
Grahambrot. 

Allerdings starben auch von diesen mehrere Thiere frühzeitig an 


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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Ratten mit künstlicher Nahrung etc. 163 


Verstopfung, doch gelang es, wenigstens 3 davon bei steigender Unter¬ 
ernährung über 6 Wochen am Leben zu erhalten. 

Den calorimetrischen Werth von 1 g getrockneten Grahambrotes 
bestimmte ich auf 3,968 Calorien. Mit diesem Futter blieb z. B. eine 
168 g schwere Ratte mit 10 g = 40 Calorien pro die wochenlang ganz 
wenig unter ihrem Anfangsgewicht, eine weitere Reduction auf 9 und 
später auf 8 g hatte starkes Sinken des Körpergewichtes bis auf 125 g 
zur Folge, wo cs mit dieser Nahrungsmenge wochenlang stehen blieb. 
Die 2 andern Graharabrotthierc gebrauchten bei einem Körpergewicht 
von 145 und 168 g ebenfalls 36 und 40 Calorien zur Erhaltung ihres 
Status quo, also ganz ähnliche Wcrthe. Wir finden also bei Rcisfütterung 
zur Erhaltung des Gleichgewichts einen Calorienbedarf von ca. 270 Ca- 
loricn pro die und 1 kg Körpergewicht, bei Grahambrot ca. 240 Calorien. 

Wir können daraus entnehmen, dass die durchschnittlich 200—250 g 
schweren Thiere unserer ersten Versuchsserien zur Erhaltung ihres Gleich¬ 
gewichts doch ungefähr einen täglichen Calorienbedarf von wenigstens 
50—60 Calorien haben mussten. Ich bin mir allerdings wohl 
bewusst, dass diese Berechnungen und Vergleiche nur einen 
ganz approximativen Werth haben. 

Für ganz genaue Bestimmungen des Caloricnbcdarfes müssten die 
Thiere unter gleicher Temperatur gehalten werden, was hier nicht geschah. 

Ferner ist besonders die Ausnützung der verschiedenen Eiweiss¬ 
arten eine ganz verschiedene. 

Nach einer in Bunge’s Lehrbuch der Physiologie II. Bd. S. 87 u. 88 
zusamracngc&tclltcn Tabelle ist z. B. die Menge des unresorbirten Ei- 
weisses in Procentcn des aufgenommenen 

bei Rindfleisch ... 2,5 pCt. 

v Weizenbrot . . . 19,9 „ 

„ Schwarzbrot . . . 32 „ 

7) . n 

Es sind das sehr beträchtliche Unterschiede, die natürlich bei den 
verschiedenartigen Eiweisstoffen, die zur Verwendung kamen, allzu weit¬ 
gehende calorimetrische Vergleiche nicht zulassen. 

Die überaus gute Ausnützung des Fleischeiwcisses erklärt uns auch, 
warum die Fleischratte mit einer geringeren Calorienzufuhr auskam. 

Immerhin scheinen diese Berechnungen doch annähernd richtig zu sein, 
wenn wir die Caloriencurven der 3 Anlangsserien daraufhin ansehen. 

Aus vergleichenden Gründen hatte ich überall nicht den physiolo¬ 
gischen sondern den totalen Verbrennungwerth des Eiweisses berechnet, 
so dass die gefundenen Werthe viel besser einander gegenübergestellt 
werden können. 

Die beiden Ovalbuminratten nahmen sehr lange dieses postulirtc 
Minimum von 50—60 Calorien auf, und blieben deshalb auch längere Zeit 
wenigstens annähernd im Gleichgewicht, die Caseinratten gelangten schon 
in der zweiten Woche unter diese Zahl, daher auch ihr rascherer Abfall. 

Auch die Universalratten waren schon von der dritten Woche an 
unterernährt, und gingen deshalb auch unerwartet früh zu Grunde. Die 
Todesursache war also in erster Linie in der ungenügenden 

11 * 


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Nahrungsaufnahme zu suchen, wenn die Thiere auch Anfangs gern 
frassen, so wurden sie doch früher oder später der einförmigen Kost 
überdrüssig, und verhungerten geradezu am gefüllten Futtertroge. 

Diese Thatsachc und weiterhin der grosse Calorienbedarf dieser 
kleinen Thiere sind zwei Factoren, die bei derartigen experimentellen 
Versuchen für die Beurtheilung des ganzen Verlaufes von ausschlag¬ 
gebender Bedeutung sind, sie sind aber, wie mir scheint, bei allen 
früheren derartigen Versuchen viel zu sehr ausser Acht gelassen worden. 
Ob cs gelingt, den Appetit der Thiere durch Zugabe von Gewürzen, 
Fleischcxtract etc. dauernd rege zu erhalten, das ist eine Frage, der 
ich experimentell noeh nicht näher getreten bin. 

Jedenfalls wären weitere derartige Versuche sehr interessant, denn 
erst, wenn es gelingen würde, den Thieren auch wirklich ihren 
täglichen Calorienbedarf dauernd beizubringen, dann könnte 
die Frage endgültig entschieden wurden, ob das Leben mit 
derartigen künstlichen Stoffen nicht doch erhalten werden 
kann. 

Die lange Lebensdauer specicll der Ovalbuminratten lässt diese 
Möglichkeit jedenfalls nicht als ausgeschlossen erscheinen. 

Solange aber die Thiere bei solchen Versuchen offenbar in erster 
Linie aus Appctitmangel und Unterernährung eingehen, so lange sind 
alle Speculationen darüber überflüssig, ob und was für lebenswichtige 
Stoffe in der Nahrung noch gefehlt hätten. 

Kehren wir noch einmal zur Frage über die Genese der beobachteten 
Conjunctivitis zurück. 

Wie aus den vorherigen Angaben hervorgeht, habe ich über 20 Ratten 
mit Fleisch, Milchpulver, Milch, Hundekuchen, Reis und Grahambrot 
gefüttert. 

Der grössere Theil daran starb an Complicationen, die übrigen liess 
ich absichtlich an Unterernährung zu Grunde gehen. 

Alle ohne Ausnahme zeigten bei ihrem Lebensende eine starke Ab¬ 
magerung, also einen Zustand von allgemeiner Körperschwäche, den man 
als Hauptgrund (ür die beobachteten Katarrhe ansehen könnte. 

Nun beobachtete ich aber unter dieser grossen Zahl von Versuchs- 
thieren nur einmal einen Conjunctivalkatarrh von mässiger Stärke, 
nämlich bei einer Reisratte, also bei einer Nahrung, der man auch 
vielleicht den Vorwurf allzu grosser Einfachheit machen muss. 

Bei allen anderen Thieren fehlte auch im letzten Stadium jede Spur 
einer Secretion von Seiten der Conjunctiva. 

Angesichts dieser Thatsachc scheint mir doch die Ver- 
muthung berechtigt zu sein, dass es nicht nur die prämortale 
Resistenzlosigkcit war, welche die Thiere zu derartigen 
Katarrhen prädisponirte, sondern, dass wir eine weitere 
Ursache in der Art der Nahrung suchen müssen, vielleicht in 
dein Kehlen eines ganz bestimmten wichtigen Körpers. Ob 
dies der Fall ist, und welches eventuell dieser Körper sein könnte, das 
ist freilich eine Frage, die nach meinen Versuchen noch nicht entschieden 


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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von kalten mit künstlicher Nahrung etc. 1(>5 


werden kann, und zu deren Lösung es noch sehr zahlreicher und mühe¬ 
voller Experimente bedürfen wird. 

Von diesem Gesichtspunkt aus ist es von ganz besonderem Interesse, 
dass die Ratten, welche mit dem Universalkuchen gefüttert worden 
waren, keine Conjunctivitis bekamen. 

Wie Herr Schlachthausverwalter Dr. Siogmund mir in freund¬ 
licher Weise mittheilte, kann man auch bei Pferden und Hunden nach 
schlechter oder ungenügender Ernährung Conjunctivitiden beobachten; 
ob und inwiefern dieselben allerdings endogenen Ursprungs sind, das 
lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden. 

Die bei mehreren Ovalbuminratten aufgetretenen Hornhautgeschwüre 
boten keine Besonderheiten. Die Secretion war oft so hochgradig, dass 
die Lider fast ganz zugeklebt blieben, cs bildeten sich so zuerst ober¬ 
flächliche Macerationsdefecte, und bald darauf eigentliche Geschwüre. 
Dass bei den Caseinratten Geschwüre nicht vorkamen, mag wohl daher 
kommen, weil bei ihnen die Conjunctivitis in Folge des rascher ein¬ 
tretenden Todes nie so lange dauerte und sie deshalb auch weniger 
leicht zu Hornhautcomplicationen führen konnte. 

Ich hatte mir auch noch die Aufgabe gestellt zu untersuchen, ob 
die Ausnützung der künstlichen Nahrung im Darm zu den verschiedenen 
Lebensperioden auch wirklich gleichmässig erfolgte. 

Ich fütterte deshalb 2 Ratten mit dem Caseinkuchen, und bestimmte 
von jeder Woche den calorimetrischen Werth des Kothes. Die bei dem 
ersten dieser Thiere gefundenen Werthc finden sich in folgender Tabelle 
wiedergegeben: 


Woche 

Körpergewicht 
am Anfang der 
Woche 

Calorien 

im Futter 

Calorien 

im Koth 

Procente der 
im Koth 
gefundenen 
Calorien 

I. 

136 g 

316 

7,124 

2,25 pCt. 

II. 

137 g 

277 

2,903 

1,05 r 

III. 

132 g 

301 

5,081 

1,68 r 

IV. 

— 2 Tage 

117 g 

203 

4,335 

2,13 r 


Endgewicht = 100 g. 

Leider ist das Ergebniss dadurch etwas gestört, dass in der ersten 
Woche sehr reichliche, etwas diarrhoische, und in der zweiten Woche 
nur sehr spärliche Kothentleerungen erfolgten. 

Die anfängliche leichte Diarrhoe mag den Grund bilden, warum in 
der ersten Woche die grösste Calorienmenge im Koth gefunden wurde. 

Während der 3 folgenden Wochen zeigt sich ein successives An¬ 
steigen des Caloriengehaltes der Fäces, in der zweiten Woche fanden 
sich 1,05 pCt. der aufgenoramenen Calorien im Kothe wieder, in der 
vierten Woche dagegen 2,13 pCt., also das Doppelte. 

Auch der zweite Versuch ergab ein Ansteigen der Calorienmenge 
im Koth, leider aber konnte ich wegen eines Fehlers bei den Bestim¬ 
mungen kein durchweg genaues Resultat erhalten. 

Ich wollte deshalb auf den einen ausserdem durch die unregel- 


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166 


1\ Knapp 


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massige Kothentlcerung gestörten Versuch nicht abstcllcn, sondern 
machte noch eine weitere Bestimmung. 

Hierbei traf ich ganz besondere Vorsichtsmaassregeln, um möglichst 
genaue VVerthc zu erhalten und alle Fehlerquellen thunlichst zu ver¬ 
meiden. 

Die Nahrung wurde in Form eines dünnen Breies gereicht, um ein 
Zerbröckeln und Verschleppen derselben zu verhindern; ferner nahm ich 
die doppelte Quantität Salze, um eine möglichst gleichmässige Koth- 
entleerung zu erzielen. 

Wenn trotzdem der hier auch bestimmte N-Gchalt des Harns nicht 
als zuverlässig bezeichnet werden muss, so liegt eben der Grund darin, 
dass auch bei der grössten Vorsicht ein Vermengen des Urins mit Futter¬ 
resten nicht ganz auszuschliessen war. 

Im Uebrigen verlief dieser Versuch sehr gut und ohne die geringste 
Störung, die Lebensdauer des Thieres betrug 4 Wochen — 2 Tage. 

Die einzelnen gefundenen Zahlen finden sich in folgender Tabelle 
vereinigt: 


Woche 

Körpergewicht 
am Anfang der 
Woche 

1 

Calorien j 
im Futter 1 

i 

Calorien 

im Koth 

Procente der 
j im Koth 
gefundenen 
Calorien 

N. im Harn 

1. 

179 g 

407.7 

6,88S 

1,64 pCt. 

1,85 g 

II. 

181 g 

299.7 l 

5,551 j 

| 1,85 - 

2,2 g 

III. 

lfiS g 

21C, 

4,457 

1 2,06 „ 

0,872 g 

IV. 

— 2 Tage 

139 g 

135 1 

3,722 

2,76 „ 

1,3G1 g 


Hndgewicht — 110 g. 


Diese Tabelle ergiebt ein sehr klares und instructives Bild. 

Erstens ersehen wir daraus, dass dieses Thier in der ersten Woche 
täglich durchschnittlich 58 Calorien aufgenommen hatte, eine Menge, die 
bei diesem Körpergewicht nach unseren früheren Berechnungen zur Er¬ 
haltung des Gleichgewichts reichlich genügen musste, wir finden denn 
auch sogar einen kleinen Gewichtsansatz. 

In der zweiten Woche sank die Aufnahme auf 43 Calorien, dies 
genügte bereits nicht mehr ganz, es trat eine leichte Abnahme ein, die 
in den folgenden Wochen rapid zunahm. 

Auf die Stickstoffbestimmung des Urins möchte ich, wie schon 
betont, nicht allzu viel Gewicht legen, da Fehlerquellen nicht aus¬ 
zuschliessen waren, es scheint die N-Ausschcidung in den letzten fünf 
Tagen angestiegen zu sein, offenbar war dies der Zeitpunkt, wo das 
Körperfett aufgezehrt war, und eine stärkere Einschmelzung von Körper- 
eiweiss begann. 

Ganz besonders instructiv aber ist die Colonne, in welcher ver¬ 
zeichnet ist, wie viel Procente der aufgenommenen Calorien im Kothe 
sich wieder fanden. Wir sehen da deutlich ein progressives An¬ 
steigen während der 4 Wochen, in der ersten waren es 1,64 pCt., in 
der vierten dagegen 2,76 pCt. 

Es entspricht dieser Befund schon dem früher erhobenen, nur ist 


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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Ratten mit künstlicher Nahrung etc. 1G7 


der ganze Verlauf in diesem besonders sorgfältig und ohne Störung 
durchgeführten Fall ganz besonders klar zu sehen 

Es scheint daraus hervorzugehen, dass die Ausnützung der 
Nahrung im Laufe des Versuches successive schlechter zu 
werden pflegt. 

Dieses Verhalten der Verdauungsorgane ist wohl kaum als ein 
Folgezustand der durch die ungenügende Nahrungsaufnahme erzeugten 
chronischen Inanition aufzufassen. 

Wenigstens finden wir in der menschlichen Pathologie keine Ana¬ 
logie dafür, da die Ausnützung der Nahrung sowohl nach acutem 
Hunger als im Zustand der chronischen Unterernährung normal bleibt. 

Es ist viel wahrscheinlicher, dass das geschmacklose, einförmige, 
künstliche Nahrungsgemisch eine Verringerung der Verdauungssäfte 
und dadurch eine schlechtere Ausnützung der Nahrung herbeiführte. 

Die Studien von Pawlow (14) u. A. haben die Bedeutung des 
Appetits für die Secretion der Verdauungssäfte zur Genüge bewiesen. 

Das ist auch eine bekannte physiologische Thatsache, dass Leute, 
die mit einer einförmigen Kost genährt werden, allmählich den Appetit 
verlieren und abmagern [Abderhalden (15)]. 

Es ist eben von der grössten Bedeutung, dass die Nahrung nicht 
nur nahrhaft, sondern auch appetitreizend sei; wenn dem Futter die 
letztere Eigenschaft abgeht, so verlieren die Thiere den Appetit und 
verhungern zuletzt, wie aus meinen Versuchen hervorgeht. 

Die beiden zuletzt genannten Thiere lebten nur auffallend kurze 
Zeit, der Tod trat ein, bevor die sonst übliche Gewichtsabnahme von 
40—50 pCt. vorhanden war. 

Der Grund liegt wohl darin, dass es sich um junge, noch nicht 
ganz ausgewachsene Thiere handelte, die noch nicht viel Körperfett im 
Vorrath hatten. Ich möchte endlich nicht unterlassen zu erwähnen, dass 
die letzte Ratte von den 8 mit Caseinkuchen gefütterten die einzige 
war, welche keine Conjunctivitis bekam. 

Ich kann mir kaum denken, dass der erhöhte Salzgehalt der 
Nahrung die Ursache davon bildete. Wenigstens habe ich 3 andere 
Ratten mit einem Kuchen gefüttert, der Ovalbumin, Casein etc. sowie 
doppelte Salzmenge enthielt. 

Diese ebenfalls jungen Thiere starben auch schon nach 4 Wochen 
und zeigten alle gegen das Ende zu Lichtscheu und beginnende Secretion. 
Allerdings kam eine stärkere Conjunctivitis wohl wegen des raschen 
Hinsterbens nicht mehr zur Entwickelung. 

Dies führt mich zu einem Einwand, der nicht unberücksichtigt 
bleiben darf. 

Man könnte sagen, dass die mit natürlicher Nahrung gefütterten 
Thiere nur deshalb keinen Katarrh bekamen, weil sie meist vorzeitig an 
Complicationen zu Grunde gingen, so dass also die Conjunctivitis sozu¬ 
sagen gar nicht Zeit fand, sich zu entwickeln. 

Dem ist entgegenzuhalten, dass eine Fleischratte, eine mit Hunde¬ 
kuchen, zwei mit Reis und drei mit Grahambrot gefütterte länger als 
6 Wochen lebten, dazu kommen noch 6 Universalratten. 


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1\ Knapp, 


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Von diesen 13 Thieren bekam eine Reisratte einen mittel¬ 
starken, und eine Universalratte einen leichten Augenkatarrh, 
die anderen aber nichts. 

Von 13 Casein- und 0valburainratten blieb der Katarrh 
nur bei einer Caseinratte aus, bei allen anderen war er meist 
sehr stark. Dieser Unterschied ist doch recht auffallend und kann 
kaum mehr nur durch Zufall entstanden sein. 

Es handelt sich ja hier um bisher ganz unbekannte und äusserst 
schwer zu beurtheilende Verhältnisse. 

Selbst auf Grund dieser zahlreichen und langwierigen Unter¬ 
suchungen wäre es jedenfalls voreilig, allzu weitgehende Schlüsse zu 
ziehen. 

Immerhin glaube ich, das Ergebniss in folgenden Sätzen zusaramen- 
fassen zu dürfen: 

1. Es gelingt nicht, Ratten mit künstlicher Nahrung 
dauernd am Leben zu erhalten. Der Grund liegt hauptsäch¬ 
lich darin, dass die Thiere bei der reizlosen einförmigen Kost 
den Appetit verlieren, in geringerem Grade wohl auch darin, 
dass die Nahrung mit zunehmender Appetitlosigkeit im Darm 
auch weniger gut ausgenützt wird. 

2. Ratten, die in ihrem Nahrungsgemisch nur einzelne 
Eiweisskörper, Fett, Kohlehydrate und Salze bekommen, 
zeigen fast ausnahmslos gegen Ende ihres Lebens eine 
Neigung zu starker Conjunctivitis. 

3. Ratten, die mit complicirteren künstlichen Gemischen 
oder mit natürlicher Nahrung gefüttert werden, zeigen der¬ 
artige Katarrhe nur ausnahmsweise und dann in geringerem 
Grade, bei letzterer Kost auch dann nicht, wenn man sie an 
Unterernährung zu Grunde gehen lässt. Die Vermuthung er¬ 
scheint deshalb berechtigt, dass nicht nur die allgemeine 
Körperschwäche, sondern auch die Art der Nahrung für der¬ 
artige Conjunctivitiden prädisponirend wirken kann. 

4. Bei länger fortgesetzter Fütterung mit nucieinsaurem 
Natron können sich schwere Nephritis sowie fettige Degene¬ 
rationen in der Leber einstellen. 


Zum Schlüsse ist es mir eine angenehme Pflicht, den Herren Prof. 
His, Voit und Gerhardt, die mir alle Hülfsmittel des Laboratoriums 
in liebenswürdigster Weise zur Verfügung stellten, meinen besten Dank 
auszuspreghen. * 

Ganz besonderen Dank aber schulde ich meinem Freunde, Herrn 
Privatdocent Dr. Falta in Wien, für die Anregung zu dieser Arbeit, 
sowie für die werthvolle Mithülfe und die zahlreichen guten Rathschläge 
bei diesen Untersuchungen. 


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Experimenteller Beitrag zur Ernährung von Hatten mit künstlicher Nahrung etc. 169 

Literatur. 

1. Morax, Wirksamkeit der Toxine in der Aetiologie der Bindehautentzündungen. 

IX. Internat. Congress in Utrecht. 

2. Valenti, Sulla azione di alcune sostanze tossiche sulla congiuntiva oculare. 

Archiv, di ottalm. 1900. VIII. p. 20. 

3. Fuchs, Lehrbuch der Augenheilkunde. 

4. Trousseau, Fluxion de la conjonctive. 1896. Heoueil d’ophth. 

5. Leber, Discussion zu dem Vortrag von Wagenmann: Einiges über Augen¬ 

erkrankungen bei Gicht. Bericht über die 25. Versammlung in Heidelberg. 

6. Luigi Luciani, Physiologie des Menschen. 1905. II. Bd. 

7. Falta und Nöggerath, Fütterungsversuche mit künstlicher Nahrung. Beiträge 

zur chem. Physiologie und Pathologie. Bd. VII. p. 313ff. 

8. Henriques und Hansen, Ueber Eiweisssynthese im Thierkörper. Zeitschr. f. 

physiol. Chemie. Bd. 43. 

9. Lunin, Ueber die Bedeutung der anorg. Salze für die Ernährung des Thieres. 

Zeitschr. f. phys. Chemie. Bd. 5. 

10. Socin (Arbeit aus Bungo’s Laboratorium), In welcher Form wird Eisen re- 

sorbirt. Zeitschr. f. phys. Chemie. Bd. 15. 

11. Rubner, Gesetze des Energieverbrauches. Leipzig u. Wien 1902. 

12. Schittenhelm und Bendix, Ueber das Schicksal der in die Blutbahn ge¬ 

brachten Nucleinsäure. Deutsche med. Wochenschr. 1904. 

13. Luigi Luciani, Das Hungern. 1890. 

14. Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. Bergmann. Wiesbaden 1898. 

15. Abderhalden, Lehrbuch der physiologischen Chemie. 

IG. Wolff-Eisner, Discussion zum Vortrag von Pirquet (Sitzung der Berliner 
med. Gesellsch. 8. Mai 1907). Ref Berliner klin. Wochenschr. No. 22. 

17. Calmette, Sur un nouveau procödd de diagnostic de la tuberculose chez 
Phomme par ophthalmordaction ä la tuberculine. Compte rendu des seances de 
Pacad^mie des Sciences. No. 24. 17. Juni 1907. 


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XIV. 


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Aus dem Laboratorium der hydrotherapeutischen Anstalt der 
Universität Berlin. 

Beitrag zur Quecksilberausscheidung nach Thiopinolbädern 

bei Schmierkur. 

Von 

Dr. G. Diesselhorst. 

Von verschiedenen Seiten namentlich Badeärzten wird empfohlen, 
die Schmiercur bei Syphilitikern mit einer Schwefelbade- bezw. auch 
Trinkcur zu combiniren, weil dadurch grössere Quecksilberdosen (bis zu 
15 g grauer Salbe) ohne Schädigung vertragen und so eine energische 
Behandlung auch bei gegen Hg empfindlichen Patienten ermöglicht werde. 
Andere Forscher dagegen behaupten, dass eben durch die Schwefelbäder 
die Wirkung des Quecksilbers in Folge von Sulfidbildung sich abschwäche 
und daher Intoxicationen ausblieben. Von Winkler 1 ) sind sogar ein¬ 
gehende theoretische Speculationen über die chemischen Vorgänge zwischen 
Schwefel und Quecksilber im Organismus angestellt worden, die angeb¬ 
lich zur Entstehung eines löslichen unterschwefligsauren Quecksilberalkalis 
führen sollen. Da aber diese Annahme nicht experimentell bewiesen 
ist, so hat die ganze Betrachtung nur einen sehr hypothetischen Charakter. 

Meine Untersuchungen betrafen einen kräftigen Patienten von 37 Jahren, 
bei welchem vor ca. 8 Wochen plötzlich Hemiplegie entstanden war in 
Folge von Lues, die vor 14 Jahren acquirirt, damals nur ganz oberfläch¬ 
lich behandelt wurde. Neben der Schmiercur kam das „Thiopinol- 
Schwefelbad“, eine Lösung von Alkalisulfiden mit Nadelholzölen com- 
binirt in folgender Weise zur Anwendung. Zunächst erhielt der Patient 
während der ersten drei Touren der Schmiercur (3 g Ung. Hydrag. c. 
resorb. par. täglich, 6 Tage lang) am 7. Tage ein Rcinigungs- und im 
Anschluss daran das obige Schwefelbad. Sodann folgte in der vierten 
Tour abwechselnd an einem Tage ein Schwefelbad und am nächsten eine 
Einreibung von 3 g Quecksilbersalbe. Die fünfte bis siebente Tour der 
Schmiercur wurde ohne Schwefelbehandlung durchgeführt, dagegen nach 
der letzten Einreibung zum Schluss noch drei Schwefelbäder gegeben. 
Die Ausscheidungen des Patienten untersuchte ich fast täglich nach der 

1) Deutsche Medicinal-Zeitung. 1902. 32. 


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Beitrag zur Quecksilberausscheidung nach Thiopinolbädern bei Schmierkur. 171 


von mir beschriebenen Methode 1 ) auf Quecksilber. Die Ergebnisse folgen 
hier tabellarisch. 


Datum 

Urin 

Faeces 

Bemerkungen 

Menge in ccm 

Hg. mg 

Menge in g 

Hg. mg 

26. 10. 

750 

0 



am28.10.Schmier- 


; 




kur begonnen. 






3 g ung. hydr. 

29. 

600 

0 

60 

Spur 


30. 

425 

sehr ger.Spur 

— 

— 


31. 

800 

Spur 

195 

Spur 






mehralsi.Urin 


1. 11. 

1100 

geringe Spur 

85 

Spur 

3. 11. Reinigungs- 






u. Schwefelbad. 

2. 

1200 

starke Spur 

— 

— 


4. 

750 

Spur 

85 

Spur 

4.11. 2. Tour 3 g. 





mehralsi.Urin 


5. 

1200 

Spur 

— 

— 


6. 

— 

i - 

105 

starke Spur 


7. 

1100 

Spur 

— 

— 


8. 

— 


— 

Spur 

10.11. Sehw.-Bad. 

11. 

700 

Spur 

160 

starke Spur 

11.11. 3. Tour 3 g. 

13. 

1000 

Spur 

— 

— 


16. 

1000 

Spur 

70 

Spur 

17.11. Schw.-Bad. 

18. 

430 

! Spur 

150 

0,2 

18.11. 4.Tour 3g. 

22. 

1000 

| Spur 

— 


19.11. Schw.-Bad. 






u.s. w. bis 26. 11. 

23. 

1100 

! starke Spur 

— 

— 


25. 

1200 

0.1 

— 

— 

27.11. 5. Tour 3g. 

2. 12. 

700 

0,1 

— 

— 

3.12. Reinig.-Bad. 

4. 

750 

0,6 

— 

— 

4.12. 6. Tour 3 g. 

6. 

1150 

0,4 

— 

— 


9. 

750 

0,3 

— 

— 

9.12. Reinig.-Bad. 






7. Tour 3 g. 

10. 

900 

0,1 

55 

0,2 


11. 

1000 

0,5 

45 

0,2 


12. 

1300 

0,5 

— 



14. 

1455 

0,7 

68 

0,2 

14.12. Reinig.-Bad 

15. 

1100 

, 0,9 

— 

— 

15.12. Schw.-Bad. 

16. 

800 

1 0,7 

140 

0,1 

16.12. Schw.-Bad. 

17. 

1150 

0,7 

110 

0,1 

17.12. Schw.-Bad. 

18. 

— 

— 

46 

0,1 


19. 

1150 

0,4 

115 

0,1 


20. 

800 

0,5 

100 

0,1 



Unter Spur sind Mengen unter 0,1 mg zu verstehen. 


Es sei noch bemerkt, dass auch im Speichel des Patienten eine 
geringe Spur Quecksilber nachgewiesen werden konnte. 

Aus obigen Zahlen ergiebt sich nun, dass die Ausscheidung von 
Quecksilber nicht völlig verhindert wird, dagegen weit unter die Grösse 
hinabgedrückt ist, welche sie bei einer reinen Schmiercur annimmt. Es 
stimmt diese Thatsache überein mit früheren Beobachtungen Elsenberg’s 
und anderer Autoren, welche zuerst ein Schwefelbad und eine Stunde 
nachher sehr grosse Dosen Ung. ein. vorschrieben. In unserem Falle 
bewirkte aber schon wöchenlich ein Schwefelbad, dass überhaupt bloss 
Spuren von Hg im Urin und Faeces während dreier Wochen einer 


1) Berl. klin. Wochenschr. 1907. 39. 


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172 G. Picsselhorst, Beitrag zur Q.uocksilbcrausscheidung etc. 

Schmiercur mit der üblichen Menge Salbe auftraten. Am Ende der 
vierten Woche scheint trotz der häufigeren Schwefelbäder eine kleine 
Zunahme der Hg-Elimination bis zur Grenze der Wägbarkeit eingetreten 
zu sein. Nach dem Aussetzen der Schwefelcur stieg die ausgeschiedene 
Hg-Menge langsam an, ohne jedoch nach drei Wochen Werthe zu er¬ 
reichen, wie ich sie früher gefunden habe. Schliesslich ergiebt sich aus 
meinen Untersuchungen, dass, nachdem in Folge der Schmiercur bereits 
wägbare Mengen Hg in Urin und Faeces auftraten, durch Wiederaufnahme 
der Schwefelbäder die Hg-Absonderung nicht plötzlich bis auf Spuren 
aufhört, sondern nur ganz allmählich sinkt. 


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XV. 

Aus der II. medicinischen Klinik in Berlin. 

Ueber das Venenphftnomen. 

Von 

J. Meinertz. 


Der Blutkreislauf besitzt ein Gefälle, das sieh auf dem weiten Wege 
von der linken Kammer des Herzens durch den Körper bis zum Atrium 
der anderen Seite in sehr ungleicher Weise ändert, ln den Verzwei¬ 
gungen der Arterien und namentlich in den Capillarcn nimmt der Druck 
rasch ab, so dass er in den Venen noch wenige Millimeter beträgt; 
und weiterhin nach der Einmündungsstelle der grossen Venen in den 
Vorhof zu sinkt er noch tiefer bis zu negativen Werthen. Es wäro 
eine wesentliche Ergänzung der in letzter Zeit mit mehrfachen Methoden 
und praktisch werthvollen Erfolgen gemachten Untersuchungen des arte- 
teriellen Druckes beim lebenden Menschen, wenn uns auch ein klinisch 
brauchbares Verfahren zur Verfügung stände, mit welchem wir den Druck 
am niedrigsten Punkte des Gefälles, nämlich im rechten Atrium ab¬ 
schätzen könnten. Denn dieser Druck unterliegt doch wohl einer Reihe 
von Einflüssen, die für die Pathologie bestimmter Herzkrankheiten 
von Bedeutung sind und für deren ßeurtheilung wir in der Messung jenes 
Werthes eine bemerkenswerthe Handhabe hätten. Auch eine systema¬ 
tische Vergleichung der Druckwerthe vom Anfang und Ende des Krcis- 
laufsgefälles könnte vielleicht Gesichtspunkte für die Auffassung gewisser 
Circulationsstörungen ergeben. 

Nun hat bekanntlich Gärtner 1 ) eine sehr einfache Methode an¬ 
gegeben, mittels deren er den im rechten Vorhof vorhandenen Druck 
bestimmen zu können glaubt. Er erhebt die obere Extremität, nachdem 
sich deren Hautvenen durch Herabhängen gefüllt haben, langsam bis zu 
der Höhe, in der die Hautvenen collabiren und zu einem flachen Bande 
werden, und ermittelt dann den senkrechten Abstand des Niveaus, in 
dem dieses „Vcnenphänoraen“ eintritt, vom Niveau des rechten Vorhofes. 
Eine Flüssigkeitssäule von der Höhe dieses Abstandes sei das Maass 
für den im Vorhofe herrschenden Druck; denn eben diesen Druck müsse 
das Venenblut mit Hülfe der Schwerkraft überwinden und thue das in 
dem Augenblicke, in dem cs nach hydrostatischen Gesetzen eine Flüssig¬ 
keitssäule von jener Höhe darstellt. 

1) Münchener med. Wochcnschr. l^OM. S. 2038. 


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174 


J. Meinertz, 


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Grundsätzlich ein gleiches Verfahren hatte vor Gärtner schon 
Frey 1 ) angewandt. Während Letzterer aber in dem Venenphänomen 
nur ein beiläufiges Maass für den Vorhofsdruck sieht, zu einer 
exacteren Bestimmung dagegen auf anderem Wege zu gelangen sucht, 
behauptet Gärtner, die Beobachtung des Venenphänomens setze uns 
in den Stand, den Druck im rechten Vorhof in physikalisch einwandfreier 
Weise zu bestimmen, und ferner, wir könnten mit Hülfe dieses Ver¬ 
fahrens das Vorhandensein von Stauungen im rechten Herzen nicht bloss 
mit voller Sicherheit erkennen, sondern auch den Grad der Störung 
messen und den Ablauf von Veränderungen verfolgen. 

Mehr, als dies wirklich geschehen ist, hätte man auf Nachprüfungen 
dieser Angaben durch die Versuche rechnen dürfen. Eine einfache Ab¬ 
lehnung haben sie doch wohl nicht verdient 2 ). 

Zunächst entsteht die Frage, welche Phase des Vorhofsdrucks hier 
gemeint ist. Denn dieser Druck wechselt beständig und zeigt die be¬ 
kannte, am Thier experimentell festgestellte Curve. Gärtner meint den 
Minimaldruck zu messen; denn wegen der nächsten vom Herzen aus 
stromaufwärts gelegenen Venenklappe, die gleichsam als ein sich herz- 
vvärts öffnendes Ventil in einem Minimum-Manometer wirke, könne sich 
der Druck, der den Minimumdruck übersteige, nicht bis in die peri¬ 
pherischen Venen fortsetzen. Das erscheint nun nicht ohne Weiteres 
einleuchtend. Der Minimaldruck im Vorhof ist doch sicher negativ; das 
ist beim Thier direct nachgewiesen. Warum muss denn aber ein Gefälle 
von mehreren Centimetern Höhe hergestellt werden, damit die Venen 
sich nach dem Vorhof entleeren? Man könnte als abflusshemmendes 
Moment nur die innere Reibung anführen. Dann muss man jedoch auch 
folgende Ueberlegung gelten lassen: Die Blutsäule ist nicht im Stande, 
den raschen Schwankungen des Vorhofsdruckes zu folgen und kann nicht 
in dem kurzen Zeitraum des Minimaldrucks (nur in diesem können nach 
der Gärtner’schen Ueberlegung die Venenklappen offen sein) plötzlich 
nach dem Vorhofe abfliessen. Vielmehr wird bereits im nächsten Mo¬ 
mente höheren Druckes die Bewegung gehemmt, die Klappen werden 
geschlossen, und das würde sich erst dann ändern, wenn in einer 
gewissen Höhe über dem Niveau des Vorhofs die Blutsäule ein Gewicht 
erreicht hätte, das ausreichte, während der ganzen Peristole, also auch 
in dem Zeitpunkte des maximalen Vorhofsdruckes, die Venenklappe offen 
zu erhalten und so den Abfluss nach dem Vorhofe zu ermöglichen. In 
diesem Falle würden wir also gerade den maximalen Vorhofsdruck 
bestimmen. 

1) Deutsches Archiv f. klin. Med. 1902. öd. 73. S. 511. 

2) Es sind einige Nachprüfungen vorgenommen worden, so von Prym 
(Münchener med. Wochenschr. 1904. No. 2), Peters (ibid. S. 1107), Abbruzzetti 
(Riforma medica. 1904. No. 36—40), ohne dass eine Klärung der Frage herbei¬ 
geführt worden wäre. Die Arbeit des letztgenannten Autors war mir im Original 
nicht zugänglich; aus dem Referat (Deutsche med.Wochenschr. 1904. S. 1617) geht 
hervor, dass A. das Venenphänomen nicht allgemein als Ausdruck des im Vorhof 
herrschenden Druckes gelten lasseu will und ihm keine besondere klinische Bedeutung 
beilegt. 


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Ueber das Venenphänomen. 


175 


Aber zu der Unsicherheit, die Grösse des Einflusses der inneren 
Reibung abzuschätzen, kommt noch eine weitere Schwierigkeit. Zweifellos 
hat der im Yorhofe herrschende Druck einen Einfluss auf die Höhe, in 
der das Venenphänomen eintritt; cs fragt sich nur, ob dieser Einfluss 
der einzige ist, oder ob jener Werth noch anderen Bedingungen unter¬ 
liegt. Da ist denn zunächst hervorzuheben, dass das Venenblut mit 
einer Geschwindigkeit strömt, die von verschiedenen Factoren abhängig 
ist, und ferner, dass diese Geschwindigkeit jedenfalls sehr wechselt mit 
der Weite der Bahnen, in denen sich das Blut dem Herzen zu bewegt. 

In dieser Hinsicht wird man anerkennen müssen, was Frey 1 ) über 
die Beziehungen der Hautvenen des Armes zu den tiefer gelegenen 
Bahnen sagt. Nach der Ansicht dieses Autors collabiren die oberfläch¬ 
lichen Venen, sobald die tieferliegenden, die nach ihrer anatomischen 
Anlage stets offen und dem äusseren Luftdrucke nicht ausgesetzt sind, 
dem Blutrückflusse genügen, sobald also der gesammte Querschnitt der 
Armvenen auch ohne die Hautvenen die gesammte Blutmenge abzuführen 
im Stande ist; und das wird dann der Fall sein, wenn unter dem Ein¬ 
flüsse der Schwerkraft die Strömung in den Venen eine solche Ge¬ 
schwindigkeit erlangt hat, dass auch durch den engeren Gesammtquer- 
schnitt in der Zeiteinheit die Menge Blut abströmen kann, die der zu¬ 
geführten Menge gleich ist. Das Niveau, in dem diese Geschwindigkeit 
erreicht wird, hängt natürlich auch mit von dem im Vorhofe herrschenden 
Druck ab, sehr wesentlich aber von der Menge des der Extremität zu¬ 
strömenden Blutes. Da wir diese letztere Grösse gar nicht in Rechnung 
zu ziehen im Stande sind, so bringen wir eine neue Unbekannte in die 
Gleichung, die uns die Beziehungen zwischen Venencollaps und Vorhofs¬ 
druck darstellen soll. 

Da hiernach also der eine Factor, der auf den Eintritt des Venen¬ 
phänomens Einfluss hat, durch die nach den Bedürfnissen wechselnde 
Menge Blut verschiedenartig und unberechenbar beeinflusst wird, so kann 
der Eintritt des Vencncollapscs auch nicht einmal als relatives Maass 
des Vorhofsdruckes betrachtet werden. 

So berechtigt die Einwände Frey’s gegen die Exactheit der Gärtner’sehen 
Methode scheinen, so wenig überzeugend sind aber auch Frey’s eigene Versuche, 
aus der Messung des in den Venen herrschenden Druckes ein Maass für die „saugende 
Kraft u des Herzens herzuleiten. Frey will den Venendruck in der Weise bestimmen, 
dass er die betreffende Vene in die Höhe des Niveaus des rechten Vorhofs bringt und 
sie nun mittels einer Pelotte, die messbar belastet ist, comprimirt; streicht er hieraul 
das centrale Ende der Vene leer und verringert allmählich die Belastung, so tritt ein 
Moment ein, in dem das gestaute Blut unter der comprimirenden Pelotte wieder her- 
vorschiesst. Der in diesem Augenbliok zur Belastung verwendete Druck soll dem in 
in der Vene herrschenden Drucke gleich sein; und da von der Peripherie nach dem 
Vorhofe zu der Druck in ziemlich constanter Weise abnimmt, so hatten wir in der 
Feststellung des Druckes in einer peripherischen Vene zugleich ein relatives Maass 
für den am tiefsten Punkte des Gefälles, im Vorhofe, herrschenden Druck. 

Zunächst könnte man dem entgegenhalten, dass sich der Einwand, der gegen die 
Methode des Venenphänomens erhoben wurde (die Verschiedenheit der Strömungs¬ 
geschwindigkeit betreffend), auch gegen diese Methode insofern Vorbringen lässt, als 

1) Münchener med. Wochenschr. HK)4. S. 5(>*2. 


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Original fru-m 

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176 


J. Meinertz, 


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eine Verschiedenheit der Stromgeschwindigkeit eine Verschiedenheit der Vis a tergo 
bedingt; und man kann durch Messung des Druckes in einer gestauten Vene über¬ 
haupt niemals den wahren Werth des in ihr herrschenden Druckes erfahren, da im 
frei strömenden Blute ein ganz anderer Bruchtheil der Triebkraft als Seitenwand¬ 
druck zur Geltung kommt als im gestauten. Dies wird bei der grossen Anpassungs¬ 
fähigkeit der Venenwand an ihren Inhalt besonders bedeutungsvoll werden: die Vene 
füllt sich stärker, erweitert sich, die Wand geht auseinander, ändert ihre Elasticitäts- 
constante etc. 

Aber auch abgesehen hiervon ist es unmöglich, eine Vene durch Vermittelung 
einer Pelotte so zu belasten, dass man in dem angewandten Gewicht einen Ausdruck 
für den von innen auf die Wand des Gefässes wirkenden Druck der strömenden 
Flüssigkeit zu sehen berechtigt ist. Bereits v. Basch hat bei Gelegenheit einer Mit¬ 
theilung über sein Sphygmomanometer 1 ) betont, dass man, um die Spannung im 
Arterienrohr zu messen — und dasselbe gilt mutatis mutandis auoh für die Vene —, 
nicht nur das Gewicht kennen müsse, mit dem man den Puls belastet, sondern auch 
die Grösse der Fläche, auf die jenes Gewicht drückt. Denn sonst arbeitet man ja in 
der Gleichung p = hf (p = Gewicht, h = Spannung im Gefass, f = Grösse der 
gedrückten Fläche) mit 2 Unbekannten. Es ist in der That leicht einzusehen, dass 
eine ebene Pelotte, die bei blosser Berührung dem drehrunden Gefässe zunächst nur 
in einer Linie anliegt, bei wachsendem Druck aber in einer beständig wechselnden 
Fläche, in jedem Augenblick einen andern Bruchtheil des auf ihr lastenden Druckes 
dem in dem Gefässe herrschenden Druck entgegensetzt, niemals aber den gesammten. 
Freilich ist die Forderung, die v. Basch stellt, überhaupt unerfüllbar; auch sein 
Ausweg, statt der starren Pelotte gewissermaassen eine Luftpelotte, einen durch eine 
Kautschukmembran verschlossenen Trichter zu nehmen, der sich dem Gefässe an¬ 
schmiegt, und andererseits mit einem Manometer in Verbindung steht, ist physikalisch 
nicht einwandfrei, v. Basch deducirt folgendermaassen: Durch eine Kautschuk¬ 
membran, die sich der Arterie genau anschliesst, eliminirt man f aus der oben ge¬ 
nannten Gleichung. Denn an die Stelle von p tritt jetzt h^, das Product aus Druck 
im Trichter und Kautschukfläche. Also hjfj = hf. Da aber die Membran gleich 
der Fläche ist, der sie sich anpasst, so ist f x = f und daher h x = h, das heisst, 
der Aussendruck der auf der Arterie lastet, ist gleich dem Innendruck, der dio 
Arterienwand in Spannung versetzt. Genau die gleichen Erwägungen würden auch 
für die Messung des Druckes in den Venen in Betracht kommen. 

Aber hierbei ist nicht berücksichtigt die Deformation, die die Kautschuk¬ 
membran mit steigendem Druck erfährt. Es ist zweifellos richtig, dass unter der 
Voraussetzung gleich elastischen Materials des die Flüssigkeit führenden Rohres und 
der Pelottenmembran durch Messung des pneumatischen Druckes auf die Membran 
der specifische Flüssigkeitsdruck im Zustande der Ruhe (der hydrostatische Druck) 
gemessen werden kann, aber nur unter folgenden Bedingungen: 

1. Die Deformationsarbeit muss bei Pelotte und Rohr gleich sein. Das wird 
unter gewöhnlichen Verhältnissen nur der Fall sein, wenn die Berührungsfläche 
beider eben ist; sonst überwiegt eines der beiden Drucke und das Gleichgewicht ist 
nicht mehr vorhanden. 

2. Die in Frage kommenden Drucke müssen von einer solchen Grössenordnung 
sein, dass dio in der Membran und im Rohr erzeugten Druckspannungen im Vergleich 
hierzu zu vernachlässigen sind. 

Letztere Bedingung scheint mir im vorliegenden Falle nicht vorhanden zu sein; 
sie ist um so beachtenswerther, je verschiedener die Querschnitte von Membran und 
Gcfässrohr sind. Der Querschnitt der Membran ist bei dem Sphygmomanometer 
v. Basch’s bedeutend grösser als der des Gefässrohrs und noch erheblicher ist diese 

1) Wiener med. Wochenschr. 1899. S. UJ57. 


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Original from 

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Ueber das Venenphänomen. 


177 


Differenz bei der Sahii’schen Modification des Apparats v. Basch’s 1 )- Bei dieser 
Verschiedenheit lässt sich auch die Bedingung 1 nicht erfüllen. 

Es ist bei diesen Ausführungen immer angenommen worden, dass sich die 
Flüssigkeit in dem Gefässrohre in Buhe befindet, dass es sich also um hydro¬ 
statische Verhältnisse handelt. Berücksichtigt man aber, dass wir es mit einer 
strömenden Flüssigkeit zu thun haben, die eine gewisse lebendige Kraft besitzt, also 
mit hydrodynamischen Verhältnissen, so ergeben sich ausser den genannten noch 
eine grössere Zahl von Einwendungen gegen das Princip, den im Gefässrohre herr¬ 
schenden Druck durch Belastung von aussen zu bestimmen. 

Die Grössenordnung allor dieser Fehlerquellen beim Versuche, den arteriellen 
Druck zu messen, ist nicht derartig, dass auf diese Weise nicht gut brauchbare Ver- 
gleichswerthe erhalten werden könnten; sicher aber fallen sie bei den niederen 
Werthen des Venendrucks schwer ins Gewicht, sobald man jene für die Messung des 
arteriellen Druckes erdachten Methoden auf den Venendrnck überträgt. 

Die bisherigen theoretischen Erwägungen kennten uns aber nicht 
der Aufgabe entheben, durch ausgedehnte Beobachtungen den Werth des 
„Venenphänomens“ für praktische klinische Zwecke zu prüfen. Denn 
cs war ja immerhin möglich, dass wir mit Hülfe der Gärtner’schen 
Methode, wenn wir auch nicht, wie ihr Autor es dachte, den Druck im 
rechten Vorhof messen, doch bei Untersuchung einer grösseren Zahl von 
Patienten eine gewisse Reihe von relativen Werthen erhielten, die für 
bestimmte Fragen diagnostischer oder prognostischer Art hätten von 
Interesse werden können. Hier schien es nun besonders wichtig zu sein, 
einerseits die Höhe des Eintritts des Venenphänomens bei verschiedenen 
Menschen mit und ohne Circulationsstörungen zu bestimmen und anderer¬ 
seits den Einfluss bestimmter äusserer Einwirkungen, also namentlich 
körperlicher Arbeit, auf den Eintritt jenes Phänomens bei Gesunden 
wie im Vergleich dazu bei Patienten mit Circulationsstörungen kennen 
zu lernen. Ein weiterer hier wichtiger Gesichtspunkt ergab sich erst im 
Verlaufe der Untersuchungen. 

Es wurde genau in der von Gärtner vorgeschriebenen Weise ver¬ 
fahren. Zur Messung der Niveauhöhe des Venencollapses diente der von 
Gärtner angegebene einfache Apparat, der aus einem feststehenden 
senkrechten Metallstabe mit Centimetereintheilung und einem an diesem 
beweglichen wagerechten Arm besteht. Dessen freies Ende wird zu¬ 
nächst in die Höhe des Vorhofs des Patienten gebracht und der ge¬ 
fundene Werth am Maassstabe abgelesen; dann wird der Arm langsam 
an dem Maasstab in die Höhe geführt und dabei genau der Zeitpunkt 
beobachtet, in dem der Venencollaps eintritt. Die Differenz zwischen 
der Höhe, in der dies geschieht, und der ursprünglich abgelesenen giebt 
die Niveauhöhe des Venenphänomens in Centimetern. Welchen Punkt 
man dabei als Ausgangspunkt annehmen will, ist ziemlich willkürlich, 
denn der Vorhof hat eine Ausdehnung von mehreren Centimetern Höhe. 
Gärtner selbst nimmt als Nullpunkt die Insertionsstellc der fünften 
Rippe am Brustbein an, wesentlich aus einem praktischen Gesichts¬ 
punkte, weil nämlich nach seiner Erfahrung dies das tiefste Niveau ist, 
auf dem das Venenphänomen einzutreten pflegt und er also auf diese 

1) Sahli, Klin. Untersucliungsmethoden. 1905. S 130. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 


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Original fro-m 

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178 


J. Meinertz, 


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Weise nur positive Wcrthe erhält. Ich habe bei meinen Untersuchungen 
die lnscrtionsstelle der dritten Rippe gewählt, weil etwa diese der 
Einmündungsstelle der oberen Hohlvene in den rechten Vorhof ent¬ 
spricht. 

Ich habe zunächst, um die nöthige Uebung zu gewinnen, eine grosse 
Anzahl Menschen in der geschilderten Weise geprüft; diese Zahlen mit- 
zutheilen hätte keinen besonderen Werth. 

Dann aber habe ich Patienten, und zwar zunächst solche mit an¬ 
scheinend intakten Circulationsorganen, später mit Circulationsstörungen 
behaftete, nachdem die Höhe des Venenphänomens festgestellt war, eine 
gemessene Zeit lang körperliche Arbeit verrichten lassen, d. h. ich habe 
sie an einer nicht ganz leicht gehenden Centrifuge drehen lassen, natür¬ 
lich bei den pathologischen Fällen mit der nöthigen Vorsicht, unter 
steter Controlle des Pulses etc., aber jedenfalls immer, bis ein deut¬ 
licher Grad von Dyspnoe erzielt war. Patienten, bei denen aus irgend 
welchen Gründen früher aufgehört werden musste, sind nicht mit in die 
Tabelle aufgenommen worden. Einige Patienten, deren Circulations- 
störung so schwer war, dass die erwähnte Art der Muskelbewcgung 
nicht möglich schien, liess ich gewisse leichte andere Muskelbewegungen 
ausführen. Die Tabelle giebt darüber Auskunft. Unmittelbar nach Be¬ 
endigung der Muskelarbeit wurde die Höhe des Eintritts des Venen¬ 
phänomens wieder bestimmt. Irgend welche sonstige durch die Arbeit 
herbeigeführten Aenderungen der Circulation planmässig zu constatiren, 
wurde absichtlich unterlassen, da es ja gerade darauf ankam, den un¬ 
mittelbaren Effect der Muskelaction auf das Venenphänoraen festzu¬ 
stellen, durch irgend welche sonstigen Manipulationen, wie Messung des 
arteriellen Blutdruckes etc., Zeit verloren und die Feststellung des un¬ 
mittelbaren Effects illusorisch gemacht worden wäre. 

Ich theile nun die so gewonnenen Ergebnisse mit. Die Resultate der 
ersten beiden Tabellen sind an Menschen gewonnen, deren Circulations- 
organe anscheinend keine Störung darboten. Diese Fälle zerfallen wieder 
in zwei Reihen, von denen die erste (die auf der ersten Tabelle ver¬ 
zeichnet ist) die Fälle umfasst, in denen die Thätigkeit des Drehens gar 
keinen Einfluss auf die Höhe des Eintritts des Venenphänomens er¬ 
kennen liess. Diesen 23 Fällen der ersten Tabelle stehen die folgenden 
11 der zweiten Tabelle gegenüber, bei denen ein solcher Einfluss deut¬ 
lich in die Erscheinung trat. Bei beiden Kategorien sekwankte die Höhe 
etwa zwischen — 5 und -f- 5 cm. Während aber bei den erstgenannten 
Fällen der gleiche Werth auch nach dem Centrifugendrehcn gefunden 
wurde, zeigte bei den anderen Fällen jener Werth eine deutliche Steige¬ 
rung um 1—8 cm, d. h. der Venencollaps erfolgte hier nach dem 
Drehen in einem um so viel Centimeter höheren Niveau als vorher. 
Besonders bedeutsam aber ist die Thatsache, dass diese Steigerung in 
den Fällen, in denen darauf geachtet wurde (dieser Gesichtspunkt ergab 
sich erst im Laufe der Untersuchung und es wurde daher leider nicht 
von Anfang an die Aufmerksamkeit hierauf gerichtet), nur an den 
Venen derjenigen Hand beobachtet werden konnte, mit der 
die körperliche Bewegung ausgeführt, die Centrifuge gedreht 


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Original fro-m 

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Ueber das Venenphänomen. 179 

worden war. Auf die Bedeutung dieser Thatsache soll später noch 
eingegangen werden. 

Die pathologischen Fälle betreffen im Wesentlichen Patienten mit 
Herzaffectionen, und zwar der verschiedensten Art und des verschie¬ 
densten Grades, von leichten, gut compensirten Formen bis zu den 
schwersten Compensationsstörungen. Die 67 pathologischen Fälle sind 
nach dem gleichen, oben angegebenen Princip in zwei Reihen eingetheilt. 
Die 52 Fälle der Tabelle 3 betreffen die Patienten, bei denen die 
körperliche Arbeit eine Veränderung des in Frage stehenden Werthes 
nicht zur Folge hatte, die 15 Fälle der Tabelle 4 solche Fälle, bei 
denen sich ein solcher Einfluss feststellen liess. Was zunächst bei allen 
diesen mit Circulationsstörungen behafteten Patienten in die Augen fällt, 
ist die Thatsache, dass sich fast sämmtliche Werthe innerhalb der¬ 
selben Grenzen bewegen, die auch bei Menschen mit intactem 
Circulationsapparat festzustellen waren. Auch die ausgepräg¬ 
testen Formen von Circulationsstörung mit den deutlichsten Erscheinungen 
der Stauung (s. z. B. Fall 19, 31, 38, 48) zeigten keinerlei Werthe, die 
vom Normalen irgendwie abwichen. Die einzige Ausnahme bildet der 
Fall 9 (Tabelle 3), der eine ältere Patientin betrifft, die die Erschei¬ 
nungen der ausgeprägten Aorteninsufficienz mit Dyspnoe und Albuminurie 
darbot, und bei der vor wie nach der Arbeitsleistung der ungewöhnliche 
Werth von 17 cm gefunden wurde. 

Bei den Patienten der zweiten Kategorie (Tabelle 4) entspricht die 
nach der Arbeit beobachtete Erhöhung des Niveaus des Venenphänomens 
im Allgemeinen ebenfalls den bei normalen Menschen gefundenen Werthen. 
Nur bei einigen Fällen sind hier bedeutendere Abweichungen zu con- 
statiren, so einmal eine Erhöhung um 18,5, ein anderes Mal um 15,5 cm, 
aber keineswegs bei besonders schweren Formen von Herzerkrankungen: 
die bedeutendste Erhöhung nach der Muskelanstrengung findet sich in 
einem Falle von relativ leichter, gut compensirter Mitralinsufficienz. 
Irgend ein Einfluss der Art oder des Grades der Circulationsstörung auf 
den Eintritt oder das Fehlen einer derartigen Niveauerhöhung durch 
körperliche Arbeit liess sich nicht feststellen: auf beiden Tabellen, 
3 und 4, sind die verschiedensten Formen und Grade von Herz¬ 
erkrankungen verzeichnet. 

Was aber als besonders bemerkenswerth hervorgehoben werden 
muss, ist die Thatsache, dass auch hier in allen Fällen, in denen darauf ge¬ 
achtet wurde, die erwähnte Niveauerhöhung nur an den Venen 
derjenigen Hand eintrat, mit der der Patient die Centrifugc 
gedreht hatte. 

Diese letztere Beobachtung erscheint deshalb so bedeutungsvoll, 
weil sie auf’s Klarste erweist, dass jene Erhöhung nicht auf Grund 
einer Erhöhung des Drucks im rechten Vorhof zu Stande gekommen ist, 
sondern lediglich auf peripherischen Ursachen beruht; denn es 
wäre nicht einzusehen, warum eine centrale Einwirkung sich nur auf die 
Venen der einen Extremität erstrecken sollte. 

Hierdurch erhalten wir eine Bestätigung der vorher gemachten An¬ 
nahme, dass die Höhe des Eintritts des Venenphänomens zwar auch 

12 * 


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Original fro-m 

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180 


Meinertz 


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von dein im Vorhof herrschenden Druck abhängig ist, dass aber peri¬ 
pherische Ursachen eine bedeutende und unbestimmbare Rolle spielen, 
und zwar vor allem die wechselnde Füllung der Gefässe. Be¬ 
trachtet man unter diesem Gesichtspunkte die auf den Tabellen vcr- 
zeichneten Fälle, so kann man sagen, dass meistens (in 101 Fällen 
75 mal) die durch Muskelarbeit der •betreffenden Extremität herbeigeführte 
Vermehrung der Blutfülle nicht bedeutend genug gewesen ist, um eine 
wahrnehmbare Niveauerhöhung des Venenphänomens herbeizuführen (eine 
nur wenige Millimeter betragende Erhöhung kann dem Beobachter ent¬ 
gehen; da der Venencollaps doch nicht so blitzartig erfolgt, so kann 
man etwa l / 2 cm nach oben und nach unten als Fehlergrenze bezeichnen); 
es bleiben aber genug Fälle (26 von 101), in denen jene Vermehrung 
der Blutfülle in der Extremität so bedeutend war, dass eine deutlich 
messbare Niveauerhöhung zu Stande kam, und zwar letzteres unter¬ 
schiedslos bei Menschen mit normalen und bei solchen mit pathologisch 
veränderten Circulationsorganen. 

Nach diesen Beobachtungen kann man dem Venenphänomen eine 
besondere Bedeutung für die Messung des Drucks im rechten Vorhof 
oder für die klinische Beurtheilung irgend eines Krankheitsbildes nicht 
zuerkennen. Gärtner sagt: 1. Die Beobachtung des Venenphänomens 
setzt uns in den Stand, den Druck im rechten Vorhof in physikalisch 
einwandfreier Weise zu bestimmen. 2. Wir können mit Hülfe der hier 
beschriebenen Methode das Vorhandensein von Stauungen im rechten 
Herzen nicht bloss mit voller Sicherheit erkennen, sondern auch den 
Grad der Störung messen und den Ablauf von Veränderungen verfolgen; 
wir werden auch den Einlluss von therapeutischen Maassnahmen in 
sicherer Weise verfolgen können. 

Beide Annahmen müssen auf Grund der vorstehenden Ucberlegungen 
und der mitgetheilten klinischen Beobachtungen bestritten werden. Wir 
können dem Venenphänomen, wie gesagt, eine besondere praktische Be¬ 
deutung in der angedcuteten Richtung nicht beilegen. 

Muskelarbeit wird nicht das einzige Moment sein, das den Füllungszustand der 
Venen der betreffenden Körperregion beherrscht. Was aber diese selbst betrifft, so 
übersteigt vermuthlich die Blutcirculation des tetanisirten Muskels den Bedarf. Neben 
dor geleisteten Arbeit an sich dürften für die Incongruenz verschiedene, darunter 
auch constitutionelle Momente entscheidend sein. Die Verschiedenheiten der 
Reactionsweise würden auch in verschiedenen Abffussgeschwindigkeiten des Venen- 
blutes einen Ausdruck finden und so vielleicht auch die Niveauhöhe des Venen¬ 
phänomens beeinflussen können. Es ist nun in der Tabelle bei einigen Fällen an¬ 
gegeben, dass die Niveauerhöhung des Phänomens nach der Muskelarbeit nur kurze 
Zeit bestand und nach wenigen Minuten wieder der ursprüngliche Werth erreicht 
wurde (s. Tabelle IV. No. 2, 8). Es müsste systematisch festgestcllt werden, nach 
welcher Dauer der Körperarbeit sich bei dem Einzelnen die Aenderung einstellt, wie 
lange sie besteht und mit welchen etwaigen sonstigen Abweichungen gewisse Be¬ 
sonderheiten im Verhalten jener Erscheinung verbunden sind. Es ist möglich, dass 
auf diese Weise das Venenphänomen, das sich als Maasstab für den im rechten 
Vorhof herrschenden Druck nicht bewährt hat, als Maassstab für andere Fragen 
wieder einigen Werth gewinnt. 


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• Qrigiralfrcm 

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181 


LVber das Venenphänomen. 


Tabelle. 


No. 

Name, Stand, 
Alter, Geschlecht 

Krankheit 

Zeitdauer des 
Centrifugen- 
drehens 

Minuten 

Höhe des 
Vonenphäno- 
mens vor 
dem Drehen 

Höhe des 
Venenphäno¬ 
mens nach 
dem Drehen 


I. 

A.,Conditor, *24 J., 
männl. 

Ncurastbenia 

10 I 

2,2 

2,2 


») 

G., Tischler, 37 J., 
männl. 

Catarrhus apicum 

10 

•2,0 

2,0 


3. 

S., Hausdiener, 

*21 J., miinnl. 

Neurasthenia 

10 

0 

0 


4. 

D., Milchkühler, 

35 männl. 

Catarrhus apicum 

10 i 

1,0 

1 

1,0 



N., Tapezierer, 

*23 .1., männl. 

Cat. apic. susp. 

10 

0 

0 


G. 

B., Eisen fraise r, 

*27 .J.. männl. 

Cat. apic. 

10 

4,0 

4,0 


i. 

P.. Kaufmann, 

25 J., männl. 

Pharyngitis 

10 

‘■2,0 

2,0 


s. 

K., Fleischer, 

25 J., männl. 

Cat. apic. 

10 

1 

i 

3,2 

3.2 


( J. 

Sch., Stein träger, 

45 J., männl. 

Bronchitis 

8 I 

‘2,2 

2,2 


lu. 

Z.. Telegraphen¬ 
gehülfe.20 J.,m. 

Mässigc Tuber¬ 
kulose d. Lungen 

7 1 

0 

0 


11. 

R.. Lederarbeiter, 
21 J., m. 

Apic. suspect. 

8 1 

0 

0 


12. 

B.. Schutzmann, 

36 J., m. 

Cat. apic. 

8 

1,0 

1,0 


13. 

M.. Schlosser, 

41 J„ m. 

Neurasthenia 

10 

1,1 

1,1 


14. 

R., Schlosser, 

38 J., m. 

Cat. apic. 

10 

2,8 

2,8 


15. 

P., Schlosser, 

19 J., m. 

Cat. apic. dext. 

10 i 

links 0 
rechts 0 

links 0 
rechts 0 

Bei tiefer Inspirat, 
rechts starker 

IG. 

K., Feilenhauer, 

*28 J., m. 

Cat. apic. 

15 ! 

1,0 

1,0 

negativerVenen- 
puls. links nicht. 

IT. 

L., Gärtner, 36 J., 
männl. 

Cat. apic. 

iO | 

- 1,0 

- 1,0 

18. 

E., Tischler, 29 J., 
männl. 

Apiccs suspect. 

10 

2,0 

1 

2,0 


19. 

G., Stuckateur, 

20 J., m. 

Apiccs suspect. 

13 

| - 2,0 

1 

- 2,0 


*20. 

N., Rohrleger, 

37 J., m. 

Kein obj. Befund 

15 

0 

0 


21. 

R., Glasarbeiter, 

37 J., m. 

Cat. Apic. sin. 

10 

— *2,5 

- 2,5 


22. 

H., Friseur, *22 J., 
männl. 

Cat. apic. dext. 

9 

— 1,0 

- 1,0 


23. 

B., Tischler, 29 .T., 
männl. 

Anaemie 
Apices susp. 

11 

- 5,0 

- 5,0 


1. 

E., Wickler a. D., 
43 J., m. 

Phthisis pulm. 

3 

' 1.0 

4,0 


•>' 

B., Maurer, 28 J., 
männl. 

Kein obj. Befund 

a) 5 

b) 10 

j 2,0 

1 a) 3,0 

1 b) 7,3 


3. 

4, 

B, Bauarbeiter, 

37 J„ im 

Po tato ri um 

10 

4,0 

1 

5,0 


H., Kellner, 28 J., 
miinnl. 

Cat. apic. 

10 

5,7 

i 

6.7 



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Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 







No. 

Name, Stand, 
Alter, Geschlecht 

Krankheit 

Zeitdauer des 
Centrifugen- 
drehens 

Minuten 

Höhe des 
Venenphäno¬ 
mens vor 
dem Drehen 

Höhe des 
Venenphäno¬ 
mens nach 
dem Drehen 


5. 

St., Feuerwehrm., 
46 J.. m. 

Ncurasthenia 

15 

3,7 

5,7 


6. 

D., Schlosser, m. 

Albuminuria 

15 

2,0 

rechts 10,0 
links 2,0 


7. 

F., Bahnarbeiter, 
40 J., m. 

Cat. apic. 

y 

0 

i 

1,0 


8. 

Sch., Maschinen- 
streicher,41 J.,m. 

Cat. apic. 

14 

0 

rechts 4,0 
links 0 


9. 

Cz.,Tischler, 27 J., 
männl. 

Cat. apic. 

10 

- i,o 

1 

rechts 5,0 
links —1,0 

Der 'Werth recL> 
5.0 geht i. weru 

10 . 

M., Buchhalter, 

35 .1., m. 

Cat. apic. 

8 

; — 3,0 

! 

1 

0, kleinere, 
vorher un- 
sichtb. Venen, 
jetzt — 3.0 

Min. Ruhe wi*i 
auf — 1.0. 

11. 

W„ 43 J., weibl. 

Kein obj. Befund 

10 

2,0 

rechts 6,0 (die¬ 
selbe Vene), 
andere 2,0, 
links ebenso 

Alle Venen \ 
weiter gewunbn 
auch links. 

1. 

B., 51 .)., weibl. 

Myocarditis, 

Insuffic.etStenosis 

mitralis 

Leichte Be¬ 
wegung: hoch- 
grad. Dyspnoe 

o,c 

0,G 


•> 

Sch., Drechsler, 

45 .1., miinnl. 

Insuflic. aortae, 
Insuffic.etStenosis 
mitralis, Myocard. 
(Cyanose, Dyspnoe 
irregulärer Puls) 

Massige Turn¬ 
bewegungen 
mit Armen u. 
Beinen 

4,0 

1 

4,0; 

1 


3. 

H., 25 .)., weibl. 

Mitralinsufficienz 
und Stenose, 
leidl. compensirt 

2V 2 

— ‘2,0 

! - 2.0 


4. 

F.H., 17 .1., weibl. 

Mitralinsuff., gut 
compens., geringe 
subj. Beschwerden 

7 

- 1,5 

- 1,5 


5. 

H., 42 J .. weibl. 

Aorteninsuff. höh. 
Grades, subj. er- 
hebl. Beschwerden 

1 

1 

0 

0 


6. 

Sch., 32 .1., weibl. 

Insuffic. mitralis, 
gut compensirt, 
allerlei subjective 
Beschwerden 

5 

3,0 I 

i 

3,0 


7. 

N., 34 J., weibl. 

Mitralstenose, 
leidl. compensirt 

■V, | 

->,5 

2,5 


8. 

W., 68 J., weibl. 

Mitralinsufficienz 
(Cyanose, Dyspn.) 

.‘i ! 

I 

ü ! 

0 


y. 

B., 62 .1., weibl. 

Insuffic. aortae, 
Dyspnoe, 
Albuminurie, 
keine Oedeme 

5 

17,0 

17,0 


10. 

T., Spiegelarb., 

27 J., miinnl. 

Insuffic.etStenosis 
mitralis, ziemlich 
gut compensirt 

2 

1 

1.5 

o ! 

1,5 


n. 

F., Monteur, 28 J., 
miinnl. 

Insuffic. aortae et 
mitralis, 
Myocarditis 

4 

1 


0 


12. 

0., 36 J., weibl. 

Insuffic. mitralis, 
zieml. gut comp. 
Graviditas mens. 11 

4 

o ; 

i 

0 



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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Heber das Venenphänomen. 


183 


0. 

Name, Stand, 
Alter, Geschlecht 

Krankheit 

Zeitdauer des 
Centrifugen- 
drehens 

Minuten 

Höhe des 
Vcnenphäno- 
raens vor 
dem Drehen 

Höhe des 
Venenphäno¬ 
mens nach 
dem Drehen 


3. 

K., 39 J., weibl. 

Mitralinsufficienz, 
gut compensirt 

5 

— 1,5 

— 1,5 


4. 

R., 54 J., weibl. 

Mitralinsufficienz, 
massige Oedeme 

7 

— 2,0 

— 2,0 


5. 

M., Kaufmanns¬ 
lehrling, 16 J.,m. 

Insuffic. aortae et 
mitr. erhebl.Grad. 

5>/ 2 

— 2,0 

— 2,0 


6. 

K., 56 J., weibl. 

Insuffic. mitralis, 
zieml. gut comp. 

3 

1,5 

1,5 


7. 

Ci, 30 weibl. 

Ins. mitr., Schmer¬ 
zen, Dysp. b. ger. 
Anstrengungen 

2 

— 2,0 

- 2,0 


8. 

6., Plätterin, w. 

Insuffic. mitralis 
gut compensirt 

7 

1.0 

1,0 


19. 

(»., 46 J., weibl. 

Insuffic. aortae er¬ 
heblichen Grades, 
starke Dyspnoe 

Eine Treppe 
ziemlich rasch 
herab u. hinauf 

0 

0 

Hochgradige 
Dyspnoe nach 
dem Treppen- 

20 . 

U., *25 J., weibl. 

Insuffic. mitralis, 
gut compensirt 

7 

— 2,0 

- 2,0 

steigen. 

21. 

St., 19 J.„ weibl. 

Insuffic. mitralis, 
erheblich. Grades, 
starke Herzhyper¬ 
trophie, Dyspnoe 

4 

— 1,0 

- 1.0 


-*2 

S., Kanzleidiener, 
58 J., männl. 

Insuffic. aortae, 
Atroph, granularis 
renum. Hyperglob. 

6'/, 

0 

0 

Betrifft nur die 
feinsten Venen. 
Die anderen col- 

23. 

S., 31 J., weibl. 

Insuffic. mitralis, 
leichten Grades 

7 

1,0 

1,0 

labiren in um so 
grösserer Höhe, 

24. 

P., 34 J., weibl. 

Ausgepr. Stenosis 
aortae, Insuffic. et 
Stenosis mitralis 

iy 3 

0 

1 

0 

je stärker sie 
sind. 

•25. 

St.. 39 J., weibl. 

Ausgeprägte 
Insuffic. mitralis, 
leidl. compensirt 

4 

— 3,0 

— 3,0 


2G. 

Sch., 57 J., weibl. 

Insuffic. aortae er¬ 
heblichen Grades, 
Dyspnoe b. gering. 
Anstrengungen 

3? 

0 

0 


27. 

S., 43 J., weibl. 

Insuffic. aortae. 
Stenos. et Insuffic. 
mitr., Tabes dors. 

31/2 

— 2,0 

- 2,0 

! 

28. 

29. 

L., Bauarbeiter, 

19 J., männl. 

Insuffic. mitralis, 
gut compensirt 

6 

— 3.0 

— 3,0 


L., 28 J., weibl. 

Myocarditis 

6 1/2 

— 2,0 

— 2,0 


30. 

Sch., Tischler, 

54 J., männl. 

Insuffic.et Stenosis 
mitr., Myocarditis 

8 

— 3,0 

1 

— 3,0 

MancheVenen col- 
labiren über¬ 

31. 

L., 31 J., weibl. 

Insuffic. mitralis, 
leichten Grades 

12 

— 4,0 

- 4,0 

haupt nicht, 

auch nicht bei 

32. 

33. 

W., 30 J., weibl. 

Insuffic.etStenosis 
mitralis, erheb¬ 
lichen Grades 

4 

— 6,0 

— 6,0 

senkrechter 

Haltung. 

V., Musiker, 15 J., 
männl. 

Insuffic.etStenosis 
mitralis, leichten 
Grades 

12 

1 

0 

rechts 0 
andere + 4 
links 0 

Dieselbe Vene, die 
vorher in Höhe 
0 collabirte, 

34. 

Sch., 53 J., weibl. 

Insuffic. mitralis 
leichten Grades 

9 

— 5,0 

— 5,0 

col labirt 11 ac h- 
her in Höhe 4. 

35. 

K., Hausdiener, 

33 J., männl. 

Myocarditis, 

Herzhypertrophie, 

Alkoholismus 

12 

2,0 

2,0 



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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





184 


•I. MeinorU, 


No. 

Name, Stand, 

Alter, Geschlecht 

Krankheit 

Zeitdauer des 
Ceotrifugen- 
drehens 

Minuten 

Höhe des 
Vcncnphäno- 
mens vor 
dem Drehen 

Höhe des 
Venenphäno¬ 
mens nach 
dem Drehen 


36. 

B., Locoinotiv- 
führer, 40 J., m. 

Myocarditis, 
starke Dyspnoe 

10 

0 

0 


37. 

H., 34 J., weibl. 

Insuffic. aortae 
erheblich. Grades] 

6 

— 3.5 

— 3,5 


38. 

J., Näherin, 25 J., 
weibl. 

Insuffic.etStenosis 
mitralis. erhebl. 
Grades, Albumin¬ 
urie, Cyan ose, 
Dyspnoe 

3 

- 2,0 

© 

'T'i 

1 


39. 

U., 52 «1.. weibl. 

Nephrit, chronica, 
starkeSpannung d. 
Pulses,Klingender 
11 . Aorten ton 

3 

2.0 

2,0 


40. 

V., 63 J., weibl. 

Arteriosclerosis 

6 

rechts 7,0 
links 15.0 

rechts 7,0 
links 15,0 

Die Venen c«»lla- 
biren bei <]••'. 

41. 

B., 31 ,1.. weibl. 

Ausgeprägte 
Insuffic. mitralis, 
Cyanose 

11 

1,8 

1,8 

verschieden^* 1 
Höhen. 

42. 

S.. 45 J„ weibl. 

Ausgesprochene 
Insuffic. mitralis, 
gut compensirt, 
Adipositas 

12 

1,5 

1,5 

Beides beiderseits 

43. 

E., 33 J., weibl. 

Insuffic.etStenosis 
mitralis, leidlich 
compensirt 

7 

— 1.0 

— 1,0 

Vor u. nach l.r 
Weiterung 
Venen durö 

44. 

Sch., 40 ,1., weibl. 

Vasomotorica 
Systol. Geräusch 
am Cor. 

7 

1,0 

1,0 

heisses \\.vvr 
gleich. 

45. 

11., 52 J.. weibl. 

Insuffic. aortae 
erheblich. Grades 

15 

1 — 11,0 
[andere 0 

i andere 4- 15,0 

ebenso 


46. 

K., 27 J., weibl. 

Iusuffic. mitralis, 
leidlich gut com¬ 
pensirt,Myocardit. 

10 

— 3,0 

— 3.0 


47. 

H., 46 J., weibl. 

Insuffic. aortae 
erheblich. Grades 

11 

2,5 

2,5 


48. 

M.. 44 J., weibl. 

Insuffic. mitralis, 
erhbl.Grad.,Cyan., 
Albuminurie 

16 

- 1,0 

- 1,0 


49. 

K., 36 J.. weibl. 

Insuffic.etStenosis 

mitralis, 

ausgesprochen 

12 

- 3.0 

i 

— 3,0 


50. 

Sch., 35 J.. weibl. 

Insuffic. mitralis. 

deutlich aus¬ 
gesprochen, subj. 
Magenbeschwerd. 

\) 

— 4,0 

— 4,0 


51. 

H., 21 J., weibl. 

Insuffic. mitralis 
leichten Grades 

8 

- 2,^ 

— 2.5 


52. 

H., Schaffner, 62 J., 
männl. 

Nephrit, chronica, 
sehr gespannter 
Puls 


3,0 

3,0 


1 . 

M., Schlosser, 

58 J., miinnl. 

Insuffic.etStenosis 
mitralis, 
Emphysem, 
Stauungslcbcr, 
Zuweilen Al bumen 

10 

4.2 

i 

I 

6.2 

i 

l 



Digitized by 


Go», igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Ucbor das Venonphanomen. 


185 


No. 

Name, Stand, 

Alter, Geschlecht 

Krankheit 

Zeitdauer des 
Centrifugcn- 
drehens 

Minuten 

i Höhe des 
Venenphäno¬ 
mens vor 
dem Drehen 

Höhe des 
Venenphäno¬ 
mens nach 
dem Drehen 


2 . 

D., 34 J., weibl. 

Insuffic. mitralis, 
gut compensirt 

8 

— 0,5 

15,5 

10,0 

2,5 
— 0,5 

In wenigen Min. 
wird absteigend 
d. vorher. Werth 
wieder erreicht. 

3. 

St., Schlosser, 

19 J., männl. 

Insuffic. mitralis, 
gut compensirt 

10 

2,3 

12,3 

9,3 

wieder zurück- 
gehend. 

4. 

Pf., 61 J., weibl. 

Insuffic. mitralis 
leichten Grades 

8 

‘2.0 

4,5 


!j. 

K., 44 J., weibl. 

Insuffic. mitralis 
massigen Grades 

4V, 

5,5 

9,5 


G. 

T., Maurer, 36 J., 
männl. 

Stenosis mitralis. 
leidl.gut compcns. 

10 

2,0 

3,5 


7. 

K., Briefträger, 

25 J., männl. 

Insuffic. mitralis, 
gut compensirt 

10 

0 

rechts 18,5 
links 2,0 


S. 

G, 33 J , weibl. 

Insuffie.etStenosis 
mitral, mäss. Grad. 
Schmerzen 

8 

— 5,0 

1 

rechts 3.0 
— 5,0 
links — 5,0 

1 wieder auf d.al ten 
/ Werth zuriiek- 
gehend. 

9. 

Sch.. 28 .1., weibl. 

Insuffic. mitralis, 
gut compensirt 

4 

1,0 

i ! 

rechts 3,5 
links 1,0 


10 . 

G., 29 J., weibl. 

Insuffic. mitralis 
leichten Grades 

5 

— 2.0 1 

i i 

rechts: Erst b 
d. Armes lang 
links — 2 

ici senkr. Haltung 
sam.Vencncollaps. 

n. 

B., Zettel verkauf., 
45 J., männl. 

Insuffic. aortae, 
sehr ausgesproch. 

10 

2.0 ! 

rechts 11,0 
links — 2,0 

bald wied.zurück¬ 
gehend. 

1 *2. 

W, 61 J., weibl. 

Insuffie.etStenosis 

mitralis 

4 

1,0 

rechts 5,0 
links 1,0 

bald wied.zurück¬ 
gehend. 

13. 

L, 42 .1 . weibl. 

Insuffic. mitralis, 
leidlich compens., 
Struma 

6 

1,0 

rechts 8,0 
links 1,0 

bald wied.zurück¬ 
gehend. 

14. 

L.W., Verkäuferin, 
23 J., weibl. 

Insuffic. mitralis, 
gut compensirt, 
Vasomotorica 

7 

0 

rechts 2,0 
links 0 


15. 

Sch.. 43 .1., weibl. 

Insuffic. aortae, 
ausgesprochen, 
Emphys. pulmon., 
Adipositas 

5 

2.0 

rechts 10,0 
links 2,0 

schnell wieder 
zurückgehend. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 









XVI. 


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Aus der II. medicinischen Klinik in Berlin. 

Vergleichende Ausnutzungsversuche an normalen und 
habituell obstipirten Menschen. 

Von 

Privatdocent Dr. Dimitri Pletnew (Moskau). 


Die Darraentleerung geschieht bei gesunden Menschen meistentheils 
täglich. Es giebt aber eine gewisse Zahl von Leuten, bei denen der 
Darm sich seltener — einmal in 2—4 Tagen unabhängig von der 
Nahrungsart und Menge — entleert. Bei solchen Leuten muss diese Ver¬ 
langsamung der Stuhlentleerung als eine physiologische Erscheinung, als 
eine individuelle Besonderheit betrachtet werden. Dies um so mehr als 
die betreffenden Menschen mit ihrer habituellen Obstipation sich voll¬ 
ständig gesund fühlen, in ihrer musculären oder psychischen Berufs- 
thätigkeit nicht im mindesten gestört sind, und keine Erscheinungen von 
gastrointestinaler Autointoxication darbieten. 

Als Ursachen für solche habituelle Obstipation werden angeführt 
eine abnorme nervöse Einstellung der Colon- und Rectumperistaltik 
(Nothnagel), eine Insufficienz der glatten Darmmuskulatur wegen 
schwächerer Entwickelung der Muscularis des Dickdarms — anstatt 
0,5—1,0 mm nur 0,12—0,25 mm (Nothnagel). 

Nicht selten erscheint die habituelle Obstipation als eine Begleit¬ 
erscheinung der Neurasthenie (Dunin, Bouveret, Fleiner). Der patho¬ 
genetische Zusammenhang dieser beiden Zustände wird damit bewiesen, 
dass mit der Neurasthenie auch die Darrastörung verschwindet. 

Auch mechanische Verhältnisse spielen eine gewisse Rolle in der 
Pathogenese der habituellen Obstipation. Einknickungen der Darm¬ 
schlingen, angeborene oder erworbene Lageveränderungen des Colon 
transversum kommen hier in Betracht. 

Ich erinnere mich eines Fräuleins, welches im Uebrigen gesund war 
und bei welcher der Darm sich einmal in 2—4 Tagen entleerte. Diese 
Trägheit des Colons quälte nicht das Mädchen, sondern ihre Mutter. 
Trotz verschiedener Behandlung (Massage, Douchen, Elektricität u. s. w.) 
konnte die habituelle Obstipation nicht beseitigt werden. Im Alter von 
21 Jahren erkrankte das Mädchen an Appendicitis, weshalb sie operirt 


Gck igle 


Original fro-m 

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Vergl. Ausnutzungs versuche an normalen u. habituell obstipirten Menschen. 187 


wurde. Bei der Operation ergab sich eine anormale Lage des Colon 
transversum. * Letzteres machte einen Bogen, welcher von der Leber zur 
Synchondrosis pubica herabreichte, um sich wieder bis zur Milz zu 
heben. Das Fräulein überstand glücklich die Operation. Seitdem sind 
mehrere Jahre verflossen. Das Mädchen heirathete, hat zwei Kinder 
geboren und ist vollkommen gesund, ungeachtet der habituellen Obsti¬ 
pation, die ohne jede Veränderung geblieben ist. 

In der letzten Zeit haben Schmidt, Strasburger und Lohrisch 
als Ursache für chronische habituelle Obstipation eine zu gute Aus¬ 
nutzung der eingeführten Nahrung hervorgehoben. IhrerMeinungnach 
werden die Nahrungsstoffe schon im Dünndarm so vollständig ausgenutzt, 
dass für die Bakterien, die normaler Weise ihre Thätigkeit im Dickdarm 
entfalten, der nöthige Nährboden fehlt. In Folge dessen entwickeln sich 
die Darmbakterien in ungenügender Quantität. Letzteres hat spärliche 
Umsetzungen zur Folge, so dass der physiologische Reiz für die 
Peristaltik fehlt und der Darm nicht jeden Tag zur Entleerung kommt. 

Lohrisch bringt zu seiner Ansicht auch vergleichende Zahlen, mit 
denen er das Verhältnis des Kothes von Obstipirten zu dem der nor¬ 
malen Menschen charakterisirt. Seine Ergebnisse sind folgende: Die 
Gesammtmenge der frischen Stühle der habituell Obstipirten verhält sich 
zu denen der Normalen wie 125,5 : 249,5. Die Trockensubstanz ver¬ 
hält sich wie 33,9 : 59,3. Die Verhältnisse der Werthe von a) N, 
b) Fett und c) Kohlehydraten sind folgende: a) 1,55:2,98, b) 8,36:13,78, 
e) 1,39 : 1,80. Diese Zahlen hat Lohrisch bei den untersuchten 
Menschen unter dem Einflüsse der bekannten Schmidt-Strasburger- 
schen Probediät gewonnen. 

Meine eigenen Untersuchungen sind an Gesunden und Kranken gemacht. 
Die drei gesunden Menschen waren frei von jeglicher Krankheit und 
entleerten jeden Tag ihren Darmcanal. Unter den sechs Kranken waren 
vier, deren Grundkrankeit zur Zeit der Beobachtung keinen Einfluss auf 
die Darmentleerung haben konnte. Es handelte sich nämlich um 
habituell Obstipirte mit gut compensirten Mitralfehlern, mit katarrhalischen 
Erscheinungen in der Lungenspitze ohne Fieber. Im Falle 9 handelte 
es sich um einen abgelaufenen Icterus catarrhalis und im Falle 8 war 
ein Mann mit allgemeiner Arteriosklerose, der an Stuhlverstopfung litt, 
welche meistens von Darmkrampferscheinungen begleitet waren (Dyspragia 
intermittens intestinalis arteriosclerotica). 

Um die Ergebnisse meiner Untersuchungen mit denen von Loh risch 
bequem vergleichen zu können, wählte ich die gleiche Versuchsanordnung 
und Berechnung wie dieser. Jeder Versuch dauerte 3 Tage; die letzten 
12 Stunden vor dem Beginn des Versuches nahmen die Versuchspersonen 
keine Nahrung. 12 Stunden vor dem Versuch wurde (Ausnahme — 
gesunde, nicht obstipirte Individuen) eine Stuhlentleerung durch ein 
Klysma (3 Glas) erzielt. Wenn am dritten oder vierten Tage spontan 
kein Stuhl abging, wurde derselbe am vierten Tag durch einen Wasser¬ 
einlauf erzielt. Die Kothabgrenzung geschah mit Carmin — 0,3 Carmin 
in einer Oblate — mit der ersten Probediät und mit der ersten Portion 
der Nahrung am 4. Tag. Als Nahrung wurde während 3 Tage die be- 


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188 


D. Pletnew, 


No. 1 ) 

Name 

Diagnose 

Gesammt- 

calorien 

aufge¬ 

nommen, 

calorimetr. 

bestimmt 

rV 

c 

trocken 

Wasser 

Trockene 
Substanz 
procen tisch , 

N gesammt 

F a 

-C 

o 

y. 

Vi 

C 

c_> 

o 

o 

Ix 

CU 

1. 

L. 

Normal 


1 

i 

i 

1 

i 

I 




1. Tag 


2365,2 

130,8 ! 34,7 

96,1 | 

26,5 | 

2,2 ! 

6,34 


2. Tag 


2348,8 

70,5 | 30,2 

40,3 | 

42,83 

1,44 

4,77 


3. Tag 


2357,8 

60,7 | 20 65 

40,05 j 

34,02 

1,13 

5.47 

in Sumn 

ia auf 3Tag> 

e berechnet 

7071,8 

262,0 j 85,55 

176,45 

32,65 

1 

4,77 

5,56 

2. 

G. 

Normal 


i 

i 

1 

i 

i 



1. Tag 


2365,2 

130,65 ; 26,97 

103,68 j 

20,7 1 

2,05 

9,S6 


2 Tag 


2348,8 

130,8 26,15 

104,65 j 

20,0 i 

1,97 

Z,41 


3. Tag 


2357,8 

115,8 1 29,4 

86,4 

25,4 

1,95 

6,32 

in Sumr 

ia auf 3 Tag 

e berechnet 

7071,8 

377,05 1 82,52 

| 

294,73! 

21,1 

5.97 

7.23 

3. 

W. 

Normal 


1 

1 . 

1 

| 





1. Tag 


2356,8 

120,4 ' 24,8 

95,G 

20,6 

1,72 

6,93 


2. Tag 


2362,7 

71,6 ' 22,3 

49.3 ! 

31.14 

1,30 

5,82 


3. Tag 


2360,2 

68,5 20.6 

47,9 ! 

30,07 

1.28 

6,21 

in Suim 

ia auf 3 Tag 

c berechnet 

7079,7 

260,5 67,7 1192,8 

26.0 

4,3 

6,38 

4. 

Ko. 

Chron. 








1. Tag 

Obstip. 

2356,8 

am 4. Tage i — 

— 

— 

— 

— 


2. Tag 


2362,7 

mit Wasser- — 

— 

— 

— 

— 


3. Tag 


2360,7 

cinlauf — 

— 

— 

— 

— 

in Sumr 

na auf 3 Tag 

e berechnet 

7079,7 

125,0 33,0 

V 

V 


5,36 

5. 

Küs. 

Chron. 


j 






1. Tag 

Obstip. 

2358,8 

am 4. Tage j — 

— ! 

— 

— 

— 


2. Tag 


2350,5 

spontan — 

— 

— 

— 

— 


3. Tag 


2357,2 

— 

— 

— 

— 

— 

in Sumi 

na auf 3 Tag 

e berechnet 

7000,5 

170,0 31,0 

139,0 

18,25 

1.59 

5,13 

G. 

Sch. 

Chron. 


i 






1. Tag 

Obstip. 

2368,2 

am 4. Tage — 

— 

— 

— 

— 


2. Tag 


2361,8 

mit Wasser- — 

. — 

— 

; — 

— 


3. Tag 


2352,0 

einlauf — 

1 — 

— 

— 

— 

in Sumi 

na auf 3 Tag 

je berechnet 

7062,0 

1282,5 61,0 

| V i 

V 

2,8 

4,6 

7. 

Siv. 

Chron. 


am 4. Tage ! 

! 


i 



1. Tag 

Obstip. 

2368,3 

mit Einlauf — 

— 

— 

- ! 

— 


2. Tag 


2361,8 

spontan, 152,0 21,0 

T 31,0 

13,8 

1.36 

6,5 


3. Tag 


2352,0 

68,0 13,0 

1 *> 

V 

0,88 

6,6 

in Sumi 

na auf 3 Tag 

je berechnet 

7062,0 

220,0 | 34,0 

1 ? 

I 

V 

ooo 

j 

j 

6,55 

8. 

H. 

Dyspragia 


! 

| 

i 


| 



1. Tag 

intestin. 

2349,5 


1 j 

— 


— 


2. Tag 

arterioscl. 

2361,2 

i 

j 

— 

| _ | 

— 


3. Tag 


— 

spontan, 271,5 51,2 

220,3 

18,56 

2,5 ; 

4.9 

in Sumi 

na auf 2 Tag 

e berechnet 

4710.7 

271,5 51,2 

1220,3 | 

18,56 

, 2,5 ! 

4,9 

9. 

R. 

Abgelauf. 


i 

i i 

i i 


i i 

; 1 



1. Tag 

Icterus 

2349,5 

am 4. Tage | — 

| — 1 

— 


— 


2. Tag 

catarrhal. 

2361,2 

spontan ! — 

' — 1 

— 

! — ■ 

— 


3. Tag 


2364,5 

— 

1 _ ' 

— 

i — i 

— 

in Summa auf 3 Tage berechnet 

7075,2 

120,0 28,54 

I 91,46 

23,8 

1.55 

5,8 


l)«Die Urinmenge in den Fällen 1, 2 und 3 ist vermindert im Vergleich mit anderen 
waren wahrend grosser Hitze, weshalb sie viel Wasser mit Schweiss, eventuell auch mit Athmung 


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Original fro-m 

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Vergl. Ausnutzungsversuche an normalen u. habituell obstipirten Menschen. 189 


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Gesammt-' 
menge ! 


13,5 

i 

4.26 

i 

12,28 

i,06 ; 

120,7 

130,8 


1200,0 

1 

1 

15,3 

t 

1,27 

9,34 

11,23 

3,24 

10,7 

0,94 1 

85,73 

92,16 

— 

850,0 

12,44 

1,46 

7,46 

10,86 

2,85 

13,85 

1 0,89 i 

70,88 

78.82 

— 

830,0 

11,39 

1,37 , 

7,10 

35,50 

10,35 

12,0 

2,89 

277,31 

i 

301,78 

4,2 

2880,0 

39.13! 

1,34 

23,9 

10,16 

3,82 

14,14 

: I 

0,92 1 

112,31 ! 

127.45 


1150,0 

13,S7 

1,21 

8,46 

10,0 

3,68 

14,07 

0,85 . 

114,80 ' 

128,82 

— 

850,0 

13.34 

1,57 

7,15 

11,3 

3,13 

10,61 

0,85 

107.05 

119,65 

— 

850,0 

12,32 

1,54 

6,97 

31,46 , 

10,63 

1 

12,88 

2,62 

333,66 

375,92 

i ! 

5,3 

2850,0 

39,53 

1,38 

22,58 

12,8 

1 

3.24 

13,06 

i 

' 0.72 

94,36 

! i 

! 104,26 


1700,0 

15,2 

0,89 1 

9,18 

10,95 

2.65 

11,43 

0,54 

73,17 

80,67 

— 

1300,0 

13,S 

1,06 

8,31 

10,89 

2,62 

12,71 

0,56 

72,26 

79,58 , 

— 

1250,0 

13,5 

1,08 ; 

8,15 

34,64 

8.51 

12,57 

1,82 

239,79 

264,51 

3,7 

4250,0 

42.5 

i 

1,0 ! 

25,64 


i 


1 

_ 

! | 


1900,0 

14,7 

0,77 

9,99 

— 

— 

— 

1 - 

1 — 

— 

— 

1600,0 

13,92 

0,87 

8,77 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1800,0 

13,88 

0,77 

8,35 

16,9 

7,40 

22,42 

2,05 

! 77,22 

89,15 

i 1 

1,25 

5300,0 

42,5 

0,8 

27,11 

_ 

_ 

_ 

_ 

_ 

1 


2100,0 

16.28 

1 0,77 

9,97 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1750,0 

16,6 

; 0,94 

10,42 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1100,0 

14.7 

1,33 

I 9,03 

11,56 

7,57 

24,43 

1,85 

134,58 

144,8 

2,05 

4950,0 

47,55 

0,96 

i 29,42 


_ 


1 

_ 

| _ 


1300,0 

• 14,8 

1,14 

9,21 

— 

— 

— 

— 

— 

1 — 

— 

1300,0 

1 14,6 

1,14 

9,18 

— 

— 

— 

— 

i — 

i — 

— 

1100,0 

14,7 

. 1,34 

9,18 

28,6 

12,34 

20,23 

1,76 

221,71 

1 

232,18 

3,28 

3700,0 

44,1 

1,19 

27.57 

l 


■ 


i 

j 



1800,0 

12,25 

' 0,68 

8,54 

8,22 

4,6 

21,6 

1,82 

1 107,8 

112,2 

— 

1400.0 

12,46 

' 0,89 

8,56 

4,65 

3,23 

24,24 

0.63 

63,29 

65.72 

— 

1100,0 

1 11,98 

1,09 

8,13 

12,87 

7.83 

23,0 

2,45 

171,09 

177,92 

2,51 

4300,0 | 37,69 0,87 25,23 

Der Kranke sammelte nicht den 

— 

— 

— 

— 

, — 

— 

— 

Urin < 

3xact, so dass 

dessen 

20.5 

20.5 

7,90 

7,90 

15,43 

15,43 

1,45 

1,45 

169.02 

169,02 

212,5 

212,5 

4,51 

Analyse ausgeschlossen war. 





__ 



1230,0 

13.47 

1,08 

8,22 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

850,0 

12,52 

1,48 

9,26 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

830.0 

11,31 

1.36 

6,99 

16.24 

9,71 

34.02 

1,32 

148,94 

153,14 

2.19 

2910.0 

37,30 

1,21 

24,47 


Fällen. Dieser Unterschied erklärt sich auf die Weise, dass die Fälle 1. 2 und 3 im Versuche 
abgaben. 


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Original fro-m 

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190 


D. Pletnew 


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kannte Schmidt-Strasburger sch e Probediät angewendet, und zwar 
in folgender Anordnung: 

Morgens 7 Uhr: 0,5 Liter Milch, 50 g Zwieback. 

Vormittags 10 Uhr: 0,5 Liter Haferschleim aus 40 g Hafergrütze, 10 g Butter, 
200 g Milch, 1 Ei. * 

Mittags 1 Uhr: 125 g gehacktes Rindfleisch mit 200 g Butter leicht über¬ 
braten; 250 g Kartoffelbrei (190 g gemahlene Kartoffeln, 100 g Milch und 10 g 
Butter). 

Nachmittags 3 Uhr: wie Morgens. 

Abends 7 Uhr: wie Vormittags. 

Die Nahrung und die Ausscheidungsproductc wurden jeden Tag 
doppelt (Controlle!) untersucht. Von den Ausscheidungsproducten wurden 
Drin und Koth untersucht. Bei Zusammenstellung wurden alle Zahlen 
auf dreitägige Frist berechnet, da die Schwankungen an einzelnen Tagen 
in diesem Falle keine besondere Rolle spielen. 

Der Stickstoff wurde nach Kjeldahl bestimmt. Das Eiweiss 
wurde aus N durch Multipliciren mit 6,25 ausgerechnet. 

Die Kohlenstoffbestimmung geschah im Kopfcr’schen Ver¬ 
brennungsofen. 

Das Fett wurde nach Soxleth bestimmt. 

Die Kohlehydrate wurden bestimmt durch Ujcbcrführung in 
Traubenzucker. 2—3 g fettfreie Substanz wurden mit 27* proc. Salz¬ 
säure 2 Stunden im Rückflusskühler gekocht und in dieser Flüssigkeit 
die Kohlehydrate als Zucker durch Polarisation und durch Titration mit 
Knapp^cher Lösung bestimmt. 

Ferner wurde der calorimetrische Werth von Koth und Nahrung 
bestimmt. Dies geschah auf doppeltem Wege. Erstens indirect durch 
Berechnung nach bekannten Standardzahlen und zweitens direct durch 
Verbrennung in der BertheloAschen Bombe. Auf diese Weise wird, 
wie bekannt, die gesammte Energie, welche in der betreffenden Materie 
in latenter Form enthalten ist, in Wärme übergeführt. 

Bei der Berechnung bediente ich mich folgender Zahlen: für Eiweiss 
5,7, für Kohlehydrate 4,1, für Fette 9,3. Gegen die Zahlen 4,1 und 
9,3 kann kein Einwand gemacht werden. Was die Standardzahl 5,7, 
die von Stohmann zur Berechnung des Eiweisses vorgeschlasen ist, 
angeht, so will ich hier nicht auf theoretische Ueberlegungen eingehen. 
Ich habe die Zahl 5,7 angewandt aus dem Grunde, weil auch Lohrisch 
sich ihrer bediente. 

Bei Uebersicht der Tabelle sieht man zunächst, dass die chemisch 
vermittelst der Standardzahlen und calorimetrisch bestimmten Brenn- 
werthe des Kothes in allen Fällen nicht übereinstimmen. Die direct 
gefundenen Brennwerthe sind höher als die berechneten. Loh risch 
hat bei seinen Berechnungen dieselben Ergebnisse gefunden, und zwar 
schwanken seine Differenzen in breiteren Grenzen (von 5,8 bis 17 pCt.) 
als in meinen. 

Die Ursachen dieser von uns beiden gefundenen Differenzen sind 
verschiedene. Es wird nämlich das ganze Aetherextract als Fett be¬ 
rechnet, während das Aetherextract ausser Fett noch Lecithin und Cholesterin 


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Original fro-m 

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Vergl. Ausnutzungsversuche an normalen u. habituell obstipirten Menschen. 191 


enthält, deren Brcnnwerthe höher sind. Die Methode der Kohlehydrat¬ 
bestimmung leidet an Ungenauigkeiten; es sind in der Nahrung Sub¬ 
stanzen vorhanden, die nicht mit in Zucker invertirt werden. Endlich 
können die im Koth vorhandenen Gallenfarbstoffc, Gallensäuren und 
andere organischen und anorganischen Stoffe, welche in kleinen Mengen 
dort sind, auch bei ihrer Verbrennung eine gewisse Wärmemenge ent¬ 
wickeln. 

Wenn wir jetzt das Vcrhältniss der gefundenen Ergebnisse bei 
Normalen und habituell Obstipirten vergleichen, so bekommen wir 
folgende Zahlen: 

Normale Habit. Obstip. 


Gesammtkoth, trocken 1 ). 78,59 39,0 

X. 5,01 2,16 

C. 33,89 17,48 

Fett. 9,83 9,03 

Kohlehydrate. 2,44 2,03 

Gesammtcalorien im Calorimeter bestimmt .... 314,07 180,35 

Auf 100 aufgenommene Calorien im Koth ausgeschieden 4,4 3,03 


Was den Fall 9, in welchem es sich um einen abgelaufenen Icterus 
catarrhalis handelt, betrifft, so passen seine Zahlen in die der habituell 
Obstipirten. Es wird nur ein etwas höherer Gehalt des Kothes an Fett 
beobachtet. Man kann sich leicht vorstellen, dass nach der über¬ 
standenen Krankheit die Fettresorption nur allmählich zur Norm gelangt, 
weshalb er auch in diesem Fall etwas höher ist, als in der Norm. Der 
l Überschuss an Fettgehalt ist auch ganz gering. 

Was den Kranken mit Dyspragia intestinalis intermittens artcrio- 
sclerotica anbelangt, so ist sein Koth ausgezeichnet durch ziemlich 
reichlichen Gehalt an Wasser, Stickstoff etc. Die procentische Calorien¬ 
ausscheidung pro Tag ist 4,51. Diese Ergebnisse können auf folgendem 
Wege erklärt werden. Die Obstipation scheint in solchen Fällen be¬ 
dingt zu sein durch Abschwächung der musculären Kraft des Darmes 
in Folge verschlechterter Verhältnisse der Darmcirculation. Es ist un¬ 
bekannt, ob auf diesem Wege auch dessen Secretion vermindert ist. Für 
eine solche Voraussetzung giebt es keinen Anhaltspunkt. Im Gegentheil, 
der Koth ist ja im Wesentlichen Seeretionsproduet des Darms, wie man 
es aus Beobachtungen an hungernden und unter verschiedenen Versuchs¬ 
anordnungen genährten Thieren und Menschen schliessen kann. Deshalb 
ist auch der Gehalt des Kothes unserer Arteriosclerotiker an ver¬ 
schiedenen Bestandtheilen keineswegs vermindert. Der Darm secernirt 
gut, er bringt nur langsam seinen Inhalt zur Ausscheidung. 
Ob die Ausnutzung dabei geschädigt wird, bleibt dahingestellt. 


1) Die frischen Kothe exact zu vergleichen ist kaum möglich, da in mehreren 
Fällen die Darmentleerung mit Wassereinlauf erzielt wurde. 

Die Zahlen sind genommen als Durchschnitt von allen Fällen einer und der¬ 
selben Gruppe. 

Fall 8 — die Dyspragia intestinalis intermittens arteriosclerotica und Fall 9 
— abgelaufener Icterus catarrhalis werden einzeln beurthcilt. 


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192 


D. Pletnew, 


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Was den Urin betrifft, so sind die Ergebnisse der Untersuchungen 
folgende: 


N ges. 
C . 


Normalo Habit. Obstipirte 
40,39 42,96 

24,04 27,33 


Es besteht also ein gewisser Unterschied in N- und C-Ausschei- 
dung bei Normalen und habituell Obstipirtcn. Dieser Unterschied ist 
nicht gross und die Zahl der Versuchspersonen ist nicht ausreichend, 
als dass man daraus sichere Schlüsse machen könnte, um so mehr, da die 
Zahlen in einzelnen Fällen sich viel mehr nähern, als die Durchschnitts¬ 
zahlen. So ist im Fall 3 (Norm.) 42,5 N und 25,64 C in 3 Tagen 
ausgeschieden uud im Fall 7 (habit. Obst.) sind die betreffenden Zahlen: 
37,69 N und 25,23 C. Unter solchen Bedingungen verlieren die Durch¬ 
schnittszahlen ihren absoluten Werth. 

Vergleichen wir die von Lohriseh und von mir erhaltenen Zahlen, 
so finden wir gewisse Unterschiede in den Werthen der Gesunden, wie 
auch der habituell Obstipirten. Die Unterschiede sind nicht so gross, 
dass sie die principielle Gleichheit in den Beobachtungen verwischen. 
Diese Verschiedenheit weist nur auf individuelle Schwankungen in der 
Zusammensetzung des Kothes verschiedener Menschen. Wir brauchen 
uns nur zu erinnern an die Verschiedenheiten einzelner Zahlen bei beiden 
Hungcrkünstlcrn Cctti und Breithaupt, die Fr. Müller be¬ 
obachtet hat: 

Cetti ßreithaupt 

in 10 Tagen* ausgeschieden in 6 Tagen ausgeschieden 


Koth, feucht . 

. 220,1 

57,0 

Koth, trocken . 

. 36,175 

12,01 

N . . . . 

3,164 

0,68 

Fett . . . 

. 13,54 

3,41 

Asche . 

4,759 

1,509 

A uf 

einen Tag berechnet: 


Koth, frisch 

. 22,01 

9,5 

Koth, trocken . 

3,3818 

2,0 

N . . . . 

0,316 

0,113 

Fett . . . 

1,354 

0,57 

Asche . 

0,476 

0,251 


Wenn hungernde Menschen verschiedene Mengen Koth mit ver¬ 
schiedenem Gehalt an Bestandtheilen ausschciden, so ist es gar nicht 
wunderbar, wenn Menschen, die in ihren Magendarmcanal Nahrung, 
resp. physiologischen Reiz, der seine Secretion hervorruft, einführen, 
verschiedene Mengen von Darmsccret auf die Nahrung ergiessen. 

Es bleibt noch die theoretische Anschauung von Schmidt, Stras- 
burger und Lohrisch zu besprechen. Wie oben erwähnt, sind diese 
Autoren der Meinung, dass in manchen Fällen eine zu gute Ausnutzung 
der Nahrung als Ursache der habituellen Obstipation erscheint. Sichere 
Beweise für diese Hypothese fehlen vorläufig. Der verminderte Gehalt 
an verschiedenen Bestandtheilen des Kothes ist nicht ausschlaggebend 


Gck igle 


Original from 

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Vergl. Ausnutzungsversuche an normalen u. habituell obstipirten Mensch n. 193 


fiir diese Anschauung. Die Beobachtungen der genannten Autotcn sowie 
meine eigenen sprechen nur dafür, dass der Koth habituell Obstipirter 
ärmer an verschiedenen Bestandteilen ist, als der der Normalen. Aber 
es bleibt immer fraglich, ob diese Resultate auf verminde 1 Sccrction 
zurückzuführen sind, oder auf bessere Ausnutzung der Nanrung. Indi¬ 
viduelle Schwankungen, die an hungernden Thiercn und Menschen be¬ 
obachtet sind (vergl. die oben angeführten Zahlen von Fr. Müller), 
sowie wechselnde Quantität und Qualität des Kothes bei verschiedener 
Nahrung kann viel mehr für verminderte Secretion als für bessere 
Nahrungsausnutzung sprechen. Und nicht ohne Recht spricht Prauss- 
nitz nicht von „gut oder schlecht ausnutzbarer a Kost, sondern von 
„mehr oder weniger kothbildender“ Nahrung. 

Wäre die Anschauung von Schmidt, Strasburger und Lohrisch 
richtig, so würden die betreffenden Individuen auch vielleicht instinctiv 
kleinere Nahrungsmengen einführen zur Bewahrung ihres Gleichgewichts. 
Das ist aber nicht der Fall. 

Wenn mit einer verminderten Secretion eine functionell ungenügende 
Thätigkeit der Darmmuscularis auf anatomischer Basis oder auch ohne 
diese sich vereinigt, so sind damit ebenfalls Bedingungen vorhanden 
zum Entstehen einer habituellen Obstipation. 


Literatur. 

Nothnagel, Die Erkrankungen des Darms und des Peritoneums. 1898. 

Dun in, Ueber habituelle Stuhlverstopfung, deren Ursachen u. Behandlung. Berliner 
Klinik. 1894. 

Bouveret, La neurasthenie. 1893. 

Fleiner, Ueber Behandlung der Constipation u. s. w. Berliner klin. Wochenschr. 
1893. 

Schmidt, Die Functionsprüfung des Darmes mittels der Probekost u. s. w. 1904. 
Strasburger, Untersuchungen über die Bakterienmenge in menschlichen Fäces. 
Zeitschrift, f. klin. Med. XLV1. 1902. 

Loh risch, Die Ursachen der chronischen habituellen Obstipation im Lichte syste¬ 
matischer Ausnutzungsversuche. Deutsches Archiv f. klin. Med. LXXIX. 1904. 
Derselbe, Calorimetrische Fäcesuntersuchungen. Zeitschr. f. physiol. Chemie. XL1. 
1904. 

Stohmann, Ueber den Wärmewerth der Bestandtheile der Nahrungsmittel. Zeitschr. 
f. Biologie. Neue Folge. XIII. 1895. 

Fr. Müller, Untersuchungen an zwei hungernden Menschen. Virchow’s Archiv. 
CXXXI. 1893. Supplementheft. 

Fraussnitz, Untersuchungen über das Verhalten animalischer und vegetabilischer 
Nahrungsmittel im Verdauungscanal. Zeitschr. f. Biologie. XXXV. 1897. 


Zeitschrift f. ei]i. Pathologie u. Therapie Bd. 


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XVII. 


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Ueber die Wirkungen des Physostigmins auf muskuläre 

Organe. 

Mit Beziehung auf die Untersuchungen von Dr. Ii. Winterberg. 

Von 

Professor Dr. Erich Harnack (Halle a. S.). 


Als ich vor mehr als dreissig Jahren gemeinsam mit Dr. Wit- 
kowski 1 ) daran ging, die Wirkungen des Physostigmins möglichst all¬ 
seitig zu analysiren, da waren wir genöthigt, uns zuvor das Alkaloid 
aus der Bohne rein darzustellen. Die damaligen Handelspräparate be¬ 
standen aus krümlichen schwarzbraunen Schmieren, und die meisten 
Forscher, die vor uns mit Physostigmin gearbeitet, hatten sich eben 
unreiner Präparate bedient. In der Augenheilkunde wurde nur das 
Calabarbohnenextract (in kleinen Papierquadraten!) angewendet. Die 
lsolirung des Alkaloides war wegen der Zersetzlichkeit seiner Lösungen 
keineswegs leicht, aber es gelang uns, dasselbe in Form einer klaren 
hellgelben Masse, die zu leimartigen Plättchen eintrocknetc, zu gewinnen, 
indem wir im Wesentlichen einer von Hesse angegebenen Methode 
folgten. Irgend eine Verbindung der Base in krystallisirter Form hcr- 
zustellen war uns nicht möglich, daher wir auf die Elemcntaranalysc 
verzichteten. Nach dem ganzen Verhalten erhielten wir den Eindruck, 
dass wir es mit einem sehr complicirt zusammengesetzten Moleküle zu 
thun hätten. Gleich darauf gelang es dann der Firma E. Merck in 
Darmstadt, das Salicylat der Base in Form einer klaren, scheinbar un- 
krystallisirten, schwach gelblichen Masse darzustellen. Dies ist das 
Präparat, welches ich nun etwa 28 Jahre aufbewahrt und Herrn 
Dr. Win t erb erg 2 ) für seine Versuche überlassen habe, bei denen es 
sich als sehr stark wirksam erwies. Sicherlich ein seltenes Präparat, 
wenn man erwägt, dass das Physostigmin doch zu den ziemlich leicht 
zersetzlichen Alkaloiden gehört. Merck stellte dann aber bald auch 
ein schön krystallisirtes Salicylat des Physostigmins her, das ich 3 ) in 
Betreff der miotischen Wirkung prüfte und sehr wirksam fand und das 

1) Harnack und Witkowski, Archiv f. exper. Path. u. Pharinakol. Bd. V. 
S. 401. 1870. 

2) Winterberg, Diese Zeitsohr. Bd. IV. 1007. 1. 

;») Harnack, Archiv f. exper. Path. u. Pharinakol. Bd. XII. S. XJ6 f. 1880. 


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Ucbcr die Wirkungen des Physostigmins auf muskuläre Organe. 


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daraufhin in den Arzneischatz aufgenornmen wurde. Später haben fran¬ 
zösische Chemiker das Alkaloid analysirt und die ßruttoformcl: C 1B H 21 - 
N 3 0 2 gefunden. Wonn nun darnach auch der Stickstoffgehalt für ein 
Alkaloid ein selten hoher ist und über 15 pCt. beträgt, so muss ich 
doch gestehen, ich hatte eigentlich erwartet, dem Physostigmin würde 
ein höheres Molekulargewicht zukommen. Ob nun das Physostigmin in 
diesem schön krystallisirten Salze mit dem von uns damals dargestellten 
amorphen vollkommen identisch ist, das ist vorläufig noch nicht sicher 
anzugeben, freilich auch nicht das Gegentheil bewiesen. Winterberg 
fand das ihm von mir gelieferte, so alte Präparat sogar noch etwas 
kräftiger wirksam als das jetzige von Merck bezogene krystallisirte 
Salicylat! ln der Art der Wirkung konnte er aber keinen Unterschied 
constatiren. Zu beachten ist auch, dass man später ein Isophysostigmin 
aus der Bohne gewonnen hat, das dem Physostigmin isomer, aber als 
freie Base in Aether schwer löslich sein, dabei sehr energisch ravotisch 
wirken soll. Die Frage bleibt also vorläufig eine offene, ich will daher 
nicht weiter darauf eingehen und mich auf den Standpunkt stellen, als 
ob die Präparate des wirklichen Physostigmins von damals und jetzt 
identisch seien. 

Bei eingehender Analyse der Wirkung nach allen Richtungen hin 
gelangten Witkowski und ich zu dem Wahrscheinlichkeitsschlusse, 
dass das Physostigmin, was seine Wirkung auf Organe mit contractilen 
Elementen (Herz, Jris, Darm, willkürliche Muskeln) anlangt, auf die 
lebende glatte und quergestreifte Muskelfaser selbst einwirkt, indem 
es deren Contraetilität erhöht oder direct als Reiz wirkt. In Betreff des 
M. sphincter iridis war übrigens diese Annahme schon vor uns von dem 
Franzosen Martin Damourettc ausgesprochen worden. Von den 
späteren Forschern hat ein Theil unsere Angaben bestätigt und vervoll¬ 
ständigt, während Andere, ohne das thatsächlicho Material wesentlich zu 
vermehren, durch ihre Beobachtungen zu dem Schlüsse gelangten, dass 
an den bezeichneten Wirkungsorten diebetreffenden Nervenendapparate 
durch das Physostigmin gereizt werden, die Muskelfasern selbst aber 
nicht oder doch nicht in erster Linie. Es handelt sich also zunächst 
um die Deutung der übereinstimmend festgestellten Thatsachen, d. h. 
mit anderen Worten, um die genaue Localisirung der Wirkung. Auf die 
sich ausschliesslich auf das Warmblüterherz beziehenden neuesten Unter¬ 
suchungen von Winterberg gehe ich unten näher ein. Ich möchte nun 
zunächst darauf hinweisen, auf Grund welcher Erwägung Witkowski 
und ich zu unserer Annahme, dass die Wirkung die Muskelfaser betrifft, 
gelangt sind. Es geschah auf Grund einer allgemeinen Voraussetzung, 
die damals wohl von nahezu* allen Pharmakologen getheilt wurde. Man 
hielt es für unmöglich, dass ein Nervenapparat, der durch ein 
lähmendes Gift seiner Erregbarkeit vollständig beraubt worden, 
durch ein gleich darauf zugeführtes erregendes Gift überhaupt beein¬ 
flusst werden könnte, sofern eben das erstere Gift noch nicht eliminirt 
worden und die complet lähmende Wirkung demnach noch zu unter¬ 
halten im Stande wäre; denn — so meinte man — complet gelähmt 
heisst eben: zur Zeit durch nichts erregbar. Man nahm daher auch 

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E. Harnack, 

an, dass der erregend wirkende Antagonist, wenn er mit dem complet 
lähmenden genau auf den gleichen Nervenapparat einwirkte, gegen den 
letzteren niemals aufzukomraen im Stande sei, während die umgekehrte 
Gegenwirkung sich leicht erzielen, der zuvor erregte Apparat sich ohne 
grosse Schwierigkeit lähmen lässt. Als Beispiel kann man etwa an¬ 
führen das Verhalten des Apomorphins in der Narkose. Durch Chloro¬ 
form etc. wird das Brechcentrum gelähmt, so dass in tiefer Narkose 
das Apomorphin nicht emetisch wirkt; das Respirationscentrum wird 
aber nicht gelähmt und kann in tiefer Narkose durch Apomorphin so 
heftig gereizt werden, dass die Frequenz der Athmung sich ver¬ 
achtfacht. 

Die allgemeine Gültigkeit des obigen Satzes ist mir aber doch im 
Laufe der Zeiten allmählich zweifelhaft geworden. Was wissen wir denn 
überhaupt von den Beziehungen des einen oder des anderen Giftes zu 
dem Chemismus eines bestimmten Nervenapparates oder auch der 
lebenden Zelle überhaupt? Wenig oder nichts. Selbst die gegenwärtig 
mit besonderer Vorliebe und keineswegs erfolglos betriebene Forschung 
über den Zusammenhang zwischen chemischer Structur und Wirkungsart 
giebt uns über das eigentliche Warum? doch noch keinen Aufschluss, 
abgesehen davon, dass die Grundlage der ganzen Structurtheorie doch 
noch nicht als eine für alle Zeiten unabänderlich feststehende angesehen 
werden kann. Mit allen den schönen Vorstellungen, dass es in einem 
Fall das Fett, im anderen das Lecithin sei, welches in der Nervenzelle 
die Ursache für die chemisch-physikalische Anziehung zwischen letzterer 
und dem Agens bilde, ist doch noch wenig anzufangen. Ehrlich hat 
neuerdings gegen die pharmakologische Forschung den Vorwurf erhoben, 
sie frage zu ausschliesslich nach dem Was und Wie, zu wenig nach 
dem Warum. Ich halte diesen Vorwurf für unbegründet; denn Unter¬ 
suchungen, die den zur Lösung der Frage Warum? führenden Weg 
bahnen, werden heut zu Tage, wie gesagt, in grosser Zahl und in weitem 
Umfang ausgeführt und haben für die Gewinnung „synthetischer Arznei¬ 
mittel“ schon werthvolle Früchte gezeitigt. Und wenn w r ir nach dem 
Warum? forschen, weshalb mit den complicirtesten Agentien beginnen, 
von deren Structur wir noch kein Ahnung haben, warum nicht mit den 
einfachsten, wie etwa Quecksilber, Blei etc., in deren Molekülen es 
keine haptophoren und toxiphoren Gruppen geben kann? 

Wir wissen nur, dass der Nervenapparat oder die Zelle in dem 
einen Moment das ihnen nahe gebrachte Agens mit Begierde aufnimmt, 
um es nach einiger Zeit (falls nicht das Agens zerstört oder die Zelle 
vernichtet worden ist) mit der gleichen Energie wieder zu eliminiren. 
Wird nun der Zelle bald nach dem ersten Agens ein zweites zugeführt, 
wer kann wissen, ob sie letzteres — je nach seiner Qualität — nicht 
noch begieriger aufniramt, dadurch aber in den Stand gesetzt wird, das . 
erste um so rascher zu eliminiren oder zu vernichten? War das erste 
ein lähmendes Gift, so ist allerdings die specifische Function der Zelle 
zeitweilig sistirt, aber das braucht nicht zu verhindern, dass das zweite 
— erregende — Gift seinen Weg in die Zelle etc. findet und nun (ich 


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Heber die Wirkungen des Physostigmins auf muskuläre Organe. 


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habe dabei natürlich einen Ncrvcnapparat im Sinne) die Function wieder- 
herstellen hilft. 

Die Möglichkeit, dass auch bei einem wahren Antagonismus das 
erregende Gift Sieger bleiben kann, nicht muss, wird also nicht in Ab¬ 
rede gestellt werden können. Nimmt man diese Möglichkeit an, dann 
fällt allerdings der Zwang, die Physostigminwirkung als eine direct 
muskuläre aufzufassen, weg; nimmt man sie dagegen nicht an, dann 
bleibt freilich schwer für eine andere Auffassung Raum. 

Beim Physostigmin liegt nämlich die Sache so, dass es am Herzen, 
der Iris, dem Darm, den willkürlichen Muskeln etc. über die die bezüg¬ 
lichen Nervenendapparate complet lähmenden Gifte Sieger bleibt. Hält 
man etwas Derartiges für den Fall eines wahren Antagonismus für 
unmöglich, dann bleibt nur die Annahme, dass das Physostigmin die 
Muskelfaser selbst beeinflusst, oder man muss zu sehr complicirten Vor¬ 
stellungen über die Einrichtung der Nervenendapparate greifen, indem 
man sich dieselben etwa in mehrere Strecken getheilt denkt, von denen 
die am periphersten gelegene zwar vom erregenden Physostigmin, nicht 
aber von den bezüglichen lähmenden Giften beeinflusst wird. Der Anta¬ 
gonismus wäre dann wieder kein „wahrer“. 

Auf die Thatsache, dass das Physostigmin über die lähmenden 
Gifte Sieger bleibt, möchte ich im Einzelnen etwas näher eingehen. Zu¬ 
nächst in Bezug auf das Auge, die pupillenverengernde Wirkung. Hier 
erweist sich das Physostigmin als Sieger über das Atropin, was andere 
Myotiea (Pilokarpin, Muskarin etc.) eben nicht vermögen, die zum Thcil 
deswegen für die Augenheilkunde auch nicht die gleiche Brauchbarkeit 
besitzen als jenes. Bringt man in jedes Auge einer grossen Katze je 
einen Tropfen einer lproc. Atropinsulfatlösung, unter Verhütung jeden 
Verlustes, so zeigen sich nach gewisser Zeit beide Pupillen als maximal 
erweitert, ca. 12 mm im Durchmesser, die Irisränder bei Vorderansicht 
nicht mehr sichtbar. Bringt man nun z. B. ins linke Auge die gleiche 
Menge Physostigminsalicylat (2 gtt. einer y 2 proc. Lösung), so ist nach 
knapp zwei Stunden die rechte Pupille noch genau so weit wie vorher, 
die linke dagegen selbst bei trüber Beleuchtung auf 4—5 mm im Quer¬ 
durchmesser reducirt. Stellt man den Versuch so an, dass man gleich¬ 
zeitig in das rechte Auge das Physostigmin, in das linke das Atropin 
(in den obigen gleichen Dosen) einträufelt, so sieht man nach zwei 
Stunden die rechte Pupille zu einem eben noch sichtbaren feinen Strich 1 ) 
contrahirt, bei voller Beschattung sich vorübergehend mässig dilatirend. 
Dagegen ist die linke maximal erweitert, auf Belichtung nicht reagirend. 
Giebt man jetzt, und zwar wieder in den obigen gleichen Dosen, in das 
rechte Auge Atropin, in das linke Physostigmin, so beobachtet man 


1) Bei der Physostigminmiose berühren sich wohl die Irisränder nie, was bei 
der örtlichen Muskarinwirkung sehr \rohl der Fall sein kann. Auch dieses Moment 
scheint für gewisse Unterschiede in der Wirkung beider zu sprechen: vielleicht reizt 
das Physostigmin auch die — freilich bestrittenen — schwachen diktatorischen 
Muskelfasern der Iris? 


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nach einer Stunde, dass beide Pupillen bei sehr schwacher Beleuchtung 
eine gleiche mittlere Weite (8—9 mm) bekommen haben, die zunächst 
auch anhält. 

Bei Anwendung gleicher Dosen also contrahirt das Physostigmin 
die Atropinpupille auf ca. 7s des Durchmessers (bei überwiegender Dosis 
des ersteren sogar noch mehr); umgekehrt wird die zuvor durch Phy¬ 
sostigmin verengerte Pupille durch die gleich grosse Atropindosis zu 
einer mittleren, nicht maximalen Erweiterung gebracht. Es gewinnt also 
den Anschein, als ob immer das zuletzt zugeführte Agens der Sieger 
bliebe, und das liesse sich so deuten, dass bei der Aufnahme des zweiten 
Giftes das erste aus dem Nervenapparat theilweise verdrängt und eli- 
minirt wird. Auffallend bleibt aber immerhin, dass z. B. das Muskarin 
sich anders verhält: es wirkt auf die Atropinpupille gar nicht, und die 
durch Muskarin verengerte Pupille wird durch Atropin maximal erweitert 
wie die normale. Nimmt man an, das Physostigmin reize den M. sphincter 
selbst, so erklären sich die Thatsachen scheinbar ganz gut; denn da$s 
die Physostigminpupille durch Atropin zu einer mittleren Weite ge¬ 
bracht wird, ist begreiflich, da mit der Lähmung der Oculoraotorius- 
endungen alle Reize allmählich wegfallen, die dem Sphincter vom Centrum 
her zugehen. Auch bei plötzlicher voller Beschattung pflegt sich die 
Physostigminpupille ein wenig zu erweitern, was sich aus dem plötz¬ 
lichen Wegfall der auf den Sphincter durch Reflexact übertragenen Licht¬ 
reize erklären lässt. Den gleichen Effect muss selbstverständlich die 
Durchschneidung des N. oculomotorius ausüben. 

Am Darme gestalten sich die Verhältnisse ganz analog, indem 
auch hier das Physostigmin über das die bezüglichen Nervenapparate in 
der Darmwand lähmende Atropin Sieger bleibt und einen Darmkrampf 
auch nach der durch Atropin bewirkten Erschlaffung des Darmes her¬ 
vorbringt. Auch hier vermag das Muskarin unter den gleichen Be¬ 
dingungen nicht das Gleiche zu bewirken. Die Alternative bleibt dem¬ 
nach die gleiche: entweder Wirkung des Physostigmins auf die Muskel¬ 
faser selbst, oder das lähmende Gift wird durch das erregende Phy¬ 
sostigmin (nicht aber durch Muskarin) aus den Nervenapparaten gleichsam 
verdrängt, resp. seine Eliminirung befördert. Die Darmwirkung ist es 
auch nahezu allein, vermöge deren das Physostigmin ausserhalb der 
Augenheilkunde heut zu Tage noch praktisch benutzt wird. Viele 
rühmen seine Wirksamkeit bei Darmträgheit und -atonie in hohem Grade; 
immerhin ist — zumal bei der üblichen subcutanen Anwendung — Vor¬ 
sicht wegen der lebensgefährlichen Wirkungen des Physostigmins auf 
Rückenmark, Medulla etc. geboten. 

Ganz ähnlich liegen auch die Verhältnisse an den willkürlichen 
Muskeln: nur ist es hier nicht das Atropin, sondern das die motorischen 
Nervenendapparate lähmende Curare, über das das Physostigmin Sieger 
bleibt. Nach den Versuchen von Pal 1 ) und von Rothberger 2 ) stellt 
das Physostigmin die Thätigkeit des durch Curare inactiv gemachten 

1) Pal, Centralblatt f. Physiologie. Bd. 14. 1900. S. 255. 

2) Rothberger, Pflügers Archiv. Bd. 87. 1901. 8. 117. 


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Feber die Wirkungen des Physostigmins auf muskuläre Organe. 


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Muskels wieder her, namentlich am Zwerchfell (Athcmbewcgung). Im 
Reagcnzglasc neutralisiren sich die beiden Gifte aber keineswegs. Es 
bleibt demnach auch hier die gleiche Alternative: entweder das 
Physostigmin wirkt auf die Muskelfaser selbst oder das lähmende Gift 
wird durch das erregende gewissermaasson aus dem Nervenendapparat 
verdrängt, falls man nicht annehmen will, dass der Endapparat zwar 
in Folge der Curarewirkung nicht mehr leitete, wohl aber für Physostigmin 
noch erregbar blieb, was ziemlich auf das Gleiche herauskommen würde. 
Endlich könnte man auch hier die wenig wahrscheinliche Annahme 
machen, dass der allerperipherste Theil der Nervenendausbreitung 
zwar durch das erregende, nicht aber durch das lähmende Gift beein¬ 
flusst wird. 

Etwas complicirter, wenngleich im Wesentlichen analog, liegen die 
Verhältnisse am Herzen, wenigstens so weit zunächst das Froschherz 
in Frage kommt. Hier kommt freilich, worauf ich schon unlängst hin¬ 
gewiesen habe 1 ), zuvörderst Alles darauf an, ob man der modernen rein 
myogenen Theorie der Herzfunction huldigt. Thut man das, so bleibt 
überhaupt keine andere Annahme, als dass das Physostigmin auf den 
Herzmuskel selbst einwirkt, und zwar vor Allem auf die Automatic er¬ 
zeugenden Sinusfasern (oder richtiger: Muskelzellcn). Daraus würde sich 
dann wohl auch erklären, warum Schweder 2 3 ) (unter Kobert’s Leitung) 
den an der Atrioventricularfläche abgeschnürten Ventrikel durch 
Physostigmin nicht zum Schlagen bringen konnte, falls etwa die Ab¬ 
schnürung so geschah, dass die Sinusfasern oberhalb derselben blieben. 
Indes neige ich mich, und zwar gerade auf Grund der einschlägigen 
pharmakologischen Thatsachen, der myogenen Herztheorie nicht zu und 
bleibe bei der älteren Annahme der automatischen oder muskuloraotori- 
schen Centren (Ganglien) des Froschherzens stehen. Das Physostigmin 
hebt nun am Froschherzen zunächst den diastolischen Jodalstillstand 
auf 8 ). Dieser letztere lässt sich aber auf Grund der älteren neurogenen 
Theorie nur aus einer Lähmung der automatischen Centren des Frosch¬ 
herzens erklären. Es bleibt also auch hier das erregende Gift zunächst 
Sieger über das lähmende, und die Alternative ist die gleiche wie oben: 
entweder das Physostigmin reizt muskuläre Theile des Herzens direct, 
oder das lähmende Gift wird aus dem Nervenapparat durch das erregende 
gewissermaassen verdrängt, climinirt, und die Function der automatischen 
Centren zeitweilig wieder restituirt. Aber auch das durch Kupfcr- 
doppelsalze nahezu zum Stillstand in halber schlaffer Diastole ge¬ 
brachte Froschherz wird durch Physostigmin wieder zum Schlagen ge¬ 
bracht 4 * ). Dass durch Kupfer der Herzmuskel selbst (nach vorgängiger 
Reizung) gelähmt wird, so dass er schliesslich auch auf directen fara- 

1) Vgl. Harnaok, Archiv f. Anat. u. Physiol. Physiol. Abtheil. 1904. S. 415. 

2) Schweder, Ueber Eserin etc. Diss. Dorpat 1889. 

3) Vgl. Harnaok und Witkowski, Archiv f. exper. Path. u. Pharmakol. 
Bd. XI. S. 1. 1879. 

4) Vgl. Harnack und Ha fern an n, Archiv f. exper. Path. u. Pharmakol. 

Bd. 17. S. 145 u. Tafel IV, Fig. Vd u. e. 1883. 


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dischen Reiz nicht mehr reagirt, davon kann man sich, wie überhaupt 
am Froschrauskel, leicht überzeugen. Die Frage, ob das Physostigmin 
seine Wirkung durch Reizung der Herzcentren oder des Herzmuskels zu 
Stande bringt, mag hier offen bleiben. 

An dem den Herzen der Skorpionen ähnlich gebauten Herzen des 
Molukkenkrebses (Limulus) hat neuerdings Carlson Versuche angestellt 
und daraus geschlossen, das Physostigmin wirke primär erregend nur 
auf den Ganglienapparat, nicht auf die muskulären Thcile des Herzens 
ein. Von einem wirbellosen Thier ist freilich eine directe Uebertragung 
auf das Froschherz ebenso unthunlich wie von diesem auf das Warm¬ 
blüterherz. 

Die kürzlich von Winterberg angestellten Versuche beschränken 
sich auf das Säugethierherz, und hier beobachtet der Autor vor Allem 
eine Steigerung der Erregbarkeit des kardialen Heramungsapparates 
durch das Physostigmin, eine Wirkung, die von Witkowski und mir 
seiner Zeit nicht constatirt worden war. Indem er letzteres an sich mit 
Recht betont, beachtet der Autor vielleicht zu wenig: erstens, dass man 
seit dreissig Jahren über die Wirkung der Vagusreizung auf das Herz 
manches zugelernt hat, was damals noch nicht so bekannt war, und so¬ 
dann, dass für uns seiner Zeit das Froschherz das wichtigere Object war, 
wir aber hier vor Allem zu beweisen hatten, dass das Physostigmin 
die Vagusendigungen nicht lähmt. Will man wissen, ob es sic 
erregt, so muss man natürlich vor Allem naehweisen, dass es sie nicht 
lähmt. Die Meinung aber, das Physostigmin lähme den Hemmungs¬ 
apparat im Froschherzen, war von Forschern, die vor uns gearbeitet 
hatten, mehrfach ausgesprochen worden und schien auch nicht so fern- 
liegend. Einmal hebt das Physostigmin den Muskarinstillstand auf, 
scheint also darin dem Atropin gleich zu wirken, was andererseits gar 
nicht der Fall ist, indem es den Herzschlag verlangsamt und verstärkt, 
und sodann wird in der Physostigminwirkung die faradische Reizung des 
Froschvagus sehr bald erfolglos. Unsere Aufgabe war es nun, zu er¬ 
weisen, dass das Physostigmin sich so verhält, nicht weil es die Vagus¬ 
endigungen lähmt, sondern weil es den Herzmuskel — sei es nun direct 
oder durch Vermittelung der automatischen Ganglien — erregt. Diesen 
Beweis suchten wir zunächst durch den Versuch: Muskarin-Physostigrain- 
Kupfer-Atropin zu führen. Wenn Winterberg Bedenken gegen diesen 
Versuch hat, so theile ich dieselben insofern, als auch ich den Beweis 
auf diesen Versuch allein nicht stützen möchte. Es werden dabei vier 
Herzgifte nach einander zur Wirkung gebracht und es kommt ungemein 
auf die richtige Dosirung etc. dabei an. Ich habe mich aber keines¬ 
wegs auf diesen Versuch beschränkt; schon mit Witkowski (1. c. S. 422) 
stellte ich Versuche am Coats’sehen Herzvaguspräparate an und später 
habe ich (mit Ha fern an n, 1. c.) sehr mühsame Versuche mit dem 
gleichen Präparate in Combination mit dem Froschherzapparate von 
Williams ausgeführt. Hierbei ergab es sich, dass, sowie man das 
Physostigmin derart mit dem herzlähmenden Kupfer combinirt, dass das 
Herz nicht mehr abnorm kräftig schlägt, die faradische Reizung des Frosch¬ 
vagus wieder den schönsten Effect ergiebt (Stillstand von X / A Minute, 


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Ueber die Wirkungen des Physostigmins auf muskuläre Organe. 


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cf. Harnack und Hafemann, 1. c. Tafel IV, Fig. Va—c). Der Vagus 
wird also weder vom Physostigmin noch vom Kupfer gelähmt; letzteres 
war nämlich auch unrichtiger Weise, und zwar von Luchsinger, be¬ 
hauptet worden. Ebenso wenig aber wird beim Frosch der Vagus durch 
Physostigmin erregt; denn die künstliche Reizung des Vagusstammes 
wird beim Frosch in der Physostigrainwirkung erfolglos, beim Säuge¬ 
thier aber nicht, wie wir sehr bald feststellen konnten. Es verhält sich 
hier also ähnlich wie mit dem Digitalin: die Pulsverlangsaraung durch 
Digitalisgiftc beruht beim Säugethier sicher auf Vagusreizung (reflectorisch ?), 
beim Frosche aber nicht. 

Für das Physostigmin haben nun die Versuche von Winterberg 
eine Erregung der Vagusendigungen im Säugethierherzen ergeben, und 
zwar augenscheinlich eine ganz directe. Eine solche Wirkung haben 
seiner Zeit Witkowski und ich nicht constatirt. Wenn Winterberg 
meint, wir hätten sie übersehen, weil wir unseren Versuchsthieren durch 
starke Curarisirung die Vagi gelähmt hätten, so irrt er doch und Über¬ 
sicht dabei erstens, dass wir am Hunde trotz starker Curarisirung die 
faradische Vagusreizung erfolgreich gefunden haben (H. u. W., 1. c. S. 434) 
und zweitens, dass wir (S. 433) ausdrücklich angeben, das Physostigmin 
verlangsame den Puls, auch nachdem durch Atropin oder Curare der 
Einfluss der Hemmungsnerven völlig ausgeschaltet worden. Es war uns 
also die Möglichkeit der Vaguslähmung durch Curare nicht nur wohl 
bekannt, sondern wir haben auch mit voller Absicht die Wirkung bis 
zu dieser Intensität gesteigert. Die Pulsverlangsamung durch Physostigmin 
trotz vollständiger Lähmung der Vagi durch Atropin oder Curare hat ja 
auch Winterberg (Punkt 4 seiner Conclusionen) bestätigt. 

Warum haben wir aber die Vaguserregung durch Physostigmin 
beim Warmblüter nicht beobachtet? Wenn es nicht doch eine Ver¬ 
schiedenheit der Präparate war, so ist zunächst darauf hinzuweisen, dass 
man jetzt über den Einfluss einer starken Vagusreizung auf das Herz 
etwas mehr weiss als vor über dreissig Jahren. Es könnten aber noch 
andere Gründe hinzukommen. Einmal hatten wir auch am Warmblüter¬ 
herz zunächst zu beweisen, dass das Physostigmin die Vagi nicht lähmt. 
Das liess sich freilich hier sofort und sehr leicht darthun, da die Vagus¬ 
reizung in der Physostigminwirkung nicht, ‘wie beim Frosch, er¬ 
folglos wird. 

Sodann beobachteten wir bei unseren Blutdruckversuchen haupt¬ 
sächlich zwei »Momente der Physostigminwirkung: das Herz schlägt lang¬ 
samer und kräftiger und der Blutdruck kann, wenigstens zeitweilig, er¬ 
höht werden. Die erstere Erscheinung Hesse sich natürlich mit einer 
Vagusreizung in Einklang bringen, die letztere aber nicht, und da das 
Physostigmin, was Winterberg ja bestätigt hat, den Puls auch am 
atropinisirten Herzen verlangsamte, so konnten wir nach der damaligen 
allgemeinen Voraussetzung nicht schliessen, dass die Verlangsamung auf 
einer Vagusreizung beruhe. Die Verhältnisse des Blutdrucks gestalten sich 
in der Physostigrainwirkung complicirter, weil Einflüsse vom centralen 
Nervensystem aus durch die Vasomotoren etc. hinzukommen können, so 
dass grössere Dosen den Blutdruck nachträglich zu erniedrigen scheinen. 


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E. Harnack, 


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Winterborg schliesst übrigens (Punkt 7 seiner Conclusionen), dass 
das Physostigmin wahrscheinlich auch eine „dirccte Reizwirkung auf das 
Herz u besitze, und ich glaube ihm darin beistimmen zu müssen. Das 
würde sich übrigens meines Erachtens am besten am isolirten Warm¬ 
blüterherzen entscheiden lassen. Therapeutisch wäre wohl das 
Physostigmin nicht nur bei tachykardischen Anfällen, die auf primärer 
Herabsetzung des Vagustonus beruhen, sondern wahrscheinlich auch als 
ein Herzanalepticum brauchbar, wenn es eben nicht durch die 
schlimmen Wirkungen vom Centralnervensystem her so bald gefährlich 
würde. Durch Morphin lassen sich diese Wirkungen zum Theii be¬ 
seitigen, soweit sie erregende sind, aber sie können leider rasch zu 
lähmenden werden. 

Zur Entscheidung der wichtigen principiellen Frage, von der ich 
oben ausgegangen bin, ist aber von erheblicher Bedeutung der Punkt 8 
der Conclusionen Winterberg’s: darnach wird nämlich innerhalb ge¬ 
wisser Grenzen nicht nur die Atropin- und Curare-, sondern auch 
die Nikotinlähmung des Vagus durch Physostigmin aufgehoben. 
Hier kann es sich doch nur um den nämlichen Nervenapparat handeln 
und das Physostigmin bleibt also auch hier Sieger über die lähmenden 
Gifte, genau wie an den willkürlichen Muskeln gegenüber dem Curare. 
Damit wäre die frühere principielle Auffassung, dass solches nicht mög¬ 
lich sei, widerlegt und damit fiele zugleich auch der Zwang, die 
Physostigminwirkung als directe Muskelwirkung zu deuten, weg. Auf¬ 
fallend bleibt indes, dass sowohl Pal wie Rothbcrger betonen, das 
Physostigmin sei ein directer Antagonist des Curares, aber nicht des 
Atropins, während Witkowski und ich und viele anderen Beobachter 
eher das Umgekehrte beobachteten. Da ist unzweifelhaft noch ein ge¬ 
wisser Widerspruch im Thatsächlichen vorhanden und das* bringt mich 
immer wieder auf Zweifel an der vollen Identität der Präparate, mag 
aber vielleicht auch an gewissen Verschiedenheiten der Versuchs¬ 
bedingungen liegen. 

Wie dem aber auch sein mag, so viel scheint doch zweifellos fest¬ 
gestellt zu sein, dass das Physostigmin bei bestimmten Combinationen 
dem den gleichen Nervenapparat lähmenden Gifte gegenüber Sieger 
bleibt. Damit gewinnt die Physostigminwirkung überhaupt ein be¬ 
sonderes Interesse, Man kann vielleicht nicht sagen, dass es in diesem 
seinem Verhalten einzig dasteht, aber der Fall ist doch ein verhältniss- 
mässig seltener, und andere den Nervenapparat erregende Gifte, wie 
Muskarin etc., vermögen es eben nicht. Warum verhält sich gerade das 
Physostigmin so? Hier wäre in der That die Beantwortung der Frage 
nach dem Warum? von grösster Bedeutung. 

Mit der thatsächlichen Anerkennung eines solchen Verhaltens des 
Physostigmins fällt aber auch der Zwang zur Annahme einer directen 
Muskelwirkung weg und fällt auch die früher allgemein acceptirte prin¬ 
cipielle Auffassung, von der ich bei meinen Darlegungen ausgegangen 
bin. Berücksichtigt man das antagonistische Verhalten im Einzelnen, so 
gewinnt man in der That den Eindruck, als ob das erregende und 
das lähmende Gift sich um den Nervenapparat, auf den sie einwirken, 


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lieber die Wirkungen des Physostigmins auf muskuläre Organe. 


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stritten, und dass es abgesehen von den Dosirungsverhältnisscn auch 
von sonstigen Umständen abhängt, wer zeitweilig Sieger bleibt. Roth- 
bcrger beobachtete, dass der durch Curare inactiv gemachte Muskel 
durch Physostigmin wieder zur Function gebracht wird, am leichtesten 
das Zwerchfell, aber auch alle sonstigen willkürlichen Muskeln, die dann 
durch erneute Curarisirung wieder inactiv werden. Das zuletzt zu¬ 
geführte Gift erringt also einen gewissen Vorrang, durchaus analog dem, 
was ich in Betreff des Verhältnisses: Physostigmin zu Atropin an der 
Iris beobachtet habe. Giebt man das erregende und lähmende Mittel 
zugleich gemengt, so überwiegt erheblich das letztere. Die beiden Gifte 
wirken aber auf einander — im Reagenzglase — chemisch gar nicht 
ein und es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie in dem lebenden Organe 
direct auf einander einwirken. Man kann nur annchmen, dass das 
zuletzt zugeführte das erste verdrängt, und war das erste das lähmende, 
so kann eben die verloren gegangene Function wieder restituirt werden. 

So hat uns die ungemein interessante Wirkung des Physostigmins 
auf muskuläre Organe werthvolle Aufschlüsse gegeben und eine nicht 
uncrheblicho Modificirung einer principiell-pharmakologischen Auffassung 
veranlasst. Immerhin muss man zugeben, dass der Beweis, dass das 
Physostigmin nicht auch auf muskuläre Elemente selbst ein wirkt, bisher 
noch nicht strict hat geführt werden können: ich vermag denselben auch 
nicht mit Sicherheit aus den Versuchen von Rothberger zu entnehmen, 
obschon er selbst den Schluss zieht, dass Curare und Physostigmin auf 
den nämlichen Angriffspunkt einwirken, was dann natürlich nur der 
motorische Nervenendapparat sein könnte. 


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.Schumacher in Berlin N. 24. 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

EXPERIMENTELLE PATHOLOGIE 

UND 

THERAPIE 


IIERAUSGEGEBEN 

VON 

L. BRIEQER (BERLIN), H. E. HERING (PRAG), 
F. KRAUS (BERLIN), R. PALTAUF (WIEN). 


FÜNFTER BAND. ZWEITES HEFT. 

MIT 4 FIGUREN UND 33 CURVEN IM TEXT. 


BERLIN 1908. 

VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD. 

NW. UNTER DEN LINDEN 68. 


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Inhalt. 

Seite 


XVIIl Aus der I. medicini.schen Universitätsklinik in Wien Zur Aetiologic 

und Pathogenese der Tetanie. Von Dr Carl Ru dinge r . . . . 205 

XIX. Aus der II. medicin. Klinik der Universität Berlin. Zur Stoffwcchsel- 
pathologie der Gicht. VII. Mittheilung. Das Verhalten verfütterter 
Purinbasen bei der Gicht. Von Theodor Brugsch und Alfred 

Schittenhelm (Mit 1 Curve im Text.) . .215 

XX. Untersuchungen über die Blutgerinnung in Krankheiten. Von Prof. 

Dr. Th. Pfeiffer (Graz).227 

XXL Aus der II. medicin. Universitätsklinik in Berlin. Schilddrüse und 

Glykosurie. Von Dr Itahel Hirsch.233 

XXII. Aus der medicinischen Klinik der Universität Marburg a L. Zur 
Pharmakologie der Kreislaufscoordination. Von V. Sonnen kalb. 

(Curven in Diagrammformat am Ende der Arbeit).241 

XXIII. Aus der experimentell-biolog. Abtheil, des patholog. Instituts Berlin. 
Ergotina styptica und Herzarbeit. Nach Versuchen am überlebenden 
Warmblüterherzen. Von G Zuelzer. (Mit 3 Figuren und 21 Curven 

im Text.).295 

XXIV. Ueber Versuche einer specitischen Fermenttherapie des Diabetes. Vor¬ 
läufige Mittheilung. Von G. Zuelzer. 307 

XXV. Aus der II. medicin. Klinik Berlin. Abkühlung als Krankheitsursache. 

Von Dr. Wolfgang Siegel, Arzt in Bad Reichenhall.319 

XXVI. Aus der experimentell-biologischen Abtheilung des Pathologischen 
Instituts der kgl. Universität Berlin. Untersuchungen über Pankreas¬ 
diabetes, besonders über das Blut der Vena pancreatico-duodenalis. 

Von Dr. Alfred Alexander und Dr. Rudolf Ehrmann. . . . 367 

XXVII. Aus dem pharmakolog. Institut der deutschen Universität in Prag. 

Ueber Inositurie und die physiologische Bedeutung des lnosits. Von 

cand. med. EmilStarkenstcin.378 

XXVIII. Aus dem Laboratorium der Erlanger medicinischen Klinik. Ueber 
den zeitlichen Ablauf der Uricolyse. Von Werner Künzel und 

Alfred Schittenhelm.389 

XXIX. Aus dem Laboratorium der Erlanger medicinischen Klinik. Gegen¬ 
seitige Beeinflussung der Fermente des Nucleinstoffwechsels. Von 
Werner Künzel und Alfred Schittenhelm.393 

XXX. Aus der II. medicin. Klinik der Universität Berlin. Ueber die Ab¬ 
sorption der Harnsäure durch Knorpel. Von Theodor Brugsch 

und Julius Citron. 400 

XXXI. Aus der II. medicin. Klinik Berlin. Zur Frage des Harnsäureinfarctes 

der Neugeborenen. Von Theodor Brugsch und Alfred Schitten¬ 
helm .405 

XXXII. Aus der inneren Abtheilung des Gemeindekrankenhauses in Pankow. 

Zur Physiologie und Pathologie der Athmung. Von M. Bönniger. 

(Mit 1 Abbildung und 2 Curven im Text.).409 

XXXIII. Bemerkungen zu H. Kionka’s neuesten Beiträgen zur Kenntniss der 
Gicht. (Diese Zeitschrift. 1908. Bd. V. II. I. S. 131—146.) Von 
Theodor Brugsch und Alfred Schittenhelm.426 


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XVIII. 


Aus der I. mediclnischen Universitätsklinik in Wien. 

Zur Aetiologie und Pathogenese der Tetanie 1 ). 

Von 

Dr. Carl Rudinger« 

v. Frankl-Hochwart nimmt auch in der letzten Auflage seiner 
Monographie „Die Tetanie der Erwachsenen“ die Art des Vorkommens 
dieses Prozesses zur Grundlage einer Einteilung, die das klinisch ein¬ 
heitliche Krankheitsbild in 7 Typen auflöst 2 ). Die Voraussetzung, dass 
dieses Eintheilungsprinzip der ätiologischen Forschung dienen könnte, hat 
sich bis heute nicht erfüllt; dagegen erscheint mir die Bemerkung statt¬ 
haft, dass die Ueberschätzung des Grundleidens bei einzelnen Formen 
wenigstens zur Negation der Selbstständigkeit der Tetanie geführt hat, 
ohne dass die Erklärungsversuche diesem Vorgänge eine genügende Stütze 
hätten geben können. 

Besonders betont erscheinen diese Verhältnisse bei der sogenannten 
Tetania gastrica. Eine ganze Anzahl von Hypothesen soll die Abhängig¬ 
keit des Krampfes von dem Magen- resp. Darmleiden beweisen. Aber 
wie widersprechend alle diese Hypothesen sind, und namentlich wie wenig 
befriedigende Aufklärung sie insgesaramt geben können, haben Jonas 
und ich in einer kritischen Besprechung der Tetanietheorien dieser 
Art gezeigt und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass man bei Be¬ 
rücksichtigung der später zu besprechenden Momente direkt gezwungen 
ist, die Tetanie als einen selbstständigen Process anzusprechen. 

Und wie bei der Magendilatationstetanie begnügte man sich bei den 

1) Nach einem Vortrage in der Wiener Gesellschaft für innere Medicin am 
7. November 1907. 

2) I. Die Tetanie bei sonst gesunden Individuen (idiopathische Tetanie). 

II. Die Tetanie bei Magen; und Darmaffectionen. 

III. Die Tetanie bei acuten Infectionskrankheiten. 

IV. Die seltenen Formen der Tetanien nach Vergiftungen mit eingeführten 
Substanzen. 

V. Die Tetanie der Maternität. 

VI. Die Tetanie naoh Kropf-(Epithelkörperchen) Exstirpation und die bei 
Schilddrüsenmangel (?). 

VII. Die Tetanie im Zusammenhänge mit anderen Nervenkrankheiten. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. IM. | i 


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C. Rud i nger, 


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übrigen Formen mit dem post hoc ergo propter hoc, um zu einer 
Aetiologie zu gelangen. Dieser Schluss ist aber nur für die nach Kropf¬ 
exstirpation auftretende Tetanie berechtigt. Von Nathan Weiss zuerst 
in Verbindung gebracht mit dem operativen Eingriff, wurde ihre Ab¬ 
hängigkeit von den Epithelkörperchen erst in den letzten Jahren er¬ 
wiesen. Diese Beziehungen sind so sichergestellt, dass es mir über¬ 
flüssig erscheint, auf die Bedeutung noch näher einzugehen, die man vor 
dieser Erkenntniss der Schilddrüse für das Zustandekommen der Tetanie 
beigelegt hat. 

Im Thierexperiment haben seit Vassale und Generali viele Unter¬ 
sucher Tetanie im Anschlüsse an die isolirte Exstirpation der Epithel¬ 
körperchen auftreten gesehen. Eine vollständige Parathyreoidektomic 
lässt mit absoluter Sicherheit in jedem einzelnen Falle tetanische Krämpfe 
erwarten, die, wie die Erfahrung lehrt, wenigstens bei einzelnen Thier¬ 
arten einen tödtlichen Ausgang nehmen. Nicht so constant ist der Aus¬ 
fall der partiellen Parathvreoidektomie; doch auch hier treten gelegentlich 
ohne greifbare äussere Ursache vorübergehend tetanische Anfälle auf. 

Ueber die Art des Zusammenhanges zwischen Epithelkörperchen und 
Tetanie ist heute folgende, schon von Vassale inaugurirte Vorstellung 
wohl die gangbare: 

Die Epithelkörperchen sind entgiftende Organe. Ihre hauptsächliche 
Funktion besteht darin, gewisse, vornehmlich das Nervensystem schädigende 
Gifte zu neutralisircn. Der tetanische Krampf ist also das Resultat 
zweier Factoren: der Functionsschädigung der Epithelkörperchen und 
eines bekannten oder supponirten Giftes. Der erste Faktor allein genügt 
für das Zustandekommen des tetanischen Anfalles nicht, er setzt aber 
die Disposition und verräth sich durch die Zeichen, die das Bild der 
latenten Tetanie ausmachen. Der zweite Faktor — das Gift jeder Art — 
löst den tetanischen Anfall aus. 1 ) 

Die Regelmässigkeit tetanischer Anfälle aber bei graviden partiell 
parathyreoidektomirten Thicren legt den Gedanken nahe, auch diese Form 
der Tetanie mit dem Epithelkörpcrchcnverlust in Zusammenhang zu 
bringen. Der Einwand, dass der Schluss von dem Einflüsse der Gravidität 
auf das Zustandekommen der tetanischen Krämpfe nicht zwingend ist, 
da dieselben ja auch sonst scheinbar spontan auftreten, wird durch eine 
Beobachtung Erdheim’s widerlegt. Eine Ratte, die partiell parathv- 
reoidektomirt wurde, blieb bis zum Eintritt der Gravidität gesund. In 
diesem Zustande acquirirtc das Thier tetanische Krämpfe, die mit dem 
Abschluss der Gravidität durch Abortus prompt schwinden. Beobachtungen, 
die Adler und Thaler unter gleichen Verhältnissen an einer grösseren 
Anzahl von Thieren angestellt haben, stützen durch den vollständig 
übereinstimmenden Ausfall den Befund Erdheim’s. Wenn ferner eine 
Hündin, der Vassale drei Epithelkörperchen entfernt hat, während der 
ganzen Dauer der Laktation tetanische Anfälle hatte, die mit der Unter¬ 
brechung des Sauggeschäftes plötzlich schwanden, so wird man nur 

1) Bei der spontanen Tetanie nach partieller Epithelkörperexstirpation bleibt 
das auslösende Moment in der Kegel unbekannt. 


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Zur Aetiologie und Pathogenese der Tetanie. 


207 


schwer den Einfluss der Laktation auf das Zustandekommen der Krämpfe 
bei einem disponirten Thiere negircn können. 

So hat also das’ Experiment für zwei Formen der Tetanie die 
ätiologische Basis geschaffen. Einen vollständig übereinstimmenden Ver¬ 
gleich mit diesen Verhältnissen lässt die menschliche Tetanie nur in 
einer Form zu. — Es ist dies die unbewusste oder ungewollte Mit¬ 
entfernung von Epithelkörperchen bei der Schilddrüsenopcration. Es 
genügt wohl, dass ich auf die überzeugenden Ausführungen von Pineies 
verweise, die die leichte Möglichkeit und grosse Wahrscheinlichkeit einer 
Mitentfernung von Epithelkörperchen in allen jenen Fällen betonen, bei 
denen sich nach Strumaoperationen Tetanie einstellte, und deren Folge¬ 
richtigkeit in den Ergebnissen der genauen anatomisch-histologischen 
Untersuchungen Erdheim’s eine ausgiebige Bestätigung findet. 

Stellt das Experiment und der chirurgische Eingriff eine Volums¬ 
verminderung des funktionsfähigen Epithelkörpergcwebes durch Ent¬ 
fernung ganzer Epithelkörperchen dar, so finden wir dasselbe Resultat in 
einem, wenn der Ausdruck gestattet ist, zarter ausgeführten natürlichen 
Experiment bei der Kindertetanie. 

Erdheim fand bei Kindern, die zu Lebzeiten Tetanie aufgewiesen 
hatten, Blutungen oder Reste derselben, Blutpigment, im Parenchym der 
Epithelkörperchen. Für die Deutung dieses Befundes ist gewiss ent¬ 
scheidend, dass Erdheim mit der theoretisch fundirten Erwartung 
Veränderungen dieser Organe zu finden, an die Untersuchung der Drüsen 
ging. Wer aber sonst noch an ihren Beziehungen zu der Kindertetanie 
zweifeln wollte, wird den Untersuchungen Yanasc’s, die eine folge¬ 
richtige Ausnützung der Erfahrungen Erdheim’s darstcilen, überzeugende 
Beweiskraft nicht absprechen können. 

Yanasc prüfte intra vitam die elektrische Erregbarkeit bei einer 
grossen Zahl von Kindern ohne Rücksicht auf das Krankheitsbild und 
verglich die Befunde in den verfügbaren Fällen mit den Ergebnissen der 
histologischen Untersuchung der Epithelkörperchen. Er kam zu der 
fast nicht mehr überraschenden Thatsache, dass der normalen elektrischen 
Erregbarkeit eine normale Beschaffenheit der Epithelkörperchen entsprach. 
Dagegen hatten alle Kinder unter einem Jahre, die eine elektrische 
Uebcrerregbarkeit der Nerven aufgewiesen hatten, Blutungen in das 
Parenchym der Epithelkörperchen, Blutungen, deren Ausdehnung parallel 
ging dem Grade der elektrischen Uebererregbarkeit. Jenseits des ersten 
Lebensjahres fänden sich Reste von Blutungen, in einzelnen Fällen war 
der Befund ein normaler. Es sei schon hier hervorgehoben, dass zwischen 
hochgradiger Veränderung und histologisch normaler Beschaffenheit der 
Epithelkörperchen die Quantität des Blutpigmentes einen ganz allmählichen 
Uebergang erkennen lässt. Da nun nach den Erfahrungen Erdheim’s 
und Yanase’s die Blutung — sie erfolgt nach der Anschauung der beiden 
Autoren in der ersten Zeit des extrauterinen Lebens — während des 
ersten Lebensjahres zur Resorption gelangt, so ist damit die Annahme 
gerechtfertigt, dass die histologisch unverändert gefundenen Epithel¬ 
körperchen vorher durch Blutungen geschädigt sein könnten. Dass aber 
auch im späteren Kindesalter solche Veränderungen Vorkommen, 

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C. Rudinger, 


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demonstriren zwei Fälle Yanase’s, ein 2 1 / 2 .iähriges und ein 12 Jahre 
altes Kind, die unter Convulsionen tetanischen Charakters ad finem ge¬ 
kommen waren. In beiden Fällen war ßlutpigraent in den Epithel¬ 
körperchen nachweisbar. 

Eine besondere Bedeutung gibt den Befunden Yanase’s die Be¬ 
rücksichtigung des Umstandes, dass eine grosse Zahl der untersuchten 
Kinder nur die Zeichen latenter Tetanie bot. Der Nachweis derselben 
ist meist ein zufälliger. Die Zeichen der latenten Tetanie müssen direkt 
gesucht werden, sonst entgehen sie der Beobachtung. So sind also 
Befunde von Veränderungen der Epithelkörperchen, die, wie es in den 
Publikationen in der Regel heisst, ohne Zeichen der Tetanie — i. e. im 
gewöhnlichen Sprachgebrauch ohne Krämpfe — einhergingen, keineswegs 
als Gegenbeweis für die den Epithelkörperchen supponirte funktionelle 
Bedeutung zu verwerthen. Solange man nicht in jedem einzelnen Falle 
sein Augenmerk auf die latente Tetanie richtet, solange darf man aus 
dem zufälligen Befunde an den Epithelkörperchen keinen Zweifel an den 
Beziehungen dieser Organe zur Tetanie construiren. 

In den letzten Jahren häufen sich die Berichte über Befunde von 
Tuberkulose der Epithelkörperchen (Benjamins, Schmorl, König¬ 
stein, Pepere, Carnot und Delion, Stumme). Die letzten zwei 
Autoren berichten über Tetaniesymptome, die bei den Kranken nach¬ 
gewiesen werden konnten. Im Falle Stumme’s bestand das Chvostek’sche 
Phänomen. Dieser Fall bietet ein besonderes Interesse, weil er eine 
Basedowkranke betraf, die einer Strumektomie unterzogen wurde. Das 
Facialisphänomen war vor der Operation s N chon nachweisbar und über¬ 
dauerte dieselbe, während die Basedowsymptome bei der 5 Monate 
später angestellten Untersuchung eine wesentliche Besserung des Zu¬ 
standes verriethen. Bei der Untersuchung der entfernten Strumapartie 
wurde ein makroskopisch scheinbar normales Epithelkörperchen gefunden, 
das mikroskopisch im Centrum einen käsigen Herd erkennen liess. Bei 
dieser Gelegenheit möchte ich auf die Häufigkeit des Chvostek’schen 
Phänomens bei Phthisikern hinweisen. v. Frankl-Hochwart hob diese 
Coincidenz als erster hervor; Schlesinger fand es bei 133 Tuberkulösen 
64 mal und hält es geradezu für ein Frühsymptom der Lungen¬ 
tuberkulose. Ich glaube aber, dass man mit Rücksicht auf den eben 
geschilderten Befund dieses Zeichen doch der Tetanie wird zurechnen 
müssen, wie es in letzter Zeit mit starker Betonung Chvostek unter 
Anlehnung an diesen Fall thut. 

Die Patientin von Carnot und Delion wies in den letzten Tagen 
typische tetanische Krämpfe auf. Die histologische Untersuchung der 
Epithelkörperchen ergab tuberkulöse Veränderungen derselben. 

Der wichtigste Schluss, den man aber aus dem Zusammentreffen 
von latenter oder manifester Tetanie und Tuberkulose der Epithel¬ 
körperchen ziehen darf, ist der, dass die Ergebnisse der experimentellen 
Tetanieforschung ohne jede Einschränkung für die Deutung der mensch¬ 
lichen Tetanie herangezogen werden dürfen. Alle Arten der Epithel¬ 
körperchenschädigung — operative Entfernung, Blutung und Tuberkulose — 
bedeuten eines: eine Verminderung des funktionsfähigen Parenchyms. 


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Zur Aetiologie und Pathogenese der Tetanie. 


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Es liegen hier offenbar die Verhältnisse viel klarer und einfacher, als 
z. B. bei den Schilddrüsenprocessen. Nichts lässt sich gegen den Ge¬ 
danken einwenden, dass die Tetanie oder wenigstens die Disposition zu 
derselben eine Folge quantitativer Veränderungen der Epithelkörperchen 
ist, ein Effekt, der sich im Experiment sehr leicht erreichen lässt. 

Unter dieser Beleuchtung gewinnen die Versuche von Erd heim, 
Thaler und Adler wesentlich an Bedeutung. Sie beweisen, dass die 
Gravidität eines der vielen Momente darstellt, die den tetanischen Krampf 
auslösen können. Ganz analoge Fälle finden sich aber auch in der 
menschlichen Pathologie. Frauen, die nach Strumcktomie eine passagere 
Tetanie acquirirt haben oder tetaniefrei geblieben sind, weisen in der 
Gravidität eine Exacerbation oder erstmaliges Auftreten der tetanischen 
Krämpfe auf. Lässt sich die Thatsache auch nicht verschleiern, dass 
es sich um parathyreoprive Formen handelt, so ist doch die Frage ge¬ 
stattet, ob man aus der Unmöglichkeit in vivo eine organische Ver¬ 
änderung der Epithelkörperchen nachzuweisen das Recht beziehen darf 
zu der Annahme, dass dieselben normal sind. Ich glaube, die bis¬ 
herigen histologischen Befunde sprechen eher für das Gegentheil, und cs 
erscheint mir nicht gewagt, den einzigen Unterschied zwischen der 
spontanen und der postoperativen Graviditätstetanie darin zu suchen, 
dass bei der letzten Form die Ursache der Disposition bekannt ist, 
während bei der ersteren diese selbst nur supponirt wird. 

So bleiben denn drei Formen der v. Frankl-Hochwart’schen 
Tetanieeintheilung übrig, bei denen der Nachweis der Beziehungen zwischen 
Epithelkörperchen und Tetanie bisher weder durch histologische noch 
durch experimentelle Befunde erbracht werden konnte: die epidemisch- 
endemische Tetanie der Handwerker, die Tetanie bei Magen- und Darm¬ 
affektionen und die Tetanie nach Vergiftung mit eingeführten Substanzen. 

Bezüglich der letzten Form bringen, glaube ich, die Versuche, die 
ich mit weil. Dr. Arthur Berger im Jahre 1905 begonnen und in 
diesem Jahre zu Ende geführt habe, einige Aufklärung. Ich will die 
Resultate nur kurz skizziren, um nicht durch allzulange Ausdehnung der 
Details den Zusammenhang zu stören. 

Dem Versuchsplan lag folgender Gedankengang zu Grunde: Wenn 
es wahr ist, dass alle Tetanieformen einen pathogenetisch einheitlichen 
Process darstellen, dann muss es gelingen bei Thieren, die zu Tetanie 
disponiren, durch alle bisher als ätiologischen Faktoren angesprochenen 
bekannten Gifte einen Tetanieanfall auszulösen, dagegen muss bei Thieren 
ohne tetanische Disposition das in gleicher Weise eingeführte Gilt die 
oben erwartete Wirkung vermissen lassen. 

Als Versuchsmaterial verwendeten wir Katzen. In leichter Narkose 
wurde die elektrische Erregbarkeit geprüft, darauf in mehrtägigen Inter¬ 
vallen den Thieren folgende Gifte einverleibt: Calomel per os, Morphium, 
Atropin, Tuberculin und Ergotin subcutan und Aether durch Inhalation. 
Die Thiere Hessen keine Störung des Befindens erkennen, die elektrische 
Erregbarkeit blieb unverändert, Trousseau negativ. Nach Exstirpation 
der beiden äusseren Epithelkörperchen wurden die Thiere einer litägigen 
Beobachtung unterzogen. Anfangs verwendeten wir nur jene Katzen 


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210 C. Rudinger, 

zu weiteren Versuchen, die kein Zeichen spontaner manifester Tetanie 
boten. Später verwendete ich auch Thierc, die im Anschluss an die 
Operation eine passagere Tetanie acquirirt hatten, da die Wirkung des 
eingeführten Giftes eine eng umschriebene war, und die eventuell auf¬ 
tretenden Krämpfe bei ihrer zeitlichen Begrenzung nur darauf zurück¬ 
geführt werden konnten, ln der Regel wurden die Katzen erst nach 
14 Tagen einer Prüfung der elektrischen Erregbarkeit unterzogen, die 
nur in leichter Narkose mit der nothwendigen Ruhe durchgeführt werden 
konnte. Die Untersuchung wurde am Ulnaris angestellt und hatte als 
Resultat ausnahmslos eine elektrische Ucberregbarkeit hohen Grades. 
Zum Zwecke des Nachweises, in welchem Zeitpunkt sich dieselbe ein¬ 
stellt, wurde bei einzelnen Thieren die Beobachtungsfrist verkürzt, und 
so konnte ich schon am Ende der ersten 24 Stunden das Phänomen der 
elektrischen Uebererregbarkeit constatiren. Normalerweise reagirte der 
Ulnaris auf K. S. bei 1,2 M. A., auf A. S. bei 2,5—3 M. A. mit minimaler 
Zuckung. Nach der Operation war bei 0,3 K. S. und 0,7—1,0 A. S. 
eine deutliche Zuckung nachweisbar. Spontane manifeste Krämpfe 
wurden in der Zwischenzeit bei der Mehrzahl der Thiere nicht gesehen. 
Nach Einverleibung der oben cingeführten Gifte zeigten die Thierc schon 
in den ersten 10 Minuten bis 2 Stunden die ersten Zeichen der Tetanie, 
die im Verlaufe der nächsten Stunden ihren Höhepunkt erreichte und 
dann allmählich abklang. Am nächsten Tage war höchstens vereinzeltes 
Pfötchenschütteln zu sehen. Der Grad der manifesten Tetanie war bei 
den verschiedenen Thieren ein verschiedener. Einen epileptiformen Anfall 
habe ich mit absoluter Sicherheit eigentlich nicht gesehen. Ein einziges 
Thier stürzte beim Erwachen aus einer sehr tiefen, lange dauernden 
Narkose, in deren Verlaufe das Thier mehrmals asphyktisch geworden 
war, nach einigen unsicheren Schritten plötzlich zusammen, wies klonisch¬ 
tonische Zuckungen auf, reagirte nicht auf Schieben und Stossen. Die 
Pupillen waren stark dilatirt. Der Anfall dauerte fast 3 / 4 Minuten. 
So ähnlich der Anfall einem epileptischen auch war, so möchte ich ihn 
doch nicht damit identificiren, da mir die Nähe der Narkose an der 
Bewusstlosigkeit wenigstens mitschuldig zu sein scheint. Sonst sah ich 
als schwersten Grad des tctanischen Krampfes das Auftreten am Fuss- 
rücken recht häufig. 

Diarrhoen nach Milchgenuss oder Einführung von Phenolphthalein 
blieben ohne jeden Einfluss; desgleichen traten nach Injektion von 15 bis 
20 ccm Serum oder nativen Blutes tetaniekranker Arbeiter Krämpfe 
nicht auf. Es entsprach dies unseren Erwartungen; denn erstens glaubten 
wir doch die Menge des cinzuführenden Blutes beschränken zu müssen 
und begaben uns damit der Möglichkeit, eine genügende Toxindosis dem 
thierischen Organismus cinzuvcrleibcn, und zweitens dürfte* die in einem 
Zeitpunkte in der Blutbahn circulierende Toxinmenge an und für sich 
keine zu bedeutende sein; es scheint sich um einen Nachschub von 
Toxinen aus irgend einer Quelle zu handeln, sonst wäre der inter- 
mittirendc Charakter der Krämpfe schwer zu verstehen. 

Die Resultate dieser Versuche kurz zusammengefasst ergeben also: 
Bei Thieren mit tetaniseher Disposition, jedoch ohne manifeste Krämpfe, 


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Zar Aetiologie und Pathogenese der Tetanie. 


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gelingt es durch Einverleibung verschiedener Gifte einen tetanischen 
Krampfanfall auszulösen. Dieses Ergebnis deckt sich vollständig mit den 
Voraussetzungen, mit denen wir an die Versuche gegangen waren. Das 
Experiment hat also die Zugehörigkeit einer neuen Tetaniegruppe — 
die seltenen Tetanien durch Vergiftung mit eingeführten Substanzen — 
zur Tetanie aus Insufficienz der Epithelkörperchen erwiesen, und ich 
stehe nicht an, diese Erfahrung auf die menschliche Tetanie zu über¬ 
tragen. 

So zieht sich immer enger der Kreis um jene Gruppen von Tetanie, 
hei denen der direkte Nachweis zwischen Beziehungen der Epithel¬ 
körperchen zur Tetanie noch nicht erbracht ist. Die ätiologische 
Forschung hat bisher aber soviel Positives gebracht, dass cs mir heute 
ein viel geringeres Wagnis erscheint zu wiederholen, was Pineies vor 
einigen Jahren mit grosser Schärfe vorgebracht hat, ohne jedoch trotz 
der guten theoretischen Fundirung die allgemeine Zustimmung erlangt zu 
haben. Heute erscheint die Wahrheit seiner These durch die experi¬ 
mentellen und anatomischen Befunde sehr gestützt, die lautet: Die ver¬ 
schiedenen Tetanieformen stellen pathogenetisch einen einheitlichen Prozess 
dar, dem eine Insufficienz der Epithelkörperchen zu Grunde liegt. Die 
Ursache derselben, also die Aetiologie im engen Sinne, kann eine ver¬ 
schiedene sein, für die Pathogenese des Processes ist das ganz irrelevant. 
Diesen theoretischen Ausführungen geben die histologischen und experi¬ 
mentellen Ergebnisse die thatsächliche Grundlage. 

Für die Zugehörigkeit der epidemisch-endemischen Arbeitertetanie 
und der gastrischen Tetanie zu der Tetanie aus Insufficienz der 
Epithelkörperchen spricht, wie dies Jeandelize schon ausführt, die 
vollständige Uebereinstimmung des Symptomencomplexes, der das Krank¬ 
heitsbild begrenzt; ferner spricht dafür der Einiluss der Oertlich- 
keit und der Jahreszeit. Das sind zwei Momente, die allen Tetanie¬ 
gruppen gemein sind, und die sogar sehr deutlich selbst bei den Fällen 
nach Kropfexstirpation hervortreten, bei denen man von vornherein eine 
Abhängigkeit von Zeit und Ort am wenigsten erwarten würde. 

Bezüglich der Magendilatationstetanie liegen negative histologische 
Befunde seitens Erd heim vor, der auch die Veränderungen, welche 
Mac Callum bei einem Falle von Magentetanie an den Epithelkörperchen 
fand, als nicht ausreichend erklärte, um daraus eine Insufficienz der 
Epithelkörperchen zu deduciren. Erd he im glaubt den Widerspruch so 
aufklären zu können, dass er annimmt, es bestehe in diesen Fällen nur 
eine relative Insufficienz der Epithelkörperchen. Ihre Function sei für 
normale Verhältnisse ausreichend, werde aber bei der plötzlichen Ueber- 
schwemmung des Organismus mit Darmgiften unzureichend. Ich glaube, 
dass man zu dieser Concession gar nicht gezwungen ist, denn erstens 
erscheint es, wie Escherich sagt, unzulässig, den hypothetischen Darm¬ 
giften neben so vielen anderen auch noch diese eigenartige, scharf 
charakterisirle Wirkung zuzuschreiben, andererseits wäre die Seltenheit 
der Tetanie bei Magen- und Darmerkrankungen nicht zu verstehen und 
besonders, warum Ort und Zeit auch bei dieser Form der Tetanie eine 
so bestimmende Rollo spielt. 


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C. Rudinger, 


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Von 33 Kranken — diese Statistik ist der Monographie von 
v. Frankl-Hoch wart entnommen — entfielen auf die tetaniereichen 
Monate November bis April 82 pCt., auf die Sommermonate (April bis 
Oktober) 18 pCt. v. Frankl-Hoch wart hebt diese in ihrer Bedeutung 
vielfach unterschätzte Thatsache hervor. Jonas und ich haben in An¬ 
lehnung an diese Forschungsrichtung das Material gesichtet und auf 
den auffälligen Umstand hingewiesen, dass es Fälle von recidivirender 
Magentetanie gibt, die mit Ueberspringung der tetaniearmen Sommer¬ 
monate im Frühjahr und Spätherbst Krampfanfälle zeigen. „Es wäre“ — 
sagt v. Frankl-Hoch wart — „ja doch nicht unmöglich, dass auch 
der Ausbruch dieser Formen von einem uns unbekannten Agens abhängt?“ 

Die Annahme einer specifischen Disposition passt sich viel besser 
dem Charakter des Processes an, als die Annahme, dass die Ursache 
in der Wirkung nicht fassbarer Darmgifte zu suchen sei, deren Pro¬ 
duction ja doch nur von der chronischen Darmveränderung abhängt und 
nicht von der Jahreszeit. Für die negativen Befunde Erdheim’s an den 
Epithelkörperchen will ich bei der Besprechung der letzten Form der 
Tetanie — der epidemisch-endemischen der Handwerker — eine Er¬ 
klärung zu geben versuchen. 

Auch bei der Arbeitertetanie ist eine strenge Scheidung zwischen 
Disposition und auslösenden Factoren einzuhalten. Einen günstigen Aus¬ 
gangspunkt für die Beurtheilung dieser Momente scheinen mir jene Fälle 
zu bieten, bei denen es zu einer Concurrenz verschiedener auslösender 
Processe kommt. Fälle dieser Art sind nicht zu selten, als Paradigma 
sei eine Beobachtung Chvostek’s hier kurz angeführt. Im Jänner 
acquirirt eine Dienstmagd im Anschluss an einen fieberhaften Magen- 
process eine typische Tetanie. Nach Abklingen der Erscheinungen treten 
3 Wochen später intermenstruell abermals Krämpfe auf, die einen Tag 
anhalten. Eine 10 Tage später applicirte Tuberculininjection löst auf 
der Höhe der Temperatursteigerung einen neuerlichen Anfall aus. Nach 
einem krampffreien Intervall von einigen Tagen erkrankt die Patientin 
an einer Angina, die 4 Tage dauert und in deren Verlaufe gehäufte An¬ 
fälle zur Beobachtung kommen. Dann schliessen sich an die Menstruation 
14 Tage später neuerliche Krämpfe an. 

Die Vielseitigkeit der auslösenden Factoren ist an diesem Falle 
gerade zur Genüge demonstrirt. Jeder einzelne Krampfanfall reiht den 
Fall in eine andere Tetaniegruppc ein. Sollte da nicht der Gedanke 
gerechtfertigt sein, dass es sich nur um eine Coincidenz verschiedener 
Noxen handelte, die eine bestehende tetanische Disposition manifest 
werden Hessen. Ohne Annahme einer einheitlichen Disposition zur 
Tetanie ist der Fall nicht verständlich. Die Disposition wäre, wenn ein 
Analogieschluss hier gestattet ist, der auf anderen Gebieten medicinischcr 
Forschung durchaus nicht so verpönt ist, in einer Insufficicnz der Epithel¬ 
körperchen zu suchen. Dunkel bleibt allerdings bei der Unmöglichkeit 
einer directen Inspection dieser Organe in vivo die Ursache der Functions¬ 
schädigung. Unberechtigt erscheint mir die Annahme einer Insufficicnz 
der Epithelkörperchen aber durchaus nicht. Es liegen hierfür ziemlich 


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Zur Aetiologie und Pathogenese der Tetanie. 


213 


zahlreiche stützende Befunde vor. Ira Falle von Carnot und Delion 
bestand intra vitam Tetanie, die histologische Untersuchung ergab 
Tuberculose der Epithelkörperchen. Bei den Fällen von Kindertetanie 
wurde zu Lebzeiten der Bestand von Veränderungen der Epithelkörperchen 
auch nur vermuthet; die Nekropsie gab dieser Vermuthung recht. Ist es 
da so ferne liegend, die Disposition zu tetanischen Krampten auch bei 
der Handwerkertetanie in einer Insufficienz der Epithelkörperchen zu 
suchen? Ihre Ursache wird intra vitam immer unbekannt bleiben. Die 
bisherige Erkenntniss gibt uns jedoch das Recht zu behaupten, dass die 
Ursache der Insufficienz eine vielseitige sein kann. Abgesehen von der 
Entfernung der Epithelkörperchen beim chirurgischen Eingriff dürfen wir 
die Tuberculose und die Blutung als Ursachen der Epithelkörperinsufficienz 
ansprechen. Vielleicht werden sich noch andere Processe finden, die 
zu einer Destruction der Epithelkörperchen führen, ohne deren Function 
zu übernehmen, und sicherlich wird es Fälle geben, bei denen die histo¬ 
logische Untersuchung resultatlos bleiben, d. h. eine Veränderung gar 
nicht nachweisbar sein wird. Zum Vcrständniss dieser Fälle tragen die 
Untersuchungen Yanase’s wesentlich bei. Sie beweisen, dass eine ein¬ 
mal gesetzte Organveränderung ihren schädigenden Einfluss auf die 
Function der Epithelkörperchen selbst dann noch nachwirken lässt, wenn 
eine sehr weit vorgeschrittene Restitution den ursprünglichen Defekt des 
Parenchyms fast vollständig verdeckt hat. Diese Erscheinung lässt die 
Vorstellung zu, dass es Noxen geben könnte, die ohne eine histologische 
Veränderung der Epithelkörperchen zu erzeugen, doch ihre Function an¬ 
greifen können. Aufgabe der weiteren ätiologischen Forschung könnte 
es sein, dieser Noxe nachzugehen, ihre Wirkung — das möchte ich aber 
doch aussprechen — wird bei allen Tetanieformen in einer Insufficienz 
der Epithelkörperchen ihren Ausdruck finden. 


Literatur. 

v. Frankl-Hoch wart, Die Tetanie der Erwachsenen. Alfred Holder. 1907. 
Rudinger u. Jonas, Ueber das Verhältniss der Tetanie zur Dilatatio ventriculi. 

Wiener kl. therap. Wochenschr. 1904. No. 1. 

Vassale u. Generali, Sugli effeti delfestirpazione delle ghiandole paratiroidee. 

Rev. d. pat. nerv, et ment. 1896. Vol. 1. Fase. 3 e 7. 

Nathan Weiss, Ueber Tetanie. Volkmann’s klin. Vortr. 1880. 

Erdheim, Tetania parathyreopriva. Mitth. aus d. Grenzgeb. d. Med. u. Cliir. 
XVI. 4 u. 5. 

Adler u. Thaler, Discussion zu Erdheim. Wiener klin. Wochenschr. 1906. S. 779. 
Pineies, Zur Pathogenese d. Tetanie. Dtsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 85. 1906. 
p. 491. 

Yanaso, Ueber Epithelkörperbefunde bei galvanischer Uebererregbarkeit der Kinder. 

Wiener klin. Wochenschr. 1907. No. 39. 

Benjamins, Ueber die Glandulae parathyreoideae. Ziegler’s Beiträge. Bd. 31. 
Schmorl, Münch, raed. Wochenschr. 1907. S. 494. 

Königstein, Wiener klin. .Wochenschr. 1906. S. 779. 


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Original fro-m 

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214 


C. Rudinger, Zur Aetiologie und Pathogenese der Tetanie. 


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Pepere, Le ghiandole paratiroidce. Turin. 1906. 

Carnot u. Delion, Parathyroidito tubcrculeuse. C. R. de la Soc. de Riol. LIX. 
Stumme, Ein Kall von Basedow mit Tuborculose einer Glandula parathyreoidea. 
Dtsch. Zeitschr. f. Chir. Bd. 90. 1907. 

Schlesinger, Heber einige Symptome der Tetanie. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 19. 
Chvostek, Beiträge zur Lehre von der Tetanie. Wiener klin. Wochenscb. 1907. 
No. 17 u. 21. 

Mac Call um, Tumor of the parathyroid gland. The Johns Hopkins Hosp. Bull. 
1905. No. 168. 

Escherich, Zur Kenntniss der teianischen Zustände des Kindesalters. Münch, med. 
Wochen sehr. 1907. 


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Original fru-m 

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XIX. 

Aus der II. medicin. Klinik der Universität Berlin. 

Zur Stoffwechselpathologie der Gicht. 

VII. Mittheilung 1 2 ). 

Das Verhalten verfütterter Purinbasen bei der Gicht. 

Von 

Theodor Brugsch und Alfred Schittenhelm. 

(Mit 1 t'wrvo iiu Text.) 


Wir hatten in früheren Versuchen gefunden, dass es sich bei der 
Gicht (d. h. der sogenannten „Stoffwechselgicht 142 ) um eine Anomalie des 
ganzen fermentativen Systems der Harnsäurebildung und Harnsäure¬ 
zerstörung, also des Nucleinstoflwechsels handelt. Diese Anomalie 
charakterisirt sich durch eine verlangsamte und verringerte Harnsäurc- 
bildung und durch eine verlangsamte Harnsäurezerstörung. Die Ver¬ 
langsamung des Purinstoffwechsels betrifft nicht nur den endogenen Factor 
der Harnsäurebildung bezw. -Zerstörung, sondern auch den exogenen. 

Wir haben in unserer Mittheilung VI unsere diesbezüglichen Er¬ 
gebnisse zusammengefasst und können auch dort auf deren Begründung 
verweisen. 

Unsere damaligen Versuche waren mit Verfütterung von Nuclein- 
säure angestellt, indessen schon damals hatten wir betont, dass bei der¬ 
artigen Versuchen eine Reihe fermentativer intermediärer Processe, die 
den stufenweisen Abbau der Nucleinsäure bis zur Harnsäure vermittelt, 
einzeln zu verfolgen ist. So muss die Nucleinsäure durch die Darm¬ 
wand resorbirt werden, dann in der Darmwand und vielleicht in anderen 
Organen durch ein Ferment (Nuclease) gespalten werden; die ammoniak¬ 
haltigen Basen (Guanin und Adenin) müssen weiter durch ein Ferment 
(Purindesamidase — Schittenhelm) desamidisirt und das gebildete 
Xanthin bezw. Hypoxanthin durch eine Xanthinoxydase in Harnsäure 
übergeführt werden; die Harnsäure wird schliesslich durch ein uriko- 
lvtisches Ferment wieder zerstört, wobei Harnstoff bezw. Ammoniak ent- 


1) Cf. hierzu Brugsch-Schittenhe 1 m, Diese Zeitschrift. 1907. Bd. 4 Mit¬ 
teilung 1 — VI, ferner diese Zeitschrift. Bd. 2. 

2) Centralbl. für StotTwechselpathologie. 1907. No. 22. 


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Original ftom 

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216 


Th. Brugsch und A. Sch ittenhelm, 


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steht, zum Theil unverändert ausgeschieden. Man hat also eine Summe 
von fermentativen Processen vor sich, die man im einzelnen nicht 
beurtheilen kann, wenn man sich auf die Verfolgung des exogenen Purin¬ 
stoffwechsels nach Verfütterung von Nueleinsäure beschränkt. 

Schon damals hoben wir hervor, dass wenn man aus dem sogenannten 
exogenen Harnsäurestoffwechsel auf den endogenen Hamsäurestoffwechsel 
Rückschlüsse ziehen will, dass man dann nicht nur versuchen müsste, 
Anhaltspunkte über die Harnsäureelimination zu gewinnen, sondern auch 
über die Harnsäurezerstörung und über die Grösse der Harnsäurebildung. 

Wir hoben hervor, dass die Grösse der Harnsäurebildung sich in 
detaillirter Weise dadurch zeigen liesse, dass man statt Nueleinsäure 
Xanthin, Hypoxanthin, weiter dann Adenin und Guanin einzeln ver¬ 
füttert, schliesslich auch methylirtc Purine und dass man die Menge der 
ausgeschiedenen Basen, der Harnsäure und des Harnstoffes bestimmt 

Dieser Aufgabe haben wir uns nachträglich unterzogen und wenn 
unsere Versuche auch noch nicht als abgeschlossen gelten können, vor 
allem weil uns das Material zur Verfütterung nicht in so reichlichem 
Maasse zur Verfügung stand, dass wir unsere Versuche im grossen Maass¬ 
stabe durchführen konnten, so glauben wir doch, dass die Versuche 
geeignet sind, unsere Kenntniss vom Wesen der Gicht insofern zu ver¬ 
tiefen, als dadurch der Anfang gemacht ist, gewisse Anhaltspunkte über 
die Leistung specieller Fermente bei der Gicht im Stoffwechsel versuche 
zu gewinnen. 

Unseren Beobachtungen liegen Stoffwechselversuche an einem 48 jährigen 
Kellner zu Grunde. 

Diagnose: Arthritis urica. In der Anamnese keine gichtische Here¬ 
dität. 1890 zum ersten Male typischer Gichtanfall in beiden Grosszehen¬ 
gelenken und im linken Fussgelenke. Seitdem ab und an kleine Tophi an 
den Ohrmuscheln. Seit 1890 jährlich wiederholt Gichtanfälle. Ende 
November 1907 letzter Gichtanfall (Grosszehengelenk rechts; Knie¬ 
gelenk und Fussgelenk rechts, einige Zeit später wird in gleicher Weise 
auch das linke Bein heimgesucht). Anfang Dezember Einlieferung in die 
Charite. Während des Aufenthaltes hier (3. Dezember 1907 bis 25. Januar 
1908) kein Anfall. Potus (Bier) zugegeben. 

Status: mittelgrosser Patient, kräftig gebaut, gutes Fettpolster. 
Gewicht 76 kg. 

Innere Organe ohne Befund. Linke Ohrmuschel zeigt einige kleine 
stecknadelkopfgrosse, Harnsäure (Murexidprobe) enthaltende Tophi. Urin 
frei von pathologischen Bestandteilen. 

Der Patient wurde vom 4. Dezember an auf eine purinfreie Diät ge¬ 
setzt, die etwa 8—8,5 g Stickstoff pro Tag enthält; 3 Tage später wird 
der Stoffwechselversuch begonnen. 

Unser Gichtiker, der sich jenseits des akuten Stadiums befindet, 
zeigt einen niedrigen endogenen Harnsäurewerth (unternormalen Werth 
zwischen 0,0—0.3 1 ), wie er nach unseren Untersuchungen für die Mehr¬ 
zahl der Gichtiker charakteristisch ist. Das Verhältnis des Harnsäure- 

1) Vergl. Brugsch-Schittenhelm, diese Zeitschrift. Bd. IV. S. 493. 


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Original fro-m 

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Zur Stoffwechselpathologie der Gicht. 
Periode I. 


217 


Tag 

No. 

Urin¬ 

menge 

N 

Ü-N 

Ü in g 

Basen-N 

Ü-N 

Basen-N 

1 

1000 

6,16 

0,0896 

0,2688 

0,0056 

16 

2 

1540 

7,837 

0,0914 

0,2742 

0,0061 

15 

3 

\ 1210 

7,054 

0,0996 

0,2988 

0,0095 

10,5 

4 

f 1210 

7,054 

0,0996 

0,2988 

0,0095 

10,5 

5 

1400 

7,560 

0.0952 

0,2856 

0.0080 

11,9 

Durchschnitt 

0,0951 

0,2852 

0,0077 



Stickstoffes zum Basenstickstoff schwankt über 10, ist also eher hoch, 
denn niedrig zu bezeichnen (Periode I). 

Wir haben nun diesem Gichtiker zunächst in zwei Perioden je 1 g 
chemisch reinen Hypoxanthins verfüttert 1 ). 


Periode II. 


Tag 

No. 

Urin¬ 

menge 

N 

Ü-N 

Ü in g 

Basen-N 

Ü-N 

Basen-N 


6 

1400 

7,784 

0,1436 

0,4308 

0,0080 

18 

1 g Hypoxanthin 

7 

1250 

7,165 

0,1006 

0,3018 

0,0062 

16 

per os. 

8 

1400 

7,240 

0,0948 

0,2844 

0,0067 

14 


9 

1440 

7,450 

0,0887 

0,2661 

0,0069 

13 






Periode 

III. 



Tag 

No. 

Urin¬ 

menge 

N 

Ü-N 

Ü in g 

Basen-N 

Ü-N 

Basen-N 


10 

1600 

7,846 

0,1462 

0,4386 

0,0082 

18 

1 g Hypoxanthin 

11 

1200 

7,762 

0,0856 

0,2568 

0,0056 

15 

per os. 

12 

1050 

7,362 

0,0738 

0,2314 

0.0065 

11 


13 

740 

7,571 

0,0786 

0,2358 

0,0060 

12 



Verfolgt man die Harnsäurestickstoffausscheidung in der II. Periode, 
so erhebt sich der Harnsäurewerth am sechsten Tage, dem Tage, an 
dem Mittags 12 Uhr 1 g Hypoxanthin verabreicht wurde, auf 0,1436 g; 
er überragt also um 0,1436—0,0951 g = 0,0485 g den endogenen Harn¬ 
säurewerth der Vorperiode J. Am Tage danach übersteigt der Harn- 
säure-N-Werth noch um 0,1006—0,0951 = 0,0055 den endogenen 
Harnsäure-N-Werth und am 8. Tage ist der normale endogene Harnsäure- 
N-Werth wieder erreicht. Es sind mithin im ganzen 0,0540 g Harnsäure-N 
auf das verfütterte Hypoxanthin zu beziehen. Da 1 g Hypoxanthin = 
0,412 g Stickstoff enthält, sind von diesem Hypoxanthin-N 13,1 pCt. als 
Harnsäure-N wieder zum Vorscheine gekommen. Da sich der Basen-N am 
Tage und Nachtage der Hypoxanthinverfütterung nicht vermehrt hat (eine 
renale Retention von Harnsäure müssen wir nach unseren bereits früher 


1) Das Hypoxanthin wurde uns in freundlichster Weise von der chemischen 
Fabrik Böhringer und Söhne in Waldhof bei Mannheim zur Verfügung gestellt. 


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218 


Th. Krugs ch und A. Schiiten he Im 


publicirtcn Erfahrungen bei der Gicht ablehnen), so bleibt keine andere Er¬ 
klärung übrig, sofern die Resorption des Hypoxanthins vollständig war, und 
dafür spricht die Kothanalyse beim nächsten Hypoxanthinversuch in der 
Periode III, dass die fehlenden 86,9 pCt. des Hypoxanthin-N als Harn¬ 
stoff bezw. Ammoniak ausgeschieden worden sind. 

Ganz ähnlich gestalten sich die Verhältnisse der Hypoxanthinver- 
fiitterung am 10. Tage in der Periode III. Es wird hier auf 1 g Hypo¬ 
xanthin für 0,1462—0,0951 g Ü-N = 0,0511 über den endogenen Werth 
mehr ausgeschieden, während allerdings der Harnsäure-N-Werth des 
11. Tages, also des Nachtages bereits etwas unter dem durchschnittlichen 
endogenen Werthc der I. Periode liegt. Auch am 11. und 12. Tage zeigt 
sich der endogene Basenwerth nicht nennenswerth verändert. Es sind also 
von dem verfütterten Hypoxanthin-N (= 0,412 g N) in der 111. Periode 
als Ü-N 12,4 pCt. wieder zum Vorschein gekommen. Da der Basen-N 
des Kothes der ganzen III. Periode 0,0336 g N beträgt, so ist anzunehmen, 
dass das Hypoxanthin hier ganz und gar resorbirt worden ist; wir 
müssen also schliessen, dass die fehlenden 87,6 pCt. des Hypoxanthin-N 
als Harnstoff-N bezw. NH 3 -N wieder zum Vorschein gekommen sind. 

Betrachtet man die Harnsäure-Curvc mach der Hypoxanthincin- 
wirkung unter den Gesichtspunkten, unter denen wir früher (l. c.) die 
Harnsäure- und Basenausscheidung nach Nucleinsäurevcrfütterung be¬ 
trachtet haben, so fällt vor allen Dingen die Schnelligkeit auf, mit der 
das Hypoxanthin in Harnsäure übergeführt wird und ferner die gering 
anhaltende Nachwirkung auf die Harnsäureausscheidung. Es bleibt dafür 
keine andere Erklärung übrig als die, dass die Harnsäurebildung 
aus Hypoxanthin beim Gichtiker relativ schnell vor sich geht. 
Es ist zweckmässig, hier das Verhalten des Gesunden gegenüber der 
Hypoxanthinverfüttcrung entgegenzustellen. 

Martin Krüger und Julius Schmid haben s. Zt. sehr exakte 
Versuche über die Entstehung der Harnsäure aus freien Purinbasen 1 ) 
angestellt und wir führen, um die Verhältnisse der Hypoxanthinfütterung 
beim Gesunden zu zeigen, den entsprechenden Versuch der Autoren an: 


Tag 

No. 

Harn- 

menge 

Ges.-N 

r-N 

Basco-N 

( -N 

Bemerkungen. 

Basen-N 

10 

770 

10.95 

0,3276 

0,0J63 

20*1 : 1 Am 10. u. 11. Tage wurden je 






1,5 g H vpoxan thin ei ngegeb. 

11 

1050 

11,64 

0,5400 

0,0184 

29,4 : 1 

1*2 

S85 

10,75 

0,3168 

0,0155 

20,4 : 1 

13 

780 

10,41 

0,1986 

0,0131 

15,2: 1 

14 

605 

9,68 

0,156*2 

0,0131 

11,9 : 1 

15 

610 

9,3 i 

0,1463 

0,0150 

9,8 : 1 


Auch hier steigt schon während des ersten Tages der Harnsäure¬ 
stickstoff auf das Doppelte des normalen endogenen Werthes (0,1533 g) 
an, erreicht am zweiten Tage sogar den drei- und einhalbfachen Werth, 
um am dritten Tage auf den des ersten Tages zurückzugehen. Also 

1) Ivossel's Zeitschrift f. physiol. Chemie. 34. Bd. If. 5 u. 6. 



Original fro-m 

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Zur StofTwechselpathologie der Gicht. 


219 


auch hier sehen wir ein schnelles Ansteigen der Harnsäurcausscheidung 
nach der Hypoxanthinverfütterung, was auf eine schnelle Harnsäure¬ 
bildung aus dem verfütterten Hypoxanthin schliessen lässt. Während 
aber in unseren Versuchen von dem Hypoxanthin-N nur 13.1 pCt. bezw. 
12,6 pCt. als Harnsäure-N ausgeschieden worden sind, zeigen sich in 
dem angeführten Versuche von Krüger und Schmid 62,3 pCt. des 
verfütterten Hypoxanthins als Harnsäure-N wieder. Zu einem grossen 
Theile beruht die Differenz wohl darauf, dass bei Krüger und Schmid 
3 g an 2 Tagen verfüttert wurde, wodurch die Harnsäurebildung eine 
weit grössere und dadurch die Harnsäureausscheidung eine relativ um¬ 
fangreichere werden musste. 

Andererseits berechnen Burian und Schur aus einem Minkowski- 
schen Versuche mit Hypoxanthinverfütterung beim Menschen eine Um¬ 
wandlung der verfütterten Base in Harnsäure zu 48,6 pCt. Bei Wieder¬ 
holung des Versuches fanden die Autoren 46,2 pCt. des Hypoxanthins 
in Harnsäure umgewandelt. Auch diesen Werthen gegenüber bleiben die 
Harnsäureausscheidungen bei unserm Giehtiker noch niedrige nach der 
Verfütterung derselben Base. Man könnte vielleicht auf die Vermuthung 
kommen, dass das Hypoxanthin nur zu einem Theile zu Harnsäure oxydirt 
und als solche ausgeschieden worden sei, zu einem Theile aber als Hypo¬ 
xanthin im Körper zurückgehalten sei. Das erscheint uns aber als eine 
fern abliegcndc Vermuthung, die umso unwahrscheinlicher wird, wenn man 
die Purinbasenausscheidung der nächsten Tage nach der Hypoxanthin¬ 
ausscheidung betrachtet, aus der doch hervorgeht, dass freies Hypoxanthin 
in nennenswerther Menge sich schon einen Tag nach der Hypoxanthinver¬ 
fütterung nicht mehr im Kreislauf befinden kann, weil mit Wahrschein¬ 
lichkeit sonst, sich eine Vermehrung der Basenausscheidung vorfinden 
müsste (vergl. zum Beispiel hier die von uns angeführte Tabelle von 
Krüger und Schmid). 

Man könnte (in Analogie der von uns früher bei Nucleinsäure ge¬ 
machten Befunde) auf die Vermuthung kommen, dass sich zwar die 
Hamsäurebildung aus Hypoxanthin relativ schnell vollzieht, aber immerhin 
nicht so schnell, dass eine plötzliche Ueberschwemmung des Blutes mit 
Harnsäure, die aus Hypoxanthin stammt, stattfindet, vielmehr würde die 
allmählich gebildete Harnsäure, weil sie dem Blute langsamer zufliesst, 
im grösseren Umfange oxydirt werden können. 

Es würde sich dann also um ein gleiches scheinbar paradoxes Ver¬ 
halten, wie bei der relativ niedrigen Harnsäureausscheidung nach Nuclein- 
säureverfütterung, handeln, die wir in unseren früheren Untersuchungen 
aus der verlangsamten Harnsäurebildung erklärt haben (vergl. hierzu 
unsere Mittheilung III im IV. Bande dieser Zeitschrift). 

Wir möchten dieser Annahme folgende Erwägungen entgegenstellen: 
Zunächst erscheint es uns zweifelhaft, dass wir bei Verfütterung von 
l g Hypoxanthin unter gleichen Verhältnissen beim Gesunden immer 
ganz ähnliche Werthe der Harnsäureausscheidung antreffen. Finden 
sich doch bei Nucleinsäureverfütterung selbst beim Gesunden so 
schwankende Werthe für den exogenen Harnsäure-N, dass es uns ge¬ 
wagt erscheint, bei den wenigen bisher in der Literatur vorliegenden 


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220 


Th. Brugsch und A. Schittenhelra, 


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Versuchen über exogenen Harnsäure-N nach Hypoxanthinverfütterung 
einen bestimmten „Integrativfactor“ aufstellen zu wollen. Hauptsächlich 
spricht uns aber gegen die obige Annahme die Schnelligkeit der exogenen 
Harnsäureausscheidung und vor Allem deren Beendigung, die uns ein Maass 
der Schnelligkeit der Harnsäurebildung aus Hypoxanthin giebt, und da 
müssen wir doch sagen, dass die Harnsäurebildung aus Hypoxanthin an 
Schnelligkeit bei der Gicht durchaus nicht dem Versucho am Normalen 
nachsteht. Der Abbau des Hypoxanthins scheint uns also bei unserem 
Gichtiker in normaler Weise vor sich zu gehen. 

Wahrend bei dem Abbau des Hypoxanthins nur ein oxydirendes 
Ferment, das das Hypoxanthin zu Harnsäure oxydirt, in Kraft tritt, 
wobei allerdings die Harnsäure zum Theil noch durch das urikolytische 
Ferment abgebaut wird, müssen bei dem Abbau des Guanins und des 
Adenins noch desamidirende Fermente in Kraft treten, so dass die Stufen¬ 
leiter der Fermente bereits complicirter liegt: Purindesamidase, Xanthin- 
oxydase, urikolytisches Ferment. Wir haben nun auch das Verhalten des 
Gichtikers gegenüber verfütterten Aminopurinen — Guanin und Adenin — 
geprüft und möchten, ehe wir unsere Versuche berichten, die in der 
Literatur niedergelegten Normalversuche hier anführen. 

Nachdem Kossel das Adenin bei Hunden verfüttert hatte mit dem 
Erfolge, dass er einen Theil desselben im Harne wiederfand, untersuchte 
Minkowski das Adenin auf seine Harnsäure vermehrende Wirkung beim 
Hunde, indessen ohne eine solche, noch den Uebergang in Allantoin fest¬ 
stellen zu können. Da Adenin beim Hunde starke Entzündungen der 
Darmschleimhaut, besonders des Duodenum, hervorruft, hatte Minkowski 
von einer Verfütterung der Base beim Menschen Abstand genommen. 

Nachdem Schittenhelm 1 ) die relativ geringe Giftigkeit des Adenins 
bei Kaninchen festgestellt hatte, konnten Krüger und Schraid 2 ) die 
Bedenken, welche Minkowski an der Verfütterung dieser Base am 
Menschen hinderten, fallen lassen; so stellten die beiden Autoren einen 
Norraalstoffwechselversuch mit Verfütterung von Adenin an, den wir für 
unseren Versuch durchaus als Normalversuch zu Grunde legen können. 
Wir führen deswegen die Beobachtung Krüger’s und Schmid’s genau an: 


Tag 

No. 

Harn- 

mengc 

Ges.-N 

L-N 

Basen-N 

Ü-N 

Basen-N 

Bemerkungen. 

16 

680 

10.52 

0,1782 

0,0195 

9,1 

0,3 g Adenin. 

17 

850 

11,30 

0,1701 

0,0156 

11,5 


18 

940 

11.30 

0,1536 

0,0146 

10,5 


19 

530 

8,60 

0,1267 

0,0161 

7,9 


20 

840 

12,96 

0,2234 

0,0269 

8,3 

3 : 0,2 g Adenin. 

21 

625 

9,85 

0,1777 

0,0144 

12,3 


22 

785 

10,78 

0,1620 

0,0158 

10,2 


23 

725 

10,91 

0,1366 

0,0144 

9,4 



Nach Genuss von 0,3 g Adenin (am 16. Tage) mit einem Gehalte 
von 0,1554 g Stickstoff sind 0,0507 g der letzteren als Harnsäurestick¬ 
stoff und 0,0041 g als Basenstickstoff zur Ausscheidung gelangt. 


1) Archiv für exper. Path. und Pharm. 1902. Bd. 47. S. 432. 

2) 1. c. 


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Zur Stoffwechselpathologie der Gicht. 


221 


Im Versuch II am 20. Tage sind von den 0,3108 g Stickstoff der 
0,6 g Adenin 0,1032 g als Harnsäurestickstoff und 0,0115 g als Basen¬ 
stickstoff im Harne wieder erschienen. 

In Procenten ausgedrückt sind 32,6—33,0 pCt. des Adenins in Harn¬ 
säure übergegangen und 2,6—3,7 pCt. haben jedenfalls unverändert den 
Organismus passirt. 

Nach Krüger und Schmid „ist die Umwandlung des Adenins in 
Harnsäure thatsäehlich eine grössere, als die obigen Zahlen angeben. 
Denn von den fünf Stickstoffatomen des Adeninmoleküls muss das nach 
E. Fischer’s Nomenclatur in 6-Stellung, und zwar in der Amidogruppe 
befindliche Atom, da die Oxydation zu Harnsäure sich im menschlichen 
Organismus unter Erhaltung des Purinkerns vollzieht, abgespalten werden. 
Daher kommen bei der Berechnung von Adenin auf Harnsäure nur vier 
Atome des Basenmoleküls in Betracht und sind die erhaltenen Zahlen 
mit 5 / 4 zu multipliciren, was die Werthe 40,7 pCt. und 41,2 pCt. ergiebt.“ 

Dem möchten wir nun die Befunde an unseren Gichtikern bei Adenin- 
verfütterung gegenüberstellen. 


Periode V. 1 ) 


Tag 

No. 

Urin¬ 

menge 

N 

Ü-N 

Ü in g 

Basen-N 

Ü-N 

Basen-N 

Bemerkungen. 

22 

1070 

7,710 

0,0809 

0,2427 

0,0066 

12,3 


23 

1120 

7,624 

0,0815 

0,2445 

0,0066 

12,4 


24 

1120 

8,01 

0,0814 

0,2442 

0,0082 

10,0 


23 

1450 

7,27 

0,0862 

0,2586 

0,0091 

9,5 


26 

1275 

8,12 

0,0855 

0,2565 

0,0092 

9,3 


Durchschnitt 

0,0831 

0,2493 

0,0080 



Periode VI. 


Tag 

No. 

Urin¬ 

menge 

N 

Ü-N 

Ü in g 

Basen-N 

Ü-N 

Basen-N 

Bemerkungen. 

27 

1240 

8,216 

0,104 

0,372 

0,0210 

5,0 

0,7 g Adenin. 

28 

1320 

8,026 

0,143 

0,489 

0,0264 

5,5 


29 

1260 

7,923 

0,124 

0,402 

0,0182 

6,8 


30 

1180 

8,006 

0,102 

0,306 

0,0140 

7,3 


31 

1220 

7,764 

0,089 

0,267 

0,0090 

9,9 



Betrachten wir zunächst die Curve der Harnsäureausscheidung, so 
sehen wir allerdings den Beginn des Harnsäureanstieges über den mittleren 
endogenen Werth der Vorperiode bereits am Tage der Adeninverfütterung; 
beendigt ist die Mehrausscheidung der Harnsäure über diesen endogenen 
Werth hinaus, erst am 3. Tage nach der Adeninverfütterung, da am 
4. Tage danach wieder ungefähr der endogene Harnsäurewerth der Vor¬ 
periode erreicht ist. 

Die Mehrausscheidung der Harnsäure an dem 27.—31. Tage gegen¬ 
über dem endogenen Werth der Vorperiode (0,083 g Ü-N) beträgt 0,147 g 
Ü-N. Es sind also von den eingenommenen 0,3626 g N der 0,7 g Adenin 
40,5 pCt. als Harnsäure-N wieder zum Vorschein gekommen. 


1) Die Periode IV ist hier nicht mit aufgeführt worden. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



222 


Th. Brugsch und A.- Schittenhelm, 


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Die Mehrausseheidung der Basen in der Periode VI beträgt gegen¬ 
über dem endogenen Basenwerthe der V. Periode insgesammt 0,0486 g 
Basen-N; es sind also von dem hier per os eingenommenen Adenin-N 
(0,3626 g) 1,3 pCt. als Basen- (wahrscheinlich Adenin-)N wieder aus¬ 
geschieden worden. 

Da, wie oben bereits erwähnt, bei der Berechnung von Adenin auf 
Harnsäure nur vier Atome des Basenmoleküls in Betracht kommt, so 
muss der für die Harnsäure erhaltene Werth von 40,5 pCt. noch mit 
5 / 4 multiplicirt werden, was alsdann den Werth von 50,63 pCt. aus Adenin 
gebildeter Harnsäure ergiebt. Diese Werthe stimmen nun auffallend gut 
mit den von Krüger und Schmid gefundenen Zahlen für den Gesunden 
überein; indessen, wenn man die zeitliche Folge des Adeninumsatzes 
aus der Harnsäure- und ßasenausscheidung verfolgt, so zeigen sich doch 
einige wichtige charakteristische Unterschiede, die sich am besten in 
Curven ausdriicken lassen: 


Normalversuch. Gichtiker. 


Ü9 


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m 

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m 


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22 

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22 

22 


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■ 




■ 

SS 


■ 

■ 

■ 



■ 

■ 



■ 

■ 

■ 




■ 


Beim Normalversuch geht der Umsatz des Adenins, d. h. die Harn¬ 
säurebildung schneller vor sich als beim Gichtiker, beim Gesunden ist 
sie schneller beendet. Charakteristisch ist hier besonders die Curve des 
Harnsäure-N 

Quotienten —j^seiTN . Beim Gichtiker bleibt nach Adeninverfütterung 

das Verhältniss weit länger ein engeres als beim Gesunden, ein Beweis 
dafür, dass die Harnsäureumbildung aus Adenin beim Gichtiker lang¬ 
samer verläuft als im Norraalversuch. 

Weniger verwerthbar erscheinen uns die an unserm Gichtiker durch¬ 
geführten Versuche mit Guanin. 

Es sei zunächst der Versuch mit Verfütterung von 1 g salzsauren 
Guanins wiedergegeben (Periode VII). 

Die Erhöhung des endogenen Ilarnsäure-N-Werthes nach der Guanin- 
verfütterung am 36.-39. Tage gegenüber dem endogenen Harnsäure- 
N-Werth der V. Periode (= 0,0831) ist so gering, dass aus Guanin-N 


Gck igle 


Original ffom 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 











Zur Stoffwechselpatbologie der Gioht. 223 


Periode VII. 


Tag 

No. 

Urin¬ 

menge 

N 

Ü-N 

Basen-N 

Ü in g 

Ü-N 

Basen-N 

Bemerkungen. 

35 

1400 

7,962 

0,0823 

0,0073 

0,2469 

11,3 


36 

1460 

7,844 

0,0899 

0,0102 

0,2697 

8,8 

1 g salzsaures 
Guanin per os. 

37 

1420 

7,536 

0,1091 

0,0102 

0,3273 

10,7 

38 

1820 

8,124 

0,1063 

0,0106 

0,3189 

10,3 


39 

1500 

7,964 

0,0924 

0,0105 

0,2772 

8,8 



nur 0,0653 g Harnsäure-N sich herleiten können. Die Erhöhung des 
endogenen Purinbasen-N an diesen Tagen gegenüber dem endogenen Purin- 
basen-N der V. Periode beträgt gleichfalls nur 0,0083 g N, ein Werth, 
der relativ niedrig ist. 

Es tritt die Frage an uns heran, was ist mit dem Rest des Guanin-N 
geschehen? Die Untersuchung des Eothes auf Purinbasen (am 36. bis 
39. Tage), ergab den relativ hohen Purinbasenwerth von 0,124 g Purin-N. 
Dieser Werth erscheint uns weit höher als normal und wir stehen nicht 
an, diese Erhöhung des Koth-Purin-N auf eine schlechte Resorption des 
Guanins zurückzuführen. Auf diese Weise erklären sich ohne weiteres 
die niedrigen exogenen Harnsäure-N- und Purinbasenwerthe nach Guanin- 
verfütterung. Die schlechte Resorption würde übrigens auch die geringen 
Harnsäure- und Basenausscheidungszahlen erklären, die man bisher am 
Normalversuche nach Guaninfütterung beim Menschen (wie beim Hunde) 
erzielt hat. So hat Stadthagen 1 ) bei einem Hunde nach Eingabe von 
6 g Guanin weder die Harnsäure, noch die Basenausfuhr vermehrt ge¬ 
sehen. Ein gleiches Resultat erzielten Burian und Schur 2 ) in zwei 
Versuchen am Menschen; der einen Versuchsperson (einer 25jährigen 
Hysterica) wurde im Verlaufe von 3 Tagen 7,1 g Guanin gegeben, einer 
anderen, 19jährigen chlorotischen Patientin, an einem Tage 1,1 g. 

Dagegen landen allerdings Krüger und Schmid nach einmaliger 
Verfütterung von nur 0,61 g Guanin ein unverkennbares Anwachsen der 
Harnsäure. 

Wir führen hier den betreffenden Versuch von Krüger und 
Schmid an: 


Tag 

No. 

Harn¬ 

menge 

Ges.-N 

Ü-N 

Basen-N 

Ü-N 

Basen-N 

Bemerkungen. 

28 

575 

9,97 

0,1598 

0,0158 

10,1 

0,61 g Guanin. 

29 

670 

10.36 

0,1758 

0,0162 

10,8 

30 

1145 

10,14 

0,1462 

— 

— 



Krüger und Schmid halten das, wenn auch geringe Ansteigen der 
Harnsäureausscheidung erst am Tage nach der Guaninverfüttcrung für 
bemerkenswerth, „während die anderen drei Basen, Hypoxanthin, Adenin 
und Xanthin“ ihre Wirkung schon am Tage ihrer Verabreichung selbst 


1) Virchow’s Arch. Bd. 109. S. 416. 

2) Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 80. S. 317. 

15* 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 
















224 


Th. Brugsch und A. Schittenhelm, 


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ausüben. Wir glauben, dass sich diese Ausnahme durch die von uns 
durch die Purinbasenvermehrung des Kothes gezeigte schlechtere und 
schwerere Resorption des Guanins erklärt. 

Aus diesem Grunde halten wir auch eine Verwerthung unseres 
Guaninversuches zur ßerurtheilung der gichtischen Fermentanoraalie gegen¬ 
über dieser Base für nicht zulässig, wenngleich wir indessen hervorheben 
müssen, dass in unserem Guaninversuche (Periode VIII) die lange Dauer 
(2—3 Tage) der, wenn auch geringen exogenen Harnsäureausscheidung 
auffällt, die man vielleicht im gleichen Sinne wie bei dem Adeninversuche 
deuten könnte 1 ). 

Schliesslich möchten wir noch erwähnen, dass wir bei unserm 
Gichtiker einen Versuch mit Verfütterung von a-thymonucleinsaurem 
Natron angestellt haben und dass sich hier dieselben typischen Verhält¬ 
nisse finden, wie sie in unserer Mittheilung 111 (1. c.) eingehend be¬ 
schrieben worden sind. Der Vollständigkeit halber möchten wir auch 
diesen Versuch hier anführen. 


Periode VIII. 



Tag 

No. 

Urin¬ 

menge 

N 

Ü-N 

Basen-N 

Ü-N 

Bemerkungen. 

Basen-N 

Periode VI. 

31 

1220 

7,764 

0,0891 

0,0090 

9,9 


ä 

32 

1830 

io 

<N 

QO 

0,0942 

0,0104 

9,1 

5 g a - thymonucleiu- 

Periode VII. I 

l 

33 

1600 

8,024 

0,1131 

0,0146 

5,5 

saures Na = 0,674 g N 


34 

1460 

8,131 

0,0922 

0,0110 

9.3 


Periode VIII. 

35 

1400 

7,962 

0,0823 

0,0073 

11,3 



Die exogene Harnsäureausscheidung in der VII. Periode, d. h. die 
Erhöhung der Harnsäurewerthe nach der Nucleinsäureverfütterung am 
32.—34. Tage, beträgt gegenüber dem endogenen Werth der V. Periode 
(0,0831) = 0,0502 g Harnsäure-N und 0,012 g ßasen-N (gegenüber 
dem endogenen Werthe von 0,0079 g Basen-N; V. Periode). Da der 
Basengehalt von 5 g Thymonucleinsäure, die zugeführt wurden, 0,31 g 
beträgt, so sind von dem zugeführten Basen-N 16,2 pCt. als Harnsäure-N 
und 4 pCt. als Basen-N wieder ausgeschieden worden; der Rest als 
Harnstoff, wie sich aus der N-Curve zu ergeben scheint. Den Verlauf 
der Harnsäure-, Basen- und Stickstoffausscheidung nach der Nuclein- 
säurezufuhr dürfen wir auch in unserm Falle als charakteristisch für die 
Gicht-Fermentanomalie ansehen, da er sich gegenüber der Norm als „ver¬ 
langsamt u erweist (vergl. hierzu Mitth. III). 

Fassen wir die Resultate unserer Versuche zusammen, so können 
wir Folgendes sagen: 

Bei einem jugendlichen Patienten mit gesunden Nieren, bei dem wir 


1) Anmerkung während der Correctur: Ein neuerdings ganz gleich an¬ 
gelegter Guaninversuch an einem Gichtiker ergab eine exogene Ü-N-Ausscheidung 
von 0,08 g Ü-N nach Verfütterung von 1 g salzs. Guanin. Die Ausscheidung dauerte 
3 Tage lang. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERS1TY OF MICHIGAN 



Zur StofTwechselpathologie der Gicht. 


225 


die klinischen Zeichen einer Arthritis urica feststellen konnten, finden 
wir die typischen Zeichen einer Stoffwechselgicht: endogener Harnsäure¬ 
gehalt des Blutes, niedriger endogener und constanter Hamsäuregehalt 
des Urins und beim exogenen Harnsäureversuch mit Nucleinsäurever- 
fütterung eine verschleppte und verringerte Harnsäureausscheidung. Dieser 
Gichtiker muss also die von uns in früheren Versuchen explicirte Ferment¬ 
anomalie des gesammten fermentativen Apparates des Nucleinstoff- 
wechsels aufweisen, die sich auf folgende Fermente erstrecken kann: 
1. Nuclease, 2. Purindesaraidase, 3. Xanthinoxydase, 4. urikolytisches 
Ferment. 

Dass das urikolytische Ferment im Nucleinstoffwechsel nothgelitten 
(aber keineswegs völlig ausgeschaltet ist), bedarf keiner Hervorhebung 
mehr. Die Function der Xanthinoxydase hat sich, soweit aus dem 
Studium der Verfütterung von Hypoxanthin eine Beurtheilung im Stoff¬ 
wechsel versuche überhaupt möglich ist, nicht wesentlich — gegenüber 
der Norm — beeinträchtigt gezeigt; dagegen erscheint die fermentative 
Leistung der Purindesaraidase im Sinne einer verlangsamten Arbeit nach 
dem Adenin- (und Guanin-?)Versuche als geschädigt. In wieweit etwa 
schliesslich die Nuclease, d. h. das die Nucleinsäure spaltende Ferment, 
nothgelitten hat, lässt sich isolirt im Stoffwechselversuche nicht ersehen. 
Ein Uebertritt ungespaltener Nucleinsäure in den Harn, bezw. 
in das Blut hat sich weder beim Gesunden noch Gichtiker 
nach Nucleinsäure feststellen lassen. Diese Versuche sind z. Th. 
von Herrn Dr. Pincussohn auf unsere Veranlassung im Laboratorium 
der II. raed. Klinik, z. Th. von uns selbst durchaus mit negativem 
Erfolge vorgenommen worden. Wir werden indessen an anderer Stelle 
eingehend noch auf die Frage der Anwesenheit der Nucleinsäure bezw. 
einer (durchaus hypothetischen) Nucleinsäure-Harnsäureverbindung im 
Blute eingehen. 

Wir können also aus diesen, immerhin noch wenigen Versuchen für 
den vorliegenden Fall schliessen, dass die Fermentanomalie der Gicht 
hauptsächlich in einer Störung des urikolytischen Ferments und der 
Purindesamidase (vielleicht auch der Nuclease?) zu bestehen scheint, 
weit weniger bezw. gar nicht in einer Störung der Xanthinoxydase. 

Man könnte auf den Gedanken kommen (und es ist uns thatsächlich 
dieser Gedanke von anderer Seite geäussert worden), die Beeinträchtigung 
nicht nur der Urikolyse, sondern auch der Harnsäurebildung, die sich 
im vorliegenden Falle hauptsächlich auf die Störung der Desamidase 
concentrirt, sei ein compensatorischer Vorgang. In der That ist ja, da 
die Harnsäurebildung beim Gichtiker eingeschränkt ist, dieser besser 
daran, als wenn die Harnsäurebildung nicht gestört wäre. Indessen 
erscheint uns diese Auffassung zu teleologisch, ist es doch von vornherein 
weit wahrscheinlicher, dass das zusammengehörige Fermentsystera — sei 
es angeboren, sei es auf Grund von Noxen: Blei, Alkohol etc. — in 
gleicher Richtung beeinflusst wird, wobei natürlich die empfindlichsten 
Fermente am erheblichsten geschädigt werden müssen. Ferment¬ 
schädigungen als Compensationserscheinungen aufzufassen, halten wir 
zunächst für völlig hypothetisch. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



226 Th. Brugsch u. A. Schittenhelm, Zur Stoffwechselpathologie der Gicht. 


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Schliesslich möchten wir es nicht unterlassen, nochmals ausdrücklich 
hervorzuheben, dass die scheinbar isolirtere Schädigung der purin- 
desaraidirenden Fermente neben der Schädigung des urikolytischen 
Fermentes (vielleicht auch der Nuclease) vorläufig nur an dem einen 
Falle von uns festgestellt werden konnte. Es wäre ja durchaus möglich, 
dass sich andere Gichtiker etwas anders hierin verhalten. Wir haben 
uns indessen schon jetzt zur Veröffentlichung unserer Beobachtung ent¬ 
schlossen, weil sie weitere Gesichtspunkte in der Beurtheilung der 
Stoffwechselpathologie der Gicht zu bieten in der Lage ist. 

Zur Frage der Methodik bemerken wir, dass sie sich in allen Punkten 
mit der von uns in früheren Untersuchungen (1. c.) geübten deckt. 


Gck igle 


Original fru-m 

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XX. 


Untersuchungen Aber die Blutgerinnung in Krankheiten. 

Von 

Prof. Dr. Th, Pfeiffer (Graz). 

In einer grösseren Versuchsreihe 1 ) konnte ich vor längerer Zeit den 
Nachweis erbringen, dass „entzündliche Leukocytose u mit hohem Fibrin¬ 
gehalt des Blutes zusammentrifft, während bei nicht von Hyperleukocytose 
begleiteten Infectionskrankheiten Hyperinose nicht vorkommt. Insgesaramt 
24 Fälle von Pneumonie, Erysipel, Polyarthritis rheumatica, Scarlatina 
und Lungenabscess bestätigten diese Regel ebensowohl, wie die (9) Blut¬ 
proben von Abdominaltyphus, Malaria, Sepsis und Katarrhalpneumonie 
ohne Vermehrung der weissen Blutkörperchen und des Faserstoffes. Eine 
Erklärung für die Zusammengehörigkeit dieser beiden Symptome konnte 
damals nicht gewagt und kann auch nach dem gegenwärtigen Stande der 
Gerinnungslehre nicht gegeben werden; vielleicht liegt der Schlüssel für 
ihr Verständnis in der von P. Th. Müller 2 3 ) sehr wahrscheinlich ge¬ 
machten Bildung des Blutfibrinogens im Knochenmark, welches ja anderer¬ 
seits als Ursprungsstätte der Leukocyten gilt. 

Im Gegensatz zu dem gefundenen Zusammentreffen von Fibrinkrase 
und Leukocytose wurde dann in 3 Fällen myeloider Leukämie (Ehrlich) 
der Fibringehalt kaum über die Norm erhöht gefunden und später durch 
Bestimmung des Fibrinogen in 4 weiteren Fällen von Leukämie sicher¬ 
gestellt, dass die relative Kleinheit des Faserstoffgerinnsels leukämischen 
Blutes nicht auf Fermentarmuth oder Gerinnungshemmung bezogen werden 
kann, sondern, dass die Vermehrung der Muttersubstanz des Fibrins, 
welche die Leukocytose regelmässig begleitet, der Leukämie trotz Zu¬ 
nahme zum Theil gleicher Leukocytenforraen abgeht. 8 ) 

Im Anschlüsse an diese Untersuchungen schien das Studium weiterer 
Componenten des Gerinnungsvorganges von Interesse. Es wurde deshalb 
auch schon damals theils bei denselben Blutproben, welche der Fibrin¬ 
bestimmung dienten, theils bei anderen Fällen derselben Krankheiten, 
untersucht, ob das Oxalatplasma bei Zusatz wachsender Mengen 

1) Th. Pfeiffer, Zeitschr. f. klin. Med. XXIII. 

2) P. Th. Müller, Sitzungsber. der k. Akad. der Wissenschaft, in Wien. 
Mathem.-naturw. Klasse. Bd. CXIV. Abth. III u. Bd. CXV. Abth. 111. 

3) Th. Pfeiffer, Centralbl. f. inn. Med. 1898. No. 1 und 1904. No. 3*2. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Tb. PGriffen 


f'i'n Chlfircalrioiii Pitferouxpii dt*> Begmoev der Faserstoffal«- 
'• ht iilinur und der eoinpteten Gelin'nuüg/wjigt. . Die■ ■^■erinniutas- 
gesdiWifidigkeit blieb dab«i unbeachtet,. lediglich die Masse des aligti- 
scbiedcjnen Fibrins würde in Betracht gezogen 

47 e<ao Hlöt «ordw itt Ü.uettf Kalittmejalatli'^öUfi fiS'g : 4f.#$ Wasser; aufge- 
btugen. %j«'STetu'dü).seä.'0!iala.tb'l^.tes wurde 0,1 proe. CaCl s -LiSsung in steigender 
:Menge; 0 ) r I—-J^^nfl'xORnset'/.t utuI UiSter stundenlang Ibrtgeselzter C-enlrole nntiri, 
)»' welch« frühe di« «Otm t'ib«nfM*n auftreten, in w-Ther «las Gerinnsel mas.-i^ 
Wird ün«i in weich« schliesslich -das ganze Rlut cowpacx geronnen ist. Die Tabr.Uets 
etiUiaUetv'nur 4«?n pnifren und oberen OttmzwarfU.. 

Ii< ür&I.o«« : Weise wurde i« einer kleineren-Zahl «t-r. Hnicn jo 1 c-ein 'Oxalat* 
plnsüja hehairdnlt. 

Af F&llih theilsi Jobctlose (aponmdii^le tkdils Infections-krankiieiten 
mit, und aiimv. leukocvtosc bzw. Hrperinose wurden in dieser Weise 
««teeSMCht. Oie für beidft timizrnaelionen — geringst«? bzw. grösste 
Fibriribrklimg — .nbgldcseticM Werthe von GaCb schwanken für die Mehr-. 
■Stuhl- der Fülle in engen Grenzen Dm Gerinnung begann 20 nn;<r 
«t i mal t6ß pCt.i bei Zusatz von 1.4 1,7 oem All proe. C.'aCG-IG'j'sung, 

weiten- F mnl z.Wsieben T und 1.2« vorn und nur die retiiliehen 7 Falte 
trrfofderten um 0,1 -0,2 eCbl »lehr' oder weniger Kalklösiing. Die Gr- 
nnnimg. war beende* 3$ unter 4dmal .(77 pOl.i bei Bin Wirkung von 
.1,6—1,1.1 eeitt t’lilorcaieiiintliG'tiig und nur 8 mal war der liötltige Kalk- 
zusatz -uni 0,1. ccnv hoher oder niedriger. .'Analoges, gilt für «Jas 11 a sni a,f 
inden) unter 8 • tlnTaüfhi« untersuchten IVobrn 6 mal Fibiiu/iiesclinidung 
bei 0,7 — 1 com GaOL-Li-sung begann- und 7 mal bei 1,1 —1,4 ccm der« 
.selben beendet war. 

Tab»11 «s T. 

2 ccm ttialatblut. ( | = Beginn, ~p — OüBiptetc Gerum'nnc.7 









Untersuchungen über die Blutgerinnung in Krankheiten. 


229 


X 

-S o 

= E 
* £ 

Krankheit. 






CaCl 2 — 

0,1 pCt. 





0 

O 

!>*“» 

0 

Fibrin¬ 
stickstoff (g) 
in 100 ccm 
Plasma. 

B 3 
> c 


0,8 

0,9 

1.0 

1,1 

1,2 

1,3 

1,4 

1,5 

1,6 

1,7 

1,8 

1,9 

2,0 

0 

0 

10 

Pneumonie 
Temp. 38,1. 








' 




+ 


— 

— 

11 

Pneumonie 
Temp. 38,2. 


. 





. 

1 



+ 

. 


13 000 

0.1313 

12 

Pneumonie. 





• 





I 




— 

0,1042 

13 

Pneumonie 
Temp. 38,4. 


‘ 








; 

+ i 


24 800 

0,0932 

14 

Pneumonie 
Temp. 40. 



1 






• 

+ 

• 



24 800 

0,0855 

15 

Pneumonie 
Temp. 38,3. 
Mening. purul. 



> 






i 


+ 



16 600 

0,0448 

16 

Pneumonie 
Temp. 38,5. 



* 

1 



' 

+ 

' 

* 




26 600 

0,1408 

17 

Scharlach 
Temp. 39,6. 


* 

. 

' 







1 

+ 


10 200 

0,0519 

18 

Scharlach 
Temp. 39,2. 


. 








i 

+ 



12 000 

0,1155 

19 

Scharlach. 










i 


+ 


24 800 

— 

20 

Polyarthritis 
rheumat. 
Temp. 38,7. 


’ 

‘ 

• 



1 



+ 

’ 

* 


— 

0,0864 

21 

Polyarthritis 
rheumat. 
Temp. 38,7. 





. 




i 

+ 

1 





22 

Erythema 

nodosum. 




1 





. 


+ 1 



— 

0,0579 

23 

Otitis supp. 
Sinusthromb. 
Temp. 37,7. 


| 

| 



j ' 



1 

1 

1 * ' 

i 

1 _ 1 

I 



— 

— 

24 

Sepsis puerp. 
Temp. 39. 




• 

i 



i | 

1 


1 


i + 

Leu ko* 
cytose. 

— 

25 

Sepsis puerp. 


• 






. 



' . i 

1 

i + 

— 

— 

26 

• Sepsis puerp. 
Temp. 38,3. 
Peritonitis. 


1 

i 






i 

+ 

1 

• 1 

1 

i 

! ‘ 

7 400 

0,1042 

27 

Sepsis puerp. 
Phlegm. alba. 
Temp. 39,7. 










i 


+ 


5 200 

0,0561 

28 

Katarrh. Pneu¬ 
monie 
Temp. 38. 





1 • 

1 

1 





i 

i 


1 


8 000 

0,0482 

29 

Pleurit. exsud. 
Temp. 39,0. 


1 • 




1 * 

1 

i • 

.+ 

i ’ 



* 

Leuko- 

cytose. 

— 

30 

Angina 
Temp. 37,7. 


' | 


. 



1 

I 




1 

i 

— 

— 

31 

Nephr. acuta. 


• . 





i 




| 1 


+ 

— 

_ 

32 

Nephr. scarl. 

Urämie 
Temp. 38,1. 


| j 



1 


i i 

! 


+ 

i 




8 200 

0,0392 

33 

Typhus abd. 
Temp. 38,9. 


| 




1 . 


1 




' . 

1 

• 

6 000 

0,0520 

34 

Typhus abd. 
Temp. 38,3. 


• 1 

i 



1 

1 


+ 

l 

i • 

i 

1 + 

i ’ 

I 

i 

3 000 

0,0630 


Digitized fr 


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Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 
























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Keinesfalls fasst, sicI* ,öir» .2ä»nn«e'rfbätng xwisditr 11 der Natur der 
Krankheit und .dem Ablauf des <>nunungsvmgungr'* •— gemessen an 
dein liier gewählten Mwa^stalKe m ute.r Fiuleihme hn durch Oxalat un- 
•gdritinbar gemacht«.*!) Bfiit vtssj». f'iatana durch .Kalk -- aus den Tabellen 
heraus lesen. Gleichviel uh viKirtiiälid V.-rhöitnissa IVeKte» oder Phh*|rK 
oiss.ieo vmiiegen, schwanken die Wrrtbfr T«ti Fall y.u Fall, ahne Be- 
Kvehutjg auch .zw der 014 mal bestirrunletu Fdn M>y ickskdTmenge oder .w 
der .(SO.iiiaf crmiUc'lteK) Leukin yteu^ahl. 

JHe VcrwlTunt.liehur.g-, dieser Eruehnjsse. nnrernhei. semec Zeit, weil, 
die'finite' des Kalkes in. iöiaiHMnWfcsrirf'Cuss me h ail.'u hvpufhrittsöb «ran 
Seither ist die Ke.inHiiss de!flu'ime de. t um inmiug wvsiMwheh giOorrieix 
und sind natwiüich. ein»; A-nr-itM bedeutsamer Widersprüche vor •neuen 





Untersuchungen über die Blutgerinnung in Krankheiten. 


231 


Gesichtspunkten aus als nur scheinbar bestehend erkannt worden. Fast 
allgemein wird nun auch den Kalksalzen eine Bedeutung für die erste 
Phase der Gerinnung, der Bildung des Fibrinfermentes aus unwirksamen 
Vorstufen zuerkannt. Im Sinne dieser Auffassung müsste nunmehr aus 
vorliegenden Versuchen geschlossen werden, dass entweder dieser Vor¬ 
gang der Ferraentbildung wenigstens innerhalb gewisser Grenzen unab¬ 
hängig von der Quantität der gelösten Kalksalze ist, oder dass der Gehalt 
der verschiedenen untersuchten Blutsorten an Fermentgeneratoren (um 
keinen einer bestimmten Gerinnungshypothese angepassten Ausdruck zu 
wählen) keine durch das Wesen der Krankheit bestimmte Differenzen 
aufweist. 

Die erstgenannte Annahme wäre nicht gerechtfertigt. Es sei dies¬ 
bezüglich nur beispielsweise auf die Untersuchungen von L. Loeb 1 ) über 
das Kalkoptimum für die Zeit und Masse der Gerinnung am Kaltblüter¬ 
plasma verwiesen. Auch zeigte der eigene Vergleich von Parallelreihen, 
die mit verschiedenen Blutmengen bezw. verschieden concentrirten Chlor¬ 
calciumlösungen aufgestellt wurden, genügende, theilweise genaue Ueber- 
einstimraung. Ebenso führte der Vergleich von Oxalatblut und Oxalat¬ 
plasma vom gleichen Falle zu der plausiblen Voraussetzung von 
60—65—70 pCt. Plasma, kann demnach auch als Beleg für die quan¬ 
titative Beeinflussung der Gerinnung durch Kalksalze gelten. 

Beispiele. 

Fall 44. Hysterie. 2 ccm Blut 0,1 pCt. CaCl 2 . Gerinnungsbeginn bei 0,9 ccm. 

^ v n n n 7) i) 7) 

5 » 7) ^,2 7) 7) 7) 7) f) 

Fall 1. Erysipel. 2 ccm Blut 0,1 pCt. CaCl 2 . Gerinnungsbeginn bei 0,9 ccm. 

^ TI 7) ^,2 7) V 7) 7) v 


Fall 42. 

Fall 45. 


Tetanie. 2 ccm Blut 0,1 pCt. CaCl<>. Complete Gerinnung bei 1,9 ccm. 

2 „ „ 0,2 „ „ " „ „ „ 1,0 „ 

^ 7) 77 ^,2 77 T) V 77 77 ^,5 „ 

Hysterie. 2 ccm Blut 0,1 pCt. CaCl 2 . Complete Gerinnung bei 2,0 ccm. 


0,2 


77 


M 


77 


Fall 47. Neurosis toxica. 2 ccm Blut 0,1 pCt. CaCl 2 . Compl. Gerinnung bei 1,8 ccm. 

1 „ Plasma 0,1 „ „ „ „ „ M „ 

(Entspricht 60 pCt. Plasma.) 

Fall 10. Pneumonie. 2 ccm Blut 0,1 pCt. CaCl 2 . Compl. Gerinnung bei 1,9 ccm. 

1 „ Plasma 0,1 „ „ „ „ „1,5 „ 

(Entspricht 63 pCt. Plasma.) 


Fall 3. Erysipel. 


Fall 20. Polyarthritis. 


2 ccm Blut 0,1 pCt. CaCl 2 . Compl. Gerinnung bei 1,5 ccm. 
1 „ Plasma 0,1 „ „ „ „ „ 1,1 * 

(Entspricht 65 pCt. Plasma.) 


2 ccm Blut 0,1 pCt. CaCl 2 . Compl. Gerinnung bei 1,7 ccm. 
1 „ Plasma 0,1 „ „ „ „ „ 1,2 „ 

(Entspricht 58 pCt. Plasma.) 


1) L. Loeb, Hofmeister’s Beitr. VIII. 


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232 Th. Pfeiffer, Untersuchungen über die Blutgerinnung in Krankheiten. 


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Somit kann wohl unbedenklich die zweite Annahme gemacht werden, 
dass für die untersuchten Fälle keine charakteristische qualitative und 
quantitative Unterschiede an zur völligen Umwandlung des Fibrinogens 
ausreichenden Fermentvorstufen bestehen. Schittenhelm und Lutter 1 ), 
welche den Fermentgehalt mit Alkali oder Kalk activirten pathologischen 
Serum (er- und ^-Prothrombin [Morawitz]) an seiner zeitlichen Wirkung 
auf reine Fibrinogenlösung massen, fanden gleichfalls zwar Differenzen 
der Gerinnungszeiten doch ohne deutliche Abhängigkeit von bestimmten 
Krankheitsgruppen. Mehrfach stehen in ihren Tabellen dieselben Krank¬ 
heiten unter normaler und verlangsamter Gerinnung und die nach Leuko- 
cyten- und Fibrinziffer gegensätzlichen Krankheitsprocesse Pneumonie 
und Typhus zeigen bei ihnen annähernd gleichen Fermentgehalt des 
Serums. 

Schliesslich sei noch eine Beziehung der mitgetheilten Vcrsuchs- 
resultate zur No lfsehen Gerinnungshypothese angedeutet. Nach Nolf 
vereinigt sich bekanntlich Hepatothrombin mit Leukothrorabin bei Gegen¬ 
wart von Kalksalzen zu Thrombin, welches sich dann mit dem 
Fibrinogen verbindet. Das Leukothrombin ist identisch mit dem proteo¬ 
lytischen Ferment der weissen Blutkörperchen. Da nun die Fermente 
der verschiedenen Leukocytenarten charakteristische Unterschiede zeigen, 
wäre es — wie L. Loeb schon mit Recht bemerkte 2 ) — von Interesse, 
zu prüfen, ob die gerinnungserregende Wirkung der Leukocyten diesen 
Unterschieden parallel läuft. Träger der eiweissspaltenden Fermente sind 
die neutrophilen polymorphkernigen Leukocyten, also jene Formen, 
welche bei der entzündlichen Leukocytose weitaus überwiegen. Da in 
solchem Blute wirklich gesteigerte Autolysc nachgewiesen werden kann, 
darf auch für unsere Fälle mit theils gezählter, theils mit grosser Wahr¬ 
scheinlichkeit vorauszusetzender Leukocytose Vermehrung proteolytischen 
Enzymes angenommen werden, während ein Einfluss dieses reichlicheren 
„Leukothrombins 44 , dessen Wirkung von den Kalksalzen abhängt, nicht 
zu erkennen ist. Lässt sich daraus auch kein bindender Schluss gegen 
die Hypothese Nolfs ziehen, so bilden andererseits diese Beobachtungen 
gewiss keine Stütze für seine Auffassung. 


1) Schittenhelm-Lutter, Zeitschr. f. experira. Pathol. Bd. II. S. 562. 

2) L/Loeb, Biochem. Centralbl. VI. S. 902. 


Gck igle 


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XXI. 

Aus der II. medicin. Universitätsklinik in Berlin. 


Schilddrüse und Glykosurie. 

Von 

Dr. Rahel Hirsch, 

klin. Assistentin. 


Wie aus der früheren einschlägigen Arbeit 1 ) hervorgeht, ist bei 
thyreoidektomirten Hunden, die an den Folgen der Tetanie zu Grunde 
gehen, die Assimilationsgrenze für Glukose herabgesetzt und zwar bei 
den verschiedenen Thieren quantitativ (in Mengen von 1 — 40 g nach 
Zufuhr von 100 g Glukose) variirend. 

Da sich nun erfahrungsgemäss dieselbe Erscheinung öfter beim Morbus 
Basedowii auch zeigt, muss es zunächst befremdend erscheinen, dass 
eine so prägnante Stoffwechselstörung, wie die Glukosurie, einerseits zu 
Stande kommt bei einer Erkrankung, die als Zeichen einer gesteigerten 
Function eines Organs, des Hyperthyreoidismus gilt, andererseits als 
Symptom der Ausfallserscheinungen desselben Organs sich zeigt. 

Dass bei thyreoidektomirten Hunden diese Herabsetzung der Assimi¬ 
lationsgrenze für Traubenzucker geradezu symptomatische Bedeutung für 
das Einsetzen der Ausfallserscheinungen hat, geht aus den im Laufe der 
letzten zwei Jahre von mir gemachten Beobachtungen, die in den nach¬ 
folgenden Tabellen zusammengestellt sind, von selbst hervor. 

Die Thiere wurden stets wiederholt vor der Operation, die ich in 
Aether-Narkose machte, auf ihr Vermögen, Traubenzucker in grossen 
Quantitäten zu assimiliren, geprüft. Dasselbe wurde nach der Operation 
untersucht, und es stellte sich heraus, dass, solange die Tetanie nicht 
eingesetzt hatte, auch die grossen Glukosemengen vom Organismus ver¬ 
arbeitet wurden; stellte sich Glukosurie aber ein, so konnte dies geradezu 
als Zeichen gelten, dass das Thier durch die Thyreoidektomie erkrankt 
war. Im Gegensätze hierzu stehen eine ganze Reihe von Versuchen, bei 
denen niemals solche Glukosurie zur Beobachtung kam, bei Thieren, die 
eben durch Nebenschilddrüsen geschützt waren und blieben; diese Thiere 
verhielten sich vollkommen wie normale in jeder Beziehung. Auf 
Tablettenzufuhr wurde entsprechend der Compensation diese Glukosurie 
herabgedrückt, bezw. die Assimilationsgrenze auf ein höheres Niveau ein¬ 
gestellt. 

1) Rahel Hirsch, diese Zeitschrift. Bd. 111. S. 393. 


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234 


R. Hirsch, 


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Tabelle I. 

Hund von löOOOg. Operation am 5. Juni 1907 in Aether-Narkose. 


Datum. 

Urin¬ 

menge 

ccm 

Glukose¬ 

gehalt 

pCt. g 

Fütterung. 

Bemerkungen. 

3.-4. 6. 

170 



Gern. Kost 


4.-5. 6. 

160 

— 

— 

Gera. Kost 
-f 100g Glukose 


5.—G. G. 

150 

— 

— 

Gern. Kost 

Operiert Nachmittags. 

6.—7. G. 

170 

— 

— 

Gern. Kost 


7.-8. 6. 

160 

— 

— 

Gern. Kost 
+ 100g Glukose 


8.-9. G. 

150 

— 

— 

Gern. Kost 

Leichte Anfälle. 

9.—10. G. 

150 

4 

G 

Gern. Kost 
+ 100g G1 ukose 

Leichte Anfälle. 50 ccm Ader¬ 
lassblut 3 Stunden nach d. 
Nahrungsaufn. 0,244 pCt. 
Blutzuckergehalt. 

10.—11. 6. 

155 


— 

Gera. Kost 
+ 5 Tabletten 

Leichte Anfälle. (Tabletten: 
Burroughs-Welcome u. Co.) 

11. —12. 6. 

180 

3,4 

6,12 

Gern. Kost 
-f 5 Tabletten 
-f- 100g Glukose 

Leichte Anfälle. 50ccm Ader¬ 
lassblut 3 Stunden nach d. 
Nahrungsaufn. 0,245 pCt. 
Zuckergehalt des Blutes. 

12—13. 6. 

180 

1,4 

2,52 

Gern. Kost 
+ 5 Tabletten 
4- 100g Glukose 

Leichte Anfälle. 

13.-14. G. 

280 


— 

Gern. Kost 
-|- 5 Tabletten 

Leichte Anfälle. 

14.—15. 6. 

140 

0,7 

0,98 

Gern. Kost 
+ 5 Tabletten 
-f lOOgGlukose 

Sehr wenige Anfälle. 

16.-17. 6. 

170 

— 


Gern. Kost 
+ 6 Tab letten 


17.-18. 6. 

360 

0,3 

1,08 

Gern. Kost 
+ 6 Tabletten 


18.—19. 6. 

150 

— 

— 

Gern. Kost 
+ 6 Tabletten 

Anfal lsfr ei. 

19.—20. 6. 

450 


1 

Gern. Kost 

4- 6 Tabletten 

Frisst das 3fachc Quan 
tum der gewohnten täg¬ 
lichen gern. Kost, tags¬ 
über kein Anfall, erst Abends 
schnell vorüberg. stark. Anf. 

20.—21. 6. 

350 

Spuren. 

i 

i 

Gern. Kost 
+ 7 Tabletten 
+ 100g Glukose 

Keine Anfälle. 

21.-22. 6. 

375 

_ 

_ 

Gern. Kost 
+ 7 Tabl e tten 

G e w i c b.t: 8950 g. 

22.-23. 6. 

475 

— 

— 

Gern. Kost 
+ 7 Tabletten 


23.-24. 6. 

375 

— 

— 

Gern. Kost 
+ 7 Tabletten 

Leichte Anfälle. 

24.-25. 6. 

360 

0,3 

1,08 

Gern. Kost 
+ 7 Tabletten 
+ lOOgGlukose 

Leichte Anfäl le. 

25.-26. 6. 

450 

" 


Gern. Kost 
+ 7 Tabletten 


26.-27. 6. 

450 

— 

— 

Gern. Kost 
-f 7 Tabletten 

Leichte Anfälle. 

27.-28. 6. 

450 

— 

— 

Gern. Kost 
+ 7 Tabletten 


28.-29. 6. 

450 

— 

— 

Gern. Kost 
t 2 Tabletten 

Leichte Anfälle. 

30. 6. 

— 

— 

— 

— j 

Exitus. Gewicht: 8000 g. 


Gck igle 


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Schilddrüse und Glykosurie. 


235 


Tabelle II. 

Hund von 12 000 g. Operation am 10. Juli 1907 in Aether-Narkose. 


Datum. 

Urin¬ 

menge 

ccm 

Glukose¬ 

gehalt 

pct-! g 

Fütterung. 

Bemerkungen. 

5.-6. 7. 

300 



Gern. Kost 


6.—7. 7. 

290 

— 

— 

Gern. Kost 


7.-8. 7. 

295 


— 

Gern. Kost 
+ lOOgGlukose 
Gern. Kost 


8.-9. 7. 

300 


— 


9.—10. 7. 

300 


— 

Gern. Kost 

Nachmittags operirt. 

10. —11. 7. 

300 


— 

Gern. Kost 


11.—1*2. 7. 

350 


— 

Gern. Kost 
+ lOOgG lukose 


12.—13. 7. 

350 

— 

— 

Gern. Kost 

Nachmitt, sehr schwerer 
Anfall. 

13.—14. 7. 

250 

— 

— 

Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 

14.-15. 7. 

300 

— 

— 

Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 

15.-16. 7. 

250 


— 

Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 

16.—17. 7. 

300 

1,8 

5,4 

Gern. Kost 
+ lOOgGlukose 

Schwere Anfälle. 

17.—18. 7. 

250 

Spuren. 

Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 

18.-19. 7. 

250 

— 

— 

Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 

19.-20. 7. 

250 

— 

— 

Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 

21-22. 7. 

250 

— 

— 

Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 

22.-23. 7. 

350 

1,8 

6,3 

Gern. Kost 
+ 100g Glukose 

Schwere Anf. 50 ccm Ader¬ 
lassblut 3 Stunden nach d. 
Nahrungsaufn. 0,244 pCt. 
Zucker. 

23.-24. 7. 

300 

Spuren. 

Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 

24.-25. 7. 

350 

— 

— 

Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 

25.-26. 7. 

525 

20,4 

12,6 

Gern. Kost 
+ lOOgGlukose 


26.-27. 7. 

350 

Spuren. 

Gern. Kost 

Gewicht: 10 750 g. 

27.-28. 7. 

110 

Spuren. 

Frisst nicht 

Exitus Abends. 


Tabelle HI. 

Hund von 7500 g. Operation am 24. October 1907 in Aether-Narkose. 




Urin- 

Glukose- 



Datum. 

menge 

gehalt 

Fütterung. 

Bemerkungen. 



ccm 

pCt. i 

g 



18.—19. 

10. 

180 



Gern. Kost 


19.-20. 

10. 

180 

— 

— 

Gern. Kost 


20.—21. 

10. 

190 

— 

— 

Gern. Kost 


21.—22. 

10. 

180 



4- 100g Glukose 
Gern. Kost 


22.-23. 

10. 

200 

— 

— 

Gern. Kost 


23.-24. 

10. 

195 

— 

— 

Gern. Kost 


24.-25. 

10. 

200 

— 

— 

Gern. Kost 

Am 24. Nachm, operirt. 

25.-26. 

10. 

200 

— 

— 

Gern. Kost 

26.-27. 

10. 

220 

— 

— 

Gern. Kost 


27.-28. 

10. 

300 



+ lOOgGlukose 
Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 

28.-29. 

10. 

320 

2 

6,4 

Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 

29.—30. 

10. 

300 

— 


+ 100g Glukose 
Gern. Kost 

Schwere Anfälle. Exitus. 


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236 


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R. Hirsch, 

Ueberblickt man die vorliegenden Tabellen, so drängt sich der 
Gedanke auf, dass die Schilddrüse hierbei nicht als glykolytisch wirk¬ 
sames Organ in Betracht kommt, wie man dies beim Pankreas sich 
direct oder indirect vorzustellen geneigt ist, sondern, dass es die Be¬ 
ziehung der Schilddrüse zum Nervensystem ist, die als ätiologischer 
Factor hierbei berücksichtigt werden muss, bezw. die Intoxication, welche 
die Ausfallserscheinungen bedingt. Die alimentäre Glukosurie, die zuerst 
von Kraus 1 ) und Ludwig beim Morbus Basedowii constatirt worden 
ist, tritt auch nur in die Erscheinung, wie Hirschl 2 ) auf Grund aus¬ 
gedehnter Untersuchungen feststellen konnte, sobald das Krankheitsbild 
im Zeichen acuter Intoxication steht (starke Abmagerung, Pulsbe¬ 
schleunigung, Psychosen etc.). In Parallele hierzu stehen die Fälle, bei 
denen nach längerem Schilddrüsengebrauch spontane Glukosurie sich 
zeigte. Das gemeinsame Moment in allen diesen angeführten Fällen beim 
Hyperthyreoidismus sowohl, wie bei den Ausfallserscheinungen der 

Tabelle IV. 

Iluod von 13 500 g. Operation am 8. Januar 1908 in Aether-Narkose. 


Datum. 

Urin¬ 

menge 

ccm 

Glukose¬ 

gehalt 

pCt. ! g 

Fütterung. 

Bemerkungen. 

4.-5. 1. 

250 

I 

Gera. Kost 


5.-6. 1. 

230 

- - 

Gern. Kost 


6.-7. 1. 

250 

- 1 - 

Gern. Kost 
-f lOOgGlukose 


7.-8. 1. 

260 

- ' — 

Gera. Kost 


8. -9. 1. / 

9. —10. l.\ 

500 

1 

_ ~ 

Gern. Kost 

Operirt am 8. Nachmittags. 

10.—11. 1. 

300 

_ I _ 

Gera. Kost 
+ lOOgGlukose 


11.—12. 1. 

250 

— i — 

Gern. Kost 

Ganz leichte Anfälle. 

12.-13. 1. 

300 

— — 

(iem. Kost 


13.—14. 1. 

450 

— , — 

Gera. Kost 

Schwere Anfälle. 

14.—15. 1. 

450 

3 , 13,50 

Gern. Kost 
-|- lOOgGlukose 
Gern. Kost 

Schwere Anfäl le. 

15.—16. 1. 

250 

Spuren. 

Schwere Anfälle. Ge¬ 
wicht: 11 500 g. 

16.—17. 1. 

200 

Spuren. 

Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 

17.-18. 1. 

170 

Spuren. 

Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 

18.-19. 1. 

250 

4 10,00 

Gern. Kost 
-f- lOOgGlukose 

Schwere Anfäl le. 

19.—20. 1. 

160 

Spuren. 

1 

Gern. Kost 
+ 5 Tabletten 

Leichte Anfälle. 

20.-21. 1. 

160 

_ 1 _ 

! 

Gern. Kost 
-p 5 Tabletten 

Leichte Anfälle. 

21.-22. 1. 

250 

— i — 

Gera. Kost 
+ 5 Tabletten 

Gewicht: 10 750 g. 

22.-23. 1. 

500 

0,8 4,0 

l 

Gera. Kost 
+ 6 Tabletten 
+ lOOgGlukose 

Leichte Anfälle. 

24.-25. 1. 

450 

1 

Gern. Kost 
-p 500 g Milch 
-f 7 Tabletten 

Exitus. Gewicht: 10500g. 


1) Kraus und Ludwig, Wiener klin. Wochenschrift. 1891. No. 40 u. 48. 

2) Hirschl, Jahrbücher für Psychiatrie und Neurologie. 1902. 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Schilddrüse und Glykosurie. 


23? 


Tabelle V. 


Hündin von 11 750 g. Operation am 24. Januar 1908 in Aether-Narkose. 


Datum. 

Urin¬ 

menge 

ccm 

Glukose- 

gchalt 

pCt. g 

Fütterung. 

Bemerkungen. 

18.—19. 1. 

350 

_ 


Gern. Kost 


19.-20. 1. 

310 

— 

— 

Gern. Kost 


20.-21. 1. 

345 

— 

— 

Gern. Kost 






+ lOOgGlukose 


21.—22. 1. 

350 

— 

— 

Gern. Kost 


22.-23. 1. 

400 

— 

— 

Gern. Kost 


23.-24. 1. 

400 

— 

— 

Gern. Kost 


24.-25. 1. 

410 

— 

_ 

Gern. Kost 

Operirt am 24. 1. Nachm. 

25.-26. 1. 

375 

— 

— 

Gern. Kost 


26.-27. 1. 

380 

— 

— 

Gern. Kost 


27.-28. 1. 

385 

— 

— 

Gera. Kost 


28.-29. 1. 

350 

— 

— 

Gern. Kost 






+ lOOgGlukose 


29.—30. 1. 

500 

— 

— 

Gern. Kost 


30.—31. 1. 

350 

— 

— 

Gern. Kost 


31.—1. 2. 

350 


— 

Gern. Kost 






+ 100g Gl ukose 


1.-2. 2. 

350 

— 

— 

Gern. Kost 


2.-3. 2. 

350 

— 

— 

Gern. Kost 

Leichte Anfälle. 

3.-4. 2. 

340 

— 

— 

Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 

4.-5. 2. 

400 

4 

16 

Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 





+ 100 g Glukose 


5.-6. 2. 

400 

Spuren. 

Milch 500 ccm 

Schwere Anfälle. 

6.-7. 2. 

370 


— 

Säuft nichts. 

Abends tot. 




Tabelle VI. 


Hund 

von 7900 g. Operation 

am 31. März 1908 

in Aether-Narkose. 


Urin- 

Glukose- 



Datum. 

menge 

gehalt 

Fütterung. 

Bemerkungen. 


ccm 

pCt. 

1 & 



25.-26. 3. 

250 

_ 


Gern. Kost 


26.-27. 3. 

300 

— 

i — 

Gern. Kost 


27.-28. 3. 

330 

— 


Gern. Kost 





j — 

+ lOOgGlukose 


28.-29. 3. 

300 

— 

! — 

Gern. Kost 


29.—30. 3. 

300 

— 

! _ 

Gern. Kost 


30.-31. 3. 

300 

— 

— 

Gern. Kost 


31.3.—1.4. t 

500 



Gern. Kost 

Operirt am 31. 3. Nach¬ 

1 .— 2. 4. \ 





mittags. 

2.-3. 4. 

280 

— 

— 

Gern. Kost 


3.-4. 4. 

180 

Spuren. 

Gern. Kost 





| 

+ lOOgGlukose 


4.-5. 4. 

180 

— 

1 — 

Gern. Kost 

Leichte Anfälle. 

5.-6. 4. 

200 

— 

1 — 

Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 

6.-7. 4. 

200 

15,4 

1 30,8 

Gern. Kost 

Schwere Anfälle. 





+ lOOgGl ukose 


7.-8. 4. 

— 

—• 


— 

Am 8. 4. tot. 


thyreoidektomirten Hunde, ist das Intoxicationsstadiura, insbesondere die 
dadurch bedingte Störung des Nervensystems. 

Die Athyreose, wie sie sich in dem Krankheitsbilde des Myxoedems 
äussert, in directe Parallele zu dem Krankheitsbilde des thvreoidekto- 

Zeitsehrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. jg 


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Go igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



238 


R. Hirsch 


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mirten Thieres zu setzen, ist bei der völligen Verschiedenheit des Symptomen- 
complexes und Verlaufes beider Krankheiten unmöglich. Auffallend bleibt 
die Beobachtung beim Myxoedem, dass sowohl eine Herabsetzung der 
Assimilationsgrenze für Zucker einerseits, als auch eine erhöhte Toleranz 
(Hirschl, Knöpfelmacher 1 ) andererseits, auftreten kann. Kraus und 
Ludwig suchten in einer beschleunigten Resorption die Ursache dieser 
alimentären Glukosurie zu deuten; der Gedanke, dass die Erhöhung der 
Toleranz für Traubenzucker in der verlangsamten Resorption beim 
Myxoedem in den beobachteten Fällen ihren Ausdruck finden könnte, 
ist damit ohne Weiteres gegeben. 

Dass als Ursache beim thyreoidektomirten Hunde nicht eine ne¬ 
phrogene für die Herabsetzung der Assirailationsgrenze in Betracht 
kommt, zeigt der Blutzuckergehalt in Tabellen I (11.—12. Juni 1907, 
9.—10. Juni 1907), II (22.—23. Juli 1902). Drei Stunden nach der 
Nahrungsaufnahme, der neben der gewohnten täglichen gemischten Kost 
100 g Glukose beigefügt worden war, betrug der 

Blutzuckergehalt 0,245 pCt. , ... rn 

bczw. 0,244 pCt. (an 2 ''erschienen Tagen) 

bei einer Zuckerausscheidung von 

6,0 g Glukose 
bezw. 6,3 g „ 

Die Enteiweissung des Blutes geschah mit Quecksilberjodjodkalium 
und Salzsäure, die Zuckerbestimmung nach der Allihn’ sehen Methode. 

Was die Beziehung der Schilddrüse zur Pankreasglykosurie anbelangt, 
so hat Lorand 2 ) angegeben, dass nach Exstirpation der Schilddrüse 
unter Zurücklassung der Parathyreoideae, Hunde, denen das Pankreas 
entfernt worden war, keine Zuckerausscheidung mehr zeigten. Ich habe 
bei einem Hunde, der 14 Tage lang nach Exstirpation des Pankreas eine 
durchschnittliche Glukosenmenge von 4 pCt. ausgeschieden hatte, die 
Schilddrüsen vollständig entfernt; die Tetanie setzte am dritten 
Tage nach der Operation ein; das Thier frass trotzdem die gewohnte 
gemischte Kost und schied dabei 5 pCt. Glucose täglich aus. Am sechsten 
Tage nach der Operation frass das Thier nicht mehr; der Urin enthielt 
nur noch Spuren von Glukose; am siebenten Tage waren in dem spärlich 
entleerten Urine — das Thier frass nichts mehr und nahm auch keine 
Flüssigkeit mehr auf — auch nicht mehr Spuren von Traubenzucker vor¬ 
handen; am Abend des siebenten Tages war das Thier im tetanischen 
Anfalle eingegangen. Dass hungernde Pankreasthiere keine Glukosurie 
zeigen, ist bekannt. Mein Versuch kann nicht in direkte Parallele zu 
dem Lorand’schen gesetzt werden, da ich die Schilddrüsen mit den 
Epithelkörperchen exstirpirt hatte. Dass aber die vollständigen Ausfalls¬ 
erscheinungen, wie sie in der tödtlichen Tetanie sich äussern, die Pankreas- 
glvkosurie nicht hemmen, geht aus dem erwähnten Fall evident hervor. 

Lorand betont übrigens selber die Möglichkeit, dass das Vcr- 


1) Knöpfelmacher, Wien. klin. Wochenschr. 1904. S. 244. 

2) Lorand, Transactions of the Puthologicul Society of London. Yol. 57. 
1900. Part 1. pag. KL 


Gck igle 


Original ftom 

UMIVERSITY OF MICHIGAN 



Schilddrüse und Glykosurie. 


239 


Tabelle VII. 

Hündin von 8000 g Körpergewicht am 3. März 1908. 



Urin¬ 

Glukose¬ 



Datum. 

menge 

gehalt 

Fütterung. 

Bemerkungen. 


ccm 

pCt. , 

g 



3.-4. 3. 

500 



Gern. Kost 


4.-5. 3. 

800 

— 


Gern. Kost 






+ 100g Glukose 


5. — 6. 3. 

420 

— 

_ 

Gern. Kost 


G.—7. 3. 

420 


— 

Gern. Kost 


7.-8. 3. 

450 

— 

— 

Gern. Kost 


8.-9. 3. 

480 

— 1 

— 

Gern. Kost 


9.-10. 3. 

450 

— 

— 

Gern. Kost 


10.—11. 3. 

450 

— 

— 

Gern. Kost 


11—12. 3. 

450 

— 

— 

Gern. Kost 

Operirt am 12. 3. Grosse 

12.—13. 3. 

Verloren. 

— 

— 

Gern. Kost 

blutreiche Drüsen. Morph.- 
Aether-Narkosc. 

13.—14. 3. 

400 

— 

— 

Gern. Kost 

Gewicht: 7000 g. 

14.—15. 3. 

420 

— 

— 

Gern. Kost 

15.—16. 3. 

100 

— 

— 

Gern. Kost 
+ lOOgGlukosc 


16.—17. 3. 

150 

— 

— 

Gern. Kost 


17.—18. 3. 

250 

Spuren. 

Spuren. 

Gern. Kost 


18.—19. 3. 

450 

Gern. Kost 


19.-20. 3. 

465 

— 

I — 

Gern. Kost 


20.—21. 3. 

480 


1 

+ 100g Glukose 




Spuren. 

Gern. Kost 


21.—22. 3. 

500 

Spuren. 

Gern. Kost 


22.-23. 3. 

500 

— 

! — 

Gern. Kost 


23.-24. 3. 

500 

— 

— 

Gern. Kost 


24.-25. 3. 

500 

— 

— 

Gera. Kost 


25.-26. 3. 

600 

— 

— 

Gern. Kost 


26.-27. 3. 

600 

— 

— 

Gern. Kost 


27.-28. 3. 

620 

— 

— 

Gern. Kost 


28.-29. 3. 

780 

— 

— 

Gern. Kost 


29.—30. 3. 

730 

— 

— 

Gern. Kost 


30. 3.—1.4. 

750 

— 

— 

Gern. Kost 


1.—2. 4. 

800 

— 

— 

Gera. Kost 


6 —7. 4. 

860 

— 

— 

Gern. Kost 


7.-8. 4. 

700 

— 

— 

Gera. Kost 


10.—11. 4. 

715 

— 

— 

Gera. Kost 


11.—12. 4. 

1000 

— 

— 

Gera. Kost 


12.-13. 4. 

700 

— 

— 

Gera. Kost 


13.-14. 4. 

680 

— 

— 

Gern. Kost 

Am 14. wiederum operirt. 

14.—15. 4. 

— 

— 

— 

Frisst nicht, 

Kleine accessorischc 





säuft nicht. 

Nebenschilddrüse ent¬ 

15.—16. 4. 

25 

— 

— 

Frisst nicht. 

fernt (ziemlich tief unten 

16.-17. 4. 

— 

— 

— 

Frisst nicht. 

an der Trachea liegend). 

17.—18. 4. 

— 

— 

— 

Frisst nicht. 

18.-19. 4. 

200 

1,2 

2,4 

Mittags 

Abends 3 ccm Schilddrüsen¬ 





get ressen. 

saft subcutan. 

19.-20. 4. 

50 

— 

— 

Frisst nicht, 

Abends 3 ccm Schilddrüsen¬ 



i 


säuft nicht. 

saft subcutan. 

20.—21. 4. 

— 

— 

— 

Frisst nicht. 


21.-22. 4. 

50 

2,4 | 

1 1,2 

Frisst nicht, 

Urin eiweisshaltig, enthält 




| 

säuft nicht. 

zahlreiche rotheBlutkörper¬ 
chen, keine Cylinder. 

22.-23. 4. 

— 

— 

i 

Frisst nicht, 

Abends 3 ccm frisch. Schild¬ 



i 


säuft nicht. 

drüsensaft intravenös. In 
der Nacht Exitus. 


IG* 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



240 


ft. Hirsch, Schilddrüse und Glykosurie. 


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schwinden der Glukose „terminale“ Erscheinung sein könne. Die vor¬ 
liegenden Versuche zeigen jedenfalls wiederum, wie die in der ersten 
Mittheilung, dass bei den thyreoidcktomirten Hunden, bei denen die Aus¬ 
fallserscheinungen in tödtlicher Tetanie sich äusserten, eine Herabsetzung 
der Assimilationsgrenze für Traubenzucker besteht. 

Bei einem dieser Hunde, Tabelle VH, trat spontane Glukosurie ein, 
ohne dass vermehrte Kohlehydrate zugeführt worden waren, ja selbst, 
als das Thier drei Tage keine Nahrung mehr zu sich genommen 
hatte. Die subcutane Injection von frischem Schilddrüsensaft hatte in 
diesem Falle das Allgemeinbefinden des Thieres in keiner Weise günstig 
beeinflusst. Der Hund verweigerte trotz der Injection jegliche Nahrungs¬ 
aufnahme und starb kurz nach der dritten Injection. 

Zusammenfassung. 

I. Die vollständige Thyreoidektomie, die in tödtlicher Tetanie sich 
charakterisirt, zeigt bei Hunden symptomatisch eine Herabsetzung der 
Assimilation für Traubenzucker, wie im Ganzen an 14 Hunden beobachtet 
werden konnte. 

II. Diese Stoffwechselstörung tritt nicht unmittelbar im Anschluss 
an die Operation auf,' sondern erst, sobald sich Ausfallserscheinungen 
überhaupt zeigen. 

III. Bei einer ganzen Reihe von Thieren (Hunden), denen die Haupt¬ 
schilddrüsen entfernt worden waren, die aber niemals irgend welche 
Krankheitszeichen erkennen Hessen, aber durch Nebenschilddrüsen ge¬ 
schützt waren, zeigte sich keine Glukosurie nach Zufuhr von 100 g 
Traubenzucker. 

