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ZEITSCHRIFT
FÜR
HEILKUNDE,
ALS FORTSETZUNG DER
PRAGER
VIERTELJAHRSSCHRIFT FÜR PRAKTISCHE HEILKUNDE
HERAUSGEGEBEN VON
Prof. Gussenbauer, Prof. v. Rosthorn, Prof. v. Jaksch
und Prof. H. Chiari.
XVII. BAND.
MIT VI TAFELN.
BERLIN NW. 6.
FISCHER’s MEDICIN. BUCHHANDLUNG H. KORNFELD.
18 96 .
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Inhalt des XVII. Bandes,
Seite
Dr. J. HARSCHNEB: Über die Erfolge der Sohmierkur bei Erkrankungen
des Nervensystems. (Ans der medicinischen Klinik des Herrn Prof.
R. v. Jakseh in Prag) .. 1
Dr. KABL PICHLEB: Über den Einfluss des Pilooarpin, Nuclein and
Antipyrin auf die Zahl der Leukocyten bei Pneumonie und Typhus.
(Aus der medicinischen Klinik des Herrn Prof. R. v. Jakseh in Prag.)
(Mit 5 Tabellen) .43
EDMUND SCHEBEB: Über Zooid- und ökoidbildung in den rothen
Blutkörperchen und ihre Beziehung zur Thrombose. (Aus dem In¬
stitute für allgemeine Pathologie in Innsbruck).49
Prof. Dr. H. CHI ABI: Über Selbstverdauung des menschlichen Pankreas.
(Hierzu Tafel I u. II).70
Dr. FRITZ KLEINHANS: Über metastatisches und gleichzeitiges Vor¬
kommen von Krebs in der Gebärmutter und in anderen Unterleibs¬
organen. (Ans der deutschen Universitätsfrauenklinik in Prag) . . 97
Dr. FRIEDRICH NEUGEBAUER: Zur Kenntnis der Lähmungen
nach elastischer Umsohnürung der Extremitäten.111
Dr. RUDOLF KRAUS: Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
(Aus der 13. medic. Klinik der Wiener Universität) (Hierzu eine
Tabelle im Texte).117
ALF. BOSTHOBN: Primäres medulläres Carcinoma tubae. (Hierzu
Tafel HI).177
Dr. LUDWIG KNAPP: Klinische Beobachtungen über die Wanderniere
bei Frauen. (Aus der Frauenklinik der deutschen Universität in Prag.)
(Hierzu Tafel IV und V).189
Dr. KARL PICHLER: Beitrag zur Symptomatologie und Diagnose der
melanotischen Tumoren. (Aus der medicinischen Klinik des Prof. R.
v. Jakseh in Prag).269
Dr. FRANZ FRIEDLAND: Über drei Fälle von Hyperkeratosis lacunaris
(Siebenmann) des Zungengrundes. (Aus Prof. Chiarfs pathologisch¬
anatomischem Institute der deutschen Universität in Prag.) (Hierzu
Tafel VI).275
Prof. Dr. ADOLF OTT: Über den Eiweissgehalt pathologischer Flüssig¬
keiten. (Aus der medicinischen Klinik des Prof. v. Jakseh in Prag.)
(Hierzu drei Tabellen im Texte). 283
Prof Dr. GANGHOFNEB: Weitere Mittheilungen über cerebrale spas¬
tische Lähmungen im Kindesalter. (Hierzu eine Tabelle).803
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IV
Inhalt des XVII. Bandes.
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Dr. NICOLAUS BEBEND: Ober eine nene klinische Methode zur Be¬
stimmung der Blutalkaiescenz und über Untersuchungen der Blut-
alkalescenz bei Kindern. (Ans der Kinderklinik des Prof. Alois
Epstein an der deutschen Universität in Prag.) Hierzu 2 Abbildungen
und 4 Tabellen im Texte).851
Dr. SIEGMUND KOHN: Klinische Erfahrungen über den Harnstoff als
Diureticum. (Aus der medioinischen Klinik des Prof. v. Jakseh in Prag) 396
Dr. KABL PICHLEB: Ein Beitrag zur Kenntnis der acuten Schwefel¬
kohlenstoff-Vergiftung. (Aus der medioinischen Klinik des Prof.
R. v. Jakseh in Prag.403
Dr. v. STBANSKT: Über einen Fall von Hydrothionurie. (Ausdermedi-
cinischen Klinik des Prof. R. v. Jakseh in Prag).411
Dr. LEOPOLD GOLDBACH: Über den Stickstoff- und Wassergehalt des
Blutes. (Aus der medioinischen Klinik des Prof. Dr. R. v. Jakseh in
Prag.417
Dr. SIE OM. KOHN: Ein casnistischer Beitrag zur Kenntnis der Gehirn-
Ines. (Aus der medicinischen Klinik des Prof. R. v. Jakseh in Prag.)
(Hierzu 2 Figuren im Texte).429
Dr. EOBEBT DAVID: Über den Einfluss derSchilddrüsen-Präparate auf
die Stickstoffansscheidung im Harne. (Aus der medicinischen Klinik
des Prof. R. v. Jakseh in Prag).437
Dr. GOTTLIEB POLLAK: Über die Behandlung de« Typhus abd ominalis
mit Blutserum von Typhus-Rekonvaleszenten. (Aus der medicinischen
Klinik des Prof. R. v. Jakseh in Prag).447
Dr. LEOPOLD GOLDBACH: Über das Verhalten des Blutes naoh
Kochsalz- und Wasserinjectionen. (Aus der medicinischen Klinik des
Prof. R. v. Jakseh in Prag).463
Prof. Dr. B. v. JAKSCH: Über den Stickstoffgehalt des menschlichen
Hirnes.467
Dr. EBNST PFLANZ, gew. Operationszögling der Chirurg. Klinik des
Prot Dr. A. Wölfl er: Über Dermoidcysten des Mediastinum anticum.
(Mit 1 Figur im Texte). 473
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(Aus der medicinischen Klinik des Herrn Professor R. v. Jaksch in Prag.)
UEBER DIE ERFOLGE DER SCHMIER KUR BEI ER¬
KRANKUNGEN DES NERVENSYSTEMS.
Von
De. J. MARSCHNER,
k. u. k. RogimenUant, zugetheilt der Klinik.
Auf der Klinik des Herrn Professor R. ’v. Jaksch ist durch
eine Reihe von Jahren, um die noch immer strittige Frage zu ent¬
scheiden, inwiefern die Anwendung der Schmierkur bei Erkrankungen
des Nervensystems von Nutzen ist, in einer grösseren Zahl von
Fällen diese Behandlungsmethode durchgeführt worden, und zwar
sowol in solchen Fällen, bei denen entweder durch die Anamnese
oder die objective Untersuchung eine stattgehabte syphilitische In-
fection sichergestellt war, als in solchen ohne Anhaltspunkte für
vorausgegangene oder bestehende Syphilis.
Ohne auf die mannigfachen Wandlungen näher einzugehen,
welche die Frage der syphilitischen Erkrankungen der inneren Or¬
gane, speciell des Nervensystems, im Laufe der Zeit erfahren
hat, will ich nur auf die in den letzten zwanzig Jahren auf
diesem Gebiete errungenen Fortschritte kurz zurückkommen. Zu¬
nächst war es Heubner 1 ), dessen grundlegende Studien über diesen
Gegenstand neues Licht verbreiteten. Er unterscheidet drei Bilder
der Hirnsyphilis: 1. Epileptische Anfälle, im Anschlüsse daran
ein der Dementia paralytica ähnlicher Zustand, aber ohne Grössen¬
wahn, als Folge einer Neubildung an der Convexität; 2. apo-
plektischer Insult, Hemiplegie, als Folge von Arterienerkrankung;
3. Dementia paralytica, ohne ausreichenden anatomischen Befund.
l ) O. Heubner, Die luetische Erkrankung der Hirnarterien, Leipzig 1874;
ferner derselbe , Ueber Himsyphilis, r. Ziemssens Handbuch, 11, 1, p. 25, 1876.
Zeitecbrilt für Heilkunde. XVTI. 1
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Dr. J. Marschnor.
Demnächst hat Rumpf 1 ) in einer sehr ausführlichen Arbeit die
ganze Frage der syphilitischen Erkrankungen des Nervensystems,
besonders die pathologische Anatomie und die Therapie einer zu¬
sammenfassenden Darstellung unterzogen. Unter Anführung einer
grossen Zahl sehr instructiver Krankengeschichten betont er die
oft so bedeutende Schwierigkeit, eine verlässliche Anamnese zu er¬
langen, eine Beobachtung, deren Richtigkeit wol am schärfsten in
dem Streit über die Aetiologie der Tabes zu Tage getreten ist.
Bald darauf theilte Naunyn“ 1 ) seine Erfahrungen über diesen Gegen¬
stand mit, wobei er die Tabes und progressive Paralyse nicht be¬
rücksichtigte. Er hatte unter 88 Fällen von Syphilis des Central¬
nervensystems 24 geheilte, 49 gebesserte, 10 ungebesserte und
5 Todesfälle. Bei 3 Fällen hielt die Heilung über 5 Jahre an.
Naunyn kommt zu dem Schlüsse, dass die Prognose der syphilitischen
Erkrankungen des Nervensystems sich verschlechtert, wenn der
Patient über 40 Jahre alt ist, wenn seit der Infection oder der
letzten anderweitigen syphilitischen Erkrankung mehr als 10 Jahre
verstrichen sind, wenn die specifische Therapie später als 4 Wochen
.nach Beginn der Erkrankung eingeleitet wird und wenn früher
schon Quecksilber gegen dieselbe Nervenerkrankung angewendet
worden ist. Auch die Art der Erkrankung hat auf die Prognose
Einfluss. Eine günstige Prognose bieten die echte Epilepsie, die
Hirnreizung (Kopfschmerz, Schwindel, Erbrechen), neuritische
Affectionen (Neuralgien, Hirnnervenlähmungen); eine schlechtere
Mono- und Hemiplegien, Paraplegien, gemischte und schwere
diffuse Formen.
Endlich hat in letzter Zeit W. R. Gowers *) eine sehr dankens¬
werte Darstellung des derzeitigen Standes unserer Frage gegeben.
Er unterscheidet auf Grundlage der pathologischen Anatomie
folgende Formen der syphilitischen Erkrankungen des Nerven¬
systems: 1. Das Syphilom; es geht gewöhnlich von den Meningen
und nur sehr selten von dem centralen oder peripheren Nerven¬
system selbst aus. 2. Die Arterienveränderungen mit ihren Folgen,
der Erweichung oder der sehr seltenen Induration der Hirnsubstanz,
welche vornehmlich bei jüngeren Individuen eintreten kann, oder
endlich der Aneurysmenbildung. 3. Entzündung mit specifischen
*) Th. Rumpf, Die syphilitischen Erkrankungen des Nervensystems, Wies¬
baden 1887.
*) B. Naunyn, Zar Prognose and Therapie der syphilitischen Erkrankungen
des Nervensystems, Leipzig 1888.
*) W. R. Ootcers, Syphilis und Nervensystem, deutsch von Dr. E. Lehfeldt,
Berlin 1893.
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Uober die Erfolge der Sclunierkur bei Erkrankungen des Nervensystems. 3
pathologischen Zügen; hierher zählt er die Pachymeningitis diüusa
und die Leptomeningitis circumscripta mit Bildung von Narben¬
gewebe, wodurch die Hirnnerven in ihrem basalen Verlauf und die
spinalen Nervenwurzeln in Mitleidenschaft gezogen werden können;
als besonders charakteristisch sieht Gowers in dieser Beziehung
die Erkrankung der aus den Seitentheilen der Medulla oblongata
heraustretenden Nerven, des Glossopharyngeo-Vagus und des Hypo-
glossus, an. 4. Entzündungen ohne specifische pathologische Züge,
deren Bestand bisher noch nicht mit Sicherheit erwiesen ist. Es
sind dies die Myelitis subacuta disseminata mit kleinen um¬
schriebenen Herden in der weissen Substanz nahe der Oberfläche,
von Julliard und Pierret, die multiple Entzündung der Spinal-
Wurzeln von Kahler, und die Sklerose der Hirnrinde bei Kindern
ohne Arterienerkrankung, von JBarlow. 5. Störungen, für welche
die Syphilis eine von mehreren Ursachen ist; als solche führt er
besonders an die verschiedenen Formen der Myelitis mit Ausschluss
der Poliomyelitis anterior acuta, die degenerativen Lähmungen der
inneren und äusseren Augenmuskeln, die Atrophie des Opticus und
die Tabes dorsalis. Die peripheren Nerven, mit Ausnahme der zum
Auge ziehenden, scheinen von selbstständigen luetischen Er¬
krankungen frei zu sein.
Was speciell die Frage der Aetiologie der Tabes betrifft, so
ist wohl gegenwärtig die Ansicht der bedeutendsten Forscher auf
diesem Gebiete mit der Foumier-Erb’schen Lehre vom Verhältnis der
Syphilis zur Tabes in Uebereinstimmung. Ich will nur zwei Autoren
anführen, so fand Rumpf unter 66 Tabesfällen 56 mal voraus¬
gegangene syphilitische Infection, Gowers, nach Ausschluss aller
zweifelhaften Fälle, unter 170 Tabikern in 55 °/ 0 der Fälle sicher
vorausgegangene Syphilis, eine Zahl, die, wie er selbst hervorhebt,
entschieden hinter der Wirklichkeit zurückbleibt, wenn man die
grossen Schwierigkeiten berücksichtigt, welche derartigen Er¬
hebungen entgegenstehen.
Auf der Klinik des Herrn Professor R. v. Jaksch wurde in
dem Zeiträume vom October 1889 bis October 1894 eine vollständige
Schmierkur von wenigstens zwanzig Einreibungen zu je 2 Gramm
bei 56 Fällen von Erkrankungen des Nervensystems ausgeführt,
theils mit, theils ohne gleichzeitige elektrische Behandlung und in
der Regel mit nachfolgendem Jodnatriumgebrauch. Wenn ich mir
nun erlaube, die betreffenden Krankengeschichten mitzutheilen, so
dürfte dieser Versuch durch das klinische und therapeutische In¬
teresse, welches die Zusammenstellung bietet, wohl gerechtfertigt
erscheinen. Die Schmierkur wurde durchgeführt in 11 Fällen von
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Dr. J. Marechner.
Lues cerebri und Lues medullae spinalis, in 11 Fällen von multipler
Sklerose, 6 mal bei Tumor cerebri, 6 mal bei Binden- und Kapsel-
läsionen, 2 mal bei Bulbärparalyse, 14 mal bei Tabes dorsalis, 3 mal
bei Myelitis didusa, 1 mal bei amyotrophischer Lateralsklerose und
2 mal bei Polyneuritis.
I.
Syphilis des Centralnervensystems.
Fall 1. H. M., 30jährige ledige Dienstmagd, aufgenommen
am 18. December 1891.
Anamnese: Vor 9 Jahren angeblich mit Typhus und Gesichts-
rothlauf durch 7 Wochen in Spitalsbehandlung gestanden, seit
welcher Zeit das Nasenbein eingesunken ist Seit 2 Monaten be¬
stehen intensive, in der Nacht exacerbierende Kopfschmerzen im
Hinterhaupt, Schwindelanfalle, häufiges Erbrechen.
Status praesens: Schmerzen beim Beklopfen des Scheitels und
der Schienbeine. Nasenrücken eingesunken, Defect der Uvula.
Sprache näselnd. Seitens der peripheren Nerven keine Störungen.
Diagnose: Lues cerebri.
Am 23. December Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen,
dann Jodnatrium.
Am 30. Januar 1892 entlassen. Kopfschmerzen, Schwindel,
Schmerzhaftigkeit der Knochen vollständig geschwunden.
Fall 2. S. K., 36 jähriger verheirateter Bäcker, aufgenommen
am 2. December 1893.
Anamnese: Infection negiert, Frau hat nie abortiert, zwei
Kinder starben in zartem Alter, vier sind gesund. Vor einem Jahre
begann Schwäche in allen Gliedmassen, seit einem halben Jahre
Schling- und Sprechbeschwerden, Schmerzen in der Halswirbel¬
säule.
Status praesens: Die rechte Pupille weiter als die linke, beide
reagierend; im Trigeminusgebiet leichte Herabsetzung der Sensi¬
bilität. Die Bewegungen des weichen Gaumens und der Kau¬
muskulatur wenig ausgiebig. Stirnrunzeln, vollkommener Lidschluss,
Pfeifen unmöglich. Beim Zähnezeigen die linke Nasolabialfalte
weniger ausgeprägt als rechts. Ausgesprochene Atrophie der Mus¬
kulatur der Unterlippe beiderseits, vermehrter Speichelfluss. Sprache
erschwert, näselnd, undeutlich. An den Extremitäten ausser ge¬
ringer Schwäche keine Störung, keine Muskelatrophie. Die directe
und indirecte elektrische Erregbarkeit im allgemeinen etwas herab¬
gesetzt, keine Entartungsreaction. Gang leicht spastisch, kein
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tJeber di» Erfolge der Sohmierkor bei Erkrankungen des Nervensystems. 5
Romberg’sches Phänomen. Rumpfmuskulatur paretisch. Keine Sensi-
bilitätsstö rangen. Sehnenreflexe gesteigert. Augenspiegelbefand:
Chorioiditis oculi utriusque, keine Stauungspapille. Laryngoskopischer
Befund: Die Stimmritze bei der Phonation nicht ganz geschlossen,
etwas nach links verschoben.
Diagnose: Lues medullae oblongatae; Chorioiditis luetica.
Therapie: Allgemeine Faradisation, Ernährung mittelst Magen¬
sonde.
Am 20. December ist notiert: Die Stimmbänder nähern sich
bei der Phonation nur auf 2 mm. Die Aufnahme von Flüssigkeiten
sehr erschwert, Kopfschmerzen.
Schmierkur, 4 Touren zu je 5 Einreibungen.
Am 13. Jänner 1894 entlassen. Lidschluss fast normal,
Schlucken und Sprache wesentlich gebessert, elektrische Erregbar¬
keit normal.
Herr Professor v. Jaksch sah den Patienten nach einiger Zeit und
constatierte, dass alle Krankheitserscheinungen geschwunden waren.
In diesem Falle ist jedoch, nach der Ansicht des Herrn Professor
v. Jaksch , die Möglichkeit nicht strikt auszuschliessen, dass es sich
um einen Fall von Polyneuritis infolge Lues gehandelt hat.
Fall 3. G. F., 64 jähriger verheirateter Tischler, aufge¬
nommen am 12. März 1894.
Anamnese: Infection geleugnet Vor einem halben Jahre be¬
gannen Kopfschmerzen, bald darauf Krampfanfälle in der linken
oberen Extremität bei erhaltenem Bewusstsein, wobei die Hand zur
Faust geballt und der Arm fest an den Körper angedrückt wurde;
diese Krämpfe breiteten sich in späteren Anfällen auf die linke
Gesichtshälfte, dann auf die ganze linke Körperhälfte aus.
Status praesens: Die Anfälle dauern 1 bis 2 Minuten und
wiederholen sich von 10 zu 10 Minuten. Die linke Pupille etwas
weiter, beide reagierend. Keine Stauungspapille. Leichte Parese
des linken Stirnfacialis und des linken Hypoglossus. Sprache ver¬
langsamt, Patient etwas apathisch. Leichte Parese der linksseitigen
Extremitäten. Etwas Atrophie der Muskulatur der linken oberen
Extremität. Am linken Fass und entlang des linken Nervus ischia-
dicus Parästhesien; am Foramen ischiadicum majus dieser Seite ein
Schmerzpunkt.
Diagnose: Jackson 'sehe Epilepsie, Lues cerebri.
Am 19. März Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen.
Am 10. Mai entlassen. Patient hatte seit 5 Tagen keinen
Anfall; die Parästhesien sind geschwunden.
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Dr. J. Marschner.
Bei der Frau des Patienten, welche am 10. Mai 1894 auf der
Augenklinik des Herrn Professor Schobt zur Obduction kam, wurde
Lues gummosa constatiert; die pathologisch-anatomische Diagnose
lautete: Hepar lobatum, Strangulatio venae cavae inferioris, Tumor
lienis, Induratio renum.
Fall 4. R. J-, 36 jähriger verheirateter Gerber, aufgenommen
am 28. Mai 1894.
Anamnese: Infection geleugnet Seit einem halben Jahre
Schwächegefühl im rechten Unterschenkel, seit 5 Wochen Parästhe-
sien in beiden Fusssohleu, später im rechten Bein bis zur Hüfte.
Gleichzeitig Schwäche des rechten Armes und Parästhesien in der
rechten Hand.
Status praesens: In der rechten Inguinalgegend Narben.
Linksseitige Abducensparese. Bedeutende Herabsetzung der groben
Kraft der rechtsseitigen Extremitäten. Die Finger der rechten
Hand werden gebeugt gehalten, können nur schwer gestreckt
und gespreizt werden. Leichter Tremor der oberen Extremitäten.
Das rechte Bein beim Gehen paretisch. Romberg’sches Phänomen
deutlich. Keine Ataxie, keine Sensibilitätsstörungen. Reflexe ge¬
steigert.
Diagnose: Lues cerebri.
Am 28. Mai Schmierkur, 4 Touren zu je 5 Einreibungen, Massage,
Faradisation.
Am 30. Juni entlassen. Die Parästhesien geschwunden, ebenso
die Schwäche der Extremitäten; Gang fast vollkommen normal.
i
Fall 5. G. A., 41 jähriger lediger Taglöhner, aufgenommen
am 10. November 1891.
Anamnese: Infection geleugnet Vor 3 /< Jahren plötzliche Er¬
krankung mit Schmerzen in der ganzen linken Körperseite und
Kopfschmerzen, Parästhesien und Schwäche in den linksseitigen
Extremitäten.
Status praesens: Spastische Lähmung der linksseitigen Extre¬
mitäten, an der unteren weniger ausgesprochen und auf das Hüft¬
gelenk beschränkt. In der Vola manus links Anästhesie. Reflexe
lebhaft, Gang spastisch-paretisch, kein Roniberg ’sches Phänomen.
An der linken Hand trophische Störungen, indem die Haut der
Fingerbeer^n und die Nägel verdickt sind und die Haut der Hand
tiefe Risse zeigt.
Diagnose: Lues cerebri.
Am 16. November Schmierkur, 4 Touren zu je 6 Einreibungen.
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Ueber die Erfolge der Schmierkur bei Erkrankungen des Nervensystems. 7
Am 18. December entlassen. Beweglichkeit der Finger, der
Hand und des Oberarmes links bedeutend gebessert, Sensibilität
normal. Beweglichkeit im linken Hüftgelenk fast normal, Gang
gebessert.
Fall 6. 8. A., 66 jährige Kutscherswitwe, ausgenommen am
25. August 1892.
Anamnese: Infection geleugnet. Vor 5 Monaten ein Anfall
mit Schwindel und Bewusstseinsverlust, darnach Sprachstörung,
erschwertes Gehen und etwas Defect def' Intelligenz. Ausserdem
bestehen nächtliche Kopfschmerzen und Schmerzen in den Knochen.
Vor einem Jahre ein Halsleiden, seitdem Heiserkeit.
Status praesens: Stauungspapille beiderseits. Defect der Uvula.
Sprache stark näselnd. Parese der rechtsseitigen Extremitäten, ohne
Spasmen und Ataxie. Keine Atrophien. Gang nur mit Unter¬
stützung möglich, spastisch-paretisch. Bömberg ’sches Phänomen an¬
gedeutet. Keine Sensibilitätsstörungen.
Diagnose: Lues cerebri.
Am 29. August Schmierkur, 4 Toureu zu je 6 Einreibungen.
Am 25. September entlassen. Die Stauungspapille zurückge¬
gangen, die nächtlichen Kopfschmerzen und die Knochenschmerzen
geschwnnden; Gang bedeutend gebessert.
Fall 7. F. J., 32jähriger verheirateter Müllergehilfe, auf¬
genommen am 6. Oktober 1892.
Anamnese: Luetische Infection geleugnet. Vor 12 Jahren
Tripper, vor 6 Jahren Hodenentzündung. Patient ist ein Jahr ver¬
heiratet, seine Frau gebar einmal im 8. Monat, das Kind starb an
Schwäche, hatte angeblich keinen Ausschlag. Seit fünf Tagen
plötzlich entstandene Schmerzen in der Kreuzgegend, die in das
rechte Bein ausstrahlen. Seit zwei Tagen Harnverhaltung und
Parästhesien, sowie Schwächegefühl in der rechten unteren Extre¬
mität, seit einem Tage auch Schwäche des linken Beines, Unver¬
mögen zu stehen.
Status praesens: An der Haargrenze links eine 2 cm lange,
pigmentlose, am Thorax eine kreuzergrosse, pigmentierte Haut¬
narbe. Im Bereiche der Hiranerven und der oberen Extremitäten
keinerlei Motilitäts- und Sensibilitätsstörungen. Parese des Mus-
culus erector trunci. Die active Beweglichkeit der rechten unteren
Extremität aufgehoben, die der linken bedeutend herabgesetzt Die
passiven Bewegungen beiderseits frei. Anästhesie im unteren Drittel
der Aussenseite des rechten Unterschenkels, Hypästhesie an der
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Dr. J. Marschner.
ganzen linken unteren Extremität und am Abdomen links bis zu
NabelbOhe, darüber bis znm Rippenbogen eine hyperästhetische
Zone. Reflexe rechts normal, links gesteigert. Stuhlverstopfung,
Hararetention.
Diagnose: Brown^Sequard ’sche Halbseitenlaesion in der Höhe
des Lendenmarks. Syphilom des Rückenmarks.
Am 11. October Schmierkur, 6 Touren zu je 5 Einreibungen,
dann Jodnatrium. Im Verlaufe der Behandlung stellt sich, wahr¬
scheinlich in Folge des Katheterismus, eine acut eitrige Urethritis
und Cystitis, eine Epididymitis und Orchitis ein. Vom 23. October
an besteht Blasenlähmung mit continuierlicher Harnentleerung.
Am 19. November entlassen. Patient vermag allein zu gehen,
Gang spastisch, leicht ataktisch. Sensibilität nur noch links vom
Knie nach abwärts etwas herabgesetzt Incontinenz und Blasen¬
katarrh dauern fort, die Symptome der Urethritis sehr gering,
Epididymitis und Orchitis abgelaufen.
Dieser Fall ist auch in der Publication von Strasser 1 ) über
alimentäre Glykosurie und zwar unter jenen Fällen erwähnt, bei
welchen der Versuch ein negatives Resultat ergab.
Fall 8. K. K., 24jährige verheiratete Verkäuferin, auf¬
genommen am 9. Jänner 1893.
Anamnese: Infection geleugnet Seit sechs Monaten Erblindung
auf dem linken Auge, seit drei Wochen Schielen, seit einer Woche
erschwertes Sprechen und geringere Beweglichkeit des rechten
Armes.
Status praesens: Sehnervenatrophie beiderseits, rechts be¬
ginnend, links vollendet, Retinochorioiditis, Paralyse des linken
Abducens, auf dem linken Auge nur qualitative Lichtempfindung.
Strabismus convergens links. Parese des linken Mundfacialis und
des linken Hypoglossus. Parese des Gaumensegels, Sprache ver¬
langsamt, etwas dysarthrisch, näselnd. Die active Beweglichkeit
der rechten oberen Extremität, besonders der Finger, herabgesetzt,
leichte Spasmen im rechten Ellbogengelenke, Ataxie. An der rechten
unteren Extremität ebenfalls die Bewegungen verlangsamt, leichte
Ataxie. An den linksseitigen Extremitäten keine Störungen. Sensi¬
bilität überall normal, ebenso die'Reflexe. Gang etwas breitspurig,
mit dem rechten Bein paretisch. Kein Bömberg ’sches Phänomen.
Retentio urinae.
*) A. Sirasser, Ueber alimentäre Glykosurie, Wiener medicinische Presse,
Nr. 28 und 29, 1894.
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Heber die Erfolge der Schmierkar bei Erkrankungen des Nervensystems. 9
Diagnose: Lues cerebri.
Am 10. Jänner Schmierknr 5 Touren zu je 6 Einreibungen,
dann Jodnatrium.
Am 3. März entlassen. Die Abducensparalyse fast vollständig
geschwunden, Sehvermögen unverändert Die Kraft der rechts¬
seitigen Extremitäten bedeutend gebessert, Beugung und Streckung
der Finger rechts vollkommen möglich. Ataxie und Hambeschwerden.
Sprache und Gang wenig gebessert
Fall 9. M. J., 30jähriger, verheirateter Taglöhner, auf¬
genommen am 22. Juli 1893.
Anamnese: Vor einem Jahre Schanker, nähere Angaben fehlen.
Seit drei Monaten Schmerzen im Nacken und Böcken, Erschwerung
des Gehens.
Status praesens: Die inguinalen Lymphdrftsen vergrössert. Die
active Beugung des Kopfes nach vorn unmöglich, die passive sehr
schmerzhaft Druckschmerzhaftigkeit der Wirbelsäule im untersten
Lendentheile. Nystagmus horizontalis. Parese aller Aeste des
linken Nervus facialis. Active Beweglichkeit der rechten unteren
Extremität aufgehoben, der linken etwas verringert Passive Be¬
weglichkeit aller Extremitäten ungestört. Keine Ataxie, keine
Sensibilitätsstörungen. Gehen unmöglich, Patellarreflexe fehlen.
Diagnose: Lues cerebrospinalis.
Am 28. Juli Schmierkur, 4 Touren zu je 6 Einreibungen, gleich¬
zeitig Jodnatrinm.
Am 29. August entlassen. Nystagmus geschwunden. Beweg¬
lichkeit der Halswirbelsäule normal. Facialisparese fast vollständig
geschwunden. Die active Beweglichkeit der unteren Extremitäten
bedeutend gebessert, rechts etwas geringer als links. Gehen gut
möglich, Gang etwas paretisch. Patellarreflex rechts angedeutet.
Leichte Incontinenz der Blase.
Fall 10. K. F., 24 jähriger lediger Bahnarbeiter, aufgenommen
am 80. März 1894.
Anamnese: Infection geleugnet. Vor acht Jahren angeblich
Gehirnhautentzündung. Vor neun Wochen nach einer Erkältung
Bewusstseinsverlust durch mehrere Stunden; Patient ist seither bett¬
lägerig, phantasierte in den ersten Wochen. Vor sieben Wochen
plötzlich Lähmung der rechten Körperhälfte.
Status praesens: Die Inguinaldr&sen vergrössert Die Naso-
labialfalte rechte weniger ausgesprochen als links. Sprache stotternd.
Die active Beweglichkeit der rechtsseitigen Extremitäten bedeutend
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Dr. J. Marschner.
eingeschränkt, keine Spasmen. An der rechten oberen Extremität
Ataxie, an der unteren hierauf wegen Schwäche nicht zu prüfen.
Patellarreflex rechts fehlend, Gehen unmöglich, keine Sensibilitäts¬
störungen
Diagnose: Lues cerebri.
Am 30. März Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen, dann
Jodnatrium.
Am 27. Mai entlassen. Motorische Kraft rechts und links
gleich, Gehen gut möglich, das rechte Bein dabei noch etwas
ataktisch- paretisch, sonst nirgends Ataxie. Die Reflexe rechts
etwas gesteigert. Stottern unverändert.
Fall 11. R. M., 25jährige ledige Taglöhnerin, aufgenommen
am 17. April 1893.
Anamnese: Seit dem 10. Lebensjahre Beschwerden beim Sprechen,
allmähliches Einsinken der Nase. Im 13. Lebensjahre Spitals¬
behandlung durch sechs Monate, darnach bedeutende Besserung der
Sprache. Vor sechs Monaten ein Anfall mit Krämpfen und Be¬
wusstseinsverlust, darauf bedeutende Sprachstörung und Lähmung
der rechten oberen Extremität, Erblindung auf dem rechten Auge.
Spitalsbehandlung durch 3 */ s Wochen, Schmierkur, keine Besserung.
Status praesens: Keratitis parenchymatosa dextra. Nase sattel¬
förmig, Defect der Uvula, an beiden Gaumenbögen Narben. Zunge
etwas nach rechts abweichend. Sensibilität im Bereiche des rechten
Trigeminus herabgesetzt Parese der beiden unteren Facialisäste
rechts. Am Foramen mentale dextrum ein Schmerzpunkt Sprache
näselnd. Kraft und active Beweglichkeit der rechten oberen Ex¬
tremität, besonders der Finger, sehr herabgesetzt Hakenversuch
gelingt rechts etwas schwerer als links; sonst keine motorischen
Störungen an den Extremitäten, keine Ataxie. Beim Gehen das
rechte Bein spastisch. Sensibilität an der rechten oberen Extremität
herabgesetzt. Patellarreflexe gesteigert. Periostale Verdickungen
an beiden Tibien.
Diagnose: Lues cerebri.
Am 5. Mai Schmierkur, 4 Touren zu je 6 Einreibungen, Jod¬
natrium.
Am 4. Juni entlassen. Sensibilität im Bereiche des rechten
Trigeminus und der rechten oberen Extremität fast normal, sonst
keine Veränderung des Zustandes.
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Ueber die Erfolge der Schmierkur bei Erkrankungen des Nervensystems. H
II.
Multiple Sklerose.
Fall 12. B. J., 34 jähriger Strumpfwirker, aufgenommen am
17. Juli 1893.
Anamnese: Ueber luetische Infection fehlen anamnestische An¬
gaben. Seit einem Jahre Schmerzen im linken Bein, seit zehn
Monaten im rechten, seit neun Monaten auch im Rftcken und in
den Schultern, so dass Patient bettlägerig wurde. Im Herbst 1892
durch einen Monat Spitalsbehandlung mit geringem Erfolg.
Status praesens: Im Harn Eiweiss. Im Gebiet der Himnerven
ausser etwas Nystagmus horizontalis keine Störung. Muskelkraft
der oberen Extremitäten sehr gering, beiderseits gleich, active und
passive Beweglichkeit normal, keine Atrophien, keine Ataxie. Die
active Beweglichkeit der unteren Extremitäten sehr eingeschränkt,
bei Bewegungen Tremores, besonders links, passive Bewegungen
frei Keine Muskelatrophien, keine Ataxie. Gang spastisch-paretisch,
Bamberg 'sches Phänomen nicht ausgesprochen, Reflexe gesteigert.
Sensibilität überall normal.
Diagnose: Multiple Sklerose. Spastische Lähmung der unteren
Extremitäten. Nephritis chronica.
Am 18. Juli Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen, Jod¬
natrium.
Am 25. August entlassen. Gehen bedeutend gebessert, die
Schmerzen treten seltener und weniger intensiv auf. Sonst unver¬
änderter Befund.
Fall 13. M. F., 18 jähriger Schuhmacherlehrling, aufgenommen
am 19. März 1894.
Anamnese: Ueber Infection fehlen Angaben. Vor l 1 /* Jahren
Schwächegefühl, Parästhesien, im rechten, später im linken Bein
erschwertes Gehen; nach einiger Zeit Besserung der Beschwerden.
Vor drei Wochen neuerdings Verschlimmerung.
Status praesens: An der Herzspitze ein Geräusch im ersten
Moment. Nystagmus horizontalis. Parese des rechten Mundfacialis.
An der Zunge fibrilläre Zuckungen. Muskelatrophie an der rechten
unteren Extremität Gang spastisch paretisch, Ttoniberg'sches Phä¬
nomen vorhanden. Reflexe gesteigert, Fussklonus beiderseits aus¬
lösbar, Sensibilität normal.
Diagnose: Multiple Sklerose. Insufficienz der Mitralklappe.
Am 22. März Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen,
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12
l)r. J. Marschner.
dann Jodnatrinm. Die Schmierkur wird am 4. April wegen Darm¬
katarrh auf drei Tage unterbrochen. Am 9. Mai entlassen. Gang
bedeutend gebessert, Reflexe noch lebhaft, kein Fussklonus* Die
übrigen Erscheinungen unverändert
Fall 14. A. J., 28 jähriger lediger Müller, aufgenommen am
24. September 1889.
Anamnese: Vor neun Jahren venerisches Geschwür ohne Folgen.
Vor zwei Jahren heftige Schwindelanfälle, später Schwäche in allen
Extremitäten, Schmierkur; Verschlimmerung bis zur Bettlägerigkeit,
Parästhesien an den Fusssohlen. Nach zwei Monaten Besserung
aller Symptome, nur Zittern der Hände blieb zurück. Unter
wechselnden Verschlimmerungen und Besserungen des Zustandes
mehrmalige Spitalsbehandlung, von Juli bis December 1887, von
Februar bis Mai 1888, Jänner bis April 1889. Allmähliche Ab¬
nahme des Sehvermögens, heftige Schmerzen in den unteren Ex¬
tremitäten, Gehen nur mit Stock möglich.
Status praesens: Pupillen gleich weit, reagierend. Beim Seit¬
wärtsblicken Nystagmus horizontalis. Abblassung der Papillen.
Sprache langsam, nicht scandierend. Beim Aufsetzen Zittern des
Kopfes und des ganzen Körpers. Deutliches Intentionszittern an
allen Extremitäten, Muskelkraft gering, Reflexe überall gesteigert.
Keine Sensibilitätsstörungen. Gang sehr unsicher, breitspurig,
nicht spastisch. Romberg 1 sches Phänomen angedeutet. Beim Blick
nach aufwärts stürzt Patient um.
Diagnose: Multiple Sklerose.
Am 16. October Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen,
Massage, Galvanisation des Rückenmarkes.
Status am 24. Jänner 1890: Etwas Nystagmus, beim Finger¬
spitzenversuch etwas Unsicherheit. Gang ausgesprochen spastisch,
etwas ataktisch, beim Stehen ohne Stütze starkes Schwanken.
Reflexe gesteigert.
Am 22. April entlassen unter Fortdauer aller objectiven und
subjectiven Krankheitserscheinungen.
Fall 16. P. K., 29 jähriger lediger Arbeiter, aufgenommen am
9. Juli 1891.
Anamnese: Infection geleugnet Patient leidet seit seiner
Jugend an häufigen Anfällen von Stirn-Kopfschmerz mit Erbrechen.
Seit einem Jahr bestehen Schwäche und Schmerzen in beiden Füssen
und Händen, sowie Abnahme des Sehvermögens.
Status praesens: Nystagmus horizontalis, leichte Parese der
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Ueber die Erfolge der Schmierkur bei Erkrankungen des Nervensystems. 13
beiden unteren Facialisäste und des Hypoglossus links. An den
oberen Extremitäten normale Verhältnisse bis auf leichten Tremor
bei Bewegungen. Muskelkraft in den unteren Extremitäten sehr
gering, daselbst keine Atrophien, keine Störung der activen und
passiven Beweglichkeit, keine Ataxie. Tremor bei Bewegungen.
Reflexe und Sensibilität überall normal. Gang schwankend, paretisch.
Sprache verlangsamt, in der Zunge zeitweilig Schmerzen. Der
zweite, dritte und vierte Brustwirbel druckschmerzhaft, ebenso der
Stamm des linken Ischiadicus.
Diagnose: Paresis extremitatum inferionun. Multiple Sklerose.
Am 9. August wird Patient nach roboriercnder Behandlung
und Galvanisation mit unverändertem Zustand entlassen.
Am S. October wird er wieder aufgenommen mit demselben
Befund wie am 1. August.
Am 16. November ist notiert: Bedeutende Herabsetzung des
Sehvermögens, rechts werden Finger in 2 m gezählt, links ist die
Sehschärfe ] /s der normalen. Bedeutende concentrische Einschränkung
des Gesichtsfeldes (Neuritis optica retrobulbaris).
Am 20. November Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen.
Am 11. Jänner 1892 wird Patient entlassen. Der Zustand ist im
Allgemeinen unverändert, nur ist eine Steigerung der Reflexe hin¬
zugekommen.
Fall 16. B. M., 35jährige Witwe, aufgenommen am 15. Jänner
1892.
Anamnese: Infection negiert. Seit sechs Jahren Schwäche in
den unteren Extremitäten. Seit einigen Jahren Zittern der Hände
bei Bewegungen, Verschlechterung des Ganges. Vor P/s Jahren
Krankenhausbehandlung durch 4*/a Monate mit Schmierkur, Bädern
und Elektricität, darauf Besserung des Zustandes. Seit October
1891 neuerliche Verschlimmerung, häufige Kopfschmerzen.
Status praesens: Nystagmus horizontalis, reflectorische Pupillen¬
starre. Intentionszittern und geringe Ataxie an den oberen Extre¬
mitäten. Erhöhte Patellarreflexe. Kein Fussklonus. Beim Ver¬
such zu stehen bedeutendes Zittern und Schwanken des ganzen
Körpers. Gang nur mit Unterstützung möglich, stark spastisch.
Romberg’sches Phänomen stark ausgeprägt.
Diagnose: Multiple Sklerose.
Am 25. Jänner Schmierkur, 6 Touren zu je 5 Einreibungen,
darauf Jodnatrium. Faradisation, Massage.
Am 11. Juli 1892 entlassen. Reflectorische Pupillenreaction
vorhanden, im übrigen der Zustand unverändert.
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14
I)r. J. Marschner.
Fall 17. Z. A., 24 jährige ledige Oekonomenstochter, ausge¬
nommen am 20. September 1892.
Anamnese: Infection geleugnet. Vor fünf Jahren ein Jahr
lang andauernde Schwäche in der linken, darauf in der rechten
unteren Extremität. Vor drei Jahren Gravidität mit Oedem der
Beine, das nach dem Puerperium schwand und eine Schwäche
zurückliess. Seither Doppeltsehen und Schwindel. Dieses Jahr
neuerliche Gravidität, seit deren Ablauf Patientin nicht mehr
gehen kann.
Status praesens: Anisokorie; beim Blick nach aussen und nach
oben bleibt das rechte Auge immer zurück und es treten Doppel¬
bilder auf. Leichte Ataxie, bedeutendes Intentionszittem an den
oberen Extremitäten. Beim Versuch zu stehen starkes Zittern und
Schwanken des ganzen Körpers. Active Bewegungen mit den un¬
teren Extremitäten nicht möglich, passive ohne pathologischen
Widerstand. Keine Sensibilitätsstörungen. Reflexe sehr gesteigert.
Sprache langsam, monoton.
Diagnose: Multiple Sklerose.
Am 23. September Schmierkur, 5 Touren zu je 6 Einreibungen,
dann Jodnatrium.
Am 13. November entlassen unter Fortdauer aller Krankheits¬
erscheinungen.
Fall 18. S. J., 29jähriger lediger Fabriksarbeiter, aufge¬
nommen am 2. März 1893.
Anamnese: Patient hat eine gonorrhoische Affection durch¬
gemacht, über Zeit und nähere Umstände fehlen Angaben.
Seit 8 Jahren Schwäche im ganzen Körper, Zittern der Extre¬
mitäten. Seit einigen Jahren Verlangsamung der Sprache.
Status praesens: Reflectorische Pupillenstarre. Sprache etwas
zögernd, scandierend. Leichtes Intentionszittern an den oberen,
grobes Schwanken bei Bewegungen an den unteren Extremitäten.
Gang spastisch - paretisch, dabei starkes Schwanken des ganzen
Körpers. Reflexe gesteigert.
Diagnose: Multiple Sklerose.
Am 9. März Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen.
Am 8. April mit Fortdauer aller Erscheinungen entlassen.
Fall 19. M. W., 51 jähriger ledigerßchuhmacher, aufgenommen
am 6. März 1893.
Anamnese: Infection negiert. Kopf von Geburt an grösser als
normal. Vor zwölf Jahren bestand durch ein Jahr Kurzathmigkeit
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lieber die Erfolge der Schmierkur bei Erkrankungen des Nervensystems. 15
Husten und Blutspucken, vor einem halben Jahre durch mehrere
Wochen unter Fieber schmerzhafte Gelenksschwellungen an den
unteren Extremitäten. Seit einem halben Jahre auch Zittern in
den Extremitäten und erschwertes Gehen.
Status praesens: Horizontaler Kopfumfang 68 cm. Herz frei.
Die Knie- und Sprunggelenke druckschmerzhaft, activ wenig be¬
weglich. Chronischer Bronchialkatarrh, freie Flüssigkeit im Ab¬
domen, im Harn kein Eiweiss. Pupillenreaction träge. Im linken
Musculns frontalis rhythmische Contractionen, Flimmern an der
Zunge. Grobes Intentionszittern an den oberen Extremitäten, die
Reflexe bedeutend erhöht. Die Füsse in Spitzfussstellung, die Zehen
krallenartig gebeugt. Gang spastisch-paretisch. Keine Sensibili¬
tätsstörungen, keine Muskelatrophien, ausgenommen die beiderseitige
Daumenballenmuskulatur.
Diagnose: Hydrocephalus internus chronicus congenitus,
Sklerosis multiplex.
Am 10. März Schmierkur, 6 Touren zu je 5 Finreibungen, dann
Jodnatrium. Massage.
Am 20. Juni ist notiert: Patient geht viel besser; die Schmerzen
in den unteren Extremitäten bei Bewegungen und die Spasmen
haben nachgelassen.
Später verschlechtert sich wieder der Zustand. Patient wird
am 13. Februar 1894 entlassen, unter Fortdauer aller Krank¬
heitserscheinungen.
Fall 20. K. M., 22jährige ledige Weberin, aufgenommen am
11. Mai 1893.
Anamnese: Vor einem halben Jahre begannen unter Schüttel¬
frost und Rückenschmerzen, Schmerzen in den unteren Extremi¬
täten, die durch sechs Wochen anhielten, darauf durch eine Woche
Krämpfe in den Fusssohlen. Seither Abmagerung, Schwäche in den
Beinen, erschwertes Gehen. Ueber luetische Infection fehlen An¬
gaben.
Status praesens: Nystagmus oscillatorius. Parese des Nervus
abducens sinister. Bei Bewegungen der Extremitäten etwas Un¬
sicherheit Gehen nur mit Unterstützung möglich, Gang spastisch-
paretisch. Schwanken beim Stehen auf enger Basis. Reflexe ge¬
steigert Keine Sensibilitätsstörungen.
Diagnose: Multiple Sklerose.
Am 13. Mai Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen, darauf
Jodnatrium.
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16
Dr. J. Marschner.
Am 2. Juli entlassen. Die Steigerung der Reflexe ist ge¬
schwunden; die ttbrigen Symptome unverändert.
Fall 21. C. J-, 45 jähriger verheirateter Lehrer, aufgenommen
am 22. Juli 1893.
Anamnese: Vor acht Jahren begannen Parästhesien in den
Unterschenkeln, besonders rechts, Schwäche der Beine; vor einiger
Zeit kamen dazu Parästhesien in der rechten Hand. Ueber luetische
Infection fehlen anamnestische Angaben.
Status praesens: Chronischer Bronchialkatarrh. Anisokoric,
Pupillenreaction erhalten, Nystagmus horizontalis. Atrophia nervi
optici oculi utriusque. Centrales Skotom für Rothgrftn. Parese
des rechten unteren Facialisastes und des rechten Hypoglossus.
Intentionszittern an den oberen und unteren Extremitäten. Reflexe
sehr gesteigert Patient kann nur mit Unterstützung gehen, Gang
stark spastisch. Tastsinn am Thorax und Abdomen, an den Finger¬
spitzen und Fusssohlen herabgesetzt, Temperatursinn desgleichen
am Abdomen und an den Unterschenkeln.
Diagnose: Multiple Sklerose.
Am 22. Juli Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen.
Dieselbe wird vom 39. Juli an durch vier Wochen wegen
Stomatitis mercurialis unterbrochen. Galvanisation des Rücken¬
marks.
Am 15. October entlassen. Die Sensibilitätsstörungen sind ge¬
schwunden, der Nystagmus geringer. Alle sonstigen Erscheinungen
dauern fort.
Fall 22. B. R, 55 jährige Maurerswittwe, aufgenommen am
6. Februar 1894.
Anamnese: Seit einem Jahr Flimmern vor den Augen, Par- '
ästhesien an den unteren Extremitäten, später am ganzen Körper.
Seit vierzehn Tagen unsicherer Gang, Zittern der Füsse, starkes
Herzklopfen. Ueber luetische Infection anamnestisch nichts er¬
hoben.
Status praesens: Rechtsseitige Wanderniere, Magendilatation.
Beiderseitige Sehnervenatrophie. Herabsetzung der Sensibilität im
Trigeminusgebiet beiderseits, Sprache normal. Intentionszittern an
den oberen und unteren Extremitäten, Flimmern der Muskulatur.
Gang unsicher, etwas spastisch, Reflexe etwas erhöht
Diagnose: Multiple Sklerose.
Am 12. Februar 1894 Schmierkur, 4 Touren zu je 5 Ein¬
reibungen, dann Jodnatrium. Faradisation.
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Uober die Erfolge der Schmierkur bei Erkrankungen des Nervensystems. 17
Am 24. März entlassen unter Fortdauer aller Krankheitser¬
scheinungen.
III.
Hirntumoren*
Fall 23. S. J., 45jähriger lediger Mülilknecht, aufgenommen
am 31. März 1890.
Anamnese: Seit einem Jahre häufig Kopfschmerzen, seit sechs
Wochen häufige Krampfanfälle mit Bewusstseinsverlust, welchen
Schwindelgefühl vorausgeht In der letzten Zeit auch Schwäche
beim Gehen. Ueber luetische Infection anamnestisch nichts erhoben.
Status praesens: Beiderseitige Stauungspapille. Gang träge,
etwas paretisch. Keine Ataxie, keine Spasmen. Die Sensibilität
an den oberen Thoraxpartien etwas herabgesetzt. Die rechte
Nasolabialfalte etwas weniger ausgeprägt als die linke. Motorische
Kraft der oberen Extremitäten gering. Die Anfälle wie in der
Anamnese beschrieben.
Diagnose: Tumor cerebri.
Am 6. April Schmierkur, 6 Touren zu je 5 Einreibungen.
Am 9. Mai ist folgender Befund notiert: Bei seitlicher Blick¬
richtung Nystagmus horizontalis. Die rechte Nasolabialfalte weniger
deutlich als die linke, die Zunge weicht nach rechts ab, flimmert
etwas. Motorische Schwäche der oberen und unteren Extremitäten.
Gang etwas taumelnd, Rotiiberg ’sches Phänomen deutlich. Die
epileptiformen Anfälle wiederholen sich häufig, die Kopfschmerzen
dauern mit wechselnder Intensität an.
Am 27. Mai entlasse^ mit Fortbestehen aller Krankheitser¬
scheinungen.
Fall 24. S. A., 30jährige ledige Köchin, aufgenommen am
22. Jänner 1892.
Anamnese: Seit vier Monaten mehrmals in der Woche anfalls¬
weise anftretender Kopfschmerz, hauptsächlich in der rechten Kopf¬
hälfte. Gleichzeitig häufiger Schwindel und häufiges Erbrechen,
oft mehrmals im Tage. Ueber luetische Infection anamnestisch
nichts erhoben.
Status praesens: Zeitweilig Ohrensausen rechts. Leichter
Nystagmus. Beiderseitige hochgradige Stauungspapille. Sonst
keinerlei Störung von Seiten des Nervensystems.
Diagnose: Tumor cerebri, vielleicht in der hinteren Schädel¬
grube.
Am 25. Jänner Schmierkur, 6 Touren zu je 5 Einreibungen.
Zeitschrift für Heilkunde. XVIL 2
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18
Dr. J. Marechner.
Am 28. Februar entlassen. Das Ohrensausen, jetzt vorwiegend
links, und die Kopfschmerzen dauern fort, ebenso der Nystagmus
und die beiderseitige Stauungspapille.
Fall 25. T. F., 19 jähriger Schmied, aufgenommen am 18. No¬
vember 1892.
Anamnese: Infection negiert. Seit neun Wochen Anfälle von
heftigem Kopfschmerz, besonders in den Morgenstunden, dem Er¬
brechen folgt. In den Intervallen, die drei bis vier Tage dauern,
Wohlbefinden. Seither bestehen auch häufige Schwindelanfälle.
Status praesens: Somatisch und von Seiten der Himnerven
keinerlei Störungen mit Ausnahme der folgenden: Beiderseits be¬
ginnende Stauungspapille. Patient gähnt sehr häufig, bekommt
beim Gehen Schwindel.
Diagnose: Tumor cerebri.
Am 24. November Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen.
Am 8. December ist notiert: Bei seitlicher Blickrichtung Nystag¬
mus horizontalis, beim Blick nach oben und unten Nystagmus verti-
calis. Abducensparese rechts.
Am 13. December: Kopfschmerz ständig in der Stirn locali-
siert. Motorische Kraft der oberen Extremitäten stark herabgesetzt,
rechts beinahe Null, Tremor bei Bewegungen, Ataxie. Gang breit¬
spurig, taumelnd, Patient ist unfähig, auf schmaler Basis zu stehen.
Vom 16. Jänner 1893 an besteht häufiger Singultus. Der Kopf¬
schmerz vorwiegend in Hinterhaupt und Nacken localisiert
Am 17. März entlassen; der ganze Symptomencomplex besteht fort.
Fall 26. K. M., 27 jährige ledige Dienstmagd, aufgenommen
am 2. März 1894.
Anamnese: Seit einem halben Jahre Kopfschmerzen in der
rechten Schläfengegend, Nebel vor den Augen. Ueber luetische
Infection fehlen anamnestische Angaben.
Status praesens: Beiderseits stark ausgebildete Stauungspapille;
Sehschärfe rechts 1 / 10 , links 1 / i der normalen. Nystagmus horizon¬
talis. Parese der beiden unteren Facialisäste und des Hypoglossns
rechts. Gang unsicher, breitspurig, dabei tritt Schwindel auf;
Romberg’sches Phänomen vorhanden. Sprache mühsam, stockend.
Sonst im Gebiete des Nervensystems keine Störung.
Diagnose: Papillitis. Tumor cerebri?
Am 12. März Schmierkur, 4 Touren zu je 5 Einreibungen, dann
Jodnatrium.
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Ueber die Erfolge der Schmierkur bei Erkrankungen des Nervensystems. 19
Am 31. Mai entlassen. Sehschärfe rechts ] /«> links ] /s der
normalen. Alle objectiven und subjectiven Krankheitserscheinungen
dauern fort.
Fall 27. G. M., 21jährige ledige Taglöhnerin, aufgenommen
am 22. Mai 1894.
Anamnese: Seit fünf Jahren leidet Patientin an anfallsweise
auftretenden Schmerzen in Kopf und Unterleib. Vor einem Jahre
schwollen die unteren Extremitäten und das Abdomen an. Seit
dieser Zeit nimmt die Sehkraft ab und stellen sich häufig Zuckungen
an den oberen Extremitäten in der Dauer von etwa zehn Minuten
ein, während welcher Patientin das Bewusstsein nicht verliert.
Ueber luetische Infection fehlen anamnestische Angaben.
Status praesens: Pupillenreaction fehlt Beiderseitige, rechts
stärkere Stauungspapille. Parese des rechten Abducens und des
linken unteren Facialisastes. Atrophie des linken Acusticus. Die
Zunge weicht nach links ab, ihre linke Hälfte ist atrophisch. Die
Reflexe sind erhöht, der Gang ist unsicher, leicht spastisch. Pa¬
tientin ist etwas dement
Diagnose: Tumor cerebri, vielleicht in der linken hinteren
Schädelgrube.
Am 26. Mai Schmierkur, 6 Touren zu je 5 Einreibungen.
Am 16. Juli entlassen. Alle Krankheitserscheinungen dauern fort.
Fall 28. P. K., 27jährige ledige Arbeiterin, aufgenommen
am 27. Jänner 1893.
Anamnese: Infection geleugnet Seit drei Wochen Tremores
in allen Extremitäten, tonische Krämpfe in den Fingerbeugern.
Seither ist Patientin sehr vergesslich, die Sprache verlangsamt
Im Jahre 1887 war Patientin auf dem linken Auge erblindet und
durch eine Operation geheilt worden; das Sehvermögen auf diesem
Auge ist jedoch seitdem herabgesetzt
Status praesens: Iridocyklitis chronica peracta sinistra. Parese
des Stirn- und Mundastes des Facialis links. Leichte Sprachstörung
im Sinne von amnestischer Aphasie. Die Mnskulatur der oberen
Extremitäten sehr schwach, besonders die Mm. interossei. Die
kleinen Finger in Flexionsstellung. Nirgends Tremores; die Pa-
tellarreflexe sind gesteigert, der Gang ist normal. Kein Romberg-
sches Phänomen.
Diagnose: Tumor cerebri, vielleicht in den Centralwindungen
links.
Am 1. Februar Schmierkur, 4 Touren zu je 5 Einreibungen.
' 2 *
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20
Dr. J. Marsohner.
Am 10. Februar ein Anfall ohne Bewusstseinsverlust mit Parese
des rechten Facialis und klonischen Krämpfen in der rechten oberen
Extremität. Derartige Anfälle wiederholen sich bis zum 15. Fe¬
bruar häufig. Während dieser Zeit wird die Schmierkur aus¬
gesetzt.
Am 24. Februar zwei Anfälle mit Bewusstseinsverlust, aber
ohne klonische und tonische Krämpfe, bloss die Hände sind ge¬
ballt, die Pupillen sehr weit, Schaum vor dem Munde. Patientin
fängt an soporös zu werden. Am 25. wieder ein Anfall. Es be¬
stehen keine Diarrhöen, keine Salivation. In der Nacht zum 26.
Februar und an diesem Tage gehäufte Anfälle, Exitus im Coma
um 7 V 9 Uhr abends.
Pathologisch-anatomische Diagnose: Glioma cerebri von Gänse¬
eigrösse im Bereiche der linken Grosshirnhemisphäre, den unteren
Theil der Centralwindungen und den hinteren Abschnitt der
mittleren und unteren Stirnwindung substituierend.
IV.
Rinden- und Kapaelläaionen.
Fall 29. Z. K., 50 jähriger verheirateter Weber, aufgenommen
am 4. März 1891.
Anamnese: Infection geleugnet Seit fünf Jahren Krampfanfälle
mit Bewusstlosigkeit, die hauptsächlich in der kalten Jahreszeit
auftraten. Vor einem Jahr ein Schlaganfall ohne Bewusstseins¬
verlust mit nachfolgender Schwäche und später Lähmung der rechten
Körperhälfte, Parästhesien in derselben, Zuckungen in der rechten
Gesichtshälfte und vorübergehender Sprachstörung. Die rechts¬
seitigen Extremitäten magerten ab. In den nächsten Monaten
stellte sich die Beweglichkeit der gelähmten Extremitäten theil-
weise wieder her.
Status praesens: Anisokorie, Pupillenreaction vorhanden. Pa¬
rese des Mundfacialis und Hypoglossus rechts. An der rechten
oberen Extremität Atrophie der Muskulatur, die activen Bewegungen
in geringerem Ausmass möglich, die motorische Kraft gegen links
herabgesetzt, keine Ataxie, keine Spasmen. An der rechten unteren
Extremität dieselben Störungen, nur weniger ausgebildet. Reflexe
rechts gesteigert, Gang paretisch. Keine Sensibilitätsstörungen.
Diagnose: Läsion der linksseitigen Centralwindungen und des
Lobulus paracentralis, wahrscheinlich Narbe. Therapie: Faradisa-
tion, Jodnatrium.
Am 11. Juni ist folgender Befund notiert: An den Hirnnerven
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Debet die Erfolge der Schmierkor bei Erkrankungen des Nervensystems. 21
dieselben Verhältnisse wie am 4. März. An der rechten oberen
Extremität im Schulter-, Ellbogen- und Handgelenk Contracturen,
die Finger frei beweglich; sonst unveränderter Befand. Ebenso
im rechten Knie- and Spmnggelenk Contracturen.
Reflexe rechts erhöht Keine Sensibilitätsstörungen. Gang
spastischparetisch, dabei Zittern am ganzen Körper.
Am 12. Juni Schmierkur, G Touren zu je 5 Einreibungen.
Am 12. Juli entlassen. Gang gebessert, das Zittern dabei ge¬
ringer als vor der Schmierkur, sonst keine Veränderung.
Fall SO. M. G., 39 jähriger lediger Glasbändler, aufgenommen
am 4. Juli 1891.
Anamnese: Infection geleugnet Seit vier Jahren Blasenkatarrh,
angeblich nach Genuss schlechten Bieres. Vor drei Jahren ein
Schlaganfall ohne Bewusstseinsverlust, nach welchem die linke
Körperhälfte gelähmt war. Die Lähmung gieng etwas zurück,
doch blieb erschwerte Harnentleerung bestehen. Vor drei Wochen
trat über Nacht Verlust der Sprache ein, ohne Lähmung der Extre¬
mitäten. Die Sprache kehrte bald wieder, jedoch mit stark heiserer
Stimme; es besteht aber seit dieser Zeit vollständige Harnverhaltung.
Status praesens: Parese des rechten Mundfacialis und des linken
Hypoglossus. Das linke Stimmband gelähmte der davon sichtbare
hintere Theil, das rechte und die falschen Stimmbänder geröthet,
geschwollen, von nnebener Oberfläche. Patient fast aphonisch.
Keinerlei Sprachstörung vorhanden. Die linke obefe Extremität
wird im Schultergelenk leicht abduciert, im EUbogengelenk leicht
flectiert und stark proniert gehalten, die Finger sind etwas flectiert,
der Daumen leicht abduciert. Active und passive Beweglichkeit
dieser Extremität beschränkt, am meisten die der Hand. Die
Muskulatur dieser Extremität etwas atrophisch. An der rechten
oberen Extremität keine Motilitätsstörung. An den unteren Ex¬
tremitäten die active and passive Beweglichkeit, erstere mit nor¬
maler Kraft, erhalten. Nur die Dorsalflexion des linken Fasses er¬
folgt etwas schwächer als rechts. Ataxie an der rechten oberen
und an den unteren Extremitäten nicht vorhanden, an der linken
oberen besteht Unsicherheit der Bewegungen. Nirgends Sensi¬
bilitätsstörungen. Gang mit dem linken Bein etwas spastisch¬
paretisch. Kein Bamberg 'sches Phänomen. Reflexe auf der linken
Seite gesteigert
Diagnose: Hemiplegia sinistra forsitan ex haemorrhagia.
Am 15. Juli Schmierkor, 5 Touren zu je 5 Einreibungen.
Am 11. October entlassen. Die Stimmbänder schliessen, sind
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22
Dr. J. Marechner.
jedoch immer noch stark geschwollen, die Heiserkeit ist etwas
zurückgegangen. Gang etwas gebessert. Alle übrigen Erscheinungen
unverändert.
Fall 31. K. A., 24jähriger lediger Gelbgiesser, angenommen
am 9. März 1892.
Anamnese: Infection geleugnet Vor einem Vierteljahr be¬
gannen Parästhesien und Schwäche in der rechten Hand und im
rechten Fuss, die sich später über die ganze rechte und untere
Extremität ausbreiteten. Auch traten in der rechten Kopfhälfte
Parästhesien und Schmerzen auf. Seit einigen Wochen besteht
Doppeltsehen und Schwerfälligkeit der Zunge beim Sprechen.
Status praesens: Parese des rechten Abducens. Sprache er¬
schwert, dysarthrisch. An den rechtsseitigen Extremitäten die
motorische Kraft herabgesetzt, deutliche Ataxie, keine Spasmen.
Patellarreflex und Fussklonus rechts auslösbar, links fehlend. Die
Sensibilität an der ganzen rechten Körperhälfte, auch im Gesicht,
bedeutend herabgesetzt. Gang ataktisch-paretisch. Das Gesichts¬
feld rechts concentrisch eingeschränkt.
Diagnose: Läsion der Centralwindungen links, vielleicht drcum-
scripte Encephalitis, vielleicht Tumor.
Am 10. März Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen.
Massage, Faradisation,
Am 14. Mai entlassen. Die motorische Kraft» der rechtsseitigen
Extremitäten» bedeutend gestiegen, Gang gebessert, jedoch noch
etwas paretisch. Die Sensibilitätsstörungen zurückgegangen und
nur auf die Extremitäten beschränkt.
Fall 32. K. W., 22 jähriger lediger Tagelöhner, aufgenommen
am 9. Juni 1892.
Anamnese: Infection geleugnet. Seit zwei Jahren Schwäche
in der linken oberen und unteren Extremität ohne Gefühlsstörung,
ohne bekannte Ursache und ohne vorausgegangenen Bewusstseins-
Verlust entstanden. Später Parästhesien und Schmerzen in den
linksseitigen Extremitäten und Zunahme der Schwäche in den¬
selben.
Status praesens: Augenhintergrund beiderseits normal. Die
Muskulatur der linken oberen Extremität, besonders am Then&r
und Antithenar, schwächer als rechts, die Bewegungen der ersteren
ataktisch. Die active und passive Beweglichkeit aller Extremitäten
ungestört Der Umfang der linken unteren Extremität etwas ge¬
ringer als der der rechten, ebenso die motorische Kraft Im Mus-
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Ueber die Erfolge der Schmierkur bei Erkrankungen des Nervensystems. 23
coln8 extensor croris qaadriceps fibrilläre Zuckungen. Reflexe
normal ebenso Sensibilität. Gang unsicher, leicht schwankend, im
linken Bein spastisch. Kein Ronibertf sches Phänomen.
Diagnose: Läsion der Centralwindungen rechts, vielleicht
Tuberkel.
Am 10. Juni Schmierkur, 4 Touren zu je 5 Einreibungen.
Am 8. Juli entlassen. Schwäche und Ataxie in den linksseitigen
Extremitäten geringer, Gang gebessert, die übrigen Symptome un¬
verändert.
Fall 33. T. J., 40 jährige Schneidersgattin, aufgenommen am
28. Februar 1893.
Anamnese: Seit zehn Wochen heftige Kopfschmerzen, Flimmern
vor den Augen. Bald darauf plötzlich Lähmung der rechtsseitigen
Extremitäten, durch einen Tag Verlust der Sprache, welche nachher
verlangsamt und erschwert war. Infection geleugnet.
Status praesens: Parese der beiden unteren Facialisäste und
des Hypoglossus rechts. Die active Beweglichkeit der rechten
oberen Extremität stark, der rechten unteren weniger herabgesetzt,
die passive Beweglichkeit frei, keine Muskelatrophien. Gang mit
dem rechten Bein etwas paretisch, kein Bömberg 'sches Phänomen.
Keine Sensibilitätsstörungen. Reflexe rechts etwas gesteigert.
Keine aphatische Sprachstörung, die Sprache nur etwas verlang¬
samt Keine Arteriosklerose, am Herzen nichts Pathologisches.
Diagnose: Läsion des hinteren Schenkels der inneren Kapsel
links
Am 4. März Schmierkur, 4 Touren zu je 5 Einreibungen,
Faraüsation.
Am 29. März entlassen. Die Facialisparese kaum angedeutet,
die active Beweglichkeit der rechtsseitigen Extremitäten bedeutend
freier, Reflexe noch gesteigert.
Fa'l 34. L. B., 51jährige Maschinistenswitwe, aufgenommen
am 31. December 1892.
Anannese: Infection negiert. Seit Mai 1891 die Beweglich¬
keit der Zunge vermindert, die Aussprache erschwert, der Mund
verzogen, die linke obere Extremität wurde immer schwächer und
ist seit Jmi 1891 gelähmt. Vor drei Wochen plötzlich Lähmung
der linken unteren Extremität. Ln 13. Lebensjahre hatte Patientin
angeblich Vassersucht in der Dauer von 14 Tagen durchgemacht
Status iraesens: Arteriosklerose. Im Harn Eiweiss, Hyper¬
trophie des inken Ventrikels, keine Geräusche am Herzen In der
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Dr. J. Marechner.
linken Glutäalgegend ein Decubitus von 3 cm Durchmesser. Augen-
hintergrund normal. Lähmung des unteren Facialisastes und des
Hypoglossus links. Die linksseitigen Extremitäten zeigen voll¬
ständige schlaffe Lähmung mit Atrophie der Muskulatur, ohne
Spasmen, ohne Contracturen. Die Sensibilität an der linken Körper¬
hälfte, besonders an den Extremitäten herabgesetzt. Reflexe links
gesteigert
Diagnose: Läsion des hinteren Schenkels der inneren Kapsel
rechts, wahrscheinlich hämorrhagischer Erweichungsherd. Nephritis
chronica.
Am 3. Jänner 1893 Schmierkur, 6 Touren zu je 5 Tagen,
Faradisation.
Am 28. Jänner ist folgender Befund notiert: Facialis- und
Hypoglossuslähmung wie am 31. December. Finger und Vorderarm
links in leichter Beuge-, Oberarm in Adductionscontractur, die sich
nur unter Schmerzen passiv beheben lässt. Finger und Hand ge¬
schwollen, die Temperatur daselbst erhöht An der linken unteren
Extremität im Knie und Sprunggelenk leichte Contractur, Tem¬
peratur am linken Fuss erhöht. Tast-, Schmerz- und Temperatur¬
empfindung an den linksseitigen Extremitäten bedeutend herab¬
gesetzt, die Reflexe daselbst erhöht.
Am 12. Februar entwickelt sich unter Fieber im rechten Unter¬
lappen der Lunge ein hämorrhagischer Infarct, dessen Erscheinungen
in den nächsten Wochen wieder vollständig schwinden. Die Con¬
tracturen nehmen immer mehr zu.
Am 29. März plötzlich Exitus letalis. Pathologisch-anatomsche
Diagnose: Morbus Brightii chronicus, Endocarditis ad val-mlam
bicuspidalem, Hypertrophia ventriculi cordis sinistri, Enbolia
arteriae carotidis internae dextrao et arteriae fossae Sylvii dixtrae
subsequente emollitione haemorrhagica dextra vetusta. Inferctus
haemorrhagicus pulmonis dextri. Polypus mucosus uteri.
V.
Bulbärparalyse.
Fall 36. C. J., 41 jähriger Arbeiter, aufgenommen an 24. No¬
vember 1892.
Anamnese: Infection geleugnet. Vor neun Wochen Sturz von
einem sechs Meter hohen Gerüst, darauf durch vier Ta/e Bewusst¬
losigkeit. Im Anschluss daran traten linksseitiger Jopfschmerz,
Schmerzen in der linken Nacken- und Brusthälfte, in Kreuz und
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üeber die Erfolge der Schmierkur bei Erkrankungen des Nervensystems. 25
rechten Oberarm auf, in der letzten Zeit auch Schmerzen beim
Schlingen. Durch drei Wochen bestand anch Doppeltsehen.
Status praesens: Die elektrische Erregbarkeit des linken Fa¬
cialis herabgesetzt, seine Funktion normal. Die Znnge weicht nach
links ab, ihre linke Hälfte ist atrophisch, daselbst Entartungs-
reaction. Die Stimme ist heiser. Laryngoskopischer Befund.
Lähmung des linken Stimmbandes, bei der Phonation überschreitet
das rechte Stimmband die Medianlinie und schliesst die Stimmritze
Sprache undeutlich, langsam. Gang schwankend, breitspurig. Die
Sensibilität im Gebiet des linken oberen Trigeminusastes herab¬
gesetzt
Diagnose: Bulbärparalyse.
Am 14. Jänner 1893 Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen,
dann Jodnatrium. Faradisation.
Die angeführten Symptome ändern sich nicht; dazu gesellt sich
später noch eine bedeutende Schwäche der linken Schultergttrtel-
muskulatur.
Am 1. April entlassen unter Fortdauer aller Krankheitser¬
scheinungen.
Fall 36. K. A., 42 jähriger verheirateter Metallgiesser, auf¬
genommen am 31. Januar 1893.
Anamnese: Infection geleugnet. Im Sommer 1889 durch zwei
Monate Doppeltsehen, welches seit December 1889 constant blieb.
Bald darauf Schwäche in den unteren, später in den oberen Extre¬
mitäten, schleudernder, unsicherer Gang. Gleichzeitig traten Schling¬
beschwerden und erschwertes Sprechen auf, beim Lachen verzog
sich nur die linke Gesichtshälfte. Im Jahre 1892 durch mehrere
Monate Spitalsbehandlung, während welcher durch Elektricität sich
Besserung einstellte. Da der frühere Zustand wieder zurückkehrte,
im Herbst 1892 neuerliche Spitalsbehandlung und Besserung während
derselben.
Status praesens: Insufficienz des M. trochlearis, rectus superior
und abducens rechts, des rectus internus und abducens links. Hypo-
glossusparese rechts. Kraft der Mm. deltoidei gering, ebenso der
Händedruck. Muskulatur der Vorderarme sehr schwach, extreme
Beugung und Streckung der Finger nicht möglich; sonst alle
activen und passiven Bewegungen an den oberen Extremitäten frei.
An den unteren Extremitäten keine Störungen. Nirgends Ataxie,
Tremores, Muskelflimmern. Keine Sensibilitätsstörungen. Reflexe
normal Schreiben gut möglich, nach längerem Sprechen dysarthrische
Sprachstörung.
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Dr. J. Marschner.
Diagnose: Polioencephalitis media. 1 )
Am 1. Februar Schmierknr, 5 Touren zu je 5 Einreibungen,
dann Jodnatrium. Faradisation. Später Bromnatrium.
Am 20. Juli entlassen mit bedeutender Besserung der Motilität
der oberen Extremitäten.
Da die Schwäche derselben später wieder zunahm, Faustbildung
und Schreiben unmöglich wurde, neuerliche Aufnahme am 21. Juni
1894. Am 9. August Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen.
Entlassen am 10. September mit unverändertem Krankheitszustand.
TL
Tabes dorsalis.
Fall 37. H. A., 44 jährige Schlossersfrau, ausgenommen am
16. September 1891.
Anamnese: Ueber luetische Iniection nichts eruierbar. Vor
vier Jahren über Nacht Bewegungsstörung in Hand und Fuss rechts;
die Störung an der Hand gieng noch am selben Tage zurück, die
am Fuss nicht mehr. Seit dieser Zeit bestehen auch heftige Knie¬
schmerzen. Seit drei Jahren dieselben Erscheinungen links. Vor
zwei Jahren waren beide Unterschenkel eine Zeit lang angeschwoUen,
seither in denselben Parästhesien. Seit sechs Wochen Magenbe¬
schwerden. Erbrechen.
Status praesens: Nirgends periostale Wucherungen, keine
Schleimhautnarben. Reflectorische und accommodative Pupillen¬
starre. Parese des unteren Facialisastes und des Hypoglossus
rechts; an den oberen Extremitäten bei geschlossenen Augen etwas
Tremor, keine Ataxie, dieselbe jedoch deutlich an den unteren
Extremitäten. Nirgends trophische oder sensible Störungen. Die
Kniephänomene fehlen. Gang sehr stark schwankend, ataktisch;
Bömberg 'sches Phänomen deutlich.
Diagnose: Tabes dorsalis.
Am 17. September Schmierkur, 6 Touren zu je 5 Einreibungen,
dann Jodnatrium.
Am 27. October entlassen. Das Gehen bedeutend gebessert;
die übrigen Symptome unverändert.
*) Diese Bezeichnung entspricht der anf der Klinik des Herrn Professor
r. Jakseh eingeführten Komenclatur, nach welcher mit Polioencephalitis inferior
die Bulpärparalyse, mit Polioencephalitis media die Erkrankung der Augenmu&kel-
kerne und mit Polioencephalitis superior die cerebrale Kinderl&hmong be¬
zeichnet wird.
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Ueber die Erfolge der Schmierkur bei Erkrankungen des Nervensystems. 27
Fall 38. K. A., 42 jähriger lediger Buchhalter, aufgenoromen
am 3. Juni 1893.
Anamnese: Vor sechzehn Jahren harter Schanker mit schmerz¬
loser Schwellung der Leistendrüsen. Ueber spätere Erscheinungen
von Lues nichts eruierbar. Vor einem Jahre Schwinden des Fuss-
schweisses, Kältegefühl, Ameisenlaufen an den unteren Extremitäten.
Später Schmerzen in den unteren, zeitweise auch in den oberen
Extremitäten, unsicherer Gang.
Status praesens: Linsengrosse Narbe an der Corona glandis.
Hochgradige Myopie und chorioiditische Veränderungen beiderseits,
links Staphyloma posticum und Glaskörpertrübungen, Reflectorische
Pupillenstarre. Ataxie an den unteren Extremitäten, Fehlen des
Kniephänomens. Hypalgesie und verringerte Temperaturempfindung
bis zur Mitte des Oberschenkels, verlangsamte Empfindungsleitung
bis zum Knie nach aufwärts beiderseits. Beide Füsse in Spitzfuss-
stellung, Dorsalflexion in geringem Ausmass möglich. Gang
ataktisch-paretisch.
Diagnose: Tabes dorsalis.
Am 4. Juni Schmierkur, 3 Touren zu je 5 Einreibungen; dann
Jodnatrium.
Am 21. Juli entlassen. Gang etwas gebessert; die Schmerzen
bleiben vollständig aus. Die übrigen Symptome unverändert.
Fall 39. H. F., 52jähriger verheirateter Schuhmacher, auf¬
genommen am 4. März 1893.
Anamnese: Patient hat eine Gonorrhöe durchgemacht; über
luetische Infection ist nichts eruierbar. Vor vier Jahren Abnahme
der Sehkraft rechts, angeblich in Folge einer Kalkverätzung, vor
drei Jahren Erblindung rechts. Seit dieser Zeit Schmerzen in der
rechten unteren Extremität, seit acht Monaten auch in der rechten
Kopf- und Gesichtshälfte und Gefühllosigkeit in der rechten unteren
Extremität. Seit sechs Monaten Abnahme des Sehvermögens links.
Status praesens: Schmerzhafte Anschwellung des rechten
Sprunggelenkes. Anisokorie, reflektorische Pupillenstarre. Atrophie
der Papillen beiderseits; rechts Amaurose, links werden mit -f- 2 D
Finger in 4 m Entfernung gezählt. Augenbewegungen frei. Hypaes-
thesie und Analgesie im rechten Trigeminusgebiet, beiderseits
Herabsetzung des Hörvermögens, Trommelfellnarben. Tremor
bei Bewegungen der rechtsseitigen Extremitäten, an der rechten
oberen leichte Ataxie. Active und passive Bewegungen im
rechten Knie- und Sprunggelenk durch Schmerzen gehindert.
Bomberg’schea Phänomen nicht ausgesprochen. Gang vorsichtig,
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28
Dr. J. Marschner.
nicht ataktisch. An der rechten oberen Extremität Analgesie, am
rechten Vorderarm und an der Hand Hypaesthesie. Dieselben Ver¬
hältnisse an der rechten unteren Extremität Temperaturempfindang
vom rechten Ellbogen- und Kniegelenk nach abwärts erloschen.
Bauchreflex fehlend, ebenso Fusssohlenreflex rechts; Kniephänomen
beiderseits lebhaft. Faradocutane Sensibilität rechts bedeutend
herabgesetzt.
Diagnose: Tabes dorsalis atypica.
Am 10. März Schmierkur, 4 Touren zu je 5 Einreibungen.
Unterbrechung der Schmierkur vom 22. März bis 8. April
wegen Stomatitis mercurialis.
Am 22. April entlassen. Sehvermögen und Verhalten der
Pupillen unverändert. Sensibilitätsstörungen fast geschwunden.
Patellarreflexe vorhanden. Die Tremores, die Schmerzen und
Parästhesien geschwunden.
Fall 40. N. J., 45 jähriger verheirateter Fleischhauer, auf¬
genommen am 12. October 1890.
Anamnese: Patient hat als Soldat einen Tripper durchgemacht;
Qber luetische Infection ist nichts eruierbar. Im Jahre 1882 traten
Harndrang und Incontinenz auf, die nach zwei Jahren schwanden.
Seit 1884 bedeutende Schmerzen in den Beinen und Anschwellung
derselben. Seit 1888 Gehen ohne Krücken nicht möglich, Schmerzen
in den oberen Extremitäten, GürtelgefÜhl, Parästhesien in den
unteren Extremitäten. Patient kann im Dunkeln nicht gehen.
Status praesens: Reflectorische Pupillenstarre rechts. Deutliche
Ataxie an den oberen und unteren Extremitäten; leichte Herab¬
setzung der Sensibilität in der Vota manus und an den Finger¬
spitzen beiderseits, bedeutendere an den unteren Extremitäten, da¬
selbst auch Hypalgesie. Auch unterhalb des Rippenbogens eine
Zone mit Anästhesie gegen Pinselberührungen. Die Kniephänomene
fehlen.
Diagnose: Tabes dorsalis.
Am 10. November Schmierkur, 4 Touren zu je 6 Einreibungen.
Ausserdem wurden nacheinander Physostigmin, täglich 0002 g,
Argentum nitricum, täglich 0*003 - 0*005 g, und die Suspension an¬
gewendet
Am 15. Februar 1891 entlassen mit Fortdauer der objectiven
und subjectiven Symptome.
Fall 41. Dr. W. F., 42jähriger Arzt, aufgenommen am
7. Februar 1891.
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Ueber die Erfolge der Sohmierkur bei Erkrankuugeu des Nervensystems. 29
Anamnese: Vor zehn Jahren Ulcns durum mit darauffolgendem
Exanthem, welches mit Jodkali behandelt wurde. Jetzige Er¬
krankung seit fünf Monaten mit Schwäche in den unteren Extremi¬
täten und Unsicherheit beim Gehen, Herabsetzung der Sensibilität
an den Fusssohlen, an der Rückseite der Unter- und Oberschenkel.
Status praesens: Die Pupillen reagieren auf Lichteinfall sehr
träge, auf Accommodation gut Die Patellarreflexe fehlen. Gang
unsicher, nicht ataktisch. Bömberg 'sches Phänomen sehr deutlich.
Sensibilitätsstörungen wie in der Anamnese angegeben.
Diagnose: Tabes dorsalis.
Am 9. Februar Schmierkur, 8 Touren zu je 5 Einreibungen.
Am 8. April entlassen. Die objectiven und subjectiven Symp¬
tome sind unverändert.
Fall 42. T. G., 62 Jahre alt, verheiratet, aufgenommen am
20. October 1891.
Anamnese: Im 25. Lebensjahre Gonorrhöe. Ueber luetische
Infection nichts eruierbar. Jetziges Leiden seit Anfang Jänner
1891 mit Schmerzen in allen Extremitäten, unsicheren Gang. Seit
sechs Monaten Pelzigsein an den Füssen; seit sechs Wochen Ab¬
nahme der Sehkraft, so dass nur noch Hell und Dunkel unter¬
schieden werden. Zeitweilig Kopfschmerzen.
Status praesens: Anisokorie, reflectorische Pupillenstarre,
Atrophie der Papillen beiderseits, die Kerzenflamme wird erst in
60 cm Entfernung unterschieden. An den oberen Extremitäten
keine Ataxie, an den unteren dieselbe angedeutet Die Patellar¬
reflexe fehlen. Die Temperaturempfindung an Unterschenkel und
Fussrücken beiderseits abgeschwächt Gang stampfend, ataktisch,
starkes Bömberg 'sches Phänomen.
Diagnose: Tabes dorsalis.
Am 24. October Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen,
dann Jodnatrium. Faradisation.
Entlassen am 14. Februar 1892. Alle Krankheitserscheinungen
dauern fort
Fall 43. B. E., 41 jähriger verheirateter Schlosser, auf¬
genommen am 31. October 1891.
Im 19. Lebensjahre Ulcus durum mit nachfolgenden Condy¬
lomen, fünf Monate Spitalsbehandlung. Im 35. Jahre ein Geschwür
ad glandem, ein Jahr darauf Ausschlag an Rumpf und Armen, keine
ärztliche Behandlung. Patient ist seit dem 25. Lebensjahr ver¬
heiratet, seine Frau war angeblich vor der Verheiratung mit Lues
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Dr. J. Marsebner.
in Spitalsbehandlnng, nachdem er schon als Soldat mit ihr ge¬
schlechtlich verkehrt hatte. Die Frau soll nie abortiert haben,
das einzige, zweijährige Find war immer gesund. Patient leidet
häufig an Schlingbeschwerden, Heiserkeit, intensiven Kopfschmerzen
und Nachtschweissen. Jetziges Leiden seit einem Jahr mit Schmerzen
in den Beinen und Kopfdruck. Später kamen dazuParästhesien, Gürtel-
gefiihl, unsicherer Gang, erschwerte Harnentleerung und Harnträufeln.
Status praesens: Die Haut der Brust, des Rückens und der
Arme von einer braunen Pigmentation mit abschülfernden Rand¬
partien eingenommen. Reflectorische Pupillenreaction kaum merk¬
lich, accommodative gut. Hörvermögen bedeutend' herabgesetzt,
beiderseitige Otitis media chronica. An der Zunge fibrilläre
Zuckungen. An den unteren Extremitäten die motorische Kraft
beiderseits, links mehr, herabgesetzt; an den Fusssohlen Hypaes-
thesie und verlangsamte Empfindungsleitung. Hochgradige Ataxie.
Die Kniephänomene fehlen. Gang ataktisch, ohne Stock nicht mög¬
lich. Deutliches Bömberg 'sches Phänomen.
Diagnose: Tabes dorsalis.
Am 1. November Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen,
darauf Faradisation des Rückenmarkes, der Blasengegend. Später
wurden auch die Suspension und Physostigmin angewendet. Am
14. Mai 1892 entlassen mit unverändertem Krankheitszustand.
Fall 44. P. J., 47 jähriger, verheirateter Heizer, aufgenommen
am 24. November 1891.
Anamnese: Vor 27 Jahren venerisches Geschwür mit Lymph¬
drüseneiterung; über Lues nichts eruierbar. Vor sechs und drei
Jahren mehrmonatliche Erkrankung mit Schwäche und Schmerzen
in den Extremitäten, Beklemmungen und Gürtelgefühl, die besonders
Nachts exacerbierten. Seit dem letzten Anfall unsicherer Gang,
Schwanken bei geschlossenen Augen und zeitweise Gliederschmerzen,
besonders Nachts.
Status praesens: Blasendes Geräusch im 2. Moment über der
Aorta, Pnlsus celer. Keine reflectorische Pupillenstarre, keine
Ataxie in den oberen und unteren Extremitäten, keine Sensibilitäts¬
störungen. Das Kniephänomen fehlt beiderseits. Gang breitspurig,
schwankend. Bömberg 'sches Phänomen vorhanden.
Diagnose: Tabes dorsalis. Insufflcientia valvularum aortae c um
stenosi ostii aortici.
Am 26. November Schmierkur, 4 Touren zu je 5 Einreibungen.
Entlassen am 19. Dezember unter Fortdauern aller objectiven
und subjectiven Symptome.
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Ueber die Erfolge der Schmierkur bei Erkrankungen des Nervensystems. 31
Fall 45. W. W., 49 jähriger Maurer, ausgenommen am 29. August
1892.
Anamnese: Infection geleugnet Vor l 1 /, Jahren anfallsweise
auftretende Schmerzen in der Magengegend ohne Erbrechen, ebenso¬
lange Harnverhaltung. Vor einem halben Jahre durch drei Wochen
Doppeltsehen. Seit dieser Zeit Gürtelgefühl, seit einem Monat
Schmerzen, Parästhesien und Schwäche in den unteren Extremitäten,
erschwertes Gehen.
Status praesens: Ueber der Herzspitze im 1. Moment ein blasen¬
des Geräusch. Reflectorische Pupillenstarre links. An den unteren
Extremitäten sind active Bewegungen nur in ganz geringem Ausmass
möglich, ataktisch. Die Kniephänomene fehlen, Gang schleudernd,
Romberg 'sches Phänomen vorhanden. Keine Sensibilitätsstörungen.
Harnverhaltung, Blasentenesmus.
Diagnose: Tabes dorsalis. Insufficientia valvulae mitralis.
Am 30. August Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen,
dann Jodnatrium. Faradisation. Die Schmierkur wird am 20. Sep¬
tember wegen Entzündung der Gaumen- und Rachenschleimhaut
auf zwei Tage unterbrochen.
Entlassen am 5. November mit unverändertem Krankheitszustand.
Fall 46. P. M., 39jährige verheiratete Taglöhnerin, aufge¬
nommen am 17. April 1893.
Anamnese: Ueber luetische Infection fehlen genaue Angaben.
Patientin machte im 19. Lebensjahre einen Ausschlag mit Fieber
durch, ist seit dem 26. Jahre verheiratet, hat siebenmal abortiert,
ein Kind starb am 3. Lebenstage, eins im 7. und eins im 8. Lebens¬
monat Seit dreizehn Jahren Magenbeschwerden, seit einem Jahr
im Anschluss an eine schwere Geburt, Schmerzen im Unterleib und
Kreuz.
Status praesens: Pleuritische Schwartenbildung beiderseits,
Infiltration der rechten Lungenspitze, Magendilatation, rechtsseitige
Wanderniere. Reflectorische und consensuelle Pupillenstarre. Beim
Hakenversuch deutliche Ataxie, Gang breitspurig, stampfend, Roni-
berg ’sches Phänomen vorhanden. Die Patellarrefiexe fehlen. Im
Bereiche des rechten Fusses Analgesie und Hypästhesie.
Diagnose: Tabes dorsalis.
Am 20. März Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen, dann
Jodnatrium. Massage, Galvanisation.
Entlassen am 20. Juli. Gang zeitweise normal, sonst alle Er¬
scheinungen unverändert.
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l)r. J. Marschnor.
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Fall 47. C. Ä., 54 jährige Händlersfrau, aufgenommen am
21. Juni 1893.
Anamnese: Ueber luetische Infection fehlen anamnestische An¬
gaben. Seit acht Jahren in ein- bis dreiwöchentlichen Pausen auf¬
tretende Magenbeschwerden mit Erbrechen, seit zwei Jahren Kopf¬
schmerzen, seit einem halben Jahr Ameisenlaufen vom Ellbogen und
Knie beiderseits nach abwärts, ebenso Schmerzen in den Beinen,
im Kreuz und in der linken Brustwand, erschwertes Gehen. Vor
zwei Jahren hat Patientin vorübergehend geschielt.
Status praesens: Reflectorische und aecommodative Pupillen¬
starre. Beim Fingerspitzenversuch Ataxie, beim Hakenversuch
nicht. Die Patellarreflexe fehlen, Gang breitspurig stampfend, Böm¬
berg ’gches Phänomen vorhanden. Von der 4. Rippe nach abwärts
bis zum Rippenbogen eine Zone, in der die Tast-, Schmerz- und Tem¬
peraturempfindung herabgesetzt ist, ebenso an der linken Fusssohle
und rechts vom unteren Drittel des Unterschenkels nach abwärts.
Diagnose: Tabes dorsalis.
Am 22. Juni Schmierkur, 4 Touren zu je 5 Einreibungen.
Entlassen am 18. Juli mit Fortbestehen aller Erscheinungen.
Fall 48. S. W., 39jähriger verheirateter Taglöhner, aufge¬
nommen am 20. September 1893.
Anamnese: Infection negiert. Seit Februar 1893 Schmerzen
im linken Bein, später im rechten, dann starke Anschwellung des
linken Kniegelenkes, die unter ärztlicher Behandlung etwas znrück-
gieng.
Status praesens: Im linken Kniegelenk freie Flüssigkeit, bei
Bewegungen Crepitation. Reflectorische Pupillenstarre. An der
Zunge fibrilläre Zuckungen. Beiderseitige Ptosis, die angeblich
seit Kindheit besteht. Muskulatur des rechten Schultergürtels und
Oberarmes atrophisch mit entsprechender Einschränkung der activen
Beweglichkeit. Bei Bewegungen der Extremitäten keine Ataxie,
nur der Gang etwas ataktisch. Die Patellarreflexe fehlen, deut¬
liches Bömberg 'sches Phänomen. Von den Knieen nach abwärts
Anästhesie und Analgesie mit Ausnahme einer kleinen Partie im
Hohlfnss; an diesen Stellen auch der Temperatur-, Druck- und
Muskelsinn herabgesetzt.
Diagnose: Tabes dorsalis.
Am 22. September Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen,
darauf Jodnatrinm.
Am 5. November entlassen. An den oberen Extremitäten deut-
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lieber die Erfolge der Schmiorkur bei Erkrankungen des Nervensystems. 33
liehe Ataxie, Pupillenreaction vorhanden. Sonst keine Veränderung
des Zustandes.
Fall 49. P. .ET., 44jähriger verheirateter Aufseher, aufge¬
nommen am 23. October 1893.
Anamnese: Vor 22 Jahren an einer dermatologischen Klinik
durch 14 Tage mit einer venerischen Affection behandelt, nähere
Angaben fehlen. Vor zwei Jahren zeitweise Magenbeschwerden,
die nach einiger Zeit wieder schwanden. Seit elf Monaten Par-
ästhesien und Gefühllosigkeit im linken Bein, sowie erschwertes
Gehen mit demselben; Patient konnte bei geschlossenen Augen nicht
stehen. Seit drei Monaten Beschwerden im rechten Bein, seit einiger
Zeit auch Urinbeschwerden.
Status praesens : Reflectorische Pupillenstarre. An den unteren
Extremitäten Ataxie. Gang breitspurig, stampfend, ataktisch-pare-
tisch, Romberg ’sches Phänomen vorhanden. Die Patellarreflexe
fehlen. Pinselberührungen werden an den unteren Extremitäten
nicht empfanden, für Nadelstiche besteht vom Knie nach abwärts
beiderseits verlangsamte Empfindungsleitung. Muskelsinn an den
unteren Extremitäten etwas gestört.
Diagnose: Tabes dorsalis.
Am 23. October Schmierkur, 6 Touren zu je 5 Einreibungen,
darauf Jodnatrium, Faradisation.
Entlassen am 4. December unter Fortbestehen aller Krank¬
heitserscheinungen.
Fall 50. B. J., 44 jähriger verheirateter Müller, aufgenommen
am 7. December 1893.
Anamnese: Infection negiert. Seit drei Wochen Parästhesien
und Gefühllosigkeit im linken, später im rechten Bein. Vor 14
Tagen trat Zittern der Beine auf und Unvermögen zu gehen, vor
acht Tagen Anschwellung der Füsse und Unvermögen, die Zehen
zu bewegen. Die letzteren Beschwerden schwanden wieder.
Status praesens: Reflectorische und accommodative Pupillen¬
starre, Anisokorie. In allen Muskelgebieten treten bei willkürlicher
Innervation Tremores und klonische Contractionen, auch als Mit¬
bewegungen, ein. Beim Hakenversuch starke Ataxie; Gang sehr
unsicher, breitspurig, Romberg ’sches Phänomen sehr deutlich. An
den Unterschenkeln Herabsetzung der Tast- und Schmerzempfindung,
verlangsamte Empfindungsleitung. Die Patellarreflexe fehlen. In¬
continentia et retentio urinae.
Diagnose: Tabes dorsalis.
Zeitschrift für Heilkunde. XVH.
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34
Dr. J. Marschnor.
Am 16. December Schmierkur, 6 Touren zu je 5 Einreibungen.
Am 29. Jänner entlassen mit unverändertem Befund.
YII.
Verschiedene Erkrankungen des Nervensystems.
Fall 51. T. A., 35 jähriges Dienstmädchen, aufgenommen am
19. September 1892.
Anamnese: Infection geleugnet Patientin erkrankte vor sechs
Jahren mit Schwäche der unteren Extremitäten, besonders der
linken, und der linken oberen Extremität. Seit einem Jahre nachts
exacerbierende Schmerzen in der Stirn, der Nasengegend, den
Schlüsselbeinen, seit einem halben Jahr bedeutende Zunahme der
Schwäche. Im letzten Frühjahr durch zwei Monate Spitalsbehandlung.
Status praesens: Schädelknochen beim Beklopfen schmerzhaft
An den Hirnnerven nichts Pathologisches, bis auf eine leichte
Parese des Mundfacialis und Hypoglossus rechts. An den oberen
Extremitäten keinerlei Störungen. Muskelkraft an den unteren
Extremitäten etwas herabgesetzt, keine Ataxie. Die Kniephänomene
erhöht, beiderseits deutlicher Fussklonus. Gehen ohne Stock nicht
möglich; Gang unsicher, schwankend, paretisch. Keine Sensibilitäts¬
störungen.
Diagnose: Myelitis diffusa.
Am 25. September Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen,
dann Jodnatrium. Allgemeine Faradisation, Massage, Bäder.
Am 6. März 1893 entlassen. Die Reflexe normal, Gang be¬
deutend gebessert. Wechselnde Schmerzen in den unteren Extre¬
mitäten und der Wirbelsäule fortdauernd.
Fall 52. W. L., 35 jähriger Professurscandidat, aufgenommen
am 16. April 1893.
Anamnese: Infection geleugnet. Seit drei Jahren Schwäche in
den unteren Extremitäten, allmähliche Erschwerung des Gehens,
Parästhesien in den unteren Extremitäten.
Status praesens: Sprache verlangsamt, etwas scandierend. Es
besteht Intentionszittern. Leichte motorische Schwäche an den
unteren Extremitäten. Die Sehnenreflexe stark erhöht, Gang stark
spastisch-paretisch.
Diagnose: Diffuse Erkrankung des Rückenmarkes. (Typus der
multiplen Sklerose).
Am 17. April Schmierkur, 6 Touren zu je 5 Einreibungen, dann
Jodnatrium. Massage, Galvanisation.
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Uebor die Erfolge der Schmiorkur bei Erkrankungen des Nervensystems. 35
Am 10. Juli entlassen. Gehen gebessert, sonst keine Ver¬
änderung.
Fall 63. H. W., 45 jähriger verheirateter Schuhmacher, auf¬
genommen am 17. Mai 1895.
Anamnese: Infection negiert. Seit einem Jahre Schwäche in
den unteren Extremitäten und im rechten Arm.
Status praesens: Von Seite der Himnerven keine Störung,
ebensowenig im Bereich der oberen Extremitäten. An den unteren
Extremitäten Ataxie, gesteigerte Kniephänomene. Gang spastisch-
paretisch. Kein Bömberg ’sches Phänomen. Sensibilität normal.
Diagnose: Myelitis diffusa.
Am 19. Mai Schmierkur, 4 Touren zu je 6 Einreibungen, dann
Jodnatrium. Galvanisation.
Am 27. Juni entlassen mit unverändertem Befund.
Fall 54. F. J., 32jähriger lediger Fleischer, aufgenommen
am 1. November 1893.
Anamnese: Infection und Potus zugegeben; doch fehlen über
die erstere nähere Angaben. Vor einem halben Jahr begannen
Schmerzen und Schwäche in den Beinen, Steifigkeit im Nacken,
Schlingbeschwerden, erschwertes Sprechen. Seit 17. Mai 1893 Be¬
handlung im Krankenhaus in Tannwald, während welcher sich auch
Harnverhaltung einstellte. Unter Schmierkur und Bäderbehandlung
giengen die Beschwerden ziemlich zurück bis auf die Schmerzen
und die Schwäche in den Beinen. Von dort kam Patient am 1. No¬
vember zur Klinik.
Status praesens: Pupillen ohne Störung. Runzeln der Stirne,
fester Augenschluss, Heben der Oberlippe, Pfeifen nicht möglich,
die Zunge kann nur wenig über die Zahnreihe vorgestreckt werden,
an derselben Muskelflimmern. Sprache verlangsamt, kein Silben¬
stolpern. An den oberen Extremitäten keine motorischen Störungen.
Im Knie- und Hüftgelenk beiderseits Flexion in geringem Ausmass
möglich, passive Beweglichkeit in allen Gelenken erhalten. Mo¬
torische Kraft der unteren Extremitäten sehr gering; der Haken¬
versuch gelingt links mühsam, doch ohne Ataxie, rechts nicht. Die
Patellarreflexe fehlen, Romberg ’sches Phänomen vorhanden. Patient
kann nur mit Unterstützung gehen, Gang paretisch, breitspurig.
Sensibilität und Muskelsinn überall ungestört Die elektrische
Erregbarkeit an den unteren Extremitäten herabgesetzt
Diagnose: Polyneuritis, forsitan alcoholica.
3
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36
Dr. J. Marsohner.
Am 1. November Schmierkur, 5 Touren zu je 5 Einreibungen.
Allgemeine Faradisation, Bäder, Massage.
Am 2. Februar 1894 wird Patient entlassen. Die Kniephänomene
sind angedeutet, das Gehen bedeutend gebessert. Die Facialis-
paralyse und die Schmerzen dauern fort
In der Folge traten Harndrang und Strangurie, sowie Kreuz-
schmerzen und Obstipation auf, weswegen Patient sich wieder zur
Klinik aufnehmen liess.
Status praesens vom 2. Mai 1894. An den Knöcheln geringe
Oedeme, die beim Liegen schwinden. An den Pupilfen nichts
Pathologisches. Augenschluss normal, Stirnrunzeln mit Anstrengung
möglich, Pfeifen und Zähnezeigen unmöglich. An der Zunge
Flimmern. Das Aussprechen der Lippenlaute erschwert An den
oberen Extremitäten keine motorischen Störungen, Active Be¬
weglichkeit der Beingelenke erschwert. Gang ataktisch-paretisch.
Romberg 'sches Phänomen vorhanden. Keine Sensibilitätsstörungen.
Die Patellarreflexe sind auslösbar, die Reflexe an den oberen Ex¬
tremitäten, sowie die Hautreflexe gesteigert Kein Fussklonus.
Elektrische Erregbarkeit normal.
Am 5. Mai Schmierkur. Faradisation des Körpers, Massage.
Vom 8. bis 18. Mai wird die Schmierkur wegen fieberhaften
Darmkatarrhs unterbrochen. Am 27. Mai neuerliche Unterbrechung.
Patient macht einen Typhus abdominalis, compliciert mit Nephritis
acuta und Pneumonia catarrhalis dextra, durch. Am 11. September
Wiederaufnahme der Schmierkur, 5 Touren zu 6 Einreibungen.
Patient wird am 20. Oktober mit folgendem Befund entlassen:
Die beiderseitige Facialisparese vollständig geschwunden, die Sprache
normal. Gang vollständig normal. Romberg 'sches Phänomen fehlt
Die elektrische Erregbarkeit der Muskulatur überall normal.
Fall 55. V. J., 39jähriger Buchdrucker, aufgenommen am
29. Jänner 1893.
Anamnese: Infection negiert. Vor fünf Wochen plötzliche Er¬
krankung mit Schmerzen in den Unterschenkeln und Parästhesien
in den unteren, später in den oberen Extremitäten. Vor vierzehn
Tagen wurde Patient wegen Schwäche in den Extremitäten arbeits¬
unfähig.
Status praesens: Kein Bleisaum am Zahnfleisch. An den Pu¬
pillen nichts Pathologisches. An der Zunge fibrilläre Zuckungen.
Die motorische Kraft aller Extremitäten sehr gering, an den oberen
leichte Ataxie, Gang unsicher, ataktisch-paretisch. Romberg’sches
Phänomen deutlich. Die Partellarreflexe fehlen. Keine Sensi-
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Ueber die Erfolge der Schmierkor bei Erkrankungen des Nervensystems. 37
bilitätsstörungen. Die Function der Blase nnd des Darms un¬
gestört
Diagnose: Polyneuritis, forsitan satumina.
Am 5. Febrnar Schmierkur, 6 Touren zu je 5 Einreibungen.
Am 15. März entlassen. Die motorische Kraft der Extremitäten
hat zngenommen; das Bömberg 'sehe Phänomen kaum angedeutet
Gang ziemlich sicher, die Kniephänomene fehlen.