IV. Eines der Thiere zeigte spontane Glukosurie, auch im hungernden 
Zustande; dieser Hund war mit Injectionen von frischem Schilddrüsen¬ 
saft behandelt worden, ohne dass der Allgemeinzustand des Thieres 
günstig dadurch beeinflusst worden wäre. 

V. Die Zufuhr von Tabletten begünstigt die Assimilation der Glukose, 
insofern sie die Ausfallserscheinungen überhaupt zu compensiren vermag. 

VI. Da die Glukosurie erst gleichzeitig mit der Tetanie einsetzt, oft 
erst am 4.—5. Tage nach der Operation, ist nicht anzunehmen, dass die 
Störung auf eine glykolytische Function der Schilddrüsen hinweist, sondern 
als Ausfallssymptom in Zusammenhang mit der Störung des 
Nervensystems steht. 

VII. Die Glukosurie geht parallel mit Hyperglykaemie. 

VIII. Von Thieren mit vollständiger Thyreoidektomie eignen sich 
überhaupt nur wenige für Stoffwechseluntersuchungen, da die Thiere theils 
im ersten tetanischen An falle eingehen, theils weil sie jegliche Nahrungs¬ 
aufnahme verweigern und Schlundsondenfütterung bei solchen Hunden 
unmöglich ist, da sofort bei Einführung der Sonde ein Anfall ausge¬ 
löst wird. 

Die Arbeit wurde ermöglicht durch die Unterstützung, die mir das 
Curatorium der Gräfin Bose-Stiftung zu Thcil werden liess. 


Gck igle 


Original fro-m 

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XXII. 

Aus der medicinischen Klinik der Universität Marburg a. L. 

Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 

Von 

V. Sonnenkalb. 

(Curven in Diagraramforinat ara Endo der Arbeit.) 


Einleitung. 

lieber die Einwirkung der Arzneimittel auf den menschlichen Kreis¬ 
lauf sind eingehendere Untersuchungen noch nicht angestellt worden. 
Man hat sich im allgemeinen begnügt, rein aus dem klinischen Ver¬ 
lauf von der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines Kreislaufmittels sich 
zu überzeugen, und hat dabei manche interessanten Beobachtungen ge¬ 
macht, deren genauere Analyse mit den damaligen Methoden der 
Inspection, Palpation, des Pulszählens und der Feststellung von Diurese 
und Athmung jedoch nicht immer gelang. Die Pharmakologie hat uns 
dann durch Thierversuche unter Anwendung der verschiedensten Methoden 
(Druckmessung, Plethysmographie, Arbeit am isolierten Herzen etc.) die 
Pharmakodynamik unserer Kreislaufmittel geklärt und hat uns manchen 
werthvollcn Aufschluss gebracht auch über Dinge, die uns klinisch be¬ 
kannt, aber nicht deutbar waren. Die Werthschätzung dieser wissen¬ 
schaftlichen Resultate darf jedoch nicht zu weit gehen, denn man muss 
immerhin bedenken, dass sie vorwiegend am gesunden Thier gewonnen 
worden sind, und dass ihre Uebertragung von einer andern Thiergattung 
auf den Menschen nicht für alle Einzelheiten angängig ist. Der Forderung 
Pawlow’s, Pharmakologio am kranken Thier zu treiben, ist von ver¬ 
schiedenen Seiten wohl nachgekommen worden, auch für Untersuchungen 
von Kreislaufmitteln. (Romberg, Pässler u. A.), doch sind diese 
Untersuchungen nicht sehr zahlreich. 

Zur Klärung unserer Kenntnisse ist es aber unbedingt nothwendig, 
die Erfahrung am menschlichen Kreislauf, am gesunden wie am 
kranken, direkt zu gewinnen. Zwei Momente standen diesem Vorgehen 
entgegen; erstens die für eine Anzahl von Präparaten nach Ort und 
Jahreszeit oft schwankende Stärke der Arzneimittel die Fixirung des 
wirksamen chemischen Complexes, die Anwendungsform und zweitens die 
Untersuchungstechnik, ln beiden Punkten haben wir in den letzten 
Jahren ganz bedeutende Fortschritte gemacht, indem wir gerade bei 
Kreislaufmitteln eine Anzahl von Präparaten erhalten haben, die eine 
constante Wirkung besitzen, die sich vor allem auch mit Umgehung 


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Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



242 


V. Sonnen kalb, 


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des Magen-Darrakanals anwenden lassen. Auch unsere Technik hat sich 
bedeutend verbessert. Die Bestimmungen des diastolischen und systolischen 
Blutdrucks (Sahli, Strassburger, Erlanger-Hooker, Massing u. A.) 
im Verein mit einem neuen Instrument zur unblutigen Bestimmung des 
Blutdrucks (Tonometer-Recklinghausen) haben uns in Stand gesetzt, 
uns in den peripheren Gefässgebieten doch mit einer gewissen Genauigkeit 
über den dort herrschenden Blutdruck zu orientiren. Dass wir hierbei 
natürlich keine absoluten Werthe erhalten, braucht wohl nicht weiter 
ausgeführt zu werden. Hat man aber bei ein und demselben Patienten 
bei fortlaufenden Bestimmungen immer die gleichen Fehler, so kann man 
natürlich mit einiger Reserve Schlüsse aus diesen Bestimmungen auf den 
Kreislauf ziehen. Man ist sogar schon weiter gegangen und hat aus der 
Combination der systolischen und diastolischen Werthe, in Verbindung 
mit der Pulszahl, gewisse Werthe gebildet, die uns über Strömungs¬ 
geschwindigkeit, Herzarbeit etc. Aufschluss geben und uns die Möglich¬ 
keit bieten sollen, zwei wichtige Faktoren des Kreislaufs auseinander zu 
halten, die Arbeit des Herzens und die der peripheren Gefässe. Näheres 
über diese Punkte ist weiter unten ausgeführt. 

Damit fallen die hauptsächlichsten hindernden Momente für die 
Untersuchung am Menschen fort, und ich habe mich in Folge dessen auf 
Veranlassung von Herrn Priv.-Doc. Dr. v. d. Velden 1 ) mit der Wirkung der 
wichtigsten Herz- und Gefässmittel auf den menschlichen Kreislauf 
eingehend beschäftigt. Ich habe Versuche angestellt mit Campher, 
Coffein, Theobromin, Natr. nitros., Chloralhydrat, Morphium, 
Kochsalz, Atropin, Kal. jodat. Die beiden letzteren Stoffe, über die 
die vorliegenden Versuche noch keine eindeutigen Resultate ergeben haben, 
müssen erst noch durch eine längere Reihe von Experimenten in ihrer 
Wirkung festgelegt werden. Sodann habe ich mich noch mit einem neueren 
Präparat, dem Bromural ^-Monobromisovalerianylharnstoff) beschäftigt, 
das uns in bestimmten Fällen in der Marburger medizinischen Klinik so 
gute Dienste leistete, dass es uns einer eingehenden Untersuchung werth 
erschien. 

Ich habe mich bei meinen Versuchen der von v. d. Velden in 
seinen Arbeiten festgelegten und ausführlich beschriebenen Functions¬ 
prüfung des Kreislaufs bedient, und habe dieselbe mit dem v. Reck- 
linghausen’schen Tonometer, das wegen seiner exacten Arbeit jetzt 
wohl allgemein bevorzugt wird, ausgeführt. Es würde mich zu weit 
führen, wollte ich genau auf diese Art der Kreislaufprüfung eingehen, ich 
muss dabei auf das im vorigen Jahre erschienene Buch von v. d. Velden 2 j 
hinweisen, und kann sie nur mit einigen Worten beschreiben. 

Das Wesentliche ist, dass an den Kreislauf bestimmte, ganz genau abzustufende 
Anforderungen gestellt werden. Hierbei werden bestimmte Messungen ausgeführt, 
die die Art des Zusammenarbeitens von Herz und Gelassen erkennen lassen sollen. 
Der zu Untersuchende wird nacheinander 1. horizontal liegend, 2. und 3. sitzend, 
und zwar einmal mit horizontal gelagerten und dann mit herabhängenden Beinen, 


1) Sitzgsber. d. Gesellsch. z. Bef. d. ges. Naturw. Marburg. I. 1908. 1. 

2) Coordinationsstörungen des Kreislaufs. Marburg 1907. 


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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


243 


und 4. stehend mit dem Tonometer gemessen, wobei die Manschette am rechten Arm 
in Herzhöhe befestigt und dieser rechtwinklig gebeugt passiv (durch eine Mitella) am 
Körper fixiert wird. In jeder Stellung werden diastolischer Werth oscillatorisch, 
systolischer Werth palpatorisch in Kubikcentimetern H 2 0 bestimmt, zugleich jedesmal 
der Puls und zu Anfang jeder Functionsprüfung die Athmung gezählt. Aus diesen 
Werthen ist es nun möglich, den in dem Armbezirk herrschenden Gefässtonus, den 
arteriellen Mitteldruck, Pulswelle, Strömungsintensität, einzeln systolische Herzarbeit 
und Herzleistung in der Zeiteinheit zu berechnen. Alle Maasse, die sich auf das 
Herz beziehen, sind dabei relativ, da sie aus der Peripherie gewonnen sind, und 
in bestimmten Fällen überhaupt nicht zu gebrauchen, nämlich dann, 
wenn ein Antagonismus der Gefässweite zwischen Peripherie und Splancbnicusgebiet 
besteht, der so und so oft verkannt wird. Wir werden darauf später noch genauer 
eingehen. Es bat sich nun gezeigt, dass sich beim normalen Menschen ein ganz be¬ 
stimmter Verlauf der Curven, auch der für die Herzarbeit, ergiebt, der nur in ganz 
geringen Grenzen variirt. Ich lasse zunächst aus Veldens Arbeit eine dieser als 
normal anzusprechenden Coordinationsprüfungen folgen, eine Curve wie ich sie auch 
beim Normalen stets gefunden habe. Dabei haben die in der 1. Rubrik stehenden 
Ausdrücke nach der v. d. Velden’schen Definition folgende Bedeutung: 

R = Athmungsfrequenz. q = Blutdruckquotient, 

n = Pulsfrequenz. n X m = rel. Maass für die Strömungs- 

s = systolischer Druck. intensität. 

d = diastolischer Druck. m X <1 = rel. Maass für die Herzarbeit, 

p = Pulsdruck (Amplitude). m X q X n = rel. Herzarbeit in der 

m = Mitteldruck. Zeiteinheit. 

Die verschiedenen Stellungen 1—4 (s. oben) sind mit A, B, C, D bezeichnet. 

Fig. 1 (Versuch I). 

HO 

m 


J00 



Versuch I. 

Prot. 1. W. M., 20 Jahre. 15. 12. 1906. 



A 

B 

c ! 

D 

R 

! 

20 


j 


n 

72 1 

70 

70 1 

78 

s 

172 

180 | 

174 

168 

d 

100 

105 i 

104 

102 

P 

72 

75 

70 

66 

m 

136 

142 

139 

135 

P 

<J = sT 

0,41 

0,41 

0.4 

0,39 

nXp 

5148 

5250 

5140 

5148 

mX P 

s 

55,8 

58,2 

55,6 

52,6 

m X P X n 
s 

4017 

4074 

3892 

1 4096 

i 


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V. Sonnenkalb, 


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Normaler Mensch. (Aus Velden, Coordinationsstörungen des Kreislaufs, S. 62.) 

m und s zeigen etwas höhere Werthe. Roaction in normalen Grenzen, bei D 
Neigung zum Abfall, d zeigt einen s annähernd parallelen Verlauf, p, an der 
oberen physiologischen Grenze, hält sich mit seinen reactiven Werthen in den als 
normal anerkannten Grenzen, während q wie s eine geringe, aber noch physiologische 
Tendenz zum Fallen zeigt, n X P hält sich, wie das Minutenproduot, auf gleicher 
Höhe. Die Herzarbeit zeigt gegen Ende mehrfach Tendenz zum Fallen. Frequenz- 
reaction ist normal. 

Resultat: Coordinirtes, normales Bild, alle Werthe in normalen Grenzen. 
Nach Strassburger und Hooker spricht der ganze Befund auch für normalen 
Verlauf des Kreislaufs. 

Der Vergleich pathologischer Verhältnisse mit dieser normalen Curve 
der Functionsprüfung lässt nun natürlich einen berechtigten Schluss zu 
auf die krankhaften Kreislaufänderungen, und durch die von Velden 
durchgeführte Analyse sind wir auch befähigt, nicht nur zu bestimmen, 
ob allgemein ein hoher oder tiefer Blutdruck vorliegt, sondern auch, 
selbstverständlich mit gewissen Einschränkungen, welche Com- 
ponente wir vorwiegend bei den krankhaften Erscheinungen des Kreislaufes 
ergriffen ist. Sodann können wir feststellen, ob das pathologische 
Functioniren der Kreislaufregulation durch Mehranlorderungen, wie sie 
diese Prüfung mit sich bringt, noch gesteigert wird. Sehr oft hat 
man im Anfang der Prüfung keine krankhaften Verhältnisse, 
sie kommen bei Anforderungen an die beiden Kreislauf- 
componenten im Verlauf der Prüfung erst heraus. Zu betonen 
ist aber, dass man sich wohl davor hüten muss, die Werthe, die in 
directer Beziehung zur Herzarbeit stehen, als absolute anzusehen, denn 
sie sind ja gewonnen durch Beobachtung nur eines, und zwar eines be¬ 
schränkten Abschnittes der Peripherie; doch sind sie für einfach liegende 
Verhältnisse untereinander gut zu verwerthen, wenn nämlich gleichsinnige 
Veränderungen in allen Gefässgebietcn vorliegen. Nun lehrt aber die 
Erfahrung, dass zwischen Peripherie. und Spanchnicusgebiet unter Um¬ 
ständen ein Antagonismus besteht, dass die gut arbeitenden Vasomotoren 
Erweiterungen der Bauchgefässe mit einer peripheren Constriction be¬ 
antworten und umgekehrt. Dann sind die unter den drei letzten 
Rubriken (B, C, D) gewonnenen Werthe als Ausdruck der Herzenergie auf 
keinen Fall zu verwerthen. Hält man sich das Obenerwähnte vor 
Augen und lässt sich nicht verleiten, durch die gewonnenen Werthe 
Schlüsse zu ziehen, zu denen unsere Versuchsraethode eben nicht be¬ 
rechtigt, so haben wir hier eine Functionsprüfung für den Kreislauf vor 
uns, die den klinischen Ansprüchen genügt, wie auch die durch unsere Ver¬ 
suche gewonnenen Resultate beweisen werden, die eigentlich stets das 
aus Thierexperiment und klinischen Erfahrungen hergeleitete Urtheil üher 
die entsprechenden Pharmaca bestätigen, ihre Wirkungsweise sogar genauer 
und präciser umgrenzen. 

Welche Vortheile unsere Versuchsanordnung vor der bei Gebrauch 
der Arzneimittel von einzelnen Autoren angewandten Blutdruckmessung 
in der gleichbleibenden, meist liegenden Stellung haben, liegt auf der 
Hand. Wir sind nur durch Relationen zwischen den Werthen der 


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Zur Pharmakologie der Kreislaufsooordination. 


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einzelnen Stellungen berechtigt, einen Schluss auf die Herzarbeit zu 
ziehen, namentlich dadurch, dass wir ihr Verhalten den geringen An¬ 
forderungen des Stellungswechsels gegenüber untersuchen. Zugleich ge¬ 
winnen wir ein sicheres Urtheil darüber, ob der Tonus der Gefässe 
kräftig und constant ist, ob er mit einer normalen oder hypernormalen 
Erregbarkeit der Vasomotoren einhergeht. Denn unzweifelhaft giebt es 
auch eine mit Vasodilatation einhergehende Uebererregbarkeit der Vaso¬ 
motoren, also es ist die Aenderung von Tonus und Erregbarkeit nicht 
immer gleichsinnig. Dasselbe findet sich auch in Bezug aufs Herz. 

Ich stellte nun die I. Messung kurz vor Verabreichung des Mittels 
an und sah, wie sich die Kreislaufverhältnisse in ihren beiden Compo- 
nenten verhielten, und konnte dann durch weitere, nach Eintritt der 
pharmakologischen Wirkung eingeleitete Messungen sehr schön con- 
statiren, welche der beiden Componenten vorwiegend, Herz oder Gefässe, 
und wie sie beeinflusst wurden. Bemerken möchte ich nur, dass es 
nicht immer möglich war, eine völlige Beruhigung vor der Messung in 
den einzelnen Stellungen abzuwarten, da wir es oft mit Schwerkranken 
zu thun hatten. Wir haben uns dann dadurch geholfen, dass wir die 
Stellungsänderung durch Unterstützung möglichst passiv ausführen Hessen 
Ich habe jede Versuchsreihe zunächst mit einer Reihe normaler Fälle 
begonnen, und bin dann erst zum pathologischen Kreislauf übergegangen, 
und es ist hier im allgemeinen schon zu sagen, dass am kranken 
Circulationssystem dieselben Veränderungen auf Zufuhr der Pharmaca, 
nur noch eclatanter, zu Tage traten wie beim Normalen. 

Die Eintheilung der folgenden Capitel ist so getroffen, dass nach einer 
kurzen orientirenden Uebersicht über die bisher bekannten Thatsachen 
der in Frage stehenden Substanzen, die Resultate zusammenhängend be¬ 
sprochen werden, wie sie sich aus unseren Untersuchungen ergaben. Am 
Schluss der einzelnen Capitel stehen dann diesbezügliche Protokolle, von 
denen selbstverständlich nur ein kleiner Theil in extenso mitgetheilt 
werden konnte. 

Campher. 

Die Wirkung des Camphers auf den Kreislauf ist bis jetzt wohl nur thier- 
experimentell eingehend untersucht worden. Nach diesen Versuchen zerfällt die 
Wirkung des Camphers in 2 Componenten: 1. in die Wirkung aufs Cor, 2. in die 
auf die peripheren Gefässe und ihre nervösen Centralapparate. Während nun die 
erstere ein viel umstrittenes Gebiet darstellt, darf man die GefässWirkung des 
Camphers wohl für das Thier als allgemein anerkannt darstellen. Man hat gefunden, 
dass nach Camphergaben am Thier der Blutdruck steigt, und zwar, dass diese 
Steigerung eine periodische ist (Wiedemann). 1 ) Diese Druckerhöhung wird nach 
den eingehenden Versuchen Wied ernannt hervorgerufen durch eine Erregung der 
medullären Vasomotorencentren (cf. auch Lewin). 2 ) Paessler 3 ) wies nach, dass 

1) Wiedemann, Beiträge zur Pharmakologie des Camphers. Arch. f. exper. 
Pharraakol. Bd. 6. 

2) Lewin, Beiträge zur Pharmakologie des Camphers. Arch. f. exper. Pharma¬ 
kologie. Bd. 27. 

3) Paessler, Experimentelle Untersuchungen über die allgemeine Therapie der 
Kreislaufstörungen bei acuten Infectionskrankheiten. Deutsch. Arch. f.klin.Med. Bd.64. 


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V. Sonnen kalb 


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eine Steigerung des Tonus nicht nur ain normalen, sondern auch am pathologischen 
Kreislauf regelmässig eintritt. Winterberg 1 ) fand zwar nach grossen Dosen eine 
Vasodilatation, verlegte aber den Angriffspunkt des Campbers in diesen Fällen in die 
peripheren Apparate. Was nun die Wirkung des Camphers aufs Cor anlangt, so 
hat sich zunächst gezeigt, dass derselbe auf das normal arbeitende Herz gar keine 
Wirkung ausübt, wenigstens beim Säugethier nicht. Gottlieb 2 ) giebt an, dass der 
Campher an der absoluten Kraft der normalen Systole keine Aenderungen hervorrufe; 
unzweifelhaft günstig ist dagegen die Wirkung, die am geschädigten Cor durch 
Campher hervorgerufen wird. Gottlieb präcisirt seine Resultate dahin, dass der 
Campher „bei pathologischem Versagen die Anspruchsfähigkeit oder Erregbarkeit des 
Herzens steigert, so dass das Herz zu neuen Leistungen fähig wird.“ Im Gegensatz 
zu diesen durchweg günstigen Resultaten kam Winterberg 1 ) zu dem Ergebniss, dass 
Campher in jedem Falle schädigend auf das Warmblüterherz einwirke. Böhme 3 ) 
stellte dann noch fest, dass der Campher an den reizerzeugenden Apparaten angreift 
im Sinne einer Erregbarkeitssteigerung. Diesen Versuchen, die durchaus nicht ein¬ 
deutig sind, stehen die günstigen klinischen Erfahrungen gegenüber, wenn auch 
Happich unter Umständen eine schädigende Wirkung des Camphers aufs Cor fest- 
gestellt hat. Untersuchungen am menschlichen Kreislauf mit den neuen Unter¬ 
suchungsmethoden fehlen noch. 

Gehen wir nun zu unseren Versuchen über, die wir am Menschen 
mit der Eingangs besprochenen Methode angestellt haben. Wir haben 
im Ganzen 8 Campherversuehe sowohl am Kreislaufgesunden wie am 
Kreislaufkranken (Arteriosklerose, decorapensirtes Vitium, Kreislauf- 
Insufficicnz in Folge von Infectionskrankheiten, Kreislauf-Neurosen) unter¬ 
nommen, und zwar haben wir Ol. camph. fort, in Dosen von 1,0—2,0 
subcutan injicirt. Erwähnt sei der principielle Unterschied zwischen 
unsern Versuchen und den oben erwähnten am Thier unternommenen, 
der in der Grösse der angewandten Dosen liegt (2,0 01. camph. = ca. 
0,007 pro Kilogramm Mensch gegen 0,5—0,2 pro Kilogramm 
Kaninchen). Der Verlauf der Versuche war derartig, dass wir nach 
Feststellung der Anfangswerthe die Injection folgen Hessen, und sodann 
die 2. Messung ungefähr 20 Minuten, die 3. Messung 50 Minuten nach 
der Injection Vornahmen. 

Ara meisten ins Auge springt die Wirkung des Camphers auf die 
Vasomotoren. In den meisten Fällen sahen wir zunächst eine wenn 
auch nicht sehr starke Uebererregbarkeit der Gefässnerven: deutlich 
tritt das bei einem Fall von Pneumonie mit gleichzeitiger Kreislauf¬ 
schwäche hervor (Versuch IV), wo die Spitze der diastolischen Werthe 
in der II. Messung bei C liegt, und bei einem Falle von Arteriosklerose 
in der II. Messung bei D. Weniger eclatant, aber fast immer vorhanden 
war diese Vasomotorenerregbarkeit bei den anderen Versuchen. Anderer¬ 
seits fanden wir bei einem Mitralvitium, das schwer decompensirt in 
die Klinik kam und dessen Kreislauf durch Strophantin und Campher 

1) Winterberg, Experimentelle Untersuchungen über die Wirkung des 
Camphers auf das Herz und die Gefässe der Säugethiere. Pllüger’s Arch. Bd. 14. 

2) Gott lieb, Herzmittel und Vasomotorenmittel. Verb. d. XIX. Cong. f. innere 
Med. Wiesbaden 1901. 

3) Böhme, Ueber die Wirkung des Camphers auf das durch Chloralhydrat 
vergiftete Frosch herz. Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. 52. 


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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


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schon bedeutend gebessert war (Versuch III), eine geringere Vasomotoren¬ 
erregbarkeit nach der Injection als bei der I. Messung, wo die Gefäss- 
nerven colossal erregt arbeiteten. Neben dieser Uebererregbarkeit des 
Vasomotorensystems tritt aber schon gewöhnlich bei der II. Messung 
ein kräftigerer Gefässtonus hervor, namentlich da, wo wir es mit 
einem labilem Gefässsystem zu thun haben (Versuch II, III); das zeigt 
sich einmal in dem Hochgehen der diastolischen Werthe, und dann auch 
in einem regelmässigen Verlauf der 2. Curve. Namentlich bei der schon 
erwähnten Pneumonie (Versuch IV) wird der Tonus im allgemeinen kräftig 
und gleichmässig, während daneben bei C eine geringe Erregbarkeit 
hervortritt Den besseren Tonus fanden wir auch bei dem oben er¬ 
wähnten Mitralvitium (Versuch HI), bei dem dagegen die Erregbarkeit 
gleichzeitig abnahra, sowie bei 2 Phthisen, die ja unter ihrem labilen 
Gefässsystem oft sehr zu leiden haben. Sein Optimum dagegen erreicht 
der Tonus gewöhnlich erst später, nach 50 Minuten, bei der III. Messung. 
Wenn man sieht, wie aus einer uncoordinirten oft eine coordinirte Curve 
wird, so ist das an und für sich wohl beweisend genug. Der frühere labile 
Gefässtonus ist stark, hält sich constant auf seiner Höhe und vermag sich 
der oft schwankenden Herzarbeit in vollkommenster Weise anzupassen. 

Zugleich vermochten wir in den meisten Curven einen äusserst 
günstigen Einfluss auf die Herzarbeit festzustellen. In den meisten 
Fällen handelt es sich um eine Regulation der vorher schwankenden 
Thätigkeit des Cor, ein besseres Reagiren auf die vermehrten Anforde¬ 
rungen, die an dasselbe bei den verschiedenen Körperhaltungen gestellt 
wurden. Daneben war in einigen Fällen und zwar gerade da, wo der 
Kreislauf und die Herzkraft besonders darnieder lagen, ein deutliches 
Steigen der Energie sowohl in der Einzel- wie der Gesammtleistung fest¬ 
zustellen, während es in anderen Fällen ausblieb. Die hauptsächlichste 
Herzwirkung des Caraphers scheint also in einem zweckmässigen An¬ 
sprechen des Cor auf die ihm übermittelten Reize zu bestehen. Die 
gute Regulation der Herzthätigkeit konnten wir bei einer Arteriosklerose 
beobachten, wo die Herzarbeit bei der I. Messung von A bis D constant 
abfiel und nur durch die Pulsfrequenz bei D hochgehalten werden konnte, 
bei den anderen dagegen sich mehr auf constanter Höhe hielt. Auch 
bei 2 Fällen von Pneumonie (Versuch IV, V) war das zu sehen. Weniger 
eklatant, aber doch erkennbar spricht sich dieses Verhalten in den anderen 
Protokollen aus. Interessant ist es, dass bei dem oben schon erwähnten 
Fall von Mitralinsufficienz (Versuch III), wo das Herz zuerst mit einem 
starken, aber schwankenden Kraftaufwand arbeitete, die Arbeitsleistung 
offensichtlich auf ein geringes Maass zurückgeführt wurde. Was nun die 
absolute Kräftigung der Herzarbeit durch Campher anbelangt, so zeigt 
sich eine solche namentlich in 2 Fällen von Pneumonie (Versuch IV, V), 
wo das Herz sehr geschwächt und der Puls weich war. In beiden 
Fällen steigt die absolute Herzenergie beträchtlich an. 

Während so der Camhper auf jede einzelne Kreislaufcomponente einen 
unzweifelhaft günstigen Einfluss ausübt, wird die Wirkung dadurch eine 
noch bessere, dass das Zusammenarbeiten von Vasomotoren und Cor ein 
besseres, oft optimales wird. 


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V. ;Sa<i«enk f»|b, 


Afidcrerseiis muss man aller <u(iefju)i. wie schon Seh mifdeb-er.g 
juiführt, (lass die Wirkung des Cainphers in ihrer Stärke nie genau iia 
dosiren ist. Der Erfolg, der in dem einer. Falle eklatant ist, lässt im 
anderen doch zuweilen au wünschen -übrig. 1 » Dasselbe gilt von dei 
Dauer der.Caroßberwirkung. Sie tritt relativ schnell ein. Immer konnten 
wir sie nach spätestens 20 Minoron schon ver/eichncm, ausser in einem 
Falle iVet'Siidi V), wo sie erst nach i\0 Mmun-n 1. er vor; rat. ''Anderersei».s 
klingt sie sciiii,;!! ab, bei ismteh Versuchen schon nach hi) Minuten und »war 
betrifft das Abklingen nicht beide Fäetoreo gleichzeitig. '■ Wir ' sähen ein 
Sinken des Tmtus bei- noch hüdigebaliencr Hofzthätigkcit und umgekehfE. 

Es ergiebl s'icli also uns den UiOefstichutjgen, dass der Campher ein 
gut und nanii'inCmh schnell wirkendes Analepneutß für den ganzen Kicis- 
iauf ist; dass er aber wegen seiner kupier, Wirkungsdauer oft, mindestens,. 
Sslündliuh in Dosen von 2,0—3,0, gegeben werden muss, wenn länger 
dauernde Effecte' erzielt werden sollen. -.Soll-- dem'-'Krakläuf über- ein 
akutes Erlahmen bimveggeholfori werden, z. D, beim Colbps. midi der 
Narkose,-So wird es liier -vorzügliche Dienste leiden Weiterhin scheun 
es seine beste Wirkung da zu-entfalten,. wo baoptsäehlmh das Rep; schwof 
durch eine organische Erkrankung seines Muskels geschädigt ist Fs 
stinvim dies mit der klinischer, Erfahrung vollständig übereil'.. Es ist 
uns nur der F.ir,blink in die Dynamik des Catnphörs am menschlichen 
Kreislauf klarer geworden und die Uniieation können wir pr,iciser sU-lleu; 

V e .-u v I. il 

Pjw(: % Cv Seit,' 20 .tahrt. 4 . - 12 . 1207 su-hc Kig. % hitdrol. 

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Ncnt.ii*» Fdl L Kein pavboio^i.^chvr BdLdiuI. 

I. 'Bn. Bei Ü ttit* (>*‘{ipht^D Oefässn mit oinor 

{■..rtfiiKhiAß; Idm * DdUed <u:h dirt uiigeiahr auf »lerselbün Hotivs im 

<iur.tj) i*ei D sutti. ab/»üaiku. \\ ir haben also eim* v asooioim i;- •.. h * U^bn • 

•brr*.Mrba>ir. n L)u: ArU*n ■•!vter.slärkDivn 

CuDUdM.linn tnfi B '..«v, .Db* ih>* il'.- i/cc imoifc bin noch sUirKoror. AashDv 

XVp.ribc \m C\ wohl tun <iti> bj;^tk v h dhB lei<Atfra^nffn(ractlon- der 


i,j! VVii* an :4 im^ten PrüLokttlian kh'hr iMrvor^ftht» 






Co gle 






Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


249 


Peripherie zu überwinden. Bei D fällt Gefässtonus und Herzarbeit gleichsinnig ab. 
Das Herz passt sich also den erregten Vasomotoren gut an. 

10 Uhr 5 Min.: Subcut. Inject, von 01. camphor. fort. 2,0. 

II. 10 Uhr 25 Min.: Während das periphere Gefässsystera sich bei B contrahirt, 
lallt die Einzelarbeit des Herzens ab, eine erhöhte Pulsfrequenz paralysirt diese ver¬ 
minderte Contractionsintensität aber gut. Bei C steigen die peripheren Widerstände 
noch mehr, es liegt also eine übernormale Vasomotorenerregbarkeit vor, auch die 
Einzelsystole ist kräftiger, die Arbeit in der Zeiteinheit sinkt dagegen ab. Bei D 
lasst die Gefässcontraction nach, ebenso die systolische Arbeit des Herzens, während 
seine Gesammtlcistung ansteigt. Während also in der Contractionsstärke des Herzens 
sich eine Tendenz zum Abfall zeigt, wird durch Pulsverschiebung eine den Ansprüchen 
entsprechende Arbeit vom Cor geleistet. Die Widerstände sind in toto etwas erhöht 
im Vergleich zu I. 

III. 11 Uhr: Bei B ein normales reactives Ansteigen der Widerstände, die bei 
II. vorhandene periphere Contraction bei C bleibt hier weg. Der Abfall der Wider¬ 
stände bei D ist normal gross. Die diastolischen Werthe ergeben also dasselbe Bild 
wie bei I., nur sehr gut coordinirt, ein Zeichen von ruhigem, gleichmässigem Tonus, 
ln der Arbeit der Einzelsystole erscheint wieder eine leichte Tendenz zum Abfall, 
wobei aber durch Steigen der Pulsfrequenz und das ausgezeichnete Zusammenarbeiten 
der beiden Kreislauffactoren eine so vorzügliche Regulation geschafTen wird, dass ein 
coordinirtes Bild entsteht und der Mitteldruck einen ruhigen, annähernd normalen 
Verlauf nimmt. 


Versuch III. 

Prot. 6. M. V., 22 Jahre. 3. 12. 1907. 



Vitium mitrale, kam am 13. 11. schwer decompensirt in die Klinik, am 
3. 12. war eine leichte Compensation wieder erreicht. 

I. 9 Uhr 40 Min.: Ein sehr erregter Kreislauf. Bei B reagiren die peripheren 
Gefässe ganz normal, während das Cor in der Einzelsystole einen übermässigen Kraft¬ 
aufwand macht, der durch Herabgehen der Pulsfrequenz ausgeglichen wird. Bei C 
verringern sich die Widerstände etwas, die Herzarbeit steigt in beiden Werthen nur 
wenig an, der Mitteldruck sinkt. Bei D dagegen tritt eine Contraction in Peripherie 
und Splanchnicusgebiet ein, also ein Zeichen von Vasomotorenerregbarkeit. Zugleich 
steigt die Auswurfsmenge stark an, was allerdings durch ein Herabgehen des Pulses 
compensirt wird. Wir findon also auffallende Schwankungen in der Herzenergie, die 
etwas durch entsprechende Ausschläge des Pulses wieder ausgeglichen werden. 


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V. Sonnenkalb 


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9 Uhr 50 Min.: subcut. Inject, von 01. camphor. fort. 1,0. 

II. 10 Uhr 10 Min.: Das Emporschnellen der systolischen Werthe fallt ganz 
weg. Bei B finden wir das normale Verhalten der Gefässe, während aber die Herz¬ 
arbeit etwas abfallt. Bei C tritt die normale Dilatation der Peripherie ein, verbunden 
mit einem leichten Abfall der einzelsystolischen Leistung des Cor, die aber durch 
Pulsverlangsamung eine starke Verminderung der Gesammtleistung ergiebt. Bei D 
findet sich eine geringe periphere Vasoconstriction, die jedoch gegen die bei I D 
sehr abgenommen hat. Herzenergie und -Arbeit in der Zeiteinheit bleiben fast die 
gleichen. 

Die Widerstände sind gegen I gesteigert, der Tonus der Gefässe ist kräftiger 
und constanter. Was das Herz anbetrifft, so ist die Einzelarbeit der Systolen eine 
regelmässige geworden, während die Pulszahl noch etwas schwankt. 

III. 10 Uhr 40 Min.: Ein fast coordinirtes Bild, wenigstens in den diastolischen 
Werthen. Der Tonus ist also gut, die vasomotorische Uebererregbarkcit fällt ganz 
weg. Am Herz dagegen tritt eine etwas übernormale Leistung in der Einzelsystole 
schon bei B zu Tage, die sich bei C zu einer so übermässigen gestaltet, dass die 
Auswurfsmenge beträchtlich ansteigt, allerdings tritt hier der Puls com pensatorisch 
mit einem starken Abfall ein. Bei D fällt die Arbeit der Einzelsystole ab, die Gesammt¬ 
leistung steigt dagegen. 

Während also die Vasomotorenthätigkeit auf einem Optimum angelangt ist, 
klingt die regulatorische Wirkung aufs Herz schon wieder ab. 


Versuch IV. 

Prot. 7. R. G., 54 Jahre. 5. 12. 1907. 






Zeit: 

: 9,20. 



Zeit: 

10,10. 



Zeit: 

10,35. 





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: b , 

C 

D 

A 

B ; 

c 

D 

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I. 9 Uhr 20 Min.: Das typische Bild eines seinen Anforderungen nicht ge¬ 
wachsenen Kreislaufs. Das Herz arbeitet gegen verringerte Widerstände. Statt der 
normalen Reaction findet sich bei B ein weiteres Sinken der peripheren Widerstände, 
zugleich mit einer verringerten Arbeit der Einzelsystole, die durch die geringe Puls¬ 
erhöhung nicht paralvsirt wird. Es sinkt demnach auch dor Mitteldruck. Bei C liegt 
von Seiten der Gefässe ein Versuch vor, den Tonus zu erhöhen, während die Einzel¬ 
systole gleichbleibt und die gesammte Arbeit des Cor rasch weiter sinkt. Bei D tritt 
eine collapsartige Erweiterung des Splanchnicusgebietes ein und zugleich eine 
geringere periphere Dilatation. Ebenso fällt das Auswurfsvolumen, und da die Reaotion 
des Pulses minimal bleibt, die Gesammtleistung des Cor. Also neben einem labilen 
Geiasssystem ein erschöpftes Cor. 


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Zur Pharmakologie der Krcislaufscoordination. 


251 


9 Uhr 30 Min.: subeut. Inject, von 01. camp hör. fort. 1,5. 

II. 10 Uhr 10 Min.: Bei B ein allerdings unter dem Normalen bleibendes An¬ 
steigen der peripheren Widerstände und ein kräftiges Reagiren der Herzleistungen in 
Energie und Action. Bei C steigen die Widerstände etwas an, ein Zeichen für eine 
geringe Erregung des Vasomotorensystems. Das Cor zeigt sich auch dem gewachsen, 
indem die Contractionsstärke steigt, während sich durch Herabgehen des Pulses die 
Gesammtarbeit auf gleicher Höhe hält. Bei D sinken die Gefässwiderstände. Es liegt 
eine Erweiterung des Gefässsystems vor, namentlich im Splanchnicusgebiet, bei nur 
wenig herabgesetzter Vasoconstriction in der Peripherie. So sehen wir, dass der 
gebesserte Gefässtonus, obgleich das Cor in seinen Leistungen auch jetzt wieder 
schwächer zu werden droht, das rapide Sinken des Mitteldrucks etwas aufhält. Also 
neben einer Besserung der Herzarbeit von A~ C ein relativ guter Gefässtonus durch die 
ganze Curve. Der hohe Pulsdruck trotz der gesteigerten Widerstände zeigt deutlich 
die Kräftigung der Herzarbeit. 

III. 10 Uhr 30 Min.: Bei B lindet die reactive Erhöhung der peripheren Wider¬ 
stände statt. Trotzdem die Arbeit der Einzelsystole und in geringerem Grade diejenige 
der Zeiteinheit herabgeht, bleibt deshalb der Mitteldruck auf seiner Höhe. Bei C sind 
die Widerstände ungefähr die gleichen, die Arbeit des Herzens steigt dagegen. Bei 
D gehen die Widerstände, namentlich im Splanchnicusgebiete, herab, die Heiz¬ 
leistungen sinken aber rapid ab, so dass sich das Bild dem von I D wieder nähert. 

Während also der bei II gestärkte Gefässtonus nur leise anfängt abzuklingen, 
ist die erheblich gebesserte Herzenergie schon beträchtlich zurückgogangen. 


Versuch V. 

Prot. 8. M., 40 Jahre. 23. 1. 1908. 






Zeit: 

4,20. 



Zeit: 

4,50. 



Zeit: 

5,20. 





A 

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C 

D 

A 

B 

C 

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der 

Krise 

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36,1°. 

Der 


Puls weich, irregulär. Horizontale Lage wegen starker Dyspnoe nicht herzustellen. 

I. 4 Uhr 20 Min.: Da P. bei A nicht völlig horizontal liegt, so darf die aus¬ 
bleibende periphere Vasoconstriction noch zum normalen gerechnet werden. Die Herz¬ 
arbeit steigt etwas an. Dagegen zeigt sich eine Labilität der Splanchnicusgefässe bei 
C und D, während die peripheren Gefässe auf die immer zunehmende Splanchnicus- 
dilatation mit einer starken Contraction reagiren. Daher steigt trotz des immer 
sinkenden Pulsvolumens der Mitteldruck in der Peripherie an. Der Puls macht nur 
bei D einen schwachen Anlauf, dem dauernden Abfall der Heizleistungen zu begegnen. 

4 Uhr 30 Min.: subeut. Inject, von 01. ca mp hör. fort. 1,5. 


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252 


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V. Sonnen kalb, 

II. 4 Uhr 50 Min.: Bei B tritt in der Peripherie eine Vasodilatation ein. Einzel¬ 
systolische Arbeit und Mitteldruck sinken gleichzeitig, während ein Fallen der 
Gesammtarbeit des Cor durch Pulsvermehrung aufgehalten w T ird. Bei C und D liegen 
im wesentlichen dieselben Verhältnisse vor wie bei I. Zustand von Herz und Gefassen 
haben also keine nennenswerthe Veränderung erfahren. 

III. 5 Uhr 20 Min.: Bei B eine starke periphere Contraction, die um so eher als 
vasomotorische Uebererregbarkeit anzusehen ist, als bei A nicht völlig horizontale 
Lage des P. vorlag. Es entsteht also bei B ein kräftiger Gefässtonus, der auch bei C 
und D anhält. Die Herzleistung, die bei B ziemlich angestiegen ist, fällt bei C und 
D langsam .wieder, ohne durch übermässiges Heruntergehen eine Incoordination 
hervorzurufen, bei D unterstützt durch erhöhte Pulsfrequenz. 

Es zeigen sich also Cor und Vasomotoren den an sie gestellten Anforderungen 
gewachsen. 


Coffein. 

Auch hier muss streng unterschieden werden zwischen der Gefäss- 
und der Herzwirkung. Ausser zahlreichen Thierexperimenten stehen uns 
eine ganze Reihe am Menschen angestellter Versuche zur Verfügung. 

Was die Gefässcompomente anlangt, haben wir es mit einem Mittel zu thun, 
das durch starke Gefässcontraction, hervorgerufen durch Reizung der vasomotorischen 
Centren, eine Erhöhung des Blutdrucks bewirkt [Wagner 1 ) und Bock 2 )]. San- 
tesson 3 ) giebt an, dass die Vasoconstriction um so grösser sei, je niedriger vorher 
der Blutdruck war. Riegel 4 5 ) hat am'Menschen übereinstimmende Beobachtungen 
gemacht und zwar auch am pathologischen noch ausgeprägter als am normalen. Nur 
Aubert 6 ) schliesst sich dieser Ansicht nicht an. Hedbom 6 ) fand fernerhin eine 
Dilatation der Coronargefässe, also eine bessere Durchblutung des Herzens bei An¬ 
wendung von Coffein. 

Die Herzwirkung des Coffein äussert sich einmal in einer Aenderung der 
Pulsfrequenz und zweitens in einer Beeinflussung der Herzenergie. Ueber die 
Pulsveränderung beim Säugethier haben die Untersuchungen ganz einheitliche Re¬ 
sultate ergeben: Bei kleinen Dosen Pulsverlangsamung, bei grösseren Beschleunigung, 
die sich schliesslich, kurz vor dem Stillstand, bis zum Delirium cordis steigert 
[Wagner 1 ), Swirski 7 ), Bock 2 )]. Nur Cushny’s 8 ) Versuche ergaben sofort eine 
Beschleunigung. Die anfängliche Pulssenkung ist bedingt durch Vagusreizung 
[Swirski 7 )], (cf. auch Bock’s Versuche am isolirten Herzen), die Beschleunigung 
der Herzaction durch directe Wirkung auf die Reiz aussendenden Theile des Herzens 
[Cushny 8 )]. Die grosse Reihe von am Menschen angestelltcn Versuchen (Wagner, 
Leblond, Frerichs, Riegel) ergaben bei ganz verschiedenen grossen Dosen 
bald eine Erhöhung, bald eine Abnahme der Pulsfrequenz. Es ist das ja dadurch 
ganz erklärlich, dass bei dem einen Menschen eben das Vaguscentrum, bei andern 
das Cor stärker anspricht. 


1) Wagner, Experimentelle^ Untersuch. über den Einfluss des Coffein aufs 
Herz u. Gefassapparat. Inaug.-Dissert. Berlin. 1885. 

2) Bock, Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. 43. 

3) Santessen, Skand. Arch. f. Physiol. Bd. 12. 

4) Riegel, Verhandl. d. III. Cong. f. inn. Med. Wiesbaden. 1884. 

5) Aubert, Plüger’s Arch. Bd. 5. 

6) Hedbom, Skand. Arch. f. Physiol. Bd. 8 u. 9. 

7) Swirski, Pflüger’s Arch. Bd. 103. 

8) Cushny, Arch. internal, de pharmacodyn. T. IX. 


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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


253 


Die Energie und die Contractionsgrösse des Cor wird gleichzeitig stark erhöht 
[Santesson *), Dreser 2 ) bei kleinen Dosen, Maki 3 ), Hedbom 4 )] und bei der 
meist gleichzeitig vorhanden gesteigerten Pulsfrequenz in noch höherem Maase die 
Leistung in der Zeiteinheit. Santesson 1 ) macht diese vermehrte Herzarbeit, die 
nach ihm bei geschwächtem Kreislauf besonders stark hervortritt, abhängig von einem 
Heiz, der von der Erhöhung der peripheren Widerstände ausgelöst wird (cf. die 
negativen Resultate Bock’s). Nur Aubert 5 ) fand bei seinen Versuchen eine Ab¬ 
schwächung der Herzenergie. Wir haben wohl die Berechtigung, aus all den obigen 
Ergebnissen auf eine gesteigerte Herzenergie schliessen zu dürfen. 

Wir haben mit Coffein natrio-salicyl. 10 Versuche angestellt. Ge¬ 
wöhnlich wurde die 1. Druckbestimmung 10 Minuten vor, die 2. circa 
30 Minuten, die 3. ca. 1 Stunde nach Verabreichung des Coffeins ge¬ 
macht. Bei den ersten 4 Versuchen verabreichten wir das Mittel per os 
in Dosen von 0,3—0,4. Da aber hierbei die Resultate ziemlich ver¬ 
wischt waren, verwendeten wir bei den folgenden 6 Versuchen die sub- 
cutane Injection in Dosen von 0,2, und erhielten mit diesen Gaben sehr 
klare Bilder. Nur einmal, bei einer Pneumonie, haben wir 0,36 injicirt. 

Was die Wirkung auf die Gefässcomponente des Kreislaufs 
anbelangt, so haben wir an allen Fällen bis auf einen, wo wir Cotfein 
per os gaben, eine meist sehr erhebliche Steigerung der peripheren Wider¬ 
stände nachweisen können. Bei einer hochgradigen Arteriosklerose zeigte 
sich die Vasoconstriction nur undeutlich, aber auch da war sie vorhanden. 
Bei den 3 anderen Versuchen, wo wir Coffein per os verabreichten, 
konnten wir nun weiterhin constatiren, dass die Gefässwirkung eintrat, 
ohne dass die Arbeitsleistung des Cor irgend welche Veränderung zeigte. 
Es scheint also die Erhöhung des Tonus auf kleinere Gaben hin einzu¬ 
treten, als die Herzwirkung. Weiterhin fanden wir, dass mit dem er¬ 
höhten Tonus zugleich eine bedeutend gesteigerte Vasoraotoren- 
erregbarkeit Hand in Hand ging, so dass z. B. aus einer coordinirten 
Kreislaufcurve eine solche wurde, wie wir sie beim Gefäss-Neurotiker so 
häufig finden. Und zwar klingt diese Uebererregbarkeit nicht, wie beim 
Campher, nach kurzer Zeit ab, sondern ist in fast allen Fällen auch 
durch die 3., nach einer Stunde vorgenommenen Messung noch zu ver¬ 
folgen. Wie hochgradig und geradezu verderblich diese Uebererregbarkeit 
werden kann, zeigt uns ein Fall von decompensirter Mitralinsufficienz 
(Versuch VIII), der bei Digitalis-Gebrauch eben anfing, sich wieder zu 
compensiren. Es tritt hier beim Aufsetzen eine so heftige Vasocon¬ 
striction ein, dass die Herzarbeit, offenbar bei Vollwirkung des CoflFein, 
relativ sinkt. Andererseits sehen wir bei einer Pneumonie (Versuch IX) 
mit sehr labilem Gefässsystem eine als Herzreiz gewiss sehr heilsame 
geringe Uebererregbarkeit mit gutem Tonus entstehen. 

Gehen wir nun zur Wirkung des Coffein auf das Cor über, so 

1) 1. c. S. 252 Anmerkung 3. 

2) Dreser, Arch. f. exper. Pharmak. Bd. 24. 

3) Maki, Ueber den Einfluss des Campher, Coffein, Alkohol auf das Herz. 
Inaug.-Dissert. Strassburg. 1884. 

4) 1. c. S. 252 Anmerkung 6. 

5) 1. c. S. 252 Anmerkung 5. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. i ” 


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V. Sonnen kalb, 


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konnten wir zunächst bei allen Versuchen ausser bei einem Falle von 
Pneumonie, ein mehr oder minder bedeutendes Herabgehen der Puls¬ 
frequenz constatiren, das oft schon nach 30 Minuten ganz ausgeprägt 
war, zuweilen erst nach einer Stunde deutlich hervortrat. Eine Be¬ 
schleunigung fanden wir jedenfalls nie. Freilich wird das Sinken des 
Pulses manchmal dadurch undeutlich, dass, wohl auch als Ausdruck einer 
Uebererregbarkeit, ein starkes Emporschnellen stattfindet, sobald an den 
Kreislauf die geringsten Anforderungen gestellt werden (Versuch 9, 7). 
Es liegt dann also bei A die Pulszahl sehr tief, um dann mehr oder 
weniger stark zu steigen. Ferner trat bei unseren Versuchen meist eine 
nicht unbeträchtliche Steigerung der absoluten Herzenergie und eine 
Erhöhung des Pulsvolumens zu Tage, die Amplitude wurde grösser. Das 
fanden wir sowohl beim normalen wie beim pathologischen Kreislauf. Wir 
fanden es bei einer hochgradigen Myodegeneratio (Versuch VII) und zwar 
so ausgeprägt, dass das Herz offenbar auf die Höhe seiner Leistungskraft ge¬ 
spannt wurde. Den an dasselbe gestellten Mehranforderungen der Functions¬ 
prüfung konnte es dann nicht mehr nachkommen; diese Energiesteigerung 
fand sich ebenfalls bei einer Arteriosklerose, wo auch das Cor seine 
schon vor Coffeininjection gesteigerte Energie noch stark erhöhte. Deut¬ 
lich, aber weniger eklatant bewiesen uns das auch die meisten andern 
Curven. Die Erhöhung der Herzenergie blieb aus bei dem schon er¬ 
wähnten Vitium mitrale (Versuch 8), wo das sich eben etwas erholende 
Cor gegen ein enorm übererregbares Vasomotorensystem arbeiten musste, 
und bei einer decompensirten Aortcninsufficienz, wo sich dem Cor, das 
an und für sich schon seiner gesteigerten Arbeit nicht gewachsen war, 
noch eine erneute Vasoconstriction entgegenstellte. Mit dieser unzweifel¬ 
haften Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Herzens verbindet sich aber 
oft eine sehr starke Uebererregbarkeit. Das zeigt sich ja schon in 
dem häufigen Emporschnellen des Pulses, das nicht immer durch ge¬ 
steigerte Anforderungen von Seiten des Gefässsystems bedingt ist. So 
finden wir im Verlauf der systolischen Werthe, wie aber auch im Verlauf 
der die Herzenergie bezeichnenden Curven oft Spitzen, die einer Coordi- 
nation direct zuwiderlaufen. Ein solches unerwünschtes Emporschnellen 
der Herzarbeit finden wir besonders eklatant bei der schon oben er¬ 
wähnten Aorteninsufficienz in der III. Messung und bei einer Arterio¬ 
sklerose, also grade in solchen Fällen, wo eine Ueberspannung der Herz¬ 
leistung eher schädlich wirkt. Dass diese aufs Höchste getriebene Kraft 
des Herzens dazu führen kann, dass bei geringen Mehranforderungen es 
sich eben erschöpft und versagt, beweist uns eine Myocarditis (Versuch 8) 
in seiner 111. Messung, wo die systolischen Werthe und zugleich der 
Mitteldruck bei der 3. und 4. Stellung rapide abfallen. Dagegen äussert 
sich die Uebererregbarkeit des Cor wenig beim normal arbeitenden Herzen; 
die Steigerung von Herzenergie und Pulsvolumen wird dort durch die 
Verlangsamung der Pulsfrequenz ausgeglichen. 

Auf ein decompensirtes Mitralvitium möchten wir noch hinweisen, 
dem sofort nach der Aufnahme in die Klinik 0,7 Strophantin intravenös 
injicirt wurde, und wo zwar der Puls von 120 auf 90 sank, ohne dass 
aber häufige, eine Stunde lang wiederholte Messungen eine Aenderung 


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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


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im Blutdruck zeigten. Nach Injection von 0.4 Coffein, natr. salicyl. 
subcutan stiegen sofort systolische und diastolische Werthe beträchtlich 
an, während der Puls noch ein wenig weiter sank. 

Es sei mir nun gestattet, eine Parallele zwischen der Wirkungsweise 
von Campher and Coffein zu ziehen. Der erstere wirkt auf die Gefässe 
und das Cor, aber so, dass durch ein leichtes Erregungsstadium hin¬ 
durch ein gleichraässigerer, constanterer und meist wenig erhöhter Ge- 
fässtonus eintritt. neben einer vermehrten Anspruchsfähigkeit des Cor, 
die aber durchaus nicht mit gesteigerten Leistungen einherzugehen braucht, 
und eigentlich nie von erheblicherer Uebererregbarkeit begleitet ist. So 
kommt es, dass auf dem Höhepunkt der Wirkung ein mehr oder weniger 
coordinirtes Bild zu Tage tritt. Das fanden wir beim Coffein nie. 
Die Vasoconstriction ist unzweifelhaft eine kräftigere, die Hebung der abso¬ 
luten Herzenergie und der Gesammtleistung des Cor eine stärkere, ja 
oft eine bis zur maximalen Arbeitsleistung führende. Damit verbunden 
ist aber stets eine beträchtliche Uebererregbarkeit von Herz und Ge- 
fässen, die schon beim Versuch am normalen Menschen aus einem coordi- 
nirten einen uncoordinirten Kreislauf macht, und beim stark patho¬ 
logischen Cor, das gewissermassen seine Kraft ökonomisch ausnutzen 
muss, zuweilen wohl zu einer unnützen und deshalb schädlichen Kraft¬ 
vergeudung führt. Hervorzuheben ist dagegen die längere Wirkungs¬ 
dauer des Coffein. Wir haben in keinem Falle bei der III. Messung, die 
in einem Versuche erst anderthalb Stunden nach Verabreichung von 
Coffein gemacht wurde, ein Absinken der Wirkung gesehen, während -die 
des Camphers oft schon nach 40 Minuten mehr oder weniger abgeklungen 
war. Nur bei einem Versuch, wo allerdings nach Verabreichung des 
Coffein per os überhaupt kein deutlicher Ausschlag hervortrat, war der 
Widerstand nach l l / 2 Stunden auf die Norm zurückgesunken. 

Also dürfen wir wohl behaupten, dass das Coffein ein intensives und 
wohl nie versagendes Herz- und Gefäss-Analepticum ist, dass den Vorzug 
einer langen Wirkungsdauer hat. Die Fälle, in denen es anzuwenden 
ist, sind im Wesentlichen dieselben, wie die, die schon beim Campher 
Erwähnung fanden, eben überall da, wo ein darniederliegender Kreislauf 
acut gebessert werden soll. Vorsicht ist bei der Dosirung, vielleicht 
mehr wie beim Campher, dort geboten, wo ein krankes oder dauernd 
überangestrengtes Myocard zu kräftigeren Leistungen angeregt werden 
soll. Die Klinik lernt daraus, dass der Campher ein ausgezeichnetes, 
allerdings nicht starkes, in häufigen Dosen zu gebendes Analepticum für 
Cor und peripheres Gefässsystem ist, das vorwiegend bei Erkrankungen 
des Herzens anzuwenden ist, aber nicht das Optimum unserer Kreislauf¬ 
therapie ist, sondern am allerbesten combinirt mit einem Cardiotonicum 
seine Verwendung findet. Mit einem Körper aus der Digitalisgruppe ver¬ 
eint bildet es eine sehr gut ineinandergreifende Kreislauftherapie (Velden L ). 
Andererseits ist das Coffein vorwiegend anzuwenden bei acutem Versagen 
des peripheren Kreislaufs, wie ja auch schon Paessler und Romberg 
erwähnt haben. Giebt man für die Peripherie grosse Dosen, bis zu 1,0 


1) Münch, med. Woclienschr. 1906. 44. 

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tritt, wie normal, eine periphere Dilatation an, die Herzarbeit sinkt. Bei D tritt eine 
geringe Erhöhung der peripheren Widerstande ein, vielleicht als Reaction auf das in 
der Einzelleistung beträchtliche, in der Gesammtleistung weniger starke Sinken der 
Herzthätigkeit. Absolut (im Vergleich zu 1) leistet also das Cor mehr, ist aber den 
Anforderungen relativ weniger gewachsen. Das Gefässsystem zeigt eine leichte Ueber- 
erregbarkeit bei kräftigem Tonus. 

III. 11 Uhr 35 Min.: Das Cor arbeitet anfangs (A und B) im Vergleich zu II 
einzelsystolisoh mehr, was allerdings durch den verringerten Puls für die Gesammt¬ 
leistung ausgeglichen wird. Bei C und D aber sehen wir einen jähen Abfall in der 
Herzenergie. Die Widerstände sind gegen II anfangs ebenfalls erhöht. Bei B finden 
wir neben dem Anstieg der Herzarbeit eine geringe periphere Gefässcontractien, so¬ 
dann macht sich aber bei C und D die anfängliche Labilität des Gefässsystems wieder 
geltend, indem d weit unter den Anfangswerth sinkt. Da ebenso die Leistung der 
Einzelsystole bei C und D sehr stark abfällt, so sinkt auch der Mitteldruck constant. 
Die Gesammtarbeit des Cor steigt bei D durch Hochschnellen des Pulses wieder an. 
Das Cor, Anfangs in seinen Leistungen kräftiger, reagirt auf Anforderungen schlechter 
als bei der I. Messung; der bessere Gefässtonus, wie wir ihn bei II fanden, klingt ab. 


Versuch VIII. 

Prot. 6. M. V., 22 Jahre. 25. 11. 1907. 



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V. Sonnenkalb, 


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Mitralostium, im Beginn der Compensation. Er kam am 13. 11. schwer 
decompensirt in die Klinik. Puls zeigt noch starke Intermittenzen. 

I. 4 Uhr 45 Min.: Stark incoordinirtes Bild. Die diastolischen Werthe liegen 
in normaler Höhe, die systolischen Anfangs tief unter derselben, die Herzarbeit ist 
also stark erniedrigt. Während nun bei B eine der physiologischen gleichstehende 
periphere Gefasscontraction eintritt, steigen die peripheren Widerstände auch bis D 
continuirlich an, ohne dass eine Splanchnicuserweiterung vorhanden ist. Es liegt 
also eine enorme vasomotorische Uebererregbarkeit vor. Das Herz schnellt, um die 
sich immer steigernden Widerstände zu überwinden, in Energie- und Zeiteinheits¬ 
arbeit bis D continuirlich empor und überschreitet dabei das Maass. Es reagirt also 
auch übermässig. So finden wir für ein Cor, das die Decompensation eben zu über¬ 
winden anfängt, die denkbar ungünstigsten Verhältnisse. 

4 Uhr 55 Min.: Coffein, natrio-salicyl. 0,2 subcut. injicirt. 

II. 5 Uhr 15 Min.: Die Widerstände sind gegen I noch gestiegen, ebenso die 
vasomotorische Uebererregbarkeit. Das Cor leistet im einzelnen wie in der Zeiteinheit 
relativ geringere Arbeit, wohl als Ausdruck dafür, dass es den Widerständen nicht 
gewachsen ist. Der Puls, bei A niedriger wie bei der gleichen Stellung der I. Messung, 
erreicht später dieselbe Höhe. 

III. 5 Uhr 55 Min.: Der Gefässtonus hat wieder etwas nachgelassen, eine vaso¬ 
motorische Uebererregbarkeit, grösser als bei I, tritt aber bei D noch deutlich zu 
Tage, ist jedoch geringer wie bei II. Die Herzarbeit steigt bis C steil an, um bei D 
etwas nachzulassen. Der Puls ist im Vergleich zu I unbedeutend verlangsamt. 


Versuch IX. 

Prot. 7. R. G., 54 Jahre. 7. 12. 1907. 



Croupöse Pneumonie nach der Krisis. Puls weich. Patient fühlt 
sich sehr schwach. In der 1. Stellung muss völlig horizontale Lage, in der 2. 
vollkommen verticale Lage des Oberkörpers vermieden werden. 

I. 4 Uhr: Bei B finden wir ganz normale reactive Contraction in der Peripherie 
(denn bei A Oberkörper nicht ganz horizontal, bei B nicht ganz vertical!). Bei C 
tritt aber ein so starker Abfall der Widerstände ein, dass das in Einzel- und Gesammt- 
leistung kräftiger arbeitende Cor den Mitteldruck nicht hochzuhalten vermag. Bei D 
tritt, wohl reactiv auf eine sehr geringe Splanchnicusorweiterung hin, eine Steigerung 
des diastolischen Druckes ein, die Amplitude fällt dabei nur ganz unbedeutend ab. 
Also schlechter, labiler Gefässtonus bei gut arbeitendem Cor. 


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Zur Pharmakologie der lweislaufscoordination. 


259 


4 Uhr 5 Minuten: Subcut. Inject, von Coffein, natrio-salicyl. 0,36. 

II. 4 Uhr 25 Min.: Im Vergleich zu I sind die Widerstände gestiegen bei 
ungefähr gleicher Herzenergie. Bei B reagirt die Peripherie normal, die Herzenergie 
bleibt dieselbe, während die Gesammtleistung in Folge von Pulsverlangsamung fällt. 
Bei C dagegen steigen die Widerstände, als Zeichen einer zu starken Vasomotoren¬ 
erregbarkeit. Bei D zeigt sich die normale periphere Vasodilatation bei geringem 
Abfall von Einzel- und unbedeutendem Anstieg von Gesammtarbeit des Cor. Also 
guter Gefässtonus mit geringer Uebererregbarkeit bei gut arbeitendem Cor. 

III. 4 Uhr 45 Min.: Annähernd dieselben Verhältnisse wie bei II bei noch 
unbedeutend gesteigerten Widerständen. 

Theobromin. 

Ueber die Kreislaufwirkung des Theobromin ist im Ganzen wenig 
thierexperimentell gearbeitet, namentlich ist die Gefässcomponente wohl 
vollständig vernachlässigt worden. Demgegenüber stehen sehr zahlreiche 
klinische Erfahrungen, die in der Literatur in vielen Arbeiten nieder¬ 
gelegt sind, ohne aber zu völlig übereinstimmenden Resultaten geführt 
zu haben. 

Bock 1 ) hat bei seinen Experimenten am Kreislauf nach Hering-Bock neben 
dem Coffein auch Theobromin pur. und Diuretin (Theobr. natr. salicyl.) angewandt und 
dabei die gleichen Resultate erhalten: Beschleunigung des Pulses und bei kleinen 
Dosen geringe Steigerung, bei grossen stets Abfall des Blutdrucks. Er ist der An¬ 
sicht, dass Theobromin gleich wie das Coffein einen schädigenden Einfluss aufs Herz 
ausübe (cf. auch das Capitol über Coffein). Demgegenüber stehen die klinischen Er¬ 
fahrungen, dass Theobromin gerade bei cardialem Hydrops, also bei decompensirtem 
Herzen als Diuretioum seine günstige Wirkung entfaltet. In allen diesen Fällen ist 
eine Kräftigung und Regulation des Pulses beobachtet worden, und wo der Blutdruck 
gemessen worden ist, auch eine Steigerung desselben. Kress 2 ) allerdings schiebt 
die Besserung derHerzthätigkeit nur auf das Verschwinden des Kreislauf beschwerenden 
Momentes des Hydrops. Pfeffer 3 ) dagegen constatirt, dass schon vor wesentlichem 
Abnehmen der Wassersucht der Puls kräftig, die Herzaction ruhig wird, Irregulari¬ 
täten und Dyspnoe verschwinden. Ebenso sind Hoffmann, Geisler, Babcock 
und Askanazy der Meinung, dass eine directo günstige Beeinflussung des Herzens 
durch Theobromin vorliege. Ja, Schmieden 4 ) giebt an, dass auch ohne vermehrte 
Harnabsonderung in wenigen Fällen eine so starke bis zur Arrhythmie gesteigerte Puls¬ 
beschleunigung eintrat, dass das Mittel abgesetzt wurde. Die Gefässcomponente 
des Theobromin hat Breuer 5 ) in einer Arbeit gewürdigt. Er kommt nach Versuchen, 
die er bei Nephritikern und Arteriosklerotikern mit hohem Blutdruck gemacht hat, zu 
der Ansicht, dass es „den durch weit verbreitete Enge der kleinen Gefässe patho¬ 
logisch gesteigerten Blutdruck etwas herabsetze.“ Er nimmt also eine vasodilata- 
toriscbe Wirkung an. Zugleich giebt er an, dass es der pathologisch gesteigerten 
Reflexerregbarkeit entgegen wirke, und so die spastische Gefässverengerung der 
Arteriosklerotiker aufhebe. Askanazy 6 ) dehnt die vasodilatatorische Wirkung des 
Coffeins auf die Coronargefässe, die Hedbom bei seinen Thierexperimenten gefunden 

1) Bock, Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. 43. 

2) Kress, Münch, med. Wochenschr. No. 38. 1891. 

3) Pfeffer, Centralbl. f. gesammte Therapie. 1891. H. 3. 

4) Schmieden, Centralbl. f. klin. Med. 1891. No. 30. 

5) Breuer, Münch, med. Wochenschr. 1893. No. 4. 

6) Askanazy, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1905. Bd. 56. H. 3 u. 4. 


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V. Sonnen kalb, 


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hat, auch auf das Diuretin aus und begründet so die günstige Wirkung des Diuretins 
bei Angina pectoris. 

Wir haben mit Theobromin 8 Versuche angestellt, und zwar haupt¬ 
sächlich (6 Mal) am Arteriosklerotiker, dessen Reaction auf dieses Mittel 
augenblicklich wohl das grösste Interesse beansprucht. Wir bedienten 
uns dabei des Theobromin. natrio salieyl., des Diuretins (Knoll), das wir 
in Dosen von 1,5—2,0 per os gaben. Nachdem wir die I. Messung vor¬ 
genommen hatten, gaben wir das Mittel und stellten dann die II. Messung 
ca. 30, die III. 60—70 Minuten nach dessen Verabreichung an. Auch 
hier konnten wir gut die Wirkung auf die Gefässe und die auf das Herz 
von einander trennen. 

Die Gefässcomponente ist wohl von besonders grossem Interesse. 
Zunächst fanden wir bei allen von uns angestellten Versuchen eine Ver¬ 
minderung der peripheren Widerstände, die um so beträchtlicher war, je 
grösser bei der I. Messung die Vasoconstriction war. Wir sahen niemals 
bei unseren Versuchsbedingungen ein so hochgradiges Fallen, dass der 
diastolische Druck tief unter die normalen Werthe gerückt wäre, dagegen 
stellten sich bei der pathologisch gesteigerten Vasoconstriction einiger 
Arteriosklerotiker die Widerstände auf die untere Grenze des normalen 
Maasses ein. Sehr schön zeigte uns das eine Arteriosklerose (Versuch XII), 
deren Herz sehr stark arbeitete, um die stark gesteigerten Widerstände 
zu überwinden. Schon nach 25 Minuten waren dieselben auf das Normale 
abgesunken. Freilich zeigten die Gefässe einmal (Versuch XII) nach 
kurzer Zeit, schon nach 1 Stunde, eine leichte Tendenz, den Tonus 
wieder zu erhöhen; es tritt das aber nicht ausgesprochen zu Tage. 
Häufig tritt das Maximum der Vasodilatation erst in der III. Messung 
hervor. Mit dieser Gefässerweiterung geht nun Hand in Hand eine, 
beim Arteriosklerotiker sehr ausgeprägte Erregbarkeitsänderung. 
Bei den Fällen zunächst, wo wir es von vornherein mit einem labilen, 
schlecht mitarbeitenden Gefässtonus zu thun haben (Versuch X), tritt bei 
der II. Messung eine mässig erhöhte Erregbarkeit ein, die bewirkt, dass 
die Gefässe auf die gestellten Anforderungen normal und gut reagiren. 
Wir sehen bei einem Phthisiker (Versuch X) einen so regelmässigen 
Verlauf der diastolischen Werthe in der II. Messung, dass dieselbe im 
Vergleich zur I. ausgezeichnet genannt werden darf. Ganz anders ver¬ 
halten sich iy 2 Stunden nach Verabreichung des Diuretins die Arterio¬ 
sklerotiker mit ihrem stark übererregbaren Gefässsystem. Während bei dem 
Anfangsversuch die peripheren Widerstände schwanken und namentlich 
auf das Aufrichten mit starker Vasoconstriction und Steigerung des Mittel¬ 
druckes reagiren, zeigen sie bei der II. Messung eine ausgesprochene Unter¬ 
erregbarkeit. Bei einem Falle (Versuch XI), wo wir zuerst eine sehr 
starke Uebererregbarkeit constatiren konnten, zeigten die diastolischen 
Werthe nach Diuretin fast keinen Ausschlag, bei einem andern (Ver¬ 
such XII) trat sogar eine leichte periphere Kreislaufschwäche zu Tage. 
Dieses Resultat giebt uns auch den Schlüssel zu den günstigen Erfolgen 
mit Diuretin bei Gefässspasmen. Vermisst haben wir diese Wirkung 
bei einem Arteriosklerotiker, der aber ganz normale Anfangswerthe bot, 


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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


261 


und bei einem solchen mit peripherer Kreislaufschwäche, wo im Gegen- 
theil eine Besserung des Tonus hervortrat. 

Anders verhalten sich die Gefässverhältnisse bei der III. Messung. 
Hier tritt fast ausnahmslos eine oft ganz erhebliche Uebererregbarkeit 
des Gefässsystems zu Tage. So sehen wir z. B. bei einem Patienten, 
der anfänglich einen ziemlichen schlechten Tonus zeigte, nach 1 Stunde 
einen Verlauf der diastolischen Werthe, der deutlich an das Bild eines 
Vasomotorikers erinnert; auch bei einem Arteriosklerotiker (Versuch XI) 
tritt diese Uebererregbarkeit hervor. Auch in den andern Curven 
ist dies mehr oder weniger deutlich ausgeprägt. Dabei bleiben, wie be¬ 
sonders zu bemerken ist, die Widerstände unter ihrem anfänglichen Werth. 
Nur bei einer Arteriosklerose bleibt diese Uebererregbarkeit aus, bei einer 
andern zeigte sie sich schon bei der II. Messung, um bei der III. noch 
zu steigen. 

Darüber, wo das Diuretin angreift, sind bis jetzt am Thier wohl noch keine 
Versuche gemacht worden. Die Beobachtung aber, dass das Theobromin unter Um¬ 
ständen bei bestehenbleibender Gefässdilatation erst lähmend, dann erregend auf die 
peripheren Gefasse wirkt, könnte auf folgende Weise ihre Erklärung finden. Man 
kann annehmen, dass an ein und dem gleichen nervösen Centralapparat (also hier 
vielleicht in der Gefässwand) dasselbe Mittel auf die beiden Functionen, den Tonus 
und die Reflex erregbarkeit, in divergenter Richtung ein wirkt; also dass wir im vor¬ 
liegenden Falle eine Tonusabnahme und eine Erregbarkeitssteigerung annehmen 
können für die Fälle, bei denen keine Uebererregbarkeit und kein gesteigerter Blut¬ 
druck besteht. Dass unter pathologischen Verhältnissen gleichsinnige Veränderungen 
der beiden Functionen der nervösen Centralorgane eintreten können, ist ja absolut 
nicht auszuschliessen. Jedenfalls ist uns dieser sich auf einen Angriffspunkt be¬ 
ziehende Erklärungsversuch plausibeler, als die Annahme, dass das Theobromin 
lähmende Wirkung auf die Gefässmuskulatur und erregende auf die nervösen Central¬ 
apparate ausübt. 

Die Wirkung des Diuretins auf das Herz scheint im Wesentlichen 
mit der des Coffeins identisch zu sein, nur tritt sie weniger stark und 
weniger regelmässig ein. Zunächst haben wir auch hier in einigen Fällen 
eine Pulsverlangsamung constatircn können, bei einem Arteriosklerotiker 
sogar ganz eklatant. Auch hier finden wir das Auftreten grosser Puls¬ 
schwankungen, das Emporschnellen bei gesteigerten Anforderungen, jedoch 
finden wir diese Erscheinungen weniger constant und auch weniger aus¬ 
geprägt wie beim Coffein. Auch eine Steigerung der Herzenergie konnten 
wir an einigen Fällen (Versuche X, XI) beobachten, und es scheint diese 
gerade da zum Ausdruck zu kommen, wo das Herz anfänglich nicht mit 
gesteigerter Kraft arbeitete. Diese Steigerung blieb aus bei den 2 Ar¬ 
teriosklerosen (Versuch XII), wo die Herzenergie bei der I. Messung schon 
übermässig hohe Werthe ergab. Stets finden wir aber einen einiger- 
massen gleichmässigen Verlauf der Herzenergiecurven, d. h. während 
die Herzaction schwankend und übererregbar geworden ist, bleibt die 
Leistung der einzelnen Systolen eine annähernd constante. Die grossen 
Ausschläge in der Gesammtleistung des Cors sind also lediglich auf die 
Herzaction zu beziehen. 

Aus diesen Versuchsresultaten erklärt sich also, warum das Theo- 


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262 

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der Arbeit des Herzens fanden wir in unseren Verstürben jeden fall'.- nie. 
Weiterhin beweisen uns die Versuche, wie günstig Dtuntek den Kreis- 
lauFstörungen dos Arteriosklerotiker-s erilgcgeinvirkt $e iilierriiassigeT der 
oft gesteigerte Tonus ist, xjra so eklatanter führt ihn das l'intoiiti zur 
Kortn zurück, obiie ditiis auch hier.'. die doch. ziemlich hüben ange¬ 
wandten Lhosen eine Kreislauf erselivvcfetid« Dilaiatioo liervorricferi 


•i wir finden auch die Kikjar.ung dafür, wie das Ditiret.iu spas- 
nröiytiseh auf das tieftisssystetn wirkt. Es tritt ehe« und /.war sehr 
bald riaeb der Verabi'ebdiüng fctfi Stadium von dtrecter Igibmlhgiteiir der 
Vasotnoloren ein, wenn vorher eine zu grösst IkbcrerregbärkeU, wie wir 
sie ja oft bei der Arieaoskh'tuso ] beobaejitvn^ Ijeslanden hatte. Aller¬ 
dings scheint diese Wirkung .nur tu« ganz kurzer Dauer zu sein. Dabei 
fallt hier, wo an das t.Vir vutv Anfang an h«ht? Anfurdernngen gestellt 
werden, eine unnütze Steigerung der SJerzilrbeit weg. 


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Zur Pharmakologie der Ilreislaufscoordination. 


263 


Da Energie und Gesammtleistung des Cor nicht durch entsprechende Mehrarbeit dafür 
eintritt, so sinkt auch der Mitteldruck weit unter den Anfangswerth. 

10 Uhr 30 Min.: Verabreichung von Diuret. 1,5 per os. 

II. 10 Uhr 55 Min.: Die peripheren Widerstände sind stark gesunken, die 
Energie des Herzens ist dagegen gestiegen, daher die grössere Amplitude. Auffällig 
ist hier das gute Reagiren des Gefässsystems auf die gestellten Anforderungen, ln 
die Herzaction ist dagegen eine leichte Uebererregbarkeit gekommen, und so erklärt 
es sich, dass die Werthe für die Zeiteinheitsleistungen von A— ß und von G—D stark 
ansteigen, während die Herzenergie sich ziemlich gleichmässig hält. 

III. 11 Uhr 25 Min.: Geringes Müdigkeitsgefühl. 

Die Widerstände sind weiter unbedeutend gesunken im Vergleich zu I, der 
Gefasstonus ist gut, bei B von einer leichten vasomotorischen Uebererregbarkeit be¬ 
gleitet (zu starkes Reagiren!). Die Herzenergie bleibt bis C auf derselben Höhe wie 
bei II, um bei D abzusinken. Deshalb wird trotz nicht übermässiger peripherer 
Vasodilatation die Amplitude kleiner. Der bei D beschleunigte Puls hält aber ein zu 
starkes Absinken der Gesammtarbeit des Herzens auf. Pulsfrequenz und Herzenergie 
arbeiten also gut zusammen. 


Versuch XI. 

Prot. 3. B,. 15. 11. 1907. 




Zeit: 

9,35 



Zeit: 

10,15 



Zeit: 

10,50 


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B 

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D 

A 

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C 

D 

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104 

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137 

I 

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78,3 

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77,4 

80,6 

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84,8 

86,2 

70,8 

72,8 

w 

72,9 

m X ^ X n 
s 

7903 

6264 

8121 

7738 

6126 

8214< 

8479 

7239 

5381 

5242 

5834 5538 


Arteriosklerose. Geringe Dilatatio cordis. Herztöne rein, Action unregel¬ 
mässig, Pulsus intermittens. 

I. 9 Uhr 35 Min.: Hohe systolische Werthe und Puisamplitude, vasomotorische 
Uebererregbarkeit und gesteigerte Herzenergie durch die ganze Curve. Während bei 
B enormes Fallen der peripheren Widerstände eintritt, bleiben sie dann bei C fast 
dieselben, bei D tritt eine sehr starke Vasoconstriction in der Peripherie ein. Der 
Verlauf der systolischen Leistungen des Cor bleibt ziemlich ruhig, dagegen macht die 
Curve der Zeiteinheitsarbeit in Folge der Pulsschwankung grosse Ausschläge. 

9 Uhr 45 Min.: Verabreichung von Diuret. 1,5 per os. 

II. 10 Uhr 15 Min.: Die Widerstände sind im Vergleich zu I beträchtlich ge¬ 
fallen, die Herzenergie ist etwas gestiegen. Dabei ist der Gefasstonus ein con- 
stanter, das Vasomotorensystem reagirt mit subnormalen Ausschlägen auf Stellungs¬ 
wechsel. Auch hier wieder finden wir bei relativ ruhigem Spiel der Herzenergie ein 
Tanzen der Zeiteinheitswerthe in Folge der schwankenden Pulszahl. 

III. 10 Uhr 50 Min.: Die Widerstände haben die gleiche Höhe wie bei 11, aber 


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2m 


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ai beiy dabei y^!H»..*üjfi-\ohe und (Hr/-l vhmerr* av'ko»«, 0»n ]< limic« >r\b rn-mm 
etQor etwas un«'MifnfMalati rvaeiiuMi peripheren Vasnem^tnotbu* Oifi gaus unaMoniininr- 
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uns AUr noch vermehr!- wird. Dm 0 faiinu nufritiUer M ets- -ho V, jdmstrmde .H».'b«*»J#T 

AVertV* für iiie Umvlmstungiui sinken fbmuaJU surl. in R.h/e riesln auch .der Mit\ i 
d’m'L bei Ö rim neben »diiiM «Moniusoheft Uobecbrrcgbarln-n »Hm zimniHh 
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H| Idif A Müp : Vi^ibreiriinni: vn»i hnntL Ü,0 nev ’oyri 



eirim E.H iUüt{ Ptaiz g.mnar-hE -WAfirmirt hKo di& a\* »»"diM-hmr Werthe mH Eitv- 
sr.bränkun.if b*H d«• ’; v'e.rhru Y.-ibmi «■•<)<. vn D •••onHiuiiriieh vü 

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^)*M; h^n tvnt l,r,i ]}, d i ,) .i« di« Ikl/iU l" b. t v f*i Unuui ein b*s*aWr <>j[sis$* 

i.omis? zum Vüirahoif!. H*» bo» D sujrar .mii mnm v.'iMmn.tnmrheii ('eb^n tr^barkrb 
vm tun den ?>i. tu* ; <4! (tagei;ei» .Hhad«; fewfe tub.^yr und gieithmä&sbivr. *>••• M' 
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Nitrite. 







Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


265 


und Dauer verschiedene Wirkung haben [Marshall 1 )]. Die narkotisirende 
Eigenschaft der Alkoholcomponentc tritt bei Amylnitrit vollständig in den 
Hintergrund (Schmiedeberg). 

Betreffend die Gefässwirkung der Nitrite haben alle Experimente am Säuge¬ 
thier wie am Menschen die gleichen Resultate ergeben, nämlich eine hochgradige 
Dilatation. Ueber den Angriffspunkt aber ist eine Einigung bis jetzt noch nicht erzielt 
worden. Im Wesentlichen stehen sich 2 Ansichten gegenüber, die sich hier um den 
Namen Lauder-Brunton 2 ), dort um den Filehne’s 7 ) gruppiren. Ersterer schloss 
aus seinen Versuchen auf eine directe Wirkung des Amylnitrits auf die Gefässwand, 
und zahlreiche Autoren schlossen sich dem an [Pick, Schüller 3 ) Leech 4 5 ), Cash- 
Dun st an 6 ), Marshall 1 )]. Mayer-Friedrich 6 ) entnahmen ihren Versuchsresultaten 
sogar, dass eine gleichzeitige Wirkung auf die Vasomotorencentren auszuschliessen 
sei. Andererseits stellte Filehne 7 ) durch einwandsfreie Experimente das Gegentheil 
fest, eine ausschliessliche Einwirkung der Nitrite auf die medullären Centren [cf. auch 
Bernstein 8 )]. Ueber die Herzwirkung der Nitrite ist wenig gearbeitet worden, und 
im Allgemeinen wird wohl die Ansicht vertreten, dass sie von jedenfalls wesentlicher 
Bedeutung nicht sei. Bock 9 ) fand trotz grösster Gaben keine Aenderung von Blut¬ 
druck und Frequenz am isolirten Herzen (ebenso Lauder-Brunton). Winkler 10 ) 
glaubt von kleinen Dosen einen günstigen, von grossen einen schädigenden Einfluss 
auf die Herzarbeit gesehen zu haben. Filehne und Mayer-Friedrich stellten eine 
Steigerung der Pulsfrequenz durch centrale Vaguslähmung fest. Die dabei ja gleich¬ 
zeitig auftretende Vergrösserung der Auswurfsmengen erklärt wohl auch die Er¬ 
scheinung, dass der Blutdruck erst bei weitergehender Dilatation der Gefässe sinkt. 

Wir wollen noch mit einigen Worten auf die Wirksamkeit der verschiedenen 
Nitrite eingehen, die Mars hall 1 ) am Menschen ausgepröbt hät. Die Nitrite der 
Alkohole wirken, inhalirt, nach 10 Sekunden, die Pulsbeeinflussung hält aber nur 
ca. 2 Minuten an. Nitroglycerin ruft in minimalen Dosen eine Blutdrucksenkung in 
2 Minuten hervor, und erhält diese dann anderthalb bis 3 Stunden aufrecht; die Nitrite 
der Alkalien wirken langsamer, erst nach 3—4 Minuten, um ihr Maximum nach 15 bis 
30 Minuten zu erreichen und nach 1 x / 2 —3 Stunden wieder wirkungslos zu werden. 

Wir haben uns bei unsern Versuchen des Natr. nitros. bedient, 
das uns in Darreichungsweise wie Dosirung am geeignetsten erschien 
und zwar haben wir ausser in einem Falle 0,01 subcutan injicirt, nur 
einmal 0,0175. Wir haben das Mittel in 7 Experimenten geprüft, am 
Kreislauf-Normalen wie am Kreislauf-Kranken (hauptsächlich Arterio¬ 
sklerose). Die Versuchsanordnung war die eingangs beschriebene, die 

1) Mars hall, A contribution of the pharmacol. action of the organic. nitrates. 
Manchester. 1899. On the antagonistic action of Digitalis and the membres of the 
nitrate group. (Journal of physiol. Vol. 22). 

2) Lauder-Brunton, Ber. d. Verh. d. Sächs. Ges. d. Wissensch. zu Leipzig. 
1869. (Math, physik. Klasse.). 

3) Schüller, Ueber die Einwirkung einiger Arzneimittel auf die Gehirngefässe. 
Berlin, klin. Wochenschr. 1874. (No. 25, 26). 

4) Leech, Brit. med. Journ. 1893. 1. Juli. 

5) Cas h-Dunstan, Proc. of the Royal Soc. Vol. 49. 

6) Mayer-Friedrich, Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. 5. 

7) Filehne, Pflügers Arch. Bd. 9 und Dubois’ Archiv. 1878. 

8) Bernstein, Pflüger’s Archiv. Bd. 8. 

9) Bock, Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. 41. 

10) Winkler, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 35 u. 36. 


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266 V. Sonnenkalb, 

Zeit der II. und III. Messung ca. 30, resp. 60—80 Minuten nach der 
Injection. 

Ara Auffälligsten ist die schon raeist in der II. Messung sehr be¬ 
trächtliche Herabsetzung der peripheren Widerstände, die zuweilen 
hier schon ihr Maximum erreicht hat. Und zwar scheint sie um so 
eklatanter zu sein, je höher der Gefässtonus vorher war. Deshalb ist 
sie bei manchem Arteriosklerotiker, namentlich bei einem Fall (Ver¬ 
such XIV), der sonst aber ganz normale Werthe bot, sehr ausgeprägt. 
Nach 1 Stunde verhalten sich die Gefässverhältnisse verschieden. Meist 
bleibt die Vasodilatation auf ihrer erreichten Intensität bestehen, nur in 
einem Falle von Arteriosklerose (Versuch XIV) sahen wir ein weiteres 
starkes Absinken der peripheren Widerstände bei der III. Messung nach 
IY 4 Stunden, ln bedeutend geringerem Maasse fanden wir dasselbe bei 
einem Anderen. Dagegen konnten wir einmal, bei einer juvenilen Anaemie 
mit labilem Gefässsystem, bei dem die I. Drucksenkung schon nicht 
eklatant war, nach 70 Minuten ein völliges Verschwinden der vaso- 
dilatatorischen Wirkung constatiren, die hier sogar einem etwas die An- 
fangswerthe überschreitenden Gefässtonus Platz gemacht hatte. Wir 
haben es aber bei den Nitriten — und das ist wohl der hauptsächlichste 
Unterschied zum Diuretin, wo nach 1 Stunde eventl. auch schon früher 
deutlich eine Uebcrerrcgbarkeit zum Vorschein kam, und nur bei sehr 
erhöhten Widerständen ein vorübergehendes ruhigeres Stadium eintrat — 
wir haben es also hier mit einer wirklichen Erschlaffung des Gefäss- 
systems zu thun, d. h. wir vermissen zuweilen sehr deutlich das com- 
pensatorische Spiel des peripheren Gefässsystems bei den wechselnden 
Anforderungen. Immer tritt das in der II. Messung zu Tage. Wenn 
wir die Anfangswerthe eines stark übererregten Arteriosklerotikers (Ver¬ 
such XV) mit dem Verlauf der diastolischen Werthe nach 35 und 80 Minuten 
vergleichen, so zeigt sich das besonders schön. In der III. Messung hat 
überhaupt jedes Reagiren von Seiten des Gefässsystems aufgehört. Auch 
ein Vasomotoriker mit grosser anfänglicher Uebererregbarkeit (Versuch XIII) 
zeigt in den anderen Messungen etwas subnormal verlaufende Ausschläge 
bei den Functionsprüfungen. Bei der HI. Messung ist das Verhalten bei 
unsern Versuchen ein verschiedenes. Selten, wie bei dem oben erwähnten 
Arteriosklerotiker (Versuch XV), nimmt die Untererregbarkeit noch zu, 
meist weicht sic bei - hochgradiger Vasodilatation mehr oder weniger, 
so dass die Gefässe auf den Stellungswechsel wieder normal reagiren, 
wie uns das ein Arteriosklerotiker besonders deutlich zeigt. Nie haben 
wir eine die anfängliche übertreffende Uebererregbarkeit gefunden, und 
wenn die oben erwähnte Anämie in ihrer III. Messung vielleicht den Ein¬ 
druck hervorrufen könnte, so kann man wohl darauf hinweisen, dass hier 
die Gefässwirkung eben abgeklungen ist. Andererseits möchten wir aber 
auch hervorheben, dass selbst eine hochgradige Gefässerweiterung nie mit 
einer ausgeprägten peripheren Kreislaufschwäche einhergeht, wir finden 
nie das charakteristische Tiefgehen des Mitteldrucks im 3. und 4. Werth. 
Leichte Andeutung davon fanden wir 3 Mal in einem Ausbleiben der 
reactiven Vasoconstriction im 2 . Werth (Versuch XV). 

In Bezug auf die Herzarbeit dürfen wir wohl schliessen, dass eine 


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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


267 


irgend wie nennenswerthe, namentlich eine schädliche Beeinflussung des 
Cor nicht besieht. Was zunächst den Puls anlangt, so blieb eine Fre¬ 
quenzsteigerung stets aus, eher war einige Male das Gegentheil, ein Sinken 
der Pulszahl zu constatiren, in einem Falle (Versuch XIV) sogar ganz 
deutlich. Weiterhin ist zu bemerken, dass nach der Injection bei 
Stellungswechsel oft ein ausgeprägteres Schwanken der Pulsfrequenz ein¬ 
trat, aber das ist wohl, wie sich auch aus dem Verlauf der Zeiteinheits- 
curven der Herzarbeit ergiebt, nur dahin zu deuten, dass das Herz die 
subnormale ßeaction des Gefässsystems com pensatorisch ausbalanciren 
muss. Nun noch einige Worte zur Herzenergie. Wir fanden kein con- 
stantes Hoch- oder Heruntergehen; die Verhältnisse waren wechselnd. 
Doch glauben wir das so auslegen zu dürfen, dass eben die Vasodila¬ 
tation eine verschiedene ist, und in dem einen Falle eine Erleichterung, 
im andern, wenn sie zu hochgradig ist, eine Erschwerung der dem Cor 
gestellten Aufgaben bedeutet. Wir fanden bei 2 Arteriosklerosen, wo 
Anfangs das Herz mit erhöhter Energie arbeitete, ein deutliches Fallen, 
bei einer andern wieder (Versuch XIV), wo die Gefässerschlaffung sehr 
stark war und das Cor anfangs normal arbeitete, eine Steigerung der 
systolischen Herzarbeit. Wir können uns somit der Ansicht nicht ver- 
schliessen, dass ein Einfluss der Nitrite auf die Herzarbeit wahrscheinlich 
gar nicht vorhanden, oder wenn, bei diesen Dosen ein günstiger sein muss. 

Wir haben also in den Nitriten Pharmaka vor uns, die eine starke 
und sicher eintretende Vasodilatation hervorrufen, die gleichzeitig die 
Erregbarkeit des Gefässsystems, wenigstens auf kurze Zeit, herabsetzen, 
und die endlich in diesen Dosen keinen schädigenden Einfluss auf’s Cor 
ausüben. Dabei ist die Wirkungsdauer eine befriedigend lange, wenn man 
bedenkt, durch welche geringe Dosen sie hervorgerufen und über eine Stunde 
lang aufrecht zu erhalten ist. Zum Unterschied gegen das Diuretin haben 
wir hier eine gleichsinnige Wirkung auf Tonus und Reflexerregbarkeit, die 
jedoch bei den angewandten Dosen nie zur peripheren Kreislaufschwäche 
führte. 

Versuch XIII. 





Prot 

. 1. 

Li. M, 

22 Jahre. 

11. 1. 

1907 (siehe 

Fig. 

5). 







Zeit: 

10,0. 



Zeit: 

10,45. 



Zeit: 

11,15. 





A i 

B i 

c i 

D 

A 1 


C 

D 

A 

i 

ß ; 

° 1 

D 


R 


20 




20 




18 


1 



n 


72 

80 

80 

92 

64 

80 

68 

80 

72 

8s! 

84 

96 


s 


142 

146 

150 

140 

130 

140 

138 

132 

130 

140 

138 1 

130 


d 


66 

72 

| 78, 

62 

60 

66 

: 

64 

60 

60 

64 

| 64 

58 


P 


76 

74 

72 

78 

70 

74 

74 

72 

70 

76’ 

i 

74 

74 


m 


104 

109 

j 114 

101 

95 

103 

101 

96 

95 

102 

101 

i 

95 

q 

= 

P 

s 

0,54 

0,51 

0,48 

0,56 

0,54 

0,51 

0,54 

0,55 

0,54 

0,54 

0,54 1 

‘ 0,56 

n 

X 

P 

5472 

5920 

' 5760 

7176 

4480 

5920 

5032 

5760 

5040 

6688 

6216 

7104 

m 

X 

p 

s 

56,2 

55,6 

1 

54,7 

56,6 

51,3 

52,5 

54,5 

52,8 

51,3 

55,1 

54,5 

53,2 

m X 

p 

s 

X n 

4043 

1 

4447 

4378 

5203 

3283 

4202 

3709 

i 

, 4224 

3694 

4847 

4571 

5107 


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268 


V. Sonnenkalb 


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Leichte Lungenaffection. Normales Herz. Keine Kreislaufbe¬ 
schwerden. 

I. 10 Uhr: Eine Vasomotoriker-Curve mit tiefen diastolischen Werthen und 
hoher Amplitude. Bei B normales Reagiren der peripheren Gefässe, bei C als Aus¬ 
druck der Uebererregbarkeit eine weitere periphere Constriction und damit bei an¬ 
nähernd gleicher Herzarbeit Steigen des Mitteldrucks, bei D eine starke Vasodilatation, 
die die diastolischen Werthe wenig unter den Anfangswerth bringt. Gleichzeitig steigt 
in Folge der Pulsfrequenzerhöhung die Gesammtarbeit des Cor und hält den Mittel¬ 
druck etwas höher, als der Vasodilatation entspricht. Die Herzenergie verläuft durch 
die ganze Messung ruhig, während Uebererregbarkeit der Gefässe bei schlechtem 
Tonus besteht. 

10 Uhr 15 Min.: Es werden Natr. nitros. 0,01 subcut. injicirt. 

II. 10 Uhr 45 Min.: Herzenergie und Widerstände sind gegen I etwas abgefallen. 
Der Verlauf beider Herzcurven ist befriedigend, die Gesammtarbeit des Cor schwankt 
etwas in Folge des wechselnden Pulses. Die Messung zeigt bei herabgesetztem Tonus 
normales Reagiren der Gefässe. 

III. 11 Uhr 15 Min.: Gesicht geröthet. 

Es zeigt sich dasselbe Bild wie bei II bei etwas gesteigertem Puls und deshalb 
erhöhter Zeiteinheitsarbeit des Cor. 


Versuch XIV. 

Prot. 5. C. M., 62 Jahre. 14. 1. 1908. 



Arteriosklerose. Die bei Aufnahme in die Klinik bestehenden Beschwerden 
sind fast ganz verschwunden. 

I. 9 Uhr 30 Min.: Ein Bild, in dem sich eine leichte Labilität des Gefässsystems 
ausspricht. Das Cor arbeitet gut und ruhig. Bei B tritt eine normale periphere Vaso- 
constriction ein, bei C und D aber eine Gefässerweiterung, die das physiologische 
Maass überschreitet. Da die Herzenergie dabei auch eine leichte Tendenz zum Fallen 
zeigt, so sinkt der Mittcldruck ebenfalls unter den Anfangswerth. 

9 Uhr 40 Min.: Subcut. Injection von Natr. nitros. 0,01. 

II. 10 Uhr 10 Min.: Ein sehr starkes Herabgehen der Widerstände mit com- 
pensatorischer Erhöhung der Herzenergie im Vorgleich zu I, in Folge dessen ein An¬ 
steigen der Pulswelle. Bei B zeigt der diastolische Werth nur ein geringes Empor¬ 
gehen, bei C und D halten sich die Widerstände wenig unter dem Anfangswerth, 
also ein constanter Gefässtonus bei mangelhaftem Reagiren auf Anforderungen. Die 


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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


269 


Herzarbeit steigt, um gegen das stark erweiterte Gefasssystem anzukämpfen, von A—C 
in beiden Werthen. Das Cor passt sich also den durch Vasodilatation vermehrten 
Anforderungen gut an. 

111. 10 Uhr 55 Min.: Es ist eine weitere starke Dilatation der Gefässe ein¬ 
getreten, die Herzarbeit ist annähernd auf gleicher Höhe geblieben. Der gleichmässige 
Verlauf der diastolischen Werthe zeigt einen Mangel an Reactionsfähigkeit des Gefäss- 
systems. Das Cor passt sich den wechselnden Anforderungen so gut an, dass die 
Amplitude in allen Stellungen hoch bleibt. 


Versuch XV. 

Prot. 3. L. W., 49 Jahre. 14. 1. 1908. 




Zeit: 9,55. 


Zeit: 

10,40. 


Zeit: 

11,25. 




A | B i C 

D 

A I 

B 

c 

D 

A | B 

C 

D 

R 


26 — j — 


28 

_ i 



20 — 1 



n 


68, 80! 78 

84 

72 

80 

80 

92 

68 76! 

76 

96 

s 


1241 130 142 

136 

120, 

118 

122 

120 

122 120 

120 

120 

d 


60 72; 80 

72 

62 

58i 

1 

64 

60 

62 62 

64 

64 

p 


64 58 62 

64 

58 

60 

58 

60 

60 58 

56 

56 

m 


92 101 114 

104 

91 

88 

93 

90 

92 91 

92 

92 

q = 

P 

s 

0,52! 0,45 0,44 

0,47 

0,48 

0,51 ! 

0,48 

0,5 

0,49 0,48 

0,47' 

0,47 

nX 

p 

4352 4640 4836 

5376 

4176 

4800 4640 

5520 

4080 4408 4256 

5376 

m X 

p 

s 

47,8 1 45,4 48,8 

1 48,9 

1 

43,7 

44,9 

44,6 

45,0 

45,1 43 , 7 ; 

43,2 

43,2 

w P 
m ^ 

s 

X n 

3253 3636j3809 

4106 

3145 3590 

i 

3571 

|4140 

3065; 3320 3386 

4151 


Arteriosklerose, Emphysem. Neurasthenie. Gesicht sehr blass. 
Das Herz percutorisch und auscultatorisch normal. 

I. 9 Uhr 55 Min.: Es tritt deutlich die vasomotorische Uebererregbarkeit des 
Arteriosklerotikers zu Tage, während das Cor sehr ruhig arbeitet und sich in seiner 
Gesammtleistung durch Pulsverschiebung den immer steigenden Widerständen anpasst. 

Bei A liegen die peripheren Widerstände tief, um bei B mit einer heftigen 
Vasoconstriction zu reagiren, bei C eine weitere periphere Gefässverengerung. Da 
das Cor sich den Anforderungen gut anpasst, steigt auch der Mitteldruck permanent 
bis C. Bei D tritt Vasodilatation ein. 

10 Uhr 5 Min.: Es werden Natr. nitros. 0,01 subcut. injicirt. 

II. 10 Uhr 40 Min.: Die Widerstände sind im Vergleich zu I (ausgenommen A) 
beträchtlich gesunken, bei gleicher noch viel ruhiger verlaufender Einzelarbeit des 
Cor. Bei B macht die reactive Contraction jetzt einer Vasodilatation Platz, während 
bei C wieder ein leichtes Steigen der peripheren Widerstände zu erkennen ist. Im 
allgemeinen ist wohl eine vasomotorische Untererregbarkeit zu constatiren, der sich 
die Gesammtarbeit des Cor gut anpasst. 

III. 11 Uhr 25 Min.: Bei gleichbleibenden Widerständen und gleichbleibender 
Herzarbeit tritt die vasomotorische Untererregbarkeit bei constantem Tonus noch 
viel ausgeprägter hervor. 

Chloralhydrat. 

Von den Autoren, die sich mit Chloralhydrat beschäftigt haben, 
wird einstimmig die grosse Aehnlichkeit seiner ‘Wirkungsweise mit der 
des Chloroforms betont; wir können uns also auch auf das Letztere, 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. jcj 


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270 V. Sonnenkalb, 

dessen Pharmakodynamik oft der Gegenstand eingehender Forschung ge¬ 
worden ist, stützen. 

Schon frühzeitig hat man die Blutdruck herabsetzende Eigenschaft des Chloro¬ 
forms kennen gelernt (Linz, Brunner, Gail). Die erste englische Chloroform- 
Commission stellte vor dem Druckabfall eine kurze Steigerung fest („stimulirendc“ 
Wirkung). Die Beobachtungen am leicht narkotisirten Menschen Hessen vcrmuthen, 
dass die eintretende Blutdrucksenkung bei begleitender Hyperämie des Gesichts auf 
einer Vasodilatation, nicht auf einer Verminderung der Herzkraft beruhe. Schei- 
nesson 1 ) hat dies thierexperimentell festgestellt und schloss auf eine Lähmung der 
centralen Vasomotorenapparate, was Knoil 2 ) thatsächlick nachweisen konnte. 
Beim Ckloralbydrat lässt sich auch eine starke Blutdrucksenkung constatiren, hervor¬ 
gerufen durch Lähmung der medullären Vasomotorencentren, die so stark sein kann, 
dass der Erstickungsversuch negativ verläuft [Lewin 3 )]. Bei grossen Dosen tritt 
gleichzeitig eine Lähmung der Peripherie auf, die aber keine so vollständige ist, 
dass auf Adrenalin nicht noch Vasoconstriction sich zeigte. 

In Bezug auf die Herzwirkung des Chloroforms ist wohl anzunehmen, dass 
das normale Herz erst bei einer gewissen Höhe der Narkose durch das Mittel ge¬ 
schädigt wird [Dieballa 4 * )]. Bei grossen Dosen aber gelang es thierexperimentell 
stets, eine directe Herzschädigung hervorzurufen, die nach verminderter Energie 
und verlangsamten) Puls zuletzt zum Herzstillstand führte. Mit Chloralhydrat erhielt 
Bock 6 ) am isolirten Herzen dieselben Resultate, und auch Hedbom fand nach einem 
manchmal eintretenden Stadium der Steigerung der Pulsfrequenz und Pulshöhe ein 
Absinken von Schlagzahl und Schlagvolumen des Herzens bis zum Stillstand. Böhme 0 ; 
bestätigt das und giebt noch an, dass er öfter in der Herzaction eine Gruppenbildung 
habo eintreten sehen. Dass dabei die Contractionsfähigkeit des Herzmuskels nicht das 
ausschlaggebende Moment für den schliesslichen Stillstand sei, hatten schon Lieb¬ 
reich, Rajewski und Harnack-Witkowski 7 ) festgestellt. Während nun die 
letzteren auch nachweisen konnten, dass die in Atrien, Sinus und Atrioventricular- 
grenze gelegenen nervösen Apparate vorzugsweise durch Chloralhydrat geschädigt 
wurden, gelang es Böhme 6 ) exact nachzuweisen, dass nach einem anfänglichen 
Stadium, in dem Anspruchsfähigkeit, Lcitungsfähigkeit vom Vorhof zum Ventrikel, 
und Leistungsfähigkeit des Muskels gleichsinnig etwas herabgesetzt sind, bei gleich- 
bleibenden Leitungsvermögen Anspruchsfähigkeit und Energie, eine Lähmung auf die 
Reiz erzeugenden Apparate im Herzen durch Chloralhydrat hervorgerufen wird. 

Wir haben am Gesunden wie am Kranken 7 Versuche mit Chloral¬ 
hydrat unternommen und zwar zum Theil bei Patienten, bei denen eine 
Schlaftherapie indicirt war; wir hatten auch Gelegenheit, das Mittel bei 
einer Psychose, die an grosse Dosen gewöhnt war, anzuwenden und zu 
untersuchen. Wir verabreichten Chloralhydrat in Dosen von 1,0 per os 
und erzielten damit in den meisten Fällen die gewünschte Schlafwirkung. 


1) Scheinesson, Untersuchungen über den Einfluss des Chloroforms auf die 
Wärmeverhältnisse des thierischen Organismus und den Blutkreislauf. Inaug.-Dissert. 
Dorpat. 1868. 

2) Knoil, Sitzungsber. d. Wien. Akad. Bd. 78. III. Abthl. 

3) Levin, Zur Pharmakologie d. Camphergruppe. Arch. f. exper. Phaimakol. 
Bd. 27. 

4) Pieballa, Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. 34. 

ö) Bock, Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. 41. 

6) Böhme, Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. f)2. 

7) Harnack-Witkowski, Arch. f. exper. Pharmakol. Bd. 11. 


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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


271 


Dass wir bei unsern Kreislaufuntersuchungen Erfolge von verschiedener 
Intensität erzielten, erklärt sich wohl zum Theil aus der Medication per os, 
die ja immer unzuverlässiger ist als die subcutane. Es erscheint uns 
nicht zweckmässig, die Gefäss- und Herzwirkung, wie früher, getrennt 
abzuhandeln, da hier, mehr wie bei den früher besprochenen Pharraacis, 
die Resultate der beiden Componenten in einander greifen. 

Constant fanden wir eine mehr oder minder ausgeprägte Vaso¬ 
dilatation, bei der oft sehr hochgradig die Splanchnicusgefässe betheiligt 
waren. Dies Letztere ist nun bestimmend für die von uns berechneten 
Wertho für die Herzarbeit. Ist das Splanchnicusgebiet sehr erweitert, d. h. 
die in den Bauchgefässen angesammelte Blutmenge gross, so vermindert 
sich die Flüssigkeitszufuhr zum Cor und dementsprechend werden Aus¬ 
wurfsvolumen und die positive vom Herzen geleistete Arbeit geringer, 
ohne dass sich aus dem oft starken Herabgehen der Energiewerthe, be¬ 
rechnet aus der Peripherie, auf eine schädliche Beeinflussung des 
Cor schliessen Hesse. So zeigte sich in einem Falle (Versuch XVIII), 
wo auch Symptome cerebraler Anämie, hauptsächlich Schwindel, bestanden, 
eine so starke Splanchnicusdilatation, dass compensatorisch die peripheren 
Widerstände im Armgebiet stark stiegen, um die Circulation aufrecht zu 
erhalten. Zum Herzen gelangte trotzdem sehr wenig Blut, die Pulswellen 
wurden klein, die Werthe für die Herzarbeit fielen ab. War dies Ver¬ 
halten schon in der II. Messung deutlich, so trat es in der III. ganz 
eklatant zu Tage. Weniger ausgeprägt sahen wir dasselbe bei einem 
infantilen Individuum, namentlich in der 3. und 4. Stellung und bei einem 
Vasomotoriker. Dabei arbeitete in allen diesen Fällen das Herz ohne 
Schwankungen ruhig und gleichmässig weiter durch die ganze Functions¬ 
prüfung hindurch. In allen andern Fällen, wo wir es wohl mit resistenteren 
Kreislaufverhältnissen zu thun hatten, Hess sich eine periphere Vasodila¬ 
tation verzeichnen bei annähernd gleichbleibender Pulswelle und Herz¬ 
arbeit. Liess dies den Schluss zu, dass keine oder eine nur wenig aus¬ 
gesprochene Mitbetheiligung des Splanchnicusgebietes vorliege, so konnten 
wir auch hier eine solche nachweisen, indem im Laufe der Functions¬ 
prüfung der Tonus der Bauchgefässe bei gesteigerten Anforderungen, in 
der 3. und namentlich in der 4. Stellung nachliess. Wir fanden dann 
das charakteristische Bild, dass der bei B ansteigende diastolische Druck 
sich bei C und D auf seiner Höhe hielt, während die Pulsaraplitudc 
kleiner wurde. Also hier tritt in den letzten Stellungen eine Kreis- 
laufschwächc ira Splanchnicusgebiete zu Tage. Wir sahen dies bei 
einem Tabiker in der 111. Messung und bei einem wenig ausgesprochenen 
Vasomotoriker (Versuch XVI) in der III. und der IV. Auch eine Arterio¬ 
sklerose, die schon im Vorversuch diese Verhältnisse bot, zeigte sie, nur 
noch ausgeprägter, nach 30 Minuten. Ganz vermisst haben wir diese 
Splanchnicusdilatation und die compensatorische periphere Vasocon- 
striction nur bei der schon oben erwähnten Psychose; doch wird wohl 
der an grosse Dosen gewöhnte Organismus der Narkose gegenüber wider¬ 
standsfähiger sein. Nie haben wir diese Gefässerweiterung gepaart ge¬ 
sehen mit einer Untererregbarkeit (cf. Diuretin), im Gegentheil zeigt ja 
schon das compensatorische Steigen der peripheren Widerstände, dass die 

18 * 


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272 


V. Sonnen kalb 


Gefässe gut reagiren. In 2 Fällen konnten wir sogar eine vorüber¬ 
gehende vasomotorische Uebererregbarkeit constatiren, bei einem fast 
normalen Kreislauf (Versuch XVI) nach 50 Minuten, bei einem Tabiker 
sehr ausgesprochen nach einer y 2 Stunde. Dieser Zustand wich aber 
nach kurzer Zeit wieder der vorherbestehenden Erregbarkeit der Gefässe. 

Aus den durch unsere Versuche gewonnenen Resultaten halten wir 
uns für berechtigt, in den Vordergrund der Chloralhydratwirkung die 
starke, immer eintretende Vasodilatation zu stellen, die nicht auf die 
Extremitätenperipherie beschränkt zu bleiben braucht, sondern im Gegen- 
theil auch im Splanchnicusgebiet so intensiv eintreten kann, dass die dem 
Cor zugeführte Blutmenge und in Folge dessen auch das Pulsvolumen 
erheblich sinkt. Dann tritt die compensatorische periphere Vasocon- 
striction ein. Schwerer ist es, das Verhalten des Herzens zu beurtheilen. 
Zweifellos erhält es bei eintretender Splanchnicuserweiterung weniger 
Blut und deshalb müssen unsere aus der Peripherie gewonnenen Zahlen 
für die Herzarbeit sinken, wir haben also keine Berechtigung, aus dem 
Absinken der berechneten Energiecurve des Cor auf eine Schädigung 
seiner Kraft zu schliessen. Im Gegentheil glauben wir annehraen zu 
müssen, da bei vorhandener peripherer Gefässdilatation Pulsvolumen und 
Encrgiewerthe durch den ganzen Versuch durchschnittlich dieselbe Höhe 
behalten, dass eine Beeinträchtigung des Herzmuskels durch die von uns 
angewandten Dosen nicht stattfand. Das gilt natürlich nur für den 
gesunden Herzmuskel; es ist sehr wohl denkbar, dass das geschwächte 
Herz bei den Verschiebungen in der Blutmassc und der Erschwerung, 
die für dasselbe aus der Stauung in den abhängigen und dilatirten Partien 
entsteht, in seiner Leistungsfähigkeit Schaden nimmt. 


Versuch XVI. 

Prot. 1. D., 19 Jahre. 22. 10. 1907 (siehe Fig. 6). 




Zeit: J 

8,50. 


A ' 

; 

Zeit: 

9,25. 

Zeit: 

9,55. 


Zeit: 

10,35. 


1) 

A 

B 

C 

D 

B 

C ' D 

A | B 

C 

D 

A 

B 

C 


R 


20 

_ | 

-- 


20 



20 — ! 


l 

16 

_ i 




n 


76 

72 

76 

84 

68 

80 

72] 84 

72 80 

76 

92 

68 

80 

72 


[r> 

s 


145 

160 

152 

148 

144 

160 

158 152 

140 154 

142 

142 

142 

148 

140 


140 

d 


100 

US) 

110 [ 

105 

95 

110 

108 98 

95 115! 

1 

95 

110 

98 

HO 

110 


110 

P 


45 

42 

42 

43 

49 

50 

50 54 

45 39 

47 

32 

42 

38 

30 



111 


122 

139' 

131 

126 

119 

135 

133 125 

117 134 

118 

126 

119 

129 

125 


1 2-’> 

q = 

P 

s 

0,31 

1 0,26 

0,28 0,29 

0,34 

0,31 

0,32 0,36 

0,32 0,25 

0,33 0,23 

0,3 

0,26 

0,21 

0,21 

nX 

p 

3420 3024 

31923612 

3332 4000 3600 4536 

■ 

3240 3120 3572 2944 

2856 3040 2160 

2 

760 

rn X 

p 

s 

38,1 

36,1 

36,7 1 

86,8 

40,8 41,8 

42,6 45 

37,8 33,7 1 

39,3 

29 

35,7 

33,5 

26,2 

26.2 

V, P 

m a 

s 

X n 

2798 2602 

2738 3094 

2774 3348 

3064 3780 

2719 2700 

2984 2666 

2428 2683 

1890 

2415 


Normale Kreislaufverhältnisse. 

1. 8 Uhr 50 Min.: Ein normaler Verlauf der Curve, in der sich nur in einer 
etwas heftigen Vasoconstriction bei B eine leichte vasomotorische Erregbarkeit 
ausspricht. 


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Original fro-m 

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Zar Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


273 


9 Uhr 5 Min.: Es wird Chloral. hydrat. 1,0 per os gegeben. 

II. 9 Uhr 25 Min.: Die Widerstände sind gegen I abgefallen, verlaufen in 
ihrem Spiel ähnlich wie bei der I. Mossung. Die Herzenergie dagegen ist gestiegen 
und deshalb die Pulswelle höher. Die Curve zeigt einen ruhigen Verlauf aller 
Werthe. 

III. 9 Uhr 55 Min.: Die Widerstände halten sich auf der bei II erreichten Tiefe, 
zeigen aber hochgradig gesteigerte Vasomotorenerregbarkeit, die in den colossalen 
Schwankungen des diastolischenWerthes zu Tage tritt. Bei D zeigt sich Splanchnicus- 
dilatation und compensatorische periphere Vasoconstriction. Die Herzenergie ist 
wieder auf die Anfangs (bei 1) bestehende Grösse abgesunken. 

IV. 10 Uhr 35 Min.: Die Widerstände sind durchschnittlich so hoch wie bei II. 
In Folge einer in den letzten Stellungen auftretenden Gefässerweiterung im Splanch- 
nicusgebiet bleibt der diastolische Werth auf der bei B erlangten Höhe stehen. Die 
Herzenergie ist anfangs ziemlich dieselbe wie bei I, ihr weiterer Verlauf entzieht sich 
wegen der Dilatation der Bauchgefässe unserer Beurtheilung. 


Versuch XVIL 

Prot. 3. W., 29 Jahre. 26. 10. 1907. 






Zeit: 

10,45. 



Zeit: 

11,30. 



Zeit: 

12,15. 





A 

B 

C 

D 

A 

' B 1 

C 

D 

A 

B 

C 

D 


R 


24 



I 

24 




22 

| ■ 1 

_ 



n 


92 

88 

88 

, 84 

80 

84 

84 

84 

80 

84 

80 1 

88 


s 


171 

185 

180 

1 170 

152 

172 

152 

152 

142 

! 172 

152 

160 


d 


110 

135 

i 132 

118 

105 

124 

110 

1 108 

1 

100 

118 

i 

110 | 

105 


p 


61 

50 

: 48 

52 

47 

48 

42 

i 44 

42 

54 

42 

55 


m 


140 

160 

! 156 

144 

128 

148 

131 

130 

121 

145 

131 

132 

q 

= 

P 

s 

0,36 

0,27 

, 0,27 

^ 0,31 

0,31 

0,28 

0,28 

0,29 

0,29 

°,31 

0,27 

0,34 

n 

X 

P 

5612 

4400 

4224 

4368 

3760 

4032 

3528 : 

3696 

3360 

4536 

3360 

4840 

m 

x 

P 

s 

50,8 

43,2 

42,1 ' 

44,6 

39,7 

41,4 

36,7 

37,7 

35,1 | 

44,9 

35,4 | 

45,2 

mX 

p 

s 

X n 

4670, 

3802! 

3707 

3750 

3174| 

3481 

3081 

3167 

2807 

3776 

2830 

i 

3979 


Psychose. An grosse Dosen Chloralhydrat gewöhnt. Kreislauf ohne 
organ. Veränderungen. 

I. 10 Uhr 45 Min.: Eine Vasomotorikercurve mit sehr hohem Gefässtonus in der 
Peripherie und ausgesprochener Gefassübererregbarkeit. Die Herzenergie sinkt bei B 
ab und hält sich dann durch die andern Stellungen auf ihrer Höhe. 

11 Uhr: Verabreichung von Chloral. hydrat. 1,0 per os. 

II. 11 Uhr 30 Min.: Keine subjective Wirkung. 

Die peripheren Widerstände sind deutlich gesunken, die vasomotorische Ueber- 
erregbarkeit hat etwas nachgelassen. Das Cor arbeitet, wohl reactiv auf die Vaso¬ 
dilatation, in toto weniger, aber bedeutend ruhiger und gleichmässiger wie bei I. 

III. 12 Uhr 15 Min.: Der Vasotonus ist weitorhin beträchtlich abgesunken, es 
zeigt sich eine geringe Uebererregbarkeit im Gefässsystem. Dagegen tanzt die Herz¬ 
energie in ihren Werthen aufgeregt auf und ab, daher die systolischen Spitzen bei B 
und D. Die durchschnittliche Leistung des Herzens bleibt dieselbe wie bei II, sie ist 
eine inconstante geworden. 


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Original from 

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274 


V. Sonnen kalb, 


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Versuch XVIII. 

Prot. 2. M. Th., 16 Jahre. 25. 10. 1907. 




Zeit: 

9,15. 



Zeit: 10,0. 



Zeit: 

10,45. 

A 

B 1 

C 1 

D 

A 

B C 

D 

A 

i 

B 

C ' D 

R 

20 

i 



24^ 



28 


1 — 

n 

961 

96 

96 1 

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84 

lool 92 

92 

92 

92 

96 108 

s 

148 

152 

148 

150 

125 

134 140 

142 

134 

! 142 

138 140 

d 

95 

100 

i 100 

103 

98 

105, 114 

112 

108 

115 

112 112 

P 

53 

52 

48 

! 47 

27 

| 29 26 

30 

26 

27 

26 28 

* m 

121 

126 

124 

| 

; 126 

111 

, 119 127 

127 

121 

128 

| 125 126 

P 

<1= s 

0,36 

0,34 

' 0,32 

0,31 

0,22 

0,22: 0,19 

0,21 

0,19 

0,19 

0,19 0,2 

nXp 

5088 

4992 

4608 

4324 

2268 

2900 *9392 

i 

2760 

2392 

2484 

2496 3024 

m X 

s 

43,6 

42,8 

39,7 

39,4 

24,4 

26,2 ! 24,4 

26,7 

l 

23,0 

24,5 

23,7 25,0 

m X ^ X n 
s 

4782 

4113 

3809 

1 

3622 

i 

2051 2618 2220 

2454 

2115 

2255 2280 1 2722 

i i 


Mediastinaltumor. Das Cor zeigt keine pathologischen Befunde. 

I. 9 Uhr 15 Min.: Vasomotorikercurve. Bei einer befriedigenden Herzarbeit eine 
leichte Uebererregbarkeit des Gefässsystems, die sich namentlich in dem Hochgehen 
der peripheren Widerstände bei D äussert, das allerdings zum Theil auch bedingt 
wird durch eine leichte Splanchnicusdilatation. 

9 Uhr 30 Min.: Chloralhydrat 1,0 per os. 

II. 10 Uhr: Im Splanchnicusgebiet tritt eine bis D continuirlich zunehmende 
Vasodilatation hervor; der Puls tritt nicht compensatorisch dafür ein, wohl aber das 
periphere Gefässsystem, das bei anfänglich fast gleich hohem Widerstand durch starke 
Contraction bei B und C den Kreislauf aufrecht zu erhalten sucht. Also deutlich 
ausgesprochene Splanchnicusdilatation bei gut arbeitenden peripheren Gefässen. Die 
Herzwerthe lassen keinen Vergleich mit denen bei I zu. 

Rauschähnlicher Zustand, beim Stehen das Gefühl von Wanken, keine Müdigkeit. 

III. 10 Uhr 45 Min.: Die starke Dilatation im Splanchnicusgebiet bleibt bestehen, 
der periphere Gefässtonus ist daher von Anfang an sehr hoch, und bleibt constant. 
Ein Vergleich der Herzarbeit mit der bei I ist aus unsern Werthen nicht statthaft, 
dagegen verläuft sie während der Functionsprüfung gleichmässig und ruhig, zu er¬ 
kennen aus der nicht wechselnden Höhe der Amplitude. 

Das Gefühl von Berauschtsein bleibt bestehen, daneben Müdigkeitsgefühl. 

Morphium. 

Thierexperimentell ist mit Morphium in Bezug auf seine Kreislauf- 
wirkung wenig gearbeitet worden, die meisten Angaben sind Resultate 
der Beobachtung, die man am Krankenbett angestellt hat. 

Dass Morphin schon in arzneilichen Gaben gefäss er weiternd wirkt, wird von 
den meisten Autoren angegeben [Penzoldt 1 ), Tappeiner 2 ), Schmiodeberg 3 )]. 
Es sprechen dafür die Röthung der Haut und das Wärmegefühl, eventl. auch Haut¬ 
jucken und das Auftreten von Schweissen und Exanthemen. Schmiedeberg 3 ) 


1) Penzoldt, Lehrbuch der klin. Arzneibehandlung. 

2) Tappeiner, Arzneimittellehre. 

3» Schmiedeberg, Grundriss der Pharmakologie. 


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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


275 


glaubt die vorzugsweise Betheiligung der Haut auf die besonders grosse Empfindlich¬ 
keit dieser vasomotorischen Centren zurückfähren zu können. Er gibt auch an, dass 
bei stärkerer Vergiftung die Haut kühl und blass wird in Folge einer allmählich ein¬ 
tretenden Splanchnicuserweiterung und zu grosser Wärmeabgabe. Brun ton und 
Cash (1886) fanden bei morphinvergifteten Thieren ein Sinken der Körpertemperatur 
in Folge von vermehrter Wärmeabgabe durch Dilatation der Hautgefässe, und Gott- 
lieb 1 ) gelang es beim Kaninchen die durch den Wärmestich auf 41 Grad gesteigerte 
Temperatur durch 0,01 Morphin auf die Norm zurückzuführon. Tappeiner aber 
ist der Ansicht, dass die schon auf kleine Dosen hin beim Menschen auftretende Be¬ 
einflussung des Gefässsystems auch bei grösseren nicht wesentlich fortschreite. 

Das Herz wird nach den meisten Autoren erst in den letzten Stadien der 
Morphinvergiftung beeinflusst [Schmiedeberg 2 ) und Penzoldt 3 )]. Die anfäng¬ 
liche Steigerung der Pulsfrequenz nach arzneilichen Gaben schiebt Heinz 4 5 ) auf einen 
kurz dauernden Erregungszustand, auf den wir auch bei uns zurückkommon werden. 
Dagegen giebt Lewin 6 ) an, dass schon bei sehr kleinen Dosen nach der anfänglichen 
Beschleunigung ein Sinken der Pulsfrequenz hervorgerufen werde, dass dieses nach 
grösseren Gaben schneller und hochgradiger eintrete, in seltenen Fällen schon nach 
massigen Gaben bis auf die Hälfte der ursprünglichen Zahlen herunter gehen kann, 
und bei starkem Absinken von gleichzeitiger Schwäche und Unregelmässigkeit der 
Herzaction begleitot sei. Bei besonders, namentlich durch organische Herzfehler, 
dazu disponirten Individuen kann diese Beeinflussung der Herzarbeit in so hohem 
Maasse eintreten, dass sie mehr oder weniger plötzlich den Exitus zur Folge hat, 
Als Ursache für all diese Erscheinungen sind (nach Lewin) wohl alle Faktoren in 
Betracht gezogen worden, denen überhaupt ein Einfluss auf den Kreislauf zuzu¬ 
schreiben ist: eino Wirkung auf das Vaguscentrum, auf die vasomotorischen Centren, 
auf die intracardialen Centren, selbst „wegen Gehirnlähmung Fortfall der gewöhn¬ 
lichen reflectorischen Impulse für die regulatorischen Organe der Gefäss- und Herz- 
arbeit u . Neuerdings nehmen die Autoren fast alle an [Heinz 4 ), Schmiedeberg 2 )], 
dass eine in Betracht kommende Schädigung der Herzthätigkeit erst bei hochgradiger 
Verlangsamung der Athmung und dadurch hervorgerufener C0 2 -Vergiftung des 
Blutes eintrete, die dann entweder auf die Herzganglien selbst oder auf die Herz- und 
Gefäss-Centren lähmend einwirke, eventl. auch u. E. bedingt sein könnte durch die 
verminderte Saugkraft des Thorax bei zu starker Respirationsverlangsamung. 

Wir haben mit Morphium 10 Versuche unternommen, sowohl am 
Gesunden wie an Patienten, die anormale Kreislaufverhältnisse boten: 
Arteriosklerosen, Vasomotorikern wie auch jungen Menschen in der 
Pubertätszeit mit infantilem Herz. Wir versuchten uns auf diese Weise 
von der eventl. vorhandenen Schädlichkeit des Morphiums für den Kreis¬ 
lauf zu überzeugen; am wirklich schwer organisch veränderten Cor 
schienen uns die Versuche doch zu gewagt. Wir injicirten Morph, hydrochlor. 
0,005—0,01 subcutan, die geringeren Dosen nur bei jugendlichen Per¬ 
sonen. Nach der Injection Hessen wir bis zur II. Messung durchschnitt¬ 
lich 40 Minuten, bis zur III. 1 — 1 / 2 Stunden vergehen. In einigen Fällen 
nahmen wir später noch eine IV. Messung vor. 

Was die Gefäss Wirkung des Morphiums anbetrifft, so sahen wir 

1) Gottlieb, Arch. f. exper. Path. und Pharmakol. 26. 419. 1890. 

2) 1. c. S. 274 Anmerkung 3. 

3) 1. c. S. 274 Anmerkung 1. 

4) Heinz, Lehrbuch der Arzneimittellehre. 

5) Lewin, Die Nebenwirkungen der Arzneimittellehre. 1893. 


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276 


V. Sonnenkalb 


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stets eine periphere Vasodilatation eintreten, oft sehr beträchtlicher Art. 
Wir sahen sie am jugendlichen Kreislauf sehr ausgeprägt, in einem Falle 
betrug das Maximum der diastolischen Drucksenkung über 20 cm H 2 0. 
Aber auch am älteren Individuum, beim Arteriosklerotiker, war sie vor¬ 
handen, wenn sie hier auch nicht so hochgradig eintrat. Nur bei einer 
Arteriosklerose (Versuch XXII), die anfänglich sehr hohe periphere Wider¬ 
stände darbot, war ein so starker Abfall der diastolischen Werthe vor¬ 
handen, dass sie bei der III. Messung in’s Bereich des normalen gerückt 
waren. Meist trat die maximale Vasodilatation schon nach 30 Minuten 
hervor, um sich dann während des ganzen Versuches annähernd auf der 
gleichen Höhe zu halten, seltener erst nach 1 Stunde. In einem Falle 
(Versuch XIX), wo das Morphium schlecht vertragen wurde und statt 
Beruhigung Schwindel usw. sich zeigte, fanden wir eine halbe Stunde 
nach der Injection zunächst ein Ansteigen der Widerstände, zugleich mit 
einer vasomotorischen Uebererregbarkeit, was wohl als ein Stadium der 
Excitation zu deuten ist, nach 1 Stunde erst die Vasodilatation. Aber in 
den andern Fällen haben wir diese Erscheinung völlig vermisst, auch da, 
wo ein deutliches psychisches Excitationsstadium vorhanden war. Die 
Dauer dieser Vasodilatation scheint eine recht verschieden lange zu sein. 
Bei einem jungen Mädchen (Versuch XIX), das ausgesprochen vaso¬ 
motorisch war, fanden wir sie bei der letzten Messung nach fast 3 Stunden 
noch auf ihrem Maximum bestehen, bei einem Arteriosklerotiker (Ver¬ 
such XXII) war der Gefässtonus nach 3 x / 4 Stunden wieder etwas hoch- 
gegangeh, ohne aber seine ursprüngliche Höhe schon erreicht zu haben. 
Andererseits konnten wir bei Arteriosklerose constatiren, dass die Wider¬ 
stände schon nach 1 Stunde auf ihr vorheriges Maass zurückgegangen 
waren. Für alle anderen Fälle gilt aber jedenfalls, dass die Vasodila¬ 
tation nach 1 Stunde noch auf ihrem Maximum stand. Zu betonen ist, 
dass diese dilatatorische GefässWirkung in jedem Falle eintritt, 
auch dann, wenn psychische Erregung, Nausea, Kopfweh und Schwindel 
die Folgen der Morphiuminjection waren, also keine psychische Be¬ 
ruhigung vorhanden war. Sehr verschieden verhielt sich die Beeinflussung 
der vasomotorischen Erregbarkeit durch das Morphium. Meist tritt am 
abnorm erregten Gefässsystem in der II. Messung ein Stadium von 
normaler oder subnormalcr Erregbarkeit ein, das nach 1 Stunde jedoch 
wieder verschwinden kann. Das sahen wir sehr schön bei einem jugend¬ 
lichen Vasoraotoriker und bei einer Arteriosklerose, wo das unternormale 
Reagiren der Gefässe aber erst nach 1 Stunde auftrat. Auch der schon 
oben erwähnte Arteriosklerotiker (Versuch XXII) mit den stark erhöhten 
Widerständen und starker peripherer Uebererregbarkeit zeigte bei der 
II. Messung einen gleichmässigen Gefässtonus, der durch den ganzen 
Versuch zu verfolgen war. Doch giebt es auch Fälle, die dies ver¬ 
missen lassen. Dieses Stadium der gegen den Vorversuch verringerten 
vasomotorischen Erregbarkeit geht aber oft schnell vorüber, und wir 
finden dann unter Umständen schon nach 1 Stunde das übermässige 
Reagiren der Gefässe wieder. Sehr schön zeigten uns das eine Arterio¬ 
sklerose und ein Knabe, bei dem in der IV. Messung sogar eine die 
Anfangsmessung übertrefTende Erregbarkeit eingetreten war. Dabei bleibt 


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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


277 


der verminderte Gefässtonus bestehen oder sinkt noch weiter ab. Das 
Abklingen der Gefässwirkung des Morphiums dagegen scheint gewöhnlich 
mit einer starken Uebererregbarkeit verknüpft zu sein. 

Es folgt die Herzwirkung des Morphiums. Zunächst fanden wir 
immer ein starkes Absinken des Pulses, das oft erst in der 111. Messung 
eklatant zu Tage trat. Dabei wurde der Verlauf der Pulscurven in der 
einzelnen Functionsprüfung oft ruhiger und gleichraässiger. Nur in einem 
Falle (Versuch XIX) trat nach V 2 Stunde eine Erhöhung der Pulsfrequenz 
hervor, zugleich stiegen, wie schon oben erwähnt, die Widerstände an, 
es war ein deutlich ausgeprägtes Excitationsstadium vorhanden; alle andere 
Versuche aber Hessen dasselbe vermissen. Sehr deutlich tritt nun in den 
meisten Protokollen das Bestreben des Cor zu Tage, den Mitteldruck 
trotz der oft sehr starken Vasodilatation möglichst auf seiner Höhe zu 
halten. Da nun neben der Gefässerweiterung noch eine Pulsverlang¬ 
samung eintritt, so lässt sich das nur erreichen durch eine Steigerung 
der Herzenergie. Wir sehen dies am vollkommensten erreicht beim 
juvenilen übererregbaren Kreislauf, wo das Cor unzulänglich und unzweck¬ 
mässig arbeitete. Nach der lnjection schnellen die Werthe für die Herz¬ 
energie stark empor und liegen im Bereiche des Normalen. Das Ab¬ 
sinken des Mitteldrucks ist dabei ganz minimal oder gar nicht vorhanden. 
Aber auch bei dem von vornherein mit übermässiger Kraft arbeitenden 
Herzen gewisser Arteriosklerotiker war eine, wenn auch unbedeutende 
Steigerung der Herzenergie meist vorhanden, wenigstens in derH. Messung. 
Dabei tritt aber keine Erregbarkeitserhöhung im Verlaufe der Energie- 
curve zu Tage, sie verläuft nicht unruhiger wie die Anfangsmessung. 
Und vielleicht bietet uns diese durch Vasodilatation und Pulsverlang- 
samung bedingte Steigerung der Herzenergie das Moment, in dem wir 
die klinisch doch häufiger beobachtete schädliche Wirkung des Morphiums 
aul’s organisch kranke Herz zu suchen haben. Das geschwächte Cor, 
das oft sogar noch gegen einen schlechten Gefässtonus arbeiten muss, 
ist einer durch Vasodilatation hervorgerufenen Mehranforderung nicht ge¬ 
wachsen, es kann die Circulation nicht mehr aufrecht erhalten und ver¬ 
sagt um so eher, als auch die compensatorische Pulsbeschleunigung aus¬ 
bleibt. Eine Andeutung, wie dies zu Stande kommt, finden wir bei 
einem Arteriosklerotiker (Versuch XX) mit in der Anfangsmessung schon 
versagendem Cor. Die Herzenergie ist bei der III. Messung Anfangs 
erheblich angestiegen, sinkt aber schon bei der 2. Stellung so stark ab, 
dass die peripheren Gefässe, deren Vasomotoren eben hier gut reagiren, 
mit einer durch die drei letzten Stellungen hochgehaltenen Vasoconstriction 
antworten. Fällt diese Vasoconstriction weg, so ist es dem Cor erschwert, 
die Circulation aufrecht zu erhalten. Finden wir sehr stark über die Norm 
gehende Herzarbeit bei gesteigerten Widerständen, so bedeutet freilich ein 
Sinken des Gefässtonus dem Herzen eine Erleichterung, dann kann offen¬ 
bar, wie uns eine Arteriosklerose (Versuch XXII) zeigte, die Energiesteige¬ 
rung ausbleiben. Erwähnt sei noch ein Fall von Morbus sacer mit Anfangs 
gesteigerten Hcrzleistungen, wo, trotzdem die peripheren Widerstände weit 
unter das Normale sanken, auch die Herzenergie und der Puls stark ab¬ 
fielen. Vielleicht spielen hier uncontrollirbare nervöse Vorgänge mit. 


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278 


V. Sonnenkalb, 


Das Morphium hat also schon in diesen Dosen einen absolut nicht zu 
unterschätzenden Einfluss auf den Kreislauf, bestehend 1. in einer wohl immer 
cintretenden, oft recht beträchtlichen peripheren Vasodilatation, die 
vorübergehend mit einer Beruhigung der eventuell bestehenden vasomoto¬ 
rischen Uebererregbarkeit oder sogar mit dem Auftreten einer Untcrerreg- 
barkeit einhergehen kann, und 2. in einer Wirkung auf das Herz, die 
sich äussert in Pulsverlangsamung und Erhöhung der Energie. Da 
diese Energiesteigerung nicht, wenigstens nicht ausschliesslich, durch eine 
directe Wirkung des Morphium aufs Herz hervorgerufen ist, sondern in- 
direct durch Gefässerweiterung, so bleibt sic aus oder macht im Gegenteil 
einor verminderten Arbeit Platz in den Fällen, wo sich dem Cor erhöhte 
Widerstände entgegenstellen, die durch M auf das Normalmaass zurück¬ 
geführt werden. Deshalb sehen wir so oft einem günstigen Einfluss des 
Morphiums auf das decompensirte Ilerz in den Fällen von Hochdruck¬ 
stauung, wo die durch C 0 2 -Vergiftung erregten Vasomotorcncentren eine 
Vasoconstriction hervorrufen und so noch dazu beitragen, das kranke 
Herz auf seine höchsten Leistungen zu spannen. Hier tritt eine Be¬ 
ruhigung der nervösen Centralorgane des Gefässsystems ein, die Wider¬ 
stände sinken, und dem Cor ist Gelegenheit gegeben, seine Kraft zu 
schonen. Anders in den Fällen, wo das geschwächte Herz, wie so oft, 
gegen einen schlechten Gefässtonus arbeiten muss. Hier verlangt eine 
weitere durch Morphium hervorgerufene Gefässdilatation eine Erhöhung 
der Leistung, wenn die Circulation aufrecht erhalten werden soll, und 
dann wird das kranke Herz um so eher versagen, als auch die com- 
pensatorische Pulsbeschleunigung ausbleibt, ja sogar einer Verlangsamung 
Platz macht. Hierzu kommen noch die Fälle, wo durch Verlangsamung 
der Athmung eine C0 2 -Ueberladung des Blutes hervorgerufen und dadurch 
eine directe Schädigung des Herzens und der Gefässeentren gesetzt wird. 


Versuch XIX. 

Prot. 3. E. E., 17 Jahre. 27. 11. 1907 (siehe Fig. 7). 



Zeit. 9.50. 

A B C D 

Zeit: 

A B 

10,30. 

c ! 

D 

Zeit: 11,20. 

A | B C D 

Zeit: 

A B 

12.45. 

C ü 

R 


1 

24 - - — 

20 — i 



28 — : — , — 

i 

24| 

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_ _ 

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68i 80 76 84 

721 88 

76 

88 

64 76 76 84 

64! 

80 

60 So 

s 


118 138 132 126 

134 138 

138 

136 

122 134 128 124 

128 

134 

138 1 -- 

d 


72, 88 80 84 

f'f' *, ' ‘ 

80 92 

94 

90 

68 76 70 72 

70 

76 

so :o 

p 


46 50 52 42 

54 46 

44 

46 

54 58 58 52 

58 

58 

58 52 

m 


95 113 106 105 

107 115 

116 

113| 

95 105 99' 98 

99 

105 

109 9P 

q = 

P 

0,39 0,36 0,39 0,33 

0,4 0.33 

0.32 

0.34 

0,44 0,43 0,45 0,42 

0,45 

0,43 

0,42 0.4" 

n X 

P 

3128 4000 3952 3528 

3888 4048 

3344 4048 

3456 4408 4408 4368 

37184640 

3480 4160 

m X 

P 

s 

37 40,7 41,3 34,0 

42,8 37,9 

37,1 

38,4 

41,S 45,1 44,5 41,2 

44,5 

45,1 

45,8 41.3 

w P 
m 

s 

■ n 

2519 3254 3142 2911 

3082 3340 

•28-21 3381 

2675 3431 3386 3457 

2851 3612 

•2747 3302 


Herzneurose. Infantiler Körperbau. Leidet sehr unter nervösen 
K r e i s 1 a u f b e s c h w e r d e n. 


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Original fro-m 

UNIVERSUM OF MICHIGAN 




Zur r^,>iiH:ib>l*>gjo der Pvroi&laufs».'oor<iiHatio:j 


L TfUfe 50 flfer Starke vasomotorische Ueborefregfcarkeit bei ■leidliab'ruhig 
verlaufender Hmarbeit. litoi li tind'A sml» ein \nd zu starkes • Kefcgireif der Pcripticne, 

doil in Folge dessen', fei ."Kleiner 


bei D trat eme Sjdaiiobrninr^diliitalion i# 

werd»mW. -Amplitude eine peripheie Yasx'oonstrictiori. 

10 Cbr: Morpb. hydtö^-bl/vr, (hO1 Ja m *t 

IL10 tibf.^O M'm, i\ Hle/y Jfi den folgerten *.Hes»angenV .starkes ifcfiihl van 
feb wimfej, Nausea. Kopfweh, Fühlt im;h sehr tfend, ;\V:<f<dr* und du* 

• Ü*fer tt r*gb ö r k eK «t c (l g 0 $,th%eo> vväfeemF (fe if^arfeit ungefähr auf derlei fen Hbfe 
genhofen ist. h> i&t Pieo wn‘Hij£g*spruefehM» ExcOal nvu.sstadi um vorhanden* 
illt ft Vbi ’2(* Mjn : I*u< pevipfe.h*i, Widerstände sind in i Vergleich in l fe- 
Atäj&ttfolt' .jibgesankch, dilic fetfernrfoghiifk^l.;'-d^i v tiei'ass'$]f ,, stt\ins' ist kaum noch ui 
'fe werfen. Öle Herzeriergi'e .^l..rH\Tas' an^stb'gen^ -deshalb- isl der itUtölilrunk mir 
niedriger a(> fei 1 l>us Vor arbeitet ruhi^. die Minulenailrit lifiU sivdi in 
F.dge langsamu;*# auf derselben Hofe wm ib‘ Curvu I 

IV. 12 L l.i •■45 Mm.: ScfjimttM, Kopfweh, Xhus.u* sind noch gestiegen: 

Ihn- pertyferen W idersifc'niäe' tibi ton atii :t der; bei ilt eidangten ifete nesiehen, 
ffiicb aber* tiamenilieh in dem IJ.or.hgefen d«*s dfeOolisrfen Worlbes V»ni V, wieget 
fäsbroolMä&cfe IJfifemrvgbäikeil. Die Duorgierurve des Herzens verläuft 
^dohfuir'^g und gUuoi» hoch wie t^ei IJI, die Arbeit in der ZViUinfeil. aber M in 
Folge tk$ unkenden Vulsm schwankend. 


Starke A r t.»rioäJc Ißfose bei ge s v h vv ß o ii l, o m Herz. Das Aufstellen bei 
der Functionspmfung hUangt ho hr an, ■.* mit dabei ?'als. intermilt. auf. 

L 13 Uhr; Die Uefiptfo teagiron bei ß über normal mul hallen diese Vasuv 
constHolinn um*?» bei C aufrecht. Der dadmeh eoi-Utdtemfe» MAimiibeil i*>i <U' bis»; 
igttt arbeitend* Gor flieht gewachsen \irrd fnjü \n Ttf'ixw* ;Rifegü v bei D ^üufe ab. 
Durch vermehrte Äütfftn such» das Herz eineu zu sinifeu Ai.ü.-h d* s Miüoldntrks bei 
t» zu paralrstren. 

12 Für 5 Tdid.i Mbrpb. i) ) drochioi. Oj)t sul^ u.t, 

' 11. 12 Ohr 30 Min.; Das Siefen bei D sl.r^gt wVrd^rei an, !\. MihO. sich •.mhig.a. 

D»e Widerstande sind abgKs»mkon y ||f£ 

srhwunden. Das C’or, dessen FinzeiafI m-u mosH»1h 5 u IdU« »be Fun' ium■,;V»,p,fu.uu; 
gut aus; bei C zeigt sieb sogar eine etwas «ilM>rmii.»:i.:».t; Si'elg.-ruT,^ - mvm- V«- ruFu^u 



'...».' t■ 1 1 ■ jfygyi-sww? 


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280 


V. Sonnenkalb 


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111. 1 Uhr 5 Min.: Die Herzenergie ist Anfangs weiter angestiegen (bei A), 
fällt aber dann ab. Die peripheren Widerstände, die bei A gesunken sind (im Ver¬ 
gleich zu II), steigen bei B an und halten sich dann auf dieser Höhe, wohl reactiv 
auf den Abfall der Herzthätigkeit. Sie halten also, vereint mit gesteigerter Herz¬ 
action, den Mitteldruck auf seiner Höhe. 

P. fühlt sich sehr ruhig und bedeutend wohler wie bei der Anfangsmessung. 


Versuch XXL 

Prot. 5. F. K., 16 Jahre. 4. 12. 1907. 




Zeit: 

9,55. 


Zeit: 

10,50. 



Zeit: 

11,25. 


. 

A j B i 

i 

C | 

D 

A B 

C 

D 

A 

1 B 

C D 


R 




1 | 

20 — 



20 


_ 


n 

110 , 116 

112 

132 

80 92 

100 

108 

76 

100 

80 96 


s 

130 142 

134 

134 

138 154 

146 

148 

135 

: 150 

148 154 


d 

92, 102 

100 . 

96 

78 88 

| 

78 

80 

70 

7Sj 

76 1 80 


P 

38 40 

34 

' 38 

60 66 

68 

68 

65 

72 ' 

72 74 


m 

lll! 122 

117 

115 

108; 12 lj 

112 

114 

102 

| 114 

112 117 

q 

_ P 

s 

0,29, 0,28 

0,25 

0,28 

0,43 0,43 1 

0,47 

0,46 

0,48 

0,48 

0,49 0,49 

n 

X p 

3800 4640 3808 1 

5016 

5280 6072 6800 1 

! 7344 

4940 7200, 5760 7104 

m 

X P 

s 

32,2 34,2 

i 

29,2 

32,2 

46,4 52 | 

52,6 

52,4 

49,2 j 54,7 ’ 

1 1 

54,9 57,3 

m X 

P Xn 

s 

1 

3219 3962 

3276 4250 

4087 4787 5264 

5663 

3739 

5472 

4390 5504 


Abgelaufene Pleuritis exsudativa. Cor: I Ton etwas unrein, 
sonst o. B. 

I. 9 Uhr 55 Min.: Ein fast normaler Verlauf der Curve, bei etwas schwankender 
Herzaction. Das Cor arbeitet einzelsystolisch schwach, in Folge dessen die niedrige 
Amplitude. Das wird einigermaassen ausgeglichen durch sehr frequenten Puls. 

10 Uhr 7 Min.: Subcut. Inject, von Morph, hydrochlor. 0,005. 

II. 10 Uhr 50 Min.: Die Widerstände sind sehr stark abgesunken. Der Verlauf 
der diastolischen Werthe zeigt dabei eine etwas aufgeregte Vasomotorenthätigkeit. 
Die Herzarbeit ist in beiden Werthen angestiegen, in Folge ausgesprochener Puls¬ 
verlangsamung in der systolischen Leistung mehr'wie in der Minutenarbeit. 

III. 11 Uhr 25 Min.: P. fühlt sich nicht müde, ist schwindlig, hat Kopfweh. 
Die Widerstände sind noch weiter abgesunken, die vasomotorische Ueber- 

erregbarkeit hat zugenommen. Die Herzenergie, nur wenig höhor wie bei II, reagirt 
prompt auf die bei D folgende Vasoconstriction durch erhöhte Leistungen. Die 
Arbeit in der Zeiteinheit wird durch ein Tanzen des Pulses schwankend. 


Versuch XXII. 

Prot. 10. Str., 62 Jahre. 25. 11. 1907. 

Starke Arteriosklerose. 

1. 9 Uhr 40 Min.: Typisches arteriosklerotisches Bild mit gesteigerten Wider¬ 
ständen, starker vasomotorischer Uebererregbaikeit und bedeutendem Kraftaufwand 
von Seiten des Cor. Die Leistungen des Herzens passen sich dabei den peripheren 
Widerständen durchaus nicht an, sondern steigen in beiden Werthen von A—D 
continuirlich, das Herz arbeitet also uncoordinirt. 

9 Uhr 50 Min.: Subcut. Inject, von Morph, hydrochloric. 0,01. 


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UNIVERS1TY OF MICHiGAN 



Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


281 




Zeit: 

9.40. 



Zeit: 

10,10. 


A 

B C 

D 

A 

B 

c 

D 

R 

18 




18 




n 

92 

104 

100 

104 

96 

96 

96 

100 

s 

265 

230 

278 

280 

255 

268 

272 

276 

d 

112 

126 

108 

110 

102 

106 

104 

100 

p 

153: 

154 

170 

170 

153 i 

162 

168 

176 

in 

188 

203 

193 

1 195 

178 

187 

188 ; 

188 

P 

* = s 

0,5S 

0,55 

0,61 

0,61 

0,6 

0,6 

0,62 | 

0,63 

n X p 

14076 

16016 

17000 

176S0 

14688 

15552 

16128 

17600 

v p 
m X 

s 

109,3 

111,6 

117,7 

118,9 

107,1 

112,2 

116,6 

118,4 

! 

m X ^ X n 
s 

10058 

11612 

11773 

12371 

10282 ; 

10771 

11190 

11844 




Zeit: 

10,40. 



Zeit: 

1,15. 


A 

B 

C 

D 

A 

B 

C ; D 

R 

20 


_ 


20 




n 

88 

96 

96 

96 

80 

96 

92 

96 

s 

250 

272 

276 

264 

260 

262 

278 

276 

d 

90 

94 

96 

90 

98 

104 

108 

106 

p 

160 

178, 

180 

174 

162 

158 

170 

170 

m 

170 

183 | 

186 

177 

179 

183 

193 

191 

P 

s 

0,64 

0,65 

0,65 

0,66 

0,62 

0,6 

0,61 

0,62 

n X p 

14080 

17088 

17280 

16704 

12960 

15168 

15640 

16320 

v P 
m X 

s 

108,8 | 

118,9 

i 120,9 

116,8 

11 t 

109,8 

117,7 

118,4 

in X ^ Xn 
s 

9574 

11419 

i 11606 

11215 

1 

8880 

10541 

! 

10821 

11367 


II. 10 Uhr 10 Min.: Die Widerstände sind abgefallen, die vasomotorische Ueber- 
erregbarkeit ist gänzlich verschwunden. Trotzdem arbeitet das Herz mit unver¬ 
minderter Kraftverschwendung weiter und steigt von A—D in seinen Leistungen 
beständig an und reisst auf diese Weise den Mitteldruck in die Höhe. 

III. 10 Uhr 40 Min.: Die Widerstände sind weiter gesunken bei normaler 
Vasomotorenerregbarkeit. Das Herz arbeitet bis C mit noch gleich unsinnigem Kraft¬ 
aufwand, um bei D in seiner Energie etwas abzusinken. Die Zeiteinheitsarbeit des 
Cor ist in Folge leichter Pulsverlangsamung relativ geringer geworden, die Herz¬ 
action ist ruhiger wie bei I. 

IV. 1 Uhr 15 Min.. Die Wirkung auf das Gefässsystem klingt ab, die Wider¬ 
stände sind gestiegen und damit ist zugleich die vasomotorische Uebererregbarkeit 
wiedergekehrt. Das Herz arbeitet einzelsystolisch nicht mehr so erregt, und von B 
bis C finden wir noch einen etwas zu starken Anstieg. Dagegen zeigt die Minuten¬ 
arbeit des Cor, im Ganzen in Folge von Pulsverlangsamung abgesunken, durch ein 
Schwanken in der Action dasselbe continuirliche Ansteigen der Werthe von A D 
wie bei 1. 


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282 


V. Sonnenkalb, 


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Bromural. 

Der «-Monobromisovalerianylharnstoff, das Bromural, ist, ehe er therapeutisch 
angewandt wurde, thierexperimentell genau von v. d. Eeckhout 1 ) im 
Gottlieb’schen Laboratorium untersucht worden. Dieser giebt nach seinen 
Versuchsresultaten an, dass Bromural in therapeutischen Gaben ein gutes 
Narkoticum ohne irgend welche unangenehmen Nebenwirkungen auf Circu- 
lationsapparat, Darm und andere Organe sei, dass erst in toxischen Dosen, und 
zwar hier als l. Symptom, eine Alhmungsverlangsamung eintretc, und dass sich 
auch nach tiefster Narkose die Thiere in den meisten Fällen wieder erholen. Die 
Narkose wird nicht eingeleitet durch ein Excitationsstadium, nur einige Hunde zeigten 
Anfangs unbedeutend gesteigerte Reflexe. Dazu kommt, dass auch dauernde Ver¬ 
abreichung des Mittels in arzneilichen Gaben nie eine Schädigung der Versuchsthiere 
erkennen liess. Die daraus sich ergebende gute Verwendbarkeit des Bromurals als 
Hypnoticum und Sedativum ist von Krieger und v. d. Velden 2 ) in der Marburger 
medizinischen Klinik ausprobiert und in einer Arbeit schon eingehend klinisch 
gewürdigt worden. Die weitere Beobachtung lehrte nun, dass das Mittel dem 
Neurastheniker nicht nur als Einschläferungs-, sondern auch als einfaches Beruhi¬ 
gungsmittel die besten Dienste leistete. Es blieben nach Anwendung von Bromural 
unter anderm auch die gewisse Neurastheniker ausserordentlich quälenden Kreislauf¬ 
symptome oft vollständig weg, das Herzklopfen, die Wallungen, die collapsartigen 
Erscheinungen verbunden mit Schwindel und Kopfweh u. s. w. Wir mussten daraus 
auf eine günstige Beeinflussung des Kreislaufs schliessen, entweder direct durch 
Beruhigung der peripheren und medullären Kreislaufcentren, oder indirect durch 
Ausschaltung der die Kreislaufcentren fortgesetzt treffenden, von höher gelegenen 
Apparaten ausgehenden Reize. Nun hat v. d. Eeckhout 1 ) in der schon oben er¬ 
wähnten Arbeit am Thier nachgewiesen, „dass auch starke Dosen den Kreislauf 
intact lassen und den Blutdruck und die Erregbarkeit des vasomotorischen Centrums 
sowie der Vagi nicht verändern, 14 d. h. also, dass gröbere eventl. schädigend 
wirkende Einflüsse das Bromural auf diese Organe nicht ausübt. 

Das schliesst aber an und für sich nicht aus, dass die Beruhigung resp. die 
leichte Narkose, in welche die Grosshirnzellen durch therapeutische Gaben versetzt 
werden, in vermindertem Umfange sich auch auf die medullären Centren erstreckt, 
und dort eine so geringe Beeinflussung ausübt, dass sie sich durch die immerhin 
groben Versuche am Thier nicht nachweisen lässt, die aber am Menschen bei der 
von uns angewandten Functionsprüfung, die ja entschieden schon ganz geringe Ver¬ 
schiebungen in den Kreislaufverhältnissen erkennen lässt, wohl bemerkbar sein kann. 

Wir haben mit Bromural 13 Versuche angestellt bei Kreislauf¬ 
gesunden, wie beim Kreislaufneurotiker, bei Arteriosklerose und Nephritis. 
In den meisten Fällen gaben wir 2 Tabletten, also 0,6 per os, 2 Mal 
0,9. Die II. Messung wurde 30—40 Minuten nach Verabreichung des 
Mittels angestellt. Was zunächst die subjective Wirkung des Bromurals 
anlangt, so fanden wir bei aufgeregten nervösen Patienten meist eine 
Linderung der charakteristischen Symptome, der Unruhe, des Angst¬ 
gefühls, des Herzklopfens und der andern oft so unbestimmten Be¬ 
schwerden. Dagegen trat, da wir die Versuche meist Vormittags unter¬ 
nahmen und uns auch nicht bemühten, die von Aussen kommenden 
Eindrücke dem Betreffenden ängstlich fern zu halten, der Schlaf meist 

1) Eeckhout, Arch. f. exper. Path. u. Pharmakol. Bd. 57. Heft 5 u. 6. 1907. 

2) Krieger-Velden, Deutsch, med. Wochenschrift. 1907. No. 6. 


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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


283 


nicht ein, sondern nur ein geringes Müdigkeitsgefühl. Es lag ja auch 
in unserer Absicht, das Bromural von andern Gesichtspunkten aus, als 
den in den obigen Arbeiten gewürdigten, zu betrachten. 

Was nun die Krcislaufwirkung, die das Bromural am Gesunden 
hervorruft, betrifft, so fanden wir, dass sich die im Anfangsversuche 
gewonnene normale Curvc bei der II. Messung meist ganz getreu, 
höchstens mit den physiologischer Weise vorkommenden kleinen Ver¬ 
schiebungen wiederholte. Das konnten wir auch constatircn in einem 
Falle, wo wir 0,9 verabreichten, die gewöhnlich von uns angewandte 
Dosis also um die Hälfte überschritten. Anders beim mehr oder weniger 
neurasthcnisch veranlagten Individuum. Hier finden wir ja oft die 
Kreislaufsymptome ganz im Vordergrund stehen, die kleinsten psychischen 
Reize lösen Verschiebungen in der Blutmenge auf, die sich subjectiv 
bald als collapsartige Anfälle, bald als Congestionen, bald als Hitze¬ 
gefühl u. a. m. am ganzen Körper äussern. Im Vordergrund steht hier 
das übermässige, der Zweckmässigkeit oft zuwiderlaufende Reagiren der 
beiden Kreislauffactoren, des Herzens und der Gefässe, und deshalb 
finden wir oft einen ganz bizarren Verlauf der Curve. Wir haben bei 
unsern Versuchen oft Anfangsmessungen gewonnen, die an die bei 
Nephritis und Arteriosklerose auftretenden täuschend erinnern (cf. 
v. d. Velden, juvenile Arteriosklerose). Der Erfolg, den wir durch 
Bromural nach y 2 Stunde verzeichnen konnten, ist kurz gesagt der, dass 
aus einer uncoordinirten Curve eine mehr coordinirte geworden ist, oft 
eine völlig normale, d. h. also, dass Herz und Gefässe gut und zweck¬ 
mässig zusammen arbeiten. 

Das zeigen uns sehr schön 2 Studenten in den ersten Semestern, 
die ja besonders häufig den an sie gestellten Anforderungen nervös nicht 
gewachsen sind und deshalb die Hülfe des Arztes beanspruchen, ebenso 
ein löjähriger Knabe (Versuch XXIII). Dabei ist zu bemerken, dass 
nach der Einnahme von Bromural die Widerstände und die Herzarbeit 
sich durchschnittlich auf derselben Höhe halten, wenn sie vorher schon 
in physiologischen Grenzen lagen, und dass sie nur normal und ruhig 
in ihrem Wechsel verlaufen. Finden wir dagegen neben dem uncoordi¬ 
nirten Verlauf der peripheren Werthe eine sehr hohe Amplitude, also 
eine übernormal starke, durch die Anforderungen nicht bedingte Herz¬ 
energie und Auswurfsmenge, so fällt nach Bromural die Pulshöhe ab 
bei gleichbleibenden Widerständen, das Cor arbeitet also jetzt in jeder 
Weise normal und zweckmässig. Wir konnten das erkennen bei einer 
sehr starken traumatischen Neurose (Versuch XXV) und bei einem jugend¬ 
lichen Vasomotoriker (Versuch XXIV). Keinen Erfolg von Bromural 
sahen wir nur bei einem schweren Neurastheniker, der bei der II. Messung 
collabirtc. Hier hatten aber auch andere Mittel, die wir angewandt 
haben, völlig versagt (cf. Campher Seite 245). Dann stellten wir noch 
Versuche bei Nephritis und Arteriosklerose an und mussten dort jeden 
calmirenden Einfluss des Broraurals auf den Kreislauf vermissen. Da wir 
nun also in diesen Fällen, wo doch wohl sicher eine Uebererregbarkeit 
der vasomotorischen Centren vorliegt, sowie am normalen Kreislauf keine 
Sedative oder narkotische Wirkung constatircn konnten, andererseits die- 


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284 


V. Sonnenkalb 


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selbe beim Neurastheniker in jedem Falle eintrat, so gestattet uns das viel¬ 
leicht den Schluss, dass der hauptsächlichste Factor des wohlthätigen 
Einflusses des Bromurals auf die Kreislaufneurose darin liegt, dass die von 
den höher gelegenen Centren, die einen regulatorischen Einfluss auf die 
medullären Apparate ausüben, gesandten Impulse herabgesetzt sind, dass 
wir also auch hier den Angriffspunkt in das Grosshirn verlegen müssen. 
Freilich haben wir bei einer Arteriosklerose gesehen, dass bei der 
II. Messung die enorm gesteigerten Widerstände etwas absanken, ohne 
dass allerdings die vasomotorische Uebererregbarkeit beeinflusst wurde. 
Ein Phthisiker zeigte bei der II. Messung eine vasomotorische Unter¬ 
erregbarkeit. Vielleicht ist also doch neben der cerebralen auch eine 
geringe medulläre Erregbarkeitsherabsetzung vorhanden, denn wir haben 
bei unsern früheren Versuchen oft die Beobachtung gemacht, dass gerade 
die bei Arteriosklerose vorkommende periphere Widerstandssteigerung 
und der Kreislauf des Phthisikers besonders stark auf therapeutische 
Beeinflussung reagiren. 

Zu denken wäre also immerhin daran, dass Bromural ein zu 
schwaches Narkoticum ist, um in einem ihm nicht adäquaten „Milieu u 
zu wirken wie am normalen und auf organischer Grundlage stark über¬ 
reizten Vasomotorensystera. 

Dass wir auch bei einer Nephritis einen Abfall der Widerstände 
sahen, scheint uns deshalb nicht von Bedeutung, weil uns lange fortge¬ 
setzte Beobachtungen gezeigt haben, dass hier der Vasotonus ein oft 
plötzlich schwankender ist, wie auch von verschiedenen anderen Autoren 
betont wird. 

Wir können also sagen, dass beim Neurastheniker und bei der 
Kreislaufneurose das Bromural nicht nur als Schlaf-, sondern auch als 
einfaches Beruhigungsmittel in Dosen von 0,3—0,6 gute Dienste 
leistet, dass nicht nur die subjectiven Beschwerden danach meist 
schwinden, sondern dass auch eine objective günstige Wirkung 
auf das Circulationssystem nachzuweisen ist. Nie konnten wir einen 
irgendwie schädlichen Einfluss auf den Kreislauf oder in anderer Be¬ 
ziehung constatiren, und es ist ja früher schon hervorgehoben worden, 
dass auch dauernde Anwendung in keiner Weise ungünstig auf den 
Organismus einwirkt. 


Versuch XXIII. 

Prot. 10. II. L., 15 .Jahre. 19. 10. 1907 (siehe Fig. 8). 

Herz- und Gefässneurose. Cor ohne pathol. Befund. 

I. 10 Uhr 30 Min.: Starke vasomotorische Uebererregbarkeit bei einem Schwanken 
in der Herzarbeit. Schon bei B spricht sich in dem starken reactiven Hochgehen der 
peripheren Widerstände eine Uebererregbarkeit aus. Die weitere Vasoconstriction bei 
C ist vielleicht aufzufassen als compensatorisch auf eine Spianchnicusdilatation hin. 
Dagegen ist das Hochbleiben des diastolischen Werthes bei D bei gleichzeitiger Er¬ 
höhung der Amplitude als vasomotorische Erregbarkeit zu deuten. 

10 Uhr 35 Min.: Es werden 2 Tabletten Bromural (0,6) per os gegeben. 

II. 11 Uhr 5 Min.: Herzarbeit und periphere Widerstände halten sich ungefähr 
auf der gleichen Höhe wie bei l. Dagegen arbeiten beide Kreislaufcomponenten jetzt 
zweckmässig und zeigen ein normales Reagiren auf Anforderungen. 


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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


285 




Zeit: 

10,30. 



Zeit: 11,5. 



A i 

B ! 

C 

D 

A 

B 

1 C 

D 

K 

22 

: _ 


I 

19 




n 

72 

72 

72 

1 92 

72 

76 

76 

88 

s 

122 

128 

120 

! 126 

122 

128 ! 

130 

122 

d 

80 

92 | 

95 

95 

80 

[ 85 

85 , 

80 

P 

42 

36 

25 

31 

42 

43 

45 

42 

m 

191 

110 

107 

! 110 

101 

106 

j 

107 

101 

ii 

cc '*0 

0,34 

0,28 

0,21 

| 0,25 

0,34 

0.34 1 

0,35 

0,34 

n X p 

3024 

2952 

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2852 

3024 

3268 

3420 

3024 

3 

X 

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34,3 

i 

30,8 

22,5 

27,5 

34,3 

36,0 

37,8 

34,3 

in X P X n 

s 

2472 

2218 

i 

1618 

i 1 

2530 

2472 

2739 

I 

2873 

1 ! 

3022 


Versuch XXIV. 

Prot. 9. B., 20 Jahre. 10. 12. 1907. 




Zeit: 

4,35. 



Zeit: 

5.10. 



A 

B 

C 

D 

A 

B 

C 

D 

R 

20 




20 i 




n 

80 . 

100 

76 

88 

72 1 

84 

80 

100 

s 

142 ; 

166 | 

162 

144 

138 

150 

142 

132 

d 

72 j 

84 1 

72 , 

68 

74 

92 

88 : 

78 

P 

70 ' 

82 

90 

76 

64 

58 

1 

54 

54 

m 

107 

125 

117 

106 

106 

121 

115 

105 

P 

s 

0,49 

0,49 

0.55 

0,53 

0,46 

0.39 

0,38 

0,41 

n X p 

5600 

8200 

i 6840 

6688 

4608 ; 

4872 

. 4320 

5400 

v P 
mX S 

52,4 ! 

i 

61,2 

64,3 : 

56,2 

48,8 

47,2 ' 

43,7 | 

43,0 

m X P X n 

s 

4194 

6125 

I 4891 

i 1 

4944 

3511 

3964 

3496 ' 

4305 


Herz- und Gefässneurose mit starken subjectiven Beschwerden. 

I. 4 Uhr 35 Min.: Die Herzarbeit ist gesteigert und verläuft erregt und 
schwankend in ihren Werthen. Die Pulswelle ist abnorm hoch. Der Gefässtonus ist 
inconstant und wird gegen das Ende labil. 

4 Uhr 45 Min.: Verabreichung von Bromural 0,6 (2 Tabletten) per os. 

II. 5 Uhr 10 Min.: Die Herzarbeit ist im Vergleich zu 1 abgesunken und hält 
sich durch die ganze Messung ziemlich gleich auf ihrer Höhe. Der Gefässtonus ist 
gut und kräftig, es drückt sich nur bei B in einer etwas hypernormalen peripheren 
Vasoconstriction eine Uebererregbarkeit aus. Herz und Gefässe arbeiten also im 
Vergleich zu 1 zweckmässiger. 


Versuch XXV. 

Prot. 11. E., 35 Jahre. 10. 12. 1907. 

Traumatische Neurose, Herz ohne besonderen physikalischen 
Befund. 

I. 10 Uhr 50 Min.: Herz- und Gcfässcomponente verlaufen beide schwankend 
und erregt. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. i (j 


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Original fro-m 

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286 


V. Sonnenkalb, 


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Zeit: 

10,50. 



Zeit: 

11,30. 



A 

B 

! C 

j D 

A 

i B 

C 

D 

R 

20 

I _ 



20 

1 



n 

84 

1 100 

92 

108 

80 

80 

86 ; 

104 

s 

150 

154 

| 140 

152 

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140 

142 1 

132 

d 

82 

; 90 

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84 

90 

94 

82 

P 

68 

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| 56 

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46 

50 

48 

50 

m 

116 

| 122 

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122 

107 

115 

118 

i 107 

P 

* = s 

0,45 

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0,4 

0,39 

0,35 

i i 

0,36 

i 

0,34 

0,38 

nXp 

5712 

6400 

5152 

6480 

3680 

4000 

4128 ! 

5200 

mX P 

s 

52,2 ! 

51,2 

44,8 

47,6 

37,4 

| 41,4 

40,12 

40,7 

m X P X n 

s 

4385 

1 

! 5124 

4122 

5139 

2996 

3312 

3450 

4229 


Bei B findet sich eine normale periphere Vasoconstriction. Der Abfall der 
Widerstände bei C ist etwas zu stark ausgeprägt und da gleichzeitig Herzenergie und 
Pulsfrequenz sinken, so fällt der Mitteldruck unter seinen Anfangswerth. Bei D steigt 
die Herzarbeit wenig, der Vasotonus der Peripherie aber sehr stark an, als ein Zeichen 
starker vasomotorischer Uebererregbarkeit. Die Herzaction verläuft schwankend und 
inconstant. 

11 Uhr: Verabreichung von Bromural 0,6 per os. 

II. 11 Uhr 30 Min.: Wir finden die Herzenergie in toto etwas abgesunken, sie 
hält sich gleichmässig und ruhig in ihrem Verlauf. Auch die Action ist nicht mehr 
so schwankend wie bei I. In der Gefässcomponente zeigt sich eino leichte Ueber¬ 
erregbarkeit noch bei C, während bei D der normale Abfall der peripheren Wider¬ 
stände eintritt. Im allgemeinen kann man sagen, dass der Vasotonus ein constanter 
und guter geworden ist, so dass der Mitteldruck einen annähernd normalen Verlauf 
nimmt. 


Chlornatrium. 

Die Wirkung des Kochsalzes auf den Kreislauf ist schon längere 
Zeit Gegenstand der Forschung gewesen. Dass es auf das Herz selbst 
in geringen Concentrationen eine besondere „chemische 44 (specifische) 
Wirkung nicht ausübt, ist allerdings schon lange bekannt; wenigstens 
nicht, wenn es, wie bei Durchblutungsversuchen, einer für die Ernährung 
des Herzens geeigneten Salzmischung (Ringer-Lösung) beigefügt wird. 
In hohen Concentrationen entzieht es, wie allen Geweben, auch dem 
Herzmuskel Wasser und schädigt dadurch natürlich dessen Functionen 
[Heinz 1 )]. 

Trotzdem schreibt man dem Kochsalz eine Wirkung auf den Blut¬ 
druck zu, und zwar führte zu diesem Schluss wohl hauptsächlich die 
Beobachtung, die man am Nephritiker machte. Zunächst Hess sich 
constatiren, dass beim Nierenkranken unter Umständen eine sehr hoch¬ 
gradige NaCl-Retention stattfindet, und es lag nahe, diese letztere mit 
den beim Nierenkranken bekannten hohen Blutdruck in Verbindung zu 
bringen. Eine ganze Reihe namentlich französischer Autoren [Ambard- 

1) Heinz, Handbuch d. experiment. Path. und Pliarmakol. Jena 1905. 


Gck igle 


Original from 

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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


287 


ßeaujard 1 )], Läufer 2 ) u. A. stellten danach systematisch Versuche 
am Krankenbett des Nephritikers an, und fanden, dass die Höhe des 
Blutdrucks in gewissem Umfange abhängig sei von der Kochsalz¬ 
verhaltung. Weitere Thatsachen über dieses Thema brachte Löwen- 
stein 3 ) und stellte für einige Fälle ebenfalls mit grosser Wahrschein¬ 
lichkeit eine Beziehung zwischen Kochsalzzufuhr und Blutdrucksteigerung 
fest. Es ist nun vorerst nicht unsere Aufgabe, auf diesen speciellen Fall, 
des Zusammenhangs der nephritischen Blutdrucksteigerung mit Na CI, 
näher einzugehen, da wir uns im allgemeinen ein Urtheil über die 
Kochsalzwirkung auf den Blutdruck zu verschaffen suchten, und uns bei 
unsern Experimenten hauptsächlich auf solche Kreislaufverhältnisse 
stützten, die uns etwaige Verschiebungen am deutlichsten zu Gesicht 
bringen konnten, das ist der normale Kreislauf, und zwar der des 
jugendlichen Individuums (zwischen 17 und 20 Jahren), der nach unsern 
Erfahrungen auf medikamentöse Einflüsse besonders stark reagirt. Am 
Gesunden ist unseres Wissens bis jetzt nur einmal, von Läufer, ge¬ 
arbeitet worden, der eine directe Beziehung zwischen Kochsalzzufuhr und 
Blutdrucksteigerung feststellte. 

Wir haben mit Kochsalz 9 Versuche angestellt, grösstentheils bei 
kreislaufgesunden jungen Leuten aus den oben erwähnten Gründen. Je 
einmal haben wir eine Nephritis und eine Epilepsie in unsere Versuche 
einbezogen, von welch letzterer wir wegen der angenommenen nahen 
Beziehung zwischen Kochsalz und Morbus sacer besonders deutliche 
Resultate erhofften 4 ) (beide befanden sich ausserdem im H 2 Ü- und NaCl- 
Stoffwechsel). Wir gaben in einmaliger Dosis Chlornatrium 5,0—10,0 
in lauem Wasser gelöst per os, und zwar nur in so viel Wasser, als 
zur völligen Lösung unbedingt nothwendig war; Magen-, Darmbeschwerden 
traten danach niemals auf. 

Was das Cor anbelangt, so ist es wohl unnöthig, zu erwähnen, 
dass bei den von uns angewendeten Kochsalzgaben eine directe Wirkung 
aufs Herz nicht verzeichnet werden konnte. Wo eine Aenderung in 
Energie und Action eintrat, war diese als einfache reactive Folge auf 
die im Gefässsystem hervorgerufenen Verschiebungen anzusehen. 

Ueber die GefässWirkung ist zu sagen, dass sie nicht immer 
eintritt. In 2 Fällen, wo wir 8,0 Kochsalz, also relativ hohe Dosen, 
gaben, konnten wir nicht die geringste Aenderung in Tonus und Er¬ 
regbarkeit constatiren, auch nach 1 Stunde noch nicht. Das w r äre mit 
den bei Nephritis gemachten Beobachtungen übereinstimmend, wo neben 
positiven viele völlig negative Resultate zu verzeichnen waren, ln 
anderen Fällen trat aber eine sehr deutliche Reaction hervor, deutlicher, 
als wir sie erwartet hatten. Zunächst sahen wir bei 2 völlig normalen 
Fällen (Versuch XXVI, XXV11I) nach einer Stunde eine sehr ausge- 


1) Ambard- Beauj ard, Arch. gener. de med. 1904. S. 520. 

2) Läufer, Compt. rend. de la Soc. de biologie. Paris. Sitz. v. 13. 2. 04. 

3) Löwenstein, Arch. f. exper. Path. u. Pharmakol. 57. Bd. Heft 1 u. 2. 

4) v. d. Velden, Vortr. auf d. 33. Versamml. d. südwestd. Neurolog. u. Irren¬ 
ärzte. Baden-Baden. Mai 1908. Neurolog. Centralbl. 1908. 13. 

19 * 


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Original fro-m 

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k 288 V. Sonnenkalb, 

sprochene Erhöhung des Gefässtonus durch die ganze Functions¬ 
prüfung hindurch. Dasselbe zeigte weniger eclatant die oben erwähnte 
Epilepsie bei der III. Messung. Viel constanter aber und auch früher 
trat die sehr starke Uebererregbarkeit des Gefässsystems hervor. 
Und zwar trat dieselbe 4 Mal in genau gleicher charakteristischer Weise 
zu Tage. Es lag der diastolische Werth bei der horizontalen Stellung 
noch in derselben Höhe wie im Anfangsversuche, also hier blieben die 
peripheren Widerstände dieselben. Sobald aber die durch die Functions¬ 
prüfung bedingten Anforderungen an den Kreislauf herantraten, also 
schon bei B, schnellten die Widerstände in die Höhe und die Vaso- 
constriction blieb dann durch die folgenden Stellungen dieselbe. Da wir 
es mit normalen kräftigen Kreislaufverhältnissen zu thun hatten und die 
Pulswelle annähernd die gleiche blieb, liegt gar kein Grund vor, diese Gefäss- 
verengerung in der Peripherie auf antagonistische Vorgänge im Splanchnicus- 
gebiet zu beziehen, wir haben es vielmehr mit einer wirklichen, sehr aus¬ 
gesprochenen allgemeinen Gefässübererregbarkeit zu thun. Es zeigten 
uns das 3 normale Menschen (Versuch XXVI, XXVIII) nach 30 Minuten, 
einer nach y 2 und 1 Stunde, schliesslich ein jugendlicher anämischer 
Vasomotorikcr nach 1 Stunde, während sich hier bei der II., nach 
30 Minuten vorgenommenen Messung noch gar keine Veränderung gezeigt 
hatte. Bei den 2 Fällen (Versuch XXVI, XXVIII), wo bei der 
III. Kreislaufprüfung von vornherein ein gesteigerter Tonus in der 
Peripherie vorhanden war, blieb diese starke Uebererregbarkeit aus, sie 
zeigte sich nur ganz wenig ausgeprägt in etwas von der Norm ab¬ 
weichendem Verlaufe der diastolischen Werthe. Hier finden wir auch 
die Erklärung dafür, warum die oben erwähnten Versuche anderer 
Autoren so oft negative Resultate ergaben. Ganz abgesehen davon, 
dass wohl stets nur der systolische Druck festgelegt worden ist, sind 
die Versuche lediglich in einer Stellung vorgenommen worden, und wir 
haben gesefien, dass ein erhöhter Gefässtonus als Ausdruck starker 
vasomotorischer Erregbarkeit meist erst dann hervortritt, wenn der 
Kreislauf gewissermaassen aus seiner Ruhelage gebracht wird. Weiterhin 
legen unsere Resultate uns den Schluss nahe, dass der Angriffspunkt 
des Kochsalzes, wenigstens vorwiegend, in die medullären Vasomotoren¬ 
apparate zu verlegen sei. Denn eine derartige gleichmässige erregende 
Wirkung auf das Gefässsystem liesse sich wohl schwer anders erklären. 

Zum Verhalten des Herzens dem Kochsalz gegenüber sei noch fol¬ 
gendes erwähnt. Herzenergie und Herzaction zeigten in ihren Curven nur 
insoweit Verschiebungen, als diese bedingt waren durch die veränderten 
Gefässverhältnisse. Dass bei hochgradiger Uebererregbarkeit des Gefäss¬ 
systems natürlich auch die Herzarbeit entsprechende Schwankungen zeigen 
musste, ist selbstverständlich, und es wäre vollkommen unrichtig, den 
etwas aufgeregten Verlauf der Herzcurven auf die directe Einwirkung des 
Kochsalzes auf das Cor oder seine nervösen Apparate zu schieben, wie 
derselbe auch ausblieb, wenn die Wirkung des Chlornatriums auf die 
Gefässe zu vermissen war. 

Zuletzt möchte ich noch erwähnen, dass wir bei dem Fall von 
Nephritis, an dem wir einen Versuch angestellt haben, keine sichere 


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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


289 


Wirkung constatiren konnten. Es fehlte hier allerdings der charakte¬ 
ristische hohe Blutdruck, und dann war von vornherein eine Kreislauf¬ 
schwäche des Splanchnicusgebietes vorhanden (Splanchnoptose), die uns 
die so wie so nicht sehr deutlichen Ausschläge völlig verwischte. Bei 
der Epilepsie sahen wir eine geringe Steigerung des Gefässtonus nach 
einer Stunde, zugleich aber eine Abnahme der vasomotorischen Er¬ 
regbarkeit. Wir haben schon früher bei einem Fall von Morbus saccr 
eine der anzunehmenden direct zuwider laufende Reaction beobachtet 
und dieselbe in unserer Arbeit erwähnt. Es scheinen hier andere, sich 
der Berechnung noch entziehende Factoren mitzuspielen. 

Das Ergebniss unserer Versuche ist also, kurz gesagt, dass das 
Kochsalz vorzugsweise die vasomotorische Erregbarkeit steigert, 
und zwar oft in sehr hohem Grade, dass ausserdem eine Erhöhung 
des Gefässtonus vorhanden sein kann, und dass das Cor nur wahr¬ 
scheinlich indircct durch die vom Gefässsystem übermittelten Reize beein¬ 
flusst wird. Die Wirkung tritt in den von uns angewandten Dosen sehr 
verschieden stark, eventl. gar nicht ein. 

Es stimmt dieser Befund mit Erfahrungen im Thierexperiment überein. Aus 
nicht veröffentlichten Protokollen der Velden’schen Arbeit 1 ) „Zur Pharmakologie 
des Nervus depressor u geht hervor, dass bei intravenöser Zufuhr 5—lOproc. Koch¬ 
salzlösung schon nach wenigen (5) Cubikcentimetern, noch ehe eine Steigerung des 
Blutdrucks, wie sie ja unter Umständen zu verzeichnen ist, eintritt, die auf electrisohem 
Wege geprüfte Anspruchsfähigkeit des Nervus depressor eine sichtlioh bessere wird. 
Dasselbe gilt für das medulläre Vasomotorencentrum, dessen Reizung durch temporäre 
Abklemmung der mit dem Manometer nioht verbundenen Carotis (O-Mangel) bewirkt 
wurde. 


Versuch XXVI. 

Prot. 3. H. S., 20 Jahre. 17. 2. 1908 (siehe Fig. 9). 



Zeit: 9,0. 


Zeit: 

9,40. 



Zeit: 

10,10. 


A 

B 

C 

D 

A 

B 

C 

D 

A 

B 

C 

D 

R 

16 




16 




16 




n 

68 

76 

72 

76 

64 

76 

68 

76 

72 

72 

76 

1 76 

s 

98 

110 

108 

100 

96 

120 

; 116 

110 

110 

128 

116 

120 

d 

58 

66 

62 

58 

56 

72 

j 78 

68 

72 

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74 

82 

P 

40 

44 

46 

42 

40 

48 

38 

42 

38 

46 

42 

! 38 

m 

78 

88 

85 

79 

76 

96 

97 

89 

91 

105 

95 

| 101 

P 

q = s 

0,41 

0,4 

0,43 

0,42 

0,42 

0,4 

0,33 

0,38 

0,35 

0,39 

0,36 

0,32 

n X p 

2720 

3344 

3312 

3192 

2560 

3648 

2584 

3192. 

2736 

3312 

3192 

2888 

mX^ 

s 

32 

35,2 

36,5 

33,2 

31,9 

38,4 

; 

32,0 

33,8 

31,8 

37,8 

34,2 

32,3 

3 

X 

C/5 *T3 

X 

o 

2175 

2655 

2632 

2582 

2043 

2918 

2177 

2570 

2293 

2722 

2599 

2456 


Ekzem. Normale Kreislaufverhältnisse. 

1. 9 Uhr: Völlig normales Bild. 

9 Uhr 10 Min.: Es werden Kochsalz 8,0 verabreicht per os. 


1) Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 55. 


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Original fro-m 

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290 


V. Sonnen kalb, 


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II. 9 Uhr 40 Min.: Die peripheren Widerstände sind bei A noch unverändert, 
steigen aber dann bis C continuirlich und sehr stark an, um bei D nur wenig abzu¬ 
sinken. Dabei hält sich die Herzarbeit in toto auf derselben Höhe wie bei 1, der 
etwas unregelmässige Verlauf der Herzcurven erklärt sich durch das starke Ansteigen 
der Widerstände, die Pulswelle zeigt in den einzelnen Stellungen nur geringe 
Differenzen. Also starke vasomotorische Uebererregbarkeit bei Anfangs (im Vergleich 
zu I) gleichbleibendem Gefässtonus und bei zweckmässiger, den Anforderungen aus¬ 
gezeichnet nachkommender Herzarbeit. 

III. 10 Uhr 10 Min.: Die Widerstände sind stark erhöht, also gesteigerter 
Gefässtonus, im Hochgehen des diastolischen Werthes bei D spricht sich eine leichte, 
gegen II allerdings bedeutend verminderte vasomotorische Uebererregbarkeit aus. Die 
Herzarbeit ist gegen I und II durchschnittlich unverändert und zeigt ein gutes 
Reagiren, auch erkenntlich an der fast gleichbleibenden Amplitude. 


Versuch XXVII. 

Prot, 6. A. G., 21 Jahre. 17. 2. 1908. 



Normaler kräftiger Mensch, Cor ohne pathol. Befunde. 

I. 8 Uhr 45 Min.: Der Verlauf der diastolischen Werthe ist ganz normal, da¬ 
gegen spricht sich in der Herzenergiecurve eine leichte Uebererregbarkeit aus, deshalb 
sind die Pulsamplituden etwas wechselnd in ihrer llühe. 

8 Uhr 55 Min.: Kochsalz 8.0 per os verabreicht. 

II. 9 Uhr 30 Min.: Die peripheren Widerstände, bei A auf derselben Höhe wie 
in der Anfangsmessung, steigen sodann bis 0 continuirlich an, um bei D nur wenig 
ahzufallen; dabei sind die Pulsamplituden ziemlich constant in ihrer Höhe, Herz¬ 
energie und Kinhoitsarbeit des Cor zeigen sich gegen 1 fast nicht verändert. Also 
bei gleicher Herzarbeit ein stark übererregtes Vasomotorensystem mit anfänglich nicht 
veränderten W iderständcn. 

III. 10 Uhr: Dasselbe Bild wie II, nur hat die vasomotorische Uebererregbarkeit 
noch zugenommen. 


Versuch XXVIII. 

Prot. 4. M. Sch., 21 Jahre. 15. 2. 1908. 

D i a b e t r s. X o r m a 1 e K r e i s 1 a u f v e r h ä 11 n i s s e. 

I. 10 Uhr 10 Min.: Normaler Verlauf der Curve in allen Werthen. 
10 Uhr 20 Min.: Verabreichung von Kochsalz 5,0 per os. 


Gck igle 


Original fro-m 

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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


201 




Zeit: 

10,10. 



Zeit: 

10,50. 



Zeit: 

11,25. 



A 

! B 

C 

1 D 

A 

f’ B 

C 

D 

A 

B 

i 

C 

D 

R 

18 

_ 



16 




16 




D 

72 

80 

80 

84 

68 

72 

76 

88 

72 

76 

80 

88 

S 

132 

138, 

134 

134 

136 

142 

146 

140 

140 

150 

144 

138 

d 

70 

78 

74 

72 

70 

80 

86 

84 

88 

92 

86 

86 

P 

62 

60 

60 

62 

66 

62 

60 

56 

52 

58 

58 

52 

m 

101 

108 

104 

103 

103 

111 

116 

112 

114 

121 

115 

112 

P 

* = y 

0,48 

0,43 

0,45 

0,46 

0,49 

0,44 

0,41 

0,4 

0,37 

0,39 

1 0,4 

0,38 

n X p 

4464 

4800 

4800 

1 5208 

4488 

i 

4464 

4560 

4928 

3744 

4408 

4640 

4576 

m X P 
s 

48,5 

46,4 

46,8 

47,4 

50,5 

48,8 

47.6 

44,8 

42,2 

47,2 

46,0 

42,6 

mX-Xn 

s 

3490 

3715| 

3744 

3980 

3432 

3516 

3615 

3942 

3047 

3586 

3680 

3745 


II. 10 Uhr 50 Min.: Herzenergie und Gesammtarbeit des Cor sind durch¬ 
schnittlich auf derselben Höhe wie bei I. Die Pulswelle zeigt durch die ganze 
Messung annähernd die gleiche Höhe. Dagegen steigen die peripheren Widerstände, 
bei A gegen I noch unverändert, durch B bis C continuirlich an und halten sich bis 
D auf ihrer Höhe, — also starke vasomotorische Uebererregbarkeit bei gleichbleibender 
und zweckmässiger Herzarbeit. 

III. 11 Uhr 25 Min.: Herzarbeit in ihrer durchschnittlichen Höhe unverändert. 
Dagegen sind die Widerstände von Anfang an stark angestiegen bei fast ganz 
normalem Verlaufe der Curve, der Tonus ist also erhöht, ohne irgend welche vaso¬ 
motorische Uebererregbarkeit. 


Schluss. 

Diese Arbeit hat aus dem umfangreichen Gebiet erst einige Haupt¬ 
typen herausgegriffen. Wir stehen noch mitten in Untersuchungen über 
die Kreislaufwirkung einer Reihe von anderen Pharmacis, die uns bis 
jetzt noch keine einheitlichen Resultate boten, und deshalb noch nicht 
spruchreif erscheinen. Hierher gehören Versuche bei NaCl-Infusion, 
Dauerversuche bei Nephritis und Epilepsie, die sich im H 2 0- und NaCl- 
Stoffwechsel befinden; ferner Untersuchungen über Atropin, Alkohol, Jod 
und Digitalispräparate. 

Soweit es uns gelungen ist, zu einheitlichen Resultaten über die 
Kreislaufwirkung der oben angeführten Pharmaca zu gelangen, haben 
wir dieselben eingehend besprochen und haben gefunden, dass sie das 
aus Thierexperiraent und klinischer Erfahrung gebildete Urtheil im all¬ 
gemeinen bestätigen. Trotzdem glauben wir, dass unsere Ergebnisse 
manchen Wink geben können über genauere Indication, Wirkungseintritt 
Dauer u. s. w. 

Resultate: 

I. Carapher: Herz- und Gefässanalepticum, das eine Kräftigung des 
Vasotonus mit kurzer, schnell vorübergehender Uebererregbarkeit hervor¬ 
bringt, und gleichzeitig die Anspruchsfähigkeit des Herzens erhöht. 

Angewandte Dosen 1,0—2,0 subcut. (01. camphor. fort.) 


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292 


V. Sonnen kalb 


LI. Coffein: Steigerung von Vasotonus und Herzenergie, verbunden 
mit sehr ausgeprägter Uebererregbarkeit beider Kreislaufcomponenten. 

Angewandte Dosen 0,2 subcut. 

III. Diuretin: Gefässerweiterung mit wechselnder Erregbarkeits¬ 
änderung (meist erst gleichbleibende oder herabgesetzte, später gesteigerte 
Erregbarkeit). Die Herzenergie wird zuweilen grösser und zeigt einen 
regelmässigeren Verlauf, die Action wird schwankend. 

Angewandte Dosen 1,5—2,0 p. o. 

IV. Natr. nitros.: Vasodilatation mit geringer Uebererregbarkeit. 
Keine nachweisbare directe Beeinflussung des Herzens. 

Angewandte Dosen 0,01 subcut. 

V. Chloralhydrat: Hochgradige allgemeine Gefässerweiterung, bei 
gleichbleibender oder in seltenen Fällen kurze Zeit dauernder geringer 
Uebererregbarkeit. Eine schädigende Wirkung aufs Herz ist bei diesen 
kleineren Dosen nicht nachweisbar. 

Angewandte Dosen 1,0 per os. 

VI. Morphin, hydrochlor.: Vasodilatation mit vorübergehender 
geringer Erregbarkeitsherabsetzung beim überregten Kreislauf. Erhöhung 
der Herzenergie und der Pulswelle bei Puls Verlangsamung. In seltenen 
Fällen vorher ein kurzes Excitationsstadium mit gesteigerten Wider¬ 
ständen und Uebererregbarkeit beider Kreislaufcomponenten. 

Angewandte Dosen 0,005—0,01 subcut. 

VII. Bromural: Wirkungslos am normalen Kreislauf. Beim Vaso- 
motoriker stellt es normale Verhältnisse her bei gleichbleibender, oder 
— bei vorher gesteigerter Herzarbeit — herabgesetzter Energie des 
Herzens. 

Angewandte Dosen 0,6—1,2 per os. 

VIII. Chlornatriura: Gefässübererregbarkeit bei manchmal gesteigerten, 
oft aber gleichbleibenden Vasotonus. Eine directe Beeinflussung der Herz¬ 
arbeit ist nicht nachweisbar. 

Angewandte Dosen 5,0—8,0 per os. 


Fig. 2 (Versuch II). 



01. camph. fort. 2,0 subc. 


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Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


293 


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Fig. 3 (Versuch VI). 



Coffein, natrio-salicyl. 0,2 subc. 


Fig. 4 (Versuch X). 



Diuretin 1,5 per os. 


Fig. 5 (Versuch XIII). 



Natr. nitros. 0,01 subc. 


Fig. 6 (Versuch XVI). 



Chloralhydr. 1,0 per os. 



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294 V. Sonnen kalb, Zur Pharmakologie der Kreislaufscoordination. 


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Fig. 7 (Versuch XIX). 




Fig. 8 (Versuch XXIII). 

WO 

WO 
80 

Bromural 0,6 per os. 



Fig. 9 (Versuch XXVI.) 



Kochsalz 8,0 per os. 


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XXIII. 


Aus der experimentell-biolog. Abtheil, des patholog. Instituts Berlin. 

Ergotina styptica und Herzarbeit. 

Nach Versuchen am überlebenden Warmblüterherzen. 


Von 

6. Zuelzer. 

(Mit 3 Figuren und 2t Curven iin Text.) 


Das Ergotin ist als Herz-, richtiger als Gefässmittel von zwei her¬ 
vorragenden Klinikern, dem Kinderarzt Steffen bei Diphtherie und von 
0. Rosenbach in den Fällen empfohlen worden, wo die Digitalis ver¬ 
sagt, wenn seiner Ansicht nach die hauptsächlichsten Compensations- 
störungen nicht in dem Herzmuskel, sondern in den Arterien selbst 
liegen, die ihren Tonus verloren haben. Trotz dieser Empfehlung wird 
das Ergotin bei Herzaffectionon kaum angewandt und Romberg äussert 
sich folgendermaassen: „Das Ergotin wird besser nicht gebraucht. Seine 
drucksteigernde Wirkung ist nach den Ergebnissen des Thierversuches 
recht zweifelhaft.“ Er hat bei den Kranken eben so wenig wie andere 
Autoren eine Wirkung auf den Blutdruck gesehen. „Die von S. Frenkel 
mit dem Ergotin-Nienhaus erzielten scheinbar positiven Resultate sind 
wegen der starken reactiven Entzündung in ihrem Gefolge kaum als 
Ergotinwirkung zu deuten.“ 

Die mir von Prof. Schleich gelegentlich mitgetheilte Beobachtung, 
dass er nach längerem Gebrauch von Ergotin bei unterleibskranken Frauen 
häufig eine auflallende Kräftigung des vorher schwachen Herzens gesehen 
habe, veranlasste mich bei einigen Herzversuchen an Tauben, das Ergotin 
zu versuchen. Das Blosslegen des Herzens bei diesem Thier hat nicht 
selten zur Folge, dass das Herz bereits, bevor es zu dem eigentlichen 
Versuch kommt, hochgradig alterirt ist, so dass das Thier schon beim 
Anlegen der Serres fines stirbt. Mit Hilfe eines mir zufällig zur Ver¬ 
fügung stehenden Ergotinpräparates, des Ergotina styptica von Egger, 
Budapest, gelang es mir, mehrere Male das schon absterbende Herz 
wieder vollkommen leistungsfähig zu machen, sei es durch Auftröpfelung 
von 1—2 Tropfen auf das vom Pericard entblösste Herz, sei es durch 
intravenöse Injection von 2—3 Tropfen in grösserer Verdünnung. Diese 
Beobachtung war der Ausgangspunkt systematischer Untersuchungen über 
die Wirkungsweise des Ergotins, genauer gesprochen der Ergotina styptica 


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296 


G. Zuelzer, 


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auf das Herz, denn es schien unwahrscheinlich, dass diese lokale Wirkung 
etwas anderes als eine reine Herzwirkung darstellen konnte. Grgotina 
styptica-Egger ist ein Secale cornutum-Präparat mit 5 pCt. Stypticin 
(Cotarninum hydrochloricum). 

Zuerst wurden Versuche an herausgenoramenen Froschherzen an¬ 
gestellt — die Curven sind mir leider verloren gegangen. Es wurden 
1—2 Tropfen auf 100 ccm Ringer’schcr Lösung angewandt und damit 
das Herz durchblutet. Die Wirkung war eine derartige, dass sich die 
so gewonnenen Curven in nichts von den Curven bei bester Digitalis¬ 
wirkung unterschieden. 

Um die Wirkungsweise der Ergotina styptica auf das Warmblüter¬ 
herz kennen zu lernen, habe ich die Versuche von Gottlieb und 
Magnus, welche den Einfluss der Digitalis auf die Herzarbeit bestimmten, 
am herausgeschnittenen Warmblüterherzen (Hund und Katze) wiederholt. 1 ) 
Ich bediente mich des ein wenig modificirten Langendorff’schen 
Apparates zur Durchblutung des Herzens, bei dem bekanntlich von der 



Aorta aus das ausgeschnittene Herz durch unter Druck eingeleitetes 
körperwarmes Blut, resp. eine Blut-Ringermischung durchblutet wird. Die 
Modification dieses hier als bekannt vorausgesetzten Apparates bestand 
darin, dass der todte Raum, welcher zwischen dem eingebundenen Herzen 
und dem Dreiwegehahn, welcher die Umschaltung vom normalen Blut 
zu dem das Medikament enthaltenden Blut bewirkt, fast ganz ausge¬ 
schaltet wurde. Dieser todte Raum beträgt in den älteren Apparaten 
mindestens 5 ccm Inhalt, so dass nach der Umschaltung eine je nach 
der Durchflussgeschwindigkeit verschieden lange Zeit vergeht, bis das 
Herz nach der Umschaltung von dem neuen Blut gespeist wird. Es ist 
weniger der Zeitverlust, welcher störend wirkt, als der Umstand, dass 
trotz sorgfältiger Tropfenzählung der Zeitpunkt, in dem das neue Blut 
die Coronargefässe des Herzens erreicht, nicht annähernd scharf zu be¬ 
stimmen ist. Ich habe deshalb in gemeinsamen Versuchen mit Herrn 


1) Archiv für experimentelle Pathologie, Bd. 51. 


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Ergotina styptioa und Herzarbeit. 


297 


Dr. J. Wohlgemuth 1 ) in der in der Aorta einzubindenden kurzen 
Glascanüle einen Zweiwegehahn eingeschaltet, dessen einer Weg nach 
aussen zu einem Ableitungsrohr (a) führt, während der andere Weg die 
Fortsetzung der Aortencanüle (b) bildet (conf. Fig. 1 a u. b). Dadurch 
wird es ermöglicht, die zwischen diesem Hahn und dem Dreiwegehahn, 
also die im todten Kaum befindliche Blutmenge in dem Augenblick der 
Umschaltung fast momentan zu entleeren. Das hier ausfliessende Blut 
wird in einer graduirten Röhre aufgefangen, so dass man, nachdem der 
todte Raum einmal ausgemessen ist, wahrend der Umschaltung nur eine 
entsprechende Menge Blut aus diesem neuen Zwischenhahn abzulassen 
braucht, um sicher zu sein, dass das nach Wiederumstellung des Hahnes 
in das Herz fliessende Blut das gewollte umgeschaltete Blut ist. Durch 
ein in dem Apparat angebrachtes Fenster, durch welches ein zangen¬ 
artiges Instrument hindurchgesteckt wird, mit Hilfe dessen man den 
Hahn umzudrehen vermag, wird es vermieden, das grosse, das Herz von 
der Aussenluft abschliessende Glasfenster zu öffnen und so unerwünschte 
Temperaturschwankungen herbeizuführen. 

Es ist richtig, dass auf diese Weise die Zufuhr des Blutes zum 
Herzen bei jeder Umschaltung auf wenige Sekunden unterbrochen wird. 
Es mag dies bei bestimmten Versuchsanordnungen, welche die dauernde 
Registrirung feinster Herzbewegung bezwecken, störend sein. Bei den 
Versuchen, welche die Wirkung eines Herzmittels zum Studium haben, 
macht, wie mich eine grosse Reihe von Herzschreibungen gelehrt haben, 
das wenig oder nichts aus. Wie aus meinen Curven ersichtlich, schlägt 
das Herz bei einer Umschaltung ruhig weiter, oder aber, wenn die 
Schreibung angehalten wurde, zeigt der sofort nachher wieder vollkommen 
regelmässige Curven verlauf, dass die Herzemährung keine merkbare 
Störung erlitten hat. 

Bei einer Reihe von Versuchen geschah die Uebertragung der Herz¬ 
bewegung durch Serres fines, welche am linken Ventrikel angesetzt und 
deren Fäden über geeignete Rollen geleitet und mit einer Marey’schen 
Kapsel verbunden wurden, welche ihrerseits durch Luftübertragung die 
Trommelschreibung mit Hülfe einer zweiten Kapsel bewirkte. Der 
Gottlieb’schen Nomenclatur folgend, werde ich diese Schreibung als 
„Häkchenschreibung“ bezeichnen. In den späteren Versuchen bediente 
ich mich der von Gottlieb angegebenen Herzsonden. Durch die mittelst 
eines kurzen Scheerenschnittes in das linke Herzohr gewonnene Oeffnung 
wurde ein mit einem Ballon versehener Hartgummikatheter eingeführt 
und mit einer Marey’schen Trommel oder einem Hering’schen Wellen¬ 
schreiber verbunden. Die Verbindung der Herzcanüle mit einem der 
genannten registrirenden Apparate geschah mittelst dickwandigen Gummi¬ 
schlauches. Das ganze Schlauchsystem konnte mit Luft oder Wasser 
unter wechselndem Innendruck versehen werden, je nachdem eine iso¬ 
tonische oder isometrische Herzcurve aufgenommen werden sollte. Die 
Höhe des Innendrucks wurde an einem durch ein abgezweigtes T-Rohr 
mit dem Canülensystem in Verbindung stehendes Manometer abgelesen. 


1) Ccntralbl. f. Physiologie. Bd. XXI. No. 25. 


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298 


G. Zuelzer 


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Aus äusseren Gründen erschien es rathsamer, bei der Schreibung eine 
liegende Trommel zu benutzen. Da aber die Trommeln der mir zur 
Verfügung stehenden Apparate nicht absolut genau gearbeitet waren, 
gab ein gewöhnlicher Schreibhebel, der den Niveaudifferenzen der 
Trommel nicht folgen konnte, zum Theil undeutliche Curven. Ich be¬ 
diente mich deshalb eines ad hoc von Herrn Meyer erfundenen, sich 
automatisch einstellenden Hebels, den folgende Zeichnung veranschaulicht. 


Fig. 2. 



Die durchgesteckte Nadel ist frei beweglich und gestattet, allen 
Unebenheiten der berussten Trommel zu folgen. 

Wenngleich ich, der bequemeren Ausdrucksweise wegen, auch in 
der nachfolgenden Beschreibung die schon eben gebrauchte Bezeichnung 
der isotonischen und isometrischen Curven beibehalten werde, so ist 
doch Nicolai durchaus Recht zu geben, wenn er (im Nagel’schen 
Handbuch) die Deutung ablehnt, dass mit Hülfe eines unter einem be¬ 
stimmten Höhendrucke mit Flüssigkeit gefüllten Ballons, der in den 
Ventrikel eingeführt wird, eine isometrische Herzmuskelcurve gewonnen 
werden könne. Es wäre nämlich Voraussetzung dafür, dass wirklich eine 
isometrische Curve vom Ventrikel geschrieben wird, dass sich der ge- 
sammte Ventrikel gegen ein unüberwindbares Hinderniss, wie es durch 
die Incompressibilität seines flüssigen Inhaltes dargestellt wird, contrahirt. 
Nun ist aber die Herzhöhle kein so gleichmässig rund oder oval ge¬ 
schaffenes Organ, dass man es mit Hülfe des durch Flüssigkeit gefüllten 
Ballons absolut ausfüllen könnte. Es bleibt vielmehr wahrscheinlich an 
der Spitze immer ein noch geringfügiger unausgefüllter Raum bestehen. 
Nimmt man nun an, dass die Herzcontraction an der Spitze beginnt, 
so findet der Muskel hier kein unüberwindbares Hinderniss zu seiner 
Contraction, und bei der peristaltischen Fortpflanzung der Contraetions- 
welle wird sich ein Theil der Flüssigkeit in den bisher unausgefülltcn 
Raum verdrängen lassen, u. s. f. 

Diese Feststellung vermindert nicht den Werth dieser Untersuchungs¬ 
methode der Curvenschreibung unter bestimmtem hohen Innendruck. Die 
ganze Langendorff’sohe Methode stellt ja Bedingungen, welche mit 
denen des gewöhnlichen Lebens so wie so nicht in Einklang stehen. Bei 
Benutzung des sogenannten isometrischen Verfahrens erhalten wir eine 
Anschauung, mit welcher Kraft der linke Ventrikel ein ungewöhnlich 
grosses — jedenfalls viel grösseres als unter normalen Verhältnissen je 
vorkommendes — Hinderniss zu überwinden vermag. Ganz grob ausge¬ 
drückt kann man vielleicht sagen, dass man bei dem isometrischen Ver¬ 
fahren die etwas in Misskredit gekommene Reservekraft des Herzens 
misst, während das isotonische Verfahren uns über die Gontractions- 
vcrhältnisse des unbelasteten Muskels Auskunft giebt. 


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Ergotina styptica und Herzarbeit. 


299 


Ich komme jetzt zu der Beschreibung der Versuche, welche be¬ 
weisen, dass wir in der Ergotina styptica-Egger ein Herzmittel besitzen, das 
im Stande ist, in ganz analoger Weise eine Steigerung der Herzkraft zu 
bewirken, wie dies von der Digitalis bekannt ist. Ich habe auch mit 
gewöhnlichen käuflichen Ergotinpräparaten Controllversuche angestellt 
und gefunden, dass letztere Präparate keine so eindeutige Wirkung auf 
das Herz ausüben wie die Ergotina styptica. Es stellt dieses Präparat 
also eine besonders glückliche pharmakologische Combination dar. Die 
Erfahrungen, welche aus den Untersuchungen von Gottlieb und seinen 
Schülern über die Wirkungsweise der Digitalis gewonnen wurden, ver- 
anlassten mich, bei einem Theil der Versuche durch Hinzufügen von 
Coffein von vornherein die optimalen Bedingungen für eine gute Herz¬ 
durchblutung herzustellen. Es ist daher in den späteren Versuchen die 
gleiche Coffeinmenge dem normalen und dem Ergotinblut zugesetzt. In 
dem Folgenden werden nur eine Auswahl der Curven wiedergegeben, 
welche die hier in Rede stehende Wirkung auf das Deutlichste illustriren. 

Curve 1 (Häkchenschreibung) illustrirt in deutlicher Weise die Steige¬ 
rung der systolischen Energie durch Ergotinblut. 

Curve 1. 


U44444444444AI4444J e ^ ° 

Hundeherz bei gleicher Umlaufsgeschwindigkeit. Reihe 1 unmittelbar vor, Reihe 2 un¬ 
mittelbar nach Einschaltung von Ergotina styptica-Blut, 12 Tropfen auf 300 Blut. 

Wie lange unter günstigen Bedingungen diese Wirkung anhalten kann, 
illustrirt Curve 2. 

Curve 2. 

■, *' \^j\j >, , - ‘\N\ (Krtfotinblut nach 1 1 / 2 Stunden.) 

W/4/t 

. .. "V V* '••'"V . V y V* (Nnrmalblut nach V/ 2 Stunden.) 

j /j 

Isotonische Curve. Katzenherz. Häkchenschreibung. l / 2 Stunde nach Einschaltung 
des Ergotin-Blutes hat das Herz noch die in der oberen Reihe ersichtliche Amplitude, 
während unmittelbar nach der Einschaltung von normalem Blut die Contraetionen klein 
werden. Die unterste Linie Zeit in Fünftel Sekunden. 

Die folgenden 3 Curven illustriren die schnelle Wirkung des Ergotins 
und zugleich die erhebliche Zunahme der Amplitude. 


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U. Znelzef, 
Cnrve 3 a. 


»j‘N .• 





! 2 <.<U in % S£-k. 

. 

Kanenhwz. Kegietrirboltcrn,. Meyftr’siher ilebf 1- Anfängliche Schreibung. 


i’mvo »Jj, 





M 


!j /.-<■ in 

8 iVSVk. 





Bei I m.schaltunjr. 


C-UTVO ;{c. 




/ jr'b' \j'^ y ' 


,' ^vvW\aa;\;vv\a/ vvw v'vy 

v , ' *'2 ^ .. \' Vr / i, .£• •/,£ l i ' G ^ ; r 4 . 

-ISacdHlcm djis Herz ^.ßtiindön ihrnfe irm. jwrwalc»«* thi>ils mit' 

• Hrgoiinldiit geschlagen luu, k-wirkt lirffutir.k<><,h■ im'nw.in gleicher 
Woi.-o- die Anreguifg notier kräftiger dootratikuien» 

t%y^4.Ä- 

>yr»««alv> 1 > l u L 


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G.rl§iral fh>n1 

■■• ÜRliVER-SIW QF'MfcHiG^, 






Ergotina styptica und Herzarbeit. 
Cum 4b. 


301 



w ^ 

Unmittelbar nach Umschaltang. Langsame und schnelle Schreibung. 


Um die Ergotinwirkung mit der Digitaliswirkung zu vergleichen, 
wurden weitere 10 Minuten später dem normalen Blut 10 Tropfen Digi- 
talisdialysat auf 300 Blut zugesetzt, wie durch Curve 5 a Ergotinblut 
und b) Digitalisblut illustrirt wird. 

Com 5 a. 


./vv\Ammmmmmmmm 


Curve 5b. 




(Natürl. 

Grösse.) 



Zeit in 
Vs Sek. 


Die folgende isometrische Curve illustrirt, wie die Ergotina styptica 
ein noch gerade merkbar schlagendes Herz zur regelmässigen und kräftigen 
Contraction zu bringen vermag. 


Curve 6 a. 




mmmmmmmm 


Zeit in 
V'a Sek. 


(Natur). 

Grösse.) 


Herz einer graviden Katze, Innendruck 45 mm, Aussendruck 90 mm, Temperatur 39,5 °, 
Schreibung mit dem modificirten Hering’schen Wellenschreiber, dessen Metallplatte 
durch eine festgespannte Gummimembran ersetzt ist. Zeit 1 / 5 Sekunde. Normalblut 
mit 15 Tropfen lOproc. Coff. natr. benz. auf 300 Blut, Ergotinblut: 12 Tropfen 
Ergotina styptica-[-15 Tropfen ColTein auf 300 Blut. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. on 


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302 


G. Zuelzer 


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Curve 6b. 



Zeit in 

V« s<*. 

(Natürl. 

Grösse.) 


Von vorn herein schlechte Schreibung, weil schlechtes Schlagen des Herzens, das 
bald zu unmerklichen Contractionen übergeht. Bei -j- in b-Umschaltung in Ergotin- 
blut, wodurch das Herz zu gleichmässigem kräftigem Schlagen — wenigstens für 
einige Zeit — angeregt wird (Fig. 6c). 


Curve 6 c. 


Zeit in 
ÜO i , Sfk. 


vV•' V V\WAWW T ’ V'"' V "* -- ’ ‘> llll *i*< l » l| ii | i*iH | l 1 nnw)H)>i)i)iiiiiH'>iliniiiiiii)»iiii))iiiminiMmii))iiiin.ii.,..i..',y.. 


11,1t. 

rö*si\) 


Das Ansteigen des Druckes unmittelbar nach der Urnschaltung habe 
ich in dieser Weise nie wieder beobachtet. Das Herz blieb bald darauf 
in stark contrahirtem Zustande stehen, wie ich es ebenfalls sonst nie 
wieder beobachtet habe. Es ist möglich, dass es sich um eine spezifische 
Wirkung des Ergotins auf das Herz einer graviden Katze handelt. Weitere 
Untersuchungen in dieser Hinsicht behalte ich mir vor. 

Curve 7a. 

■f* 


mmmmmimH m m m ttm m mm m H H H mm mmmmmmmmm m mmmm , Zei '7 

Isometrische Curve bei wechselndem Innendruck, Katzenherz, Normalblut mit 
15 Tropfen lOproc. CofTeinlösung auf 300 Blut. Innendruck des mit Wasser gefüllten 
Ballons anfangs 30 mm, Curve a und b, später 60 mm, Curve c und d. Aussendruck 
constant 100 min. Unten Zeit in 1 / 5 Sekunden. Curve 7a bei Umschaltung in 

Ergotinblut. 

Curve 7 b. 


(Xiitfirl. Grösst*.) 
(Ergotinblut.; 


Normales Blut. 


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303 


Ergotina styptica und tteryarbeit. 
Curve 7 c. 


(Natürl. 
Grösse.) 
(Normal 
blut.) 

60 mm 






Zeit in 

l / 5 S«*. 


Curve 7d. 


(Natürl. 

Grösse.) 


(Ergotiu- 

blut.) 


_ __ _ _ _ t _ Zeit in 

-T- njriuji j tt i.rj rr mm ujjjwwMMMr i , Sek. 

Zur Erklärung der sehr eindeutigen Curven sind nur wenige Worte 
nöthig. Es tritt in beiden Fällen eine sehr beträchtliche Vergrößerung 
der Amplituden (von 1,9 mm auf 4,5 mm, resp. von 2 mm auf 5,2 mm) 
bei dem niedrigen Innendruck und eine Erhöhung des mittleren Druckes 
ein, welch’ letztere bei dem hohen Innendruck ausbleibt. Die Schlagfolge 
des Herzens ist beide Male nach Ergotin erhöht, wie dies auch für die 
Digitaliswirkung von Gottlieb für das überlebende Warmblüterherz fest¬ 
gestellt worden ist. 

Diesen am überlebenden Herzen gewonnenen Curven seien noch 
einige Carotisdruckschreibungscürven angefügt, welche an lebenden 
Thieren gewonnen sind. Die Curven 8a und b illustriren sehr deutlich 
die in vielen Versuchen gewonnene Beobachtung. 

Curve 8a. 

VV\A^yvV\A^VWVv 

U VVAW,-- gÄ“Ü 


. . . . —rrrnrrrrr-' j mm-r—r Zeit * n 

,; 5 

Einer mittelgrossen Katze wurden 10 ccm einer Lösung von 100 Tropfen Ergotin 
auf 50 ccm Kochsalzlösung intravenös injicirt. Es war dies, wie sich aus anderen 
Versuchen ergeben hat, das Optimum für die Katze. Es tritt während des Zulaufen¬ 
lassens der Lösung eine deutliche Blutdrucksenkung ein, doch sehr schnell werden 
die Amplituden grösser und 3 Minuten nach der Zuführung ist die volle Wirkung: 
leichte Erhöhung des Blutdrucks, Verlangsamung der Herzaction von 12 Pulsen in 
20 l /ö Sekunden auf 8 l /± Pulse in derselben Zeit, sowie eine beträchtliche Zunahme 
der Amplitude von 2 auf 4 mm erkennbar. 

Curve 8a Zulauf, 

„ 8 b unmittelbar nachher, 

„ 8c 3 Minuten nachher. 

20 * 


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304 


G. Zuelzer, 
Curve 8b. 


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MvW Gr..™.; 


Zeit in 
1 . Sek. 


Curve 8 c. 

wwvwwwwv^^ 


(’ 4 mit. 
Grösse.) 


Zeit in 
1 r> Sek. 

Es ist nicht leicht, dieses Optimum der Ergotinwirkung stets zu 
erhalten. Sehr häufig wurde zwar eine beträchtliche Zunahme der Ampli¬ 
tude, aber manchmal gleichzeitig ein nicht unbedeutendes Absinken des 
Blutdrucks unter der Ergotinwirkung beobachtet. Dies illustrirt beispiels¬ 
weise folgende Curve 9 a. 


Curve 9a. 

yVA/VVYV.A^^ Grös'i'j 

Zeit 

Kater, der schon Tage vorher zu gleichem Versuch verwendet worden war, mit 
einem anfänglich niederen Druck. Nachdem im Ganzen G ccm der Ergotinlösung 
zugellossen waren, resultirte folgende Curve: 

Curve 9 b. 




('* 4 »St. 
Gröji.si*.) 


^r' 1 Sek. 

Dass die Blutdrucksenkung, die während des Zulaufens ein tritt, 
nicht durch den intravenösen Einlauf der Flüssigkeit an sich bedingt 
ist, habe ich durch besondere Versuche festgestcllt, indem ich ein¬ 
fache Kochsalzlösung bei gleichzeitiger Schreibung zulaufen Hess. Dabei 
war, wenn der Flüssigkeitszulauf sich innerhalb massiger Grenzen 
hielt, 10—20 ccm, eine merkliche Aenderung in der Pulsschreibung 
nicht zu beobachten. Es ist mir nicht gelungen, die Ursachen der 
Amplitudenvergrösscrung mit gleichzeitiger Blutdrucksenkung bei un¬ 
geeigneter Dosierung des Ergotins aufzudecken. Wahrscheinlich handelt 
es sieb, um Alterationen auf vasomotorischem Gebiete. Ich habe 
versucht, durch gleichzeitige Bestimmung der Ausllussgeschwindigkeit 


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Ergotina styptica und Herzarbeit. 


305 


aus den Venen des Splanchnicusgebietes vor und nach der Einführung 
von Ergotin hier Klärung zu finden, glaube jedoch auf die Veröffent¬ 
lichung dieser Curven verzichten zu können, da sie die Frage wohl 
nicht zu entscheiden geeignet sind. Es sei nur bemerkt, dass der 
Verlangsamung des Pulses, der Senkung des Blutdrucks und dem 
Höherwerden der Amplitude eine Verlangsamung des venösen Ausflusses 
parallel geht. 

Wenn wir die Resultate der isotonischen und der sogenannten iso¬ 
metrischen Schreibung am ausgeschnittenen Hunde- oder Katzenherzen 
betrachten, sowie diejenigen, welche bei geeigneter Dosierung am lebenden 
Thiere gewonnen sind, so geht zweifellos daraus hervor, dass die 
Ergotina styptica-Egger in ausgesprochener Weise die Herz¬ 
arbeit steigert und in denjenigen Fällen, in denen das Herz bereits zu 
versagen droht, den Herzmuskel zu neuer Thätigkeit anzuregen im 
Stande ist. Auch der regularisirende Einfluss auf die unregelmässige 
Herzthätigkeit ist aus einigen Curven deutlich ersichtlich. Als Beispiel 
mögen Curven 3a und 3b dienen, wo vor der Einführung des Ergotin- 
blutes ein ausgesprochener Pulsus alternans bestand, während fast 
sofort mit der Umschaltung die Pulscurve absolut regelmässig wird. 
Auch bei anderen Unregelmässigkeiten war der gleiche regularisirende 
Einfluss häufig zu erkennen. Es ist aus dem Vergleich der Curven 
am überlebenden Herzen und der am lebenden Thier gewonnenen 
Curven ersichtlich, dass ebenso wie bei der Digitalis beim heraus¬ 
geschnittenen Herzen die Verbesserung der Herzarbeit mit einer Puls¬ 
beschleunigung einhergeht, während die am lebenden Thier beobachtete 
Verbesserung von einer Pulsverlangsaraung, die also central verursacht 
sein muss, begleitet ist. 

Auf die klinisch-therapeutischen Seite der Ergotinwirkung soll an 
anderer Stelle näher eingegangen werden. Hier sei nur kurz mitgetheilt, 
dass ich über eine Reihe von Beobachtungen verfüge, die die Wirkung 
der Ergotina styptica als durchaus gleichwerthig der Digitaliswirkung 
erkennen lassen. Ja, in einigen Fällen, in denen die Digitaliswirkung 
versagte, liess sich mit der Ergotina styptica, intramusculär injicirt, noch 
eine prompte Wirkung erzielen. Beweisend war in dieser Beziehung ein 
Fall von Lysolvergiftung bei einer jungen Frau; ungefähr 24 Stunden 
nach der Vergiftung war die Patientin immer noch nicht zum Bewusst¬ 
sein wiedergekehrt und die Herzaction wurde merklich schwächer, sodass 
der Puls bald kaum noch fühlbar war. Es wurde zunächst eine intra¬ 
venöse Injection von 2 ccm Digalen vorgenommen, ohne dass nach 
1 Stunde ein nennenswerther Erfolg zu constatiren war. Darauf wurden 
im Verlaufe einer halben Stunde 3 ccm Ergotina styptica intramusculär 
injicirt mit dem eclatanten Erfolge, dass der Puls in kurzer Zeit kräftig 
wurde; der Kranken kehrte innerhalb einiger Stunden das Bewusstsein 
zurück. Nach den Erfahrungen, die ich später noch mit diesem Präparat 
gewonnen habe, erscheint gerade die Combination von Digitalis und 
Ergotin in verzweifelten Fällen von ausgezeichneter Wirksamkeit. Eine 
Reihe von Beobachtungen wurden von Herrn Dr. Brugsch auf der 2. medi- 


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306 G. Zuelzer, Ergotina siyptica und Herzarbeit. 

cinischen Klinik an Herzkranken gemacht, welche zeigten, dass in der 
That auch die Wirkung der per os applicirten Ergotina styptica eine der 
Digitalis ähnliche ist (Zunahme der Diurese, Besserwerden des Herzens, 
u. s. w.). Bei einigen ambulant behandelten Fällen von chronischer 
Herzmuskelinsufficienz fand ich Steigerung des systolischen Druckes 
und des Pulsdruckes. Die bisher gemachten Erfahrungen sind noch 
zu klein, um in extenso veröffentlicht zu werden, auch konnte damit 
die optimale Dosis auch noch nicht festgestellt werden — es wurden 
im allgemeinen 3 mal täglich 20—25 Tropfen verabreicht — so dass in 
klinischer Hinsicht die kurzen allgemeinen Angaben vorläufig genügen 
mögen. 


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XXIV. 


Ueber Versuche einer specifischen Fermenttherapie 
des Diabetes. 


Vorläufige Mittheilung. 
Von 

G. Zuelzer. 


In einer früheren Mittheilung habe ich zu zeigen versucht, dass 
zwischen den Producten der inneren Pankreas- und der Ncbennierensecretion 
gewisse nahe, antagonistische Beziehungen bestehen, u. a. dass es möglich 
ist, durch Injection eines bestimmten Pankreasextractes den Adrenalin¬ 
diabetes zu unterdrücken. Seither ist es mir gelungen, die Wirksamkeit 
dieses Pankreasextractes so zu erhöhen, dass V 2 o“V 50 der früher noth- 
wendigen Menge, nämlich 0,2—0,5 g intravenös injicirt, bereits genügen, 
jene Suppression der Adrenalin-Glykosurie zu erzielen. Zur Herstellung 
des Pankreaspräparates wird die Bauchspeicheldrüse vom lebenden 
Thiere, welches auf der Höhe der Verdauung befindlich ist, ent¬ 
nommen, nachdem die Drüse 1—iy 2 Stunden gestaut wurde. Die 
weitere Bereitung des Präparates geschieht durch Enteiweissung, die 
ich bisher auf verschiedene Weise vorgenommen habe, ohne dass 
jedoch das Ziel, vollkommen verlustlos ein eiweissfreies Präparat zu 
gewinnen, erreicht wäre. Mit der Herstellung aber eines wirksamen 
Pankreaspräparates schien auch der Versuch gerechtfertigt, den 
Pankreasdiabetes, sowohl den experimentellen beim Hunde, wie auch 
den genuinen menschlichen Diabetes durch das gleiche Präparat zu 
beeinflussen. Theoretisch war dazu die Grundlage durch die Hormon¬ 
lehre Starlings 1 2 ) — er versteht unter Hormonen die Producte der 
inneren Secretion der verschiedenen Organe — bereits geschaffen; auch 
hatte dieser Forscher auf Grund seiner übrigen Versuche, auf die hier 
nur hingewiesen werden soll, es bereits als wahrscheinlich bezeichnet, 
dass es gelingen werde, durch intravenöse Injection geeigneter Pankreas- 
extracte die Zuckerausscheidung beim menschlichen Diabetiker günstig 
zu beeinflussen. 

Pflüger hat jüngst ausgesprochen, dass er nicht eher an die innere 
Secretion des Pankreas glauben werde, bis der Nachweis erbracht sei, 

1) Congress für Innere Med. 1907. 

2) Centralblatt für die Physiologie und Pathologie des Stoffwechsels. 1906. 


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308 


G. Zuelzer, 


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dass es gelingt, durch Einverleibung des Productes der inneren Secretion 
der Bauchspeicheldrüse den Pankreasdiabetes beim pankreaslosen Hunde 
in unzweifelhafter Weise zu beeinflussen. Ich habe bisher in 2 Fällen diese 
Forderungen zu erfüllen versucht. Der erste Versuch liegt bereits 2 Jahre 
zurück. Ich hatte damals noch kein absolut steriles Präparat und machte die 
Injection subcutan. Die Ausscheidungsverhältnisse sind jedoch so eklatant 
unter dem Einfluss der Injection geändert, dass auch dieser Versuch eine 
gewisse Beweiskraft besitzt. Ein männlicher 8 kg schwerer Hund wurde 
am 14. 12. 05 operiert (Totalexstirpation des Pankreas). Er erhielt vom 
16. an täglich 300 g Fleisch und 100 g Oel, die er regelmässig ver¬ 
zehrte. Die Zuckerausscheidungen sind folgende: 


16. 

12. früh 

Menge 

120 ccm 

Zucker 

6,0 pCt. = 7,2 g 


nachm. 

68 „ 

8,4 „ = 5,6 g 


abends 

38 „ 

6,4 „ = 2,2 g 

17. 

12. früh 

370 ccm 

= 15,0 g 
5,0 pCt. = 18,5 g 


abends 

125 „ 

7,9 „ = 9,8 g 

18. 

12. früh 

80 ccm 

= 28,3 g 
7,8 pCt. = 6,2 g 


mittags 

60 „ 

4,5 „ = 2,7 g 

Um 1 und 

= 8 > 9 g 

um 6 Uhr Injection von je 5 g Präparat in’s Hinterbein 


abends 

60 ccm 

4,5 pCt. = 2,7 g 

19. 

12. früh 

500 „ 

1,1 „ = 5,5 g 


mittags 

15 „ 

= 8,2 g 

2,2 „ 


Um y 2 6 Uhr starb der Hund in Folge eines plötzlichen Austritts 
der Därme aus der Bauchnaht und einer damit verbundenen schweren 
Blutung. Die Section ergab keine peritonitischen Veränderungen: der 
Darm vollkommen weiss und nur wenige punktförmige abgekapselte 
Eiterherde. 

Uebersieht man diesen Versuch, so fällt in’s Auge, dass bei einem 
Pankreashundc in voller Fresslust, bei dem die Zuckerausscheidungen 
am 4. und 5. Tage noch im Steigen begriffen sind und der an diesem 
Tage 15,0 resp. 28,3 g Zucker ausscheidet, unmittelbar nach der Ein¬ 
spritzung die Zuckerausscheidung in ganz eklatanter Weise sinkt, ln 
der Morgenportion nach der Einspritzung beträgt trotz der Harnfluth 
(500 ccm) die Zuckermenge nur 1 pCt., während die entsprechende 
Harnfluth 24—36 Stunden vorher einen Zuckergehalt von 5—8 pCt. 
aufwies. Der plötzliche Tod kann mit der nachlassenden Zuckeraus¬ 
scheidung nichts zu thun haben, da er ein zufälliges Ereigniss darstellt, 
und die Section ein vollkommen normales Verhalten der Bauchorgane 
erwies. Die Harnfluth von 500 ccm ist der beste Beweis dafür, dass 
sich der Hund in relativem Wohlsein befand, und dass die verminderte 
Zuckerausscheidung auf die Einwirkung des Präparates zu setzen ist. 

Es war nicht zu erwarten, dass bei dem ersten Versuch die Zucker- 


Gck igle 


Original fro-m 

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Ueber Versuche einer specifischen Fermenttherapie des Diabetes. 


309 


ausscheidung auf Null herabgehen würde, da ich absolut keinen Maass¬ 
stab dafür hatte, welche Mengen Pankreas dalür nöthig sein würden, 
um den Ausfall des Pankreas zu decken. Ja, es erscheint überhaupt 
nicht wahrscheinlich, dass man beim pankreasexstirpirten Hunde durch 
ein- oder zweimalige Injection eine vollkommene Zuckerfreiheit wird 
erzielen können, denn wenn man sich beispielsweise den Vorgang der 
Zuckerbildung in dem von mir angegebenen Sinne vorstellt, so muss 
man annehraen, dass dauernd der in den Körperkreislauf gelangende 
Nebennierensaft die zuckermobilisirende Wirkung auf die Leber ausübt, 
während das künstlich beigebrachte Pankreaspräparat doch eben nur so 
lange wirken kann als es vorhanden ist. 

Der zweite Versuch ist an einem von Herrn Dr. Mohr mir liebens- 
würdigst zur Verfügung gestellten Pankreashunde, welcher bereits längere 
Zeit im exacten Stoffwechsel versuch war, ausgeführt worden. 

Der 22 Pfund schwere Hund schied bei reiner Fleischnahrung 
(400 g Fleisch täglich) aus: 


am 18. 8. 

. . . 31,5 g 

19. 8. 

. . . 26,0 „ 

20. 8. 

. . . 28,5 „ 

21. 8. 

. . . 30,0 „ 

22. 8. 

. . . 22,3 „ 

am 23. 8. 

. • • 24,0 g 

24. 8. 

. . . 17,0 „ 

25. 8. 

. . . 21,0 „ 

26. 8. 

. . . 14,0 „ 

am 27. 8. 

. . . 19,0 g 

28. 8. 

. . .23,0 „ 

29. 8. 

. . . 26,0 „ 

30. 8. 

anvollständig. 


durchschnittlich also 28,6 g Zucker pro die. 

} täglich wurden 5 ccm = 1 g Pankreasextrakt intra¬ 
venös injicirt. 

= pro Tag 19 g durchschnittlich. 

J Nachperiode. 


Ersichtlich steigt also die Zuckerausscheidung wieder auf die alte 
Höhe an. Der Versuch beweist, dass die intravenöse Einspritzung einen 
entschiedenen Einfluss auf die Zuckerausscheidung hatte, denn bei ganz 
gleicher Ernährung sinkt die Ausscheidung um ca. Vs» um nachher 
wieder zur alten Höhe anzusteigen, woraus also zu schliessen ist, dass 
der allgemeine Zustand des Hundes ein unveränderter war. Dass der 
Einfluss so gering war, lässt sich aus der geringen einverleibten Dosis 
erklären. Ich hatte damals nicht mehr wirksames Präparat zur Ver¬ 
fügung und werde diese Hundeversuche in entsprechender Modification 
wiederholen. 

Da ich Gelegenheit hatte, bei einem komatösen und zweifellos 
moribunden Menschen die Unschädlichkeit des Präparates am Menschen 
zu probiren, und ich an diesem Falle bereits eine gewisse Wirksamkeit 
in Bezug auf den diabetischen Proccss feststellen konnte, traten bei 
meinen Untersuchungen naturgemäss die Thierexperimente in den Hinter¬ 
grund, ohne dass ich die theoretische Bedeutung dieser Thierversuche 
verkennen möchte. 

Ich habe die verschiedenen Untersuchungen in den verschiedensten 
Krankenhäusern und Kliniken vornehmen müssen, weil geeignetes 


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310 


G. Zuelzer, 


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diabetisches Krankenmaterial in den einzelnen Krankenanstalten ein so 
äusserst rares war, dass ich nirgends mehr als 1 oder höchstens 2 ge¬ 
eignete Kranke fand. 

Der erste Patient (Privatklinik Professor Sultan) war ein 50jähriger 
Diabetiker, bei dem vor 3 Jahren der Diabetes zufällig entdeckt worden 
war. Er litt an einer diabetischen Gangrän der linken Zehe mit strang- 
förmiger Verbreiterung des gangränösen Processes nach dem Unter¬ 
schenkel. Bei strenger Diät schied er 6 pCt. Zucker aus. Der Urin 
enthielt Aceton und Acetessigsäure. Am 10. 6. wurde die Amputation 
des Unterschenkels im oberen Drittel nothwendig. Die Zuckerausscheidung 
sank auf 3,6 pCt., doch trat Herzschwäche ein, leichter Icterus und 
vollkommenes Darniederliegen des Appetits. Am 17. 6. wurde gemischte 
Kost gegeben, am 21.6. war eine leichte Besserung der Herzthätigkeit zu 
constatiren. Die Zuckerausscheidung betrug 4,3 pCt., Aceton und Acet¬ 
essigsäure +, Patient ziemlich benommen. An diesem Tage wurde die 
Injection vorgenommen. Es gelang nicht mehr, eine intravenöse Injection 
trotz versuchter Stauung zu bewerkstelligen, da die Circalation derart 
darniederlag, dass noch einige Minuten nach Abnahme der Stauungsbinde 
die Hand und der Unterarm vollkommen kalt und livid blieben. Die In¬ 
jection wurde deshalb subcutan vorgenommen. Es wurden 3 g Pankreas 
in 8 ccm gelöst injicirt. Am nächsten Tage nochmalige Injection von 
5 g in 10 ccm Wasser gelöst. Das Auffangen des Urins konnte aus 
äusseren Gründen nicht durchgeführt werden, da Patient unter sich liess. 
Der allgemeine Eindruck war der, dass der schon moribunde Patient 
sich entschieden erholte, dass vor Allem der Appetit besser wurde, und 
dass die Benommenheit entschieden nachliess. Am 29. 6. schied Patient 
bei reichlichem Milchgenuss 6,4 pCt. Zucker aus, Aceton und Acet¬ 
essigsäure + . Leider stand kein weiteres Präparat zur Verfügung. 
Patient starb am 2. 7., nachdem am 30. 6. erneut schweres Coma ein¬ 
gesetzt hatte. 

Diese Krankengeschichte ist nur mitgctheilt, um die Unschädlichkeit 
des Präparates und die Wahrscheinlichkeit einer günstigen Beeinflussung 
zu documentiren. 

Der nächste Patient (Klinik von Geheimrath Kraus) war der 
27jährige Otto G., bei dem seit dem Februar des Jahres der Diabetes 
festgestellt war. Der Patient litt an starker rechtsseitiger Phthisis 
pulmonum. Hereditäre Belastung bezüglich des Diabetes lag nicht 
vor. Bei seiner Aufnahme in die Klinik am 27. 5. betrug die Zucker¬ 
ausscheidung 6 pCt. bei 4080 Urinmenge, Aceton und Acetessig¬ 
säure +. Es wurde eine langsame Entziehung der Kohlehydrate vor¬ 
genommen. Am 30. 5.: Urinmenge 4200, Zucker 4,5 pCt., Aceton und 
Acetessigsäure + bei 100 g Kohlehydraten. Vom 7. 6. an war die 
Ernährung kohlehydratefrei. Einige Zahlen mögen die weiteren Aus¬ 
scheidungsverhältnisse illustriren. 



Menge 

Zucker 

Aceton 

Acetessigsäure 

7. 6. 

2600 

2,1 pCt. 

+ 

i 

~r 

s. o. 

2600 

3.1 

i 

~r 

+ 

12. 6. 

2000 

2,3 „ 

+ 

+ 


Gck igle 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber Versuche einer specifischen Fermenttherapie des Diabetes. 


311 



Menge 

Zucker 

Aceton 

Acetessigsäure 

21. 6. 

2000 

4,0 pCt. 

+ 

i 

T 

22. 6. 

2100 

2,0 B 

+ 

+ 

23. 6. 

1800 

2,4 „ 

+ 

+ 

24. 6. 

1900 

2,1 7) 

+ 

+ 

25. 6. 

1750 

2,0 „ 

+ 

+ 

26. 6. 

wurde die erste Injection und 
venös vorgenommen. 

zwar versuchsweise 

zuerst 1 ccm intra« 


2000 

2,0 pCt. 

+ 

+ 

27. 6. 

2100 

2,0 „ 

+ 

i 

"T 

28. 6. 

1400 

1,3 „ 

+ 

+ 

29. 6. 

1400 

1,4 „ 

+ 

+ 

30. 6. 

1800 

2,0 „ 

+ 

+ 


1. 7. wurden 9 ccm = ca. 2 g der Pankreassubstanz injicirt. 



1700 

1,8 pCt. 

— 

— 

2. 7. 

1600 

0,9 „ 

— 

— 

3. 7. 

1800 

Spuren 

— 

— 

4. 7. 

1400 

1,6 pCt. 

+ 

+ 

5. 7. 

2400 

2,5 „ 

+ 

+ 

6. 7. 

2200 

3,2 „ 

+ 

+ 

7. 7. 

3000 

4,6 „ 

+ 

+ 

Aus der Krankengeschichte ist noch 

zu erwähnen, dass Patient häufig 

Fieber bis zu 

38° hatte, 

und dass in 

Folge der Einspritzung keine be- 


sondere Fiebererhöhung zu verzeichnen war. Das Resultat erscheint 
ziemlich eindeutig. In der kohlehydratfreien Periode betrug die Zucker¬ 
ausscheidung durchschnittlich 40 g pro Tag, an manchen Tagen be¬ 
deutend mehr. Schon die Probeinjection von 1 ccm zeigt einen deut¬ 
lichen, am 2. Tage einsetzenden Einfluss, indem die Zuckerausscheidung 
auf 18 bis 20 g herabfällt. Es sei hier gleich hervorgehoben, was sich 
in allen späteren Versuchen wiederholen wird, dass die Wirkung des 
Präparates in der Regel erst am nächsten oder nächstnächsten Tage 
nach der Einspritzung bemerkbar wird. Noch eclatanter ist die Wirkung 
der Hauptinjection. Sofort verschwindet die Acetessigsäureausscheidung, 
die bisher während der ganzen langen Dauer der Beobachtung niemals 
verschwunden war. Am 2. Tage geht die Zuckerausscheidung auf 
14,4 g, am 3. Tage nach der Einspritzung auf Spuren zurück, eine Er¬ 
scheinung, welche ebenfalls bei diesem zweifellos mit schwerem Diabetes 
behafteten Kranken niemals beobachtet worden war. Dabei ist zu be¬ 
merken, dass in dem subjectiven Befinden des Kranken keinerlei Aende- 
rung eingetreten war und dass er nach wie vor die gleiche Nahrung zu 
sich genommen hat. Am 4. 7. Wiederansteigen der Zuckerausscheidung 
und Wiederauftreten von Aceton und Acetessigsäure, am 6. hat die 
Zuckerausscheidung wieder die alte Höhe erreicht. Bei dem Kranken 
wurde in einer späteren Periode noch einmal eine Einspritzung gemacht, 
die ohne Erfolg war, weil, wie sich inzwischen herausgestellt hat, das 
damals angewandte Präparat unwirksam war. Da ich die Ursache, aus 
welchen manche Pankreaspräparate sich als unwirksam erweisen, noch 
nicht kenne, will ich hier nur diejenigen Krankengeschichten anführen, 
in denen sich das Präparat als wirksam erwiesen hat. Die Verhältnisse 


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312 


G. Zuelzer, 


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liegen jedenfalls nicht so, dass bei ein und demselben Individuum das 
Pankreaspräparat nur einmal wirksam sein kann, wie die Kranken¬ 
geschichte des 6jährigen Knaben K. M. beweisen wird. Es ist also in 
diesem Falle zum ersten Male gelungen, durch Einführung eines Pankreas¬ 
präparates die Zuckerausscheidung und die Ausscheidung von Aceton 
und Acetessigsäure vollkommen, ohne irgend welche gleichzeitigen diäte¬ 
tischen Maassnahraen zu unterdrücken. 

Der nächste Fall betrifft den schon erwähnten 6jährigen Knaben 
K. M. aus der Klinik von Geheimrath Senator. Aus der Anamnese ist 
hervorzuheben, dass die Eltern und Geschwister gesund sind, Heredität 
nicht nachweisbar ist und dass die Zuckerkrankheit etwa um Pfingsten 
dieses Jahres entdeckt worden ist. Es handelt sich um ein schwäch¬ 
liches schmächtiges Kind von reducirtem Ernährungszustände. Der 
Knabe wiegt 13 kg, er macht den Eindruck eines Schwerkranken, Gc- 
sichtszüge sind müde, der Panniculus adiposus sehr spärlich, Lungen, 
Herz und Abdomen sowie das Nervensystem ohne Besonderheiten. Der 
Urin ist hellgelb, reagirt sauer und enthält Spuren Eiweiss, Zucker, 
Aceton und Acetessigsäure; im Sediment granulirte Cylinder, harnsaures 
Natron und Epithelien. Die Urinmenge schwankte zwischen 1500 und 
3000 ccm und enthielt in den ersten 8 Tagen 4—4,8 pCt. Zucker, 
reichlich Aceton und Acetessigsäure. Am 14. 7. wurden dem Jungen 
5 ccm Pankreaslösung = 1 g Pankreasextract in die Cubitalvene ein¬ 
gespritzt. Am Tage vorher war die Urinmenge leider nicht mehr fest¬ 
stellbar, der Procentgehalt betrug 4,4. 



Menge 

Zucker 

Aceton 

Acetessigsäure 

14. 7. 

2250 

4,4 pCt. 

+ 

I 

-r 

15. 7. 

1600 

2,8 „ 

+ 

— 

16. 7. 

2150 

2,6 „ 

ganz schwach 

— 

17. 7. 

2350 

2,<5 „ 

— 

— 

18. 7. 

3600 

3,G ,, 

+ 

i 

~r 

19. 7. 

2940 

5,0 „ 

+ 

i 

T 

20. 7. 

2220 

4 4 

11 

+ 

+ 

Dazu ist zu 

bemerken, 

dass am 14. 

7. unmittelbar nach der Ein- 


spritzung die Temperatur, die sonst immer normal gewesen war, auf 
38,4 0 stieg, und dass unmittelbar nach der Injection häufiges Erbrechen 
auftrat. Die Nahrungsaufnahme, die schon an und für sich nicht sehr 
reichlich gewesen war (gemischte Kost), blieb noch am nächsten Tage 
verschlechtert. Am 16. 7. jedoch ist das Allgemeinbefinden gegen früher 
als entschieden gebessert zu bezeichnen. Der Knabe machte einen viel 
munteren Eindruck als seit seiner Aufnahme und spielt tagsüber leb¬ 
haft. Als objectives Zeichen des Besserbefindens sei die Gewichtszu¬ 
nahme am 22. 7. von 13 kg auf 13,4 kg bemerkt. Im Uebrigen ist 
auch in diesem Falle der Einfluss der Einspritzung eindeutig. Die Zucker- 
ausscheidung ist zwar in diesem Falle nur unbedeutend zurückgegangen, 
aber Aceton und Acetessigsäure sind glatt aus dem Urin verschwunden. 
Wenn dem geringen Zurückgehen der Zuckerausscheidung keine Be¬ 
deutung zuzumessen ist, schon wegen der geringfügigeren Nahrungsauf¬ 
nahme, so gilt dies nicht für die Beeinflussung der Acidosis. Nach 


Gck igle 


Original fro-m 

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Ueber Versuche einer specifiscben Fermenttherapie des Diabetes. 


313 


allen klinischen Erfahrungen bezüglich dieser Complication des Diabetes 
kann das Verschwinden der Acidosis in diesem, wie im vorhergehenden 
Falle nur als eine specifische Wirkung des Pankreaspräparates aufgefasst 
werden. Am 1. 8. wird die Einspritzung wiederholt. Auch diesmal 
wird nur eine geringe Menge 3,5 ccm, etwa 1 g trockenen Pankreas- 
extract entsprechend injicirt. Im Anschluss daran trat eine Temperatur¬ 
erhöhung bis 39,2 0 auf, doch erschwert die gleichzeitig entdeckte Mittel¬ 
ohrentzündung die Deutung, ob es sich um eine reine Fermentwirkung 
oder um eine combinirte Ficbererscheinung handelt. Die Urinausscheidung 
verhielt sich wie folgt: 



Menge 

Zucker 

Aceton 

Acetessigsäure 

29. 7. 

2160 

3,4 pCt. 

+ 

+ 

30. 7. 

2670 

°,2 „ 

+ 

+ 

31. 7. 

1890 

3,8 „ 

+ 

+ 

1. 8. 

1310 

„ 

+ 

+ 

2. 8. 

2850 

2,2 „ 

schwach 

schwach 

3. 8. 

2050 

L8 „ 

ganz gering 

ganz gering 

4. 8. 

1850 

2,4 „ 

+ 

+ 

5. 8. 

2100 

2,2 „ 

i 

T“ 

+ 


Auch diesmal ist zwar eine geringfügige Verminderung der Zucker¬ 
ausscheidung zu constatiren. Jedoch das Wesentliche erscheint auch hier 
wieder, dass die Acidosis, die vorher wieder ganz erhebliche Grade er¬ 
reicht hatte — die Acetessigsäureausscheidung ist in der Kranken¬ 
geschichte öfters mit -f- 4- bezeichnet — wieder, wenn auch nicht voll¬ 
kommen, so doch bis auf Spuren verschwindet. Leider wurde das Kind 
bald nachher aus dem Krankenhause herausgenommen. Der allgemein 
klinische Eindruck war der, dass bei diesem hoffnungslos kranken Kinde, 
dem bei seiner Aufnahme bereits der baldigste Exitus prognosticirt war, 
dass das Kind sich ganz entschieden nach den Einspritzungen erholt hatte. 
Es ist möglich, dass bessere Resultate erzielt worden wären, wenn von 
dem wirksamen Präparat häufigere und auch vielleicht jedesmal kleinere 
Einspritzungen gemacht worden wären. 

Ebenfalls aus der Klinik von Geheimrath Senator wurde an dem 
65jährigen Heinrich M. der Einfluss des Präparates versucht. 

Patient litt seit 26 Jahren an Diabetes. Seit etwa 5 Jahren ist an¬ 
geblich der Zuckergehalt nicht mehr unter 3 pCt. gefallen. Seit ungefähr 
1 Jahr beträgt die tägliche Zuckerausscheidung durchschnittlich 5 pCt. Die 
inneren Organe sind, abgesehen von der Arteriosklerose, ohne Besonder¬ 
heiten. Ueber die Ausscheidungsverhältnisse orientirt folgende Tabelle: 



Menge 

Zucker 

Aceton Acetessigsäure 

9. 7. 

1500 

6,6 pCt. 

— — 

13. 7. 

2000 

5,5 „ 

— — 

14. 7. 

1500 

5,5 „ 

— — 

ijection von 

10 ccm = 2 g 

intravenös. 


15. 7. 

1000 

Spuren 


16. 7. 

1600 

1,0 pCt. 


17. 7. 

3000 

1,0 „ 


18. 7. 

2000 

1,2 „ 


19. 7. 

1720 

1,6 ,, 



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Original fro-m 

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314 


G. Zuelzer, 


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Menge 

Zucker Aceton 

20. 7. 

1580 

2,8 pCt. 

21. 7. 

1680 

2,2 „ 

22. 7. 

2120 

3,0 „ 

27. 7. 

1620 

4,4 „ 

28. 7. 

3160 

4,8 „ 

29. 7. 

2611 

3,8 „ Gcmüsetag 

30. 7. 

2800 

3,4 „ 


Acetessigsäure 


Die Einspritzung war in diesem Falle von einem heftigen Schüttel¬ 
frost, von einer Temperatursteigerung von 35,9 0 C. auf 39,0 0 C. be¬ 
gleitet. Im zweifellosen Anschluss an die Injeetion traten in dem 
übrigens vollkommen zahnlosen Munde ziemlich starke Entzündungs¬ 
erscheinungen auf, welche über 8 Tage bestehen blieben. Der Kranke 
musste in Folge dessen seine ganze Nahrung in breiiger Form zu sich 
nehmen. Der Einfluss der Injeetion auf die Zuckerausscheidung ist 
zweifellos. Dass das Heruntergehen auf Spuren und später 1 pCt. nicht 
nur durch die geringe Nahrungsaufnahme am Tage der Injeetion zurück¬ 
zuführen, ist durch den Gemüsetag am 28. 7. ziemlich wahrscheinlich 
gemacht, denn nachdem an den Tagen vorher die Zuckerausscheidung 
ihre alte Höhe wieder erreicht hatte, bewirkte der Gemüsetag nur eine 
sehr geringe Senkung des Zuckerausscheidungsniveaus. Der Einfluss des 
Pankreaspräparates lässt sich bis etwa zum 26. 7. verfolgen, erst dann 
beginnt die Zuckerausscheidung wieder ihre alte Höhe zu erreichen. Die 
anamnestische Angabe, dass Patient seit Jahren bei allen möglichen 
diätetischen Behandlungskuren niemals zuckerfrei geworden, und dass 
seine Ausscheidung überhaupt nicht unter 3 pCt. gesunken sei, erscheint 
in diesem Falle glaubwürdig, weil der Patient ein alter Diener Traube’s 
ist, an dem viel herumexperimentirt worden ist und bei dem das nöthige 
Verständnis für seine Krankheit vorausgesetzt werden kann. 

Noch einwandsfreier erscheint der Fall Kreitner, welcher im Jüdischen 
Krankenhause (Professor Lazarus) seit Monaten in exactester Weise 
beobachtet worden war. Patient ist hereditär bezüglich seines Diabetes 
belastet, seine Mutter und eine Schwester sind an der Zuckerkrankheit 
gestorben. Der 35jährige Patient wurde vor ca. 4 Jahren diabetisch, 
seit l ! / 2 Jahren soll der Zuckergehalt dauernd ca. 6—6y 2 pCt. betragen 
haben. Der Status bietet keine Besonderheiten. Die Zuckerausscheidung 
verhielt sich bei der gleichen Kost (etwa 90—120 g Grahambrot, sonst 
kohlehydratfrei) folgendermaassen: 


29. 6. 

Zuckermenge 

50,7 g 

5. 7. 

Zuckermenge 
59,4 g 

30. 6. 

47,5 g 

6. 7. 

32,6 g 

1. 7. 

01,0 g 

7. 7. 

48,1 g 

2. 7. 

40,0 g 

8. 7. 

37,8 g 

3. 7. 

04,0 g 

9. 7. 

44,0 g 

4. 7. 

68,0 g 

10. 7. 

46,0 g 


Ungefähr die gleichen Ausscheidungsverhältnisse hatten während der 
ganzen Aufnahmezeit bestanden. Als einmalige niedrigste Menge ist seit 
dem 15. 5. 13,3 g Zucker verzeichnet; Aceton und Acetessigsäure ist nie 
beobachtet worden. 


Gck igle 


Original fro-m 

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Ueber Versuche einer specifischen Fermenttherapie des Diabetes. 


315 


Am 10. 7. wurden dem Kranken intravenös 10 cem des Pankreas¬ 
präparates injicirt, doch ist am 10. und 11. 7. das Grahambrot ver¬ 
sehentlich fortgelassen, sodass die Ausscheidungsverhältnisse in der 
nächsten Periode auf nicht bestimmbare Einflüsse zurückzuführen sind. 
Vom 13. 7. an bis zum Ende der Beobachtung isst der Kranke regel¬ 
mässig ca. 100 g Grahambrot. Die Ausscheidungsverhältnisse illustrirt 
folgende Tabelle: 


Zucker Zucker 



pCt. 

fr Behandlung 


pCt. 

g 

Behandlung 

6. 7. 

2,8 

48^1 

25. 7. 

1,1 

20,6 


7. 7. 

2,7 

37,8 

26. 7. 

1,7 

28,5 


9. 7. 

2,5 

46,0 

27. 7. 

0,9 

20,8 


10. 7. 

2,0 

25,2 

28. 7. 

0,9 

22,3 


11. 7. 

1,3 

18,7 intravenöse Inject. 

29. 7. 

1,3 

24,4 


12. 7. 

0,7 

11,2 

30. 7. 

0,7 

7,2 

intravenöse Inject. 

13. 7. 

2,0 

31,2 




von 10 g 

14. 7. 

1,5 

18,0 

31. 7. 

0,1 

1,3 

90 g Brod 

15. 7. 

1,4 

17,9 

1. 8. 

0,1 

2,0 

120 g Brod 

16. 7. 

1,4 

17,3 

2. 8. 

— 

— 

90 g Brod 

17. 7. 

1,5 

24,0 

3. 8. 

-- 

— 

90 g Brod 

18. 7. 

2,2 

36,9 

4. 8. 

— 

-- 

120 g Brod 

19. 7. 

1,5 

30,0 

5. 8. 

— 


120 g Brod 

20. 7. 

2,9 

49,8 

Oi 

00 

1,3 

4,9 


21. 7. 

1,4 

17,9 

00 

00 

2,0 

18,9 


22. 7. 

1,3 

27,0 

00 

^6 

4,3 



23. 7. 

0,8 

16,9 

26. 8. 

4,2 



24. 7. 

1,0 

18,4 






Am 30. 7. wurden 10 ccm Pankreaspräparat intravenös injicirt. 
Die Temperatur stieg von 36,4 auf 39,3 0 und blieb auch am nächsten 
Tage auf dieser Höhe. Am 1. 8. besteht noch 38°, dann* sinkt die 
Temperatur zur Norm ab. Trotz der erhöhten Temperatur hat der 
Kranke, ausser am Tage der Einspritzung selbst, regelmässig seine bis¬ 
herige Nahrung incl. des Grahambrodes zu sich genommen. Die Zucker¬ 
ausscheidung sinkt, wie es in den ersten Fällen beobachtet wurde, 
allmählich herab. Erst am dritten Tage hat die Zuckerausscheidung 
Null erreicht, die dann 4 Tage lang bestehen bleibt, um allmählich 
wieder zur alten Höhe anzusteigen. Gerade der Umstand, dass die 
Zuckerausscheidung nicht am Tage der Einspritzung selbst, wo der 
Kranke naturgemäss in Folge des mit Schüttelfrost verbundenen hohen 
Fiebers wenig genossen hat, Null erreicht, sondern erst 3 Tage später, 
spricht dafür, dass es sich hier nicht um ein einfaches Verschwinden 
des Zuckers in Folge eines Hungertages handelt, sondern dass das 
Ferment allmählich, wie in den vorhergehenden Fällen, seine Wirksamkeit 
entfaltet. Zur klinischen Beurtheilung der Einspritzung ist nachzutragen, 
dass auch m diesem Falle wie bei M. zahlreiche kleine stecknadelgrosse 
Bläschen in der Mundhöhle, speciell am harten Gaumen, aufgetreten sind; 
die Stomatitis ist nach 4 Tagen vollkommen abgehcilt. 

Der letzte Fall endlich betrifft einen 65 jährigen Kranken (Rixdorfer 
Krankenhaus, Professor Sultan), bei dem eine Gangrän des rechten 


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316 


G. Zuelzer, 


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Fusses aufgetreten war. Ueber die Zuckerausscheidung stehen mir 
folgende Notizen zur Verfügung: 

Am 20. 7. bei 60 g Kohlehydraten 1500 Urin mit 6 pCt. Zucker. 

Vom 23.—30. 7. kohlehydratfreie Diät, täglich durchschnittlich 2000 Urin mit 
4 pCt. Zucker. 

Am 31. 7. 2000 Urin mit 3 1 / 2 pCt. Zucker. 

Am 1. 8. werden 10 ccm intravenös injicirt. In Folge dessen starker Schüttel¬ 
frost und hoher Temperaturanstieg; der Kranke lässt Urin unter sich, so dass derselbe 
nicht aufgefangen werden kann. 

Am 2. 8. 2y 2 pCt. Zucker, Urinmenge —. 

Am 3. 8. 1 pCt. Zucker, Urinmenge —. 

Am 4. 8. bei 60 g Kohlehydraten l / 2 pCt., 1500 Menge. 

Am 5. 8. wird der Oberschenkel in Chloroformnarkose amputirt. 

6.—20. 8. 100 g Kohlehydrate 2—3 pCt. und ca. 1000 Menge. 

20.—28. 8. gemischte Kost, ca. 1000 Menge und 1—2 pCt. Zucker. 

Vom 29. 8. an ist der Kranke zuckerfrei. 

Die Deutung bezüglich des Einflusses, den in diesem Falle das 
Pankreaspräparat auf die Zuckerausscheidung gehabt hat, ist schwierig. 
Zweifellos wird die Zuckerausscheidung durch die Injection herabgedrückt, 
und zwar ist auch hier wieder die Zuckerausscheidung nicht im unmittelbaren 
Anschluss an den Fiebertag, an dem der Kranke wenig oder nichts zu sich 
genommen hat, am meisten herabgegangen. Am zweiten Tage besteht 
vielmehr noch 2,1 pCt. Zucker, am dritten sinkt die Ausscheidung auf 
1 pCt., während am vierten trotz 60 g Kohlehydratzunahme die Zucker¬ 
ausscheidung auf y 2 pCt. herabgeht, so dass der Kranke im Ganzen nur 
7,5 g Zucker ausscheidet, während er bei der gleichen Nahrung am 
20. 7. 80 g ausgeschieden hatte. Wäre das Herabgehen der Zucker¬ 
ausscheidung nur durch die Carenz am 1. 8. verursacht worden, so hätte 
man am 2. 8. die niedrigste Zuckerausscheidung erwarten müssen. In¬ 
wieweit die nachher weiter zu beobachtende günstige Gestaltung der Zucker¬ 
ausscheidung auf die Amputation des Oberschenkels oder auf die Nach¬ 
wirkung des Pankreaspräparates zu setzen ist, entzieht sich der 
Beurtheilung. Es sei nur bemerkt, dass trotz des Herabgehens des 
Zuckers am 19. 9. noch einmal eine etwas höhere Amputation an 
demselben Bein nothwendig wurde. 

Die in den vorstehenden Krankengeschichten raitgetheilten Ergebnisse 
berechtigen nur zu dem Schluss, dass es möglich ist, durch Einführung 
eines Pankreasextractes die Zuckerausscheidung beim Diabetiker und 
ebenso die Ausscheidung von Aceton und Acetessigsäure ohne Aenderung 
in der Diät zum Verschwinden zu bringen. Wenn auch in einzelnen 
Fällen die Versuchsresultate nicht ganz eindeutig sind, so bieten doch 
die Resultate der sämratlichen Fälle zusammengehalten die Möglichkeit, 
obigen eindeutigen Schluss zu ziehen. Insbesondere sind in dieser Be¬ 
ziehung beweisend die Resultate im Falle G., bei dem gar keine Störung 
des Allgemeinbefindens, in Folge dessen gar keine Störung in der 
Nahrungsaufnahme, keine Temperaturerhöhung die Deutung des Resultates 
erschweren. Ferner der Fall M., in dem zweimal das Verschwinden der 
Acidosis nach unseren bisherigen klinischen Erfahrungen keinen anderen 


Gck igle 


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Ueber Versuche einer specifischen Fermenttherapie des Diabetes. 31? 

Schluss zulassen, als dass diese Stoffwechseländerung durch das Pankreas¬ 
präparat bewirkt wurde. 

Inwieweit die vorstehenden Versuche die Basis für ein therapeutisches 
Vorgehen beim Diabetes abgeben werden, lässt sich z. Z. noch nicht 
übersehen. Es wird die nächste Aufgabe sein, zu versuchen, durch 
kleine, aber häufigere Injectionen die schweren Injcctionswirkungen, die 
in. E. nur als Fermentwirkungen aufzufassen sind, abzuschwächen oder 
ganz zu unterdrücken. Die Beobachtung im Falle G., dass bereits 
1 ccm der Lösung eine zweifellose Wirkung ausübte, lassen in dieser 
Beziehung die Möglichkeit eines Erfolges erhoffen. 

Anmerkung bei der Corrcctur. 

Seither verfüge ich noch über weitere Beobachtungen, aus denen 
der Einfluss des Pankreashormons auf den menschlichen Diabetes deutlich 
hervorgeht. 

Der eine Fall betrifft eine 44jährige Frau mit Akromegalie und 
einem Diabetes mit aussergewöhnlicher Zuckerausscheidung. Die Patientin 
(zweite medizinische Klinik der Charite) litt an ausgesprochenem Heiss¬ 
hunger, und die Ernährung musste diesem Heisshunger Rechnung tragen, 
da Versuche, die Nahrung einzuschränken, von schweren allgemeinen 
Zuständen und selbst von Auftreten von Acetessigsäure, die sonst fehlte, 
gefolgt waren. Bei freier Wahl der Nahrung nahm Patientin etwa 5000 
bis 8000 Calorien, darunter 6—700 g Kohlehydrate, durchschnittlich 
pro Tag zu sich. Ihre Zuckerausscheidung betrug dabei 6—800 g bei 
einer Urinmenge von 14—18 1 täglich. Die Ausscheidungsverhältnisse 
kurz vor und unmittelbar nach der Einspritzung von 4 g wirksamer 
Substanz werden durch folgende Tabelle illustrirt: 


Tag 

Einnahme 

an Kohle¬ 
hydrat 

Calor.- 

Zufuhr 

Urin¬ 

menge 

Spec. 

Gewicht 

Zucker 

pCt 

Zucker 

g 


25.-26. 3. 

600,9 

5800 

18 200 

1020 

3,5 

673 


26.-27. 3. 

655,0 

8200 

19 600 

1020 

4 

784 


27.-28. 3. 

563,6 

4300 

18 200 

1023 

4,6 

856 


28.-29. 3. 

139,3 

1511 

9 200 

1017 

2,2 

192 

Inject. 

29.—30. 3. 

459,0 

3S13 

15 700 

1015 

2,1 

109 

30.—31.3. 

374,2 

3877 

18 200 

1016 

2,5 

455 



Die sehr nervöse Patientin reagirte auf die Injection mit Schüttel¬ 
frost, leichten Ohnmachtsanfällen und Kopfschmerzen; am Tage nach 
der Injection gab Patientin an, nicht von dem sie sonst so quälenden 
Gefühl des Heisshungers geplagt zu sein. Der Einfluss der Einspritzung 
ist aus der Tabelle ersichtlich. Am Injectionstage selbst ist das Herunter¬ 
gehen des Zuckers durch das Erbrechen und die verminderte Nahrungs¬ 
aufnahme zu erklären. Auffallend ist jedoch die beträchtlich geringere 
Zuckerausscheidung (109 g) am zweiten Tage nach der Injection; es ent¬ 
spricht dies den stets gemachten Beobachtungen. Die Nahrungszuluhr ist 
an diesem Tage schon wieder eine überreichliche, wenn auch geringer als 
gewöhnlich, aber trotz der Zufuhr von 459 g Kohlehydrat scheidet 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 91 


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318 G. Zuelzer, Ueber Versuche einer specifischen fermenttherapie des Diabetes. 


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Patientin nur 109 g Zucker aus. Im Verlaufe der nächsten Zeit steigt 
die Zuckerausscheidung wieder auf ca.-700 g pro die. 

Der zweite Fall betrifft einen ca. 50jährigen Diabetiker mit einem 
grossen, gangränescirenden Karbunkel des Nackens. Bei seiner Auf¬ 
nahme in die Klinik (Prof. Borchardt) besteht eine Zuckerausscheidung 
von 2,5 pCt.; Aceton und Aetessigsäure vorhanden. Der Karbunkel 
wird incidirt und gleichzeitig, wie auch in den folgenden Tagen, eine 
Injection von je 2 g Pankreashormon vorgenoramen. Die ersten 4 In- 
jectionen sind von keiner Reaction (Schüttelfrost) gefolgt. Im Verlaufe 
der ersten Tage sinkt die Acetessigsäureausscheidung fast bis zum Ver¬ 
schwinden, steigt dann wieder etwas an, um wiederum vollkommen zu 
verschwinden. Da in den ersten Tagen der Einfluss der Operation ein 
schwer zu bestimmender Factor ist, während andererseits die Ein¬ 
spritzung ohne Schüttelfrost verlief, die Wirksamkeit des Präparates nach 
den bisherigen Erfahrungen also nicht über jeden Zweifel erhaben ist, 
so muss davon Abstand genommen werden, Aenderungen in dem Urin¬ 
befund und dem allgemeinen Befinden mit der Einspritzung in irgend 
welche Verbindung zu bringen. Vom 2. 3. ab ändern sich die Ver¬ 
hältnisse. Die Operation liegt 5 Tage zurück, die Wundbehandlung und 
die diätetische Behandlung (täglich 100 g Kohlehydrate, Hafermehl und 
Milch und 40 g Natrium bicarbonicum) bleiben unverändert bestehen. 
Der klinische Befund lautet am 2. 3.: Die Wunde sieht nicht schlecht 
aus. Vom 3. ab Verschlechterung der Wunde und Auftreten abendlicher 
Temperaturen. Am 4. Abends 38,9° C., am 5. 39,6° C. Gleichzeitig 
stärkeres Auftreten von Aceton und Acetessigsäure, die schon ganz ver¬ 
schwunden war. Abends Injection von 4 g Pankreashormon; Temperatur 
steigt von 39,6 0 auf 41 0 C. (Schüttelfröste). Folgende Tabelle illustrirt 
das Verhalten: 


Tag 

Zucker 

pCt. 

Aceton 

Acetessig¬ 

säure 

Temperatur 

Abends 


3.-4. 3. 

1,3 

Spuren 

0 

_ 


4.-5. 3. 

0,9 

+ 

Spuren 

38,9° 


5.-6. 3. 

1,1 

+ + 

+ + 

39,6° 

Inject. 41 0 C. 

6.-7. 3. 

1,3 

+ 

+ 

39,3° 


7.-8. 3. 

1,5 

schwach 

Spuren 

38,5° 


8.-9. 3. 

1,2 

0 

0 

fieberfrei 

! 

9.—10. 3. 

1,5 

0 

0 

— 



Von da ab ist der Urin dauernd frei von Aceton und Acetessigsäure 
und die Zuckerausscheidung geht im Verlaufe von 10 Tagen allmählich 
bis auf 0 herunter. Die Wunde fängt schnell an, sich zu reinigen, 
ununterbrochener Heilverlauf. 

Die epikritische Betrachtung dieses Falles lässt kaum einen Zweifel 
darüber, dass in diesem Falle bei vollkommen gleichbleibender Local¬ 
behandlung und bei zweifelloser Tendenz zur Verschlechterung der Wund¬ 
verhältnisse und zum komatösen Ausgang die Zufuhr des Pankreashorraons 
das Verschwinden der Acidosis, und damit die Heilung des Patienten 
zur Folge gehabt hat. 


Gck igle 


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XXV. 

Aus der II. medicin. Klinik Berlin. 

Abkühlung als Krankheitsursache. 

Von 

Dr. Wolfgan? Siegel, 

Arzt in Bad Reichenhall. 


Der Eigentümlichkeit des menschlichen Geistes, bei Allem, was 
wird, was sich ereignet, nach den Ursachen zu forschen, verdankt die 
Menschheit die grössten Fortschritte. Das unaufhörliche Streben nach 
Einsicht und Erkenntniss hat überall mehr oder minder weit aus dem 
Sumpf überlieferter Ammenmärchen herausgeführt und manche aus dem 
Volksglauben in die Wissenschaften übernommenen, lange herrschenden 
Hypothesen gestürzt. Den grössten, weil praktisch sichtbaren Vortheil 
von diesem Ringen nach Klarheit der Vorstellung hat zweifellos die 
Medizin gewonnen. Gar manche Vorstellung, die sich wie ein rother 
Faden durch Jahrhunderte hindurchzog, musste sich auf Grund der Er¬ 
gebnisse exakter Forschung, gewonnen unter Anwendung stets mehr und 
mehr vervollkommneter Hilfsmittel und Methoden, eine Correctur ge¬ 
fallen lassen, manche mussten, weil phantastisch und jeglicher sei es 
anatomischer oder physiologischer Grundlage entbehrend nach langem 
Kampf zwischen dem Althergebrachten und dem stets angefeindeten 
Neuen, „Modernen“, als unhaltbar völlig verworfen werden und behielten 
einzig und allein historisches Interesse. 

Es wäre aber weit gefehlt, anzunehmen, dass wir Alles besser zu 
erklären verständen als unsere Vorgänger oder dass wir heute in allen 
Fällen im Stande wären, die Entstehungsursachen von Krankheiten fest¬ 
zustellen ohne Zuhilfenahme einer schon lange vor uns gebräuchlichen 
Erklärung. Wie bewunderte man die scharfe Beobachtungsgabe der 
irischen Aerzte Adams und Stokes wegen der so anschaulichen 
Schilderung des nach ihnen benannten Symptomencomplexes! Und doch 
konnte Pletnew 1 ) jüngst nachweisen, dass schon Morgagni dasselbe 
Krankheitsbild ebenso gut gekannt und ebenso schön geschildert hat. 

Manche ätiologische Anschauung machte einen wahren Kreislauf 
durch, ihr Werth sank und stieg je nach dem momentanen Stand der 

1) Ergebnisse der inneren Medizin. Heft l. 1908. 

21 * 


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320 


W. Siegel, 

Wissenschaft und nach der Art der gerade gemachten Fortschritte, der 
Mode. Was früher als allgemein giltig angesehen ward und manchmal 
da als Lückenbüsser dienen musste, wo man keine andere, -besser passende 
Erklärung wusste, fiel, um bald darauf doch wieder ans Tagelicht her¬ 
vorgezogen zu werden, weil man einsah, dass dieser eben verworfenen 
Anschauung doch eine gewisse Bedeutung zukomrat, wenn vielleicht auch 
bei Weitem nicht in dem Maasse wie früher. 

Bis vor nicht allzu langer Zeit, als man von Bakteriologie noch 
nichts wusste, spielte nicht nur in den Augen des gesammten Volkes, 
gebildet wie ungebildet, sondern auch in den der „Wissenden“, der 
Aerzte, die Erkältung, Verkühlung, als Krankheit erregende Schädlichkeit 
eine mächtige, um nicht zu sagen, dominirende Rolle. Der Begriff ist 
so sehr in den Sprachgebrauch Aller übergegangen, dass er anstandslos 
zu gleicher Zeit in doppeltem Sinn gebraucht werden kann und gebraucht 
wird. Mit „Erkältung“ bezeichnet man nicht nur eine bestimmte Kategorie 
von Erkrankungen, sondern auch deren wirkliche oder muthmassliche 
Ursache. Wenn es auch zu weit gegangen ist, dass einzelne Autoren, 
die heutzutage der Erkältung fast jeglichen Einfluss auf die Gesundheit 
des menschlichen Organismus abstreiten, behaupten, dass man ihr früher so 
ziemlich alle Erkrankungen mit Ausnahme von Frakturen und Luxationen 
in die Schuhe schob, so entspricht es doch den Thatsachen, dass man 
eine grosse Reihe von Erkrankungen auf sie zurückführte, von denen wir 
heute wissen, dass sie durch Bakterien oder nur durch bakterielle Mit¬ 
wirkung ausgelöst werden können. Diese früher allgemein gültigen An¬ 
schauungen wurden im Wesentlichen dadurch unterstützt, dass thatsächlich 
vor Ausbruch der Krankheit oft eine Kälteeinwirkung (Zugwind oder 
Durchnässung) stattgefunden hatte und dass man bei Fehlen jeder anderen 
augenfälligen Erklärung nach dem Zunächstliegenden und Sinnfälligen griff. 

Man kann aber nicht behaupten, dass früher der Menschheit das 
Verständnis für Ansteckung, Infection, gefehlt hätte, und dass man that¬ 
sächlich, von Traumen abgesehen, nur Erkältung als Krankheitsursache 
gekannt habe. Es lässt sich dies direct geschichtlich beweisen. Nie¬ 
mand wird bestreiten, dass die Contagiosität der Syphilis auch früher 
bekannt war, trotzdem die Entdeckung des Erregers erst ein Kind der 
jüngsten Tage ist. Als der schwarze Tod im Mittelalter in Deutschland 
wüthete, dachte Niemand an Erkältung als Ursache, man suchte sie viel¬ 
mehr im Wasser vergifteter Brunnen und machte die Juden dafür ver¬ 
antwortlich; früher glaubte man, der Athem, die Ausathmungsluft der 
Schwindsüchtigen trage die Krankheit weiter, bei der an bestimmte 
Gegenden gebundenen Malaria hielt man die Ausdünstungen der Sümpfe, 
beim Typhus, noch ehe man es mit Bestimmtheit nachweisen konnte, 
das Trinkwasser für die Ursache der Erkrankung. Hier gab die Locali- 
sation an bestimmte Plätze, die herdweise Ausbreitung dem gesunden 
Menschenverstand allerlei dunkle Hinweise, dass irgend ein bestimmtes, 
noch wesensunbekanntes Medium die Krankheit bedingt und weiterver¬ 
breitet. 

Wenn also in der That durch Jahrhunderte hindurch bis tief in das 
19. hinein mangels jeglicher anderen plausiblen Erklärung manchmal 



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Abkühlung als Krankheitsursache. 


321 


wirklich nur als Nothbehclf Abkühlung sive Erkältung als Ursache von 
zahlreichen Krankheiten angesehen wurde, eben weil man keine andere 
wusste, wurde dies mit der Geburt und der Entwicklung der Bakterio¬ 
logie mit einem Schlage anders. R. Koch hatte die Untersuchungs¬ 
methoden ausgearbeitet und nun ging es an ein eifriges Suchen. Gerade 
so wie man früher Erkältung für alles Mögliche und Unmögliche ver¬ 
antwortlich machte, sollten jetzt die Bakterien und Bacillen, die Alles 
schaffenden Geister, jeder gefundene Bacillus der Erreger irgend einer be¬ 
stimmten Krankheit sein. Bald aber schwand der bakterielle Rausch, wenn 
man sich so ausdrücken darf, und machte nüchterner Erwägung Platz. 
Das, was die bakterielle Hochfluth ans sichere Land geworfen hatte, 
wurde gesichtet, und es zeigte sich nun, dass thatsächlich eine grosse 
Reihe von Bakterien specifisch krankmachend wirkte, dass aber eine 
ganze Anzahl absolut unschädlich ist, und weiterhin trat das wichtige 
Factum zu Tage, dass der Mensch lange Zeit pathogene Keime be¬ 
herbergen kann, ohne krank sein oder krank werden zu müssen (latenter 
Mikrobismus), und dass eben diese Keime dann plötzlich auflodern und 
ihre krankmachendc Wirkung ausüben. Es erhob sich nun die Frage, 
warum löst der pathogene Keim in dem einen Fall Krankheit aus? 
Warum in dem anderen nicht? Warum bedarf cs hier noch eines An- 
stosscs? Und welcher Art ist dieser? 

So sah man sich in vielen Fällen doch wieder gezwungen, andere, 
früher gebräuchliche Erklärungen zu Hülfe zu nehmen, und neben der 
Annahme einer Disposition für gewisse Erkrankungen kam unter anderen 
auch die Erkältung als ätiologisches Moment wieder mehr zu Ehren, nur 
mit dem Unterschied, dass man ihr lediglich die Mithülfe, die Be¬ 
günstigung, nicht aber die selbstständige Auslösung von Krankheiten zu¬ 
schrieb. 

Man hat die Entstehung einer Krankheit durch Erkältung auf alle 
mögliche Weise zu erklären versucht. 

In der vorbaktcricllcn Zeit hatte man auf die bekannten Firnissvor- 
suche zurückgegriffen. Man hatte Kaninchen ganz oder grösstentheils 
rasiert und mit Lack, Leim, Pech oder sonstigen Pflastermassen be¬ 
strichen; je nach Grösse der gefirnissten Stellen gingen die Thierc mehr 
oder minder rasch zu Grunde, kräftige Thiere im Allgemeinen etwas 
später. Zuerst glaubte man in der Unterdrückung der Hautathmung und 
der dadurch bedingten Retention von AusscheidungsstofTen, also in einer 
Selbstvergiftung, die Todesursache sehen zu müssen. Nachdem aber 
Bequerel und Brechet 1 ) behauptet hatten, dass der Exitus nach 
Firnissung durch den abnormen Wärmeverlust, durch fortschreitende Ab¬ 
kühlung und Herabsetzung der Körpertemperatur herbeigeführt werde, 
erhob sich ein langdauernder Streit über die Retentionstheorie, der trotz 
der Angaben von Babak 2 ), dass Kaninchen, mit Kleister oder Gelatine 
bestrichen, eine dauernde Mehrabgabe von Wärme bis zu 140 pC. ohne 
irgend welche Schädigung ertrugen, durch die vergleichenden Unter- 


1) Edenhuizen, Zeitschrift für rationelle Medicin. 1863. 

2) Archiv f. ges. Physiol. Bd. 108. 


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322 


W. Siegel, 


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suchungen von Rud. Winternitz 1 ) endlich zu Ungunsten dieser Theorie 
entschieden wurde. R. Winternitz konnte nicht nur die von einigen 

Autoren aufgestellte Behauptung, es sei der Tod durch Resorption und 

Giftwirkung der zur Firnissung benutzten Stoffe bedingt, dadurch wider¬ 
legen, dass er Olivenöl und Vaselin benützte, die resorbirt nicht toxisch 
wirken, sondern er zeigte auch, dass Kaninchen, die man nur rasierte, 
aber nicht firnisste, in gleicher Weise wie gefirnisste zu Grunde gingen, 
um so rascher, wenn man sie noch in kälteren Räumen unterbrachte. 
Daraus schloss er mit Recht, dass lediglich die Abkühlung, der pro¬ 
gressive Wärme Verlust, das Sinken der Körpertemperatur unter den 
kritischen Punkt in Betracht komme, zumal auch der Obductionsbefund 
bei den gefirnissten und bloss abgekühlten Thieren der gleiche war. Ver¬ 
einzelt wird auch berichtet, dass es gelang, solche Thiere länger am 
Leben zu erhalten, wenn man sic sorgfältig in Watte packte, eine Beob- 
tung, die mehrfachen Widerspruch hervorrief und auch nicht von allen 

Nachuntersuchern bestätigt werden konnte. Der Tod erfolgt einfach 

durch Erfrierung, es kommt allmählich zur Lähmung sämmtlicher Centren 
im Grosshirn, in der Medulla und im Rückenmark. 

Die Reflextheorie sollte die ßuntartigkeit und Mannigfaltigkeit 
der Erkältungskrankheiten, die doch schliesslich in der Kälteeinwirkung 
eine gemeinsame Ursache haben, erklären. Man nahm an, dass der 
Kältereiz durch Vermittlung des Centralnervensystems auf irgend ein 
Nerven- oder Gefässgebiet übertragen werde und nun je nachdem Er¬ 
krankung im Respirationstractus, Rheumatismen, Neuralgien, Magen¬ 
darmkatarrhe, Nierenentzündung hervorriefe. Kohnstamm 2 ) hat eine 
Kältebahn in der formatio reticularis grisea in der Nähe des Athcm- 
centrums gefunden und glaubt dadurch den Zusammenhang zwischen Er¬ 
kältung und Erkrankung der Respirationsschleimhäute klargestellt zu 
haben. 

Auch die Rosenthal’sche 3 ) Theorie hat längst ihre Geltung ver¬ 
loren; sie besagte, dass „das in der Peripherie abgekühlte Blut jählings 
in die Tiefe des Organismus stürzend auf die Organe krankmachend 
einwirke.“ Rosenthal nahm an, dass cs zu einer Dilatation der Haut- 
gefässe und Verlangsamung der Circulation und auf diese Weise durch 
den längeren Contact mit der Kälte zu einer Herabsetzung der Blut¬ 
temperatur komme; er sieht den Effect des einen erhitzten Organismus 
treffenden Kältemoments in dieser Erniedrigung der Körpertemperatur 
und diese sei entscheidend für das Zustandekommen einer Erkältung. 
Rosenthal sowohl wie später Affanassiew 4 ) suchten ihre Anschauung 
auch experimentell zu beweisen. 

Einen wesentlichen Umschwung in der ganzen Auffassung des Er¬ 
kältungsproblems brachte, wie eingangs erwähnt, das Einsetzen der 


1) Archiv f. exper. Pathol. und Therap. Bd. 33. (Vcrgl. Untersuchung über 
Firnissung und Abkühlung.) 

2) Munch, med. Wocbenschr. No. 16. 1903. 

3) Berl. klin. Wochenschr. 1872. No. 38. 

4) Centralbl. f. med. Wissensch. 1877. 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


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bakteriellen Aera. Nachdem man für eine Reihe von Affectionen, die 
man früher zu den Erkältungskrankheiten gerechnet hatte, specifische 
Erreger gefunden, nahm man solche ohne Weiteres für sämmtliche an 
und hielt die Einwirkung der Kälte fast für völlig belanglos. Es ent¬ 
stand in der Folge ein auch heute noch nicht beendigter Streit darüber, 
ob die Bakterien allein die sogenannten Refrigerationserkrankungen aus- 
lösen können, oder ob Kälteeinwirkung nöthig sei, weiterhin auch darüber, 
wie man sich diese Wirkung zu denken habe, speciell auch über den 
Einfluss dieser auf die Krankheitserreger. Den Bakteriologen konnten 
frühere Versuche von Heidenhain, soweit sie denselben bekannt waren, 
eine willkommene Stütze sein; Heidenhain 1 ) war nicht im Stande, 
durch Einblasung eisiger Luft, auch wenn er eine heisse Einblasung vor¬ 
ausgehen Hess, krankhafte Veränderungen der Trachealschleirahaut zu 
erzeugen. Auf der anderen Seite aber erwähnt Friedrich Müller 2 3 ) 
Versuche von Nebelthau, der Kaninchen virulente Pneumokokken und 
Staphylokokken in die Trachea einspritzte, aber bereits nach Verlauf von 
einigen Tagen im Respirationsgebiet keine Keime mehr nachweisen konnte. 

Fr. Müller citirte noch andere Autoren, die zeigten, dass die normale 
Thierlunge eingeimpfte Bakterien in kurzer Zeit unschädlich macht. Er 
schliesst daraus, dass Infection allein noch keine Krankheit auslöst, 
sondern dass noch andere Momente in Betracht kommen müssen. Er 
ist der Meinung, dass Abkühlung auf die Entstehung der Infection be¬ 
günstigend einwirken kann, indem sie „die Widerstandskraft und damit 
die Schutzvorrichtungen des Organismus hcrabsetzt u und zwar möglicher¬ 
weise durch reflectorische Veränderungen im Vasomotorengebiet und durch 
Vermittlung des Blutes, das irgendwie geschädigt würde — freilich ohne 
dass der Nachweis hierfür so leicht gelänge — und nun durch die ge¬ 
bildeten Stoffe die inneren Organe schädige. Für diese letztere An¬ 
schauung führt er die Thatsaehe in’s Feld, dass die Sectionsbefunde bei 
intensiven Abkühlungen und bei Verbrühungen einander fast völlig gleichen 
(Haemorrhagien und Infarcte der Lunge, Nierenveränderungen, Gehirn¬ 
blutungen, Erosionen im Magen und Darm, Thromben im Herzen und 
in der Lunge), und gleichwie man bei Verbrühungen die Bildung toxischer 
Stoffe, eines Fibrinfermentes, im Blute annähme, so könnte es sich auch 
um Aehnliches bei der Abkühlung handeln. Dazu käme bei der Ab¬ 
kühlung noch die Möglichkeit einer Förderung der Entwicklung der 
Bakterien und eine Hemmung des Organismus im Kampfe gegen diese 
durch Herabsetzung seiner Körpertemperatur. 

Interessant sind Lipari’s 8 ) Versuche: Sämmtliche Thiere, denen er 
endotracheal Pncuraoniesputum einspritzte, blieben zunächst gesund; es 
starben aber sechs von acht an Pneumonie, als er sie vor oder nach 
der Injection der Kälte aussetzte. Auch Einblasen virulenter Kokken 
durch eine Tracheotomiewunde führte nicht ohne Weiteres zu Pneumonie. 
Li pari nahm an, dass die Kälte das Flimmerepithel der Bronchial- 

1) Virchow’s Archiv, ßd. 70. 

2) Münch, med. Wochenschr. No. 49. 1897. 

3) Baumgarten’s Jahresbericht. 1889. 



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Schleimhaut lähme und zugleich eine Schwellung der Schleimhaut hervor- 
rufe, wodurch das Eindringen der Infectionskeime erleichtert würde. 
Lode hält dem entgegen, dass speciell das Flimmerepithel durch Kälte 
nicht geschädigt würde, sei letztere doch das beste Conservirungsmittel 
für dasselbe. 

Auch Lassar 1 ) spricht sich auf Grund seiner Versuche gegen die 
Alleinherrschaft der lnfection aus. Er hatte Kaninchen mit Schwefel¬ 
calcium enthaart, die Thiere längere Zeit in einem heissen Raum ge¬ 
halten und sie dann in einen grossen Kübel eiskalten Wassers gebracht, 
in dem sie bis zum Halse 1—3 Minuten festgehalten wurden. 

Er beobachtete dabei regelmässig Sinken der Aftertemperatur, sowie 
nach Ablauf von 1—2 Tagen eine „anfangs minime, später deutlicher 
und oft sehr hochgradig werdende Albuminurie mit spärlicher Aus¬ 
scheidung von hyalinen Cylindern“. Bei seinen Öbductioncn fand er inter¬ 
stitielle Veränderungen aller Organe. Lassar kommt zu dem Schluss, 
dass „lediglich in Folge jäher Temperaturschwankungen krankhafte Ver¬ 
änderungen und Vorgänge im Körperinnern Platz greifen können. u Er 
stellt sich auf den Boden der Roscnthal’schen Theorie und spricht die 
Ansicht aus, dass die Infectionskeime nicht die alleinigen und ausschliess¬ 
lichen Krankheitserreger sind, dass vielmehr manche Organerkrankungen 
durch rein physikalische Vorgänge und Veränderung der Lebensver¬ 
hältnisse bedingt sein können. 

Dürk 2 ) hatte Kaninchen 16—36 Stunden bei 37° im Brutschrank 
gehalten, wodurch die Temperatur bis auf 41,2° C. stieg, und sie dann 
auf 2—7 Minuten mit dem ganzen Körper exclusive Kopf in Eiswasser 
gebracht. Die Obduction ergab bei allen Thieren pneumonische Ver¬ 
dichtungen in der Lunge, in einzelnen Fällen echte lobäre croupösc 
Pneumonien mit allen histologischen Merkmalen der menschlichen Pneu¬ 
monie. Zweimal konnte er dabei Bact. coli com., einmal Bact. coli com. 
mit einer Sarcine, einmal nur den Friedländer’schen Pneumococcus 
feststellen, in 2 weiteren Fällen konnte die Untersuchung nicht durch¬ 
geführt werden. Er schloss daraus, dass Erkältung sehr wohl eine 
Pneumonie erzeugen kann, indem sie die in der Lunge bereits normaler 
Weise vorhandenen Keime anregt, und er sieht die Ursache hauptsächlich 
in der Wirkung der Temperaturdifferenz (Erhitzung mit sich daran an¬ 
schliessender Abkühlung) auf das Gefässsystem, in einer acuten inten¬ 
siven Hyperämie der Lunge. 

Die Resultate Dürk’s konnten weder von Zillescn 3 ) noch von 
Reineboth 4 ) bestätigt werden. 

Einige Autoren prüften die Frage, ob Abkühlung im Sinne der Er¬ 
kältung das Zustandekommen und den Verlauf von Infectionen, zu denen 
ja die Erkältungen zu rechnen seien, begünstige. 


1) Virchow’s Archiv. Bd. 70. 1880. 

2) Archiv f. klin. Med. Bd. 58. 

3) Cit. nach Chodounsky (Erkältung und Erkältungskrankheiten). 

4) Deutsch. Archiv f. klin. Med. 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


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E. Fischl 1 ) hielt Kaninchen an einem Eisenrahmen gefesselt in 
einem mit schmelzendem Eis umgebenen Blechkasten; nach l / 2 — s / 4 
Stunde war die Rectaltemperatur um ca. 10° C. gesunken. Die Thiere 
erholten sich, und nun spritzte er ihnen, gleichzeitig auch Controllthieren, 
Culturen des Fränkel-Weichselbaura’sehen Bacillus in die Ohrvene. 
In 10 Fällen erfolgte, wahrscheinlich wegen Anwendung abgeschwächter 
oder avirulenter Culturen, überhaupt keine Reaction, in 2 Fällen er¬ 
krankten die Kühlthicre an nicht tödtlicher Pneumonie, während die Con- 
trollen gesund blieben, in 3 weiteren Fällen erfolgte ebenfalls der Exitus 
der abgekühlten Kaninchen, während die Controllthiere zwar auch er¬ 
krankten, aber wieder genasen. Fischl ist vorsichtig genug, um wegen 
der Versuchsanordnung und wegen der erzielten intensiven Abkühlung 
um 10 0 keine weiteren Schlüsse auf die Erkältungskrankheiten zu ziehen. 

A. Lode 2 ) hatte gleichfalls die Beeinflussung der individuellen Dis¬ 
position zu Infectionskrankheitcn durch Abkühlung zum Gegenstand von 
Untersuchungen gemacht. Zur Inficirung benutzte er den Friedländcr- 
schcn Bacillus, den von Fränkel-Weichselbaum, Staphylokokken, 
Tuberkelbacillus, Cholcravibrio, und gelangt zu dem Schluss, dass die 
Disposition zu vielen infectiöscn Erkrankungen durch dauernde oder vor¬ 
übergehende Abkühlung wesentlich erhöht wird; er fand auch, dass eine 
vorherige Erwärmung. Ueberhitzung überflüssig sei; es genügte ihm schliess¬ 
lich zur Abkühlung die Entfernung des natürlichen Schutzapparates, der 
Haare, so dass er auf andere Eingriffe zum Zweck der Abkühlung ver¬ 
zichtete. Das Wesentliche ist für Lode die Störung der Wärmeöconomie, 
die zu einer mehr oder minder starken Herabsetzung der Eigentemperatur 
und dadurch zur Steigerung der Disposition führt. 

Während die bisher erwähnten Untersucher dem Kälteeinfluss eine 
mehr oder minder grosse Bedeutung für die Entstehung der Erkältungs¬ 
krankheiten zuschreiben, verhält sich Chodounsky 3 ) auf Grund seiner 
Thier- und Selbstversuche völlig ablehnend und bestreitet die Möglichkeit 
einer Erkrankung oder Begünstigung einer solchen durch Erkältung über¬ 
haupt. Aus diesem Grunde seien seine Versuche etwas ausführlicher citirt. 

Zunächst studierte er am Thier den Verlauf von verschiedenen In- 
fectionen (Friedländer’scher Bacillus, Fränkel-Weichselbaum , scher 
Bacillus, Hühnercholera, Anthrax, Diphtherie, Bacil. pyocyan. usw.) unter 
dem Einfluss einer der Inficirung vorausgehenden oder nachfolgenden Ab¬ 
kühlung, nachdem die Virulenz der benützten Culturen vorher festgestellt 
war. Die Abkühlung wurde entweder durch kalten Luftzug, dem er 
manchmal ein kaltes Bad vorausschickte, oder durch Eisbäder bewirkt, 
die Thiere jedoch des Haarschutzes nicht beraubt. Die durch Luftzug 
(mit oder ohne Bad) erzielte Temperaturerniedrigung schwankte zwischen 
0,5—1,0 0 C., die durch das Eisbad hervorgerufene zwischen 2,7—8,5 0 C. 
Seine Resultate weichen von den bisher besprochenen in auffälliger Weise 


1) Zeitscbr. f. Heilkunde. Bd. XVIII. 4. 

2) Archiv f. Hygiene. Bd. XXVIII. 1897. 

3) Chodounsky, Erkältung und Erkältungskrankheiten. 1907. 


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ab: von 13 durch Zugluft, also relativ massig abgekühlten Kaninchen, 
die er mit virulenten Fränkel-Weichselbaum’schen Pneumokokken 
intravenös inßcirt hatte, erholten sich drei, von den nicht abgekühlten, 
aber gleichfalls inficirten Controllthieren 2; fünf Controllthiere gingen 
früher zu Grunde als die abgekühlten. Die Sectionsbefunde boten mit 
der einzigen Ausnahme eines Controllthieres, bei dem sehr schwere Ver¬ 
änderungen Vorlagen, keinen Unterschied. 

Die 9 im Eisbad abgekühlten Kaninchen sowie die zugehörigen Con- 
trollen — gleichfalls intravenös mit dem Fränkel-Weichselbaum- 
schen Bacillus inficirt — gingen gleichzeitig ein, ein Controllthier erlag 
18 Stunden früher. 

Auch die mit anderen Erregern angestellten Versuche ergaben für 
den Einfluss der Abkühlung ein negatives Resultat. 

In einer weiteren Versuchsreihe suchte Chodounsky den Einfluss der 
Abkühlung auf die Virulenz abgeschwächter oder auf völlig avirulente 
Keime festzustellen (Bac. Friedländer, Fränkel-Weichselbaum, 
Bac. diphth., Streptokokken). Auch hier lassen die sehr sorgfältig ge¬ 
führten Protokolle keinen Einfluss erkennen, im Gegentheil, der Procent¬ 
satz der gestorbenen Kühlthierc ist weitaus geringer als der der Con¬ 
trollthiere. 

Chodounsky kommt in Folge dessen zu dem Schluss: „Die Er¬ 
gebnisse dieser Thierversuchc sprechen klar gegen die Annahme, dass 
der auf den Schleimhäuten oder in den Organen vegetirendc latente 
Microbismus zu intensiverem Leben angefacht, oder hier befindliche ab¬ 
geschwächte, aber immer noch virulente Bakterien durch Erkältungs- 
factoren virulenter werden könnten.“ 

Auf Grund dieser Thierversuche von der völligen Wirkungslosigkeit 
aller Erkältungsfactoren überzeugt, führte Chodounsky eine Reihe von 
Selbstversuchen aus, die geradezu zur Bewunderung seines Heroismus 
und seiner Willensstärke zwingen. 27 Versuche fallen in die Zeit vom 
November 1899 bis Januar 1900, als Ch. 57 Jahre alt war. Er setzte 
sich wiederholt unmittelbar nach einem kurzen kalten (4 0 C.), warmen 
(32—37 0 C.), heissen (40—45 0 C.) Bade oder nach einer 2 Minuten 
langen Douche von 7 0 C. nackt und nass bei offener Thür und offenem 
Fenster einem scharfen Luftzug bei einer zwischen 4—12 0 C. schwankenden 
Temperatur eine Stunde lang aus, ohne sich irgend welche wesentliche 
Schädigung seiner Gesundheit zuzuziehen. Die Körpertemperatur (wo 
gemessen?) sank beim ersten Versuch, wo er sich nach einem 6 Minuten 
dauernden Bad von 8 0 C. nass und entblösst einem Luftzug von 4 0 C. 
aussetzte, innerhalb 18 Minuten, vom Beginn des Bades an gerechnet, 
von 37,3 auf 34,5 0 C., um allerdings in den nächsten 3 Minuten auf 
36,4 und in weiteren fünf Minuten auf 37,2 0 C. zu steigen. Das Tera- 
peraturmaximum von 37,95 0 war nach 46 Minuten erreicht, und als der 
Versuch nach 60 Minuten abgebrochen wurde, betrug seine Temperatur 
37,2 0 bei 84 Pulsen. Bei keinem der folgenden 26 Versuche trat 
wieder eine solche Teraperaturerniedrigung ein, sie betrug in maximo 
0,5 0 und wurde stets rasch übercompensirt. In den Protokollen finden 
wir Bildung einer Gänsehaut, Zittern und reichliche Schüttelfröste notirt. 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


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Auch die localen Abkühlungsversuchc im Gebiet des N. facialis, 
ischiadicus, in der Nieren- und Herzgegend, führten bei Chodounsky 
zu keiner Erkrankung; es trat weder Facialislähmung noch Ischias noch 
sonst eine Abweichung von seinem normalen Befinden zu Tage. Die 
Abkühlung nahm er in der Weise vor, dass er die in Frage kommenden 
Körperregionen mit Ausnahme des Facialisgebictes heissen Dämpfen bis 
zur Röthung der Haut aussetzte und unmittelbar darnach scharfen Luft¬ 
zug einwirken liess. Die Aussenterapcratur bewegte sich zwischen einem 
Minimum von —15° C. und einem Maximum von -f-5° C. 

Diesen Sclbstversuchen, die sämmtlich negativ ausfielen, hielt 
Ruhemann 1 ) entgegen, dass Chodounsky mangels virulenter und 
culturfähiger Keime in seinen Luftwegen gegen Erkältung geschützt, 
immun gewesen sei. Um diesen Einwand zu widerlegen, wiederholte 
Chodounsky, der nach seinen eigenen Angaben an chron. Bronchial¬ 
katarrh leidet, im Februar-März 1906 diese Experimente unter Berück¬ 
sichtigung seines latenten Microbismus. Sowohl vor als auch während 
der Versuche züchtete Honl 2 ) aus dem Sputum sowie von der Tonsille 
die verschiedensten Bacterien (Pyocyancus, Fluorcscens, Streptococcus, 
Staphylococcus aureus und albus, u. s. w.). Die Proceduren bestanden 
in Bädern von 2 °, 5°, 9°, 40 0 und 41 0 C. von ca. 5 Minuten Dauer; 
unmittelbar darnach stellte er sich, nackt und nass, wie er war, in einen 
scharfen Luftzug bei Temperaturen von 0°, 0,5°, 1°, 1,5° und 10° C.; 
die einzelnen Versuche dauerten zwischen 38—54 Minuten, sie waren völlig 
negativ und blieben, von einer einmaligen geringen Verschlimmerung des 
chronischen Bronchialkatarrhs abgesehen, ohne Einfluss auf den Gesund¬ 
heitszustand. Es erscheint mir bemerkenswerth, dass keines der kalten 
Bäder zu einer auch nur vorübergehenden Herabsetzung der Körper¬ 
temperatur führte, ein Beweis für die Abhärtung und Gewöhnung. 

Man kann es wohl begreifen, wenn Chodounsky abschliessend 
sagt: „Erkältungsfactorcn, wie sic klinisch definirt sind, schädigen nicht 
und sind ausser Stande, den Organismus des Menschen zu schädigen, 
und zwar in keiner Hinsicht, verursachen direct keine Erkrankung und 
schaffen auch keine Disposition für Krankheiten überhaupt und für In- 
fectionskrankheiten speciell.“ Für ihn sind alle Erkältungskrankheiten 
Infeetionskrankheiten. Die abweichenden Resultate der anderen Unter¬ 
sucher erklärt er durch die Versuchsanordnung; er verwirft ihre Beweis¬ 
kraft für die Erkältungsfrage mit der Begründung, dass die Art und 
Weise der Abkühlung in diesen Experimenten mit dem thatsächlichen 
ErkältungsVorgang nichts gemein habe, und dass durch die Versuchs¬ 
anordnung an sich die Lebensvorgänge der Thiere schon in brutaler Weise 
geschädigt würden. 

Welche Vorstellung macht man sich von dem Mechanismus der 
Erkältungskrankheiten? Wie wirkt der Kältefactor? In welchem Ver¬ 
hältnis steht die Kälteeinwirkung zu den bacteriellen Erregern, oder, 


1) Zeitschr. f. phys. u. diät. Ther. 1904. S. 333. 

2 ) Chodounsky, Erkältung u. Erkältungskrankh. 1907. 


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um mich modern auszudrücken, welches Verhältnis besteht zwischen der 
physikalischen und raikrobischen Componente? 

Die Hydrotherapie, deren hohe Bedeutung im Heilschatz kein 
denkender Mensch bezweifelt, bedient sich sogenannter Kaltreize in aus¬ 
gedehntem Maasse. Dabei ist das ganze Streben darauf gerichtet, die 
„Reaction 44 zu erzielen, das heisst, es soll sich in jedem Fall an das 
Erblassen der Haut, an die Contraction der Hautgefässe — die unmittel¬ 
bare Folge der Kälteeinwirkung — eine Röthung der Cutis, eine active 
Erweiterung der Hautgefässe, die mit Beschleunigung der Circulation 
einhergeht, anschliessen; es soll also auf die Anämie sofort eine Hyper¬ 
ämie folgen. Es handelt sich stets um ganz kurze, aber intensive Kälte¬ 
einwirkungen, der Effect ist um so besser, je kürzer und intensiver der 
Reiz; die Reaction ist gering oder bleibt aus bei schwachem, wenn auch 
langdauerndem Reiz. Mit dem Eintreten der Reaction kommt es zu 
einem wohligen, behaglichen Wärmegefühl; bei mangelnder Reaction ent¬ 
steht Kältegefühl und Frieren, Frösteln. Junge, kräftige, gesunde Indi¬ 
viduen reagiren prompt, schwächliche und ältere schlecht oder gar nicht. 
Da letzteres unter allen Umständen vermieden werden muss, so hilft 
sich der Hydrotherapeut damit, dass er solche Individuen durch eine 
kurz dauernde Packung oder ein kurz dauerndes Glühlichtbad vorwärmt. 
Weiterhin wird aus diesem Grunde die Application von Kälteproceduren 
mit Frottirungen verbunden, ferner wird noch als Prophylacticum gegen 
Erkältung nach hydriatischen Maassnahmen ein Spaziergang empfohlen, 
auf heisse Proceduren lässt man stets noch einen kalten Reiz folgen. 

Um solch kurze, genau dosierte Kälteeinwirkungen handelt es sich 
beim Zustandekommen der Erkältung natürlich nicht, im Gegentheil, 
meist sind es relativ wenig intensive Reize von ziemlich langer Dauer, 
welche zu Gesundheitsstörungen führen. 

Einzelne Autoren waren der Ansicht, dass einen Körper nur dann 
eine Erkältung treffen könne, wenn er vorher überhitzt sei. Während 
Falk 1 ) der Ueberhitzung und gleichzeitigen Ermüdung insofern eine 
wesentliche Bedeutung beimisst, als bei ihnen die „Erkältung am 
schädlichsten 4 * sei, während Lassar und Fischl bei ihren Experimenten 
die Thiere vorher erwärmen, also stillschweigend eine vorausgehende Er¬ 
hitzung für nöthig halten, sagt Eisenraann 2 ) ausdrücklich, dass nicht 
die Kälte an sich, sondern die Einwirkung einer relativ niederen Tempe¬ 
ratur auf den erhitzten Organismus Krankheit erzeuge, und auch Dürk, 
der die Begriffe „Abkühlung 44 und „Erkältung 44 strenge trennt, ist dieser 
Meinung. Er sagt: „Wenn jemand seinen Körper einer sehr niedrigen 
Temperatur aussetzt, so wird er eine starke Abkühlung erleiden, ohne 
dass deswegen eine Erkältung einzutreten braucht. Wenn aber jemand 
in sehr erhitztem Zustand, z. ß. nach einem Aufenthalt in einem sehr 
warmen Raum oder nach starker körperlicher Bewegung, also mit stark 
dilatirten Hautgefässen, seine Körperoberfläche mit einem Medium von 


1) Ueber Entstehung von Erkältungskrankheiten, Arcb. f. Anatomie u. Physio¬ 
logie. 1874. 

2) Arch. f. wissensch. Heilkunde. Bd. V. 2. 1861. 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


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wesentlich niederer Temperatur in Berührung bringt, dann setzt er sich 
einer Erkältung aus. Der Wärmeverlust ist jetzt in der Zeiteinheit ein 
sehr grosser, sehr plötzlicher, die erhitzte Körperoberfläche verliert durch 
Leitung und Strahlung eine sehr bedeutende Menge der in ihr aufge¬ 
speicherten Wärme.“ 

Lode 1 ) konnte im Thierexperimente zeigen, dass diese voraus¬ 
gehende Erhitzung des Körpers nicht nöthig ist. Aber auch die tägliche 
Erfahrung spricht nicht völlig im Sinne Dürk’s. Denn nicht alle Leute, 
die überhitzt oder in Schweiss gerathen sich einer Erkältungsmöglichkeit 
aussetzen, erkälten sich, und umgekehrt befanden sich sicherlich nicht 
alle Erkälteten vorher in erhitztem Zustand. Auch die Hydrotherapie 
zeigt, dass die Dürk’schc Erklärung nicht absolut zutrifft. Deshalb 
kann sie nicht ohne Weiteres als allgemein gütig anerkannt werden, 
wenn man auch zugeben muss, dass eine grosse Anzahl von Erkältungen 
auf der Basis einer vorausgehenden Erhitzung zu Stande kommt, freilich 
bei weitem nicht in einem auch nur annähernden Verhältniss zur ge¬ 
gebenen Möglichkeit. 

Ausserdem kommen als Erkältungsfactoren in Betracht schlechtes, 
id cst feuchtes Wetter bei niedriger Temperatur (Feuchtigkeit der Luft 
und des Bodens), langdauernder kühler Luftzug und Durchnässung, sei 
sie partiell oder total. Die insensiblen Luftströmungen Rubner’s, 2 3 ) die 
bei längerer Dauer trotz Mangels jeglichen Luftzugs doch als unangenehm 
und kühl empfunden werden, dürften kaum in Frage kommen; Rubner 
selbst ist geneigt, ihnen höchstens bei niederer Aussentemperatur eine 
gewisse Bedeutung beizulegen. Trockene Kälte kann nicht hierher ge¬ 
rechnet werden; denn gerade die schönsten Wintertage sind durch 
trockene Kälte charakterisirt. Wenn sie Schaden stiftet, so geschieht 
dies, nachdem die ursprüngliche Hautgefässcontraction in eine passive 
Dilatation mit Stromverlangsamung übergegangen ist, meist in Form 
localer Erfrierungen, z. B. der Ohren, Nase, Wangen, Bildung von Frost¬ 
beulen, oder sie führt bei entsprechender Intensität nach Eintreten von 
starkem Ermüdungsgefühl und Schlafsucht durch Lähmung aller Centren 
zum Erfrierungstod. Scharfe Winde lösen in der Regel eine prompte 
Reaction aus und spielen als Erkältungsfactoren nur dann eine Rolle, 
wenn sie ein im Ruhezustand befindliches Individuum treffen, um so 
mehr, wenn dieses erhitzt ist. 

Welcher Grad und welche Art von Kältceinwirkung im Einfelfall 
zur Erkältung führen kann, hängt von den verschiedensten, uns zum 
Theil unbekannten Bedingungen ab, nicht zuletzt von der Eigenart des 
Individuums. Aus diesem Grunde ist eine erschöpfende Aufzählung der 
Erkältungsmöglichkeiten nicht durchführbar. 

Bei der ßeurtheilung des Effects der Kältewirkung war der Gedanke 
an die Wärmeentziehung, an die Herabsetzung der Körpertemperatur das 
Nächstliegende. Flügge 8 ) ist der Ansicht, dass „Erkältung wesentlich 


1) Arch. f. Hyg. Bd. 28. 1897. 

2) Arch. f. Hyg. Bd. 50. 1904. 

3) Grundriss der Hygiene. S. 83 


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durch gewisse zu intensive und zu anhaltende Wärmeentziehungen von 
der Haut aus zu Stande kommt. u Auch Lode meint, dass der Wärme¬ 
entziehung, die sich in der Herabsetzung der Körpertemperatur ausdrückt, 
eine grosse Bedeutung zukommen kann, wenn er sagt, dass in der Störung 
der Wärmeoconomie die Ursache der erhöhten Disposition liegt. Ich bin 
der Meinung, dass eine solche die Körpertemperatur wesentlich herab¬ 
setzende Wärmeentziehung in praxi zumeist eine für das Zustande¬ 
kommen der Erkältung belanglose, nicht nothwendige und, wenn sie 
überhaupt vorhanden, meist secundäre Erscheinung ist als Ausdruck 
einer ganz besonders starken Schädigung. Sicherlich kommt die Er¬ 
niedrigung der Eigentemperatur, wie auch Lode sagt, nur bei einem ganz 
geringen Procentsatz von Erkältungen vor. Die vorliegenden Thier¬ 
experimente gestatten keine entsprechenden Schlüsse. 

Wir wissen, dass, wenn ein höher organisirtes Thier oder der Mensch 
mit einem niedriger temperirten Medium in Berührung kommt, dieses 
jenem Wärme zu entziehen trachtet. Bei leblosen Gegenständen, bei 
Kaltblütern beginnt ein Ausgleich, der Warmblüter aber zeigt das Be¬ 
streben der Constanterhaltung seiner Eigentemperatur. Dies wird ihm 
innerhalb weiter, individuell verschiedener Grenzen durch seinen Wärme¬ 
regulationsapparat ermöglicht. Er verhindert durch sein physikalisches 
Regulationsverraögen, bestehend in der Hautgefässcontraction und in der 
consecutiven Verminderung der in der Haut circulirenden Blutmenge, zu¬ 
nächst den Contact des Blutes mit der Kälte und damit grösseren 
Wärmeverlust; je nach der Dauer und Intensität des Vorganges ist er 
recht verschieden. Bei genügender physikalischer Regulation ist er gleich 
Null, bei ungenügender oder versagender kann er sehr bedeutend werden; 
naturgemäss ist die Temperatur der Haut, die von der Kälte direct ge¬ 
troffen und mit Blut schlecht versorgt wird, stets erniedrigt. 

Man hat sich lange darüber gestritten, ob die physikalische oder 
chemische Wärmeregulation für die Constanterhaltung der Eigentemperatur 
ausschlaggebend sei. Bei diesen Untersuchungen mussten alle willkür¬ 
lichen Bewegungen, wie sie der Mensch bei intensiver Kälteeinwirkung 
fast automatisch vornimrat, als Wärmequellen ausgeschaltet werden. Die 
Discussion, an der sich Männer wie Zuntz, Röhrig, Pflüger, Voit, 
Senator, Speck betheiligt hatten, fand ihren Abschluss durch eine 
Arbeit Löwis 1 ), der zeigte, dass gegenüber dem physikalischen Verhalten 
der Haut die chemische Regulation stark in den Hintergrund tritt. Bei 
geringer Wärmeentziehung sei die Compensation durch Einschränkung 
der Wärmeabgabe vollkommen, weniger vollkommen bei intensiver 
Wärmeentziehung. Alsdann vermag aber die chemische Wärmeregulation 
unter der Voraussetzung, dass das betreffende Individuum sich ruhig 
verhält, also nicht durch Muskelbewegungen Wärme producirt, den Ver¬ 
lust bei Weitem nicht auszugleichen. So weist Alles auf die ausschlag¬ 
gebende Bedeutung der physikalischen Eigenschaften der Haut hin. 

Es existiren aber auch eine Reihe von Thatsachcn, die beweisen, 
dass Herabsetzung der Körpertemperatur durchaus nicht immer krank 


1) Pflüger’s Arch. Bd. 4G. 18 ( J0. 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


331 


macht oder dass bei eintretender Erkältungskrankheit in Wirklichkeit 
nicht immer eine solche vorhanden war. Die Frage ist eben die, ob in 
jedem einzelnen Fall eine solche nöthig ist, und ob sie in jedem Fall 
zu Erkältung führt. Diese Frage muss sicher verneint werden. 

So berichtet Kn oll 1 ), dass er bei Kaninchen durch Infusion von 
kalter physiologischer Kochsalzlösung (3—4° C., meist zwischen 0—2° C.) 
die Rectaltemperatur innerhalb 107—150 Minuten um 12° bis auf 25° 
erniedrigen konnte. Er beobachtete dabei Herabsetzung der Schlag¬ 
zahl des Herzens und Dehnung der Systole und bei rascher Er¬ 
niedrigung der Bluttemperatur (etwa 1° in 10 Minuten) eine Verringerung 
der sonst bei Infusionen vermehrten Harnsecretion, aber keine Organ¬ 
veränderungen. 

Einige abgekühlte Thiere Chodounsky’s blieben trotz Wärme¬ 
verlust bis zu 5° C. gesund. Die Temperaturmessungen bei meinen 
eigenen später zu besprechenden Abkühlungsversuchen der Hinterbeine von 
Hunden lassen eine Herabsetzung der Körpertemperatur als Grundbedingung 
für das Zustandekommen einer Erkältungskrankheit kaum erkennen. 

Bei langdauernden Operationen sinkt unter dem Einfluss der Narkose 
die Körpertemperatur oft bis auf 35°; trotzdem hören wir nur selten 
von postoperativen Erkältungskrankheiten, ist doch auch die Aetiologie 
der Pneumonie nach Laparotomie noch nicht aufgeklärt! 

Auch vom bacteriellen Standpunkt Hesse sich eine solche Annahme 
nicht aufrecht erhalten. Die raenschenpathogenen Keime haben ihr 
Optimum bei Körpertemperatur; und nun sollen sie erst dann ihre 
Wirkung entfalten oder sich vermehren, wenn die Körpertemperatur unter 
dieses Optimum gefallen ist? Ein solches Doppelspiel treibt die Natur 
nicht. Der frühere Tod der abgekühlten und zugleich inficirten Versuchs- 
thiere gegenüber den nicht abgekühlten ist gewiss auf die fortschreitende 
Abkühlung zurückzuführen, die auch für sich allein den Exitus herbei¬ 
zuführen im Stande gewesen wäre. Solche Versuche haben mit Erkältung 
sicher nichts zu thun. 

Von den vielen hierher gehörigen Thierversuchen will ich nur an 
den Pasteur’schen 2 ) Milzbrandversuch an den normaler Weise gegen 
Anthrax immunen Hühnern erinnern, der Anfangs ganz falsch verstanden 
wurde. Die Hühner, deren Normaltemperatur bei 39° liegt, erlagen der 
Anthraxinfection erst, wenn sie auf 37° abgekühlt wurden. Der Effect 
der Abkühlung war allerdings eine Herabsetzung der Körpertemperatur, 
aber sie begünstigte oder ermöglichte die Infection lediglich dadurch, 
dass sie das Huhn auf das Temperaturoptimum des Milzbrandbacillus 
brachte. Die auf höherer Eigentemperatur beruhende Immunität des 
Huhns existirt nicht gegenüber Milzbrandbacillen mit einem Temperatur¬ 
optimum bei 40—41°, deren Züchtung zuerst Dieudonne 3 ) gelang. 

Von grosser Bedeutung für die Erkältungsfrage sind die Anpassungs¬ 
versuche. Nachdem Rosenthal festgestellt hatte, dass der wiederholte 


1) Arch. f. exp. Path. Bd. 36. 

2) Bull, de Pacad. de med. No. 12. 

3) Arb. aus d. K. Gesundheitsamt. IX. 1894. S. 492. 


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332 W. Siegel, 

Aufenthalt in überhitzten Räumen bei Weitem nicht mehr so unangenehm 
empfunden wird wie beim ersten Mal, zeigte Nasaroff 1 ), dass gut ge¬ 
nährte Thiere wiederholten Abkühlungen gegenüber schliesslich sich fast 
refractär verhalten; der anfängliche Tcraperaturverlust von ca. 3° C. 
nach eiskaltem Bad verminderte sich zusehends und betrug schliesslich 
höchstens noch 0,5°, wenn es überhaupt zu einem solchen kam. Diese 
Gewöhnung an Kälteeinwirkung, eine Umschreibung für Abhärtung, tritt 
bei schlecht ernährten Thieren niemals ein. Während Nasaroff glaubt, 
dass das Temperaturgleichgewicht hierbei durch die chemische Regulation 
aufrecht erhalten würde, sind Drurig und Lode 2 ), welche die Ergeb¬ 
nisse Nasaroff’s bestätigen konnten, gestützt auf ihre Respirationsver¬ 
suche bei wiederholten kalten Bädern der Meinung, dass die verminderte 
Wärmeabgabe ausschlaggebend sei; sie sagen ausdrücklich, dass der Vor¬ 
gang der Anpassung bei Hunden in physikalischen, nicht in chemischen 
Leistungen des Organismus zu suchen sei und dass er in naher Be¬ 
ziehung zu jenem Erscheinungscomplex stehe, den man als Abkühlung 
bezeichnet. Sie stellen sich vor, dass die durch Kälteeinwirkung hervor¬ 
gerufene Hauptgefässcontraction längere Zeit bestehen bleibe und der 
Uebergang in den Zustand der Erweiterung immer etwas später erfolge. 

An dieser Stelle seien auch die gewiss interessanten Untersuchungen 
von Fürst 3 ) erwähnt über die anatomischen Vorgänge in der Haut nach 
wiederholter Application von Kälte. Beim Menschen wie beim Säuge¬ 
thier überhaupt fand er eine Verdickung der Epidermis bis auf das Acht¬ 
fache, der Hauptsache nach bedingt durch starke Grössenzunahme der 
einzelnen Zellen, in zweiter Linie durch vermehrte Neubildung derselben. 
Das Corium blieb unverändert, an den Gefässen bestand nur Hyper¬ 
ämie, Exsudation war nicht vorhanden. 

Es ist ausser Frage, dass diese für den Warmblüter experimentell 
bewiesene Anpassungsfähigkeit ebenso wie die durch wiederholte Kälte¬ 
einwirkung hervorgerufene Epidermisverdickung von immensem Werth 
sind; sie bilden die Grundlage dessen, was man Abhärtung nennt und 
sind ein mächtiger Schutz gegen Erkältung, speciell zeigt das Ausbleiben 
der Anpassung bei schlecht ernährten Thieren, für den Fall, dass es er¬ 
laubt ist, beim Thierexperiment gewonnene Erfahrungen auf den Menschen 
zu übertragen, warum Menschen von schwacher Constitution oder in 
schlechtem Ernährungszustand sich absolut nicht abhärten können und 
schon bei der geringsten Herabsetzung der Aussentemperatur intensiv 
frieren und frösteln. Ein „dickes Fell“ schützt eben vor Mancherlei. 

Wenn auch entsprechende Untersuchungen am Menschen fehlen, so 
spricht doch Alles dafür, dass die durch die Einwirkung des Erkältungs¬ 
factors bedingte Wärmeentziehung gering ist, von Ausnahmefällen abge¬ 
sehen nur die Haut trifft und für die Erkältungsfrage nicht in ihrer die 
Körpertemperatur herabsetzenden Eigenschaft in Frage kommt, vielmehr 
in ihrem rein physikalischen Effect auf die Haut. Dieser äussert sich, 


1) Virchow’s Arch. Bd. 90. 

2) Arch. f. Hyg. Bd. 39. 1900. 

3) Zieglers Beiträge. Bd. 24. 1898. 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


333 


wie bekannt, in der Contraction der Hautgefässe. Die Folge ist die 
Verdrängung des daselbst circulirenden Blutes, eine Anämisirung der 
Haut. Die Zeitdauer dieser schwankt in uns unbekannten, individuellen, 
aber durch Uebung und Gewöhnung modificirbaren Breiten. Es ist nicht 
gesagt, dass dem Fortfall des Reizes die active Erweiterung der Haut¬ 
gefässe, die Regulirung der Circulation auf dem Fuss folgen muss. Mit 
Bestimmtheit lässt sie sich erzielen, wenn wir sie nicht dem Organismus 
selbst überlassen, sondern wenn wir einen starken Gegenreiz anwenden. 
Bei langdauernder Einwirkung der Kälte kommt es zur Lähmung der 
Vasomotoren, zur passiven Dilatation. 

Winternitz hatte angenommen, dass das aus der Haut verdrängte 
Blut sich in die benachbarten Muskelgebiete ergiesse, doch haben neuer¬ 
dings Ottfried Müller 1 ) und sein Schüler Bruns 2 ) durch pletysmo- 
graphische Untersuchungen am Arm gezeigt, dass dies nicht der Fall 
sei. Vielmehr findet die Rückstauung nach den inneren Organen statt. 
Für das Lungengebiet und für das Gefässgebiet der Pia mater ist dies 
längst experimentell bewiesen. Rossbach und Aschenbrandt 3 ) konnten 
an der Katze, deren Trachea bis zur Bifurcation freigelegt war, deraon- 
striren, dass Application eines Eisumschlags auf das Abdomen zunächst 
eine raschest verschwindende Anämie, dann aber eine langanhaltende 
Hyperämie, verbunden mit reichlicher Schleirasecretion, hervorrufe; er¬ 
setzten sie den Eisumschlag durch einen heissen Ziegelstein, so ver¬ 
schwand diese Hyperämie, um mit dem Auflegen von Eis wieder zu 
erscheinen. 

Die Versuche Schüller’s 4 5 ), der am Kaninchen bei Kälteapplication 
auf die Haut active Erweiterung der freigelegten Gefässe der Pia mater 
sah, wurden von Fredöric 6 ) bestätigt. 

Erfahrungsgemäss ist das Respirationsgebiet, von der Nase ange¬ 
fangen, der Hauptsitz der Erkältungskrankheiten. Man könnte daran 
denken, dass der Contact der Nasen- und vielleicht auch noch der 
Nasen-Rachenschleirahaut, bei aufgehobener Nasenathmung auch des 
Kehlkopfes, mit der kalten Luft die Ursache der Erkältungen sei. Sobald 
aber die eingeathraete Luft die Nase passirt hat, dürfte sie dank der 
vorwärmenden Function der Nase normaler Weise schon auf Körper¬ 
temperatur gebracht sein. Tritt ein Mensch in strenger Winterkälte in’s 
Freie, so kommt es wohl innerhalb kurzer Zeit zu einer reichlichen Ab¬ 
sonderung aus der Nase Diese hat jedoch nichts mit einem Schnupfen 
zu thun; denn es fehlen nicht nur die bekannten Prodroraalerscheinungen 
der Coryza acuta, sondern auch der Verlauf ist ein anderer. Das Secret 
ist dünnflüssig, wasserhell, beim Schnupfen zäh-schleimig und schliesslich 
eitrig. Diese auf rein vasomotorischen, nicht entzündlichen Vorgängen 
beruhende Hypersecretion nimmt mit dem Betreten eines temperirten 


1) Leyden’s Zeitschrift. Decembcr 1907. 

2) Leyden’s Zeitschrift. Docember 1907. 

3) Monatsschr. f. Ohrenheilk. 1881. 

4) Arch. f. klin. Med. Bd. 14. 1874. 

5) Manipul. de phys. 1892. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 2‘2 


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Raumes ein rasches Ende. Bei ausgesprochener Mundathmung reagirt 
die Rachenschleimhaut beim Einathmen kalter Luft wie beim Genuss zu 
kalter Getränke mit Kälteschmerz und wie die Nasenschleirahaut mit 
vorübergehender Hypersecretion. Dass bereits vorhandene chronische 
Reizzustände, Entzündungen durch locale Kälteeinwirkung exacerbiren, 
dass Rachenkehlkopf- und Luftröhrenkatarrhe durch kalte Getränke, 
Champagner, Eis stets verschlimmert * werden, ist als sicher an¬ 
zunehmen. 

Sänger und Sängerinnen sehen bekanntlich in der Einwirkung von 
kalter oder Zug-Luft unmittelbar nach einer anstrengenden Production 
ihren ärgsten Feind; sie suchen sich durch Ausschaltung der Mund¬ 
athmung zu schützen, indem sie den Mund mit einem Taschentuch fast 
hermetisch abschliessen. Weit wichtiger ist es aber, den ganzen Körper 
zu schützen. Dass diese Kategorie von Menschen zu Laryngitiden be¬ 
sonders disponirt sind, lässt sich nach der herrschenden Anschauung mit 
der durch Anstrengung oder Ueberanstrengung geschaffenen localen Dis¬ 
position im Larynx erklären. Dabei ist Erhitzung des Körpers kein un¬ 
bedingtes Erforderniss. Schliesslich verweise ich für diese Frage auf die 
früher erwähnten Versuche von Heidenhain. 

Wir müssen also auch für die mit der Aussenluft in directer Ver¬ 
bindung stehenden Organe annehmen, dass ihre Schädigung im Allge¬ 
meinen nicht auf dircctem Weg durch Einathmung kalter Luft erfolgt, 
sondern indircct durch Einwirkung des Kältefactors auf die Haut, gleich¬ 
viel an welcher Stelle. 

Das Respirationsgebict erscheint mir für das Studium des Er¬ 
kältungsproblems trotz seiner bevorzugten Stellung im Rahmen der Er¬ 
kältungskrankheiten am allerwenigsten geeignet, und zwar aus dem ein¬ 
fachen Grunde, weil in den oberen Luftwegen stets pathogene, wenn 
auch nicht stets vollvirulcnte Keime vorhanden sind. So wenig in der 
grössten Mehrzahl der Fälle an der Mitwirkung der ßacterien gezweifelt 
werden kann, eben so wenig ist das Maass des Einflusses derselben ab¬ 
zugrenzen und zu fixiren, und cs dürfte kaum jemals gelingen, im Ex¬ 
periment fcstzustellcn, welcher Antheil in jedem einzelnen Falle von Er¬ 
kältung der Kältewirkung oder dem Bacterium zukorarat. Zwei weitere, 
von der Wirklichkeit abweichende Punkte, die bei der Beurthcilung der 
vorliegenden Versuche zur Vorsicht mahnen, sind die Art der lnficirung 
und Abkühlung der Vcrsuchsthiere. Die Thiere werdon mit Keimen bekannter 
Virulenz beschickt. Sind trotz der gleichen Giftigkeit die Resultate schon 
verschieden, indem die einzelnen mit derselben Kultur inficirten Thiere 
sich nicht gleichmässig verhalten, so ist ein Vergleich mit dem Alltäg¬ 
lichen auch deshalb nicht statthaft, weil die lnficirung vermuthlich mit 
mehr Keimen geschieht als in praxi, und weil wir Keime von bekannter 
Virulenz benützen, während uns von den im Einzelfall thatsächlich 
parasitirenden Bacterien wohl die Pathogenität, aber nicht die Virulenz 
bekannt ist. 

Die Art und Weise, wie man die Abkühlung vornahm (Entfernung 
der Haare, Erniedrigung der Körpertemperatur um 10° C.), entspricht 
gleichfalls nicht der Wirklichkeit; die dadurch gesetzte Schädigung ist 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 335 

an sich so gross, dass man sich über den Ausgang der Versuche nicht 
zu wundern braucht. 

Wann die Keime, die für die Erkrankung in Frage kommen, sich 
ansiedcln, darüber lässt sich nichts Bestimmtes sagen. Sie können zur 
Zeit des Kältetraumas schon vorhanden gewesen sein, sie können sich 
kurz vorher oder nachher festgesetzt haben. Dass die Nase und auch 
die Mundrachenhöhle stets pathogene Keime enthält, ist längst fest¬ 
gestellt; weniger sicher und gewiss ist dies für die tieferen Respirations¬ 
wege. Zwar sagt Dürk, dass die Lunge nicht das keimfreie Organ ist, 
für das man es gewöhnlich hält; aber dies ist nicht die Regel, und ich 
verweise auf die Mittheilungen von Fr. v. Müller, nach denen von 
anderer Seite vorgenommene Plattenimpfungen mit möglichst steril ent¬ 
nommenen Organtheilen negativ ausficlen. Ich erinnere auch an die 
bereits erwähnten Einspritzungsversuche mit virulenten Pneumokokken 
oder Pneumoniesputum in die Thiertrachea. 

Ruhemann 1 ) nimmt hypothetische, bis jetzt noch unbekannte, für die 
Erkältungskrankheiten specifische Keime an; er nennt sic kurzweg „Er¬ 
kältungserreger“. Sie sollen im Respirationsgebiet stets vorhanden sein 
und entweder selbst oder durch ihre Toxine wirken. 

Wenn wir also bei der Annahme bleiben, dass der latente Mikro- 
bismus nur für die oberen Luftwege bewiesen ist, erhebt sich die Frage: 
wie wirkt die Erkältung auf diese Keime ein? Wodurch werden sic 
mobil? virulent? Wodurch wird die abgeschwächte Virulenz gesteigert? 

Nur vereinzelt wird die Bedeutung des Kältemoments für völlig be¬ 
langlos gehalten und Erkältung mit lnfection identificirt (Chodounsky, 
Kisskalt). Andere Autoren (Schenk, Ruheraann, Kohnstamm) 
lassen immerhin eine, wenn auch nicht grosse oder gar ausschlaggebende 
Bedeutung desselben zu und sagen, dass für das Zustandekommen 
einer sogenannten Refrigerationskrankheit das Zusammentreffen zweier 
Componenten nöthig sei, der mikrobischen und physikalischen Com- 
ponente. Ohne mich auf die Dürk’schen Versuche, die bekanntlich 
keine Bestätigung fanden, zu stützen, hoffe ich durch meine später zu 
schildernden Versuche einwandfrei zeigen zu können, dass die mikrobische 
Componente sicher nicht für alle Erkältungskrankheiten in Frage kommt, 
und dass es auch Erkältungskrankheiten ohne bacterielle Mitwirkung 
giebt. 

Schon Runge 2 ) hatte deutlich ausgesprochen, dass lediglich das 
Verhalten der Circulation nach Einwirkung der Kälte auf die Haut dar¬ 
über entscheidet, ob eine Erkältung zu Stande kommt oder nicht. 
Allenthalben hält man daran fest, dass die Circulationsver- 
schiebung, die unter dem Einfluss der Kältewirkung auf die 
Haut eintretende Hyperämie im Respirationsgebiet von ein¬ 
schneidender Bedeutung für die Entstehung von Erkältungen 
daselbst ist. Da nun Hyperämie an sich gesunde Organe nicht 
krank macht, so muss sie, wenn sie überhaupt Einfluss haben 


1) Ist Erkältung eine Krankheitsursache und inwiefern? Tbieme, Leipzig 1898. 

2) Ziemssen’s Arch. Bd. XII. 

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soll, in irgend einem Zusammenhang mit der Entwickelung 
und Thätigkeit der Bacterien stehen. 

Während Hofb au er 1 ) annimmt, dass sie zu vermehrter Ansiedelung, 
zu vermehrter Anschwemmung von Keimen führe, behauptet Kisskalt 2 ) 
auf Grund von Versuchen, bei denen nach Durchschneidung von Nerven 
mit vasomotorischen Fasern (Ischiadicus) und sich anschliessender In- 
jection von Bacterien gerade im Verbreitungsgebiet dieser Nerven eine 
arterielle Hyperämie und gleichzeitig eine auffallend starke Ansiedelung 
von Keimen entstand, dass es sich um eine locale Vermehrung handelt, 
begünstigt durch die bei der arteriellen Hyperämie im Gegensatz zur 
venösen gesteigerten Alcalescenz des Blutes, welche die Gewebe schädige 
und so den Boden für die Entwickelung der Bacterien schaffe, und 
weiterhin begünstigt durch die in hyperämischen Bezirken verbesserten 
Ernährungsbedingungen in Folge vermehrter Sauerstoffzufuhr. 

Gegen die Annahme, dass diese Hyperämie die Entstehung von 
Erkältungskrankheiten im Respirationsgebiet begünstige und die Ent¬ 
wickelung und Virulenz der Bacterien steigere, hat man neuerdings die 
Bi er’sehe Lehre von der Hyperämie als Heilmittel in’s Feld geführt, 
und dadurch eine völlig unbegründete Verwirrung hervorgerufen. Denn 
in Wirklichkeit besteht durchaus kein Widerspruch. 

Bier ging von dem Gedanken aus, die Hyperämie sei zwar ein 
nützlicher Vorgang, aber so, wie sie auftrete, sei sie zu schwach, um 
Entzündungen erfolgreich hintanzuhaltcn. Deshalb verstärkte er sie. 
Während er ursprünglich nur die künstlich gesteigerte arterielle Hyperämie 
anwandte, musste er sich bald von der Ueberlegenheit der venösen 
(Stauungs-) Hyperämie überzeugen, weiterhin auch davon, dass die An¬ 
wendung der arteriellen Hyperämie bei acuten Entzündungen sehr viele 
Misserfolge brachte. Deshalb empfiehlt er bei acuten, resp. bakteriellen 
Erkrankungen die Stauungshyperämie, bei chronischen Entzündungen, resp. 
deren Folgezuständen die arterielle Hyperämie. Letztere wirkt resorbirend 
z. B. bei chronischen Gelenkentzündungen, ersterc heilend auf Infections- 
krankheiten. Die entzündliche Hyperämie ist nach Bier in letzter Linie 
nicht activ, sondern passiv 8 ), der Entzündungsreiz verwandelt den an¬ 
fänglich schnelleren Blutstrom allmählich in einen langsameren. Dann 
erst, wenn es zur Stroraverlangsamung gekommen ist, beginnt die Aus¬ 
wanderung der Leukocyten, der Durchtritt von Serum, dann erst ent¬ 
faltet die Hyperämie bei acuten Entzündungen ihre Heilwirkung. 

Bier sucht auch die längstbekannte Thatsache, dass nach gewaltigen 
Anstrengungen, welche ja mit functioneller Hyperämie einhergehen, nicht 
selten Infectionskrankheiten an den überanstrengten Theilen entstehen, 
mit seiner Lehre in Einklang zu bringen und sagt, die. functionellc 
Hyperämie in den durch Ueberanstrengung geschädigten Geweben sei 
eben nicht im Stande, die Entstehung jener Krankheiten zu verhindern; 
die Natur verwende ihre volle Kraft stets nur auf eine Function, in 

1) Wiener klin. Wochenschr. 1899. No. 5. 

2) Arcli. f. llvg. Bd. 39. 

3; Bier, Hyperämie als Heilmittel. G. Aull. S. *227. 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


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unserem Falle auf die Arbeit, und habe deshalb für die Abwehr von 
Erkrankungen nichts mehr übrig. 

Dass Hyperämie nicht vor Infection, vor Entzündung schützt, dafür 
lassen sich auch Beispiele anführen. Ebenso selten, wie die Mamma in 
der Norm der Sitz von Infectionen ist, ebenso häufig entstehen Abscesse 
bei stillenden Frauen, und niemand zweifelt, dass die Mamma in der 
Lactationsperiode bereits hyperämisch ist. Dabei ist die künstlich ge¬ 
steigerte Hyperämie, die Stauungshyperäraie, rechtzeitig an¬ 
gewandt, das beste Heilmittel. Eine eben erst abgeheilte oder 
chronische Gonorrhoe flackert sehr oft nach Erectionen oder nach einem 
Coitus wieder auf, beides doch gewiss mit Hyperämie verbundene Zu¬ 
stände. 

Aus diesen Ausführungen erhellt, dass die Bier’sche künstlich 
gesteigerte Hyperämie mit der durch Kälteeinwirkung auf die 
Haut im Respirationsgebiet entstehenden nicht das Geringste 
zu thun hat, und dass die Bier’schc Lehre in keiner Weise 
gegen die Anschauung, dass diese Hyperämie mit der Ent¬ 
stehung von Erkältungen im Zusammenhang stehe, verwerthet 
werden kann. Selbst wenn man diese Beziehung nicht an¬ 
erkennen will, muss man mindestens zugeben, dass sie sicher 
kein Hinderniss bildet. Wenn also Strasser 1 ) in Verneinung der 
Bedeutung der collateralen Hyperämie sagt, dass die Bakterien um so 
besser bekämpft würden, je mehr Blut dahin käme, je besser die Cir- 
culation in dem inficirtcn Gebiet aufrecht erhalten würde, so widerspricht 
dies geradezu der Bier’schen Lehre. Er nimmt dafür an, dass der 
Erkältungsfactor trophische Veränderungen in der molekularen Structur 
der Gewebe hervorrufe, so dass „die Zellen in ihrer protoplasmatischen 
Energie verändert, die normale Widerstandskraft nicht mehr entwickeln.“ 

Menzer 2 ), der in der Infection wohl ein wichtiges, aber nicht das 
wichtigste ätiologische Moment für die Erkältungskrankheiten sieht, spricht 
der Frühjahrswärme die Kraft zu, „chronische oder latente Leiden in ein 
acutes Stadium überzuführen“ und so Erkältungen auszulösen. Er hat 
hauptsächlich die von den oberen Luftwegen ausgehenden Erkrankungen 
im Auge, aber auch Gelenkrheumatismus und Pneumonie. Besonders die 
Einathmung kalter Luft scheint ihm gefährlich, weil sie eine Anämie und 
Austrocknung herbeiführe. Auch bei Einwirkung von Kältereizen auf die 
flaut soll nach Menzels unzulänglichen Untersuchungen an Menschen 
Anämie der Respirationsschleimhaut eintreten. Dieses Zurücktreten des 
Blutes von den oberen Luftwegen bewirke eine Verminderung der Wider¬ 
standsfähigkeit (Abnahme der Secretion, Zellauswanderung usw.) gegen¬ 
über den schon in Folge früherer Erkrankungen mehr oder weniger 
virulenten oder mehr oder weniger im Gewebe eingenisteten Bakterien. 
Diese verminderte Widerstandsfähigkeit lässt die Keime im Gewebe 
energischer vorwärtsdringen, die dann folgende Krankheit (Schnupfen, 
Angina und dergl.) sei der Ausdruck der „Heilreaction“. 


1) Strasser, Erkältung und Abhärtung. Deutsche Klinik. Bd. 1 . S. 624. 

2) Menzer, Deutsche militär-ärztliche Zeitschrift. Heft l. 1008. 


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Menzer, gleichfalls unter dem Einfluss der falsch verstandenen 
Bier’schen Lehre stehend, verwechselt im Uebrigen auch die gewöhn¬ 
liche Anämie mit der reflectorischen durch Gefässcontraction entstandene 
Blutleere. Dass eine solche die Entwicklung und das Vorwärtsdringen 
von Keimen begünstigt, müsste erst noch bewiesen werden. 

Ruhemann 1 ) versucht in einer staunenswerth fleissigen Arbeit die 
Erkältungskrankheiten, die nach seiner Auffassung als Infectionskrank- 
heiten entweder versteckte Influenzen sind oder durch seine hypothetischen 
Erkältungserreger resp. deren Toxine bedingt werden, in Abhängigkeit 
von der Sonnenscheindauer, der baktericiden Kraft des Sonnenlichts zu 
bringen. Er liefert den statistischen Beweis für die altbekannte Wahr¬ 
heit, dass das Wetter von grösstem Einfluss auf den Gesundheitszustand 
ist, dass an Tagen mit schlechtem Wetter, also auch mit relativ geringer 
Sonnenscheindauer Erkältungen häufiger sind. Er geht aber zu weit, 
wenn er auf Grund seiner Statistik eine Gesetzmässigkeit construirt. 
Sein Satz von dem umgekehrten Verhältniss der Morbidität zur Zahl der 
Sonnenscheinstunden lässt sich bei genauerem Studium seiner Tabellen 
aus diesen selbst widerlegen. 

Eine Thatsache geht aus den bisherigen Darlegungen klar 
und deutlich hervor, nämlich die, dass es trotz zahlreicher 
und umfangreicher Arbeiten noch nicht geglückt ist, das Er¬ 
kältungsproblem einwandfrei zu lösen. Die angestellten Versuche 
sind den thatsächlichen Verhältnissen auch entfernt nicht angepasst, so 
dass die Resultate grösstenteils nur mit Vorsicht gedeutet werden dürfen. 
Theoretische Erwägungen allein sind aber ebensowenig im Stande, Klar¬ 
heit zu bringen. Wir haben die widersprechendsten Anschauungen kennen 
gelernt, von denen eigentlich keine recht befriedigen kann. Lode 2 ) 
scheint die am meisten befriedigende Erklärung zu geben, wenn er sagt: 
„Den Erkältungskrankheiten liegen sicherlich nicht einheitliche Vorgänge 
zu Grunde. Vielfach spielen sie in das Gebiet der reflectorischen Se- 
cretionsstörungen, vielfach scheint ein bloss zufälliges Nacheinander von 
Erkältung und Erkrankung unser Urtheil zu trüben. In manchen Fällen 
dürften reflectorisch ausgelöste Veränderungen der Schleimhäute die 
Wucherung der Krankheitserreger begünstigen, zum Theil scheint jedoch 
die Erkältung eine directe Schädigung der Widerstandskraft des Körpers 
zu bedeuten.“ Wenn er fortfährt, „indem sie zur Herabsetzung der 
Eigenwärme führt,“ kann man ihm freilich nur für die selteneren Fälle 
zustimmen; umsomehr aber muss der Einfluss der veränderten Blut- 
circulation in Folge der Kälteeinwirkung betont werden, an dem wir fiir’s 
Erste festhalten müssen. 

Kürzer fixirt Strasser seinen Standpunkt: „Kälteeinwirkung kann 
auf trophischem oder vasomotorischem Wege zu Störungen in den 
Geweben führen und diese Störungen können entweder selbst Krankheits¬ 
erscheinungen auslösen oder den Boden für bacteritische Infections- 
krankheiten vorbereiten.“ 

1) Ist Erkältung eine Krankheitsursache und inwiefern? 1898. 

2) Archiv f. Hygiene. Bd. 28. 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


339 


Wie sich denken lässt, hat man auch Untersuchungen des 
Blutes vorgenommen und aus ihnen weitere Aufschlüsse zu erhalten 
versucht. 

Die von Winternitz 1 ) und seinen Schülern festgestellte Vermehrung 
der rothen Blutzellen unter dem Einfluss hydrotherapeutischer Proceduren 
ist keine wirkliche, absolute, sondern nach Winternitz auf eine Ueber- 
schwemmung des Körpers mit Blutzellen aus solchen Organen zurückzu¬ 
führen, in denen unter gewöhnlichen Bedingungen Stauungen, Anhäufung 
von Blutzellen stattfinde, und von wo unter günstigeren Circulations- 
verhältnissen die stagnirenden Zellen in den Kreislauf geworfen würden. 
Auch Friedländer machte lediglich die veränderte Vertheilung der Blut- 
zellcn in den verschiedenen Gefässprovinzen für die scheinbare Vermehrung 
verantwortlich. 

Reineboth und Kohlhardt 2 3 ), welche Kaninchen einfach mit den 
Händen oder auf dem Spannbrett fixirt fünf Minuten lang in Eiswasser 
untergetaucht hielten, fanden, dass diese Abkühlung (um 10—15° C.) 
die rothen Blutzellen des kreisenden Blutes schädigt und zu einer bereits 
während der Abkühlung beginnenden, verschieden lang dauernden Hämo- 
globinämie führt. Die Alteration der rothen Blutzellen drückt sich früh¬ 
zeitiger im Hämoglobin Verlust des Blutes aus als in der Verminderung 
der Zahl der rothen Blutkörperchen. Diese wird erst bei wiederholter 
Abkühlung erheblich beeinflusst, und es entsteht zuerst ein chlorotischer, 
dann ein anämischer Zustand. 

Diese Befunde wurden von Grawitz 8 ), der bei dieser Gelegenheit 
seine früheren Versuche nachprüfte, aufs schärfste angegriffen. Grawitz, 
der nur eine vermehrte Concentration des Serums, aber keine Härao- 
globinämie feststellen konnte, führte die Resultate Reineboth’s und 
Kohlhardt's auf mangelhafte Versuchsanordnung und Methodik zurück, 
doch fand, wie Zillesen 4 ) berichtet, auch Nebelthau nach sehr 
heftigen Abkühlungen schwache Hämoglobinämie. 

Für die Erkältungsfrage kommen diese Befunde, selbst wenn man 
die Autorität von Grawitz nicht anerkennen wollte, schon wegen der 
excessiven Abkühlung nicht in Frage; ebensowenig kann man sie, wie 
Strasser, mit der paroxysmalen Hämoglobinurie in Zusammenhang 
bringen, die nur bei Menschen, bei diesen aber schon durch Abkühlung 
eines Fingers oder einer Hand entsteht, und die sich nach Lichtheim 
am Thier experimentell bisher noch nicht hervorrufen Jiess. 

Demnach spielen Veränderungen der Blutzellen in Folge der Kälte¬ 
einwirkung für die Genese der Erkältungskrankheiten keine Rolle. Von 
grösserer Bedeutung schienen die Resultate der entsprechenden sero¬ 
biologischen Forschungen zu sein, wie solche von Lode, Nagelschmidt, 
Trommsdorff, Lissauer vorliegen. 


1) Centralbl. f. innere Med. 1893. No. 49. 

2) D. Arch. f. kl. Medicin. LXV. 1 u. 2. 1899. 

3) Zeitschr. f. kün. Medicin. 1891. XXL und Centralbl. f. innere Medicin. 
1899. XXI. 

4) Ueber Erkältung als Krankheitsursache. Marburg 1899. 


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Nagelschmidt 1 ), der in der Ausschaltung der vorhandenen Ab¬ 
wehrvorrichtungen den Effect der Kältewirkung beim Zustandekommen 
von Erkältungen sieht, prüfte das Verhalten der hämolytischen und 
bactericiden Kraft des Kaninchenserums gegenüber Hamraelblutkörperchen 
unter dem Einfluss der Abkühlung. Nachdem den Thieren Blut ent¬ 
nommen war, wurden sie 20—30, mitunter auch 45 Minuten lang bis 
an den Hals, in Wasser von 5 — 7° C. untergetaucht gehalten, dann ober¬ 
flächlich abgetrocknet und in den Stall gesetzt. Manche Thiere gingen 
bald darnach ein, andere blieben länger am Leben oder erholten sich 
ganz. Die Blutentnahme nach dem Bad fand zu verschiedenen Zeiten 
statt. Es zeigte sich bei der Mehrzahl der Thiere die hämolytische 
Kraft bedeutend herabgesetzt, so dass mitunter das Fünffache der vor 
der Abkühlung complett lösenden Dosis die gleiche Hammelblutkörperchen- 
aufschwemraung nach der Abkühlung noch nicht complett löste. Nicht 
alle Versuche waren in gleicher Weise positiv, manchmal trat sogar der 
umgekehrte Effect ein, die hämolytische Kraft war erhöht. Nagel¬ 
schmidt erklärt diese Erscheinung durch Regeneration, resp. Ueber- 
production von Hämolysinen. Dabei fiel ihm „die starke Variabilität 
seiner Resultate analog den klinischen Beobachtungen am Menschen“ 
auf, er constatirte die gleiche „individuelle Variabilität“, also das, was 
man ebenso gut individuelle Disposition nennen kann. 

Dasselbe Verhalten boten die Hämolysine von Kaninchen, die mit 
Hammelblut vorbehandelt waren. 

Eine weitere Versuchsreihe machte Nagelschmidt an einem wider¬ 
standsfähigeren Thier, einer 25 kg schweren Ziege, die er bis an den 
Hals in einem Holzzuber mit Wasser bei 7—8° C. 30 Minuten lang 
hielt. Die Ziege war nach dem Bade völlig steif, zwei Stunden später 
völlig erholt. Auch in diesem Versuch kam es zu fast völligem Verlust 
der hämolytischen Fähigkeit bis zum Siebenfachen der vorher complett 
lösenden Dosis. 

Bei dem 3 Tage später an demselben Thier wiederholten Versuch 
machte sich bereits die Gewöhnung geltend: die hämolytische Kraft war 
vor und nach der Abkühlung bedeutend stärker als beim ersten Versuch, 
das Befinden der Ziege nach dem Bade besser. 

Die bactericide Fähigkeit (Bac. coli, Hühnercholera, Typhus, 
Staphylokokken und Streptokokken) war bald herabgesetzt, bald unver¬ 
ändert, bald vermehrt. 

Ein Parallelismus zwischen hämolytischer und bactericider Function 
war nicht festzustellen. 

Nagelschmidt war sich wohl bewusst, dass die intensive Art 
seiner Abkühlungen mit einer thatsächlichen Erkältung nichts zu thun 
hat; er überträgt seine Resultate nicht auf dieses Gebiet, sondern sucht 
bloss einen Beitrag zur Erklärung der Wirkung von Erkältungsmomenten 
für das Zustandekommen von Infectionskrankheiten zu liefern. Abhärtung, 
Gewöhnung ist für ihn „nichts Anderes als dauernde oder vermehrte 

1; Beitr. z. kl. Med. 1904. (Fcstschr. f. Senator). 


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Production von Antikörpern gegenüber den Infectionserregern und deren 
Toxine. u 

Lode 1 ) konnte keine Beeinflussung der bactericiden Kraft beim 
Meerschweinchen und Kaninchen constatiren. 

Lissauer 2 ) sah bei seinen in Wasser abgekühlten Kaninchen in 
fast allen Fällen eine zum Theil sehr bedeutende Abnahme der hämo¬ 
lytischen Fähigkeit; Erwärmung steigerte sie. Daraus gewinnt er „die 
Vorstellung, dass die Erhöhung oder Herabsetzung der Disposition, wie 
sie Abkühlung, bezw. Erwärmung des thierischen Organismus zur Folge 
hat, auf einer Vermehrung oder Verminderung der im Körper vorhan¬ 
denen Schutzstoffe beruht . u Zur Kritik dieser Vorstellung bedarf es nur 
des Hinweises darauf, dass Erkältungskrankheiten oft, nach manchen 
Autoren ausschliesslich, bei erhitztem Körper auftreten, also gerade in 
dem Zustande, in welchem nach Lissauer die Schutzstoffe erheblich 
verstärkt sind. 

Trorarasdorf 3 )', der seine Kaninchen und Meerschweinchen in 
rasirtera oder geschorenem Zustande in Wasser oder durch Fesselung 
bei einer Aussentemperatur von 1—2° C. abkühltc, erhielt sowohl bei 
seinen bactericiden als auch bei seinen hämolytischen Versuchen nur 
negative Resultate. Dagegen stellte er eine starke Beeinträchtigung der 
Einwanderung und Fressthätigkcit der Leukocyten, der Lyse injicirter 
Bacterien fest, die er durch Mangel an Alexinen erklärt, was man zwar 
nicht beweisen könne, aber auf Grund anderer Untersuchungen doch 
anzunehmen berechtigt sei; es „versagten eben die Alexinquellen der 
durch die Abkühlung in ihrer Resistenz geschwächten Thiere.“ 

Für Tromrasdorf spielt Abkühlung dieselbe Rolle wie Ermüdung, 
Hunger oder längere Zeit fortgesetzter Alkoholgenuss, Factoren, welche 
die Empfänglichkeit für Infectionskrankheiten, zu denen er auch die 
Erkältungen zählt, erhöhen. Doch ist man sich auch hierüber nicht 
völlig einig, da z. B. französische Autoren die Widerstandskraft durch 
Hunger gesteigert fanden; was den Alkohol betrifft, so sah C. Fraenkel 4 ) 
sowohl nach einmaliger als auch ira Gegensatz zu Anderen nach mehr¬ 
maliger Darreichung einen günstigen Einfluss auf die specifisch bacterio- 
lytischen Fähigkeiten. 

So interessant diese Versuche auch sind, so beweisen sie meines Er¬ 
achtens für die Genese der Erkältungskrankheiten selbst für den, der in 
den Erkältungen vorwiegend Infectionskrankheiten sieht, recht wenig. 
Wie bereits früher auseinandergesetzt, ist für das Zustandekommen von 
Erkältungen wesentliche Herabsetzung der Körpertemperatur durchaus 
nicht nöthig. Nagelschraidt wie auch Trommsdorf erzielen ihre 
Resultate aber nur bei einem Wärmeverlust, an dem ein Theil der Thiere 
sofort oder nachträglich zu Grunde geht. Dass unter solchen Bedingungen, 


1) Arch. f. Hyg. 1897. Bd. 28. 

2) Arch. f. Hyg. 1907. Bd. 63. 

3) Arch. f. Hyg. 1906. Bd. 59. 

4) Berl. kl. Wochenschr. 1905. No. 56. 


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die einen schweren Eingriff in die Lebensfähigkeit des Organismus be¬ 
deuten, auch die biologischen Eigenschaften des Blutes leiden müssen, 
ist ohne Weiteres verständlich; es bleibt aber bei den oft recht wider¬ 
sprechenden Resultaten mehr als fraglich, ob die Autoren bei einer der 
Wirklichkeit mehr angepassten Versuchsanordnung Aenderungen gefunden 
hätten, andererseits dürften Aenderungen im biologischen Verhalten, die 
so gering sind, dass sie sich durch die heutigen feinen Methoden nicht 
nachweisen lassen, keinen besonderen Einfluss auf das gesundheitliche 
Gleichgewicht ausüben. 

Auffällig ist, dass Trommsdorf überhaupt keine Aenderung der 
bactericiden Kraft feststellen konnte; um so überraschender ist es, dass 
er in dem Verhalten der Säfte das Wesentliche auch für die Entstehung 
der Erkältungskrankheiten sieht. Er betrachtet „die arterielle Hyperämie 
einzelner Körpertheile, beziehungsweise der Schleimhäute, nur als die 
Resistenzherabsetzung unterstützende, deshalb in diesen Fällen nicht 
minder wichtige Factoren.“ Man kann ihm kaum beistiramen, wenn er 
der Abkühlung der Haut, so wie sie zu Erkältungen führt, die gleiche 
Bedeutung wie dem Hunger und der IJebermüdung zuspricht. Diese 
beiden Zustände führen zu abnormen Vorgängen im Körper, zu einem 
Mehrverbrauch ohne genügenden Ersatz, zur Verminderung der Blut- 
alcalescenz, zu einer Acidosis, zu einer thatsächlichen Herabsetzung der 
hämolytischen und bacteriolytischen Kraft des Blutes. Solche Verände¬ 
rungen kann man von den oft recht geringfügigen zur Erkältungs¬ 
krankheit führenden Kälteeinflüssen nicht erwarten. 

Wie man sich vollends die Wirkung „des Versagens der Alexin¬ 
quellen, der Beeinträchtigung der Einwanderung und Fressthätigkeit der 
Leukocyten a auf jene Erkältungskrankheiten vorstellen soll, die nicht 
durch Bacterien oder deren Toxine, sondern einzig und allein durch 
vasomotorische Störungen, Veränderungen der Blutversorgung hervorge¬ 
rufen werden, vermag man schlechterdings nicht zu sagen. 

Nicht einmal die Frage der Disposition ist durch diese Versuche 
geklärt. Dass eine solche auch bei Erkältungen eine grosse Rolle spielt, 
scheint mir über allen Zweifel erhaben. Wie anders soll man es sonst 
erklären, dass trotz gegebener Infectionsmöglichkeit (latenter Mikrobismus) 
und trotz gleichzeitigem Kältetrauma nicht in jedem Fall eine Erkältung 
eintritt? Nagelschmidt spricht ja auf Grund seiner so verschieden¬ 
artigen Resultate auch von dieser individuellen Variabilität, ohne sie er¬ 
klären zu können. Diese ist nichts Anderes als der gemeinhin Disposition 
genannte Zustand, der durch die Constitution des Individuums bedingt, 
aber auch erworben sein kann. Worauf er beruht, wissen wir noch 
immer nicht mit Bestimmtheit, für die Erkältungen spielt zweifellos die 
Beschaffenheit und das Verhalten der Vasomotoren eine grosse Rolle. 
Dies geht schon aus den früher erwähnten Anpassungsversuchen, aus 
der Möglichkeit der Abhärtung hervor. Freilich wird letztere nie eine 
absolute sein, sie kann sogar durch das, was wir Verweichlichung 
nennen, wieder verloren gehen; die Verweichlichung macht sich alsdann 
in einer Ueberempfindlichkeit der Haut gegenüber den geringsten 


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Schwankungen der Aussenteraperatur geltend und führt beim geringsten 
Anlass zu Erkältungen. Lernt die Haut gewisse Kältereize nicht 
empfinden oder rasch ausgleichen, so ist sie abgehärtet; darin sehen wir 
den besten Schutz, der Mangel dieser Fähigkeit bedeutet eine stete Ge¬ 
fahr. Was sollen da die Complemente? die Alexine? 

Die Disposition kann allgemeiner, den ganzen Körper treffender 
Natur sein, bei vielen Menschen ist sie lokaler Art und zwar in der 
Weise, dass ein bestimmtes, früher schon einmal erkranktes Organ oder 
ein Körpertheil als locus minoris resistentiae immer wieder allein auf 
den Erkältungsreiz reagirt. Dabei ist die Wirkung eine so prompte, 
innerhalb weniger Stunden oft ohne jede Prodromalerscheinungen auf¬ 
tretende, dass man sich bei der Schnelligkeit der Entwicklung beim 
besten Willen nicht einen Einfluss von Bakterien oder deren Toxinen 
vorstellen kann (manche Fälle von Schnupfen, Darmkatarrhe, Ischialgie, 
Muskelrheumatismus). 

Auch die Vertreter des extrem bakteriellen Standpunktes sahen 
diese Lücke in der Kette der Beweise für ihre Auffassung und damit die 
Nothwendigkeit der Annahme einer Disposition. Fick 1 ) sieht sie in 
einer latent bereits vorhandenen Krankheit, welche durch die Erkältung 
in eine manifeste verwandelt wird, Ruhemann 2 ) in der Anwesenheit der 
pathogenen Keime, und Kisskalt endlich in der durch die Kälteein¬ 
wirkung auf die Haut entstehenden Hyperämie der inneren Organe. Was 
also Ruhemann für Disposition hält, ist für Kisskalt die Ursache der 
Erkältungskrankheit und umgekehrt; kein Wunder, wenn keine dieser 
Definitionen Beifall findet. Leider vermögen auch wir keine Erklärung 
zu geben; doch giebt uns dieser Umstand keineswegs die Berechtigung, 
eine Erscheinung, die sich jedem denkenden Menschen täglich von Neuem 
aufdrängt, weil unerklärbar, als bedeutungslos zu betrachten. 

Aus demselben Grunde ist es durchaus nicht angängig, wie es von 
verschiedenen Seiten geschieht, zu behaupten, dass Kälteeinwirkung 
für sich allein unmöglich krank machen könne. Das Respirations¬ 
gebiet kann wegen des latenten Microbismus, wegen der steten Com- 
raunication mit der keimhaltigen äusseren Luft zur Entscheidung dieser 
Frage gar nicht herangezogen werden; denn so wenig wie man den Ein¬ 
fluss der Bakterien hier bestreiten kann, ebenso wenig ist man im Stande, 
ihn abzugrenzen und zu fixiren. In anderen Gebieten sind aber Er¬ 
krankungen im Anschluss an Kältetraumen völlig eindeutig beobachtet. 
So pflegte Leube in seinen Vorlesungen stets zu erzählen, dass er ein¬ 
mal gelegentlich einer Eisenbahnfahrt im Winter am offenen Fenster ge¬ 
sessen und dass einige Stunden später an der dem Zugwinde zugekehrten 
Gesichtshälfte eine bald vorübergehende Facialislähmung aufgetreten sei. 
Für den Muskelrheumatismus gilt Erkältung gleichfalls als Ursache. 
Ru he mann selbst hält hier Bakterien Wirkung für ausgeschlossen und 
nimmt Toxine seiner hypothetischen Erkältungserreger als Aetiologie an; 


1) Ueber Erkältung. 1887. Zürich. 

2) S. 82. 


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möglich, dass Untersuchungen von Kraskc 1 ) hier eine acceptable Er¬ 
klärung geben; er fand nach wiederholter Kälteeinwirkung auf quer¬ 
gestreifte Muskeln eigenthümlichc Veränderungen; nämlich massenhaften 
Zerfall der contractilen Substanz und lebhafte- Regencrationsvorgänge in 
der Umgebung, so dass an Stelle der Muskulatur mehr oder weniger 
Narbengewebe tritt. Leyden-Goldscheider 2 ) sagen, dass „die Be¬ 
deutung der Erkältung für die Entstehung gewisser Rückenraarks- 
erkrankungen nicht in Abrede gestellt werden kann.“ Ferner hält die 
Klinik allenthalben, gestützt auf die Erfahrungsthatsachen, unentwegt 
daran fest, das Erkältung und zwar Durchnässung zu einer acuten 
parenchymatösen Nephritis führen kann. Freilich lagen bisher einwandfreie 
experimentelle Belege nicht vor; aber wie oft fanden gerade in der Medicin 
längst feststehende empirische Beobachtungen erst sehr spät ihre wissen¬ 
schaftlich begründete Bestätigung! 

Nur Lassar, R. Winternitz und Zillessen hatten bei ihren Ab¬ 
kühlungsversuchen Nierenveränderungen gefunden. Wie früher erwähnt, 
constatirte Lassar bei seinen Kaninchen Albuminurie und daneben spär¬ 
liche Ausscheidung von hyalinen Cylindern. Die Albuminurie dauerte 
bald nur einige Tage, bald wochen- und monatelang, ja manchmal bis 
zum Tode. Mikroskopisch waren interstitielle Entzündungen vorhanden, 
vorwiegend in Nieren und Leber, aber auch in Lunge, Herz und sogar 
in den Nervenscheiden. „Das Parenchym der entzündeten Organe selbst 
war ohne jede Veränderung geblieben. Nirgends hatte der geringste Zer¬ 
fall oder eine Degeneration Platz gegriffen, dagegen waren die Gefässe, 
namentlich in Lunge und Leber oft enorm dilatirt, die Arterien mit 
thrombotischen Massen angefüllt.“ Die gleichen Resultate erhielt Lassar 
auch bei nicht enthaarten Kaninchen und Hunden in den allerersten 
Lebensmonaten bei sonst gleichbleibender Versuchsanordnung. 

R. Winternitz 3 ) constatirte bei seinen vergleichenden Untersuchungen 
über Firnissung und Abkühlung sehr oft, wenn auch nicht immer, 
Albuminurie, Ausscheidung von granulirten und Epitheleylindern. Je länger 
die Thicre am Leben erhalten werden konnten, um so intensiver war die 
pathologische Beschaffenheit des Nierensecretes. Hin und wieder zeigten 
die Nieren Veränderungen und zwar im Ganzen stärker, wenn der Ab¬ 
kühlungstod später eingetreten war: trübe Beschaffenheit der gewundenen 
und Schleifenkanälchen, Quellung der Epithelzellen, geringere Färbbarkeit 
der Kerne und sehr vereinzelt Kern- und Epithelnekrose, Veränderungen, 
welche Winternitz durch künstliche Abkühlung der Niere ebenfalls, 
wenn auch in anderer Localisation und Stärke zu erzielen vermochte. 

Zillessen 4 ) fand bei 13 bis auf 28 0 C. abgekühlten Kaninchen nur 
3 Mal Nierenveränderungen, E. Fischl 5 ) überhaupt keine. 

Es leuchtet ohne Weiteres ein, dass diese Versuche einer Kritik be- 


1) Cit. nach Samuel, Eulenb. Realencyklop. 

2) Nothnagel, Handbuch X. S. 189, 

3) Archiv f. experim. Pathol. Bd. 33. 

4) Erkältung als Krankheitsursache, Inaug.-Dissert. Marburg. 1899. 

5) Zeitschr. f. Heilkunde. Bd. XV11I. 4. 


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züglich ihrer Beweiskraft für die Erkältungsnepliritis nicht Stand zu 
halten vermögen. 

Zunächst ist es auch hier wieder die die Thiere z. Th. dem Er¬ 
frierungstod nahe bringende Versuchsanordnuug, welche eine Parallele 
mit Erkältung ausschliesst. Dann aber muss den Lassar’schen Ver¬ 
suchen gegenüber betont werden, dass Albuminurie und Vorhandensein 
hyaliner Cylinder, noch dazu beim Kaninchen, das oft schon normaler 
Weise Albumin ausscheidet, noch keine acute parenchymöse Nephritis be¬ 
deutet. Dass eine solche auch thatsächlich nicht vorlag, geht aus dem 
Obductionsprotokoll klar hervor, in dem ausdrücklich vermerkt ist, dass 
das Parenchym der entzündeten Organe ohne jegliche Veränderung ge¬ 
blieben war. Die interstitiellen Entzündungen, die Lassar in allen 
Organen, sogar im Herz und in den Nervenscheiden gefunden hat, haben 
gewiss keine Beweiskraft. Man muss eben auch bedenken, dass das 
Bindegewebe besonders beim Kaninchen schon normaler Weise reich¬ 
licher entwickelt ist als beim Menschen. Auch wäre es möglich, dass 
durch das Festhalten der Thiero bis zum Halse im kalten Wasser, was 
ja nicht anders möglich ist, als durch Umspannen und Coraprcssion des 
Thorax mit den Händen, die Albuminurie erzeugt oder doch beeinflusst 
wurde, analog den Com pressionsversuchen Schrei ber’s 1 ) am Menschen. 

Die R. Wintcrnitz’schen Versuche haben mit Erkältung überhaupt 
nichts gemeinsam, die Thiere gingen an progredienten Wärmeverlust zu 
Grunde, erfroren. Auch die Experimente Zillcsscn’s sind nicht ohne 
Weiteres als beweiskräftig anzusehen. Ebensowenig liefern meine eigenen 
ersten Versuche in dieser Richtung einen experimentellen Beweis. Ich 
hatte damals beim Hunde eine Niere in Narkose freigelegt und mit Eis¬ 
stückchen gekühlt. Da diese Versuche bisher noch nicht in extenso 
publicirt worden sind, mögen sie hier Platz finden: 

I. Versuch. 

Hund No. 8 2 ), weiblicher Foxterrier, ca. s / 4 Jahre alt, Gewicht 13 Pfund 100 g. 

19. —20. 3. 07. 300 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Kein Albumen, kein Zucker. 

20. —21. 320 ccm Urin, 1019 spec. Gew. Ohne Befund. 

Am 21. Nachmittags 5 Uhr wird in Morphium-Aethernarkose die rechte Niere 
durch Schnitt vom unteren Rand der 12. Rippe nach abwärts und aussen freigelegt, 
ln einem dünnen Gazebeutel werden Eisstückchen auf die Niere gebracht und bleiben 
25 Minuten liegen, das sich bildende Eiswasser wird ununterbrochen mit Gazetupfer 
aufgesaugt und entfernt. Nach Beendigung der Operation Einstreuen von etwas 
Jodoform, Naht; Heilung per primam, glatter Verlauf. 

21. —22. Kein Urin, kein Husten, hat sich Abends bereits erholt; ist am 22. 
völlig munter, säuft 300 ccm Milch -f- 300 ccm Wasser. Temp. am 22. 38,40° C. 3 ) 

22. -23. 270 ccm Urin, 1041 spec. Gew. Thier sehr munter, frisst gut. Wunde 
nirgends druckempfindlich, heilt gut. Albumen -(-, im Sediment hyaline und 
granulirte Cylinder, Nierenepithelien, ganz vereinzelte Erythrocyten. Temp. am 23. 
Abends 39,3° C. 


1) Archiv f. experinr. Pathol. Bd. 19 u. 20. 

2) Hund 1—7 waren Uran-nephritisch. 

3) Die normale Temperatur des Hundes schwankt zwischen 38 und 39° C. 


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23. -24. 100 ccm Urin, 1050 spec. Gew. Munter, frisst alles auf. Albumen -j- 
stark, hyaline, granulivte Cylinder, Nierenepithelien und vereinzelte Erythrocyten; 
hustet nicht. Temp. am 24. Morgens 39,8° C. 

24. -25. 310 ccm Urin, 1028 spec. Gew. Hat aufgefressen, zittert heftig. 
Temp. 38,8° C. Urin stark blutig, Albumen -|- stark, ebenso Blutprobe (Quajak- 
tinct. + H 2 0 2 ), alle möglichen Cylinder, Nierenepithelien, massenhaft Erythrocyten 
auch Leukocyten. 

25. -26. 250 ccm Urin, 1028 spec. Gew. Urin nicht mehr so dunkel, sonst 
derselbe Befund. Temp. am 26. Morgens 38,9° C., Abends 39,2° C. Gewicht 
12 Pfund 170 g. Hustet nicht. 

26. -27. 160 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Albumen -(-, Erythrocyten -f, 
granulirte und hyaline Cylinder, Nierenepithelien. 

27. -28. 225 ccm Urin, 1035 spec. Gew. Status idem. Gewicht 11 Pfund 
450 g. 

28. -29. 220 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Noch l / 2 pM. Albumen; Blutprobe 
stark -|-; alle möglichen Nierenbestandtheile. 

29. —30. 300 com Urin, 1024 spec. Gew. Noch l / 2 pM. Albumen; Blutprobe 
stark +; alle möglichen Nierenbestandtheile. 

30. —31. 320 ccm Urin, 1023 spec. Gew. Noch 1 / 2 pM. Albumen; Blutprobe 
stark +; 11 Pfund; Thier ist munter, Nahrungsaufnahme gut. 

31. 3.—1. 4. 280 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Albumen -{-» reichlich hyaline 
und granulirte Cylinder, dagegen Erythrocyten vereinzelt. 

1. —2. 700 ccm Urin, 1022 spec. Gew. 1 pM. Albumen, sonst unverändert. 

2. -3. 370 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Spur Albumen, vereinzelte Cylinder. 

3. -4. 575 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Spur Albumen, vereinzelte Cylinder. 
Gewicht 9 Pfund 400 g. Wird am 4. gotödtet. 

Sectionsprotokoll (Prof. Westenhöffer): Kein Hautödem; bei 
Eröffnung der Bauchhöhle Organe in normaler Lage, kein Ascites. Peri¬ 
toneum glatt, feucht, glänzend; Magen, Darm, Leber, Milz ohne Befund. 

Rechte Niere: Kapsel leicht abziehbar, Oberfläche glatt, von grau¬ 
brauner Farbe, Venac stellatao gut sichtbar. Auf dem Durchschnitt 
Rindenschicht von Marksubstanz scharf abgesetzt. Die Rindenschicht ist 
von bräunlich-rother, gegen die Marksubstanz zu von violett-rother Farbe. 
Die Glomeruli sind als rothe Pünktchen deutlich zu sehen. Marksubstanz 
fast weissgrau, ungemein feucht. Im unteren Abschnitt ganz feine 
Kalkinfarcte (?) und verfettete Cylinder. 

Linke Niere bietet den gleichen Befund. 

Lunge ohne Besonderheit. Herz schlaff. 

Mikroskopisch in beiden Nieren ausgedehnte trübe 
Schwellung, starke Verfettung in den geraden und gewundenen 
Kanälchen, die Kerne, da, wo sie vorhanden sind, undeutlich, 
an manchen Stellen gar nicht gefärbt, Glomeruli unverändert. 

II. Versuch. 

Hund 9, graues, männliches Thier, ca. 1 Jahr alt, 23 Pfund 400 g. 

23. -24. 3. 07. 350 ccm Urin, 1017 spec. Gew. Kein Albumen, kein Zucker. 

24. -25. 330 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Kein Albumen, kein Zucker. Am 25. 
Nachmittags 5 Uhr Freilegung der rechten Niere in Narkose, Kühlung mit Eis 
25 Minuten, Jodoformpulver. Naht. 

25. -26. Kein Urin, das Thier schleppt die Nachhand nach, frisst aber gut. 


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26. -27. 350 ccm Urin, 1048 spec. Gew. Albumen -J- schwach, Erythrocyten 
und Leukocyten in massiger Menge, hyaline und granulirte Cylinder, frisst wenig. 
Abendtcmp. 39,3° C. (trank 300 ccm Wasser). 

27. -28. 460 ccm Urin, 1016 spec. Gew. Albumen 4* (stärker), Erythrocyten, 
Leukocyten, Nierenepitholien, alle Arten Cylinder. Kann wieder gut gehen, macht 
aber matten Eindruck und frisst wenig. Gewicht 22 Pfund 150 g; trank 300 ccm 
Wasser. 

28. -29. 400 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Urinbefund unverändert; frisst nicht, 
macht einen kranken Eindruck, an der Wunde ist nichts fühlbar. 

29. —30. 250 ccm Urin, 1024 spec. Gew. Derselbe Urinbefund. Deutliche 
Fluctuation in der Umgebung der Wunde, deshalb wird das Thier gotödtet. 

Sectionsprotokoll (Prof. Westenhöffer): Beim Oeffnen der ver¬ 
nähten geschlossenen Wunde entleert sich reichlich leicht blutig gefärbter, 
nicht stinkender Eiter. Nach Eröffnung der Bauchhöhle Bauchorganc in 
normaler Lage, keine Flüssigkcitsansammlung. Peritoneum glatt und 
spiegelnd, feucht. Geringe Injection der Gefässe im Bereich des Ileum, 
Serosa feucht, glatt und spiegelnd. Magen, Darm, Leber, Milz ohne 
Besonderheit. 

Rechte Niere: An der Hinterfläche der Nierenkapsel ira unteren 
Drittel eine Abscesshöhle deutlich erkennbar. Kapsel leicht abziehbar. 
Die Niere selbst zeigt sich an der entsprechenden Stelle etwas verfärbt. 
Auf dem Durchschnitt ist diese Verfärbung kaum sichtbar, dagegen sieht 
man in der Rinde entsprechend den Kanälchen zahlreiche gelbliche 
Streifen. Die Marksubstanz bietet nichts Besonderes. 

Linjke Niere zeigt auf der Oberfläche ca. 8—10 stecknadelkopf¬ 
grosse Pünktchen von grauer Farbe und weisslichem Centrum. Auf dem 
Durchschnitt wie die rechte Niere. 

Mikroskopisch: Glomcruli intact, die Kanälchen zeigen 
ziemlich gLeichmässig fast überall eine geringe Schwellung 
und Trübung der Epithelien. Die Kerne sind erhalten. In den 
geraden Kanälchen und theilwcisc in den llenle’schen Schleifen 
eine gleichmässige Fettinfiltration. 

An beiden Nieren derselbe Befund. 


III. Versuch. 

Hund 10, männlicher Terrier, s / 4 Jahr alt, 14 Pfund. 

2. -3. 4. 07. 320 ccm Urin, 1021 spec. Gew. Frei von Albumen und Zucker. 
Am 3. 4. Abends Freilegung der rechten Niere in Narkose, Kühlung 25 Minuten 
lang, Naht. 

3. —4. 170 ccm Urin, 1045 spec. Gew. Albumen stark positiv, Erythrocyten, 
Leukocyten, einige Nierenepithelien; munter, frisst gut. 

4. —5. 460 com Urin, 1023 spec. Gew. Hat am 4. 4. 500 ccm Milch mit 10 g 
NaCl erhalten. Albumen -f- stark, hyaline, granulirte und Epitheleylinder, Nieren- 
epithelien. NaCl-Ausscheidung = 9,499 g. P 2 0 5 = 0,6072 g. 

5. -6. Erhält am 5. wiederum 500 ccm Milch 10 g NaCl, ist munter, 
frisst gut. 370 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Albumen x / 2 pM. Essb. Urinbefund 
wie bisher. NaCl = 9,7828; P 2 0 5 = 0,3737. Gewicht 13 Pfund 150 g. 

6. -7. Am 6. 4. 10,0 g NaCl und 500 ccm Milch: munter. 520 ccm Urin, 
1026 spec. Gew. Urinbefund unverändert. NaCl = 12,064, P 2 0 5 = 0,4472. 


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7. -8. Erhält am 7. 10,0 g NaCl, hat sein Milchgefass umgestossen, so dass 
sich Milch dem Urin beimengte. 210 ccm Urin, 1032 speo. Gew. Macht einen 
kranken Eindruck. 

8. -9. Erhält am 8. 10 g NaCl. 280 ccm Urin, 1032 spec. Gew. l j A pM. 
Albumen Essb., Cylinder. NaCl = 7,0644, P 2 0 6 = 0,3164. 

9. —10. Am 9. 10 g NaCl. 410 ccm Urin, 1032 spec. Gew. Befund wie 
gestern. NaCl = 10,9308; P 2 0 ß = 0,4510. 

10. —11. Am 10. 4. 10 g NaCl, Diarrhoe, Koth im Urin. 

11. —12. 260 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Albumen -{-, vereinzelte Cylinder 

und vereinzelte Erythrocyten, NaCl = 7,2384; P 2 0 5 = 0,4102. Gewicht 12 Pfund 
150 g. Am 12* 4. getödtet. 

Sectionsprotokoll (Prof. Westenhöffcr): Operationswunde gut 
verheilt. Im Abdomen keine Flüssigkeit; Organe in normaler Lage. 
Magen, Darm, Leber, Milz ohne Befund. 

Linke Niere weich, Kapsel leicht abziehbar. Oberfläche glatt, 
von braunröthlicher Farbe, hellere und dunklere Parthien wechseln ab. 
Auf der Schnittfläche zeigt sich folgende Schichtung: äusserstc Zone 
röthlich, etwa 27 4 mm breit, dann folgt nach innen eine gelblich ge¬ 
färbte, theilweisc etwas streifige Zone, dann wieder eine hellere, röthliche. 
die den Uebergang zur Marksubstanz bildet. Diese beiden Schichten 
sind 1—2 mm breit. Dann folgt eine breite, weissliche Zone, während 
unmittelbar am Nierenbecken wieder eine röthliche, streifige Zone cinsetzt. 
In der äussersten Schicht sind feine punktförmige rothe Flecken (Hämorr- 
hagien!). Schnittfläche feucht. 

Rechte (abgekühlte) Niere: Kapsel leicht abziehbar, Oberfläche 
glatt, Färbung wie links, im Ganzen ist die Rinde trübe und die 
Schichtung nicht so scharf abgegrenzt wie links. 

Acute parenchym. Nephr. beiderseits (hämorrhagisch). 

Lunge ohne Befund, Hypertrophie des rechten und linken Ven¬ 
trikels. (?) 

Die mikroskopische Nierendiagnose fehlt. 


IV. Versuch. 

Hund 12, männlicher Spitz, % Jahr, Gewicht 14 Pfund 100 g. 

17. —18. 10. 07. 320 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Kein Albumen, kein Sacharura. 
Am 18. 10. Vormittags Yoll Uhr Freilegung der rechten Niere, Kühlung mit Eis 
20 Minuten lang. Temperatur vor der Narkose 38,2° C., am Ende der Abkühlung 
35,9° C.; erwacht beim Nähen der Wunde aus der Narkose, 10 Minuten später 
Schüttelfrost. 

18. —19. Kein Urin, frisst gut, hat aber seine frühere Munterkeit noch nicht 
wiedererlangt. 

19. —20. 240 ccm Urin, 1016 spec. Gew. Albumen hyaline und granulirte 
Cylinder, Nierenepithelien, einige Erythro- und Leukocyten: ist munter, hat alles 
aufgefressen. 

20. —21. Kein Urin, hat nicht aufgefressen. 

21. —22. 160 ccm Urin, 1021 spec. Gew. Albumen +, alle Arten Cylinder, 
Blut -}-. Gewicht 13 Pfund 400 g. 

22. —23. 300 ccm Urin, 1019 spec. Gew. Viel Albumen, viel Blut, alle Arten 
Cylinder; Nierenepithelien. 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


34 9 


23. -24. 210 ccm Urin, 1026 spec. Gew. Viel Albumen und Cylinder, Blut¬ 
probe (Quajak -f" H 2 0 2 ) stärker als an den vorausgegangenen Tagen. 

24. -25. 50 ccm Urin, 1032 spec. Gew. (Temp. 39,5° C.) 1 pM. Albumen 
Essb., alle Arten Cylinder, massenhaft Erythrocyten (schwere hämorrhagisohe 
Nephritis). 

25. -26. 160 ccm Urin, 1035 spec. Gew. Urinbefund wie gestern. Am 26. 10. 
wird das Thier durch Chloroforminjection ins Herz getödtet. 

Sectionsprotokoll (Oberarzt Dr. Rüge, pathol. Institut, Moabit). 
Beim Eröffnen der Bauchhöhle nichts Besonderes, kein Ascites, Organe 
in normaler Lage, Peritoneum feucht, glatt, glänzend. Leber, Milz, 
Magen, Darm ohne Besonderheit. 

Linke Niere: Beim Einschneiden entleert sich reichlich Blut. Auf 
der Oberfläche zeigt sich eine fleckige, theilweise dunkelblaurothc, theil- 
weise gelbliche Färbung, die anscheinend durch verschiedenen Blutgehalt 
hervorgerufen ist. Maasse 22 : 51 : 19. Die Rinde ist auf dem Durch¬ 
schnitt 5 mm breit, zur Hälfte dunkelblauroth, zur Hälfte gelblich ge¬ 
zeichnet, mit sehr deutlicher Zeichnung der geraden Canälchen und Ge- 
fässe. Zwischen beiden Zonen befindet sich eine ungleichmässige, dunkel- 
graurothe Schicht. An die Rinde schliesst sich eine 2 mm breite, röth- 
liche, streifige Zone an, worauf die weissliche, gegen die Papille zu röth- 
lich gestreifte Marksubstanz folgt. Der ganze Querschnitt der Niere 
zeigt deutliche Streifung. 

Rechte Niere ist im Ganzen etwas weniger blutreich, die Zeich¬ 
nung der Oberfläche ist dieselbe wie links. Maasse 23: 50: 19. Die 
Rinde ist etwa 5 mm dick, von etwas hellerer Farbe wie links, nament¬ 
lich die intermediäre Schicht ist schwächer angedeutet wie links. Die 
übrigen Schichten stimmen mit den bei der linken Niere beschriebenen 
Veränderungen überein. 

Lunge frei, im Herzbeutel Blut, am Herzen nichts. 

Mikroskopischer Befund beider Nieren (Prosector Dr. Illing, 
thierärztliche Hochschule): fettige Degeneration mit Nekrose der 
Epithelien einzelner Abschnitte der Tub. contorti und recti; 
theilweise Desquamation der abgestorbenen Epithelien. Starke 
Füllung sämmtlicher Capillaren. Nierenkörperchen, bis auf 
die starke Füllung der Gefässschlingen, und Zwischengewebe 
unverändert. 

Bei der Besprechung dieser Versuche, von denen der zweite wegen 
des paranephritischen Abscesses als unrein zu bezeichnen ist, muss von 
vornherein betont werden, dass sie mit Erkältung nichts zu thun 
haben. Was sie beweisen, ist die Thatsache, dass Kälte direct 
auf die Niere gebracht nicht eine einfache Degeneration her¬ 
vorruft, sondern einen progredienten, echt entzündlichen Pro- 
cess — Unter ähnlichen Bedingungen führt übrigens auch Hitze (Igni- 
punctur) zu Schädigungen der Niere —, wie er in seinem klinischen 
und mikroskopischen Bild für die acute parenchymatöse Ne¬ 
phritis charakteristisch ist. Die heftigen Nicrenblutungen konnten 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5 . Bd. 03 


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mit paroxysmaler Hämoglobinurie nicht verwechselt werden. Denn das 
Sediment enthielt massenhaft rothe Blutzellen, ausserdem aber setzten 
die Blutungen erst einige Tage nach der Abkühlung ein, während die 
paroxysmale Hämoglobinurie sich fast unmittelbar an die Kälteeinwirkung 
anschliesst. 

Dass die Entzündung trotz einseitiger Abkühlung an beiden Nieren, 
noch dazu in gleicher Stärke, auftrat, hatte für den ersten Moment etwas 
Ueberraschendes. Doch ist diese Reflexwirkung bei paarigen Organen 
längst bekannt: das synchrone Verhalten beider Pupillen des gesunden 
Individuums ist eine so regelmässige Erscheinung, dass Abweichungen 
als wichtige Symptome aufgefasst werden. Samuel 1 ) berichtet, dass, 
wenn eine Hand in kaltes Wasser gesteckt wird, auch die andere sich 
etwas abkühlen soll, und bringt man das eine Ohr eines Kaninchens in 
heisses Wasser, so erweitern sich auch die Gefässe des Ohres an der 
anderen Seite. Für diesen inneren Zusammenhang ist speciell für die 
Niere die Steinniere ein schlagender Beweis: trotz einseitiger Steinbildung 
kann es zu völliger Anurie kommen. So glaube ich, dass man auch in 
unseren Fällen die Miterkrankung der linken als reflectorisch entstanden 
annehmen muss, umso mehr als die Krankheitsursache lediglich durch 
Beeinflussung der Blutcirculation in der Niere gewirkt hat, deren zarte, 
empfindliche Epithelien Ernährungsstörungen nicht lange Widerstand zu 
leisten vermögen. Auf welche Weise Ernährungsstörungen in der Niere 
zur Entzündung führen, muss später noch erörtert werden. Posner 2 ) 
neigt zur Ansicht, dass die Erkrankung der zweiten Niere bei bereits 
erkrankter anderer, z. B. bei Nierentuberkulose, toxischer Natur sei, 
dass ein im zuerst erkrankten Organ gebildetes Nephrotoxin in der bisher 
gesunden Niere eine Nephritis erzeuge. In diesem Falle kann man ihm 
beistimmen, wenn er aber in dem Umstande, dass nach Entfernung des 
primär erkrankten Herdes die zweite Niere rasch wieder zur Norm 
zurückkehrt, den Beweis für den toxischen Charakter sieht, so muss auf 
jene Fälle hingewiesen werden, wo nach einseitiger Nierenexstirpation 
der entzündliche Process in dem secundär erkrankten Organ rapide 
Fortschritte machte und rasch zum Exitus führte. 


Die nun folgenden Abkühlungsversuche, durch welche die 
Frage der Erkältungsnephritis endgiltig gelöst und damit 
auch der Streit, ob überhaupt eine Erkältungskrankheit durch 
Kälteeinwirkung allein entstehen könne oder nicht, in posi¬ 
tivem Sinne entschieden wurde, sind sämmtlich von der Haut 
aus gemacht. Die Versuchsanordnung geht aus den Protokollen her¬ 
vor; sämmtliche Obductionen und mikroskopische Diagnosen hat in 
liebenswürdigster Weise Dr. Illing, Prosector der thierärztlichen Hoch¬ 
schule, übernommen. 


1) Eulenburg, Realencykl. Erkältung. 

2) Deutsche med. Wochenschr. 1900. No. 12 und Albuminurie, Zeitschr. f. 
Urologie. 1908. 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


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I. Versuch. 

Hund 13, weiblicher Spitz, ca. \ l j 2 Jahre alt, Gewicht 12 Pfund 300 g. 

29. —30. 10. 07. 280 ccm Urin, 1012 spec. Gew. Kein Albumen. 

30. —31. 300 ccm Urin, 1012 spec. Gew. Kein Albumen. Am 31. 10. 11 1 / 2 bis 
12 Uhr Vormittags wird in der rechten Nierengegend im Umkreis von 4—5 cm (obere 
Grenze: 12. Rippe, mediane Grenze: Wirbelsäule) Eis aufgelegt, um das Eisstück 
herum Watte zur Aufsaugung des sich bildenden Schmelzwassers. Die Haare bleiben 
intact. Das auf dem Operationstisch nur leicht gefesselte Thier ist während des 
ganzen halbstündigen Versuchs sehr unruhig und macht ununterbrochen die heftigsten 
Bewegungen. Temperatur zu Beginn 38,2° C., am Ende 38,3° C. 

31. 10.—1. 11. 270 ccm Urin, 1017 spec. Gew. Kein Albumen, kein Sediment. 
Am 1. 11. Vormittags von \\ l j 2 —12 Uhr wird das Thier an derselben Stelle mit Eis 
behandelt, die Haare jedoch in diesem Umkreis zuvor mit der Scheere abgeschnitten. 
Der Hund ist wiederum sehr unruhig und zappelt viel. Temp. 38,1° C. bis 38° C. 

1. —2. 11. 400 ccm Urin, 1017 spec. Gew. Kein Albumen. 

2. —3. 350 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Nihil. 

3. -4. 265 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Nihil. Am 4. 11. Vormittags ll 1 ^ bis 
12 Uhr wird das Thier in leichter Morphium-Narkose an derselben Stelle in derselben 
Weise gekühlt. Das Thier liegt zunächst ruhig, nach 15 Minuten beginnt es leioht 
zu zittern, zuerst in der Gesässgegend, dann in der ganzen Naohhand und gegen 
Ende des Versuchs am Körper, am stärksten an der Nachhand; wird sofort in den 
Käfig zurückgebracht. Temp. 38,3°—35,7° C. 

4. —5. 450 ccm Urin, 1016 spec. Gew. Albumen -|-, schwach (Essigsäure 
Kochprobe und Essigsäure mit Ferrocyankalium), hyaline und granulirte Cylinder, 
Leukocyten. 

5. —6. 400 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Albumen -{-, stärker wie gestern, reich¬ 
lich hyaline und granulirte Cylinder. 

6. —7. 270 ccm Urin, 1012 spec. Gew. Albumen wird reichlicher, viele granu¬ 
lirte, einige epitheliale Cylinder; Erythrooyten und Nierenepithelien. Gewicht 9 Pfund 

100 g. 

7. —8. 270 ccm Urin, 1012 spec. Gew. Urinbefund unverändert. 

8. —9. 250 ccm Urin, 1016 spec. Gew. Urinbefund unverändert. 

9. —10. Fehlt. 

10. —11. 270 ccm Urin, 1017 spec. Gew. Eiweissreaction schwächer, viel hya¬ 
line, einige granulirte Cylinder, Leuko- und Erythrocyten. 

11. -12. 250 ccm Urin, 1015 spec. Gew. Heute nur Spuren Albumen, wenig 
Cylinder, viel Erythrocyten. 

12. —13. 420 ccm Urin, Albumen wieder reichlicher, sonst unverändert. 

13. —14. 350 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Derselbe Urinbefund. 

14. —15. 250 ccm Urin, 1015 spec. Gew. Derselbe Urinbefund. 

15. —16. 400 ccm Urin, 1012 spec. Gew. Derselbe Urinbefund. Stark abge¬ 
magert, Schwäche in der Nachhand. 

17. —18. 210 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen immer noch }/ 2 pM. Essb., 
verfettete Epithelien und Cylinder, Leukocyten. 

18. —19. Urin versehentlich ausgeleert. Gewicht 8 Pfund 350 g. 

19. —20. 20.—21. 500 ccm Urin, 1021 spec. Gew. Albumen -|-, verfettete 
Cylinder. Gewioht 8 Pfund 250 g. 

21. —22. 250 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Albumen +, Fetttropfen, einige 
granulirte Cylinder. 

22. -23. 400 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Albumen -j-> verfettete Nieren¬ 
epithelien, einige granulirte Cylinder. Gewicht 9 Pfund. 

23. -24. 24.-25. Kein Urin. 

23 * 


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25. —26. 360 ccm Urin, 1016 spec. Gew. Albumen stark, vereinzelte 
(3—4) rothe Blutkörperchen, einige granulirte Cylinder. 

26. -27. 240 ccm Urin, 1026 spec. Gew. Status idem. 

27. -28. 210 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Idem. Gewicht 8 Pfund 300 g. 

28. —29. 300 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen vereinzelte geformte 
Elemente. Die abgekühlte Hautparthie nicht erfroren, die Haare wachsen nach 
(Dr. Faese, I. Assistent der Poliklinik der Thierärztlichen Hochschule). 

29. —30. 200 ccm Urin, 1026 spec. Gew. Albumen +. 

1. —2. 12. 200 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen -f-, stark, mehr granu¬ 
lirte Cylinder. Gewicht 9 Pfund 100 g. 

2. -3. 450 cöm Urin, 1015 spec. Gew. Albumen +• 

3. -4. 420 ccm Urin, 1019 spec. Gew. Albumen -(-» nur ©inige granulirte 
Cylinder. Gewicht 9 Pfund. Am 4. Vormittags durch Herzstich getödtet. 

Sectionsprotokoll (Dr. Illing): Makroskopischer Befund: 
Herz, Lunge, Halsorgane, Darmcanal, Magen, Milz, Leber, abgesehen 
von allgemeiner Anämie in Folge der Verblutung ohne krankhafte Ver¬ 
änderungen. 

Beide Nieren zeigen folgendes: Kapsel an verschiedenen Stellen 
mit der Oberfläche verwachsen, sodass etwa ein Drittel der Nierenober¬ 
fläche mit der Kapsel zusammenhängt. Nieren von gewöhnlicher Form 
und Grösse, Consistenz gleichmässig derb. Oberfläche an den freien 
Theilen graubraunroth, feucht und glatt. An den verwachsenen Stellen 
reisst beim Abziehen der Kapsel das Parenchym ein. Die Schnittfläche 
der Rindenschicht ist grauroth, etwas trocken und trübe mit etwas 
mattem Glanz. An verschiedenen Stellen kurze rothe Striche und kleine 
rothe Punkte, daneben kleine grauweisse Stippchen. 

Schnittfläche der Marksubstanz gelbroth, ziemlich feucht und ziem¬ 
lich glatt. Auch hier finden sich die grauweissen Stippchen an ver¬ 
schiedenen Stellen. 

Die mikroskopische Untersuchung beider Nieren ergab 
folgendes: Epithelien der Tubuli contorti fast in allen Theilen deutliche 
Kernfärbung mit fein und dicht granulirtem Protoplasma. Glomeruli 
stark mit Blut gefüllt, sonst ohne Veränderung. Epithelien der Tub. 
recti zumeist überall deutliche Kernfärbung. Protoplasma hell mit ein¬ 
zelnen groben Granulis. Capillaren an verschiedenen Stellen stark ge¬ 
füllt. Interstitialgewebe nicht vermehrt. An einzelnen Stellen so¬ 
wohl in der Rinde wie in der Marksubstanz Anhäufung von 
Rundzellen (Lymphocyten), zwischen diesen vereinzelte 
Fibroblasten. Durch diese Anhäufungen werden die Tubuli ausein¬ 
andergedrängt. 

Bemerkung: derartige Herde kommen in der gesunden Niere des 
Hundes nicht vor. 


II. Versuch. 

Hund 14, weiblicher Colliebastard, ca. 1 Jahr alt. 

18.—19. 11. 360 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Kein Albumen, keine geformten 
Elemente, Temp. 38,3°, erhält am 19. 11. Morphium subcutan und wird dann nach 
eingetretener Wirkung 1 / 2 Stunde lang auf den Operationstisch gespannt (nicht ge¬ 
kühlt!), um den Einfluss der Fesselung festzustellen. Nach Beendigung des Versuchs 
Temp. 37,8° C. 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


353 


19. —20. 300 ccm Urin, 1024 spec. Gew. Ohne Befund. 

20. —21. 450 ccm Urin, 1021 spec. Gew. Ohne Befund. Am 21. Vormittags 
11 y 4 Uhr Temp. 38,5°, Morphium subcutan, 11 Uhr 30 Min. auf den Operationstisch 
fixirt, Beginn der Kühlung mit Eis in der Nierengegend wie Hund 13, aber auf in- 
tacten Haaren. Während des ganzen Versuchs ist der Hund, von der zu kühlenden 
Stelle abgesehen, in ein Tuch eingeschlagen. Nach 20 Minuten leichtes Zittern am 
Hinterkörper. Temp. 11 Uhr 45Min. = 37,l° C., 12 Uhr (Ende des Versuchs) = 36,8°. 

21. —22. 150 ccm Urin, 1035 spec. Gew. Deutlich Albumen -)-, keine geformten 
Bestandtheile, Thier ist munter, frisst gut. 

22. -23. 120 ccm Urin, 1036 spec. Gew. Albumen -f* (Essigsäure mit Ferro- 
cyankalium), Erythrocyten und Leukocyten, einige hyaline und granulirte Cylinder. 
Blutprobe positiv (Guajaktinctur H 3 0 o ). Gewicht 14 Pfund 100 g. 

23. -24. Fehlt. 

24. -25. Fehlt. 

25. -26. 270 ccm Urin, 1026 spec. Gew. Albumen -(- (stark), einige Nieren- 
epitbelien, zahlreiche Erythrocyten, hyaline und granulirte Cylinder. 

26. -27. 110 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Derselbe Befund. 

27. -28. Kein Urin; Gewicht 14 Pfund. Das Thier liegt ruhig, macht einen 
kranken Eindruck, frisst aber gut. 

28. -29. 350 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen 

29. —30. 100 ccm Urin, 1036 spec. Gew. Albumen -J-« 

1. —2. 12. 270 ccm Urin, 1029 spec. Gew. Albumen -j-, reichlich Erythrocyten 
und granulirte Cylinder, vereinzelte Epithelialcylinder. Gewicht 13 Pfund 200 g. 

2. -3. 480 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen -j-, keine Epitheleylinder, 
aber hyaline und granulirte, sowie Erythrocyten. 

3. —4. 410 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Derselbe Befund, Gewicht 13 Pfund 200 g. 

4. -5. 50 ccm Urin, 1035 spec. Gew. Derselbe Befund, Gewicht 14 Pfund 100 g. 

5. -6. 45 ccm Urin, 1046 spec. Gew. Albumen -f- stark, zahlreiche Nieren- 
epithelien, hyaline und granulirte Cylinder, zahlreiche Erythrocyten. 

6. -7. 400 ccm Urin, 1035 spec. Gew. Derselbe Befund. 

8. -9. 250 ccm Urin, 1040 spec. Gew. Derselbe Befund. 

9. —10. Kein Urin. 

10. —11. 400 ccm Urin, 1019 spec. Gew. Befund unverändert. 

11. —12. 120 ccm Urin, 1036 spec. Gew. Befund unverändert, Gewicht 12 Pfund 
400 g. 

12. —13. 90 ccm Urin, 1040 spec. Gew. 

13. —14. Urin aus Versehen ausgeleert. Das Thier frisst schlecht, ab und zu 
Zuckungen über den ganzen Körper. 

15. —16. 190 ccm Urin, 1060 spec. Gew. Albumen -f-, vereinzelte Nieren- 

epithelien und granulierte Cylinder. 

16. —17. Kein Urin; Zuckungen treten immer wieder auf. 

17. —18. 160 ccm Urin, 1050 speo. Gew. Albumen 6pM. Essb. zahlreiche 

hyaline, granulirte und epitheliale Cylinder, zahlreiche Erythrocyten, Gewicht 13 Pfund. 

18. —19. 250 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Derselbe Befund. 

19. —20. 450 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen x / 2 pM. Essb., sonst der¬ 

selbe Befund, frisst wieder gut. 

20. —21. 300 ccm Urin, 1012 spec. Gew. Status idem. 

21. —22. 400 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Status idem. 

22. —23. 250 ccm Urin, 1019 spec. Gew. Albumen 1 pM. Essb., sonst un¬ 

verändert. 

23. -24. 300 ccm Urin, 1022 spec. Gow. Derselbe Urinbefund; frisst sehr 

schlecht, ist apathisch, bewegt aber auf Zuruf leicht den Kopf, sehr abgemagert. 


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26. -27. 100 ccm Urin, 1036 spec. Gew. Derselbe Urinbefund und Status, Ge¬ 
wicht 10 Pfund 100 g. 

27. -28. 150 ccm Urin, 1042 spec. Gew. Unverändert. 

28. -29. 100 ccm Urin, 1040 speo. Gew. Unverändert. 

29. —30. 100 ccm Urin, 1039 spec. Gew. Unverändert. Gewicht 9 Pfund 200 g. 

Da der Zustand des Thieres sich so verschlimmerte, dass der Exitus eventuell 

in der Neujahrsnacht zu erwarten war, wird es, um auf alle Fälle wie bisher ganz 
frische Präparate zu erhalten, durch Durchschneiden der Kehle getödtet. 

Sectionsprotokoll (Dr. Illing). Makroskopischer Befund: 
Thier in sehr schlechtem Ernährungszustand, Musculatur röthlich grau, 
feucht und durchscheinend; Bauch eingefallen, in der Bauchhöhle kein 
abnormaler Inhalt. Bauchfell überall durchsichtig, feucht und glatt, Ein¬ 
geweide in natürlicher Lage, Darm, Magen, Milz und Leber ohne Befund. 

Rechte Niere: Kapsel leicht abziehbar, Niere glatt, von gewöhn¬ 
licher Form und Grösse und von derber Consistenz. Oberfläche grau- 
blau-gelb, feucht und glatt. Schnittfläche der Rinde von derselben Farbe, 
etwas trocken und von mattem Glanz. Marksubstanz grauweiss, feucht 
und glatt. 

Linke Niere: Kapsel leicht abziehbar, derselbe Befund wie rechts. 

Herz sehr schlaff (Verblutung!), ohne Befund, Lunge und Halsorgane 
gleichfalls ohne Besonderheit. 

Mikroskopischer Befund: Epithelien der Tub. contorti und 
recti zeigen im Allgemeinen leidliche Kernfärbung. Da¬ 
zwischen finden sich einzelne nekrotische Epithelien mit An¬ 
häufung von Fett in kleinen Mengen und kleinen Tropfen. 
Starke Füllung der Capillaren. Nicrenkörperchen und Interstitialgewebe 
nicht verändert. 

Im Allgemeinen nimmt man an, dass es ganz besonders Durch- 
nässungen der Füsse sind, welche zu acuter parenchymatöser 
Nephritis führen. In den folgenden Versuchen hat die Abkühlung 
dementsprechend stattgefunden. 

III. Versuch. 

Hund 15. ca. l / 2 Jahr alt, männlich, 12 Pfuud. 

13. —14. 12. 170 ccm Urin, 1019 spec. Gew. Nihil. 

14. —15. 150 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Nihil. 

15. —16. 120 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Nihil; Körpertemperatur 39,5° C. Be¬ 
ginn des Versuchs 10 Uhr 43 Min. Das Thier steht mit den Hinterbeinen bis 
zu den Knien in kaltem Wasser (4° C.) und wird an den Vorderfüssen in 
aufrechter Stellung festgehalten. Haare intact. Nach 2 Minuten leichtes 
Zittern und Unruhe. 10 Uhr 48 Min. Athmung deutlich beschleunigt, Zittern starker; 
10 Uhr 50 Min. sehr unruhig, 10 Uhr 53 Min. Ende des Versuchs. Dauer des Ver¬ 
suchs 10 Minuten. Wassertemperatur am Ende des Versuchs 5° C. Temp. 39,2° C. 
Das Thier wird sofort unabgetrocknet in den Käfig zurüokgebracht, ist munter 
und frisst gut. 

16. —17. 120 ccm Urin, 1060 spec. Gew. Albumen -{- ( l / 2 pM. Essb.), 2 bis 
3 granulirte Cylinder, einige Leukocyten, frisst gut. 

17. —18. 60 ccm Urin, 1045 spec. Gew. Albumen alle Arten Cylinder, 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


355 


Nierenepithelien, einige Erythrocyten. Das Thier wird am 18. 12. Morgens tot im 
Käfig gefunden, Obduction am 18. 12. Mittags 1 Uhr. 

Sectionsprotokoll (Dr. Illing). Makroskopischer Befund: 
Leib stark aufgetrieben. Musculatur blass, anämisch. In der Bauch¬ 
höhle theils flüssiges, theils geronnenes braunrothes Blut, circa V 4 Liter. 
Auf der Unterfläche des linken Leberlappens vier grosse, frische, ober¬ 
flächliche Risse, 2 mm lang, 3 mm tief. (NB. Der Diener giebt zu, dem 
Hunde einen Tritt versetzt zu haben.) Brusthöhle ohne abnormen Inhalt. 
Organe anämisch. 

Rechte Niere etwas vergrössert, sehr anämisch; Kapsel leicht ab¬ 
ziehbar. Oberfläche braun-grau, feucht und glatt. Schnittfläche der 
Rinde gelb-grau, etwas trübe mit leichtem matten Glanz, ziemlich glatt, 
keine Hämorrhagicn. Marksubstanz gelbrosa, feucht und glatt. An 
einzelnen Stellen der Rindensubstanz sind die Glomeruli als rothe 
Pünktchen sichtbar. 

Linke Niere zeigt denselben Befund. 

Die übrigen Bauchhöhlenorgane ohne Besonderheit. 

Im Herzbeutel kein abnormer Inhalt. Linkes Herz gut contrahirt. 
Im rechten Vorhof und in der rechten Kammer wenig flüssiges, hellrothes 
Blut und etwas speckhäutiges Gerinnsel. 

Herzmuskel von derber Consistenz, Oberfläche graubraun, feucht und 
glänzend, ebenso auf dem Durchschnitt Endocard und Klappen glatt, 
durchsichtig. 

Beide Lungen, Halsorgane ohne Befund. 

Mikroskopischer Befund: In allen Theilen Epithelien der Tubuli 
contorti und recti, Nierenkörperchen, Blutgefässe und Zwischengewebe 
unverändert. 

IV. Versuch. 

Hund 16. Schwarzer Dachsbastard, männlich, ca. J / 2 Jahr alt, 12 Pfund 100 g. 

18. —19. 12. 280 ccm Urin, 1014 spec. Gew. Nihil. 

19. —20. 300 ccm Urin, 1012 spec. Gew. Nihil; Tcmp. 38,4° C. Am 20. 12. 
Vormittags 10 Uhr 55 Min. Hinterbeine bis zu den Knien in Wassor (3° C.) 
eingetaucht, aufrecht stehend an den Vorderbeinen festgehalten, Haare 
intact. Schon nach 2 Minuten leichtes Zittern am ganzen Körper, nach 5 Minuten 
wird es stärker, das Thier wird unruhig, winselt; Athmung beschleunigt. Ende des 
Versuchs 11 Uhr 5 Min. Kommt sofort unabgetrocknet in den Käfig zurück. Wasser- 
teraperatur 3°, Rectaltemp. 38,4°, eine Stunde später 38,3°. Das Thier ist munter 
wie zuvor, frisst gut. 

20. —21. Kein Urin: ist aber munter und frisst alles auf. 

21. —22. 700 ccm Urin. 1016 spec. Gew. Albumen -f- (Y 2 pM. Essb.), Nieren- 
epithelien, zerfallene Cylinder, reichlich Erythrocyten und Leukooyten. 

22. -23. Kein Urin. 

23. —24. 550 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen -(-, vereinzelte hyaline 
Cylinder, einige Erythrocyten. 

25.—26. u. 26.-27. 1200 ccm Urin, 1010 spec. Gew. Derselbe Befund, Gewicht 
10 Pfund 400 g. 

27. —28. 300 ccm Urin, 1028 spec. Gew. Spur Albumen. 

28. -29. 65 ccm Urin. 1042 spec. Gew. Albumen -j- (1 pCt. Essb.), zahlreiche 


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356 W. Siegel, 

zerfallene Cylinder, Niorenepithelien und rothe Blutzellen; frisst sehr schlecht und 
verhält sich auffallend ruhig. 

29.—30. 12. 60 ccm Urin, 1060 spec. Gew. Urinbefund wie gestern; hat nichts 
gefressen. Wird am 30. 12. Morgens todt im Käfig gefunden. 

Sectionsprotokoll (Dr. Illing). Makroskopischer Befund: 
An der Oberfläche der Bauchdecken nichts Aussergewöhnliches. Muscu- 
latur ziemlich anämisch. Bei Eröffnung der Bauchhöhle zeigt sich 
klare, röthlich-gelbe Flüssigkeit, ca. 100 ccm (Ascites). Ein¬ 
geweide in gewöhnlicher Lage. Bauchfell durchsichtig, feucht und überall 
glatt. Milz ohne Befund, etwas Stauungsleber. 

Linke Niere: Kapsel leicht abziehbar. Oberfläche graubraun, feucht 
und glatt. Consistenz derb. Rindenschicht auf der Schnittfläche grau¬ 
braun, etwas trocken, mit etwas mattem Glanz und ziemlich glatt. Mark¬ 
substanz röthlich-grau, feucht und glatt. 

Rechte Niere: Derselbe Befund wie links. 

Blase prall gefüllt, Herz schlaff, dilatirt, Lunge, Halsorgane ohne 
Befund. 

Mikroskopischer Befund: Zahlreiche Epithelien der Tubuli 
contorti und recti zeigen schwache Kernfärbung und Zerfall 
des Protoplasmas. In einzelnen Abschnitten der Harnkanälchen 
finden sich Anhäufungen von kleinen Fetttröpfchen. Nieren¬ 
körperchen, Zwischengewebe und Blutgefässe unverändert. 

V. Versuch. 

Hund 17. Männlich, ca. 1 / 2 Jahr alt, 10 Pfund 400 g. 

14. —15. 1. 08. 120 ccm Urin, 1027 spec. Gew. Spur Albumen, im Sedi¬ 
ment nichts. 

15. —16. 380 ccm Urin, 1023 spec. Gew. Spur Albumen, im Sediment 
niohts; ist munter, frisst gut. Dieser Versuch sollte den Einfluss der 
Erkältung auf eine bereits bestehende (in diesem Falle chronische) Nephritis 
zeigen. Am 16. 1. Temp. 38,3°; 10 Uhr 50 Min. bis 11 Uhr Abkühlung der 
Hinterbeine wie bisher, Wassertemperatur zu Beginn 5°, am Ende 5,5° C.; 
Rectaltemperatur 38,4°; eine Stunde später 38,1° C. Das anfänglich starke Zittern 
lässt gegen Ende des Versuchs etwas nach. 

16. —17. 160 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Albumen stark-)-, hyaline und 

granulirte Cylinder, Niorenepithelien, Erythrocyten in ganzen Conglomeraten, 
Leukocyten. 

17. —18. 40 ccm Urin. Albumen 2pM. Essb., alle Arten Cylinder, massenhaft 
Erythrocyten, Niorenepithelien, Sediment blutroth. Gewicht 10 Pfund 490 g. 

18. —19. 350 ccm Urin, 1012 spec. Gew. Wie gestern. 

19. —20. 70 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Albumen lpM., Erythrocyten, granu¬ 
lirte Cylinder nicht mehr so massenhaft, Nierenepithelien; Gewicht 10 Pfund 150 g. 

20. —21. 160 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Urinbefund unverändert. 

21. —22. 190 ccm Urin, 1021 spec. Gew. Albumen 1 / 2 pM., einige granulirte 
und hyaline Cylinder; keine Erythrocyten. Am 22. 1. Vormittags 12 Uhr durch Durch¬ 
schneidung der Kehle getödtet und wie immer sofortige Obduction. 

Sectionsprotokoll (Dr. Illing). Makroskopischer Befund: 
Männliches, ca. 6 Monate altes Thier in gutem Ernährungszustand. In 
der Bauchhöhle ca. 50 ccm helle, klare, bernsteingelbe Flüssig¬ 
keit (Ascites). 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


357 


Magen, Darm, Leber, Milz, ebenso Herz, Lunge, Halsorgane ohne 
Befund, Herz schlaff. 

Linke Niere: Kapsel leicht abziehbar, Niere von gewöhnlicher Form 
und Grösse und von derber Consistenz. Oberfläche graubraun, feucht 
und unregelmässig gekörnt. Schnittfläche der Rinde braungrau, feucht 
und ziemlich glatt, von grauweissen Streifen durchzogen, Rinde relativ 
schmal, Marksubstanz röthlich-grau, feucht und glatt. 

Rechte Niere zeigt denselben Befund. 

Mikroskopischer Befund beider Nieren: Die Epithelien der 
Tubuli recti und contorti sind im Allgemeinen getrübt, Kerne 
zeigen grossentheils gute Färbung, in einzelnen Epithelien 
finden sich kleine Fetttröpfchen und schwächere Kernfärbung. 
In den meisten Nierenkörperchen ist die Kapsel vom Glome- 
rulus abgedrängt, sonst nichts verändert. Das Zwischen¬ 
gewebe ist bedeutend verbreitert. Die Harnkanälchen werden 
an zahlreichen Stellen und auf grosse Strecken durch Herde 
von Rundzellen, Fibroblasten und Bindegewebszellen ver¬ 
drängt. Die Blutgefässe zeigen nichts Besonderes. 

VI. Versuch. 

Hund 18, weiblich, ca. s / 4 Jahr alt, Gewicht 14 Pfund. 

22. -23. 1. 08. 350 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Nihil. 

23. -24. 300 ccm Urin, 1019 spoc. Gew. Nihil. 

24. -25. 270 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Nihil. Am 25. 1. Vormittags 12 Uhr 
Aftertemp. 39,2° C., Wassertemp. 4° C.; von 12 Uhr 10 Min. bis 12 Uhr 20 Min. 
Abkühlunng der Hinterbeine bis zu den Knien bei intacten Haaren in 
der üblichen Weise. Zittern und Unruhe nicht auffallend stark. Am Ende des 
Versuchs Wassertemp. 5° C., Rectaltemp. 38,8° C. Das Thier kommt sofort unabge- 
trocknet in den Käfig zurück. 

25. -26. 350 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Beim Kochen mit Essigsäure hauch- 
förmige Trübung, Albumen also schwach positiv; 3—4 Erythrocyten, ebensoviele 
hyaline und granulirte Cylinder. Thier ist munter. 

26. -27. 72 ccm Urin, 1034 spec. Gew. Albumen stärker positiv, Erythrocyten 
und Cylinder wie gestern, Nierenepithelien. Das Thier wird viel ruhiger. 

27. -28. 140 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Albumen +, 1 pCt. Essb.; reichlich 
Erythrocyten, hyaline und granulirte Cylinder, Nierenepithelien. Das Thier ist still, 
hat seine Munterkeit völlig verloren, liegt ruhig, frisst aber gut. Gewicht 12 Pfund 
300 g. 

28. -29. 200 oom Urin, 1032 spec. Gew. i Derselbe Befund. 

29. —30. 400 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Albumen -j-, weniger Erythrocyten, 

einige verfettete Nierenepithelien, viel hyaline, aber nur ganz vereinzelt granulirte 
Cylinder. Befund und Status besser. Gewicht 12 Pfund 200 g. Am 30. 1. Vormittags 
von 12 Uhr 40 Min. bis 12 Uhr 50 Min. wird das Thier nochmals in derselben Weise 
gekühlt. Das Thier knickt leicht in den Knien ein und zittert heftig. 

30. —31. 120 ccm Urin, 1038 spec. Gew. Albumen -f- (1 pM. Essb.), Nieren¬ 

epithelien vermehrt, hyaline und granulirte Cylinder sowie Erythrocyten unverändert. 

31. —1. 2. Erhält eine tägliche Zulage von 8 / 4 1 Milchsuppe. 420 ccm 
Urin, 1020 spec. Gew. Albumen -f- (Y 2 pM. Essb.), geformte Elemente, auch 
Erythrocyten stark vermehrt, verfettete Nierenepithelien. 

1.—2. 500 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Albumen -(-» l U pM. Essb., reichlich 
geformte Bestandtheile, aber weniger wie gestern. Gewicht 12 Pfund. 


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2. -3. 300 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Am 2. keine Milchsuppe, Albumen 

V 2 pM. Essb., keine Erythrocyten, aber massenhaft hyaline und granulirte Cylinder, 
Nierenepithelien. 

3. -4. 420 ccm Urin, 1026 spec. Gew. Am 3. Zulage von 3 / 4 1 Milchsuppe, 
Albumen +» keine Erythrocyten, viel hyaline und granulirte Cylinder, 2 Epithel- 
cylinder, Nierenepithelien. Gewicht 11 Pfund 450 g. 

4. -5. 200 ccm Urin, 1040 spec. Gew. Derselbe Befund. 

5. -6. 180 ccm Urin, 1040 spec. Gew. ( 3 / 4 1 Milchsuppe), Befund derselbe, 
Gewicht 11 Pfund 470 g; in den unteren Parthien des Abdomens Percussionsschall ab¬ 
geschwächt, über dem Thorax beiderseits Dämpfung; kein Husten; das Thier liegt 
ruhig. 

6. --7. 45 ccm Urin, 1045 spec. Gew. Hat nichts mehr gofressen. Albumen 
1 pM. Essb., massenhaft Erythrocyten, Nierenepithelien und alle Arten Cylinder. 
Wird am 7. 2. Morgens todt im Käfig gefunden. 

Sectionsprotokoll (Dr. Illing): Makroskopischer Befund: 
Weibliches Thier, ca. 8 / 4 Jahr alt, stark abgemagert. In der Bauch¬ 
höhle etwa 75 ccm hellgelbe, klare Flüssigkeit (Ascites). 
Eingeweide in gewöhnlicher Lage. Bauchfell durchsichtig, feucht und 
glatt. Körpermusculatur im Allgemeinen sehr feucht. 

Rechte Niere: Kapsel leicht abziehbar, Niere von gewöhnlicher 
Form und Grösse und schlaffer Consistenz. Oberfläche graubraun, feucht 
und glatt. Schnittfläche der Rinde graugelb - braun, etwas trocken, 
ziemlich glatt mit leichtem mattem Glanz. Markstrahlen deutlich sichtbar. 
An einzelnen Stellen in der Rinde hellrothe Striche und Punkte. Mark¬ 
substanz auf dem Durchschnitt grauroth, feucht und glatt. 

Linke Niere: Kapsel leicht abziehbar, Blutungen etwas geringer, 
sonst derselbe Befund wie rechts. 

Leber blutreich, sonst ohne Befund. Milz von gewöhnlicher Form, 
etwas vergrössert, Consistenz weich, Oberfläche blauroth, feucht und glatt, 
Schnittfläche roth, feucht und grob gekörnt. Pulpa vermehrt, springt in 
Form von kleinen Prominenzen über die Schnittfläche vor. Trabckel- 
system undeutlich sichtbar. 

Magen und Darm ohne Befund. 

In den Brustfeilsäcken etwa 500 ccm einer röthlich-gclbcn, 
nicht trüben, sondern klaren Flüssigkeit (Hydrothorax), in der 
graugelbe fädige Gerinnsel enthalten sind. Brustfell diffus und ramiform 
geröthet, etwas trocken und rauh, die Oberfläche an einzelnen Stellen 
mit graugelben fädigen, spinngewebeähnlichen Massen bedeckt, die sich 
leicht abheben lassen. 

Im Herzbeutel etwa 30 ccm gelbe, klare Flüssigkeit 
(Hydropericard), die sich berührenden Herzbeutelblätter sind feucht 
und glatt. 

Herz schlecht contrahirt, im rechten wie im linken Herzen relativ 
viel schlecht geronnenes, schwarzrothes Blut und je ein grosses, speck¬ 
häutiges Gerinnsel. Oberfläche des Herzens grauroth, feucht und glatt. 
Herzmuskel von etwas mürber Consistenz, auf dem Durchschnitt grau¬ 
roth, trocken und trübe. Die Innenhaut des Herzens sowie der grossen 
Gefässe und der Klappenapparat durchsichtig, feucht und glatt. 

Lungen liegen frei in den Brustfellsäcken, sind gross, haben sich 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


359 


schlecht contrahirt. Spitzen- und Herzlappen der rechten und linken 
Lunge von derber Consistcnz, Zwerchfellslappen beiderseits weich, 
elastisch und lufthaltig, Oberfläche des Spitzen- und Herzlappens der 
rechten und linken Lunge blauroth, etwas trocken und trübe und an 
an verschiedenen Stellen mit einem graugelben, fädigen, netzartigen Belag 
bedeckt, der sich leicht abheben lässt. 

Zwerchfellslappen der rechten und linken Lunge an der Oberfläche 
blassroth, trocken, trübe und rauh. 

Schnittfläche des Spitzen- und Herzlappens beider Lungen grauroth, 
sehr feucht und ziemlich glatt. Bei leichtem seitlichen Druck fliesst 
von der Schnittfläche eine graubraune, trübe, railchchocolade-ähnliche 
Flüssigkeit in ziemlich grosser Menge ab. 

Schnittfläche des Zwerchfelllappens beiderseits hellroth, etwas feucht 
und ziemlich glatt. 

Halsorgane, abgesehen von dem allgemeinen Oedem der 
Musculatur, ohne Befund. 

Mikroskopischer Befund der Nieren: Nekrose zahlreicher 
Epithelien der Tubul. contorti et recti, schwache Färbung 
sämmtlicher noch vorhandener Kerne der Harnkanälchen- 
epithelien. Fett in grossen Mengen und grossen Tropfen in 
zahlreichen Tub. recti et contorti. Geronnenes, feinkörniges 
Exsudat an einzelnen Stellen zwischen den Harnkanälchen. 
Starke Füllung sämmtlicher Blutgefässe. 

VII. Versuch. 

Hund 19, ca. 9 Monate altes, weibliches Thier. Gewicht 14 Pfund. 

12. —13. 2. 08. 360 ccin Urin, 1015 spec. Gew. Nihil. 

13. —14. 380 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Am 14. Vormittags von 11 Uhr bis 
11 Uhr 10 Min. Kühlung der Hinterbeine bis zu den Knien bei intacten 
Haaren. Temp. 38,7° C.—38,7° C., Wassertemp. 4° C., am Ende des Versuchs 
5V 2 0 C. Während des Versuchs Zittern und Unruhe; nachdem das Thier, wie bisher, 
unmittelbar nach Beendigung des Versuchs unabgetrocknet in den Käfig zurück¬ 
gebracht war, fängt es heftig zu zittern an, zuerst am Hinterkörper, dann am ganzen 
Körper. 

14. —15. 120 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Albumen -f- ( l / i pM. Essb.), ver¬ 
einzelte hyaline und granulirte Cylinder, Erythrocyten und Nierenepithelien; das 
Thier ist munter, frisst gut. Temp. 38,7° C. 

15. —16. 140 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen -|- (schwächer), Sediment 
unverändert; frisst gut, ist aber etwas stiller. 

16. —17. 110 ccm Urin, 1021 spec. Gew. Albumen -f* wie gestern, fast kein 
Sediment; ist ziemlich still, hustet nicht; Gewicht 13 Pfund 100 g. 

17. —18. 430 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Albumen -f-, Sediment reichlich, 
einige hyaline und granulirte Cylinder, einige Erythrocyten. 

18. —19. 290 ccm Urin, 1025 spec. Gew. Derselbe Urinbefund; Gewicht 
13 Pfund 400 g. 

19. —20. 230 ccm Urin, 1045 spec. Gew. Albumen -f- (1 pM. Essb.), im 
Sediment zahlreich geformte Bestandtheile, Nierenepithelien, Erythrocyten. Gewicht 
13 Pfund, 250 g. 

20. —21. 100 ccm Urin, 1052 spec. Gew. Albumen -[- ( l / 3 pM. Essb.), 

Sedimentbefund unverändert. Seit gestern leichter Durchfall. 


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21. —22. 35 ccm Urin. Befund wie gestern; ist viel ruhiger, hat nicht aufge- 
fressen, aber erbrochen, hustet nicht. Temp. 38,8° C. Percussionsschall über 
dem Abdomen gedämpft, über don Lungen nicht; Gewicht 13 Pfund 450 g. 

22. -23. 190 ccm Urin, 1054 spec. Gew. Urinbefund derselbe; hat alles auf¬ 
gefressen, ist wieder munterer. 

23. -24. 550 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Status idem. 

24. -25. 750 ccm Urin, 1010 spec. Gew. Urinbefund geringer. 

25. -26. 180 ccm Urin, 1042 spec. Gew. Derselbe Befund. Gewicht 13 Pfund 
400 g. 

26. -27. 190 com Urin, 1042 spec. Gew. Albumen -j-, mehr granulirte Cylinder. 

27. —28. 20 ccm Urin. Albumen -J-, Nierenepithelien, hyaline, granulirte 
Cylinder, Erythrocyten; hat nicht aufgefressen, ist auch nicht mehr so munter. 

28. -29. 240 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Derselbe Befund. 

29. 2.—1. 3. Sonntag —. 

1. —2. 470 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Unverändert. Gewicht 13 Pfund. 

2. -3. 370 ccm Urin, 1026 spec. Gew. Status idem. 

3. -4. 260 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Albumen -j- ( l j 2 pM. Albumen), 
wenig geformte Elemente. Gewicht 12 Pfund 300 g. 

4. -5. 270 ccm Urin, 1028 spec. Gew. Albumen -}- ( l / 2 pM. Essb.), sonst 
wie gestern. 

5. —6. 500 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Albumen (*/ 4 pM. Essb.), ziem¬ 
lich viel geformte Bestandtheile, auch Erythrocyten. 

6. -7. 520 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Sowohl Albumen als auch die übrigen 
Nierenbestandtheile geringer. 

8. -9. 300 ccm Urin, 1024 spec. Gew. Unverändert. Gewicht 12 Pfund. 

9. —10. 400 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Unverändert. Gewicht 11 Pfund 450 g. 
Am 10. 3. durch Durchschneiden der Kehle getödtet. 

Sectionsprotokoll (Dr. Illing): Makroskopischer Befund: 
ca. 9 Monate alter, stark abgemagertes weibliches Thier. In der Unter¬ 
haut und unter dem Bauchfell liegt wenig gelblich-weisses Fettgewebe 
von wässeriger, gallertiger Beschaffenheit. Die Körpcr- 
musculatur ist grauroth und wässerig. 

Die Bauchorgane befinden sich in normaler Lage. Bauchfell 
feuchter wie normal. Magen, Darm, Leber, Milz, Herz, Lunge ohne 
Veränderung. 

Rechte Niere: Kapsel schwer abziehbar, hängt an verschiedenen 
Stellen mit der Oberfläche der Niere zusammen. Das Parenchym reisst 
beim Abziehen der Kapsel an diesen Stellen ein. Oberfläche braungrau, 
im Allgemeinen feucht, glatt und glänzend bis auf die eingerissenen 
Stellen. An der Oberfläche finden sich einige über hirsekorngrosse, grau- 
weisse Punkte. 

Schnittfläche der Rinde bräunlich-grau, feucht und ziemlich glatt; 
an verschiedenen Stellen sieht man kleinerbsengrosse, grauweisse 
Punkte, die mit den hellen Punkten der Oberfläche in Zusammenhang 
stehen. Die Markschicht ist auf dem Durchschnitt röthlich-wciss, feucht 
und glatt. 

Linke Niere ergiebt denselben Befund. 

Mikroskopischer Befund beider Nieren: Mikroskopisch findet 
man sowohl in der rechten wie in der linken Niere in den 
Tubuli contorti einzelne nekrotische Epithelien mit gering- 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


361 


gradiger Ansammlung von kleinen Fetttröpfchen. Die übrigen 
Epithelien in der Rinden- und Markschicht zeigen gute Kernfärbung. Die 
Glomeruli sind unverändert, ebenso im Allgemeinen das Interstitialgewebe. 
Die oben beschriebenen kleinerbsengrossen Herde bestehen 
aus einer Ansammlung von Rundzellen mit einzelnen Fibro¬ 
blasten. 


Besprechung. 

Auf die klinischen Einzelheiten, wie das Auftreten von 
Ascites und Oedem der Musculatur (Versuch IV, V, VI), 
Zuckungen (Versuch II), Erbrechen (Versuch III), auf das neuer¬ 
dings von Schlayer 1 ) betonte Missverhältnis zwischen kli¬ 
nischem Bild und pathologischem Befund, auf die aus Ver¬ 
such HI hervorgehende Thatsache, dass die functionelle Stö¬ 
rung der anatomisch sichtbaren Läsion vorauseilt, kann hier 
nicht eingegangen werden, so interessant diese experimentellen 
Ergebnisse auch sind. Auch auf die Verschlimmerung einer 
bereits bestehenden Nephritis in Folge der Durchnässung sei 
nur hingewiesen. Uns interessirt an dieser Stelle nur die 
Aetiologie. 

Dass Bacterien die Entzündung hervorgerufen haben sollten, lässt 
sich nicht annehmen; zum mindesten dürfte sich kaum ein Moment an¬ 
führen lassen, das für eine lnfection auch nur entfernt spräche, denn 
die Nieren sind normaler Weise keimfrei; wie aber soll man sich vor¬ 
stellen, dass Keime den ganzen Körper passiren, ohne irgendwo Er¬ 
scheinungen zu machen, und erst ganz zuletzt in der Niere ihre krank¬ 
machende Thätigkeit entfalten. Auch von einer aufsteigenden Erkrankung 
kann keine Rede sein, denn es war weder eine eitrige Cystitis noch 
Pyelitis vorhanden. Selbst Versuch VI (Hund 18), der einzige Fall, wo 
überhaupt eine Pneumonie aufgetreten war, spricht nicht für lnfection, 
denn die Pneumonie, vermuthlich durch ein anderes Thier eingeschleppt, 
trat erst 7 Tage nach der zweiten Abkühlung auf, als der Hund schon 
12 Tage nephritisch war. Ebenso wenig kann man eine Wirkung von 
Bacterientoxinen annehmen, da die Bacterien selbst sich doch nirgends 
documentirten. So kommen wir schon per exclusionem zu der Annahme, 
dass einzig und allein die durch die Durchnässung, d. h. Ab¬ 
kühlung der Haut der Füsse gesetzten Circulationsstörungen 
die Nierenerkrankung ausgelöst haben. 

Den Weg zur Erklärung des Mechanismus der Erkältungsnephritis 
zeigen uns Versuche von Wertheimer 2 ) (Lyon). Wertheimer fand, 
dass, wenn er einen Eisumschlag auf die Haut (Abdomen) eines 
Hundes brachte, das Volumen der Niere sich verkleinerte. Er 
maass die Menge des vor und nach der Eisapplication aus der Nieren¬ 
vene abfliessenden Blutes und fand eine starke Verringerung nach der¬ 
selben. Daraus schloss er, dass bei Kälteeinwirkung auf die Haut 


1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 91. 1907. 

2) De l’influence de la röfrigeration etc. Arch. de pbysiol. 1894. S. 308. 


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die Nierengefässe sich gleichzeitig mit den Hautgefässen zu¬ 
sammenziehen. Durchschnitt er sämmtliche Nerven im 
Nierenhilus, so schlug dieses correspondirende Verhalten in 
ein gegensätzliches um, d. h. während die Hautgefässe sich 
Contrahirten, vergrösserte sich das Nierenvolumen, entstand 
daselbst eine Hyperämie wie im Respirationsgebiet. Er.konnte 
ferner constatiren, dass, wenn er die Kälte längere Zeit 
(10 Minuten) einwirken liess, die renale Vasoconstriction auch 
noch nach Entfernung des Eisumschlags von der Haut längere 
Zeit anhielt. 

Die weiteren Schlüsse ergeben sich von selbst: Die Vasocon¬ 
striction in der Niere führt zur Ischämie, die Ischämie zu Er¬ 
nährungsstörungen, und diesen fallen die zarten empfind¬ 
lichen Nierenepithelien zum Opfer. Wie daraus eine echte acute 
parenchymatöse Nephritis entsteht, erklärt uns Ribbert 1 ). Ribbert, 
der von seinem pathologisch-anatomischen Standpunkt aus nur dann die 
Bezeichnung „Entzündung“ für berechtigt hält, wenn die 4 Cardinal- 
symptome (Hyperämie, Exsudation, Emigration, Zellwucherung) gegeben 
sind und demgemäss die Bezeichnung „parenchymatöse Entzündung“ 
nicht mehr im landläufigen Sinne gelten lassen will, sagt 2 3 ): „Die 
Parenchymveränderung hat ihrem Wesen nach nichts mit der nach¬ 
folgenden Entzündung zu thun, sie ist lediglich die Schädlichkeit, welche 
die Entzündung hervorruft.“ Als Beispiel nimmt er die Niere. «Die 
untergegangenen Zellmassen 8 ) oder die aus den entarteten 
stammenden abnormen Stoffwechselprodukte veranlassen nun 
ihrerseits entzündliche Vorgänge.“ 

Jedenfalls steht die von uns gegebene Erklärung mit den modernsten 
pathologisch-anatomischen Anschauungen in vollstem Einklang; sie giebt 
uns ungezwungen und ohne Zuhilfenahme irgend welcher Hypothesen 
klaren Aufschluss. Das klinische Bild bei unseren Versuchs- 
thieren wie auch der von competentester Seite erhobene 
pathologisch-anatomische Befund zeigen einen progredienten, 
entzündlichen Process und entsprechen völlig dem, was so¬ 
wohl der Kliniker als auch der pathologische Anatom unter 
einer acuten parenchymatösen Nephritis verstehen. 

Ich habe versucht, den Beweis für die Richtigkeit der Wcrtheimer- 
schen Versuche und meiner von diesen abgeleiteten Erklärung indirect zu 
erbringen. Ich ging von dem Gedanken aus, dass, wenn thatsächlich die 
Gefässcontraction in der Haut und in der Niere isochron eintreten und 
wenn ferner die Ischämie der Niere für die Entstehung der Nierenent¬ 
zündung ausschlaggebend ist, bei gleicher Art der Abkühlung die Ne¬ 
phritis ausbleiben müsse, wenn es gelingt, die Ischämie rasch zu be¬ 
seitigen. Es giebt hydrotherapeutische Massnahmen, z. B. Ganzabreibungen, 
Halbbäder, bei denen durch Frottiren der Haut die primäre Kälte- 


1) Ribbert, Die Bedeutung der Entzündung. 1905. 

2) 1. c. S. 20. 

3) 1. c. S. 63. 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


363 


Wirkung auf die Haut sofort ausgeglichen wird. Ich kühlte nun einen 
Hund in der gewöhnlichen Weise an den Hinterbeinen bis zu den Knieen 
bei intakten Haaren 10 Minuten lang, frottirte sofort 5 Minuten lang 
energisch die nassen Beine bis zur Trockenheit, jagte das Thier noch 
einige Minuten im Laboratorium herum und brachte es dann erst in den 
Käfig. Der Verlauf war folgender: 


VIII. Versuch (Frottirungsversuch). 

Hund 20. Weibliches, ca. s / 4 Jahre altes Thier, Gewicht 9 Pfund 300 g. 

14. —15. 3. 08. 280 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Nihil. 

15. —16. 250 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Nihil; im Sediment nur Salze. Am 

16. 3. 12 Uhr 30 Min. Temp. 38,5°; Wassertemp. 4° C. Abkühlung der Hinterbeine 
bis zu den Knien bei intacten Haaren von 12 Uhr 33 Min. bis 12 Uhr 43 Min.; während 
des Versuchs zittert das Thier allmählich am ganzen Körper. Wassertemp. am Schluss 
5° C. Beide Beine werden sofort energisch trocken gerieben; Temp. 
38,4° C. Der Hund wird einige Minuten im Laboratorium herumgejagt 
und dann erst in den Käfig gebracht. 

16. —17. 375 ccm Urin, 1020 spec. Gew. Kein Albumen; im Sediment nur 
Salze; ist munter und frisst gut. 

17. —18. 320 ccm Urin, 1024 spec. Gew. Spur Albumen, hauchförmige Trübung 
der Essigsäurekochprobe; im Sediment nur Salze. 

18. -19. 200 ccm Urin, 1038 spec. Gew. Kein Albumen; Salze, Bakterien. 

19. —20. 230 ccm Urin, 1028 spec. Gew. Kein Albumen; wenig Sediment, 
nur Salze; Gewicht 9 Pfund 300 g. 

20. —21. 120 ccm Urin, 1028 spec. Gew. Kein Albumen; wenig Sediment, nur 
Salze. Am 21. 3. von 11 Uhr 30 Min. bis 11 Uhr 40 Min. Wiederholung des 
Frottirungsversuchs. Wassertemp. 4° C. bis 5° C., Rectaltemp. 39° — 39,2°. 
Während des Versuchs 1 Minute lang Einathmen von Amylnitrit. Zittern nicht wahr¬ 
nehmbar. 

21. —22. 260 ccm Urin, 1034 spec. Gew. Kein Albumen, im Sediment nur 
Salze; hat nicht alles aufgefressen (Amylnitrit!) ist aber völlig munter. 

22. -23. 190 ccm Urin, 1024 spec. Gew. Kein Albumen, im Sediment nur 
Salze in grossen Mengen und Bakterien. 

23. -24. 320 ccm Urin, 1018 spec. Gew. Kein Albumen, im Sediment nur 
Salze, einige Leukocyten und Bakterien. Gewicht 9 Pfund 150 g. Am 24. 3. von 
11 Uhr 15 Min. bis 11 Uhr 25 Min. Abkühlung wie bisher, doch wird das Thier 
aus dem Wasser unabgetrocknet sofort in den Käfig zurückgebracht. 
Temp. 38,4—38,5° C., Wassertemp. 4°—5° C. Während des Versuchs nur wenig 
Zittern, das im Käfig ziemlich heftig wird. 

24. -25. 350 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Kein Albumen; viel Salze, Leuko¬ 
cyten in mässiger Menge, Bakterien, vereinzelt Erythrocyten. 

25. —26. 130 ccm Urin, 1030 spec. Gew. Albumen schwach -f-, im Sediment 
nur Salze und Bakterien; frisst sohlecht. 

26. —27. 180 ccm Urin, 1028 spec. Gew. Albumen 2—3 Nierenepithelien 
und ebensoviele hyaline und granulirte Cylinder im ganzen Präparat; Salze. Gewicht 
9 Pfund. Nach einigen Tagen schwand das Albumen und auch die Nierenbestand- 
theile, um später nochmals aufzutreten. 

12. —13. 4. 400 ccm Urin, 1021 spec. Gew. Spur Albumen, 2 bis 3 granulirte 
Cylinder. 

13. —14. 500 ccm Urin, 1010 spec. Gew. Albumen -]- (stärker), einige granulirte 
Cylinder und Erythrocyten. 


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364 


W. Siegel, 


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14. —15. 500 ccm Urin, 1022 spec. Gew. Albumen einige granulirte und 
hyaline Cylinder, Erythrocyten, Nierenepithelien. 

15. —16. 200 com Urin, 1020 spec. Gew. Albumen -j-, ganz vereinzelte Cylinder, 
einige Erythrocyten. In den folgenden Tagen gingen die Erscheinungen weiter zurück, 
das Thier wird am 21. 4. durch Entbluten getötet. 

Sectionsprotokoll. Makroskopischer Befund: Cadaver be¬ 
findet sich in gutem Ernährungszustand. In der Unterhaut und unter 
dem Bauchfell liegt reichlich gelbweisses Fettgewebe von lappigem Bau. 
Die Bauchorgane haben die gewöhnliche Lage. In der Bauchhöhle kein 
fremder Inhalt. Darmkanal, Magen, Milz, Leber, Pankreas und Harn¬ 
blase, ebenso Lunge, Herz und Halsorgane ohne Sonderheiten. 

Rechte Niere von gewöhnlicher Form und Grösse. Kapsel mit 
Ausnahme einer kleinen Stelle in der Nähe des Hilus mit dem Nieren¬ 
parenchym nicht verwachsen. Das Nierengewebe reisst beim Abziehen 
der Kapsel an dieser Stelle ein. Oberfläche sonst ohne Besonderheiten, 
braungrau, feucht und glatt. Auf der Schnittfläche Rindenschicht grau¬ 
braunrot mit deutlicher Rindenzeichnung, feucht und ziemlich glatt. An 
verschiedenen Stellen sowohl der Rinde wie der Marksubstanz findet man 
grauweisse, stecknadelkopfgrosse Stippchen. 

Linke Niere derselbe Befund. Ausserdem findet man an dem 
kranialen Pole auf der Oberfläche zahlreiche, reiskorngrosse, grauweisse 
Herde. Auf dem Durchschnitt sieht man, dass von diesen Herden gelb- 
lich-weisse Stränge durch Rinden- und Marksubstanz zum Hilus ziehen. 

Mikroskopisch: Rechte Niere: Die Korne der Epithelien der 
Tubuli contorti und recti sind in allen Theilen gut gefärbt, das Proto¬ 
plasma ist fein und dicht gekörnt. In einzelnen Tub. cont. findet 
man kleine Fetttröpfchen. Die Glomeruli sind ohne Veränderungen. 
Das Interstitialgewebe ist deutlicher als gewöhnlich sichtbar. 
Die makroskopisch beschriebenen Stippchen bestehen vor¬ 
nehmlich aus Rundzellen mit einzelnen Fibroblasten und 
fertigen Bindegewebszellen. 

Die linke Niere zeigt dasselbe mikroskopische Bild. Ausserdem 
findet man eine deutliche Vermehrung des interstitiellen 
Bindegewebes. Die mit blossem Auge gesehenen-Stränge be¬ 
stehen zum grössten Theil aus Fibroblasten, fertigen Binde¬ 
gewebszellen und nur einzelnen Rundzellen. 

Path.-anat. Diagnose: Nephritis interstitialis fibroblastica. 

Da aus äusseren Gründen diese Versuchsreihe nur an einem Thier 
durchgeführt werden konnte, ist das Resultat nur mit Vorsicht zu ver- 
werthen. Jedoch in Anbetracht des Umstandes, dass die sieben voraus¬ 
gehenden Versuche ohne Frottirung sämmtlich positiv ausfielen, muss 
man doch wohl der Frottirung, resp. dem dadurch bedingten Ausgleich 
der durch die Kälteeinwirkung veränderten Circulation einen bestimmenden 
Einfluss zuschreiben, umsomehr als nach der dritten Abkühlung, nach 
welcher das Thier unabgetrocknet in den Käfig zurückgebracht wurde, 
eine leichte acute Nephritis eintrat. Dabei fiel auf, dass die Erscheinungen 
etwas später, als sonst und auch bei Weitem nicht so intensiv sich 


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Abkühlung als Krankheitsursache. 


365 


zeigten. Die Gewöhnung an den wiederholten Kältereiz kam nicht nur 
im Verhalten des Thieres während der zweiten und dritten Abkühlung zum 
Ausdruck, sondern auch in der langsameren Entwicklung der Krankheit. 

Dass im gewöhnlichen Leben die Erkältungsnephritis nicht häufiger 
ist, erklärt sich leicht, wenn man neben der Gewöhnung noch in Betracht 
zieht, dass die meisten Menschen durch körperliche Bewegung den nor¬ 
malen Gang der Blutcirculation aufrecht zu halten suchen, dass speciell die 
Füsse, die ja auch bekleidet und beschuht sind, durch eben diese Bewegung 
sich bald erwärmen und dass nicht wenige Menschen, besonders im Winter, 
die nasse Fusswäsche wechseln und sich dabei tüchtig frottiren. 

Vielleicht sind acute nephritische Reizungen als Folge von Er¬ 
kältungen beim Menschen häufiger als wir wissen. Beobachtungen, welche 
auch zu einer zeitweisen Unterbrechung meiner Versuche zwangen, legen 
diesen Verdacht nahe. Ende December 1907 und während der ersten 
Hälfte Januar 1908 herrschte in Berlin abwechselnd Schneefall und Tau¬ 
wetter. Fast sämmtliche während dieser Periode unserem Laboratorium 
zugeführten Hunde (12 Thiere) zeigten bei absolut erhaltener Munterkeit 
und Fresslust leichte Reizerscheinungen von Seiten der Niere, so dass 
sic für meine Zwecke unbrauchbar waren. Ehe die Thiere zu uns ge¬ 
bracht werden, haben sie sich Tage lang im Freien herumgetrieben, und 
es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass der ununterbrochene 
Aufenthalt im Schnee und Schneewasser verantwortlich zu machen ist. 
Diese das Befinden in keiner Weise störenden acuten Nierenreizungen 
machen auch die bei Hunden, besonders Jagdhunden 1 ), so häufige Schrumpf¬ 
niere verständlich, zumal doch die ganze Reihe der für den Menschen 
bekannten ätiologischen Schädlichkeiten in Wegfall kommen muss. 
Ebenso gut ist es denkbar, dass auch beim Menschen leichte rasch 
vorübergehende Nierenreizungen im Anschluss an Erkältungen (Durch¬ 
nässungen) nicht so selten sind. Nur werden sie aus den verschie¬ 
densten Gründen nicht diagnosticirt. Es kann das Krankheitsgefühl 
fehlen oder so unbedeutend und von so kurzer Dauer sein, dass ein Arzt 
nicht beigezogen wird, oder es wird nur eine einfache Erkältung an¬ 
genommen und der Urin mangels irgend welcher auf die Nieren hin¬ 
weisender Symptome gar nicht untersucht. Auf diese Weise unter¬ 
bleibt die Diagnose. Vielleicht liegt hierin die Ursache für so manche 
chronische Nephritis, Schrumpfnicre. 

Die Erklärung, die Strasser 2 ) für die Entstehung der Erkältungs¬ 
nephritis giebt, hat mit der unsrigen nicht viel gemein; er sagt: „Die 
Niere wird bei Kältereiz lange in einem ischämischen Zustand sein 
können, welcher selbst die Epithelien schädigt, und sie wird auch leicht 
nach einer solchen Ischämie in einen Zustand stärkster Hyperämie ge- 
rathen können, welche auch wieder schädlich wirkt. In welcher Weise 
dann ein eventueller Uebergang einer Nierenhyperämie zur Nephritis 


1) Von einem enragirten Jäger erfahre ich, dass er und alle seine Jagdfreunde 
ihre nassgewordenen Hunde nach der Jagd in warme Räume bringen und trocken 
reiben lassen. 

2) Deutsche Klinik, I. Band, Erkältung und Abhärtung. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 24 


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366 


W. Siegel, Abkühlung als Krankheitsursache. 


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stattfindet, ist unklar. Doch muss man sagen, dass dazu Bakterien und 
deren Toxine nicht unbedingt nötbig sind, sondern dass auch chemische 
Toxine abnormer Art genügen.“ 

Die Wortheimcr’schen Versuche decken auch die „geheimnisvollen 
Beziehungen zwischen Haut und Niere“ auf, von denen Krehl 1 ) spricht. 

Zusammenfassung. 

Diese Versuche liefern den Beweis dafür, dass Abkühlung 
der Haut an und für sich ohne Mitwirkung von Bakterien 
einzig und allein durch Veränderung der Circulation und 
die dadurch gesetzten Ernährungsstörungen thatsächlich 
Krankheiten hervorrufen kann. 

Sie zeigen weiter, dass eine Herabsetzung der Körper¬ 
temperatur durchaus nicht absolutes Erforderniss für die Ent¬ 
stehung von Erkältungen ist; wahrscheinlich wäre in Ver¬ 
such I und II, wo es zu Temperaturerniedrigung von 2,6° C. 
resp. 1,7° C. kam, dio Nephritis auch ohne diese aufgetreten; 
zum Theil ist das Sinken der Temperatur auf die Fesselung 
derThiere und vielleicht auch bis zu einem gewissen Grad auf 
die Morphiumnarkose zu beziehen. 

Dio aus unseren Versuchen sich ergebenden Folgerungen 
lassen sich auf das Respirationsgebiet nicht übertragen, 
einmal wegen der Anwesenheit von Bakterien in den oberen 
Luftwegen, dann aber vor Allem wegen des principiell ver¬ 
schiedenen Verhaltens der Blutcirculation bei Kälteeinwirkung 
auf die äussere Haut: in der Niere parallel der Haut Anämie, 
im Respirationsgebiet Hyperämie. 

Der thatsächliche Einfluss dieser Hyperämie, die mit der 
Bier’schen künstlich gesteigerten nicht in Parallele gesetzt 
werden darf, ist experimentell noch nicht klargestcllt. 

Das Verhalten der Vasomotoren ist von der grössten, für 
einzelne Affectionen von geradezu ausschlaggebender Be¬ 
deutung. 

Erkältungskrankheiten können nach dem heutigen Stand 
unserer Kenntnisse unter Betheiligung von Bakterien oder 
deren Toxinen entstehen, aber ebenso gut auch ohne diese. 

Die Affectionen, welche wir unter der Bezeichnung „Er¬ 
kältungskrankheiten“ zusammenfassen, haben weder eine ein¬ 
heitliche Ursache noch einen einheitlichen Entstehungs¬ 
mechanismus. 

1) Path. Physiologie. 


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XXVI. 


Aus der experimentell*biologischen Abtheilung des Pathologischen 
Instituts der kgl. Universität Berlin. 

Untersuchungen Ober Pankreasdiabetes, besonders über das 
Blut der Vena pancreatico-duodenalis. 

Von 

Dr. Alfred Alexander und Dr. Rudolf Ehrmann. 

Die Untersuchungen wurden zur Prüfung der Frage angestellt, ob 
vom Pankreas aus Stoffe auf dem Blutwege abgeführt würden, die durch 
Beeinflussung des Vagosympathicus für den Zuckerstoff Wechsel maass¬ 
gebend wären 1 )* Es wurde nun einerseits untersucht, ob das aus dem 
Pankreas abfliessende Blut die Folgen der Pankreasexstirpation beseitigt, 
andererseits ob es einen Einfluss auf den Vagus oder den Syrapathicus 
au fzuweisen hat. 

Die erste Versuchsreihe bestand darin, dass Blut aus der Vena 
pancreatica von Thieren in den verschiedensten Fütterungsstadien und 
nach der verschiedensten Art der Fütterung in die Vena jugularis oder 
in die Vena femoralis von pankreaslosen Hunden infundirt wurde. Es 
zeigte sich nun, dass eine Beeinflussung der Glykosurie im Ganzen nicht 
stattfand und dass in den wenigen Fällen, wo die Zuckerausscheidung 
herabging, es sich um eine Erscheinung handelte, die manchesmal auch 
ohne jeden äusseren Eingriff zur Beobachtung kam. Ausserdem wurde 
auch Blut aus der Vena pancreatico-duodenalis vermischt mit Secretin 
infundirt. Wir geben die folgenden Versuchsbeispiele: 

Versuche I—III. 


Hund II. Pankreas am 31. 4. 07 exstirpirt. Der Urin wird von Mittags 1 Uhr 
bis zum anderen Tage um 1 Uhr, möglichst portionsweise, gesammelt. 


Datum 

Urin¬ 

menge 

Dextrose 

pCt. 

Gramm 


3. 5. 07 

750 

6,0 

45,0 


4. 5. 07 

630 

5,4 

34,0 

Um 4 Uhr 15 Min. erhält er in die Vena saphena 
50 ccm defibrinirten Blutes, das aus der Vena 
pancreatico-duodenalis eines 4 Stunden vor 
d. Entblutung mit gemischter Kost gefütterten 
Hundes gewonnen war. Beim Aufbinden lässt 
er ca. 150 ccm Urin. 


1) Vergl. die Ausführungen des einen von uns (Congr. f. inncro Med. Wien, 1908). 

24* 


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368 


A. Alexander u. R. Ehrmann, 


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Datum 

Urin- 

menge 

Dextrose 

pCt. 

Gramm 


5. 5. 07 

ca. 150 

? 

V 



510 

4.6 

23,46 



180 

6,3 

11,34 





34 8 





(Verlust.) 


6. 5. 07 

320 

5,3 

16,96 

Um 3 Uhr SO Min. erhält er 150 ccm defibri- 


530 

6,0 

31,80 

nirten Vena pancreatica-Blutes infundirt, von 




48,76 

einem Hunde, der IV 2 Stunde vor der Ent- 




blutung reichlich Kartoffel + 50g Rohrzucker 





erhalten, aber nur wenig gefressen hatte. 

7. 5. 07 

* 860 

4,2 

36,12 



360 

5,0 

18,0 





54,12 


8. 5. 07 

780 

5,2 

40,56 

Erhält um 3 Uhr 145 ccm Pankreasvenenblutes 


235 

4,4 

10,34 

intravenös, das von einem Thier stammt, das 




50,9 

372 Stunde vor der Entblutung gemischtes 





Futter und 1 Stunde vorher noch 200 ccm Vig - 





Normat-HCl durch die Schlundsonde erhalten 





hatte. 

9. 5. 07 

730 

6,5 

47,45 



260 

4,8 

12,48 





59,93 


10. 5. 07 

720 

7,6 

54,72 



200 

4,5 

9,0 





63,72 


11. 5. 07 

735 

6,0 

51,0 



160 

4,5 

7,2 





58,2 



Fand ein Rückgang oder Schwund des Zuckers aus dem Urin nach 
einer Infusion statt, wie z. ß. bei Hund 1, der nach einer Infusion von 
40 ccm Pankreasvenenblutes am 15. 4. 07, am übernächsten Tag eine 
Portion Urin ohne Zuckergehalt entleerte, so kann das kaum auf die 
Infusion bezogen werden, da bereits auch ohne Eingriff einmal zucker¬ 
freier Urin entleert worden war. 

Was die Ausscheidung von zuckerfreiem Harn bei pankreas¬ 
diabetischen Hunden anlangt, so ist schon von Minkowski 1 ) ein Fall 
mitgctheilt worden, bei dem einige Tage vor dem Exitus der Urin zucker¬ 
frei wurde. Bei der Section fand sich ein Abscess in der Bauchhöhle. 
Vor kurzem hat auch Mohr 2 ) berichtet, dass ein pankreasloser Hund 
keine Glycosurie aufwies, dagegen einen Blutzuckergehalt von 0,32 pCt. 
Während es sich bei Minkowski um Schwund und Rückgang der 
Glycosurie bei entkräftetem Thier kurz vor dem Tode handelt, geht aus 
dem Falle von Mohr und aus unserem Falle, wo sich das Thier voll¬ 
kommen wohl befand, und erst 23 Tage später durch Entblutung ge- 
tödtet wurde, hervor, dass pankreaslose, aber sonst noch kräftige 
Thiere vorübergehend Urin ohne Zucker ausscheiden können. 
Das gleiche Thier schied einige Tage später eine Portion Urin aus, die 

1 ) Minkowski, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 31. 

2) Mohr, Zeitschr. f. exp. Path. u. Ther. 1907. Bd. 4. 


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Untersuchungen über Pankreasdiabetes etc. 


369 


eine enorm grosse Menge Zucker enthielt. Der Urin ergab polarisirt 
eine Rechtsdrehung, die einer Zuckermenge von über 31 pCt. entsprach. 
Nach Fehling titrirt ergaben sich 32 pCt. Der aufs 20fache verdünnte 
Urin liess,. im Gährungsröhrchen angesetzt, die Grenzmarke von 1 pCt. 
weit hinter sich zurück, was also einem Zuckergehalt von weit mehr 
als 20 pCt. entspricht. Der Urin, der einen widerlich süssen Geschmack 
hatte, war noch nach 8 Tagen, bei Zimmertemperatur stehend, in Folge 
seines hohen Zuckergehaltes vollkommen frei von Bakterientrübung. 

Als weitere Beobachtungen, die bei diesen Versuchen gemacht wurden, 
sei noch kurz das Folgende mitgetheilt: 

Es fand sich in einigen Fällen Ausscheidung von Neutralfett in 
grösseren Mengen im Urin, das eine klare, dicke Schicht über der Harn¬ 
flüssigkeit bildete. 

Bei den zu diesen Untersuchungen verwandten Thieren und bei den 
zu anderen Zwecken pankreasexstirpirten Hunden, fand sich in allen 
Fällen, wenn auch nicht andauernd, sondern nur zeitweise, ein obstartiger 
Geruch und Aceton im frisch gelassenen Harn. Bei den frisch getödteten 
oder gestorbenen Thieren war dieser obstartige Geruch bei der Section 
stets wahrnehmbar. 

Minkowski 1 ) giebt an, mässige Mengen Aceton häufiger gefunden 
zu haben, Brugsch und Bamberg 2 3 ) haben Aceton nur selten festgestellt. 

Linksdrehende Substanzen nach Vergährung haben wir durch Polari¬ 
sation nur ganz vereinzelt aufgefunden. In der Mehrzahl der Fälle 
zeigten die Thiere starken Icterus. Es ergab sich aber bei der Section, 
dass bei geringem Druck auf die Gallenblase mit Leichtigkeit sich Galle 
in den Darm entleeren liess. Die Frage, ob es sich hierbei um einen 
abnorm leichten Uebergang der Galle aus den Gallenkapillaren der 
diabetischen Leber in die Blutgefässe handelt, oder ob vielleicht eine 
geringe katarrhalische Veränderung der Duodenalschleimhaut schon ge¬ 
nügt um den Austritt der Galle zu verhindern, oder ob es sich etwa 
um eine Veränderung im nervösen Mechanismus der Papilla duodenalis 
handelt, muss noch weiter untersucht werden. Bayliss und Starling 8 ) 
haben schon auf den Zusammenhang zwischen Pankreas- und Gallen- 
secrction hingewiesen. Der eine von uns hat Untersuchungen am duo¬ 
denumlosen Hund angestellt, bei dem der Gallenpankreasgang als Fistel 
an die Bauchdecken genäht worden war. Es zeigte sich nun, dass falls 
eine Pankreassecretion hervorgerufen wurde, gleichzeitig eine gesteigerte 
Gallenmenge aus der Fistel abfloss. Es ist daher möglich, dass bei den 
pankreaslosen Hunden der Icterus dadurch zustande kam, dass die 
Papilla duodenalis nach dem Wegfall des Mechanismus der Pankreas¬ 
secretion auch für den damit Hand in Hand gehenden Mechanismus der 
Gallensecretion vielleicht gestört wurde. 

Von Interesse ist noch der folgende Befund. Bei Hund III, dem 
am 1. 6. 07 das Pankreas exstirpirt wurde, und der am 10. 7. 07 starb, 


1) Minkowski, 1. c. 

2) Brugsch u. Bamberg, Centralbl. f.d.ges. Phys.d.Stoffwechsels. 1908. No. 1. 

3) Bavliss und Starling, Journ. of Physiol. 28. 


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370 


A. Alexander u. K. Ebrmann, 


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fand sich, dass die Leber im Gegensatz zu der sonst gefundenen Fett¬ 
leber der pankreasdiabetischen Tliiere roth und makroskopisch nicht ver¬ 
fettet aussah. Dieses Thier hat am 18. Tage nach der Pankreas¬ 
exstirpation 18 Tage Jang täglich 75 g Rohrzucker erhalten. Nun ist 
von Rosenfeld nachgewiesen worden, dass durch Verabreichung von 
Kohlehydraten die sich beim Diabetes ausbildende Fettleber verhütet 
wird. Da in unserem Falle das Thier schon 18 Tage diabetisch war, 
ehe die Rohrzuckerdarreichung einsetzte, so ist es wahrscheinlich, dass 
bereits eine Fettleber bestand, und es scheint demnach möglich zu sein, 
dass bereits bestehende Fettleber noch nachträglich durch grosse Gaben 
von Zucker wieder beseitigt werden kann. 

Erwähnen möchten wir noch, dass wir bei einem der diabetischen 
Thicre wiederholt Ercctionen auftreten sahen. 

Es wurden weiterhin Versuche darüber angestellt, ob dem Serum 
des aus der Vena pancreatico-duodenalis ausfliessenden Blutes eine 
Wirkung auf den Sympathicus oder Vagus zukommt. Eine Vaguswirkung 
des Blutes nach intravenöser Injection in ein zweites Thier wurde nicht 
beobachtet, ebenso wenig eine Wirkung auf die sympathischen blutgefäss¬ 
erweiternden und -verengernden Nerven. Der am Kymographion ver- 
zeichnete Blutdruck blieb bei der Injection von 10 ccm Pankreatica- 
scrum vollkommen unverändert. Ein weiteres Testobject für eine Sym- 
pathicuswirkung bietet die von dem einen von uns angegebene Methode 
des enucleirtcn belichteten Froschbulbus. Es wurde von mehreren Paaren 
Froschbulbi immer der eine in Serum aus der Carotis oder Vena 
femoralis, der andere in Serum aus der Vena pancreatico-duodenalis ge¬ 
legt, wobei in den meisten Fällen die kurz vor der Einmündung der 
Vena pancreatico-duodenalis in die Vena portae vom Duodenum kommenden 
grösseren Venen unterbunden worden waren, daneben auch alle die 
anderen vom Duodenum kommenden Venen, soweit dies möglich ist. 

Da in 6 unter 10 Versuchen die Pupillen im Pancreaticaserum eine 
Spur grösser wurden als im Controllserum, so war es möglich, dass 
vielleicht diese geringfügige Erweiterung durch Fermente hervorgerufen 
war. Es zeigte sich aber, dass sie weder auf die Wirkung von diasta- 
lischem Ferment noch auf die von Trypsin zurückzuführen war. 

Bei diesen Versuchen zeigte sich, dass eine lproc. Lösung käuf¬ 
lichen Pankreatins in physiologischer NaCI-Lösung die Pupille, gegen¬ 
über einer physiologischen NaCI-Lösung, mässig stark erweitert. Ge¬ 
kocht zeigte die Pankrcatinlösung ungeschwächte Wirkung, woraus sich 
ergiebt, dass cs sich nicht um eine Fermentwirkung handeln kann, 
sondern dass wahrscheinlich eine Wirkung der Salzconcentration oder 
eine Säurewirkung (die Lösung verhielt sich gegen Lakmus sauer) in 
Folge der Herstellung des käuflichen Pankreatins vorliegt. 

Die Ursache davon, dass Serum aus dem Blute der Vena pancreatico- 
duodenalis, das möglichst frei von Blut aus den Duodenumvenen ge¬ 
wonnen wurde, eine ganz geringe Erweiterung meist einhergehend mit 
einer Verzerrung der Froschpupille im Vergleich zum Serum aus der 
Vena femoralis hervorrief, konnte nicht sicher ermittelt werden. Es 
handelt sich vielleicht um Stoffe, die vom Darm aus in den Blutstrom 


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Untersuchungen über Pankreasdiabetes etc. 


371 


abgeführt werden und die durch eine Säurereizung oder eine Störung 
der Isotonic des Serums sich als geringe Pupillenerweiterung documentiren. 
So waren von diesen 6 Fällen kurz vor der Entblutung 3 Thicren Säuren 
und einem Thier eine Alkalilösung eingegossen worden. 

Wie das folgende Versuchsbeispicl zeigt, wurden die etwas weiteren 
Pupillen des Pankreaticaserums nach Zusatz gleicher Mengen einer Atropin¬ 
lösung nicht so weit als die im femoralen Serum ruhenden Pupillen. In 
einem anderen Falle wurden die Pupillen im Pankreaticaserum erst etwas 
weiter, dann nach einigen Stunden enger als die Controllobjectc. 

Versuch IV (26. 11. 1907). 

Hund erhält um 8 Uhr gemischtes Futter, um 12 Uhr 30 Min. dann 250 ccm 
Vjq Normal-HCl durch die Schlundsonde, um 1 Uhr in leichter Aethornarkose Blut¬ 
entnahme durch Glascanülen aus der Vena pancreatico-duodenalis, nach Unterbindung 
der grösseren Venen vom Duodenum, dann Blutentnahme aus der Vena femoralis. 
Das geschlagene Blut wird centrifugirt und die Sera gewonnen. 

Zu dem einen Bulbus von 11 Paar Froschbulbi kommt dann Pancreaticaserum, 
zu dem anderen Feraoralisserum. Nach 3 Stunden sind die Pupillen im Pan¬ 
creaticaserum in 10 Fällen weiter und leicht verzerrt, in 1 Fall gleich 
dem Serum aus der Femoralis. 

Dann wird zu 5 von den 11 Bulbipaaren je 3 Tropfen 1 proc. Atropin hinzu- 
gofügt. Nach 2y 2 Stunden ist nunmehr in 4 von den 5 Fällen die Pupille im 
Pancreaticaserum -f- Atropin enger als die Pupille im Femoral- 
serum -f- Atropin. 

Ergebnisse. 

1. Das aus dem Pankreas abfliessende Blut ruft bei pankrcaslosen 
Hunden nach Infusion in den Blutkreislauf weder Verhinderung noch 
Rückgang der Zuckerausscheidung hervor, es ist dabei gleichgültig, in 
welcher Vordauungsphase die Thiere sich befanden, die das Blut lieferten 1 ). 

2. Das Serum, das aus dem Blut der Vena pancreatico-duodenalis 
möglichst frei vom Blut der aus dem Duodenum kommenden Gefässe 
gewonnen ist, hat keine Wirkung auf den Blutdruck. 

3. Es besitzt keine Wirkung auf den Nervus vagus. 

4. Auf den Nervus sympathicus, untersucht an der Pupille des 
cnuclcirtcn belichteten Froschbulbus, hat es ebenfalls keine ausge¬ 
sprochene Wirkung, jedoch wurde in 6 von 12 Fällen eine ganz geringe 
Pupillenerweiterung gefunden; manchmal mit einer geringeren Ansprech¬ 
bark eit für Atropin, verbunden oder gefolgt von einer geringen Ver¬ 
engerung, beides im Hinblick auf die Controllpupillcn. Die erweiterten 
Pupillen zeigten meist eine geringe Verzerrung der normalen Ovalform. 

5. Pankreaslose, sonst gesunde und muntero Hunde können Urin¬ 
portionen entleeren, die keinen Zucker enthalten. 

6. Bei allen Thieren konnte im frisch gelassenen Urin sehr häufig 
Aceton nachgewiesen werden. 

7. Bei den meisten Thieren trat Icterus auf, obwohl bei der Section 

1 ) Nachdem der eine von uns beobachtet hatte, dass Chlorcalciumlösungen beim 
Kaninchen die Adrenalinglykosurie meist verhindern (Ehrmann, Berlin. Med. Gesell¬ 
schaft, Sitzung v. 17. 6. 08) haben wir bei weiteren pankreaslosen Hunden wiederholt 
Chlorcalciumlösungen infundirt, stets ohne Rückgang für die Dextroseaussoheidung. 


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372 


A. Alexander u. R. Ehrmann, 


durch leichten Druck auf die Gallenblase schon Galle in den Darm 
übertrat. Die Ursachen sind noch nicht geklärt. 

8. Durch Zuckerverfütterung wurde .die sonst bei pankreasdiabetischen 
Hunden beobachtete Leberverfettung verhindert bezw. eine wahrscheinlich 
schon bestehende (18 Tage nach der Pankreasexstirpation) beseitigt. 

Protokolle. 

Hund I. Pankreas exstirpirt am 26. 3. 07, wird am 9. 5.07 entblutet, lebte 45 Tage. Urin von 
2 Uhr bis zum nächsten Mittag 2 Uhr gemessen. Pankreasvenenblut stets in leichter Aether- 

narkose entnommen. 


Datum. 

Futter. 

Urin menge. 

ccm 

Dextrose. 

Bemerkungen. 

26.3. 07 

— 

— 

— 

11,30 Uhr Pankreas total ei- 
stirpirt. 

28. 3. 07 

— 

320 

1,2 pCt. - 3,80 g 


29. 3. 07 

Gemischte Nahrung. 

520 

1,0 pCt. = 5,2 g 


30. 3. 07 

Desgl. 

180 

1,7 pCt. = 3,06 g 


2. 4. 07 

Desgl. 

1400 

0,8 pCt. = 11,2g 


3. 4. 07 

Desgl. 

210 

1,2 pCt. = 2,52 g 


4. 4. 07 

Desgl. 

400 

0 pCt. = 0 g 

Nylander: 0. Polarisation: 0. 

5. 4. 07 

Desgl. 

300 

3,0 pCt. = 9,0 g 

10. 4. 07 

Desgl. 

350 

3,0 pCt. = 10,5 g 


11 . 4. 07 

500 g Pferdefleisch, 
500 ccm Wasser. 

? Verlust. 

2,8 pCt. 


12. 4 07 

460 g Fleisch, 

500 ccm Wasser 
genommen. 

500 

7,5 pCt. = 37,5 g 

Aceton: 0. Acetessigsäure: 0. 
/3-Oxybuttersäure: 0. 

13. 4. 07 

400 g Pferdefleisch, 
500 ccm Wasser 
genommen. 

350 

4,0 pCt. = 14,0 g 

Aceton: 0. Acetessigsäure: 0. 
Auf dem Urin schwimmt eine 
ca. 1 cm dicke Fettschicht. 

14. 4. 07 

370 g Fleisch, 

230 ccm Wasser. 

300 

4,3 pCt. = 12,0g 

Geruch des Urins schwach obst¬ 
artig, keinFett mehr. Aceton -. +. 
Acetessigsäure: 0. 

15. 4. 07 

415 g Fleisch, 

370 ccm Wasser 
genommen. 

230 

3,3 pCt. = 7,7 g 

Natrium-Nitroprussidprobe: -f. 
Lieben’sche Probe mit dem 
Destillat des Urins: -f-. Ace:- 
essigsäure: 0. Nach Vergährung 
keine Linksdrehung. Versuch. 
4,15 Uhr in die Vena jugulari* 
dextra 40 ccm defibrinirtes Blut 
aus der Vena pancreatica eines 
gefütterten Hundes. (Während 
des Vorgangs lässt der Hund 
ca. 50 ccm Urin.) 

16. 4. 07 

290 g Fleisch, 

200 ccm Wasser. 

(ca. 50 ccm ver¬ 
loren.) 

250 

4,0 pCt, = ca. 12 g 

Urin riecht obstartig. Aceton 
(Nitroprussid u. Lieben.) Acet¬ 
essigsäure : 0. ß - Oxybutter- 
säure*. 0. 

17. 4. 07 

450 g Fleisch, 

180 

3,0 pCt. = 5,4 g 

Obstartiger Geruch des Urins. 

18. 4. 07 

100 ccm Wasser. 

90 

0 pCt. — 0 g 

Aceton: +. Acetessigsäure: 0. 
Nach Vergährung keine Links¬ 
drehung. 

460 g Fleisch, 

300 ccm Wasser. 

400 

5,7 pCt. = 22,8 g 

Riecht sehr schwach obstartig 

19. 4. 07 

460 g Fleisch, 

200 ccm Wasser. 

300 

4,3 pCt. = 12,0 g 

Vergährt zeigt sich keine Links¬ 
drehung. Versuch: 3,30 Uhr in 
die 1. Vena jugular. wird 100 ccm 
defibrinirtes Blut aus der Vena 
pancrcat. eines jung., nüchtern. 
Hundes, der Tags zuvor Pferde¬ 
fleisch erhalten hatte, infundirt. 


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Original fro-m 

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Untersuchungen über Pankreasdiabetes etc. 


373 


Datum. 

Futter. 

Urinmenge. 

Dextrose. 

Bemerkungen. 




ccm 



4. 

07 

460 g Fleisch, 

420 

9,5 pCt. = 39,9 g 

Obstartig riechend. Aceton:+. 



500 ccm Wasser. 

50 

4,0 pCt. — 2.0 g 

Acetessigsäure: 0. 





41,9 g 


21. 4. 

07 

240 g Fleisch, 

500 

10,1 pCt. = 50,5 g 

Obstartig riechend. Aceton: +. 



200 ccm Wasser. 

11 Uhr a. m. 

22. 4. 

07 

460 g Fleisch, 

310 

8,0 pCt. = 24,8 g 




500 ccm Wasser. 


31,0 pCt. = 26,3 g 






51,1 g 


23. 4. 

07 

460 g Fleisch, 

400 

4,6 pCt. = 18,4 g 

Obstartig riechend. Aceton: +• 



450 ccm Wasser. 

70 

4,8 pCt. = 3,4 g 




40 

6,4 pCt. = 2,5 g 






24,3 g 


24. 4. 

07 

240 g Fleisch, 

70 

1,8 pCt. = 3,36 g 




200 ccm Wasser. 

180 

4,6 pCt. = 8,28 g 





100 

4,3 pCt. = 4.30 g 





350 

16,94 g 


25. 4. 07 

Wasser umgegossen, 

Umgegoss. Wass. 

2,0 pCt. = 13,4 g 




350 g Fleisch. 

670 

5,6 pCt. = * 2,8 g 





50 

16,2 g 


26. 4. 

07 

280 g Fleisch, 

270 

3,8 pCt. = 10,26 g 




370 ccm Wasser 

150 

3,0 pCt. = 4,50 g 




genommen. 

'420 

14,76 g 


27. 4. 

07 

240 g Fleisch, 

250 ccm Wasser. 

280 

4,2 pCt. = 11,76 g 


28. 4. 

07 

320 g Fleisch, 

200 

5,4 pCt. = 10,8 g 

Geruch: Obstartig. Licbcn’schc 



250 ccm Wasser. 


Probe: 0. Acetessigsäure: 0. 

29. 4. 

07 

200 g Fleisch, 

320 

4,0 pCt. = 12,8 g 

Stark obstartiger Geruch. Aceton¬ 



200 ccm Wasser. 


proben: +. Acetessigsäure: 0. 

30. 4. 

07 

460 g Fleisch, 

310 

6,0 pCt. = 18,6 g 

Versuch: Hund gestern 6 Uhr 



500 ccm Wasser 

Verlust 

p. m. mit Kartoffeln, Brot u. 



genommen. 

ca. 20 ccm 


Fleisch gefüttert, heute früh 
nochmals mit Reis u. Kartoffeln. 
9 Uhr aus d. Vena pancreatica 
ca. 50 ccm Blut entnommen. 






10 Uhr Einfliessen von 50 ccm 
defibrinirten Blutes in die 1. 






Vena saphena. (Hund lässt kurz 
nach d. Einlauf ca. 20ccm Urin.) 

1. 5. 

07 

330 g Fleisch, 

7 Uhr 120 

2,8 pCt. = 3,30 g 




200 ccm Wasser. 

12,10 Uhr 40 
1.30 Uhr 60 

6,0 pCt. = 3.60 g 
8,4 pCt. = 5,04 g 





220 

12,24 g 





Hund lässt um 

6 Uhr ca. 200 ccm 
Urin auf d. Boden. 



2 . 5. 

07 

160 g Fleisch, 

(Verl.ca.200ccm) 

4,6 pCt. = 9,20 g 

Aceton: +. Acetessigsäure: 0. 



250 ccm Wasser. 

7 Uhr 200 

0,7 pCt. = 0,42 g 





10 Uhr 60 

0,6 pCt. = 0,24 g 





1,30 Uhr 40 

9,88 g 





300 


3. 5. 



(Verlust). 



07 

360 g Fleisch, 

400 ccm Wasser. 

270 

4,0 pCt. = 10,8 g 

Aceton: 0. Acetessigsäure: 0. 

4. 5. 

07 

70 g Fleisch, 

300 

5,3 pCt. = 15,4 g 

Versuch: 3,30 Uhr 30 ccm 



100 ccm Wasser. 


Blut aus der Vena pancreatica 
eines gemischt gefüttert. Hund es 
in die 1. Vena saphena infundirt. 



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374 


A. Alexander u. R. Ehrmann, 


Datum. 

Futter. 

Urinraenge. 

ccm 

Dextrose. 

Bemerkungen. 

5. 5. 07 

280 g Fleisch, 

300 ccm Wasser. 

7,30 Uhr 115 
11 Uhr 75 

190 

4,8 pCt. = 5,52 g 
5,2 pCt. = 8,90 g 
9,42 g 


0 . 5. 07 

160 g Fleisch, 

150 ccm Wasser. 

130 

1,2 pCt. = 1,56 g 

Sehr stark nach Aceton riechend. 
Aceton:+. Acetessigsäure 0. 
NachVergährungLinksdrcbuog: 

7. 5. 07 

100 g Fleisch, 

60 ccm Wasser. 

8,30 Uhr 120 

1 Uhr 90 

210 

4.4 pCt. = 52,89 g 
0,8 pCt. = 0,72 g 

60,0 g 

0,1 pCt. 

8 . 5. 07 

230 g Fleisch, 

250 ccm Wasser. 

y 

6 pCt. 


9. 5. 07 

H 

und II. Pankreas c 

xstirpirt am 30. 4 

. 07. Getödtet am 9 

Durch Halsschnitt getödtet. Blut 
riecht intens, nach Aceton, Leber 
hellgelb, verfettet. Section: 
Viele Drüsen im Mesenterium. 
Keine Reste v. Pankreasgewebe 
mehr (Dr. Davidsohn). Niereo: 
Mark homogen weisslich. 

. 6. 07, gelebt 40 Tage. 

30. 4. 07 

— 

— 

— 

Pankreas exstirpirt, 10 Uhr a. ra. 

1 . 5. 07 

Wasser. 

— 

— 

Erbrechen. 

2. 5. 07 

200g Fleisch, Wasser. 

200 

2,5 pCt. = 5,0 g 


3. 5. 07 

200 g Fleisch, 

400 ccm Wasser. 

750 

6,0 pCt. = 45,0 g 


4. 5. 07 

500 g Fleisch, 

500 ccm Wasser 
genommen. 

630 

5,4 pCt. = 34,0 g 

Einige Fettaugen auf d. Urin. Ver- 
such: Hund, der um 10,30 Uhr 
reichlich gefressen, wird zwisch. 
2,30 u. 3 Uhr aus d. Vena pan- 
creatica Blut entnommen, das 
defibrinirtwird. 4,15 Uhr wirdd. 
Hund 11 50ccm dieses defibrinir- 
ten Pankreasvenenbluts in die 1. 
V. saphenainfundirt. (Beim Auf¬ 
binden lässt er ca. 150 ccm Urin.'i 

5. 5. 07 

490 g Fleisch, 

500 ccm Wasser. 

(Verlust 150ccm) 
7,30 Uhr 510 
11 Uhr 180 

690 

4,6 pCt. = 23,46 g 
6,3 pCt. = 11,34 g 
34,80 g 

Viel Fettaugen auf dem Urin. 

6 . 5. 07 

600 g Fleisch, 

800 ccm Wasser 
genommen. 

Gest. Abend 320 
8,30 Uhr a.m. 530 
850 

5,3 pCt. = 16.96 g 
6,0 pCt. = 31,80 g 
48,76 g 

Versuch: 3,30 bis 4 Uhr werden 
150 ccm Pankreasvenenblut in 
dieV.saphenainfundirt. Derbe 
treffende Hund hatte um 12 Uhr 
Kartoffeln mit 50 g Zucker er¬ 
halten, aber nur wenig davon ge¬ 
fressen. 1 */2 St. späte r (1.30 U h r 
Blutentnahme aus d.V. pancreat. 

7. 5. 07 

Dcsgl. 

7.30 Uhr 860 

1 Uhr 360 

1220 

4,2 pCt. = 36,12 g 
5,0 pCt. = 18.0 g 
54,12 g 

Fett auf dem Urin. 

S. 5. 07 

Desgl. 

8,30 Uhr 780 
3,35 Uhr* 235 
1015 

5,2 pCt. = 40,56 g 
4,4 pCt. = 10,34 g 
50,9 g 

Versuch: 3 Uhr erhält 145ccm 
Pankreasvenen blut infundirt. 
Der betreffende Hund hatte 
gestern gefressen und bekam 
heute um 11 Uhr gemischte 
Nahrung. Um 2,5 Uhr 200 ccm 
VioN. = HCl durch d. Schlund- 
sonde, dann wird das Blut a^ 
der V. pancreatica entnommen. 


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Original fro-m 

UMIVERSITY OF MICHIGAN 




Untersuchungen über Pankreasdiabetes etc. 


375 


Datum. 

Futter. 

Urinmenge. 

ccm 


Bemerkungen. 

9. 5 07 

600 g Fleisch, 

800 ccm Wasser. 

7,30 Uhr 780 

1 Uhr 260 

990 

6,5 pCt. = 47,45 g 
4,8 pCt. = 12,45 g 
59,93 g 

Aceton: +. 

10. 5. 07 

Desgl. 

8,30 Uhr 720 

2 Uhr 200 

920 

7,6 pCt. = 54,72 g 
4,5 pCt. = 9,0 g 
63,72 g 

Aceton: -f. 

11. 5. 07 

Desgl. 

8 Uhr 735 

1,30 Uhr 160 
895 

6,0 pCt. = 51,0 g 
4,5 pCt. = 7,2 g 
58,2 g 

Aceton: + . 

12. 5. 07 

Desgl. 

800 

6,6 pCt. == 52,0 g 


13. 5. 07 

660 g Fleisch, 

800 com Wasser. 

780 

5,5 pCt. = 42,4 g 


U 5. 07 

600 g Fleisch, 

800 com Wasser. 

(Verlust.) 

250 

4,9 pCt. = 12,25 g 

Urinverlust (aus Versehen weg¬ 
gegossen). 

15. 5. 07 

Desgl. 

750 

5,2 pCt. = 39,60 g 

Riecht obstartig; keine Acet- 
essigsäure. Aceton: +. 

16. 5. 07 

Desgl. 

980 

4,9 pCt. = 48,02 g 

Urin enthält ziemlich viel Fett. 

17. 5. 07 

520 g Fleisch, 

800 ccm Wasser. 

490 

7,0 pCt. = 34,3 g 

Thier weniger lebhaft, Urin riecht 
stark obstartig. Aceton: +. 

18. 5. 07 

580 ff Fleisch, 
800 ccm Wasser. 

730 

5,3 pCt. = 38,69 g 

Sehr stark obstartig riechend. 
Thier munter. 

19 5. 07 

Hat nur ca. 300 g 
Fleisch gefr., 680 ccm 
Wasser. 

1000 


Riecht stark ohstartig. 

20. 5. 07 

300 g Fleisch, 

300 ccm Wasser. 

12 Uhr 600 

12,30 Uhr 230 

? 

3,4 pCt. = 7,82 g 

Munter. 

21 . 5. 07 

300 g Fleisch, 
500 ccm Wasser. 

1050 

55J0 pCt. = 57,75 g 

Aceton: ■+. 

22. 5. 07 

Desgl. 

850 

4,4 pCt. = 37,4 g 

Aceton: +. 

23. 5. 07 

Desgl. 

Nicht untersucht. 



24. 5. 07 

Desgl. 

2000 

5,5 pCt. = 110,0g 

Hat Durchfalle. 

25. 5 07 

Desgl. 

2000 

5,5 pCt. = 110,0 g 

Desgl. 

2«. 5. 07 

Desgl. 

Urin mit Koth 
gemischt. 

Desgl. 

27. 5. 07 

Desgl. 

800 

3,2 pCt. = 25,0 g 

Wegen der Durchfälle erhält der 
Hund um 9,30 Uhr 5 g Calc. 
carbonc. i. Wasser durch Sonde. 
Thier zeigt häufige Ercctionen. 

28. 5. 07 

600 g Fleisch, 

2 Uhr 60 

3,6 pCt. = 34,56 g 

Keine Durchfälle mehr. Erec- 

29. 5. 07 

800 ccm Wasser 
genommen. 

4 Uhr 270 

3,5 pCt. = 9,45 g 
43,01 g 

tionen des Penis. Versuch: 
Der blutspendende Hund erhielt 
gestern und heute um 11,45 Uhr 
88 g Dextroselösung, trinkt dar¬ 
auf massig Milch. Um 2,45 Uhr 
(nach 3 St) entblutet. 5 Uhr 
Einfliessenlassen in die 1. Vena 
iugularis von 250ccm Pankreas¬ 
venenblut -f- ca. 30ccmSecretin- 
lösung. (Der saure Sch leimhaut- 
extract des Duodenums zweier 
Hunde stark alkalisch gemacht.) 

600 g Fleisch, 

800 ccm Wasser. 

1300 

2,7 pCt. = 35,1 g 


30. 5. 07 

Desgl. 

450 

3,2 pCt. = 14,4 g 


31. 5. 07 

Desgl. 

1350 

4,0 pCt. = 54,0 g 

Hund munter, hat gross. Appetit. 

1. 6. 07 

800 g Fleisch, 

800 ccm Wasser. 

1070 

4,2 pCt. = 44,99 g 

Aceton: 0. 

2. 6. 07 

Desgl. 

1010 

4.6 pCt. = 46,46 g 

Aceton: 0. 

3. 6. 07 

— 

1270 

5,0 pCt. ■= 63,5 g 

Durchfälle. 


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376 


A. Alexander u. R. Ehrmann, 


Datum. 

Futter. 

Urinmenge. 

ccm 

Dextrose. 

. Bemerkungen. 

4. 6. 07 

700 g Fleisch, 

800 ccm Wasser 
genommen. 

1150 

6,0 pCt. = 69,0 g 


5. 6. 07 

700 g Fleisch, 

800 ccm Wasser. 

900 

5,0 pCt. = 49,5 g 


6. 6 07 

Desgl. 

1100 

4,8 pCt.— 52,8 g 


7. 6. 07 

Desgl. 

750 

4,2 pCt. = 31,5 g 


8 6. 07 

Desgl. 

1500 

4,0 pCt. = 52,0 g 

Versuch: 200 ccm Pankreas 
venenblut mit 30 ccm Secretin 
infundirt in die V. jugularis. 

9. 6. 07 

500 g Fleisch, 

800 ccm Wasser. 

1 Uhr 1150 

1,10 Uhr 100 
1250 

2,7 pCt. = 31,05 g 
0,4 pCt. — 0,04 g 
31,45 g 

Hund II durch Entbluten ge- 
tödtet. Leber verfettet. 


Hund III. Pankreas exstirpirt am 1.6. 07, gestorben 10. 7. 07, gelebt 40 Tage. 

1. 6. 07 — — — Operation. 

2. 6. 07 — Hat noch keinen — 

Urin gelassen. 

3. 6. 07 800 ccm Wasser getr. 2,30 Uhr 190 1,0 pCt. = 9,0 g 

4. 6. 07 Hat 700 ccm Wasser 750 3,8 pCt. = 28,5 g 

getr., 500 g Fleisch 
gefressen. 

5. 6. 07 450 ccmWassergetr., 400 9,2 pCt. = 16,8 g 

500 g Fleisch. 

6.6.07 2,45Uhr500gFleisch, 500 5,6 pCt. = 28,0 g 

500 ccm Wasser getr. | 

3 Uhr. 

7 Uhr. 

7. 6. 07 800 ccm Wasser, 760 3,0 pCt. = 22,8 g 

380 g Fleisch. 

8. 6. 07 500 ccmWasser getr., 1,30 Uhr 420 5,4 pCt. = 22,6 g Versuch: 3,30 Uhr 120 com 

500 g Fleisch. Blut aus der V. pancreatio-)- 

duodenalis eines gefütterten 
Hundes werden mit 20 cm 
Secretin in die linke Unter¬ 
schenkelvene infundirt. 

0. 6. 07 500 g Fleisch, 1 Uhr 700 3,2 pCt. = 22,4 g Aceton: +. 

800 ccm Wasser. 2 Uhr 100 1,2 pCt. = 1,2 g 

800 23,6 g 

10. 6.07 Hat360gFleischgefr., 350 3,4 pCt. = 11,0 g Aceton: -f. 

400 ccm Wasser getr. 

11. 6. 07 500 g Fleisch, 700 3,2 pCt. = 22,4 g Aceton: +. 

800 ccm Wasser 
genommen. 

12. 6. 07 Desgl. 550 2,2 pCt. = 17,10 g Aceton: 0. 

13.-14. 500 g Fleisch, 1050 2,3 pCt. = 24,15 g 

6. 07 350 ccm Wasser. 

15. 6. 07 780 ccm Wasser, 600 5,3 pCt. = 31,8 g 

500 g Fleisch. 

16. 6. 07 Desgl. 700 4,0 pCt. = 28,0 g 

17. 6. 07 Desgl. 700 4,2 pCt. = 29,4 g 

18. 6. 07 300 ccm Wasser, 300 4,0 pCt. = 12,0 g 

500 g Fleisch. 

19. 6. 07 800 ccmWasser, darin 1000 7,0 pCt. = 70,0 g 

75 g Rohrzucker, 

150 g Fleisch. 

20. 6. 07 500 g Fleisch, 1000 10,8 pCt. = 108,0 g 

75 g Zucker in 
800 ccm Wasser. 


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Untersuchungen über Pankreasdiabetes etc. 


377 


Datum. 

Futter. 

Urinmenge. 

ccm 

Dextrose. 

Bemerkungen. 

21. 6. 07 

230 g Fleisch, 

800 ccm Wasser mit 
75 g Zucker. 

730 

9,7 pCt. = 70,8 g 


22. 6. 07 

Alles getr., geringer 
Zuckerrückstand am 
Boden; nur 50 g 
Fleisch gefr. 

790 

7,8 pCt. = 61,6 g 


23. G. 07 

900 ccm Wasser -f- 
75 g Zucker, 280 g 
Fleisch gefr. 

900 

(Verlust.) 

7,0 pCt. = 63,0 g 

Trinkt vor Durst etwas Urin, 
den er in die Fleischschaale 
gelassen. 

24. 6 . 07 

115 g Fleisch, 

900 ccm Wasser mit 
75 g Zucker. 

850 

7,2 pCt. = 59,7 g 


25. 6. 07 

300 g Fleisch, 

800 ccm Wasser mit 
75 g Zucker. 

900 

7,0 pCt. = 63,0 g 

Versuch: 3,30 Uhr 150 ccm 
Pankreasvenenblut werden in- 
fundirt, der dazu benutzte 
Hund war drei Stunden vorher 
gefüttert worden und hatte 
vor dem Auf binden 30 g Rohr¬ 
zuckerlösung per os erhalten. 

2(1 6 . 07 

75 g Zucker in 
900 ccm Wasser, 
300 g Fleisch. 

900 

6,8 pCt. = 61,7 g 

27. 6. 07 

Desgl. 

900 

7,0 pCt. = 63,0 g 


28. 6. 07 

Desgl. 

1000 

7,4 pCt. = 74,0 g 


29 6 . 07 

30 6 . 07 

400 g Fleisch, 

75 g Zucker in 
900 ccm Wasser. 
Desgl. 

900 

? 

7,6 pCt. = 68,4 g 

? 


1. 7. 07 

Desgl. 

1500 

5,8 pCt. = 87,0 g 


2. 7. 07 

Desgl. 

1500 

5,8 pCt. = 87,0 g 


3. 7. 07 

75 g Zucker in 
900 ccm Wasser, 

5 g Na. bicarb. 

900 

6,9 pCt. = 62,0 g 

Urin schwach alkalisch. 

4. 7. 07 

75 g Zucker in 
900 ccm Wasser, 
dazu 25 g Na 2 C0 8 . 

1200 

6,0 pCt. = 72,0 g 

Urin alkalisch. 

5. 7. 07 

360 g Fleisch, 

900 ccm Wasser mit 
75 g Zucker u. 5 g 
NasCOa. 

880 

8,7 pCt. = 76,56 g 


G. 7. 07 

Hat alles Fleisch 
stehen lassen, 900ccm 
Wasser ohne Zusatz. 

320 

(Verlust.) 

8,0 pCt. = 25,6 g 


7. 7. 07 

Kein Fleisch gefr., 
900 ccm Wasser. 

250 

7,4 pCt. = 18,5 g 


8 . 7. 07 

Desgl. 

350 

7,4 pCt. =-* 25,9 g 


9 7. 07 

800 ccm Wasser. 

230 

2,0 pCt. = 4,6 g 

Thier ganz theilnahmslos, liegt 
auf der Seite, vollkommen un¬ 
fähig zum Sitzen. 

10. 7. 07 




Exitus. Section: Leber: roth, 
nicht verfettet wie bei früheren 
Thieren. Keine Pankreasreste. 


Die 


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XXVII. 

Aus dem pharmakolog. Institut der deutschen Universität in Prag. 


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Ueber Inositurie und die physiologische Bedeutung 

des Inosits. 

Yon 

cand. mcd. Emil Starkenstein, 

Demonstrator am Institut. 


Die physiologischen Arbeiten über den Inosit lassen sich mit Rück¬ 
sicht auf die Vorstellungen, die man von der Chemie dieses Körpers 
hatte, in zwei Gruppen theilen. Die erste und bei weitem grössere blieb 
nicht unbeeinflusst von den ersten chemischen Untersuchungen. Scherer (1), 
der den Inosit im Herzmuskel des Rindes entdeckte, stellte lür ihn die 
empirische Formel C 6 H 12 0 8 fest. Trotzdem ihm die wichtigsten Eigen¬ 
schaften des Traubenzuckers fehlten, wurde er doch auf Grund des 
süssen Geschmacks und mit Rücksicht auf die Summenformcl den 
Zuckern zugezählt und für eine dem Traubenzucker nahestehende Modi- 
fication angesehen. Von diesen Gesichtspunkten aus waren nun auch die 
ersten physiologischen Arbeiten über den Inosit geleitet. Man suchte 
seine Beziehung zum Stoffwechsel und sein Verhalten beim Diabetes 
mellitus und insipidus zu ergründen. 

Im Jahre 1882 fand Maquenne (2), dass dem Inosit die Structur- 
formel des Hcxahydrohexaoxybenzols zukomme, und dies fand später 
durch Darstellung einer Reihe von Benzolderivaten aus Inosit seine Be¬ 
stätigung. Die nach dieser Zeit veröffentlichten Arbeiten über den Inosit 
befassten sich zum grossen Theil mit dem Nachweis desselben im Thier- 
und Pflanzenreich, theilweise war das Augenmerk auf etwaige Ueber- 
gänge von Inosit in Zucker gerichtet, in dem Sinne, dass der Inosit als 
ein Bindeglied zwischen Kohlehydraten und den aromatischen Körpern 
angesehen werden könnte. Das Resultat der Untersuchungen über die 
Verbreitung des Inosits war, dass er in keinem Organ des thierischen 
Organismus fehle, dass er sich ebensoweit verbreitet im Pflanzenreich 
vorfindet und aus diesem in zahlreiche Stoffe übergehe. So findet er 
sich im Bier, Wein, Brot u. s. w. Eine ausführliche Zusammenstellung 
der diesbezüglichen Litteratur findet sich bei Li pp mann (3), auf die ich 
hier verweisen möchte. 

Was nun die früheren Arbeiten über die physiologische Bedeutung 
des Inosits anbelangt, so führten diese zu keinem einwandfreien Resultat, 


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Ueber Inositurie und die physiologische Bedeutung des Inosits. 


379 


da sich die Ergebnisse der einzelnen Autoren in manchen Punkten wider¬ 
sprachen. Es schien daher gerechtfertigt, einige der bereits früher be¬ 
handelten Fragen neuerlich zu untersuchen; so vor Allem: 1. Hat die 
Inositurie eine Beziehung zur Glykosurie? 2. Die Bedeutung 
der Inositurie beim Diabetes insipidus und bei künstlich er¬ 
zeugter Polyurie. 3. Die physiologische Bedeutung des Inosits. 
4. Schicksal des Inosits im Thierkörper. — Der zur Untersuchung 
verwendete Inosit ward von der Gesellschaft für Chemische In¬ 
dustrie in Basel aus Phytin dargestellt, und es sei derselben an dieser 
Stelle für das wcrthvolle Präparat der beste Dank ausgesprochen. 

I. 

Die zum Theil widersprechenden Resultate früherer Untersuchungen 
dürften hauptsächlich auf die mangelhafte Darstellung des Inosits zurück¬ 
zuführen sein. Die am meisten gebrauchte Darstellungsmethode Cooper- 
Lanes (4) beruht auf Ausfüllung des Harns oder der Gewcbsextracte 
mit neutralem Bleiacetat, dann Fällen des Inosits mit basischem Blei¬ 
acetat, Zersetzen des Niederschlags mit Schwefelwasserstoff und Aus¬ 
fällen des Inosits aus dem eingeengten Filtrat mit Aether-Alkohol. 
Bourquelot(ö) empfahl, den Harn zuerst mit Bleiacetat in sauerer, 
dann in neutraler Lösung zu fällen und anschliessend den Inosit mit 
basischem Bleiacetat. Etwas modificirt wurden diese Methoden von 
Paul Mayer (6). Vor Kurzem hat Meillere (7) angegeben, den Harn 
zuerst mit Baryumnitiat, Bleinitrat und Silbernitrat zu fällen und das 
Filtrat mit basischem Bleiacetat. 

Bei all den angeführten Methoden fehlen ßelegzahlen für die Er¬ 
giebigkeit derselben. Bei meinen quantitativen Untersuchungen fand ich, 
dass sie alle mehr oder weniger grosse Verluste an Inosit bedingen, 
oder dass dieser durch die Alkohol-Aetherfällung mit Schmieren aus dem 
Harn verunreinigt war. Die besten Resultate hat Paul Mayer mit der 
von ihm angegebenen Methode erzielt. 

Ich habe es nun versucht, dio bisher gebrauchten Methoden dahin 
zu modificiren, dass einerseits die Ausbeute eine fast quantitative wurde, 
anderseits der Inosit frei von Verunreinigungen und schmelzpunktsrcin 
zur Wägung kam. Der Gang dieser bei meinen Untersuchungen ver¬ 
wendeten Methode ist folgender: 

Der Harn oder der nach Auscoagulirung des Eiwcisses erhaltene 
wässerige Organextrakt wird schwach mit Essigsäure angesäuert und 
mit Baryumnitrat und Silbernitrat ausgefällt. Um das langwierige Nach¬ 
waschen zu vermeiden, empfiehlt es sich, von dem Filtrat aliquote Thcile 
zu nehmen und dies am Schluss nach der Wägung in Rechnung zu ziehen. 

Das Filtrat wird mit Natriumphosphat versetzt und mit Natronlauge 
alkalisch gemacht. (Es wird neben den alkalischen Erden auch das 
überschüssige Silber ausgefällt.) Nach neuerlichem Filtriren wird wiederum 
schwach angesäuert und mit neutralem Bleiacetat in geringem Ueber- 
schuss versetzt. Das Filtrat dieser Fällung wird durch Ammoniak 
alkalisch gemacht, mit basischem Bleiacetat vollständig ausgefällt und 
einige Stunden stehen gelassen. Hierauf filtrirt und wäscht man den 


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380 E. Starkenstein, 

Niederschlag. Dieser wird mit Schwefelwasserstoff zersetzt, das Filtrat 
zur Trockene eingedampft. 

Den Rückstand nimmt man in wenig Wasser auf und kocht mit 
Thierkohle. Das vollkommen klare und farblose Filtrat wird nun mit 
concentrirter Essigsäure versetzt und fast zur Trockene eingedampft, 
dann in wenig concentrirter Essigsäure aufgenommen und mit absolutem 
Alkohol oder Methylalkohol versetzt. Nach einiger Zeit kann man den 
auskrystallisirten Inosit auf ein gewogenes Filter bringen, mit Aether 
waschen, trocknen und wägen. — Zur Identificirung wurde neben der 
Scherer’schen Inositreaction in der Modifikation von Salkowski (5) 
auch meistens, wo es die Mengenverhältnisse des erhaltenen Inosits zu- 
liessen, eine Schraelzpunktbestimmung gemacht (ca. 217°). 

Mit dieser Methode konnte ich aus Harnen, denen Inosit in Mengen 
von 0,05—0,5 g zugesetzt wurde, 92—96 pCt. wiedergewinnen, ander¬ 
seits Hessen sich damit auch Spuren von Inosit im Harne nachweisen. 

II. 

Auf Grund dieser Darstellungsraethode suchte ich nun vor Allem 
der Frage näher zu treten, ob der Inosit beim Diabetiker in irgend 
welcher Beziehung zur Glykosurie stehe, ferner die Bedeutung seines 
Auftretens im normalen Harn und bei Diabetes insipidus festzustellen. 

Die älteren Untersuchungen dieser Fragen gehen auf die Namen 
Külz, Strauss und Vohl zurück. Es galt vor Allem festzustellen, ob 
das Auftreten von Inosit im Harn etwas Pathologisches oder Physio¬ 
logisches sei. Während nun Külz (8) im normalen Harn keinen Inosit 
fand, behauptet Hoppe-Seyler (9), dass er in Spuren in jedem normalen 
Harne vorkomrae. 

Dähnhard (10) gelang es, aus 16 Pfund Rinderharn 0,1 g Inosit 
darzustellen. In einer Abhandlung über die einfache, zuckerlose Harn¬ 
ruhr theilt Strauss (11) die Beobachtung von drei Fällen mit, wo nach 
reichlichem Wassergenuss Inosit im Harn auftrat; es schien sich um eine 
Ausschwemmung der in den Organen abgelagerten Substanz zu handeln. — 
Um sich von der Richtigkeit dieser Auffassung zu überzeugen, versuchte 
Külz (12) die experimentelle Nachprüfung dieser Erscheinung am 
Kaninchen. Er injicirte grosse Mengen physiologischer Kochsalzlösung, 
und konnte in dem gesammelten Harn thatsächlich Inosit nachweisen. 
Auch durch Versuche am Menschen konnte er die Beobachtung von 
Strauss bestätigen. 

Das Auftreten von Inosit im Harn bei Diabetes insipidus glaubte 
man auf dieselbe Ursache zurückführen zu können, auf eine Aus¬ 
schwemmung des Inosits der Gewebe. Eine Reihe späterer Unter¬ 
suchungen über Diabetes insipidus nahm auf das Auftreten von Inosit 
Rücksicht, doch sind die Resultate nicht übereinstimmend. Es fanden 
Neukomm (13), Schulze (14), Mosler(15) und Ebstein (16) stets 
Inosit im Harn bei Diabetes insipidus, während Pribram (17) und 
Bürger (18) diesen nicht nachweisen konnten. 

Während nun diese Art von Inositurie in der Annahme der Aus¬ 
schwemmung eine leichte Erklärung fand, die sich durch das Experiment 


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Peber lnositurie und die physiologische Bedeutung des Inosits. 


381 


stützen Hess, glaubte man, dass die lnositurie, die bisweilen bei 
Diabetes mellitus auftritt, in einer engeren Beziehung zur Glykosurie 
stehe. Die erste diesbezügliche Mittheilung stammt von Vohl(19). Er 
beobachtete bei einem Diabetiker eine ständige Abnahme des Zuckers, 
während sich das somatische Verhalten des Patienten nicht gebessert 
hatte. Vohl dachte nun. es könnte an Stelle des Zuckers lnosit ge¬ 
treten sein, und es gelang ihm thatsächlich, in der täglichen Harnmenge 
18—20 g lnosit nachzuweisen. Eine zweite ähnliche Beobachtung, 
jedoch mit viel geringerer Inositraenge, ist von Leva (20) mitgetheilt. 
Dieser fand bei plötzlicher Abnahme des Zuckers 0,00128—0,0788 pCt. 
lnosit im Ham eines Diabetikers. 

Angeregt durch die Mittheilung Vohl’s versuchte cs Külz durch 
Untersuchungen am Diabetiker festzustellen, ob der lnosit in irgend 
welcher Beziehung zum Zucker stehe. Er suchte nachzuweisen, ob der 
lnosit einen Einfluss auf die Glykogenbildung habe, ob er die Zucker¬ 
ausscheidung des Diabetikers beeinflusse und ob per os eingeführter 
lnosit im Harn erscheine, ob ferner nicht schon im normalen Harn 
Spuren von lnosit zu finden wären. Die Versuche führten zu dem 
Resultat, dass eingeführter lnosit weder die Glykogenbildung noch die 
Zuckerausscheidung beeinflusse. Von 30—50 g per os verabreichten 
Inosits fand Külz nur 0,9 pCt. im Harn wieder. Er schloss daher, dass 
der lnosit fast vollkommen verbrannt werde, eventuell als Energiequelle 
für den Diabetiker an Stelle von Zucker dienen könnte. 

Da aber die Substanz als solche wegen ihres äusserst hohen Preises 
als Nährmittel nicht verwendet werden konnte, so empfahl Külz Salat 
aus grünen Bohnen, die ja reichliche Mengen von lnosit enthalten. Külz 
selbst gab einem Diabetiker solche Mengen von Bohnensalat, dass nach 
seinen Angaben eine ganze Familie hätte satt werden können; dies 
führte starke Diarrhöen herbei, lnosit konnte aber im Harn nicht nach¬ 
gewiesen werden. In Folge dessen bezweifelte Külz auch, wie bereits 
erwähnt, dass normaler Harn lnosit enthalte. 

In neuerer Zeit suchten Meillere und Camus (21) die Beziehung 
der lnositurie zur Glykosurie experimentell zu belegen. Sie fanden, dass 
der Piqüre eine Inositausscheidung folge, in deren Höhepunkt die Glykos¬ 
urie einsetze, auf der Höhe der letzteren ist die lnositurie verschwunden. 

Während nun die bisherigen Arbeiten keinen eindeutigen Schluss 
zulassen, ob der lnositurie eine Bedeutung als Stoffwechselanoraalie zu¬ 
komme, so glaube ich auf Grund einer Reihe von Untersuchungen dies 
in Abrede stellen zu können. Es scheint das vermehrte Auftreten von 
lnosit im Harn hauptsächlich durch Polyurie bedingt zu sein, und diese 
Bedeutung kommt der lnositurie ebenso beim Diabetes mellitus zu wie 
beim Diabetes insipidus. 

Vor Allem konnte ich in jedem normalen Harn bei Untersuchung 
ganzer Tagesmengen Spuren von lnosit nachweisen. Analog den Ver¬ 
suchen von Strauss und Külz (1. c.) fand ich die Inositmenge nach 
reichlichem Wassergenuss entsprechend der vermehrten Harnmenge ver¬ 
mehrt. Ich untersuchte ferner einige Diabetikerharne mit 6—8 pCt. 
Zucker. Von den Resultaten seien einige hier angeführt: In 2 1 Harn 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 


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B. S tar k (Mi st ei n y 


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382 


fand ich (nach bis zur lnactivität derselben durchgeführter Vergährung) 
0,16 g Inosit = 0,008 pCt. ln 3580 ccm Harn (ebenso behandelt) 
waren 0,2043 g = 0,007 pCt. enthalten. Vergleicht man diese Zahlen 
mit den von Leva (1. c.) angegebenen lnositwerthen (0,001 pCt. bis 
0,07 pCt.), so ergiebt sich, dass diese in dieselbe Werthgrenze fallen, 
und es lasst sich schon mit grosser Wahrscheinlichkeit sagen, dass sich 
solche Mengen von Inosit in jedem Diabetikerharn finden. 

Dass für eine derartige Inositausscheidung die bestehende Glvkosurie 
nicht erst irgend welche Bedingungen schaffe, ergab sich aus der Unter¬ 
suchung eines Falles von Diabetes insipidus. ln einer Tagesmengc 
von 5 1 zuckerfreien Harns fanden sich 0,4583 g Inosit = 0,0089 pCt., 
eine Zahl, die den früheren und den von Leva angegebenen vollkommen 
nahesteht. Schliesslich ist auch das perccntuclle Verhältniss der Inosit- 
menge im normalen Harn (0,001—0,003 pCt.) diesen Angaben analog. — 
Selbst die experimentelle lnositurie, wie sic Meillere und Camus be¬ 
schrieben, möchte ich nicht als einen Widerspruch zu der Annahme an- 
sehen, dass die lnositurie in keiner Beziehung zur Glykosurie stehe, 
sondern lediglich durch vermehrte Wasserausscheidung bedingt sei; denn 
in der genannten Mittheilung der beiden Autoren finden sich keine 
Zahlen über die Stärke der Diurese, und wir wissen, nach den Angaben 
Claude-Bernards, dass die Piqüre auch von einer mehr minder aus¬ 
giebigen Diurese begleitet ist. Dies würde auch das Ansteigen der 
Inositausscheidung erklären. 

Anderseits bewiese dieses Experiment einen Uebergang der lnositurie 
in Glykosurie, während bei den mitgetheiiten Untersuchungen gerade das 
Umgekehrte der Fall war. Es müsste sich schliesslich eine Beziehung 
von lnositurie zur Zuckerausscheidung auch bei andern experimentell er¬ 
zeugten Glykosurien nachweisen lassen. Nun fand ich aber bei Phlo- 
rhidzin-Kaninchcn trotz starker Glykosurie in der Inositausscheidung 
keine Aenderung gegenüber der Norm. Die Harnmenge war ebenfalls 
nicht nennenswert!) vermehrt. Was den Fall Vohl’s betrifft, so lässt 
sich dieser nur schwer deuten, da in der genannten Mittheilung alle 
näheren Angaben bezüglich der Glykosurie und Grösse der Harnaus¬ 
scheidung fehlen. Doch wäre die bereits öfter geäusserte Annahme 
nicht von der Hand zu weisen, dass es sich hier um einen Uebergang 
von Diabetes mellitus in Diabetes insipidus handelte. Erwähnt sei ferner 
noch, dass auch Henri Georges (22) in zahlreichen Krankheitsfällen 
ohne Glykosurie vermehrte Inositausscheidung beobachtete. 

Die angeführten Versuche dürften wohl zu dem Resultate führen, 
dass die lnositurie als keine specielle Stoffwechselstörung 
anzusehen ist, dass sie in keiner Beziehung zur Glykosurie 
stehe, sondern lediglich eine durch vermehrte Wasseraus¬ 
scheidung vermehrte Ausschwemmung des im normalen Harn 
in Spuren vorkommenden Inosits ist. Doch schliessen es diese 
Versuche nicht aus, dass zwischen dem Inosit und den Kohlehydraten 
innere Beziehungen bestehen, eine Annahme, die vor wenigen Tagen von 
Neuberg (23) dadurch bestätigt wurde, dass cs ihm gelang aus dem 
Inosit Furfurol abzuspalten. 


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Üeber Inositurie und die physiologische Bedeutung des Inosits. 


38)4 


111 . 

Physiologische Bedeutung des Inosits in den Geweben. 

Der Jnosit wurde unter den Extractivstoffen des Muskels entdeckt 
und es lag die Frage nahe, ob er ähnlich dem Glykogen oder Zucker 
zur Ernährung des Muskels und des Organismus beitrage. — Gestützt 
wurde diese Behauptung durch die weite Verbreitung, die der Inosit im 
Thierkörper hat: er findet sich in jedem Organe. Gleichverbreitet ist 
der Inosit im Pflanzenreich und cs führten auch die Untersuchungen 
Meillere’s (24) zu dem Schluss, dass der Inosit als ein normaler 
Bestandtheil des Parenchyms der Blätter von höheren Pflanzen 
anzusehen ist. — Auch das von Postcrnak (25) in den Pflanzen 
entdeckte Phytin enthält Inosit gebunden. Phytin zerfällt mit Salzsäure 
gekocht in Inosit und Phosphorsäure. Nun haben aber weitere Unter¬ 
suchungen ergeben, dass die Menge des in den Pflanzen vorkommenden 
Inosits mit dem Alter der Pflanze variirt; er findet sich in den un¬ 
reifen Früchten viel reichlicher als in den reifen und auch die im Wachs- 
thura begriffenen Organe führen ihn in grösserer Menge, als die aus¬ 
gewachsenen. Diese Befunde legten den Schluss nahe, dass der Inosit 
beim Wachsthum der Zelle verbraucht werde. Auch Soasc (28) kam 
zu dem Schluss, dass der Inosit mit Beginn des Keimens erscheint* 
wenn alle Reservestolle erschöpft sind, verschwindet auch der Inosit. 

Von diesen Befunden im Pflanzenreiche ausgehend suchte ich nun 
festzustcllen, ob nicht im Thierreiche ein ähnliches Verhalten vorliege 
und die folgenden Versuche können dies bestätigen. Ich untersuchte die 
Gehirne und die Skelettmuskulatur von jugendlichen und alten Individuen 
und fand stets in den jugendlichen Organen mehr Inosit als in den aus¬ 
gewachsenen. In den Gehirnen von 8 jungen Kaninchen eines Wurfes 
(20 Stunden alt) fand ich in 0,85 g Trockensubstanz 0,0612 g Inosits 
7,2 pCt. Im Gehirn des Mutterthieres dagegen in 2,6 g Trockensubstanz 
nur 0,3 pCt. — Im Gehirn eines einige Tage alten Kalbes fand ich in 
278 g frischer Substanz 0,5663 g = 0,2 pCt., im Gehirn eines alten 
Stieres dagegen in 407 g frischer Substanz 0,3299 g = 0,081 pCt. Inosit, 
Es dürfte also im Thierreich ebenso wie im Pflanzenreich der Inosit für 
das Wachsthum der Zelle von Bedeutung sein. Dafür spricht auch sein 
Vorkommen im Sperma und ich konnto ihn nun auch im Dotter des 
Hühnereis nachweiscn (0,02 pCt.). — Da sich ferner zeigte, dass der 
Inosit aus der Muskulatur eines Kaninchens, das 11 Tage hungerte, nicht 
geschwunden war, so ist wohl anzunehmen, dass er nicht aus der 
Nahrung stammt und in den Organen abgelagert wird, sondern als ein 
normaler Zellbestandtheil anzusehen ist. 

IV. 

Schicksal des Inosits im Thierkörper, 

Grobe Versuche über das Schicksal des Inosits im Thierkörper führte 
als erster Külz aus. Er injicirte Kaninchen Inosit und sah, dass er in 
den Harn überging (alimentäre Inositurie). Das Schicksal der Substanz 
im Körper glaubte er aus den bereits citirten Versuchen am Menschen 

25 * 


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384 E. Starkenstein, 

deduciren zu können. Da von 50 g per os gegebenen Inosits nur 0,9 pCt. 
im Harn wiedercrsehienen, nahm Külz an, dass der Körper Inosit 
nahezu vollständig verbrenne, dass ferner Inosit auf Grund dieser That- 
sache als eine Energiequelle für den Diabetiker anzusehen sei. 

Vor einigen Jahren nahm Giacosa (26) diese Versuche wieder auf. 
Er injicirte einem Kaninchen und einem Hunde 3—4 g Inosit intravenös 
und fand ca. 25 pCt. wieder. Genauere Versuche über die Grösse der 
Inositausscheidung wurden von Paul Meyer (l.c.) durchgeführt. Nach 
subcutaner Injection grösserer Mengen von Inosit (bis zu 10 g) fand 
dieser bis zu 50 pCt. der Substanz im Harn wieder. Bei Verabreichung 
per os dagegen erhielt er nur geringe Werthe. 

Es schien von allem Anfang an unwahrscheinlich, dass eine Substanz, 
die sich in solcher Verbreitung im Körper findet, nach Zuführung voll¬ 
ständig verbrannt werden sollte. Dagegen spricht auch der bereits er¬ 
wähnte Befund, dass selbst nach 11 tägigem Hungern die Muskulatur 
eines Kaninchens nicht frei von Inosit war. Allerdings wird beim 
Hungerthier der Inosit besser ausgenützt, worauf auch schon Paul 
Mayer hinwies. 

Ich wiederholte nun die bereits angestellten Versuche der Inosit- 
verfütterung und fand Werthe, die den von Paul Mayer angegebenen 
wohl am nächsten kommen. Bei Verfütterung per os an Kaninchen fand 
ich von 0,5 g ca. 5 pCt. wieder. Nach subcutaner Injection derselben 
Menge 42 pCt., nach intravenöser gegen 50 pCt. Nach subcutaner In¬ 
jection von 2 g fand ich 57,9 pCt. wieder. Es ist selbstverständlich, dass 
das procentuelle Verhältnis der ausgeschiedenen Inositmenge zur cin- 
geführten bei steigender Dosis noch bedeutend ansteigt. Anderseits ist 
zu beachten, dass diese gereichten Dosen von Inosit in gar keinem Ver¬ 
hältnis stehen zu den Mengen, wie sie Külz verfütterte. Allerdings 
könnten die Versuche, wo die Substanz per os verabreicht wurde, doch 
für eine langsamere Ausnützung und für vollständigere Verbrennung 
sprechen. Nun hat aber Meillere (27) gezeigt, dass der Eberth’sche 
Typhusbacillus den Inosit angreift, Bacterium coli commune ihn nahezu 
vollständig vergährt. Ich habe mich ebenfalls davon überzeugen können, 
dass Inosit einer Bouillon zugesetzt, von Bacterium coli in grosser Menge 
zerstört wird. Diese Thatsache spricht nun dafür, dass Versuche mit 
Inosit verfütterung per os bezüglich der Beurtheilung des Nährwerthes 
dieser Substanz ganz unbrauchbar sind; denn wenn der Inosit bereits 
im Darm von Bakterien zerstört wird, ehe er zur Resorption gelangt, so 
kann naturgemäss sein Abbau dem Körper nicht zu Gute kommen. 

Im Anschluss seien noch die Ergebnisse einiger Versuche mit 
Phytin erwähnt. Bei den früheren derartigen Untersuchungen wurde 
stets nur die Zunahme des P-Gehaltes des Harns in Rechnung gezogen 
und nur Giacosa untersuchte auch den Harn auf Inosit, fand diesen 
aber nicht. Es schien nun die Annahme berechtigt, dass der im Phvtin 
enthaltene Inosit in grösserer Menge im Harn erscheinen müsse, wenn 
es zu einer nennenswerthen Resorption und intermediären Spaltung des 
Phytins kommt. Nun konnte ich aber auch nach Verfütterung von 5 g 
Phytin (entsprechend nahezu 1 g Inosit) an Kaninchen nur ganz geringe 


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I’eber Inositurie und die physiologische Bedeutung des Inosits. 


385 


Mengen von Inosit im Harn finden, was wohl dafür spricht, dass die 
Spaltung des Phytins schon im Magen oder Darm erfolgt und der ab¬ 
gespaltene Inosit dasselbe Schicksal erleidet, wie der per os verfütterte. 

Es wäre nun noch die Frage zu beantworten, was aus dem Inosit 
bei der Oxydation im Körper und bei der Vergährung durch Bacteriura 
coli entsteht. In vitro kann man den Inosit durch Salpetersäure, Chrom¬ 
säure, Kaliumpermanganat, in Tetraoxychinon (Rhodizonsäure, Krokon- 
säure), in Oxalsäure, Ameisensäure und Kohlensäure überführen. Die 
Entstehung der ersten Substanzen im intermediären Stoffwechsel erscheint 
unwahrscheinlich; denn es haben mir einige Versuche gezeigt, dass die 
durch Salpetersäure gebildeten Oxydationsproducte Tetraoxychinon -f- 
Rhodizonsäure beim Kaninchen starke Albuminurie zur Folge haben, 
was auch nach Verfütterung grosser Mengen von Inosit nie der Fall ist. 
Dasselbe ist nach Injection von krokonsaurem Natron der Fall. Des¬ 
gleichen ist die Bildung von Oxalsäure bei der Ungiftigkeit des Inosits 
ausgeschlossen. 

Ich versuchte es ferner, Inosit in vitro mit Wasserstoffsuperoxyd zu 
oxydiren, erhielt aber nur dieselben Oxydationsproducte, die durch Sal¬ 
petersäure gebildet werden. 

Bedeutungsvoller für die Abbauproducte des Inosits schien aber die 
Beziehung zur Milchsäuregährung. Hilger (29) und Vohl (30) hatten ge¬ 
zeigt, dass Inosit mit faulem Käse zusammengebracht, in Milchsäure 
übergehe. Während der erstere Paramilchsäure fand, konnte letzterer 
nur die inactive Gährungsmilchsäure nachweisen. Man hielt wohl mit 
Rücksicht auf diese Befunde die Möglichkeit nicht für ausgeschlossen, 
dass auch im Körper aus Inosit Milchsäure entstehe. Doch fehlen hier¬ 
über die entsprechenden Untersuchungen. Paul Mayer (1. c.) fand wohl 
im Harn nach Inositinjectionen einen rechtsdrehenden Körper, den er 
jedoch nicht charakterisiren konnte, der aber auch nichts mit der Milch¬ 
säure gemein hatte. 

Aus welchen Substanzen die Milchsäure im Körper und bei der 
Totenstarre entsteht, ist noch nicht genügend bekannt [vgl. Hammarsten 
(31)]. Ara nächsten liegt die Annahme, dass die Milchsäure aus dem 
Glykogen entstehe und es ist in der That bei der Milchsäurebildung 
eine Abnahme des Glykogens beobachtet worden. Andererseits hat je¬ 
doch Böhm gezeigt, dass es zu gar keinem Glykogen verbrauch kommt, 
und er fand ferner, dass die Menge der entstehenden Milchsäure dem 
Glykogengehalte nicht proportional ist. Unter solchen Umständen und 
da sogar glykogenfreie Muskeln hungernder Tauben nach Demant nach 
dem Tode noch Milchsäure liefern, ist es kaum möglich, die Milchsäure¬ 
bildung auf das Glykogen allein zurückzuführen. Es müssen also noch 
andere Muttersubstanzen für die Milchsäure im Körper vorhanden sein. 
Nun war nach den Befunden von Hilger und Vohl die Annahme be¬ 
rechtigt, dass der Inosit ebenfalls eine Quelle für die Milchsäurebildung 
ist. Es sprach dafür auch seine weite Verbreitung in der Körper¬ 
muskulatur. 

Um nun über diese Frage irgendwelchen Aufschluss zu bekommen, 
untersuchte ich das Verhalten des Inosits bei der Autolyse, bei welcher 


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386 


E. Starken stoin, 


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nach den Untersuchungen von Magnus-Levy (32), Mochizuki und 
Arima(33), Kikkoji (34) u. a. zweifellos Milchsäure gebildet wird und 
ich fand, dass bei diesen Vorgängen der Inosit thatsächlich aus den Ge¬ 
weben schwindet. Bei der Vergährung des Inosits durch Bacterium coli 
fand ich gleichfalls eine in Aether lösliche Säure, die die Uffclroann- 
sche Reaction gab und schwache Rechtsdrehung zeigte. Es scheint also 
hier ebenfalls Milchsäure zu entstehen. 

Weiterhin wurde es versucht, den Inosit durch überlebende Organe 
zu oxydiren. 

Es wurden 0,5 g Inosit mit Organbrei (Leber und Muskel) bei 37° 
durch 4 Stunden im Motor geschüttelt, und zwar in zwei Theilen. Der 
eine wurde vor dem Schütteln aufgekocht, der andere nativ der Ferment¬ 
wirkung überlassen. Es war mir nur möglich, aus dem aufgekochten 
Theil 90 pCt. Inosit wiederzugewinnen, aus dem nativen dagegen nur 
60 pCt., so dass wohl ein Theil durch die oxydirenden (autolytischen?) 
Fermente zerstört worden sein dürfte. 

Bei Oxydation von Inosit mit Leber resp. Muskel allein, zeigte es 
sich, dass die Oxydation durch Muskelfermente im höheren Maasse vor 
sich gehe, als durch die Leberfermente. 

In einer zweiten, gleich behandelten Probe wurde auf Milchsäure 
geprüft, und es zeigte sich in dem nativ gelassenen Theile eine Ver¬ 
mehrung derselben. In Folge Mangels an genügenden Mengen von Inosit 
konnte ich das Zinklactat nicht darstellen und musste mich nur an die 
Stärke der Uffelmann'schen Reaction halten. 

Während der Ausführung dieser Versuche erschien eine neuerliche 
Mittheilung Paul Mayer’s (35), dass es ihm gelungen sei, den Ueber- 
gang von Inosit in Milchsäure nachzuweisen. Der Nachweis geschah in 
exacter Weise durch Darstellung des Zinklactates. Doch konnte Mayer 
nur die inactive Gährungsmilchsäure finden, die nach seiner Meinung 
allerdings auch im Körper in die active Modifikation übergehen könnte. 

Es erscheint somit auf jeden Fall wahrscheinlich, dass der Inosit 
neben anderen Substanzen als Quelle für die Milchsäurebildung im Körper 
angesehen werden kann. 

Die Resultate der vorstehenden Untersuchungen lassen sich in 
folgenden Sätzen zusammenfassen: 

1. Die Inositurie ist als keine specielle Stoffwechselstörung anzu¬ 
sehen und dürfte auch in keiner Beziehung zur Glykosurie stehen. Sie 
scheint beim Diabetes mellitus ebenso wie beim Diabetes insipidus 
lediglich eine durch vermehrte Wasserausscheidung vermehrte Aus¬ 
schwemmung des Inosits der Gewebe zu sein. 

2. Jeder normale Harn enthält Spuren von Inosit. 

3. Der Inosit ist als normaler Zellbestandtheil anzusehen und es 
dürfte ihm, analog wie im Pflanzenreiche, auch beim Wachsthura der 
thierischen Zelle eine gewisse Rolle zukoramen. Dafür spricht sein Vor¬ 
kommen im Sperma und im Eidotter sowie sein reichlicheres Vorhanden¬ 
sein in den im Wachsthum begriffenen Geweben. 

4. Der Inosit wird vom Körper nur in geringen Mengen zerstört 
und erscheint nach subeutuner und intravenöser Injection im Harn. Die 


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Leber Inositurie und die physiologische Bedeutung des Inosits. 


387 


Verabreichung per os zum Nachweis der Oydationsfähigkeit ira Körper 
ist unzulässig, da Inosit von Bacterium coli commune gespalten wird. 

5. Unter den Abbauproducten des Inosits ira Körper liess sich auf 
Grund qualitativer Reactionen Milchsäure nachweisen. Der Inosit ist 
also auch als Quelle der Milchsäure ira thierischen Körper zu betrachten. 


Litteratur. 

1. Scherer, Liebig’s Annalen. 73. 222; 81 375. 

2. Maquenne, Compt. rend. de PAccad. d. Sc. 104. 

3. Lippmann, Die Chemie der Zuckerarten. 1904. I. 1024. 

4. Cooper-Lane, Methode zur Bestimmung des Inosits. Liebig’s Annalen. 117. 

p. 118. 

5. Bourquelot, 6. Congress f. angew. Chemie in Rom, cit. nach Jahresb. d. 

Pbarmaz. 1906. 

6 . Paul Mayer, Ueber die physiolog. Bedeutung des Inosits. Biochem. Zeitschrft. 

11. 392. 

7. Meillere, Recherche de Pinosite dans les tissus, les secretions et les excretions. 

Compt. rend. de la Soc. d. Biol. LX. 225. 

8 . Külz, Sitzungsber. d. Ges. zur Förderung der Naturw. in Marburg. 1875 u. 1876. 

Beiträge zur Patholog. u. Therapie des Diabetes mellitus. 1868. 

9. Hoppe-Seyler, cit. nach F. Blumental, Pathologie des Harns. Berlin 1903. 

S. 165. 

10. Dähnhardt, Notizen zur Chemie des Harns. Kiel 1868. 

11. Strauss, Die einfache, zuckerlose Harnruhr. Dissert. Tübingen 1870. 

12. Külz, Ueber das Auftreten von Inosit im Kaninchenharn. Med. Centralbl. 1875. 

13. Neukomm, Ueber das Vorkommen von Leucin, Tyrosin und anderen Umsatz- 

stoffen im mensohl. Körper bei Krankheiten. Dissert. Zürich 1889. 12. 

14. Schulze, Reicheres Archiv. 1863. S. 29. 

15. Mosler, Virchow’s Archiv. 43. S. 229. 

16. Ebstein, Ueber Beziehungen des Diabetes insipidus zur Erkrankung des Nerven¬ 

systems. 

17. Pribram, Untersuchungen über die zuckerlose Harnruhr. Prager Vierteljahrs¬ 

schrift. 1871. Bd. 12. S. 28. 

18. Bürger, Ueber Perspiratio insensibilis bei Diabetes mellitus und insipidus. 

Deutsch. Arch. f. klin. Medicin. Bd. 11. S. 343. 

19. Vohl, Archiv f. physik. Heilkunde. 1858. Neue Folge. IJ. 410. 

20. Leva, Klinische Beiträge zur Lehre des Diabetes mellitus. Deutsch. Arch. f. 

klin. Medic. 48. S. 173. 

21. Meillere et Camus, Inosurie experimentale consecutive ä une lesion du plaucher 

du 4. ventricule. Compt. rend. de la Soc. de Biol. 1905. p. 159. 

22. Henri Georges, Die Inosurie. Chemische und klinische Studien. These de 

Paris. 1906. LXl. No. 77. 160. Cit. n. Maly, Jahresb. d. Thierchemie. 36. 
S. 786. 

23. Neuberg, Biochem. Zeitschrift. 1908. IX. 551. 

24. Meillere, Contribution ä Pötude biochimique de l’inosite. L’inosite dans le 

Regne vög^tal. Compt. rend. de la Soc. de Biol. 1907. 286. 

25. Posternack, Beitrag zum ohemischen Studium der Chlorophyllassimilation. 

Ueber das erste Verbindungsproduct der Phosphorsäure in den Chlorophyll¬ 
pflanzen mit einigen Bemerkungen über die physiolog. Rolle des Inosits. Cit. 
nach Maly, Jahresb. d. Thierchem. 30. S. 825. 


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388 E. Starkenstein, (eher Inositurie u. d. physiologische Bedeutung d. Inosits. 

26. Giacosa, Verhalten des Inosits im Organismus. Giornale della R. Aocad. di 

Torino. 68. Cit. nach Maly, Jahresb. d. Thierchem. 35. S. 80. 

27. Meillere, Action de quelques bacilles sur Pinosite, diffdronciation du „Coli u et 

de TEberth. Compt. rend. de la Soc. de Biol. 1907. S. 1096. 

28. M. Soase, L’inosite nelle piante. Annali d. R. Acoad. di Agricoltura di Torino. 

XLIX. Cit. n. Centralbl. f. Physiol. 1906. S. 772. 

29. Hilger, Neues Vorkommen des Inosits im Pflanzenreich und Ueberführung 

desselben in Paramilchsäure. Liebig’s Annalen. 160 S. 333. 

30. Vohl, Geber die Art der aus Inosit entstandenen Milchsäure. Ber. d. d. chem. 

Ges. 9. S. 984. 

31. Hammarsten, Lehrbuch d. phys. Chemie. 1907. S. 463. 

32. Magnus-Levy, Hofmeister’s Beiträge. II. 261. 

33. Mochizuki und R. Arima, Ueber die Bildung von Rechtsmilchsäure bei der 

Autolyse der thierisohen Organe. Zeitschr. f. physiolog. Chemie. 49. S. 108. 

34. T. Kikkoji, Zeitschr. f. physiolog. Chemie. 53. S. 415. 

35. Paul Mayer, Biochem. Zeitschrift. IX. 531. 


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XXVIII. 


Aus dem Laboratorium der Erlanger medicinischen Klinik. 

lieber den zeitlichen Ablauf der Uricolyse. 

Von 

Werner Künzel und Alfred Schittenhelm. 


Bereits im Jahre 1860 hat Stoekvis 1 ) in Amsterdam Harnsäure¬ 
zersetzung durch Organbrei beobachtet. Später hat Brunton 2 ) in 
Gemeinschaft mit Bokenham die Versuche wieder aufgenommen und 
die Angaben von Stoekvis bestätigt; er stellte fest, dass durch Er¬ 
wärmen von harnsauren Salzen mit Brei von Verdauungsleber Harnsäure 
zersetzt und Harnstoff gebildet wird, während in Lebern von Thieren, 
welche gefastet haben, angeblich Harnsäure nicht zersetzt wird. Dann 
hat Wiener 3 ) festgestellt, dass der Niere, der Leber und dem Muskel 
des Rindes harnsäurezerstörende Fähigkeiten zukomraen, Burian 4 ) hat 
für die Leber und den Muskel, Ascoli 6 ) für die Leber des Rindes 
dieselbe Beobachtung gemacht. Schittenhelm 5 ) hat festgestellt, dass 
ein uricolytisches Ferment in der Niere, der Leber, dem Muskel und 
vielleicht dem Knochenmark des Rindes zu finden ist, während die Milz, 
die Lunge und der Darm wohl Harnsäure zu bilden, aber nicht zu zer¬ 
stören vermögen. Schittenhelm hat dann weiter das uricolytische 
Ferment aus dem Nierenextract durch Anwendung der Rosell’schen 
Fällungsmethodc zu isoliren vermocht. Die so gewonnenen Ferment- 


1) Stoekvis, Bijdragen tot de Physiol. van het acidum uriemn. 1859. Nederl. 
Tijdschrift voor Geneeskunde und Donder’s Archiv f. d. holländ. Beitrage. Utrecht. 
1860. Bd. 2. S. 268. 

2) Brunton, Centralbl. f. Physiol. Bd. 19. No. 1. S. 9 und Arch. scienc. 
St. Petersburg 1904. (Pawlow’s Festschrift.) 

3) H. Wiener, Ueber Zersetzung und Bildung von Harnsäure im Thierkörper. 
Arch. f. exper. Path. und Pharmak. 1899. Bd. 42. S. 373. 

4) R. Burian, Ueber die Oxydation und die vermeintliche synthetische Bildung 
von Harnsäure im Rinderleberauszug. Zeitschr. f. physiol. Chem. 1904/05. Bd. 42. 
S. 497. 

5) Ascoli, Ueber die Stellung der Leber im NucleinstofTwechsel. Pflüger’s 
Archiv. Bd. 72. S. 340. 

6) A. Schittenhelm, Ueber die Harnsäurebildung und Harnsäurezersetzung 
in den Auszügen der Rinderorgane. Zeitschr. f. physiol. Chem. 1905. Bd. 45. S. 121 
und Ueber das uricolytische Ferment. Zeitschr. f. physiol. Chem. 1905. Bd.45. S. 161. 


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390 


\V. Kvinzel u. A. Schiiten heim, 


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lösungen zeigten eine sehr intensive Wirksamkeit. Dass es sich thal- 
sächlich um ein Ferment handelte, und dass nicht etwa der alkalische 
Charakter der Lösung oder gar geringe Mengen in Lösung gebliebener 
Uratsalze das wirksame Princip darstellten, bewies er damit, dass er 
Versuche mit derselben Fermentlösung ansetzte, welche vorher bis zu einer 
halben Stunde auf 100° erwärmt worden war. Dabei zeigte sich, dass in 
dieser abgekochten Lösung bei analoger Versuchsanordnung die Harnsäure¬ 
zerstörung eine nur ganz minimale war. Endlich haben Wiechowski 
und Wiener 1 ) Versuche unternommen über Eigenschaften und Darstellung 
des harnsäurezerstörenden Ferments der Rinderniere und Hundeleber. 
Dieselben stellten fest, dass dasselbe eine nur bei schwach alkalischer 
oder neutraler Reaction wirkende Oxydase ist. Die jeweilige Grösse 
der Zersetzung ist nicht nur abhängig von der Fermentmenge und 
Wirkungszeit, sondern innerhalb gewisser Grenzen auch von der zur 
Verfügung stehenden Menge Harnsäure. Sie haben dann noch die 
Wirkung verschiedener physikalischer und chemischer Eingriffe auf das 
Ferment in Betracht gezogen. Die Forscher arbeiteten dabei stets mit 
Organpulvern, welche durch rasches, wenige Stunden währendes Trocknen 
der blutfreigespülten überlebenden Organe in dünnster Schicht bei 37°, 
Vermahlen mit Toluol in einer Farbcnreibmaschine, Abnutschen und 
Farbstoff frei waschen mit Toluol auf der Nutsche hergestellt waren. Diese 
Organpulver wurden dann mit schwacher (0,025 proc.) Sodalösung ex- 
trahirt und das Extract als Fermentlösung benutzt. 

In der Erwägung, dass möglichst frischer Organextract doch wohl 
wirksamere Fermentlösung geben dürfte, wie eine Fermentlösung, welche 
durch derartig intensive Eingriffe auf das Organ hergestellt werden, be¬ 
nutzten wir zu unseren Versuchen keine isolirten Fermentlösungen, 
sondern frische Organextracte. 

Dieselben wurden so hergestellt, dass wir frisch vom Schlachtbof 
bezogene Rinderniere sofort mit der Fleischhackmaschine fein zermahlten, 
den so erhaltenen Brei mit zwei Theilen Wasser gut verrührten und 
unter Zusatz von etwas Toluol und etwas Chloroform mehr oder weniger 
lang stehen Hessen. Dann wurde colirt, durch Watte und dann durch 
in Wasser aufgeschwemrates, fein vertheiltes Filtrirpapier auf der Nutsche 
filtrirt. Von dem gewonnenen Filtrat versetzten wir jeweils 350 ccm 
mit 0,3 g Harnsäure, welche in möglichst wenig Normalnatronlauge ge¬ 
löst war, an. Die Versuche gingen bei einer Temperatur von 37 0 
wechselnde Zeit, wobei wir in altbewährter Weise einen kräftigen Luft¬ 
strom durchleiteten. Nach Abbruch des Versuchs wurde das Rcactions- 
gemenge aufgekocht, mit Natronlauge bis zur stark alkalischen Reaction 
versetzt, die so erhaltene Lösung mit Essigsäure coagulirt und im Filtrat 
die Purinkörper mit der Kupfersulfat-Bisulfitmethode gefällt. Die er¬ 
haltenen Kupferoxydulverbindungen wurden auf dem Filter gesammelt 
und säurefrei gewaschen, dann in heissem Wasser suspendirt und mit 
Schwefelwasserstoff zerlegt. Das klare Filtrat wurde unter Zusatz von 

1) Wiechowski und Wiener, lieber Eigenschaften und Darstellung des harn¬ 
säurezerstörenden Fermentes. Hofmeister’s Beiträge. 1907. Bd. X. 


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Ueber den zeitlichen Ablauf der Uricolyse. 


391 


10—15 ccm einer lOproc. Salzsäure auf ca. 10 ccm eingeengt. Die 
wiedergewonnenc Harnsäure wurde nach Horbaczewski durch Lösen 
in concentrirtcr Schwefelsäure und Wiederausfällen durch Verdünnen aufs 
4 fache Volumen gereinigt. 


Versuchsreihe A. 

350 ccm Nierenextract, zu dessen Bereitung das mit Wasser an¬ 
gesetzte zerkleinerte Nierengewebe über Nacht gestanden hatte, plus 0,3 g 
Harnsäure in Normalnatronlauge gelöst bei 37° unter ständiger Luftdurch- 
leitung unter Zusatz von Toluol und Chlorolorm. 

Versuch I wurde nach 1 / 2 Stunde unterbrochen. 

Wiedererhaltcn 0,21 g Harnsäure, also zerstört 30 pCt. 

Versuch II wurde nach 1 Stunde unterbrochen. 

Wiedererhalten 0,16 g Harnsäure, also zerstört 47 pCt. 

Versuch III wurde nach 2 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhalten 0,125 g Harnsäure, also zerstört 58 pCt. 

Versuch IV wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhalten 0,07 g Harnsäure, also zerstört 77 pCt. 

Versuch V wurde nach 6 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhaltcn Spuren Harnsäure. Nahezu alle Harnsäure zerstört. 

Versuchsreihe B. 

Neuer, analog wie oben geschildert, gewonnener Nierenextract wurde 
ebenso angesetzt. 

Versuch VI wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhalten 0,07 g Harnsäure, also zerstört 77 pCt. 

Versuch VII wurde nach 6 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhalten Spuren Harnsäure. Nahezu alle Harnsäure zerstört. 
Versuch VIII wurde nach 7 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhalten keine Harnsäure. Alle Harnsäure zerstört. 
Versuch IX wurde nach 7 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhaltcn keine Harnsäure. Alle Harnsäure zerstört. 

Versuchsreihe C. 

Von der ganz frisch zerkleinerten und sofort angesetzten Niere wurde 
eine Hälfte bereits nach 3—4 Stunden colirt und filtrirt und sofort wie 
oben zur Luftdurchleitung angesetzt. 

Versuch X wurde nach 2 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhalten 0,03 g Harnsäure, also zerstört 90 pCt. 

Versuch XI wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhalten keine Harnsäure. Alle Harnsäure zerstört. 


Die» zweite Hälfte desselben Extracts wurde nach 24 Stunden colirt 
und filtrirt und ebenso angesetzt. 

Versuch XII wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhalten keine Harnsäure. Alle Harnsäure zerstört. 
Versuch XIII wurde nach 7 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhalten keine Harnsäure. Alle Harnsäure zerstört. 


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392 \V. Künzel u. A. Schittenhelm, lieber den zeitlichen Ablauf der Uricolyse. 


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Versuchsreihe D. 

Ganz frisch gewonnener Extract wie in Versuch X und XI der Ver¬ 
suchsreihe C angesetzt. 

Versuch XIV wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhalten keine Harnsäure. Alle Harnsäure zerstört. 

Versuchsreihe E. 

Der Nierenextract wurde nach einem halben Tag wie oben verarbeitet. 