Fall 56. R. J., 27 jähriger lediger Taglöhner, aufgenommen
am 2. October 1895.
Anamnese: Infection geleugnet. Vor sechs Wochen, angeblich
nach einer Erkältung, begann Schwäche und Ungeschicklichkeit der
Hände, später kam dazu Zittern an allen Extremitäten, dann
Schwäche in den Beinen, in der letzten Zeit erschwertes Sprechen.
Status praesens: Von Seite der Hiranerven keine Störung bis
auf verlangsamte, scandierende Sprache. Muskulatur der oberen
Extremitäten atrophisch, besonders die Interossei. Die Finger in
m&ssiger Flexionsstellung, ihre active und passive Beweglichkeit
eingeschränkt Kraft der unteren Extremitäten etwas herabgesetzt,
Gang unsicher, sonst keine Motilitätsstörungen. Nirgends Ataxie,
Romber p’sches Phänomen nicht vorhanden. Patellarreflexe gesteigert.
Sensibilität überall hormal.
Diagnose: Amyotrophische Lateralsklerose.
Am 3. October Schmierkur, 4 Touren zu je 5 Einreibungen,
dann Jodnatrium. Faradisation.
Am 18. November entlassen, mit Fortdauer aller Symptome.
Fassen wir die therapeutischen Resultate der Schmierkur in
den voranstehend angeführten 56 Fällen zusammen, so ergeben sich
5 Fälle von Heilung, 19 von Besserung, 30 ohne Veränderung und
2 Todesfälle. Auf die einzelnen Krankheitsformen vertheilen sich
die Resultate folgendermassen:
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38
Dr. J. Marschner.
Heilung
Besserung
Ohne
Ver¬
änderung
Tod.
be¬
deutende
einzelner
Symptome
Syphilis des Gehirns and
Kückenmarks ....
4
5
i
1
—
Multiple Sklerose....
—
—
2
9
—
Hirntumoren.
—
—
—
6
1
Binden- u. Kapselläsionen
—
6
—
1
Bulbärparalyse ....
—
—
—
2
—
Tabes dorsalis.
—
—
3
11
—
| Diffuse Myelitis ....
—
1
1
1
--
| VerschiedeneErkrankungen
des hl ervensysterns . .
1
—
1
1
—
| Zusammen . .
&
1 6 _
13
30
2
Was die elf Fälle von Lues des Gehirns und Rückenmarks
betrifft, so stützte sich die Diagnose in keinem derselben auf directe
anamn estische Angaben über vorausgegangene Syphilis. Die An¬
nahme der Lues wurde entweder durch die Anamnese wahrschein¬
lich gemacht und durch den objectiven Befuna sichergestellt, wie
in dem Falle 1 durch den Befund an der Nase und am weichen
Gaumen, in dem Falle 2 durch die Chorioiditis, in dem Falle 6
durch die Narben am weichen Gaumen, in dem Falle 8 wieder
durch den Befund am Augenhintergrund und in dem Falle 11 durch
den Augen- und Gaumenbefund. In dem Fall 3 sicherte die Lues
der Frau die Diagnose. In den übrigen Fällen ergab sich weder
anamnestisch, noch durch die objective Untersuchung ein sicherer
Anhaltspunkt für Lues, hier war lediglich der Erfolg der anti¬
syphilitischen Behandlung für die Diagnose massgebend. Bei den
übrigen Fällen, mit Ausnahme der Tabes, lagen dreimal unsichere
Angaben über vorausgegangene venerische Infection vor. Verhält¬
nismässig am erfolgreichsten erwies sich die Nachforschung nach
tiberstandener Syphilis bei den Tabikern. Es finden sich unter 14
Fällen 3 mal sichere Angaben, im Fall 38 Initialsklerose vor 16
Jahren mit schmerzloser Anschwellung der Leistendrüsen, im Fall
41 vor 10 Jahren Infection mit nachfolgendem Exanthem und im
Fall 43 vor 22 und vor 9 Jahren Primäraffecte, die jedesmal von
Secundärerseheinungen gefolgt waren. Ueber die Behandlung der
damaligen Erscheinungen fehlen im Fall 38 die Angaben, im Fall 41
wurde das Exanthem mit Jodkali behandelt, im Fall 43 blieb die
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Ceber die Erfolge der Schmierkur bei Erkrankungen des Nervensystems. 39
zweite Infection ohne Behandlnng. In den Fällen 39, 40, 42, 44,
46 and 49 finden sich nur unbestimmte Angaben; hiervon kann der
vorletzte, 7 maligen Abortns und frühen Tod der lebendgeborenen
Kinder betreffend, mit höchster Wahrscheinlichkeit für Syphilis in
Anspruch genommen werden.
Wenn wir uns nun die Frage nach der Berechtigung der Schmier-
kur in allen diesen Fällen vorlegen, so lässt sich dieselbe in zwei
Theilfragen zerlegen. 1. Hat die Schmierkur einen Schaden ver¬
ursacht und in welchen Fällen? 2. Hat die Schmierkur Nutzen
gebracht und welchen?
Bei Beantwortung der ersten Frage kämen zunächst die beiden
Todesfälle in Betracht. Der erste Fall, Fall 26, Hirntumor, ist
von vornherein als Beweis für eine schädliche Wirkung der
Schmierkur auszuschliessen; man müsste denn annehmen, dass der
Tumor durch die Einwirkung des Quecksilbers zu einem schnelleren
Wachsthum angeregt worden wäre. Aber auch aus dem zweiten
Falle, Fall 34, hämorrhagischer Erweichungsherd, wird man eine
schädliche Wirkung der Quecksilberbehandlung mit Recht nicht
ableiten können, da bei demselben der Verlauf ein von der Schmierkar,
ganz unabhängiger, progredienter war und der Exitus sieben Wochen
nach Beendigung der Schmierkur eingetreten ist. In allen übrigen
Fällen liegt kein Anhaltspunkt vor, welcher auf einen schädigenden
Einflnss der Schmierkur schliessen liesse. Selbst in den Fällen,
welche durch somatische Erkrankungen complidert waren, ist eine
schädliche Einwirkung auf dieselben nicht zu Tage getreten, wie die
Fälle 12, 13, 19, 44 und 45 beweisen, in welchem sich dreimal Herz¬
aff ectionen, zweimal chronische Nierenentzündung und einmal chro¬
nischer Bronchialkatarrh notiert finden. Im ganzen ergab sich die
Notwendigkeit, die Schmierkur zu unterbrechen in fünf Fällen, und
zwar in den Fällen 12, 21, 28, 45 und 54.
Was die zweite Frage betrifft, so gibt darüber die Tabelle
klaren Aufschluss. Zunächst ist bemerkenswert!!, dass bedeutende
Besserung fast ausschliesslich in den Fällen von Syphilis des Ge¬
hirns und Rückenmarks erzielt wurde; nur in einem einzigen Falle
von diffuser Myelitis (Fall 51), bei dem es sich nicht mit Sicherheit
um Syphilis handelte, ist noch eine erhebliche Besserung verzeichnet,
während geringergradige Besserung oder solche einzelner Symp¬
tome nur einmal bei Lues, einer schweren diffusen Form, Fall 8,
dagegen 12 mal bei anderen Krankheitsformen sich findet.
Von den 5 geheilten Fällen bietet das grösste Interesse Fall 54,
der einzige, für dessen Aetiologie nicht die Syphilis, sondern der
Alkohol zu beschuldigen sein dürfte; denn einerseits ist bis jetzt
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40
Dr. J. Marschner.
noch nicht der Beweis erbracht, dass Polyneuritis auf luetischer
Basis entstehen kann, wofür als Gewährsmann ausser Gowers auch
Leyden angeführt werden kann, welcher in einem Vortrage über Poly¬
neuritis mercurialis l ) sagt, dass ihm eine zweifellose Beobachtung von
typischer Polyneuritis und acuter Ataxie auf syphilitischer Basis
nicht bekannt geworden sei; andererseits liegen in unserem Falle
bestimmte anamnestische Angaben über Syphilis nicht vor. Wenn
auch die Möglichkeit nicht widerlegt werden kann, dass vielleicht
die intercurrente acute Infectionskrankheit bei der günstigen Be¬
einflussung des Processes eine Bolle gespielt hat, so ist das doch
nicht wahrscheinlich, da erst im Verlauf der letzten Schmierkur die
Krankbeitssymptome vollständig zu schwinden begannen. Allerdings
kann nicht in Abrede gestellt werden, wie schon Seite 5 bemerkt
ist, dass gerade Fall 2 unserer Beobachtung die Deutung einer
Polyneuritis auf luetischer Basis zulässt.
Bezüglich des Erfolges der Schmierkur bei Tabes bleibt unsere
Zusammenstellung hinter den neueren Statistiken über diesen Gegen¬
stand zurück. Foumier *) sagt, dass er bei vorgeschrittener Tabes
zwar keine Heilerfolge, aber doch Besserungen einzelner Symptome
oder vorübergehende, der Heilung nahestehende Besserungen in
ziemlicher Anzahl erzielt habe. Dinkler 8 ) berichtet aus der Erb' sehen
Klin ik über 58 Besserungen nach Schmierkur bei 71 Tabesfällen.
Rumpf*) verzeichnet noch günstigere Resultate durch seine com-
binierte Methode der faradischen Pinselung und der Schmierkur,
indem er einzelne dauernde, der Heilung nahestehende Besserungen
erzielte. Jedenfalls sprechen aber die an unserer Klinik gemachten
Erfahrungen, bei dem Mangel einer besseren Behandlungsmethode,
nicht gegen die Anwendung der Schmierkur bei Tabes.
Wenn nun einerseits erwiesen ist, dass die Schmierkur bei
entsprechender Ueberwachung auf den Verlauf der Erkrankungen
des Nervensystems nicht schädigend einwirkt, andererseits aber
die Thatsache feststeht, dass nicht nnr solche Erkrankungen des
Nervensystems, die direct durch constitutionelle Lues hervorgerufen
sind, sondern auch von der Lues nicht unmittelbar abhängige, ja
selbst mit der Syphilis in gar keinem Zusammenhänge stehende
*) E. Leyden, Heber Polyneuritis mercurialis. Deutsche medicinische Wochen¬
schrift, 19, 733, 1893.
*) Al fr. Foumier, De l’ataxie locomotrice d’origine syphilitique, Paris 1882,
oitiert nach Schmidt’s Jahrbüchern, 196, 69, 1882.
*) M. Dinkler, Ueber die Berechtigung und die Wirkung der Schmierkur
bei Tabes dorsalis, Berliner klinische Wochenschrift, S. 347, 1893.
*) ibidem.
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üeber die Erfolge der Schmierkor bei Erkrankungen des Nervensystems. 41
Erkrankungen von der Schmierkur eminent günstig beeinflusst
werden können, so ergibt sich daraus die Pflicht, jeden Fall von
Erkrankung des Nervensystems, bei dem eine Besserung nicht voll¬
kommen ausgeschlossen ist , vorausgesetzt, dass nicht der Allgemein¬
zustand es verbietet, dieser Behandlung zu unterziehen, zumal man
sich nicht oft genug ins Gedächtnis zurückrufen kann, dass auf die
anamnestischen Angaben der Patienten bezüglich der Lues, wenn sie
nicht direct positiv lauten, gar kein Gewicht zu legen ist.
Zum Schluss erfülle ich die angenehme Pflicht, meinem hoch*
verehrten klinischen Chef, dem Herrn Professor R. v. Jaksch, für
die gütige Ueberlassung dieser Arbeit und seine werkthätige Unter¬
stützung meinen besten Dank zu sagen.
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(Aus der medicinischen Klinik des Herrn Professor R. v. Jakseh in Prag.)
UEBER DEN EINFLUSS DES PILOCARPIN, NUCLEIN
UND ANTIPYRIN AUF DIE ZAHL DER LEUKOCYTEN
BEI PNEUMONIE UND TYPHUS.
Von
Pr. KARL PICHLER,
1. Assistenten der Klinik.
(Mit 5 Tabellen.)
Die vielen bei fieberhaften Erkrankungen ausgeführten Unter¬
suchungen des Blutes haben schon seit langem zu der Erkenntnis
geführt, dass eine grosse Reihe von Infectionskrankheiten ganz
regelmässig mit einer oft sehr bedeutenden Steigerung der Zahl
der Leukocyten einhergeht.
Diese oft schon bei der blossen Betrachtung eines Bluttropfens
unter dem Mikroskope ersichtliche, genau durch Zählung mit den
bekannten Methoden nachweisbare Vermehrung der farblosen Blut¬
zellen wird in diesen, wie in anderen Fällen bekanntlich als
Leukocytose bezeichnet — neuestens tauchte der Vorschlag au£
von Hyperleukocytose zu sprechen im Gegensätze zu Hypoleuko-
cytose, Verminderung der Zahl der Leukocyten. Ueber die Be¬
deutung dieser Erscheinung für den Ablauf des Infectionsprozesses
machte man sich längere Zeit entsprechend der Lehre Metschnikoff $
über die Phagocytose die Anschauung zurecht, in den vermehrten,
offenbar neugebildeten Zellen Schutztruppen des Organismus gegen¬
über den feindlichen Mikroorganismen zu sehen, und erblickte dem¬
nach darin ein erfreuliches Zeichen der Reaction des Organismus.
Diese Anschauung, welche eine gesteigerte Bildung von Leuko¬
cyten als bewiesen annimmt, ist durch eine der Münchener Schule
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44
Dr. Karl Pichler.
entstammende Arbeit von Schulz *) als unrichtig hingestellt worden.
Oie Ansicht von Schulz geht dahin, die entzündliche Leukocytose,
ja die Lenkocytose überhaupt nur für den Ausdruck einer ver¬
änderten Vertheilung der weissen Blutzellen in den verschiedenen
Gefässbezirken zu erklären.
Wie immer dem auch sei, die Leukocjtenzählung stellt heute
für den Kliniker ein werthvolles Hülfsmittel dar, welches häufig
in diagnostisch zweifelhaft liegenden Fällen die Entscheidung
zwischen mehreren möglichen Erkr ankung en bringt.
Speciell bei der Differentialdiagnose zwischen Pneumonie und
Abdominaltyphus empfiehlt v. Jaksch *) auf das Wärmste diese TJnter-
suchung. Rieder *) schliesst sich dieser Meinung völlig an.
Die in jedem Falle von Pneumonie an unserer Klinik geübten
Blntzählungen ergaben des weiteren schon seit langem, dass häufig
in tödtlich endenden Fällen von Pneumonie die Leukocytenzahl
nicht vermehrt war, so dass v. Jaksch 4 ) darin ein prognostisch
ungünstiges Symptom erblickt
Rieder # ) fand gleichfalls bei letalem Ausgange normale oder
selbst subnormale Zahlen der farblosen Blutzellen, aber keineswegs
in allen Fällen.
Bieganski a ) ist seinerseits geneigt, das Ausbleiben der Leuko-
cytose in dem Sinne der beiden Autoren aufzufassen, spricht aber
im Hinblicke auf sein spärliches Beobachtungsmaterial sich reser-
virt aus.
Tchistovitch und Kikodze 1 ) fanden bei mit Pneumoniekokken
inficirten Kaninchen Leukocytose nur dann, wenn das Thier die
Krankheit überlebte, hingegen stetiges Absinken der Leukocyten¬
zahl bei tödtlich endenden Fällen.
Es lag nun der Gedanke nahe, in dem Ausbleiben der Leuko¬
cytose den Grund oder wenigstens mit einen Grund für das tödt-
liehe Ende der Krankheit zu erblicken, und durfte man vielleicht
hoffen, wenn es etwa gelänge, durch gereichte Mittel Leukocytose
zu erzielen, heilend zu wirken.
*) Schuh, Deutsches Archiv für klinische Medicin 51. 284, 1893.
*) v. Jaksch, Prager medic. Wochenschrift 16. 20, 1891. Vergleiche auch
Sadler Fortschritte der Medicin 9. 1891. Sonderabdrnck.
*) Rieder, Beitrüge zur Kenntnis der Lenkocytose, Leipzig, Vogel S. 121,1892.
4 ) v. Jaksch, Centralblatt für klinische Medicin 13. 81, 1892.
*) Rieder, Münchner medic. Wochenschrift 39. 611, 1892.
*) Bieganski, Deutsches Archiv für klinische Medicin 53. 488, 1894.
’) Tchistovitch und Kikodxe, Centralblatt für klinische Medicin 13. 33,
1892 (Referat).
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Ueber den Einfluss des Pilocarpin etc.
45
Als solche Mittel boten sich nach Horbaczewski *) Pilocarpin,
Antipyrin, Antifebrin und Nnclein.
Horbaczewski erreichte nach Einverleibung von 0 01—0.015 g
Pilocarpinum muriaticum bei gesunden Männern ein Ansteigen der
Leokocytenzahlen nach 1, 2, 4 Stunden um bis 46°/ 0 der ursprüng¬
lichen Zahl. Antipyrin (in der Dosis von 1 g) ergab eine Ver¬
mehrung der Leukocyten um 25°/ 0 . Nach Nuclein endlich (in der
Dosis von 5 g) stieg die Zahl der weissen Blutzellen (nach 2 1 /*,
3 Stunden) um bis 83 °/„.
Es hat darum v. Jaksch in seiner oben ( 4 ) erwähnten Mittheilung
die Anwendung dieser Stoffe bei Pneumonien mit mangelnder Leuco-
cytose angeregt und über einen derartigen therapeutischen Ver¬
such (mit Pilocarpin) berichtet Soweit ich die Literatur durch¬
gesehen, hat dieser Vorschlag keine Ausführung in weiteren Kreisen
gefunden. Nur Rieder ( 6 ) berichtet über einen Versuch (gleichfalls
mit Pilocarpin) mit negativem Erfolge sowol in Bezug auf die
Zahl der Leukocyten, als auf die Prognose. Rieder bemerkt
übrigens an dieser Stelle, dass es ihm noch gar nicht erwiesen
scheine, ob es überhaupt möglich sei, die Leukocytenzahl in Krank¬
heiten zu beeinflussen und ist geneigt, den von v. Jaksch an¬
geführten Fall als einen vielleicht zufälligen Befund hinzustellen.
Waldstein*) hat bei Diphtherie nach Pilokarpininjectionen Ver¬
mehrung speciell der Lymphocyten beobachtet und empfiehlt dieses
Mittel auch bei Pseudoleukämie, indem er sich von seiner Wirkung
die Vorstellung bildet, es errege die lymphatischen Apparate und
fördere den Uebertritt von Lymphocyten in den Kreislauf; so könne
es zum Abschwellen der Lymphdrüsentumoren kommen.
An unserer Klinik wurden seit Anfang 1892 in einer Anzahl
von Pneumoniefällen (nur einem kleinen Theile der Fälle) und
zwar sowol solchen, welche Mangel von Leukocytose aufwiesen,
als solchen mit Leukocytose die erwähnten Mittel gereicht und
durch sorgfältige Zählung der Einfluss auf die corpusculären Ele¬
mente des Blutes erhoben.
Ausser der Pneumonie wurden auch einige andere fieberhafte
Erkrankungen in die Untersuchungsreihe einbezogen, besonders
einzelne Fälle von Abdominaltyphus. Es geschah dies nicht allein
in der Absicht, bei letzterer Erkrankung, die ja regelmässig mit
Hypoleukocytose einhergeht, eine Leukocytose zu therapeutischen
Zwecken zu erzeugen, sondern besonders aus theoretischem Interesse.
') Horbaczewski, Wiener Akademieberichte 100. I1L April 1891.
-) Waldstein, Berliner klinische Wochenschrift 32. 368, 1896.
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46
Dr. Karl Pichler.
Verwendet wurde, wie aus den Tabellen hervorgeht Pilocarpin (als
salzsaures Salz) in Form von subcutanen Injectionen und Nuclein
intern, nach Horbaczewski's Angaben von Apotheker G. Hdl inTroppau
in Pastillenform zu 025 und 05 g hergestellt; in wenigen Fällen
kamen auch subcutane Antipyrininjectionen in Anwendung
Bezüglich der Zeit der Versuche in Beziehung zu den täg¬
lichen Mahlzeiten sei bemerkt, dass bei den Schwerkranken, um
die es sich hier handelte, aus Gründen der Humanität von einem
längeren Fasten nicht die Rede sein konnte. In Uebereinstimmung
mit Rieder *) konnten wir bei der Art der Ernährung einen etwaigen
Einfluss der Verdauung auf die erhaltenen Zahlen von der Hand
weisen. Stets wurde gleichzeitig mit der Zahl der weissen auch
die der rothen Blutzellen ermittelt, damit so eine etwa durch
„ Plamabe wegung u eingetretene, dann natürlich gleichsinnige
Aenderung der Zahl der Blutelemente erkannt werden könne. Dass
solche Aenderungen bei verschiedenen Versuchsbedingungen nicht
nur beim Thiere, sondern auch beim Menschen Vorkommen, ist be¬
kanntlich durch eine Reihe von Forschern erwiesen worden.
Untersucht wurden 24 Fälle von Pneumonie mit 41 Einzel¬
untersuchungen (siehe Tabellen I. und II.); und zwar wurde 22 mal
Pilocarpin angewendet, 18 mal Nuclein, 1 mal Antipyrin. Ferner
12 Fälle von Abdominaltyphus mit 15 Einzeluntersuchungen; und
zwar gelangten zur Anwendung 6 mal Pilocarpin, 8 mal Nuclein,
1 mal Antipyrin, (siehe Tabellen HI und IV). Endlich wurden
noch bei einigen anderen theils fieberhaften, theils fieberlosen Krank¬
heitsfällen (im Ganzen 8) 14 Einzeluntersuchungen ausgefükrt
(6 mal mit Pilocarpin, 2 mal mit Nuclein, 1 mal mit Antipyrin;
siehe hierüber Tabelle V).
Um dies gleich vorher zu erledigen, sei bemerkt, dass ungünstige
Nebenerscheinungen, wie solche besonders beim Pilocarpin etwa
zu erwarten gewesen wären, nicht zur Beobachtung gelangten.
Es wurde dieses (als salzsaures Salz) nur in der Dosis von
001 g subcutan angewendet. In den Fällen, welche tödtlich
endeten (siehe Tabelle III) war eine etwaige Intoxication jedesmal
auf das Bestimmteste auszuschliessen; es handelte sich eben um
auch sonst verlorene Fälle.
Von den Pneumonien waren 4, wie die klinische Untersuchung
und in einem Falle die Obduction ergab, lobulär, nämlich Fall 9,
Tab. I und Fall 8, 9, 10 Tab. II, die übrigen lobäre (croupöse);
>) Rieder (1. c.) S. 110.
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Original frum
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Ueber den Einfluss des Pilocarpin etc.
47
ein Fall (8, Tab. I, 6 Tab. II) war eine lobäre mit Ausgang in
Schrumpfung und fieberlosem Verlaufe. In keinem dieser Fälle be¬
stand eine stärkere Leukocytose, einmal (Fall 8, Tab. II) sogar
Hypoleukocytose; dieser Fall stellte möglicherweise einen Abdominal¬
typhus vor; in dem 4. Falle liess sich vorübergehend durch Nuclein
eine beträchtliche Leukocytose erzielen, welche überhaupt den
höchsterreichten Grad der relativen Steigerung der Leukocyten-
zahl darstellt.
Die tödtlich endenden Fälle von croupöser Pneumonie, welche
vom Beginne der Erkrankung an beobachtet worden waren, Hessen
einigemal (z. B. Fall 2, Tab. I) das Absinken der Leukocytenzahl
gegen das Ende der Erkrankung hin deutlich zu Tage treten.
Manchmal erfolgte der Tod aber auch bei hoher Zahl der Leukocyten
(Fall 11 Tab. I).
Sowohl durch Pilocarpin, als auch durch Nuclein gelang es
häufig, aber keineswegs regelmässig, die Leukocytenzahl zu erhöhen
und zwar sowol von normalen oder subnormalen Werthen, als von
erhöhten Zahlen aus; indessen erreichten die Zahlen nur ausnahms¬
weise hohe Werthe. Der einzige, mit Antipyrin angestellte Versuch
(Fall 4, Tab. I) ergab ein Absinken der Leukocytenzahl.
Wie die spontan, d. h. unbeeinflusst entstandene, so verbürgte
auch die durch unsere Mittel erzeugte Leukocytose keineswegs
einen günstigen Ablauf der Erkrankung.
Ab und zu sank auch nach Einverleibung der Mittel die Zahl
der Leukocyten, und zwar von Plasmabewegung nicht abhängig,
wie die Zählung der Erythrocyten bewies.
In keinem Falle gewann man den Eindruck, einen hervor¬
ragenden Einfluss auf den Gang der Erkrankung geübt zu haben.
Ueberblicken wir die bei Abdominaltyphus angestellten 15
Untersuchungen, so ergibt sich, dass es nur ausnahmsweise (z. B.
Fall 4, Tab. IV) und auch dann nicht jederzeit gelingt, durch die
gedachten Mittel eine künstliche Leukocytose zu erzielen. Ueber
Antipyrin steht uns wie bei Pneumonie nur eine Beobachtung zur
Verfügung.
Von zwei Fällen von Cerebrospinalmeningitis mit günstigem
Ausgange J ) (Tab. V Fall 1 und 2) zeigte der eine nach Pilocarpin
eine leichte Abnahme der Leukocytenzahl, die wol innerhalb der
Fehlergrenzen liegen könnte, der zweite eine bis 33% gehende
Steigerung bei in beiden Fällen schon spontaner Leukocytose.
Eine ansehnliche Steigerung wies noch auf (Fall 3, Tab. V)
J ) Siehe Presser, Prager medic. Wochenschrift 17, 475, 1892.
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48
Dr. Karl Pichler.
eine seröse Pleuritis (Fall 6, 7, 8 Tab, V). In drei Fällen von
chronischer Nephritis wurde durch Pilocarpin eine meist nur mässige
Leukocytose verursacht
Alles zusammengenommen lässt sich also aussagen, dass die
angehoffte Leukocytenvermehrung bei Pneumonie nur in einem
Theile der Fälle beobachtet wurde und dass auch in diesen ein
wesentlicher therapeutischer Erfolg nicht ersichtlich war. Vielleicht
gelingt es indessen auf diesem Wege mit andern Mitteln das er¬
strebte Ziel zu erreichen.
Das Verfahren erscheint jedenfalls weiterer Prüfung werth.
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(Aus dem Institute für allgemeine Pathologie in Innsbruck.)
ÜBER ZOOID- UND ÖKOIDBILDUNG IN DEN
ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN UND IHRE BEZIEHUNG
ZUR THROMBOSE.
Yon
Drd. med. EDMUND SCHERER,
Ami«tonten am In«titato.
In einer in Ziegler's Beiträgen zur pathologischen Anatomie
und zur allgemeinen Pathologie erschienenen Arbeit vertritt Wlassow')
die Anschauung, dass sowol die intra- als auch extravasculäre
Gerinnung vorwiegend bedingt wird durch einen eigenartigen Zer¬
fall der rothen Blutkörperchen, welcher hauptsächlich darin besteht,
dass aus denselben Scheibchen und Körnchen austreten, von denen
die ersteren circa der Grösse eines rothen Blutkörperchens be¬
sitzen; von den rothen Blutkörperchen selbst bleiben nach Wlassow
meist nur Schatten zurück. Diese „Desorganisation“ wird als
Erythroschisis und Erythrolysis bezeichnet, während die oben er¬
wähnten von den Erythrocyten abstammenden Scheibchen als Blut¬
plättchen angesprochen werden.
Die Versuche, welche zur Aufstellung dieser mit sämmtlichen
Untersuchungen über Blutgerinnung und Thrombose im Wider¬
spruch stehenden Theorie führten, wurden ausschliesslich an Warm¬
blütern und zwar Bernden und Kaninchen, sowie am eigenen Blute
vorgenommen. I« grossen Gefässen (Carotis) der genannten Thiere
wurde entweder durch Umschnürung, Quetschung, Schnitt oder durch
chemische Einwirkung (Krystalle von Calciumchlorid oder Salpeter-
*) Wlassow, Untersuchungen über die histolog. Vorgänge bei der Oerinnung
und Thrombose mit besonderer Berücksichtigung der Blutplättohen. Zieglers Bei¬
träge Bd. XV. Heft 3, pag. 648.
Zeitschrift 10t Heilkunde. XVH.
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Drd. med. Edmund Scherer.
säure) intravasale Thrombose erzeugt, während extravasale Blut¬
gerinnung durch Schlagen des Blutes mit Seidenfäden oder Celloidin-
stäbchen ausgelöst wurde; die gewonnenen Gerinnsel wurden dann
histologisch nach folgenden Methoden untersucht: Die Präparate
wurden in concentrierter Lösung von Sublimat oder in einer Mischung
von gleichen Theilen einer concentrierten Sublimatlösung und einer
5 °/ 0 Lösung von doppelt chromsaurem Kali (Nikiforoff x ) gehärtet;
bei letzterer Flüssigkeit kam die Härtung bei Zimmertemperatur
innerhalb 3—5 Stunden zu Stande je nach der Grösse des Gefäss-
stückes. Die Stücke wurden nach den verschiedenen Färbemethoden,
vornehmlich nach der Weigert’&chen Fibrinfärbungsmethode be¬
handelt, wobei sie mit Alaunkarmin vorgefärbt wurden; ausserdem
wurden auch Doppelfärbungen mit Eosin-Hämatoxylin vorgenommen.
Bei der Untersuchung des extravasal durch Schlagen mit
Celloidinstäbchen geronnenen Blutes erhielt Wlassow folgendes
Bild*): „Auf dem Stäbchen haftet immer eine Schicht rother Blut¬
körperchen, welche in sogenannte Schatten und in eine feinkörnige
Masse zerfallen sind; gleichzeitig mit dem Zerfall sah ich eine
ganz eigenartige Desorganisation derselben: die rothen Blut¬
körperchen sind vergrössert in ein hämoglobinloses, blasses, proto-
plasmatisches Stroma und in farblose Körner, die sich mit Gentiana
blau violett färben, zerfallen. Die Gruppierung der Körner im
Innern des ungefärbten Stromas ist sehr verschieden, indem sie
bald mehr central, bald peripher, bald ganz unregelmässig ein¬
gelagert sind. Sie können auch aus den Blutkörperchen heraus¬
getreten sein, so dass sie nunmehr in deren Nachbarschaft
liegen . . . Blutplättchen und freie blauviolette Körner sind nur
in sehr geringer Zahl vorhanden.“ Ausserdem wurden spärliche
Fibrinfäden und Leukocyten gefunden, letztere ohne bemerkbare
morphologische Veränderungen.
Aehnliche Resultate erhielt Wlassow beim Studium des Baues
wemser Thromben 8 ), die auf die früher beschriebene Weise ent¬
standen waren: „Die ganze thrombotische Masse, welche sich auf
der Oberfläche eines mechanisch verletzten Gefässes bildet, besteht
hauptsächlich aus einer feinkörnigen, schollenartig aufgelagerten
Masse. In dieser feinkörnigen Masse finden sich vereinzelte kleine,
kreisrunde Gebilde vor. Auf der Randzone sind dieselben zahl¬
reicher und grösser, einige von ihnen erreichen der Grösse
eines normalen rothen Blutkörperchens“. Die kleinen Körnchen
*) 1. c. pag. 546.
2 ) 1. c. pag. 546.
*) 1. c. pag. 547.
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Uober Zooid- und Oekoidbilduog in den rothen Blutkörperchen et<} 51
enthalten oft Hämoglobin. Die Blutplättchen in den Thromben
sind nicht in eine Masse zusammen geflossen, sondern nur neben¬
einander gelagert; auch erscheinen sie in den Bandpartien zahl¬
reicher, ebenso wie bei älteren Thromben die Leukocyten in
grösserer Menge vorhanden sind.
Ein höchst eigenthflmliches Bild geben nach Wlassow die ganz
frischen Thromben, die nach Gefässverletzungen durch Quetschung
mit einer Pincette entstehen 1 ): „Diese Präparate zeigen, dass die
ganz frisch gebildeten Thromben, resp. die am wenigsten veränderten
unter denselben aus zwei Formelementen bestehen, aus rothen Blut¬
körperchen und aus kleinen, kreisrunden, körnigen, durch Gentiana
blauviolett sich färbenden Scheibchen, die zwischen den rothen
Blutkörperchen in strenger Ordnung vertheilt sind. . . .
Eben dieselben Resultate erhielt Wlassow bei Anwendung
chemischer Beagentien, so z. B. von krystallinischem Chlorcalcium
oder rauchender Salpetersäure auf die Gefässwand.
Den histologischen Bau der intravasculären Gerinnsel studierte
Wlassow sowol an thrombosierten Gefässen mit freier Circulation,
als auch nach doppelter Unterbindung derselben. Hierbei finden
sich ähnlich wie beim extravasculären Gerinnsel zweierlei Fibrin¬
fäden: Einfache, lange, homogene, die aus dem Plasma ausgeschieden
wurden, und complicierte, meist kurze Gebilde von verschiedener
Dicke, Gestalt und Form, welche aus Blutplättchen oder aus Körn¬
chen bestehen, als Produkte desorganisierter, rother Blutkörperchen
aufgefasst werden und durch Fibrin vereinigt erscheinen. Wlassow
kommt mithin zu folgendem Resultate 9 ): „Die Ergebnisse der Ver¬
suche Aber extravasculäre Gerinnung des Blutes und der intravasalen
Thrombose zusammenfassend, komme ich zur Schlussfolgerung,
dass bei dem einen und dem anderen Processe die rothen Blut-
v körperchen die wesentlichste Bolle spielen. Zunächst bleiben die
rothen Blutkörperchen beim Schlagen des Blutes an dem Fremd¬
körper haften. Sie conglutinieren'auch an der mechanisch verletzten
Oberfläche des Gefässes im strömenden Blute und bleiben selbst
an der glatten durch Chemikalien veränderten Intima vermöge ihrer
Viscosität kleben. Unter dem Einflüsse der Insulte, welche sie
hierbei erleiden, tritt eine Desorganisation und ein Zerfall zahl¬
reicher rother Blutkörperchen ein. Alles weist darauf hin, dass
die rothen Blutkörperchen wenigstens zumTheil im höchsten Grad
hinfällige und labile Gebilde sind.“
J ) 1. c. pag. 648.
*) 1. c. pag. 661.
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Drd. med. Edmund Scherer.
Ausser diesen Versuchen stellte Wlassow Beobachtungen an
möglichst frischem Blute in Vaselin- und Parafin-Vaselin-Kammern
an und konnte sich einige Male vom Austreten von Körnchen
aus den rothen Blutkörperchen überzeugen; diese Körnchen werden
als nucleoalbumine Bestandteile angesprochen, ohne dass nähere
Beweise für diese Auffassung mitgetheilt werden. Diese nucleoal-
buminen Körper sollen die Blutplättchen darstellen.
Diese Ergebnisse forderten schon deshalb zur Nachprüfung
auf, weil bei den zahlreichen von den verschiedenen Autoren über
die Betheiligung der körperlichen Elemente des Blutes am Ge-
rinnungsprocesse angestellten Untersuchungen analoge Befunde an
den Erythrocyten nicht gemacht wurden. Zwar hat bereits A.
Schmidt 1 ) eine Beeinflussung des Gerinnungsvorganges durch die
rothen Blutkörperchen festgestellt, indem auch diese Gebilde, wie
alle protoplasmatischen Elemente überhaupt, befördernd auf den
Gerinnungsprocess einwirken können. Indessen stehen nach der
bisherigen Auffassung diese von den Erythrocyten ausgehenden
gerinnungsbefördernden Momente an Bedeutung wesentlich nach
jenen bei der Blutgerinnung im Blutplasma selbst sich abspielenden,
oder durch die Wechselwirkung zwischen Blutplasma und Leuko-
cyten bedingten Veränderungen, welche zwar noch nicht allseitig
geklärt erscheinen, die aber doch durch die neuen Arbeiten von
A. Schmidt , Wooldridge, Pekdharing, Halliburton und Anderen im
Vordergründe des Interesses stehen.
Es liegen auch nur vereinzelte Angaben in der Literatur vor,
denen zu Folge den rothen Blutkörperchen eine wesentliche Rolle
bei der intravasalen Thrombose zufällt. Hieher gehören die Be¬
funde von Welti *), nach welchen bei Hautverbrennungen aus den
rothen Blutkörperchen Körnchen und Scheibchen austreten, welche
theils Zerfallsprodukte, theils Blutplättchen darstellen und zur
Thrombose Veranlassung geben können, die bei Hautverbrennungen
auch meist die Todesursache darstellen soll. Hieher gehört ferner
die Angabe von Heine 6 ), dass Substanzen, die auf die rothen Blut¬
körperchen zerstörend ein wirken, Thromben hervorrufen können; seine
Beobachtungen beziehen sich besonders auf concentrirte Salzlösungen.
^ A. Schmidt: Ueber die Beziehung der Faserstoflgerinnung zu den körper-
ichen Elementen des Blutes. Pflüger’s Archiv, Bd. 11. Zur Blutlehre. Leipzig
1892. pag. 72.
*) Welti: Ueber die Todesursache bei Hautverbrennungen. Ziegler’s Beiträge,
Bd. IV, Heft XHL
*) Heim: Arbeiten aus dem pharm. Inst. d. Univ. Breslau. Virchow's
Archiv, Bd. 122.
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Ueber Zooid- and Oekoidbildung in den rothen Blutkörperchen etc. 53
Die früher erwähnten von Wlassow beschriebenen Bilder, be¬
sonders aber jene Veränderungen an den rothen Blutkörperchen
des möglichst frischen durch mechanische Gefässverletzung er¬
zeugten Thrombus 1 ) erinnern an jene von Brücke *) zuerst be¬
schriebene und von ihm als Zooid und Oekoid bezeichnete
Spaltung der rothen Blutkörperchen, die er im Jahre 1867 am
Blute des Triton nach Einwirkung 2 °/o Borsäure schilderte. Ueber
die innere Ursache dieser Spaltung spricht sich Brücke nur im
negativen Sinne aus, indem er active Contraction des Protoplasma
dabei ausschliessen zu können glaubt.
Entgegen dieser Anschauung bezeichnet Fdber 9 ) diesen Vor¬
gang als eine active Contraction; auch die von Bollett 4 ) nach der
Einwirkung verschiedener Reize hervorgerufenen und als Rosetten-
Maulbeer-Stechapfel-Form, gefärbte Kugel, Schatten bezeichneten
Veränderungen der rothen Blutkörperchen werden auf active Con-
tractilität zurückgeführt. Das Oekoid deutet Fdber als farbloses
Stroma, in dem sich gewissermassen imbibirtes farbstofftragendes
Protoplasma befindet: das Zooid.
Nach Kottmann 6 ) bestehen die rothen Blutkörperchen aus einem
Netz von Eiweissfäden, dem Stroma (Zooid), und einer glashellen
elastischen Membran, die erst nach Entfernung des Farbstoffes
sichtbar wird. (Oekoid.)
Braxton Hicks # ) erhält Zooid und Oekoid aus dem Blute von
Ovarial-Cysten und Menstrualblut des Menschen; auch in seröse
Blasen der Hand eingetragenes Blut zeigte diese Veränderung.
WecU 7 ) beobachtete nach Einwirkung von Pyrogallusäure
Zooid und Oekoid.
Böttcher 9 ) beschrieb die Wirkung des Alkohols auf das Blut;
er liess denselben entweder in bedeutendem Ueberschusse (50 faches
*) 1. c. pag. 548.
*) Brücke: Ueber den Bau der rothen Blutkörperchen. Sitz.-Ber. d. kais.
Acad. d. Wissensch., Bd. 66, U. Abth. 1867.
*) Faber: Ueber die Natur der rothen Blutkörperchen. Archiv der Heil¬
kunde XIV. Nachtrag zu obigem Aufsatze. Ebendaselbst pg. 666.
4 ) RoUett: Sitzungsbericht d. kais. Academie d. Wissenschaften. Bd. 46,47,60.
6 ) Eollmann: Bau der rothen Blutkörperchen. Zeitschrift für wissensch.
Zoologie. Bd. XXIII.; ferner: Ueber den Einfluss des Wassers auf die rothen
Blutkörperchen des Frosches. Münchner Academie 1873, Heft III.
*) Braxton Hicks: Observations on pathological changes in the red blood
corpnscles. Quart journal of mior. Science VoL XII.
7 ) Wedl: Histol. Mittheil. Nr. 4 Sitz.-Beriohte d. kais. Acad. d. Wissen¬
schaften, Bd. 64, L
*) Böttcher: Neue Untersuchungen über die rothen Blutkörperchen. Memoires
de l’acad. imper. d. Sciences de St. Petersbourg VH.
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Drd. med. Edmund Scherer.
Volumen) oder unter dem Deckglase durch Zusatz eines Tropfens
einwirken. Die meisten Blutkörperchen erhalten sich als homogene
scharf conturierte Scheibchen, während jedoch bei einigen Bildungen
auftreten, die dem Zooid ähnlich sind.
Rindfleisch 1 ) erhielt durch Anilinblau, Böttcher *) und Roberts 8 )
mittelst Gerbsäure Zooidbildung; Kollmann 4 ) bezeichnet Tannin¬
lösungen (0*2—0 5 °/o) als besonders sicheres Mittel zur Abspaltung
des Zooid. Auch Stricker *) erhielt ähnliche Bilder an den Blut¬
körperchen des Frosches mit Wasser und Kohlensäure; an den
Blutkörperchen des Menschen gelang es ihm einmal und nicht
wieder das Zusammenballen des Zooids zu beobachten.
Rollett e ) erhielt mittelst Chlornatrium, Magnesiumsulphat, Chlor,
Jod und Brom und durch elektrische Beize beim Frosch- und
Tritonenblut das Zooid, Laptschinsky 7 ) beim Menschen mit Gerb¬
säure. Endlich konstatierte Meiseis 9 ), dass bei Vertretern sämmt-
licher Wirbelthierclassen die Spaltung der rothen Blutkörperchen
mit Borsäure in Zooid und Oekoid möglich ist; beim Menschen und
Meerschweinchen wurde concentrierte, sonst 2 °/ 0 Borsäure verwendet.
Es ist zu bemerken, dass bei den Säugethieren im Winter diese
Spaltung nur bei Anwendung des heizbaren Objekttisches gelang.
Aus dem über das Zooid aus der Literatur Mitgetheilten geht
hervor, dass eine Beihe von Substanzen im Stande ist, die rothen
Blutkörperchen in der bewussten Weise zu verändern; es ist jedoch,
wie zum Theil schon aus der Literatur ersichtlich ist und wie ich
mich auch selbst überzeugt habe, die Wirkung der meisten Beagentien
nur sehr unsicher, wenigstens dem Blute des Menschen gegenüber.
So sieht man bei Einwirkung des Alkohols meist nur einige
wenige in Oekoid und Zooid gespaltene Blutkörperchen; auch Bor¬
säure ruft nach Meiseis •) im Winter nur bei gleichzeitiger Er¬
wärmung Zooid hervor; ebenso wirkt Tannin, das von Kollmann 10 )
*) Experimentalstudien über die Histologie des Blotes. Leipzig 1868.
*) 1. c.
*) Roberts Quart-Journal of. mioroscop. Science 1868.
*) 1. o.
*) Stricker: Arohiv für die gesammte Physiologie, 1868.
") 1. c.
') Laptschinsky: Ueber das Verhalten der rothen Blutkörperchen zn einigen
Tinctionsmitteln und Gerbsäure. Sitz.-Berioht d. kais. Acad. d. Wissensch.
68. Bd., III. Abth.
®) Meiseis: Studium über das Zooid und Oekoid bei verschiedenen Wirbel¬
thier-Abtheil. Sitz.-Bericht d. kais. Acad. d. Wissensch., Bd. 84, Abth. IQ.
») 1, c.
1# ) 1. c.
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Ueber Zooid- und Oekoidbildong in den rothen Blutkörperchen etc. 55
als äusserst sicheres Mittel erwähnt wird, nur unsicher; wahr¬
scheinlich bezieht sich die Angabe Kollmanns auf kernhaltige
Blutkörperchen, bei denen überhaupt diese Spaltung schon bei
verhältnismässig geringen Concentrationen des Reagens eintritt.
Ein Reagens, das ich auch dem Blute der Säugethiere gegen¬
über als sicher wirkend fand, ist die Chromsäure in 0-2—1 °/ 0
Lösungen. Ich verfuhr in der Weise, dass ich einen sehr kleinen
Bluttropfen auf den Objektträger gab, sofort zudeckte und nun vom
Rande her, eventuell von zwei gegenüberliegenden Seiten Chrom¬
säure zufliessen liess; sofort sind nun bei Durchmusterung des
Präparates in den Randpartien desselben zahlreiche Spaltungen
der rothen Blutkörperchen wahrzunehmen; man sieht am Rande
der blassen, haemoglobinlosen, scharf conturirten, vergrösserten
Blutkörperchen hellglänzende, gelblich gefärbte Scheibchen, circa
Vs der Grösse eines rothen Blutkörperchens aufsitzen oder einen
Theil des Randes einnehmen. Ausser diesen typischen Spaltungen
in Zooid und Oekoid findet man meist mehr gegen die Mitte des Prä¬
parates zu Veränderungen, die nur in quantitativer Beziehung vom zu¬
erst geschilderten Bilde abweichen; statt des einen Zooids befinden sich
im blassen, scharf conturirten Blutkörperchen mehrere hellglänzende,
leicht gelblich gefärbte Körnchen, die, abgesehen von der Grösse,
dasselbe Aussehen haben, wie das früher beschriebene Zooid.
Ausserdem kommen Formen mit 2 und 3 dem Zooid entsprechenden
Gebilden vor; dies ist fast ausnahmslos der Fall bei Anwendung
von l°/ 0 Chromsäure. Gegen die Mitte des Präparates zu sieht
man fast nur mehr blasse, haemoglobinlose, scharf conturirte,
vergrösserte Blutkörperchen ohne irgend welche Körnchen, die ich
der Kürze halber als Schatten bezeichne, wenn auch ihr Aussehen
in Folge ihrer scharfen Conturierang nicht vollständig mit den von
RoUett *) als Schatten bezeichnten Gebilden übereinstimmt Vom
Rande gegen die Mitte zu sind demnach alle Abstufungen vom typi¬
schen Zooid und Oekoid bis zum Schatten im Präparät zu verfolgen.
Wie bereits erwähnt wurde sind die Blutkörperchen nach
Behandlung mit Chromsäure (0-2—1 °/ 0 ) fast durchwegs vergrössert;
es ist jedoch zu bemerken, dass jener Theil des gespaltenen Blut¬
körperchens, den Brücke als Oekoid bezeichnet hat, sogar gegenüber
einem normalen rothen Blutkörperchen verkleinert sein kann; dies
ist stets der Fall sobald das Zooid sehr gross ist, so dass es weit
über den Rand des Blutkörperchens hinausragt. Besonders deutlich
ist die Vergrösserung bei jenen Formen, bei welchen nur Körnchen,
>) 1. c.
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Drd. med. Edmund Scherer.
also kein einheitliches Zooid durch die Einwirkung der Chrom-
säure entstanden ist
Es gelingt nicht schwer das Entstehen resp. Sichtbarwerden
des Zooids unter dem Mikroskope zu verfolgen, besonders wenn
man vor dem Zusatze der Chromsäure das Blut (auf dem Objekt¬
träger mit dem Deckglase zugedeckt) auf 60—80° erwärmt, wobei
das Präparat vor Verdunstung geschätzt werden muss. Durch das
Erwärmen sowie u. a. durch Zusatz von 2 °/ 0 Borsäure wird ein
Theil der rothen Blutkörperchen fixiert und nun werden dieselben
beim Chromsäure-Zusatz nicht mehr vorbeigeschwemmt, sondern
an Ort und Stelle in Zooid und Oekoid gespalten. Sämmtliche
Beobachtungen stellte ich stets am Blute des Menschen an und rief
das Zooid stets mittelst 02°/ 0 Chromsäure hervor; ich habe mich
jedoch auch überzeugt, dass es leicht gelingt an den Blutkörperchen
der Maus und des Kaninchens das Zooid mit 0*2 °/ 0 Chromsäure
hervorzurufen, ohne jedoch weitere mikrochemische Reaktionen bei
diesen beiden Blutarten anzustellen.
Beobachtet man nach der früher beschriebenen Weise die Ver¬
änderungen, die mit den rothen Blutkörperchen nach Zusatz der
Chromsäure vor sich gehen, so fällt zunächst auf, dass sie ihre Delle
verlieren; die Blutkörperchen blassen etwas ab und bald darauf
erscheint in dem immer noch farbstoffhaltigen Blutkörperchen eine
Partie des Randes stärker lichtbrechend, also glänzender und heller;
dieser Theil des Randes ist vollständig homogen, etwas gelblich
gefärbt und entspricht in seiner Form schon von Anfang an dem
daraus entstehenden sogenannten Zooid. Zugleich mit dieser
Differenzirung eines Randtheiles ist die für das Oekoid charakte¬
ristische scharfe Conturierung des ganzen Randes aufgetreten,
wobei oft der Eindruck eines doppelten Contours entsteht In
ganz analoger Weise entstehen die anderen Formen, die schatten¬
artigen mit den glänzenden Körnchen, so wie die Formen
mit 2 und 3 Zooiden. Ein Zusammenflüssen der Körnchen zu
einer einheitlichen Masse, sowie ein Zusammenballen des Zooids
wie es Brücke J 1 ) beim Blute des Triton gesehen und ich selbst
beim Frosche mehrmals beobachtet habe, sah ich bei den Blut¬
körperchen des Menschen nie.
Die auf die anfangs beschriebene Weise entstandenen Spal¬
tungen in Zooid und Oekoid sind meist ziemlich gut, theils am
Deckglas, theils am Objektträger fixiert und es lassen sich nun
leicht Färbungen, sowie mikrochemische Reaktionen vornehmen.
») 1. c.
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Ueber Zooid- und Oekoidbildnng in den rothen Blutkörperchen etc. 57
Bei Färbungen ist es von Vortheil, nach vorsichtigem Durchspülen
von destilliertem Wasser das Präparat für kurze Zeit in Alkohol
zu legen, da dann die Fixation noch sicherer ist. Bei der Vornahme
mikrochemischer Reaktionen handelte es sich hauptsächlich darum,
zu untersuchen, ob mikrochemische Unterschiede bestehen zwischen
dem Zooid und anderen Blutbestandtheilen.
Sehr leicht löslich ist das Zooid in 0'7°/ o Kochsalzlösung:
schon nach dem Durchspülen einiger Tropfen unter dem Deckglas
quellen Zooid und Oekoid sehr stark auf bis auf die doppelte Grösse
des ursprünglichen Durchmessers; zugleich blassen Zooid und Oekoid
der Art ah, das fast nichts mehr davon zu sehen ist; lässt man nun
Chromsäure zufliessen, so treten wie mit einem Schlage die Conturen
des Oekoids wieder auf, während das Zooid verschwunden bleibt,
also gelöst ist. Um vollständige Lösung des Zooids zu erzielen,
muss man meist mindestens 4 Tropfen der Kochsalzlösung unter
dem Deckglase durchziehen; setzt man schon nach dem Durch¬
ziehen eines Tropfens der Kochsalzlösung Chromsäure zu, so er¬
scheint nicht nur das Oekoid, sondern auch das Zooid: es war also
nur gequollen, nicht gelöst; man kann so alle Stadien bis zur
Lösung des Zooids beobachten. Es ist hier jedoch zu bemerken,
dass diese Reaktion nicht immer gelingt, ohne dass der Grund
dafür stets aufgefunden werden kann; vor allem ist nöthig, dass
die Kochsalzlösung rein sei: so trat, als einst irrthümlicher Weise
Quellwasser zur Herstellung verwendet wurde, keine Lösung auf,
ebenso bei Anwendung alter möglicher Weise verunreinigter oder
stärker concentrierter Lösungen.
Ausserdem ist das Zooid löslich in stark verdünnter Schwefel¬
säure, 20°/o Essigsäure und in Alkalien; durch letztere wird zu¬
gleich die Fixation der rothen Blutkörperchen gelöst. Das Oekoid
quillt bei Zusatz der genannten Reagentien ebenfalls stark auf,
wird jedoch nicht gelöst, wohl aber erscheint oft bei nachherigem
Zusatz der Chromsäure der Rand stark ausgefressen. Besonders
schnell findet die Lösung des Zooids in Essigsäure statt
Das durch Zusatz der genannten Reagentien zuerst aufgequollene
und später gelöste Zooid wird im Stadium der Quellung gefällt
durch folgende Substanzen: nicht zu verdünnte Mineralsäuren,
Lösungen von Metallsalzen (Sublimat, schwefelsaures Kupfer),
Ferrocyankalium, concentrierte Neutralsalzlösungen (Kochsalz,
schwefelsaures Ammonium und Bittersalz), Alkohol, Kalium-
quecksilberjodid, Pikrinsäure. Sämmtliche genannte Reagentien sind
für die Fällung der Eiweisskörper charakteristisch. Ausserdem
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Drd. med. Edmund Scherer.
gibt das Zooid folgende Eiweiss-Farbenreaktion: J ) Wird nach
der Chromsäure - Behandlung das Deckglas abgewaschen, kurz in
Alkohol gelegt nnd für eine Stunde in eine verdünnte Lösung
von Ferrocyankalium gegeben, hierauf in Alkohol sehr gut ab¬
gewaschen und nun in verdünnte Eisenchloridlösung gelegt, so er¬
scheint das Zooid deutlich blau gefärbt.
Ich habe auch die von Lilienfeld 5 ) angegebene Phosphor¬
reaktion angestellt, ohne zu einer sichern Entscheidung darüber
gelangen zu können, ob das Zooid phosphorhältig ist
Bezüglich des Verhaltens gegen Farbstoffe ist zu bemerken,
dass das Zooid eine grosse Affinität zu den sauren Anilinfarben,
besonders zum Säurefuchsin und Eosin besitzt, doch tritt auch mit
Gentianaviolett eine sehr starke Färbung ein.
Bei Anwendung von Kernfarbstoffen (Haematoxylin, Methylgrün)
bleibt das Zooid ungefärbt. Mit dem Biondi-Ehrlich’sehen Gemisch
färbt es sich orange, während die typischen Blutplättchen deutlich
grün erscheinen, also den Kernfarbstoff aufgenommen haben, aller¬
dings mit viel geringerer Intensität als die Leukocytenkerne. Das
Oekoid bleibt stets ungefärbt, falls nicht dem Zooid ähnliche
Körnchen in demselben enthalten sind, die sich wie das Zooid
färben und so den Eindruck hervorrufen können, dass das Oekoid
gefärbt ist
Auf Grund dieser Befunde glaube ich das Zooid als einen
Eiweisskörper ansprechen zu dürfen, der schon durch seine gelbliche
Färbung und nach seinem Verhalten gegen saure Anilinfarben als
hämoglobinhaltig bezeichnet werden kann. Die vorgenommenen
mikrochemischen Eisenreactionen fielen negativ aus, doch gelingen
dieselben ja auch an den rothen Blutkörperchen nur unter be¬
sonderen Verhältnissen.
Es tritt nun die Frage heran, was es für ein Vorgang ist,
der die Spaltung der rothen Blutkörperchen in zwei Theile hervor¬
ruft? Alle Substanzen, die diese Spaltung bewirken, sind energische
Fällungsmittel der Eiweisskörper: so Alkohol, Chromsäure, Gerb¬
säure, Tannin u. s. w.; ich fasse daher den Vorgang als eine
Fällung gewisser in den rothen Blutkörperchen enthaltener Eiweiss¬
körper auf, die bei einer bestimmten Concentration des Reagens
stattfindet, und erblicke darin im Gegensätze zu Faber keinesfalls
einen activen Vorgang.
*) Das Mikroskop u. s. w. von Behrens, Kossel and Schieferdecker. 1889.
Bd. I. pag. 266.
*) L. Lilienfeld nnd A. Monti: Ueber die mikrochemische Lokalisation des
Phosphors in den Geweben. Zeitschrift f. physiolog. Chemie. Bd. 17. pag. 410.
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Ueber Zooid- und Oekoidbildung in den rothen Blutkörperchen etc. 59
Ich glaube, dass auch die kleinen glänzenden Körnchen, die
im scharf konturierten, abgeblassten Blutkörperchen an gewissen
Stellen des Präparates enthalten sind, als gefälltes Eiweiss anzu¬
sehen, vom Zooid also nur quantitativ verschieden sind. Der Grund,
warum bei einem Theil der Blutkörperchen das gefällte Eiweiss
als ein grosses kugelförmiges Gebilde (Zooid), bei einem anderen
Theil in Form einer Körnung erscheint, dürfte wol hauptsächlich
in der Concentration des Beagens zu suchen sein, das in den
Randpartien das Präparates aus naheliegenden Gründen concen-
trirter als in der Mitte einwirken kann.
Ist die Spaltung der rothen Blutkörperchen in Zooid und
Oekoid in der That nichts anderes als eine Fällung eines Theiles
der Eiweisskörper der Blutkörperchen, so ist zu erwarten, dass
auch andere energische Fällungsmittel das Zooid hervorrufen.
Von diesem Gedanken ausgehend, untersuchte ich die Wirkung
von Sublimat auf die rothen Blutkörperchen: es zeigte sich, dass
l°/ 0 Lösungen thatsächlich geeignet sind, das Zooid hervorzurufen.
Auch die Nikiforo/fsche Mischung (conc. Sublimat und 5 # /o
doppeltchromsaures Kalium ana partes aequales) ruft das Zooid her¬
vor, allerdings erst in Verdünnungen, die einem Sublimatgehalt von
circa 0*8°/o entsprechen. Es ist noch zu bemerken, dass auch das
durch 1 °/o Sublimatlösung gebildete Zooid in 07 °/ 0 Kochsalz¬
lösung, Essigsäure, sowie in Aklalien löslich ist, im wesentlichen
also in seinem chemischen Verhalten mit dem durch Chromsäure
hervorgerufenen Zooid übereinstimmt.
In morphologischer Hinsicht unterscheidet sich das Zooid nach
Sublimat von dem nach Chromsäure dadurch, dass ersteres meist
fast vollständig über den Rand des Oekoids hinaus getreten ist,
während bei Anwendung von Chromsäure diejenigen Formen über¬
wiegen, bei denen das Zooid nur einen Theil des Randes einnimmt
Wahrscheinlich sind auch noch andere energische Fällungsmittel
der Eiweisskörper im Stande, die Blutkörperchen in Zooid und
Oekoid zu spalten, ich habe jedoch keine diesbezüglichen Unter¬
suchungen angestellt
Wem diese Bilder geläufig sind, der wird bei genauer Durch¬
sicht der Arbeit Wlassow's kaum daran zweifeln können, dass
Wlassow's Beschreibung der Desorganisation der rothen Blut¬
körperchen bei der Thrombose zum Theil mit der hier erwähnten
Spaltung in Zooid und Oekoid identisch ist. Da nun Wlassow die
in den rothen Blutkörperchen gebildeten, und manchmal aus ihnen
austretenden Scheibchen, die sich mit Gentiana blauviolett färben,
als Blutplättchen angesprochen hat, so möchte ich einzelne Unter-
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scheidungspunkte zwischen den Blutplättchen and dem Zooid fest¬
stellen.
Die Blutplättchen 1 ) stellen auch bei Benützung der früher
erwähnten Reagentien zarte, blasse Scheiben von sehr wechselnder
Grösse dar; sie sind durch einen charakteristischen, matten Glanz
ausgezeichnet, der sie abgesehen von der differenten Grösse leicht
von den ausgewaschenen Stromata rother Blutkörperchen unter¬
scheiden lässt Den Blutplättchen kommt niemals ein gelber
Farbenton zu, wie das bei den Zerfallsprodukten der rothen Blut¬
körperchen meist der Fall ist. Die Blutplättchen bestehen, wenn
nicht besondere Vorsichtsmassregeln angewendet werden (Hintan¬
haltung der Fermententwicklung) aus zweierlei Substanzen, von
denen die eine körnig, die andere homogen ist; nur erstere nimmt
Farbstoffe in intensiver Weise auf. Oft findet man Plättchen, die
scharf umgrenzte, kreisrunde oder ovale Gebilde darstellen, die
ausschliesslich aus körniger Substanz bestehen. Die homogene
Substanz ist in 10 °/ 0 Kochsalzlösung, verdünnten Säuren und in
Alkalien löslich; in Alkalien wird auch die körnige Substanz auf¬
gelöst. In Wasser quellen die Blutplättchen zu einer Blase auf,
in concentrierten Salzlösungen schrumpfen dieselben und bekommen
ein starkes Lichtbrechungsvermögen. Alle diese Charaktere sind
bereits von Löwit festgestellt worden.
In Beziehung auf Farbstoffe verhalten sich die Blutplättchen
ziemlich indifferent, sie färben sich mit den meisten Farbstoffen
nur schwach. Mit dem Biondi-Ehrlich 'sehen Gemisch färben sich
die Plättchen grün, jedoch nur mit einem sehr schwachen Farbenton,
zeigen also im Gegensatz zum Zooid eine Affinität zum basischen
Farbstoffe. Mit den früher erwähnten sauren Anilinfarben fingieren
sich die Blutplättchen gar nicht, während das Zooid gerade eine
besondere Affinität zu denselben besitzt; andere Farbstoffe wie
Hämatoxylin, Carmin, Pikrocarmin, nehmen sie schwer auf. *)
Mit Gentiana nach der Weigert 'sehen Fibrinfärbemethode färben
sich die Blutplättchen intensiv violett, jedoch nur dann, wenn mit
dem Anilinöl schwach entfärbt wird.
Ebenso grosse Unterschiede zwischen dem Zooid und den
Blutplättchen herrschen in morphologischer Beziehung: vor allem
ist ersteres in der Regel mit dem Oekoid in Verbindung, meist
*) Löwit: Beiträge zur Lehre von der Blutgerinnung 11. Mittheilnng. Sitz.*
Bericht d. kais. Akad. d. Wissenschaften. Bd. 90, III. Abth.
*) Hlava: Die Beziehung der Blutplättchen Bizzozeros zur Blutgerinnung
und Thrombose. Archiv f. exper. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 17. 18$3.
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Ueber Zooid- und Oekoidbildnng in den rothen Blutkörperchen etc. Gl
grösser als die Blutplättchen und in Folge seines Haemoglobin-
gehaltes gelblich gefärbt.
Im chemischen Verhalten beider Gebilde herrschen wol Ärm¬
lichkeiten, es ist jedoch leicht eine sichere Unterscheidung auch
in dieser Beziehung durchzufiibren: Das Zooid ist schon in O7°/ 0
Kochsalzlösung löslich, und zwar löst es sich in dieser, sowie in
verdünnten Säuren und Alkalien vollständig auf. Bei den Blut¬
plättchen löst sich erst in 10 °/ 0 Kochsalzlösung und in verdünnten
Säuren nur die homogene Substanz, während die körnige ungelöst
zurückbleibt; die Lösung ist demnach eine unvollständige.
Bei Färbungen zeigt das Zooid eine grosse Affinität zu den
säuern Anilinfarben, so färbt es sich mit Biondi orange; gerade
diese Färbung ist zur Unterscheidung dieser beiden Gebilde mit
Vortheil zu verwenden.
Es bestehen mithin eine Reihe von chemischen und tincto-
riellen Differenzen, welche bei darauf hin gerichteten Unter¬
suchungen eine Verwechslung des Zooids mit den Blutplättchen
unmöglich machen, eine Verwechslung die bei ausschliesslicher Be¬
rücksichtigung der morphologischen Verhältnisse, namentlich in ge¬
härteten Präparaten wol eintreten kann.
Die bereits früher ausgesprochene Vermuthung, dass die von
Wlassow beschriebene Desorganisation der rothen Blutkörperchen,
die er geradezu als einen die Thrombose bedingenden Faktor anspricht,
theilweise identisch sein dürfte mit der von mir näher studierten
Spaltung der Erythrocyten in Zooid und Oekoid, erhält bei Be¬
rücksichtigung der von Wlassow verwendeten Härtungsmethoden
seiner Gerinnsel und Thromben eine weitere Stütze.
Als Härtungsflüssigkeit wurde von Wlassow fast ausschliesslich
eine Mischung von gesättigter Sublimatlösung und 5 °/ 0 doppelt¬
chromsaurem Kali zu gleichen Theilen (Nikiforoff) verwendet, ferner
concentrierte Sublimatlösung für sich allein. Nach dem was über
die Wirkung des Sublimats und über die Nikiforo/Tsche Mischung
gegenüber dem unveränderten Blut vorausgeschickt wurde, erscheint
es nicht unwahrscheinlich, dass auch an frischen, rothen Thromben
dieselbe Wirkung ausgeübt werde. Zur Begründung dieser Ver-
muthung wurden beim Kaninchen durch intravenöse Injection von
Zimmt8äureemulsion *) im Herzen, in der A. pulmonalis und einzelnen
grossen Venen erzeugte Thromben in verschiedenen Flüssigkeiten
u. z. in Chromsäure (0*2—0*5°/ 0 ), Alkohol, gesättigter Sublimat¬
lösung und Platinchlorid (01—1 °/ 0 ) gehärtet.
*) Vgl. Richter und Spiro, Archiv f. oxp. Path. etc. 1894, Bd. 34, pag. 290 f.
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G2
Drd. med. Edmund Scherer.
Der durch Zimmtsäure erzeugte Thrombus zeigte in seinem
groben Aufbau das Bild des plötzlich geronnenen Blutes: Er be¬
stand aus rothen Blutkörperchen, zwischen denen Leukocyten und
Fibrinstränge, die’ durch die Weigert'seht Fibrinförbemethode schön
blau erscheinen, regelmässig vertheilt waren. Was den feineren
Bau betraf, so wurden je nach den Härtungsflüssigkeiten ganz
verschiedene Bilder erhalten: Bei dem in Chromsäure gehärteten
Thrombus waren am Bande überall Scheibchen, l U von der Grösse
eines rothen Blutkörperchens, von homogenem Aussehen wahrzu¬
nehmen. Ueber ihre Beziehung zu den rothen Blutkörperchen lässt
sich am gehärteten Präparate nicht immer ein sicheres Urtheil ge¬
winnen; manchmal scheinen sie blos in der Nachbarschaft rother
Blutkörperchen zu liegen, manchmal hingegen lässt sich eine Ver¬
bindung mit denselben constatieren. Diese Scheibchen färben sich
nach Weigert blau violett, mit Eosin intensiv roth, mit Biondi
orange; schon dadurch kann man mit Sicherheit ausschliessen, das
wir es mit Blutplättchen zu thun haben. Ausserdem kann man
an mehreren Stellen das typische Oekoid in Verbindung mit den
Scheiben erkennen. Gegen die Mitte des Thrombus zu fehlen Ver¬
änderungen dieser Art vollständig, hingegen sind hier scharf con-
turierte abgeblasste, vergrösserte Blutkörperchen zu constatieren,
jene Formen, die ich als Schatten bezeichnet habe. Die Ver¬
änderungen, welche hier an den rothen Blutkörperchen zu sehen
sind, stimmen genau überein mit jenen, welche durch 0*2 °/ 0 Chrom¬
säure am frischen Blute erzeugt werden. Die an den rothen Blut¬
körperchen der Randpartie des Thrombus erzeugte Veränderung
darf daher wol in diesen Fällen als Chromsäurewirkung aufgefasst
werden.
Der in Sublimat gehärtete Thrombus zeigt ein abweichendes
Bild, es sind hier die Blutkörperchen besonders gegen die Mitte
zu sehr gut conserviert, nirgends ist eine Spur des Austrittes von
Körnchen zu sehen; am Bande erscheinen die Blutkörperchen etwas
verklebt, wobei sie zugleich ihre runden Conturen zum Theil ein-
gebüsst haben. Auch am Bande ist nichts von Körnchen, die aus
den rothen Blutkörperchen austreten, zu sehen.
Platinchlorid erzeugt hochgradige Veränderungen: In den Rand¬
partien sind die rothen Blutkörperchen zu einer bräunlichen,
brüchigen Masse umgewandelt, in welcher die Conturen der ein¬
zelnen Formelemente nicht mehr erkannt werden können. Gegen
die Mitte zu sind nur mehr Schatten zu sehen. Es ist demnach
Platinchlorid ganz unbrauchbar als Härtungsflüssigkeit frischer,
rother Thromben.
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Ueber Zooid- and Oekoidbildang in den rothen Blutkörperchen etc. 63
Der Thrombus nach Alkoholhärtung zeigte ein ähnliches Bild
wie der nach Sublimat, nur waren hier die rothen Blutkörperchen
etwas weniger gut conserviert. Der ganze Thrombus wird übrigens
bei längerer Einwirkung von Alkohol auffallend spröde und daher
für die Anlegung von Schnitten recht ungeeignet
Aus diesem Versuche geht hervor, dass gewisse Härtungs¬
flüssigkeiten in den Thromben Veränderungen hervorrufen können,
die den von Wlassow geschilderten Verhältnissen im Wesentlichen
analog sind, und dass bei Behandlung des gleichen Thrombus mit
anderen Härtungsflüssigkeiten derartige Veränderungen fehlen
können.
Bei der Behandlung von in gleicher Weise erzeugten rothen
Thromben mit Nikiforoff 'scher Flüssigkeit zeigten sämmtliche rothe
Blutkörperchen im Thrombus normales Aussehen.
Ich habe dann weiterhin in analoger Weise, wie es Wlassow
that, durch Schlagen von Kaninchenblut mit Fischbeinstäbchen
reichliche Gerinnselbildung hervorgerufen; solche Gerinnsel wurden
zunächst in frischem Zustande untersucht: Die rothen Blutkörper¬
chen zeigten völlig normales Aussehen, erst nach längerer Zeit
trat Maulbeer- und Stechapfelform auf; auch die Blutkörperchen,
die im Fibrinnetz eingeschlossen waren, zeigten normales Aussehen,
nirgends waren Andeutungen einer Erythroschisis vorhanden. Die
Härtung des Gerinnsels in der Nikiforoffschen Mischung ergab
neuerdings ein völlig normales Aussehen der rothen Blutkörperchen.
Dagegen konnte an dem in Alkohol gehärteten durch Schlagen
entstandenen Gerinnsel das typische Bild des Erythrocytenzerfalls
constatirt werden: Es waren nämlich am Bande reichlich Körnchen
und Scheibchen circa V« der Grösse eines rothen Blutkörperchens
und kleiner vorhanden; dieselben färben sich sowohl mit Eosin,
als auch mit Biondi genau mit derselben Intensität und demselben
Farbenton wie die intakten rothen Blutkörperchen selbst
Diese Scheibchen machen auch in ungefärbtem Zustande ganz
den Eindruck von Zerfallsprodukten der rothen Blutkörperchen.
Da nun weder bei der frischen Untersuchung, noch bei der Härtung
in der Nikiforoff ’schen Mischung, noch bei der Behandlung des
frischen nicht geschlagenen Blutes mit Alkohol, noch bei der
Härtung anderweitig erzeugter Thromben in Alkohol (vergl. oben)
derartige Zerfallsprodukte vorhanden waren, so bleibt wohl nur
die Annahme übrig, dass in diesem Falle die durch die Einwirkung
des Schlagens bereits alterirten rothen Blutkörperchen bei der
Alkoholbehandlung noch weiter geschädigt werden und in der
erwähnten Weise zerfallen. Dass dann die Alkoholwirkung in den
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64
Drd. med. Edmund Scherer.
Randpartien des Gerinnsels am intensivsten hervortritt, bedarf wohl
keiner weitern Begründung. Mit der Nikiforoff 'sehen Mischung
habe ich auch an dem durch Schlagen erzeugten Gerinnsel jene
Erythroschisis nicht beobachtet, die Wlassow beschreibt, und die
ich in nahezu identischer Weise nach Chromsäure oder Alkohol¬
härtung, je nach der Art der Entstehung gesehen habe. Ich ver¬
mag die Ursache dieser Differenzen nicht aufzuklären, aber jedenfalls
geht wohl aus diesen Untersuchungen bereits hervor, dass die von
Wlassow beschriebene Desorganisation der rothen Blutkörperchen
keine integrirende Erscheinung des rothen Thrombus bildet, da sie ja
vielfach fehlen kann. Ich bin geneigt diese Desorganisation haupt¬
sächlich auf Reagentienwirkung zurückzuführen, wobei der Be¬
schaffenheit der rothen Blutzellen selbst je nach Thierart und
Widerstandsfähigkeit, eventuell vorausgegangener Schädigung der¬
selben für den Eintritt der Reagentienwirkung gewiss eine grosse
Bedeutung zufällt, so dass bei Anwendung des gleichen Reagens
doch nicht immer die gleichen Veränderungen an den rothen Blut¬
zellen bei den verschiedenen Thromben vorhanden sein müssen,
worauf gerade die eben besprochenen Versuche hinweisen.
Weiters wurde durch kräftiges Quetschen der Carotis von
Kaninchen ein obturierender Thrombus erzeugt: das Gefäss blieb
nach dem Quetschen noch 4 Minuten mit dem Blutstrome in Be¬
rührung, wurde dann nach doppelter Unterbindung heraus¬
genommen und in der Nikiforoff scheu Mischung gehärtet. Die
Versuchsanordnung entspricht genau der Wlassow's und gerade
bei diesen auf mechanische Weise erzeugten frischen Thromben
soll das Austreten von Körnchen und Scheibchen aus den rothen
Blutkörperchen am deutlichsten hervortreten. Die mikroskopische
Untersuchung dieses Thrombus ergab folgendes: Die Gefässwand
weist tiefgreifende Veränderungen auf; in der Media sind zahl¬
reiche, ausgedehnte Hämorrhagien, die Intima ist zum Theil ab¬
gelöst, einzelne losgerissene Gewebstheile ragen gegen das Lumen
des Gefässes vor. Die Innenfläche des Gefässes ist besetzt von
zahlreichen weissen Partien im Thrombus, die fingerfömig nach innen
ragen; diese Theile selbst bestehen aus einer feinkörnigen Masse, die
sich nach Weigert blau färbt und mit Biondi einen blaurothen manch¬
mal nicht genau definierbaren Farbenton annimmt, der dem Fibrin
eigen ist (Plättchenfibrin, körniges Fibrin). Der mediale Rand dieser
Thromben ist besetzt mit zahlreichen Leukocyten, deren Kerne gut
färbbar sind; sehr deutlich sieht man, wie an mehreren Stellen solche
Thromben sich an Gewebsfetzen, die in das Gefäss hinein ragen, an¬
setzen. Ein Theil des Gefässlumens ist in segmentartiger Anordnung
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Uebor Zooid- und Oekoidbildung in den rothen Blutkörperchen ctc. (55
von einer hyalinen Masse eingenommen, zwischen welcher typische
weisse Thromben zu sehen sind. Der übrige Theil des Gelasslumens
wird eingenommen von rothen Blutkörperchen, die in eine meist
sp&rliche, körnige Fibrinmasse eingeschlossen sind. Ihr Aussehen
ist das normaler Blutkörperchen: Sie sind scharf begrenzt, zeigen
sogar hie und da noch Delle und weisen nirgends einen Austritt
von Körnchen auf. Man kann oft beobachten, dass rothe Blut¬
körperchen, die zwischen weissen Thromben eng eingeschlossen sind,
ihre normalen scharfen Conturen beibehalten haben und sich mit
Biondi orange färben. Es sind also die auf diese Weise ent¬
standenen Thromben der Hauptsache nach als weisse Thromben
anzusprechen und ich bin auch für den durch mechanische Ver¬
letzung der Gefässwand hervorgerufenen Thrombus nicht in der
Lage die Angaben Wlassow's über die Erythroschisis in ihrer Be¬
ziehung zur Entstehung des Thrombus bestätigen zu können.
Eine andere Form des rothen Thrombus als sie bisher be¬
schrieben wurde, erhält man bei Kaninchen nach intravenöser In-
jection von Essigäther gegen das Herz, 1 ) wobei in der Begel alle
Herzabschnitte und die anliegenden grossen Gefässe von obtu¬
rierenden, weichen, rothen Thromben gefüllt sind. Die mikro¬
skopische Untersuchung der in Sublimat gehärteten Thromben
zeigte, dass sie aus dicht aneinander liegenden rothen Blut¬
körperchen bestehen, die in einer Fibrinmasse eingebettet sind.
Am Bande des Thrombus findet man regelmässig eine Schicht, die
aus ziemlich grossen Körnchen besteht, die ganz das Aussehen
zersprengter rother Blutkörperchen besitzen; diese Körner färben
sich mit Eosin roth, mit Biondi orange, erweisen sich also auch
hiedurch, abgesehen von ihrem Aussehen, als von den rothen Blut¬
körperchen abstammend.
Man erhält also beim Essigäther-Thrombus Bilder, welche ent¬
schiedene Zeichen der Desorganisation der rothen Blutkörperchen
aufweisen, und das selbst dann, wenn als Härtungsflüssigkeit ge¬
sättigte Sublimatlösung verwendet wird, welche bei andern Throm¬
busformen derartige Bilder nicht hervorruft. Da nun der Essig¬
äther, wie bereits Lötoü *) hervorhebt, hochgradige Veränderungen
der Erythrocyten erzeugt, und da, wie ich mich am frischen Blute
überzeugt habe, neben der definitiven Auslaugung der rothen
Blutkörperchen durch den Essigäther auch Zersprengungen und
*) Vgl. Lötoü Ueber die Entstehung des Lungenödem. Ziegler’s Beiträge etc.
Bd. XIV. 8. 434 f.
*) a. a. o. pag. 486.
Zeitschrift für Heilkunde. XVII. 5
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66
Drd. med. Edmund Scherer.
Zerklüftungen derselben durch das Reagens constatiert werden
können, so kann ich auch die am Essigätherthrombus gefundene
Desorganisation der Erythrocyten nicht im Sinne Wlassow's,
sondern wieder nur als Reagentienwirkung ansehen, wobei ich es
jedoch dahingestellt sein lasse, in wie fern die Zerstörung der
rothen Blutkörperchen in diesem Falle als auslösendes Moment für
den Eintritt der intravasalen Thrombose anzusprechen ist.
Wlassow spricht die Produkte der Eiythroschisis und Erythro-
lysis als Blutplättchen an und hält sich dessalb für berechtigt,
gerade den rothen Blutzellen eine wesentliche Rolle für das Zu¬
standekommen der Gerinnung und der Thrombose zuzuschreiben.
Auch dieser Anschauung Wlassow's bin ich nicht in der Lage bei¬
treten zu können. Die nach den früher erwähnten Methoden näher
studierten Produkte der Erythrocytenspaltung, welche mit den Be¬
funden Wlassow's höchst wahrscheinlich identische Gebilde liefern,
sind, wie bereits auseinander gesetzt wurde, von denjenigen Ele¬
menten, die wir nach Löwit, Bizzozero und Anderen als Blut¬
plättchen anzusprechen gewöhnt sind, im hohen Grade verschieden
und es geht daher nicht an, sie vielleicht gewisser morphologischer
Aehnlichkeiten halber als Blutplättchen anzusprechen, wie dies
Wlassow thut Gerade die von Wlassow angeführten Methoden,
welche die direkte Beobachtung der aus den rothen Blutkörperchen
austretenden „Blutplättchen“ ermöglichen sollen, können gelegent¬
lich zum Auftreten typischer Zooid- und Oekoidbildung Veranlassung
geben. Dies gilt namentlich für die von Wlassow empfohlene ver¬
dünnte Sublimatlösung, was mit den früher gemachten Angaben in
Einklang steht Die von Wlassow angegebene Mischung von
Kochsalz, Sublimat und doppeltchromsaurem Kali hingegen ruft bei
gleichzeitigem Erwärmen auf 65° C bei einem kleinen Theil der
rothen Blutkörperchen dem Zooid ähnliche Bildungen hervor,
während zugleich aus fast sämmtlichen Erythrocyten tropfen¬
förmige Partikelchen austreten, die mit den Blutplättchen aller¬
dings eine entfernte Aehnlichkeit aufweisen, sich jedoch bei näherer
Betrachtung, sowohl durch ihren Hämoglobingehalt, als auch durch
ihre Form wesentlich von den Blutplättchen unterscheiden; diese
Gebilde färben sich mit Eosin roth und treten auch bei Erwärmung
auf 65° C allein auf.
Es handelt sich demnach bei diesen Flüssigkeiten, die das
Austreten von Blutplättchen aus den rothen Blutkörperchen
demonstriren sollen, theils um das Zooid, theils um Absprengung
von hämoglobinhaltigen Protaplasma-Bestandtheilen von den rothen
Blutkörperchen.
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Uebor Zooid- und Ookoidbildung in den rothen Blutkörperchen etc. 67
Auf Grund meiner Beobachtungen halte ich mich zu folgenden
Schlussfolgerungen berechtigt:
1. Ein stringenter Beweis für die Abstammung typischer Blut¬
plättchen aus den rothen Blutkörperchen ist durch die Unter¬
suchungen Wlassow's nicht geliefert worden.
2. Die Desorganisation der rothen Blutkörperchen im Sinne
Wlassow's kann znr Entstehung von Bildungen fuhren, welche
höchst wahrscheinlich identisch sind mit Brücke's Zooid und Oekoid.
3. Die Zooidbildung wird durch Eiweissfällung im rothen
Blutkörperchen bedingt und ist dem entsprechend als ein passiver,
auf Reagentienwirkung beruhender Vorgang aufzufassen.
4. Weder die Zooid- und Oekoidbildung, noch auch ander¬
weitige Zerspaltungen der rothen Blutkörperchen geben zur Ent¬
stehung typischer Blutplättchen Veranlassung.
5. Bei der Entstehung intra- und extravasaler Gerinnungen
kommt den rothen Blutkörperchen und ihren Spaltungsprodukten
(Zooid und Oekoid) nur eine secundäre Bedeutung zu.
6. Es muss noch als eine offene Frage bezeichnet werden, ob
durch hochgradige Zerstörung der rothen Blutkörperchen für sich
allein intravasale Thrombose bedingt werden kann.
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6 *
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UEBER SELBSTVERDAUUNG DES MENSCHLICHEN
PANKREAS. 1 )
Von
Da. H. CHIARI,
ProfftMor der pathologischen Anatomie an der deutschen Uniyersitat in Prag.
(Hierzu Tafel I und II.)
Am 28. November 1891 fand ich bei der 12 Standen post mortem
ausgeführten Section eines 25 jährigen Mannes, der 3 Tage nach
der Exstirpation eines von den Lymphdriisen ausgegangenen Sarkoms
der linken Halsseite in Folge einer Blatang aus Raptur der Carotis
externa sin. in der Operationswunde auf der Klinik des Herrn
Professor Gussenbauer gestorben war, inmitten der linken Hälfte
des Körpers des sonst wie gewöhnlich beschaffenen, blassen Pankreas
einen circa 1 cm 8 grossen, gegen die Nachbarschaft scharf ab¬
gegrenzten, unregelmässig gestalteten, schwärzlich-grünlichen Herd,
der sofort den Eindruck einer umschriebenen Nekrose des Organes
machte.
Die von dem Herde nach Alkoholhärtung angefertigten
mikroskopischen Schnitte, die theils mit DelafieltTs Hämatoxylin,
theils mit Gentianaviolett, theils mit Cochenille-Alaun nach Csokor
gefärbt wurden, bestätigten in der That diese Diagnose. Der Herd
bestand aus nekrotischem Pankreasgewebe, in welchem die Acini
noch zu unterscheiden waren. Aber weder in den Zellen der Acini
noch in dem nicht verdickt erscheinenden Zwischengewebe derselben
war eine Kernfärbung zu erzielen. Alles war vollkommen nekrotisch
geworden.
*) Vorgetragen bei der 67. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzto
in Lttbeck. September 1895.
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70
Dr. H. Chiari.
Fig. 1 zeigt einen kleinen Theil aus dem Centrum dieses
nekrotischen Herdes bei stärkerer Vergrösserung und kann man
daran sehen, wie die nekrotischen Acini durchaus nicht weiter von
einander abstehen als in einem normalen Pankreas, ein Umstand,
der, wie später gezeigt werden soll, von Wichtigkeit erscheint.
An der Peripherie des nekrotischen Herdes fand sich eine schmale,
in den gefärbten Schnitten bereits mit freiem Auge durch ihre
etwas dunklere Farbe kenntliche Zone, in deren Bereiche zwischen
den nekrotischen Acini in starkem Zerfalle begriffene Leukocyten
lagerten (vide Fig. 2). Nach aussen von dieser wallartigen Zone
zeigte das benachbarte Pankreasgewebe eine ziemlich beträchtliche
Zunahme des interstitieUen Bindegewebes, welches meist stark
kleinzellig infiltriert erschien. Die Acini waren aber hier gut
erhalten, ihre Epithelien deutlich begrenzt und die Kerne derselben
distinct gefärbt.
Das übrige Pankreasgewebe unterschied sich in nichts von
einem normalen Pankreas. Es hatte gewöhnlich grosse Acini mit
gut färbbaren Epithelzellen, ziemlich viele Langerhans’sche Zellen¬
haufen, 1 ) normale Ausführungsgänge und normale Blutgefässe.
Bei der Berutheilung dieses Falles war es klar, dass es sich
hier um eine umschriebene Nekrose des Pankreasgewebes gehandelt
hatte, welche zu einer reactiven entzündlichen Veränderung in der
Nachbarschaft Veranlassung gegeben hatte. In dem Nekroseherde
selbst waren vor dem Eintritte der Nekrose augenscheinlich nor¬
male Structurverhältnisse vorhanden gewesen und hatte daselbst
früher namentlich nicht eine interstitielle Pancreatitis bestanden,
was ich daraus erschliessen möchte, dass, wie früher erwähnt
wurde, im Nekroseherde die Acini nicht weiter von einander ab¬
standen als in einem normalen Pankreas. Die wallartige Zone
mit den zerfallenen Leukocyten zwischen den nekrotischen Acini
an der Peripherie des nekrotischen Herdes war schon ein Effect
der reactiven Entzündung um den Herd. Die Leukocyten waren
da in die äusseren Antheile des nekrotischen Heerdes von der Um¬
gebung eingewandert und in dem nekrotischen Herde dann selbst
der Nekrose anheimgefallen. Die Veränderungen um den nekro¬
tischen Herd zeigten das Bild einer Pancreatitis interstitialis,
welche nach aussen allmählich an Intensität abnehmend schliesslich
bald vollständig aufhörte. Es war also zuerst die umschriebene
Nekrose im Pankreas entstanden und darauf erst die reactive
Entzündung um den Nekroseherd eingetreten.
*) Langerhans, Beitrüge zur mikroskopischen Anatomie der Bauchspeichel¬
drüse. Berlin 1869.
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Ueber Selbstverdauung des menschlichen Pankreas.
71
Was war nun die Ursache für diese umschriebene Nekrose des
Pankreasgewebes gewesen?
Als Effect einer Störung der Blutcirculation konnte dieselbe
nicht angesehen werden, da sich in den GefÜssen des Pankreas
nirgends, auch nicht in der unmittelbaren Umgebung des nekro¬
tischen Herdes eine pathologische Veränderung fand. Die Blut¬
gefässe innerhalb des Herdes selbst waren so wie das sie beglei¬
tende Bindegewebe auch nur einfach nekrotisch. Sie waren von
einer lockeren netzartig oder homogen geronnenen Masse erfüllt,
zeigten aber nirgends das Bild einer älteren thrombotischen oder
embolischen Verstopfung. Blutkörperchen liessen sich in ihnen
nicht mehr nachweisen. Blutung war an einer Stelle der Peripherie
des nekrotischen Herdes in geringem Masse eingetreten und be-
sassen daselbst die nekrotischen Acini eine gelbliche Farbe wie
infolge einer Imbibition mit Blutfarbstoff.
Auf eine interstitielle Pancreatitis, die etwa der Nekrose vor¬
ausgegangen war, konnte die Nekrose gleichfalls nicht bezogen
werden, da in dem nekrotischen Herde das Zwischengewebe zwischen
den einzelnen Acini, wie früher erwähnt wurde, durchaus nicht
verbreitert erschien.
Auch für eine Entstehung der circumscripten Nekrose aus
einem Trauma waren keinerlei Anhaltspunkte gegeben.
Am wahrscheinlichsten erschien die Annahme, dass durch ein
chemisch wirkendes Agens an dieser Stelle inmitten des Pankreas¬
körpers die Acini sammt dem Zwischengewebe zum Absterben ge¬
bracht worden waren und zwar sicherlich bereits einige Zeit ante
mortem, so dass Zeit dazu gegeben war, dass sich dann eine
reactive Entzündung in der Umgebung entwickelte. Begreiflicher¬
weise musste hiebei in Ermangelung aller anderen Momente an
die verdauende Wirkung des Pankreassecretes gedacht werden, von
dem man ja seit Claude Bemard und Corvisart weiss, dass es
peptische Wirkung besitzt und die Möglichkeit ausgesprochen
werden, dass es sich hier um eine partielle intravitale Autodigestion
des früher nicht verändert gewesenen Pankreas gehandelt habe,
analog der Andauung der Magenwand durch den Magensaft beim
Ulcus pepticum.
Angeregt durch diesen gewiss sehr eigenthümlichen Befund
achtete ich seit der Zeit bei den Sectionen stets genau auf das
etwaige Vorkommen einer identischen Affection des Pankreas,
konnte jedoch erst im Jahre 1893 wieder einen Fall finden, der
ganz die gleiche circumscripte Nekrose des Pankreasgewebes mit
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72
Dr. H. Chi&ri.
reactiver Veränderung in der Nachbarschaft, diesmal aber in zahl¬
reichen Herden und in verschiedenen Stadien erkennen liess.
Dieser andere Fall betraf eine 32jährige Frau, deren Leiche
am 29. April 1893 von der Abtheilung des Herrn Reg.-R. Prof.
Pribram mit der klinischen Diagnose: „Bronchitis diffusa. Erythema
exsudativum multiforme. Eczema ad genitale externum“ 13 Stunden
nach dem Tode zur Section gelangte.
Aus der mir von Herrn Prof. Pribram freundlichst zur Ver¬
fügung gestellten Krankengeschichte erwähne ich zunächst, dass
die Frau im 26. Lebensjahre normal geboren hatte, dass sie ein
Jahr darauf wegen einer nicht näher bekannten „Hauterkrankung“
auf einer dermatologischen Klinik gewesen war und nun 4 Wochen
vor dem Tode mit Husten, Nachtschweissen und schleimig-eitrigem
Auswurfe erkrankt war. Bei der am 22. April erfolgten Aufnahme
auf die genannte Abtheilung hatte man bei der fiebernden Patientin
(393 0 C.) die Erscheinungen einer starken diffusen Bronchitis und
ein Ekzem an dem äusseren Genitale gefunden. Am 25. April war
ein ausgebreitetes Exanthem erschienen, welches sich theils als
Erythem, theils in Form von vielfach zusammenfliessenden Papeln
und Quaddeln darstellte. Unter Fortdauer des Fiebers war es
zu allmählichem Kräfteverfalle und am 28. April um 7 Uhr Abends
zum Exitus letalis gekommen.
Die Section ergab ein auch an der Leiche noch gut sichtbares
Erythema exsudativum multiforme, diffuse eitrige Bronchitis mit
zahlreichen lobular-pneumonischen Herden in den Unterlappen
beider Lungen, starke parenchymatöse Degeneration der Leber und
der Nieren, beträchtlichen acuten Milztumor, catarrhalische Cystitis,
Colpitis und Endometritis, Hydrops der Tuben mit adhäsiver chro¬
nischer Perimetritis, Ekzem am äusseren Genitale und tiefgreifenden
Decubitus in der Regio trochanterica sinistra.
Das Pankreas war etwas grösser, von derber Consistenz und
blasser Farbe, ln ihm fanden sich allenthalben vertheilt zahl¬
reiche, scharfbegrenzte, unregelmässig gestaltete, bis 1 cm* grosse,
meist aber viel kleinere, i. e. bis hanfkorngrosse, weisslichgelbe
homogen aussehende Herde, welche sich ziemlich fest anfühlten und
mitunter von einem rothen Hofe umgeben waren.
Ich schnitt von diesem Pankreas alle jene Stellen heraus,
welche Herde enthielten und härtete sie behufs mikroskopischer
Untersuchung in Alkohol. Nach Celloidineinbettung wurden dann
die einzelnen Stücke (13 an der Zahl) in Schnitte zerlegt und
diese in verschiedener Weise — mit Delafield’s Hämatoxylin, mit
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Üeber Selbstverdauung des menschlichen Pankreas.
73
Methylenblau, mit Cochenille-Alaun nach Csokor, mit Delafield’s
Hämatoxylin und Eosin und nach van Gieson — gefärbt
Bei jeder Färbungsmethode hoben sich die bereits makroskopisch
sichtbar gewesenen Herde deutlich ab, es kamen aber nun auch
zahlreiche früher nicht bemerkte, kleinste, mikroskopische Herde zum
Vorscheine. Fig. 3 zeigt in einem Schnitte einen der grössten Herde in
natürlicher Grösse und erkennt man daran die scharfe Begrenzung des
Herdes und die unregelmässige Gestalt desselben. Nicht weit von
diesem grossen Herde lagerte noch ein zweiter mohnkorngrosser
Herd. Beide Herde erschienen von einem auf eine incapsulierende
Schwiele zu beziehenden, hellen Hofe umgeben.
Mikroskopisch liessen sich dreierlei Herde unterscheiden und
zwar 1. Herde, in denen die nekrotischen Acini noch gar nicht
zerfallen waren, 2. Herde mit stellenweisem Zerfalle der ab¬
gestorbenen Acini und 3. Herde mit mehr weniger weit gediehenem
Zerfalle an allen nekrotischen AcinL
Die Herde der ersten Art waren die seltensten. Man konnte
in denselben die einzelnen Acini noch gut erkennen, wenn auch
die Eeme der Epithelien wegen der Nekrose keine Färbung mehr
angenommen hatten. Das Zwischengewebe war dabei nicht ver¬
dickt Seine Kerne participierten entweder an der Nekrose, d. h.
sie waren auch ungefärbt geblieben oder sie hatten die Kern¬
färbung angenommen. In letzterem Falle sah man oft da und dort
zwischen ihnen auch leukocytäre Infiltration. Fig. 4 und 5 geben
einen solchen Herd wieder und zwar Fig. 4 den ganzen eben mit
freiem Auge wahrnehmbaren Herd bei schwacher Vergrösserung,
Fig. 5 einen Theil dieses Herdes bei stärkerer Vergrösserung.
Nach aussen war dieser Herd von einer Zone kleinzellig infil¬
trierten, dichteren, fasrigen Bindegewebes umgeben und setzte sich
nur an einer Stelle des Herdes dieses Gewebe zwischen die
nekrotischen Acini eine Strecke weit fort
Die zweite Art von Herden wurde namentlich durch die
grösseren Herde repräsentiert. In diesen Herden war gewöhnlich
der weitaus grösste Theil der nekrotischen Acini bereits zu einer
feinkörnigen Masse zerfallen, wobei die Septa einander näher ge¬
rückt erschienen. Das Zwischengewebe zeigte daselbst häufig
geringe Kernvermehrung und enthielt auch oft Haufen brauner
Pigmentkörner. Da und dort fanden sich aber immer noch Gruppen
von gut kenntlichen, in ihrer Dimension erhaltenen nekrotischen
Acini, zwischen welchen die Septa entweder auch nekrotisch ge¬
worden waren oder erhalten geblieben waren. Die Herde dieser
Art boten wegen ihrer bedeutenderen Grösse häufig eine günstige
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74
Dr. H. Chiari.
Gelegenheit, das Verhalten der Blutgefässe innerhalb der Herde
des genaueren zu studieren. Die Arterien und Venen waren theils
normal und mit gut conserviertem Blute gefüllt, theils in ihrer
Wand selbst nekrotisch und dann durch eine zarte, netzförmige
Gerinnungsmasse verstopft. Eine Wandverdickung konnte an den
Blutgefässen niemals nachgewiesen werden. Fig. 6 giebt eine
Stelle eines bohnengrossen solchen Heerdes mit noch gut kennt¬
lichen nekrotischen Acini bei stärkerer Vergrösserung; Fig. 7 stellt
eine Partie desselben Herdes dar mit schon weit gediehenem Zer¬
falle der nekrotischen Acini. Die Schwielenbildung um die Herde
war hier in der Regel beträchtlicher als bei den Herden der ersten Art
Die Herde mit Zerfall aller nekrotischen Acini waren die
zahlreichsten. Mitunter konnte man in solchen Herden noch die
Umrisse der Acini erkennen, wenn der Zerfall noch nicht sehr
weit gediehen war. Meist aber waren die Grenzen der Acini
schon nicht mehr deutlich, sondern fand sich an ihrer Stelle nur
ein körniger Detritus, in den auch mitunter die Septa zwischen
den einstigen Acini umgewandelt erschienen (viele Fig. 8 — ein
punktförmiger Nekroseherd mit hochgradigem Zerfalle der Acini —).
Schliesslich stiess ich auch oft auf Stellen, in deren Bereiche nur
mehr ein Häufchen Detritus die frühere Gegenwart eines Nekrose¬
herdes verrieth. Hätte ich nicht die Bilder der sonstigen Nekrose¬
herde bereits gekannt, ich würde über die Natur dieser Herde
nicht ins Klare gekommen sein. An solchen Stellen war dann
auch die bei den Herden dieser Art überhaupt stark entwickelte
capsulierende Bindegewebswucherung besonders mächtig ausgebildet
und Hessen sich auch nicht selten in die nur mehr spärlich vor-
handene Detritusmasse eingelagerte vielkernige Riesenzellen erkennen.
Das Pankreas ausserhalb der Herde zeigte durchwegs eine
Vermehrung des Bindegewebes zwischen den Läppchen und zwischen
den Acini mit bald geringerer, bald stärkerer leukocytärer Infil¬
tration und mässiger Lipomatose. Um die Herde herum fand sich,
wie schon erwähnt, fast regelmässig eine grössere Menge von
fasrigem Bindegewebe, welches mitunter eine förmliche Kapsel um
die Herde bildete. Die Blutgefässe des Pankreas waren nirgends
in ihrer Wand verdickt; um die Herde erschienen sie öfters stärker
ausgedehnt Die Acini waren durch Bindegewebswucherung aus¬
einandergedrängt aber mit gut erhaltenem Epithel versehen.
Zwischen ihnen fanden sich ziemlich viele Langerhans'sche Zellen¬
haufen. An den Ausführungsgängen war eine pathologische Ver¬
änderung nicht zu constatieren.
Auch bei diesem Falle musste sich die Ueberzeugung auf-
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Ueber Selbstverdauang des menschlichen Pankreas.
75
drängen, dass die multiple herdweise Nekrose des Pankreasgewebes
eine ganz besondere eigenartige Ursache gehabt hatte. Ebenso¬
wenig wie im früheren Falle konnte dieselbe in Anbetracht des
Verhaltens der Blutgefässe im Pankreas und des Verhaltens des
ganzen Circulationsapparates auf eine Störung in der Blutcircu-
lation , noch bei dem Fehlen älterer Veränderungen in den Septa
zwischen den nekrotischen Acini auf eine vorausgegangene Pancrea-
titis interstitialis oder auf ein Trauma zurückgeführt werden. Das
Pankreasgewebe war im Bereiche der Nekroseherde vor Eintritt
der Nekrose augenscheinlich nicht verändert gewesen, und hatte
meiner Meinung nach die im Pankreas ausserhalb der Herde ge¬
fundene entzündliche Bindegewebswucherung die Bedeutung eines
in Bezug auf die Nekrosen secundären, geradezu durch sie ange¬
regten Processes gehabt. Bemerken will ich hier auch, dass die
Untersuchung der Nekroseherde dieses Falles auf Bacterien so
wie beim vorigen Falle ein vollständig negatives Resultat ergab.
Es blieb auch hier nichts anderes übrig als die Annahme,
dass wahrscheinlicherweise die verdauende Wirkung des Pankreas -
seeretes es gewesen war, welche die multiplen Nekrosen erzeugt
hatte, indem das Pankreassecret an einzelnen umschriebenen
Stellen das secemierende Parenchym selbst ertödtet hatte. Gewiss
war diese multiple Nekrose des Pankreasgewebes bereits längere
Zeit vor dem Tode eingetreten, da sich überall um die Herde, zum
Theile auch innerhalb der peripheren Antheile derselben deutliche
reactive Veränderungen vorfanden. Wahrscheinlicher weise waren
die einzelnen Nekroseherde hiebei verschiedenen Alters gewesen,
da der Zerfall der nekrotischen Acini in den einzelnen Herden sehr
ungleich weit gediehen war.
In Kenntnis dieser beiden Fälle hielt ich es nun für meine Auf¬
gabe, die Frage der Autodigestion des menschlichen Pankreas vom
anatomischen Standpunkte aus an einem grösseren Materiale in
systematischer Weise zu studieren.
Ich untersuchte zu diesem Behufe mikroskopische Schnitte von
einer grösseren Zahl von Pancreata auf das Vorkommen von Ver¬
änderungen, welche etwa auf eine Autodigestion bezogen werden
könnten. Die Pancreata waren hiezu alle in der Art vorbereitet
worden, dass bei der Section mehrere Stücke des Pankreas aus¬
geschnitten und sofort in 96°/ 0 Alkohol gehärtet worden waren.
Die Schnitte waren dann theils mit Delafields Hämatoxylin, theils
mit Methylenblau, theils mit Cochenille-Alaun nach Csokor, theils
mit T)elafield's Hämatoxylin und Eosin, theils nach van Gieson
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76
Dr. H. Chiari.
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gefärbt worden. Im Ganzen waren es 75 Pancreata, die ich in
dieser Richtung durcharbeitete.
In 11 von diesen 75 Pancreata fand sich das Bild einer totalen
oder fast totalen Nekrose der Acini — vielfach auch des Zwischen¬
gewebes — in der Art, dass sich die Kerne gar nicht oder nur
sehr wenig mehr färbten und das Protoplasma mehr weniger
homogen erschien. Eine Uebersicht über diese Fälle gibt die
Tabelle A, aus welcher die Zeit, die zwischen dem Eintritte des
Todes und der Section verflossen war, das Alter und das Geschlecht
der betreffenden Individuen, die pathologisch-anatomische Haupt¬
diagnose, der makroskopische Befund am Pankreas und der mikro¬
skopische Befund an den Schnitten des Pankreas entnommen werden
können. Die Fälle sind dabei angeordnet nach der Zeit zwischen
dem Eintritte des Todes und der Section.
Tabelle A.
Fälle mit dem histologischen Bilde einer totalen oder
fast totalen, frischen, meiner Meinung nach auf Auto-
digestion zu beziehenden Nekrose.
No.
Datum der
Section
Zeit zwischen
dem Eintritte
des Todes und
der Section
Iudividuum
Pathologisch-
anatomische
Haupt¬
diagnose
Makroskopischer
Pankreas-
Befund
' Mikroskopischer
Pankreas-Befund
i.
!
27./2.
1898
i
14h.
27 j- V
Glioma-
cerebri.
Das Pankreas j
sehr weich, blass-'
grau-röthlich.
Seine Structur
verwischt.
Diffuse Nekrose der Acini
u. meist auch des Zwischen¬
gewebes. Hie und da insel¬
förmige Reste aus gut er¬
haltenen Acini bestehend.
Das Epithel der grösseren
Ausführungsgänge durch¬
wegs intact.
2.
9./11.
1891
16h.
40j.cJ
Atrophia
cerebri (Para-
lysis
progressiva.)
Das Pankreas
schlaff.
Seine Structur
verwischt.
Diffuse Nekrose der Acini
u. meistauch des Zwischen¬
gewebes. In den nekro¬
tischen Acini hie und da
noch Kerne von Epithelien
zu sehen. Das Epithel der
grösseren Ausfiihrungs-
gänge auch vielfach zer¬
fallen.
3.
«
24./11.
1891
!
i
20h- j
J
36j.d
1
Delirium !
acutum. |
i
i
i
Das Pankreas
etwas weicher
blass.
i
Diffuse Nekrose der Acini
und des Zwischengewebes.
In den grösseren Interlo-
bularsepta das Zwischen¬
gewebe noch erhalten. Das
Epithel der grösseren Aus-
führungsgäige normal.
Stellenweise Mache Blut¬
extravasate. (vide Fig. 9.)
Gck igle
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Ueber Selbstverdauung des menschlichen Pankreas.
77
No.
Datum der
Section
Zeit zwischen
dem Eintritt«
des Todes und
der Section ,
Individuum
Pathologisch¬
anatomische
Haupt¬
diagnose
Makroskopischer
Pankreas-
Befund
Mikroskopischer
Pankreas-Befuud
4.
1 10./6.
1893
25h.
«3j.<J
Emphysema
pulmonum.
1
Das Pankreas
weich, blutig
infiltriert.
1
Diffuse Nekrose der Acini
und des Zwischen ge wehes.
Nur in den grösseren Septa
letzteres erhalten. Das
Epithel der grösseren Aus-
fünrungsgänge meist auch
nekrotisch. Ueberall starke
frische Blutextravasation.
An einer kleinen Stelle ein
Herd gut erhaltener Acini
umgeben von Fottgewebo.
(vide Fig. 10 und Fig. 11.)
5.
25./12.
1891
26h.
22-j-2;
Tuberculosis
chronica.
1
Das Pankreas
weich.
Diffuse Nekrose der Acini
und des ganzen Zwischen¬
gewebes. Stellenweise ge¬
ringe frische Blutextra¬
vasation.
6.
7./11.
1891
27b.
21j.c?
Meningitis
suppurativa. (
Das Pankreas
stark gelockert.
Diffuse Nekrose der Acini
und des ganzen Zwischen¬
gewebes.
7.
26.A1.
1891
27b.
51 j. 2
Emphysoma
pulmonum.
Das Pankreas
weich, von viel
Fettgewebe
durchsetzt.
Diffuse Nekrose der Acini
und des Gewebes zwischen
ihnen mit stellenweiser
geringer frischer Blut¬
extravasation. Daneben
starke Lipomatose mit
meist gut erhaltenen Ker¬
nen der Fettzellen,
a
110./12.
1891
28h-
22 j. 5
Tuberculosis
chronica.
_
Das Pankreas
weich, blutreich.
1
Diffuse Nekrose der Acini
und des Zwischengewebes
bis auf die grösseren Septa,
in denen auch das Epithel
der grösseren Ausführungs¬
gänge gut erhalten ist.
9.
14/11.
1891
29h.
15- j-2
Meningitis
basilaris
tuberculosa.
Das Pankreas
weich.
_ 1
Diffuse Nekrose der Acini
und des Zwischengewebes.
Stellenweise Inseln von
noch gut erhaltenem
Pankreasgewebe.
10.
22./2.
1893
38h-
69 j. 2
Morbus
Brighti
chronicus.
Das Pankreas
weich, blutig
infiltriert.
Diffuse Nekrose der Acini
und des Zwischengewebes
bis auf einzelne grössere
Septa. Beträchtliche frische
Blutextravasation.
n.
16./12.
1891
1 I
43h.
*•—9
CM
CO
Tuberculosis
chronica. |
Das Pankreas
weich. Seine j
Structur ver¬
wischt.
Diffuse Nekrose der Acini
und des Zwischengewebes.
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78
Dr. H. Chiari.
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29 Pancreata zeigten herdweise das gleiche histologische Bild
frischer Nekrose der Acini und oft auch des Zurischengewebes. Sie
sind zusammengestellt in der Tabelle B, die ebenso angeordnet ist,
wie die Tabelle A. 4
Tabelle B.
Fälle mit dem histologischen Bilde einer herd¬
weisen frischen „Autodigestionsnekrose“.
No.
Datum der
Section
Zeit zwischen
dem Eintritte \
des Todes
und der Section
Individuum
Pathologisch-
anatomische
Haupt-
diagnose
Makroskopischer
Pankreas-
Befund
Mikroskopischer
Pankreas - Befund
12.
22./5.
1894
10h-
21j.tf
Meningitis
baailans tu-
berculosa.
Nichts auf¬
fälliges
Mehrere eben noch mit
freiem Auge sichtbare
scharf begrenzte Herde von
Nekrose der Acini und
meist auch des Zwischen¬
gewebes. (vide Fig. 12.)
13.
29/11.
1892
13»*.
88j.<y
Vitium val¬
vuläre cordis.
Das Pankreas
sehr derb, von
zahlreichen bis
erbsengrossen
gelblichen
Herden durch¬
setzt
Zahlreiche Herde von Fett-
gewebsnekrose mit ein¬
kapselnder Schwiele bei
ziemlich starker Lipoma-
tose. Mehrere schlecht ab¬
gegrenzte Stellen mit be¬
ginnender Nekrose der
Acini.
14.
14./10.
1891
16h-
42j. V
Tobercnlosis
chronica.
!
Das Pankreas
schlaff. In ihm i
hie und da blu¬
tige Infiltration.
Geringe Lipom atose. Meh¬
rere umfänglichere,
schlecht abgegrenzte Stel¬
len von Nekrose der Acini
und anch des Zwischen¬
gewebes mit Blutextrava¬
sation.
15.
11./4.
1893
15h-
66j.<?
Emphysems
pnlmomnm
Das Pankreas
weicher
Ziemlich starke Lipoma-
tose. Grosse schlecht abge¬
grenzte Herde von Nekrose
aer Acini und zumeist auch
des Zwischengewebes.
16.
12./6.
1893
16h-
76). 2
Morbus
Brighti
chronicus.
Das Pankreas
kleiner.
Geringe Iipomatose mit
spärlichen kleinen Herden
von Fettgewebsnekrose.
Stellenweise kleine Haufen
von Acini nekrotisch.
i
17.
I
16./12.
1891
i
19h-
Tuberculosis
chronica.
Nichts
auffälliges.
Einzelne schlecht ab¬
gegrenzte Herde nekro¬
tischer Acini.
Gck igle
Original from
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Ueber Selbstverdauung des menschlichen Pankreas.
70
No
Datum der
Section
Zeit zwischen
dem Eintritte
des Tode«
und der Section
Individuum
Pathologisch-
i anatomische
Haupt-
diagnose
Makroskopischer
Pankreas-
Befund
Mikroskopischer
Pankreas - Befund
18.
1 29./1.
1 1893
1 19h*
1 57 j. 2
Carcinoma
hepatis
^ Im Pankreas
mehrere halb¬
erbsengrosse
gelbliche Herde.
1
Massige Lipomatose mit
Herden von Fettgewebs-
uekrose. Hie und da kleine
Gruppen von Acini nekro¬
tisch.
19.
9./12.
1891
' 21h.
1
!38j.£
Tuberculosis
chronica.
Nichts
auffälliges.
Mehrere schlecht abge-
grenzteStellen von Nekrose
der Acini und zum Theile
auch des Zwischengewebes.
20.
6./3.
1893
21h.
87 j. 2
Marasmus
senilis
Im Pankreas
mehrere hanf¬
korngrosse gelb¬
liche Herde.
Ziemlich starkeLipomatose
mit Herden von Fett-
gewebsnekrose. An zahl¬
reichen nicht scharf be¬
grenzten umfänglichen
Stellen die Acini nekro¬
tisch, des öfteren auch das
Zwischengewebe.
21.
3./4.
1887
21h. 1
29j- 6 .
1
Tuberculosis
chronica.
Nichts
auffälliges.
Massige Lipomatose mit
einzelnen kleinsten Herden
von Fettgewebsnekrose.
Stellenweise in einzelnen
Läppchen die Acini ganz
nekrotisch, mitunter auch
ihr Zwischengewebe.
22.
1
27./11.
1891
i
22h.
15j.<J
i Tuberculosis
chronica.
_
Nichts
auffälliges.
_1
Geringe Lipomatose. Ziem¬
lich viele, zum Theile scharf
begrenzte bis hanfkorn¬
grosse Herde von Nekrose
der Acini und des Zwi¬
schengewebes.
23.
6./1.
1892
24h.
43j.<J
I
i
Tuberculosis
chronica.
Nichts
auffälliges.
Diffuse Vermehrung des
Zwischengewebes. Anden
Ausführungsgängen viel¬
fach geringe Erweiterung.
In grösseren mangelhaft
abgegrenzten Partien die
Acini nekrotisch, zum
Theile auch das Zwischen¬
gewebe.
24.
26./3.
1893
24h. i
56j.<?
Morbus
Brighti
chronicus.
Das Pankreas
von viel Fett¬
gewebe durch¬
setzt.
Starke Lipomatose. Hie
und da kleinste Gruppen
von Acini mit ihrem /Swi-
schengewebe nekrotisch.
Diese Herde gegen das
übrige gut erhaltene Pan¬
kreasgewebe deutlich ab¬
gehoben. (vide Fig. 13.)
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80
Dr. H. Chiari.
Digitized by
No.
1
i
Datum der
Section
Zeit rwitchen ■
dem Eintritte ;
des Todee
and der Section |
1
%
Pathologisch-
anatomische
Haupt¬
diagnose
Makroskopischer
Pankreas-
Befund
Mikroskopischer
Pankreas - Befund
25.
6./4.
1898
27b.
!
Tuberculosis
chronica.
Nichts
auffälliges.
!
t
An der Peripherie einzelner
Läppchen aie Acini nekro¬
tisch. Hie und da aber
auch ganze Läppchen mit
nekrotischen Acini ver¬
sehen.
28.
29./12.
1891
28b.
1 !
|
|
23j. £
1 j
;
Tuberculosis
chronica.
Nichts
auffälliges.
Viele theils ziemlich gut
abgegrenzte theils allmäh¬
lich auslaufende Herde
von Nekrose der Acini und
zum Theile auch des Zwi-
schengewebes.
27.
31/12.
1891
29h- |
1 |
25j.o*
Tuberculosis
chronica.
Nichts
auffälliges.
Zerstreute schlecht abge¬
grenzte Herde von Ne¬
krose der Acini.
28.
23./1.
1891
29h-
37j.o*
Tuberculosis
chronica.
i
Nichts
auffälliges.
In zahlreichen, meist nicht
scharf begrenzten kleinsten
Herden die Acini nekro¬
tisch.
29.
21./10.
1890
29h.
*b
f
Emphysema
pulmonum.
Das Pankreas
gross, derb, blut¬
reich. In ihm
viele bis hanf¬
korngrossegelb¬
liche Herde zer¬
streut
Ziemlich starke Lipoma-
tose mit reichlichen Herden
von Fettgewebsnekrose,
um welche sich öfters
reactiveEntzündung findet.
Stellenweise besonders in
der Nachbarschaft der
Herde von Fettgewebs¬
nekrose die Acini nekro¬
tisch.
30.
25./11.
1891
29h.
37j. j
1
1
Tuberculosis
chronica.
Nichts
auffälliges.
In grossen Abschnitten die
Acini nekrotisch, stellen¬
weise auch das Zwischen¬
gewebe.
31.
13./5.
1887
i
30h.
3j.?
Meningitis
b&silaris
tuberculosa.
Nichts
auffälliges.
|
Nebst einzelnen riesen-
zellenhältigen Miliartuber¬
keln einzelne bis mohn-
komgroßse Herde mit Ne¬
krose der Acini und zu¬
meist auch des Zwischen¬
gewebes.
32.
21./10.
1891
31h-
1
1
1
1
84j.o*
t
I
Morbus
Brighti
acutus.
i
Das Pankreas
derb.
i
!
Kleinzelligelnfiltrationdes
Bindegewebes um die
meist etwas dilatierten
Ausfährungsgänge. In
vielen Lobtui Nekrose der
Acini.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Ueber Selbstverdauung des menschlichen Paniureas.
81
No.
©
■* §
S 'S
5 §
cd 00 1
Q
• |
Zoit zwischen
dem Eintritte ,
des Todes
und der Seotion [
Individuum
Pathologisch-
anatomische
Haupt¬
diagnose
Makroskopischer
Pankreas-
Befund
Mikroskopischer
Pankreas - Befund
33~
17./11.
1891
•81h.
33j. 2
Haemorrhagia
ex ulcere
peptico
ventrieuli
Das Pankreas
weicher.
In grossen Strecken die
Acini nekrotisch, hie und
da auch das Zwischen¬
gewebe nekrotisch.
34.
1 6/5.
j 1895
31h.
68j.o*
1 Pemphigus
| foliaceus.
Das Pankreas
weich, ziemlich
stark lipomatös,
blassröthlich.
Ziemlich starke Lipoma-
tose. In zahlreichen Lo-
buli die Acini nekrotisch.
In anderen die Epithelien
derselben noch gut er¬
halten.
35.
t
I 23./10.
1893
i
i
i 33h.
20j.o*
i
r
Mors inter
narcosin
Das Pankreas
weich, grau»
röthlich.
In vielen Läppchen alle
Acini, in anderen nnr ein
Theil derselben nekrotisch,
in einzelnen Läppchen gar
keine Nekrose.
36.
1
23./11.
1891
34ii.
i^j. <$
i
i
i
Tuberculosis
chronica.
-
!
i
Das Pankreas
weich, stellen¬
weise von Blut¬
austritten durch¬
setzt.
Mässige Lipomatose. In
grösseren Abschnitten der
einzelnen Stücke die Acini
und auch das Zwischen¬
gewebe nekrotisch. Da¬
selbst steUenweiseBlutung.
An anderen Stellen das
Epithel der Acini sehr
scnön erhalten.
(vide Fig. 14 und Fig. 15.)
37.
20./1.
1893
42h.
i
73j.i
1
!
Endothelio- j
ma peritonei.,
Das Pankreas
stellenweise sehr
weich.
Starke lipomatose. In
einzelnen Lobuli die mei¬
sten Acini nekrotisch.
38.
24./2.
1893
! i
46h-
72j.i
| Emphysems
| pulmonum.
I ;
1 1
Das Pankreas
weich.
Stärkere Lipomatose. Da
und dort einzelne Acini,
mitunter auch ganze Grup¬
pen derselben nekrotisch.
39.
8.12.
1893
!
t
53h.
1
1
1
79 j. V
Peritonitis
echolangitide
suppurativa.
jlm Pankreas zer¬
streute bis halb-
1 erbsengrosse
gelbe Herde.
Starke Lipomatose mit
vielen Herden von Fett-
gewebsnekrose. In der
Nachbarschaft solcher
Herde einzelne Acini oder
kleine Gruppen derselben
nekrotisch.
40.
7./12.
1891
1
*
68h.
45 j. 2
'
Tuberculosis
chronica.
i
!
Nichts
auffälliges.
i
Ausgebreitete, nioht scharf
begrenzte Herde von Ne¬
krose der Acini, zum
Theile auch des Zwisohen-
gewebes.
ZclUchrift für Heilkunde. XVU. «
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Gck 'gle
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82
Dr. H. Chiari.
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In den testierenden 35 Pancreata war nirgends das Bild einer
Nekrose des Pankreasgewebes nachzuweisen. Diese Fälle enthält die
Tabelle C , auch wieder angeordnet nach der Zeit, die zwischen
dem Eintritte des Todes und der Section verflossen war.
Tabelle C.
Fälle ohne das Bild einer „Autodigestionsnekrose“.
No.
Datum der i
Section j
Zeit swischen
dem Eintritte !
des Todes
und der Section
i
V
'S
A
Pathologisch¬
anatomische
Haupt¬
diagnose
Makroskopischer
Pankreas-
Befund
Mikroskopischer
Pankreas - Befund
41.
22./6.
1893
5h-
23j.d
Tuberculosis
chronica.
Nichts auf-
fälliges.
Normale Verhältnisse.
42.
23./2.
1893.
9h.
42j.d
Vitium val¬
vuläre cordis.
Im Pankreas
mehrere bis hanf-
komgrosse gelb¬
liche Herde.
Mässige Lipomatose mit
Herden von Fettgewebs-
nekroBe. Um letztere oft
Entzündung.
43.
9./1.
1894
10b.
69 j. c?“
Perityphlitis
suppurativa.
Im Pankreas
und im umgeben¬
den Fettgewebe
zahlreiche bis
erbsengrosse
gelbliche Herde.
Hässige Lipomatose. Herde
vonFettgewebsnekrose mit
umgebender Schwielenbil¬
dung.
44.
2./12.
1891
12h.
57 j.?
Tuberculosis
miliaris uni-
versalis.
Im Pankreas
bis halberbsen¬
grosse gelbliche
Herde und bis
erbsengrosse
schleimhältige
Cysten.
Herde von Fettgewebs-
nekrose mit reactiver Ent¬
zündung. Dilatation der
Gänge mit Vermehrung
des Bindegewebes um die¬
selben. Die Epithelzellen
der Acini schlechter be¬
grenzt, ihre Kerne gut
färbbar (wahrscheinlich
Effect von Fettdegene¬
ration).
46.
i
6./6.
1896
i
12b-
i
j
66 j. 2
1
Cholelithiasis
in ductu
oholedocho et
hepatico cum
dilatatione
ductuumbile-
ferorum.
i
Das Pankreas
gross, derb. Der
Ductus Wirsun-
gianus und seine
Aeste etwas er¬
weitert
i
Ueberhaupt Vermehrung
und mässige Lipomatose
des interstitiellen Gewebes.
Um die dilatierten Aus¬
führungsgänge starke Ent¬
zündung. Hie und da
kleinste Herde von Fett-
gewebsnekrose. Die Epi-
thelien der Acini im all¬
gemeinen gut erhalten.
Nur in der Nachbarschaft
der dilatierten Gange die¬
selben in Zerfall begriffen.
Ihre Kerne aber auch hier
noch gut färbbar.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
lieber Selbstverdanuug des menschlichen Pankreas.
83
No.
Datum der
Section
Zeit zwischen
dem Eintritte
(Io« Todes
und der Section ;
Individuum
Pathologisch¬
anatomische
Haupt¬
diagnose
Makroskopischer
Pankreas-
Befund
Mikroskopischer
Pankreas - Befund
46.
1 10/11.
: 1891
1
14^.
2j.<?
Morbus
Brighti post
scarlatinam.
Nichts
auffälliges.
Normale Verhältnisse.
47.
i 6./5.
1895
16b.
74j.<J
Meningitis
suppurativa
exotitide
(Diabetes).
Das Pankreas
von reichlichem
Fettgewebe
durchsetzt.
Starke Lipomatose, stellen¬
weise Vermehrung des
interlobularon und inter-
acinösen Bindegewebes.
48.
20./1.
1893
1 15b-
j 29 j- c 3
Tuberculosis
chronica.
Nichts
auffälliges.
Normale Verhältnisse
49.
6/1.
1893
17h.
64 j. 3
Emphysema
pulmonum.
Im Pankreas
viele bis hanf¬
korngrosse gelb¬
liche Herde.
; Massige Lipomatose mit
Herden von Fettgewebs-
nekrose. Um letztere des
öfteren Entzündung. Stel¬
lenweise das Bindegewebe
vermehrt.
.50. |
27./9.
1891
18h-
46 j. 2
Anämia post
exstirpati-
onem Uteri.
Nichts
auffälliges.
Ziemlich starke Lipomatose
mit Herden von Fett-
gewebsnekrose, um welche
sich meist stärkere Ent¬
zündung findet.
51.
23./5.
1892
18h.
61j-S i
Carcinoma '
ductus chole-l
dochi.
Im Pankreas
einzelne bis halb¬
erbsengrosse
gelbliche Herde.
Ziemlich starke Lipoma¬
tose mit Herden von Fett-
gewebsnekrose.
52.
7./4.
1893
18h.
61j.<j|
Carcinoma •
capitis pan- (
creatis.
i
Im Kopfe des
Pankreas ein
hühnereigrosser
medullärer Tu¬
mor. Der Ductus
Wirsungianus
peripheriewärts
hievon stark
dilatiert.
Der Tumor im Kopfe des
Pankreas ein Adenocar-
cinom. Sonst im Pankreas
sehr starke Vermehrung
des interstitiellen Binde¬
gewebes namentlich um
die erweiterten Aus¬
führungsgänge. Die spär¬
lichen noch vorhandenen
Acini mit gut erhaltenem
Epithel versehen.
53.1
18./5. 1
1895
18h.
54. j. ?
Vituim valvu¬
läre cordis.
Das Pankreas
dicht, blutreich.
In ihm zahlreiche
bis erbsengrosse
gelbliche Herde.
Stärkere Lipomatose mit
Herden von Fettgeweüs-
nekrose. Die Epithelien
der Acini vielfach schlecht
abgegrenzt, mit starkge-
farbten Kernen versehen
(wahrscheinlich Fettdege¬
neration).
6 *
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
84
Dr. H. Chiari.
Digitized by
No.
Datum der
Section
Zeit zwischen
dem Eintritte
des Todes
and der Seotion
Individuum
Pathologisch-
anatomische
Haupt¬
diagnose
Makroskopischer
Pankreas-
Befund
Mikroskopischer
Pankreas - Befund
54.
9./1.
1893
20“.
21 j. 2
i
Intoxicatio
phosphorica.
Nichts auf¬
fälliges bis auf
eine leichte gelb-
liohe Verfärbung.
Das Protoplasma der Epi-
thelien der Acini meist
trübe, wobei die Kerne
gut gefärbt sind (Fett-
degeneration).
55.
21./1.
1893
20b
73 j.?
Illämorrhagia
cerebri.
Im Pankreas
mehrere bis
erbsengTosse
gelbliche Herde.
Stärkere Lipomatose mit
Herden von Fettgewebs-
nekrose.
1
56.
3./11.
1891
22b.
87* j. 2
Chloroform¬
tod.
Das Zwischen¬
gewebe ziemlich
stark blutig in¬
filtriert
Frische hämorrhagische
Infiltration des Zwischen¬
gewebes, sonst normale
Verhältnisse.
57.
16./11.
1891
22b-
31 j- 2
Tuberculosis
chronica.
Nichts
auffälliges.
Normale Verhältnisse.
58.
18./6.
1896
i
23^.
!
67 j. 2
\
Carcinoma
vesicae
felleae pro-
grediens ad
duodenum,
ad ductum
choledochum
et ad pancreas
In dem Pankreas¬
kopfe ein mit
dem Duodenum
zusammenhän¬
gender walnuss¬
grosser Knoten
von Aftermasse.
Im Körper und
Schweiftheile
des Pankreas der
Ductus Wirsun-
gianus erweitert
ln dem Schweif¬
theile ein erbsen¬
grosser gelb¬
licher Herd.
Ziemlich starke Lipoma¬
tose. Stellenweise auch
Bindegewebsvermehrung
mit kleinzelliger Infiltra¬
tion. Die Ausführungs-
gänge überall dilatiert
Die Epithelien der Adui
meist trübe. Ihre Kerne
aber noch färbbar (Fett¬
degeneration). Der Herd
im Schweife erweist sich
als Fettgewebsnekrose.
59.
31./5.
1898
24b.
1
61j.<?
| Oangraena
pulmonum
(Diabetes).
Das Pankreas
dünn, weich.
Mfissige Vermehrung des
interlobularen Bindege¬
webes. Die Zellen der
Acini getrübt Ihre Kerne
aber noch gut färbbar
(Fettdegeneration).
60.
4./11.
1891
24b. 1
IV j-2
Vitium val¬
vuläre cord is.
Das Pankreas
derb.
Normale Verhältnisse.
61.
18./11.
1891
24b-
40 j. S
Tuberculosis
chronica.
Nichts
auffälliges.
Normale Verhältnisse.
62.
18./12.
1891
24b.
8j- 2
Tuberculosis i
chronica. |
Nichts
auffälliges.
Normale Verhältnisse.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Ueber Selbstverdauung des menschlichen Pankreas.
85
No.
Datum der
Section
Zeit zwilchen
dem Eintritte
des Todes
und der Section
| Pathologisch¬
es anatomische
| Haupt-
£ 1 diagnose
Makroskopischer i
Pankreas-
Befund
Mikroskopischer
Pankreas - Befund
63.
30./3.
1893
24h
2j. V ;
1
Tuberculosis
chronica.
i
i
Im Pankreas
mehrere bis
birsekorngrosse
gelbliche |
Knötchen.
Einzelne Miliartuberkel
mit Verkäsung.
64.
12./12.
1893
24h.
18j.<j|
Mors post
Operationen!
(Degeneratio i
adiposa myo-
cardii).
Nichts
auffälliges.
Normale Verhältnisse.
65.
27./9.1 26h-
1890
57 j. 2
Carcinoma
Uteri.
1
1
Im Pankreas und
im Fettgewebe
um dasselbe
reichliche bis
er bsen grosse
gelbliche Herde.
Massige Lipomatose. Viele
Herde von Fettgewebs-
nekrose meist mit Ent¬
zündung in der unmittel¬
baren Umgebung.
1
m.
1-/4.
1893
26^.
|
Tuberculosis
chronica
(Diabetes).
Das Pankreas
kleiner.
Mässigo Vermehrung des
Zwischengewebes. Die
Epithelien der Acini meist
trübe. Ihre Kerne mit¬
unter schlechter färbbar.
1 (Fettdegeneration).
I
67.
12./11.
1891
27h.
41 j.2
Emphysema
pulmonum.
I
1
Das Pankreas
derb, blutreich.
Leichte Vermehrung des
Zwischengewebes. Starke
Hyperämie.
68.
1./6.
1895
27b.
65j .o»
Tuberculosis
chronica.
In der Mitte des,
Kopfes ein halb¬
erbsengrosser 1
gelblicher Herd.
Sonst nichts auf¬
fälliges.
Massige Lipomatose. Der
Herd im Kopfe ein Herd
von Fettgewebsnekrose mit
geringer Entzündung in
der Umgebung.
69.
26./4.
1893
28h.
1
32 j. 2
Morbus
Brighti
' chronicus.
Im Pankreas
reichliche bis
stecknadelkopf¬
grosse gelbliche
Herde.
Ziemlich reichliche Lipo-
matose. Viele Herde von
Fettgewebsnekrose, zum
Theile von Schwiele um¬
geben.
70.
j 7./3.
1893
| 31h.
72 j. 2
Morbus
Brighti chro¬
nicus.
Das Pankreas
j von sehr reich¬
lichem Fettge¬
webe durchsetzt
Hochgradige Lipomatose.
i Die Epithelien der Acini
klein, trüb, nicht scharf
begrenzt. Ihre Kerne stark
färbbar (Fettdegeneratioo).
Die Ausführungsgänga hie
und da etwas erweitert,
mit einer colloidartigen
Masse gefüllt.
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
86
l)r. H. Chiari.
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No.
Datum der
Section
Zeit zwischen
dem Eintritte
des Tode«
and der Section
Individuum
Pathologisch¬
anatomische
Haupt-
diagnose
Makroskopischer
Pankreas-
Befnnd
Mikroskopischer
Pankreas - Befand
71.
8./1.
1892
31h-
63j. $
Uorbus
Brighti chro¬
nicus.
Im Pankreas
mehrere bis halb¬
erbsengrosse
gelbliche Herde.
Im Kopfe eine
haselnussgrosse
mit einer schlei¬
migen Flüssig¬
keit gefüllte
Cyste.
Mässige Lipomatose mit
Herden von Fettgewebs-
nekrose. Allenthalben Ver¬
mehrung und kleinzellige
Infiltration des Zwischen¬
gewebes. Die Epithelien
der Acini meist klein.
Ihre Kerne aber gut färb¬
bar (Fettdegeneration). Die
Cyste des Kopfes eine Aus¬
führungsgangscyste.
72.
i
9./3.
1891
32h.
71j.o*
Marasmus
senilis.
Im Pankreas
zahlreiche bis
erbsengrosse
gelbliche Herde.
Starke Lipomatose mit
Herden von Fettgewebs-
nekrose. Die Epithelien
der Acini trüb, klein.
Ihre Kerne fast durch¬
wegs noch gut gefärbt.
(Fettdegeneration).
73.
25./11.
1891
50h-
87j. i
Tuberculosis
chronica.
!
J
J
Im Schweife des
lipomatösen
Pankreas
mehrere bis
erbsengrosse
seröse Cystchen.
Ziemlich starke Lipoma¬
tose. Die Epithelien der
Acini durchwegs stärker
trüb. Die Kerne mitunter
in Zerfall. Die Cystchen
Ausführungsgangs-
cystchen.
74.
5./11.
1891
i
|
1
62h-
t
l
74 j o*
i
| Fractura
| cranii.
i
Das Pankreas
von reichlichem
Fettgewebe
durch setzt
Starke Lipomatose mit
Herden von Fettgewebs-
nekrose. Die Epithelien
der Acini in Zerfall. Die
Kerne durchwegs fragmen¬
tiert Die Fragmente stark
gefärbt
75.
28./11.
1891
1
j
; 1
62h.
! 20 j
;
Processus
puerperali8.
i
i
Nichts
auffälliges.
Die Epithelien der Acini
trüb. Ihre Kerne aber
noch sehr schön erhalten
und sehr gut färbbar.
In den 11 Fällen der Tabelle A war also der mikroskopische
Befund wie bei einer diffusen oder fast diflusen Nekrose der Acini und
vielfach auch des Zwischengewebes zu constatieren gewesen. In
den als nekrotisch imponierenden Acini zeigten die Epithelien keine
oder fast keine Kernfärbung mehr und erschien ihr Protoplasma
nahezu vollkommen homogen. Das Zwischengewebe zwischen den
in ihren Contouren noch kenntlichen Acini betheiligte sich meist
in grosser Ausdehnung an der „Nekrose“ und war es oft nur in
den grösseren Septa erhalten geblieben. In solchen Fällen war
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Ueber Selbstverdauung des menschlichen Pankreas.
87
dann auch das Epithel der grösseren Ausführungsgänge nicht alteriert
Fig. 9 zeigt eine kleine Stelle des Pankreas vom 3. Falle bei
stärkerer Vergrösserung und sieht man daselbst, wie die „Nekrose“
sowol die Acini als das Zwischengewebe betrifft. Fünfmal, nämlich
in dem 3., 4., 5., 7. und 10. Falle fand sich in dem nekrotischen
Pankreas frische Blutextravasation, die in dem 4. und 10. Falle
eine so beträchtliche war, dass bereits bei der Section das Pankreas
durch seine blutige Infiltration auffiel. In drei Fällen und zwar
im 1., 4. und 9. Falle waren hie und da inselförmige Gruppen von
Acini sammt ihrem Zwischengewebe gut erhalten geblieben. Ich
verweise in dieser Hinsicht auf die Figuren 10 und 11, welche
beide dem 4. Falle angehören. Fig. 10 stellt die diffuse Nekrose
der Acini und des Zwischengewebes mit beträchtlicher Blutung
(bei a und aO dar, während Fig. 11 einen kleinen Herd nicht
nekrotisch erscheinender Acini, umgeben von Fettgewebe er¬
kennen lässt.
Bei der Section waren alle diese Pancreata durch ihre weiche
Consistenz, mehrere auch durch ein Verwischtsein ihres Durch¬
schnittsbildes ausgezeichnet gewesen. Die Zeit zwischen dem Tode
und der Section respective der Entn ahm e des Pankreas aus der
Leiche hatte zwischen 14 und 43 Stunden geschwankt. Die be¬
treffenden Individuen waren 5 mal männlichen und 6 mal weiblichen
Geschlechtes gewesen. Ihr Alter hatte von 15 Jahren bis zu
69 Jahren variiert. Die pathologisch-anatomische Hauptdiagnose
war eine sehr verschiedene gewesen, auffälligerweise hatte es sich
aber 5 mal um Erkrankungen des Gehirnes gehandelt. Nur ein
Pankreas, nämlich das des 7. Falles war sonst noch pathologisch
verändert gewesen, insoferne sich in ihm starke Lipomatose ge¬
funden hatte.
War das nun wirklich eine diffuse Autodigestion des Pankreas
gewesen oder hatte die unter dem Bilde einer diffusen Nekrose
sich darstellende Veränderung des Pankreasgewebes in diesen
Fällen eine andere Ursache gehabt?
In erster Linie ist hiebei gewiss an die Fäulnis zu denken,
findet sich ja doch in der Literatur vielfach die Angabe, dass das
Pankreas besonders schnell fault. Obwohl ich mich schon seit
längerem durch die Secirsaalserfahrung von der Unrichtigkeit dieser
Behauptung überzeugt hatte, stellte ich nunmehr doch specielle
Faul versuche mit dem menschlichen Pankreas an, in der Art, dass
ich das Pankreas wellige Stunden nach dem Tode der Leiche ent¬
nahm, dasselbe bei gewöhnlicher Zimmertemperatur frei liegen liess
und nun von ihm bis zu dem Zeitpunkte, wo bereits starker Fäul-
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Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
88
l)r. H. Chiari.
nisgernch wahrzunehmen war, in kleineren Zwischenräumen Stücke
ansschnitt, dieselben in 96 °/ 0 Alkohol erhärtete und zn mikro¬
skopischen Durchschnitten verarbeitete. Diese Experimente, die in
warmer Jahreszeit (Ende Mai) ansgeführt wurden, zeigten, dass
das Pankreasgewebe bei der Fäulnis nicht weniger Widerstand
leistet als z. B. eine andere Speicheldrüse oder die Leber. Erst
nach 40 Stunden begannen sich in den mikroskopischen Präparaten
ganz allmählich Veränderungen zu zeigen, welche auf die Fäulnis
zu beziehen waren. Sie bestanden darin, dass die Contouren der
Epithelien undeutlich wurden, ihr Protoplasma sehr trüb erschien,
die Kerne bei guter Färbbarkeit in Fragmente zerfielen und überall
nebst verschiedenartigen Bakterien kleinste stark gefärbte Körnchen
auftraten. Ein analoges Bild der Nekrose wie bei den Fällen der
Tabelle A konnte ich bei den Faulversuchen niemals wahrnehmen.
In Berücksichtigung dieser Thatsache, wobei noch zu berücksichtigen
ist, dass das aus der Leiche entnommene frei an der Luft liegende
Pankreas für gewöhnlich gewiss viel schneller der Fäulnis anheim¬
fällt, als wenn es in der Leiche belassen wurde, und weiter auch
im Hinblick auf den Umstand, dass die Leichen der 11 Fälle, die
mit Ausnahme der Leiche des 4. Falles alle während der kalten
Jahreszeit seciert worden waren, überhaupt keine manifesten Fäulnis¬
erscheinungen dargeboten hatten, so dass die von sonstigen Organen
dieser Leichen angefertigten mikroskopischen Präparate sehr gut
brauchbar waren, mnss ich mich dagegen aussprechen, dass in
diesen Fällen der Tabelle A, die wie eine diffuse Nekrose sich
präsentierende Veränderung des Pankreas, bei der sich übrigens
auch nie Bakterien finden liessen, ein Fäulniseffect gewesen war.
Da nun auch sonst keine andere Ursache für die geschilderte
Zerstörung der Pankreastextur zu eruieren war, halte ich mich zu
der Behauptung berechtigt, dass die diffuse „Nekrose“ in diesen
Pancreata durch eine Autodigestion bedingt worden war, die hier
eben ganz diffus das Pankreas ergriffen hatte.
Auf den Befund einer solchen diffusen Autodigestion des
Pankreas in der menschlichen Leiche ist schon öfters in der Literatur
hingewiesen worden, so von Pilliet 1 ) und neuestens wieder von
Hansemann.' 1 ) Gewiss ist das aber kein regelmässiger Befund im
Pankreas der menschlichen Leiche, sondern nur in einem gewissen
Procentsatze der Fälle zu constatieren. Das Pankreas muss eben
- 1 ) Pilliet , Scleroses du pancreas et diabete. Progres medical 1889. 35. Mai.
*) Hansemann , Die Beziehungen des Pankreas zum Diabetes. Zeitschr. f.
klm. Medicin. 1894. 26. B.
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Ueber Selbstverdaaang des menschlichen Pankreas.
89
zur Zeit des Absterbens des betreffenden Individuums im Zustande
der Absonderung eines verdauungskräftigen Secretes gewesen sein.
Die Autodigestion des Pankreas war in allen 11 Fällen der
Tabelle A zweifellos eine ganz frische gewesen. In 5 Fällen
hatte sie wohl schon in agone begonnen und zwar in den
5 Fällen, von denen früher der Befund von Blutextravasation im
Pankreas erwähnt wurde. In den übrigen 6 Fällen liegt gar kein
Grund vor, sie nicht als eine rein postmortale Veränderung aufzu¬
fassen.
Bei den 29 Fällen mit dem histologischen Bilde einer herd¬
weisen frischen Nekrose, die in der Tabelle B. verzeichnet sind,
ist meiner Meinung nach auch sicher zu behaupten, dass die Herde
Folge einer Autodigestion im Pankreas gewesen waren. Auch hier
liess sich sonst keine Ursache für die „Nekrose“ erkennen. Be¬
züglich der Ausschliessung der Fäulnis als Ursache dafür kommt
hier zu den früher erwähnten Momenten noch der Umstand hinzu,
dass das Pankreasgewebe ausserhalb der Nekroseherde mit Aus¬
nahme der 4 letzten Fälle, welche so spät zur Section gelangt
waren, dass eben bereits wirkliche Fäulnisveränderungen begonnen
hatten, i. e. die Zellgrenzen der Epithelien der Acini nicht mehr
scharf waren und hie und da Kernzerfall in ihnen auftrat, durch¬
wegs sehr gut erhalten war, was sich bei der Annahme einer Ent¬
stehung der Herde durch Fäulnis gar nicht verstehen Hesse.
Der mikroskopische Befund im Bereiche der Herde war der¬
selbe wie bei der diffusen Veränderung des Pankreasgewebes in
den Fällen der Tabelle A. Auch hier waren die Epithelkerne in den
Acini innerhalb der Herde nicht mehr färbbar und ihr Protoplasma
mehr weniger homogen. Auch hier war das Zwischengewebe zwischen
den nekrotisch erscheinenden Acini, oft selbst einer Nekrose ent¬
sprechend beschaffen. Fig. 12 zeigt bei schwächerer Vergrösserung
einen mohnkorngrossen solchen Herd inmitten gut erhaltenen
Pankreasgewebes vom 12. Falle. Die Grösse der Herde war eine
sehr verschiedene. Manchmal waren sie sehr gross, so dass um¬
fängliche Stellen der Schnitte die Veränderung zeigten; oft er¬
reichten sie nur Hanfkorngrösse und nicht selten waren sie ledigUch
auf kleinste Gruppen von Acini beschränkt. Sehr häufig zeigten
sie keine scharfe Abgrenzung, mitunter aber Hessen sie sich
an den gefärbten Schnitten bereits makroskopisch als rund-
Uche oder elUptische, von der Nachbarschaft deutlich abgehobene
Herde erkennen. So war letzteres der Fall bei dem Pankreas, von
welchem der Herd in Fig. 12 dargestellt ist. Um die geringe
Dimension einzelner solcher Herde zu zeigen, verweise ich auf
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
90
Dr. U. Chiari.
Fig. 13, welche einen kleinsten Herd vom 24. Falle wiedergibt.
Zweimal, im 14. und im 36. Falle, fand sich im Bereiche der Herde
frische Blutextravasation und verweise ich diesbezüglich auf die
Fig. 14 vom 36. Falle, in welcher man innerhalb einer nekrotisch
erscheinenden Partie die Blutextravasation (bei a und a‘) sehen
kann. Fig. 15 zeigt von demselben Falle eine andere Stelle des
Pankreas mit vollkommen normalem Drüsengewebe. Bakterien
fanden sich auch in den Fällen dieser Gruppe in den Herden
niemals.
BeiderSection waren in keinem der Fälle die Herde im Pankreas¬
gewebe diagnosticiert worden. Das Pankreas war wohl oft dem
Secanten pathologisch verändert erschienen, so dass z. B. 5 mal
Herde von Fettgewebsnekrose, 2 mal starke Lipomatose und 1 mal
(in dem früher erwähnten 36. Falle) stellenweise blutige Infiltration
im Sectionsprotokolle notiert wurden; die später bei der mikro¬
skopischen Bearbeitung gefundenen Herde der geschilderten Ver¬
änderung des Pankreasgewebes selbst hatten sich aber durch nichts
verrathen.
Neben dem Bilde der herdweisen Nekrose des Pankreasgewebes
fand ich in den mikroskopischen Präparaten dieser Pancreata
15 mal theils geringere theils stärkere Lipomatose, wobei 7 dieser
Fälle Herde von Fettgewebsnekrose erkennen Hessen, die meist
von einer Zone reactiver Entzündung umgeben waren, 2 mal eine
geringe Erweiterung der grösseren Ausfuhrungsgänge (23. und 32.Fall)
mit Vermehrung des Bindegewebes im Pankreas und 1 mal (31. Fall)
einzelne riesenzellenhaltige Miliartuberkel.
Das am frühesten nach dem Tode der Leiche entnommene
Pankreas dieser Gruppe von Fällen war 10 Stunden post mortem
in Alkohol gebracht worden, die am spätesten untersuchten 4 Pan¬
creata stammten von 42 bis 53 Stunden nach dem Tode ausgeführten
Sectionen. 17 Individuen waren männUchen, 12 weibUchen Ge¬
schlechtes gewesen, das jüngste hatte 3 Jahre, das älteste 87 Jahre
gezählt Die Todesursachen waren auch hier sehr verschieden¬
artige gewesen und konnte eine besondere Beziehung zwischen
einer oder der anderen Erkrankung des übrigen Körpers und dem
Auftreten der Herde im Pankreas nicht festgestellt werden.
Auch in diesen Fällen war die Autodigestion des Pankreas
sicherlich eine ganz frische gewesen. Nur in 2 Fällen (im 14. und
36. Falle) ist es zulässig anzunehmen, dass die Autodigestion bereits
in agone begonnen hatte, da sich hier wie erwähnt im Bereiche
der „Nekroseherde“ frische Blutextravasation vorfand.
Die 35 Fälle der Tabelle C boten sehr interessante Vergleichs-
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
lieber Selbstverdauung des menschlichen Pankreas.
91
objecte. Es sind auch da Fälle vertreten, in denen erst relativ
lange Zeit nach dem Tode das Pankreas entnommen worden war,
so nach 50 Stunden beim 73. und nach 62 Stunden beim 74. und
75. Falle. Es war hier also auch Gelegenheit gegeben, wirkliche
Fäulnisveränderungen des Pankreas zu sehen, die sich namentlich
im 73. und 74. Falle durch starke Trübung des Protoplasmas und
Zerfall der Kerne in den Epithelien der Acini sowie das Auftreten
verschiedenartiger Bakterien manifestierten. Im 75. Falle waren,
obwohl, wie erwähnt, das Pankreas auch hier erst 62 Stunden nach
dem Tode der Leiche entnommen worden war, die Epithelien der
Acini zwar getrübt, ihre Kerne aber noch sehr schön erhalten und
gut färbbar. Es zeigte sich also hier wieder in Correspondenz
mit den Faulversuchen, dass das Pankreas für gewöhnlich durch¬
aus nicht besonders schnell fault und das histologische Bild der
wirklichen Fäulnisveränderungen wesentlich verschieden ist von dem
der Autodigestion.
Die Individuen dieser Gruppe waren sehr verschiedenen Alters
gewesen, i. e. von 2 Jahren bis zu 74 Jahren. 15 hievon waren
männlichen, 20 weiblichen Geschlechtes gewesen. Der 41. Fall
war bereits 5 Stunden post mortem, die beiden letzten Fälle erst
62 Stunden post mortem seciert worden. Nur 10 mal war das
Pankreas bei der Section unverändert erschienen und fanden sich
in 9 von diesen 10 Fällen auch bei der mikroskopischen Unter¬
suchung vollkommen normale Verhältnisse, während in einem dieser
10 Fälle (50. Fall) die mikroskopische Untersuchung denn doch
ziemlich starke Lipomatose und Herde von Fettgewebsnekrose erwies,
um welche sich meist stärkere Entzündung fand. Im 54. Falle
(Phosphorvergiftung) entsprach einer bei der Section auffälligen
gelblichen Verfärbung des Pankreas mikroskopisch eine auf Fett¬
degeneration zu beziehende Trübung der Epithelien der Acini. Im
56. Falle, bei einem „Chloroformtode“ war das Pankreas hämor¬
rhagisch infiltriert, im 67. Falle war es in Zusammenhang mit
Lungenemphysem zu einer Stauungsinduxation des Pankreas ge¬
kommen. Im 63. Falle fanden sich bei einer Tuberculosis chronica
universalis im Pankreas einzelne Miliartuberkel. Sehr oft (12 mal)
waren schon makroskopisch Herde von Fettgewebsnekrose zu con-
statieren gewesen, die sich dann auch bei der mikroskopischen
Untersuchung wieder fanden und nicht selten reactive Entzündung
in ihrer Nachbarschaft erkennen liessen. Stets war damit ver¬
banden eine bald geringe, bald stärkere Lipomatose des Pankreas,
3 mal (im 47., 73. und 74. Falle) hatte sich die Lipomatose bereits
bei der Section wahrnehmen lassen und erwies dann die roikro-
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92
Dr. H. Chiari.
skopische Untersuchung in einem dieser Fälle (im 74. Falle) auch
noch Herde von Fettgewebsnekrose in diesem Pankreas. In 3 Fällen
(45., 52. und 58. Fall) hatte sich eine beträchtlichere Dilatation
des D. Wirsungianus und seiner Aeste gezeigt und zwar im 45. Falle
in Folge einer auch den D. choledochus betreffenden Cholelithiasis,
im 52. Falle in Folge von primärem Carcinom des Pankreaskopfes
und im 58. Falle in Folge des Uebergreifens eines Carcinoms der
Gallenblase auf dem Pankreaskopf. In allen diesen Fällen waren
die Ausführungsgänge im Pankreas durchwegs stark dilatiert, das
interstitielle Bindegewebe vermehrt, 2 mal auch lipomatös und
namentlich um die Ausführungsgänge kleinzellig infiltriert. Diese
3 Fälle erscheinen deswegen besonders wichtig, weil sie demon¬
strieren, dass bei Secretstauung im Pankreas es nicht zu Auto¬
digestion kommen muss. In 4 von den Fällen (47., 52., 59. und
66. Fall) war klinisch Diabetes mellitus diagnosticiert worden.
Dabei war das Pankreas stets verändert und zwar im 47. Falle
stark lipomatös, im 59. und 66. Falle atrophisch und im 52. Falle,
wie eben früher erwähnt wurde, von einer interstitiellen Entzündung
betroffen.
Aus dem Vergleiche der 35 Fälle der Tabelle C mit den Fällen
von Autodigestion des Pankreas in der Tabelle A und Tabelle B
ergibt sich wohl klar die Folgerung, dass besondere Verhältnisse
vorhanden sein müssen, damit eine postmortale respective intraagonale
Autodigestion des Pankreas beim Menschen sich entwickeln könne.
So iveit aus dem untersuchten Materiale ein statistischer Schluss
gestattet ist, kann man sagen, dass etwa in der Hälfte der Todes¬
fälle das Pankreas zur Zeit des Absterbens des betreffenden Indi¬
viduums die Fähigkeit besitzt, sich, sei es in toto oder in Herden
selbst zu verdauen.
Bei Thieren, die im gesunden Zustande getödtet wurden, scheint
diese „Activität“ des Pankreas eine viel regelmässigere zu sein
und verweise ich in dieser Hinsicht auf die interessanten Experi¬
mente von Arnozan und Vaillard, ‘) welche bei Kaninchen, Ratten,
Hunden, Kälbern und Rindern an Pankreasschnitten, die durch
24 Stunden in Humoraqueus oder in 33 °/ 0 Alkohol gelegen hatten,
constant einen von ihnen, wie ich glaube, mit Recht als Autodigestion
aufgefassten vollständigen Zerfall der Pankreaszellen beobachteten,
während sich in gleich behandelten Schnitten anderer Organe,
z. B. der Parotis, die Drüsenzellen gut erhalten zeigten, ein Resultat,
*) Arnozan et Vaillard, Contribation k l’etude du pancre&s du lapin. Arch.
de phys. norm, et path. 1884, p. 287.
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Uebor Selbatverdauung des menschlichen Pankreas.
93
welches ich bezüglich der grauen Hausmäuse vollkommen be¬
stätigen kann.
Nach dem im Vorangehenden Mitgetheilten glaube ich also
den Satz aussprechen zu dürfen, dass beim Menschen sehr oft eine
postmortale, eventuell schon während der Agone beginnende Auto¬
digestion des Pankreas vorkommt und dass, wie die Eingangs ge¬
schilderten beiden Fälle zeigen, ab und zu aber auch sogar in der
Vollkraft des Lebens eine herdweise Nekrose des Pankreas durch
Autodigestion entstehen könne , an die sich eine reactive Pancreatitis
interstitialis chronica anschliesst. Es wären somit im Pankreas
analoge Verhältnisse bezüglich der Autodigestion als wie im Magen,
wo wir ja auch postmortale, intraagonale und intravitale Selbst¬
verdauung kennen.
Eine Umschau in der Literatur ergibt, dass bereits von mehreren
Autoren die Möglichkeit einer intravitalen Autodigestion des Pankreas
in Betracht gezogen wurde.
So äusserte schon im Jahre 1879 Klebs in seinem Handbuche
der pathologischen Anatomie, 1 ) dass die Ursache für die Pankreas¬
blutungen vielleicht gerade in einer corrodierenden Wirkung des
Secretes zu suchen sei. *
Gussenbauer *) hält es für einen von ihm mit glücklichem Er¬
folge operierten Fall von Pankreascyste für möglich, dass es sich
hier um centrale Einschmelzung eines Tumors und zwar eines
Melanosarkoms unter Einwirkung des Pankreassaftes gehandelt habe.
Salzer *) macht zum Schlüsse seiner Mittheilung über 2 Fälle
von Pankreascysten die Bemerkung: „Wie leicht kann der stag¬
nierende Bauchspeichel auf die allmählich den Drüsencharakter
einbüssende Wandung ähnlich einwirken wie der Magensaft auf
die kranke Magenwand bei Ulcus rotundum“.
Tilger*) schildert die Entstehung von Pankreascysten durch
Selbstverdauung bei Retention des Secretes in Folge von Pancrea¬
titis interstitialis chronica auf dem Wege einer Einschmelzung der
Acini und des Zwischengewebes, eines Confluxes mehrerer kleinerer
») L B. p. 568.
*) Ghwtenbauer, Zar operativen Behandlung der Pankreascysten. Aich. f.
klin. Cbir. 29. B. 1888.
s ) i Salzer, Zar Diagnose der Pankreascyste. Zeitschr. f. Heilkunde 7. B.
1886. (Vide in dieser Hinsicht aach die Literatarangaben bei Wölfler, Zar Diagnose
and Therapie der Pankreascyston. Ibidem 9. B. 1888.)
4 ) Tilger, Beiträge zur pathologischen Anatomie und Aetiologie der Pankreas¬
cysten. Virch. Arch. 137. B. 1894.
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94
T)r. II. Chiari.
solcher Erweichungsherde und einer secundären Blutung in die
Erweichungscysten durch Gefässarrosion seitens des Pankreassaftes.
Meiner Anschauung nach wird es sich im Laufe der Zeit
heraussteilen, dass die intravitale Autodigestion des Pankreas beim
Menschen eine viel grössere Bolle spielt, als man bisher gedacht
hat. Vielleicht werden sich dadurch manche sonst ganz unver¬
ständliche Pankreasblutungen, bei denen übrigens in der That mit¬
unter Nekrose von Drüsenläppchen gefunden wurde, 1 ) erklären
lassen, vielleicht wird damit auch die Genese mancher Fälle von
Verjauchung des Pankreas festzustellen sein, da ja doch gewiss
daran gedacht werden könnte, dass bei einer intravital erfolgten
Autodigestion des Pankreas vom Darme her durch den D. Wir-
sungianus eingedrungene Bakterien in dem nekrotischen Pankreas¬
gewebe einen günstigen Boden für ihre Weiterentwicklung finden
dürften.
Für das alles sind noch weitere Untersuchungen nothwendig,
ich wollte durch meine Mittheilung zunächst nur wieder einmal
die Aufmerksamkeit auf die Autodigestion des menschlichen Pankreas
hingelenkt haben.
Es,wird dann auch die wichtige Frage zu studieren sein,
warum das Pankreas nicht immer sich selbst verdaut. Der unge¬
hinderte Abfluss des Secretes kaun allein dafür gewiss nicht die
Ursache sein, weiss man ja doch durch zahlreiche Experimente
auf diesem Gebiete (vide Heidenhain ,'*) Senn 8 ), dass bei arteficieller
Verschliessung des D. Wirsungianus der noch fort secernierte
Pankreassaft doch nicht zerstörend auf das Drüsengewebe wirkt,
während er sonst, z. B. in das Unterhautzellgewebe gebracht,
wie Kühne 1 ) gezeigt hat, ausgedehnte Gewebsnekrose erzeugt
Wahrscheinlich müssen die Pankreaszellen irgendwie alteriert sein,
damit sie der verdauenden Wirkung ihres eigenen Secretes unter¬
liegen.
Es wird weiter zu eruieren sein, warum es bei herdweiser
Selbstverdauung des Pankreas in der Vollkraft des Lebens, wie
*) Vide Hatckins, A case of pancreatic hemorrhage and fat necrosis with a
consideration of acnte inflammation of the pancreas. Lancet 1898. II. Aug. 12.
Eef. in Virch.-Hireoh Jabr.-Ber. 1898 II. p. 278 und Dieckhoff, Beiträge zur
pathologischen Anatomie des Pankreas. Festschr. f. Th. Thierfelder 1895.
*) Heidenhain , Die Bauchspeicheldrüse. Physiologie der Absonderung. Herr-
mann ’s Hdb. der Phys. 5. B. I. Theil. 1888.
s ) Senn , Die Chirurgie des Pankreas, gestützt auf Versuche und klinische
Beobachtungen. Volkmanns Hin. Vortr. 818—814. 1888.
*) Kühne, Heber die Verbreitung einiger Enzyme im Thierkörper. Verh. d.
naturw. Vereines in Heidelberg. 2. B. 1880.
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Ueber Selbstverdauung des menschlichen Pankreas.
95
es namentlich aus dem zweiten meiner beiden Eingangs geschilderten
Fällen hervorzugehen scheint, zunächst blos zu einer Nekrose des
Pankreasgewebes kommt, an die sich erst allmählich der Zerfall
der nekrotischen Acini und die Resorption des daraus entstandenen
Detritus anschliesst und nicht sofort das Pankreassecret die be¬
treffenden ertödteten Partien des Pankreasgewebes auflöst, wie es
ja doch nach der Wirkungsweise des Pankreassaftes beim Experi¬
mente vermuthet werden könnte..
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 1 und II,
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Fig. 1. Aus dem Centrom des Nekroseherdes im Pankreas von dem Falle vom
28. November 1891. 390 x Zeiss Obj. E. Oc. 2.
Fig. 2. Von der Peripherie desselben Nekroseherdes. 390 x Zeiss Obj. E. Oc. 2.
Fig. 3. Grosser und kleiner Nekroseherd in Pankreas von dem Falle vom 29. April
1893. Natürliche Grösse.
Fig. 4. Eben mit freiem Augo wahrnehmbarer Nekroseherd desselben Falles ohne
Zerfall der nekrotischen Acini. 60 x Zeiss Obj. AA. Oc. 2.
Fig. 5. Theil dieses Herdes. 390 x Zeiss Obj. E. Oc. 2.
Fig. 6. Von einem hohnengrossen Nekroseherde desselben Falles. Stelle mit noch
gut kenntlichen nekrotischen Acini. 390 x Zeiss Obj. E. Oc. 2.
Fig. 7. Stelle dieses Herdes mit schon weit gediehenem Zerfalle der nekrotischeu
Acini. 390 x Zeiss Obj. E. Oc. 2.
Fig. 8 . Punktlörmiger Nekroseherd desselben Falles mit hochgradigem Zerfalle
der Acini. 60 x Zeiss Obj. AA. Oc. 2.
Fig. 9. Stelle eines Pankreas mit totaler frischer Autodigestionsveränderung.
Fall 3 der Tabelle A. 390 x Zeiss Obj. E. Oc. 2.
Fig. 10. Eine ebensolche Stelle vom Falle 4 der Tabello A. Blutextravasation
bei a und a'. 60 x Zeiss Obj. AA. Oc. 2.
Fig. 11. Kleiner Herd noch gut erhaltenen Pankreasgewebes von demselben
Falle. 60 x Zeiss Obj. AA. Oc. 2.
Fig. 12. Eben noch mit freiem Auge wahrnehmbarer Herd von frischer Auto-
digestionsverftnderung. Fall 12 der Tabelle B. 60 x Zeiss Obj. AA. Oc. 2.
Fig. 13. Kleinster Herd von frischer Autodigestionsverfinderung. Fall 24 der
Tabelle B. 60 x Zeiss Obj. AA. Oc. 2.
Fig. 14. Stelle mit frischer Autodigestionsveränderung und Blutung bei a und a'.
Fall äß der Tabelle B. 60 x Zeiss Obj. AA. Oc. 2.
Fig. 15. Stelle mit noch gut erhaltenem Pankreasgewebe von demselben Falle.
60.x Zeiss Obj. AA. Oc. 2.
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(Aus der deutschen Univorsitätsfrauenklinik in Prag.)
ÜBER METASTATISCHES UND GLEICHZEITIGES
VORKOMMEN VON KREBS IN DER GEBÄRMUTTER
UND IN ANDEREN UNTERLEIBSORGANEN.
Von
Dr. FRITZ KLEINHANS,
klin. Assistenten.
Unsere Kenntnisse über Metastasenbildung bei Krebs in den
inneren Abschnitten des weiblichen Genitale haben gerade in
jüngerer Zeit dnrch eine Reihe werthvoller Arbeiten von ver¬
schiedenen Gesichtspunkten ans nicht unwesentliche Bereicherung
erfahren. Ich erinnere hier zunächst nur an jene von Winter, 1 )
Emanuel ,*) Pfannenstiel, 9 ) Länderer 4 ) und Seelig. 9 ) Auch dem gleich¬
zeitigen Vorkommen von Krebs in verschiedenen, miteinander nicht
in direktem Zusammenhänge stehenden Organen wurde mehrfach
Aufmerksamkeit zugewendet
Es erscheint jedoch die Entscheidung der Frage, ob im ge¬
gebenen Falle ein Abhängigkeitsverhältnis beider Prozesse von
einander bestehe oder nicht, manchmal ausserordentlich schwierig,
so dass man über eine blosse Vermuthung nicht hinauskommt. Es
*) Winter, Ueber die Recidive des Uteruskrebses, inabes. über Impfrecidive.
Zeitschrift f. Geb. u. Gyn-, Bd. XXVII.
*) Emanuel, Ueber maligne Ovarialtumoren mit Bildung von Primordial-
eiera. Zeitschrift £ Geb. n. Gyn., Bd. XXVII.
*).. Pfannenstiel, Ueber Cardnombildnng nach Ovariotomien. Zeitschrift £
Geb. n. Gyn., Bd. XXVill.
*) Länderer, Ueber Metastasenbildung bei carcinomatösen Ovarialcysten.
Zeitschrift £ Geb. n. Gyn., Bd. XXXI.
*) Seelig, Pathologisch-anatomische Untersuchungen über die Ausbreitungs-
Wege des Gebärmutterkrebses. Inaugural-Diss., Strassburg 1896.
ZeiUchrift für Heilkunde. ZVH.
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98
Dr. Fritz Kleinhirns.
erscheint dies tun so begreiflicher, wenn man bedenkt, dass mit¬
unter auch die histologische Untersuchung im Stiche lassen kann,
da die Metastase oft eine Abweichung vom Bau der primären Ge¬
schwulst dadurch erfährt, dass das Gewebe, welches die meta-
statische Neubildung umgiebt, anders beschaffen ist, als jenes, in
welchem sich der primäre Herd entwickelt hatte.
Unsere beiden Fälle sind nun so eigentümlicher und außer¬
gewöhnlicher Art, dass deren Veröffentlichung angezeigt erscheint.
So zeichnet sich der erste unserer Fälle schon dadurch aus,
dass man im Verlaufe der Krankheit das Vorrücken des deletären
Prozesses nach einzelnen Etappen gleichsam Schritt für Schritt
direkt verfolgen konnte, ausserdem noch durch das allmähliche Auf¬
treten verschiedener Metastasenformen, wie solches bei einem und
demselben Individuum in dieser Combination selten zur Beobachtung
gelangt
Der zweite Fall gewinnt besonderes Interesse durch das gleich¬
zeitige Vorhandensein der Neubildung in der Gebärmutter und in
mehreren Organen des Unterleibes, wobei die enorm rapide und
mächtige Ausbreitung in den letzteren besonders hervorgehoben
werden muss.
Zunächst will ich in Kürze die betreffenden Krankheits¬
geschichten mittheilen.
I. K. K., ledige Dienatmagd, 48 Jahre alt, am 28. Februar 1893 auf die
Klinik aofgenommen. Hat nie geboren, nie abortiert Stand einmal vor 18 Jahren
an der Klinik Brejsky wegen , Bauchfellentzündung “ in Behandlung, erholte sich
vollständig und war weiterhin gesund. Vor 3 Jahren begann die Periode seltener
zu werden; manchmal mehrmonatliche Pause. Seit l 1 /* Jahren vollständige Meno¬
pause. Seit einem Jahre leidet sie an häufig auftretenden, krampfartigen Schmerzen
im ganzen Unterleib, welche mitunter von Erbrechen gefolgt sind. Bedeutende
Zunahme dieser Beschwerden in den letzten 3 Monaten. In letzter Zeit auch zu¬
nehmendes Schwächegeffihl, Anwachsen und Härterwerden des Unterleibes, sowie
schmerzhafte Schwellung des linken Unterschenkels.
Befund: Kleine Penon, von nicht gerade kachektischem Aussehen aber
sehr anämisch. Irreguläre Narben im Bereiche des Corpus sterni von in der
Jugend fiberstandener Caries herrtthrend. An Herz und Lungen nichts Abnormes
nachzuweisen.
Unterleib ausgedehnt durch anscheinend zwei zusammenhängende Geschwülste,
welche an verschiedenen Stellen verschiedene, theils weich elastische, theils derbe
Consistenz zeigen, auch da und dort härtere rundliche Höcker anfweisen. Die
bimanuell gut abgrenzbare Gebärmutter von normaler Grösse, auteflectirt, nach
vorne gedrängt. Ausserdem deutlich nachbarer Ascites. Geringe Schwellung der
linksseitigen Inguinaldrüsen. Adnexa nicht zu tasten.
Diagnose: Ovarialkystom (beiderseits) mit maligner Degeneration.
Operation Anfang März. Bei derselben wurde ein fast mannskopfgrosses
linksseitiges Overialkystom, — dessen nähere Beschreibung weiter unten gegeben
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Ueber metastatisches and gleichzeitiges Vorkommen von Krebs etc. 99
werden soll, entfernt 1 ) Entleerung einer m&ssigen Menge blatiger Ascitesflüssig¬
keit Anstatt des rechten Eierstockes lässt sich nur an entsprechender Stelle
eine kleine Verdickung am breiten Matterbande abtasten.
Die Gebärmutter von normaler Grösse, deren Bauchfellüberzug mit mehreren
kleinen weisslichen Knötchen besetzt. Nach Abtragung der gestielten Geschwulst
Schloss der Bauchwunde. Entlassung am 18. Tage post. op. nach glatter Heilung.
Am 4. November 1894 , also l 1 /* Jahre nach der Operation suchte die Patientin
neuerdings die Klinik auf. Sie klagte über weisslichen Anssfluss, der einige Zeit
nach ihrer Entlassung begonnen habe. Seit 4 Wochen leidet sie fast ununter¬
brochen an Unterleibsschmerzen, besonders links in der Tiefe des Beckens. Jeder
Druck auf die Bauchnarbe bewirkt heftige Schmerzen. Nebstdem besteht Stuhl-
Verstopfung und das Gefühl zunehmender Schwäche.
Befand: Fahle Hautfarbe, Ernährungszustand ziemlich gut. Panniculus
der Bauchdecken ziemlich reichlich. Die ganze Bauchnarbe von röthlicher Farbe,
keloidähnlich erhaben. An ihrem unteren Ende eine rothglänzende ungefähr erbsen¬
grosse derbere Stelle. An der Grenze zwischen mittlerem und oberen Drittel der
Narbe in der Bauchwand ein etwa bohnengrosser Knoten zu tasten, über welchem
jedoch die Bauchhaut verschieblich ist. Beide Knoten sind ausserordentlich
druckempfindlich. Am äusseren Genitale nichts Besonderes. Uterus nicht ver-
gTössert, auteflectiert, Ausfluss einer geringen Menge dünnen Schleimes, ohne
Beimengung von Blut..
Ausserdem liess aber die genaue bimanuelle Untersuchung an der linken
seitlichen Beckenwand deutlich mehrere dicht aneinandergelagerte wenig beweg¬
liche Knoten tasten, welche zusammengenommen die Grösse einer Wallnuss
überschritten.
Die in den Bauchdecken befindlichen Knoten wurden als Impfmetastasen
aufgefasst, bezüglich der an der seitlichen Beckenwand getasteten war es klar,
dass es sich nur um vergrösserte carcinomatös infiltrierte Lympfdrüsen handeln
konnte.
2. Operation am 10. November 1894. Zunächst Excision der ganzen Bauch¬
narbe. Die hierauf vorgenommene Austastung des Beckenraumes bestätigte den
Untersuchungsbefund. Es fanden sich linkerseits die unter dem Namen der
iliacalen bekannten Lymphdrüsen zu einen über wallnussgrossen derben Knoten
umgewandelt. — Nach Spaltung des darüber liegenden Bauchfells gelang es
nicht ohne Mühe, die Drüsen — drei an der Zahl — vollständig auszuschälen
und zu entfernen. Hierauf Naht der gesetzten Bauchfellwunde und Schluss der
Bauchdecken durch Etagennaht
Bei der Entlassung der Patientin am 10. Dezember war der Unterleib noch
immer etwas druckempfindlich, wenn auch in weit geringerem Grade als früher.
Die Schwellung des linken Beines war vollständig geschwunden. Die mikro¬
skopische Untersuchung der entfernten Drüsen ergab Adenocarcinom (conf. unten.)
Am 8. Februar 1895 wurde die Kranke zum dritten Mal auf die Klinik
aufgenommen. Ihre Klagen waren: Zeitweiliges, in unregelmässigen Zeiträumen
wiederkehrendes Erbrechen, Magenschmerzen, häufige Diarrhöen und heftige
stechende Schmerzen in der Leistengegend. Daselbst befand sich auch ein über
taubeneigro88ea Paket wenig beweglicher, derber auf Druck sehr schmerzhafter
Leistendrüsen. Die darüber liegende Haut nicht geröthet, verschieblich. Die
*) Es sei hier vorweg bemerkt, dass die mikroskopische Untersuchung der
Geschwulst theilweise carcinom^töse Entartung festeteltah' liess.' * *•
: : : V:' y 7*
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100
Dr. Fritz Kleinhans.
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bimannelle Untersuchung der inneren Genitalien und der Beckenwand ergab
nichts Bemerkenswerthes namentlich keinerlei Infiltrate. Diagnose: Seeondires
Carcinom der Leistendrüsen. Die Exstirpation derselben wnrde bald darauf
vorgenommen nnd bot keine besonderen Schwierigkeiten. — Glatte Heilung.
Die mikroskopische Untersuchung bestätigte die Diagnose (conf. unten.). Das
Befinden der Patientin war nach der Operation ein gutes. Erbrechen war niemals
aufgetreten, nur klagte sie von Zeit zu Zeit Aber Leibschmerzen. Am 28. Februar
bemerkte sie Nachts einen massigen Blutabgang ans dem Genitale ohne irgend¬
welche Schmerzen. Bei der Tags darauf vorgenommenen Spiegeluntersuchung
sah man aus dem Muttermunde ein halberbsengrosses, einem Schleimpolypen
ähnliches Gebilde hervorragen. Dasselbe wurde behufs mikroskopischer Unter¬
suchung abgetragen. Diese ergab ausgesprochenes Drfisencarcinom. Ebenso liess
sich durch die Untersuchung des mittelst nunmehr vorgenommener Ausschabung
gewonnenen Massen feststellen, dass die ganze Gebärmutterschleimhaut carcinomatös
degeneriert war. Auf den Vorschlag einer Entfernung der Gebärmutter wollte
die Patientin nicht eingehen und so musste sie nach einer Aetzung des Uterus-
cavums mit Chlorzinklösung entlassen werden.
Ich lasse nun eine kurze Beschreibung der Geschwulst sowie
das Resultat der mikroskopischen Untersuchung aller exstirpierten
Theile folgen. Der exstirpierte Tumor stellt ein etwa doppel¬
kindskopfgrosses multiloculäres Kystom dar, dessen tiefer gelegene
Parthien solide sind. Auf dem Durchschnitte zeigen sich die
einzelnen Kammern von verschiedener Grösse und mit dem bekannten
colloiden Inhalte erfüllt. Die Schnittfläche der soliden Parthien
lässt zum grossen Theil charakteristische papilläre Structur er¬
kennen, nur an einzelnen Stellen erscheint dieselbe verwischt, die
Masse compacter.
Die mikroskopische Untersuchung zeigt das Bild eines papillären
Adenocarcinoms. Drüsenschlauchähnliche Bildungen, dicht anein¬
anderliegend, mit zumeist mehrschichtigem Epithel ausgekleidet;
die Drüsenschläuche mehrfach von polymorphen Epithelzellen er¬
füllt, gegen welche nur die äusserste Schicht als Cylinderepithel
deutlich absticht — Das bindegewebige Stroma zieht in ganz
schmalen Zügen zwischen den Gruppen carcinomatös entarteter
Drüsenschläuche hindurch. An mehreren Stellen, und zwar fast
ausschliesslich im Centrum der soliden Zapfen, finden sich Gruppen
der so häufig beobachteten hyalinen Kugeln, welche als Degenerations-
producte von Epithelzellen angesehen werden müssen.
Die aus einer carcinomatös entarteten subperitonealen Lymph-
drüse gewonnenen Schnitte zeigen das Lymphdrüsengewebe nur
zum geringsten Theil erhalten. Die Hauptmasse besteht ebenfalls
aus Convoluten von Drüsenschläuchen, welche theils mit ein¬
schichtigem theils mehrschichtigem Epithel ausgekleidet und eben¬
falls da'Tuad idpft.fson grösseren, polymorphen epithelialen Zellen
Goo
i
Original fro-m
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Ueber metastatisches und gleichzeitiges Vorkommen von Krebs etc. 101
erfüllt sind, pie regressive Metamorphose im Centrum dieser
Krebsschläuche erscheint ziemlich weit vorgeschritten; an einzelnen
Stellen sind — wie in der Eierstockgeschwulst — hyaline Kugeln
zu sehen; an anderen findet man blos einen Hohlraum, umgeben
von kleinzellig infiltriertem Bindegewebe, ausgekleidet mit ein- oder
mehrschichtigem cylindrischem Epithel und in der Mitte einen
Haufen von schwachgefärbten zellenähnlichen Gebilden, an denen
eigentliche Kerne nicht mehr erkennbar sind.
Der Knoten in der Bauchnarbe zeigt ebenfalls aufs deutlichste
das Bild des Adenocarcinoms mit wenig bindegewebigem Stroma;
nur sind hier regressive Veränderungen nicht zu finden. Ganz
ähnlich wie die iliacalen verhalten sich die Leistenlymphdrüsen,
jedoch sind auch hier die genannten regressiven Veränderungen
nicht eingetreten. Die Schnitte aus der abgeschabten Uterus¬
schleimhaut zeigen durchgehende das Bild des sogenannten malignen
Adenoms.
EL F. K. ausgenommen am 17. Not. 1894. 69jährige Mullipara. Erste
Periode im 14. Lebensjahr, regelmässig, vierwöchentlich, 8 Tage andauernd. Vor
31 Jahren einmal 8 Tage dauernde Blutung in Folge Sturzes über eine Treppe,
nachdem vorher 3 Monate die Periode ausgeblieben war. Vor 16 Jahren hatte
die Frau in der linken Seite des Unterleibes eine Geschwulst bemerkt, deren
Entstehung sie einer übermässigen Anstrengung bei der Arbeit zuschrieb. Diese
Geschwulst war beweglich; die Pat fühlte bei Druck auf dieselbe ein Anschlägen
auf die der rechten Unterleibsseite aufgelegte Hand. Besondere Beschwerden
sollen nicht bestanden haben. — Ihr jetziges Leiden soll vor 4 Wochen im An¬
schluss an eine Erkältung mit Hambeschwerden begonnen haben. Der Urin
gieng nur tropfenweise und unter heftigen schneidenden Schmerzen ab. Sitz¬
bäder brachten vorübergehende Erleichterung.
Im Verlaufe von 6 Tagen sei der Unterleib bis zum jetzigen beträchtlichen
Umfange angeschwollen; beständiges Gefühl von Druck und Schwere nöthigten
sie, fortwährend die Lage zu wechseln. Dazu kam noch hochgradige Ueber-
empfindlichkeit des Unterleibes; jede Berührung verursachte ihr blitzartige
Schmerzen. Die Harnentleerung hatte sich in den letzten 2 Wochen wieder ge¬
regelt, der Stnhl war stets in Ordnung. Seit 4 Wochen stärkere Abmagerung.
Befand: Gracil gebaute, abgemagerte kaohektische Patientin.
An Herz und Lungen nichts Pathologisches nachweisbar. Unterleib hoch¬
gradig fassformig ausgedehnt; die Bauchdecken atrophisch, aufs äusserste ge¬
spannt. Dilatation der Hautvenen. In der Nabelgegend Darmschall, auf einen
kleinen Bezirk beschränkt, sonst allenthalben leerer Peroussionsschall. Die Ab¬
tastung des Unterleibes ergab nur ein sehr mangelhaftes Besultat wegen hoch¬
gradiger Spannung und Empfindlichkeit
Bei vorsichtigem Eindrücken liess sich jedooh in der Tiefe eine nicht näher
zu bestimmende Resistenz nachweisen. Senil atrophisches äusseres Genitale, um den
Anus ein Kranz von Hämorrhoidalknoten. Vagina und Portio ebenfalls senil
atrophisch. Durch Untersuchung von Scheide und Mastdarm aus lässt sich nur
feststellen, dass der Douglas von kleinen knolligen Gebilden besetzt ist Ueber
Grosse und Lage der Gebärmutter liess sich durch bimanuelle Untersuchung aus
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102
Dr. Fritz Kleinhirns.
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den schon angeführten Gründen kein Urtheil gewinnen. Eine Sondierung wurde
nicht vorgenommen. Im Harn keine abnormen Bestandteile. Wahrscheinlich¬
keitsdiagnose: Carcinoma ovarii et peritonei, Hydrops ascites.
Operation am 3. Dezember.
Nach Entleerung einer ziemlich grossen Menge blutig gefärbten Transsudates
präsentiert sich eine Geschwulst, welche nach gehöriger Verlängerung des Bauch¬
schnittes sich als der mächtig vergrösserte Uterus darstellt. Seine Form ist fast
kugelig, die Consistenz teigig weich. Der Bauchfellüberzug am Fundus glatt,
jedoch an der Umschl&gstelle auf die Blase und im Douglas von reichlichen bis
erbsengrossen zum Theil zu grösseren Plaques zusammenfliessenden markigen
Knoten besetzt. Aehnliche Schwarten und Knoten finden sich auf dem Peritoneum
der Bauchwand. Die breiten Mutterbänder desgleiehen durch solche ein- und
aufgelagerte Massen erheblich verdickt Als behufs genauerer Orientierung das
Cavum vesico-uterinum abgetastet wurde, riss der ßauchfellüberzug in grösserer
Ausdehnung ein, und es trennte sich hiebei vollständig die hintere Blasenwand
vom Uterus. Verwachsungen des Darmes oder Netzes bestanden nicht Das
ganze Darmconvolut war in Folge der Lagerung auf dem Trenddenburg'scheu.
Tische gegen das Zwerchfell hin gesunken und kam während der ganzen Operation
nicht zum Vorschein.
Obgleich unter den gegebenen Verhältnissen eine radicale Heilung aas¬
geschlossen erschien, wurde doch um die hauptsächlichsten Druckschmerzen zu
beseitigen, der so mächtig vergrösserte Uterus entfernt Die Operation war durch
stärkere Blutung aus den Ligamenten sehr erschwert, weil die Ligaturen die von
der Neubildung durchsetzten Ligamente mehrfach durchschnitten.
Der übrige Theil der Operation gieng in ziemlich typischer Weise vor sich.
Eröffnung der Scheide auf der Furchensonde, völlige Auslösung des Uterus aus
dem Zusammenhang mit der Scheide, hinableiten der Ligamentstumpfligaturen
in letztere mit einem breiten Jodoformgazestreifen behufs Drainage; Schluss der
Bauohwunde.
Die Patientin überstand den Eingriff nur kurze Zeit Am nächsten Morgen
erbrach sie kaffeesatzähnliche Massen; gegen Mittag trat Benommenheit des
Sensoriums ein und um 2 h Nachmittags erfolgte der Tod unter den Erscheinungen
der Herzschwäche.
Im folgenden das Ergebnis der Section, welche von Herrn Professor Ghiari
vorgenommen wurde.
„Der Körper 157 cm lang, schwächlich gebaut, sehr mager, Hautdecken
blass. Auf der Rückseite blasse Todtenflecken. Todtenstarre an den unteren
Extremitäten deutlich. Haar grau. Unterleib leicht ausgedehnt, weich. In der
Mittellinie seiner vorderen Wand eine fingerbreit unter dem Nabel beginnende,
bis nahe an den Mons veneris reichende im Ganzen 14 cm lange durch Knopf¬
nähte verschlossene Incision. Bei der Vulva ein Tampon vorragend. Die weichen
Schädeldecken von mittlerem Blutgehalte, Schädel 51 cm im horizontalen Umfange
gewöhnlich dick. Die harte Hirnhaut ziemlich gespannt; in ihren Sinus flüssiges
und locker geronnenes Blut. Die inneren Meningen zart, blass, leicht von der
Himoberfläche abzuziehen. Das Gehirn blass, ödematös. Das Zwerchfell rechts
zur 3., links zur 4. Rippe reichend. Die Venen am Halse ziemlich stark aus¬
gedehnt In der Luftröhre eine braunschwarze, schaumige, wässrig-schleimige
Flüssigkeit. Schleimhaut der Halsorgane blass. In der rechten Pleurahöhle 300,
in der linken 100 cm 8 klaren Serums. Linke Lunge an der Spitze angewachsen,
rechte frei. Beide Lungen in den Spitzen durch umschriebene alte Schwielen ver-
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Ueber metastatisches und gleichzeitiges Vorkommen von Krebs etc. 103
dichtet, sonst lufthältig, substanzarm, ziemlich blass, wenig ödematös. Im Herz¬
beutel wenige cm* klaren Serums. Herz klein, in seinen Höhlen nur flüssiges
und postmortal geronnenes Blut. Die Klappen der linken Hälfte fleckig verdickt.
Ebenso auch die valv. tricusp. Die Pulmonalklappen zart Herzfleisch leichter zer-
reisslich, blass. Intima aortae gering verdickt. Die Schleimhaut des Oesophagus
zum grossen Theile erweicht. Die peribronchialen Lymphdrüsen schwielig ver-
schrumpft, stark anthracotisch. In der Bauchhöhle ca. 60 cm* blutig-seröser
Flüssigkeit Das Peritoneum allenthalben mit theils knoten-, theils platten¬
förmigen Massen eines weisslichen medullären Neoplasmas besetzt, welche vielfach
untereinander zusammengeflossen sind und bis fingerdicke Protuberanzen am
Peritoneum erzeugt haben. Das grosse Netz durch dieses Neoplasma in einen
handbreiten bis 3 cm dicken queren Strang umgewandelt Leber blass, etwas
fetthaltig, von zahlreichen bis haselnussgrossen Knoten der medullären Aftermasse
durchsetzt In der Gallenblase spärliche Galle. Milz und Nieren blass. In der
Harnblase stark getrübter Harn; ihre Schleimhaut in der vorderen und hinteren
Wand des Scheitelabschnittes blutig suffundiert. Uterus sammt den Adnexen
operativ entfernt; dementsprechend am oberen Ende der Vagina zahlreiche
Ligaturen und ein aus der Bauchhöhle herausgeleiteter Tampon. Magen wenig
ausgedehnt; in ihm eine schwärzliche schleimige Masse. Seine Schleimhaut
stellenweise ecchymosiert und in der Gegend der grossen Curvatur mit frischen
hämorrhagischen Erosionen versehen. Im Dünndarm gallig gefärbte, chymös-
Bchleimige Massen; im Dickdarm breiige Fäces. Die 8cbleimhant des ganzen
Darmes nicht weiter verändert In den mesenterialen Lymphdrüsen, desgleichen
in einigen retroperitonealen und in den Gland. lymphat ing. intern, die gleiche
medulläre Aftermasse wie sie beim Peritoneum angegeben wurde. Die Lymph¬
drüsen dadurch bis hühnereigross. Pankreas blass, Nebennieren brüchig. Die
Metastasen in der Leber, in den Lymphdrüsen und auf dem Peritoneum zeigen
das Bild eines medullären Carcinoma mit meist stark zerfallenen Kernen.
Path.-anat Diagnose: Carcinoma secundar. glandular. lymphaticar. iliacar.
et retroperitonealium, peritonei totius et glandul. lymphatic. meseraic. nec non
hepatis. Marasmus universalis. Hydrothorax bilateralis. Erosiones haemor-
rhagicae ventriculi. Tuberculosis obsoleta apicum pulmon. et glandul. lymphatic.
peribronchial. Vulnus parietis abdomin. anterior, post exstirpationem Uteri 27 h
ante mort factam.“
Der exstirpierte Uterus ist von annähernd kugeliger Form und hat die
Grösse eines im VI. Monate schwangeren. Ein sagittaler Durchschnitt zeigt,
dass die Veigrösserung durch eine in der vorderen Wand des Corpus und Fundus
entwickelte Geschwulst bedingt ist. Diese ist von weisser Farbe, faseriger
Structur und ziemlich gleichmässiger, fester Consistenz. — Die hintere Wand der
Gebärmutter erreicht eine Dicke bis 1'/» cm. Die Uterushöhle ist beträchtlich
verlängert und erweitert Die Schleimhaut erscheint nicht verdickt. — In der
Mitte der vorderen Wand des Uteruskörpers Bitzt eine pilzförmige ca. nussgrosse,
markige Geschwulst mit ziemlich breiter Basis auf. Tuben und Ovarien zeigen
makroskopisch nichts Abnormes.
Die mikroskopische Untersuchung der eben erwähnten, der vorderen Uterus¬
wand aufsitzenden Geschwulst ergiebt das Bild eines Adenocarcinoms. An ein¬
zelnen Stellen sind noch deutlich Drüsenschläuche zu erkennen, deren Epithel
nur theilweise mehrschichtig ist. Zum grössten Theile aber erscheint der Knoten
aus einem relativ spärlichen bindegewebigen Stroma bestehend, welches von
Epithelmassen durchsetzt ist, das die Form vielfach verzweigter DrUsenschläuche
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104
Dr. Fritz Kleinhans.
nachahmt. Am Grande, wo die Geschwulst der Uterus wand aufsitzt, sind solide
epitheliale Hassen zu sehen, welche sich in zur Oberfläche paralleler Richtung
zwischen oberflächliche Lamellen der Mnscnlaris vorschieben. Oie in der vorderen
Wand entwickelte grosse Geschwulst erwies sich als fibromyom mit vorwiegender
Betheiligung der glatten Muskelfasern. Die Geschwulst grenzt sich von ihrer
Kapsel scharf ab; Carcinomschläuche wuchern in sie nicht hinein.
Die übrige Schleimhaut der Uterushöhle zeigt lediglich das Bild der sog.
atrophischen Endometritis. Im Allgemeinen ist sie verdünnt; auf grossere Strecken
hin sind die Drüsen völlig geschwunden, während an einigen Stellen cystisch
erweiterte Drüsen in spärlichem Stromagewebe eingebettet sind. Durchschnitte
der kleinen, dem Perimetrium aufsitzenden markigen Knötchen zeigen in ihrem
Verhalten eine gewisse Verschiedenheit. Während die Einen der Hauptmasse
nach aus soliden Carcinomzapfen bestehen, welche dicht aneinander gelagert an
vielen Stellen confluieren, ist bei anderen eine drüsenähnliche Anordnung der
Krebselemente nicht zu verkennen; sie bestehen aus soliden verzweigten Krebs¬
zapfen abwechselnd mit solchen, welche einen Hohlraum in sich einschliessen.
Hinzuzufügen ist noch, dass auch im rechten Ovarium, und zwar in der Nähe
des flilus sich mehrere kleine unregelmässig begrenzte Zellherde vorfanden, deren
Elemente denen des Carcinoma an den übrigen Stellen vollkommen gleichen.
Herr Professor Chiari hatte die Güte, mir auch Theile der übrigen von der
Neubildung afficierten Organe zur Verfügung zu stellen.
An den Schnitten, welche aus einem zwei kleine Krebsknoten enthaltenden
Stückchen Leber angefertigt wurden, lässt sich feststellen, dass die Krebsknoten
gegen das umgebende Lebergewebe ziemlich scharf abgegrenzt sind. Sie zeigen
das Bild des einfachen medullären Carcinoms; drüsenähnliche Bildungen konnte
ich nicht auffinden. Die ans einem Stück der krebsigen Schwarte des Netzes
gewonnenen Schnitte zeigen theils massenhafte, solide Krebsnester, theils ver¬
ästelte Stränge in bindegewebigem Stroma, in welchem reichlich Gefässe verlaufen.
Es handelte sich also in unserem Eingangs beschriebenen Falle
um carcinomatöse Erkrankung eines Eierstockes mit nachfolgender
gleichartiger an einer Stelle der Bauchnarbe, der linksseitigen
retroperitonealen, sodann der LeistenlymphdrUsen, endlich des
Gebärmutterkörpers.
Ueber das gleichzeitige Vorkommen von Carcinom des Eier¬
stockes und des Gebärmutterkörpers hat bekanntlich Reichel *) eine
Reihe von theils an der Klinik Schröder selbst beobachteten, theils
von anderen Autoren mitgetheilten einschlägigen Fällen zusammen¬
gestellt und auf Grund dieser Beobachtungen den Zusammenhang
beider Erkrankungen wahrscheinlich gemacht Er gelangt zum
Schlüsse, dass die Erkrankung beider Organe ohne gleichzeitige
andere Metastasen häufiger sei, als bisher angenommen wurde
und dass bei Krebs des Uterus die erste Metastase im Ovarium,
aber auch in umgekehrter Weise auftreten könne.
Streng genommen könnte man unseren Fall den eben erwähnten
*) 12 eichet, Ueber das gleichzeitige Vorkommen etc. Zeitschrift für Geburts¬
hilfe u. Gyn., Bd. XV, p. 864.
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Ueber metastatisches und gleichzeitiges Vorkommen von Krebs etc. 105
— es ist hier noch einer im Vorjahre von Winter ') besprochener
zu erwähnen — nicht anreihen, da ja ausser Uterus und Ovarium
noch Lymphdrüsen erkrankt waren. Jedoch erscheint bei einem
derartigen Befallenwerden verschiedener Organe der Reihe nach
die Vermuthung wol gerechtfertigt, dass hier ein Metastasieren
des Krebses von einem einzigen primären Herde aus stattgefunden
habe. Den strikten Nachweis hiefür zu liefern dürfte auch in unserem
Falle nicht gut möglich sein.
Wollen wir jedoch ein derartiges Abhängigkeitsverhältnis an¬
nehmen, müssten wir uns folgende Fragen zu beantworten suchen:
1. Ist das Carcinom des Ovariums das primäre oder
2. wurde das Ovarium von Seite des carcinomatös erkrankten
Uterus afficirt?
Der letztere Modus erscheint in unserem Falle zum Mindesten
unwahrscheinlich, weil vor der Entfernung der Eierstockgeschwulst
weder Symptome einer Gebärmuttererkrankung aufgetreten waren,
noch auch die Untersuchung irgendwelche Anzeichen einer solchen
ergeben hatte. Es müsste diesfalls die Schleimhauterkrankung der
Gebärmutter so schleichend sich entwickelt haben, dass die Ver-
grösserung der letzteren um diese Zeit noch ganz unbedeutend
war und ein etwaiger Blutabgang so spärlich, dass er von der
Patientin nicht beachtet wurde. Immerhin darf die Thatsache nicht
übersehen werden, dass schon bei der ersten Aufnahme der Patientin
eine leichte Schwellung derselben Leistendrüsen, welche sich
späterhin (bei der 3. Aufnahme, cfr. oben) als carcinomatös erwiesen,
constatiert worden war.
Die erstere Art der Verbreitung: — Primäre Erkrankung des
Ovariums und secundäre des Uterus — erscheint wol plausibler,
sei diese nun durch Eindringen von Krebspartikel durch das Tuben¬
lumen, wie es Reichel •) für möglich hält, zustande gekommen, oder
auf dem Wege der Tubenlymphbahn, auf welchen Vorgang Länderer 8 )
zuerst hingewiesen hat
Die carcinomatöse Entartung der inguinalen Lymphdrüsen der
linken Seite lässt zunächst folgende Erklärung zu. Nach den
Untersuchungen Poiriers 4 ) behalten die inguinalen Lymphdrüsen
*) Winter, Vortng in der Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäcologie
(Centralblatt f. Gyn., Nr. 12, p. 307, 1894).
*) Reichel, 1. c., p. 861.
*) Länderer, Ueber MetastasenbUdung bei careinomatösen Ovarialcysten.
Zeitschrift f. Geb. u. Gyn., B<L XXXI, p. 149,
*) Angeführt bei Winter: Ueber das Recidiv des Uternskrebses etc. Zeit¬
schrift f. Geb. u. Gyn., Bd. XXVII, p. 106.
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106
Dr. Fritz Kieinhans.
die Lymphe aus der Vulva und dem unteren Theil der Scheide.
Ausserdem zieht ein grösseres Lymphgefäss vom Horn des Corpus
uteri mit dem runden Mutterband durch den Leistenkanal in die
oberflächlichen Leistendrüsen. „Die Inguinaldrüsen werden dem¬
nach carcinomatös entweder beim Krebs der Vulva und des unteren
Drittels der Scheide und gelegentlich beim Corpuscarcinom, wenn
es seitlich im Horn sitzt“. Man kann sich demnach den Vorgang
wol so denken, dass von der Eierstockgeschwulst aus zunächst im
linken Uterushom eine Metastase sich etabliert und von da aus
auf dem Wege der Lymphbahn die Leistendrüsen afflciert hatte.
Wie aus der mikroskopischen Untersuchung hervorgeht,
documentierte der in der Bauchwand gelegene Knoten seine Ab¬
kunft von der ovarialen Geschwulst durch die gleichartige Structur.
Was derartige Nacherkrankungen nach Exstirpation von Ovarial¬
tumoren betrifft, liegen schon eine grosse Reihe von Beobachtungen
vor und zwar beziehen sie sich meist auf das spätere Erscheinen
von malignen Geschwülsten in der Bauchnarbe nach Entfernung
scheinbar gutartiger Eierstockcysten. 1 )
In unserem Falle hat das Auftreten eines Carcinoms in der
Bauchnarbe an und für sich nichts Ueberraschendes, da die maligne
Natur der Muttergeschwulst nachgewiesen war. Was den Grund
der eigenthümlichen Localisation der Metastase betrifft, kommt
zweierlei in Betracht, einmal die Verschleppung von Krebskeimen
durch die Lymphbahn, oder eine Uebertragung von Geschwulst-
partikeln in die Bauchdeckenwunde während der Operation durch
die Finger der dabei Betheiligten, beziehungsweise durch das
Nahtmaterial, dass auch diese Art der Uebertragung möglich sei,
darf nach den Mittheilungen einer Reihe von Fällen von Seite
verschiedener Beobachter als nahezu sicher angenommen werden.
Diese Anschauung gewinnt umsomehr an Wahrscheinlichkeit, wenn
man bedenkt, dass metastatischer Krebs der Bauchdecken bei
malignen Ovarialgeschwülsten ungemein selten ist im Vergleich
mit den nach Ovariotomien entstandenen secundären Geschwulst¬
bildungen in der Bauchwand. Auffallend bleibt immerhin die
langsame Entwicklung des Knotens in der Bauchnarbe, da es sich
ja von vornherein um eine Verpflanzung von krebsigem Materiale,
und nicht etwa von Adenompartikeln, welche erst später metaplasierten,
gehandelt haben müsste. 1 )
*) Olshausen (Billroth-Lttcke). — Emanuel, Zeitschrift f. Geb. und Gyn.,
Bd. 27. — Pfannenstiel, Zeitschrift f. Geb. n. Gyn., Bd. 28 n. A.
*) Pfannenstiel, Ueber Carcinombildnng nach Ovariotomien. Zeitschrift für
Geb. n. Gyn., Bd. 28 Heft 2.
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Ueber metastatisches und gleichzeitiges Vorkommen von Krebs etc. 107
Nebenbei scheint mir noch Eines der Erwähnung werth. Bei
Abtragung der Eierstockgeschwulst wurden — wie ans der Kranken¬
geschichte ersichtlich, — auf dem Bauchfellttberznge der Gebär- /
matter eine Anzahl kleiner weisslicher Knötchen bemerkt, welche
bei der zweiten Eröffnung der Bauchhöhle nicht mehr zu sehen
waren. Ich möchte diese Knötchen als sog. Implantationsmetastasen
auffassen, herrührend von nicht in Carcinom umgewandelten Theilen
des papillären Kystoms. Dass solche kleine „benigne“ Metastasen
nach Entfernung des primären Herdes stationär bleiben, und mit¬
unter ganz schwinden können, ist durch mehrfache Beobachtungen
erhärtet. 1 )
Ich will noch auf einen Punkt zurückkommen, um dessen
willen der Fall grösseres klinisches Interesse gewinnt. Ich meine
nämlich das Verhalten des Operateurs gegenüber den Lymphdrüsen-
metastasen im Becken. Bis in die jüngste Zeit wurden dieselben
als ein noli me tangere betrachtet Es ist von vomeherein wol
klar, dass bei der innigen Anlagerung dieser Drüsen an die Ge-
fässe die Gefahr einer Verletzung dieser ziemlich nahe liegt; dass
eine gegebenenfalls nöthige Ligatur der Iliaca keine gleichgiltige
Sache ist, braucht nicht hervorgehoben zu werden. Indess hat
man sich in letzter Zeit auch an diese Drüsen herangewagt.
Nachdem Mackenrodt *) die möglichst ausgiebige Exstirpation der
ligamenta lata bei Uteruscarcinose aus bestimmten Gründen
(conf. Original) vorgeschlagen hatte, trat Ries 3 ) in einem im Frank¬
furter Aerzteverein am 18. März dieses Jahres gehaltenen Vortrage
aufs Wärmste für die Mitentfernung der iliacalen Drüsen bei
abdominaler Exstirpation des carcinomatösen Uterus ein. Ries
hält es nicht für ausgemacht — im Gegensatz zu unseren bisherigen
Anschauungen — dass bei noch freien Parametrien die Drüsen
gewöhnlich nicht erkranken, sondern schliesst aus einem von Winter 1 )
mitgetheilten Falle, sowie aus den klinisch erkannten Becidiven,
endlich per analogiam mit den Carcinomen anderer Organe dass
viel häufiger, als wir vermuthen, die Drüsen bei krebsiger Er¬
krankung des Uterus mitergriffen sind. Ries ist der Ansicht, dass
diese weitere Ausdehnung der Operation — analog der von den
Chirurgen allgemein geübten Ausräumung der Achselhöhle bei
Krebs der Brustdrüse — auch bei Krebs der Gebärmutter die
Zahl der Becidiven herabmindern werde.
*) OUhaueen, Handb. Billroth-Lttcke, p. 123.
*) Mackenrodt, Zeitschrift f. Geb. u. Gyn., Bd. XXIX.
3 ) Ries, Eine neue Operationsmethode des Uterascarcinoms.
4 ) Winter , 1. c.
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108
Dr. Fritz Kleinh&ns.
Rumpf 1 ) hat gelegentlich der Demonstration eines carcinomatösen
Uterus in der Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäcologie zu
Berlin eine Methode beschrieben, durch welche es ihm möglich
war bei abdominaler Exstirpation eines carcinomatösen Uterus
auch die beiderseitigen Pakete infiltrierter iliacaler Lymphdrüsen
zu entfernen. Die betreffende Patientin wurde geheilt
Wie weit man in dieser Hinsicht vermöge fortschreitender
Vervollkommnung der operativen Technik wird gelangen können,
m&ssen weitere Erfahrungen lehren. Jedenfalls wird man sich —
und ich glaube auch in dem Punkte ist ein Schluss per analogiam
wol erlaubt — allzu optimistischen Anschauungen nicht hingeben
dürfen, da ja auch makroskopisch nicht nachweisbare Lymphgefösse
im Beckenbindegewebe bereits krebsig erkrankt sein können. Was
unseren Fall betrifft, möchte ich aber doch hervorheben, dass beim
letzten Aufenthalte der Patientin an der Klinik ein locales Recidiv
an Stelle der exstirpierten Drüsen nicht nachzuweisen war. Dem¬
gemäss dürfte es sich wol empfehlen, bei Exstirpation von Eistock-,
geschwulsten — in erster Linie solcher, welche sich ohne Weiteres
als maligne manifestieren — die Austastung des Beckenraumes
vorzunehmen und gegebenenfalls die Entfernung vergrösserter
iliacaler Drüsen anzustreben.
Betrachten wir den zweiten Fall näher, so unterliegt es wol
keinem Zweifel, dass die Geschwulst, welche die Patientin schon
vor 15 Jahren an sich bemerkte, das Myom war, das schon damals
eine ansehnliche Grösse erreicht hatte. Dass Myome viele Jahre
bestehen können, ohne besondere Symptome zu verursachen, ist
genügend bekannt 9 ) Dies gilt jedoch im Allgemeinen nur für
subserös entwickelte; es ist deshalb gewiss bemerkenswerth, dass
die interititielle Entwicklung eines so grossen Fibromyoms keine
Beschwerden, ja nicht einmal Blutung verursacht hatte.
Das Hauptaugenmerk richtet sich aber in unserem Falle auf
das Carcinom der Uterusschleimhaut und der anderen Unterleibs¬
organe. Es entsteht die Frage ob man es hier blos mit gleich¬
zeitiger unabhängiger Erkrankung der Gebärmutter und der anderen
Unterleibsorgane — Leber, Bauchfell, Lymphdrüsen — zu thun
hat, oder ob eines dieser Organe als primärer Krebsherd anzusehen
ist und die übrigen als metastatisch afficiert.
Berücksichtigt man den klinischen Verlauf der Erkrankung
so deuten die von der Kranken angegebenen Erscheinungen in Bezug
*) Rumpf, Sitzung vom 28./V. der Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynä¬
cologie in Berlin. Centralblatt £. Gyn. 96, Nr. 81.
*) Ousserotc, Handb., Lf. 67 u. v. A.
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Ueber metastetisches und gleichzeitiges Vorkommen von Krebs etc. 109
auf die Zeit and die Art des Beginnes derselben auf eine plötzlich
ersetzende und ungemein rapide fortschreitende Erkrankung hin,
wie man das wol bei gewissen Formen von Sarcom, oder manch¬
mal bei metastatischen Recidiven nach operativer Entfernung von
Geschwülsten, nicht aber bei Entwicklung von primären Carcinomen
zu sehen gewohnt ist. Auch das anatomische Verhalten des Leber¬
krebses spricht in unserem Falle für dessen secundäre Natur.
Nach Ziegler 1 ) kommt der primäre Leberkrebs in 3 Hauptformen
vor. Zur
1. gehören jene Fälle, in denen sich nur ein Knoten, der dann
bedeutende Grösse erreichen kann — oder einige wenige
Knoten (Metastasen des ersteren) entwickeln; die
2. ist jene der sogenannten diffusen krebsigen Entartung;
bei der
3. ist das periportale Bindegewebe Sitz der Krebsknoten.
Für unseren Fall könnte nur die erste Form in Betracht
kommen. Die Leber zeigte sich aber von sehr zahlreichen Knoten
durchsetzt, von denen keiner durch besondere Grösse in Bezug auf
die anderen auffieL Es ist diese Art der Ausbreitung die für das
metastatische Lebercarcinom gewöhnliche.*)
Was den Krebs des Bauchfells anlangt, so wissen wir, dass
ein primärer desselben selten vorkommt, sondern dass er meist ein
secundärer durch Uebergreifen von Nachbarorganen oder auf dem
Wege der Metastase entstandener ist.
Es dürfte daher die Annahme richtig sein, dass der im Uterus
befindliche Krebsknoten als der primäre Herd anzusehen sei, von
welchem aus die genannten Unterleibsorgane auf dem Wege der
Blutbahn inficiert wurden. Besonders hervorzuheben ist an dem
Falle die Kleinheit des primären Herdes, sowie die frühzeitige
und rasche Metastasenbildung. Die Erfahrung hat jedoch gelehrt,
dass das Wachsthum von Metastasen mitunter ein viel rascheres
ist, als das der Muttergeschwulst; besonders der Chirurg ist in der
Lage, an anderen Organen ähnliche Beobachtungen zu machen.
Für ein Uteruscarcinom gehört jedoch ein solches Ereignis zu den
seltensten Ausnahmen.
*) Ziegler , Lehrbuch der spec. path. Anat., 6. Aufl. p. 597; desgL siehe
Orth, Lehrb. d. path. Anath., Bd. I., p. 995.
*) Siehe Otih, Lehrbuch der path. Anat, Bd. I., p. 959; ebenso Ziegler.
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ZUR KENNTNISS DER LÄHMUNGEN
NACH ELASTISCHER UMSCHNÜRUNG DER
EXTREMITÄTEN.
Von
Ur. FRIEDRICH NEUGEBAUER,
Auistont an dar chirurgischen Klinik in Gras.
Dauernde Lähmungen nach Anlegung des Esmarch'schen
Schlauchs, bezw. der elastischen Binde sind wol allen Chirurgen
bekannt geworden, ebenso wie die vasomotorische Parese nach Ab¬
nahme des Schlauchs. — Dagegen wurde bisher noch nicht die
Thatsache erwähnt, die ich mehrfach constatieren konnte, dass jeder
länger dauernden Anlegung einer Anämisierungsbinde eine nach der
Abnahme der letzteren schnell verschwindende motorische Lähmung
felgt. Gerade wegen ihres raschen Verlaufs scheint sie bisher der
Beobachtung entgangen zu sein.