Versuch XV wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhalten 0,08 g Harnsäure, also zerstört 73 pCt. 

Versuch XVI wurde nach 7 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhalten keine Harnsäure. Alle Harnsäure zerstört. 

Versuchsreihe F. Einfluss der Verdünnung. 

Frischer Nierenextract wurde nach dreistündigem Stehen wie oben 
verarbeitet. 

Versuch XVII, 100 ccm Nierenextract wurden auf 350 ccm mit 
destillirtem Wasser aufgefüllt und wie oben verarbeitet. 

Der Versuch wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhalten 0,13 g Harnsäure, also zerstört 57 pCt. 

Versuch XVIII, 350 ccm desselben Nierenextracts wie oben verarbeitet. 

Der Versuch wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhalten 0,02 g Harnsäure, also zerstört 93 pCt. 

Versuchsreihe G. Einfluss von Säure. 

Versuch XIX, 350 ccm Nierenextract mit 0,3 g Harnsäure in 5 ccm 
Normalnatronlauge gelöst plus 10 ccm Normalschwefelsäure. 

Versuch wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedererhalten 0,22 g Harnsäure, also zerstört 27 pCt, 

Aus den Versuchen geht klar hervor, dass die Harnsäure¬ 
zerstörung in den Nierenextracten einen sehr rasch ablaufenden 
Process darstellt, indem nach 7 Stunden, häufig auch, ins¬ 
besondere bei Verarbeitung ganz frischen Nierenextracts schon 
nach 4 Stunden keine Spur der zugegebenen Harnsäure mehr 
nachzuweisen war. Offenbar hat längeres Stehen des Nierenextracts 
einen leicht abschwächenden Einfluss auf die Intensität der Uricolyse, 
sodass dieselbe zwar noch quantitativ zu Ende geführt wird, aber längere 
Zeit dazu benöthigt. 

Ferner geht aus der Versuchsreihe F hervor, dass die Fermentmengc 
von wesentlichem Einfluss auf die Schnelligkeit der Fermentreaction ist, 
indem dieselbe um so geringer ist, je weniger Ferment angewandt wird. 

Endlich zeigt uns Versuchsreihe G, dass die Harnsäurezerstörung bei 
saurer Reaction überaus gehemmt ist. Ob diese Hemmung auf directer 
Schädigung des Ferments durch die saure Reaction beruht, oder auf 
schlechterer Angreifbarkeit der vielleicht ausgefällten Harnsäure, lässt 
sich aus dem einen Versuch nicht klar ersehen. Jedenfalls stimmt die 
Beobachtung aber mit den Angaben von Wiechowski und Wiener 
über die Einwirkung der Säure überein. 


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XXIX. 


Aus dem Laboratorium der Erlanger medicinischen Klinik. 

Gegenseitige Beeinflussung der Fermente des Nuciein- 

stoffwechsels. 

Von 

Werner Künzel und Alfred Schittenhelm. 

Um zu erkennen, wie sich das urieolytische Ferment der Harnsäure 
in statu nascendi gegenüber verhält, haben wir mit Guanin beschickten 
Milzcxtract, in welchem nachgewiesenerinaassen (besondere Controll- 
versuche) eine sehr intensive und schnell ablaufende Bildung von Harn¬ 
säure vor sich geht 1 ), mit Nierenextract, der auf seine gut functionirende 
urieolytische Fähigkeit untersucht war, gemischt und in diesem Gemisch 
den Ablauf der Uricolyse zeitlich verfolgt. Dabei kamen wir auf eigen¬ 
artige Beeinflussungen der Extracte untereinander, wodurch die Ferraent- 
wirkungen zeitlich sehr wesentlich raodificirt wurden. 

Wir wählten also die Versuchsanordnung so, dass wir eine gut harn¬ 
säurebildende Fermentlösung mit der harnsäurezerstörenden vermischten. 
Aus früheren Versuchen Schittenhelra’s war bekannt, dass zum Studium 
der Harnsäurebildung aus Purinbasen sich am besten Extracte der Rinder¬ 
milz eigneten, in welchen auch bequem die zwei Etappen der Harnsäure¬ 
bildung zu verfolgen sind, die Uesamidirung und die Oxydation. Die Ver¬ 
suche sind mit Guanin angestellt. Die Umsetzung des Guanins in Harn¬ 
säure nimmt folgenden Weg: Guanin—Xanthin—Harnsäure. 

Lässt man durch einen mit Guanin beschickten Milzextract bei 37° 
einen starken Luftstrom hindurch, so ist, wenn man die Reaction schon 
nach 10—15 Minuten unterbricht, kein Guanin mehr nachweisbar, dafür 
aber Xanthin und Harnsäure. Xanthin erhält man ferner leicht, indem 
man die Reaction bei Brutschranktemperatur ohne Luftdurchleitung vor- 
sichgehen lässt. Lässt man bei Luftdurchleitung den Versuch eine Stunde 
und länger gehen, so findet man danach sämmtliches Guanin bereits 
quantitativ in Harnsäure umgesetzt 1 ). 

Auf dieser Erfahrung fussend, haben wir mit Guanin beschickten 
Milzextract zu gleichen Theilen mit Nierenextract gemischt und er¬ 
warteten nun, dass die durch den Milzextract aus dein Guanin bei Luft- 

1) S. hierzu A. Schittenhelm, Leber die Fermente des NucleinstofTwechsels. 
Zeitschr. f. physiol. Chem. 1908. Bd. ö(>. 


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394 


\V. Künzel und A. Schiiten heim, 


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durchlcitung sich bildende Harnsäure sehr schnell von dem uricolytischen 
Ferment des Nierenextracts zerstört werde. Das war aber nicht der 
Fall. Vielmehr stellten sich die Verhältnisse bedeutend modificirt dar. 

Die Darstellung des Nierenextracts geschah wie im ersten Theil, 
und zwar benutzte») wir zu den Versuchen stets einen Nierenextract, 
dessen tadellose uricolytischc Fähigkeit in den oben mitgctheilten Ver¬ 
suchen zu gleicher Zeit sicher festgestellt wurde. 

Den Milzextract stellten wir uns in analoger Weise her, nachdem 
wir die Milzpulpa aus ihrer Kapsel herauspräparirt hatten. Auch hier 
wurde ein Theil Organ und zwei Thcile Wasser genommen. Es kann 
sofort bemerkt werden, dass der Milzextract beim Aufbewahren viel 
langsamer an Wirksamkeit verliert, wie der Nicronextract. 

Die Isolirung der Purinkörper nach Abbruch des Versuchs geschah 
durch Fällung im enteiweissten Extract durch Kupfcrsulfat-Bisulfit. Die 
Kupferoxydulverbindungcn wurden mit Schwefel Wasserstoff zerlegt und 
salzsauer eingeengt. Der nach mehrstündigem Stehen abgeschiedene 
Niederschlag wurde abßltrirt und nach Horbaczcwski umgefällt. Dabei 
erhält man die Harnsäure, welche auf dem Filter gesammelt und ge¬ 
wogen wurde. Die Filtrate, das salzsaure und das schwefelsaure, wurden 
vereinigt, mit Natronlauge alkalisch gemacht, mit Essigsäure angesäuert 
und nun nochmals mit der Kupfermethode gefällt. Das Filtrat der 
Schwefelwasserstoffzersetzung wurde cingedampft, der Rückstand mit 
verdünntem Ammoniak gelöst. Dabei geht das Xanthin in Lösung, 
während etwa vorhandenes Guanin ungelöst bleibt. Es kann hier sofort 
bemerkt werden, dass, abgesehen von einem Versuch, wo Nierenextract 
mit Guanin angesetzt war, nie Guanin wiedergefunden wurde. Das in 
Ammoniak gelöste Xanthin wird durch Einengung von Ammoniak befreit 
und dann weiter auf 3—5 ccm eingeengt. Das so erhaltene Xanthin 
wurde dann abfiltrirt, mit Alkohol und Aether gewaschen und gewogen. 

Versuchsreihe A. 

175 ccm Milzextract plus 0,3 g in wenig Normalnatronlauge gelöstes 
Guanin plus 175 ccm Nierenextract unter Zusatz von Chloroform und 
Toluol bei 37° und beständigem Durchleiten eines starken Luftstroms. 

Versuch 1 wurde nach l / 2 Stunde unterbrochen. 

Wiedergefunden: 0,1 g Harnsäure, 

0,14 g Xanthin. 

Es sind demnach von dem zugesetzten Guanin 47 pCt. als Xanthin 
wiedergefunden worden, ca. 50 pCt. in Harnsäure umgesetzt und 
davon nur 20 pCt. zerstört. 

Versuch H wurde nach 1 Stunde unterbrochen. 

Wiedergefunden: 0,1 g Harnsäure, 

0,11 g Xanthin. 

Es sind demnach von dem zugesetzten Guanin 37 pCt. als Xanthin 
wiedergefunden worden, ca. 00 pCt. in Harnsäure umgesetzt und 
davon 30 pCt. zerstört. 


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Gegenseitige Beeinflussung der Fermente des NucleinstofTwechsels. 


395. 


Versuch iII wurde nach 2 Stunden unterbrochen. 

Wiedergefunden: 0,18 g Harnsäure, 

0,04 g Xanthin. 

Es sind demnach von dem zugesetzten Guanin 13 pCt. als Xanthin 
wiedergefunden worden, ca. 87 pCt. in Harnsäure umgesetzt und 
davon 33 pCt. zerstört. 


Versuchsreihe B. 

Die Extractc wurden ebenso angesetzt wie in Versuchsreihe A. 

Versuch IV wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedergefunden: 0,15 g Harnsäure, 

0,04 g Xanthin. 

Es waren demnach von dem zugesetzten Guanin 13 pCt. als Xanthin 
wiedergefunden worden, ca. 87 pCt. in Harnsäure umgesetzt, aber 
davon nur 42 pCt. zerstört. 

Versuch V wurde nach 7 Stunden unterbrochen. 

Wiedergefunden: 0,17 g Harnsäure, 

Spuren Xanthin. 

Es wurde also nahezu alles Guanin in Harnsäure umgesetzt, von der 
umgesetzten Harnsäure aber nur 49 pCt. zerstört. 

Versuchsreihe C. 

350 ccm Milzextract plus 0,24 g Guanin plus 350 ccm Nierenextract 
werden ebenso angesetzt wie in Versuchsreihe'A. 

Versuch VI wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedergefunden: 0,15 g Harnsäure, 

0,16 g Xanthin. 

Es sind demnach von dem zugesetzten Guanin 66 pCt. als Xanthin 
wiedergefunden worden, ca. 45 pCt. in Harnsäure umgesetzt. 

Es ergeben sich darnach mehr Harnsäure und Xanthin zusammen, 
als dem zugesetzten Guanin entspräche. Das kommt davon her, dass 
sowohl in dem Milz- wie in dem Nierenextract Purinkörper von vorn¬ 
herein enthalten waren, welche ebenfalls mitbestimmt w'urdcn. Jeden¬ 
falls ist in diesem Versuch die Harnsäurezersetzung eine ganz minimale, 
resp. garnicht vorhanden, und der Versuch beweist zugleich, dass die 
Resultate der übrigen Versuche eher zu niedrig, wie zu hoch berechnet 
sind. Noch deutlicher treten diese Verhältnisse in der nächsten Ver¬ 
suchsreihe zu Tage. 

Versuchsreihe D. 

350 ccm Milzextract plus 0,3 g Guanin plus 350 ccm Nierenextract. 

Versuch VII wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedergefunden: 0,21 g Harnsäure, 

0,17 g Xanthin. 

Es sind demnach von dem zugesetzten Guanin 66 pCt. als Xanthin 
wiedergefunden w r orden, ca. 63 pCt. in Harnsäure um gesetzt. 


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396 


W. Künzel und A. Schittenlielm, 


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Versuch VIII wurde nach 7 Stunden unterbrochen. 

Wiedergefunden: 0,15 g Harnsäure, 

Spuren Xanthin. 

Die merkwürdigen Resultate der Versuche mit dem Gemisch von 
Milzextract und Nierenextract mit Guanin führten dazu, dass nunmehr 
der Einfluss des Nierenmilzgemisches auf zugesetzte Harn¬ 
säure direct studirt werden musste. 

Versuchsreihe E. 

175 ccm Nierenextract plus 0,3 g Harnsäure plus 175 ccm Milz¬ 
extract. 

Versuch JX wurde nach 2 Stunden unterbrochen. 

Wiedergefunden: 0,16 g Harnsäure. 

Demnach wurden 47 pCt. der Harnsäure zerstört. 

Versuch X wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedergefunden: 0,11 g Harnsäure. 

Demnach wurden 67 pCt der Harnsäure zerstört. 

Versuchsreihe F. 

350 ccm Nierenextract plus 0,3 g Harnsäure plus 350 ccm Milz¬ 
extract. 

Versuch XI wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedergefunden: 0,19 g Harnsäure. 

Demnach wurden 37 pCt. der Harnsäure zerstört. 

Versuchsreihe G. 

350 ccm Nierenextract plus 0,3 g Harnsäure plus 350 ccm Milz¬ 
extract. 

Versuch XII wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedergefunden: 0,21 g Harnsäure. 

Demnach wurden 30 pCt. der Harnsäure zerstört. 

Versuch XIII wurde nach 7 Stunden unterbrochen. 

Wiedergefunden: 0,08 g Harnsäure. 

Demnach wurden 73 pCt. der Harnsäure zerstört. 

Nachdem auf diese Weise auch bei der mit Harnsäure direct vor¬ 
genommenen Versuchsanordnung eine starke Beeinflussung des Ferment¬ 
vorgangs festgestellt war, unternahmen wir zur weiteren Klärung Ver¬ 
suche, in denen einmal aufgekochter Nierenextract zu frischem 
Milzextract, das andere Mal zu aufgekochtera Milzextract 
frischer Nierenextract zugesetzt wurde. Es sollte dabei vor allem 
die Frage entschieden werden, ob es sich bei der Beeinflussung um eine 
Fermentwirkung oder aber um eine Einwirkung anderer in den Extractcn 
vorhandener Substanzen, wie z. B. Salze etc., handelt. 

Versuchsreihe H. 

350 ccm aufgekochter Nierenextract plus 0,3 g Guanin plus 350 ccm 
frischer Nierenextract. 


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Gegenseitige Beeinflussung der Fermente des NuclemstofTwechsels. 39? 


Versuch XIV wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedergefunden: 0,4 g Harnsäure. 

Es ist daraus klar, dass sämmtliches Guanin quantitativ in 
Harnsäure umgesetzt wurde. 

350 ccm aufgekochter Milzextract plus 0,3 g Harnsäure plus 350 ccm 
frischer Nierenextract. 

Versuch XV wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedergefunden: Spuren Harnsäure. 

Es war also alle beigegebene Harnsäure zerstört. 

Der Nierenextract hat also genau so gut gearbeitet, wie in den Ver¬ 
suchen der vorstehenden Arbeit 1 ) und wie wenn keine Mischung Vorgelegen 
hätte, indem er innerhalb 4 Stunden sämmtliche zugesetzte Harnsäure 
glatt zersetzte. 

Zum Schluss haben wir noch eine Versuchsreihe angestellt, welche 
den Einfluss des Milzextracts auf die Harnsäure und den Einfluss des 
Nierenextracts auf Guanin darlegen soll. 


Versuchsreihe I. 

350 ccm Milzextract plus 0,3 g Harnsäure. 

Versuch XVI wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedergefunden: 0,32 g Harnsäure. 

Folglich besitzt der Milzextract für sich keine harnsäure¬ 
zerstörende Wirkung. 

350 ccm Nierenextract plus 0,3 g Guanin. 

Versuch XVII wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 
Wiedergefunden: 0,23 g salzsaures Guanin (= 0,165 g Guanin); 
Spuren Xanthin. 

Es wurden darnach 55 pCt. des Guanins wiedergefunden. 


Analytischer Beleg der aus den verschiedenen Versuchen ver¬ 
einigten Harnsäure- und Xanthinpräparaten: 

1. Harnsäure: 0,155 g Substanz verbrauchten nach Kjeldahl 
37,0 ccm 7 10 Normal-Oxalsäure. 

Verlangt: 33,33 pCt. N. 

Gefunden: 33,42 pCt. N. 

2. Xanthin: 0,1022 g Substanz verbrauchten 26,82 ccm 7io Normal- 
Oxalsäure. 

Verlangt: 36,84 pCt. N. 

Gefunden: 36,73 pCt. N. 


Es haben sich also in diesen Versuchen eigenartige Beein¬ 
flussungen gezeigt, indem einerseits der Milzextract die harn¬ 
säurezerstörende Eigenschaft des Nierenextracts äusserst 
intensiv hemmt und andrerseits der Nierenextract die harn¬ 
säurebildende Eigenschaft des Milzextracts merklich hintan¬ 
hält. Es liegen hier wohl schwerlich Wirkungen eines proteolytischen 
Ferments vor; denn sowohl der Nierenextract, wie der Milzextract für 


1) Dieses Heft, S. 389. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 



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398 W. Künzei und A. Schittenheim, 

sich enthalten ja bereits solche, und cs müsste also, wenn man die 
Störung auf die Proteolyse zurückführen wollte, eine solche schon im 
einfachen ungemischten Versuche ebenso zu Tage treten. Uebrigens ist 
die Einwirkung des proteolytischen Ferments keineswegs eine sehr 
intensive, was uns auch ein Versuch zeigte, den wir speciell nach dieser 
Richtung hin unternahmen. Allerdings müsste zur endgültigen Ent¬ 
scheidung eine grössere Versuchsreihe herangezogen werden. Da aber 
die Resultate sehr gut zusammen stimmen, so wollen wir hier kurz über 
den Versuch berichten. 


Versuchsreihe K. 

350 ccm Nierenextract plus ca. 2 ccm 10 proc. Ammoniak plus 2 g 
Pankreatin (Rhenania), dessen gute Wirksamkeit durch besondere Ver¬ 
suche festgestellt war, wurden über Nacht mit Chloroform und Toluol 
in den Brutschrank gestellt. Dann wurde das Gemisch, wie üblich, 
filtrirt und mit 0,3 g Harnsäure angesetzt. 

Versuch XVIII wurde nach 4 Stunden unterbrochen. Wieder¬ 
gefunden: 0,06 g Harnsäure. 

Demnach wurden 80 pCt. der Harnsäure zerstört. 

Zur Controlle, ob nicht bereits das Ammoniak irgend eine Schädigung 
hervorruft, wurde folgender Controllversuch angesetzt. 350 ccm Nieren¬ 
extract plus ca. 2 ccm 10 proc. Ammoniak eine Nacht im Brutschrank, 
dann filtrirt und, wie üblich, mit 0,3 g Harnsäure angesetzt. 

Versuch XIX wurde nach 4 Stunden unterbrochen. 

Wiedergefunden: 0,07 g Harnsäure. 

Demnach wurden 73 pCt. der Harnsäure zerstört. 

So wenig der hemmende Einfluss auf die Proteolyse in den Extracten 
zurückgeführt werden kann, so wenig können die kochbeständigen Be¬ 
standteile der Extracte dafür verantwortlich gemacht werden; denn 
in den Versuchen, in welchen je ein aufgekochter Extract mit einem un- 
aufgekochten zusammengebracht wurde, verlief die Reaction genau, in den 
Grenzen und mit der Schnelligkeit, wie wir sie von den Einzelversuchen 
her kennen. Trotz der Anwesenheit des aufgekochten Nierenextracts 
wurde durch den Milzextract zugesetztes Guanin überall schnell und 
völlig quantitativ in Harnsäure uragesetzt, und ebenso zerstörte der 
Nierenextract trotz der Anwesenheit von aufgekochtem Milzextract zu¬ 
gesetzte Harnsäure in normaler Weise. Es ist also klar, dass hier eine 
gegenseitige Beeinflussung fermentativer Kräfte vorliegt. Wir 
sind geneigt, daran zu denken, dass das stark active uricolytische 
Ferment dieActivität der bei der Harnsäurebildung wirkenden 
Fermente abschwäeht, und umgekehrt. Allerdings sind zur end¬ 
gültigen Entscheidung weitere Versuche nöthig. 

Jedenfalls aber steht als wichtiges Resultat der Untersuchung fest, 
dass das Organ, welches beim Rinde die eklatanteste Harn¬ 
säurebildung veranlasst, hemmend auf die Thätigkeit des 
Organs wirkt, welchem die intensiveste Harnsäurezerstörung 
zugehört. 


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Gegenseitige Beeinflussung der Fermente des Nucleinstoffwechsels. 399 


Es dürfte diese Beobachtung Licht auf mancherlei Resultate werfen, 
welche bisher nicht so leicht zu erklären waren. So finden wir z. B. 
in der Leber, ebenso in der Niere selbst nebeneinander zweifellos die 
Fermente der Harnsäurebildung und -Zerstörung vertreten. Das beweisen 
die früheren Versuche Schittenhelm’s und Burian’s. Aber die Harn¬ 
säurebildung und die Harnsäurezerstörung lässt sich mit diesen Organen 
in vitro keineswegs in der intensiven Weise erreichen, wie die einzelnen 
Processe mit denjenigen überlebenden Organen erreicht werden können, 
welche scheinbar nur die eine oder die andere Umsetzungsfähigkeit be¬ 
sitzen. 

Es dürfte eben auch da, sobald bei der Extraction der Fermente 
durch Wasser dieselben in hochwirksamen activen Zustand versetzt sind, 
eine gegenseitige Beeinflussung stattfinden. 

Dass diese im normalen Organismus nicht bereits im Leben auf- 
tritt, ist sicherlich damit zu erklären, dass hier, wie überall, die Fer¬ 
mente in einem inactiven Zustand innerhalb der Zelle festgelegt sind und 
nur dann, wenn der Organismus sie braucht und in dem Maasse, als 
sie gebraucht, werden, aus dem inactiven Zustand in den activen über¬ 
geführt werden. 

Stellen wir uns vor, dass unter gewissen pathologischen Verhält- 
hältnissen gewissermaassen eine Hypersecretion eines der Fermente statt¬ 
hat, so müsste dann ein ähnlicher Zustand schon im Leben innerhalb 
des Organs auftreten, wie er in vitro direct beobachtet werden kann, 
das heisst, es müsste dann zu einer Hemmung im fermentativen Ablauf 
des Harnsäurestofiwechsels kommen, welcher sowohl die Harnsäure¬ 
bildung, wie die Harnsäurezerstörung betreffen müsste. 

Bekanntlich haben Brugsch und Schittenhelm D in einer Reihe 
von Abhandlungen die Gicht als Folge einer Hemmung des ganzen Purin¬ 
stoffwechsels erklärt. Sie sind dazu gekommen durch den Vergleich des 
normalen und pathologischen Nucleinstoffwechsels. Aus der Verfolgung des 
exogenen Purinstoffwechsels konnten sie schliessen, dass beim Gicht¬ 
kranken eine verlangsamte Purinbasenumbildung i. e. verlangsamte Harn¬ 
säurebildung vorliegt. Diese Störung betrifft jedoch auch die endogene 
Harnsäure, welche in den meisten Fällen einen auffallend niedrigen 
Werth zeigt. Als zweite Etappe in der Stoffwechselstörung der Gicht 
stellen die beiden Autoren eine verminderte bezw. verlangsamte Harn¬ 
säurezerstörung fest, sodass also bei der Gicht die ganze Reihe der 
Fermentprocesse des Nucleinstoffwechsels in einem weniger intensiven 
Tempo arbeitet, wie normaler Weise. 

Diese im Stoffwechsel versuch gefundenen Ergebnisse 
werden nunmehr offensichtlich gestützt durch die Resultate 
der vorliegenden Versuchsreihen. Wird doch in diesen ex¬ 
perimentell das erzeugt, was beim Gichtkranken pathologischer¬ 
weise der Organismus besorgt. Die Vorstellung, dass hier eine 

1) Brugsch, Th. und Schittenhelm, A., Zur StofTwechsclpathologie der 
Gicht. Zeitschr. f. experim. Pathol. und Therap. 1907. Bd. 4. Mitth. 1 — 6 und 
Bd. 6, Mitth. 7. 

26* ; : •' 


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400 W. Künzel u. A. Schittcnheim, Gegenseitige Beeinflussung d. Fermente etc. 


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Störung im ganzen Fermentapparat des Nueleinstoffwechsels 
statthat, gewinnt feste Gestalt, und es ist ein Weg gegeben, auf 
dem eine experimentell fundirte Erklärung für die eigenartige pathologische 
Störung erbracht werden kann. 

Mithin geben unsere Versuche nicht nur einen interessanten Beitrag 
für die experimentelle Physiologie, sondern sie dienen auch dazu, in den 
wichtigen Fragen der pathologischen Physiologie Klarheit zu verschaffen. 

Als Nebenbefund erwähnen wir noch, dass wiederum Ueberein- 
stimmung mit früheren Versuchen festgelegt ist, dass beim Rind die 
Milz scheinbar keine harnsäurezerstörende Fähigkeiten besitzt. Wenn wir 
jedoch bedenken, dass selbst ein so intensiv harnzerstörendes Organ wie 
die Niere durch Beimengung von Milzextract so beträchtlich in ihrer 
Thätigkeit nach dieser Richtung gestört wird, dann ergiebt sich daraus 
die Nothwendigkeit, bei derartigen Befunden in vitro mit den Schlüssen 
auf das lebende Organ vorsichtig zu sein. Es ist wohl möglich, dass 
der Rindermilz neben der Harnsäurebildung im Leben auch eine Harn¬ 
säurezerstörung zukommt, diese Harnsäurezerstörung aber kann in vitro 
nicht beobachtet werden, weil die überaus activen harnsäurebildenden 
Fermente die Harnsäurezerstörung vollkommen lahm legen. 

Aehnlich verhält es sich mit der Harnsäurebildung im Nierenextract. 
Dass hier eine solche zweifellos stattfindet, zeigten schon frühere Ver¬ 
suche von Schittenhelm, und auch der vorliegende Versuch darf wohl 
als Beweis dafür angenommen werden; denn von dem zugesetzten Guanin 
ist nur mehr ungefähr die Hälfte wiedergefunden worden, während die 
andere Hälfte zum kleineren Theil als Xanthin erhalten werden konnte, 
zum Theil völlig in Verlust gerieth. Es muss angenommen werden, dass 
dieser verlorene Rest in dem Extract über das Xanthin zu Harnsäure 
umgesetzt wurde, und als solche der sofortigen Zerstörung anheimfiel, 
sodass für das lebende Organ zweifellos eine rege Harnsäurebildung neben 
der Harnsäurezerstörung angenommen werden dürfte. Genau so liegt es 
bei der Leber und ebenso wohl auch beim Muskelgewebe, nur dass 
vielleicht in einem Organ diese, im anderen jene Fermentgruppe das 
Uebergewicht hat, während wieder andere einen gewissen Gleichgewichts¬ 
zustand besitzen. 

Daraus, dass die Harnsäurebildung und die Harnsäurezersetzung 
nicht in allen Organen gleich intensiv vor sich geht, erklärt es sich 
ferner, dass trotz der intensiven Harnsäurezerstörung gewisser Organe 
ständig geringe Mengen Harnsäure im Blute kreisen und mit dem Urin 
abgeschieden werden. Wenn die Harnsäurebildung und die Harnsäure¬ 
zerstörung überall gleichen Schritt hielten, dann könnte es ja nicht zu 
einer Ausfuhr von Harnsäure durch die Niere kommen. 

Wir können darum wohl sagen, dass unsere angeführten Feststellungen 
sehr geeignet sind, neues Licht auf manche, bis jetzt noch dunkle und 
schwer verständliche Vorgänge des Nueleinstoffwechsels zu werfen. 


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XXX. 


Aus der II. medicin. Klinik der Universität Berlin. 


Ueber die Absorption der Harnsäure durch Knorpel. 

Von 

Theodor Brugsch und Julius Citron, 

kl in. Assistenten. 


Almagia 1 ) hatte im Hofmeister’schen Laboratorium zeigen 
können, dass Harnsäurelösungen, denen Pferdeknorpel zugesetzt wurde, 
nach längerem Stehen an Concentration abnahraen, und zwar soll 
nach Almagia diese Abnahme dadurch bedingt sein, dass die Knorpel¬ 
substanz das Vermögen besitzt, aus sehr verdünnten Lösungen von harn¬ 
saurem Natron die Harnsäure in erheblicher Menge zu absorbiren und sic 
in krystallinischer Form abzulagern. 

Der Befund von Almagia erscheint uns für das Problem der Gicht 
insofern von weittragender Bedeutung, als dadurch sich vielleicht die Ab¬ 
lagerung der Harnsäure in den Gelenkknorpeln erklären würde, nachdem 
einmal die stetige Anwesenheit der Harnsäure (selbst bei purinfreier Er¬ 
nährung) im venösen Armblut für den Gichtiker bewiesen worden ist. 

Wir haben aus diesem Grunde die Versuche Alraagia’s aufgenommen 
und sie im weitesten Umfang zu stützen versucht. 

I. Versuche mit Pferdeknorpel frisch geschlagener Thiere. 

Versuch a): 39g Pferdeknorpel vomSternura in Stücke von etwa 1 ccm 
gehackt, werden in 800 ccm einer schwach alkalischen Harnsäurelösung von 
0,098 pCt. Harnsäure-N gebracht. Die Lösung bleibt (nach Toluolzusatz) 
4 Wochen im Brutschrank bei 37° stehen. 

Der gewaschene Knorpel wird alsdann durch 6 ständiges Kochen 
am Rückflusskühler mit 300 ccm einer 4 proc. H 2 S0 4 -Lösung auf¬ 
geschlossen, die Lösung (der nicht gelöste geringe Rest wird verrieben) 
wird mit Alkali neutralisirt, nach Zugabe eines kleinen Ueberschusses 
von Alkali aufgekocht, dann durch Ansäuren mit Essigsäure ent- 
eiweisst und aus dem Filtrat mit einer Kupfer-Bisulfitlösung die Harn¬ 
säure gefällt. 


1) Marco Almagia, Zur Lehre vom Harnsäurestoffwechsel. III. Mittheilung. 
Hofmeisters Beitr. Bd. VII. 


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402 


Th. Brugsch und J. Citron, 


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Es wurden 0,110 g Harnsäure in etwa 35 g Knorpel gefunden, 
mithin für 100 g Knorpel etwa 0,33 g Harnsäure. 

(ln zwei Knorpelstückchen war durch Anfertigung von feinen Schnitten 
der mikroskopische Beweis erbracht worden von der Anwesenheit von 
prismatischen Harnsäurekrystallen ähnlich denen, wie Almagia sie ab¬ 
bildet.) 

Versuch b): 39 g Pferdcknorpel vom Sternum werden in kleine 
Stücke von etwa 0,5 ccm gehackt und in 800 ccm einer schwach alkalischen 
Harnsäurelösung von 0,098 pCt. Harnsäure-N gebracht, 4 Wochen in 
dieser Lösung, der Toluol zugesetzt worden war, bei 37° im Brutschrank 
belassen und dann in gleicher Weise aufgeschlossen wie im Versuche a). 
Es wurden wiedergefunden 0,143 g Ü in etwa 35 g Knorpel. Für 100 g 
Knorpel berechnet also = 0,42 g Ü. In den nicht aufgeschlossenen 
Knorpelstückchen Hess sich mikroskopisch krystallinische Harnsäure nach- 
weisen. 


II. Versuche mit Menschenknorpel. 

Versuch a: 4,5 g Menschenknorpel 1 ) (von den Rippen eines Er¬ 
wachsenen) werden in 400 ccm einer Lösung von harnsaurem Natron ge¬ 
bracht, die in 100 ccm 0,00396 g Ü-N enthält. Nach 20 tägigem Stehen 
im Brutschrank enthält die Lösung nur noch 0,00196 g Ü-N (Analyse 
durch Silber- und Kupferfällung); mithin haben die 400 ccm der Harn¬ 
säurelösung 0,008 g Ü-N oder 0,024 g Ü verloren (für 100 g Knorpel be¬ 
rechnet = 0,5 g Ü). 

Versuch ß: 10 g Menschenknorpel vom Knie eines Erwachsenen 
werden in 800 ccm einer Lösung von harnsaurem Natron gebracht, die 
in 100 ccm = 0,00396 g Ü-N enthält. Nach 20 tägigem Stehen im 
Brutschrank bei 37° enthält die Lösung nur noch 0,00182 g Ü-N; mithin 
sind an Harnsäure aus der Lösung zu Verlust gegangen = 8 X 0,00214 g 
Ü-N = 0,01712 oder 0,05136 g Ü (für 100 g Knorpel berechnet = 
0,5 g Ü). 

Die Knorpelstücke des Versuches « und ß werden, nachdem sie 
gut gewaschen sind, mit 150 ccm 4 proc. H. 2 S0 4 -Lösung durch 4 ständiges 
Kochen am Rückflusskühler aufgeschlossen; die Lösung dann mit Alkali 
neutralisirt, nach Hinzufügen eines Ueberschusses von Alkali aufgekocht, 
dann mit Essigsäure angesäuert und coagulirt und im Coagulationsfiltrate 
durch Kupfer-Bisulfit die Harnsäure ausgefällt; auf diese Weise wurden 
0,033 g Ü erhalten. Nach der Berechnung (aus dem Verluste der Harn¬ 
säurelösungen a und ß) hätten aus dem Knorpel wiedergefunden werden 
müssen 0,075 g Ü. 

Versuch y: 9,5 g Knorpel aus dem Kniegelenk eines Kindes werden 
in 500 ccm einer schwach alkalischen Harnsäurelösung gebracht, die in 
100 ccm = 0,00196 g Ü-N enthält. Nach 14 tägigem Stehen im Brut- 

1) Wir verdanken den Menschenknorpel der Liebenswürdigkeit von Herrn Pro- 
sector Dr. Pick, dem wir hierfür unsern Dank aussprechen. 


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Ucber die Absorption der Harnsäure durch Knorpel. 


403 


schrank bei 37° (unter Toluolzusatz) enthält die Lösung nur noch 
0,00077 g Ü-N in 100 ccm; mithin wurden absorbirt 5 X 0,00119 g Ü-N 
= 0,00595 g Ü-N oder 0,01785 g Ü. Für 100 g Knorpel berechnet 
= 0,18gÜ. 

Versuch d: 9,2 g Knorpel von den Rippen eines Erwachsen werden 
in 300 ccm einer schwach alkalischen Losung gebracht, die 0,00392 pCt. 
Harnsäure-N enthält. Nach 14 tägigem Stehen im Brutschrank bei 37° 
(unter Toluolzusatz) finden sich an Harnsäure wieder 0,00168 pCt. Harn¬ 
säure-N; mithin sind zu Verlust gegangen = 3 X 0,00224 = 0,00672 Ü-N 
= 0,02016 g Ü (für 100 g Knorpel = 0,2 g Ü). 

Versuch t: 5 g Knorpel vom Kniegelenk eines Erwachsenen werden 
in 300 ccm einer Lösung von 0,00392 pCt. Harnsäure-N gebracht. Nach 
14 tägigem Stehen im Brutschrank bei 37° (unter Toluolzusatz) finden 
sich wieder = 0,00126 pCt. Harnsäure-N; mithin sind zu Verlust ge¬ 
gangen = 3 X 0,00266 Ü-N = 0,00798 Ü-N = 0,02394 g Ü (für 100 g 
Knorpel berechnet = 0,48 g Ü). 

Zunächst konnten wir also die Versuche Almagia’s für das Harn¬ 
säureabsorptionsvermögen des Pferdeknorpels vollständig bestätigen, in¬ 
dem (in Uebereinstimmung mit Almagia) von 100 g Knorpel in dem 
einen Falle für 100 g Knorpelsubstanz 0,3 g Harnsäure, in dem anderen 
Fall 0,42 g Harnsäure absorbirt worden war; und zwar konnte diese 
Harnsäure durch Aufschliessen mit Schwefelsäure direct aus 
dem Knorpel wiedergewonnen werden. 

In genau gleicher Weise wie der Knorpel des Pferdes zeigt auch 
der Knorpel vom Menschen, wie wir feststellen konnten, ein hohes Ab¬ 
sorptionsvermögen für Harnsäure; und zwar unterscheidet sich 
hierin der Knorpel eines Erwachsenen nicht von dem des 
Kindes, der Knorpel der Rippen nicht von dem des Kniegelenks, 
so dass wir annehmen müssen, dass dem Knorpel ganz generell 
die Eigenschaft zukoramt, Harnsäure absorbiren zu können, 
ganz gleich, ob die Harnsäure in concentrirter Lösung oder 
in stark verdünnter Lösung vorhanden ist. 

Schon Almagia zieht für die Pathologie der Gicht den Schluss, 
dass die Anhäufung von Uraten im Knorpel des Gichtkranken als der 
Ausdruck eines vorübergehend oder dauernd erhöhten Uratgehaltes der 
Gewebssäfte aufgefasst werden muss, und wir können uns dieser Auf¬ 
fassung nur voll anschliessen, nachdem einmal bewiesen ist, dass der 
Harnsäuregehalt des Gichtikerblutes endogen oder exogen für das venöse 
Extremitätenblut stets erhöht ist. 

Eine Auffassung möchten wir aber aufs energischste zurück¬ 
weisen, welche in der Gichtliteratur weit verbreitet ist und welche direct 
einen Hemmschuh bildet für die ganze Auffassung der Harnsäureablagerung 
im Knorpel: das ist die Ansicht, dass die Harnsäure im Blute ausfallen 
müsse und dass so die Uratablagerungen zu Stande kämen. 

Diese Auffassung hat zuletzt ja noch Kionka vertreten und 
die letzte Mittheilung Kionka’s „Beiträge zur Kenntniss der Gicht u , 


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Th. Brugsch und J. Citron, 


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Mitth. 9, „Weiteres über das Ausfallen der Urate“ 1 ) gipfelt darin, dass 
Kionka nachweist, dass eine Anzahl saurer (u. A.) Substanzen (Glykokoll, 
Leucin, Alanin, Allantoin) beschleunigend auf das Ausfallen saurer Urate 
aus Harnsäurelösungen wirkt. Kionka meint nun, dass ein reichlicheres 
Entstehen derartiger Verbindungen bei den verschiedenen Abbauvorgängen 
— vielleicht auch bei dem Abbau der Harnsäure (? d. Ref.) — für 
den Gichtiker von ebenso grosser Bedeutung sei, wie die Gegenwart 
grösserer Mengen Harnsäure, in dem Sinne nämlich (nach der früher 
von ihm entwickelten Theorie), dass diese Substanzen das Ausfallen der 
Harnsäure im Körper beförderten. 

Wer viel Gichtikerblut auf Harnsäure zu untersuchen Gelegenheit hat, 
der weiss sehr bald, dass das Gichtikerblut nicht im entferntesten eine 
gesättigte Harnsäurelösung vorstellt, mithin ist es auch an sich schon 
wenig wahrscheinlich, dass diese Substanzen (Alanin, Leucin, Glykokoll) 
das Ausfallen der Harnsäure bewirken können, ganz abgesehen von der 
vagen Vermuthung, dass überhaupt sehr viele dieser Substanzen im Blute 
vorhanden seien. 

Es handelt sich also im Körper nicht um ein Ausfallen aus 
gesättigten Lösungen wie im Reagenzglase, sondern viel eher 
um Absorptionen der Harnsäure aus relativ schwach harnsäure¬ 
haltigen Säften durch Gewebe, die eine Affinität zur Harn¬ 
säure besitzen; das kann, will man nicht die ganze Lehre von 
der Gicht discreditiren, nicht scharf genug betont werden. 

Wie wenig beweisend aber die Versuche Kionka’s sind, das zeigen 
3 von uns angestellte Versuche, die seine Theorie bezügl. der Urat- 
ablagerungen bei der Gicht widerlegen. 

Es wurden je 20 g Knorpel vom Sternum des Pferdes in je 200 ccm 
schwach alkalischer Harnsäurelösung (0,3 g + 5 ccm Norm NaOH) gebracht, 
unter Toluolzusatz die Lösungen mehrere (5) Tage bei 37° im Brut¬ 
schrank belassen, nachdem zur Lösung I nichts zugesetzt worden war, 
zu Lösung II 1 g Alanin, zu Lösung III 1 g Leucin, zu Lösung IV 
V 2 g Tyrosin. 

Die Knorpel wurden aufgeschlossen und es fand sich in 
Lösung I = 0,018 g Ü 

» 11 = 0,00 „ „ 

fl 111 = 0,00 „ „ 

fl IV = 0,00 „ * 

Also durch den Zusatz jener die Uratausfällung beschleunigenden 
Aminosäuren ist das Knorpelabsorptionsvermögen für Harnsäure nicht 
gefördert, sondern gehemmt worden; entschieden ein für die Kionka’sche 
Theorie, die wir auch sonst schon für erledigt halten, nicht gerade er¬ 
mutigendes Resultat. 

Schliesslich wollen wir noch erwähnen, dass wir an Kaninchen (und 
Hunden) intravenöse Injectionen von Lösungen von harnsaurem Natron 

1) In dieser Mittheilung behauptet Kionka, dass Raubitschek sogar ein aus 
Albumosen abspaltendes Ferment Erepsin aus Darmschleimhaut isolirt hat. Das 
Verdienst kommt aber Cohnheim (Zeitschr. f. phys. Chemie, 1901, Bd. 33) zu! 


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lieber die Absorption der Harnsäure durch Knorpel. 


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gemacht haben und versucht haben, die Affinität des Knorpels zur 
Harnsäure am lebenden Organismus dadurch zu erweisen, dass wir nach 
dem Tode der Thiere den gesammten Knorpel durch 4 proc. Schwefel¬ 
säure aufschlossen und auf Harnsäure untersuchten. Vor der Hand 
hatten allerdings unsere Versuche noch kein positives Resultat erzielt, 
einzig wohl aus dem Grunde, weil es nicht gelungen ist, den Thieren 
die genügend grossen Harnsäuremengen durch die schnell thrombosirenden 
Ohrvenen beizubringen. An den Kaninchenohren fanden sich einige 
kleine Tophi, die mit Harnsäure gefüllt waren, indessen bestand hier 
die Möglichkeit, dass bei der Injection in die Ohrvene etwas Harnsäure 
direct in den Ohrknorpel verspritzt wurde. 




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XXXI. 

Aus der II. medicinischen Klinik der Universität Berlin. 


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Zur Frage des Harnsäureinfarctes der Neugeborenen. 

Von 

Theodor Brugsch und Alfred Sohittenhelm. 

Bekanntlich finden sich bei Kindern, die zwischen dem 2. und 
14. Tage nach der Geburt gestorben sind, häufig Ablagerungen von harn- 
saurem Ammon in Form kleiner Kugeln in den Sammelröhren der Mark¬ 
kegel der Niereif, welche man mit dem Namen Harnsäureinfarct belegt. 
Nach Ebstein spielen neben der Ablagerung in den Sammelröhren auch 
nekrotische Processe des Parenchyms selbst eine Rolle, deren Ursache 
Ebstein in der nekrotisirenden Eigenschaft der Harnsäure sieht. 

Zur Erklärung dieses Infarctes müssen folgende Fragen erörtert 
werden. 

1. Besitzen die Organe des neugeborenen Kindes, insbesondere die 
Niere ein Harnsäurezerstörungsvermögen? 

2. Besteht überhaupt ein Unterschied zwischen dem Harnsäure¬ 
zerstörungsvermögen der Rinde und den Markkegeln der Niere? 

3. Zeichnet sich der Säuglingsharn in den ersten 14 Lebenstagen 
durch besonderen Harnsäurereichthum aus, sodass ein Ausfallen der 
Harnsäure in Folge abnorm starker Concentration bereits innerhalb des 
ableitenden Harnsystems möglich ist? 

4. Wie verhält sich die Reaction des Harns? 

Was zunächst die erste Frage betrifft, so darf es wohl durch die 
Versuche von Schittenhelm und Schmid 1 ) als sicher gestellt gelten, 
dass die Niere des neugeborenen Kindes (wie die andern harnsäure¬ 
zerstörenden Organe) an sich ein uricolytisches Vermögen in gleicher 
Weise besitzt, wie man es bisher aus thierexperimentellen Erfahrungen 
für die Nieren der Säugethiere und der erwachsenen Menschen annehmen 
kann. Indessen bestünde doch die Möglichkeit, dass ein Auskrystallisiren 
der Harnsäure in den Lumina der Sammelröhren der Markkegel und die 
Ablagerung im Parenchym damit zusammenhängt, dass die Localisation 
des uricolytischen Fermentes principiell in den Nieren an bestimmte Ab¬ 
schnitte des Parenchyms gebunden ist, so dass z. B. die Rinde ein 

1) Abbau des Nucleinstoffwechsels in menschlichen Organen. Diese Zeitschrift. 
1907. Bd. IV. S. 424. 


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Zur Frage dos Harnsäureinfarctes der Neugeborenen. 407 

starkes Harnsäurezerstörungsvermögen besitzt, während die Papillen davon 
frei sind. 

Wir haben diese Frage experimentell angegriffen und zwar mit 
Pferde- und Rindernieren. Zu diesem Zwecke wurden in möglichst 
exacter Weise die Papillen der Niere auspräparirt und andererseits die 
obersten Schichten der Nierenrinde durch flache Messerschnitte abgetrennt. 
Die so isolirten Bestandtheile (Rinde und Markkegel) wurden nunmehr 
nach feinster Zerkleinerung (Fleischhackmaschine, Zerkleinerung durch 
Glas + Kieselguhr) mit 2 Theilen Wasser angesetzt, mehrere Stunden 
stehen gelassen, colirt und durch Watte filtrirt. Auf diese Weise er¬ 
hielten wir ein Rinden- und ein Papillenextract. Unter Zusatz von 
Chloroform und Toluol und einer abgewogenen Menge von Harnsäure 
wurden die Extracte theils im Brutschrank (mehrmaliges Umschütteln), 
theils im Wasserbad bei 35° C. unter Luftdurchleitung 24 Stunden (bezw. 
7 Stunden) belassen. Danach mit Alkali kurz aufgekocht, mit Essig¬ 
säure coagulirt und im Coagulationsfiltrat mit der Kupfersulfat-Bisulfit- 
fällung die Harnsäure isolirt. 

Versuche mit Pferdenieren. 

Versuch la. Papillenextract. 300 ccm -j- 0,4 g Ü in 6 ccm 
Normal-NaOH gelöst. 24 Stunden im Brutschrank; mehrmaliges IJm- 
schütteln. Wiedergefunden = 0,2 g U. 

Es waren also 50 pCt. Harnsäure zerstört. 

Versuch lb. Rindenextract. 300 ccm -f- 0,4 g U in 6 ccm 
Normal-NaOH gelöst. 24 Stunden im Brutschrank unter Umschütteln. 
Wiedergefunden = 0,3 g Ü. 

Es waren also 25 pCt. Harnsäure zerstört. 

Versuch 2a. Papillenextract. 300 ccm mit 0,3 g Ü gelöst in 
5 ccm Normal-NaOH. 24 Stunden unter Luftdurchleitung im Wasserbad. 
Wiedergefunden kein Gramm Ü. 

Zerstört wurden also 100 pCt. der Harnsäure. 

Versuch 2b. Rindenextract. 300 ccm in gleicher Weise an¬ 
gesetzt. Wiedergefunden 0,03 g Ü. 

Zerstört wurden also 90 pCt. der Harnsäure. 

Versuch 3a. Papillenextract. 300 ccm (wie Versuch 2 mit 
0,3 g Ü angesetzt). Wiedergefunden 0,15 g Ü. 

Zerstört wurden 50 pCt. der Harnsäure. 

Versuch 3b. Rindenextract. 300 ccm in gleicher Weise wie 
3 a mit 0,3 g Ü angesetzt. Wiedergefunden 0,003 g Ü. 

Zerstört wurden 99 pCt. der Harnsäure. 

Versuche mit Rindernieren. 

Versuch 4a. Papillenextract. 300 ccm; zugesetzt 0,6 g Ü, 
gelöst in 9 ccm Normal-NaOH. 7 Stunden auf dem Wasserbad bei Luft¬ 
zuleitung. Wiedergefunden 0,0 g Ü. 

Es wurde also die gesammte Harnsäure zerstört (100 pCt.). 

Versuch 4b. Rindenextract. 300 ccm; zugesetzt 0,6 g (j in 
gleicher Weise wie 4a angesetzt. Wiedergefunden 0,0 g Ü. 

Es wurde also die gesammte Harnsäure zerstört (100 pCt.). 


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408 Th. Brugsc-h u. A. Schittenhelm, Zur Frage d. Ilarnsäureinfaretes etc. 

Es ergiebt sich somit aus unseren Versuchen ganz einwandsfrei, dass 
man von einer Localisation des uricolytischen Fermentes in be¬ 
stimmten Zellcomplexen des Nierenparenchyms nicht reden 
kann, wenigstens nicht, was Rinde und Mark (bezw. Papillen) 
betrifft. Wir gehen wohl nicht zu weit, wenn wir diese Verhältnisse auch 
auf die Niere des Neugeborenen übertragen und behaupten, dass unmöglich 
die Ablagerung des harnsauren Ammons in den Markkanälchen nur des¬ 
halb zu Stande kommen könne, weil etwa hier das uricoly tische Ferment 
schwach vertreten sei bezw. fehle. Wir müssen also zur Erklärung des 
harnsauren Infarctes des neugeborenen Kindes andere Möglichkeiten heran¬ 
ziehen. Damit kommen wir zur Erörterung unserer Frage 3 und 4. 

Einmal zeigt sich nämlich die Harnsäureausscheidung beim Neu¬ 
geborenen derart hoch, dass z. ß. nach Horbaczewski das Verhältnis 
der Harnsäure zum Gesammtstickstoff nicht wie beim Erwachsenen 
1—2 pCt. beträgt, sondern 7—8 pCt. Der Urin der Neugeborenen darf 
also als stark harnsäurereich gelten. Die Ursache für diesen Harnsäure¬ 
reichthum müssen wir in dem Umstande suchen, dass das Blut der 
Neugeborenen einen bedeutenden Gehalt Leukocyten hat, die, wie ja die 
Verfolgung der Leukocytenzahlen beweisen, einer baldigen Zerstörung 
anheimfallen. 

In den durch den Leukocytenzerfall freigewordenen Leukonucleinen 
befindet sich aber die Muttersubstanz der Purinbasen, die selbstverständ¬ 
lich eine vermehrte Harnsäurebildung zur Folge haben muss und dadurch 
kommt es auch zur vermehrten Ausscheidung von Harnsäure. Anderer¬ 
seits ist aber der Urin der Neugeborenen auffallend reich an Ammoniak. 
Diese Verhältnisse werden vorzüglich durch einen Versuch von Sjöqvist 1 ), 
dessen Zahlen wir anführen, illustrirt: 

Auf 100 Urin-N: 

Harnsäure A m m oniak 

I. Vor dem lnfarct .... 7,9 7,8 

II. Während des Infarcts. . . 8,5 8,1 

III. Nach dem lnfarct .... 3,0 9,6 

Also während und vor dem lnfarct abnorm hohe Werthe an Harn¬ 
säure wie an Ammoniak, die ohne weiteres die Bedingungen für das 
Ausfallen von harnsaurem Ammon geben. Rechnen wir noch hinzu, 
dass gleichzeitig eine Ausscheidung von hyalinen Substanzen in den 
Harnwegen der Niere eintritt, so kann man sich wohl vorstellen, dass 
die Ausflockung des harnsauren Ammons dadurch beschleunigt, vielleicht 
sogar hervorgerufen wird; es liegen die Verhältnisse damit ähnlich, wie 
bei der Urolithiasis und bei den bekannten Experimenten von Ebstein 2 ) 
und Nikolai er, nur mit dem Unterschiede, dass hier harnsaures Natrium 
im sauren, dort harnsaures Ammon im alkalischen mit Ammoniak an¬ 
gereicherten Urin ausfällt 3 ). 

1) Cit. nach Hamraarsten, Lehrb. d. physiol. Chemie. 4. Aufl. S. 421. 

2) Natur und Behandlung der Harnsteine. Wiesbaden. 1884. 

3) Cf. ferner Brugsch und Schittenhelm, Gicht, Nierengicht und Uratstein- 
diathese. Centralbl. f. Stoffwechsel. Dec. 1907. 


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XXXII. 


Aus der inneren Abtheilung des Gemeindekrankenhauses in Pankow. 

Zur Physiologie und Pathologie der Athmung 1 ). 

Von 

H. Bönniger. 

(Mit 1 Abbildung und 2 Curven im Text.) 

I. 

Die Athmung des Menschen geschieht auf der einen Seite durch 
Muskelkraft, auf der anderen durch gewisse elastische Kräfte. Es sind 
dies die Elasticität der Lunge und die des Brustkorbs. Nach allgemeiner 
Annahme haben wir es bei ruhiger Athmung ausschliesslich mit activer 
Inspiration alternirend mit passiver Exspiration zu thun. Also wirkte 
bei ruhiger Athmung die Elasticität nur im Sinne der Exspiration. Es 
ist ohne weiteres klar, dass nach einer tiefen Exspiration die Elasticität 
des Thorax auch im umgekehrten Sinne, d. h. erweiternd wirken muss. 
In der Regel aber wirken beide Factoren gleichsinnig, d. h. im Sinne ^der 
Exspiration. Es scheint mir nun von grösstem Interesse, Anhaltspunkte 
dafür zu gewinnen, welche Rolle diese beiden Factoren, die elastische 
Kraft der Lunge und des Thorax bei der Athmung spielen. Versuche, 
welche sich in dieser Richtung bewegen, sind über den alten Donders- 
schen Versuch nicht weit hinausgekommen. Dieser ermittelt bekanntlich 
den Druck, welchen die Lunge bei der Leiche auf ein Manometer aus¬ 
übt, wenn die Pleurahöhlen eröffnet werden. In der Leiche muss nämlich 
ein Gleichgewichtszustand herrschen. Der Thorax steht über seiner 
eignen Gleichgewichtslage hinaus in Exspirationsstellung und hält der 
Spannung der Lunge das Gleichgewicht (vom Zwerchfell wollen wir hier 
zunächst absehen). Dass der Donders’sche Werth von der augen¬ 
blicklichen nicht bekannten Füllung der Lunge diese wieder vom Stande 
des Zwerchfells und namentlich auch von der Elasticität des Thorax ab¬ 
hängig ist, liegt auf der Hand. 

Es scheint mir daher nothwendig, die complicirten Verhältnisse 
möglichst zu vereinfachen und die einzelnen Coraponenten getrennt zu 
untersuchen. 

Was die Elasticität des Thorax betrifft, so wird die Bestimmung 

1) In extenso auf dem diesjährigen Congress für innere Medicin in Wien vor¬ 
getragen. 


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410 


M. Bön n iger, 


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dieser, ganz abgesehen von anderen Schwierigkeiten, deshalb nicht leicht 
möglich sein, weil der Einfluss der Intercostalmuskeln nicht auszuschalten 
wäre. Trotzdem glaube ich, dass derartige Versuche, wenn auch noch 
so roh, werthvolle Resultate ergeben würden. Es leuchtet z. B. ohne 
weiteres ein, wie ungeheuer verschieden die elastische Kraft des Thorax 
eines alten Mannes und die eines Kindes sein muss. 

Zunächst galt cs jedoch die elastischen Kräfte der Lunge zu messen. 
Wintrich 1 ) hat zuerst Versuche in dieser Richtung gemacht. Er unter¬ 
scheidet Lungentonus und Elasticität, da er mit Donders fand, dass 
die todte Lunge leichter aufzublähen ist als die lebende. Die Kräfte, 
die bei der todten Lunge in Betracht kommen, nennt er die rein physi¬ 
kalischen, gegenüber dem vitalen Tonus, den er auf Muskelkräfte zurück¬ 
führt. Um diese Annahme zu rechtfertigen, müsste erst der Nachweis 
dieser Muskelfasern in den Alveolen erbracht sein. Vor der Hand liegt 
es näher in der Füllung und dem Tonus der Gefässe die Ursache zu 
suchen. Den physikalischen Antheil der Contractionskraft der Lunge 
schätzt er auf 4 /s der ganzen, er misst ihn durch Vergleich von Volumen 
und angewandtem Druck. Die gefundenen Werthe sind bei derselben 
Lunge ausserordentlich constant, viele Tage hindurch. Zahlen bringt er 
nicht und seine Versuche wurden an Kaninchen- und Hundelungen ge¬ 
macht. In neuester Zeit hat Liebermeister 2 ) wiederum an Kaninchen 
und zum Thcil auch an einzelnen menschlichen Lungenlappen Elasticitäts- 
bestiraraungen vorgenommen mit einer ähnlichen Versuchsanordnung, wie 
ich sie weiter unten beschreiben werde. 

Bevor ich auf meine eigenen Untersuchungen eingehe, kann ich 
nicht umhin, hier wiederum einmal auf den Begriff der Elasticität ein¬ 
zugehen, da derselbe in fast allen medicinischen Lehrbüchern in dem 
vulgären Sinne angewandt wird und nicht im streng physikalischen. So 
begegnet man gerade beim Emphysem stets dem Vergleich mit einem 
Gummiband, dessen Elasticität durch andauernde Dehnung verloren ge¬ 
gangen ist. Nun ist bekanntlich Gummi sehr wenig elastisch und in¬ 
sofern ist der Vergleich schon richtig, indem auch die Lunge eine sehr 
kleine Elasticität besitzt. Wie beim Gummi ist aber die Grenzveränderung 
der Lunge eine sehr grosse, d. h. man kann sie sehr stark dehnen, 
ohne dass die Elasticitätsgrenze überschritten wird. Nur in diesem 
Sinne, also im vulgären, trügen die elastischen Fasern ihren Namen 
mit Recht 3 ); gerade sie sind es, die eine grössere Dehnung gestatten, 
ohne dass die Elasticitätsgrenze überschritten wird. Man könnte den 
Satz Rosenthal’s in Herraann’s Handbuch umkehren und sagen, dass 
das Gewebe der Lungen einen geringen Grad von Elasticität besitzen 
muss, geht aus seiner Structur hervor. Im physikalischen Sinne sind 
alle die Gewebe, die reich an elastischen Fasern sind, sehr wenig 
elastisch, z. B. die Haut, die Gefässe. Das elastischste Gewebe des 

1) Virchow’s Handbuch, Krankheiten der Respirationsorgane. 1854. 

2) Centralblatt f. Pathologie. 1907. Die Arbeit wurde mir erst nach Abschluss 
meiner Untersuchungen bekannt. 

3) cf. Triepel, Einführung in die physikalische Anatomie. Wiesbaden. 1902. 


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Zur Physiologie und Pathologie der Athraung. 


411 


Körpers ist der Knochen. Trotzdem spielt natürlich die kleine Elasticität 
der Lunge eine grosse Rolle bei der Athraung. 

Dieselbe lässt sich annähernd schätzen, wenn man die Lunge mit 
einem bestimmten Druck aufbläst und nun das Volumen bestimmt 
oder auch entsprechend Donders* Versuch den Druck bestimmt, 
den die mit einem bestimmten Luftvolumen gefüllte Lunge auf ein 
Manometer ausübt. Beide Wege Hessen sich in folgender Versuchs¬ 
anordnung vereinigen. Die aus der Leiche hcrausgeschnittene Lunge 
kommt in ein mit einem doppelt durchbohrten Stopfen geschlossenes 
GlasgefäsS, welches zweckmässig aus 2 Theilen besteht, die mittels 
Glasschliff aufeinanderpassen. Die eine Bohrung verbindet das Bronchial¬ 
lumen mit einem Manometer von engem Lumen (zur Verminderung des 
schädlichen Raumes), anderseits durch Dreiweghahn mit einem Spiro¬ 
meter. Die andere Bohrung verbindet das Innere des Glasgefässes mit 
einem anderen Manometer, mit Luftpumpe und einem Gefäss mit positivem 



Druck (s. Figur). Ich bin mir nun vollkommen darüber klar, dass diese 
Versuchsanordnung eine rohe ist; es ist ausgeschlossen, auf diese Weise 
eine mathematisch genaue Zahl für die elastische Spannung der Alveolen¬ 
wände zu bekommen. Schon die Vielheit derselben, die sicherlich ver¬ 
schiedene Füllung der einzelnen Alveolen lässt eine Beziehung der 
elastischen Spannung zum Volumen nur cum grano salis zu. Immerhin 
ist es klar, dass uns eine solche Versuohsanordnung ausserordentlich 
viel mehr sagen muss, als der Donders’sche Versuch 1 ), dessen äusserst 
complicirte Bedingungen hier doch wesentlich einfacher gestaltet sind 
und in genau zu übersehender Richtung variirt werden können. 

Eine annähernd gleichraässige Spannung und Füllung der Lungen¬ 
alveolen ist natürlich Voraussetzung für unsere Untersuchungen. Bei 
der von allen Seiten gleichraässig wirkenden Kraft darf man wohl mit 

1) Cf. Perls, Bescheidene Resultate von 100 Bestimmungen. Archiv f. klin. 
Med. 1869. S. 1. 


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412 


M. Bönniger, 

einiger Berechtigung annehmen, dass die Dehnung überall ziemlich die¬ 
selbe ist. 

Es soll nicht bestritten werden, dass die Blähung der Randpartien 
eine etwas stärkere ist, wie die der centralen. Denn diese sind in 
ihrer Dehnungsfähigkeit durch Gefässe und Bronchien zweifellos sehr 
beeinflusst. Trotzdem ist der Unterschied in der Füllung nicht so be¬ 
deutend, wie man sich an Schnitten gefrorener Lungen überzeugen kann, 
dass dadurch das Resultat unserer Untersuchungen gestört werden könnte. 
(Anm. Ich beabsichtige genauere Messungen in dieser Richtung anzustellen). 

Ich sehe einen Beweis für meine Auffassung darin, dass sich eine 
wesentliche Form Veränderung der Lunge nicht feststellen lässt, wenn 
man sie nach der Aufblähung unter den entsprechenden -f- Druck setzt. 

Es ist nothwendig, hier kurz auch die Frage zu erörtern, wie sieh 
diese Verhältnisse im Leben gestalten. Hier stehen sich zwei Ansichten 
diametral gegenüber, die eine, ältere, vertritt besonders Rosenthal 1 ) 
und Hermann 2 ), die andere in ihrer schärfsten Form Tendeloo 3 ). 
Nach den ersteren wird der Raumtheil jedes Alveolarraumes um einen 
gleichen Bruchtheil vergrössert, wenn die Raumvergrösserung auch nur 
am unteren Ende der Lunge Platz hat [Rosenthal 4 )]. Tendeloo 
stellt demgegenüber den Satz 5 ) auf: „Eine örtlich auf die Lunge an einer 
beschränkten Stelle einwirkende ausdehnende oder zusammendrückende 
Kraft ruft nur örtlich beschränkte, kaum in die Umgebung fort¬ 
gepflanzte Dimensionsänderungen hervor . a Ich glaube, die Wahrheit 
dürfte auch hier in der Mitte liegen. Man kann sich leicht bei der 
Blähung der Lunge in der Glasglocke überzeugen, wie weit die Zug¬ 
wirkung in die Tiefe geht. Wenn nämlich ein Theil der Lunge der 
Glaswand anliegt, so kann auf diesen natürlich nur in der Peripherie 
direct die saugende Kraft der verdünnten Luft einwirken. Trotzdem 
kann man sich auch die innersten Theile deutlich blähen sehen; der 
Unterschied in der Grösse der Alveolen ist nicht bedeutend. Gelegent¬ 
lich wandert ein Lungenlappen eine ganze Strecke am Glase vorbei. 
Diese Beweglichkeit der Lunge besteht, normale Verhältnisse voraus¬ 
gesetzt, auch in vivo, da sie ja nur am Hilus fixirt ist. Dieses Moment 
hat Tendeloo zu wenig berücksichtigt. Der Vergleich mit einer über 
einen Ring gespannten Membran ist durchaus nicht den wahren Ver¬ 
hältnissen entsprechend. 

Auf der andern Seite muss man zugeben, dass die Gegenseite 
durchaus nicht den Beweis erbracht hat, dass die Spannung überall in 
der Lunge gleich ist. Solange der Innendruck gleich Athmosphärendruck, 
ist wirklich kein Grund einzusehen, warum es so sein sollte, wenn nicht 
der Zug ganz gleichmässig wirkt. Nun ist bei völlig normalen Ver¬ 
hältnissen wohl der Bau des Thorax und der Mechanismus der Athmung 

1) Hermann’s Handbuch. 1880. 

2) Bei Freund, Diese Zeitschrift. 190G. S. 479. 

3) Tendeloo, Studien über die Ursachen der Lungenkrankheiten. 1902. 

4) Cf. auch Hermann ? s Auseinandersetzungen, I. c. S. 489. 

5) 1. c. S. 22. Der ganze Satz ist bei Tendeloo gesperrt gedruckt. 



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Zar Physiologie und Pathologio der Athmung. 


413 


ein derartiger, dass wenigstens bei gewisser Tiefe der Athmung die Er¬ 
weiterung an jeder Stelle der betreffenden Lungenmasse entspricht. Man 
könnte vielleicht annehmen, dass die unteren Partien durch das Zwerch¬ 
fell und die so bedeutend grössere Erweiterungsfähigkeit der unteren 
Thoraxpartien doch im Yortheil wären. Bis zu einem gewissen Grade 
mag das zutreffen; so kann man gelegentlich bei der Röntgenuntersuchung 
Schatten in der Lungensubstanz auffällig weit auf- und abwärts wandern 
sehen bei tiefer Athmung. Im Uebrigen aber glaube ich doch, dass die 
Zwcrchfellathmung im allgemeinen sehr überschätzt wird. Wie bedeutend 
die Thoraxathmung sein kann, geht aus den Untersuchungen von Loewy 1 ) 
hervor, der bei künstlicher Athmung, bei der die Zwerchfellsathmung in 
Wegfall kommt, vielmehr das Zwerchfell im umgekehrten Sinne sich be¬ 
wegt und daher die Werthe verkleinern muss, ganz erstaunliche hohe 
Zahlen fand 2 3 ), bei der Methode von Silvester-Broich Mittelwerthe von 
1700—2300, Höchstwerth 3000 ccm. Loewy macht dazu die Bemerkung, 
dass diese Werthe nicht ganz den der vitalen Capacität erreichten; 
jedenfalls blieben sie also nicht erheblich unter demselben. 

Ganz anders werden natürlich die Verhältnisse, wenn Verwachsungen 
oder Veränderungen in der Elasticität des Thorax, Athemlähmungen, 
raumbeschränkende Processe oder dergleichen vorliegen. In allen diesen 
Fällen ist die Bewegungsmöglichkeit für einzelne Lungenabschnitte be¬ 
schränkt, die Luftfüllung in Folge dessen in diesen eine mangelhafte. 

Für unsere Versuchsanordnung können wir, wie oben auseinander¬ 
gesetzt, eine annähernd gleichmässige Spannung annehmen. 

Man könnte nun weiterhin den Einwurf machen, dass die lebende 
Lunge sich anders verhielte, wie die todtc. Es ist hier eine Arbeit 
Grossmann’s 1 ) zu erwähnen, der den Einfluss der Blutfülle auf die 
Dehnbarkeit der Lunge untersucht hat. Trotz der grossen Zahl seiner 
Versuche, scheinen mir seine Schlussfolgerungen nicht ganz einwandsfrei. 
Es besteht eine unüberbrückbare Kluft zwischen dem 1. und 2. Theil 
seiner Arbeit. In dem ersten kommt er zu dem Resultat, dass der 
Binnenraum der Lunge mit der Drucksteigerung in der Pulmonalis wächst. 
Gilt dieser Satz für jede Luftlüllung, so wäre doch mit anderen Worten 
die Lunge dehnbarer. Da der Innendruck gleich 0 ist, so müsste einer 
Vergrösserung des Binnenraumes eine erhöhte Dehnbarkeit entsprechen. 
Dies das Resultat des 1. Theiles. Für die wenig Luft gefüllte Lunge 
mag es vielleicht zutreffend sein. In dem 2. Theil seiner Arbeit findet 
Grossmann, dass die Dehnbarkeit durch Blutstauung geringer wird, 
was ja von vornherein das wahrscheinlichere war. Immerhin sind diese 
Drucksteigerungen so excessive, dass sie für unsere Untersuchungen 
nicht in Betracht kommen. Seine Versuche an Leichenlungen lassen 
den Grad nicht erkennen, wie weit die künstliche Durchblutung die 


1) Bert. klin. Wochenschr. 1908. S. 1134. 

2) Es wäre interessant diese Versuche an Menschen verschiedenen Alters and 
Geschlechts, Emphysemen etc. auszufübren und sie mit dor Vitalcapacität zu ver¬ 
gleichen. 

3) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. XVI. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 27 


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Dehnbarkeit erhöht. Ich habe stärker gestaute oder ödematose Lungen 
von der Untersuchung ausgeschlossen. Man kann dann wohl annehmen, 
dass der Fehler bei allen Lungen annähernd der gleiche ist, wie oben 
schon bemerkt nach Wintrich 1 / 5 des ganzen Werths. 

Dass im übrigen Leichenveränderungen keinen Einfluss haben, betont 
schon Wintrich. Die Elasticität ändert sich in vielen Tagen nicht, 
und selbst die Fäulniss ruft keine wesentliche Aenderung hervor, dagegen 
ist die Lunge dann sehr leicht zcrreisslich. 

Im Einzelnen gestaltet sich meine Untersuchung folgendermaassen: 
Die Lunge wird möglichst schonend aus dem Brustkasten herausge¬ 
nommen. Da völlig normale Lungen ohne jede Verwachsungen der 
Pleura eine Rarität beim Erwachsenen sind, so kann das seine Schwierig¬ 
keiten haben. Man muss dann die Pleura costalis mit herausnehmen, 
cv. können kleinere Verletzungen gleich mit einem Faden unterbunden 
werden. Nun wird zunächst das Volumen der Lunge bestimmt. Von 
grösster Bedeutung ist nämlich für uns die Minimalluft, d. h. die Luft, 
welche nach der Herausnahme der Lunge noch in derselben zurückbleibt. 
Diese wird gewonnen, indem wir das Gewicht auf das Volumen der 
Lungensubstanz selbst umrechnen durch Division mit 1,06, dem ver¬ 
mutlichen specifischcn Gewicht derselben (Herrmann) und letzteres 
Volumen vom Gesamtvolumen abziehen. Nunmehr wird die Lunge 
raontirt in der oben angegebenen Weise. Sie wird dann durch Evacuirung 
des äusseren Glasgcfässes aus dem Spirometer mit Luft gefüllt, z. B. 
mit einem Druck von —200 mm H 2 0 (Atmosphärendruck = 0 gesetzt). 
Bei diesem Druck pflegt eine ziemlich gleichmässigc Blähung, die natür¬ 
lich erstes Erforderniss ist, zu erfolgen. Wenn das äussere Manometer 
auf —200 stehen bleibt, wird das Spirometer ausgeschaltet und das 
äussere Manometer auf 0 gestellt. Dann stellt sich das innere Mano¬ 
meter auf einen Druck entsprechend dem Donders-Versuch. Nun wird 
der Hahn zum Spirometer geöffnet, die Lunge collabirt. Man sieht dann 
an der Einstellung des Spirometers, ob Luft in der Lunge zurückge¬ 
blieben ist. Nach einer Reihe von Ablesungen bei verschieden hohem 
Druck wird das Volumen der Lunge wiederum bestimmt. Eine besondere 
Schwierigkeit ist das Fehlen des O-Punkts für unsere Bestimmungen. 
Der augenblickliche Füllungszustand der Lunge kann natürlich als solcher 
nicht gelten. So müssen wir schon den absoluten 0 Punkt nehmen, 
d. h. wir nehmen elastische Vollkommenheit an und setzen damit voraus, 
dass die Lunge völlig luftledr~ collabiren würde, wenn die elastische 
Spannung der Alveolenwand kein Hinderniss fände. Darauf komme ich 
noch zurück. Diesen absoluten O-Punkt bestimmen wir durch die 
Minimalluft: Wir rechnen sie also einfach zu den an unserem Spirometer 
gefundenen Zahlen zu. 

Ich gebe nun als Beispiel das Untersuchungsprotokoll der rechten 
Lunge einer 18 jährigen Frau (Körperlänge 165 cm). Die Lunge war 
kaum verwachsen und völlig normal. 

Gewicht 327 g = 308 ccm. Volumen 450 ccm. Minimalluft 142 ccm. 

Bei —100 erfolgt nicht die geringste Blähung. 


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Zur Physiologie und Pathologie der Athmung. 

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Spirometerstand. Manometer I. Manometer 11. 


1000 

— 200 

+ 190 



cs bleiben 150 ccm Rest 



250 

— 40 

+ 36 


600 

— 100 

+ 96 


850 

— 140 

+ 130 


1000 

— 200 

— 


1250 

— 300 

+230 


1300 

— 360 

+ 250 


Die Bestimmung 

des Gesamtvolumens am 

Schluss des 

Versuchs 


ergiebt 550 ccm, die Minimalluft beträgt demnach jetzt 242 ccm. 

Sehr viel übersichtlicher gestaltet sich das Ergebniss, wenn wir die 
Zahlen in Form von Curven aufzeichnen. Auf der Ordinate sind die 
Volumina, auf der Abscissc der gleichzeitige Stand des äusseren Mano¬ 
meters eingetragen. Da in der Lunge der Druck gleich dem Atmosphären- 
Druck ist, sind Umrechnungen nicht erforderlich (Curve 1). 

Die Curven zeigen in der Regel einen auffälligen Knick in ihrem 
Verlauf; sie steigen steil an und verlaufen von einem bestimmten Punkte 
an sehr flach. Mit Worten gesagt: Das Lungengewebe ist ausserordentlich 
leicht dehnbar bei geringer Belastung und dehnt sich bei grösserer 
kaum mehr. Kinderlungen zeigen diesen Knick nicht, sie sind also bei 
starker Belastung relativ dehnbar, im Uebrigcn sehr viel elastischer. 
Dieser Befund zeigt eine gewisse Analogie mit Untersuchungen, die ich 
seiner Zeit über die Elasticität der Haut gemacht 1 ). Es zeigte sich, 
dass die Haut, welche längere Zeit einer stärkeren Dehnung aus¬ 
gesetzt war, bei geringer Belastung eine geringere Elasticität zeigt, bei 
stärkerer aber normal ist. Das Gesetz, welches wohl sonst für die 
meisten Gewebe des Körpers gilt, dass nämlich die Elasticität im Alter 
zunimmt, kommt anscheinend dadurch bei der Lunge nicht zum Aus¬ 
druck. Im übrigen sind meine Untersuchungen noch nicht zahlreich 
genug, um sichere Schlüsse bezüglich des Alters etc. zuzulassen. Auf 
eine weitere Analogie mit der Haut sei jedoch hier noch hingewiesen. 
Die Spannung desselben ist beim Neugeborenen am geringsten und wird 
grösser mit dem Heranwachsen, indem das Wachsthum der Haut gegen¬ 
über dem der Knochen zurückbleibt. Man wächst in seine Haut hinein. 
Auch der Thorax wächst stärker wie die Lunge. So muss nothwendig 
die Spannung derselben, welche beim Neugeborenen gleich 0 ist, grösser 
werden. 

Wenn wir die normale Athmung berücksichtigen, so bewegt sich die 
Mittellage nach Bohr 2 ) (Mittellinie der ruhigen Athmungscurve) um 2500 
bis 3000 herum. Nehmen wir nun für eine Lunge 1250 ccm, so handelt 
es sich hier um einen Druck, der 150 H 2 0 nicht übersteigt. Es ist 
selbstverständlich, dass bei der Einathmung die höheren Drucke wirksam 
sind, denn wir müssen bedenken, dass der Druck in der Lunge nicht 


1) Diese Zeitschrift. Bd. 1. 

2) Archiv für klin. Medicin. 1907. S. 335. 

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gleich 0 ist und die Füllung der Lungen schnell vor sich gehen muss. 
Aber die Kraft, welche wir aufweriden müssen, um die Lunge zu dehnen, 
interessirt uns ja für die Ausathmung weniger, denn die Elasticität der 
Lunge kommt ja für diese in erster Linie in Frage. Und da ist zu 
sagen, dass der Druck, welchen die gespannte Lunge auf ein Mano- 


Curve 1 1 ). 

ccra 



meter ausübt, noch sehr viel geringer ist, als der negative Druck, 
welchen wir berechnen, um die Lunge zu dehnen. Wenn nämlich der 
Druck aussen gleich Atmosphärendruck wird, so zieht sich die Lunge 

1) Die Werthe für die Kinderlungen sind durch Multiplication mit einer dem 
Alter der Kinder entsprechenden Zahl gewonnen. 


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Zur Physiologie und Pathologie der Athruung. 


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etwas zusammen, sie hebt das Manometer (bei dem kleinen Kaliber des¬ 
selben spielt das keine Rolle) und die Luft wird comprimirt. Die 
Spannung wird geringer als der Widerstand ist, den die Lunge der 
Dehnung entgegensetzt. Also das innere Manometer zeigt einen geringen 
Ausschlag. 

Die Werthe sind z. B. folgende: 

— 60+ 52 —200+ 160 

— 100+ 90 —240 + 184 

— 100+134 —300 + 210 

— 180+ 150 —360 + 234 mm H 2 0 

Wie man sieht, werden die Differenzen immer bedeutender und das 
ist ja selbstverständlich, da die Luft bei höherem Druck stärker kom¬ 
primiert, die Spannungsdifferenz also eine grössere wird 1 ). Der Werth 
von 150 wird also noch kleiner und wir dürften es bei der normalen 
Athmung mit Spannungen zu thun haben, die 100 mm H 2 0, etwa 8 mm Hg 
nicht viel übersteigen. Der Donder’sche Mittelwerth beträgt 6 mm Hg, 
also ein nicht viel höherer Werth. Was leistet nun die Elasticität der 
Lunge für die normale ruhige Athmung. Bei der Inspiration kommen 
nach Donders und Hutchinson 30—37,6 mm Hg, also 5 — 6 fache 
Werthe in Betracht. Für die Exspiration sind meines Wissens bisher 
derartige Werthe nicht festgestellt. Wenn wir annehmen, dass die Ex¬ 
spiration nur passiv erfolgt, so müssten die Werthe natürlich etwas 
geringer sein, aber doch nicht bedeutend. Dann aber kommt der 
geringe Druck, den die elastische Lunge auszuüben vermag, für die 
ruhige Athmung des normalen Menschen kaum in Frage. Es muss die 
elastische Kraft des Thorax sein, welche die Exspiration ganz überwiegend 
zu Stande bringt. Dass mittelst unserer Exspirationsmusculatur Druck¬ 
steigerungen hervorgerufen werden können, die das 30 fache jenes Drucks 
ausmachen, sei beiläufig erwähnt (Valentin). 

Von ausschlaggebender Bedeutung für die Frage nach dem Antheil 
der elastischen Thoraxspannung an der Exspiration ist die exspira- 
torische Ruhestellung, wenn ich mich so ausdrücken darf; ich ver¬ 
stehe darunter die äusserstc Exspirationsstellung bei ruhiger Athmung. 
Ist diese exspiratorische Ruhestellung identisch mit der Leichenstellung, 
vielfach irreführend als Normalstellung bezeichnet? Wenn der Thorax 
sich auch in der exspiratorischen Ruhestellung in Inspirationsstellung be¬ 
findet, so kann natürlich seine elastische Spannung für die Ausathmung 
voll wirken. Wird also die absolute Gleichgewichtslage des Thorax 
nicht überschritten, so wird die Bedeutung der Elasticität der Lunge 
eine sehr geringe. Ich habe versucht, dieser Frage näher zu treten, in¬ 
dem ich Anhaltspunkte für das Volumen des Thorax kurz vor und nach 
dem Tode zu gewinnen trachtete. Da hat schon die einfache Messung des Um¬ 
fangs des Thorax in einer Höhe, die durch eine horizontale Marke festgelegt 
war, einen gewissen Werth. Indem dann noch die Höhe des Zwerchfell- 

1) Allerdings kommt hier ein anderes Moment hinzu, das ist dio gleich- 
massigere Füllung der Lunge bei den + Werthen, während bei den — Werthen die 
Randzonen etwas stärker gefüllt sind. 


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Standes mittelst des Orthodiagraphen in der Weise bestimmt war, dass 
der Abstand von einer am Rücken festgeklebten Marke kurz vor und nach 
dem Tode gemessen wurde, bin ich zu dem Resultat gekommen, dass 
sich in der That in der Regel die exspiratorische Ruhestellung keineswegs 
mit der Leichenstellung deckt, dass vielmehr die erstere eine ausge¬ 
sprochene Inspirationsstellung bedeutet. Es stimmt das mit dem Resultat 
überein, welches Gad an Kaninchen zuerst festgestellt. Für den Thorax 
sind die Unterschiede ja natürlich gering, da seine Elasticität im Gegen¬ 
satz zur Lunge eine sehr grosse, seine Grenzveränderung aber klein ist. 
Immerhin handelt es sich doch um mehrere Centimeter. Das Zwerch¬ 
fell tritt ganz bedeutend höher, als es bei der exspiratorischen Ruhe¬ 
stellung im Leben stand. Wie gering die elastische Kraft der Lunge 
gegenüber der Elasticität des Thorax ist, beweist die ausserordentlich 
geringfügige Erweiterung, welche der Thorax bei Eröffnung der Pleuren 
erfährt. Sie ist mit der rohen Messung des Umfangs überhaupt nicht 
immer mit Sicherheit festzustellen, auch wenn sich die Lungen gut 
retrahiren. Dabei ist auch die Bewegung des Zwerchfells keine erheb¬ 
liche bei Eröffnung der Pleura. Wenn nur die elastische Kraft der Lunge 
es wäre, welche das Zwerchfell in die Höhe zöge, so müsste dieses doch 
erheblich nach unten treten, die Druckverhältnisse im Abdomen dürften 
hier maasgebend sein. Ich glaube demnach, dass die Elasticität der 
Lunge für die Exspirationsbewegung selbst nur geringe Bedeutung hat. 

Damit muss man aber der Elasticität der Lunge eine andere Rolle in 
dem Spiel der Athmung zuerkennen. Es liegt auf der Hand, dass, wenn 
die Lunge garnicht elastisch wäre, eine einigermaassen gleichmässige 
Blähung absolut ausgeschlossen wäre. Darin scheint mir eine 
wichtige Aufgabe derselben zu liegen, sie sorgt für eine mög¬ 
lichst gleichmässige Ausdehnung. Diese Auffassung findet in der 
Beobachtung ihre Stütze, dass solange die Alveolarspannung nicht einen 
gewissen Grad erreicht hat, die Aufblähung eine ganz ungleichmässige 
ist, zum Thcil fehlt sie gänzlich. 

Eine 2. Aufgabe der Lungenclasticität ergiebt sich aus 
folgendem: 

Gegenüber Lichtheim muss ich betonen, dass cs ganz unmöglich 
ist, aus einer Lunge, welche der Leiche entnommen ist, irgend nennens- 
werthe Mengen Luft auszutreiben durch noch so hohen Druck. Man 
könnte einwenden, dass die Verhältnisse in vivo vielleicht doch andere 
wären, da meine Versuchsanordnung diese nur sehr unvollkommen 
wiedergiebt. Letzteres ist zweifellos richtig, aber darauf kommt es ja 
nicht an. Es handelte sich darum, die complicirten Verhältnisse der 
Athmung zu vereinfachen. Nun kann ich mir aber nicht denken, inwie¬ 
fern es einen Unterschied machen sollte auf die Druckverhältnisse in der 
Lunge, ob der anliegende Thorax und das Zwerchfell dieselbe zusammen¬ 
drückt oder die comprimirte Luft des Aussengefässes. Dieser Ver¬ 
schluss der Alveolen ist von grosser Bedeutung, denn nur er ist es, welcher 
einen weiteren Collaps der Lunge hindert. Sein Mechanismus ist nicht 
leicht verständlich. Wenn man nämlich eine in unserem Glase aufge¬ 
blähte Lunge collabiren lässt, so sinkt sie auf ein bestimmtes Volumen 


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zusammen in relativ kurzer Zeit; wie schon gesagt, lässt sich dann 
durch Druck nichts mehr austreiben. Wenn man aber nun die Lunge 
sich selbst überlässt, so kann in Stunden noch eine recht erhebliche 
Luftraenge entweichen, ich habe 50 bis 100 ccm gemessen. Ich habe 
das so oft gesehen, dass ein Zweifel ausgeschlossen. Wie das aber zu 
Stande kommt, das dürfte nicht leicht zu beantworten sein. Dass 
übrigens der Verschluss nicht immer nur am Uebergang in die Infundibula 
liegt, geht wohl daraus hervor, dass man bei Druck auf geblähte Alve¬ 
olen die Luft in benachbarte hineintreiben kann, was nicht möglich wäre, 
wenn die Passage in den Bronchien frei wäre. Dieser Verschluss tritt 
erst dann ein, wenn die Spannung in der Lunge unter ein gewisses 
Maass gesunken ist. Sic sehen eine 2. wichtige Aufgabe der Lungen- 
elasticität. Die Minimalluft ist also von 2 Factoren abhängig, von der 
Elasticität der Alveolen und der Neigung der Bronchien zum Verschluss. 
Die erstere kann man auch für die collabirte Lunge annähernd zahlen- 
mässig feststellen, indem man bei abgestellter Luftzufuhr dio Lunge unter 
negativen Druck setzt. Man kann wohl annehmen, dass z. B. bei dem 
Druck von —200 der Verschluss gelöst ist und kann aus der Differenz 
beider Manometer Schlüsse auf die Spannung ziehen. Berücksichtigt 
man, dass die Spannung hier noch grösser wird, indem die Luft in den 
Alveolen verdünnt wird, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass in 
einzelnen Fällen die elastische Spannung eine äusserst minimale in der 
collabirten Lunge ist. Ich fand z. B. Differenzen von 7 (—200 —193) 
bei älterem Manne; bei einem Kinde 52 (—200 —148) mm H,0. Ja 
bei einem 7 Monat alten Fötus, der nur ganz kurze Zeit gelebt, ergab 
sich eine Differenz von 104 (—200—96). 

Da glaube ich, muss man wohl annchmen, dass der schlechtere 
Collaps in jenem Falle wohl auf die Verminderung der Elasticität zurück¬ 
zuführen ist. Ich möchte betonen, dass damit durchaus nicht gesagt 
ist, dass auch die elastische Vollkommenheit verloren gegangen wäre. 
Diese Dinge sind durchaus zu trennen. 

II. 

Was geht nun aus diesen Versuchen für dio Pathologie der Athmung 
hervor? Das Emphysem besteht, wie der Name sagt, in einer Blähung 
der Lunge. Von Laenncc stammt dieser Name, und er fand ihn am 
Sectionstisch. Das Charakteristische sah er darin, dass die geblähte 
Lunge nicht collabirte. Nun hat man diese Vorstellung gleich auf das 
Krankenbett übertragen und sagt: Das Emphysem besteht darin, dass 
die Lunge sich nicht auf ihr normales Volumen zusammenzieht. Diese 
Vorstellung hat die Voraussetzung, dass die exspiratorische Ruhestellung 
des Emphysematikers mit der Leichenstellung identisch wäre. Diesen 
Beweis hat aber bisher niemand geliefert. Es müsste ferner die Reserve¬ 
luft völlig verschwunden sein, was auch keineswegs der Fall. Dazu 
kommt, dass die Diagnose des Emphysems sich auf gewisse äussere 
Merkmale stützt, Form, Starre des Thorax, Tiefstand des Zwerchfelles, 
Dyspnoe, Schachtelschall etc. Auf Grund dieser Symptome schliessen 
wir auf ein Volumen pulmonum auctum. Stimmt nun das klinische 


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Emphysem stets mit dem pathologisch-anatomischen überein? Diese 
Frage ist durchaus zu verneinen und es erscheint dringond noth- 
wendig, diese Begriffe streng zu trennen. Ich meine also, wir 
bleiben zunächst einmal bei dem pathologisch-anatomischen Begriff stehen 
und betrachten das alveolöse Emphysem des Volumen pulmonum auctum. 
Ich schliesse damit die mehr oder weniger localen Emphyseme zunächst 
aus, welche pathologisch-anatomisch am meisten als solche imponiren. Da 
existiren nun meines Wissens in der Litteratur zahlenmässige Werthc über¬ 
haupt nicht. Das Ausbleiben des Collapses ist kein Beweis für eine Blähung. 
Wenn wir die oben erwähnte Arbeit von Perl durchsehen, so finden wir, 
dass der Donders’sche Druck bei allen möglichen Erkrankungen gleich 
0 ist. Das hat dann offenbar andere Gründe. Abgesehen von Ver¬ 
wachsungen, ist hier in erster Linie zu nennen Hochdrängung des Zwerch¬ 
felles. Nun könnte man ja das wohl unterscheiden, denn die Lunge 
hat in diesem Falle nicht das Volumen pulmonum auctum. Dieses 
schätzt man nach dem Augenmaass. Wenn man aber erst einmal das 
Volumen der Lunge misst, so wird man finden, dass man sich da sehr 
täuschen kann und andererseits giebt es Volumina pulmonum aucta, die 
in einer echten Vermehrung des Lungenvolumens bestehen. Da bleibt 
dann die sichtbare Blähung der Alveolen. Ja, wenn man da Höhlen bis 
Taubeneigrösse hat, so kann natürlich kein Zweifel sein. Aber ich 
möchte betonen, dass solche Veränderungen Vorkommen, ohne dass im 
Ganzen ein vermehrtes Luftvolumen festzustellen ist. 

Nun ist allerdings zu bedenken, dass bekanntlich alle Theile der 
Lunge niemals gleichmässig gebläht sind, so wechseln gerade beim Em¬ 
physem atelectatische und emphysematose Partien ab. Dies kommt 
zum Theil daher, dass die Bronchiallumina verstopft sind, zum Theil 
aber auch von der häufig geringen Eigiebigkeit der Athemzüge ante 
mortem. Es ist deshalb zweckmässig, die Lunge stark aufzublähen, so- 
dass sie in allen Theilen möglichst gleichmässig gefüllt ist. Das ist bei 
genügendem Druck in der Regel wohl möglich. Nun lässt man die 
Lunge wieder collabiren und findet nun nicht selten ein ganz erhebliches 
anderes Volumen als vorher. Zum Beispiel fand ich in einem Falle zu¬ 
erst Gesamtvolumen 1200 ccm bei 711g Gewicht, woraus sich die 
Minimalluft auf 530 ccm berechnet. Bei der zweiten Messung 1960 Ge¬ 
samtvolumen, also Minimalluft 1290 ccm. Dieselbe ist um das Doppelte 
gewachsen. Es kann kein Zweifel sein, dass man diese Lunge patho¬ 
logisch-anatomisch als eine emphysematose bezeichnen muss, obgleich 
die ursprüngliche Minimalluft keinen zu hohen Werth ergab. Von einem 
anderen Fall möchte ich berichten, dessen Minimalluft nur 292 betrug, 
bei dem klinisch Emphysem anzunehmen war, exquisit fassförmiger 
starrer Thorax. Möchte aber hier gleich erwähnen, dass auch der um¬ 
gekehrte Fall eintreten kann, dass nämlich das Volumen, nachdem die 
Lunge aufgebläht war, kleiner ist, wie vorher. Darauf komme ich 
zurück. Zunächst will ich auf die Elasticität der emphysematosen Lunge 
eingehen. Sie will man ja neuerdings ganz ausschalten (Bohr). Ich 
habe oben gesagt, dass meiner Ansicht nach die Elasticität der Lunge 
für die Athembevvegung selbst nur eine geringe Rolle spielt. Aber trotz- 


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dem kommt der Elasticitätsverlust als ätiologisches Moment sehr in Be¬ 
taacht. Ich habe oben darüber berichtet, dass die Minimalluft der 
collabirten Lunge auch mit dem stärksten Drucke nicht auszutreiben ist. 
Das gilt auch für das Emphysem. Es gelingt nicht, die grossen Era- 
physemblasen auch nur im geringsten dauernd zu verkleinern, wenn man 
selbst 300 mm Hg auf sie wirken lässt. Ja, ich will hier einen 
weiteren Versuch anführen, den ich bei emphysematosen Lungen mit 
Bronchitis wiederholt mit Regelmässigkeit anstellen konnte. Wenn man 
eine solche Lunge aufbläht, dann plötzlich unter hohen Druck setzt, so 
zieht sie sich zunächst schneller zusammen, wie bei Atmosphärendruck. 
Es bleibt aber, wie man am Spirometer ablesen kann, ein grösserer 
Rest Luft, als wenn man die Lunge sich selbst überlässt. Es 
handelt sich um Volumina von 100 und mehr ccm. Diese Versuche könnten 
möglicherweise von grosser practischer Bedeutung sein, und ich möchte 
darauf hinweisen, dass unter gewissen Bedingungen diese Versuchsan¬ 
ordnung im Leben gegeben sein könnte, wenn man einen Emphysematikcr 
in einen Atmungsstuhl setzt. Dass es für die Lungenwand nicht von 
Vortheil wäre, unter ganz exorbitant hohen Druck gesetzt zu werden, 
liegt auf der Hand. 

Ich komme darauf noch zurück und möchte zunächst noch bei dem 
pathologisch-anatomischen Emphysem verweilen. Ich habe schon im 
physiologischen Theil auseinandergesetzt, dass der Collaps der Lungen 
von zwei Factoren abhängig ist, einmal von der Elasticität der Alveolen, 
zum andern von dem Verschluss der kleinsten Bronchien. Was nun die 
Elasticität betrifft, so habe ich schon gesagt, dass diese im Alter bei 
geringer Dehnung im Allgemeinen bedeutend herabgesetzt ist, somit die 
Bedingungen für das Zustandekommen des Emphysems entschieden ge¬ 
geben ist. So kann ich sagen über die von mir untersuchten Lungen, 
dass bei denen, welche die geringste Elasticität besitzen, auch die 
Minimalluft (nach mehrfacher Aufblähung) am grössten ist. Andererseits 
kann ich ihnen über mehrere Beobachtungen Mittheilung machen, welche 
beweisen, von wie grosser Bedeutung der erwähnte Verschluss ist. Zu¬ 
nächst Folgendes: 

Es handelt sich um einen Menschen, der klinisch die Zeichen des 
Emphysems bot mit starker Bronchitis. Die rechte Lunge hatte ein 
Volumen von 1617 ccm, das Gewicht 895 g. Ergo Miniraalluft 773 ccm. 
Nachdem die Lunge stark aufgebläht, hat sie collabirt das Volumen 1880, 
Miniraalluft 1030 ccm. Ich bemerke, dass die Aufblähung eine ziemlich 
gleichmässige war. Nunmehr wurde die Lunge unter hohen Druck ge¬ 
setzt, nachdem die Bronchialcanüle mit dem Finger verschlossen war. 
Indem nun in kurzen Zwischenräumen der Verschluss geöffnet wurde, 
hustete die Lunge ein ziemlich zähes, schleimiges Secret aus. Nachdem 
dies mehrfach wiederholt und das Secret entfernt war, betrug das 
Volumen 1600, die Minimalluft 756, hatte also um 274 ccm abgenommen. 

Das Gegenstück kann ich Ihnen in einer kindlichen Lunge geben, 
bei der zufällig Wasser aus dem Spirometer in die stark geblähte Lunge 
aufgesogen wurde. Dieselbe collabirte fast garnicht und zeigte ein 
typisches Volumen pulmonum auctum. Leider kann ich das zahlen- 


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massig hier nicht belegen. Man sicht, die alte Theorie Laennecs ohne 
Weiteres über Bord zu werfen, ist wohl nicht berechtigt. 

Nachdrüeklichst betone ich hiermit nochmals, dass diese Dinge 
sich alle nur auf das anatomische Emphysem beziehen. Ob sie auch 
für das Leben ven Bedeutung sind, hängt in erster Linie davon ab, ob 
die Minimalluftwerthe, welche wir bei unseren Lungen finden, überhaupt 
in Betracht kommen. Von normalen Menschen wissen wir, dass er eine 
Reserveluft von ungefähr 1600 ccm hat. Die Residualluft beträgt ca. 
1200. Es bedarf noch eines umfangreichen Materials, um die Frage zu 
entscheiden, ob zunächst der normale Mensch bis auf seine Minimalluft 
exspiriren kann; ich glaube das nicht. Die Elasticität des Thorax wird 
wohl das erste Hinderniss abgeben. Noch wichtiger ist die Frage für 
den Emphysematiker, wie ich schon oben andeutetc. Den höchsten 
Werth für die Minimalluft fand ich mit 1270 ccm, das w’ürde für beide 
Lungen 2540 ausmachen, sicherlich ein sehr hoher Werth. Die Mittel¬ 
lage liegt nach Bohr um 2500 und 3000 herum, auch für seine Em¬ 
physeme. Dass sie bei unserem Emphysematiker höher lag, ist wohl 
nicht zu bezweifeln. Man muss also die Möglichkeit zugeben, dass alle 
jene Momente, welche wir beim anatomischen Emphysem kennen gelernt 
haben, auch hier Giltigkeit haben können; zum Mindesten in Bezug auf 
die Verkleinerung der Reserveluft. Wie verhält es sich aber mit der 
exspiratorischen Ruhestellung beim Emphysem? Würde diese mit der 
Leichenstellung übereinstimmen, so hätte dieser Emphysematiker über¬ 
haupt keine Reserveluft, vorausgesetzt, dass kein Collaps bei der Thorax- 
cröfTnung einträte. Es würde jene Grenze, bei der die oben formulirten 
Gesetze des pathologischen Emphysems gelten, schon bei ruhiger Athraung 
erreicht. Es liegt auf der Hand, wie wichtig die Feststellung dieser 
Verhältnisse ist. 

Ich habe nun in. der oben beschriebenen Weise solche Bestimmungen 
gemacht, es scheint nach meinen allerdings spärlichen Untersuchungen, 
als wenn die exspiratorischc Ruhestellung des Emphyseraatikcrs weit 
über der Leichenstellung 1 ) liegt,' sein Thorax sich also in exquisiter 
Inspirationsstellung befindet. Die Elasticität des Thorax ist sicher sehr 
erhöht, zahlenmässige Feststellungen stehen noch aus; sie müsste also die 
Exspiration des Emphysematikers sogar erleichtern. 

In neuerer Zeit ist man auf ganz verschiedenem Wege zu der 
Meinung gekommen, dass das vermehrte Luftbedürfniss die Ursache des 
Emphysems wäre, Bohr auf Grund seiner spirometrischen Untersuchungen, 
Hofbauer 2 ) mittelst des Röntgenverfahrens. Letzterer meint, die Ver¬ 
tiefung der Athmung bewirkte stets eine Erhöhung der exspiratorischen 
Ruhestellung (Tiefertreten des Zwerchfells). Nach Bohr erhöht sich die 
Mittellage. Nun hat dieses übereinstimmende Resultat zweier so ver¬ 
schiedener Methoden etwas Bestechendes. Sehen wir uns zunächst die 
Argumente Hofbauer’s an. Gemeinsam mit Holzknecht 3 ) hat er ge- 

1) Es ist hier stets auf das Volumen liezug genommen. Das I.uftvolumen bei 
der exspiratorischen Ruhestellung ist also grösser wie bei der Leichenstellung. 

2) Mittheilungen aus dem Laborat. für radial. Diagnostik u. Therapie. II. Heft. 

3) Ebendas. 


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Zur Physiologie und Pathologie der Athmung. 


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funden, dass die vertiefte Athmung ausschliesslich von der Inspiration 
bestritten wird. Und sie geben gleich mit einer bemerkenswerthen 
Sicherheit die Erklärung für dieses Verhalten. Sie sagen „die auf elastischen 
Kräften beruhende Exspiration ist einer Steigerung nicht fähig, wohl 
aber die musculäro Inspiration. Die Verwendung der exspiratorischen 
Auxiliarmuskcln bleibt zunächst aus, weil diese die Heranziehung eines 
fremden Mechanismus bedeuten würde“. 

Nun, dieser fremde Mechanismus scheint mir doch nicht so un¬ 
gebahnt zu sein. Man kann sehr gut an sich selbst beobachten, 
dass derselbe sehr häufig in Function tritt. Und ich glaube, abgesehen 
von jedem Räuspern, Sprechen, Singen, Husten, Niessen etc. tritt bei 
jeder forcirtcn Atmung derselbe in Action. Auch schliesst das Herab¬ 
gehen auf dieselbe exspiratorische Ruhestellung nicht die exspiratorischen 
Muskelkräfte aus. Bekanntlich können diese am besten wirken, wenn 


Curve 2 [nach Bohr 1 )]. 



Vitalcapaeität. 


die Lunge sich in maximaler Inspirationsstellung befindet. Ich weiss 
nicht, wie die Zwerchfellbeobachtungen der genannten Autoren gewonnen 
sind. Sie schreiben nur „wenn man entweder auf Befehl oder in Folge 
des Gefühls von Lufthunger seine Athmung vertiefen will etc.“ Dass 
hier willkürliche Athmung nichts beweist, ist selbstverständlich. Wenn 
man einen Menschen auffordert, tiefer zu athmen, so wird er in 90 von 
100 Fällen verstehen, dass er seine Lungen stärker mit Luft anfüllen 
soll. Das kann man ja bei der Auskultation immer beobachten. Maass¬ 
gebend kann hier nur die unwillkürliche Athmung sein. Man muss Luft¬ 
hunger herstellen. Das geht auf zweierlei Weise; einmal durch Muskel¬ 
arbeit, andererseits durch künstliche .Behinderung der Athmung. Ich 
habe in derselben Weise wie Holzknecht den Stand des Zwerchfelles 
markirt, nur habe ich zwei Bleimarken, eine hinten, welche den fixen 
Punkt darstellen soll (was sie allerdings nicht ganz thut, da die Wirbel- 

1) 1. c. und Wiener med. Wochenschr. 1907. No. 41. 


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Original fro-m 

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424 


M. Bönniger, 


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säule sich bei tiefer Athmung streckt), eine vorn, die bei der Inspiration 
in die Höhe steigt. Also eine Inspirationsbewegung des Thorax markirt. 
Ich habe gefunden, dass schon nach leichter Anstrengung in der Regel 
die exspiratorische Ruhestellung des Zwerchfelles höher liegt als bei 
ruhiger Athrnung, während die vordere Thoraxmarke ebenfalls in die 
Höhe steigt. Ich sehe in den Untersuchungen Bohr’s eine Bestätigung 
meiner Befunde, denn aus seinen Zahlen geht hervor, dass die Mittel¬ 
lage bei vertiefter Athmung sich zwar nach oben verschiebt, die exspira¬ 
torische Ruhestellung aber sehr viel tiefer tritt (cf. die Curven nach 
Bohr). 

Bei der Behinderung der Athmung und zwar gleichmässig für In- 
und Exspirationen kann man im Gegensatz hierzu kein Hinaufgehen der 
exspiratorischen Ruhestellung des Zwerchfells bemerken, vielmehr bleibt 
sie die gleiche oder bewegt sich noch etwas nach abwärts. Hier tritt 
also in der That eine stärkere Luftfülluug der Lunge ein. Es wird hier 
natürlich in sehr intensiver Weise die exspiratorische Muskelkraft in 
Anspruch genommen, ohne dass die exspiratorische Ruhestellung er¬ 
reicht wird. 

Die Untersuchungen Bohr’s halte ich für ungeheuer w<?rthvoll. Eine 
derartige Analyse der Athmung an einem möglichst grossen Material 
würde in Verbindung mit den obigen Untersuchungen Klarheit in die 
Auffassung des Emphysems bringen 1 )- Leider steht mir ein solcher 
Apparat nicht zur Verfügung. Es ist etwas schwierig, sich durch die 
Zahlen Bohr’s hindurchzuarbeiten. Unverständlich ist mir, warum Bohr 
seine graphisch aufgezeichncten Curven uns durch lange Zahlenreihen 
ersetzt. Ich habe seine Zahlen so weit möglich wieder in Curven um¬ 
geschrieben und nun gewinnt man ein sehr anschauliches Bild der ver¬ 
schiedenen Athraungstypen. Wenn man aber die Curven nebeneinander 
sieht, so ist man erstaunt über die Schlussfolgerungen Bohr’s. Er sagt: 
die Mittellage ist beim Emphysem erhöht. Thatsächlich schwankt sie bei 
Gesunden und Emphysematikern, deren leider nur zwei zur Untersuchung 
gekommen sind, um einen ziemlich gleichmässigen Werth. Die bei 
weitem grösste Mittellage (über 4000 ccm) hat ein Sportsman mit der 
unglaublich grossen Totalcapacität von über 7000. Hat dieser Mann 
ein Emphysem? Nein. Denn seine Reserveluft hat den grossen Umfang 
von fast 3000 ccm, also demnach wäre die Mittellinie nicht das Maass¬ 
gebende. Vielleicht die Residualluft, wie man ja im Allgemeinen an¬ 
nimmt. Aber auch diese ist in den Zahlen Bohr’s nicht wesentlich ver- 
grössert. Dazu kommt, dass die Residualluft ein von der Willkür in 
hohem Maasse abhängige Grösse ist, und gerade bei Leuten mit Athem- 
not ist diese an sich verringert. Wenn wir aus den Zahlen Bohr’s 
etwas Charakteristisches herauslesen können, so wäre es die Herab¬ 
setzung der Vitalcapacität. Die Complementärluft ist in dem einen 
Falle mehr verringert als die Reserveluft. Weder die Mittellagc noch 


1) Allerdings nicht in dem Sinne Bohr’s. Es ist unmöglich aus der erhöhten 
Mittelcapicität auf ein vermehrtes Luftbedürfniss schliessen zu wollen, da die erhöhte 
Mittelcapicitat in der Definition des Emphysems enthalten ist. 


Gck igle 


Original fro-m 

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Zur Physiologie und Pathologie der Athmung. 


425 


die Residualluft ist in stärkerem Grade verändert als die Vitalcapaeität. 
Wenn also Bohr mit der Erhöhung der Mittellage Recht hätte, so sind 
es keine Emphysematiker gewesen, die er als solche angesprochen. Sind 
es aber klinisch wirklich solche gewesen, so könnte die Erhöhung der 
Mittellage nicht das charakteristische sein. Allerdings meine ich, dass 
in dem Begriff des Emphysems die stärkere Luftfüllung enthalten ist. 

Und wenn wir einen solch echt emphysematosen Brustkorb sehen 
mit Umfang von über 100 cm, dazu Tiefstand des Zwerchfells, so ist 
wohl nicht zii zweifeln, dass der Luftgehalt ein erhöhter sein muss. Es 
wäre deshalb eine umfassendere Arbeit im Sinne Bohr’s zur definitiven 
Entscheidung über diese Frage sehr erwünscht. 

Zum Schluss möchte ich eine Beobachtung raittheilen, die für die 
Aetiologie des localen Emphysems von grosser Bedeutung ist. Es handelt 
sich um ein 4 1 / 2 Monate altes Kind. Die Elasticitätscurve der rechten Lunge 
ist oben wieder gegeben. Sie zeichnete sich durch ihre ausserordentliche 
Resistenz gegen so hohe Drucke (380 mm) aus, wie sie meistens zur 
Zerreissung führten. Die linke Lunge unterschied sich äusserlich nicht 
von jener. Als ich sie jedoch mit geringem Druck etwa —150 mm 
aufblähen wollte, zeigte sich ein ausgesprochenes locales Emphysem, mit 
grossen bis linsengrossen Blasen, die sich vom pathologischen Emphysem 
in nichts unterschieden. Längeres Liegen konnte nicht die Ursache sein. 
Die Lunge war nur 1 Tag älter wie jene. Ausserdem habe ich sonst 
niemals etwas Aehnliches beobachtet, selbst bei stark faulenden Lungen. 
Da kein hoher Druck angewendet wurde, auch sonst die Ver¬ 
hältnisse völlig dieselben waren wie immer, so kann die Ursache nur in 
der Beschaffenheit des Gewebes gesucht werden (Virchow’s Theorie). 
In der That habe ich mich weiterhin bei einer kindlichen Lunge über¬ 
zeugt, dass cs gelingt, dieselbe durch Quetschung so zu schädigen, 
dass dann bei der Aufblähung ein locales Emphysem entsteht. 

Mit der Virchow’schen Theorie finden auch die localen Emphyseme, 
welche sich in der nächsten Nachbarschaft von kleinen pneumonischen Herden 
zuweilen finden, am besten ihre Erklärung. Die Tendeloo’schen Theorien 
befriedigen hier nicht, denn es ist ganz unmöglich, dass durch solche kleine 
Herde die Druckverhältnisse so gestört werden sollten, dass sie zu diesen 
schweren Veränderungen führten. Durch hohen Druck gelingt es übrigens 
niemals ein locales Emphysem zu Stande zu bringen, da die Lunge bei 
solchem an einen oder mehreren Stellen zerreisst, sodass cs schliesslich 
unmöglich wird, einen entsprechenden Druck zu behalten. Welcher Art 
die krankhafte Beschaffenheit der Gewebe, die zum localen Emphysem 
führt, ist, fehlt mir jeder Anhaltspunkt. Jedenfalls halte ich es für nicht 
richtig, hier nur die elastischen Fasern zu berücksichtigen, wie das 
meist geschehen. 


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XXXIII. 

Bemerkungen zu H. Kionka’s neuesten „Beiträgen zur 
Kenntniss der Gicht.“ 

(Diese Zeitschrift. 1908. Bd. 5. H. 1 . S. 131 —146.) 

Von 

Theodor Brugsch und Alfred Schittenhelm. 

H. Kionka glaubt in seiner Mittheilung No. 8 seiner „Beiträge zur Kenntnis der 
Gicht“ den unzweifelhaften Beweis erbracht zu haben, dass im Blute nach Harnsäurc- 
zusatz Glykokoll auftreten kann. Der Nachweis des Glykokolls geschah als /if-Naph- 
thalinsulföverbindung, die er nach mehrmaligem Umkrystallisiren auf krystallo- 
graphischem Wege bestimmte, und die auch in einigen Fällen den Schmelzpunkt von 
154° genau zeigte. 

Was nun zunächst den krystallographischen Beweis anlangt, den Kionka für 
unzweifelhaft hält, so möchten wir hierzu bemerken, dass dieser vom chemischen 
Standpunkte aus ein absolut ungewöhnlicher ist. Unseres Wissens dürfte in der 
Chemie eitle Substanz schwerlich als exakt definirt gelten, wenn nur ein krystallo- 
graphischer Befund vorliegt; aber auch der Schmelzpunkt kann zu erheblichen 
Irrthümern führen, wenn, wie hier möglich (siehe Kionka), Gemische vorliegen. 
Bis jetzt ist für das normale Blut auch nicht nach Ilarnsäurezusatz ein 
exakter analytischer Beweis erbracht worden, dass darin Glykokoll 
im freiet) Zustande enthalten ist; es dürfte wohl kaum zu weit gegangen sein, 
einen derartig exakten Beweis zu verlangen, ehe man unabweisbar mit der 
Möglichkeit des Vorkommens von Glykokoll im Blut rechnet. Dass diese 
Möglichkeit vorliegen kann, haben wir schon früher (diese Zeitschrift Bd. IV 
S. 550) zugegeben. 

Erfreulich ist es, dass Kionka sich endlich bezüglich dor Zerstörung der 
Harnsäure durch Blut auf den Standpunkt stellt, den Brugsch und Schittenhelm 
energisch vertreten haben, dass nämlich das Blut uricolytische Fähigkeiten 
in irgend in Betracht kommender Weise nicht besitzt. Kionka erachtet es 
in seinen beiden Mittheilungen nicht der Mühe für werth, unsere mühevollen Unter¬ 
suchungen, die lediglich der Anlass waren, seine Befunde einer klärenden Nach¬ 
untersuchung zu unterziehen, zu citiren. Er umgeht diese Nothwendigkeit. Er citirt 
uns auch nicht da, wo es sich um die angebliche Abspaltung von Glykokoll aus 
Harnsäure handelt, nicht da, wo er von der Vcrfütterung von Aminosäuren an Gicht¬ 
kranke spricht. 

Wir wissen sicher, dass Kionka unsere Arbeiten, die seine Theorie ins Herz 
tretTen, genau kennt. Wenn er aber auf unsere Arbeiten hin erneute Versuche auf¬ 
nimmt, die in gleicher Richtung laufen und zum Theil zu gleichen Resultaten führen, 


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Original from 

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Th. Brugsch u. A. Sch ittenhelm, Bemerkungen zu H. Kionka’s Artikel etc. 427 

so entspricht es den allgemein üblichen wissenschaftlichen Gepflogen¬ 
heiten, correct zu citiren. 

Und noch eins: Kionka schliesst seine Mittheilung 9: „Wohl aber halten wir 
nach wie vor an der Vorstellung fest, das Wesen der Gicht beruhe in qualitativen 
und quantitativen Störungen von Fermentthätigkeiten, die eine Rolle spielen bei den 
verschiedenen Abbauvorgängen im Organismus“. 

Was denkt sich denn Kionka mit dieser diffusen Behauptung, mit der 
alles und nichts gesagt und bewiesen ist? Und er fährt fort: 

„Von wesentlicher Bedeutung ist es dabei, dass hierbei Producte in grösserer 
Menge entstehen können, welche, wie unsere Versuche einwandsfrei ergeben haben, 
auf das Ausfallen von Uraten befördernd wirken, mögen diese Aminosäuren oder 
sonstigen gleichsinnig wirkenden Producte aus dem Abbau der Harnsäure oder den 
Kernsubstanzen zu Grunde gehender Zellen aus absterbenden Knorpel- oder Binde- 
gewcbssubstanz oder sonstigen Abbauvorgängen stammen.“ 

Dass diese Ansicht falsch ist, wird Kionka aus der im selben Hefte stehenden 
Mittheilung Brugsch’s und Citron's erfahren, die beweist, dass das Absorptionsver¬ 
mögen des Knorpels für Harnsäure durch Aminosäuren nicht befördert, sondern 
eher gehemmt wird. 

Wir halten die Kionka 7 sehe Theorie im ganzen Umfange für erledigt. 

Berlin, im August DOS. 


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Original ffom 

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l QO J 

Druck von L. Schumacher in Berlin N. 24 . 
C crjd ^ 


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Original fru-m 

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XXXIV. 


Ueber Polycyth&mie nebst Beiträgen zur klinischen Blut¬ 
untersuchung. 

Von 

Prof. Dr. Egmont Münzer (Prag). 

(Hierzu Tafel V und 2 Curren ’ra Text.) 


Im Jahre 1903 lenkte Osler (1) die allgemeine Aufmerksamkeit auf 
ein, wie er annahro, neues klinisches Krankheitsbild „chronische Cyanose 
mit Polycythämie und Milzvergrösserung“. Den gleichen Symptomen- 
complex hatte bereits 10 Jahre vorher Vaquez(2) beschrieben, ohne 
allerdings für seine Beobachtung allgemeine Aufmerksamkeit zu erreichen; 
erst seit der Osler’schen Publication werden von allen Seiten gleich¬ 
artige Beobachtungen mitgetheilt. 

Ein Jahr später stellte Geisböck (3) der Vaquez-Osler’schen 
Form der Polycythämie eine andere durch ausserordentliche Blutdruck¬ 
steigerung charakterisirte Form an die Seite. Geisböck selbst warf 
bereits die Frage auf, in welchem Zusammenhänge Polycythämie und 
Blutdrucksteigerung wären und äusserte Anfangs die Vermuthung, „dass 
die Polycythämie als solche vielleicht durch Erhöhung der Viscosität als 
Ursache für die Blutdrucksteigerung aufzufassen sei.“ 

Ich selbst hatte über die gleiche Frage meine Meinung dahin ge- 
äussert (4), dass Erhöhung der Viscosität keine Blutdrucksteigerung ver¬ 
anlassen dürfte und konnte mich hierbei auf die in der Litteratur nieder¬ 
gelegten und eigene Beobachtungen von Polycythämie stützen. Anderer¬ 
seits aber hatte ich die Frage aufgeworfen, ob nicht die als häufigste 
Ursache der hohen Blutdrucksteigerung anzusehende allgemeine Arterio¬ 
sklerose gleichzeitig die Ursache der Polycythämie darstelle. Durch die 
arteriosklerotische Veränderung der kleinen Gefässe käme es einmal zur 
starken Blutdrucksteigerung, andererseits aber zur Störung des Gas¬ 
austausches resp. zur behindorten Sauerstoffzufuhr zu den Geweben. 

Ich schrieb (1. c. S. 159): „Sauerstoffmangel wird aber durch jede 
ungenügende Blutzufuhr zu den Gewebszellen herbeigeführt also auch 
durch eine so starke arteriosklerotische Veränderung der Arteriolen, dass 
es zur erheblichen Blutdrucksteigerung kommt. Hier begegnen sich der 
abnorm hohe Blutdruck in Folge der Verengung der Arteriolen und der 
abnorm niedrige in Folge ungenügender Muskelkraft des Herzens oder 
uncompensirter Herzfehler in dem gleichen Ergebniss: Mangelhafte Sauer- 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 28 


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Original fro-m 

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430 


E. Münzer, 


Stoffversorgung der Gewebe und daher auch in der gleichen secundären 
Wirkung: Vermehrung der Erythrocyten. u 

Man könnte hier noch die Frage aufwerfen, ob wirklich der oben 
ausgesprochene Schluss: Mangelhafte Sauerstoffversorgung der Gewebe 
führe zur Vermehrung der rothcn Blutzellen, sicher nachgewiesen sei; 
doch glaube ich, dass einerseits nach den Angaben Naunyn’s (5) sowie 
Pentzoldt-Toenniessen’s (6) über den Einfluss chronischer Dyspnoe 
und schwerer angeborener Herzfehler auf das Blut, andererseits nach 
den zahlreichen seit Paul Bert und Viault (7) angestellten Unter¬ 
suchungen über die Wirkung des Höhenklimas, insbesondere nach den 
ausserordentlich eingehenden kritischen und experimentellen Unter¬ 
suchungen von Zuntz (8) und seinen Schülern an der Richtigkeit dieses 
Schlusses nicht gezweifelt werden kann. 

Damit ist nicht gesagt, dass jede Polycythämie die oben betonte 
Ursache haben müsse, da doch die gleichen Veränderungen bei anderen 
Krankheitszuständen (CO-P-Vergiftung) beobachtet wurden, ja für einzelne 
Fälle die Möglichkeit einer Entstehung der Polycythämie durch primäre 
Erkrankung des erythroblastischen Antheiles des Knochenmarks betont 
wurde. 

Ich werde später Gelegenheit finden, diese Frage eingehend zu dis- 
cutiren und will jetzt zur Mittheilung meiner einschlägigen Kranken¬ 
beobachtungen übergehen. Bevor ich dies jedoch thue, sei es gestattet, 
noch eine Reihe von Vorfragen bezüglich der klinischen Blutuntersuchung 
zu besprechen und zwar die Färbung, Hämoglobin- und Viscositäts- 
bestimmung des Blutes. 

Was die Färbung der Blutpräparate betrifft, so dürfte wohl die 
Jenner’sehe bezw. May-Grünwald’sche am meisten Empfehlung ver¬ 
dienen. Zur Durchführung derselben bedarf es keiner besonderen 
Fixation, da die in Methylalkohol gelösten Farbstoffe die Fixation be¬ 
sorgen. Die Präparate werden, nachdem sie lufttrocken geworden sind, 
mit der Farblösung zusaramengebracht, mit Wasser abgespült, getrocknet 
und sind bereits zur Untersuchung fertig; dabei kommen bei der Be¬ 
handlung mit dieser Farblösung alle Einzelheiten fein differencirt zur 
Anschauung, sie ist panoptisch, sodass im Allgemeinen diese Färbung 
sich für den practischen Arzt am meisten empfehlen dürfte. 

Handelt es sich um eine Untersuchung bezüglich des Verhaltens 
der einzelnen Leukocytenformen im Blute, dann dürfte es jedoch nicht 
angezeigt sein, sich auf die Resultate einer Färbung allein zu verlassen 
und für solche Untersuchungen wäre ausserdem die Färbung einzelner 
Präparate mit Triacid, jener von Ehrlich empfohlenen Lösung und mit 
Giernsalösung am meisten empfehlenswerth. 

Was die Bestimmung des Hämoglobins betrifft, so wird in neuerer 
Zeit der FJeischl-Micscher’sche Apparat mit Recht als besonders 
exact empfohlen, daneben wird in einer grossen Zahl von Kliniken mit 
dem Apparate Sahli’s gearbeitet. 

Es ist mir ein Bedürfniss, an dieser Stelle ein irriges Urtheil, 
welches ich über den letztgenannten Apparat fällte, richtigstellen zu 
können. Ich hob seinerzeit (1. c.) — Türk’s Angabe bestätigend — 


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l T eber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuchung. 431 


hervor, dass beim Apparate Sahli’s die Vergleichslösung viel zu licht 
erscheint, sodass normales Blut an meinem Apparate bis ca. 120 ver¬ 
dünnt werden musste, um der Vergleichslösung zu gleichen, und erwähnte 
ferner „das Auftreten dunkler Streifen und Flecken in der Farbstoff¬ 
lösung“ nach längerem unbenutztem Stehen des Instrumentes. 

Sahli betonte mir gegenüber brieflich, dass er auf das Auftreten 
dieser Flecken seiner Zeit aufmerksam gemacht hätte und dieselben 
durch energisches Schütteln verhindert werden können. Uebrigens hat 
er bei den neuen Apparaten eine Glasperle in dem Röhrchen belassen, 
welche die gründliche Durchmischung der Flüssigkeit wesentlich er¬ 
leichtert. Der etwas lichtere Farbenton der alten Standardlösung hindert, 
wie Sahli an gleicher Stelle mit Recht hervorhebt, die Gebrauchs¬ 
fähigkeit des Apparates nicht und verlangt eben nur eine entsprechende 
Umrechnung. 

Um jedoch auch hier möglichst dem Bedürfnisse des practischen 
Arztes entgegenzukommen, ist die Standardlösung in den neueren 
Apparaten etwas dunkler gewählt, sodass thatsächlich ziemlich exact 
normales Blut bis etwa 100 verdünnt werden muss, um den gleichen 
Farbenton zu geben. 

Um ein eigenes Urtheil über die Gebrauchsfähigkeit des Apparates 
in seiner neuen Form zu gewinnen, habe ich eine Reihe von ver¬ 
gleichenden Bestimmungen bei demselben Blute mit Flcischl, Fleischl- 
Miescher und Sahli gemacht, deren Resultate die nachstehende Tabelle 
(S. 432—433) bringt. 

Aus derselben ersehen wir, dass der Sahli’sche Apparat sowohl 
bei Verminderung als bei Vermehrung des Hämoglobingehaltes ein mit 
Fleischl-Miescher ausgezeichnet übereinstimmendes Resultat ergiebt, 
ja es muss unter solchen Umständen die Frage aufgeworfen werden, ob 
nicht die Bestimmung nach Sahli für den Practiker jener mit dem 
Fleischl-Miescher’schen Apparate vorzuziehen ist. 

Ich habe bezüglich des Fleischl-Miescher’schen Apparates bereits 
in jener oben citirten Arbeit hervorgehoben, dass die Farbe des Keils 
mit der Blutlösung nicht vollkommen übereinstimmt. Es machte sich 
dieser Mangel bei den Anämien weniger geltend; dagegen ist bei Ver¬ 
mehrung des Hämoglobingehaltes die Farbendifferenz sehr auffallend — 
die Blutlösung zeigt einen entschiedenen Stich ins bläuliche gegenüber 
dem Farbenkeil —, sodass man oft nur der Helligkeit nach die Ein¬ 
stellung vornehmen kann. Dabei reicht bei hochgradigen Polycythämien 
der Keil bei Verdünnung 1:200 häufig nicht aus, wenigstens nicht für 
die grössere Kammer, sodass man in solchen Fällen auf die Ablesungen 
mit der kleineren Kammer angewiesen ist. 

Ein fernerer Nachtheil des Fleischl-Miescher’schen Apparates 
ist die bei demselben nöthige Verwendung künstlichen Lichtes, wodurch 
die Untersuchung erschwert ist, sodass es fraglich erscheint, ob dieses 
Instrument trotz seiner allerdings wesentlichen Vortheile — der exacten 
Dosirung der zur Bestimmung benutzten Blutraenge und der Möglichkeit 
von Doppelbestimmungen — zur allgemeinen Verwendung empfohlen 
werden kann. Diese Frage ist um so berechtigter, als ein Vergleich der 

28 * 


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432 


E. Münzer, 


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Viscosität bei 


Name 


Zeit 


20° C. nach 

No. 

und 

Krankheit. 

der Unter- 

Blutdruck. 




Alter. 


suchung. 


Hess. 

Deter- 







mann. 

1. 

Herr W., 

Arteriosclerosis uni- 

26. 5. 1906 

200 syst. 




49 J. 

versalis. (Poly- 
cythaeraia hypertr.) 


150 diast. 



2. 

Herr H., 

Desgl. 

1. 6. 1906 

170 sysi. 

— 

— 


60 J. 



110 diast. 



3. 

Herr M., 

Desgl. 

21. 9. 1906 

195 syst. 

— 



48 J. 


17. 12. 1907 

130 diast. 
165 syst. 

8,6 

__ 





110-130 diast. 



4. 

Herr K., 

Desgl. 

28. 4. 1906 

200 syst. 

— 

— 


64 J. 

Gicht. 


130 diast. 






18. 5. 1906 

150 syst. 
100 diast. 



5. 

Herr B., 

Arteriosclerosis univ. 

2. 10. 1906 

250 syst. 

— 

— 


60 J. 



170-190 diast. 



6. 

Herr In- 

Hämophilie. Anaeraia 

28. 12. 1906 

— 


— 


gen. D., 

gravis. Herzschwäche. 

19. 2. 1907 

— 

— 



45 J. 

Amyloidosis? 

8. 9. 1907 

115 syst. 

90 diast. 






24. 6. 1908 

115 syst. 

80 diast. 



7. 

Frl. M., 
28 J. 

Chlorose. 

1. 10. 1907 

110 syst. 

90 diast. 

— 

— 

8. 

Frau T., 

Anaemia gravis; 

10. 12. 1907 

105 syst. 

M 

— 


70 J. 

Achylia gastrica. 


80 diast. 


9. 

Herr L., 

Anaemia gravis; 

22. 3. 1907 

160 syst. 


_ 


66 J. 

Tumor lienis. 


120 diast. 





• 

9. 6. 1907 

— 

— 

— 




11. 11. 1907 

130 syst. 

9Ö diast. 

4,0 

I 

i 

10. 

Frl. A., 
23 J. 

Asthma bronch. 

23. 11. 1907 

125 syst. 

— 

1 _ 


(Chlorosis). 


100 diast. 



11. 

Herr W. 

Ren. granulat. 

2. 12. 1907 

190 syst. 

4,4 

— 





140 diast. 

(ohne 

Hirudin) 

i 

12. 

Herr Fr., 

Polycythaemia vera. 

) 





53 J. 


/ 





Herr Th., 


> siehe süäter. 



13. 

Desgl. 






55 J. 

1 





Gougle 


Original fro-m 

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Ueber Polycythämie nebst Beitragen zur klinischen Blutuntersuohung. 433 



Haemoglobin nach 

Sahli. 

Fleischl. 

Fleischl-Miescher. 

. 

135 pCt. = 15,7 g 
(= 112,5 pCt.) 

— 

15,46 g= 110,4 pCt. 

130 pCt. = 15,1 g 

— 

— 

— 

• “ 

14,22 g= 100,0 pCt. 

125 pCt. = 14,5 g 
(= 104,1 pCt.) 

110 

. — 

100 pCt.= 11,6g 
(= 83,3 pCt.) 

— 

11,16 g = 80 pCt. 

— 

— 

2,16 g = 15,4 pCt. 

1 = 101 =2,36g = 

11 = 13/ 16,8 pCt. 

40 pCt. 

46 pCt. 

— 

I = 24Va 32 = 5,76 g 

11 = 33 / = 41,1 pCt. 

32 pCt. = 4,48 g 

— 

I = 21 \ 26 = 4,68 g = 

11 = 26/ 33,4 pCt. 

46 pCt. = 6,44 g 


1 = (38-41)1 =40,4 g 

II = (30—31)/= 38 pCt. 
Mittel = 39 = 50 pCt. 

= 7g. 


62 pCt. = 8,7 g 

I=(80,2)=37,7l 7 4 ® = 

II= < 40 ’ 2 > föpll 

54pCt. = 7,5g 

64 pCt. = 8,96 g 

I = 33141 = 7,38 g = 

11 = 41/ 52,7 pCt. 

83 pCt. = 11,6g 

— 

I — j ) 70,7 = 

11 _ (5.-58) J 1 ^ 

100 pCt. = 14,0 g 

i 

) 79 = 

I=(74-81) 79,4 (14,04 g 
II=(60-67) 79,0 = 100 

1 pCt. 


Bemerkungen. 


Alter Sahli ’scher Appa¬ 
rat, bei welchem 120 = 
100 pCt. = 14 g Hglb. 


Ausgesprochene Poikilo- 
cytose. Starke relative 
Vermehrung der eosino¬ 
philen Leukocyten! 

Im Harn sehr vielEiweiss; 
starke Leberschwellung. 


Erythrocyten=4 Mill.? 
Leukocyten = 8 000. 
Erythrocyten = 2 V 2 Mill. 
Leukocyten = 6 2CK>. 


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Original fro-m 

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434 


E. Münzer, 


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mit dem Apparate Fleischl-Miescher’s gemachten Bestimmungen mit 
jenen des Sahli’schen Instrumentes zeigt, dass letzteres bei exactem 
Arbeiten mit ersterem übereinstimmende Resultate ergiebt. Da die 
Bestimmung mit dem Apparate Sahli’s bei jeder Lichtquelle durch¬ 
geführt werden kann, rasch und einfach durchführbar ist, so darf wohl 
für die Fälle klinischer Verwerthung mit Recht dem Apparate 
Sahli’s der Vorzug zugesprochen werden. 

Ich komme nun zur Besprechung zweier Apparate, welche im ver¬ 
flossenen Jahre zur Bestimmung der Viscosität des Blutes angegeben 
wurden und den für den practischen Arzt zu kostspieligen Hirsch- 
Beck’schen (9) Apparat ersetzen sollten. 

Deterraann (10) hat auf dem Congresse für innere Medicin ein 
Viscosimeter beschrieben, welches ebenso einfach als •zweckentsprechend 
erscheint. Eine capillare Röhre trägt an den beiden Enden Erweiterungen, 
welche je 0,1 ccm Blut fassen. In die eine Ampulle wird also das zu 
untersuchende Blut angesaugt und nun die Zeit gemessen, welche diese 
Menge Blut braucht, um aus der einen Erweiterung durch das capillare 
Mittelstück auszufliessen. 

Da Capillare und Ampullen von einem Wassermantel umgeben sind, 
so ist die Temperatur, bei welcher die Viscositätsprüfung vorgenommen 
wird, exact bestimmt. Um die Gerinnung des Blutes zu verhindern, 
muss demselben etwas Hirudin zugesetzt werden. Der Apparat hat den 
kleinen Nachtheil, dass man doch etwas über 0,1 ccm Blut braucht, 
also schon einen ordentlichen Einstich in die Fingerkuppe oder in die 
Ohrläppchen machen muss und dass man andererseits, um die Gerinnung 
dieses Blutes zu hindern, etwas Hirudin zusetzen muss; doch ist wie 
bereits Determann hervorhebt und uns vielfache eigene Untersuchungen, 
deren ausführlichePublication durch mich und Herrn Dr. F. Bloch (Franzens¬ 
bad) demnächst erfolgen wird, ergeben haben, diese ßlutraenge spielend leicht 
aus dem Ohrläppchen bezw. der Fingerkuppe zu gewinnen und der 
Hirudinzusatz ändert, wie eine Reihe von Autoren zeigte und wir be¬ 
stätigen können, in den geringen Spuren, welche nothwendig sind, um 
die Gerinnung einer so kleinen Blutmenge zu hindern, die Viscosität 
durchaus nicht, während andererseits die Möglichkeit gegeben ist, mehrere 
Bestimmungen auszuführen, ohne dass Gerinnung eintritt. Diesen Vor¬ 
theil bietet insbesondere der Apparat Determann’s, da man durch 
einfaches Umdrehen des Apparates um 180° die untere Ampulle, in 
welche das Blut (ähnlich wie bei Sanduhren) abgeflossen ist, nach auf¬ 
wärts dreht und nun den Versuch von neuem beginnt, indem jetzt aus 
dieser wiederum das Blut in die nach unten gedrehte Erweiterung abfliesst. 

Ein anderer Apparat, welcher etwas später zur Bestimmung der 
Viscosität angegeben wurde, stammt von Hess (11). Hier sind neben¬ 
einander zwei Glasröhrchen mit capillarem Mittelstück angebracht; in 
der einen findet sich destillirtes Wasser, in der anderen das auf seine 
Viscosität zu prüfende Blut. Indem man nun auf die beiden Flüssig¬ 
keitssäulen durch Luftverdünnung einen gleichmässigen Zug ausübt, 
bestimmt man von Zeit zu Zeit, wie weit im Vergleiche zur Blutsäule 
die Wassersäule durch die Capillare vorgedrungen ist und hat so 


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Ueber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuohung. 435 


direct die Viscosität des Blutes bezogen auf Wasser als Einheit ge¬ 
messen. 

Zur Bestimmung der Viscosität des Blutes mit diesem Apparate 
braucht man viel weniger Blut und gelingt es mitunter eine Be¬ 
stimmung ohne Hirudin durchzuführen. Wiederholte Bestimmungen mit 
derselben Blutprobe sind meist nicht durchführbar, weil das Blut ge¬ 
wöhnlich inzwischen gerinnt. 

Dabei muss man noch die Berechtigung eines weiteren, schon von 
Determann erhobenen Einwandes zugeben, dass nämlich die Temperatur 
des am Apparate von Hess angebrachten Thermometers durchaus nicht 
der Temperatur des Wassers sowie der des Blutes entsprechen muss. 

Dr. Bloch und ich haben, da dieser Apparat sonst ausserordentlich 
schön arbeitet, den Versuch gemacht, die Mängel desselben zu beheben, 
indem wir in ähnlicher Weise wie beim Determann’schen Apparate, 
denselben mit einem Wassermantel umgaben und die Capillaren ver¬ 
längerten. 

Da es schliesslich aus Gründen der Nachcontrolle und Exactheit 
der Bestimmung wünschenswerth erscheint, den Grad der Luftverdünnung, 
bei welchem die Ansaugung erfolgt, zu beachten und genau festzustellen, 
haben wir an entsprechender Stelle ein Manometer eingeschaltet, wobei 
gleichzeitig die Möglichkeit geboten war, den Apparat so zu gestalten, 
dass er bequem gereinigt werden kann 1 ). 

Es unterscheiden sich nun die Apparate nur dadurch, dass beim 
H irsch-Beck’schen Apparat das Blut unter einem gewissen bestimmten 
Drucke durch die Capillare getrieben wird, beim Determann’schen 
Apparat die treibende Kraft die Schwerkraft ist, während bei unserem 
Apparate Ansaugung durch Luftverdünnung die bewegende Kraft für 
Blut und Wasser gleichzeitig darstellt. 

Nach diesen Auseinandersetzungen möchte ich nun etwas eingehender 
zwei mit Polycythämie und chronischer Cyanose einhergehende Krank¬ 
heitsfälle beschreiben, welche ich im verflossenen Jahre zu beobachten 
Gelegenheit hatte. 


I. 

HerrF., 53 Jahre alt, seit einigen Monaten an auffallender 
Schlafsucht leidend. Fettleibigkeit. Auffallende Röthe (Cya¬ 
nose) des Gesichts; innere Organe normal. In 1 cmm Blutes 
fast 10 Millionen rothe Blutzellen, Hämoglobin 18,15 g. Dar¬ 
reichung von Thyreoidintabletten. Genesung. 

Am 6. 11. des Jahres 1906 wurde Herr J. F., ein damals 53jähriger Mann von 
seinen Angehörigen in meine Ordination gebracht mit der Angabe, dass derselbe seit 
einigen Monaten weder seinem Berufe nachgehen könne, noch auch im Stande wäre, 
irgend welchen gesellschaftlichen Verkehr zu pflegen, da er an einer immer¬ 
währenden Schlafsucht leide und mitten im Sprechen, auch im Stehen ein¬ 
schlafe; sonst fühle er sich ganz wohl. 

Der mittelgrosse eher kleine Kranke machte beim blossen Anblick einen höchst 
auffallenden tragikomischen Eindruck. Der an und für sich abnorm grosse Schädel 


1) Siehe unsere demnächst in der „Medicinischen Klinik“ erscheinende Arbeit. 


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E. Münzer 


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war — besonders hervorstechend an den Ohren — tiefblauroth gefärbt; in dem dicken 
Gesichte blinzelten die kleinen Augen schläfrig hervor. Der Schädelumfang betrug 
63 cm, der Hals war kurz gedrungen, ein typischer Blähhals, ohne dass man irgend 
etwas von einer Struma nachweisen konnte. Der Thorax breit, die Hautvenen in der 
Schulterhöhe und an der Vorderfläche der Brust vermehrt gefüllt sichtbar. Die 
Athmung überall schön vesiculär zu hören. Die Herzdämpfung vollkommen normal 
gross, der Puls beschleunigt, die Herztöne vollkommen begrenzt. Der Blutdruck 
130 systol. 

Haut des Rumpfes keine Cyanose zeigend; der Unterleib gespannt. 


Harn dunkel, ent- 


90—100 diast. 

enthielt keine freie Flüssigkeit; Leber und Milz nicht zu tasten, 
hält eine Spur Eiweiss, keinen Zucker. Körpergewicht 103 kg. 

Die auffallendsten Erscheinungen waren also die Schlafsucht und hochgradige 
Cyanose des oberen Theiles des Körpers, hauptsächlich des Gesichts. 

Die Schlafsucht wurde auf eine Kohlensäureüberladung des Hirnblutes zurück¬ 
geführt und die ganzen Erscheinungen als Folgen einer Stauung im Gebiete der Vena 
cava superior aufgefasst. Die Ursache hierfür konnte nur im Brustkörbe gesucht 
werden, ohne dass die Untersuchung weitere diesbezügliche Anhaltspunkte gewährte 
(siehe später). 

Von diesem Gesichtspunkte aus geleitet, wurde eine entsprechende Diät mit 
möglichster Einschränkung der Fette und Kohlenhydrate angeordnet und gleichzeitig 
Jodnatrium in wässriger Lösung gegeben. 

Einen Monat später, am 3. 12. stellte sich der Kranke neuerdings vor; der Zu¬ 
stand schien etwas, aber in sehr geringem Grade gebessert. Herr F. gab an, eher eine 
Verminderung seiner Schlafsucht zu empfinden, dagegen habe er — offenbar in Folge 
des Jods — Thränenträufeln und die Augenlider seien ständig geschwollen. 

Objectiv war das Körpergewicht auf 101,3 kg gesunken, sonst waren die Er¬ 
scheinungen ziemlioh unverändert. 

Die Hämoglobinbestimmung nach Fleischl-Miescher ergab 18,34 pCt. und 
die Zahl der rothen Blutzellen im Cubikmillimeter betrug 9,8 Millionen, die der Leuko- 
cyten 5500. 

Da also der Erfolg für eine vierwöchentliche Behandlung gering war, das Jod 
andererseits auffallende Beschwerden verursachte, wurden nun zur Entfettung Schild¬ 
drüsentabletten der Firma Burroughs, Wellcome & Co. versucht und zwar anfangs 1, 
später 2 Tabletten zu 0,1 g pro Tag. Dabei hatte der Kranke den Auftrag, sich alle 
8 Tage vorzustellen, um die Kur sofort unterbrechen zu können, falls das Medicament 
nicht vertragen würde. 

Am 11. 12., also bereits eine Woche nach Beginn dieser Behandlung kam 
der Kranke mit der Angabe, sich wesentlich wohler zu fühlen und weniger schlaf¬ 
süchtig zu sein. Er zeigte ein besseres Aussehen, die Cyanose war fast ganz ge¬ 
schwunden, das Körpergewicht betrug jetzt 98 kg, war also in 7 Tagen um 3,3 kg 
zurückgegangen. Der Halsumfang betrug jetzt 48 cm, also um 2 cm weniger. Der 
Harn enthielt noch immer eine Spur Eiweiss; im Blute (Triacid-Färbung) 31 pCt. 
Lymphocyten, 6 pCt. eosinophile, 63 pCt. neutrophile polynukleäre Leukocyten. 

Am 26. 12. Schlafsucht fast vollkommen geschwunden, der Kranke fühlt sich 
sehr wohl. 

Objectiv: Aussehen vollkommen normal, auch im Liegen keine Cyanose; die 
Venen auf der vorderen Brustseite kaum mehr zu sehen, das Gewicht 96,3 kg, Hals¬ 
umfang 47y 2 cm; Athmung vollkommen vesiculär, Herztöne rein begrenzt, Pols 92, 
95 105 

Blutdruck palpatorisch —, oscillatorisch im Harne eine Spur Eiweiss, kem 
Zucker. 

9. 1. Gewicht 95 kg, Halsumfang 46 3 /4 cm. Im Harne kein Eiweiss. Die Blut- 


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Ucber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuchung. 437 


Untersuchung ergiebt rothe Blutzellen 8,2 Millionen, 
weisse Blutzellen 5500, mikroskopisch normal. Hämo¬ 
globingehalt nach F lei sch 1 122 = 17,1 g, nach 
Fleischl-Miescher 17,97 g. 

Therapeutisch wurde die Diät unverändert weiter 
behalten, dagegen mit Thyreoidintabletten auf eine 
täglich zurückgegangen. 

6. 2. Aussehen vollkommen normal, Gewicht 
92,7 kg. Halsweite 46 cm. Im Harne kein Eiweiss, 
kein Zucker. Rothe Blutzellen 8,5 Millionen, weisse 
5000 im Cubikmillimeter. Hämoglobin nur nach 
Fleisohl bestimmt, 15,1 g? 

25. 4. Befinden andauernd sehr gut, schläft gut, 
vielleicht etwas schläfriger. Objectiv: Gewicht 92,1 kg. 
Halsweite 47 cm, Athmung und Herzbefund normal. 
Im Harne kein Eiweiss, kein Zucker. Die Blutunter¬ 
suchung ergab 8y 2 Millionen rothe Blutzellen, 8200 
weisse (nach der Mittagmahlzeit) in 1 cmm; Hämo¬ 
globin nach Fleischl 117 = 16,38 g. Nach längerem 
Liegen auf dem Untersuchungsbette wird der Schädel 
bezw. der hintereTheil der Ohrläppchen doch cyanotisch. 
Thyreoidintabletten ganz ausgesetzt. 

Da der Kranke schon etwas freiere Diät genommen 
hat, wird strenge Beachtung der Diät angeordnet. 

27. 11. Herr F., der sich vollkommen gesund 
fühlt, kommt nur über meinen Wunsch zur Unter¬ 
suchung. Er zeigt ein vollkommen normales Aussehen, 
doch tritt im Liegen noch deutliche cyanotische Färbung 
des hinteren Randes beider Ohrmuscheln ein. Die 
Halsweite 47 cm, keine Struma. Die Athmung sehr 
schön vesiculär, die Herzdämpfung der Percussion naoh 
normal gross. Auch die Röntgenaufnahme lässt 
nichts sicher pathologisches erkennen. Die 
Herztöne vollkommen begrenzt. Der Puls 76, regel¬ 
mässig, weich; der Blutdruck wie die graphische Auf- 


115 

nähme (Fig. 1) zeigte - fi -, also normale Verhältnisse 

oU 


darbietend (0 = Oberarm, V = Vorderarm, Manschette). 

Die Sphygmobolometrie zeigte, dass Veränderungen 
der grossen Gefässe ebenfalls ausgeschlossen werden 
können. 

Im Unterleib weder Milz- noch Leberschwellung 
nachweisbar; Harn licht, enthält weder Eiweiss noch 
Zucker. Die Blutuntersuchung ergab Hämoglobin nach 
Sahli 16,5 = 118 pCt. Hämoglobin, nach Fleisohl- 
M iescher 125,1 pCt. = 17,52 g Hämoglobin. 

Blut nach Jenner gefärbt — (574 Leukocyton 
gezählt) — ergiebt: 26 pCt. Lymphocyten, 70 pCt. 
neutrophile und 3 pCt. eosinophile polynukleäre Leuko- 
cyten, ausserdem 2 basophile polynukleäre Leukocyten 
gezählt. 

13. 1. 1908. Gewicht 92,9 kg. Innere Organe 



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6C 


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CO <3 






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E. Münzer, 


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normal; im Harn kein Eiweiss, kein Zucker, Hämoglobin nach Sahli 110 pCt. = 
15,4 g; Viscosität nach Hess: mit und ohne Hirudin = 6,8 (Temperatur 19° C.). 
Nach Determann: (Hirudinblut — Temperatur 20,5°) = 8,54. 

Mikroskopische Blutuntersuchung: 

Jenner: Giemsa: Triacidfärbung 
Lymphocyten .... 30 pCt. 29,9 pCt. 27 pCt. 

polynukleäre { eosino P^ ile Jj ” J! ” Jf ” 

1 \ neutrophile 66 „ 67,1 „ <0 „ 

Im G i e m s a - Präparate ein basophiler polynukleärer Leukocyt. 

(S. Uebersichtstabelie S. 439.) 

Ueberblicken wir die vorliegende Krankheitsgeschichte, so ist wohl 
kein Zweifel, dass wir es mit der ausgesprochensten Polycythämie zu 
thun haben. 

Die Geisböek’sche Form liegt nach den ßlutdruckverhältnissen 
nicht vor, andererseits fehlt aber auch der Milztumor und ist die Ver¬ 
dauung stets vorzüglich gewesen, sodass jede Stauung im Pfortaderkreis¬ 
lauf ausgeschlossen ist. 

Die schwere Cyanose des Gesichts, die Ausdehnung der Venen an 
der oberen Brustapertur bezw. in Schulterhöhe und die starke Schlaf¬ 
sucht deuten auf eine Störung der Circulation im Gebiete der oberen 
Hohlvene mit C0 2 -Ueberladung des Blutes. Eine Veränderung der Lungen, 
welche diese Störung erklären konnte, war mit Sicherheit auszuschliessen 
und konnte nur an eine Veränderung im Circulationssysteme selbst ge¬ 
dacht werden. Am nächsten lag die Annahme einer enormen Fett¬ 
ansammlung im Mediastinum; auch an eine substernale Struma musste 
gedacht werden. Bezüglich des Einwandes, dass bei Störung des Rück¬ 
flusses des Blutes im Gebiete der Vena cava superior Oedeme im ge¬ 
stauten Gefässgebiete beobachtet werden müssten, könnte man darauf 
hinweisen, dass Stauung in diesem Gefässgebiete nicht so rasch zum 
Oedeme führen müsse, weil die reichlicher austretende Lymphe dank der 
Schwere vermehrt abströme. 

Von diesem Gesichtspunkte aus wurde die Therapie geleitet und 
der Erfolg scheint für die Richtigkeit des entwickelten Gedankenganges 
zu sprechen; mit zunehmender Abmagerung schwand die Cyanose und 
ging gleichzeitig die Polycythämie bezw. die Hämoglobinvermehrung 
zurück. 

II. 

Herr T., 55 Jahre alt, zeigt Polycythämie mit Cyanose und 
Milztumor, keine Blutdrucksteigerung; l 1 / 2 Millionen rothe, 
Anfangs 20000, später 12000 weisse Blutzellen im Cubikmilli- 
meter Blut. Hämoglobin ca. 19,0 g. Gestörte Fettresorption 
im Darme? 

Ara 5. Juli des Jahres 1907 consultirte mich der 55jährige Herr T. mit der An¬ 
gabe, dass er bis zum Jahre 1906 vollkommen gesund gewesen sei: Im Februar 1906 
hätte er eine linksseitige Rippenfellentzündung durchgemacht, bei der er allerdings, 
wie er angab, sehr wenig fieberte und nur häufigen Schmerz in der linken Seite, ent¬ 
sprechend dem Rippenbogen gefühlt hätte. Nach 14 Tagen wäre er ausgegangen, 
doch hätte sich der Schmerz wiederholt, er wäre wieder einige Tage gelegen. Nach 


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E. Münzer, 


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neuerlichem Ausgehen trat wiederum dieser Schmerz links unten auf und nun wäre 
eine Empfindlichkeit in der linken Seite zurückgeblieben, die nur allmählich nach¬ 
gelassen hatte. Während dieser Zeit sei eine auffallende Röthe des Gesichts ein¬ 
getreten, die aber, da sich Herr T. nicht krank fühlte und seiner Beschäftigung nach¬ 
ging, nicht weiter beachtet wurde. 

Im Januar und Februar des Jahres 1907 hätte er eine schwerere Halsentzündung 
durchgemacht, nach welcher zum ersten Mal Eiweiss im Harn constatirt wurde. 

War er sohon während der Rippenfellentzündung abgemagert, so sei seit der 
Halsentzündung diese Abmagerung ganz auffallend hervorgetreten. 

Im Sommer des Jahres 1907 hätte er 3 Wochen in Karlsbad zugebracht ohne 
nennenswerthen Erfolg; es sei andauernd Eiweiss im Harne, dabei fühle er sich 
ausserordentlich schwach, schlafe schlecht, hätte keinerlei Bauchschmerzen aber 
immer dünnen Stuhl. 

Die Untersuchung des Kranken am 5. 7. ergab: Starke Röthe des Gesichts 
(nicht eigentliche Cyan ose, sondern wie dies von einer Reihe von x\utoren hervor¬ 
gehoben wurde, mehr Kirsch röthe), Athmung vesiculär, nur links hinten unten 
etwas abgeschwächt. Herzdämpfung nicht wesentlich verändert, Herzaction regelmässig, 

150 

Herztöne verstärkt, Puls 104, Blutdruck palpatorisch —q* Im Unterleib keine freie 

Flüssigkeit, Leber ein wenig vergrössert, tastbar, Milz stark vergrössert, hart. Im 
Ham viel Eiweiss, kein Zucker; keine Acet-Essigsäure; Diazo-Reaction negativ; 
mikroskopisch viele stark granulirte und epitheliale Cylinder, keine rothen Blutzellen, 
keine Eiterzellen. 

Die Untersuchung des Blutes ergiebt l l j 2 Millionen rothe, über 20000 weisse 
Blutzellen im Cubikmillimeter. Hämoglobin nach Sahli 135=18,9, nach Fleischl 
140 = 19,6. 

Die Behandlung war eine rein diätetische. 

13. 9. Der Kranke fühlt sich wohler, der objective Befund ziemlich un¬ 
verändert. 

22. 10. Befund unverändert, Puls 104, Blutdruck palpatorisch und graphisch 

120 

. Höhe der Leberdämpfung in der Mamillarlinie 19,3 cm; Längsdurchmesser der 
90 

Milz 15,6 cm. 

9. 11. Muss mit der Diät sehr vorsichtig sein, weil die geringste Schädlichkeit 
grosse Schmerzen im Rücken und in der Milzgegend herbeiführt, Hämoglobin nach 
Sahli 137—140=19,18—19,6, nach Fleischl-Miescher nicht gut zu bestimmen, 
weil das Blut einen Stich ins Bläuliche zeigt, gegenüber dem Farbenkeile. 

Die Bestimmung mit der grossen Kammer ca. 112 ergebend, für welche Zahl die 
Berechnungsskala nicht angegeben ist. Die Bestimmung mit der kleinen Kammer er¬ 
giebt im Durchschnitt 96, woraus sich bei 200facher Verdünnung 21,57 g Hämoglobin 
berechnet; dabei zeigt das Blut auffallende Gerinnbarkeit; mikroskopisch: 
18 pCt. Lymphozyten; 1 pCt. eosinophile, 80 pCt. neutrophile polynukleäre Leuko- 
oyten; 2 pCt. Mastzellen (Jennerfärbung). Während also im erst mitgetheilten Falle 
die relativen Verhältnisse der einzelnen Leukocytenformen im Blute ebenso wie in den 
Fällen Reckzeh’s (12) normal erschienen, constatiren wir in diesem Falle in Ueber- 
einstimmung mit Türk, Bence, Senator u. A. (13) eine relative Verminderung der 
Lymphooyten bei gleichzeitiger relativer Vermehrung der neutrophilen polynukleären 
Leukocyten. — Noch deutlicher tritt dieses Verhältniss in den folgenden Bestimmungen 
zu Tage. 

8. 12. Gesicht noch immer diffus roth-violett gefärbt, der Körper dagegen eine 
blassrothe Hautfarbe zeigend, nur die Fingerspitzen und Hohlhände zeigen auf- 


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Ueber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuchung. 441 


fallende Rothfärbung. Litten’s Zwerchfellphänomen links undeutlich, rechts deut¬ 
lich zu sehen. Athmung vesiculär, nur links rückwärts im Subscapularraum ab¬ 
geschwächt gegenüber rechts und mitunter feines Knisterrasseln daselbst hörbar. 
Die Jugularvenen leicht dilatirt, zeigen stark pulsatorische Erschütterungen. Die 
Herzdämpfung ein wenig nach links vergrössert; die absolute Heizdämpfung zeigt 
eine horizontale Ausdehnung von 8,2 cm und eine solche von 10 om in der Diagonale 
bei einem Brustumfang von 85 cm. 

120 

M.! = 10,3 cm, M. r = 2,0 cm, L. = 14,4 om. Puls 92, Blutdruck 

yu 

(S. Fig. 2). 

Es sei mir an dieser Stelle gestattet, auf die Blutdruckverhältnisse 
bei Polycythämie einzugehen. Dass bei derselben die theoretisch ver- 
muthete Blutdrucksteigerung vermisst wird, fiel gleich den ersten Beob¬ 
achtern auf; wohl wurde in einer Reihe von Fällen (Osler [1. c.], Rosen¬ 
gart [14], Bence [1. c., 1. Fall], Senator [1. c.]) eine Erhöhung des 


Haft TV fi 19 1007 



Blutdruckes festgestellt, doch wurde von allen Beobachtern erkannt, dass 
die Blutdrucksteigerung zum Wesen der Erkrankung nicht gehöre, wie 
denn auch eine Reihe von Autoren eine solche bei ihren Kranken ver¬ 
missten (Weintraud, Loramel, Glaessner [15]. 

So erscheint es erklärlich, dass Geisböck von diesen Fällen jene 
abtrennte, bei welchen als Folge allgemeiner Arteriosclerose hohe Blut¬ 
drucksteigerung vorhanden war, da man, wie auch ich (1. c.) betonte, 
in diesen Fällen einen Zusammenhang zwischen beiden Erscheinungen 
der Polycythämie und der Arteriosclerose nicht ganz von der Hand 
weisen kann; darüber noch später. 

Im Unterleib deutliche Vergrösserung der Leber und Milz, erstere weich, ziem¬ 
lich glattrandig, letztere hart. Die Höhe der Leberdämpfung in der Mamillarlinie 
16,4 cm. 

Die Milz reicht nach vorne bis in die Nabelhöhe, nach oben bis zur 8. Rippe, 
zeigt einen Längsdurchmesser von 18 cm und am Rippenbogen eine Breite von 15 cm. 
Zahl der Blutzellen 7 Millionen rothe, 12000 weisse im Cubikmillimeter. 


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E. Münzer, 


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Was die einzelnen Leukocytenformcn betrifft, ergab Jennerfärbung: 

15 pCt. Lymphocyton, 

81 l neutrophile } P° lynukleäre ^ukocyten, 

ausserdem 1 basophilen polynukleären Leukocyten. 

Ein ganz ähnliches Resultat ergaben die späteren Untersuchungen, so jene am 
13. 2. 1908. 

Fleischl = 18 3 / 4 g = 133,6 pCt. Hämoglobin, Sahli = 19,18 g= 137 pCt. 
Hämoglobin. Fleischl-Miescher grosse Kammer nicht gut ablesbar zwischen 101 
und 108; kleine Kammer 83, 83, 88, 90, 90, Durchschnitt 86,8 = 19,32 g = 138 pCt. 
Hämoglobin. Bezüglich der Viscosität verweise ich auf die Tabelle (S. 444—445), aus 
welcher hervorgeht, in welch’ hohem Grade dieselbe erhöht ist; wenn auch die Be¬ 
stimmungen mit beiden benützten Apparaten (Hess und Determann) wesentlich 
differiren und die mit dem Determann’schen Apparate gewonnenen Werthe, welche 
sich zwischen 19,9—23,7 für rj bewegen, hier ausser Acht gelassen werden, so 
zeigen die Bestimmungen mit dem Hess’schen Apparate noch immer Werthe, welche 
2 1 /* mal so hoch sind als unter normalen Verhältnissen, da wir die Viscosität des 
normalen menschlichen Blutes als 5,4 ansehen können, während im vorliegenden Falle 
nach Hess r\ einen Werth von 12,4—14,0 repräsentirte. Welche Bedeutung der Vis¬ 
cosität aber für die Circulation zukommt, kann hier nicht eingehender auseinander¬ 
gesetzt werden und sei diesbezüglich insbesondere auf die interessanten Auseinander¬ 
setzungen von Hess (16) einerseits, du Bois-Reymond, Brodie und Müller (17) 
andererseits hingewiosen. 

Der Harn dunkelbraun, enthält viel Eiweiss, keinen Zucker. Mikroskopisch sehr 
viele granulirte Cylinder. Eiweiss nach Essbaoh 2> l / 2 pM. 

Sehr interessant gestaltete sich das Resultat der Stuhluntersuchung nach Probe¬ 
diät: Stuhl geformt, reagirt schwach alkalisch, enthält makroskopisch keine Binde- 
gewebsfetzen. Mikroskopisch: Alles gut verdaut, nur auffallend viele, wie Fetttropfen 
aussehende Gebilde. Mit Essigsäure sehr viel Fettsäurekrystalle und Seifennadeln: 
mit Sudan und Marchi-Reagens ausserordontlich viele Fetttropfen. 

28. 3. 1908. Hämoglobin nach Sahli: 122. 

Viscosität nach 

Hess Determann Münzer-Bloch 

12-12,4 25,0 11,5-11,64. 

Ueberblicken wir die vorliegende Krankheitsgeschichte, so sehen wir 
ein typisches Beispiel jener von Vaquez-Osler geschilderten Form der 
Polycythämie mit Milztumor und Cyanose. 

Merkwürdig ist, dass jenes von Bence (18) auf Grund eingehender 
Uebcrlegungen und Beobachtungen empfohlene Verfahren der Sauerstoff¬ 
behandlung hier vollkommen versagte. Auch Rotky (19) fand nach 
O-Inhalation bei einem Kranken eine sehr starke Erniedrigung der Blut- 
viscosität; doch hatte dieser Kranke gleichzeitig Jodsalz erhalten. — 
Wir haben unseren Kranken durch Tage hindurch grosse Mengen von Sauer¬ 
stoff einathmen lassen, ohne einen Einfluss oder irgend welchen Erfolg 
auf die Viscosität zu beobachten (s. Tabelle S. 444—445). An dem 
Einflüsse der O-Inhalationen ist nach den eingehenden Beobachtungen 
Bence’s nicht zu zweifeln; warum dieser Einfluss im vorliegenden Falle 
ausblieb, muss offen gelassen werden, doch sei es gestattet, darauf hin- 


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Ueber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuchung. 443 


zuweisen, dass auch Bence ähnliches beobachtete, wie sein Fall 2 
(Deutsche med. Wochenschr., 1906) lehrt, wo nach Inhalation von 60 1 
Sauerstoff Hämoglobin und Viscosität unverändert scheinen. 

Es sei mir übrigens gestattet, darauf aufmerksam zu machen, dass 
nach Löwy’s(20) Angaben die hier gefundenen Aenderungen wahr¬ 
scheinlich weniger auf Rechnung des Sauerstoffs als auf die der ge¬ 
änderten Athmungsmechanik zu setzen sind. 

Sehr interessant und für die Diagnose vielleicht von Bedeutung er¬ 
scheint das Ergebniss der Stuhluntersuchung; ob wir die häufigen nicht 
diarrhoischen Stuhlentleerungen und was bedeutungsvoller, das Vor¬ 
handensein von ausgesprochenem Fettstuhl, einfach als Resultat der 
Stauung ansehen können, oder ob nicht vielmehr hier eine für das Krank¬ 
heitsbild bedeutsame Erscheinung vorliegt, müssen weitere Untersuchungen 
lehren. Bei Stauungen im Gebiete der Pfortader sind ja, wie wir ins¬ 
besondere bei atrophischer Lebercirrhose sehen, häufige, meist diarrhoische 
Stuhlentleerungen Regel, doch konnte ich eine derartige Störung der 
Fettresorption in solchen Fällen bisher nicht nachweisen. Allerdings ist 
mein diesbezüglich verarbeitetes Material zu gering, um sichere Schlüsse 
zu gestatten. Es wird Gegenstand weiterer Untersuchungen sein müssen 
festzustellen, ob hier eine differentialdiagnostisch verwerthbare Erscheinung 
vorliegt oder nicht. 

Und nun sei es gestattet, die Pathogenese und Bedeutung der Poly¬ 
cythämie, jenes Symptoms, welches das besondere Interesse der Acrzte 
erregte und die damit parallel gehende Steigerung des. Hämoglobin¬ 
gehaltes und der Viscosität des Blutes zu besprechen. 

Die letztgenannte Erscheinung beruht, wie wir nach den Unter¬ 
suchungen aller Autoren, die sich mit dieser Frage beschäftigten (Ewald 
und Jacoby, Weber-Watson, Hirsch-Beck, Bence [1. c.], Deter- 
mann [21], annehmen können, vorzüglich auf der Vermehrung der 
rothen Blutzellen in der Raumeinheit; Verminderung des Sauerstoff¬ 
gehaltes bezw. Steigerung des Kohlensäuregehaltes des Blutes führt wohl 
zu entsprechenden Aenderungen der rothen Blutzellen und beeinflusst 
dementsprechend die Viscosität; ich verweise nur auf die entsprechenden 
Arbeiten und Angaben von Haro, Ewald (1. c.), Hamburger, v. Lim- 
beck, Horacs v. Koranyi und Bence (22). Doch sind die auf diese 
Weise gesetzten Aenderungen zu gering, um die ausserordentlichen Vis- 
cositätswerthe, die wir bei der Polycythämie beobachten, zu erklären. 
Bence, der diesbezügliche Untersuchungen an defibrinirtem Schweine- 
blute anstellte, findet „nach Sättigung durch Kohlensäure 6,9, 7,55, 6,57; 
gegenüber den entsprechenden Werthen von Sauerstoffsättigung, welche 
5,62, 5,63, 5,4 betragen“. Rotky (1. c.) hat eine ähnliche Bestimmung an 
menschlichem mit Hirudin versetztem Blute angestellt; eine Portion des 
Blutes wurde mit C0 2 , eine andere mit Sauerstoff gesättigt und zeigte rj im 
1. Falle einen Werth von 5,58; im 2. Falle einen solchen von 5,18, also 
eine deutliche aber doch mässige Steigerung der Viscosität des C0 2 ge¬ 
sättigten Blutes. Einen gleichen Versuch machten über meinen Wunsch 
A. Löwy und Fr. Müller (Berlin) — und danke ich beiden Herren an 


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444 


E, Münzer, 


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Uebersichts- 


Zeitd. Unter¬ 
suchung. 

w 

's 

P-i 

Blutdruck. 

nach 

Hess. 

V i s c o s 

nach 

De ter- 

mann. 

i t ä t 

bei 

nach 

Hess. 

20° G. 

nach 

Deter- 

mann. 

Hämoglobin nach 

Sahli. J“; 

5. 7. 
1907 

104 

150 

110 

— 


— 


135 pCt. ! 140 pCt. - 

= 18,9 g 1 = 19,6 g i 

13. 9. 
1907 

96 

145 

105 

— 

— 

— 

— 

- 1 - - 

22. 10. 
1907 

104 

gra¬ 

phisch 

120 

90 





130 pCt, , — - 

= 18,2 g; 

! ! 

9. 11. 
1907 







137-140 — I nicht zu 

pCt. = berechnen 

19,2-19,6 g II 96 = 

1 ; 154pCt.= 

! 21,6 g 

8. 12. 
1907 

92 

gra¬ 

phisch 

120 

90 

Vor Nach 

O-Athmung 
12 | 12 
bei 21 oc. 

i 

(12,3) 


137 pCt. 133 pCt. , 138pCt.= 

= (19,18g) =(18,75g) 19,32 g 

12. 12. 
1907 

— 

— 

12 

(21 °C.) 1 

1 

ij 

(12,3); 

— 

— — — 

5. 1. 
1908 



Ohne 1 Mit 
Hirudin 
11,4! 11,3 j 
21° C. 1 

245" 

(21,5 °C.) 

11,39 

19,2-21,5 

126 — — 

7. 1. 
1908 



11,8 14 ; 

21o C. 

294" 

20° C. 

144 ! 

22,6 

128 - — 
ohne 
und mit 

Hirudin- 

blut. 

8. 1. 
1908 

— 

— 

11,4 i 13,2 
20° C. 1 

309" 

20° C. 

13,2 , 

1 

23,7 

128 — — 

14. 1. 
1908 

— 

— 

12,4 1 

(20o C.) 

258,8" 
(20° C.) 

12,4 I 

19,8 

136 — 

13. 2. 
1908 



13,22 
(20,8o C.) 

280,3" 

(20,8 oc.) 

13,5 

21,9 

124 — — 

28. 3. 
1908 

— 

— 

— 

— 

12,4 

25,5 

122 - — 


dieser Stelle herzlichst für ihre Freundlichkeit. — Das zur Verwendung ge¬ 
nommene Blut war Nabelschnurblut; dasselbe wurde defibrinirt, nun 
durch eine Portion 0 2 , durch eine zweite C0 2 durchgeleitet — und in 
beiden die Viscosität mit dem Apparate Beck-Hirsch bei einer Temperatur 
von 37,9° C. bestimmt. Dieselbe betrug 
bei 0 2 -Blut . . 4,1, 

bei CÖ 2 -Blut. . 4,6, also Zunahme = 0,5 oder 12,2 pCt. 

Dass die Viscosität des Blutes an und für sich so gering ist, dürfte 
nicht auffallen, da wir ja bereits durch Burton-Opitz (23) wissen, dass 
die Viscosität des defibrinirten Blutes geringer ist als jene des normalen 
Blutes; im übrigen können wir in Uebereinstimmung mit allen anderen 
Autoren den viscositätssteigernden Einfluss der C0 2 bestätigen, anderer- 


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Leber Polycythämie nübst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuchung. 445 


t a b e 11 e. 


Zahl der 
Erythrocyten 
und 

Leukocyten. 


Mikroskopisches Verhalten der 
Leukocyten bei Färbung nach 
Jenner, Triacid, Gicmsa. 


Bemerkungen. 


E. = 7,5 Mill. 
L. = 20500. 


Cyan ose; J .eher- Milz sch w e 11 un g. 
viel Eiweiss. 


Im llarn 


Blut sehr dunkel. 


Jenner: 18 pCt. Lymphocyten. 

1 „ eosin. 1 polynukl. 
80 „ neutr. / Leukocyten, 

2 „ Mastzellen. 


Blut zeigt auffallende Gerinnbarkeit. 
II = % = 868 x 200 x 5/4 = 21,57 
Hämoglobin in 100. 


g 


E. = 7 Mill. 
L.= 12 200. 


Jenner*. 15 pCt. Lymphocyten, 

4 - eosin. 1 polynukl. 
81 „ neutr. / Leukocyten, 

einige basoph.-polynukl. Leuk. 


Vor und nach der Inhalation von Sauer¬ 
stoff war r;=12. 

Hämoglobin I 101 —108 . . 105 
II 83-90 . . S6,8 
7j = 12 nachdem in den letzten 3 Tagen 
180 1 Sauerstoff* inhalirt hat. 
Bestimmung am 5. 1. nach der In¬ 
halation 50 I Sauerstoff. 


Nach Inhalation von 180 I Sauerstoff am 
5., 6. und 7. 


1 Tag später! 

Blut aus dem Ohrläppchen genommen. 


Jenner pOt. 
Lymphocyten . 14 6 
cosin. \ polyn. 1,3 
neutr. / Leukoe. 83,6 


Triacid pCt. 

12,2 

85,6 


Spccifisches Gewicht des Blutes (Methode 
Hamm er sch lag): 1068. 


rj mit eigenem Apparate: 11,64. 


seits aber sehen wir, dass die Viscosität des Blutes selbst nach maxi¬ 
maler C0 2 -Sättigung auch nicht annähernd jene Höhe erreicht, welche 
das zellreiche, polycythämische Blut aufweist. 

Wir müssen also für die Steigerung der Viscosität die Vermehrung 
der rothen Blutzellen verantwortlich machen. Wodurch kommt es nun 
zu dieser Polycythämie? Vielleicht giebt uns die Betrachtung jener 
Krankheitszustände, bei welchen überhaupt eine solche Vermehrung der 
rothen Blutzellen beobachtet wurde, einen Anhaltspunkt. 

Trachten wir die in der Litteratur niedergelegten Beobachtungen zu 
sichten, so können wir folgende Formen von Polyglobulien unterscheiden. 

1. Die Polycythämie mit chronischer Cvanosc und Milztumor 
(Vaqucz [2], Osler [1], 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 


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446 


E. Münzer, 


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2. die Polycythämic mit Cyanose ohne Milztumor. 

Hier haben wir einige Unterarten zu unterscheiden: 

a) Congenitale Herzfehler (Pulmonalstenose) (Weil [24J, Fromherz 

[24] ), überhaupt 

b) alle Zustände chronischer Dyspnoe (Naunyn [5], Pentzoldt 
und Toeniessen [6], Piotrowski-Limbeck [6a]), bezw. um unver¬ 
bindlicher zu sprechen, die durch Affectionen im Gebiete des Brustkorbes 
herbeigeführten Störungen der Blutlüftung (eigene Beobachtung Fall 1, 
Fall 3 Weintraud? [1. c.]), wobei ich speciell auf das wirkliche, rare- 
ficirende Emphysem aufmerksam machen möchte. 

3. Die Geisböck’sche Form der Polycythämie mit hoher Blut¬ 
drucksteigerung (Störung der Sauerstoffversorgung der Gewebe). 

4. Polycythämie bei Aufenthalt in hoch gelegenen Orten (ver¬ 
minderter Sauerstoffdruck der Luft). 

5. Polycythämien bei Vergiftungen: Phosphorvergiftung (Taussig 

[25] , v. Jaksch [26], Silbermann [27], v. Limbeck [1. c.]); Kohlen¬ 
oxydvergiftung (Münzer und Palma [28], v. Limbeck, v. Jaksch, 
Reinhold [29]); Nitrobenzolvergiftung (Bondi [30]) und Antifebrin- 
vergiftung (Stengel, cit. nach Lommel [31]). 

Ad 5. Von diesen verschiedenen Formen der Polycythämie haben die 
unter 5. angeführten, mit dem Symptomencomplexe der Polycythaemia 
vera nichts zu thun, eine Behauptung, welche im Folgenden eingehender 
begründet sei. 

Bei der acuten Phosphorvergiftung hat zunächst Taussig aus der 
v. Jaksch’schen Klinik und v. Jaksch selbst, sowie Silbermann auf 
die vorübergehende starke Vermehrung der rothen Blutzellen aufmerksam 
gemacht; v. Limbeck bestätigte diese Angaben. 

Doch ist diese Vermehrung nicht constant und im einzelnen Falle 
der Befund selbst sehr wechselnd. So finden wir z. B. in der Arbeit 
Taussig’s im Falle VI notirt: 

12. 2. 5,1 Millionen rothe Blutzellen, 


Fall VII: 


13. 2. 8,1 

14. 2. 4,7 
7. 3. 5,4 

10. 3. 7,4 


und 11. 3. 


4,2 

4,6 


(starke Leibschmerzen). 


früh (erbricht früh, hat 
starke Leibschmerzen), 
abends, 
abends. 


15. 3. geheilt entlassen. 

In genetischer Hinsicht möchte ich diese Polycythämien nicht als 
wirkliche Vermehrung der rothen Blutzellen auffassen, sondern als relative 
Vermehrungen, bedingt durch Aenderung der Blutzusammensetzung. 

Wir dürfen eben nicht vergessen, dass diese Kranken in den ersten 
Tagen der Vergiftung erbrechen; selbst wenn dies aber nicht der Fall 
ist, nehmen diese Kranken in den ersten Tagen keine Nahrung zu sich, 
bezw. erhalten keine Nahrung und werden ausserdem aus therapeutischen 
Rücksichten mit Abführmitteln behandelt. Für die Annahme einer nur 
relativen Vermehrung der Blutzellen sprechen ferner die oft innerhalb 


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l'eber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuchung. 447 


eines Tages sich vollziehenden Schwankungen (Taussig, 
Fall VII), bei welchen auch trotz fortschreitender Intoxication, Rückgang 
einer kurz zuvor nachgewiesenen Vermehrung festgestellt wird. 

Aber auch die bei experimenteller Phosphorvergiftung bei Thieren 
angestellten Untersuchungen sprechen gegen die Annahme einer wirk¬ 
lichen Polycythämie. Einerseits wissen wir, dass bei einer Reihe von 
Thieren acute Phosphorvergiftung zu einem direct sichtbaren Zerfall der 
rothen Blutzellen führt. Diese Thatsachen haben für das Huhn bereits 
Frankel und Röhmann (32) festgestellt und Taussig hat in seiner 
kleinen Studie die Angaben dieser Autoren bestätigt, die Acnderung des 
mikroskopischen Blutbildes genau studirt und eingehend geschildert. 

Bei meinen seinerzeitigen Untersuchungen über den Einfluss der 
Phosphorvergiftung auf den Stoffwechsel (33) habe ich diese Frage nur kurz 
gestreift und lege bei dem Interesse, welches diese Beobachtungen be¬ 
sitzen, Bilder von den bei Hühnern zu beobachtenden Blutbefunden nach 
Phosphorvergiftung vor. — Die Präparate wurden nach Aldehoff ge¬ 
färbt und zeigt Tafel V Fig. a ein normales Blutbild, Fig. b die Ver¬ 
änderung des Blutes 36 Stunden nach der Vergiftung und Fig. c die 
Verhältnisse kurz vor dem ca. 48 Stunden nach der Vergiftung erfolgten 
Exitus. 

Bei Thieren andererseits, bei welchen trotz Phosphorvergiftung der 
mikroskopisch sichtbare Blutzerfall fehlt, wie z. B. beim Kaninchen, bei 
denen aber auch das Erbrechen, die Diarrhoe, kurz die zur Eindickung 
des Blutes führenden klinischen Erscheinungen der menschlichen Phos¬ 
phorvergiftung nicht vorhanden sind, vermisst man, wie dies Taussig 
zeigte, die beim Menschen beobachtete Vermehrung der rothen Blutzellen. 
Das sind wohl genügend triftige Gründe, welche für die Phosphor¬ 
vergiftung die oben aufgestellte Behauptung gerechtfertigt erscheinen lassen. 

Was die Kohlenoxydvergiftung betrifft, haben, wie bereits v. Lim- 
beck hervorhebt, ich und Palma in zwei einschlägigen Beobachtungen, 
welche aus unserer Assistentenzeit an der v. Jaksch’schen Klinik 
stammen, eine massige Vermehrung der rothen Blutzellen und der Leuko- 
cyten festgestellt. Wir fanden 

1. bei einem 26 Jahre alten Manne, der eine Temperatur von 38 
bis 39,4° C. aufwies und vollkommen benommen war, am 19. 1.2. 1892 
5,7 Millionen rothe, 13000 weisse Blutzellen, und in einem 

2. Falle bei einer 30 Jahre alten Frau, die eine Temperatur von 
37,8° C. zeigte und ebenfalls stark soporös war, am 12.11.93 5,3 Millionen 
rothe, 10000 weisse Blutzellen, v. Limbeck (1. c. S. 234) hat in zwei 
Fällen von Leuchtgasvergiftung noch stärkere Vermehrung der rothen 
Blutzellen nachgewiesen (5,7 und 6,6 Millionen), v. Jaksch bringt in 
seinem Buche über Vergiftungen jene zwei von mir und Palma mit 
Rücksicht auf den Stoffwechsel raitgetheilten Beobachtungen und eine 
dritte, ein 23jähriges Weib betreffend, bei welchem 4,8 und 4,0 Millionen 
rothe ßlutzellen bei einem Hämoglobin geh alte von 9,8 bezw. 10,5 g (nach 
Fleischl) festgestellt wurden. 

Wie man sieht, handelt es sich auch hier, wenn überhaupt doch nur um 
eine ganz geringe und, was wichtiger erscheint, vorübergehende Ver- 

29* 


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448 


E. Münzer, 


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raehrung, zu deren Erklärung die gegebenen Verhältnisse, Hunger¬ 
zustand etc. ausreichend sein dürften. Die Beobachtung von Rein¬ 
hold (29) möchte ich hier ganz ausschliessen. In den von diesem 
Autor mitgetheilten Fällen handelt es sich um chronische Anämien, 
zu deren Erklärung chronische Kohlendunstvergiftung angenommen 
wird. Das Blutbild selbst ist höchst bemerkenswerth; zunächst fällt 
die ausserordentliche Vermehrung der Blutzellen bei stark vermindertem 
Hämoglobingehalt auf, dann überraschen die starken Schwankungen 
des Hämoglobins, da wir an einem Tage 62 pCt., am nächsten wieder 
90 pCt. und am dritten wieder nur 76 pCt. Hämoglobin und parallel 
gehende enorme Schwankungen der rothen Blutzellen verzeichnet finden. 

Ich möchte also diese höchst interessante Beobachtung als ätiologisch 
unsicher ausschliessen, eine Verwerthung dieser Beobachtung weiteren 
Studien überlassend. 

Bei der Nitrobenzolvergiftung hat Bondi (30) aus der v. Jaksch- 
schen Klinik in einem Falle, welchen ich und Palma (1. c.) zu einer 
genauen Analyse der Harnausscheidung verwendeten, eine Vermehrung 
der rothen Blutzellen auf 6,3 Millionen festgestellt. Leider wurde die 
Zählung in diesem Falle nur einmal vorgenommen. 

Ebenso hat Stengel, wie Lomrael (31) angiebt, in einem Falle 
von Antifebrinvergiftung über 6 Millionen rothe Blutzellen constatirt. 

Zur Erklärung der Polycythämien in diesen Fällen möchte ich ähn¬ 
lich wie bei der Kohlenoxyd Vergiftung eine relative Vermehrung der 
rothen Blutzellen in der Volumeneinheit annehmen, will aber die Mög¬ 
lichkeit einer wirklichen Polycythämie bei länger dauernder Nitrobenzol¬ 
vergiftung oder bei chronischer bezw. wiederholter Antifebrinvergiftung 
nicht in Abrede stellen. 

Die eben besprochenen Formen der Polycythämie unterscheiden 
sich, wie man sieht, gewaltig von den unter 1 —4 genannten Poly¬ 
cythämien. Bei letzteren liegt eine wirkliche Vermehrung der rothen 
ßlutzellen in der Volumeinheit vor, die ausserordentlich hohe Grade 
erreichen kann, die chronischer Natur ist und dereu Ursache wir in 
Uebereinstimmung mit einer Reihe von Autoren besonders Arcangeli 
(34) und Fromherz(24) in Störungen des Gasaustausches seitens des 
Blutes juchen, sei es um eine Störung der Blutlüftung in der Lunge 
oder in anderen grossen Gefässgebieten, sei es, um ungenügende Blut¬ 
zufuhr zu den Geweben, sei es, um ungenügenden Sauerstofifdruck der 
umgebenden Luft. 

Ad 1. Für die Vaquez-Osler’sche Form der Polycythämie hat 
eine Beobachtung Lommel’s besondere Bedeutung, bei welcher die 
Autopsie „eine chronische Kreislaufstörung im Pfortadergebiete in 
Gestalt einer alten theilweisen Obliteration der Pfortader und ihrer Leber¬ 
äste“ erwies. 

Eine ähnliche Ursache möchte ich auch für den von mir mitgetheilten 
Fall T. vermuten. 

In einer Reihe anderer in diese Gruppe gehöriger Fälle ist bei der 
Autopsie immer nur der Milztumor festgestellt, ohne dass sonst Wesent¬ 
liches über eventuelle Gefässveränderungen ausgesagt wäre. 


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Ueber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Biutuntersuchung. 449 


Ad 2. Noch viel deutlicher und einleuchtender erscheint die oben 
für die Polycythaemia vera angegebene Ursache bei jenen unter 2. an¬ 
geführten Formen von Polycythämie, bei denen wir 2 Unterarten aus¬ 
einander hielten. 

Bezüglich der Pulmonalstenose resp. der angeborenen Herzfehler 
liegen die alten Beobachtungen von Weil (24) und die neueren von 
Fromherz(24) vor. Schon Weil stellte bei seinen Beobachtungen die 
Veränderung des Knochenmarks und die Umwandlung in rothes Mark 
fest und den gleichen Befund finden wir bei Fromherz notirt. 

Die der angeborenen Pulmonalstenosc analoge Störung 
der Blutlüftung ist für Erwachsene in dem wahren substan¬ 
tiellen rareficirenden Emphysem gegeben, ja die hier gegebene 
Störung der Blutlüftung ist intensiver, als in jenen Fällen von congenitaler 
Pulmonalstenose, da hier neben der Verkleinerung der Blutfläche eine 
Verkleinerung auch der athmenden Fläche gegeben ist. 

Es ist nun in höchstem Maasse merkwürdig, dass jene Krankheit, 
bei welcher wir von vornherein die hochgradigste Polycythämie erwarten 
sollten, so wenig als ätiologischer Factor derselben berücksichtigt wurde. 
Ich selbst erinnere mich aus der Zeit vor dem Bekanntwerden der 
Vaquez-Osler’schen Form an wirkliche Emphyseme mit hochgradigster 
Cyanose, Spuren Eiweiss im Harn, ohne natürlich an Polycythämie auch 
nur gedacht zu haben. 

Dass aber die Bedeutung des wirklichen Emphysems für die Poly¬ 
cythämie bis in die jüngste Zeit unerkannt bleiben konnte, ist zu ver¬ 
wundern; und doch zeigen zwei Publicationen aus den letzten Jahren, 
die eine von Kikuchi (35) aus dem Jahre 1904, die andere von 
Glaessner (1. c.) aus dem Jahre 1906, dass dem so sei. 

Kikuchi theilt aus der Klinik v. Jaksch die Beobachtung einer 
47 Jahre alten Frau mit, die in den letzten Tagen ihres Lebens (6. 4. 
1904), benommen und tief cyanotisch, auf die Klinik gebracht wurde. 
Die Blutzählung am 8. 4. und 9. 4. ergab eine mässige Polycythämie 
von 6,2 bezw. 5,7 Millionen rothen Blutzellen; am 9. 4. ging die Kranke 
zu Grunde. Die pathologisch-anatomische Diagnose lautete: „Emphysema 
pulmonum. Bronchitis catarrhalis chronica c. Bronchicctasia“. 

Anstatt nun für die vorhandene Polycythämie das Emphysem heran¬ 
zuziehen, wird dieser ätiologische Zusammenhang direct abgelehnt und 
heisst es dort: „doch kann das Emphysem unmöglich die Polycythämie, 
die Plethora, vor allem nicht den Befund an kernhaltigen rothen Blut¬ 
körperchen erklären“, und so wird zur Erklärung der vorhandenen Er¬ 
scheinungen ein Zusammenhang zwischen den geringen bronchiectatischen 
Ausdehnungen und der Polycythämie vermuthet. 

Aehnliches finden wir bei Glaessner. Hier handelt es sich um 
einen 44 Jahre alten Mann, welcher (8. 3. 1906) ebenfalls schon in sehr 
schlechtem Zustande auf die Abtheilung' gebracht wurde, starke Cyanose, 
Oedem der Unterschenkel und Füsse darbot. Bezüglich des Lungen¬ 
befundes heisst es: „über den Lungen, deren Grenzen etwas tiefer stehen, 
allenthalben heller Percussionsschall, verschärftes Vesiculärathmen, ver¬ 
längertes Exspirium und feine bronchitische Geräusche“. 


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450 


E. Münzer, 


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Die Blutuntersuchung, welche höchst exact und genau durchgeführt 
wurde, ergab hochgradige Polycythämie und das Vorhandensein von 10 
bis ll'/ 2 Millionen rothen Blutzellen im Cubikrailliraeter. 

Im Obductionsprotokoll heisst es bezüglich der Lungen: „während 
die linke Lunge nur substanzärmer und auffallend blutreich ist, lässt die 
rechte Lunge auf dem Durchschnitte reichliche brüchige Blutgerinnsel 
erkennen, die in den Aesten der Arteria pulmonalis stecken“ und be¬ 
züglich des Herzbefundes heisst es: „das Herz in toto vergrössert, der 
linke Ventrikel zeigt nur eine geringe Dickenzunahme seiner Wand, 
während der rechte Ventrikel deutlich dilatirt ist und eine bis D/ä cm 
dicke Wand erkennen lässt. Ebenso ist der rechte Vorhof dilatirt und 
hypertrophisch. Klappen an allen Ostien zart.“ 

Die pathologisch-anatomische Diagnose lautete: „Hypertrophia cordis 
praec. ventr. dextri, Plethora, Degeneratio grisea funicul. posterior, med. 
spinalis, Infarctus pulm. dextri.“ 

Diese pathologisch-anatomische Diagnose ist unvollständig. Die 
Hypertrophie des rechten Ventrikels erscheint unbegründet und ist, wie 
aus dem Sectionsprotokolle hervorgeht (Substanzarmuth der linken Lunge), 
sicher durch wirkliches Emphysem hervorgerufen. Es ist interessant und 
besonders hervorzuheben, dass in beiden Fällen das Knochenmark roth 
war und sowohl bei Kikuchi als bei Glaessner die mikroskopische 
Untersuchung des Kuochenmarkes das Vorhandensein reichlicher Normo- 
blasten erkennen liess. 

Ich betone dies, weil in der eingehenden Untersuchung von Schur 
und Löwy (36) über das Verhalten des Knochenmarkes in Krankheiten, 
diese Autoren auch über drei Fälle von Knochenmarksuntersuchung bei 
Herzfehlern berichten und stets hyperämisches Fettmark fanden, wobei 
die rothe Farbe des Knochenmarkes auf Hyperämie zurückgeführt wird. 

Zur Erklärung der Polycythämie seines Falles wendet sich Glaessner 
gegen die Annahme eines Circulationshindernisses, meint „Stauung und 
Plethora vera sind eben grundsätzlich verschiedene Processe“ und sieht, 
das für die Plethora vera Charakteristische in der Knochenmarks- 
Veränderung. Dass dem nicht so ist und dass bei sicheren Stauungen 
— ich verweise auf das Vorangehende — die gleiche Veränderung ge¬ 
funden wird, macht diese Annahme hinfällig. 

Ad 3. Was die Geisböck’sche Form betrifft, findet sich jene Auf¬ 
fassung, welche zur Erklärung der hier vorhandenen Blutvermehrung am 
besten fundirt erscheint, am Eingänge vorliegender Arbeit; doch muss 
an dieser Stelle betont werden, dass für diese Form von Polycythämie 
auch eine andere Deutung möglich erscheint, da ja Hess (37) bereits 
darauf hinwies, dass bei starker Blutdrucksteigerung durch Mehraustritt 
von Flüssigkeit in die Lymphe das Blut vielleicht concentrirter erscheint. 

Ein solcher Modus wäre hier um so eher möglich, als auch die 
Blutvermehrung selten so hohe Grade erreicht, wie in den Fällen von 
Polycythaemia vera. 

Auch ist cs mir unbekannt, ob in Fällen der Geisböck’schen 
Form bei eventuellen Autopsien das Knochenmark untersucht wurde, bezw. 
die Umwandlung desselben in rothes Mark festgestellt werden konnte. 


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Ueber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuchung. 451 


Möchte ich also für diese Form der Polycythämie vorderhand die Möglich- 
keit einer andersartigen Erklärung ihrer Genese zugeben, so tritt für die 
4. Form diese Anschauung wieder in ihre vollen Rechte. Es hat ins¬ 
besondere Zuntz mit seinen Mitarbeitern sicher feststellen können, dass 
die Vermehrung des Blutfcs bei Aufenthalt in Höhenluft parallel geht mit 
einer Umwandlung des Knochenmarks in rothes Mark, wobei Franz 
Müller speciell vermehrte Entleerung junger rother Blutzellen in die 
Circulation nachwies. 

Nachdem wir so diese Formen der Polycythaemia vera mehr weniger 
auf eine einheitliche Ursache zurückführen konnten, drängt sich jetzt nur 
die Frage auf, wieso es bei der Vaquez-Osler’schen Form der Poly¬ 
cythämie, aber auch bei den anderen zu jener Reizung des Knochenmarks 
kommt und ob eine derartige Umwandlung des Knochenmarkes in 
jugendliches rothes Mark immer bei der Polycythämie vorhanden ist. 

Der Fall Soundby und RusselUs sowie jener Brcuer’s (38) er¬ 
ledigen die letzte Frage dahin, dass Fälle von Polycythämie auch ohne 
Veränderung des Knochenmarks Vorkommen können, da eine solche in 
diesen Fällen vermisst wurde. Ein solches Verhalten des Knochenmarks 
ist aber wohl als Ausnahme anzusehen und wollen wir von diesen Fällen, 
deren Erklärung noch aussteht, derzeit absehen 1 ). 

Wie kommt es nun zu dieser Reizung des Knochenmarks in den 
Fällen wahrer Polycythämie? 

Hier ist vor allem auf die zunächst von Mohr (39), dann von 
Lommel (1. c.) festgestellte Thatsache einer Schädigung des Hämo¬ 
globins hinzuweisen. Diese beiden Autoren zeigten, dass bei Fällen 
von Polycythämie das Hämoglobin an der unteren Grenze seiner Wertig¬ 
keit bezüglich Sauerstoffaufnahme steht. Und wenn auch Senator in 
seinen Fällen nachweisen konnte, dass solche Kranke genügend Sauerstoff 
aufnehmen und Kohlensäure abgeben, so ist dies, wie schon Lommel be¬ 
tonte, kein Widerspruch, da ja das Blut des Polycythämikers ausser¬ 
ordentlich viel häraoglobinreicher ist. „Es handelt sich sozusagen um 
eine Qualitätsverschlechterung (des Hämoglobins A. d. A.), die so be¬ 
deutend war, dass die starke Steigerung der Quantität nur gerade eine 
Compensation herbeiführen konnte 44 (Lommel, 2. Mittheil. S. 90). 

Es scheint also, dass bei Stauung in grösseren Gefässgebieten das Hämo¬ 
globin eine qualitative Verschlechterung erleidet, durch welche es minder 
befähigt erscheint zur Sauerstoflaufnahme und damit wäre auch das Vor¬ 
kommen von Polycythämie in jenen Fällen verständlich gemacht, in welchen 
es sich um Stauung des Blutes in umschriebenen Gefässgebieten handelte. 

Die weitere Frage ist nun die, ob eine derartige qualitative Ver¬ 
schlechterung des Hämoglobins auch primär eintreten kann, wie Lommel 
zur Erklärung der ohne nachweisbare Stauung verlaufenden Polycythämien 
annimmt. Die Entscheidung dieser Frage möchte ich offen lassen; 

1) Sollte es sich in diesen Fällen vielleicht darum handeln, dass an Stelle des 
aus unbekannten Gründen versagenden Knochenmarks die Hämopoese in jenen Organen 
wieder erwacht, welche in früher Embryonalzeit Blutbildner waren, wie Leber, Milz 
und Lymphdrüsen? 


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E. Münzer 


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kritische Lectürc des bisher Mitgetheilten lässt an dem Vorkommen 
einer Polycvthämie ohne jegliche Stauung, falls nicht die unter 3. 
und 4. iS. 446) angeführten ursächlichen Momente in Betracht kommen, 
begründete Zweifel wach werden und möchte ich meiner Meinung Aus¬ 
druck geben, dass wir bei genügender Aufmerksamkeit in diesen Fällen 
von Polycvthämie eine sei es allgemeine, sei es umschriebene Stauung 
linden dürften. 

Die Verschlechterung des Hämoglobins, welche ich in Ueberein- 
stimmung mit Mohr und Lommel als Folge der ungenügenden Blut- 
Jüftung in einem grösseren Gefässgebiete annehraen möchte, könnte 
ebenso wie der verminderte SauerstofTdruck im Höhenklima zu einer 
Reizung der blutbildenden Organe, vor allem des Knochenmarks führen. 

Die Knochenmarksveränderung wäre als secundäre Erscheinung auf¬ 
zufassen und besässc teleologisch gesprochen reparatorischen Zweck, 
durch reichliche Erzeugung rother Blutzellen soll die qualitative Ver¬ 
schlechterung des Hämoglobins ausgeglichen werden. 

Die Annahme einer primären Knochenmarkserkrankung zur Erklärung 
der beobachteten Polycvthämie, wie sie zunächst von Vaquez aus¬ 
gesprochen wurde, dem sich Weber-Watson (40) anschloss, und wie 
sie sich angedeutet wiederum bei Türk findet, erscheint nicht genügend 
gestützt, womit nicht gesagt ist, dass nicht Beobachtungen primärer 
Knochenmarkserkrankungen mit secundärer Polyglobulie Vorkommen 
können. Vorderhand aber besteht kein Grund zu einer solchen Annahme 
und weder die Vermehrung der Leukocyten, wie sie in einer Zahl dieser 
Fälle beobachtet wurde, noch die Veränderung an den rothen Blutzellen 
beweisen den primären Charakter der Knochenmarksaflection. 


Literatur. 

1 ) Osler, Chronic cyanosis with polycythaemia and enlarged spieen: a new clinical 
entity. The american joumal of the medical Sciences. August 1903. 

2) Va<|uez, Cyanose accompagnee d’hyperglobulie excessive et persistante. Semaine 
med. 1892. p. 195. Cyanose chronujue avec polyglobulie et Splenomegalie. 
Semaine med. 1904. p. 239. 

3) Geisbück, Die practische Bedeutung der Blutdruckmessung. Congress f. innere 
Med. 1904. -- Die Bedeutung der Blutdruckmessung für die Praxis. Deutsches 
Archiv f. klin. Med. Bd. So. 1905. 

4) Münzer, 1 ober Blutdruckmessung und ihre Bedeutung nebst Beiträgen zur func¬ 
tioneilen Herzdiagnostik. Zeitschr. f. exper. Path. u. Ther. Bd. IV. 1907. S. 134. 

5i Naunvn, Geber den Hämoglobingehalt des Blutes bei verschiedenen Krankheiten. 
Correspomtenzbl. f. Schweizer Aerzte. .lalirg. II. 1872. S. 300. 

6) Pentzoldt, Einiges über Blutkörperchenzählungen in Krankheiten nach Unter¬ 
suchungen von Dr. Tocnniessen. Berl. klin. Wochenschr. 1881. S. 457. — 
Toenniessen, Geber Blutkörperchenzählung beim gesunden und kranken 
Menschen. Dissert. Erlangen. 1881. 

6a) Piotrowski-(Limbock), Zur Lehre von den Veränderungen des Blutes bei 
organischen Herzfehlern. Wiener klin. Wochenschr. 1896. No. 24. 

7) Bert, Paul, La pression barometrique. Paris. 1878. — Viault, Sur Paugmen- 
tation considerable du nombre des globules rouges dans le sang chez les habitants 
des hauts plateux de GAiurriijue du Sud. Compt. rend. V. 1890. 


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Ueber Polycythämie nebst Beiträgen zur klinischen Blutuntersuchung. 453 


8) Zuntz, Löwy, Müller und Caspari, Höhenklima und Organveränderungen. 
Deutsches Verlagshaus Bong u. Co. 1906. 

9) Hirsch und Beck, Studien zur Lehre von der Viscosität (innere Reibung) des 
lebenden menschlichen Blutes. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 69. 1901. S. 503. 

10) Determann, Ein einfaches, stets gebrauchsfertiges Blutviscosimeter nebst Be¬ 
merkungen zur Methodik der Viscositätsbestimmungen. 24. Congr. f. inn. Med. 
S. 533. — Klinische Untersuchungen der Viscosität des menschlichen Blutes. 
Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 59. 1906. 

11) Hess, W., Ein neuer Apparat zur Bestimmung der Viscosität des Blutes. Münch, 
med, Wochenschr. 1907. No. 32. 

12) Reckzeh, Klinische und experimentelle Beiträge zur Kenntniss des Krankheits¬ 
bildes der Polycythaemia mit Milztumor und Cyanose. Zeitschr. f. klin. Med. 
Bd. 57. S. 214. 

13) Türk, Beitrag zur Kenntniss des Symptomenbildes: Polycythämie mit Milztumor 
und Cyanose. Wiener klin. Wochenschr. 1904. No. 6 u. 7. — Bence, Drei Fälle 
von Polyglobulie mit Milztumor. Deutsche med. Wochenschr. 1906. No. 36 und 
37. — Senator, Ueber Erythrocytosis (Polycythaemia rubra) megalosplenica. 
Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 60. H. 5 u. 6. 

14) Rosengart, Milztumor und Hyperglobulie. Grenzgebiete d. Med. u. Chir. 1903. 
S. 495. 

15) Weintraud, Polyglobulie und Milztumor. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 55. — 
Lommel, Ueber Polycythämie mit Milztumor. Deutsches Archiv f. klin. Med. 
Bd. 87 u. 92. — Glaessner, Beitrag zur Pathologie der Polycythaemia rubra. 
Wiener klin. Wochenschr. Jahrg. XIX. 1906. No. 49. 

16) Hess, Zum Thema: Viscosität des Blutes und Herzarbeit. Vierteljahrsschr. d. 
Naturf.-Gesellsch. in Zürich. Bd. 51. 1906. 

17) R. du Bois-Reymond, T. G. Brodie, Franz Müller, Der Einfluss der Vis¬ 
cosität auf die Blutströmung und das Poiseuille’sche Gesetz. Du Bois’ Archiv. 
Pbysiol. Abthlg. Suppl. 1907. 

18) Bence, Klinische Untersuchungen über die Viscosität des Blutes. Zeitschr. f. 
klin. Med. Bd. 58. H. 3 u. 4. 

19) Rotky, Beiträge zur Viscosität des menschlichen Blutes. Zeitschr. f. Heilkunde. 
XXVIII. 1907. H. 2. 

20) Löwy, Ueber die Wirkung des Sauerstoffs auf die osmotische Spannung des 
Blutes. Berl. klin. Wochenschr. 1903. H. 2. 

21) Ewald, Ueber die Transpiration des Blutes. Archiv f. (Anat. u.) Physiol. 1877. 
S. 208. — Jacoby, Deutsche med. Wochenschr. 1901. Vereinsbeil. S. 63. — 
Weber-Watson, Folia haematolog. Bd. I. 1904. 

22) Haro, Cit. nach Bence. Compt. rend. 1876. — Hamburger, Osmotischer 
Druck und lonenlehre. Wiesbaden. 1902; ausserdem Zeitschr. f. Biolog. Bd. 28; 
du Bois* Archiv 1892 u. 1893. — v. Limbeck, Ueber den Einfluss des respira¬ 
torischen Gaswechsels auf die rothen Blutkörperchen. Arch. f. exper. Pharm, u. 
Path. Bd. 35. S. 309. — Pathologie des Blutes. 2. Aufl. 1896. Jena (Verlag 
Fischer). — J. Kovacs, Experimentelle Beiträge über die Wirkung von Sauer- 
stoffinhalatiouen. Berlin, klin. Wochenschr. 1902. No. 16. — A. v. Koranyi, 
Physiologische und klinische Untersuchungen über den osmotischen Druck 
thierischer Flüssigkeiten. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 33. 1897. S. 1. 

23) R. Burton-Opitz, a) Ueber die Veränderung der Viscosität des Blutes unter 

dem Einfluss verschiedener Ernährung und experimenteller Eingriffe. Pflügers 
Archiv. Bd. 82. 1900. S. 447. — b) Vergleich der Viscosität des normalen 

Blutes mit der des Oxalatblutes, des defibrinirten Blutes und des Blutserums bei 
verschiedener Temperatur. Ebendas. Bd. 82. 1900. S. 464. 


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454 E. Münzer, Ueber Polycythämie nebst Beiträgen z. klinischen Blutuntersuchung. 


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24) Weil, Note sur les Organes h£matopoi6tiques et h^matopoiese dans la cyanose 
congenitale. Compt. rend. de la soc. de biologie. 1901. — Fromherz, Zur Be¬ 
deutung der Hyperglobulie bei congenitalen Herzkrankheiten. Münohen. med. 
Wochenschr. 1903. 50 Jahrg. S. 1718. 

25) Taussig, Ueber Blutbefunde bei acuter Phosphorvergiftung. Arch. f. exp. Path. 
u. Pharm. Bd. 30. S. 161. 

26) v. Jaksch, Beitrag zur Kenntniss der acuten Phosphorvergiftung des Menschen. 
Deutsche med. Wochenschr. XIX. 1893. S. 10. — Vergiftungen. In NothnageFs 
Spec. Path. u. Ther. 1897. Bd. I. 

27) Silbermann, Prager med. Wochenschr. 1907. 

28) Münzer und Palma, Ueber den Stoffwechsel des Menschen bei Kohlendunst- 
und Nitrobenzolvergiftung. Zeitschr. f. Heilk. Bd. 5. 1894. 

29) Rein hold, Ueber sohwere Anämie mit Hyperglobulie als Folgezustand chronischer 
Kohlenoxydvergiftung. Münch, med. Wochenschr. No. 17. 1904. S. 739. 

30) Bondi, Ein casuistischer Beitrag zur Lehre von der Nitrobenzolvergiftung. 
Prager med. Wochenschr. XIX. 1894. S. 129. 

31) Stengel, cit. nach Lommel. Journal of Americ. med. Assoc. 1905. 

32) Frankel und Röhmann, Zeitsohr. f. pbysiol. Chemie. Bd. IV. S. 439. 

33) Münzer, Der Stoffwechsel des Menschen bei acuter Phosphorgiftung. Deutsches 
Archiv f. klin. Med. Bd. 52. 1893. S. 244. 

34) Arcangeli, L’iperglobulia nelle malattie cardio-pulmonari. Policlinico. V. 
1898; VI. 1899. 

35) Kikuchi, Ein Fall von Polycythämie. Prager med. Wochenschr. Bd. 29. 1904. 
No. 38. 

36) Schur und Löwy, Ueber das Verhalten des Knochenmarkes in Krankheiten. 
Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 40. 1900. H. 5 u. 6. 

37) Hess, Ueber die Beeinflussung des Flüssigkeitsaustausohes zwischen Blut und 
Geweben durch Schwankungen des Blutdrucks. Deutsches Archiv f. klin. Med. 
Bd. 79. 1904. 

38) Saundby und Russell, An unexplained condition of chronic cyanosis. With 
the report of a case. Lancet. Bd. I. 1902. 515. — Breuer, Wiener Gesellsch. 
f. inn. Med. 1903. 8. Decemb. 

39) Mohr, Ueber die Blutcirculation anämischer Individuen. Verhandl. des Congr. 
f. inn. Med. 1905. 

40) Weber und Watson, Chronic polycythaemia with enlarged spieen (Vaquez 
disease). International clinics. Vol. IV. 


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XXXV. 

Aus der medicinischeu Klinik zu Halle a. S. 

Ueber das Auftreten des gelösten Eiweisses in den Fflces 
Erwachsener und sein Nachweis mittelst der Biuretreaction. 

Von 

Dr. Iwaho Tsuehiya in Tokio (Japan). 

Die meisten älteren Untersuchungen, welche sich damit beschäftigten, 
durch den Nachweis von Producten der Eiweissverdauung die zu schnelle 
Entleerung des Darminhaltes oder die Resorptionsstörung des Nahrungs- 
eiweisses im Darme festzustellen, waren sowohl in den ihnen zu Grunde 
liegenden Ueberlegungen als auch in ihren Methoden unvollkommen. 
Wie schon vor mehreren Jahren von Ury 1 ), Albu und Calvo 2 3 ) nach¬ 
gewiesen wurde, besitzen alle früheren Methoden, bei denen nicht auf 
die Entfernung der stets vorhandenen Nucleoproteide und des Hydrobili- 
rubins aus den Fäces geachtet wurde, wegen des Mangels an Genauig¬ 
keit und Fehlerlosigkeit keine Beweiskraft. 

Die mit Berücksichtigung dieser Fehlerquellen von Ury, Simon 8 ), 
Albu und Calvo angegebenen Methoden können daher allein zum zu¬ 
verlässigen Nachweis gelöster Eiweisskörper in den Fäces dienen. Neuer¬ 
dings hat Schiössmann 4 ) unter Leitung von Prof. Ad. Schmidt sich 
noch einmal eingehend mit der Frage beschäftigt. Er sagt, dass „den 
Methoden obiger Forscher allerdings auch, wie bei der Schwierigkeit des 
Gegenstandes verständlich ist, gewisse Nachtheile anhaften, welche sie 
für die Praxis mehr oder weniger ungeeignet erscheinen lassen. Be¬ 
sonders dürfte das Verfahren nach Albu und Calvo für kleinere Eiweiss¬ 
mengen ganz ungeeignet sein.“ 

Er hat deshalb versucht, an einem grösseren Material pathologischer 
und normaler Fälle den Werth der Simon’schen und Ury’schen Methoden 
nachzuprüfen und erhielt fast bei der Hälfte der Fälle ganz verschiedene 
Resultate. Die Fehlerquellen zu studieren, hat er weiter gearbeitet und 
gefunden, dass sie beiden Methoden anhaften. Er konnte jedoch bei der 
Ury’schen Methode die Fehlerquelle durch sorgfältige Verwendung von 

1) Ury, Archiv f. Verdauungskr. Bd. IX. 1903. 

2) Albu und Calvo, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 52. H. 1 u. 2. 1904. 

3) Simon, Archiv f. Verdauungskr. Bd. X. 1904. 

4) Schiössmann, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 60. H. 3 u. 4. 1906. 


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I. Tsuchiya, 


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Kieselguhr soweit reduciren, dass sie für gewöhnliche Untersuchungen 
ausser Betracht kommen konnte. Seine Modification der Ury’schen 
Methode ist folgende: 

Die Fäces (Tagesmenge) werden unter langsamem Zusetzen von 
Wasser gut verrieben und weiterhin mit Wasser bis zu ziemlich dünn¬ 
flüssiger Consistenz (ca. 500 ccm Vol.) verdünnt. Einige Stunden stehen 
lassen. Filtriren durch doppelte Faltenfilter. Trübes Filtrat zur Klärung 
durch ein mit wenig Kieselguhr beschicktes Filter filtrirt. Filtrat ist klar. 
Durch sehr vorsichtigen Zusatz von 30proc. Essigsäure Ausfällen der 
Nucleoproteide. Die hierbei entstehende Trübung wird durch doppeltes 
Filter ein- bezw. mehrraal abfiltrirt. 

a) Erhält man dadurch wasserklare Filtrate, so überzeugt man sich 
durch Zusatz von wenigen Tropfen 3—5proc. Essigsäure, ob alles Nucleo- 
proteid ausgefällt ist, und stellt dann die Eiweissproben an. 

b) Bleiben die Filtrate trüb, so lässt man sie jetzt nochmals durch 
ein kleines mit wenig Kieselguhr bestreutes Filter hindurchgehen und 
untersucht in den nunmehr stets klaren Lösungen auf Eiweiss, ebenfalls, 
nachdem man zuvor die Controllprobe auf vollständige Entfernung der 
Nucleoproteide gemacht hat. 

Die Eiweissreactionen werden in dreifacher Weise vorgenomraen: als 
Kochprobe (unter NaCl-Zusatz), Salpetersäure-Ringprobe und Ferro- 
cyankaliprobe. 

Dieses Schlössmann’sche Verfahren ist zwar zuverlässig und für 
klinische Zwecke vollkommen ausreichend, aber es erfordert viel Zeit 
(mindestens 5 oder 6 Stunden). Wer einmal diese Untersuchung anstellt, 
wird bald erfahren, wie schwer und umständlich es ist, eine klare und 
nucleoproteidfreie Flüssigkeit zu bekommen. Dieser Nachtheil ist ein 
grosses Hinderniss für die allgemeine Anwendung in der Praxis. Da 
der ständige Fortschritt der Functionsprüfung des Darmes mittelst der 
Fäcesuntersuchung das Vorhandensein einer für die Praxis noch schneller 
und leichter ausführbaren Methode erwünscht macht, habe ich mich auf 
Anregung des Herrn Prof. Ad. Schmidt damit beschäftigt, mit Hülfe 
der Biuretreaction das gelöst vorhandene Eiweiss in den Fäces nach¬ 
zuweisen. 

Das Princip meiner Untersuchungsmethode besteht darin, dass man 
zunächst die Nucleoproteide im wässrigen Fäcesextract sich vollkommen 
niederschlagen lässt und das Hydrobilirubin möglichst daraus entfernt. 
Wenn man alsdann in das so behandelte Fäcesextract ein kleines Stück 
Kupfersulfatagar hineinwirft, quillt dieses nach gewisser Zeit auf und 
zieht die nucleoproteid- und hydrobilirubinfreie Flüssigkeit ein. Taucht 
man jetzt dieses Kupfersulfatagar in die Natronhydratlösung hinein, so 
wird in den Fällen, wo in den Fäces gelöstes Eiweiss enthalten ist, sich 
die Biuretreaction zeigen. 

Den durch Essigsäure fällbaren Eiweisskörper (Nucleoproteid) in 
dem Fäcesextract mit Sicherheit vollkommen auszufällen, ist sehr 
schwierig. Wie schon die früheren Forscher nachgewiesen haben, ist es 
selbst in dem klaren Filtrat ausserordentlich schwer, den richtigen Säure¬ 
gehalt, bei dem das Nucleoproteid vollkommen ausfällt, zu treffen. Denn 


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Ueber das Auftreten des gelösten Eiweisses in den Fäces Erwachsener etc. 457 


bei einem Ueberschuss von Essigsäure wird dieser Körper theilweise 
wieder gelöst. Nach meinen zahlreichen Versuchen erscheint es mir 
indess nicht so schwer, diesen Körper im nicht filtrirten Fäcesextract 
ausfallen zu lassen, wenn man die Reaction der Flüssigkeit genau prüft 
und dementsprechend Essigsäure hinzufügt. Bei saurer Reaction muss 
eine kleine, bei neutraler eine mittelgrosse, bei alkalischer eine grosse 
Menge Essigsäure verwendet werden. Die Endreaction muss immer 
mässig stark sauer sein. Ich habe häufig diese Flüssigkeit, zu der Essig¬ 
säure hinzugesetzt war, durch ein mit wenig Kieselguhr beschicktes 
doppeltes Faltenfilter filtrirt. Das klare Filtrat zeigte niemals Essig¬ 
säureniederschlag. 

Was nun das Hydrobilirubin anbelangt, so stört dasselbe nicht allein 
die Biurctreaction durch seine Farbe, sondern es wird diese Reaction, 
wie Salkowsky 1 ) zuerst an Urin und Fäces gezeigt und später Albu 
und Calvö 2 ) nachgeprüft haben, manchmal auch durch Hydrobilirubin 
selbst hervorgerufen. Obgleich die Fäces gewöhnlich sehr reich an 
Hydrobilirubin sind, so kommt doch diese Störung der Biurctreaction 
durch Hydrobilirubin keineswegs immer vor. Solche Fäces, welche trotz 
grossen Hydrobilirubingehaltes keine Biuretreaction geben, sind gar nicht 
so selten, wie es Salkowsky schon bei Harnen genau nachgewiesen hat. 

Bei der Entfernung des Hydrobilirubins aus der Flüssigkeit ist es 
wichtig, bevor man dieselbe mit Chloroform ausschüttelt, sie mit Alkohol 
zu versetzen. Denn nach Salkowsky nimmt das Chloroform ohne 
Alkohol nur äusserst wenig Farbstoff auf. Nach dieser Angabe habe ich 
auch zur Entfernung des Hydrobilirubins aus dem Fäcesextract Chloro¬ 
form und Alkohol gebraucht und damit den Körper soweit entfernt, dass 
er für gewöhnliche Untersuchungen ausser Betracht kommen konnte. 

Die Herstellung des Kupfersulfatagars wird folgenderraaassen aus¬ 
geführt: 

2 g Agar-Agar werden mit 100 ccm Wasser in einer Porcellan- 
schale gekocht, bis es ganz gelöst ist. Zu dieser dickflüssigen Lösung 
fügt man 10 ccm einer lOproc. Kupfersulfatlösung hinzu und rührt dann 
um. Hierauf giesst man sie sofort in mehrere Glasröhrchen über, die 
eine Länge von ungefähr 20—30 cm und einen Durchmesser von un¬ 
gefähr 0,8—1,0 cm haben. Diese Glasröhrchen sind vorher an dem 
einen Ende mit einem Kork verschlossen worden, während das andere 
Ende offen geblieben ist. Nachdem man nun die Lösung hineingegossen 
hat, verschliesst man auch das offene Ende mit einem Kork oder noch 
besser mit einem metallischen Deckel, um das Austrocknen zu verhüten. 
So konnte ich cs über ein halbes Jahr lang gut aufbewahren. Beim 
Gebrauch schiebt man den Kork auf der einen Seite des Glasröhrchens 
immer mehr in dasselbe hinein, sodass der erstarrte Kupfersulfatagar- 
cylinder auf der anderen Seite immer weiter hcrausgleitet und man be¬ 
liebig grosse Scheiben abscheiden kann. Bei meinen Versuchen hat sich 
ein ungefähr 1 cm langer Cylinder als geeignet erwiesen. 


1) Salkowsky, Berl. klin. Wochenschr. No. 17. 1897. 

2) Albu und Ca Ivo, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 52. H. 1 u. 2. 1904. 


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I. Tsuchiya, 


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Nun will ich zur Beschreibung meiner Untersuchungsmethode über¬ 
gehen. 

Eine taubeneigrosse Menge (etwa 5 g) der gut verriebenen ganzen 
Fäcesmasse wird unter Zusatz von Wasser nochmals verrieben und bis 
zu ziemlich dünnflüssiger Consistenz verdünnt. Von dieser Flüssigkeit 
thut man 10 ccm in einen kleinen Porcellanmörscr und prüft mit 
Lakmuspapier genau die Reaction derselben. Je nach der Stärke der 
Reaction lügt man mehr oder weniger lOproc. Eisessigalkohol (10 ccm 
Eisessig-f-90 ccm 95proc. Alkohol) hinzu, am besten folgendermaassen: 

Bei massig saurer Reaction.0,5 ccm 

„ schwach saurer oder neutraler Reaction . . . 1,0 „ 

„ schwach alkalischer Reaction . . . •. . . 1,5 „ 

„ stark alkalischer Reaction.2.0—2,5 „ 

Nach dem Zusatz von Eisessigalkohol wird die ganze Masse 
wiederum gut verrieben. Hierauf setzt man ca. 5 ccm Chloroform hinzu 
und verreibt zum dritten Male. Dann giesst man die ganze Flüssigkeit 
in ein Reagensglas und lässt sie stehen. Nach einigen Minuten sinken 
die groben Partikelchen des Fäcesextractes zusammen mit dem Chloro¬ 
form zu Boden, während sich eine meist hellgelbe, manchmal .schwach 
bräunlichgelbe, fein getrübte Flüssigkeit oben abscheidet. Diese fein ge¬ 
trübte Flüssigkeit giesst man in ein zweites Reagensglas und wirft ein 
Scheibchen Kupfersulfatagar hinein. Eine Stunde hierauf nimmt man 
dieses Scheibchen wieder heraus und wäscht es mit Wasser aus. Sind 
die wässrigen Fäcesauszüge reich an Eiweiss, so behält es zumeist seine 
schöne tiefblaue Farbe. In den Fällen jedoch, wo sie nur eine Spur 
oder gar kein Eiweiss enthalten, zeigt es eine etwas bräunlich-hellblaue 
Farbe. Nun schneidet man ein kleines Stück von dem Scheibchen ab 
und bringt dasselbe in ein Porcellanschälchen oder eine auf weissem 
Papier gelegene Glasschale. Ist in den Fäces gelöstes Eiweiss enthalten, 
so tritt auf Zusatz von verdünnter Natron- resp. Kalilauge am Rande 
des Scheibchens sofort, selten aber nach einigen Minuten eine schöne 
Biuretreaction auf. Meist zeigt die Biuretreaction hier eine hellviolette 
Farbe mit einem Stich ins Blaue. Den ganzen Versuch kann man in 
anderthalb Stunden vollenden. 

Was die Empfindlichkeit und klinische Brauchbarkeit meiner Methode 
anbelangt, ist es von Wichtigkeit, dass dieselbe bei normalen Fäces keine 
Reaction aufweist, während sie bei pathologischen Baces, in denen das 
gelöste Eiweiss durch andere genaue Methoden nachzuweisen ist, eine 
deutliche Reaction zeigt. 

Zur Ausführung dieser Controlle habe ich deshalb meine Unter¬ 
suchungen in folgender Weise ausgeführt: 

Die gesammten B'äces wurden unter langsamem Zusatz von Wasser 
verrieben und bis zur flüssigen Consistenz verdünnt. Hiervon wurden 
10 ccm zur Untersuchung nach meiner Methode gebraucht, während der 
Rest zunächst einige Stunden stehen gelassen, sodann filtrirt und zum 
Nachweis von gelöstem Eiweiss mittelst der Schlössraann’schen Modi- 
fication der Ury’schen Methode verwendet wurde. 


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Ueber das Auftreten des gelösten Eiweisscs in den Fäcos Erwachsener etc. 459 


Die Thatsaehe, dass gelöstes Eiweiss in den Fäces gesunder Er¬ 
wachsener nicht vorkommt, ist bereits vonUry, Simon, Albu, Calvo 
und Schiössmann festgestellt worden. Ich habe zwölf normale Stuhl¬ 
gänge von verschiedenen darmgesunden Patienten und gesunden In¬ 
dividuen untersucht. Sowohl die neue Methode, als auch die Schlöss- 
mann’sche Modification zeigten bei keinem derselben Spuren von Eiweiss. 
Selbst bei krankhaften Zuständen der Verdauungsorgane (Anacidität, 
Hyperacidität, Carcinoma ventriculi, Ulcus ventriculi, Gallenabschluss, 
Leberkrebs, Appendicitis, Invagination, Typhus abdominalis, Enteritis 
tuberculosa) trat, wenn die Fäces normal geformt waren, bei 
beiden Methoden keine Eiweissreaction auf. Nur eine Ausnahme gab 
es, bei der man auch in den geformten Fäces Spuren von gelöstem 
Eiweiss finden konnte: In den Fällen, wo vorher reichliches Eiweiss in 
den flüssigen Fäces enthalten war, waren manchmal auch in den ge¬ 
formten Fäces, die kurz nach der Besserung des Krankheitszustandes 
entleert waren, noch Spuren der Eiweissreaction vorhanden (s. Tabelle I, 
No. 25, 66, 79). 

Besonders möchte ich hier hervorheben, dass ich bei der Unter¬ 
suchung von 23 Stühlen der typischen intestinalen Gährungs- 
dyspepsie nur in einem Falle Eiweiss gefunden habe, während es 
Schiössmann fünfmal in 8 Fällen nachweisen konnte. In meinem 
einen Falle, wo diese hartnäckige Krankheit schon seit langer Zeit be¬ 
standen hatte, fand ich regelmässig in den weichen Entleerungen Eiweiss. 
Hierbei bemerkte ich auch zusammen mit Dr. Berger, dass das Eiweiss 
mehrere Tage hindurch nicht auftrat, wenn man dem Kranken ein anti¬ 
septisches Mittel gab und die erhebliche saure Gährung bis unter die 
normale Höhe herabsinken liess. Diese Thatsaehe kann man, wie schon 
Schlössraann bei seinen Fällen gethan hat, so erklären, dass durch 
die Gährungsproducte ein chemischer Reiz auf die Darmwand ausgeübt 
wird, der nicht nur die Beschleunigung der Peristaltik bewirkt, sondern 
sicherlich auch eine Transsudation von Serum hervorzurufen vermag. 

Ad. Schmidt 1 ) hat hervorgehoben, dass „die Untersuchung auf ge¬ 
löstes Eiweiss eigentlich nur bei diarrhöischen Stühlen in Betracht 
kommt und bei diesen nur dann, wenn die Frage zur Discussion steht, 
ob die zu Grunde liegende Störung rein functioneller Natur ist oder ob 
organische Veränderungen (Katarrhe, Geschwüre) angenommen werden 
müssen 44 . Nach dieser Angabe und nach meinen oben ausgeführten 
Resultaten, habe ich den Eiweissnachweis mittelst der Schlössmann- 
schen Modification und der neuen Methode hauptsächlich bei den diar- 
rhöischen Fäces ausgeführt. 

Die Resultate habe ich in folgender Tabelle zusammengestellt: 


1) Ad. Schmidt, Die Functionsprüfung des Darmes mittelst der Probekost. 
II. Aufl. S. 21. 


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460 


I. Tsuch iya, 


Tabelle 1. 


No. 

Datum 

1908 

Klinische 

Diagnose 

Consistenz 

des Stuhls 

Reaction 
des wässrigen 
Stuhl ex tracts 

Nucleo- 

proteid- 

gehalt 

c , 

O s 1 

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* « « o ö 
£ = « •« 

S C 

2 § 

« £ 
et - 
© e. 

f-s? 

1. 

20. 

6. 

Vorübergehende 

Darmstörungcn 

wässrig 

schw. alkalisch 

i reichlich 

— 

— 

2. 

10. 

7. 

Vorübergehende 
Darms törun gen 

wässrig 

schw. alkalisch 

wenig 

Spur 

+ 

3. 

11. 

7. 

Vorübergehende 

Darmstörungen 

wässrig 

schw. alkalisch 

mässig 


~ 

4. 

14. 

7. 

Vorübergehende 

Darmstörungcn 

wässrig 

schw. alkalisch 

mässig 



5. 

11. 

7. 

Vorübergehende 

Darmstörungen 

wässrig 

1 schw. alkalisch 

wenig 



6. 

16. 

7. 

Casus idem 

do. 

schw. sauer 

do. 

•— 

— 

7. 

11. 

7. 

Vorübergehende 

Darmstörungen 

wässrig 

schw. alkalisch 

wenig 

— 

— 

8. 

16. 

7. 

Casus idem 

do. 

neutral 

do. 

— 

— 

9. 

4. 

8. 

Nervöse Diarrhoe? 

wässrig 

schw. sauer 

wenig 

— 

— 

10. 

8. 

8. 

Vorübergehende 

Darmstörungen 

wässrig 

schw. alkalisch 

reichlich 



11. 

15. 

8. 

Nervöse Diarrhoe 

wässrig 

wässrig 

schw. alkalisch 

mässig 

— 

— 

12. 

27. 

6. 

Nephritis chron. 

schw. alkalisch 

wenig 

— 

— 

13. 

1. 

7. 

Casus idem 

do. 

do. 

mässig 

— 

— 

14. 

4. 

7. 

Casus idem 

do. 

do. 

do. 1 

— 

— 

15. 

1. 

8. 

Enteritis chron. 

wässrig 

1 schw. alkalisch ; 

reichlich 

— 

— 

16. 

3. 

8. 

Casus idem 

do. 

do. 

mässig 

— 

— 

17. 

6. 

8. 

Casus idem 

do. 

do. 

reichlich 

— 

— 

18. 

4. 

9. 

Vorübergehende 

Darmstörungen 

dünn breiig 

schw. alkalisch 

mässig 


— 

19. 

9. 

9. 

Enteritis chron. 

dünn breiig 

schw. alkalisch ; 

reichlich 

— 

— 

20. 

22. 

9. 

Vorübergehende 

Darmstörungen 

wässrig 

mässig alkalisch ; 

wenig 



21. 

27. 

9. 

Vorübergehende 

Darmstörungen 

wässrig 

stark alkalisch ! 

mässig 



22. 

25. 

6. 

Enteritis acuta 

wässrig 

schw. alkalisch 

mässig 

0,4 pM. 

+ 

23. 

26. 

6. 

Casus idem 

dünn breiig 

do. 

do. 

stark 

+ 

24. 

27. 

6. 

Casus idem 

do. 

do. 

do. 

schwach 

+ 

25. 

4. 

7 

Casus idem 

weich geformt 

do. 

reichlich 

Spur 

+ 

26. 

3. 

7. 

Enteritis acuta 

wässrig 

stark alkalisch 

reichlich 

mässig 

+ 

27. 

13. 

7. 

Enteritis acuta 

wässrig 

stark alkalisch 

mässig 

Spur 

+ 

28. 

7. 

7. 

Enteritis chron. 

wässrig 

schw. alkalisch 

wenig 

schwach 

+ 

29. 

8. 

7. 

Enteritis acuta 

wässrig 

schw. alkalisch 

reichlich 

2 pM. 

+ 

30. 

9. 

7. 

Casus idem 

do. 

do. 

do. 

1,5 pM. 

+ 

31. 

11. 

7. 

Casus idem 

breiig 

do. 

mässig 

— 

— 

32. 

21. 

7. 

Enteritis acuta 

w ei cli 

schw. alkalisch 

wenig 

schwach 

+ 

33. 

23. 

7. 

Casus idem 

do. 

neutral 

Spur 

— 

— 

34. 

23. 

7. 

Gastroenter. acut. 

wässrig 

schw. sauer 

Spur 

■ Spur 

+ 

35. 

28. 

7. 

Enteritis acuta 

wässrig- 

schw. alkalisch 

mässig 

mässig 

+ 

36. 

8. 

8. 

Gastroenter. acut. 

wässrig 

schw. alkalisch 

reichlich 

4 pM. 

+ 

37. 

12. 

8. 

Casus idem 

weich 

do. 

do. 

Spur 

+ 

38. 

14. 

8. 

Casus idem 

geformt 

do. 

do. 

— 

— 

39. 

4. 

8. 

Enteritis acuta 

wässrig 

schw. alkalisch 

reichlich 

Spur 

+ 

40. 

13. 

8. 

Casus idem 

geformt 

do. 

do. 

— 

— 

41. 

13. 

8. 

Enteritis acuta 

wässrig 

schw. alkalisch 

wenig 

Spur 

+ 

42. 

15. 

8. 

Casus idem 

do. 

do. 

do. 

0,2 pM. 

+ 

43. 

23. 

8. 

Casus idem 

weich 

do. 

Spur 

— 

— 

44. 

4. 

9. 

Gastroenter. acut. 

wässrig 

mässig alkalisch 

reichlich 

0,2 pM. 

+ 

45. 

9. 

9. 

Casus idem 

weich 

schw. alkalisch 

mässig 

Spur 

+ 

46. 

13. 

9. 

Casus idem 

geformt 

do. 

reichlich 

— 

— 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Heber das Auftreten des gelösten Eiweisses in den Eäces Erwachsener etc. 461 


No. 

Datum 

1908 

Klinische 

Diagnose 

Consistcnz 

des Stuhls 

Reaction 
des wässrigen 
Stuhl ex tracts 

Nucleo- 

proteid- 

gehalt 

a . 

.2 ö . 

1 * o 

S S s» 

j--S o 

rsg. 2 

® 'S ja ja * 

£ to t> o « 

S 73 W«Ö 

W 

Eiweissreaction 
nach d. neuen 1 
Methode 

47. 

6.10. 

Gastroenter. acut. 

dünn breiig 

neutral 

wenig 

0,8 pM. 

+ 

48. 

8.10. 

Casus idem 

do. 

do. 

do. 

1,2 pM. 

4- 

49. 

22. 6. 

Darmtuberkulose 

wässrig 

mässig alkalisch 

mässig 

0,8 pM. 

+ 

50. 

26. 6. 

Casus idem 

do. 

do. 

wenig 

0,6 pM. 

+ 

51. 

8. 7. 

Darmtuberkulose 

wässrig 

stark alkalisch 

wenig 

0,2 pM. 

-fr- 

52. 

16. 7. 

Casus idem 

dünn breiig 

mässig alkalisch 

do. 

Spur 

+ 

53. 

16. 7. 

Darmtuberkulose 

wässrig 

stark alkalisch 

mässig 

Spur 

+ 

54. 

31. 7. 

Casus idem 

do. 

do. 

reichlich 

mässig 

+ 

55. 

1. 8. 

Darm tuberkulöse 

breiig 

mässig alkalisch 

reichlich 

schwach 

+ 

56. 

4. 8. 

Casus idem 

geformt 

do. 

wenig 

— 


57. 

28. 7. 

Darmtuberkulose 

wässrig 

mässig alkalisch 

mässig 

0,4 pM. 

+ 

58. 

4. 8. 

Casus idem 

weich 

neutral 

Spur 

schwach 

+ 

59. 

11. 8. 

Darmtuberkulose 

wässrig j 

mässig alkalisch 

reichlich 

4 pM. 

-t- 

60. 

16. 8. 

Casus idem 

do. 

schw. alkalisch 

do. 

2,8 pM. 

+ 

61. 

25. 8. 

Casus idem 

weich 

do. 

do. 

0,8 pM. 

+ 

62. 

13. 9. 

Darmtuberkulose 

wässrig 

wässrig 

schw. alkalisch 

wenig 

0,3 pM. 

+ 

63. 

18. 9. 

Darm tuberkulöse 

schw. alkalisch 

reichlich 

3 pM. 

+ 

64. 

5. 7. 

Typhus abdom. 

dünn breiig 

stark alkalisch 

reichlich 

mässig 

+ 

65. 

7. 7. 

Casus idem 

breiig 

' do. 

do. 

mässig 

+ 

66. 

9. 7. 

Casus idem 

weich geformt 

schw. alkalisch 

mässig 

Spur 

+ 

67. 

21. 8. 

Typhus abdom. 

wässrig 

schw. alkalisch 

reichlich 

1,4 pM. 

+ 

68. 

8. 9. 

Casus idem 

weich 

do. 

mässig 

schwach 

+ 

69. 

1. 9. 

Typhus abdom. 

wässrig 

mässig alkalisch 

reichlich 

1 pM. 

+ 

70. 

17. 8. 

Colitis chron. 

wässrig 
wässrig I 

schw. alkalisch 

reichlich 

Spur 

+ 

71. 

3. 8. 

Peritonitis acuta 

schw. alkalisch 

reichlich 

0,4 pM. 

+ 

72. 

4. 8. 

Casus idem 

do. 

do. 

do. 

0,3 pM. 

+ 

73. 

2. 7. 

Amyloiddarm 

wässrig 

schw. alkalisch 

wenig 

1,4 pM. 

+ 

74. 

9. 7. 

Casus idem 

do. 

do. 

do. 

1,2 pM. 

+ 

75. 

12. 7. 

Casus idem 

weich 

do. 

do. 

mässig 

+ 

76. 

16. 7. 

Perniciöse Anämie 

weich 

schw. alkalisch 

mässig 

Spur 

+ 

77. 

27. 7. 

Casus idem 

dünn breiig 
wässrig 

do. 

do. 

schwach 

+ 

78. 

1. 7. 

Taenia mit 
Enteritis acuta 

schw. alkalisch 

reichlich 

schwach 

+ 

79. 

12. 7. 

Casus idem 

geformt 

do. 

do. 

Spur 

+ 

80 

17. 8. 

Invagination 

wässrig 

schw. alkalisch | 

Spur 

4 pM. 

+ 


Aus dieser Tabelle geht hervor, dass die neue Methode ein mit der 
Schlössmann’schen Modification der Ury’schen Methode ganz überein¬ 
stimmendes Resultat erzielen konnte. loh habe den Farbengrad der 
neuen Methode nicht besonders angegeben. Man wird jedoch, wenn man 
sich etwas mit derselben beschäftigt, sehr bald im Stande sein, mit 
Hülfe der Intensität der Farbenreaction den approximativen Eiweissgehalt 
zu schätzen. 

Zur quantitativen Bestimmung des Eiweissgehaltes in den mit Kiesel- 
guhr filtrirten Fäcesextracten habe ich mein Albuminimeter 1 ) benutzt, 
nachdem ich die Flüssigkeit auf das zwei- oder dreifache verdünnt hatte, 
um ein specifisches Gewicht von 1006—1008 zu erreichen. Die 
Esbach’schen Röhrchen waren für die Bestimmung einer so geringen 
Eiweissmenge, wie sie in dem wässrigen Fäcesextract vorhanden ist, 
nicht geeignet und das Esbach'sehe Reagens erzeugte oft selbst bei 


1) Tsucbiya, Centralbl. f. inn. Med. No. 24. 1908. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 3Q 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



462 


I. Tsuchiya, 


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etwas höherem Eiweissgehalt nur starke Trübung, jedoch keinen Nieder¬ 
schlag, wie cs beim Urin manchmal der Fall ist. Mein Reagens 
(alkoholische Phosphorwolframsäurelösung) dagegen versagte niemals. 
Die mit meinem Albuminimeter bestimmte Eiweissmenge stimmte bei 
den Untersuchungen, die ich ausgeführt habe, ungefähr mit der mittelst 
des WägungsVerfahrens festgestellten Eiweissraenge überein, zum Beispiel: 


No. aus Eiwoissgehalt mit meinem Eiweissgehalt durch 

Tabelle I. Albuminimeter bestimmt Wägung bestimmt 


60 2,8 pCt. 2,95 pCt. 

67 1,4 „ 1,2 „ 

Es ist jedoch unmöglich, die Fäces immer zu einer bestimmten 
dünnflüssigen Consistenz zu verdünnen. Bei mehrmaliger Untersuchung 
derselben Fäces wird man daher immer von einander abweichende 
Resultate bekommen. Deshalb hat es auch keinen grossen Zweck, den 
Eiweissgehalt der Fäces quantitativ genau zu bestimmen. 

Zwischen der Reaction und dem Nucleoproteidgehalt des wässrigen 
Fäcesextractes findet man keinen bestimmten Zusammenhang. So trat 
bei gleicher Reaction in einem Falle ein sehr starker, in einem anderen 
ein sehr schwacher Essigsäureniederschlag auf. Im allgemeinen jedoch 
findet man, dass in dem alkalischen Fäcesextract mehr Nucleoproteid 
enthalten ist als in dem sauren, weil dasselbe die Eigenschaft besitzt, 
sich in alkalischer Flüssigkeit leichter zu lösen. 

Was das Vorkommen von gelöstem Eiweiss bei den verschiedenen 
mit diarrhöischen Fäces einhergehenden Krankheiten anbetrifft, so habe 
ich die Resultate meiner Untersuchungen in folgender Uebersichtstabelle 
zusammengestellt: 


Tabelle II. 


Diagnose 

u 

o 

T3 

Jm 43 

i-O O 

3 

Positive Eiweissreactionen 

Ö 

o 

Om® 

> K 

Anzah 

Fälle 

Anzah 

unter 

Fäces 

Spur 

Mittelstarke 

Trübung 

Nieder¬ 

schlag 

43 O ^ 

ci te 2 

bc.r: g 
<u M 2 

2 

Vorübergebende Darm¬ 
störungen . 

10 

12 

1 ' 



11 

Nervöse Diarrhoe . . . 

2 

2 

— 

— 

— 

2 

Enteritis acuta. . . . 

9 

18 

5 

5 

5 

3 

Enteritis chronica. . . 

3 

5 

— 

1 

— 

4 

Gastroenteritis acuta. . 

4 

7 

3 

— 

4 

— 

Darmtuberkulose . . . 

8 

14 

2 

3 

9 

— 

Typhus abdominalis . . 

3 

6 

1 

3 

2 

— 

Colitis chronica . . . 

1 

1 

1 

— 

— 

— 

Amyloiddarm .... 

1 

3 

— 

1 

2 

— 

Invagination. 

1 

1 

— 

— 

1 

— 

Peritonitis acuta . . . 

1 

2 

— 

— 

2 

— 

Fern iciösc Anämie . . 

1 

2 

1 

! i 

i ' 

— 

Nephritis chronica . . 

1 

3 

— 



3 


Aus der Tabelle geht hervor, dass die Eiweissreaction keineswegs 
bei allen diarrhöischen Fäces auftritt. Bei vorübergehenden Darm¬ 
störungen, die durch Diätfehler etc. verursacht waren und nach ein- bis 
zweimaligen diarrhöischen Entleerungen von selbst wieder ausheilten, 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 






Ueber das Auftreteu des gelösten Eiweisses in den Fäces Erwachsener etc. 463 


ferner bei der nervösen Diarrhoe und der chronischen Nephritis, deren 
Diarrhoe man als toxische bezeichnen kann, habe ich, selbst bei ausser¬ 
ordentlich dünnflüssigen Fäces, kein Eiweiss nachweisen können. Aus¬ 
nahmsweise trat einmal in einem Fall von vorübergehenden Darm¬ 
störungen die Eiweissreaction auf. Da jedoch hier den Fäces ziemlich 
reichlicher Schleim beigemengt war, so ist dies nicht zu verwundern. 
Bei den übrigen Krankheiten, bei denen entweder Geschwüre oder heftige 
Katarrhe bestanden, konnte ich fast in allen diarrhöischen Fäces Eiweiss 
mit Sicherheit nachweisen. Bei der chronischen Enteritis war dies jedoch 
nicht immer der Fall. 

Die stärkste Eiweissausschoidung kam bei Enteritis acuta, Gastro¬ 
enteritis, Darmtuberkulose, Typhus abdominalis, Amyloiddarm, Invagination 
und Peritonitis acuta vor. In diesen Fällen waren in den Fäces oft 
grosse Mengen gewöhnlichen Schleimes vorhanden. Wie Ad. Schmidt 1 ) 
zuerst gezeigt hat, war derselbe manchmal aber sehr fein zersetzt und 
dem Stuhl auf das Innigste beigemischt. 

Der Eiweissgehalt der diarrhöischen Entleerungen nahm im All¬ 
gemeinen mit der fortschreitenden Besserung des Krankheitszustandes ab, 
und für gewöhnlich konnte man in den kurz nach der Besserung ent¬ 
leerten Fäces kein Eiweiss mehr Anden. In einigen Fällen jedoch, wo 
die Darmstörungen ziemlich schwer und der Eiweissgehalt der Fäces 
hochgradig gewesen waren, habe ich, wie ich schon oben angegeben 
habe, auch noch in den geformten Fäces Spuren von Eiweiss nach¬ 
gewiesen. 

Da Ury, Schiössmann und Ad. Schmidt nachgewiesen haben, 
dass gelöstes Eiweiss in den Fäces Erwachsener fast immer nur von der 
Darmwand selbst transsudirtes Serum ist und nicht von Nahrungsresten 
abstammt, habe ich meine Untersuchungen nicht nach dieser Richtung 
ausgedehnt. 

Ich hatte auch Gelegenheit, künstlich durch Arzneien hervorgerufene 
diarrhöische Entleerungen zu untersuchen. Da bis jetzt in der Literatur 
nichts über das gelöste Eiweiss solcher Fäces erwähnt worden ist, 
möchte ich mich hier, trotzdem meine Untersuchungen in diesen Fällen 
nur unvollkommen genannt werden können, ganz kurz darüber auslassen. 

Die verschiedenen Abführmittel wurden den Individuen verabreicht, 
nachdem ich vorher einmal die Fäces derselben auf ihren Eiweissgehalt 
untersucht hatte. Die Untersuchungen wurden wie bei den obigen 
pathologischen Diarrhoen ausgeführt. 

Die Tabelle III (S. 464) zeigt, dass es wie bei den pathologischen 
Diarrhoen, auch bei den durch Abführmittel erzeugten diarrhöischen Ent¬ 
leerungen keinen innigen Zusammenhang zwischen Consistenz, Reaction, 
Nucleoproteid- und Eiweissgehalt gibt. Der Nucleoproteidgehalt war 
jedoch hier bei den wässrigen Fäces ziemlich deutlich gesteigert. 

Die Eiweissreaction bei den durch Abführmittel hervorgerufenen 
Entleerungen ging in ihrer Intensität mit der Stärke der Reizwirkung 
der Mittel auf die Darmwand parallel. Durch Calomel erzeugte diar- 


1) Schmidt, Fäces des Menschen. 1905. S. 139. 

30* 


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Original fro-m 

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464 


I. Tsuchiya, 


Tabelle 111. 


No. 

Datum 

1908 

Klinische 

Diagnose 

Abführ¬ 

mittel 

Consistenz 

des Stuhls , 

Reaction des 
wässrigen 
Stuhlextracts 

1 

i 

Nuclco- 

proteid- 

gehalt 

Ui 
rf i*i 

•r* .= © •* 

W •= JS, * 
k et © o v 

1 

1. 

9. 3. 

Intestinale 
Gährungs- 
dyspepsie + 
Darmkatarrh 

0 

weich 

nicht unter¬ 
sucht | 

Spur 

0,4 pM. 

! 

nicht 

unter¬ 

sucht 

2. 

10. 3. 

Casus idem 

Calomel 0,3 

dünn breiig 

do. 

reichlich 

0,7 pM. 

do. 

3. 

12. 3. 

Casus idem 

0 

weich 

do. 

wenig 

0,4 pM. 

do. 

4. 

14. 3. 

Casus idem 

Calomel 0,3 

dünn breiig 

do. 

reichlich 

0,9 pM. 

do. 

5. 

20. 3. 

Gesund 

Calomel 0,2 

wässrig 

do. 

wenig 

0,5 pM. , 

do. 

6. 

27. 3. 

Gesund 

Calomel 0,3 

wässrig 

do. 

reichlich 

0,5 pM. 

do. 

7. 

7. 9. 

Achylia gastr. 

Calomel 0,2 

breiig 

schw. alkal. 

massig 

0,4 pM. 

— 

8. 

9. 9. 

Casus idem 

Calomel 0,1 

weich 

do. 

reichlich 

0,3 pM. 1 

— 

9. 

13. 9. 

Casus idem 

Calomel 0,2 

weich 

do. 

massig 

0,6 pM. 

T 

10. 

21. 6. 

Verstopfung 

01. Ricini 

2 Esslöffel 

wässrig 

schw. alkal. 

i 

reichlich 

Spur , 


11. 

23. 6. 

Gesund 

01. Ricini 

2 Esslöffel 

wässrig 

schw. alkal. 

j 

mässig | 

| Spur * 

+ 

12. 

27. 6. 

Verstopfung 

01. Ricini 

2 Esslöffel 

wässrig 

neutral 

' mässig 

Spur 


13. 

6. 7. 

Verstopfung 

01. Ricini 

2 Esslöffel 

wässrig 

schw. alkal. 

■ reichlich 

I 

| Spur 

T 

14. 

24. 7. 

Gesund 

Ol. Ricini 

2 Esslöffel 

wässrig 

1 schw. alkal. 

! reichlich 

! 

1 Spur 

T 

15. 

30. 6. 

Gesund 

Bitterwasser 

1 Tasse 

wässrig 

neutral 

reichlich 



16. 

18. 7. 

Gesund 

Carlsbadersalz 
1 Esslöffel 

wässrig 

j schw. alkal. 

massig 



17. 

19. 9. 

Duodcnal- 

katarrh 

Mag. sulf. 15,0 
Bitterwasser 

weich 

1 neutral 

i 

wenig 

1 

— 

18. 

1. 10. 

Habituelle 

Verstopfung 

Mag. sulf. 20,0 
Bitterwasser 

dünn breiig 

i schw. alkal. 

wenig 

i 

i 

- 

19. 

9. 10. 

Casus idem 

Calomel 0,2 

norm, geformt 

! schw\ alkal. 

Spur 


| — 

20. 

16. 10. 

Casus idem 

Calomel 0,3 

2 mal 

dünn breiig 

| do. 

1 

i 

; reichlich 

! 1,6 pM. 

1 



rhöische Stühle enthielten bei weicher Consistenz, nicht aber bei ge¬ 
formter (No. 19) stets ziemlich reichlichen Schleim und gaben immer 
eine starke Eiweissreaction. Ricinusöl, dessen Reizwirkung auf die Darm¬ 
wand bedeutend schwächer ist, erzeugt immer nur Spuren der Eiweiss¬ 
reaction. Bei Darreichung von Magnesium sulfuricum, Carls badersalz 
und Bitterwasser konnte ich kein gelöstes Eiweiss in den Fäces con- 
statiren. 


Zum Schluss sei mir gestattet, die Resultate meiner Untersuchungen 
kurz zusammenzufassen: 

1. Da meine Methode einerseits ebenso genau ist wie die Sch lös s- 
mann’sche Modification der Ury’schen Methode, andererseits viele Zeit 
durch dieselbe erspart werden kann, so lässt sie sich für practisch- 
klinische Zwecke empfehlen. Die Nachtheile, dass durch meine Methode 
der Eiweissgehalt quantitativ nicht genau und der Nuoleoproteidgehalt 
überhaupt nicht bestimmt werden kann, kommen nicht in Betracht, da 


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Ueber das Auftreten des gelösten Eiweisses in don Fäces Erwachsener etc. 4(>5 

Beides sowohl nach den früheren Forschern, als auch nach meinen 
Resultaten practisch nicht berücksichtigt zu werden braucht. 

2. Gelöstes Eiweiss kommt für gewöhnlich nur in den diarrhöischen 
Entleerungen, sehr selten auch in den geformten Fäces vor. Constatirt 
man das Auftreten desselben, so kann man annehraen, dass eine Trans¬ 
sudation von Serum durch die Schleimhaut des Darmes hierdurch statt¬ 
findet (Ad. Schmidt). 

3. Die mittelst der Abführmittel entleerten diarrhöischen Fäces ent¬ 
halten Eiweiss, je nach der Stärke des Reizes, der auf die Darmwand 
ausgeübt wird. 


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XXXVI. 


Aus der IL medicinischen Klinik der Kgl. Charite. 

Die Beeinflussung der Darmresorption durch den Abschluss 

des Pankreassaftes, 

nebst anatomischen Untersuchungen über die Histologie des Pankreas 
nach Unterbindung seiner Gänge beim Hunde. 

Von 

Dr. Albert Niemann. 

Seit Claude Bernard ist die Frage, welche Folgen der Abschluss 
des Pankreassaftes vom Darm beim Hunde hat, vielfach experimentell 
zu beantworten versucht worden; man kann aber trotzdem nicht sagen, 
dass es bis jetzt gelungen sei, sie völlig zu entscheiden. Es soll hier 
nicht die ganze, über diesen Gegenstand erschienene Litteratur aufgerollt, 
sondern nur auf die wichtigsten Arbeiten hingewiesen werden. 

Das Pankreas des Hundes besitzt, wie wir hier voranschicken wollen, 
meist mehr als einen, gewöhnlich 2, oft sogar 3—4 Ausführungsgänge, 
deren Auffindung zum Zwecke der Unterbindung mitunter recht schwierig 
ist. Als erster hat Rosenberg auf diese für die Operation wichtige 
Thatsache hingewiesen 1 ). In neuester Zeit haben Hess 2 ) und Sinn 3 ) 
über die Anatomie der Pankreasgänge und die anatomischen Folgen ihrer 
Unterbindung einwandfreie Untersuchungen angestellt, deren Ergebnisse 
Hess folgendermaassen zusammenfasst: 

„Das Hundepankreas besitzt für gewöhnlich 3 Ausführungsgänge: 
1. den „Hauptgang“, der aus 2 starken Aesten entsteht und das Haupt¬ 
kanalsystem der Drüse darstellt, 2. den „Nebengang“, der weiter auf¬ 
wärts mit dem Ductus choledochus zusammen mündet und 3. einen 
„mittleren“, zwischen beiden mündenden, ziemlich starken Gang. Sehr 
häufig communiciren Gang 2 und 3 mit dem Hauptkanalsystem. Mit¬ 
unter entspringt aus der Pars descendens des Pankreas noch ein vierter 
Gang. Variationen in Zahl, Weite und Anordnung der Gänge sind häufig. ü 

Bezüglich der Unterbindung der Pankreasgänge beim Hunde sagt 
Hess: 1. Es gelingt in einer Anzahl von Fällen, bei der Operation 
3 Ausführungsgänge aufzufinden, zu unterbinden und zu durchschneiden. 

1) Pflüger’s Archiv. Bd. 70. 

2) Pflüger’s Archiv. Bd. 118; ferner Naturwissensch. Arch. Bd. I. 

3) Dissert. Marburg 1907. 


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Beeinflussung der Darmresorption durch den Abschluss des Pankreassaftes etc. 467 


2. Die genaue Untersuchung des Pankreas nach dem Tode der operirten 
Thiere (Präparirung, Injection, Serienschnitte des gehärteten Organs) 
liefert den Beweis, dass es trotz sorgfältigster Operation und auch bei 
Kenntniss der Thatsache, dass das Pankreas mehr als 2 Ausführungs¬ 
gänge besitzen kann, nur in wenigen Fällen gelingt, alle Gänge zu 
unterbinden und damit einen völligen Abschluss des Pankreassecretes 
vom Darme zu erreichen. 3. Unterbindung aller Ausführungsgänge führt 
zu Störungen der Fettresorption und zu totaler Sklerose des Pankreas¬ 
gewebes; entgeht ein Gang der Unterbindung, so hängt es von der 
Weite dieses Ganges und seiner Communication mit dem Hauptkanal- 
systera ab, ob die Sklerose ganz oder theilweise ausbleibt. u 

Abgesehen von älteren Untersuchungen (Hedon 1892 1 2 ), de Dominicis 
1896 2 ) kam Ugo Lombroso 3 ) nach Unterbindungsversuchen am Hunde¬ 
pankreas zu dem Schlüsse, dass die Unterbindung und Durchschneidung 
der Ausführungsgänge nicht durchaus zur Atrophie und Sklerose des 
Organs zu führen braucht, wenngleich man theilweise derartigen Er¬ 
scheinungen begegnen kann. 

Die oben erwähnten exacten Versuche Hess’ und seiner Schüler 
scheinen diese Beobachtungen zu widerlegen, indessen werde ich auf 
Grund eigener Versuche diese Frage weiter unten noch ausführlich dis- 
cutieren. 

Aus der Schwierigkeit der Unterbindung der Pankreasgänge und 
besonders aus dem Umstande, dass bei der Operation leicht ein Gang 
übersehen werden kann, ergiebt sich, dass cs schwer ist, in ein wands¬ 
freier Weise die Resorptionsverhältnisse des Darmes nach Abschluss des 
Pankreassaftes zu prüfen. 

So fand z. B. Rosenberg, nachdem er bei einem Hunde zunächst 
2 Gänge unterbunden hatte, die Fettausnützung herabgesetzt auf 86,23 pCt.; 
diese Herabsetzung glich sich in einer längeren Reihe von Ausnutzungs¬ 
versuchen langsam wieder aus (92,68 pCt., 96,19 pCt., 94,99 pCt., 
96,89 pCt., 97,1 pCt., 97,49 pCt., 98,95 pCt., 96,99 pCt.). Nunmehr 
wurde ein dritter Gang unterbunden, wodurch sich die Ausnutzung nicht 
wesentlich verschlechterte (94,11 pCt., später 98,31 pCt. und 98,19 pCt.). 
Bei einer nochmaligen Laparotomie wurde der nach der Milz hinziehende 
Ast des Pankreas auch jetzt noch von normalem Aussehen und normaler 
Consistenz befunden, woraus Rosen berg schloss, dass ein das Secret 
dieses Driisentheiles abführender Gang immer noch vorhanden sein musste. 

Bei einem anderen Versuchshunde unterband Rosenberg alle Gänge, 
indem er das Pankreas mittels einer Hohlsonde stumpf vom Duodenum 
abdrängte, sodass er alle zwischen Pankreas und Darm sich ausspannenden 
Gefässe und Gänge übersehen konnte; alle diese Gefässe und Gänge 
wurden dann doppelt unterbunden und durchschnitten unter Erhaltung 
der Arteria und Vena pancreatico-duodenalis. Bei der ca. 3 / 4 Jahre 
später erfolgten Section zeigte sich das Pankreas vollkommen sklerosirt. 


1) Arch. de m6dec. expdriment. 1892. 

2) Att. R. Accademia Medico-Chirurgica, Napoli 1898. 

3) Compt. rend. de la soc. biol. 1904. 


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468 


A. Niemanti, 


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Die Resultate der Ausnutzungsversuche, welche mit einer Fleisch-Schmalz¬ 
oder Fleisch-Reis-Kost angestellt wurden, seien in folgender Tabelle 
Rosenberg’s wiedergegeben: 


No. des 

Ausnutzung in pCt. 

Bemerkungen 

Versuchs 



N 

Fett 


1 . 

82,35 

95,31 


2. 

83,00 

90,10 


3. 

80,54 

85,22 


4. 

74,76 ! 

90,06 


5. 

59,44 

94,20 

Milchdiät. 

G. 

82,04 

90,80 


7. 

74,20 

82,83 


8. 

78,46 

75,29 


9. 

66,28 

82,62 


10. 

65,47 

73,09 


11. 

67,45 

88,18 


12. 

64,90 

64,16 


13. 

28,69 

84,16 

Milchdiät. 

14. 

67,38 

75,71 


15. 

67,85 

75,57 


16. 

17. 

51,04 

65,09 

23,55 

62,45 

J der Hund ist krank. 


Abgesehen von den beiden letzten Versuchstagen, an denen der 
Hund krank war und die deshalb für die Untersuchung nicht in Betracht 
kommen, lässt sich bei allen Versuchen eine deutliche Herabsetzung der 
Resorption feststellen; der N, den ein gesundes Thier zu mehr als 90 pCt. 
verwerthet, wurde hier im günstigsten Falle nur zu 83 pCt. ausgenutzt, 
und im Laufe der Zeit sank die Resorptionsgrösse sogar zu einigen 
60 pCt. herab. Etwas günstiger gestaltete sich die Resorption des 
Fettes, die zum Teil eine normale oder doch von der Norm nicht wesent¬ 
lich abweichende war; später gingen allerdings auch hier die Resorptions¬ 
grössen zurück. An den Tagen der Milchdiät — der Milch-N wird 
beim Hunde an sich schlechter ausgenutzt als der Fleisch-N — liegen 
die Resorptionszahlen noch tiefer wie an den Fleischtagen, dagegen sind 
die Resorptionszahlen für Fett bei der Milchdiät relativ hohe. 

Dieser Versuch Rosenberg’s ist allerdings nicht voll beweisend für 
die Beurtheilung der Frage, welche Folgen der Abschluss des Pankreas¬ 
saftes vom Darme hat; denn abgesehen von der Unterbindung seiner 
Ausführungsgänge musste das Pankreas auch schon deshalb atrophieren, 
weil die zur Arteria und Vena panereatico-duodenalis führenden Gefässe 
abgebunden worden waren. Der Versuch besagt, ebenso wie die übrigen 
Versuche Rosenberg’s, nur, dass, wenn nach Abschluss des Pankreas¬ 
saftes die Drüse einer langsamen Degeneration verfällt, diese Atrophie 
zunächst nur eine geringe Störung der N-Ausnutzung zur Folge hat, 
während die Fettresorption eine Zeit lang noch normal oder doch an¬ 
nähernd normal bleibt und erst nach mehr oder weniger langer Zeit 
gleichzeitig mit einem weiteren Sinken der N-Resorption geschädigt wird. 

Ebenfalls nicht durchaus beweisend sind die Versuche von Lom- 


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Beeinflussung der Darmresorption durch den Abschluss des Pankreassaftes etc. 469 


broso 1 ), da es nicht unwahrscheinlich ist, dass in einem Theil seiner 
Fälle die Unterbindung der Pankreasgänge keine vollständige war. Nach¬ 
stehend seien die von ihm gefundenen Werthe wiedergegeben: 

Hund I, Gew. 7800 g, operirt am 1. 7. 03. 

Versuch vom 4.— 8. 7.: Fettverlust im Koth 78,8 pCt. 

» >, 8.-12. 7.: „ „ „ 46,2 „ 

ti * 12.-16. 7.: „ „ „ 22,1 „ 

Hund II, Gew. 7450 g, operirt am 28. 8. 03. 

Versuch vom 4.—10. 9.: Fettverlust im Koth 15,7 pCt. 

n n 10. 14. 9.: „ n n 8,1 „ 

Hund III, Gew. 9100 g, operirt am 27. 1. 04. 

Versuch vom 28. 1.—7. 2.: Fettverlust im Koth 24,2 pCt. 

„ „ 7.—17. 2.: „ „ „ 14,5 „ 

Jedenfalls sind die Fettverluste bei diesen Unterbindungsversuchen 
keine hochgradigen, wenn man von Hund I absieht, bei dem möglicher¬ 
weise eine nicht näher zu erklärende Störung (Peritonitis) die auffällig 
schlechte Fettausnutzung in den ersten Tagen bewirkt hat. 

Von den neuesten Untersuchungen seien hier schliesslich noch die 
von Hess 2 ) und seinen Mitarbeitern Sinn 3 ) und Happel 4 ) gefundenen 
Werthe angeführt, die auf Grund ganz exacter Unterbindungsversuche 
gewonnen worden sind. 


o Ja 

T3 § 

. ca 

O £ 

Zahl und Lage 
der bei der Operation 
unterbundenen 
Gänge 

Ausnutzung 
in pCt. von 

Verhalten des Pankreas 


N 

Fett 


7. 

2 (Haupt- und 
Nebengang) 

97,69 

98,55 

Pankreas härter wie normal. 

8. 

1 (Hauptgang) 

97,9 

98,0 

unverändert. 

9. 

3 (2 Gänge an der 
Papilla major u. 

1 Nebengang) 

97,7 

98,7 

Pankreas sklerosirt ausser der Pars 
descendens. 

10. 

2 (Haupt- und 
Nebengang) 

96,8 

98,0 

Pankreas sklerosirt bis auf eine 5: 2,5 cm 
grosse, hinten am Duodenum liegende 
Partie, das Abflussgebiet des mittl. Ganges. 

11. 

2 (Haupt- und 
NebengaDg) 

87,5 

95,9 

Pankreas nur in der Nähe des Darmes 
mässig sklerosirt. 

12. 

1 (Hauptgang) 

78,7 

89,9 

Pankreas derb sklerosirt bis auf den etwas 
weicheren äussersten Theil d. Pars horizont. 

13. 

2 (Hauptgang und 
mittlerer Gang) 

42,0 

48,4 

Pankreas derb sklerosirt bis auf ein ganz 
kleines weicheres Stück der Pars lienalis. 

14. 

3 (Hauptgang, 
NebengaDg, 
mittlerer Gang) 

54,68 

4,73 

Totale Sklerose. 


1) Comptes rendus de la sooit$t4 do Biologie de Paris, März 1904. 

2) Naturwissenschaft!. Archiv. Bd. I. 

3) 1. c. 

4) Dissertation. Marburg 1906. 


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470 


A. Niemann, 


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Fall 13 muss aus der Beurtheilung ausscheiden, da der Hund an 
Enteritis und Pleuritis purulenta duplex erkrankt war. Unter den 
übrigen Versuchen steht Fall 14 in auffallendem Gegensatz zu den 
anderen Fällen 7—12. 

Fall 14 zeigt eine ausserordentlich schlechte Resorption, ähnlich 
wie man sie nach totaler Pankreasexstirpation findet. Da in diesem 
Falle sicher alle Gänge unterbunden waren, was mit gleicher Sicherheit 
von den Fällen 7—12 nicht behauptet werden kann, so scheint aller¬ 
dings der Schluss naheliegend, dass vollständiger Abschluss des 
Pankreassaftes vom Darm erhebliche Störungen der Darmresorption zur 
Folge hat, während eine solche hochgradige Störung unterbleibt, wenn 
auch nur ein kleiner Gang noch frei mit dem Darme communicirt. 

Hess schliesst selbst: „Es sind demnach auch kleinere Theile des 
Pankreas im Stande, eine zur Ausnutzung der Nahrungsstoffe aus¬ 
reichende Sekretmenge zu liefern.“ 

Ich kann jedoch einen derartigen Schluss nicht für zutreffend halten 
und vermag meine abweichende Ansicht durch das Ergebniss einer 
Anzahl von Versuchen zu begründen, die theils von mir selbst und theils 
von Herrn Dr. Brugsch ausgeführt wurden, der so gütig war, mir die¬ 
selben zur Verfügung zu stellen. 

Brugsch hat bei 3 Hunden die Ausführungsgänge des Pankreas 
unterbunden, und zwar je 2 Gänge: erstens den Hauptausführungsgang, der 
ungefähr da einmündet, wo die Pars descendens mit der Pars duodenalis 
zusammentrifft, und zweitens einen dicht neben dem Ductus choledochus 
einmündenden Gang. Nach 1 bis 2 Wochen wurden an diesen Hunden 
Ausnutzungsversuche angestellt und nach etwa 3 Wochen wurden sie 
getödtet, nachdem ein jeder erst 24 Stunden gefastet und dann eine 
tüchtige Fleischmahlzeit erhalten hatte. 

Obwohl nun bei diesen 3 Hunden das Pankreas nicht völlig 
sklerosirt war, mithin die Möglichkeit besteht, dass noch ein Gang bei 
der Unterbindung übersehen worden ist, so konnte Brugsch doch mit 
Sicherheit nachweisen, dass kein Trypsin bezw. Trypsinogen im Darm¬ 
inhalte vorhanden war. Es war also nicht anzunehmen, dass sich 
Pankreassaft in irgendwie nachweisbarer Menge an der Darmverdauung 
betheiligt hatte. 

Nachstehend seien die Versuchsresultate Brugsch’s im einzelnen 
wiedergegeben. 

Hund A. Weisser Pudel, Gewicht 1060 g, Unterbindung der 
Pankreasgänge (Haupt- und Nebengang) am 26. 2. 

7. 3.: 1. Ausnutzungsversuch. 

Der Hund erhielt 3 Tage lang: je 200 g Fleisch mit 7 g N und 6,4 g Fett 

40 g Butter mit 34,0 g Fett 

Alsoerhielt der Hund insgesammt: 600 g Fleisch mit 21gNundl9,2 g Fett 

120 g Butter mit 102,0 g Fett 

Summa 21gNundl21,2gFett 
Trockensubstanz des mit Carmin abgegrenzten Kothes 42 g. 


Gougle 


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Beeinflussung der Darmresorption durch den Abschluss des Pankreassaftes etc. 471 


Es wurden iraKoth ausgeschieden: 1,864g N = 8,9pCt.d. eingenomm. N 

7,64gFett=6,3pCt. „ „ Fettes 

davon: 44 pCt. Neutralfett 

66 pCt. Fettsäuren (freie u. gebundene). 
Resorbirt wurden also an N: 91,1 pCt. 

an Fett: 93,7 pCt. 

13. 3.: 2. Ausnutzungsversuch. 

Der Hund erhielt 3Tage lang: je 1,5 1 Milch, 

also insgesamrat 4,5 1 Milch mit 23,4 g N und 177,3 g Fett 
Trockensubstanz des mit Carmin abgegrenzten Kothes 53 g. 

Es wurden imKoth ausgeschieden: 2,93 g N = 12,5pCt. d. eingenomm. N 

9,76 g Fett = 5,5 pCt. „ „ Fettes 

davon: 39,3pCt. Neutralfett 

60,7pCt. Fettsäuren (freie u. gebund.). 
Resorbirt wurden also an N: 87,5 pCt. 

an Fett: 94,5 pCt. 

Am 19. 3. wird der Hund nach einer reichlichen Fleischmahlzcit 
auf der Höhe der Verdauung getödtet; im Dünndarminhalt lässt 
sich kein Trypsin bzw. Trypsinogen nachweisen. 

Hund B. Schwarzer Spitz, Gewicht 1760 g, Unterbindung der 
Eankreasgänge (Haupt- und Nebengang) am 27. 2. 

8. 3.: 1. Ausnutzungsversuch. 

DerHunderhicltin3Tag.insgcsammt:600gFleischmit 21gN und 19,2 g Fett 

120gButter mit 102,0 g Fett 

Summa 21gNund 121,2gFett 
Trockensubstanz des durch Carmin abgegrenzten Kothes: 56 g. 

Es wurden imKoth ausgeschieden: 2,64 g N= 12,5 pCt. d. eingenomm. N 

11,38 g Fett = 9,4pCt. „ „ Fettes 

davon: 42,6 pCt. Neutralfett 

54,4 pCt. Fettsäuren (freie u.gebund.). 
Resorbirt wurden also an N: 87,5 pCt. 

an Fett: 90,6 pCt. 

17. 3.: 2. Ausnutzungsversuch. 

DerHunderhieltin3Tageninsgesammt: 5,51 Milch mit 28,0gN u. 160,0gFett 
Trockensubstanz des durch Carmin abgegrenzten Kothes: 62 g. 

Es wurden imKoth ausgeschieden: 4,96 g N= 17,7pCt.d.eingenomm.N 

17,32g Fett= 10,8 pCt. „ „ Fettes 

davon: 46,1 pCt. Neutralfett 

53,9 pCt. Fettsäuren (freie u. gebund.). 
Resorbirt wurden also an N: 82,3 pCt. 

an Fett: 89,2 pCt. 

Am 21. 3. wird der Hund nach einer reichlichen Fleischmahlzeit 
auf der Höhe der Verdauung getödtet; im Diinndarminhalt lässt sich 
kein Trypsin bezw. Trypsinogen nachweisen. 



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472 


A. Niemann, 


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Hund C. 15,40 g schwere Hündin, Unterbindung des Haupt- und 
Nebenganges des Pankreas. Nach 10 Tagen 

A usnutzungsversuch. 

DcrHunderhieltin4Tag.insgesammt: 600gFleischmit 21,0 gN u.19,2 gFett 

200gButter mit 172,0 gFett 

Summa 21,0gNu. 191,2gFett 

Trockensubstanz des mit Carmin abgegrenzten Kothes: 48 g. 

Es wurden im Koth ausgeschieden: 1,98 g N =9,4pCt. d. eingenomm. N 

16,43 g Fett = 8,6 pCt. „ „ Fettes 

davon: 25,3 pCt. Neutralfett 

74,7 pCt. Fettsäuren (freie u. gebund.). 
Resorbirt wurden also an N: 90,6 pCt. 

an Fett: 91,4 pCt. 

2 Tage später wird der Hund nach einer reichlichen Fleischmahlzeit 
auf der Höhe der Verdauung getödtet; im Dünndarminhalt lässt sich 
kein Trypsin bezw. Trypsinogen nachweisen. 

Eine Zusammenstellung der von Brugsch in diesen Versuchen 
gefundenen Werthe ergiebt: 



N-Resorption 

Fett- 

Resorption 

Bei Ilund A: Versuch 1 

91,1 pCt. 

93,7 pCt. 

. 2 

87,5 „ 

94,5 „ 

, , B: „ 1 

87,5 „ 

90,6 „ 

, 2 

82,3 „ 

89,2 „ 

X X C . . . . 

90,6 „ 

91,4 x 


Allerdings ist die Resorption für N und Fett in allen 5 Fällen 
gegenüber der Norm vielleicht um ein geringes herabgesetzt, keineswegs 
ist aber die Resorptionsstörung eine irgendwie erhebliche, obwohl sich 
kein Pankreassaft mehr in den Darm ergossen haben kann; denn sonst 
hätte sich ja Trypsin bezw. Trypsinogen im Dünndarminhalt nachweisen 
lassen müssen. 

Ich komme nun zu den Versuchen, die ich selbst angestellt und 
mit denen ich die Untersuchungen von Brugsch weitergeführt habe. 
Im Anschluss an diese Versuche habe ich zur Controlle über die ana¬ 
tomisch-histologischen Veränderungen, welche durch die Unterbindung 
der Ausführungsgänge im Pankreas hervorgerufen werden, die betreffen¬ 
den Drüsen auch mikroskopisch untersucht. 

Es wurden bei 2 Hunden zunächst die Ausführungsgänge unter¬ 
bunden, und zwar 1. der Hauptausführungsgang und 2. der dicht neben 
dem Ductus choledochus mündende Nebengang; nach Abheilung der 
Bauchwunde wurden beide Hunde exakten Resorptionsversuchen unter¬ 
zogen, wobei der Koth mit Carmin abgegrenzt wurde. 

Bei Hund I wurde dann, nachdem eine Reihe von Versuchen ange¬ 
stellt war, in einer erneuten Operation die Pars descendens des Pankreas 
exstirpirt, da dieser Theil der Drüse relativ wenig atrophirt zu sein 
schien, hiernach wurden nochmals Resorptionsversuche gemacht. 


Gck igle 


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Beeinflussung der Darmresorption durch den Abschluss des Pankreassaftos etc. 473 


Schliesslich wurden beide Hunde getödtet, und zwar Hund I 2 Monate, 
Hund II 1 Monat nach der Unterbindungsoperation, im Darminhalt der 
Nachweis von Trypsin zu führen versucht, das Pankreas in toto ent¬ 
nommen, in Formalin gehärtet und mikroskopisch untersucht. 

Hund II erhielt ausserdem 4 Stunden vor der Tödtung eine abge¬ 
messene und analysirte Mahlzeit und es wurde dann nach Eröffnung des 
Cadavers der Inhalt der einzelnen Darmabschnitte gleichfalls analysirt. 
Auf diese Untersuchungen werde ich gemeinsam mit Brugsch an 
anderer Stelle noch zurückkommen. 

Nachstehend seien meine Versuchsresultate im einzelnen wieder¬ 
gegeben: 

Hund I. Gewicht 1800 g. Unterbindung der Pankreasgängc 
(Haupt- und Nebengang) am 21. 3. 

28. 3. 1. Ausnutzungsversuch. 

Der Hund erh. 2000 g Milch mit 10,36 g N 

54,6 g Fett 

Im Koth wurden ansgeschiedeu 1,48 g N = 14,3 pCt. d. eingenomm. N 

4,41g Fett = 8 „ „ „ Fettes 

davon 44,7 pCt. Neutralfett 
35,0 pOt. Fettsäuren 

20.2 pCt. Seifen (auf Fettsäuren berechnet). 
Resorbirt wurden also 85,7 pCt. N 

92,0 pCt. Fett. 

6. 4. 2. Ausnutzungsversuch. 

Der Hund erhielt 

250 g Brod u. 100 g Butter mit 2,46 g N 

79,46 g Fett 

Ina Kothe wurden ausgesebieden 0,9 g N = 36,7 pCt. d. eingenomm. N 

1,0 g Fett = 1,3 „ „ „ Fettes 

davon 38,1 pCt. Neutralfett 
32,6 pCt. Fettsäuren 

29.2 pCt. Seilen (auf Fettsäuren berechnet). 
Resorbirt wurden also 63,3 pCt. N 

98,7 pCt. Fett. 

13. 4. 3. Ausnutzungsversuch. 

Der Hund erh. 250 g Fleisch mit 8,38 g N 

6,38 g Fett 

Im Kothe wurden ansgeschieden 0,51 g N = 6,1 p€t. d. eingenomm. N 

0,56 g Fett = 8,8 „ „ „ Fettes 

davon 48 pCt. Neutralfett 

38.2 pCt. Fettsäuren 

13,9 pCt. Seifen (auf Fettsäuren berechnet). 

Resorbirt wurden also 93,9 pCt. N 

91,2 pCt. Fett 

Thcilvveise Exstirpation des Pankreas am 29. 4. 


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474 


A. Nieiuann, 


6. 5. 4. Ausnutzungsversuch. 

Der Hund crh. 2000 g Milch mit 8,8 g N 

51,2 g Fett 

Im Kothe wurden aasgeschieden 0,53 g N = 6,1 pCt. d. eingenomm. N 

1.22 g Fett = 2,4 „ „ „ Fettes 

davon 31,1 pCt. Neutralfett 

41.1 pCt. Fettsäuren 

36.1 pCt. Seifen (auf Fettsäuren berechnet). 
Resorbirt wurden also 93,9 pCt N. 

97,6 pCt. Fett. 

14. 5. 5. Ausnutzungsversuch. 

DerHunderh.250gBrodu.lOOgButtermit 2,5gN 

86,95 gFett 

Im Kothe wurden ansgeschieden 0,96g N = 38,5 pCt. d. eingenomm. N 

' 1,1g Fett = 1,3 „ „ „ fettes 

davon 39,4 pCt. Neutralfett 

41.2 pCt. Fettsäuren 

19,4 pCt. Seifen (auf Fettsäuren berechnet). 
Resorbirt wurden also 61,5 pCt. N. 

98,7 pCt. Fett. 

Am 20. 5. wurde der Hund getödtet. Der in abdomine verbliebene 
Rest des Pankreas zeigte sich geschrumpft, von weisslicher Färbung und 
derber Consistenz. Im Danndarminhalt liess sich' Trypsin bezw. 
Trypsinogen nicht nachweisen. 

Hund II. Gewicht 1860 g. Unterbindung der Pankreasgänge 
(Haupt- und Nebengang) am 6. 4. 

13. 4. 1. Ausnutzungsversuch. 

Der Hund erhielt 

250 g Brod u. 100 g Butter mit 3,5 g N 

82,29 g Fett 

Im Kothe wurden aasgeschieden 0,64 g N = 18,4pCt. d. eingenomm. N 

1.23 g Fett = 1,5 „ „ „ Fettes 

davon 60,6 pCt. Neutralfett 

30.3 pCt. Fettsäuren 

9,0 pCt. Seifen (auf Fettsäuren berechnet). 
Resorbirt wurden also 81,6 pCt. N 

98,5 pCt. Fett. 

23. 4. 2. Ausnutzungsversuch. 

Der Ilund crh. 2000 g Milch mit 8,0 g N 

52,0 g Fett 

Im Kothe wurden ansgeschieden 0,53 g N = 6,6 pCt. d. eingenomm. N 

1,15gFett = 2,2 „ „ „ Fettes 

davon 39,8 pCt. Neutralfett 
45 pCt. Fettsäuren 

15,2 pCt. Seifen (auf Fettsäuren berechnet). 
Resorbirt wurden also 93,4 pCt. N 

97,8 pCt. Fett. 


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Beeinflussung der Darmresnrption durch den Abschluss des Pankreassaftes otc. 475 


30. 4. 3. Ausnutzungsversuch. 

Der Hund erh. 250 g Fleisch mit 8,6 g N 

6,38 g Fett 

lin Kothe wurden ansgeschieden 0,61 g N = 7,1 pCt. d. eingenomm. N 

0,92 g Fett = 14,4 „ „ „ Fettes 

davon 59,3 pCt. Neutralfett 
16,7 pCt. Fettsäuren 

24,0 pCt. Seifen (auf Fettsäuren berechnet). 
Resorbirt wurden also 92,9 pCt. N 

85,6 pCt. Fett. 

Am 7. 5. wurde der Hund getödtet. Auch hier war das Pankreas 
atrophisch und sclerosirt, auch hier liess sich Trypsin bezw. Trypsinogen 
im D&nndarminhalt nicht nachweisen. 


Nachstehend eine tabellarische Uebersicht über die in meinen Ver¬ 
suchen gefundenen Werthe: 



Art der 
Nahrung 

Resor 
in pC 

N 

ption 
t. von 

Fett 

Bemerkungen 

Hund I. Versuch 1 

Milch 

85,7 

92,0 


2 

Brot u. Butter 

63,3 

98,7 


3 

Fleisch 

93,9 

91,2 


„ 4 

Milch 

93,9 

97,6 

Nach theilweiser Exstirpation 





des Pankreas 

„ 5 

Brot u. Butter 

61,5 1 

98,7 


Hund II. „ 1 

Brot u. Butter 

81,6 

98,5 


* 2 

Milch 

93,4 | 

97,8 


, 3 

Fleisch 

92,9 

85,6 



Abgesehen von einzelnen Ungleichheiten in der Ausnutzung, die auf 
die Verschiedenheit der gereichten Nahrungsmittel (Fleisch, Milch, Brot, 
Butter) zurückzuführen sind und die man auch bei Versuchen an 
normalen Individuen findet, liegen die Resorptionswerthe ungefähr im 
Bereiche der Norm und decken sich mit den von Brugsch in seinen 
oben angeführten Versuchen gefundenen. 

Die relativ hohen N-Verluste bei den Versuchen Hund I, 2 und 5 und Hund II 1 
dürften darauf zurückzuführen sein, dass hier jedesmal Brot und Butter gegeben wurde 
und dass bei dieser voluminösen, aberN-armen Kost die N-Ausgabe schon durch die 
Darmsecrete eine relativ grosse werden muss. 

Es war also sowohl bei Brugsch’s wie bei meinen Versuchen die 
Resorption im Allgemeinen eine normale, obwohl der Pankreassaft im 
Darme fehlte. Dass dies Letztere der Fall war, wird dadurch bewiesen, 
dass es uns nicht gelungen ist, im Darminhalt des auf der Höhe der 
Verdauung geschlachteten Thieres Trypsin bezw. Trypsinogen nach¬ 
zuweisen. 

Wir können demnach aus unseren Versuchen den Schluss 
ziehen, dass das Fehlen des Pankreassaftes im Darme an sich 
keine Verschlechterung der Resorption bewirkt. 

Wir können also auch mit Sicherheit die Behauptung von Hess 


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476 


A. Niemann, 


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zurückweison, dass nur dann die Resorption intact sei, wenn der eine 
oder der andere Gang noch erhalten und so die Gelegenheit zur 
Absonderung von Pankreassaft in den Darm noch gegeben ist. 

Meine Versuche gaben mir sodann Gelegenheit, die Einwirkung der 
Unterbindung der Pankreasgänge auf die histologische Structur der 
Drüse näher zu studiren. 

Lombroso, der sich in' einer Anzahl ausgedehnter Versuche an 
Hunden mit dieser Frage beschäftigt hat, kommt, wie schon erwähnt, 
zu dem Schlüsse, dass die Ligatur beim Hunde nicht nothwendig zur 
Sklerose und Atrophie führt, eine Ansicht, die durch die Untersuchungen 
von Hess widerlegt zu werden scheint. Zur Entscheidung dieser Frage 
mögen die folgenden Befunde beitragen. 

Hund I. 

Pars descendens (5 Wochen nach der Ligatur exstirpirt): 

Auf dem Querschnitt dieses Theiles der Drüse zeigen sich die 
centralen Ausführungsgänge erheblich erweitert und von einer Lage neu¬ 
gebildeten Bindegewebes umgeben. Das Parenchym völlig nekrotisch: 
ohne erkennbare Acinuszeichnung, die Kerne ungefärbt, nur an einigen 
Stellen eine Andeutung von Kernfärbung. Nur eine kleine Zone am 
Rande der Drüse zeigt noch annähernd normale Beschaffenheit, doch ist 
auch hier die Acinuszeichnung verwischt, während die Kerne stellenweise 
gut gefärbt erscheinen. Keine Karyokinesen. Langerhans’sche Inseln normal. 

Pars duodenalis (nach dem Tode, 2 Monate nach der Ligatur, 
untersucht): 

Ausführungsgänge stark erweitert, vermehrte Bindegewebsneubildung 
um die Gänge herum. Drüsenparenchym total nekrotisch, ohne Andeu¬ 
tung von Acini, Kern- und Protoplasraazeichnung. Stark injicirte Blut¬ 
gefässe. 

Pars lienalis (gleichfalls nach dem Tode untersucht): 

Centrale Drüsengänge erweitert und mit einer dicken Lage neuge¬ 
bildeten Bindegewebes umgeben. Drüsenparenchym nur in einer 
schmalen Zone an der Peripherie erhalten, während das Centrum der 
Drüse zu nekrotisiren beginnt. (Acinuszeichnung verwaschen, Kerne un¬ 
deutlich bezw. gar nicht gefärbt.) Einzelne Acini an der Peripherie er¬ 
scheinen erheblich erweitert. Zwischen den Acini findet sich eine klein¬ 
zellige Infiltration. Keine Karyokinesen. Langerhans’sche Inseln deut¬ 
lich erhalten. 


Hund II. 

Die Drüse wurde nach dem Tode, 1 Monat nach der Unterbindung, 
untersucht. 

Pars descendens: Auf dem Querschnitt zeigt sich Erweiterung 
der centralen Gänge und starke Bindegewebsentwicklung. Totale 
Sklerose des Parenchyms im Centrum; nur in der Peripherie erkennt 
man einige noch leidlich erhaltene Acini mit schlecht gefärbten Kernen, 

Pars duodenalis: Erweiterung der Ausführungsgänge mit starker 
ßindegewebswucherung. Blutgefässe strotzend gefüllt. Fast totale 


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Beeinflussung der Darmresorption durch den Abschluss des Pankreassaftes etc. 477 

Sklerose des ganzen centralen Drüsenparenchyms, nur eine schmale Zone 
an der Peripherie erhalten. Langerhans’sche Inseln gut erhalten. 

Pars lienalis: Centrale Nekrose, Erweiterung der Gänge mit Binde- 
gewebsentwicklung um sie herum. In der Peripherie leidlich erhaltene 
Acini, deren Lumen etwas erweitert ist. Keine Karyokinesen. 

Aus diesen anatomischen Untersuchungen ergiebt sich, dass nach 
Unterbindung der Gänge bei beiden Drüsen völlig normales Drüsengewebe 
fast gar nicht mehr zu finden war. Es tritt also nach der Ligatur eine 
Nekrose des Drüsengewebes ein, die zunächst die centralen Partien er¬ 
greift, peripherwärts fortschreitet und von starker Bindegewebsentwick- 
lung gefolgt ist. 

Dass bei einzelnen Theilen der von mir untersuchten Drüsen sich 
an der Peripherie noch gut erhaltene Acini fanden, kann keineswegs auf 
ein unvollständiges Unterbinden der Ausführungsgänge zurückgeführt, 
sondern muss damit erklärt werden, dass die Nekrose um einen Gang 
herum langsam fortschreitet und die peripher gelegenen Partien dadurch, 
dass sie den geringsten Secretionsdruck auszuhalten haben, am meisten 
geschönt werden. 

Als Ursache der Nekrose muss einzig und allein die Unterbindung 
der Ausführungsgänge angesehen werden, da die Gefässe bei der 
Operation stets sorgfältig erhalten wurden. 

Da eine ganz allgemeine Nekrose in meinen Fällen noch nicht ein¬ 
getreten war, so besteht allerdings die Möglichkeit, .dass die erhalten 
gebliebenen peripheren Acini noch eine gewisse Leistungsfähigkeit für 
die innere Secretion besessen haben, indessen können sie nach den 
oben dargelegten Erfahrungen ein Secret in den Darm hinein 
unmöglich entleert haben. 

Der Ansicht von Lombroso, dass die Unterbindung der Pankreas¬ 
gänge nicht zur Atrophie führt, vermag ich mich daher nicht anzu- 
schliessen. 

Zum Schlüsse möchte ich nicht verfehlen, Herrn Dr. Brugsch für 
die Anregung zu diesen Versuchen sowie für seine Unterstützung bei den 
Operationen meinen aufrichtigsten Dank zu sagen. 


Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 


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XXXVII. 

Aus der medicinischen Klinik der Universität Halle a. S. 


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Der Vorgang der Cellulose- und Hemicellulosenverdauung 
beim Menschen und der Nährwerth dieser Substanzen für 
den menschlichen Organismus. 

Von 

Dr. Hans Lohrisch, 

Spccialnrzt für Magen-, Darin- uml Stoffwechselkrankheiten in Chemnitz, früherem Oberarzt der Klinik. 


Nach der agriculturchenrischen Analyse besteht die Pflanze aus 
Wasser, Proteinsubstanz, Fett, stickstofffreien Extractstoffen, Rohfaser 
und Asche. Während nun bezüglich des Nährwerthes und der Ver¬ 
daulichkeit der Proteinstoffe, der Fette und eines Theiles der stickstoff¬ 
freien Extractstoffe, nämlich der Stärke, Zweifel nicht mehr bestehen, 
lassen einige Bestandtheile der stickstofffreien Extractstoffe und der Roh¬ 
faser, nämlich die Hemicellulosen und die Cellulose, in dieser Be¬ 
ziehung noch viele Fragen und Wünsche offen, welche in der vorliegenden 
Arbeit erörtert werden sollen. 

Die Rohfaser, zuerst von Henneberg und Stohmann (1) so be¬ 
nannt, besteht aus der Cellulose und den sogenannten incrustirenden 
Substanzen, dem Lignin und Cutin. Das gegenseitige Verhältniss dieser 
Stoffe schwankt naturgeraäss je nach der Herkunft der Rohfaser inner¬ 
halb gewisser Grenzen, ist aber insofern ein constantes, als die Cellulose 
stets den Hauptantheil der Rohfaser bildet, während Lignin und Cutin 
in wesentlich geringerer Menge in der Rohfaser enthalten sind. Erbsen¬ 
strohrohfaser z. B. enthält nach König (2) 64 pCt. Cellulose, 30,1 pCt. 
Lignin und 5,9 pCt. Cutin. 

Zu den N-freien Extractstoffen zählt nach E. Schulze (3) von den 
organischen Pflanzenbestandtheilen alles, was nicht zum Protein, zum 
Fett und zur Rohfaser gerechnet wird. Demnach schliesst der Begriff 
„N-freie Extractstoffe“ eine grosse Anzahl verschiedenartiger Substanzen 
ein. Es steht fest, dass die N-freien Extractstoffe zum grössten Theil 
aus Kohlehydraten und verwandten Substanzen bestehen. Wenn wir von 
andersartigen Bestandtheilen, den organischen Säuren, Gerbstoffen etc. 
absehen, so können wir nach E. Schulze (3) die Kohlehydrate der 
N-freien Extractstoffe in 3 Gruppen eintheilen. Diese sind 1. wasser¬ 
lösliche Substanzen. Hierzu gehören die Zuckerarten (Mono- und Di- 


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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 479 


saccharide, Dextrose, Rohrzucker), ferner einige lösliche Polysaccharide, 
von denen vor allem die Lupeose, eine Hemicellulose, zu nennen ist. 
2. In Wasser unlösliche Kohlehydrate, die durch diastatische Fermente 
unter Zuckerbildung gelöst werden können. Der Hauptvertreter dieser 
Gruppe ist die Stärke. 3. Kohlehydrate, die in Wasser unlöslich sind 
und auch durch diastatische Fermente nicht oder nur langsam gelöst 
werden, jedenfalls nicht unter Bildung von Zucker. Zu dieser Gruppe 
gehören die sogenannten Hemicellulosen. 

Es interessiren uns also in der vorliegenden Arbeit lediglich die 
Cellulose und die Hemicellulosen, und zwar vom Gesichtspunkte 
ihrer Verdaulichkeit und ihres Nährwerthes für den thierischen und 
menschlichen Organismus aus. Ehe ich auf diese Frage näher eingehe, 
erscheint es mir wünschenswerth, in aller Kürze einen Ueberblick über 
die Entwicklung der Lehre von den genannten Substanzen, über ihre 
chemischen Eigenschaften und über das, was bisher beim Menschen und 
Thier über ihren Nährwerth und ihre Verdaulichkeit bekannt ist, zu geben. 

Zunächst einige historische Daten, wobei ich mich theilweise an die 
Angaben von Reiss (4) halte. Der Begriff Cellulose ist von 
Payen 1 ) im Jahre 1844 eingeführt worden, wobei er von der Ansicht 
ausging, dass die Cellulose die Muttersubstanz aller pflanzlichen Zell¬ 
membranen sei, dass alle pflanzlichen Membranen sich aus derselben 
chemischen Verbindung C 6 H 10 O 6 = Cellulose bildeten und dass sie des¬ 
halb sich auch alle chemisch gleich verhalten müssten, z. B. bezüglich 
der Reaktion auf Jod und Schwefelsäure, wobei er Blaufärbung fand. 
Nachdem sich auch andere Forscher (vergl. Reiss) in diesem Sinne aus¬ 
gesprochen hatten, hielt man lange Zeit an dieser Einheitstheoric von 
der Zusammensetzung der Zellmembranen fest. Durch Nägeli (5) 
wurde dieser Einheitsbegriff noch mehr erweitert; er liess nämlich jeden 
Unterschied zwischen Stärke und Cellulose fallen und glaubte, dass 
Stärkekörner und Zellmembranen lediglich Combinationen verschiedener 
Kohlehydrate seien, wobei er sich allerdings nur auf mikrochemische 
Untersuchungen stützte. Fremy (6) war es, der zuerst verschiedene 
Arten von Pflanzenraembrantheilen unterschied (Cellulosegewebe, Pektose- 
gewebe, Epidermalgewebe); seine Versuchsergebnisse konnten aber Nach¬ 
prüfungen [Payen (7)] nicht standhalten, so dass seine Ansichten ver¬ 
lassen wurden. Wichtigere Thatsachen waren es, welche die Theorie 
von der einheitlichen Zusammensetzung der Zellmembranen ins Schwanken 
brachten. Einmal die Entdeckung von Sachs (8), dass bei der Keimung 
der Dattelsamen die Verdickungsschichten der Endosperrazellen gelöst 
und verbraucht werden, während die primäre aus Cellulose bestehende 
Zellmembran erhalten bleibt, ein deutlicher Hinweis darauf, dass die 
Verdickungsschichten und die primären Zellmembranen stofflich ver¬ 
schieden sein müssen. Sodann konnte Frank (9) 1866—1867 auf 
Grund mikrochemischer Untersuchungen, welche sich auf die verdickten 
Wandungen des Endosperms und der Cotyledonen einer Anzahl von 
Pflanzensamen bezogen, beobachten, dass diese Verdickungsschichten sich 

1) Mömoires sur les developpements des v6g6taux cit Reiss (4). 

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480 


H. Lohrisch, 


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schon mit Jod allein blau färbten, während dies die reine Cellulose¬ 
membran nicht thut, wiederum ein Fingerzeig, dass hier doch wohl 
chemische Unterschiede zwischen der eigentlichen Cellulose und den Ver¬ 
dickungsschichten bestehen. Noch wichtigere Aufschlüsse brachte die 
Entdeckung, dass die verschiedenen ßestandtheile der Zellwandungen sich 
gegen verdünnte Mineralsäuren in der Hitze ganz verschieden verhielten. 
Schon 1867 findet sich bei Nägeli und Schwendener (10) ein Hin¬ 
weis darauf, dass die Cotyledonen gewisser Pflanzen in Säuren leicht 
löslich sind. 1869 berichtete Sie wert (11), dass er beim Kochen von 
Lupinensamen mit 1-procentiger Schwefelsäure eine beträchtliche Zucker¬ 
menge in Lösung erhielt. Die zuckerbildende Substanz bezeichnete 
Sie wert als „verwerthbare Cellulose“. A. Beyer (12) und 
Eichhorn (13) entdeckten in den Jahren 1869/71 in den Lupinensamen 
ein in Wasser, Alkohol und verdünnten Säuren lösliches Kohlehydrat, 
ohne dessen Natur genauer festzustellen. Nun finden sich erst seit 1882 
wieder genauere Angaben über diese in verdünnten Säuren löslichen 
Kohlehydrate. In diesem Jahre berichtete Müntz (14) über ein in den 
Luzernesamen enthaltenes Kohlehydrat, welches in Wasser und Alkohol 
löslich war und beim Kochen mit verdünnten Mineralsäuren Galactose 
lieferte. Er bezeichnete dieses Kohlehydrat, welches er rein darstellen 
konnte, als „la galactine“. 1884 gewann Bauer (15) aus dem Agar- 
Agar durch Hydrolyse reichliche Mengen eines Zuckers mit den Eigen¬ 
schaften der Galactose. Es gelang ihm nicht, die Muttersubstanz des 
Zuckers rein darzustellen; er nannte sie Galactin und identifizirtc sie 
mit der Müntz’schen „galactine“. Von Wichtigkeit war auch das, was 
über den Einfluss von Natronlauge auf die Zellwandbestandtheile bekannt 
wurde. Wieler (16) fand, dass durch Natronlauge aus Hölzern je nach 
der Concentration der Lauge verschiedene Cellulosen gelöst wurden, und 
Koch (17) gelang es andererseits, mit Natronlauge das Holzgurami zu 
extrahiren, welches nach seinen chemischen Eigenschaften von der Cellu¬ 
lose getrennt werden muss. Nachdem W. Hoffmeister (18) die An¬ 
gaben Wieler’s und Koch’s bestätigt hatte, stand es fest, dass Natron¬ 
lauge nicht nur Cellulose, sondern auch ihr chemisch verwandte Sub¬ 
stanzen löst. 

Durch alle diese Thatsachen wurde es immer wahrscheinlicher, dass 
die Zellwandung in ihren verschiedenen Schichten nicht aus einer ein¬ 
heitlichen Substanz besteht. Zur definitiven Klärung der Frage haben 
aber hauptsächlich erst die seit 1886 veröffentlichten Untersuchungen 
von E. Schulze und seinen Schülern und von Reiss (4) beigetragen. 
Anknüpfend an die Arbeiten von Beyer und Eichhorn (12, 13) be¬ 
richtete E. Steiger (19), einer der Mitarbeiter von Schulze, 1886 über 
das Vorkommen eines wasserlöslichen beim Kochen mit Säure Galactose 
liefernden Kohlehydrates in den Lupinensamen, welches er als Galactan 
bezeichnete. Da dieses Galactan stärkere Rechtsdrehung zeigte, als das 
Müntz’sche, nannte er es 0-Galactan und schlug für das Müntz’sche 
den Namen «-Galactan vor. 1887 berichteten Schulze und 
Steiger (20), dass in den Lupinensamen neben dem /9-Galactan noch 
ein anderes wasserunlösliches Kohlehydrat vorkomrat, welches beim 


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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 481 

Kochen mit dünnen Säuren ebenfalls Galactose liefert. Dieses Kohle¬ 
hydrat nannten die Autoren Paragalactin. Einen eingehenden Bericht 
über 0-Galactan 1 ) und Paragalactin Hessen sie 1889 folgen (21, 22). 
Im gleichen Jahre stellte Reiss (4) aus dem dickwandigen Endosperm 
des Steinnusssamens eine Zuckerart her, die er Seminose nannte und in 
der er ein neues Kohlehydrat entdeckt zu haben glaubte. Dieser Zucker 
wird seiner Ansicht nach aus dem Theil der Cellulose, der bei der 
Keimung der Samen verbraucht wird, also aus den Verdickungs¬ 
schichten, gebildet. Er nannte diesen Celluloseanteil „Reserve-Cellulose“ 
und unterschied damit die Verdickungsschichten als Reserve-Cellulose 
von der gewöhnlichen lediglich als Stützgerüst gebrauchten Cellulose. 
Wie Emil Fischer und J. Hirschberg (23) noch in demselben Jahre 
zeigen konnten, ist die Seminose identisch mit der Mannose. Schulze, 
Steiger und Maxwell (24) waren dann von den Lupinensamen zur 
Untersuchung anderer Pflanzensaraen übergegangen und fanden auch in 
den Samen der Sojabohne, der Erbse, Wicke, Ackerbohne, Kaffeebohne, 
ferner in den Dattelkernen, den Cocos- und Palmenkuchen Paragalactin 
oder, wie sie es mit Tollens (25) nannten, Paragalactan. Sie fanden 
noch andere Zuckerarten (Pentosen, Mannose), welche gleichzeitig mit 
Paragalactan in den verschiedenen Samen Vorkommen können. 

Hatte man bisher, mit Ausnahme vom Agar-Agar, nur die Samen 
der Pflanzen auf Kohlehydrate untersucht, so zeigten nun Schulze und 
Steiger (26), dass auch in den grünen Pflanzen selbst ähnliche in 
Wasser unlösliche Kohlehydrate Vorkommen, die bei der Hydrolyse 
Zucker liefern. Sie fanden in Rothklec und Luzernepflanzen ein 
Galaetose lieferndes Kohlehydrat, von dem sie es unentschieden Hessen, 
ob es mit dem Paragalactan identisch ist. Hierher gehören auch 
spätere Beobachtungen Schellenberg’s (27), wonach sich im untersten 
Internodium des Halmes von Molinia coerulea (Besenried) auf den pri¬ 
mären Membranen der Parenchymzeilen im Herbst eigentümliche Ver¬ 
dickungsschichten bilden, welche im Frühjahr wieder aufgelöst werden. 
Bei der Hydrolyse liefern diese Verdickungsschichten nach Schulze und 
Castoro (28) Lävulose, Dextrose und Xylose. Während bei der Hydro¬ 
lyse der fraglichen Substanzen äusserst selten Dextrose entstand, lieferte, 
wie Schulze (29) zeigte, die reine Cellulose stets und fast ausschliess¬ 
lich Dextrose. 

Es machte sich nun bald das Bestreben geltend, die verschiedenen 
Zucker liefernden Substanzen zu classificiren. Schulze (24) wendete sich 
gegen die Reiss’sche Bezeichnung löslicher Zellwandbestandtheile als 
„Reserve-Cellulose“. Er wollte unter Cellulose nur den Antheil der Zell¬ 
wand verstehen, der die typischen Cellulose - Reactionen giebt. Die 
übrigen Kohlehydrate, welche sämmtlich durch dünne Mineralsäuren 
in Zucker überführt werden, fasste er zunächst unter dem Namen 
„paragalactanartige Substanzen“ zusammen. Ferner hielt er es für 


1) Da sich spater herausstellte, dass in dem /S-Galactan noch andere 
Zuckerarten, nämlich Fruktose und noch ein anderes nicht näher bekanntes Kohle¬ 
hydrat enthalten waren, wurde es als Lupeose (22) bezeichnet. 


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482 


II. Loh risch 


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zweckmässig (29), die einzelnen Zellwandbestandtheile durch die beim 
Kochen mit verdünnten Säuren aus ihnen erhaltenen Glukosen nament¬ 
lich zu charakterisiren, so dass also Xylose aus Xylan, Galactose aus 
Galactan u. s. w. entstehen würden, wobei man noch durch Bezeichnung 
mit «, ß resp. „meta a und „para u feinere chemische und physikalische 
Unterschiede andeuten kann. Für die ganze Gruppe der paragalactan- 
artigen Substanzen schlug er 1892 den Namen Hemieellulosen (29) vor. 

Bei der weiteren Untersuchung zahlreicher Samen und grüner 
Pflanzen, die E. Schulze und seine Mitarbeiter ausführten, hat sich ge¬ 
zeigt, dass von den Zuckerarten am häufigsten Pentosen (Arabinose, 
Xylose) und Hexosen (Galactose) gefunden wurden, dass demnach die 
verbreitetsten Hemieellulosen die Pentosane und Hexosane sind. Die 
folgende, E. Schulze (3) entnommene Tabelle giebt hierüber Aufschluss. 


No. 

Versuchsobjecte 

Bezeichnung der bei der Hydrolyse erhaltenen 
Glukosen 

'i 

Samen der gelben Lupine . 

Galactose und eine Pentose (Arabinose?) 

2 

„ blauen Lupine . 

Galactose und Arabinose 

3 

„ „ behaarten Lupine 

Galaclose und Arabinose 

4 

„ ,, Erbse .... 

Galactose 

5 

„ „ Wicke .... 

Galactose 

6 

„ „ Ackerbohne . . 

Galactose 

7 

„ „ Sojabohne . . 

Galactose 

8 

„ „ Kaffeebaums . . 

Galactose und Mannose 

9 

„ „ Capuzinerkresse 

Galactose, Dextrose und Xylose 

10 

„ „ Pfingstrose . . 

Galactose und eine Pentose 

11 

„ „ Dattel .... 

Galactose und Mannose 

12 

Cocosnusskuchen .... 

Galactose (und Mannose?) 

13 

Palmkernkuchen .... 

Galactose und Mannose 

14 

Sesam kuchen. 

Mannose und Arabinose 

15 

Weizenklcie. 

Arabinose und Xylose 

IG 

Roggenkleie. 

Arabinose und Xylose 

17 

Maisklcie. 

Xylose 

18 

Unterstes Internodium des 

Dextrose, Fluctosc (?) und Xylose 


Halmes des Besenrieds . 

19 

Rothklcepfianzen .... 

Galactose 

20 

Luzernepflanzen .... 

Galactose 


Im Laufe der Jahre sind diese Untersuchungen an zahlreichen 
anderen Pflanzen weitergeführt worden, welche hier aufzuzählen zu weit 
führen würde. Erwähnen will ich noch, dass König und Bettels (30) 
auch die Meeresalgen auf ihren Gehalt an Hemicellulose geprüft haben 
und in ihrer Arbeit eine grössere Tabelle darüber geben. Es zeigt sich 
auch hier das überwiegende Vorkommen der Pentosen und der Galactose. 
Ferner hat Karl Müller (31) die Grünalgen, Flechten und Moose auf 
ihren Hemicellulosegehalt untersucht und auch hier hauptsächlich Pentosen 
und Galactose gefunden. Aus demselben Jahre stammen die ausgedehnten 
Untersuchungen Ulander’s (32) wie über die Kohlehydrate der Flechten. 
Seitdem ist den grundlegenden Schulze’schen Arbeiten etwas principiell 
Neues auf dem Gebiete der Chemie der Hemieellulosen und Cellulose 
nicht hinzugefügt worden, sodass ich den historischen Ueberblick hiermit 
abschliessen kann. 

Schon aus dem Vorstehenden geht hervor, dass es von jeher grosse 


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Der Vorgang der Cellulose- n. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 483 

Schwierigkeiten gemacht hat, exacte Unterschiede zwischen den einzelnen 
Hemicellulosen und der Cellulose zu machen. Dass es auch heute noch 
nicht möglich ist, in jedem Falle eine sichere Entscheidung zu treffen, 
ist bei der Fülle der vorkommenden Hemicellulosen und ihrer Zucker¬ 
arten, über die man sich in v. Lippmann's Chemie der Zuckerarten 
(33) vorzüglich orientiren kann, verständlich. Auch der folgende kurze 
Leberblick über die chemischen Eigenschaften der Hemicellulosen und 
der Cellulose wird darthun, dass oft fliessende Uebergänge zwischen den 
einzelnen Formen bestehen. Da es unmöglich ist, auf alle Arten der 
Hemicellulosen im Rahmen der vorliegenden Arbeit einzugehen, wird im 
folgenden immer nur von den wichtigsten, den Pentosanen und Hexosanen, 
die Rede sein. 


Makro- und mikrochemisches Verhalten der Hemicellulosen und 

der Cellulose. 

Löslichkeit in Wasser. Cellulose ist nach den Angaben aller 
Autoren weder in kaltem noch in heissem Wasser löslich. Die Hemi¬ 
cellulosen sind zum Theil in Wasser löslich, so z. B. das jS-Galaetan von 
E. Steiger (19), welches später Lupeose genannt wurde. Schulze und 
Castoro (34) kochten einen Paragalactan und Araban enthaltenden Rück¬ 
stand von Lupinensamen mit Wasser, Hessen erkalten und Hessen dann 
unter Toluolzusatz 5—6 Tage bei 35—40° stehen. Dabei gingen 9,4 pCt. 
Hemicellulose in Lösung. In kaltem Wasser konnten sie keine Lösung 
erzielen. Schulze, Steiger und Maxwell (24) konnten durch Erhitzen 
von Paragalactan im Dampftopf 2 Stunden lang bei l 1 /,—2 Atmosphären 
Druck einen Theil des Paragalactans auflösen. 

Verhalten gegen Laugen. W. Hoffmeister (35) unterschied 
lösliche und unlösliche Cellulose nach ihrem Verhalten gegen ver¬ 
dünnte Natronlaugen verschiedener Concentration. Cellulose ist demnach 
in dünner Natronlauge in geringem Grade löslich. Späterhin aber 
modificirte er (36) diese Ansicht insofern, als nicht alles, was er durch 
Natronlauge gelöst hatte, zur Cellulose zu rechnen war, sondern z. Th. 
zum Holzgummi (Xylan) gehörte. 

Auch die übrigen Hemicellulosen ausser Xylan sind in verdünnter 
Natronlauge löslich. Bei Extraction der Internodien von Molinia, welche 
Xylan, Dextran und Lävulan enthalten, löst sich in 0,05 procentiger (28) 
Natronlauge ein Theil der Hemicellulose. Unter der Einwirkung kalter 
5 procentiger Natronlauge beobachteten Schulze und Castoro (34) 
Quellung und Auflösung eines grossen Theiles eines paragalactoaraban- 
haltigen Rückstandes aus Lupinensamen. Die Einwirkung kochender 
10 und 5 procentiger Kalilauge auf Paragalactan prüften Schulze, 
Steiger und Maxwell (24) und fanden auch hier Lösung. Bei ein- 
stündigem Erhitzen mit Aetzkali löst sich nach Schulze (37) der grösste 
Theil von Xylan, allerdings nicht alles. Cellulose dagegen wird nach 
Hoppe-Seyler (38) durch Aetzkali, in wenig Wasser gelöst, nicht 
wesentlich angegriffen. Xylan wird auch durch 5 procentige Natronlauge 
gelöst [Schulze (29)]. 

Verhalten gegen Säuren. Eine der hervorstechendsten Eigen- 


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H. Loh risch, 


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schäften der Hemicellulosen, wichtig auch insofern, als sie allen Heim¬ 
cellulosen zukommt, ist ihr Verhalten gegen verdünnte Mineralsäuren. 
Wie erwähnt, hatte schon Siewert(ll) beim Kochen mit 1 procentiger 
Schwefelsäure die Beobachtung gemacht, dass dabei Zucker gebildet 
wurde. Alle späteren Autoren, die sich mit dieser Frage beschäftigt 
haben, haben dies bestätigt und als Muttersubstanz des Zuckers die 
Hemicellulosen erkannt. Es ist dies diejenige Eigenschaft der Hemi¬ 
cellulosen, durch die sie sich wesentlich von der Cellulose unterscheiden. 
Für die Menge des zu erhaltenden Zuckers ist die Dauer des Kochens 
von Einfluss. Schulze und Castoro (39) kochten die Hemicellulosen 
der Internodien von Molinia mit 1 procentiger Schwefelsäure; es lösten 
sich dabei nach 1 Stunde Kochen 38 pCt., nach 2 Stunden Kochen 
40,8 pCt. der Hemicellulosen. Ferner kochten Schulze und Castoro 
(34) Paragalactoaraban mit \ l / A procentiger Schwefelsäure; nach 1 Stunde 
Kochen waren 93,92 pCt., nach 2 Stunden Kochen 94,29 pCt. der Hemi¬ 
cellulosen gelöst. 3 procentige Schwefelsäure ist nach Schulze, Steiger 
und Maxwell (24) ein gutes Lösungsmittel für Paragalact an. Ein gleich 
gutes Lösungs- und Verzuckerungsmittel ist dünne Salzsäure. 0,1 pro¬ 
centige Salzsäure, unter Toluolzusatz bei 40° auf Paragalactan einwirkend, 
löst in 5 Tagen 88,8 pCt., in 6 Tagen 91,5 pCt. der Hemicellulosen (34). 
Nach Mittheilung von Schellenberg (27) quellen die Hemicellulosen der 
Moliniainternodien in 50 procentiger kalter Salzsäure auf und lösen sich 
rasch, sind aber auch in kochender 5 procentiger Salzsäure schnell löslich. 
Paragalactan wird ferner durch kochende 1 procentige Salzsäure und 
kalte 10 procentige Salzsäure (24) gelöst. Beim Verzuckern der Hemi¬ 
cellulosen mit Säuren muss man sich aber immer folgendes vergegen¬ 
wärtigen, worauf Schulze (3) aufmerksam macht: Man erhält dabei fast 
niemals die der Theorie nach zu erwartende Zuckermenge vollständig. 
Die Umwandlung der Hemicellulosen in Zucker, die Inversion, voll¬ 
zieht sich bei den verschiedenen Arten mit verschiedener Geschwindig¬ 
keit. Die hydrolytische Spaltung ist kein glatt verlaufender Proccss, 
sondern neben der Inversion tritt in geringem Grade eine Wirkung ent¬ 
gegengesetzter Art, eine sogen. Reversion, ein. Bei längerem Erhitzen 
mit verdünnter Salzsäure und Schwefelsäure werden die Zucker nach und 
nach wieder zerstört, besonders gern der Fruchtzucker. Darum ist es 
häufig sehr schwer, gut übereinstimmende Resultate zu bekommen, wie 
ich auch selbst häufig erfahren habe. So ist es wohl auch zu erklären, 
dass Saiki (40) in vielen Fällen nach 3—5 ständigem Kochen von Algen 
mit 2 procentiger Salzsäure wesentlich geringere Zuckerwerthe fand als 
nach einstündigem Kochen: Agar-Agar gab z. B. nach 1 Stunde 64,1 pCt., 
nach 3 Stunden 49,5 pCt., nach 5 Stunden 46,3 pCt. Zucker. 

Auch organische Säuren vermögen Hemicellulosen zur Lösung zu 
bringen, z. B. löst Eisessig (29) bei 12 ständigem Kochen bei 90° Para¬ 
galactan reichlich auf, die Lösung giebt aber Zuckerreaktion erst nach 
Zusatz von Salzsäure und nochmaligem mehrstündigen Kochen, ln der¬ 
selben Weise wirkt heisse 10 procentige Weinsäurelösung auf Para¬ 
galactan (24). 

Hiergegen ist nun die Cellulose in verdünnten Mineralsäuren so gut 


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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 485 


wie unlöslich, wenn auch beim Kochen mit verdünnten Säuren ganz 
geringe Mengen in Lösung gehen mögen. Eine Hydrolyse der Cellulose 
ist, wie Schulze (29) nachgewiesen hat, nur möglich unter Anwendung 
conccntrirter Mineralsäuren. Wenn man einen Theil Cellulose mit fünf 
Theilen conccntrirter Schwefelsäure und 1,7 Theilen Wasser 24 Stunden 
stehen lässt, verdünnt und filtrirt und das Filtrat kocht, so erhält man 
in allen Fällen Traubenzucker. Nur aus der Cellulose der Kaffeebohne 
und des Sesam- und Kokoskuchens wurde neben Traubenzucker auch 
Mannose erhalten. Man unterscheidet demnach Dextrosocellulose und 
Mannosocellulose, welche sich in ihren sonstigen chemischen Eigenschaften 
völlig gleichen. 

Verhalten gegen Oxydationsmittel. Sehr wenig widerstands¬ 
fähig sind die Heraicellulosen gegen Oxydationsmittel. Salpetersäure vom 
spec. Gewicht 1,15, mit Paragalactan im Wasserbad erwärmt, löst resp. 
zerstört einen Theil der Hemicellulose unter Entwicklung rother Dämpfe 
und Schleimsäurebildung (29). Das Lifschütz’sche (41) Gemisch ver¬ 
dünnter Schwefelsäure und Salpetersäure wirkt schon in der Kälte zer¬ 
störend auf die Hemicellulosen, ebenso das Salzsäure-Kaliurachlorat- 
gemisch der Hoffmeister’schen Chlorgemischmethode (18). Nach meinen 
Erfahrungen, die ich bei Anwendung der Cellulosemethode von Simon- 
Lohrisch (42) auf Hemicellulosen gesammelt habe, wirkt auch 30proc. 
Wasserstoffsuperoxyd zerstörend auf Heraicellulosen. 

Verhalten gegen Alkohol. Lupeose ist in heissem Alkohol 
löslich (22). Im übrigen dient der Alkohol als Fällungsmittel für ge¬ 
löste Hemicellulosen und Cellulose. Xylan z. B. wird aus alkalischer 
Lösung durch Alkohol gefällt [Schulze (29)], aber auch die übrigen 
Hemicellulosen. Die in 5proc. Natronlauge lösliche Cellulose wird nach 
Hoffmeister (35) durch Alkohol ebenfalls quantitativ gefällt. 

Verhalten gegen Kupferoxydammoniak. Anfänglich schrieb 
man nur der Cellulose die Eigenschaft zu, in Kupferoxydammoniak lös¬ 
lich zu sein [Hoffmeister (18)]. Auch E. Schulze war zunächst dieser 
Ansicht (24). Es stellte sich später aber heraus, dass auch die Hemi¬ 
cellulosen, wenigstens zum Theil, in Kupferoxydammoniak löslich sind 
[Schulze (29)]. Aehnliche Beobachtungen machte Reiss (4). 

Verhalten gegen Jodchlorzink- und Jodschwefelsäure. 
Wässrige oder alkoholische Jodlösung und Jodjodkalilösung giebt nach 
Schellenberg (27) keine Blaufärbung mit Cellulose oder Hemicellulose. 
Dagegen färben Jodchlorzink und Jodschwefelsäure Cellulose und Hemi¬ 
cellulosen ohne Unterschied blau resp. violett, in stärkerer oder geringerer 
Intensität. Dies zeigten Schellenberg (27), ferner Schulze und 
Castoro (34) für das Paragalactoaraban und für die Reiss’schc Reserve¬ 
cellulose. 

Die Hemicellulosen unterscheiden sich demnach von der Cellulose 
zwar nur in wenigen, aber doch so charakteristischen Punkten, dass 
man auf Grund dieser Unterschiede sehr wohl eine scharfe Trennung 
zwischen Hemicellulosen und Cellulose vornehmen kann. Am geeignetsten 
erscheint noch immer der Vorschlag von Schulze (29, 37), die Zell- 
wandbestandtheile, die sich in heissen verdünnten Mineralsäuren nicht 


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lösen, sich andererseits aber in concentrirten Säuren lösen und dabei 
Dextrose resp. Mannose liefern, zur Cellulose zu rechnen, Hemicellulosen 
aber die Zellwandbestandtheilc zu nennen, die in verdünnten Säuren 
löslich sind und dabei verschiedene Zuckerarten, aber nicht oder fast 
nie Dextrose liefern. Die Reiss’sche Reservecellulose (Seminose = 
Mannose) würde zu den Hemicellulosen zu rechnen und die Abtrennung 
einer Rubrik „Reservecellulose“ damit überflüssig sein. Dass es trotz¬ 
dem nicht in jedem Fälle leicht sein wird, eine exacte Unterscheidung 
zu treffen, zeigt das Beispiel des Xylans, welches nach Schulze (37) in 
verschiedenen Modificationen vorkommt, die zum Theil heissen ver¬ 
dünnten Mineralsäuren widerstehen, aber keine Dextrose, sondern Xylose 
liefern. Chemisch stellt die Cellulose nach Schulze (29) ein Anhydrid 
der Dextrose, die Hemicellulosen polymere Anhydride der übrigen Zucker¬ 
arten dar. 

Die Methoden der quantitativen und qualitativen Bestimmung und 
Darstellung der Cellulose und der Hemicellulosen. 

Bezüglich der Methoden der quantitativen Cellulosebestimmung 
kann ich auf meine frühere Arbeit (43) verweisen. Daselbst findet sich 
eine genaue Zusammenstellung der Methoden. 

Nachzutragen ist noch eine Methode von Lifschütz (41): Cellulosehaltiges 
Material wird mit einem Gemisch von 1 Vol. conc. Schwefelsäure und 3 Vol. Salpeter¬ 
säure vom spec. Gewicht 1,4 übergossen und sich längere Zeit selbst überlassen. Es 
bleibt dann die Cellulose als eine hellgelbe Masse zurück, die abültrirt, gewaschen, 
mit verdünnter Sodalösung gekocht, wiederum filtrirt und gewaschen wird. 

Ferner ist von König (2) 1907 ein neues Verfahren zur quantitativen Cellulose¬ 
bestimmung angegeben worden: 3 g lufttrockene Substanz werden mit 200 g Glycerin 
von 1,23 spec. Gewicht, welches 20 g conc. Schwefelsäure im Liter enthält, bei 
133—137° gekocht. Man lässt erkalten, verdünnt die gekochte Masse auf ca. 500 ccm, 
kocht nochmals auf und filtrirt heiss durch Asbest in einem Gooch , sehen Tiegel. 
Der Rückstand wird mit Wasser, Alkohol und Aether gewaschen, dann mit dem 
Asbest in ein etwa 800 ccm fassendes Becherglas gebracht und mit ca. 150 ccm 
chemisch reinem 3 gewichtsproc. Wasserstoffsuperoxyd und 10 ccm 24proc. Ammoniak 
versetzt und ca. 12 Stunden stehen gelassen. Dann werden 10 ccm 30proc. Wasser¬ 
stoffsuperoxyd zugesetzt, der Zusatz noch einige Male wiederholt, auch noch einige 
Male 5 ccm 24proc. Ammoniaks zugegeben, bis die Masse weiss geworden ist. Dann 
erwärmt man 2 Stunden im Wasserbad und filtrirt wieder durch Asbest. Der ge¬ 
waschene Rückstand wird sammt dem Asbest mit 75 ccm Kupferoxydammoniak er¬ 
wärmt, dann durch einen Gooch’schen Tiegel filtrirt. Das Filtrat wird mit 300 ccm 
SOproc. Alkohol versetzt und stark gerührt. Hierdurch scheidet sich die Cellulose in 
grossen Flocken quantitativ wieder aus. Sie wird auf dem Filter gesammelt, gewogen 
und verascht. 

• Das König’schc Verfahren liefert jedenfalls sehr reine Cellulose, ist 
aber doch sehr zeitraubend, der alte Uebclstand der meisten Cellulose- 
bestimmungs-Methoden. Ich habe bisher immer mit dem von Simon 
und mir (42, 43) angegebenen Verfahren gearbeitet und bin damit sehr 
zufrieden. Wenn König (2) gegen die Methode Bedenken äussert, weil 
gelöste Stärke durch den Alkohol wieder ausgefällt werden könnte, so 
hat dies zunächst keine Bedeutung für die Untersuchung menschlicher 


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Der Vorgang der Cellulose- u. HernicellulosenVerdauung beim Mensohen etc. 487 


Fäces, für die die Methode ursprünglich gedacht war. In den mensch¬ 
lichen Fäces sind so minimale Stärkereste vorhanden, dass hierdurch 
Fehler nicht bedingt werden können. Ich wende die Methode aber nicht 
nur für die Untersuchung menschlicher Excremente an, sondern auch 
für Cellulose-Bestimmungen in Thierkoth und allen möglichen pflanzlichen 
Objekten, gleichviel, ob sie sehr stärke- oder hemicellulosereich sind. 
Stärke und Hemicellulose werden durch das schmelzende Alkali und 
durch den Zusatz von Wasserstoffsuperoxyd doch wohl nicht nur gelöst, 
sondern direkt zerstört, zumal so geringe Mengen, wie sie für gewöhn¬ 
lich bei unserer Methode zur Verwendung kommen. Ich schliesse dies 
aus dem Verhalten sehr hemicellulosereichen Materials und reiner Stärke 
wenn man diese Stoffe nach unserer Methode behandelt. Wenn ich die 
Methode an Agar-Agar ausführte, so erhielt ich in gut übereinstimmen¬ 
den Versuchen einen Rückstand von 0,6 pCt., der sich mikrochemisch 
als Cellulose erwies, während die überaus reichlich vorhandene Hemi¬ 
cellulose des Agars durch den Alkohol aus der stark alkalischen Lö¬ 
sung nicht ausgefällt wurde. 

Versuche mit reiner Stärke verliefen folgendermaassen: 

I. II. 

Zur Verwen¬ 
dung kamen: 1,0912 g Stärke (Trockensubstanz) 0,8279 g Stärke 
Rückstand 
nach Abzug 

von Asche: 0,0011 = 0,1008 pCt. 0,0008 = 0,0966 pCt. 

Dieser minimale Rückstand gab mit Jodchlorzink Violettfärbung, 
aber keine Blaufärbung mit starker Jodjodkalilösung. 

Uebrigens haben wir in unserer ersten Publication (42) den Vor¬ 
schlag gemacht, sehr stärkereicho Substanzen vorher mit Diastase zu 
behandeln. Man würde die Methode auch nicht wesentlich erschweren 
und verlängern, wenn man ein l x / 2 stündiges Kochen mit 2procentiger 
Salzsäure einschalten würde. Doch ist dies — wie gesagt — bei der 
gewöhnlichen Verwendung sehr kleiner Mengen Materials (1—2 g) nicht 
nöthig. Nur für den Fall, dass man mit unserer Methode grössere Mengen 
reiner Cellulose herstellen nnd dazu grosse Mengen (100 g) Material auf 
einmal verarbeiten will, würde ich rathen, eine Kochperiode mit 2procen- 
tiger Salzsäure einzuschalten, weil es bei Anwendung so grosser Mengen 
Materials möglich wäre, dass hierbei das schmelzende Alkali und das 
Wasserstoffsuperoxyd nicht auf alle Theile des Materials so gleichmässig 
einwirken könnte, wie bei Anwendung von nur 1—2 g. In der That 
habe ich bei Anwendung so grosser Mengen nach Kochen mit Salzsäure 
in dem salzsauren Filtrat öfters Zuckerreaktion nachweisen können, was 
mir bei Verwendung kleiner Mengen Materials nie möglich war. 

Kleiber (44) hat bei einer vergleichenden Nachprüfung einiger 
Cellulose-Methoden [Weender Verfahren, F. Schulze, Hoffmeister’s 
Chlorgemisch-Methode, Lange (vergl. 43)] nicht immer übereinstimmende 
Resultate erzielt und schlägt als Verbesserung vor, bei den einzelnen 
Methoden einen Kochprozess mit iy 4 procentiger Schwefelsäure einzu¬ 
schieben. Er hat den Versuch gemacht, die Zellwandbestandtheilc 


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H. Lohrisch, 


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(Hemicellulosen-j-Cellulose-f-Inkrusten) insgesammt zu bestimmen. Dazu 
behandelte er ca. 3 g Substanz mit 0,15 oder 0,42procentiger Kalilauge 
2—3 Tage. Wenn reichlich Stärke vorhanden war, liess er vor der 
Kalilauge einen wässerigen Malzauszug einwirken. Dann wurde filtrirt. 
mit Alkohol und Aether gewaschen, Protein uud Asche abgezogen. Der 
Rückstand besteht aus den Zellwandbestandtheilen. 

Um die gesammte Hemicellulosenmenge in einer pflanzlichen Sub¬ 
stanz zu ermitteln, kochte Kleiber die in der eben beschriebenen Weise 
isolirten Zellwandbestandtheile noch mit P^procentiger Schwefelsäure 
und bestimmte durch Wägung unter Abzug von Protein und Asche, wie 
viel Substanz durch das Kochen in Lösung gegangen war. Der Ge¬ 
wichtsverlust entspricht der Hemicellulosenmenge. Das Verfahren ist, 
wenn man vorher erst die Zellwandbestandtheile rein darstellen will, 
offenbar ein sehr umständliches und zeitraubendes und ist ausserdem, 
wie Kleiber selbst angiebt, ungenau. 

Ein anderer Weg, die Gesammtmenge der Hemicellulosen in pflanz¬ 
lichem Material zu bestimmen, ist der, die Hemicellulosenmenge durch 
die Menge des bei der Hydrolyse entstehenden Zuckers auszudrücken. 
Auch diese Methode leidet aber an Ungenauigkeiten, weil — wie schon 
oben auseinander gesetzt — das Kochen mit Säure kein gleichmässig 
verlaufender Process ist. 

Weit exakter sind die Methoden zum qualitativen Nachweis der 
einzelnen Hemicellulosen durch Darstellung und Bestimmung ihrer 
Zucker. Es handelt sich dabei darum, die Zucker krystallisirt darzu¬ 
stellen, ihren Schmelzpunkt, ihren Drehungswinkel und ihre Osazone zu 
untersuchen. Man verfährt dabei etwa in der Weise, wie z. B. Schulze, 
Steiger und Maxwell (24) ihren paragalactanhaltigen Rückstand unter¬ 
suchten: Das Material wird mit 1—2procentiger Schwefelsäure oder 
Salzsäure ca. 1 Stunde lang gekocht. Die von dem Ungelösten abfil- 
trirte Flüssigkeit wird mit der gleichen Menge Wasser verdünnt und zur 
Vollendung der Verzuckerung noch 2 Stunden lang gekocht. Dann wird 
sie durch Einträgen von überschüssigem Baryumkarbonat von der Säure 
befreit und im Wasserbad bei gelinder Wärme bis zum Syrup einge¬ 
dunstet. Der Syrup wird wiederholt mit absolutem Alkohol ausgekocht. 
Die alkoholische Lösung wird zum Syrup eingedunstet. Aus dem Syrup 
krystallisirt der Zucker aus und wird durch Umkrystallisirung aus ver¬ 
dünntem Weingeist gereinigt. 

Wenn man einen möglichst hemicellulosereichen und möglichst 
N-freien Rückstand aus Pflanzentheilen erhalten will (24), extrahirt man 
die nach Möglichkeit zerkleinerten und getrockneten Pflanzen mit Wasser, 
Alkohol und Aether. Dann wird zur Entfernung der Eiweisssubstanzen 
das Material längere Zeit mit dünner Kalilauge behandelt oder mit Pan¬ 
kreassekret verdaut. Aus einem derartigen Rückstand wird dann der 
Zucker in der eben geschilderten Weise gewonnen. 

Im Einzelnen gestaltet sich die Darstellung und Bestimmung der 
wichtigsten und, wie wir gesehen haben, am häufigsten vorkommenden 
Hemicellulosen, nämlich der Hexosane und Pentosane, folgendermaassen, 
wobei ich mich theilweise an die Darstellung bei v. Lippmann (33) halte. 


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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 489 


a) Hexosane. 

Paragalactan (Paragalactoaraban), kommt in zahlreichen Pflanzen¬ 
samen vor. Zur Darstellung zieht man die Samen mit Wasser, Alkohol, 
Aether und 0,2proccntiger Kalilauge aus und erhält die Substanz als 
weisse bis gelbliche feste Masse. Bei der Hydrolyse bekommt man 
Galactose und eventl. Arabinose. 

a-Galactan, wie schon erwähnt, von Müntz (14), im Luzerne¬ 
samen gefunden, kommt noch vor in den Bohnen, in der Gerste und im 
Malze. Es sind weisse Knollen von der Formel C 6 H 10 O 6 . Die wässerige 
Lösung zeigt Rechtsdrehung: a D = + 84,6°. Bei der Hydrolyse entsteht 
Galactose. 

d-Galactan, identisch mit einer von Payen (45) aus Meeresalgen 
gewonnenen Hemicellulose, die er „gelose“ nannte. Die Bezeichnung 
d-Galactan stammt von Toi lens (25). Die Formel ist C 6 H 10 O 6 . 
d-Galactan dreht rechts und giebt bei der Hydrolyse Galactose. 

Mann an findet sich in der Hefe, der Presshefe, im Salepschleim, 
im Johannisbrot und in zahlreichen anderen Pflanzen. Man erhält 
Mannan aus Hefe durch Kochen mit Kalkmilch, entkalkt mit Ammonium¬ 
oxalat und fällt das Mannan mit 96procentigem Alkohol aus dem 
Filtrat. Dieses Mannan hat die Formel C 6 H 10 O 5 , dreht rechts, 
« D = -f-283,7—287,6° und giebt bei der Hydrolyse Mannose. 

Lupeose, früher für /J-Galactan gehalten, kommt im Lupinen¬ 
samen vor. Sie lässt sich aus den Samen durch 80procentigen Alkohol 
extrahiren. Der Auszug wird durch Gerbsäure, Bleizucker und Phos¬ 
phorwolframsäure gereinigt, die Lupeose durch absoluten Alkohol gefällt. 
Sie ist ein weisses amorphes hygroskopisches Pulver von der Formel 
(C 12 H 22 0 1 i)2. Sie dreht rechts, a D = 148,75°. Bei der Hydrolyse 
erhält man 50 pCt. Galactose und 50 pCt. eines Gemisches von Fruk¬ 
tose mit einem anderen rechtsdrehenden Zucker. 

Die genannten Hemicellulosen sind noch durch eine gemeinsame 
Gruppenreaktion gekennzeichnet ; sie geben beim Erwärmen mit Salpeter¬ 
säure Schleimsäure (46). 

Der aus ihnen hauptsächlich entstehende Zucker, die Galactose, 
hat folgende Eigenschaften: Formel C 6 Hi 2 0 6 . Die Krystalle schmelzen 
bei 161—162°. a D = 81,37°. Die Galactose zeigt Birotation. Sie 
ist nach C. Neuberg (47), v. Lippmann (33) und Fischer und 
Thierfelder (48), entgegen zahlreichen gegentheiligen Angaben, mit den 
meisten Hefearten vergährbar. Beim Erhitzen mit Salpetersäure entsteht 
Schleimsäure. Bei Behandlung mit Brom entsteht Galactonsäure, welche 
wiederum ein charakteristisches Cadmiumsalz [liefert. Ferner wird die 
Galactose an den Eigenschaften ihres Phenylbydrazons und Osazons erkannt. 

b) Pentosane. 

Araban wird gewonnen durch Erhitzen des von Fett, Protein und 
Stärke möglichst befreiten und zerkleinerten Untersuchungsmaterials mit 
dünner Natronlauge oder Kalkmilch. Aus der Lösung wird das Araban 
durch Salzsäure und Weingeist gefällt. Es ist eine weiche gummöse 


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Masse von der Formel C 5 H 8 0 4 und zeigt Linksdrehung; «d = — 123°. 
Bei der Hydrolyse entsteht Arabinose von der Formel C 5 H 10 0 5 mit 
dem Schmelzpunkt 160°. Diese ist rechtsdrehend (« D = -|- 104 — 105°) 
und zeigt Multirotation. Sie vergährt nicht. Wichtig für ihre Erkennung 
ist ihr Bromphenylhydrazon und ihr Osazon, welches in essigsaurer 
Lösung jedes Drehungsvermögen verliert. 

Xylan oder Holzgummi, besonders reichlich im Buchenholz und 
im Holz verwandter Laubbäume, ferner im Kirschholz und Haferstroh. 
Es wird aus den zerkleinerten Hölzern gewonnen durch Extraktion mit 
4—5 procentiger Natronlauge und Fällung durch 96 procentigen Alkohol, 
oder man erhitzt das zerkleinerte Material nach Salkowski (49) mit 
6 procentiger Natronlauge und fällt das Xylan mit Fehling’scher Lösung 
aus. Xylan von der Formel C 6 H 8 0 4 ist ein fein poröses Pulver. Es 
ist linksdrehend, a D = — 80 bis 84°. Bei der Hydrolyse entsteht Xylose, 
welche in schönen weissen Nadeln krystallisirt, rechts dreht 
(a D = -f- 18—20°) und keine Hefegährung zeigt. Das essigsaure Osazon 
der Xylose dreht im Gegensatz zu dem der Arabinose links. 

Auch die Pentosane und Pentosen haben Gruppenreaktionen gemein¬ 
sam, die zu ihrem qualitativen und quantitativen Nachweis dienen. Eine 
qualitative Probe ist folgende: Beim Erwärmen einer Pentose mit Salz¬ 
säure und Phloroglucin tritt kirschrothe Farbe ein. Hat man es mit 
Pentosanen zu thun, so bringt man diese erst durch Kochen mit Salz¬ 
säure in Lösung und setzt der Lösung Phloroglucin zu, worauf dann 
ebenfalls Rothfärbung eintritt. Zur quantitativen Bestimmung der Pentosane 
und Pentosen benutzt man die von Tollens und seinen Mitarbeitern (46) 
gefundene Eigenschaft, beim Destilliren mit 12 procentiger Salzsäure 
Furfurol zu geben. In dem Destillat, in dem man die Salzsäure mit 
Na 2 C0 3 gesättigt hat, kann man das Furfurol durch essigsaures Phenyl¬ 
hydrazin ausfällen. Der Furfurolniederschlag, ein Hydrazon, wird 
gewogen. Die Berechnung erfolgt nach der Formel (50): 

Furfurol = Hydrazon X 0,516 X 0,0104 
Pentosan = Furfurol X 1,84. 

Man kann das Furfurol auch mit Phloroglucin fällen und den Nieder¬ 
schlag als Phloroglucid wiegen. Die Formel zur Berechnung des Phloro- 
glucids hat Tollens (51) gegeben. 

(Phloroglucid -j- 0,0052 g) X 1,111 = Arabinose 
(Phloroglucid -f- 0,0052 g) X 0,920 = Xylose. 

Im Anschluss hieran möchte ich einige Bemerkungen bezüglich des 
Cellulose- und Hemicellulosematerials machen, dessen ich mich bei 
meinen Untersuchungen bedient habe. 

Ich habe durchgängig mit reiner Cellulose, nicht mit Rohfaser 
gearbeitet. Die Cellulose stellte ich mir selbst nach der Methode Simon- 
Lohrisch (42, 43) aus fein gepulvertem Weisskraut her. Da bei Ver¬ 
wendung kleiner Mengen Materials die Ausbeute an Cellulose immer sehr 
gering ist, wurden grössere Mengen Weisskraut (100—200 g) auf einmal 
verarbeitet. Ich habe deshalb aus den oben schon angeführten Gründen 


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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 491 


den nach der Behandlung mit Alkali und H 2 0 2 und nach dem Fällen 
mit Alkohol bleibenden Rückstand noch l 1 /* Stunde mit 2 procentiger 
Salzsäure gekocht. Die so erhaltene Cellulose war in trockenem Zustande 
weiss, leicht zerreiblich, enthielt nur Spuren von Stickstoff, mikroskopisch 
keine Stärke, gab mit Chlorjodzink Violettfärbung mit Ausnahme ganz 
spärlicher sich gelb färbender Partikelchen und enthielt 1,6 pCt. Asche. 

Zu den Versuchen mit Hemicellulose benutzte ich als Fütterungsmaterial 
Agar-Agar, den durch heisses Wasser löslichen Auszug verschiedener 
Meeresalgen, die zu den Florideen gehören und den asiatischen Meeren 
entstammen. Der Agar ist nach den übereinstimmenden Untersuchungen 
aller Autoren, die sich damit beschäftigten, sehr hemicellulosereich. 
Der erste, der die Hemicellulose des Agar isolirte, war Payen 1859 (45). 
Er nannte die Substanz „gelose“; dieselbe ist nach Tollens identisch 
mit d-Galactan. 1876 veröffentlichte Reichardt (52) Untersuchungen 
über die Kohlehydrate des Agar. Er erhielt ein Kohlehydrat von der 
Formel Ci 2 H 22 O n und identificirte es mit einem von ihm in Möhren 
und Rüben gefundenen Pararabin. Der nächste Untersucher des Agar 
war 1884 Bauer (15). Er stellte mit aller Sicherheit fest, dass der bei 
der Hydrolyse aus Agar entstehende Zucker Galactose ist, sodass die 
Hemicellulose des Agar zum weitaus grössten Theile aus Galactan be¬ 
stehen würde. Ein Versuch, das Galactan rein darzustellen, gelang 
Bauer nicht vollständig. Dieses Galactan ist nach Bauer identisch mit 
dem von Müntz (14) aus Luzernesaraen dargestellten. In neuerer Zeit 
(1905) haben König und Bettels (30) den Agar nochmals eingehend 
untersucht und die Befunde Bauer’s in allen Punkten bestätigt. Sie 
fanden bei der Hydrolyse ebenfalls Galactose, daneben bildete sich 
Lävulinsäure; die im Agar enthaltene geringe Cellulosemenge fiel dabei 
in hellen Flocken aus. Den Gcsammtkohlehydratgehalt des Agar fanden 
sie in verschiedenen Agarsorten zu 70,58 und 63,96 pCt. 

Ich habe für meine Zwecke den Agar von mehreren Sorten gut 
klein geschnitten, reichlich gemischt und in verschiedenen Proben den 
Kohlehydratgehalt bestimmt. Ich bediente mich in allen Fällen der 
Methode von Strasburger unter Anwendung der Volhard-Pflüger’schen 
Kupferrhodanürmethode (53), die die besten Resultate geben soll. Trotz¬ 
dem ich mich peinlich an die vorgeschriebenen Kochzeiten gehalten habe, 
habe ich bei dem Agar nicht immer ganz gleichraässige Resultate er¬ 
halten, während ich bei Untersuchung anderer Substanzen immer sehr 
gut übereinstimmende Zahlen bekam. Es liegt dies offenbar an der er¬ 
wähnten verschieden intensiven Einwirkung der Mineralsäuren auf die 
Hemicellulosen. Ich erhielt aus Agar folgende Zuckermengen (als Dex¬ 
trose berechnet): 73,3 pCt., 89,3 pCt., 76,7 pCt., 69,4 pCt., im Durch¬ 
schnitt 77,2 pCt. Der Wassergehalt des Agars betrug durchschnittlich 
23,3 pCt. Stickstoff wurde nicht gefunden. Der Cellulosegehalt war 
0,6 pCt. 

Schien zu Folge seines hohen Hemicellulosegehaltes dieser Agar 
schon sehr geeignet zu Versuchszwecken, so war es doppelt willkommen, 
dass es Herrn Dr. Karl Dieterich, Director der chemischen Fabrik 


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Helfenberg bei Dresden gelungen ist, den Agar in eine Form zu bringen, 
in der er schon in kaltem Wasser löslich ist und bleibt. 

Das Präparat, dessen Herstellungsweise mitzutheilen Herr 
Dr. Dieterich sich Vorbehalten hat, ist ein hellgelbes trockenes Pulver 
von neutraler Reaction, welches sich in kaltem Wasser sehr leicht zu 
einer braunen klebrigen Flüssigkeit auflöst, die nach Malz riecht. Das 
Präparat ist nicht ganz zuckerfrei; man erhält aus der kalten wässerigen 
Lösung nach Kochen mit Fehling 7 scher Lösung mittelst der Kupfer- 
rhodanürmethode 3,5—4,1 pCt. Zucker. Lässt man die wässerige Lösung 
18 Stunden bei 37° stehen, so geht mehr Agar in Zucker über; man 
erhält dann in der erwähnten Weise 16,9—20,4 pCt. Zucker. Nach 
Kochen des Agars mit Wasser iy 2 Stunde lang liefert er 13,9—16,02 pCt. 
Zucker. Bei der Hydrolyse mit 2 procentiger Salzsäure iy 2 Stunden 
lang erhält man aus dem Agar (Trockensubstanz) durchschnittlich 67,8 pCt. 
Zucker (Mittel von 3 verschiedenen Bestimmungen: 68,3 pCt., 68,8 pCt., 
66,3 pCt.). Stickstoff und Cellulose enthält der lösliche Agar nicht. 

Im Einzelnen verhält sich die wässerige und salzsaure Lösung des 
löslichen Agars folgendermaassen: 



I. 

Wässerige Agarlüsung 

II. 

Schwefelsäure Agarlösung 
(mit 5 proc. H 2 S0 4 

1 V 2 Stunde gekocht) 

III. 

Schwefelsäure 
Agarlösung, 
mit Hefe 

24 Stunden im 
Brutschrank 

Trommer 

Undeutlich, lehmfarbige 
schmutzige Braunfärbung 

Stark positiv, mit Bildung 
reichlich ziegelrothen Cu- 
Oxyduls 

Wie bei 1. 

Nylander 

Nach langem Kochen 
Schwarzfärbung 

Sehr schnell eintretende 
Schwarzfärbung 

Wie bei I. 

Polarisation 

Geringe Linksdrehung 

Starke Rechtsdrehung 

Wie bei I. 

liefe 

Kein Gas 

Reichlich Gasbildung 

Wie bei I. 

Pentosen- 

reaction 

— 

— 

— 

Lävulose- 

reaction 

— 

■ 



Da der gebildete Zucker durch die früheren Untersuchungen zur 
Genüge als Galactose gekennzeichnet ist, konnte von diesbezüglichen 
Untersuchungen Abstand genommen werden. Die geringe Linksdrehung 
der wässerigen Lösung scheint mir daraufhin zu deuten, dass in dem 
Agar auch eine geringe Menge Pentosan enthalten ist. Toi lens (50) 
fand im Agar 1,66 pCt. Pentosan. 

Im Folgenden bezeichne ich den von der chemischen Fabrik 
Helfenberg hergestellten Agar als „löslichen“ Agar zum Unterschied von 
dem „gewöhnlichen“ Agar. 

Die Rolle der Cellulose und der Hemicellulosen im Stoffwechsel 

der Pflanzen. 

Bevor ich dazu übergehe, das Verhalten der Cellulose und der 
Hemicellulosen im thierischen und menschlichen Verdauungskanal zu er- 


Gck igle 


Original fro-m 

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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 493 


örtern, dürfte es von Interesse sein, in aller Kürze der Rolle zu ge¬ 
denken, die die Cellulose und die Hemicellulosen im Stoffwechsel der 
Pflanzen spielen. 

Der Cellulose kommt lediglich die Aufgabe zu, als Stützgerüst der 
Pflanze zu dienen. Ganz anders die Hemicellulosen. Schon ihr Sitz 
zeigt, dass sie bestimmte Aufgaben haben müssen, denn sie sitzen, wie 
alle Autoren, z. B. Schulze (3, 34), Reiss (4) und Schellenberg (27) 
übereinstimmend fanden, hauptsächlich in den Samen der Pflanzen, und 
zwar bilden sie dort die Wandverdickungen der Zellen des Endosperms 
bezw. der Cotyledonen. Der Nachweis der Hemicellulosen an diesen 
Stellen gelingt mikrochemisch leicht: Wenn man Schnitte von den Coty¬ 
ledonen oder dem Endosperm mit Wasser, Alkohol, Aether und lprocen- 
tiger Kalilauge behandelt und dann mit Salzsäure kocht, so zeigen die 
Zellwände deutliche Substanzverluste [Schulze, Steiger und Max¬ 
well (24)]. Ich habe schon früher erwähnt, dass die Hemicellulosen nicht 
ausschliesslich in den Samen sitzen, sondern auch in den Schalen der 
Samen und in den grünen Pflanzen Vorkommen, allerdings bei weitem 
nicht so reichlich. 

Das überaus reichliche Vorkommen der Hemicellulosen in den 
Pflanzensamen weist darauf hin, dass sie bei der Keimung der Samen 
eine Rolle zu spielen haben. Der erste, der diese Entdeckung machte, 
war Sachs (8), und zwar bei der Keimung der Dattel. Er fand, dass 
die Verdickungsschichten der Endospermzellen bei der Keimung voll¬ 
ständig gelöst werden, während die primäre Membran (Cellulose) erhalten 
bleibt. Reiss (4) hat später an zahlreichen Pflanzensamen die Sachs- 
schen Untersuchungen nachgeprüft, sie bestätigt und zum Theil ergänzt. 
Auf makrochemischem Wege haben Schulze, Steiger und Maxwell (24) 
und E. Schulze (54) zur Lösung der Frage beigetragen, sie untersuchten 
gekeimten und ungekeimten Lupinensamen quantitativ auf Hemicellulose 
und fanden im gekeimten Samen wesentlich geringere Mengen. Aus 
allen diesen Untersuchungen und denen zahlreicher anderer Autoren geht 
mit Sicherheit hervor, dass die Hemicellulosen als Reservematerial 
dienen, dazu bestimmt, beim Keimungsvorgang gelöst und zur Ernährung 
der jungen Pflänzchen verwendet zu werden. Nach Reiss (4) geht die 
Auflösung der Wandverdickungen auf verschiedene Weise vor sich: 

1. Durch allmähliches „Abschraelzen“ von innen nach aussen. 

2. Durch „intralamelläre“ Lösung, d. h. die succedane Resorption 
findet für benachbarte Zellen zwischen ihren Innenlamellen statt. Die 
Mittellamelle bleibt. 

3. Durch intralamelläre Verflüssigung, d. h. die secundären Schichten 
werden „simultan“ verflüssigt, einschliesslich der Mittellamelle. 

4. Durch intralamelläre Lösung mit gleichzeitiger „Corrosion“. 

5. Durch „Corrosion“ unter gleichzeitigem Abschmelzen. 

6. Ausschliesslich durch „Corrosion“. 

Für die Art der Auflösung ist es gleichgültig, ob die Hemicellulosen 
dem Endosperm oder den Cotyledonen angehören.“ 

Zeitschrift f. erp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 32 


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494 


H. Lohrisoh, 


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Ueber die Löslichkeit und Verdaulichkeit der Cellulose und der 
Hemicellulosen im thierischen und menschlichen Darmkanal. 

1. Cellulose. 

In meinen früheren Arbeiten (43, 55) habe ich in ausführlicher 
Weise alles,, was über das Verhalten der Cellulose gegen Enzyme und 
Bakterien, über ihre Verdaulichkeit und ihren Nährwerth bei Thier und 
Mensch bekannt ist, zusammenhängend dargestellt und zum Theil durch 
eigene Untersuchungen ergänzt. Es genügt deshalb, nur die wichtigsten 
Momente nochmals hervorzuheben: 

Die Cellulose wird beim höheren Pflanzenfresser, besonders bei den 
Wiederkäuern, in reichlichem Masse verdaut. Es herrschte lange Zeit 
Unklarheit darüber, ob die Cellulose im Darm nach Art der Stärke ge¬ 
löst und als Zucker resorbirt oder ob sie lediglich durch Einwirkung 
von Bakterien zersetzt wird, wobei nur ein Theil ihrer Zersetzungspro- 
ducte (Essig- und Buttersäure) dem Organismus zu Gute käme und ihr 
Nährwerth bedeutend sinken würde. Diese Frage ist jetzt für den 
Wiederkäuer besonders durch die Respirationsversuche Kellner’s (56) 
am Rind soweit gelöst, dass die Cellulose mit grösster Wahrscheinlich¬ 
keit in ein lösliches Stadium überführt wird, in dem sie zum grössten 
Theil resorbirt wird, während nur ein kleiner Theil der bakteriellen 
Zersetzung anheimfällt. Damit würde die Cellulose ein den übrigen 
Kohlehydraten fast gleichwerthiges Nahrungsmittel sein. 

Für den Fleischfresser hatte man jede Möglichkeit der Cellulose¬ 
verdauung bisher geleugnet. Dies scheint nach meinen Untersuchungen 
(55) aber zum mindesten nicht allgemein gültig zu sein, wenigstens konnte 
ich beim Hunde ziemlich reichliche Celluloseverdauung nachweisen. 

Ganz verschieden hinsichtlich ihrer Fähigkeit Cellulose zu verdauen 
scheinen sich die niederen wirbellosen Pflanzenfresser zu verhalten. Für 
die Raupen, in deren Darrasaft in vitro Celluloselösung nicht beobachtet 
wird, habe ich (55) durch Ausnutzungsversuche nachgewiesen, dass sie 
die Cellulose in der That quantitativ wieder ausscheiden. Für die ein¬ 
zelne Raupe fanden sich in 2 gut gehenden Versuchen folgende Zahlen: 

I. II. 

Aufgenommen: 0,0331 0,0299 Cellulose 

Ausgeschieden: 0,0325 0,0309 „ 

Ich habe weiterhin auch die Celluloseverdauung bei Schnecken nach¬ 
geprüft, was um so mehr von Interesse war, als bekanntlich bei der 

Schnecke (Helix pomatia) im Sekret der Mitteldarmdrüse eine energisch 
wirkende Cytase gefunden worden ist. Ich benutzte dazu grosse Exem¬ 
plare von Helix pomatia und verfütterte an diese in derselben Versuchs¬ 
anordnung wie bei meinen Raupenversuchen grüne und zarte Blätter vom 
Kopfsalat, die von ihren dicken Mittelrippen befreit waren. Diese Ver¬ 
suche verliefen folgendermaassen: 


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Der Vorgang der Cellulose- u. Hcmicellulosenverdauung beim Menschen etc. 495 


I. 12 Schnecken. 

Salattrockensubstanz: = 5,20 pCt. 

Cellulosegehalt der Salattrockensubstanz: 1,663 pCt. 

Futter: 36,30 frische Blätter = 1,8876 Trockensubstanz. 
Blätterrückstand: 0,6132 „ 

Gefressen: 1,2744 Trockensubstanz. 

= 0,0212 Cellulose. 

Ausgeschieden: 0,4020 Trockenkoth = 0,0039 „ 

mit 0,97 pCt. Cellulose 

Verdaut: 0,0173 Cellulose 
= 81,6 pCt. 

II. 7 Schnecken. 

Salattrockensubstanz = 5,184 pCt. 

Cellulosegchalt der Salattrockensubstanz = 4,14 pCt. 

Futter: 48,430 frische Blätter = 2,5106 Trockensubstanz 
Blätterrückstand: 1,2577 „ 

Gefressen: 1,2529 Trockensubstanz 
= 0,0519 Cellulose 

Ausgeschieden: 0,3730 Trockenkoth = 0,0311 „ 

mit 8,33 pCt. Cellulose 

Verdaut: 0,0208 Cellulose 
= 40,1 pCt. 

Bei der Anstellung derartiger Versuche mit Schnecken laufen 
natürlich gewisse Fehler mit unter, die sich bei den Raupen vermeiden 
lassen. Der Schneckenkoth ist weich, und es erschwert die Schleim- 
production der Thiere das Sammeln des Kothes und das Trennen des¬ 
selben von den Blättern. Diese Schwierigkeiten sind aber nicht so 
gross, dass man sie nicht bei peinlichster Aufmerksamkeit umgehen 
könnte, und ich bin sicher, dass mir keine gröberen Versuchsfehler, die 
das Resultat wesentlich beeinflussen könnten, unterlaufen sind. 

Cytasen hat man nur bei niederen Thieren und in Pflanzen gefunden. 
Merkwürdiger Weise fehlen sie bei den Wiederkäuern, die so reichlich 
Cellulose verdauen, in den Extrakten und Sekreten der Verdauungsorgane 
und -Schleimhäute vollständig. Auch ich habe in Organsäften und 
-Extrakten bei Anwendung reiner Cellulose niemals eine Lösung der 
Cellulose beobachten können, wie folgende Zahlen zeigen: 



Angewendete 

Cellulose 

Zurückgewog. 

Cellulose 

Schweinspankreaspresssaft .... 

0,415 

0,449 


0,529 

0,533 

Schweinspankreasextract (mit Soda¬ 

0.480 

0,501 

lösung extrahirt). 

0,533 

0,575 

Pankreaspresssaft + Darmschleimhaut- 

0,239 

0,245 

presssaft (Schwein) zu gleichen Theilen 

0,822 

0,832 


M| rn 


32 * 


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H. Lohrisch, 


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496 


Die Verdauungsflüssigkeiten waren mit Toluol versetzt und wurden 
mit der Cellulose 43 bis 48 Stunden bei 37° gehalten. Wie man sieht, 
hat auch die Combination von Pankreas mit Darmsaft, von der man 
etwa eine Activirung des Pankreas hätte erwarten können, keinen Ein¬ 
fluss. Die etwas höheren zurückgewogenen Cellulosewerthe erklären sich 
durch Verunreinigungen, die trotz Filtrirens und reichlichen Waschens 
aus den Verdauungsflüssigkeiten zurückgeblieben sind. 

Reichliche Lösung von Cellulose hat man bisher nur in dem natür¬ 
lichen, mehr oder weniger flüssigen Inhalt des untersten Dünndarms, 
Coecums, Dickdarms und Recturas beim Wiederkäuer, Pferd und 
Kaninchen beobachtet. Mit diesem auffallenden Vorgang haben sich 
besonders V. Hofmeister (57), Holdefleiss (58) und Scheunert (59) 
beschäftigt.. Es ist bisher nicht gelungen, aus dem genannten Darm¬ 
inhalt eine Cytase zu gewinnen, und es ist deshalb noch nicht ganz klar, 
auf welchem Wege die Cellulose gelöst wird, ob durch Enzyme oder 
Bakterien, oder etwa durch beide zusammen. Scheunert fand, dass 
filtrirte Coecalflüssigkeit viel weniger Cellulose löst, als nur colirte. 
Am geringsten war die Celluloselösung in Berkefeldfiltraten. Je bakterien¬ 
ärmer also die Flüssigkeit war, desto geringer war die Celluloselösung. 
Scheunert schreibt deshalb ausschliesslich den Bakterien eine Rolle 
bei der Lösung der Cellulose im Coecalinhalt zu. Hofmeister und 
Holdefleiss neigen dagegen zu der Auffassung, dass es Enzyme sind, 
die im Coecalinhalt lösend wirken. Dass die Filtrate geringere Lösung 
zeigen, hatte schon Holdefleiss bemerkt, führte dies aber darauf zurück, 
dass bei dem sehr langsam vor sich gehenden Filtriren durch Einwirkung 
der atmosphärischen Luft die Enzyme in den Verdauungsflüssigkeiteil 
unwirksam würden. Nach Hofmeister lösen Fäulnis, Bakterien und 
Vibrionen die Cellulose nicht, sie heben aber die celluloselösende Kraft 
der Darmflüssigkeiten nicht auf, „Kochhitze dagegen zerstört die Eigen¬ 
schaft der Darraflüssigkeiten, Cellulose zu lösen, total. Die Wahr¬ 
scheinlichkeit tritt immer lebhafter hervor, dass die Lösung der Cellu¬ 
lose durch ein Ferment bedingt wird. u 

Wie man sieht, stehen sich auch hier wieder, wie so oft bei allen 
Cellulose betreffenden Fragen, die Ansichten schroff gegenüber; und doch 
wäre gerade eine befriedigende Lösung der Frage, wie die Cellulose¬ 
lösung im Coecalinhalt vor sich geht, sehr wünschenswerth und für die 
ganze Cellulosefrage überhaupt von principieller Bedeutung. Ich habe 
deshalb eine Nachprüfung der Scheunert’schen Untersuchungen vor¬ 
genommen und ging dabei von dem Standpunkt aus, gekochten, also 
nicht verdauenden Coecalinhalt mit Coecalbakterien zu impfen und zu 
sehen, ob nach der Impfung wieder Celluloselösung eintritt. Ich hoffte 
damit Anhaltspunkte für die Entscheidung der Frage, ob Enzyme oder 
Bakterien dabei thätig sind, zu gewinnen. Gleichzeitig wollte ich den 
von Holdcfl eiss angenommenen Einfluss des längeren Stehens an der 
Luft auf die verdauende Kraft des Coecalinhalts prüfen. 

Ich verwendete Coecalflüssigkeiten vom Pferd, die dem frisch ge¬ 
schlachteten Thiere entnommen und möglichst schnell in colirtera Zustand 


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Der Vorgang der Cellulose- u. Heraicellulosenverdauung beim Menschen etc. 497 


zur Verwendung kamen. Mit den ungekochten Colaten von 5 frischen 
Cöcalflüssigkeitcn wurde zunächst die celluloselösende Eigenschaft der 
Flüssigkeiten nochmals festgestellt. Sodann wurden 2 von diesen Colaten 
gekocht, mit Cöcalbakterien geimpft und in diesem Zustande auf Cellulose¬ 
lösung untersucht. Die Versuche wurden so angestellt, dass die ab¬ 
gewogene Cellulosemenge in kleinen Bechergläsern zunächst mit etwas 
destillirtem Wasser im Brutschrank längere Zeit zum Quellen gebracht 
wurde, um den Verdauungsflüssigkeiten ein besseres und schnelleres Ein¬ 
dringen in die Cellulose zu ermöglichen. Dann erst wurden die Ver¬ 
dauungsflüssigkeiten (ca. 50 ccm) zugesetzt, worauf die Bechergläser mit 
Inhalt auf ca. 3 Tage im Brutschrank bei 37—40° gehalten wurden. 
In den Colaten waren mikroskopisch nur kleine Cellulosereste zu sehen, 
massenhaft Bakterien und viele lebende Protozoen verschiedener Formen. 
Besonders letzteren hat man ja Bedeutung für die Celluloselösung zu¬ 
geschrieben (59). Gekocht wurden die Colate in grossen Kochkolben 
am Rückflusskühler 3—4 Stunden lang, ohne dass durch starkes Schäumen 
viel verloren gegangen wäre. Die Sterilität der gekochten Colate wurde 
durch Impfung von Bouillonröhrchen controllirt. Das gekochte Colat 
blieb vor der Impfung mit Cöcalbakterien zunächst einen Tag im Brüt¬ 
schrank. Erwies es sich dabei als steril, so erfolgte die Impfung und zwar 
wurden 2 Proben von Colat I (vergl. Tab. II) mit dem Inhalt von vier 
Bouillonröhrchen, die mit Bakterien von dem frisch entnommenen Cöcal- 
inhalt I geimpft und stark getrübt waren, versetzt. Bei Colat II wurden 
10 ccm des dem frisch geschlachteten Pferd entnommenen Cöcalinhaltes 
III, welcher Cellulose gut löste und lebende Protozoen enthielt, zugesetzt. 
Die geimpften Proben kamen auf ca. 3 Tage in den Brütschrank zurück. 
Danach wurde die Flüssigkeit vom Ungelösten abfiltrirt, was oft längere 
Zeit in Anspruch nahm, obwohl ich nicht nöthig hatte, erst mit iy 4 pro- 
centiger Kalilauge zu kochen, wie Scheunert vorschlägt. Dann wurde 
reichlich mit Wasser, Alkohol und Aether gewaschen, gewogen und 
verascht. Der Aschegehalt der angewendeten und restirenden Cellulose 
wurde abgezogen. Meine Versuche unterscheiden sich von denen Hof¬ 
meisters und Scheunert’s dadurch, dass sie mit reiner Cellulose 
angestellt sind, nicht mit Rohfaser, dass also auch die Resultate sich 
auf reine Cellulose beziehen. Bei Anwendung von Rohfaser ist, wie 
Hofmeister bemerkt, doch auch der die Rohfaser incrustirenden Sub¬ 
stanzen zu gedenken, die zur Lösung kommen können. Deshalb lässt 
Hofmeister bei Anwendung von Rohfaser z. B. eine Lösung von 8,8 pCt. 
Rohfaser nicht als Beweis für Lösung von Cellulose gelten, sondern 
betrachtet Cellulose erst dann gelöst, wenn ca. 20 pCt. Rohfaser in 
Lösung gegangen sind. Auch eine etwaige Lösung von Pentosanen 
kommt als Fehlerquelle bei Anwendung von Rohfaser in Betracht; denn 
dass in der Rohfaser der Weender-Methode Pentosane enthalten sind, 
haben Tollens, E. Schulze und Winterstein häufig constatirt (50). 

Wie die Tabelle I zeigt, hat eine reichliche, zum Theil über 50 pCt. 
betragende Lösung der reinen Cellulose in den frischen Colaten statt¬ 
gefunden. Im Versuch No. 4 hatte ich eine Cellulose verwendet, die ich 
nicht mit Alkohol und Aether getrocknet, sondern unter Wasser auf- 


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498 H. Lohrisch, 


Tabelle I. 


No. 

Verdauungs- 

tlüssigkcit 

ö q 

t- cö 

CQ *- 

s « 

Std. 

Angewendete 

Cellulose 

Ungelöste 

Cellulose 

0 § 

« © 

•2 3 

<£> zz 
00 

pCt, 

Bouillonröhrchen 

1 . 

Colat I, vor Vj 2 Std. 
dem Thier entnom¬ 
men, alkalisch 
Colat II, vor 3 V 2 Std. 
entnomm., alkalisch 

71V* 

1,179 

1,199 

0,551 

0,556 

53,3 

53,6 

Reichl. Wachsthum, 
starke Trübung. 

2. 

721/2 

0,640 

0,486 

24,1 

do. 

3. 

Colat III, vor 1 3 / 4 Std. 
entnomm., alkalisch 

92 

0,714 

0,503 

28,4 

do. 

4. 

Colat IV, vor 4 Std. 
entnomm., alkalisch 

71 V« 

4,529 

3,423 

24,4 

do. 

5. 

Colat V, vor 2 V 4 Std. 
entnomm., alkalisch 

72 

1 ,OS99 

0,7870 

27,8 

do. 


Tabelle II. 


6. 

Colat I, gekocht 

72 

0,706 

0,709 

0 

Steril. 



0,830 

0,845 

0 


7. 

Colat I, gekocht, 

731/2 

1,227 

1,226 

0 

Vor der Impfunc 


mit Bouilloncultur 


1,221 

1.251 

0 

steril, nach der 


geimpft 





Impfung reichliches 
Wachstimm. 

8. 

Colat 11, gekocht, 
mit 10 ccm Colat III 

96 

0,856 

0,870 

0 

do. 


geimpft 







bewahrt hatte. Ich wollte damit prüfen, ob etwa die getrocknete Cellu¬ 
lose schwerer angreifbar sei als die in feinster Vertheilung befindliche in 
Wasser aufgefangene. Hofmeister hatte gefunden, dass eine so auf¬ 
bewahrte Rohfaser leichter lösbar war. In meinem Falle konnte ich 
dies nicht bestätigen, sodass ich späterhin immer getrocknete Cellulose 
verwendete. Bestätigt wird, wie die Tabelle II zeigt, die Hofmeister’sche 
Angabe, wonach gekochte Colate ihre Lösungsfähigkeit einbüssen. Die 
bei dem Wiegen der Rückstände zumeist erhaltenen etwas höheren Werthe 
beruhen auf Verunreinigungen (Bakterien, Cellulosereste), die aus den 
Colaten stammen und beim Filtriren zurückgehalten werden. Die 
Tabelle II zeigt weiterhin, dass Zusatz von Colatbakterien die gekochten 
Colate nicht befähigt, Cellulose zu lösen. 

Weitere Versuche sollten Aufschluss darüber geben, ob das Filtriren 
der Flüssigkeiten Einfluss auf die Lösung der Cellulose hat. Das 
Filtriren wurde durch grosse doppelte Faltenfilter von Schleicher & Schüll 
vorgenommen, einmal (No. 11) wurde der Cöcalinhalt reichlich mit Kiesel- 
guhr versetzt und dann filtrirt, wobei ein fast klares Filtrat erhalten 
wurde. Die Resultate enthält Tabelle III. 

Das Filtriren hebt also in der That die Lösung der Cellulose voll¬ 
ständig auf. Hierbei können zwei Faktoren in Frage kommen: die 
Verminderung der Bakterien im Filtrat oder ein etwaiger Einfluss des 
beim Filtriren unvermeidlichen längeren Stehens der filtrirenden Flüssig- 


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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemioellulosenverdauung beim Menschen eto. 499 


Tabelle III. 


No. 

Verdauungs¬ 

flüssigkeit 

a fl 

m £ 

Std. 

Angewendete 

Cellulose 

Ungelöste 

Cellulose 

Gelöste 

P Cellulose 

Bouillonröhrchen 

9. 

Colat I. 12 mal 
durch doppeltes 
Filter fiitrirt 

72 

0,740 

1,232 

0,736 

1,229 

0 

0 

Langsam eintreten¬ 
des, massig reich¬ 
liches Wachsthum. 

10 . 

Colat II, 

1 mal fiitrirt 

70 

1,100 

1,105 

0 

Reichliches Wachs- 
thura. 

11. 

Colat II, 
Kieselguhrfiltrat 

72 

1,450 

1,445 

0 

Sehr langsam ein¬ 
tretendes u. gering 
bleibendes Wachs¬ 
thum. 


keit an der Luft, wobei die Luft mit dem Filtrat in innige Berührung 
zu kommen Gelegenheit hat. 

Um hierfür womöglich einige Anhaltspunkte zu finden, wurden noch 
folgende Versuche ausgeführt. Ich Hess colirten und uncolirten Cöcal- 
inhalt bei Zimmertemperatur und im Brütschrank bei 38° verschieden 
lange Zeit unbedeckt unter öfterem Umrühren stehen. In einem Versuch 
(No. 19) wurde ein Colat 24 Stunden in Eis aufbewahrt. Hatte der 
Cöcalinhalt uncoliert an der Luft gestanden, so wurde er natürlich zur 
Anstellung des VerdauungsVersuches colirt. Die Versuche sind in ihren 
Einzelheiten auf den Tabellen IV, V und VI verzeichnet. 


Tabelle IV. 


No. 

Verdauungs¬ 

flüssigkeit 

fl fl 

B % 

Std. 

Angewendete 

Cellulose 

Ungelöste 

Cellulose 

»o Gelöste 

P Cellulose 

Bouillonröhrchen 

12 . 

Coecalinhalt II, 

24 Std. bei Zimmer¬ 
temperatur uncolirt 

72 

0,924 

0,837 

9,4 

Reichliches Wachs¬ 
thum. 

13. 

Coecalinhalt II, 

9 Tage bei Zimmer¬ 
temperatur uncolirt 

718/ 4 

1,305 

1,354 

0 

Reichliches Wachs¬ 
thum. 

14. 

Colat I, 24 Std. 
bei Zimmertemperat. 

76 

0,722 

0,738 

0 

Reichliches Wachs¬ 
thum. 


Es ist ein Einfluss des Stehens an der Luft bei Zimmertemperatur 
nicht zu verkennen. Im Cöcalinhalt, der uncolirt gestanden hat, nimmt 
die Celluloselösung umsomehr ab, je länger die Flüssigkeit gestanden 
hat. Als Colat aufbewahrter Cöcalinhalt ist schon nach 24 Stunden 
unwirksam. 

Auch in Tabelle V ist ein deutlicher Einfluss des Stehens an der Luft 
zu erkennen, nur dass hier das Lösungsvermögen nicht so rasch ver¬ 
schwindet wie bei der Aufbewahrung bei Zimmertemperatur. Es nimmt 
aber schrittweise ab, je länger der Coecalinhalt gestanden hat. 


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500 H. Loh risch, 


Tabelle V. 


No. 

Vcrdauungs- 

flüssigkeit 

«ö 

CO *- 

.C 

s 2 

Std. 

Angewendete 

Cellulose 

Ungelöste 

Cellulose 

■o Gelöste 1 
2 Cellulose | 

Bouillonröhrchen 

15. 

Coecalinhalt III, 
4 V 2 Stunden 
uncolirt bei 38° 

88 

1,504 

1,089 

27,6 

Reichliches Wachs¬ 
thum 

16. 

Coecalinhalt III, 
9 3 / 4 Stunden 
uncolirt bei 38° 

88 

0,831 

0,678 

18,4 

do. 

17. 

Coecalinhalt V, 
19 1 /* Stunden 
uncolirt bei 38° 

73 

1,2213 

1,0115 

17,9 

do. 

18. 

Coecalinhalt 11, 
27V2 Stunden 
uncolirt bei 38° 

72 

0,990 

0.824 

16,8 

do. 


Tabelle VI. 


No. 

Vcrdauungs- 

iÜissigkeit 

Sg 
« 2 
rC 

fl O 
£ w 

Std. 

Angewendete 

Cellulose 

1 

Ungelöste 

Cellulose 

1 

T3 Gelöste | 
2 Cellulose 

Bouillonrührchen 

19. 

Colat II, 27V 2 Std. 
in Eis 

72-/4 

0,918 

0,709 

22,7 

Massig reichliches 
Wachs th um 


Hier (Tabelle VI) ist das Lösungsvermögen für Cellulose nur in 
geringem Grade vermindert. 

Den Einfluss einer etwaigen bakteriellen Thätigkeit bei der Cellu¬ 
loselösung sollten noch folgende Untersuchungen illustrieren: Es wurde 
der Versuch gemacht, durch Zusatz antiseptischer Substanzen das 
Bakterienwachstum zu hemmen, ohne jedoch eine etwaige Enzymwirkung 
aufzuheben. Dazu benutzte ich Carbollösung, Thymol und Toluol und 
erhielt dabei folgende Zahlen: 


Tabelle VII. 


No. 

Verdauungs¬ 

flüssigkeit 

■*5 m 
§ 

PQ i- 

rfl 
fl ° 

fl 92 

1—1 

Std. 

Angewendete 

Cellulose 

Ungelöste ^ 
Cellulose 

Gelöste 

2 Cellulose 

Bouillonröhrchen 

20 . 

Colat V (50 ccm) 
mit 15 ccm 2 proc. 
Carbollösung 

69v 4 

0,7553 

0,5627 

25,5 

Leichte Trübung 

21 . 

Colat V (50 ccm) 
mit 5 ccm Toluol 

721/* 

0,7738 

0,7840 

0 

Steril 

22 . 

Colat V mit reich¬ 
lich Thymol 

70 

1,0303 

1,0570 

0 

Steril 

23. 

Colat IV mit reich¬ 
lich Thymol 

72 

3,695 

3,715 

0 

Leichte Trübung 


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Der Vorgang der Cellulose- u. HemicellulosenVerdauung beim Menschen etc. 501 


Zu diesen Versuchen möchte ich folgendes bemerken: Bestätigt 
wird durch dieselben zunächst die von allen Untersuchern festgestellte 
Fähigkeit des Coecalinhaltes, Cellulose zu lösen, ferner die hemmende 
Wirkung des Kochens. Ein Theil meiner Resultate lässt sich aber durch 
die Annahme aussschliesslicher bakterieller Zersetzung der Cellulose 
nicht genügend erklären. So ist es doch sehr auffallend, dass bei der 
Impfung mit Coecalbakterien und Protozoen die Celluloselösung ausbleibt. 
Es müsste, wenn man die bakterielle Lösung zur Voraussetzung macht, 
dann doch wenigstens eine nachweisbare, wenn auch geringe Cellulose¬ 
lösung eintreten. Auffallend ist auch die allmähliche Hemmung der 
Celluloselösung, die eintritt, wenn die Coecalflüssigkeiten bei 38° kürzere 
ödere längere Zeit aufbewahrt werden. Hier haben offenbar die Bak¬ 
terien und Protozoen die besten und auch ganz gleichmässigen Bedin¬ 
gungen für ihr Weiterleben, was sich darin zeigt, dass in dem 24 Stunden 
stehenden Coecalinhalt noch lebende Protozoen zu sehen waren. Trotz¬ 
dem wird die Celluloselösung mit der Länge des Stehens geringer. Ver¬ 
gleicht man hiermit die kaum verminderte Celluloselösung im Eiscolat, 
in dem die Lebensbedingungen für die Bakterien schlechter, die Bedin¬ 
gungen für die Erhaltung der enzymatischen Wirksamkeit aber gute 
waren, so drängt sich hier doch der Gedanke auf, dass es zum mindesten 
nicht ausschliesslich Bakterien sind, welche Cellulose lösen, sondern dass 
auch Enzyme thätig sind, welche beim längeren Stehen an der Luft an 
Wirksamkeit einbüssen. Dasselbe kann man, glaube ich, aus den Ver¬ 
suchen No. 12—14 bei Zimmertemperatur entnehmen. Es waren auch 
hier die Bakterien unter gleichmässigen Lebensbedingungen, wenn auch 
nicht unter so günstigen wie bei 38°. Trotzdem macht sich auch hier 
die Länge der Aufbewahrungszeit durch Verminderung der Cellulose¬ 
lösung bemerkbar. 

Ich verhehle mir andererseits aber nicht, dass auch manches für 
eine Bakterienwirkung zu sprechen scheint. So besonders die Hemmung 
der Celluloselösung beim Filtriren. Allerdings haben die Flüssigkeiten 
gerade hierbei Gelegenheit, in innige und wiederholte Berührung mit der 
atmosphärischen Luft zu kommen und dadurch an enzymatischer Wirk¬ 
samkeit einzubüssen. Auch der Umstand, dass bei 38° die Cellulose¬ 
lösung am besten erhalten bleibt, kann zu Gunsten der bakteriellen 
Lösung gedeutet werden. Schliesslich sprechen auch noch die Versuche 
mit Thymol und Toluol in diesem Sinne, womit aber wiederum nicht 
übereinstimmt, dass bei Carbolzusatz, wobei das Bakterienwachsthum 
stark vermindert war und Protozoen lebend sicher nicht mehr vorhanden 
sein konnten (wenigstens waren die Protozoen im Mikroskop ohne Be¬ 
wegung) die Celluloselösung kaum gehemmt war. 

Ich möchte mich deshalb bei Beurtheilung der Frage, ob im Coecal¬ 
inhalt die bakterielle oder enzymatische Celluloselösung für wahrschein¬ 
licher gelten soll, auf Grund meiner Untersuchungen mit aller Vorsicht 
ausdrücken und nur sagen, dass man nach den Hofmeister’schen 
Untersuchungen eben so wenig berechtigt ist, ohne Weiteres jede bak¬ 
terielle Thätigkeit bei der Celluloselösung auszuschliessen, als man 
aus den Scheunert’schen Untersuchungen, die ja auf den ersten Blick 


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502 


H. Lohrisch, 


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viel Bestechendes haben, die Frage als definitiv entschieden im Sinne 
einer bakteriellen Lösung ansehen kann. Meine Untersuchungen ergeben 
doch eine Anzahl von Punkten, die nicht recht zu der Annahme aus¬ 
schliesslicher bakterieller Lösung passen und die man, glaube ich, nicht 
wird ignoriren können. Die definitive Lösung der Frage bleibt weiteren 
Untersuchungen Vorbehalten. 

Was über die Verdauung der Cellulose im menschlichen Darrakanal 
und ihre Verwerthung im menschlichen Organismus bisher durch die 
Untersuchungen früherer Autoren und eigene Untersuchungen bekannt 
geworden ist, habe ich in früheren Arbeiten (43, 55) zusamraengestellt. 
Meine eigenen Resultate gipfelten in folgenden Punkten: Der Mensch ist 
im Stande, die Cellulose je nach dem Alter, dem Ursprung und der 
härteren oder zarteren Beschaffenheit des cellulosehaltigen Nährmaterials 
mehr oder weniger gut, unter Umständen vollständig auszunutzen. 
Ich habe die Celluloseausnutzung auch bei einer Anzahl von Magen- und 
Darmerkrankungen bestimmt und dabei folgende Mittelwerthe erhalten: 

Celluloseausnutzung 
in pCt. 


Normale.57,9 

Chron. habituelle Obstipation .... 81,4 

Gährungsdyspepsie.37,8 

Gastrogene Diarrhöen.29,5 

Fettstuhl bei Ikterus.. 27,8 

Fettstuhl bei Pankreaserkrankung . . . 20,9 


2. Hemicellulosen. 

Das Verhalten der Hemicellulosen im thierischen Magendarrakanal 
ist bei weitem nicht so eingehend studirt wie das der Cellulose. Die 
Wirkung von Enzymen und Bakterien auf Hemicellulosen und ihre Ver¬ 
daulichkeit soll im Folgenden kurz geschildert werden: 

Schulze, Steiger und Maxwell (24) konnten bei Behandlung 
ihres paragalactanhaltigen Rückstandes mit Diastase Lösung der Hemi- 
cellulose, aber keine Zuckerbildung constatiren, eben so bei Behandlung 
des Paragalactoarabans. Wenn sie die Hemicellulose 5—6 Tage lang 
bei 35—40° mit den Fermenten im Brutschrank hielten, so löste 
Diastase 38,1 pCt., Takadiastase 35,3 pCt. Ptyalin löste 40,4 pCt. 
Kochte man die abfiltrirte Lösung mit Salzsäure, so gab sie danach 
deutliche Zuckerreaktion, ein Beweis, dass Hemicellulose in Lösung 
gegangen sein musste. Ebenso verhielt sich Pankreatin, welches 15,3 pCt. 
löste. Pankreassekret dagegen löste nach Schulze, Steiger und 
Maxwell (24) Hemicellulose nicht auf. Dieselben Autoren fanden, dass 
ein Extract von Magenschleimhaut Hemicellulose löst; sie setzten die 
Lösung der Hemicellulose nicht auf Rechnung des Pepsins, sondern 
schrieben sie der zugesetzten Salzsäure zu, welche etwa zu 1 pCt. in 
der Lösung enthalten war. Schulze (34), der später fand, dass schon 
0,1 proc. Salzsäure Hemicellulose löst, glaubte, dass bereits im Magen 
unter dem Einfluss der Magensalzsäure ein Theil der Hemicellulose in 


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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 503 


Lösung gehen kann. Dies konnte Slowtzoff (60) bestätigen: Wenn er 
gekochten und ungekochten Magensaft mit 0,2—0,3 proc. Salzsäure auf 
Xylan wirken liess, so trat in beiden Proben Zuckerbildung ein. 
Ptyalin und Pankreas lösten Xylan nicht. 

In neuerer Zeit hat Saiki (40) mit einer Anzahl von Meeresalgen, 
darunter Agar-Agar, Verdauungsversuche ausgeführt. Wenn er die Algen 
mit Speichel, Pankreassecret nach Injection von Secretin, Pankreas- 
extract und Darraextract von Hunden und Schweinen, ferner mit Malz- 
und Takadiastase und Inulase bei 40° 20 Stunden im Brutschrank hielt, 
so konnte er bei Verwendung von irländischem und isländischem Moos 
nur mit Takadiastase und Inulase geringe Zuckerbildung nachweisen. 
Ich selbst habe versucht, den löslichen Agar durch Fermente in Zucker 
überzuführen, ohne allerdings genaue quantitative Zuckerbestimmungen 
dabei auszuführen. Eine wässerige dünne Agarlösung giebt mit Trommer, 
wie schon erwähnt, eine trübe, schmutzig braune Farbe beim Erhitzen, 
die gegen die sonstige Reaction bei Untersuchung zuckerhaltiger Flüssig¬ 
keiten, bedingt durch den Ausfall schön rothen Kupferoxyduls, stark 
absticht. Wenn ich nun gelösten Agar mit Speichel, Takadiastase, Pan¬ 
kreaspresssaft und Pankreatinsodalösung, welche sämmtlich sich gegen 
Stärke wirksam zeigten, versetzte, 3 Tage im Brutschrank liess und 
dann in der gleichen Verdünnung wie eine wässerige Controllagarlösung 
die Trommerprobe anstellte, so erhielt ich niemals einen deutlich posi¬ 
tiven Ausfall der Probe, sondern immer nur die erwähnte schmutzig 
braunrothe Färbung, woraus ich schloss, dass eine wesentliche Ver¬ 
zuckerung nicht stattgefunden hatte. 

Bemerkenswerth ist, dass auch für die Hemicellulosen beim niederen 
Thier hydrolysirende Fermente gefunden worden sind. Seilliere fand 
im Secret des Hepato-Pankreas von Helix pomatia (61), im Secret des 
Verdauungskanals gewisser Käferlarven (Phymatodes variabilis L.) (62), 
ferner ausser bei Helix pomatia auch bei anderen Helixarten und bei 
der sogenannten Egelschnecke (Limax) und schliesslich im Hepato-Pan¬ 
kreas der Napfschnecke (Patella vulgata L.) (63), die zu den Gastropoden 
gehört, ein Ferment, welches Xylan energisch in Zucker umwandelt und 
welches er Xylanase nannte. 

Ueber das Verhalten der Hemicellulosen gegen Bakterien ist wenig 
bekannt. Saiki (40) prüfte die Einwirkung von Coliculturen auf Nähr¬ 
böden, welche aus gepulverten Meeresalgen und Moosen bestanden und 
mit Witte-Pepton versetzt waren. Er konnte hierbei keine Zuckerbildung 
beobachten. Auf einem der Nährboden (Agar-Agar, Cetraria, Chondrus) 
fand sich regelmässig eine geringe Gasentwicklung. Frühere Unter¬ 
suchungen von Hoppe-Seyler (64) machen es wahrscheinlich, dass die 
Hemicellulose unter Umständen in ähnlicher Weise einer Vergährung 
anheimfallen kann wie die Cellulose: Wenn er lufttrockenes Xylan mit 
Flussschlamm versetzte, beobachtete er wie bei der Cellulose eine langsam 
eintretende Gährung unter Bildung von Essigsäure, Kohlensäure und 
Sumpfgas, welche ausserordentlich lange Zeit in Gang blieb, so dass 
noch nach einem halben Jahre reichliche Gasentwicklung vorhanden war. 
Slowtzoff (60) fand, dass Xylan in faulender Flüssigkeit erst vom 


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8. Tage ab verschwindet. Dass es Bakterien giebt, die Heraicellulose 
durch Vergährung lösen können, hat auch Ankersmit (65) gezeigt. 
Es sind Stäbchen, welche mit dem Bacillus asterosporus identisch sind. 
Er konnte dieselben aus Heu züchten. Sie kamen aber nur in geringer 
Zahl vor und können seiner Ansicht nach bei den Verdauungsvorgängen 
im Darrakanal des Rindes keine wesentliche Rolle spielen. 

Ueber die Verdaulichkeit der Hemicellulosen liegen eine grössere 
Anzahl Untersuchungen vor. Ich beginne mit den niederen Pflanzen¬ 
fressern. Hier habe ich bei den schon oben erwähnten Versuchen an 
Raupen (55) und Schnecken gleichzeitig mit der Cellulose auch die 
Hemicellulosen des Futters und der Excreraente bestimmt. Für die 
Raupen erhielt ich folgende Zahlen: 

I. 

Gefressen: 6,696 Trockensubstanz = 1,5133 Hemicellulose 

Ausgeschieden: 4,672 Trockenkoth = 0,8082 „ 

Verdaut: 0,7051 Hemicellulose 
= 46,6 pCt. 

II. 

Gefressen: 5,437 Trockensubstanz = 1,2288 Hemicellulose 

Ausgeschieden: 3,788 Trockenkoth = 0,5265 „ 

Verdaut: 0,7023 Hemicellulose 
= 57,1 pCt. 

Raupen verdauen also Hemicellulosen ziemlich gut, ebenso aber 
auch Schnecken, wie folgende Zahlen zeigen: 

1 . 

Gefressen: 1,2744 Trockensubstanz = 0,0926 Hemicellulose 

Ausgeschieden: 0,4020 Trockenkoth = 0,0857 „ 

Verdaut: 0,0069 Hemicellulose 
= 7,45 pCt. 

II. 

Gefressen: 1,2529 Trockensubstanz = 0,1328 Hemicellulose 

Ausgeschieden: 0,3730 Trockenkoth = 0,0407 „ 

Verdaut: 0,0921 Hemicellulose 
= 69,3 pCt. 

Bei der Prüfung der Verdaulichkeit der Hemicellulosen beim höheren 
pflanzenfressenden Thiere ist man fast immer von den Pentosanen aus¬ 
gegangen, da dieselben sich am reichlichsten in den grünen Futtermitteln 
finden. Folgende Versuche illustriren das Verhalten der Pentosane: 
Stone und Jones (66) haben Heu an Schafe verfüttert und den 
Pentosangehalt des Futters mit dem des Kothes verglichen. Das Futter 
enthielt 8,85—16,16 pCt. Verdaut wurden 44—71 pCt. Pentosan. 
Weiterhin hat Weiskc (67) Versuche über die Pentosanausnutzung an¬ 
gestellt. Verfüttert wurde an Hammel Wiesenheu mit 27,64 pCt. und 
Hafer mit 15,55 pCt. Pentosanen. Es gelangten durchschnittlich 65,1 pCt. 


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Her Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 505 


Pcntosane zur Verdauung. Bei Kaninchen erhielt Weiske bei Hafer¬ 
fütterung eine Verdauung der Pentosane von 53,81 pCt. Aehnliche 
Resultate erzielten Lindsey und Holland (68) bei Verfütterung von 
Heu und Biertrebern; hier betrug die Verdaulichkeit 55—89 pCt. Nach 
Slowtzoff’s (60) Untersuchungen wurde von Kaninchen reines Xylan im 
Mittel zu 55,78 pCt. ausgenutzt. Endlich cxistiren noch Ausnutzungs¬ 
versuche von Saiki (40) an Hunden. Er fand für Chondrus crispus eine 
Ausnutzung von 40 pCt., für Cetraria islandica nur eine solche von 19 pCt. 

Meine eigenen Untersuchungen über die Verdaulichkeit der Hemi- 
cellulosen beim Thier erstrecken sich auf Hunde und Kaninchen 1 ). Ich 
benutzte als Futter gewöhnlichen und löslichen Agar. Es wurde mittels 
der Strasburger’schen Methode der Gehalt des Agars und der Ex- 
creraente an zuckerbildender Substanz ermittelt. Für den gewöhnlichen 
Agar betrug er 77,2 pCt., für den löslichen Agar 67,8 pCt. Die Resultate 
giebt die Tabelle wieder. 



Futter 

Aufgenommencr 
Agar = Hemicellulose 

Aus¬ 

geschiedene 

Hemicellulose 

Verdaute 

Hemicellulose 

pCt. 

Kaninchen I 

Gewöhnlicher Agar 

18,77 = 14,48 

7,1 

50,9 

Kaninchen 11 

do. 

11,8 = 9,11 

4,71 

48,3 

Kaninchen III 

Löslicher Agar (in 

9 Tagen eingeführt) 

95,9 = (55,02 

14,2 

78.1 

Hund 

do. 

53 = 35,9 

11,7 

67,3 


Ueber die Verdaulichkeit der Hemicelluloscn beim Menschen ist sehr 
wenig bekannt. Es existiren nur einige Ausnutzungsversuche mit Algen 
und Moosen von Poulsson (69) und Saiki (40). Poulsson verabreichte 
in zwei Versuchen an gesunde Personen Cetraria islandica (Isländische 
Flechte 2 ). Die eine Person nahm 218,79 g Cetraria-Kohlehydrate und 
verdaute 107,76 g = 49,25 pCt. Eine zweite Person verdaute von 
209,55 Kohlehydraten 96,85 g = 46,22 pCt. Saiki stellte folgende 
Versuche an: 


Nahrung 

Ausgeschiedene 

Hemicellulose 

Verdaute 

Hemicellulose 

pCt. 

20 Agar = 

10 Hemicellulose 8 ) 

9,2 

8 

24 Agar = 

12 Hemicellulose 

8,8 

27 

40 Wakama = 

4,7 Hemicellulose 

3,4 

28 

45 Kombu = 

11,4 Hemicellulose 

2,5 

78 


1) Die Kaninchen wurden gleichzeitig zu anderen Versuchszwecken benutzt, 
über welche weiter unten berichtet wird. Daselbst finden sich auch genauere An¬ 
gaben über die Verfütterung des Agars und das Sammeln des Kothes. Beim Hund 
liess sich der Koth mit Carmin und Knochen exakt abgrenzen. 

2) DiegebräuohlicheBezeichnung „isländisches Moos u ist nach Poulsson falsch. 

3) Nach Saiki berechnet. 


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3;«iki eitirt Dntersuchüngeii von ö,slvinra (TO), wefeher die.- Aus» 
nfitziiiu; der- Kohlehydrate der gewöhnlichen - gomijHddertvKest' M. itü >**'-*-•• 
•ii<> der Kohlehydrate der Vhnsresalgcn und Moose dorc-hsehiiiitltdi nur 
tu :>y,S put. fand. 

Ich habe m.sbe.v'>ndere die 'Verdaulichkeit .des lösliche« Agars 'beim 
Men.sr.heii sfudirt. Oer lösliche'Agar wird iw weilen Wim :mcasehlie.ben- 
Darm schlecht, vertragen, reizt manchmal und macht gern etwas. Leib- 
schmerz, Koller« und besoideunigten Stuhlgang, zuweilen starke Diarrhöen. 
In; anderen Fallen -erregt' er selbst tu grösseren Dosen keinerlei 
Kmplir,düngen, Der Agarkoth ist, wenn keine Diarrhöen auflreten, diek- 
br.-i-.v um] klebrig. Der Agar wurde m Losung verabreicht, entweder 
• n Wasser, Kaffee oder 'Bouillon. Die übrige Kost war völlig kolde- 
Itydiatfrei. ln den , in dei Tabelle wtodfjrgegebenen Versuchen in, in, 
muih der Aufnahme dos Agars-' kein«. Störungen (Diarrhöe») ein. 


AWi>exi‘>umujtt 


b N^uvFi/in^s hat Helo< \a (/bus<:imft t. evpmtn. PaUioL un«l Tvrapie l 1 », 
% L fId !!) u*•*ipö t liu-.’SDtiMinjjvfi über <1 id Ol^tipaiidn nadi^epnift n»1 

Mar!» tle.T ,ju*iDiiuü\>n Srit.;* hin. für ftilveiss, Feit und Köhkhy»irat*?. jr; 
allen Po olden ärigt. 





Der Vorgang der Cellulose- u. llemicellulosenverdauimg beim Menschen etc. 507 


Weitere Untersuchungen über den Ablauf der Cellulose- und Hemi- 
celluloseverdauung beim Menschen und über den Nährwerth und Nutz¬ 
effect der genannten Substanzen für den menschlichen Organismus. 

Nachdem festgestellt ist, dass der Mensch Cellulose und Hemi- 
cellulosen reichlich zu verdauen vermag, erhebt sich die Frage, ob es 
erlaubt ist, den Modus der Verdauung dieser Substanzen, wie er von 
Kellner (56) für den Wiederkäuer festgestellt ist, ohne weiteres auf den 
Menschen zu übertragen, oder ob hier etwa die Verdauungsvorgänge sich 
nach der Tappeiner’schen (72) Theorie von der Celluiosegährung, 
analog welcher nach den oben erwähnten Untersuchungen Hoppe- 
Seyler’s (64) ja auch eine Hemicellulosengährung vorzukommen scheint, 
abspielen. 

Gährungsprocesse kommen nach Kellner’s Untersuchungen beim 
Wiederkäuer höchstens für den Theil der Cellulose und Hemicellulosen 
in Frage, der nicht gelöst und resorbirt wird. Der grösste Theil der 
genannten Substanzen wird resorbirt, und zwar konnte Kellner in seinen 
gross angelegten und mit allen Cautelen ausgeführten Respirations¬ 
versuchen am Ochsen mit aller Sicherheit feststellen, dass die Cellulose 
und die Furfurol gebenden Substanzen (Pentosane) an der Fettbildung 
theilnehmen und Eiweiss sparen. Dieses Verhalten der Pentosane und 
Cellulose hat nichts Ueberraschendes, wenn man sich einmal vergegen¬ 
wärtigt, welche Mengen der fraglichen Substanzen denn der Wiederkäuer 
verarbeitet. Zum Beispiel verzehrt und verdaut ein Ochse von 680 kg 
innerhalb 24 Stunden folgende Quantitäten (56): 



Trocken¬ 

futter 

Roh¬ 

protein 

Fett 

N-freie 

Extractstoffe 

pentosanfrei 

Pentosane 

Rohfaser 


kg 

kg 

kg 

kg 

kg 

kg 

Verzehrt: 

10,283 

1,160 

0,212 

3,284 

2,309 

3,185 

Im Koth: 

3,887 

0,422 

0,097 

0,890 

0,824 

1,281 

Verdaut: 

6,396 

0,738 

0,115 

2,394 

1,485 

1,904 


Bei Betrachtung dieser Zahlen erscheint es schon von vornherein 
ganz undenkbar, dass Substanzen, welche über die Hälfte des Futters 
und der verdauten Substanz ausmachen, lediglich als Ballast für den 
Darm oder nur dazu eingeführt werden, um durch Bakterien zersetzt 
und damit des grössten Thciles ihres Nährwerthes beraubt zu werden. 
Ein 680 kg schweres Thier kann von der verhältnissmässig geringen 
Menge Eiweiss, Fett und Kohlehydrate, welche übrig bleibt, wenn wir 
die Pentosane und die Rohfaser als nutzlos anschen würden, seinen Be¬ 
darf nicht decken. Gerade die Pentosane und die Rohfaser sind es, mit 
denen das Thier sein Kohlehydratbedürfniss befriedigt und Fett ansetzt. 
Kurz, ein derartiges Verhalten würde allem, was wir über die Zweck¬ 
mässigkeit der physiologischen Ernährungs- und Verdauungsvorgänge 
beim Thier wissen, widersprechen. Die Unmöglichkeit einer solchen 
Annahme ist ja auch durch Kellner hinreichend gezeigt worden. 


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508 


H. Lohrisch, 


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Da nun der Verdauungskanal des Menschen wesentlich anders be¬ 
schaffen ist als der der Wiederkäuer und hier doch bei der Cellulose¬ 
verdauung ganz andere Vorgänge stattfinden könnten, so würde es nicht 
angängig sein, ähnliche Verhältnisse beim Menschen vorauszusetzen, wenn 
sich nicht aus meinen (43) früheren Untersuchungen über Cellulose eine 
Anzahl von Thatsachen ergeben hätten, die es sehr wahrscheinlich 
machen, dass die Verdauung in derselben Weise vor sich geht, wie beim 
Pflanzenfresser, d. h. dass die Cellulose in eine lösliche Form gebracht 
und als solche zum grössten Theil resorbirt wird, während nur ein kleiner 
Theil der Zersetzung durch Mikroorganismen anhcimfällt. Die Gründe, 
die mich zu dieser Annahme veranlassten, waren folgende: 

1. Der auffallende Antagonismus zwischen Celluloseverdauung und 
Bakteriengehalt im Koth bei der chronischen habituellen Obstipation. 
Hier findet trotz verminderten Bakteriengehaltes eine wesentlich bessere 
Celluloseausnutzung statt wie beim Normalen. 

2. Der auffallende Antagonismus zwischen der Energie der Gährungs- 
processe und der Grösse der Oelluloseverdauung bei den Fällen von 
Gährungsdyspepsie. Trotzdem hier die Cellulose reichlich Gelegenheit 
zur Vergährung hat, ist ihre Lösung wesentlich schlechter als beim 
Normalen. 

3. Verhält sich die Cellulose bezüglich ihrer Ausnutzung wie 
Eiweiss, Fett und Kohlehydrate, d. h. in den Fällen, in denen diese 
Nahrungsbestandtheile am besten ausgenutzt werden, zeigt auch die 
Cellulose die höchsten Ausnutzungswerthe und umgekehrt. 

4. Die Cellulosesumpfgasgährung ist ein so langsam verlaufender 
Process, dass bei der schnellen Passage des Darminhaltes durch den 
menschlichen Darm den Gährungsbakterien kaum Zeit bleibt, genügend 
in Action zu treten. Diese Ansicht vertritt Slowtzoff (60) auch für 
die Hemicellulosen auf Grund seiner Versuche mit Xylan. Eine aus¬ 
schliesslich bakterielle Lösung der Cellulose ist noch nicht einmal für 
den Cöcalinhalt des Pflanzenfressers sichergestellt. 

Da sich nun für die Hemicellulosen dasselbe Verhalten, wenigstens 
bezüglich der Punkte 1, 3 und 4 herausgestellt hat und Cellulose und 
Hemicellulosen auch in ihrem sonstigen oben geschilderten Verhalten 
zahlreiche Analogien aufweisen, so ist man, glaube ich, berechtigt, die 
aus dem Verhalten der Cellulose sich ergebenden Folgerungen bezüglich 
des Verdauungsvorganges auch ohne weiteres auf die Hemicellulosen zu 
übertragen. 

Noch ein weiteres Moment spricht beim Pflanzenfresser für Resorption 
der Pentosane, nämlich das häufige Auftreten von Pentosanen im Harn. 
Im Kaninchenharn sind nach Neuberg und Wohlgemuth (73) stets 
Pentosane vorhanden. Bei Verfütterung reiner Pentosane treten diese 
in erheblichen Mengen in den Harn über. Vom leicht löslichen Araban 
fanden Neuberg und Wohlgemuth 9 pCt., vom Xylan Slowtzoff 
(60) 1,5—4,6 pCt., und zwar als lösliches Xylan, im Urin wieder, 
wobei ein Uebergang der Pentosane in reducirende Zucker nie beob¬ 
achtet wurde. Weiske (67) fand bei Schafen und Kaninchen bei 
Heu- und Haferfütterung meist nur schwache Furfurolreaction iin 


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Der Vorgang der Cellulose- u. HemicellulosenVerdauung beim Menschen etc. 509 


Ham. Das Auftreten von Pentosanen im Harn wäre nicht zu erklären, 
wenn diese Substanzen nicht als solche resorbirt würden und in das 
Blut und die Körpersäfte eindrängen. In der That konnte Slowtzoff 
(60) in den Muskeln, in der Leber und im Blut seiner Xylanthiere Xylan 
Dachweisen. Der normale menschliche Ham ist dagegen pentosanfrei. 
Es kann aber bei gesteigerter Zufuhr pentosanhaltigen Materials auch 
beim Menschen solches in den Harn übertreten. Nach Beobachtungen 
Blumenthal’s (74) scheinen einzelne Individuen zur Ausscheidung von 
Pentosanen, zu einer „alimentären“ oder, wie C. Neuberg (47) als 
bessere Benennung vorschlägt, „arteficiellen“ Pentosanurie disponirt zu 
sein, wenigstens konnte er wiederholt nach Genuss von Heidelbeeren, 
Kirschen und Pflaumen Pentosane in einer Menge von 0,2—0,5 pCt. im 
Harn sonst normaler Personen auftreten sehen. Blumenthal (74) stellt 
sich vor, dass die Nahrungspentosane hydrolytisch in monomolekuläre 
reducirende Zucker (rechtsdrehende 1-Arabinose) überführt werden. Neu- 
berg (47) bemerkt hierzu, dass das Vorkommen reducirender Pentosane 
im Harn nach Genuss von Früchten eine sehr seltene Erscheinung ist. 
Immerhin spricht die Thatsache doch dafür, dass die Hemicellulosen, 
wenigstens die Pentosane, auch vom Menschen resorbirt werden können. 
Setzt man nun, wofür alles spricht, beim Menschen Lösung und Resorption 
der Cellulose und der Hemicellulosen voraus, wobei man mit Schulze (3) 
von vornherein annehmen kann, dass die leicht hydrolysirbare Hemi- 
cellulose der Cellulose an Nährwerth nicht nur gleichsteht, sondern sie 
sogar noch übertrifft, so würde es von grösster Wichtigkeit sein fest¬ 
zustellen, welches denn die bei der Verabreichung dieser Substanzen 
entstehenden Endprodukte sind und in welcher Form diese Körper 
resorbirt werden. Denn wenn auch die - Cellulose als Nahrungsmittel 
praktisch für den Menschen kaum in Frage kommt, da die Cellulose¬ 
mengen, die der Mensch aufnehmen kann, dazu viel zu klein sind, so 
wäre eine Lösung dieser Frage für die menschliche Physiologie doch 
von grossem theoretischen Interesse. Auch die Hemicellulosen haben 
zunächst rein theoretisches Interesse, denn solange der Mensch genügende 
Mengen Hexosen und deren Derivate, die unzweifelhaft leichter hydrolysirt 
werden, in seiner Nahrung hat, solange benutzt er das leichter assimilir- 
bare Material [Neuberg (47)]. Da es aber gelingt, wie wir gesehen haben, 
beim Menschen so grosse Mengen Hemicellulosen einzuführen und zur 
Verdauung zu bringen, dass ihre Resorption den Stoffwechsel unbedingt 
in irgend einer Form beeinflussen muss, was bei den geringen vom 
Menschen verdauten Cellulosemengen nicht immer der Fall zu sein 
braucht, so können die Hemicellulosen neben dem rein theoretischen 
Interesse auch eine grosse praktische Bedeutung für die Ernährung des 
Menschen gewinnen, dann nämlich, wenn es sich darum handelt, die 
Hexosen in der Nahrung aus irgend welchen Gründen durch andere 
Kohlehydrate zu ersetzen. 

Der einfachste Vorgang der Hemicelluloseverdauung würde, wie auch 
Weiske(67) und Blumenthal (74) annahmen, der sein, dass die Hemi¬ 
cellulosen wie Stärke in ihre entsprechenden Zucker überführt werden, 
als solche zur Resorption gelangen und hierauf oxydirt werden, dass sic 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie, b. Bd. 33 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



510 


H. Lohrisch, 


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der Hauptsache nach als Heizstoff sowie als Eiweiss und Fett sparendes 
Material im Organismus Verwendung finden. Dann käme es nur darauf 
an zu wissen, wie die verschiedenen Zuckerarten im Organismus ver- 
werthet werden, ob sie sich insbesondere verhalten wie Traubenzucker, 
d. h. ob sie Glykogen bilden. 

Ueber das Verhalten der verschiedenen Zucker liegen eine grosse Anzahl Unter¬ 
suchungen vor, von denen ich nur die wichtigsten kurz erwähnen will. Von der 
Galactose ist folgendes bekannt: Hofmeister (75) stellte fest, dass Galactose und 
Milchzucker von allen Zuokerarten am leichtesten in den Harn übergehen. C. Voit 
(76) sprach nun zunächst dem Milchzucker und der Galactose die Fähigkeit Glycogen 
zu bilden ab auf Grund von Versuchen an ausgewachsenen Kaninchen, Den Grund 
dieser negativen Ergebnisse zeigte später Weinland (77). Er fand nämlich im 
Dünndarm junger Säugethiere, Hunde und Kaninchen eine Lactase, weiche den aus¬ 
gewachsenen Kaninchen fehlt. Die Fähigkeit Glycogen zu bilden ist demnach bei 
jungen Kaninchen vorhanden, ausgewachsenen Kaninchen aber, wie sie C. Voit 
benutzte, fehlt sie. Auch andere Autoren fanden, dass Galactose im Stande ist, 
Glycogen zu bilden, so Kausch und Socin (78) beim Hunde, Cremer (79) und 
Sommer (80) beim Kaninchen. In neuerer Zeit hat Brasch (81) wieder ausgedehnte 
Untersuchungen über Galactose und Milchzucker angestellt und gefunden, dass die 
Assimilationsgrenzo für Galactose beim normalen Menschen zwischen 30 und 40 g 
liegt (gegen 100—150 g Dextrose). Bei Ueberschreitung dieser Grenze wird aber 
nur ein Bruchtheil der über die Grenze hinaus zugeführten Galactose zur Aussoheidung 
gebracht. Hunde reagirten auf Zufuhr kleiner Galactosemengen mit schwacher, 
auf Zufuhr grosser Mengen mit starker Galactoseausscheidung. Ein Dackel von 9 Kilo 
schied von 50 g Galaotose 16,02 g im Harn aus. Interessant ist, dass bei Verfütterung 
von 20—30 g Milchzucker an Hunde der Harn nicht reducirt, dass aber auf 10—15 g 
Galactose Reduction eintritt. Brasch erklärt dies so, dass die Abspaltung der 
Galactose von der Lactose im Darm selbst oder in der Darm wand in sehr langsamem 
Tempo stattfindet, sodass immer nur minimale Mengen Galactose der Leber zugeführt 
werden, welche innerhalb der Assipoilationsfähigkeit liegen. Bei Zufuhr reiner 
Galactose in grösseren Mengen tritt aber oine Ueberschwemmung der Leber ein und 
diese vermag die eingeschwemmte Menge nicht mehr zu bewältigen. Hier liegt also 
ein ähnliches Verhältnis vor wie zwischen Stärke und Dextrose. Ob Galactose 
Glycogen bildet, prüfte Brasch (81) nach dem Vorgang von Cremer und Ritter 
(82) an Phlorhizinhunden und -Kaninchen. Er fand bei Verabreichung der Galactose 
per os bei beiden Thiersorten gleichmässig ein Absinken der N-Ausscheidung, einen 
Anstieg der Zuckerausscheidung und durch diese beiden Momente bedingt eine Er¬ 
höhung des Coefficienten D : N. Es wird ein Theil der Galactose verbrannt, ein 
Theil giebt Veranlassung zur Erhöhung der ausgeschiedenen Dextrose, ein Theil 
wird als Galactose im Harn wieder ausgeschieden. Es findet also unzweifelhaft 
Glycogenbildung statt, wenn auch in beschränkterem Maasse als aus Traubenzucker. 

Auch über die Verwerthung der Pentosen existiren eine grosse Zahl von 
Arbeiten, von denen ich wiederum nur die wichtigsten anführen will. Nach der 
Entdeckung der Pentosurie von Salkowski und Jastrowitz (83) 1892 fand Ebstein 
(84), dass Arabinose und Xylose auch in kleinsten Dosen nicht vom Menschen assi- 
milirt werden können. Auch Frentzel (85) und Neuberg und Wohlgemuth (86) 
fanden keine Glycogenbildung aus Pentosen. Dagegen wies Cremer (79) nach, dass 
der Mensch Arabinose sehr wohl zu assimiliren vermag und dass Xylose und 
Arabinose beim Huhn, Arabinose und Rhamnose beim Kaninchen Glycogen bilden. 
Lindemann und May (87) fanden, dass die Rhamnose im Organismus des gesunden 
Menschen bis zu 92 pCt. verwerthet wird. Ausgezeichnete Verwerthung fand auch 
v. Jacksch (88) für die drei Pentosen beim Menschen. Arabinose wird nach 


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Der Vorgang der Cellulose- u. HemicellulosenVerdauung beim Menschen etc. 511 

Bergell (89) vom Gesunden in solcher Menge verbrannt, dass sie bezüglich ihres 
kalorischen Werthes den Mono- und Disacchariden gleiohsteht. Kaninchen konnten 
durch Gewöhnung täglich 20 g Arabinose vertragen, ohne dass der Ham reducirte. 
Schliesslich hat noch Crem er (90) durch Respirationsversuche gezeigt, dass die 
Rhamnose im Organismus in der That verbrennt. Die neuesten Untersuchungen 
über die Pentosen stammen von Brasch (81), wieder an Phlorhizinhunden und 
Kaninchen ausgeführt. Er fand interessanter Weise, dass bei beiden Thieren im 
Gegensatz zur Galactose die N-Ausscheidung meist ansteigt, häufig sogar sehr be¬ 
trächtlich. Dabei war die Zuokerausscheidung meist nicht gesteigert, nur beim 
Arabinose- und Rhamnose-Kaninchen in mässigem Grade, sodass der Coefficient D : N 
zumeist sank. Es lässt sich also hier nach Brasch eine deutliche Glycogenbildung 
beim Hunde aus Pentosen nicht nachweisen, beim Kaninchen ist sie möglich. Den 
eigenthümlichen Anstieg der N-Ausscheidung konnte er auch bei nicht diabetischen 
Hungerthieren zumeist feststellen. 

Die Galactose ist somit als sicherer Glycogenbildner charakterisirt. 
Bezüglich der Pentosen gehen die Ansichten auseinander, doch ist 
immerhin Glycogenbildung aus Pentosen von einzelnen Autoren mit 
Sicherheit beobachtet worden. 

Wenn demnach aus der Cellulose und den Hemicellulosen wirklich 
Zucker gebildet würde, so stände der Nährwerth dieser Substanzen ausser 
allem Zweifel. Nun ist aber nach Beobachtung von Prof. Schmidt 
und mir (91) die Voraussetzung einer Zuckerbildung aus Cellulose, für 
den Menschen wenigstens, nicht ohne weiteres zutreffend. Wenn wir an 
Diabetiker Cellulose verfütterten, so fanden wir die Zuckerausscheidung 
nie vermehrt. Zur Illustration dieser Thatsache lasse ich die tabellarischen 
Protokolle zweier Fälle von Diabetes, die in unserer früheren Mittheilung 
nicht aufgenommen sind, hier folgen (S. 512 und S. 513). 

Wir schlossen aus diesen Versuchen, dass Cellulose nicht in Zucker 
überführt wird, konnten andererseits aber auch, da die Acidosis nicht 
vermehrt war, nicht zu der Auffassung kommen, dass die Cellulose nach 
Tappeiner (72) in flüchtige Fettsäuren aufgespalten worden sei. 

Schon bei unseren Cellulose-Diabetesversuchen' sprachen wir die 
Vermuthung aus, es möchten sich auch die Hemicellulosen ebenso wie 
die Cellulose verhalten. Es lag nahe, nachdem uns in dem löslichen 
Agar ein hemicellulosereiches Präparat zur Verfügung stand, auch grössere 
Mengen Hemicellulose an Diabetiker zu verfüttern. Es war anzunehraen, 
dass, wenn im Darm eine Zerlegung der Agarhemicellulose, also des 
Galactans, in Galactose stattfände, die Versuche ebenso verlaufen müssten, 
als wenn man Diabetiker mit reiner Galactose füttern würde. 

Ueber derartige Versuche mit Galactose liegen eine Anzahl Berichte vor: 
F. Voit (92) verabreichte an Diabetiker 100 resp. 150 g Lactose und erhielt 49 resp. 
114 g Traubenzucker mehr im Harn, als an den Vortagen. In einem anderen Versuch 
verfütterte er (93) an einen Diabetiker 100 g Galactose und erhielt eine Steigerung 
von 76 auf 146 Traubenzucker. Galactose war im Urin nicht nachzuweisen. 
Galactose als solche verabreicht, trägt also ebenso wie die aus Milchzucker ab¬ 
gespaltene zur Vermehrung des Traubenzuckers im Urin bei. Dasselbe zeigt ein 
Versuch von Minkowski (94) am pankreasexstirpirten Hunde: Auf 50 g Milch¬ 
zucker erfolgte eine Mehrausscheidung von Traubenzucker um 40 bis 45 g; ferner 
Versuche von Sandmeyer (95): Auf Milchzuckergaben von 40—50 g fand er bei 

33* 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




-$g Diabetes mellitus. 


V.-r^och H. M., ou.\ c tr'as>enb;!.ln.s<'jiafloer, 27 Jahre 


Hunden erhebliche Mehrausseheidang ym Trauben- 
iuckär und' wahTseböinlicb keinen Milchzucker im Harn: auf 60 g GalactnS'i’V 
: S7'^ g Tvauberizucker im Harn mehr ausgeschieden, wobei nur geringe Mengi»b UfOar- 
) 0 i Harn geiuiuKui wurden. Nach diesen Versuchen w T ar,zu schli^eii, daa.H 
^f'^akitöcer ö.öl^e^'e ^esf^c in Traubenzucker zu überführen vermag als der 
uennak Alensch. In dieser Beziehung gaben Versuche von Bauer (96) und ttfiisch 
(#i) etw^as andere Resultate. Nach Ba u er stdvejden lekhUv Diabetiker bei geringer 
tiaJdcu^edamddning weder Dc*th>se noch Galaeioso aus, hei grossen; Mengen tritt 
üalaetHMine auf. Soh-vvere Diabetiker scheiden bei geodngcr 'G'ftlactosedich no 
/.um:- t Dtvdrosi* aus, bei grossen. Wbngerr Dextrose und Galuciw. . Km 
Diabetiker von Brasch Vehied auf l.HD g Galaotosn 7J$ gr mt 100 g Oa)äoU>f*& :7'4 ? A % 
Trmdi<*n/iiel(tM mehr aus; ein fiuttelsehwcrcr Diabetiker, reugdtc auf HK) g Uai# 
nfit emer Mehrausscireidung von 36 g Traahtfpfctftfke'r* Dhßltdand ß*/&s<Sh im Öege6- 
sau. zu den anderen Autoren ziemlich betrughtlirlm Gal.'uH.nsemnngtJti. im .Harn wieder 
und glaubt, dass F. V on. (92, 93) und Sa n d tn ey nx Wjg dn- Gateiose im Hör» 
•ibr«schon haben. Immerhin zeigen äbei auch diese Veimche, dass die .Gaiaglfise t?* 
reichlicher Zufuhr den TraubenzneGn beim Diabetiker vermehrt. Nach Aufnahme 
von Jt)g f a pd Brasch übngens beim DiaMifo* keine Gabktose iin Harn, d. h. die 
A*:»nviliUlatisg'mkö liegt beim Diabetiker nicht tiefer als beim Gesunden. 




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Der Vorgang der Cellulose- u. llemicellolöscHrerdaurmg Wim Menschen etc 


fesruch Itli M 


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Johanne, verheirat, heb 57 Jahn 


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Jnvibir-ri'v+>e.Uö>rc bt^ücjv^ 
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Uebnr das Verhalten der Peotosen heim Diabetiker Ist folgendes bekannt: \lb» 
stein ($4).fand, dass der Diabetiker Ar&binose und Xytose niehHu assimOiren vermag, 
lrn Gegensatz hierzu fanden Dindemann und May (87) bei einem vorher zuckerfreien 
Diabetiker nach/Aufnahme v,on KOg Ilbamnn^e 7,2? g im Harn, 2,85 g im Roth 
wieder. Der Diabetiker zerlegt also die Rhafitoose zuu» giösstenThoil ohne dass 
die Taubenznekferuu^sebeidung erhöbt wird. AOwdmgs fand sieh bei deorvorher 
zuckerfreien. Fa Oe ulen Woeir der Dh am ja ose eine geringe Menge Traubenzucker 
in$ H&rn auch ubW de« hinaus* was die Autoren auf eine S^tnfli^iutg 

durch die Rhamnuse zUrdckfMhrßn.y 
isytyerixi?» 4 ^, e 21 ur!h Beicgeli (89) bei Verabreichung eon Ärabinose an 

kückm-fcetß.-Dmbotäker msöht*, uhne; dass hmn die TraubeHzuck-araus^chniifnng von 
der D;ham?iOÄe.ve(bst hätte abüotnn können, v. Jaclisch (97) fand bei Ihabehiiern 

;irabi?»d9Ä*')rtrlT4 "zu 48—82 pCl. im Harn äu$- 
• ’i :: '^t-bd-hi’ : ;Äi©t-..^ST-:Ä;4jE^st!« , fc«kdii'tf|g;' und damit die Zucfeeimsselintdung sehr stark 
(*. DD von^bSyiSTraüb^Ti^uvker; m dem Versuch au)- 529,82 Trauben zu citer am 
' Versue/istag , bci Verabreich oug vö*> .5ü g Arabinosu) und muoht Diarrhöen; . LYv lose 
macht, er« Kiwuisszm bDJ ; cmr. aber nur in Spiuen im Harn «ul: Uliumnosp er hü I» i 

die N-AusscbeidUng, macht Dutrrhüen und wird zu 27—40pGi. im ijarn ?i.w^^iViefiejiV 

Schlink^icll' ’fani! noch B v as eh (81dus? Ai ^biuo5e beim J «iahetjk*r dio 'Hy Ütfc 


Co gle 


• ..fV.V •.;.(v;\ö‘rig i na I fro m 

UNfyEESfjY OF MICHIGAN 


#4 Cf 




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514 H. Lohtisch, 

sobeidung stark erhöht, weniger Rhamnose und Xylose, ohne dass dabei die Trauben¬ 
zuckerausscheidung in die Höhe ging. Es ist danach im ganzen ein ungünstiger 
Einfluss, den die Pentosen auf den Diabetes haben. 

Bei Anstellung der Cellulose-Diabetikerversuche von Prof. Schmidt 
und mir (91), die wir im Februar 1906 in Angriff nahmen, ebenso bei 
Ausführung der Versuche über die Toleranz der Diabetiker gegen Hemi- 
cellulosen, die ich im Winter 1907 ausführte und über die ich im folgenden 
berichten will, waren uns ähnliche Versuche von Poulsson (69) unbekannt 
geblieben. Auch Poulsson hält es von vornherein für wahrscheinlich, 
dass die Hemicellulosen im Organismus des Menschen zerlegt und aus¬ 
genutzt werden und dass sie als Nahrungsmittel für den Menschen eine 
Rolle spielen können, besonders beim Diabetiker als Ersatz für Stärke 
und Zucker, eine Vermuthung, welche auch von Prof. Schmidt und 
mir (91) für Cellulose und Hemicellulosen ausgesprochen wurde und die 
Veranlassung zu unseren Untersuchungen gab. Poulsson hat 4 Versuche 
an Diabetikern ausgeführt. Als Fütterungsmaterial benutzte er die 
Cetraria islandica und in einem Falle auch die Cetraria nivalis. Nach 
einigen ergebnisslosen Versuchen gelang es ihm, aus den Flechten ein 
Brot herzustellen: die Flechten wurden grob gemahlen, als Bindemittel 
diente Hühnereiweiss und es wurde bei möglichst niedriger Temperatur 
gebacken. Dieses Brot ist, wie ich mich selbst überzeugt habe, ziemlich 
trocken und besitzt einen unangenehm faden Geschmack. Es sieht 
schwarzbraun aus und dürfte, wenigstens in unseren Gegenden, nicht 
gerade gern genommen werden. 

Die Versuche von Poulsson sind folgende: 

1. 42jähriger Mann. Bei strenger Diät täglich 50—60 g Zucker im Harn. Auf 
gewöhnliches Brot starker Anstieg des Zuckers und der Diurese. Tägliche Zucker¬ 
menge vor dem Versuch 48—50 g, währond des Versuchs, wobei in 6 Tagen 380 g 
Flechtenbrot (Cetraria nivalis) = 304 Flechtenkohlehydrate genommen wurden, 
44—45 g, in der Nachperiode 48—57 g. 

2. 63jährige Frau. Bei strenger Diät zuckerfrei. Nach 200 g Weizenbrot 
75—94 g Zucker. Bei 263 g Flechtenbrot (Cetraria islandica) = 184 g Kohlehydrate 
in 6y 2 Tagen zuckerfrei. Bei 75 g Weizenbrot in \ x / 2 Tagen 9 g Zucker im Harn. 

3. 55jähriger Mann. Bei strenger Diät 20 g Zucker. Bei tägl. 100 g Flechten¬ 
brot 20 g Zucker, bei tägl. 175 g Flechtenbrot 20 g, bei tägl. 200 g Flechtenbrot 
35—45 g Zucker im Harn. Auf 100 g Weizenbrot 80—90 g Zucker. 

4. 65jährige Frau. Bei strenger Diät zuckerfrei. Auf tägl. 100 g Weizenbrot 
42—46 g Zucker. Auf tägl. 100 g Flechtenbrot 36—44 g Zucker. 

Poulsson citirt aus der älteren Litteratur noch Külz (Beitr. z. Path. und 
Therap. d. Diabetes mellitus, Marburg 1874) und Cantani (Der Diabetes mellitus. 
Aus dem Italienischen von S. Hahn. Berlin 1877), welche beide das Flechtenbrot 
für Diabetiker empfehlen, ohne specielle Versuche mitteilen zu können, ferner eine 
Angabe eines norwegischen Arztes Bugge (Forhandlinger i det medicinske Selskab. 
Kristiania 1879), welcher bei einem Diabetiker bei Ersatz von gemischter Kost durch 
Flechtenbrot Sinken der Diurese und der Zuckermenge fand. 

Die Cetraria islandica enthält nach den übereinstimmenden Analysen 
von Poulsson (69) und K. Müller (31) eine wasserlösliche Hemicellu- 
lose, das Lichenin, welches bei der Hydrolyse Dextrose liefert, ferner 
wasserunlösliche Hemicellulosen, nämlich Dextran, Galactan und in 


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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 515 

geringerer Menge Pentosan. Nach Ulander (32) ist auch noch Mannan 
in der Flechte enthalten. Ganz entsprechend ist nach Poulsson auch 
die Cetraria nivalis zusammengesetzt. Meiner Ansicht nach ist die 
Zusammensetzung aus so vielen Hemicellulosen zur Anstellung von Ver¬ 
suchen an Diabetikern nicht sehr vorteilhaft, denn wenn wirklich Zucker 
gebildet würde, so würde man nicht entscheiden können, welcher der 
Hemicellulosen die Zuckerausscheidung zur Last fällt. Deshalb ist es 
besser, einfach zusammengesetzte Präparate zu verfüttern. Der von 
mir verwendete Agar, der nur Galactan enthält, entspricht dieser 
Forderung. Ferner vermisse ich bei Poulsson Angaben über die in 
den Fäces wieder ausgeschiedenen Hemicellulosemengen. Nach meinen Er¬ 
fahrungen (s. o.) ist die Ausnutzung der Hemicellulosen beim Menschen 
so verschieden, dass es mir nicht angängig erscheint, wie dies Poulsson 
thut, die bei 2 Versuchen an Gesunden erhaltenen, wenn auch gut über¬ 
einstimmenden Verdauungszahlen (49,25 und 46,22 pCt.) gleichsam als 
Standardzahlen auch auf alle anderen Fälle anzuwenden. Beim Menschen 
kann man doch nicht immer eine gleich gute Verdauung derartiger 
Substanzen erwarten, wie etwa beim Pflanzenfresser, dessen Darm zur 
Verarbeitung solcher Pflanzen besser eingerichtet ist. Deshalb ist es 
richtiger, beim Menschen in jedem Falle die Ausnutzung der Hemicellulosen 
zu bestimmen, wenn man nicht auf Vermuthungen angewiesen sein will. 

Den Einfluss der Hemicellulosen auf die diabetische Stoffwechsel- 
störung prüfte ich an 2 Diabetikern unter Controlle dei Zucker-, N- und 
Acetonausscheidung bei möglichst gleicher Diät. Alles Nähere ist aus 
den Tabellen (S. 516—517 und S. 518—519) ersichtlich. 

Das Resultat der Versuche ist kurz folgendes: Diabetiker mit 
sehr geringer Toleranz gegen die gewöhnlichen Kohlehydrate vertragen 
die Hemicellulose des Agars sehr gut, d. h. sie reagiren darauf weder 
mit vermehrter Zuckerausscheidung noch mit stärkerer N-Ausscheidung, 
verhalten sich also ganz anders, als der Diabetiker bei Galactose- 
fütterung und geben damit eine Bestätigung der Erfahrungen, die 
Poulsson (69) bei seinen Diabetikern und Prof. Schmidt und ich (91) 
bei den Cellulosediabetikern gesammelt haben. Besonders überzeugend 
wirkt Versuch II mit seiner so überaus reichlichen Heraicellulosenaus- 
nutzung. N - Retentionen, wie wir sie bei den Cellulosediabetikern 
beobachtet haben, kamen nicht vor. Etwas auffallend und verschieden 
von den Cellulose versuchen ist das Verhalten der Acetonausscheidung. 
In meinen beiden Versuchen ist in der Agarperiode die Gesammtaceton- 
raenge erhöht; der 2. Agartag liefert immer die höchsten Acetonwerthe. 
Von der Bedeutung dieser Vermehrung der Acetonraenge wird später 
die Rede sein. 

Da ein ungünstiger Einfluss der Hemicellulosen auf die diabetische 
Stoffwechselstörung nicht zu erkennen ist, so kommen sie als Nahrungs¬ 
mittel für den Diabetiker ernstlich in Frage. Es ist kein Grund vor¬ 
handen zu der Annahme, dass die Menge der resorbirten Hemicellulose 
nicht auch vollständig für den Organismus verwerthet wird. Unter der 
Voraussetzung, dass sie nur als Brennmaterial fungirt, würden die im 


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516 


H. Lohrisch, 


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Versuch I. S., Josef, Bergarbeiter, 18 Jahre. 


Datum 

Diät 

N 

Fett 

Kohle¬ 

hydrate 

18. 11. 

200 gehacktes Rindfleisch, 200 Kalbsbraten, 

29,85 

196,9 

179,5 

1907 

100 Butter, 300 Weissbrot, 50 Speck, 
50 Käse, 500 Milch, 150 Ei, 600 Bouillon 





= 3144,8 Calorien. 




19. 11. 

do. 

29,85 

196,9 

179,5 

20. 11. 

0,5 Carmin, do. 

29,85 

196,9 

179,5 

21. 11. 

do. 

29,85 

196,9 

179,5 

22. 11. 

— 92 Kalbsbraten, — 24 Käse, — 12 Speck 

23,58 

182,9 

179,5 

Mittelwerthe pro Tag in Periode I 

27,76 

192,2 

179,5 

23. 11. 

0,5 Carmin, 200 Rindfleisch, 200 Kalbs- 

29,87 

196,9 

179,5 


braten, 128,3 Butter, 300 Weissbrot, 
25 Speck, 50 Käse, 500 Milch, 150 Ei, 
600 Bouillon. 





24. 11. 

200 Rindfleisch, 200 Kalbfleisch, 156,6 Butter, 
300 Weissbrot, 50 Käse, 500 Milch, 150 Ei, 
600 Bouillon. 

29,88 

196,9 

179,5 

25. 11. 

do. 

29,88 

196,9 

179,5 

Mittelwerthe pro Tag in Periode II 

29,88 

196,9 

179,5 

26. 11. 

0,5 Carmin, 200 Rindfleisch, 200 Kalbs- 

28,63 

188,03 

164,2 


braten, 156,6 Butter, 300 Weissbrot, 
50 Käse, 250 Milch, 150 Ei, 600 Bouillon. 




27. 11. 

200 Rindfleisch, 200 Kalbsbraten, 156,6 

31,13 

205,8 

190,8 


Butter, 300 Weissbrot, 50 Käse, 750 Milch, 
150 Ei, 600 Bouillon. 




28. 11. 

Wie am 24. 11. 

29,88 

196,9 

179,5 

Mittelwerthe pro Tag in Periode UI 

29,88 

196,9 

179,5 

29. 11. 

Wie am 24. 11., 0,5 Carmin. 

29,88 

196,9 

179,5 


Versuch 1 verdauten 54,9 g Hemicellulose 23,7 g Fett, die im Ver¬ 
such II verdauten 107,7 g 34,3 g Fett sparen können, d. h. 100 g ein¬ 
geführter Hemicellulose könnten je nach der Grösse ihres Verdauungs- 
coefficienten 16—32 g Fett vor der Verbrennung schützen. Es sind 
dies ähnliche Zahlen, wie wir sie auch für die Cellulose herausgerechnet 
haben (91). Doch besteht insofern ein grosser Unterschied zwischen 
Cellulose und Hemicellulose, als es beim Menschen kaum möglich ist, 
täglich 100 g Cellulose zuzuführen, wogegen es nicht schwer sein 
dürfte, täglich 100 g Hemicellulose aufnehmen zu lassen. 

Diese nicht uninteressanten Ergebnisse beim Diabetiker forderten 
dazu auf, dieselben Verhältnisse auch beim Pflanzenfresser zu unter¬ 
suchen, denn es war denkbar, dass hier andere Vorgänge stattfänden. 
Es waren hierbei vor allem 2 Punkte zu berücksichtigen: 


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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 517 


Diagnose: Diabetes mellitus. 



1. war der Einfluss der Agarhemicellulose, des Galactans, auf die 
N-Ausscheidung des Pflanzenfressers zu prüfen und mit dem der Galac- 
tose zu vergleichen, deren N-sparende Wirkung Brasch (81) gezeigt 
hat. Hierzu schienen nach dem Vorgang nach Brasch Hungerthiere 
am geeignetsten zu sein. 

2. war festzustellen, ob die Agarhemicellulose eben so wie die 
Galactose beim diabetischen Pflanzenfresser die Zuckerausscheidung ver¬ 
mehrt und ob sie Glycogen bildet. 

Auch für diese Versuche, über die ich im Folgenden berichten will, 
habe ich seiner quantitativ besseren Verdaulichkeit wegen, mit nur 
wenigen Ausnahmen, den Agar benutzt, da es statthaft erschien, die 
dabei etwa gewonnenen Resultate auch auf die Cellulose zu übertragen. 


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518 


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H. Lohrisch, 


Versuch II. C., Gustav, Schlosser, 31 Jahre. 


Datum 

Diät 

N 

Fett 

Kohle¬ 

hydrate 


26. 11. 
1907 

150 Ei, 100 Butter, 25 Speck, 25 Käse, 
120 gehacktes Rindfleisch, 100 Kalbs¬ 
braten, 300 Semmel, 500 Milch, 300 Bouillon 
= 2633,1 Calorien. 

19,99 

159,57 

178,11 


27. 11. 

28. 11. 
29. 11. 

0,5 Carmin, do. 

do. 

do. 

19,99 

19,99 

19,99 

159,57 

159,57 

159,57 

178,11 

178,11 

178,11 

Mittelzahlen pro Tag in Periode I 

19,99 

159,57 

178,11 

30. 11. 

1. 12. 
2. 12. 

0,5 Garmin, do. 

do. 

do. 

19,99 

19,99 

19,99 

159,57 

159,57 

159,57 

178,11 

178,11 

178,11 

Mittelzahlen pro Tag in Periode II 

19,99 

159,57 

178,11 

3. 12. 

4. 12. 

5. 12. 

0,5 Carmin, do. 

do. 

do. 

19,99 

19,99 

19,99 

159,57 

159,57 

159,57 

178,11 

178,11 

178,11 

Mittelzahlen pro Tag in Periode III 

19,99 

159,57 

178,11 

6. 12. 

7. 12, 

0,5 Carmin, do. 

do. 

19,99 

19,99 

159,57 

159,57 

178,11 

178,11 


1. Das Verhalten der Hemicellulosen beim hungernden 

Pflanzenfresser. 

Zu diesen Versuchen wurden 2 Kaninchen (Männchen) von annähernd 
gleichem Gewicht katheterisirt, gewogen und in Käfige gesetzt, welche 
ein genaues Sammeln von Koth und Urin gestatteten. Die Thiere be¬ 
kamen nur Wasser und hungerten zunächst zwei Tage. Dann wurde 
dem einen Kaninchen gewöhnlicher klein geschnittener Agar vorgelegt, 
welcher begierig gefressen wurde. Das Controlthier hungerte weiter. 
Die Agarfütterung wurde so lange fortgesetzt, als das Thier frass. 
Meist hörte aber die Fresslust schon am zweiten Agartage vollständig 
auf. Dann wurde das Thier wieder auf Carenz gesetzt. Die Thiere 
wurden jeden Morgen zu bestimmter Stunde katheterisirt, der Katheter¬ 
urin mit dem Urin der letzten 24 Stunden und dem Käfigspülwasser 
vereinigt, der Koth sorgfältig gesammelt. Nach dem Katheterisiren 
wurde gewogen. Wasserconsum und Urinmengen wurden genau festge¬ 
stellt. Der Harnstickstoff wurde nach Kjeldahl bestimmt. Die Menge 
des verdauten Agars wurde durch Vergleich der Zuckermenge in Futter 
und Koth festgestellt. Das Sammeln der einem bestimmten Futter ent¬ 
sprechenden Fäcesmenge ist bei Kaninchen kaum in exacter Weise 


Gck igle 


Original fro-m 

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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 519 


Diagnose: Diabetes mellitus. Hochgradige chron. habituelle Obstipation. 



möglich, da es nur schwer gelingt, den Darm, insbesondere den Blind¬ 
darm, vor Anstellung des Versuchs vollständig zu entleeren. Ich habe 
-den Koth immer vom Beginn der Agarperiode an gesammelt und diesen 
mit dem gesamraten Darminhalt, der bei der Section noch gefunden 
wurde, vereinigt. Auf diese Weise dürften die Werthc für Zucker im 
Koth vielleicht etwas zu hoch ausgefallen sein, so dass die Menge des 
verdauten Agars in Wirklichkeit etwas höher sein wird. Der aufge¬ 
nommene gewöhnliche Agar beeinflusste die Form des Kothes in keiner 
Weise, ln dem Blinddarminhalt waren keine Agarstückchen mehr zu sehen. 

(Hier folgt Tabelle S. 5*20.) 

In der ersten Versuchsreihe ist ein deutlicher Einfluss des verdauten 
Agars auf die N-Ausscheidung nicht zu sehen, wenn auch am 1. Agar¬ 
tage die N-Menge etwas heruntergeht. Das Agarthier war am 5. Tage 
schon so matt, dass es das Hungerthier wohl kaum überlebt hätte, auch 
wenn es nicht durch einen unglücklichen Zufall vorzeitig gestorben wäre. 
Der Gewichtsanstieg bei der Aufnahme des Agars erklärt sich durch die 
damit verbundene Wasserretention. Im Versuch II ist bei dem Agarthier 
die N-Ausscheidung deutlich vermindert. Das Agarthier überlebt das 
Hungerthier um 1 Tag. 


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20 Min. V. bis I — i — 9 42 800 0,3740 


520 


H. Lohrisch 



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L. am IG. 1*2. 1907 Morgen« 9 Uhr 20 Min. Kaninchen lb, wiegt am IG. 12. 1907 Morgen» 

dom Kathoterisircn 1112 g. nach dom Kathoterisiren 1177 g. 













Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenrerdauung beim Menschen etc. 521 


Section von Kaninchen la: Hochgradigste Abmagerung, im 
Magen Wasser und etwas gequollener Agar. Duodenum und obere 
Dünndarmhälfte leer. Unterer Dünndarm wenig gefüllt. Coecum 
strotzend gefüllt, starke Füllung der oberen Dickdarmhälfte. Rectum 
leer, Darmschlingen nicht durch Gas gebläht. Organe der Brust- und 
Bauchhöhle ohne Besonderheiten. 

Section von Kaninchen Ib: Füilung des Darms etwa wie bei 
Kaninchen Ia, besonders im Coecum reichlicher Inhalt. 

Section von Kaninchen Ha: Dickdarm und Coecum stark gefüllt, 
im Dünndarm dünnbreiiger Inhalt, ohne dass man Agarstückchen darin 
erkennen könnte. Brust- und Bauchorgane intact. 

Section von Kaninchen Ilb: Das Thier biotet wie Kaninchen Ila 
das Bild hochgradigster Abmagerung bei gesunden inneren Organen. 
Coecum stark gefüllt. 

Kaninchen lila, wiegt am 28. 12. 1907, 11 U. V., Kaninchen 111 b, wiegt am 28.12.1907,11 U.V., 
nach dem Katheterisiren 1340 g. nach dem Katheterisiren 1538 g. 


Datum 

Futter = 
löslicher 
Agar luft¬ 
trocken 

O..H 

£ 6 
US ä) 

a 

’C 

a 

53 

28. 12. 11 U. V., bis 29. 12. 

9 U. 22 Min. V. 

— 

1226 

0,4960 

29. 12. 9 U. 22 Min. V. bis 
30. 12. 9 U. 40 Min. V. 

8 

1193 

0,8360 

30. 12. 9 U. 40 Min. V. bis 
31. 12. 9 U. 30 Min. V. 

20 j 

1200 

0,6139 

31. 12. 07 9 U. 30 Min. V. bis 
1. 1. 08 9 U. 30 Min. V. 

16 i 

1135 

0,5410 

1. 1. 9 U. 30 Min. V. bis 

2. 1. 9 U. 30 Min. V. 

3 

1066 

0,5337 

2. 1. 9 ü. 30 Min. V. bis 

3. 1. 9 U. 30 Min. V. 

16 

1021 

0,8070 

3. 1. 9 U. 30 Min. V. bis 

4. 1. 9 U. 30 Min. V. 

23 ge¬ 
wöhnlich. 

Agar 

gefressen. 

1013 

1,3380 

4. 1. 9 U. 30 Min. V. bis 

5. 1. 9 U. 45 Min. V. 

5,7 ge- 
wohnlich. 

Agar 

gefressen. 

893 

1 

0,5030 

5. 1. 9 ü. 45 Min. V. bis 

6. 1. 9 ü. 45 Min. V. 

13 1 

i 

i 

868 

1,100 

6. 1. 9 U. 45 Min. V. bis 

7. 1. (todt). 

24 j 

1 

887 

2,5090 


Kaninchen lila bat aufgenommen: 

105 lösi. Agar=95,9Trockensubstanz = 65,02 Hernie. 
28,7 gewöhnlichen 

Trockenagar =22,1 » 

87,12 Hemic. 

ausgeschie den: 63,5 Trockenkoth = 25,27 „ 

verdaut: 61,85 Hemic. 



28. 12. 11 U. V. bis 29. 12. 

9 U. 22 Min. V. 

29. 12. 9 U. 22 Min. V. bis 
30. 12. 9 U. 25 Min. V. 

30. 12. 9 U. 25 Min. V. bis 

31. 12. 9 U. V. 

31. 12. 9 U. V. bis 1. 1. 

08 9 U. V. 

1. 1. 9 U. V. bis 2. 1. 

9 U. V. 

2. 1. 9 U. V. bis 3. 1. 

9 U. V. 

3. 1. 9 U. V. bis 4. 1. 

9 U. V. 

4. 1. 9 U. V. bis 5. 1. 

9 U. 30 Min. V. 

5. 1. 9 U. 30 Min. Y. bis 

6. 1. 9 U. 20 Min. V. 

6. 1. 9 U. 20 Min. Y. bis 

7. 1. 9 U. 20 Min. V. 

7. 1. 9 U. 20 Min. V. bis 

8. 1. 9 U. 20 Min. V. 

8. 1. 9 ü. 20 Min. V. bis 

9. 1. 9 U. 20 Min. V. 

9. 1. 9 U. 20 Min. V. bis 

10. 1. 9 U. 20 Min. V. 


— 1532 0,1530 

— 1484 0,9450 

— 1448 0,8680 

— 1412 0,4367 

— 1392 0,2504 

— 1327 0,2475 

— 1293 0,6050 

— 1243 [0,9150 

— 1228 0,8960 

— j 1224 1,2450 

! i 

— | 1155 0,3170 

k. 1 

— 1122 1,1427 

— 1103 I 0,4700 


Lebt noch bis zum 13. 1. 190S. 


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522 


H. Lohrisch, 


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In einer dritten Versuchreihe wurde löslicher Agar verfüttert. Die 
Thiere wurden wie oben vorbehandelt und hungerten einen Tag. Das 
eine Thier bekam den löslichen Agar in wässeriger Lösung mittelst 
Schlundsonde eingeführt. Am 7. und 8. Tag wurde dem Thier, weil 
sich Durchfälle eingestellt hatten, an Stelle des löslichen Agars gewöhn¬ 
licher Agar vorgelegt, von dem es leidlich frass. Infolge der Unruhe 
der Thiere war es bei diesen Versuchen nicht immer möglich, den 
Wasserconsum und die Urinmengen unverdünnt exact zu messen; deshalb 
habe ich von einer Wiedergabe der entsprechenden Zahlen in der Tabelle 
(S. 521) abgesehen. Der gesammelte Koth wurde auch hier wieder mit 
dem bei der Section gewonnenen Darminhalt vereinigt. 

In diesen Versuchen kann von einer Beeinflussung der N-Ausschei- 
dung durch die verdaute Hemicellulose keine Rede sein. Der Eiweiss¬ 
zerfall zeigt bei beiden Thieren Schwankungen, geht aber doch mit einer 
gewissen Regelmässigkeit vor sich so, dass bei beiden Thieren am 
2. Tag eine starke Steigerung der N-Ausscheidung erfolgt (nach Verbrauch 
des Glycogens), worauf ein langsames Absinken der N-Ausscheidung bei 
leidlich gleichmässigen Werthen zu beobachten ist, während gegen den 
Exitus hin die N-Ausscheidung wieder ansteigt. Der Verlauf entspricht 
also ungefähr dem von C. Voit (98) für das hungernde Thier festge¬ 
stellten. Trotz reichlicher Hemicelluloseverdauung nimmt das Agarthier 
rapid ab und stirbt viele Tage vor dem Controlthier. 

Section Kaninchen lila: Der ganze Verdaunngstract stark 
gebläht. Dünndarm wenig gefüllt, Coecum mit reichlich dünnbreiigem 
Koth, Dickdarm leer. 

Section Kaninchen IIIb: Im Coecum noch reichlich Inhalt. 

2. Das Verhalten der Hemicellulosen im Organismus 
des diabetisch gemachten Pflanzenfressers. 

Für diese Versuche benutzte ich Kaninchen, die durch Phlorhizin 
diabetisch gemacht wurden. Die Thiere hungerten zunächst 2 Tage und 
standen dann 2 Tage unter Phlorhizin, ehe der eigentliche Fütterungs¬ 
versuch begann. Sie erhielten auf 800 — 1500 g Gewicht 12stündlich 
subcutan 1,0 Phlorhizin, um sie nach Möglichkeit in einen totalen 
Phlorhizindiabetes [Lusk (99)] mit dem Quotienten 2,8 : 1 zu bringen. 
Misserfolge kamen hierbei häufig vor insofern, als die Kaninchen unter 
dem Einfluss des Phlorhizins oft collabirten und unter Krämpfen sehr 
schnell starben. Sie zeigten sich so empfindlich gegen Phlorhizin, dass 
mit möglichst geringen Mengen auszukommen gesucht wurde. Aus dem¬ 
selben Grunde wurde auch nicht in jedem Versuch der Forderung 
Brasch’s (81) entsprochen, dass man eigentlich erst das Verhältnis 
D: N des 3. Phlorhizintages als Maass des durch Nahrungszufuhr unbe¬ 
einflussten Stoffumsatzes ansehen dürfe. Dieser Forderung genügen die 
Fälle I, IV und VII. Die Thiere wurden in Käfigen gehalten, die das 
Sammeln des Urins gestatteten. In regelmässig 24stündigcn Perioden 
wurde katheterisirt, der Katheterurin mit dem spontan entleerten Urin 
und dem Spülwasser vereinigt. Nach dem Katheterisircn wurde gewogen. 
Der Urinstickstoff wurde nach Kjeldahl, der Zucker nach Strasburger 


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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 523 


bestimmt. Verfüttert wurde löslicher Agar (mittelst Schlundsonde), ge¬ 
wöhnlicher Agar und reine Cellulose. 


Kaninchen I erhielt nach 2tägiger Carenz 12stündlich 1,0 Phlor- 
hizin. Gewicht zu Beginn der Phlorhizinperiode 1595 g. 



Nahrung 

D 

N 

D : N 

Gewicht 

1. Phlorhizintag: 

— 

6,347 

2,095 

3,03 

1500 g 

2. 

— 

Urin verloren gegangen 

1400 g 

3- 

— 

4,906 

1,912 

2,57 

1307 g 

f- 

20 g lösl. Agar 

7,492 

2,963 

2,53 

1263 g 

T) 

20 g lösl. Agar 

6,409 

2,377 

2,69 

1140 g 

Es findet keine einseitige Steigerung von 

i D oder N statt. Der 

Quotient bleibt zi 

emlich constant und 

nähert sich dem 

Werthe 

2,8. 

Kaninchen 

11 wird wie Kaninchen 1 behandelt. Gewicht 

zu Beginn 

der Phlorhizinperiode 1030 g. 






Nahrung 

D 

N 

D : N 

Gewicht 

1. Phlorhizintag: 

— 

2,137 

1,058 

2,02 

979 g 

2- 

— 

2,403 

1,181 

2,03 

908 g 

3. 

20 g lösl. Agar 

2,375 

1,196 

1,99 

885 g 

4- 

10 g lösl. Agar 

0,584 

0,352 

1,66 

874 g 

D und N verhalten sich ähnlich 

wie bei 

Kaninchen I, 

nur dass 

hier der Quotient auffallend niedrig ist. 




Kaninchen 

III behandelt wie 

Kaninchen 

I. Gewicht 

zu Beginn 

der Phlorhizinperiode 1803 g. 






Nahrung 

D 

N 

D: N 

Gewicht 

1. Phlorhizintag: 

— 

4,525 

2,432 

1,86 

1693 g 

2- 

— 

4,213 

2,212 

1,90 

1620 g 

3- n 

25 g lösl. Agar 

1,183 

0,833 

1,42 

1555 g 


Keine einseitige Beeinflussung der Zucker- oder N-Ausscheidung. 
Die Zuckerausscheidung wird immer durch den Eiweisszerfall geregelt. 
Auch hier wieder auffallend niedriger Quotient. 


Aehnlich liegen die Verhältnisse bei Kaninchen IV, vorbehandelt 
wie Kaninchen I. Gewicht am Ende des 2. Phlorhizintages 1429 g. 

Nahrung D N D: N Gewicht 

3. Phlorhizintag: — 8,490 4,135 2,05 1305 g 

4. „ 20 g gewöhnl. Agar 5,262 3,505 1,50 1234 g 

Kaninchen V, wie Kaninchen I behandelt. Gewicht zu Beginn 
der Phlorhizinperiode 1582 g, am Ende des 1. Phlorhizintages 1425 g. 

Nahrung D N D: N Gewicht 

2. Phlorhizintag: — 3,704 1,826 2,03 1320 g 

3. „ 10 g reine Cellulose 4,560 2,350 1,94 1238 g 

4. „ 5 g reine Cellulose 4,1722 2,196 1,90 1125 g 

5. „ — 3,281 2,023 1,62 1009 g 


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524 H. Lohrisch, 


Kaninchen VI, wie Kaninchen I behandelt. Gewicht am Ende 
des 2. Phlorhizintages 1444 g. 




Nahrung 

D 

N 

D: N 

Gewicht 

3. 

Phlorhizintag: 

10 g reine Cellulose 

1,622 

0,855 

1,9 

1434 g 

4. 

V 

5 g reine Cellulose 

7,420 

2,632 

2,82 

1308 g 

5. 

r> 

— 

2,250 

1,239 

1,81 

1230 g 

6. 

Ti 

— 

2,721 

1,486 

1,83 

1130 g 


Kaninchen 

VII, hungert 2 Tage, bekommt dann 

12 stündlich 2 g 

Phlorhizin subcutan. Gewicht am Ende des 1. 

Phlorhizintages 2374 g. 



Nahrung 

D 

N 

D:N 

Gewicht 

2. 

Phlorhizintag: 

— 

7,672 

2,341 

3,28 

2273 g 

3. 

TI 

— 

10,200 

3,360 

3,06 

2137 g 

4. 

TI 

20 g reine Cellulose 

10,890 

3,388 

3,21 

2045 g 

5. 

n 

— 

9,128 

3,517 

2,59 

1897 g 

6. 

n 

— 

8,532 

3,125 

2,73 

1808 g 


Die Cellulose versuche liefern dasselbe Ergebnis wie die Agarversuche: 
Kein auffallender Anstieg der Zuckerausscheidung, keine N-sparende 
Wirkung, keine Erhöhung des Quotienten, mithin kein Grund zu der 
Annahme, dass aus der Cellulose oder der Hemicellulose Glycogen ge¬ 
bildet wird. Abweichend verhält sich nur Versuch VI, in dem am 
2. Cellulosetag ein Anstieg der Zuckerausscheidung über das Maass der 
N-Ausscheidung hinaus erfolgt und der Quotient erhöht ist. Ueber die 
Ursache dieses Verhaltens kann ich mich nicht bestimmt äussern; ich 
glaube jedenfalls nicht, dass man darin etwa einen Beweis für Glycogen- 
bildung aus Cellulose sehen kann, nachdem die anderen Versuche mit 
viel grösseren Cellulosemengen in dieser Beziehung negativ ausgefallen sind. 

Die vorstehenden Versuche mit ihren immerhin nicht uninteressanten 
Resultaten helfen nicht über die Schwierigkeiten hinweg, die der Be¬ 
antwortung der Frage nach dem Ablauf der Hemicelluloseverdauung 
entgegenstehen. Wir wissen, dass Cellulose und Hemicellulosen vom 
Menschen reichlich verdaut werden, wir haben allen Grund anzunehraen, 
dass ihre Verdauung nach Analogie der Stärke abläuft, sind uns aber 
über die Umwandlungen, die diese Substanzen bei der Verdauung er¬ 
fahren, noch vollständig im Unklaren und wissen nur, dass beim Menschen 
kein Zucker und beim Thiere kein Zucker und kein Glycogen gebildet 
wird. Um diese Frage nach Möglichkeit weiter aufzuklären, schienen 
Respirationsversuche am geeignetsten zu sein. Ich will im folgenden 
kurz über eine Anzahl derartiger Versuche berichten. Ich benutzte auch 
hierbei, seiner quantitativ besseren Verdaulichkeit wegen den löslichen 
Agar (mit Ausnahme eines Versuchs), da es statthaft erschien, die dabei 
gewonnenen Resultate auch auf die Cellulose zu übertragen. Die Ver¬ 
suche wurden mit Hülfe des Zuntz-Geppert’schen Appartes ausgeführt. 

Nach den Versuchen von Magnus-Lewy (100) am Zuntz-Geppert’schen 
Apparat gestaltet sich beim Hund der Gaswechsel bei Kohlehydratfütterung folgender- 
rnaassen: Schon in den beiden ersten Stunden nach Einnahme reichlicher Mengen 
Kohlehydrate (500 g Reis = 400 g Stärke) findet eine erhebliche Zunahme der Ver- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Der Vorgang der Cellulose- u. HemicellulosenVerdauung beim Menschen etc. 525 

brennungsprooesse statt, bis das Maximum (-|- 39 pCt. 0 2 ) in der 6. bis 8. Stunde 
erreicht wird. Von der 12. Stunde ab sinkt der 0 2 -Verbrauch und fallt dann 
schneller, sodass von der 14. bis 15. Stunde ab die 0 2 -Werte die Nuohternwerte nur 
wenig übertreffen. Der respiratorische Quotient steigt dabei schon in der ersten 
Stunde auf 0,90 an, d. h. schon in allerkürzester Zeit beginnt die Verdauung und 
Resorption der Kohlehydrate. Er hält sich dann von der 4. bis 12. Stunde fast 
durchweg auf 1,0, woraus hervorgeht, dass die einmal resorbirten Kohlehydrate auoh 
sofort am Stoffwechsel theilnehmen und bei genügend reichlicher Zufuhr das Körper¬ 
fett ganz und jedenfalls auch einen Theil des Eiweisses aus dem Stoffwechsel ver¬ 
drängen. Von der 13. Stunde ab sinkt der R.Q ganz allmählich und kommt naoh 
24 Stunden auf einem Worth an, der etwas höher ist als der Nüchternwerth. Die 
C0 2 -Production erfährt bei Kohlehydratzufuhr eine Steigerung, die höher ist als die 
des 0 2 . Die Berechnung der Sauerstoffverbrennung für 24 Stunden ergab, dass der 
Hund nach Abzug des für das zersetzte Eiweiss verbrauchten 0 2 wesentlich weniger 
0 2 consumirt hatte als zur Verbrennung der 400 g Stärke erforderlich gewesen wäre. 
Der Ueberschuss an Stärke war wahrscheinlich als Glycogen abgelagert worden. Aus 
der in der 5. bis 12. Stunde fast dauernd eingehaltenen Höhe des R.Q (1,02 bis 1,06) 
kann ferner geschlossen werden, dass aus den Kohlehydraten Fett unter C0 2 -Ab- 
spaltung gebildet worden ist. Dass Kohlehydrate zu Fett umgewandelt werden 
können, ist ja sicher nachgewiesen. 

In einigen Versuchen am Hund bei Fütterung mit einer nur dem nothwendigsten 
Bedarf gerade entsprechenden Menge von Kohlehydraten (300 g Reis) zeigten die 
verschiedenen Processe eine deutlich geringere Steigerung als bei überschüssiger 
Zufuhr von Stärke. Die Steigerung des 0 2 -Verbrauchs tritt auch hier bereits in der 
ersten Stunde ein. Ein Maximum von 12—20 pCt. wird in der 6. bis 8. Stunde 
erreicht; dann geht die Verbrennung rasch zurüok und erreicht die Anfangswerthe 
in der 10. bis 12. Stunde. Der R.Q wächst sehr bald nach Einnahme des Futters 
und erreicht in der 5. bis 8. Stunde beinahe den Werth 1,00. Die C0 2 -Production 
zeigt keine wesentliche Veränderung gegenüber dem oben geschilderten Verhalten. 

Beim Menschen steigt bei Verzehrung von 140—160 g Stärke in Form von 
Brot der 0 2 -Verbrauch in den ersten drei Stunden bis um 33 pCt. In der 
dritten Stunde sinkt die 0 2 -Curve ab und erreicht in der 4. bis 5. Stunde 
ziemlich die ursprüngliche Höhe. Dann beginnt ein neuer kleinerer Anstieg 
während mehrerer Stunden, der nach Magnus-Lewy (100) vielleicht auf die 
erst in späteren Stunden nach der Aufnahme eintretende Darmverdauung zu be¬ 
ziehen sein könnte. Der R.Q ist schon in der ersten Stunde deutlich erhöht, ist 
am höchsten in der 2. bis 3. Stunde, geht aber über den Werth von 0,91 nicht 
hinaus, d. h. die Umwandlung und Resorption der Stärke findet hier nicht so schnell 
und energisch statt, um eine Ueberschwemmung des ganzen Körpers mit Kohlehydraten 
und einen fast völligen Ausschluss der anderen Körperbestandtheile von der Oxydation 
zu ermöglichen, wie das beim Reishund der Fall ist. Es kreisen aber noch in der 
4. bis 5. Stunde reichlich Kohlehydrate im Körper, ohne dass die Oxydationsprocesse 
wesentlich erhöht wären, „ein Beweis dafür, dass nicht das Kreisen mit der Nahrung 
zugeführter verbrennlicher Moleküle an sich unbedingt den Umsatz im Körper steigern 
müsse“. 

Bei Rohr- und Traubenzuckeraufnahme ist beim Menschen der 0 2 -Verbrauch 
in der ersten Stunde ebenfalls deutlich gesteigert, allerdings weniger als bei Brot¬ 
verzehr. Der R.Q. steigt ebenfalls in der ersten Stunde schon stark an, bis zu 0,93. 
Ein Theil des Zuckers wird, wie der R.Q zeigt, sofort verwendet, ein anderer Theil 
wird zunächst der Verbrennung entzogen und bei der völligen Ruhe der Versuchs¬ 
person als Glycogen deponirt. Denn der thierische Organismus hat das Bestreben, 
„sich in der Ruhe, selbst bei absoluter Carenz (in diesem Falle aus den Zerfalls- 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5 . Bd. 34 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





H. Loli fisch 


H t.nr uns 10 l/br 5 Mm. vciiffonags 30U curat t'rm rmt 
1,8?« N von 10 Uhr Min. Vormittags bis* 5 I hr -10 Min, Nachmittag« 
700 «fim Urin mit -*>.,37 N- Im Kult» worden *2f>,4 HemieeHniosen 
w i--')!*!- aiisgeschteden, mir den 100 g Aear sind 81.9 HemicelJulosen 
.unfsreooinmen worden: V-crdaat .sind also jift.a üemieelhiloson ■= •.§8.3 j<Ct. 


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t tXfii iOit'.H - 

ühr.-uh 

t?H,54 


Vorvn !i U 44 jähriger gesunder Mann. Uewieht 59,0 kg, War 

sefum frftW fmolig Versucfeimfson für Ik'Sj/irattonsYersnefcc, rühmet sehr 
ruhig und gkudun. : i.vsig. heil .14 Stunden nüchtern. Beginn des Versi.K'iSs 
am *28. 3. 08 Monoms | Ohr 40 Mm. Nimmt von 10 Uhr bis iO Uhr 
ft Mio V.ii-fmli.'ijrs 30 g 'löslichen Agar in Furta von Tafesetü?ft, dk er 
kV»tftund jnit ftuiem Glase Wasser verschluckt, rmd 80 g Agar ' n Wasser 
aiismunen 11.0 g Agar -■- (>7,8 Hmnieellulose. Im Koth 23,4 
H'.m'i'ft'ilulosc. verdau'!. 44.4 Herne. eft$OÄf - ft5,5 pCi. 

Vers"uch III. I.'orstdbe Mann wie m Versuch 11, wiegt jetzt 57,8 kg, 
«li-clncrn seit -13 Stunden Beginn des Yerätoefe» am ff. 4. 08. 7 Uhr 
*28 Min. '.Morgens. Aihmung verlauft ohne Storung. Nimmt von 8 Uhr 
bis 8 Uhr 40 Alm. WO g Agar, m Wasser .goibst. 


'il i 
v< . 

’ft | ft tV., ■ j fY». L 

i<r. 

-f jO.v f 

.euer ; 




l)ftt Vorgang d<sr Oejld)^- u. flfmicellulösenverdauung beim Menschen etc, 527 


Zu Versuch II. 


Ä'tflJfnVö'.c 


••rat 


48 <V) j M 44 iM b.ftUO MW.'n 1 :> 6.53 
^iUO k&St -IM - o.tT'5 -. tftM* . 

b ' 0,7%* - 1»K\I» . 1451 i 


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dH »?.?;<(». jt'i.it» i Mt;*# 
ä), io., i,ii( +47 i i$m 


Zn Versuch 111. 


Zunahme- 


5.4-5 tö;,2,mn\iM 0.7SST IT3.55 1*8,04 

N ü e h i Ö. Ö v. r t !> • 0 7H1) . 153,33» 138.04 


5.51 ->M «-ÄJ.V - 178.47 145.S8 

»UÖ t,% &M)' im-M UM» 

WM -UM 1074 185.7)3 145h.U 

•1,ii4 OHM nn.t r trau 

£jÜ 84.15 0.660 IHM 140.14 


4 3 414 

+ 5 +-18'/. 

+ 7 +12 

-4 1Ü 4- 11 

458Vs: -4l«'A 


Diese 3 Versoebe sind, wie die Tabellen zeigen,, ziemlich gleich- 
massig ausgefallen: 

Der 0 2 -YerbraiH‘,h zeigt. ziinÄclfsf .geriugftii A»5ii«e, $®ht' aber in 
d«b 4. Stunde auf de« Nychtevhwgrtli zurück{Id oderAsogar unter den 
Nüchtern werth herunter (Mi. Nur ''inVersuch (11 hüll sieh der <» a Ver¬ 
brauch in der 4. Stunde auf einet über den Nüchtern wen h wenig hinaus- 
gehenden Höhe. Von der 5. - +». StnrKlc ab lindet, in allen 4 Füllen cm 
allmählicher 0 2 -Anstieg statt, dgr im Fall Hl 28 1 /? fA’>. .erreicht. Also 
gar keine oder nur unbedettfemle Steigerung des 0 ; -Verbniü, iis Zur Zeit 
der He>’,»ice! Io losenverdaaafig. 

£>ie COj>Frod«<.-li'>n steief iro Gcgensai/. hierzu in der 4- *»*.< 
4. Stunde in allen Fällen an, äm stärksten- und sehr gteichm:issi|j p 
den Versnoben 1 uml 111. Von der 7. Stunde ab sinkt die .C-Cb-Aus- 
seiuudung sehr schnell und bleibt hei 1 und J! sehr niedrig ja. Mdb-f 







528 


H. Lohrisoh, 


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unter dem Nüchternwerth, während sie bei III zwar in der 5. Stunde 
auch sinkt, aber nur unbedeutend. 

Der respiratorische Quotient verhält sich in allen Versuchen 
sehr gut übereinstimmend, wie folgende Zusammenstellung zeigt: 


a 

_£2 


Stunden nach der Aufnahme des Agars 



s ► 

z 

1 . 

2. 3. 

! i 

4. 

, 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. | 

10. 

11 . 

12. 

13. 

I. 

II. 

III. 

0,768 

0,786 

0,739 

0,768 

i i 

0,76610,835 0,860 
— |0,7940,825 
' — |0,815|0,800 

0,770 

0,767 

0.774 

0,735 

0,724 

0,714 

i 

0,693 

0,730 

0,703 

1 1 1 

0,618 

i 

0,669 


0,764 

0,768 0,766 0,315 0,8280,770 0,735 0,719 — 0,69310,716. — 0,618 

0,669 


In der 1. und 2. Stunde jiach Aufnahme des Agars ist der R. Q. 
nicht beeinflusst. Ein deutlicher Anstieg des R. Q. findet aber in der 
3. Stunde statt, der seinen Höhepunkt in der 4. Stunde erreicht. In 
der 5. Stunde langsamer Abfall, von der 6. Stunde an ziemlich rasches 
Sinken des R. Q. bis zu auffallend niedrigen Werthen. Dieser starke 
Abfall des R. Q. in den späteren Stunden nach Aufnahme des Agars, 
den ich auch in einigen anderen Versuchen, auf die ich unten zurück- 
komraen werde, beobachtete und der stärker ist als der, den Magnus- 
Lewy (100) beim hungernden Menschen beobachtet hat, veranlasste 
mich, das Verhalten des R. Q. auch noch über die 13. Stunde nach 
Aufnahme von löslichem Agar hinaus zu verfolgen (Versuch IV). Ich 
benutzte dazu die Versuchsperson der Versuche II und III. 

Versuch IV. Der Mann nimmt am 4. 4. 08 y 2 l Uhr Mittags 
Kartoffeln mit Rosinensauce. Am 4. 4. Abends 11 Uhr bis 5. 4. Nachts 
y 2 l Uhr nimmt er 100 g löslichen Agar, 80 g in Wasser gelöst, 20 g 
in Tabletten. Versuch beginnt am 5. 4. 08 Morgens 8 Uhr 33 Min. 


No. des 
Versuchs 

Beginn 

P des | 

M Versuchs 

Dauer 

des Versuchs 
in Minuten 

1 o 

g : 

~ an a 1 
& •— 1 

1 ^ 

tß 

ccm 

J3 

O 

3 

O 

o 

pCt. 

r § 

■ 

■ o § 

, 

1 £ 
pCt. 

sc 

rO 

0 0 2 -Ver- 

| brauch pro 
Minute 

£> &£ 

• o q 
m a .5 

§|* 

ccm 

Zeit nach 
Beginn der 
Agarauf¬ 
nahme 

1 

8,33 24 

4602 

4,20 

2,59 

0,617 193,28 

119,19 

10. Stunde 

2 

11,22 23 

4842 

4,18 

2,97 

! 0,710 202,39 

143,81 

13. „ 

3 

1,6 22 

2,38 23 

[ 4910 

4,11 

2,90 

j 0,706 | 201,90 

142,39 

15. * 

4 

4740 

4,53 

3,17 
| 3,30 

0,700 | 214,72 

150,26 

16. „ 

5 

3,18 23 

4819 j 

4,86 

0,679 | 236,20 

159,03 

17. , 


Auch hier zeigen die R. Q. stellenweise ausserordentlich niedrige 
Werthe, besonders wenn man damit die Nüchternwerthe desselben 
Mannes in den Versuchen II und III, nämlich 0,786 und 0,739, vergleicht. 

Diese Versuche scheinen mir folgende Deutung zuzulassen: Das 
Verhalten des R. Q. zeigt, dass die eingeführte flemicellulose in der 
That in den Stoffwechsel eintritt und wie Stärke verbrannt wird. Die 
Verdauung und Resorption der Heraicellulose beginnt aber im Gegensatz 
zu der Stärke erst in der 3. Stunde und erreicht in der 4. Stunde ihren 


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Der Vorgang der Cellalose* u. Hemicellulosenverdaaong beim Mensohen etc. 5‘2if 


Höhepunkt. Der Einfluss der Hemicellulose auf den Stoffwechsel hört 
bereits von der 5. Stunde an wieder auf. Die Betheiligung der resor- 
birten Hemicellulose am Stoffwechsel ist auch nicht so gross, dass sie 
im Stande wäre, Eiweiss und Fett ganz aus dem Stoffwechsel zu ver¬ 
drängen, denn dann müsste der R. Q. höher sein, den Werth 1,0 erreichen 
und sich länger auf dieser Höhe halten. Sehr auffallend ist es nun, dass 
der 0 2 -Verbrauch gerade zur Zeit des höchsten R. Q. kaum gesteigert 
ist, ja sogar gleich dem Nüchternwerth oder kleiner als dieser sein 
kann, während gleichzeitig die C0 2 nur mässig vermehrt ist. Dieses 
Verhalten deutet darauf hin, dass die Hemicellulose Körperraaterial vor 
der Oxydation schützt, so dass der durch die Verbrennung der Hemi- 
ccllulose bedingte Mehrverbrauch von 0 2 durch die Sparung von Eiweiss 
oder Fett compensirt wird. 

Ueber den Eiweissumsatz und die Grösse der Verbrennungsprocesse 
und der Wärmebildung in der Nüchtern- und in der Agarperiodo giebt 
folgende nach dem Vorgänge von Zuntz (vcrgl. 101) am Versuch 1 als 
Beispiel durchgeführte Berechnung Aufschluss. 

Eiweissumsatz. Die Versuchsperson I scheidet in der Nüchtern¬ 
periode in der Zeit von 8 Uhr bis 10 Uhr 5 Min. Morgens, also bis 
zum Beginn der Agaraufnahme, im Urin pro Minute 0,015 g N aus. 
15 mg N entsprechen einem Zerfall von 93,7 mg Eiweiss. Dieselbe 
Person scheidet in der Agarperiode von 10 Uhr 5 Min. Morgens bis 
5 Uhr 40 Min. Nachmittags pro Minute 0,0096 g N aus. 9,6 mg N 
entsprechen einem Zerfall von 60 mg Eiweiss. Es ist also in der Agar¬ 
periode weniger Eiweiss zersetzt worden. 

Verbrennungsprocesse und Wärmebildung. In der Nüchtern¬ 
periode beträgt der gesammte Gaswechsel pro Min.: 

ccm 0 2 ccm C0 2 cal. R. Q. 

240,48 182,12 — 0,768 

davon kommen auf 93,7 mg Eiweiss pro Min. 90,5 73,2 412,3 — 

Es kommen auf Fett und Kohlehydrate 149,98 108,92 — 0,726 

Bei einem R. Q. von 0,726 ist der calorische Factor von 1 ccm 
0 2 = 4,709; 149,98 ccm 0 2 entsprechen 706,2 calorien. Es sind also 
im Ganzen 1118,5 calorien (412,3-)-706,2) in der Minute gebildet 
worden. 

Vergleichen wir damit den Gaswechsel zur Zeit des höchsten R. Q. 
Hier beträgt der Gasumsatz pro Min.: 

ccm 0 2 ccm CO, cal. R. Q. 

240,99 207,17 — 0,860 

davon kommen auf 60 mg Eiweiss pro Min. 57,97 46,90 264 — 

Es kommen auf Fett und Kohlehydrate 183,02 160,27 — 0,876 

Bei 0,876 R. Q. ist der calorische Factor des 0 2 = 4,894; 
183,02 0 2 = 895,70 calorien, also sind im Ganzen 1159,70 calorien 
(2644-895,70) pro Min. gebildet worden. 

Wenn wir die während der ganzen Dauer der Agarperiode gebildete 
Wärme aus dem durchschnittlichen Minutengaswcchsel von 10 Uhr 


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530 0. Lohrisch, 

5 Min. Morgens an bis zum Ende des ganzen Versuchs 5 Uhr 10 Min. 
Nachmittags berechnen, so erhalten wir folgende Zahlen: 

ccm 0 2 ccmC0 2 cal. R.Q. 

247,75 193,77* — 0,782 

davon kommen auf 60 mg Eiweiss pro Min. 57,97 46,90 264 — 

Für Fett und Kohlehydrate 189,78 146,87 — 0,774 

Bei 0,774 R. Q. ist der Calorienfactor des 0 2 = 4,771; 
189,78 ccm 0 2 = 905,44 cal. Im Ganzen sind pro Min. 1169,44 cal. 
gebildet worden. 

Noch richtiger ist es vielleicht, die Menge der gebildeten Wärme 
für die Zeit zu berechnen, in der an dem Verhalten des R.Q. eine deut¬ 
liche Hemicellulosewirkung auf den Stoffwechsel zu erkennen ist, nämlich 
von Beginn der Nahrungsaufnahme an bis zum Ende des Einzelversuchs 
No. 6, also von 10 Uhr 5 Min. morgens bis 3 Uhr 5 Min. nachmittags. 
Dabei erhalten wir folgende Zahlen: 

ccm0 2 ccmC0 2 cal. R.Q. 

242,85* 196,26 — 0,808 

Davon kommen auf 60 mg Eiweiss pro Min. 57,97 46,90 264 — 

Für Fett und Kohlehydrate 184,88 149,36 — 0,807 

Bei 0,807 R. Q. ist der calorische Factor des 0 2 = 4,809. 184,88 0 2 

= 889,09 cal. Es sind im Ganzen 1153,09 cal. in der Minute gebildet 
worden. 

Es schwankt also bei den verschiedenen Berechnungsarten die Wärme¬ 
bildung in der Agarperiode in ziemlich engen Grenzen, von 1169—1153 cal. 
pro Minute. Wenn man die letzte Berechnung als die richtigste gelten 
lässt, so stehen sich folgende Wärmebilanzen gegenüber: 

In der Agarperiode: 1153,09 calorien. 

In der Nüchternperiode: 1118,5 n 

Differenz: 34,59 calorien. 

Diese Differenz ist aber nicht bedingt durch eine wesentliche Ver¬ 
mehrung der Oxydationsprocesse, sondern in der Hauptsacho dadurch, 
dass der 0 2 in der Agarperiode bei einem durchschnittlichen R. Q. von 
0,807, also unter dem Einfluss der Hemicelluloseverbrennung, einen 
höheren calorischen Factor hat (4,809) als in der Nüchternperiode bei 
einem R. Q. von 0,726 (4,709). Das zeigt eine einfache Rechnung: 

Wenn wir in der Agarperiode mit demselben calorischen Werth des 0 2 

rechnen, wie in der Nüchternperiode (184,88.4,709), so erhalten wir 
für die Agarperiode: 1134,59 calorien 
für die Nüchternperiode: 1118,5 „ 

Differenz: 16,09 calorien, 

also eine bedeutend geringere Differenz. 

Dass bei der Agarfütterung aber nicht nur Körpcreiwciss, sondern 
auch anderes Körpermatcrial gespart wird, geht aus Folgendem hervor: 


Gck igle 


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Der Vorgang der Cellalose- u. Hemicellulösenverdauung beim Menschen etc. 531 

In der Nüchternperiode hat die Versuchsperson in der Minute 
93,7 mg Eiweiss umzusetzen.- 

ccm 0 2 ccm C0 2 
240,48 182,12 

93,7 mg Eiweiss = 90,5 73,2 

149,98 108,92 

149,98 0 2 werden also für die Verbrennung von Körperfett und -Kohle¬ 
hydraten verbraucht. 

In der Agarperiode hat die Versuchsperson ausser dem zerfallenen 
Eiweiss noch ein gewisses Quantum Hemicellulose zu verarbeiten. Die 
Menge der verdauten Hemicellulose, für die Zeit von 10 Uhr 5 Min. morgens 
bis 3 Uhr 5 Min. nachmittags berechnet, stellt sich pro Minute folgender- 
maassen: Es sind von 10 Uhr 5 Min. morgens bis 3 Uhr 5 Min. nach¬ 
mittags, also in 240 Minuten, 36,5 Hemicellulose verdaut worden, welche 
als Stärke berechnet, zur Verbrennung 30251,2 ccm 0 2 brauchen. Auf 
die Minute kommen 0,152 Hemicellulose = 125,9 ccm 0 2 . Man kann 
ohne weiteres annehmen, dass dieses geringe Quantum Hemicellulose in 
der Minute vollständig verbrennt, andernfalls würde der R. Q., dessen 
Werth in den Versuchen an sich schon nicht sehr hoch ist, diesen Werth 
kaum erreichen können. Es gestaltet sich nun unter Berücksichtigung 
der Hemicelluloseverbrennung der Minuten-0 2 -Verbrauch für die Agarperiode 
folgendermaassen: 

ccm 0 2 ccm C0 2 

242,85 196,26 

60 mg Eiweiss 57,97 46,90 

184,88 149,36 

0,152 Hemicellulose 125,9 125,9 

58,98 23,46 

Es sind also für die Verbrennung von anderem Körpermaterial, nach 
Abrechnung des Eiweisses, 91 ccm 0 2 weniger verbraucht worden als in 
der Nüchternperiode, d. h. es ist ausser Eiweiss noch anderes Körper¬ 
material gespart worden. Dabei dürfte es.sich in der Hauptsache wohl 
um Körperfett handeln, nachdem die Versuchsperson seit 21 Stunden 
keine Kohlehydrate ausser dem Agar aufgenommen hat. 91 ccm 0 2 
entsprechen 45 mg Fett. 100 g verdauter Hemicellulose sind demnach 
im Stande rund 22 g Eiweiss und 30 g Fett vor der Verbrennung zu 
schützen, ein immerhin nicht unbeträchtliches Quantum. 

Die folgende Tabelle giebt einen Respirationsversuch (Versuch V) 
bei Verfütterung reiner Cellulose wieder. Versuchsperson ist derselbe 
Mann, wie in den Versuchen II, III und IV. Gewicht 58 kg. Nüchtern 
seit 14 Stunden. Beginn des Versuchs 6 Uhr morgens. Von 8 Uhr 
15 Min. bis 9 Uhr 15 Min. morgens wird ein grösseres Quantum reiner 
Cellulose in feuchtem Zustande verzehrt. Diese Cellulose ist bei ihrer 
Darstellung nicht mit Alkohol und Aether getrocknet worden, sondern 
in feuchtem Zustande aufbewahrt worden, weil man annehmen konnte, 


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Original fro-m 

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o32 


II. Lohrisch, 


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dass diese in feinster Verkeilung befindliche Cellulose leichter angreif¬ 
bar sei als die trocken verzehrte. Die Menge der aufgenommenen feuchten 
Cellulose entspricht einer Trockensubstanzmenge von 73,6 g. Davon 
werden im Koth 55,1 g wieder ausgeschieden; es sind also 18,5 g Cellu¬ 
lose verdaut worden. 


No. des j 

Versuchs 

cj Beginn des 1 
? Versuchs 

i 

Dauer des Ver¬ 
suchs in Minuten 

g Athemgrösse 

3 pro Minute 

XX i 

§ g 


g 0 2 -Verbrauch 

B pro Minute j 

§ -2 

pH 3 
^.2 

o 

ccm 

Zunahme 

Zeit nach Beginn 
der Cellulose- 1 
aufnahme 

S -2 

JS Jw O 

u 1 O 3 
o 03 

O 

. 

<5 1 

pCt. pCt. 

1 

j RQ 

i 

% des 0 2 - 
.^Verbrauchs 

O der C °2- 

f* Production 

1 

6,43 

24 '4695 

4,14 3,33 

0,804 

194,37 

1 156,34 

1 



2 

7,25 

27 j 3981| 

4,77 | 3,68 

0,772 

189,89 

146,50 

— 

— 

— 


i 

Nüchtern werth: 

0,788 

192,13 

151,42 

— 

— 

— 

3 

10,11 

1 26 142371 

4,59 I 3,37 

0,734 

194,47 

142,79 

+ 1 

-57* 

2. Std. 

4 

11,27 

27 4230 

4,43 1 3,40 

0,792 

187.38 i 

143,82 

- 2« /,! 

— 5 

4. , 

5 

12,36 

24 1 4649 1 

4,36 j 3,23, 

0,740 

202,69 ! 

150,16 

+ 5«,V 

— 1 

5- . 

6 

1,30 

24 47681 

4,27 . 3,10 1 

0,726 i 

203,49 

147,81 

+ 6 

-27* 

6. „ 

7 

2,58 

25 | 4390l 

4,63 | 3,22 

0,700 

203,26 

141,36 

+ 6 ; 

-67, 

7. , 

8 

4,40 

22 5041 : 

4,44 1 3,10 | 

0,700 

223,82 

157,78 

+ 167*1+4 

9. , 

9 

6,22 

23 14859 

4,35 | 3,01 

0.692 | 

211,37 

146,26 

+ 10 

— 3V 2 

11. . 

10 

7,53 | 

21 5290 

4,15 ! 3,01 

1 ! 

0,725 1 

219,53 

159,23 

i 

+ 14 j 

+ 5 

12- , 


In diesem Versuch zeigt der R. Q. eine gewisse Uebereinstimmung 
mit den Agarversuchen, insofern als er in der 4. Stunde den höchsten, 
den Nüchternwerth allerdings nur wenig übersteigenden Werth zeigt. 
Dann fällt er langsam ab und erreicht wieder ziemlich niedrige Werthe. 
Der 0 2 -Verbrauch ist in der 4. Stunde wiederum am niedrigsten, steigt 
dann aber ziemlich schnell an. Auffallend sind die niedrigen C0 2 -Werthe. 
Nach dem Verhalten des R. Q. zu urtheilen, findet also auch Verdauung 
und Resorption der Cellulose analog der der Heraicellulose statt, nur ist 
die Steigerung des R. Q. eine geringe, da die Verdauung der Cellulose 
leider nur in sehr bescheidenem Maassstabc stattgefunden hat. 

Es wird durch die Respirationsversuche mit Sicherheit nachgewiesen, 
dass die Hemicellulosen (und die Cellulose) vom Menschen verdaut und 
resorbirt werden und dass sie sich am Kraftwechsel betheiligen. Nach 
der Einstellung des R. Q. zu urtheilen, geht ihre Verbrennung in der¬ 
selben Weise vor sich wie die der Stärke und des Zuckers. Dass kein 
höherer R. Q. dabei zu erzielen ist, mag einmal daran liegen, dass die 
Hemicellulosen an sich schwerer verdaut und langsamer resorbirt werden 
als Stärke und Zucker, hat seine Ursache aber hauptsächlich wohl darin, 
dass es nicht gelingt den Organismus, wie z. B. beim Hund mit Stärke, 
mit Hemicellulosen zu überschwemmen, sodass diese vorwiegend zur Ver¬ 
brennung kommen und das Körpereiwciss und -fett ganz aus den 
Oxydationsprocessen ausschalten könnten, denn von 100 g verzehrter 
Stärke werden eben 100 g resorbirt, von 100 g Heraicellulose aber meist 
weniger als die Hälfte. Deshalb werden die Hemicellulosen den Stoff¬ 
wechsel niemals so intensiv beeinflussen können, wie die gewöhnlich 
genossenen Kohlehydrate, wozu sie aber ohne Zweifel befähigt sind, wenn 


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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 533 


man sie in rascherem Tempo und ebenso reichlich wie Starke zur 
Resorption bringen könnte. Die geringe Hemicelluloseroenge, welche 
pro Minute zur Verfügung steht, wird vollständig verbrannt. Dabei 
wird ein gewisses Quantum Eiweiss und Fett vor der Verbrennung 
geschützt. 

Der Nutzeffect, den die Hemicellulosen unser diesen Umständen für 
den menschlichen Organismus haben können, ist also der eines wärme¬ 
liefernden und Körpermaterial vor der Verbrennung schützenden 
Nahrungsmittels. In dieser Beziehung unterscheiden sich die Hemicellu¬ 
losen zwar von den gewöhnlichen Kohlehydraten (Stärke), der Unter¬ 
schied ist aber doch wohl nur ein quantitativer, insofern als die resor- 
birten Heraicellulosenmengen eben zu gering sind, um mehr als Wärme 
zu bilden. Wenn man sie wie die Stärke im Ueberschuss zuführen 
könnte, so würden sie wahrscheinlich auch Glykogen bilden. Sicherlich 
verhält sich eben so die reine Cellulose, nur dass es hier noch schwieriger 
ist, dem Organismus so grosse Mengen einzuverleiben, dass sie einen 
deutlichen Ausschlag geben könnte. 

Einen anderen Weg des Abbaues der Hemicellulosen als den über 
Zucker anzunehmen geben die Versuche ra. E. keine Veranlassung. 
Wenn trotzdem bei Diabetikern, auch bei reichlicher Hemicellulosevcr- 
dauung, keine Steigerung der Zuckerausscheidung zu beobachten war, so 
erklärt sich das einmal so, dass, wie Brasch (81) zeigte, die Assimi¬ 
lationsgrenze für Galactose, um die es sich ja bei der Agarfütterung 
handelt, beim Diabetiker nicht tiefer liegt wie beim Gesunden. Sodann 
ist aber zu bedenken, dass es nicht dasselbe ist, ob ein Diabetiker 
10 g Traubenzucker oder 10 g Galactan nimmt. Die 10 g Trauben¬ 
zucker werden mit grosser Schnelligkeit resorbirt und vermögen bei ge¬ 
nügender Intoleranz die Zuckerausscheidung zu erhöhen. Die Umwand¬ 
lung von 10 g Galactan in Zucker und ihre Resorption geht aber offen¬ 
bar so langsam vor sich, der Eintritt in den Organismus erfolgt so 
allmählich, dass auch der intolerante Diabetiker Zeit gewinnt, sie zu 
verbrennen. So unterbleibt beim Diabetiker eine Erhöhung der Zucker¬ 
ausscheidung und die aufgenommene Hemicellulosc geht dem Organismus 
nicht verloren. Es ist demnach auch aus den Diabetikerversuchen, 
glaube ich, nicht auf principielle qualitative Unterschiede im Abbau der 
Hemicellulosen und der Stärke zu schliessen, sondern auch hier sind es 
nur die quantitativ schlechteren Bedingungen für die Zufuhr und Re¬ 
sorption der Hemicellulosen, welche den Diabetiker den Hemicellulosen 
gegenüber tolerant erscheinen lassen. Die Diabetikerversuche verlieren 
dadurch nicht an Werth, zeigen sie doch, dass man in den Hemicellu¬ 
losen ein Kohlehydrat hat, welches man auch schweren Diabetikern 
unbedenklich verabreichen kann ohne befürchten müssen, die Glykosurie 
zu vermehren. Die Hemicellulosen sind in der That auf Grund ihrer 
in den Respirationsversuchen zu Tage tretenden Eigenschaften ein Ersatz 
für Zucker und Stärke, der beim Diabetiker mit Vortheil verwendet 
werden kann. 

Dieselben Ueberlegungen haben auch für die Versuche am diabe¬ 
tischen Thier Geltung. Wenn man hier grössere Mengen Galactan zur 


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Resorption bringen könnte, würde vielleicht auch eine Glykogenbildung 
zu constatiren sein, ebenso wie bei Galactosefütterung. 

Wenn man den Abbau der Hemicellulose nicht über Zucker gehen 
lassen will, so käme als weitere Möglichkeit die Aufspaltung der Hemi¬ 
cellulose und der Cellulose in flüchtige Fettsäuren in Betracht. Das ist 
aber, wenigstens für die Dünndarmverdauung, nach dem Ausfall der 
Respirationsversuche ausgeschlossen. Es bliebe dann nur noch übrig 
anzunehmen, dass die Hemicellulosen als solche resorbirt werden. Hier¬ 
für könnten einige schon oben citirte Beobachtungen sprechen, nämlich 
das Auftreten von Pentosanen im Harn, von Neuberg und Wohl- 
gemuth (73), Slowtzoff (60) und Weiske (67) am Kaninchen, von 
Blumcntbal (74) am Menschen beobachtet, welch letzteres Yorkommniss 
von Neuberg (47) allerdings für sehr selten gehalten wird. Auch der 
Umstand, dass Slowtzoff (60) das verfütterte Xylan in den Organen 
und im Blut seiner Versuchsthiere nach weisen konnte, giebt zu denken. 
Man würde sich aber zu dieser Auffassung, die ein physiologisches 
Novum bedeuten würde, doch wohl erst auf Grund des sicheren 
experimentellen Nachweises definitiv entschliessen können. Vorläufig 
scheint mir kein zwingender Grund für diese Annahme vorzuliegen. 

Noch einige Bemerkungen bezüglich der zeitweise auffallend niedrigen 
Werthe der R. Q. in den späteren Stunden nach der Agaraufnahme, 
wenn also die Dünndarmverdauung schon völlig abgelaufen ist Beim 
hungernden Menschen hat Magnus-Lewy (100) als niedrigsten Werth 
0,69 gefunden, v. Noorden (102) macht aber darauf aufmerksam, dass 
der R. Q. im Hunger zuweilen unter den theoretischen Werth 0,7 ab¬ 
sinken kann. Nach v. Noorden ist dies darauf zurückzuführen, dass 
im Hunger neben C0 2 eine gewisse Menge von C-haltigen Verbindungen 
(Aceton, Acetessigsäure, ß - Oxybuttersäure) ausgeschieden werden. 
Lehmann und Zuntz (cit. nach v. Noorden) schlossen aber weiterhin 
aus dieser Erscheinung, dass bei der absoluten Ruhe und Ausschaltung 
jeder Muskelbewegung kleine Mengen Glykogen — aus den zersetzten 
Eiweisskörpern stammend — sich in Leber und Muskeln anhäufen 
können. Für die Richtigkeit dieser Vermuthung sprechen Versuche, in 
denen bei Muskelarbeit, wobei der Glykogenumsatz gesteigert ist, ein 
höherer R. Q. gefunden wurde. Ob diese Momente bei meinen Versuchen 
eine Rolle spielen, lasse ich dahin gestellt; ich habe jedenfalls keinen 
Grund irgend welche Versuchsfehler als Ursache der niedrigen Quotienten 
anzunehmen. Auf eine andere Möglichkeit möchte ich aber hinweisen: 
Vielleicht könnten die niedrigen Quotienten werthe in meinen Fällen 
dadurch bedingt sein, dass noch im Dickdarm ein Theil der nicht resor- 
birten Hemicellulose und der Cellulose unter dem Einfluss von Bakterien 
in flüchtige Fettsäuren aufgespalten wird und diese vom Dickdarm aus 
resorbirt werden. Die niedrigen Quotienten würden dann erklärlich sein, 
denn wir wissen durch die Untersuchungen von Munck (103) und 
Mallevre (104), dass die theoretischen R. Q. des buttersauren und 
essigsauren Natrons 0,6 resp. 0,5 sind und dass bei intravenöser 
Injection dieser Substanzen die R. Q. sich den theoretischen Werthen 
nähern. Da die Hemicellulosen und die Cellulose bekanntlich durch 


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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 535 


Bakterien in flüchtige Fettsäuren zerlegt werden können, möchte ich 
wenigstens auf die Möglichkeit dieser Erklärung für meine auffallend 
niedrigen R. Q. verwiesen haben. Vielleicht hängt damit auch die bei 
den Hemicellulosediabetikern in der Agarperiode auftretende Vermehrung 
der Acetonausscheidung zusammen. 

Ergebnisse. 

1. Cellulose und Hemicellulosen sind chemisch nahe verwandte, 
auf Grund ihrer chemischen Eigenschaften aber meist scharf zu trennende 
Substanzen. 

2. In ihrem physiologischen Verhalten zeigen Cellulose und Hemi¬ 
cellulosen keine wesentlichen Unterschiede. 

3. Der Mensch verdaut unter normalen Verhältnissen durchschnitt¬ 
lich 50 pCt. der zugeführten Cellulose und Hemicellulosen. Personen mit 
chronischer habitueller Obstipation verdauen 70—80 pCt. 

4. Es gelingt beim Menschen ungleich grössere Mengen Hemicellu¬ 
losen zur Verdauung zu bringen als Cellulose. 

5. Die Verdauung der Hemicellulosen und der Cellulose erfolgt 
beim Menschen in derselben Weise, wie die der Stärke. Die genannten 
Substanzen werden im Darm in ihre entsprechenden Zucker überführt. 
Ihre Umwandlung und Resorption erfolgt wesentlich langsamer als die 
der Stärke. Die resorbirten Mengen werden im menschlichen Organismus 
vollständig verbrannt. Dabei wird Eiweiss und Fett vor der Verbrennung 
geschützt. Es nicht daran zu zweifeln, dass die Cellulose und die 
Hemicellulosen Glykogen bilden würden, wenn es gelänge, sie im Ueber- 
schuss zur Resorption zu bringen. Aufspaltung der Cellulose und Hemi¬ 
cellulosen in flüchtige Fettsäuren erfolgt im Dünndarm nicht. Möglicher¬ 
weise wird aber ein kleiner Theil des nicht resorbirten Materials im 
Dickdarm in flüchtige Fettsäuren zerlegt und als solche resorbirt. 

6. Cellulose und Hemicellulosen sind für schwere Diabetiker ein 
unschädlicher Ersatz für die gewöhnlichen leicht resorbirbaren Kohle¬ 
hydrate. Speciell die Hemicellulosen dürften für diese Zwecke practisch 
in Frage kommen. 

Literatur. 

1) Henneberg und Stohmann, Beiträge zur Begründung einer rationellen 
Fütterung der Wiederkäuer. 2. Heft. 1864. 

2) König, Die Zellmembran und ihre Bestandteile in chemischer und physio¬ 
logischer Hinsicht. Landwirtschaftliche Versuchsstationen. 1907. Bd. 65. 

3) E. Schulze, Ueber die zur Gruppe der stickstofffreien ExtractstofTe gehörenden 
Pflanzenbestandtheile. Journal für Landwirthsch. 1904. 52. Jahrg. (Literatur.) 

4) Reiss, Ueber die Natur der Reservecellulose und über ihre Auflösungsweise bei 
der Keimung der Samen. Landwirthsch. Jahrbücher. 1889. Bd. 18. 

5) Nägeli, Ueber die chemische Zusammensetzung der Stärkekörner. Physiolog. 
Untersuchungen. 2. Heft. 1858. 

6) Fremy, Compt. rend. de la Soc. de Biol. Vol. 48. p. 667. 

7) Payen, Ebendaselbst. Vol. 48. p. 893. 

8) Sachs, Zur Keimungsgeschichte der Dattel. Botan. Zeitung. 1862. 


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H. Loh risch, 


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9) Frank, Pringsheim’s Jahrbücher. Bd. 5. 1866—1867. 

10) Nägeli und Schwendener, Das Mikroskop. I. Aufl. 1867. 

11) Siewert, Zoitschr. des landwirthschaftl. Vereins der Provinz Sachsen. 1*868. 
S. 316. 1869. S. 75. 

12) Beyer, Landwirthschaftl. Versuchsstationen. Bd. 9 und 14. 

13) Eichhorn, Ebendaselbst. Bd. 14. 

14) Müntz, Sur la galactine. Compt. rendus. Vol. 94. 1882. 

15) Bauer, Ueber den aus Agar-Agar entstehenden Zucker, über eine neue Säure 
aus der Arabinose nebst dem Versuch einer Classification der gallertbildenden 
Kohlehydrate nach den aus ihneu entstehenden Zuckerarten. Journal für pract. 
Chemie. 1884. Bd. 30. 

16) Wieler, Analysen der Jungholzregion von Pinus silvestris und Salix pentendra 
nebst einem Beitrage zur Methodik der Pflanzenanalyse. Landwirthschaftl. Ver¬ 
suchsstationen. 1886. Bd. 32. 

17) Koch, Experimentelle Prüfung des Holzgummis und dessen Verbreitung im 
Pflanzenreich. Pharm. Zeitschr. für Russland. 1886. 

18) W. Hoffmeister, Die Rohfaser und einige Formen der Cellulose. Landwirth¬ 
schaftl. Jahrbücher. 1888. Bd. 17. 

19) Steiger, Ueber das dextrinartige Kohlehydrat der Samen von Lupinus luteus. 
Berichte der Deutsch, ehern. Gesellsch. 1886. 19. Jahrg. S. 827. 

20) E. Schulze u. Steiger, Ueber Paragalactin. Ebendas. 1887. 20.Jahrg. S.290. 

21) Dieselben, Untersuchungen über die stickstofffreien Reservestoffe der Samen 
von Lupinus luteus und über die Umwandlungen derselben während des Keimungs- 
processes. Landwirthsch. Versuchsstationen. 1889. Bd. 36. 

22) E. Schulze, Zur Kenntniss der in den Leguminosensamen enthaltenen Kohle¬ 
hydrate. Ebendaselbst. 1892. Bd. 41. 

23) E. Fischer und J. Hirschberger, Ueber Mannose. III. Berichte der Deutsch, 
chem. Gesellsch. 1889. 22. Jahrg. S. 1155. 

24) E. Schulze, Steiger und Maxwell, Zur Chemie der Pflanzenzellmembranen. 
I. Abhandl. Zeitschr. f. physiol. Chemie. 1890. Bd. 14. 

25) Tollens, Handbuch der Kohlehydrate. 

26) Schulze und Steiger, Ueber das Vorkommen eines unlöslichen, Schleimsäure 
gebenden Kohlehydrats in Rothklee- und Luzernepflanzen. Landwirthschaftl. 
Versuchsstationen. 1889. Bd. 36. 

27) Schellenberg, Ueber die Bestockungsverhältnisse von Molinia coerulea Mönch. 
Berichte der Schweiz, botan. Gesellsch. 1897. Heft 7. 

28) Schulze und Castoro, Beiträge zur Kenntniss der Hemicellulosen. 11. Zeit¬ 
schrift f. physiol. Chemie. 1903. Bd. 39. 

29) E. Schulze, Zur Chemie der pflanzlichen Zellmembranen. II. Abhandl. Eben¬ 
daselbst. 1892. Bd. 16. 

30) König und Bettels, Die Kohlehydrate der Meeresalgen und daraus hergestellter 
Erzeugnisse. Zeitschrift f. Untersuchung d. Nahrungs- und Genussmittel. 1905. 
Bd. 10. H. 8. 

31) K. Müller, Die chemische Zusammensetzung der Zellmembranen bei verschiedenen 
Kryptogamen. Zeitschr. f. physiol. Chemie. 1905. Bd. 45. 

32) Ulander, Ueber die Kohlenhydrate der Flechten. Inaug.-Diss. Göttingen 1905. 

33) v. Lippmann, Die Chemie der Zuckerarten. Braunschweig 1904. 

34) Schulze und Castoro, Beiträge zur Kenntniss der Hemicellulosen. I. Zeitschr. 
f. physiol. Chemie. 1902/03. Bd. 37. 

35) W. Hoffmeister, Die Cellulose und ihre Formen. Landwirthsch. Jahrbücher. 
1889. Bd. 18. 

36) Derselbe, Das Cellulosegummi. Landwirthsch. Versuchsstationen. 1891. Bd. 39. 


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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschon etc. 53/ 

37) E. Schulze, Zur Chemie der pflanzlichen Zellmembran. 111. Abhandl. Zeitschr. 
f. physiol. Chemie. 1894. Bd. 19. 

38) Hoppe-Seyier, Ebendaselbst. Bd. 13. 

39) Schulze und Casioro, Beiträge zur Kenntniss der Hemicellulosen. II. Eben¬ 
daselbst. 1903. Bd. 39. 

40) Saiki, The digestibility and utilization of some polysaccharide carbohydrates 
derivod from Lichens and Marine Algae. The Journal of Biological Chemistry. 
1906. Vol. II. No. 3. 

41) Lifschütz, Ueber die Einwirkung von Salpeterschwefelsäure auf Pflanzenfasern. 
Ber. d. Deutsch, ehern. Gesellsch. 1891. 24. Jahrg. 

42) 0. Simon und Loh risch, Eine neue Methode der Cellulosebestimmung in 
Nahrungsmitteln und Päces. Zeitschr. f. physiolog. Chemie. 1904. Bd. 42. 

43) Lohriscb, Ueber die Bedeutung der Cellulose im Haushalte des Menschen. 
Ebendaselbst. 1906. Bd. 47. 

44) Kleiber, Versuche zur Bestimmung des Gehalts einiger Pflanzen und Pflanzen- 
theile an Zellwandbestandtheilen, an Hemicellulosen und an Cellulose. Land- 
wirtbschafü. Versuchsstationen. 1900. Bd. 54. 

45) Payen, Sur la gälose et les nids de salangane. Compt. rendus hebdom. 1859. 
Vol. 49. 

46) Toi lens, Untersuchungen über Kohlehydrate. Landwiithschaftl. Versuchsstat. 
1891. Bd. 39. 

47) C. Neuberg, Die Physiologie der Pentosen und der Glukuronsäuren. Ergehn, 
der Physiol. 1904. I. Abtheilung. Biochemie. 

48) Fischer und Thierfelder, Verhalten der verschiedenen Zucker gegen reine 
Hefen. Ber. d. Deutsch, chem. Gesellsch. 1894. 27. Jahrg. Bd. II. S. 2031. 

49) Salkowski, Ueber die Darstellung des Xylans. Zeitschr. f. physiol. Chemie. 
1901/02. Bd. 34. 

50) Toi lens, Ueber die in den Pflanzenstoffen und besonders den Futtermitteln ent¬ 
haltenen Pentosane, ihre Bestimmungsmethoden und Eigenschaften. Journal für 
Landwirthsoh. 18%. 44. Jahrgang. 

51) Derselbe, Ueber die Bestimmung der Pentosen und Pentosane. Zeitschr. f. 
physiolog. Chemie. 1902. Bd. 36. 

52) Reichardt, Archiv f. Pharmak. 1876. H. 7. 

53) Schmidt und Strasburger, Die Fäces des Menschen im normalen und krank¬ 
haften Zustande. U. Theil. Berlin 1905. 

54) E. Schulze, Ueber die Zellwandbestandtheile der Cotyledonen von Lupinus 
luteus und Lupinus angustifolius und über ihr Verhalten während des Keimungs¬ 
vorganges. Zeitschr. f. physiol. Chemie. 1895/%. Bd. 21. 

55) Loh risch, Ueber die Verdauung und Verwerthung der Rohfaser und Cellulose 
im tbierischen und menschlichen Organismus. Centralbl. f. d. gesammte Physiol. 
und Pathol. des Stoffwechsels. 1907. Neue Folge. No. 21. 

56) Kellner, Untersuchungen über den Stoff- und Energieumsatz des erwachsenen 
Rindes bei Erhaltungs- und Productionsfutter. Landwirthsohaftl. Versuchsstat. 
1900. Bd. 53. 

57) V. Hofmeister, Ueber Celluloseverdauung beim Pferde. Archiv f. wissensch. 
und pract. Thierheilkunde. Bd. XI. S. 46. 

58) Holdefleiss, Die Bedeutung des verdauten Antheils der Rohfaser für die 
thierische Ernährung. Berichte aus dem physiol. Laboratorium u. der Versuchs¬ 
anstalt des landwirthschaftl. Instituts der Universität Halle. 1895. Heft 12. 

59) Scheunert, Beiträge zur Kenntniss der Celluloseverdauung im Blinddarm und 
des Enzymgehaltes des Cöcalsecretes. Zeitschr. für physiolog. Chemie. 1906. 
Bd. 48. 


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•538 H. Lohrisch, 

60) Slowtzoff, Ueber das Verhalten des Xylans im Thierkörper. Ebendaselbst. 
1901/02. Bd. 34. 

61) Sei liiere, Sur la prßsence d’une diastase hydrolysante la Xylane dans le suc 
gastro-intestinal de l’escargot. Comptes rendus. 1905. Vol. I. p. 409. 

62) Derselbe, Sur une diastase hydrolysante la Xylane dans le tube digestif de 
certaines larves de Calöopteres. Ebendaselbst. 1905. Vol. I. p. 940. 

63) Derselbe, Sur la prösence de la Xylanase chez difförents Mollusques gastero- 
podes. Ebendaselbst. 1905. Vol. 11. p. 20. 

64) Hoppe-Seyler, Die Methangährung der Essigsäure. Zeitsohr. f. physiol. Chem. 
1887. Bd. 11. 

65) Ankers mit, Untersuchungen über die Bakterien im Verdauungskanal des 
Rindes. Centralbl. f. Bakteriologie. 1906. Bd. 40. 

66) Stone und Jones, Verdaulichkeit der Pentosane. Centralbl. f. Agriculturchemie. 
1893. 22. Jahrg. 

67) Weiske, Ueber die Verdaulichkeit der in den vegetabilischen Futtermitteln ent¬ 
haltenen Pentosane. Zeitschr. f. physiol. Chemie. 1895. Bd. 20. 

68) Lindsey und Holland, Die Verdaulichkeit der Pentosane. Centralbl. f. Agri¬ 
culturchemie. 1895. 24. Jahrg. 

69) Poulsson, Untersuchungen über das Verhalten einiger Flechtenkohlenhydrate 
im menschlichen Organismus und über die Anwendung derselben bei Diabetes 
mellitus. Upsala Läkareförenings Förh and Ungar. Neue Folge. Bd. 11. Suppl. 

1906. Festschrift für Hammarsten. — Derselbe, Om den islandske lav som 
naerings middel og om anvendelse af lavbrod ved sukkersyge. Nordisk Tids- 
skrift for Terapi. 1907. 

70) Oshima, U. S. Dept. of Agric., Office of Exper. Stations, Bull. No. 159. 1905. 

71) Lohrisoh, Die Ursachen der chronischen habituellen Obstipation im Lichte 
systematischer Ausnutzungsversuche. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 79. 

72) Tapp ein er, Untersuchungen über die Gährung der Cellulose, insbesondere 
über deren Lösung im Darmcanal. Zeitschr. f. Biolog. 1884. Neue Folge. Bd. 2. 

73) Neuberg und Wohlgemuth, Ueber das Verhalten stereo-isomerer Substanzen 
im Thierkörper. I. Mittheilung. Ueber das Schicksal der 3 Arabinosen im Ka¬ 
ninchenleibe. Zeitschr. f. physiol. Chemie. 1902. Bd. 35. 

74) Blumenthal, Die Pentosurie. Deutsche Klinik. 1903. Bd. 3. 

75) Hofmeister, Ueber Resorption und Assimilation der Nährstoffe. Arch. f. exper. 
Path. u. Pharm. 1888. Bd. 25. 

76) C. Voit, Ueber die Glykogenbildung naoh Aufnahme verschiedener Zuokerarten. 
Zeitschr. f. Biolog. 1891. Bd. 28. 

77) Wein 1 and, Beiträge zur Frage naoh dem Verhalten des Milohzuokers im Körper, 
besonders im Darm. Ebendas. 1899. Bd. 38. 

78) Kausch und Socin, Sind Milchzucker und Galaktose directe Glykogenbildner? 
Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 1893. Bd. 31. 

79) Crem er, Ueber das Verhalten einiger Zuokerarten im thierischen Organismus. 
Zeitschr. f. Biolog. 1892. Bd. 29. 

80) Sommer, Zur Verwerthung des Milchzuckers im thierischen Organismus. Habil.- 
Schrift. Würzburg 1899. 

81) Brasch, Ueber das Verhalten nicht gährungsfähiger Kohlehydrate im thierischen 
Organismus. Mit besonderer Berücksichtigung des Diabetes. Zeitschr. f. Biolog. 

1907. Neue Folge. Bd. 32. 

82) Cremer und Ritter, Phlorhidzinversuche am Carenzkaninchen. Ebendaselbst. 
1892. Bd. 29. 

83) Salkowski und Jastrowitz, Ueber eine bisher nicht beobachtete Zuckerart im 
Harn. Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1892. No. 19. 


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Der Vorgang der Cellulose- u. Hemicellulosenverdauung beim Menschen etc. 539 


84) Ebstein, Einige Bemerkungen zum Verhalten der Pentosen im menschlichen 
Organismus. Virchow’s Arch. Bd. 129. 

85) Frentzel, Ueber Glykogenbildung im Thierkörper nach Fütterung mit Holz¬ 
zucker. Pflüger*« Arch. 1894. Bd. 56. 

86) Neuberg u. Wohlgemuth, Ueber d-Arabinose, d-Acetonsäure und die quan¬ 
titative Bestimmung von Arabinose. Zeitschr. f. phys. Chemie. 1902. Bd. 35. 

87) Lindemann und May, Die Verwerthung der Rbamnose vom normalen und vom 
diabetischen menschlichen Organismus. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 56. 

88) v. Jacksch, Ueber alimentäre Pontosurie. Zeitschr. f. Heilk. 1899. Bd. 20. 

89) Bergeil, Das Verhalten der 1-Arabinose im normalen und diabetischen Organis¬ 
mus. Festschr. f. v. Leyden. Bd. 6. 

90) Cremer, Ueber die Verwerthung der Rbamnose im thierischen Organismus und 
einige damit zusammenhängende Fragen der Physiologie der Kohlehydrate. 
Zeitschr. f. Biolog. 1901. Neue Folge. Bd. 24. 

91) Ad. Schmidt u. Lohrisch, Ueber die Bedeutung der Cellulose für den Kraft¬ 
wechsel der Diabetiker. Deutsche med. Wochenschr. 1907. No. 47. 

92) Fr. Voit, Ueber das Verhalten der Galaktose beim Diabetiker. Zeitschr. f.Biolog. 
1892. Bd. 28. 

93) Derselbe, Dasselbe. Ebendas. 1892. Bd. 29. 

94) Minkowski, Untersuchungen über den Diabetes mellitus nach Exstirpation des 
Pankreas. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 1893. Bd. 31. 

95) Sandmeyer, Ueber die Folgen der partiellen Pankreasexstirpation beim Hund. 
Zeitsohr. f. Biolog. 1895. Bd. 31. 

96) Bauer, Weitere Untersuchungen über Galaktosurie. Vortrag, gehalten in der 
Gesellsch. f. inn. Med. u. Kinderheilk. in Wien. October 1906. Ref. Centralbl. 
f. inn. Med. 1906. No. 47. S. 1176. 

97) v. Jaoksch, Ueber die alimentäre Pentosurie der Diabetiker. Deutsches Arch. 
f. klin. Med. Bd. 63. 

98) C. Voit, Ueber die Verschiedenheiten der Eiweisszersetzung beim Hungern. 
Zeitschr. f. Biolog. 1866. Bd. 2. 

99) Graham Lusk, Ueber Phlorhidzindiabetes und über das Verhalten desselben 
bei Zufuhr verschiedener Zuckerarten und von Leim. Ehendas. 1898. Bd. 36. 

100) Magnus-Lewy, Ueber die Grösse des respiratorischen Gaswechsels unter dem 
Einfluss der Nahrungsaufnahme. Pflüger’s Arch. 1894. Bd. 55. 

101) Derselbe, Physiologie des Stoflwechsels. In v. Noorden’s Handbuch der 
Pathol. des Stoffwechsels. 1906. Bd. 1. 

102) v. Noorden, Der Hunger und die chronische Unterernährung. Ebendas. 1906. 
Bd. 1. S. 483. 

103) Munk, Der Einfluss des Glycerins, der flüchtigen und festen Fettsäuren auf 
den Gasweohsel. Pflüger’s Arch. 1890. Bd. 46. 

104) Mallevre, Der Einfluss der als Gährungsproducte der Cellulose gebildeten 
Essigsäure auf den Gas Wechsel. Ebendas. 1891. Bd. 49. 


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xxxvm. 

Aus der mediciuischen Universitätsklinik zu Halle a. H. 

Ueber „organisch“ gebundenes Chlor im Harn. 

Von 

Priv.-Doc. Dr. med. 0 . Baumg&rten. 


Die Frage, ob ein Theil der Harnchloride in organischer Bindung 
zur Ausscheidung kommt, war bisher in keiner Weise entschieden. Ab¬ 
gesehen von einzelnen früheren Autoren haben sich neuerdings A. Ber- 
lioz und E. Lepinois 1 ) um die Entscheidung dieser Frage bemüht. 
Fehlerhafte Methoden führten zu Resultaten, nach denen 10—40 pCt. 
der Gesammt-Cl-Menge als organisches CI ausgeschieden würde. A. Petit 
und P. Terrat 2 3 ) verglichen die Ergebnisse der directen Cl-Bestimmung 
mit den aus der Harnasche gewonnenen Chloriden und fanden so über¬ 
haupt kein organisch gebundenes CI oder nur Spuren desselben. Zu 
positiven Ergebnissen kam Dioscoride Vitali 8 ), indem er von dem 
durch Veraschung mit Soda gewonnenen Gesammtchlor das nach den 
üblichen Methoden bestimmte anorganische abzog. Neuerdings sprechen 
sich J. Ville und J. Moitessier 4 ) und ebenso G. Meillere 5 ) gegen die 
Annahme von organisch gebundenem CI im Urin aus. Die genannten 
Forscher behaupteten, dass die Spuren CI, welche der directen Aus¬ 
füllung mit AgN0 3 entgehen, durch den Harnstoff und andere Extractiv- 
stoffe zurückgehalten würden. 

Die Verschiedenheit aller bisherigen Ergebnisse veranlasste mich za 
einer neuen Bearbeitung der Frage nach organischem CI im Urin. Gleich¬ 
zeitig konnten dadurch eventuell Beziehungen zu dem Zustandekommen 
der verminderten Cl-Ausscheidung bei fieberhaften Erkrankungen, speciell 
bei der Pneumonie, sich ergeben. 

Zu diesem Zweck wurde eine mit der Pipette abgemessene Ham- 
menge (nach sorgfältigster Ausfüllung des Eiweisses) zunächst zwecks 


1) Chem. Centralbl. 1894. S. 912 u. 1895. S. 495. 

2) Ibidem, 1894. S. 246. 

3) Maly’s Jahresberichte. 31. 1897. Bd. II. S. 44. 

4) Ibidem. Bd. I. S. 413, 414. 

5) Ibidem. 


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Ueber „organisch 41 gebundenes Chlor im Harn. 


541 


Reduction etwa vorhandener Chlorate 1 ) mit Natriuranitrit und rauchender 
Salpetersäure versetzt, am folgenden Tage mit einem Ueberschuss von 
AgNO s -Lösung gefällt, im Dunkeln filtrirt und sorgfältig mit destillirtem 
Wasser nachgewaschen. Das vollkommen klare Filtrat wird auf dem 
Wasserbade auf ca. Vs seines Volumens eingeengt und nochmals filtrirt. 
Zugesetztes Silbernitrat rief keine Fällung hervor. Die so erhaltene, 
völlig klare Flüssigkeit wird nunmehr mit CI-freiem Säuregemisch (conc. 
HN0 3 und conc. H 2 S0 4 ana) nach Vorschrift von A. Neu mann 2 ) ver¬ 
ascht und in eine mit verdünnter AgNO a -Lösung beschickte Vorlage 
überdestillirt. Der Rückstand in der Retorte wird nach beendeter Ver¬ 
aschung mit destillirtem Wasser verdünnt und zur Prüfung auf etwa der 
Destillation entgangenes 3 ) CI- mit einigen Tropfen Ag-Lösung versetzt. 

Ura dem Einwand der Cl-Retention durch Harnstoff zu begegnen, 
wurden 50 ccm einer Lösung von 2 pCt. C0(NH 2 ) 2 + 1 pCt. CINa in 
der üblichen Weise mit Ag-Lösung gefällt. Die berechnete AgCl-Menge 
betrug 1,225 g. Erhalten wurden 1,2209 AgCl und 1,2218 AgCl. 

Auch künstliche Lösungen, wie sie schon der Zusammensetzung des 
Harns näher kamen, ergaben keine Retention von Chlor durch die in 
denselben vorhandenen Körper. Aus einer Lösung von 50 ccm y 2 pCt. 
phosphorsaures Natrium, y 4 pCt. schwefelsaures Natrium, Vio pCt. Harn¬ 
säure, 2pCt. Harnstoff, lpCt. Kochsalz wurden 1,2228 und 1,2232 AgCl 
(berechnet 1,2238 AgCl) gewonnen. 

Urine, in der angegebenen Weise von Gesunden und einem fieber¬ 
losen, schweren Diabetiker untersucht, ergaben regelmässig der Fällung 
entgangene Mengen Halogens, die sich erst durch das Veraschungsver¬ 
fahren nach weisen Hessen. Die Werthe betrugen, auf die 24 ständige 
Harnmenge als AgCl berechnet, durchschnittlich 0,5 bis 2, auch 2,5 Deci- 
gramm. Grössere Mengen wurden kaum nachgewiesen. Dagegen wurden 
Werthe, die noch nicht 0,1 erreichten, verhältnissmässig häufig fest¬ 
gestellt. 

Von den verschiedenen Fällen croupöser Pneumonien, deren Harn 
ich zu analysiren Gelegenheit hatte, sei nur folgender kurz erwähnt: 

Emma E., 21 J. alt, erkrankte plötzlich am 13. 1. mit Schüttel¬ 
frost, Seitenstechen und hohem Fieber. Am 18. 1. bestand bei der Auf¬ 
nahme in die Klinik doppelseitige pneumonische Infiltration vom Scapular- 
winkel an abwärts und in der rechten Seite, über den gedämpften 
Partien, Bronchialathmen und Knisterrasseln. Am 19. 1. erfolgte eine 
partielle Krise, in anderen Theilen der Lunge ein Fortschreiten der 
Pneumonie. Am 22. 1. bestand auch über der rechten Spitze geringe 
Dämpfung. Im Uebrigen war eine deutliche Aufhellung des Percussions- 

1) M. Scholtz, Arcli. f. Pharmacie. Bd. 243. S. 353. 1905. Diese Vorsicht 
wurde beibehalten, obwohl sich nie Differenzen der erhaltenen AgCl-Menge vor und 
nach dem Reductionsverfahren ergaben. Jedenfalls wird durch den Zusatz von 
Natriumnitrit der vorhandene Harnstoff zerstört. Millon, Ann. d. Chemie u. Phar¬ 
macie. Bd. 3. — Herrn. Hildebrandt, Viorteljahrsschr. für gerichtl. Medicin. 
Bd. 32. 1907. 

2) Zeitschr. f. physiolog. Chemie. 1902. Bd. 37. H. 2. S. 118 IT. 

3) Dasselbe war nie der Fall. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. q t 


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542 


0. Baumgarten, 


schalls zu bemerken. Ara 24. 1. bestand nur geringe Tympanie in den 
abhängigen Theilen beiderseits. Am 29. 1. war in den abhängigen 
Theilen der linken Lunge ein geringes pleuritisches Exsudat nachweisbar. 
Ara 31. 1. bestand dasselbe in gleicher Höhe auch rechts. Die Probe- 
punction ergab einige Cubikcentimeter seröser Flüssigkeit. In den nächst¬ 
folgenden Tagen trat Resorption des Exsudats ein, so dass die Kranke 
am 14. 2. mit normalem Lungenbefund entlassen werden konnte. 

Der Uebersicht wegen stelle ich Temperaturen, Harnmengen und 
Chlorbestimraungen in nachstehender Tabelle zusammen. 


Datum 


Temperaturen 


Urin¬ 

menge 


18. 1. 

19. 1. 

20 . 1 . 
21 . 1 . 
22 . 1 . 
23. 1. 


39,0 39,4 39,6 39,8 
39,1 39,5 39,7 39,3 
39,0 39,1 39,6 39,5 

37.9 38,5 38,3 38,4 
38,0 38,3 38.4 38,4 

38.9 38,0 37,7 37,8 


750 

500 

600 

500 

410 

1300 


24. 1. 

25. 1. 

26. 1. 

27. 1. 

28. 1. 

29. 1. 

30. 1. 

31. 1. 
1 . 2 . 
2 . 2 . 


37.3 37,9 37,8 37,9 

37.4 36,9 37,3 37,2 
38,1 36,9 37,3 36,8 
36,7 36,7 37,2 37,1 

normale Temp. 
desgl. 
desgl. 
desgl. 
desgl. 
desgl. 


1340 

1200 

840 

1470 

5400 I 
ä 1800 | 

4230 I 
ä 1410 j 


fällbares 

nicht fällbares 

Halogen in 100 ccm Harn 

0,22720 

0,0215 

0,10710 

0,0215 

0,10835 

0,0069 

0,15475 

0,0115 

0,56605 

0,0090 

0,95830 

nicht sicher 


wägbar 

1,19005 

0,0156 

1,02290 

0,0033 

0,87420 , 

0,0094 

1,0620 

0,011 

Durchschnitts¬ 
werth pro Tag 
0,58470 

1 nicht sicher 
j wägbar 

Durchschnitts¬ 

| Durchschnitts- 

werth pro Tag 

} werth pro Tag 

0,97100 

1 0,0091 


fällbares ! nicht fällbare 


Halogen in der Tagesportion 


1,7040 0,16125 

0,5355 0,10750 

0,6501 0,04140 

0,77$8 0,05750 

2,3208 0,03690 

12,4579 ? 

I 

15,9467 0,20904 

12,2748 ; 0.03960 

7,3483 ! 0,07896 

15,6114 j 0,16170 

Durchschnitts- j Durchschoit*' 
werth pro Tag } werth pro Ta: 

10,5246 I ? 

Durchschnitts- J Durchschnitt' 
werth pro Tag i > werth pro Ta: 
13,6911 I 0,12831 


Anmerkung: Die angeführten Werthe sind als Ag CI berechnet. Dass hier, wie bei sämmtliehe' 
Bestimmungen Chlor vorlag, bewies die sofortige Löslichkeit des Silbersalzes in Ammoniak. Zudem hatt: 
die betr. Patienten weder vorher noch während der Beobachtungsdauer Jod- oder Bromsalze bekomm:: 
Die angeführten Zahlen sind die Durchschnittswerthe von jedesmal zwei gut miteinander übereinstimmend 
Analysen. 


Die Harne der übrigen uncomplicirten, croupösen Pneumonien mit 
typischer Krisis ergaben dieselben Resultate betr. des nicht durch Silber 
fällbaren Chlors. Unter diesen Umständen konnten neue Ergebnisse von 
der Untersuchung anderer fieberhafter Erkrankungen kaum erwartet 
werden. Und in der That ergab die Beobachtung eines Falles von 
Scharlach und Masern bis zum Ende der Abschuppung und eines in die 
Reconvalescenz eintretenden Typhuskranken nichts Neues. Ich verzichte 
daher auf die Mittheilung der Tabellen. 

Auch die Verabfolgung von 10 und 20 g Kochsalz in nahezu con- 
centrirter Lösung Morgens nüchtern bei Gesunden und Pneumonikern 
mit nahezu vollständiger Cl-Retention blieb ohne erkennbaren Einfluss 
auf die Menge des nicht durch Silber fällbaren Halogens. 

Fasse ich die bisher erzielten Resultate zusammen, so sind die erst 
durch den Veraschungsprocess gewonnenen Cl-mengen in weitgehendstem 
Maasse unabhängig 

1. von der Kochsalzzufuhr mit der Nahrung, 

2. von der Temperatur des betr. Individuums, denn 


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Ueber „organisch“ gebundenes Chlor im Harn. 


543 


a) normale Harne, 

b) Fieberurine (Pneumonie-Masern-Scharlach), 

c) Harne vor und nach der Krisis 

geben gleiche Mengen, wahrscheinlich organisch gebundenen Chlors. 
Dieser letzte Punkt erschien mir darum besonders wichtig, als damit 
die Frage nach den Ursachen der Retention der Chloride bei fieberhaften 
Erkrankungen, speciell bei der Pneumonie, nicht einmal eine wenigstens 
thcilweise Erklärung durch etwa vermehrt ausgeschiedenes „organisches 44 
Chlor finden konnte. 

Welcher Natur der durch Fällung nicht nachweisbare, erst durch 
das Veraschungsverfahren gewonnene Chlorantheil ist, lässt sich vorläufig 
nicht bestimmen. Durch Ausschüttelung des Urins mit 1 ) Aether oder 
Aetherextraction des auf dem Wasserbade verdampften Harns im Soxhlet 
konnten nur Bruchtheile des „organischen 44 Chlors gefunden werden. 


1) Auch hier natürlich mit der Vorsicht, doch die Veraschung erst nach Filtration 
des in Wasser aufgenommenen, mit AgN0 3 -Lösung versetzten Verdampfungsrückstandes 
vorgenommen wurde. 


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XXXIX. 


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Aus der medicinischen Klinik der Universität Bonn. 


Ueber die auscultatorische Methode der Blutdruckmessung 
mit besonderer Berücksichtigung des diastolischen Blutdrucks. 

Von 


Heinrich Bickel. 

(Mit 1 Curve im Text) 


Seit einigen Jahren ist man bemüht, Methoden zu finden, die es 
uns ermöglichen sollen, ausser dem systolischen oder maximalen Blat- 
druck auch den Werth des diastolischen oder minimalen Druckes zahlen- 
mässig zu bestimmen. Denn man hatte erkannt, dass der Werth des 
diastolischen und damit auch des mittleren Blutdruckes keineswegs der 
Höhe des systolischen Druckes parallel zu gehen braucht, und dass für 
das feinere Verständnis des Kreislaufmcchanismus die Messung des dia¬ 
stolischen Druckes der des systolischen an Bedeutung mindestens gleich 
kommt. So hat Strasburger darauf hingewiesen, dass der Pulsdruck, 
worunter er die Differenz zwischen systolischem und diastolischem Blut¬ 
druck versteht, bei Berücksichtigung ganz bestimmter Momente als an¬ 
näherndes Maass für die Grösse des Schlagvolumens dienen könne. 

Der Vergleich des Pulsdruckes mit dem Maximaldruck erlaubt uns 
ferner nach der Ansicht Strasburger’s in einer Reihe von Fällen einen 
Einblick in das Verhältnis der Herzarbeit zu dem Widerstand in den 
Gefässen. Es ist allerdings letzthin, besonders auf Grund der Arbeiten 
von H. v. Recklinghausen, eingewendet worden, dass derartige 
Schlüsse unzulässig seiet), weil wir die Weitbarkeit des arteriellen 
Systems, insbesondere der peripheren Gefässe, nicht in Rechnung setzen 
könnten. Demgegenüber aber muss betont werden, dass es in der 
Praxis eine ganze Reihe von Fällen giebt, in denen wir mit jenen Me¬ 
thoden wesentlich detaillirtere Schlüsse auf das Verhalten des Kreis¬ 
laufs ziehen können, als dies früher möglich war. Insbesondere sind 
die Resultate dann sicher brauchbar, wenn die erhaltenen Werthe sich 
in entgegengesetzter Richtung ändern, als dies durch einen Fehler, der 
durch die wechselnde Capacität des Gefässsysteras bedingt wäre, her¬ 
vorgebracht würde. 

So sollte man z. B. erwarten, dass im heissen Bade, in Folge der 
starken Gefässerwciterung und der damit verbundenen Vergrösserung der 
Capacität des Arterienreservoirs, der Pulsdruck kleiner werden müsste. 


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Ueber die auscultatorisohe Methode der Blutdruckmessung etc. 545 

Man könnte aus einer solchen Abnahme des Pulsdrucks nicht schlicssen, 
dass das Schlagvolumen abgenommen habe. Wenn aber in Wirklich¬ 
keit, wie dies aus den Untersuchungen von J. Strasburger 1 ) hervor¬ 
geht, die Pulsamplitude im heissen Bad grösser wird, sich also umge¬ 
kehrt verhält, als es von der Beeinflussung seitens des Gefässsystems 
zu erwarten wäre, so unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass damit 
eine Vergrösserung des Schlagvolumens erwiesen ist. Derartige Bei¬ 
spiele Hessen sich noch mehr anführen; es muss eben jeder Fall für 
sich durchdacht werden. Und wenn auch nicht wenige Fälle übrig 
bleiben, in denen ein Non liquet ausgesprochen werden muss, so berech¬ 
tigt das noch nicht, diese Betrachtungen für überflüssig zu erklären, so 
lange nicht etwas Besseres an ihre Stelle gesetzt ist. 

Wenn also die Bedeutung, die dem diastolischen Druckwerth zu¬ 
kommt, zur Zeit noch lange nicht in jeder Hinsicht klargestellt ist, so 
beweisen doch weiterhin die Versuche von Masing 2 ), Strasburger 3 ) 
und Stursberg 4 ) über das Verhalten der Blutdruckwerthe nach Körper¬ 
arbeit, wie unvollkommen uns der systolische Druckwerth allein über 
den Zustand des Herzens unterrichtet. 

Die zahlreichen Methoden und Apparate, die zur Messung des dia¬ 
stolischen Blutdrucks bisher construirt wurden, gründen sich im Grossen 
und Ganzen auf zwei Principien. Das eine Princip, von Janeway 5 ), 
Masing 6 ), Strasburger 7 ) und Sahli 8 ) entdeckt, findet den diasto¬ 
lischen Druckwerth dann, wenn bei langsam steigendem Druck in der 
comprimirenden Manschette der Puls peripher von der Manschette eben 
kleiner wird. Das andere Princip misst den diastolischen Druck dann, 
wenn bei langsam sinkendem Druck in der Manschette die Druck¬ 
schwankungen in dieser deutlich kleiner werden. Das letztere Princip 
der Blutdruckmessung haben besonders Erlanger 9 ) und Heinrich 
von Recklinghausen 10 ) bearbeitet und durch verhältnissmässig einfach 
zu handhabende Apparate der Praxis zugänglich gemacht. 

Dem letzteren Princip dürfte wohl auch die jüngste Methode zuzu¬ 
ordnen sein, welche neuerdings Korotkow 11 ) entdeckte und später auch 
von Fellner 12 ) beschrieben wurde, die den palpirenden Finger und die 

1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 82. S. 459. 

2) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 74. S. 2 % 53. 

3) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 54. S. 390. Tabelle 2. 

4) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 90. S. 548. 

5) New York Univ. Bullet, of the Med. Sciences. 1901. Vol. 1. p. 105. Citirt 
nach H. v. Recklinghausen. 

6) 1. c. 

7) 1. c. p. 373. Ausserdem Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 82. S. 459. 

8) Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 81. S. 493. 

9) The Johns Hopkins Hospital Reports. Vol. Xli. 1904. Ausserdem Americ. 
Journ. of Physiol. Vol. X. 1904, und Proceed. of Americ. Physiol. Soc. p. XIV. 
Citirt nach H. v. Recklinghausen. 

10) Arch. f. experim. Pathologie u. Pharmakologie. Bd. 55. S. 375. 

11) Berichte d. kaiserl. militärärztlichen Akademie Petersburg. 1905. Bd. 12. 
No. 4. S. 395, und 1906. Bd. 12. No. 2. S. 284. Citirt nach W. Ettinger. 

12) Verhandlungen des Congresses f. inn. Med. 1907. S. 404. 


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546 


H. Bickel, 


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Beobachtung der Ausschläge des Tonometerzcigers durch die Ausculta- 
tion des Arterienrohres ersetzten. Da über die Brauchbarkeit dieser 
auscultatorischen Methode bis jetzt noch wenige Untersuchungen vor- 
genonomen sind, so unterzog ich mich in der vorliegenden Arbeit der 
Aufgabe, die durch Auscultation gefundenen Wcrthe mit den Blutdruck- 
werthen zu vergleichen, welche mit bestimmten anderen Methoden er¬ 
mittelt werden. 

Ein Vergleich der auscultatorischen Methode mit der oscillatorischcn 
von Recklinghausen liegt bereits in der Arbeit von J. Fischer 1 ) 
vor. Diese Arbeit erschien, als ich schon den grössten Theil meiner 
Untersuchungen beendet hatte. Ich kann gleich erwähnen, dass ich im 
Wesentlichen in ihren Resultaten eine Bestätigung meiner Messungen 
gefunden habe. Fischer verwendet aber nur die oscillatorische Me¬ 
thode zum Vergleich, und es fragt sich, ob es ausreichend ist, die 
oscillatorische Methode als absoluten Maassstab für die Brauchbarkeit 
einer neuen Methode zu verwenden, welche zudem wahrscheinlich auf 
demselben Princip beruht, wie die oscillatorische. Aus diesem Grunde 
wurde in den vorliegenden Untersuchungen ausser der oscillatorischen 
Methode auch eine Methode jenes an erster Stelle genannten Principes 
zum Vergleich herangezogen. Und zwar wählte ich hierzu vorwiegend 
die palpatorische Methode von Strasburger, die wegen ihrer grossen 
Einfachheit wohl die gebräuchlichste Methode ihrer Gruppe ist. Ich 
habe ausserdem, um dem Vorwurf zu entgehen, dass meinen Palpations¬ 
befunden nicht die genügende Sicherheit zuerkannt werden könne, eine 
Anzahl Messungen unter Anwendung des Sphygmographen ausgeführt. 
Da es ferner noch immer nicht klar entschieden werden kann, ob die 
Methode, die das Kleinerwerden des Pulses an der Peripherie berück¬ 
sichtigt, oder die Betrachtung der Oscillationen in der Manschette den 
richtigeren Werth für den diastolischen Druck liefert, so dachte ich 
daran, ob es vielleicht möglich wäre, in der auscultatorischen Methode 
einen Anhaltspunkt für die Bcurtheilung jener beiden Methoden zu finden. 

Bevor wir die bei der vorliegenden Untersuchung erhaltenen Werthe 
betrachten, sei kurz die Art und Weise geschildert, wie bei der Unter¬ 
suchung verfahren wurde. Der zur Messung dienende Apparat bestand 
aus dem Tonometer, der breiten Manschette und der Luftpumpe von 
Recklinghausen 2 3 ) und aus dem Phonendoskop von Bazzi und Bi- 
anchi. In 8 Fällen wurde die graphische Methode von Sahli 8 ) hin¬ 
zugezogen, die ja das, was man mit dem Finger fühlt, objectiv vor 
Augen führt. Hierbei wurde der Jaquet’sche Sphygmocardiograph an¬ 
gewandt und ein die Druckwerthe selbstthätig registrirendes Manometer, 
welches Herr Dr. Stursberg construirt hat, und für dessen bereitwillige 
Ueberlassung ich ihm bestens danke. 

Unterhalb der um den rechten Oberarm liegenden Manschette wurde das Phonen¬ 
doskop, nachdem das an der Platte befindliche Stäbchen abgeschraubt war, mit der 

1) Deutsche med. NVochenschr. 34. Jahrg. S. 1141. 

2) 1. c. p. 412. 

3) Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. 81. S. 493. 


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Ueber die auscultatorische Methode der Blutdruckmessung etc. 


547 


ganzen Platte dort aufgelegt, wo die A. cubitalis aus dem Sulcus bicipitalis medialis 
in die Ellenbeuge tritt. Es ist gewiss empfehlenswert!), sich anstatt des Stethoskops 
nach dem Vorgang Krylow’s eines Phonendoskops zu bedienen. Man müsste so 
wie er ein flexibles Stethoskop benutzen, weil man andernfalls sehr schlecht an den 
Sulcus bicip. medial, herankommt und auch kaum zu gleicher Zeit das Manometer 
ablesen kann. Das Phonendoskop bringt weiterhin das auscultatorische Phänomen 
viel prägnanter zum Ausdruck. Ausserdem ist mit dem Gebrauch des Stethoskops 
leicht eine ungleichmässige und zu starke Compression der auscultierten Arterie ver¬ 
knüpft. Bei der grossen flach aufliegenden Platte des Phonendoskops ist eine Com¬ 
pression der Arterie überhaupt ausgeschlossen. Nebengeräusche sind bei dem 
Phonendoskop ohne weiteres von dem eigentlichen Klangphänomen zu untorscheiden 
und sind bei weitem nicht so störend wie bei dem Stethoskop. Zur möglichsten 
Vermeidung derselben empfiehlt es sich, an dem Phonendoskop, um es nicht festhalten 
zu müssen, zwei Gewichte anzubinden, die zu beiden Seiten des in seinen vorderen 
zwei Dritteln auf der Tischkante liegenden, supinirten Unterarmes herabbängen. 
Auf der medialen Seite, auf der das Phonendoskop schief aufliegt, genügt ein Gewicht 
von ca. 350 g, auf der lateralen Seite ein solches von 500 g. Durch den so aus¬ 
geübten gleichmässigen Druck werden unerwünschte Stenosengeräusche, die bei dem 
Stethoskop so leicht auftreten, vermieden und der Arterienton wird noch weiter ver¬ 
stärkt, ohne dass deshalb eine falsche Beurtheilung des wahren Phänomens zu be¬ 
fürchten wäre. Denn, wie später gezeigt werden wird, handelt es sich hier in 
erster Line nicht um die Qualität des Tones, auch nicht um seine absolute Intensität, 
sondern um die Beobachtung seines An- und Abschwellens. Je deutlicher aber das 
Klangphänomen ist, desto besser lassen sich seine Veränderungen erkennen. — In den 
wenigen Fällen, in denen die Pulsation der Cubitalarterie schwer zu fühlen und das 
auscultatorische Phänomen schlecht zu hören ist, ist es bisweilen zweckmässig, auf 
das Phonendoskop das Stäbchen aufzuschrauben und dieses auf die Auscultationsstelle 
aufzusetzen. 

Während bei der graphischen Registrirung das Stursberg’sehe Manometer zur 
Verwendung kam, wurde bei der übrigen Untersuchung das Reck linghausen’scho 
Tonometer als druckmessendes Instrument angewandt. Zur Ausübung der Com¬ 
pression diente bei der ganzen Untersuchung die Luftpumpe und die 13 cm breite 
Manschette von Recklinghausen, die fest angelegt wurde. 

Bei der palpatorischen Messung wurde für den systolischen Druck wie üblich 
verfahren: Der Luftdruck in der Manschette wurde so lange gesteigert, bis der 
periphere Puls in der Radialis für den palpirenden Finger sicher verschwunden war. 
Während nun der Druck in der Manschette langsam sank, wurde derjenige Druckwerth 
notirt, bei dem der Radialispuls oben wieder zu fühlen war, Um den diastolischen 
Druck palpatorisch zu ermitteln, verfuhr ich so, wie Stiasburger *) es angiebt: 
Zunächst wurde durch ziemlich rasches Steigern des Compressionsdruckes vom Null¬ 
punkt aus ungefähr die Zone bestimmt, innerhalb deren der Radialpuls deutlich ab¬ 
nahm. Durch wiederholte langsame Drucksteigerung innerhalb dieser Zone wurde 
der Moment der Abnahme des Pulses noch genauer gefunden. Hierbei bot in den 
meisten Fällen das eigentümliche Klopfen der Arterie unter dem palpirenden Finger 
einen sicheren Anhaltspunkt. War das Klopfen längere Zeit hindurch zu fühlen, so 
gab der oberste Punkt desselben den Anhalt für die Bestimmung des diastolischen 
Druckes. Während bei Personen, deren Radialis gut gefüllt ist, der diastolische 
Werth durchgängig verhältnissmässig leicht zu palpiren ist, bereiten Fälle mit weniger 
gut gefüllter Arterie häufig Schwierigkeiten. In diesen Fällen räth Strasburger, 


I) Zeitschrift für klin. Medicin Bd. 54. S. 385. Ausserdem Deutsches Archiv 
für klin. Medioin. Bd. 82. S. 467. 


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548 


H. Bickel, 


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den Druck in der Manschette für kurze Zeit über den systolischen Druck hinaus za 
steigern, sodass jeder Blutzufluss zum Arm aufhört, und darnach die Messung von 
neuem zu beginnen. Nach meiner Erfahrung erleichtert dieses Vorgehen in vielen 
Fällen die Messung ausserordentlich. 

Als Controle der palpatorischen Messung des diastolischen Druckes wurde, wie 
gesagt, in 8 Fällen die graphische Methodo benutzt. Diese ist in ihrer Anwendung 
zwar sicherlich schwerer als die palpatorische. Aber wenn sie gelingt, steht sie hin¬ 
sichtlich der Objectivität ihrer Resultate wohl allen übrigen Methoden voran. Die 
Art ihrer Anwendung hat Stursberg 1 ) in seiner Arbeit „Ueber das Verhalten des 
systolischen und diastolischen Blutdrucks naoh Körperarbeit etc. u zusammengefasst. 
Das dort beschriebene Vorgehen hat Stursberg inzwischen, wie erwähnt, duch die 
Construction eines selbstthätig registrirenden (noch nicht veröffentlichten) Manometers 
in vortheilhafter Weise vereinfacht. Das Stursberg’sche Manometer hat vor dem 
von A. Bingel 2 ) construirten den Vorzug, dass es nicht wie dieses nur von 
10 zu 10 mg Hg markirt, sondern je 5 mm. Für die genaue Auswerthung der 
Curven ist dies von nicht zu unterschätzender Bedeutung. — Der Sphygmokardiograph 
wurde fest angeschnallt, und gemäss den Vorschriften von Sahli wurden unter das 
obere Ende der Schiene beiderseits zwei Flaschenkorkhälften gelegt, um jeden Druck 
auf die Gefässe zu vermeiden. Nur bei sorgfältiger Anwendung dieser Regeln gelang 
es mir, einwandfreie Curven zu erhalten; nur so kann dio störende venöse Stauung 
einigermaassen vermieden werden. Tritt diese aber trotzdem auf, so zeigt die Curve 
oft ein deutliches Ansteigen über das ursprüngliche Niveau. Dieses Ansteigen 
beginnt meist schon bei geringer Compression und ist vielfach verbunden mit einem 
frühzeitigen Kleinerwerden der Pulswelle. Die dann erhaltenen Werthe, nicht nur 
für den diastolischen, sondern auch für den systolischen Druck, liegen beide unter¬ 
halb der Werthe, welche mit den andern Methoden gefunden werden und eine solche, 
gewissermaassen nach unten verschobene Curve ist natürlich unbrauchbar. Ausser 
dem Ansteigen der Pulscurve diente mir vor allem das Verhalten des systolischen 
Druckwerthes als Kriterium für die Brauchbarkeit einer Curve; lag der graphische 
Werth tiefer als der nachher gefundene palpatorische, so verwarf ich die Curve als 
Stauungscurve. Denn es liogt in der grösseren Feinheit der graphischen Methode 
begründet und ist durch die Erfahrung bestätigt, dass einwandfreie Curven für den 
systolischen Druck eher einen höheren, nie aber einen tieferen Werth ergeben als die 
Palpation. Die venöse Stauung muss besonders unter solchen Verhältnissen auf- 
treten, die eine Ansammlung des Blutes im Vorderarm begünstigen, d. h., sie entsteht 
in erster Linie bei Individuen mit weiten Armvenen und gut gefüllter Arterie und 
ferner dann, wenn der Arm schon vorher wiederholt comprimirt war. Im letzteren 
Fall füllen sich die arteriellen Gefässe stärker mit Blut. Diese Erscheinung hängt 
nach Bier damit zusammen, dass ein Gewebe, dessen Blutzufuhr eine Zeit lang ab¬ 
geschnitten war, bei Wiederherstellung des Kreislaufs das arterielle Blut kräftig 
anzieht. Da, wie oben gesagt, diese Erscheinung dazu benutzt werden kann, um 
bei Individuen mit schlecht gefüllter Radialis die Palpation zu erleichtern, dürften 
dieselben Verhältnisse, die die Ausführung der palpatorischen Methode erleichtern, 
diegraphische Methode erschweren. Da die eine Methode oft schwer auszufübren ist, 
wo die andere leicht ist, ergänzen sich die beiden Methoden in gewissem Sinne. 
Wenn ich von den zahlreichen misslungenen Curven im Anfang ganz absehe, so muss 
ich doch immerhin betonen, dass auch später nicht selten die graphische Registrirung 
wegen der auftretenden Stauung unausführbar war. Da, wie gesagt, die Erfahrung 
lehrt, dass die Stauung umso eher auftritt je mehr schon vorher untersucht ist, 

1) Deutsches Archiv für klin. Medizin. Bd. 90. S. 548.| 

2) Münchener medicin. Wochenschrift. 1906. S. 1246. 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber die auscultatorische Methode der Blutdruckmessung etc. 