Als ich auf Anregung meines früheren Chefs, Herrn Professor
Anton Wölfler, die Nervenfälle der Grazer Klinik zusammen«teilte
und dabei die einschlägige Litteratur durchsah, kamen mir drei
sehr interessante Fälle von Busch zur Kenntniss.
Im ersten Falle 1 ) war nach einer vor 4 Monaten erfolgten
Humerusfraktur eine völlige Radialislähmung zurückgeblieben.
5 Monate nach der Fractur wurde der Nerv biosgelegt und fand
sich durch eine Narbenbrücke stranguliert Der Frfdlg der Neu-
rolysis war ein augenblicklicher, indem die Hand sofort 50° gegen
den Unterarm erhoben werden konnte. Im 2. Falle s ) war die Radialis-
paralyse ebenfalls einer Humerusfractur gefolgt. Nach 16 Monaten
reagierten die atrophischen Muskeln selbst auf die stärksten Ströme
nicht Dagegen kein bedeutender Sensibilitätsverlust; neuralgische
Erscheinungen. Bei der Operation fand sich eine Calluscompres-
*) Allg. Med. Zentralseitung 1868. Ref. L. A. VULL p. 276.
*) Berliner klinische Wochenschrift 1872, Nr. 34.
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112
Dr. Friedrich Nengebauer.
sion des N. radialis. Der Erfolg der Ablösung stellte sich sofort
ein, indem der Kranke gleich nachher mit dem 2. und 3. Finger
Streckbewegungen vornehmen konnte. Am nächsten Tage war
schon Abduktion des Daumens ermöglicht; nach 4 Tagen reagierte
die gesummte Radialismuskulatur auf faradischen Strom. Im 3. Falle ’)
war 10 Monate nach einer Radialisnaht noch kein Erfolg ein¬
getreten. In der Meinung, dass keine Vereinigung stattgefunden
habe, wurde der Nerv aufgesucht, derselbe fand sich wohl ver¬
einigt, aber an der Nahtstelle durch Narben gedrückt Neurolysis.
„Als der Patient aus der Narkose erwachte, konnte er auf Ver¬
langen die Finger vollständig ausstrecken und die Hand erheben.“
Die Fälle bestätigen die schon durch Thierexperimente ge¬
machte Erfahrung, dass eine Compression der Nerven, ohne die
Integrität des Axencylinders zu stören, im Stande ist, die Leitungs¬
fähigkeit herabzusetzen.
Es war der Gedanke naheliegend, dass sich solche Lähmungen
auch bei anderen Abschnürungen der Nerven, wie wir sie z. B.
täglich mittelst der elastischen Binde vornehmen, einstellen und mit
der Aufhebung der Umschnürung rasch wieder verschwinden werden.
Meine diesbezüglichen Versuche führten zu einem positiven
Resultat. Sie wurden in der Weise angestellt, dass Kranken, deren
Leiden keinen Einfluss auf Muskelkraft oder Erregbarkeit nehmen
konnten, die betroffenen Extremitäten in der Narkose wie gewöhn¬
lich blutleer gemacht wurden. Die Binde wurde stets in der Mitte des
Oberarms bezw. Oberschenkels angelegt, so dass jede mechanische Be¬
einflussung der Unterarm- oder Unterschenkelmuskeln ausgeschlossen
und Raum genügend vorhanden war auch unterhalb der Binde den
Nerven zu erregen, ohne dass Stromschleifen die Muskulatur er¬
reichten. Oben dienten N. medianus und Ulnaris, unten N. ischia-
dicus den Versuchen. Reizmittel war ein stets gleichstarker fara-
discher Strom. Die direkte und indirekte Erregbarkeit wurde vorher
damit geprüft. Für die langdauemde schmerzhafte Compression war
die Narkose erwünscht. Andererseits war es von hohem Interesse,
ob die durch den Schlauch bewirkte Leitungshemmung sich auch
auf die Leitung des Willens und der Empfindung bezöge. Dazu
war die Untersuchung Nichtnarkotisierter nothwendig.
A. Fälle, in der Narkose untersucht:
1. Josef S., 47 J., obere Extr. Gesammtdauer der Compression
‘/ 2 St. Erste Zeichen der Leitungsunterbrechung nach 20 Minuten.
’) Ueber Nervennaht. L. A. 27, p. 327.
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Zur Kenntnis» d. Lähmungen nach elastischer Umschnürung d. Extremitäten. X13
Sie steigerten sich zu völligem Versagen des oberhalb der Um¬
schnürung angebrachten Reizes. Der Nerv unter der Binde leitungs¬
fähig. Die direkte Muskelerregbarkeit wenig herabgesetzt. Nach
Abnahme der Binde stellen sich die ersten Zeichen wiederkehrender
Leitungsfähigkeit nach 60 Secnnden ein.
2. Andreas St., 30 J., untere Extr. Gesammtdaner der Com-
pression 1 St Erste Zeichen der Leitungsunterbrechung nach
22 M. Letztere wird bald völlig. Ischiadicus unterhalb leitungs¬
fähig. Direkte Erregbarkeit zum Schlüsse sehr herabgesetzt. Erste
Zeichen wiederkehrender Leitungsfähigkeit 90 S. nach Abnahme
der Binde.
3. Marie R., 48 J., obere Extr. Gesammtdauer der Compression
1*/* St. Erste Zeichen der Leitungsunterbrechung nach 20 M.
Letztere wird bald völlig, dabei ist der Nerv unterhalb leitungs¬
fähig. Gegen Ende des Versuches schwindet aber die direkte
Muskelerregbarkeit und damit auch die vom Nerven.
4. Florian Sch., 53 J., obere Extr. Gesammtdauer der Com¬
pression 22 M. Erste Zeichen der Leitangsunterbrechung nach 15 M.
Sie steigerte sich zu völliger Leitungsunfähigkeit. Nerv unterhalb
der Binde leitungsfähig. Direkte Erregbarkeit etwas herabgesetzt.
Nach Abnahme der Binde erste Zeichen der Leitungsfähigkeit
nach 45 S.
5. Marie H., 11 J., obere Extr. Gesammtdauer der Compression
J /i St Erste Zeichen der Leitungsunterbrechung nach 15 M. Nach
23 M. keine Reaktion bei Reizung oberhalb der Binde erhältlich.
Nerv unterhalb leitungsfähig. Gegen Ende direkte Erregbarkeit
etwas herabgesetzt. Erste Zeichen der Leitungsfähigkeit nach
Abnahme der Binde nach 80 S. nachweisbar.
6. Johann F., 28 J., obere Extr. Gesammtdauer der Compression
*/< St Erste Zeichen der Leitungsunterbrechung nach 25 M.,
völlige nach 40 M. Nerv unterhalb der Binde leitungsfähig.
Muskelerregbarkeit etwas vermindert. Erste Zeichen der Leitungs¬
fähigkeit nach Abnahme der Binde nach 90 S.
7. Marie Sch., 6 J., untere Extr. Gesammtdauer 1 j i St Den
ersten Zeichen der Leitungshemmung nach 20 M. folgt bald gänz¬
liche Leitungsunfähigkeit Nerv unterhalb der Binde leitungsfähig.
Muskelerregbarkeit gegen Ende schwächer. Erste Zeichen der
Leitungsfähigkeit nach Abnahme der Binde in 30 S.
8. Marie St., 47a J., obere Extr. Gesammtdauer 7 M. Erste
Zeichen der Leitungshemmung nach 3 M. Bald völlige Leitungs¬
hemmung. Nerv unterhalb leitungsfähig. Keine Aenderung der
Zeitschrift für Heilkunde. XVII. 8
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114
Dr. Friedrich Neugebauer.
direkten Muskelerregbarkeit. Leitung nach Abnahme der Binde
wiedergekehrt in 50 S.
B. Fälle ausser Narkose untersucht.
1. Katharina T., 29 J., untere Extr. Gesammtdauer der Com¬
pression 1 j i St. Keine Leitungsunterbrechung. Keine Herabsetzung
der faradischen Muskelerregbarkeit, Motilität oder Sensibilität
2. Franz K, 53 J., obere Extr. Gesammtdauer der Compression
25 M. Die ersten Zeichen der Leitungsunterbrechung für den
Strom zeigen sich nach 15 M.; bald darauf völlige Leitungshem¬
mung. Nerv unterhalb leitungsfähig. Muskelerregbarkeit kaum
vermindert Gegen Ende des Versuches kann K. trotz aller An¬
strengung keinen Finger rühren. Schmerz- und tactile Empfindlich¬
keit sind geschwunden. 45 S. nach Abnahme der Binde stellt
sich die Leitungsfähigkeit für den elektrischen Strom, für Willen
und Empfindung wieder her.
3. Josefa Ä. t 35 J., obere Extr. Gesammtdauer der Compression
i/a St. Erste Zeichen der Leitungshemmung für den Strom nach
20 M. Dieselbe steigert sich, wird aber nicht vollständig. Der Nerv
unterhalb leitungsfähig. Muskeln reagieren direkt erregt fast ebenso
lebhaft, wie vor Anlegung der Binde, während sie für den Willen
völlig unerregbar sind. Nur tiefe Nadelstiche werden empfunden.
90 S. nach Entfernung der Binde stellt sich die gesammte Leitung
wieder her.
4. Therese E., 28 J., obere Extr. Dauer der Compression
20 M. Die Leitungshemmung beginnt nach ca. 13 M., wird aber
nicht vollständig. Nerv und Muskel unterhalb der Binde verhalten
sich normal. Dessungeachtet sind die activen Bewegungen nur sehr
langsam und mühevoll. Berührung und oberflächliche Stiche werden
nicht empfunden. Nach Abnahme der Binde stellt sich sehr schnell
die Leitung für den Willen, die Empfindung und den Strom her.
Kurz zusammengefasst kann man hiernach sagen, dass die
Nerven der abgeschnürten Extremitäten nach 3 — 20 Minuten
Störungen der Leitungsfähigkeit für den ziemlich starken faradischen
Strom zeigten. Diese Herabsetzung steigerte sich in den meisten
Fällen bald bis zur Unfähigkeit den Strom durch die Umschnürungs¬
stelle zu leiten. Dabei war die Leitungsfähigkeit der Nerven
distalwärts der Compressionsstelle erhalten. Nach länger dauernder
Compression sank die direkte Muskelerregbarkeit, die Zuckungs¬
höhen waren niedriger, die Zuckungen träger, ja in einem Falle
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Zur Kenntniss d. Lähmungen nach elastischer Umschnürung d. Extremitäten. 115
blieben sie endlich gänzlich ans. Nach Abnahme der Binde stellten
sich nach 30—90 S. die ersten Zeichen wiederkehrender Leitungs¬
fähigkeit ein. An den nicht in Narkose Untersuchten war auch
eine Störung der Willens- und Empfindungsleitung nachweisbar bei
intakter oder wenig veränderter faradischer Muskelerregbarkeit.
Der in situ befindliche Nerv kann ohne Störung des Kreislaufs
dauernd nicht sicher comprimiert werden. Auch das Schrauben-
toumiquet, mit dem ich übrigens dieselben Ergebnisse erhielt,
macht beträchtliche Circulationsstörung, ebenso manuelle Com-
pression, soll sie dauernd wirken. Hängen den Abschnürungs¬
versuchen der Physiologen am herauspräparierten Nerven die
Vorwürfe grober Schädigungen des Nerven an, so wird bei diesen
Versuchen die reine Compressionswirkung getrübt durch die einher¬
gehende Kreislaufströmung. Diesem Umstande Rechnung tragend
nannte R. Geigel, 1 ) welcher das Verhalten der Nerven unterhalb
der Umschnürungsstelle zum Gegenstände von Untersuchungen
gemacht hatte, den gefundenen Symptomencomplex „Compressions-
Reaction“. Sie besteht nach Geigel in einer Steigerung der Oeffnungs-
znckungen. Diesem Symptomencomplex wäre demnach auch die
Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit beizuzählen.
Immerhin ist aber die Leitungsbehinderung durch die Ab-
schnürungsstetle reine Druckwirkung , denn unterhalb derselben bleibt
ja der Nerv noch leitungsfähig. Wie lange er es bleibt ist
insofern nicht bestimmbar, als der Registrator für die Nervenerreg¬
barkeit, der Muskel, schliesslich unter den gestörten Kreislauf¬
verhältnissen seine Erregungsfähigkeit einbüsst. Auch stellt sich
der Kreislauf nach Entfernung des Drucks und die normale faradische
Muskelerregbarkeit früher her, als die Leitungsfähigkeit der ge¬
drückten Nervenstelle.
Aus Allem diesen folgt: 1. Der Druck einer Anämisierungs-
binde bewirkt in allen Fällen bei gewisser Dauer nicht nur rasch
verschwindende vasomotorische und sensible Paresen, sondern auch
motorische Lähmungen. 2. Diese Wirkung der Umschnürung hebt
meist erst nach etwa 15— 20 Minuten an. Man kann sich daher die
schmerzherabsetzende Wirkung nicht für die schnell zu erledigen¬
den Operationen, bei denen die Localanästhesie in Betracht kommt,
nutzbar machen.
*) Sitzungsberichte der physikalisch-med. Gesellschaft zu Wfirzburg. 1893,
p. 96.
8 *
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(Aas der II. medic. Klinik der Wiener Universität.)
BAKTERIOLOGISCHE BLUT- UND HARNUNTER¬
SUCHUNGEN.
Von
Dr. RUDOLF KRAUS,
Aapirant der Klinik.
(Hierzu eine Tabelle im Texte.)
Die klinische Diagnostik der Infectionskr&nkheiten ist dann
erst als exakt zu bezeichnen, wenn es gelingt, methodisch intra
vitam den, für die betreffende Krankheit bekannten, specifischen
Erreger bakteriologisch sicher nachzuweisen.
Diese Gesichtspunkte waren bei der Bearbeitung der Frage
des bakteriologischen Nachweises von Mikroorganismen im Blut
und Harn in vivo bei Infectionskrankheiten die leitenden.
Wenn auch im weiteren Verlauf der Untersuchungen vorwiegend
das diagnostische Moment in den Vordergrund der Untersuchung
gestellt wurde, so konnten doch bestimmte Fragen allgemein patho¬
logischer Natur nicht unberücksichtigt bleiben.
Theils unsere Befunde, theils diesbezügliche Literaturangaben
brachten es dahin, der Lehre von der Resorptionsinfection, welche
klinisch als kryptogenetische Septikämie lange zwar schon ge¬
kannt ist, experimentell und bakteriologisch erst in der neueren
Zeit bewiesen wird und der Secund&rinfection, Aufmerksamkeit zu
schenken.
Ueber die Ausscheidung der Mikroorganismen beim Menschen
werden wir versuchen, den experimentell gewonnenen neuen Stand¬
punkt, der abweichend ist von dem der Literatur zu vertreten.
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118
Dr. Rudolf Kraus.
Aus diesen nnd noch weiteren Gründen wurde Blut und Harn, so¬
weit es möglich war, gleichzeitig untersucht.
Ein Vergleich der intravital gewonnenen Blutbefunde der
Literatur mit den postmortalen wird uns über die Verwerthbar-
keit der letzteren für intravitale Verhältnisse Aufschluss geben.
Allgemeiner Theil.
Die zu berücksichtigenden bakteriologischen Blut- und Harn¬
untersuchungen, in vivo beginnen erst mit Anfang der achtziger
Jahre. Die früheren Arbeiten, welche bis in das Jahr 1860 reichen,
können nicht herangezogen werden, weil ihre Resultate mit den,
mit der modernen bakteriologischen Technik gewonnenen nicht zu
vergleichen wären.
Trotz der vielen Untersuchungen namentlich aber Blutunter¬
suchungen sind nicht einheitliche und beweisende Resultate ge¬
wonnen worden. Die Frage also, ob und wie weit man aus dem
bakteriologischen Blut- und Harnbefund in vivo auf die Aetiologie
der Infection schliessen könnte, ist bis heute nicht gelöst — Zur
ursächlichen Erklärung für diese Divergenz der Befunde und der
daraus sich ergebenden Anschauungen könnten verschiedene Factoren
herangezogen werden.
Es wurden die postmortal gewonnenen Befunde, sei’s im Blut,
sei’s in Organen bei der Verwerthung derselben, für gleichbedeutend
den intravital gewonnenen genommen.
Die agonalen Befunde werden als solche aus dem Stadium der
Agone nicht speciell erwähnt. Auf Complicationen von Seite ge¬
wisser Organe (namentlich Abdominalorgane) bei schon bestehender
Infection ist wenig Gewicht gelegt worden.
Diese Momente neben anderen scheinbar nebensächlichen könnten
von Wichtigkeit bei der Deutung der Befunde sein, wie auch
aus späteren Auseinandersetzungen hervorgehen soll.
Mehr als diese Fehlerquellen ist die Methodik der Unter¬
suchung zu berücksichtigen. Sie ist theils mangelhaft, theils, wenn
auch richtig, doch nicht einheitlich. Hauptsächlich muss in der Un¬
genauigkeit der Methodik der Hauptgrund für die falschen, also
nicht beweisenden und zugleich für die divergierenden Befunde
gesucht werden.
Es soll daher die Methodik der bakteriologischen Blut- und
Harnuntersuchung, wie sie im Laufe der Jahre geübt wurde, an-
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
119
geführt werden, die Mängel der Methoden besprochen und eine
möglichst einfache nnd ein wurfsfreie beibehalten werden.
Methodik der Blutuntersuchung.
Eine der ältesten Arten, welche schon, seitdem bakteriologisch
Blut untersucht worden ist, geübt wurde und bis in die neueste
Zeit geübt wird, ist die mittels Einstich in die Haut. Diese
sogenannte Methode ist zwar sehr einfach, aber ebenso unbrauchbar,
selbst bei der sorgfältigsten Desinfection der Haut.
Aus den Arbeiten von Roth l , Machno ff*, Wasmuth 8 , Bernheim *,
Wigura 6 geht hervor, dass die unversehrte Haut für Mikro¬
organismen durchgängig und auch im allgemeinen bakterien-
hältlig sei. Canon * hat darauf hingewiesen, dass man bei dieser
Art der Blutgewinnung Verunreinigungen bekommen kann.
Bei diesem Verfahren wird man nach dem eben erwähnten nie
sicher sein können, ob die gefundenen Bakterien thatsächlich Mikro¬
organismen aus dem Blut sind oder ob sie nicht vielleicht aus der
Haut ausgeschwemmte, normalerweise in der Haut vorkommende
Bakterien wären.
Dies gilt natürlich nicht für so specif. wie Milzbrand, Typhus¬
bacillen u. A. Zumeist nur für Staphylococcenarten.
Nebenbei sei noch bemerkt, dass man auch den bakteriologischen
Untersuchungen des Schweisses aus denselben Gründen eine Zu¬
verlässigkeit nicht zuschreiben kann.
Soll also den Blutbefunden irgend welche Beweiskraft zu¬
kommen, dürfen sie nicht mittels Einstich in die Haut ge¬
wonnen sein.
Pastemacki 1 , Sacharoff 8 geben eine Züchtung für Recurrens
und Malariaplasmodien im Blutegel an. Es mag ja für so specifische
Organismen diese Art eine recht brauchbare sein, aber aus den
für die Art der Blutuntersuchung mittels Einstich in die Haut
geltend gemachten Einwänden kann man diese Züchtung nicht gut
heissen. Ausserdem ist nach eigenen Untersuchungen der Darm¬
kanal der Blutegel häufig der Sitz von Mikroorganismen. Petruschkys •
Schröpfmethode ist compliciert, um methodisch verwerthet werden
zu können. Die folgenden Methoden entnehmen das Blut direkt aus
der Vene. Scheuerten 10 wendet zur Blutentnahme aus der Vene
Glaspipetten, Canon und SUtmann 11 benützen hiezu eigens con-
struierte Spritzen. Diese Verfahren wären zwar als einwurfsfrei
zu bezeichnen, sind jedoch als Methoden nicht einfach genug.
Die von uns geübte Art der direkten Blutentnahme aus der Vene
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120
Dr. Rudolf Kraus.
mittels Hohlnadeln ist insofern allgemein anwendbar, weil sie
ebenso einwurfsfrei wie die letzteren, dabei aber einfacher ist
Die Blutentnahme geschieht gewöhnlich an einer der gut entwickelten
Venen der Cubita. Die Haut wird mit Seife gereinigt, mit Sublimat, Alkohol und
Aether desinficiert. Zur Venaepunctio bedienen wir uns eigens construierter,
knieförmig gebogener, soharf zugespitzter, vernickelter Hohlnadeln, welche trocken
sterilisiert sind. Die Punctionsnadel wird nahe am Knie gefasst und mit dem
spitzen Ende in die angestaute Vene eingestochen. Nachdem etwas Blut ab¬
geflossen ist, wird das entweder in einem feinen Strahl oder zu Tropfen abfliessende
Blut aufgefangen und zwar direkt in Nährböden oder in sterile Eprouvetten.
Beim direkten Aufrangen in Nährboden, z. B. in schiefes Agar, Gelatine, Bouillon u. A.
lässt man ca. 1 Ccm Blut zuiliessen. Canon, Petrusckky Sittmann (1- c.) halten
grössere Mengen Blutes für erforderlich, um sichere Resultate zu gewinnen.
Beim Auffangen in schiefes Agar verzichtet man natürlich auf die Berücksichtigung
der quantitativen Verhältnisse, worauf es bei klinischen Untersuchungen im all¬
gemeinen nicht ankommt In Mischinfectionen muss natürlich das Plattengiessen
immer angewendet werden.
Methodik der Jlamunterstichung.
Ob der Ham direkt durch die Urethra oder mittels Catheters
aufgefangen werden soll, darüber wird seit den achtziger Jahren
polemisiert. Man ist also heute noch nicht über die einwurfs¬
freiere Art des Auffangens des Harnes zu culturellen Zwecken
einig. An der Hand der diesbezüglichen Literatur wollen wir
das für und wider erwägen und auf Grund dieser Kritik und
eigener Erfahrung Stellung für eine dieser Untersuchungsarten
nehmen. Ob der Ham schon in der Blase keimfrei sei, soll später
zur Sprache kommen.
Die ältesten Arbeiten, welche blos mikroskopisch den frisch
aufgefangenen Ham auf Bakterien untersucht haben, übergehen wir,
nur sei die von Kannenberg angeführt, weil sie aus dem Jahre 1880
ist. Kannenberg 18 findet bei der mikroskopischen Untersuchung
des frisch gelassenen Harnes, bei gesunden Individuen Mono, Diplo,
seltener kleine Ketten-Coccen und Stäbchen. Diese Bakterien sollen
bei Infectionskrankheiten, zumal wenn sie mit Nephritis compliziert
sind, im Ham vermehrt sein. An diese Befunde knüpft Kannen¬
berg Schlüsse bezüglich der Aetiologie der Nephritis. Leube 18 hält
das Auffangen des Harnes durch die Urethra für vollkommen zweck¬
entsprechend , fügt aber gleichzeitig hinzu, dass diese Methode
doch nicht absolut zuverlässig sei, weil er einen positiven Hara-
befund bei einem gesunden Individuum zu verzeichnen hatte.
Lustgarten und Mannaberg M haben in der normalen männlichen
Urethra den Staphylococcus aureus, kolbige Bacillen, Diplo und
Micrococcen, Streptococcus giganteus nachweisen können und sagen,
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
121
dass die Schleimhaut der gesunden Urethra ein Lager der ver¬
schiedensten Bakterien sei. Den durch die Urethra gesunder
Individuen aufgefangenen Harn fanden sie 13 mal unter 14 Fällen
keimhaltig. Auch nachdem sie eine Portion Harn hatten abfliessen
lassen, fanden sie in den weiteren Harnportionen eine nicht un¬
beträchtliche Anzahl von Mikroorganismen, und ausserdem gelang
es ihnen, ebenso vor wie nach der Harnentleerung aus der fossa
navicularis Bakterien zu züchten Aus diesen Versuchen schliessen
Lustgarten und Mannaberg, dass der normale Harn aus der Urethra
beinahe ausnahmslos Keime mitführt, und dass man durch’s Cathetri-
sieren für bakteriologische Zwecke einen brauchbaren Harn er¬
halten kann.
H. Neumann 16 stimmt diesen Beobachtungen von Lustgarten
und Mannaberg bei und sagt: „Man findet — durch Cultur — in
der That im Harn Organismen auch wenn man ihn unter Vorsichts-
massregeln aufgefangen hat. Wir verstehen hierunter, dass man
den Urin, nach Zurückziehen des Praeputimus und Reinigung des
Orificiums Urethrae mit Sublimat und Entfernung des letzteren
durch steriles Wasser, entleeren lässt und erst den zweiten Theil
desselben auffängt. Insofern ergiebt sich als die zuverlässigere
Methode der Urinentnahme, wie sie auch Lustgarten und Manna¬
berg angeben, durch Einführung eines durch Hitze sterilisierten
und mit sterilisiertem Oel bestrichenen Catheter. Die 1. Portion
wird abfliessen gelassen.“ In der weiteren Ausführung meint
Neumann, dass die von der Urethra dem cathetr. Ham beigemischten
Mikroorganismen sich wol von den pathogenen unterscheiden liessen,
doch für den Staphyloc. aureus, welcher normalerweise in der
Urethra sein soll, lässt er es nicht gelten. E. Petit und Wasser¬
mann 1# finden in der normalen Urethra verschiedene Arten von
Mikroorganismen und zwar nicht immer dieselben. Sie konnten
durch sorgfältige antisept. Auswaschung mit 10 °/ 0 Borlösung eine
Desinfection der Urethra nicht erzielen.
Hofmeister 17 hat in 54 Fällen den frisch gelassenen Ham
durch die Urethra bakteriologisch untersucht und resultiert aus
seinen Untersuchungen, dass man eine Reinigung der Urethra von
Keimen durch die Harnentleerung nicht erzielen kann. Selbst die
letzten Portionen waren keimhaltig. Nach Hofmeister ist auch der
Cathetrismus keine einwandfreie Methode. Zur Lösung der Frage,
ob der Ham in der Blase keimfrei sei, schlägt er daher das An¬
wenden der einwurfsfreieren Blasenpunction vor. Barlow 18 spült
vor der Cathetrisation die Urethra mit 3 °/ 0 Borlösung durch,
trotzdem gelang ihm die Desinfection derselben nicht. Barlow hält
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122
Dr. Rudolf Kraus.
die von ihm beschriebene Cathetrisation für hinreichend, um äussere
Verunreinigungen auf ein möglichst geringes Mass zu beschränken.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass der durch die Urethra
aufgefangene Harn sicher mit zahlreichen Mikroorganismen und
zwar verschiedener und wechselnder Art verunreinigt ist Die Ent¬
scheidung der Frage, ob der Harn schon in der Blase bakterien¬
haltig ist, ist auf diese Weise unmöglich. Theoretisch wäre denkbar,
dass mit dem Catheter Bakterien der Urethra in die Blase geschoben
werden können. Die dadurch eingeführte Menge der Mikro¬
organismen ist aber der minimalste Theil der Keime, die durch den
aus der Urethra kommenden, nicht cathetrisierten Harn fortgerissen
werden. In der Blase wird diese, durch den Catheter eingeführte
Bakterienmenge durch den Blasenharn noch verdünnt und ein Theil
geht noch durch das Abfliessenlassen der 1. Harnportion verloren.
Würde diese theoretische Erwägung richtig sein, müsste man
in jedem cathetrisierten, ebenso wie im nicht cathetrisierten Harn,
wenn auch nicht so zahlreich, fast immer die verschiedensten Arten
von Keimen finden, weil ebensolche in der Urethra vorhanden sind.
Es wäre daher die von Hofmeister vorgeschlagene Blasen-
punction nach der Uretherensondirung zwar die ein wurfsfreiere
Art für klinische Zwecke, als Untersuchungsmethode ist sie aber
nicht durchführbar.
Gestützt auf die Angaben von Lustgarten und Mannaberg,
Heumann und ausserdem auf eigene Untersuchungen bei einer
Reihe nicht fiebernder Individuen (Männern und Weibern), muss
die Cathetrisation als die zweckentsprechende, wenn auch nicht
exakte Methode für bakteriologische Harnuntersuchungen in vivo
angesehen werden.
Bei unseren Untersuchungen wird jetzt bei der Chatetrisation so vorgegangen,
wie es Neumann angiebt
Eine Beihe von Untersuchungen wurden mit Cathetern vorgenommen,
welche in 27* %Carbolsäure gekocht waren. Später schien es uns einfacher, die
Catheter trocken zu sterilisieren. Vorher hatten wir uns aber überzeugt, dass an
den mit Carbols&ure gekochten und mit trocken sterilisierten Cathetern gewonnenen
Resultaten nichts geändert wird. Nämlich, wo Bakterien im Harn waren, konnten
wir dieselben sowol mit Carbolcathetem als mit den trocken sterilisierten finden.
Dieselbe Uebereinstimmung zeigte sich auch bei negativen Resultaten. Der Ham
wurde soweit es möglioh war, mehrmals untersucht In einzelnen Fällen vor, während
und nach Ablauf der Infection. —
Wenn wir unsere Ansicht bezüglich der Methodik der bakterio¬
logischen Blut- und Harnuntersuchung zusammenfassen, müssen wir
sagen:
„Blut muss der Vene direkt entnommen werden .“
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Bakteriologische Blut- und flarnUntersuchungen.
123
„Die Gewinnung des Harnes mittels Catheters ist einwurfsfreier
als direktes Auffangen.“
Bezüglich des culturellen Verfahrens in unseren Untersuchungen
sei bemerkt, dass theils schiefes Agar, theils Agar gestrichen oder
gegossen, in speciellen Fällen dann Gelatine, Blutserum und Glycerin¬
agar zur ersten Züchtung verwendet wurden. Die zur bestimmenden
Züchtung gebrauchten Nährboden waren Bouillon, Gelatine, Zucker¬
agar, Kartoffel. Die Pathogenität wurde in gewissen Fällen an
Mäusen erprobt. Bei Coliarten liessen wir von dieser Bestim¬
mung überhaupt ab, da nach Tavel und Lanz 19 „die pathogenen
Eigenschaften keine constante Grösse sind, so dass mit denselben
für die Diagnostik dieser Gruppe wenig anzufangen ist“ Die
Beweglichkeit wurde im hohlen Objektträger untersucht. Die in
wenigen Fällen gefundenen grossen Coccen sind nicht näher specificiert.
Aehnliche Coccen beschreibt Engel* 0 .
lieber das Vorhandensein von Mikroorganismen
im normalen Blut und Harn.
Bevor wir auf unsere Untersuchungen über das Vorkommen
von Mikroorganismen im Blut und Harn bei Krankheiten ein-
gehen, sei der gegenwärtige Stand der Frage nach dem Vor¬
handensein von Mikroorganismen im Blut und Harn Gesunder in
kürze behandelt.
An die Untersuchungen über den Befund von Mikroorganismen
im gesunden Blut schliessen sich diejenigen über die Sterilität der
normalen Gewebe an. Es müssten ja, wenn Bakterien de norma
im Blut cirkulieren, dieselben in normalen Organen zu finden sein.
Hauser 41 kommt auf Grund weitgehender Experimente zu dem Schluss,
dass im normalen Gewebe keine Bakterien vorhanden sind. Diese
Anschauung wird von Rindfleisch, Meissner , Rosenbach, Zahn u. A.
vertreten. Demgegenüber wird von Rosenberger, Rossbach, Zweifel
behauptet, dass im gesunden Gewebe Bakterien enthalten sind.
In neuester Zeit wird von französicher Seite dieser letztere Stand¬
punkt schärfer vertreten und auch für das Blut geltend gemacht
Galippe 44 findet in verschiedenen Organen unter Anwendung grosser
Vorsichtsmassregeln Mikroorganismen. Was das Blut betrifft, so
würde sich aus den Arbeiten von Nocard* 9 , Beco**, Wurtz und
Hudelo* 9 , Ch. Porcher und G. Desoubry* 9 ergeben, dass Bakterien
im gesunden Blut normalerweise sein müssten und zwar sollen diese
durch Resorption vom Darm aus in den Kreislauf gelangen. Frühere
Untersucher wie Heuser und Luders, Billroth, E. Tiegel, Giacosa,
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124
Dr. Rudolf Kraus.
Neucky, Balogh, Burdon-Sanderson (cit. nach Hauser) glauben auch,
dass das normale Blut keimhaltig sei. Demgegenüber stehen eine ganze
Reihe von Arbeiten, welche den entgegengesetzen Standpunkt ein¬
nehmen. Unter Anderen kommt Fodor 97 auf Grund seiner Experimente
zur Anschauung, dass das Blut lebender gesunder Thiere keine
Bakterien enthält, weil dieselben, wenn sie in’s Blut eingedrungen
sind, zu Grunde gehen. Die abgestorbenen Mikroorganismen lassen
Weh nicht nachweisen.
Ob das Blut gesunder Individuen also Mikroorganismen ent¬
hält, ist nicht sichergestellt. Aus dem Gesagten würde hervor¬
gehen, dass Bakterien zwar in’s Blut schon unter normalen Ver¬
hältnissen gelangen, aber durch die baktericide Eigenschaft des
gesunden Blutes soiort vernichtet werden, so dass sie sich dem
Nachweis entziehen. — Die Frage nach der Keimhaltigkeit des
gesunden Harnes ist auch noch strittig. Pasteur, Cazeneuve und
Livon, (nach Leube , 1. c.) schliessen aus der Möglichkeit der
Conservierung des durch die Urethra aufgefangenen Harnes auf
seine Sterilität. Inwieweit dieser Schluss erlaubt ist, geht daraus
hervor, dass Lustgarten und Mannaberg (1. c.) den Ham auf
diese Art Wochen hindurch conservieren konnten, die Reaction
blieb unverändert, trotzdem der Ham Mikroorganismen enthielt
Guyon stellt am 6. französischen Chirurgencongress den Satz auij
dass der Harn in der normalen Blase eines gesunden Individuums
stets bakterienfrei sei. Enriques 88 findet im Ham gesunder Thiere
und im Ham gesunder Menschen und frischer Leichen neben einer
Reihe negativer Befunde den Staphyloc. aureus, und Mikrococcen.
Seine Erklärung hiefür lautet: „l’existence simultan6e des m&nes
microbes dans le sang et dans rurine d’animaux pris au hasard
en apparence de santö, nous autorise ä penser, que ces germes
provöniennent du passage k travers les reines des microbes introduits
accidentellement dans le sang.“ Als ein weiteres unterstützendes
Moment für die Annahme der Sterilität des normalen Harnes wäre
anzuführen, dass K. B. Lehman 89 und Richter glauben, dass der
sauere Ham (sauere Phosphate, aromatische Substanzen) pilztödtende
Eigenschaften besitze.
Es wäre nach alledem denkbar, dass normalerweise die aus¬
geschiedenen Bakterien, wenn sie nicht aus dem Blut schon ab¬
gestorben ausgeschieden werden, im saueren Harn zu Grunde gehen.
Diese Arbeiten und unsere Untersuchungen lassen uns in dieser
Frage den Standpunkt einnehmen, dass im Blut und Harne gesunder
Individuen pathogene Mikroorganismen cuUurell nicht nachweisbar
sind. —
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
125
In Bezug auf die Nomenclatur der Blutinfectioueu halten wir
uns theilweise an die ältere, theilweise an die von Tavd (1. c.)
aufgestellte. Den allgemeingebranchten Ausdruck der Septikaemie
ans der Terminologie zu streichen und dafür Bakteriaemie kurzweg
einführen zu wollen, wie es schon geschieht, halten wir für nicht
zutreffend. Unter Septikämie, sei’s jetzt eine Staphylo oder
Streptomykosis (Tavd) verstehen wir eine Krankheit sui generis.
Septikämie ist der diagnostische Begriff fiir ein ganz bestimmtes,
durch seine Symptome wol charakterisiertes Krankheitsbild. Bak¬
teriaemie oder Toxinämie sind blos Symptome einer Krankheit,
sowohl der Sepsis und Septikämie, als anderer Infectionen wie
z. B. des Typhus, Pneumonie u. a.
Die hämatogene Infection kann nach Tavd eine homologe
und heterologe sein. Anlehnend an diese von Tavd eingeführten
Bezeichnungen werden wir also eine homologe und eine heterologe
Bakteriaemie unterscheiden. Zur Gemeinverständlichkeit dieser
Bezeichnungen seien zwei specielle Beispiele angeführt:
Tritt im Verlaufe eines Typhus eine Blutinfection, auf d. h. ist
der Typhusbacillus im Blut nachweisbar, sprechen wir von einer
homologen Bakteriaemie. Findet man bei Typhus oder Tuberculose
der Lungen im Blut den Staphylococcus aureus, ist dies eine heterologe
Bakteriaemie.
Zwischen Mischinfection und Secundärinfection wird im Sinne
Tavds Unterschied gemacht. Den Terminus Toxinämie würden
wir beibehalten. Statt des Ausdruckes der kryptogenetischen Septi¬
kämie ist der von Tavd gebräuchliche „der Resorptionsinfection“
für die Vorstellung vom Mechanismus der Infection passender. —
Analog der Bakteriaemie könnte der Ausdruck Bakteriurie*
gebraucht werden, nämlich symptomatisch ohne damit etwas prä-
judicieren zu müssen.
Bis jetzt versteht man unter Bakteriurie ein Krankheitsbild.
Nach Krogius 90 findet sich dasselbe besonders bei Individuen,
welche cathetrisiert wurden oder in Malaria-Gegenden gelebt
haben, bei Medicinern u. A. Die Bakterien machen keine Blasen¬
symptome. Die Bakteriurie ist nach Krogius eine Allgemeininfection,
deren Ursache sich im Harn nachweisen lässt. Nach unserer Auf¬
fassung würde Bakteriurie einfach das Vorhandensein von Mikro¬
organismen im nicht cystit. Harne bedeuten. Die Bakteriurie
könnte wieder eine homologe und eine heterologe sein. Wenn ent¬
weder die Infectionserreger wie Typhusbacillen, Milzbrandbacillen
oder andere Mikroorganismen, als die specifischen, wie Staphylo-
coccen, Coli im Harne während der Infection nachweisbar sind.
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126
Dr. Rudolf Kraus.
Specieller Theil.
Zur Untersuchung kamen folgende Krankheiten: Puerperal-
processe, Eklampsie, Parametritis, Peritonitis, Typhus abdom.,
Tubercul. pulmon., Pneumonie, Peri-Endocarditis, Erysipel, Poly¬
arthritis acuta und gonorrhoica, Scarlatina, Angina, Nephritis, Cystitis.
Ausser diesen wurde Blut und Harn in einer Reihe von Krank¬
heiten untersucht, für welche theils eine bakteriologische Grundlage
nicht besteht, von gewissen Seiten jedoch angenommen wird, theils
eine solche vollständig fehlt. Leukämie, Pseudoleukämie, Hämo¬
globinurie, Cirrhosis hepatis, Carcinoma ventriculi und hepatis.
Die letzteren Fälle wurden deswegen untersucht, weil es möglich
gewesen wäre, Mikroorganismen im Blut zu finden. Die Kachexie
hätte günstige Bedingungen für die Resorption und das Gedeihen
der resorbierten Bakterien schaffen können.
Puerperale Septikämie,
Die Aetiologie der puerperalen und der Wundinfections-
septikämie ist heute sichergestellt. Die Staphylococcenarten (aureus
und albus) und der Streptococcus sind gewöhnlich die Erreger.
Schon Klebs, Hueter, Bülroth, Birch-Hirschfeld haben im Blut
Microorganismen bei Septikämien gefunden. Erst seit der Mitte
der achtziger Jahre steht die Aetiologie der Septikämie durch die zahl¬
reichen postmortalen Blutbefunde und die sich daran anschliessenden
Blutuntersuchungen in vivo, fest. Von den vielen Arbeiten über
Blutuntersuchung in vivo bei Septikämien seien nur die von
Eiseisberg 81 , Canon (1. c.), PetruscMcy (1. c.), Brieger M , Ceemiewsky **,
Sittmann (1. c.) angeführt. Eine ausführliche Literaturübersicht
über die postmortalen und intravitalen Befunde findet man bei
Sittmann.
v. Eiseisberg hat in seinen 15 Fällen den Staphylococcus albus,
aureus und Streptococcen gefunden. P. Canon hat neben einer
Reihe von Secundärinfectionen auch Fälle von puerperaler Septi-
kaemie und Blutinfectionen nach Phlegmone untersucht Neben
einer Reihe negativer Resultate hat er meist positive Befunde zu
verzeichnen, und zwar Staphylo und Streptococcen. Interessant in
seiner Arbeit ist die vergleichende Untersuchung der Befunde in
vivo mit denen postmortal aus dem Herzen oder Armvene ge¬
wonnenen. Das Blut aus dem Falle 8, 10, 28 ist intravital steril
geblieben, postmortal wurden Strepto und Pneumococcen gezüchtet
Canon macht auf die postmortale Vermehrung der Mikroorganismen
aufmerksam und zeigt, dass man postmortal im Deckglaspräparat
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Bakteriologische Blot- und Harnuntersuchungen.
127
Mikroorganismen nachweisen kann, wo es intravital nicht gelangen
ist Petruschky hat in 14 Fällen puerperaler Infection 9 positive
Befunde: 1 mal Staphyloc. aureus, 8 mal Streptococcen, in 6 Fällen
septischer Phlegmone: 4 mal Streptococcen. Brieger hat in 6 Fällen
negative Resultate und schliesst, dass Toxine den Tod bei Sepsis
bedingen. Cssemiewsky hat in 25 Fällen 9 mal Befunde. Sittmann
verzeichnet 2 positive Befunde, den Staphyloc. alb. und Streptococc.
Der Harn wurde von Tieeoni**, Stenico M , Preto at untersucht, es
wurden Stapylococc. aureus und albus nachgewiesen.
Unsere Fälle sind nur puerperale Septikämien bezw. Pyämien.
(ln den Krankengeschichten ist nur das nothwendige angeführt.)
I. 26jfihr. Wärterin. Anamnese: Im Juli 94 cessierten die menses und sollen
Anfang November stärker als sonst aufgetreten sein. Zwei Tage darauf Schüttel¬
frost, Fieber. Yorausgegangene Schwangerschaft wird negiert.
Status: Patientin ioterisch. Diffuse Bronchitis. Abdomen meteoritischen,
nicht schmerzhaft In der rechten Glutäalgegend ein grosser intramuskulärer
Abscess.
Im Harn Pepton. Im Blut starke Leukocytose. Schüttelfrost und Fieber
bis 40*6.
Genitalbefund: Im linken Parametrium ein derber nioht schmerzhafter Strang.
Sonst keine Veränderung, welche auf vorausgegangene Gravidität hindeuten würden.
Therapie: Intravenöse SublimatiDjectionen. Exitus letalis.
Klinische Diagnose: Pyämie.
Obductionsdiagnose: Pyaemia ex endometritide suppurativa post abortum.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: Staphylococcus aureus
und Streptococcen. Mikroskopisch: Coccen zu Gruppen und Coccen zu
langen Ketten mit Gramfärbung.
In Agarplatten, Agarstich, Bouillon, Gelatine sind typische
Colonien von Staphylococcus aureus und Streptococcen cultiviert
worden.
Dieselben Mikroorganismen konnten post mortem im Eiter der
Vena cava ascendens nachgewiesen werden.
n. löjähr. Magd. Anamnese: Fünf Tage nach der Geburt trat Fieber auf,
Husten mit schleimigem Auswurf, Seitenstechen und Gelenkschmerzen.
Status: Die Haut subicterisch verfärbt Bronchitis, Pneumonia, Pleuritis.
Milztumor, Schüttelfrost und Fieber bis 40 2. Puls 126. Im Harn Spuren Eiweiss.
Geringe Leukocytose. Gelenkschwellung. Exitus letalis.
Klinische Diagnose: Pyaemia postpuerperalis. Pleuropneumonia sin. Pneu¬
monia dextra. Nephritis acuta. Gonitis purulenta.
Obductionsdiagnose: Pyaemia cum pneumonia lobi inf. sin., pleuridite purul.
fibrin sin. gonitide purul. dextra., nephritide haemorrh. acuta. Pleuritis dextra
et pericarditis supp.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: Streptococcen.
Mikroskopisch: Coccen in Ketten mit Gramfärbung.
Im Agarstrich, Bouillon, Gelatine, typische Culturen.
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128
Dr. Rudolf Kraus.
Im 1. Harn: 8
Im 2. Ham: Bakterium coli.
Mikroskopisch: Kurze Stäbchen mit abgerundeten Enden ohne
Gramfärbung.
Agarstrich: Grauweisse, runde, erhabene scharfrandige Colonien.
Mikroskop: gestrichelt, scharfrandig.
Gelatine: nicht verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb, Indolreaction.
Zuckeragar: stark vergährencL
III. 19j&hr. Magd. Anamnese: Nach der Geburt Erbrechen, Husten, Fieber
aufgetreten.
Status: Beiderseitige Pneumonie. Milztumor. Temperatur bis 40. Im Harn
Eiweiss. Im Blut keine Lenkocytose. Exitus letalis.
Klinische Diagnose: Pneumonia pulm. utriusque crouposa. Pleuritis fibrinosa
dextra.
Obductionsdiagnose: Pneumonia bilateralis. Soptikaemia post part e. metro-
phlebitide puruL
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut aus dem Herzen vier
Stunden post mortem: Streptococcen.
Im Ham intra vitam: 8.
IT. 22jähr. Magd. Anamnese: 14 Tage nach der Geburt trat Mattigkeit,
Kältegefühl, Husten und Schüttelfrost auf.
Status: Rechtsseitige Pleuritis. Pneumon. catarrh. Milztumor. Perisplenitis.
Perihepatitis, Diarrhoö. Fieber.
Geheilt entlassen.
Klinische Diagnose: Septikaemia postpuerperalis.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: Staphylococcus albus.
Mikroskopisch: Coccen mit Gramfärbung. Agarstrich: weisse
glänzende Colonien.
Agarstich: Wachsthum im Stich, um die Einstichsöffnung eine
flache weisse glänzende Scheibe.
Gelatine: trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb.
T. SOjähr. Magd. Anamnese: Zwei Tage nach der Geburt tritt Fieber,
Schüttelfrost, Diarrhoe auf. Später schwoll die rechte Leistenbeuge unter Schmerzen
auf, daraufhin kam es zur Anschwellung des Beines.
Status: Die Haut subicterisch. Herpes labialis. Milztumor. Thrombophlebitis.
Im Ham Spuren Eiweis. Fieber. Schüttelfröste. Exitus letalis.
Klinische Diagnose: Pyaemia. Abscessus metast. pulmon. Pericarditis externa.
Obductionsdiagnose: Septikaemia e thrombophlebitide punü. plexus hypo-
gaßtr. et venarum femoral post metritid. et endometrit. puerp. Abscees. metast
multiplioe8 pulm. subsequ. pleur. purul. bil.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: Staphylococcus aureus.
Mikroskopisch: Coccen mit Gramfärbung.
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Bakteriologische Blut* und Harnuntersuchungen.
129
Agar: gelbe runde Colonien.
Gelatine: trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: difius trüb.
VI. 81 jähr. Magd. Anamnese: Einige Tage nach der Geburt trat Fieber auf.
Status: Abdomen aufgetrieben. Ueber der Symphyse ein Tumor tastbar.
Die Genitaluntersuchung ergibt einen nicht involvierten Uterus. Linksseitigen
Adnexentumor. Endometritis puerperalis. Im Harn kein Eiweiss. Temperatur
bis 40-4*
Therapie: Intravenöse Sublimatinjectionen. Patientin wird geheilt entlassen.
Klinische Diagnose; Septikämia. Endometritis. Parametritis postpuerper.
Bakteriologische Untersuchung. Im 1. Blut: Staphylococcus albus.
Im 1. Harn: G
Die Blut- und Harnuntersuchung nach ca. D/a Monaten später:
Negativ.
VII. 28jähr. Arbeiterin. Anamnese: Fünf Tage nach der Geburt erkrankt
Patientin mit Schüttelfrost, Fieber, Schmerzhaftigkeit im Bauch.
Status: Abdomen aufgetrieben, schmerzhaft. Die Genitaluntersuchung ergibt
eine eitrige Kolpitis. Temperatur 40. Exitus letalis.
Klinische Diagnose: Processus puerperalis. Endometritis septica. Peritonitis
purul.
Obductionsdiagnose: Acute Sepsis, Endometritis diphtherit. Acute diffuse
Peritonitis.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: G Im Harn: G
HD. 87 jähr. Taglöhnerin. Anamnese: Drei Wochen vor der Geburt traten
Krämpfe in den Händen auf. Gleichzeitig giengen die Kopfhaare ganz aus.
Nach der Geburt bekam Patientin Schmerzen im Bauch, Diarrhoen.
Status: Die gynäkologische Untersuchung ergibt eine Endometritis puer¬
peralis. Im Ham Eiweiss, Cylinder. Im Blut Leukocytose. Exitus letalis.
Klinische Diagnose: Septikaemia. Tetania.
Obductionsdiagnose: Septikaemia ex endometritide ichorosa puerperali cum
peritonitide purul. et abecessu. periton. pelveos saccato. Nephritis subacuta.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harne: G Im
2. Harne: G
IX. 41 jähr. Schneidersgattin. Anamnese: Ein Tag nach der Geburt wird
Patientin mürrisch und nach ärztlicher Aussage macht sie den Eindruck einer
Psychose. Unter zunehmenden Kopfschmerzen wird sie somnolent.
Status: Patientin soporös. Pupillen different, träge reagirend. Lähmung
des rechten internus. Neuritis optica. Keine Nackensteifigkeit. Bronchitis. Kein
Milztumor. Abdomen etwas aufgetrieben. Jauchiger Ausfluss aus dem Genitale.
Patellarreflexe gesteigert. Am Abend tonische Krämpfe. Trismus. Exitus letalis.
Klinische Diagnose: Coma probabiliter e meningitide.
Obductionsdiagnose: Endometritis puerperalis diphtheritica. Haemorrhg.
im rechten Hirnschenkel. Haemorrhg. in die Peyerschen Plaques- und Mesenterial¬
drüsen.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn: G
Zeitschrift fix Heilkunde. XVLL.
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130
Dr. Rudolf Kraus.
X. 30jähr. Frau.
Status: Fieber, Kopfschmerzen, Erbrechen, Pupillendifferenz, leichte Ab-
ducensparese, Hauthyperästhesien.
Klinische Diagnose: Pseudomeningitis.
Obduotionsdiagnose: Deciduitis purulenta.
Bakteriologische Untersuchung: Im Blut und Ham: 9. —
Es wurden 10 Fälle von puerperaler Infection untersucht.
Die Blutuntersuchung ergab 4 negative und 6 positive Befunde
(1 postmortaler Befund) und zwar Staphylococcus aureus und albus,
Streptococcen.
Die negativen Fälle sind als sogenannte Toxinämie (Sepsis)
aufzufassen. Fall VII entspricht zwar klinisch nicht dem Bild
einer reinen Toxikose, der Uterusbefund und der negative Blut¬
befund lassen aber annehmen, dass es sich blos um eine Toxinämie
gehandelt haben mag. Die Fälle VIII, IX, X, namentlich aber die
letzteren zwei sind fast Typen für eine Toxinämie. Analoge Fälle,
welche auf unserer Klinik zur Beobachtung kamen, sollen nur kurz
angeführt werden.
XI. 43jähr. Frau. Anamnese: Fünf Tage nach der Geburt unter Schüttel¬
frost, Fieber, Schmerzen im Rücken erkrankt
Status: Patientin benommen. Pupillen enge, träge reagierend. Angen¬
hintergrund normal. Nackensteifigkeit. Linksseitige Pleuritis. Puls 108. Ge¬
steigerte Reflexe. Im Harne Spuren Eiweiss. Im Blut Leukocytose. Fieber
zwei Tage nach der Aufnahme linksseitige Facialisparese. Sopor. Im rechten
Arm klonische Zuckungen. Exitus.
Klinische Diagnose: Processus puerperalis. Meningitis. Peritonitis ? Pleuritis sin.
Obduotionsdiagnose: Endometritis septica post partum. Endocarditis bact.
ad valv. mitralem. Pleuritis purul. Cysto-pyelo-nephrit purul. Oedema et
hyperaemia meningum et cerebri.
XII. 28jähr. Frau. Anamnese: Vier Tage nach der Geburt trat Fieber,
Schmerzhaftigkeit im Abdomen auf.
Status: Sensorium benommen. Pupillen enge, träge reagierend. Nacken¬
steifigkeit geringen Grades. Abdomen aufgetrieben, empfindlich. Ascites. Puls 106.
Temp. 38*6. Exitus letalis.
Klinische Diagnose: Peritonitis puerperalis.
Obductionsdiagnose: Endometritis diphtherit. cum periton. purul. Oedema
cerebri.
Diesen Fällen und den früher erwähnten IX und X sind die,
das Krankheitsbild beherrschenden allgemeinen cerebralen Symptome
gemeinsam.
Für diese cerebralen Erscheinungen wie Coma, Augenmuskel¬
lähmungen, Facialisparese, Pupillenträgheit, Nackensteifigkeit, ge¬
steigerte Reflexe, Convulsionen konnte im Gehirn kein entsprechendes
anatomisches Substrat nachgewiesen werden. Diese Erscheinungen
könnten auf eine lntoxication des Organismus mit Stoffwechsel-
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
131
producten von Mikroorganismen zurückgeführt werden. Auf nähere
Auseinandersetzungen über Toxinämie wollen wir nicht eingehen.
Dass es sich in unseren Fällen um eine Intoxication mit Bakterien¬
giften gehandelt haben mag, dafür spricht auch der Uterusbefund.
E. Bumm 87 sagt, „dass wenn die Infection aufs Endometrium localisiert
bleibt, man Befunde wie bei putrider Endometritis erhält. Die ober¬
flächlichen Schichten sind mit Bakterien durchsetzt, dann folgt ein
schützender Granulationswall als Zone der Reaction. Das begleitende
Fieber wird durchResorption chemischer Stoffwechselproducte bedingt“
Auf diese Art würden mechanische Verhältnisse den Bakterien das
Einwandem in’s Blut oder Lymphgefässsystem unmöglich machen,
deren Stoffwechselprodukte aber filtrieren durch. Diese Erklärung,
dass die Verlegung der uterinen Blut- und Lymphwege durch Ex¬
sudatmassen die Toxinämie Zustandekommen liesse, würde für unsere
Fälle Anwendung finden können. Aehnliche Fälle beschreibt
Canon (1. c) Fall 49 und 50. Den von Krannhals 88 zusammen¬
gestellten Pseudomeningitiden bei Infectionskrankheiten und der
Toxinaemia cerebrospinalis bei Pneumonie von Seite 88 sind unsere
Fälle von Toxinämie anzuschliessen.
Die Befunde der Literatur und unsere sind Beweise dafür,
dass die puerperale Septikämie durch Staphylococcen und Strepto¬
coccen bedingt ist, dass deren bakteriologischer Nachweis in den
meisten Fällen im Blut gelingt, so dass die intravitale Blutunter¬
suchung bei der Septikämie ein fast sicheres diagnostisches Hilfs¬
mittel ist
Eklampsie,
Ebenso wie die chemische Theorie über das Wesen der
Eklampsie ist die bakterielle Theorie nicht genügend gestützt.
Combemale und Bue i0 haben in vier Fällen bakteriologisch
Blut untersucht und finden in zwei Fällen eine Colonie, in den
anderen, zwei und mehrere Colonien von Staphylococcus albus.
Haegier 41 hat negative Blutuntersnchungen. Im Harne fand
er den Proteus (einmal), Mikrococcus ureae (einmal), Staphylococcus
albus (einmal) und Diplococcen. Hergott 4 * fand in fünf Fällen
Bacillen im Harn.
Ger des 48 fand in zwei Fällen 23 bis 24 Stunden post mortem
Bacillen, welche Hofmeister für Proteus Hauser und postmortal in’s
Blut eingewandert erklärt.
Aus diesen Befunden kann man anf die Aetiologie der Eklampsie
keinen Schluss machen. In unserem Falle konnten im Harne
Streptococcen nachgewiesen werden. Das Blut hat ein negatives
Resultat ergeben.
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132
Dr. Rudolf Kraus.
I. 36jähr. Frau. Anamnese: Plötzlich unter heftigen Bauchschmerzen
erkrankt. Ea treten Krämpfe auf, Patientin wird bewusstlos. Tags darauf spontane
Geburt einer todten Frucht im achten Monat.
Status: Coma. Clonische Krampfanfälle. Im Blut Leukocytose. Im Harn
viel Eiweiss, zahlreiche epitheliale Blutcylinder, Blutkörperchen, Temperatur
bis 40*4. Exitus letalis.
Klinische Diagnose: Eklampsie. Nephritis acuta.
Obdnctionsdiagnose: Hepatitis haemorrhagica, Haemorrhagiae recentes cerebri,
cutis, membranae mucosae laryngis, tracheae, ventriculi, intestini, serosarum. Neph¬
ritis parenchym. acuta.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 8. Im Harn Strepto¬
coccen. Mikroskop: Kettencoccen mit Gramfärbung.
Agarstrich: feine, weisse, porzellanglänzende Colonien.
Mikroskop: fein granuliert, am Band Schlingen und Banken
bildend.
Gelatine: nicht verflüssigend, im Stich feinkörniges Wachsthum
Bouillon: klar mit bröckligem Bodensatz.
Par<mietriti8.
Die Parametritis könnte eine Bakterämie oder Bakteriurie zur
Folge haben. Die Bakterämie würde im Einwandern der die Para¬
metritis erzeugten Mikroorganismen ins Lymphgefässsystem ihre
Ursache haben. Die Bakteriurie könnte theils auf dem Wege der
Blutbahn oder direkt durch „Continuitätsinfection“ (Tavd) zu Stande
kommen. Der letzte Infectionsmodus lässt sich durch fortschreitendes
Wachsthum der Entzündungserreger vom Parametrium in die Blase
erklären. Eine Analogie hierfür wäre die von Wreden 11 experimentell
erzeugte Einwanderung der Dannbakterien in die Blase sein.
Aus diesen Gründen ist Blut und Ham bei der Parametritis
untersucht worden.
I. 23 jähr. Köchin. Anamnese: Vierzehn Tage nach der Geburt tritt Fieber,
Schüttelfrost, Schmerzen im Bauch auf.
Status: Abdomen meteoristisch aufgetrieben. Fieber bis 39'2. Im Harne
kein Eiweiss. Im Blut keine Leukocytose. Die Genitaluntersuchung ergibt eine
Parametritis acuta.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 8. Im sauer reagie¬
renden Ham: Bakterium coli.
Mikroskop: Stäbchen ohne Gramfärbung.
Agarstrich: theils einzelne, theils confluierende grauweisse Colonien.
Gelatine: nicht verflüssigend, transparente Form.
Bouillon: diffus trüb. Indolreaction.
Zuckeragar: vergährend.
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
133
Kartoffel: erbsenbreiartiger Belag.
Die wiederholte Harnuntersuchung ergibt das Bakterium coli.
n. 19jähr. Magd. Anamnese: Tor zwei Tagen verspürte Patientin
Schmerzen heim Urinieren. Schmerzhaftigkeit der rechten Brustseite, Kopf¬
schmerz, Schüttelfrost, Schmerzen im Bauch.
Status: Bronchitis. Abdomen schmerzhaft namentlich im rechten Hypogastrium.
Temperatur bis 39*6. Im Harne Spuren Eiweiss. Im Blut massige Leukocytose.
Die gynäkologische Untersuchung ergibt eine rechtsseitige acute Para- und Peri¬
metritis.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut 8. Im Harn Bakterium
coli. Mikroskopisch: Walzenförmige Stäbchen ohne Gramfärbung.
Agarstrich: grauweisse, runde Colonien.
Gelatine: nicht verflüssigend.
Bouillon: diffus getrübt Indolreaction.
Zuckeragar: vergährend.
Die wiederholte Harnuntersuchung ergab Bakterium coli
HL 42 jähr. Frau. Anamnese: Nach der Entbindung trat Schmerzhaftigkeit
der linken Bauchseite aut Fieber.
Status: Parametritis sinistra. Starres Infiltrat
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn: 0.
IT. 38jähr. Frau.
Bakteriologische Untersuchung. Im Harne: 8.
In vier Fällen von recenter Parametritis wurde in zwei Fällen
im Harn Bakterium coli nachgewiesen.
Typhus abdominalis.
Bei der Vielgestaltigkeit des Verlaufes des typhösen Processes,
bei der Häufigkeit metastatischer Organerkrankungen (Pneumonie,
Endo, Pericarditis, Abscessbildungen) und bei dem für Resorption
von Bakterien günstigen Sitz der Primäraffection war es erklärlich,
dass die bakteriologische Blut- und Harnuntersuchung zu diag¬
nostischen Zwecken schon frühzeitig geübt wurden.
Die Milzpunctionen haben meist positive Resultate ergeben.
Meisds 48 verzeichnet Fälle mit positiven Befunden. Lucatello** hat
unter 13 Fällen 10 mal Resultate. Bruschettini 47 findet neben
Typhusbacillen noch Strepto- und Staphylococcen. RecUenbaeher iS
hat in 13 Fällen 10 mal, E. Neisser 49 in 12 Fällen 11 mal Thyphus-
bacillen gefunden. Aus Roseolen wurden zuerst von R. Neuhaus 80
und L. Rütimeyer 61 Typhusbacillen gewonnen. Diese Resultate
werden von späteren Untersuchen! bestätigt
Ungünstiger gestaltet sich die Statistik bezüglich der Befunde
bei direkter Blutuntersuchung in vivo. Seite 68 hat 11 Fälle,
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134
Dr. Rudolf Kraus.
Frankel und Simonds 58 sechs Fälle, Lucatdlo (1. c.) neun Fälle,
Merkel und Goldschmidt M sechs Fälle, Janowsky 66 26 Fälle unter¬
sucht, alle mit negativem Resultate. Wiltschour M hat unter 35
Fällen einen positiven Befund. M. Thiemich 67 hat in sieben Fällen
1 mal Typhusbacillen, in drei Fällen nicht pyogene Coccen gefunden.
Loison, Simonin und Amaud 58 haben in 66 Fällen (241 Culturen)
Blut untersucht. Sie fanden in 55 Fällen Mikroorganismen und zwar
45 mal Staphylococcen, 1 mal Typhusbacillen, 3 mal Typhusbacillen
und Staphylococcen, 1 mal Coli und Staphylococcen.
Sittmann (1. c.) hat in vier Fällen 2 mal Staphylococcen (aureus,
albus) nachgewiesen. In diesen 176 Fällen sind aus dem Blut in
vivo 3 mal Typhusbacillen allein, 3 mal Typhusbacillen mit Staphylo¬
coccen gezüchtet worden. Die positiven Befunde ergaben meist
Staphylococcen.
Bessere Resultate hat die bakteriologische Harnuntersuchung
aufzuweisen.
H. Neumann # * hat in 48 Fällen 11 mal, Seite von 7 Fällen
2 mal, Konjajeff von 20 Fällen 3 mal, Hueppe von 18 Fälleu
1 mal Typhusbacillen (Cit. nach Neumann), Karlinski w in 44 Fällen
21 mal Typhusbacillen, 1 mal Typhusbacillen und Streptococcen
nachgewiesen., Wright #1 hat in sieben Fällen 6 positive Befunde.
Süvestrini 62 fand in 41 Fällen unter 34 positiven Befunden in 78 °/ 0
Staphylococcen, in 20 °/ 0 Typhusbacillen mit Staphylococcen.
In 185 Fällen wurde also in 44 Fällen der Typhusbacillus
rein, in drei Fällen mit Staphylococcen und Streptococcen aus
dem Harn gezüchtet. In 32 Fällen wurden Staphylococcen nach¬
gewiesen.
Neumann glaubt, dass die Typhusbacillen im saueren Harn, im
Gegensatz zu vielen anderen Mikroorganismen, unter den günstigsten
Bedingungen sich befinden. Merkel und Goldschmidt sagen, dass
sich der Typhusbacillus im saueren Harn sogar vermehrt Diese
Angaben würden den häufigen culturellen Nachweis der Typhus¬
bacillen im Harn erklärlich machen. Auffallend und nicht erklärt
bleiben die relativ zahlreichen Harnbefunde im Gegensatz zu den
spärlichen positiven direkten Blutbefunden.
Die im Blut und Harne nachgewiesenen Staphylo- und Strepto¬
coccen bei Typhus sind im Sinne einer Secundärinfection zu deuten,
als heterologe Bakteriämien oder Bakteriurien. Das Ergebnis
unserer Untersuchungen widerspricht nicht den Literaturangaben.
Als Nährböden für die Züchtung wurde Agar und Gelatine gleich¬
zeitig verwendet.
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
135
I. 19jähr. Gehilfe. Anamnese: Zugereist von Prag. Vor vier Tagen trat
Mattigkeit, Fieber, Erbrechen auf.
Status: Bronchitis. Meteorismus. Ileocoecalgurren. Milztumor. Diarrhoen.
Breiige Stahle. Temperatur bis 40*5. Im Harn kein Eiweiss. Im Blut keine
Leukocytose. Im Verlaut der Krankheit tritt ein Abscess an der Streckseite des
Ellbogengelenkes auf. Die bakteriologische Untersuchung des Eiters ergab den
Staphylococcus aureus.
Bakteriologische Untersuchung. Im Harn: Staphylococcus
albus. Mikroskop.: Coccen mit Gramfärbung.
Agarstrich: weisse runde Colonien.
Gelatine: langsame Verflüssigung.
Bouillon: schwach diffus trüb mit Bodensatz.
Pathogenität: für Mäuse nicht pathogen.
II. 68 j&hr. Arbeiter. Anamnese: Seit vierzehn Tagen matt, fiebert Obstipation.
Status: Milztumor. Im Ham kein Eiweiss. Temperatur bis 39*6.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 8. Im Harne:
Staphylococcus albus. Mikroskop.: Coccen mit Gramfärbung.
Agarstrich: weisse Colonien.
Agarstich: Wachsthum im Stich, um die Einstichsöffhung eine
weisse Scheibe.
Gelatine: rasch trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb.
Pathogenität: für Mäuse pathogen.
HI. 19j&hr. Magd. Anamnese: Vor drei Tagen trat Kältegefühl mit
Mattigkeit auf. Schweiss. Kopfschmerz. Schwindel. Stuhl regelmässig.
Status: Meteorismus. Milztumor. Ileocoecalgurren. Flüssige Stühle. Tem¬
peratur bis 40 6. Im Harn Aceton und Diazoreaction positiv, kein Eiweiss.
Keine Leukocytose.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 8. Im Harn: Staphylo¬
coccus aureus. Mikroskopisch: Coccen mit Gramfärbung.
Agar: gelbe runde Colonien.
Agarstich: Wachsthum im Stich, um die Einstichsöffhung eine
gelbe Scheibe.
Gelatine: trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb.
Pathogenität: für Mäuse pathogen.
Die während der Krankheit wiederholte Harnuntersuchung
ergab stets den Staphylococcus aureus, das Blut war steril.
Der Ham nach Ablauf der Infection hat ein negatives Resultat
ergeben.
IV. 28jähr. Knecht. Anamnese: Vor acht Tagen mit Kopfschmerz, Schüttel¬
frost erkrankt Anfangs Obstipation, später flüssige Stühle.
Status: Bronchitis. Milztumor. Meteorismus. Breige Stühle. Temperatur 39.
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136
Dr. Rudolf Kraus.
Im Harn kein Eiweiss, Diazoreaction. Im Blut keine Lenkocytoee. Patient,
der schon afebril war, bekommt plötzlich unter Fieberanstieg bis 406 ein Recidir.
Bakteriologische Untersuchung. Die dreimalige Blut- and Harn-
Untersuchung im Typhös: Q.
Im Recidiv : Im Harn: Staphylococcns albos. Mikroskop: Coccen
mit Gramfärbung.
Agar: weisse Colonien.
Gelatine: trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb.
Im Blut (zwei Tage später untersucht): Typhusbacillen.
Mikroskopisch: plumpe Stäbchen ohne Gramfärbung.
Gelatine: weissliche Colonien, nicht verflüssigend.
Agar: grauweisse Colonien.
Bouillon: diffus trüb.
Zuckeragar: nicht vergährend.
Kartoffel: unsichtbares Wachsthum.
V. ldj&hr. Arbeiterin. Anamnese: Vor vier Tagen unter Kopfschmerz,
Fieber nnd Erbrechen erkrankt
Status: Meteorismus. Druckempfindlichkeit im Abdomen. IleocoecalgurTea.
Milztumor. Lichtgelbe, flüssige Stühle. Temperatur 89-8. Im Ham Eiweiss,
granulierte Cylinder, Diazoreaction negativ.
Bakteriologische Untersuchung: Im Blut: fl. Im Harn: Typhus¬
bacillen. Mikroskop.: Stäbchen ohne Gramfärbung.
Gelatine: feine Colonien nicht verflüssigend.
Zuckeragar: nicht vergährend.
Kartoffel: unsichtbares Wachsthum.
Im hängenden Tropfen charakteristische Eigenbewegung.
YL 36jfihr. Magd.
8tatus: Roseolen. Ueocoecaigurren. Milztumor. Breiige Stühle. Temperatur
bis 40. Im Ham Eiweiss, Diazoreaction. Im Blut keine Leukocytose.
Bakteriologische Untersuchung: Im Blut und Harn: 0.
Untersucht wurden 6 Fälle von Typhus abdom. Die Blut¬
untersuchung ergab 1 mal Typhusbacillen, in 4 Fällen negatives
Resultat Im Harne konnten 1 mal Typhusbacillen, 3 mal Staphylo-
coccus albus, 1 mal Staphylococcns aureus nachgewiesen werden.
Aus dem früher angeführten und auf Grund eigener Erfahrung
muss man sagen, dass die direkte Blutuntersuchung bei Typhus für
diagnostische Zwecke nicht brauchbar ist, auch dann nicht, wenn
man, wie Sittmann es vorschlägt, genügend Blut nimmt und öfters
untersucht
Neumanns Behauptung (1. c.), dass der Typhusbacillus nicht
gerade häufig im Harne zu finden ist, dass aber das Vorhandensein
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
137
desselben im Harne die Diagnose beweist, das Fehlen nicht zum
Verwerfen der Diagnose berechtigt, bleibt aufrecht Karlinski (1. c.)
kommt zu ähnlichen Schlüssen. Bezüglich der Staphylococcen-
befhnde überhaupt, sowol im Blut als im Harn, und deren Pro¬
venienz können wir uns nicht näher aassprechen. Die im Harne
auftretenden Staphylococcen werden wahrscheinlich hämatogenen
Ursprungs sein.
Im Falle HI konnten die im Verlauf der Infection nach¬
gewiesenen Coccen nach Ablauf derselben, im Harne nicht mehr
gefunden werden.
Im Falle IV war der Ham Anfangs steril, später konnte der
Staphylococcns nachgewiesen werden. In den meisten unserer
Typhusfälle war kein typisches Fieber vorhanden.
Perityphlitis.
L 19j8hr. Magd. Anamnese: Vor drei Tagen mit Schmerzen im Banch
erkrankt. lieber. Obstipation.
Status: Meteorismus. Im rechten Hypogastrium ein Tumor von massig
harter Consistenz, schmerzhaft. Temperatur bis 89*6. Im Harn Indican. Im
Blut Leukocytose.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 0.
Die dreimalige Harnuntersuchung: 0.
Im 4. and 5. Ham: Staphylococcns albus.
Mikroskop.: Coccen zu Haufen, zu zweien. Gramfärbung.
Agarstrich: runde weisse Colonien.
Gelatine: verflüssigend.
Bouillon: schwach diffus trüb.
n. 41j8hr. Köchin. Anamnese: Vor vier Tagen traten heftige Schmerzen
in der Heocoecalgegend auf. Allgemeine Mattigkeit Fieber.
Status: In der lleoooeoalgegend ein druckschmenhafter Tumor. Kein Milz¬
tumor. Im Harne Indican. Im Blut Leukocytose. Temperatur bis 39.
Bakteriologische Untersuchung. Im 1. Blut und Harn: 8. Im
2. Blut: 8.
Im Ham: Staphylococcus albus.
Mikroskopisch: Coccen mit Gramfärbung.
Agar: weisse glänzende Colonien.
Gelatine: rasch trichterförmig verflüssigend.
In zwei Fällen von Perityphlitis ist erst im Verlauf der Er¬
krankung der Staphylococcns albus im Harne aufgetreten. Der Harn,
zu Anfang der Erkrankung einigemal untersucht, ist steril ge¬
wesen.
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138
Dr. Rudolf Kraus.
Peritonitis tuberculosa.
I. lBjähr. Mädchen.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn: 9.
II. 36jähr. Frau.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn: G.
III. 36jähr. Taglöhnerin.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn: 9.
In drei Fällen tuberculöser Peritonitis sind die Resultate der
Blut- und Harnuntersuchung negativ.
Icterus.
I. 26jähr. Frau. Diagnose: Icterus catarrhalis.
Bakteriologische Untersuchung. Im Harne: G.
n. 19jähr. Arbeiter. Diagnose: Catarrh. infectios. intestini cum ictero.
Bakteriologische Untersuchung. Im Harne: G.
HI. Bljähr. Frau. Diagnose: Gholelithiasis, Icterus.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn: G.
IV. 80jähr. Frau. Diagnose: TubercuL gland. lymphat ad portam hepat.
Icterus.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn: G.
In vier Fällen von Icterus verschiedener Aetiologie konnten
weder im Harn noch im Blut Mikroorganismen nachgewiesen
werden.
Pneumonie.
Zahlreiche Befunde von Pneumococcen im postmortalen Blut und
Organen würden dafür sprechen, dass bei Pneumonien eine Blut-
infection d. h. eine Bakteriämie, bezw. eine Bakteriurie eine nicht
seltene Erscheinung sein sollte. Entspricht dieses am Cadaver ge¬
wonnene Resultat den topischen Verhältnissen in vivo, dann müssten
Pneumococcen sowol im Blut als auch im Harne häufig nachzuweisen
sein. Viele von den Fällen mit positiven Befunden sind nicht als
einfache Pneumonien, sondern als Septikämien aufzufassen, welche
im Verlaufe der Pneumonie auftraten, oder vor derselben schon be¬
standen. Bdfanti * 8 hat von vielen untersuchten Fällen nur
sechs positive Befunde, fünf Fälle davon verliefen letal. Gold¬
scheider** verzeichnet einen positiven Fall bei einer Pneumonie
in Gravida. Boulay * 6 hat in vier Fällen zwei positive Be¬
funde, diese sind jedoch in Agone gewonnen. Friedländer**
hat in sechs Fällen einen positiven Befund. Netter 97 hat
einen Fall compliciert mit Meningitis und Peritonitis, mit
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
139
positiven Befand. Casatti 88 findet in leichten und schweren
Formen Diplococcen im Blut. Sittmann (1. c.) hat 16 Fälle von
Pneumonien untersucht und gibt zehn positive Pneumococcenbefunde
an. Seine Resultate würden freilich für ein häufiges Vorkommen
von Pneumococcen im Blute sprechen. Die Krankengeschichten
aber und die Obductionsdiagnosen der Fälle lehren, dass es sich
erstens um vier letal endigende Fälle handelte, welche analog den
von Marchiafava und Bignami 89 beschriebenen Fällen, als Septi-
kämien aufzufassen sind.
Fall XIH betraf eine Pneumonie in Gravida, zudem noch mit
einer serofibrinösen Pleuritis undPericarditis, einer trüben Schwellung
der Leber und Nieren, compliciert.
Im Falle XXV lautet die Obductionsdiagnose auf käsige Pneu¬
monie und tuberculöse Cavemen der rechten Lunge, kleines ab¬
gesacktes Empyem der rechten Pleurahöhle, eitrig fibrinöse
Pericarditis.
Im Falle XXVI war ausser einer pneumonischen Infiltration
der linken Lunge geringes tuberculöses Infiltrat des rechten Ober¬
lappens, eitrige Pericarditis, ulceröse Endocarditis, beiderseitige
fibrinöse Pleuritis, trübe Schwellung und Granularatrophie der Nieren.
Metastatischer Abscess im linken Schultergelenk.
Sittmann hebt diese Complicationen hervor und führt alle Fälle
als Septikämien nach Pneumonie an.
Im Falle XXIII, XXEX konnten Pneumococcen nicht culturell
nachgewiesen werden, nur mikroskopisch ist die Diagnose auf
Pneumococcen gemacht worden.
Im Falle XXVlli war gleichzeitig eine cerebrospinale Meningitis.
Diese Befunde dürften für die Pneumonie als solche nicht
allgemeine Gültigkeit haben. — Obzwar die postmortalen
Nierenbefunde auf ein häufiges Vorkommen von Pneumococcen im
Harn schliessen liessen, wurde der Harn bei Pneumonien wenig be¬
rücksichtigt. Seite (s. Neumann) hat in fünf, Neumann (1. c.) in
sieben Fällen negative Resultate erhalten. — Unsere Fälle betreffen
uncomplicierte Pneumonien, welche, wenn auch nur zwei letal ver¬
liefen, doch als schwere Formen bezeichnet werden müssen.
I. 42jähr. Diener. Anamnese: Vor sechs Tagen trat Fieber und Schwellung
des Gesichtes auf. Erysipel. Patient wurde wegen Delirien auf die psychiatrische
Klinik gebracht, von hier nachdem das Erysipel fast abgelaufen war, wurde er
auf unserer Klinik aufgenommen.
Status: Erisipel fac. im Ablauf. In der rechten Lunge zahlreiche mittel¬
blasige Basselgeräusche. Milztumor. Temperatur 89. Vier Tage nach der Auf¬
nahme entwickelt sich eine rechtsseitige Pneumonie. Im Harne kein Eiweiss.
Im Blut Leukocyten. Exitus letalis.
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140
Dr. Rudolf Kraus.
Klinische Diagnose: Pneumonie croup. Erysipel.
Obductionsdiagnose: Pneumonia croup. lobi infer. et medii dextri in stad,
hepat flava et gns. Degeneratio adiposa myocardii et parenchym. hepatis et renum.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut ein Tag ante mortem.
Diplococcus pneumoniae. Mikroskop.: lanzettförmige Coccen mit den
zugespitzten Enden einander zngekehrt Gramfarbung.
Agar: feine glänzende Colonien.
Gelatine: kein sichtbares Wachsthum.
Bonilion: schwach diffiis trüb.
Im Harn (postmortem ans der Blase): G.
II. 87jähr. Taglöhner. Anamnese: Vor einer Woche mit Schüttelfrost,
Fieber erkrankt. Es stellte sich Husten mit schleimigem Auswurf ein, Kurz-
athmigkeit
Status: Pneumonia crouposa. Im Ham Eiweiss.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 0. Im Harn Staphylo-
coccus albus.
Mikroskop.: Coccen mit Gramfärbung.
Agarstrich: weisse glänzende Colonien.
Agarstich: Wachsthum im Stich, um die Einstichsöflhnng eine
weisse, scharfrandige Scheibe.
Gelatine: rasch trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb.
Pathogenität: für Mäuse pathogen.
III. 80jlhr. Frau. Anamnese: Vor vier Tagen unter Schüttelfrost, Kopf¬
schmerz, Erbrechen erkrankt.
Status: Pneumonia crouposa sin. Im Ham Eiweiss. Im Blut Leukocytose.
Bakteriologische Untersuchung. Im 1. Blut und Harn: 8. Sechs
Tage darauf im 2. Harn: Staphylococcus aureus.
Mikroskop.: Coccen mit Gramfärbung.
Agarstrich: gelbe runde Colonien.
Agarstich: Wachsthum im Stich, um die Einstichsöffhung eine
flache gelbe Scheibe.
Gelatine: trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb.
Die nach zwei und zehn Tagen untersuchten Harne: 8.
IV. 26jähr Magd. Anamnese: Vor drei Tagen unter Schüttelfrost, Husten,
erkrankt Vor acht Wochen entbunden.
Status: Pneumonia crouposa, Endocarditis recens. Nephritis gravid, obeolesc.
Bakteriologische Untersuchung. Im 1. Blut und Ham: G. Im
2. Ham: G.
Nach fünf Tagen im Ham: Staphylococcus anreus.
Mikroskop.: Coccen mit Gramfärbung.
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
141
Agar: gelbe runde Colonien.
Gelatine: rasch trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb.
V. 86jähr. Arbeiterin. Anamnese: Vor vier Wochen plötzlich erkrankt,
mit Schüttelfrost, Husten, Schmerzen auf der Brust, Erbrechen.
Status: Pneumonia crouposa lobi sup. et medii dextri. Im Harne Eiweiss.
Im Blut Leukocytose.
Bakteriologische Untersuchung. Im 1. Blut und Harn: 8. Im
2. Ham: Staphylococcus aureus.
Mikroskop.: Coccen mit Gramfärbung.
Agar: gelbe runde Colonien.
Agarstich: Wachsthum im Stich mit einer oberflächlichen
gelben Scheibe.
Gelatine: trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb.
Im 2. Blut: 8.
Nach drei Tagen im 3. Ham: 8.
VL 26jfthr. Schneiderin.
Status: Pneumonia croup. sin. Pleuritis sin. Im Harn Eiweiss. Im Blut
Leukocytose.
Bakteriologische Untersuchung. Im 1. Blut und Ham: 8.
Die weiteren Harnuntersuchungen sind negativ geblieben.
VH. 42jähr. Taglöhner.
klinische Diagnose: Pneumonia crouposa dextra et sin., menigitis verosimil.
Obductionsdiagnose: Pneumonia lobul. pulm. dextri totius et lobi inf. sin.
Endocarditis mycotica ad valv. mitral. Meningitis purul. metast
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 8.
VIII. IX. X. XI. XII.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Ham: 8.
Es wurden im Ganzen 12 Fälle von Pneumonie untersucht.
Die Blutuntersuchung ist blos in einem Fall positiv ausgefallen.
Dieser Fall ist aber nicht als eine einfache Pneumonie, sondern als
ein Analogon aufzufassen für die von Roger n und Noorden 71 be¬
schriebenen Pneumonien im Anschluss an Erysipel. Ausserdem
ist das Blut in unserem Fall agonal gewonnen.
Was die Harnuntersuchung betrifft, so wurde niemals der
Diplococcus pneum. gefunden. In vier Fällen wurden Staphylococcen
nachgewiesen, zweimal der aureus, zweimal der albus. In zwei
Fällen konnte das Auftreten des Staphylococcus im Harne während
der Infection, das Verschwinden mit dem Ablauf der Infection
constatiert werden. Der Ham in diesen Fällen zu Beginn war
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142
Dr. Rudolf Kraus.
keimfrei. -- Sowol aus den Literaturangaben als auch aus unseren
Untersuchungen geht hervor, dass die Blutuntersuchung bei Pneu¬
monien nicht als diagnost. Hilfsmittel benutzt werden kann. Die
Pneumococcen dürften wahrscheinlich nur in schweren Fällen
von Pneumonie oder in Fällen reiner Pneumococcenseptikämie mit
secund. Localisation in den Lungen und anderen Organen, im Blute
in vivo nachweisbar sein.
Die Harnuntersuchung ist auch für die Diagnose der Pneumonie
nicht verwerthbar, sie gibt aber eventuelle Aufschlüsse über die
Ausscheidung anderer Mikroorganismen als der Erreger im Verlaufe
dieser Krankheit.
Meningitis cerebrospinalis.
Wegen der von einigen Seiten vertretenen ätiologischen Gemein¬
schaft der Pneumonie und der Meningitis cerebrospinalis haben wir
folgenden Fall untersucht. Das Besultat der bakteriologischen
Blutuntersuchung war negativ.
I. 22jähr. Arbeiterin. Anamnese: Vor vier Tagen unter Kopfschmerz,
Fieber, Erbrechen, Delirien, zeitweiser Bewusstlosigkeit erkrankt.
Status: Patientin somnolent. Schwerhörigkeit, Nackensteifigkeit. Herpes lab.,
Milztnmor. Gesteigerte Reflexe. Temperatur 88 5. Im Harn Eiweiss. Nach acht
Tagen fieberlos, geheilt.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 0.
Pleuritis.
I. 19jähr. Magd.
Status: Pleuritis serosa, später wird sie plötzlich eitrig.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn 8.
Nachdem das Exsudat eitrig geworden ist: Im 2. Blut und
Harn: 8.
n. 37jähr. Frau.
Status: Pleuritis serosa dextra postpuerp.
Bakteriologische Untersuchung: Im Blut und Ham: 8
III. 24jähr. Köchin.
Status: Pleuritis exsudat. sin. postpuerp.
Im 1. 3. Ham: 8.
Im 1. Blut und 2. Ham: 8.
IV. SOjähr. Mann.
Status: Pyopneumothorax saccat dexter.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 8. Im Blut und
Ham: 8.
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Bakteriologische Blut* und Harnuntersuchungen.
143
In drei Fällen von theils seröser, theils eitriger Pleuritis waren
weder im Blut, noch im Ham Mikroorganismen zu finden.
Bronchitis acuta*
In fünf Fällen konnten weder im Blut noch ira Harn Mikro¬
organismen nachgewiesen werden.
I. 21 jähr. Köchin. Anamnese: Vor vier Tagen trat Husten, Fieber,
Schmerzen auf der Brost anf.
Statns: Bronchitis.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Ham: 0.
n. 20jäh. Arbeiterin.
Statns: Diffuse Bronchitis, Milztnmor, Diarrhoen, Temperatur bis 38.5.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Ham: 0.
Nach Ablauf der Infection. Im Ham: 8.
III. 21 jähr. Mann.
Status: Bronchitis. Temperatur 89'6.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Ham: 0.
Nach Ablauf der Infection. Im Harn: 8.
IV. 28jähr. Magd. Anamnese: Mit Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerz,
Husten erkrankt.
Status: Bronchitis. Milztnmor. Temperatur 89*2, nach vier Tagen afebril.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 8.
V. 26jähr. Magd. Anamnese: Mit Fieber, Husten erkrankt
Statns: Bronchitis, Temperatur bis 88. Im Ham Eiweiss, hyaline Cylinder,
Nierenepith*, Leukocyten. Tagsdaranf Patient afebril, im Harn nach zwei Tagen
kein Eiweiss, keine Formelemente.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Ham: 8.
Nach Ablauf der Infection. Im Ham: 8.
Pericarditis, Endocarditis acuta.
Strümpell sagt in seinem Lehrbuch, „dass die Endocarditis in
ätiologischer Hinsicht durchaus nicht als eine einheitliche Krank-
heitsform aufzufassen sei.“ Sowol die experimentellen Arbeiten
über die künstliche Erzeugung der Endocarditis, als auch die an
der Leiche gemachten Befunde sprechen auch dafür, dass pathogene
Mikroorganismen überhaupt an der Entstehung einer Endocarditis
mitbetheiligt sind. Die Blut- und Harnuntersuchungen in vivo bei
Endocarditis sind zu spärlich, als dass man sich ein Urtheil über
den diagnostischen Werth derselben bilden könnte.
Petruschky (1. c.) hat in zwei Fällen im Blut, einmal Strepto¬
coccen nachgewiesen. Neumann (1. c.) hat in einem Falle im Ham
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144
Dr. Rudolf Kraus.
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den St&phylococcus aur. gefunden. Postmortal hat Weichselbaum' 70
in zwei Fällen einmal Streptococcen nachgewiesen.
I. 20jähr. Hann.
Status: Pericarditis exsudativa. Geringes Fieber.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Ham: 8.
II. 18 jfthr. Mädchen. Anamn ese: Mit Gelenkschmerzen, Fieber, Schmerzen
auf der Brust erkrankt. Später Athemnoth.
Status: Pericarditis exsudativa. Temperatur bis 89'5.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Ham: 0
III. 33jähr. Frau. Anamnese: Vor drei Wochen mit Gelenksschwellungen
und gleichzeitiger Schmerzhaftigkeit in der Herzgegend erkrankt. Fieber.
Status: Gelenksschwellungen. Fieber. SystoL Geräusch an der Mitralis.
Periccardiales Reibegeräusch. Exitus letalis.
Klinische Diagnose: Endocarditis, Pericarditis, Polyarthritis.
Obductionsdiagnose: Insufficientia valv. mitral, cum stenos. ost ven. sin.
ex endocarditide obsoleta et acuta verrucosa. Insufficientia valvuL mitral, ex endo-
cardit. acut verruc. post polyarthr. rheumat.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 8 Im Ham: Strepto¬
coccen.
Mikroskop.: längliche Coccen in Ketten, Gram.
Agarstrich: feine stecknadelkopfgrosse Colonien.
Mikroskop.: granuliert mit Bandketten.
Gelatine: nicht verflüssigend.
Bouillon: klar mit körnigem Bodensatz.
IV. 24 jähr. Köchin. Anamnese: Vor drei Wochen mit Schüttelfrost, Fieber,
Erbrechen erkrankt. Diarrhoe. Patientin schwitzt bei Nacht.
Status: An der Herzspitze syst diast Geräusch. Ueber der Pulmonalis
syst. Reiben. Milztumor. Temperatur bis 896. Intermittierendes Fieber. Im
Blut Leukocytose. Thrombosen in der Art. brachial, sin., Iliaoa dextra. Diarrhoen.
Schmerzhaftigkeit des Abdomens. Exitus letalis.
Klinische Diagnose: Endocarditis ulcerosa, Pericarditis, Pleuritis dextra,
Pyaemia, Embolia et Thrombos. art iliac. dextrae et brachial, sin.
Obductionsdiagnose: Pyaemia ex endocarditide. Endocarditis bacterica ad
valv. mitralem et tricusp. cum abscessibus mnltipl. renum et intestini tenuis.
infarctibus in suppur. renum, lienis. Embolia purul. Arier, iliac., brach, sin.
Bakteriologische Untersuchung. Im .1. 2. Blut und Ham: 8.
Im 3. Blnt: Streptococcen.
Mikroskop.: Coccen in langen Ketten.
Agarstrich: feine Colonien mikroskopisch fein granuliert, Band¬
schlingen bildend.
Gelatine: nicht verflüssigend.
Bouülon: ohne Trübung mit körnigem Bodensatz.
Im 3. Ham: 8. Im 4. und 5. Ham: Bakt. coli.
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
145
, Mikroskop.: Stäbchen ohne Gram.
Agarstrich: runde grauweisse Colonien.
Gelatine: nicht verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb, spec. riechend, Indol.
Zuckeragar: vergährend.
Y. 18 jShr. Lehrling. Anamnese: Vor acht Tagen mit Schüttelfrost, Fieber,
Kopfschmerz erkrankt.
Status: An der Herzspitze syst. Geräusch. 2. Pulmonalton accentuirt.
Milztumor. Im Blut Leukocytose.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn: 8
tl vn.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 8
In zwei Fällen von Pericarditis war Blut und Ham steril.
In fünf Fällen acuter Endocarditis haben zwei Fälle positive Be¬
funde ergeben und zwar Streptococcen im Harn im Falle III, im
Blut im Falle IV, der im letzten Fall gleichzeitig untersuchte Ham
war steril, erst später wurde in dem Ham Bakt. coli gezüchtet.
Die Fälle DI und IV sind Septikämien. Die das klinische
Krankheitsbild beherrschende Endocarditis kann als Theilerscheinung
der Septikämie aufgefasst werden. Da solche Fälle klinisch ganz
manigfach verlaufen, und oft eine Differentialdiagnose gestellt werden
muss, könnte die bakteriologische Blut- oder Harnuntersuchung
diagnostische Dienste leisten.
Tuberculosis pulmonum .
Von einer Reihe von Autoren wird der Standpunkt vertreten,
dass bei der Tuberculose der Lungen eine Misch- bezw. Secundär-
infection ein häufiges Vorkommnis sei. Theils auf das Eindringen
dieser Mikroorganismen ins Blut, theils auf die Resorption
von toxischen Stoffwechselproducten derselben wird das septische
Fieber und andere Erscheinungen, welche im Verlauf der Tuber¬
culose auftreten, zurückgeführt. Deswegen wurde das Blut
bei Tuberculose der Lungen in vivo auf pyogene Coccen
hin untersucht Jakowsky 78 hat in neun Fällen sieben positive
Befunde, zweimal Staphylococcus aur., zweimal Staphylococcus
aur. und albus, einmal Staphylococcus aur. und Streptococcen, zwei¬
mal Streptococcen. Petruschky 74 , welcher vor Jakowski postmortale
Befunde aus dem Blut bei Tuberkulose aufzuweisen hat, untersucht
in einer späteren Arbeit (1. c.) Blut in vivo. In acht Fällen von
progressiver Tuberculose der Lungen findet er einmal Streptococcen,
sieben Fälle blieben resultatlos. Die septischen Erscheinungen,
Zeitschrift für Heilkunde. XVII.
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146
Dr. Rudolf Kraus.
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namentlich das hektische Fieber bei Phthisikern erklärt Petmschky
so, dass die Streptococcen sich im Lungengewebe ausbreiten, und
zunächst die Giftstoffe derselben in das Blut gelangen. Sittmann (1. c.)
hat von vier Fällen in zwei Fällen Staphylococcus aureus, albus
im Blut nachgewiesen. Bezüglich des hektischen Fiebers in seinen
Fällen, meint Sittmann , dass das stark intermittierende Fieber
nicht blos die specifische Wirkung einer Art von Mikroorganismen
sein muss, sondern, dass verschiedene Bakterien dieses bewirken
können.
I. 18jähr. Näherin.
Klini sche Diagnose: Phthisis pulm. utriusqne valde progr. probab. ulcera
tuberc. intestini.
Obductionsdiagnose: Tuberculos. chronica pulm. cum cavem. multipl. Tuberc.
intestini tenuis et mucosae laryngis.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Ham: G.
H. 19jähr. Mädchen.
Klinische Diagnose: Infiltratio apic. pulm. utriusque, praecipue sin. cum
cavem. Degeneratio parench. renum.
Obductionsdiagnose: Tubercul. chron. cum phthisi lobi sup. sin. Ulcera
tuberc. intest.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und. Ham: G. Im
3. Blut: G.
in. 24jähr. Dienstmädchen.
Klinische Diagnose: Tubercul. pulm. Pneumothorax. Enteritis tuberc.
Obductionsdiagnose: Pneumothorax dexter, Phthisis pulm. Infiltratio tuberc.
lob. inf. sin. Ulcera tuberc. coecL
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Ham: G.
IT. 28jähr. Köchin.
Klinische Diagnose: Tuberc. pulm. utriusque praecip. sin. Tubercul. laryng.
Pleuritis peracta.
Obductionsdiagnose: Tubercul. subacuta pulm. utriusque cum pleuritide
obsoleta bilat. Ulcera tuberc. coeci.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Ham: G.
Y. Sljähr. Magd.
Klinische Diagnose: Infiltratio apic. pulm. utriusqne. Diabetes mellitus. Coma.
Nephrit, adip.
Obductionsdiagnose: Tubercul. chron. gland. bronch. ad hilnm pulm. sin.
tubercuL chron. et subac. pulm. sin. Atrophia pancreatis. degeneratio adip. renum,
hepatis et cordis.
Bakteriologische Untersuchung. Im Ham: G.
VI. VII.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: G.
Vin. 22jähr. Magd.
Status: Tubercul. pulm. Ln Sputum Tuberkelbacillen. Im Ham Eiweiss.
Schwitzt bei Nacht. Temperatur bis 39.
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
147
Bakteriologische Untersuchung: Im 1. Blut und Harn: 8. Im
2. Blut: 8. Im 2. Harn: Staphylococcus albus.
Mikroskop.: Coccen mit Gramfärbung.
Agar: runde weisse Colonien.
Gelatine: rasch trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb.
IX. SSjähr. Arbeiterin.
Klinische Diagnose: Tubercul. pulm. Enteritis tuberc.
Obdnctionsdiagnose: Tubercul. chron. pulm. et intestini.
Bakteriologische Untersuchung. Im 1. Blut und Harn: 8. Im
2. Harn: 8. Im 2. Blut: 8 und gleichzeitig im 3. Harn: Staphy¬
lococcus albus.
Mikroskop.: Coccen mit Gramförbung.
Agar: weisse runde Colonien.
Gelatine: trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb.
Im 4. Harn: positiv.
X. SOjfthr. Mädchen.
Status: Tubercul. chron. pulm. Im Sputum Tuberkelbacillen. Fieber bis 39.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 8. Im 1. 2. Harn:
Staphylococcus albus.
Mikroskop.: Coccen mit Gramförbung.
Agar: weisse Colonien.
Gelatine: rasch trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb.
XL 84jähr. Bedienerin.
Klinische Diagnose: Infiltratio pulm. utriusque lob. sup., cavern. dextr.
Tumor hepatis et lienis.
Obdnctionsdiagnose: Tubercul. chron. dextra diesem, cum phthis et caverais
multipl. catarrhus diffus, intestini. Degeneratio adip. hepat., renum. Metritis Uteri.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 8. Im 1. 2. 3. 4. Harn:
Bakt coli.
Mikroskop.: kurze Stäbchen ohne Gram.
Agar: runde mattglänzende grauweisse Colonien.
Gelatine: nicht verflüssigend, um die Einnstichsöfihung eine
weisse unregelmässige Scheibe.
Bouillon: diffus trüb. Indol.
Zuckeragar: vergährend.
Eigenbewegung.
XII. 22jähr. Arbeiterin.
Klinische Diagnose: Tubercul pulm. utriusque.
Obdnctionsdiagnose: Tubercul. chron. pulm. cum. phthisi et cayernis multipl.
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148
Dr. Rudolf Kraus.
exim. apicis utriusque. Degeneratio adiposa hepatis, renumqne. Tubercul. chron.
caseosa gland. lymphat. coli.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut (aus der Fingerbeere!):
Staphylococcus albus. Im Harn: Bakt. coli.
Mikroskop.: Plumpe walzenförmige Stäbchen ohne Gram.
Agar: grauweisse glänzende Colonien.
Gelatine: nicht verflüssigend.
Bouillon: diffuse trüb. Kein Indol.
Zuckeragar: vergährend.
Eigenbewegung.
XIII. 35jähr. Wärterin.
Diagnose: Tubercul. pulm. Ulcera tuberc. laryngis.
Bakteriologische Untersuchung. Im 1.2. Blut: 9. Im 1.2.3 Harn:
Staphylococcus albus.
Mikroskop.: Coccen mit Gramfarbung.
Agar: weisse Colonien.
Gelatine: langsam verflüssigend.
Bouillon: diffuse Trübung.
XIY. 28jähr. Blumenmacherin. Anamnese: Vor sechs Wochen erkrankt
Patientin mit Appetitlosigkeit, Schmerzen im Magen und Bauch. Diarrhoe. Stark
abgemagert. Schwitzt und hustet nicht. Vor zwei Tagen bekam sie unter
Schüttelfrost Schmerzen im Kopf, es trat Röthung und Schwellung des Gesichtes
hinzu.
Status: Erysipel. Massige Bronchitis. Geringe Dämpfung über der rechten
Lungenspitze. Abdomen druckschmerzhaft. Diarrhoen. Im Stuhl Eiter und
Bakterien. Keine Tuberkelbacillen. Im Harn kein Eiweiss. Im Blut Leukocytose.
Fieber. Nach sechs Tagen ist das Erysipel abgelaufen. Erbrechen. Fieber.
Schüttelfröste bestehen weiter. Im Stuhl und Sputum trotz wiederholter Unter¬
suchung keine Tuberkelbacillen.
Fiebercurve nach Ablauf des Erysipels
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
149
Exitus letalis.
Klinische Diagnose: Enteritis tuberc. Septikaemia secund.
Obductionsdiagnose: TubercuL chron. apic. pulm. et subacuta disseminata
lobi sup. pulm. utriusque. Lymphomata tuberc. peribronchialia, periportalia et
retroperiton. Ulcera tuberc. jqjuni, ilei coeci et coli ascendent et. transversi.
Steatosis hepatis, tumor lienis gradu lev. chron.
Bakteriologische Untersuchung.
1m Blut während und nach Ablauf des Erysipels: Staphylo-
coccus albus.
Mikroskop.: Coccen mit Gramfärbung.
Agarstrich: kleine weisse Colonien.
Agarstich: Wachsthum im Stich, um die Einstichsöffnung eine
weisse, glänzende Scheibe.
Gelatine: rasch trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb.
Im 1. und 2. Harn: 6.
Im 3. Ham während und nach Ablauf des Erysipels: Grosse
Coccen mit Gramfärbung.
Agarstrich: runde kleine weisse Colonien mikroskopisch granu¬
liert mit gezackten Rändern.
Gelatine: nicht verflüssigend.
Bouillon: diffuse Trübung.
Des interressanten klinischen Verlaufes wegen und der schwer
zu stellenden Differentialdiagnose sollte dieser Fall ausführlicher
besprochen werden. Die klinischen Symptome einer Tuberculose
der Lungen waren fast nicht vorhanden. Der Fiebertypus,
Diarrhoen, Milztumor, bakteriologischer Blutbefund, keine Nacht-
schweisse, geringer objectiver Lungenbefund, weder im Sputum noch
in den Faeces Tuberkelbacillen, führten zur Annahme einer so¬
genannten kryptogenetischen Septikämie. —
Es wurden 14 Fälle von Tuberkulose der Lunge theils be¬
ginnende, theils fortgeschrittene Formen untersucht. Die Blut¬
untersuchung ergab nur im Fall XIV ein Resultat, im Fall X lässt
der Befund in Anbetracht der angewandten Blntgewinnung keine
Schlüsse zu. Die Harnuntersuchung ergab viermal den Staphylo-
coccus albus, zweimal das Bakt. coli im sauer reagierenden Ham.
Auf eine Erklärung bezüglich der Harobefunde und Blutbefunde
gehen wir jetzt nicht näher ein, in einem späteren Capitel werden
die Resorptionsverhältnisse der Lungen für Mikroorganismen be¬
sprochen.
Unser Urtheil über den diagnostischen Werth der bakterio¬
logischen Ham- bezw. Blutuntersuchung geht dahin, dass man über
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150
Dr. Rudolf Kraus.
eine im Verlauf der Tuberkulose aufgetretene Bakteriurie oder
Bakteriämie Aufklärung bekommen kann.
Meningitis basilaris.
I. 34jähr. Modistin.
Klinische Diagnose: Meningitis bas. tuberc. Infiltratio apic. pulm. sin.
Bronchitis diffusa.
Obductionsdiagnose: Meningitis bas. tuberc. Tuberc. chronica gradus lev.
pulm. utriusque Tuberc. subac. ren. Ulcera tuberc. iutestini ilei.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn: 0.
II. 17j&hr. Näherin.
Klinische Diagnose: Meningitis basilaris.
Obductionsdiagnose: Chronische Tubercul. der bronch. und mediast Lymph-
drQsen. Subacute und acute Miliartuberc. der Lungen, Nieren, der pia mater.
Leptomeningitis tuberc.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn: 0.
III. SOjähr. Frau.
Klinische Diagnose: Paralys. progr., Caries vertebrae, Cyatitis, Tubercul. pulm.