549 


machte ich es mir zur Regel, die graphische Methode stets im Anfang der Unter¬ 
suchung vorzunehmen, wo der Blutgehalt des Armes noch nicht durch zahlreiche 
Compressionen des Oberarmes vermehrt war. An den aufgezeichneten Curven wurde 
die Stelle, an der die Pulswelle an Höhe abnahm, genauer durch Ausmessen mit dem 
Cirkel bestimmt. Der an dieser Stelle registrirte Druckwerth war der diastolische 
Druck. 

Die oscillatorische Messung wurde nach den Vorschriften Recklinghausen’s 1 ) 
gehandhabt. Der systolische Druck kann nach Recklinghausen auf oscillatorischem 
Wege in der Weise bestimmt werden, dass man bei sinkendem Compressionsdruck 
beobachtet, wo an der oberen Grenze der maximalen Schwankungen des Tonometer¬ 
zeigers die kleinen Ausschläge in dio grossen übergehen. Dies ist in einer Reihe 
von Fällen ausserordentlich deutlich zu sehen. Aber in der Mehrzahl der Fälle ist 
diese Beobachtung, wie auch von Recklinghausen sagt, nicht so einfach. Da 
ausserdem der systolische Druck palpatorisch und auscultatorisch mit ziemlich leichter 
Mühe zu bestimmen ist, dürfte die oscillatorische Messung des systolischen Druckes 
keinen praktischen Werth haben. — Während der systolische Druck die obere Grenze 
der grossen Oscillationen bildet, liegt der diastolische Werth nach v. Recklinghausen 
an der unteren Grenze derselben. Die Stelle, wo die grossen Oscillationen in kleinere 
übergehen, ist fast immer deutlich zu erkennen. Auch hier wurde, wie bei der 
palpatorischen Messung, der gesuchte Punkt allmählich immer genauer bestimmt, und 
zwar bei Nachlassen des Druckes. 

Es sei hier an einige bekannte Erscheinungen erinnert, die, unbeaohtet, bei 
jeder Blutdruckmessung zu falschen Resultaten führen können. *— Ich meine den 
blutdrucksteigernden Einfluss der Muskelarbeit, die der zu Untersuchende verrichtet, 
bis er sich an den Untersuchungstisch gesetzt hat, und sodann die ebenfalls mit 
Blutdruckerhöhung verknüpfte psychischo Erregung, mit welcher der zu Untersuchende 
der Messung entgegonsieht. Der Einfluss dieser beiden Momente pflegt bald früher 
bald später abgeklungen zu sein. Doch ist hierauf hesonders bei der graphischen 
Messung zu achten, die aus dem erwähnten Grunde stets zu Anfang vorgenommen 
werden musste. Soll die graphische Registrirung unterbleiben, so kann man ja sofort 
mit der Untersuchung beginnen und sich zunächst über die ungefähre Lage der Druck- 
werthe orientiren. Indem man dann die Werthe durch wiederholte Messungen immer 
genauer zu bestimmen sucht, ist die anfängliche Drucksteigerung bald abgeklungen, 
und man findet schliesslich constant denselben Werth, der als der richtige angesehen 
werden darf. 

Es erübrigt nun noch die Methodik der auskultatorischen Blutdruckmessung zu 
erörtern. Diese Methode wurde zuerst von Korotkow Ende des Jahres 1905 auf 
einer wissenschaftlichen Versammlung der militärärztlichen Academie zu Petersburg 
demonstrirt. Da mir der Bericht hierüber nicht zur Verfügung stand, referire ich 
nach der Arbeit von Ettinger 2 ), in der dieser die Ansichten Korotkow’s und 
Krylow’s über die neue Methode einer Kritik unterzieht und die Ergebnisse eigener 
Untersuchungen mittheilt. Korotkow legte um die Mitte des Oberarmes die Riva- 
Rocci’sche Manschette, steigerte in ihr den Luftdruck zunächst über den systolischen 
Druckwerth und liess ihn dann allmählich sinken. Hierbei auscultirte er peripher 
von der Manschette die Brachialarterie mittelst eines Stethoskops und unterschied an 
dem Klanphänomen, welches er hierbei wahrnahm, 3 Phasen: Zuerst, als der Druck 
bis zu einer gewissen Höhe gesunken war, hörte er kurze Töne. Den bei dem Auf¬ 
treten dieser Töne beobachteten Manoraeterstand betrachtete er als den systolischen 
Druckwerth. Beim weiteren Nachlassen des Druckes traten als 2. Phase sogenannte 


1) Archiv für experim. Pathologie u. Pharmakologie Bd. 55. S. 434. 

2) Wiener klin. Wochenschrift. 20. Jahrgang No. 33. 


Digitized by 


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Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



550 


H. Bickel 


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„systolische Druckgeräusche“ auf. Auf diese folgte schliesslich eine Phase zweiter 
Töne, die den Schluss bildete; den beim Aufhören des Phänomens beobachteten 
Manometerstand dachte sieb Korotkow als diastolischen Druckwerth. Das erste 
Auftreten des Phänomens beweist nach Korotkow, dass ein Theil der Pulswelle 
wieder unter der Manschette durchdringt, dass also der Blutdiuck eben den Druck in 
der Manschette zu überwinden vermag. Gerade bei dem Beginn der 1. Phase ist also 
der Druck in der Manschette gleich dem systolischen Blutdruck. Korotkow fand 
das auscultatorische Maximum um durchschnittlich 10—12 mg Hg höher als das 
palpatorische. Dass die Töne lokal in der Arterie, an der Stelle der Compression, 
entstehen, bedarf wohl keiner weiteren Erörterung. Wenn sie, wie Bozowsky 
meinte, vom Herzen aus fortgeleitet wären, so müssten sie, sagt Krylow, am deut¬ 
lichsten zu hören sein, wenn der Zufluss des Blutes vollständig frei ist, d. b. ohne Com¬ 
pression ; das ist aber keineswegs der Fall. — Schwieriger als die Frage des systolischen 
Druckes dürfte bei der auscultatorischen, wie bei allen anderen Methoden, die Frag® 
des diastolischen Druckes liegen. Das Verschwinden aller auscultatorischen Er¬ 
scheinungen entspricht nach Korotkow dem Momente, in welchem das Blut wieder 
frei durch die Brachialarterie fliesst, es „bestimmt folglich den sog. minimalen oder 
diastolischen Blutdruck“. Die letztere Annahme findet sich auch in allen übrigen 
Arbeiten über die auscultatorische Blutdruckmessung. Nur Strasburger 1 ) bemerkt, 
in einer Abhandlung über die Messung des diastolischen Blutdrucks beim Menschen, 
dass die untere Grenze des Tonmaximums mit dem palpatorisch gefundenen 
diastolischen Druck übereinstimme, das Aufhören des Tones dagegen mit dem 
oscillatorisch gefundenen Werth. Die Annahme, dass gerade das Verschwinden des 
Tones dem diastolischen Druck gleichkomme, scheint bis jetzt einer genügenden Be¬ 
gründung zu entbehren. Bevor wir jedoch hierauf näher eingehen, seien noch die 
Ansichten von Krylow, W. Ettinger, B. Fellner und J. Fischer über das aus¬ 
cultatorische Verfahren in der Hauptsache wiedergegeben. 

Krylow unterscheidet zwischen typischen und atypischen Fällen. Er aus- 
cultirte mit einem Phonendoskop und erkannte in typischen Fällen dieselben 3 Phasen 
wie Korotkow. In den sog. atypischen Fällen beobachtet Krylow folgende Mög¬ 
lichkeiten: 1. Die Geräusche der 2. Phase fehlen und man hört nur Arterientöne. 
2. Die 3. Phase, d. h. die Phase der zweiten Töne fehlt, und die 2. Phase der 
Geräusche bildet den Schluss. 3. Man hört nur Geräusche; bei Arrhythmie findet 
man die Geräusche von Tönen unterbrochen. 4. Bei Aorteninsufficienz hört bisweilen 
die 3. Phase nicht auf, d. h. man hört auch ohne Compression Arterientöne. 

Im Gegensatz zu Korotkow und Krylow unterscheidet W. Ettinger 2 ) vier 
Phasen. Er bediente sich bei der Auscultation eines flexiblen Stethoskops mit 
Celluloidplatte. In den beiden ersten Phasen stimmt er mit Korotkow und Krylow 
überein. Nämlich die erste Phase umfasst die ersten Töne, die zweite ist gegeben 
durch das hinzukommende Geräusch. Als 3. Phase fasst er die Töne zusammen, die 
nach dem Verschwinden des Geräusches auftreten, und die „in der Kegel laut, 
klingend, jedenfalls lauter als während der ersten Phase“ sind. „Später wird dieser 
Ton, welcher zuweilen geradezu metallisch klingt, immer dumpfer“. Diese letzten 
dumpfen Töne bilden bei Ettinger die 4. Phase. Allo die genannten Phasen hat 
Ettinger unter 235 Untersuchungen 200 mal wiedergefunden, ln den übrigen 
35 Fällen fehlte meistens die 2. und 3. Phase oder eine von diesen beiden. Er sagt, 
dass es sich in fast allen diesen Fällen um eine nachweisbere Erkrankung des Herzens 
gehandelt habe. In 5 Fällen von Aorteninsufficienz war der Arterienton dauernd, 
d. h. auch ohne Compression zu hören. Wie bei Korotkow und Krylow, so be- 


1) Deutsche medicin. Wochenschrift. 1908. S. 102. 

2) Wiener klin. Wochenschrift. 20. Jahrgang, No. 33. S. 6 d. Separatabdrucks. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



lieber die auscultatorische Methode der Blutdruckmessung etc. 


551 


zeichnen auch bei Ettinger die Grenzen des auscultatorischen Phänomens den 
systolischen und diastolischen Druck. Unter 232 Untersuchungen fand Ettinger 
den Maximaldruck auscultatorisch 207 mal um durchschnittlich 16 mm Hg höher als 
palpatorisch. Das ausoultatorische Minimum, d. h. das Verschwinden des Arterien¬ 
tones, lag in 130 Fällen niedriger als das palpatorische Minimum; 18 mal war cs 
gleich dem palpatorischen Minimum und 71 mal höher als dasselbe. Indem Ettinger 
die auscultatorische Methode mit der palpatorischen vergleicht, findet er, dass das 
palpatorische Minimum in 188 Fällen annähernd mit dem Verschwinden des Tones 
zusamroenfiel, in 39 Fällen dagegen ungefähr der vorletzten Phase entsprach. Weiter¬ 
hin bebt Ettinger hervor, dass bei Pulsus celer die auscultatorischen Erscheinungen 
am deutlichsten seien. Andererseits behauptet er aber, dass Fälle von weit vor¬ 
geschrittener Aorteninsufficienz sich am wenigsten für die auscultatorische Blutdruck¬ 
messung eigneten. 

Die auscultatorische Methode blieb seit ihrer Entdeckung durch Korotkow 
längere Zeit unbekannt, bis sie im Jahre 1907 ihren zweiten Entdecker in B. Fellner 1 ) 
fand. Auch Fellner constatirte, dass das auscultatorische Phänomen am besten zu 
hören ist, wenn man den Druck in der Manschette von einem Ueberdruck aus all¬ 
mählich sinken lässt. Er benutzte die Riva-Rocci’sche Manschette und ein gewöhn¬ 
liches Stethoskop. Bei einem Vergleich der neuen Methode mit anderen Methoden 
der Blutdruckmessung fand er, dass die Grenzen, innerhalb deren das auscultatorische 
Phänomen auftritt, ziemlich genau mit den Werthen übereinstimmen, die oscillatorisch 
nach Recklinghausen für den systolischen und diastolischen Blutdruck gefunden 
werden. Was die palpatorische Methode betrifft, so liegt nach Felln er’s Ansicht 
das Maximum auscultatorisch um durchschnittlich 5—10 mm Hg höher als palpatorisch. 
Das Minimum auscultatorisch war entweder gleich dem palpatorischen oder wich um 
5—10 mm Hg nach unten oder oben ab. Einzelne Phasen unterscheidet Fellner 
nicht bei der auscultatorischen Beobachtung. Da auch er der Ansicht ist, dass der 
diastolische Druck dem Aufhören des Arterientones gleich sei, sieht auch er in den 
Fällen von selbständigem Tönen der Arterie ungeeignete Untersuchungsobjecte. 

ln der vor kurzem erschienenen vorläufigen Mittheilung von J. Fischer 2 ) 
handelt es sich u. a. um einen Vergleich der auscultatorischen mit der oscillatorischen 
Methode, Fischer findet in 150 Fällen eine weitgehende Uebercinstimmung der 
auscultatorischen und oscillatorischen Methode. Im Falle einer Differenz soll das 
auscultatorisch gefundene Maximum stets tiefer liegen als das oscillatorisch fest¬ 
gestellte, und das auscultatorische Minimum soll dann etwas höher liegen als das 
pscillatoriscbe. Fischer unterscheidet dieselben Phasen des Klangphänomens wie 
Ettinger. 

Alle die genannten Autoren verlegen den diastolischen Blutdruck 
einfach an das Ende der auscultatorischen Erscheinungen, ohne dem so 
regelmässigen An- und Abschwellen des Arterientones besondere 
Beachtung zu schenken. Nur Strasburger macht darauf aufmerksam, 
dass die untere Grenze des Ton - Maximums mit dem palpatorisch 
gefundenen Minimum übereinzustimmen scheine. In den 40 Messungen, 
die ich vornahm, und die in den Tabellen niedergelegt sind, bestätigte 
sich dies. 

k Ich möchte das auscultatorische Phänomen etwa folgendermaassen 
beschreiben: Indem ich den Luftdruck in der Armmanschette von einem 
Ueberdruck langsam sinken lasse, treten Töne auf, die zuerst sehr leise 

1) Verhandlungen des Congresses für innere Medicin. 1907. S, 404. 

2) Deutsche medicin. Wochenschrift. 34. Jahrgang, S. 1141. 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



552 


H. Bickel, 


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sind und allmählich immer lauter werden. Bisweilen geht diesen Tönen 
als allererstes Zeichen ein vereinzeltes ziemlich lautes Geräusch voraus. 
Während die Töne an Intensität zunehmen, wird in einem Theil der 
Fälle neben ihnen früher oder später ein Geräusch hörbar, das ebenfalls 
an Intensität zunimmt und von verschiedener Dauer ist. Irgend eine 
Regelmässigkeit kann ich in dem Auftreten und der Beschaffenheit dieses 
Geräusches nicht finden. Während das Geräusch schnell verschwindet, 
werden die Töne immer lauter, in manchen Fällen tyrapanitisch und 
nehmen einen mehr oder weniger „klingenden“ Charakter an. Nachdem 
sie kurze Zeit dieselbe Intensität behalten haben, nehmen sie meistens 
plötzlich an Stärke ab und werden schnell leise, klanglos und dumpf, 
um früher oder später zu verschwinden. Diese Stelle des plötzlichen 
Umschlages ist oft sehr deutlich und fällt meistens mit der unteren 
Grenze des Ton-Maximums zusammen. Nur in Fällen hohen Pulsdrucks, 
also besonders bei Aorteninsufficienz, erfolgt die Abnahme der Töne 
nicht so plötzlich. Aber da in solchen Fällen der Ton sehr laut ist, ist 
auch hier die untere Grenze des Ton-Maximums stets leicht zu finden. 

Wenn ich die auscultatorischen Erscheinungen in Phasen einzu- 
theilen hätte, würde ich 3 Phasen unterscheiden: Eine 1. Phase, die 
von dem ersten Auftreten des Klangphänomenes bis zum Auftreten der 
lauten, tyrapanitischen Töne reicht; an den Anfang oder das Ende dieser 
Phase fällt das Geräusch, wenn ein solches überhaupt vorhanden ist. 
Der Bereich des Ton-Maximums wäre die 2. Phase, in welcher der 
Arterienton laut ist und seine Intensität wenig ändert; am Ende dieser 
Phase erreicht er aber doch seine grösste Stärke. Die 3. Phase endlich 
wäre die Zone, in der der Arterienton schnell abnimmt. Die Grenze 
zwischen 1. und 2. Phase ist natürlich nicht genauer festzulegen, zumal 
das Geräusch seinen Platz wechselt. Ferner ist in den Fällen von selb¬ 
ständigem Tönen der Cubitalis die untere Grenze der 3. Phase nicht 
sicher zu bestimmen. Im Uebrigen fand ich aber die 3 Phasen in 
meinen sämratlichen Untersuchungen wieder. 

Je höher der Pulsdruck war, desto deutlicher trat der Arterienton 
hervor. Aus diesem Grunde sind die Fälle mit hohem Pulsdruck, 
besonders also Aorteninsufticienzen, für die Beobachtung am dankbarsten. 
In diesen Fällen werden die auscultatorischen Erscheinungen nicht nur 
sehr laut gehört, sondern sie dehnen sich auch innerhalb sehr weiter 
Druckgrenzen aus, so dass hier alle Einzelheiten am besten zu studiren 
sind. Dieser Deutlichkeit und Verlängerung der gesammten Erscheinungen 
ist es wohl auch zuzuschreiben, dass man bei Aorteninsufficienzen an 
der unteren Grenze des Ton-Maxiraums nicht sofort eine rasche Abnahme 
der Ton-Intensität, sondern zuerst eine langsamere wahrnimmt. 

Wenn ich nunmehr die Druckwerthe, die ich in 40 Untersuchungen 
für die untere Grenze des Ton-Maximums und das Verschwinden, des 
Tones fand, mit den Werthen vergleiche, welche in eben diesen Fällen 
die palpatorisehe und oscillatorische Methode ergab, zeigt sich etwa 
Folgendes: 

1. Verhalten der unteren Grenze des Ton-Maxiraums zum oscilla- 
torischen Werth des diastolischen Druckes: Die untere Grenze 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber die auscultatorische Methode der Blutdruckmessung etc. 


553 


Sämmtliche Blutdruckzahlen mit Ausnahme der eingeklammerten bedeuten em Wasser. 


No. 

Name, Stand 


Diagnose 

Pulsfrequenz 

Systolisch- 

palpatorisch 

Diastolisch- 

palpatorisch 

Diastolisch- 

oscillatorisch 

Untere Grenze des 
Ton-Maximums 

Verschwinden 
des Tones 

Bemerkungen 

1 

B., Anstreicher 

43 

Chronische Bleiver¬ 
giftung 

56 

170 

125 

110 

130 

110 

Diastol.-palpator. un¬ 
sicher 

2 

B., Haus¬ 
bursche 

21 

Mitralinsufficienz 

56 

145 

85 

75 

90 

70 

Untere Grenze des 
Ton-Maximums un¬ 
sicher 

3 

N., Metzger¬ 
geselle 

29 

Palpitatio cordis, 
Neurasthenie 

84 

145 

110 

95 

120 

95 

— 

4 

R., Strassen- 
bahnführer 

35 

Abgelaufene Appen- 
dicitis 

64 

170 

130 

120 

130 

120 

Diastol.-palpator. un¬ 
deutlich 

5 

Sp., Weber 

35 

Neurasthenie 

80 

145 

110 

95 

100 

90 

— 

6 

L., Weber 

40 

Neurasthenie, 
accidentelles systo¬ 
lisches Geräusch an 
der Spitze 

62 

190 

120 

110 

115 

100 


7 

B., Heizer 

55 

Tabes dorsalis 

48 

210 

125 

115 

120 

110 

— 

8 

B., Schlosser 

59 

Arteriosklerose, inter¬ 
stitielle Nephritis, 
Neurasthenie 

82 

175 

120 

110 

! 

118 

108 

Wechselnde Wcrthe 
für den Ton 

9 

Sch., Heizer 

32 

Traeheitis 

80 

155 

115 

100 

120 

110 

— 

10 

R., Ackerer 

41 

Hysterie, interstitielle 
Nepritis 

78 

170 

i 

! 

130 

105 

125 

115 

Sehr wechselnde 
Werth e 

11 

K., Friseur 

43 

Pneumonie, in der 
Lösung begriffen 

104 

140 

100 

85 

; 95 

85 

— 

12 

F., Landwirth 

60 

Dolores in abdomine 

60 

140 

100 

85 

95 

85 

— 

13 

B., Dreher 

56 

Debilitas univcrsalis 

64 

140 

95 

87 

95 

87 

Wechselnde Werthc 

14 

B., Buch¬ 
drucker 

53 

Kyphoskoliose, Dys¬ 
pnoe, Granularniere 
Bronchitis 

88 

175 

130 

110 

i 

125 

110 

— 

15 

Sch., Bahn¬ 
assistent 

63 

76 

170 

j 120 

| 105 

1,8 

100 

— 

16 

St., Gastwirth 

33 

Acute Nephritis 

63 

| 220 

180 

155 

170 

155 

— 

17 

B., Musiker 

50 

Interstitielle 

Nephritis 

88 

200 

140 

i 

110 

135 

i 

120 

i 

— 

18 

Z. M., Fabrik¬ 
arbeiter 

18 

Fried reich’sche 
Ataxie 

80 

| 155 

120 

i 

j 90 

125 

j 90 


19 

Ph., Ackerer 

65 

Serratuslähmung, 
Nephrit, chronica, 
Arteriosklerose 

76 

240 

130. 

90 

130 

105 

| 

Graphische Methode 
wegen Stauung un¬ 
ausführbar 

20 

T., Bergmann 

31 

Sarkom der Scapula 
mit Lähmung des 
linken Armes 

76 

| 130 

110 

85 

| 

105 

1 85 


21 

Kn., Fabrik¬ 
arbeiter 

56 

Chronische Nephritis, 
Mitralinsufficienz, 
Trauma 

84 

240 

165 

140 

155 

140 


22 

Br., Tage¬ 
löhner 

38 

Mitralinsufficienz u. 
Aorteninsufficienz 

68 

150 

110 

85 

110 

, 85 

Graphische Methode 
wegen Stauung un¬ 
möglich 

23 

B., Schleifer 

40 

Ischias leichten 
Grades 

80 

170 

130 

115 

125 

i 

, 115 

— 

24 

H., Uhrmacher 

57 

Arteriosklerose, 

Granularniere 

84 

185 

125 

90 

110 

60 

85: Ton sehr leise 

25 

H., Rentner 

65 

Arteriosklerose, 

Apoplexie 

80 

1 205 

150 

115 

140 

120 

— 

26 

B., Bureau¬ 
schreiber 

44 

Arteriosklerose, 

Neurasthenie 

60 

180 

135 

115 

, 130 

| 108 



Digitized by 


Go igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 






554 


H. Bickel, 


No. 

Name, Stand 

Alter | 

Diagnose 

Pulsfrequenz 

Systolisch- | 
palpatorisch 

Diastolisch- i 
palpatorisch I 

Diastolisch- 

oseillatorisch 

Untere Grenze des 
Ton-Maximums 

Verschwinden 
des Tones j 

Bemerkungen 

27 

K.,Anstreicher 

46 

Nihil 

64 

145 , 

110 

90 

102 

90 



28 

J., Bergmann 

18 

Epilepsie 

78 1 

140 > 

105 

90 

100 

| 40 

70—40: Ton sehr leise 

29 

Frau B. 

60 

Apoplexie, Arterio¬ 
sklerose 

82 | 

230 

140 

120 

1 130 

105 

120 : Rasche Abnahme 
des Tones 

30 

H., Ackerer 

46 

Aorteninsufficienz 

ao i 

180 

75 

55 

75 

25 

55: Rasche Abnahme 
des Tones 

31 

H., Schreiner 

44 

Aorteninsufficienz 

72 

150 

70 

55 

65 

35 

50: Rasche Abnahme 
des Tones 

32 

F., Stahl¬ 
schleifer 

27 

Aorteninsufficienz, 
Phthisis pulm. 

80 

180 

105 

75 

100 

1 

Diastolisch- 
graphisch ^ 

asche Abnahme 
les Tones 

33 

S., Maurer 

21 

Aorteninsufficienz 

82, 

170 j 

i 

75 

50 

65 

j 

— 

77 

(57 Hg) 

40: Rasche 

Abnahme de* 

Tones 

34 

T., Zimmer¬ 
mann 

30 

Neurasthenie 

76 

155 

110 

100 

iio ! 

1 

95 

108 

(80 Hg) 

— 

35 

M., Invalide 

35 

Phthisis pulm. 

80 

145 

100 

80 

95 

! 

70 

95 

(70 Hg) 

— 

36 

N., Invalide 

45 

Chronische Nephritis 

80 

1 

130 ' 

110 

90 

105 1 

1 90 

102 

(75 Hg) 


37 

Z., Bergmann 

21 

Multiple Sklerose 

80 

150 i 

100 

85 

105 , 

85 

(70Hg) 


38 

M., Steingut¬ 
arbeiter 

29 

Pulmonal-Stcnose 
offener Ductus Bo- 
talli? 

88 1 

160 j 

120 

' 100 

125 

115 

113 

(84 Hg) 

Ton undeut¬ 
lich 

39 

Fr., Hausirer 

64 

Asthma bronchiale, 
Emphysem, chro¬ 
nische Bronchitis 

64 

1 

185 

125 

100 

115 , 

105 

121 

(89 Hg) 

Diastolisch- 

palpator. 

undeutlich 

40 

Gl., Gärtner 

58 

Trauma, Adipositas 
universalis 

68 , 

170 

125 

i 

110 

i 

120 

i i 

115 

126 

(93 Hg) 



des Ton - Maxiraums lag in sämmtlichen Fällen höher als das 
Kleinerwerden der Oscillationen im Tonometer. 

2. Verhalten der unteren Grenze des Ton-Maximums zum palpa- 
torischen Werth des diastolischen Druckes: Die untere Grenze 
des Ton-Maximums lag in der Regel zwischen dem palpatorischen 
und dem oscillatorischen Werth und war dabei, mit Ausnahme von 
4 Fällen, stets näher dem palpatorischen als dem oscillatorischen 
Werth, (ln 3 von den genannten 4 Fällen lag sie gerade in der 
Mitte zwischen palpatorischem und oscillatorischem Minimum; nur 
in einem einzigen Fall fand ich sie näher dem oscillatorischen 
Werth des diastolischen Druckes.) 

In 27 Fällen, d. h. ca. 7l0 aller meiner Messungen, lag die 
untere Grenze des Ton-Maximums um durchschnittlich 6 l / 2 cm 
Wasser tiefer als das palpatorische Minimum. In 6 Fällen fiel die 


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lieber die auscultatorische Methode der Blutdruckmessung etc. 


555 


untere Grenze des Ton-Maximums mit dem palpatorisch gefundenen 
Werth zusammen, und in 7 Fällen lag sie (um durchschnittlich 
b l / 2 cm Wasser) höher als das palpatorische Minimum. 

3. Verhalten des Verschwindens des Arterientones zum palpa- 
torischen Werth des diastolischen Druckes: Wenn schon das 
Maxiraum des Tones in den meisten Fällen tiefer liegt als der 
palpatorische Werth für den diastolischen Druck, so gilt dies erst 
recht für das Verschwinden des Tones; hier traf es für alle 
Fälle zu. 

4. Verhalten des Verschwindens des Arterientones zum oscil- 
latorischen Werth des diastolischen Druckes: Das Verschwinden 
des Tones lag, mit Ausnahme von 2 Fällen, stets dem oscilla- 
torischen Werth näher als dem palpatorischen. (In diesen 2 Aus¬ 
nahmefällen fand ich es näher dem palpatorischen Werth.) — In 
16 Fällen, d. h. 4 /10 aller Fälle, fiel das Verschwinden des Tones 
mit dem oscillatorischen Werth des diastolischen Druckes zusammen. 
In ebenfalls 16 Fällen lag es tiefer als das oscillatorische Minimum 
und zwar — von 7 Fällen mit abnorm langem Tönen der Arterie 
abgesehen — um durchschnittlich 6 cm Wasser. In 8 Fällen 
endlich lag das Verschwinden des Tones um durchschnittlich 
9y 2 o* 11 Wasser höher als das oscillatorische Minimum. 

5. Verhalten des graphischen Werthes des diastolischen Druckes 
zum palpatorischem: Der graphische Werth des diastolischen 
Druckes lag in den 8 Fällen, in denen er gemessen wurde, um 
durchschnittlich 3y a cm Wasser tiefer als der palpatorische Werth, 
aber stets dem palpatorischen Minimum näher als dem oscilla¬ 
torischen. — Es sei daran erinnert, dass aus den früher angeführten 
Gründen, welche die Stauung im Arm betreffen, die palpatorische 
Messung erst nach der graphischen vorgenoramen wurde. Es könnte 
daher der naheliegende Einwand gemacht werden, dass ich mich 
bei der palpatorischen Messung durch das bereits bekannte Resultat 
der graphischen Messung hätte beeinflussen lassen. Eine derartige 
Beeinflussung war jedoch ausgeschlossen, da der graphische Werth 
zunächst nur in mm Hg gegeben war, während der palpatorische 
am Recklinghausen’schen Tonometer in cm Wasser gemessen 
wurde, also nach einer anderen Scala, deren Verhältniss zu den 
Hg-Werthen mir nicht geläufig war. Ausserdem wurden die Curven 
erst hinterher genauer ausgemessen. 

6. Verhalten des graphischen Werthes des diastolischen Druckes 
zur unteren Grenze des Ton-Maximums: Wenn der gra¬ 
phische Werth in 6 von den 8 Fällen unterhalb des palpatorischen 
Werthes lag, so musste er in Folge dessen auch näher als dieser 
an der unteren Grenze des Ton-Maximums liegen (vergl. Abs. 2); 
denn dieses Letztere lag ja meist tiefer als der palpatorische 
Werth. Und in der That schwankte der graphische Werth um die 
untere Grenze des Ton-Maximums und lag im Durchschnitt nur 
V 2 cm Wasser unterhalb derselben. 


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556 


H. Bickel 


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Ziehen wir das Mittel aus allen diesen Beobachtungen, 
so zeigt es sich, dass die untere Grenze des Ton-Maximums 
am genauesten mit dem graphischen Werth, am zweitbesten 
mit dem palpatorischen Werth des diastolischen Druckes über¬ 
einstimmt, dass dagegen das Verschwinden des Tones im 
Ganzen dem oscillatorischen Werth entspricht. Man darf also, 
wenn man die Differenzen auf die Schwierigkeiten der Messung 
und sonstige Fehlerquellen zurückführt, daraus wohl den 
Schluss ziehen, dass bei der auscultatorischen Methode die 
untere Grenze des Ton-Maximums demjenigen Werth ent¬ 
spricht, den die Palpation, resp. die graphische Messung für 
den diastolischen Druck ergiebt, das Verschwinden des Tones 
dagegen demjenigen, der durch die oscillatorische Methode 
als diastolischer Druck bezeichnet wird. 

Das Gesagte dürfte in dem folgenden Schema noch übersichtlicher 
zum Ausdruck kommen. Die in dem Schema enthaltenen Zahlen (cm 
Wasser) bedeuten die Durchschnittszahlen für die betreffenden Werthe, 
wie sie sich aus den Tabellen ergeben. Das Schema entspricht also 
nicht den normalen Verhältnissen. Aber für das Studium der hier in 



Frage stehenden Dinge sind ja, wie schon vorhin dargetan wurde, gerade 
die Fälle mit erhöhtem Blutdruck und hohem Pulsdruck besonders lehr¬ 
reich. Der Verlauf der Curve soll ungefähr das An- und Abschwellen 
des Arterientones kennzeichnen. 

Zu jenem Resultat, dass das Verschwinden des Tones dem oscilla¬ 
torischen Minimum entspreche, kam auch letzthin Fischer, dessen 
Untersuchungen offenbar mit denselben Instrumenten ausgeführt sind wie 
die meinigen. Auch mit Ettinger stimme ich insofern überein, als er 
in 130 Fällen das Verschwinden des Arterientones niedriger fand als den 
diastolischen Druck, palpatorisch gemessen; er sagt, dass in einer Reihe 
von Fällen der palpatorische Werth der vorletzten Phase des Tones 
entsprach. Weshalb er andererseits in 71 Fällen für das Verschwinden 
des Tones einen höheren Werth bekam als palpatorisch, weiss er selbst 
nicht zu erklären; mit diesem letzteren Befund stehen auch, wie oben 
ausgeführt, in keiner Weise meine Ergebnisse in Einklang. Ebenso 
stimmen diese, was die genauere Localisation angeht, nicht mit der 
Angabe Fellner’s überein, dass das Aufhören des Tones mit dem pal¬ 
patorischen Minimum Zusammenfalle oder 5—10 mm Hg- ober- oder 
unterhalb desselben liege. Doch bediente sich Fellner zur Auscultation 


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Ueber die auscultatorische Methode der Blutdruckmessung etc. 557 

eines gewöhnlichen Stethoskops, und dieses halte ich aus den früher 
erwähnten Gründen, was die auscultatorische Methode anbelangt, für kein 
geeignetes Beobachtungsinstrument. 

Nach der Ansicht aller derer, die bisher über die auscultatorische 
Methode gearbeitet haben, sind die Fälle, in denen der Arterienton 
dauernd, d. h. auch ohne Compression zu hören ist, nicht für die Be¬ 
stimmung des diastolischen Druckes geeignet. Bei der in dieser Arbeit 
gegebenen Beschreibung der Auscultationsphänomene liegt die Sache 
anders. Denn wenn auch in diesen Fällen in der That das Verschwinden 
des Tones nicht als Criterium zu gebrauchen ist, so ist das Ton- 
Maximum gerade hier besonders deutlich zu hören. Und diejenigen, 
welche den palpatorischen Werth des diastolischen Druckes für den 
richtigen Werth halten, werden in der unteren Grenze des Ton-Maximums 
einen guten Anhaltspunkt für die Bestimmung des diastolischen Druckes 
gewinnen. In den Fällen von abnorm langen Tönen der Arterie war in 
der Gegend des oscillatorischen Werthes übrigens doch eine Veränderung 
des Tones zu beobachten. Es pflegte bei Aorteninsufficienzen an dieser 
Stelle die Ton-Intensität, die bis dahin nur langsam abgenommen hatte, 
plötzlich schneller abzunehmen. 

Was den systolischen Druck betrifft, so fand ich den ausculta- 
torischen Werth mit dem oscillatorischen sehr nahe übereinstimmend. 
Der palpatorische lag bei aufmerksamer Palpation meistens 5—10, 
seltener 15 oder gar 20 cm Wasser niedriger als jene beiden. Wie 
Ettinger zu der grossen Differenz von im Durchschnitt 16 mm Hg 
kommt, ist mir nicht wohl erklärlich. Auch Korotkow und Fellner 
fanden nicht einen so grossen Unterschied; nach Korotkow beträgt die 
Differenz durchschnittlich 10 — 12, nach Fellner nur 5—10 mm Hg. 

Wenn es möglich wäre, das Zustandekommen des Arterientones zu 
erklären und zu entscheiden, ob die untere Grenze des Ton-Maximums 
oder das Verschwinden des Tones dem diastolischen Blutdruck entspricht, 
so wäre damit ^uch ein Anhaltspunkt für die Frage gegeben, ob die 
palpatorische oder oscillatorische Methode die richtigere Zahl für den 
diastolischen Druck liefert. Vor Allem aber hängt von dieser Ent¬ 
scheidung der Werth der auscultatorischen Methode selbst ab. Denn 
wenn es sich heraussteilen sollte, dass das Verschwinden des Tones dem 
diastolischen Druck entspräche, so würde damit die auscultatorische 
Methode in allen jenen Fällen versagen, in denen der Ton langsamer 
als gewöhnlich abnimmt oder gar dauernd zu hören ist. Es lohnt daher 
sich klar zu machen, welche physikalischen Vorgänge dem Klang- 
phänoraen zu Grunde liegen. 

Wenn wir zunächst von dem speciellen Falle der Compression der 
Arterie absehen und die Vorgänge ins Auge fassen, welche sich bei dem 
normalen Pulsschlag abspielen, so ist es offenbar, dass die Arterienwand 
jedesmal unter dem Anschlag der Pulswelle dank ihrer Elasticität in 
transversale Schwingungen geräth. Diese Schwingungen erfolgen aber 
nicht um eine einzige bestimmte Gleichgewichtslage, sondern gewisser- 
maassen um unzählige Gleichgewichtslagen, die die Arterienwand während 
der Dehnung, die sie in der Systole erfährt, durchläuft. Die Amplitude 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. g6 


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558 


H. Bickel, 


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der Schwingungen muss nun nach den Gesetzen der Physik umso 
grösser sein, je grösser die Dehnbarkeit der Arterienwand ist, und 
je stärker der Anstoss ist, den dieselbe erfährt. Unter normalen Ver¬ 
hältnissen sind die Schwingungen der Arterie zu unbedeutend, als dass 
sie als Ton wahrzunehmen wären. Anders wird dies, wenn die Arterie 
von aussen gleichmässig comprimirt wird. 

Wenn wir den Luftdruck in der Manschette über den systolischen 
Druck hinaus steigern, klappt die Arterienwand im Bereich der Man¬ 
schette zusammen und verharrt in diesem Zustand so lange, als der 
Aussendruck stärker ist als der systolische Blutdruck. Sinkt jetzt der 
Aussendruck ein wenig unter den systolischen Druck, so tritt das 
Blut auf dem Gipfel der Pulssystole unter einem geringen Druck unter 
die Manschette und klappt die collabirte Arterie auseinander. Um die 
Entstehung des hierbei wahrzunehmenden Tones zu begreifen, müssen 
wir uns klar machen, dass die Schwingungsamplitude der Arterienwand 
in engster Beziehung zu ihrer Dehnbarkeit steht. Ihre Dehnbarkeit ist 
aber dann am grössten, wenn die Arterie völlig entspannt ist; nach 
Wertheim 1 ) entspricht nämlich die Dehnungscurve der Arterienwand 
ungefähr einer Hyperbel. Da also die Dehnbarkeit und folglich auch 
die Schwingungsamplitude der entspannten und collabirten Arterie am 
grössten ist, so ist es wohl verständlich, weshalb trotz der geringen 
Erschütterung, die die Arterienwand von der eindringenden Pulswelle 
erhält, eine Tonwahrnehraung zu Stande kommt. Bei weiterem Sinken 
des Compressionsdruckes bleibt, solange der Aussendruck den diasto¬ 
lischen Blutdruck übertrifft, das Optimum der Dehnbarkeit der Arterie 
zu Beginn der Systole bestehen, da die Arterienwand jedesmal in der 
Diastole collabirt. Dagegen wird unterdessen die Differenz zwischen 
dem systolischen Blutdruck und dem Aussendruck mit der Abnahme der 
Compression immer grösser und damit auch die Kraft, welche die Arterie 
in Schwingungen versetzt. Aus diesem immer stärker werdenden Anstoss 
ist es zu erklären, weshalb der Arterienton an Intensität zunirarat. Die 
Zunahme des Tones findet ihre Grenze dann, wenn dieT^ifferenz zwischen 
systolischem Blutdruck und Aussendruck gleich dem Pulsdruck ist und 
damit ihr Maximum erreicht; in diesem Moment ist der Aussendruck 
gleich dem diastolischen Blutdruck. Weshalb die Ton-Intensität von 
nun an wieder abnimmt, erklärt sich folgendermaassen: Sobald der 
Aussendruck unter die Höhe des diastolischen Druckes sinkt, klappt die 
Arterie nicht mehr in der Diastole zusammen, weil der Druck, um den 
der diastolische Blutdruck den Aussendruck von nun an übertrifft, dazu 
verwandt wird, die Arterie dauernd, d. h. auch in der Diastole zu 
dehnen. Da aber die angespannte Arterie weniger dehnbar ist und, bei 
gleichem Anstoss, nicht so ausgiebige Schwingungen vollführt wie die 
entspannte Arterie, so nimmt der Arterienton an Intensität ab. Während 
also der Druck der Pulswelle sich jetzt gleich bleibt und gleich dem 
Pulsdruck ist, nimmt die Dehnbarkeit schnell ab. 

Um diese Verhältnisse an einem Zahlenbeispiel zu erläutern, be- 

1) Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. S. 209. 


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* 


Uebor die auscultatorische Methode der Blutdruckmessung etc. 559 

rechnete ich aus den Zahlen, die Strasburger *) empirisch für die durch 
veränderte Wandspannung bedingten Voluraveränderungen der Brachial¬ 
arterie fand, das Dilatationsverrnögen der Arterienwand, und zwar in 
Bezug auf ihren Umfang. Denn die verschiedene Spannung und Dehn¬ 
barkeit, von der bisher die Rede war, bezieht sich ja nicht auf die 
Arterie hinsichtlich ihrer Länge; die Spannung der Arterie bezüglich 
ihrer Länge bleibt nämlich so gut wie unverändert, in der Systole wie 
in der Diastole, mit und ohne Compression. Wohl aber erweitert sich 
bei jeder Systole ihr Lumen, und in diesem Sinne wird die Arterie 
dilatirt. Unter der „Längsdilatation 44 eines gedehnten Drahtes verstehen 
die Physiker das Verhältniss von Verlängerung zu ursprünglicher Länge. 
Dieser Quotient, angewandt auf die Spannung des Arterienringes, giebt 
uns ein Maass für die Dehnbarkeit der Arterienwand, d. h. für die eine 
Componente, von der die Ton-Intensität abhängig ist; und zwar be¬ 
rechnete ich die Dilatation des Arterienringes in Bezug auf eine Er¬ 
höhung des Innendrucks in der Arterie um 10 mm Hg. Es würde hier 
zu weit führen, die Art der Berechnung im Einzelnen zu wiederholen. 
Die für die Dehnbarkeit gefundenen Zahlen geben also an, um wieviel 
sich die Längeneinheit des Arterionumfanges dehnen würde, wenn zu 
dem betreffenden Druck, der die Arterie in der Diastole dehnt, ein Druck 
von 10 mm Hg hinzukämc. Indem der systolische Druck 120, der 
diastolische 80 mm Hg betragen möge, gestalten sich die Veränderungen 
im Bereich der Manschette folgendermaassen: 



Druck in der j 
Manschette j 

i 

Druck, der 
die Arterie 
in Schwin¬ 
gungen 
versetzt 

. Dehnbarkeit 
der Arterie 
zu Beginn der 
Systole 

Druck, der 
die Arterie in 
der Diastole 
dehnt 


130 j 

0 

1 

0,1414 

0 

Systolischer Druck . . , 

120 

0 

0,1414 

0 


110 

10 

0,1414 

0 


100 

20 

0,1414 

0 


90 

30 

0,1414 

0 


80 

40 

0,1414 

0 

Diastolischer Druck . . 

70 

40 

0,1225 

10 


60 

40 

0,0612 

20 


50 

40 

0,0257 

30 


40 

40 

0,0251 

40 


30 

40 

0,0346 

50 


20 

40 

0,0137 

60 


10 

40 

0,0234 

70 


0 

40 

1 0,0132 

80 


Aus der Tabelle wird ersichtlich, wie einerseits der Anschlag der 
Pulswelle innerhalb der Manschette bis zu dem Punkt des diastolischen 
Druckes immer kräftiger wird und gleichzeitig damit die Dehnbarkeit 
constant ihren grössten Werth besitzt, während abwärts vom diastolischen 
Druck der Druck des Pulses sich gleich bleibt, dagegen der Werth für 


1) Deutsche medicin. Wochenschrift. 34. Jahrgang. S. 58. Tabelle 3. 

36* 


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560 


II. Bickel, 


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die Dehnbarkeit abnimmt. Und zwar sieht man weiterhin, wie die 
Dehnbarkeit der Arterienwand bei ea. 70 mm Aussendruck sehr schnell 
abzunehraen beginnt, wie sie sich dann von ca. 50 mm an beinahe 
gleich bleibt; man darf daher annehmen, dass die Schwingungen 
mindestens bei 50 mm, wahrscheinlich aber schon bei einem höheren 
Aussendruck zu schwach sind, um die Wahrnehmung eines Tones zu 
ermöglichen. Im Grossen und Ganzen dürfte also diese Rechnung mit 
den thatsächlichen Verhältnissen ziemlich gut übereinstimmen. 

Die Erklärung für das An- und Abschwellen des Tones 
sei nochmals kurz dahin zusammengefasst, dass die Zunahme 
des Tones von der Zunahme der Kraft der Pulswelle abhängt 
und seine Abnahme von der Abnahme der Dehnbarkeit der 
Arterienwand. Auf die Grenze zwischen Zu- und Abnahme des 
Arterientones, d. h. an die untere Grenze des Maximums fällt also der 
diastolische Druckwerth. Denn in dem Moment, wo der Aussendruck 
gleich ist dem diastolischen Innendruck, ist die Arterienwand während 
der Diastole noch nicht gedehnt, aber sie klappt auch nicht mehr zu¬ 
sammen. In diesem Moment erreicht die Kraft der Pulswelle ihr 
Maximum, und von hier ab nimmt bei weiterem Sinken des Aussen¬ 
drucks die Dehnbarkeit der Arterieuwand in Folge ihrer Anspannung ab. 
Folglich sind hier die Bedingungen für das Zustandekommen eines Tones 
am günstigsten. 

Wenn auch die eben erörterten Momente für das Zustandekommen 
der Auscultationserscheinungen von ausschlaggebender Bedeutung sein 
dürften, so ist doch keineswegs ausser Acht zu lassen, dass noch andere 
Momente wie beispielsweise die von Krylow und Ettinger angeführten 
in Betracht kommen und den Arterienton in ihrem Sinne beeinflussen. 
Gesagt sei auch, dass Strasburger die eben vorgetragene Anschauung 
nicht theilt, sondern der Ansicht ist, dass das besondere Verhalten 
der Randparthien der Manschette die Lage des Ton-Maximums in erster 
Linie bestimme. Es bedürfen eben diese Dinge noch weiterer eingehen¬ 
der Untersuchungen, und es ist im Augenblick nicht zu sagen, ob die 
untere Grenze des Ton-Maximums auch wirklich mit absoluter Genauig¬ 
keit die Stelle des diastolischen Druckes bezeichnet. 

Wenn also nach den bisherigen Ausführungen die Annahme Stras¬ 
burger’s, dass der diastolische Druck mit der unteren Grenze des Ton- 
Maxiraums ungefähr übereinstimme, grosse Wahrscheinlichkeit gewinnt, 
so ist damit der Werth der auscultatorischen Methode grösser, als die 
Meisten bisher glaubten. Denn dann ist der diastolische Druckwerth 
gerade besonders leicht in den Fällen zu bestimmen, in denen der Ton 
am lautesten erscheint; dazu gehören aber eben die Fälle, in denen der 
Ton langsamer als gewöhnlich verschwindet. Die Länge der 3. Phase 
hat also keine Bedeutung für die Bestimmung des diastolischen Druckes. 

Wie ferner aus Strasburger’s Versuchen über die Volumver¬ 
änderungen der Brachialarterie und der darauf aufgebauten Berechnung 
über die Dehnbarkeit der Arterie hervorgeht, stehen Pulsdruck und 
Dehnbarkeit der Arterienwand einerseits und die Volumveränderungen 
andererseits in engen Beziehungen. Damit ist die principiello Zusammen- 


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Ueber die auscaltatorische Methode der Blutdruckmessung etc. 


5(51 


gehörigkeit der auscultatorischen und oscillatorischen Methode gegeben. 
Wenn diese beiden Methoden in ihrer Anwendung dennoch so deutliche 
und constante Differenzen ergeben, so liegt dies vielleicht zum Theil an 
einem Fehler in der oscillatorischen Messung. Strasburgcr x ) hat 

darauf aufmerksam gemacht, dass der diastolische Druck wahrscheinlich 

nicht an der so gut markirten Stelle der deutlichen Abnahme der Oscil- 
lationen, sondern möglicher Weise etwas weiter oben zu suchen sei, und 
bezeichnet als Merkmale für diese weiter oben liegende Stelle das eigen¬ 
tümliche „Hängenbleiben“ und Zittern des Tonometerzeigers. In der 
That zeigt es sich, wenn man zugleich auscultatorisch und oscillatorisch 
misst, dass diese Stelle mit dem Ton-Maximum besser übereinstimmt. 
Das Zittern und Hängenbleiben des Zeigers ist aber keineswegs in allen 
Fällen so deutlich ausgesprochen, als dass man sicher wäre, wo der 

diastolische Werth liegt, und in solchen Fällen hat dann die oscilla- 

torische Methode nicht mehr den Vortheil der leichten Anwendbarkeit, 
den man ihr vor allen anderen Methoden zuzusprechen geneigt war. Es 
will mir sogar scheinen, als ob das Kleinerwerden des Pulses unter dem 
palpirenden Finger in den meisten Fällen eher leichter zu beobachten 
sei als jene oft undeutlichen Veränderungen in den Oscillationen. Da 
ferner das An- und Abschwellen des Arterientones so leicht und be¬ 
stimmt zu controliren ist, dürften die einfachen Mittel der Auscultation 
und Palpation bei der Messung des Blutdruckes im Allgemeinen sicher 
zum Ziele führen und in ihrer combinirten Anwendung für den theuren 
Apparat von Recklinghausen einen geeigneten Ersatz bilden. 

Zum Schlüsse erfülle ich die angenehme Pflicht, Herrn Geh. Med.- 
Rat Prof. Dr. Schultzc für die Ueberlassung des Materials, Herrn Prof. 
Dr. Strasburger für die Anregung und Unterstützung bei der Anfertigung 
der Arbeit ehrerbietigst zu danken. 

1) Deutsche medicin. Wochenschrift. 34. Jahrgang. S. 102. 


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XL. 


Aus der II. inneren Abtheilung des städt. Krankenhauses am Urban 

zu Berlin. 


Ueber die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe 

auf das Blut. 

Experimentelle Untersuchungen im Anschluss an Kuhn’s Berichte über 
seine Lungensaugmaske. 

Von 

Max Priese (Kemberg). 

(Mit 1 Abbildung im Text.) 


In Heft 5 der Deutschen Militärärztlichen Zeitschrift vom Jahre 1906 
machte Kuhn (Berlin) die Mittheilung, dass es ihm gelungen sei, mit 
Hülfe einer eigens construirten „Saugmaske“ eine Hyperämie in den 
Lungen zu erzeugen. Durch seine Maske wollte Kuhn heilend auf den 
Krankheitsprocess in tuberculösen Lungen einwirken. 

Schon Bier war bei der Ausbildung seines Stauungsverfahrens von 
der Erfahrung geleitet worden, dass die hypcräraischen Lungen be¬ 
stimmter Herzkranker selten an Tuberculose erkrankten, während die 
anämischen Lungen der Pulmonalstenotiker relativ häufig der Tubercu¬ 
lose anheimfallen (Rokitansky). Während Bier die Hyperämie durch 
Guramibinden oder Saugapparate erzeugte, suchte Kuhn eine Hyper¬ 
ämie der Lungen durch Erschwerung der Einathmung zu erzielen. 

Schon vor Kuhn hatte M. Wassermann in Meran .Lungenhyper¬ 
ämie zu erzeugen gesucht, indem er seine Patienten durch enge Röhren 
einathmen liess. Doch sind diese Versuche wenig bekannt geworden 
und auch Kuhn nicht bekannt gewesen. 

In neuester Zeit hat Wise bei Tuberculösen Lungenstauung dadurch 
zu erzeugen gesucht, dass er die Patienten auf einem von ihm constru- 
irten Liegestuhl ruhen lässt. Hierbei befinden sie sich in Bauchlage 
mit erhöhtem Gesäss, tief liegendem Kopf und Füssen J ). Hier soll 
also allein durch die Lagerung eine Hyperämie der Lungen zu Stande 
kommen. 

Kuhn hat eine Maske gebaut, bei der die Einathmung durch die 
Nase mittelst Klappventilen erschwert ist, während die Ausathraung 


1) The Lancet. 1908. No. 4422. 


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Uober die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe auf das Blut. 


563 


durch Mund und Nase leicht von Statten geht 1 ). Er suchte die Ent¬ 
stehung der vorläufig noch hypothetischen Lungenhyperämie an einem 
Lungenmodell zu deraonstriren. Bei der erschwerten Inspiration stieg in 
dem Modell die in Capillarröhren befindliche, das Capillarblut der 
Lungen darstellende Flüssigkeit ganz beträchtlich. Ferner zeigte Kuhn 
Röntgenbilder, auf denen man sah, wie durch die Erschwerung der In¬ 
spiration das Zwerchfell nach oben gezogen wurde. Eine zugleich sicht¬ 
bare Undeutlichkeit in der Zeichnung des Bronchialbaumes sprach Kuhn 
als Folge des vermehrten Blut- und verminderten Luftgehaltes der 
hyperämischen Lungen an. Wenn somit die Lungenhyperämie als Folge 
der Maskenathmung nicht direct bewiesen ist, kann man sie immerhin 
als wahrscheinlich annehmen. 

Blumenthal machte dann die Beobachtung, dass nach der Masken¬ 
athmung eine auffällige Vermehrung der rothen Blutkörperchen im peri¬ 
pheren Kreislauf auftrat. Andere Untersucher bestätigten dies. 

Kuhn setzte diese Vermehrung in Parallele mit der, welche man 
bei Menschen und Thieren nach längerem Aufenthalt im Höhenklima 
gefunden hatte. 

In einer zweiten Mittheilung 2 ) berichtete er von einer ganzen Reihe 
von Fällen, bei denen es bei verschiedenen Erkrankungen gelungen war, 
nach längerer Anwendung der Maske eine erhebliche, bis auf 9 Millionen 
reichende Vermehrung der rothen Blutkörperchen im peripheren Kreis¬ 
lauf nachzuweisen. Zugleich war eine Vermehrung der weissen Blut¬ 
körperchen und des Hämoglobins aufgetreten. Diese Vermehrung wurde 
von Vielen bestätigt, die auf Kuhn’s Veranlassung seine Patienten nach¬ 
untersuchten. 

Dass es sich aber um eine wirkliche Vermehrung, nicht um eine 
scheinbare, durch veränderte Vertheilung im Gefässsystem bedingte, 
handele, konnte Kuhn nicht ein wandsfrei nachweisen. 

Er hatte schon nach zwei Stunden Vermehrungen der Erythrocyten 
um 1 Million gefunden. Es war auffällig, dass sich so schnell eine so 
starke Vermehrung von Blutkörperchen finden sollte, und Kuhn selbst 
führte diese Anfangs auftretende Vermehrung auf eine veränderte Blut- 
vertheilung zurück. Daneben sollte es aber eine wirkliche, dauernde 
Vermehrung geben. 

Es ist denkbar, dass die durch die Maske veränderten Druck¬ 
verhältnisse im Thorax eine andere Vertheilung des Blutes im Körper 
bewirken, so dass in den Hautcapillaren eine Hyperämie zu Stande 
kommt. Doch sagt Kuhn: „ . . . wir konnten bei der Entnahme des 
Blutes aus der Vena mediana cubiti keine wesentliche Abweichung gegen¬ 
über den Hautcapillaren des Ohres, Fingers und der Zehe feststellen U8 ). 

Doch war es nicht ohne Weiteres einzusehen, weshalb sich zu¬ 
gleich mit den rothen und dem Hämoglobin auch die weissen Blut¬ 
körperchen vermehrten. Kuhn suchte dies dadurch zu erklären, dass 

1) Deutsche med. Wochensehr. 1906. No. 37. 

2) Deutsche med. Wochenschr. 1907. No. 35. 

3) a. a. 0. 


Difitized 


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Original fro-m 

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M. Pt-iesf?, 



hAiu-.: Das ist eine etwas gckünsteLtc Erklärung, da der föiffvgr doch 
S't'.vs! • z. B. bei der A^rdauunpienkoeviesiU — Rviftha«« nicht so 
sehr ätif die Wahrung des gewöhnlichen ProcmlverhälKiisse» bedacht 
ist. Und doch wäre eme befriedigende Eyklafufig liier besonders zu 
wünschen, da eint glenddpimsige Vermehrung von Kothen.■ Wei.ssw and 
Ifatnoelobin sehr ,?.y tj.itnsteu der später zu besprei-ivetnteü Ewdieirwng%- 
theorie sprechen wurde, -v 

Es ist njitS' d.ie FtöjSjfc, ob dht von Kuhn gefundener)... heute wohl 
meist anerkannten i IHutveräridonmgini eine Folge von Lungenhyper- 
äraie sind. 

Auf Anregung des Herrn Frof, in. Ptehßj dem tch für seine 
Unterstützung za Danke verpflichtet bin, .unternahm ich vom Winter U»Ü? 
bis .Sommer 1'aOS im 'Sta.iti:»<.’heir - Krankenhause am Urban zu BerSjn 
eine Reihe' von Versuchen an Kaoineheri, um fest/.ustellen, ob siph durch 



nnng die ln- und Exspiration behindert, d. h. die Thiore. worden me- 
thoilistjh-tti künstliche Dyspnoe versetzt. Dies geschah durch eine von 

mir (»Anilfiiirfru \ thftmiViiiäLrjv rlin nnf .Ion oivi,»-/. Rvt.-.lv Ä .• K -- ..hsn 



ptegonstättden 


DaböratonttpiVorhände?) sind, hersf eilen. 
Trotz, der Einfachheit erfüllt sie ihnen Zweck sehr gut. -- An den Rand 
f ö'u.t;K liteinöti 1 riehtutSj in den die: Aia.se des Thicres•■■gut; (nnmnpasst, 
klebt man aussen und innen breite HaA'jiflasterstrfifcn rinp an. so dass 
•sie eme etwa :» em breite, weiche Mn!.r.-.ehe!te bilden. Diese soll an 
dom Kopl gut ansehlies.se ri. iMmi worden zwei etwa ',4 m lange 
■''Weifen von breitem Öand, die in der Si.t(e - ihrer Finge einen kleinen 


•vV/n/t'i'-ii-.U 




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• • ■ ' i 1 ,Utn: 

'MQiRal fr-jrii. 

;4 üNiVER5{TY:^^| 


Ueber die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe auf das Blut. 


565 


Schlitz erhalten, über den Stiel des Trichters gezogen und kreuzweise 
mit Heftpflaster so befestigt, dass vier rechte Winkel entstehen. Die 
vier freien Enden dienen zum Befestigen der Maske am Kopf des Thieres. 
Die beiden horizontalen werden hinter den Ohren geknotet, die verti- 
calen auf dem Rücken des Thieres. Ueber das Trichterrohr wird dann 
ein Gummischlauch gezogen, der mit einer Klemme beliebig stark ab¬ 
geklemmt werden kann. 

Mit solchen Masken sind alle folgenden Versuche angestellt. Die 
Anfangs sehr ungeberdigen Thiere gewöhnen sich trotz der Dyspnoe 
bald an das Athmen durch die Maske, so dass eine Fesselung niemals 
nöthig war. 

Die Thiere wurden täglich etwa 1 Stunde lang in ziemlich starke 
Dyspnoe versetzt. Je stärker die Athmungsbehinderung ist, desto stär¬ 
kere Excursionen machen die Flanken des Thieres bei der Athmung. 
Ferner sinkt bei mittelstarker Wirkung der Maske die Zahl der Athem- 
züge auf etwa dio Hälfte der normalen, beim Kaninchen etwa 100 pro 
Minute betragenden Frequenz. Schliesslich kann man die Stärke der 
Athmungsbehinderung durch ein mittelst T-Rohres angeschaltetes Mano¬ 
meter messen. 

Da bei der Athmung durch solche Masken In- und Exspiration 
durch dieselbe Stenose geschehen muss, kann es nicht zu einer dauernden 
Lungenhyperämie kommen. Das Blut, welches während eines Inspi- 
riums etwa stärker angesaugt sein sollte, wird während der folgenden 
Exspiration auch stärker weggedrückt. Subjectiv wird sich allerdings 
die Erschwerung der Inspiration stärker bemerkbar machen. Es wird 
also keine Stauungshyperämie der Lunge erzeugt, wohl aber wahrschein¬ 
lich eine vermehrte Blutcirculation. Ausserdem ist die Ventilation der 
Lunge verringert. 

Die Versuchsanordnung war folgende: Zuerst wurde bei einem er¬ 
wachsenen Kaninchen A, das zu keinen Versuchen benutzt wurde, die 
normale Erythrocytenzahl mit dem Thoma-Zeiss-Apparat bestimmt. 
Ferner wurde das Hämoglobin nach Fleischl und nach Flcischl- 
Miescher bestimmt, das specifische Gewicht des Blutes und des Blut¬ 
serums nach Hammerschlag. Die Bestimmungen nach Hammer¬ 
schlag sollten nur zur Controle dienen; ich möchte auf die Resultate 
dieser nicht gerade exacten Methode keinen zu grossen Werth legen. 

Erst nach längerer Uebung gelang es, die grossen Fehlerquellen, 
die der Thoma-Zeiss-Methode anhaften, möglichst zu vermeiden. 
Jedenfalls ist auch der Geübte, wenn er nur eine Kammer auszählt, vor 
groben Irrthümem nicht geschützt. Es wurde daher eine Zählung nur 
dann für zuverlässig erachtet, wenn sich aus zwei verschiedenen Pi¬ 
petten annähernd gleiche Werthe ergaben. Einen grossen Theil der 
Controlzählungen hat Herr Medicinalpraktikant Biernath ausgeführt; 
ich bin ihm hierfür zu grossem Danke verpflichtet, denn durch solche 
von einem zweiten Untersucher ausgeführte Parallelzählungen kann eine 
Methode, die leicht zu Selbsttäuschungen führt, nur an Objectivität ge¬ 
winnen. 

Während ich Anfangs für die Rothen eine Verdünnung 1 : 100 phy- 


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Original fro-m 

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566 


M. Priese, 


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siologischer NaCl-Lösung wählte, weil ich so genauere Resultate zu er¬ 
halten hoffte, fand ich später, dass bei Verdünnungen 0,5:100 die 
Einzelzählungen viel besser übereinstimmten. Genau genommen, darf 


man allerdings die Verdünnungen 


1 

100 


0 , 5 ^ 

100,5 


nicht gleich 2 : 1 setzen; 


doch ist der Fehler unwesentlich. 

Beim Zusammensetzen der Kammer scheint mir Folgendes beach- 
tenswerth: Man erhält stets zu hohe Werthe, wenn man einen etwas 
hohen Tropfen über dem Zählnetz eine Weile stehen lässt, bevor man 
das Deckglas hinüberschiebt. Auch können bei sehr hastigem Zusammen¬ 
setzen der Kammer die Erythrocyten, die sich eben zu senken beginnen, 
durch eine entstehende Welle bei Seite geschwemmt werden, so dass 
man zu niedrige Werthe erhält. 

Ich möchte die Vermeidung der Fehler, die sich bei der Zusammen¬ 
setzung der Kammer ergeben können, für wichtiger halten, als die Dis- 
cussion über die Abhängigkeit oder Unabhängigkeit der Kammer vom 
Luftdruck, über die so viel gestritten worden ist 1 ). 

Aus alledem erhellt, dass man die Resultate der Methode sehr 
genau controliren muss, wenn es sich um Feststellung absoluter Werthe 
handelt. Denn es ist sicher, dass ein Untersucher, der gewohnheits- 
mässig einen hohen Tropfen auf die Mitte der Zählfläche bringt und 
dann bis zum Aufschieben des Deckglases 10 Secunden braucht, dauernd 
höhere Werthe erhält, als ein anderer, der seinen Tropfen sofort auf 
dem Kammerboden vcrtheilt und die Kammer in 2 Secunden zu¬ 
sammensetzt. 

Wenn es sich aber, wie in unserem Falle, um etwas Relatives - 
Vermehrung — handelt, so kann man die Resultate der Thoma-Zeiss- 
Methode bei gleichmässiger Technik als genügend zuverlässig ansehen. 

Das Blut wurde bei meinen Versuchen der Ohrrandvene des Ka¬ 
ninchens durch Einstich entnommen. 

Bei Zählungen am Menschen ist es nicht gleichgültig, ob die 
Zählung bei nüchternem Magen oder nach einer Mahlzeit erfolgt. Beim 
Kaninchen, das ständig etwas frisst, ohne Mahlzeiten inne zu halten, 
kommt dies nicht in Betracht. 

Es ergab sich nun für Thier A, das, wie erwähnt, zu keinen Ver¬ 
suchen benutzt wurde, folgendes Blutbild A (s. Tabelle). 

Mit einem zweiten Kaninchen B beginnt die eigentliche Versuchs¬ 
reihe. Es war ein noch nicht ausgewachsenes Weibchen, bei dem erst 
einige Bestimmungen des normalen Blutbildes gemacht wurden. Durch 
die sofort nach der Maskenathmung vorgenommenen Zählungen wollte 
ich feststellen, ob sich nach Anwendung der Maske acute Veränderungen 
im Blutbild finden. Ich betone nochmals, dass hier nur venöses Blut 
zur Bestimmung benutzt wurde. Das Nähere ergiebt umstehende Tabelle: 

Auffällig hoch sind die Werthe, welche sich am ersten Bestimmungs- 


1) Biirker, Münch, med. Wochenschr. 1905. No. 6. — Meissen, Ebendas. 
1905. No. 14. 


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Ueber die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe auf das Blut. 567 


A (männlich). 


Datum 

Rote 

Hämoglobin 

Spec. 

Gewicht 

Millionen 

Fleischl 

Fleischl- 
1 Miescher 

Blut 

i Serum 

16. 11. 1907 

5,5 

_ 

_ 

1040 

_ 

19. 11. 

5,60 

5,68 

50 

47 

1039 

— 

26. 11. 

5,04 

5,68 

46 

45 

1038 

1018 

10. 12. 

5,62 

5,71 

— 

! 47 

1044 

1021 


B (weiblich). 


Datum 

(Maske) 

Athemzüge 
pro Minute 

Rothe 

Millionen 

Weisse 

Hb 

r, . Fleischl- 

Hclschl Miescher 

Spec. 

Blut 

Gewicht 

Serum 

28. 1. 08 



6,28 

10800 

52 


1046 

1019 




6,59 






30. 1. 

— 

— 

4,92 

8500 

45 

48 

1043 

1018 




5,10 






1. 2. 

— 

120 

5,08 

8400 

43 

48 

1042 

1020 




5,10 



49 




2 Stunden Maske, 

50 

5,10 

8100 

48 

49 

1041 

1017 


dann Zählung 


5,37 



50 



4. 2. 


130 

5,28 

9300 

51 

52 

1037 

1016 




5,48 

1 9700 






do. 

62 

6,48 

8400 

47 

50 

1034 

1016 




6,92 

9500 





8. 2. 

— 

120 

4,82 

7500 

50 

51 

1037 

1019 




4,85 

10300 


52 

i 



2 Stunden Maske 

56 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

11. 2. 

— 

130 i 

5,40 

6800 

47 

51 

1033 

1016 



1 

5,80 

9200 



i 



2 Stunden Maske, 

55 | 

5,60 

6800 

48 

50 

1037 | 

1016 


dann Zählung 

1 

5,80 

8400 





12. 2. 

— 1 

125 

4,80 

6800 

46 

50 

1033 

1018 




5,10 1 

8600 

1 

51 



tage fand 

en. Zwei Tage später 

waren alle Werthe gesunken, ohne dass 


das Thier irgend einer Behandlung unterzogen wurde. 


Es zeigte sich dann am ersten Behandlungstage keine wesentliche 
Aenderung des Blutbildes nach zweistündiger Maskenathmung, obgleich 
die Athmungsbeschränkung zuletzt ziemlich forcirt wurde. Einige Tage 
später fanden sich im Durchschnitt 5,38 Mill. Rothe, nach andcrthalb- 
stündiger Maskenathmung waren 6,70 Mill. vorhanden, während die Zahl 
der weissen Blutkörperchen unverändert blieb, der Hb-Gehalt und das 
specifische Gewicht des Blutes sogar sank. 

Hier war wohl eine jener plötzlichen Vermehrungen aufgetreten, 


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568 


M. Priese 


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von denen auch Kuhn berichtet, und die man oft bei Ballonaufstiegen 
gefunden hat. Sie wird als eine scheinbare Vermehrung in Folge ver¬ 
änderter Blutvertheilung betrachtet. Da aber der Hb-Befund mit der 
Vermehrung nicht übereinstimmt, handelte es sich vielleicht nur um eine 
Klumpenbildung während der Erythrocytenbestimmung. Jedenfalls war 
die Vermehrung nach drei Tagen gänzlich geschwunden. 

Während der nächsten Wochen sank die Zahl der Erythrocyten 
langsam; sie erreichte nicht wieder den Werth, welchen wir Anfangs 
bei dem Thier gefunden hatten. Dies konnte verschiedene Ursachen 
haben: 

1. Konnte es die Folge der Maskenathmung sein; so hat ja auch 
Kuhn ein anfängliches Sinken der Erythrocytenzahl bei seiner Masken¬ 
athmung beschrieben; doch erstreckte sich dies nie über so lange Zeit. 

2. Konnte es eine Folge des wiederholten zu starken Blutver¬ 
lustes sein. 

Denn ich beherrschte Anfangs die Technik der Blutentnahme nicht 
genügend, sodass das Thier bei den zahlreichen Bestimmungen, die 
jedesmal gemacht wurden, ziemlich viel Blut verlor. Die Menge des bei 
den Zählungen verlorenen Blutes ist beim Menschen natürlich ohne Be¬ 
deutung; bei dem relativ kleinen Kaninchen aber ist der Blutverlust 
aus der manchmal heftig blutenden Veno nicht ohne Bedeutung. Dieser 
Verlust kann eine etwa aufgetretene Erythrocyten Vermehrung einfach 
verdeckt haben. Wahrscheinlich ist das Thier durch beides, Blutverluste 
und Verschlechterung des Allgemeinbefindens durch die forcirte Dyspnoe 
heruntergekommen. Denn bei den später behandelten Thieren wurde 
stärkerer Blutverlust und Forcirung der Athmungsbehinderung vermieden 
und die Erscheinung trat nicht wieder auf. 

Nach etwa 8 tägiger Anwendung der Maske waren bei dem Thier B 
Blutpräparate angefertigt worden (Plehn’sche Modification der Roma¬ 
tt owski-Färbung). Es fanden sich auffallend viel Blutplättchen, sonst 
nichts Abnormes, namentlich keine kernhaltigen Rothen. Ein unmittel¬ 
bar nach zweistündiger Maskenathmung angefertigtes Präparat zeigte 
keinen Unterschied von einem vorher gefärbten. 

Ich änderte jetzt die Methode, indem ich nicht jedesmal eine Be¬ 
stimmung der in den Tabellen aufgeführten Werthe machte. Vielmehr 
musste das Thier eine Reihe von Tagen athmen, dann wurde die Ver¬ 
änderung bestimmt. 

Bei dem Kaninchen C, einem jungen Weibchen, ergab sich vor der 
Behandlung folgendes Blutbild als Durchschnitt von vier Zählungen: 
Rothe . . . 6,02 Mill. 

Weisse . . . 8600. 

Hb nach Fleischl-Miescher 57. 

Auffällig sind bei diesem Thier ebenso wie bei Thier B die hohen 
Anfangswerthe für Erythrocyten. Es hängt dies vielleicht damit zu¬ 
sammen, dass beides junge wachsende Thiere waren, denn alle ausge¬ 
wachsenen Thiere zeigten niedrigere Werthe. 

Eine Uebersicht über das Blutbild beim Thier C ergiebt die fol¬ 
gende Tabelle. Zu ihrer Erklärung möchte ich anfügen, dass ich hier 


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570 M. Priese, 

auch feststellen wollte, ob sich nach Anwendung der Maske Unterschiede 
im venösen und im Capillarblut finden lassen. Es ist allerdings nicht 
leicht beim Kaninchen Capillarblut zu bekommen; am Ohr geht cs wegen 
der zahllosen kleinen Gefässe wohl überhaupt nicht sicher. Ich befreite 
eine Stelle auf dem Rücken des Thieres von Haaren und scarificirte sie. 

Aus der Tabelle erhellt erstens, dass sich wesentliche Unterschiede 
zwischen Venen- und Capillarblut nicht feststellen Hessen. 

Betrachten wir dann die Veränderungen, die sich während der Be¬ 
handlung im Blutbild des Thieres C zeigten. Ara ersten Tage ging 
nach etwa zweistündiger Maskenathmung die Erythrocytenzahl etwas in 
die Höhe, von 5,90 auf 6,68 Mill. im Durchschnitt. Dagegen war der 
Hb-Gehalt wieder, wie wir es schon einmal bei Thier B gefunden batten, 
gesunken. Findet hierbei ein Austritt und Zerfall von Hb statt? Oder 
erleidet das Hb Veränderungen, die seine färberische Qualität schwächen? 
Diese Fragen lassen sich vor der Hand nicht beantworten. 

Trotz des Anwachsens der Erythrocytenzahl war auch das speci- 
fische Gewicht des Gesammtblutes gesunken; dagegen war die Leuko- 
cytenzahl von 8600 auf 12 050 gestiegen. 

Am 26. 2. hatte das Thier nach achttägiger Maskenathmung im 
Durchschnitt nur 5,56 Mill. Rothe gehabt, die Behandlung wurde fort¬ 
gesetzt und am 7. 3. fanden sich 24 Stunden nach der letzten An¬ 
wendung der Maske 7,26—7,35 Mill. Rothe im venösen Blut, im Capillar¬ 
blut sogar 7,48—7,78 Mill. Hier kann von keiner augenblicklichen Ver¬ 
mehrung die Rede sein. Es war innerhalb von drei Wochen eine Ver¬ 
mehrung der Rothen um 1,40 Mill. aufgetreten. Dabei hatte sich die 
Zahl der Leukoeyten nicht vermehrt, der Hb-Gehalt nach Fleischl 
war etwas gestiegen, nach Fleischl-Miescher unverändert geblieben. 

Am 11. 3. fanden sich im Durchschnitt 7,73 Mill. Erythrocyten, am 
17. 3. nach fortgesetzter Maskenathmung 7,77. Auch die Zahl der 
weissen Blutkörperchen war jetzt etwas gestiegen; einen deutlichen An¬ 
stieg zeigte auch der Hb-Gehalt. Dabei zeigte sich das specifischc 
Gewicht des Serums und des Blutes gegen die beim normalen Thier 
erhaltenen Werthe nicht verändert, namentlich das Serum zeigte keine 
höhere Concentration. 

Der weitere Verlauf des Versuchs wurde durch eine Erkrankung 
des Thieres complicirt. Ein schon Anfangs vorhanden gewesener, an¬ 
scheinend tuberculöser Abscess an der Nase des Thieres hatte sich in 
der letzten Zeit erheblich vergrössert, am 23. 3. wurde er eröffnet und 
begann dann zu verheilen. Immerhin war das Thier ziemlich matt und 
elend geworden. Am 5. 4. fanden sich trotz fortgesetzter Anwendung 
der Maske nur noch 6,43 Mill. Rothe im Durchschnitt (gegen 6,02 vor 
der Behandlung); dagegen betrug die Zahl der Weissen 18 000, was 
wohl auf Rechnung der Eiterung zu setzen ist. 

Leider brach sich das Thier am folgenden Tage in Folge eines 
Falles aus 1 m Höhe die Halswirbelsäule. 

Die Section ergab eine Fractur zwischen 2. und 3. Halswirbel, ein 
grosses Hämatom am Hals, Blutthromben im Wirbelcanal. Die Lungen 
waren hellgclb-röthlich, nirgends fanden sich in ihnen Blutungen oder 


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lieber die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe auf das Blut. 


571 


emphysemähnliche Bildungen. Auch die übrigen Organe zeigten keine 
pathologischen Veränderungen. Das Knochenmark war überall roth (es 
handelte sich ja um ein junges Thier). 

Da der Tod 1 / 2 Tag nach der Maskenathmung eingetreten war, 
konnte man natürlich nicht erwarten, irgend welche Zeichen von stärkerer 
Durchblutung an den Lungen zu finden. Jedenfalls fanden sich keine 
makroskopisch sichtbaren Veränderungen, die man als eine Folge der 
Maskenathmung hätte ansehen können. 

Nun wurden die Versuche gleichzeitig mit 4 Kaninchen fortgesetzt. 
Es waren drei ausgewachsene, nicht trächtige Weibchen, die alle schon 
einmal Junge gehabt hatten, und ein ausgewachsenes, altes Männchen. 
Die Thiere befanden sich in leidlich gutem Ernährungszustand, waren 
eher etwas mager als fett. 

Eines der Thiere, E, hatte beim Beginn der Versuche geschwollene 
Lymphdrüsen am Thorax, die ich als Folge einer localen Infection, wie 
man sie bei Stallkaninchen häufig findet, ansah. Doch zeigte der Ver¬ 
lauf, dass es sich um eine ernstere Affection handelte, denn die Drüsen 
wurden immer grösser, abscedirten und nach vier Wochen ging das Thier 
zu Grunde. Es hatte während dieser Zeit etwa jeden zweiten Tag durch 
die Maske geathmet, doch erfolgte der Tod ehe eine Bestimmung des 
Blutbildes gemacht wurde. Jedenfalls ist er nicht auf Rechnung der 
Maskenathmung zu setzen. 

Die übrigen Thiere (D, F, G) mussten 8 Wochen lang fünf Mal 
wöchentlich etwa eine Stunde lang durch die Maske athmen. Es wurde 
bei ihnen nur eine mittelstarke Beschränkung der Athmung ausgeübt. 

Es wurde nur Blut aus der Ohrvene benutzt, das Hb wurde stets 
nach Fleischl-Miescher bestimmt, da die Werthe hier bei den früheren 
Versuchen constanter gewesen waren, als bei der Fleischl-Methodc. 

Das Blutbild verhielt sich folgendermaasscn (s. Tabelle D). 

Es fand sich also nach etwa einem Monat eine Vermehrung der 
Rothen von 5,32 (Durchschnitt) auf 6,57; nach weiteren zehn Tagen 
betrug der Durchschnittswerth der Rothen 6,39 Mill. Der Hb-Gehalt 
war während der sechs Wochen von 53 auf 56 gestiegen, die Leuko- 
cytenzahl hatte sich nicht wesentlich geändert. Das specifische Gewicht 
des Blutes war von 1043 auf 1047 gestiegen; für das Serum ergab sich 
der Werth 1020, was etwa dem Normalwerth beim Kaninchen entspricht. 
Die Maskenathmung wurde fortgesetzt und nach weiteren vierzehn Tagen 
ergaben sich als Durchschnittswerte: 

R. . . . 7,09 Mill. 

W. . . . 18 000 

Hb ... 65 

Blut spec. Gew. . . . 1046 

Serum spec. Gew. . . 1021 

also eine gegen die Anfangszahlen sehr beträchtliche Steigerung aller 
Werthe, mit Ausnahme des specifischen Gewichts des Serums. 

Während der zweimonatigen Behandlung hatte das Thier, bei aller¬ 
dings nicht hervorragender Pflege von seinem 2880 g betragenden Anfangs¬ 
gewicht etwa 300 g verloren. 


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572 


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M. Priese, 


D. (weiblich). 


Datum 

Maske 

Hb 

Rothe 

Mill. 

Weisse 

Spec. 

Blut 

Gewicht 

, Serum 

QO 

— 

52 

53 

5,33 

5,41 

8000 

12500 

— 

— 

11. 4. 

— 

52 

54 

5,23 

5,30 

— 

1043 

— 

18. 4. 

Vo Std. 

— 

— 

— 

— 

— 

19. 4. 

3 

i 4 + 

— 

— 

— 

— 

— 

22. 4. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

23. 4. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

24. 4. 

l 

— 

— 

— 

— 

— 

29. 4. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

1. 5. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

7. 5. 

2 

— 

— 

— 

— 

— 

8. 5. 

2 

— 

— 

— 

— 

— 

9. 5. 

1 l 

— 

— 

— 

— 

— 

12. 5. 

1 */a » 

— 

— 

— 

— 

— 

13. 5. 

l'/i r 

— 

— 

— 

— 

— 

14. 5. 

— 

— 

6,43 

6,70 

— 

— 

— 

16. 5. 

IV* » 

— 

— 

— 

— 

— 

18. 5. 

1 V 2 , 

— 1 

— 

— 

— 

— 

19. 5. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

20. 5. 

IV* „ 

— 

— 

— 

— 

— 

21. 5. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

23. 5. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

25. 5. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

26. 5. 


56 

6,21 

6,33 

6,37 

6,64 

7800 

1047 

1020 

27. 5. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

29. 5. 

IV 2 r 

— 

— 

— 

— 

— 

30. 5. 

1 * 

— 

— 

— 

— 

— 

1. 6. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

3. 6. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

5. 6. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

6. 6. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

9. 6. 

1 

— 

— 

— _ 

— 

— 

10. 6. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

11. 6. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

12. 6. 

— 

65 

6,95 

7,23 

17800 

18200 

1046 

1021 

28. 6. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

1. 7. 

V* „ 

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4. 7. 

•/ 2 - 

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— 

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5. 7. 

V* „ 

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— 

7. 7. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

9. 7. 


59 

60 

5,58 

5,71 

— 


— 


Nach weiteren vier Wochen, während denen das Thier nur fünf Mal 
kurze Zeit geathmet hatte, fanden sich ira Durchschnitt 5,65 Mill. Ery- 
throcyten und 59 Hb-Gehalt. 

D. h. es war jetzt fast wieder eine Rückkehr zu den Werthen, die 
vor der Behandlung da waren, erfolgt; doch war das Hämoglobin, ebenso 
wie es sich langsamer als die Rothen vermehrte, auch langsamer ge¬ 
sunken. Während die Erythrocyten schon fast den Anfangswerth er¬ 
reicht hatten, war das Hämoglobin noch beträchtlich vermehrt. 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Uebor die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe auf das Blut. 573 

Am 9. 7., also vier Wochen nach Abschluss der systematischen 
Behandlung wurde das Thier D secirt. Das Mark der langen Röhren¬ 
knochen glich makroskopisch dem thätigen, lymphoiden Mark, es war 
gleichmässig röthlich, doch nicht himbeerfarben. Mikroskopisch erwies 
es sich als lymphoides Mark mit wenigen Erythroblasten. 

Ich möchte auf den Befund am Knochenmark nicht viel Werth 
legen, denn die langen Röhrenknochen kleiner Thiere behalten normal 
sehr lange lymphoides Knochenmark. Man kann also in unserem Falle 
die lymphoide Beschaffenheit nicht ohne weiteres als Folge der Masken- 
athmung ansehen. Andererseits könnte die verhältnissraässig geringe 
Erythrocytenvermehrung sehr wohl von den kleinen spongiösen Knochen 
besorgt werden, ohne dass die langen Röhrenknochen thätiges Mark ent¬ 
halten. 

Beim Thier F fand sich ein ähnliches Verhalten des Blutbildes wie 
bei D. Die Erythrocytenzahl betrug vor der Behandlung im Durch- 


F. (weiblich). 


Datum 

Maske 

Hb 

Rothe 

Mill. 

Weisse 

Blut 

spec. Gew. 

9. 

4. 



50 

4,78 

10000 

1040 





51 

4,97 

10200 

— 

14. 

4. 



52 

5,03 

10700 

1044 






5,06 

— 

— 

19. 

4. 

1 

Std. 


— 

— 

— 

23. 

4. 

1 

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— 


— 

— 

24. 

4. 

1 


— 

— 

— 

— 

28. 

4. 

1 

V 

— 

— 


— 

29. 

4. 

1 

n 




— 

1. 

5. 

1 


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7. 

5. 

2 


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8. 

5. 

2 

V) 


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— 

— 

9. 

5. 

1 


— 

— 


— 

12. 

5. 

l V* 

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13. 

5. 

IV* 

n 

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— 

— 

14. 

5. 



— 

6,40 

— 

— 





— 

6,61 

— 

— 

16. 

5. 

iv* 

V 

— 

— 

— 

— 

18. 

5. 

IV* 

V 

— 

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- I 

— 

19. 

5. 

1 

T> 


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20. 

5. 

1 

n 

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21. 

5. 

1 V, 

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— 

23. 

5. 

1 

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25. 

5. 

1 

n 

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26. 

5. 

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27. 

5. 

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29. 

5. 

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30. 

5. 

1 

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1. 

6. 

1 

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3. 

6. 

1 

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1 „ 

4. 

6. 



55 

! 6,86 

10600 

1046 





— 

6,94 

13300 

1 — 

5. 

6. 

1 

fl 

— 

- 

1 

— 

6. 

6. 

1 

n 

— 



— 

9. 

6. 

1 

fl 

1 


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10. 

6. 

1 

fl 

1 _ 


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11. 

6. 

1 

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1 


19. 

6. 

Section 

1 


1 _ 

— 


Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5 . Bd. 37 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




574 


M. Priese, 


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schnitt 4,96 Mill.; nach einmonatiger Behandlung 6,50 Mill. und nach 
sechs Wochen 6,90 Millionen. Während der Behandlung war der Hb- 
Gehalt von 51 auf 55 gestiegen, das specifische Gewicht des Blutes von 
1042 auf 1046; die Leukocyten hatten sich nicht so stark vermehrt 
wie bei Thier D. Während der Behandlung hatte das Thier F von 
seinem 3250 g betragenden Gewicht 50 g verloren. 

Zwei Monate nach Beginn der Behandlung wurde das Thier, das 
munter war und gut frass, getödtet. Bei der Section ergaben sich an 
den Lungen keine Veränderungen. Das Knochenmark war in den langen 
Röhrenknochen Fettraark mit grösseren Inseln von rothem Mark; in den 
kurzen Knochen fand sich überwiegend rothes Mark. 

Die genaueren Zahlen ergiebt die vorstehende Tabelle F. 

Nicht so günstig waren die Ergebnisse beim Thier G, einem alten 


G. (männlich). 


Datum 

Maske j 

| Hl) 

1 

Rothe 

Mill. 

Weisse 1 

1 

Blut 

spec. Gew. 

10. 4. 



1 

62 

5,50 

11500 

I 1047 




1 63 

5,70 

12200 

— 

14. 4. 

- 

— 

55 

5,17 

9100 1 

1 1041 




56 ! 

5,44 

— 

— 

21.£4. 


- 

55 

5,63 

i 

— 





5,77 

— 

— 

23. 4. 

i 

Std. 

1 — 

— 

— 

— 

24. 4. 

i 

fl 

— 

— 

— 

— 

28. 4. 

i 

„ 

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— 

— 

— 

29. 4. 

i 

fl 

— 

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— 

— 

1. 5. 

i 

fl 

j _ 

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— 

— 

7. 5. 

i 

fl 

; — 

i _ 

— 

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8. 5. 

2 

fl 

— 

— 

— 

1 

9. 5. 

2 

fl 

— 

1 — 

— 

— 

12. 5. 

>7* 

fl 

— 

— 

— 

— 

13. 5. 

172 

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— 

— 

— 

— 

14. 5. 

- 

- 

— 

| 6,39 

— 

— 





! 6,66 

— 

— 

16. 5. 

17* 

Std. 

— 

— 

— 

— 

18. 5. 

17* 

fl 

i — 

i — 

— 

— 

19. 5. 

17* 

fl 

i — 

— 

— 

— 

20. 5. 

17* 

fl 

— 

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— 

i 

21. 5. 

17* 

n 

1 — 

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1 

23. 5. 

17 2 

fl 

— 

— 

— 

— 

25. 5. 

17 2 


1 — 

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— 

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26. 5. 

172 

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1 — 

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27. 5. 

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29. 5. 

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1 — 

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30. 5. 

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1. 6. 

17* 

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— 

3. 6. 

17 2 

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1 — 

1 — 


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5. 6. 

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10. 6. 

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11. 6. 

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— 

i — 

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13. 6. 



54 

5,68 

— 

— 




55 

I 5,72 

I — 

— 

18. 6. 

- 

- 

1 58 

: 5,19 

, 18700 | 

1035 





5,27 

— 1 

— 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



(Jeber die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe auf das Blut. 575 

Männchen. Vielleicht war das Thier zu alt, vielleicht war es zu unge- 
berdig, denn es athmete nicht so regelmässig durch die Maske wie die 
Weibchen. Es hatte schon vor der Behandlung mehr Erythrocyten als 
diese, im Durchschnitt 5,53 Mill., auch einen höheren Hb-Gehalt, durch¬ 
schnittlich 55. 

Auffällig war es, dass sich am 10. 4. ein Hb-Gehalt von 62 und 
ein entsprechend hohes specifisches Gewicht des Blutes fand; vier Tage 
später war Beides erheblich gesunken, ohne dass das Thier einer Be¬ 
handlung unterworfen wurde. Sollte der Blutverlust bei der ersten 
Bestimmung so viel ausgemacht haben? Oder schwankt der Hb-Gehalt 
in uncontrolirbarer Weise? Jedenfalls haben die Erythrocyten diese 
Schwankung nicht mitgemacht 1 ). 

Nach dreiwöchiger Maskenathmung fand sich eine Vermehrung der 
Rothen um etwa 1 Million. Doch sank nach weiteren vier Wochen, trotz 
dauernder Maskenanwendung, die Zahl der Rothen wieder auf 5,70, war 
also gegen den Anfang nur wenig erhöht. Eben so zeigte sich keine 
Hb-Vermehrung. 

Dabei hatte das Thier während der Behandlung über 200 g zuge¬ 
nommen. — 


Ueberblicken wir die Resultate der Versuche: es fanden sich bei 
vier mit periodisch erzeugter Dyspnoe behandelten Kaninchen Ver¬ 
änderungen im Blutbilde, die sich in der Zählkammer als eine erhebliche 
Vermehrung der Erythrocyten, z. Th. auch der Leukocyten darstellen. 
Dabei zeigte das Blut eine Erhöhung seines specifischen Gewichtes, nicht 
aber das Serum. Der Hb-Gehalt war langsam gestiegen. 

Ganz ähnliche Veränderungen, wie Kuhn bei seinen Patienten und 
ich bei meinen Thieren fand, sind schon lange als Folge eines Aufent¬ 
haltes im Höhenklima bekannt. Mit Recht macht Grawitz darauf auf¬ 
merksam, dass man auseinander halten muss 

1. ob bei längerem Aufenthalt im Gebirge eine Steigerung der Blut¬ 
bildung eintritt; 

2. ob der Organismus auf eine Verminderung des 0 2 -Gehaltes der 
Luft mit einer dieser Verringerung parallel gehenden, sofortigen 
Steigerung der Blutzellenbildung reagirt. 

Für den Vergleich mit meinen Versuchen kommt nur die erste 
Frage in Betracht; denn wir haben nach Anwendung der Maske zwar 
einige Male acute Veränderungen im Blutbilde gefunden, doch waren sie 
im Vergleich zu den allmählich auftretenden Veränderungen unbedeutend 
und später haben wir auf acute Veränderungen nicht mehr gefahndet. 

Schon Kuhn hatte die Wirkung seiner Maske mit der des Höhen¬ 
klimas in Parallele gestellt und es spricht vieles dafür, dass es sich um 
ähnliche Vorgänge handelt. Allerdings kann dann nicht das Höhenklima 
als Ganzes die Ursache der bekannten Veränderungen sein. 

Ueber die im Höhenklima auftretende Blutveränderung sind sechs 
verschiedene Theorien aufgestellt worden: 

1) Nachtrag bei der Correctur: Vergl. H. P. T. Oerum, Deutsche med. 
Wochensehr. 1908. No. 28. 


37* 


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576 


M. Priese 


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1. es handelt sich um eine Neubildung von Erythrocyten [P. Bert, 
Viault, Miescher]; 

2. die Lebensdauer der Erythrocyten ist verlängert [A. Fick]; 

3. das Blut wird eingedickt [Grawitz]; 

4. es kommt zu einer Ueberfüllung des Capillarkreislaufs [N. Zuntz]; 

5. es wird Plasma aus den Blutgefässen in die Umgebung gepresst 
[G. v. Bunge]; 

6. die Zählkammer ist nicht constant, sondern vom Luftdruck 
abhängig [A. Gottstein]. 

Wenn man diese Theorien auf die Wirkung der Saugmaske und 
meiner Maske beziehen will, so muss die letztgenannte Theorie wegfallen. 
Für das Gebirge möchte ich ihr nicht jede Bedeutung absprechen. 
Meist wird aber nur betont, dass sich die Karamerhöhe durch den Luft¬ 
druck ändern kann. Es scheint mir aber auch beachtenswerth, dass 
sich die Erythrocyten bei geringerem Luftdruck in der gleichen Ver¬ 
dünnungsflüssigkeit wahrscheinlich schneller zu Boden senken und so 
beim Zusaramensetzen der Kammer ein Fehler zu Stande kommt. Ob 
hierüber schon Versuche angestellt sind, ist mir nicht bekannt. 

Jedenfalls kommen barometrische Schwankungen für meine Versuche 
nicht in Betracht, denn sie wurden stets in demselben Laboratorium bei 
annähernd gleicher Temperatur gemacht. 

Auch gegen die Theorie von Grawitz sprechen meine Versuche, 
denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass das Blut durch täglich ein- 
stündige Maskenathmung dauernd eingedickt werden sollte. Im Gegen- 
theil, bei der Maskenathmung ist die Wasserabscheidung durch die Lunge 
eher herabgesetzt, denn es sammelt sich in der Maske bald Condens- 
wasser an, so dass das Thier eine verhältnissmässig gesättigte Luft ein- 
athmet. Uebrigens sprechen gegen die Eindickungstheorie auch die 
Untersuchungen, die A. Plehn an Menschen und Thieren, die starkem 
Dursten ausgesetzt waren, gemacht hat. 1 ) Er fand in exacten Versuchen, 
dass das Blut in seinem Wassergehalt sehr constant blieb. 

Bei einer Eindickung durch Wasseraustritt müsste man auch eine 
Erhöhung der Serumconcentration finden und ein der Eindickung parallel 
gehendes Ansteigen des Hb-Gehaltes. Nun haben wir auch bei starker 
Vermehrung der Erythrocyten das specifische Gewicht des Serums auf 
seinem Normalwerthe gefunden; andererseits hält die Vermehrung des 
Ilb-Gehalts mit dem Wachsen der Erythrocytenzahl durchaus nicht 
gleichen Schritt, sie hinkt erheblich nach. Z. B. entsprach nach sechs 
Wochen Maskenathmung beim Thier F einer Vermehrung des Hb-Ge- 
haltes um 8 pCt. eine Vermehrung der Erythrocytenzahl um 39 pCt.! 
und bei Thier D einer nach sieben Wochen vorhandenen Erythrocyten- 
vermehrung um 32 pCt. eine Hb-Vermehrung von 22 pCt. 

Gegen die Anwendung der Theorien von Zuntz und v. Bunge auf 
meine Versuche lässt sich ein wenden, dass es nicht leicht zu denken ist, 
weshalb eine relative Vermehrung der Rothen durch Plasmaaustritt oder 
eine abnorme Vertheilung im ßlutgefässsystem während der doch recht 

1) A. Plehn, Die Wasserbilanz des Blutes. Deutsches Arch. f. klin.Med. Bd.91. 


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Original fro-m 

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lieber die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe auf das Blut. 


577 


kurzen Maskenathmung sich dann zu einem dauernden Zustand ausbilden 
soll. Gegen eine Ueberfüllung des Capillarkreislaufs spricht auch die 
Thatsache, dass ich in dem Capillarblut des Rückens und in der Ohr¬ 
randvene fast übereinstimmende Resultate fand. Bei den acuten, beim 
Uebergang in’s Höhenklima auftretenden und auch von Kuhn beob¬ 
achteten Veränderungen mag trotzdem eine Verdrängung von Blut in 
den Capillarkreislauf oder Plasmaaustritt eine Rolle spielen. 

Da beim Menschen häufige Venenpunetionen sich mit Rücksicht auf 
die Psyche der Patienten verbieten, hat Kuhn seine Zählungen wohl 
meist am Capillarblut gemacht. Dort fand er ganz acute, erhebliche 
Erythrocytenvermehrungen schon nach zweistündiger Maskenathmung. 
Wir dagegen konnten selbst nach (orcirter Anwendung unserer Maske 
im Venenblut keine erhebliche acute Zunahme finden. Nur einmal erhielt 
ich bei Thier B eine Zunahme um iy 4 Millionen nach iy 2 stündiger 
Athmung, doch entsprach ihr nicht einmal eine Zunahme des Hb, so 
dass es sich vielleicht um einen Zufallsbefund handelt. 

Fick’s Theorie rechnet mit einer vermehrten Lebensdauer der 
Erythrocyten im Gebirge. Sie dürfte schwer zu erweisen oder zu wider¬ 
legen sein, da wir noch keine Mittel besitzen, um das Alter von Blut¬ 
körperchen zu bestimmen. 

Am wahrscheinlichsten scheint mir die Neubildungstheorie zu sein; 
für sie spricht das oben erörterte langsame Anwachsen des Hb-Gehaltes, 
für sie auch das von mir oft beobachtete Auftreten von wenig gefärbten 
Erythrocyten. Dass man keine kernhaltigen Rothen findet — es wurde 
nur einige Male von uns danach gesucht — spricht nicht gegen Neu¬ 
bildung. 

Denn bei dem Ersatz zu Grunde gegangener Erythrocyten, der bei 
wirksamer Anaemiebehandlung und nach Schwarzwasserfieber, oft ganz 
rapide vor sich geht, wo es sich also sicher um eine Neubildung handelt, 
findet man recht spärlich Normoblasten. Während also das Fehlen von 
Norraoblasten nicht gegen die Neubildungstheorie spricht, kann ich das 
Verhalten des Hb grade als eine bedeutende Stütze dieser Theorie 
anführen. 

Auffallend an meinen Resultaten ist das Verhalten des Gewichts 
der Thiere. Es ist ja bekannt, dass Kaninchen beim Uebergang von 
der Winter- zur Sommerfütterung in ihrem Gewicht etwas zurückgehen, 
merkwürdig ist aber, dass Thier D, welches am Meisten auf die Masken¬ 
athmung mit Erythroeytenvermehrung reagirt hat, die grösste Gewichts¬ 
abnahme zeigt; das Thier F hatte geringere Erythroeytenvermehrung und 
dabei nur 50 g verloren. Dagegen hat Thier G, bei dem die Masken¬ 
athmung nach anfänglichem geringen Erfolge resultatlos blieb, über 
200 g zugenommen. Kuhn hat bei der Anwendung seiner, ja principiell 
verschiedenen Maske dagegen Gewichtszunahme beobachtet. 

Zum Schluss möchte ich noch eine Beobachtung anführen, die ein 
französischer Arzt, Dr. Monneyrat, in einer Mittheilung an die 
Akademie der Wissenschaften veröffentlicht hat. 1 ) M. fand, dass ein 

1) Citirt nach de Parville, Annales polit. et iitteraires. 1907. 


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578 M. Priese, L'eber die Einwirkung periodisch erzeugter Dyspnoe auf das Blut. 

Mensch mit 5,2 Millionen rothen Blutkörperchen nach achttägiger 

Automobil fahrt 6,7 Millionen aufwies; der Hb-Gehalt war von 98 auf 

102 pCt. gestiegen. 

Wenn sich die etwas unwahrscheinlich klingende Mittheilung weiter 
bestätigt, so hätten wir schon vier Wege, eine Erythrocytenvermehrung 
zu erzeugen: Automobilfahrten, Höhenaufenthalt, Kuhn’sche Saugmaske, 
künstliche Dyspnoe. Es ist sehr wohl möglich, dass bei diesen vier 

Methoden dasselbe wirksame Princip im Spiele ist; doch lassen sieh 

hierüber bisher nur Hypothesen aufstellen. 

Zusammenfassend möchte ich sagen: Es ist schon lange bekannt 
(Naunyn 1872), dass bei vielen mit Erschwerung der Circulation oder 
Respiration einhergehenden Erkrankungen sich Erythrocytenvermehrungen 
finden. Infolge ständiger Dyspnoe findet sich Polyglobulie bei Asthma, 
Emphysem, gewissen Herzfehlern. Aber auch durch periodisch wieder¬ 
holte, künstlich erzeugte Dyspnoe konnte ich'bei Kaninchen Erythrocyten¬ 
vermehrung hervorrufen. Bei einer Anzahl von Thiercn erhielt ich nach 
längerer Behandlung Veränderungen im Blutbild, die sich im Zählapparat 
als eine Vermehrung der Rothen bis zu 39 pCt. (Thier F), der Weissen 
bis zu 77 pCt. (Thier D) darstellten. Zugleich trat eine Vermehrung des Hb- 
Gehaltes bis zu 22 pCt. (Thier D) auf, die aber hinter der entsprechenden 
Erythrocytenvermehrung zurückblieb. Es handelt sich wahrscheinlich 
nicht um eine scheinbare, sondern um eine wirkliche Vermehrung. Doch 
liess sich dies mit den angewandten Methoden nicht beweisen. Die kost¬ 
spielige Bestimmung des Gesammthaemoglobins konnte ich nicht ausführen. 

Als Ursache der Veränderungen nehme ich nicht eine Lungen- 
hyperaemie, sondern einen durch die periodisch stark verminderte 
O-Spannung auf das Knochenmark ausgeübten Reiz an. 

Die heilende Wirkung der Hyperaemie ist allgemein anerkannt; ob 
aber die Erythrocytenvermehrung ein Vortheil für den Organismus ist, 
scheint mir fraglich. 


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XLI. 


Aus der inneren Abtheilung des städt. Luisenhospitals zu Dortmund. 
(Chefarzt: Privatdocent Dr. Volhard.) 

Ueber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen 
Blutdrucks durch Genuss alkoholischer Getränke ver¬ 
schiedener Concentration. 

Von 

Dr. raed. M. John, 

Secundftrant der Abtheilung. 

(Hierzu Tafel VI, VII und VIII.) 


Die vorliegenden Versuche sind angestellt, um Aufschluss darüber 
zu gewinnen, in welcher Weise der Alkohol etwa in der gleichen Menge 
und Concentration, wie er ira täglichen Leben in Form von Bier von 
durchaus noch als massig Geltenden genossen wird, den Blutdruck zu 
beeinflussen im Stande ist. Ich habe daher zu ermitteln versucht, wie 
IY 2 Liter einer 3proc. alkoholischen Flüssigkeitsmenge, innerhalb einer 
Stunde getrunken, auf das Verhalten des Blutdrucks ein wirken. In 
vielen Fällen habe ich aber auch die Wirkung einer 6proc. alkoholischen 
Flüssigkeitsmenge von iy 2 Liter einer vergleichenden Prüfung unter¬ 
zogen, oder den Alkohol in concentrirter Form, natürlich in geringerer 
Menge, als Cognac oder Schnaps oder als letzteren Getränken etwa ent¬ 
sprechend verdünnten Aethyl-Alkohol verabreicht. Dabei bin ich mir 
von vornherein bewusst gewesen, dass die durch unblutige Messungen 
des systolischen und diastolischen Druckes am Oberarm des Menschen 
gewonnenen Zahlen nur mit äusserster Vorsicht gedeutet werden dürfen, 
wenn ich auch nicht die in einer überaus kritischen Abhandlung von 
0. Müller niedergelegten Bedenken gegen die Verwerthung der Messungs¬ 
resultate theilen kann. Auf einige der an sich gewiss zu beachtenden Ein¬ 
wände 0. Müllers möchte ich gleich hier kurz eingehen, da sie mir 
doch in ihrer Tragweite eingeschränkt werden zu können scheinen. 

Eine Erörterung darüber, ob wir in der That mit der v. Reckling- 
hausen’schen Methode den wirklichen diastolischen Druck bestimmen 
können, glaube ich mir ersparen zu dürfen, da diese Frage lediglich auf 
experimentellem Wege endgültig zu entscheiden sein wird. Es genüge 
darauf hinzuweisen, dass wir bei hinreichend ausgebildeter Technik in 
der Lage sind, klinisch sehr wohl verwerthbare Anhaltspunkte zu ge¬ 
winnen. Indes würden wir selbst aus Druckmessungen, welche die 
thatsächlich in der Arterie z. B. unter Einfluss von Alkohol sich ab¬ 
spielenden Druckschwankungen absolut genau wiedergeben, noch keine 


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580 M. .John, 

Schlussfolgerungen auf die Wirkung des Alkohols ziehen dürfen, wenn die 
Armarterien schon für gewöhnlich so rasch aufeinander folgenden Kaliber¬ 
schwankungen unterworfen wären, wie sie 0. Müller bei seinen 
plethysmographischen Messungen beobachtet hat. Dass Blutdruck¬ 
schwankungen im Verlauf des Tages und bei äusseren psychischen Ein¬ 
flüssen irgend welcher Art Vorkommen können, dass dieselben nament¬ 
lich bei den ersten Messungen am deutlichsten zu Tage treten, darauf 
ist von vielen Seiten hingewiesen worden. Aber diese Schwankungen 
fallen, wie ich mich oft genug überzeugen konnte, nach hinreichender 
Gewöhnung an den Messungsvorgang bei fortlaufenden Messungen, nur 
klein aus (ausgenommen bei Arteriosklerotikern). Dagegen sind bei 
denselben Personen unter Einfluss von Alkohol, Nicotin mehr oder 
minder erhebliche, oft ganz charakteristische Druckschwankungen zu 
verzeichnen. 

Wie steht es indes mit der Frage, die in ihrer Wichtigkeit von 
v. Recklinghausen bereits gewürdigt und von 0. Müller wieder ganz 
besonders für die geringe Verwerthbarkeit der Blutdruckmessungen ein¬ 
gehend discutirt wurde, nämlich: Ist es überhaupt gestattet, zahlen- 
mässig Grösse und Schwankung der Amplitude zu verwerthen bezw. zu 
Vergleichen heranzuziehen, wenn wir nicht einigermaassen genau die 
sogenannte Weitbarkeit der Gefässe sowohl des Armes wie des ganzen 
Körpers abzuschätzen in der Lage sind? Nun, einige Anhaltspunkte für 
die Abschätzung der Weitbarkeit der Armgefässe zu gewinnen, dürfte 
möglich sein unter Berücksichtigung der 3 von v. Recklinghausen auf¬ 
gestellten Sätze: „1. Bei gleichbleibendem Druck wird mit wachsendem 
Gefässtonus die relative Inhaltszunahme (Weitbarkeit der Arterien) kleiner, 
bei abnehmendem Gefässtonus grösser. 2. Blutdrucksteigerung pflegt 
intra vitam mit einer Vermehrung des Gefässtonus Hand in Hand 
zu gehen. Hierbei wird höchstwahrscheinlich die relative Inhalts¬ 
zunahme kleiner. Blutdrucksenkung dürfte die entgegengesetzten Ver¬ 
änderungen zur Folge haben. 3. Im Alter und bei Arteriosklerose wird 
vermuthlich die relative Inhaltszunahme vermindert. Bei Ausbildungen 
von Aneurysmen kann sie auch vermehrt sein.“ Indes ist auch hier, soweit 
eine Aenderung des Tonus für eine Aenderung der Weitbarkeit (relative 
Inhaltszunahme) verantwortlich gemacht werden soll, zu bedenken, dass 
graduelle Unterschiede in der Stärke des Tonus bestehen können und dass 
die relative Inhaltszunahme unter Umständen innerhalb unbedeutender 
Schwankungen desselben unverändert bleiben kann. Für die Wahrschein¬ 
lichkeit dieser Annahme wäre eine bereits von Klemperer gemachte Beob¬ 
achtung anzuführen, die an dieser Stelle noch dürch ein Beispiel bestätigt 
werden soll. Wurde der linke Arm einer meiner Versuchspersonen in kaltes 
Wasser getaucht, so stiegen die vor dem Eintauchen constatirten Blut¬ 
druck werthe 162 (92) cm H 2 0 auf 192 (100) cm H 2 0 an, die Amplitude 
also von 70 auf 92 cm H 2 0. Eine Vermehrung des Füllungszuwachses ist 
hierbei wohl nicht anzunehmen, denn unter Einfluss der kühlen Tempe¬ 
ratur dürften sich die Armgefässe kaum erweitern. Demnach ist hier die 
Vcrgrösserting der Amplitude nur einer Erhöhung des Tonus zuzuschreiben. 

Aber selbst wenn die Möglichkeit, die Weitbarkeit der Armgefässe 


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Ueber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 581 


abzuschätzen, in vollem Umfange bestände, so wäre damit die Verwendbar¬ 
keit der Amplitude als Maassstab für die Grösse des Schlagvolumens nicht 
gerechtfertigt. Denn die Weitbarkeit der Summe aller Gefässe bleibt in 
jedem Falle noch ein unbestimmbarer Factor. Die Körpergefässe sind ja 
bekanntlich zur selben Zeit durchaus nicht immer gleichmässig dem Blut¬ 
strom geöffnet, können sich vielmehr gerade entgegengesetzt verhalten, 
wie z. B. eine Reaction im Gefässgebiete des Splanchnicus die umgekehrte 
Reaction im peripheren Gefässgebiete zur Folge haben kann. 

Die Kenntnis dieser Thatsachen wird uns jedenfalls vor einseitiger 
Beurtheilung der Messungsergebnisse bewahren und uns zu bedenken 
geben, dass eine Aenderung in der Grösse der Amplitude der Arteria 
bracchialis auf sehr verschiedene Weise zu Stande kommen kann, worauf 
besonders R. von den Velden in seiner Habilitationsschrift „Coordinations- 
störungen des Kreislaufes“ hinweist. Dafür wird beispielsweise in dem 
einen Falle eine ganz local bedingte active Aenderung des Lumens oder 
des Tonus der Armgefässe verantwortlich gemacht werden müssen, ein 
anderes Mal eine Aenderung der Circulation im Splanchnicusgebiet, ein 
drittes Mal gar eine Aenderung der gesammten Circulation in Folge von 
schwerer Alteration der Herzthätigkeit. Gestattet aber das Thierexperiment 
die eine oder die andere Möglichkeit einzuengen, erfahren wir z. B. durch 
Kochmann’s Untersuchungen, dass die durch Alkohol bedingten Blut¬ 
druckänderungen auf Grund einer Beeinflussung des Gefässnervensystems 
des Splanchnicusgebietes zu Stande kommen, jedenfalls nicht durch Alte¬ 
ration der Herzthätigkeit, so sind durch Kenntniss dieser Thatsachen die 
beim Menschen gewonnenen Messungsergebnisse unserem Verständniss 
schon weit näher gerückt. 

Noch von einem anderen Gesichtspunkte aus muss es als lohnende 
Aufgabe betrachtet werden, zu ermitteln, ob und welche Aenderungen des 
Blutdruckes in der Art. bracch. unter dem Einfluss von Alkohol oder Nicotin 
zu constatiren sind, selbst wenn die Unmöglichkeit besteht, diese Aende¬ 
rungen bezüglich ihrer inneren Ursache genau analysiren zu können. Denn 
sobald auch nur an der Art. bracch. Blutdruckänderungen erheblicheren 
Grades, wie sie normaler Weise erwartet werden dürfen, zu registriren sind, 
muss doch wohl eine Alteration des ganzen Kreislaufs angenommen werden. 
Und für das Verständnis der Frage, wie weit Alkohol oder Nicotin als 
ein zu Arteriosklerose prädisponirendcs Moment in Betracht zu ziehen 
sind, ist es immerhin wichtig zu wissen, ob und mit welcher Gesetzmässigkeit 
unter der Einwirkung der genannten Gifte bei fortlaufenden Messungen 
Schwankungen des Blutdruckes (in der Arteria bracchialis) zu verzeichnen 
sind. Denn fortgesetzte Blutdruckschwankungen können an sich durch 
den mechanischen Effect eine Schädigung der Gefässwand bedingen, wie 
ja auch neuerdings zu den ätiologischen Momenten der Arteriosklerose 
das Auftreten häufiger Blutdruckschwankungen (in Folge fortgesetzter 
psychischer Erregungen) zugerechnet wird. Es dürfte also nach dem 
Nachweis solcher Blutdruckschwankungen unter dem Einfluss von Alkohol 
und Nicotin das Zustandekommen der Arteriosklerose bereits verständlich 
sein, ohne dass noch eine directe Schädigung der musculären Elemente 
durch die Gifte nachgewiesen werden müsste. 


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M. John, 


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Um nun die Einwirkung einer schwach alkoholhaltigen Flüssigkeits¬ 
menge beispielsweise von 1 l / 2 Liter auf den Blutdruck bezw. den der 
Alkoholcomponente zuzuschreibenden Antheil an sich kennen zu lernen, 
musste zunächst auseinandergehalten werden, in welchem Umfange die 
Zufuhr eines derartig grossen Flüssigkeitsquantums an und für sich 
Blutdruckschwankungen hervorzurufen im Stande ist. 

Ich liess daher in jedem Falle in einem Vorversuche l 1 /, Liter 
Wasser trinken, und dann erst reichte ich den Alkohol in der oben an¬ 
gegebenen Form. Es erschien mir dies um so nothwendiger, als die 
Versuche, die Einwirkung einer bestimmten Flüssigkeitsmenge auf den 
Blutdruck durch Messung desselben festzustellen, noch keineswegs sehr 
zahlreich sind. 

Meine Versuche gestalteten sich also im Einzelnen folgendermaassen: 
Nachdem die Versuchspersonen durch mehrfache an verschiedenen Tagen 
bei Bettruhe vorgenomraene Messungen zuletzt annähernd constante Blut- 
druckwerthe aufwiesen, wurde an einem bestimmten Tage in Abständen 
von 10—30 Minuten durch 4—5—6 Stunden, also den ganzen Vormittag 
hindurch, fortlaufend der systolische und diastolische Druck stets 2 bis 
3 mal hintereinander gemessen. Am nächsten oder einem der nächsten 
Tage wurden früh nüchtern l l / 2 Liter Wasser gegeben, nachdem vorher 
an drei, mindestens aber zwei verschiedenen Zeiten durch mehrfach 
hintereinander erfolgende Messungen der Ausgangsdruck festgestellt 
worden war. Dann wurde in möglichst nahen Abständen 5—6 Stunden 
lang fortlaufend weiter gemessen. In der gleichen Weise ging ich vor bei 
der Darreichung der eigentlichen Versuchsflüssigkeit (Wasser-j-reiner 
Aethylalkohol-f-Himbeersaft). Bemerkt zu werden verdient, dass für ge¬ 
wöhnlich die ersten 5 Stunden, von Beginn des Versuches an gerechnet, 
nichts genossen werden durfte. In dieser Maassnahme könnte vielleicht 
eine mit den Gepflogenheiten des täglichen Lebens in Widerspruch 
stehende Willkür erblickt werden, indem hier in der Regel der Alkohol 
nicht in nüchternem Zustande genossen wird. Meine Versuchsanordnung 
wurde indess von anderen mir wichtiger erscheinenden Gesichtspunkten 
aus gegeben. Die Zuführung einer ganz bestimmten Flüssigkeitsmenge 
sollte gleichzeitig als Diureseversuch Verwerthung finden, und deshalb 
schien mir die Zuführung fester Speisen schon bald nach Verabreichung 
der Flüssigkeit nur die Resorption derselben zu verzögern und die Diurese 
auch uncontrolirbar beeinflussen zu können. 

Bezüglich der Technik und aller Einzelheiten, die bei den mit dem 
v. Recklinghausen’schen Tonometer ausgeführten Messungen zu be¬ 
obachten sind, darf ich wohl auf früher Gesagtes verweisen. Die ge¬ 
fundenen Werthe sind in Curven eingetragen, und zwar ist immer der 
systolische und diastolische Blutdruck, der Pulsdruck, der Blutdruck¬ 
quotient, sowie die Pulsfrequenz vermerkt. In den meisten Curven ist 
oberhalb des systolischen Druckes auch die Grösse der Oscillationen 
eingezeichnet und am Fusspunkte der Curve die zugeführte Flüssigkeits¬ 
menge, ferner die Grösse der Urinabsonderung mit dem jedesmaligen 
specifischen Gewicht desselben. Das Einträgen der zugeführten und ab¬ 
gesonderten Flüssigkeitsmenge auf die Curve dient eigentlich nur zur 


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Ueber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 583 


Ergänzung der Messungsresultate, um verfolgen zu können, ob gewisse 
Abweichungen in der Flüssigkeitsausscheidung auch von einem ganz 
bestimmten abweichenden Verhalten der Blutdruckwerthe gefolgt sind. 
Ausserdem handelte es sich im Interesse anderer Versuche, die Gegen¬ 
stand einer anderen Zusammenstellung werden sollen, noch darum, mög¬ 
lichst ausgedehnte Erfahrungen über Verlauf und Dauer normaler und 
pathologischer Trinkdiuresen zu gewinnen. Schon aus diesem Grunde 
hatte sich auch bei den vorliegenden Versuchen eine genaue Registri- 
rung der Ausscheidungsdauer der innerhalb einer Stunde aufgenommenen 
Flüssigkeitsmenge von 1 1 / 2 Litern als wünschenswert erwiesen. 

Noch ein Wort darüber, warum ich den sogenannten Strasburger- 
schen Blutdruckquotienten für die einzelnen Blutdruckwerthe ausgerechnet 
und eingezeichnet habe. Ich will damit keinen Maassstab für die Grösse 
des Schlagvolumens oder die Herzarbeit aufgestellt haben, was ich für 
ebenso unzulässig halten würde wie z. B. 0. Müller, der zur Be¬ 
urteilung der Herzarbeit schon eher die Verwertung der Formel: A-F 

Sec. Vol. 

(Araplitudenfrequenzproduct) = \y e itba r k e it zu ^ assen würde. Aber nach 

Strasburger’s Untersuchungen scheinen in diesem Quotienten die Aus¬ 
dehnungsverhältnisse der Arterien bei einem bestimmten Minimaldruck 
auf einen gewissen Füllungszuwachs hin Berücksichtigung zu finden. 
Und das Verhältniss von Pulsdruck zum Maximaldruck ist nach seinen 
Darlegungen so lange als ein annähernd constantes anzusehen, als sich 
der Füllungszuwachs des Gefässes nicht erheblich ändert, allerdings — 
muss hinzugesetzt werden — auch nicht der Tonus. Demnach müsste 
Aussicht vorhanden sein, bei gleichbleibendem Tonus Aenderungen in 
der Blutfüllung der Armgefässe mit Aenderungen des Blutdruckquotienten 
zusaramenfallen zu sehen. Und in der That kann in Fällen, wo nicht 
nur der Pulsdruck, sondern auch der Blutdruckquotient klein ist, z. B. 
im Collaps, eine geringe Füllung der Armgefässe mit Fug und Recht 
angenommen werden. 

Aus den Curven ist ersichtlich, dass die den Blutdruckquotienten 
darstellende Linie weniger ausgesprochene Schwankungen aufweist, wie 
die dem Maximal-Minimal- und Puls-Druck entsprechende, und dass er¬ 
hebliche Schwankungen im Blutdruckquotienten nur bei hochgradigen 
Aenderungen in der Circulation, die gleichzeitig auch eine veränderte 
Füllung in den Armgefässen bedingt, zu bemerken sind. 

Um für meine Fälle den Spielraum der Subjectivität möglichst 
einzuschränken und um ganz unabhängig von bereits früher vorge- 
nomraenen Blutdruckmessungen und Untersuchungen zu irgend einem 
Ergebniss gelangen zu können, unterzog ich die Literatur über experi¬ 
mentelle Beeinflussung des Herzens und Gefässystems durch Alkohol 
erst nach Beendigung meiner Versuche einer Durchsicht, wobei ich nur 
Messungen des systolischen, nicht auch des diastolischen Druckes vor¬ 
liegend fand. 

Versuche. 

I. Heinrich S., 23 Jahre, bis auf vereinzelte epileptische Anfälle 
stets gesund gewesen. Keine nachweisbaren Organerkrankungen, insonder- 


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584 M. John, 

heit Herz und Gefässsystem ohne feststellbare krankhafte Veränderungen. 
Kein Alkoholabusus. 

Die am 18. 9. 07 vorgenommene fortlaufende Messung [Tafel VI, 
Curve l 1 )] ergiebt für die Werthe s, d, P, A, Q 2 ) fast gerade, fortlaufende 
Linien, mit anderen Worten geringe Schwankungen, welche für s = 6 cm, 
tür d = 10 cm, für A — 8 cm H 2 0 und für Q = 0,4 betragen. 

Am 20.9. erhielt Patient nüchtern 1 l / 2 Liter Wasser (Tafel VI, 
Curve 2). Während der Aufnahme der Flüssigkeit und einige Minuten 
nach beendeter Aufnahme derselben steigt s etwas an, im Ganzen um 
10 cm, um bald wieder zur Norm abzufallen; ähnlich verhält sich d, 
dementsprechend auch A und Q. Jedenfalls sind hier schon grössere 
Schwankungen sichtbar wie in der vorigen Curve; bei A bis fast um 
20 cm H 2 0, bei Q um 0,8. Etwa 4 Stunden nach Aufnahme der Flüssig¬ 
keit sind 1600 ccm im Urin ausgeschieden. 

Am 21. 9. erhielt Patient nüchtern 1 l / 2 Liter einer 3proc. alkoholischen 
Himbeerwasserlimonade (Tafel VI, Curve 3). Bald nach Einnahme derselben, 
am deutlichsten ausgesprochen eine halbe Stunde darnach, ein Absinken von 
d um etwa 12cm H 2 0 bei gleichbleibendera s, in Folge dessen Grösserwerden 
von A um 12 cm H 2 0, Ansteigen von Q um 0,1, gleichzeitig Erhöhung von 
P und Grösserwerden der Oscillationen, von 4 Theilstrichen am Tonometer 
auf 5. Puls fühlte sich sehr voll und kräftig an. Etwa eine Stunde 
später, also 1 1 / 2 Stunden nach Aufnahme der Flüssigkeit ist s bei wieder 
bis zum Ausgangswerth ansteigendem d etwas gesunken, gleichzeitig 
auch A. Es sind 1800 ccm Flüssigkeit (durch den Urin) ausgeschieden. 

Tafel VI, Curve 4, 5, 6 veranschaulicht das Verhalten des Blut¬ 
druckes unter dem Einfluss einer bestimmten Menge (150 ccm) 36 proc. 
Cognac, 40 proc. Branntwein oder reinen mit Wasser auf eine Concen- 
tration von 45 pCt. verdünnten Aethylalkohols. Hier finden sich weit 
erheblichere Schwankungen wie unter dem Einfluss von l l / 2 Liter 3 proc. 
alkoholischer Flüssigkeit und zwar hochgradiger bei Cognac und Brannt¬ 
wein, wie bei dem reinen Aethylalkohol. Die Schwankungen kommen 
zum Ausdruck in einem starken Absinken von s, bei Branntwein um 
25—30 cm H 2 0 unter den Ausgangswerth, bei Cognac nach vorüber¬ 
gehendem Ansteigen um 10 cm H 2 0 in einem darauffolgenden Absinken 
um 22 cm H 2 0 unter den Ausgangswerth, während d in beiden Fällen 
nur um etwa 10 cm H 2 0 absinkt. Dementsprechend Kleinerwerden von 
A. In Q nur geringere Aenderungen; P erhöht, Grösse der Oscillationen 
nicht beeinflusst. Dasselbe Verhalten, nur nicht so stark ausgesprochen, 
auch unter Einfluss von reinem Aethylalkohol. 

II. Albert N., Eisenarbeiter, 42 Jahre. Wegen rechtsseitiger Radialis- 
lähmung in Behandlung. Sonst ohne nachweisbare Veränderungen der 
Organe. Auf Grund der Blutdruckmessung Verdacht auf Arteriosklerose. 


1) Da unter jeder weiteren Versuchsreihe die Bezeichnung Curve 1, 2 etc. 
wiederkehrt, ist auf den Tafeln der besseren Uebersichtlichkeit wegen den einzelnen 
Curven die Nummer der Versuchsreihe I, II etc. vorgedruckt. 

2) s = systolischer Blutdruck, d = diastolischer Blutdruck, P = Pulsfrequenz, 
A = Amplitude (Pulsdruck), Q = Blutdruckquotient. 


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lieber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 585 


Starker Potator, x / 4 —V 2 Liter Schnaps und iy 2 Liter Bier täglich. 
Raucher. 

Tafel VI, Curve 1 bringt die Werthe für die fortlaufende Messung, 
die grössere Schwankungen aufweisen wie bei der vorigen Versuchs¬ 
person, für s um 8 , für d um 15, für A um 20 cm H 2 0 und für Q um 
0 , 12 . P zwischen 60 und 72. Sehr wahrscheinlich sind diese sozu¬ 
sagen schon in der Norm auftretenden ziemlich erheblichen Blutdruck¬ 
schwankungen der Ausdruck einer im Uebrigen nicht nachweisbaren durch 
den Potus bedingten Arteriosklerose. 

Noch deutlicher zu beobachtende Blutdruckschwankungen finden 
sich in Tafel VI, Curve 2 , nachdem Patient nüchtern iy 2 Liter Wasser 
getrunken hat. Die Schwankungen betragen hier für s 34, für d 22 , 
für A 30 cm H 2 0, für Q 0,14. P zwischen 60 und 72. Während 
Einnahme der Flüssigkeit leichtes Steigen von s und d, eine halbe 
Stunde nach beendeter Zufuhr Absinken beider Werthe, am hochgradigsten 
nach 2 Stunden. Zu dieser Zeit befindet sich d aber über dem Aus¬ 
gangswerth, A in Folge dessen jetzt erheblich gesunken. 2 l / 2 Stunden 
nach beendeter Flüssigkeitszufuhr Ausscheidung von 2000 ccm Urin. 

In Tafel VI, Curve 3 ist die Wirkung von 172 Liter einer 3 proc. 
alkoholischen Himbeerwasserliraonade dargestellt. Diese ist hier ähnlich 
wie bei der vorigen Versuchsperson, allerdings nicht so ausgesprochen, zumal 
hier für die Bewerthung der Grösse der Blutdruckänderungen die bei 
dem Patienten schon an und für sich normaler Weise stärker auf¬ 
tretenden Blutdruckschwankungen in Anrechnung bezw. in Abzug zu 
bringen sind. Der an Alkohol gewöhnte Patient wird offenbar durch 
denselben nicht in dem Maasse mehr beeinflusst, wie ein noch nicht 
daran gewöhnter. Jedenfalls ist hier bald nach beendigter Zufuhr ein 
Ansteigen von A und Q in Folge Absinkens von d, nachher, am ausge¬ 
sprochensten wieder nach 1 bis iy 2 bis 2 Stunden, deutliches Absinken 
von s und Ansteigen von d, in Folge dessen auch Absinken von A und 
Q. Zu dieser Zeit die Anfangs 5 Theilstrich grossen Oscillationen nur 
mehr 3 Theilstrich gross. 3 Stunden nach beendeter Flüssigkeitszufuhr 
Ausscheidung von 2100 ccm Urin. 

Am 18. 9. und 19. 9. (Tafel VI, Curve 4, 5) erhielt Patient je 
iy 2 Liter einer 6 proc. alkoholischen Himbeerwasserlimonade, wobei eine 
ähnliche am 18. 9. übrigens stärker als am 19. 9. ausgesprochene Wirkung 
zu constatiren war, wie bereits bei der 3 proc. alkoholischen Flüssigkeits¬ 
menge. Verhalten der Oscillationen am 19. 9. beachtenswerth. Die An¬ 
fangs 4 Theilstrich grossen Oscillationen zur Zeit der grössten Amplitude 
5 Theilstrich gross, zur Zeit der kleinsten Amplitude vorübergehend nur 
3 Theilstrich. Die Diurese, die schon beim Wasserversuch eine ausser¬ 
ordentlich ausgiebige war, unter Einfluss von Alkohol noch stärker. Am 
19. 9. ist z. B. ein Liter mehr ausgeschieden wie eingenommen war. 

Das Trinken einer Flasche Moselwein (Tafel VI, Curve 6 ) bleibt 
ohne wesentlichen Einfluss auf den Blutdruck. Die Curve zeigt kaum 
andere Schwankungen wie die der fortlaufenden Messung. 

Am 26., 27., 28. 9. (Tafel VI, Curve 7, 8 , 9) erhielt N. in einer 
Zeit von 2 Stunden je 250 ccm 36proc. Cognac, 40proc. Branntwein 


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M. John 


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resp. 45proc. Aethylalkohol. Wie bei der vorerwähnten Versuchsperson 
bleibt auch hier gegenüber den Versuchen mit einer 3proc. resp. 6proc. 
alkoholischen Flüssigkeitsmenge von iy 2 Liter das gleich nach Einnahme 
derselben auftretende Anwachsen von A aus, es kommt vielmehr zu 
einem erheblichen Absinken von A bis um 30 cm H 2 0 und zwar in 
Folge von Niedrigerwerden von s bei gleichbleibendem oder sogar 
geringem Ansteigen von d. A am kleinsten etwa 1 / 2 bis 1 Stunde, 
nachdem das letzte Quantum der Versuchsflüssigkeit genommen ist. Am 
ausgesprochensten sind die erwähnten Schwankungen wieder nach dem 
Genuss von Cognac; nach Genuss von Branntwein, der allerdings nach 
Behauptung des Patienten „besser war und nicht so brannte“, wie der 
täglich gewohnte, so wie nach Genuss von Aethylalkohol etwa gleiche 
Blutdruckänderungen. Bemerkenswerth an diesen Messungen ist die That- 
sache, dass die Pulsfrequenz keiner nennenswerthen Steigerung unterlag. 

Da bei den folgenden Versuchspersonen Messungen des Blutdruckes 
nach Genuss von Alkohol in concentrirter Form nicht wiederkehren, ausser 
zu anderen Zwecken in XVI und XVII, so möchte ich gleich hier hervor¬ 
heben, dass die Einwirkung des concentrirten Alkohols auf den Blutdruck 
eine weitgehendere ist als die des stark verdünnten. Allerdings ist die in 
einer 3proe. oder 6proc. alkoholischen Lösung eingeführte Alkoholmenge 
auch bedeutend geringer als die in 150 resp. 250 ccm einer 40—50proc. 
alkoholischen Lösung. Die Alkoholwirkung wird übrigens verstärkt durch 
die in Cognac oder Schnaps enthaltenen Extractivstoffe, wenigstens waren 
die Blutdrucksschwankungen gegenüber dem reinen Alkohol bei Cognac in 
beiden Fällen deutlicher ausgesprochen und bei der ersten Versuchsperson, 
wo noch keine Gewöhnung an Branntwein vorlag, auch nach Genuss 
von Branntwein. 

Sehr interessant und lehrreich sind die Messungsergebnisse, welche 
an den beiden folgenden Versuchspersonen gefunden wurden. Diese 
wurden nämlich den Versuchen in der Reconvalescenz nach einer 
Pneumonie resp. Erysipel unterzogen und zwar einmal kürzere Zeit, 
einmal längere Zeit nach Ueberstehen der Infection, mit anderen Worten, 
das erste Mal zu einer Zeit, wo sich das Herz und Gefässsystem von 
der stattgehabten Infection noch nicht so gut erholt hatte, wie bei den 
später unternommenen Versuchen. Letztere wurden kurz vor der Ent¬ 
lassung angestcllt, nachdem die an anderer Stelle empfohlene Prüfung 
des Herz-Gefässsystems durch Heraustretenlassen aus dem Bett schon 
seit Tagen keine wesentlichen Steigerungen der Pulsfrequenz mehr 
ergeben hatte. Erwähnt zu werden verdient noch, dass es sich bei 
dem ersten der beiden um einen Patienten handelte, der bereits zwei 
Mal eine schwere croupöse Pneumonie durchgemacht hatte und auch 
diesmal schwerer erkrankt war als der zweite. 

III. Franz F., 17jähriger Lehrling. Vor l l / 4 Jahr, Anfang 1906, 
zum ersten Mal an schwerer Lungen- und Rippenfellentzündung erkrankt 
gewesen. Lag bereits vom 7. 2. bis 6. 3. 07 auf der Abtheilung wegen 
schwerer linksseitiger Unterlappenpneumonie, wo erst am 9. Tage Fieber¬ 
abfall eingetreten war. Wurde am 30. 5. 07 wegen croupöser Pneumonie 
des rechten Oberlappens wieder aufgenoramen. Am 2. 6. war der rechte 


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Ueber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 587 


Mittellappen und am 4. 6. auch der rechte Unterlappen befallen, am 
7. 6. Entfieberung, seitdem ständig fieberbrei. Nicht nur während der 
Fieberperiode, sondern auch nachher wurde bei dem Patienten täglich 
der Blutdruck gemessen, wobei in der Fieberperiode oft ein auffallend 
kleiner Pulsdruck constatirt werden konnte, der mit Besserung des Zu¬ 
standes durch Absinken von d wieder grösser wurde. 

Eine fortlaufende Messung am 23. 6. (Tafel VI, Curve 1) ergiebt 
Schwankungen des Blutdrucks, die namentlich von der zweiten Stunde 
der Messung an nur als sehr geringfügig zu bezeichnen sind. 

Nach Zuführung von iy 2 Liter Wasser am 25. 6. (Tafel VI, Curve 2) 
waren bis 1 Stunde nach beendigter Flüssigkeitsaufnahme keine nennens- 
werthen Blutdruckschwankungen aufgetreten, worauf für 2 Stunden die 
Messungen unterbrochen werden mussten, da Patient eingeschlafen war. 

Am 6. 7. (Tafel VI, Curve 3) bekam er iy 2 Liter einer 3proc. alko¬ 
holischen Himbeerwasserlimonade. Schon gegen Ende der Flüssigkeitszufuhr 
macht sich ein deutliches Absinken von s und Ansteigen von d, in Folge 
dessen Kleinerwerden von A und Q bemerkbar. Die Aenderungen der 
Werthe in demselben Sinne werden bei Ansteigen von P und auffallendem 
Kleinerwerden der Oscillationen am Manometer noch erheblicher, bis d 
schliesslich überhaupt nicht mehr messbar ist. 

Am 30. 7. also 3y 2 Woche später, gleichfalls l 1 / 2 Liter 3proc. alko¬ 
holischer Himbeerwasserlimonade (Tafel VI, Curve 4). Hier zeigte sich ein 
ganz anderes Verhalten. Bald nach beendeter Flüssigkeitszufuhr Absinken 
von A und Q in Folge Ansteigens von d bei Gleichbleiben von s; l / 2 bis 
1 Stunde später, trotz weiteren leichten Ansteigens von d, wieder Grösser¬ 
werden von A nicht ganz bis zum Ausgangswerth, in Folge beträchtlichen 
Ansteigens von s. P gleichfalls erhöht und Oscillationen grösser wie noch 
eben zuvor. Dann aber wieder ausgesprochenes Kleinerwerden von A 
in Folge jähen Absinkens von s und massigen Abfallens von d. Oscil¬ 
lationen am Manometer wieder kleiner wie Anfangs. 3 Stunden nach 
Flüssigkeitszufuhr sind 1800 ccm im Urin ausgeschieden. 

Im Gegensatz hierzu fallen am nächsten Tage, wo Patient nur 

l 1 /., Liter Wasser trinkt (Tafel VI, Curve 5), die Blutdruckschwankungen 
weniger in die Augen, vor allem hält sich s nach vorübergehender 
anfänglicher Steigerung über dem Ausgangswerth im Uebrigen etwa auf 
derselben Höhe, während d mässig bis auf 14 cm H 2 0 ansteigt, so dass 
A bis zu 14 cm H 2 0 unter den Ausgangswerth absinkt und zwar etwa 
1 Stunde nach beendigter Flüssigkeitszufuhr. P nicht so erheblichen 
Schwankungen unterworfen und Grösse der Oscillationen so gut wie 

unverändert. Diurese nicht so ausgiebig wie tags zuvor. 

IV. Gustav v. R., 24 Jahre, Arbeiter. Nie krank gewesen. Lag 

vom 11. 6. bis 31. 7. auf der Abtheilung wegen Erysipel. Erkrankt 

am 9. 6.; bis 20. 6. Fieber bis 40°, vom 21. 6. ab fieberfrei. 

Die fortlaufende Messung am 26. 6. (Tafel VII, Curve 1) lässt im Ver¬ 
halten von s und d sowie A und Q nur geringfügige Schwankungen erkennen. 

Tags darauf, wo Patient l l / 2 Liter Wasser trinken musste (Tafel VII, 
Curve 2), ebenso unbeträchtliche Schwankungen der Blutdruckwerthe. 
Denn die während der Flüssigkeitsaufnahme bemerkbare ziemlich erheb- 


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588 


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liehe Steigerung von s bei wenig verändertem d und in Folge dessen 
Grösserwerden von A und Q sind wohl nicht als Ausdruck einer 
Beeinflussung des Blutdrucks durch die Flüssigkeitszufuhr als solche 
aufzufassen, vielmehr durch eine andere Ursache bedingt, vielleicht theil- 
weise durch einen thermischen Reiz auf die Magenschleimhaut ausgelöst. 
Jedenfalls sind mir derartige immerhin beachtenswerthe Steigerungen 
namentlich des systolischen Druckes bald nach Beginn oder im Verlaufe 
der Flüssigkeitsaufnahme, wo kaum schon ein Theil zur Resorption 
gelangt sein konnte, verschiedentlich begegnet, die bei Wiederholung des 
Versuches, oder, wenn statt des kalten Wassers lauwarmer Thee gereicht 
wurde, geringfügiger ausfielen, was z. B. bei der folgenden Versuchs¬ 
person mit grosser Deutlichkeit zu ersehen ist. 

Erhält Patient statt der l l / 2 Liter Wasser iy 2 Liter einer 6proc. 
alkoholischen Himbeerwasserlimonade (Tafel VII, Curve 3), so sind sehr 
starke Schwankungen in s, d, A, Q und P zu bemerken, nicht wie bei 
den früheren Versuchen im Sinne eines anfänglichen Ansteigens und 
darauf folgenden Absinkens hauptsächlich der Werthe von s und A, 
sondern ohne irgend welche Gesetzmässigkeit. 

Bei Wiederholung desselben Versuches am 30. 7. (Tafel VII, Curve 4) 
sind die Schwankungen weit geringer und noch am deutlichsten für s 
und A im Sinne eines allmählichen Absinkens ausgeprägt. 

V. Heinrich Schw., 54 Jahre, Maurer. Arteriosclerose. Täglich 
V,— 3 / 4 Liter Schnaps zugegeben. Hat schon mehrfach auf der Abtheilung 
gelegen, einmal wegen acuten Rauschzustandes; wies bei zahlreichen 
Messungen grosse Schwankungen und Inconstanz der Blutdruck werthe 
auf, was deswegen hervorgehoben zu werden verdient, damit die z. B. 
unter Einfluss von Alkohol sich geltend machenden Blutdruckänderungen 
auch von diesem Gesichtspunkte aus bewerthet werden können. 
Für diesen Fall sind die Curven von 2 fortlaufenden Messungen an¬ 
gegeben. 

Auf Tafel VII, Curve 1, Schwankungen von s um 30, von d um 24 cm 
H 2 0, auf Tafel VII, Curve 2 von s um 22 und d um 14 cm H 2 0. Im 
Allgemeinen sind aber die Schwankungen von s und d gleichsinnig, so 
dass A und Q keine so grosse Excursionsbreite aufweisen. 

Am 22.7. trank Patient nüchtern l 1 /«» Liter Wasser (Tafel VII, Curve 3). 
Während der Flüssigkeitsaufnahme und noch x / 2 Stunde nachher Ansteigen 
von s um 40 cm H 2 0, während d nur um 20 cm H 2 0 ansteigt, dem¬ 
entsprechend A zu dieser Zeit um über 20 cm H 2 0 erhöht. Eine Stunde 
nach beendeter Flüssigkeitszufuhr s wieder zum Ausgangswerth gefallen, 
d noch leicht erhöht. Von da ab Blutdruckwerthe innerhalb derselben 
Schwankungen, wie an den Tagen zuvor, nur dass hier gegen Mittag zu 
der Druck höher war wie am frühen Morgen, an den Trinktagen dagegen 
eine deutliche Tendenz zum Fallen erkennen liess. Hier finden sich also 
ausgenommen die vorübergehenden Blutdruckänderungen während und 
bald nach beendigter Flüssigkeitsaufnahme keine charakteristischen 
Schwankungen. 

Am nächsten Tage (Taf. VII, Curve 4) erhielt Patient l l / t Liter 
warmen Thee. Bis auf eine flüchtige Steigerung von s und d gegen 


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lieber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 589 


Ende der Flüssigkeitszufuhr keine gröberen Schwankungen der Blut- 
druckwerthe. 

Auf Curve 5 und 6 (Taf. VII) sind die durch \ l f 2 Liter einer 3proc. 
resp. 6proc. alkoholischen Himbeerwasserlimonade verursachten Blutdruck* 
Änderungen dargestellt. Beide Curven ohne wesentliche Unterschiede. 
Charakteristisch ist hier das ständige Absinken von s und d nach vorüber¬ 
gehender anfänglicher Steigerung im Vergleich zu dem schon erwähnten 
Ansteigen von s im Laufe der Messung auf Curve 1 und 2 (Taf. VII). 
Immerhin ist die Alkoholwirkung nicht so offenkundig, wie in anderen 
Versuchen. Der Patient ist offenbar auch sehr an Alkohol gewöhnt. 
Auffallend ist dagegen an den Alkoholtagen eine die an den Wasser¬ 
tagen bei weitem übertreffende Flüssigkeitsausscheidung. 

VI. Friedrich W., 63 Jahre, Brauereibesitzer. Chron. Nephritis, 
seit 3 / 4 Jahren Albumen im Urin festgestellt. Seit l x / 4 Jahren kurz- 
athmig und Anfälle von schwerer Athemnoth. Herz erheblich ver- 
grössert. Erhöhter Blutdruck. Angeblich stets massig im Alkohol gewesen. 

Auf Tafel VII, Curve 1, ist das Verhalten des Blutdruckes nach 
Trinken von \ l j 2 Liter Wasser graphisch registrirt, auf Tafel VII, Curve 2, 
nach Genuss einer gleich grossen alkoholischen Flüssigkeitsmengc. 
Wesentliche Unterschiede lassen sich nicht herausfinden. 

VII. Franz B., 62 Jahre, Arbeiter. Kam am 12. 2. 1907 wegen 
schwerer Herzinsufficienz in Folge hochgradigen Emphysems auf Station. 
Gleichzeitig schwere Arteriosklerose. Seit April leidliches Wohlbefinden. 

Am 26. 6. (Tafel VII, Curve 1) trinkt Patient l 1 /, Liter Wasser. 
Dabei kommt es zu anfänglicher Steigerung von s um über 40 cm H 2 Ü 
gerade am Ende der Flüssigkeitsaufnahme. Auch d ist angestiegen, 
ebenso A. Etwa 1 — l l / 2 Stunde später bewegen sich die Werthe mit 
Ausnahme einer geringfügigen Erhebung von d ungefähr in derselben 
Höhe wie vor Beginn des Versuches, also abgesehen von der anfäng¬ 
lichen Drucksteigerung keine augenfällige Beeinflussung der Blutdruck- 
werthe. 

Nachdem Patient l l / 2 Liter einer 3 proc. alkoholischen Himbeer¬ 
wasserlimonade getrunken hat (Taf. VII, Curve 2), eine anfängliche, nicht 
so bedeutende, aber länger andauernde Steigerung von s. 

Dagegen ganz anders nimmt sich die Curve 3, Taf. VII, aus nach 
Genuss von i 1 /*, Liter einer 6 proc. alkoholischen Himbeerwasserlimonade. 
Hier ist es zu keiner Drucksteigerung gekommen, vielmehr bei nur wenig 
schwankendem d zu einem continuirlichen Absinken von s um 36 cm H 2 0. 
Infolgedessen fällt auch A um über 30 cm H 2 0 unter den Ausgangs¬ 
werth, während z. B. in Taf. VII, Curve 1, überhaupt kein und in Taf. VII, 
Curve 2, nur ein geringes (10 cm H 2 0) Abfallen unter den Ausgangs¬ 
werth zu constatiren gewesen war. 1—2 Stunden nach beendeter 
Flüssigkeitsaufnahme sind die angedeuteten Aenderungen am stärksten 
ausgesprochen. 

VIII. Philipp S., 47 Jahre, Kaufmann. Potator. Erlitt vor 1 Jahr 
zum ersten Male, vor 4 Wochen zum zweiten Male je einen leichten 
Schlaganfall. Hoher Blutdruck, Anfangs über 300 cm H 2 0. Im Urin 
Spuren von Albumen und Cvlinder. Am 10. 1. Aufnahme, am 15. 1. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 


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wieder unbedeutender Schlaganfall, am 12. 2. Entlassung und Anfang 
April in Folge eines erneuten Schlaganfalles ad exitum gelangt. 

Ueber Tafel VIII, Curve 1 — fortlaufende Messung — ist nicht viel 
zu sagen. 

Curve 2 und 3, Tafel VIII, giebt die Blutdruckschwankungen wieder, 
nachdem Patient je \ l j 2 Liter Wasser zu sich genommen hatte. Ein 
nennenswerther Unterschied ist nur im Verhalten von A zu finden, 
welches bei dem letzten Wasser versuch grössere Schwankungen aufweist 
wie bei dem ersten. Dass in beiden Fällen eine weit geringere Diurese 
zu verzeichnen ist wie sonst, will ich nur erwähnen, aber an dieser 
Stelle die Ursache hierfür keiner Besprechung unterziehen. 

Die Alkoholwirkung auf den Blutdruck ist in einem zwischen beiden 
Wasserversuchen angestellten Alkohol versuch — \ l / 2 Liter einer 3proc. 
alkoholischen Himbeerwasserlimonade — auf Tafel VIII, Curve 4, graphisch 
dargestellt. Hier sind deutlich ziemlich beträchtliche Schwankungen von 
s bei geringfügigem Abfallen von d zu erkennen, weiterhin auch vorüber¬ 
gehende Steigerung von A um über 20 cm H 2 0 über den Ausgangswerth 
hinaus, Steigerung von P von 68 bis 84, Grösserwerden der Oscillationen 
und endlich eine bei weitem ausgiebigere Flüssigkeitsausscheidung, wie bei 
der Verabreichung der gleichen Menge Wassers. 

Im Folgenden will ich in aller Kürze einige weitere Messungsergeb¬ 
nisse erwähnen, aber auf die Wiedergabe der Curven, sowie auf Be¬ 
sprechung der Blutdruckverhältnisse bei fortlaufenden Messungen und 
nach Trinken von Wasser verzichten. 

IX. Wilhelm B., 39 Jahre, Kaufmann. Chronische Nephritis mit 
geringen Eiweissmengen ohne erhebliche ßlutdrucksteigerung. 180 (110) cm 
H 2 0. Geniest täglich nur mässigc Alkoholmengen, starker Raucher. Unter 
Einfluss von l l / 2 Liter einer 3proc. alkoholischen Himbeerwasserlimonade 
Anfangs Sinken von d bis um 20 cm H 2 0, später auch von s gleichfalls 
bis um 20 cm H 2 0, also vorübergehende Vergrösserung von A. Steigerung 
der Pulsfrequenz von 52 auf 72. 

X. Adalbert H., 50y 2 Jahre, ohne Beschwerden und ohne krank¬ 
haften Befund. Sehr mässig im Alkohol. P /2 Liter einer 3proc. alko¬ 
holischen Himbeerwasserlimonade ruft fast gleichmässige Schwankungen 
von s und d um 22 cm H 2 0 hervor, und zwar Anfangs, während der 
Flüssigkeitsaufnahme, Steigen über den Ausgangswerth, dann bis 1 Stunde 
später Fallen auf den Ausgangswerth, von da ab wieder Steigen um 20 cm 
über den Ausgangswerth, so dass A nur vorübergehend um 16 cm H 2 0 
schwankt, meist etwas über den Ausgangswerth erhöht. P 64—74. 

XI. Heinrich K., 70 Jahre, Arbeiter. Arteriosklerose. Blutdruck 
160 (96) cm HoO. Mässiger Potator. Selbst durch P/o Liter einer 6proe. 
alkoholischen Himbeerwasserlimonade keine hochgradigen Blutdruck¬ 
schwankungen. Absinken von s um etwa 20 cm bei fast unverändertem 
d bezw. Absinken desselben um 8 cm, also Verkleinerung von A. An 
zwei verschiedenen Versuchstagen ein fast übereinstimmendes Ergebniss. 
P steigt von 60 auf 72. 

XII. Konrad E., 50 Jahre, Maschinenmeister. Chronische Nephritis 
mit geringen Mengen Eiweiss und erhöhtem Blutdruck 270 (164) cm 1I 2 0. 


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Heber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 591 


Aufnahme wegen Hemiplegia sinistra. Während Aufnahme von IV 2 Liter 
einer 6proc. alkoholischen Himbeerwasserlimonade vorübergehende Steige¬ 
rung, dann deutliches Absinken von s und Ansteigen von d, am aus¬ 
gesprochensten 1— V/ 2 Stunden nach Aufnahme der Flüssigkeit, so dass 
zu dieser Zeit A um über 30 cm H 2 0 gefallen ist. Gleichzeitig Steigerung 
von P von 60 auf 84. 

XIII. Paul M., 47 Jahre, Maschinist. Aneurysma und lnsufficienz 
der Aorta. Seit Juni 1906 krank. Die Wirkung von IV 2 Liter einer 
6proc. alkoholischen Hirabeerwasserlimonade ist folgende: Nach anfäng¬ 
licher Steigerung von s um 20 cm H 2 0 während der Flüssigkeitsaufnahme 
Absinken von s l 1 / 2 Stunden nach beendeter Flüssigkeitsaufnahme um 
40 cm HoO unter den Ausgangswerth, d sinkt weniger tief ab, 10 bis 
20 cm H 2 0. A schwankt zwischen 142 und 86 cm H 2 0. P unwesent¬ 
lich verändert. 

XIV. Adolf B., 58 Jahre, Arbeiter. Arteriosklerose. Starker Pfeifen¬ 
raucher. Potus in nicht glaubhafter Weise negirt. Hier lässt das Trinken 
von P/o Liter einer 6 proc. alkoholischen Himbeerwasserlimonade fast die 
gleichen Wirkungen erkennen, wie bei der vorherigen Versuchsperson. 
Während und am Schluss der Flüssigkeitsaufnahme vorübergehende Steige¬ 
rung von s um über 20 cm H 2 0 und von d um über 10 cm H 2 0, darauf 
wieder Abfallen hauptsächlich von s. 2 Stunden nach beendeter Flüssig¬ 
keitszufuhr s um über 20 cm H 2 0 unter den Ausgangswerth, d wieder 
bis auf den Ausgangswerth gesunken, s sinkt noch weiter. 

XV. Kaspar Sch., 50 Jahre, Ober-Eisenbahn-Assistent. Wegen 
eines Ohnmachtsanfalles (Epilepsie) auf die Abtheilung aufgenomraen 
ohne nachweisbaren krankhaften Organbefund. Gegen Ende und un¬ 
mittelbar nach Aufnahme von l 1 / 2 Liter einer 6 proc. alkoholischen 
Hirabeerwasserlimonade massige Steigerung von s und Absinken von d, so 
dass A etwas vergrössert ist. Bereits 1 Stunde später dieselben Werthe 
wie Anfangs und nachher noch geringfügige Schwankungen unter die 
Ausgangs werthe herunter. 

Es kann nicht meine Absicht sein, auf die immerhin ziemlich um¬ 
fangreiche Literatur über Alkohol näher einzugehen. Eine zusaramen- 
fassende Uebersicht findet sich zudem in den Arbeiten von Kochmann 
und Bachem, deren experimentelle Untersuchungsergebnisse ich einer 
kurzen Besprechung unterziehen will, um die Anschauung dieser Autoren 
über die Wirkungsweise des Alkohols zu kennzeichnen und dann mit 
meinen Versuchsresultaten zu vergleichen. 

Kochmann untersuchte zunächst die Wirkung des Alkohols auf das Warm- 
blüterherz; dann aber auch bestimmte er mit dem Gaertner’schen Tonometer den 
systolischen Blutdruck beim Menschen unter Einfluss von Alkohol. Er fand, dass bei 
dem nach der Bock’schen Methode isolirten Herzen eine eben bemerkbare Schädigung 
desselben bei 0,8pCt. Alkoholgehalt des Blutes zu constatiren sei und dass die minimal- 
tödtliche Dosis einem Alkoholgehalt des Blutes von 4 pCt. entspreche. Für das nach 
der Langendorf’schen Methode untersuchte Herz betragen die Zahlen 0,4 und 2 pCt. 
Eine efreitirende Wirkung auf das Herz konnte niemals nachgewiesen werden, sondern 
immer nur eine schädigende, die einfach in einer Einschränkung der Horzthätigkeit 

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bestand. „Das Herz erschlaffte vielleicht in der Diastole etwas weniger stark als 
vorher und besonders die Systole wurde in ihrer Ausgiebigkeit kleiner, je nach der 
Höhe der Concentration an Alkohol mehr oder weniger“. Pulsfrequenz verlangsamt. 
Die Schädigung des Herzens war eine flüchtige, weil „der Alkohol zu der Muskel¬ 
substanz nur in eine lockere, sehr wenig stabile Beziehung tritt, ohne eigentliche 
Alteration des Muskelgewebes zu verursachen' 4 und weil nach seinen Versuchen „der 
Alkohol schon nach 3 Minuten zum grössten Theil aus dem Blute geschwunden ist“. 
Etwa l / 2 Minute nach intravenöser Einverleibung dos Alkohols liess sich eine Blut¬ 
drucksenkung beobachten, die nach einer weiteren halben Minute einer etwa 2 Minuten 
dauernden Blutdrucksteigerung Platz gemacht hatte. Bei den Versuchen am Menschen, 
wo nur bis 1 Stunde nach beendeter Flüssigkeitseinfuhr in Abständen von 5 Minuten 
fortlaufend gemessen wurde, zeigte sich eine deutliche Steigerung, am ausge¬ 
sprochensten 1 / 2 Stunde nach Genuss von 50- 80 ccm 10 proc. Alkohols, also sehr 
geringer Mengen. Den Angriffspunkt für die Wirkung des Alkohols verlegt Koch mann 
„auf ein Gebiet zwischen Rückenmark und periphere Gelasse“, das „höchstwahrschein¬ 
lich der Herrschaft des weit verzweigten sympathischen Geflechts des Abdomens mit 
seinen zahlreichen Ganglienzellen und Ganglienzellhaufen untersteht“. Denn nach 
Ausschaltung von Gehirn und Rückenmark wurde eine höhere Steigerung beobachtet 
und nach Unterbindung der Aorta descendens nach dem Abgang der Arteria subclavia 
niemals eine Steigerung sondern immer nur eine Senkung. Blutdrucksenkung und 
Pulsverlangsamung liess sich nicht, im Gegensatz zu Hascovec, durch Vagusreizung 
erklären, da kein Unterschied bei erhaltenem und ausgeschaltetem Vagustonus gefunden 
wurde. Durch Steigerung des Blutdruckes kann „indirect das Herz in Folge besserer 
Durchblutung des Coronargefasssystems zu grösserer Thätigkeit angeregt werden“. 

Im Gegensatz zu den Versuchsergebnissen Kochmann’s fand Bachem in 
3 von 7 Fällen in Uebereinstimmung mit Loeb nach sehr kleinen Gaben 0,2—0,25 ccm 
20 proc. Alkohol (gegen 2 ccm 10 proc. bis 9 ccm 20 proc. Alkohol bei Koch mann) 
„eine deutliche Verbesserung der Herzthätigkeit mit Blutdrucksteigerung“. Letztere 
fiel bei dem künstlich durch weinsaures Kupferoxyd-Natrium oder Phosphoröl oder 
Chloralhydrat geschwächten Herzen etwas geringer aus. „Das geschwächte Herz 
reagirt also nur 2 / 3 so stark auf Alkohol wie das gesunde“. Durch Blutdruckmessungen 
an sich selbst nach Genuss alkoholischer Getränke, die an absolutem Alkohol nie mehr 
wie 20—25 ccm, gewöhnlich sogar nur 10—15 ccm enthielten, stellte er Blutdruck¬ 
steigerungen fest am ausgesprochensten 1 / 2 Stunde nach Einnahme der Flüssigkeit. 
„Als Ursache der Bludrucksteigerung muss in erster Linie vermehrte und verstärkte 
Herzthätigkeit gelten“. Bachem widerspricht weiter auf Grund von Versuchen am 
Thier der Behauptung Kochmann’s, dass die Blutdrucksteigerung unabhängig vom 
Contralnervensystem zu Stande kommt, indem er nach Ausschaltung des Vasomotoren¬ 
centrums dje Blutdrucksteigerung geringer als sonst ausfallen sah, während Koch- 
mann das umgekehrte Verhalten festgestellt hatte. Auch die vorzugsweise Beein¬ 
flussung des Splanchnicusgefässgebietes durch den Alkohol leugnet Bachem, da er 
nach Unterbindung der Aorta descendens in der Brusthöhle die gleiche Blutdruck¬ 
steigerung erhielt wie in den Normalversuchen. 

So weit die Ansichten der genannten Autoren, welche die oft ent¬ 
gegengesetzten Anschauungen und noch bestehende Meinungsverschieden¬ 
heiten über die Wirkungsweise des Alkohols getreulich genug wieder¬ 
spiegeln. Was indes die Beweiskraft der Unterbindung der Aorta des¬ 
cendens für oder gegen die erwähnte vorzugsweise Beeinflussung des 
Splanchnicusgefässgebietes durch Alkohol anlangt, so möchte ich darauf 
hinweisen, dass die Abklemmung eines so grossen Gefässgebietes die 
Circulation schwer schädigt und an und für sich ebenso wohl eine er- 


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Ueber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 593 


hebliche Blutdrucksteigerung als bei insufficientcn Herzen eine beträcht¬ 
liche Blutdrucksenkung hervorrufen kann. Diese Thatsache ist durch die 
Arbeiten von Hcnsen, Katzenstein u. a. hinreichend bekannt und 
lässt es in hohem Grade bedenklich erscheinen, den Kreislauf so erheblich 
zu reduciren. 

Auf Grund meiner Versuche, welche zunächst hauptsächlich von 
dem Gesichtspunkte aus angestellt wurden, wie die im täglichen 
Leben häufig genossenen Alkoholmengen auf den Blutdruck Gesunder 
und Kranker einwirkten, liess sich in vielen Fällen ein durchaus 
charakteristisches Verhalten desselben erkennen. Wie schon hervor¬ 
gehoben, ist zunächst die Zufuhr von iy 2 Liter Wasser auf nüchternen 
xMagen nicht ganz gleichgültig für das Verhalten des Blutdruckes. 
Es kommt nämlich öfters zu einer zuweilen ziemlich beträchtlichen 
Steigerung hauptsächlich des systolischen Druckes noch während der 
Flüssigkeitsaufnahme, andere irgendwie erhebliche etwa später ein¬ 
setzende Schwankungen des Blutdruckes werden dagegen vermisst. Ob 
diese Blutdrucksteigerung nur durch stärkere Füllung des Gefässsystems 
oder durch andere Momente veranlasst wird, ist nicht so leicht zu er¬ 
klären. Möglich, dass die nicht immer gerade als angenehm empfundene 
Belastung des nüchternen Magens mit iy 2 Liter Wasser ein Gefühl des Un¬ 
behagens auslöst und dieses die blutdrucksteigernde Ursache abgiebt, oder 
dass das etwa alle 5 Minuten erfolgende Leeren eines Glases kalten 
Wassers einen indirecten oder Üirecten thermischen Reiz auf die Unter- 
leibsgefässe auszuüben im Stande ist, der eine Gefässcontraction und in Folge 
dessen Blutdrucksteigerung bedingte. Thatsache bleibt, dass Blutdrucksteige¬ 
rung in vielen Fällen beobachtet wird, aber seltener dann, wenn die auf 
nüchternen Magen verabreichten iy 2 Liter eine schwache alkoholische 
Lösung darstellen und dass sie auch dann noch, allerdings geringfügiger auf- 
tritt, wenn, wie in V, statt des kalten Wassers lauwarmer Thee gegeben wird. 

Was die GesammtWirkung von l l / 2 1 einer 3 proc. resp. 6 proc. 
alcoholischen Lösung anbelangt, so habe ich in meinen Versuchen 
ein anfängliches nennenswerthes Steigen des systolischen Druckes, das 
Kochmann und Bachem bei ihren freilich geringeren Alkoholgaben 
am ausgesprochensten y 2 Stunde nach Einnahme der Flüssigkeit auftreten 
sahen, nur selten beobachten können. Allerdings nimmt in meinen Ver¬ 
suchen das Trinken der Flüssigkeit allein eine volle Stunde Zeit in An¬ 
spruch. Ich eonstatirte mit Ausnahme der Fälle, wo überhaupt kein 
deutlicher Einfluss (V, VI, XV) oder lediglich ganz regellose, aber deut¬ 
lich ausgesprochene Schwankungen (IV, VIII, X) zu verzeichnen waren, 
oder wo die Wirkung wegen zeitweilig herabgesetzter Widerstandsfähigkeit des 
Organismus eine zu intensive war (111) folgendes charakteristisches 
Verhalten, in I. und II. am deutlichsten zu Tage tretend. Gegen 
Ende der Flüssigkeitszufuhr, nachdem also schon theilweise Resorption 
cingetreten ist und unmittelbar nachher war eine auffallende Ver- 
grösserung der Amplitude gewöhnlich durch Sinken des diastolischen 
Druckes bei gleichbleibendem oder nur wenig ansteigendem systolischen 
Druck zu constatiren. Zur selben Zeit wurden am Tonometer die 
Os eil lationen grösser wie vor Beginn des Versuches. Der Puls 


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fühlte sich ausserordentlich voll und kräftig an. Dieses Stadium 
dauerte meist nur 1 / 2 — s / 4 Stunde. Dann machte sich eine deut¬ 
liche Verkleinerung der Amplitude bemerkbar, meist in Folge 
continuirlichen Absinkens des systolischen Druckes bei un¬ 
verändertem oder nur wenig ansteigendem diastolischen Druck. Die 
Oscillationen am Tonometer fielen jetzt kleiner aus, oft sogar be¬ 
deutend kleiner wie zu Beginn des Versuches. Der Puls fühlte sich 
weniger voll und weniger kräftig an, die Frequenz war meist 
(allerdings durchaus nicht immer wie z. B. im Versuch 7, 8, 9 sub II.) 
um 20 und mehr Schläge in der Minute gestiegen. Dieses II. Stadium 
hatte etwa 1 — 1 1 / 2 Stunde nach beendeter Flüssigkeitszufuhr 
seinen Höhepunkt erreicht. 1 / 2 — 1 Stunde später war für gewöhn¬ 
lich die Wirkung abgeklungen oder begann wenigstens deutlich ab¬ 
zuklingen. Hinzufügen will ich noch, dass die Diurese nach Genuss 
der 3 proc. oder 6 proc. alkoholischen Flüssigkeit stets eine reichlichere 
war, wie nach derselben Menge reinen Wassers. 

Das eben erwähnte I. Stadium, die Vergrösserung der Ampli¬ 
tude, fehlte zuweilen, war bezw. nicht nachweisbar, wenn statt 
3 proc. eine 6 proc. alkoholische Flüssigkeit zu trinken gegeben war wie 
in VII, oder wenn der Alkohol in concentrirter Form und 
grösserer Menge verabreicht wurde wie in I und II nach Genuss 
von 150 resp. 250 ccm 36 proc. Cognac, 40 proc. Schnaps oder 45 proc. 
reinen Aethylalkohol. Hier kam es von vornherein zu einem ziem¬ 
lich beträchtlichen Absinken des systolischen Druckes bei gleichzeitigem, 
aber nicht so erheblichen Abfallen des diastolischen Druckes, sodass die 
Amplitude mehr oder weniger verkleinert wurde, (in II sehr 
deutlich ausgesprochen, bei I nicht so deutlich). Reiner Aethylalkohol 
wirkte selbst in stärkerer Concentration (45proc.) noch nicht so intensiv wie 
Cognac oder Schnaps in schwächerer Concentration (36 proc. resp. 40 proc.). 

Von grossem Interesse scheinen mir, worauf ich an Ort und Stelle 
schon hingewiesen habe, die in Fall III angestelltcn Versuche zu sein. 
Bei acuter Schädigung des Kreislaufes war die Wirkung eine weit 
wuchtigere, sodass die Amplitude auffallend klein wurde und schliesslich 
nicht mehr zu messen war. Interessant ist hierbei auch die weiter ge¬ 
machte Beobachtung, dass einige Wochen später, also bei vorgeschrittener 
Reconvalescenz, dasselbe 3 proc. alkoholische Getränk sich merklich 
milder in seiner Wirkung erwies. 

In einigen anderen Fällen (IV, VIII. X) documentirt sich die Wirkung 
des Alkohols auf den Blutdruck lediglich dadurch, dass derselbe ständigen 
regellosen Schwankungen unterworfen ist, bald im Sinne einer Ver¬ 
grösserung, bald im Sinne einer Verkleinerung der Amplitude. 

Weiterhin wären auch noch Fälle zu erwähnen, wo keine deutliche 
(XV) oder nur geringfügige (V, VIII) Blutdruckschwankungen gefunden 
werden konnten. In den beiden letzteren Fällen lag wohl eine Gewöhnung 
an ziemlich hohe Alkoholdosen vor, und es ist anzunehraen, dass die 
Gewöhnung die Giftwirkung abschwächt. Um aber bei dem Herzgesunden 
(XV), der keineswegs an Alkohol gewöhnt war, das Ausbleiben irgend 
welcher nennenswerther Blutdruckänderungen selbst nach Verabreichung 


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Ueber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 595 


einer 6proc. alkoholischen Flüssigkeitsmenge zu verstehen, kann man sich 
wohl nur vorstellen, dass entweder einzelne Individuen wenig oder gar nicht 
empfänglich gegen Alkohol sind, oder aber, dass nicht alle Circulations- 
änderungen unbedingt sicher durch die Blutdruckmessung erkannt 
werden können. Diese letzte Annahme scheint mir deswegen vereinzelt 
in diesem oder jenem Falle zuzutreffen, weil es mir vorgekommen 
ist, dass ich bei bezw. trotz deutlich erkennbarer peripherer Gefäss- 
dilatation (bald nach Genuss alkoholischer Getränke) keine vergrösserte 
Amplitude finden konnte. Es bleibt daher die Möglichkeit offen, dass 
der Alkohol selbst in den Fällen, wo Blutdruckänderungen nicht festzu¬ 
stellen sind, wenigstens Circulationsänderungen in der Peripherie ver¬ 
ursacht, die natürlich auch nicht ohne Belang zu sein brauchen. 

Die Frage, ob die Pulsfrequenz durch den Alkohol alterirt wird, 
oder nicht, lässt sich nach meinen Versuchen nicht ganz eindeutig be¬ 
antworten. Wenigstens blieb bei der Versuchsperson II gerade nach 
Genuss höherer Alkoholdosen trotz ausgesprochenster Blutdruckänderung 
(kleine Amplitude in Folge erheblichen Absinkens des systolischen 
Druckes) die Pulsfrequenz so gut wie unbeeinflusst. Das ändert natür¬ 
lich nichts an der Thatsache, dass in der weitaus überwiegenden Mehr¬ 
zahl der Fälle ein mehr oder weniger bedeutendes Ansteigen derselben 
zu beobachten ist. Ob nun die in Schmiedeberg’s Pharmakologie 
ausgesprochene Ansicht, dass eine Zunahme der Pulsfrequenz nicht von 
der Alkoholwirkung abhängig sei, zutrifft oder nicht, lasse ich dahin¬ 
gestellt. Dass sie nur „die Folge des lebhaften Gebahrens sei und nach 
den zuerst von Zimmerberg unter Ausschluss aller störenden Umstände 
ausgeführten Unsersuchungen bei völliger Ruhe des Körpers ausbleibe“, 
kann ich insofern nicht bestätigen, als an meinen Versuchspersonen die 
Alkoholwirkung stets unter Ausschluss aller störenden Umstände ver¬ 
folgt werden konnte und trotzdem meist, wie schon gesagt, die Puls¬ 
frequenz erheblich anstieg. 

Der Versuch einer Deutung der Messungsresultate muss naturgemäss 
nach den vorausgeschickten Erörterungen auf grosse Schwierigkeiten 
stossen, und es gelingt vielleicht auch nur auf dem Umwege eines Ver¬ 
gleiches (der durch die Alkoholwirkung bedingten Blutdruckverhältnisse) mit 
(diesen sehr ähnlichen) unter anderen pathologischen Bedingungen zu Stande 
kommenden Blutdruckänderungen, wo wir die thatsächlichen Circulations- 
Vorgänge genauer überschauen, bezüglich der ersteren einige Beziehungen 
zwischen Wirkung und Ursache aufzufinden. Ich möchte daher zum Ver¬ 
gleich heranziehen das Verhalten des Gefässsystems im Verlaufe resp. im 
Gefolge von Infectionskrankheiten. Es ist durch die Arbeiten von Rom¬ 
berg und Pässler, Hasenfeld, Pässler und Rolly, Wiesner, 
Wiesel u. a. bekannt, dass durch eine Infektion mehr das Gefässsystem 
wie das Herz geschädigt wird, und dass der Tod bei Infectionskrank¬ 
heiten in Folge von Gefässschwäche eintritt. Das Blut sammelt sich 
dann im Gefässgebiet des Splanchnicus an, in den anderen Körper- 
gefässen circulirt nur wenig Blut, sodass es gewissermaassen zur Ver¬ 
blutung in die Bauchgefässe hinein kommen kann. Blutdruckmessungen 


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bei derartigen bedrohlichen Zuständen ergeben nun stets eine kleine 
Amplitude und kleine Oscillationen. Auch bei schon in der Reconvales- 
cenz befindlichen derartigen Kranken lässt die Blutdruckmessung eine 
kleine Amplitude und kleine Oscillationen erkennen mit gleichzeitiger 
Steigerung der Pulsfrequenz, sobald sie aus dem Bett heraus eine auf¬ 
rechte Körperhaltung einnehmen, weil dann eben, worauf ich früher hin¬ 
gewiesen habe, und was auch R. von den Velden in seiner schon er¬ 
wähnten Arbeit hervorhebt, die Bauchgefässe noch nicht im Stande sind, 
die in Folge hydrostatischer Momente eintretende passive Erweiterung 
durch entsprechende Contraction ihrer Wandung auszugleichen. 

Die beiden Thatsachen, dass 1. bei Infectionskrankheiten in Folge 
von Circulationsschwäche oft eine Ueberfüllung des Splanchnicusgebietes 
vorhanden ist, dass 2. gerade bei derartigen bedrohlichen Zuständen die 
Blutdruckmessung eine kleine Amplitude ergiebt, entweder nur durch Ab¬ 
sinken von s, oder durch Ansteigen von d bei wenig oder garnicht ver¬ 
ändertem s, dürften wohl als feststehend angesehen werden. Aber dass 
auch sonst eine kleine Amplitude immer nur auf eine Ueberfüllung des 
Splanchnicusgebietes zurückzuführen sei, ist natürlich keineswegs anzu¬ 
nehmen. Darauf ist in den einleitenden Bemerkungen bereits hingewiesen 
worden. Demgemäss brauchte also die in einem bestimmten Stadium der 
Alkoholwirkung resultirende kleine Amplitude nicht unbedingt die Folge 
einer Ueberfüllung des Splanchnicusgebietes zu sein. Aber sie wird 
nicht anders als im Sinne einer geringeren Blutversorgung der Peripherie 
gedeutet werden können, schon deshalb, weil es ausgeschlossen ist, dass 
es unter dem Einfluss von Alkohol zu einer schweren Schädigung des 
Herzens mit consecutiver secundärer Kreislaufschwäche komme, ln ex¬ 
perimentellen Untersuchungen waren Herzschädigungen nur bei einem 
Gehalt des Blutes an Alkohol nachzuweisen, wie er nach Genuss der von 
mir verabreichten Dosen gar nicht erreicht wird. 

Indess zunächst sollte die Berücksichtigung dieser Analogien allein 
noch keine Grundlage für eine endgültige Anschauung über die Wirkungs¬ 
weise und den Angriffspunkt des Alkohols abgeben. Ich versuchte vielmehr 
noch auf anderem Wege an die Lösung dieser Frage heranzutreten und 
womöglich festzustellen, ob die Wirkung des Alkohols nicht eine 
ähnliche sei wie die eines anderen gefässerweiternden und blut¬ 
druckherabsetzenden Mittels, z. B. des Chloralhvdrats, d. h. ob sich 
der Blutdruck unter der Einwirkung von Chloral ähnlich verhalte, wie 
unter Einfluss von Alkohol. Weiterhin ermittelte ich, wie die peripheren 
Gefässe auf thermische Reize in der Norm, unter der Chloral-, und 
unter der Alkohol-Wirkung reagirten. Es ist durch v. Recklinghausen 
sowohl wie durch Klemperer bekannt, dass die Armgefässc durch 
Wärme und Kälte beeinflusst werden. Ersterer fand an den durch 
warme Einpackungen des Armes dilatirten Gefässen grosse, an den stark 
contrahirten Gefässen eines frierenden Menschen geringe pulsatorischc 
Schwankungen, letzterer an einer durch Eintauchen des Armes in kaltes 
Wasser in einen erhöhten Tonus versetzten Arterie eine grössere Am¬ 
plitude, als an der durch warmes Wasser erschlafften des anderen Armes. 

Diese Beobachtungen scheinen sich gewissermassen zu widersprechen, 


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lieber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 597 


und es besteht vielleicht keine Berechtigung, thermische Reize zur 
Prüfung der Anspruchsfähigkeit der Gefässe heranzuziehen. Aber der 
Widerspruch ist nur ein scheinbarer, ganz abgesehen davon, dass beide 
Beobachtungen überhaupt nicht direct miteinander vergleichbar sind. 
Denn unter den pulsatorischen Schwankungen, von den von Reckling¬ 
hausen spricht, sind nicht etwa Aenderungen der Amplitude, sondern 
lediglich des Pulsvolumens (Füllungszuwachses) zu verstehen. Eine 
Aenderung des Füllungszuwachses braucht nicht in jedem Falle durch 
eine Aenderung der Amplitude zum Ausdruck zu kommen, dann 
wenigstens nicht, wenn die Spannung des Gefässes (Minimaldruck) 
irgend wie verändert ist. Nach den Untersuchungen Strasburger’s 
und von Fürst und Soetbeer wird die Druckschwankung (Amplitude) 
nur bei gleich bleibendem Ausgangsdruck durch einen grösseren oder 
kleineren Füllungszuwachs vergrössert oder verkleinert, während bei 
sich änderndem Ausgangsdruck ein und derselbe Füllungszuwachs ganz 
verschiedene Druckschwankungen hervorruft, und zwar kleinere bei 
niedrigem, grössere bei höherem Ausgangsdruck. Es wäre also je nach 
dem Ueberwiegen des einen oder des anderen Factors auch der Fall 
denkbar, dass beispielsweise bei noch nicht sehr stark herabgesetzter 
Spannung der Arterienwand, aber sehr starker Pulsvolumenschwankung, 
thatsächlich eine grössere Amplitude zu verzeichnen ist, wie vor Ein¬ 
wirkung der Temperatur, und diese Möglichkeit kann sehr wohl be¬ 
stehen, wie wir bald sehen werden. 

Zur Prüfung der Anspruchsfähigkeit der Gefässe habe ich — das 
will ich gleich vorwegnehmen — Temperaturen von 41—42 °C. bzw. 
von 10° C. verwendet. Das Eintauchen des Armes in warmes Wasser, 
das allerdings nur um 5—6° die Körpertemperatur übertraf, führte zu 
einer kaum nennenswerthen Verkleinerung der Amplitude durch gering¬ 
fügiges Absinken von s und eventuell auch d, das Eintauchen in kaltes 
Wasser dagegen zu einer deutlicher ausgesprochenen Vergrösserung der 
Amplitude infolge eines ziemlich beträchtlichen Ansteigens von s und 
nur geringfügigen Ansteigens von d. Das Ansteigen von s erfolgte nicht 
plötzlich, sondern allmählich, s war also nicht unmittelbar nach Ein¬ 
tauchen in kaltes Wasser am höchsten, wie ausnahmsweise auf das einmal 
am Schluss der fortlaufenden Messung noch vorgenommene Eintauchen in 
kaltes Wasser hin, sondern nachdem der Arm bereits 2—3 Minuten der 
Einwirkung der kühlen Temperatur ausgesetzt war. Und gerade dieser 
Umstand spricht am deutlichsten dafür, dass die als Kältereaction ge¬ 
deutete Blutdruckänderung nicht, wie vielleicht in dem erwähnten Aus¬ 
nahmefall, psychischen Ursprungs ist. Denn Blutdrucksteigerung durch 
psychische Alterationen, oder beispielsweise durch Reizung der Nasen¬ 
schleimhaut vermittelst Ammoniak treten urplötzlich auf, um bald wieder 
abzuküngen. Die Einwirkungsdauer betrug immer nur 5 Minuten. Lasse 
ich aber wesentlich höhere Temperaturen längere Zeit (Wasser von 50° C. 
V 4 — l / 2 Stunde) einwirken, so verhält sich die Amplitude ganz anders, 
wie nachstehende Tabelle veranschaulicht. 

Was die in der Tabelle angeführten diastolischen Druckwerthe an- 
belangt, so ist in Betracht zu ziehen, dass der diastolische Druck viel- 


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Systolischer 

Blutdruck 

Diastolischer 

Blutdruck 

Amplitude 

cm H 2 0 

Ausgangsdruck (nach mehrfachen Messungen). . . 

148 

68 

80 

5 Min. nach Eintauchen des Armes in Wasser von 
42° C. 

140 

66 

74 

Nach 10 Min. langer Einwirkung des warmen Wassers 
(Wassertemperatur seit 5 Min. 44° C.) . . . . 

140 

62 

78 

Nach 15 Min. langer Einwirkung des warmen Wassers 
(Wassertemperatur seit 5 Min. 48° C.) . . . . 

154 

62 

92 

Nach 20 Min. langer Einwirkung des warmen Wassers 
(Wassertemperatur seit 5 Min. 50° C.) . . . . 

154 

56 

98 

Nach 25 Min langer Einwirkung des warmen W r assers 
(Wassertemperatur seit 10 Min. 50° C.) . . . . 

146 

52 

94 

Nach 30 Min. langer Einwirkung des warmen Wassers 
(Wassertemperatur seit 15 Min. 50° C.) . . . . 

142 

52 

90 


leicht etwas zu tief bestimmt ist. Die schon vor Beginn des Versuches 
den Arm fest umschliessende Manschette wird natürlich durch die 
unter Einfluss so beträchtlicher Temperaturen sich weiter ausdehnenden 
Weichtheile noch straffer angezogen. Die Oscillationen müssen daher 
ceteris paribus wegen Verkleinerung des Luftraumes der Manschette 
etwas grösser ausfallen, in Folge dessen der Punkt, an welchem der 
diastolische Druck angenommen wurde, nun tiefer zu liegen kommen. 
Aber selbst wenn diesem Umstande Rechnung getragen wird, ist die 
Vergrösserung der Amplitude noch offenkundig. Wir können also durch 
Eintauchen des Armes in warmes Wasser je nach der Einwirkungsdauer 
und Temperatur desselben das eine Mal eine Verkleinerung, das andere 
Mal eine Vergrösserung der Amplitude erzielen. Ganz ähnlich verhält es 
sich mit der Beeinflussung der Amplitude durch Kälte, die längere Zeit, 
mindestens 20—50 Min., ein wirken kann, was gleichfalls durch nach¬ 
folgende Tabelle zu ersehen ist. 




Systolischer 

Blutdruck 

Diastolischer 

Blutdruok 

Amplitude 

cm H 2 0 

Ausgangsdruck (nach mehrfachen Messungen). . . 

144 

66 

78 

5 Min. nach Eintauchen des Armes in Wasser von 
10° C. 

158 

72 

86 

Nach 10 Min. langer Einwirkung ' 

1 

156 

68 

8S 

V* 1 0 „ „ r | 

| 

162 

72 

90 

r 20 „ * „ 1 

i von W'asser, das 

146 

68 

78 

. 30 „ „ ( 

} stets auf 10—12° 

146 

72 

74 

- 40 „ 

| C. temperirt war 

146 

82 

64 

„ 50 „ . ] 

146 

82 

64 


Im Gegensatz zu der vorhergehenden Tabelle ist in dieser der 
diastolische Druck eher als etwas zu hoch bestimmt anzusehen. Durch 
die Kälte wird nämlich das Volumen des Armes verkleinert, die Man- 


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lieber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 599 


schette liegt in Folge dessen nicht mehr so gut an, wodurch sich der 
Manschettenluftrau in dementsprechend vergrössert. Die Oscillationen 
fallen daher kleiner aus und nehmen früher diejenige Excursionsbreite 
an, bei welcher der Punkt für den diastolischen Druck festgelegt wurde. 
Hier wäre also in Wirklichkeit für die Amplitude ein etwas höherer Werth 
in Rechnung zu stellen, was aber das Verhältniss der einzelnen Zahlen 
unter einander kaum beeinträchtigt. Und, worauf es ankommt, das 
deutliche Kleinerwerden der Amplitude, nachdem das kühle Armbad 
bereits */ 2 — 3 A Stunden gedauert hatte, ist in jedem Falle unverkennbar. 

Für die Verwerthbarkeit der Messungsresultale war es von ausserordentlicher 
Bedeutung, dass der Patient, bei welchem die vorstehenden Messungen ausgeführt 
wurden, diese in keiner Weise subjectiv irgend wie unangenehm empfand. Er vertrug 
das bereits 1 ständige Verweilen fast des ganzen linken Armes in kaltem Wasser von 
10° C. eben so gut, wie die warme Temperatur von 50° C. 

Ich gebe zu, dass dieser ganze Untersuchungsmodus auf besondere 
Feinheit keinen Anspruch erheben darf, immerhin hat er doch einige 
bemerkenswerthe Thatsachen zu Tage gefördert. 

Auf die von R. von den Velden und Bröking empfohlene 
Methode zur Functionsprüfung der Arterien wollte ich aus mehreren 
Gründen nicht zurückgreifen. Einmal hätte ich z. B. auf Grund mehr¬ 
fach an einem und demselben Individuum in den 4 verschiedenen 
Stellungen vorgenommener Messungen oft untereinander verschiedene 
Diagramme construiren können, so dass es mir im gegebenen Falle 
schwer geworden wäre, zu entscheiden, wo sicher von der Norm ab¬ 
weichende Verhältnisse vorliegen und wo nicht. Ausserdem habe ich 
mich davon überzeugen können, dass, wenn die Patienten von der 
Stellung D wieder in die Stellung A zurückgebracht wurden, garnicht 
so selten der Blutdruck erst nach 10 Minuten und später zum Ausgangs¬ 
druck zurückgekehrt war. Mit anderen Worten, durch eine derartige 
Functionsprüfung würde im Ganzen für etwa Y 2 Stunde die Beobachtung 
der unter Einfluss des Alkohols auftretenden Blutdruckschwankungen 
unterbrochen, wenn nicht überhaupt geradezu gestört worden sein. Denn 
irgend welche geringfügige Bewegungen während der ßeobachtungszeit, 
selbst nur das Verweilen ausser Bett, lassen, worüber ich mir durch 
diesbezügliche Messungen Gewissheit verschaffen konnte, keine so typischen 
Blutdruckschwankungen mehr zu Stande kommen, wie die Bettruhe. Dass 
fernerhin die für eine derartige Prüfung nothwendige verhältnissmässige lange 
Zeitdauer von l / 2 Stunde die Möglichkeit einer Wiederholung derselben inner¬ 
halb kürzerer Zeiträume weit mehr einschränkt, wie die nur wenige 
Minuten beanspruchende Prüfung der Reactionsfähigkeit der Gefässe ver¬ 
mittelst thermischer Reize, sei nur nebenbei bemerkt. 

Ausser der Reactionsfähigkeit bestimmte ich noch im Stadium der 
Alkohol- resp. Chloralwirkung die Pulsfrequenz in liegender Stellung (A) 
und nachher in aufrechter Haltung (D). Es kam mir nämlich darauf 
an, festzustellen, ob hier beim Lagewechsel gleichfalls eine so erhebliche 
Vermehrung der Pulsschläge zu constatiren sein würde, wie bei einer im 
Gefolge von Infectionskrankheiten auftretenden Circulationsschwächee. 

In den nun folgenden Curven ist der Zeitpunkt, wo der Uebergang 


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M. .lohn, 


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von A in D erfolgte, durch ein D unterhalb der Pulslinie vermerkt, 
während der Zeitpunkt des Eintauchens in kaltes oder warmes Wasser 

E E 

durch einen Pfeil mit darunterstehendem ^ oder w gekenn¬ 
zeichnet ist. Ich habe nun an den beiden Versuchspersonen Karl Sch. 
und Oscar M., die gerade wegen der geringen Schwankungen ihrer Blut¬ 
druck werthe bei fortlaufenden Messungen sehr geeignet erscheinen mussten, 
zahlreiche Messungen zur Prüfung der Einwirkung von 1 oder 2 g 
Chloralhydrat oder bestimmter Mengen Alkohol vorgenommen. Z. B. 
verfolgte ich wiederholt die Wirkung ein und derselben Dosis dieses 
oder jenes Mittels, habe allerdings der Raumersparniss halber immer nur 
eine Curve gebracht. 

Versuche. 

XVI. Karl Sch., 51 Jahre, Bergmann. Wegen linksseitiger Omalgie 
in Behandlung. Ohne irgendwelchen Organbefund. Täglich Vi 
Vs Eiter Schnaps. 

Bemerkenswerth auf Curve 1, Taf. VIII, ist einmal eine kaum 
nennenswerthe Aenderung von P bei D. Die Reaction auf Eintauchen 
in warmes Wasser besteht in einem Abfallen von s um 8 und d um 
4 cm HoO, also in einer Verkleinerung von A um 4 cm H 2 0, beim 
Eintauchen in kaltes Wasser in einem Ansteigen von s bis um 30, 
von d bis um 6 cm H 2 0, also Vergrößerung von A um 24 cm H 2 0. 
Hervorgehoben zu werden verdient der Umstand, dass gleichzeitig mit der 
Erhöhung des Gefässtonus durch den Kältereiz ein deutliches Grösser¬ 
werden der Oscillationen am Tonometer z. B. von 5 auf 6 Theilstriche 
zu constatiren war. 

Auf Curve 2 und 3, Taf. VIII, sind die nach Verabreichen von 
1 und 2 g Chloralhydrat erfolgten Blutdruckänderungen dargestellt. 1 g 
Chloralhydrat wirkt bereits ebenso wie 2 g, und zwar in diesem Falle 
ähnlich wie 150 ccm Branntwein in I oder 250 ccm in II, nur dass 
beim Chloral das an der Bracchialarterie zu beobachtende, mit Verklei¬ 
nerung von A einhergehende Absinken von s bei unverändertem d, 
etwa 8 / 4 Stunden nach Einnahme des Mittels am ausgesprochensten und 
V 2 — 3 / 4 Stunden später schon wieder abgeklungen war. P verändert 
sich nur wenig, ausser um 2 Uhr (V 2 Stunde nach dem Mittagessen). 
Gefässreactionen zur Zeit der ausgesprochensten Chloralwirkung ungefähr 
der Norm entsprechend, iy 2 Stunde später stärker ausgesprochen. 

Unter Einfluss von 400 ccm (40,4 pCt. Alkohol) Korn (Taf. VHI, 
Curve 4) — und zwar waren bei dieser absichtlich gross gewählten 
Dosis genau die gleichen, immerhin bemerkenswerthen Thatsachen 
festzulegen, wie bereits bei 200 und 300 ccm — wurden gegen Ende 
der Flüssigkeitsaufnahme, wo sich also die Alkoholwirkung noch nicht 
genügend stark etablirt hatte, etwa annähernd normale, vielleicht auch 
schon etwas geringfügiger ausfallende Gefässreactionen bemerkt, und was P 
beim Uebergehen in aufrechte Haltung (D) anlangt, keine nennenswerthe 
Aenderungen, trotzdem die Pulszahl im Vergleich zum Beginn der 
Messung schon erheblich angestiegen war. Zur Zeit der ausgesprochen¬ 
sten Alkoholwirkung fielen die thermischen Gefässreactionen aber merk* 


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lieber <lio Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. BOI 


lieh kleiner aus. s stieg z. B. das eine Mal nur um 18, das andere 
Mal sogar nur um 14 cm H 2 0 an. P wurde bei dem Lagewechscl um 
24 Schläge erhöht, ein Verhalten, wie cs den bei der Kreislaufschwäche 
beobachteten pathologischen Verhältnissen schon sehr nahe kommt. 

XVII. Oscar M., 41 Jahre, Arbeiter. Wegen rheumatischer Be¬ 
schwerden in Behandlung, ohne nachweisbare Organerkrankung. Vor 
10 Jahren rechtsseitige Hemiplegie, die sich aber vollständig zurück- 
gebildet hat. Lues negirt. Wassermann’sche Reaction negativ. Früher 
y 2 Liter Schnaps und etwa 3 Liter Bier pro die, seit dem Schlaganfall 
angeblich etwas weniger Alkohol. 

Zu Curve 1, Taf. VIII, auf welcher gelegentlich der fortlaufenden 
Messung die auf Eintauchen in kaltes und warmes Wasser hin erfol¬ 
genden Blutdruckschwankungen registrirt sind, ist weiter nichts zu be¬ 
merken, als dass letztere in diesem Falle weniger ausgiebig ausfallen, 
wie im vorigen. Die Anspruchsfähigkeit des Gefässsystems bezw. der 
einzelnen Gefässe auf thermische Reize bewegt sich offenbar in engeren 
Grenzen. Aus diesem Grunde ist der durch die Blutdruckmessung er¬ 
kennbare Effect von 2 g Chloralhydrat (Taf. VIII, Curve 2) wohl auch 
nicht so ausgesprochen, wie bei der vorhergehenden Versuchsperson, 
zumal nicht die bei der ersten Messung erhaltenen Werthe als Aus- 
gangswerthe gelten können, sondern die bei der zweiten oder dritten 
kurz vor Verabreichung der 2 g Chloralhydrat festgestellten, s weist 
nur geringfügiges Absinken, d ein ebenso geringfügiges Ansteigen auf, 
in Folge dessen Kleinerwcrden von A bis um etwa 14 —16 cm 1I 2 0. 
Gefässreactionen 1 — 1V 4 Stunde nach Einnahme des Mittels ohne Unter¬ 
schied von der Norm, P aber gegen die Norm erhöht, sobald aus 
liegender aufrechte Stellung eingenommen wird. V/ 2 Stunde später 
fallen die Gefässreactionen noch geringfügiger aus. 

400 ccm (40,4 pCt. Alkohol) Korn (Taf. VIII, Curve 3/, die auch 
hier keine intensivere Wirkung entfalten, wie bereits 200 und 300 ccm, 
lassen in typischer Weise zuerst ein Stadium der vergrösserten Ampli¬ 
tude durch Ansteigen von s bei geringfügigem Absinken von d erkennen, 
wobei gleichzeitig die Oscillationen deutlich grösser geworden sind, 
später aber, 2 Stunden nach Einnahme der Flüssigkeit am ausge¬ 
sprochensten, das Stadium der kleinen Amplitude, hauptsächlich in Folge 
beträchtlichen Absinkens von s. P beginnt während der Flüssigkeits¬ 
aufnahme zu steigen und ist gegen Ende derselben dauernd um etwa 
16 Schläge erhöht. Beim Heraustreten aus dem Bett (D) selbst zur 
Zeit der ausgesprochensten Alkoholwirkung keine ungewöhnliche Steige¬ 
rung von P, wie sie bei der vorhergehenden Versuchsperson unter den 
gleichen Bedingungen zu beobachten gewesen war. Die Reaction der 
Arragefässe auf thermische Reize weichen deutlich von dem normalen 
Verhalten ab. Schon im Stadium der grossen Amplitude kommt es auf 
Eintauchen in kaltes Wasser nicht mehr zu einem Ansteigen von s, wohl 
noch zu einer Yergrösserung von A, aber in Folge Absinkens von d. 
Im Stadium der kleinen Amplitude ist beim Eintauchen in warmes 
Wasser noch ein an die Norm erinnerndes Verhalten zu erkennen, da¬ 
gegen reagiren die Gefässe auf Kälte so gut wie garnicht. 


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M. John, 


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Aus diesen Versuchen geht hervor, dass die Wirkung von 1—2 g 
Chloral, wenn überhaupt eine solche, wie in XVI, durch die Blutdruck¬ 
messung zu constatiren ist, sich bis zu einem gewissen Grade ähn¬ 
lich verhält, wie die des Alkohols, insofern, als auch hier an der Art. 
bracchialis zu einer bestimmten Zeit eine deutliche Verkleinerung der 
Amplitude zu erkennen ist. Aber die Pulsfrequenz ist nicht erhöht und 
ändert sich auch beim Heraustreten aus dem Bett in nicht so ausge¬ 
sprochener Weise, wie z. B. nach der Einwirkung des Alkohols. Die 
Hauptsache aber ist, dass die Chloralwirkung die Reactionsfähigkeit der 
Gefässe nicht aufhebt, sie vielmehr, wie in XVI, eher steigern kann, 
vorausgesetzt, dass die angewandte Untersuchungsmethode so feine Unter¬ 
schiede zu machen gestattet. 

Die Alkoholwirkung dagegen bedingt eine starke Herabsetzung oder 
gar völliges Verschwinden der Reactionsfähigkeit der Gefässe auf Kälte¬ 
reize. Dabei bleibt aber noch zu erörtern, ob die sonst bei Appli¬ 
cation von Kälte zu beobachtende Vergrösserung der Amplitude jetzt 
deswegen nur geringer ausfällt oder vermisst wird, weil die Gefässe 
keinen erhöhten Tonus mehr anzunehmen vermögen, oder weil die peri¬ 
pheren Gefässe weit schlechter mit Blut gefüllt sind, als unter normalen 
Verhältnissen, und nur in Folge der schlechteren Füllung alle auf Rech¬ 
nung des veränderten Gefässtonus zu setzenden Pulsdruckschwankungen 
geringer ausfallen. Der Umstand, dass trotz der Alkoholwirkung überhaupt 
Aenderungen des Gefässtonus besonders durch die Wärme noch zu ver¬ 
merken sind, spricht mehr für die letzte Annahme. Dass die Gefässreactionen 
auf thermische Reize allein etwa deswegen geringfügiger ausfallen sollten, 
weil die Temperaturempfindung der Haut nach der Ansicht Schmiede- 
berg’s unter Einfluss von Alkohol abgestumpft ist, glaube ich nicht, 
denn in meinen Versuchen wurde das Eintauchen in kaltes Wasser im 
Stadium der Alkoholwirkung ebenso gut empfunden, wie unter voll¬ 
ständig normalen Verhältnissen. 

Die eben erwähnten vergleichenden Untersuchungen über das Ver¬ 
halten des Blutdruckes unter Einwirkung von Chloral und Alhohol, vor 
Allem die dabei vorgenommenen Prüfungen der Reactionsfähigkeit der 
Gefässe auf thermische Reize haben zwar absolut sicheren Aufschluss 
über den Angriffspunkt und die Wirkungsweise des Alkohols nicht er¬ 
bracht. Trotzdem glaube ich, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der 
weitgehenden Analogien der Blutdruckverhältnisse bei der Alkoholver¬ 
giftung und bei der Circulationsschwäche in Folge von Infektionskrank¬ 
heiten Folgendes sagen zu dürfen: 

Die im sogenannten ersten Stadium der Alkohol Wirkung 
sich geltend machende grosse Amplitude, einhergehend mit 
grossen Oscillationen am Tonometer, ist ein Ausdruck der 
Ueberfüllung des peripheren Kreislaufs. Die Blutüberfüllung 
eines grossen Körpergebietes ist nur möglich, wenn ein 
anderer Gefässbezirk gleichzeitig weniger Blut enthält. Es 
liegt daher nahe, anzunehmen, dass zur Zeit der grossen 
Amplitude, also der Erschlaffung und Erweiterung des peri¬ 
pheren Gefässbezirkes die Gefässe des Splanchnicusgebietes 


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Ueber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. 603 


sich verengt haben. Das im zweiten Stadium zu beobach¬ 
tende auffallende Kleinerwerden der Amplitude ist das 
Zeichen für eine schlechtere Füllung bezw. Contraction der 
A’rmgefässe, veranlasst durch eine Ueberfüllung des Splanch- 
nicusgebietes, dessen einzelne Gefässc nun mehr oder we¬ 
niger erschlafft und erweitert sind. 

Die Wirkung des Alkohols auf das Gefässgebiet des 
Splanchnicus wäre demnach zunächst eine erregende, dann 
eine lähmende, bei grösseren oder sehr hohen Dosen von 
vornherein eine lähmende, wobei ich bemerken möchte, dass 
nach Schmiedeberg „eine direct erregende Wirkung des 
Alkohols sich an keinem Organe nachweisen lässt. a 

Besteht diese Annahme zu Recht, so ist es auch durchaus wahr¬ 
scheinlich, dass der Angriffspunkt des Alkohols, wie Koch mann an¬ 
nimmt, auf das Gebiet des Splanchnicus verlegt werden kann trotz der 
gegentheiligen Ansicht Bachem’s, welcher meint, „dass eine Erwei¬ 
terung peripherer Gefässe stattfindet; ob und in welchem Maasse andere 
Arterien des Körpers dabei verengert werden, erscheint* sehr fraglich, 
jedenfalls sind es nicht, wie Kochmann annimmt, die Gefässe des 
Splanchnicusgebietes“. 

Noch eine schwerwiegende, gewiss äusserst bemerkenswerthe That- 
sache, die sich bei meinen Versuchen ergeben hat, möchte ich für die 
Richtigkeit der eben von mir dargelegten Ansicht und der Kochmann- 
schen Schlussfolgerungen in die Wagschale werfen. Wie beispielsweise 
in Versuchsreihe I auf Curve 2 und 3, ferner in V auf den Curven 
3—6 zu ersehen ist, war bereits unter normalen Verhältnissen die 
Urinausscheidung nach Verabreichung alkoholischer Getränke oft eine 
reichlichere, wie nach Verabreichung einer gleich grossen Menge Wassers. 
Noch viel deutlicher machte sich dieser Unterschied bemerkbar, wenn 
in pathologischen Fällen das Wasserausscheidungsvermögen der Niere 
hinter dem normalen Verhalten wesentlich zurückblieb. Aus Curve 3 in 
VIII ist zu ersehen, dass nach Verabreichung von iy 2 Liter Wasser nur 
625 ccm Urin, bei Verabreichung der gleich grossen 3 proc. alkoholischen 
Flüssigkeitsmenge 1625 ccm Urin in derselben Zeit ausgeschieden 
wurden. 

Die Erscheinung, dass von den innerhalb 1 Stunde verabreichten \ l / 2 Liter 
Wasser in den darauffolgenden 4—5 Stunden nur ein Theii wieder ausgeschieden 
wird, — eine ausführliche Besprechung dieserVerhältnisse soll, wie schon erwähnt, in 
einer anderen Arbeit erfolgen — ist nicht nur bei gewissen Formen und Stadien der 
Nephritis zu beobachten, sondern auch bei Leuten, die klinisch auf Grund hoch¬ 
gradiger Blutdrucksteigerung, Herzhypertrophie und Spuien von Albuinen im Urin 
mit deutlichem mikroskopischen Befund den Verdacht auf Schrumpfniere sehr wahr¬ 
scheinlich machen. Nach meinem Dafürhalten ist bei einer Reihe derartiger Patienten 
aus hier nicht näher zu erörternden Gründen lediglich eine hochgradige Hypertonie 
anzunehmen, in Folge einer über den ganzen Körper sich erstreckenden Erkrankung 
gerade der kleinsten Arterien. Wenigstens ergab ganz kurz gesagt die mikroskopische 
Untersuchung der Nieren des eben erwähnten Patienten in Versuchsreihe VIII keine 
irgend wie angedeutete interstitielle Nephritis. Das schlechte Ausscheidungsvermögen 
würde dann so zu erklären sein, dass wegen der das Gefässlumen stark einschränken- 


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B04 M. .lohn, 

den Erkrankung gerade der kleinsten Arterien in der Zeiteinheit nicht genügend Blut 
die Nieren durchströmen kann. 

Ist weiterhin der Körper durch tagelange starke Einschränkung des 
täglichen Flüssigkeitsquantums bis auf x / 2 Liter wasserarm gemacht, so 
retinirt der normale Mensch bei einem unter derartigen Bedingungen 

angestellten Diureseversuch einen grossen Theil der eingeführten 
Flüssigkeit, scheidet dagegen weit mehr aus, sobald ein schwach alko¬ 
holisches Getränk gereicht wird. 

Diese Thatsachen können nach meinem Dafürhalten garnicht anders 
gedeutet werden, als dass es unter dem Einfluss von Alkohol zu einer 
Erweiterung des Splanchnicusgebietes und also auch der Nierengefässe 
kommt. Dann müssen in der Zeiteinheit die Nieren von einer grösseren 
Blutmenge durchströmt werden, was eine reichlichere Flüssigkeitsaus¬ 
scheidung zur Folge hat. Nun sollen allerdings nach der Ansicht 

Siegelt, die derselbe durch Versuche von Wertheimer für genügend 
begründet hält, die Nierengefässe ebenso reagiren wie die Hautgefässe. 
Sie müssten also in der fraglichen Zeit in gleicher Weise wie diese 

gerade schlecht mit Blut gefüllt sein. Abgesehen davon, dass bei 

schlechter Füllung der Nierengefässe kaum eine unter Umständen so er¬ 
heblich gesteigerte Diurese in befriedigender Weise erklärt zu werden 
vermöchte, scheinen mir die citirten Versuche Wertheimer’s den Beweis 
für ein derartiges Verhalten der Nierengefässe nicht zu liefern. 

Aus meinen Blutdruckmessungen weitgehende Nutzanwendungen auf 
die Gepflogenheiten des täglichen Lebens zu ziehen, unterlasse ich. Es 
genüge, festgestellt zu haben, dass bei einer ganzen Reihe von Menschen 
der auf eine Stunde vertheilte Genuss von iy 2 Liter Bier von etwa 
3 pCt. Alkoholgehalt bereits Aenderungen des Blutdruckes herbeiführen 
wird, dass die Wirkung derselben Flüssigkeitsraenge von doppeltem 
Alkoholgehalt meist deutlicher zum Ausdruck kommt, und dass letztere 
noch übertroffen wird durch kleinere Mengen (150—250 ccm) concen- 
trirten Alkohols. Die Feststellungen irgend welcher Blutdruckschwan¬ 
kungen unter Einfluss von Alkohol kann für sich allein auch gar nicht 
zur Entscheidung der Frage über die Schädlichkeit des Alkohols heran¬ 
gezogen, sondern nur als Beitrag dazu betrachtet werden, ganz abge¬ 
sehen davon, dass die Schädlichkeit des Alhohols wohl überhaupt kaum 
noch bewiesen zu werden braucht. 

Zum Schluss noch ein Wort darüber, ob nach den vorliegenden 
Untersuchungen dem Alkohol in der Therapie ganz besonders der Circu- 
lationsschwäche im Verlaufe von Infectionskrankheiten die Bedeutung 
beigelegt werden darf, die ihm von mancher Seite noch immer zuerkannt 
wird, oder ob er vielleicht nicht geradezu contraindicirt erscheinen 
muss. Nun, am Krankenbett werden wohl nur ganz ausnahmsweise so erheb¬ 
liche Alkoholmengen, wie sie Gegenstand meiner Untersuchungen gewesen 
sind (auf absoluten Alkohol berechnet 45 — 90— 100 ccm), innerhalb 
der kurzen Zeit von 1 Stunde zur Anwendung kommen. Man müsste 
denn gerade in dieser Zeit mindestens eine halbe Flasche Sect oder 
V 2 Liter schweren Wein verabreichen lassen. Aber selbst wenn lediglich 
weit geringere Dosen verwendet würden, wäre erst noch nachzu- 


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lieber die Beeinflussung des systolischen und diastolischen Blutdrucks etc. (505 


weisen, dass dabei niemals ein ähnliches Verhalten beobachtet werden 
kann, wie nach den von mir gewählten Mengen, und zwar nicht nur 
bei Personen, die bereits an Alkohol gewöhnt sind, sondern auch 
dann, wenn noch keine Giftgewöhnung vorhanden ist (III). Aus den 
von Kochmann und Bachem am Menschen mit kleinen Alkoholgaben 
angestellten Versuchen ist dies nicht ersichtlich, da beide die Messungen 
nicht lange genug fortgeführt und auch nur den systolischen Druck 
bestimmt haben. Wenn ich es also als bedenklich hinstelle, den 
Alkohol überhaupt zur Bekämpfung der durch Infectionskrankheiten 
bedingten Circulationsschwäche heranzuziehen, so wird mir vielleicht der 
Einwurf erhoben werden: die practische Erfahrung lehre doch, dass der 
Alkohol oft eine sichtliche Besserung auf das Befinden ausübe, dass der 
Puls sich wieder kräftiger anfühle u. s. w. Derartige Wahrnehmungen 
werden wohl zweifellos gemacht. Ich habe ja auch zeigen können, dass 
im Beginn der Alkoholwirkung, wo die grosse Amplitude zu constatiren 
ist, der Puls sich voller anfühlt und die Peripherie besser durchblutet, 
das Splanchnicusgebiet also wahrscheinlich entlastet ist. Aber eben so 
konnte ich zeigen, dass später ein umgekehrtes Verhalten zu beobachten 
ist, kleiner, frequenter Puls, Verkleinerung der Amplitude, wahrschein¬ 
lich also schlechte Blutversorgung der Peripherie und Ueberfüllung des 
Splanchnicusgebietcs. Und gerade diese, doch immerhin nahe liegende 
Möglichkeit einer schliesslichen Lähmung des Gefässgebietes des 
Splanchnicus durch Alkohol müsste die Befürchtung erwecken, dass die 
durch ihn zu bekämpfende Kreislaufschädigung bei Infectionskrankheiten 
in letzter Linie nur ungünstig beeinflusst werden kann. Ganz anders 
liegt die Sache, wenn es sich darum handelt, eine durch Gefässspasmen 
bedingte Circulationsschwäche zu behandeln. Hier kann vielleicht, ich 
sage „kann“, wenn es sich beispielsweise um spastische Erscheinungen 
im Gefässgebiet des Splanchnicus handelt, die lähmende Wirkung 
grösserer Alkoholdosen geradezu ein therapeutisches Resultat bedeuten. 
Ganz ausserhalb des Rahmens meiner Arbeit gelegen sind natürlich 
Erörterungen darüber, in wie weit der Alkohol -im Allgemeinen in der 
Therapie von den vielen anderen Gesichtspunkten aus, die für seine 
Anwendung massgebend gewesen sind und noch sind, Berücksichtigung 
verdient oder nicht. 


Zusammenfassung. 

Der Alkohol ruft in Mengen, die ich zum Gegenstand 
meiner Untersuchung gemacht habe, in vielen Fällen beachtens¬ 
werte Blutdruckschwankungen hervor, die oft einen ganz 
charakteristischen Verlauf nehmen. Nach anfänglichem 
Grösserwerden der Amplitude ist 1—2 Stunden nach Verab¬ 
reichung des Alkohols ein deutliches Kleinerwerden der¬ 
selben zu beobachten, in Folge Absinkens des systolischen 
Druckes bei unverändertem oder nur wenig veränderten 
diastolischen. 

Die Pulsfrequenz ist meist deutlich gestiegen. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 


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606 M. John, lieber d. Beeinflussung d. systolischen u. diastolischen Blutdrucks. 


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Aenderungen der Amplitude nach Eintauchen des Armes 
in warmes oder kaltes Wasser fallen geringfügiger aus, wie 
in der Norm, die Reactionsfähigkeit der Gefässe scheint also 
herabgesetzt, wahrscheinlich in Folge schlechter Füllung der 
peripheren Gefässe bei gleichzeitiger Ueberfüllung des 
Splanchnicusgebietes. 

Von der Alkoholwirkung verschieden ist die des Chlorais. 
Nur in einem Falle hatte letztere bezüglich Blutdruck- und 
Pulsdruckcurve eine gewisse Aehnlichkeit mit der ersteren 
(XVI), Hess aber die beim Alkohol ausgesprochene Steigerung 
der Pulsfrequenz und Herabsetzung der Reactionsfähigkeit 
der peripheren Gefässe vermissen* 

Die unter Einfluss von Alkohol sich abspielenden Er¬ 
scheinungen erinnern an das Verhalten des Kreislaufs bei 
Girculationsschwäche, wie sie im Gefolge infectiöser Er¬ 
krankungen zu beobachten ist. 

Die Wirkungsweise des Alkohols besteht in einer elec- 
tiven Beeinflussung des Splanchnicusgefässgebietes im Sinne 
einer anfänglichen Contraction seiner Gefässe, die bald einer 
Dilatation Platz macht. 

Zur Bekämpfung der Kreislaufschwäche bei Infections- 
krankheiten dürfte der Alkohol in den hier verwandten 
Dosen ungeeignet erscheinen. 


Literatur. 

1) C. Bachem, Ueber die Blutdruckwirkung kleiner Alkoholgaben bei intra¬ 
venöser Injection. Arch. intern, de Pharm, et de Therapie. Vol. XIV. Fase. V und VI. 

2) Derselbe, Ueber den Einfluss kleiner Mengen alkoholischer Getränke auf 
den Blutdruck des Menschen. Arch. für d. ges. Phys. Bd. 114. 

3) Derselbe, Alkohol und Warmblüterherz. Centralbl. f. inn.Med. 1907. No.34. 

4) M. John, Ueber die Technik und klinische Bedeutung der Messung des systo¬ 
lischen und diastolischen Blutdruckes. Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd.93. H.5u.6. 

5) M. Kochmann, Die Einwirkung des Alkohols auf das Warmblüterherz. Arch. 
intern, de Pharm, et de Therapie. Vol. XIII. Fase. V und VI. 

6) Derselbe, Experimentelle Beiträge zur Wirkung des Alkohols auf den Blut¬ 
kreislauf des Menschen. Arch. intern, de Pharm, et de Thörapie. Vol. XV. 

7) 0. Müller, Die unblutige Blutdruckmessung und ihre Bedeutung für die 
practische Medicin. Med. Klin. 1908. Heft 2—4. 

8) 0. Schmiedeberg, Pharmakologie. 1906. 

9) W. Siegel, Abkühlung als Krankheitsursache. Zeitschr. f. exp. Path. u. 
Ther. Bd. 5. H. 2. 

10) R. von den Velden, Coordinationsstörungen des Kreislaufs. Habili¬ 
tationsschrift. Marburg 1907. 1 

Anmerkung. Die hier nicht angeführte Literatur ist in 4 und 5 nachzusehen. 


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XLII. 

Aus der II. medicinischen Klinik der Charit6. 

Ueber das Verhältniss von Lues, Tabes und Paralyse zum 

Lecithin. 

Von 

Dr. Georg 1 Peritz. 

Soll die Anschauung, dass die Tabes und Paralyse parasyphilitische 
Erkrankungen sind, richtig sein, so muss man sich vorstellen, dass 
ein Bindeglied existirt zwischen der Syphilis und der Tabes und Para¬ 
lyse. Als dieses Bindeglied hat man syphilitische Toxine schon vielfach 
angenommen. Ich habe nun im Anfang dieses Jahres die Hypothese 
aufgestellt, dass im Körper der Syphilitischen Toxine vorhanden sind, 
welche eine grosse Affinität zum Lecithin besitzen. Nach meiner An¬ 
sicht sollten Verbindungen entstehen ähnlich den Toxolecitiden. Die im 
Körper vorhandenen Toxine sollten das Lecithin binden, das sonst dem 
Organismus für seine speciellen Aufgaben zu Gute kommt. Diese Ver¬ 
bindung zwischen Lecithin und syphilitischem Toxin sollte auf Grund 
meiner Versuche durch den Darm im Kothe ausgeschieden werden. Wenn 
diese Annahme richtig war, so musste durch das syphilitische Toxin 
allmählich der Organismus einer Verarmung an Lecithin verfallen. Diese 
Verarmung sollte den Grund abgeben für die Entstehung der Tabes 
oder der Paralyse. Mit dieser Hypothese wurde die Tabes und Para¬ 
lyse aus einer Organerkrankung in die Reihe der Allgemeinerkrankungen 
gerückt. Nicht nur das Nervensystem ist dann erkrankt, sondern der 
ganze übrige Organismus, da ja bekanntlich das Lecithin in der Zell¬ 
funktion eine grosse Rolle zu spielen hat. Denn das Lecithin bildet 
einen Theil der semipermeablen Membranen der Zellen, deren Vorhanden¬ 
sein für die osmotischen Vorgänge ausschlaggebend ist. Wenn nun 
ferner meine Hypothese richtig ist, so muss man nicht nur Verände¬ 
rungen im Centralnervensystem finden können, es müssen auch solche 
an anderen Organen vorhanden sein. Ja, diese Veränderungen an anderen 
Organen müssen einen viel sichereren Beweis fär meine Annahme er¬ 
geben, als die Veränderungen im Gehirn. Denn wenn man im Central¬ 
nervensystem, besonders bei der Tabes, eine Verminderung an Lecithin 
feststellt, so wäre der Einwurf berechtigt, dass die Degeneration der 
Hinterstränge als das Primäre eine Abnahme an Lecithin, an dem das 

39* 


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608 


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G. Peritz, 

Nervensystem besonders reich ist, zur Folge haben müsste. Lässt sich 
aber an anderen Organen eine Verminderung des Lecithingehaltes auf¬ 
finden, so ist dort der Einwand unmöglich, dass es sich um einen 
secundären Process handelt. Ausserdem ergiebt sich aus meiner Hypo¬ 
these, dass im Blut, in dem ja wahrscheinlich die syphilitischen Toxine 
nach der grundlegenden Entdeckung Wassermann’s kreisen, eine 
Steigerung des Lecithinspiegels vorhanden sein muss. Wenn ich also 
meine Hypothese beweisen wollte, so war der Weg für mich vor¬ 
gezeichnet. Ich musste einmal im Serum von Syphilitischen, von 
Tabikern und Paralytikern den Lecithingehalt bestimmen, dann musste 
ich ein Organ untersuchen, das normal grössere Mengen Lecithin enthält 
und schliesslich noch einmal an weiteren Kranken feststellen, ob meine 
Entdeckung, dass der Koth der Tabischen und Paralytischen mehr 
Lecithin enthält als normal, aufrecht zu erhalten ist. Nun hat aber 
auch die Entdeckung Wassermann’s in uns die Vorstellung gefestigt, 
dass im Serum der Syphilitiker, Tabiker und Paralytiker gewisse Stoffe 
kreisen, welche vielleicht zum Lecithin eine besondere Affinität haben. 
Wenigstens Hess die Entdeckung von Porges und Meyer, dass das 
Lecithin das syphilitische Antigen ersetzen kann, diese Annahme be¬ 
rechtigt erscheinen. Ich habe darum auch bei allen Fällen, bei denen 
ich das Serum chemisch auf Lecithin untersuchte, die Wassermann’sche 
Reaction geprüft. Und ich glaube, dass gerade durch den Vergleich 
dieser beiden Versuchsreihen sich nicht nur interessante, sondern auch 
praktisch wichtige Resultate ergeben haben. 

Im Ganzen wurden von mir 19 Sera von an Tabes leidenden 
Kranken untersucht und 6 Paralytiker-Sera. Ausserdem habe ich mit 
Dr Blumenthal zusammen 10 Sera von Syphilitikern aus der Haut¬ 
klinik der Charite von Herrn Geheimrath Lesser untersucht. Die Unter¬ 
suchungen an den Sera von Luetikern werden noch von uns beiden fort¬ 
gesetzt, um verschiedene Fragen weiter zu studiren. Schliesslich habe 
ich mit Dr. Glikin am Thierphysiologischen Institut der Landwirt hschaft- 
lichen Hochschule das Knochenmark von 5 Paralytikern und 1 Tabiker 
untersucht. Auch diese Untersuchungen werden noch fortgesetzt. 

Ehe ich nun über die Resultate der verschiedenen Untersuchungen 
berichte, möchte ich mit einigen Worten auf die Methode der Lecithin- 
bestimmung eingehen. Es erscheint mir dies sehr wiohtig, da es darauf 
ankommt, eine Methode zu haben, welche möglichst alles Lecithin aus 
den Organen extrahirt. Nach den neuesten Untersuchungen über die 
Lecithine erscheint diese Extraction nicht ganz einfach. Aus den 
Arbeiten von Thudichum 1 ), ferner von Erlandsen 2 3 ), Bang 8 ), schliesslich 
von Thierfelder 4 * ) und seinen Schülern haben wir erfahren, dass es 
Lecithine giebt, welche nur in Alkohol löslich sind. Schon Hoppe- 


1) Th u dich um, Chemische Constitution des Gehirns. 1901. 

2) Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. 51. S. 71. 

3) Ergebnisse der Physiologie. Bd. 2. 

4) Stern u. Thierfelder, Zeitsohr. f. physiol. Chemie. Bd. 53; Mac Leau. 

Bd. 57. 


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lieber das Verhältnis von Lues, Tabes und Paralyse zum Lecithin. 609 


Seyler hatte darauf hingewiesen, dass ein Theil des Lecithins an 
Eiweissstoffe gebunden ist und dass dieser Theil sich schwer in Aether 
löse. Die vorher erwähnten Untersuchungen zeigen aber, dass es sich 
um bestimmte Verbindungen handele, welche nicht identisch sind mit 
den Lecithinen, die in Aether löslich sind. Die Vorschriften, welche in 
Hoppe-Seyler’s Handbuch zur Extraction des Lecithins gegeben werden, 
sind nicht genügend, um alles Lecithin aus den Organen oder aus den 
Excreten zu gewinnen. Daher mag es kommen, dass z. B. Kauffmann 
in seiner „Monographie über die Pathologie des Stoffwechsels bei Para¬ 
lytikern“ so geringe Werthe erhält. Ich werde allerdings noch später 
auf diesen Punkt zurückkommen. Um möglichst alles Leciihin, das 
vorhanden ist, zu gewinnen, habe ich die Methode von Dr. Glikin an¬ 
gewandt. Darnach wird das Serum mit Seesand getrocknet bei etwa 
36°. Es wird dann 24 Stunden im Soxleth mit Aether extrahirt, dann 
24 Stunden mit Alkohol und schliesslich wieder 24 Stunden mit Chloro¬ 
form. Die so erhaltenen Extracte werden verdampft, die Rückstände 
mit Aether aufgenommen, filtrirt und schliesslich der Aether des Filtrates 
verjagt. Der Rückstand ist als Rohfett anzusehen. Er wird nach der 
Neumann’schen Methode aufgeschlossen, mittelst Salpeterschwefelsäure¬ 
gemisch und dann nach Neumann bestimmt. Die Berechnung des 
Lecithins aus der gefundenen Phosphorsäure ist eigentlich nach den 
heutigen Untersuchungen nicht recht zulässig, da wir wissen, dass es 
Lecithine giebt, die einen höheren Procentgehalt an Phosphor haben als 
3,6. Wenn ich mich doch entschlossen habe, in dieser Arbeit die 
Lecithinzahlen zu berechnen, so geschieht dies aus dem Grunde, um 
einen gewissen Anhalt zu haben für die vorhandenen Mengen an Fett, 
welche im Serum Normaler wie der uns hier beschäftigenden Kranken 
kreisen. Die Bestimmungen im Kothe wie im Knochenmark werden 
nach denselben Grundsätzen ausgeführt. 

Wie wichtig es ist, die zu extrahirenden Stoffe gründlich mit 
Alkohol zu extrahiren, geht aus meinen Untersuchungen der verschiedenen 
Extracte hervor, worauf auch E. Schultze 1 ) besonders hinweist. Ich 
habe sowohl im Serum normaler wie in dem der Tabiker, Luetiker und 
Paralytiker gesondert den Phosphorgehalt des Aether-, Alkohol- und 
Chloroform-Extractes bestimmt (Tabelle I). 

Es ergiebt sich also aus diesen Untersuchungen, dass im Serum 
nur sehr geringe Mengen ätherlösliche Lecithine enthalten sind. Die 
grössten Mengen finden sieh ihn Alkolmlex'ract, doch kann unter Um* 
ständen der Alkoholextract ebenso wie der Chloroformauszug gleiche 
Mengen Lecithine enthalten. Nach der Behandlung mit Alkohol scheinen 
die Lecithine ätherlöslich zu werden. Denn verschiedentlich habe ich 
beobachten können, dass der ganze Alkoholextract im Aether nachher 
löslich war, ohne dass sieh noch ein Rückstand ergeben hätte. Ich 
gehe auf diese Thatsache deswegen ein, weil jüngst in einer Discussion 


1) E. Schulze, lieber die Darstellung von Lecithin usw. Zeitschr. f. physiol. 
Chemie. Bd. 55. S. 338. 


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610 


G. Peritz, 


Tabelle I. 



Extract. 

Fett 

j Lecithin 

Normal 

Aether 

! 0,864 


No. 10 

Alkohol 

, 0,746 

1,033 


Chloroform 

! 0,842 

0,886 

Normal 

Aether 

! 2,641 

geringe 

No. 8 

Alkohol 

1 

2,221 

Mengen 

1,431 


Chloroform 

0,387 

, 1,021 

Lues 

Aether 

0,918 

' Spuren 

No. 1 

Alkohol 

0,935 

1,093 


Chloroform 

0,486 

1 1,034 

Lues 

Aether 

5,709 

0,461 

No. 7 

Alkohol 

2,041 

1,473 


Chloroform 

1,140 

1,574 

Tabes 

Aether 

1,173 

— 

No. 8 

Alkohol 

1,693 

1,158 


Chloroform 

0,066 

1,350 

Paralyse 

Aether 

2,185 

— 

No. 10 

Alkohol 

1,700 
| 0,095 j 

1,589 


Chloroform 

1,222 


Leonor Michaelis behauptet hat, dass Lecithinpeptone überhaupt nicht 
in Aether zu lösen seien. 

Im Ganzen wurden von mir 12 normale Sera auf Lecithin unter¬ 
sucht. Es handelt sich meistens bei der Herkunft dieser Sera um 
Kranke der Charite, die sich in der Reconvalescenz befanden oder um 
solche, die an leichtem Rheumatismus litten. 

Keines dieser Sera zeigte eine Ablenkung. In Tabelle II finden 
sich diese Sera zusammengestellt: In der ersten Reihe der Ausfall der 
Wassermann’schen Reaction, in der zweiten der Gehalt von 1000g 


Tabelle II. 


No. 

Diagnose 

Name 

Wasser* 

mann’sche 

Reaction 

1000,0 I 

Fettgehalt 

g Serum 

Lecithin 

Bemerkungen 

1 

Neuritis 

S. 


5,743 

0,875 


2 

Leichte Myo- 
carditis, Re¬ 
convalescenz 

PI. 


2,886 

1,234 


3 

Rheumatismus 

Br. 

— 

2,639 

2,062 

— 

4 

do. 

Si. 

— 

3,801 

2,434 

— 

5 

Neurasthenie 

Sp. 

— 

5,336 

2,159 

— 

6 

Hysterie 

w. 

— 

3,527 

2,664 

Blutentnahme nach dem 
2. Frühstück 

7 

do. 

w. 

— 

4,239 

2,486 

2. Blutentnahme 8 Tage 
nach der ersten 

8 

Neurasthenie 

J. 

— 

5,249 

2,451 

— 

9 

Lupus 

Tr. 

— 

4,109 

2,216 

— 

10 

Normal 

H. 

— 

2,452 

1,919 

— 

11 

do. 

Tr. 

— 

4,852 

2,313 

— 

12 

do. 

1 

Fr. 

—■ 

0,559 

l 

2,272 

— 


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Ueber das Verhältniss von Lues, Tabes und Paralyse zum Lecithin. 611 

Serum an Fett abzüglich des Lecithins und in der dritten Reihe die in 
1000 g Serum enthaltenen Mengen Lecithin. Die höchsten Werthe, 
welche ich gefunden habe, sind 2,66 g Lecithin. Bei diesem Kranken 
konnte ich im Verlauf von etwa 8 Tagen zweimal einen Aderlass vor¬ 
nehmen. Bei der zweiten Untersuchung wurde der Gehalt an Lecithin 
auf 2,48 bestimmt. Es ist also eine ziemlich geringe Schwankung des 
Lecithingehaltes zu constatiren. Im Durchschnitt kann man wohl sagen, 
dass der Lecithingehalt bei normalen Menschen etwa 2—2,2 g beträgt. 
Bornstein, der vor Kurzem ebenfalls Bestimmungen des Lecithingehaltes 
im Serum Normaler und Paralytiker angestellt hat, giebt für normale 
Menschen einen Gehalt von 2,2—2,4 pCt. an. Erben giebt als normalen 
Lecithingehalt ira Serum 1,8; 2,0; 2,1 pCt. an. Vergleicht man mit 
diesen Lecithinzahlen den Gehalt des Serums an Fett, so sieht man, 
dass hier bei Weitem grössere Schwankungen vorhanden sind. Während 
der Gehalt an Lecithin zwischen 0,87 und 2,66 variirt, so ist der Fett¬ 
gehalt in einer viel grösseren Breite variabel, von 0,56 bis 5,74. Nun 
kann man nicht den Einwand erheben, dass der Fettgehalt hier als 
Folge der Nahrungsaufnahme anzusehen ist. Den in der Charitö be¬ 
findlichen Kranken wurde stets das Blut vor dem ersten Frühstück 
entnommen. Nur der Patient, bei dem zweimal das Blut untersucht 
wurde, hatte das erste wie das zweite Frühstück genossen. Bei den 
ambulanten Patienten, von denen das Blut entnommen wurde, war 
zwischen dem ersten Frühstück und der Blutentnahme immer ein Zeit¬ 
raum von 6 Stunden gelegen, in denen sie nichts genossen hatten. Zum 
ersten Frühstück erhielten diese Menschen stets eine Tasse schwarzen 
Kaffee und zwei trockene Semmeln. 


Tabelle III. 


No. 

Diagnose 

Name 

Wasser- 

mann’sche 

Reaction 

1000,0 j 

Fettgehalt 

f Serum 

Lecithin 

Bemerkungen 

1 

Lues 

Z. 

+++ 

2,337 

2,128 


2 

do. 

Bd. 

+ -H- 

2,702 

2.586 

— 

3 

do. 

H. 

-+++ 

4,921 

2,915 

— 

4 

Lues, Primär- 
aflection 

•N. 

+ 

0,774 

2,893 

— 

5 

do. 

N 

+++ 

3,947 

2,503 

— 

6 

Lues 

Schw. 

-H-+ 

3,8*29 

3,743 

— 

7 

do. 

Fw. 


3,099 

4,015 

— 

8 

Luetische 

Hemiplegie 

Schl. 

T 

7,938 

3,509 

— 

9 

do. 

Schl. 

— 

1.121 

1,954 

nach Schmiercur 

10 

Lues 

Z. 

+ ++ 

2,719 

3,898 

— 

11 

do. 

w. 

+++ 

2,165 

2,596 

— 


In Tabelle III finden sich die von mir in Gemeinschaft mit 
Dr. Blumenthal untersuchten Sera von Luetikern. Bei allen diesen 
wurde die Wassermann’sche Reaction positiv gefunden. Bei einem 
Fall einer luetischen Hemiplegie wurde die Untersuchung zweimal vor¬ 
genommen, einmal vor und das zweite Mal nach der Schmierkur. 


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612 


G. Peritz 


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Während das Serum vor der Schmierkur ablenkte, war nach derselben 
die Ablenkung geschwunden. Vor der Schmierkur war bei dieser Patientin 
der Lecithingehalt 3,5. Nach der Schmierkur betrug er nur 1,95. Auf 
dieses interessante Ergebnis müssen wir nachher noch einmal zurück¬ 
kommen. Bei einem zweiten Patienten wurde ebenfalls das Serum zwei¬ 
mal untersucht. Es handelte sich bei ihm um einen Primäreffect. Bei 
der ersten Untersuchung war die Ablenkung nur schwach. Der Lecithin¬ 
gehalt betrug 2,89. Bei der zweiten Untersuchung, bei der die Ab¬ 
lenkung sehr ausgesprochen war, war er auf 2,5 gesunken. Aus der 
Tabelle ersieht man, dass bei Luetikern der Lecithingehalt deutlich erhöht 
ist. Vier Luetiker von den 10 haben einen Lecithingehalt über 3,5 g. 
Der Fettgehalt schwankt auch hier wieder in weiten Grenzen. Es lässt 
sich nicht wie beim Lecithingehalt eine Steigerung über das Normale 
feststellen, sondern wir erhalten auch hier Zahlen, welche durchaus im 
Rahmen der Zahlen bleiben, die wir bei Normalen fcststcllen können, 
nur der Werth von 7,9 in dem ersten Serum der luetischen Hemiplegie, 
erscheint sehr hoch. 

Auch bei den 19 Tabikern und den 7 von mir untersuchten Para¬ 
lytikern können wir eine erhebliche Steigerung des Lecithingehaltcs ioi 
Serum constatiren. Die Höchstzahl, welche erreicht wurde, ist 6,15 pM. 
Ebenso fand 0. Bornstein 1 ) bei Paralytikern einen Gehalt von 4,0—4,4 pM. 
Lecithin im Serum und Kauffmann in einem Fall 3,6 pM. Lecithin. 
Bei einem Paralytiker konnte ich überhaupt kein Lecithin im Serum 


Tabelle IV. 


No. 

Diagnose 

Name 

Wasser- 

mann’sche 

Reaction 

1000,0 I 

Fettgehalt 

g Serum 

! 

Lecithin 

Bemerkungen 

1 

Tabes 

Och. 

+ 


| 1,564 

2,575 


2 

do. 

Wa. 

4 

5,728 

— 

3 

do. 

Frd. 

++ 

6,442 

, 3,031 

— 

4 

do. 

Fr. 

444 

— 

! 1,869 

— 

5 

do. 

Fr. 

++ + 

0,0 

4,741 

! 

6 Tage 3,0 Cholesterin 
in 100 g Oel 

6 

do. 

Kl.,Vater 

4-44 

3,065 

2,689 

— 

7 

do. 

Kl.. Sohn 

44 + 

0,354 

2,814 

Lues congenita 

8 

do. 

Spr. 

4 

2,962 

2,508 

— 

9 

do. 

ltg. 

+ 4+4 

4,278 

4,096 

— 

10 

Paralyse 

Schk. 

4+4 

3,980 

2,811 

Schmicrcur 

11 

do. 

Schb. 

+44 

1,339 

3,058 

— 

12 

do. 

Klg. 

+4+ 

0,992 

3,187 

— 

13 

do. 

Gb. 

4+4 

7,964 

4,778 

Schmiercur. Rothe Blut¬ 
körperchen enthielten 
kein Lecithin 

14 

do. 

Fr. 

+4-44 

6,267 

0,0 

1 

Epileptiker seit dem 13., 
Luesseitdem 20.Lcbens- 
jahre; in den rothen 
Blutkörperchen 
Spuren Lecithin. 

15 

Taboparalysc 

L 

4+4 

'2,280 | 

5,418 


1) Referat Ncurol. Centralbl. 1908. 


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Leber das Verhältniss von Lues, Tabes und Paralyse zum Lecithin. 613 


. Tabelle V. 


No. 

Diagnose 

Name 

Wasser- 

raann-sche 

Reaction 

1000,0 g Serum 

Fettgehalt: Lecithin 

Bemerkungen 

1 

Tabes 

M. 


3,202 

■ 2,004 


2 

do. 

Bl. 

— 

2,75 

: 2,25 

— 

3 

do. 

Bl. 

— 

4,837 

j 2,843 

2. Untersuchung nach 
3 Monaten 

4 

do. 

J. 

— 

4,620 

I 2,517 

Tabes macht seit 3 Jahren 
keine Fortschritte 

5 

do. 

Lk. 

— 

2,396 

j 1,037 

— 

6 

do. 

Lk. 


0,942 

4,750 

"j 

6 Tage 3,0 Cholesterin 
in 100 g Oel, 4 Tage 
danach 2. Blutentnahme 

7 

do. 

Stb. 

— 

5,046 

i 3,156 

— 

8 

do. 

Mor. 

— 

0,993 

1 3,449 

— 

9 

do. 

Fr. 

— 

4,745 

; 3 > 4 

Lues congenita 

10 

do. 

Gr. 

— 

2,887 

5,304 

— 

11 

Paralyse 

H. 

— 

— 

6,154 

— 


finden. Vergleicht man nun aber die Zahlen in Tabelle IV und V, in 
denen die Tabiker und Paralytiker gesondert wurden nach ihrer positiven 
oder negativen Wassermann’schcn Reaction, so ergiebt sich das inter¬ 
essante Resultat, dass der Lecithinspiegel bei denjenigen Tabikern und 
Paralytikern am höchsten ist, die keine Ablenkung haben. Hier ist zu 
betonen, dass es bei allen diesen nicht ablenkenden Sera sich um solche 
von Patienten handelte, die von einer überstandenen Lues wussten. 
Während bei den Sera mit positiver Reaction der Höchstwerth 4,7 ist, 
wird er bei den negativen Fällen von zweien überschritten und zwar um 
ein beträchtliches. Man muss sich vor Augen halten, dass es sich hier 
um 1000 g Serum handelt. Da wir aber eine Serummenge von 2 bis 
2 '/ 2 Liter im Minimum im menschlichen Organismus annehmen müssen, 
so kreist also bei einem Gehalt von 6,1 g pM. Lecithin ein Ueberschuss 
von 8—10 g im Serum. 

Bei zwei Patienten wurde der Gehalt des Serums an Lecithin zwei¬ 
mal bestimmt. In einem Fall war die Wassermann’sche Reaction 
negativ, in dem anderen positiv. Während die erste Untersuchung bei 
beiden Fällen ausserordentlich niedrige Werthe ergab, wurde bei der 
zweiten Untersuchung auch wieder in beiden Fällen 4,7 g Lecithin fest¬ 
gestellt. Die Fälle sind deswegen noch besonders erwähnenswerth, weil 
sie in der Zwischenzeit 3 g Cholesterin täglich erhalten hatten. Ich 
lasse es^dahingcstellt, ob diese Einnahme von Cholesterin eine Einwirkung 
ausgeübt hat oder ob dies nur Zufälligkeiten sind. 

Auf einen anderen Punkt möchte ich hier noch hinweisen. Serum 
No. 10 der Tabelle V stammt von dem Patienten, den ich in meiner 
ersten Veröffentlichung erwähnt hatte. Bei ihm war nach Einspritzung 
von Lecithin die Ablenkung geschwunden. Auch jetzt lenkt sein Serum 
nicht ab. Es zeigt aber eines der höchsten Werthe an Lecithin. Ich 
habe seitdem nie wieder direct das Schwinden der Wassermann’schen 
Reaction nach'Lecithin-Injectionen beobachten können. Ich möchte aber 


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G. Peritz, 


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hier auf eine Beobachtung aufmerksam machen. Wenn ich meine Zahlen 
der ablenkenden und nicht ablenkenden Fälle von Tabes berechne, so ergiebt 
sich eine erhebliche Verschiedenheit meiner Zahlen mit denen aller übrigen 
Untersucher. Ich hatte im Ganzen bei 32 Tabikern die Wassermann’sche 
Reaction ausgeführt, davon waren 18 Fälle positiv und 14 negativ. Ich 
finde also 56,25 pCt. positiv und 43,75 pCt. negativ, dagegen ist die 
Durchschnittszahl bei den übrigen Untersuchungen 70 pCt. positiver und 
30 pCt. negativer Fälle. Sobald ich aber diejenigen negativen Fälle ab¬ 
ziehe, im Ganzen 6 Fälle, welche von mir schon früher längere Zeit 
mit Lecithin-Injectionen behandelt worden sind, so komme ich zu den 
gleichen Zahlen wie die übrigen Untersucher, zu 69,23 pCt. positiver 
und 30,77 pCt. negativer Fälle. Man könnte indirect daraus den Schluss 
ziehen, dass auch bei diesen durch Injection von Lecithin die Wasser- 
mann’sche Reaction negativ geworden ist. Porges 1 ) hat in einem 
Falle nach neunwöchiger Lecithinbehandlung ebenfalls die Ablenkung 
schwinden sehen. 

ln meiner ersten Veröffentlichung über diese meine Untersuchungen 
hatte ich die Lecithinmengen angegeben, welche ich im Rothe von zwei 
Tabikern und einem Taboparalytiker gefunden hatte. Ich habe nun bei 
zwei weiteren Tabikern und zwei Paralytikern noch Stoffwechselversuche 
angestellt. Von den beiden Tabikern zeigte der eine eine positive 
Wassermann’sche Reaction, der andere eine negative. Alle vier Kranke 
haben eine gleichmässige Nahrung erhalten und zwar: 1500 ccm Milch, 
150 g Fleisch, 200 g gekochten Reis, 100 g Butter und 210 g Weiss¬ 
brot. Bei den beiden Tabikern dauerte der Versuch 16 Tage. Im 
Beginn wurde eine Blutentnahme gemacht und am letzten Tage der 
Nachperiode. Die beiden Patienten erhielten vom 7. —13. Tage täglich 
3 g Cholesterin. Bei den beiden Paralytikern erstreckte sich der Versuch 
nur über 5 Tage. Bei beiden Kranken wurde eine Schmierkur vor¬ 
genommen. Aus Tabelle VI ergiebt sich, dass sich bei beiden Paralytikern 
eine Steigerung des Lecithingehalts im Serum, aber ein geringerer Gehalt 
an Lecithin im Koth fand. Dagegen hatten die beiden Tabiker erheb¬ 
liche Lecithinmengen im Koth. Bei beiden ist der Gehalt des Serums 
im Lecithin auffällig gering in der ersten Periode, während im Gegensatz 
dazu die Ausscheidung im Koth aussergewöhnlich hoch ist. Bei dem 
Tabiker Fr. sinkt nun die Ausscheidung im Koth, während der Lecithin¬ 
gehalt im Serum ansteigt. Bei dem Tabiker L. erreicht die Lecithinmcnge 
in der zweiten Periode den enormen Werth von 7,2 g. Ich möchte 
allerdings glauben, dass hier das Oel, welches zur Lösung des Cholesterin 
diente, dazu beigetragen hat, die Ausscheidung zu erhöhen. Vielleicht 
haben die grossen Fettmassen rein physikalisch das Lecithin mitgeführt. 
Aus der Gegenüberstellung der Lecithinausscheidung im Koth und der im 
Serum kreisenden Lecithinmengen ersieht man, dass ein Parallelismus 
zwischen beiden Vorgängen nicht immer vorhanden sein muss. Es wäre 
möglich, dass zeitweise in irgend einem Organ Retentionen von Lecithin 
stattfänden ehe diese Mengen in den Darm entleert werden. Vielleicht 

1) Wiener klin. Wochenschr. ltK)8. S. 748. 


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Ueber das Verhältniss von Lues, Tabes und Paralyse zum Lecithin. 615 


Tabelle VI. 



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Lecithin im 
Koth pro die 

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3 a 

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5-9 

1000 g 

Leci- j 

Serum 

Fett 




3.S 


5SS 

thin im ' 

[ im 




£ 8 


£ 


Serum 

Serum 


1 

Tabopara- 


Perl. 4,078 

14,83 

8,26 



_ 


lytiker J. 


. 2. 2,42 

13,80 


1 


2 

Tabiker W. 

+ 

. 1. 3,112 
„ 2. 0,799 

7,26 

8,2 

2,62 


2,575») 

! 5,728 


3 

Tabische Schl. 

+ 

„ 1. 0,466 
„ 2. 0,136 
„ 8. 0,557 
, 4. 1,534 

4,32 

— 

j 

i 

i 


3,82 

5,97 

8,09 

4 

Tabiker Fr. 

4+4 

. 1. 2,299 
. 2. 1,872 
. 3. 1,116 

7,83 

7,83 

7,83 

1.1,869 ( 

2. 4,741| 0,0 


5 

Tabiker L. 


„ 1. 3,084 
. 2. 7,221 
» 3. 4,252 


7,83 

7,83 

7,83 

1. 1,037 
2.4,750 

2,396 

0,942 


6 

Paralytiker G. 

444 

0,1311 


4,778 

1 7,964 

in den rothen 









Blutkörper¬ 
chen 0,0 Lee. 

7 

Paralytiker 

444 

0,510 


7,83 

2,803 

l 3,988 

— 


Sch. 






i 



spielt die Leber und die Gallenblase das vermittelnde Organ, über 
welches die Ausscheidung der Lecithide vom Blut in den Darm erfolgt. 

Betrachtet man nun die ganze Tabelle, welche die Untersuchungs¬ 
ergebnisse von 7 Kranken enthält, so ergiebt es sich, dass die Aus¬ 
scheidung des Lecithins im Koth durchaus nicht andauernd hoch ist. 
Bei No. 2 ist die Ausscheidung in der ersten Periode hoch und in der 
zweiten Periode übersteigt sie kaum die normalen Werthe. Bei No. 3 
ist die Ausscheidung in den ersten drei Perioden also während 15 Tage 
niedrig, um dann in der Nachperiode einen hohen Werth zu erreichen. 
Wenn daher Kauffmann bei seinen Untersuchungen Phosphormengen 
gefunden, die etwa denen Normaler entsprechen, so erscheint dies nach 
meinen Untersuchungen wohl möglich. Ich bin aber nicht sicher, ob 
nicht auch die durchaus nicht zureichende Methode, die Kauffmann 
anwandte, an dem geringen Befund an Phosphorsäure schuld ist. Kauff¬ 
mann findet im Serum eines Paralytikers 3,64 g Lecithin in 1000 ccm 
Serum. Ihm ist nicht klar, wie man bei der erheblichen Menge von 
Lecithin im Serum von einer Lecithinverarmung sprechen kann. Ich 
hoffe, meine Auseinandersetzungen werden dazu führen, Klarheit zu 
schaffen. Dagegen möchte ich einen Irrthum berichtigen, dem ich in 
meiner ersten Publication verfallen bin. Ich habe damals angenommen, 
dass die Abnahme des Lecithingehaltes im Kothe von der ersten zur 
zweiten Periode bei den Tabikern, die ich untersuchte, zurückzuführen 
sei auf die von mir bei ihnen gemachten Lecithininjectionen. Aus der 


1) Die Lecithinbestimmung im Serum ist 1 Jahr nach dem StofTwechselversuch 
vorgenommen worden. 


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G. Peritz, 


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Gesammtheit der Zahlen der Tabelle VI muss man jedoch schliessen, 
dass die Höhe der Lecithinausscheidung an sich gewissen Schwankungen 
unterworfen ist. 

Ich hatte im Anfang dieser Arbeit auseinandergesetzt, dass vom 
theoretischen Standpunkt eine Verarmung des Organismus an Lecithin 
sich in allen Organen, die Lecithin enthalten, offenbaren müsse. Ich 
hatte angenommen, dass eine solche Verminderung sich im Knochenmark 
würde nach weisen lassen. Das Knochenmark enthält nach G likin 
erhebliche Mengen Lecithin, selbst bei einem 88jährigen Manne werden 
in den Röhrenknochen noch 1,83 g Lecithin auf 100 g Fett gefunden. 
Ein 34jähriger Mann hatte 3,30 g Lecithin im Knochenmark. Im 
Durchschnitt findet Glikin 1 ) beim erwachsenen Menschen 2,4 g Lecithin. 
Meine Untersuchungen in Gemeinschaft mit Dr. Glikin an den Röhren¬ 
knochen von 5 Paralytikern und einem Tabiker, die alle im Alter von 
30—45 Jahren standen, ergaben nicht nur eine Verminderung 
des Lecithingehaltes, sondern einen vollkommenen Schwund oder 
nur geringe Spuren Lecithin. Der Höchstgehalt, den wir fanden, 
war 0,29 pCt. bei einer Paralytischen im Alter von 31 Jahren. Es 
stellt dies den zehnten Theil des normalen Befundes dar 2 ). Im An¬ 
schluss an diese überaus einheitlichen Ergebnisse unserer Untersuchung 
des Knochenmarks möchte ich einen Befund erwähnen, welcher in 
Parallele zu setzen ist mit diesen Ergebnissen und der meines Erachtens, 
wenn auch bislang nur in 2 Fällen constatirt, ausserordeutlich interessant 
ist. Ich fand bei dem Paralytiker G., No. 13 der Tabelle V, in den 
rothen Blutkörperchen keine Spur von Lecithin, bei dem Paralytiker Fr. 
nur Spuren Lecithin. Da ja die rothen Blutkörperchen aus dem 
Knochenmark stammen, so ist anzunehmen, dass bei diesen Para¬ 
lytikern das Knochenmark schon seines Lecithingehaltes beraubt war. 
Interessant ist dieser Befund deswegen, weil wir meinen, dass ohne 
Lecithin eine Zelle nicht functionsfähig ist. Ein Analogon zu diesem 
Befunde bilden die Untersuchungen Erben’s 3 ), der fand, dass bei 
Diabetikern der Lecithingehalt der rothen Blutkörperchen abnimmt. 
Dazu kommen dann noch die Ergebnisse der Untersuchungen von 
Klemperer und Umber 4 5 ). Sie fanden im Coma diabeticum eine Ver¬ 
mehrung des Lecithingehaltes im Blute. Ebenso haben Frugoni und 
Marchetti 6 ) im Coma diabeticum eine Lipoidämie nachgewiesen. Durch 

1) Glikin, Biochem. Zeitschrift. Bd. IV. S. 235. 

2) ln zwei Fällen, die ich jüngst untersuchte, fand ich normalen Lecithingehalt 
im Knochenmark. Bei dem einen Fall ist es zweifelhaft, ob eine Paralyse vorgolegen 
bat. ln dem anderen Fall ist dagegen die Diagnose einer Paralyse als sicher anzu¬ 
sehen. Hier scheint es sich um eine sehr langsam verlaufende Form gehandelt zu 
haben, die intercurrent durch eine Tuberculose zum Abschluss gelange. Für den 
langsamen Verlauf spricht wenigstens die Angabe der Krankengeschichte, dass die 
Pat. sich etwa bis 14 Tage vor dem Exitus noch ruhig, geordnet und freundlich ge¬ 
halten habe. Die Dauer der Krankheit scheint zwei Jahre betragen zu haben. 

3) Erben, Wiener klin. Wochenschr. Sitzungsber. 1907. S. 1417. 

4) Klemperer und Umber, Zeitschrift f. klin. Med. 1907. S. 145. 

5) Frugoni und Marchetti, Berliner klin. Wochenschr. 1908. S. 1844. 


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lieber das Verhältniss von Lues, Tabes und Paralyse zum Lecithin. t>17 


diese Thätsachen werden die tebischen Veränderungen, die bei Diabetes 
nicht selten gefunden werden, in ein neues Licht gerückt. Man sieht, 
dass auch hier das Lecithin eine Rolle spielt. 

Ehe ich auf die Besprechung meiner Befunde eingehe, möchte ich 
noch auf die Untersuchung von Apelt und Schümm mit einigen Worten 
hin weisen. Diese beiden Autoren haben in der Spinalflüssigkeit die 
Phosphorsäure bestimmt. Sie fanden, abgesehen von der Urämie, die 
höchsten Werthe an Phosphorsäure in der Spinalflüssigkeit der an 
Dementia paralytica leidenden Kranken. Als Parallelbefund zu dem von 
Apelt und Schümm 1 ) festgestellten hohen Gehalt der Spinalflüssigkeit 
an Phosphorsäure bei einem Fall von Urämie kann ich berichten, dass 
ich ebenfalls bei einer Urämischen im Coraa 3,95 g Lecithin gefunden 
habe. Stellt man dazu noch die Reichardt’schen 2 ) Resultate, dass bei 
narkotisirten Hunden eine Zunahme des Lecithingehaltes des Serums 
stattfindet, so ergiebt sich daraus, dass wohl vorübergehend eine 
Steigerung des Lecithingehaltes im Serum unter dem Einwirken narko¬ 
tischer Stoffe eintritt, während aber im Serum der Luetiker, Tabiker und 
Panalytiker dauernd eine Steigerung des Lecithinspiegels im Serum vor¬ 
handen ist. 

Fassen wir die Resultate unserer Untersuchung zusammen, so ergiebt 
sich einmal eine erhebliche Steigerung des Lecithinspiegels im Serum. 
Diese Steigerung erreicht nicht nur 50pCt., sondern auch 100 und 200pCt. 
Die Vermehrung des Lecithins im Serum erscheint um so klarer, sobald 
man sich vor Augen hält, dass doch ungefähr im menschlichen Organismus 
272 Liter Serum kreisen. Nimmt man an, dass für gewöhnlich 5 g 
Lecithin im Serum sich finden, so kreisen schon bei einer Vermehrung 
des Lecithingehaltes um 50 pCt. 77 2 g Lecithin. Bei einem Gehalt 
von 3,5 g Lecithin in 1000 ccm Serum würde dann das Plus 3,75 g betragen 
und bei 6 g in 1000 ccm Serum 10 g Lecithin. Kaufmann meint, dass es 
nicht leicht zu verstehen wäre, wie bei der reichlichen Nahrungsaufnahme 
von Lecithin eine Verarmung an Lecithin im Organismus stattfinden könne. 
Im Durchschnitt nehmen wir ungefähr bei einer gemischten Nahrung 
8 g Lecithin täglich auf. Im Fall 3 meiner ersten Publication, der 
Milch 2 Liter, Schabefleisch 100 g, Kartoffelmus 200 g, Weissbrot 75 g 
und 60 g Butter erhielt, betrug der Mittelwerth der täglichen Lecithin¬ 
einnahme 4,317 g. Nach den verschiedenen Untersuchungen wird sicher 
im Darm ein Theil der Lecithine durch Darm- und Pankreasfermente 
zerlegt. Ob eine Synthese des Lecithins im Organismus stattfindet, ist 
nicht mit Sicherheit anzunehmen. Im jugendlichen Alter ist sie vielleicht 
wahrscheinlich. Wenn 60 pCt. des in der Nahrung eingeführten Lecithins 
der Zersetzung entgingen, so würden nicht viel mehr als 5 g Lecithin 
in das Serum gelangen können. Diese Menge würde den täglichen Bedarf 
des Organismus decken müssen. Es ist ja möglich, dass auch noch ein 
Plus gedeckt werden kann. Immerhin scheint es schon aus blossen 
Berechnungen nicht unmöglich, dass bei einer dauernden Heranziehung 


1) Archiv f. Psych. Bd. 44. H. 2. 

2) Zeitschrift f. klin. Med. Bd. 65. H. 3—4. 


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G. Peritz, 


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des Lecithins zu anderen Zwecken als zu denen es physiologisch bestimmt 
ist, eine Verarmung an Lecithin eintritt. Aus unseren Untersuchungen 
am Knochenmark geht es aber deutlich hervor, dass diese Annahme 
einer Verarmung des Organismus an Lecithin nicht in der Luft schwebt. 
Bei 5 Paralytikern und 1 Tabiker findet sich ein so einheitliches Resultat, 
wie man es selten bei pathologisch - chemischen Untersuchungen zu 
sehen Gelegenheit hat. Gerade die Einheitlichkeit der Resultate veran- 
lasste mich schon jetzt Schlüsse aus diesen Befunden zu ziehen, wenn 
auch manchem vielleicht die Zahl von 6 untersuchten Röhrenknochen 
noch nicht genügend erscheinen mag. Vielleicht giebt es noch andere 
Krankheiten, bei denen durch Toxine das Lecithin in Anspruch genommen 
wird. Die Untersuchungen von Calmette und seinen Schülern 1 ) über die 
Toxine der Tuberkelbacillen, des Tetanus und der Diphtherie sprechen 
dafür, dass sicher eine grosse Reihe von Bakterien Toxine produciren, 
die eine Bindung mit dem Lecithin eingehen. Ebenso habe ich schon 
vorher auf die Affinität der Lecithine zu den Narcotica, sei es, dass sie 
inhalirt oder im Organismus producirt werden, hingewiesen. In keinem 
Fall scheinen es aber so dauernde Vorgänge zu sein, die eine Inanspruch¬ 
nahme des Lecithins herbeiführen wie bei der Lues. Denn wir sehen, 
dass Luetiker, die vor 20—30 Jahren die Lues acquirirt haben, die in 
dieser Zeit scheinbar gesund waren, noch immer eine positive Wasser¬ 
mann'sehe Reaction aufweisen. Die Ausscheidung des Lecithins scheint 
durch den Darm zu erfolgen. Wie ich zeigen konnte, scheint sie aber 
nicht andauernd so gleichmässig zu sein und auch nicht parallel zu 
gehen mit der Vermehrung des Lecithins im Serum. Ich machte darauf 
aufmerksam, dass möglicher Weise etwa in der Gallenblase Retentionen 
stattfänden, so dass die Ausscheidungen dann nur zeitweise auftreten 
würden. Wenn auch im Detail noch viele Fragen zu beantworten sind, 
so geht doch aus meinen Untersuchungen so viel hervor, dass im Groben 
die Hypothese einer Verarmung des Organismus an Lecithin als Ursache 
der Tabes und Paralyse auf einer sichereren Grundlage zu stehen 
scheint, als bei meiner ersten Veröffentlichung. 

In meiner ersten Publication habe ich die Vermuthung ausgesprochen, 
dass es sich vielleicht bei der vermehrten Ausscheidung des Lecithins 
im Kothe um die Ausscheidung von Toxolecitiden handele oder um 
Verbindungen ähnlicher Natur. Auf Grund des Befundes, dass in einem 
Fall durch Leeithininjeetion die Wasfcermann’sche Reaction, die An¬ 
fangs positiv war, sich in ihr Gegentheil umkehrte und ferner auf Grund 
der Entdeckung von Porges, dass das Lecithin das syphilitische Antigen 
ersetzen könne, sprach ich die Ansicht aus, dass auch im Organismus 
innige Beziehungen bestehen zwischen den Körpern, welche die Wasser¬ 
mann'sehe Reaction bedingen und dem Lecithin. Sieht man sich nun 
unsere Zahlen unter diesem Gesichtspunkte an, so muss man zugestehen, 
dass gerade diejenigen Fälle, welche nicht ablenken, und die sicher Lues 
gehabt hatten, zum Theil recht hohe, ja die höchsten Werthe an Lecithin 

1) C. r. de l’Academie des Sciences. 30. März 1908; Petit, C. r. de las soc. 
de biol. 15. Mai 1908. 


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Ueber das Verhältniss von Lues, Tabes und Paralyse zum Lecithin. 61i) 


geben. Es ist auch eigenartig, dass der Tabiker, bei dem nach Lecithin- 
injcctionen die Wassermann’schc Reaction zum Schwinden gebracht 
wurde, einen so hohen Werth wie 5,3 g Lecithin im Serum aufweist. 
Für diese Thatsache giebt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder hat 
das Lecithin mit den die Ablenkung bedingenden Körpern nichts zu thun 
oder aber es besteht thatsächlich eine Beziehung zwischen ihnen. Unter 
dem ersten Gesichtswinkel wäre die Steigerung des Lecithins im Serum 
bei Luetikern, Tabikern und Paralytikern im Ganzen schwer verständ¬ 
lich. Um uns ein Bild von dieser Zunahme zu verschaffen, müssen wir 
immer annehmen, dass irgend welche Stoffe im Serum vorhanden sind, 
welche das Lecithin an sich fesseln, ebenso wie es bei der Narkose 
durch die narkotischen Stoffe geschieht. Würden wir aber diese An¬ 
nahme machen, so sind wir nur noch einen Schritt davon entfernt, die 
Wasser m an n’sche Reaction in Beziehung zu setzen zur erkannten 
Steigerung des Lecithins im Serum. Ich habe schon mehrfach auf die 
Punkte hingewiesen, die die Annahme einer Affinität zwischep den ab¬ 
lenkenden Körpern und dem Lecithin zn beweisen scheinen. Ich betonte 
schon vorher, dass es mir zwar noch nicht gelungen sei, durch Lecithin- 
Injectionen die Wassermann’sche Reaction wieder zum Schwinden zu 
bringen. Es muss jedoch auffällig erscheinen, dass die Berechnung 
meiner ablenkenden und nicht ablenkenden Fälle eine Verschiebung um 
13,75 pCt. gegenüber denen anderer Forscher zu Gunsten der nicht ab¬ 
lenkenden Fälle ergiebt. Unter diesen Fällen, die nicht ablenken, be¬ 
findet sich eine Anzahl solcher, die von mir lange Zeit mit Lecithin- 
Injectionen behandelt worden sind. Ziehe ich die schon behandelten 
Fälle ab, so erhalte ich dieselben Zahlen wie die übrigen Untersucher. 
Auch aus dieser Berechnung scheint sich zu ergeben, dass eine Be¬ 
ziehung zwischen Lecithin und dem ablenkenden Körper vorhanden ist. 
Auf einen anderen Punkt möchte ich noch hinweisen. Während das 
Lecithin nicht immer das syphilitische Antigen zu vertreten vermag, ist 
der alkoholische Extract des Ochsenherzens stets als Ersatz für das 
syphilitische Antigen zu gebrauchen. Nun wissen wir aus den Unter¬ 
suchungen Erlandsen’s, dass der alkoholische Extract des Herzens 
hauptsächlich Lecithine enthält vom Charakter der Diamidomonophos- 
phatide. Die Beziehung wird noch eine engere, wenn wir uns die Er¬ 
gebnisse der verschiedenen Extractuntersuchungen des Serums, die ich 
in Tabelle I angeführt habe, vor Augen halten. Im Serum sowohl 
Normaler wie der Luetiker, Tabiker und Paralytiker finden sich nur ge¬ 
ringe oder gar keine Mengen ätherlöslicher Lecithine. Dagegen ist die 
Hauptmenge der Lecithine im Alkohol löslich. Es scheint sich also im 
Wesentlichen bei den Bindungsvorgängen im Serum zwischen ablenkenden 
Substanzen und Lecithinen um derartige nur alkohollösliche Lecithine 
zu handeln. Schliesslich möchte ich noch auf ein Factum mich be¬ 
ziehen, welches auch für die Bindung zwischen Lecithin und ablenkenden 
Substanzen zu sprechen scheint. Im Fall No. 7 der Tabelle III (luetische 
Hemiplegie) war die Wassermann’sche Reaction positiv und nach einer 
Schmiercur war die Reaction geschwunden. Bei der ersten Serumunter¬ 
suchung vor der Schmiercur betrug der Lecithingehalt 3,5 g, nach der 


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620 G. Peritz, Ueber das Verhältniss von Lues, Tabes u. Paralyse zum Lecithin, 


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Schmiercur nur noch 1,95. Stellen wir daneben die andere Beobachtung, 
in der durch Lecithin-Injectionen die Wassermann’sche Reaction zum 
Schwinden gebracht wurde, so ergiebt sich hier gerade das Gegentheil. 
Hier ist der Lccithinspicgel ausserordentlich hoch. Am ehesten würden 
diese beiden Facta sich erklären lassen durch die Annahme, die wir ge¬ 
macht haben, dass nämlich zwischen Lecithin und ablenkenden Sub¬ 
stanzen eine Bindung stattfindet. Dann wäre die Steigerung auf der einen 
Seite erklärlich, während es auch verständlich würde, dass durch eine 
Schmiercur nicht nur, wie man ja schon aus manchen Beobachtungen 
weiss, die Ablenkung schwindet, sondern auch eine Abnahme des 
Lecithins resultirt. Ich möchte noch eine Beobachtung anführen, die zu 
Gunsten dieser Annahme spricht. In einem Falle fand ich im Serum, 
das 24 Stunden nach einer Lecithin-Injection auf die Ablenkung unter¬ 
sucht wurde, dieselbe vollkommen geschwunden. Das Serum sah 
wie Milch aus. Bei einer späteren Untersuchung lenkte das Serum 
wieder ab. Vielleicht liesse sich durch künstliche Steigerung des Lecithins 
im Serum auch ohne Injection experimentell vorübergehend das Schwinden 
der Ablenkung herbeiführen. 

Supponirt man eine solche Bindung zwischen Lecithin und den 
Körpern, die die Ablenkung bedingen entweder in rein chemischem oder 
chemisch-physikalischem Sinne, so würde das Vorhandensein einer Ab¬ 
lenkung besagen, dass im Serum einer solchen Person ein Ueberschuss 
über Lecithin an ablenkenden Substanzen vorhanden ist. Es liesse sich 
aber bei negativem Ausfall der Wassermann’schen Reaction das Vor¬ 
handensein oder Fehlen von Lues erst dann entscheiden, wenn man 
wüsste, ob die vorhandene Lecithinmenge im Serum normal oder ge¬ 
steigert ist. Dafür, dass das Fett in irgend einer Beziehung zu den 
ablenkenden Substanzen steht, geben meine Untersuchungen keinen An¬ 
halt. Denn die Fettbestimmungen zeigen bei Luetikern, Tabikern und 
Paralytikern keine Verschiedenheiten gegenüber denen bei Normalen. 

Gewiss wird von Vielen die Frage ausgeworfen werden, warum nicht 
jede Lues, die jahrelang eine Ablenkung im Serum bedingt, zur Tabes 
und Paralyse führt. Denn bei dem grossen Reichthura an Lipoiden im 
Centralnervensystem wird ja gerade dieses Organ am ehesten unter einer 
Verarmung leiden. Es erscheint aber doch nicht unwahrscheinlich, dass 
diese Verarmung gleichmässig den ganzen Organismus trifft und dass 
vielleicht bei Individuen, deren Lecithinhaushalt an sich sehr gross ist 
und bei denen nicht gar zu grosse Mengen ablenkender Substanzen 
kreisen, die Schädigung des Centralnervensystems durch den Verlust an 
Lecithin sehr gering ist. Ferner liegt aber auch die Möglichkeit vor, dass 
bei manchen Individuen das Lecithin aus anderen Organen gezogen wird, 
die vielleicht bei diesenlndividuen einen Locusminorisresistentiae darstellen. 

Auf die Bedeutung des Lecithins für den Organismus brauche ich 
nach den vielen Arbeiten, die über dieses Thema in den letzten Jahren 
erschienen sind, nicht noch einmal einzugehen. Ich weise nur auf die 
Arbeiten von Meyer und Overton, von Porges und Höber hin. Höber 1 ) 

1) Höber, Beiträge zur physik. Chemie der Erregung und der Narkose. Arch. 
f. d. ges. Physiologie. Bd. 120. S. 492. 


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l'eber das Verhältnis von Lues, Tabes und Paralyse /.um Lecithin. 621 


hat sogar in seiner letzten Arbeit versucht, den Actionsstrom auf die 
physikalisch-chemischen Veränderungen in den colloidalen Lipoiden, be¬ 
sonders im Lecithin, zurückzu/ühren. 

Es bleibt noch manche Frage bei diesem Problem zu lösen. Be¬ 
sonders wichtig erscheinen mir die Untersuchungen über die Art der 
Lecithine, welche im Serum kreisen und welche in Verbindung mit den 
Körpern treten, die die Ablenkung bedingen. Wenn die Behauptung 
Erlandsen’s zu Recht besteht, dass die alkohollöslichen Lecithine stets 
Diamidomonophosphatide sind, so müsste man annehmen, dass im Serum 
wesentlich solche sich befinden und dass diese auch wesestlich die 
Bindung mit den ablenkenden Substanzen eingehen. Auch für unsere 
therapeutischen Maassnahmen wäre diese Erkenntniss von Wichtigkeit. 
Denn bis jetzt führt man nur Gemische aller Lecithine ein, während 
man bei der Erkenntniss, dass bestimmte Lecithine nur das Reactions- 
product abgeben können, man diese Substanzen einzuführen suchen 
muss. Aus unseren Tabellen geht ferner deutlich hervor, dass das 
Lecithin nicht die supponirten Luestoxine entfernt. Die einfachste Er¬ 
klärung ist die, dass das Lecithin sie absättigt. Daraus folgt aber 
auch, dass das Lecithin nicht als Heilmittel der Syphilis anzusehen ist. 
Bei der Tabes und Paralyse handelt es sich aber nicht mehr nur um 
die ablenkenden Körper, sondern um die jahrelang bestehende Ent¬ 
ziehung des Lecithins und der daraus resultirenden Verarmung an 
Lecithin. Erfahrungsgemäss werden Schmiercuren von Tabikern sehr 
schlecht vertragen. Im Wesentlichen wird es sich darum handeln, zu 
versuchen, ob man nicht durch Lecithininjectionen der Verarmung an 
Lecithin entgegen arbeiten kann, vielleicht auch, ob man durch combi- 
nirte Anwendung von Quecksilber und Lecithin einmal die Bildung von 
Luestoxinen beseitigen und das zweite Mal durch Lecithininjectionen 
dem Organismus wieder neue Lecithinmengen zu führen könnte. 

Aus meinen Untersuchungen ergiebt sich also, dass im Serum von 
Luetischen, Tabischen und Paralytischen der Lecithinspiegel gegen die 
Norm erhöht ist, dass ferner zeitweise grosse Mengen Lecithin bei 
Tabikern und Paralytikern im Kothe ausgeschieden werden und dass 
schliesslich im Knochenmark von Paralytikern und Tabikern ein voll¬ 
ständiger Schwund des Lecithins zu constatiren ist. Es ist wahrschein¬ 
lich, dass eine Bindung zwischen Lecithin und ablenkenden Substanzen 
stattfindet und dass der positive oder negative Ausfall der Wasser¬ 
mann'sehen Reaction bei Kranken, die an Lues leiden, abhängig ist 
von der Menge des vorhandenen Lecithins. Ein negativer Ausfall der 
Wassermann'sehen Reaction könnte einmal besagen, dass keine ab¬ 
lenkenden Substanzen mehr im Serum kreisen oder zweitens, dass ge¬ 
nügend Lecithin im Serum vorhanden ist, um die ablenkenden Substanzen 
abzusättigen. Es erscheint also die Annahme berechtigt, dass die Tabes 
und Paralyse auf einer Verarmung des Organismus an Lecithin beruht 
und dass die Lues-Toxine diese Verarmung bedingen. 


Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. 


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XLIII. 

Aus der I. medicinischen Universitäts-Klinik in Wien. 

Versuche fiber die Einwirkung von Arzneimitteln 
auf überlebende Coronargefässe. 

Von 

Hans Eppinger und L. Hess. 

Die Angriffspunkte der verschiedenen Arzneikörper sind theils die 
Zellen der Organe, theils das Gefäss- und Nervensystem. In Folge dessen 
stellen die am lebenden Organismus nach Einverleibung von Arzneien 
beobachteten Erscheinungen zumeist eine Resultante dar aus einer 
specifischen Beeinflussung von Organzellen und einer allgemeinen Ein¬ 
wirkung auf Gefässe und Nerven. Das Studium der ersteren für sich 
allein stösst im lebenden Thierkörper auf unüberwindliche Schwierigkeiten; 
der einzig mögliche Weg hierzu ist die Beobachtung des isolirten, künst¬ 
lich durchbluteten Organs. Dieser Weg erweist sich aber auch nützlich 
für das Studium der Einwirkung von Giften auf die Gefässe, indem das 
wechselnde Verhalten der Ausflussmenge des künstlich unter bestimmtem 
Druck durch ein Organ hindurch getriebenen Blutes ein Urtheil erlaubt 
über die Aenderungen, welche die Weite der betreffenden Gefässe unter 
der Einwirkung von pharmakologischen Agentien erfährt. Allerdings 
bleibt bei dieser Methode und eben so bei der der Bestimmung der 
Ausflussmenge des Blutes am lebenden Thiere unbestimmt, welcher Theil 
der Gefässbahn (Arterien, Venen, Capillaren) betroffen war. Dem 

gleichen Bedenken unterliegt die onkometrische Methode. Da mit den 
Gefässen die Gefässnerven gleichzeitig der Giftwirkung ausgesetzt sind, 
gestatten beide Methoden nicht, die Gefäss- von der Nervenwirkung zu 
unterscheiden. Nur eines lässt sich mit Leichtigkeit erkennen, ob nämlich 
der Angriffspunkt des betreffenden Pharmakon im centralen oder auch 
im peripheren Nervensystem gelegen ist. Manche Organe zeigen aber 

eine gewisse Vitalität auch ohne künstliche Oirculation. Lässt sich 

unter solchen Umständen eine Arzneiwirkung feststellen, dann geschieht 
sie zweifellos direct, zum Mindesten ohne Betheiligung der Gefässe, 

eine Trennung zwischen Zell- und Nervenwirkung lässt sich auch so 
nicht strenge durchführen. Ein Schritt weiter war einerseits die Ver¬ 
wendung von Organbrei, anderseits das Studium an isolirten Nerven- 
und Blutgefässen. 


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Versuche über die Einwirkung von Arzneimitteln auf überlebende Coronargefässe. 623 


Von wie hoher practischer Bedeutung es sein kann, die Wirkung 
eines Arzneikörpers auf die Zellen eines Organs, auf seine Gefässe und 
Nerven getrennt zu kennen, zeigt am besten das Studium der Herz¬ 
wirkung der Digitalis. 

Der günstige Einfluss, den die Körper der Digitalis-Gruppe auf das 
geschwächte Herz zu nehmen vermögen, ist uns durch die alltägliche, 
klinische Beobachtung geläufig. Die Darreichung der Digitalis ist keine 
unbegrenzte und nach Ueberschreitung gewisser Grenzen tritt eine schäd¬ 
liche Einwirkung auf das Herz hervor. Eben so zeigt das Experiment 
am Thier, dass bei Anwendung von grossen Digitalisdosen die anfängliche 
Hebung der Herzkraft in ihr Gegentheil Umschlägen und das Herz zum 
Stillstand kommen kann. Auch bei Anwendung von therapeutisch statt¬ 
haften Dosen stellen sich in manchen Fällen unerwünschte Neben¬ 
wirkungen ein, die allem Anschein nach mit der Beeinflussung des Herz¬ 
muskels in keinem directen Zusammenhang stehen. 

Wegen der in manchen Fällen auftretenden hochgradigen Pulsver¬ 
langsamung wurde der Digitalis eine vagotrope Wirkung zugeschrieben. 
Gewisse Anhaltspunkte führten zu der Annahme, dass auch die Coronar¬ 
gefässe nicht unbeeinflusst bleiben, ein Umstand, der deshalb von grosser 
practischer Bedeutung ist, weil eine Verbesserung der Digitaliswirkung 
einerseits durch gleichzeitige Darreichung von negativ vagotropen Mitteln, 
anderseits von sicher gefässerweiternden Agentien zu erwarten ist. 
Wäre der Nachweis einer die Coronargefässe verengenden Componente 
in der Digitalis mit Sicherheit erbracht, so wären wir genöthigt, entweder 
von vornherein die Anwendung grosser Digitalis-Dosen zu unterlassen 
oder ihre unerwünschte Einwirkung auf die Coronar-Arterien durch gleich¬ 
zeitige Zufuhr von gefässerweiternden Mitteln zu paralysiren. Denn 
darüber kann kein Zweifel bestehen, dass die ungestörte Function eines 
Organs eine ausreichende Circulation zur Voraussetzung hat. 

Es ist bekannt, dass Adrenalin, intravenös verabfolgt, Gefässcon- 
traction und Blutdrucksteigerung zur Folge hat. Den vermehrten Widerstand 
in der Peripherie vermag das Herz durch vermehrte Arbeit zu überwinden. 
Eine derartige Mehrleistung des Herzens wäre auffallend, wenn an der 
allgemeinen Gefässcontraction auch die Kranzarterien betheiligt und daher 
die Blutversorgung des Herzens verschlechtert wäre. In der That konnte 
auch Langendorff 1 ) nachweisen, dass Adrenalin die Coronarge¬ 
fässe nicht nur nicht verengert, sondern sogar mächtig er¬ 
weitert. 

Für das Studium von Arzneiwirkungen auf isolirte Gefässe eignet 
sich vorzüglich die Methode von 0. B. Meyer 2 ), die im Wesentlichen 
darin besteht, dass die Veränderungen der Länge eines ausgespannten 
Arterienquerschnittes durch Hebelübertragung auf einer Kymographion- 
Trommel registrirt werden. Im Princip lehnt sich dieses Verfahren den 


1) v. Langendorff, Leber die Innervation der Coronargefässe. Centralbl. f. 
Physiologie. 1907. S. 551 ff. 

2) 0. B. Meyer, Ueber einige Eigenschaften der Gofässrnuskulatur. Zeitschrift 
für Biologie. 48. 1906. S. 352 ff. 

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024 


H. Eppinger und L. Hess 


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älteren kymographischen Methoden an. Vorbedingung ist die Anwendung 
von Gefässen frisch geschlachteter Thiere, aber auch dann ist wiederholte 
Controle nöthig. 

Des weiteren muss berücksichtigt werden, dass die Gifte nicht wie 
unter physiologischen Umständen bloss von der Intima her wirken, 
sondern das Gefäss von allen Seiten umspülen. Wenngleich practisch 
auch bei diesem Verfahren die Trennung zwischen Gefäss- und Neben¬ 
wirkung unmöglich ist, erscheint es doch in vielen Fällen in hohem 
Grade wahrscheinlich, dass es sich um Nervenwirkung handle. Nach 
dieser Methode wurden die im Folgenden mitzutheilenden Versuche ange¬ 
stellt. — 

Von hohem theoretischen Interesse ist die Frage, ob der von 
Langendorff aufgedeckte Antagonismus von Herz- und peripheren Ge¬ 
fässen dem Adrenalin gegenüber auch bei anderen Arzneistoffen in Er¬ 
scheinung tritt. Das Adrenalin ist eine Substanz, die am Sympathicus 
angreift, seine Wirkung ist Contraction der peripheren, Erweiterung der 
Herzgefässe. Da ein Antagonismus zwischen sympathischen und auto¬ 
nomen Nerven unzweifelhaft besteht, erschien es möglich, dass sichere 
„Vagusmittel 44 im Gegensatz zum Adrenalin die peripheren Arterien 
erweitern und die Coronargefässe verengen. Ein solches Vagusmittel ist 
das Pilocarpin und das in seiner Wirkung verwandte Physostigmin. 
Von beiden steht es fest, dass sie im lebenden Thiere die peripheren 
Gefässe erweitern. Von beiden liess sich am herausgeschnittenen, frischen 
Gefässquerschnitte zeigen, dass sie die peripheren Gefässe erweitern, 
während sie die Coronararterien zur Verengerung bringen. Es scheint 
somit der Antagonismus zwischen sympathischen und autonomen Nerven¬ 
giften auch hinsichtlich der Gefässwirkung zu Recht zu bestehen. 

Vom Cholin ist es seit Lohmann’s 1 ) Untersuchungen bekannt, dass 
es am lebenden Thiere die Gefässe erweitert und am herausgeschnittenen, 
überlebenden Darm die Bewegungen hemmt. Diese am peripheren 
Gefässsystem zu constatirende, dem Adrenalin antagonistische Function 
findet eine Analogie in dem Verhalten der Coronararterien des Herzens: 
Cholinchlorhydrat bewirkt auch in starker Verdünnung eine 
Contraction der Kranzgefässe. 

Dieser Antagonismus von Herz- und peripheren Gefässen bei Ein¬ 
wirkung von Adrenalin, Pilocarpin, Physostigmin, Cholin ist gleichzeitig 
wohl ein Hinweis darauf, dass es sich bei den genannten Substanzen in 
erster Linie um Nerven- und nicht um Gefässmuskel-Beeinflussung 
handelt. Das Atropin beispielsweise, das sich sonst negativ vagotrop 
zu verhalten pflegt, lässt einen Gegensatz zwischen Herz- und peripheren 
Gefässen nicht erkennen; beide werden durch Atropin dilatirt, vielleicht 
deshalb, weil es sich bei der Atropinwirkung in erster Linie um 
Beeinflussung der Gefässmuskulatur handelt. Eben so wirkt das Calcium, 
das sicherlich ein Muskelgift darstellt, gleichsinnig — nämlich contra- 
hirend — auf beide Gruppen von Gefässen. Der Calciumwirkung identisch 
ist die Wirkung des Barium, conträr die der Nitrite (Natürlich war in 

1) Pflüger’s Archiv 1908. Bd. 122. S. 203 if. 


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Versuche über die Einwirkung von Arzneimitteln auf überlebende Coronargefässe. 625 

allen Fällen die angewendete Giftconcentration so gering, dass Salz¬ 
wirkung auszuschliessen war). 

Geprüft wurde des Weiteren eine ganze Anzahl von bekannten 
Herz- und Gefässmitteln hinsichtlich ihrer Einwirkung auf die Kranz- 
gefässe. Es stellte sich heraus, dass die Digitaliskörper (Digalen, 
Digitoxin, Strophantin) die Coronar- und peripheren Arterien ver¬ 
engen, die Coffein- und TJieobromin - Salze sie erweitern 1 ). 
Von Jodpräparatenliess sich kein Effect nachweisen. Die von Zülzer 2 ) 
jüngst empfohlene Ergotina styptica Egger erweiterte die Gefässe 
des Herzens und dürfte auch aus diesem Grunde für die Herztherapie 
von Wichtigkeit sein. 


Uebersichts-Tabelle. 


Angewendete Substanz 

Coronaria 

Peripheres 

Gefäss 

Adrenal. hydrochl. Takamine 

i 

Erweiterung 1 

Verengerung 

Cholin, hydrochlor. Mercz . 

Verengerung , 

Erweiterung 

Physostigmin, salicylic. . . . 

Verengerung i 

Erweiterung 

Pilocarpin, hydrochl. 

Chlorbaryum. 

Verengerung 

I 

Erweiterung 

Digitoxin. 

Digalen Cloetta. 

> Verengerung 

! Verengerung 

Strophantin Böhringer . . . 
Atropin, sulfur. 

1 

Erweiterung 

1 

Erweiterung 

Ergotina styptica Egger . . 

Erweiterung 

| — 

Natr. nitrosum. 

Erweiterung 

1 Erweiterung 

Natr. jodatum. 

ohne Wirkung 


In das Versuchsgefäss, das 10 ccm Ringer’sche Flüssigkeit (Temperatur 37 bis 
40° C.) enthielt, wurden 1—2 Tropfen einer 1 prom. wässerigen Lösung der jeweils 
angewendeten Substanz eingeträufelt. Die Jodsalze wurden ausserdem auch in stärkerer 
C-oncentration (1 pCt.) geprüft. Bezüglich der näheren' Details der Versuchsanordnung 
siehe die Originalabhandlung von 0. B. Meyer, 1. cit. 

1) In oncometrischen Versuchen an Kaninchennieren fanden Jonescu u. Loewi 
(Archiv f. experimentelle Pathologie. 1908. Bd. 59. S. 711 ff.) Erweiterung der 
Nierenarterie durch minimale Digitalisdosen, 

2) Zeitschrift f. experimentelle Pathologie und Therapie. Bd. 5. 1908. S. 295. 


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XLIV. 


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Aus der Königl. dermatolog. Universitätsklinik zu Breslau. 

(Director: Geh. Med.-Rath Prof. Dr. A. Neisser.) 

Ueber die hämolytische Wirkung des Sublimats. 

Von 

Dr. Sh. Dohi aus Tokio (Japan). 

Es ist seit langem bekannt, dass das Sublimat ein ungemein heftiges 
Blutgift ist. Genaue Untersuchungen dieser Erscheinung wurden bisher 
selten vorgenommen. Neuerdings haben nun Detre und Seilei 1 ) über 
die hämolytische Wirkung des Sublimats eine ausführliche Untersuchung 
gemacht. Im Anschluss daran hat noch Hans Sachs 2 ) einige Versuche 
mitgetheilt. Für Syphilidologen hat die ganze Frage natürlich noch ein 
besonderes Interesse, und so habe ich Gelegenheit genommen, diese 
Subliraathämolyse noch einmal zu untersuchen. Im grossen und ganzen 
stimmen unsere Resultate mit denen von Detre und Seilei überein; 
doch sind wir in mehreren Punkten zu anderen Ergebnissen gekommen. 
Wir werden hier die Resultate unserer Versuche etwas genauer mit¬ 
theilen. 


I. Die Blutresistenz gegen die hämolytische 
Wirkung des Sublimats. 

Bei allen unseren Versuchen verwendeten wir nach der Angabe von 
Detre und Seilei immer eine etwas hypertonische, nämlich 1 proc. 
Kochsalzlösung. Einerseits stellten wir mit dieser Kochsalzlösung die 
verschiedenen Concentrationen des Sublimats, und andererseits die 5proc. 
defibrinirte Menschenblutemulsion her. Zu je 1 ccm von verschieden ver¬ 
dünnten Sublimatlösungen setzten wir 0,1 ccm der 5 proc. Blutemulsion. 
Im Verlauf unserer Versuche haben wir die Thatsache festgestellt, 
dass die äusserst verdünnten Sublimatlösungen, und zwar 
unter 1:500 000, in einigen Stunden nach der Herstellung schon 
ihre hämolytische Wirkung ganz oder mehr oder weniger ver¬ 
lieren; seitdem haben wir sie jedesmal aus der 1 proc. Originallösung 
des Sublimats frisch hergestellt. 

Die hämolytische Wirkung des Sublimats gegen ungewaschenes 

1) Berliner klin. Wochenschr. 24. Juli 1904. Wiener klin. Wochensohr. No. 45, 
40. 1904. 

2) Wiener klin. Wochenschr. No. 35. 1905. 


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Ueber die hämolytische Wirkung des Sublimats. 


627 


Menschenblut tritt nur bei einer gewissen Concentration derselben und 
nach einer gewissen Zeit auf. Bei 37° C innerhalb der ersten Stunde 
zeigt sich Hämolyse bei einer Concentration von 1 : 10 000—1 : 150 000; 
bei noch grösserer Verdünnung tritt die Hämolyse erst nach längerer 
Einwirkung ein. Wir haben die Versuchsröhrchen immer 2 Stunden bei 
37° C und dann 18 Stunden bei Zimmertemperatur gehalten. Nach 
unserer Erfahrung scheint dieses Verfahren viel besser zu sein, weiljnan 
dadurch das Resultat viel deutlicher und genauer beobachten kann; 
dagegen wird durch längere Einwirkung der Wärme (5 Stunden) die 
klare complette Lösung wieder etwas getrübt. 

Nach mehreren Untersuchungen des ungewaschenen Menschenblutes 
haben wir durchschnittlich die folgeude Scala bekommen: 


Tabelle I. 


Verdünnung 

1 Std. in 

2 Std. in 

18 Std. in 

Sublimats 

37° C. 

370 C. 

Zimmertemperatur 

1: 10 000 

1 : 12 500 

etwas 

incomplet 

etwas 

incomplet 

\Die obere Schicht der 
1 Flüssigkeit gelbröth- 
( lieh klar, und auf 

1: 15 000 

incomplet 

incomplet 

1 : 25 000 

incomplet 

incomplet 

1 oder weniger weiss- 
1 / liehe Niederschläge. 

1 : 50 000 

incomplet 

incomplet 

1 : 75 000 

complet 

complet 

complet 

1 : 100 000 

complet 

complet 

complet 

1: 150 000 

Spuren 

complet 

complet 

1: 200 000 

0 

complet 

complet 

1: 250 000 

0 

complet 

complet 

1: 333 000 

0 

Spuren 

complet 

1: 400 000 

0 

0 

complet 

1: 500 000 

0 

0 

complet 

1: 600 000 

0 

0 

incomplet 

1: 750 000 

0 

0 

stark 

1:1000 000 

0 

0 

Spuren 

1:1500 000 

0 

0 

0 


Die Lösungszone der Subliraatverdünnung reicht von 1 : 10 000 
bis 1:1 000 000. An der oberen Grenze dieser Lösungszone, nämlich 
1 : 10 000—1 : 50 000, tritt keine complette Lösung ein, sondern bei 
Zimmertemperatur sieht man nach 18 Stunden mehr oder weniger weiss- 
liche Niederschläge auf dem Boden, aber keine rothen Blutkörperchen. 
Diese Niederschläge bilden sich aus einer chemischen Verbindung zwischen 
Quecksilber und Eiweiss des Blutes. Sie treten blos bis zu einer Sublimat- 
concentration von etwa 1:50 000 ein; bei weiterer Verdünnung nicht 
mehr. Die obere Schicht der Flüssigkeit zeigt sich gelb-röthlich klar. 
Wenn man die Röhrchen schüttelt, so wird die Flüssigkeit wieder un¬ 
durchsichtig. Je concentrirter die Sublimatlösung ist, desto reichlicher 
fallen die Niederschläge aus. 

Bei verschiedenen Individuen zeigt die obere complette Lösungs¬ 
grenze nur wenige Schwankungen. Dagegen weist die untere complette 
Lösungsgrenze relativ grössere Schwankungen auf, und diese Schwankungen 
kann man bei der unteren Grenze viel deutlicher und genauer als bei 


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628 


S li. D o h i, 


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der oberen beobachten.. Im Laufe unserer Untersuchung schwankte 
diese untere complette Lösungsgrenze zwischen 1:400 000—1:750 000 
und die partielle Lösung zwischen 1 : 750 000—1: 1 000 000. Wenn 
man die Probe noch länger bei Zimmertemperatur fortsetzt, so geht die 
untere partielle Lösungsgrenze noch weiter nach abwärts. 

Wie man bei Tabelle I sieht, tritt die Hämolyse in der ersten Stunde 
bis 1 : 150 000, in der zweiten bis 1 : 333 000 bei 37° C und in den 
weiteren 18 Stunden bei Zimmertemperatur bis 1000 000 ein. Also 
fängt die Hämolyse desto schneller an, je concentrirter die Sublimat¬ 
lösung ist. Um die Blutresistenz zu bezeichnen, berechnen wir immer 
die untere complette Lösungsgrenze nach der ganzen Beobachtungsdauer. 
Ausser der Concentration und der Einwirkungszeit des Sublimats ist die 
Schnelligkeit der Hämolyse auch zu der Temperatur proportionirt. Bei 
niedriger Temperatur tritt die Hämolyse ganz langsam oder unvollständig 
ein; dagegen bei höherer Temperatur, z. B. im Wasserbade von 45° C 
tritt die complette Lösung bei Verdünnung von 1 :150 000 schon inner¬ 
halb 20 Minuten ein, während Spuren von Lösung bei derselben Ver¬ 
dünnung in der ersten Stunde bei 37° C sich zeigen. 

Die vorher angegebene Scala (Tab. I) ist ein Lösungswerth des 
nativen Menschenblutes, in dem ausser den Blutkörperchen noch 
Serum enthalten ist. Wenn die 5 proc. defibrinirte Blutemulsion durch 
Centrifugiren und Abpipettiren von der serumhaltigen Flüssigkeit befreit 
wird, und dann solche von neuem mehrfach durch 1 proc. Kochsalzlösung 
ersetzt wird, so bekommt man eine serumfreie, gewaschene Blutkörperchen¬ 
emulsion. Diese isolirten Blutkörperchen sind gegen Sublimat 
viel empfindlicher als die native Blutemulsion. Durch ver¬ 
gleichende Versuche des nativen Blutes und der gewaschenen Blut¬ 
körperchen desselben Individuums erhält man folgende Resultate: 

Tabelle II. 


Verdünnung 
des Sublimats 

1: 600 000 

1: 750 000 

1:1 000 000 

1:1 500000 

1 : 2 000 000 

i 

Natives Blut 

F. W. 

complet 

incomplet 

0 

0 

j 

0 

Gewaschenes Blut 
F. W. 

complet 

complet 

complet 

incomplet 

Spuren 

Natives Blut 

E. F. 

incomplet 

incomplet 

Spuren 

0 

l 

0 

Gewaschenes Blut 
E. F. 

complet 

complet 

complet 

incomplet 

Spuren 


Der Unterschied des Lösungswerthes zwischen beiden beruht nach 
Detre und Seilei darauf, dass das enthaltende Serum in der nativen 
Blutemulsion eine neutralisirende Eigenschaft für die vergiftende Wirkung 
des Sublimats (Schutzwirkung) besitzt. Näheres über die Schutzwirkung 
des Serums werden wir unter dem betreffenden Kapitel sagen. 

Zwischeh Syphilitikern und Nichtsyphilitikern konnten 
wir Verschiedenheit der Blutresistenz nicht constatiren, eben¬ 
sowenig zwischen dem Blute von Syphilitikern mit positiver oder negativer 
Syphilisseroreaction. 


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Original fram 

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Ueber die hämolytische Wirkung des Sublimats. 


629 


Wir haben auch im Laufe unserer Versuche Gelegenheit gehabt, 
das Blut eines Patienten mit Quecksilberidiosynkrasie zu untersuchen. 
In der Verrauthung, dass das Blut dieses Menschen auch eine empfind¬ 
lichere Eigenschaft gegen die hämolytische Wirkung des Sublimats haben 
kann, untersuchten wir den Lösungswerth dieses Blutes und gleichzeitig 
den des Blutes anderer Menschen als Controle. Doch konnten wir 
keine Differenz zwischen beiden constatiren. 

Was den Einfluss der Quecksilberbehandlung auf die Resistenz 
des Blutes anlangt, so scheint er uns nach unseren Versuchen nicht 
bedeutend zu sein. Zum Vergleiche haben wir die Blutresistenz von 
den schon mit Quecksilber behandelten und nichtbehandelten Patienten 
untersucht und haben folgende Scala bekommen: 

Tabelle III. 


Blutkörperchenresistenz von nicht Hg behandelten Individuen. 


Fälle 

Seroreact. 1 


Verdünnun 

g des Sul 

| 1:750000^ 

Dlimats 


1:400000 

1:500000 

| 1:600000 

1:1000000 1 

1:1500000 

1. R. K. 

+ 

complet 

complet 

complet 

1 incomplet 

Spuren 

0 

2. F. S. 

-h 

complet 

complet | 

complet 

incomplet 

Spuren 

0 

3. H. K. 

0 

complet 

i complet 

complet 

I complet ! 

Spuren 

0 

4. A. G. 

+ 

complet 

i incomplet 

incomplet 

massig 

Spuren 

0 

5. A. H. 

+ 

complet 

complet 

! complet 

incomplet i 

0 

0 

6. N. T. 

0 

complet 

complet i 

incomplet 

stark 

Spuren 

0 

7. F. E. 


complet 

complot 1 

incomplet 

incomplet 

Spuren 

0 


Tabelle IV. 

Blutkörperchenresistenz nach Hg-Behandlung. 


Fälle 

-u» 

<v 

u, 

o 

bl 

© 

<72 

Hg-Behandlung 

Verdünnung des Sublimats 

1:400000! 1:500000 1:600000 1:750000 

1 i 

1:1000000 

1:1500000 

1. P. S. 

0 

12 Calomelinject. 

complet | complet j incomplet incomplet 

Spuren 

0 

2. L. S. 

0 

11 Calomelinject. 

complet | incomplet incomplet stark 

0 

0 

3. R. S. 

0 

10 01. ciner.-Inject. 

complet complet complet 1 complet 

Spuren 

j 0 

4. B.N. 

+ 

9 Calomelinject. 

complet 1 complet complet incomplet 

Spuren 

0 

5. K.B. 

+ 

11 Calomelinject. 

complet complet massig | Spuren 

0 

0 

6. R.H. 

0 

14 01. ciner.-Inject. 

complet | incomplet, massig massig 

0 

0 

'• J. S. 

+ 

14 Calomelinject. 

complet i complet complet j incomplet 

i ■ ! i 

incomplet 

0 


Wenn man nun mit den unteren completten Lösungsgrenzen der¬ 
selben eine Curve beschreibt, so sieht man zwischen beiden keine be¬ 
sondere Differenz von Schwankungen des Lösungswerthes; bei beiden 
schwankt der Titer zwischen 1:400 000 und 1 : 750 000. Nur bei der 
partiellen Lösungsgrenze weist diese eine etwas grössere Schwankung 
bei den behandelten Patienten auf; doch scheint es uns keine nennens- 
werthe Differenz zu sein. (Siehe Tab. V). 

Um den etwaigen Einfluss von Quecksilberbehandlung in relativ 
enorm grossen Dosen auf die Blutresistenz zu untersuchen, haben wir 
bei zwei Kaninchen folgende Versuche vorgenommen. Zuerst stellten 


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Sh. Dohi, 


Tabelle V. 



wir den Lösungstiter für Kaninchenblut in normalem Zustande fest; dann 
injieirten wir alle Tage je 3 mg Sublimat ins subcutane Gewebe, und 
dann machten wir in den verschiedenen Zeiträumen ßlutuntersuchungen 
bei denselben Kaninchen. Die Resultate sind folgende: 


Tabelle VI. 
Erstes Kaninchen. 


Verdünnung 
des Sublimats 

1:600000 

1:750000 

1:1000000 

1:1500000 i 

1 

1:2000000 

Vor Injection 

complet 

complet 

complet 

Spuren 

i 

i 

0 

Nach 1 Injection 

complet 

complet 

complet 

massig 

0 

„ 6 . 

complet 

complet 

complet 

stark 

0 

„ 12 „ 

complet 

complet 

incomplet 

! Spuren 

0 

> 17 , 

complet 

incomplet 

0 

0 

i 

0 


Zweites Kaninchen. 


Vor Injection 

complet 

complet 

incomplet 

0 

0 

Nach 1 Injection 

complet 

complet 

incomplet 

0 

0 

- 6 , 

complet 

complet 

incomplet 

massig 

Spuren 

„ 11 * 

complet 

complet 

complet 

complet 

stark 

, 17 * 

complet 

complet 

complet 

Spuren 

0 

* 22 , 

complet 

complet 

complet 

0 

i 

0 


Bei beiden Kaninchen bleibt die untere complette Lösunsgrenze nach 
der ersten Injection in derselben Höhe wie in normalem Zustande. Beim 
ersten Kaninchen wurde die Blutresistenz ein wenig empfindlicher nach 
6 Injectionen, und beim zweiten viel empfindlicher nach 11 Injectionen; 
beim ersten deutlich resistenter und beim zweiten weniger resistenter 
nach weiteren Injectionen. Doch liegt die complette Grenze beim 
zweiten nach 22 Iujeetionen noch etwas niedriger als im normalen Zu¬ 
stande. Aus diesen Resultaten der Thierexperimente konnten wir also 
ebenfalls keinen sicheren Einfluss der Quecksilberbehandlung auf die 
Blutresistenz constatiren. Es sei hier erwähnt, dass auch Detre und 
Seilei einen bedeutenden Einfluss der Hg-Behandlung auf die Blut¬ 
resistenz gegenüber der Sublimatwirkung nicht constatiren konnten. Heber 


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\ elmrdie Wirkung des ^ubhra.'iK 


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Patienten' fanden, missen mo >.ichSelbst noch sehr rcsorvirr 

Amte? beim Mct^chbnhhjt haben wir die hämolytische Wirkung 
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632 


Sh. D o h i, 


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sucht. In Tabelle VII befindet sich der Lösungswerth nach der ersten 
Stunde bei 37° C und in Tabelle VIII nach der ganzen Beobachtungs¬ 
dauer. Bei der ersten bemerkt man eine gewaltige Differenz des 
Lösungswerthes zwischen den verschiedenen Thierarten; bei der letzteren 
ist diese Differenz relativ geringer. Von den Blutarten, die wir zu 
unseren Untersuchungen gewonnen haben, ist das Kaninchenblut am 
empfindlichsten und das Taubenblut am resistentesten gegen die hämo¬ 
lytische Wirkung des Sublimats. 

Beim Kaninchenblut tritt die complette Lösungszone schon nach 
der ersten Stunde bei 37° C von 1:25 000 bis 1:600 000 ein, und 
nach der ganzen Beobachtungsdauer geht er nur ein wenig noch weiter 
nach unten bis 1:1 000 000; also braucht die complette Hämolyse beim 
Kaninchenblut nur sehr kurze Zeit. 

Das Taubenblut löst sich nach der ganzen Beobachtungsdauer von 
1:5 000 bis 1:600 000; doch setzen sich am Boden sämratlicher 
Röhrchen in dieser Zone weissliche Niederschläge ab. 

Das Affenblut hat ungefähr gleiche Blutresistenz wie beim Menschen; 
doch die Zeitdauer bis zur completten Lösung ist etwas kürzer. 

Die Empfindlichkeit des Pferdeblutes ist nach der ganzen Be¬ 

obachtungsdauer wie beim Kaninchen: aber die Lösung tritt hier viel 
langsamer ein, wie man es in Tabelle VII sieht. An der oberen Grenze 
der Lösungszone sieht man eine ziemlich reichliche Menge von weiss- 
lichen Niederschlägen. 

Das Hammelblut löst sich nach der ersten Stunde gar nicht bei 
verschiedenen Verdünnungen des Sublimats; erst nach der zweiten Stunde 
bei 37° C tritt die Hämolyse von 1 : 8 000 bis 1 : 500 000 ein, und nach 

weiteren 18 Stunden bei Zimmertemperatur geht die Lösung bis 

1:1 000 000. Also ist die Zeitdauer bis zur Lösung beim Hammelblut 
äusscrst lang. 

Der Lösungswerth des Schweineblutes ist nach der ganzen Be¬ 

obachtungdauer fast gleich wie beim Hammelblut; aber die Lösung tritt 
etwas schneller als bei letzterem ein, nämlich nach der ersten Stunde 
sieht man die incomplette Lösung von 1 : 5 000 bis 1 :250 000. An 
einigen Röhrchen der oberen Lösungsgrenze bemerkt man eine ziemlich 
reichliche Menge von weisslichen Niederschlägen. 

Das Meerschweinchenblut ist viel resistenter gegen Sublimatlösung 
und braucht längere Zeitdauer bis zur Lösung als Kaninchenblut. 

Beim Froschblut (gewaschenes Blut) tritt die Hämolyse nach der 
ersten Stunde gar nicht bei verschiedener Concentration des Sublimats 
ein wie bei Hammelblut; nach der zweiten Stunde (37° C) treten Spuren 
der Lösung von 1:150 000 bis 1:500 000 auf, und nach weiteren 
18 Stunden in Zimmertemperatur sieht man an der Oberfläche eine farb¬ 
lose, wasserklare Flüssigkeit und am Boden der Röhrchen gelblichbraune 
Niederschläge bei der Verdünnung von 1 : 5000 bis 1 : 100 000, und bei 
weiterer Verdünnung abwärts bis 1 :2 000 000 an der Oberfläche eine 
röthliche, klare Hämoglobinschicht und am Boden eine weissliche Ab¬ 
setzung. 

Bei Kalb- und Rinderblut liegen die Verhältnisse etwas anders; 


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Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



lieber die hämolytische Wirkung dos Sublimats. 


633 


zuerst tritt die Hämolyse in der Umgebung von 1:150 000 ein, und 
bei längerer Zeitdauer geht die Lösung nach aufwärts bis 1 : 5000 und 
nach abwärts 1 : 1 000 000. In allen Röhrchen dieser Lösungszone sieht 
man eine ganz klare gelb-röthliche Hämoglobinschicht, keine Spur von 
weisslichen Niederschlägen. 

Wie wir oben beschrieben haben, ist die Zeitdauer bis zur Lösung 
bei derselben Concentration für die verschiedenen Thierblutarten sehr ver¬ 
schieden. Um diese Zeitdauer noch genauer zu beobachten, haben wir 
beim Menschen-, Kaninchen-, Rinder- und Hammelblut mehreremal exacte 
Untersuchungen gemacht. 

Die Zeit, die von Anfang bis zum Beginn der Hämolyse vergangen 
war, bezeichnen wir als die Incubationszeit der Hämolyse. Die Zeit, 
die vom Beginn der Hämolyse bis zur completten Lösung verflossen ist, 
bezeichnen wir als die Geschwindigkeit der Hämolyse. Wie man 
in Tab. IX sieht, ist die Geschwindigkeit in allen Fällen ausnahmslos 
um so schneller, je kürzer die Incubationszeit dauert. Beim Menschen- 
und Hamraelblut richtet sich die Kürze der Incubationszeit nach der 
Concentration der Sublimatlösung, z. B. beim Menschenblut ist die 
Minutenzahl der Incubation bei der Verdünnung 1 : 15 000 acht Minuten, 
und bei 1 : 500 000 sechzig Minuten. Beim Kaninchenblut und besonders 
beim Rinderblut zeigt die Incubationszeit ganz andere Verhältnisse; bei 
der Verdünnung 1:100 000 ist die Minutenzahl der Incubation am 
kürzesten (6 Minuten) und weiter nach aufwärts und abwärts wird die 
Zeitdauer immer länger. Zwischen Kaninchen- und Hammelblut zeigt die 
Zeitdauer von Incubation und Geschwindigkeit der Hämolyse grosse 
Differenzen, beim ersten ist in allen Verdünnungen des Sublimats die 
Zeitdauer bedeutend kürzer als beim letzteren. 

Tabelle IX. 

a) Minutenzahl vom Anfang bis zum Beginn der Hämolyse. (Incubationszeit der 
Hämolyse.) 

b) Minutenzahl vom Anfang bis zur eompleten Lösung. 

Minutenzahl vom Beginn der Hämolyse bis zur eompleten Losung. (Ge¬ 
schwindigkeit der Hämolyse.) 


Verdünnung 
des Sublimats 

Menschen 1 

a b c 

Kaninchen 

a b c 

Rind 

a b 

i 

c ! 

Hammel 

a b 

c 

1 : 5 000 


i 



13V 2 —22 

8 V 2 

12 — 

15 

3 

1 : 10 000 

— 


— 


15-22 

7 

14— 

17 

3 

1 : 15 000 

8 - 9 

l 

— 


13 Vs—18 

41/2 

15— 

20 

5 

1 : 25 000 

872-12 

3V* 

5— 6 

1 

13-17 

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22 

6 i/o 

1 : 50 000 

10—13 

3 

2 3 / 4 — 3 

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8—12 

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16— 

23 

7 

1 : 100 000 

13—17 

4 

2 */.,— 3 

7 2 

6 — 9 

3 

21 — 

30 

9 

1 : 200 000 

20-31 

11 

3— 4 

1 

12—16 

4 

21 — 

30 

9 

1 : 333 000 

30-46 

16 

4— 6 

2 

19-24 

5 

29— 

42 

13 

1 : 500 000 

60—90 

30 

8-11 

3 

32—42 

10 

36— 

51 

15 

1 : 750 000 

— 


— 


— 


75— 

120 

45 

1: 1 000 000 

— 


30-50 

20 

— 



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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



634 


Sh. Dohi 


Digitized by 


II. Die Schutzwirkung des Serums und der Blutzellen gegen die 
hämolytische Wirkung des Sublimats. 

Aus der Differenz der Lösungswerthe zwischen den nativen und 
gewaschenen Blutkörperchen kann man leicht vermuthen, dass das 
Serum gegen die vergiftende Einwirkung des Sublimats eine schützende 
Eigenschaft besitzt. Wenn man ein Serum in verschiedenen Mengen zu 
einer Sublimatlösung fügt, so bemerkt man thatsächlich, dass die 
Sublimatlösung ihre hämolytische Einwirkung gänzlich oder 
nur zum Theil verliert. Zu unseren Untersuchungen haben wir 
immer die Sublimatlösung von 1:200000 als Gift, und die mit lproc. 
Kochsalzlösung 5 mal verdünnte Menschenserumlösung, die im Wasser¬ 
bade von 55° C. während 30 Minuten erwärmt wurde, sowie als Test¬ 
flüssigkeit die 5 proc. gewaschene Haramelbluteraulsion angewandt. 
Zuerst setzten wir in je 1 ccm Sublimatlösung eine verschiedene Dosis 
der inactivirten Serumlösung zu, und nach 15 Minuten noch 0,1 ccm 
von Hammelblutemulsion. Dieser Versuch zeigte Folgendes: 


Tabelle X. 


Menge des 
reinen Serums 

ccm 

1 Std. in i 
37° C. 

2 Std. in 
37° C. 

18 Std. in 
' Zimmer¬ 
temperatur 

0,020 

1 

0 1 

complct 

complet 

0,030 

0 

0 

' complet 

0,035 

0 

0 

Spuren 

0,040 

0 

0 

0 

0,045 

0 

0 

j 0 

0,050 

0 

0 

i 0 


Nun sehen wir, dass 0,04 ccm Serum gegen die vergiftende Wirkung 
von 1 ccm 1:200000 Sublimatlösung vollständig schützt, das heisst: 
0,04 ccm Menschenserum neutralisirt 0,005 mg Sublimat. Bei mehr¬ 
maligen Untersuchungen und bei verschiedenen Menschen schwankte die 
Schutzdosis des Serums von 0,035—0,05 ccm. 

Nun haben wir die Schutzwirkung des Serums in einer anderen 
Versuchsordnung geprüft. Eine verschiedene Dosis des inactivirten 
Menschenserums wird zunächst mit je 0,1 ccm Hammelblutemulsion ge¬ 
mischt, dann 1 ccm 1 : 200000 Sublimatlösung zugesetzt. Das Resultat 
zeigt fast keine Differenz des Schutzwerthes gegenüber der früheren 
Versuchsanordnung (s. Tabelle XI). Gleichzeitiger Serum- und Giftzusatz 
schützt also die rothen Blutkörperchen vor der Vergiftung. Die Bindung 
zwischen Serum und Sublimat erfolgt demnach augenblicklich und die 
Schutzkraft des Serums ist daher nicht abhängig von der Bindungsdauer 
zwischen Serum und Gift. 

Es ist sehr interessant, diese Thatsache nicht bloss vom theore¬ 
tischen, sondern auch vom therapeutischen Gesichtspunkt aus zu be¬ 
trachten. Wenn man die Sublimatlösung in subcutane oder intramuscu- 
läre Gewebe injicirt, so verbindet sich das Sublimat zuerst zum grossen 
Theil mit dem Uymphsafte; nur ein Theil des Giftes geht vielleicht un- 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Uebor die hämolytische Wirkung des Sublimats. 


635 


verändert als Sublimat in’s Blutgefässsystem, und hier übt das Serum 
wieder seine Schutzkraft aus, so dass bedeutende Schädigungen der 
Blutzellen nicht erfolgen können. 


Tabelle XI. 


Menge des reinen Serums 

ccm 

0,02 

0,03 

o 

© 

0,05 

Blutzusatz nach der Serum- 
Sublimatverbindung . . . 

complet 

1 

i 

complet 

i 

| Spuren 

! 

, o 

Sublimatzusatz zur Serum- 
Blutmischung . 

complet 

complet 

j massig 

0 


Im Laufe der Untersuchungen haben wir auf eine etwaige Differenz 
der Schutzwirkung des Serums bei negativer oder positiver Syphilis- 
reaction geprüft, und zwischen beiden konnten wir keine Unterschiede 
finden, wie bei der Blutresistenz. 

Die Schutzwirkung des Serums wird durch hohe Temperatur stark 
verändert. Wenn man das Serum 30 Minuten bis 66° C. erwärmt, so 
schützt 0,2 ccm Serum nicht mehr gegen die vergiftende Wirkung von 
1 ccm 1 : 200000 Sublimatlösung, während das bei 55° erwärmte Serum 
schon mit 0,04 ccm vollständig schützt. 

Wie wir schon oben geschrieben haben, bindet das Sublimat sich 
zuerst mit dem Serum in der zugefügten Blutemulsion, und greift dann 
mit dem Ueberreste der vergiftenden Einwirkung die Blutzellen an. 
Wenn man aber die gewaschene, serumfreie Blutemulsion zu der 
Sublimatlösung setzt, so geht die Verbindung direct zwischen den Blut¬ 
körperchen und dem Gifte vor sich. Es entsteht die Frage, wie viel 
Zeit zur Verbindung zwischen der letalen Dosis des Sublimats und den 
Blutzellen nöthig sei. Mit anderen Worten: Kann man nach der Be¬ 
rührung der Blutzellen mit dem Gifte durch die spätere Zufügung von 
Serum den Tod der Blutzellen verhindern? Um diese Frage zu beant¬ 
worten, haben wir folgenden Versuch gemacht. Zu je 1 ccm 1:200000 
Sublimatlösung setzten wir 0,1 ccm gewaschene Hamraelblutemulsion zu, 
und nach Ablauf bestimmter Zeiten fügten wir 0,1 ccm inactivirtes 
Menschenserum zu, d. h. eine Menge, die der doppelt neutralisirenden 
Dosis bei gleichzeitigem Gift-Serura-Zusatz entspricht. Die Resultate sind 
folgende: 

Tabelle XII. 


Zeit¬ 
bestimmung 
beim Zusatz 
des Serums 

1 Std. in 
37° C. 

i 

! 2 Std. in 

37° C. 

i 

18 Std. in 
j Zimmer- 
; temperatu r 

sobald 

0 

0 

0 

5 Secunden 

0 

! o 

0 

10 „ 

0 

0 

Spuren 

20 

0 

0 

incomplet 

30 

0 

0 

complet 

60 

0 

complet 

complet 

120 

0 

1 complet 

complet 

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Original fro-m 

UNIVERSITf OF MICHIGAN 




G36 


Sh. Dohi, 


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Bald und bis 5 Secunden nach der Berührung der Blutzellen mit 
dem Gifte kann man die Blutzellen durch den Zusatz des Serums voll¬ 
ständig retten; aber 10 Secunden nach der Berührung verankert 
sich ein Theil des Sublimats bereits an die Blutzellen. Nach 
30 Secunden kann man die Blutzellen nicht mehr retten, und sie lösen 
sich complet auf. Aus diesem Versuche kann man ersehen, dass die 
Blutzellen sich mit dem Gifte sehr schnell verbinden. 

Ueber die Schutzwirkung des Serums bei verschiedenen Thierarten 
haben wir auch mit derselben Methode wie bei Menschen untersucht. 
Es ergab sich Folgendes: 


Tabelle XIII. 



Menschen i 

Pferd 

Rind | 

Kalb 1 

Schwein 

Meerschwein¬ 
chen I 

Kaninchen 

Hammel 

Menge des reinen Serums 
in Oubikcentimetern . 

o 

© 

© 

! 

0,06 1 0,05 ! 0,08 j 0,05 

: i l i 

' t 

I 

0,12 0,0a 


Wenn man die Schutzkraft verschiedener Sera vergleicht, so hat 
das Menschenserum eine sehr starke Schutz Wirkung; dagegen sind das 
Kaninchen- und das Pferdescrum viel schwächer, ungefähr ein Drittel 
vom Menschenserura. 

Wie verhält es sich nun mit der Bindungskraft der rothen 
Blutkörperchen für das Sublimat? 

Die einfach letale Dose des Sublimats für 0,1 ccm 5 proc. Menschen¬ 
blut = 0,005 ccm reines Blut beträgt, wie wir gesehen haben, 
ca. 0,002 mg. Die doppelte Menge Gift löst auch die doppelte Menge 
Blut. Setzt man hingegen zu 0,005 ccm Blut die doppelt letale Gift¬ 
dose = 0,004 mg zu und fügt nach Eintritt der Hämolyse weitere 
0,005 ccm Blut bei, so erfolgt nunmehr keine Auflösung des neu zu¬ 
gesetzten Blutes. Das zuerst zugesetzte Blut hat demnach mehr Sub¬ 
limat verankert, als es zur Hämolyse bedurfte. Dieses Verhältniss 
haben wir beim Kaninchenblut untersucht und die folgenden Resultate 
bekommen (s. Tabelle XIV): 

Bei der ersten Zufügung der Kaninchenblutemulsion ist die untere 
complete Lösungsgrenze nach einer Stunde bei 37 0 C. in der Verdünnung 
1 : t>00000; in diesem Falle ist die letale Dosis für Kaninchenblut etwa 
0,0016 mg Sublimat. Bei der zweiten Blutzufügung ist die untere cora- 
plete Lösungsgrenze auf 1 :50000 gesunken, während bei der Ver¬ 
dünnung 1:75000, die 0,0133 mg Sublimat. enthält, noch complete 
Hemmung eingetreten ist. Trotz der achtfachen letalen Dosis lösen sich 
die Blutzellen hier garnicht mehr auf. Wohin ist die etwa siebenfache 
Menge der letalen Dosis des Sublimats (0,0133 mg — 0,0016 mg = 
0,0117 mg Sublimat) verschwunden? 

Man muss annehmen, dass diese Giftdosis schon bei dem erst¬ 
maligen Blutzusatz gebunden worden ist. Thatsächlich haben die Blut- 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



l'ober die hämolytische Wirkung des Sublimats. 637 


Tabelle XIV. 


Verdünnung 
des Sublimats 

Erster 

Blutzusatz 

Zweiter 

Blutzusatz 

Dritter 

Blutzusatz 

Sublimat- 
gchalt in 1 ccm 
einer Ver¬ 
dünnung 

mg 

1 : 10 000 

0 

0 

0 

0,1000 

1 : 11 000 

0 

0 

complet 

0,0900 

1 : 12 000 

0 

0 

complct 

0,0800 

1 : 15 000 

0 

Spuren 

complct 

0,0660 

1: 25 000 

complct 

complet 

complet 

0,0400 

1: 50 000 

complet 

complet 

0 

0,0200 

1: 75 000 

complet 

0 

0 

0,0133 

1 : 200 000 

complet 

0 

0 

0,0050 

1 :400 000 

complet 

, o 

0 

0,0025 

1 :500 000 

complet 

0 

0 

0,0020 

1 : 600 000 

complet 

0 

0 

0,0016 

1 : 750 000 

incomplet 

0 

0 

0,0013 


körperchen sehr starke Schutzwirkung gegen das vergiftende Sublimat, 
wie Detre und Seilei betonten. Diese Autoren fanden, dass die Blut- 
zellcn in dieser Beziehung ungefähr 5—10 mal so stark wie das Blut¬ 
serum wirkten. Nach unseren Untersuchungen ist dio Schutzwirkung 
der Blutzellen noch viel stärker. Wir haben diese Versuche folgender- 
maassen ausgeführt: Das durch die Venalpunction gewonnene Menschen¬ 
blut wurde mit 1 proc. Kochsalzlösung vollständig gewaschen, und dann 
wurde 1 ccm dieser gewaschenen Blutzellen in 9 ccm destillirtem Wasser 
gelöst. So bekommt man eine 10 proc. dunkelrothe Blutzellenlösung, 
die wir mit 1 proc. Kochsalzlösung abermals um das Zehnfache ver¬ 
dünnten. Eine verschiedene Menge dieser 1 proc. Blutzellenlösung 
Messen wir mit 1 ccm 1 :200000 Sublimatlösung binden, und setzten 
dann dazu je 0,1 ccm 5 proc. gewaschene Hammelblutemulsion. Der 
Werth der Schutzwirkung der Menschenblutlösung war fast jedesmal 
derselbe. Die Resultate sind folgende: 


Tabelle XV. 


Menge der 

1 proc. Blut- 
zellcnlösung 

ccm 

1 Std. in 
37o C. 

2 Std. in 
37° C. 

18 Std. in 
Zimmer¬ 
temperatur 

0,05 

0 

complet 

complet 

0,07 

0 

massig 

complet 

0,08 

0 

Spuren 

complet 

0,09 

0 

0 

incomplet 

0,10 

0 

0 

massig 

0,12 

0 

0 

0 


Nun sehen wir, dass 0,12 ccm 1 proc. Blutzellenlösung (0,0012 ccm 
Blutzellen) vollständig schützen. Wir erinnern daran, dass der Schutz¬ 
werth des Menschenserums gegen dieselbe Giftdosis ungefähr 0,04 ccm 
betrug: also ist die Schutzkraft der Blutzellen etwa 30 mal stärker als 
die des Serums. Die Schwankung des Schutzwerthes der Blutzellen ist 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. ^j 


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638 


Sh. Do hi, 


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bei verschiedenen Menschen sehr gering, ungefähr von 0,0010—0,0013 ccm. 
Bei der Erwärmung verliert die Blutzellenlösung ihre Schutzkraft um so 
mehr, je höher die Temperatur ist. Bei einer halben Stunde Erwärmung 
auf 55° C. bleibt der Schutzwerth unverändert; aber nach Erwärmung 
auf 66° C. schützen erst 0,01 ccm Blutzellcn gegen die gleiche Dosis 
des Giftes, und auf 86° C. 0,05 ccm. 

Ausser beim Menschen haben wir auch bei verschiedenen Thierarten 
die Schutzkraft der Blutzellen in ganz gleicher Behandlungswcisc unter¬ 
sucht. Es ergab sich Folgendes: 


Tabelle XVI. 



Menschen 

T3 

J— 

T3 

a 

2$ 

Kalb 

Schwein 

' ' ' j 

Hammel 

Kaninchen 

Taube 

Menge der 1 proc. Blut¬ 
zellenlösung in Cubik- 
centiinetern. 

0,12 

i 0,15 

0,25 

0,20 

0,20 

j 0,12 

0,18 

0,09 


Bei den von uns geprüften Thierarten schützen die Taubenblutzellcn 
am meisten und die Kinderblutzellen am geringsten; doch ist die Schutz¬ 
wirkung der Blutzellen ausnahmslos in allen Fällen wenigstens mehr als 
20 mal stärker als die Schutzkraft des eigenen Serums. 

Wenn wir die untere complete Lösungsgrenze, die Schutzkraft des 
Serums und der Blutzellen mit einander vergleichen, so finden wir sehr 
interessante Beziehungen zwischen der Blutresistenz und der Schutz¬ 
wirkung des Serums. 

Tabelle XVII. 

——Blutresistenz. -Schutzkraft des Serums. 



Wie man sieht, laufen die Curven der Blutresistenz und der Schutz¬ 
kraft des Serums parallel in allen Fällen. Wenn das Blut gegen das 
Gift resistenter ist, so schützt das Serum stärker; dagegen zeigt das 
sehr giftcmpfindliehc Blut auch eine schwächere Schutzwirkung des 


Gck igle 


OrigiPal from 

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(Jeher die liiimolytische Wirkung des Sublimats. 


639 


Serums. Die Curvc der Schutzkraft der Blutzellcn ist beim Menschen, 
beim Schwein und Hammel mit der Blutresistenz ungefähr parallel; bei 
den übrigen Thieren aber ist sie von den anderen zwei Curven ganz 
getrennt. 


III. Welche Bestandteile des Serums und der rothen Blutkörperchen 
spielen die Hauptrolle bei der Schutz Wirkung? 

Wie wir oben erwähnten, enthält das Serum und die Blutzellen 
einen schützenden Stoff gegen die hämolytische Wirkung des Sublimats. 
Detre und Seilei 1 ) kamen durch ihre Untersuchungen dieses Punktes 
zu dem Schlüsse, dass die Lipoide im Allgemeinen und im Speciellen 
das Lecithin eine Affinität zu dem Sublimat besitzen. Diese Schluss¬ 
folgerung zogen sic hauptsächlich daraus, dass das Blutserum durch die 
Ausschüttelung mit Aethcr und Chloroform einen grossen Theil der 
Schutzkraft verliert, und dass die hämolytische Einwirkung der Sublimat¬ 
lösung durch die Ausschüttelung mit Lecithinlösung, die in Acther oder 
Chloroform gelöst wird, bedeutend vermindert wird. 

Sachs bekam bei seiner Nachprüfung andere Resultate. Er 
trennte die Eiweissstoffe von den Lipoiden des Serums durch Alkohol¬ 
fällung, und dann bestimmte er die Schutzkraft einerseits des Nieder¬ 
schlages, andererseits des Alkoholextractes. Das Extract erwies sich in 
keiner Weise schützend; dagegen enthielt der ei weisshaltige Niederschlag 
den grössten Theil der Schutzstoffe. Er untersuchte auch die Aus¬ 
schüttelung des Serums mit Aether und Chloroform; doch konnte er die 
Schutzwirkung des Serums garnicht herabsetzen. Nach seinen Resultaten 
betonte er, dass das Sublimat im Wesentlichen an die Eiweisskörper 
des Serums und nicht an die Lipoide gebunden wird. Das Lecithin 
selbst hemmte die Sublimathämolyse in keiner Weise. 

Detre und Seilei 2 ) bestätigten in weiteren Untersuchungen ihre 
frühere Anschauung und führten den Hauptunterschied zwischen den 
Sachsschen und ihren Versuchen darauf zurück, dass Sachs mit un¬ 
verdünntem Kaninchenserum arbeitete, sie dagegen hochverdünnte Serum¬ 
lösungen zur Ausschüttelung verwendeten. Sie betonten weiter, die 
Differenz der Anschauung nur darin zu sehen, „dass Sachs allein den 
Eiweissstoffen eine HgCI 2 bindende Fähigkeit zuschreibt, wo wir hingegen 
ausser den Eiweissstoffen auch den Lipoiden diesbezüglich eine Wichtigkeit 
beimessen“. 

Da ich auch diese interessante Frage geprüft habe, möchte ich hier 
kurz über meine Versuche berichten. Zuerst haben wir in folgenden 
Versuchsanordnungen untersucht, ob das Serum durch Schütteln mit 
Aether oder Chloroform einen Theil seiner Schutzstoffe einbüsst oder 
nicht. Die mit 1 proc. Kochsalzlösung fünfmal verdünnte Serumlösung 
wird eine halbe Stunde auf 55° C. im Wasserbade erwärmt. Mit dieser 
Serumlösung haben wir auf dreierlei Weise weiter gearbeitet. 


1) Wiener klin. Wochenschr. 
24. Juli 1904. 

2) Wiener klin. Wochenschr. 


No. 45 u. 46. 1904. — Berliner klin. Wochenschr. 
No. 42. 1905. 


41* 


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640 


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Sh. Dohi, 

a) Der Serumlösung setzt man eine ungefähr gleiche Menge Aether 
zu, schüttelt eine Viertelstunde kräftig, dann pipettirt man die Serum¬ 
lösung ab und erwärmt sie eine halbe Stunde auf 45° C. im Wasser¬ 
bade, um den absorbirten Aether aus der Serumlösung zu entfernen; 
darnach lässt man diese Lösung etwa 24 Stunden in Zimmertemperatur 
stehen, b) Die Serumlösung wird mit Chloroform statt mit Aether ver¬ 
setzt und genau so wie bei a bearbeitet, c) Als Controle wird die 
Serumlösung ohne Aether und ohne Chloroform auch gleich wie bei a 
behandelt. Den verschiedenen Dosen dieser drei Serumlösungen wird je 
1 ccm 1 : 200000 Sublimatlösung zugesetzt, und dann dazu 0,1 ccm 
Haramelblutemulsion. Einen derartigen Versuch zeigte die folgende 
Tabelle: 



Tabelle 

XVlIi. 


Monge des 
reinen Serums 

ccm 

Natives 

Serum 

Mit Aether 
geschütteltes 
Serum 

Mit Chloroform 
geschütteltes 
Serum 

0,030 

coraplct 

complet 

complct 

0,035 

0,040 

complct 

complet 

complet 

Spuren 

Spuren 

incomplct 

0,045 

0 

0 

0 

0,050 

0 

0 

0 

0,060 

0 

0 

0 


Wie die Tabelle zeigt, bemerkt man keine Differenz der Schutzkraft 
zwischen der mit Aether behandelten und der Controlc-Serumlösung. 
Nur ersieht man daraus, dass Sublimat mit 0,04 ccm mit Chloroform 
geschütteltem Serum eine „incomplete-“ Hämolyse erkennen lässt, 
während dieselbe Menge mit den zwei anderen Serumlösungen nur 
„Spuren“ Lösung zeigt. Im Grossen und Ganzen bleibt die Schutzkraft 
des Serums in derselben Höhe (0,045) bei allen drei Serumlösungen. 
Wir können also durch unsere Untersuchungen nachweisen, dass die 
Hauptbestandtheile der Schutzstoffe des Serums im Aether 
und Chloroform unlöslich sind. 

Nun haben wir weiter die Schutzwirkung bei den einzelnen, wichtigen 
Bestandteilen des Blutes untersucht. Zuerst untersuchten wir, wie sich 
das Lecithin gegen das Sublimat verhält. Wir haben folgende Gift¬ 
lösungen mit vier verschiedenen Lecithinpräparaten (Grübler, Merk, Agfa, 
Kahlbaum) hergestellt, a) 0,2 g jedes Lecithinpräparates wird in 20 ccm 
Chloroform gelöst und dazu 40 ccm 1 : 200 000 Sublimatlösung zugefügt, 
3 Stunden im Schüttelapparat geschüttelt; nach zweistündigem Centri- 
fugiren pipettiren wir die obere klare Schicht ab, erwärmen eine Stunde 
auf 45° C im Wasserbade und 24 Stunden bei Zimmertemperatur, 
b) Als Controle setzen wir auch 20 ccm Chloroform ohne Lecithin zu 
40 ccm 1 : 200 000 Sublimat und behandeln dieses Gemisch in derselben 
Weise wie bei a. Aus diesen Giftlösungen geben wir y i0 ccm bis 
10 / 10 ccm in je 10 Glasröhrchen und verdünnen mit 1 proc. Kochsalz¬ 
lösung im Ganzen bis 1 ccm und dazu fügen wir wie gewöhnlich 1 ccra 


Gck igle 


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lieber die hämolytische Wirkung des Sublimats. 


641 


gewaschene Hammelblutcmulsion zu. Das Resultat nach der gesammten 
Beobachtungsdauer zeigt die folgende Tabelle: 


Tabelle XIX. 



Verdünnungsgrad der Giftlösung in Cubikcentimetern 

'%« ' 9 /io 1 */.o ! Vio 1 , ho : i %0 VlO ! */l* 1 2 /.o 

1 1 1 1 ! 

Vio 

g sä bio f Controle. 

rnmnl r*nmnl ttnmnl cnmnl r».nmnl rftmnl rnmnlJ f.rtmnl. ftnmnl. 

0 

^ g i! \Lecithin Grübler. . 
£* o 'S Controle. 

compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. 0 

compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl.| Spur 

compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl.. Spur 

,compl. j compl. j compl. compl. compl. compl. 1 compl. compl. | compl. Spur 

compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. j 0 

% *2 Jj j Lecithin Merck . . 
£ -2 2 j Lecithin Agfa . . . 
'Lecithin Kahlbaum 


Es geht aus diesen Versuchen hervor, dass sich keine bedeutende 
Differenz der hämolytischen Wirkung sowohl zwischen den mit Lecithin 
geschüttelten Giftlösungen und der Controle, als auch zwischen den ver¬ 
schiedenen Lecithinpräparaten erwies. Also zeigen die Lecithine 
in keiner Weise eine Schutzwirkung gegen die Hämolyse des 
Sublimats. Wie Sachs betonte, wird die Incubationszeit der Hämolyse 
im Gegentheil durch die Ausschüttelung mit dem Lecithin bei allen 
Präparaten beträchtlich verkürzt. 


Tabelle XX. 


Verdünnungsgrad 
der Giftlösung, ccm. 

V.» 

4/10 ! 

3 /.o 

: 2 /i«> ■ 

Vio 

•= a “ ’ 
C 3 S i 

1 Controle 

0 

0 

0 

0 

0 

? gil 

Lecithin Grübler . . 

incomplct 

Spuren , 

0 

0 

0 

+* o 2 / 

Sei 

^ Lecithin Merck . . . 

incompiet 

Spuren - 

Spuren 

0 

0 

i Lecithin Agfa . . . 

incomplet 

incomplet , 

Spuren 

0 

0 

53« J 

| Lecithin Kahlbaum . . 

incomplct 1 

0 

0 

0 

0 


Tabelle XX zeigt das Resultat nach einer Stunde bei 37° C. Bei 
den mit Lecithin geschüttelten Giftlösungen tritt die Hämolyse schon 
nach einer Stunde bis s /io e ' n i während die Lösung bei der Controle 
noch gar nicht vor sich geht. Ob das Lecithin selbst eine hämolytische 
Wirkung besitzt, haben wir auch weiter geprüft. Detre und Sei lei 
erklären nämlich die Unterschiede zwischen ihren Resultaten und denen 
von Sachs auch damit, dass Sachs mit einem an und für sich härao- 
lysirenden Lecithin gearbeitet hatte, sie selbst aber mit einem Präparat, 
das diese Wirkung nicht besass. Wir haben vier Lecithinemulsionen von 
jedem Präparat mit lproc. Kochsalzlösung hergestellt. Diesen Emulsionen 
setzten wir gewaschenes Hammelblut zu. Nach der ganzen Beobachtungs¬ 
dauer ist das Resultat wie Tabelle XXI zeigt. 

Man kann daraus ersehen, dass jedes unserer Lecithine eine sehr 
starke hämolytische Wirkung hat, nämlich 0,7—3 mg Lecithine lösen 
schon complet 0,1 ccm 5proc. Hammelblutemulsion. Wir konnten ein 
nicht hämolytisch wirkendes Lecithin überhaupt nie bekommen. Die 


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chüttclt 


642 


Sh. Dohi, 


Tabelle XXI. 


Menge von Ler-ithin 
g 

0,0001 

0,0003 

0,0005 0,0007 ■ 

0,0010 

1 

0,0030 

0,0050 

Lecithin Grübler . 

0 

stark 

i ! 

incomplet incomplet 

complet 

compl. 

compl. 

Lecithin Merck . . 

massig 

stark 

incomplet, complet j 

complet 

compl. 

compl. 

Lecithin Agfa . . 

0 

Spur 

massig 

stark 

incomplet 

compl. 

compl. 

Lecithin Kahlbaum 

0 

massig 

stark 

incomplet 

complet 

compl. 

compl. 


Thatsache, dass Lipoide (Lecithin, Seifen, Alkohol, Organextracte etc.) 
selbst hämolytisch wirken, ist ja auch in den letzten Jahren immer 
mehr bekannt geworden. Wir glauben aber nicht, dass die an und für 
sich hämolysirende Wirkung des Lecithins die etwaige sublimatbindende 
verdecken kann; denn dann wäre es doch unverständlich, warum der 
Titer der mit den verschiedenen und verschieden stark hämolysirenden 
Lecithinen geschüttelten Sublimatlösungen genau derselbe bleibt, wie in 
der ohne Lecithin geschüttelten Controle. 

Um die Schutzwirkung des Cholesterins (Grübler) zu unter¬ 
suchen, haben wir dieses eben so wie beim Lecithin behandelt. Das 
Resultat ist folgendes: 

Tabelle XXII. 


Verdünnungsgrad der 
Giftlösung, ccm. 





<0 ^ 
O ^ 

3 


V2 



Controle 

Cholesterin 


Controle 

Cholesterin 


,0 /io * %o 8 /io V10 6 /io Vio 


compL compl. 1 compl. compl. compl. compl. I corapl. 
compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. 


compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. 
compl.! compl. compl. compl. compl. compl. compl. 


3 /io 


compl. 

incompl. 


compl. 

incompl. 


incompl. 

0 


incompl. 

0 


r 




0 

0 


0 

0 


Nun kann man in dieser Tabelle eine kleine Differenz zwischen der 
mit Cholesterin ausgeschüttelten Giftlösung und der Controle ersehen. 
Diese Differenz ist aber so gering, dass von einer Schutzwirkung des 
Cholesterins kaum gesprochen werden kann. 

Schliesslich haben wir unsere Versuche über Schutzwirkung auf die 
einzelnen Eiweissstoffe des Blutes gerichtet. Um zu erfahren, ob 
das Albumin, der Haupteiweissstoff des Serums, eine Schutzkraft gegen 
die hämolytische Wirkung des Sublimats in sich hat, haben wir mit dem 
entfetteten Seruraalbumin (Grübler) den folgenden Versuch vorgenommen. 
0,01 g, 0,05 g und 0,1 g des Serumalbumins werden je in 20 ccm 
1 : 200000 Sublimatlösung gelöst und nach mehrmaliger Schüttelung 
24 Stunden aufbewahrt. Aus diesen Giftlösungen uud der ohne Albumin 
genau eben so behandelten Controle-Giftlösung nehmen wir ‘/io bis 
10 / l0 ccm in je 10 Röhrchen und verdünnen diese Giftlösung mit 1 proc. 
Kochsalzlösung im Ganzen bis 1 ccm, und dazu setzen wir je 0,1 ccm 
gewaschene Hammelblutemulsion zu. Das Resultat nach 2 Stunden im 
Brutofen und nach 18 Stunden bei Zimmertemperatur zeigt folgende Tabelle: 


Digitizeit ty 


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Ueber die hämolytisohe Wirkung des Sublimats. 
Tabelle XXIII. 


643 


Verdünnungsgrad der 
Giftlösung, ccm. 

io/,« 

/10 

9 /io 

8 /io 

V.o 

V.o 

; V.o 

I 

1 

Vto 

l .i 

I ' 10 

' ' Vxo 

1 

V.o 

^ 1 1 Controle 

compl. compl. 

compl. 

compl. 

compl. 

compl. 

compl. 

compl. 

compl. 

incompl. 

5 ’ä ) Albumin 0,01 g 

compl. ! compl. 

compl. 

compl. incompl. 

incompl. 

incompl. 

massig 

Spuren 

o 

% I J Albumin 0,05 g 

incompl. massig 

Spuren 

Spuren 

! 0 

0 ! 

0 

0 

0 

0 

§ 2 1 Albumin 0,1 g 

zn l 

0 , 

0 

0 

1 0 

1 

0 

0 

i 0 

i 

0 

0 

0 


0,1 g Serumalbumin vernichtet vollständig die hämolytische Wirkung 
von 20 ccm 1 : 200000 Sublimatlösung, also neutralisirt 0,1 mg reines 
Sublimat. 

Die Schutzwirkung des Globulins haben wir mit dem Globulin 1 ) 
(Grübler) geprüft. Das Globulin ist schwer löslich in Wasser; bei einem 
Zusatz von einer sehr geringen Menge von Alkali löst es sich jedoch. 
Wir haben mit diesem Globulin zweierlei Giftflüssigkeiten hergestellt, die 
eine nicht alkalisch, die andere schwach alkalisch durch Zusatz von 
Natronlauge. Die weitere Versuchsbehandlung war genau dieselbe wie 
beim Albumin. 0,01 g und 0,1 g Globulin, die in schwach alkalischer 
Sublimatlösung gelöst werden, schützen beide vollkommen gegen die 
hämolytische Einwirkung von 20 ccm 1 : 200000 Sublimatlösung. Aus 
diesem Resultate kann man wohl berechnen, dass sich 1 cg Globulin 
mit 0,1 mg Sublimat verbindet und eine hämolytische Wirkung nicht 
mehr auftreten lässt. Man bemerkt also deutlich, dass die Schutzwirkung 
des Globulins viel stärker als beim Albumin ist. 


Tabelle XXIV. 


Verdünnungsgrad der 
Giftlösung, ccm. 

,0 /io 

1 1 r 

9 /10 1 9 ho | V.o | e /io 

i ! 1 

V.o 

VlO 

V.o 

V.o 

V.o 

/ ^3 . 

Controle 

compl. 

compl. corapJ compl. 1 compl. 

i * • 

compl. compl. compl.- compl. lincompl. 

.§ li J5\ G,obulin °> 01 b 

incompl. 

; stark stark 1 massig massig 

Spur 

0 

i 

0 

0 

0 

CS \ 

SS \J3 Ä 

Controle 

compl. 

compl. compl. compl. compl.! compl. 

compl. 

compl. 

stark 1 

0 

*§ 1 £ iä {Globulin 0,01 g 

0 

0 i 0 0 0 

i o 

0 

0 

0 

0 

Globulin 0,1 g 

0 

0 0 () | 0 

i 0 

i 0 

1 

0 

0 

0 


Das Hämoglobin pur. cryst. (Merk), der Haupteiweissstoff der 
Blutzellen, schützt auch äusserst stark gegen die hämolytische Wirkung 
des Sublimats. Wir haben die Schutzwirkung des Hämoglobins auch in 
derselben Versuchsanordnung wie beim Albumin geprüft. 0,1 g und 
0,05 g Hämoglobin entziehen die hämolytische Wirkung von 20 ccm 
1 : 200000 Sublimatlösung völlig. 0,01 g Hämoglobin lässt nur bei 
l0 / 10 ccm Giftlösung eine minimale Lösung eintreten. Also 1 cg Hämo¬ 
globin neutralisirt 0,1 mg Sublimat; die Schutzkraft von Hämoglobin 
und Globulin ist also ungefähr gleich. 


1) Wir haben zur Untersuchung immer das Globulin benutzt, weil wir das 
Serumglobulin leider nicht bekommen konnten. 


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<>44 Sh. Dohi, 


Tabello XXV. 


Verdünnungsgrad der 
Giftlösung. ccm. 

l °/.D 

8 /.o 

s /.o 7 /.o 

V.0 

5 /l* 

© 

o 


'.0 

^ 1 
a § 

i Controle 

compl. 

compl. 

compl. compl. compl. compl. compl. compl. compl. 

stark 

— -o 
© ■— 

25 ce < 

/ Hämoglobin 0,01 g 

Spur | 

0 

0 0 

0 

0 

0 0 

0 

0 

S.S , 

| Hämoglobin 0,05 g 

0 

0 

0 0 

0 

0 

0 0 

0 

0 

«3 -Q j 
<V 3 1 

'-T W \ 

f Hämoglobin 0,1 g 

i 

0 

1 

0 

1 

0 0 

0 

0 

0 0 

0 

0 


Aus den Ergebnissen unserer Versuche konnten wir feststellen, dass 
die Hauptbestandteile der Schutzstoffe gegen die hämoly¬ 
tische Einwirkung des Sublimats das Globulin und das 
Albumin im Serum, sowie das Hämoglobin in den Blut¬ 
zellen sind. 

Die hämolytische Wirkung von 0,005 mg Sublimat wird ungefähr 
durch 5 mg Serumalbumin, 0,5 rag Globulin oder durch 0,5 mg Hämo¬ 
globin vollständig aufgehoben. Wie wir früher beschrieben haben, 
schützen 0,04 ccm Menschenserum oder 0,0012 ccm Blutzellen völlig 
gegen die oben genannte Giftmcngc. Diese Serumdosis enthält etwa 
2,8 mg Eiweissstoffe, und diese Eiweissmenge ist nach dem, was wir 
oben über die schützende Wirkung des Albumins und Globulins gesehen 
haben, völlig ausreichend, um die Schutzkraft des Serums zu erklären. 
In 0,0012 ccm Blutzellen sind etwa 0,4 mg Hämoglobin enthalten. 
Diese Hämoglobindosis entspricht auch fast der Dosis, die wir bei 
unseren Schutzversuchen mit reinem Hämoglobin festgestellt haben. 

Zusammenfassung. 

1. Das Sublimat gehört zu den starken Blutgiften; die lösende Zone 
liegt zwischen 1: 10000—1 : 1000000. 

2. Die äusserst verdünnte Sublimatlösung verliert in einigen Stunden 
nach der Herstellung schon ganz oder einen Theil ihrer hämolytischen 
Wirkung; man muss sie also jedes Mal frisch herstellen. 

3. Die Stärke der Hämolyse ist von der Wirkungszeit des Sublimats 
und der Temperatur sehr abhängig. 

4. Die Blutresistenz der gewaschenen Blutkörperchen ist viel geringer 
als die des nativen Blutes. 

5. Syphilitiker und Nichtsyphilitiker, sowie Individuen mit positiver 
und negativer Syphilisreaction zeigen in der Empfindlichkeit ihres Blutes 
gegenüber dem Sublimat keine Differenzen. Auch die Quecksilber¬ 
behandlung wirkt weder verstärkend noch vermindernd auf die Sublimat- 
rcsistenz des Blutes. 

6. Das Blut der verschiedenen Thierarten zeigt untereinander 
beträchtliche Differenzen. 

7. Die Incubationszeitdauer der Hämolyse ist einerseits bei den ver¬ 
schiedenen Thierarten, andrerseits je nach der Concentration des Sublimats 
bei gleicher Temperatur sehr verschieden. 

8. Das Serum schützt die Blutzellen gegen die hämolytische Wirkung 


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Ueber die hämolytische Wirkung des Sublimats. 


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des Sublimats. Das Gift verbindet sich zuerst mit dem Serum und greift 
dann mit dem Reste seiner Wirkung die Blutzellen an. 

9. Die Blutzellen verbinden sich mit der letalen Dosis des Giftes 
sehr schnell; schon 30 Secunden nach der Berührung mit dem Gifte 
kann man die Blutzellen durch Serumzusatz nicht mehr retten. 

10. Die Blutzellenlösung schützt selbst äusserst stark gegen die 
Giftwirkung; ungefähr 30 Mal stärker als das Serum. Die Blutzellen 
haben die Fähigkeit mehr Sublimat zu binden, als zu ihrer Auflösung 
nöthig ist. 

11. Die Schutzwirkung des Serums und der Blutzellenlösung ist bei 
den verschiedenen Thierartcn sehr verschieden. Man findet in allen 
Fällen interessante Beziehungen zwischen der Blutresistenz und der 
Schutzwirkung des Serums. 

12. Das Serum verändert durch Schütteln mit Aether und Chloro¬ 
form seine Schutzwirkung gar nicht; also sind die Hauptbestandtheile 
der Schutzstoffe des Serums in Aether und Chloroform unlöslich. 

13. Eine sublimatbindende Fähigkeit des Lecithins im Sinne von 
Detre und Seilei konnte nicht nachgewiesen werden. 

14. Die Ei weissstoffe spielen die Hauptrolle bei der Schutz Wirkung: 
(Globulin, Albumin und Hämoglobin). Die Schutzwirkung von Hämoglobin 
und Globulin ist gleich stark und übertrifft diejenige des Albumins um 
das Zehnfache. 

Herrn Geh. Medicinalrath Professor Dr. A. Neisser spreche ich für 
die Überlassung des Materials, und Herrn Dr. C. Bruck für die An¬ 
regung und weitgehende liebenswürdige Unterstützung bei der Ausführung 
meiner Untersuchungen den herzlichsten Dank an dieser Stolle aus. 


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XLV. 

Aus der II. medicinischen Klinik. 


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Der Stoff* und Energieumsatz beim infantilen Myxödem 
und bei Adipositas universalis, mit einem Beitrag zur 
Schilddrfisenwirkung. 

Von 

Dr. med. 6 . von Bergmann, 

Privatdoront u. Assistent an der II. med. l'niv.-Klinik der Charil«'-. 


Im Jahre 1882 erschien ein Buch BoucharcTs (1) „Maladies par 
ralentisseraent de la nutrition“. In die Theorie, welche dieser Titel zum 
Ausdruck bringt, wird fast alles einbezogen, was wir heute als Stoff¬ 
wechselkrankheiten ansehen, und manches andere mehr. Die Vorstellung 
des „Ralentissement“ als Ursache für das, was wir in noch schwerer zu 
begrenzender Weise in der Pathologie als „Diathese“ bezeichnen, ist 
bisher viel missbraucht. Sie gerieth in Misscrcdit bei den Pathologen, 
nicht minder bei den Praktikern der Klinik. Aber die Zeichen der 
neuesten Zeit weisen darauf hin, dass fester begründet die alte Vor¬ 
stellung wieder auflebt, allen Fehden zum Trotz, die eine berechtigte 
wissenschaftliche Kritik gegen das „Ralentissement“ geführt hat. 

Halten wir zunächst zu sicherer Begriffsbestimmung daran fest, 
dass eine Verlangsamung im Ablauf irgend eines Stoffwechselvorganges 
zu einer quantitativen Herabsetzung der Stoffwechselleistung immer führen 
wird, wenn die verlangsamten Vorgänge ständig, d. h. continuirlich ab¬ 
laufen. Eine Verlangsamung in der Resorption von Dextrose führt 
zu einer geringeren Anhäufung des Zuckers im Blute, d. i. offenbar die 
Ursache, dass eine Glycosuria examylo nicht zu Stande kommt unter 
Bedingungen, bei denen die Glycosuria e saccharo eintritt. 

Wir werden die oft auf dasselbe hinauslaufenden Bezeichnungen 
des „Ralentisseraent“ und der „Herabsetzung der Leistung“ nicht trennen 
und meist von einer Herabsetzung, als dem weiteren Begriff sprechen, 
die sich äussern mag auch als Verlangsamung des zeitlichen Ablaufes der 
Leistung. Das Resultat der Verlangsamung einer Leistung in der Zeit¬ 
einheit ist eben, das ist ja selbstverständlich, ein quantitativ geringerer 
Endeffect. 

„Die specifische Verringerung des Stoffwechsels ist ein 
Vorgang, der jedenfalls schwierig, nur unter Voraussetzung 
einer Reihe von thatsächlichen Beobachtungen, an denen es 


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Der Stoffe u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 647 


z. Z. völlig gebricht, nachgewiesen werden könnte“ sagtRubner 
(2). Wenn ich diesen kritischen Satz an den Eingang der ganzen Er¬ 
örterung setze, so geschieht es, um mit der von Rubner betonten 
Schwierigkeit des Nachweises die Ausführlichkeit in der Darstellung, 
namentlich auch des thatsächlich Beobachteten zu rechtfertigen. Wie 
steht es mit unserer Kenntniss von Herabsetzung der Leistungen 
im Organismus? Die Herabsetzung der Function eines Organes 
oder Organsystems ist dem Pathologen wie dem Kliniker die gang¬ 
barste Vorstellung aus Experiment wie ärztlicher Erfahrung geschöpft. 

Die Herabsetzung von Einzelfunctionen des Intcrmediärstoff- 
wechsels ist auch für den Menschen bereits gründlich studirt. Ich brauche 
nur an Schlagworte zu erinnern, wie Cystinuric, Alcaptonurie, an das 
Auftreten der Acetonkörper im Harn, alles Stoffe, deren weiterer Abbau 
im lntcrmediärstoffwechsel normale Function ist und die offenbar wegen 
der Herabsetzung der Leistung eines intermediären Processcs sich in der 
Säftemasse anhäufen und zur Ausscheidung kommen. Für die Gicht 
haben Brugsch und Schittenhelm (3) es gezeigt, dass jenes Inein- 
andergreifen der Fermente, wie es zum Abbau der Nucleine nothwendig 
ist, gestört ist durch functionelles Versagen verschiedener fermentativer 
Fähigkeiten. 

Für den Diabetes hat in letzter Zeit Mohr (4) wichtige Befunde er¬ 
hoben, nach denen es scheint, dass die Fähigkeit, Zucker zu verbrennen, 
auch dem schwersten Diabetes nicht ganz verloren gegangen ist, dass 
nur die Anspruchsfähigkeit der Zellmasse lür die Zuckerverbrennung 
herabgesetzt ist, sodass erst eine höhere Zuckerconcentration des Blutes 
im Stande ist, als ein die Verbrennung auslösender Reiz zu wirken. 
Der Vorgang äussert sich auch darin, dass der respiratorische Quotient, 
der die Zuckerverbrennung anzeigt, (R.Q. = 1) viel später erscheint, als 
beim Gesunden. Recht eigentlich also ein „Ralentissement“ in der 
Zuckerverbrennung. 

Ich habe mit Herrn cand. mcd. Guggenheimer Befunde er¬ 
hoben, die von ganz anderer Fragestellung ausgehend, recht gut zu der 
Auffassung Mohr’s vom Diabetes passen, wenn auch heute keines¬ 
wegs abgeschlossen, mögen sie doch an dieser Stelle gestreift werden. 
Wir wollten lediglich nachsehen, ob die Toleranz für Kohlehydrate beim 
Diabetes eine bessere würde, wenn die zuckerbildenden Stoffe gleich- 
massig auf den Tag vertheilt würden und verfolgten deshalb die 
Schwankungen der 24 ständigen Zuckerraenge nach Verabreichung der¬ 
selben Menge Kohlehydrate den einen Tag in einer, den andern Tag in 
vielen, d. h. 5—6 Portionen. Meine Annahme, dass bei einer einmaligen 
Dosis in Folge Ueberhäufung des Blutes mit Glykose die Glykosurie 
grösser sein würde, bestätigte sich in manchen Fällen durchaus nicht. 
Es wurde bei genau abgewogener an allen Tagen gleicher Kost bei mehreren 
Diabeteskranken unter gut vergleichbaren Bedingungen das paradoxe 
Verhalten constatirt, dass sie bei einmaliger Verabreichung einer Kohle¬ 
hydratmenge in 24 Stunden wesentlich weniger, ja keinen Zucker aus¬ 
schieden, während bei Vertheilung auf 5—6 mal am Tage erheblich 
grössere Zuckermengen im Harn auftraten. Die Versuche sind mit Vor- 


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G. v. Bergmann 


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sicht zu deuten, namentlich betonen wir, dass durchaus nicht in jedem 
Falle, auch nicht stets bei demselben Kranken dies paradoxe Verhalten 
zu constatiren ist. Es muss ja die richtige quantitative Beziehung zur 
Toleranz getroffen sein, soll dies Verhalten manifest werden. 

Wir sind versucht, die Resultate dahin zu deuten, dass die starke 
Ueberhäufung der Säftemasse mit Dextrose als stärkerer Reiz, gewisser- 
maassen reflectorisch, eine stärkere Verbrennung (fermentativ) auslösen 
kann. Oder dem Gedankengange Mohr’s folgend: Der höhere Zucker¬ 
spiegel löst eine Zuckerverbrennung noch aus, während der niedere (bei 
langsamem Zuströmen des Zuckers ins Blut) den Brand für Zucker nicht 
mehr oder nicht in demselben Maassc anzufachen vermag. Schon Külz (5) 
hat Diabetesfälle beobachtet, die das gleiche von uns beobachtete Ver¬ 
halten paradoxer Art zeigten, ohne eine Deutung dafür zu geben. 

Wir sehen also, wie der verachtete Begriff der „Verlangsamung“ in 
neuer Form präcise Gestalt gewinnt und grundlegend wird für zwei der 
wichtigsten Stoffwechselkrankheiten, für die Gicht und den Diabetes 
mellitus. 

Wie steht es mit der Herabsetzung der Verbrennungen bei 
der Fettsucht, bei der ähnliche Vorstellungen von altershcr die Forscher 
beherrscht haben? Bleiben wir zunächst, dem bis jetzt entwickelten 
Gedankengang folgend, bei dem Ablauf der intermediären Vorgänge 
des Stoffumsatzes. 

Die Fragen der Fettbildung aus Kohlehydraten, des Fetttransportes, 
der Fettablagerung, wie der Fettverbrennung, stehen heute im Brenn¬ 
punkt des Interesses, nicht minder wie jene der fettähnlichen Stoffe, 
der Lipoide. Die Ergebnisse der letzten Jahre haben es ermöglicht, 
dass wir methodisch einige Probleme des Intermediär-Stoffwechsels der 
Fette angehen können. Da ist einmal die Lehre vom Abbau der Fette 
insbesondere von der Oxydation der Fettsäuren in ausgezeichnet 
systematischer Weise studirt; ich erinnere nur an Erabden’s (6) 
Forschungen; ich erinnere an den Ausbau der Lehre von den Aceton¬ 
körpern. Die Kenntniss der letzteren hat z. B. Waldvogel veranlasst, 
zu ermitteln, ob die Spaltung der /*-Oxybuttersäure zu Aceton beim 
^Fettleibigen verlangsamt ist. Seine positiven Resultate haben in Nach¬ 
prüfungen an der II. mcd. Klinik (Dr. Bcuttcnmüller) keine Bestätigung 
gefunden, eine umfassendere Nachprüfung steht noch aus. Da ist die 
Beobachtung von Neisser und Bräunig (7), dass die Hämokonien des 
Blutes feinste Fetttröpfchen sind, deren Auftreten von der Fettresorption, 
deren Verschwinden mit noch unbekannten Umwandlungen der Tröpfchen 
zusammenhängt. Eine Fortsetzung dieser Studien hat Roichcr bereits 
gelehrt, dass das Auftreten der Hämokonien bei verschiedenen Er¬ 
krankungen sich different verhält. 

Da ist endlich die merkwürdige von Pavy im letzten Jahre ver¬ 
öffentlichte Beobachtung, nach der die Umwandlung von Kohlehydrat zu 
Fett sich, wenigstens zum Theil, schon in der Darmwand abspiclt. Bei 
Kaninchen, die längere Zeit gehungert hatten, waren nach Haferlüttcrung 
die Chylusgcfässe dicht mit Fett gefüllt. Ich habe diese Angabe mit 
Reicher nachgeprüft und kann schon hier bemerken, dass allerdings 


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Der StolT- u. Enorgieumsaiz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. G49 


Hungerkaninchen nach Fütterung mit Hafer die Chylusgefässe strotzend 
gefüllt mit Fett zeigen. Analysen des Hafers zeigten aber, dass er 
bis 5 pCt. Fett enthält. Fütterten wir mit oinem durch wiederholte 
Extractionen im wesentlichen entfetteten Hafer, so waren auch die 
Chylusgefässe des Kaninchens nicht gefüllt. Damit dürfte diese Stütze 
für Pavy’s Annahme einer Fettbildung aus Kohlehydraten in der Darra- 
wand hinfällig geworden sein 1 ). 

Endlich sind wir beschäftigt nachzuweisen, ob parallel mit dem Auf¬ 
treten von Fetten und Lipoiden im Blut, z. B. bei Phosphorvergiftung, 
die Substanz erscheint, die ich als anticomplementär nachgewiesen habe. 

Nur jene Mittel der Methode habe ich hier berührt, die mich jüngst 
beschäftigten. Alles methodisch Vorliegende ist aber nur eine sehr be¬ 
scheidene Handhabe, generelle intermediäre Störungen im Fett-Stoff¬ 
wechsel aufzudecken. 

Im Hinblick auf die gichtische und diabetische Stoffwechselstörung 
ist es ja ein sehr naheliegender Analogieschluss, etwa für die Fettsucht 
sich vorzustellen, Fett werde ungenügend verbrannt und gelange deshalb 
zum Ansatz, oder auch die Umwandlung der Kohlehydrate zu Fett voll¬ 
ziehe sich leichter wie ihre Verbrennung und das sei der Grund zur 
Fettaufspeicherung. Für diejenige physiologische Betrachtungsweise, die 
in den Fetten und Kohlehydraten isodynam sich vertretende Energie¬ 
quellen sieht, die nach Maassgabe des Bedürfnisses des Organismus 
herangezogen werden, haben diese Speculationen von Intermediärstörungen, 
obwohl sie auf dem Gebiete intermediärer Stoffwechselvorgänge zunächst 
reine Speculationen bleiben, trotzdem die Bedeutung einer bei allen 
ßilanzaufstellungen beachtenswerthen Möglichkeit. Der Organismus müsste 
an Stelle des für ihn nicht ausnutzbaren Fettes mehr Kohlehydrate und 
Eiweiss für seinen Energiebedarf heranziehen; dann würde er aber schein¬ 
bar einen grösseren Caloricnbedarf haben als der normale Organismus. 
Er würde z. B. bei einer fettreichen Kost trotz genügender Calorienzufuhr 
Körpereiweiss einschmelzen müssen. Mag man auch wie oben angedeutet 
ähnliche Hypothesen noch vielfach modificiren, die Ergebnisse des 
Gesaramtstoffwechsels sprechen heute strictissime gegen eine solche 
Analogiehypothese mit Diabetes und Gicht. Die intermediäre Forschung 
andererseits versagt bis jetzt völlig Abweichungen in dieser Richtung 
erkennen zu lassen. Wir werden weiter sehen, dass gerade die klinischen 
Beobachtungen, die immer und immer wieder die Hypothese einer Herab¬ 
setzung der Gesammturasetzungen aufleben lassen, durch solche Fett¬ 
suchtstheorie einer ungenügenden Fettverbrennung nicht im geringsten 
verständlich würden. 

Das Angeführte mag genügen, als Rechtfertigung dessen, dass ich 
mich im Folgenden nur mit der Grösse des gesammten Stoff- und Kraft¬ 
wechsels beschäftige und nur in diesem Sinne das Ralentissement bei der 
Fettsucht in Betracht ziehe. 

Gleich eingangs ist mit allem Nachdruck zu betonen, dass kaum 
jemals daran gezweifelt worden ist, dass auch die monströsesten Grade 

1) Siehe des Näheren in diesem Heft die Notiz über den gleichen Gegenstand. 


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G. v. Bergmann, 


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von Fettmast ohne das eonstitutionelle Moment erzielt werden können. 
Die Mästungsmöglichkeit willkürlich dazu gewählter Thierc beweist das 
zur Genüge. Eben so wie unser gesammtes Wissen vom Stoffwechsel 
cs beweist, dass ein Fettansatz bei überreichlicher Ernährung mit Kohle¬ 
hydraten und Fetten auch ohne jede eonstitutionelle Anlage gesetzmässig 
zu Stande kommen muss, dann am Meisten, wenn diejenigen Einflüsse, 
die den Stoffwechsel mehren, d. h. Muskelarbeit und eiweissreichc Kost 
gering sind. Dass auch klinisch ein reiches Material als Beleg solcher 
Mastfettsucht vorliegt, bedarf keines Wortes. 

„Der Verbrauch ist gering gegenüber der Zufuhr“; das ist 
mit einem Satz die Formel für die Genese jeder Fettsucht. Auch wenn 
notorisch eonstitutionelle Momente, wie z. B. Trägheit und Phlegma oder 
wenn z. B. ein übermässiger Appetit vorliegt, ein Factor, den man eben¬ 
falls als constitutionell auffassen könnte, wollen wir doch für alle diese 
Fälle an der Bezeichnung Mastfettsucht festhalten. Die Mastfettsucht 
ist kein Problem mehr, sie ist allen Klinikern geläufig, eine längst 
erwiesene Thatsache und mit allen aetiologischen Factoren, mit allen 
Krankheiten, die sie im Gefolge hat, ein interessantes Capitel der 
Pathologie, in dem noch wichtige Fragen ihrer Entscheidung harren, wie 
Wasserhaushalt, Ueberhitzung, Grenzen der Muskelleistung überhaupt 
Insufficienz der Wärmeregulationsmittel in Bezug auf die Breite der An¬ 
passung und manches andere. 

Ungelöstes Problem ist heute wie ehedem die Frage: Giebt es bei 
Fettsüchtigen, bei einigen wenigen etwa, eine Herabsetzung des Umsatzes 
gegenüber der Norm in dem Sinne, dass bei absolut vergleichbaren 
Bedingungen ein Individuum einen geringeren Calorienumsatz hat, wie 
ein anderes normales und deshalb, gerade deshalb fettsüchtig wird und 
bleibt. Das allein möchte ich im Folgenden verstanden wissen, wenn 
ich von constitutioneller Fettsucht, im Gegensatz zur Fettmast spreche. 
Damit kehre ich zur ursprünglichen Fragestellung zurück. Es giebt, so 
haben wir eben ausgeführt, eine Herabsetzung von allen möglichen 
Abläufen im Intermediärstoffwechsel; giebt es auch Vorgänge, die sich 
in einer Herabsetzung der Gesammtheit des Umsatzes ausdrücken? 

Dass es Steigerungen des Gesammtumsatzes giebt, ist mehr als 
geläufig, abgesehen von jeder Nahrungsaufnahme und besonders jeder 
grösseren Eiweissration, die die bekannte Steigerung des Calorienumsatzes 
hervorruft, sind Beispiele aus der Pathologie des Morbus Basedow, viele 
Fälle von Fieber, namentlich auch die Aenderung, die durch Medication 
von Schilddrüse unter Umständen auf tritt; für letztere Wirkung werde 
ich im Folgenden weitere anschauliche Belege bringen. 

Wie steht es mit der Verringerung des Stoffwechsels? Es ist 
zur Genüge bekannt, dass ein einwandsfreier Beweis in Betreff der Fett¬ 
sucht in der Literatur nicht vorliegt; ähnlich steht es mit den offenbar 
verwandten Zuständen nach der Castration. Die Versuche von Löwy 
und Richter (11), mittels der Zuntz-Methode angestellt, beweisen 
eigentlich bei der Castration die Herabsetzung. Die in viel längeren 
Zeiträumen durchgeführten Beobachtungen Lüthje’s(12) sprechen dagegen. 
Letztere Versuche sind mit Recht von Löwy und Richter beanstandet. 


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Der StolT- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 651 


Die Entscheidung dieser Controverscn ist nur zu erwarten, wenn alle 
Mängel der bisher verwendeten Methodik ausgeschaltet werden, d. h. am 
besten im Thiercalorimeter 24 Stunden-Versuchc vor und nach der 
Castration in verschiedenen Perioden angestellt werden, im Hunger 
sowohl wie im Stoffgleichgcwicht bei Ausschluss lebhafterer Bewegungen. 
(Versuche, die von mir in Aussicht genommen sind.) 

Bei einem Krankheitssypus ist die Herabsetzung der Verbrennungen 
von Magnus-Lcvy (13) in zahlreichen Zuntz-Versuchen demonstrirt 
beim „sporadischen Cretinisraus a und beim schweren Myxödem. So fand 
Magnus-Levy bei einem Cretinen nur 53 pCt. des normalen Ruhe- 
Nüchternwerthes, bei einer schweren Cachexia struraipriva 58 pCt., beim 
schweren echten Myxödem ähnlich niedere Zahlen, Andersson konnte 
dies bestätigen. Der Beweis einer Herabsetzung des Stoffurasatzcs während 
24 Stunden in vollständig durchgeführten Versuchen stand noch aus. 

Solche Versuche sind am Myxödem von mir zunächst 
angestellt worden. Für die Berechnung der gewonnenen Resultate 
ergiebt sich noch ein sehr wesentlicher Vortheil. Es ist bei Fettsüchtigen, 
wie wir sehen werden, kaum möglich, ein objectives Maass zu gewinnen, 
nach dem der Calorienumsatz mit dem des normalen Menschen ver¬ 
glichen werden kann. Beim Myxödem liegen nicht so hochgradige 
Abweichungen von der Norm in Bezug auf Oberflächengrösse oder Ver- 
hältniss des Körpergewichts zur Länge vor, dass Vergleiche mit Normal- 
werthen zu beanstanden wären. 

Ausserdem lege ich hiermit, so viel ich sehe, die ersten Stoff¬ 
wechsel versuche vor, die mit Berücksichtigung der respiratorischen Aus¬ 
scheidungen am infantilen Myxödem überhaupt angestellt sind. Es wird 
sich zeigen, dass die gefundene Herabsetzung nicht wohl auf grössere, 
körperliche Ruhe des Kindes oder ähnliche äussere Verhältnisse zu 
beziehen ist und damit ist der Beweis einer Verringerung des 
Calorienumsatzes im Princip erbracht. 

Ein für alle Mal betone ich gleich hier, dass ich mich nicht ein¬ 
lassen kann eine Theorie dieses verringerten Calorienumsatzes zu 
geben. Es ist schwer, das für einige Fälle der Pathologie, wie die 
Cachexia strumipriva, das schwere Myxödem, für einige Inanitionszustände 
und ähnliches feststehende Phänomen der Einschränkung des Bedarfes 
zu deuten. Man hat in den Kreisen der Klinik geglaubt, auch für diese 
Erscheinungen dadurch ein tieferes Verständnis zu gewinnen, dass man 
sagte, der sonst meist im Bereiche physikalischer Wärmeregulation sich 
bewegende Mensch regulire nun chemisch. 

Die gleichen Vorstellungen sind für die Fieberlehre, für den Morbus 
Basedow und wohl auch für eine Reihe anderer Erscheinungen der 
Pathologie vielleicht fruchtbar, überhaupt dann, wenn Verbrennungen 
gegenüber der Norm gesteigert sind, ohne dass sonst dafür bekannte 
Anlässe vorliegen (wie etwa die Steigerung in Folge von Nahrungs¬ 
aufnahme [EiweisskostJ oder erhöhte sichtbare Muskelarbeit). Beim 
Fieber mit vermehrtem Umsatz oder beim Morbus Basedow u. s. w. muss 
eine chemische Mehr-Zersetzung aus inneren Ursachen ja ganz gewiss 
angenommen werden und es ist, am Meisten für das Fieber, verständlich, 


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dass dies aus Gründen der Wärmeregulation, der Einstellung auf ein 
höheres Temperaturniveau, geschieht im Sinne der Fiebertheorie Lieber¬ 
meisters, wie Friedrich Müller es andeutet und in eingehender Weise 
F. Kraus es aufgebaut hat zu einer einheitlichen Fiebertheorie, durch 
welche die widerspruchsvollen Ergebnisse der Stoffzersetzung im Fieber 
nunmehr unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt verständlich würden. 
Auf Uebergänge von einem Regulationsmechanismus zum andern weist 
ja Rubner hin, wenn er sagt, dass „beide Arten der Regulation sehr 
wohl täglich bei dem Menschen nebeneinander Vorkommen können, nach 
reichlicher Mahlzeit die physikalische, im Uebrigen die chemische 
Regulation . u 

Stellt man die Hypothese auf, die heute sicher bewiesene Minderung 
des Umsatzes bedeute auch eine Verschiebung der Grenzen beider 
Regulationsmechanismen, so sagt man damit aus, dass ein Individuum 
die chemische Einschränkung der Verbrennungen noch weiter treiben 
kann wie ein anderes. Wenn wir also für den Basedow und andere 
Mehrungen Regulationsmaassnahmen annähmen, zu denen auch das nor¬ 
male Individuum nur unter anderen Aussenbedingungen fähig wäre, 
müssten wir zur Erklärung der Minderung eine Fähigkeit heranziehen, 
die das normale Individuum unter keinen Umständen in dem Maassc 
besitzt, d. h. wir nähmen an, z. B. das Myxödem hat einen geringeren 
Umsatz wie der Normale, es ist im Stande, sich bei geringeren Um¬ 
setzungen auf seinem Teniperaturniveau zu erhalten. Nach allem Diesem 
könnte man den Eindruck gewinnen, dass mit der Erklärung, Mehrungen 
und Minderungen des Umsatzes seien aufzufassen als abnorme Maass¬ 
nahmen der Wärmeregulation, kaum mehr ausgesagt wäre, wie mit der 
Thatsache der Mehrung und Minderung an sich. 

Es verhält sich dennoch anders. Der Beweis, dass eine Minderung 
eine chemische Regulationsmaassnahme ist, kann meines Erachtens ge¬ 
führt werden. Hier möchte ich aber darauf nicht eingehen. 

Der Nachweis, dass es solche Herabsetzungen giebt, möge genügen. 
Jede nähere Erklärung fehlt genau genommen; ist ja selbst die dem 
Allem zu Grunde liegende Auffassung des Wesens der chemischen 
Regulirung noch strittig. Was in dieser Beziehung vorgebracht ist, sind 
vorläufig nur Worte. Ich bitte also keinerlei weitere Theorie zu suppo- 
niren, wenn im Folgenden gesprochen wird von „Verringerung des 
Calorienumsatzes oder Herabsetzung des Stoffwechsels. u 

Nachdem im Folgenden für ganze Tagesversuche bestätigt ist, dass 
cs in diesem Sinne eine Herabsetzung des Stoffwechsels in 
der That giebt, sind jene Einwände, die a priori gegen das Vorhanden¬ 
sein einer constitutioneilen Fettsucht gemacht werden, abzulehnen. — 
Es ist gezeigt, dass es eine Herabsetzung von Organleistungen, dass es 
eine Herabsetzung von intermediären Stoffumsetzungen, dass es eine 
Herabsetzung auch im gesammten Stoffumsatz giebt. Wird dieses auch 
nur an einem fettsüchtigen Individuum bewiesen, so muss geschlossen 
werden, dass es ausser der Mastfettsucht eine echte constitutionelle 
Fettsucht giebt, mag sie auch noch so selten sein. 

Was ist cs denn nun, was den Arzt immer wieder zu dem Vor- 


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Der Stoff- u. Energien msatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 653 


urtheil drängt, dass solche constitutionelle Fettsucht existirt? Gewiss 
ist es ein oberflächliches Urtheil, das hinter monströsen Graden von 
Fettsucht eine primäre constitutionelle Erkrankung liegen müsse. Aber 
immer und immer wieder tauchen vor einem kritisch urtheilenden 
Kliniker Patienten auf, die von Jugend an ohne Zeichen von Trägheit 
und Phlegma bei sehr schwachem Appetit fettsüchtig wurden, bei dem 
es ihm trotz energischer Beschränkung der Nahrungszufuhr, trotz red¬ 
lichster Muskelübungen von Seiten des Kranken kaum oder in sehr 
ungenügendem Maasse gelingt, eine Entfettung zu erzielen. Noorden (14), 
der in seiner Monographie der Fettsucht und im Handbuche des Stoff¬ 
wechsels gewiss sich aller nur möglichen Kritik befleissigt, verschliesst 
sich dieser ärztlichen Erfahrung nicht und führt aus eigener Beobachtung 
sehr eclatante Fälle an, um nur einen herauszugreifen: 

Ein 35jähriger Herr, Länge 170 cm, wiegt 102 kg, 3 Monate später 
101 kg. Er hat in der Zwischenzeit eine bei jeder Mahlzeit genau 
abgewogene, ganz gleichmässige, Nahrung zu sich genommen, die nicht 
mehr als 2000 Calorien pro die beträgt. Der Patient hat täglich in 
seinem Beruf 8 km in der Ebene zu gehen, leistet ausserdem eine Steig¬ 
arbeit von mindestens 400 Calorien pro Tag und ist bei 8 Stunden 
Schlaf des Nachts (kein Nachmittagsschlaf) fast den ganzen Tag auf den 
Beinen. 

2000 Calorien bei 102 kg Gewicht und der beschriebenen Muskel¬ 
arbeit ist eine ganz erhebliche Unterernährung. Die Oberfläche nach der 
Meeh’schen Formel würde betragen 2,7 qm. Auch für diese Zahl ein 
zu niedriger Calorienumsatz. 

Ein Grund, an dem Mitgetheilten zu zweifeln, liegt, wenn man die 
näheren Ausführungen Noorden’s noch in Betracht zieht, nicht im 
Mindesten vor. 

Durch den Vergleich mit einem anderen Kranken wird das noch 
deutlicher. Ein Patient von 98 kg geht wenig, bekommt die gleiche 
Kost und nimmt schon in einem Drittel der Zeit (in 4 Wochen) fast um 
5 kg ab, auch später bei gleicher Calorienzufuhr noch weitere rapide 
Abnahmen. 

Andere Fälle Noorden’s, ein Fall von Salomon (15) und die Er¬ 
fahrungen vieler anderen Kliniker, die kritisch in dieser Frage denken wollen, 
spricht also mit aller Energie dafür, dass Fälle eines geringen Calorien- 
bedarfes ganz entschieden Vorkommen, mögen sie auch nicht häufig sein. 

Meine eigenen Erfahrungen, namentlich an der Patientin L., über 
die ich des Weiteren berichte, sprechen schon nach der empirischen 
Ermittelung der Kost ganz in gleichem Sinne. 

Gegenüber diesen gehäuften Beobachtungen kann sich der Kliniker 
nicht bei den Einwänden beruhigen, die gemacht worden sind. Dass 
Kranke lügen und betrügen, dass eine Nahrung calorienreich sein und 
doch kleines Volumen haben könne, dass die Dosirung von Muskelarbeit 
nach den Angaben des Kranken unmöglich sei u. s. w. So viele Fälle 
auch solcher Kritik geopfert werden müssen, es bleiben Fälle übrig ? 
die anzuzweifeln entschieden etwas Gekünsteltes hat. 

Die Einwände a priori gegen Herabsetzung des Calorienumsatzes 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5 . Bd. 49 


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sind bereits beseitigt, bleibt Jenen, die an die constitutionelle Fettsucht 
aus ärztlicher Erfahrung glauben, den zahlenmässigen Beweis zu führen. 
An emsigen Versuchen hat es nicht gefehlt und doch, Versuche in 
grossem Maassstabe, 24 Stundenversuche sind über diese Frage kaum 
angestellt, bis auf den klassischen Versuch Rubner’s (2) an dem fett¬ 
süchtigen Knaben und seinem mageren Bruder, das sind eigentlich die 
einzigen. Sie sind methodisch das nachzuahmende Muster für die Art, 
wie vorgegangen werden muss, und ich habe mich im Folgenden be¬ 
müht, mich, so gut ich konnte, in Ausführung und Berechnung nur an 
sie zu halten, wenn ich auch aus äusseren Gründen, aus Rücksichten 
auf die Kranken oft genug die Versuchsanordnung habe weniger günstig 
treffen müssen. 

In dem Suchen nach dem Beweise einer Herabsetzung der Calorien- 
production bei Fettsucht haben die Forscher von allen Eventualitäten, 
an die sie gedacht haben, sich beherrschen lassen und die Versuchs¬ 
anordnung entsprechend gegliedert. Neben der Hauptfrage, ob im Stoff¬ 
gleichgewichte eine Herabsetzung der Calorienproduction gegenüber dem 
Normalen vorkommt [Rubner’s Versuche (2)J, ist der sogenannte Ruhe- 
Nüchternwerth der Zuntz-Schule sehr häufig studirt worden. Auch 
hier gelang am herangezogenen Materiale der Beweis einer constitutionellen 
Fettsucht nicht, es geben aber die, welche mit jener Methodik gearbeitet 
haben, zu, dass der Calorienurasatz ständig um 10 pCt. nach oben und 
unten vom Mittelwerthe beim selben Individuum abweichen darf, d. h. 
um 20 pCt., ohne dass daraus es berechtigt ist, Schlüsse zu ziehen, ja, 
wenn nicht bei mittlerem Körpergewicht eine Herabsetzung von 500 bis 
700 Calorien herauskommt, so führt Magnus-Lewy (16) aus, beweisen 
diese Schwankungen d. h. Minderungen um 35—40 pCt. des Grund¬ 
umsatzes gegenüber der Norm noch keine constitutionelle Abweichung. 
Und trotzdem sollte man meinen, dass ein Individuum, welches fast 
ständig auch nur 10 pCt. weniger Calorien braucht wie ein anderes, sonst 
ganz mit ihm vergleichbares, durch diese constitutionelle Eigenschaft er¬ 
hebliche Fettmengen anhäufen könnte. Nur riesige Abweichungen von 
der Norm werden sich also mit dieser Methode als Beweise für eine 
constitutionelle Fettsucht verwenden lassen. 

Ein neuer Gedanke tauchte auf mit der Vermuthung von Jaquet 
und Svenson (17), dass die Steigerung der Verbrennungen, die nach 
Nahrungsaufnahme eintreten, beim Fettsüchtigen geringer seien, wie beim 
Normalen. Rechnerisch zeigten sie, dass in einem Jahre ein nicht un¬ 
erheblicher Fettansatz auf diese Weise möglich sei. Die Experimente 
stützten mit ihrem Ausfall diese Hypothese. Bei den Steigerungen nach 
Nahrungsaufnahme muss zunächst berücksichtigt werden, wieviel davon 
in 24 Stunden, etwa durch spätere Herabsetzungen sich wieder ausgleicht. 
Nur das Plus in 24 Stunden kann für den Fettansatz von Bedeutung 
werden. Nimmt man gerade für die Fettsucht ein Ralentissement 
in den Abläufen der Oxydation an, so zieht sich eben die Steigerung 
des Calorienumsatzes über längere Zeit hin, und die Summe kann denn- 
noch die gleiche sein. Auf einen Grundfehler in der Deduction von 
Jaquet und Svenson (17) ist weiter von Noorden (14) und Magnus- 


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Dor StolT- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 655 


Lewy(16) hingewiesen. Es ist die Steigerung nur beim gleichen In¬ 
dividuum zu berücksichtigen und nicht der Grundumsatz eines anderen 
rechnerisch heranzuziehen. Ausserdem fragt es sich, ob die Erhöhung 
nach Nahrungsaufnahme wirklich in absoluten Zahlen geringer ist als bei 
anderen, nicht fettsüchtigen Individuen. Es fragt sich ferner, ob ihre 
angenommenen Ruhe-Nüchterwerthe, die etwa 12 Stunden nach der 
Nahrungsaufnahme gewonnen sind, wirklich solche waren. Staehelin (18) 
zeigte jüngst, dass nach 16 Stunden die Werthe bei einem Fettsüchtigen 
deutlich tiefer lagen als nach 12 Stunden, ein Verhalten, das wieder für 
ein Ralentissement im Ablauf der Verbrennung spräche. Trifft das auf 
mehr wie den einen von ihm in wenigen Versuchen beobachteten Fett¬ 
süchtigen zu, so ist damit ein neues Kriterium gegen Jaquet und Sven- 
son (17) erbracht. Man sollte jedenfalls gerade bei Fettsüchtigen mit 
der Zuntzmethode nur nach 18 stündigem Hungern untersuchen und 
auch dann nur, wenn die letzte Mahlzeit spärlich und namentlich arm 
an Kohlehydraten gewesen ist. 

Endlich, und das erscheint mir nicht genügend betont, wenn auch 
die gesammte Steigerung nach Nahrungsaufnahme bei Erhaltungskost 
wegfiele, so bedeutet das eine Ersparung von 7 bis 15 pCt. des gesamraten 
Calorienumsatzes. Ich habe vorhin erwähnt, dass gerade die Zuntzschule 
betont, ein Individuum mit um 10 pCt. verringertem Ruheumsatz gegen¬ 
über dem Umsatz des Durchschnittes falle noch ganz in die Breite des 
Normalen. Es wäre also mit der Hypothese von Jaquet und Sven- 
son (17) quantitativ nicht mehr erklärt, als mit jenen constitutioneilen 
Varianten, welche von der Zuntzschule ohne weiteres als bestehend zu¬ 
gegeben werden. 

Staehclin’s (18) neueste Versuche und die Beobachtungen von 
Jacjuet und Svenson (15) geben uns immerhin den Hinweis, dass eine 
Verlangsamung der Oxydation bei einzelnen Fettsüchtigen vorzukomraen 
scheint, ebenso Versuche von Reach (37). In 24 Stunden kann sich dieses 
vollkommen wieder ausgleichen, ja in Versuchen, die aus dem Laboratorium 
Tigerstedt’s (19) in diesen Tagen erschienen sind, wird bei einigen Fett¬ 
süchtigen gezeigt, # dass bei Tages versuchen eine Abweichung von der Norm 
nicht vorhanden ist. Auch ich bringe in zwei Versuchen weiteres Material 
zur Klärung dieser Frage. Ich finde, um das hier vorwegzunehmen, nach 
einer Mahlzeit keinen höheren Calorienumsatz als im Hunger. Die Ver¬ 
suche dauerten 10 Stunden. Betont sei aber hier noch eines gleich¬ 
zeitig als eine wesentliche Einschränkung des Werthes solcher Versuche. 
Die Steigerung nach Nahrungsaufnahme ist bekanntlich so gut wie aus¬ 
schliesslich durch das Eiweiss der Nahrung bedingt 1 ). Soll nun diese 
Steigerung deutliche Ausschläge geben, so sind Eiweissgaben erwünscht, 
welche womöglich über dem Nahrungsbedarf liegen oder wenigstens wenn 
das, wie beim Menschen unmöglich ist, sollte die ganze Kost eine über¬ 
schüssige, sehr eiweissreiche sein. Zeigte doch Rubner am Hunde, dass 
kleine Eiweissmengen, die unter dem Bedarf liegen, keine merkbare 

1) Eine jüngst erschienene Publication Staehelin’s scheint eine stärkere 
„spec. dynam. Steigerung“ auch für Fett und Kohlehydrate nachzuweisen. 

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Steigerung des Calorienurosatzes bewirkten, Fette auch dann nicht, wenn 
sie den Bedarf ganz wesentlich überstiegen. 

Ueber meine Versuche habe ich an späterer Stelle dieser Schrift 
zu discutiren. Die Hypothese von Jaquet und Svenson (17) ist dann 
nur dem Beweise zugänglich, wenn nach mindestens 24stündiger Nahrungs¬ 
entziehung eine den Bedarf weit überschreitende, sehr ei weissreiche 
Kost gegeben wird und der Calorienumsatz eines 24 Stunden-Versuches 
dann wesentlich geringer ausfällt, wie in Vergleichs versuchen an Nor¬ 
malen. 

Wir werden übrigens noch sehen, dass die Wirkung überschüssiger 
Kost auch dann noch schwer zu deuten ist, weil ausser der specifisch 
dynamischen Wirkung des Eiweisses noch andere Verhältnisse raitspielen 
(die secundäre Steigerung). Machen wir uns aber von vornherein klar, 
dass auch ein Beweis der Hypothese von Jaquet und Svenson, wie 
ich ihn hier verlangt habe, für die Lösung gerade der Räthsel, die den 
Kliniker bei der Fettsucht immer wieder fesseln, wenig Werth hat. Handelt 
es sich ja zunächst garnicht darum, zu erklären, wie der Fettsüchtige 
auf Nahrungsüberschüsse reagirt, sondern warum anscheinend, man 
denke an Noorden’s Beispiel (14), auch bei calorienarmer Kost 
eine Körpergewichtszunahme oder wenigstens keine genügende 
Abnahme erfolgt. Es liegt trotz allen vorliegenden negativen 
Resultaten immer noch am nächsten zu suchen nach einer Herabsetzung 
des Grundumsatzes bei solchen Kranken und deshalb bleiben Versuche 
im Nahrungsgleichgewicht oder im Hungerzustande oder bei Unterer¬ 
nährung die folgerichtigste Versuchsanordnung, wenn anders die ärzt¬ 
lichen Beobachtungen zum Anlass genommen werden, an eine Herab¬ 
setzung bei Fettsucht zu denken. 

Trotz alledem, es hat das höchste Interesse festzustellen, ob wirk¬ 
lich der Ablauf der Zersetzungen beim Fetten in langsamerem Tempo 
sich vollzieht, wie beim Gesunden. Und braucht sich das auch nicht 
bei jedem Fetten für 24 Stunden in einer Herabsetzung des Calorien¬ 
umsatzes zu äussern, exorbitante Grade solcher Verlangsamung müssten 
zu einer Summirung unverbrannter Nahrung und damit zur Fettablagerung 
führen. Damit Hesse sich die Fettsucht oder sagen wir 'etwa ein grosser 
Theil der Fettsüchtigen unter einer gemeinsamen pathologischen Störung 
subsummiren, die Verlangsamung im Ablauf der Zersetzungen, die nur in 
höheren Graden im 24Stunden-Umsatz zum Ausdruck käme, sonst vielleicht 
erst bei Nahrungsüberschüssen bei einigen Individuen auch nie für die 
24 stündige Bilanz in Betracht käme. Befunde gestörter intermediärer 
Function beim Fetten, wie sie von Waldvogel (20) behauptet sind oder 
andere, oben gekennzeichnete ähnliche Abweichungen fänden so ihre Er¬ 
klärung. Das alles sind nicht lediglich Speculationen. So wenig der 
Beweis einer Herabsetzung des Umsatzes in 24 Stunden in Bezug auf 
die specifisch dynamische Wirkung der Nahrung erbracht ist, es ist 
eine geringere Erhöhung über das Hungerniveau nach Nahrungsaufnahme 
ja geradezu ein Heruntergehen unter dieses für kürzere Zeit bewiesen, 
nicht nur durch J. u. Sv., vor allem jüngst durch Staehelin (18), auch 
durch Reach und ich bringe an zwei Kranken weiteres Material. Mögen 


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Der Stoll- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 657 


es wenige Versuche von jedem der Autoren sein, die Uebereinstimmung 
von ganz verschiedenen Seiten macht die Resultate wichtig. 

Die Curve der Zersetzungen nach Aufname einer Nahrung, 
namentlich in Bezug auf die einzelnen Nahrungsbestandtheile und gleich¬ 
zeitig in Beziehung gebracht zur Gesammttagszersetzung, erscheint nach 
dem wenigen schon Vorliegenden von höchster Bedeutung. Sie gewährt 
auch auf anderen Gebieten der Pathologie wichtige Einblicke (Diabetes- 
Theorie Mohr’s), (4) namentlich aber auch für ein constitutionelles Maass 
ist sie von eminenter Wichtigkeit zur Ermittelung dessen, was Bouchard (1) 
mit „Temperament 1 * bezeichnen wollte. „Le tempörament est la 
caracteristique dynamique de Porganisme; c’est tout ce qui conceme la 
Variation individuelle des activites nutritives“. 

Versuche nach der Zuntz-Methode genügen nicht dem Sehnen nach 
einem constitutioneilen Maasse ein ausreichendes Zahlenmaterial zur 
Grundlage zu geben, auch wenn noch so viele im Tage angestellt werden. 
Es bedarf unbedingt daneben der Bestimmung des 24 ständigen Calorien- 
umsatzes. 

Ich habe zu diesem Zwecke eine Combination beider Unter¬ 
suchungsmethoden mir ausgedacht und durchgeführt, die ich kurz 
beschreiben möchte, obwohl ich Versuchszahlen hier noch nicht bringen 
kann. 

Steyrer (21) erwähnt die Möglichkeit, in der Voit-Pettenkofer- 
Kaminer die Versuchsperson mit dem Zuntz-Tornister Respirationsver¬ 
suche machen zu lassen, mit jener trockenen Gasuhr, wie sie für die 
Monte-Rosa-Expedition (22) verwendet wurde. Als ich dies durchführen 
wollte, wurden mir viele Nachtheile klar. 

Abgesehen davon, dass die trockenen Gasuhren sehr schnell in den 
Bälgen undicht werden, und deshalb fast täglich neu zu aichen sind, 
müsste man für jeden neuen Zuntz-Versuch die Kammer öffnen, um 
die Sammelburetten für die Gasanalyse auszuwechseln und den Apparat 
zum nächsten Versuch herzurichten. (Schnurablauf, Wasserfüllung usw.) 
Da wäre es schon einfacher, den Hauptversuch für kurze Zeit mehrmals 
zu unterbrechen und mit dem Patienten ausserhalb des Kastens Re¬ 
spirationsversuche nach Zuntz durchzuführen. 

Man kann aber, und das ist das Wesentliche meiner Apparatanordnung, 
den Kranken im Kasten belassen, die 24 ständige Kohlensäure- und 
Wasserbestimmung nach Voit-Pettenkofer ununterbrochen durchführen 
und trotzdem, so oft man will, einen Zuntz-Versuch einschalten. 

Die Gasuhr nach Zuntz steht im selben Zimmer wie der Voit- 
Pettenkofer’sche Respirationsapparat, aber ausserhalb des Kastens, 
also dem Experimentator jeder Zeit bequem zugänglich. Eine dichte 
Rohrleitung führt vom Patienten im Kasten durch ein gedichtetes Loch 
in der Kasten wand bis zur Zuntz’schen Gasuhr. Von ihrem Auslass 
wiederum führt eine rückläufige Leitung bis in den Kasten hinein und 
endet dort frei. Die Versuchsperson nimmt auf ein telephonisches 
Zeichen das Mundstück und verschliesst die Nase. Die Ventile sind an 
der Innenwand des Kastens fest angemacht und nun entnimmt der 
Patient seinen Sauerstoff aus der Kastenluft nahe der Oeffnung des Ein- 


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Stromes und athmet die Luft durch die Zuntz’sche Gasuhr hindurch. Von 
dort kehrt die gemessene Ausathmungsluft in den Kasten zurück. Es 
geht für den Hauptversuch nichts verloren, ausser den 200 ccm 
Exspirationsluft, die in den 10—30 Minuten der Dauer eines Zuntz- 
versuches aus einer Nebenleitung in der bekannten Weise entnommen 
werden. Dadurch kann man, ohne den Hauptversuch zu beeinträchtigen, 
so lange den Kranken mit dem Mundstück durch die Ventile athmen 
lassen, bis die Athmung ideal gleichmässig geworden ist, ehe man mit 
dem Versuch beginnt. In dieser ganzen Zeit geht für die Voit-Petten- 
kofer-Bestiramung nichts verloren, auch nicht wenn jeder Versuch nach 
Geppert-Zuntz über eine Stunde ausgedehnt wird. Ich bediene mich 
zum Sammeln der Luftprobe einfacher Büretten von 200 ccm Inhalt, 
deren ich so viele, wie ich will, hintereinander schalten kann, um die 
procentische Menge an Sauerstoff und Kohlensäure in den einzelnen 
Proben in einem anderen Raum später analysiren zu können. Die 
Verluste an Kohlensäure für den Hauptversuch durch diese Probeentnahme 
liegen weit unter 1 pCt. Ein Wasserverlust wird ebenfalls fast völlig 
vermieden, da ich die Gasuhr mit Vaselinöl fülle, und die Condensation 
des Wassers in der Rohrleitung eben so gut vernachlässigt werden darf 
wie im grossen Kasten selber. Im Uebrigen hätte cs keine Schwierig¬ 
keiten, gewogene Schwefelsäureflaschen in den Einstrom zu schalten, die 
ausströmende Luft ebenfalls zu trocknen und damit den Fehler mit 
voller Sicherheit zu vermeiden. 

Ich habe also eine Versuchsanordnung geschaffen, die es ermöglicht, 
während eines ununterbrochenen 24stündigen Versuches im Voit-Petten- 
kofer’schen Respirationsapparat beliebig oft Versuche mit der Methode 
von Zuntz einzuschalten, und damit eine Curve der C0 2 -Ausscheidung 
der O-Aufnahme wie des respiratorischen Quotienten gleichzeitig neben 
der 24 ständigen Bilanz des C, N und des Wassers aufzustellen. Es ist 
mit diesen Apparaten möglich, den Zersetzungsablauf als constitutionellen 
Factor im Hunger, nach Nahrungsaufnahme, nach Muskelarbeit u. s. w. 
zu studiren. Ein „Ralentissement de la nutrition u könnte auch da 
zahlenmässig bewiesen werden, wo es in 24ständiger Bilanz als völlig 
ausgeglichen, nicht nachweisbar ist. 

Halten wir uns stets gegenwärtig, dass das Problem der Verlang¬ 
samung bei Fettsucht erwachsen ist aus ärztlicher Erfahrung und doch 
weit mehr ist, als eine Vermuthung, seit gute Beobachtungen des Kost- 
maasses da sind (man denke an Noorden’s Fälle), welche eigentlich 
das constitutionelle Moment beweisen. Es entspricht nicht wissenschaft¬ 
licher Kritik, anzuführen, dass Menschen sich kaum je absolut sicher 
controliren lassen, sobald Resultate, gegen die ganz das Gleiche vor¬ 
gebracht werden könnte, in entgegengesetzter Richtung verwendet werden. 

Darum aber lege man bei allen Discussionen für und 
wider die Stoffwechselverringerung bei Fettsucht folgende 
zwei Maassstäbe an: 1. frage man sich, ist die Vorstellung 
von der Art der Herabsetzung, die die Autoren beherrscht, 
überhaupt geeignet das zu erklären, was empirisch an That- 
sachenmatcrial schon vorliegt (z. B. den oben citirten Fall 


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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 659 


Noorden’s u. a.)? 2. ist die angewandte Methode im Stande, 

nur gewaltige Abweichungen erkennen zu lassen oder auch 
mittlere Grade der vermutheten Störung? Darnach vor allem 
bewerthe man zunächst die Resultate. 

Magnus-Lewy (23) hat als Erster alle geäusserten Vermuthungen 
in Bezug auf die Ursache der Verlangsamung dahin zergliedert, dass er 
an Möglichkeiten einer Herabsetzung des Stroffwechsels 3 anführt: 

1. Es könnte vermindert sein der Grundumsatz. 

Sofern darunter verstanden wird der sogenannte „Ruhe-Nüchtern¬ 
werth“ ist er nur mit der Zuntz-Methode bestimmbar, und die ist nur 
zum Nachweis recht ansehnlicher Herabsetzungen geeignet, wie ich zeigte. 

2. „Die Steigerung nach Muskelarbeit ist herabgesetzt.“ Beweisendes 
Material liegt hierfür nicht vor. Abgesehen davon, das wird gewöhnlich 
nicht betont, leistet gerade ein anscheinend schon träger Fettsüchtiger 
oft mehr Arbeit wie der Normale, hat er doch mit gleicher Muskulatur 
weit grössere Lasten zu bewegen und zu heben. Schon deshalb ist es 
unwahrscheinlich, dass er auf diesem Gebiete genügend erspart, um die 
vorliegenden Beobachtungen zu erklären, selbst wenn er bei Muskelarbeit 
weniger Energie umsetzen sollte. 

3. „Die Steigerung nach Nahrungsaufnahme kann herabgesetzt 
sein.“ Es ist auf die Mängel im vorliegenden Material hingewiesen und 
hier vor allem ebenfalls zu betonen, dass die Hypothese genügen mag, 
nachzuweisen, dass jemand auch auf diese Weise Fett ansetzen könnte, 
dass sie aber keinesfalls genügt, die schon vorhandenen Beobachtungen 
an einzelnen Fettsüchtigen zu erklären. 

Als Einwand gegen solche Zergliederungsart ist hervorzuheben, dass 
im Bereiche chemischer Wärmeregulation (s. o.) eine geringere Steigerung 
nach Muskelarbeit wie nach Nahrungsaufnahme sich zeigen müsste, wenn 
man Rubner’s Auffassung gelten lässt. 

Es giebt ferner eine Bedingung, durch die der Calorienumsatz 
gesteigert werden kann, eine Bedingung, deren Umkehrung vielleicht eine 
Herabsetzung des Calorienumsatzes begreiflich macht. Sie kann mit 
gleichem Recht für eine Hypothese der constitutionellen Fettsucht heran¬ 
gezogen werden. Das ist, so viel ich sehe, nicht geschehen. Erst 
Staehelin (18) hat in jüngster Zeit andeutungsweise diese Verhältnisse 
in Betracht gezogen. 

Rubner (24) findet an Hunden ausser der Erhöhung des Gesararat- 
umsatzes nach Eiweisszufuhr, die als specifisch dynamische Wirkung des 
Eiwcisses von ihm aufgefasst wird, und sofort (d. h. innerhalb eines 
24-Stunden-Versuches) nachweisbar ist, eine andere Art der Erhöhung 
des Gesammtumsatzes nach abundanter Kost. Sie tritt nicht sogleich 
ein, meist erst nach 8 und mehr Tagen. Sie lässt sich nicht daraus 
erklären, dass der Körper etwa durch Eiweissmast um so viel reicher 
an Stickstoffsubstanz geworden ist, so dass diese „secundäre Steigerung“ 
durch die Massen Vermehrung des Versuchsindividuums zu erklären wäre. 
Nein, es ist eine Vermehrung der Calorienproduction, die nach einiger 
Zeit zu Stande kommt, wenn bei abundanter Kost gerade auch die 
Stickstoffzufuhr über den Bedarf geht. Das führt dazu, dass schliesslich 


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bei dauernd vermehrter Zufuhr der Organismus sieh auf das erhöhte 
Niveau einstellt (hier liegt die Steuerung gegen eine schrankenlose 
Fleischmast). Ich meine, es ist ein recht ähnliches Phänomen dem¬ 
jenigen, welches man unter dem Namen „Luxusenergieverbrauch“ in den 
Kreisen der Klinik als Hypothese schon längst zu beweisen sich bemühte 
und was längst bewiesen in der Fülle der Versuchsresultate Rubner’s, 
anscheinend von den Meisten unbemerkt, verborgen geblieben ist. 

Die Sache ist von so fundamentaler Bedeutung, dass ich aus 
Rubner’s „Gesetzen des Energieverbrauches und der Ernährung“ citire: 
„Es handelt sich um allmählich zunehmende Wirkung der Kost, welche 
schliesslich mit einem Wärmegleichgewicht endet, aber aus einem ein¬ 
fachen Anwuchs nicht zu erklären ist.“ 

„Es liegt also eine erst allmählich sich ausbildende Wirkung der 
Nahrung vor, welche nur unter Steigerung der Wärmebildung über die 
Körpermasse hinaus und in beschleunigtem Tempo zu einem Wärme¬ 
gleichgewicht führt.“ 

Die „secundäre Steigerung“ macht in einem Versuche z. ß. eine 
Mehrung um 32 pCt. des Hungerumsatzes aus. 

Auch die „secundäre Steigerung 11 wird anscheinend, wie die primäre 
(die „specifisch dynamische“), im Wesentlichen nur durch Eiweiss, kaum 
durch Fette und Kohlehydrate bedingt. Sie kommt bei gemischter, 
eiweissreicher Kost ebenfalls aufs Deutlichste zur Geltung. 

„Der Eiweissansatz ruft nur dann eine secundäre Nahrungswirkung 
hervor, wenn eine abundante Kost vorliegt.“ 

Die Wirkung erlischt plötzlich mit dem nachfolgenden Hungerzustand, 
bleibt aber anscheinend ständig vorhanden, so lange die abundante Kost 
gleichmässig gereicht wird. Daraus folgt, dass eine dauernde Zustands¬ 
änderung der Zelle nach Rubner nicht herbeigeführt wird. 

„Neben einer starken primären kann eine kurze secundäre und 
neben einer geringen primären eine mächtige secundäre Wirkung vor¬ 
handen sein.“ 

„Leider sind langdauernde Experimente mit grösseren Ueberschiissen 
auch an Hunden unausführbar, da sie die Nahrung verweigern.“ 

Dürften nicht länger dauernde Experimente mit gemischter, eiweiss¬ 
reicher Kost am Menschen eher möglich sein? Als Criteriura für Eiweiss¬ 
reichthum genügt ja wohl ein Stickstoffansatz beim Uebergang zu solcher 
abundanten Kost. Es wird ja längst vermuthet, dass sehr viele Menschen 
eine überreiche Kost, die eiweissreich ist, verzehren. 

Magnus-Lewy (16) meint, wenn ich ihn recht verstehe, die spe¬ 
cifisch dynamische Wirkung des Eiweisses käme beim Menschen nicht 
erheblicher zur Geltung. Jede Steigerung gegenüber dem Hungerwerthe 
nach Nahrungsaufnahme ist in der Ausdrucks weise Rubner’s (24) eine 
specifisch dynamische. 

Es ist demnach kaum zu zweifeln, dass auch die secundäre 
Nahrungswirkung beim Menschen zu beweisen ist, ja vielleicht werden 
schon vorhandene Thatsachen durch diese Erklärung verständlich. 

Ich führe im Zusammenhang mit dieser Lehre Rubner’s das an, 
was in der Regel für den Luxusenergieverbrauch herangezogen wird 


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(s. die Ausführungen Magnus-Lewy’s in Noorden’s Handbuch). Ich 
verweise vor Allem auf die Versuche von R. 0. Neumann (25). 

Diese höchst exact durchgeführten Selbstversuche, während deren 
sich der Autor, bei so gut wie völlig unverändertem Körpergewicht, 
10, 4 und 8 Monate im Gleichgewicht hielt mit rund 2200, 2400 und 
1770 Calorien in 24 Stunden und ganz gleicher täglicher Beschäftigung, 
sind nicht zu ignoriren. Unterschiede in der Arbeitsleistung, die ständig 
den Umsatz von 1770 auf 2400 Calorien gesteigert hätten, müssten auch 
einem weniger gewissenhaften Beobachter wie Neumann aufgefallen 
sein, sie bedeuten eine ansehnliche Mehrleistung. Gegen diese Versuche 
vermag eigentlich Magnus-Lewy nichts Wesentliches vorzubringen, 
als dass sie nur Berechnungen aus der genossenen Nahrung sind. 
Rubner weist darauf hin, wie ernsthafte Bedeutung gerade solche in 
langen Reihen exact durchgeführte Bestimmungen der Kost haben. 

Es bleibt meines Dafürhaltens keine andere Deutung, als dass das 
gleiche Individuum in langen Zeitperioden mit verschiedenen Caiorien- 
mengen sich ins Gleichgewicht gesetzt hat. Die Unterschiede in der 
Eiweisszufuhr im Sinne einer specifisch-dynamischen Steigerung erklären 
das nicht. 

Noch auffallender werden diese Verhältnisse beleuchtet durch den 
Vergleich mit Selbstversuchen Renvall’s, der bei vergleichbarer Tliätig- 
keit und gleichem Körpergewicht nur mit der doppelten Calorienmenge 
sich ins Gleichgewicht zu setzen vermochte. Auch hier handelt es sich 
um monatelang durchgeführte Versuche. Es befriedigt wenig die Deutung 
die Magnus-Lewy, dem ich diesen Vergleich entnehme, für die grossen 
Differenzen giebt, wenn er sie mit der Verschiedenartigkeit der Bewegungen 
durch das verschiedene Temperament der Autoren erklärt. Zumal 
R. 0. Neumann gewiss in seinen Bewegungen nicht besonders phleg¬ 
matisch ist, wie sich jeder überzeugen kann. Bedenkt man, wie ver¬ 
schwindend wenige Stoffwechselversuche durch längere Zeit durchgeführt 
sind, so verdienen diese wenigen vorliegenden Beobachtungen ernsthafteste 
Berücksichtigung. Es kann hier nicht der Ort sein, alles Vorliegende 
heranzuziehen. Ich möchte nur im Gegensatz zu diesen Versuchen an 
normalen Individuen, die ein verschiedenes Calorienbedürfnis, bei ver¬ 
schiedenen Individuen, ja die sogar ein verschiedenes Calorienbedürfnis, 
auch beim selben Individuum zu verschiedenen Zeiten mir zu beweisen 
scheinen, kurz erwähnen, was von Herabsetzung des Umsatzes in patho¬ 
logischen Fällen vorliegt. 

Da ist jener hochgradig abgemagerte Patient Magnus-Lewy’s, bei 
dem eine weit stärkere Herabsetzung, als seiner Inanition entspricht, 
nicht bezweifelt werden kann. Da ist in der Typhusreconvalescenz von 
Svenson ähnliches demonstrirt. Friedrich Müller constatirt bei einem 
durch eine Oesophagusstrictur hochgradig Abgemagerten aus der Kost¬ 
bestimmung, dass das Calorienbedürfnis herabgesetzt ist, er sieht sich 
veranlasst zu dem Schluss, „dass bei länger dauernder Unterernährung 
allmählich eine Anpassung zu Stande kommt, sodass sich der Körper mit 
einer geringeren Nahrungszufuhr leidlich auf seinem Stande erhalten 
kann“. Aehnliches ist noch von manchen Autoren gefunden (Ne bei tau, 


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v. Noorden). Mag man gegen andere Fälle dies oder jenes einzuwenden 
haben, es existiren noch genug, die eher für als gegen die angezogenen 
Beziehungen sprechen. Bei einem gesunden Arbeiter von Boys liegen 
z. B. Zahlen vor, die nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen sind. 
An den Umsatz im Winterschlaf, wie an die oben citirten Fälle von 
Myxödem sei nur nebenher erinnert. 

Einen sicheren Beweis des allmählichen Heruntergehens des Calorien- 
umsatzes bei chronischer Unterernährung erbringt eine Publication von 
Falta, Grote und Staehelin an einem Hunde im Jaquet’schen 
Respirationsapparate. Es sinkt die Calorienproduction pro Quadratmeter 
Oberfläche von 918 auf 845, pro kg und Stunde von 1,59 auf 1,51 
(Durchschnittszahlen). Endlich hat Benedict mit der idealen Apparatur 
Atwater’s eine Herabsetzung der Calorienproduction auch bei acutem 
Hunger bewiesen, die stärker ist, als sie der Abnahme der Körpermasse 
entspricht. War dieses auch bisher für den acuten Hunger in den Ver¬ 
suchen Rubner’s nicht so eclatant zu erweisen, so schreibt Rubner 
dennoch, „als Gesammtergebnis lässt sich feststellen, dass bei durch 
acuten wie protrahirten Hunger hervorgerufenen Aenderungen der Körper¬ 
masse die Intensität der Wärmebildung wie diese Masse selbst abnimmt, 
wobei wir aber betonen, dass namentlich, was die extremsten Fälle 
anbelangt, sowohl eine Beschleunigung als auch eine geringe Ver¬ 
zögerung des Abfallens beobachtet werden kann, ein Umstand, welcher 
auf die zahlreichen Einflüsse zurückgeführt ^werden muss, die wir speciell 
ausgeführt und kurzweg unter den Begriff der Individualität zusammen¬ 
gefasst haben*. Ich hebe den Hinweis auf die Individualität hervor, wenn 
ihre Definition sich auch nicht ganz decken mag mit dem, was etwa die 
Aerzte darunter verstehen. 

Bedenken wir, dass negative Resultate für das hier aufgeworfene 
Problem nur in zweiter Reihe Bedeutung haben, so kann man sich ra. E. 
garnicht dem Schluss entziehen, dass sowohl bei schweren pathologischen 
Processen von Inanition (Reconvalescenz) als auch bei Normalen eine 
Einschränkung des gewöhnlichen Calorienumsatzes vorkommt und so 
sehr man weitere Belege wünschen mag, es ist bereits an der Thatsache 
festzuhalten, dass nicht immer der Umsatz bedingt ist von Grösse, 
Gewicht oder Oberfläche oder Ernährungszustand eines Individuums, dass 
zwei Individuen gleicher Grösse unter den gleichen Bedingungen auch 
einmal verschiedenen Umsatz haben können. Mag ein stärkeres Herunter¬ 
gehen unter das Normalniveau auch eine Seltenheit sein, ein Zustand, 
der in das Gebiet der Pathologie greift, auf Grund des vorliegenden 
Thatsachenmaterials scheint mir folgendes nicht mehr zu leugnen: 

Bei chronischer Ueberernährung kann sich der Organismus 
chronisch auf ein höheres Niveau als das des Fütterungs¬ 
minimums in seinem Calorienumsatz einstellen, so lange die 
Ueberernährung andauert. Bei chronischer Unterernährung 
kann er auf ein niedriges Niveau allmählich sinken. Also ist 
auch trotz erwiesenem, völligem Nahrungsgleichgewicht beim selben Indi- 
vidium ein verschiedener Calorienumsatz möglich. Mit anderen Worten, 
das Calorienbedürfniss eines Individuums ist auch bei unveränderten 


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klimatischen Bedingungen keine Constante. Das Niveau kann unter gewissen 
Ernährungsbedingungen nach oben und unten verschoben werden, so 
unter dem Einfluss chronisch überreicher Ernährung, oder chronischer 
Unterernährung. Dass es ausserdem noch andere „innere“ Einflüsse giebt, 
ist zum Mindesten für die Pathologie sicher (Myxoedem). 

Es ist zu fordern, dass diese Bedingungen für den Menschen weiter 
geprüft werden; sie sind geeignet, unsere Anschauungen vom Bedarf 
wesentlich umzugestalten. Lediglich die geringe Anzahl von wochenlang 
durchgeführten Versuchen in dieser Richtung erklärt unser Nichtwissen, 
nicht etwa das Vorhandensein von Resultaten wochenlanger Versuchs¬ 
dauer, die das Gegentheil bewiesen. 

Für unsere Frage nach der constitutioneilen Fettsucht ergiebt sich 
eine Hypothese, welche das Problem allgemeiner fasst und in Beziehung 
setzt zu constitutionellen Varianten des Stoffwechsels überhaupt. 

Ist für alle sonst vergleichbaren Individuen die Fähigkeit, das Niveau 
des Calorienurasatzcs unter den besprochenen Bedingungen zu erhöhen 
oder zu erniedrigen das gleiche, oder giebt es da Variationen? 

In diesem Sinne wäre derjenige mehr zur Fettsucht disponirt, der 
eine geringere Fähigkeit zu „secundärer Steigerung“ hätte, oder derjenige, 
der eine erhöhte Fähigkeit besitzt, chronischer Unterernährung sich an¬ 
zupassen. 

Damit ist die Frage constitutioneller Fettsucht in die viel all¬ 
gemeinere aufgelöst, ob in der Anpassung an mehr oder weniger Calorien- 
zufuhr im erörterten Sinne ein individueller Factor steckt oder ob er 
nur abhängt von äusseren Bedingungen. Oder noch allgemeiner gefragt, 
ob das Calorienbedürfniss nur bedingt ist von den bekannten äusseren 
Factoren, der Nahrungsaufnahme, der Muskelleistung, des Klimas und 
Aehnlichem. 

Giebt es ein Schwanken aus inneren Ursachen, auch nur in dem 
Sinne, wie Rubner(24) die Individualität andeutet, so ist für den 
Menschen bewiesen, dass es solche giebt, die constitutionell zur Fett¬ 
sucht mehr disponirt sind, wie andere, d. h. es giebt eine constitutionelle 
F ettsucht. 

Das vorliegende Material ist in diesem Sinne verwerthbar. 

Allgemeines über die Methodik. 

In Bezug auf alles Nähere der Methodik verweise ich auf die Ver¬ 
suche von Dr. Steyrer, die im vierten Band dieser Zeitschrift 
Seite 725 und folgende veröffentlicht worden sind. Meine ersten 
Versuche sind zu gleicher Zeit wie die seinen ausgeführt und 
alles Nähere über die Grenzen der Teraperaturschwankungen und des 
Feuchtigkeitgehaltes der Luft, über die Genauigkeit des Apparates, die 
Art der Wasserbestiraraung u. s. w. kann dort nachgesehen werden. 
Ich erwähne nur in Kürze, dass der Apparat nach dem Principe der 
Voit-Pettenkofer’schen Respirationskammer gebaut ist in der Modi- 
fication, wie ihn Geheimrath Rubner benutzt. Die C0 2 -Bestimmungen 
werden im Theilstrome durch Zurücktitriren einer vorgelegten Menge 
von Barytlauge mittels Oxalsäure bestimmt. Zum grossen Theil habe 


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ich leider die Wasserbestimraungen nicht verwerthen können, da sie nur 
annähernde und nicht exacte Werthe gaben, denn die Uringläser, bisweilen 
auch die Getränke waren nicht in verschlossenen Behältern im Apparate, 
die Wäsche und das Bett sind nicht vor und nach jedem Versuch ‘ 
genau gewogen, namentlich fehlte uns eine genaue Waage um einen 
Unterschied im Gewicht des Bettes selbst um Decigramme nachzuweisen. 
Die Kranken befanden sich ruhig im Apparate, bei den 24 Stunden-Ver- 
suchen lagen sie meist nur des Nachts und einige Stunden am Tage im 
Bett, sonst sassen sie, standen auch kürzere Zeit im Apparate, immer¬ 
hin sind die Bewegungsmöglichkeiteil bei der Enge der Kammer durch¬ 
aus beschränkte. Während der Hungerversuche von 4 und 8 Stunden 
waren die Patienten ständig im Bett, schliefen aber nicht, als einzige 
Beschäftigung stand ihnen Lectüre zur Verfügung. Während der 24 Stunden- 
Versuche durften die Patienten ein bis zweimal etwa für eine knappe halbe 
Stunde den Apparat verlassen zur Aufnahme der Mahlzeiten. Andere 
Mahlzeiten, die in der Zwischenzeit genommen wurden, waren schon 
vorher in den Apparat hineingestellt. Nach Möglichkeit wurde auch in 
dieser Pause der Koth gesammelt. Nach Verschluss der Thür des 

Apparates wurde die grosse Gasuhr meist für eine Zeit bis zum Ausgleich 
der Luft im Apparate allein in Gang gesetzt, und erst dann der unter¬ 
brochene Versuch wieder fortgesetzt, sodass für 24 Stunden meist nur 
1V 2 Stunden zu interpoliren waren. Eine rechnerische Ueberlegung 
zeigt, dass diese Vorsicht übrigens nicht nöthig ist. 


Ausscheidungen (Harn und Koth). 
ln Bezug auf die Ausscheidungen ist zu erwähnen, dass Stick- 
stoffbestimmungen ebenso wie in der Nahrung nach Kjeldahl, Kohlen- 
stoffbestimraungen mit der Liebig’schen Methode der Elementaranalyse 
im Kopfer’schen Verbrennungsofen selbstverständlich stets als Doppel¬ 
analysen vorgenommen wurden. Die calorischen Bestimmungen in Harn 
und Koth sind, wie bei den einzelnen Versuchen nachzusehen ist, nicht 
stets ausgeführt. Ich zeige dort ausführlicher an einem Beispiel, wie die 
Berechnungen mit den Rubner’schen Standardzahlen in den Fällen, wo 
ich mich ihrer bediente, glänzend übereinstimmende Werthe mit der 
directen Bestimmungsmethode geben. Wo es sich um trockene Pulver 
handelte, wie in der fettfreien Nahrung und im Koth, wurden Pastillen 
gepresst, deren Gewicht bestimmt, und die Verbrennung der Pastille in 
der Berthelot’schen Bombe durchgeführt. Bei der calorischen Be¬ 
stimmung flüssiger Substanzen habe ich mich zunächst an die Modification 
gehalten, die von Steyrer (21) in der obenerwähnten Arbeit wieder¬ 
gegeben ist. Es ist dafür erforderlich, wenigstens bei einer calorienarmen 
Flüssigkeit wie dem Harn, dass mehrmals auf die Celluloseblöcke auf¬ 
getropft wird und jedesmal wieder bei 100° im luftverdünnten Raum 
durch den ein schwacher Luftstrom streicht, die Trocknung vorgenommen 
wird. Die Methodik ist wohl einwandsfrei, da sie aber häufige Ueber- 
wachung und möglichst schnelles Arbeiten erfordert, wenn Verluste durch 
Zersetzung des Harns nicht eintreten sollen, habe ich mich später der 


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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 665 


Methode bedient, die von Zuntz und seiner Schule ganz allgemein an¬ 
gewandt wird und genügend übereinstimmende Werthe ergiebt. Die gut 
bei 100° zur Gewichtskonstanz getrockneten, gewogenen Celluloseblöcke 
werden in kleine Porzellanschälchen gestellt, und 5 ccm Flüssigkeit auf 
die Blöcke aufgetropft, in einem Male; was an Flüssigkeit nicht gleich 
aufgesogen wird, sammelt sich zunächst in den Schälchen; sie kommen 
mit den Blöcken in einen Exsiccator mit frischer Schwefelsäure, der gut 
evacuirt wird, sodass auch bei Zimmertemperatur die wesentliche Ein¬ 
trocknung nach 12—18 Stunden stattgefunden hat. Es ist im Labora¬ 
torium von Zuntz gezeigt, dass wesentliche Verluste dabei nicht ent¬ 
stehen, da bei Zimmertemperatur die Zersetzung eines sauren Urins 
auch in 24 Stunden nicht ernstlich in Betracht kommt. Man muss nur 
auf eines achten, dass man vor der Verbrennung mit dem an einer 
Pincette gehaltenen trockenen Block das Porzellanschälchen gut aus¬ 
wischt, bis die Porzellanfläche sauber, weiss, glatt und spiegelnd aus¬ 
sieht. Gelingt das einmal nicht ideal, so bringt man ein Paar Tropfen 
Wasser in die Schale, fasst den Celluloseblock wieder mit einer Pincette 
und wischt das Schälchen noch einmal aus. Die Methode erwies sich 
mir als quantitativ. 

Rubner macht den Einwand, dass der Verbrennungswerth der 
Cellulose an sich so viel grösser ist, als derjenige von 5 ccm Harn, so 
dass kleine unvermeidliche Fehler der Methode sich stark summiren, da 
sie nur auf die Calorienberechnung des Harnes entfallen. Man kann 
sich aber wiederum mit Rubner damit beruhigen, dass die Calorien- 
menge des Harns namentlich für die von mir angestellten Hungerversuche 
in der Berechnung des Gesammtcalorienumsatzes eine höchst unbedeutende 
Rolle spielen. 

Für die Versuche bei Ernährung der Patienten ist grossentheils 
sowieso die indirecte Berechnung der Calorienzufuhr, die ja die Abzüge 
für Harn und Koth gleich einbegreift, von mir gewählt worden. In 
weiteren Versuchen wäre allerdings die Calorienbestimmung im Trocken¬ 
rückstand des Harns ohne Verwendung von Blöcken weit vorzuziehen. 
Für die Bestimmung des Aetherextractes der Nahrung ist die Methode 
mittels der Blöcke durchaus gerechtfertigt, handelt es sich doch im 
Gegensatz zum Urin um eine sehr calorienreiche Lösung. 

Für die Kohlenstoffbestimmung des Harns sei noch bemerkt, dass 
5 ccm Harn direct in Schiffchen gebracht wurden, der Harn war wiederum 
im Exsiccator über Schwefelsäure bei gutem Vacuum ebenfalls in 12 bis 
18 Stunden fast völlig eingetrocknet. Hat man für die Kohlenstoff¬ 
bestimmungen mit dieser Methode kein Bedenken, und auch Steyrer 
hat dieses nicht gehabt, so lässt sich auch gegen die Art der Harn¬ 
eintrocknung nach Zuntz, die ich oben beschrieben habe, nichts ein¬ 
wenden. 

Nahrung. 

Die Bestimmungen in der Nahrung wurden ganz in der Weise 
vorgenommen, wie Steyer (21) sie methodisch ausgearbeitet hat; dass 
man auf diese Weise absolut zuverlässige Analysenzahlen erhält, beweist am 


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besten die Tabelle der Nahrungsanalysen, z.B. der Versuche am Patienten M. 
Da die Art der Bestimmung mir exacter erscheint, wie die Bestimmung 
aller einzelnen Bestandtheile einer Kost und da sie ausserdem oft nur 
den zehnfachen Theil an Arbeit bedeutet gegenüber der Methodik, die 
sonst in der Stoffwechselforschung auch heute noch die verbreiteteste 
ist, will auch ich noch einmal auf die Art und Weise eingehen, wie ich 
die Nahrung verarbeitet habe. Die Tabellen sind zudem ein weiterer 
eclatanter Beleg, wie wenig man anfangen kann mit einer Berechnung 
der Nahrung etwa nach feststehenden Tabellen, habe ich doch bei drei 
Nahrungsgemischen zu verschiedenen Zeiten genau dieselbe Menge Roh- 
producte abgewogen und wie ohne Weiteres aus der Tabelle zu ersehen 
ist, recht wesentliche Schwankungen im Gehalt der einzelnen Bestand¬ 
theile gefunden. Ich verweise nur auf die Schwankungen an Stickstoff 
zwischen 22 und 24 g. 

Genau die Hälfte aller Nahrungsmittel, die die Versuchspersonen 
bekommen, wird frisch in grob zerkleinertem Zustande abgewogen 
z. B. Brot, Fleisch, Käse u. s. w. Ich habe die Nahrungsmittel für den 
Kranken M. stets roh gewogen; der Kranke war daran gewöhnt, 
keine Spur von der gereichten Nahrung übrig zu lassen. Wenn das 
Fleisch z. B. als Beefsteak zubereitet war, so wurde vom Kranken mit 
Brot die Bratpfanne gründlich ausgewischt, so dass Bratensauce und 
Butter kaum verloren gingen. Es braucht kaum erwähnt zu werden, 
dass die Nahrung stets unter Controle einer Schwester von den Patienten 
zu sich genommen wurde, ja, dass sie auch sonst, so gut es anging, 
controlirt wurden. Gesetzt auch, dass an versuchsfreien Tagen dies in 
idealer Weise nicht möglich war, denn der Kranke war nicht in einem 
Zimmer internirt, da er, wegen seiner Fettleibigkeit nicht mit Unrecht, 
reichlich Bewegung verlangte, so ist doch an den Versuchstagen in den 
kurzen Zeiten, die er ausserhalb des Apparates zubrachte, die aufmerk¬ 
samste Controle auf ihn verwendet worden, in diesem Sinn auch der 
eine und andere Versuch, den ich ausgeführt habe, vollständig weggelassen 
worden, wenn mir die Controle nicht genügend erschien. Ich fahre in 
der Methodik der Nahrungsbestimmung fort. Die einzelnen Schalen mit 
den abgewogenen halben Portionen von Fleisch, Brot, Käse u. s. w. 
wurden bei 100° etwa 24 Stunden getrocknet, diejenigen Nahrungs- 
bestandtheile von ihnen, die Fett enthalten, werden im Soxhletapparate 
drei Tage lang je 8—10 Stunden extrahirt. Der nunmehr fettfreie Inhalt 
der Papierhülsen lässt sich leicht in einer Kaffeemühle zu einem ganz 
feinen Pulver zermahlen. Die Verluste betragen, wie ich mich gelegent¬ 
lich überzeugt habe durch Wägung vor und nach dem Mahlen, nicht 
1 pCt. Man hat nun für die Durchführung der Analysen zwei Portionen, 
ein trockenes, fettfreies Pulver, das vor der Analysenbestimmung noch 
bis zur Gewichtsconstanz getrocknet ist und einen Aetherextract, der 
auf eine bestimmte Menge gebracht ist und auf dessen gleichraässige 
Temperatur (bei der Analysenentnahme mittels Pipette) besonders zu 
achten ist (wegen der starken Voluraenveränderung des Aethers, auch 
bei geringen Temperaturunterschieden). An Analysen ist dann lediglich 
auszuführen 


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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 667 


im fettfreien Pulver 
die Stickstoffbestimmung, 
die Kohlenstoffbestimmung, 
die Calorienbestimmung, 
die Menge der Kohlehydrate und der Asche; 

im Aetherextract 1 ) 
die Kohlenstoffbestimmung, 
die Calorienbestimmung, 
die Fettmenge = Aetherextractraenge. 

Wenn ich statt dieser vereinfachten Methode die Bestimmungen in 
den Einzelbestandtheilen der Nahrung hätte durchführen müssen, so hätte 
ich für meine Nahrungsmischung etwa je 6 Doppelbestimmungcn für 
Kohlenstoff, Stickstoff und Calorien, ausserdem eine ganze Reihe von 
Kohlehydrat-, Fett- und Aschenbestimmungen durchführen müssen, ja, 
die Kohlenstoffmenge des Fettes und der calorische Werth des Fettes 
wäre nur indirect durch Rechnung bestimmt. Dabei handelt es sich bei 
der von mir verabreichten Kost noch um eine sehr einfach zusammen¬ 
gesetzte. Es erübrigt nur noch zu erwähnen, dass die Methode selbst¬ 
verständlich ganz eben so gut bei Berücksichtigung der zubereiteten 
Speisen durchführbar ist, wie ich es für die Patientinnen L. und W. 
später auch durchgeführt habe, dass man also eine besondere Einfachheit 
in der Kost durchaus nicht mehr in künftigen Stoffwechseluntersuchungen 
aus analytischen Gründen zu bevorzugen haben wird. 

Ich möchte noch darauf hinweisen, dass bei der gewählten Kost 
eine relativ so grosse Verschiedenartigkeit in der Zubereitung der 
Nahrung möglich war, dass ein Patient (M.) fast 2 Monate lang mit nur 
geringen Unterbrechungen stets dieselbe Nahrung zu sich nahm. Er 
nahm das Ochsenfleisch theils als Rindfleisch allein gekocht, theils als 
dicke mit Reis gekochte Suppe, dann als Beefsteak, Schmorbraten, rohes 
Schabefleisch, theils warm, theils kalt zu sich, ähnlich den mit Wasser 
gekochten Reis mit Butter, mit Käse oder mit Zucker, oder auch als 
Suppe zusammen mit dem Fleisch. 

Versuche am Myxödem. 

(Dass ich an einem Patienten der Kinderklinik der Königl. Charitö meine Unter¬ 
suchungen anstellen durfte, dafür sage ich Herrn Geheimrath Heubner meinen ganz 
besonderen Dank. Eine ganze Reihe von Bestimmungen in derNabrung, wie imHarn und 
Koth sind von Frl. Dr. Wed eil, damals Volontärassistentin an der Kinderklinik aus¬ 
geführt worden, die Krankengeschichte ist ein Auszug der Aufzeichnungen der Klinik.) 

H. G., 1 Jahr 3 Mon. Das Kind war schon einmal im Alter von 6 Monaten in 
der Charite; es wog bei der Geburt l l / 2 Pfund, hat 7 Wochen lang die Brust be¬ 
kommen, dann künstliche Ernährung. Schon seit der Entwöhnung leidet es häufig an 
Schluckbeschwerden; es wird beim Trinken ganz steif und blau, verdreht die Augen 
und bekommt keine Luft. Fast bei jeder Nahrungsaufnahme diese Erscheinungen. 
Bei der ersten Aufnahme im September 1906 wird die Diagnose auf schweres in¬ 
fantiles Myxödem gestellt. Das Fettpolster ist von einer eigenthümlich schlaffen, 

1) Der Stickstoff konnte hierin vernachlässigt werden. 


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G. v. Bergmann, 


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teigigen Consistenz; besonders ist dies an den unteren Extremitäten und im Gesicht 
wahrzunehmen, hier besonders die Gegend der oberen Augenlider, um die Nase herum 
und an den Ohren. Die Haut der Stirn lässt sich in weichen, teigigen Falten ver¬ 
schieben. Das Gesicht macht einen gedunsenen Eindruck, der Ausdruck ist blöde, 
der Mund steht fortwährend offen, man sieht die verdickte Zunge etwas hervorstehen, 
das Geschrei des Kindes ist grunzend, das Kind reagirt mit 6 Monaten in keiner 
Weise auf äussere Eindrücke. Schilddrüse nicht fühlbar, es muss schon damals 
wiederholt mit der Sonde ernährt werden, hat am 10. 10. 06 einen Erstickungsanfall, 
der mit Campher und Uebergiessungsbädern bekämpft wurde; das Kind wird dabei 
ganz steif und blau. Es haben sich noch am selben Tage in kurzen Intervallen vier 
solche Anfälle wiederholt. Auf Schilddrüsenzufuhr bessert sich während des ersten 
Chariteaufenthaltes das Befinden in eclatanter Weise, die myxödematöse Schlaffheit 


Datum 

Nahrung 

Gewicht 

i 

Bemerkungen | 

i 

| Datum 

! 

Nahrung 

Gewicht 

Bemerkungen 

1907 




1907 




19. 6. 

— 

7400 

— | 

26. 7. 

600 V. M. 

6445 

Resp. Vers. III. 

20. 6. 

— 

— 





0,1 Thyreoidea 

21.6. 

— 

7550 


' 27. 7. 

600 V. M. 

— 

Resp. Vers. 

22. 6. 

750V.M.D 

— 

— 




0,1 Thyreoidea 

23. 6. 

650 V. M. 

— 

— ! 

i 28. 7. 

600 V. M. 

— 

Resp. Vers. 

24. 6. 

650 V. M. 

7750 

— 1 




0,1 Thyreoidea 

25. 6. 

600 V. M. 

— 

Resp. Vers. 1. j 

29. 7. 

600 V. M. 

6505 

Resp. Vers. 

26. 6. 

600 V. M. 

— 

do. 

■ 



0,1 Thyreoidea 

27. 6. 

600 V. M. 

— 

do. 

30. 7. 

600 V. M. 

— 

0,1 Thyreoidea 

28. 6. 

600 V. M. 

— 

do. 

31.7. 

600 V. M. 

— 

0,1 Thyreoidea 

29. 6. 

750 V. M. 

7500 

do. 

| 1.8. 

600 V. M.; 

6450 

— 

30. 6. 

700 V. M. , 

— 

— 

! 2.8. 

600 V. M. 

— 


1.7. 

582 V. M. 

7500 

— 

' 3.8. 

600 V. M. , 

6470 

— 

2. 7. 

650 V. M. 

— 

Resp. Vers. 

1 4.8. 

600 V. M. ! 

— 

— 




0.3 Thyreoidea 

5. 8. 

— 1 

6440 

— 

3.7. 

— 

— 

Resp. Vers. 

6. 8. 

450 V. M. 

— 

— 




0,3 Thyreoidea 

7. 8. 

650 V. M. 

6450 

— 

4. 7. 

— 

7400 

Resp. Vers. 

8. 8. 

600 V. M. 

— 

— 




0,3 Thyreoidea 

9. 8. 

700 V. M. 

6420 


5. 7. 

650 V. M. 

— 

— 

10. 8. 

700 V. M. 

— 


6.7. 

550 Y. M. 

— 

— 

11.8. 

700 V. M. , 

— 

— 

7. 7. 

750 V. M. 

— 

— 

12. 8. 

700 V. M. 

6500 

— 

8.7. 

600 V. M. 

7150 

— 

13. 8. 

700 V. M. 

— 

- 

9. 7. 

660 V. M. 

7130 

— 

14. 8. 

700 V. M. | 

6500 

— 

10.7. 

650 V. M. 

7040 

— 

15. 8. 

650 V. M. 

— 

— 

11.7. 

750 V. M. 

— 

— 

16. 8. 

— 

6580 

‘ -fe- 

12. 7. 

700 V. M. 

6890 

— 

17.8. 

650 V. M. 

— 

-- 

13. 7. 

700 V. M. 

6855 

— 

18. 8. 

600 V. M. 

— 

— 

14. 7. 

700 V. M. 

6825 

— 

19. 8. 

600 V. M. 

— 


15.7. 

780 V. M. 

6825 


20. 8. 

600 V. M. 

— 

-- 

16. 7. 

880 V. M. 

6825 


21.8. 

600 V. M. 

6950 

— 

17. 7. 

700 V. M. 

6850 

— 

22. 8. 

600 V. M. 

— 

— 

18. 7. 

600 V. M. 

6830 

Resp. Vers. II. | 

23. 8. 

600 V. M. 

7060 

— 

19.7. 

600 V. M. 

— 

do. 

24. 8. 

600 V. M. 

— 


20. 7. 

600 V. M. 

— 

do. 

25. 8. 

600 V. M. 

— 

-- 

21.7. 

600 V. M. 

— 

do. 

26. 8. 

600 V. M. 1 

7100 

— 

22.7. 

600 V. M. 

6580 

do. 

: 27. 8. 

600 V. M. 

— 

— 

23. 7. 

600 V. M. 


_ ! 

1 28. 8. 

600 V. M. , 

7050 

— 

24.7. 

600 V. M. 

— 

— 

! 29.8. 

800 V. M. | 

— 

— 

25. 7. 

600 V. M. 

6575 

0,1 Thyreoidea, 

; 30. 8. 

600 V. M. 

6920 

— 





' 31.8. 

450 V. M. 

— 

— 


1) (V. M. = Vollmilch. Für die Versuchstage finden sich die exacteren Mengen 
der genossenen Milch im Folgenden.) 


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Der Stoff- u. Enorgieuuisatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 669 

der Haut ist geschwunden, das Kind vermag ohne Schlundsonde Nahrung zu sich zu 
nehmen; es fängt an zu läoheln. Das Kind liegt behaglich mit dem Finger im Munde 
da. Im Ganzen eine unzweifelhafte Besserung der myxödematösen Symptome. 

2. Aufnahme am 29. August 1907 mit 1 Jahr und 3 Monaten. Seit der ersten 
Entlassung ging es dem Kind körperlich gut, es machte aber geistig gar keine Fort¬ 
schritte. Greift krampfhaft nach einem vorgehaltenen Gegenstand, verfolgt ihn mit 
den Augen, reagirt aber auf nichts weiter. Das Kind bekam als Nahrung 6—800 ccm 
Vollmilch und zweimal täglich „Päppchen a von Semmel oder Zwieback. Das Kind 
kommt jetzt wegen Augenentzündung, Husten und dünner Stühle in die Charitö. Ich 
sehe von diesen Leiden, die während der Behandlung in der Heubner’schen Klinik 
geheilt wurden, hier vollständig ab. Zu Beginn der Stoffwechselversuche lag von 
diesen Erkrankungen nichts mehr vor. aus dem Status hebe ich nur noch heraus: 
„ln der Entwickelung stark zurückgebliebenes Kind, das mit idiotischem Gesichts¬ 
ausdruck im Bette liegt. Die Haut des ganzen Körpers sieht gedunsen aus, bei Be¬ 
tasten fühlt sie sich, besonders an der Stirn, wie eine Speckschwarte an. Derart 
verdickte Haut giebt auch der Nase, den Lippen und dem Halse ein unförmiges Aus¬ 
sehen. Dieselbe Verdickung hat auch die Zunge zu einem unförmigen dicken Organ 
verwandelt, das in der Mundhöhle keinen Platz hat, sodass der Mund dauernd offen 
steht, was zu dem stupiden Ausdruck beiträgt. Intelligenz gering; vorgehaltene 
Gegenstände werden nicht fixirt“. 

„Schilddrüse ist nicht zu fühlen, Puls verlangsamt, 80 in der Minute. Das 
Kind schreit viel, das Geschrei hat einen unnatürlich grunzenden Character, das Kind 
muss mit der Sonde gefüttert werden. Maasse des Kindes: Länge 65 cm, Kopf¬ 
umfang 43y 2 , Leibumfang 45 cm. Das Kind, welches wegen seiner Verdauungs¬ 
störung auf geringe Nahrungsquantitäten und bald auf rohe Vollmilch gesetzt wird, 
nimmt zunächst von 7450 g auf 7000 g ab. Es wird am 31. 7. mit 6920 g Körper¬ 
gewicht entlassen, ln der Periode der Versuche, also zwischen dem ersten und 
29. Juli schwankt das Körpergewicht zwischen 7500 und 6450 und zwar ist diese 
Körpergewichtsabnahme die rapideste, welche das Kind überhaupt durchmacht, sie 
setzt ein mit dem Beginn der Schilddrüsenfütterung. Ich gebe zu besserer Ueber- 
sicht einen Auszug aus der Tabelle über Gewichte und Ernährung (s. die vorige 
Seite). Eine Temperatursteigerung im Anschluss an den gleich zu beschreibenden 
Collaps fällt jedenfalls ausserhalb der angestellten Versuche. 

Nach der Verabreichung von Schilddrüsensubstanz auch diesmal entschiedene 
Besserung der Symptome 14 . 

Es handelt sich also um einen klinisch sehr ausgeprägten Fall, um 
ein schweres, typisches, infantiles Myxödem, bei dem die körper¬ 
liche und geistige Entwickelung in hohem Maasse gelitten hat, 
das trotz der myxödematösen Verdickungen mit 5 / 4 Jahren nur 7 kg 
wiegt und 65 cm lang ist, also in seiner Grösse Verhältnisse bietet, wie 
sie etwa für ein 6 Monate altes Kind noch normal sein mögen. Wenn 
wir bei diesem Kinde den Energieumsatz feststellen, so ist das nach 
2 Richtungen interessant, erstens fragt es sich: entspricht der Calorien- 
umsatz dem Alter oder den Grössenverhältnissen des Kindes, bezüglich 
richtiger der Grösse seiner Oberfläche? Es ist ja bekannt, dass viele 
Autoren noch immer meinen, dass auch das Alter des Kindes für den 
Calorienbedarf maassgebend sei, haben doch gerade deshalb Rubner’s 
Vergleiche des Energieumsatzes am ausgewachsenen Zwerg und am 
ebenso grossen wachsenden Kinde einen ganz besonderen Werth. Uns 
interessirt, wie ich glaube, in richtigerer Fragestellung das Problem: 
Entspricht der Calorienumsatz des Kindes dem eines Normalen 

Zeitschrift f. exp. Pathologie n. Therapie. 5. Bd. 4 g 


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670 


G. v. Bergmann, 


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von gleicher Oberfläche? oder ist der Calorienumsatz ein 
geringerer? Vergleichszahlen besitzen wir durch die klassischen Unter¬ 
suchungen von Rubner und Heubner genug, während langdauemdo 
Stoffwechselversuche beim infantilen Myxödem meines Wissens mit der 
exacten Methodik Rubner’s überhaupt noch nicht durchgeführt sind, 
wie wir das eingangs bereits erörtert haben. 

Es ist mir nicht möglich gewesen, erwachsene Patienten zu längerem 
wie 24stündigem Aufenthalt in der Kammer zu bewegen, schon dadurch 
haben die Versuche am kleinen Kinde ihren besonderen Werth. Das 
Kind liegt angeschnallt auf seinem Ruhebett, damit Harn und Koth 
restlos aufgefangen werden können. Es ist angeschnallt in einer Weise, 
dass es Kopf und Arme frei, die Beine nur in geringerem Maasse 
bewegen kann, ganz in der Weise, wie das wohl bei allen Respirations- 
Stoffwechselversuchen an Säuglingen durchgeführt worden ist. 5 Mal in 
24 Stunden, stets zu denselben Zeiten bekommt das Kind die Flasche. 
Im ersten Versuch wurde die Milch mit der Schlundsonde beigebracht, 
weil das Kind in Folge der verdickten Zunge die Flasche nicht nehmen 
wollte. Zur selben Zeit, wie die Verabreichung der Nahrung, erfolgte 
die Sammlung von Harn und Koth. Der Harn wird mit einer bekannten 
Menge Essigsäure, ausserdem mit Thymol versetzt und um Zersetzungen 
ganz zu hindern, im Gefrierkasten aufbewahrt. Alle Portionen von 
4 Tagen vereinigt, der Koth ebenfalls angesäuert, wird gewogen, dann 
gleich in einer grossen Schale eingedarapft, die frisch aufgefangenen 
Portionen nach Wägung stets den alten eindampfenden zugefügt. 

In Bezug auf die Milch ging ich so vor, dass reichlich so viel 
Milch zu Beginn der Versuchsreihe frisch vorhanden war, als in 4 Tagen 
gebraucht wurde. Eine sicher ausreichende Quantität wurde zu Beginn 
des Versuches gemischt und durch einen minimalen Formalinzusatz 
conservirt, die Milch dann in die sterilen Flaschen, je 160 ccm eingefüllt 
und kühl aufbewahrt. Von dieser Milch bekam das Kind jedes Mal 
eine Flasche angeboten. Die in der Sonde, bezüglich den Flaschen, 
bleibenden Rückstände wurden von 4 Tagen vereinigt, gemessen und 
von der ursprünglichen Menge in Abzug gebracht. In 2 Proben jeder 
Mischmilch wurde für je eine viertägige Periode Stickstoff, Kohlenstoff 
einzeln, Fett und Kohlehydrate nach der Angabe des § 668 in Hoppe- 
Seyler etc. bestimmt. Die procentischen Werthe wichen zwar nicht un¬ 
erheblich in den drei verschiedenen Versuchen ab, bei Berücksichtigung 
des Trockenrückstandes aber würden sich die Differenzen verringern 1 ). 
Dieser wurde nicht bestimmt, vielmehr wurde für alle Bestimmungen 
von der frischen Milch ausgegangen, die zu analvsirenden Mengen sind 
also mit der Pipette abgemessen. 

Das Kind, das seiner Krankheit entsprechend sich indolent verhielt, 
war in seinen Bewegungen in den drei Versuchsreihen sehr gleichmässig, 
eine auffallende Muskelruhe bestand keineswegs. Auch die Dauer des 

1) Im Uebrigen ist es in der II eubner’sehen Klinik bekannt, dass die ver¬ 
wendete „Nieder-Ludwisdorfer Milch“ stark in ihrer Zusammensetzung schwanken 
kann, sie ist fettarm, auch nicht reich an Kohlehydrat. 


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Der Stoll- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 07 1 

Schlafens und Wachens wich nicht auffällig ab. In der ersten Versuchs¬ 
reihe hatte es einmal erbrochen. Die Menge des Erbrochenen konnte 
durch sofortige Wägung der Kleidung von der Nahrung in Abzug ge¬ 
bracht werden. Eine Versuchsreihe, bei der, vielleicht in Folge von 
Thyroideawirkung, das Kind collabirte, und im Collaps eine profuse 
Schweisssekretion ausbrach, sodass Kampfer gegeben werden musste, 
wurde unterbrochen und ist gar nicht berücksichtigt. 

Das Wechseln der Gummibeutel für den Urin und der Unterlage 
für den Koth, wie die Aufnahme der Nahrung dauerten jedes Mal etwa 
20—30 Minuten. Während dieser Zeit waren zwei Wärterinnen im 
Respirationskasten bei offener Thür mit dem Kinde beschäftigt. Nach 
Schluss der Thür wurde der Apparat eine halbe Stunde blind in Gang 
gesetzt, diese Zeit reicht vollkommen zur Entfernung der C0 2 aus der 
Zimmerluft, bezüglich der von den Wärterinnen gelieferten C0 2 , aus. 
So mussten in 24 Stunden je etwa 4—5 Stunden ausfallen. Es wurden 
aber die für 19—20 Stunden erhaltenen Werthe durch Interpolation auf 
24 Stunden umgerechnct. Da stets etwa dieselben Tagesstunden aus¬ 
fielen, da ferner sie denselben Tageszeiten in Bezug auf die Nahrungs¬ 
aufnahme des Kindes entsprachen, d. h. etwa 15 Minuten vor und 
40 Minuten nach jeder Nahrungsaufnahme, so bieten die drei Versuchs¬ 
reihen völlig untereinander vergleichbare Werthe, ja es ist wohl 
sicher, dass durch diese Interpolation keinesfalls zu niedrige Werthe 
gefunden werden, handelt es sich doch um die ersten s / 4 Stunden nach 
Nahrungsaufnahme, in denen eine spccifische Steigerung durch die 
Nahrung am wenigsten in Betracht kommen wird. Will man aber selbst 
zugeben, dass sie von der vorhergehenden Nahrungsaufnahme vorhanden 
sein könnte, so ist es doch sicher, dass die Steigerung nach Nahrungs¬ 
aufnahme nicht nur in der einen Stunde der Versuchsunterbrechung in 
Betracht kommt; es sind also die relativen Werthe der drei Versuchs¬ 
reihen ohne jede Frage vollkommen verwerthbar, es nähern sich aber 
auch durch die Interpolation und die Art, wie die Pausen dem Versuch 
eingeschaltet wurden, die absoluten Werthe sehr nahe dem wahren 
Verbrauch. Nur etwa Ye der 96stündigen Versuchszeit wird ja inter- 
polirt, und nur wenige Procent Abweichung vom wahren Werth sind bei 
der Interpolation anzunehraen. Für jede Versuchsreihe liegen die Fehler 
in gleichem Sinne und sind gleich hoch. Es wird sich zeigen, dass die 
Resultate weit ausserhalb solcher Irrthümer liegen. 

Die lange Versuchszeit, die gleichartige Nahrung, die Milch, in 
der Fett, Kohlehydrate direct und das Eiweiss aus dem Stickstoff bestimmt 
wurde, die gleichmässige Ruhe der Versuchsperson lassen diese Versuche 
besonders brauchbar erscheinen, nicht zum Mindesten aber der Umstand, 
dass wir beste Vergleichszahlen durch die exacten Untersuchungen von 
Rubner und Heubner (30) an normalen Säuglingen besitzen. 

Der erste Versuch wurde vom 25. 6. bis 29. angestellt. Das Kind, 
das vorher noch keine Schilddrüse bekommen hatte, sollte erst unbeeinflusst 
auf seinen Calorienbedarf untersucht werden. Es hatte vorher bei Zufuhr 
von 600—700 ccm Vollmilch pro Tag im Wesentlichen etwas abgenommen, 
allerdings bei ungehinderter Bewegung im Bett. Bei der geringeren Bc- 

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672 

wegungsfreiheit im Apparate war die Körpergewichtsabnahme, wie wir sehen 
werden, gering. Unmittelbar nach Abschluss des ersten Versuches wurde 
3 Mal 0,1 g Thyroidea (Borroughs, Welcome und Comp.) verabreicht 
und schon am zweiten Tage dieser Medication ein neuer Versuch 
begonnen. Er musste, wie oben erwähnt, abgebrochen werden, weil das 
Kind collabirte, ganz in der Art, wie die Autoren es bei Vergütung mit 
Schilddrüsensubstanz beschrieben haben. Es geht aus der Kranken¬ 
geschichte jedoch hervor, dass auch ohne Schilddrüsenzufuhr das Kind 
schon ein halbes Jahr zuvor und auch bei diesem Krankenhausaufenthalte 
ähnliche Anfälle von Cyanose, Collaps und profusen Schweissen gehabt 
hat. Die Thyroideazufuhr wurde ausgesetzt, das Kind erholte sich, und 
ein zweiter Versuch ohne Schilddrüse sollte unternommen werden. Nach 
den Erfahrungen anderer und auch nach eigenen einschlägigen solchen, 
ist es mir hinterher zweifelhaft geworden, ob dieser Versuch 2 als ein 
ohne Schilddrüseneinfluss angestelltcr anzusehen ist, waren doch nach der 
Verabreichung nicht drei Wochen verstrichen, wir wissen aber, dass 
der Einfluss der Schilddrüse oft genug erst durch Wochen und Monate 
abklingt. Während des letzten, des dritten Versuches, wurde drei Mal 
0,03 Thyroidea pro die verabreicht. Mit der Fütterung war ein Tag 
vor Beginn des Versuches begonnen. Auch hier wieder kann man im 
Zweifel sein, ob ein Schilddrüseneinfluss vorliegen muss, wenn man sieht, 
wie häufig die Wirkung auf den Stoffwechsel erst nach Wochen einsetzt. 
Es kommt für unsere Versuche an dieser Stelle nur auf den Calorien- 
umsatz im Ganzen an, und jedenfalls steht cs fest, dass der erste 
Versuch der Reihe mit Sicherheit ohne Einfluss von Schilddrüse aus¬ 
geführt wurde. Auch ein einziger Versuch beweist hier genug, da er 
das Mittel ist aus 4 Mal 24 Stunden, in denen hintereinander die Unter¬ 
suchung durchgeführt wurde. 

Versuch 1. 

Nahrungsverhältnisse: Das Kind erhält pro Tag 600 ccm Milch, 

also 4 X 600 (— 150, erbrochen) = 2250 ccm Milch. 

Darin sind enthalten: N 10,14 g 

C 113,02 g 

Fett 60,1 g 

Kohlehydrat 90,0 g 

Aus dem Stickstoff wurde das Eiweiss berechnet durch Multiplication 
mit 6,25, dann wäre Eiweiss: = 63,4 g. Zur Berechnung des calorischen 
Werthes dieser Nahrung habe ich mich der gewöhnlichen Rubner’schen 
Standardzahlen bedient und erhalte 1190,6 Caloricn für die gesammte 
Milchmenge. Im Versuch III wurde, wie wir später sehen werden, die 
Calorienmenge der Milch mit der Berthelot’schen Bombe direct be¬ 
stimmt, eben so die Calorien für Harn und Koth, es ergaben sich aus¬ 
gezeichnet übereinstimmende Werthc (s. später). Es zeigte sich auch 
hier wieder, dass die Calorienbcrechnung aus den Rubner’schen Standard¬ 
zahlen vollkommen gerechtfertigt ist, so dass ich auf die directe Calorien- 
bestimmung in Harn, Koth und der Nahrung ohne Weiteres verzichten konnte. 
Die Calorienbcrechnung nach Rubner wurde folgendermaassen ausgeführt: 


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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 673 


N X 26 = 263,6 

Fett X 9,3 = 558 

Zucker X 4,1 = 369 

Summa 1190,6 Calorien. 

Bei dieser Berechnungsart sind die Calorienvcrluste für Harn und 
Koth bekanntlich schon mit in Rechnung gebracht 1 ). 

Die Ausscheidungen betrugen: 

Für den Harn: 

Harnmengc. 1640 ccm 

Stickstoff. 8,35 g 

Kohlenstoff. 6,0 g 

Für den Koth: 

Kothmenge feucht . . . 141,6 g 

trocken . . . 30,3 g 

also Wassergehalt desKothes 111,3 g 

Kohlenstoff.11,49 g 

Stickstoff. 0,93 g 

In der Respiration . . . 118,8 g C. 

Aus diesen Bestimmungen lässt sich die Bilanz für Stickstoff und 
Kohlenstoff ohne Weiteres aufstellen. 

Stickstoffbilanz. 

Stickstoff im Harn . . . 8,35 g 

im Koth . . . 0,43 g 

Summe der Ausscheidungen 9,28 g 

Stickstoffeinnahme . . . 10,14 g 

Stickstoffbilanz . . . . -f- 0,86 g 

Wir haben also eine positive Stiekstoffbilanz und zwar hat 
das Kind in den vier Tagen 0,86 Stickstoff retinirt, pro die 0,22. Eine 
recht geringe Menge. Jedenfalls hat die zugeführte Slickstoffmenge für 
seine Bedürfnisse vollständig genügt, obgleich sie ganz gewiss als sehr 
niedrig zu bezeichnen ist. 

Kohlenstoffbilanz. 

Der Kohlenstoff in der Respiration betrug 118,8 

im Harn. 6.0 

im Koth .... . . 14,5 

Summe der Kohlenstoffausgaben . . . 139,3 

Kohlenstoffeinnab men.113,2 

Kohlenstoff bilanz.— 26,1 

1) Die Standardzahlen für einzelne Milchbestandtheile sind eigentlich: Casein 4,4, 
Milchzucker 3,9, Butterfett 9,2. Mit diesen [selbst aller N als Casein gerechnet (!)] 
findet man die Werthe auf Tabelle S. 677 unten in eckigen Klammern, sie weichen 
nur ganz innerhalb der übrigen unvermeidlichen Fehlergrenzen ab. Ich habe die 
anderen Standardzahlen als die für meine Beweisführung eher ungünstigeren ver¬ 
wendet, in diesem Sinne auch den Extractiv N als Eiweiss in Berechnung gestellt. 


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(»74 


Diese negative Kohlenstoffbilanz mehrt sich noch um jenen Kohlen¬ 
stoffantheil, den der Körper gebraucht hat zum Aufbau des Eiweisses 
bei der Stickstoffretcntion d. h. 0,86 X 3,22. Es wären also 2,77 noch 
hinzu zu zählen, somit hätten wir die negative Bilanz von 28,9 Kohlen¬ 
stoff aus zersetztem Körperfett. 

Calorien-Berechnung. 

Den 28,9 g Kohlenstoff entsprechen 355,8 Calorien aus Körperfett. 
(Fett C X 12,31.) Von diesen haben wir in Abzug zu bringen die 
durch den Eiweissansatz ersparten Eiweisscalorien, N X 34 d. h. 
29,2 Calorien. Es sind also vom Körper abgegeben 326,6 Calorien. 
In der Nahrung waren Bruttocalorien, d. h. vom Körper vollständig zu ver¬ 
wendende Calorien 1190,6 (s. oben), dazu 326,6, also der wahre 
Calorienumsatz 1517,2, das wäre pro Tag 379 Calorien. 
Wir sehen also, dass das Kind bei ungenügender Nahrungszufuhr sich 
doch reichlich in Stickstoffgleichgewicht gehalten hat, dass es dagegen 
etwa Ve des gesammten Calorienbedarfs von seinem Körperbestande 
decken musste. Im Ganzen sehen wir in diesem ersten Versuche einen 
ungemein niedrigen Calorienumsatz. Darauf kommen wir noch später 
zurück. 

Versnch 2. 

Nahrungsverhältnisse: In 4 Tagen, ebenso wie im ersten Versuch 
2250 ccm Milch. In der Milch sind enthalten: 

Kohlenstoff. 123,7 g 

Stickstoff. 9,70 g 

Eiweiss. 60,6 g 

(Berechnet aus dem Stickstoff X 6,25) 

Fett . 69,8 g 

Kohlehydrate. 95,85 g 

Mittelst der Standardzahlen berechnet sich hieraus 


Eiweisscalorien .... 252 

Fettcalorien.649 

Zuckercalorien .... 393 


also zugeführt 

. 1294 Cal. 

Die Ausscheidungen betrugen: 

1. für den Harn: 

Menge. 

. . 1250 ccm 

Stickstoff .... 

• • 8,28 g 

Kohlenstoff . . . 

5,5 g 

2. Für den Koth: feucht . . . 

. . 292,0 g 

trocken. 

• • 27,2 g 

Wassermenge . . . 

. . 265,0 g 

Kohlenstoff . . . 

• • 12,94 g 

Stickstoff .... 

• • 1,36 g 

3. Für die Respiration: 

Kohlenstoff.... 

. . 137,9 g 


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l>er Stoff- u. Knergicumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 675 


Aus diesen Zahlen ergeben sich folgende Bilanzen: 


Stickstoff im Harn . . . 9,82 g 

im Koth . . . . 1,36 g 

Summe der Ausscheidungen 10,18 g 

Stickstoffeinnahme . . . 9,70 g 

Stickstoffbilanz . . — 0,38 g 


Wir haben also in diesem Versuche im Gegensatz zum ersten eine 
negative Bilanz, die sich ohne Weiteres aus der geringeren Stickstoff¬ 
zufuhr in der Milch erklärt. Der Stickstoffverlust, der weniger als 0,1 
pro Tag beträgt, ist so gering, dass der Versuch mit vollem Recht an¬ 
zusehen ist als angestellt bei gutem Stickstoffgleichgewicht. 

Kohlenstoffbilanz: 


Kohlenstoff d. Respiration 

137,9 

g 

Kohlenstoff im Harn . . 

5,5 

g 

im Koth. 

12,9 

g 

Summe der Ausgaben 

156,3 

g 

Kohlenstoff der Einnahmen 

123,7 

_g 

Kohlenstolfbilanz . . 

— 32,6 

g 


Um aus diesen Zahlen den Kohlenstoff aus zersetztem Körperfett 
zu berechnen, bedarf es einer kleinen Corrcctur, nämlich des Abzuges 
desjenigen Kohlenstoffes, der auf die negative Stickstoffbilanz zu be¬ 
ziehen ist. Es wären also 1,2 in Abzug zu bringen, d. h. 31,4 g Kohlen¬ 
stoff wären als zersetzt aus Körperfett anzusehen (ich vernachlässige 
stets die Berücksichtigung des Glykogens (s. o.). 

Die calorischen Verhältnisse. 

Es sind als Calorien aus Eiweisssubstanzen des Körpers in Rechnung 


zu setzen. 12,9 

Aus Körperfett . . . 386,5 

Summe 399,4 

dazu Calorien der Nahrung 1294,0 

Summe 1693,4 


Der wahre Calorienumsatz beträgt also 1693 bei Stickstoffgleich¬ 
gewicht, dabei hat der Körper etwa x / 8 seines Bedarfes durch die 
Calorien seiner Körpersubstanz gedeckt. 

Versuch 3. 

Nahrungsverhältnisse: DieaufgenommeneMilchmengcbeträgt 2297ccm, 


darin sind enthalten: 

Kohlenstoff.136,1 g 

Stickstoff. 11,45 g 

Daraus berechnet Eiweiss 71,6 g 

Weiter sind enthalten: 

Fett. 59,7 g 

Kohlehydrat. 121,7 g 


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676 


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Daraus berechnet sich 
an Eiweisscalorien . . . 297,7 g 

Fettcalorien. 555,0 g 

Kohlehydratcalorien . . 499,0 g 

Summe 1351,7 g Cal. 

In diesem Versuche habe ich, wie oben erwähnt, auch die direkte 
Bestimmung mit der Berthelot’schcn Bombe vorgenommen und finde N 

für die Gesamtmenge Milch. 1476 Cal. 

Davon kommen in Abzug 

Calorien aus Harn 60,2 

Koth. 84,0 144,2 „ 

1332,0 Cal. 

Ich finde also mit der direkten Berechnung 1332, mit der Be¬ 
rechnung nach den Rubner’schen Zahlen 1352 Calorien oder gar nur 
1344, gewiss ausgezeichnet übereinstimmende Werte. Ich lege der weiteren 
Berechnung nur aus Gründen der Analogie mit dem Versuche 1 und 2 
den berechneten Calorienwerth zu Grunde. Die Ausscheidungen betrugen 
1. für den Harn 

Menge. 920 ccm 

Stickstoff ...... 8,23 g 

Kohlenstoff. 6,4 g 

2. für den Koth 

Menge feucht. 609 g 

trocken.42 g 

Wasser. 567 g 

Schon aus den Zahlen geht hervor, dass einige Stühle dieser Periode 
diarrhoisch waren. Die Ausnutzung ist denn auch eine etwas schlechtere. 

Im Koth: 

Kohlenstoff. 19,34 g 

Stickstoff. 2,47 g 

Stickstoffbilanz. 

Die Bilanzen betragen: 

Stickstoff im Harn . . . 8,23 g 

Im Koth ,. 2,47 g 

Summe der Ausscheidungen 10,70 g 

Stickstoffeinnahmen ... 11,45 g 

Stickstoffbilanz . . . -f- 0,75 g 

Auch hier also besteht ein ziemlich gutes Stickstoffgleichgewicht, 
eine geringe Stickstoffmenge wird rctiniert. 


Kohlenstoffbilanz. 


In der Respiration . . . 

118,9 

g 

Kohlenstoff im Harn . . 

6,4 

g 

Kohlenstoff im Koth . . 

19,3 

g 

Summe d. Kohlenstoffausg. 

144,6 

g 

Kohlenstoffeinnahmcn . . 

136,1 

_g 

Kohlenstoffbilanz . . 

- 8,5 

g 


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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 677 


Es ist also im letzten Versuch auch ein fast ideales Kohlenstoff¬ 
gleichgewicht erzielt, nur der Consequenz halber berechne ich auch 
hier die genaue Kohlcnstoffabgabe des Körpers, indem ich 2,4 Kohlen¬ 
stoff zur negativen Bilanz addire, als jener Kohlenstoff, der der Stick¬ 
stoffretention entspricht und erhalte 10,9 Kohlenstoff aus zersetztem 
Körperfett. 

Calorische Verhältnisse. 

Eiweisscalorien des Körpers sind erspart infolge der positiven 
Stickstoffbilanz 25,5, Fettcalorien sind zugesetzt 134,2, d. h. es sind 
108,7 Calorien aus Körpersubstänz zu addiren zu den Calorien der 

Nahrung.1351,7 

108,7 


1460,4 

N u. C-Bilanzen des Myxödem. 



I. 

II. 

in. 

N. + N. im Harn. 

8,35 

8,82 

8,23 

+ N. im Koth. 


1,36 

2,47 

Summe der Ausscheidungen. 

9,28 

10,18 

10,70 

N.-Einnabme. 

10,14 

9,70 

11,45 

N.-Bilanz. 

+ 0,86 

-0,38 

+ 0,75 

C + C der Respiration. 

118,8 

137,9 

118,9 

-f C im Harn. 

6,0 

5,5 

6,4 

4- C im Koth. 

14,5 

12,9 

19,3 

Summe C. der Ausgaben. 

139,3 

156,3 

144,6 

C.-Einnahmen. 

113,2 

123,7 

136,1 

C-Bilanz . 

- 26,1 

— 32,6 

-8,5 

Eiweiss-C der Bilanzen. 

(N-Bilanz X 3,23) 

— 2,77 

. 

+ 1,2 

-2,4 

C. des zersetzten Körperfettes .... 

— 28,9 1 

— 81,4 

— 10,9 

Fettcal. d. Körp. (C d. Kürperfetts X 12,31) 

355,8 ; 

386,5 ! 

134,2 

Eiw.-Cal. des Körpers (N. x 34) ... 

— 29,2 ! 

+12,9 | 

— 25,5 

Summe der Cal. aus Körpersubstanz . . 

326,6 

399,4 1 

T t 

108,7 


Calorien-Bilanz u. Umsatz. 



i. i 

II. 

i 

III. 

+ N. x 26 q 
+ Fett x 9,3 
+ Zucker X 4,1 

i 

10,14 x 26 = 263,6 
60,1 x 9,3 = 558 ; 

90 x 4,1 =369 i 

i 

9,70 X 26 = 252 

69.8 X 9,3 = 649 

95.9 X 4,1 = 393 

11,45 x 26 = 297,7 
59.7 X 9,3 = 555,0 
| 121,7 x 4,1 = 499,0 

Summe. 

-f- Cal. der Körpersubst. 

[1188] ! ) +1190,6 

4 326,6 ( 

[1288] >) + 1294 

+ 399,4 

[1344] q +1351,7 
+ 108,7 

Wahrer Cal.-Umsatz . . 

1517,2 | 

1693,4 

1460,4 


1) Siehe die Anmerkung S. 673 unten! 


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G. v. Bergmann, 


( alorienproduction des Myxödem. 



I. 

II. 

III. 

Wahrer Calorien-Umsatz in 4 Tagen . . 

1517 Cal. 

1693 Cal. 

1460 Cal. 

Berechnet direct aus Nahrungs-Caloricn 
— (Harn 4- Koth) Cal. u. s. w. ... 



1441 Cal. 

In 24 Stunden. 

379 Cal. 

423 Cal. 

365 (360) Cal. 

Körpergewicht. 

7,75 kg 

6,83 kg 

6.45 kg 

Oberfläche. 

0,4817 qm 

0,4428 qm 

0,426 qm 

Calorien pro kg. 

49,213 Cal. 

61,99 Cal. 

56,59 Cal. 

Calorien pro 1 qm Oberfläche .... 

787 Cal. 

956 Cal. 

857 (845) Cal. 



1 1 — 

- .- 

. - -_ — 





Versuch 




I. 

II. 

III. 



4 Tage (96 Std.) 

4 Tage (96 Std.) 

4 Tage (96 Std.) 



aus 83 Std. ber. 

aus 81 Std. ber. 

aus 79 Std. ber. 


f Milchmenge . . . 

2250 

2250 

2297 


Bruttocalorien. . . 

[1188] 

[1288] 

[1344] direct be- 





stimmt: 1476 


1 Ges.-C. 

113,2 

123,7 

136,1 

a 

In. 

10,14 

9,70 

11,45 

2 < 
43 

Eiweiss (berechn, als 



eö 

Je 

| N x 6,25 .... 

[63.4] 

[60,6] 

[71.6] 

f Fett . 

60.1 

69,8 

59,7 



2,7 pCt. 

3.1 pCt. 

2,6 pCt. 

1 

Kohlehydrate . . . 

90.0 

95,85 

121,7 



4 pCt. 

4,26 pCt. 

5,3 pCt. 

Respirations-C . 

118,8 

137,9 

118,9 

Respirations-Wasser . . . 

— 

— 

750 

Harnmenge . 

1640 

1250 

920 

Harn*Calorien . 

— 

— 

60,2 

Harn-N . 

8,35 

8,82 

8,23 

Harn-C . 

6,0 

o,5 

6,4 

Koth feucht . 

141,6 

292 

609 

Koth 

trocken . 

30,3 

27,2 

42 

Koth-Wasser. 

111,3 

265 

567 

Koth C. 

14,49 

12,94 

19,34 

Koth-N. ....... 

0,93 | 

1,36 

2,47 

Körpergewicht. 

7750 

7500 

6830 

6580 

6445 

6505 

Differenzen des Gewichts . 

— 250 

— 250 

+ 60 

oder 

wenn wir die direete Bestimmung 

mit der Bombe verwerthen, 


1441 Calorien. 

Wasserbilanz. 

Für den Versuch 3 allein kann ich eine Wasserbilanz aufstellen, in 
den anderen Versuchen ist aus Versehen die Wägung einiger Schwefel¬ 
säurekölbchen unterblieben. Ausgeschieden wurde an Wasser mit der 


Respiration. 750 ccm 

Mit dem Koth .... 567 g 

Mit dem Harn .... 920 g 


Gck igle 


Original fro-m 

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Der Stoff- u. Kncrgieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 679 


(dabei sind die festen Bestandteile des Harns nicht berücksichtigt!) 
Es wäre an Wasser ausgeschieden 2237, und die Milchmenge betrug 
2297; auch hier ist die Menge der festen Bestandteile nicht bestimmt. 
Obwohl es also nicht möglich ist, eine exacte Wasserbilanz aufzustellen, 
folgt doch, dass annähernd ein Gleichgewichtszustand in Wasserzufuhr 
und Wasserausscheidung bestand. Es ist der dritte Versuch derjenige, 
in welchem eine recht grosse Ucbereinstimmung der Stickstoff-,' Kohlen¬ 
stoff- und Wasserbilanzen bestand; auch das Körpergewicht beweist 
diese, ich darf wohl sagen, ideale Einstellung, denn das Kind hat in 
4 Tagen nur um 60 g sein Körpergewicht im Sinne einer Zunahme ge¬ 
ändert. Zur besseren Uebersicht bringe ich nochmals die wesent¬ 
lichsten Resultate in Form von Tabellen. Wir sehen aus ihnen 
am besten das Stickstoffgleichgewicht sämtlicher Versuche; es schwankt 
die Stickstoffausscheidung zwischen 8,23 und 8,82, obwohl die Zufuhr 
in der Nahrung grösseren Schwankungen unterliegt, die z. Th. durch die 
wechselnde Ausnützung der Nahrung ausgeglichen werden. Ebenso ist 
die Kohlenstoffausscheidung in der Respiration im Versuche 1 und 3 eine 
vollkommen übereinstimmende. Der beste Beweis, dass der grosse 
Voit-Pettenkofer’sche Apparat bei unserer Versuchsanordnung zur 
Bestimmung der gasförmigen Ausscheidung des Kohlenstoffes vollkommen 
ausgereicht hat, der beste Beweis, wie glänzend überhaupt Vergleiche 
aufgestellt werden können, wenn die Versuchsdauer ein Vielfaches von 
24 Stunden beträgt. Man sieht so recht im Gegensatz zu den Resul¬ 
taten der Zuntz’schen Methode, wie mehr oder weniger Muskel¬ 
bewegung, wie etwas kürzerer oder längerer Schlaf, wie andere Factoren, 
die bei kürzeren Versuchen so auffällige und lehrreiche Differenzen 
geben, im Laufe des Tages und namentlich im Laufe mehrerer Tage 
sich vollkommen ausgleichen, so dass durch Wochen auseinander liegende 
Versuche geradezu frappirend übereinstimmende Analysenzahlen ergeben 
können. Wir werden das im Verlauf dieser Arbeit noch wiederholentlich 
constatiren können. Ich verweise zum Schluss der Berechnung dieser Ver¬ 
suche ganz besonders auf die Tabelle S. 678 oben, aus der die Calorien- 
berechnung pro Kilogramm Körpergewicht und pro Quadratmeter Ober¬ 
fläche zu ersehen ist. 


Resultate und Discussion der Versuche an Myxödem. 

Die erhaltenen Resultate interessiren uns im Zusammenhänge dieser 
Schrift ganz vorwiegend von der Fragestellung aus: Zeigt sich eine 
Herabsetzung des Stoffumsatzes? 

Betrachten wir vorwiegend in diesem Sinne den Versuch HI. 

Innerhalb 4 Tagen eine N-Rentention von 0,7*5 g, eine Einschmelzung 
aus Körpersubstanz von 8,5 g C. 

Für 4 X 24 Stunden ist zu sagen, dass also ein recht gutes Stoff¬ 
gleichgewicht besteht. Es äussert sich ebenso in der Wasserbilanz, wenn 
diese auch nicht vollständig aufgestellt werden konnte, so dass ich das 
entstehende Oxydationswasser gamicht erst berücksichtigt habe. Es 
findet die gute Bilanz der Einnahmen und Ausgaben ihre Be- 


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Go igle 


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680 


(j. v. Bergmann, 


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stätigung in der Wägung des Kindes, das 60 g in 4 Tagen zugenommen 
hat, d. h. sieh annähernd vollständig im Gleichgewichte hielt. 

Das ist mit rund 600 ccm Vollmilch pro die bei 6,5 kg Gewicht 
möglich gewesen, also mit einer Nahrung, die bei directer calorimetrischer 
Bestimmung in 4 Tagen 1480 Calorien zuführte. 

Für den Körper kamen nach Abzug von Harn und Koth 1332 Cal, 
in Betracht, oder mit den Standardzahlen berechnet 1352. 

Ich habe schon betont, dass hier ein neuer Beleg dafür gegeben ist. 
wie ausgezeichnete Werthe die Rechnung mit den Rubner’schen Standard¬ 
zahlen ergiebt. 

Unsere Berechnung zeigte oben, dass wir für dieses Kind, das sich 
im Versuch III völlig im Gleichgewicht befindet, anzunehmen haben in 
4 Tagen einen Calorienumsatz von 1460, d. h. pro Tag 365 Calorien. 

Berechnet man mit Heubner(31) den Bedarf auf 70 Calorien pro 
Kilo, so wären 6,5 X 70 Calorien erforderlich, wenn man von dem für 
das Wachsthum nöthigen Ueberschuss ganz absieht, d. h. 455 Calorien 
oder anders ausgedrückt statt 70 Calorien finde ich nur 56,6 Ca¬ 
lorien pro Kilo und Tag. 

Ich begründe später ausführlich, dass die Beziehungen zur Körper¬ 
oberfläche weit mehr mir für unsere Frage von Wichtigkeit scheint. Nun 
auf die Oberfläche bezogen sind es 850 Calorien für 1 qm. 

Auf diese Ergebnisse ist umsomehr Gewicht zu legen, 
als es sich nicht um einen Tages versuch, sondern um das 
Mittel aus 4 aufeinanderfolgenden Tagen handelt. 

Gut vergleichbar mit diesem ist der Versuch I. Die C0 2 -Aus- 
scheidung in der viertägigen Reihe ist sogar ganz genau dieselbe. Der 
beste Beweis, wie gleichmässig und vergleichbar die Abläufe des Energie¬ 
umsatzes bei viertägigen Versuchsperioden werden. 

Der Calorienumsatz berechnet sich freilich dennoch etwas anders. 

Erstens: das Kind wiegt über 1 kg mehr im Versuch I, sodass die 
Beziehungen auf kg und Oberfläche eine andere wird. 

Zweitens: Die zugeführte Nahrungsmenge war geringer statt 1352 
Reincalorien erhält das Kind nur 1191. Es ist klar, dass dement¬ 
sprechend die Bilanzen andere werden müssen. Es muss das Kind bei 
gleichem Bedarf und weniger Nahrung von seiner Körpersubstanz mehr 
zusetzen; dementsprechend liegt in diesem Versuche kein Stoffgleich¬ 
gewicht vor, es besteht eine negative C-Bilanz von rund 30 g. D. h. 
356 Calorien werden in 4 Tagen aus Körperfett zur ungenügenden 
Nahrungsmenge hinzugeliefert. 

Trotzdem, und das ist recht interessant, wird die N-Bilanz nicht 
negativ, ein neuer Beweis für das, worauf Rubner und Heubner(30) 
hingewiesen haben, dass der kindliche Organismus mit Zähigkeit 
seine N-Substanz festhält und selbst aus ungenügender 
Nahrung sein Stickstoffbedürfniss zu decken vermag. 

In meinen Versuchen liegt eine N-Retention nicht vor, es besteht 
in allen dreien ein ziemlich vollkommenes N-Gleiehgewicht trotz ver¬ 
schieden grosser Unterernährung. 


Gck igle 


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I>er Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 681 


Wir streifen hier nur jenes Moment, dass das Stickstoffbedürfnis 
beim Myxödem besonders niedrig sein soll. 

Auch im Versuch 1 richtet sich der Organismus so ein, dass bei 
ungenügender Nahrung soviel vom Körper eingeschmolzen wird, dass 
etwa der gleiche Calorienumsatz resultirt, wie im Versuche III bei an¬ 
nähernd ausreichender Kost. 

Statt 1460 erhalte ich 1517 Calorien, also recht nahe aneinander¬ 
liegende Werthe, nämlich für 24 Stunden 379 und 365 Calorien. 

Berechnet man die Zahlen wieder auf kg und Oberfläche, so sind 
diese Werthe noch niedriger wie in Versuch III; ich erhalte pro kg 
49 Calorien. (Normal sind 70 Calorien) und pro qm Oberfläche 
787 Calorien. 

Die Differenz bei dieser Berechnung zwischen Versuch I und 111, 
würde noch geringer werden, wenn für den Versuch III dieselbe Ober¬ 
fläche eingesetzt wird, wie für Versuch I. Da eine rapide Abmagerung 
stattgefunden hat, ist das berechtigt, denn die partielle Inanition führt 
zu einem Ernährungszustand, auf den die Oberflächenberechnung nicht 
mehr vollständig anwendbar ist. 

Ich bin also aus zwei je viertägigen Versuchsperioden berechtigt, 
das Calorienbedürfnis des myxödematösen Kindes anzugeben mit 790 
Calorien pro qm Oberfläche. 

Ich habe endlich noch einen Grund, den Versuch I in den Vorder¬ 
grund zu stellen, weil er sicherlich frei ist von einem Einfluss der 
Schildrüsenfütterung. 

Für den höheren Calorienumsatz des Versuches II möchte ich be¬ 
sonders darauf hinweisen, dass hier ein steigernder Einfluss der Schild¬ 
drüsensubstanz nach dem Gesagten durchaus möglich ist, wenn die Be¬ 
handlung auch eine kurze war und bei Beginn des Versuches schon eine 
Zeit lang ausgesetzt war. Es würde diese Annahme dazu gut stimmen, 
dass trotz einer etwas calorienreicheren Nahrung, wie im Versuch I die 
negative Kohlenstoffbilanz etwas grösser ist. Wie dem auch sei, gross 
ist die Steigerung in der Calorienproduction nicht, es ist auch möglich, 
dass lebhaftere Bewegungen, die ich allerdings nicht beobachtet habe, 
oder periodische Schwankungen im Zustande des Myxödems mitgespielt 
haben. Auch im Versuch II liegen die Werte für den Umsatz tief, 
wenn auch nicht tief genug, um für unser Problem beweisend 
zu sein. 

Der Beweis hingegen wird durch die beiden Versuchsreihen I und 
III, wie ich meine, sicher geführt, um so mehr, als wir schöne Ver- 
gleichswerthe durch Rubner und Hcubner (30) besitzen. 

Sie untersuchten u. A. einen künstlich ernährten Säugling von 
7 kg Gewicht, also von gleichem Gewichte wie unser Patient. 
Das Kind war l l j 2 Monate alt, sein Umsatz betrug in 24 Stunden 
593 Calorien, während ich 365 und 379 Calorien, als höchsten 
W,erth 423 Calorien finde. 

Ich lasse an Säuglingen und Kindern mit vergleichbarer Methodik 
gewonnene Werthe folgen: 


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682 


G. v. Bergmann, 


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Für 1 qm Oberfläche wurde gefunden (nach Rubner): 


Atrophisches Kind. 

. 1090 

Cal. 

„ „ (Kindcrmehl) . . . 

. 1036 

n 

Brustkind. 

. 1006 

n 

8 kg schweres Kind (Kuhmilch) . . . 

. 1143 

n 


1290 

n 


1279 

77 


1300 

77 

Meine Wcrthe am infantilen Myxödem . 

787 

77 

r> n v n n 

857 

77 

v n r> n n 

956 

77 


Dabei ist, wie ausgeführt, der letzte Werth auszuschalten und die 
Berechnungsart des niedrigsten Werthes die zuverlässigste. 

Damit ist zum ersten Male mit genauer Stoffwechsel¬ 
bilanz und Berücksichtigung der respiratorischen Aus¬ 
scheidung gezeigt, dass der Stoffumsatz beim Myxödem in 
der That deutlich herabgesetzt ist, dass das Myxödem im 
Stande ist, sich mit einer Nahrungsmenge in’s Gleichgewicht 
zu setzen, die für ein normales Kind desselben Gewichtes 
ganz ungenügend wäre. 

Die Herabsetzung des Stoff- und Energieumsatzes ist 
damit principiell bewiesen. 

Schon die Versuche mit der Methode von Zuntz und andere Stoff¬ 
wechselversuche hatten ja ergeben, dass schwere Fälle von Myxödem 
eine Herabsetzung des Sauerstoffverbrauches und der Kohlensäureaus¬ 
scheidung zeigen. Damit stimmen meine Resultate völlig überein. 

Was also nach den Untersuchungen anderer Autoren, vor Allen 
denen Magnus - Lewy’s in zahlreichen Versuchen mittels des Zuntz- 
Geppert’schen Respirationsapparates als bewiesen gelten musste, in 
erster Stelle für das Myxödem, aber auch lur andere Zustände in der 
Pathologie, mag nun auch für denjenigen, der unbedingt Tagesversuche 
als Beweise verlangt, festgestellt gelten, in diesem Sinne glaube ich 
zunächst die an die Spitze meiner Auseinandersetzungen gestellte Auf¬ 
forderung Rubner’s beantwortet zu haben, dass der Beweis einer 
Herabsetzung des Umsatzes in einer Reihe von thatsäehlichen 
Beobachtungen sichergestellt ist. Mag man die Fähigkeit des Organismus, 
seinen Verbrauch unter den gewöhnlichen Mindestumsatz einzuschränken, 
wie immer sich zu deuten versuchen und demnach benennen, das 
Thatsächliche ist, so denke ich, festgestellt. 

Versuche an Fettsucht! gen. 

A. 

Patient „M‘ £ . 

Anamnese und Befund. 

Patient M., Brauer, 33 Jahre, allgemeine Fettsucht, ln der Ver¬ 
wandtschaft nichts von Fettsucht bekannt. Patient, der schon immer 
recht stark gewesen ist, kam im Jahre 1902 in die Charite, weil er 


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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 683 


plötzlich an Körpergewicht stark zunahm und beim Bücken, Treppensteigen 
und anderen Anstrengungen Athemnoth verspürte. Seither ist die 
Zunahme des Körpergewichts allmählich immer noch grösser geworden. 
Um magerer zu werden, suchte er am 4. December 1905 die Charite 
auf; er hat 4—6 Liter Bier täglich getrunken, wenig Schnaps. Appetit 
sehr gut, Stuhlgang regelmässig. Kleiner untersetzter Mann von kräftigem 
Knochenbau, kräftiger Muskulatur und mächtig entwickeltem Fettpolster. 
Der Kranke hat einen sehr freundlichen, stets heiteren Gesichtsausdruck, 
ist von lustigem, sehr friedfertigem Temperament und mit allem zufrieden, 
so dass er schon aus diesem Grunde für die Versuche hervorragend 
geeignet ist. Insbesondere verzehrt er jede ihm gebotene Nahrung und 
isst sie restlos, wie oben beschrieben, auf. Er interessirt sich selbst 
mit grosser Lebhaftigkeit für die Sammlung des Urins und Kothes, 
kommt überhaupt in jeder Weise den Anforderungen des Experimentes 
entgegen. Aus dem Status sei nur besonders hervorgehoben, dass schwerere 
Erscheinungen von Herzinsufficienz nicht beobachtet wurden. Die Herztöne 
sind leise, Spitzcnstoss ist nicht zu tasten, die absolute Herzdämpfung 
reicht nach links bis zur Mamillarlinie. Niemals wurde eine Spur von 
Oedemen constatirt. Die Athemnoth erschien als nicht eigentliche 
cardiale Athemnoth im Sinn einer Herzinsufficienz, sondern nur im Sinne 
der grossen Muskelarbeit, die er bei der Grösse seines Gewichtes bei 
jeder intensiveren Bewegung zu leisten hatte. Leber nicht vergrössert, 
im Urin niemals Albumen. Die Temperatur bewegt sich immer in 
normalen Grenzen, Puls zwischen 60 und 75, Athmung um 20. Bauch¬ 
umfang 1,18 m. Das Körpergewicht ist während des fünfmonatlichen 
Aufenthaltes von 115 kg auf 98,5 gesunken. 


Tabelle I. 


Harnmenge und Stickstoff des Patienten M. 


Datum 


1906 

25.-26. 1. 

27. 1. 

28. 1. 

29. 1. 

1 — 2 . 2 . 

3. 2. 

4. 2. 

6 . 2 .' ?>) 
7. 2. 

9. 2 8 '(JI“) 

17.-18. 2. 

19. 2. 

20 . 2 . 

21 . 2 . 

22 . 2 . 

23. 2. („III") 


Menge 

ccm 

N 

K 

Bemerkungen 

Datum 

Menge 

ccm 

N 

K 

Bemerkungen 


1 

i 

25. 2. 

2600 

20,49 


2660 

: 23,16 

| 

26. 2. („IV“) 

2580 

22,25 


2720 

20,56 

i 




2500 

i 19,08 


10. —11. 3. 

2000 

20,66 

vom 6. 3. an 

2300 

1 18,13 

: 

11.-13. 3. 

1740 

17,98 

2 1 Wasser u. 

2620 

1 17,24 

i 

i 

12. 3. („V“) 

2010 

21,90 

3-6 Tablett, 

2630 

2400 

2280 

2480 

! 16,07 
18,1 
, 17,8 

1 21,18 

I 

i 

14. 3. 

15. 3. 

16. 3. („VP) 

1965 

2020 

2010 

20,14 
19,0 
19,64 , 


2620 

, 21,57 

i 

26.-27. 3. 

2540 ! 

18,5 


2570 

, 22,52 


28. 3. 

2460 

18,48 


2550 

19,95 

!* 

29. 3. („VH“) 

2610 1 

18,54 


2610 

2620 

2360 

2600 

i 23,68 
22,23 
19,55 
20,38 

Vom 17. 2. 
an täglich 
Tabletten 

30. 3. 

Ql Q 

i.4. (Lviii*) 

2640 l 

2700 

2700 

19,32 

20,44 

20,50 


2900 

2540 

19,7 

22,90 

bis zum 26.2. 
Wasser belieb. 

2. 4. 

3. 4. (JX“) 

2500 

2680 

18,56 

17,31 



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()84 G. v. Bergmann, 

Allgemeines Verhalten. 

Das Nähere über seine Nahrungsverhältnisse vom 1. 2.—8. 4. 06 
ist bei der allgemeinen methodischen Besprechung schon auseinander¬ 
gesetzt. Der Kranke machte sich an den Tagen, die weiter entfernt 
von den eigentlichen Versuchstagen lagen, viel Körperbewegungen, be¬ 
sonders verrichtete er mit grossem Eifer Muskelarbeit, wie Eimer hinauf- 
und heruntertragen oder im Hofe Holz spalten. Er nahm dabei bei der 
stets gleichen Kost erheblich ab, wurde er aber auf dem Zimmer ge¬ 
halten und verrichtete dabei keine besondere Muskelleistung, so war die 
Körpergewichtsabnahme z. Th. fehlend, z. Th. eine geringe. Zwei Tage 
spätestens vor jedem Versuche musste er seine Thätigkeit im Wesent¬ 
lichen einstellen, er durfte zwar ausser Bett sein, sich aber nur auf der 
Station oder den Gängen der Klinik bewegen und leichtere Arbeit ver¬ 
richten. In dieser Zeit ist die Controle über seine Urinausscheidung 
naturgemäss eine bessere, als während der Arbeiten im Freien, trotz¬ 
dem glaube ich, dass die oft in ziemlich breiten Grenzen schwankenden 
Stickstoffzahlen eher beruhen auf einem Schwanken zwischen Körper¬ 
gewichtsverlust und Körpergleichgewicht, als auf dem Verloren- 


Tabelle II. 

Nahrungstabelle des Patienten M. 



Kohle- 
hydrat- l 
Zulage 

Nahrung I 

Nahrung 

II 

i 111 

! Sunaq«^ 

Nahrung 

IV 

! 

Nahrung frisch. 

600 ! 

1190 : 

i 

1190 

1190 

I 

Nahrung wasserfrei . 

„ „ (— Fett) .... 

222 

1 

667 1 

(572) 

701 

(603,6) 

684 

~ 

Fett . 

— 

! 94,8 

I 97,4 

109,0 

1 

Eiweiss (berechnet als N X 6,25) . . 

7,4 

berechnet 
aus C.: 

137,5 

1 direct 

1 bestimmt: 

157,8 
direct 
be¬ 
stimmt i 

143,2 

direct 

be¬ 

stimmt 

| 

Kohlehydrate (als Dextrose!) .... 

215 

i 400,2 

412,1 

411,0 

— 

Asche . 

— 

! 16,7 

18,4 

| 20,4 


Summe der festen Bestandtheile (berechnet) 

— 

; 649,2 

685,7 

' 683,6 

— 

Wasser. 

378 

' 523 

489 

506 

_ 

Fett-Cal. (direct bestimmt). 

— 

912 

960 

1 1072 

' - 

Andere Cal. ^direct bestimmt) . . . 

— 

2531 

i 2674 

2664 

— 

Summe der Catorien. 

888 

3443 

3634 

3736 

3726 

Fett-C (direct bestimmt). 

— 

72,0 

74,6 

82,3 

l — 

Kohlehydr.-C.(ber. als40pCt.d. Kohlchydr.) 

(86) 

160,0 

165,0 

164,4 

1 

Eiw.-C (berechnet als N x 3,3) . . . 

4,0 

73,0 

81,0 

1 

76,0 

I 

i 

Berechnete Kohlenstoff-Summe .... 

(90) 

305,0 

1 320,6 

j 322,7 

l - 

Gefundener C. (für Eiw. -f- Kohlehydr.) . 

— 

235,6 

247,8 

247,2 

— 

Summe der C. (direct bestimmt) . . . 

90,4 

307,6 

322,4 

329.5 

328,6 

N . 

1,9 

22,0 

24,6 

, 23,0 

22,7 

be¬ 

stimmt 


Gck igle 


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1 >er SlolV- u. ftmTgi (‘Umsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 685 

gehen von Urinmengen in Folge weniger scharfer Controle. Immerhin 
sieht man in den den eigentlichen Versuchen benachbarten Tagen eine 
Stickstoffausscheidung, die dem Versucbstage recht nahe liegt, und die 
umsomehr den Schluss gerechtfertigt erscheinen lässt, dass die Stick¬ 
stoffausscheidung unter den wechselnden Bedingungen des Körper¬ 
gewichts und auch des Factors der Schilddrüsenmedication beeinflusst 
worden ist. Ich gebe hier (s. Seite 683) die Tabelle über Harn¬ 
mengen und Stickstoffmengen, soweit sie in der Periode, die meine 
Versuche umfassen, festgestellt wurden. Nehmen wir an, dass im All¬ 
gemeinen 22—24 g Stickstoff täglich gereicht wurden, das geht aus den 
drei ausführlichen Nahrungsanalysen hervor, so hat sich der Kranke in 
der ersten Zeit annähernd auf diese Menge eingestellt (im Koth gehen 
ja 1—2 g verloren). Namentlich sicht man dieses an den Tagen um 
die eigentlichen Versuchstage, diese sind besonders gekennzeichnet (durch 
römische Ziffern), während in den späteren Versuchen ganz unzweifelhaft 
Stickstoff retinirt wird, wenn wir auch über die Gesammtheit des re- 
tinirten Stickstoffs keine e\acten Angaben machen können, fehlen doch 
die Bestimmungen an einzelnen Tagen, und zwar gerade an Tagen, an 
denen der Kranke eine andere Kost nach seiner Wahl zu sich nehmen durfte. 

Der Patient wurde vom 25. Januar 1906 bis zum 3. April 1906 
auf seinen Nahrungsbedarf und seine Ausscheidungen im Harn unter¬ 
sucht. Er verstand sich dazu, den grösseren Theil der Zeit stets 
die gleiche Art und Menge der Nahrung in 24 Stunden zu sich zu 
nehmen, die Anfangs ungelähr nach seinen Wünschen in ihrer Menge 
bestimfnt war. Es kam mir weiter darauf an, in keinem Fall den Pa¬ 
tienten einer Unterernährung auszusetzen und ihm reichlich Eiweiss zu¬ 
zuführen, wollte ich doch ursprünglich vorwiegend den Einfluss der 
Schilddrüsenzufuhr auf den Stoffwechsel des Fettleibigen feststellen. Es 
beschäftigte mich, wie später auseinandergesetzt wird, ganz vorwiegend 
die Frage: Wirkt denn wirklich die Stoffwechselsteigerung durch die 
Schilddrüsensubstanz ausschliesslich oder auch nur vorwiegend auf den 
Eiweissstoffwechsel im Sinne eines specifischen Eiweissgiftes, oder wird 
der Calorienumsatz im Ganzen erhöht, und ist es durch geeignete Diät 
möglich, die Erhöhung der Stickstoffausfuhr zu beschränken oder zu 
vermeiden? Wir werden sehen, dass meine Versuche am Kranken „M. u 
eine Antwort auf diese Frage zulassen, aber andererseits für die Frage 
des Calorienbedarfes bei Fettsucht überhaupt ein wichtiges Resultat und 
eine Ergänzung dessen bieten, was Rubner(2) am fettsüchtigen Knaben 
in seiner berühmten Versuchsreihe festgestellt hat. 

Die Versuche am Patienten „M. u 

Der Kranke erhielt vom 4. 2. bis 3. 4., im Wesentlichen nur mit 
einer Unterbrechung zwischen dem 27. 2. und 10. 3., die erwähnte 
gleichartige Kost. Sie bestand aus 300 g mageren Ochsenfleisches (es 
wurde stets dieselbe Fleischart vom gleichen Schlächter bezogen), 500 g 
Schwarzbrot, 150 Reis, 150 Schweizerkäse, 70 Butter, 20 Zucker. An 
den eigentlichen Versuchstagen wurde so viel Proviant besorgt, dass in 
der Regel für 2 nur wenige Tage auseinanderliegende Versuche derselbe 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. B«l. 


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686 


G. v. Bergmann, 


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Vorrath ausreichte. Die Zusammensetzung der Nahrung ist mit der 
Methodik bestimmt, die von Steyrer ausführlich angegeben worden ist 
(s. o.). Die gewonnenen Zahlen, wie sie aus der Tabelle zu ersehen 
sind, beweisen am besten, wie zuverlässig die Werthe sind, welche mit 
dieser Methodik erhalten wurden. Die Eiweissmenge ist aus dem Stick¬ 
stoff durch Multiplication mit 6,25 berechnet, das Fett theils direct, 
theils aus dem Kohlenstoffgehalt des Aetherextractes, die Kohlehydrate 
als Dextrose nach Invertirung des fettfreien Nahrungspulvers durch 
zweistündiges Kochen am Rückflusskühler mit 2 proc. Salzsäure. Ausser¬ 
dem wurde die Asche im fettfreien Pulver, der Kohlenstoff ebendort und 
im Aetherextract bestimmt. Alles Nähere geht aus der Tabelle II 
hervor. Es wurde z. B. für das fettfreie Pulver 572 g gefunden, dazu 


94,8 g Fett = 667 g. 

Für Eiweiss ist berechnet .... 137,5 g 

Für Kohlehydrate. 400,2 g 

Für Asche. 16,7 g 

Für Fett.94,8 g 


Das ergiebt 649,2 g 
Tabelle III. 


Ausscheidungen des Patienten M. 


Versuchs-No. | 
und Datum i 

i 

Nahrungs-No. 
cv. Zulage 
u .Tabletten 

<£f Gewicht * 

I 


II 

a r n 

C 

Cal. 

Koth 

Respiration 

h 

1 C CO, 

SS - 

CJ 

bO 

c 

o 

X 

Menge 

trocken 

N 

C 

Cal. 

I. 

III. 





be- 








1906 





° 0 7 

rechnet 

Koth I 







6. 2. 





N °’ 7 

N 8,55 

(4 Tage) 









104,0 

2480 

21,18 

14.8 

181,1 

35 

2,5 

14,6 

188 

— 

309 

1133 

II. 

III. 




C 


Koth I 







9. 2. 





^ 0 ,J i 


(4 Tage) 









103,5 

2550 

19,95 

11,37 

170,6 

35 

2,5 

14,6 

188 

— 

324 

11 SS 

III. 

IV. 




c 


Koth 11 







23. 2. 

Tabletten 




N 0,59 


(6 Tage) 









102,5 

2540 

22,90 

13,51 

195,8 

33 

1,97 

15,3 

183 

— 

323 

1184 

IV. 

IV. 




C 


Koth II 







26. 2. 

Tabletten 




N 


(6 Tage) 









102,0 

2580 

■22,25 

13,35 

: 190,2 

33 

1,97 

15,3 

183 

— 

323 

1184 

V. 

I. 




C 

i 

Koth III 







12. 3. 

Tabletten 




0,59 


(5 Tage) 









99,0 

2010 

21,90 

11,92 

183,0 

27 

2,0 

16,0 

137 

— 

475 

1742 

VI. 

I. 




C 









16. 3. 

Zulage u. 




v 0,o7 

iN 

1 

Koth V 








Tabletten 

98,0 

2010 

19,64 

11,19 

167,9 

39 

3,0 

17.5 

195 

3597 

423 

1 551 

VII. 

II. 




C 









29. 3. 

Tabletten 




v 0,72 

Koth IV 









97,0 

1610 

18.54 

12,6 

166,0 

37 

2,24 

16.7 

197 

2195 

367 

1346 

VIII. 

II. 




c 









1. 4. 

Tabletten 





Koth IV 









97,0 

2030 

20,50 

11,28 

175,3 

37 

2,24 

16,7 

197 

1852 

402 

1423 

IX. 

11. 




c 









3. 4. 

Zulage u. 




0,6 9 


Koth V 








Tabletten 

| 96,0 

1680 

17,31 

11.94 

148,0 

39 

3,0 

17,5 

195 

2350 

407 

1412 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 







Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 687 


feste Bestandteile, während die directe Bestimmung 667 g erfordern 
würde. Drei solche Nahrungsmengen sind ausführlich analysirt, und 
zwar wurde die Nahrung I am 12. 3. allein, am 16. 3. mit einer Kohle¬ 
hydratzulage verabreicht. Die Nahrung II am 29. 3.. 1. 4. und 3. 4., 
am letzteren Tage ebenfalls mit einer Kohlehydratzulage. Die Nahrung III 
ist am 6. 2. und 9. 2. verabfolgt. Für die Nahrungen am 23. 2. und 


Tabelle IV. 

Koth des Patienten M. 


Koth „ir 

Koth „III“ 

Koth „IV U 

Koth „V“ 

(bei Zulage) 

8.—13. 3. 1906 

14.—18. 3. 1906 

20.—23. 3. 1906 


6 Tage (5 Stühle) 

5 Tage 

4 Tage 

— 

198 g trocken 

137 g trocken 

147 g trocken 

— 

33 g pro die 

27 g pro die 

37 g pro die 

39 g pro die 

N 1,97 pro die 

N 2,0 pro die 

N 2,24 pro die 

N 2,97 pro die 

Cal. 183 pro die 

Cal. 137 pro die 

Cal. 197 pro die 

Cal. 195 pro die 

C 15,3 pro die 


C 16,7 pro die 

C 17,5 pro die 


26. 2. sind Analysen nicht ausgeführt. Bei den Berechnungen habe ich 
die Werthe der Nahrung III an diesen Tagen zu Grunde gelegt, weil 
der Stickstoffgehalt, der allein bei diesen Nahrungsportionen bestimmt 
wurde, am nächsten dem Stickstoff der Nahrung III kommt. Er betrug 
22,7, der Stickstoff der Nahrung III 23,0 g. Entsprechend ist die 
Kohlenstoffmenge um die Menge von mir herabgesetzt, welche dem 
0,3 g Stickstoff entspricht, und ebenso die Calorienmenge. In der Tabelle 
befindet sich eine Rubrik als „Kohlehydratzulage“. Sie wurde nur einmal 
am 3. 4. bestimmt und dieselben Werthe auch bei dem anderen Versuch 
zu den Nahrungen 1 bezüglich II hinzuaddirt. Die Verabfolgung von 
Kohlehydraten sollte mich darüber belehren, ob durch diese Eiweisssparer 
ein eventueller Stickstoffverlust weiter zurückgedrängt werden könnte. 

Die Ausscheidungen sind für den Harn aus der Tabelle No. III zu 
ersehen. Die Calorien sind nicht direct bestimmt, vielmehr aus dem 
Stickstoff durch Multiplication mit dem Factor 8,55 berechnet. Der 
Koth wurde stets von mehreren Tagen gesammelt, was bei der Gleich- 
mässigkeit der Kost entschieden die exacteste Methode war, so der 
Koth 2 vom 8. bis 13. 3. Die Werthe sind dem Versuch 5 zu Grunde 
gelegt. Koth 3 vom 14. 3. bis 18. 3. für Versuch 6. (Siehe die Ta¬ 
belle IV.) Der Koth 1 ist als Durchschnitt berechnet, er wurde nicht 


analysirt. Die Ausscheidungen 


in der Respiration waren folgende: 


Versuch I . . 

. . . 309 g 

II . . 

. . . 324 g 

, HI • • 

. . . 323 g 

„ iv • • 

. . . 323 g 

V • • 

. . . 475 g 

, VI . . 

. . . 423 g 

„ VII . . 

. . . 367 g 

„ VIII . . 

. . . 402 g 

, IX . . 

. . . 407 g 


44* 


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Go igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 








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Au ‘i*u* V.mu.^b^n-'tl, JU und IV, rKter. 

de« Vershoiuhi V] 11 und !X aihd dir l. : id.terrn^tur>(UHngrn vollfcomnKU. 
ähnlich wie wir sic immr Versuch I aml HI des hin<■'>■- 

hüben. 

Ich '<idh;* nunmehr iji Tabelle V j&g Hdnn/am *iw>; in 

der Art, wm ich e« mit aiisluluInher teMÜrimr l^r»mdm,t heim Alp- 
ödem gnthitn habe. 

Dm Siiek:vi bJffhiliiit sa:\\ sind im . Alf^rmemen 'i\iU\ d,:^:ö;Jri: : Äi'r.. 
Km he von Amr^mbcn ist jnnä.lirrnd .Sl.it- ksudfgleidhireM'icht ermrlH, . so 
fei den.. Vcr&tirl»c.n'■!, il und VI, Kfluddi.-here {.msiiiye IMir^on z&igßi 
Ile Vof-Mirdij V||, V] II und IX. Nimmt hum d in >d iekfcColf best im rmwgiury, 

die auvU im d»m da/w^eheum-mmden Ta^eti >ui^eiuhrt wurden, hrtjtfü 

so ha? m dieser sjmutcm >'eö ein nicht urnndiebln hm St <Wt~ 
cemmbrn. ||a dir StirkstolDufnhr amfehenui diu gleich* war. wie in den 
eist.rn VerMu iuuu so i>t die ^nristige Kilariz /.um Thru) vielleicht auf die 
Vermeerr (vör|n.*rmas>r 9u bty.fr ho?) Jedenfalls ist trtffe der Verabreich uny 
v on S •hildtlrüsen cm 'germi;eiVr Siirkstnll bedarf zu cmisiaiiren, als in 
dun Vnrs.nlM'!! ffeim St: |i {kld f üsertzu fe |»r. Wir kommen darauf nur II a*- 
• uhriioher rmmh. laut r;**•}»t»*n wir die !\ o h 1 1 • r»^ iu> f ( b i 5 ac*»'»•. su sehen 
wir mdem uiimn -feist wUhium <j leirlmu’vuch't in. \e»>mfee 1 feerm^i tfesrfe 


V. • Oriyiral from. • 
ÜNfVEKSSTf OFMICHIGÄN 






Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 689 


Tabelle VI. 

Berechnung des Calorien-Umsatzes bei Patient M. 



i. 

II. 

III. 

IV. 

V. 

VI. 

VII. 

VIII. 

IX. 

— (Harn -f Koth-Cal.) . . . 

369 

359 

379 

373 

320 

363 

363 

372 

343 

— positive Eiweiss-Calorien des 
Körpers. 

— 

18,7 

~ 

— 

— 

19,0 

123,1 

63,2 

187,0 

Summe aller abzuziehenden Cal. 

369 

377 

379 

373 

320 

382,0 

486,1 

435,2 

530 

+ Fett-Cal. aus Körpersubstanz 

82,5 

274,5 

198,2 

222,8 

2205,9 

683,2 

1053,7 

1398,4 

508,4 

-j- Nahrungs-Cal. 

3736,0 

3736,0 

3726,0 

3726,0 

3443,0 

4331,0 

3634,0 

! 3634,0 

4522,0 

negative Eiw.-Cal. des Körpers 

22,1 

1 

| 74,8 

52,7 

j 64,6 

— 

— 

— 

Summe dieser Calorien 

3840,6 

! 4010,5 

3999,0 

4001,5 

5713,5 

5014,2 

4687,7 

5032,4 

5030,4 

— Summe der abzuziehenden Cal. 

369,0 

377,7 

t 

379,0 

373,0 

320,0 

j 382,0 

486,1 

435,2 

530,0 

Differenz gleich wahrer Umsatz 
in 24 Stnnden. 

3471,6 

i 

3632,8 

3620,0 

3628,5 

5393,5 

4632,2 

4201,6 

4597,2 

•ft» 

o 

o 

V 

rund 

3472 

3633 

3620 ( 

3629 | 

5394 

, 4632 

j 4202 

4597 

4500 


tive Bilanzen, die sehr nahe beieinander liegen, in den Versuchen II, 
III, IV und IX, während in den Versuchen V bis VIII eine erhebliche 
Menge Kohlenstoff, zum Theil eine ganz gewaltige solche, vom Körper 
selbst zugegeben werden muss zur Bestreitung des Oalorienbedarfs. 
Uebersichtlicher gestalten sich die Verhältnisse, wenn wir die Calorien- 
berechnung in Betracht ziehen, s. Tab. VI. Die Zahlen sind gewonnen 

Tabelle VII. 

Der C-alorien-Umsatz auf kg und Oberfläche bezogen bei Patient 


No. 

Gewicht 

kg 

Oberfläche [ 
! (Meeh’s j 
Formel) | 

qm | 

Gesammt- 
Calorien j 
Production 

Calorien 

, Calorien 
pro kg 

Calorien 

I Calorien 
pro qm 

1 Calorien 

I. 

104,0 

2,720 

3472 

33,4 

1276 

H. 

103,5 

2,712 

1 3633 

35,1 

1340 

III. 

102,5 

2,693 

3620 

| 34,5 

; 1344 

IV. 

102,0 

2,685 

3629 

i 35,6 

1 1352 

V. 

99,0 

2,632 

5394 

54,5 

j 2049 

VI. 

98,0 

2,615 

4632 

47,3 

! 1772 

VII. 

97,0 

2,597 

| 4202 

43,3 

| 1618 

VIII. 

97,0 

2,597 

j 4597 

47,4 

1 1770 

IX. 

96,0 

^ 2,579 . 

4500 

| 46,9 

; 1745 


ganz in derselben Berechnungsweise, wie ich es in den Versuchen beim 
Myxödem in extenso auseinandergesetzt habe. Die Calorien von Harn und 
Koth sind addirt und zu ihnen die Calorien aus Eiweiss dann hinzugezählt, 
wenn eine positive Stickstoffbilanz vorhanden war, und zwar ist die 
Anzahl der Calorien, die zu den Harn- und Kothcalorien zu addiren 
ist, gleich der Zahl der positiven Stickstoffbilanz X 34. Die Calorien 
aus eingeschmolzenem Körperfett sind berechnet aus der Zahl der nega- 


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Gck igle 


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690 


G. v. Bergmann, 


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tiven Kohlenstoffbilanz X 12,31. Zu diesen Calorien aus Körperfett 
sind die Calorien aus Körpereiweiss zu addiren, d. h. die negative Stick¬ 
stoffbilanz X 34. Es vollzieht sich die Rechnung daher so, dass addirt 
werden zu den Nahrungscalorien die Calorien aus eingcschmolzenem 
Körperfett und aus eingeschmolzenem Körpereiweiss; von diesen kommt 
in Abzug die Summe der Calorien aus Ham und Koth. Ist kein Eiweiss 
des Körpers zugesetzt, sondern ist Stickstoff retinirt worden, so werden 
nur addirt die Calorien aus eingeschmolzenem Körperfett und die 
Nahrungscalorien. Es kommen in Abzug die Calorien, die durch den 
Stickstoffansatz erspart sind und die Calorien aus Harn und Koth. In 
dieser Weise ist die obige Tabelle IV zu verstehen; sie enthält in der 
letzten Zeile den wahren Umsatz in 24 Stunden, wie er aus dieser Be¬ 
rechnung folgt. Man sieht in den Versuchen I bis IV die eclatanteste 
Uebereinstimmung im Calorienumsatz. Alle folgenden Versuche zeigen 
eine erhebliche Steigerung gegenüber diesen 4 ersten. Die Ueberein¬ 
stimmung der Versuche I bis IV ist eine so gute, dass die Ungenauigkeit, 
dass eines der Nahrungsgemische nur in Bezug auf den Stickstoff ana- 
lysirt wurde, ruhig vernachlässigt werden kann, und dass andererseits 
eine Steigerung um nur 10 pCt. doch schon als sichere Steigerung des 
Calorienumsatzes von mir aufgefasst wird, meist aber und ganz be¬ 
sonders im Versuche V ist ja die Steigerung eine viel eclatantere. Die 
letzte Tabelle, Tab. VII, zeigt die Gesammtcalorienproduction be¬ 
rechnet auf das Kilo Körpergewicht und auf das qm Ober¬ 
fläche. Die Oberfläche nach der Formel von Meeh berechnet. Leider 
ist eine genaue Aufstellung der Wasserbilanz auch für diese Versuche 
nicht möglich gewesen, weil die Wassermenge im Koth, weil die Wasser¬ 
menge des Harns nicht bestimmt wurde, und weil vor Alldm auch die 
Wassermengen im Respirationsapparat für diese Versuche meist nicht 
ganz zuverlässig sind, ich hatte zweierlei Forderungen ausser Acht ge¬ 
lassen, die Uringefässe in der Kammer waren nicht vor Verdunstung 
geschützt, das Gewicht des Bettes war zum Schluss des Versuches nicht 
genau bestimmt worden; ich sehe daher zunächst von einer Aufstellung 
der Bilanzen des Wassers vollständig ab. 

B. 

Da die Werthe für den Calorienumsatz beim untersuchten Patienten 
M., der sich, wie ich zeigen konnte, ungefähr im Nahrungsgleichgewicht 
befand, keine niederen waren, vielmehr, wie wir noch weiter sehen 
werden, sehr vergleichbar sind den Werthen, die Rubner (2) beim fett¬ 
süchtigen Knaben gefunden hat, versuchte ich in anderer Weise dem Problem 
der Herabsetzung des Calorienumsatzes bei Fettsucht näherzukommen. 

Es besteht, wie ich oben erörtert habe, die Möglichkeit, dass die 
physiologische Steigerung, die der Ruhe-Nüchternwerth erfährt, wenn 
ich mich mit der Diction der Zuntz’schen Schule ausdrücken soll, dass 
diese Steigerung geringer ausfällt wie beim Normalen,' also etwa die 
Steigerung des Calorienumsatzes nach Muskelarbeit oder nach Nahrungs¬ 
aufnahme. In Beziehung zu letzterer Hypothese wurden ja oben die 
Versuche von Jaquet und Svenson (17) erwähnt mit den Einwänden, 


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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 691 


die ihren Resultaten zum Theil mit Recht gemacht werden. Ehe ich 
mit ähnlicher Fragestellung Versuche anstellen konnte, hatte ich zunächst 
den Werth im Hunger festzustellen. Ich beabsichtigte das jedenfalls in 
längeren Zeitperioden zu thun. Zu diesem Zweck wollte ich, eben wegen 
meiner Erfahrungen am Patienten M. nicht einen beliebigen Fettsüchtigen 
verwenden. Ich habe zwei Jahre lang das Material der II. Klinik be¬ 
obachtet, ehe ich zwei Individuen fand, bei denen mir die Lösung des 
Problems aussichtsvoll schien. Ich hielt mich bei meiner Beobachtung 
daran, ob bei einer Kost, die annähernd auf ihren Caloriengehalt sich 
schätzen Hess, und die höchstens für die Patienten nach dem gewöhn¬ 
lichen Kostmaasse ausreichend sein konnte, die betreffenden Fettsüchtigen 
Zunahmen und ob sie bei knapper Kost, bei anscheinend sicherer Unter¬ 
ernährung wenig oder auch garnicht abnahmen. So ungenau diese 
Methode ist und so vollkommen verwerflich, um wissenschaftliche 
Schlüsse aufzubauen, ich möchte sie jedem empfehlen, der künftig die 
principielle Frage einer Herabsetzung des Stoffwechsels bei Fettsucht ver¬ 
folgt. Wenn überhaupt eine Herabsetzung besteht, ist nur dann Aussicht 
vorhanden, sie zu beweisen, wenn es sich um Kranke handelt, die bei 
dieser oberflächlichen Berechnung des Stoflfverbrauchs von der Norm 
abzuweichen scheinen. Von einer Reihe von Fettsüchtigen, es mögen 
8 —9 gewesen sein, die ich in diesem Sinne beobachtet habe — ich 
habe dabei durchaus nicht nur auf höchste Grade von Fettsucht geachtet 
— schienen zwei Patientinnen mir im angedeuteten Sinne geeignet. Sie 
nahmen auch bei recht calorienarmer Kost nicht ab, eine stärkere Ab¬ 
nahme wurde erst deutlich, wenn Hungertage eingeschaltet wurden. 

Die Patientinnen, die selbst die Hungertage wünschten, als Mittel 
zur Besserung des sie belästigenden Zustandes, waren also besonders 
geeignet zur Gewinnung von Ruhe-Nüchternwerthen in meinem eben 
auseinandergesetzten Sinne. Es handelt sich selbstverständlich nicht um 
die Ruhe-Nüchternwerthe im Sinne der Zuntzschule, keine absolute 
streng beobachtete Muskelruhe mit möglichster Entspannung der ganzen 
Musculatur auf einem Ruhebett, es handelt fcich um einfache Bettruhe. 
Bewegungen durften die Patientinnen im Bette ausführen. Sie hielten 
Bücher beim Lesen, legten sie auch wieder fort, erhoben sich etwa 
um Urin zu lassen und Aehnliches, kurz, es wurde nur die Ruhe von 
mir angestrebt, die bei einer 8 stündigen Versuchsdauer im Bette ge¬ 
wöhnlich ist. Die Versuche waren durchweg am Tage angestellt; die 
Patientinnen schliefen in dieser Zeit nicht. 

Nach Zuntz ist der Nüchternwerth nach 12—14 Stunden erreicht. 
Ich habe die Patientinnen zu grösserer Vorsicht stets erst später, 
frühestens nach 16 Stunden in den Kasten gebracht. Ich ersehe hinter¬ 
her aus Experimenten Staehelin’s, die in jüngster Zeit erschienen sind, 
dass diese Versuchsanordnung eine glückliche war, da der Nüchternwerth 
vielleicht gerade bei Fettleibigen nach 12 Std. durchaus nicht immer 
erreicht ist. 18 Std. vorher oder noch früher erhielten die Patientinnen 
eine calorienarme Kost, die namentlich wenig Kohlehydrate enthielt, 
scheint doch gerade die Kohlehydrat Verdauung und Verbrennung sich 
unter Umständen besonders lang hinzuziehen. Die Patientinnen befanden 


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«92 


G. v. Berg man il , 


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sich schon Wochen vor dem Beginn der Versuche in Unterernährung. 
Ich werde bei der Patientin L. dieses an der Kostmenge, die sie 'zu 
sich nahm, zeigen. 

Patientin „P. u . 

Anamnese und Befund. 

39 Jahre alt, Haushälterin und Köchin. Bis zu ihrem 20. Lebens¬ 
jahre war Pat. nicht sonderlich corpulent; sie ist dann dicker geworden, 
jedoch hielt sich die Zunahme ihres Körpergewichts in bescheidenen 
Grenzen. Erst vom 34. Lebensjahre an ist die Zunahme sehr beträcht¬ 
lich geworden. Pat. selbst gibt an, dass sie sehr phlegmatisch sei, sie 
ist keine Potatrix. Pat. hat angeblich niemals viel gegessen. Aus dein 
Status: Hochgradige Corpulenz, schwammiges Fettpolster. Spitzenstoss 
nicht zu fühlen, Herzgrenze links ein Querfinger ausserhalb der 
Maramillarlinie. An der Herzspitze punctum maximum eines systolischen, an 
allen Orten hörbaren Geräusches, Accentuation des zweiten Pulmonaltons. 
(Vor 6 Jahren Influenza.) Puls Anfangs arrythraisch, es besteht ausserdem 
eine leichte Cystitis. Die Cystitis ist zu Beginn ‘der Versuche berc'ts 
vollständig verschwunden; es findet sich in den analvsirten Urinen nie¬ 
mals Eiweiss. Puls ist später stets regelmässig, Cyanose und Oedeme 
wurden trotz der sicherlich bestehenden Mitralinsuflicienz nicht gefunden. 

1. Hungerversuch. 

Bei der Patientin wurden eine Reihe von Respirationsversuchen 
ausgeführt, von denen 8 technisch einwandsfrei sind; davon sind 
6 Hungerversuche. Die Patientin erhielt gegen Abend die letzte 
calorienarme Mahlzeit. Von da an hungerte sie, nur Wasser durfte sie 
nach Belieben zu sich nehmen. Am nächsten Vormittag kam sie in 
den Apparat und blieb in ihm ohne Unterbrechung 8 Stunden; nur 
während dieser Zeit wurde der Urin gesammelt, in ihm Stickstoff, 
Kohlenstoff und Calorien bestimmt. Die drei eisten der 6 Hunger¬ 
versuche sind ohne Schilddrüsenzufuhr ausgeführt. Während der Ver¬ 
suche 4—6 wurden 6—»7 Schilddrüsentabletten gegeben, und zwar 
wurde mit der Medication am Abend vor Beginn eines jeden Versuches 
erst begonnen und die letzten Tabletten innerhalb der ersten 2 Stunden 
der Versuchsdauer verzehrt, ln der Zwischenzeit erhielt die Kranke 
keine Tabletten. Ich lasse zunächst die Hungerversuche folgen. Datum 
und genauere Zeitangabe geht aus der Tabelle hervor. Die Harnaus- 


Scheidungen während 

der 8 Stunden 

verhalten 

sich wie folgt: 



Harnmenge 

Stickstoff 

Kohlenstoff 

Calorien 

Versuch I. 

680 ccm 

4,39 g 

3,0 g 

39,0 

„ ii. 

730 „ 

4,8 g 

3,0 g 

42 

„ in. 

610 „ 

3,5 g 

1,9 g 

40,6 

* iv. 

(6 Thyreoideatabl.) 

670 „ 

4,2 g 

3,0 g 

63,9 

Versuch V. 

(6 Thvreoideatabl.) 

920 „ 

3,8 g 

9 7 ^ 

45,0 

Versuch VI. 

(7 Thyreoideatabl.) 

1040 g 

4,1 g 

1,6 g 

62,3 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSSTY OF MICHIGAN 



Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 693 


Die respiratorischen Verhältnisse waren folgende: 

Im ersten Versuch: 

Wasser 623 ccm Kohlenstoff 61,6 g 

lm zweiten Versuch: 

Wasser 836 ccm Kohlenstoff 61,8 g 

lm dritten Versuch: 

Wasser 626 ccm Kohlenstoff 51,7 g 

Im vierten Versuch: 

Wasser 300 ccm Kohlenstoff 62 g 

lm fünften Versuch: 

Wasser fehlt Kohlenstoff 63 g 

Im sechsten Versuch: 

Wasser 589 ccm Kohlenstoff 60 g 


Ausscheidungen der Patientin „P. u . 


O 1~ 

r— Q 

II 

Datum 

Bemerkungen 

Harnmenge 

N. C. 1 Cal. 

| 

aus Harn 

Wasser C. 

aus der 
Respiration 

Gewichts¬ 

differenz 

Flüssig¬ 

keitszufuhr 

I. 

8 Std. Hunger 

680 

4,39 

[13,17] 

3,0 

[9,01 

39,0 

[117] 

623 1 61,0 
[1869] [184,8] 

0,3 kg 

975 

11. 

S Std. Hunger 

730 

4,8 

[14,4] 

3,0 

[9,0] 

42,0 

[126] 

836 61,8 

[2508] [185,4] 

0,8 kg 

400 

111. 

8 Std. Hunger 

610 

3,5 

[10,5] 

1.9 

[5,7] 

40.6 

[122] 

626 51,7 

[1978] [155] 

0,9 kg 

125 

IV. 

8 Std. Hunger 

6 Thyreoidea- 
Tabletten 

670 

4,2 

[12,6] 

3,0 

[9.0] 

63,9 

[192] 

<x> ca 

o o 
o o 

1—1 

1 —1 

OC 

M kg 

155 

V. 

8 Std. Hunger 

6 Tabletten 

920 

3,8 

[11,4] 

2,7 

[8,1] 

I 45 
| [135] 

— 63 

[189] 

1.1 kg 

| 265 

1 

VI. 

VII. fehlt 

8 Std. Hunger 

7 Tabletten 

1040 

4,1 

[12,3] 

1.6 

[4,8] 

62,3 

'[186,9] 

589 ■ 60 

[1767] [180] 

1,2 kg 

' 290 

VIII. 

10 Std. Hunger 
Nahrung I. 

99 g C. 

9,3 g N. 

1250 Cal. 

880 

«,1 

[14.64] 

! 

3,4 

[8,2] 

63,7 

[152,9] 

813 62 

[2439] [148,8] 

1,6 kg 

250 

IX. 

10 Std. Hunger 
Nahrung II. 
80,7 g C. 

8,0 g N. 

1011 Cal. 

680 

6,3 | 

| 

2,7 

r6,5j 

; 50,0 
[120,0] 

f; 

1 

870 | 73 

[2610] [175,2] 

1,0 kg 

1 

i 

1 

300 

1 


Des besseren Vergleichs halber mit den 24 Stunden-Versuchen habe 
ich in der umstehenden Tabelle die Werthe auf 24 Stunden umgerechnet. 
Da der Umsatz in der 18.—26. Hungerstunde als constant angenommen 
wird, ist das, wie ich glaube, ein zuverlässiges Verfahren. Im Hunger 
würde die Patientin in 24 Stunden also ausgeschieden haben diejenigen 
Werthe, welche auf der oben stehenden Tabelle in eckigen Klammern 


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Go igle 


Original fro-m 

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(594 G. v. Bergmann, 

Auf 24 Stunden berechnete Bilanzen der Patientin P. 



I. 

II. 

III. 

IV. 

V. 

VI. 

N. im Harn. 

13,2 

14,4 

10,5 

12,6 

11,4 

12,3 

N. im Koth. 

0,2 

0,2 

0,2 

| 0,2 

0,2 

0.2 

Summa des N. 

13,4 

14,6 

10,7 

12,8 

11,6 

12,5 

(Sa. des N. X 34) = Eiweiss-Calorien 

455 

496 

364 

435 

394 

425 

(Sa. des N.. 3,22) = Eiwciss-Kohlcnstoff 

43 

47 

35 

41 

37 

40 

C. der Respiration. 

135 

185 

155 

186 

189 

ISO 

C. im Harn. 

9,0 

9,0 

5.7 

9,0 

8,1 

4,8 

C. im Koth. 

6,0 

6,0 

6,0 

6,0 

6.0 

6,0 

Summe der C.-Ausscheidung .... 

200 

200 

167 

201 

203 

191 

— Eiweiss-C. 

43 

47 

35 

41 

37 

40 

— Fctt-C. 

157 

157 

132 

160 

166 

151 

(Fett-C.. 12,31) = Calorien aus Fett . . 

1933 

1933 

1625 

1970 

2044 

1859 

Calorien aus Eiweiss. 

455 

496 

364 

435 

394 

425 

Summe der Calorien. 

2388 

2429 

1989 

2405 

2438 

2284 

Calorien aus Harn. 

117 

126 

122 

192 

135 

187 

Calorien aus Koth (berechnet) .... 

97 

97 

97 

97 

97 

97 

— Summe der ausgeschiedenen Calorien 

214 

223 

219 

289 

232 

284 

+ Summe der umgesetzten Calorien . . 

2388 

2429 

1989 

2405 

2438 

2284 

('alorieit-Production. 

2174 

2206 

1770 

2116 

2206 

2000 


stehen. Alle diese Werthe sind aus den direct ermittelten von 8 bezw. 
10 Stunden auf 24 Stunden umgerechnet. 

Aus diesen Werthen berechneteich ähnlich wie früher den wahren 
Calorienumsatz. Da keine Nahrungszufuhr stattgefunden hat, ist also 
die gesammte Stickstoffausfuhr und Kohlenstoffausfuhr zu rechnen, wie 
eine negative Stickstoffbilanz und negative Kohlenstoffbilanz von gleicher 
Grösse. Es vollzieht sich also die Rechnung wie folgt: Die Stickstoff¬ 
ausfuhr ist gleich Stickstoff im Harn -f- Stickstoff im Koth. Als 
Stickstoffgehalt des Hungerkothes, der nicht bestimiht wurde, da er bei 
der Hungerperiode, die nur wenig mehr wie 24 Stunden betrug, nicht 
exact bestimmt werden konnte, habe ich 0,2 g Stickstoff angenommen. 
Der N der Ausfuhr mit 34 multiplicirt ergäbe die Calorien, die als 
Eiweiss des Körpers verbrannt worden sind. Von diesen sind später 
die Calorien in Harn und Koth abzuziehen. Die Kohlenstoffbilanz er- 
giebt sich aus Addition des Kohlenstoffs in der Respiration, des Kohlen¬ 
stoffs im Harn und des Kohlenstoffs im Kothe. Der letztere wurde von 
mir für 24 Stunden mit 6 g gerechnet. Von dieser Kohlenstoffsummc 
kommt in Abzug die Kohlenstoffzahl, die der eingeschmolzenen Stick¬ 
stoffsubstanz entspricht, also die Summe der Stickstoffausscheidungen 
X 3,22; das ergiebt dann das, was wir als Fettkohlenstoff auch früher 
bezeichnet haben. Es ist Eingangs darauf hingewiesen, wie und mit 
welchem Rechte wir den Kohlenstoff aus Glykogen vernachlässigen. 


Gck igle 


Original fro-m 

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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 695 


Ich verweise auf das dort Auseinandergesetzte. Der Fettkohlenstoff 
X 12,31 ergiebt die aus Körperfett stammenden Calorien. Zu ihnen 
sind zu addiren die Calorien aus Eiweiss und von dieser Summe die 
Calorien von Harn und Koth in Abzug zu bringen. Die Harncalorien 
wurden direct bestimmt, die Kothcalorien berechnet, indem ich 2 g 
Trockenkoth im Hunger annahm, im Gramm nach Rubner 48,5 Calorien, 
d. h. 97 Calorien. 

Es ist zuzugeben, dass gerade bei der Berechnung des Hunger- 
kothes, bei der ich eigene Zahlen nicht verwenden konnte, dass ferner 
bei der Umrechnung von 8 Stunden-Werthen auf 24 Stunden-Werthe 
Fehler entstehen können, vielleicht sind sogar jene Werthe exacter, die die 
Calorien in Harn und Koth direct nicht berücksichtigen, d. h. die gewonnen 
werden aus der Multiplication der StickstofFausscheidungen mit dem 
Factor 26; dabei wären die Abzüge für den Calorien Verlust in Harn 
und Koth einbegriffen. Sehr erhebliche Unterschiede — das ist 
rechnerisch leicht zu sehen — ergiebt aber auch diese Berechnungsart 
gegenüber der unseren nicht. Betrachten wir die auf S. 694 stehenden 
Werthe, so finden wir eine fast totale Uebereinstimmung des Calorien- 
umsatzes in den verschiedenen Versuchen während des Hungers, bis 
auf Versuch III, ein Beweis, wie gleich massig bei der Patientin der 
Stoffverbrauch im Hunger sich verhielt. 

Ich glaube nach dem Eingangs Gesagten genügt die Berechnungsart, 
wie sie aus der Tabelle zu ersehen ist, zum Verständniss, wie die er¬ 
haltenen Resultate gewonnen sind. Eine Schwankung in der Calorien- 
production, wenn man vom Versuche III absieht, ist nur vorhanden 
zwischen 2000 und 2306. 

Nahrung der Patientin P. 

Bestehend aus: 

Kartoffelbrei 150 g, Kalbfleisch 150 g, Rührei 120 g, Brot 50 g, Butter 15 g. 



Nahrung I 

Nahrung II 

Menge feucht 


485 

485 

Fettfreies Pulver trocken . 

152 

144 

Fett .... 


60 

50 

Aetherextract 

c. . . 

Cal. . 

37,95 

536,0 

24,4 

411,0 

8,56 


IN. . . 

9,30 

Fettfreies Pulver 

C. . . 

61,0 

57,3 


1 Cal. . 

720 

601 

Gesamt-C. . . 


99 l 

80,7 

Gesamt-Cal. . . 


1256 

1011 

Eiweiss (her. als N X 6,25) 

58,0 

54,0 

Kohlehydrat bestimmt . . 

77,5 

72,0 

Fett .... 


60,0 

50,0 


II. Versuch nach Nahrungsaufnahme. 

Es wurden ferner noch zwei Versuche an derselben Patientin nach 
Nahrungsaufnahme durchgeführt und zwar hungerte die Kranke 
wiederum etwa 24 Stunden. Dann erhielt sie eine Nahrung, bestehend aus 


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696 


G. v. Bergmann, 


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60 g Fett, 58 g Eiweiss, 77,5 g Kohlenhydraten im ersten Versuche (Versuch 
VIII). Die Nahrung enthielt 1256 Calorien; die Art der Nahrungs¬ 
berechnung ist genau ausgeführt, wie in den Versuchen am Patienten M. 
Sie bestand aus Kartoffelbrei, Kalbfleisch, Rührei, Brot und Butter. 

Die Nahrung im zweiten Versuche (Versuch IX) enthielt 50 g Fett, 54 g 
Eiweiss, 72 g Kohlehydrate, 1011 Calorien, auch hier sind die Calorien 
direct in der Berthelot’schen Bombe bestimmt, das Eiweiss aus dem 
Stickstoff berechnet, Kohlehydrate und Fett direct bestimmt, ausserdem 
Aethcrextract und fettfreies Pulver auf Kohlenstoff analysirt (s. Tab. 
„Nahrung der Pat. P.“ auf Seite 695). Nachdem Patientin die Nahrung 
verzehrt hat, bleibt sie 10 Stunden im Kasten. 

Es werden folgende Werthe gefunden: 

Versuch VIII. 1. Nahrungsversuch, dazu 6 Thyreoideatabletten. 
Patient erhält mit der Nahrung 99 g Kohlenstoff, 9,3 g Stickstoff, 
1256 Calorien. 

Harnmenge Stickstoff Kohlenstoff Calorien 

880 darin: 6,1 3,4 63,7 

Die respiratorischen Ausscheidungen betragen Wasser 813, Kohlen¬ 
stoff 62 g. 


lercchnung der Nahrungs- 

Versuche an 

Patientin I 


I. 

11. 

N im Harn. 

14,6 

15,1 

N im Koth. 

2,0 

2,0 

Summe des N der Ausfuhr 

16,6 

17,1 

Eiweiss-Calorien .... 

9,3 

8,6 

N-Bilanz. 

-7,3 

— 8,5 

C der Respiration .... 

149 

175 

C im Harn. 

8,2 

6,5 

15,0 

C im Koth. 

15,0 

Summe der C-Ausscheidung 

+ 172,2 

+ 196,5 

C-Einnahme. 

99 

80,7 

C-Bilanz. 

— 73 C. 

— 116 C. 

Eiweiss-C. 

23,5 

27,4 

Fett-C. 

49,5 

, 88,6 

(Fett-C. 12,31)=Cal. ausFett 

609 

1091 

Kürper-Eiweiss-Calorien . . 

248 

289 

Summe der Kürper-Calorien 

857 

1380 

Nahrungs-Calorien .... 

1256 

1011 

Summe aller Calorien . . 

2113 

, 2391 

— Calorien aus Harn . . 

153 

1 120 

— Calorien aus Koth . . . 

180 

180 

Summe (Harn + Koth) . . 

333 

| 300 

Wahrer Calorien-Umsatz . 

1780 

j 2091 


Gck igle 


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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 607 


Versuch IX. 2. Nahrungsversuch. Patientin nimmt auf mit der 
Nahrung 80,7 g Kohlenstoff, 8,6 g Stickstoff, 1011 Calorien; die Aus¬ 
scheidungen verhalten sich wie folgt: 

Harnmenge Stickstoff Kohlenstoff Calorien 
680 darin: 6,3 2,7 50,0 

Die respiratorischen Ausscheidungen betragen Wasser 870, Kohlen¬ 
stoff 73. 

Auch hier habe ich zum Vergleiche die Werthe auf 24 Stunden um¬ 
gerechnet (s. die Tabelle dieser Seite). Absolut genommen ist das natürlich 
nicht berechtigt. Die Steigerung im Calorienumsatz nach Nahrungs¬ 
aufnahme bewirkt in den ersten 10 Stunden einen anderen, in der Norm 
gewiss höheren Umsatz, als im übrigen Antheil eines Tages Versuches. 
Ich sehe davon aber ganz ab da ich lediglich Vergleichszahlen mit den 
Nüchternwerthen erhalten wollte, um zu sehen, ob bei längeren Versuchs¬ 
perioden eine Steigerung nach geringer Nahrungsaufnahme überhaupt 
vorhanden ist; weisen doch die Versuche von Jaquet u. Svenson (17) 
und anderer Autoren darauf hin, dass einer Erhöhung nach Nahrungs¬ 
aufnahme beim Fettsüchtigen sogar ein tieferes Sinken unter das Niveau 
des Nüchternwerthes folgen kann. Das Wichtigste ist, ob sich 
diese Verhältnisse bei Betrachtung mehrerer Stunden im Sinne 
einer Niveauerhöhung oder Herabsetzung des Calorienumsatzes 
äussern. 

Meine an sich nicht berechtigte Umrechnung der 10 ersten Stunden 
nach Nahrungsaufnahme auf 24 Stunden bezweckt also nur auszudrücken, 
ob im Vergleich zum Ruhowerth in der Gesamratheit der ersten 10 Stunden 


Der Calorien-Umsatz. auf Kilogramm und Oberfläche bezogen 
bei Patientin P. 


No. des 
Versuchs 

Gewicht 

Ges.-Cal. 
Production 

^ Oberfläche 

Cal. pro kg 
24 Stunden 

Cal. pro qm 
24 Stunden 

Bemerkungen 


1 . 

1 ; 

96,2 ; 2174 i 2,58 

22,7 843 

Berechnet aus 



95,9 


8 Std. Hunger 



! 

i 

14—22 Std. 



i 


nach d. Essen 


11 . 

95,5 | 2206 | 2,58 

23,0 855 

do. 



94,7 ' 

1 



III. 

96,1 1 1770 I 2,58 

18,4, 686 

do. 

— 


95,2 




IV. 

96,0 2116 2,58 

22,0 , 821 

do. 

— 


94,9 


6 Tabletten 


V. 

96,0 2206 2,58 

23.0 i 855 

do. 

— 


94,9 . 


6 Tabletten 


VI. 

94,4,2000 2,55 

21,2 784 

do. 

— 


93 , 2 ; 


6 Tabletten 


VIII. 

92,1 1780 2,49 

19,3 715 

Berechnet aus 

Mahlzeit nach 24 stündig. Hunger 


90,5 


10 Std. unmit¬ 

eingenommen. 6 Tabletten, 60 




telbar nach 

Fett, 58 Eiweiss, 77,5 Kohle¬ 




einer Mahlzeit 

hydrate = 1256 Cal. 

IX. 

90,5 2091 2,48 

23,1 843 

do. 

Keine Tabletten, 50 Fett, 54 Ei¬ 


89,5 



weiss. 72 Kohlehydr. = 1011 Cal. 


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Original fro-rn 

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698 


G. v. Bergmann, 


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bei meiner Patientin eine Steigerung des Calorienumsatzes stattfindet. 
Auf diese Fragen geben die berechneten Zahlen unmittelbare Antwort. 
In der voraufgehenden Tabelle sind sie in der Art berechnet, wie beim 
Patienten M. Für den Stickstoff im Koth ist der Werth 2,0 willkürlich 
angenommen; die Stickstoffbilanz ist so berechnet, als wenn in den fol¬ 
genden 14 Stunden eine weitere Nahrung nicht gegeben wäre. Es werden 
dann negative Kohlenstoffbilanzen von 73 und 116 erhalten und negative 
Stickstoffbilanzen von 7,3 und 8,5. Die Fettcalorien, die vom Körper 
zuzuzählen sind, betragen 609 und 1091, die Eiweisscalorien 248 und 
289. Sie werden zur aufgenommenen Calorienmenge addirt, die Calorien 
für Harn und Koth kommen in Abzug und wir erhalten 1780 und 
2091 Calorien als Umsatz. Soviel man für diese Fälle gegen die 
erwähnte Berechnungsart ein wenden mag, es genügt schon, auf die 
Kohlenstoffmenge zu achten, die in der Respiration in den 10 Stunden 
ausgeschieden ist und ebenso auf die ausgeschiedene Stickstoffraenge, 
um den Schluss zu ziehen, dass die in 10 Stunden nach der Nahrungs¬ 
aufnahme vom Körper umgesetzten Calorien nicht gesteigert sind gegen¬ 
über den Hungerversuchen. Wir haben das später noch zu beleuchten. 
Ueber die Deutung eines Einflusses, oder richtiger des offenbar fehlenden 
Einflusses der Schilddrüsenraedication ebenfalls an späterer Stelle. Zum 
Schlüsse der zahlenmässigen Resultate noch eine Tabelle über den Ca- 
lorienumsatz auf Kilogramm und Oberfläche bezogen (s. S. 697 unten). 

Patientin L. 

An einer zweiten Patientin wurden die Hungerversuche von mir 
ebenfalls wiederholt; die Patientin blieb nur 4 Stunden im Respirations¬ 
apparat, und zwar die 20.—24. Stunde, bezüglich die 21.—25. Stunde 
nach einer calorienarmen Mahlzeit, die um die Mittagszeit des Vortages 
genossen war. Die Gontrole, dass in der Zwischenzeit wirklich nichts 
von ihr gegessen wurde, ist zuverlässig durchgeführt. Nur 2 dieser Ver¬ 
suche sind methodisch fehlerfrei. 

Anamnese und Befund. 

Die Patientin ist 25 Jahre alt, sie ist Blumenarbeiterin. Die ganze 
Familie soll etwas fettleibig sein, besonders die Verwandten mütter¬ 
licherseits. In den letzten Jahren hat Patientin ungefähr 60 Pfund an 
Körpergewicht zugenommen. Sie wiegt jetzt, d. h. bei der Aufnahme 
am 2. October 1907, 87 kg. Seit einigen Monaten Herzklopfen und 
Athemnoth bei musculären Leistungen, aber auch Nachts im Bett. Sie 
kommt in die Charite, um eine Entfettungscur durchzuraachen. 