Obductionsdiagnose: Meningitis bas. tuberc. acuta cum hydroceph. interne
acuto. Tuberc. chron. apic. pulm. et disseminata subac. pulm. utriusque. Ulcera
tuberc. ilei et coeci. Cystitis. purul. chron. Caries multiplex corp. vert.
Im Blut: 0. Im Harn: Bakt coli.
Mikroskop.: plumpe Stäbchen ohne Gram.
Agar: grauweisse runde Colonien.
Gelatine: nicht verflüssigend.
Bouillon: difius trüb, Indol.
Zuckeragar: vergährend.
Im 2. Blut: 8.
In drei Fällen tubercul. Meningitis compliciert mit Tubercul.
anderer Organe sind ausser einem positiven Harnbefund, welcher
aber anf die bestehende Cystitis zurückzuführen ist, die Blut- und
Harnuntersuchungen negativ ausgefallen.
Status infectiosus.
(Bakteriurie der Autoren).
Fälle, wie sie unten beschrieben werden, sind, wenn im Harne
Bakterien zu finden waren, als Bakteriurie bezeichnet worden.
Die bisherige Auffassung der Bakteriurie wurde früher schon er¬
wähnt. Bakteriurie ist blos ein Symptom, noch dazu nicht einer
Infection eigen, sondern vielen Infectionskrankheiten. Nach einem
Symptom, welches nicht charakteristisch genng und nicht das Potius
ist, ein Krankheitsbild zu bezeichnen, halten wir für unrichtig.
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
151
Ausserdem sind die bei der Bakteriurie gefundenen Mikroorganismen
keine specifischen, welche eventuell auf die Aetiologie der Krank¬
heit Schlüsse erlauben könnten. Die von den Autoren und uns in
zwei Fällen im Harne nachgewiesenen Bakterien sind vielleicht
blos ein Ausdruck für eine abnorme Durchlässigkeit gewisser
Organe für gewisse Mikroorganismen, welche im normalen
Organismus sich aufhalten. In diesem Sinne könnten diese Fälle
eher als kryptogenetische Septikämie oder als Resorptionsinfection
im Sinne Tavels aufgefasst werden. Krogius (1. c.) hat in Fällen
von Bakteriurie Bakt. coli gefunden. L. A. Pressmann 76 hat neben
Fällen von Cystitis, Nephritis, drei Fälle von Bakteriurie unter¬
sucht und findet im Ham Bakt. coli, Staphylococcen, Diplococc.
liquefac. Diese Bakterien sollen theils hämatogenen Ursprungs
sein, theils direkt vom Darm oder Urethra in die Blase einwandera.
J. B. Ross 79 hat in vier Fällen von Bacillurie bewegliche, die
Gelatine nicht verflüssigende Stäbchen nachgewiesen. Schottelius
und Reinhold 77 beschreiben einen Fall von Bakteriurie mit positivem
Harabefund.
I. 17jfihr. Lehrling. Anamnese: Vor sechs Tagen mit Fieber, Kopfschmerz
Druckgefühl im Abdomen erkrankt
Status: Milztumor. Im Harne Eiweiss, keine Formelemente. Temperatur 38'5.
Nach zwei Tagen im Hame kein Eiweiss. Afebril.
Bakteriologische Untersuchung. Im 1. Harn: Staphylococcus
albus.
Mikroskop.: Coccen mit Gramfärbung.
Agarstrich: porzellanweisse runde Colonien.
Agarstich: Wachsthum im Stich, mit einer oberflächlichen
weissen Scheibe.
Gelatine: langsam trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb.
Pathogenität: für Mäuse pathogen. Die aus der Maus ge¬
züchteten, sonst gleichartigen Coccen verflüssigen die Gelatine
rascher.
Nach zwei Tagen der 2. Ham positiv.
II. 18j&br. Arbeiter. Anamnese: Vor drei Tagen mit Schüttelfrost, Fieber,
Mattigkeit erkrankt.
Status: Bronchitis. Geringes Fieber. Im Hame kein Eiweiss.
Bakteriologische Untersuchung. Im Ham: Staphylococcus albus.
Mikroskop.: Coccen mit Gramfärbung.
Agarstrich: weisse scharfrandige Colonien.
Gelatine: langsam trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: Trübung mit Bodensatz.
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152
Dr. Budolf Kraus.
Pathogenität: für Mäuse nicht pathogen.
In diesen Fällen einer AUgemeininfection ohne besondere
Lokalisation konnten im Harne Staphylococcen nachgewiesen werden.
Die langsame Verflüssigung der Gelatine Hesse sich nach Tavd
und Kocher (1. c.) aus der geringeren Virulenz erklären. Die im
Fall I durch die Maus geschickten Coccen haben auch die Gelatine
rascher verflüssigt als die direkt aus dem Harne gewonnenen.
Nachdem im Allgemeinen der Befund des Staphylococcus albus
im Harne nichts Speciflsches für eine Infectionskrankheit bedeutet,
kann diesen Mikroorganismen keine ätiologische Rolle in unseren
Fällen zugeschrieben werden.
Polyarthritis rheumatica.
Die von Sahli, Gabbin, Puritz, Raymond und Netter (Literatur-
ausgaben siehe bei Sittmann 1. c.), als Gelenksrheumatismus pubH-
eierten Fälle, in welchen intravital im Blut der Staphylococcus
aureus, Diplococcus pneumoniae, Streptococcen nachgewiesen wurden,
erklärt Sittmann (1. c.) mit Recht für Septikämien. In fünf Fällen
von Polyarthritis acuta konnte Sittmann (1. c.) bei mehrmaliger
Blutuntersuchung keine Mikroorganismen nachweisen und kommt
zum Schluss, dass, wenn im circulierenden Blut und Gelenken Eiter¬
erreger zu finden sind, es sich um Septikämien handele; bleibt die
Untersuchung des Blutes und der Gelenke negativ, so Hegt ge¬
nuiner, acuter Gelenksrheumatismus vor.
Louis de Saint Germain 78 hat in drei FäUen negative Blut¬
untersuchungen. G. Singer 7 * theilt in einer vorläufigen Mittheilung
mit, dass er in 17 Fällen von Gelenksrheumatismus den Harn
bakteriologisch untersucht hatte und in 16 FäUen positive Befunde
erhielt und zwar 10 mal Staphylococcus albus, 1 mal Staphylo¬
coccus aureus, 3 mal Streptococcen, 2 mal Staphylococcus albus und
aureus. Singer erklärt diese Mikroorganismen als Erreger des Ge¬
lenksrheumatismus. Eine genaue Methodik der Harngewinnung ist
nicht angegeben, nur aUgemein gesagt, dass der Harn „unter allen
Cautelen“ zur Untersuchung entnommen wurde. Inwiefern Singers
Folgerungen aus diesen Harnbefunden auf die Aetiologie des Gelenks¬
rheumatismus zu schHessen berechtigt sind, geht aus der Mittheilung
von Chvostek 80 hervor.
1. 21 jähr. Dienstmädchen. Anamnese: Vor zehn Tagen traten Schmerzen
und Schwellung in den Gelenken auf. Fieber.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 0.
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Bakteriologische Blot- and Harnuntersuchungen.
153
II. 18jähr. Taglöhnerin. Anamnese: Vor fünf Wochen traten schmerzhafte
Schwellangen am die Knöchel auf, dann der Kniegelenke. Fieber.
Bakteriologische Untersuchnng. Im Blut und Harn: 8.
III. 17jähr. Magd. Anamnese: In der Kindheit Gelenksrheumatisraus.
Vor drei Tagen trat Anschwellung der Gelenke anf. Fieber.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut nnd Harn: 8.
IV. 16jähr. Magd. Anamnese: Vor einer Wcche traten Schwellungen der
Gelenke auf. Fieber. Halsschmerzen.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn: 8.
V. 17jähr. Magd. Anamnese: Vor zwei Tagen mit Fieber, Schwellungen
der Handgelenke erkrankt. Halsschmerzen.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn: 8.
VI. 22jähr. Magd. Anamnese: Vor zwei Wochen unter Fieber, mit
Schwellung, Schmerzhaftigkeit der Gelenke, erkrankt
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn: 8.
VII. 23jähr. Dienstmädchen. Anamnese: Im zehnten Lebensjahre Gelenks-
rheumatismns durchgemacht. Vor zwei Tagen trat Schwellung, Schmerzhaftigkeit
der Gelenke auf. Fieber.
Diagnose: Polyarthritis. Endocarditis. Pleuritis.
Bakteriologische Untersuchung. Vor der Salicylbehandlung im
Blut: 8.
Im Harn: Staphylococcus albus.
Mikroskop.: Coccen mit Gramfärbung.
Agarstrich: weisse runde Colonien.
Agarstich: Wachsthum im Stichkanal, um die Einstichsöffnung
eine weisse Scheibe.
Gelatine: trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb.
Pathogenität: für Mäuse nicht pathogen.
Nach der Salicylbehandlung: 2., 8., 4., 5., 6. Ham: positiv.
VIIL 24jähr. Frau. Anamnese: Im Jahre 1891/93 hatte Patientin Gelenks¬
rheumatismus überstanden. Vor einem Monat trat Schmerzhaftigkeit, Schwellung
der Gelenke auf, Fieber.
Bakteriologische Untersuchung. Im sauerreagierenden Ham:
Bakt coli.
Mikroskop.: Walzenförmige Stäbchen ohne Gramfärbung.
Agar: grauweisse Colonien.
Gelatine: nicht verflüssigend, um die Einstichsöflhung eine
weisse, unregelmässig begrenzte Scheibe.
Bouillon: diffus trüb. Indol.
Zuckeragar: vergährend.
Träge Eigenbewegung.
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154
Dr. Rudolf Kraus.
IX. 54jähr. Wäscherin.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 0.
X. 46jähr. Wäscherin.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Ham: 0.
XI. 17jähr. Mädchen.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: G.
XII. 27jähr. Arbeiterin.
Bakteriologische Untersuchung. Im Harn: G.
In zwölf Fällen von acutem Gelenksrheumatismus konnten im
Blut, trotz wiederholter Blutuntersuchung in einigen Fällen, niemals
Mikroorganismen nachgewiesen werden. Im Harne wurde in zwei
Fällen der Staphylococcus albus, Bakt coli nachgewiesen. Im
Falle VI ist der Staphylococcus im Harne noch nach IG Tagen
nach der Salicyldarreichung nachweisbar gewesen. Dass diese Mikro¬
organismen in keinem ätiologischen Zusammenhänge zum Gelenks¬
rheumatismus stehen, kann, wie unsere Untersuchungen lehren, fast
als sicher angenommen werden. — Es kann die bakteriologische
Untersuchung des Harnes und des Blutes als diagnostisches
Hilfsmittel nicht verwerthet werden. Diese Untersuchungen zeigen,
dass der genuine Gelenksrheumatismus keine Blutinfectionskrankheit
mit bisher gekannten Mikroorganismen ist und bestätigen die Be¬
hauptung von Sittmann u. A., dass beim genuinen acuten Gelenks¬
rheumatismus im Blut keine Mikroorganismen zu finden sind. Ebenso
wenig konnten durch unsere Untersuchungen specifische Erreger im
Harne nachgewiesen werden.
Arthritis gonorrhoica.
Trapesnikoff™ hat in 32 Fällen von gonorrhoischer Infection
Blut mit negativem Resultat untersucht Die Behauptung von
Julien , dass schon bei einfachen gonorrhoischen Cystitiden im Blute
Gonococcen nachweisbar sind, erklärt Trapesnikoff für nicht be¬
wiesen. Weiander, Aubert, Roux zweifeln auch die Angaben Juliens
(cit nach Trapesnikoff) an.
I. 32j ähr. Dienstmädchen. Arthritis gonorrh. cnb. sin.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harne: G.
II. 22jähr. Mädchen.
Arthrit. gonorrh. cnb. sin. Endocarditia ad valv. mitral.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: G.
III. 29 jähr. Frau.
Arthritis gonorrh. cnb. sin. Cervicitis gonorrh.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn: G
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
155
In drei Fällen gonorrhoischer Arthritis sind die Blut- und
Harnuntersuchungen negativ ausgefallen. Im Falle II und EH hat
Chvostek (L c.) Gonococcen im Gelenke nachgewiesen.
Nephritis: acuta und chronica.
Sowohl für die im Gefolge von Infectionskrankheiten auftretenden
acuten Nephritiden, als auch für gewisse genuine Formen werden
theils specifische, theils verschiedene Arten von Mikroorganismen
als Erreger angenommen. Die Nephritiden nach Pneumonien,
Typhus, Erysipel, Recurrens u. s w. sollen durch Diplococcen,
Typhusbacillen, Streptococcen, Spirillen verursacht sein. Bei der
genuinen acuten Nephritis und in chronischen Formen sind eine
Reihe von Mikroorganismen im Harne gefunden und als Erreger
derselben angesehen worden.
Letzerich 89 findet bei der sogenannten Nephritis bacillosa
interstitialis prim, im Harne Stäbchen. Mannaberg 88 konnte in
elf Fällen von Nephritis acuta achtmal eine Streptococcenart nach-
weisen, welche im ätiologischen Zusammenhang zur Nephritis stehen
soll. In Fällen primärer Nierenentzündung bei Kindern beschreibt
Mircoli 84 als Erreger Diplococcen. W. Engel (1. c.) hat in 31 Fällen
der verschiedensten Formen von Nephritiden 17 mal eine nicht
verflüssigende Coccenart, 16 mal Staphylococcus pyog. albus und
aur., Streptococcen 18 mal, TuberkelbaciUen 4 mal, Typhusbacillen
lmal, Coli 5 mal im Harne nachweisen können. Von diesen 31 Fällen
waren vier Fälle (Weiber) cathetrisiert, bei den Anderen, welche
Männer waren, ist der Harn durch die Urethra entleert, steril (!)
aulgefangen worden. In den vier cathetrisierten Fällen wurden
zweimal Tuberkelbacillen, einmal Staphylococcus albus und Strepto¬
coccen, einmal Staphylococcus aur. und der Coccus pyogenes nach¬
gewiesen. Die anderen 25 positiven Befunde sind im nicht cathe¬
trisierten Harn gewonnen worden. Posner M glaubt, dass analog
der kryptogene! Cystitis eine Nephritis durch resorbierte Darm¬
bakterien hervorgerufen werden könnte. — Auf die Erklärung, wie
durch die Mikroorganismen eine Nephritis erzeugt wird, woUen
wir nicht eingehen, da diese Frage vielfach mit der noch zu be¬
sprechenden über die Ausscheidung der Mikroorganismen zusammen¬
fällt. Bios sei der Standpunkt von Wyssokowitsch welcher der
fast allgemein angenommene ist, kurz angedeutet. Wyssokoivitsch
sagt, dass eine Ausscheidung der Mikroorganismen durch gesunde
Nieren nicht vorkomme, nur dann treten diese im Harne au£ wenn
makroskopisch wahrnehmbare Blutextravasate oder Herde da sind.
Diese Nierenveränderungen werden durch die Bakterien selbst
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156
Dr. Rudolf Kraus.
gesetzt. Zugegeben, dass diese Behauptungen richtig wären, müsste
freilich allen ausgeschiedenen, im Harne nachweisbaren Mikro¬
organismen eine ätiologische Bedeutung für die Nephritis zugesprochen
werden. Die experimentellen Arbeiten von Roux und Yersin,* 1 Pemice
und Scagliosi 88 u. A. machen es wahrscheinlich, dass den toxischen
Produkten der Bakterien für die Veränderungen der Nieren eine
grosse Bedeutung zuzuschreiben sei. Pemice und Scagliosi 89 haben
ausserdem sowohl mit pathogenen als mit nicht pathogenen Mikro¬
organismen Nierenveränderungen erzeugen können. Biedl und ich 40
haben den Beweis erbracht, dass Mikroorganismen durch intakte
Nierengefässe ausgeschieden werden. — Wenn man diese Thatsachen
berücksichtigt, wird man nur mit Reserve die ausgeschiedenen mit
womöglich einwurffreien Methoden im Harne nachgewiesenen Mikro¬
organismen als primäre Erreger der Nephritis gelten lassen können.
I. Slj&hr. Magd. Anamnese: Vor einem Monat entbanden. Acht Tage
darauf mit Schüttelfrost, Husten, Stechen auf der Brost erkrankt. Fieber. Später
schwollen die FQsse and das Gesicht an.
Status: Linksseitige Oberlappenpneomonie. Milztumor. Im Harn Eiweiss,
hyaline granulierte Cylinder, rothe Blutkörperchen. Fieber. Oedeme.
Bakteriologische Untersuchung. Im 1. Harn: G. Im 2., 3. Harn:
grosse Coccen mit Gram.
Agarstrich: kleine und grössere runde weissglänzende Colonien.
Mikroskop: fein granuliert mit unregelmässigem Rand.
Agarstrich: Wachsthum im Stichkanal, um die Einstichsöfihung
eine weisse flache Scheibe.
Gelatine: nicht verflüssigend, Wachsthum im Stich.
Bouillon: diffuse Trübung.
Pathogenität: Für Mäuse pathogen.
II. 86jfthr. Frau. Anamnese: Vor zwei Wochen traten Anschwellungen
der Beine auf, Gedunsensein des Gesichtes
Status: Oedeme, kein Fieber. Im Harn Eiweiss, granulierte, epitheliale,
blut Cylinder, Leukocyten, rothe Blutkörperchen. Nach sechs Tagen keine Nieren¬
elemente mehr im Harn.
Bakteriologische Untersuchung. Im 1. Harn: grosse Coccen
mit Gramfärbung.
Agarstrich: runde weisse Colonien.
Gelatine: nicht verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb mit lockerem Bodensatz.
Im 2., 3. Ham, nachdem die Nierenelemente geschwunden waren:
negativ.
III. 15jähr. Lehrling. Anamnese: Vor vier Wochen mit Fieber, Kopf¬
schmerzen, Mattigkeit erkrankt.
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
157
Status: Rechtsseitige Pneumonie. Milztumor. Fieber. Im Harn Eiweiss,
granulierte Cylinder, Nierenepith., rothe Blutkörperchen.
Bakteriologische Untersuchung. Im Ham: Staphylococcus albus.
Mikroskop.: Coccen mit Gram.
Agarstrich: runde weisse Colonien.
Gelatine: langsam trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffuse Trübung.
Pathogenität: für Mäuse nicht pathogen.
IV. 26jähr. Frau.
Diagnose: ^ephritis chronica parenchymatös» mit acutem Nachschub.
Bakteriologische Untersuchung. Im Harn: 8.
V. VI. 40jähr. Näherin und SOjähr. Magd.
Diagnose: Nephritis chronica interstit
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Ham: 8.
VII. 28jähr Frau.
Diagnose: Nephritis parenchymatöse.
Bakteriologische Untersuchung. Im Harne: 8.
VIII. 40jähr. Taglöhner.
Diagnose: Nephritis parenchymatosa.
Im Blut: 8. Im Ham: Bakt. coli.
Mikroskop.: Stäbchen ohne Gram.
Agar: grauweisse mattglänzende Colonien.
Gelatine: nicht verflüssigend.
Bouillon: Diffus trüb, Indolreaction positiv.
Zuckeragar: vergährend.
In drei Fällen acuter Nephritis wurden zweimal grosse nicht
verflüssigende Coccen, einmal Staphylococcus albus gefunden.
In drei Fällen chronischer Nephritis ist die Blutuntersuchung
negativ ausgefallen. Im Falle VIII wurde im Harne Bakt. coli
nachgewiesen.
Scarlatina,
Der specifische Erreger der Scarlatina ist bisher nicht gefunden.
Die bei der Scarlatina postmortal in Organen‘(Nieren und Blut)
nachgewiesenen Mikroorganismen werden meist nicht in ätiologischen
Zusammenhang mit der Infection gebracht, vielmehr werden sie im
Sinne einer Secundärinfection gedeutet. Von A. Berger •* wird die
Scarlatina als eine Toxikose aufgefasst. Die specifischen Mikro¬
organismen (Streptococcen) sollen auf einen localen Herd (Tonsillen)
beschränkt bleiben, deren Toxine filtrieren durch und erzeugen
Exantheme, Nephritiden. Wenn diese Anschauung die richtige ist,
würden die Blutuntersuchungen Aufschluss geben über die statt-
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158
Dr. Rudolf Kraus.
gehabte Blutinfection (Bakteriämie und Bakteriurie) mit heterologen
oder eventuell bei Insufficienz der Tonsillen und Lymphdrüsen
mit homologen Mikroorganismen. M. BasJcin 82 hat in 64 Fällen
in vivo nur zweimal Streptococcen nachgewiesen, die anderen
Blutuntersuchungen waren negativ. Sittmann (1. c.) hat in zwei Fällen
Blut steril gefunden.
I. 26 jähr. Magd. Anamnese: Vor drei Tagen mit Halsschmerz, Mattigkeit,
Fieber, Erbrechen erkrankt. Zwei Tage darauf tritt ein Ausschlag am Körper auf.
Diagnose: Scarlatina. Angina. Rheumatismus articulor. scarlatinosus.
Bakteriologische Untersuchung. Im Exanthem Blgt und Harn 0.
Nach Abblassung des Exanthems im Harn: 8.
In der Abschuppung im Harn: 8.
Die Untersuchung des Tonsillenbelages ergab den Staphylococcus
aureus.
II. 23j&hr. Frau.
Diagnose: Scarlatina. Angina. Rheumatismus acut, scarlatinosus.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 8. Im Harn:Bakk coli.
Mikroskop: walzenförmige Stäbchen ohne Gram.
Agar: grauweisse runde Colonien
Gelatine: nicht verflüssigend. Opake Form.
Bouillon: diffus trüb. Indolreaction positiv.
Kartoffel: gelber matter Rasen.
Zuckeragar: vergährend.
Im 2., 3., 4. Harn: positiv.
III. 28 jähr. Magd.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn: 8.
IT. 24jähr. Magd.
Bakteriologische Untersuchung. Im Exanthemstadium, im
Blut und Ham: 8.
Nach Ablauf des Exanthems im Ham: 8.
In vier Fällen von Scarlatina ist die Blutuntersuchung negativ
geblieben. Die Harnuntersuchung ergab im Falle II bei wieder¬
holter Untersuchung Bakt coli und zwar sowol während, als nach
Ablauf der Infection. Die oftmalige Untersuchung des Harnes
in den anderen Fällen blieb resultatlos.
Erysipel.
Wenn man von den postmortalen Befunden im Blut und Nieren
abstrahiert, so sind bisher bei Erysipel keine Befunde von Strepto¬
coccen im Blut oder Ham in vivo in der Literatur bekannt.
Petruschky (1. c.) hat in drei Fällen negative Resultate im
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Bakteriologische Blut- and Harnuntersuchungen.
159
Blut. Auch in unserem Fall ist die wiederholte Blut- und Harn¬
untersuchung im Verlauf des Erysipels negativ geblieben.
I. 30jähr. Taglöhnerin.
Status: Insufficienda ad valv. mitralem c. stenos. Insufficientia ad valv.
tricuspid. Zehn Tage nach der Aufnahme auf der Klinik tritt unter Fieber
Schwellung und Röthung des Gesichtes auf. Erysipel Nach sechs Tagen plötz¬
licher Exitus.
Obductionsdiagnose: Stenosis ostii venosi sin. et dextri cum insuffitientia
valv. mitr. Ery sipelas faciei.
Bakteriologische Untersuchung. Vor Beginn des Erysipels:
Im Blut und Ham: 8.
Im Verlauf des Erysipels: Im 1., 2. Ham: 8. Im 1. Blut
und 3. Ham: 8.
Angina (diphther., phlegmonosa).
Buschice #s glaubt auf Grund der Arbeiten von Kraske, Ribbert
annehmen zu können, dass die Tonsillen schon bei leichten Afectionen
Eintrittspforten für Mikroorganismen sein sollen. Dass pyogene
Coccen von den Tonsillen leichter in den Organismus eindringen
als z. B. Diphtheriebacillen dafür sprechen die Versuche von Roux
und Yersin (1. c.), welche nachweisen, dass die Diphtheriebacillen
auf den Localherd beschränkt bleiben. Ausserdem weisen daraufhin
die häufigen Secundärinfectionen (Septikämien) bei diphtheritischen
Anginen. Die Blut- oder Harnuntersuchungen könnten also bei
der Diphtherie die erfolgte secundäre Blutinfection nachweisen.
I. 28jähr. Magd. Anamnese: Vor drei Tagen erkrankt Patientin mit Fieber,
Halsschmerzen.
Diagnose: Angina infectiosa probab. Diphtherie.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Ham: 8.
II. 25jShr. Magd.
Diagnose: Angina.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Ham: 8
III. löj&hr. Mädchen. Anamnese: Vor zwei Tagen mit Fieber, Kopf¬
schmerz erkrankt.
Diagnose: Angina phlegmonosa.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 8. Im Harn: Staphy-
lococcus albus.
Mikroskop.: Coccen mit Gram.
Agar: weisse Colonien.
Gelatine: langsam trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb.
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IGO
Dr. Rudolf Kraus.
Nach zwei Tagen Ham: positiv.
In drei Fällen von Angina wurde in einem Falle im Harn
Staphylococcus albus nachgewiesen.
Cystitis.
Dass von der Blase aus unter gew. Verhältnissen Mikro¬
organismen resorbiert werden können und eine Allgemeininfection
zur Folge haben, geht aus einer Reihe von Arbeiten von Clado**,
Gennes und Hartmann M . Guyon 96 , Schnitzler 97 , Sittmann und Barlow 98
hervor. Eigene später zu erwähnende Versuche über Resorption
von Mikroorganismen aus der Harnblase würden auch im obigen
Sinne sprechen. In einem Fall von Cystitis konnte im Blut der
Staphylococcus aureus nachgewiesen werden. In einem anderen Fall
(Fall III angeführt bei der basil. Meningitis) war das Blut steril.
I. 60jähr. Taglöhner
Status: Cystitis (Anaemia peraic.?) Im alkal. Harn massenhafte Lenkocyten,
keine Nierenelemente, Detritus. Fieber bis 40°
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: Staphylococcus aureus.
Mikroskop.: Coccen mit Gram.
Agar: gelbe runde Colonien.
Gelatine: rasch trichterförmig verflüssigend.
Bouillon: diffus trüb.
Leukaemie.
Um die Richtigkeit der Literaturangaben bezüglich der bei
der Leukaemie gemachten Blutbefunde zu prüfen, wurde in drei
Fällen von Leukaemie Blut und Harn bakteriologisch untersucht
Die Untersuchungen fielen negativ aus. Pawlowsky 99 hat in vier
Fällen von Leukaemie 13 Stunden post mortem Bacillen im Blut
gefunden und erklärt die Leukaemie für eine Infectionskrankheit
Claudio Fermi 100 hat in einem Fall postmortal ähnliche Bacillen
(dicke Stäbchen) wie Kdsch und Vaülard aus dem Blut gewonnen.
Verdelli 101 findet in einem Falle Staphylococcen. Fraenkd 104 hat
in acht Fällen von Leukaemie vier positive Befunde. Diese post¬
mortalen Befunde sind nicht einheitlich. Er findet theils plumpe
Stäbchen, theils Staphylococcen. Die intravitale Untersuchung ergab
in einem Falle aus dem Blut Bakt coli. Fraenkd erklärt aber,
dass es sich in diesem Falle um eine Einwanderung des Coli von
einem Pharynxgeschwür aus ins Blut gehandelt hätte.
I. Ölj&hr. Frau. Anamnese. Vor drei Jahren mit rheumatischen Schmerzen
in den Gliedern erkrankt Später nahm der Unterleib langsam an Volumen zu.
Status: Abdomen gross. Die Milz reicht bis zum Nabel, ist hart und glatt
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
161
Im Blut [3,900,000 rothe, 140,000 weisse und zwar mononucl., Splenocyten,
Ehrlichsche Markzellen, kernhaltige Rothe. Im Harn Eiweiss, granuliert und
epithel. Cylinder. Fieber. Exitus.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Ham: 6.
II. 88jfthr. Arbeiterin. Anamnese: Vor l 1 /« Jahren trat Anschwellung des
Bauches auf, welche langsam zunahm.
Status: Milz bis zum Nabel reichend, glatt, hart Drüsen in inguine. Keine
Knochenschmerzen. Im Blut: 8,100,000 rothe Blutkörperchen, 890,009 Leukooyten
(polynucl., Markzellen, eosinophile Zellen, kernhaltige Bothe).
Bakteriologische Untersuchung. Im wiederholt untersuchten
Harne: 8.
III. 86jähr. Mann.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Ham: 0.
In drei Fällen von Leukaemie konnten weder im Blut, noch
im Häme Mikroorganismen nachgewiesen werden.
Pseudo leukaem ie.
Gabbi und Barbacei 108 finden in zwei Fällen im durch Finger¬
ems tich gewonnenen Blut Bakt. coli Diese Bakt halten sie jedoch
für eine secundäre Invasion. Verddli ( 1 . c.) hat in zwei Fällen im
Blut den Staphylococcus aureus und albus nachgewiesen.
#
I. Sljähr. Taglöhner. Anamnese: Nach einem Zahngeschwür kam es zur
Anschwellung der Halslymphdrttsen. Gleichzeitig schwollen die Drüsen in den
Achselhöhlen an.
Status: Multiple Drüsenschwellungen am Hals, in den Achselhöhlen. Die
Drüsen sind hart, wenig verschieblich. Im Blut 60,000 Leukooyten (Lymphocyten,
Leukooyten, einzelne eosinophile Zellen).
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut und Harn: 8. —
Aus einer Reihe von Blut- und Harnuntersuchungen, welche bei
Krankheiten nicht bakteriellen Ursprungs ausgeführt wurden, sollen
nur einige hier angeführt werden.
Carcinoma ventriculi, hepatis.
I. 64j&hr. Bedienerin.
II. 58j&hr. Frau.
III. SOj&hr. Hausbesorgerin.
Bakteriologische Untersuchung im Fall I, II, UI. Im Blut
und Ham: 8.
IV. 61j&hr. Frau.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut: 8.
Zeitschrift für Heilkunde. XVII. 11
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162
Dr. Rudolf Kraus.
Cirrho8is hepatis,
I. 26jähr. Arbeiter.
II. 31jähr. Arbeiter.
Bakteriologische Untersuchung im Fall I, II. Im Blut: Q.
Diabetes,
JET. Neumann (1. c.) hat in drei Fällen Blut mit negativem
Resultat untersucht.
I. 65jähr. Frau.
II. Sljihr. Magd (als Fall V. bei der Tuberculose.)
Bakteriologische Untersuchung im Fall I, n. Im Harne: 0
Tabes dorsalis.
I. 54jähr. Frau.
II. 57jähr. Frau.
In beiden Fällen bestand Incontinentia urinae.
Bakteriologische Untersuchung im Fall I, II. Im Harne:
Bakt. coli.
Haemog lo bi/nurie,
I. 40jähr. Mann.
Bakteriologische Untersuchung. Im Blut vor und während der
Haemoglobinurie 8.
Uebersichtstabelle.
Krankheit
Resultate
der Untersuchung
Mikroorganismen im
•Sl
afs
positive
negative
Blut
Ham
ll®
Blut
Harn
Blut
Ham
l|
Septikftmie
6
1
4
7 1
Staphyloc. aur.
Staphyl. albus
8treptococc.
Bact coli j
12
Eklampsie
—
1
0
—
0
Streptococc.
1
Parametritis
—
2
3
2
0
Baot. coli
4
Typhus abd.
1
4
4
2
Typhusbac.
Staphyl. aureus
StaphyL albus {
Typhus bac.
6
Perityphlitis
—
2
2
—
0
StaphyL alb.
4
Peritonitis
tuberc.
—
3
8
0
0
3
Icterus
—
—
4
4
1 0
0
4
Pneumonie
1
4
11
7
Diplococc.
pneumoniae
Staphyl. aur.
StaphyL alb.
! ls
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Bakteriologische Blut- and Harnuntersuchungen.
103
Krankheit
Besultate
der Untersuchung
Mikroorganismen im
Anzahl der
untersuchten
Fälle
positive
negative
Blut
| Ham
Blut
| Ham
Blut
Ham
Meningitis
cerebrosp.
B
B
B
B
0
0
1
Pleuritis
—
—
3
3
0
0
3
Bronchit. int
—
—
5
4
0
0
5
Peri-Endo-
carditis
i
2
5
3
Streptococc.
Streptococc.
Bact. coli
7
Tubercul.
puhnon.
2
7
11
6
Staphyl. alb.
Staphyl. alb.
Bact coli
Grosse Coccen
14
Meningit.bas.
—
B
0
Bact coli
3
Status infect
—
B
0
Staphyl. alb.
2
Polyarthrit
rheumat.
—
2
7
0
Staphyl. alb.
Bact coli
12
Arthritis
gonorrhoic.
—
—
3
2
0
0
3
Nephritis
—
4
3
4
0
Staphyl alb.
Bact coli
Grosse Coccen
8
Scarlatina —
1
4
3
0
Bact coli
4
Erysipel
—
—
i
1
0
0
1
Angina | —
UM
B
0
Staphyl. alb.
3
1
Cystitis
1
n
UM
— 1 StaphyL aur.
Bact coli | 2
Leukämie
—
—
2
3
0
0
3
Pseudoleuk.
—
—
1
1
0
0
1
Carcinoma
yentriculi,
hepatis
—
—
4
0
0
4
Cirrhosis
hepatis
—
2
—
0
2
Diabetes
—
—
—
2
—
0
2
Tabes dors.
—
2
—
0
Bact coli
2
Haemoglobin.
- —
1 —
0
1
Im Ganzen:
12 36
93
70
128
(Ein Fall von Cystitis und ein Fall von Diabetes, welcher zweimal angeführt
wurde, ist in der summarischen Uebersicht nicht gezählt worden.)
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164
Dr. Rudolf Kraus.
Es wurden in 128 Fällen Blut und Ham bakteriologisch unter¬
sucht. Es lieferte das Blut 12 positive, 92 negative, der Harn
36 positive, 70 negative Resultate.
Befunde im Blut ergaben: Septikömie, Typhusabdom., Pneumonie,
Endocarditis, Tubercul. pultnon., Cystitis. Befunde im Ham fanden
sich: bei Septikämie, Eklampsie, Parametritis, Typhus abdom., Pneu¬
monie, Endocarditis, Tubercul. pulmonum, Status infectiosus, Poly¬
arthritis rheumatica, Nephritis, Angina, Cystitis, Tabes dorsalis.
Es wurden nachgewiesen:
1. Staphylococcen (aureus und albus) Im Blut: bei Septikämien,
Tuberculosis pulmonum, Cystitis. Im Harne: bei Typhus abdom.,
Pneumonie, Tubercul. pulm., Status infect., Polyarthritis rheumat.,
Nephritis, Angina.
2. Streptococcen: lm Blut: bei der Septikämie, Endocarditis: Im
Harne: bei Eklampsie, Endocarditis.
3. Diplococcus pneumoniae: Im Blut: bei Pneumonie.
4. TyphusbaciUen: Im Blut: bei Typhusabdom. Im Ham: bei
Typhusabdom.
5. Bakt coli: Im Harne: bei Septikämie, Parametritis, Endo¬
carditis, Tubercul. pulmon., Polyarthritis, Scarlat., Cystit., Tabes
dorsalis.
6. Grosse Coccen: Im Harne: bei lubercul. pulm., Nephritis.
Gleichseitig fanden sich:
1. Streptococcen im Blut, Bakt. coli im Harne: bei Septikämie,
Endocarditis.
2. TyphusbaciUen im Blut, Staphylococcus albus im Harne: bei
Typhus abdomin.
3. Staphylococcus albus im Blut, Bakt. coli im Harne: bei
Tubercul. pulm.
4. Staphyl. albus im Blut, grosse Coccen im Harne: bei Tuberkul.
pulm.
Bevor wir auf eine Erklärung und Deutung dieser Resultate
näher eingehen, sollen erst einige Fragen allgemeiner Natur be¬
sprochen werden und zwar die die Verwerthbarkeit der post¬
mortalen Blutbefunde, die Ausscheidung der Mikroorganismen durch
die Nieren und die Resorption der Mikroorganismen von einzelnen
Organen aus.
TJeber die Verwerthbarkeit postmortal gewonnener
Blutbefunde.
Wenn man die Resultate der Literatur der in vivo gewonnenen
Blut- und Harnuntersuchungen, namentlich aber die ersteren mit
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Bakteriologische Blut- and Harnuntersuohnngen.
165
den postmortalen vergleicht, so fallen die zahlreichen specifischen
positiven £lnt- und Organbefunde post mortem gegenüber den
relativ wenigen specifischen Blutbefunden in vivo auf. Abgesehen
von den Septikämien, in welchen ja auch die intravitale Blut¬
untersuchung meistens Resultate liefert, weist die Literatur zahl¬
reiche specifische postmortale Blut- und Organbefunde bei Pneu¬
monien, bei Typhus, Scarlatina, Erysipel, Diphtherie u. A. auf. Die
intravitalen Blut- und Harnuntersuchungen bei diesen Infections-
krankheiten stehen diesen postmortalen Befunden bis auf vereinzelte
specifische Blutbefunde und mit Ausnahme der relativ häufigen
Harnbefunde bei Typhus negativ gegenüber. Einzelne Beispiele
sollen diese Thatsachen klarer machen.
Unter Anderen hat Frosch 104 in 10 von 14 Fällen von Diphtherie
Diphtheriebacillen postmortal im Blut und Organen nachgewiesen.
Intravitale Befunde existiren nicht Petruschky (1. c.) hat in 14 Fällen
von Tuberculose der Lunge postmortal achtmal Streptococcen im Blut
und Organen nachgewiesen, die später in acht Fällen gemachten Blut-
Untersuchungen in vivo ergaben blos einmal Streptococcen. Canon (1. c.),
Achard und Phulpin (1. c.) konnten in Fällen, in denen die Blut¬
untersuchungen intravital negativ ausgefallen waren, post mortem
aus dem Blut Mikroorganismen (Staphylococcen, Strepto- und
Pneumococcen) züchten. Canon hat ausserdem postmortem im Deck¬
glaspräparat bei Wundinfectionen Bakterien nachzuweisen vermocht,
was ihm in denselben Fällen intravital nicht gelungen war.
Den vielfachen positiven Pneumococcenbefunden in den Nieren
bei Pneumonien stehen bisher absolut negative specifische Harnbefunde
in vivo gegenüber. Diese und noch andere Beispiele wären genügende
Belege dafür, dass aus postmortalen Blutbefunden allein auf
intravitales Vorhandensein derselben Mikroorganismen im Blut
nicht ohne weiteres geschlossen werden kann. Die Befunde von
Canon (1. c.) lehren ausserdem noch, dass postmortal pathogene
Mikroorganismen sich vermehren und dass also die quantitaven Ver¬
hältnisse der Mikroorganismen postmortal nicht denen intravital
entsprechen. Weiter lässt die Thatsache, dass bei Infectionskrank-
heiten postmortal im Blut (bezw. Organen) spedfisch pathogene
Mikroorganismen nachzuweisen sind, wo die intravitale Blutunter¬
suchung negativ war, die Deutung zu, dass postmortal aus den
specifisch erkrankten Organen (z. B. Lungen bei Pneumonien etc.)
die Mikroorganismen ins Blut, und aus dem Blut dann wieder in
Organe einwandern können.
Diese Annahme der postmortalen Wanderung der Mikro¬
organismen findet ihre Stützen in den Arbeiten von Achard und
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166
Dr. Rudolf Kraus.
PhtUpin 106 und Chvostek ,0 * Chvostek, welcher in seiner Monographie
des Gelenksrheumatismus ausführlich die postmortale und agonale
Wanderung der Mikroorganismen bespricht, zeigt u. A., dass Mikro¬
organismen in die Blutbahn des eben getödteten Thieres gebracht,
in Gelenken nachweisbar waren. (Diese Angaben verdanke ich
der mündlichen Mittheilung Chvosteks.) Wurtz B. 107 hat bei Mäusen,
Meerschweinchen und Kaninchen unter Einfluss der Kälte im
Momente des Todes, während das Herz noch schlug, Darmbakterien
aus dem Blut gezüchtet
Aus dem Vergleiche der postmortalen Literaturbefunde mit dem
intravitalen und aus den letzt erwähnten Arbeiten geht hervor,
dass die postmortale Vertheilung der Mikroorganismen im Blut
und Organen nicht immer der intravitalen entspricht und dass
man bezüglich der Verwerthbarkeit der postmortalen Befunde für
die Verhältnisse in vivo vorsichtig sein muss. Auf diesen letzteren
Umstand haben schon Bosenbach 108 , Baumgarten 10 * hingewiesen.
Heber die Ausscheidung der Mikroorganismen
durch die Nieren,
W. Wyssokotoüsch (1. c.) behauptet, dass eine Ausscheidung der
Mikroorganismen durch gesunde Nieren nicht vorkommt. Im Harne
treten Mikroorganismen dann erst au£ wenn sie gewisse makros¬
kopische Veränderungen (Blutextravasate oder Herde), die Vor¬
bedingungen zu ihrem Durchtritt sein sollen, in den Nieren erzeugt
haben. Diese Lehre wird in der Literatur allgemein als richtig
anerkannt Die späteren Arbeiten von Schweizer 110 , Boccardi 111 ,
Pemice und Scagliosi (1. c.), Cavazzani 11 *, Sherrington 118 , Orth 110 ,
wenn sie auch nicht den Standpunkt von Wyssokoicitsch ganz
acceptieren, nehmen doch an, dass zum Uebergang von Mikro¬
organismen aus dem Blut in den Ham Alterationen der ver¬
schiedensten Art, örtliche Kreislaufsstörungen, degenerative Zustände
der Nierenepithelien, nicht nachweisbare Veränderungen der Gefäss-
wände, abnorme Durchlässigkeit der Gefässe postuliert werden
müssen. Sittmann (1. c.) sagt, dass eine Ausscheidung ohne be¬
deutende Schädigung der Nieren erfolgen könne. BiecU und ich (L c.)
haben experimentell den Beweis erbracht, dass Mikroorganismen
sowol Stäbchen als Coccen durch vollständig normale Nieren aus¬
geschieden werden.
Diese Thatsache, zusammengehalten mit der Erfahrung, dass
Mikroorganismen hämatogenen Ursprungs im menschlichen Harne
nachgewiesen werden konnten, ohne dass klinische Symptome einer
Nierenaffection vorhanden gewesen wären, lässt uns den experimentell
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Bakteriologische Blut* and Harnuntersuchungen.
167
gewonnenen Standpunkt, dass zom Durchtritt von Mikroorganismen
nicht erst eine Schädigung der Nieren nothwendig ist, auch für
den Menschen annehmen.
Zum Verständniss der Schlüsse unserer Arbeit musste diese
und die folgende Frage eingeschaltet werden.
Ueber Resorption von Mikroorganismen aus
verschiedenen Organen,
Ob die Lunge schon unter normalen Verhältnissen, also bei in¬
takter Oberfläche, oder erst nach Zerstörung der Epithels für
Mikroorganismen passierbar sei, ob alle Mikroorganismen oder nur
gewisse, von der Lunge aus in den Organismus gelangen, ist nicht
endgiltig gelöst. Slavjansky (s. Soyka), hat nachgewiesen, dass leblose
Partikelchen von der Lunge aus in den Kreislauf gelangen können.
Er konnte sogar die in die Lunge eingebrachten Tuchekörnchen im
Harne nachweisen. Soyka 116 nimmt an, dass analog der Einwanderung
lebloser Elemente eine Allgemeininfection von der Lunge aus statt¬
finden könne. Wyssokowitsch 116 , Gramatschniko/f 111 vertreten die
Ansicht, dass nur gewisse Mikroorganismen im Stande sind die
Lunge zu passieren. Büchner 118 sagt, dass der Durchtritt durch
die intakte Lungenoberfläche ein aktiver Vorgang der Mikro¬
organismen sei, es sollen z. B. Blutparasiten wie Milzbrand,
Recurrens die Lücken der Capillaren durchwachsen, andere
sollen wieder auf dem Wege der Lymphbahn sich verbreiten.
Hildebrandt m schreibt der Pneumonie eine schützende Be¬
deutung zu. Durch die Veränderungen in den Lungen soll der
Durchtritt der Mikroorganismen erschwert werden.
Baumgarten 180 hält den Eintritt der Mikroorganismen vom
Respirationstract ins Lymphgefässsystem für ganz besonders er¬
schwert — Diese Angaben über die Bedingungen, unter welchen
Mikroorganismen von der Lunge aus ins Blut gelangen könnten,
wenn sie auch nicht einheitlich sind, sprechen doch dafür, dass
im Allgemeinen eine Resorptionsinfection von der Lunge aus mög¬
lich sei Die klinischen Erfahrungen stimmen im Allgemeinen damit
überein.
Weit günstiger gestaltet sich die Resorption von Mikro¬
organismen vom Darm aus. Die Resorptionsinfectionen vom Darm
aus sind eine häufige Erscheinung, sie machen einen grossen Theil
der als kryptogenetische Septikämie beschriebenen Fälle aus. Die
klinischen Arbeiten über gastrointestinale Sepsis von Sevestre,
Gaston und Renard, Marfan und March (s. Fischl), Fischt 1S1 , Czerny
und Moser 1M sprechen in diesem Sinne. Auch durch das Experiment
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168
t)r. Rudolf Krads.
wird dies bestätigt Die froheren Anschauungen von Ziegler ”•
Korkunoff m gehen dahin, dass anatomische Veränderungen der Darm¬
wand zum Durchtritt von Mikroorganismen nothwendig wären.
Bönnecken m , Postier und Lewin 1M haben den Beweis geliefert, dass
Mikroorganismen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Darmwand
passieren können. Wie schon eingangs der Arbeit erwähnt, wird
dieser Standpunkt in letzter Zeit namentlich von französischer
Seite von Beco (1. c.), Nocard (1. c.), Borcher und Desoubry (1. c.) ver¬
treten. Die Letzteren bringen sogar den direkten experimentellen
Beweis daf&r, dass während der Verdauung aus dem Darm auf
dem Wege des Ductus thoracicus Mikroorganismen ins Blut ge¬
langen können.
Die Möglichkeit einer Allgemeininfection von der Harnblase
wurde schon früher erörtert Auf welchen Bahnen dies geschieht, ist
nicht sichergestellt Hier sollen nur auszugsweise unsere dies¬
bezüglichen Versuche über die Resorption von Mikroorganismen von
der Blase aus, angeführt werden. Die in die Harnblase von Kaninchen
injicierten Mikroorganismen (Coli, Staphylococcus aureus) haben,
wenn die Blase abgeklemmt war, nach einer gewissen Zeit (ge¬
wöhnlich nach 24 Stunden) den Exitus des Thieres zur Folge ge¬
habt Die bakteriologische Untersuchung des Herzblutes in diesen
Fällen fiel positiv aus. Die Obduktion ergab gewöhnlich am
peritonealen Ueberzug der Harnblase fibrinöse Auflagerungen,
zahlreiche Haemorrhagien, ausserdem eine eitrigfibrinöse Peritonitis.
Wurde das Thier früher getödtet, z. B. nach 12—18 Stunden,
konnten zwar schon entzündliche Veränderungen am Peritoneum
constatiert werden, die in die Blase injicierten Mikroorganismen
konnten vom Peritoneum aus culturell nach gewiesen werden,
dagegen ergab die Blutuntersuchung aus dem Herzen negative
Resultate. Nach Ipjection von Coli und Staphylococcen in die Blase
ohne Abklemmung derselben, sind die Thiere am Leben geblieben.
Schniteler (1. c.) berichtet in seinen Versuchen auch von negativen
Blutbefunden bei Vorhandensein tiefgreifender Veränderungen der
Blasenwand nach Injection von Mikroorganismen in die Blase.
Auch für andere Organe noch, wie Tonsillen und Gallenblase
ist der Durchtritt von Mikroorganismen experimentell und klinisch
festgestellt worden.
Auf Grund dieser Arbeiten ist es also bewiesen, dass im All¬
gemeinen Organe für Mikroorganismen durchlässig sind, die Einen
schon unter normalen Verhältnissen, die Anderen erst unter gewissen
Voraussetzungen. Von allen diesen Organen kann also leichter
oder schwerer eine Resorptionsinfection stattfinden.
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
169
Die Verwerthbarkeit
bakteriologischer Blut - und Hambefunde für die
Aetiologie der Infectionskrankheit.
Nachdem diese Fragen erörtert sind, gehen wir an die Analyse
unserer Resultate.
Nach den Auseinandersetzungen über die Ausscheidung der
Mikroorganismen musste man theoretisch erwarten, dass wenn
Mikroorganismen im Blut sind, solche dann im Harne nachweisbar
sein sollten. Dieser Annahme widersprechen aber einige Befunde
unserer Untersuchungen. 1. Mikroorganismen waren im Blut, aber
nicht im Ham und zwar weder gleichzeitig noch später. Um dies
erklären zu können, könnten gewisse Momente herangezogen werden.
Theils eine discontinuirliche Ausscheidung von Mikroorganismen,
wie sie JBiedl und ich (1. c.) experimentell festgestellt haben, theils
gewisse Nierenveränderungen selbst, Contractionen der Nierengefässe
mit der consecutiven geringen Harnsecretion könnten die negativen
Resultate vielleicht verständlich machen.
2. Eine weitere Differenz ergiebt sich in unseren Resultaten
darin, dass positiven Harnbefunden negative Blutbefunde gegenüber¬
stehen. Das früher angenommene Abhängigkeitsverhältniss zwischen
Blut- und Harabefunden führt zur Annahme, dass, wenn Mikro¬
organismen hämatogenen Ursprungs im Harne zu finden sind,
diese auch im Blute nachweisbar sein sollten. Zur Klärung dieses
Widerspruches wäre Folgendes zu sagen: Eine ungleiche Ver-
theilung der Mikroorganismen im Blut, die bei einer geringen Zahl
derselben stattfindende Verdünnung im Blut, die Anhäufung der
ausgeschiedenen Mikroorganismen in der Blase, günstige Wachs¬
thumsbedingungen für manche Mikroorganismen im saueren Ham,
wären Faktoren, welche es erklären, dass bei Vorhandensein
von Mikroorganismen in der Blase diese im Blut in vivo nicht
nachweisbar sein müssen. 3. Es wäre noch denkbar, dass die im
Harne in gewissen Fällen nachgewiesenen Mikroorganismen nicht
hämatogenen Ursprungs sind. Das Vorhandensein der Mikro¬
organismen in der Blase bei diesen Fällen müsste dann so gedeutet
werden, dass die Mikroorganismen von der Urethra, Vagina, vom Darm
oder vielleicht vom Parametiium aus in die Blase eingewandert sein
konnten. 4. Zum Verständnis derjenigen Befunde, wo im Blut und
Harne gleichzeitig verschiedene Mikroorganismen nachgewiesen
wurden, müssen theils einzelne der angeführten Möglichkeiten theils
möglicherweise folgende Combination herangezogen werden. Manche
der ausgeschiedenen pathogenen und specifischen Mikroorganismen
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Original frum
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170
Dr. Rudolf Kraus.
finden im Harne angünstige Bedingungen und werden von den vom
Darm, Urethra eingewanderten andersartigen überwuchert* so dass
sie sich dem Nachweis entziehen.
Diese Erwägungen weisen darauf hin, dass eine Reihe ge¬
kannter und noch ungekannter Momente im menschlichen Organismus
das theoretisch einfach gedachte Abhängigkeitsverhältniss zwischen
Blut und Harnbefund modificieren können. — Nach diesen allgemeinen
Ausführungen sollen noch einzelne specielle Befunde einer Be¬
sprechung unterzogen werden.
In der angeführten Literatur und auch in unseren Unter¬
suchungen Mit es auf, dass die bei Infectionskrankheit gefundenen
Mikroorganismen im Blut oder Harn meist nicht die Erreger der
Infection sind. So wurden von Loison, Simonin und Amaud, von
Sittmann bei Typhus abdomin. im Blut Staphylococcen und Coli, von
Thiemich nicht pyogene Coccen nachgewiesen. Im Harn fand
Süvestrini Staphylococcen, Karlinski Streptococcen, Ljubomudroff 1 * 1
Coli. Bei Tubercul. pulmonum hat Jakowski, Petruschky, Sittmann
im Blut Staphylococcen, Streptococcen nachgewiesen. In unseren
Fällen fanden sich bei Tuberculose der Lungen im Blut und Harne
Staphylococcen und im Harne bei Typhus, Angina, Pneumonie, Polyar¬
thritis rheum., Scarlatina, Cystitis Coli im Harne u. s. w.
Daraus ist ersichtlich, dass die heterologe Bakteriämie und
die heterologe Bakteriurie bei Infectionskrankheit nicht seltene
Erscheinungen sind.
Eine genügende Erklärung dafür, warum die specifischen Mikro¬
organismen so selten im Blut oder Harn zu finden sind, andere
Mikroorganismen wieder namentlich die Staphylococcenarten häufig
nachzuweisen sind, können wir nicht geben. Wie schon früher gesagt
wurde, gestaltet sich die Durchlässigkeit verschiedener Organe für
Mikroorganismen verschieden. Gewisse Organe sind leichter für
Mikroorganismen passierbar als andere und da schon unter normalen
Verhältnissen. Gewisse Mikroorganismen gelangen leichter in den
Kreislauf als andere. Z. B. für Diphtheriebacillen haben Roux und
Yersin es experimentell nachgewiesen, dass sie Tonsillen nicht
passieren. Huguenin 1,8 nimmt an, dass Staphylococcen von den Lungen
leichter aus in den Kreislauf gelangen als Tuberkelbacillen.
Weiters kann noch die Annahme Tavels herangezogen werden,
dass wenn auch die Resorption von Mikroorganismen stattfindet,
keine Entwickelung derselben im Blut erfolgen muss. Vielleicht
spielt auch die Symbiose eine Rolle in diesen Fragen.
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Bakteriologische Blut- und Harnuntersuchungen.
171
Die Resultate dieser Untersuchungen und die Literaturbefunde
lassen es fraglich erscheinen, ob bei Infectionskrankheiten im
allgemeinen die bakteriologische Blut- und Harnuntersuchung
als ätiologisch-diagnostisches Hilfsmittel ohne weiteres zu ver-
werthen sei. Finden sich im Blut oder Harn bei Infectionskrank¬
heiten specifische Mikroorganismen z. B. Milzbrandbacillen, Rotz¬
bacillen, Typhusbacillen, was allerdings selten ist, so wird diesen
Befunden ein diagnostischer Werth natürlicherweise zukommen.
Auch den Staphylo-Streptococcenbefunden bei puerperalen Septi-
kämien, chirurgischen Wundinfectionskrankheiten wird ein ätiolog.
Werth nicht abgesprochen. Vielmehr gilt der oben angeführte
Satz für die intravital häufiger vorkommenden Befunde von Staphylo-,
Streptococcen, Bakt. coli bei Pneumonien, Tuberculose der Lungen,
Polyarthritis rhenmatica, Typhus, Nephritis u. a. Die bakterio¬
logische Blut- und Harnuntersuchung constatiert nur eine heterologe
Bakteriämie und Bakteriurie und kann unter Umständen zur Klärung
der atypischen Erscheinungen der Krankheit beitragen.
Für die Aetiologie der Infection sind diese Befunde meist nicht
zu verwerthen.
Schlüsse .
1. Das Blut muss zu bakteriologischen intravitalen Unter¬
suchungen der Vene direkt entnommen werden.
2. Die allein durchführbare, wenn auch nicht einwurfsfreie
Methode der Hamgewinnung zu klinisch-bakteriologischen Zwecken
ist die Cathetrisation.
3. Aus den postmortalen Blutbefunden kann nicht ohne weiteres
auf intravitale Verhältnisse (Menge und Vertheüung der Mikro¬
organismen) geschlossen werden.
4. Die Mikroorganismen können durch normale Nieren aus¬
geschieden werden.
5. Die Durchtrittsbedingungen für Mikroorganismen sind in
verschiedenen Organen verschieden.
6. Specifische Blut- und Harnbefunde in vivo bei Infections¬
krankheiten sind nicht häufig.
7. Heterologe Bakteriämien und Bakteriurien werden relativ
oft constatiert.
8. Nur specifische Erreger im Blut und Harn, nicht aber die
heterologen Bakterienarten sind für die Aetiologie der Infections¬
krankheiten verwerthbar.
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79. G. Singer, Wiener klin. Wochenschrift 1895. Nr. 25.
80. Ghoostek , Wiener klin. Wochenschrift 1895. Nr. 26.
81. Trapesnikoff, Ref. Centralbl. für Bakt. 1892. Band I. S. 740.
82. Letzerich, Zeitschr. für klin. Med. Band XIII.
83. Mannaberg, Zeitschr. für klin. Med. 1891. Band 18.
84. Mircoli, Centralbl. für med. Wissenschaft 1887. Nr. 40.
85. Posner, 67. Naturforscherversammlung, Lübeck 1895.
86. Wyssokomtsch, Zeitschr. für Hyg. 1886. Band I.
87. Boux und Yersin, Annales de l’Institut Pasteur 1888.
88. 89. Pernice, Scagliosi, Vircb. Arch. Band 138. Deutsche med.
Wochenschrift 1892. Nr. 34.
90. Biedl und Kraus, Arch. für exper. Path. 1896.
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94. Clado, Bullet de la soc. anat. de Paris 1887.
95. Gennes und Hartmann, Bullet de la soc. anat. de Paris 1888.
96. Guyon, Annales des maladies des org. genito urin. 1889.
97. Schnitzler, Zur Aetiolog. d. Cystitis, Braumüller 1892.
98. Sittmann und Barlow, Deutsches Arch. für kl. Med. Band 52.
99. Pawlowsky, Deutsche med. Wochenschrift 1892.
100. Claudio Fermi, Centralbl. für Bakt. 1890.
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103. Gabbi und Barbacd, Lo Sperimentale 1892.
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106. Chvostek, Monographie des Gelenksrheumatismus.
107. Wurtz B., Ref. Baumgartens Jahresbericht 1892. S. 584.
108. Bosenbach, Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. Band XIII.
109. Baumgarten, Lehrbuch der path. Mykologie 1890. S. 324.
110. Schweizer, Arch. für path. Anat 1887.
111. Boccardi, La Riforma med. 1888. Nr. 131.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Bakteriologische Blut- and Harnuntersuchungen.
175
112. Cavazzani, Centralbl. für Path. und path. Anat. 1893.
113. Sherrington, Eef. in Schmidts Jahresbericht 1894. Band 243.
114. Orth, Deutsche med. Wochenschrift 1890.
115. Soyka, Prager med. Wochenschrift 1878.
116. Wyssokowitsch, Eef. Centralbl. für Bakt. 1889. S. 413.
117. Gramatschnikoff, Fortschritte der Med. 1893.
118. Büchner, Arch. für Hyg. Band VIEL
119. Hüdebrandt, Eef. Centralbl. für Bakt. 1888. Band II.
120. Baumgarten, Lehrbuch der path. Myk. 1890. S. 815.
121. Fischt, Zeitschrift für Heilkunde 1894. S. 289.
122. Czerny und Moser, Jahrb. für Kinderheilk. Band XXXVIII.
123. Ziegler, Fortschritte der Med. 1893.
124. Korkunoff, Centralbl. für Bakt 1890.
125. Bönnecken, Centralbl. für Bakt. 1890. Band H.
126. Posner und Lewin, Berl. klin. Wochenschrift 1894. Nr. 32.
127. Ljubomudroff, Centralbl. für Bakt. 1895.
128. Huguenin, Correspondenzbl. für Schweizer Aerzte 1894. 13,14.
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PRIMÄRES MEDULLÄRES CARCINOMA TUBAE.
Von
ALF. ROSTHORN.
(Hiorzu Tafel HI.)
Ich habe in der im Juni 1895 zu Wien stattgehabten Ver¬
sammlung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie über einen
Fall dieser Art berichtet und das betreffende makro- und mikros¬
kopische Präparat demonstriert. Es obliegt mir jedoch in Er¬
gänzung des dort entworfenen Bildes noch auf Einzelheiten des
histologischen Baues einzugehen, dieselben durch entsprechende
Abbildungen zu belegen und einige Bemerkungen anzufügen, welche
die zwischen den von mir und von anderen beobachteten Fällen
sich ergebenden Beziehungen feststellen sollen. Das Letztere ist
mir wesentlich dadurch erleichtert worden, dass in dem erst jüngst
erschienenen Werke Martiris („Die Krankheiten der Eileiter, Leipzig,
Verlag von Pesold 1895) das betreffende Kapitel durch Sänger und
Barth eine ungemein gründliche und erschöpfende Bearbeitung
gefunden hat, ich daher nur auf jene zu verweisen habe. In die
dort angeführte Zusammenstellung der bisher beschriebenen Fälle
ist auch die von mir beobachtete auf Grund einer mündlichen
Mittheilung an Prof. Sänger aufgenommen worden. Umsomehr
bedarf die Darstellung einer sorgfältigen Ergänzung.
Um jene Leser, welchen die Berichte des Gynäkologen-Congresses
nicht leicht zugänglich sind, über den casuistischen Theil meiner
Beobachtungen zu orientieren, möge hier die Geschichte des Falles
entsprechend dem Wortlaute des Congressberichtes eingefügt werden.
Die seit sechs Jahren in der Menopause befindliche 59 Jahre
alte Frau stellte sich mir im Juni 1894 in meiner Sprechstunde
Zeitschrift für Heilkundo. XVII.
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Original frorn
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178
Alf. Rosthom.
mit Klagen Uber hartnäckigen Ansfluss vor, der in letzterer Zeit
eitrig und ätzend wurde und die Patientin daher sehr belästigte.
Derselbe hatte schon seit Ende April ohne besondere Veranlassung
eingesetzt, war anfangs dünnflüssig, erst später eitrig und wechselte
dem Qnantum und der Qualität nach sehr.
Bei Untersuchung mit dem Spiegel fand ich thatsächlich eine
ei tilge Sekretion aus dem Muttermunde des bereits senil atrophischen
Uterus, bezog dieselbe jedoch auf einen leicht nachweisbaren
cystischen Tumor der rechten Adnexe. Schon damals war mir eine
leichte Anschwellung der beiderseitigen Leistendrüsen und das
Vorhandensein einer taubeneigrossen Cyste der Bartholinischen
Drüse aufgefallen. Das in der Sprechstunde so flüchtig gewonnene
Bild liess mich die Annahme machen, dass es sich um einen Fall
von chronischer Gonorrhoe handle, wie solche ja auch im vor¬
geschrittenen Alter beobachtet wurde. Ich dachte der Kranken
am besten dadurch radikal helfen zu können, wenn ich ihr die
Entfernung der veränderten Gebärmutteranhänge empfahl, welchen
Rath sie sofort annahm, so dass ich wenige Tage darauf die Total¬
exstirpation des Uterus sammt Entfernung der rechten Adnexe
ausführen konnte. Die Operation gestaltete sich glatt, nur mussten
wegen der engen Scheide beiderseits tiefe Scheidendammeinschnitte
gemacht werden, um die entsprechende Zugänglichkeit zu gewinnen.
Ich benutzte die Gelegenheit, auch die Bartholinische Cyste zu
entfernen; der Inhalt derselben war serös-eitrig und, wie die später
durchgeführte bakteriologische Untersuchung ergab, steril. Die
linken nicht wesentlich veränderten Adnexe waren adhärent, so
dass ich, um schnell fertig zu werden, dieselben zurückliess. Die
Heilung ging trotz des allgemeinen Schwächezustandes gut von
Statten, die Kranke konnte nach drei Wochen die Heilanstalt her¬
gestellt verlassen.
Unterdessen war die mikroskopische Untersuchung der Eileiter¬
wand ausgeführt und festgestellt worden, dass es sich um einen
Fall von Tubencarcinom handle.
Es musste mit Rücksicht auf diesen prognostisch ungünstigen
Befund zunächst bedauert werden, dass man es versäumt hatte, die
geschwellten, wenn auch nicht indurirten Drüsen mit zu entfernen.
Der Verdacht einer carcinomatösen Metastase lag ja naha Ich
hatte die Exstirpation unterlassen, da ich die Schwellung für eine
solche entzündlicher Art halten musste — die Untersuchung der
exstirpirten Theile war ja erst später ausgeführt worden — und
erhoffen konnte, dass dieselbe nach Entfernung des eigentlichen
Eiterherdes zurückgehen werde. Trotzdem entliess ich die äusserst
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Frimäres modullares Carcinoma tubae.
170
ängstliche Kranke, die von einem neuerlichen Eingriff begreiflicher¬
weise nichts wissen wollte, mit der Weisung, sich durch einen
kurzen Landaufenthalt zu kräftigen, den geschwellten Leistendrüsen
sorgfältige Beachtung angedeihen zu lassen und bei der geringsten
Veränderung derselben sich unverzüglich wieder vorzustellen.
Im Oktober desselben Jahres wurde ich zu der Kranken ge¬
rufen. Die Drüsenschwellung hatte nicht auffällig zugenommen,
doch bestand am Unterschenkel eine Venenentzündung leichten
Grades, welche nach entsprechender Behandlung rasch zurückging.
Das Allgemeinbefinden war ein auffallenderweise verhältnissmässig
gutes.
Erst gegen Ende des Jahres 1894 trat plötzlich eine wesent¬
liche Verschlimmerung des Allgemeinzustandes bei gleichzeitig rasch
eintretendem Wachsthum der Drüsen ein. Letztere fühlten sich
nun auch viel härter an und waren in kurzer Zeit zu den bekannten
harten Paqueten verbacken und an die Unterlage fixiert.
Auf dringenden Wunsch der Patientin entschloss ich mich trotz
der geringen Hoffnung auf definitive Heilung und des bereits ein¬
getretenen Kräfteverfalles zur Entfernung der Drüsen. Dieselbe
wurde am 23. Januar d. J. unter beträchtlichen Schwierigkeiten
durchgeführt; diese waren dadurch bedingt, dass die am tiefsten
gelagerten Drüsen mit der Gefässscheide bis in die Lacuna vasorum
hinauf innig zusammenhingen. Die hierdurch gesetzten grossen
Wunden zeigten wenig Heilungstrieb. Die schon bestehenden
Oedeme an den unteren Extremitäten nahmen zu. Bei leichter
Temperatursteigerung und rasch sich ausbreitendem Decubitus
siechte die Kranke langsam dahin und wurde nach mehrtägiger
Somnolenz auch von den in letzter Zeit auftretenden, heftigeren
Schmerzen durch den Tod, 14 Tage nach der Operation, befreit
Die von Herrn Prof. Chiari mit grosser Sorgfalt durchgeführte
Obduktion bestätigte unsere Annahme, dass es sich in diesem Falle
um primären Eileiterkrebs und sekundäre krebsige Erkrankung
der iliacalen und inguinalen Lymphdrüsen handelte. Nur wurde
durch die Obduktion weiter gezeigt, dass in der zurückgelassenen
linken Tube auch ein ungefähr linsengrosser Krebsherd sass und
die Lymphdrüsen-Metastase eine ganz enorme Ausdehnung gewonnen
hatte, indem die ganzen retroperitonealen Drüsen afficiert erschienen.
Auch in der durch die Exstirpation bedingten Narbe des oberen
Scheidenendes hatte sich ein kleiner metastatischer Herd etabliert.
(Wohl Impfmetastase.)
Die anatomische Diagnose lautete: Carcinoma recidivum in
vulnere post exstirpationem uteri et adnex. dext. per vaginam,
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180
Alf. Rosthom.
progrediens ad tubam sin. — Carcinoma secnnd. glandnlarom
lymphat inguinal, int et ext. et retroperitoneal. cum compressione
venae cavae inf. et v. iliacae commun. et extern, lateris utriusque
cum thrombosi parietali venae iliac. ext. sin. — Hydrops extremital
inf. — Marasmus universal. Bronchitis catarrhalis. Morbus Brightii
chron. grad. lev.
Aus dem detailierten Berichte, welchen mir Herr Prof. Chiari
freundlichst zur Verfügung gestellt hat, möchte ich Folgendes
herausheben:
Die Scheide schlaff, glatt, weit Am oberen Ende derselben,
da wo die Narbe von der Exstirpation sitzt, medulläre, zerfliessende
grauröthliche Aftermasse. Der Uterus und die rechten Adnexe
fehlen. Die linke Tube und das linke Ovariiun durch Bindegewebs-
stränge eingehüllt und unter einander verwachsen. Die Aftermasse
aus dem Fornix vaginae in die linke Tube vordringend. Das
Uterinende der Tube geschlossen, das Abdominalende derselben
offen. Die Lymphdrüsen im kleinen Becken und um die grossen
Gefasse längs der Wirbelsäule bis ln die Höhe des Zwerchfelles
sämmtlich stark vergrössert, von einer grauröthlichen Aftermasse
eingenommen. Die Vena cava inf., die Venae iliacae commun. et
ext. von diesen Lymphdrüsen dicht umschlossen, ihre Wand viel¬
fach hügelartig nach innen vorgedrängt und das Lumen dadurch
verengert. In diesen Venen überall nur flüssiges oder postmortal
geronnenes Blut, nur in der V. iliac. sin. dünne, der Venenwand
fester anhaftende, flache, derbe Thrombosen.
Die durch die Operation gewonnenen Theile zeigten folgendes
makroskopische Verhalten:
1. Uterus: Allgemeine, gleichmässig senile Atrophie; Gesammt-
länge vom Fundus bis zum Orificium extern. 7 cm; Länge des Cavum
Uteri 6 cm, wovon nur 2 cm auf den Cervicalkanal entfielen.
Stärkste Wanddicke im Körper 15 mm; Muttermund narbig ver¬
zogen, eng; Muttermundslippen derb, kurz; Isthmus Uteri lang¬
gezogen; Schleimhaut nicht verändert.
2. Hechtes Ovarium ist umgewandelt in eine hühnereigrosse
Cyste mit dünner fibröser Wandung. Inhalt eitriges Serum. Form
der Cyste vollkommen rund. Geringfügige Adhäsionen an der
Oberfläche.
3. Rechte Tube: Uterinende zeigefingerdick; Eileiterlichtung un¬
regelmässig gestaltet, stellenweise querschlitzartig; die Schleimhaut
geschwellt. Circa 3 cm von der uterinen Abbindungsstelle Aus¬
weitung der Lichtung bei Verdünnung der fibromusculären Wand¬
schichte; der ampulläre Theil atretisch, wurstförmig aufgetrieben,
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Primäres medulläres Carcinoma tub&e.
181
die Innenfläche zerfallen, nekrotisch, die Höhle von markigen
bröckeligen, zum Theil eitrigen Massen ausgefüllt. Gesammtlänge
etwas Aber 5 cm. Erst nach Entfernung des Inhaltes der ver¬
meintlichen Pyosalpinx erschien die Wand dicht besetzt mit weichen
zerklüfteten Gebilden, die von vorn herein schon makroskopisch als
Neoplasma aufgefasst werden mussten und im Allgemeinen papillo-
matösen Charakter zeigten.
Histologischer Befund der exstirpirten Theile:
1. Endometrium: Eine kleine polypöse Excrescenz desselben,
welche als Metastase aufgefasst werden konnte, zeigt die typische
Struktur eines Schleimpolypen mit ektatischen Drusenräumen.
Nirgends Neubildung. Die histologische Struktur der übrigen
Schleimhaut entsprechend der eines Uterus, welcher in Folge der
Menopause atrophiert ist.
2. Ovariencyste: Fibröse Wandung; in einer verdickten Partie
derselben, die auch wegen Verdachtes einer Metastase genauer
untersucht wurde, Einlagerung von grösseren Zellen, welche ihrem
Charakter nach als Luteinzellen aufgefasst werden mussten, so
dass die Cyste als Corpus lutem-Cyste zu deuten ist. Nirgends in
der Cystenwand Aftermasse nachweisbar.
3. Der verdickte uterine Abschnitt des rechten Eileiters zeigt
dasjenige Bild, welches allgemein als das für Salpingitis interstitialis
et follicularis charakteristische gilt
In der äusseren Hälfte des Eileiters ist die Muskelschichte
verdünnt und an Stelle der Schleimhaut mit ihren reichen Falten¬
bildungen die Neubildung getreten. Der Bau derselben ist nicht
an allen Stellen gleich. Partienweise findet sich das typische Bild
des alveolaren Krebses. Die Alveolen verschieden an Form und
Grösse, die Grenzen derselben scharf, die Zellen klein. Zwischen,
den Alveolen, Bindegewebsbalken, welche an ihrer Basis breit,
gegen das Lumen der Tube zu schmäler werden und sich mehrfach
verzweigen, so dass schon durch die Anordnung des bindegewebigen
Stromas ein gewisser papiHärer Bau erhalten ist. In einzelnen
der Krebszellnester findet sich nun eine Anordnung der Epithelien
und das Verhältniss dieser zum Bindegewebe wie bei gewissen
papillären Adenomen des Eherstockes.
Für den erörterten Fall ist es demnach unzweifelhaft fest -
gestellt, dass es sich um einen primären Eileiterkrebs handle,
welcher nur in der zweiten, bei der Operation zurückgelassenen Tube,
in der Narbe der ursprünglich gesetzten Wunde und endlich in
sämmtlichen retroperitonealen und inguinalen Lymphdrüsen Meta¬
stasen gesetzt hat. Es ist dieser Fall um so weniger anzuzweifeln,
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182
Alf. Rosthom.
als der ursprünglich klinischen Beobachtung eine sorgfältige ana¬
tomische Untersuchung in der Leiche gefolgt ist Der Fall ist in
so fern auch werthvoll, als krebsige Entartung des Eierstockes
nicht vorliegt, so dass der Gedanke an ein primäres Carcinoma
ovarii kleinerer Dimension mit Uebergreifen auf die benachbarte
Tube sicher ausgeschlossen werden kann. Für eine Reihe von
Fällen aus der Literatur lässt sich diese Annahme nicht mit gleicher
apodiktischer Sicherheit zurückweisen.
Was den histologischen Bau der Neubildung betrifft, so habe
ich mich bemüht, durch die Betrachtung zahlreicher Schnitte einen
Einblick in den Aufbau derselben zu gewinnen. Doch ist es mir
nicht gelungen, Strukturbilder zur Ansicht zu bekommen, welche
die Histogenese desselben klarstellen würden. Die vorgeschrittensten
Veränderungen fanden sich am abdominalen Ende des verschlossenen,
sackartig aufgetriebenen Eileiters. Hier ist das Bild ein mehr
gleichmässiges, dem eines alveolar angeordneten epithelialen Neo¬
plasmas entsprechendes. Leider finden sich hier schon vielfach
regressive Metamorphosen. Die Muskelbindegewebsschichte des Ei¬
leiters erscheint verdünnt und hat ihre charakteristische Zeichnung
verloren. Die Grenze der Schleimhaut, die eben ganz durch die
mächtig gewucherte Neubildung ersetzt ist, ist keine scharfe, keine
regelmässige. Eine ausgesprochene Zone kleinzelliger Infiltration
liegt an dieser Grenze. Der Rest der hier noch erhaltenen Ei¬
leiterwand ist nicht nur verdünnt, sondern auch von zahlreichen
ausgedehnten, stark gefüllten Gefässen durchsetzt, stellenweise
ödematös. Die Tumormassen sind, wie schon erwähnt, mehr gleich-
mässig in ihrem Aussehen, die Zellgrenzen oft verwischt, die Kerne
rund, deren Aufiiahmsfähigkeit von Farbstoffen wesentlich herab¬
gesetzt. Der alveolare Bau ist hier mehrfach noch so deutlich er¬
halten, dass ein Blick in das Mikroskop sofort die Diagnose
Carcinom stellen lässt In demselben finden sich einige Binde-
gewebssepta, die ganz mächtig entwickelt und von Rundzellen
durchsetzt sind.
Ein schöneres Bild geben die mehr proximalen Theile des Ei¬
leiters, welche noch Neubildungsmassen enthalten. Hier ist die
Muskelschicht in ihrer ursprünglichen Anordnung und Dicke voll¬
kommen erhalten, nur stellenweise sind Muskelbündel durch ge¬
wuchertes Bindegewebe auseinander gedrängt. Die Färbkraft der
verschiedenen Tinctionsmittel ist in keiner Weise gestört, die
Doppelfärbung gibt noch schöne Uebersichtsbilder. Bei Betrachtung
dieser Theile kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Neu¬
bildung auf die Schleimhaut beschränkt sei. Aber auch hier ist
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Primäres medulläres Carcinoma tnbae.
183
die Grenze derselben nach anssen zu eine unregelmässige, buchtige.
In dieser Grenzzone fallen zahlreiche, eigenthümlich in die Länge
gezogene, aber anch mehr rundliche Hohlräume auf, welche von
niedrigem cubischen Epithel ausgekleidet, theilweise leer, theilweise
von Blutkörperchen ausgefüllt sind. Dieselben dürften wohl zweifellos
als Endausläufer und abgesprengte Theile von Falten der Eileiter¬
schleimhaut, wie sich solche bei der von Martin beschriebenen
Salpingitis follicularis vorfinden, aufzufassen sein.
Im grossen und ganzen stimmt das Structurbild mit jenem von
Sänger als Carcinoma gyriforme bezeichnten überein. Zarte Binde-
gewebstepta trennen die gewundenen Epithelschläuche. Einzelne
grosse Alveolen sehen wie ausgepinselt aus, indem das netzartig
angeordnete Bindegewebsgerüst Lücken umfasst, welche leer sind.
Gestreckte Zellschläuche wechseln mit rundlichen Zellgruppen ab.
Nirgends jedoch ist es mir gelungen, einzelne Papillen mit
einschichtiger Epithelüberkleidung nachzuweisen.
Jene linsengrosse Excrescenz, welche in der Schleimhaut der
bei der Operation zurückgelassenen linken Tube bei der Obduction
vorgefunden wurde, weicht von dem eben beschriebenen Bilde des
primären Tumors wesentlich ab und zeigt auch histologisch den
Charakter einer Metastase. Es ist ein papilläres Gebilde, dessen
epithelialer Ueberzug fehlt, das eine bindegewebige Grundlage hat,
in welcher unendlich viele, rundliche Hohlräume der verschiedensten
Dimension eingestreut sind, die theilweise von kleinen Epithelzellen,
theilweise von einer geronnenen, structurlosen Masse erfüllt sind.
Diese papilläre Wucherung ist ausserordentlich gefässreich und
zeigt an vielen Stellen Blutergüsse. In der Abbildung Fig. 3 wurde
versucht, ein möglichst naturgetreues Bild derselben bei schwacher
Vergrösserung zur Darstellung zu bringen.
Für den von uns beobachteten Fall möge zum Schlüsse folgendes
besonders hervorgehoben werden: Der Gegensatz des kleinen primären
Herdes im Eileiter (Tubenlänge 8 cm) [siehe Fig. I. Abbildung
in natürlicher Grösse] gegenüber den ganz collossalen Metastasen
in dem gesammten retroperitonealen Lymphgefässsystem, welcher
die ausserordentliche Malignität dieser Neubildung hinlänglich kenn¬
zeichnet
In diagnostischer - symptomatologischer Beziehung ist hervorzu¬
heben, dass es sich um ein bereits seit mehreren Jahren im Climac-
terium befindliches Individuum gehandelt hat, welches vor mehr
denn 20 Jahren nur einmal geboren hatte. Es stimmt dies mit
den Beobachtungen anderer überein, dass sich das Tubencarcinom
fast ausnahmslos während der Menopause und mit Vorliebe bei
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Alf. Rosthorn.
solchen Individuen entwickelt, welche vor vielen Jahren zumeist
nur einmal oder überhaupt nicht geboren haben.
Eine weitere Uebereinstimmung findet sich darin, sich
auch in diesem Falle zweifellos chronische Entzündungszustände in
dem erkrankten Eileiter selbst als dessen Umgebung unter Mit¬
betheiligung des Bauchfells abgespielt und so die Grundlage für
die EnUoicklung des Krebses abgegeben haben. Auch hier fand
sich atresia infundibuli, hochgradige Salpingitis interstitialis, Cysten¬
bildung im Ovarium, Residuen von Perimetritis. Die Erscheinungen
des hydrops tubae profluens war in diesem Falle besonders schön
ausgesprochen. Zeitweise kam es plötzlich zur Ausstossung grösserer
Mengen serösen Eiters aus der Gebärmutter, was man direct zu
beobachten Gelegenheit hatte. Derselbe stammte ohne Zweifel aus
dem rechtsseitigen Tubensacke und folgte dieser Entleerung regel¬
mässig Erleichterung von den oft bedeutenden Schmerzen im
Bereiche des Krankheitsherdes. Die Beimengung von Eiter zu
dem serösen Inhalt der Ovariencysten und der Eiter in der Ge¬
schwulst können analog der Vorstellung Sängers nur als accidentelle
bezeichnet werden.
Dass die Diagnose auf Pyosdlpinx gestellt wurde, ist leicht zu
erklären bei dem Nachweise einer profitierenden, eiterhaltigen
Schwellung der rechtseitigen Gebärmutteranhänge bei gleichzeitigem
Vorhandensein einer Bartholini'schen Cyste, die allerdings sterilen,
aber eitrigen Inhalt aufwies.
Schon Sänger hebt das Ueberwiegen der einseitigen Erkrankung
hervor; auffallend ist die Bevorzugung der reckten Tube bei dem
Auftreten des primären Eileiterkrebses, wozu die drei hier ange¬
führten Fälle neuerliche Beweise geben.
Die kleine unilocnläre Cyste des entsprechenden Eherstockes
ist wohl in Beziehung zu bringen mit der bestehenden Perioophoritis
und Perisalpingitis chron.
Histologisch misste der Fall in die zweite Kategorie Sänger's
eingereiht werden, nämlich in die Fälle mit papillär-alveolärem Bau .
Die Prognose kann nach dieser Erfahrung für einzelne dieser
Neubildungen nur als eine höchst ungünstige hingestellt werden,
indem trotz der Beschränkung derselben auf die Tube so rasch das
Lymphgefässsystem in ausgedehntem Masse ergriffen wird. Auch
das spricht für den carcinomatösen Charakter der Geschwulst
gegenüber dem Papillom, welches immer mehr die Tendenz zeigt,
auf dem Bauchfell sich auszubreiten und Ascites zu erzeugen.
Fast alle Autoren heben hervor, dass das plötzliche Anwachsen
eines von früher her bestandenen Adnextumors im Climactcrium
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Primäres medulläres Carcinoma tnbae.
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als bedenkliches Zeichen aufgefasst und nach unseren heutigen Er¬
fahrungen für die Diagnose Carcinoma tubae im allgemeinen ver-
werthet werden kann. Sobald diese Vermuthung aber auftauchen
sollte, ist schleunige Entfernung eines solchen Tumors dringend
indicirt
In der seit dem Congresse verstrichenen Zeit sind mir zwei
weitere Mittheilungen über analoge Fälle bekannt geworden, welche
der von Sänger-Barth angeführten Reihe anzuschliessen wären.
Es ist das jene von Cullingworth (primary carcinoma of the Fallopian
tube. Tr. of the obst soc. of London 1894, XXXVI, IV. p. 307)
und jene von W. Fischei (über einen Fall von primärem papillären
Krebs der Muttertrompete. Laparotomie. Heilung. Zeitschrift für
Heilkunde. Bd. XVI. 1895 mit 6 Fig. im Texte).
Im ersteren Falle handelte es sich um eine 60jährige ver-
heirathete Frau, die bereits seit acht Jahren in der Menopause
stand und nie geboren hatte. Die ersten Erscheinungen zeigten
sich vier Monate vor der Operation. Unbestimmte, aber manchmal
sehr heftige Schmerzen, die sich besonders auf die rechte regio
iliaca erstreckten, mit hartnäckiger Obstipation und zunehmender
Kachexie bildeten die hauptsächlichsten Erscheinungen. Dabei be¬
stand Ascites und war der Tumor schon von aussen tastbar. Der¬
selbe hatte seinen Ausgangspunkt in dem rechten Eileiter; das
breite Mutterband und der zu einer Cyste umgewandelte rechte
Eierstock waren oberflächlich secundär inficirt. Die Gebärmutter
fand sich dabei gesund, die Beckenlymphdrüsen waren vergrössert,
indurirt, das grosse Netz im kleinen Becken angewachsen und mit
einem metastatischen Knoten versehen.
Sechs Monate nach der gelungenen Operation stellte sich die
Kranke mit Symptomen intestinaler Obstruction wieder vor, wobei
das Aussehen verhältnissmässig gut war. Nachdem erstere beseitigt
war, nahmen die Schmerzen jedoch allmählich wieder mehr zu,
derbe, festsitzende Geschwülste füllten die Bauchhöhle aus, Ascites
und Oedeme der unteren Extremitäten stellten sich wieder ein und
unter zunehmender Kachexie gieng sie */ 4 Jahr nach Auftreten der
ersten Erscheinungen zu Grunde. Obduction wurde keine aus¬
geführt. Die exstirpirte Tube war 8 cm lang, cylindrisch, resistent,
etwas geschlängelt, ihre Lichtung hatte den Durchmesser von 2 cm,
das Fimbrienende derselben war geschlossen. Die Ovariencyste
war innen glatt und nur an der Verwachsungsstelle fanden sich
einige knotige Erhabenheiten, welche die peritoneale Infection her¬
vorgerufen hatte. Das mikroskopische Bild der Eileiterneubildung
wird verglichen mit jenem des Brustdrüsenkrebses, wenn derselbe
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Alf. Kostkom.
vom Ausführungsgang aus seinen Ursprung nimmt. Die Wandung
derselben erscheint verdickt, das lumen von zahlreichen papillären
Fortsätzen ausgefüllt, deren fibröse Matrix durehsetzt erscheint
von Gruppen kleiner cylindrischer, epithelialer Fortsätze, (intracys-
tische, papilläre Formation). Der Autor spricht zum Schlüsse von
den Schwierigkeiten der Interpretation des mikroskopischen Bildes.
In dem Falle Fischel's handelt es sich um eine 40jährige Frau,
die nie geboren hatte, im Beginne der Menopause stand und sieben
Monate, bevor sie zur Operation kam, über unbestimmte Schmerzen
und reichlich gelben Ausfluss klagte. Dabei fanden sich deutliche
Zeichen von. Kachexie. Bei der Untersuchung konnte Ascites und
ein grosser fluctuirender Tumor, welcher den rechten Gebärmutter-
anhängen entsprach, nachgewiesen werden. Auch hier fand sich
leichte adhäsive Peritonitis, dabei aber auch Dissemination von
weisslichen Knötchen über das ganze Bauchfell. Die Operation
fand im April statt und gieng das Individuum trotzdem im September
desselben Jahres kachectisch zu Grunde. Obduction wurde keine
ausgeführt. Von der exstirpierten Eileitergeschwulst wird aus¬
drücklich hervorgehoben, dass sie eine retortenförmige Gestalt hatte,
auch auf ihrer Oberfläche jene Knötchen aufwies und die weite
Lichtung von reissuppenähnlichem Inhalt und zottigen Auswüchsen
erfüllt war. Fischei spricht von einer hydrosalpinx carcinomatosa.
Bei der eingehenden Darstellung der histologischen Formation
wird hervorgehoben, dass keine Destruction der übrigen Eileiter¬
wandschichten vorliege; die Neubildung war demnach nur auf die
Schleimhaut beschränkt geblieben. Bezüglich der erwähnten zottigen
Auswüchse, welche ausgesprochen papillären Bau zeigten, hebt
Fischei die grosse Analogie mit jenen bei Ovarialpapillom hervor.
Vielfach gelingt es ihm, den ursprünglichen Aufbau „bindegewebigen
Grundstock und epitheliale Auflagerung“ nachzuweisen. An manchen
Stellen finden sich versprengte Reste des Schleimhautepithels.
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Erklärung der Abbildungen,
Fig. I. Abgetragener rechtseitiger Eileiter in natürlicher Grösse, u uterines,
a abdominales Ende, letzteres der Länge nach aufgeschnitten, um die
Neubildung, welche die Innenfläche des Eileiters auskleidet, zur Darstellung
zu bringen. Ein Querschnitt am uterinen Ende soll die mächtige infolge
von Salpingitis interstitialis bedingte Wandverdickung dieses Theiles zur
Ansicht bringen.
Fig. II. Ein Stück Eileiterwand unter schwacher Vergrösserung aus der Mitte,
um einerseits die starken Bindegewebsbalken, anderseits den papillär¬
alveolaren Aufbau der Neubildung zu erweisen.
Hg. III. Schwache Vergrösserung einer papillären Excrescenz (regionäre Me¬
tastase) an der Schleimhaut des linken zurflckgelassenen Eileiters.
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(Aus der Frauenklinik der deutschen Universität in Prag.)
KLINISCHE BEOBACHTUNGEN ÜBER DIE WANDER¬
NIERE BEI FRAUEN.
Von
Du. LUDWIG KNAPP,
klinischer Assistent.
(Hierzu Tafel IV und V.)
Die Wanderniere ist ein bei Frauen häufig vorkommendes, mit
vielfachen Beschwerden verbundenes Leiden, welches auch heute
noch oft unerkannt bleibt. Beide Umstände bewogen mich, auf An¬
regung meines hochverehrten Lehrers, des Herrn Prof. Br. Alfons
E. v. Rosthom , an dem reichen gynäkologischen Materiale der
Prager deutschen Frauenklinik eine Reihe von Fällen genauestens
auf das Vorkommen und die Erscheinungen der Wanderniere hin
zu untersuchen und im folgenden das Ergebnis dieser Beobachtungen,
soweit sie praktisches Interesse beanspruchen, wiederzugeben.
Nicht einer üblichen Gepflogenheit, sondern einem wirklich
empfundenen Bedürfnisse nachkommend, erlaube ich mir an dieser
Stelle meinem hochverehrten Lehrer und Vorstande für die Ueber-
lassung des entsprechenden Materials, sowie für die Leitung und
gütige Förderung meiner Arbeit den ergebensten Dank aus¬
zusprechen.
Zur Aetiologie der Wanderniere,
Für eine ansehnliche Reihe von Nierendislocationen, für die wir
bis nun ein ätiologisches Moment nachzuweisen nicht im Stande
waren, glaube ich dasselbe ungezwungen ifi theüs pathologischen,
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190
Dr. Ludwig Knapp.
theils physiologischen Vorgängen und Veränderungen des weiblichen
Genitalapparates, vor edlem des Uterus , suchen zu dürfen. Das
überwiegend häufige Vorkommen der Wanderniere bei Frauen weist
ja darauf hin, dass bei ihnen im Gegensätze zum Manne Verhält¬
nisse und Bedingungen gegeben sein müssen, welchen ein wesent¬
licher Einfluss auf die Entstehung der Nierendislocationen zu¬
zuschreiben sein dürfte.
Die Einschaltung der Gebärmutter zwischen Blase und Mast¬
darm, die Wechselbeziehungen in Grösse, Form und Lage dieser
Organe zu einander, sind im Stande, (pathologische) Lageverände¬
rungen der Nieren beim Weibe auf rein mechanischem Wege (d. h.
durch Vermittlung der Uretheren) herbeizuführen.
Dieser meiner Ansicht nach bisher viel zu wenig beachtete
und imm er noch nicht entsprechend hervorgehobene Umstand hat
mich veranlasst, mein Augenmerk in einer grossen Anzahl von Fällen
ganz besonders auf den Zusammenhang zwischen verschiedenen, theils
als normal geltenden, theils als pathologisch anerkannten Lage¬
veränderungen der Gebärmutter und denen der Niere, zu richten.
Konnte ich dadurch die Zahl der ätiologisch dunklen Fälle
von Wanderniere vielleicht nicht unwesentlich beschränken, so
bleibt doch auch unter unseren Beobachtungen noch immer eine
ansehnliche Zahl von ausgesprochenen Nierendislocationen übrig, wo
Jeein einziges der im Folgenden zu besprechenden „aetiologischen“
Momente nachgewiesen werden konnte.
Wir sind für viele Fälle genöthigt, eine individuelle patho¬
logische Disposition *) zu Lageveränderungen der Niere anzunehmen.
Dieselbe beschränkt sich entweder nur auf eine mangelhafte An¬
lage oder erworbene Erschlaffung des Nierenbefestigungsapparates
(angeborene Kürze eines oder des anderen Urethers [Nephroptose
für sich]), oder erstreckt sich auch auf die Suspensions- und
Fixationsapparate sämmtlicher Abdominalorgane (Enteroptose,*)
Splanchnoptose [Glenard])\ in letzterem Falle ist die Nephroptose
als eine specielle Aeusserung der Enteroptose aufzufassen.
Die individuelle Disposition ist angeboren, wie eine Beobachtung
Stifters lehrt, unter Umständen sogar vererbbar (genannter Autor
’) Senator in Nothnagel, Spec. Pathologie nnd Therapie, bezeichnet dieselbe
als anatomische Disposition; nach dem vorhin Angedeuteten wäre sie für alle
Frauen durch die anatomischen Verhältnisse ihres Genitalapparates gegeben.
*) Vgl. Ewald, Uber Enteroptose und Wanderniere. Bert. kirn. Wochen¬
schrift 1890, p. 277.
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Klinische Beobachtungen Uber die Wanderniere bei Frauen.
191
sagt an betreffender Stelle 1 ): „In drei Fällen liess sich sicher an¬
geborene Disposition annehmen, da auch die bezüglichen Mütter
damit behaftet waren, in einem Falle hatte die Mutter rechtsseitige,
die Tochter beiderseitige Wandernieren.“
Dass Nierendislocationen angeboren sein können, ist eine
bekannte Thatsache 8 ). Werth 9 ) hat darauf hingewiesen, dass
angeborene Nierendislocationen häufig gleichzeitig mit Entwicklungs¬
hemmungen oder -excessen des weiblichen Genitalapparates Vor¬
kommen 4 ). Wir wollen hier ganz absehen von der „Hufeisenniere“,
die als angeboren (fix) dislocierte Niere wiederholt zu einem Ge-
burtshinderniss wurde, und nur von den beweglichen, in so frühem
Lebensalter dislociert nachweisbaren Nieren sprechen, dass wir die¬
selben als angeborene Wandernieren bezeichnen müssen; seitdem
man auf diese Thatsache aufmerksam geworden ist, haben Obductions-
befunde bei Embryonen und Leichen Neugeborener dieselbe zu
wiederholten Malen bestätigt, und ist der Nachweis von Wander¬
nieren bei Kindern zartesten Alters in vivo möglich gewesen.
C. Rüge 8 ) zwischen „angeborener Tieflage und tiefergetretener
Niere“ unterscheidend, erwähnt, von ersterer bei Neugeborenen aus¬
gezeichnete Beispiele gesehen zu haben. Der Unterscheidung
Buges zwischen „Tieflage“ und „Tiefertreten“ der Niere folgend,
trennen wir die Nierendislocationen in:
*) Stifter, Pract Erfahrungen über Wanderniere. Münch, med. Wochen¬
schrift 1892. XXVIII, p. 491.
*) Runge, Arch. für Gyn., Bd. XU. 1891. Gravida mit congenital ver¬
lagerter Niere und Ovarialtumor. — Schultxe, die Wanderniere, statistische Unter¬
suchungen über deren Aetiologie. Berlin 1888.
*) Werth, Ueber die rudimentäre Entwicklung der Müller'achen Gänge. Arch.
für Gyn., Bd. XIL p. 148: „Was das häufige Zusammentreffen von Bildungs¬
fehlem der inneren Genitalien mit solchen bes. Lageanomalien der Niere an¬
belangt, so finden sich Belege dafür ausser in den verschiedenen Lehrbüchern in
der Freund 1 sehen Mittheilung (Beitr. zur Geb. und Gyn., 4. Bd. 1. Heft, p. 60)
und den weiter citierten Stellen des KussmatiT sehen Werkes (S. 22. 54 f.
60 f. 114).*
4 ) Im Gefolge solcher kann eine Niere auch vollständig fehlen, worauf unter
anderen Kiderlen: Mißbildungen der weibl. Genitalorg. Zeitschr. f. Geb. u. Gyn.
XV. p. 18 ff., neuerdings hinwies (Fehlen der Niere auf der Seite einer ange¬
borenen Hämatometra); Urether und Müller’scher Gang kreuzen sich in der
6. Embryonalwoche; die gegenseitige Beeinflussung von Störungen in der Ent¬
wicklung beider bezw. der Organsysteme, welchen sie angehören, hat daher nichts
befremdendes an sich.
Outh, (Vereinsbl. d. pfälz. Aerzte, IX. Mai 1898) beschreibt einen Fall von
linksseitiger Hydronephrose bei congenitalem Mangel der rechten Niere.
B ) C. Rüge, Berlin, klin. Wochenschr. 1882. p. 357 f.
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Dr. Ludwig Knapp.
I Angeborene:
1. Descensus renis (Tieflage)
2. Ren mobilis (tiefergetretene Niere)
3. Dislocatio renis fixat. (Hufeisenniere).
II. Erworbene:
1. Descensus renis (Tiefertreten der Niere)
2. Ren mobilis (tiefergetretene Niere)
3. Dislocatio renis, ante mobilis, fixat
Unter den Begriff der Tieflage der Niere hätten wir nur den
angeborenen Descensus renis nnd die Dislocatio renis fixat (Huf-
eisenniere) einzubeziehen, alle übrigen Dislocationen würden auf ein
Tiefergetretensein der Niere zurückznführen sein. Ob der angeborene
Descensus renis zur späteren beweglichen Nierendislocation praedis-
ponire, möge dahingestellt bleiben.
Wir werden bei Besprechung der Diagnostik noch erörtern,
was wir unter dem Descensus renis gegenüber der Dislocatio
renis mobilis mit ihrer üblichen Theilung in drei Grade zu
verstehen haben.
Interessant ist die Thatsache, dass auch das Gegenstück zum
Descensus renis aus der Literatur bekannt ist, ein Fall, wenn wir
so sagen dürfen, von ascensus renis congenitus.
Ziemssen spricht über die angeborenen Nierendislocationen wie
folgt: „Es sind diese Anomalien auf eine geringe Energie in der
Bewegung der embryonalen Nierenanlage, welche sich zu einer
gewissen Zeit hart vor der Theilungsstelle der Aorta befinden,
(Kupfer) zurückzuführen“ und citiert einen aus den Obductions-
protokollen des Breslauer pathologischen Institutes veröffentlichten
Fall von „Hochstand der linken Niere.“
Was die erworbenen Nierendislocationen anbelangt, so wollen
wir mit dem Descensus renis beginnend, denselben als geringsten
Grad mobiler Dislocation bezeichnen, ein Vorkommnis, das an der
Grenze zwischen physiologischem und pathologischen Verhalten
stehend, verschieden gedeutet wird; um denselben von der Wander¬
niere leichtesten Grades zu scheiden, möchte ich mir erlauben, auf
ein einfaches, klinisches Unterscheidungsmerkmal aufmerksam zu
machen.
Descendiert möchte ich jene Nieren bezeichnen, deren Dislocation
lediglich in der durch ihre Längsaxe gelegten, der Medianlinie
parallelen Geraden (nach abwärts), erfolgt ist; sobald zu dieser
Lageveränderung noch eine andere in dem Sinne tritt, dass sich
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen.
193
der untere Nierenpol der Medianlinie nähert 1 ), diese Art der Dis¬
location als für die Wanderniere (leichtesten Grades) charakteristisch
erklären.
An der Hand des Fig. I erläuternden Schemas können wir
jederzeit die Provenienz einer uns auch bereits fixiert zur Unter¬
suchung zukommenden dislocirten Niere feststellen.
Wir unterscheiden an der Wanderniere (der mobil dislocirten,
wie wir sie bezeichnen wollen*), drei Grade:
Als solche ersten Grades bezeichnen wir die Wanderniere, falls
weniger als die untere Hälfte des dislocirten Organes unter dem
Rippenbogen palpabel erscheint; solche zweiten Grades gestatten
die Niere bis zu mehr als ihrer Hälfte durch Palpation verlagert
nachzuweisen; in Fällen dritten Grades gelingt es die Niere in
toto an abnormer Stelle zu erkennen.
im Allgemeinen hängt der Grad der durch Nierendislocationen
hervorgerufenen Störungen und Beschwerden von dem Grade der¬
selben ab; der Descensus renis braucht solche überhaupt nicht
auszulösen, während die anderweitigen Dislocationen schon aus
rein mechanischen Gründen klinisch objectiv nachweisbare Symp¬
tome, sowie subjectiv oft ausserordentlich unangenehme Empfin¬
dungen zu veranlassen imstande sind; es erklärt sich dies aus
der Thatsache, dass, wie durch Leichenversuche nachgewiesen
ist, bei Wandernieren die Nierenarterie beispielsweise eine Ver¬
längerung von 7 auf 10 cm. aufweisen kann; bei der gleichzeitigen
Veränderung der Länge und des Kalibers der Vene muss es natur¬
gemäß zu Circulationsstörungen kommen, ganz abgesehen von den
durch die Torsion und abnorme Verlaufsrichtung des Urethers in
solchen Fällen möglichen Alterationen in der secretorischen Thätig-
keit des Organes, durch welch' genannte Factoren ja zweifellos
nicht nur locale Schädigungen, sondern Allgemeinstörungen im
Organismus ausgelöst werden können. Wie jedoch hervorgehoben,
gilt dieser Satz nur im allgemeinen; es ist eine erwiesene Thatr
sache, dass häufig geringgradige Organdislocationen viel intensivere
Beschwerden zu erzeugen vermögen, als jene hohen Grade von
Verlagerung derselben, die wir als solche dritten Grades bezeichnen.
Trotz der nahezu allgemein angenommenen Ansicht, dass stets
eine Reihe verschiedenartiger und längere Zeit einwirkender Ein¬
flüsse und Schädigungen, sowie pathologischer Vorbedingungen vor-
*) Die Drehung erfolgt um die Nierenarterie als Radius (Dunin).
*) Matkieu unterscheidet rein mobile und rein veritablement flottante, Hilbert
(üb. palpable u. bewegl. Nieren, Deutsch. Archiv f. klin. Medicin 1892, XXIV,
p. 468.) ren palpabilis, mobilia und migrans.
Zeitschrift fttr Heilkunde. XVII. 13
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Dr. Ludwig Knapp.
handen sein müsse, um die Niere zur beweglichen (Wanderniere)
zu machen, finden wir dennoch nicht nnr von Laien, sondern auch
von Seiten vieler Autoren Berichte über die Entstehung einer ren
mobilis nach einem Trauma *) gar nicht selten.
Zugegeben, dass für vereinzelte Fälle diese Art der Erklärung
ihre Berechtigung haben mag, können wir doch nicht verhehlen,
dass es viel wahrscheinlicher ist, dass schon früher symptondos
bestandene , mehr minder entwickelte Grade von Nierendislocationen
nach einem Trauma Erscheinungen in Gestalt von unangenehmen
Empfindungen, Schmerzen, Störungen des Allgemeinbefindens n. s. w.
auszulösen beginnen, wonach fälschlich ihre Entstehung oder ihr
erstes Auftreten auf den begreiflicherweise in lebhafter Erinnerung
gebliebenen Zeitpunkt des Tranmas verlegt wird.
Analogien derartiger, unrichtiger Projectionen, bei dem Be¬
streben, die Aetiologie pathologischer Processe nach dem Zeitpnncte
ihrer ersten Wahrnehmung zu begründen und zu erklären, besitzen
wir ja in grosser Zahl
Wir dürfen aber nicht übersehen, dass bis zur Entwicklung
einigermassen bedeutender Nierendislocationen gewiss stets längere
Zeiträume verstreichen müssen.
Die Wanderniere dürfte wol weit häufiger allmählig im Gefolge
von chronischen Traumen, wenn wir von solchen im Gegensätze zu
acuten sprechen dürfen, als infolge eines einzelnen letzterer Art
auftreten. Wol spielen möglicherweise auch unter unserem Be¬
obachtungsmateriale acute Traumen eine Rolle, insofern Frauen
angaben, unmittelbar nach und seit solchen ihre Beschwerden von
Seiten der Nierenverlagerungen wahrzunehmen, so eine Frau nach
einem Sturze über eine Leiter, eine andere nach dem Ausgleiten
auf der Stiege, eine dritte nach einem Tritte auf den Unterleib,
andere nach dem Heben schwerer Lasten u. s. w., doch sind diese
Angaben bezüglich des Zeitpunctes des Auftretens der Lagever¬
änderung der Niere mit grosser Vorsicht entgegenzunehmen und
entbehren, wie vorhin auseinandergesetzt, bei einigermassen erheb¬
licheren Graden von Dislocationen jeden Wertes. Hochgradigere
Contusionen setzen wol eher den Bestand des Nierenparenchyms
in Frage, das hänfig rnpturirt, ehe der Nierenfixationsapparat ab-
reisst; 8 ) gleichwol ist aus der Literatur ein Fall bekannt, der
*) Schütx bezeichnet unter seinen 80 F&Uen von Wandernieren 19 durch
(directe) Traumen veranlasst.
*) Vergl. diesbezüglich v. Recxey, über subcutane Nierenläsionen, Wiener
Klinik 1888 p. 311. - Wagner, weitere Beiträge zur Kieren-Chirurgie; D. Zeit¬
schrift £ Chir. XXXI V, 1892.
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen.
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für die Möglichkeit der traumatischen Entstehung einer Wander¬
niere (nach Contusion) zu sprechen scheint Ilßn 1 ) beobachtete
nämlich eine solche bei einem 23jährigen Eosaken nach einem
Holschlage.
Was die „ chronischen Traumen“ und die übrigen Nieren-
dislocationen möglicherweise veranlassenden Momente betrifft, kann
hier davon nicht die Rede sein, dieselben erschöpfend zu besprechen;
soweit es der Rahmen dieser Arbeit gestattet, seien deshalb nur
deren wichtigste und häufigste angeführt.
Lange anhaltender (chronischer) Husten, heftiges sich oft nach
einander wiederholendes Niesen, Erbrechen (letztere beiden Momente
von Landau und Rosenkranz auch für Leberdislocationen verant¬
wortlich gemacht)*), dürften wol bei der Aetiologie der Nieren-
dislocationen in Betracht zu ziehen sein.
Von sonstigen chronischen Schädlichkeiten wäre aber vor allem
die habituelle Obstipation zu nennen, da dieselbe nicht nur durch
die erhöhte Inanspruchnahme der Bauchpresse und des Zwerchfelles
bei der erschwerten Defacation, sowie dem dabei erhöhten intra-
thoracalen Druck eine wesentliche Rolle spielt, sondern auch noch
vielfach in anderweitiger Beziehung mit zur Entstehung von Nieren-
dislocationen führen kann; die vorübergehende oder dauernde
Herabsetzung des intra-abdominalen Druckes ist für die Verlagerung
der Unterleibsorgane von der grössten Bedeutung.
Nicht allein der intra-abdominale, sondern ganz besonders der
intra-thoracale Druck, beziehungsweise das gegenseitige Verhältnis
beider zu einander, kann für die Entstehung von Verlagerungen
der Abdominalorgane und somit auch der Nieren bedeutungsvoU
werden, indem ja aUe Momente, welche (wie der gesteigerte intra-
thoracale Druck in seiner Kraftrichtung nach abwärts) die Zwerch¬
fellskuppel verkleinern, die darunter befindlichen Organe (Niere!)
herausdrängen (Schatz). 9 ) In dieser Beziehung ist auch angestrengte
J ) Ilßn, Fall t. tranmat. Verletzung der link. Niere mit Ausgang in Ge¬
nesung und Bildung einer Wanderniere; Medic. Rundschau 1892. p. 833.
Pokrowsky, Materialien z. Pathologie der Wanderniere, St. Petersburg 1880.
*) Ixmdau, Die Wanderleber und der Hängebauch. Berlin 1886.
Rosenkranz, Berliner klin. Wochenschrift 1887. p. 414.
s ) Weisker, üb. den sog. intra-abdominal. Druck; Schmidt’sches Jahrbuch.
Bd. CCXIX, p. 227. — Hertxka, Wien, med. Presse 1876. Nr. 48.
tkhatx, üb. den intra-abdominalen Druck, im Arch. f. Gynäkolog. Bd. IV,
pag. 198, f. — Bd. V, p. 209. £., 418 f. — über intraabdom. Druck und die
wandernden Bauchoigane, Verhandlgn. d. deutsch. Ges. f. Geb. und Gyn. IV. Congress
zu Bonn 1892.
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Dr. Ludwig Knapp.
Icörperliche Arbeit, bei der der intrathoracale Druck durch längere
Zeit erhöht bleiben mnss, als 'wichtiges ätiologisches Moment für
die Entstehung von Nierendislocationen anzusprechen.
Weiterhin hat man Vergrösserungen des Volumens und Gewichtes
der Nieren (maligne Degeneration, Hydronephrose), sowie Geschwülste
der Nachbarorgane, ja selbst Verlagerungen letzterer für die Ent¬
stehung von Lageveränderungen der Niere verantwortlich gemacht
(Koprostase, Dilatation des Magens, Geschwülste der Leber u. s. w.).
(Freilich kann eine Wanderniere leichter als die fixirte zu
einer hydronephrotischen werden und haben auch umgekehrt Autoren,
die nicht selten gefundene Magendilatation 1 ) sowie die Koprostase
von dem primären Bestehen der Wanderniere abhängig erscheinen
lassen.)
Von grosser Bedeutung für die Erhaltung der Niere in
ihrer fixirten Lage ist die Configuration der Wirbelsäule *), hängt
ja von derselben zum Theil der intraabdominelle Druck ab (Schatz),
und zwar entspricht einer verstärkten Lordose der Lendenwirbel¬
säule, wie sie beispielsweise in der Gravidität vorkommt, ein höherer
intraabdominaler Druck (von 28 auf 50 cm. Wassersäulendruck).
Fälle von Wanderniere bei gleichzeitigen Abnormitäten der Wirbel¬
säule sind bekannt
Herczl 8 ) wollte in einem Falle von Wanderniere und gleich¬
zeitig bestehender hochgradiger skoliotischer Verkrümmung der
Wirbelsäule die Abhängigkeit der Nierendislocation von letzterer
allerdings nicht zugeben, zumal er auch dazu in der Literatur „kein
Analogon habe auffinden können“.
In der Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie, Bd, V.
p. 22 f. erwähnt Büter die Beobachtung eines lumbosacral kypho-
tischen, quer verengten Beckens mit Verlagerung der Niere (?) in
die Beckenhöhle; nach der dort gegebenen Beschreibung ist wol
nicht zu zweifeln, dass der in der Kreuzbeinhöhlung nachweisbare
Tumor die verlagerte Niere war.
*) Chapotot, L’eatomac et le coreet. Paris 1898.
*) ln Bezog anf diese, wie auf die möglicherweise bestehende Abhängig¬
keit der Nierendislocationen von abnormer Beckenneigong 'sind meine Unter-
snehnngen noch nicht abgeschlossen; für die Entstehung des Hängebaoches aber
ist die Bedeutung letzterer anerkannt. Ahlfeld, Lehrb. d. Geburtshilfe, Leipzig
1894, p. 867: „bei vergrösserter Beckenneigung senkt sich deT Leib mit dem
graviden Uterus vornüber und es entsteht ein Hängebauch“.
*) Hercxl, über die oper. Fixat. der Wanderniere, Wien. med. Wochenschr.
1898. p. 1686 f.
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen. 197
Lindner 1 ) hat gleichfalls zwei Fälle von Wandernieren bei
Kyphoskoliose gesehen.
Als ein bisher nicht gewürdigtes, pathologisches Moment ist
das von mir öfter beobachtete Emphysem (der Unterlappen) der
Lunge zu betrachten. Gerade hier finden wir ja die von Schatz
ausdrücklich hervorgehobene Abflachung und Verkleinerung der
.Zwerchfellskuppel am ausgesprochensten.
Nicht nur in jenen Fällen, wo sich demselben anderweitige,
pathologische Zustände, wie Cachexie (bei Tuberculose) oder Marasmus,
hinzugesellen, sondern auch dort, wo es uncompliciert besteht, führt
es manchmal durch Herabdrängen des Zwerchfelles (bekannt ist ja
dessen Tiefstand hiebei) zu Nierendislocationen.
Noch wahrscheinlicher wird diese Thatsache durch die Um¬
stände, dass einerseits nach Eichhorst •) bei dieser Erkrankung an
den Nieren sich Zeichen von venöser Stauung erkennen lassen,
wodurch die Niere nicht nur an Volumen, sondern auch an Gewicht
zunimmt, und anderseits der begleitende Bronchialkatarrh mit seinen
oft hartnäckigen Hustenparoxysmen sehr wol zur Lockerung der
Fixationsapparate der Niere beitragen kann. Kommen dazu noch
Resorption und Consumption des für die Befestigung der Niere
zweifellos wichtigen Kapselfettpolsters oder anderweitige Er¬
schlaffungszustände auf Grund begleitender marantischer Ver¬
änderungen, so ist die Wahrscheinlichkeit der Acquisition einer
Wanderniere besonders in höherem Alter eine ziemlich grosse.
Ein gleiches gälte möglicherweise von dem begleitenden
(vicariirenden) Emphysem der unteren Lungenpartien bei Phthise;
diesbezügliche Beobachtungen stehen mir nicht zu Gebote, wol aber
ist mir ein Fall rechtsseitiger Wanderniere nach Auftreten eines
pleuxitischen Exsudates 8 ) (auf tuberculöser Basis) im Verlaufe der
Resorption desselben bekannt
Da die Niere nach Landau 1 ) „mit ihrem obersten Dritteil, zu¬
weilen aber der oberen Hälfte noch oberhalb der untersten Grenze
*) Lindner, über d. Wanderniere der Frauen. Berlin 1888, p. 4.
*) Eichhorst, Handbuch d. spec. Pathologie u. Therapie, Lungenemphysem.
*) v. Brawn-Ztceifel, Gefrierdurchschnitte durch den Körper einer Hoch¬
schwangeren. 1890 p. 9. üb. d. Niere: „aus ihrer Beweglichkeit, die bei der sog.
Wanderniere einen hohen Grad erreichen kann, die auoh bei den Respirations¬
bewegungen und Dislocationen durch pleuritische Exsudate sich zeigt, ergibt
sich, dass sichere Befestigungsapparate für die Niere mangeln“.
Auch Luschka, Die Anatomie des menschl. Bauches. 1868. p. 291.
*) Landau, Die Wanderniere der Frauen. Berlin 1881.
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Dr. Ludwig Knapp.
des Pleurasackes liegt“, so ist es begreiflich, dass bei Ausfüllung
des letzteren durch ein Exsudat, auf die Niere ein allerdings gleich-
mässig, aber fortdauernd nach abwärts wirkender Druck ansgeübt
werde; bei der mit derartigen Affectionen einhergehenden Kräfte-
consumption hat eine späterhin auftretende Nierendislocation nichts
befremdendes an sich.
Alle jene Momente, welche zu einer raschen Abmagerung und
Schwächung des Gesammtorganismus führen , (fieberhafte acute und
chronische Erkrankungen, Cachexien aus irgend welchen Ursachen,
seniler Marasmus) können dazu „disponierte“ Nieren mobilisieren,
aber auch bis dahin „ latent“ bestandene Dislocationen nun erst
bei entsprechender Erschlaffung und Verdünnung der Bauchdecken
nachzuweisen ermöglichen.
Wir haben präklimacterische (pathologische) und klimacterische
ErscUaffungszustände zu unterscheiden; bei beiden können wir
häufig Wandernieren nachweisen. Wir sehen hierbei natürlich von
den durch allgemeine Krankheiten hervorgerufenen vollständig ab
und wollen nur die durch die verschiedenen Phasen des Geschlechts¬
lebens der Frau bedingten Veränderungen in den Spannungs- und
Elasticitätsverhältnissen der einzelnen Organe, sowie deren Ver¬
bindungs- und Festigungsmittel, die normaler Weise deren rich¬
tige Lage zu sichern bestimmt sind, in Betracht ziehen. Sehen
wir ab von der menstruellen Congestion, deren periodischer
Wiederkehr mit der Zeit ein erschlaffender Einfluss auch auf
die Nierenbefestigungsapparate seinerzeit von Bequet, Lanceraux
und Fourrier zugeschrieben wurde, und übergehen wir zu den
greifbaren, anatomisch und klinisch nachweisbaren Erschlaffungs¬
erscheinungen *), wie sie vor allem die Bauchwand der Frau post
partum darbietet, so finden wir in diesem so häufigen Erschlaffungs¬
zustande, den wir in seinem höchsten Grade als Hängebauch be¬
zeichnen, einen abnormen Zustand, der vor allem einen Factor, der
>) Krause u. Felsenreich, über Spannungsverh<nisse der Bauchhaut bei
Gravidität; Archiv f. Gyn. Bd. XV. p. 178 f.
Küstner, zur Anatomie der Graviditätsnarben; Virchow’s Archiv f. Anat.
u. Phys. Bd. VII. p. 210.
C. Langer , über die Textur der sog. Graviditätsnarben; Anzeig, der k. k.
Gesells chaft der Aerzte in Wien. 1879. Nr. 28.
C. Langer, Spannung der Catis; Sitzungsberichte der kais. Academie der
Wissenschaften Bd. XLV.
Prochoumtk , die Diastase der Bauchmuskeln im Wochenbett. Archiv fllr
Gyn. 1886. 27. pag. 419 f.
Hegar, Uber einige hochgradige Erschlaffungszustände der Beckenbauch¬
wand. D. med. Woch. 1884. Nr. 36.
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen.
199
die Niere in ihrer Lage za erhalten best imm t, ist, nämlich den
intraabdominalen Druck wesentlich ungünstig beeinflusst; es er¬
schlafft aber nicht nur die Bauchwand, auch das Peritoneum, 1 ) eines
der wichtigsten Fixationsmittel der Abdominalorgane, erfüllt seine
Aufgabe nicht mehr, die Gedärme sinken herab, es entwickelt sich
jener Zustand, den wir als Splanchnoptose (Glinard), in seinen All¬
gemeinerscheinungen als Enteroptose bezeichnen. Das Herabsinken
der Gedärme bei derartigen Erschlaffungszuständen, vor allem des
Colon transversum, wie dies von Virchow*) schon im Jahre 1853
angegeben wird, soll nun durch directen Zug(?) (Lesshaß) (Hender-
son) die rechte Niere dislociren können, ln solchen Fällen wäre
die Nephroptose als Theilerscheinung der Enteroptose aufzufassen.
Müssen wir auch zugeben, dass die Nephroptose wol seltener
für sich allein vorkommt, als gleichzeitig mit anderen Erschlaffungs¬
zuständen (der Bauchwand post partum, nach Ascites, post laparo-
tomiam), selbst der Genitalorgane (Descensus, Prolaps u. s. w.),
so können wir dem Satze Glenards, dass Nephroptose ohne gleich¬
zeitige Enteroptose nicht vorkomme, unbedingt nicht beistimmen, da
unsere Beobachtungen und Erfahrungen mit denen der meisten
(deutschen) Autoren übereinstimmend ergeben, dass Nierendislocationen
ohne irgendwelche andere nachweisbare Erschlaffungszustände gar
nicht selten nachgewiesen werden können.
Frauen , die nie geboren haben, deren Bauchdecken also voll¬
kommen suffident sind und ihren normalen Tonus bewahrt haben ,
können gerade so gut mit Wanderniere behaftet sein, als solche mit
ausserordentlich erschlafftem Abdomen keine Nierendislocalion nach-
weisen zu lassen brauchen; freilich ist bei ersteren deren Nachweis
oft ausserordentlich schwer, bisweilen erst in der Narcose möglich.
Unter einer Beobachtungszahl von 100 Fällen fand ich 17mal
reine uncomplicierte Wanderniere, meist jüngere Personen (die
älteste 30 Jahre alt) betreffend; darunter hatten 14 überhaupt
nicht geboren; bei den übrigen erwiesen sich nach dem Ergebnisse
der klinischen Untersuchung die Bauchdecken als vollkommen
sufficient.
Häufige und rasch aufeinanderfolgende Schwangerschaften,
unzweckmässig behandeltes Wochenbett, Ausserachtlassung der ein¬
fachsten hygienischen Grundsätze, gegen die gerade von Frauen so
*) Ewald, über Enteroptose und Wanderniere; Berliner klin. Wochenschrift.
1889. p. 977.
Wiedow, über Erschlaffung des Bauchfells; Archiv f. Gyn. 1888. 89. p. 606.
*) Vtrehow, Historisch-kritisches und positives zur Lehre von den Unterleibs-
affectionen. Archiv, Bd. V. p. 981 nnd 688 ff.
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Original frum
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Dr. Ludwig Knapp.
häufig theils aus Unwissenheit, theils ans Leichtsinn gefehlt wird,
(von dem schädlichen Einflüsse habitueller Obstipation haben wir
schon andeutungsweise gesprochen, nicht viel seltener dürfte die
Befriedigung des Bedürfnisses der Harnentleerung unnatürlich hinaas-
geschoben werden) 1 ), sind wol die häufigsten Ursachen der Er-
schlaffungszustände der Abdominalorgane in der Zeit des Geschlechts¬
lebens der Frau.
Dass mit den Rückbildungsvorgängen in und nach dem Klimax,
sei er nun der physiologische oder künstlich herbeigeführt, die
Elasticitäts- und Spannungsverhältnisse sämmtlicher Gewebe und
Organe eine bedeutende Herabsetzung erfahren, genüge hier erwähnt
worden zu sein. 9 ) Häufig wird das gleichzeitige Vorkommen von
Nieren-Dislocationen mit Erschlaflungszuständen der weiblichen
Genitalorgane, ja eine directe Abhängigkeit derselben von ein¬
ander betont
Finden wir noch gleichzeitig anderweitige Erschlaffungszu¬
stände wie z. B. Hängebauch, so sind die Nierendislocationen ebenso
wie die Genitalerschlaffungszustände zum Bilde des allgemeinen
Erschlaffungszustandes gehörig aufzufassen.
Inwieweit die einzelnen Erschlaffungszustände und Dislocationen
der weiblichen Genitalorgane ihren Einfluss auf die Mobilisierung
der Niere geltend machen können, darauf kann hier nicht ein-
gegangen werden; es möge der Hinweis auf den Umstand, dass
durch Erschlaffung des Beckenbodens Descensus und Prolaps, sowie
anderweitige Deviationen am Genitalapparate, vor allem des Uterus
hervorgerufen werden, woraus Lageveränderungen der Nachbar¬
organe and besonders der Blase 9 ) resultieren, genügen; auf dem
Wege der Uretheren nun lässt sich eine Fernwirkung derartiger
Zustände auf die Niere durch indirecten Zug an derselben (in dem
Sinne der Dislocation nach abwärts) erklären.
>) Ein Unicum dieser Art ist der Fall Fürst '«: Casnist. Beiträge zur
Kenntniss der Erkrankungen der Harnorgane beim Weibe; Archiv für Gyn.
Bd. XIV, p. 868 f.; es handelt sieb daselbst um die Complication einer rechts¬
seitigen Wanderniere durch Pyelitis, subacute Cystitis und Blasenllhmung, nach¬
dem die betreffende Frau aus „Schamgefühl* durch 10 Stundend) dem Bedürfnisse,
den Ham zu entleeren, nicht nachgegeben hatte.
*) Orede, Arch. f. Gyn. Bd. 84, p. 281 f., über eine zweckmässige Binde
für Frauen während der Menstruation und zur Stütze bei Scheiden- und Gebär¬
mutter-Vorfällen.
•) Billroth-Luecke, Handb. f. Frauenkrankheiten. Stuttgart 1886.
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Klinische Beobachtungen Über die Wanderniere bei Kranen. 201
Nur eines Umstandes will ich etwas ausführlicher gedenken,
n ämli ch des bis jetzt meines Wissens nicht beachteten so häufigen
Vorkommens von Nierendislocationen bei über den physiologischen Grad
hinausgehender Anteflexion des (vergrösserten) TJtems. Die That-
sache, dass bei ausgesprochener Anteflexion und Anteversion des
Uterus Wanderniere häufiger zu finden ist, als bei der Retroflexion
dieses Organes, für welch’ letztere ein Causalverhältniss zu den
Dislocationen der Niere ausdrücklich betont wird, darf uns bei
dem überwiegenden (physiologischen) Vorkommen der Anteflexions-
stellung des Uterus nicht verwundern; ich will daher ausdrücklich
hervorheben, dass ich der über das physiologische Mass gesteigerten
Anteversion, bezw. Anteflexion 1 ) allein, besonders aber dieser bei
gleichzeitiger Vergrösserung des Uterus *) eine grosse Bedeutung für
das Zustandekommen von Nierendislocationen zuzuerkennen geneigt
bin. In der Literatur finde ich wol in einem Falle Landaüs
ausdrücklich „hochgradige Anteflexion des Uterus“, in lürst's
bereits citirtem Falle die Bemerkung: „seine Stellung (sc. des Uterus)
war normal, insbesondere nicht retroflectiert“; ein directer Hinweis
darauf dass gerade übernormale Anteversion (Anteflexion) des
Uterus in ätiologischer Beziehung zu Nierendislocationen zu bringen
sei, findet sich aber nirgends.
Ich glaube sowol aus anatomischen als auch physiologischen
Gründen die Behauptung aufstellen zu können, dass gerade die
Anteflexion des Uterus weit ungezwungener mit Nierendislocationen
in Zusammenhang gebrockt werden kann , als die Retroflexion.
Der normal anteflectierte Uterus übt stets einen Druck auf
den Scheitel der gefüllten Blase aus. 8 ) Weicht die Blase dem auf
sie einwirkenden Drucke aus, so findet eine Zerrung der Uretheren
und des mit denselben in Verbindung stehenden Peritoneums statt;
^ Eine solche tritt schon während jeder Menstruation ein (Picard), Hueter,
Flexionen des Uterus, Marburg 1870.
*) Eine solche besteht auch in den ersten Tagen des Wochenbettes; vgl.
Kleinwächter, Geburtshilfe: „auch die ersten Tage nach Verlassen des Bettes
findet man den Uterus in Folge seines grösseren Gewichtes und der Schlaffheit
seiner Bänder stärker nach vorne flectiert, als in der Norm*. Aehnlich äussera
sich auch alle anderen Autoren in geburtsh. Lehr- n. Handbüchern, so Schröder,
Lehrb. d. Geburtsh. 1877, § 98: „Die normale Anteflexion nimmt beim schwangeren
Uterus zu — ... ebenso beim puerperalen Uterus u u. § 512 „Die Anteflerio
uteri ist bis zu einem gewissen Grade normal und die vorhandene normale
wird, wenn bei Eintritt der Gravidität der Körper schwerer wird, regelmässig
vermehrt*.
*) Luschka , Topografie der Harnleiter des Weibes. Arch. f. Gyn. Bd. III. H. 8
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202
Dr. Ludwig Knapp.
ist nun gar der Uterus vergrössert und schwerer 1 ) (erste Monate
der Gravidität, Metritis, Myome und im Wochenbette, wobei ausser¬
dem nach Börner, Schröder u. a. in einem Drittel aller Fälle die
vermehrte Anteflexion der Gebärmutter mit ausgesprochener Ante-
version derselben combiniert erscheint)*), so ist der auf der Blase
lastende Druck und somit der auf die Uretheren und durch diese
auf die Nieren ausgeübte Zug ein stärkerer, woraus sich eine
Lockerung des Suspensions- und Fixationsapparates der Nieren
ohne weiters ergibt") Dass dieser Zug thatsächlich besteht, braucht
wohl keines Beweises. 4 )
Unter 100 Fällen eigener Beobachtung fand ich den Uterus
85 mal, darunter 9 mal hochgradig anteflectiert, 2 mal durch Gravidität
in den ersten Monaten, 3 mal durch Myome und 13 mal durch Metritis
vergrössert, die übrigen Male in physiologischer Anteflexion.
Die hierbei häufig gefundene Cystocele •) spricht wohl für die
eben aufgestellte Annahme der Verursachung von Dislocationen der
Niere bei über das physiologische Mass gesteigerter oder normaler
Anteflexion des vergrösserten Uterus.
Dass auch aus anderweitigen Ursachen hervorgerufene Dis-
*) Bei jeder Menstruation ist dies ja zweifellos der Fall, es findet sich nach
Piceord (Hueter „Die Flexionen des Uterns, Marburg 1870) zur Zeit jeder
Menstruation eine .vermehrte Vorwärtsbeugung des Uterus statt, eine mit der
Thatsache der Verschlimmerung der meisten Symptome von Seite der Wander¬
niere zur Zeit der Periode sehr gut in Einklang zu bringende Beobachtung.*
*) Amann, Klin. d. Wochenbetterkrankungen, p. 7.
*) Sänger, über Tastung der Harnleiter beim Weibe. Archiv ftlr Gyn.
Bd. XXVUL Heft 1. p. 64 f. „bei Vorfall und Cystocele muss die Harnleiter¬
mündung mit nach vorne und unten gezogen werden“. — Pawlik, Uber Harn¬
leitersondierung b. Weibe u. ihre practische Verwendung in Langenbecka Arch.
Bd. XXXITT. H. 8.
4 ) Bonneau, über Compression der Uretheren durch den graviden Uterus
u. s. w. These de Paris 1888. Steinheil.
s ) Winckel, die Pathologie der weiblichen Sexualorgane, Leipzig 1881
Uber Cystocele: „es versteht sich von selbst, dass neben der Dislocation der
Blase in manchen Fällen beide Uretheren einer mehr minder starken Zerrung
ausgesetzt sind, da der in der Cystocele befindliceh Theil der Blase ja gerade
das Trigonum Lieutaudii enthält“.
Das cystoskopisohe Bild zeigt stets, sowohl in der Schwangerschaft, als auch
bei Myomen des Uterus, welche an dessen vord. Wand sitzen, Verengerung der
Uretherenmfindung. 8iehe Centr. f. Gyn. 1896. Nr. 21. p. 578.
Hercxel 1 . c., „dahin gehören jene Fälle, wo Lageveränderungen der
Genitalien einen directen Zug auf Uretheren und Peritoneum ausUben und dadurch
das Entstehen der Wanderniere fördern sollen.“
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen.
203
locationen der Blase konsecutiv solche der Niere im Gefolge haben
können, ist einleuchtend.
G. Garson *) machte seiner Zeit nach Hyrtl interessante und
praktisch verwerthbare Mittheilungen über die Lageveränderung
der Harnblase bei Ausdehnung des Mastdarmes; somit würden wir
einen neuen durch habituelle Obstipation herbeigeführten Factor für
Nierendislocationen gegeben haben; insbesondere möchte ich, wie
eben von der Cysto-, von der Rectocele und somit von den Er¬
schlaffungszuständen der Scheide insgesammt behaupten, dass sie zu
den Dislocationen der Niere zweifellos in ätiologischer Beziehung
stehen.
Damit kommen wir aber auch auf die Erschlaffungszustände
des Beckenbodens zu sprechen, welche ja in der Regel die eben ge¬
nannten Erschlaffungszustände der Scheide veranlassen.
In dieser Hinsicht haben wir in der Schwangerschaft *) ein
Moment zu suchen, das für das Zustandekommen von Nieren¬
dislocationen eine Rolle spielen kann.
An die Erschlaffungszustände der weiblichen Sexualorgane
möchte ich die entzündlichen Processe, resp. die Residuen derselben
reihen, insofern diese mit der Wanderniere in Verbindung gebracht
werden können. Perimetritische Adhäsionen, sowie parametritische
Schwielenbildungen dürften wol häufiger, als man dies bisher an¬
genommen hat, Dislocationen der der Seite ihres Sitzes angehörigen
Niere verursachen.
Ich verfüge über eine ganze Reihe derartiger Beobachtungen,
von denen ich nur einen Fall, weil die seltenere Verlagerung der
linken Niere betreffend, erwähne; es handelte sich hierbei um eine
42 jährige Frau, welche sechs Mal geboren hatte und bei ihrer
AuJfhahme auf die Klinik an einer subacuten linksseitigen Para-
metritis litt; das linke Parametrium erschien herabgedrängt, teigig
weich infiltriert, der Uterus in diesem Falle retroflectiert, die linke
Niere war descendiert; ich glaube den Descensus der linken Niere
hier durch die linksseitige Parametritis und deren entschiedene
Beeinflussung der Verlaufsrichtung des Urethers dieser Seite be¬
dingt auffassen zu dürfen.
Noch erklärlicher erscheint der Einfluss späterhin sich ver-
*) Qaraon, s. Aroh. f. Anat. u. Physiol. 1878 (cit. bei Hyrtl, Lehrb. d. Anat.
des Menschen § 296).
*) Gegen deren Ende zu drückt ausserdem der vorliegende Kopf mehr minder
beständig auf die Harnleiter, welche man über denselben gespannt verlaufend
bei den meisten Schwangeren von der Scheide aus nachweisen kann. (Sänger,
Arch. f. Gyn. Bd. XXVÜJL H. 1.
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204
Br. Ludwig Knapp.
kürzender Bindegewebsstränge oder straffe Einbettung der Ure-
theren in Carcinommassen auf die Verlaufsrichtung derselben und auf
die Lage der Niere; bei der die genannten Erkrankungen stets be¬
gleitenden allgemeinen Gewebserschlaffung erscheint die Mobilisierung
der Nieren um so begreiflicher.
Sänger 1 ) äussert sich diesbezüglich folgendennassen: „die
stärksten Lageveränderungen der Harnleiter kommen offenbar bei
Schwangeren vor und hier wieder bei einseitiger Ausdehnung des
Scheidengewölbes, ferner bei parametralen Schrumpfungsvorgängen,
wenn das Collum stark an die Seite herübergezogen wurde."
Endlich hat man von jeher das Mieder für eine ganze Reihe
pathologischer, klinisch und anatomisch nachweisbarer Organ- und
Lageveränderungen verantwortlich gemacht (Schnür-, Wander¬
leber, besser Drehleber nach Landau , Magendilatation [ChapototJJ,
so auch für die Dislocationen 2 ) der Niere.
Wir können diesen Standpunkt nicht unbedingt theilen und
müssen uns trotz der immer auch in neuester Zeit 8 ) gegen das
Mieder erhobenen Vorwürfe der schon seiner Zeit von Landau ver¬
tretenen Ansicht, dass dasselbe, entsprechend construiert, geradezu
ein Schutemittel gegen derartige Dislocationen sei, anschliessen.
Es handelt sich nun darum, zu bestimmen, welche Construction
des Mieders wir für die zweckmässigste halten — es gibt deren
nur eine.
Nur jenes Mieder, welches seinen Stützpunkt am Darmbein¬
kamme findet, erfüllt die sonst an dasselbe gestellten An¬
forderungen, ohne zur Dislocation der Abdominalorgane beizu¬
tragen, ja gewährt im Gegentheile einen gewissen Schutz gegen
dieselbe.
Dadurch, dass das Mieder an dem knöchernen Ringe seine
Stütze und seinen Halt findet, entfällt einerseits die Nothwendig-
keit seiner Fixierung durch allzu starkes „Schnüren" und wird
anderseits eine Componente gewonnen, die in ihrer Kraftrichtung
geradezu die erschlafften Bauchorgane in ihre normale Lage zurück¬
zudrängen im Stande ist.
Zeichnungen mögen die Wirkungsweise der Mieder (Schnür¬
leibchen) älterer unzweckmässiger Construction, sowie die ent-
*) Sänger , 1. c.
*) Hertz, Abnormitäten in der Lage nnd Form der Bauchorgane bei dem
erwachsenen Weibe eine Folge des SchnOrens und H&ngebauches. — Pathol.
anat. Untersuch. Berlin 1894.
*) Küster auf dem letzten Chirurgen-Congress in Berlin s. D. med. W.
1895. Nr. 29.
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen.
205
sprechend constroierter auf die Lage der Baachorgane kürzer
and verständlicher, als es durch eine blosse Beschreibung möglich
wäre, darstellen (siehe Fig. II und DI).
Beide Arten von Miedern ergeben, wie wir aas den Zeichnungen
Fig. IV und V ersehen, ganz entgegengesetzte Resultierende ihrer
einzelnen Kraftrichtungen.
Im Punkte M haben wir uns dieselbe in Fig. IV und V das
eine Mal in günstigem Sinne (Fig. DI und V), das andere Mal
in unerwünschter Weide in Bezug auf die Lagerung der Ab¬
dominalorgane angreifend zu denken. Die nach hinten und auf¬
wärts gerichtete Kraßwirkung in Fig. DI und V suchen wir,
wie wir bei Besprechung der Therapie hören werden, gerade zu
erzeugen, um entweder Dislocationen der Banchorgane vorzubeugen
oder bereits erfolgte möglichst zurückzuhalten.
Die nach abwärts wirkende Resultierende ist aber unbedingt auszi*-
schalten, da sie Lageveränderungen der Bauchorgane nur begünstigt,
beziehungsweise zur Vergrösserung bereits vorhandener Dislocationen
beizutragen geeignet ist 1 ).
Das bis an die Symphyse herabreichende Mieder stützt ausserdem
die vordere Bauchwand und tritt in vielen Fällen für dieselbe, wo
sie insufficient geworden, ein.
Aus der verschiedenen Art, resp. der Zweckmässigkeit oder
Unzweckmässigkeit in der Construction der Mieder dürften sich
wol die differenten Ansichten über dasselbe erklären lassen.
Es hat sich bereits eine Literatur für und gegen das Mieder
angehäuft; wir können auf eine Besprechung dieser Frage hier
nicht eingehen, betonen aber nochmals, dass ein gut construiertes
Mieder keineswegs beschuldigt werden könne, Organdislocationen
zu verursachen, wie man das ja auch nicht in jedem Falle unzweck¬
mässiger Construction nachweisen kann. Viele Frauen tragen
schlechte Mieder und haben doch keine Wanderniere, andere wieder
haben überhaupt nie eines getragen und leiden an Dislocationen
ihrer Bauchorgane.
Unter einer allerdings kleinen daraufhin beobachteten Zahl
von 10 Fällen fand ich Wanderniere bei Frauen, welche nie ein
Mieder getragen hatten, viermal, bei solchen mit unzweckmässig
construierten Miedern sechsmal.
Um am Schlüsse der Besprechung der Aetiologie nur ein
Beispiel zu geben, wie weit man in dem Bestreben gegangen ist,
die oft unklaren Gründe für das Auftreten von Nierendislocationen
*) Vgl. D. med. W. 1895. 29. p. 124.
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206
Dr. Ludwig Knapp.
aufzudecken, erwähne ich Koranyi’s 1 ) Ansicht, dass durch das Tragen
„hoher Stöckel“ (!) bei Frauen, durch „Vermehrung der physio¬
logischen Krümmung der Wirbelsäule“, Wanderniere veranlasst
werden könne.
Wir haben noch lange nicht alle für die Aetiologie der Wander¬
niere im Laufe der Zeiten verantwortlich gemachten Momente und
die angeführten nur in Kürze kennen gelernt; damit haben wir
aber schon eine so grosse Reihe von Möglichkeiten für die Ent¬
stehung von Nierendislocationen genannt, dass man sich fast wundern
muss, dass nicht jede Frau im späteren Alter, wo sich meist mehrere
der besprochenen Momente summieren und complicieren, an Wander¬
nieren leide; die Wanderniere ist aber auch, um es nochmals zu be¬
tonen, kein seltenes Leiden.
Die Anführung so zahlreicher mehr oder minder als ätiologisch
bedeutungsvoll aufzufassender Faktoren, möge die Anamnese auf die
Hauptpunkte der Fragestellung nach vorausgegangenen Schädlich¬
keiten lenken, die für die Aetiologie der Wanderniere von Belang
sein könnten, und so durch den Nachweis und die eingehende Be¬
rücksichtigung aller jener Momente, welche für die Entstehung
von Nierendislocationen gelegentlich massgebend werden können,
dieselben möglichst frühzeitig zu erkennen und sachgemässer Be¬
handlung zuzufuhren beitragen!
Zur Symptomatologie der Wanderniere,
Weit schwieriger noch als in gedrängter Form das Wichtigste
über Beobachtungen betreffs der Aetiologie der Wanderniere wieder¬
zugeben, ist es, das Gewirre der symptomatischen Erscheinungen,
wie wir es bei genannter Affection antreffen, möglichst klar und
nach gewissen Uebersichtsgroppen zerlegt, in den engen Rahmen
vorliegender Arbeit unterzubringen.
Wir wollen versuchen, die Symptomatologie der Wanderniere,
ohne bereits Bekanntes ausdrücklich hervorzuheben, in erster Linie
nach eigenen Beobachtungen abzuhandeln.
Bei der Häufigkeit, mit der Nierendislocationen durch ander¬
weitige Affectionen compliciert Vorkommen, ist es meist ausser¬
ordentlich schwierig, die ersteren allein zuzuschreibenden Symptome
aus dem Krankheitsbilde herauszufinden. Fälle von „reiner Wander¬
niere“ sind aber selten; so müssen wir uns bemühen, möglichst
objectiv an der Hand der Erfahrungen, die wir eben bei Fällen
einfacher, uncomplicierter Nierendislocationen gewonnen haben und
') Koranyi, „Der Einfluss der Kleider auf die Entstehung der Wanderniere
der Frauen*. Berlin, klin. Woch. 1890. Nr. 31.
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Klinische Beobachtungen Ober die Wanderniere bei Frauen.
207
in Berücksichtigung der am häufigsten durch die jeweiligen be¬
gleitenden Affectionen ausgelösten Symptome jene der Wanderniere
zukommenden zu erkennen und als solche hinzustellen.
Nierendislocationen auch höheren und höchsten Grades können
jahrelang ja zeitlebens vollkommen symptomlos bestehen; sie sind
daher oft ein zufälliger Befund bei aus irgend welchen Gründen
angestellten Untersuchungen. Der Nachweis, dass eine Dislocation
der Niere vorhanden ist, ist aber das eineige objective und als
solches wichtigste Symptom der uns beschäftigenden Störung.
Es muss gelingen, die Niere als solche an abnormer Stelle
nachzuweisen; dies geschieht nach den Graden ihrer Dislocationen
auf verschiedene Weise; so in den leichteren und manchen hoch¬
gradigen Fällen meist durch die Palpation von den Bauchdecken
(bimanuelle Abtastung der Nierengegend), bisweilen jedoch nur durch
dieselbe von dem Scheidengewölbe oder dem Rectum aus.
Wir theilen am zweckmässigsten die durch Wanderniere her¬
vorgerufenen Beschwerden in grosse Gruppen ein und wollen zu
allererst die Störungen des Allgemeinbefindens besprechen.
Hier begegnen uns Klagen mannigfachster und wechselnder
Art: ausgesprochenes Krankheitsgefühl ohne besondere Localisation
auf ein bestimmtes Organ, deprimierte Stimmung, allgemeines Un¬
behagen, Gereiztheit, Schwächegefühl, vor allem abnorme Sensationen
im Unterleibe, welch’ letztere Ziemssen 1 ) als „dunkle Unterleibs¬
störungen“ besonders hervorhebt; ferner klagen manche Patientinnen
über ausgesprochene neurasthenische oder hysterische Symptome,
Angstgefühle, Beklemmung, Schwindel, Schlaflosigkeit.
Bei Wandernieren finden wir häufiger reflectorisch hervor¬
gerufene, functionelle, als anatomisch nachweisbare Abnormitäten
des Verdauungsapparates; von denselben soll in einem besonderen
Abschnitte kurz die Rede sein.
Am häufigsten begegnen wir Klagen, wie wir sie bei den
sogenannten „nervösen Magenleiden“ zu hören gewohnt sind. Viele
Frauen geben direct Schmerzen von wechselnder Häufigkeit und
Intensität in der Magengegend an; dieselben können einen ganz
ungewöhnlich hohen Grad erreichen, weshalb man sie mit den
bekannten Schmerzparoxysmen bei Tabes dorsalis verglichen und
in Analogie zu deren Bezeichnung, crises gastriques genannt hat.
l ) Ziemssen, Handbuch der speciellen Path. und Therap. Bd. IX, p. 804:
„Manche Fälle langdauernder Leibschmerzen und unerklärter dunkler Unterleib-
Störungen rühren davon her (sc. von Wanderniere) und werden übersehen, sobald
es nicht zu einer objectiven Untersuchung kommt.*
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208
Dr. Ludwig Knapp.
«
Mathieu J ) vergleicht sie weiterhin mit Schmerzanfällen bei
der Hysterie, innerer Einklemmung oder Vergiftungen. Zeitweise
schliessen die Anfälle mit Erbrechen ab nnd sind von solcher
Heftigkeit, dass die Frauen dabei ohnmächtig werden.*)
Die Zeit, wann die Schmerzen anftreten, wechselt sehr; häufig
stellen sich dieselben morgens oder überhaupt bei nüchternem
Magen ein, zeitweise beginnen sie, wie bei anatomischen Er¬
krankungen des Magens, nach der Nahrungsaufnahme; bald bestehen
sie continuierlich, bald sind sie periodisch, meist znr Zeit der
Menstruation exacerbierend, (Mathieu 9 ) n. a.), von verschiedenstem
Charakter, bald bohrend, bald stechend, bald drückend, mit dem
Uebergange in jene Sensationen, die wir als Gefühl der Völle,
dumpfes Druckgefühl und Schwere in der Magengegend bezeichnen.
Man wird stets gut thun, Frauen mit Klagen über Magenbeschwerden
mit allen uns von der Wissenschaft zn Gebote stehenden diagnostischen
Hilfsmitteln zn untersuchen, nm möglichst frühzeitig organische
Erkrankungen als solche zn erkennen; freilich ist deren Erkennung
im Beginne oft sehr schwierig, ja zuweilen unmöglich.
Es wären in differential-diagnostischer Beziehung hier die
verschiedensten Affectionen des Verdauungsapparates zu berück¬
sichtigen, unter diesen vor allem das ulcus ventriculi; aber gerade
von diesem Leiden sagt Ewald 1 ): „die ersten Stadien äussern sich
in jenem Zustande des Unbehagens, der dunklen Druckempfindung,
vorübergehenden, ziehenden Schmerzen und damit verbundenen
Störungen des Appetits, die man im Beginne so vieler Magen¬
erkrankungen findet", — Symptome, die wir sämmtlich auch bei
Wanderniere finden.
Im allgemeinen haben die Magenbeschwerden, über welche von
den an Wanderniere leidenden Frauen geklagt wird, den Charakter
der (fiinctionellen) nervösen Affectionen, wie wir sie unter dem
Begriffe der Gastralgie oder Gastrodynie zusammenfassen.
*) Mathieu, La semaine medicale 1898, p. 181 vergleicht daselbt die crises
douloureuses (gastriques) denen bei „tabes dorsal, grossesse, l’hysterie, nn etrang-
lement interne, nn empoisonement“
Genannter Antor stellte 306 Fälle von Wanderniere zusammen, bei denen
sich gleichzeitig schwere Dyspepsie fand.
*) Derartige schwere Fälle konnten wir, wenngleich nur in geringer Zahl,
öfters beobachten nnd gaben intelligentere Patientinnen an, zeitweise von so
unerträglichem Schmerz im Unterleib gepeinigt zn werden, dass ihnen die Sinne
vergiengen.
*) loc. cit „Les crises donlonrenses, dnrant parfoia plusieure jonrs ooinci-
daient avec les regles.“
*) Ewald , Klinik der Verdauungskrankheiten, 2, 18. Berlin 1888.
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen. 209
Ihr Appetit ist oft „launisch“, Blähungen, Aufstossen wechseln
mit schmerzhaften Empfindungen unbestimmter Art, bald in der
Magengegend selbst, bald in entfernteren Organen, es bestehen
schmerzhafte Druckpunkte. „Der Verdauungschemismus erweist
sich in der Regel als nicht wesentlich alteriert, es kann epigastrische
Pulsation nachgewiesen und von den Frauen oft sehr unangenehm
empfunden werden, Blutbrechen fehlt, die Zeit und Art des Er¬
brechens ist verschieden, letztere gewöhnlich eine leichte, Temperatur¬
steigerungen fehlen, fast immer bestehen gleichzeitige Störungen
von Seiten des Darmtractus, in der Regel sich als habituelle
Obstipation manifestierend“ 1 .)
Nicht zu vergessen ist, dass bei vielen Frauen nervöse Magen-
affectionen von Genitalerkrankungen abhängen s ); Lindner •) aller¬
dings schreibt der Wanderniere für deren Entstehung die grössere
Rolle zu, indem er sagt: „ich glaube nicht zu weit zu gehen, wenn
ich den Satz aufstelle, dass der grösste Theil der Magenstörungen
und ein sehr grosser Theil der habituellen Verstopfungen bei Frauen
des jüngeren und mittleren Lebensalters vor den Jahren der bös¬
artigen Neoplasmen auf rechtsseitiger Wanderniere beruht“.
Der Grad der dyspeptischen Beschwerden hängt keineswegs
von dem Grade der Nierendislocationen ab; Frauen. mit erst be¬
ginnenden und unbedeutenden Lageveränderungen der Nieren klagten
häufig weit mehr und über höhere Grade von Verdauungsbeschwerden
als solche, bei denen dieselben hochgradig ausgesprochen waren. 4 )
So vermisste ich bei einer Frau mit doppelseitiger Wanderniere
II. Grades, ebenso wie bei zwei Frauen mit solcher rechtsseitiger
HI. Grades jegliche Angabe über Störungen im Bereiche des Ver¬
dauungsapparates trotz ausdrücklicher Erkundigungen bezüglich
der Verhältnisse desselben.
Als häufigste dyspeptische Beschwerden wurden angegeben:
*) Ewald, 1. c.
*) Iheilhaber , Beziehungen gastro-intestinaler Affectionen za den Er¬
krankungen der weiblichen Sexaalorgane. Archiv für Gynaek. 1894. 46,
p. 374 f. — Frank, Ueber den Zusammenhang der Genitalaffectionen der Frau
and Magenbeschwerden, Archiv für Gyn. XLV, p. 118 t — Stiller, Die nervösen
Magenkrankheiten, Stattgart 1884.
*) Lindtier, Ueber die Wanderniere der Frauen. Berlin, 1888. — Ilegar,
Der Zusammenhang der Geschlechtskrankheiten mit nervösen Leiden. Stuttgart
1886. — Engelhardt, Zur Genese der nervösen Symptomenkomplexe bei anatom.
Veränderungen in den Sexualorganen. Stuttgart 1886.
4 ) Malhittu, La semaine medicale 1898, p. 667. „L'in tensite des accidents
dyspeptiques n’est pas forcement eu proposition du degre de deplacement du
rein.“
Zeitschrift für Heilkunde. XVII.
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14
Original fram
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210
Dr. Ludwig Knapp.
Appetitmangel, Druckgefühl, Gefühl von Völle und Schwere in
der Magengegend, insbesondere nach der Nahrungsaufnahme, schlech¬
ter Geschmack im Munde, 1 ) vermehrter Durst, Aufstossen, Uebel-
keiten, Erbrechen, Unregelmässigkeiten des Stuhlganges, Meteoris¬
mus; sämmtlich Beschwerden, welche bei allen Formen von Dyspepsie
bald vereinzelt, bald combiniert vorzukommen pflegen; das Gleiche
gilt von denselben allgemeinerer Art, wie der die Dyspepsie häufig
begleitenden Gemütsverstimmung, Abgeschlagenheit, Schlaflosigkeit,
endlich den sie begleitenden nervösen Störungen (Kopfschmerzen
u. s. w.). Litten 8 ) hat dieselben bekanntlich als Effect einer Selbst-
intoxication durch Aethyldiacetsäure zu erklären gesucht
Bei dem Umstande, dass bei Frauen chron. Obstipation über¬
haupt sehr häufig angetroffen. wird, darf deren häufig beobachtetes
Zusammentreffen mit anderen bei Wanderniere vorkommenden
Symptomen nicht befremden.
In vielen Fällen sind die angegebenen Beschwerden geradezu
als Folgeerscheinungen derselben aufzufassen; freilich kann habituelle
Obstipation selbst wieder nur ein einzelnes Symptom der Wander¬
niere darstellen. Icterus 8 ) hatte ich im Gefolge von Nierendislocation
niemals zu beobachten Gelegenheit; die zur Verfügung stehenden
anamnestisch^n Angaben erwähnen nichts über früheres Bestehen
eines solchen, wenngleich unter meinen Fällen sich auch mit Leber-
dislocationen combinierte Nierendislocationen befinden.
Weisker nimmt bei Wanderniere eine „chronische Gallenstauung“
an, deren Zustandekommen er anatomisch zu beweisen sucht; es
braucht keineswegs Icterus aufzutreten und doch kann infolge der
vorhandenen „Gallenstauung“ 4 ) zu viel derselben zurückgehalten
und zu wenig an den Darmcanal abgegeben werden; berücksichtigt
man die wichtige Rolle, welche der Galle beim Ablaufe des Ver-
*) Häufig von Foetor ex ore begleitet, welch’ letzteren Lindner als patho-
gnomonisches Symptom bezeichnet — Nach Leo, Diagnostik der Krankheiten des
Verdannngstractes, Bonn 1890, fehlt derselbe aber gewöhnlich bei nervösen
Magenaffectionen.
*) JAtten, Eigenartiger Symptomencomplex bei dyspept Zuständen. Zeit¬
schrift für klin. Med., Bd. 7, S. 81 cit. bei Boas, Allg. Diagnostik und
Therap. der Magenbeschw.
3 ) Auch Hertz (1. c.) constatiert als Ausdruck erschwerten Gallenabflusses
boi Dislocation der Unterleibsorgane chronische Erweiterung der Gallenblase.
*) Litten, Zur Pathogenese des Icterus, Charite-Annalen 1880.
Stiller, Wanderniere und Icterus. Berl. klin. Wochenschrift 1880, p. 543 f.
Rädel, Ueber Beziehung der rechtsseitigen Wanderniere zum Magen und
den Gallenwegen, Tübingen 1890.
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Klinische Beobachtungen Uber die Wanderniere bei Frauen.
211
dauungschemismos zukommt, so erscheint eine ganze Reihe von
Störungen, sobald ihre Secretion eine unzureichende ist, erklärlich.
Die Galle wirkt nicht nur antizymotisch, sie regt auch direct
die Darmperistaltik an; erfüllt sie aber diese Aufgaben in unzu¬
reichendem Maasse, so ist leicht einzusehen, dass einerseits abnorme
Zersetzungsvorgänge 1 ) im Darme auftreten können, andererseits
die darniederliegende Peristaltik zu Obstipation») fuhren müsse;
hieraus möchte ich aber eine ganze Reihe der bei Wanderniere zu
findenden dyspeptischen Beschwerden erklären.
An Häufigkeit reihen sich an die Klagen über Beschwerden
von Seite des Verdauungsapparates solche über unangenehme Em¬
pfindungen bis zu ausgesprochenen Schmerzen in den verschiedensten
Körpergegenden.
Von einzelnen Frauen wird geradezu das Gefühl abnormer
Beweglichkeit der Niere, welches besonders bei Lagewechsel sehr
unangenehm empfunden wird, angegeben. Nicht selten machten
Frauen die Angabe, beim Gehen, im Augenblicke des Aufsetzens
des der Seite der Nierendislocation entsprechenden Beines bald in
die Lendengegend, bald entlang der Rippenbogen dieser Seite hin¬
ziehende, gegen den Fuss zu ausstrahlende Schmerzen zu verspüren;
häufig beobachtete ich auch, dass, während das Hinaufgehen über
eine Stiege anstandslos erfolgte, die Frauen beim Abwärtsgehen
über eine solche heftige Schmerzen verspürten.
Mehrere Frauen gaben an, nur auf einer (meist der Dislocation
nicht entsprechenden) Seite liegen zu können 8 ); sobald sie sich im
Schlafe umdrehten, würden sie durch ausgesprochene Schmerz¬
empfindungen aus demselben geweckt. Die verlagerte Niere kann
selbst der Ort sein, wohin die schmerzhafte Empfindung verlegt
wird, d. h. die Niere selbst kann empfindlich sein; weit häufiger scheinen
jedoch ausstrahlende, in entfernte Körperregionen localisierte
Schmerzen vorzukommen. Was die Empfindungen in den verlagerten
Nieren betrifft, so können solche zeitweise spontan auftreten; Pal¬
pation einer sonst unempfindlichen Niere erzeugt meist keinerlei
unangenehme Empfindung; in mehreren Fällen jedoch, wo solche
auch zeitweise von selbst auftraten, war das Betasten der unter dem
Rippenbogen nachweisbaren Niere sehr schmerzhaft.
Die wenigen Patientinnen, welche überhaupt Kenntnis von
dem Bestehen ihrer Wanderniere besitzen, klagen meist nur über
die unangenehme Empfindung eines beweglichen Körpers im Unter-
’) Litten, 1. c.
*) Ewald, 1. c.
*) Vergl. auch Ktätner, Berl. klin. Wochenschr. 1892, p. 366.
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Dr. Ludwig Knapp.
leibe, wenige über dumpfen Schmerz im verlagerten Organe, welcher
jedoch eine derartige Intensität erreichen kann, dass auf Grand
seines Charakters und seiner Localisation eine Verwechslung mit
Gallensteinkolik möglich wird. 1 ) Nicht selten gaben Frauen an,
nach Aussage der zu Rathe gezogenen Aerzte an Gallensteinen
zu leiden; die vorgenommene Untersuchung ergab Wanderniere.
Schmerzanfälle solcher Intensität, wie Berger *) in einem Falle
constatierte, beobachteten wir nicht, doch waren die durch Wander¬
nieren ausgelösten Schmerzen oft so hochgradig und häufig wieder¬
kehrend, dass die Frauen vollkommen arbeitsunfähig wurden.
Die sogenannten ausstrahlenden Schmerzen finden sich meist in
der der Nierendislocation entsprechenden Seite und zeigen in Bezug
auf Häufigkeit ihres Vorkommens und Grad ihrer Stärke sehr ver¬
schiedenes Verhalten. — Dieselben werden zumeist als ziehend be¬
zeichnet und nehmen ihren Ausgangspunkt entweder von der ver¬
lagerten Niere selbst oder von der Lendengegend oder vom Kreuze;
sie streichen nach auf- und abwärts („in die Brüste“, Extremitäten),
zeitweise gegen die Mittellinie, um sich nicht selten in Schmerz¬
punkten (häufig in der Nabelgegend) zu verlieren. Eine keines¬
wegs seltene Beobachtung ist das Auftreten konsensueUer Schmerz¬
empfindungen ; häufig wurden solche in der nicht verlagerten Niere
angegeben, dementsprechend auch ausstrahlende Schmerzen in die
dem Sitze der Nierendislocation entgegengesetzte Seite; wo die
Wanderniere atrophisch nachgewiesen werden kann, stösst die Er¬
klärung des Auftretens von Schmerzempfindung in der normal ge¬
lagerten Niere in Analogie ähnlicher Vorgänge an anderen paarigen
Organen auf keine Schwierigkeiten 8 ); es handelt sich dabei nämlich
immer um Hypertrophie des gesunden, wobei schon durch die
stärkere Ausdehnung der Kapsel Schmerzen ausgelöst werden
können.
Am häufigsten beruhen die ausstrahlenden Schmerzen auf
direkter, mechanischer Irritation (Druck oder Zug) von Nerven-
stämmen (meist der aus dem Plexus lumbalis und sacralis ent-
*) Maihieu, Sem. med. 1892, p. 425, cit. einen Fall, wo man bereits Vor¬
bereitungen za Cholecystotomie getroffen, aber noch rechtzeitig eine Wanderniere
entdeckte, nach deren zweckentsprechender Behandlung die Schmerzen vollständig
zum Verschwinden gebracht worden.
*) Berger, Klin. Wochenschr., Berlin 1884, p. 431. Die Frau bildete sich
ein, ein lebendes Thier im Leibe za haben, gab genau die Grösse und Form des¬
selben an; „es kriecht im Leibe umher und packt manchmal so an, dass sie
fürchtet, es beisse ihr den Darm entzwei."
*) Vergl. Bernhard Kaspar, Wiener Klinik 1892, Ueber ßeflexlähmung der
Mieren, bes. d. Reflex reno-renal (Oyon-Tufßer).
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen. 213
springenden Nerven). Edebohls leitete eine Reihe derselben aus
Compression, Zerrung und Reizung des Plexus solaris ab.
Typische Lendenmarksymptome, sowie Intercostalschmerzen, 1 ) wie
besonders letztere als für Wanderniere charakteristisch bezeichnet
werden, constatierten wir zu wiederholten Malen. Interessant ist
die Thatsache, dass die Schmerzempfindungen in der Ueberzahl der
Fälle zur Zeit der Menstruation eine meist wesentliche Steigerung
erfahren. Ist meine Annahme bezüglich des Einflusses gesteigerter
Anteversion und Anteflexion des Uterus auf die Lage der Niere
richtig, so würde durch die zur Zeit der Menstruation vermehrte
Vorwärtsbeugung der Gebärmutter*) (Picard) ein vermehrter Zug
an den durch zu dieser Zeit gleichfalls an der allgemeinen Con-
gestion der Unterleibsorgane theilnehmenden Nieren (Foumier,
Becqueret,Lanceraux) stattfinden, und sich damit die Verschlimmerung
aller Symptome, insbesondere etwaiger Schmerzen bei Wandernieren,
unschwer erklären lassen.
Der Circulationsapparat oder wenigstens einzelne Antheile
desselben werden durch Nierendislocationen gleichfalls beeinflusst;
hier wären vor allem Circulationsstörungen in dem verlagerten
Organe selbst zu nennen, die bei einigermassen höheren Graden
stets bestehen (venöse Hyperämie, Stauung); eine Reihe von Circu¬
lationsstörungen ist durch directen Druck der Wanderniere auf
bestimmte Stromgebiete zu beziehen (Oedeme der unteren Extremi¬
täten, Stauungen im venösen Kreislauf des Unterleibes, Hämorrhoiden
u. s. w.). Natürlich kann der Wanderniere allein wol nicht die
Veranlassung einer „Abdominalplethora“ zugeschrieben werden, bei
ihrem Zustandekommen concurrieren stets mehrere und gewichtigere
pathologische Zustände. Von manchen Autoren wird angegeben,
dass mit Wandernieren behaftete Frauen häufig an Metrorrhagien
leiden sollen; wir können diese Ansicht nach unseren Beobachtungen
nicht theilen; die bei Wanderniere bisweilen beobachteten Me¬
trorrhagien Hessen sich stets ungezwungener aus anderen Ursachen
erklären; auf die Angabe reichHcherer menstrualer Blutung darf
bei den individuellen Schwankungen derselben kein allzugrosses
Gewicht gelegt werden.
In Fällen, wo reichlichere Blutungen des Endometriums durch
*) Ziegenspeck ., Anleitung zur Massagebehandlung (Thure Brandt) bei Frauen¬
leiden, Berlin 1896. p. 166. bezeichnet eolche im 4 und 6. Intercos talraume als
geradezu pathognomonisch.
*) Kuttner, Ueber palpable Nieren, Berl. klin. Wochenschrift, unter 100 Fällen
11 mal. Vergl. auch Tuffter, Bein flottant et näphrorrhaphie.
*) Vergl. Hüter, Flexionen des Uterus, Marburg 1870.
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214
Dr. Ludwig Knapp.
eine bestehende Abdominalplethora erklärt werden können, hat be¬
greiflicherweise eine entsprechend construierte Bandage häufig
den Erfolg, ausser der Zurückhaltung der Niere an normaler Stelle
auch die Blutungen zu beseitigen, jedoch nicht dadurch, dass die
Niere reponiert wurde, sondern lediglich dadurch, dass der in diesem
Falle stets vorhandene Hängebauch, resp. die mit demselben ver¬
bundenen Circulationsstörungen, eliminiert wurden.
Am weitesten in der Annahme des schädlichen Einflusses von
Nierendislocationen auf die CirctUationsverhäUnisse specieU der weib¬
lichen Geschlechtsorgane ist Thiriar 1 ) gegangen. Nach ihm sollten
durch Compression des Plexus spermaticus nicht nur durch venöse
Stauung bedingte pathologische Gewebsveränderungen (Endometritis),
sondern durch letztere geradezu mit Schaffung eines locus minoris
resistentiae für Infectionserreger das Zustandekommen der ver¬
schiedenartigsten entzündlichen Krankheitsvorgänge im weiblichen
Genitalapparate begünstigt werden.
Nicht selten beobachtete ich das gleichzeitige Vorkommen von
Nierendislocationen bei krankhafter Vergrösserung des Uterus
(Metritis, Myome);*) wir haben bei Besprechung der Aetiologie auf
die möglicherweise bestehende Abhängigkeit der Nierendislocationen
von dem Verhalten des vergrösserten Uterus (Anteflexion) hin¬
gewiesen ; an dieser Stelle nun muss des umgekehrten Verhältnisses
gedacht werden, dass nämlich Wandernieren auf die von Thiriar
betonte Weise das Auftreten von Metritiden wenn nicht schon hervor¬
zurufen, so doch zu begünstigen scheinen; möglicherweise würde
auf dieselben Störungen auch die häufigere Entwicklung von Myomen
zu beziehen sein.
Circulationsstörungen im Parenchyme des Uterus sind vermöge
der eigentümlichen Anordnung der Gefässe ungemein häufig und
leicht auszulösen.
Circulationsstörungen allgemeiner Art, die ihren Ausdruck in
unangenehmen Sensationen, wie Herzklopfen, Congestionen u. s. w.
finden, dürften bei mit Wanderniere behafteten Frauen wol nicht
häufiger Vorkommen, als bei solchen, die nicht daran leiden; auf¬
fallend fand ich in einigen Fällen eine aus anderen Ursachen nicht
erklärliche Tachycardie, (Puls von 120 resp. 128—144! in der
Minute), Fälle betreffend, die nicht allein von mir, sondern auch
von zugezogenen internen Klinikern als frei von jeder anderen
] ) Thiriar, Störungen im Bereich der weiblichen Geschlechtsorgane in Folge
von ren mobilia. Brüssel 1892.
*) Vergl. Scamoni, Die chronische Metritis, Wien 1863. § 2.
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen. 215
Störung, die die abnorme Pulsfrequenz erklärt hätte, befunden
wurden.
Inwieweit die subjectiven Störungen im Circulationsapparate,
Herzpalpitationen, Blutandrang zum Kopfe u. s. w. von Nieren-
dislocationen im gegebenen Falle abhängig sein dürften, ist schwer
zu entscheiden, zumal dieselben meist von Affectionen der weib¬
lichen Geschlechtsorgane, besonders des Uterus begleitet sind, für die
eine Beeinflussung der Circulationsverhältnisse thatsächlich nach¬
gewiesen ist *). Bei dem innigen Zusammenhänge zwischen den Func¬
tionen desCirculations- und Respirationsapparates ist das gleichzeitige
Vorkommen von Störungen , falls der eine derselben krankhaft ver¬
ändert ist, im anderen begreiflich. Doch sind Klagen über Athem-
beschwerden bei an Wanderniere leidenden Frauen recht selten.
Was das Verhalten der Menstruation betrifft, sei hier nur bemerkt,
dass wesentliche „Unregelmässigkeiten im Sinne der Vermehrung“,
wie Lindner sie angiebt, wol in einzelnen Fällen beobachtet werden
konnten, jedoch die Möglichkeit ihrer Veranlassung aus anderer
Ursache als durch Nierendislocationen zugegeben werden muss.te.
Bestehende, der Wanderniere zugeschriebene Beschwerden und
Schmerzempfindungen pflegen zur Zeit der Menstruation zu exa-
cerbieren, es soll aber auch die Wanderniere direct dysmenorrhoische
Beschwerden 9 ) auszulösen imstande sein.
Fourrier 8 ) hat eine Beihe von Fällen unerklärter, schwerer
Dysmenorrhoe mit Wanderniere in Verbindung gebracht
Ganz entgegen der naheliegenden Voraussetzung, wesentliche
Störungen im Bereiche des Hamapparates vorzufinden, sind Klagen
über solche selten; sie sind, wo sie angegeben werden, weit häufiger
begleitenden Affectionen als der Nierendislocation zuzuschreiben.
Charakteristisch ist für dieselben, ebenso wie bei Blasengeschwülsten
das plötzliche Auftreten. 4 ) Manche Frauen gaben an, seit dem Be¬
stehen der Nierendislocationen grössere Hammengen nach voraus¬
gehendem Harndrange zu entleeren.
*) Vergl. Bmnig, Oie Beweise für den Wechselverkehr zwischen Herz- and
Gebärmutter. Zeitschr. f. Geb. n. Gynäk. 1894.
*) Leopold, Ueber einen Fall von heftiger Dysmenorrhoe verbunden mit
linksseitiger Wanderniere. Archiv f. Gyn. Bd. 9. p. 823. In dem von L. mit-
getheilten Falle starb eine 18jähr. Nullipara, welche seit jeher an hartnäckigen
Schmerzanfällen zur Zeit ihrer Periode gelitten, plötzlich am 1. Tage einer regel¬
mässig eingetretenen Menstruation nach einem schweren Schmerzanfall; die Section
erwies die linke Niere ins kleine Becken verlagert, den Mastdarm nach rechts,
den Uterus nach vorne verdrängend.
*) Fourrier, (Refläxions snr plnsieures de reins flottants et lo traitement de
cette affection. Med. Centralblatt, 1876. 40.
4 ) Fr. Schatz, Archiv f. Gyn. Bd. X. p. 363 f.
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216
Dr. Ludwig Knapp.
In alle neueren Monographien über Wanderniere ist ein hierher
gehöriger Fall AppolancTs 1 ) von Polyurie aufgenommen.
Beobachtungen über Einklemmungen der Niere stehen mir
nicht zur Verfügung.
Der Einfluss von Nierendislocationen auf das Nervensystem,
so weit er locale Schädigungen betrifft, wurde bereits besprochen;
beizufügen wäre nur noch die Beobachtung, dass sowol Krämpfe
als auch Lähmungen der (unteren) Extremitäten im Gefolge von
Wandernieren Vorkommen können.*) Edes bezeichnet als direct von
der Niere auslösbare Erscheinungen: „Muskelzuckungen, Puppillar-
phänomene, Cephalalgien, Schlaflosigkeit, Stupor, Krämpfe“.
Alle diese Phänomene konnten wir vereinzelt oder combiniert
in einer Beihe von Fällen beobachten, ebenso ist ausgesprochenes
Schwindelgefühl ein lästiges Symptom bei vielen mitNierendislocationen
behafteten Frauen. ( Lindner .) Als vereinzelte Beobachtungen aus
der Literatur erwähne ich einen Fall von Epilepsie, welche als
Reflexepilepsie infolge von Wanderniere gedeutet wurde; nach vor¬
genommener Nephrectomie sistirten die Anfälle erst ganz, traten
dann allerdings wieder, aber viel seltener auf;*) es kann also
unter Umständen die Wanderniere ganz gewaltige Reflexerschei¬
nungen auslösen.
Was schliesslich die psychische Sphäre anbelangt, so wird die¬
selbe nicht selten durch die Vorstellung, dass die Wanderniere ein
überaus gefährliches Leiden sei, wesentlich ungünstig beeinflusst,
ein Punkt, auf den die Therapie Rücksicht zu nehmen hat; der
Umstand, dass viele Frauen, so lange sie nicht entsprechend be¬
handelt werden, bei jeder Gelegenheit wieder auf ihre Leiden auf¬
merksam, theils durch unangenehme, theils durch wirkliche Schmerz¬
empfindungen stets daran gemahnt werden, dass sie mit einem
körperlichen Gebrechen behaftet sind, das nach ihrer Ansicht zu
einem der gefährlichsten zähle, ist sehr beachtenswerth. Hysterie,
Neurasthenie und Hypochondrie sind daher häufige Begleiterschei¬
nungen der Wanderniere.
Wir haben theils an der Hand eigener, theils an fremden
*) Appoland, D. med. W. 1886. Nr. 40. Die Haram enge betrog 6000 ccm. *,
kehrte nach Anlegong einer entsprechenden Bandage, womit auch alle früher
bestehenden Beschwerden verschwanden, auf die Norm zurück.
*) Zwei Fälle eigener Beobachtung. Vergl. Eichhorst, Sp. Path. u. Ther.
Bd. II. S. 604. Vergl. Edes, Centralblatt f. Neurologie. 1888. p. 669.
*) Vergl. TiUvianns, lieber Nephrorrhaphie, Nephrectomie bei Wanderniere.
D. Zeitsehr. f. Chir. XXXIV. 1892.
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen. 217
Beobachtungen gezeigt, dass die Wanderniere nicht nur einzelne
Organe und Organsysteme, sondern auch den Gesammtorganismus
wesentlich zu alterieren imstande ist; stellt sie, wie wir bei Be¬
sprechung der Prognose hören werden, ein in Bezug auf den Bestand
des Lebens auch meist bedeutungsloses Leiden vor, so ist sie
doch gewiss imstande, den Genuss desselben wesentlich zu behindern
oder vollständig unmöglich zu machen, was uns begreiflich erscheint,
wenn wir die zahlreichen, oft schweren Symptome berücksichtigen,
die wir in ihrem Gefolge kennen gelernt haben.
Zur Statistik der Wanderniere.*)
Auf ausführliche statistische Angaben betreffs der Häufigkeit
des Vorkommens der Nierendislocationen, deren Veranlassungen,
Symptome und Complicationen kann hier nicht eingegangen werden.
Bei dem Umstande, dass die Angaben der Autoren über die
Häufigkeit der Wanderniere zwischen 010 und 27 °/ 0 schwanken,
auch heute noch einzelne also die Nierendislocationen als seltene
Befunde hinstellen, dagegen IAndner bekanntlich behauptete, dass
jede 5.-7. Frau an Wanderniere leide, („die häufigste Ab¬
normität des weiblichen Körpers“), war es interessant, zu be¬
rechnen, welchen Procentsatz unsere beobachteten Fälle ergeben
würden. Ich muss hier gestehen, dass die ursprünglich gefundene
Verhältnisszahl von nur 100 Fällen von Nierendislocationen auf 6612
theils klinische, theils poliklinische Patientinnen (= 1-61 °/ 0 ) nach
meinen in jüngster Zeit immer häufiger constatierten Befunden von
Nierendislocationen bei Frauen entschieden zu tief gegriffen er¬
scheinen musste. Eine neuerliche, durch drei Monate sorgfältig
geführte Statistik, während welcher sämmtliche poliklinische
Patientinnen genauestens auf etwaige Nierendislocationen hin unter¬
sucht wurden, ergab ein Verhältnis von 206 : 11, somit eine Procent¬
zahl von rund 5 °/ 0 und damit, wie ich glaube, auch eine der Wirk¬
lichkeit entsprechendere.
*) Edebohls gibt an, dass ca. 7® =7« aller Frauen an Wanderniere leide;
seine Statistik ergibt ein Verhältnis von 600 : 90, d. i. 18%.
Mathieu sah bei 806 Frauen 86 mit Wanderniere, ein Verhältnis, welches
= 87*1% entsprechen würde. (Du rein mobile chez la f&mme. Ann. des malad,
des app. genito-urin. 1894.
Fischer—Bervum nach Obductionsbefanden (17—22%), John Schmitt 10°/«.
(Wanderniere und Frauenkrankheiten, New-Yorker med. Monatsschrift, März 1891.
Dumas, Ueber habituelle Stuhlverstopfnng, deren Ursache und Behandlung.
Berliner klin. Wochensohr. 1891. Nr. 74.
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218
Dr. Ludwig Knapp.
Stellt die Wanderniere auch nach unseren Erfahrungen ein
häufig vorkommendes Leiden vor, so dürften Zahlen wie 20 und
27 °/ 0 doch zu hoch gegriffen sein.
Die überwiegend vorkommende Dislocation der rechten Niere
ergab sich in unseren Fällen in 96 °/ 0 , linksseitige Wanderniere
allein fanden wir unter hundert Fällen viermal, beiderseitige fünfmal.
Was den Grad der Dislocationen anbelangt, so fanden wir in
89°/ 0 der Fälle Dislocationen, welche wir als solche 1. Grades
bezeichnen (Descensus renis ausgeschlossen), sechsmal solche
zweiten, fünfmal dritten Grades, darunter einmal rechtseitige
Wanderniere 2. Grades mit ebensolcher 3. Grades linkerseits com-
biniert.
Wanderniere bei Ntdliparen stellten wir in 14 °/ 0 der Fälle fest 1 )
Unter den übrigen Frauen befanden sich 15, die einmal geboren hatten,
die meisten hatten mehrere Schwangerschaften mit normaler Be¬
endigung derselben durchgemacht, eine Frau deren 10, ausserdem
dreimal abortiert! Bei vielen Frauen fanden sich Schwangerschaften
mit normaler und frühzeitiger Unterbrechung, so bei denen, die
nur einmal z. Z. geboren, einmal ausserdem vier, bei zwei anderen
je ein Abortus verzeichnet Nur abortiert hatten zwei Frauen und
zwar eine drei-, die andere einmal. Ausgesprochene Erschlaffungs¬
zustände zunächst des Abdomens, Hängebauch, konnte in acht Fällen
konstatiert werden.
Die Bauchdecken sind als mehr minder, zuweilen hochgradig
erschlafft, ohne dass jedoch Hängebauch bestand, in 33 Fällen
(Vs aller) bezeichnet, in drei Fällen fand sich ausserdem Diastase
d. recti, in einem Verdünnung und Ausdehnung der Narbe nachLapara-
tomie. Was das Zusammentreffen von Nierendislocationen mit
Genitalaffectionen betrifft, so sind hier die Erschlaffungszustände
wol in erster Linie zu nennen, also Erschlaffung des Beckenbodens
durch wiederholte Geburten (Ruptura perinei) und deren Folge¬
erscheinungen: Descensus und Prolaps; wir beobachteten die¬
selben bei Wanderniere häufig (in 46°/ 0 der Fälle finden sich
Notizen über mehr minder hochgradige derartige Veränderungen)*),
in zwei FäUen fand sich gleichzeitig bestehende Gravidität
*) Mathieu berechnet für dieselben 11 %• Kuttner (Berliner klm. W, 1890,
H. 16) meint, dass „bei sorgfältiger Untersuchung“ Wanderniere bei Nulliparis
ebenso häufig gefunden werden könne, als bei Frauen, die geboren haben.
*) Schütz 1. c. gibt an, unter 80 Fällen von Wanderniere 34 mal, d. i. in
42-67® dieselbe bei gleichzeitigen Genitalaffectionen angetroffen zu haben.
Thiriar umgekehrt 20°/° * ec topischer Nieren“ bei Genitalleiden der Frauen,
ein Verhältnis, welches für unsere Fälle berechnet nur 6 7® ergäbe.
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen.
210
Pathologische Processe, resp. deren Residuen in den Parametrien,
Hessen sich in acht Fällen nachweisen (darunter zweimal acute
Parametritiden), in zwei Fällen erwies sich das der Seite der
Nierendislocation entsprechende Parametrium straff, mehrmals
fanden sich in demselben Narben.
Ist man berechtigt, schon der einfachen Infiltration der Parametrien
einen Einfluss auf die Entstehung von Nierendislocationen zuzu¬
schreiben, so darf man umsomehr die carcinomatöse Infiltration
derselben in Beziehung mit ersteren bringen, zumal bei letztge¬
nannter Affection, wie bereits bei Besprechung der Aetiologie er¬
wähnt, der Allgemeinerkrankung mit ihrer Schädigung des Gesammt-
organismus eine wichtige Rolle zukömmt
In vereinzelten Fällen Hessen sich Residuen abgelaufener
perimetritischer Processe nachweisen.
Was die Beziehungen zwischen den Lageveränderungen des
Uterus und den Nierendislocationen anbelangt, haben wir bereits
erwähnt, dass in der weitaus grössten Zahl der fälle Anteflexion
bezw. Anteversion und zwar meist übernormalen Grades zugleich
mit Wanderniere beobachtet werden konnte.
Was gleichzeitig bestehende anderweitige Affectionen (Er¬
krankungen) betrifft, beobachteten wir Nierendislocationen im Gefolge
von Carcinom (der portio vaginalis) fünfmal, darunter einmal bei
Recidivcarcinom nach Totalexstirpation des Uterus, einmal bei
gleichzeitigem Carcinom des rechten Ovariums. Emphysem der
Lungen bestand in vier Fällen, Infiltration derselben sechsmal,
zweimal fand ich ausgesprochene Magenerweiterung.
Heine, uncomplicierte Wanderniere fand sich in 17 Fällen, meist
jüngere Personen betreffend; von diesen hatten 14 nicht geboren,
bei zwei bestand die Nierendislocation vollkommen beschwerdelos,
wiewol sie eine solche II. Grades war, bei einer 28jährigen Nullipara
mit virginalem Genitale, welche an ausgesprochener rechtsseitiger
Wanderniere HL Grades litt, fanden sich keinerlei complicierende
Erkrankungen, die Symptome beschränkten sich hauptsächlich auf
Kreuzschmerzen.
Was die Symptome überhaupt anbelangt, konnten wir con-
statieren, dass drei Frauen mit der directen Angabe die Klinik
aufsuchten, an unangenehmen, durch die Mobilisierung des Organes
hervorgerufenen Empfindungen zu leiden.
Wie bereits erwähnt, waren Klagen über Magenbeschwerden
die am häufigsten gehörten, solche nicht ausdrücklich angegeben
haben nur sehr wenige Frauen; in 28°/ 0 der Fälle fand sich mehr
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220 Dr. Ludwig Krapp.
minder hochgradige Obstipation, Unregelmässigkeiten im Stuhl¬
gänge u. s. w.
Anomalien in der Harnentleerung wurden selten beobachtet,
meist und zwar dreimal in Erschwerung derselben bestehend; eine
Frau mit rechtsseitiger Wanderniere II. Grades, sowie eine solche
mit einer solchen I. Grades gaben an, oft tagelang selbst den Harn
nicht entleeren zu können.
Ueber Harndrang wurde öfter, über Schmerz in der Nieren¬
gegend seltener geklagt. Allgemeine Erscheinungen nervöser Art
fanden sich vereinzelt, auf dieselben wurde bereits bei der Be¬
sprechung der Symptomatologie hingewiesen.
Zur Diagnose der Wanderniere.
Die Wanderniere ist in jüngster Zeit immer häufiger gefunden
worden. Wenn bis zum Jahre 1859 nur 35 Fälle solcher bekannt
waren, heutzutage diese Zahl aber auf einer einigermassen stärker
besuchten Poliklinik in einem Vierteljahre nachgewiesen werden
kann, so liegt das darin, dass man die Wanderniere, seit man nach
ihr sucht, oder besser gesagt auf ihr Bestehen hin untersucht,
auch häufiger findet.
Für den Geübten ist das Erkennen einer ausgesprochenen
Nierendislocation nicht schwer, dem Ungeübten kann eine solche
vollständig entgehen oder zufällig entdeckt ein unklarer Befund
sein, wie ja besonders in differential-diagnostischer Hinsicht auf
diesem Gebiete auch erfahrenen Fachleuten Schwierigkeiten be¬
gegnen.
Die Diagnose 1 ) auf Wanderniere (wir fassen hier sämmtliche
Grade derselben zusammen) kann nach der Ansicht mancher Autoren
gestellt werden, sobald es gelingt, die Niere , bezw. einen Theil
derselben palpatorisch nachzuweisen; normalerweise sollte dies nicht
möglich sein. Eine andere Ansicht geht dahin, dass auch normaler¬
weise (bei Athembewegungen des Zwerchfelles) [Inspiration] der
untere Nierenpol zu tasten sei Wir wollen uns hierauf nicht ein¬
lassen, sondern die Art der Diagnose der anerkannt dislocierten*)
Niere besprechen. Gelingt es beispielsweise unter dem rechten
Rippenbogen, von der Resistenz der Leber deutlich gesondert, einen
der Form (und Grösse) der Niere entsprechenden Tumor nachzu¬
weisen, an dessen der Medianlinie zugekehrten Cavität ein pulsirendes
*) Hilbert bezeichnet derartige Formen als ren palpabilis.
*) Vergl. Hildebrandt: Grundriss der chirarg. topograf. Anatomie mit Ein¬
schluss der Untersuchungen an Lebenden. Wiesbaden 1894.
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen
221
Gefass zu fühlen ist (Frerichs), so ist die Diagnose mit absoluter
Sicherheit auf rechtseitige Wanderniere (UI. Grades) zu stellen.
Solche typische Fälle kommen in der That nicht selten vor,
die Pulsation der Nierenarterie ist zwar nur selten nachzuweisen,
aber alle anderen Merkmale sprechen in mehr minder überzeugen¬
dem Grade zu Gunsten der Diagnose der Nierendislocation.
Häufig gelingt es natürlich nur einen Theil (den unteren Pol)
der Niere nachzuweisen, dann lässt sich ihre Resistenz nach oben
hin nur schwierig von der Leber trennen; von der Percussion
ist hier überhaupt wenig zu erwarten. Charakteristisch für die
Wanderniere ist ihr j Entschlüpfen unter der palpierenden Hand,
welches wir wol in einzelnen Fällen, aber weitaus nicht so häufig
nachweisen konnten, wie es von den Franzosen angegeben wird,
die dieser Erscheinung den Namen „Echäppement“ gegeben haben.
Die Diagnose der Wanderniere kann durch eine Reihe von
Umständen erschwert werden. Gelingt bei schlaffen, fettarmen
Bauchdecken allerdings auch nur in seltenen Fällen der Nachweis
des dislocierten Organes durch die einfache Inspection (bes. in
Knie-Ellenbogenlage), so kann bei fettreichen, straffen und empfind¬
lichen Bauchdecken der palpatorische Nachweis kaum oder gar nicht
möglich sein; insolchenFällen muss die Narcose zuHilfegezogen werden.
Der negative Befund des Fehlens der physiologischen „Nieren¬
dämpfung“ *) ist zumindest trügerisch.*) Schon Skoda weist auf dio
Unzuverlässigkeit der Percussionsresultate dieser Gegend hin und
gibt genaue Vorschriften zur Erzielung brauchbarer.*)
Landauf) Weil 6 ) u. a. sprechen dem Fehlen der physiologischen
Nierendämpfung gleichfalls jede Bedeutung für die Diagnostik ab.
Mit einiger Vorsicht zu verwerthen wäre dagegen bei Ab¬
tastung der Gegend der Wirbelsäule, welche der Lage der Niere
entspricht, die Empfindung der verminderten Resistenz (leichtere
Eindrückbarkeit auf der Seite der Dislocation).
Die Auscultation nach Landau, bis zu seiner Zeit für die
Diagnose der Wanderniere nicht herangezogen, dürfte es auch in
Zukunft bleiben, dieselbe allein würde auch niemals verwerthbar
sein; dass Geräusche in der Nierenarterie bei gewissen Lage-
*) Keppler leugnet das Bestehen derselben überhaupt.
*) Outtmann hielt dasselbe für ein „absolut brauchbares“ diagnost. Zeichen.
(Klin. Untersuchungsmethoden d. Brust* u. Unterleibskrankheiten, 1880 S. 361.)
*) Skoda, Abhandlungen Uber Percussion und Auscultation, IIL Aufl. 1860.
p. 222.
4 ) Landau, die Wanderniere der Frauen. 1881.
6 ) Weil, Handbuch und Atlas der topograph. Percussion, Leipzig 1880.
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222
Dr. Ludwig Knapp.
Veränderungen des Organes zustande kommen können, ist aus der
Analogie an anderen Organen nicht von der Hand zu weisen.
Was die Verwerthung der chemischen Untersuchung des Harnes
bei Wandernieren betrifft, hat dieselbe bisher negative Resultate
ergeben. Zeitweise Unterbrechung, bezw. Behinderung der Circu-
lation hat begreiflicherweise auf die Zusammensetzung des Harnes
einen Einfluss und, wie experimentell nachgewiesen ist, in der
Weise, dass nach einer Dauer von J / 4 — : Vs Stunde ausser quanti¬
tativer Abnahme des Secretes auch der Harnstoffgehalt um circa
0‘5°/ o sinkt
Um zu brauchbaren Resultaten diesbezüglich zu gelangen, muss
man das Secret jeder Niere einzeln untersuchen.
Methoden, das von der dislocierten Niere gelieferte Secret
gesondert untersuchen zu können, sind von mehreren Autoren 1 ) an¬
gegeben, doch sind die meisten derselben compliciert Von Bedeutung
werden sie, wenn es sich darum handelt zu entscheiden, was jede
der einzelnen Nieren zu leisten imstande ist Für diese Fälle ist
die Harnleitersondierung beim Weibe nach Patolik nicht zu um¬
gehen. Auf cystoskopischem Wege verwertbare Resultate zu er¬
zielen hat in neuerer Zeit besonders Kelly*) gelehrt.
Zur Constatierung einer einfachen, uncomplicierten Nieren¬
dislocation genügt stets der manuelle Nachweis derselben an ab¬
normer Stelle, bemerken will ich jedoch noch, dass derselbe durch
gewisse Körperhaltungen und Stellungen wesentlich erleichtert, ja
oft erst ermöglicht wird; man wird daher gut thun, die Patientinnen
nicht nur liegend (Rücken- oder Seitenlage), sondern auch im
Stehen, eventuell ausserdem in der Knie-Ellenbogenlage zu unter¬
suchen. Dass durch möglichste Erschlaffung der bedeckenden
Weichtheile Schwierigkeiten in der Untersuchung beseitigt werden
sollen, ist selbstverständlich.
Die B ifferentialdiagnose zwischen Dislocationen der Niere und
anderweitigen Befunden kann zuweilen sehr schwierig sein. Lindner, 9 )
welcher seinerzeit den Satz ausgesprochen, dass ihm „differential-
diagnostische Schwierigkeiten nicht begegnet“ seien, hat bereits
*) Pawlik, Archiv f. Gyn. Bd. 18. p. 491.
Sänger, Uber Tastung der Harnleiter beim Weibe, Archiv f. Gyn. 1886.
28. p. 64.
Warkalia, ibid. Uber Absperrung der Harnleiter von der Scheide her za
diagnostischen Zwecken.
Hegar ligierte temporär den Harnleiter einer Seite, um den Harn der anderen
Niere gesondert zu erhalten.
*) Howard A. Kelly, Diseases of the femal bladder and nrethra. Baltimore 1892.
*) Lindner, Uber Wanderniere bei Frauen, p. 10
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen.
223
zwei Jahre nach Erscheinen seiner Monographie zagegeben: „es
seien ihm noch nachträglich wiederholt differential-diagnostische
Schwierigkeiten aufgestossen“; *) somit dürften also mit ihm wol
Alle jene, welche sich mit der Frage der Wanderniere eingehender
beschäftigt haben, darin übereinstimmen, dass deren Diagnose fall¬
weise eine sehr schwierige werden kann.
Die Stellung der richtigen Diagnose ist aber gerade für die
Wanderniere in Bezog auf das einzuschlagende therapeutische Vor¬
gehen von der grössten Wichtigkeit.
Die Thatsache, dass Verwechslungen, besonders der Abdominal¬
tumoren untereinander schon sehr häufig vorgekommen sind, be¬
leuchten am besten die zahlreichen diesbezüglichen casuistischen
Mittheilungen, sowie mehrere ausführliche Arbeiten.*)
Häufig hat man erst nach der Laparotomie die richtige Diagnose
gestellt; dies gilt besonders bezüglich der vorher schwierigen Ent¬
scheidung, ob es sich im gegebenen Falle um eine hydronephrotische
(Wander-) Niere oder um eine Ovarialcyste handelt. 3 )
Differential-diagnostisch können in Betracht kommen:
Partielle Contracturen der Bauchmuskeln, sowie hyste¬
rische Phantomgeschwülste; 4 ) wiederholte oder Unter¬
suchung in Narkose wird hier Klarheit verschaffen. 3 )
Tumoren; solche können bekanntlich auch durch partielle Koth-
stauung vorgetäuscht werden; wie vor jeder Unter¬
suchung des Abdomens empfiehlt sich besonders bei der
auf Nierendislocationen vorhergehende gründliche Ent¬
leerung des Darmes.
*) Münchner med. Wochen sehr. 1890. p. 266.
*) Fränkel u. Kaufmann, zur Diagnostik der Unterleibsgeschwülste. Archiv
f. Gyn. 1889. p. 898.
Litten, physikal. Untersuchungen der Nieren. Handbuch der Ham- und
Sexualorgane L
Schetelig, Beiträge zur Diagnostik d. chron. Unterleibsgeschwülste. Archiv
f. Gyn. Bd. I. p. 416.
Hildebrandt, Grundriss der Chirurg, topograph. Anatomie. Wiesbaden 1894.
Cursehmann, topograph. klin. Studien. D. Archiv f. klin. Med. 1894. L HI, 182.
Albert, Diagnostik der Chirurg. Erkrankungen in 20 Vorlesungen. Wien
1882, p. 204.
*) r. Rufe , diagnost. Irrthümer, welche bei Ovariotomien vorgekommen sind.
Breslau 1867.
4 ) Krukenberg, zur Kenntnis der hysterischen Phantomgeschwülste. Arch.
f. Gyn. Bd. 13. p. 142.
s ) Henoeh erwähnt einen Fall von Verwechslung eines Hämatomes im musc.
rect. abdom. mit Wanderniere.
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224
Dr. Ludwig Knapp.
Tumoren der Leber, abgeschnürte Lappen derselben,
Geschwülste der Gallenblase;
solche haben bereits wiederholt zur Verwechslung mit
Wanderniere Veranlassung gegeben; einen hieher ge¬
hörigen Fall, wo die intermittierenden Schmerzanfalle
vom Charakter der Gallensteinkoliken die Vorbereitungen
zur Cholecystotomie treffen liessen, habe ich bereits an
früherer Stelle angeführt Einen ähnlichen Fall er¬
wähnt Le Dentu: 1 ) es handelte sich hier umgekehrt um
Verwechslung eines soliden Tumors der Gallenblase
mit Wanderniere.
Solide Tumoren des Magens und Pankreas
dürften durch ihre relative Unbeweglichkeit (Landau)
vor Verwechslung schützen.
Neubildungen an den oberen Abschnitten des Darmrohres
(Duodenum, Colon ascendens und Colon descendens)
haben bereits zu Verwechslungen mit Wanderniere Ver¬
anlassung gegeben, doch kommen denselben in der Regel
den Nierendislocationen nicht eigene Symptome zn
(Blutungen, Stenosenerscheinungcn u. s. w.) *)
Dislocationen der Milz
kann man durch den negativen Nachweis des Fehlens
der physiologischen Milzdämpfung an normaler Stelle,
sowie durch die Form und Grösse des dislocierten
Organes meist leicht von Wandernieren unterscheiden. 8 )
Von Tumoren des Uterus
kommen wol nur langgestielte subseröse Myome 4 ) in
Betracht. Einmal wurde eine im Becken verlagerte
Niere für ein erkranktes Ovarium gehalten; 4 ) es wäre
auch die umgekehrte Verwechslung möglich.
An späterer Stelle werde ich einen Fall, dessen Kranken¬
geschichte ich der Güte meines hochverehrten Chefs verdanke,
*) Le Dentu, Abeille med. 1898. Nr. 9. In 8 weiteren Fällen von Laparotomien
fand man statt Wandernieren Geschwülste des Netzes, in einem einen Tumor
des Processus vermiformis. (Redus.)
*) Floret, Z. Kasuistik d. diagnostischen Irrthttmer der Unterleibstumoren.
Bonn 1896.
') Nenestens beschreibt M. Runge einen erst durch die Laparotomie auf¬
geklärten diff.-diagnost. interessanten Fall v. Axendrehung d. Stieles einer excessiv
beweglichen Milz, welche vor der Operation als Wanderniere angesprochen worden
war. (Berl. klin. Wochenschrift 1896. Nr. 16.)
*) Zwei Fälle bei Landau.
6 ) Paul Munde, New York, med. journ. 1888. Juli p. 68.
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Klinische Beobachtungen Uber die Wanderniere bei Frauen.
225
etwas ausführlicher besprechen, in welchem die verlagerte Niere
für die Placenta bei Extrauterinschwangerschaft gehalten wurde.
Um solche Irrthümer zu vermeiden, dürfte sich, nachdem man
von der Rectaluntersuchung mit der vollen Hand J ) (Simon) immer
mehr abkommt, die gleichzeitige Digitaluntersuchung von Rectum
und Scheide aus empfehlen.
Schwierig ist die Differenzialdiagnose meist zwischen Tumoren
des Netzes und Nierendislocationen, so in erster Linie den Cysten
desselben; sie sind nicht so selten, als man meinen könnte, und ist
ihre Aetiologie sowie ihre Bedeutung bereits hinreichend gekannt.
Unter einem Materiale von 6612 Fällen fanden sich auf
unserer Klinik zwei Fälle von Cysten des Mesenteriums; Frentzcl
giebt an, dass unter 90 bis zum Jahre 1892 beobachteten Tumoren
des Netzes 30 mal Cysten beobachtet wurden. 8 )
Geschwülste der Harnblasenwand dürften wol kaum jemals
Veranlassung zu diagnostischen Irrthümem in der Weise geben,
dass derartige Neubildungen mit excessiven Dislocationen der Niere
verwechselt würden, es ist mir kein derartiger Fall aus der
Literatur bekannt; nur Atbaran 9 )erwähnt als differentialdiagnostisch
bei Blasengeschwülsten in Betracht zu ziehen: „Tumoren der Niere.“
Die Endoskopie der Blase ergiebt hier gewünschten Aufschluss. 4 )
’) Ixtndau, über den Wert der Rectaluntersuchung mit voller Hand. Archiv
f. Gyn. Bd. VII. S. 641.
*) bez. d. Literatur s. Frentzcl, z. Semiotik u. Therapie mesent. Cysten.
D. Zoitschr. f. Chirurgie XXXIII, 1892. III.
Sänger u. Klopp, z. Kenntnis der angeborenen Banchcysten. Archiv für
Gynäk. XVI, 414.
Werth, im Arch. t Gyn. Bd. XIX, 821.
Klebe, Handbuch der pathoL Anatomie. Bd. I, 881.
Eppinger, Prager Vierteijahrsschrift 1873, über congenitale Cystenbildungen
v. Chirurg. Interesse.
Roth, über Neubildungen im Bereiche d. ductus omphalomesent Virch.
Archiv. Bd. 86. H. 8.
Floersheim, Chyluscyste des Mesenteriums. Gaz. des hop. 1895. Nr. 1.
Brentano, 3 Cysten. Berl. klin. Wochenschr. 1896. Nr. 18.
A. Coggans, Fall von Mesenterialcyste. Med. age 1894. Nr. 2. (Die
Punktionsflüssigkeit ergab Eiweiss, Phosphate u. Chloride.)
Benekiser, zur Kasuistik und Diagnose der Netztumoren. Centr. f. Gyn.
1895. Nr. 24.
Olshausen, Handb. d. Frauenkrankheiten, Bd. H p. 462.
Ptan, Tumeurs. — Witzei, Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie, 1886. Bd. XXI.
Rokitansky, Handb. Bd. II. p. 173.
•) Albaran, le tumeurs de la vesice. Paris 1892.
4 ) Diesbezüglich in neuerer Zeit Kelly’s Aufsatz in Bull, of the John Hopkins
Hosp. 1893. November.
Zeitschrift für Heilkunde. XVII.
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226
Dr. Ludwig Knapp.
Bis jetzt war stets nur von der Differentialdiagnose, die patho¬
logisch nicht veränderte Wanderniere betreffend, die Rede; Dis-
locationen hydronephrotischer Nieren *) haben Veranlassung zu Ver¬
wechslung mit Ovarialcysten *) gegeben; es geschah dies auch einmal
in einem Falle eigener Beobachtung, wo bei einer 35 jährigen Frau
nicht nur von einem prakt. Arzte, sondern auch auf der Klinik
bei der ersten, spät abends flüchtig vorgenommenen Untersuchung
die Diagnose auf linksseitige Ovarialcyste gestellt wurde. Da¬
maliger Befund: ein Tumor in der linken Bauchhälfte von läng¬
licher (?) Gestalt und cystischer Beschaffenheit, Längsdurchmesser
15 cm. Linkes Ovarium nicht nachweisbar. In der der Unter¬
suchung folgenden Nacht entleerte die Frau auffallend viel Urin
und bemerkte noch in derselben Stunde die früher in der linken
Körperseite befindliche Resistenz nahezu verschwunden; am nächsten
Tage bestätigte sich diese Wahrnehmung dadurch, dass die bisher
der Frau passenden Kleider zu weit geworden waren. Nun ergab
sich folgender Befand: der linksseitige Tumor verschwunden, linkes
Ovarium deutlich abtastbar, linke Niere scheinbar vergrössert, des-
cendiert, beweglich, entsprechend der rechten Niere eine Geschwulst
von Faustgrösse, descendiert, beweglich, an derselben befindet sich
ein der normalen Niere entsprechender Antheil, an den ein cystischer
sich anschliesst; im Harne Eiweiss (2 °/ 00 Esbach, 0 Sediment,
0 Zucker, zahlr. Leukocythen und rothe Blutkörperchen, Epithelien,
gran. Cylinder) [Hydronephrosis bilateralis intermitt., zur Zeit nur
rechts nachzuweisen].
Muss man zugeben, dass die Resultate der Harnuntersuchung
in Fällen uncomplicierter Wanderniere für die Diagnostik vor¬
läufig geringes Interesse beanspruchen, so darf man andererseits
nicht übersehen, dass für die Entscheidung, ob es sich in einem
Falle um Hydronephrose oder Ovarialtumor handle, eine genaue
Harnuntersuchung von grösster Bedeutung sein kann; die schwierige
Differentialdiagnose wird durch letztere oft allein ermöglicht
Schwankt die Diagnose aber nicht nur zwischen hydro¬
nephrotischer Wanderniere und Ovarialcyste, sondern kommt auch
noch die Möglichkeit des Vorhandenseins einer Echinococcus¬
geschwulst in Frage, so ist die chemische Untersuchung der durch
Function gewonnenen Flüssigkeit das einzig entscheidende.
*) Schramm, Exstirpation einer hydronephrotisohen Wanderniere, die als
rechtsseitige Ovarialcyste diagnosticirt war. Centralblatt für Gynäkologie 1892.
p. 108.
*) Kavarro, Contribntion ä l’etnde des Hydron6phroses. Th&e de Paris 1894.
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen.
227
Es muss hier ausdrücklich betont werden, dass die Flüssigkeit,
handle es sich auch um Hydronephrose, unbedingt durch Function
zur Untersuchung gewonnen werden müsse, andernfalls kann die
Beschaffenheit des oft in vermehrter Menge von der gesunden
Niere secernierten Harnes das Ergebnis in fehlerhafter Weise be¬
einflussen; die Function ist jedenfalls einfacher und führt rascher
und ungefährlicher zum Ziele als die Sondierung der Harnleiter,
der ja trotz alledem noch eine Punction der fraglichen Geschwulst
anzuschliessen sich empfehlen würde. Spiegelberg 1 ) verlor einen
Fall, in dem Echinococcus der rechten Niere für eine Ovarialcyste
gehalten wurde, und bedauert, der Laparotomie die Probepunction
nicht vorausgeschickt zu haben; „die Harnuntersuchung hatte
nichts abnormes ergeben.“ — Oerum a ) gibt folgende Anhaltspunkte
für die Verwertung .der Ergebnisse der chemischen Untersuchung
von Punctionsflüssigkeiten:
„Harnstoff findet sich im Inhalte von Hydronephrose-Säcken
meist reichlich, kann aber auch vollständig fehlen, trotzdem empfiehlt
es sich in allen Fällen nicht mit dem qualitativen Nachweise des¬
selben sich zu begnügen, sondern quantitative Bestimmungen an¬
zustellen; bekanntlich findet sich Harnstoff in geringer Menge in
der Ovarialcystenflüssigkeit und in serösen Exsudaten, bei letzteren
aber, Uraemie ausgenommen, höchstens bis zu 2 °l 00 , wonach ein
höherer Gehalt an Harnstoff für Hydronephrose spräche. Kreatinin
wurde gleichfalls in Hydronephrosesäcken gefunden.“
Was die chemische Zusammensetzung der Hydronephrosen-
Flüssigkeit anbelangt, so ist dieselbe wol wesentlich von der Dauer
des Bestandes einer solchen abhängig; in länger bestehenden Hydro¬
nephrosesäcken gehen die für die Provenienz der Wanderniere
charakteristischen Bestandtheile, Harnstoff, Harnsäure, bisweilen
gänzlich verloren, als ein Zeichen, dass die hydronephrotische
Niere ihre Function bereits gänzlich aufgegeben habe.
Berard fand in einem Falle in 1000 Theilen:
Wasser 920
Albumin 75
Salze und Extractivstoffe 4
Organ. Bestandtheile 1
Harnstoff —
*) Archiv f. Gyn. Bd. n. p. 146 f.
*) Oerum, Kemisker Studier over Ovoriecysted vädsker (Stadien über die
chemische Zusammensetzung verschiedener Punctionsflüssigkeiten and deren
diagnostische Verwertung) Schmidt’s Jahrbücher 1884. 902, 218.
15*
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228
Dr. Ludwig Knapp.
WÖlßer konnte in einer Beobachtung auf der Bälroth' sehen
Klinik Harnstoff (0*58), Harnsäure, Kreatinin, Indican und andere
Harnsalze nachweisen. In einem auf der -EwnareÄ’schen Klinik
operierten Falle, welchen Schetelig beschrieb, handelte es sich um
eine mehr colloide Flüssigkeit, welche keinen Harnstoff, aber
Paralbumin, Mucin, Serumalbumin und Cholestearin enthielt, so dass
man die Diagnose auf einen Ovarialtumor gestellt batte und
daraufhin zu operativer Entfernung geschritten war (nach Eich¬
horst, Handbuch der sp. Path. u. Therap., 1890, Bd. n, S. 613).
Aus Schetelig's Beobachtung geht hervor, dass einerseits der positive
Nachweis von Paralbumin, anderseits der negative Befund des
Fehlens von Harnstoff keineswegs mit absoluter Sicherheit die
Differentialdiagnose zwischen Ovarialcyste und Hydronephrose zu
Gunsten ersterer zu stellen gestatte.