Die Menses, die im 13. Lebensjahr begonnen haben, sind nie regel¬ 
mässig eingetreten, oft erst nach 8 und 13 Wochen; am Tage vor der 
Aufnahme nach 7 Monaten wieder zum ersten Mal die Menstruation. 
Die auffallenden Störungen der Menstruationen gerade in den letzten 
Jahren gleichzeitig mit der Körpergewichtszunahme um 30 kg lassen an 
einen Zusammenhang der Fettsucht mit den Generationsorganen denken. 
Patientin hat ein sehr reichlich entwickeltes Fettpolster, ist nicht an¬ 
ämisch; leichtes Oedem an den unteren Exlremitäten, keine Zeichen für 


Gck igle 


Original frorn 

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I>er Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 699 


einen organischen Klappenfehler. Puls 60, gut gefüllt. Im Urin nichts 
Besonderes. Sie macht bei ihrem ersten Charitöaufenthalte eine Angina 
durch, die aber nach wenigen Tagen ohne Residuen abklingt. Mitte 
Januar bis Anfang Februar 1908 wird sie nochmals auf der Klinik be¬ 
obachtet. 

Ermittlung der frei gewählten Kost 

Es ist nicht uninteressant, aus den täglich genossenen Nahrungs¬ 
mengen, die ich zum Theil nur ganz ungefähr auf ihren Nahrungsgehalt 
geschätzt habe, zu sehen, eine wie geringe Nahrungsmenge die Kranke 
verzehrte. Ich bemerke, dass durch lange Zeit, durch Wochen diese 
Nahrungsaufnahmen notirt sind; ich will aber hier nur einige Tage an¬ 
führen und dabei auf das Körpergewicht nicht allzu grossen Werth legen, 
ist ja auf die Tendenz zu leichten Oedemen im Status hingewiesen. Mir 
liegt mehr in Anbetracht des Eingangs Erörterten daran, recht nach¬ 
drücklich zu zeigen, wie diese Patientin, und das gleiche gilt von der 
eben besprochenen Kranken P., durch Wochen und Monate in einem 
Zustand der Unterernährung sich befunden hat, im Gegensatz zum 
Patienten M., der eine sehr viel reichlichere Calorienzufuhr ständig er¬ 
hielt, dort auf das Kilogramm Körpergewicht rd. 30 Calorien, hier etwa 
10—15 Calorien. 

Ich führe an: 21. 1. 07 Körpergewicht 83,5 kg, des Morgens 250 Thee ohne 
Milch und Zucker. Mittagbrot 1 ): 75 g Fleisch, 15 g Butter, 200 ccm Wasser, Abends 
250 g Kartoffeln, 100 g Hering, zusammen etwas mehr wie 500 Calorien. 

22. Januar. Frühstück 480 ccm Kaffee, 2. Frühstück 60 g Käse, 20 g Butter, 
140 g Schrippe, 480 g Milch. Mittagbrot: 300 g Gemüse, 120 g Fleisch, 200 g Suppe. 
Nachmittag: 480ccm Kaffee, Abends 480ccmThee, 400ccm Selters, etwa 1400Calorien. 

23. Januar. Gewicht 83,8 kg. Morgens: Thee 400 ccm. Mittags: 130 g Kar¬ 
toffeln, 100 g Fisch, 225 ccm Bouillonsuppe. Abends: 70 g Schrippe, 65 g Brot, dünn 
mit Butter bestrichen, 500 ccm Kaffee, rund 700 Calorien. 

24. Januar. Körpergewicht 83kg. 1. Frühstück: 500 ccm Kaffee, 70g Schrippe. 
2. Frühstück: 70 g Schrippe, 10 g Butter, 50 g Käse. Mittagbrot: 200 g Salzkartoffeln, 
100 g Kalbfleisch. Abendbrot: 70 g Schrippe, 60 g Brot, dünn mit Butter bestrichen. 
Ich rechne 1200 Calorien. 

25. Januar. Frühstück: 480 ccm Kaffee, 20 ccm Milch, 70 g Schrippe. Mittag¬ 
brot: 120 g Kartoffeln, 60 g Fleisch. Nachmittags: 500 g Kaffee, 20 g Milch, 70 g 
Schrippe, 10 g Butter. Abends: 300 ccm Thee, 250 ccm Selters, 70 g Brot, dünn mit 
Butter. Etwa 700 Calorien. Zum Schluss 83,7 kg (am 21. 83,7 kg). 

Ich könnte diese Liste noch sehr viel weiter aufführen. Im All¬ 
gemeinen ist wohl monatelang, bei von der Kranken frei gewählter Kost, 
nicht mehr gegessen worden. Da ihr gar kein Zwang auferlegt wurde 
und sie nur den einen, geradezu leidenschaftlichen Wunsch hatte, abzu¬ 
nehmen, ist an der Richtigkeit der Zahlen nicht zu zweifeln. Die 
Kranke ging ziemlich viel herum. Es ist nicht zu leugnen, dass zu Zeiten 
deutliche Gewichtsabnahmen bei dieser Kost erfolgten. So hat sie vom 

2. 10. bis 20. 11. von 91 bis 85 kg abgenommen und vom 16. 1. bis 

3. 2. von 87,2 bis auf 83,3 kg, beide Male in der Zwischenzeit aller¬ 
dings noch eine Angina durchgemacht mit Temperaturen bis über 39°. 

1) Nach 24ständigem Hungern. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



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700 (i. v. ßergman n, 

1. Versuche im grossen Respirationsapparat. 

Die Patientin wurde am 21. 1. von 11 Uhr Vormittags bis 3 Uhr 
Nachmittags untersucht, nachdem sie am 20. 1. um 2 Uhr die letzte 
Mahlzeit zu sich genommen hatte. Sie schied 29,6 g Kohlenstoff in 
dieser Zeit aus, d. h. 7,4 g pro Stunde, 177.6 g in 24 Stunden. 
Während der Zeit wurden 550 ccm Urin gelassen, darin 2,48 g Stickstoff 
und 1,90 g Kohlenstoff, d. h. 11,4 g Kohlenstoff in 24 Stunden im Harn 
und 14,88 g Stickstoff. Mit den Correcturen für Hungerkoth gerechnet 
wie bei der Pat. P., erhalte ich für 24 Stunden einen Calorienumsatz 
von 2195 Calorien und zwar Eiweisscalorien 393, sogenannte Fett- 
calorien 1802. Der nächste Versuch wurde ausgeführt am 31. 1. von 
2—6 Uhr Nachmittags, nachdem am 30. 1. um 6 Uhr Abends die 
letzte Mahlzeit genossen war. Kohlenstoff in 4 Stunden 25,92; pro Stunde 
6,48 g in 24 Stunden 155,5 g. — Urin 500 ccm, darin Stickstoff 2,36. 
Kohlenstoff 1,65, also in 24 Stunden 14,2 g Stickstoff und 9,9 g Kohlen¬ 
stoff. Das würde ergeben einen Calorienumsatz von 1900, darunter 
Eiweisscalorien 374, Fettcalorien 1526, berechnet auf 1 qm Ober¬ 
fläche erhalte ich im I. Versuch 930,5, im II. 805,4 Calorien. 

Es lässt sich nicht leugnen, dass 4 Stunden-Versuche im Voit- 
Pettenkofer’schen Respirationsapparate in Bezug auf ihre Kürze an 
der Grenze des Zulässigen stehen und dass die Fehler der Titration für 
die Kohiensäurebestiramung entsprechend grössere sind als in 8 oder 
gar 24 Stunden-Versuchen. Immerhin zeigt uns der Vergleich mit den 
Werthen bei der Pat. P., dass die Zahlen gewiss verwerthbar sind, wenn 
ich auch aus den Differenzen zwischen beiden Versuchen 1900 und 
2200 Calorien wegen der kurzen Versuchsdauer keine Schlüsse in irgend 
einer Richtung ziehen werde. 


4-8tunden-Versuch im Voit-Pcttcnkofer-Apparat. 


Bemerkungen 

Gesammt- 

davon 

Calorien 

Cal.-Umsatz 

Kiwciss-Cal. 

Fett-Cal. 

pro qm 

21—25 Hunger-Stunden . 

2195 

393 

1802 

930.5 

20—24 Hunger-Stunden . 

1900 

374 

1526 

805,4 


2 Versuche mit der Zuntz-Methode. 

Es lag mir endlich an Vergleichen meiner Ruhewerthe im Voit- 
Pettenkofer-Apparate mit den eigentlichen Ruhe-Nüchtern-Werthen im 
Sinne von Zuntz. Die Patientin liess sich auch nach ihrer Entlassung 
bestimmen, am Zuntz’schen Respirationsapparate einige Versuche an 
sich machen zu lassen. Sie ruhte sich erst etwa l / 2 Stunde auf einem 
Ruhebette aus und erst dann wurden die Versuche ausgeführt. Es sind 
nur wenige Versuche vorgenommen, die noch weiter ergänzt werden 
sollen. Ich möchte deshalb die vorhandenen an dieser Stelle nur mit 
einigem Vorbehalt geben. Die gute Uebereinstimmung unter einander 
berechtigt mich aber doch, sie hier zu bringen. Der eine Versuch 
vom 12. 4. 08 ist ein Ruhe-Nüchtern-Versuch, 22 Stunden vorher, am 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSfTY OF MICHIGAN 




Der StolT- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem 11 . bei Adipositas univers. 701 
Versuche mit dem Zuntz-Geppcrt’schcn Respirationsapparat. 



11. 4. 1908 

5 Stunden 
nach einer 

Mahlzeit 

12. 4. 1908 
22 Stunden 
nach einer 
Mahlzeit 

ccm Minuten Werth 0 2 . . 

211,8 ccm 

215,1 ccm 

ccm Minuten Werth C'Ö 2 

171,8 ccm 

154,9 ccm 

Resp.-Q. 

0,8 

0,72 

Stunden g Werth C0 2 . . 

20,62 g 

18,59 g 

pro 24 Stunden .... 

494 g 

464,0 g 

C in 24 Stunden .... 

135 g 

121,7 g 

Cal. per 24 Stunden . . . 

1461 Cal. 

1484 Cal. 

Cal. per Kilogramm . . . 

17,4 

17,7 

Cal. per Quadratmeter . . 

619,3 ! 

629,1 


(84 kg Gewicht, nach Meeh 2,36 qm Oberfläche.) 


Mittag des voraufgegangenen Tages, war eine eiweissreiche Mahlzeit, 
250 g Schabefleisch, verzehrt worden. Der Versuch dauerte 10 Minuten, 
die Minutenwerthe in Cubikcentimeter sind Sauerstoff 215,1, Kohleusäure 
154,9, der respiratorische Quotient 0,72. 

Der andere Versuch vom 11. 4 . 08 wurde 5 Stunden nach jener 
Mahlzeit durchgeführt, dauerte ebenfalls 10 Minuten. An Minutenwerthen 
finde ich Sauerstoff 211,8, Kohlensäure 171,8, respiratorischer Quotient 
0,81. 

Ich habe in der üblichen Weise diese Cubikcentiraeter-Minutenwerthe 
in Stunden-Gram-Werthe umgerechnet und weiter die ausgeschiedene 
C0 2 und damit auch den Kohlenstoff für 24 Stunden berechnet. Letzteres 
lediglich, um einen nur ganz groben Vergleich mit den Werthen der 
Voit-Pettenkofer-Versuche zu haben. 

Ferner findet sich in der beigegebenen Tabelle ausgerechnet der 
Calorienumsatz für 24 Stunden aus dem Sauerstoffverbrauch (0 2 -Minuten- 
Werth multiplicirt mit dem Factor 690). Die Zahl ist ausserdem noch 
auf das Kilogewicht und die Oberfläche bezogen worden. 

Es ist nicht daran zu denken, dass diese Art der Berechnung auch 
nur annähernd dem wahren Calorienumsatz entspricht. Die Zahlen be¬ 
zwecken nur das eine, zu zeigen, dass der Ruhe-Nüchtern-Werth ent¬ 
schieden erheblich niedriger liegt als die im Ruhe-Versuch bei Nüchtern¬ 
heit im grossen Respirationsapparate erhaltenen Werthe. Im Uebrigen 
kommt es mir im Wesentlichen auf die Versuche im grossen Apparat 
an, diese dagegen haben nur ganz untergeordnete Bedeutung. 

Wir sehen auch hier keine Steigerung nach Nahrungsaufnahme 
ähnlich wie bei der Patientin P. So wenig auf einen Einzelversuch zu 
geben sein mag, die Werthe beider Versuche (629 und 619 Calorien 
pro Quadratmeter) bezüglich die Sauerstoff-Cubikcentimeter-Minutenwerthe 
liegen so nahe bei einander, dass sie vielleicht doch in diesem Sinne 
gedeutet werden dürfen. 

Man vergleiche die Werthe mit der Tabelle, die Magnus-Levy (16) 
in Noorden’s Handbuch auf S. 280 giebt. Man wird sie pro Quadrat¬ 
meter Oberfläche tiefer finden, als die dort zusammengestellten. Es sei 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie b. Bd. 45 


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702 


G. v. Bergmann, 


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nochmals betont, dass die beiden Versuche nur einem Vergleich mit den 
4 und 8 Stunden-Versuchen dienen sollen, in welchem Sinne, wird die 
später folgende Discussion der Resultate .ergeben. 

C. 

Wie wir später sehen werden, genügt das bis hierher dar¬ 
gelegte Zahlenmaterial noch nicht, das Problem der constitu- 
tionellen Fettsucht einwandsfrei in bejahendem Sinne zu ent¬ 
scheiden. 

Ich habe deshalb einige Monate später in jüngster Zeit bei der 
Patientin L. und einer weiteren Kranken (W.) die Versuche von Neuem 
aufgenommen. Es schien mir denn doch der 24 ständige Gesammt- 
umsatz bei einer annähernd zureichenden Kost den verlässigsten Maass¬ 
stab abzugeben. 

Von der Kranken W. habe ich aus der Krankengeschichte zu be¬ 
richten : 

Sie ist 33 Jahre alt, die Frau eines Gürtlers. Die Mutter der 
Patientin ist recht corpulent, aber nicht in dem Maasse wie die Kranke 
selbst. Andere Anhaltspunkte in Bezug auf Heredität bietet ihre 
Familie nicht. 

Patientin will „schon immer“, seit frühester Kindheit auffallend 
dick gewesen sein. Allmählich ist es immer schlimmer geworden, bis 
vor l 1 ^ Jahren. Patientin führt schon seit langem eine sitzende Lebens¬ 
weise. Sie näht viel an der Nähmaschine. Sie hat sich stets wenig 
Bewegung im Freien gemacht. 

Schon seit Langem bevorzugt sie kaltes Essen bis auf den Kaffee, 
den sie in grossen Mengen heiss zu trinken gewohnt ist. Seit Januar 
1908 hat sie sich nach ihrer Angabe wie folgt ernährt: 

Morgens 2 Tassen Kaffee mit wenig Milch. Um 11 Uhr eine mit 
Butter bestrichene Schrippe mit Wurst. Um 2 Uhr eine Schrippe mit 
Butter und eine Tasse Kaffee, desgl. um 7 Uhr. Patientin will bei 
dieser Kost nicht abgenommen haben. 

Seit 1902 leidet sie beim Treppensteigen und schnellen Gehen an 
Athemnoth, im letzten Halbjahr ist dies besonders stark geworden, sie 
verspürt auch Herzklopfen. Ab und zu ein wenig geschwollene Füsse. 
der Patientin wird im Mai eine Schilddrüsencur verordnet, täglich 1 bis 
2 Tabletten. Trotz der gleichen oben geschilderten Diät nimmt das 
Körpergewicht vom 27. Mai bis 22. Juni von 94 auf 94,3 kg zu. Aus¬ 
setzen der Schilddrüsenmedication. 

Menstruation meist unregelmässig. Aus dem Status ist ausser dem 
hochgradig entwickelten Fettpolster nur hervorzuheben die recht leisen 
Herztöne an der Herzspitze, der erste Ton etwas dumpf, der zweite 
Pulmonalton leicht accentuirt, der Herzspitzenstoss nicht zu tasten, 
keine Oedeme. 

Die Versuche wurden ganz analog angestellt, wie bei dem Pa¬ 
tienten M., nur ist zu betonen, dass beide Patientinnen sich länger im 
Bett aufhiclt.cn und überhaupt wohl etwas ruhiger verhielten wie dieser. 


Gck igle 


Original fro-m 

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Der StolT- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 703 


Pat. „L.“ N-Ansgcheidnng im Harn. 


Datum 

Von — bis 

! 

1 Stundenzahl 

Urinmenge 

j N 

Auf 24 Stunden 
berechnet N 


Juli 


i 



' 


8.-9. 

8 bis 8 früh 

24 

1280 


9,53 

— 

9.-10. 


24 

1195 

— 

8,43 

— 

10.—13. 


3 X 24 

750 

— 

8,41 

— 




650 

— 






900 

— 



13.—14. 


24 

640 

— 

8,87 

— 

14—15. 

V 

24 

835 

— 

7,62 L. I. 

— 

15.-17. 


2 x 24 

2280 

- j 

10,23 

83 kg 

17.-18 


24 

1135 


11,57 L. II. 

— 

18.-19. 

V 

24 

1230 

— 

11,44 

— 

19.—20. 

V 

24 

1175 

— 

12,66 

— 

25.-28. 

8 früh bis 8 früh 

4 x 24 

_ 

42,28 

10,57 

— 

31.-1. 

8 bis 6,30 früh 

22 St. 30Min. 

1075 

8,82 

9,41 

— 

August 


l 





1—2 

6,30 bis 6,30 früh 

24 

1885 

— 

11,93 L. III. 

— 

2.-3. 

6,30 bis 10,40 

28 

865 : 

7,29 ! 

6,25 

82 kg 

3.-4. 

10,40 bis 10,40 

24 . 

1745 

- 1 

11,92 L IV. 

— 

4.-5. 

10,40 bis 8 früh 

21 St. 20Min. 

915 j 

7,79 

8,77 

— 

5.-6. 

8 bis 8 früh 

24 | 

985 | 

— 

8,99 

— 


Fat. „W.“ I. Periode. 

Nahrung, täglich annähernd: Milch 250 g, Kaffee 1000, Schrippen 150, Wurst 35, 
Butter 30. — Körpergewicht: 88,2—88,5 kg. 


Datum 

Urin gesammelt 
von — bis 

Stundenzahl 

Urinmenge 

a* 

Auf 24 Stunden 
berechnet 


Juli 

13.—15. 

8 a. m. bis 3,45 p. m. 

56 

I 

1325 

10,13 

4.34 


15.-16. 

3,45 p. m. bis 3,45 p.m. 

24 

735 ! — 

5,19 W. III. 

— 

16.-18. 

3,45 p. m. bis 8 a. m. 

40 St. 30Min. 

| 1205 i 

6,82 

4,08 

— 

18.—19. 

8 a. m. bis 8 a. m. 

24 

470 | - | 

4,13 

— 

19.-20. 

8 a. m. bis 8 a. m. 

24 

840 

4,77 

— 


II. Periode. 

Nahrung, täglich annähernd: Milch 250 g, Kaffee 1000, Schrippen 150, Wurst 65, 
Butter 60, Kalbfleisch 70, Gemüse 70. — Körpergewicht: 88,1—86 kg. 



1 

<v I 

sc 




Datum 

Urin gesammelt stundenzahl | 

o 

E i 

N 

Auf 24 Stunden 



von — bis 

c 


berechnet 



i : 

£ 




Juli 

24.-25. 

10 a. m. bis 10 a. m. 24 

1020 

i 

7,57 


25. -26. 

26. -27. 

10 a. m. bis 8 a. m. 22 1 

8 a. m. bis 8 a. m. 24 / * 

1615 

15,73 

8,21 

— 

28.-29. 

10 a. m. bis 10 a. m. 24 

600 | 

— 

7,31 W. IV. 

-- 

29.—30. 

10 a. m. bis 6,30a.m. , 20 St. 30Min. 

185 1 

7,24 

8,40 

— 

30.-31. 

6,30 a.m. bis 6,30 a.m. 24 

400 

— 

5,45 W. V 

— 


45* 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 






704 


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G. v. Bergmann, 


r L.“ Nahrungsbercchnung der Pat. *L. U (24 Std. Versuche). 



L. I 

L. II 

L. UI 

L. IV 

Milch. 

550 g 

900 g 

1000 g 

1280 g 

Schrippen. 

175 

175 

220 

225 

Wurst. 

40 

70 

70 

100 

Butter. 

50 

60 

60 

80 

Kalbfleisch. 

80 

70 

70 

70 

Kartoffelpüree. 

200 

168 

200 

200 

Nahrungspul ver (fett frei in Gramm) 

238,3 

284,0 

301,0 

371,2 

Asche.. 

5,3 

11,53 

7,2 

8.4 

N. 

10,54 

13,87 

13,10 

16,25 

c. 

99,20 

! 120,2 

136,58 

148,9 

Actherextract = Fett in Gramm 

90,4 

106.9 

' 118,1 

i 154,5 

C. 

65,9 

74.1 

1 78.9 

106,3 

Gesammt- C. 

165,1 

194,3 

215.4 

1 255,2 

Eiweiss (N . 6,25). 

65,9 

S 86,7 

! 81,9 

101,6 

Kohlehydrate (berechnet aus d. Differenz) 

167,1 

186,0 

i 212,0 

261,0 

Fett. 

90,4 

106,9 

118,1 

154,5 

Calorien aus Eiweiss. 

270,0 

355,4 

343,4 

416,3 

Calorien aus Kohlehydraten .... 

685,1 

762,6 

869,2 

1070,1 

Calorien aus Fett. 

S41,l 

994,2 

1098,3 

1437,2 

Summe der Calorien. 

1796,0 

2112,0 

! 2311,0 

2923,6 


n W.“ 


Nahrungsbercchnung der Pat. „W.“. 


Googl 



W. III 

1 

W. IV 

W. V 

Milch. 

i 

400 g 

250 g 

130 g 

Kaffee. 

1500 

1000 

500 

Schrippen. 

210 

145 

20 

Wurst. 

70 

65 

10 

Butter. 

80 

60 

15 

Kalbfleisch. 

— 

70 

— 

Schabefleisch. 

70 1 

— 

i 

Kohlrabi. 

— i 

70 

i “ 

Nah rungspul ver (fett frei in Gramm) 

231,5 

1 260,0 

1 23.3 

Asche. 

5,3 

' - 

1,18 

N. 

10,68 

11,57 

1,24 

C. 

96,38 

105,2 

14,0 

Aetherextraet; = Fett in Gramm . . 

128,62 

98,61 

25,62 

C. 

83,57 

71,29 

17,8 

Gesammt-C. 

179,95 

176,49 

31,8 

Eiweiss (N . 6,25). 

66,75 

72,31 

7,75 

Kohlehydrate (berechnet aus d. Differenz) 

159,45 

182,0 

14,4 

Fett. 

128,62 

98,61 

25,62 

Calorien aus Eiweiss. 

273,5 

296,5 

31,8 

Calorien aus Kohlehydraten. 

552,7 

746,2 

59,0 

Calorien aus Fett. 

J 196,2 

917,1 

238,3 

Summe der Calorien. 

2022,4 

1959,8 

3291 

le 

Original fro-m 

UINIVERSETY OF Ml< 




































Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 1 05 


Es dürfen aber die Versuche nicht aufgefasst werden als 
bei strenger Bettruhe angestellt, oder gar vergleichbar mit 
solchen Versuchen bei beabsichtigter Ausschaltung jeder 
Muskelbewegung, etwa im Sinne der Ruhe-Nüchtern-Versuche 
der Zuntz-Schule. 

Es gelang nicht in dem Maasse beide Kranken zu so gleichmässiger 
Nahrungsaufnahme zu bewegen, wie den Patienten M. Während an den 
Versuchstagen selbst mit Erfolg darauf gedrungen wurde, dass die 
Kranken auch wirklich das verzehrten, was ihnen zugewogen wurde, ge¬ 
schah es dazwischen, und gerade bisweilen an dem einem Respirations¬ 
versuche folgenden Tage, dass die Kranken nicht unwesentlich weniger 
verzehrten. Das ist meines Erachtens der Grund, dass die Stickstoff¬ 
mengen, z. B. am Tage nach dem Versuche „L. III tt oder „L. IV U 
wesentlich niedriger sind als am Versuchstage. Immerhin ist eines 
sicher, dass nicht stets Stickstoffgleichgewicht vor Beginn des Versuches 
erzielt war. Dass trotzdem dem der Kost entsprechende N in den Aus¬ 
scheidungen während der Versuchsdauer erscheint, muss zum Mindesten 
für die Versuche, die Morgens begannen, angenommen werden, zeigte doch 
gerade Stähelin jüngst wieder, dass die Stickstoffausscheidung schon 
nach 12 Stunden unter ähnlichen Bedingungen mit Sicherheit als vollendet 
angesehen werden kann. Auch für die Kohlenstoff-Bilanz bin ich be¬ 
rechtigt dies anzunehmen. Der Versuch „W. Ill u ist der einzige, der 
nicht des Morgens seinen Anfang genommen hat. Seine grosse Analogie 
mit dem Versuche „W. V u giebt mir meines Erachtens auch hier ein Recht, 
die Bilanzen aus dem 24 Stunden-Versuch zu ziehen, namentlich auch, 
weil die Stickstoffausscheidung vor und nach dem Versuchstage nicht höher, 
ja sogar niedriger ist. Sollte ich also für diese Versuche auch nicht in 
dem Maasse berechtigt sein, eine Aufstellung des gesamraten Calorien- 
umsatzes als den thatsächlichen Verhältnissen entsprechend anzusehen, 
wie bei dem Patienten M., so sind die Zahlen doch vollkommen ein¬ 
deutig genug das gerade zu demonstriren, worauf es mir ganz besonders 
ankomrat. 

Ich gebe zunächst das gesammte Zahlenmaterial wieder, und zwar 
zunächst die Harn- und Stickstoffausscheidungen für die Kranken „L. u 
und „W. u während und in den Zeiten um die Versuche. Siehe die 
Tabellen der Seite 703. Es folgt auf Seite 704 die Aufstellung der Nahrungs¬ 
mengen, wie sie an den Versuchstagen genossen wurden mit der Be¬ 
rechnung der Calorien. Ich habe mich nur auf die indirecte Calorien- 
berechnung mittels der Rubner’schen Standardzahlen eingelassen, zeigte 
mir doch das bis dahin gewonnene Zahlenmaterial, dass diese Be¬ 
rechnungsart genau so verwendbare Resultate giebt, als die directe Be¬ 
rechnung mit der Stohmann’schen Bombe in der Nahrung abzüglich 
der Bombenwerthe für Harn und Koth. Ebenso habe ich mit demselben 
Rechte wie Rubner die Kohlehydrate hier nur indirect bestimmt, aus 
der Differenz des fettfreien Pulvers einerseits und der Summe für Asche 
und dem aus dem Stickstoff berechneten Eiweiss (N X 6,25) andererseits. 

Was an Werthen noch fehlt, so vor Allem die Kohlenstoffzahlen, 
ist des weiteren in den nun folgenden Tabellen über die „Bilanzen 1 * zu 


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ersehen. Vom Koth wäre noch hier anzuführen, dass von der Patientin 
„W.“ zwei, von „L.“ eine Kothmischung mehrerer Tage bei annähernd 
gleicher Kost ausgewählt worden ist, und auf 24 Std. bezogen in die 
Bilanzen eingesetzt wurde. Ich lasse die Bilanzen der Versuche „W.“ 
und „L.“ folgen. Sie lassen am Besten die so verschiedenen Be¬ 
dingungen übersichtlich erkennen. 


24 ständige Bilanzen bei der Patientin L. 

L. I. Calorien der Einnahmen 1796. 


N der Einnahmen 

.... 10,54g 

C der Einnahmen 
Resp.-C 124,3 | 


165,0 g 

N im Harn 7,62 ) 
N im Koth 1,5 J 

| der Ausgaben 9,12 g 

Harn-C 5,6 > der Ausgaben 

Koth-C 8,0 1 

138,0 g 

Bilanz + 1,42 g N 


Bilanz + 27,0 g C 


[Berechneter Gesammt-Umsatz ca. 1460 Cal. 1 )] 



L. II. 

Calorien der Einnahmen 2112. 



N der Einnahmen 

.13,87 g 

C der Einnahmen 
Resp.-C 180,0 1 

. . . 

194,3 g 

N im Harn 11,57 \ 
N im Koth 1,5 / 

der Ausgaben 13,07 g 

Harn-C 5,88 > der Ausgaben 

KothC. 8,0 1 

193,9 g 

Bilanz -t 0,8 g N 


Bilanz 

-t- 0.4 g C 


[Berechneter Gesammt-Umsatz ca. 2100.] 



L. III. 

Calorien der Einnahmen 2310. 



N der Einnahmen 

.13,10 g 

C der Einnahmen 
Resp.-C 190,4 1 


215,0g 

N im Harn 11,931 
N im Koth 1,5 / 

der Ausgaben 13,43 g 

Harn-C 8,9 > der Ausgaben 

Koth-C 8.0 J 

207,3 g 


Bilanz — 0,33 g N 


Bilanz + 7,7 g C 


[Berechneter Gesammt-Umsatz ca. 2200.] 



L. IV. 

Calorien der Einnahmen 2924. 



N der Einnahmen 

.16,25 g 

C der Einnahmen 
Resp.-C 147,8 \ 


255,0 g 

N im Harn 11,921 
N im Koth 1,5 / 

der Ausgaben 13,42 g 

Harn-C 10,0 > der Ausgaben 
Koth-C 8,0 1 

165,8 g 


Bilanz -t 2,83 g N Bilanz -+- 90,0 g C 

[Berechneter Gesammt-Umsatz ca. 1800.] 


24 ständige Bilanzen bei der Patientin W. 


W. III. 


Calorien der Einnahmen 2025. 


N der Einnahmen .... 10,68 g 

51 im Kdth of } der Ausgaben 6,1g 


C der Einnahmen 
Resp.-C 137,1 \ 
Harn-C 4,0 > der 
Koth-C 7,2 J 


Bilanz 4 4,58 g N 

[Berechneter Gesammt-Umsatz 1780.] 


. . . . 180,0 g 

Ausgaben 158,3 g 
Bilanz 4- 21,7 g C 


W. IV. 


Calorien der Einnahmen 1960. 


N der Einnahmen.11,57 g 

IZlZlS) der Ausgaben 


C der Einnahmen 
Resp.-C 191,7 \ 
Harn-C 6,7 } der 
Koth-C 7,0 ) 


Bilanz -f 3,59 g N 

[Berechneter Gesammt-Umsatz 2340.] 


. . . . 176.5 g 

Ausgaben 205,4 g 
Bilanz — 28,9 g C 


1) Der Gesammtumsatz ist ganz nach dem beim Myxödem und den anderen 
Versuchen angewandten Principe berechnet. 


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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 707 


W. V. Calorien der Einnahmen 329. 

N der Einnahmen.1,24 g C der Einnahmen.31,8 g 

Resp.-C 188.2 j 

SXo 150 ' 4 « 

Bilanz — 4,48 gN Bilanz — 118,6 gC 

[Berechneter Gesammt-Umsatz 1760.] 


Betrachten wir zunächst die Resultate bei der Patientin „L.“, so 
finden wir in den Versuchen „L. II“ und „L. III“ ein relativ aus¬ 
reichendes Nahrungsgleichgewicht, wenigstens ist bei der hier getroffenen 
Versuchsanordnung ein Stickstoffgleichgewicht von -j- 0,8 und — 0,3 als 
vollständig ausreichend anzusehen. Auch eine Kohlenstoffbilanz von 
-f- 7,7 liegt wohl noch innerhalb der Fehler. Wir sehen also, dass die 
Patientin mit einer Calorienzufuhr von 2100 bis 2300 sich ins Gleich¬ 
gewicht gesetzt hat, ein Werth, der mit den bisher an der Patientin 
„L.“ ermittelten Werthen aufs Beste harmonirt. Dabei schied die Patientin 
in 24 Stunden 180 bis 190 g Kohlenstoff mit der Respiration aus. 

Dies geschieht bei einer Stickstoffzufuhr von rund 13—14 g. 

Im Versuche „L. IV“ waren die Einnahmen wesentlich höher, rund 
2900 Calorien und 16 g Stickstoff. Es ist daher das zu Erwartende, 
das sowohl Stickstoff, wie nicht stickstoffhaltige Substanzen im Körper 
zum Ansatz verwendet werden. Diese positive Stickstoffbilanz beträgt 
fast -(-3 g, die Kohlenstoff bilanz -|- 90 g. Rechnen wir diese Bilanzen 
in der früheren Weise aus, (auf die Ungenauigkeit bei einer Glykogen¬ 
aufspeicherung wurde ja oben schon hingewiesen), so sind doch in diesem 
Falle eigentlich mehr Calorien erspart, als dem Umsätze der Versuche 
„L. I“ und „L. III“ nach eigentlich zu erwarten war, und dieser 
stärkeren Einsparung entspricht denn auch die Kohlenstoffausscheidung 
von nur 147,8 g. Aber ich will auf diese Abweichung, die schliesslich 
noch immerhin in Berechnungsfehlern und mangelnden Gleichgewichts¬ 
verhältnissen ihre Erklärung finden könnte, weiter kein Gewicht legen. 
Als sehr merkwürdig und ganz aus dem Rahmen des bis jetzt 
hier Festgestellten fallend, ist der Versuch „L. I“ anzusehen. 
Auf ihn bitte ich zunächst die volle Aufmerksamkeit zu 
richten. Wir hatten für die Versuche „L. II“ und „L. UI“ soeben er¬ 
fahren, dass die Kranke bei Zufuhr von 2100—2300 Calorien sich im 
guten Gleichgewicht, nicht nur Stickstoffgleichgewicht, sondern in einem 
Gleichgewicht der Gesammtumsetzungen befunden hatte; dieselbe Kranke 
zeigt wenige Tage zuvor, dass sie mit weit geringeren Calorien- 
mengen auskommen kann, nur 1800 Calorien wurden gereicht 
und die Kranke befindet sich nicht nur nicht im Gleich¬ 
gewichte, sondern sie zeigt deutlich die Tendenz auch noch 
von dieser Nahrungsmenge zu ersparen. 

An der Tendenz zum Ersparen ist nicht zu zweifeln, bei nur 165 g 
Kohlenstoff der Einnahme behält sie im Versuch „L. I“ noch zurück, bei 
200 g Kohlenstoff der Einnahmen scheidet sie andere Male (Versuch II und 
III) ca. 185 g aus. 

Das Auffallendste von Allem ist hierbei die Menge des Kohlen- 


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708 G. v. Bergmann, 

stoffs in den respiratorischen Ausscheidungen. Sie betrug 124,3 g gegen¬ 
über 180 und 190 g der Versuche „L. lL a und „L. Ill u ! 

Wollte man ähnlich wie früher bei dem Patienten M. den wahren 
Umsatz aus diesen Zahlen bestimmen, so würde man nur rund 1500 Ca- 
lorien erhalten. Mag man gegen diese Berechnungsart auch dies und 
jenes geltend machen, die respiratorische C-Ausscheidung von nur 124,3 g 
iu 24 Stunden ist nicht zu bezweifeln. Vcrgleichswerthe aus der Lite¬ 
ratur werden uns später die Bedeutung dieser Zahl noch deutlicher machen. 

Bei alledem bleibt dieser Versuch „L. I u nur ein Versuch und es 
ist wichtig genug, dass die Versuche an der Kranken W. ihn in 
bester Weise ergänzen. 

Ich möchte mit dem Versuche „ W. V u beginnen. Aus einem Ge¬ 
fühl von Unbehagen im Unterleibe, dessen Ursache von den Gynäkologen 
durch alte Verwachsungen an den Genitalien aufgeklärt wurde, nahm 
die Kranke bei diesem Versuch V nur sehr geringe Nahrungsmengen zu 
sich. Ich berechne 330 Calorien mit 1,24 g Stickstoff und 31,8 g Kohlen¬ 
stoff. Der Werth des Versuches kommt also für die Bilanzaufstellung 
einem Hungerversuche sehr nahe. Es sind also auch die nega¬ 
tiven Bilanzen gross. Für Stickstoff —4,88, für Kohlenstoff — 118,0. 
Es würde sich daraus ein Calorienbedarf bezüglich ein 
Calorienumsatz von 1760 Calorien ergeben. Wichtig ist, dass die 
Menge des ausgeschiedenen Kohlenstoffs 138,2 g beträgt. 

Der Versuch „W. I1I U ist aufs Beste vergleichbar mit diesem Versuche 
„W. V u : Die 24 ständige Kohlenstoffausscheidung ist hier genau ebenso 
gross, 137,1 g. Eine Calorienzufuhr von rund 2000 giebt dem 
Körper Veranlassung Calorien zu ersparen, und zwar findet 
sich eine Retention an Stickstoff von 4,6 g, an Kohlenstoff 
von 1,7 g, man müsste den Gesammtcalorienumsatz mit 1780 Ca¬ 
lorien berechnen, also genau so hoch wie in Versuch „W. V u . 

Ueberblicken wir in Bezug auf die Stickstoffcurve den vorangehenden 
Tag und die dem Versuche „W. Ill u folgenden Tage, so finden wir 
durchgehends auffallend niedrige Stickstoffwerthe, Werthe von 4—5 g, 
obwohl am Versuchstage „W. lll u 10 g, an den übrigen Tagen jeden¬ 
falls doch mehr gereicht wurde, als dieser geringen Stickstoffausscheidung 
entspricht. 

Ich finde also eine Periode mit einer Tendenz zum Eiweissansatz 
und nach dem Versuche „W. 1II U zu schliessen, wohl ebenso zum An¬ 
satz der Nichteiweissstoffe, ganz dieselbe Tendenz zu geringem Umsätze 
sehen wir, wie gesagt, im Versuche „W. V u . Dieser Versuch steht nun 
am Ende einer II. Periode, in welcher die Stickstoffausscheidung ent¬ 
schieden eine höhere war, nach den Aufzeichnungen des Krankenblattes 
sind auch die Nahrungsmengen im Allgemeinen grössere gewesen, wie 
in der ersten Periode. Der Versuch ,,W. IV“, der während der Zeit 
grösserer Nahrungsaufnahme angestellt wurde, zeigt nun ebenfalls noch 
die Tendenz zur Stickstoffretention, während im Gegentheil die nicht- 
stickstoffhaltigen Substanzen vom Körper eher abgebaut worden sind. 
Jedenfalls zeigt die Kohlenstoffausscheidung in der Respiration einen 
wesentlich höheren Werth, den Werth von 192. Eine Kost von rund 


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t)er Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 709 


2300 Calorien würde hier den Bedarf wohl erst gedeckt haben. In 
„W. III a und „W. lV a sind fast gleiche Calorienmengen gereicht, für 
„W. III U ein deutlicher Ueberschuss, für „W. IV u dagegen durchaus 
nicht. Die Patientinnen W. und L. sind in ihrem Körpergewicht nicht 
so wesentlich verschieden, dass nicht auch sämmtliche der besprochenen 
Versuche unter einander vergleichbar wären. 

Fassen wir die Resultate noch einmal zusammen, so sehen 
wir an Tagen mit einer Kohlenstoffausscheidung in der Respiration von 
180 bis 192 g einen Bedarf von 2100 bis 2300 Calorien bei voll¬ 
kommenem Nahrungsgleichgewicht, oder ebenso bei der Tendenz zu 
Eiweissansatz und geringem Körperfettverlust. Es sind das die Ver¬ 
suche W. IV, L. II und L. III. In directem Gegensatz zu ihnen 
stehen die Versuche W. V, W. III und L. I. Allen dreien gemeinsam 
ist eine wesentlich geringere 24 stündige Respirations-Kohlenstoffaus¬ 
scheidung. Sie beträgt 123,3 bis 138,2 g. Unter ihnen ist ein Hunger¬ 
versuch, während die beiden anderen Versuche beide positive Bilanzen 
zeigen, d. h. der Körper hat .nicht etwa nur im Hunger seinen Bedarf 
auf ein Minimum reducirt, er hat mit einer Kost Ersparnisse ge¬ 
macht die zu Zeiten für ihn gerade nur Erhaltungsdiät, ja 
selbst Unterernährung bedeutet hatte. 

Es ist gar keine Frage, dass die Ergebnisse der Versuche L. II, 
L. III und W. IV sich ganz in den Rahmen des auch sonst geläufigen 
einpassen, während wir dagegen sehen werden, dass die Versuche L. I, 
W. III und W. V dazu im Widerspruch stehen. Mag man die Resultate 
sich deuten wie man will (ich kann nicht leugnen, dass mir ein Einfluss 
durch vorhergegangene Ernährungsbedingungen nicht als die einzige Er¬ 
klärungsmöglichkeit sich aufdrängt), eine periodische Verschiedenheit 
im Bedarf, die durch äussere Verhältnisse allein ihre Er¬ 
klärung nicht findet, scheint mir hier demonstrirt. Sie er¬ 
scheint mir ein wichtiger Befund im Zusammenhang mit all den Er¬ 
gebnissen auf die in der Einleitung nachdrücklich hingewiesen ist, auf 
die Ergebnisse von wechselndem Bedarf von R. 0. Neumann, auf den 
geringen Bedarf nicht nur beim Myxödem und verwandten Zuständen, 
auch bei lnanition, Kachexie, Reconvalescenz (F. Müller, Swenson, 
Magnus-Levy). Auf die Herabsetzung im acuten Hunger (Benedict) 
bei chronischer Unterernährung (Falta, Grote, Staehelin) u. s. w. 

Auf die Bedeutung der absoluten Höhe dieser Werthe muss ich im 
Folgenden eingehen, wenn es sich darum handelt, ob eine Herabsetzung 
bei der Fettsucht hiermit bewiesen ist. Hier nur dieses Rückverweisen 
auf die Einleitung, da ich auf die Frage des wechselnden Bedarfes zu 
verschiedenen Zeiten im Rahmen dieser Schrift, nicht weiter eingehen will. 

Allgemeine Discussion der Versuche an Fettsüchtigen. 

I. Discussion der Anamnese. 

Der Patient M. war seines Zeichens Brauer, hat als solcher stets 
5—6 Liter Bier am Tage getrunken, ausserdem noch reichlich feste 
Nahrung genossen. Also schon nach der Anamnese ein Mann, der ent¬ 
schieden, absolut genommen, zu viel Calorien zugeführt hat. Dazu sein 


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Phlegma, wie es ja zusammen mit der gutmüthigen Freundlichkeit das 
klassische Temperament der „fetten Leute“ ist. Schon in diesem 
Aeusserlichen erinnert er an den fettsüchtigen Knaben Rubner’s (2), 
von dem dieser z. B. anführt: „Es scheint sich um ein von Jugend auf 
etwas träges und ruhiges Kind gehandelt zu haben“, und „er war 
ferner, wie man annimmt, ein starker Esser“. So oberflächlich eine 
ärztliche Betrachtungsweise sein mag, die auf solche Schätzungen 
Schlüsse aufbaut, Individuen, wie mein Patient M. oder ähnliche 
würden nach ihrer ganzen Eigenart nicht so leicht den beobachtenden 
Arzt auf die Idee gebracht haben, in der Fettsucht constitutionelle 
Momente zu suchen, derart, wie sie Eingangs auseinandergesetzt wurden. 

Solche Fälle sind ja klinisch geradezu Typen für Mastfettsucht. 
Kommt noch dazu, dass wir für die letzten Monate nichts von einer 
rapiden Zunahme des Körpergewichts hören, dass also anscheinend die 
Tendenz zur Mast während der Zeitperiode, in der der Kranke unter¬ 
sucht wurde, fehlte. 

Einen Gegensatz hierzu bietet die. klinische Betrachtung der Pa¬ 
tientin L. ln der Ascendenz, bei den Verwandten mütterlicherseits, ist 
Fettsucht vorhanden. In den letzten Jahren hat die Fettsucht ganz 
besonders zugenommen, namentlich aber, obwohl die Kranke erfüllt 
ist vom intensiven Wunsche abzunehmen und ihre ohnehin nicht grosse Ess¬ 
lust nicht befriedigt, es gelingt ihr nicht oder kaum, wesentlich abzunehmen. 

Die Patientinnen P. und W. stehen in diesem Typus anschei¬ 
nend zwischen beiden Extremen, gehören jedoch schon anamnestisch 
eher zum Typus der Patientin L. 

Ich möchte mit diesem Hinweis auf das Allgemeine der Anamnese 
ja nicht missverstanden werden. Es ist unendlich oft betont worden, 
wie trügerisch solche ärztliche oder, beinahe richtiger gesagt, laienhafte 
Betrachtungsweise für die Lösung eines so schwerwiegenden Problems 
ist, wie wenig wir anfangen können mit Angaben, wie „viel“ oder 
„wenig“ essen, wie die Grösse beruflicher Muskelleistungen kaum zu 
schätzen ist, und vieles andere mehr. Ich meine, die lange Reihe von 
Zahlen, die ich mich beizubringen bemüht habe, beweist am besten, 
dass auch ich nur aus Zahlen deduciren will. Trotzdem sollte man nur 
unter den Fällen, die anamnestisch aussehen nach constitutioneller Fett¬ 
sucht, überhaupt die Hoffnung haben, einmal einen Kranken zu finden, 
bei dem die Störung, die hypothetisch angenommen wird, so mächtig 
sein könnte, dass der verlangte Beweis geführt werden kann. Noor¬ 
den (14) hat das klar und einfach betont und uns, wie wir sahen, auf 
solche klinisch besonders eklatanten Beispiele hingewiesen. Aber gerade 
in der Literatur derjenigen Fälle, die mit der Zuntz’schen oder auch 
anderer Methodik untersucht sind, begegnen uns nicht selten, solche 
Kranke, bei denen nach der Anamnese an constitutionelle Fettsucht von 
vornherein nicht zu denken ist. 

II. Discussion der klinischen Beurtheilung. 

Ein zweiter, noch wichtigerer Hinweis als die Anamnese ist gegeben 
in der Beachtung der Kost, die nach freier Wahl genommen wird; 


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Der Stoff- u Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 711 


sie sagt, genügend lange durchgeführt, in Verbindung mit Körper¬ 
gewichtsbestimmungen, entschieden sehr Wesentliches aus. Rubner 
betont es mit Nachdruck, und Auffallendes genug, ich verweise nur auf 
die Beobachtungen von Noorden (14), Salomon (15) u. Schwenke¬ 
becher (32), liegt in dieser Beziehung vor. Sehe ich meine Patienten 
von diesem Gesichtspunkt aus an, so ist zu sagen, der Patient M. 
wählte sich nach freier Wahl, trotz des Wunsches, abzunehmen, eine 
Kost, die auch mit Rücksicht auf das hohe Körpergewicht doch reich 
an Calorien erscheint, zumal wir das Gewicht an Fett nicht voll in 
Rechnung zu setzen berechtigt sind. Die Patientin L. mag ja energischer 
in ihrem Wunsche, entfettet zu werden, gewesen sein. Jedenfalls ist 
ihre freigewählte Kost, aus deren Bestimmung ich einige Tage angeführt 
habe, ungleich ärmer an Calorien. Beides passt zu den anamnestischen 
Angaben der Kranken, nach denen der eine ein starker, die andere ein 
sehr schwacher Esser gewesen ist. 

Bei allen Kranken handelt es sich um eine universelle Fettsucht; 
namentlich beim Manne ist die Fettablagerung am Bauche besonders 
hochgradig ausgesprochen. Ein gradezu monströser Grad von Adiposität 
besteht bei keinem, am wenigsten bei der Patientin L. Dass bei der 
Kranken P. eine Mitralinsufficienz, dass bei den anderen Kranken leichte 
Grade von Herzmuskelinsufficienz Vorgelegen haben, berücksichtige ich 
nicht. Weder auf die Körpergewichtsdifferenzen, noch auf Wasserreten¬ 
tionen, die bei der Wasserbilanz zum Ausdruck gekommen wären, ist 
ein wesentliches Gewicht bei den Stoffwechselbilanzen von mir gelegt 
worden. Um schwere Störungen des Circulationsapparates hat es sich 
bei keinem der drei gehandelt und die Oedeme der Patientin P. waren, 
wenn überhaupt nachweisbar, als leichteste Schwellungen am unteren 
Drittel des Unterschenkels vorhanden. 

Ich möchte, so selbstverständlich es sein mag, doch mit allem 
Nachdruck auf den Irrthum hinweisen, dass ein Theil der Forscher, die 
eine constitutionelle Fettsucht anzunehmen geneigt sind, glauben, sie am 
ehesten bei den monströsen Formen zu finden und bei den leichten 
Graden von Adiposität sie viel weniger suchen. Dafür liegt nun wirk¬ 
lich ein Grund nicht mehr vor, sobald man den Standpunkt naiver Be¬ 
trachtung verlassen hat, sobald es nicht mehr das Staunen vor den 
Fettmassen ist, was den Gedanken an die Herabsetzung der Verbrennung 
wachruft. Ja, es ist durchaus denkbar, bei Leuten mit ganz normal 
entwickeltem Panniculus adiposus, die höchstens aus Erfahrung wissen, 
dass sie zum Dickwerden neigen, eine constitutionelle Fettsucht zu de- 
monstriren. Während andererseits jedes Mastschwein oder jede gemästete 
Gans uns beweist, dass höchste, die Gesundheit vernichtende Grade von 
Fettsucht in tausenden von Fällen täglich experimentell erzeugt werden 
können, ohne dass besondere Anlagen vorhanden zu sein brauchen. (Es 
werden weibliche Schweine und ebenso Gänse im Allgemeinen nicht 
castrirt, ja Landwirthe sagten mir, dass castrirte Thiere durchaus nicht 
leichter zu mästen sind wie andere; es geschieht das mehr, weil der 
Geschmack des Fleisches durch die Castration eine Aenderung erfahren soll.) 

Auch meine Fälle zeigen, dass gerade der Fettleibigste unter den 


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drei Kranken für eine herabgesetzte Calorienproduction schon gar nicht 
in Frage kommt. Das Gleiche habe ich bei mehreren monströsen Fett¬ 
süchtigen, deren Nahrungsaufnahme durch längere Zeit approximativ be¬ 
stimmt wurde, festgestellt und sie gerade deshalb zu genauen Stoff¬ 
wechselversuchen gar nicht erst herangezogen. 

III. Discussion der Bilanzen. 

Die Versuche bei genau bestimmter Kost sollten nach Möglichkeit 
so eingerichtet sein, dass die Patienten sich im Stoffgleichgewicht be¬ 
fanden und nicht überernährt wurden. Weist ja Rubner mit Nach¬ 
druck darauf hin, dass über den Calorienumsatz nichts Zuverlässiges 
auszusagen ist, sobald eine Ueberernährung stattfindet. Die Ueber- 
ernährung führt ja nicht nur zum Ansatz, sie steigert beim Menschen 
den Calorienumsatz in einer Weise, die bei gemischter Kost schwer 
richtig zu beurtheilen ist (s. o.). 

Nun der Patient M. befindet sich z. B. in Versuch 1 in vollständig 
befriedigendem Gleichgewicht der zugeführten und umgesetzten Stoffe. 
Die Stickstoffbilanz in 24 Stunden beträgt weniger wie 0,7 g Stickstoff¬ 
verlust, die Kohlenstoffbilanz weniger wie 9,0 g Verlust. Zahlen, die 
wohl noch in die Fehlerbreite der Berechnungsart fallen dürften. Im 
Ganzen höchstens lOOCalorien Verlust bei einem Umsatz von 3500 Calorien! 

Wenn es auffällt, dass an Versuchen, die sich über Wochen hin¬ 
ziehen, der Patient so ungemein gut vergleichbare Zahlen in Bezug auf 
den Calorienverbrauch geliefert hat, obwohl die Versuche theils von 
8—8 Uhr oder auch von 1—1 und dazwischen durchgeführt wurden, so ist 
das verständlich, weil auch in den Zwischentagen fast stets, und nament¬ 
lich 3—4 Tage vor jedem Versuche, fast genau die gleichen Nahrungs¬ 
quantitäten zu genau denselben Tageszeiten verabfolgt wurden. Ein 
Beweis, dass sich durch solche Versuchsanordnung auch beim Menschen 
eine ideale Gleichmässigkeit im Ablauf der Verbrennungsprocesse er¬ 
zielen lässt. Wenn mitten in der Verdauungsperiode, z. B. des ersten 
Frühstückes, ein Versuch einsetzt, so schliesst er nach 24 Stunden 
offenbar in annähernd derselben Phase der Verdauung des nächsten 
ersten Frühstücks ab. 

In den späteren Versuchen (Versuch II—IX) sind die negativen 
Kohlenstoffbilanzen zwar grössere; sie betragen in 4 Versuchen unter 25, 
dann aber bis 185 g Kohlenstoff aus Körpersubstanz in 24 Stunden. 
Nun, die negative Bilanz thut einer Berechnung des Calorienumsatzes 
lange nicht den Eintrag, wie eine überreiche Zufuhr von Calorien. Auch 
beim stärksten Körperverlust wird doch noch beim Patienten „M. u die 
grössere Hälfte des Bedarfes durch Calorien der Nahrung gedeckt (Ver¬ 
such V). Im übrigen nähme ich nach Rubner den Unterschied der 
Wärmebildung zwischen absolutem Hunger und Nahrungsgleichgewicht 
mit etwa 8 pCt. Herabsetzung beim Hunger an, wäre das Resultat auch 
noch verwerthbar. 

Die Stickstoffbilanzen schwanken im Falle M. nach der positiven 
und der negativen Seite. In drei Versuchen ist die Stickstoffausfuhr 
und Stickstoffeinfuhr genügend vollständig im Gleichgewicht. Daneben 


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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 713 


linden wir aber zwei Stickstoffretentionen von 3,6 g (Versuch VII) und 
gar 5,5 g (Versuch IX), die als Zeichen von Ueberernährung zu deuten 
wären, ständen nicht deutlich negative Kohlenstoffbilanzen ihnen zur Seite. 

Wir können also mit Rücksicht auf Kohlenstoff- und Stickstoff¬ 
bilanz zusaramenfassend sagen, die Versuche sind nicht anzusehen als 
angestellt bei Nahrungsüberschuss. Mit der oben erwähnten Reserve 
dürfen wir also Schlüsse aufbauen aus dem von mir berechneten Ca- 
lorienumsatz. Dies gilt ähnlich von den zwei Versuchen an der Pat. P., 
die auch als Versuche mit Unterernährung oder höchstens im Nahrungsgleich¬ 
gewicht anzusehen sind. Genaueres ist darüber nicht auszusagen. Nahm 
doch die Patientin nach 24 stündigem Hunger eine Mahlzeit zu sich, 
deren Wirkung 10 Stunden lang beobachtet wurde. Für 24 Stunden 
hätte diese Nahrung Unterernährung bedeutet, für 10 Stunden genügt 
sie anscheinend als Erhaltungsdiät; exact lässt sich das bei dieser Form 
der Versuchsanordnung nicht ausdrücken. Es ist ja erwähnt, wie diese 
Umrechnung auf 24 Stunden nicht absolute Werthe, aber brauchbare 
Vergleichswerthe angeben will. Ueber die ganz besonders wichtigen 
24-Stunden-Versuche an L. und W. ist bereits oben das Nöthige aus¬ 
einandergesetzt (s. S. 706—709). 

IV. Discussion der Berechnungsart. 

In Bezug auf die Berechnungsart des Calorienumsatzes bin ich 
bemüht gewesen, mich ganz an die Berechnungsart von Rubner zu 
halten. Sie ist, so weit das anging, nach dem Beispiele ausgeführt, das 
mir die „ Beiträge zur Ernährung im Knabenalter mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Fettsucht 44 an die Hand gegeben haben 1 ). Ich lege Werth 
darauf, zu betonen, dass, was man auch gegen lingenauigkeiten der Be¬ 
rechnungsart Vorbringen möge, die Correcturen unwesentlich sind gegenüber, 
dem Wesentlichen meiner Resultate, ganz in demselben Maasse, wie das auf 
Rubner’s Resultate zutrifft. Dies gilt auch von einer Unzulänglichkeit 
der Berechnungsart, auf die ich besonders hinweisen will. Ich habe 
stets, auch bei den Hungerversuchen, die negative Kohlenstoffbilanz, 
so weit sie nicht auf den Abbau von Körpereiweiss zu beziehen ist, als 
Einschraelzung von Körperfett berechnet und unberücksichtigt gelassen, 
die Umsetzung von Glykogen, die ganz gewiss dabei eine recht wesent¬ 
liche Rolle spielt. Die Zahlen würden, namentlich bei den Hunger¬ 
versuchen, eine durchaus nicht kleine Aenderung erfahren, wenn die Ca- 
lorienberechnung das Glykogen berücksichtigen könnte. Der Fehler mag 
um so grösser sein, je grösser die negative Kohlenstoffbilanz ist. Es 
wäre also ein Theil des Kohlenstoffwerthes der negativen Bilanz nicht 
mit dem Factor 12,31 zu multipliciren, der aus dem Kohlenstoff die 
aus Fett gebildeten Calorien berechnet, sondern mit der Zahl 9,43. 
Damit fällt aber der Werth für den wahren Umsatz noch niedriger aus, 

1 ) So gut ich weiss, dass von anderer Seite diese Berechnungsart und die dabei 
üblichen Bezeichnungen bemängelt werden, es schien mir rathsam, mich klar und 
entschieden an eine Betrachtungsweise des Stoffwechsels zu halten, die bei meiner 
Methodik die gegebene war und die meiner Ueberzcugung nach consequent ist. mag 
im Einzelnen auch mancher Werth unsicher, selbst falsch sein. 


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als der von mir berechnete. Folglich ist für das Problem, zu dessen 
Lösung ich einen Beitrag liefern will, meine Berechnungsart nur un¬ 
günstig, was ich in den Tabellen als „wahren Calorienumsatz“ hinstelle, 
ist eher zu hoch und nicht zu tief. Um so beweisender, wenn ich einen 
niedrigen Calorienumsatz, z. B. beim Myxödem, finde. 

Endlich haben wir noch kurz zu streifen, welchen Einfluss die 
Lufttemperatur und die Luftfeuchtigkeit im Respirationsapparate auf die 
von mir erhaltenen Calorienwerthe ausgeübt haben könnten. Bei 
Steyrer (21) ist zu ersehen, dass die Werthe, namentlich für die Tem¬ 
peratur, durch die günstige Lage des Versuchszimmers kaum je mehr 
als 3° von einander abweichen, sie lagen allermeist zwischen 18 und 
21°. Auch ich kann an meinen Protokollen das bestätigen. Ich weise 
hier nur noch darauf hin, dass beim Menschen, der im Wesentlichen 
nach Rubner sich in den Breiten der physikalischen Regulation bewegt, 
der Einfluss von Temperatur und Luftfeuchtigkeit nicht so wesentlich 
für die Calorienproduction in Betracht kommen soll. Schon darum, weil 
die ihn umgebende Temperatur und Feuchtigkeit ja nicht diejenige des 
Kastens ist, sondern die zwischen Haut und Kleidung. Die Kranken 
lagen im Bett mit einem Hemd bekleidet, mit einem Laken und einer 
leichten wollenen Decke zugedeckt. Waren sie auf, so trugen sie die 
Charitetracht, bestehend aus einem leichten, baumwollenen, waschbaren 
Stoff, nie haben sie das Gefühl auch nur leichten Frierens oder die Em¬ 
pfindung lästiger Hitze gehabt, sie haben stets in den Grenzen der Be¬ 
haglichkeit sich befunden. 

Der Einfluss der Schilddrüsenverabreichung auf die Fettsucht. 

A. Discussion der Latenzperiode. 

. Bei dem Fall von Myxödem hatten wir gesehen, dass ein Einfluss 
der Schilddrüse vielleicht vorhanden war. Jedenfalls war in der vier¬ 
tägigen Periode, die sicher frei von jedem Schilddrüseneinfluss sein musste, 
die Calorienproduction am niedrigsten. 

In den Versuchen an der Patientin P. tritt w r eder im Hunger noch 
nach Nahrungsaufnahme eine wesentliche Veränderung in der Stickstoff¬ 
ausfuhr oder in der gesammten Calorienproduction ein. Dagegen sehen 
wir bei dem Kranken M. ungemein deutlich vom Versuch V an einen 
Einfluss der Schilddrüse im Sinne eines vermehrten Calorienumsatzes. 
Gegen 3400—3600 Calorien vorher, steigen die Werthe auf 5400 und 
wenn sie auch später sinken, das Niveau geht nicht mehr unter 
4200 herunter, selbst nachdem schon ein paar Tage die Schilddrüsen- 
Tabletten nicht mehr gereicht wurden. Es handelt sich also um eine 
Erhöhung von etw r a */ 4 bis l / 2 der ursprünglichen Werthe (25—50 pCt.). 

Die Versuche am Patienten M. scheinen mir in mehrfacher Hin¬ 
sicht sehr lehrreich. Sie zeigen deutlich, wie der Einfluss der Schild¬ 
drüse nicht sofort einsetzt, sondern in Bezug auf die gesammte Calorien¬ 
production vom 17. 2. bis mindestens nach dem 26. 2., also sicher 
über 10 Tage, auf sich warten lässt. Erwiesen ist von mir die erste 
Steigerung am 12. 3., also nach 25 Tagen. Die Mehrzahl der Autoren 
stimmt darin völlig überein, dass der Einfluss der Thyreoidea auf den 


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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 715 


Stoffwechsel erst nach längerer Verabreichung eintritt, nach 2—3 Wochen, 
um dann wiederum langsam abzunehmen. Der Fall M. ist ein eclatantes 
Beispiel mehr für diese Beobachtung. Er erklärt damit gleichzeitig, 
warum im Falle P. ein Einfluss nicht zu erkennen ist, bekam doch die 
Kranke immer nur am Versuchstage, und da etwa erst einen halben 
Tag vor Beginn des eigentlichen Versuches, das Mittel. Er war also 
von mir eine ganz ungeeignete Versuchsanordnung getroffen, deren 
negatives Ergebniss unsere Erfahrung über den Einfluss der Schilddrüse 
auf den Stoffumsatz bestätigt. Selbstverständlich besteht die andere 
Möglichkeit, dass die Patientin überhaupt nicht auf das Mittel reagirt 
hat, was ja häufig genug vorzukoraraen scheint. 

Bleiben wir bei der Beachtung des Falles M. stehen. Es ist 
interessant, dass der Organismus offenbar eine ganze Zeit braucht, bis 
er auf die Verabreichung von Schilddrüsensubstanz mit Erhöhung des 
Calorienumsatzes reagirt. Es verhält sich hier anders wie mit dem 
übrigen Einfluss nach Thyreoidea-Zufuhr, z. B. im Experiment nach 
intravenöser Injection. Da tritt der Vagus-, bezüglich Sympathicus- 
Einfluss, momentan hervor. Vielleicht wirft gerade dieses Verhalten ein 
Licht auf die Art der Wirkung der Thyreoidea-Medication und deutet 
an, dass Verschiebungen in der Regulation einige Zeit brauchen, um 
sich zu äussern als eine Erhöhung des Niveaus der Calorienproduction. 
Im Uebrigen möchte ich es hier vermeiden, Stellung zu nehmen zum 
Problem, ob die Erscheinungen in Verhältnissen der Wärmeregulation 
oder in anderer Weise ihre Erklärung finden können. 

B. Discussion der Erhöhung der Calorienproduction. 

Sehr wichtig bleibt eine zweite Feststellung, die aus den Tabellen 
mit Evidenz hervorgeht. Es geht in meinem Falle die Vermehrung der 
Calorienproduction nicht auf Kosten des Eiweisses, sie geht mindestens 
in gleichem Maasse auf Kosten der stickstofffreien Körpersubstanz, ja 
wenn die Nahrungsverhältnisse richtig getroffen sind, kann trotz der 
Steigerung des Calorienumsatzes Stickstoff sogar retinirt 
werden. In meinen Versuchen finden sich für diese Behauptung meiner 
Ansicht nach zwingende Beweise. Ich stelle das Wesentlichste aus den 
Tabellen, was hierfür in Betracht kommt, zusammen (s. Tabelle S. 716). 

Um nur eines herauszugreifen: Patient M. (Versuch II) setzt im 
Ganzen um 3633 Calorien und ist dabei im Gleichgewicht in Bezug auf 
die Stickstoffeinfuhr und -Ausfuhr, während er die nicht erhebliche 
negative Kohlenstoffbilanz von 20,5 g zeigt. Die Kost war also an¬ 
nähernd ausreichend. So verhielt er sich, ehe er Schilddrüse erhielt. 
In Versuch VIII und IX hat die Schilddrüsenzufuhr seinen Umsatz 
deutlich, sagen wir rund um 25 pCt. gesteigert, sic beträgt 4500 bis 
6400 Calorien, dazu hat der Kranke an Körpergewicht um rund 8 kg 
eingebüsst. Er bekommt nur etwas weniger Calorien in der Nahrung 
(Versuch VIII) und statt 20 g C aus Körpersubstanz abzugeben oder 
sogar wie im Versuch I noch weniger, hat er eine negative Kohlenstoff¬ 
bilanz von rund 108 g. Trotzdem wird die Stickstoffbilanz nicht un¬ 
günstiger, im Gegentheil, während er vorher im Stickstoffgleichgewicht 


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716 


G. v. Bergmann, 


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Bilanzen zur Uebersicht der Schilddrüsen wirk ung auf X-Umsatz 
und Calorienproduetion. Patient M. 


Laufende No. 


, X- 
| Bilanz i 

i 

! i 

C- 

Bilanz 

Calorien ! 
der Nahrung 

Eiweiss-Cal. 
des Körpers 

Fett-Cal. 
des Körpers 

Calorien- 

Umsatz 


I. 


- 0,68 

-8,9 

3367 

— 22,1 

— 82,5 

3472 


II. 

— 

+ 0,55 

— 20.5 

3377 

+ 18,7 

— 274,5 

3633 

— 

III. 

Tabl. 

— 2,2 

— 23,2 

3347 

— 74,5 

— 198,2 

3620 

— 

IV. 


— \\bb 

— 23,1 

3353 

— 52,7 

— 222,8 

3629 

Es beginut 
die Steigerung 
der Calorien- 
production*. 

V. 


— 1,9 

— 185,3 

3123 

- 64,6 

- 2205,9 

5394 

— 

VI. 

- 

+ 0,56 

— 53,7 

3968 

1 (Zulage *.) 

+ 19,0 

- 683,2 

4632 

— 

VII. 


+ 3,62 

— 73,9 

3271 

+ 123,1 

- 1053,7 

4202 

— 

VIII. 

r> 

+ 1,86 

— 107,6 

3262 

(Zulage:) 

+ 63,2 

- 1398,4 

4597 

— 

IX. 

7) 

+ 5,5 , 

— 23,6 

4179 

+ 187,0 

— 508,4 

4500 

— 

war, 

setzt er nun 2 

g Stickstoff an. 

Wir sehen also 

und 

die anderen 


Versuche der Tabelle sagen ira Wesentlichen ganz das Gleiche 
aus, dass trotz einer erheblichen Körpergewichtsabnahme die 
Stickstoffsubstanzen zu Zeiten vollkommen geschont werden 
können, ja, dass bis zu 3 g Stickstoff retinirt werden kann. Ja noch 
mehr, als ich dem Patienten eine Kohlehydratzulage verabfolgte, wirkte 
diese erstens in dem Sinne, dass das erhöhte Calorienbedürfniss nunmehr 
im selben Maasse von der Nahrung gedeckt wurde, wie vor der Epoche 
der Caloriensteigerung. Die negative Bilanz betrug nur noch 23,5 g, ähnlich 
wie in den Versuchen II—IV. Zweitens aber, die Zulage wirkte als 
Eiweissersparung; wir finden die höchste Retention von 5,5 g N, und 
die niedrigste Harnstickstoffzahl der ganzen 2 monatigen Beobachtungszeit. 

Damit ist gezeigt, dass eine Steigerung des Calorienum- 
satzes um 25—50 pCt. durch Schilddrüsenzufuhr herbeigeführt 
werden kann. Wird diese Steigerung durch Vermehrung stick¬ 
stofffreien Materials in der Nahrung gedeckt, so kommt es 
selbst unter Umständen zu erheblicher Stickstoffretention; 
wird sic nicht gedeckt, aber auch die Nahrungsmenge gegen 
die Vorzeit nicht eingeschränkt, so braucht in dieser Periode 
eine Stickstoff ein busse auch nicht cinzutreten. So gut ich 
weiss, dass die Individuen anscheinend sehr verschieden reagiren, 
angesichts dieser Erfahrung fragt es sich doch, ob es rathsam ist, wenn 
man Eiweisseinbusse vermeiden will, die Einschränkung des Kostmaasses 
mit der Thyreoidea-Zufuhr zu combiniren, wie es wohl regelmässig in 
der Praxis geschieht. Fürchtet man sich wenigstens so sehr vor dem 
Stickstoffverluste, so kann man, um diesen zu vermeiden, die Verab¬ 
folgung einer vorher zureichenden Kost mit Schilddrüsenzufuhr combi¬ 
niren und doch eine Einschmelzung von Fett erzielen. Uebrigens ist 
auch in anderen meiner Versuche, in denen eine Eiweisseinbusse des 
Körpers hervortritt, namentlich in Versuch V, der Verlust im Vergleich 


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Der Stoff- o. Energieumsatz beim infantilen Myxödem n. bei Adipositas univers. 717 


mit der Fetteinschmelzung ein recht geringer. Vielleicht liegt das daran, 
dass die gewählte Nahrung relativ eiweissreich gewesen ist. Es findet 
sich z. B. in Versuch V eine Einbusse an Calorien aus Körperfett von 
rund 2200, von Körpereiweiss an 220 Calorien, also nur der zehnte 
Theil der vom Körper herangezogenen Calorien liefernden Materialien 
war Eiweiss! Ob in der Vorperiode, ähnlich wie in Versuchen von 
Richter (33) und solchen von Scholz (34), eine Aufspeicherung stick¬ 
stoffhaltigen Materials stattgefunden hatte, bleibt dahingestellt. 

C. Discussion des N-Umsatzes. 

Das Verhalten des Stickstoffstoffwechsels weicht von der Mehrzahl 
der bisher bei Schilddrüsenroedication vorliegenden Beobachtungen ab. 
Es ist aber darauf hinzuweisen, dass die meisten Beobachtungen an 
Fettsüchtigen angestellt sind bei einer Kost, die erheblich unter dem 
ursprünglichen Nahrungsbedarf lag [nur ein Versuch Zinn’s (35) bildet 
eine Ausnahme), und dass trotz dieser Kost auch die anderen Autoren 
constatiren, dass die Stickstoffeinbusse beim Fetten eher geringer ist 
als beim Normalen. Magnus-Levy (16), der all’ diese Befunde in 
Noorden’s Handbuch kritisch zusammenstellt und dem ich hier im 
Hinblick auf die Literatur im Wesentlichen folge, sagt in diesem Sinne, dass 
die Fettleibigen, „ebenso wie gegen andere den Eiweissbestand schädigende 
Einflüsse, auch gegen die Wirkung der Schilddrüsenzufuhr verhältnissmässig 
besser geschützt sind, als Personen mit weniger reichlichen Reserven“. 

Immerhin bleibt eine ansehnliche Retention von Stickstoff 
trotz erhöhten Calorienumsatzes eine bisher bei Thyroidea- 
Einfluss kaum bekannte Thatsache. Die N-Retention ist allerdings 
auch bei mir um so stärker, je besser der erhöhte Calorien bedarf durch 
vermehrte Zufuhr in der Nahrung gedeckt ist, d. h. je weniger der 
Körper eigenes Material zusetzen muss. 

Zeigt sich denn nun an meinem Patienten garnichts von einer 
Steigerung des Stickstoffumsatzes nach Verabreichung von 
Thyreoidea-Tabletten? Es liegt bereits Material vor, das in dem 
Sinne spricht, als wenn Erhöhung des Gesammtumsatzes und Erhöhung 
des Stickstoffstoffwcchsels bis zu einem gewissen Grade unabhängig von 
einander ablaufen, selbst in dem Maasse unabhängig, dass in einem 
Falle Stickstoffsteigerungen eintreten, eine Vermehrung der gesaramten 
Calorienproduction aber überhaupt nicht beobachtet wird. Die Verab¬ 
reichung der Tabletten erfolgte schon vom 17. 2. an, also nach dem 
Versuche II. Während wir nun im Versuch I und II so gut wie völliges 
Stickstoffgleichgewicht sehen (eine negative Bilanz von 0,7, eine posi¬ 
tive von 0,6), sehen wir hinterher in den Versuchen III, IV und V 
negative Bilanzen von 1,6, 1,9 und 2,2. Auch die Stickstoffwertbe im 
Harn an den Tagen vom 17. 2. bis etwa zum 14. 3. 06, also gerade 
während der Zeit dieser Versuche, sind im Durchschnitt höher als zuvor. 
Daraus folgt, dass eine Steigerung des Stickstoffumsatzes durch die 
Schilddrüse wohl stattgefunden hat, dass es aber während dieser 
Epoche zunächst überhaupt nicht zu einer Vermehrung des gesammten 
Calorienumsatzes gekommen ist (Versuch III und IV). 

Zeitschrift f. exp. Pathologie n. Therapie. 5. Bd. ic 


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718 


G. v. Bergmann, 


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Im Versuch V ist noch eine geringe Steigerung der Stickstoffausfuhr 
vorhanden, dann im Versuch VI ist sie vollständig verschwunden, die 
Versuche VII, VIII und IX zeigen uns eine Stickstoffretention, während 
die gesammte Calorienproduetion jetzt gesteigert bleibt. Würde man 
dieses graphisch ausdrücken, so stiege die Curve der Stickstoff¬ 
ausfuhr fast unmittelbar nach Verfütterung der Tabletten an, 
und sänke gerade zu der Zeit, wo ziemlich steil die Curve der 
Calorienproduetion sich erhöbe. Diese steigt nunmehr an, 
während die Stickstoffcurve sinkt, selbst unter das Niveau 
der normalen Ansscheidung (als Zeichen von N-Retention). Ich 
habe mich so lange bei diesen Verhältnissen aufgehalten, weil die, sit 
venia verbo, Dissociation beider Curven in meinem Falle lehrreich 
scheint und vielleicht verstehen lässt die Verhältnisse bei Schilddrüsen¬ 
zufuhr überhaupt. Meist, so scheint es nach der Literatur, schneiden 
sich die Curven nicht so steil wie in meinen Versuchen, sondern laufen 
eine Zeit in gleichem Sinne neben einander, das ist offenbar die Zeit, 
in der am häufigsten der Stoffumsatz untersucht worden ist. Diese 
theoretische Anschauungsweise mag dazu dienen, meine Resultate nicht 
als Gegensatz, sondern als Erweiterung der bisher vorliegenden anzu¬ 
sehen, und bei der Deutung die eiweiss-toxische von der den Calorien- 
umsatz steigernden Componente bei einer therapeutischen Ueberlegung zu 
trennen, es wird dann, je nach dem Grade der Fettsucht, je nach Art 
und Zusammensetzung der Kost, je nach Art und Dosirung der Medi- 
cation, endlich je nach der individuellen Eigenart des Patienten einmal 
die toxische, ein ander Mal die den Umsatz steigernde Componente in 
den Vordergrund treten. Mein Fall gehört zu denen, die jedenfalls in 
hohem Maasse geeignet waren für die Entfettungstherapie mit Schild¬ 
drüsensubstanz: Die Tendenz zu Stickstoff Verlusten war gering, die 
Tendenz zu erhöhtem Umsatz gut. Für meine Auffassung finden sich 
jedenfalls genügend Belege in der Literatur, obwohl nirgends diese Deutung 
so nahe gelegt wird, wie durch meine Resultate. Es ist übrigens die 
momentane Erhöhung der Stickstoffausfuhr oft so deutlich, dass geradezu 
eine Ausschwemmung von Extractivstoffen als Erklärung angenommen 
worden ist. Sollte andererseits in meinem Falle der voraufgehende Stick- 
stoffverlust als solcher nicht den Anlass dazu geben, dass der Körper 
hinterher geradezu die Tendenz hat, Stickstoff zu retiniren, analog etwa 
den Stickstoffretentionen bei einem Typhusreconvalescenten oder ähn¬ 
lichem ? 


D. Discussion therapeutischer Folgerungen. 

Als praktische Regel, wenn ich, natürlich mit der nöthigen Reserve, 
verallgemeinern darf, folgt, dass man nicht aus Angst vor Stickstoff¬ 
verlusten bei einer Schilddrüsencur mit Eiweiss überfüttern soll, dadurch 
bewirkt man („specifisch dynamische Wirkung“) eine Erhöhung des 
Calorienumsatzes, die geradezu auch Stickstoffverluste herbeiführen kann. 
Meine Versuche zeigen, dass auch während der Schilddrüscnwirkung eine 
Kohlehydratzulage eiweisssparend wirkt (so auch Versuch VI). Es 
ist Aufgabe einer rationell gewählten Mischung der Kost, die 


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Der Stoff* u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 719 


Stickstoffverluste ganz erheblich einzudämmen. Mag es nicht 
immer gelingen; dass es gelingen kann, habe ich gezeigt. Es leistet 
die Schilddrüsenzufuhr in meinem Falle das Gleiche, als wenn ich die 
Kost um 25—50pCt. eingeschränkt hätte, für welchen Fall Noorden 
mit Dapper (36) ja ebenfalls gezeigt hat, dass Stickstoffverluste sich 
fast ganz verhindern lassen. Ich betone, dass ich an dieser Stelle voll¬ 
kommen absehe von anderen directen oder indirecten toxischen Einflüssen, 
namentlich auf nervösem Gebiet, die die Schilddrüse bei der Verab¬ 
reichung sicherlich oft genug hat und die manchmal eine Contraindication 
darstellen, bei meinen Kranken spielten sie eine wesentliche Rolle nicht, 
und bei vorsichtiger, lange fortgesetzter Anwendung, glaube ich, wird in 
sehr vielen Fällen eine Contraindication in solchem Sinne kaum gegeben sein. 

Es kann nicht genug betont werden, dass eine Steigerung des 
Gesammtcalorienumsatzes vorkommt, ohne dass das Eiweiss 
wesentlich, d. h. specifisch, geschädigt zu werden braucht. Auch für 
das Fieber und den Morbus Basedowii und Aehnliches hat es lange 
genug gebraucht, bis diese Auffassung sich Bahn gebrochen hat. Hat 
doch das Interesse des internen Klinikers lange Zeit Befriedigung ge¬ 
funden im Verfolgen des Stickstoffumsatzes mittels der Kjeldahl- 
Bestimmung, da dem Kliniker das Studium des Umsatzes der stickstoff¬ 
freien Materialien methodisch verschlossen blieb. Der toxogene Eiweiss¬ 
zerfall wird in seinen rechten Grenzen stets grösste Bedeutung haben, 
aber manche Stoffe, die früher als Eiweissgifte galten, scheinen „Agentien“ 
zu sein, die als „Reaction“ eine Erhöhung des Gesammtumsatzes bedingen; 
dieser wird befriedigt je nach secundären Umständen, das eine Mal 
mehr durch Einschmelzung stickstoffhaltigen Materiales, das andere Mal 
durch Heranziehung der Fette und Kohlehydrate. Klarer als die Betrach¬ 
tung des respiratorischen Quotienten in den Versuchen nach der Methode 
von Zuntz, giebt uns die gesammte Kohlenstoffbilanz darüber Auf¬ 
schluss. Die Bestimmung der C0 2 in der Athmung zusammen 
mit dem Kohlenstoff in Harn und Koth klärt uns darüber 
besser auf als Schlüsse, die auf den respiratorischen Quo¬ 
tienten aufgebaut werden. Dafür hoffe ieh einen Beitrag im Sinne 
der Arbeiten Rubner’s erbracht zu haben. 

Die Maasseinheit für den Calorienumsatz. 

Betrachten wir nunmehr endlich die Grösse des Umsatzes bei 
unseren Fettsüchtigen. Das ist es ja, was in letzter Linie die Antwort 
geben muss auf die Kernfrage der Lehre einer constitutioneilen Fettsucht. 

Das Problem einer Herabsetzung des Umsatzes bietet für die Fett¬ 
sucht in seiner Lösung deshalb meist grössere Schwierigkeiten, als etwa 
für das Myxödem und Zustände von chronischer Unterernährung, weil man 
sich gerade hier über die Einheit am wenigsten einig ist, auf die der 
Calorienumsatz bezogen werden könnte. Die Beziehung auf eine Maass¬ 
einheit scheint aber die Voraussetzung eines möglichen Vergleiches. Der 
Vergleich zwischen 1 kg eines Normalen und eines Fettsüchtigen ist 
unsinnig, das ist längst bekannt, und ohne Weiteres einleuchtend, wenn 
man z. B. an die wechselnde Zusammensetzung eines Kilogramms Mensch 

46* 


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G. v. Bergmann, 


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in Bezug auf die Menge an Eiweissgewebe und den relativ todten Ballast 
des Fettgewebes denkt. Daraus ging wie von selbst der Wunsch hervor, 
wirklich auf 1 kg lebender Substanz mit Ausschluss des Fettballastes 
die Vergleiche zu beziehen. Rechnerisch sind solche Versuche zwar 
ausgefiihrt worden, aber ganz abgesehen von der höchst ungenauen 
Schätzung ist es kaum das Richtige, sich vorzustellen, dass die Grösse 
des Calorienumsatzes abhängt von der Menge der sogenannten lebenden 
Substanz. „Nicht die Organmasse bedingt den Energieumsatz“, ebenso¬ 
wenig wie etwa die Grösse der Nahrungszufuhr. Mögen beide Dinge 
ihren Einfluss üben als Factoren, die auch in Betracht kommen, seit 
Rubner’s Arbeiten könnte sich jeder überzeugen lassen, dass die lebende 
Organmasse den verschiedensten Kraftumsatz in der Zeiteinheit zu leisten 
im Stande ist, je nach den Anforderungen, die an sie gestellt werden. 
Was an Anforderungen in der Ruhe an sie herantritt, das ist im We¬ 
sentlichen proportional der Körperoberfläche, und selbst dort, wo durch 
complicirtere, z. B. culturelle Anpassung dieser Zusammenhang kein un¬ 
mittelbarer mehr ist, gilt das Oberflächengesetz Rubner’s. Mit 
exacter Methodik, zunächst bewiesen für ausgewachsene Hunde verschie¬ 
denster Grösse, fand es seine Bestätigung an Menschen aller Altersstufen. 
Für mich aber ist es von ganz besonderer Wichtigkeit, dass Rubner 
gerade auch für den Vergleich der Fettleibigen mit den Nor¬ 
malen es bewiesen hat, dass der Umsatz nach der Oberfläche 
und nicht etwa nach dem Körpergewicht abzüglich des Fett¬ 
ballastes sich richtet, man vergleiche die eingehende und überzeu¬ 
gende Deduction in den „Beitr. z. Ernähr, im Knabenalter“ u. s. w. 
S. 44 u. ff. Ich habe deshalb als vernünftigsten Maassstab für die Be- 
urtheilung des Stoffumsatzes des myxödematösen Kindes nur diesen ernst¬ 
haft verwerthet. Es ist merkwürdig, dass in der Pädiatrie noch immer 
fast ausschliesslich mit dem Kilogramm als Maass für das Calorien- 
bedürfniss gerechnet wird. 

Die Bestimmung der Oberfläche bietet methodisch freilich 
speciell für die Fettsucht gewisse Schwierigkeiten. Die neuere Zeit 
hat aber Mittel und Wege an die Hand gegeben, die Oberflächen¬ 
bestimmung am Menschen befriedigender zu lösen als bisher, ich bedaure, 
nur theilweise diesen Errungenschaften gefolgt zu sein, liegt doch ein 
grosser Theil meiner Versuche länger als 2 Jahre zurück. 

Die Bestimmung der Oberfläche nach der bisher üblichen Formel 
Meeh’s (37) hat den einen unleugbaren Vortheil, dass alle Angaben der 
Literatur, sofern nur das Gewicht der Versuchsindividuen bekannt ist, 
sich noch nachträglich auf die Flächeneinheit umrechnen lassen. Auch 
ich musste in den Tabellen noch vorwiegend nach dieser Formel rechnen. 
Als Constante für den Menschen gilt die Zahl 12,3. Sie ist zu multi- 

3 

2 

pliciren mit der V Körp.-Gew. Ucbrigens schreibt man diese Formel 

3 

weit vernünftiger K.V P 2 (wobei K = Constante, P = Gewicht) oder 

2 

K. P 3 . Die Formel ist recht ungenau; bei hohen Graden von 


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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 721 


Mästung giebt sie besonders grosse Fehler. Magnus-Levy meint, sie 
wiche um 8 pCt. nach oben und unten vom Mittelwerthe ab. Ich citire 
nach Bouchard, der wohl am eingehendsten von allen Autoren diese 
Dinge bearbeitet hat, dass er z. B. bei einer anscheinend normalen Frau 
13 pCt. Unterschied zwischen dem Werth der Formel Meeh’s und der 
unmittelbaren Berechnung findet, bei einem hochgradig Fettsüchtigen 
selbst 36 pCt. Fehler!! In meinen zwei mit beiden Methoden berech¬ 
neten Fällen finde ich Fehler wenig über + 10 pCt., für nicht zu hohe 
Mästungsgrade dürfte der Fehler auch kaum grösser sein. Man vergesse 
nicht, dass bei so grossen Fehlern der Me etlichen Formel die Resultate 
schon erhebliche Abweichungen zeigen müssen, wenn sie etwas beweisen 
sollen, oder dass schon ganz ansehnliche Verschiedenheiten durch die 
Ungenauigkeit der Berechnung verborgen bleiben können. 

Bouchard (38) hat mit scharfsinniger Ueberlegung durch eine Reihe 
von Correcturen für Mast, Körperlänge und Aehnliches, die rein empi¬ 
risch in mühseligen unendlich vielen Messungen gewonnen sind, die Ober¬ 
flächenberechnung ganz wesentlich verbessert. Wenn Bouchard einerseits 
nach Berücksichtigung aller Correcturen die Oberfläche berechnete und 
sie verglich mit der directen, über 2 Stunden Zeit erfordernden Messung 
der Individuen, so fand er eine für diese Zwecke ausgezeichnete Ueber- 
einstimmung beider Werthe. Kann ja die Grösse der Oberfläche doch 
niemals beim Menschen ganz ideal in Rechnung gezogen werden, es 
spielt die Oberfläche der Kleidung eigentlich dabei eine Rolle, es macht 
ferner einen Unterschied, ob die Arme dem Rumpfe anliegen, ob die 
Beine gespreizt sind oder nicht und Aehnliches. Ich habe leider nur 
bei den beiden zuletzt von mir untersuchten Patientinnen nach 
Bouchard’s Formel rechnen können, weil mir vorher die ausführliche 
Publication im Traite de Pathologie Generale, Tome III, nicht in die Hand 
gekommen war; erst aus diesem ersah ich, dass das Maass, welches 
Bouchard als „tour de taille tt bezeichnet, nicht das ist, was man als 
Taillenurafang anzunehmen gewohnt ist; vielmehr ausgedrückt wird durch 
die Länge eines Maassbandes, das in schiefer Ebene am Menschen von 
hinten unten nach vorn oben verläuft. Hinten angelegt an der concavsten 
Stelle des Lendenprofils, muss das Band flach der Körperoberfläche an¬ 
liegen, dann kommt es vorne bei mageren Individuen dicht über dem 
Nabel zusammen, während es bei starkem Abdomen immer mehr zum 
Epigastrium heraufrückt, lediglich wenn man darauf achtet, dass das 
Band möglichst in ganzer Fläche dem Körper anliegt. Es ist das ein 
Maass, welches, in mittlerer Respirationsstellung bestimmt, in der That 
geschickt den Mästungszustand mit zum Ausdruck bringt, der zudem 
durch einen empirischen Factor noch weiter in Berechnung gestellt wird. 
Eine gewisse Unsicherheit haftet freilich der Bestimmung dieses Maasses 
(C) an, doch machen Abweichungen um 2—3 cm für das Gesammt- 
resultat wenig aus. Dieser Excurs scheint mir wichtig, weil die deutsche 
Literatur, mit einer Ausnahme, über die eben so geistvolle wie unendlich 
mühselige Berechnungsart Bouchard’s hinweggeht, die jetzt, nachdem 
seine Tabellen ausführlich veröffentlicht sind, spielend einfach für jeden 
Einzelfall auszuführen ist. Sie muss fundamental werden, als Maass 


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722 


G. v. Bergmann, 


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aller energetischen Vergleiche des Umsatzes. Rubner allein, soweit 
ich sehe, benutzt eine Formel Bouchard’s, obwohl ich nicht ermitteln 
konnte, wo Bouchard diese Formel angiebt und ob der Taillenumfang, 
wie eben beschrieben, von ihm genommen ist, bezüglich, ob nicht eine 
ältere Berechnungsformel Bouchard’s von Rubner verwendet wurde, 
für die das gewöhnliche Taillenmaass gelten mag. 

In Zukunft ist eine Berechnung nach B.’s Formel stets vorzuziehen, 
immerhin bleibt Meeh’s Formel noch brauchbarer als etwa die Be¬ 
ziehung auf das Kilogramm Körpergewicht. Die Art der Berechnung 
folgt hier. 

Berechnung nach Bouchard’s Formel: 

Patientin „L.“ 

Gewicht (Poids).84 kg = P 

Länge (Taille).16,8 dem = H 

„Tour de Taille“.9,0 dem = C 

(nicht zu verwechseln mit Taillen-Umfang!) 

p 

Segment r6el.5,15 = — 

p 

Für den Werth £. =5,15 findet sich in Bouchard’s Tabelle die empirische 
n 

Formel: 

49 t;i 

0,431 ‘ C + 4,28 + =± 

Auf die ganze Höhe bezogen (' 16,8) mit Einsetzung der Werthe für C: 

[o,431 • 9,0 + 4,28 + ^] • 16,3 = 2,10qm. 

(Nach Meeh 2,86 qm [über 12 pCt. Abweichung].) 

Für das Gewicht 82 kg = P (Versuch „L. III“ und „L. IV“) und sonst gleiche 

p 

Maasse (H u. C) ist - = 5,03; dafür giebt die Tabelle: 

[o,433 • C -f 4,23 + — ( ] H = 2,08 qm 
(ich habe deshalb für „L.“ als Oberfläche stets mit dem Werth 2,10 gerechnet.) 


Pat. „W.“ 

*P“ = 88 bis 86 (kg) *H“ = 15,2 (dem) „C“ = 11,0 (dem) 

[S = 86 k e ] ¥ 5 ’ 75 ¥ 5 ' 62 

,425 • C + 4,48 + ] . H = 2,66 qm für 88 kg, 

für 5,62: [o,426 - 0 + 4,44-1- ^—] • H = 2,26 qm für 86 kg. 

Nach Meeh: statt 2,66 — 2,48 qm (ca. + 10 pCt.), 

„ 2,26 — 2,40 qm (ca. — 10 pCt). 

[Ich habe als Oberflächenwerth 2,66 gewählt, für die Versuche W. III u. W. IV 
ist er ohne Weiteres zutreffend, die rapide Abnahme um den Versuch W. V herum, 
lässt die gleiche Oberfl. richtiger erscheinen, da die Höhe des Umsatzes für W. III u. 
W. V absolut gleich ist.] 


für 5,75: 0 


Die Grösse der Calorienprodnction bei den Fettsüchtigen in Beziehung 

zur Oberfläche. 

I. Der Patient „M u . 

ich setzte aus den früheren Tabellen, s. S. 689 Tab. VII, die Werthe 
für den Caloricnumsatz, bezogen aui die Oberfläche, nach Meeh, hierher. 


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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 723 


Versuch I . . . . 1276 

„ II ... . 1340 

„ III ... . 1344 

„ IV ... . 1352 

Die Werthe liegen nahe genug beisammen, um als Mittelwerth bei 
Berücksichtigung der Versuche II, III und IV die Zahl 1345 aufzustellen. 
Vergleichen wir sie mit dem Werthe, den Rubner für die beiden Knaben 
ermittelt hat. Der Vergleich ist sehr wohl zulässig, da für die Aufgabe 
des Wachsthums das Plus des 24 ständigen Verbrauchs rechnerisch ganz 
vernachlässigt werden kann, da ferner Rubner ausführlich gezeigt hat, 
dass eine specifische Aenderung des Stoffurasatzes, wie Sonden und 
Tigerstedt (40) ihn vermuthet hatten, für die Jugend nicht vorhanden ist. 

Rubner findet beim mageren Knaben für 1 qm Oberfläche im 
Stoffgleichgewicht 1290 Cal., für den fetten Knaben 1321 Cal.; meine 
Werthe für den Patienten M. liegen zwischen 1270 and 1352. Die 
Werthe stimmen also ganz ausgezeichnet überein. 

Dieselben Schlüsse, welche Rubner für den einen fettsüchtigen 
Knaben zieht, sind also ganz in derselben Weise auch für meinen Pa¬ 
tienten M. gültig, auch für ihn gilt es, dass die Calorienproduction 
keinesfalls gegenüber der Norm in den 4 Versuchen herabgesetzt war. 

Auf die Erhöhung der Calorienproduction unter dem Einfluss der 
Schilddrüse ist schon vorher eingegangen (s. S. 714—719). 

II. Die Patientinnen „P.“ und „L.“. 

1. Nach Nahrungsaufnahme. Zunächst sind die Versuche 
nach Nahrungsaufnahme bei der Patientin P. zu besprechen. Ich 
erhielt, berechnet auf 24 Stunden, nach einer etwa dem Bedarf ent¬ 
sprechenden Mittagsmahlzeit für 1 qm Oberfläche einmal den Calorien- 
umsatz von 715, im Versuch II 843 Cal., im Hunger Werthe rund zwischen 
700 und 850. Es ist also keinesfalls nach Nahrungsaufnahme eine Er¬ 
höhung des Calorienumsatzes nachweisbar. 

Auf Seite 697 ist darauf hingewiesen, dass ich mich durchaus 
nicht für berechtigt halte, weitgehende Schlüsse aus diesen Resultaten in 
in der Richtung zu ziehen, die die Hypothese von Jaquet und Swenson 
andeutet. Dass die Art der Berechnung gerade dieser Versuche auf 
24 Stunden nur eine ganz annähernde ist, wurde bei Besprechung der 
erhaltenen Werthe dargethan. Dass zweitens ein sicheres Urtheil, wie 
weit die Kost zureichend war, nicht möglich ist, wurde gleichfalls aus¬ 
einandergesetzt. Zu einem Studium über die specifisch-dynamischen 
Wirkungen der Nahrung sind diese Resultate also nicht geeignet, giebt 
es doch auch an Normalen Beobachtungen in der Literatur, wonach der 
Calorienumsatz bei Erhaltungsdiät gegenüber dem Hungerbedarf kaum 
merkbar gesteigert ist. leb erinnere an alte Versuche von Voit und 
Pettenkofer (41) an einem Uhrmacher, welche im Hunger bei mässiger 
Arbeit einen Calorienumsatz von 2320 Cal. fanden, bei Nahrungsgleich¬ 
gewicht von 2362 Cal. 

Nur der eine Schluss ist gerechtfertigt, dass die Patientin P. bei 
etwa zureichender Kost keine wesentliche Erhöhung gegenüber dem 


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724 


G. v. Bergmann, 


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Hungerumsatze zeigt, das ist vor Allem für die folgende Beurtheilung 
ihres Hungerumsatzes wichtig. 

2. Der Umsatz iro Hunger. Er wurde bei den Patientinnen P. 
und L., wie oben geschildert, bestimmt. In 6 Versuchen an der Pat. P. 
erhalten wir pro Quadratmeter Oberfläche . . 843 Cal. 

855 „ 

686 n 

821 „ 

855 „ 

bei der Patientin L. in 2 Versuchen .... 930 Cal. 

und 805 „ 

oder besser nach Bouchard’s Formel bei 2,10 qm. Für „L“ 1045 und 
905 Calorien 1 ). 

Wir finden bei Rubner für den Quadratmeter Oberfläche Werthe, 
die ganz vorwiegend zwischen 1000 und 1290 liegen, sowohl beim Kind, 

Generaltabelle. 


Vergleich Rubncr's und meiner Resultate für den Umsatz in 24 Stunden 

pro 1 qm Oberfläche. 


Zahlen nach Rubner 

Eigene Versuche, im Wesentlichen nach der 
Grösse des Umsatzes geordnet. Die mit * be¬ 
zeichnten Versuche sind nach Bouchards Ober- 
flächen-Formel gerechnet 


Calor. 

Bemerkungen 

Kind (Kuhmilch) 
Säugling (Brustkind) 
do. 

Atrophisches Kind 
Atroph. Kind (Kuhmilch) 

1143 

1221 

1006 

1036 

1090 

Myxödem 

II. 

III. 

I. 

956 

857 

787 

aus 4 X 24 Std. berechnet 
do. 
do. 

Fettsüchtiger Knabe 
Magerer Knabe 
Erwachsene im Mittel 
(bei Ruhe u. mittlerer Kost) 
Mann (94 kg) 
do. (58 kg) 
do. (67 kg) 
do. (71 kg) 
do. (99 kg) 

Greise (Männer und Weiber) 
Mittelzahlen 

Weiber, Mittelzahlen 

Zahlen, deren absolute Nie 
keit ausserhalb der Fehlergi 
der Caloricnberechnung odei 
Oberflächenbcrcchnung fäl 

1321 

1290 

1189 

1180 

1030 

1066 

1116 

973 

1099 

1004 

drig- ( 
renze 1 
* der ) 
lt ( 

M. IV. 

M. III. 

M. 11. 

M. I. 

L. III.* 
W. IV. • 

L. II.* 

L. Vers, b 
P. V. 

P. 11. j 

P. I. 

P. IX. 

P. IV. 

L. Vers, a 
L. IV.* 

P. VI. 

P. VIII. 

1 L. I.* 1 

P. III. 1 

W. III.* 1 

W. V.* 

1352 

1344 

1340 

1276 

1048* 

1035* 

1000* 

931 

855 

855 

843 

843 

821 

805 

864* 

784 

715 

695* 

686 

669* 

662* 

24 Std. Versuch 
do. 
do. 
do. 
do. 
do. 
do. 

aus 4 Std. berechnet 
Hunger aus 8 Std. berechnet 
do. 
do. 

Nahrung aus lOStd. berechn. 
Hunger aus 8 Std. berechnet 
aus 4 Std. berechnet 

24 Std. Versuch 

Hunger aus 8 Std. berechnet 
Nahrung aus lOStd. berechn. 

24 Std. Versuch 

Hunger aus 8 Std. berechnet 
24 Std. Versuch 
do. 


1) Bei besserer Oberflächenrechnung und Berücksichtigung des Hungerzustandes 
nähern sich die Werthe von „P u , die über 800 sind, allenfalls der tiefsten Normalz&hl. 


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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 725 


wie beim Erwachsenen. Rechnen wir selbst im Hungerzustande einen 
etwas niedrigeren Stoffumsatz, so bleiben die meisten der von mir ge¬ 
fundenen Werthe doch relativ niedrige, die Werthe von 686 im Hunger 
und 700 nach Nahrungsaufnahme sind sogar schon als sicher pathologisch 
niedrige anzusehen, wie noch ausgeführt werden soll. 

Dabei sind diese Zahlen unter Bedingungen gewonnen, aus denen 
folgen muss ein höherer Calorienumsatz als im Schlaf oder bei absoluter 
Muskelruhe. Um zu zeigen, dass diese Werthe absolut höher liegen müssen, 
als Ruhe-Nüchternwerthe derselben Patienten, habe ich an der Patientin L. 
zwei Respirationsversuche nach Zuntz oben angeführt, die das bestätigen. 

Auch hier bekomme ich, wie gezeigt ist, sowohl in Nüchternheit, 
wie nach Nahrungsaufnahme Werthe, die deutlich unter denen liegen, die 
bisher beschrieben wurden. Diese Versuche berechnet auf 24 Stunden 
und 1 qm Oberfläche ergeben 619 und 629 Cal. So wenig solche Be¬ 
rechnungsart von 10 Minuten auf 24 Stunden eigentlich zulässig ist, nur 
als Vergleich mit den ebenso berechneten Resultaten anderer Autoren 
können uns die Zahlen dennoch dienen. Die niedrigste Zahl, die ich 
pro Quadratmeter Oberfläche in der Zusammenstellung Magnus-Levy’s 
finde, beträgt 710. Ich finde 625 und dabei handelt es sich bei dem 
Werth von 710 noch um ein etwas fettleibiges Individuum. Für die 
weitere Argumentation will ich von den Versuchen nach der Methode von 
Zuntz, gegen die Ein wände erhoben werden könnten, vollständig absehen. 

Ich glaube also nur einen Theil dieser älteren Versuche an den Kranken 
P. und L. wohl als solche bezeichnen zu können, die für eine Herab¬ 
setzung des Calorienumsatzes sprechen. 

Die neueren Versuche an „L.“ und „W. u . 

Ein Theil meiner neueren Versuche zeigt aber dies Verhalten aus 
zwei Gründen viel sicherer, einmal handelt es sich um 24 Stunden-Ver¬ 
suche und zweitens konnte die Beziehung zur Oberfläche nach der 
exacteren Formel Bouchard’s aufgestellt werden. Ein anderer Theil der 
neueren Versuche demonstrirt wiederum normalen Umsatz. Nach der 
Grösse des berechneten Calorienumsatzes gruppirt, demon¬ 
strirt die nebenstehende Tabelle die Gesammtheit meiner Ver¬ 
suche, und daneben methodisch vergleichbare Resultate von 
Rubner (s. S. 724 unten). 

Das Ergebniss der Grösse des Umsatzes bei der Fettsucht. 

Wir haben gesehen, unter welchen Voraussetzungen die Berechnung auf 
die Oberflächeneinheit uns einige Sicherheit bietet. Ich will aber auch 
für diejenigen, die sich mit der Beziehung auf die Oberfläche noch nicht 
befreunden können, andere Vergleiche heranziehen. Man gestatte mir, 
der Kürze halber, nur einige Versuche hier zu discutiren, bei welchen 
ich den geringsten Umsatz gefunden habe, und die meines Erachtens in 
ihrer Berechnungsart in dem Umfange, wie ich die Zahlen verwerthe, 
einwandsfrei sind. Ausser den drei Versuchen, die ich hier in Betracht 
ziehen will, kommen übrigens auch die zwei Versuche an der Patientin 
P. mit besonders niederem Umsätze durchaus in Betracht, da sie aber 
beide nicht ganze Tagesversuche sind, lasse ich sie hier fort, lernen wir 


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G. v. Bergmann 


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aus ihnen doch nichts anderes, als was aus den nun zu betrachtenden 
Ergebnissen der Versuche „L. 1“, „W. III“ und „W. V“ zu ersehen ist. 

Man lasse für das Folgende ja nicht aus dem Auge, dass es sich 
nicht um kurz dauernde Versuche bei angestrebter Ausschaltung jeglicher 
Bewegung handelt („Grundumsatz“—Ruhe-Nüchtornwerth), oder etwa um 
Versuche in tiefem Schlaf, sondern um den Umsatz während eines vollen 
Tages mit seinen wechselnden Bedingungen, um einen Aufenthalt nicht 
die ganze Zeit im Bett, ohne irgend eine Einschränkung der gewöhn¬ 
lichen Muskelbewegungen, soweit sie bei phlegmatischen Personen in 
einem ziemlich engen Raum in Betracht kommen. Es sind also zum 
Vergleiche nicht einmal solche Bedingungen an Normalen heranzuziehen, 
die mit „Bettruhe“ bezeichnet werden, ungünstigstenfalls sind es 24Stunden- 
Versuche, die in ihrem Verhalten als zwischen „Bettruhe“ und „Zimmer¬ 
ruhe“ liegend nach der üblichen Terminologie aufzufassen sind. 

Legen wir zunächst den berechneten 24 ständigen Calorien- 
umsatz zu Grunde, mit der Einschränkung für die Berechnungsgenauig¬ 
keit, die ausführlichst wiederholt hier besprochen wurde, so finden wir 
als Zahlen 1460, 1760 und 1780 Calorien oder pro Quadratmeter 695, 
669und662 (Bouchard’s Formel) proKilogramm 17,4, 20,5, 20,2Calorien. 

Diese Werte lassen sich nach verschiedenen Gesichtspunkten zum 
Vergleiche heranziehen; sie sind am ehesten vergleichbar mit denen 
anderer Individuen im Voit-Pettenkofer’schen Respirationsapparat. 
Oben haben wir den Vergleich für die Oberfläche in dieser Beziehung 
gezogen, für das Kilogramm nehme ich die Rubner’schen Zahlen der 
beiden Knaben oder des Patienten M. mit 34—40 Calorien pro Kilo¬ 
gramm. Wir sehen, dass unsere Zahlen ganz wesentlich niedriger liegen. 
Man mag hiergegen geltend machen, dass unsere Patientinnen sich 
wesentlich weniger Bewegung gemacht hätten, aber selbst dieses in 
weitestem Maasse zugegeben, so zeigt auch eine andere Ueberlegung 
mit Sicherheit die Niedrigkeit der Zahlen für die gegebene Versuchs¬ 
anordnung. Es ist bekannt und gerade von der Zuntz’schen Schule 
bewiesen, dass der sogenannte „Grundumsatz“ nur bei Ausschaltung 
jeder Muskelbewegung die wahren, tiefen Werthe giebt, oder umgekehrt 
ausgedrückt, dass schon geringfügige Bewegungen den Umsatz deutlich 
mehren. Stimmen meine bei relativer Bewegungsfreiheit an- 
gestellten Versuche in der Grösse ihrer Werthe überein mit 
den sonst nur als Grundumsatz zu erhaltenden Zahlen, so ist 
damit bewiesen, dass der Umsatz meiner Patientinnen absolut 
tiefer gelegen ist, wie der aller bisher untersuchten Fälle. 
Ich glaube, diese Ueberlegung ist zwingend. Ich suche also für die 
Werthe von 1500—1780 Calorien in 24 Stunden, wie beschaffene Indi¬ 
viduen diese Werthe als „Grundumsatz“ haben, und finde in den Tabellen 
Magnus-Levy’s solche Werthe bei Individuen von 60—80 kg. Also 
der 24 Stunden-Umsatz meiner Individuen ohne Einschränkung der 
Bewegungen ist gleich dem Umsatz normaler Individuen in kurzen 
Zeitperioden nur dann, wenn jene mit Aufbietung aller Aufmerksamkeit 
jede Muskelaction vermeiden und bewegungslos auf dem Rücken liegen 
oder wenn sie in tiefstem Schlaf verharren. Suche ich dagegen in 


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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas unirers. 727 


Magnus-Levy’s Tabellen den Umsatz normaler Individuen unter ent¬ 
sprechenden Bewegungsverhältnissen, also etwa in der Breite zwischen 
Zimmerruhe und Bettruhe, so finde ich, dass im Allgemeinen nur Indi¬ 
viduen unter 50 kg jene Werthe zeigen, die ich bei Personen über 
80 kg festgestellt habe. 

Rechnen wir nach dem Umsatz pro Kilogramm, so wären nach 
Magnus-Levy, selbst bei Bettruhe, wenigstens 27,5 Calorien zu rechnen, 
während nur wieder bei Grundumsatz Werthe von 22 Calorien zu erwarten 
sind, die noch über den meinen liegen. 

Nicht berechtigt aber ist es, wie man das freilich auch vor¬ 
geschlagen hat, fette Versuchspersonen etwa zu vergleichen mit nicht 
fetten Individuen gleicher Höhe. So gleichgültig ist denn die Fettmasse 
doch nicht, dass es für den Umsatz eines Individuums z. B. von 160 cm 
Länge gleichgültig ist, ob es 60 oder 120 kg wiegt. Ich dächte, dass 
Rubner dies zur Genüge bewiesen hat. 

Für eine Hyperkritik scheint mir indess eine andere Ueberlegung 
vielleicht noch überzeugender. Es ist die Betrachtung der Menge 
der mit der Respiration ausgeschiedenen C0 2 . Der niedrigste 
Werth, der in mehrstündigen Versuchen in der gesammten Literatur von 
Staehelin (42) aufgefunden wurde, betrifft eine Versuchsperson von 
Benedict, einen zweiten ebenso niederen Werth gab ein Selbstversuch 
Staehelin’s, beide im Hunger ausgeführt, beide bei gewollter Aus¬ 
schaltung jeglicher Muskelthätigkeit, der eine gewonnen bei festem 
Schlaf. Es gilt also für die in diesen beiden Versuchen gefundenen 
Werthe das Gleiche, was oben vom Grundumsatz auseinander gesetzt 
wurde. Diese Werthe müssten wesentlich niedriger liegen als meine 
24 Stunden-Werthe. Dieser niedrigste Ruhenüchtern-Werth der Literatur 
ist, für 24 Stunden berechnet, 476,4 g C0 2 . Für meine Versuche finde 
ich den Werth 476,7 als den niedrigsten, also genau dieselbe Zahl bei 
einem im Körpergewicht wesentlich schwereren Individuum von 83 kg. 
Benedikt’s Mann wiegt 65,6, Staehelin’s 67,2 kg. Jene sind 
Grundumsatzwerthe, meine Werthe, wie gesagt, bei freier Be¬ 
wegung gewonnen. 

Wir haben die Schwierigkeit gesehen, eine ideale Art des Vergleiches 
zu finden, ja, eine skeptische Kritik fordert mit Recht, dass nur einer 
Erniedrigung des Grundumsatzes um 30—50 pCt. eine Bedeutung 
zugeschrieben werde. Man scheide hier scharf zwischen einer Zahl, - die 
so niedrig ist, dass keine kritische Betrachtungsweise ihr etwas an- 
haben kann und die hierdurch eine Hypothese beweist, und zwischen 
einer Erniedrigung, die dem Beweise methodisch nicht zu über¬ 
windende Schwierigkeiten bereiten mag, die aber für die Pathologie 
schon vollkommen Ursache einer constitutionellen Fettsucht sein könnte. 
Auch die ständige Erniedrigung der Umsetzungen um 10 pCt. gegenüber 
der Norm kann begründet sein in einer Art constitutioneller Neigung 
zur Fettsucht. Richtig ist nur, dass mit der Bestimmung des „Grund¬ 
umsatzes“ solche Abweichungen sich nie beweisen lassen werden. 

Es giebt aber trotz Allem eine, wie mir scheint, voll¬ 
ständig einwandsfreie Art des Vergleiches, bei dem auch geringere 


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Unterschiede als solche von 40 pCt. als beweisend hcrangezogen worden 
können; so einfach der Vergleich ist, man hat, so viel ich sehe, an ihn 
noch nicht gedacht. 

Es ist bewiesen, dass es Fette giebt mit normalem Umsatz. Das 
einzige, wirklich vernünftige Vergleichsobject für ein Individuum, das 
verdächtig ist der constitutioneilen Fettsucht, ist solch’ ein fettleibiges 
Individuum mit normalem Umsatz. Da ist es möglich, 2 Individuen 
von annähernd gleichem Körpergewicht und gleicher Körperlänge hcraus- 
zufinden; ist dann unter sonst vollkommen vergleichbaren Bedingungen 
der 24stündige Umsatz beim einen deutlich niedriger als beim anderen, 
dann ist der Beweis geführt. 

Ich glaube mich berechtigt, diesen Vergleich auf Grund 
meines Beobachtungsmaterials anzustellen. Ich habe Ver¬ 
suche an Fetten, in denen ein normaler Umsatz bewiesen ist, 
ich wähle dafür die Versuche mit 2100—2300 Calorienumsatz 
und mit einer 24stündigen respiratorischen Kohlenstoffaus¬ 
scheidung von 180—190 g C., diesem entgegen setze ich die 
Werthe 1500—1700 Calorien und eine Kohlenstoffmenge in der 
Respiration von 124—138 g. Nichts kann bei diesem Vergleich dafür 
angeführt werden, dass die Werthe von 2100—2300 Calorien unter den 
gegebenen Versuchsbedingungen zu hohe sind, auch waren die Kranken 
in gutem Stoffgleichgewichte. 

Eine Paradoxie, das ist früher schon ausgeführt, enthält dieser 
Vergleich. Es handelt sich um ein und dieselben Individuen, die solche 
wechselnde Verhältnisse bieten (W. und L.). Wer sich daran stösst, 
der möge auf zwei weitere Versuchsreihen an fettleibigen Individuen mit 
normalem Calorienumsatz als Vergleichsobjectc verwiesen werden, deren 
Berechnung von mir noch nicht völlig abgeschlossen ist und deshalb im 
nächsten Hefte erscheint. Für mich ist gerade dies wechselnde Ver¬ 
halten bei denselben Individuen sehr lehrreich. Warum die Individuen 
L. und W. — (das Gleiche gilt übrigens auch für die Pat. P.). — zu 
Zeiten den höheren Umsatz gehabt haben, übrigens einen normal hohen 
Umsatz, darüber lässt sich streiten. Ich glaube nicht, dass grössere 
Unruhe oder auch klimatische Verhältnisse eine Steigerung bedingt haben, 
dafür sah ich bei anderen Individuen bei sonst gleicher Versuchsanordnung 
den Umsatz viel zu constant; ich verweise auf meine Versuche am Pat. M. 
oder auf die Mehrzahl der Hungerversuche an der Pat. P. Ist man aber 
auch anderer Ansicht, die niedrigen Calorien und namentlich 
C0 2 -Werthe bleiben bestehen. Ich halte mich mit Heranziehung 
anderer eigener und der sonst verwerthbaren Zahlen der Literatur voll 
berechtigt, die gefundenen Werthe von 2100—2300 Calorien und von 
180—195 g Kohlenstoff als die Normalzahlen, die unter den gegebenen 
Versuchsbedingungen als die niedrigsten einem Vergleich zu Grunde zu 
legen sind, hier aufzustellen, dann scheint es aber, dass im 
Vergleich zu diesen niedersten Normalwerthen die 24 Stunden- 
Werthe von 1500—1780 Calorien und die 124—138 g Kohlenstoff 
eine Herabsetzung des Umsatzes zum Ausdruck bringen, der 
das Vorhandensein einer constitutioneilen Fettsucht sichert. 


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Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem u. bei Adipositas univers. 729 


Inhaltsübersicht. 

Einleitung (S. 646 -663): Das Problem geminderter Umsetzung im Intermediär¬ 
stoffwechsel und in der Gesammtöconomie. 

Allgemeines über die Methodik (S. 663—667). 

Versuche am Myxödem (S. 667—679). 

Resultate und Discussion der Versuche am Myxödem (S. 679—682). 
Versuche an Fettsüchtigen (S. 682—709). 

Allgemeine Discussion der Versuche an Fettsüchtigen (S. 709—714): Dis¬ 
cussion der Anamnese, der klinischen Beurtheilung, der Bilanzen, der Berech¬ 
nungsart. 

Der Einfluss der Schilddrüsen Verabreichung auf die Fettsucht 
(S. 714—719): Latenzperiode, Erhöhung der Calorienproduction, Stickstoffumsatz, 
therapeutische Folgerungen. 

Die Messeinheit für den Calorienumsatz (S. 719—722). 

Die Grösse der Calorienproduction bei den Fettsüchtigen in 
Beziehung zur Oberfläche (S. 722—725). 

Das Ergebniss der Grösse des Umsatzes bei der Fettsucht 

(S. 725-728). 

Literatur. 

1) Bouohard, Maladie par ralentissement de la nutrition. Paris, Librairie Savy. 
1882. 

2) Rubner, Beiträge zur Ernährung im Knabenalter mit besonderer Berücksichtigung 
der Fettsucht. Berlin, Hirschwald. 1902. 

3) Brugsch und Schittenhelm, Zeitschr. für experim. Path. u. Therap. Bd. 3 
und 4. 

4) L. Mohr, Untersuchungen über den Diabetes mellitus. Zeitsohr. f. exper. Path. 
u. Therap. Bd, 4. S. 910. 1907. 

5) Külz, Beiträge z. Path. u. Therap. d. Diabetes mellitus. Marburg 1874. 

6) Embden, Hofmeister’s Beiträge. Bd. 11. No. 23—26. 1908. 

7) Neisser und Bräunig, Ueber Verdauungslipämie. Zeitschr. f. experim. Path. 
u. Therap. Bd. 4. S. 747. 1907. 

8) Reicher, Münchener med. Wochenschr. 1907. Biochem. Zeitschr. 1907. Zeit¬ 
schrift f. klin. Med. 1908. 

9) Pavy, Deutsch von Moeckel. Ueber den Kohlehydratstoffwechsel. Physiol. 
Vorträge. Leipzig, Engelmann. 1907. 

10) v. Bergmann und Savini, Das hämolytische Hemmungsphänomen bei Phos¬ 
phorvergiftung und anderen pathologischen Processen. Zeitschr. f. experim. Path. 
u. Therap. Bd. 4. S. 817. 1907. 

11) Löwy und Richter, Sexualfunotion und Stoffwechsel. Engelmann’s Arch. 
1899. Suppl.-Bd. S. 174 und Centralbl. f. Physiol. Bd. 16. S. 449. 

12) Lüthje, Ueber Castration und ihre Folgen. Arch. f. experim. Path. u. Therap. 
Bd. 48 u. 50. 1903. 

13) Magnus-Levy, Ueber Myxödem. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 53. S. 201. 1904. 

14) v. Noorden, Die Fettsucht in NothnagePs Handbuch und Handbuch der Patho¬ 
logie des Stoffwechsels. Bd. 2. 1907. Hirschwald. 

15) Saloraon, Ueber Durstcuren. v. Noorden’s Sammlung klin. Abhandlungen. 
Heft 6. Berlin 1905. 

16) Magnus-Levy, Noorden’s Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels. Bd. 1 
u. 2. 1907. Hirschwald. 

17) Jaquet und Svenson, Stoffwechsel fettsüchtiger Individuen. Zeitschr. f. klin. 
Med. Bd. 41. S. 375. 1900. 


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730 G. v. Bergmann, Der Stoff- u. Energieumsatz beim infantilen Myxödem etc. 


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18) Staehelin, Zeitschr. f. klin. Med. 

19) v. Willebrand, Ueber den Stoffwechsel fettsüohtiger Menschen. Skandinavisches 
Arch. f. Physiol. Bd. 20. S. 152-161. 

20) Waldvogel, Zur Pathogenese der Fettsucht. Deutsches Arch. f. klin. Med. 
Bd. 89. S. 342. 1906. 

21) Steyrer, Ueber den Stoff und Energieumsatz bei Fieber, Myxödem und Morbus 
Basedow. Zeitschr. f. experim. Path. u. Therap. Bd. 4. S. 720. 1907. 

22) Zuntz, etc., Höhenklima und Bergwanderungen in ihrer Wirkung auf den 
Menschen. Deutsches Verlagshaus, Bong u. Co. 1906. 

23) Magnus-Levy, Untersuchungen zur Schilddrüsenfrage. Zeitschr. f. klin. Med. 
Bd. 33. S. 269. 1897. 

24) Rubner, Gesetze des Energieverbrauchs und der Ernährung. Leipzig und Wien, 
Deuticke. 1902. 

25) R. 0. Neu mann, Zur Lehre vom täglichen Nahrungs bedarf. Aroh. f. Hygiene. 
Bd. 45. S. 1. 1903. 

26) Renval, Skandinavisches Archiv für Physiologie. Bd. 16. S. 94. 1904. 

27) Friedrich Müller, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 16. S. 4% u. Leyden’s Hand¬ 
buch der Ernährungstherapie. 1903. Thieme. 

28) Falta, Grote und Staehelin, Versuoho über Kraft und Stoffwechsel und den 
zeitlichen Ablauf der Zersetzung unter dem Einfluss verschiedener Ernährung 
beim Hunde. Hofmeisters Beiträge. 1907. Bd. 9. S. 368. 

29) Benedict, U. S. Department of agriculture. Bull. 1906 u. 1907. 

30) Rubner und Heubner, Die natürliche Ernährung des Säuglings. Zeitschr. f. 
Biol. Bd. 36. — Die künstliche Ernährung eines normalen und eines atrophischen 
Säuglings. Zeitschr. f. Biol. Bd. 38. — Zur Kenntniss der natürlichen Ernährung 
des Säuglings. Zeitsohr. f. experim. Path. u. Therap. Bd. 1. S. 1. 

31) Heubner, Die Energiebilanz des Säuglings. Zeitschr. f. diätetische u. physik. 
Therapie. Bd. 1. S. 5. Berl. klin. Wochenschr. 1901. Verhandl. der Ges. f. 
Kinderheilk. 1897. Jahrbuch f. Kinderheilk. Bd. 11. S. 61. 

32) Schwenkebecher, Ueber die Ausscheidung des Wassers durch die Haut. 
Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 79. S. 29. 1904. 

33) P. Fr. Richter, Eiweisszerfall nach Schilddrüsenfütterung. Centralbl. f. innere 
Med. 1896. 

34) W. Scholz, Schilddrüsenbehandlung und Stoffwechsel des Menschen. Centralbl. 
f. innere Med. 1895. S. 1041. 

35) Zinn, Ueber einen Stoffwechselversuch mit Schilddrüsentabletten bei Fettsucht. 
Berl. klin. Wochenschr. No. 27. 1897. 

36) v. Noorden und Dapper, Ueber den Stoffwechsel fettleibiger Menschen bei 
Entfettungscuren. Berl. klin. Wochenschr. 1894. No. 24. 

37) Reach, Stoffwechselerkrankungen an einem fettleibigen Knaben. Salkowski- 
Festschrift. 1904. 

38) Bouchard, Traitä de Pathologie gönörale. Tome III. Paris, Masson. 1900. 

40) Sonden und Tigerstedt, Skand. Arch. f. Physiol. Bd. 6. S. 1. 1895. 

41) Voit und Pettenkofer, nach v. Rechenberg, Ernährung der Hausweber. 
1890. Bd. 45. (Cit. nach Noorden’s Handbuch. Bd. 1. S. 481.) 

42) Staehelin, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 66. H. 3 u. 4. 


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XLVI. 

Aus der II. medicinischen Klinik der Universität Berlin. 

Ueber die Grenzen der Hippursflurebildung beim Menschen. 

(Kritik einer Arbeit von Dr. Lewinski 1 ) aus der Minkowski’schen 
Klinik, Greifswald, zugleich ein Beitrag zur Methodik der Hippur- 

sfturebestimmung.) 

Von 

Theodor Brugsch. 

Im Centralblatt für Stoffwechselkrankheiten hatte ich 1907 eine 
kurze Mittheilung über die Rolle des Glykokolls beim Menschen im 
intermediären Stoffwechsel veröffentlicht, in der auch einige Versuche 
über die Hippursäureausscheidung nach Benzoesäureverfütterung beim 
Menschen wiedergegeben wurden. Ich fand nach Eingabe von 16,4 g 
Benzoesäure nur 4,92 g Hippursäure wieder und vermuthete deshalb, 
dass man beim Menschen durch Yerfütterung von Benzoesäure nicht 
mehr Glykokoll dem Organismus entziehen kann, als man nach unseren 
Erfahrungen bei der Hydrolyse des Eiweiss über dessen Glykokollgehalt 
erwarten sollte. 

Diese Arbeit hat Lewinski zum Ausgangspunkt seiner Unter¬ 
suchungen genommen und seinerseits das Hippursäuresynthesevermögen 
des Menschen studirt. 

Dabei kommt er dann zu folgenden Versuchsresultaten. 

Versuch I. Verabreicht 12 g Benzoesäure, wiedergefunden 12,48 
(als Hippursäure) id est 104 pCt. der Einnahme. 

Versuch II. Verabreicht 20 g Benzoesäure, wiedergefunden 19,92 g 
an Glykokoll gebundene Benzoesäure = 99,6 pCt. der Einnahme. 

Versuch III. Verabreicht 25 g Benzoesäure, wiedergefunden 23,97 g 
als Hippursäure, als ungepaart 1,65 g, i. Sa. = 25,62 = 102,5 pCt. der 
Einnahme. 

Versuch IV. Verabreicht 40 g Benzoesäure, wiedergefunden 
als gebundene an Glykokoll = 27,61 g 
als freie = 9,69 g. 

Dazu kommt als Benzoesäureglykuronsäure (entsprechend dem Gehalt 

1) Arch. f. expcrim. Patb. u. Pharm. Bd. 58. 1908. 


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Th. Brugseh, 


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des Harns an 0,25 pCt. rechtsdrehender Substanz) = 4,18 g 1 ). In Summa 
also wiedergefunden = 41,48 g = 103,7 pCt. der Einnahme. 

Berechnet man dabei, dass bei gemischter Diät der Mensch etwa 
0,7—1,0 g Hippursäure, also etwa 0,5—0,7 g Benzoesäure ausscheidet, 
so müssen wir zu dem Resultate kommen, dass Lewinski geradezu 
ideal gearbeitet haben muss. 

Wie sticht er dabei ab gegen Autoren wie Harsveld u. Stokvis, 
die, wie Lewinski selbst citirt, an gesunden und nierenkranken Menschen 
durchschnittlich 50—60 pCt. Verluste der zugeführten Benzoesäure erhalten. 

Und nun gar meine Versuche! Ich finde eine relativ so kleine 
Menge Hippursäure, dass sie sich ja nicht im entferntesten mit den 
Mengen von Lewinski messen kann. Seo 2 ) an der Minkowski’schen 
Klinik hat auch bereits die Erklärung dafür an der Hand: 

„Derartige Verschiedenheiten in den Resultaten können selbstver¬ 
ständlich nur durch Versuchsfehler erklärt werden. Sofern es sich um 
Mängel der zur quantitativen Bestimmung angewandten Methoden handelt, 
so können diese durch Controlbestimmungen, durch Nachprüfungen und 
Vergleiche mit den Resultaten besserer Methoden allenfalls ermittelt 
werden. Sehr viel bedenklicher ist eine andere Fehlerquelle, weil diese 
im Einzelfalle in einem sehr verschiedenen und nachträglich nicht con- 
trolirbaren Grade sich geltend machen kann: das ist die Zersetzbarkeit 
der Hippursäure durch Fermente und Bakterien. u 

Also die leichte Zersetzbarkeit der Hippursäure wäre bei mir anzu¬ 
schuldigen! 

Ich kannte die bezügliche Literatur sehr gut und wusste, dass in 
ammoniakalischen und eiweissreichen Harnen Hippursäure sich leicht 
zersetzt; die von mir untersuchten Harne waren indessen sauer, eiweiss- 
frei und wurden frisch untersucht. Ich habe übrigens, um den Einfluss 
der Zersetzlichkeit der Hippursäure kennen zu lernen, 5 g Hippursäure 
zu 1 Liter hippursäurefreiem Harn zugesetzt, diese 24 Stunden offen 
stehen lassen und die Hippursäure in annähernd derselben Menge wieder¬ 
gewonnen. Ich kann daher Seo versichern, dass das nicht die Differenz 
unserer Versuchsresultate ist. 

Bleibt die Frage der Methodik. Ehe ich auf diese näher eingehe, 
möchte ich nur wenige Worte über die Möglichkeit einer mehr minder 
vollständigen Resorption von Benzoesäure sagen. Diese Möglichkeit liegt 
ja vor, ist indessen, wie mich neuere Versuche, auf die ich demnächst 
zurückkomme, gelehrt haben, nicht sehr gross, wenn man benzoesaures 
Natron verfüttert. 

Hingegen kann schon eine gewisse Differenz in der Ausbeute der 
Hippursäure zu Stande kommen, wenn man, statt auf ein- oder zweimal 
die Benzoesäure zu geben, wie ich es in meinen früheren Versuchen 
gemacht habe, die Benzoesäure über den Tag vertheilt giebt. Das würde 


1) Berechnet nach Magnus-Levy. 

2) Ueber die Hippursäurespaltung durch Bakterien und ihre Bedeutung für 
den Nachweis von Benzoesäure und Glykokoll im Harne. Arch, f. exper. Path. u. 
Pharm. Bd. 58. 1908. 


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lieber die Grenzen der Hippursäurebildung beim Menschen. 


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indessen nicht die grossen Differenzen zwischen Lewinski und mir 
erklären können. 

Es bleibt also an der Methodik hängen. Ich habe die Hippursäure- 
bestimraung derart angestellt, dass ich den Alkoholextract des alkalisch 
eingedampften Urins vorsichtig abdarnpfte, mit Salzsäure zerlegt und, 
nachdem er mit Petroläther ausgeschüttelt worden war, mit Essigäther 
extrahirte. Den Essigäther liess ich in offener Schale verdampfen, ver¬ 
seifte den Rückstand durch mehrstündiges Kochen mit KOH am Rück¬ 
flusskühler und unterwarf schliesslich die Benzoesäure nach Ansäuern der 
alkalischen Lösung durch Phosphorsäure der Darapfstromdestillation. Die 
Benzoesäure wurde dann gravimetrisch festgestellt. Das Verfahren wurde 
seiner Zeit von Wiechowski ausprobirt und ist fraglos für den Nach¬ 
weis kleiner Mengen Benzoesäure bezw. Hippursäure vortrefflich. Bei 
grösseren Mengen scheinen nach meinen jetzigen Erfahrungen Verluste 
kaum vermeidlich, und so ist es auch durchaus möglich, ja wahrschein¬ 
lich, dass die Hippursäuremengen, die ich erhalten habe, zu klein aus¬ 
gefallen sind. Indessen würde das immer noch nicht die grossen Diffe¬ 
renzen zwischen mir und Lewinski erklären. 

Lewinski verwandte das Schmiedeberg-Bunge’sche Verfahren 
der Hippursäurebestiramung. Da ich das Verfahren genau kenne und 
die Leistungsfähigkeit desselben geprüft habe, so kann ich nur sagen, 
dass ich nicht im Stande bin, mit der souveränen Sicherheit wie Le¬ 
winski die Hippursäure mit nur einem Verlust von 2 pCt. wiederzu¬ 
finden. Reinigt man gar die Hippursäure durch Umkrystallisiren mit 
Thierkohle, so dass die Hippursäure rein krystallisirt, so erhält man zu 
kleine Werthe, oft sogar viel zu kleine Werthe; es ist deshalb ja auch 
die Bestimmung der Hippursäure als Benzoesäure nach Dampfstrom¬ 
destillation vorgeschlagen worden. 

Aber ganz abgesehen davon würde diese Methode bei der Verar¬ 
beitung grösserer Hippursäuremengen beim Menschen bisher noch als die 
relativ brauchbarste anzusehen sein und Lewinski’s Resultate durchaus 
als einwandsfrei anzusehen sein, wenn nicht — sich folgender unschein¬ 
barer Passus bei Lewinski vorfände. 

Lewinski sagt: „Zur Methode ist zu bemerken: der frisch ent¬ 
leerte Harn wurde in einer Vorlage gesammelt, in der sich 30 ccm Acid. 
carbol. liqu. befanden.“ 

Mit derartig carbolisirten Harnen stellt Lewinski die Hippursäure¬ 
bestimmung nach Schmiedeberg-Bunge an! Lewinski hätte sich 
aber wohl Folgendes überlegen können: In Alkohol ist Carbol glänzend 
löslich, in Essigäther ebenso, wenn nicht noch besser! Bei der Anstellung 
der Hippursäurebestiramung in dieser Weise bei carbolisirten Harnen be¬ 
kommt man unfehlbar Carbol in den Essigätherextract und wägt un¬ 
fehlbar Carbol mit der Hippursäure. Das Schlimme ist, dass, 
wenn man nicht daran gedacht hat, einem sehr leicht dieser Umstand 
entgehen kann, wie er ja Lewinski völlig entgangen ist. 

Ich habe in einem Versuche die Carbolsäure vor der Hippursäure¬ 
bestimmung zugesetzt und dabei natürlich viel zu grosse Werthe gegen¬ 
über der Controlbestimmung erhalten. 

Zeitschrift f. exp. Pathologie u. Therapie. 5. Bd. ah 


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Th. Brugsch, 


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Dadurch entziehen sich natürlich sämmtliche Werthe 
Lewinski’s der sicheren Beurtheilung. Die Versuche sind 
werthlos. Wie wunderbar hat bei Lewinski der Zufall mitgespielt, 
dass er ihn stets 100 pCt. der Benzoesäure wiederfinden liess! 

Es lässt sich auch nicht dagegen ein wenden, dass man den Harn 
eindampft und ebenso den Alkoholextract. Natürlich wird dabei mehr 
minder viel Carbol dabei entweichen, je nach dem Grade des Ein¬ 
dampfens, aber längst nicht alles, und eine Bestimmung, bei der 
man durch Zusatz von Substanzen, die in die Extractmittel 
hineingehen, sich ganz uncontrolirbare Verhältnisse schafft, 
darf man füglich nicht als chemisch bezeichnen. 

Lewinski schreibt S. 399 seiner Arbeit: 

„Zudem war es für die hier aufgeworfenen Fragen zweifellos von 
Vortheil, dass bei dieser Methode die Hippursäure in Substanz zur 
Darstellung gelangt, so dass eine Identißcirung der gewonnenen Sub¬ 
stanz und eine Controle ihrer Reinheit jederzeit leicht möglich war.“ 

Weder aber findet man in dem Protokolle seiner Versuche etwas 
über Schmelzpunktsanalyse, noch über Analyse des N-Gehaltes der Sub¬ 
stanz. Ich habe gerade bei der Analyse des Schmelzpunktes in dem 
ä la Lewinski angestellten Versuche Carbolsäurekrystalle und Hippur- 
säurekrystalle durch ihre verschiedenen Schmelzpunkte differenziren 
können. 

Zur Fortsetzung der von mir begonnenen und s. Zt. auch in Aus¬ 
sicht gestellten Versuche hatte ich Herrn Dr. Tsuchiya aufgefordert, 
der sich dieser Mühe unterzogen hat und dessen Methode, wie ich mich 
persönlich überzeugt habe, einwandsfrei war. Seine Resultate sub- 
stituiren daher die Lewinski’schen, die sich in jeder Weise 
einer wissenschaftlichen Beurtheilung entziehen 1 ). 

Schliesslich möchte ich mir noch einige Bemerkungen zur Bestimmung 
der Hippursäure beim Menschen gestatten. Ich bin dazu angeregt durch 
Magnus-Levy’s Untersuchungen über die Benzoe-Glykuronsäure. 

Zur Bestimmung der Gesammtbenzoesäure beim Menschen reicht 
nach unseren jetzigen Erfahrungen die Schmiedeberg-Bunge’sche 
Methode nicht aus, da in den Alkoholextract zwar ein Theil der Benzoe- 
säure-Glykuronsäure hineingeht, der alsdann als freie Benzoesäure be¬ 
stimmt wird, z. Th. aber auch in dem Rückstand bleibt 2 ). 

Magnus-Levy schlägt deshalb für benzoesäure- und hippursäure¬ 
reiche Urine vor, den Urin auf 1 / 4 —y 6 einzudampfen und ihn mit 
kleinen Mengen Schwefelsäure zu fällen und die ausgefallene Hippursäure 
nach Trocknung und Waschung zu wägen. Das Filtrat mit Aether zu 
extrahiren und den Aetherextract weiter auf freie Benzoesäure (die 
z. Th. vielleicht auch noch aus der Glykuronsäure-Benzoesäure stammen 
mag) und Hippursäure zu verarbeiten. Auf diese Weise sollen sich die 
Hippursäure und freie Benzoesäure am besten trennen lassen. 

1) Siehe die Arbeit von I)r. Tsuchiya in diesem Hefte. 

2 ) Es sei hier auch ausdrücklich betont, dass durchaus nicht immer in den 
Alkoholextract die gesummte Hippursäuie bozw. Benzoesäure (freie) hineingeht! 


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lieber die Grenzen der Hippursäurebildung beim Menschen. 


735 


Ich habe das Verfahren geprüft und möchte es für menschliche 
Harne dahin modificiren, dass man den (hippursäurereichen) Harn event. 
bei nicht zu stark alkalischer Reaction nur so weit eindampft, dass 
seine Concentration ca. (und wenigstens) 1 proc. Hippursäure beträgt. 
Zu 100 ccm Harn setzt man dann 5 ccm conc. H 2 S0 4 und lässt 
24 Stunden auf Eis stehen; dann fällt die Hippursäure in schönen 
langen Nadeln (zu 80—90 pCt. der Gesammtmenge) aus; diese Hippur¬ 
säure wird abgenutscht und mit wenig Wasser gewaschen, getrocknet, 
dann mit Petroläther mehrmals gewaschen, getrocknet (und provisorisch 
gewogen). 

Das Filtrat (Urin -f- Waschwasser) wird 5 mal mit Aether ausge¬ 
schüttelt, der Aether einige Male mit Wasser gewaschen, das zu dem 
Filtrat zurückgegossen wird. Den Aether lässt man in flacher Schale 
abdunsten, extrahirt mit Petroläther (5 X 20 ccm). (Man benutzt den 
zur Reinigung der Hippursäure gebrauchten.) Der Petroläther wird im 
Schütteltrichter mehrmals mit Barytwasser ausgeschüttelt, das Baryt¬ 
wasser mit Phosphorsäure angesäuert und der Dampfstromdestillation 
unterworfen. Das Destillat kann titrirt und auf Benzoesäure berechnet 
werden (freie Benzoesäure). Der Rückstand in der Porzellanschale wird 
in 100 ccm Wasser aufgenommen und zusammen mit der ersten (bereits 
provisorisch gewogenen) Hippursäure dann unter Zusatz von 100 ccm 
concentrirter H 2 S0 4 der Dampfstromdestillation unterworfen. Das 
Destillat kann wieder titrirt und auf Benzoesäure (als gebundene) bezw. 
Hippursäure berechnet werden. (Besser ist die gravimetrische Be¬ 
stimmung.) 

Um nun die Gesamratbenzoesäure zu bestimmen, verfährt man nach 
dem Vorbilde von Pfeiffer, Bloch und Riecke 1 ), indem man den 
Harn bei einer Concentration von 50 pCt. H 2 S0 4 destillirt. Man muss 
es indessen aber nicht so machen, wie z. B. auch Seo es angestellt 
hat, dass man einfach destillirt und dann, wenn sich die Concentration 
geändert hat, wieder H 2 0 zusetzt und wieder destillirt, sondern einfacher 
und sicherer so, dass man den Harn bei einer Concentration von 
50 pCt. H 2 S0 4 , die sich während des ganzen Versuches völlig aufrecht 
erhalten lässt, der Dampfstromdestillation unterwirft. Man destillirt 
dabei 2 Liter Wasser durch indem man in die Vorlage Na^CC^ giebt, 
dampft das alkalische Destillat ein und extrahirt mit Petroläther in einer 
Extractionsflasche, nachdem man mit HCl angesäuert hat. Der Petrol¬ 
äther wird in entsprechender Flasche abgeblasen und die Benzoesäure 
gewogen (vergl. Wiechowski, Hofmeisters Beiträge. Bd. VII). 

Auf diese Weise erhält man dann 1. die Gesammtbenzoesäure, 
2. die an Glykokoll gebundene und 3. die ungebundene Benzoesäure, 
als Differenz die Glukuronsäure-Benzoesäure. 

Man kann statt dessen auch das Filtrat der Hippursäure, das mit 
Aether mehrmals extrahirt wurde, der Dampfdestillation unterworfen, 
nachdem man noch concentr. H 2 S0 4 (bis zur Concentr. von 50 pCt.) 


1) Mittheilungen des landwirtschaftlichen Instituts der Universität Breslau. 
11. 237-293. 1905. 


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736 Th. Brugsch, Ueber die Grenzen der Hippursäurobildung beim Menschen. 


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zugesetzt hat; dann erhält man im Destillat die Glukuronsäure-Benzoe¬ 
säure als Benzoesäure. 

Diese Methodik der Hippursäure-Benzoesäure- und Glykoronsäure- 
benzoesäurebestimmung dürfte sich als die quantitativste und einwands¬ 
freieste bei grösseren Benzoesäure- bezw. Hippursäuremengen empfehlen. 

Auch bei der Schmiedeberg-Bunge’schen Hippursäurebestimmung dürfte es 
sich empfehlen, nach Verdunstung des Essigäthers und nach Extraction des Rück¬ 
standes mit Petroläther die Hippursäure, statt sie mit Thierkohle zu reinigen, der 
Dampfstromdestillation in einer Concentration von 50 pCt. H 2 S0 4 zu unterwerfen und 
das Destillat in oben angegebener Weise gravimetrisch oder titrimetrisch zu bestimmen. 

Nach der oben angegebenen Weise habe ich nun bei einem Patienten, 
dem 30 g Na. benzoicum verabreicht worden waren, im Harn (2 Liter) 
an Gesammtbenzoesäure wiederfinden können: 

Durch Dampfstromdestillation mit 50 pCt. H 2 S0 4 

= 22,2 g Benzoesäure (das sind rund 90 pCt. der Einnahme). 

An freier Benzoesäure = 0. 

An glykokollgebundener Benzoesäure = 11,6 g. 

Mithin waren als Benzoesäureglykuronsäure vorhanden = 

10,6 g Benzoesäure = 43 pCt. der aufgenommenen Benzoesäure und 
47,7 pCt. der ausgeschiedenen Benzoesäure. 

Da nunmehr auf diese Weise eine exacte Trennung der drei 
Fractionen möglich geworden ist, verdient die Frage der Benzoesäure¬ 
bindung im Organismus erneutes Interesse; ich habe gemeinsam mit 
Dr. Tsuchiya die Versuche darüber aufgenommen und werde in Kürze 
darüber berichten. (Die Versuche sind bereits abgeschlossen und werden 
im nächsten Heft dieser Zeitschrift publicirt.) 


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XL VII. 


Aus der II. medicin. Universitätsklinik Berlin. 

Ueber den Umfang der Hippursfturesynthese beim Menschen. 

Von 

Dr. Iwaho Tsuchiya in Tokio (Japan). 

In einer Arbeit über die Rolle des Glykokolls im intermediären 
Eiweissstoffwechsel beim Menschen 1 ) kam Brugsch auf Grund einiger 
Versuche nach Benzoesäurefütterung zu dem Resultat, dass man durch 
grosse Mengen Benzoesäure intermediär dem Menschen nicht mehr 
Glykokoll entziehen kann, als man nach dem erwarten kann, was wir 
durch die Hydrolyse des Eiweisses in vitro über den Glykokollgehalt 
des Eiweisses wissen. 

In der Minkowski’schen Klinik hat nun Lewinski 2 ) auf Grund 
der Arbeit von Brugsch Versuche in gleicher Richtung angestellt, wobei 
er fand, dass man durch Benzoesäurezufuhr beim Menschen dem Orga¬ 
nismus Glykokollmengen entziehen kann, „deren Beziehung zum Gesammt- 
N den von Brugsch normirten Grenzwerth von 3 pCt. weit hinter 
sich lässt.“ 

Die Versuche von Lewinski sind aber, wie Brugsch in der vor¬ 
hergehenden Mittheilung kurz darlegt, für die Beurtheilung dieser Ver¬ 
hältnisse werthlos, weil Lewinski, um die Gefahr der Hippursäure¬ 
spaltung zu umgehen, dem Harn jedesmal 30 ccm Acidum carbolicum 
liquefactum zugesetzt hat. Da die Carbolsäure von Alkohol und Essig¬ 
äther gut aufgenommen wird, so ist das, was Lewinski als Hippursäure 
wog, eben nicht reine Hippursäure, sondern eine Mischung von Hippur¬ 
säure und Carbol (das unter diesen Umständen auch krystallisiren kann). 

Die Frage der Hippursäuresynthese steht also vorläufig noch auf 
dem von Brugsch verlassenen Standpunkte, dessen Versuche ich auf 
seine Veranlassung fortgesetzt habe. 

Um der Gefahr der nachträglichen Hippursäurespaltung im Urin zu 
entgehen, die im Uebrigen durchaus nicht (bei saurem Urin) so gross 
ist, wie die Erfahrungen der Min ko ws kUschen Klinik zu zeigen scheinen, 
habe ich dem unmittelbar von den Patienten in eine Flasche entleerten 


1) Centralbl. f. die Path. u. Physiol. des Stoffwechsels. 1907. No. 14. 

2) Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 58. 1908. 


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I. Tsuchiya, 


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Urin Chloroform zugesetzt (Durchschüttelung des Urins!), wodurch jede 
Spaltung der Hippursäure sicher vermieden wird. 

Die Benzoesäure wurde in kleineren Portionen über den Tag (d. h. 
innerhalb 12 Stunden) vertheilt gegeben, der Harn während 24 Stunden, 
vom Beginn des Versuches an gerechnet, aufgefangen. 

Als Verfahren der Hippursäurebestimmung wählte ich die von 
Schmiedeberg und Bunge angegebene Methode, wobei ich zum An¬ 
säuern des Alkoholextractes in den meisten Fällen Phosphorsäure statt 
Salzsäure verwandte; im Uebrigen wurde meine Bestimmung der Hippur¬ 
säure ganz nach der von den Autoren gegebenen Vorschrift ausgeführt. 

Die Personen, denen die Benzoesäure verabreicht wurde, waren 
Patienten, die nur an arthritischen Beschwerden litten, deren innere 
Organe aber sonst völlig gesund waren. 

Versuch I. 

Frau E. 50 Jahre. Erhält innerhalb 12 Stunden 2 mal 2 g Aci¬ 
dum benzoicum. 

24 ständige Harnmenge 1000 ccm. 

Ausgeschieden: 

Gesammt-N = 13,02 g. 

Hippursäure = 2,136 g. 

Glykokoll-N in der Hippursäure = 0,167 g. 

Demnach Glykokoll: Gesammt-N = 1,28 pCt. 

Versuch 11. 

Frau E. 50 Jahre. Erhält innerhalb 12 Stunden 3 mal 2 g Aci¬ 
dum benzoicum. 

24 ständige Harnmenge 1900 ccm. 

Ausgeschieden: 

Gesammt-N = 13,98 g. 

Hippursäure — 3,28 g. 

Glykokoll-N in der Hippursäure = 0,256 g. 

Glykokoll-N: Gesammt-N = 1,83 pCt. 

Versuch III. 

Frau E. 50 Jahre. Erhält innerhalb 12 Stunden 15 g Acidum 
benzoicum (in 5 Portionen). 

24 ständige Harnmenge = 2680 ccm. 

Gesammt-N = 12,16 g. 

Hippursäure = 4,88 g. 

Glykokoll-N in der Hippursäure = 0,382 g. 

Glykokoll-N: Gesammt-N = 3,14 pCt. 

Versuch IV. 

Frau E. 50 Jahre. Erhält innerhalb 12 Stunden (in 5 Portionen) 
20 g Acidum benzoicum. 

24 ständige Harnmenge = 1820 ccm. 

Gesammt-N = 11,62 g. 

Hippursäure = 6,701 g. 

Glykokoll-N in der Hippursäure = 0,524 g. 

Glykokoll-N: Gesammt-N = 4,51 pCt. 


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Ueber den Umfang der Hippursäuresynthese beim Menschen. 739 

Versuch V. 

Frau E. 50 Jahre. Erhält innerhalb 12 Stunden (in 5 Portionen) 
15 g benzoesaures Natron = 12,3 g Benzoesäure. 

Gesammt-N = 11,38 g. 

Hippursäure = 6,92 g. 

Glykokoll-N in der Hippursäure = 0,541 g. 

Glykokoll-N: Gesammt-N = 4,75 pCt. 

Versuch VI. 

Frau E. 50 Jahre. Erhält innerhalb 12 Stunden (in 5 Portionen) 
20 g benzoesaures Natron = 16,4 g Benzoesäure. 

Ausgeschieden: 

Urinmenge 2250 ccm. 

Gesammt-N — 11,66 g. 

Hippursäure = 11,5 g. 

Glykokoll-N in der Hippursäure = 0,899 g. 

Glykokoll-N: Gesammt-N = 7,71 pCt. 

Versuch VII. 

Frau B. 40 Jahre. Erhält innerhalb 12 Stunden (in 5 Portionen) 
15 g benzoesaures Natron = 12,3 g Benzoesäure. 

Ausgeschieden: 

Urinmenge 1070 ccm (innerhalb 12 Stunden). 

Gesammt-N = 6,08 g. 

Hippursäure = 4,43 g. 

Glykokoll-N in der Hippursäure = 0,346 g. 

Glykokoll-N: Gesammt-N = 5,7 pCt. 

Versuch VIII. 

Patient G. 50 Jahre. Erhält innerhalb 12 Stunden (in 6 Portionen) 
30 g benzoesaures Natron = 24,6 g Acidum benzoicum. 

Ausgeschieden: 

Urinmenge = 2000 ccm. 

Gesammt-N = 12,04 g. 

Hippursäure = 17 g 1 ). 

Glykokoll-N in der Hippursäure = 1,33 g. 

Glykokoll-N: Gesammt-N = 11,04 pCt. 

Ueberblicken wir diese Versuche, so ergiebt sich zunächst, dass man 
allerdings durch sehr grosse, über den Tag vertheilte Dosen von Benzoe¬ 
säure dem menschlichen Organismus mehr Glykokoll entziehen kann, 
als dem Werthe entspricht, den man in vitro durch Hydrolyse einer 
Menge Eiweiss erhält, welche der während der Benzoesäureausscheidung 
ausgeschiedenen Stickstoffmenge des Harns adaequat ist. Indessen sind 
die Maximalwerte keineswegs derartig grosse, dass man ohne Weiteres 
anzunehmen berechtigt wäre, dass beim Menschen das Glykokoll wirklich 

1) Die Bestimmung der Hippursäure wurde hier nach einer anderen Methode 
ausgeführt (s. die vorangehende Arbeit von Brugsch). 


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I. Tsuchiya 


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auf anderem Wege entstünde als durch fermentative Hydrolyse des 
Eiweisses. Vergleicht man die durch Benzoesäure herausgezogenen 
N-Mengen in ihrer Relation zum Gesammtstickstoff mit den Mengen, die 
man beim ausgesprochenen Herbivoren herausziehen kann, so tritt das 
Hippursäurepaarungsvermögen beim Menschen fraglos zurück gegenüber 
dem Herbivoren. So fand beispielsweise Wiechowski 1 ) beim Kaninchen 

das Verhältniss von N bis au f 64 pCt. heraufgehend, Magnus- 

Gesammt-Is r 

Lcvy 2 ) beim Hammel bis zu 27,8 pCt. Allerdings lässt sich der Ein¬ 
wand erheben, dass auch beim Menschen durch noch viel grössere Dosen 

sich der Quotient ^jkokoll N ^ ^ re j6 en lässt, das mag ja sein, 
Gesammt-N 

indessen ist es unwahrscheinlich, dass sich auch dann dieser Quotient 
bis zu solcher Höhe erhebt, wie bei den Herbivoren. 

Verfolgt man in unseren Versuchen das Verhältniss der als Hippur¬ 
säure ausgeschiedenen Benzoesäure zu der eingegebenen Benzoesäure, so 
erhalten wir folgende Werthe: 


ö 


b 



a 

Ausgeschiedene 

b X 100 

'o 

3 

Eingegebene Benzoe¬ 

Hippursäure auf 

a 

C/i 

Ui 

säure in Gramm 

Benzoesäure 


> 


berechnet 

pCt. 

1 

n 

4 

Versuche i g 

1,455 

2,234 

36,4 

37,2 

in 

IV 

mit reiner < ^ 
Benzoesäure [ gQ 

3,323 

4,56 

22,15 

22,8 

V 

Versuche ( 12,3 

4,61 

37,5 

VI 

mit Benzoe- < 16,4 

7,83 

47,8 

vm 

säure-Natron [ 24,6 

11,58 

47,1 


Ueberblickt man diese Zahlen, so kann man Folgendes sagen: Ent¬ 
weder ist die verabreichte Benzoesäure nicht ganz resorbirt worden, oder 
aber der Körper des Menschen ist principiell nicht im Stande, die ge- 
sammte Benzoesäure mit Glykokoll zu entgiften. Den Rest würde er 
dann entweder als freie Benzoesäure oder als eine in anderer Form ge¬ 
bundene Benzoesäure ausscheiden müssen 3 ). Dass er letzteres wirklich 
thut, nehmen wir vorweg und bemerken gleichzeitig, dass nach unseren 
gemeinsam mit Brugsch erhobenen Erfahrungen, die wir demnächst 
publiciren werden, die Bindung der Benzoesäure in anderer Form beim 
Menschen eine grosse Rolle spielt. 

Was die Resorption anbelangt, so wird benzoesaures Natron nach 
unseren Erfahrungen anscheinend vollständig resorbirt, darüber werden 
wir demnächst ebenfalls mit Brugsch zusammen berichten; indessen 
scheint es, als ob die Benzoesäure, als solche verfüttert, nicht so gut 


1) Hofmeisters Beiträge. Bd. VII. 

2) Münch, med. Wochenschr. 1905. S. 2168. 

3) Die Möglichkeit einer Oxydation von Benzoesäure käme allerdings auch in 
Frage; darüber werden wir später berichten. 


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lieber den Umfang der Hippursäuresynthese beim Menschen. 


741 


resorbirt würde, daher die relativ niedrigen Werthe des Verhältnisses 

— Hippursäure^ j n ( j en Versuchen 111 und IV. 

eingenommene Benzoesäure 

Wäre nun der Organismus wirklich im Stande, selbst bei sehr 
grossen Dosen von verabreichter Benzoesäure stets bis zu 50 pCt. der 
Benzoesäure zu entgiften, so Hesse sich a priori das Maximum der 
Glykokollausscheidung (bei Kenntniss der N-Menge des 24 Stunden-Harns) 
berechnen. Indessen beweisen Versuche von Weiske 1 ) und Magnus- 
Levy 2 ), dass beim Hammel das Hippursäuresynthesevermögen doch bis 
zu einem gewissen Grade limitirt ist. 15 g Benzoesäure wandelt der 
Hammel noch glatt in Hippursäure um. Bei Dosen von 40—50 g wird 
indessen bereits 11—15,8 (Minimalwerthe!) in anderer Weise als an 
Glykokoll gepaart ausgeschieden; dabei scheint nach den in der Lite¬ 
ratur vorliegenden Versuchen die Hippursäuresynthese progressiv mit der 
verabreichten Dosis Benzoesäure abzunehmen. Das Gleiche sollte man 
auch für den Menschen annehmen; dass dem wirklich so ist, werden 
unsere Versuche, die wir weiter unternommen haben, lehren. 

1) Zeitsohr. f. Biol. Bd. 12. 

2) 1. c. 


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XL VIII. 


Aus der II. medicinischen Klinik der Königl. Charite. 

Ein Beitrag zum Verhalten des Trypsins jenseits 
der Darmwand. 

Von 

Dr. Karl Bamberg, 

Vol.-Aesistent der Klinik. 

Es giebt in der menschlichen wie in der thierexperimentellen Pa¬ 
thologie Processe, bei denen viel Pankreaszellinhalt bezüglich Pankreas- 
secret vom Peritoneum aus zur Resorption gelangen muss, Processe, die 
man als acute Pankreatitis, acute Pankreasnekrose, oder auch besser 
mit Chiari (1) als „Pankreasautodigestion“ bezeichnet. 

Die Resorption dieser Stoffe führt, wie v. Bergmann (2) und Gu- 
leke (2) gezeigt haben, zur tödtlichen Vergiftung. Es besteht die Mög¬ 
lichkeit, dass als Folge der vermehrten Resorption grössere Mengen von 
aus dem Pankreas stammenden Substanzen im Urin ausgeschieden werden. 
Vor Allem ist demnach zu prüfen, ob Trypsin im Urin erscheint, und 
dann, ob gewisse Serumveränderungen in Bezug auf tryptische und anti- 
tryptische Kräfte sich bemerkbar machen. Beides könnte diagnostische 
Bedeutung gewinnen. 

Es ist dies ein Gedankengang, dem v. Bergmann wiederholt ge¬ 
folgt ist. Im Anschluss an seine und Guleke's experimentelle Arbeiten be¬ 
züglich des Wesens und der Todesursache bei acuter Pankreasautodigestion 
habe ich auf Veranlassung von Dr. v. Bergmann die folgenden Unter¬ 
suchungen angestellt, die sich uns bald dahin erweiterten, allgemeiner 
zu fragen, was wird aus dem Trypsin, bezüglich den tryptischen Fer¬ 
menten überhaupt jenseits der Darmwand? Während der Verdauung 
müssen ja höchst wahrscheinlich erhebliche Trypsinmengen in die Blut¬ 
bahn gelangen, welches ist dort ihr Schicksal, und wie verhält sich 
Trypsin, das auf anderem Wege beigebracht wird, etwa subcutan oder 
vom Peritoneum aus in der Art, wie es bei den Experimenten zur Er¬ 
zeugung acuter Pankreasautolyse v. Bergmann (2) und Guleke (2) 
ausgeführt haben? 

Die nächste Aufgabe war es, in obigem Sinne die schon oft stu- 
dirten Fragen nach dem Auftreten von Trypsin im Harn unter normalen 
und pathologischen Bedingungen noch einmal anzugehen. 


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Ein Beitrag zum Verhalten des Trypsins jenseits der Darmwand. 


743 


Die Literatur über dieses Gebiet ist sehr umfangreich. Aeltere An¬ 
nahmen über ein regelmässiges Vorhandensein von Trypsin im Harn 
(Sahli, Gehrig) wurden durch eine gründliche Kritik Leo’s (3) besei¬ 
tigt. Eine eingehende Arbeit Hoffraann’s (4), bei Grützner ausge¬ 
führt, kam dann ebenfalls zu dem Ergebniss, dass Trypsin im Harn in 
der Norm niemals vorkommt. Für unsere Fragestellung ist aber ein 
Befund von ganz besonderer Bedeutung, auf den Hoffmann ganz am 
Schluss seiner Arbeit hinweist. Er fand bei einem Kaninchen nach 
Unterbindung des Ductus pancreaticus Trypsin in reichlicher Menge im 
Harn. Die späteren Befunde in der Literatur sind fast durchgehend 
dahin einig, dass Trypsin im Harn nicht vorkommt. Nur in neuester 
Zeit wurden positive Resultate publicirt von Brodzki (5). Das Wider¬ 
sprechende erklärt sich zum Theil in der Schwierigkeit einer für den 
Urin völlig einwandsfreien Methode. Das Lösen einor Fibrinflocke, das 
Verweilen von Mett'sehen Röhren durch lange Stunden in einer Flüssig¬ 
keit von so wechselnder Salzconcentration wie dem Harn, das leichte 
Faulen des alkalisch gemachten Urins u. s. w. trug zum Theil Schuld 
an den widersprechenden Resultaten, v. Bergmann hat nun vor län¬ 
gerer Zeit bei normalen und im Gegensatz dazu bei Hunden nach ex¬ 
perimenteller Pankreasautodigestion versucht, Trypsin im Harn aufzu¬ 
finden. Fast alle verfügbaren Methoden wurden herangezogen: Der 
Nachweis durch die Lösung einer einfachen Fibrinflocke, oder die Ver¬ 
dauung von Eiweissscheibchen, der Nachweis mit durch Magdalaroth ge¬ 
färbtem Fibrin, der Nachweis mit Mett’schen Röhren, auch nach Ge¬ 
winnung des Ferments im Uranylacetatniederschlage. Am einwands¬ 
freiesten erschien noch die Methode von Schümm. Sie besteht im 
Auftreten von Tyrosinnadeln in einer Lösung von Wittepepton als Aus¬ 
druck der tryptischen Verdauung. Neben ganz vorwiegend negativen 
Resultaten gelang v. Bergmann in einem Falle experimenteller acuter 
Pankreasnekrose des Hundes mit der Schumm’schen Methode der 
Nachweis von Trypsin im Urin. Die Versuche sind eben wegen ihres 
vorwiegend negativen Charakters anderwärts nicht publicirt worden. 

Die abgebrochenen Versuche nahm ich nun wieder auf, nachdem 
uns Fuld im Herbst 1907 die jetzt viel citirte Methode eines quanti¬ 
tativen Trypsinnachweises zur Verfügung gestellt hatte. Gross (6) hat 
vor Fuld eine fast gleiche Methode publicirt. Nunmehr war Aussicht 
vorhanden, das Problem zur Entscheidung zu führen. 

Ich habe auf die Technik der Methode, die von uns zum Nach¬ 
weise antitryptischcr Wirkung erweitert wurde, an dieser Stelle nicht 
ausführlich cinzugehen, ist sie doch in einer Arbeit von v. Bergmann 
und Kurt Meyer (7) ausführlich in Bezug auf ihre Technik publicirt 
worden. Gerade für den Nachweis von Trypsin im Harn bietet die 
Caseinmethode im Gegensatz zu den früheren erhebliche Vortheile. Vor 
Allem kommt die Gefahr, die frühere Untersucher vielfach irre geleitet 
hat, nämlich die bakterielle Zersetzung des Urins nicht in Betracht, da 
man im Stande ist, im frisch gelassenen Urin, nachdem er eine halbe 
Stunde im Brutschrank geblieben ist, schon das Resultat zu erhalten. 
Die überaus einfache Methode, bei der alle Controlen bequem angestellt 


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744 


K. Bamberg, 


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werden können, dürfte so sicher sein, dass technische Irrthümer wohl 
mit Gewissheit ausgeschaltet werden können. 

Man hat geltend gemacht, Trypsin werde im Harn deshalb nicht 
gefunden, weil in der meist sauren Lösung das Harnpepsin das Trypsin 
zerstöre, oder weil der Urin überhaupt nachtheilige Wirkung auf das 
Trypsin habe. 

Nachdem ich mich überzeugt hatte, dass ich mit der von mir ge¬ 
wählten Versuchsanordnung ein Decimilligramm des Trypsin, purissimum 
Grübler in Lösung noch deutlich nachweisen konnte, und dass die 
gleiche Menge einer 1 proc. Lösung stets fast genau gleich starke tryp- 
tische Wirkung entfaltete (gleiche Lösungsbedingungen und Alkalescenz 
vorausgesetzt), setzte ich zu 10 ccm menschlichen Urins, ebenso zu 
Kaninchen- und Hundeharn 1 ccm einer 1 proc. Trypsinlösung. Nach 
10 und 24 Stunden bei Zimmertemperatur, auch nach lOstündigem 
Verweilen im Thermostaten war Trypsin auch in saurem Urin noch in 
Mengen nachweisbar, die mit der Controle, bei der das Trypsin lediglich 
mit physiologischer Kochsalzlösung versetzt war, gut übereinstimmten. 
Gleichzeitig mit dem Zusatz der Caseinlösung wurden die Urine selbst¬ 
verständlich neutralisirt beziehungsweise schwach alkalisch gemacht 
(s. Tabelle I). 

Tabelle I. 

Menschenharn sauer 9 ccm + 1 ccm einer cinprocentigcn Trypsinlösung (Trypsin, 
purissimum Grübler). 

Nach 10 und 24 Stunden bei Zimmertemperatur; beide Mal derselbe Ausfall 
und zwar 


1 proc. 

Trypsinlösung 

Kochsalz¬ 

lösung 

Caseinlösung 

Ausfall 

ccm 

ccm 

ccm 


1,0 

0 

2 

verdaut 

0,5 

0,5 

2 

verdaut 

0,1 

0,9 

2 

nicht verdaut 

0 

1 

2 

nicht verdaut 


Nach 10 und 24 Stunden in Thermostaten (2 gleiche Versuche). 


1,0 

0 

2 

verdaut 

0,5 

0,5 

2 

verdaut 

0,1 

0,9 

2 

nicht verdaut 

0 

1 

2 

nicht verdaut 


Also auch nach 24 Stunden im Brutschrank kein Zurückgehen der tryp- 
tischen Wirkung. 

Damit ist gezeigt, dass die angenommene secundäre Zer¬ 
störung des Trypsins im Urin eine wesentliche Rolle nicht 
spielt, also auch nicht den Grund für die negativen Befunde 
des Trypsins im Urin abgeben kann. 

Ich habe dann 14 menschliche Urine und 8 Hunde-Urine auf ihren 
Trypsingehalt untersucht. Die Controlen wurden stets in der Weise 
ausgeführt, dass die Urine in zwei Portionen getheilt wurden; die eine 
Portion wurde aufgekocht, die andere nicht, mit beiden Proben wurden 


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Ein Beitrag zum Verhalten des Trypsins jenseits der Darrawand. 


745 


die gleichen Reihen angesetzt. Jedesmal ergab sich, dass in beiden 
Reihen die Resultate völlig übereinstimmten, dass also eine Verdauung 
des Caseins niemals stattgefunden hatte, im Gegensatz zu anderen Con¬ 
trolversuchen, bei denen eine Spur Trypsinlösung (0,05 ccm einer lproc. 
Lösung) zu 0,5 Urin zugesetzt waren; zur grösseren Anschaulichkeit 
setze ich eines zahlreicher dieses Verhalten illustrirender Beispiele hierher 
(s. Tabelle II). 


Tabelle II. 


Urinmcnge 

ccm 

Kochsalz¬ 

lösung 

ccm 

Caseinlösung 

ccm 

Ausfall 

5 

0 

2 

nicht verdaut 

3 

0 

2 

do. 

1 

0 

2 

do. 

0,5 

0,5 

2 

do. 

0.3 

0,7 

2 

do. 

0,2 

0,8 

2 

do. 

0,1 

0,9 

2 

do. 

( 0,5+ 0,05 ccm 

0,5 

2 

verdaut 

Controle ( einer 1 proc. 




1 Trypsinlösung 





In der Meinung, dass die Verdauungsthätigkeit einen Einfluss in 
Bezug auf die Trypsinausscheidung haben könne, habe ich bei denselben 
Individuen, Menschen wie Hunden, zu verschiedenen Zeiten nach reich¬ 
licher Nahrungsaufnahme den Urin untersucht, aber stets mit negativem 
Erfolge. 

Ich komme also zunächst zu dem Schlüsse, dass im 
menschlichen, wie im Kaninchen- und Hundeurin normaler 
Weise eine tryptische Wirkung nicht nachweisbar wird mit 
einer Methode, welche im Stande ist, in 5 ccm Urin noch 0,05 ccm 
Trypsinlösung (1 proc. Lösung des Trypsin purissimum Grübler), d. h. 
5 Decimilligramm des Pulvers ganz unzweifelhaft nachzuweisen. 

Mein Resultat steht mit den älteren Angaben, soweit sie der Kritik 
standgehalten haben, vollkommen im Einklang, scheint aber zu wider¬ 
sprechen den jüngsten Befunden von Brodzki (5), die für den Säug¬ 
lingsurin bis zu einem gewissen Grade von Benfey (8) bestätigt worden 
sind. So chemisch einwandsfrei in der That der Nachweis einer proteo¬ 
lytischen Wirkung dadurch sein mag, dass der nicht coagulable Stick¬ 
stoff einer eiweisshaltigen Flüssigkeit zunimmt (Methode von Brodzki), 
so sehr ist doch zu bedenken, dass bei der bekannten Schwierigkeit, 
Eiweiss quantitativ in saurer Lösung zu coaguliren, auf kleine Differenzen 
kein Gewicht gelegt werden darf. Es ist die Methode, durch Fällung 
mit Säuren nachzuweisen, ob Casein in einer Lösung noch vorhanden 
ist, gewiss chemisch auch etwas Zuverlässiges, wenn man bedenkt, dass 
die Urine für unseren Nachweis immer stark verdünnt sind. Dass 
Brodzki und Benfey aber auch erheblichere Unterschiede im Stick¬ 
stoff gefunden haben, als sie durch solche Irrthümer zu erklären wären, 


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746 


K. Bamberg, 


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steht ausser Frage. Der Gegensatz meiner und ihrer Resultate liegt 
meines Erachtens einfach darin begründet, dass sie 24 Stunden dem 
Ferment Gelegenheit gegeben haben, verdauend einzuwirken, ich dagegen 
nur 30 Minuten. In der That fand sich denn auch eine proteolytische 
Wirkung, wenn ich, mit Mengenverhältnissen des Trypsins arbeitend, die 
nach 30 Minuten nicht nachweisbar waren, meine Eprouvetten 24 Stunden 
lang im Brutschränke stehen liess. Ich bin näher diesem Verhalten 
nicht nachgegangen. Für unsere specielle klinische Fragestellung kommt 
es vor Allem an auf das quantitative Resultat, dass in 5 ccm normalen 
Urins jedenfalls weniger als 5 Decimilligramm trockenen käuflichen 
Trypsinpulvers enthalten sein müssen, denn eine grössere Menge wäre 
mit meiner Methode mit Sicherheit nachweisbar gewesen. Kleinere Mengen 
Trypsin, die immerhin für andere Fragestellungen wichtig sein mögen, 
lassen sich mit meiner Versuchsanordnung nicht nachweisen; über sie 
wird also hier kein Urtheil abgegeben. Gerade darin liegt aber ein 
Vortheil unserer Methode, dass wir, und darauf kommt es für unsere 
Zwecke an, ein quantitatives Minimalmaass besitzen. 

Ich habe nun 5—7 kg schweren Hunden Trypsinlösungen subcutan 
beigebracht und verfolgt, bei welchen Dosen und wie lange nach der 
Injection Trypsin im Harn auftritt. Auch bei Dosen von 0,5 g trockenen 
Pulvers, als Lösung injicirt, war kein Trypsin im Urin nachweisbar. 
Dagegen fand sich nach subcutaner Injection einer Lösung von 1,0 Trypsin 
purissimum Grübler eine deutliche Ausscheidung, die über 24 Stunden 
anhielt und nach approximativer Berechnung etwa die Hälfte der ein¬ 
geführten Dosis wieder erscheinen liess. Ich mache dabei allerdings die 
willkürliche Annahme, dass das Proferment, welches wohl auch im Pulver 
enthalten ist, nicht weiter beim Passiren des Körpers activirt wurde. 
Damit ist gezeigt, dass erst gewaltige Dosen vom Körper 
in der Form wirksamen Trypsin durch den Harn in nennens- 
werther Menge eliminirt werden. Es kommt also anscheinend 
parenteral zugeführtes Trypsin nicht leichter zur Ausschei¬ 
dung, wie in den Darm nach einer Mahlzeit ergossenes ver¬ 
dauendes Secret. 

Schwindet damit die Hoffnung auch beinahe vollständig bei chro¬ 
nischem Zugrundegehen von Pankreasgewebe, etwa der Entwickelung 
einer Pankreasnekrose, Trypsin im Harn zu finden, so wäre in einzelnen 
klinischen Fällen sehr beschleunigter Pankreasautolyse ein Auftreten 
immer noch denkbar. Ich habe, ganz analog wie v. Bergmann und 
Guleke vorgegangen sind, das Pankreas eines Hundes in die Bauch¬ 
höhle eines anderen Versuchstieres implantirt. Ich beobachtete ganz 
wie sie dieselben Vergiftungserscheinungen, die rasch innerhalb 24 Stunden 
zum Tode führten, und kann auch den typischen Sectionsbefund nur be¬ 
stätigen; zum Theil sah ich ebenfalls schöne Fettgewebsnekrosen in der 
Bauchhöhle, namentlich an Stellen, die mit den Pankreasstückchen in 
unmittelbarer Berührung gewesen waren. Im Urin fand sich einmal 
Trypsin unter 6 Fällen gerade eben nachweisbar; sonst waren auch hier 
die Befunde stets negativ. 

Endlich hatte ich Gelegenheit, an einem von Herrn Dr. Brugsch 


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Ein Beitrag zum Verhalten des Trypsins jenseits der Darmwand. 


747 


operirten Hunde den Urin nach Unterbindung des Hauptpankreasganges 
zu untersuchen. Ich erhielt ebenfalls ein negatives Resultat. 

Zusammengenommen mit dem einen positiven Resultate Hoffmann’s 
am Kaninchen, mit dem positiven Befunde v. Bergmann’s, von dem 
ich oben berichten durfte, führen auch meine Untersuchungen zu dem 
Schlüsse, dass wohl einmal bei acutestem Zugrunde gehen des 
ganzen Pankreas klinisch Trypsin im Urin gefunden werden 
könnte, dass aber bei Weitem in der Mehrzahl der Fälle 
gerade wie in unseren Experimenten das Resultat ein nega¬ 
tives sein dürfte. Aussicht auf diagnostische Verwerthbarkeit dieses 
Befundes besteht also so gut wie nicht. 

All dies Beobachtete lehrt uns in Uebereinstiminung mit den 
früheren Autoren, dass Trypsin erst bei Ueberflutung des Organismus in 
nennenswerther Weise zur Ausscheidung gelangen kann, dass dagegen 
schon von sehr erheblichen Mengen nichts oder so gut wie nichts im 
Urin erscheint. 

Was wird aus dem Trypsin im Organismus? Die gewöhnliche An¬ 
nahme, dass es zerstört wird, erscheint mir nicht die einzige Möglich¬ 
keit. Es giebt mehrere solche, ausser der eigentlichen „Zerstörung 14 , 
d. h. wohl der chemischen totalen Destruction, nämlich ein Verschwinden 
des Trypsins durch 

1. Ablagerung in den Organen, 

2. Neutralisation durch einen Antikörper, 

3. endlich Dissociation des wirksamen Complexes, wenn man die 
Annahme macht, dass erst das Zusammentreten von Protrypsin und 
Kinase das eigentliche active Trypsin ausmacht. Die Forschung über 
die proteolytischen Fermente in den Organen (autolytische Fermente) hat 
erschlossen, dass es andere proteolytische Fermente sind, als das Pan¬ 
kreastrypsin [Jakobi (9)]. Aehnlich steht es mit dem jüngst viel 
studirten proteolytischen Leukocytenferment [Jochmann und Müller 
(10)]. Es ist aber dennoch möglich, dass neben den autolytischen 
Fermenten auch Pankreastrypsin in den Organen unter Umständen vor¬ 
handen ist. Wichtiger erschien, den Zusammenhang mit dem anti- 
tryptischen Verhalten des Serums zu ergründen, wie er seit den Arbeiten 
Hahn’s (11), Landsteincr’s (12), Glässner’s (13), Camus’ und 
Gley’s (14) u. A. m. bekannt ist. 

Wir überzeugten uns, wie gut gerade eine antitryptische Function 
mit unserer Methode nachgewiesen werden kann, indem wir einfach die 
tryptische Kraft einer Lösung mit und ohne Serumzusatz miteinander 
verglichen. Enteiweisste ich übrigens das Serum mit Kaolin, und ver¬ 
suchte ich dann die antitryptische Kraft im Filtrat festzustellen, so war 
diese verloren gegangen. 

Die von uns geübte Methode fand später Verwendung für eine 
Austitrirung klinischer Fälle zum Zwecke einer Nachprüfung der 
Brieger’schen Antitrypsinbestimmung, wie v. Bergmann und Meyer 
(7) auseinandergesetzt haben. Niemals, auch nicht nach grössten In- 
jectionen von Trypsin oder nach experimenteller Pankreasautolyse im Cavum 
peritonei wurde die antitryptische Kraft des Serums überneutralisirt, 


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K. Bamberg, 


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d. h. niemals ist im Serum nach solchen Eingriffen von mir proteo¬ 
lytische Wirksamkeit gefunden worden. Dagegen beobachtete ich öfters 
ein verschieden starkes antitryptisches Verhalten im Serum der Hunde. 
Diese Schwankungen sind von mir nicht völlig aufgeklärt worden. Es 
zeigte sich aber jedenfalls nach Trypsininjection jedesmal eine Ver¬ 
mehrung des Antitrypsins, ebenso wiederholt nach experimenteller Pankreas¬ 
autodigestion. Ich habe dies mit v. Bergmann in der Berliner 
klinischen Wochenschrift mitgetheilt und weise auf diese Publication hin 
(15). Das gleiche Thier zeigte nach Trypsininjection einen höheren 
Titer wie vorher, und das schon nach allerkürzester Zeit; daraus scheint 
hervorzugehen die Fähigkeit des Organismus, mit antitryptischen Stoffen 
sehr schnell auf Trypsineinfuhr zu antworten, sodass es eben nicht zum 
Auftreten überschüssigen Trypsins im Organismus kommt. Die Regel¬ 
mässigkeit einer gewissermaassen immunisatorischen Antitrypsinbildung 
ist durch weitere Thierversuche noch sicher zu stellen. 

Die letzte Möglichkeit, der ich mich zuwandte, liegt in der An¬ 
nahme begründet, dass das Trypsin gewissermaassen latent würde; fassen 
doch manche, vor allem Delezenne (16) die Umwandlung von Pro¬ 
trypsin in Trypsin so auf, wie eine Vereinigung von Protrypsin und 
Kinase zum eigentlichen Trypsin, analog etwa wie in der modernen 
Blutgerinnungslehre das Thrombin ein complexer Stoff ist und ähnlich die 
meisten Hämolysine. In diesem Sinne habe ich studirt, ob im Urin 
oder im Serum ein durch Kinase activirbares Protrypsin vorhanden ist. 
So wurde ich zum Studium der Enterokinase geführt, gegen die ja nach 
Delezenne das Antitrypsin des Serums gerichtet ist, sodass dieses 
eigentlich eine Antienterokinase wäre. Nach Delezenne’s Vorschriften 
habe ich Kinase aus abgeschabter Dünndarmschleimhaut wie aus frischem 
Fibrin gewonnen und mich überzeugt, dass im Urin auch durch Ki¬ 
nase activirbares Protrypsin nicht vorhanden ist. Es konnte 
mit meiner Enterokinase sehr schön demonstrirt werden, dass die ver¬ 
wendete Trypsinlösung reichlich Protrypsin enthält, d. h. nach Kinase¬ 
zusatz war der Titer proteolytischer Wirksamkeit ein viel 
höherer (s. Tabelle III). 

Versuche, nachzuweisen, ob das Antitrypsin wirklich eine Anti¬ 
enterokinase ist, haben noch zu keinem einwandsfreien Resultate geführt. 
Es ergab sich bei bestimmten Mengenverhältnissen ein paradoxes Ver¬ 
halten, das an Analogien mit der Complementablenkung erinnert, wenn 
man Kinase und Protrypsin vergleicht mit Corapleraent und Amboceptor. 
Ein Amboceptorüberschuss scheint die Proteolyse durch solche Ablenkung 
hemmen zu können. 

v. Bergmann und Meyer sind des Weiteren damit beschäftigt, 
die Rolle der Kinase und des Protrypsins in diesem Sinne zu unter¬ 
suchen. Soviel geht aber schon aus meinen Untersuchungen 
hervor, dass die antitryptische Kraft im Serum, die schnell 
um ein Mehrfaches gesteigert werden kann, genügt, selbst 
grosse Mengen durch den Darm oder auf anderem Wege auf¬ 
genommenes Trypsin zu neutralisiren. Das erscheint nach 


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Ein Beitrag zum Verhalten des Trypsins jenseits der Darmwand. 


749 


Tabelle III. 

a) 


Serum 

ccm 

1 proc. 

Trypsin lösung 

ccm 

Kochsalz¬ 

lösung 

ccm 

Caseinlösung 

ccm 

Ausfall 

1 

0,2 

0 

2 

nicht verdaut 

0,5 

0,2 

0,5 

2 

do. 

0,3 

0,2 

0,7 

2 

do. 

0,2 

0,2 

0,8 

2 

do. 

Vio 1,0 

0,2 

0 

2 

do. 

V io 0,5 

0,2 

0,5 

2 

do. 

Vio 0,8 

0,2 

0,7 

2 

verdaut 

V 10 0,2 

0,2 

0,8 

2 

do. 

Vioo LO 

0,2 

0 

2 

do. 


b) 


Serum 

ccm 

1 proc. 

Trypsinlösung 

ccm 

Enterokinase 

ccm 

Kochsalz¬ 

lösung 

ccm 

Caseinlösung 

ccm 

Ausfall 

Vio 

0,5 

0,2 

0,5 

0,5 

2 

verdaut 

V.o 

0,5 

0,2 

0,05 

0,5 

2 

do. 

V10 

0,5 

0,2 

0,005 

0,5 

2 

do. 



0 

0,5 

0,5 

2 

nicht verdaut 


allem Vorausgegangenen der Grund, weshalb keine oder nur 
unwesentliche Mengen von wirksamem Trypsin durch den 
Harn eliminirt werden. 


Literatur. 

1) Chiari, Zeitsobr. f. Heilk. Bd. 18. — Prager med. Wochenschr. 1900. — Ver- 
handl. d. Deutschen pathol. Ges. Bd. 5. 

2) v. Bergmann, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Ther. Bd. 3. S. 401. 1906. 
Guleke, Arch. f. klin. Chir. Bd. 78 u. 81. 1906 u. 1908. 

3) Leo, Pllüger’s Arch. Bd. 39. S. 246. 

4) Hoffmann, Pflüger’s Arch. Bd. 41. S. 148. 

5) Brodzki, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 63. 1907. 

6) Gross, Arch. f. exper. Pharm. Bd. 58. 1907. 

7) v. Bergmann u. Meyer, Berlin, klin. Wochenschr. 1908. No. 37. 

8) Benfey, Biochemische Zeitschrift. Bd. 10. 1908. 

9) Jakobi, Ergebnisse der Physiol. Bd. 11. S. 213 ff. 

10) Jochmann u. Müller, Münch, med. Wochenschr. 1906. No. 29, 31. 1907. 
No. 8. 

11) Hahn, Berl. klin. Wochenschr. 1897. 

12) Landsteiner, Centralbl. f. Bakt. 1900. 

13) Glassner, Hoffmeisters Beiträge. Bd. 4. S. 79. 

14) Kamus u. Gley, Comptes rendus de la soc. de biol. Tome 49. p. 829. 1897. 

15) v. Bergmann u. Bamberg, Berl. klin. Wochenschr. 1908. No. 30. 

16) Delezenne, Comptes rendus de la soc. de biol. Tome 53—55. 


Zeitschrift f. exp. Pathulogie u. Therapie. 5. Pd. 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



XL1X. 


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Aus der II. medicin. Universitätsklinik und der chemischen 
Abtheilung des pathologischen Universitäts-Instituts zu Berlin. 

Zur Kenntniss der prämortalen Stickstoffsteigerung'). 

Von 

Dr. Karl Reicher, 

poliklin. Assistent. 

Zu den strittigen Fragen des Hungerstoffwechsels gehört trotz der 
Arbeiten von E. Voit, F. N. Schulz und ihren Schülern noch immer 
die Frage nach der Ursache des prämortalen Anschwellens der Eiweiss¬ 
zersetzung. Während Voit die Verarmung des Organismus an Fett 
dafür verantwortlich macht, beschuldigt Schulz Nekrosen grösserer 
Zellcomplexe und Autointoxicationen einer ursächlichen Rolle. Es ver¬ 
lohnte sich daher, dieser Frage mit Zuhülfenahme der Dunkelfeld¬ 
beleuchtung näher zu treten und damit gleichzeitig zu untersuchen, ob 
man nicht auf diese Weise überhaupt das Eintreten von Fett in den 
Stoffwechsel und die Dauer dieser Betheiligung annähernd bestimmen 
könnte? Es ist Ihnen ja, meine Herren, bekannt, dass man im Blute 
ultramikroskopisch unter bestimmten Verhältnissen, am schönsten nach 
Fettnahrung, lebhaft tanzende Theilchen sieht, die frühere Untersucher 
(Mühlmann, Neumannn, Neisser und Bräuning, Schelble) mit 
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch chemische und Farb- 
stoffreactionen sowie durch Schmelzpunktbestimraungen als Fett bezw. 
Lipoide agnoscirt haben. Es ist nun selbstverständlich, dass bei einem 
im Vergleich zur Verdauung theilweise entgegengesetzten Transporte des 
Fettes aus den Depots zu den Stätten des Verbrauchs die Ultratheilchen, 
die man vielleicht als Steatoconien bezeichnen könnte, ebenfalls in 
Erscheinung treten. 

Eine Vermehrung des Blutfettes bei hungernden Thieren unter ge¬ 
legentlicher Hervorrufung einer Lipämie ist ja seit den Untersuchungen 
von Daddi, Schulz und Mi es eher bekannt, und zwar wies speciell 
Schulz eine regelmässige Erhöhung des Blutfettgehaltes im Hunger¬ 
zustande um 30—100 pCt. nach, während Daddi bloss bei kurz 


1) Nach einem am b. November 1908 in der Gesellschaft der Charitöärzte ge¬ 
haltenen Vortrage. 


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Original fro-m 

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Zur Kenntniss der prämortalen StickstofTsteigerung. 


751 


dauernder Karenz zu gleichen Resultaten kam, nach mehr als 14tägigem 
Hunger dagegen den Aetherextract des Blutes wieder abnehmen sah, 
ein Befund, der auch für unsere Untersuchungen von Bedeutung ist. 
Kumagava und Kaneda ermittelten bei einem hungernden Hunde 
0,49 pCt., bei einem gefütterten Controlthier 0,22 pCt. Fett im Blute. 
Bönniger konnte diese Befunde bei chronischer Unterernährung des 
Menschen in einem Falle von Oesophaguscarcinom (1,4 pCt. Blutfett 
gegenüber 0,75—0,85 der Norm) bestätigen. Auf welchem Wege der 
Fetttransport im Hunger vor sich geht, ob wesentlich auf enterogenem 
oder parenteralen, darüber habe ich topographische quantitative Fett¬ 
bestimmungen angestellt, welche indess noch zu keinem einheitlichen 
Resultate geführt haben. Die Momente, welche den gesteigerten Ver¬ 
brauch von Körperfett während der Hungerszeit veranlassen, sind kurz 
folgende: Der hungernde Fleischfresser, den wir speciell im Auge haben, 
bestreitet zunächst seinen Gesammtumsatz vorzüglich aus den Kohle- 
hydratvorräthen des Organismus und bloss zu einem kleinen Procentsatz 
aus Körpereiweiss. Die Kohlehydrate sind zum grossen Theile am 

3. bis 4. Hungertage aufgebraucht, wenn auch ein kleiner Rest derselben 
sich bis in die Spätstadien hinein erhält und auch eine Neubildung 
während des Hungers sicher erwiesen ist. Für die Kohlehydrate tritt 
nun am 3. oder 4. Tage in isodynamer Menge das Fett ein, während 
das Eiweiss im Maximum mit 15pCt. an dem Gesammtumsatze be¬ 
theiligt ist. Bloss bei Regenwürmern, so weit wenigstens bisher be¬ 
kannt, steht die Glykogonverbrennung bis zum 10. Hungertage im 
Vordergründe, und erst von da an werden bei ihnen die Fettvorräthe in 
bedeutenderem Maasse herangezogen unter gleichzeitigem allmählichen 
Sinken des respiratorischen Quotienten (J. E. Besser). Bei Dunkel¬ 
feldbeleuchtung kann man nun zunächst gewisse Anhaltspunkte dafür 
gewinnen, wann das Fett in dominirender Weise in den Hungerstoff¬ 
wechsel eintritt, und zu welchem Zeitpunkte es aus ihm wieder ver¬ 
schwindet. Wir sehen nämlich im Ultramikroskope am ersten 
Hungertage nichts oder fast garnichts von Ultratheilchen des 
Blutes, am 2., bei manchen Thieren am 3. oder gar erst am 

4. Tage, werden die Steatoconien immer zahlreicher, und 
schliesslich kann man von mässiger Reichlichkeit in jedem 
Gesichtsfelde sprechen. Das Fehlen bezw. die Spärlichkeit 
der Ultratheilchen entspricht der Glykogenperiode, das 
Reichlichwerden im Wesentlichen dem Beginn der vor¬ 
herrschenden Fettzersetzung. Dieses durch die Anwesenheit zahl¬ 
reicher Steatoconien charakterisirte ultramikroskopische Blutbild kann 
nun entweder bis zum Tode anhalten oder unter noch zu besprechenden 
Umständen ziemlich plötzlich eine Aenderung erfahren. 

Was die Versuchsmethodik anlangt, so wurden kleine bis mittel¬ 
grosse Hunde zum Experiment verwendet und täglich Gesammt-Harn- 
stickstoff (Kjeldahl), Ammoniak (nach Krüger und Reich, Schitten- 
helm), Aceton in der Atemluft (Apparat von Waldvogel) und im Urin 
(nach Huppert-Messinger), 0-Oxybuttersäure (nach Magnus-Levy 
und Mohr), Gesammtphosphor- und Gesammtschwefelsäure bestimmt. 

48* 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



752 


K. Reicher, 


Versuch I. 


Hungertag 

Gewicht 

S 

C/2 

O 

O 

g 

Mi 

a 

1 

£ 

< 

g 

Ammoniak-N 
in pCt. des 
Gesarnmt-N 

Aceton 

ß-Oxy- 

B butter¬ 
en 

saure 

Gesammt- 
aceton als 
/2-Oxybutter- 
säure berechn. 

mg 

der 

Athemluft 

mg 

des Harns 

mg 

1. 

4700 

2,576 

0,2847 

9,1 

167,0 

1,4 

40 

341,4 

2. 

4650 

2,408 

0,272 

9,3 

149,0 

6,7 

40 

318,7 

3. 

4600 

2,52 

0,181 

5,91 

102,0 

3,0 

35 

222,0 

4. 

4500 

2,24 

0,164 

6,02 

232,0 

16,0 

50 

476,0 

5. 

4380 

2,52 

0,197 

6,44 

149,0 

1,9 

40 

310,0 

6. 

4250 

1,82 

0,164 

7,41 

55,7 

7,7 

20 

133,0 

7. 

4160 

2,408 

0,199 

6,81 

649,8 

1,9 

20 

140,0 

8. 

4090 

2,464 

0,196 

6,54 

55,7 

4,8 

20 

136,0 

9. 

4000 

2,475 

0,238 

7,93 

18,6 

3,8 

20 

; 60.0 

10. 

3850 

2,117 

0,217 

8,43 

46,4 

0,9 

10 

95,0 

11. 

3800 

i 2,688 

0,311 

9,54 

51.1 

2,4 

10 

96,0 

12. 

3600 

3,044 

0,292 

7,90 

41,8 

3,7 

5 

86.0 

13. 

3450 

3,92 

0,394 

8,26 

8,4 

0 

0 

15,0 

14. 

3200 

4,592 

i 0,267 

! 4,78 

5,1 

0 

0 

9.0 

15. 

2800 

5,376 

0,223 

i 3,41 

5,26 

i o 

ü 

9,0 


Versuch II. 


Hungertag 

rC 

ö 

'S 

V 

o 

g 

Gesammt- 
" N 

m: 

cs 

'£ 

o 

iz; cß 

i CD 

•S" 0 ! 

Aceton 

mg S 

Gesammt- 
aceton als 
^-Oxy butter¬ 
säure berechn. 

mg 

£ 

4 

g 

Id i 

£ Ä CO 

I-Sö 

der 

Athemluft 

mg | 

des Harns 

mg 

1. 

11800 

2,464 

0,157 

5,25 

27,8 

16,4 

! 

_ 1 

78.2 

2. 

11050 

2,744 

0,180 

5,4 

37,1 

14,5 

10 

102.4 

3. 

10850 

2,856 

0,0816 

4,7 

41,8 

17,4 

Spuren 

106,0 

4. 

10500 

2,885 

0,149 

4,25 

62.2 

14,5 

Spuren 

136,3 

5. 

10300 

3,276 

0,1428 

3,2 

74,3 

10,2 

10 

151,3 

6. 

10000 

1,512 

0,0986 

5,3 

79,9 

7,7 

20 

176,8 

7. 

10000 

1,848 

0,136 

6,05 

79,3 

5,8 

20 

162,3 

8. 

9950 

1,848 

0,1836 

8,1 

83,5 

9,2 

30 

194,8 

9. 

9800 

1,524 

0,1496 

8,1 

60,3 

13,5 

30 

161,9 

10. 

9650 

1,400 

0,102 

4,8 

18,6 

4,8 

40 

128,0 

11. 

9450 

2,146 

0,1428 i 

4,0 

88,2 

6,8 

50 

270.0? 

12. 

9350 

2,128 

0,1632 

6,3 

74,2 

7,7 

40 

226.7 

13. 

9250 

2,66 

0,1496 

4,6 

88,2 

7,7 

30 

206,6 

14. 

9100 

1,316 

0,1564 

9,3 

— ? 

10,0 

20 

’j 

15. 

9070 

1,736 

0,136 

6,4 

37,1 

: 44,9 

30 

171,8 

16. 

9000 

2,128 

0,136 

5,2 

259,9 

: 12,1 

20 

406,6 

17. 

8770 

2,18 

0,1632 

6,1 

28,0 

i 13,9 

10 

i 201,1 

18. 

— 

2,296 

0,1396 

5,3 

— ? 

9,8 

10 

? 

19. 

8700 

2,24 

0,1768 

6,5 

167,1 

10,5 

10 

347,9 

20. 

8550 

2,016 

, 0,1904 

7,7 

134,6 

17,9 

Spuren 

273,0 

21. 

8450 

1,232 

0,1632 

10,8 

157,8 

12,6 

— 

305,0 

22. 

8400 

1,428 

0.1496 

8,6 

120,7 

5,8 

— 

226,4 

23. 

8300 

2,184 

0,136 

5,1 

171,7 

4,8 

— 

355,9 

24. 

8130 

2,072 

0,1292 

5,1 

129,9 

6,8 

— 

245,9 


Da nach Schaefer und Sadowenne die N-Ausscheidung durch gleichzeitiges 
Dürsten oder Wassertrinken nicht wesentlich alterirt wird, erhielten die Thiere täglich 
400 ccm Wasser, und wenn sie es zum Theile verweigerten, wurde ihnen der Rest mit 
der Schlundsonde verabreicht. 

Was zunächst die Stickstoffausscheidung betrifft, so können wir 


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753 


Zur Kenntniss der prämortalen StickstolTsteigerung. 


Versuch III. 


bß 

43 

*~ 

o 

bß 

a 

3 

Gcsammt- 

N 

e 

Ammoniak 

8 

Ammoniak-- 
N in pCt. j 
** des Ge- | 
sammt-N 

A c 0 1 0 n 

Athomlafl desHarns 
mg | mg 

ß-Oxy- 

butter¬ 

säure 

mg 

Gesammt- 
aceton als 
/9-Oxybuttcr- 
säure berechn. 

mg 

1. 

2,688 

0,172 

4,51 

- 1 13,5 

0 

24,2 

2. 

2,968 

0,192 

5,33 

- 9,7 

0 

17,4 

3! 

2,464 

0,240 

8,00 

85,7 : 5,8 

10 

142,3 

4. 

2,296 

0,194 

8,77 

79,2 2,9 

10 

. 155.3 

5. 

3,046 

0,258 

6,99 

92,8 ! 5,8 

Spuren 

155,5 

6. 

2,408 

0,166 

5,68 

60,3 { 7,3 

0 

120,8 

7. 

2,828 

0,245 

7,13 

55,7 ! 5,8 

0 

109,9 

8. 

2,744 

0,224 

6,73 

65 2,9 

0 

121,5 

9. 

3,192 

0,305 

7,88 

55,7 2,9 

0 

104,9 


auch hier wieder die bekannte Erscheinung beobachten, dass Anfangs im 
Hunger neben dem stabilen auch noch das labile oder circulirende 
Eiweiss am Stoffwechsel Theil nimmt und daher die Anfangswerthe für 
die N-Ausfuhr relativ hoch sind. Je reichlicher die dem Hunger vor- 
ausgehendc Ernährung an Eiweiss und Kohlehydraten war,, desto 
grösser fallen diese N-Zahlen natürlich aus. Nach Ablauf dieser Periode 
stellt sich dann der Organismus auf ein bestimmtes N-Miniraum ein, 
das bekanntlich namentlich bei Berücksichtigung der Gewichtsverluste 
eine ziemliche Constanz aufweist. 

Der Eiweiss- und Fettstoffwechscl kann nun beim Hungerthiere, 
wie Ihnen, meine Herren, bekannt, auf zweifache Art verlaufen, wobei 
die Relation der beiden Körper — Fett und Eiweiss — zu einander 
eine maassgebende Rolle spielt. Entweder finden sich reichliche Fett¬ 
ablagerungen im Körper, dann führt der langsam sinkende Eiweissverlust 
nach längerer Hungerszeit ohne Stickstoffsteigerung zum Tode, oder es 
tritt bei mittleren oder geringen Ausgangsmengen von Fett nach längerer 
oder kürzerer Zeit eine Steigerung der Stickstoffausscheidung und kurz 
darauf der Tod ein. Der Einfluss der ursprünglich vorhandenen Fett¬ 
menge auf die Dauer der Hungerszeit erhellt u. A. aus den Versuchen 
Falck’s, der einen fettarmen Hund nach 24tägigem Hunger verlor, 
während ein fettreicher Hund 60 Tage aushielt. Je länger der Hunger 
andauert, desto mehr tritt das Eiweiss gegenüber dem Fett in der 
Deckung des Calorienbedarfes zurück. Das Fett muss natürlich aus 
den Depots entnommen werden, circulirt in grösserer Menge im Blut — 
daher die Lipämie oder zum mindest Blutfettvermehrung — und wird 
in den Organzellen zersetzt. Voit stellt sich nun vor, dass bei dem 
Wiederersatz des circulirenden Fettes immer wieder Depotfett angegriffen 
wird, bis schliesslich der Organismus an Fett so weit verarmt, dass die 
Verluste an circulirendem Fett nicht mehr leicht und schliesslich gar- 
nicht mehr gedeckt werden können. Die Verarmung an circulirendem 
Fett folgt also der Verminderung des Depotfettes nach. Thatsächlich 
büsst das Fettgewebe im Hunger 93—97 pCt. ein (Chossat, Voit). 
Diese Beziehungen zwischen Eiweiss- und Fettzersetzung bleiben bis 
tief in die untersten Thierklassen in Geltung, so z. B. biissen die Fett- 


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754 


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K. Reicher, 

depots der Frösche im Hungerzustande relativ viel mehr Fett ein, 
nämlich 80,25 pCt., während vom Eiweissbestande bloss 37,5 pCt. ver¬ 
loren gehen. Auch Slowzoff kommt auf Grund seiner 5 Jahre 
dauernden Studien über Hungerstoffwechsel niederer Thiere zu dem 
Schlüsse, dass letztere im Allgemeinen ca. 85,65 pCt. ihres Fettgehaltes 
verlieren. Mit der procentualen Verminderung der Fettzersetzung muss 
natürlich wieder die Eiweisseinschraelzung eine Zunahme erfahren. Nach 
Voit tritt diese Erhöhung der Eiweisszersetzung ein, wenn der Eiweisszerfall 
wieder über 16pCt. der Gesammtzersetzung decken muss. Nach Ver¬ 
suchen Ru bn er’s finden sich allerdings auch bei ausgesprochener prä¬ 
mortaler Stickstoffsteigerung noch 2—3 pCt. Fett (auf Trockensubstanz 
berechnet) im Körper des Thieres, doch scheinen diese geringen Fett¬ 
mengen einen Rest darzustellen, welcher zur Constitution der Zelle etwa 
in Form von Fett-Eiweissverbindungcn ebenso nothwendig ist, wie ein 
gewisser Wasser- und Salzgehalt. Die Grösse des Eiweisszerfalles er¬ 
scheint demnach im Wesentlichen als eine Function des Fetteiweiss¬ 
quotienten im Thierkörper. Diese Beziehungen scheinen so fest zu sein, 
dass man aus der Grösse des Eiweisszerfalles den jeweiligen Fettgehalt 
im lebenden Thiere abzuschätzen vermag (Rubner, Voit). 

Die prämortale Steigerung der N-Ausscheidung kann man durch 
Zufuhr von stickstofffreien Substanzen verhüten, so versuchte dies Koll 
mit Erfolg durch subcutan injicirtes Oel und L. Kaufmann mit Rohr¬ 
zucker. Bei Thieren, welche diese Nahrung längere Zeit vertragen, 
verhindern 25—35 g Rohrzucker, also 97 bezw. 139 Calorien bei einem 
Calorienbedarf von 100 bezw. 185 Calorien den Eintritt der prämortalen 
N-Steigerung. Diese Versuche Kaufmann’s, besonders aber 2 der¬ 
selben, beweisen ganz deutlich, dass in vielen Fällen von prämortalem 
Stickstoffanstieg Fettverarraung ursächlich in Betracht kommt, denn 
Kohlenhydrate und Fette vertreten einander bekanntlich in isodynamen 
Mengen. Das geht auch aus Heilner’s sorgfältigen Untersuchungen 
neuerdings hervor, indem bei Verabreichung von Traubenzucker per os 
in dem vorher zersetzten Fette isodynamen Mengen die Grösse der Ge¬ 
sammtzersetzung und die Wärmeproduction des Thieres keine Aenderung 
erfuhr, sondern bloss eine Kohlensäuresteigerung in der Ausathmungsluft 
cintrat. Deutlich illustriren dies Heilner’s Tabellen: 


Versuch 

2. Tag 

3. Tag 

4. Tag 

5. Tag 

Ib 

12,22 

0,416 

12,78 

10,35 

II b 


12,83 

1,26 

10,71 

III b 

12,24 

11,97 

0,7 

11,78 

IV b 

14,85 

12,11 

0,62 

12,63 


An den fett gedruckten Tagen wurde Traubenzucker verfüttert, die 
Zahlen bedeuten das verbrannte Fett in Gramm. Allerdings hat diese 
Argumentation eine Schwäche, denn Kohlehydrate sparen Eiweiss und 
könnten schon dadurch eino prämortale Stickstoffvermchrung vermindern. 
So erzielte auch llcilner in den meisten Versuchen unter dem Einfluss 


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Zur Kenntniss der prämortalen Stickstoflsteigerung. 


755 


der beigebrachten Kohlehydratmcngen einen Abfall der N-Ausscheidung, 
und zwar in einzelnen Versuchen eine Ersparniss uro 29,1 pCt., 12,6 pCt. 
und 14,69 pCt. Uebrigens hat Voit schon 1869 festgestellt, dass durch 
reichliche Kohlehydratzufuhr 9—15 pCt. Eiweiss erspart werden können. 
Vergleicht man aber die Mengen Eiweiss, die durch Kohlchydratver- 
fütterung geschont werden können, mit der Grösse der Stickstoff¬ 
steigerung, so findet man beim Hunde und bei der Katze Erhebungen 
des Eiweissumsatzes ante mortem über das Doppelte des Hungerminimuros, 
ja bei Kaninchen kann nach Rubner’s Angaben die prämortale Steigerung 
so bedeutend werden, dass aus dem Eiweiss thatsächlich der ganze Ca- 
lorienbedarf des Thieres gedeckt wird. Es stehen somit einer möglichen 
Ersparniss von maximal 29,1 pCt. Eiweiss bei Kohlehydratzufuhr Steige¬ 
rungen des Eiweisszerfalles um mindestens 100 pCt. gegenüber, ein Vcr- 
hältniss, welches doch ziemlich eindeutig dafür spricht, dass die 70 pCt. 
der N-Steigerung auch durch Heranziehung der Sparwirkung der Kohle¬ 
hydrate nicht wcttgemacht werden könnten. Ich habe nun in IJnkennt- 
niss der Versuche von Hei ln er, welche ganz einwandfrei darthun, dass 
das zugeführte Kohlehydrat durch seine Verbrennung das Fett schützt, 
auch einem Hungerhunde 2 Tage hindurch per os 30 g Rohrzucker 
verabreicht, und obwohl bei seinem Gewichte von 3,125 kg diese Menge 
nicht ganz seinem Calorienbedürfnisse 1 ) entsprach, zeigte er doch an 
den beiden Kohlehydrattagen eine deutliche Verminderung 
der Steatoconien im Ultramikroskope. Der Stickstoff fiel dabei 
nur ganz unmerklich ab. 

Trotz aller dieser Untersuchungen sind, wie schon eingangs hervor¬ 
gehoben, die letzten Ursachen der prämortalen Stickstoffsteigerung noch 
nicht einheitlich und befriedigend klargestellt, so zwar, dass noch immer 
der Voit’schen Lehre von der ätiologischen Bedeutung der Fottverar- 
mung die F. N. Schulz^schc Anschauung gegenüberstcht, welche ur¬ 
sprünglich folgendermaassen formulirt war: Es kommt vor dem Hunger¬ 
tode zum partiellen Absterben von Zellen und Zellgruppen, die während 
des Hungers beständig das Material zur Deckung des Stoffwechsels her¬ 
gegeben; diese nekrotischen Zellen werden von anderen noch lebens¬ 
kräftigen Zellen aufgezehrt und daher die Steigerung der N-Ausschei- 
dung. Zwar hat später Schulz unter der Wucht der gegen seine De- 
ductionen von E. Voit und L. Kaufmann vorgebrachten Einwände seine 
ursprüngliche Ansicht in gewissen Funkten modificirt, doch giebt er auch 
in seinen neuesten interessanten Hungerversuchen (gemeinsam mit Stübel 
und Hempel) bloss die Möglichkeit zu, dass eine relative Verarmung 
des Körpers an Fett zu einer erheblichen Stickstoffsteigerung führen 
kann, hält aber nach wie vor an dem Zugrundegehen von Zellraassen 
fest und denkt ähnlich wie Tigerstedt und v. Noorden an die Mög¬ 
lichkeit von Autointoxicationen. Wir hätten dann neben einem inanitiellen 
einen toxischen Eiweisszerfall. Interessant ist jedenfalls Schulz’s Beob- 


1) Der Hund hätte ungefähr 264 Calorien benothigt; davon würden auf Eiweiss 
ungefähr 40 Calorien und auf Fett 224 Calorien entfallen. Letzteren wären 54 g Rohr¬ 
zucker isodynam. 


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achtung, dass ein Hund, der übrigens zu den Hungerkünstlern seiner 
Rasse gehört, nach einer bestimmten Hungerzeit eine prämortale Stick¬ 
stoffsteigerung aufweist, nach Darreichung geringer Nahrungsmengen sie 
verliert und später bei einem zweiten Hungerturnus bei demselben — 
allerdings bloss berechneten — Fettbestande angelangt, wie bei der 
ersten Stickstoffsteigerung von dieser nicht betroffen wird. Wie dem 
auch nun sei, das Ultramikroskop giebt uns, meine Herren, für die Be- 
urtheilung der zur Discussion gestellten Frage folgende Thatsachen an 
die Hand: Bei Hunden, die kein Anschwellen der prämortalen 
Ei Weisszersetzung erkennen lassen, sieht man andauernd 
bis unmittelbar vor dem Tode massig reichliche Steatoconien 
in jedem Gesichtsfelde der Blutpräparate (3 Hunde). In dem 
einen Falle aber, bei dem sich ein eklatanter Anstieg der 
N-Ausfuhr einstellte, verschwanden die Ultratheilchen bis 
auf 1—2 im Gesichtsfelde einen Tag vor dem Beginn der 
vermehrten Stickstoffausscheidung. Diese Befunde sprechen 
edenfalls eher für die Voit’sche und mehr gegen die Schulz- 
sche Anschauung. Wir können uns nun vorstellen, dass die Ver¬ 
mehrung der Eiweisszersetzung erst dann beginnt, wenn nur mehr so 
viel Fett im Organismus zurückgeblieben ist, als von den Zellen als 
Protoplasmabestandthcil zähe festgehalten wird, eine Ansicht, welche 
neuerdings auch Slowzoff besonders bezüglich des Lecithins ausge¬ 
sprochen. Durch die Untersuchungen von Löb ist ferner festgestellt, 
dass gewisse Zellen erst zusamracnbrechen, wenn ihnen die lebenswich¬ 
tigen Lipoide entrissen sind. Da es nun während des Hungers zu einer 
immer weiter fortschreitenden Fett- und Lipoidverarmung des Organismus 
kommt, können wir uns ganz gut vorstellen, dass zur Zeit des Eintritts 
des prämortalen N-Anstiegs die Zellen so weit ihrer Lipoide beraubt 
sind, dass sie zusammenbrechen und ihr Eiweiss preisgeben. Anderer¬ 
seits ist auch Abderhalden’s Uebcrlegung erwägenswerth, dass das 
Fett als Lösungsmittel für viele Stoffe eine grosse Rolle spielt und bei 
dem ausgedehnten Stofftransporte während des Hungers von den Stätten 
der Ablagerung zu denen des Verbrauchs von Bedeutung sein könnte. 
Verarmt nun der Organismus an diesem Lösungsmittel, so leidet dann 
der ganze Stoffaustausch Noth. Einer Anregung von Noorden’s in 
seiner Abhandlung über „Hunger und chronische Unterernährung“ folgend, 
wurden auch von mir bei einem Kaninchen, das nach längerem 
Hungern prämortal folgenden Anstieg der Stickstoffcurve 
zeigte (0,73 g N, 2,07 g N, 3,99, 4,25), sämmtlichc Organe einge¬ 
bettet, geschnitten und nach verschiedenen Methoden der Protoplasraa- 
und Kernfärbung tingirt und nach Nekrosen gefahndet. Es Hessen 
sich aber solche nirgends in auffälliger Weise feststellen, womit auch 
eine Voraussetzung von Schulz aus der Betrachtung ausscheidet, es sei 
denn, dass man functionelle Veränderungen ohne sichtbare histologische 
Veränderungen anzunehmen geneigt ist. 

Was die Verluste an Körpergewicht anbelangt, so tritt der Tod bei 
Säugcthieren in der Regel ein, wenn sie über 40 pCt. ihres Anfangs¬ 
gewichts verloren haben (Chossat). Die in Versuch I ermittelte Ein- 


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Zur Kenntniss der prämortalen Stickstoffsteigcrung. 


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busse von 38,3 pCt. des Anfangsgewichts steht mit dieser Angabe in 
guter Uebereinstimmung. Es wird jedoch in einzelnen Fällen von be¬ 
deutenden Schwankungen um diesen Mittelwerth berichtet; einen solchen 
Grenzwerth stellt unser Hund II vor, welcher bei einem Gewichtsverlust 
von 28,04 pCt. bereits einging. Theilen wir die Hungerzeit in mehrere 
Perioden, so drängt sich uns das entgegengesetzte Verhalten von Fall I 
und II auf. Während Hund I das seltene Beispiel constant ansteigenden 
Gewichtsverlustes darbietet, mit der stärksten Einbusse in der Zeit der 
prämortalen N-Steigerung (20,2 pCt. des Anfangsgewichts), nähern sich 
die Gewichtsabnahmen bei Hund II der von Luciani postulirten Hyperbel, 
indem die Wcrthe von 8,85 pCt. allmählich bis auf 3,7 pCt. absinken, 
wie die beigefügte Tabelle lehrt. 


--- 



— - • - - — ' r- - 'TW--. -7;*r 

Hund 

I verliert 


Hund 11 verliert 

vom 1.—5. Hungertagc 

6,8 pCt. des Anfangsgew. 

vom 1.—5. Hungertage 8,S5 pCt. des Anfangsgew. 

* 5.-10. „ 

11,3 . , 

„ 5.-10. 

„ 5,75 f> . ff n 

* 10.-15. 

20,2 „ , 

„ 10.-15. 

, 5,14 „ „ 

im Ganzen 

W , » 

r 15.—20. 

n 4,6 „ v 



. 20.-24. 

V 3, / r „ r> 


im Ganzen 28,04 r 


Würdigen wir nun noch, meine Herren, die Acetoncurve einer näheren 
Betrachtung, so fällt uns in dem Falle mit prämortaler Stickstoffsteige¬ 
rung das Sinken der gesammten Acctonkörperausscheidung 2 Tage vor 
dem Anstieg des Eiweissumsatzes auf, und zwar von einem Höchstwerthe 
von 476 mg, bezw. von durchschnittlich 250 mg auf 60 mg, 15 mg und 
endlich 9 mg. Man ist nun heute so ziemlich darüber einig, dass Fett¬ 
säuren die hauptsächliche Quelle der Acetonkörper abgeben. Bildet da 
nicht auch dieses auffällige Zusammentreffen von prämortaler 
N-Steigerung mit der bedeutenden Verminderung der Aceton¬ 
körper eine Stütze für die Voit’sche Theorie von der ätiologischen 
Bedeutung der Fettverarmung? Macht doch auch Brugsch das Ein¬ 
schmelzen von Fett im Hunger für die Acidosis und das Fehlen des 
Fetts in einem Falle von ungewöhnlich hochgradiger Abmagerung in 
Folge von Scirrhus oesophagei für das Ausbleiben der Diazcturie ver¬ 
antwortlich. Den diametralen Gegensatz dazu bildet die hohe Durch¬ 
schnittsziffer von 292 mg ^-Oxybuttersäure von den letzten 6 ohne Stick¬ 
stoffsteigerung überstandenen Tagen im Versuche II. Derartige Thiere 
sind ja nach obigen Ausführungen als fettreich anzusehen. Allerdings 
darf man über dem Fette die noch ungeklärte Rolle der Kohlehydrate 
nicht vergessen, denn schon Kohlehydratzulagen, die nur einen Theil des 
Fettes im Hungerstoffwechsel zu sparen vermögen, lassen die Aceton- 
urie beträchtlich herabsinken. Lehrreich ist in dieser Beziehung Ver¬ 
such III, bei dem in den ersten 2 Tagen die Acetonkörpermengen sich 
in ganz bescheidenen Grenzen halten zu einer Zeit, wo noch Glykogen, 
also Kohlehydratvorräthe, dem Körper zur Verfügung stehen. Während 
ferner in der Norm 60—70 pCt. des Gesammt-Acetons den Körper mit 
der Athemluft verlassen (Müller, Mohr), kehrt sich dieses Verhältnis 


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K. Reicher, 

bei völliger Nahrungsentziehung häufig um. ln meinen Fällen da¬ 
gegen lässt sich, ähnlich wie in den späteren Carenztagen der von 
ßönniger und Mohr untersuchten Hungerkünstlerin Schenk eine 
Mehrausscheidung durch die Luft gegenüber dem Harn fest- 
stcllen, theilweise auch bei Einbeziehung der /J-Oxybuttcrsäurewerthe. 
Auch Langstein und Meyer berichten Achnliches von ihren bei Kin¬ 
dern vorgenommenen Untersuchungen. Die 0-Oxybuttersäureausschcidung 
fehlt fast durchweg in Versuch No. III. Bei diesen sonst unerklärlichen 
Schwankungen haben wir mit Mohr einem individuellen Factor eine ur¬ 
sächliche Rolle zuzuweisen. 

Angesichts des Umstandes, dass in meinen sämmtlichen Hungerver¬ 
suchen eine Acidosis zu verzeichnen ist, haben wir, m. H., erfahrungs- 
gemäss auch eine Aramoniakvermehrung zu erwarten. Nach früheren 
Meinungsverschiedenheiten, ob man die absolute Amraoniakzahl odor die 
Relation (NH 3 ) N : Gcsammt-N als maassgebend zu betrachten hat, hat 
man sich derzeit über folgende Grundsätze geeinigt: Die absolute 
Ammoniakzahl ist nur unter Berücksichtigung der Gesammt-N-Ausfuhr 
zu verwerthen. Bei starker Eiweisseinschmelzung wird eine absolute 
Erhöhung der NH 3 -Zahlen nicht auffallen, bei geringgradiger Eiweiss¬ 
zersetzung jedoch erregt eine hohe absolute NH 3 -Menge immer Verdacht 
auf Acidosis. Eine Erhöhung des (Quotienten (NH 3 ) N: N spricht immer 
für eine Säuerung des Blutes. Die Acidosis im Hunger ist schon wieder¬ 
holt, neuerdings von Bönniger und Mohr, sowie Brugsch kritisch 
gewürdigt worden. Es dürfte hier daher der Hinweis genügen, dass in 
meinen Fällen die Amraoniak-N-Werthe im Allgemeinen zwischen 6,5 bis 
8 pCt. des Gesaramt-N schwanken, also Werthen, welche niedriger liegen, 
als die genannten Autoren und Cathcart bei hungernden Menschen ge¬ 
funden. Ausnahmsweise hatte ich je einmal 10,8 und 9,54 pCt. 
Ammoniak-N zu verzeichnen. Ferner wäre beachtenswerth, dass die 
absoluten und relativen Aramoniakzahlen, welche in Versuch 
No. I eine ansehnliche Höhe bereits erklommen hatten - , einen Tag, 
nach dem die prämortale N-Steigerung eingesetzt hatte, unerwarteter 
Weise, statt anzusteigen, deutlich herabgingen, nämlich von 9,4 pCt. 
auf 7,95 pCt., 6,28 pCt., 3,02 pCt. und endlich 3,41 pCt. Achnliches 
gilt auch von den absoluten Zahlen. Dazu passt sehr gut das voll¬ 
kommene Verschwinden der Acetonkörper aus dem Urin und das be¬ 
deutende Herabgehen derselben in der Athemluft in diesem Versuche. 
Dieser Befund illustrirt ganz deutlich die engen Beziehungen, welche 
zwischen Säuerung des Blutes durch Acetonkörper und Mehrausscheidung 
von Ammoniak bestehen. 

Die Ergebnisse meiner Untersuchungen an Hunden möchte ich nun, 
m. H., folgendermaassen zusammen fassen: 

Die Beobachtung des Hungerblutes bei Dunkelfcldbe- 
leuchtung bildet eine werthvolle Ergänzung der chemischen 
Untersuchungsmethoden. Das Fehlen bezw. die Spärlichkeit 
der ultramikroskopisch sichtbaren Fctttheilchen (Steatoconien) 
entspricht der Glykogenperiode im Beginn und der prämor¬ 
talen Stickstoffsteigerung am Ende des Hungers. Solange 


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Zur Kenntniss der prämortalen Stickstoffsteigerung. 


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die Fettzersetzung im Vordergrund steht, ist stets massige 
Reichlichkeit der Steatoconien zu verzeichnen. Bleibt der 
prämortale Stickstoff an stieg aus, so erhält sich das eben 
skizzirte Bild usque ad finum. Durch Kohlehydratfüttcrung 
kann, man das Körperfett während des Hungers schonen und 
dementsprechend die Ultrathcilchen grösstentheils aus dem 
Blutbilde verschwinden sehen. Auffälliger Weise fällt in 
einem Falle der prämortale N-Anstieg mit einem bedeutenden 
Absinken der Acetonkörperausscheidung (von durchschnittlich 
250 mg auf 9 mg) und einer Verminderung der absoluten und 
relativen NH 3 -Mengen zusammen, während in den Fällen ohne 
prämortale Mehrausfuhr von N gegen Ende der Hungerperiode, 
also bei bis zum Tode anhaltender starker Fetteinschmelzung, 
im Gegentheil andauernd hohe Werthc von Acetonkörpern zu 
verzeichnen sind (durchschnittlich 292 mg in den letzten 
6 Tagen des Versuches II). In allen Fällen überwiegt die 
Ausscheidung der Acetonkörper durch die Athemluft die mit 
dem Harne erfolgende. Bei einem Kaninchen mit prämortalem 
Anschwcllen der N-Ausfuhr Hessen sich keine Nekrosen mi¬ 
kroskopisch feststellcn. Dies sowie die ultramikroskopischen 
und chemischen Befunde sprechen eher für die Richtigkeit der 
Voit’schen und mehr gegen die Schulz’sche Theorie von der 
prämortalen N-Steigerung. 


Literatur. 

Abderhalden, E., Lehrbuch der physiol. Chemie. 1906. 

Bönniger, M., Ueber die Methoden der Fettbestimmung im Blute. Zeitschr. f. klin. 
Med. 1901. Bd. 45. S. 65. 

Bönniger, M. und Mohr, L., Die Säurebildung im Hunger. Zeitschr. f. experim. 
Path. u. Therap. 1906. Bd. 3. S. 675. 

Brugsch, Th., Eiweisszerfall und Acidosis im extremen Hunger. Zeitschr. f. exper. 
Path. u. Ther. 1905. Bd. 1. S. 419. 

Brugsch, Th. und Hirsch, R., Gesammt-N und Aminosäurenausscheidung im 
Hunger. Zeitschr. f. exper. Path. u. Ther. 1906. Bd. 3. S. 638. 

Brugsch, Th., Der Hungerstoffwechsel in Oppenheimer^ Handbuch der Biochemie. 
1908. Bd. 4. 

Cathcart, E. P. u. Fawsitt, C. E., On metabolism during starvation. I. Nitro- 
genous met. Journ. of Physiol. 1906. XXXV. H. 5/6. p. 500. 

Dieselben, II. Inorganic met. Ibidem. 1906. XXXVI. H. 1. p. 27. 

Daddi, L., Arch. Ital. de biol. Bd. 30. p. 437 u. 439. 

Hammarsten, 0., Lehrbuch der physiol. Chemie. Wiesbaden 1907. S. 727 ff. 
Heilner, E., Wirkung des per os und subcutan zugeführten Traubenzuckers. Zeit¬ 
schrift f. Biol. 1906. Bd. 48. 

Hirsch, R., Ueber das Verhalten von Monaminosäuren im hungernden Organismus. 

Zeitschr. f. exp. Path. u. Ther. 1905. Bd. 1. 

Kaufmann, M., Ueber Eiweisszersetzung während des Hungerns. Zeitschr. f. Biol. 
1901. Bd. 41. S. 75. 

Koll, Die subcutano Fetternährung vom physiologischen Standpunkte. Habil.-Sehr. 
Würzburg 1897. 


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7GO K. Reicher, Zur Kenntniss der prämortalen Stickstoffsteigerung. 

Langstein und Meyer, Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. Bd. 61. 
Magnus-Levy, A., Physiologie des Stoffwechsels in v. Noorden’s Handbuch. 1906. 
Berlin. 

Mohr, L., lieber diabetische und nichtdiabetische Intoxicationen mit Säuren. 

v. Noorden’s Sammlung ldin. Abhandl. Berlin 1903. 
v. Noorden, Der Hunger und die chronische Unterernährung in seinem Handbuch. 
Berlin 1906. 

Pflüger, E., Ueber Glykogen. Pflüger’s Arch. Bd. 96. S. 1—391. 

Rubner, M., Ueber den Stoffverbrauch im hungernden Pflanzenfresser. Zeitschr. f. 
Biol. 1881. Bd. 17. S. 214. 

Derselbe, Gesetze des Energieverbrauchs. 1902. Leipzig und Wien. 

Sadowenne, Der Stoffwechsel des Menschen im Hunger, lief. Centralbl. f. allgem. 
Path. 1899. Bd. 10. 

Schittenhelm, Zur Methodik der Ammoniakbestimmung. Zeitschr. f. physiol. 
Chemie. 1903. Bd. 39. S. 73. 

Schulz, Fr. N., Ueber den Fettgehalt des Blutes beim Hungern. Pflügers Arch. 
1896. Bd. 65. S. 299. 

Derselbe, Zur Kenntniss des Stoffwechsels bei unzureichender Ernährung. Virch. 
Arch. 1899. Bd. 76. S. 379. 

Derselbe, Ueber das Wesen der prämortalen N-Steigerung. Münch, med. Wochen¬ 
schrift. 1899. p. 509. 

Derselbe, Ueber die Zunahme der Eiweisszersetzung während der Hungerzeit. 
Zeitschr. f. Biol. Bd. 41. S. 368. 

Schulz, Fr. N. und Stübel, H., Beitrag zur Kenntniss des Stoffwechsels bei unzu¬ 
reichender Ernährung. II. Mitth. Pflüger’s Arch. Bd. 114. 

Schulz, Fr. N. und Hempel, Beitrag zur Kenntniss des Stoffwechsels bei unzu¬ 
reichender Ernährung. III. Mitth. Pflüger’s Arch. Bd. 114. 

Schulz, Fr. N., Beitrag zur Kenntniss des Stoffwechsels bei unzureichender Er¬ 
nährung. IV. Mitth. Pflüger’s Arch. Bd. 114. 

Slowzoff, B., Ueber vergleichende Pathologie des Hungers. Bericht, d. mil.-medic. 

Acad. Petersburg. 1907. Bd. 11. S. 189. 

Tigerstcdt und Landergreen, Skandin. Arch. f. Physiol. 18%. Bd. 7. 
Victoroff, Const., Zur Kenntniss der Veränderungen des Fettgewebes beim Frosche 
während des Winterschlafes. Pflüger’s Arch. 1908. Bd. 125. S. 230. 

Voit, E., Zeitschr. f. Biol. 1869. Bd. 5. S. 432. 

Derselbe, Ueber Kohlehydrateinfluss im Hunger. Zeitschr. f. Biol. 1893. Bd. 9. 
S. 485. 

Derselbe, Die Grösse des Eiweisszerfalles im Hunger. Zeitschr. f. Biol. 1901. 
Bd. 41. S. 167. 

Derselbe, Die Bedeutung des Körperfottes für die Eiweisszersetzung des hungernden 
Thieres. Zeitschr. f. Biol. 1901. Bd. 41. S. 502. 

Derselbe, Ueber die Ursache der Zunahme der Eiweisszersetzung während des 
Hungers. Zeitschr. f. Biol. 1901. Bd. 41. S. 550. 

Waldvogel, R., Die Acetonkörper. Stuttgart 1903. 


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L. 


Aas der II. medicinischen Universitätsklinik (Berlin). 

Zur Pavy’schen Hypothese der Fettbildung in der Darmwand. 

Von 

Priv.-Doc. Dr. G. von Bergmann und Dr. K. Reicher. 


F. VV. Pavy stellt in seinen Vorträgen über den KohlehydratstolT- 
wechsel 1 ) die Behauptung auf, dass die Kohlehydrate in der Darmwand 
zu Fett umgewandelt werden. 

Er führt ungefähr Folgendes aus: Füttert man Pflanzenfresser 
(Kaninchen) mit kohlehydratreichem, aber fettarmem Futter, z. ß. mit 
Hafer, und tödtet man die Thierc einige Stunden nachher, so findet man in 
dem erölfneten Abdomen die Dünndarmschlingen weiss, opak aussehend, 
mit milchigen Streifen an der Oberfläche. Auch die Chylusgefässc des 
Mesenteriums sind deutlich sichtbar. An dem geöffneten Darme sieht 
man auch die innere Oberfläche mehr oder weniger weiss. Während 
ferner die Darmzottenzellen im Hunger mikroskopisch so gut wie kein 
Fett enthalten, zeigen dieselben nach der Haferfütterung strotzende 
Füllung mit Fetttröpfchen. Es bestünden demnach dieselben Verhältnisse 
wie nach directer Fettfütterung. Den Einwand, dass das Fett in den 
Lymphbahnen und Darmzotten aus dem Fett des verwendeten Hafers 
stammt, weist Pavy entschieden zurück, spricht vielmehr auf Grund 
der angeführten Thatsachen den Darmzottenzellen die Fähigkeit zu, 
Kohlehydrate in Fett umzuwandeln. Ja, er geht viel weiter und meint, 
dass zunächst in der Regel alle Kohlehydrate in der Darmwand zu Fett 
umgewandelt werden. Dadurch werde vermieden, dass sie als freier 
Zucker in die Blutbahn gelangen. Denn Zucker im Blute bedeute 
Zucker im Harn. Träte er aus dem Darme als solcher in das Blut 
ein, so würde die dem Diabetes eigenthümliche pathologische Erscheinung 
der Glykosurie der gewöhnliche physiologische Zustand sein. Des 
Weiteren bekennt sich Pavy zu der Anschauung, dass die Leberzellen 
nur aushilfsweise aus Kohlehydraten Fett bilden, wenn nämlich die 
Darmzotten ihre Aufgabe bei zu reichlicher Zufuhr nicht bewältigen 
können. Soweit der Autor. 

Die angeführten Behauptungen stehen nun durchwegs zu den 

1) Deutsch von Dr. K. Moeckel. Leipzig, Engelmann. 1907. 



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G. v. Bergmann und K. Reicher, 


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herrschenden Lehrraeinungen in diametralem Gegensätze. Während aber 
der Ausspruch, Zucker im Blute bedeute Zucker im Harne, auf Grund 
zahlreicher einwandfreier Arbeiten als völlig unrichtig zurückgewiesen 
werden muss, und auch die Resorption von Zucker durch die Blutbahn 
ohne vorhergehende Assimilation sicher erwiesen ist, fordert die Hypo¬ 
these einer Umwandlung von Kohlehydraten in Fett in der Darmwand 
selbst schon wegen ihrer principiellen Bedeutung zu einer genauen 
Nachprüfung auf. Denn wenn auch — darin muss man Magnus-Levy 
beipflichten — gar kein erkennbarer Grund vorliegt, warum die so leicht 
verbrennbaren und vielfach benöthigten Kohlehydrate immer erst in Fett 
übergehen sollten, so schien uns doch die Möglichkeit ernsthafter Be¬ 
rücksichtigung werth, zu sehen, ob bei überschüssiger Kohlehydratzufuhr 
nicht doch ein gewisser Theil schon in der Darmwand in Fett um¬ 
gewandelt werden kann. 

Es ist ja allerdings bekannt, dass bei überschüssiger Kohlehydrat¬ 
zufuhr zunächst die Glykogendepots, nämlich Leber und Muskeln, bis 
zu einem gewissen Grade sich mit Glykogen an füllen und erst bei 
weiterer Zufuhr die Kohlehydrate in Fett umgewandelt werden. Wo 
diese Umwandlung stattfindet, ob an den Orten der Fettablagerung, also 
in den Zellen des Unterhautzellgewebes (Rosenfeld) oder in der Leber, 
das ist noch strittig. In ersterem Falle könnte eine morphologisch 
fixirte Phase dieses biochemischen Processes durch den von Gierke 1 ) 
in gewissen Stadien der Kohlehydratmast erbrachten Glykogen-Nachweis 
im subcutanen Fettgewebe von Meerschweinchen nachgewiesen sein. 

Wir gingen nun bei unseren Versuchen folgenderraaassen vor: Wir 
Hessen 2 Kaninchen zunächst 12—24 Stunden hungern und überzeugten 
uns dann durch Osmium- und Sudanpräparate aus verschiedenen Darm¬ 
abschnitten, dass das Darmepithel überall fettfrei war. Verfütterten wir 
nun reichlich Hafer, so ergab zu schnelles Töten der Thiere keine 
brauchbaren Resultate, weil der Magen noch mit Speiseresten erfüllt 
war, also die Resorption sich noch nicht in vollem Gange befand. Erst 
von 6 Stunden Intervall an sahen wir die Darmwand und die Mesen- 
teriallvmphgefässe strotzend mit milchiger Flüssigkeit erfüllt. Mikro¬ 
skopisch fanden sich massenhaft Fetttröpfchen in den Basaltheilen der 
Zottenzellen. Die Beobachtungen Pavy’s wären also soweit vollkommen 
richtig. Pavy hält cs für ausgeschlossen, dass die 5 pCt. Fett, welche 
Hafer enthalten kann, eine so deutliche Füllung der Chylusgefässc be¬ 
dingen könnten. Das schien uns denn doch dringend eines Versuches 
zu bedürfen. Wir haben daher den Hafer zermahlen und ihn mit 
Alkohol-Aether tagelang extrahirt, bis dass weitere Extractionen 
kein Fett mehr nachweisen Hessen. Nach entsprechender Hunger¬ 
zeit haben wir dieses fettfreie oder mindestens sehr fettarme Pulver nun 
verfüttert. Es wurde von den Kaninchen reichlich genommen. Nach 
dieser Fütterung mit entfettetem Hafer fanden wir in 3 Versuchen weder 


1) Verhandlungen der Deutschen Pathol. Ges. 10. Tagung. 1906 und Ergeb¬ 
nisse von Lubarsch und Ostertag. XI. Jahrg. 11. Abth. 


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Zur Pavy’schen Hypothese der Fettbildung in der Darmwand. 


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makroskopisch noch mikroskopisch in den Darmzotten oder 
in den Lymphgefässen Fett. Das gleiche negative Resultat 
ergaben reichliche Fütterungen mit Stärke, Traubenzucker 
oder einem Gemenge von beiden (z. Th. mit der Schlundsonde 
applicirt). 

Durch diese Versuche glauben wir den Beweis für die Un¬ 
richtigkeit dieses Theiles der Pavy’schen Hypothese erbracht 
zu haben 1 ). 


1) Physiologie des Stoffwechsels in v. Noorden’s Handbuch. Bd. I. 190G. 


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LI. 


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Aus dem Privatlaboratorium von Dr. Hans Friedenthal, 
Nicolassee bei Berlin. 

lieber Veränderungen der Blutreaction bei intravenöser 
Einführung von Säure und Alkali. 

Von 

Dr. van Westenrijk, St. Petersburg und Dr. Hans Friedenthal, 

Assistent am klin. Inst. d. (Jrns.sfürstin l’anlowna. Nicolassee bei Berlin. 

(Mit 2 Curven im Text.) 


ln einer Reihe von früheren Arbeiten hat der eine von uns 1 2 3 ’ * auf 
die Wichtigkeit der Thatsachc hingewiesen, dass das Blutserum des 
Menschen und der anderen Wirbelthiere eine sehr annähernd neutrale 
Reaction besitzt, welche mit Indicatoren am sichersten und bequemsten 
nachgewiesen werden kann. Eine grosse Reihe von Flüssigkeiten, früher 
für stark alkalisch gehalten, theilt die annähernd neutrale Reaction mit 
dem Blutserum. Die thierischen Flüssigkeiten besitzen ausserdem all¬ 
gemein eine physiologisch hochbedeutsame Resistenz gegen Rcactions- 
verschiebungen, so dass sie sich nur mit unverhältnissmässigem Aufwand 
in ausgesprochen saure und stark alkalische Flüssigkeiten umwandeln 
lassen. Diesem Befund einer annähernd neutralen Reaction des Blut¬ 
serums stand anfänglich der von Rudolf Höbcr bei Gaskettenmessungen 
erhobene Befund einer starken Alkalescenz des Blutes entgegen (Rudolf 
Hob er, „Ueber die Hydroxylionen des Blutes. Pflüger’s Archiv. LXXXI. 
S. 522). Wie vermuthet, war aber dieses Resultat von Höher in Folge 
von Messungsfehlern erhalten, welche bis zu 1000 pCt. der Mcssungs- 
grösse erreicht hatten, verursacht durch Fortführung der Kohlensäure, 
welche von maassgebendstem Einfluss auf die Blutreaction sein musste. 
Der eine von uns hatte bereits in seiner ersten Arbeit (1901) darauf 
hingewiesen, dass die wichtige Resistenz der thierischen Flüssigkeiten 

1) Hans Friedenthal, Ueber die Reaction des Blutserums der Wirbelthiere 
und die Reaction dor lebendigen Substanz im Allgemeinen. Verworn’s Archiv für 
allgemeine Physiologie. 1901 und 1904. 

2) Hans Friedonthal, Die Bestimmung der Reaction einer Flüssigkeit mit 
Hülfe von Indicatoren. Zeitschr. f. Elektrochemie. 1904. 

3) Hans Friedenthal, Ueber Iteactionsbestimmungen im natürlichen Serum 
und über Herstellung einer zum Ersatz des natürlichen Serums geeigneten Salzlösung. 
Yerh. d. physiolog. Uesellsch. Berlin 1902/03. 


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Veränderungen d. ßlutreaction bei intravenöser Einführung von Sänro u. Alkali. 765 



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van Westenrijk u. H. Friedenthal, 


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gegen eine Aenderung der Reaction ihcilweise auf der Anwesenheit von 
kohlensauren Salzen beruht. Die Anwesenheit amphoterer Colloide in 
hoher Concentration stellt das zweite nicht minder wichtige Schutzmittel 
gegen Rcactionsverschiebung dar. In einer späteren Arbeit (Pflüger’s 
Archiv. 99. S. 572. 1903) bestätigte denn auch Höbcr die inzwischen 
von Frankel und von Farkas auch mit Gasketten bereits vor ihm 
nachgewiesene Neutralität des Blutserums. Eine grosse Reihe von 
Prüfungen mit den von Nernst angegebenen Gasketten von Seiten ver¬ 
schiedener Autoren bestätigte auch die grosse Zahl der mit der Indicatoren- 
methode als annähernd neutral nachgewiesenen Körpersäfte von Thieren 
und Pflanzen. 

Die kolorimetrische Bestimmung der wässrigen Flüssigkeiten mit Hülfe 
von Indicatoren, welche die Bestimmung der Reaction in Körperflüssig¬ 
keiten lebender Thierc und deren Rcactionswechsel bei Ruhe und Arbeit 
auf einfache Weise zu erkennen gestattet, hat bisher nur in wenigen 
Fällen eine Anwendung innerhalb der klinischen Medicin erfahren. Es 
sei deshalb an dieser Stelle noch einmal die geringe Zahl von Indicatoren 
angeführt, bei deren Verwendung sämmtliche in Wasser möglichen Rc- 
actionsstufcn bestimmt werden können 1 ). 

Mit Hülfe eines Kolorimeters lässt sich die Reaction einer ungefärbten 
klaren Lösung bei Anwendung der Normalstufen bis auf wenige Procente 
genau bestimmen. Durch Titration erfahren wir den Gehalt einer Lösung 
an Alkali, welches nicht an starke Säuren gebunden ist, und den Gehalt 
an Säure, welche nicht an starkes Alkali gebunden ist. Voraussetzung 
für genaues Titrircn ist die Wahl eines Indicators, welcher ein schwächerer 
Elektrolyt ist als die schwächste Säure oder Base in der zu unter¬ 
suchenden Flüssigkeit. Die Tabelle der Indicatoren giebt Aufschluss 
über den für jeden Fall geeigneten Indicator 2 ) und zugleich Aufschluss 
über den H+-Jonengehalt der Titrationsflüssigkeit am Ende der Titration. 
Ein etwaiger Ucberschuss lässt sich also leicht in Rechnung ziehen. 

Durch Titration können wir Aufschluss darüber erhalten, welche 
Reservekräfte dem lebenden Organismus zu Gebote stehen, um Ver¬ 
schiebungen der Reaction des Blutes zu verhindern oder wenigstens ab¬ 
zuschwächen. Die Literatur über Säurevergiftung findet sich wieder¬ 
gegeben in einer unter Leitung von Professor Tan gl ausgeführten Arbeit 
von Dr. Alexander Szily. (Arbeiten auf dem Gebiete der chemischen 
Physiologie von Dr. Franz Tangl. Bonn 1906. Verlag von Martin 
Hager.) In dieser Arbeit war Verfasser zu dem Resultat gekommen, 
dass Hunde intravenöse Säureeinspritzung viel schlechter vertragen als 
Kaninchen, trotzdem weder die Aschenanalysen des Blutes für die Mineral- 
alkalescenz, noch der von Fr. Kraus gemessene C0 2 -Gehalt des Blutes 
sehr erhebliche Differenzen zwischen Kaninchenblut und Hundeblut er- 

1) Die Vereinigten Fabriken für Laborationsbedarf in Berlin N, Chausseestr. 3, 
liefern die zur Reactionsbestimmung nöthigen Indicatoren mit Farbtafel sowie die 
Stufenlösungen nach den Angaben von H. Friedenthal. 

2) Genauere Angaben über Kolorimetrie und Titration siehe E. Salm. Studie 
über Indicatoren. Dissertation. Aachen 1906. 


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Veränderungen d. Blulreaotion bei intravenöser Einführung von Säuic u. Alkali. 767 


kennen lassen. Der Tod der Thiere erfolgte bei rund lXlO~ 6 H+im 
Blute bei Hunden und Kaninchen. Der titrirbare Alkaligehalt betrug 
beim Tode nur noch 3xlO _3 OH~ beim Hunde gegenüber 3xlO _2 OH~ 
beim Kaninchen. Der Gehalt des normalen Säugerblutes an titrirbarera 
Alkali beträgt durchschnittlich ebenfalls 3xlO~ 2 OH~. So wichtig in 
physiologischer und klinischer Hinsicht die Resistenz der Körpersäfte 
gegen Reactionsversehiebung ist, so wenig geben die bisherigen ex¬ 
perimentellen Untersuchungen ein Bild von den unmittelbaren Folgen ge¬ 
ringer Vermehrungen oder Verminderungen des H+-Jonengehaltes der 
Körpersäfte. 

In den folgenden Untersuchungen wurde zunächst die Einwirkung 
von intravenöser Einführung von Säure und Alkali auf Herz und Blut¬ 
druck untersucht, die tödtliche Dosis für Alkali und Säuren von sehr 
verschiedener Dissociationsconstante festgestellt und mit Hülfe von Indi- 
catoren die Resistenz gegen Reactionsversehiebung bei Alkali- und Säure¬ 
zufuhr geprüft. Wie in den Versuchen von Szily wurde die Geschwin¬ 
digkeit der Alkali- und Säureeinfuhr genau regulirt. Die Injcction 
erfolgte herzwärts in die Vena jugularis aus einer Bürette, wobei durch 
eine Klemmschraube die Einlaufsgeschwindigkeit regulirt wurde. Der 
Blutdruck und die Herzbewegung wurde durch einen Tambourarterio- 
graphen 1 ) aufgenommen, bei welchem die Arterie nicht geöffnet zu werden 
braucht, so dass Störungen durch Gerinnungen ausgeschlossen waren. 
Um über die Reaction der Körpersäfte und ihre Aenderung während der 
Säureeinfuhr Aufschluss zu erhalten, wurde vereinzelt mit Neutralroth 
versetzte Säurelösung injicirt. Die Section ergiebt nach Einführung dieses 
und anderer Indicatoren ein anschauliches Bild von den vorhandenen 
Alkalidepots im Körper. Da im Uebrigen nicht alle Indicatoren im Blut¬ 
serum reversibel reagiren — allein abhängig vom momentanen H+-Gehalt 
— ist gerade bei Blutreactionsbestimmungen allein mit Indicatoren Vor¬ 
sicht geboten und die Resultate stets mit mehreren Indicatoren zu con- 
troliren. Poirrier’s Blau z. B. färbt sich im Serum von 1 X 10~ 7 H+ 
allmählich rosa wie in einer Alkalilauge von 1 X 10~ 12 H+, auch 
cf-Naphtholbenzoin erleidet totale Umwandlung wie durch starkes Alkali. 
Neutralroth und Phenolphthalein dagegen wechseln ihre Farbe auch im 
Serum proportional dem H+-Ionongehalt. Den Indicatoren mit allmäh¬ 
licher Umwandlung ist bisher wenig Beachtung geschenkt worden, weil 
sie für Titrationszwecke unbrauchbar sind; für das Verständnis der In- 
dicatoruinwandlung bei wechselndem H+-Gehalt sind gerade diese von 
entscheidender Bedeutung, da sie eine sprechende Widerlegung der Dis- 
sociationstheorie der Indicatoren liefern. 


Versuche mit intravenöser Einführung von Alkali. 

Da starke Laugen die Gefässwände auf lösen und bei längerer Ver¬ 
suchsdauer zerstören, benutzten wir eine concentrirte Sodalösung, wolche 
6,9 pCt. Na 2 C0 3 enthält, zur Verminderung des H+-Gehaltes. Diese 


1) Construirt von H. Friedonthal. Erhältlich bei Zimmermann, Berlin N., 
Chausseestr. 2c. 


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van Westenrijk u. H. Frieden thal 


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Lösung entspricht, mit lndicatoren geprüft, rund einer 1 X 10 U *H+- 
Lösung. Versuchsthiere waren ausschliesslich starke Kaninchen von über 
sechs Pfund Gewicht. Die Geschwindigkeit des Einlaufes wurde so 
regulirt, dass etwa entsprechend 0,25 ccm Normal-OH - pro Kilogramm 
und Minute einflossen. Die gesättigte Sodalösung entspricht einer 1,3- 
Normal-OH~-Lüsung in Bezug auf Absättigung von Säuren, die stärker 
dissociiren als H 2 C0 3 . Die Thiere vertrugen in maximo die intravenöse 
Einführung von 1,6 g Na 2 C0 3 pro Kilogramm bei der erwähnten Ein- 
laufsgeschwindigkcit. 

Versuch 10. Juli 1907. Kaninchen, weiblich, 3200 g. 

Der Versuch beginnt mit langsamem Einlassen der Sodalösung in 
die Vene. Die Carotis schreibt eine Curve mittelst eines gewöhnlichen 
Kymographion auf die berusste Oberfläche einer Trommel. 




Vor Alkaliwirkung 





Mach Alkaliwirkung 



Nach der Einführung der ersten 8,9 ccm der Lösung wurde eine 
erste Portion des Blutes (etwa 20 ccm) aus der freigelegten anderseitigen 
Carotis entnommen. Die Herzthätigkeit war vor der Injection regel¬ 
mässig, die Pulsschläge klein. Nach Einführung von im Ganzen 35 ccm 
der Lösung wurde das Kaninchen unruhig. Reichlich Urin wurde spontan 
entleert. Der Puls, welcher schon nach Einführung von etwa 29 ccm 
der Lösung eine bedeutende Vergrösserung gezeigt hatte, wurde ausser¬ 
ordentlich kräftig. Im Ganzen war die Curve unregelmässig und zeigte 
Arhythmie. Dann wurde eine zweite Portion Blut entnommen. Schon 
nach 39,6 ccm im Ganzen trat der Tod ein. Die letzten Cubikcenti- 
meter waren versehentlich etwas schneller wie die früheren eingeführt 
worden. Nach dem Tode entnahmen wir aus dem Herzen noch etwas 
Blut, aus der Blase den Harn. Der Harn wurde gleich untersucht, das 
Blutserum am folgenden Tage, nachdem es ca. 24 Stunden im Eisschrank 
gestanden hatte. Die erste Portion des Blutserums zeigte mit lndicatoren 
einen H-Ionengehalt entsprechend der Stufe VIII, während die Titration 
mit 1 /io _norma ^ er Salzsäure und Alizarin als lndicator 1 ccm der Säure 
auf 1 ccm des Serums verbrauchte. Es entsprach also die titrirbare 
Alkalescenz des Blutes einer Vio -normalen OH-Lösung. Die zweite 
Portion des Serums zeigte mit lndicatoren einen H-Ionengehalt zwischen 
den Stufen IX und X (Alizarin violett, Azolitrain grauviolett, Neutralroth 
gelb, «-Naphtholbenzoin grün, Alkannin violett, Phenolphtalein rosa), 
enthielt also 5 X 10 -lü H-Ionen. 


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Veränderungen d. Blutreaction bei intravenöser Einführung von Säure u. Alkali. 769 


Bei der zweiten Titration verbrauchten wir 1,5 ccm der Ni 0 -Säure 
auf 1 ccm des Serums, die Alkalescenz des letzteren entsprach folglich 
einer 0,15 normalen OH-Lösung. Die dritte Portion des Serums end¬ 
lich zeigte mit Indicatoren denselben H-Ionengehalt wie die zweite, ent¬ 
hielt also 5 X 10~ 10 H-Ionen, während bei Titration 2 ccm der Säure 
1 ccm des Serums entsprachen, die Alkalescenz entsprach also einer 
0,2-normalen OH"-Lösung. Sie hat also beträchtlich zugenommen. 

Die beiden Portionen des Harnes zeigten mit Indicatoren denselben 
H-Ionengehalt, entsprechend der Stufe VIII. Während also die Titra- 
tions-Alkalescenz des Blutes um 100 pCt. zugenomraen hatte, war der 
H-lonengehalt um 1500 pCt. gesunken. 0,88 g Na 2 C0 3 tödteten pro 
Kilogramm Thier bei diesem Versuch. 

Versuch 11. Juli 1907. Kaninchen von 3200 g Körpergewicht. 

Wie früher wurde eine Carotis und eine Vene freigelegt, ausserdem 
beide Nieren abgebunden, damit kein Verlust an Alkali durch den Urin 
möglich wäre. Dem Kaninchen führten wir wieder eine concentrirte 
Sodalösung in die Vena jugularis ein. Erst nach etwa 40 ccm begannen 
Unruhe und clonische Krämpfe. Der Puls wurde schon nach den ersten 

4 ccm grösser, später sehr gross, sonst ganz regelmässig (vergl. Ab¬ 
bildungen). So verhielt sich der Puls, bis 64 ccm eingelaufen waren. 
Dann wiederholten sich die Krämpfe und die Herzthätigkeit wurde unregel¬ 
mässig, bis schliesslich nach weiteren 9 ccm der Tod eintrat. 

Das Blut wurde nach den ersten 64 ccm geprüft und eine zweite 
Portion nach dem Tode entnommen. 

Die erste Portion zeigte mit Indicatoren einen H-Ionengehalt ent¬ 
sprechend der Stufe IX. (Alizarin violett, Neutralroth gelb, Akannin 
rothviolett, Phenolphtalein rosa). Bei der Titration verbrauchten wir im 
Mittel 1,7 ccm der Säure auf 1 ccm, so dass die Alkalescenz einer 
0,17-normalen OH-Lösung entsprach. 

Die zweite Portion erwies sich alkalischer. Mit Indicatoren ent- 
entsprach sie den Stufen IX—X, enthielt folglich 5 X IO -10 H-Ionen 
(Alizarin violett, Neutralrot gelb, a-Naphtholbenzoin grün, Alkannin violett, 
Phenolphtalein rosa). Bei der Titration verbrauchten wir 2,5 ccm der 
Säure auf 1 ccm des Serums, die Alkalescenz entsprach einer 0,25-nor- 
raalen OH-Lösung. 

Das Thier starb nach Einführung von 73 ccm concentrirter Na 2 C0 3 - 
Lösung. Die tödtliche Dosis betrug 1,6 pro Kilogramm Thier. 

Versuche mit Salzsäureeinführung. 

Wir führten diese Versuche ganz wie diejenigen mit Sodalösung 
durch. Variationen der Salzsäureconcentration erreichten wir dadurch, 
dass eine Doppelt-Normallösung der Salzsäure mit physiologischer Koch¬ 
salzlösung auf verschiedene Grade verdünnt wurde. 

Versuch 15. Juli 1907. Kaninchen, Männchen, von 2600 g 
Körpergewicht. 

Einführung einer 0,4 - normalen Salzsäurelösung. Die Flüssigkeit 
floss langsam ein (1 ccm im Zeitraum von 1 Min. 27 Sec.). Nach etwa 

5 ccm wurde das Thier unruhig, der Puls wurde viel grösser, aber 


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van Westcnrijk u. H. Friedenthal, 


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unregelmässig. Nach 10,6 ccm unterbrachen wir die Injection. Es 
folgte eine neue Einführung schneller wie die frühere (3 ccm in 1 Min. 
7 Sec.). Der Puls blieb etwas unregelmässig, bald aber glich sich die 
Störung wieder aus. Nach etwa 16 ccm wurde der Herzschlag kleiner 
und häufiger, bis er nach weiteren 4 ccm, also im Ganzen nach 20 ccm, 
wieder unregelmässig wurde. Unruhe stellte sich ein, Zittern des Thieres 
wurde sehr bemerkbar, die Körpertemperatur war tief heruntergesunken 
im Rectum 32° C.). Nach 25 ccm verstärkte sich die Unruhe, be¬ 
schleunigte sich die Herzthätigkeit bis auf 200 Herzschläge in einer 
Minute. Lautes Schnaufen des Thieres wies auf Lungenödem. Unter 
klonischen Krämpfen trat der Tod nach im Ganzen 25,8 ccm ein. Das 
Blut, welches nach dem Tode aus dem Herzen entnommen wurde, war 


V/or Saurewirtiung 


hach Säurewirkung 



lackfarbig geworden und konnte deshalb mit Indicatoren nicht bequem 
geprüft werden. Vom Urin waren etwa 10 ccm in der Blase vorhanden, 
er entsprach nach der Indicatorenmethode den Stufen VIII—IX, enthielt 
also 5 X 10~° H-Jonen. 4 ccm Normal-H** Lösung pro Kilogramm 
tödteten bereits das Thier. 

Versuch 17. Juli 1907. Kaninchen, Weibchen, von 3000 g 
Körpergewicht. 

Einführung einer 0,4-normalen Salzsäurelösung mit einer Schnellig¬ 
keit von circa 2 ccm in einer Minute. Nach etwa 40 ccm vergrösserten 
sich die Pulsbilder, noch stärker aber nach 60 ccm. Die Herzthätigkeit 
war dabei regelmässig im Gegensatz zu dem früheren Versuch. Nach 
82 ccm trat Unruhe ein und der Puls wurde klein, das Thier zitterte, 
ln diesem Zustande führten wir ihm noch weitere 28 ccm ein bis zum 
Tode des Thieres. Im Ganzen erhielt es 110 ccm, d. h. 44 ccm nor¬ 
maler Salzsäurelösung, 14,6 ccm Normalsäure pro Kilogramm Thier. 
Noch während des Lebens entnahmen wir dem Thiere etwas Blut. Diese 
letzte Portion gerann selbst in 24 Stunden nicht, das Serum war dunkel- 
roth verfärbt. 

Mit Indicatoren geprüft entsprach das Serum der Stufe IX: 
1 X 10 9 H+ (Alizarin violett, Neutralroth gelb, Azolitmin blau, Phenol¬ 
phthalein rosa). Urin war in geringer Menge in der Blase vorhanden, 
entsprach der Stufe VII (Alizarin violett, Neutralroth rosa, Azolitmin 
violett, rothes Lackmuspapier etwas blau, blaues unverändert). 

Versuch 18. Juli 1907. Kaninchen, Männchen, von 5000 g Körper¬ 
gewicht. 


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Veränderungen d. Blutreaction bei intravenöser Einführung von Säure u. Alkali. 771 


Einführung einer 0,6-normalen Salzsäurelösung. Nach 19 ccm trat 
Unruhe ein und der Puls wurde sehr gross. (Vcrgl. Abbildungen). 

Dem Thiere wurde Blut aus der Carotis entnommen. Der Versuch 
nach Einführung von im Ganzen 22,5 ccm, d. h. von 13,5 ccm normaler 
Lösung, aufgehoben. Das Kaninchen starb nach 36 Stunden. Normal¬ 
säure 2,7 ccm pro Kilogramm Thier. Das Serum entsprach mit Indi- 
catoren den Stufen VIII—IX, enthielt also 5 X 10~ 9 H-Ionen (Azolitmin 
blauviolett, Alizarin violett, Neutralroth orange, «-Naphtholbenzoin orange, 
Phenolphthalein schwach rosa). Nach der Titration entsprach die Alkalcs- 
cenz des Serums einer 0,1-normalen OH-Lösung. 

Versuch 20. Juli 1907. Kaninchen, Weibchen, von 3700 g Körper¬ 
gewicht. 

Einführung einer 0,8-normalen Salzsäurelösung. Im Beginn des 
Versuchs erhielt das Thier versehentlich 6 ccm in einer halben Minute. 
Es hörte auf zu athmen, der Puls verschwand. Darauf erholte sich das 
Thier und nach Einführung von 10 ccm vergrösserte sich der Puls. Nach 
Einführung von im Ganzen 12,4 ccm, d. h. von 9,9 ccm normaler Lösung 
starb plötzlich das Kaninchen. Bei Section erwies es sich, dass das 
Thier schwanger gewesen war. Das Blutserum war lackfarbig, zeigte 
mit Lackmuspapier geprüft eine neutrale Reaction, mit Indicatorcn aber 
entsprach es der Stufe VIII (Alizarin und Azolitmin violett, Neutralroth 
orange, Alkannin rosa, Phenolphthalein farblos). Bei der Titration ver¬ 
brauchten wir 0,6 ccm der Säure auf 1 ccm des Serums, also entsprach 
die Alkalescenz des letzteren einer 0,06-normalen OH-Lösung. 

Versuch 20. Juli 1907. Kaninchen, Männchen, von 3200 g Körper¬ 
gewicht. 

Einführung einer 0,8-normalen Salzsäurelösung mit einer Schnellig¬ 
keit von 3,6 ccm in einer Minute. Diesmal veränderte sich der Puls 
nicht wesentlich. Nach 18,5 ccm, d. h. nach 14,8 ccm normaler Lösung 
traten Unruhe, Krämpfe und Tod ein unter den Erscheinungen eines 
Lungenödems und Herzparalyse. 

Das Blutserum (aus dem Herzen entnommen) war wieder roth ver¬ 
färbt und zeigte mit Lackmuspapier geprüft eine neutrale Reaction. Mit 
Indicatoren entsprach es den Stufen VII—VIII, enthielt also 5xl0 8 H- 
Ionen (Alizarin und Azolitmin schwach violett, Neutralroth schwach 
orange, Phenolphthalein farblos). Bei der Titration verbrauchten wir 
0,4 ccm der Säure auf 1 ccm des Serums; die Alkalescenz des letzteren 
entsprach folglich einer 0,04 normalen OH-Lösung. 

Versuch 30. Juli 1907. Kaninchen, Weibchen, von 2800 g Körper¬ 
gewicht. 

N 

Einführung von —-normaler Salzsäurelösung mit Schnelligkeit von 

5—8 ccm in einer Minute. Nach 40 ccm wurde der Puls höher. Nach 
49 ccm, d. h. nach 4,9 ccm normaler Lösung, begann Unruhe und bald 
trat der Tod ein. Das Blut konnte nicht titrirt werden. 

Versuch 30. Juli 1907. Kaninchen, Männchen, von 2700 g Körper¬ 
gewicht. 


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van Westenrijk u. If. Friedenthal, 


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Einführung zuerst von Alkali und dann von Salzsäure. Einführung 

"N” 

von jQ’Kalilauge mit einer Schnelligkeit von 3 ccm in einer Minute, 

später etwas schneller. Nach 8 ccm wurde der Puls höher, nach 24 ccm 
begann Unruhe. Es wurde noch 1 ccm (im Ganzen 25 ccm) zugeführt 
und dann mit der Alkalizufuhr aufgehört. 

N 

Jetzt begann die Einführung der -—Salzsäurelösung. Wir behielten 

die Geschwindigkeit von 5 ccm Lösung in einer Minute bei. Der Puls, 
welcher bei Beginn der Säureeinführung klein geworden, wurde nach 
12 ccm höher. Nach 40 ccm wurde das Thier unruhig. Nach 50 ccm 
wurde der Puls bedeutend höher, nach weiteren 50 ccm (also 100 ccm 
im Ganzen) wieder kleiner. Später wurde das Thier wiederholt unruhig. 
Weitere 100 ccm konnten dem Thiere cingeführt werden, ohne den Tod 
des Thieres herbeizuführen. Es erhielt also im Ganzen 200 ccm, d. h. 
20 ccm normaler Lösung, 7,4 ccm NH+ pro Kilogramm Thier. Gegen 
Schluss des Versuchs untersuchten wir den Urin. Er entsprach den 
Stufen VIII und IX, enthielt also 5 X 10 _9 H-Ionen (Alizarin violett, 
Neutralroth orange, Phenolphthalein rosa, rothes Lackmuspapier bläulich, 
blaues unverändert). 

Der nächste Versuch (31. Juli 1907) galt der Einführung von Vier 
normaler Salzsäurelösung mit aufgelöstem Neutralroth, um eine intra- 
vitale Färbung' der Körperflüssigkeiten zu erzielen. Kaninchen, Männchen, 
von 2400 g Körpergewicht. 

Wir Hessen die Flüssigkeit mit Schnellikgeit von 5 ccm in einer 
Minute einfliessen. Im Anfang des Versuchs war die rectale Temperatur 
37,9° C. Nach 20 ccm wurde eine vorübergehende Unruhe notirt. Nach 
50 ccm wurde der Puls höher. Weitere 19 ccm waren zufällig etwas 
schnell eingeführt worden, wodurch wahrscheinlich ein vorzeitiger Tod 
des Versuchsthieres bewirkt wurde. Das Thier starb, flüssiger Schaum 
trat aus der Nase hervor. (Dieses Zeichen von Lungenödem haben wir 
auch in früheren Versuchen von Säurevergiftung wahrgenommen.) Die 
rectale Temperatur vor dem Tode war 35,8° C. Das Kaninchen erhielt 
also im Ganzen 69 ccm, d. h. 6,9 ccm normaler H-Lösung. 

Bei der Section beobachteten wir dio Färbung der Muskeln und 
Eingeweide. Die Musculatur war schön rosa gefärbt. Der Dünndarm 
war schwach rosa, während der Dickdarm gelborange aussah. Die Leber 
und Milz blieben normal gefärbt, die an dem Dünndarm haftenden, sehr 
ausgebildeten Peyer’schen Plaques zeigten Rosafärbung. Der Harn war 
orange verfärbt, d. h. entsprach der Stufe VIII, was mittelst anderer 
Indicatoren bestätigt wurde (Phenolphthalein farblos). Das Blut, welches 
wir gleich nach dem Tode der Carotis entnommen hatten, wurde centri- 
fugirt und untersucht. Das Serum zeigte eine schwach rosige Färbung 
und entsprach mit Indicatoren der Stufe VIII (Alizarin violett, Azolitmin 
schwach violett, Neutralroth und a-Naphtholbenzoin orange, Alkannin 
rosa, Phenolphthalein farblos). Mit y i0 -normaler Salzsäurelösung und 
Alizarin als lndicator titrirt verbrauchte das Serum 0,3 ccm der Säure 
auf 1 ccm, entsprach also einer 0,03-normalen OH-Lösung. 


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Veränderungen d. Blutreaotion bei intravenöser Einführung von Säure u. Alkali. 773 

In den nächsten zwei Versuchen prüften wir die Wirkung der intra¬ 
venösen Injection einer Essigsäurelösung. Wir benutzten dazu eine nor¬ 
male Lösung, die wir herstellten, indem wir zur Verdünnung, wie auch 
in früheren Versuchen, eine physiologische Kochsalzlösung nahmen. 

Versuch 1. August 1907. Kaninchen, Männchen, 2200 g Körper¬ 
gewicht. 

Sorgsame Einführung der normalen Essigsäurelösung. Das Thier 
war schon vor dem Beginn der Einführung unruhig. Die Unruhe dauerte 
an bis zum Tode, welcher nach 10,5 ccm erfolgte. Aus dem dem Herzen 
entnommenen und centrifugirten Blute erhielten wir ein roth verfärbtes 
Serum. Obwohl unsicher, konnten wir doch mit Indicatoren einen H- 
Gehalt feststellen, welcher den Stufen VII—VIII entsprach (Alizarin 
schwach violett, Neutralroth unverändert, Alkannin rosa, Phenolphthalein 
farblos). Titrirt verbrauchte das Serum 0,8 ccm y 10 -norroaler Salzsäure¬ 
lösung auf 1 ccm, d. h. entsprach einer 0,08-normalen OH-Lösung. 

Versuch 1. August 1907. Kaninchen, Weibchen, 2500 g Körper¬ 
gewicht. 

Sehr langsame Einführung (1 ccm in einer Minute) der normalen 
Essigsäurelösung. Nach den ersten 7 ccm trat Unruhe ein, später war 
das Thier bis zum Ende des Versuchs ganz ruhig. Nach 18 ccm sank 
die Temperatur, welche im Beginn des Versuchs 37 °C. betragen hatte, 
bis auf 36° C. Nach Einführung von 30 ccm sank die Temperatur auf 
35,5° C. Der Versuch wurde nach Einführung von im Ganzen 32 ccm 
aufgehoben, nachdem aus der Carotis einige Cubikcentimcter Blut ent¬ 
nommen waren. Das Serum wurde in diesem Falle gleich centrifugirt 
und entsprach, mit Indicatoren geprüft, den Stufen VII—VIII (Alizarin 
schwach violett, Neutralroth unverändert, kaum orange, Alkannin rosa¬ 
violett, Phenolphthalein farblos). Bei der Titration entsprach die 
Alkalescenz des Serums einer 0,05 NOH-Lösung (1 ccm des Serums ver¬ 
brauchten 0,5 ccm V 10 -normaler Salzsäurelösung). Das Thier starb über 
Nacht. 

Ein weiterer Versuch (3. August 1907) hatte den Zweck, zu prüfen, 
ob eine Alkalescenzzunahme auf einer Zersetzung der rothen Blut¬ 
körperchen beruhen könne, wie früher angegeben worden ist. Wir führten 
deshalb einem Kaninchen destilliertes Wasser intravenös ein, um eine 
theilweise Auflösung der rothen Blutkörperchen zu erzielen. Kaninchen, 
Weibchen, 2500 g Körpergewicht. Einführung von auf etwa 30° C. er¬ 
wärmtem, destillirtem Wasser mit Schnelligkeit von zuerst 3 ccm, später 
(nach 35 ccm) 4 ccm in einer Minute. Die rectale Temperatur war im 
Anfänge des Versuchs 35,9° C., nach Einführung von 85 ccm sank sie 
unter 34,8° C. Der Versuch verlief ungestört, das Thier zeigte zeitweise 
Unruhe. Die Pulsfrequenz war 129 in einer Minute. Im Verlaufe einer 
Stunde waren 179 ccm eingeflossen. Nach Einführung von 230' ccm 
verminderte sich die Pulsfrequenz auf 44 in einer Minute. In andert¬ 
halb Stunden waren bis zum Tode des Thieres etwa 300 ccm eingeführt. 

Eine Probe des Blutes wurde vor dem Versuche der Carotis ent¬ 
nommen, eine zweite während des Todes. 

Von der ersten Portion erhielten wir ein ungefärbtes Serum, welches 


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774 van Westenrijk u. H. Friedenthal, Veränderungen d. Blutreaotion etc. 


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mit lndicatoren dor Stufe VIII entsprach (Alizarin schwach violett, 
Neutralroth orange, Alkannin rosaviolett, Phenolphthalein farblos) und bei 
der Titration auf 1 ccm 0,8 ccm 1 /io' norma ^ er Salzsäurelösung verbrauchte, 
d. h. einer 0,08-normalen OH^-Lösung entsprach. 

Das Serum der zweiten Portion war dunkelroth gefärbt, und mit 
Alizarin gab es keinen Farbenumschlag, weshalb mit diesem Indicator 
nicht titrirt werden konnte. Mit lndicatoren zeigte das Serum einen H- 
Jonengehalt entsprechend etwa der Stufe VII (grosser Ueberschuss von 
Alizarin, Spur lila, Neutralroth unverändert). Höchstens könnte man 
einen H-Jonengehalt zwischen den Stufen VH und VIH liegend annehmen. 

Zusammenfassung der Resultate. 

Bei intravenöser Einführung von Säure sowohl wie von Alkali tritt 
eine erhebliche Verstärkung der Pulses (VagusWirkung) ein. Die Puls- 
curven bei Vermehrung wie bei Verminderung des H + -Gehaltes des 
Blutes ähneln einander in überraschender Weise. 

Berücksichtigt man die Maximalwerte bei Einführung von Alkali 
und Säure, so tödteten bereits 3 ccm Normal-(OH - -) Lösung pro Kilo¬ 
gramm Thier, während 14,6 ccm Normal-H+-Lösung pro Kilogramm zur 
Tödtung erforderlich waren. 

Die Resistenz der Blutserums gegen Verminderung des H+-Jonen- 
gehaltes ist sehr viel geringer als gegen Erhöhung des H+-Jonengehaltes. 
Ein H+-Jonengehalt des Blutes von 5 X10 -10 H+ bezeichnet die 
untere Grenze des mit dem Leben des Thieres verträglichen H+-Jonen- 
gehaltes. 

Durch die intravenöse Einführung von destillirtem Wasser wird der 
H+-Jonengehalt des Blutes selbst bei reichlicher Auflösung rother Blut¬ 
körperchen nicht wesentlich verändert. 

Die Dissociationsconstante (die Stärke) einer Säure ist ohne Einfluss 
bei intravenöser Einführung, solange die Constante erheblich grösser ist 
als die der Kohlensäure. Da das Gesammtblut eines 4000 g schweren 
Kaninchens rund 30 ccm einer Normal-Alkalilösung entspricht bezüglich 
Säurebindungsvermögen, im Experiment aber nach Einführung von 45 ccm 
Normalsäurelösung noch reichlich titrirbares Alkali im Blute nachweisbar 
war, ist der Transport von Alkali aus dem Körper bei intravenöser 
Säurezufuhr sicher erwiesen. 

Mit lndicatoren lässt sich Alkalicntnahmc aus der Musculatur bei 
intravenöser Säureeinfuhr nachweisen. 


Druck von L. Schumacher in Berlin N. 24. 


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