Bedenkt man die Möglichkeit, dass sowol bei Ovarialcysten,
als auch bei der Hydronephrose, das Flüssigkeitsquantum ein
ganz enormes sein kann, {Zieleimce fand bei einer 69jähr. Frau
bei Hydronephrose 30, einmal sogar 36 Liter Fluidum) so ist da¬
durch ein weiteres Moment gegeben, die Differentialdiagnose
wesentlich zu erschweren, v. Jaksch 1 ) betont gleichfalls die Mög¬
lichkeit, zuweilen Harnstoff und Harnsäure in Ovanalcysten-Flüssig-
keit nachweisen zu können.
Ein besonderes Gewicht legt genannter Autor aber auf die
mikroskopische Untersuchung und den dadurch möglichen Nachweis
von Harncanälchenepithelien; er sagt an der betreffenden Stelle:
„Wir möchten nochmals hervorheben, dass das grösste diagnostische
Gewicht zu legen ist auf die Auffindung der ganz charakteristischen
Harncanälchenepithelien; da sie sich jedoch in derartigen Cysten¬
flüssigkeiten nur in geringer Menge vorzufinden pflegen, so empfiehlt
es sich, Punctionsflüssigkeit sedimentieren zu lassen, am besten
mit Hilfe der Centrifuge und das Sediment zu untersuchen.“
Als charakteristisch für Ovarialcysteninhalt wurde das Vor¬
kommen von Metalbumin (Paralbumin) bezeichnet; betreffs des Nach¬
weises und der chemischen Reactionen dieses Eiweisskörpers ver¬
weise ich auf ebengenanntes Werk.*)
Entsprechend der Erfahrung, dass in manchen Fällen auch
Hydronephrosen eine enorme Grösse erreichen können, wie wir sie
sonst, Ascites ausgenommen, nur bei Ovarialcysten zu beobachten
gewohnt sind, dürfen wir bei auffaUender Vergrösserung des Ab-
*) Klin. Diagnostik innerer Krankheiten. Wien 1892. S. 447.
*) Huppert, Prag. med. Wochensohr. 1870. Nr. 821.
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen. 229
domens niemals vergessen, dass dieselbe durch Hydronephrose be¬
dingt sein könne.
Nun werden aber gerade Wandernieren häufig zu hydro-
nephrotischen, und fällt somit ein weiteres differential-diagnostisches
Moment, welches man darin suchen zu können glaubte, dass man
sagte: Nierentumoren wüchsen von oben nach unten, Ovarien¬
tumoren drängen von unten nach oben vor, weg.
Letzteres Moment wurde bekanntlich von Spencer Wells (die
Krankheiten der Eierstöcke 1874, S. 159) mit der anschliessenden
Bemerkung, dass Ovarialtumoren vor, Nierengeschwülste hinter den
Därmen lägen, als differential-diagnostisch verwerthbares empfohlen;
aber beiden kann ein absoluter Werth nicht zugesprochen werden,
besonders ersterem Moment nicht, welches in der Regel nur durch
anamnestische Angaben zuweilen sehr zweifelhaften Werthes zu er¬
halten ist
Was die klinischen Untersuchungsmethoden zur Feststellung
der Diagnose der Hydronephrose einerseits, der Ovarialcysten
andererseits anbelangt, muss ich auf die bezüglichen Stellen in
den Lehr- und Handbüchern der internen Medicin, resp. Chirurgie
und Gynaekologie verweisen. 1 ) Beherrscht man die genannten Unter¬
suchungsmethoden bis zu jenem Grade der Vollkommenheit, zu
welchem sie ausgebildet sind, so wird sich auch die Zahl der Fälle,
in welchen eine bestimmte Diagnose nach der einen oder anderen
Richtung nicht gestellt werden könnte, wesentlich beschränken
lassen, immerhin aber doch eine gewisse Anzahl solcher übrig
bleiben, wo alle Hilfsmittel moderner Untersuchungstechnik nicht
hinreichen, die Differentialdiagnose präciser als mit einem gewissen
Grade von Wahrscheinlichkeit zu stellen. Wir wollen, ohne mit
dem Folgenden Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu können,
versuchen, einige Anbaltspuncte für die erfahrungsgemäss am häu¬
figsten in Betracht kommende Differentialdiagnose zwischen Hydro¬
nephrose und Ovarialcyste zu geben.
Zuweilen können anamnestische Angaben, wenngleich solchen
häufig, selbst wenn sie von intelligenten Patientinnen gemacht
werden, ein nur zweifelhafter Werth beizumessen ist, unsere
Diagnose auf die richtige Fährte lenken.
Wo hauptsächlich Störungen von Seiten der Harnsecretion ge¬
klagt werden, ist es naheliegend, in erster Linie an Affectionen
der Nieren zu denken, wo solche von Seiten der Menstruation an-
‘) Vergl. unter anderen: Eichiiorst, II, 614, Fritsch, d. Krankheiten der
Frauen 1894 p. 448.
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230
Dr. Ludwig Knapp.
gegeben werden, solche der Eierstöcke zu vermuthen. Doch kommen
bekanntlich sowol bei cystischer Degeneration der Ovarien
Störungen im Bereiche des Harnapparates vor, als, wie wir bereits
gehört haben, Menstruationsanomalien bei der Wanderniere keinen
allzu seltenen Befund darstellen. Die Duplicität der in Betracht
zu ziehenden Organe erschwert die Diagnose und trübt insofern
das Krankheitsbild, als wir die Leistung der einzelnen Nieren nur
zeitweise, die eines einzelnen Ovariums überhaupt gar nicht zu
prüfen im Stande sind.
Es kann die eine Niere vollkommen hydronephrotisch zu Grunde
gegangen sein, und doch die Quantität des aufgefangenen Harnes
normal erscheinen, es tritt eben die gesunde Niere für die ausser
Thätigkeit gesetzte ein.
Es sind Fälle von beiderseitiger Hydronephrose bekannt, wo
die Harnuntersuchung weder in quantitativer noch in qualitativer
Richtung die Grenze des Physiologischen überschreitende Befunde
ergeben hätte. 1 )
Ein Analogon hiezu ist die vollkommene cystische Degeneration
eines Ovariums bei fortdauernd typischem Fortbestehen der Periode.
Aber auch beide Ovarien können nahezu vollständig cystisch de¬
generiert sein und doch braucht die Menstruation keine wesent¬
lichen Modificationen zu zeigen.
Wollen wir mit der grösstmöglichen Wahrscheinlichkeit die
Differentialdiagnose zwischen Ovarialcyste undHydronephrose stellen,
so sind wir auf die chemische Untersuchung der durch Probepunction
gewonnenen Flüssigkeit angewiesen, zumal dieselbe auch noch in
Bezug auf eine dritte Erkrankung, welche differential-diagnostisch
in Betracht kommen kann, Aufschluss zu geben im Stande ist,
nämlich die Echinococcen der Abdominalorgane.
Betreffs der chemischen Untersuchung der Echinococcen-
Punctionsflüssigkeit gilt nach v. Jaksch folgendes:
„Der Inhalt der Punctionsflüssigkeit ist klar, ihre Reaction
alkalisch, ihre Dichte meist gering, 1006—1*010. Sie enthält ge¬
ringe Mengen einer reducierenden Substanz (Traubenzucker), sehr
wenig Eiweisskörper und ist reich an anorganischen Salzen, als
Chlornatrium; bisweilen hat man in solchen Cysten Bernsteinsäure
und Inosit gefunden.“
Sehr wichtig ist die mikroskopische Untersuchung, vor allem
das Auffinden der Echinococcushaken oder der Theile der charakte-
') Unter anderen ein Fall Pawlik’s, in dem die chemische Untersuchung
der Pnnktionsflttssigkeit Serumglobulin, Serumalbumin, Sake de« Serums, aber
keine Hambestandtheile ergeben hatte.
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen. 231
ristischen, quergestreiften auf ihrer inneren Fläche gleichmässig
granulierten Echinococcusmembran. Allenfalls findet man auch in
einer solchen Flüssigkeit Scolices, welche ausgestreckt aus einem
mit zwei Hakenkränzen und vier contractilen Saugnäpfen ver¬
sehenen Vordertheile (Kopf) und einem sackförmigen, durch eine
ringförmige Einschnürung von letzterem getrennten Hintertheile be¬
stehen. Zur Auffindung derselben wird es sich empfehlen, die
Flüssigkeit zu centrifugieren“.
Wir haben uns bei der Frage der differential-diagnostischen
Entscheidung durch die chemische Untersuchung etwas länger auf¬
gehalten; die Bedeutung derselben rechtfertigt dies jedoch. Zur
Beleuchtung des Umstandes, dass im practischen Leben dieselbe
ihre volle Berechtigung verdienen würde, aber bisher doch noch
immer zu wenig berücksichtigt wurde, seien einige der zahlreichen
casuistischen Fälle von verhängnisvollen Verwechslungen von
Ovarialcysten und Geschwülsten der Niere zum Schlüsse angereiht
Löbker berichtet in einem Referate über eine Anzahl von in der
Greifswalder Klinik ausgeführten Laparotomien einen Fall von Ex¬
stirpation der rechtsseitigen Hydronephrose auf Grund eines „error
in diagnosi.“ Der Harn vor der Operation untersucht, zeigte nor¬
male Beschaffenheit; die chemische Untersuchung des Inhaltes des
Nierensackes ergab: mässig alkalische Reaction, kein Zucker, etwas
Eiweiss, 0*65 °/ 0 Harnstoff; der Harn aus der Blase an demselben
Tage schwach alkalische Reaction, kein Eiweiss, 2 3 °/ 0 Harnstoff.
Schramm 1 ) berichtet gleichfalls über Exstirpationen hydro-
nephrotischer Wandernieren, die als Ovarialcysten diagnosticiert
waren.
Die reichhaltige Literatur über Verwechslungen von Echino-
coccen mit hydronephrotischen Wandernieren und Ovarialcysten ist
bei Wiener 9 ) zusammengestellt, worauf ich hiemit verweise.
Zum Schlüsse der Besprechung der Diagnostik will ich nur
noch erwähnen, dass sogar noch ferner liegende Affectionen für
hydronephrotische Wandernieren oder umgekehrt gehalten werden
könnten, wie dies Ewald beispielsweise bei Behandlung der Diagnose
von Magendilatationen betont. Auch Pankreascysten könnten noch
in Betracht kommen, hier entscheidet einzig sicher die chemische
Untersuchung (s. v. JaTcsch, p. 446).
*) Centralblatt f. Gyn. 1899. p. 108.
*) Wiener, Archiv f. Gyn. Bd. XI. p. 580 f.
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232
Dr. Ludwig Knapp.
Die Wanderniere während der Schwangerschaft,
unter der Geburt und im, Wochenbette,
Das Verhalten von Nierendislocationen in der Schwangerschaft,
während der Geburt und im Wochenbette beansprucht eine geson¬
derte Besprechung.
In der Schwangerschaft haben Nierendislocationen im allge¬
meinen dieselbe Bedeutung wie ausser derselben, bis zu einem
gewissen Grade ist der Schwangerschaft ja (in den späteren
Monaten) sogar ein günstiger Einfluss zuzuschreiben. 1 )
Besteht aber bereits eine Nierendislocation vor Eintritt der
Gravidität, so kann sich dieselbe in den ersten Monaten, wie wir
dies bereits bei der Aetiologie erwähnten, verschlimmern.
Die Art und Weise, wie wir uns diese Thatsache zu erklären
hätten, haben wir bereits besprochen (gesteigerte Anteflexion des
vergrösserten Uterus). Es muss aus den an genannter Stelle auf¬
gestellten theoretischen Erwägungen die Möglichkeit zugestanden
werden, dass die Gravidität bereits vorhandene Dislocationen in
den ersten Monaten sowol zu steigern, als solche bei vorhandener
Disposition hervorzurufen im Stande sein könne. Insbesondere
wiederholte und rasch aufeinander folgende Schwangerschaften sind
hier in Betracht zu ziehen; also besonders jene, welche nur so
lange währen, als der vergrösserte Uterus noch im kleinen Becken
sich befindet oder Nabelhöhe nicht erreicht hat; die typische Ante¬
flexion desselben kann hier bei schlaffen Bauchdecken einen hohen
Grad erreichen. Folgen Fehlgeburten in den ersten Monaten der
Schwangerschaft häufiger auf einander, so ist die Möglichkeit der
Entstehung von Nierendislocationen auf dem bereits besprochenen,
rein mechanischen Wege gegeben; hiezu kommen als begünstigende
Momente noch die den Abortus begleitenden, oft reichlichen
Blutungen, etwaige gynäkologische Folgekrankheiten und schliess¬
lich die mit jeder Schwangerschaft einhergehende Erschlaffung des
Genitalapparates und der Bauchwand.
In den letzten Monaten der Schwangerschaft reponiert aber
der gravide Uterus geradezu dislocierte Nieren, falls ihre Dis¬
location nicht schon eine gewisse Grenze überschritten hat (Wander¬
niere UI. Grad.); gleichzeitig gibt er aber wieder durch Er¬
weiterung der Zwerchfellskuppel, welche sich im Wochenbette erst
allmähli ch zur Norm zurückbildet, Gelegenheit, dass die bis dahin
zurückgehaltene Niere, besonders wenn die Frauen zu früh das
*) Harrer u. Oppolxer beschreiben bekanntlich Rille von Heilungen der
Wanderniere dnrcb die Gravidität.
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Krauen.
233
Bett verlassen, nach abwärts dislociert wird. Die in der
Schwangerschaft gesteigerte Lordose der Lendenwirbelsäule be¬
dingt wol einen erhöhten Druck im Abdomen (Schate), welcher
Dislocationen der Niere entgegenwirkt; dieser sinkt aber mit der
Entleerung des Uterus sehr bedeutend und gerade diese Druck-
schwanknng ante et post partum, zusammengehalten mit den der
Geburt und dem Wochenbette eigentümlichen Schädigungen, er¬
klärt die Beobachtung, dass man zuweilen Wandernieren in relativ
kurzer Zeit nach einer Geburt auftreten sieht
Ist es richtig, dass in der Schwangerschaft die Nieren an
Grösse zunehmen, 1 ) so dürfte diesem Umstande bei Dislocationen
in den ersten Schwangerschaftsmonaten gewiss auch eine Bedeutung
zukommen.
Dass die Wanderniere direct für das Auftreten von Früh¬
geburten verantwortlich gemacht wurde, haben wir bereits erwähnt.
(Edeböhls). Mechanisch könnte eine (vergrösserte) fixierte Wander¬
niere im kleinen Becken der Vergrösserang des Uterus hindernd in
den Weg treten. Umgekehrt könnte wieder von Seite der wachsen¬
den Gebärmutter auf die Niere ein keineswegs gleichgültiger Druck 9 )
ausgeübt werden, so dass zweifellos höhere Grade von Wander¬
nieren besonders solcher, die fixiert sind, eine höchst unerwünschte
Complication der Schwangerschaft abzugeben im Stande wären.*)
Dasselbe gilt noch mehr von der angeboren fix dislocierten
Niere (Hufeisenniere).
Ob die Wanderniere in den ersten Schwangerschaftsmonaten,
wie theoretisch naheliegend, hochgradigere Beschwerden zu ver¬
ursachen im Stande sei, als ausserhalb der Gravidität oder gegen
deren Ende zu, wo, wie wir wissen, der Uterus direct ihre Re¬
position besorgt, habe ich von den zur Verfügung stehenden Fällen
nicht erfahren können.
In einem Falle klagte die Frau über Senkungsbeschwerden
und starkes Drängen nach abwärts, in einem anderen über Schwäche¬
gefühl, Ohnmachtsanwandlungen, stechende Schmerzen im rechten
Hypogastrium, Magendrücken, besonders nach dem Essen, Ob¬
stipation; beide befanden sich im H Grav. Monate.
In späteren Monaten der Schwangerschaft hatte ich Wander¬
nieren nachzuweisen, noch keine Gelegenheit, es dürfte ihr Nach-
') Kleimcächier, Grundriss d. Geburtshilfe p. 58.
*) Montauz , Obserrat clinic. Paus. 1889 beschreibt einen Fall von Ein¬
klemmung der Nieren durch den vergrösserten, graviden Uterus.
•) So aus neuester Zeit Albers-Schoenberg, Centrabl. f. Gyn. 1894, 48.
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234 t)r. Ludwig Knapp.
weis gegen das Ende der Gravidät hin sich auch immer schwieriger
gestalten.
Betrachtet man die Symptome, welche den ersten Schwanger¬
schaftsmonaten häufig, besonders hei Primiparen, eigen zu sein
pflegen, so lässt sich eine gewisse Aehnlichkeit mit denen, wie wir
sie bei der Wanderniere wiederfinden, nicht leugnen.
Man erklärt ihr Zustandekommen auf reflectorischem Wege
durch die Raumbeschränkung im kleinen Becken von Seite des
vergrösserten graviden Uterus; vielleicht wäre ein nicht geringer
Antheil derselben durch indirecten Zug an den Nieren auf dem
Wege der Ureteren, somit auf leichtere Formen oder den Beginn
von Nierendislocationen zu beziehen; post partum könnte ein un¬
geschickt und zur Unzeit (bei voller Blase!) ausgeführter Creek ?scher
Handgriff zu späteren Nierendislocationen Veranlassung geben.
Ein gleiches gälte nach denselben theoretischen Erwägungen für
viele reflectorische Erscheinungen bei Vergrösserung des Uterus
aus anderen Gründen z. B. Metritis. 1 )
Dass sich nicht bleibende oder hochgradige Dislocationen der
Niere entwickeln werden, sobald die Schwangerschaft ihren nor-
malen'Fortgang nimm t, und das Wochenbett entsprechend verbracht
wird, erklärt sich aus dem Umstande, dass zu erheblicheren Graden
von Lageveränderungen stets ein grösserer Zeitraum als der weniger
Monate benötigt wird und andererseits, wie bereits erwähnt, in den
letzten Monaten der Schwangerschaft von Seite des Uterus nicht
nur kein Zug auf die Nieren, sondern vielmehr ein Druck nach
aufwärts ausgeübt wird. Ich möchte die extramediane Stellung
des Uterus, wie wir sie häufig bei Schwangeren finden, auch zum
Theil für die häufigere Dislocation der rechten Niere verantworte
lieh machen, mich auf die Thatsache stützend, dass nach wieder¬
holten Schwangerschaften besonders der rechte Urether es ist,
welcher Form- und Lageveränderungen aufweist; meist erscheint
er dem der anderen Seite gegenüber stärker (hypertrophisch) *); er
ist periodisch aber auch Zerrungen ebenso wie Compression durch
den graviden Uterus ausgesetzt; gerade so wie Bonneauz s ) diesem
Umstande das häufigere Auftreten rechtsseitiger Nierenafiectionen
*) VergL Biliroth-Luecke , Handbuch der Frauenkrankheiten p. 929.
*) Sänger fand in einem Falle, wo 16 Schwangerschaften voransgegangen
waren, „den rechten Harnleiter stark hypertrophisch“; wir fanden bei unseren
Schwangeren-Üntersnchongen stets den rechten Ureter deutlicher tastbar als den
linken.
*) Bonneaux , Thcsede Paris, Steinbeil 1898.
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Klinische Beobachtungen Über die Wanderniere bei Frauen.
235
(consecutive Pyonephrosen) während der Gravidität zumisst, möchte
ich ein Gleiches fhr die Dislocationen der rechten Niere behaupten.
Schliesslich wäre den manchmal während der Gravidität be¬
obachteten Störungen in der Harnentleerung, sowie der häufig
bestehenden Obstipation der entsprechende Antheil an der Ent¬
stehung von Nierendislocationen zuzuerkennen.
Während der Geburt kann die dislocierte Niere eine sehr ver¬
hängnisvolle Complication vorstellen.
Hohl 1 ) theilt einen bezüglichen Fall mit, wo die dislocierte
Niere ein Geburtshindemis abgab; es erfolgten zwar wiederholte
und spontane, aber stets sehr schwere Geburten.
Da die Reihe der bisher gemachten Beobachtungen einerseits
eine noch nicht allzugrosse ist, andererseits aber die Frage des
Verhältnisses von Nierendislocationen zum Ablaufe des Geburts¬
actes für das Verhalten des Geburtshelfers praktisches Interesse
beansprucht, will ich sämmtliche aus der Litteratur mir zugäng¬
lich gewordenen, hiehergehörigen Fälle citiren.
Gusserow-Hueter-Freund verdanken wir Beobachtungen über
Dislocationen der linken Niere ins kleine Becken, welcher Umstand
mehrmals die Einleitung der künstlichen Frühgeburt erheischte.
Runge *) und Fischei s ) waren gezwungen die Frühgeburt einzuleiten.
Im ärztlichen Berichte des k. k. Gebär- und Findelhauses zu Wien
1858, 1860, 29, findet sich ein Fall von Ruptura uteri bei einer
V. para verzeichnet, herbeigeführt durch die Complication der
Geburt durch eine kindskopfgrosse Cyste der rechten Niere. In
neuester Zeit hat Albers-Schönberg einen Fall von Uterusruptur, bei
congenitaler Dystopie der linken Niere als Geburtshindernis, ver¬
öffentlicht (CentralbL f. Gyn. 1894. Nr. 48). Winckel 4 ) „fühlte bei
einer Zwillingsgeburt beide Nieren neben dem Uterus als Tumoren;
dieselben waren beweglich, traten aber nicht so tief herab, dass
sie die Geburt hindern konnten“. Er sagt darüber: „wenn ein
solcher Tumor verschieblich wäre, so würde natürlich die Repo¬
sition gemacht und die Retention durch flache Lage auf die ent¬
gegengesetzte Seite erzielt werden müssen“.
Einen auch in differential-diagnostischer Hinsicht interessanten,
bisher noch nicht veröffentlichten Fall verdanke ich der Beobach¬
tung meines hochverehrten Chefs des Herrn Prof. v. Rosthom.
J ) Hohl, Meckels-Archiv f. Anat u. Physiol. 1828. p. 855.
*) Prager med. W. 1885. Nr. 16.
•) Arch. f. Gyn. XLI, 99.
*) Lohrb. d. Geburtshilfe, Leipzig 1893. p. 531.
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Original frum
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Dr. Ludwig Knapp.
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Derselbe stammt aus der Klinik weiland des Herrn Hofrathes
Breisky in Wien ans dem Jahre 1889:
Es handelte sich um eine 38jährige, verheirathete Frau, welche bereits
zwölf lebende Kinder geboren hatte; [darunter drei Zwillingsgeburten, zwei
Zangen] die letzte Gebart (Zwillinge) war vor 17« Jahren erfolgt. Zweimal
und zwar mit zwei Monaten, und sechs Wochen hatte die Frau abortiert Ihre
Menstruation bot nichts Bemerkenswerthes dar, wurde aber von der Frau als
„stark* bezeichnet Im Jänner 1889 cessierte dieselbe, im Februar trat eine
eintägige Blutung ein, im März keinerlei Blutung. Am 5. April Eintritt in die
Klinik mit den Angaben, seit Jänner dieses Jahres an heftigen Kreuzschmerzen
zu leiden, Patientin sei ausserdem nicht fähig zu gehen.' — Seit 8 Tagen würden
angeblich Kindesbewegnngen gefühlt. Am Vortage Vormittag plötzliches Auf¬
treten von Schmerzen in beiden Flanken und im Hypogastrium unter wehen¬
artigen Schmerzen, Aufstossen und Erbrechen. — Stuhl noch am Morgen, seither
nicht mehr, seitdem auch kein Abgang von Flatus. Die Schmerzen breiteten sich
im Laufe des Tages auf das ganze Abdomen aus, der Bauchumfang nahm zu.
(N. U. = 113 cm.
Mitte zw. N. u. S. 83 cm.
Pr. N. 187* cm.
N. S. 33 cm.)
Es trat Fieber auf. Der aufgenommene Status ergab ausser nicht in Betracht
kommenden Befunden:
Respiration 48 v. costalem Typus. — Puls 132, leicht unterdrückbar. —
Temp. 38‘4, Abdomen mächtig aufgetrieben, in seiner unteren Hälfte eine diffuse
Resistenz bis handbreit über den Nabel reichend, die Partie über dieser Resistenz
elastisch, laut tympanitisch. Ausgesprochener Meteorismus; Palpation wegen
hochgradiger Schmerzhaftigkeit nicht möglich.
Die Dämpfung erstreckt sich von der rechten Flanke über nahezu die ganze
Abdominalhälfte und geht in die Leberdämpfung über; mit einem Zwickel reicht
sie oberhalb des Nabels über die Medianlinie.
Corpus uteri nicht abtastbar, Cervix gelockert, P. vag. durch tiefgreifende
Risse gespalten, Cervicalkanal Air d. Finger durchgängig, im Douglas eine
Qeaehmdst, welche faustgross für die extraulerine Placenta gehalten wurde.
Die klin. Diagnose wurde auf:
Peritonitis (Gravid, extrauterina, Incarceratio intestini?) — gestellt, und da die
bedrohlichen Erscheinungen, vor allem das Erbrechen fortdauerte, am 6,/4.
Nachmittags zur Operation geschritten. Op. in V/i stdL Chlor. Nark. (H. Prof.
Rosthorn.)
Im Laufe derselben ergab sich:
„der vergrösserte schwangere Uterus liegt in der rechten Bauchhälfte, die linke
Seite nimmt ein blauschwarzes (gangränescierendes) Darmschlingenconvolut von
ungefähr Meterlänge ein, welches an der linken Seite des Uterus, an dem Becken¬
eingange fixiert erscheint und sich scharf gegen den wenig injicierten Nachbar¬
darm absetzt. Nach Aufrollung des Volvulus erscheint an dem Stiele desselben
ein Strang, der von der linken Uterusseite gegen die äussere Beckenwand zieht
und an dieser Seite den Darm incarceriert; Durchtrennung des Stranges, Resection
des gangränösen Darmes, Anlegung eines anus arteficialis.
Nach der Operation erholte sich die Frau, der Puls wurde ruhiger; um neun
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen.
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Uhr Abends erfolgte Abortus einer 6—7 monatl. Frucht, gegen Morgon des
folgenden Tages trat jedoch Collaps und um 7*7 Uhr exitus letalis ein.
Die Obduotion bestätigte die klin. Diagnose Peritonitis; der Uterus erschien
vergrößert, nach rechts gelagert, fettig gelb gestreift, matsch, enthielt Blut¬
gerinnsel (Andeutung v. Ut bicornis), die linke Niere befand sich an der normalen
Stelle, die rechte war tief im Becken an der Symph. sacro-iliaca dextra gelagert.
Somit war der bei der inneren Untersuchung durch das hintere Scheiden¬
gewölbe für die extra-uterine Placenta gehaltene Tumor die hochgradig ver¬
lagerte, vergrösserte rechte Niere gewesen.
Interessant ist, dass die gewiss schon lange bestandene Wanderniere bei
den früheren Geburten (vor 17* Jahr war ja noch Zwillingsgeburt erfolgt) keinerlei
Störungen derselben oder Unterbrechungen der Schwangerschaft hervorgerufen
batte (die zweimal erfolgten Fehlgeburten dürften wol nicht auf dieselbe zurück-
zuführen sein).
Im Wochenbette ist zur Entstehung von Nierendislocationen
insoferne Gelegenheit gegeben, als der vergrösserte, schlaffe Uterus
an den gleichfalls erschlafften Bauchdecken keinen Halt findend,
sobald die Frauen zu früh das Bett verlassen, auf dem bereits
wiederholt angedeuteten Wege den Befestigungsapparat der Niere
lockern kann.
Es gilt dies nicht nur von dem der normalen Beendigung der
Schwangerschaft folgenden Wochenbette, sondern insbesondere auch
von denen nach Fehlgeburten. Gerade in dieser Zeit wird so
häufig die normale Involution des Genitales durch unzweckmässiges
Verhalten hintangehalten, so dass schon dadurch allein, noch
mehr aber durch die nicht selten eintretenden Folgeerkrankungen
(wir nennen hier nur die Metritis), 1 ) Dislocationen der Niere be¬
günstigt werden können.*)
Das bis jetzt Besprochene zusammenfassend, bemerke ich, dass
zweifellos Beziehungen zwischen der Entstehung der Wanderniere
und dem physiologischen Ablaufe der Generationsvorgänge des
Weibes bestehen können, und dass, wie wir gesehen haben, nicht
nur letztere Nieren-Dislocationen zu veranlassen oder zu steigern
imstande sind, sondern auch die Wanderniere bisweilen als bedenk-
*) Kleinwächter, 1. c. p. 293.
*) Ans diesem Grande wäre allen Müttern, bei denen nicht Gegenanzeigen
bestehen, nachdrücklich zu empfehlen, ihre Kinder selbst zu stillen, nachdem der
günstige Einfluss des Stillgeschäftes anf die Rückbildung der Gebärmutter all¬
gemein bekannt ist. Scanxoni („Die chronische Metritis“) sagt diesbezüglich
(p. 230): „wüssten die Frauen, wie sehr sie sich selbst durch das Nichtnähren
ihrer Sünder schaden, wüssten sie, wie bitter diese Unterlassungssünde mit
einem oft jahrelangen Siechthum gebüsst wird, so würden sie aus Egoismus
einer Unsitte entsagen, die gewiss alljährlich Tausende von Kindern mit ihrem
Leben bezahlen“.
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238
Dr. Ludwig Knapp.
liehe Complic&tion dieser physiologischen Vorgänge anfgefasst werden
muss. Insbesondere möchte ich noch auf die Bedeutung wieder¬
holter Fehlgeburten für die Wanderniere hin weisen, nicht im Sinne
der Autoren, welche die Nierendislocationen fiir das Auftreten der
Fehlgeburten verantwortlich machen, sondern von dem bereits an¬
gedeuteten Gesichtspunkte aus, wonach durch dieselben mannig¬
faltige Schädigungen des Gesammtorganismus (Anämie u. s. w.),
sowie einzelner Organe, welche direkt oder indirekt für die Lage¬
erhaltung der Niere von Bedeutung sind, (Peritoneum 1 ), Uterus,
Blase u. s. f.) herbeigeführt werden können.
Auf 100 Fälle von Wandernieren kamen unter meinen Be¬
obachtungen im ganzen 59 Fälle von Fehlgeburten bei den be¬
treffenden Frauen.
Complicationen und
seeundäre patholog. Veränderungen der Wanderniere.
Stellt die Wanderniere schon an und für sich eine Erkrankung
der Frau dar, so können wir ausserdem noch von specieUen Er¬
krankungen der Wanderniere sprechen.
Die Wanderniere kann natürlich an allen jenen Affectionen
erkranken, denen die normal fixirte Niere ausgesetzt ist; für
gewisse derselben bietet sich vermöge der geschädigten Circulations-
verhältnisse eine grössere Disposition. Hypertrophie der einen Niere
bei Dislocation der anderen finden wir wol häufig; es kann sowol
die Wanderniere, als die normal gelagerte hypertrophieren; die
Grade der Hypertrophie, resp. Atrophie sind in der Regel keine
bedeutenden und bieten diese Befunde für Wandernieren nichts
charakteristisches; (sie sind ja auch bei normal gelagerten Nieren
kein allzu seltenes Vorkommnis, wie ich kürzlich bei der Autopsie
einer an Anaemia gravis ex atonia uteri post partum verstorbenen
Frau Hypertrophie der einen Niere bei Atrophie der anderen zu
Haselnussgrösse beobachten konnte; beide Nieren befanden sich in
normaler Lage.)
Vermöge der geänderten Circulationsverhältnisse wären ent¬
zündliche Erkrankungen des Parenchyms, insbesondere chronischer
Art wol zu erwarten, dürften im allgemeinen aber nicht häufig
sein; (Eiweiss findet man bei Wandernieren nicht viel häufiger
*) Vergl. Amontn, Klinik der Wochenbettskrankheiten. 1877 .... „ver¬
nachlässigte Wochenbetten rufen bleibende Erschlaffung der Bauchdecken und
mangelhafte Retraction der verlängerten Bauchfellfalten hervor".
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen.
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als sonst im Harne.) Pyelitis 1 ) und andere mit Eiterbildung ein¬
hergehende, destruierende Processe wären, falls sie bei Wander¬
niere häufiger gefunden würden, aus der leichteren Möglichkeit
der Einwanderung von Infectionserregem von der Blase aus bei
hochgradiger Dislocation und Dilatation der Uretheren verständlich.
Peri- und paranephritische Processe können zur Fixirung der
Wanderniere an abnormer Stelle führen.®)
Hydronephrose findet man bei Wanderniere nicht selten, frei¬
lich ist es oft schwer, zu entscheiden, welches das primäre Leiden
war; in der Mehrzahl der Fälle dürfte die Wanderniere hydrone-
phrotisch geworden sein; interessant ist die intermittierende Hydro¬
nephrose, welche wir in einem Falle beiderseitig zu beobachten
Gelegenheit hatten.
Ein zweiter hieher gehörige Fall bietet insoferne besonderes
Interesse, als die intermittierende Hydronephrose bei einer Patientin
stets nur zur Zeit ihrer Periode nachweisbar war; der Uterus
der Patientin lag retroflectiert, Niere und Urether waren verlagert;
letzterer war zur Zeit der vermehrten Congestion der Gebärmutter
während der Menstruation comprimiert, erzeugte regelmässig Hydro¬
nephrose, welche nach Aufhören der Periode unter reichlicher
Harnentleerung wieder verschwand. Die Hydronephrose erreichte
jedesmal Kindskopfgrösse; in der intermenstruellen Zeit fühlte die
Frau keinerlei Beschwerden.*)
Hydronephrosen bringen begreiflicherweise wieder an sich eine
ßeihe von Gefahren; sie können vereitern (Pyonephrose), durch
excessive Grösse wesentliche Beschwerden verursachen u. a. m.
Kehrer 4 ) beobachtete einmal Gasbildung in einem Hydronephrosen-
sacke; auch wandernde Cystennieren sind beobachtet. 6 ) Dass endlich
Wandernieren ebenso, vielleicht aber auch häufiger als normale
maligen degenerieren können, ist bekannt. Unter den von uns
beobachteten Fällen findet sich einmal carcinomatöse Degeneration
*) Bonneau, Ueber Compression der Ureteren durch den graviden Uterus
und über conaecutive Pyonephrosen. Thäse de Paris. Steinheil 1893.
*) Flaischlen berichtete in der Gesellschaft für Geb. und Gyn. zu Berlin
kürzlich über Pyonephrose einer fix dislocierten Niere; dieselbe stand mit ihrer
Längsaxe senkrecht zur Wirbelsäule. (Centr. für Gyn. 1896. Nr. 27).
*) Aus der Literatur sind zahlreiche Fälle intermittierender Hydronephrosen
bekannt, u. a. aus neuerer Zeit: Qcrard-Marchand, zwei Fälle, Gaz. des hop.
1898. Nr. 62.
*) Kehrer, Gashaltiger Hydronephrosensack. Arch. für Gyn. XVIII, 871.
*) Riegner, Exstirpation einer wandernden Nierencyste. Deutsche med.
Wochenschr. 1888 Nr. 3. — Cohen , Ueber Cystenniere. Centr. für Gyn. XVIII, 1894.
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240
Dr Ludwig Knapp.
einer Wanderniere. Sarcome dürften wol primär in der fixen Niere
entstehend, durch ihr Gewicht die Niere zur beweglichen machen.
Die Wanderniere als ätiologisches Motnent .
Von verschiedenen Seiten wurde die Wanderniere geradezu
als ätiologisches Moment für gewisse Affectionen oder Erkrankungen
hingestellt; wir haben zum Theile davon bereits bei Besprechung
der Symptomatologie gehandelt, es genügt daher hier nur an einiges
davon zu erinner^ und weniges neue beizufügen. Wir haben gehört,
dass sogar in einem Falle der Wanderniere die Auslösung epilep¬
tischer Krampfanfälle zugeschiieben wurde (Tülmanns) ; von den
leichteren Erkrankungen bis hinauf zu den schweren und schwersten
gibt es nur wenige (mit Ausnahme der infectiösen Erkrankungen) *),
deren Entstehung man nicht mit Nierendislocationen in Zusammen¬
hang zu bringen versucht hätte. Vor allem gilt das von den
Affectionen des Nervensystemes mit ihren mannigfachen Aeusserungen
in den verschiedenen Organen und Organsystemen des Körpers.
Der Wanderniere, als einem für sich bestehenden Leiden, kommt
nicht nur eine Reihe der bereits gewürdigten Symptome zu, man
hat auch in ihrem Bestände die Veranlassung zur Entstehung
anderweitiger theils reflektorischer, theils sogar anatomisch nach¬
weisbarer Krankheitsäusserungen im menschlichen Körper gegeben
wissen wollen. Doch hat es diesbezüglich an heftigen Controversen
niemals gefehlt, und nur die eine Frage, ob beispielsweise eine
gleichzeitig bestehende Magendilatation *) von Nierendislocationen
oder andererseits wieder letztere als von ersterer abhängig zu
betrachten seien, hat zu weitläufigen und häufigen Discussionen
Veranlassung gegeben, an denen sich Internisten in gleicher Weise
wie Gynäkologen betheiligten.
Eichhorst *) bezieht die Magendilatation auf „Innervationsstörungen
und Magenatonie“. Lindner, MaJhranc *), Schütz 6 ), v. Fischer-Benzon,
Oser, Landau, Leube , Ewald, Nothnagel, Litten •) u. a haben Magen-
*) Und nach Thiriar 1. c. selbst diese.
*) Kuttner, Münchener med. Wochenschr. 1894, p. 380 f. — fand unter 89
Fällen von Wandernieren 79 mal Vergrösserung, resp. Tiefstand des Magens.
•) 1. c. p. 604.
*) Malbranc, Ein complicierter Fall von Magenerweiterung. Berl. klin.
Wochenschrift 1880. Nr. 28.
•) Schütz, Wanderniere und Magenerweiterung. Prager med. Wochen¬
schrift 1886.
6 ) JÄtfen, Verh. d. Congr. für innere Med. 1887.
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen.
241
erweiterung bei Wanderniere gesehen;>) auch in einem Falle eigener
Beobachtung bestand eine solche ausgesprochenster Art; Bartels
und Müller-Warneck wollten die Magenerweiterung als con-
secutive (Compression des Duodenums durch die verlagerte
Niere) erklären; gegen diese Ansicht haben sich jedoch sämmt-
liche vorhingenannten Autoren ausgesprochen; eine nennenswerthe
Compression des Duodenums kommt durch die (mobil) dislocierte
Niere nicht zu Stande, viel plausibler ist die Ansicht Landaü's
zufolge der anatomischen Verhältnisse des Peritoneums in solchen
Fällen eine Abknickung des Duodenums anzunehmen.
An dieser Stelle will ich nur noch darauf hinweisen, dass
sogar Allgemeinleiden, und zwar ein gerade bei jungen Frauen und
Mädchen so verbreitetes und bedeutungsvolles Leiden, wie es die
Anämie (Chlorose) ist,’) von Lindner auf das Bestehen von Nieren-
dislocationen zurückgeführt werden, er sagt®): „Ich verfüge über eine
relativ bedeutende Zahl von Fällen, in welchen Anämie, nachdem
sie vorher jeder Behandlung getrotzt hatte, nach Anlegung einer
die Wanderniere feststellenden Binde entweder ganz ohne Medication
oder wenigstens unter Anwendung von sehr leichten, wenig ein¬
greifenden Mitteln sich verlor und ich halte mich zu der Be¬
hauptung berechtigt, dass ein grosser Theil der bei vorher ge¬
sunden, aus erblich nicht belasteten Familien stammenden jüngeren
Patientinnen jenseits der Pubertät sich ausbildendon Anämien,
für die eine besondere Ursache nicht gegeben ist (Blutungen,
schwere Krankheiten u. s. w.) auf Wanderniere zurückzuführen
sind, kann daher nicht genug meine oben ausgesprochene Mahnung
wiederholen, jedes junge Mädchen mit länger dauernden Ernährungs¬
störungen auf Wanderniere zu untersuchen.“
Wir haben thatsächlich bei jungen Mädchen (Nulliparen), welche
anscheinend an primärer Enteroptose litten (Wanderniere war
*) Litten, Ueber den Zusammenhang der Magenkrankheiten und Lage-
Veränderungen der rechten Niere. Verh. d. Congress. für innere Medic. 1887.
p. 828.
*) Eickhorst II. p. 605.
*) Nach E. Meinert, CJeber einen bei gewöhnlicher Chlorose des Entwicklungs¬
alters anscheinend constanten pathol.-anatom. Befund und Uber die klinische Be¬
deutung desselben (Sanunl. klin. Vortr. N. J. Nr. 115 und 116. Leipzig) — findet
sich bei Schülerinnen mit typischer Chlorose stets Enteroptose, wenigstens als
Oastroptose (nach künstlicher Auftreibung des Magens) nachweisbar, nach M.
primär, die Chlorose darnach sccundär.
Huber, Beitrag zur Kenntnis der Enteroptose. Corr.-Bl. der Schweiz. Aerzte
1895. Nr. 11. Unter 28 Fällen von Enteroptose 24 mal Nephroptose, dieselbe
7 mal mit Oastroptose combiniert.
Zeitschrift für Heilkunde. XVII.
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Original fram
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242
Dr. Rudolf Knapp.
nicht immer nachweisbar), einigemale vom Tragen einer ent¬
sprechenden Leibbinde unter Beobachtung einer rationellen Lebens¬
weise (Regelung des Stuhles, der Bewegung) erhebliche Besserung
des Allgemeinbefindens und Ernährungszustandes, Schwinden subj.
und obj. (Fidschis Hämometer) Zeichen der gleichzeitig bestehenden
„Blutarmut“ gesehen.
Zur Prognose der Wanderniere,
Stellt die Wanderniere zweifellos für viele Frauen ein sehr
ernstes Leiden dar, welches ihnen nicht nur den Lebensgenuss,
sondern auch die Schaffenskraft vollständig benehmen kann, so ist
die Prognose quoad vitam, falls sie nicht Anlass zu Fehldiagnosen
und verhängnisvollen Eingriffen abgibt, als eine durchaus günstige
zu bezeichnen, 1 ) d. h. direct droht von Seite der Wanderniere nie¬
mals augenblickliche Lebensgefahr.
Selbst die bedrohlichen Erscheinungen einer „Einklemmung“
derselben gehen bei zweckmässigem Verhalten wieder vorüber.
Dieselbe scheint überdies nicht sehr häufig vorzukommen, wenigstens
beobachteten wir bisher keinen Fall einer solchen; im übrigen ist
die Prognose betreffs des Allgemeinzustandes von dem Allgemein¬
befinden d. h. von den durch die Wanderniere bedingten Beschwerden
abhängig. Es gibt erfahrungsgemäss Frauen, welche von dem Be¬
stehen ihrer Wanderniere keine Ahnung oder wenigstens keinerlei
Beschwerden haben; für dieselben ist eigentlich die Dislocation der
Niere ein ganz belangloses Factum, freilich darf man nicht ver¬
gessen, dass von jeder Zeit an Beschwerden von Seiten derselben
eintreten können, es gilt dies besonders von schweren Körper¬
anstrengungen, vor denen sich diese Frauen sorgfältig zu hüten
haben werden.
Ich möchte die Prognose im einzelnen Falle überhaupt mit
Rücksicht auf die äusseren Verhältnisse, in denen sich die Patien¬
tinnen befinden, stellen.
Demnach können hochgradige Nierendislocationen bei ent¬
sprechender Ruhe und Schonung der Frauen weit weniger Be¬
schwerden verursachen, als geringgradige Lageveränderungen bei
solchen, die gezwungen sind, schwere körperliche Arbeit zu ver¬
richten.
Die Prognose bezüglich der Beseitigung bestehender Be¬
schwerden — denn eine restitutio ad integrum ist ja selbst bei
’) Trousseau sagt: „Die Prognose der Wanderniere ist in keiner Weise eine
ernsthafte, nur die IrrthOmer, zu denen dieses Leiden Veranlassung geben kann,
machen sie zu einer ernsten. 1 '
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen.
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sorgfältigster conservativer Behandlung nicht denkbar — richtet
sich gewiss nach der Daner, etwaigen Complicationen and be¬
gleitenden Erkrankungen der bestehenden Wanderniere
Selbstverständlich geben im Allgemeinen kürzere Zeit be¬
stehende und daher geringgradigere Dislocationen eine günstigere
Prognose als Wandernieren III. Grades, die Insulten weit mehr
ausgesetzt sind, viel leichter „eingeklemmt“ werden, endlich fixirt,
besonders in gewissen Abschnitten des Geschlechtslebens des Weibes
(zur Zeit der Menstruation, zur Zeit der Geburt) eine gefährliche
Störung im sonst normalen Ablaufe physiologischer Vorgänge ver¬
ursachen können. Ich habe erwähnt, dass von einer Reposition
der dislocierten Niere auf conservativem Wege (durch Massage,
Bandage u. s. w.), von einer restitutio der anatomischen Verhält¬
nisse ad integrum keine Rede sein könne; 1 ) das kann uns aber
vom klinischen Standpunkte aus ganz gleichgültig sein, wir streben
nur die Beseitigung der Beschwerden an, nicht nur bei der Wander¬
niere, sondern auch bei vielen anderen Affectionen, die wie die
Wanderniere keine indicatio vitalis zu eingreifenderem Vorgehen
erfordern. Ohne auf die chirurgische Behandlung der Wanderniere
im Folgenden überhaupt einzugehen, will ich nur bemerken, dass
ja auch die Nephrorrhaphie keine normalen Verhältnisse wieder¬
herzustellen imstande ist; Prof. Riedel’s Methode sucht durch An-
nähung der Niere an das Zwerchfell, mit dem sie dessen Athem-
bewegungen mitzumachen hätte, möglichst die physiologischen Ver¬
hältnisse herzustellen und nachzuahmen; was dieselbe zu leisten
berufen sein wird, muss noch abgewartet werden. Die bisher mit-
getheilten Resultate scheinen günstig.
Eine Prognose quoad sanationem gibt es also für die Wander¬
niere nur in beschränktem Maasse, d. h. man kann keiner Patientin
versprechen auf conservativem Wege ihre Affection zu „heilen“,
die vorhandene Dislocation vollkommen zu beseitigen; wol aber gilt
dies zum Glück für viele Fälle in Betreff der durch die Wander¬
niere ausgelösten Beschwerden. Bei entsprechend langer und sorg¬
fältiger Behandlung, der Möglichkeit der Schonung und Vermeidung
für die Dislocation der Niere erfahrungsgemäss schädlich wirkender
äusserer Einflüsse, kann man den meisten Frauen in Aussicht stellen,
mittelst der conservativen Behandlung günstige, dieselben voll¬
ständig befriedigende Resultate zu erzielen.
Wir haben bei Besprechung der Symptomatologie der Wander-
*) VergL diesbezüglich Hertx, Abnormitäten in der Lage und Form der
Baachorgane bei dem erwachsenen Weibe, eine Folge des Schnttrens und Hänge-
banches. Berlin 1894.
16*
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Dr. Ludwig Knapp.
niere erfahren, wie vielgestaltig das Bild der Beschwerden, welche
durch dieselbe veranlasst werden können, sein kann, und doch
kann in den meisten Fällen mit einem Schlage dasselbe zum Ver¬
schwinden gebracht werden. Das sind eben die prognostisch
günstigsten Fälle. Bei diesen sind wir durch einen einfachen, nie
im Stiche lassenden Versuch in jedem Falle in der Lage zu be¬
stimmen, ob unsere conservative Therapie von Erfolg gekrönt sein
werde.
Ein einfacher Handgriff, von den Franzosen zuerst angegeben,
belehrt uns hierüber; gelingt es nämlich durch einen mit der
flachen Hand der Seite der Dislocation entsprechend mässigen nach
ein- und zugleich aufwärts wirkenden Druck momentan der Frau
eine Erleichterung oder vollständiges Aufhören der Beschwerden
zu verschaffen, so können wir derselben eine ausserordentlich
günstige Prognose stellen, insofeme nämlich eine entsprechende
Bandage für immer den versuchsweise erzielten Effect erwarten
lässt. Gelingt es zunächst die mechanische Störung auf diese Weise
zu beseitigen, d. h. die Niere, soweit dies überhaupt möglich ist, zu
reponieren und reponiert zu erhalten, so schwinden in der Regel
bald auch die reflectorischen Erscheinungen von Seite des Magens,
Nervensystems u. s. w., kurz, die Frau fühlt sich wieder gesund.
Wo dies nicht möglich, ist freilich die Prognose insofeme ernst,
als, wie wir gesehen haben, dann schwere Symptome bestehen
bleiben, auch wie bereits erörtert, die Wanderniere selbst eine Reihe
von Schädigungen hervorrufen kann. Die schweren Symptome von
Seiten des Verdauungsapparates treten dann oft so sehr in den
Vordergrund, dass die Prognose des weiteren Allgemeinzustandes
von denselben abhängig zu machen sein wird. Jedenfalls ist endlich
noch zu berücksichtigen, dass die Prognose betreffs der Wandernieren
stets nur für eine gewisse Zeit zu stellen ist, d. h. dass jederzeit
entweder vorher nicht bestandene Beschwerden eintreten, bereits vor¬
handen gewesene wieder auftauchen oder sich verschlimmern können.
Zur Prophylaxe der Wanderniere,
Wir haben unseren bisherigen Auseinandersetzungen nur noch
einiges über die Verhütung und Behandlung von Nierendislocationen
anzuschliessen.
Mit voller Berechtigung kann man von einer Prophylaxe
der Wanderniere sprechen. Aufgabe dieser wird es sein, einer¬
seits alle jene Momente hintanzuhalten, welche wir bei Be¬
sprechung der Aetiologie im allgemeinen und einzelnen kennen
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Klinische Beobachtungen Über die Wanderniere bei Frauen.
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gelernt haben, andererseits, falls dieselben bereits schädigend ein-
gewirkt haben, ihren Einfluss möglichst zu beschränken.
Dass sich die Frauen überhaupt und vor allem zu gewissen
Zeiten ihres Geschlechtslebens vor allzu schweren körperlichen
Anstrengungen hüten sollen, ist und wird immer nur ein frommer
Wunsch bleiben.
Welche tiefgreifenden Störungen im Organismus der Frau
könnten dadurch eliminiert werden, wenn jede derselben sich bewusst
würde, wie schwer sich an ihr selbst unter Umständen Nicht¬
beachtung gewisser hygienischer Vorschriften und Verhaltungs-
massregeln rächen kann ! Viele Frauen sündigen geradezu auf ihre
Gesundheit, nicht so sehr durch absichtliche Schädigungen, als
vielmehr durch eine gewisse Gleichgültigkeit in der Erhaltung und
Bewahrung derselben; so ist, um nur ein Beispiel hervorzuheben,
die bei so vielen Frauen anzutreffende chronische Obstipation sehr
häufig als „schlechte Gewohnheit“, die durch zweckmässiges
diätetisches Verhalten und entsprechendes Entgegenkommen des
Individuums den natürlichsten Bedürfnissen gegenüber beseitigt
werden könnte, zu bezeichnen.
Es ist eben ein Fehler der Erziehung, dass, wie auch manche
Mütter vergessen oder besser gesagt versäumen, ihre Töchter auf
den Eintritt der Menstruation und ein entsprechendes Verhalten
während derselben aufmerksam zu machen, dieselben auch darauf
nicht achten, dass von der frühesten Kindheit an der Stuhlgang
ihrer Töchter geregelt werde und geregelt erhalten bleibe.
Durch eine entsprechende Diät, in deren Auswahl und Ab¬
wechslung natürlich individualisiert werden muss, durch eine ge¬
wisse Gewöhnung in bestimmten Zeitperioden regelmässig die
Darmentleerung mindestens zu versuchen, endlich durch Folgeleisten,
falls zu aussergewöhnlicher Zeit sich das Bedürfnis derselben ein¬
stellen sollte, kann der Entwicklung der habituellen Obstipation
gewiss am besten vorgebeugt werden. Es ist zwar unverständlich,
aber Thatsache, dass häufig aus Bequemlichkeit, bisweilen aber
auch aus „Schamgefühl“ Frauen der Befriedigung ihrer natürlichsten
Bedürfnisse nicht nachgeben; damit kann aber der erste Schritt zur
Entwicklung habitueller Obstipation gegeben sein. Insbesondere
hätten sich Frauen, welche in Folge irgend welcher anderweitiger
Erkrankungen (Anämie, Chlorose, Erschlafiungszustände der Bauch¬
organe) zur habituellen Obstipation prädisponiert erscheinen, dies¬
bezüglich in Acht zu nehmen.
In vielen Fällen werden die einfachsten „Hausmittel“ aus¬
reichen, den Stuhlgang zu regeln und geregelt zu erhalten, also:
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246
Dr. Ludwig Knapp.
das mechanisch reizende Grahambrot, Obst, entweder frisch oder
conserviert, reichlichere Flüssigkeitszufuhr überhaupt oder zu ge¬
wissen Tageszeiten z. B. morgens nüchtern ein Glas frischen
Brunnenwassers u. s. w.
Eine zweckmässige Eintheilung von Zeit und Menge der
Nahrungsaufnahme, sowie von Ruhe und Bewegung, endlich gewisse
mechanische Maassnahmen, denen erfahrungsgemäss eine Beschleu¬
nigung und Regelung der Verdauungs vorgänge zukommt (Massage),
werden hier mehr leisten, meist sicherer, stets aber gefahrloser in
Anwendung gebracht werden können, als die zahllosen Medicamente,
die gegen Obstipation so häufig verordnet werden. 1 )
Weiterhin hätte sich die Prophylaxe der Wanderniere mit der
Prophylaxe der Erschlaffungszustände überhaupt zu decken *); es ist
dies vielleicht das umfangreichste Gebiet ihrer Aufgaben, denn
es umfasst eine grosse Reihe von zu berücksichtigenden Momenten.
Es muss vor allem dem Hängebauche 8 ) nach der Schwangerschaft
durch entsprechendes Verhalten im Wochenbette vorgebeugt, Er¬
schlaffungszustände (Dammrupturen) des Beckenbodens müssen sorg-
fältigst corrigiert werden. Es zerfällt hier der Wirkungskreis der
Prophylaxe in eine orthopädische 1 ) und operative Richtung.
Es empfehlen sich nicht nur des psychischen Effektes wegen,
sondern auch in Hinblick auf die Absicht, die Nierendislocationen
auf mechanische Weise zu beseitigen, hydro-therapeutische, mit
Massage verbundene Maassnahmen, Mastkuren, letztere eventuell
mit mehrwöchentlicher Bettruhe; (in neuerer Zeit wurde ja der Vor¬
schlag gemacht, durch den auf solche Weise zu erwartenden Fettansatz
in der Umgebung der Niere dieselbe sich wieder fixiren zu lassen.)
Erkrankungen, welche erfahrungsgemäss einen Einfluss auf
Nierendislocationen ausüben können (Emphysem, Metritis (?), Myome)
müssen rechtzeitig erkannt und entsprechend behandelt werden.
Magenaffektionen (vor allem Dilatationen) sind schon im Interesse
des Allgemeinzustandes sachgemäss zu behandeln. Allzuhäufige
*) ein unverantwortlicher Missbrauch, auf den in jüngster Zeit Sänger be¬
sonders aufmerksam gemacht hat. Vergl. auch Nicaise, Rev. g£n£r. de med., de
chir. et ä’obstetric. 1898 Nr. 87.
*) Le Oendre, Pathologie et Prophylaxie du rein mobile. Annal. des. mal. des
org. genit. urin. XII. 1884. 187.
*) Landau, Die Wanderleber und der Hängebauch der Frauen. Berlin
1885 p. 140 und Journal of Obstetrics, März 1884.
Meissner, In Schmidts Jahrb. 1869, Nr. 1. S. 107 f.
4 ) Orede. Archiv für Gyn. XXIV, p. 281.
Prochoumik, Die Diastase der Bauchmuskeln im Wochenbette. Arch. für Gyn.
J885, p. 419 f.
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Klinische Beobachtungen Uber die Wanderniere bei Frauen. 247
Schwangerschaften, zu langes Stillen, insbesondere häufiger Abortus
wären möglichst hintanzuhalten.
Wo schlaffe, insufficiente Banchdecken nicht nnr die Entstehung
des Hängebauches, sondern auch die von Nierendislocation befürchten
lassen, wird es sich empfehlen, prophylactisch entsprechende Binden 1 )
tragen zu lassen.
Zu gewissen Zeiten bedarf es aber grösserer Schonung der
Frauen, als sich die meisten derselben angedeihen lassen; dies gilt
besonders von den ersten Schwangerschaftsmonaten und vom Wochen¬
bette. Niemals können schwere körperliche Anstrengungen für die
Entstehung von Nierendislocationen so bedeutungsvoll werden, als
zu diesen Zeiten; unter solchen Umständen muss auch die Prophylaxe
eine aufmerksamere und gewissenhaftere sein.
Insbesondere gilt dieser Satz für das Verhalten nach Fehl¬
geburten; leider werden solche häufig zu wenig beachtet; viele
Frauen empfinden nicht, dass sie nach einer solchen geradeso
Wöchnerinnen sind, als nach einer am normalen Ende erfolgten
Niederkunft; die Ausserachtlassung dieses Umstandes rächt sich
aber meist sehr bitter.
Berücksichtigt man, ein wie schweres Leiden in manchen Fällen
die Wanderniere darstellt, so wird man stets, insbesondere aber
zu dieser Zeit, welche für die Entstehung von Nierendislocationen
am günstigsten zu sein scheint, mit allen zu Gebote stehenden
Hilfsmitteln dem Auftreten derselben vorzubeugen trachten.
Zur Therapie der Wanderniere,
Es handelt sich zunächst darum, die Frage zu erledigen, ob,
wenn eine vorgenommene Untersuchung lediglich objective An¬
zeichen des Bestehens einer Verlagerung der Niere ergeben hat,
es gerathen oder nothwendig ist, therapeutisch einzugreifen; die
Antwort hierauf lässt sich nicht in einem Satze geben.
Fälle von uncomplicierter Wanderniere, welche keineswegs
Beschwerden aufweisen, erfordern natürlich auch vorderhand keinerlei
Behandlung; es könnte sich nur darum handeln zu verhüten, dass
die Dislocation, besser gesagt, die Mobilität der Niere, wie das ja
erfahrungsgemäss mit der Zeit geschehen kann, zunehme, und da¬
durch Beschwerden ausgelöst würden. Aber wo soll da die Therapie
angreifen? Setzen wir den Fall, es handle sich um Wanderniere
bei gesunden kräftigen Frauen, mit sufficienten Bauchdecken,
ohne pathologische Veränderungen des Genitalapparates, die
’) Siehe solche im ebcngenaunten Journal of obstetrics, März 1894.
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Original frum
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248
Dr. Ludwig Knapp.
durch ihr „Leiden“ gar nicht belästigt werden, ja von demselben
gar keine Ahnung haben; was haben wir solchen zu r&then?
Solche Fälle sind in Beobachtung zu halten, eine symptomlos
bestehende Wanderniere kann ja von jeder Zeit an Beschwerden
auszulösen beginnen; die Patientinnen sind also auf das Bestehen
ihres Defektes aufmerksam zu machen, damit sie einerseits nicht
allzu sehr erschrecken, wenn eines Tages Beschwerden auftreten
oder gar eine „Geschwulst“ im Unterleibe entdeckt würde, anderer¬
seits dieselben aber zu dieser Zeit sich schonen und ärztlichen
Rath suchen; dann ist es natürlich nötig in der Weise, wie wir
es noch zu besprechen haben werden, zu versuchen, toas eine rationelle
Therapie gegen das Leiden zu leisten imstande sei, indem gerade
diese Fälle meist viel schwerer zu behandeln sind, als „compliderte“,
bei denen der Therapie, wenngleich oft nur entfernte, so doch meist
mehrere Angriffspunkte für ihr Wirken geboten sind.
Verursacht eine Wanderniere bei sonst normalen Verhältnissen
des Genitalapparates und sufficienten Bauchdecken Beschwerden,
so werden wir doch gut thun, letztere noch künstlich leistungs¬
fähiger zu machen, den Folgeerscheinungen des „inneren Hänge¬
bauches“ (Ewald) entgegenzutreten, dadurch dass wir den Wider¬
stand der Bauchwand erhöhen und verstärken; das geschieht
am einfachsten durch die allgemeine Abdominalmassage und eine
entsprechend construirte und angelegte Bauchbinde, eventuell
Bandage (Mieder).
Es ist usuell und auch sehr verlockend, bei bestimmten Organ¬
leiden oder Erkrankungen gewisser Organsysteme zunächst auf
dieselben allein sein therapeutisches Vorgehen zu concentrieren;
es hat daher jeder Zeit auch nicht an Versuchen gefehlt, die Dis-
locationen der Nieren direkt corrigieren zu wollen, theils durch
unwirksame, aber unschädliche, theils durch eingreifende, häufig
auch unwirksame, aber nicht selten geradezu lebensgefährliche
Manipulationen und Eingriffe.
Die Behandlung der Wanderniere soll weder eine einseitige,
noch viel weniger eine das Leben des Individuums gefährdende
sein. Sie muss theils eine allgemeine, teils eine nach den einzelnen •
Symptomen gerichtete sein. Den theoretischen Anschauuungen, dass
die Niere z. B. durch das ihre Kapsel umgebende Fettgewebe in
ihrer Lage erhalten werde, entsprechend, empfiehlt es sich den all¬
gemeinen Ernährungszustand der Frauen zu berücksichtigen, bezw.
zu heben zu trachten.
Reichliche und entsprechende Nahrungszufhhr bei Vermeidung
körperlicher Anstrengung, event. Bettruhe in gewissen Fällen,
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen.
249
besonders bei gleichzeitig bestehender Neurasthenie geradewegs
eine Mastkur (Zwangsftitterang, wie sie Boas nennt (Gavage-
Alimentation forcö, Suralimentation) [Debose], deren Anwendung
bei vielen Consumptions-Erkranknngen wärmstens empfohlen wird) ’)
nach Weir-MUchell können mit Erfolg versucht werden. Es em¬
pfehlen sich besonders leicht assimilirbare Nahrungsmittel in kleinen,
aber häufigen Dosen verabreicht, vor allem Milch; da letztere aber
bekanntlich bei manchen Individuen Obstipation, auch Gährung,
sowie Abnormitäten in der Darmfunktion zu verursachen pflegt 9 ),
müsste diese unerwünschte Nebenwirkung nöthigenfalls durch ge¬
eignete Zusätze [leichtere Mineralwässer (Selters, Giesshübler
u. s. w.), Natr. bicarb., Cognac etc.] vermieden werden.
Weiter gehört zur Allgemeinbehandlung eine Kräftigung des
Gesammtorganismus , theils durch entsprechende active Körper¬
bewegungen und Massage, theils durch anderweitige Massnahmen
(Bäder und hydrotherapeutische Proceduren, vor allem Kaltwasser¬
behandlung unter entsprechendem Regime); diese Verordnungen
pflegen gleich wolthätig auf das geistige, wie das körperliche Be¬
finden der Patientin einzuwirken.
Die direkte Behandlung der Wanderniere ist eine mechanische
und beseitigt häufig mit einem Male alle Symptome; wo dies nicht
der Fall sein sollte, kann man gegen einzelne derselben einzu¬
greifen gezwungen sein; stets kommt aber ausser der Allgemein-
der mechanischen Behandlung der Wanderniere die grösste Be¬
deutung zu.
Das Naheliegende, eine zunächst rein mechanische Störung
auf mechanischem Wege zu behandeln, führte dahin, Apparate zu
construieren, welche die verlagerte Niere in ihrer normalen Lage
zu erhalten imstande sein sollten. Nun geschieht dies, wie wir
schon besprochen haben, in vollkommener Weise überhaupt nicht, 8 )
durch die complicierten Apparate, Pelotten u. s. w. am aller¬
wenigsten, und ist man auch hier zur Ueberzeugung gekommen,
dass das einfachste das beste sei.
Bei der Construction der Wandernierenbandagen gieng man
bis in die neueste Zeit von der irrigen Ansicht aus, dafe man im-
*) Arendt, Ueber Mastkuren and ihre Anwendung bei Erkrankungen der
weiblichen Sexualerkrankungen. 64. Vers, deutsch. Naturf. und Aenste. — Debose,
dn traitement de la phthise pulmonaire par l’alimentation forc6. Paris 1881. —
Peijtcr, Deutsch. Arch. für Klin. 1886, XXXVII.
*) Boas, Allg. Diagnostik und Therapie der Magenkrankheiten.
*) Hertz, Abnormitäten in der Lage nnd Form der Bauchorgane n. s. w.
Berlin 1894.
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250
Dr Ludwig Knapp.
stände sei, durch directen Druck der Pelotte die Niere zurückzu¬
halten, in der Weise, wie man dies von den Bruchbändern den
Hernien gegenüber voraussetzt.
Bei den Wandernieren liegen aber die Verhältnisse wesentlich
anders; würde eine Pelotte auch die Niere bei Rückenlage zurück-
zuhalten imstande sein, so würde sie bei jeder anderen Körper¬
haltung der Frau, vorausgesetzt, dass nicht ein unzulässiger, ab¬
norm hoher Druck direct auf die Niere ausgeübt würde, ihren
Zweck nicht mehr erfüllen. Die Niere entschlüpft der Pelotte;
man befindet sich im argen Irrthume, wenn man meint, mit der
Verordnung einer derartigen Bandage den Patientinnen etwas ge¬
leistet zu haben.
Man ist heute wol allgemein darüber klar, dass die Disloca-
tionen der Niere nur auf indirectem Wege corrigiert werden können,
nämlich dadurch, dass man dieselbe durch sämmtliche Organe der
Bauchhöhle vor Verlagerungen (nach abwärts) überhaupt, beziehungs¬
weise vor ihrem weiteren Herabsinken zu schützen sucht.
Im Ambulatorium unserer Klinik hatte ich Gelegenheit einige-
male nach Art der Bruchbänder construierte Wandernieren-Ban-
dagen zu sehen; meist war die dislocierte Niere ummittelbar seitlich
und median von der Pelotte, in einem Falle sogar unterhalb (!)
derselben nachweisbar — in diesem letztgenannten Falle hatte also
die Pelotte gerade das veranlasst, was man zu verhindern sucht,
die Niere direct herabdrängt. Als ein Fortschritt war es schon
zu bezeichnen, als man statt der kleinen, ihren Zweck keines¬
wegs erfüllenden Pelotten, grössere schildförmige anwandte (die
Wahrscheinlichkeit, die Niere durch solche in ihrer Lage erhalten
zu können, wächst mit der Grösse der dazu verwendeten Fläche);
da zu deren Befestigung aber breitere Bänder und Gurten er¬
forderlich waren, näherte man sich unserem heutigen Principe der
Construction der Wandernierenbandagen, deren Hauptaufgabe be¬
sonders darin zu bestehen hat, die Organe der Bauchhöhle in toto
am Herabsinken zu verhindern.
In neuerer Zeit werden daher die Bandagen ausschliesslich
nach diesen Grundsätzen verfertigt und häufig die Pelotte über¬
haupt weggelassen. Niehaus hat vor einigen Jahren noch eine
Wandemierenbandage mit Pelotte angegeben; dieselbe ist nach seiner
eigenen Beschreibung im wesentlichen „ein doppeltes Bruchband
mit Stahlfeder und einer in einem Kugelgelenk drehbaren Pelotte“,
welche direct die Wanderniere zurückhalten solle; er erwähnt eines
Falles, wo er einen ausgezeichneten Erfolg mit dem Tragen seiner
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen. 251
Bandage constatieren konnte. Lindner's Bandage ist nach Niehaus J )
im wesentlichen eine fest anschliessende Leibbinde, hinten znm
Schnüren mit Einlage eines länglichrunden 12 cm langen, 9*5 cm
breiten und 3 cm dicken festgepolsterten Eissens an der Stelle,
wo die Niere vortritt.
Appdand *) verwendet eine breite Gummigurte, die durch Schenkel¬
bänder fixiert, die Aufgabe hat, besonders auf die untere Parthie
des Unterleibes einen nach aufwärts wirkenden gleichmässigen
Druck auszufiben. Diese Bandage soll nach demselben Principe
wirken, das uns die Natur andeutet, indem der schwangere Uterus
in den späteren Monaten die Niere emporschiebt und falls sie dis-
lociert ist, so zurttckhält; die Bandage tritt statt der erschlafften
Bauchwand ein, die Därme werden gleichsam als Kissen, auf dem
die Niere ruht, emporgehoben. Appdand hat mit seiner Binde
zweifellose Erfolge aufzweisen.
Wandernierenbandagen wurden in grosser Zahl angegeben, sie
leisten alle, wenn nach demselben, einzig richtigen Principe ge¬
arbeitet, in den meisten Fällen ausgezeichnete Dienste. 8 )
Fast allgemein sehen wir jetzt an denselben ein „Bauchschild“
angebracht, welches nach Schate*) wesentlich die Leistungsfähig¬
keit der einfachen Bauchbinde zur Zurückhaltung der Niere er¬
höhen soll; er empfiehlt „ein quer oval-concaves Bauchschild (zw.
Nabel und Symphyse) und eine Kreuzplatte mit zwei elastischen,
lose um das Becken herumgehenden Federn“ anzubringen.
Bei der Anfertigung entsprechender Wandemierenbandagen
muss individualisiert werden und gelingt es häufig erst nach
längerem Ausprobieren, eine wirklich entsprechende Bandage (die
Grösse des Bauchschildes, sowie die Stärke und Spannkraft der das¬
selbe an das Abdomen andrückenden Federn kann und muss nach
Bedarf variiert werden) den Frauen mitzugeben. Kuttner empfiehlt,
wie nahezu jeder, der über Wandernieren gearbeitet hat, eine eigene
Bandage; dieselbe besitzt gleichfalls ein concaves, nach unten zu
mehr gepolstertes Schild; ganz besonders macht er auf den schon von
Fereol u. A. wärmstens empfohlenen, ich möchte sagen, in Bezug auf
den Erfolg der Therapie „prognostischen Handgriff aufmerksam.“ 6 )
*) Niehaus, CentralbL für Chir. 1888. Nr. 12.
’*) Appoland, Deutsche med. Wochensohr. 1886. Nr. 41.
3 ) Köhler, Sitzung der freien Vereinigung der Chirurgen Berlins, Juli 1888.
4 ) Schatx, Verh. aus der Ges. für Gyn. IV. Congr. Bonn; über den intra-
abdominalen Druck u. d. wandernden Bauchorgane.
*) Siehe p. 244 dieser Arbeit.
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252
t)r. Ludwig Knapp.
Derselbe hat sich auch mir bewährt und wäre, bevor man die
oft unbemittelten Patienten der Auslage der Anschaffung kost¬
spieliger Bandagen aussetzt, in keinem Falle unversucht zu lassen.
Die auf unserer Klinik bisher in Anwendung gebrachten Bandagen
bieten keinen Anlass zu ausführlicherer Beschreibung, ihr Princip
ist das bereits erörterte, die geringen Modificationen derselben ohne
weiteres aus den Zeichnungen ersichtlich. — Ich verfuge aber
nahezu 50 Fälle von Wanderniere, welche im Gebrauche und in
Bezug auf die Erfolge der verwendeten Bandagen controlliert werden
konnten.
Die Wandemierenbandage nach Fig. 13 hat für uns mehr
historisches Interesse; nach dem absolut zu verwerfenden Principe
der für die Reposition von dislocierten Nieren gar nichts leistenden
Bruchbänder konstruiert, erfüllte dieselbe ihren Zweck nur höchst
unvollkommen oder gar nicht; in vielen Fällen wirkte sie direkt
schädlich, ihre Anwendung ist von uns daher vollkommen verlassen.
In neuester Zeit wurde mir vom hiesigen orthopädischen Bandagisten
Herrn Jurschiteka eine in zwei Modification hergestellte derartige
„Wandernierenbandage** zur Begutachtung empfohlen. (Fig. I, VII
u. Vffi). Dieselbe unterscheidet sich von anderen „bruchbandartigen** y
Bandagen durch Einschaltung eines weichen Messing- oder Kupfer¬
drahtstückes von 10—12 cm Länge zwischen Leibfeder und Pelotte;
durch Biegen desselben kann die Patientin der Pelotte die gewünschte
Stellung jederzeit und sofort geben (individuelle Abänderung der
Kraftwirkung und -Richtung); eine weitere Verbesserung der Bandage
scheint in der Anbringung der Feder um die „gesundd* Seite (nach Art
der englichen Bruchbänder) erreicht worden zu sein, ausserdem durch
die Vergrösserung der stellbaren Pelotte, schliesslich durch Teilung des
Gurtes vor seinem Ansatz an die Pelotte in zwei Riemen, deren unterer
wie das Perinealband nach Belieben nötigenfalls stärker angezogen
werden kann, wodurch eine Steilstellung der Pelotte erzielt wird
(Fig. Vni a).
Diese Bandage hätte vor allem den Vorzug der Compendiosität
und bewährte sich in dieser Art der Ausführung in zwei bisher
versuchten Fällen.
System IX und X, Bauchbinde, wie sie von uns auch gegen
Hängebauch angewendet wird, aber mit Pelotte (ohne Feder);
letztere (einseitig) an einer festgearbeiteten, flachgehaltenen Bauch¬
binde befestigt, entweder gepolstert oder in Form eines Kautschuk¬
ballons mit Luft zu füllen (Modification nach Dr. Krohl-Kiew)
nächst den Bandagen Fig. XIV. XV am häufigsten und mit meist
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Klinische Beobachtungen über die Wanderniere bei Frauen.
253
vollkommen befriedigendem Resultate angewendet; einige Beispiele
sollen diese Thatsache veranschaulichen.
1. Frau 2L, 84 Jahre alt, erhielt nach vielen missglückten Behandlungs-
versuchen eine derart construierte Bandage; sofort nach deren Anlegung fühlte sie
sich wohler, trügt dieselbe ununterbrochen seit fast zwei Jahren und behauptet,
ohne dieselbe nicht sein zu können, indem sie vom Tage ihrer Verordnung an
beschwerdelos ihren häuslichen Verrichtungen wieder ungehindert nachzugehen
imstande sei
2. Frau K., 30 Jahre, Fabriksarbeiterin (Abnehmerin an einer Schnellpresse),
welche sich schnell bewegen muss, war nach ihren Angaben von Schmerzen
heftigster Art geplagt, ihr Unterleib so empfindlich, dass sie auf die leiseste Be¬
rührung desselben energisch reagierte und ibre Arbeit einstellen musste. Nach Con-
statirung ihres Leidens erhielt sie die entsprechende Bandage; obwol sie die¬
selbe erst auf längeres Zureden trug, zeigte sich bereits nach kurzer Zeit,
dass die Schmerzen ganz nachgelassen hatten und sie wieder ihre frühere Arbeit
aufnehmen konnte.
8. Frau L., 40 Jahre alt, war von so heftigen Schmerzen geplagt, dass sie,
sowie ihre ganze Umgebung darunter schwer zu leiden hatte. Nach verschiedenen
missglückten Versuchen erhielt sie eine derartige Bandage. Es musste nun nach
und nach die Pelotte erhöht werden, damit selbe sich mehr in die Bauchhöhle
eindrängte. Patientin befindet sich nun nach 1*/« Jahren, seit welcher Zeit die
Bandage getragen wird, ganz wohl, kann aber ohne dieselbe nicht mehr sein,
da sie sich daran vollkommen gewöhnt hat und befürchtet, die Schmerzen könnten
wieder eintreten, sobald sie die Bandage wegliesse.
System Fig. XI, XII, XIII (Berger), XIV, XV ( Jurschitzka ),
bestehend ans einer gepolsterten Pelotte, „Bauchschild“, auf welcher
ein stellbarer Hebel angebracht ist, auf dem zwei Federn nach der
Art wie an einem Doppelbruchband wirken; mit dieser Bandage
wurden sehr gute Erfolge erzielt. Sie ist nach Schatz's Principe
construieri
1. Frau FF., 40 Jahre alt, dem Mittelstände angehörig, von sehr schwachem
KOrperbau, trägt die Bandage mit starkem Federdruck seit 2 1 /* Jahren, kann
ohne dieselbe nicht sein, behält sie die Macht über sogar im Bette an, da sie
nach wiederholten Versuchen, selbe abzulegen, von grossen Schmerzen und Er¬
brechen geplagt wurde.
2. Frau &, 48 Jahre alt, dem besseren Stande angehörig, hat, nachdem
sie verschiedene Bandagen getragen, die nie die Schmerzen behoben, eine der¬
artig construierte Bandage erprobt, und fiel die Probe so günstig aus, dass Frau S.
in kurzer Zeit keine Schmerzen mehr verspürte und wieder ihren häuslichen
Verrichtungen nachgehen kann. Sie hat sogar, um ja nicht in Verlegenheit zu
kommen, wenn die Bandage unvorhergesehen schadhaft würde, sich eine zweite
in Reserve anfertigen lassen.
In weiteren Fällen haben sich mit dieser Art von Bandagen die Erfolge
ebenfalls günstig gestaltet; es betreffen selbe meist Frauen niederen Standes,
welche schwer arbeiten mussten.
Jurschitzka verfertigt statt einer (nicht gezeichneten) Modi-
fication mit zwei, einer oberen und unteren Querfeder {Berger), eine
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254
Dr. Ludwig Knapp.
solche mit einfacher in der Mitte der Pelotte befestigten Feder,
von deren Enden divergierende Ansätze zur Befestigung und be¬
liebigen Spannung eines oberen und unteren von der Gurte aus
sich theilenden Riemens, ausgehen (Fig. XIV), ausserdem eine Bandage
gleicher Construction, ebenfalls mit einer Feder, aber beliebig um
eine quere (sagittale) Axe verstellbaren Pelotte. (Fig. XV.)
Diese Bandage ist speciell für Individuen geeignet, welche
keinen stärkeren Druck vertragen oder Abnormitäten der Brust¬
oder Lendenwirbelsäule aufweisen.
Als wesentlich nach dem Principe der Fig. IX ( Berger ) con-
struiert, erwähne ich noch Jurschitzka’s in einem entsprechenden
Mieder angebrachte Pelotte Fig. XVI und die von französischen
Bandagisten verfertigten Gürtelbandagen nach Dr. Tuffier Fig. XVIII,
sowie die nach dem Nordhäuser Bandagisten Werther wieder¬
gegebene Fig. xvn.
Jurschitzka's Mieder mit eingenähter Pelotte dürfte der in Leib¬
binden angebrachten gegenüber den schätzbaren Vortheil gewähren,
weniger beweglich zu sein und von den Frauen lieber getragen
zu werden; es erscheint zwei Zwecken auf einmal zu dienen
berufen, welcher Umstand nicht hoch genug anzuschlagen ist,
theils der Einfachheit und Bequemlichkeit halber, theils um
den Frauen nicht durch das Tragen einer eigenen Bandage
ihr Leiden immer und immer wieder in Erinnerung zu rufen,
endlich weil das Tragen einer eigenen Nierenbandage für die
Frauen das weitere Tragen eines Mieders meist unmöglich macht
— allerdings im allgemeinen kein Unglück — für viele aber ein
Bedürfnis.
Zahlreiche Erfahrungen über die Zweckmässigkeit der Con¬
struction dieser anscheinend sinnreichen Combination von ent¬
sprechenden Miedern mit Pelotten zur directen Zurückhaltung der
verlagerten Niere stehen allerdings noch aus.
Im Principe wirken alle entsprechenden Bandagen gleich d. h.
durch die erzielte Kraftrichtung nach innen und gleichzeitig auf¬
wärts (s. Fig. Xin, Seitenansicht); einerseits erreichen wir dies
durch Federkraft (Gurten), anderseits durch entsprechende Polsterung
des Bauchschildes, welche nach abwärts dementsprechend verstärkt
wird. Alle nicht nach diesen Grundsätzen verfertigten Bandagen 1 )
haben sich uns nicht bewährt
0 Der Preis der zu empfehlenden Bandagen beläuft sich wie folgt:
bei Herrn Berger, Prag, Wenzelsplatz Nr. 46:
System IX 8—12 fl., System XI. XII 8—10, resp. 7—9 fl.
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Klinische Beobachtungen Uber die Wanderniere bei Frauen.
255
Den sachlichen Auseinandersetzungen unserer beiden ortho¬
pädischen Bandagisten, deren Wandernierenbandagen ich nach reif¬
licher Erwägung und entsprechender Prüfung zum grössten Theil an
klinischen Patientinnen reichlich zu erproben Gelegenheit fand, ist
wenig beizufügen; ich stimme mit denselben vollkommen, besonders
aber in dem einem Puncte überein, dass nicht eine Bandage für alle
Fälle passe, sondern in jedem Falle individualisiert werden müsse.
Für ihr bereitwilliges Entgegenkommen, sowie für die Mühen
und Kosten, welche dieselben nicht gescheut, wirklich Zweckent¬
sprechendes zu ersinnen und herzustellen, sei ihnen an dieser Stelle
hiermit mein Dank ausgesprochen.
Nebst, oder besser gesagt, vor der Bandagenbehandlung kommt
die Massage zu ihrem Rechte. Wir versuchen dieselbe stets vor
der Verordnung von Bandagen, indem wir durch dieselbe allein
öfter befriedigende Erfolge erzielen konnten; wo sie durch längere
Zeit fortgesetzt im Stiche liess, muss natürlich von ihr Abstand ge¬
nommen und zur Bandagenbehandlung übergegangen werden. Nicht
verschweigen will ich, dass mir Fälle vorkamen, wo auch eine
schonendst ausgeführte Massage nicht vertragen wurde; umso be¬
friedigender waren hier die Resultate der Bandagenbehandlung.
Die jetzt gebräuchliche Art der Massage 1 ) der Wandernieren ist
von Thure Brandt eingeführt und angegeben worden. Sie wird in der
vom Erfinder beschriebenen Weise als „ Untemierenzitterdrückung“ aus¬
geführt, indem „ der Gymnast sich nach Reposition derNiere so setzt, dass
er die Patientin ansieht, dann seine beiden Hände unter den Rippen¬
bogen ansetzt und dieselbe unter leisem Schütteln nach hinten und
oben fuhrt, wobei die Fingerspitzen an der Hinterfläche des Rumpfes
hingleiten. u Ausserdem werden Querlendenklopfungen- und Uebungen
bei Herrn Jursehitxka, Prag, Jerusalemsgasse Nr. 14:
System Fig. VH, VIII 5—6, resp. 10—12 fl., System Fig. IV je nach
Ausführung 8—12 fl., System Fig. XIV 12—15 fl., System Fig. XV
9—12 fl.
') Thure Brandt's, Heilgymnast Behandlung weihl. Unterleibskrankheiten,
übers. von Dr. Resch, Wien. 1888.
Bachmaier, Die Wanderniere und deren manuelle Behandlung nach 'lhurc
Brandt. — Wien, medicinische Presse, XXX, III, 1892 19, 20.
Reibmayer, Unterleibsmassage. Wien 1889.
Zabludowsky empfiehlt die Massage Ton Wandernieren in Knie-Ellenbogen¬
lage. (Elin. Wochenschr., Berlin 1890, p. 486.)
Reibmayer, Die Massage und ihre Verwerthnng in den verschiedenen Dis-
ciplinen der pract. Medicin. 1887.
Ziegenspeck, Anleitung zur Massagebehandlnng (Thure Brandt) bei Frauen¬
leiden. Berlin 1896.
Doüinger, Die Massage für Aerzte und Studierende. Stuttgart 1890.
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256
Dr. Ludwig Knapp.
für die Bauchmuskeln angegeben; (als gymnast. Uebung empfiehlt
Thure Brandt: „neigreitsitzende Wechseldrehung mit Nachvor-
krümmung des Rumpfes“.)
Wir haben mit längerdauernder Massage, in einigen Fällen
aber auch schon nach einigenwenigen „Sitzungen“, häufig günstige Er¬
folge erzielt, ohne jedoch in Ziegenspeck's optimistische Behauptung
ohne weiteres einstimmen zu können: „in frischen Fällen heilt (?)
die Verlagerung, in älteren verschwinden nur die Beschwerden,
diese aber stets nach sehr kurzer Zeit“. — Häufig waren wir
dennoch gezwungen, Bandagen tragen zu lassen.
Was nun noch die Behandlung einzelner Symptome anbelangt,
so ist zu bemerken, dass dieselbe in vielen Fällen gegenstandslos
wird; eine entsprechende Behandlung des Grundleidens (Massage
ev. Bandage) beseitigt dieselben häufig vollständig; wo einzelne stärker
in den Vordergrund treten oder längere Zeit Zurückbleiben sollten,
würde die Behandlung der Wanderniere unterstützend eine sympto¬
matische am Platze sein. Gerade hier leistet auch die Massage wieder
vorzügliches entweder in Form allgemeiner oder als Bauchmassage,
letztere besonders gegen die die Erschlaffungszustände der Bauch¬
organe meist complicierende Obstipation und Anomalien des Ver¬
dauungsapparates sich vorzüglich bewährend. Daneben können all¬
gemeine Faradisation und Galvanisation der Bauchorgane, ebenso
wie hydriat. Proceduren (kalte Douchen auf das Abdomen u. s. w.)
mit Erfolg versucht werden.
Auf die Behandlung der einzelnen Symptome einzugehen, würde
uns zu weit führen, sie ist nach den hiefür geltenden Grundsätzen
einzurichten; zuweilen sind selbst dienarcotischcn, schmerzstillenden
Mittel nicht von der Hand zu weisen; im allgemeinen aber empfiehlt
es sich weniger auf einzelne Krankheitsäusserungen als auf den
Allgemeinzustand des Gesammtorganismus Rücksicht zu nehmen.
Nur die Erscheinungen von Seiten des Magen-Darmcanales erfordern
oft, theils solatii causa, theils wegen thatsächlich bestehender Ab¬
normitäten eine meist wenig eingreifende Behandlung.
Wir schliessen, mit den Erfolgen unserer conservativen Therapie,
soweit wir dieselben verfolgen konnten, vollkommen zufrieden,
dieses Kapitel und unsere Arbeit überhaupt mit den Worten Schates,
mit denen er auf dem IV. Gynäkologen-Congresse zu Bonn neuer¬
lich für diese Art der Behandlung eingetreten ist, übereinstimmend:
„Das Annähen der Niere muss mit seltenen Ausnahmen verworfen
Lewandotcdci , Electro-Diagn. und Electrotherapie. (Erkrankungen der Ab-
dominalorgane). Wien 1882. p. 495.
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Klinische Beobachtungen über die Wandorniere bei Frauen.
257
■werden; es beseitigt höchstens ein Symptom einer Allgemeinkrank¬
heit, bringt, wenn die Ursachen fortbestehen, leicht Recidiven und
ist, wenn man diese beseitigt, überhaupt überflüssig.“
Operative Eingriffe bei Wanderniere wurden auf der Klinik
nicht ausgeführt; über diesbezügliche Beobachtungen verfüge ich
daher nicht, die Erfahrungen aber, die wir mit der conservativen
Behandlung der Wanderniere zu machen bisher Gelegenheit hatten,
berechtigen uns in dem im vorgehenden an^edeuteten Sinne der¬
selben getreu zu bleiben und dieselbe aufs wärmste, insbesondere
dem praktischen Arzte, zu empfehlen.
Zeitschrift für Heilkunde. XVTl.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel IT nnd Y.
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Fig. I. Schema der Niereneerlagerungen.
nl nr die Niere an normaler Stelle,
nl' nT descendierte Niere.
nr" mobil dislocierte (Wander-) Niere,
nr" fix dislocierte (fixirte Wander-) Niere,
m angeboren fix dislocierte (Hufeisen-) Niere.
Zur Erklärung der Wirkungsweise der Mieder dienen Fig. II, III, IY, V.
Für Fig. II. dd' die Schnttrcomponente in Fig. II. grösser als in Fig. HI.
d' a die in beiden Fig. gleichzusetzende Componente. (Emporhalten
der Brüste.)
d' a' die in Fig. II. indirekt nach abwärts wirkende Componente, be¬
dingt durch die Kraftrichtung der Componente dd', vor allem
aber die Leibesform. (Uebergang in den geräumigen Antheil
des Abdominalcavum).
d'B = MB' die Resultierende aus dd' und d'a', nach hinten und
abwärts gerichtet.
Für Fig. III. dd', wie in Fig. II., jedoch wegen Fixirung des Mieders am Dann-
beinkamme kleiner,
d'a wie in Fig. II.
cc' die neu gewonnene, durch den festen Widerhalt am Dann¬
beinkamme nach aufwärts wirkende Componente.
cA = MA' die Resultierende aus dd' und cc', nach hinten und
aufwärts gerichtet.
Wandernierenbandagen:
Fig. VI. VII. VW. IX. X. XVI., Fig. XI. XII. XIII. XIV. XV. Modificationen
im wesentlichen nach Schatx, Fig. XVII. nach Werther, Fig. XVIII. nach
Dr. Tuffier.
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(Aus der inedicinischen Klinik des Professor R. v. JaJcsch in Prag.)
BEITRAG ZUR SYMPTOMATOLOGIE UND DIAGNOSE
DER MEL AN OTISCHEN TUMOREN.
Von
Dr. KARL PICHLER,
I. Assistenten der Klinik.
Die Frage der Melanorie, bezw. der Möglichkeit, aus gewissen
Harnreactionen bei Lebzeiten des Kranken die melanotische Natur
von Geschwülsten zn erkennen, ist noch keineswegs eine ganz
geklärte.
Nachdem in den letzten Jahren von v. Jaksch zwei neue
Reactionen für solche Fälle vorgeschlagen worden sind, deren Er¬
probung in der Feuerprobe der klinischen Diagnostik noch aus¬
stand, glaube ich, dass der im folgenden zu beschreibende Krankheits¬
fall Interesse bieten dürfte, zumal er auch sonst einiges vom
gewöhnlichen Bilde Abweichende darbot.
Am Abend des 7. Januar 1. J. kam an der Klinik der 45jährige
Dampfkesselheizer F. P. zur Aufnahme.
Die Anamnese, welche wegen des psychischen Verhaltens des
Kranken zum Theile von den Angehörigen erhoben werden musste,
ergab folgendes: Patient stammt aus gesunder Familie; seine erste
Frau starb an Tuberkulose, die zweite ist gesund; ein Kind aus
erster Ehe erlag einer Nierenentzündung, über die Todesursache
von vier anderen weiss er nichts anzugeben. Vier Kinder (aus
zweiter Ehe) leben und sind gesund.
Vor 25 Jahren verlor Patient infolge einer Verletzung das
Endglied der rechten grossen Zehe.
Im Jahre 1884 litt er durch drei Wochen an Gelbsucht, ohne dass
er damals oder später Schmerzen in der Lebergegend empfunden hätte.
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260
Dr. Karl Pichler.
Yor 5 Jahren erlitt der Kranke eine Verbrühung des rechten
Auges.
Seit etwa zwei Jahren klagt er über das Gefühl von Völle
im Magen und über Blähungen; der Stuhl ist angehalten. Am
24. December 1895 verspürte Patient nach einem Sprunge aus zwei
Meter Höhe heftige stechende Schmerzen in der Leber- und Lenden¬
gegend und musste seither das Bett hüten. Einen Tag darauf trat
angeblich Gelbsucht auf, welche bis zum 5. Januar anhielt. Gleich¬
zeitig bekam der Kranke heftiges Erbrechen; das Erbrochene war
meist gallig gefärbt. Die Schmerzen in der Oberbauchgegend be¬
stehen andauernd heftig fort; seit dem Auftreten derselben will
der Kranke auch eine Verhärtung an dieser Stelle bemerken. Da
vom 4. Januar ab der Zustand des Kranken sich sehr verschlimmerte,
derselbe auch psychische Störungen darbot (Benommenheit, Delirien),
so überbrachten ihn die Angehörigen am heutigen Tage ins Prager
allgemeine Krankenhaus, wo er zunächst als angebliche innere
Incarceration der chirurgischen Klinik (Prof. Wölfler) übergeben
wurde. Nachdem daselbst sofort das Fehlen einer solchen, wol
aber das Vorhandensein einer grossen Leberschwellung constatiert
worden war, erfolgte die Transferierung an unsere Klinik. Es
wurde am 5. Früh folgender Status praesens erhoben:
Grosser, sehr kräftig gebauter Mann mit gut entwickelter
Muskulatur und mässigem Fettpolster. Temperatur 37° C. Die
Haut ist feucht; sie sieht blass aus mit einem Stich ins Gelbliche.
Deutliche icterische Verfärbung weder an der Haut, noch an den
Schleimhäuten. Die Haut zeigt nirgends ein Exanthem, nirgends
Blutungen; ebensowenig finden sich irgendwo am Körper Pigment¬
flecken. Oedeme fehlen.
Die Endphalanx des HaUux dexter fehlt; es besteht daselbst
eine glatte, reizlose Narbe.
Kopf mesocephal. Die rechte Hornhaut mit einem sehr dichten
centralen Leukom, welches die Augenspiegeluntersuchung vereitelt;
der Augapfel dieser Seite völlig reizlos, sonst normal configuriert.
Am linken Auge die Pupille eng, prompt reagierend; die ophthal¬
moskopische Untersuchung ergibt sowol central, als an der Peri¬
pherie der Netzhaut völlig normale Verhältnisse. Lippen und
Zunge trocken, rissig. Hals mittellang; beiderseits einzelne bis
erbsengrosse, schmerzlose Lymphdrüsen tastbar, sonst nirgends
DrüsenschweUungen zu finden; keine Struma. Thorax lang, breit,
gewölbt; das rechte Hypochondrium deutlich ausgedehnt
Die Athmung 36 in der Minute, rhythmisch, dabei vertieft,
vorwiegend costal.
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Beitrag zur Symptomatologie und Diagnose der melanotischen Tumoren. 261
Der Puls, 114, rhythmisch, von gewöhnlicher Füllung und
Spannung; keine Arteriosklerose an den zugänglichen Gefässen.
Herzspitzenstoss an gewöhnlicher Stelle (4. J. C. Raum, nach
innen von der Mammilla).
Herzdämpfung begrenzt sich am linken Sternalrande, unteren
Rande der 4. Rippe und etwas nach innen von der Mammilla.
An allen Herzostien dumpfe, begrenzte Töne.
Vorne der Lungenschall in normaler Ausdehnung.
Die Auscultation ergibt vorne beiderseits reines Vesiculärathmen.
Der Bauch erscheint ausgedehnt u. zw. stärker über dem Nabel;
etwas unter diesem verläuft eine quere Furche. Die darüber ge¬
legene Vorwölbung ist rechts stärker als links. Palpiert man, so
findet sich das ganze Epigastrium ausgefüllt von einem, unter dem
Rippenbogen hervorkommenden, sehr harten Tumor. Dieser zeigt
eine glatte Oberfläche und endet zwei Querfinger unter dem Nabel
mit einem ziemlich scharfen Rande; der Tumor verschiebt sich aus¬
gesprochen mit den Respirationsbewegungen. Die Berührung des¬
selben schmerzt den Kranken mässig. Die Percussionsgrenzen der
Leber stehen durchwegs 1- 2 Querfinger über der Palpations¬
grenze. Unterhalb des Nabels ist das Abdomen mässig gespannt,
nicht druckschmerzhaft. Es sind daselbst keine Tumoren zu tasten.
Rechterseits eine freie Leistenhernie. Die Milzdämpfung nicht- nach¬
zuweisen ; das Organ nicht zu tasten. Freie Flüssigkeit im Bauch¬
raume nicht nachzuweisen. Die Wirbelsäule gerade, nicht druck¬
schmerzhaft. Die Percussion ergibt die untere Lungengrenze links
am 9., rechts am 7. Brustwirbeldorne. Die Auscultation ergibt links
vesicaläres Athemgeräusch, rechts desgleichen bis auf den Dämpfungs¬
bezirk, wo sehr leises hauchendes Athmen gehört wird.
Im Mastdarm tastet man harte Kothmassen, keine Tumoren.
Harnuntersuchung: Harn vom spec. Gewichte 1020, dunkelroth,
mit weissem Schaume, beim Stehen an der Luft nachdunkelnd; 1 ) er
lässt ein geringes rosarothesSedimentum lateritium fallen, in welchem
bei mikroskopischer Untersuchung ausser Uraten, einzelnen Krys-
tallen von Harnsäure und oxalsaurem Kalk spärliche hyaline Cy-
linder sich finden. Bei Anstellung der Kochprobe trübt sich der
Ham nicht, wol aber wird seine Farbe nach Zusatz von HNO s
tiefrothbraun.
Die Essigsäure-Ferrocyankaliprobe bleibt negativ, desgleichen
die Biuretprobe.
*) Eine geringe Portion, mit Chloroformzusatz aufbewahrt, wurde am Lichte
(nach mehreren Wochen) tiefbraunschwarz, undurchsichtig.
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262
Dr. Karl Pichler.
Zuckerpröben: Trommer starke Braunfärbung, Nylander (Almen)
Schwarzfärbung; Phenylhydrazinprobe ( Fischer , v. Jaksch ) ergibt
deutliche Phenylglukosazonkrystalle in allerdings geringer Menge.
Indicanprobe ( Jaffe ) negativ. Huppert' sehe Probe negativ für
Bilirubin, die Rothfarbung des sauren Alkohol zeigt dagegen
Urobilin an (v. Jaksch). 1 )
Probe auf Hämatoporphyrin ( Salkowski ) negativ.
Bei Anstellung der Legal'&chen Acetonprobe tritt auf Zusatz
von Nitroprussidnatriumlösung und Lauge eine intensiv purpurrothe
Färbung ein, welche durch Hinzufügen von Essigsäure in eine dunkel¬
blaue Färbung übergeht; die Probe wird dabei undurchsichtig.
(Berlinerblaureaction, Thonnählen, v. Jaksch.) Auf Zusatz von Eisen¬
chlorid zum Harne wird derselbe tiefschwarz (Melaninreaction von
v. Jaksch). Eine ähnliche, nur nicht so intensive Schwärzung be¬
wirken auch rauchende Salpetersäure, sowie Chlorkalklösung.
Decursus morbi.
8. Januar. Patient ist fieberfrei, höchste Tagestemperatur
37 2° C. Der Mann ist schlafsüchtig, klagt über heftigen Durst
Nahrungsaufnahme gering; kein Erbrechen. Der Kranke äussert
spontan, besonders aber bei Betasten der Leber grosse Schmerzen
in derselben.
Die Untersuchung der Reflexe, Sehnen-, wie Hautreflexe an
den Beinen ergibt normale Verhältnisse.
Blutuntersuchung:
R = 6.200.000
W= 36.200
R : W = 171 : 1
Hb ( Fleischt) 95°/ 0 = 13 3 g.
9. Januar. Die Nacht über war der Kranke ziemlich unruhig,
erscheint am Morgen völlig desorientiert» zeigt grosse Jactation.
Klinische Vorstellung durch Prof. v. Jaksch. Die Untersuchung
sehr erschwert durch das fortwährende Sichumherwenden und
Wälzen des Kranken, welcher schwer benommen, offenbar von hef¬
tigen Schmerzen geplagt wird. Krämpfe fehlen. Radialpuls heute
kaum fühlbar, seine Frequenz über 140. Auscultation des Herzens
unmöglich wegen der steten Unruhe des Kranken. Auch im heutigen
Harne fallen die Berlinerblau- und die Eisenchloridprobe aus wie
am Vortage. Die Untersuchung eines nativen Blutpräparates ergibt:
Die rothen Blutzellen abnorm blass; Poikilocytose. Die Leuko-
cyten erscheinen etwas vermehrt. Unter ihnen fallen auf einzelne
’) v. Jaksch, Klinische Diagnostik. 3. Auflage 1892. Wien, Urban and
Schicarzenberg 849.
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Beitrag zur Symptomatologie and Diagnose der melanotischen Tumoren. 263
von ungewöhnlicher Grösse, welche polarständig stark lichtbrechende
Granula führen. Ferner findet sich ein mittelgrosser Leukocyt,
welcher randständig mit mehreren distincten stäbchenförmigen
Pigmentkörnchen besetzt ist. Ausserdem zeigt sich im Präparate
ziemlich viel freies, intensiv schwarzes, scholliges Pigment und
grosse pigmentführende Protoplasmaklumpen.
Klinische Diagnose: Sarcom. melanodes hepatis. Cholaemia.
Patient verfällt zusehends; eine subcutane Injection von 1 mg
Strychnin, nitric. bewirkt keine Hebung der Herzthätigkeit.
Patient lässt Stuhl unter sich; derselbe ist lichtbraun, breiig.
Mikroskopisch finden sich in ihm: Detritusmassen, Tripelphos¬
phat, einzelne Faden- und Hefepilze. Die Temperatur bleibt an¬
dauernd subnormal, die peripheren Theile sind kühl, unter Zunahme
der nervösen Depression erfolgt der Tod um l 1 /* Uhr Nachmittag.
Die Obduction (vorgenommen am folgenden Morgen durch Herrn
Professor Chiari ) ergab folgendes Resultat: 1 ) Der Körper 175 cm
lang, kräftig gebaut, mit starker Muskulatur und mässigem Panni-
culus adiposus. Die allgemeine Hautdecke blass, auf der Rück¬
seite blasse Todtenflecke, Naevi nirgends zu sehen; Todtenstarre
deutlich ausgesprochen. Das Haar blond. Die linke Pupille ziem¬
lich eng, die rechte durch eine centrale, circa 4 mm im Durchmesser
haltende, weissliche Narbe der Cornea verdeckt. Der Hals kurz,
der Thorax breit, gut gewölbt; das Abdomen etwas ausgedehnt, in
der Regio epigastrica eine harte Resistenz zu tasten, sonst im
Unterleibe leichte Fluctuation. Von der rechten grossen Zehe die
distale Phalanx fehlend, dementsprechend an der proximalen
Phalanx eine derbe Narbe.
Schädeldecken ziemlich blutreich, Schädel 55 cm im Horizontal¬
umfange haltend, etwas dicker, ziemlich compact, von gewöhnlicher
Gestalt. Die harte Hirnhaut fest adhärent, in den Sinus flüssiges
Blut von dunkler Farbe. Innere Meningen von mittlerem Blut¬
gehalte, feucht, leicht abziehbar. Auch das Gehirn von mittlerem
Blutgehalte, etwas feuchter. Die Ventrikel nicht erweitert Das
Zwerchfell rechts bis zur 3., links bis zur 5. Rippe reichend.
Schilddrüse gewöhnlich gross, von mittlerem Blutgehalte, in der
Luftröhre spärlicher, zäher Schleim, ihre Schleimhaut, wie die des
Pharynx und Larynx geröthet Tonsillen nicht vergrössert, ebenso
nicht die Lymphdrüsen am Halse. Die rechte Lunge frei, in der
unteren Hälfte durch Hochstand des Zwerchfelles atelektatisch
*) Herrn Professor Chiari bin ich für die Ueberlassong des Obductions-
befundes, sowie des mikroskopischen Befnndes zu grösstem Danke verpflichtet.
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264
Dr. Karl Picbler.
ihr Parenchym blutreich, ziemlich ödematös. In der Spitze eine
alte Schwiele. Unter der Pleura des Unterlappens einzelne, bis
hanfkorngrosse, schwarze Knötchen. Die linke Lunge frei, blutreich
lufthaltig bis auf umschriebene schwielige Verdichtung in der
Spitze. Im Herzbeutel ein Esslöffel klaren Serums, das Herz ent¬
sprechend gross, Epikard mit einzelnen Ecchymosen versehen.
In den Herzhöhlen flüssiges und frisch geronnenes Blut Herz¬
klappen zart, Fleich blassgelblich, leichter zerreisslich. In den
Papillarmuskeln des linken Ventrikels hie und da kleinste, i. e. bis
mohnkorngrosse, schwarze Knötchen. Aorta zartwandig. Die Oeso-
phagusschleimhaut normal. Die peribronchialen Lymphdrüsen anthra-
kotisch, partiell verkalkt. Vor dem Herzbeutel rechts von der
Mittellinie ein Knoten weicher, melanotischer Aftermasse. In der
Bauchhöhle 300 cm 8 klaren Serums. Leber mächtig vergrössert,
34 cm breit, 30 cm lang, 13 cm dick, 6200 g schwer. An der
Aussenfläche der Leber, deren Ränder plump sind, zahllose, bis
1 cm* grosse, schwarze und spärlichere weisslich graue Flecken.
Diesen Flecken entsprechen Neoplasmen, welche zum grössten Theile
schwarz pigmentiert, die Leber in grosser Masse durchsetzen, so
dass nur inselförmige Parenchymreste zwischen den Tumoren sich
finden. In der Gallenblase spärliche, zähe, dunkle Galle. Die
periportalen Lymphdrüsen durchwegs vergrössert, schwarz verfärbt
Milz weich, gross, Kapsel verdickt, Parenchym blutreich, mit
einem Stich ins Schwarze, von einzelnen, bis erbsengrossen, schwarzen
Knoten durchsetzt.
Die beiden Nieren gewöhnlich gross, vom mittlerem Blut¬
gehalte, Kapsel der linken Niere etwas fester haftend, in der
Corticalis derselben eine erbsengrosse Cyste, sonst das Nieren¬
parenchym ohne pathologische Veränderung. In der Harnblase
klarer Ham. Die beiden Hoden gewöhnlich beschaffen, ebenso die
Prostata und Samenbläschen. In mehreren perivesicalen Venen
Thrombose.
Im Magen blasse, graugelbe, schleimige Flüssigkeit, Schleim¬
haut stellenweise geröthet. Pankreas normal. Im Dünndarm gallig
gefärbte, chymös-schleimige Massen, seine Schleimhaut nicht patho¬
logisch verändert. Im Dickdarm blassgelbe, breiige Fäcalmassen,
seine Schleimhaut blass.
Nebennieren etwas grösser, auf Durchschnitten durch dieselben,
nach einwärts von den äusseren Rindenlagen zahlreiche, bis erbsen¬
grosse melanotische Knoten. Einige retroperitoneale Lymphdrüsen
in der Gegend der Einmündung der Vena renalis dextra in die
Hohlvene intumesciert, von melanotischer Aftermasse durchsetzt
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Beitrag zur Symptomatologie und Diagnose dor melanotischen Tumoren. 265
Die Untersuchung des rechten Bulbus erweist in demselben keine
Aftermassen, (der linke Bulbus wurde nicht seciert). Im Marke
des allein durchsägten rechten Oberschenkelknochens mehrere bis 1 cm 8
grosse melanotische Knoten. Ein primärer Tumor nirgends zu finden.
P. S. Nach Härtung in Alkohol wurden mikroskopisch
untersucht die Leber, die rechte Lunge, das Myokard, die beiden
Nebennieren und die Milz. In der Leber war deutlich zu sehen,
wie die meist melanotisch pigmentierten, spindelzelligen Neoplasmen
innerhalb der Blutgefässe zwischen den Leberzellenbalken zur
Entwicklung gekommen waren, und auch in allen anderen Organen
waren die melanotischen Neoplasmen augenscheinlich secundärer
Natur gewesen, indem sie überall die Organgewebe auseinander¬
gedrängt hatten, nirgends aber die Entstehung der Neoplasmen
aus dem Organgewebe sich erkennen liess.
Pathologisch-anatomische Diagnose :
Sarcoma melanodes fusocellulare secund. hepat, glandularum
lymph. retroperiton., pulmon. dextr., glandulae lymph. mediastini,
myocardii, glandul. suprarenal, utriusque, lienis et ossis femoris
dextr. (Sarcoma primär.?) Cicatrix corneae dextr. Defect.
phalang. II. hallnc. dextr. Thrombos. venar. perivesical. Tuber-
culos. obsolet, apic. pulmon. et glandul. lymphatic. peribronchial.
Wenn auch der Zweck dieser Mittheilung ein rein klinischer
ist, so sei es mir doch gestattet, zunächst kurz die pathologisch¬
anatomische Seite des Falles zu besprechen. Nach der ersten
makroskopischen Besichtigung der Organe gab Professor Chiari
der Meinung Ausdruck, es könne sich um eine primäre Sarkom¬
geschwulst in den Nebennieren handeln. Er behielt aber sein end-
giltiges Urtheil sich bis zur Durchführung der mikroskopischen
Untersuchung vor.
Die letztere liess nun keinen der verschiedenen melanotischen
Heerde als den primären erkennen. Es erhebt sich also die Frage:
wo sass der primäre Tumor, war er vielleicht schon aus dem
Körper (operativ?) entfernt, oder wurde das ihn beherbergende
Organ nicht der Sektion unterzogen?
Verdächtig in ersterer Hinsicht erschien das Fehlen des End¬
gliedes der rechten grossen Zehe, nehmen doch melanotische Sar¬
kome von der Haut des Fusses recht häufig ihren Ausgang. So
fand sich nach Just 1 ) unter 112 mit Sectionsbefund versehenen
Fällen melanotischer Tumoren der Literatur 12 mal, d. i. in über
10 % der primäre Tumor an dieser Stelle. Demgegenüber darf
*) Just, Ueber die Verbreitung der melanotischen Geschwülste im Lymph«
gefässsystem. Inaug. Dissert. Strassburg 1888.
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m
Dr. Karl Pichler.
die bestimmte Angabe der Patienten, er habe das Zehenglied vor
25 Jahren durch ein Tranma eingebüsst, aber doch trotz seines
etwas getrübten Sensoriums als Gegengrund angeführt werden.
Eine andere, für eine Operationsnarbe anzusprechende Veränderung
war an der äusseren Haut nicht zu entdecken. Was den zweiten
Punkt, das eventuelle Uebersehen der primären Geschwulst an¬
belangt, so sei auf das ausführliche Sectionsprotokoll verwiesen.
Die schon während des Lebens daraufhin durchmusterten Haut¬
decken waren frei von Pigmentnaevis. Der rechte Bulbus, welcher
das grosse Leukom trug, erregte besonders die Aufmerksamkeit;
hatte doch Chiari 1 ) in zwei Fällen von ausgebreitetster Melanosarko-
matose den primären Heerd in dem phthisischen Bulbus gefunden,
ohne dass die Geschwulst an irgend einer Stelle die Tunica fibrosa
des Augapfels durchbrochen hatte. Und Fuchs 9 ) fand von 229
Melanosarkomen des Bulbus 25, d. i. fast 11 °/ 0 traumatischen Ur¬
sprunges, «wobei die traumatische Entzündung oft einen gewissen
Grad von Phthisis des Bulbus herbeigeführt hatte, ehe es zur
Erkennung des Neugebildes kam.
Die Eröffnung des rechten Bulbus liess jedoch diese Annahme
als irrig erkennen; das Innere des Bulbus barg keinen Tumor.
Bleibt also noch der linke Augapfel. Dieser wurde intra vitam
von zuständiger ophthalmologischer Seite untersucht Es fand sich
bei äusserlicher Besichtigung keine Spur von Beizungserscheinungen;
die Untersuchung mit dem Augenspiegel bei erweiterter Pupille
ergab eine normale Papille und einen normalen Fundus. Es* hätte
hierbei höchstens ein winziger Tumor des Ciliarkörpers, der wohl¬
bemerkt ganz reizlos, auch ohne irgend erhebliche Sehstörung,
hätte verlaufen müssen, entgehen können. Diese unwahrscheinliche
Annahme lässt sich weiter durch nichts stützen.
Es bleibt also nur übrig, bezüglich des primären Heerdes ein
non liquet zu formulieren.
Die klinische Bedeutung des vorstehend beschriebenen Krank¬
heitsfalles liegt unseres Erachtens in zwei Punkten, erstens in der
auf Grund der Harnuntersuchung ermöglichten Diagnosenstellung
intra vitam und zweitens in dem auffallenden Blutbefunde.
Was den ersten Punkt anlangt, so handelte es sich um einen
Mann in den Vierzigern, der, ohne besondere Kachexie zu zeigen,
langsam unter unbestimmten Symptomen von Seite der Verdauungs¬
organe erkrankt war. Die objective Untersuchung ergab eine
*) Chiari, Anzeiger d. k. k. Gesellschaft d. Aerzte in Wien 1880 (5. in. u.
17. XU.), id. Prager medic. Wochenschrift 8, 182, 1883.
*) Fuchs, Das Sarkom des Uvealtractos. Wien, Braumüller 1888, S. 235.
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Beitrag zur Symptomatologie und Diagnose der melanotischen Tumoren. 267
bedeutende Vergrösserung der Leber ohne Bestehen von Icterus;
solcher hatte anamnestisch angeblich zweimal im Laufe der Er¬
krankung sich eingestellt Die Leber war in ihrer Form er¬
halten, von Höckern liess sich nichts nachweisen; die Oberfläche
erschien für die Palpation völlig glatt Ueber die Grösse der Milz
konnte man weder durch Palpation noch durch Percussion zu einem
sicheren Urtheile gelangen; es erschien als das wahrscheinlichste,
dass das Organ durch die mächtig vergrösserte Leber hoch in das
linke Hypochondrium hinaufgedrängt wurde und so dem Nachweise
sich entziehe. Freie Flüssigkeit im Bauchfellraume war nach
Massgabe der physikalischen Untersuchung nicht vorhanden; auch
bei der Obduction fand sich nur wenig über */< Liter peritonealer
Flüssigkeitsansammlung. Ein Tumor an einem anderen Organe der
Bauchhöhle oder sonstwo am Körper war nicht aufzufinden und es
wäre nach der blossen physikalischen Untersuchung die Annahme
einer hypertrophischen Lebercirrhose naheliegend gewesen (es be¬
stand ja angeblich auch Icterus ä pouss6es), umsomehr, als die
Leber völlig gleichmässig infiltriert erschien. Gegen die that-
sächlich vorhandene melanotische Geschwulst der Leber sprach
speciell die Abwesenheit jedes derartigen Heerdes an den Bulbis
oder an der äusseren Haut, den Lieblingssitzen primärer derartiger
Tumoren. Die Entscheidung in dieser diagnostischen Schwierigkeit
brachte die Harnuntersuchung, wie sie oben berichtet worden.
Ein Weg, der z. B. Litten *) die sichere Diagnose auf melanotische
Lebertumoren stellen liess, die Untersuchung der durch Punction
der Leberknoten gewonnenen Flüssigkeit, wäre in unserem Falle,
wo keine Erweichung der Knoten eingetreten war, wahrscheinlich
erfolglos geblieben.
Nachdem zuerst Thormählen *) 1887 überdas Vorkommen einer
eigentümlichen Reaction (Blaufärbung bei Anstellung der Legal'-
sehen Acetonprobe) berichtet hatte, welchen Befund er in 5 Fällen
beim Menschen erhob (es handelte sich um verschiedene Krankheits¬
fälle: eine Perityphlitis, eine Carboivergiftung, einen Magenkrebs
und endlich einen Fall mit multiplen, malignen Bauchtumoren (ob
melanotisch, ist nicht bekannt), hat v. Jaksch *) über diese Reaction
Mittheilung gemacht Er fand dieselbe in 2 Fällen klinisch sicher¬
gestellter Melanosarkomatose und kam auf Grund seiner Unter¬
suchungen zu dem Ergebnisse, dass es sich um die Bildung von
*) Litten, Deutsche medic. Wochenschrift 15. 41. 1889.
*) Thormählen, Virchows Archiv 108, 817, 1887.
') v. Jakseh, Zeitschrift für physiol. Chemie 13, 386, 1889 und Klinische
Diagnostik, 3. Auflage 363, 1892.
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Original frum
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268
t)r. Karl Pichler.
theils löslichem, theils unlöslichem Berlinerblau handelt, weswegen
er auch flir die Probe die Bezeichnung Berlinerblaureaction ge¬
braucht Die Identität des bei der Berlinerblaureaction in unserem
Falle erhaltenen Körpers suchte ich dadurch zu erhärten, dass ich
die von v. Jaksch seinerzeit angegebenen Reactionen mit dem
Niederschlage wiederholte. Derselbe wurde am Filter gesammelt,
sorgfältig gewaschen und in wenig warmer verdünnter Natronlauge
zur Lösung gebracht. Die violette Flüssigkeit lieferte bei
spektroskopischer Untersuchung ein breites schwaches Absorptions¬
band im grünen Antheile des Sonnenspektrums. Setzte man zur
Lösung vorsichtig Salzsäure zu, so trat eine blaugrüne Färbung
auf, auf stärkeren Zusatz ward die Flüssigkeit entfärbt Ein Theil
des Niederschlages, mit Natronkalk erhitzt, entwickelte Ammoniak;
der blaue Niederschlag war demnach .V-hältig. In seiner Mit¬
theilung macht v. Jaksch des ferneren darauf aufmerksam, dass
nach seinen Erfahrungen an diesen beiden Fällen als Reagens für
den dunklen im Harne in solchen Fällen sich findenden Körper,
für das Melanin, sich als empfindlichstes Eisenchlorid eignet Ueber
die Berlinerblaureaction bemerkt v. Jaksch, dass er dieselbe auch
vorübergehend in Fällen beobachtete, wo nach dem ganzen Verlaufe
von einem melanotischen Tumor nicht die Rede sein konnte; es
handelte sich hiebei um indicanreiche Harne; ein gleiches Zu¬
sammentreffen von hohem Gehalt an indigobildender Substanz und
dieser Reaction hatte übrigens auch schon Thormahlen berichtet
Die weiteren, an unserer Klinik gewonnenen Erfahrungen
zeigten uns, dass es manchmal, allerdings selten in indicanreichen
Harnen bei Anstellung der Legal' sehen Probe zu deutlicher Grün-
färbung, seltener zu ausgesprochener Berlinerblaureaction komme.
Die Mittheilungen von v. Jaksch über das Auftreten der genannten
beiden Harnreactionen bei melanotischen Tumoren erhielten, soweit
ich die Literatur durchforschte, weiterhin nur vereinzelte Be¬
stätigung, indem in den publicierten Fällen von derartigen Tumoren
mit Melanurie der Ausfall der Proben nicht angegeben wird.
Nur Fottak 1 ) hat die Eisenchloridreaction in solchen Fällen zur
Anwendung empfohlen.
Wenn übrigens Pölläk (L c.) bei Besprechung der Thormahlen-
v. Jaksch'sehen Reaction bemerkt, er könne ihr keine Bedeutung
beimessen, weil sie nach eigenen und fremden Erfahrungen mit
fast jedem normalen und pathologischen Harne positiv ausfalle, so
erklärt sich diese falsche Angabe aus der Art und Weise, wie er
') Polldk, Wiener medic. Presse 39. 1478. 1889.
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Beitrag zur Symptomatologie und Diagnose der melanotischen Tumoren. 269
die Probe anstellt. Er erhitzt nämlich nach Zusatz von Essigsäure;
dass im Menschenhame hiebei häufig, ja fast regelmässig Grtin-
färbung auftritt, erwähnt schon Salkowski. 1 ) Die eigentliche Reaction
tritt aber, wie ThormäJUen und v. Jaksch ausdrücklich beschreiben,
schon in der Kälte auf. Nachdem übrigens Polläk an einem Falle
gearbeitet, dessen Harn v. Jaksch vorher zu seinen Untersuchungen
gedient hatte, geht daraus mit Bestimmtheit hervor, dass im Ver¬
laufe der Erkrankung die Berlinerblaureaction unabhängig von der
Melanurie schwinden kann.
Ferner hat E. Bamberger 9 ) in einem Falle von multiplem
Melanosarkom, dessen Ausgangspunkt nach dem Ergebnisse der
Lustration die Haut gewesen sein dürfte, bei Anstellung der Nitro-
prussidreaction Grünfärbung und daneben auch deutliche Eisen-
chloridreaction beobachtet.
Auch in einem zweiten, im selben Jahre (1891) beobachteten
Falle von generalisierten Melanosarkom, welcher nicht publi-
ciert wurde und den ich einer freundlichen brieflichen Mittheilung
des Herrn Primarius Bamberger verdanke, 8 ) fand sich bei Zusatz
von Nitroprussidnatrium, Natronlauge und Essigsäure zum Harne
eine tiefblaue Färbung, auf Zusatz von Eisenchlorid Schwarzfärbung.
Auch diesmal war als Primärsitz die Haut, welche eine Reihe von
Naevi aufwies, anzusehen.
In beiden Bamberger' sehen Fällen waren an der Haut zum
Theil bläulich verfärbte Tumoren vorhanden, welche auf eine
melanotische Natur der Geschwülste hinwiesen. Dass übrigens
auch das Vorhandensein derartig bläulich durchschimmernder Haut¬
geschwülste (ohne vorgenommene Excision) nicht sicher für die
melanotische Beschaffenheit verwerthet werden kann, lehrt mich
ein vor 3 Jahren in Wien beobachteter Fall. Die Obduction stellte
fest, dass die vielen bläulichen, darum für wahrscheinlich mela-
notisch gehaltenen Knoten diese Farbe lediglich in ihre Substanz
hinein erfolgten Blutungen verdankten. In diesem Falle war natür¬
lich auch keine Melaninreaction im Harne aufgetreten.
Endlich hat Naunyn 1 ) (laut brieflicher Mittheilung an Prof.
*) Saikowski citiert nach Thormählen (1. c.).
*) Bamberger, Bericht der k. k. Krankenanstalt Rndolfstiftong in Wien,
8. 296, 1891.
*) Herrn Primarius Bamberger gestatte ich mir, an dieser Stelle für die
Liebenswürdigkeit, mit der er mir die Krankheitsgeschichte des Falles überliess,
bestens zu danken.
4 ) Es handelt sich um die im unterelsässischen Aerzteverein zn Strassburg
am 29. VI. 1896 vorgestellten zwei Fälle (Referat: Deutsche med. Wochenschrift
22. 28 (Vereinsbeilage) 1896.
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270
Dr. Karl Pichler.
v. Jaksch) in einem Falle von Melanosarkom, der durch Dr. Hess zur
Publicationgelangen soll,beide Reactionen sehr ausgesprochen erhalten.
In unserem Falle, wo, um es noch einmal zu betonen, gar
nichts sonst auf eine melanotische Lebergeschwulst hinwies, wurde
die Diagnose durch den Ausfall der beiden Proben gemacht
Im Hinblicke auf die übereinstimmenden Beobachtungen von
Bamberger und Naunyn ist ein zufälliges Zusammentreffen des
positiven Ausfalles der Proben und der melanotischen Tumoren
als ausgeschlossen zu betrachten (im Ganzen nunmehr 7 Fälle).
Es darf also die von v. Jaksch gezogene Schlussfolgerung als
vollauf bestätigt angesehen werden, dass das gleichzeitige Auftreten
leider Proben für einen melanotischen Tumor spricht, falls die
übrigen klinischen Symptome ein solches Vorhandensein wahr¬
scheinlich machen oder wenigstens nicht dagegen sprechen. Eine
wahre Probe aufs Exempel stellt unser Fall dar.
Die Warnungen Litten's *) und Senator’s a ), dass indicanreiche
Harne zur Verwechslung mit Melaninharnen Anlass geben können,
sind beherzigenswert; indessen stammen die Beobachtungen aus
der Zeit vor der Veröffentlichung der beiden Proben durch
v. Jaksch. Dass indicanreiche Harne, wie schon bemerkt, positive
Berlinerblaureaction geben können, thut der Verwerthung der
Reaction keinen Eintrag, da auf sie hin allein die Diagnose nicht
gestellt werden darf. Dass aber auch noch so indicanreiche Harne
mit Eisenchlorid sich schwärzen, ist uns bei den vielen Proben,
welche wir selbst gemacht und gesehen, nicht vorgekommen. Man
darf allerdings nicht erwarten, wie ja die vorliegende Literatur
zur Geifuge beweist, die Reactionen stets und regelmässig in solchen
Fällen zu finden.
Nach den besten chemischen Analysen des Farbstoffes derartiger
Geschwülste 8 ) handelt es sich ja auch keineswegs um einen einheit
liehen Körper; es dürfte, worauf besonders Mömer's spektrophoto-
metrische Untersuchungen hinweisen, meist ein Gemenge mehrerer
Farbstoffe das sog. Melanin ausmachen; auch v. Jaksch*) spricht nach
dem Ergebnisse seiner Untersuchungen des Hammelanins in diesem
Sinne sich aus. Ich selbst habe in einem FaUe von multipler
Melanosarkomatose (primärer Sitz der rechte Bulbus, welcher zur
Exenteration kam), der Augenklinik Prof. Czermak im Harne die
beiden Reactionen negativ gefunden; freilich untersuchte ich den
*) Litten, Deutsche medio. Wochensohrift 15. 41. 1889.
*) Senator, Charit6-Annalen 15. 261. 1890.
*) Vergl. K. A. H. Mömer, Zeitschrift f. physiolog. Chemie 11. 66, 1886,
Brandt und Pfeiffer, Zeitschrift für Biologie 26. 348, 1890.
*) v. Jaksch (1. c.).
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Beitrag zur Symptomatologie und Diagnose der melanotischen Tumoren. 271
Ham erst nach Vornahme der Operation und wäre es immerhin
möglich, dass die Melannrie von dem primären, zum Theil schon
zerfallenen Tumor abgehangen hätte nnd mit dessen Entfernung ge¬
schwunden wäre.
Was schliesslich die weitere Formulierung der klinischen
Diagnose „Melanosarkom“ betrifft, so sei bemerkt, dass bei dem
Abgänge von anderweitigen Leukocytose erzeugenden Factoren,
als Fieber, Eiterung etc., in unserem Falle Sarkom mit Hinblick
auf die Untersuchungen von Sadler 1 ) diagnosticiert wurde. Dieser
fand unter den malignen Tumoren besonders bei Sarkomen, der¬
artige hohe Zahlenwerthe der Leukocyten; ich darf hier wol an-
fügen, dass die seither an der Klinik gemachten Blutuntersuchungen
den obigen Satz von Sadler zu stützen geeignet sind. Ausserdem
machte die melanotische Natur der Geschwulst ein Sarkom a priori
wahrscheinlich.
Die im Harne nachgewiesene geringe Zuckerausscheidung dürfte
mit der schweren Erkrankung der Leber Zusammenhängen.*) Die
geringe, uns zur Verfügung stehende Harnmenge, welche für andere
Zwecke verarbeitet werden musste, machte es uns unmöglich, den
Gehalt an Traubenzucker noch polarimetrisch bestimmen zu können.
Die (von Professor v. Jdksch vorgenommene) Untersuchung des
Harnes auf Diamine (nach der Methode von Udransky und Bau¬
mann 8 ), ergab ein negatives Resultat.
Der Harn vom 8. Januar (Tagesmenge 550 cm 8 vom spec.
Gewichte 1020) wurde nach der KjeldaM’schen Methode auf seinen
Stickstoffgehalt untersucht; es fanden sich in 5 cm 8 72*45 mg N, dem¬
entsprechend in der Tagesmenge 7*97 g N, wobei ein unbestimm¬
barer Verlust bei durch zwei Stuhlentleerungen zu berücksichtigen
ist. Die Bestimmung der Alloxurkörper nach der Methode von
Krüger und Wulff*) ergab in 100 cm 8 94*15 mg N, daher in der
Tagesmenge 0*518 g N der Alloxurkörper. Mit der Verarbeitung
des Farbstoffes der melanotischen Geschwülste beschäftigt, will
ich nur kurz erwähnen, dass ich an frischen Leberschnitten die
mikrochemischen Eisenreactionen (von Perls mit Blntlaugensalz nnd
*) Sadler, Fortschritte der Medicin 9. (Sonderabdruck) 1891. Vergl. hiezu
Reinbach, Archiv für klin. Chirurgie 46. 486, 1893, sowie die bezügliche Zu¬
sammenstellung in v. Limbeek, Klinische Pathologie des Blutes, 2. Auflage.
Fischer, Jena 970. 1896.
*) Vergl. hiezu v. Jaksch, Verhandlungen des Congresses für innere Medicin
13. 636, 1896 und Prager medic. Wochenschrift 20. 281, 1896.
*) Udransky und Baumann , Berichte der Deutschen chemischen Gesell¬
schaft 21. 2744, 1888.
4 ) Krüger und Wulff, Zeitschrift für physiologische Chemie 20. 176, 1894.
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272
Dr. Karl Pichler.
Salzsäure und von Quincke mit Schwefelammon), sowie die Eisen¬
chlorid- und die Berlinerblaureaction anstellte. Es zeigte sich bei
der PerZs’schen Reaction sehr deutliche Blaufärbung dos normalen
Lebergewebes, während die melanotischen Heerde ihre Farbe be¬
wahrten. Es ist jedoch diese Reaction für den Gehalt an Eisen in
negativem Sinne nicht beweisend, nachdem Wallach*) in Fällen
mit negativem Ausfälle der mikrochemischen Eisenreactionen nach
Zerstörung der organischen Substanz (durch Kochen mit Königs¬
wasser) Eisen nachweisen konnte. Die beiden im Harne erhält¬
lichen Reactionen bekam ich an Leberschnitten auch nach über
24stündigem Einwirkenlaasen der Reagentien nicht Wol aber
war, wenn man eine frische Schnittfläche der melanotischen Leber
mit Eisenchloridlösung übergoss, eine entschieden dunklere Ver¬
färbung der Geschwulstknoten zu erkennen. Desgleichen trat, wenn
man derartige Leberstücke zuerst mit alkalischer Nitroprussid-
natriumlösung und nachher mit Essigsäure benetzte, sofort eine
tief dunkelblauschwarze Färbung auf, welche unverkennbar den
schwarzen Aftermassen angehörte; nach längerer Dauer der Ein¬
wirkung färbte sich die Essigsäure blau. Der alkoholische Leber-
extract gab beide Reactionen nicht
Der zweite, unseren Fall auszeichnende Befund ist das Kreisen
von Pigment im Blute, dessen Vorkommen in unserem Falle von
v. Jaksch sicher constatiert wurde. Eine derartige Melanämie war
bis jetzt klinisch (wenigstens in der deutschen Literatur) als
Symptom von melanotischen Tumoren nicht allgemein bekannt gewesen.
In den daraufhin untersuchten Fällen wird im Gegentheile dasFehlen von
Pigment im Blute erwähnt, so von Mömer.*) Nur in der französischen
Literatur finden sich einige positive Befunde (Nepveu, Meumer
und Terrillon 9 ). Erst Polldk 1 ) bemerkt kurz, er habe im Blute
seines Kranken viele freie und in grosse farblose Blutkörperchen
eingeschlossene, braune Pigmentschollen gefunden.
Endlich ist noch einer Beobachtung von Tietze 5 ) Erwähnung zu
thun. Dieser beobachtete bei einem Falle von multiplen Melano-
Sarkomen (primärer Sitz die Haut) in den letzten Lebenstagen
Pigment im Blute und zwar innerhalb grosser, runder Zellen,
welche mit sepiabraunen Körnchen dicht vollgestopft waren, die
meist so dicht nebeneinander lagen, dass ein Kern nicht zu erkennen
*) Wallach, Virchow’s Archiv 119. 176, 188».
*) Mömer (1. c.).
*) Nepveu, Meumer, Terrillon Cit. nach Just Inaug.-Dissert Strassburg 1888 S. 4.
*) Polldk 0- c.)
s ) Tietxe, Bibliotheca medica, Abth. E, Heft 1. Fisher, Gassei 1898.
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Beitrag zur Symptomatologie und Diagnose der melanotischen Tumoren. 273
'war. Seltener fand sich das Pigment in Form von amorphen,
gröberen, ähnlich gefärbten Pigmentschollen. Tietee vermochte
nicht zu unterscheiden, ob er Sarkom- oder „Körnchenzellen“ vor
sich hatte. Bemerkenswerth erscheint, dass das Pigment im Be¬
ginne der Beobachtang im Blute wiederholt vergeblich gesucht
worden war. Die beiden wiederholt genannten Harnreactionen
scheint Tietee nicht angestellt zu haben.
Bei der anatomischen Untersuchung war allerdings derBefund von
Pigment und pigmentführenden Zellen im Inneren der Blutgefässe
der verschiedensten Gefässbezirke von vielen Forschern gemacht
und zur Erklärung der Metastasenhildung herangezogen worden;
man vergleiche ausser den bei Just 1 ) aufgezählten Autoren noch
E. Fuchs, 11 ) welcher in 4 seiner Fälle typische pigmentführende
Sarkomzellen theils sehr reichlich und weit vom primären Tumor
entfernt in den Aderhautgefässen auffand.
Ueber die Formen der Leukocyten (oder Sarkomzellen ?), welche
in unserem Falle die Pigmentkörner führten, können wir leider
nicht näher berichten, da die angefertigten Bluttrockenpräparate,
welche uns hierüber hätten belehren können, infolge eines unglück¬
lichen Zwischenfalles minder gelungen ausfielen und der rasche
Tod eine Wiederholung der Untersuchung vereitelte. Wir können
also nur die Aufmerksamkeit der klinisch arbeitenden Aerzte auf
diesen von uns erhobenen Befund lenken und müssen es weiteren
Beobachtungen anheimstellen zu ermitteln, wie oft ein solches
Vorkommnis bei allgemeiner Melanosarkomatose sich findet; zur
Regel gehört es nach den bisherigen Mittheilungen nicht.
Dass ein derartiger Befund von Pigment im Blute nicht für einen
hämatogenen Ursprung des melanotischen Pigmentes in den
Metastasen verwerthet werden kann, darüber vergleiche man die
Abhandlung von Jooss ,*) worin die Frage der Entstehung des
melanotischen Pigmentes einer genauen kritischen Erörterung
unterzogen wird.
Meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor R. v, Jaksch,
erlaube ich mir für die Ueberlassung des Falles zur Veröffentlichung
meinen ergebensten Dank zu sagen.
*) Just (1. c.) S. 4.
*) E. Fuchs , Sarkom des Uvealtractus, Braumüller, Wien 199, 1882.
*) Jooss, Münchener medic. Abhandlungen, I. Reihe 16. Heft 1894. J. F.
Lehmann.
Zeitschrift fiir Heilkunde. XVII.
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(Ans Professor Chiari’s pathologisch-anatomischem Institute der deutschen
Universität in Prag.)
ÜBER DREI FÄLLE VON HYPERKERATOSIS
LACUNARIS (SIEBENMANN) DES ZUNGENGRUNDES.
Ton
Db. fbanz fbiedland,
Assistenten am Institute.
(Hierzu Tafel VL)
In einer im Jahre 1895 J ) unter dem Titel „Ueber Verhornung'
des Epithels im Gebiet des TFaWeyer’schen adenoiden Schlnndringes
und über die sogenannte Pharyngomycosis leptotricia(Hyperkeratosis
lacunaris)“ erschienenen Arbeit berichtet Siebenmann über sechs
neue klinis ch beobachtete Fälle einer ziemlich seltenen Erkrankung
des Zungengrundes, der Tonsillen und des Pharynx, welche zuerst
von B. Fränkel *) kurz beschrieben und als Mycosis tonsillaris
benigna bezeichnet worden war. Dieselbe ist charakterisiert durch
zahlreiche weisslichgraue harte aus den Krypten der lymphadenoiden
Einlagerungen im Bereiche des Zungengrundes, der Tonsillen und
der Rachenwand über die freie Oberfläche hervorragende Pfröpfe,
welche nach B. Fränkel hauptsächlich aus dichten Massen von
Leptothrixfäden bestehen sollten. In der Folgezeit wurden von
verschiedenen Beobachtern einzelne hierher gehörige Fälle mit-
getheilt, so dass Siebenmann im Ganzen mehr als 30 bisher bekannt
gewordene Fälle zusammenstellen konnte. 8 )
*) Archiv für Laryngologie und Bhinologie 1L Bd., 8. Heft p. 365—376.
*) B. Fränkel, Berliner klin. Wochenschrift 1878. p. 94.
*) Siebenmann 1. c. p. 875 (Literaturverzeichnis) und Nachtrag zu seiner
Arbeit. Arch. f. Lar. u. Rhin. III. Bd. 2. Heft p. 228.
18 *
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276
Dr. Franz Friedland.
Th. Heryng J ), welcher vor Siebenmann zuerst die histologischen
Veränderungen bei diesem Processe genauer untersuchte, machte
zwar auf die hornartige Consistenz der Pfropfe aufmerksam und
fand dieselben hauptsächlich aus verhornten Plattenepithelien be¬
stehend, legte jedoch das Hauptgewicht auf die im Centrum der¬
selben gefundenen Leptothrixfäden und benannte auf Grund dessen
die Affection „Pharyngomycosis leptotricia“.
Erst Siebenmann legte in seiner oben erwähnten Arbeit dar,*)
„dass es sich wesentlich um einen ungewöhnlich intensiven Ver-
hornungsprocess des lacunären Epithels, um eine wirkliche Stachel¬
bildung handelt, dass die Leptothrixfäden, welche bei der Hyper-
keratose der adenoiden Krypten selten zu fehlen scheinen, vollkommen
identisch sind mit dem Leptothrix buccalis, einem Pilze, welcher
als Saprophyt sich in jeder Mundhöhle findet und zwar um so
reichlicher, je mehr epitheliale Gebilde nach Einbusse ihrer vitalen
Reaction dort sich anhäufen, dass die Kryptenwand vollständig frei
von Mikroorganismen und Entzündungserscheinungen ist und nur
die zerfallene innere und äussere Oberfläche des frei hervorragenden
Theiles der hornartigen Stachelwand einzelne aufgelagerte Bündel
von Leptothrixfäden zeigt“. Er fasst die letzteren daher als ganz
nebensächlich auf und schlägt vor, die Namen Pharyngomycosis
leptothricia und Mycosis benigna endgiltig fallen zu lassen und
dafür Uyperkeratosis lacunaris einzuführen.
Die sechs von Siebenmann beobachteten Fälle betrafen sänunt-
lich weibliche Individuen (schon von den früheren Beobachtern wird
hervorgehoben, dass die Affection meistens weibliche Individuen
befällt), bei denen die Hornbildung über beide Gaumentonsillen,
die hintere und seitliche Pharynxwand und den Zungengrund aus¬
gebreitet war. Die Excrescenzen zeigten eine verschiedene Form:
sie bildeten entweder harte spitze Stacheln von 1 mm bis l 1 /* Ctm.
Länge, welche „theils aus geschichteten Lagen von kernlosen ver¬
hornten Epithelien, theils aus einer homogenen Hornsubstanz, wie
sie dem menschlichen Haar eigen ist“, bestanden; im Centrum
Hessen dieselben ein feines spaltförmiges Lumen erkennen, welches
mit Detritus und Bakterien gefüllt war und in das die innersten
Epithellagen der Wandung fetzig hineinhiengen; an den frei aus
der Krypte hervorragenden Theile des Stachels zeigte sich die
Oberfläche desselben etwas zerfasert und mit Bündeln von Leptothrix¬
fäden besetzt; oder, und zwar war dies das seltenere Verhalten,
J ) Th. Heryng, Zeitschr. f. klin. Med. VII. 1883.
9 ) Siebenmann 1. c. p. 372 il f.
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Drei Fälle von Hyperkeratosis lacunaris (Siebenmann) des Znngengrundes. 277
die Excrescenzen erschienen als halbkugelige, stecknadelkopfgrosse
Höckerchen, welche am Epithel der Lacunen hafteten nnd sich bei
der mikroskopischen Untersuchung „als solide anscheinend ge¬
schlossene Cysten erwiesen, deren fest mit der Wand verwachsener
Inhalt von einer Epithelperle gebildet“ wurde.
Das Oberflächenepithel der Tonsillen, welche Siebenmann behufs
mikroskopischer Untersuchung exstirpiert hatte, erschien vollständig
unverändert, sowohl was seine Dicke als was die Beschaffenheit
seiner zelligen Elemente betrifft. Dagegen zeigten sämmtliche
Krypten eine „geradezu enorme Verdickung ihrer epithelialen
Wandung.“ Die Zellen der dem Pfropf direct anliegenden Epithel¬
lagen enthielten kleine stark lichtbrechende Körner, welche sich
mit Haematoxylin nicht färbten. Keratohyalin konnte in der
Kryptenwand nicht nachgewiesen werden. In der Umgebung der
Krypten fehlte jedes Zeichen von Entzündung, wie Hypertrophie
des Bindegewebes und stärkere Rundzelleninfiltration; im Gegen-
theile erwähnt Siebenmann , dass das Gewebe der exstirpierten
Tonsillen im Verhältnis zu der Masse des vorhandenen Binde¬
gewebes etwas arm an lymphoidem Gewebe war.
Obwohl dem Gesagten zufolge die Stachelbildung in den Balg¬
drüsen des TFaWeyer’schen adenoiden Schlundringes den Laryn-
gologen schon seit dem Jahre 1873 bekannt ist und in neuester
Zeit durch Siebenmann das Wesen dieses Processes richtig gestellt
wurde, so scheint derselbe doch bisher die Aufmerksamkeit der
pathologischen Anatomen nicht auf sich gelenkt zu haben, wenigstens
wird in den gebräuchlichen Lehr- und Handbüchern der patholo¬
gischen Anatomie nichts davon erwähnt.
Aus diesem Grunde dürfte die Mittheilung über drei neue
derartige Fälle, die als zufälliger Nebenbefund an der Leiche bei
der Section constatiert wurden, nicht überflüssig erscheinen, zumal
dabei die Gelegenheit gegeben war, das ganze Gebiet des TFaMeyer’schen
adenoiden Schlundringes anatomisch zu untersuchen.
%
I. Fall. Altes in Alkohol aufbewahrtes Präparat (Nr. 2802)
der Sammlung des hiesigen Institutes mit der Bezeichnung: „Pfropf-
büdung in den Balgdrüsen des Zungengrundes u von einem an Vitium
cordis verstorbenen 45 jährigen Manne herrührend.
Die gewöhnlich grosse Zunge zeigt in ihrem vor den Papillae
circumvallatae befindlichen Antheile nichts Auffälliges; ebenso
auch die zunächst auf die Reihe der Papillae circumvallatae folgende
und mit dieser parallel verlaufende 2 cm breite vordere Hälfte
des Zungengrundes. Dagegen erscheint der noch übrige Theil
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278
Dr. Franz Friedland.
desselben nach hinten bis znr Epiglottis und nach den Seiten
bis zu den Tonsillen mit zahlreichen hirsekom- bis stecknadelkopf¬
grossen, hart anzufühlenden, gelblichen, theils halbkugeligen, an der
Oberfläche mit einer Delle versehenen, theils spitzigen Hervor-
ragungen bedeckt, die in der Schleimhaut sitzen und über dieselbe
nur wenig protuberieren. Durch Kratzen mit dem Finger gelingt
es leicht, aus den Hervorragungen härtliche Pfröpfe zu entfernen,
so dass dann bis 2 mm tiefe Grübchen Zurückbleiben. Die aus¬
gehebelten Pfröpfe sind höchstens 3 mm lang und besitzen eine
längsovale Gestalt. Die gleichen Hervorragungen finden sich in
ziemlicher Zahl auch an den 2 cm langen und 1 cm breiten, wenig
prominenten Tonsillen, dagegen fehlen dieselben im ganzen übrigeu
Pharynx; vielmehr ist hier die Schleimhaut der Arcus palatoglossi
und palatopharyngei, sowie die der seitlichen, oberen und hinteren
Pharynxwand und der Epiglottis vollkommen glatt.
Die behufs mikroskopischer Untersuchung von Stücken des
Zungengrundes und der Tonsillen nach Einbettung in Celloidin an¬
gefertigten Schnitt« wurden theils mit Cochenillealaun nach Csokor ,
theils mit Haematoxylin-Eosin, theils auch nach der TPei^ertf’schen
Fibrinfärbungsmethode gefärbt.
An denselben zeigte sich das Oberflächenepithel gänzlich un¬
verändert Entsprechend den Pfröpfen, welche in den Lacunen
der Balgdrüsen resp. Tonsillen lagerten, senkte sich dasselbe steil
und tief in das unterliegende Gewebe ein und war in seiner
Structur insofern verändert, als seine tiefste Lage nicht durch
cylindrische, sondern mehr niedrig cubische oder polygonale Zellen
gebildet wurde. In den mittleren Lagen wurden die Zellen immer
niedriger und flacher, waren aber noch mit einem deutlichen Kerne
versehen. Die oberflächlichsten, dem Pfropfe direct anliegenden
und in die Masse desselben ohne merkliche Grenze übergehenden
Zellen waren ganz plattgedrückt, homogen aussehend und kernlos.
Keratohyalin war nirgends in dem Wandepithel nachzuweisen. Die
Pfröpfe selbst waren lang und schmal, bestanden aus zahlreichen
Schichten von verhorntem Epithel und enthielten im Inneren ein
spaltförmiges Lumen, welches mit Detritus erfüllt war und in
welches die innersten, wie zerfasert erscheinenden Hornlagen frei
hineinragten. Ebenso wurde der über die Oberfläche des Zungen¬
grundes oder der Tonsillen hervorragende Theil der Pfröpfe durch
vielfach zerworfene und zerrissene Lagen von verhornten Epithelien
gebildet, zwischen die Detritus, verschiedenartige Mikroorganismen,
darunter auch Leptothrixfüden eingelagert waren, welche aber
niemals in die tieferen Hornschichten oder das Epithel der Wand
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Drei Fälle von Hyperkeratosis lacunaris (Siebenmann) des Zungengrandes. 279
eindrangen. Nach aussen hin war das Epithel, ohne dass Papillen-
bildnng zu bemerken war, von lymphatischem Gewebe, wie es den
Balgdrüsen des Zungengrundes und den Tonsillen entspicht, um¬
geben. Stärkere Leukocytenanhäufung oder entzündliche Infiltration
in demselben war nicht zu bemerken.
II. Fall. Bei der am 18. Mai 1895 im hiesigen Institute vor¬
genommenen Section einer auf der n. internen Abtheilung des
Herrn Regierungsrathes Prof. Dr. Pribram verstorbenen 54jährigen
Frau, bei welcher die pathologisch-anatomische Diagnose lautete:
„Stenosis et insuffieientia valvularum aortae. Endarteriitis chron.
deformans. Hyperaemia mechanica et hydrops universalis. Throm-
bosis auriculae cordis d. Infarctus haemorrhagici pulmonum. Morbus
Brighti chron. Cholelithiasis. Cicatrix et myoma ventriculi. „Cornua
cutanea“ linguae“, fanden sich an der Zunge ausser einer durch
die Verlängerung der Papillae filiformes auffallenden kreisförmig
begrenzten, ungefähr 2 cm im Durchmesser haltenden Stelle ihres
Rückens im Bereiche des Grundes 1 cm hinter den Papillae circum-
vallatae beginnend vereinzelte zerstreut stehende aus den Krypten
der daselbst befindlichen Balgdrüsen hervorragende spitzige, gelbe,
bis 8 nun lange und 1 mm dicke hart anzufühlende Stacheln, welche
in ihrem Boden fest hafteten. Die Tonsillen Hessen makroskopisch
keine pathologische Veränderung erkennen. Die Schleimhaut des
ganzen Pharynx war glatt und blass.
Die von diesem Falle nach denselben Methoden wie vom
ersten angefertigten mikroskopischen Präparate zeigten im Wesent¬
lichen die gleichen Verhältnisse, wiesen jedoch in manchen Punkten
einige Unterschiede auf. Das normal beschaffene, auf einer mit
flachen Papillen versehenen Mucosa aufsitzende Oberflächenepithel
senkte sich an jenen Stellen, wo es die aus verhornten Zellen be¬
stehenden und mit weitem centralen Lumen versehenen Stacheln
trug, nicht tief und steil, sondern mehr muldenförmig ein und verlor
daselbst die Papillen aber nicht vollständig, sondern diese erschienen
nur verbreitert und niedriger. Die Dicke der nicht verhornten
Epithellage wurde gegen den Grund der Krypten zu allmählich
niedriger. Hier lag dann unter dem Epithel eine schmale wie
atrophisch aussehende Schicht von lymphoidem Gewebe. Gegen die
centrale Höhle und die frei hervorragende Spitze waren die Horn¬
massen stark zerfasert und mit Leptothrixfäden bedeckt; einzelne
der Stacheln enthielten auch Kalkconcremente eingesprengt. Die
mikroskopische Untersuchung der Tonsillen dieses Falles ergab
entsprechend dem negativen makroskopischen Befunde an denselben
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Dr. Franz Friedland.
nur ganz geringe Verhornung des Epithels im Grunde einzelner
Krypten. Auch in diesem Falle konnten weder Keratohyalinkörner
noch irgendwelche Entzündungserscheinungen in den Krypten nach¬
gewiesen werden.
III. Fall. Die am 14. Februar 1896 stattgefundene Obduction
der Leiche einer 83 jährigen auf der psychiatrischen Klinik des
Herrn Professor Dr. Arnold Pick verstorbenen Frau ergab folgende
pathologisch-anatomische Diagnose: Leptomeningitis chron. Cysti¬
cercus cellulosae intrameningealis ad basim cerebri. Atrophia
cerebri. Encephalomalacia circumscripta multiplex. Ulcera catar-
rhalia laryngis. Tbc. obsoleta apicum pulmonum et gland. lymph.
peribronchialium. Infarctus haemorrhagicus pulm. d. Steatosis
hepatis. Pyelonephritis suppurativa sin. Hypertrophia muscularis
vesicae urinariae. Ulcus probabiliter lueticum ad anum. Colpitis
necrotisans. Perimetritis chron. adhaesiva. Periostitis costae X.
sin. Decubitus gangraenosus in regione sacrali. Thrombosis v.
fern, et v. iliacae int. sin. Oedema extremitatis inf. sin. „ Hyper -
keratosis in glandulis lenticularibus linguae .“ Am Zungengrunde
ragten in dem 2 cm hinter den Papillae circumvallatae beginnenden
und nach rückwärts bis zur Epiglottis reichenden Gebiete zahl¬
reiche feine, höchstens 1 mm lange, weisse, ziemlich weiche und
fest haftende Spitzen aus kleinen Grübchen der Schleimhaut hervor.
Die Tonsillen sowie die Pharynxwände zeigten nichts Abnormes.
Mikroskopisch bestanden diese Spitzen aus verhornten Epithel¬
massen, welche theils solide an der Oberfläche zerfaserte Excres-
cenzen, theils mit Detritus gefüllte Cystchen bildeten und halb¬
kugeligen oder kraterförmigen Einsenkungen des Oberflächenepithels
aufisassen. Dieses zeigte in den Buchten keine Verschmälerung,
aber deutliche Papillenbildung und war aussen von einer schmalen
Zone lymphadenoiden Gewebes umgeben. Entzündliche Infiltration
oder Eindringen von Mikroorganismen in das Gewebe konnte nicht
nachgewiesen werden. Keratohyalin fehlte vollständig. Die Ton¬
sillen Hessen wie beim zweiten Falle nur in der Tiefe der Krypten
spärliche Hornschichtenbildung erkennen.
Fasst man die Ergebnisse der Untersuchung der drei mit-
getheilten Fälle zusammen, so muss man sagen, es handelt sich
hier ledigHch um eine abnorm starke Verhornung des Epithels im
Bereiche der Zungenbalgdrüsen und der Krypten der Tonsillen,
also um eine reine HyperkercUose. Diese Auffassung findet ihre
Begründung in der Zusammensetzung, der Form und dem Sitze der
Excrescenzen, in dem Verhalten des unteriiegenden Epithels, des
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Drei Fälle von Hyperkeratosis lacunaris (Siebenmann) des Zongengrttndes. 281
Binde- und lymphatischen Gewebes, namentlich dem Fehlen jeg¬
licher abgelaufenen oder recenten Entzündung daselbst, sowie
endlich in der nur ganz oberflächlichen Auflagerung von Mikro¬
organismen, welche dem zufolge für den Process ohne Bedeutung
waren.
Die drei hier beschriebenen Fälle stimmen somit in ihrem
Wesen mit den von Siebenmann mitgetheilten überein und erscheint
die Inanspruchnahme der von diesem Autor vorgeschlagenen Be¬
zeichnung „Hyperkeratosis lacunaris“ für dieselben gerechtfertigt.
Wenn man jedoch die hier mitgetheilten Fälle mit den Fällen
von Siebenmann vergleicht, so sind doch einige, wenn auch un¬
bedeutende Unterschiede zu bemerken. Die Hyperkeratose erstreckte
sich in meinem zweiten und dritten Falle nur auf den Zungengrund
und blos im ersten Falle ausserdem noch auf die Tonsillen. Die
seitlichen, die hintere und die obere Pharynxwand waren von der¬
selben stets frei, während Siebenmann *) in allen sechs Fällen „die
Affection über beide Gaumentonsillen, die hintere und seitliche
Pharynxwand und den Zungengrund ausgebreitet fand“.
Das nicht verhornte Epithel der Kryptenwand erschien in
meinen Fällen gegenüber dem Oberflächenepithel deutlich verdünnt,
während Siebenmann von diesem Verhalten keine Erwähnung thut,
sondern nur allgemein sagt, 2 ) dass „sämmtliche Krypten nicht bloss
eine dreifache, sondern eine geradezu enorme Verdickung ihrer
epithelialen Wandung zeigten.“
Weiter liessen sich in den Krypten meines zweiten und dritten
Falles, wenn auch abgeflachte, so doch deutliche Papillen der Mucosa
nachweisen, während es bei Siebenmann *) heisst: „Obwol eine pa¬
pilläre Anordnung der Gewebselemente fehlt, besitzt das mikro¬
skopische Bild der Kryptenwand mit der aufgelagerten Masse des
Pfropfes doch Aehnlichkeit mit der Cutis.“
Hervorzuheben wäre endlich noch, dass mein erster Fall ein
männliches Individuum betraf.
Nach seiner Genese muss der Process als eine abnorme Ver¬
hornung aufgefasst werden.
Bezüglich der Aetiologie ist nichts Sicheres bekannt. Sieben¬
mann 4 ) bemerkt zu der Frage, „warum diese Stacheln in der Pars
oralis häufiger und in derberer Consistenz sich finden, als im Re-
tronasalraum, dass dieser Unterschied bedingt ist durch die Ver-
J ) 1. c. p. 367.
*) 1. c. p. 370.
*) 1. c. p. 371.
*) 1. c. p. 372.
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282
Dr. Franz Friedland.
schiedenheit des Epithels in den genannten beiden Abschnitten des
Pharynx; denn erstere ist mit Plattenepithel, letzterer mit Cylinder-
epithel überzogen; Plattenepithel verhornt aber erfahrungsgemäss
viel leichter als CylinderepitheL“
Bei der Deutung des Processes fasst Siebenmann die Hyper-
keratose als ein Schutzbestreben des Organismus gegen das Ein¬
dringen schädlicher Agentien auf. In dieser Hinsicht möchte ich
betonen, dass denn doch diese Hyperkeratose, wenn auch bei Vor¬
handensein derselben eine Schutzwirkung gegenüber Mikroorganismen
angenommen werden kann, zweifellos eine pathologische Bildung
darstellt, so gut wie die pathologischen Epithelverdickungen an
anderen Schleimhäuten, so am Oberflächenepithel der Zunge, der
'Wangen, der Harnblasen- und Harnröhrenschleimhaut etc.
Erklärung der Abbildung auf Tafel YI.
Rechte Hälfte der Zange mit Tonsille and weichem Gaumen von dem 1. Falle.
Stachelbildnng in den lenticolaren Drüsen des Zongengrundes and in den Krypten
der Tonsillen.
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(Aus der medizinischen Klinik des Prof, von Jakscli in Prag.)
ÜBER DEN EIWEISSGEHALT PATHOLOGISCHER
FLÜSSIGKEITEN.
Von
Prof. Du. ADOLF OTT.
(Hierzu drei Tabellen iin Texte.)
Seit C. Schmidt 1 im Jahre 1850 die Ergebnisse seiner Unter¬
suchungen über den Eiweissgehalt pathologischer Flüssigkeiten
veröffentlichte, waren diese wiederholt Gegenstand neuer Unter¬
suchung geworden. Die meisten Forscher stellten sich die Aufgabe,
die Ergebnisse derselben in ein gewisses System zu bringen und
den gefundenen Eiweissgehalt an sich, sowie in seinen Beziehungen
zum spezifischen Gewicht für die Diagnose und Prognose zu ver-
werthen. Im Beginne befassten sich nur wenige, wie Hoppe * und
Wachsmuth 8 mit dem Gegenstände. Hierauf folgte eine lange
Pause, his Mehn* im Jahre 1872 die Resultate seiner umfangreichen
Untersuchungen, welche sich hauptsächlich auf die Ex- und Trans¬
sudate der Pleura bezogen, publizierte. Mehn hatte sich bereits
bemüht, ein gewisses gesetzmässiges Verhältnis zwischen festen
Bestandteilen und spez. Gewicht heraus zu finden. Ihm folgend
haben dann Reuss* und Runeberg • gestützt auf ausgedehnte eigene
Untersuchungen und auf jene anderer Forscher, erstrebt, die Ab¬
hängigkeit des spez. Gewichtes vom Eiweissgehalt der Flüssigkeit
nachzuweisen, um damit der Praxis ein Mittel an die Hand zu
geben, ohne weitläufigere, zeitraubende Untersuchung auf den
Eiweissgehalt der Flüssigkeit schliessen zu können. Verwandten
Zwecken galten auch die späteren Arbeiten von F. A. Hoffmann 7
Citron 8 Neuenkirchen 9 Lunin 10 Bernheim 11 v. Jaksch 11 Sansoni
und Fomaca. 1 * Die Mehrzahl derselben beschäftigte sich mit der
Zeitschrift iür Heilkunde. XVH.
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19
Original frorn
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284
Frof. Dr. Adolf Ott.
kritischen Beleuchtung der von Reuss und Runeberg besonders an¬
geregten Frage unter Zugrundelegung des ihnen zur Verfügung
gestandenen Beobachtungsmaterials. Sie stimmen ziemlich darin
überein, dass wohl ein gewisser Parallelismus zwischen den beiden
Faktoren: dem spez. Gewichte und dem Eiweissgehalte patho¬
logischer Flüssigkeiten bestehe, heben aber gleichzeitig hervor,
dass dies nur für die Mehrzahl der Fälle Gültigkeit habe, nachdem
die zu Grunde gelegten Beobachtungen nieht selten das Gegentheil
erweisen.
So sagt Neuenkirchen: Im Grossen und Ganzen sind die
Schwankungen innerhalb des Eiweissgehaltes, der einem spez. Gew.
zukommt, zu weite, um meinen Erfahrungen nach für dieses Ver-
hältniss gültige Formeln aufzustellen. Der aus dem spez. Gew.
herausgerechnete Albumingehalt dürfte nur in einem kleinen Theil
der Fälle zutreffen. Citron äussert sich: dass selbst die sorg¬
fältigste Ermittlung des spez. Gewichtes nur einen annähernden
Schluss auf den Eiweissgehalt pathologischer Flüssigkeiten gestatte.
Ebenso fand Lunin , ia dass die Abhängigkeit des spez. Gewichtes
von dem Eiweissgehalte keineswegs eine so konstante sei, wie
Reuss und Runeberg angenommen haben, im Gegentheil die
Schwankungen zu grosse wären, um die Aufstellung allgemein
gültiger Regeln zu gestatten.
Diesen gegenüber stehen die neueren Arbeiten auf diesem Ge¬
biete, die von Bemhekm und Sansoni und Fomaca: Ersterer kommt
auf der Basis seiner Untersuchungen und Anwendung einer Modi¬
fikation der Reuss-Runeberg'scheu Berechnungsformeln zu dem Aus¬
spruche: Aus dem spez. Gewicht erhalten wir durch Rechnung
einen Eiweissgehalt, welcher dem Durchschnittswerth entspricht,
wie ihn eine grössere Anzahl von Wägungen für das spez. Gewicht
ergibt. Dabei kann Bernheim aber nicht unterlassen, zu bemerken,
dass auch er eine ganze Reihe von Fällen gefunden habe, wo bei
demselben spez. Gewicht der Eiweissgehalt erheblich differierte
oder wo ein höheres spez. Gewicht mit einem geringeren Eiweiss¬
gehalt in Verbindung stand. Sansoni und Fornaea fanden auf
Grund ihrer Beobachtungen, dass eine gewisse Beziehung zwischen
spez. Gewicht und Stickstoff- (resp. Eiweiss-)gehalt bestehe, be¬
sonders, wenn beide hoch sind, dagegen sich Differenzen ergaben,
wo das spez. Gewicht niedrig war.
Prüft man selbst die den einzelnen Abhandlungen beigegebenen
ziffernmässigen Daten, so wird man nicht gänzlich in Abrede stellen
können, dass das spez. Gewicht bei einzelnen Erkrankungen in
gröberen Umrissen im Verhältnis zu dem Eiweissgehalte der
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Ueber den Eiweissgehalt pathologischer Flüssigkeiten. 285
pathologischen Flüssigkeiten stehe. Zugleich wird man aber die
Ueberzeugung gewinnen, dass dieses Verhältnis durchaus kein
gesetzmässiges sei und deshalb für die Erschliessung des Eiweiss¬
gehaltes nur mit grosser Einschränkung angenommen werden könne.
Eine unveränderliche Grenze der Werthe für die eine oder andere
Krankheitsform ergibt sich durchaus nicht, im Gegentheil, das spez.
Gewicht zeigt ebenso wie das Eiweissprocent nicht selten be¬
deutende Differenzen. Forscht man der Ursache nach, wodurch
dieses Verhalten bedingt sein könne, so wird man nicht unschwer
die Momente herausfinden, welche für den Eiweissgehalt eines Ex¬
oder Transsudates massgebend sind. Vor Allem wird hier das
Eiweissgehalt des Blutes, aus welchem die pathologischen Flüssig¬
keiten abstammen, in Erwägung gezogen werden müssen, und wie
veränderlich dieser Faktor ist, geht aus den diesbezüglichen Ar¬
beiten von v. Jaksch 17 deutlich hervor. Hat ja auch Wachsmuth 19
bereits ausdrücklich darauf hingewiesen, von welch grosser Be¬
deutung die Zusammensetzung des Blutes zur Zeit der Flüssig¬
keitsentwicklung auf den Eiweissgehalt derselben sei. Ausserdem
werden aber noch die konstitutionellen Verhältnisse, der Gefass-
reichthum, die Beschaffenheit der Gefasswände, der Blutdruck, der
Druck der Flüssigkeit auf die Seitenwände der sie umschliessenden
Körperhöhle, sowie das kürzere oder längere Verweilen der Flüssig¬
keit in dem betreffenden Hohlraum den Eiweissgehalt beeinflussen.
Wenn man die Literatur im Hinblick auf diese ursächlichen Mo¬
mente durchmustert, so findet man, dass dieselben schon mehrfach
Berücksichtigung gefunden haben. So haben Mya und Viglezio , 18
dargethan, dass die Veränderungen der Eiweissmenge im Blute bei
Krankheiten in direktem Verhältnis zu den Veränderungen der¬
selben in den Transsudaten stehen, und dass Drucksteigerung im
Gefässsystem eine Steigerung des Albumingehaltes in den patho¬
logischen Flüssigkeiten bewirke. Lehmann 18 bemerkt ausdrücklich:
„Je ärmer das Blut an Albumin ist, desto weniger finden wir auch
im Transsudate,“ und weiter: „Wenn Transsudate sehr lange in
serösen Höhlen stagnieren, so wird die Flüssigkeit eiweissreicher.“
Runeberg, welcher sich am eingehendsten mit den Ursachen des
Eiweissgehaltes pathologischer Flüssigkeiten beschäftigt hat, weist
darauf hin, dass die Beschaffenheit der Capillaren in den ver¬
schiedenen Gefässgebieten an und für sich einen grossen Einfluss
auf den Eiweissgehalt ausübt, dass die Steigerung des Druckes
in dem betreffenden Hohlraum eine Steigerung des Eiweissgehaltes
bedinge, sowie dass der jeweilige Seitendruck in den transsu-
cierenden Gefässen den Eiweissgehalt beeinflusse.
19 *
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Original frum
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286
Prot Dr. Adolf Ott.
In Berücksichtigung aller dieser Umstände wird es also be¬
greiflich sein, warum sich nicht leicht eine bestimmte Gränze ziehen
lässt. Wie veränderlich dieselbe ist, lehrt uns die tägliche Er¬
fahrung. Es liessen sich höchstens, wie Beuss bemerkt, Durch-
schnittswerthe aufstellen, welche gleichsam ein ideales Minimum
für Exsudate und ein ideales Maximum für Transsudate darstellen.
Wenn Iluneberg die Ansicht ausspricht, dass man bei Abdominal¬
flüssigkeiten aus dem jeweiligen Eiweissgehalte auf die sie be¬
dingenden Erkrankungen schliessen könne, so sieht er sich doch
in Anbetracht der von ihm hervorgehobenen Einflüsse, zu der Be¬
merkung veranlasst: „dass es dabei stets nothwendig sei, alle Um¬
stände genau in Erwägung zu ziehen, die einen Einfluss auf den
Eiweissgehalt ausüben könnten. Aus dem Albumingehalt allein,
ohne Berücksichtigung der übrigen Erscheinungen könne man nicht
auf die Art des Processes schliessen.“ F. A. Hoffmann, welcher
eine grössere Anzahl eigener und fremder Beobachtungen registriert
hat, kömmt auch zu der Ansicht, dass sich eine Tabelle aus den
Zahlen nicht konstruieren lasse, diese nur eine schematische sein
könne, weil sich bei den einzelnen Erkrankungen alle möglichen
Uebergänge zeigen. Es kann deshalb auch nicht als allgemein
giltig angenommen werden, wenn Halliburton 17 sagt: dass für
diagnostische Zwecke die kurze Angabe genüge, dass hoher Eiweiss¬
gehalt auf Entzündung deute, während ein niedriger mit Sicherheit
Entzündung ausschliesse. Dass dieses Verhalten nicht immer zu-
treffe, beweist der Fall Citron's, wo die Punktionsflüssigkeit mit
dem niedrigen Eiweissprocent von 1*03 zur Fehldiagnose eines
Hydrothorax führte, während die Section eine frische Pleuritis
nachwies.
Aus dem Mitgetheilten ist also zu ersehen, dass die den
Eiweissgehalt pathologischer Flüssigkeiten betreffenden Anschau¬
ungen noch wesentlich divergieren. Es ist wohl, den erörterten
Ursachen zufolge, kaum zu erwarten, dass jemals allgemein gütige
Gränzwerthe des Eiweissgehaltes und des zum Theü davon ab¬
hängigen spez. Gewichtes für die einzelnen Erkrankungsformen
resp. Exsudate und Transsudate sich werden feststeüen lassen.
Ein endgiltiges Urtheü wird aber nur auf der Basis von sehr zahl¬
reichen Beobachtungen zu gewinnen sein. Wenn solche im Ver¬
gleiche zu anderen medizinischen Tagesfragen relativ spärlicher
sich verzeichnet finden, so mag dies vielleicht zum Theil an den
bisher für die Eiweissbestimmung gebräuchlichen Methoden gelegen
haben. Dieselben, selbst die von F. A. Hoffmann modificierte
Methode Scherer's haben immer noch viel zu lange Zeit in Anspruch
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Ueber den Eiweissgehalt pathologischer Flüssigkeiten.
287
genommen, um bei gehäufter Arbeit fortlaufend und leicht durch¬
geführt werden zu können. In dieser Beziehung musste daher die
von Kjeldahl eingeführte Methode der Stickstoffbestimmung in hohem
Grade befriedigen, da sie das Hindernis grösseren Zeitaufwandes
beseitigt und ausserdem die genauesten Resultate liefert. Mit der¬
selben lässt sich eine Stickstoffbestimmung in l‘/ 2 bis 2 Stunden
durchfuhren, sodass, wenn nöthig, man 2—3 selbst mehr Parallel¬
bestimmungen in einem Tage erledigen kann. Aus der hiermit
gefundenen Menge des Gesammtstickstoffs lässt sich dann der
Procentgehalt des Eiweisses sehr leicht berechnen, indem man dem
Vorgänge von v. Jaksch folgend, die gefundene Procentzahl Stick¬
stoff mit dem Faktor von 6 25 multipliziert Wohl ist damit nicht
nur die im Eiweiss enthaltene Stickstoffmenge, sondern auch alle
weiteren Stickstoff enthaltenden Bestandtheile: Extraktivstoffe,
Harnstoff- und Harnsäure zahlenmässig zum Ausdruck gebracht.
Diese können aber ganz unbeschadet vernachlässigt werden, da
dieselben, wie auch schon von Jaksch und neuerdings Sansoni und
Fomaca hervorheben, konstant nur in geringer, gleichbleibender
Menge in den Flüssigkeiten enthalten sind, in keiner weiteren Be¬
ziehung zu dem Eiweissgehalte stehen.
Bisher wurden pathologische Flüssigkeiten mit Benutzung der
KjdddhV sehen Methode, nur von v. Jaksch, Sansoni und Fornaca
ausgeführt. Nachdem die Resultate dieser Autoren insofern aus¬
einander gehen, als so hohe Zahlen, wie v. Jaksch fand, von den
italienischen Forschern nicht erreicht sind, anderseits, wie eben
bemerkt, ausgedehntere Untersuchungen auf diesem Gebiete nur
erwünscht sein können, unternahm ich es, die mir zur Verfügung
stehenden Flüssigkeiten zu Eiweissbestimmungen zu verwerthen,
und die gefundenen Resultate in Bezug auf das spez. Gewicht zu
prüfen. Den Herren Collegen Prof. v. Jaksch, Prof. Wölfler und
Prof. v. Ro8thom, welche mich mit dem Untersuchungsmaterial aus
ihren Kliniken versahen, insbesondere Prof. v. Jaksch, der mir über¬
dies alle zur Ausführung der Untersuchung nothwendigen Behelfe
zur Verfügung stellte, sei hier der wärmste Dank für die freund¬
liche Unterstützung der Arbeit ausgesprochen.
Die Flüssigkeiten stammten meist von Fällen, wo nur eine
einmalige Punktion vorgenommen wurde, nur in der Minderzahl
von solchen, wo wiederholt Punktionen gemacht wurden. Von
jeder Flüssigkeit, mit wenig Ausnahmen, wurden mindestens zwei
Bestimmungen gemacht und aus diesen dann das Mittel gezogen.
Wo die Bestimmungen nur halbwegs bedeutendere Differenzen
zeigten, wurden nochmals 2 Centralbestimmungen ausgeführt. Im
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288
Prof. Dr. Adolf Ott.
Ganzen kamen 43 Flüssigkeiten zur Untersuchung. Die meisten
waren dem Abdominalraum entnommen, dem Pleuraraum nur wenige.
Dafür kamen wiederholt Eiter und Hydrocelenflüssigkeit vor.
Die aus diesen Untersuchungen gewonnenen Resultate dürften
sich am leichtesten beurtheilen lassen, wenn ich dieselben nach drei
Gesichtspunkten darstelle: 1) wie verhalten sich in meinen Fällen
die Eiweisszahlen zu den Krankheitsformen, 2) wie verhalten sich
in denselben die spez. Gewichte zu den Eiweissprocenten und 3)
in welchem Verhältnis stehen meine Resultate zu jenen anderer
Forscher.
Zum Zwecke leichterer Uebersicht, habe ich die gewonnenen
Resultate in drei Tabellen zusammengestellt, von welchen die I.
die Daten nach den einzelnen Krankheitsformen geordnet, die II.
nach dem spez. Gewicht gereiht und die III. die übersichtliche
Zusammenstellung meiner Resultate mit jenen anderer Autoren und
zwar in der von Bemheim gewählten, mir als zweckentsprechend
erschienenen Anordnung enthält.
Tabelle I.
Fall
Diagnose
Datum
der
Punktion
Spezif.
Gewicht
Stickstoff in
100 gr
Flüssigkeit
Auf Eiweiss
%
berechnet
I
Carcinoma periton.
14./10.
1018
0649
4056
14./12.
1017
0-727
4-543
ii
8./1.
1018
0-832
5*203
II
Carcinoma periton.
18-/11.
1012
0-301
1-881
v
27-/11-
1009
0-343
2-138
ii
6./12.
1009
0-416
2-61
ii
14/12.
1009
0-288
1-799
in
Carcinoma periton.
14/12.
1018
0-661
4131
»i
21-/1.
1015
0-634
3-962
ii
8./2.
1016
0-519
3-244
IV
Carcinoma periton.
14./12.
1018
0-678
4-220
I
Carcinoma pleura sin.
10-/1.
1018
0-781
4-881
„ „ dext.
20./1.
1017
0-773
4834
ii ii sin.
31./I.
1018
0-638
3-928
V
Tuberculos. periton.
17./1.
1019
1047
6-558
VI
Vit. cord. Hepatit int.
20/H.
1015
0-342
2-137
28./11.
1015
0-402
2-512
VII
Vit. cord. Hepatit. int
11/1-
1018
0-672
4-200
ii
8-/2.
1019
0-714
4-462
ii
2./3.
1018
0-701
4-381
ii
18./3.
1016
0-651
3-443
VIII
Oirrhos. hepat.
20/11.
1012
0321
2006
ii
i
19./12.
1013
0-393
2-406
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Ueber den Eiweissgehalt pathologischer Flüssigkeiten.
289
Fall
Diagnose
a J
1*1
0*
Spezif.
Gewicht
Stickstoff in
100 gr
Flüssigkeit
Auf Eiweiss
«/«
berechnet
IX
Cirrhos. hepat.
2S./3.
1022
1102
6*887
X
Echinococcus hepat.
6./12.
1009
0*057
0*360
XI
Cystovarium
28./12.
1015
0*856
5*435
XII
Cystovarium
30./12.
1010
0-291
1-818
Xffl
Cystovarinm
2Ö./2.
1020
0-645
4.031
XIV
Papilloma ovarie
7./1.
1017
0-713
4-450
XV
Pyopneomothorax
14./1.
1020
0-996
6-281
77
21-/1-
1020
1*132
7-075
77
8171.
1022
1-428
8-928
XVI
Abscess. congest.
23./1.
1020
1-338
8-422
77
6./2.
1022
1-430
8-937
xvn
Abscess. cruris
31./2.
1020
1-044
6-525
xvni
Hydarthron. genn.
3./2.
1022
1038
6-409
XIX
Hydrocele
23./12.
1032
1-245
7*776
XX
Hydrocele
23./12.
1027
0-988
6-176
XXI
Hydrocele
21./I.
1026
1-152
7197
XXII
Hydrocele
6.12.
1028
1-256
7-851
XXIII
Hydrocele
15./3.
1017
0.956
5-975
XXIV
Hydrocele
27 ./2.
1020
0-711
4-419
XXV
Hydrocele
18./3.
1008
0118
0-737
Wie aus der Tabelle I zu ersehen ist, entfielen 11 Beobach¬
tungen auf Carcinoma peritonei. In der Mehrzahl derselben war
der Eiweissgehalt ein ziemlich hoher, um 4% herum schwankend.
Fasst man alle Fälle zusammen, so zeigten sich ganz bedeutende
Differenzen, da in einem Falle der Eiweissgehalt bis auf 1799 °/ 0
herabfiel, in dem andern bis zu 5*203 anstieg. Daraus geht also
hervor, dass ein halbwegs bestimmtes Eiweissprocent bei Carcinoma
peritonei nicht besteht. Auch im Verlaufe der Krankheit bei ver¬
schiedenen Punktionen zeigen sich verschiedene Eiweisswerthe,
wenn gleich die dem einzelnen Falle zukommenden, nicht so be¬
deutend differieren, als wie die Werthe in ihrer Gesammtheit.
Aehnliche Resultate gaben die 3 Pleurapunktionsflüssigkeiten,
welche von derselben Kranken abstammten, die die erstangefiihrten
Zahlen von Peritonealcarcinom lieferte. Es war hier die Pleura
beiderseits metastatisch ergriffen und wurde zweimal die linke,
einmal die rechte Seite punktiert. Die entsprechenden Eiweiss¬
zahlen waren 4*8 und 3*93 links, und 4*8 % rechts. Im Ganzen
differiert der Eiweissgehalt hier nicht wesentlich von jenem des
Pcritonealcarcinoms. Nach den Mittheilungen von Mehn, C. Schmidt
u. A. sollen die im Peritonealcarcinom entstandenen Flüssigkeiten
einen niedrigeren Albumingehalt aufweisen, als jene der Pleura.
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290
Prof. Dr. Adolf Ott.
Würde man aus dem in dem Falle von Peritonealcarcinom mit
1799% bis 2*61 bezifferten Eiweissgebalte eine Entscheidung treffen
sollen, ob es im Exsudat oder Transsudat sei, so könnte man leicht
sich für Letzteres entscheiden, während die Lustration eine Peri¬
tonitis carcinomatosa nachwies.
Gleichfalls hoher und zwar noch höherer Eiweissgehalt als
bei Carcinoma peritonei fand sich bei dem Falle von Peritoneal-
tuberculose: 6 558 °/ 0 , die hohe Zahl entspricht dem chronisch ent¬
zündlichen Processe, welchen die Tuberculose im Peritoneum unter¬
hielt. Die beiden Fälle von Stauungslebern, in Folge von Klappen¬
fehlern, welche bis zu atrophischer Muskatnussleber gediehen waren,
weisen der eine 2137, der andere 4*46 °/ 0 auf. Beide Fälle waren
sehr ähnlich, nur mit dem Unterschied, dass erste mehr vor¬
geschritten, der Patient herabgekommen, in höherem Grade änämisch,
und zugleich mit stärkerer Nephritis behaftet war. Nachdem v. Jdksch
nachgewiesen hat, dass in allen Formen von Anaemie der Eiweiss¬
gehalt des Gesammtblutes abnimmt, und wie wir oben hervorhoben,
der Eiweissgehalt der pathologischen Flüssigkeiten von jenem des
Blutes abhängig ist, so erklärt sich das geringere Eiweissprocent
in dem ersten Falle. Die fortschreitende Abnahme im 2. Falle bei
der 3. und 4. Punktion, dürfte auf dieselbe Ursache zu beziehen
sein, da auch dieser Kranke immer anämischer wurde.
Bei Cirrhosis hepatis bot der Eiweissgehalt weit auseinander
liegende Gränzwerthe. Während der eine Fall 2 006 und 2-406 °/ 0
autwies, war derselbe in dem anderen 6-887%.
Bei dem ersteren Falle zeigten sich aber bereits die Zeichen
exquisiter Blutarmuth und leichtes Oedem an den Unterschenkeln,
ohne dass Eiweiss im Harn gefunden werden konnte.
Der zweite betraf ein jugendliches Individuum, mit noch relativ
gutem Aussehen.
Auffallend gering war der Eiweissgehalt in dem Falle von
Echinococcus hepatis. Die Cystenflüssigkeit ergab blos 0-360%
also den niedrigsten Eiweissbestand von allen untersuchten Flüssig¬
keiten. Dieser Befund bestätigt die Angaben Halliburton ’s, welcher
erwähnt, dass die Eiweissstoffe nur spärlich in den Echinococcus¬
cysten enthalten sind.
Die Ovariencysten hatten einen sehr verschieden hohen Eiweiss¬
gehalt, von 1818 bis 5-435. Meist war derselbe ziemlich bedeutend.
Es entspricht dies der von Lehmann ausgesprochenen Ansicht:
dass, wenn Transsudate sehr lange in serösen Höhlen stagnieren,
ohne resorbiert oder künstlich entfernt zu werden, wie dies am
häufigsten bei Hydrocele, Ovariencysten der Fall ist, die Flüssig-
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Ueber den Eiweisagehalt pathologischer Flüssigkeiten.
291
keit eiweissreicher werde, als dies sonst bei Transsudaten ge¬
funden wird.
Ungewöhnlich hoch waren die Zahlen in dem Falle von Pyo-
pneumothorax. Die mittelst der HüZau’schen permanenten Drainage
entleerte eitrige Flüssigkeit wurde, in Abständen von einer Woche
und darüber, untersucht.
Es ergab sich hierbei das bemerkenswerthe Verhalten, dass
der Eiweissgehalt stetig im Steigen begriffen war, trotzdem der
Kranke immer mehr verfiel. Die letzt untersuchte Flüssigkeit
war 3 Tage vor dem Tode entnommen. Man dürfte wohl kaum
fehl gehen, wenn man hier die Ursache des steigenden Albumin-
procentes trotz zunehmender Blutverarmung in der auf tuberkulöser
Basis zweifellos bestehenden Entzündung der Pleura sucht, nach¬
dem auch C. Schmidt, Lehmann, Reuss und Runeberg dieses Moment
als massgebend für den höher werdenden Eiweissgehalt anerkennen.
Da in unserem Falle gleichzeitig das spez. Gew. anstieg, so spricht
dies gegen die Anschauung von Mehn; dass bei eitrigen Exsudaten
der Eiweissgehalt bei lethalem Ausgange sinke, während derselbe
sich auf gleicher Höhe erhalte oder steige, wenn der Kranke genest.
Unser Fall kömmt denjenigen Bemheim!s nahe, welcher bei 3
innerhalb eines Monates vorgenommenen Punctionen einen Eiweiss¬
gehalt von 3-8—48 und 5*8 °/ 0 aufwies. Bernheim ist zwar der
Ansicht, dass eine solche Steigerung nur bei hämorrhagischen
Flüssigkeiten vorkomme. In meinem Falle hatte jedoch die Flüssig¬
keit ein rein eitriges Aussehen, ohne bemerkbare Blutbeimengung.
Der Eiweissgehalt erreichte eine solche Höhe, wie wir sie nur
bei der aus Abscessen entleerten rein eitrigen Flüssigkeit gefunden
haben.
Die eitrigen Flüssigkeiten, welche 2mal Congestionsabscessen
bei Wirbelcaries und einmal einem kalten Abscess am Oberschenkel
entstammten, zeigten immer hohen Albumingehalt; erstere 8*422
und 8*937 °/ 0 , letztere 6*525 °/o. Es entspricht dieser Befund den
in der Literatur angegebenen Mengen.
Ein Fall von Hydarthron genu, wobei eine hellgelbe limpide
Flüssigkeit entleert wurde, ergab einen Eiweissgehalt von 6*409°/ 0 .
Von Hydroceleflüssigkeiten sind 7 untersucht worden. Der
Eiweissgehalt zeigte sehr bedeutende Differenzen: Von 0.737 bis
7*851 °/ 0 . In den meisten der untersuchten Hydroceleflüssigkeiten
war der Eiweissgehalt ein sehr hoher. Wir finden darin die An¬
gaben von Hammarsten 18 und Wachsmuth bestätigt. Letzterer
spricht sich bereits dahin aus, dass er die höchsten Eiweisswerthe
bei Hydrocele fand. In der Mehrzahl der von mir untersuchten
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292
Prof. Dr. Adolf Ott
Flüssigkeiten war eine auffallende Menge von Cholestearinkrystallen
enthalten, eine Erscheinung, welche von Hammarsten in seinem
Lehrbuch der physiologisch chemischen Analyse ganz besonders
hervorgehoben wird. Uebrigens dürfte auch die Bemerkung Hoppe-
Seyler ; 19 dass in alten Exsudaten sich gewöhnlich schöne krystalli-
nische Niederschläge von Cholestearin bilden, auch auf diese lang
dauernden, meist langsam sich entwickelnden Flüssigkeitsansamm¬
lungen in der Tunica vaginalis propria zu beziehen sein.
Wenn man die hier aufgeführten und im Einzelnen erörterten
Resultate in ihren Beziehungen zu den jeweiligen Krankheitsformen
zusammenfasst, so muss man wohl sagen: dass ein bestimmter
Eiweissgehalt einer und derselben KranTcheitsform resp. Exsudat
oder Transsudat nicht entspricht. Man kann höchstens so viel
daraus entnehmen, dass diejenigen Erkrankungen, welche mit irgend
welcher entzündlichen Reizung einhergehen, höhere Eiweissprocente
ergeben, als man solche allgemein für Transsudate annimmt, ferner
dass eitrige Processe den höchsten Eiweissgehalt liefern, dass aber
ein gesetzmässiges Verhalten, als diagnostischer Behelf, aus den
eben angeführten Gründen wohl kaum jemals als Regel werde auf¬
gestellt werden können.
Nachdem ich noch darauf zurückkommen werde, verzichte ich
vorläufig auf die eingehendere Erörterung und gehe sofort zum
zweiten der aufgestellten drei Gesichtspunkte auf Grundlage der
Tabelle II über, in welcher die Beobachtungen nach dem spez.
Gewicht, vom niedrigsten ansteigend, gereiht sind.
Tabelle IL
Diagnose
Spezif.
Gewicht
Stickstoff in
100 gr
Flüssigkeit
Auf Eiweiss
%
berechnet
Hydrocele
1008
0118
0-737
Echinococcus hepat
1009
0057
0-360
Carcinoma periton.
1009
0-343
2-138
11
1009
0-416
2-610
11
1009
0-288
1-799
Cystovarium
1010
0-291
1-818
Vit. cord. Hepatit. int.
1011
0-342
2-37
Carcinoma periton.
1012
0-301
1881
Cirrhosis hepat.
1012
0-321
2-006
99
1013
0-393
2-406
Cystovarium
1015
0-856
5-435
Vit. cord. Hepatit. int. 1
1015
0-402
2512
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Ueber den Eiweissgehalt pathologischer Flüssigkeiten.
293
Diagnose
Spezif.
Gewicht
Stickstoff in
100 gr
Flüssigkeit
Anf Eiweiss
%
berechnet
Carcinoma periton.
1015
0*634
3-962
1016
0-519
3-244
Vit cord. Hepat int.
1016
0-551
3-443
Carcinoma periton.
1017
0-727
4-543
Papilloma ovarii
1017
0-712
4*450
Carcinoma pleura
1017
0-773
4-834
Hydrocele
1017
0-701
4-381
Vit. cord. Hepatit int
1018
0-672
4-200
11
1018
0-649
4-056
Carcinoma periton.
1018
0-661
4121
1018
0*678
4-220
fj
1018
0-651
4068
11
1018
0-832
5-203
Carcinoma pleura
1018
0-781
4-880
11
1018
0*638
3-928
Vit cord. Hepatit int.
1019
0-714
4-462
Tuberculos. periton.
1019
1-047
6-558
Cystovarium
1020
0-645
4031
Pyopneumothorax
1020
0-996
6-281
ft
1020
1-132
7-075
Abscess. cror.
1020
1044
6-525
Abscess. congest.
1020
1-338
8-422
Hydrocele
1020
0-711
4-419
Hydarthron
1022
1-038
6-409
Abscessus congest
1022
1430
8-937
Pyopneumothorax
1022
1-428
8-928
Cirrhosis hepat
1022
1102
6-887
Hydrocele
1027
1-152
7197
11
1027
0-988
6.178
11
1028
1-256
7-861
11
1032
1-245
7-776
Wenn man die spez. Gewichte mit den denselben zugehörigen
Eiweissprocenten vergleicht, so muss man dabei auch die Provenienz
der Flüssigkeit berücksichtigen. Denn es ist nicht gleichgültig,
ob die Flüssigkeit aus dem Peritonealcavum oder einer Ovarial-
cyste, aus der Tunica vaginalis propria oder sonst wo abstammt.
Ein eklatantes Beispiel zur Illustration dieser Anschauung liefern
uns die Flüssigkeiten von Carcinoma peritonei und jene von
Echincoccus hepatis. Beide haben ein und dasselbe spec. Gewicht
von 1009, erstere jedoch ein Eiweissprocent von 2*6, und letztere
von 0*360°/ 0 . Aehnliches zeigten uns die Flüssigkeiten von atrophischer
Muskatnussleber und Ovariencyste. Beide haben das spez. Gewicht
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294
t*rof. Dr. Adolf Ott.
von 1015, aber ein Eiweissprocent von 2-512 die erstere, von
5435 °/ 0 die letztere. Insofern wäre also die Bemerkung von
Sansoni und Fomaca berechtigt, wenn dieselben der gefundenen
Stickstoff resp. Eiweissmenge eine gewisse diagnostische Beziehung
dann zugestehen, wenn die Provenienz der Flüssigkeit bekannt ist
Nehmen wir das Verhältnis des spez. Gewichtes zum Albumin¬
gehalt in meinen Fällen zur Grundlage der Betrachtung, so sehen
wir, dass dieses in der mannigfachsten Weise differiert. In erster
Linie wollen wir sehen, wie sich dieses Verhältnis bei einer nnd
derselben Krankheit gestaltet. Da ergibt sich, dass bei derselben
Krankheit und gleichem spez. Gewicht ein sehr verschieden grosser
Eiweissgehalt auftreten kann. So z. B. bei Carcinoma peritonei,
wo bei dem spez. Gewichte von 1009 das Eiweissprocent einmal
1799, das anderemal 2138 °/ 0 beträgt, ferner bei dem spez. Gewichte
von 1018 sich einmal mit 4 068, das anderemal mit 5 203 °/ 0 beziffert
Dasselbe Verhalten findet man beim Pyopneumothorax, wo das
spez. Gewicht von 1020 einmal einem Eiweissprocent von 6-281,
das anderemal von 7075 zugehört; ferner bei Hydrocele das spez.
Gewicht von 1027 mit 6178 % und 7197 °/ 0 Eiweiss.
Diese wenigen Beispiele dürften genügen, um darzuthun, dass
man selbst bei einer und derselben Erkrankung nicht im Stande
ist, aus der Höhe des spez. Gewichtes den Eiweissgehalt zu er¬
kennen. Noch grössere Differenzen ergeben sich aber, wenn man
das gleiche spez. Gewicht bei verschiedenen Erkrankungen mit dem
zugehörigen Eiweissprocent vergleicht. Hier sehen wir die Zahl
1019 bei atrophischer Muskatnussleber mit einem Eiweissprocent
von 4 62, bei Peritonealtuberculose mit 6-558°/ 0 in Verbindung;
die Zahl 1018 bei Carcin. pleura mit 3-928 °/ 0 bei Carcinoma periton.
mit 5*203 einhergehen; ferner die Zahl 1022 bei Cirrhosis hepatis
mit 6 887 und bei Pyopneumothorax mit 8 928. Es finden sich
aber zuweilen auch höhere Zahlen des spez. Gewichtes mit kleineren
der Eiweissprocente, und umgekehrt niedrige spez. Gewichtswerthe
mit höheren Eiweissprocenten zusammen. So z. B. bei Carcinoma
peritonei das spez. Gewicht von 1016 mit 0-519 und 1015 mit
0-634 °/ 0 , bei Cystovarium das spez. Gewicht von 1020 mit 4-031
während das weit niedrigere von 1015 mit 5 435 °/ 0 einhergeht
Es differieren demnach die den spez. Gewichten zugehörigen Werthe
des Eiweissgehaltes gar häufig. Dennoch wird man, wenn man
die Tabelle in ihrer Gesammtheit überblickt, nicht leugnen können,
dass in der Mehrzahl der Fälle ein gewisser Parallelismus dieser
beiden Faktoren hervortritt Insofern lässt es sich also nicht io
Abrede stellen, dass man häufig das spezifische Gewicht auf ein
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Ueber den Eiweissgehalt pathologischer Flüssigkeiten.
295
gewisses Eiweissprocent beziehen könne. Um aber, wie von
manchen Seiten versucht wurde, dieses Verhältnis als ein allgemein
gültiges Gesetz aufzustellen und daraus Schlösse zu ziehen, welche
für die Diagnose von Bedeutung wären, müsste dieses Verhalten
ausnahmslos zutreffen. Wo sich aber, wie an den obigen Beispielen
gezeigt wurde, Differenzen von 1 bis 2°/ 0 nachweisen lassen, hört
es auf, ein fest gegliederter Faktor zu sein. Es könnte das spez.
Gewicht, sowie der Eiweissgehalt, höchstens als unsicheres Wahr¬
scheinlichkeitsmoment zur Stütze der Diagnose dann herangezogen
werden, wenn vorher alle anderen aus exakter Untersuchung sich
ergebenden Symptome einer sorgfältigen Erwägung unterzogen
worden sind. Es ergibt sich also aus dieser Betrachtung: dass
man sich nicht gestatten könne, aus dem spez. Gewicht einen Schluss
auf den Eiweissgehalt der pathologischen Flüssigkeiten zu ziehen,
und dass das spez. Gewicht ebenso wenig massgebend für die Art
der Erkrankung, als wie einem bestimmten Eiweissgehalt zukommend
angesehen werden könne. Es leuchtet dies wohl ein, wenn man
alle die Ursachen erwägt, welche auf diese physikalisch chemischen
Eigenthümlichkeiten derselben bei den einzelnen Erkrankungen
von Einfluss sind.
Wenn Sansoni und Fomaca gefunden haben, dass das spez.
Gewicht mit dem Eiweissgehalt besonders dann übereinstimme,
wenn beide hoch, dagegen häufig differiere, wo das spez. Gewicht
ein niedriges sei, so konnte ich diese Beobachtung an meinen Fällen
nicht machen. Ich fand eher das Gegentheil, obwohl ich im All¬
gemeinen aus meinen Untersuchungen soviel entnehmen kann, dass
die Differenzen sowohl bei hohem als wie bei niedrigem spez.
Gewicht ziemlich gleiche sind.
Wenden wir uns endlich zum 3. Gesichtspunkte: Wie stimmen
die von mir gefundenen Resultate mit jenen anderer Forscher?
so dürfte dies auch aus einer tabellarischen Aneinanderreihung der
von den einzelnen Autoren angegebenen Zahlenwerthe am besten
ersichtlich werden.
Ich habe deshalb dieselben in Tabelle III zusammengestellt
und benützte dabei als Grundlage die von Bernheim in seiner
Arbeit aufgeftihrten Tabellen, an welche ich die sonst in der Lite¬
ratur angegebenen Werthe, sowie die von mir gefundenen Zahlen
anreihte. Die einzelnen Abschnitte der Tabelle sind nach den
verschiedenen Erkrankungen geordnet, und geben die von den
einzelnen Forschern gefundenen maxima und minima an.
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29G
Prof. Dr. Adolf Ott.
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Tabelle III.
Spez. Gewicht Eiweissprocent-
Cirrhosis hepatls.
Bemheim . . .
1014 —1008-3
Bemheim . . . .
3-45—1*06
Neuenkirchen . .
1014 —1006
Reuss.
1*93—0*61
Citron.
1016 —1006
Reuenkirchen . . .
1-85—0-56
Runeberg . . .
1014*5—1008-2
Runeberg ....
2-68—0-97
Lunin.
1011 —1009
F. A. Hoffman n . .
1*9—0-61
Halliburton. . .
1015 -1010
Frerichs.
2-60—1-01
Ott.
1022 —1008
Lunin.
1-51-0-52
Hoppe .
1-92-0-611
Hammarsten . . .
0-73
Halliburton....
2-401-0955
v. Jaksch ....
8-96—2-15
Sansoni u. Formaca.
2-62-145
Ott.
6-887—2-006
Carcinoma peritonei.
Bemheim . . . .
1024
Bernheim ....
5-896
Neuenkirchen . .
1022-1014
Reuss.
4*80—3-7
Lunin.
1021—10104
Neuenkirchen . . .
611—391
Citron.
1015
Runeberg . . . .
6-42—2-70
Sansoni u. Foraaca
1022-1018
y. Jaksch . . . .
503-441
Ott.
1018-1009
Sansoni u. Fornaca .
5-687—4-289
Ott.
5*203—1*880
Pleuraexsudate.
a. Tuberctdose.
Bemheim ....
1021-1010*6
Bernheim . . .
. 5-10—2-4
Runeberg ....
1026—1023*7
Neuenkirchen . .
• 5*46—3*98
Citron .
1020-1009
Sansoni u. Fornaca
. 6*842-4-593
Neuenkirchen. . .
1022-1021
v. Jaksch . . .
316
Lunin.
1024-1021
Ott.
. 8-928-6281
Sansoni u. Fornaca
1026—1020
Ott .
1022—1020
b. Carcinomatöse.
Neuenkirchen . .
1014
Sansoni u. Fornaca
4-025
Sansoni u. Farnaca
1016
Ott .
. 4 88—3-928
Ott .
1018—1017
Ecliinococcusflüssüjkeit.
Hammaraten . . .
I— *
O
&
1
Hammarsten . .
07
Halliburton ■ .
1016—1015
Halliburton . . .
spärlich
Ott .
1009
Ott .
0.360
Ovariumcysten.
Sansoni u. Fornaca
1034—1011
Sansoni u. Fornaca
. 810—1-75
Ott .
1020—1010
v. Jaksch . . .
. 8-75-1-72
Ott .
. 4 031-1-81
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Ueber den Eiweissgehalt pathologischer Flüssigkeiten
297
Spez. Gewicht.
Eiweissprocent.
Hammarsten . . .
Nenenkirchon . .
Sansoni u. Fornaca
Ott.
Hydrocele.
1050—1016
1023—1014
1028-1007
1032-1008
Neuenkirchen . . .
Sansoni n. Fornaca .
Ott.
6 - 20—201
6-25—1-062
7-778-0-737
Ott
Eiterflüssigkeit.
1022—1020
Hammarsten . . . 7-731—6-323
y. Jaksch .... 9-14—8-52
Ott. 8 927-6-526
Wenn man die in dieser Tabelle neben einander gestellten
Werthe näher betrachtet, so findet man, dass im Grossen und
Ganzen die von mir gefundenen Resultate, sowohl was die spez.
Gewichte, als die Eiweissprocente betrifft, nicht wesentlich von
jenen anderer Beobachter abweichen. Zugleich zeigt aber dieser
Vergleich, dass die von mir auf Grund meiner Beobachtungen oben
ausgesprochene Ansicht, dass eine sichere Beziehung zwischen spez.
Gewicht und Eiweissgehalt als Constante sich ebensowenig fixieren
lasse, als wie die Begrenzung eines bestimmten Eiweissprocentcs
für die einzelne Erkrankung in den Resultaten der anderen
Forscher ihre Bestätigung findet. Die Zahlen streichen eben derart
in einander, dass eine feststehende Grenzzahl sich nicht auf¬
stellen lässt.
Zuweilen werden wohl das spez. Gewicht dem Eiweissprocent
entsprechen, oder ein gewisser Werth derselben mit Wahrschein¬
lichkeit auf die Art des Krankheitsprocesses bezogen werden
können. Aber mit der heute in der Symptomatologie und Diagnostik
geforderten Exaktheit wird dies wohl niemals der Fall sein. Wie
nahezu alle Beobachter, insbesondere Reuss, Runeberg und Hoff-
mann dargethan haben, finden sich im Allgemeinen bei Exsudaten
höhere Zahlen, als bei Transsudaten. In dieser Beziehung wäre
es auch, wenigstens zum Theile, berechtigt, wenn Halliburton sagt:
dass für diagnostische Zwecke, ob Entzündung da ist oder nicht,
genüge, den Eiweissgehalt der Flüssigkeit zu kennen, indem ein
hoher Gehalt auf Entzündung deutet, während ein niedriger mit
Sicherheit (!) Entzündung ausschliesst. Ich bemerke aber ausdrück¬
lich „zum Theil“, weil, wie der Fall von Citron mit 105 °/ 0 und mein
Fall von Carcinoma peritonei mit 1-88 °/ 0 beweisen, die Sicherheit
keineswegs so absolut ist, indem trotz vorhandener Entzündung
ein auffallend niedriger, einem einfachen Transsudat entsprechenden
Eiweissgehalt vorhanden sein kann. Wenn auch diese Fälle dafür
sprechen, dass in solchen Fällen, wie Runeberg und Ho/fmann be-
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298
Prof. Dr. Adolf Ott..
tonen, der vorhandene kachektische Zustand mit bei der Be¬
urteilung des Eiweissgehaltes in Rechnung gezogen werden müsse
so scheint mir dies doch insofern nicht ganz zuzutreffen, als sich
unter meinen Fällen solche befanden, wo der kachektische Zustand
einen sehr hohen Grad erreicht hatte, (wie im Fall I der I. Tabelle)
und dennoch der Eiweissgehalt ein sehr hoher geblieben war.
Anderseits ist ja nicht zu leugnen, dass für gewisse Fälle das
Vorhandensein einer entzündlichen Reizung zur Erklärung des
hohen Eiweissgehaltes angenommen werden müsse, wenn derselbe
eine Höhe aufweist, wie dies der aus den anderen Erscheinungen
begründeten Diagnose durchaus nicht entspricht, die entzündliche
Reizung kann ja in solchen Fällen eine so geringe sein, dass sie
sich keine auffälligeren Erscheinungen kundgibt, und nur aus der
Höhe des Eiweissgehaltes vermutet werden kann. Dann ist aber
auch der Fall gegeben, dass man auf Grundlage dieses Ergebnisses
zu einer Fehldiagnose verleitet wird, was abermals beweisst, dass
der Eiweissgehalt keine sichere Grundlage gibt, zu entscheiden, ob
man es mit einem Exsudat oder Transsudat zu thun habe. Es
kann dies durch den von v. Jaksch mitgetheilten Falle von Cir-
rhosis hepatis illustriert werden, welcher einen Eiweissgehalt von
8-96 °/ 0 , also den höchsten für Cirrhosis hepatis in der Literatur ver-
zeichneten, aufweist. Es ist mehr, als wahrscheinlich, dass hier zur
Zeit der Punktion ein verdeckter entzündlicher Process die Ursache
gewesen sei, den Eiweissgehalt der Flüssigkeit in die Höhe zu schnellen,
wie solches auch schon von Retiss und Frerichs beobachtet wurde.
Es würde also hier der Ausspruch Runebergs zur Geltung gelangen;
dass der entzündliehe Process als äusserst wichtiger, ja vielleicht
als bedeutungsvollster aller Faktoren angesehen werden müsse,
welche auf den grösseren oder geringeren Albumingehalt der Trans¬
sudate bestimmend einwirken. Auch in dem von mir aufgeführten
Falle von Cirrhosis hepatis war der Eiweissgehalt (6*887 °/ 0 ) ein
solcher, wie er dieser Krankheitsform, bei welchem man ein aus
Portalstase entstehendes Transsudat voraussetzen muss, keineswegs
zukommt. Von entzündlichen Erscheinungen konnte aber objektiv
Nichts nachgewiesen werden.
Wie in diesen Fällen, so dürfte auah in manchen anderen bei
genauerer Erwägung der Erklärungsgrund für eine höhere oder
niedrigere Eiweisszahl zu finden sein. Dann verliert aber eben
diese Zahl ihre Bedeutung. Aus diesem Grunde wird es daher
wohl kaum möglich sein, irgend welche Grenzwerthe des spez.
Gewichtes wie des Eiweissprocentes für die einzelnen Erkrankungen,
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Ueber dou Eiweissgehalt pathologischer Flüssigkeiten.
299
welche zu pathologischen Ergüssen führen, systematisch aufzu¬
stellen, wie dies auch meine Untersuchungen dargethan haben.
Endlich möchte ich noch die Schwankungen des Eiweiss-
procentes bei wiederholten Punktionen eines und desselben Hohl¬
raumes an der Hand der von mir beobachteten Fälle erörtern.
Wie bereits oben angedeutet, geht die Meinung der meisten Autoren,
welche diesen Punkt berühren, Hoppe, Reuss, Runeberg, Neuen¬
kirchen, dahin, dass ein bei fortgesetzten Punktionen gleich bleiben¬
der oder steigender Eiweissgehalt als prognostisch günstiges, ein
abnehmender Eiweissgehalt als prognostisch sc hlimm es Zeichen
anzusehen sei. Meine Beobachtungen sprechen aber zum Theil
gegen diese Anschauung. In dem einen Falle von Peritoneal-
carcinom ergab die erste Punktion 7-056, die zweite 4-543 und die
dritte 5-203 °/ 0 , obwohl die Kranke immer mehr herabkam und die
letzte Punction kurz vor ihrem Tode vorgenommen wurde. Das¬
selbe war bei dem 2. Falle von Carcinoma peritonei, wo die
erste Punction 1-88, die zweite 2-138, die dritte 2 61 % ergab.
Ein gleiches Verhalten bot der eine Fall von atrophischer Muskat¬
nussleber, wo die Ascitesflüssigkeit bei der ersten Punction 0-342,
bei der zweiten, welche zugleich die letzte vor dem Tode war,
0-402 °/ 0 Eiweiss enthielt. Desgleichen bei dem einen Fall von
Cirrhosis hepatis: mit 2 006 und 12 Tage später mit 2*406% eben¬
falls kurz vor dem lethalen Ausgang. Am auffälligsten war die
Steigerung bei dem Pneumathorax, wo die der permanenten Drainage,
entnommene Flüssigkeit am 14/1. = 6558%, am 21/1. = 7-075
und am 31./I. d. i. drei Tage vor dem Tode 8 928% ergab, trotz¬
dem, dass sich der kachektische Zustand immer mehr entwickelte.
Dieser Fall spricht besonders gegen die Ansicht MHiu's: dass der
Albumingehalt bei eitrigen, wiederholt punctierten immer mehr ab-
nimmt, je näher die Punction, beziehungsweise die dem Eiterheerd
entnommene Flüssigkeit gegen den lethalen Ausgang gelegen ist.
Jedenfalls sind diese Befunde geeignet, die Aufmerksamkeit
atff das Eiweissverhältnis bei wiederholten Punktionen ganz be¬
sonders zu lenken. Suchen wir nach einer Erklärung dieses Ver¬
haltens, so dürfte dies in den Fällen von Peritonealcarcinom und
dem von Pyopneumothorax insofern minder schwer fallen, als in
diesen Fällen ein gewisser, je nach Art der Erkrankung, ver¬
schiedener Grad von entzündlicher Beizung bestanden hat, welchem,
der Anschauung Halliburtor's entsprechend, die Zunahme des Ei¬
weissgehaltes zu Grunde gelegt werden könnte. Dieser Erklärungs¬
grund kann jedoch keineswegs auf den Fall von Ascites in Folge
atrophischer Muskatnussleber angewendet werden, weil hier weder
Zeitaohrlft fttr Heilkunde. XVII.
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im Leben, noch bei der Section irgend welche Zeichen einer Ent¬
zündung zu bemerken waren. Eher könnte der gesteigerte Eiweiss¬
gehalt auf eine in Folge des Circulationhindernisses beruhende
Steigerung des Blutdruckes bezogen werden. Es würde dies mit
der von Mya und Viglezio ausgesprochenen Ansicht übereinstimmen,
der zufolge Drucksteigerung im Gefüsssystem eine Vermehrung des
Eiweissgehaltes in pathologischen Flüssigkeiten bewirkt.
So lässt sich dann aus dieser Darstellung ersehen, dass zu¬
weilen bei wiederholten Punctionen trotz zunehmender Kachexie,
und unaufhaltsamen Fortschreiten der Krankheit bis zum Eintritt
des Todes der Eiweissgehalt eine Steigerung erfahre, daher aus
der Grösse des Eiweissprocentes in der von manchen Autoren an¬
gedeuteten Weise ein prognostischer Moment nicht abgeleitet
werden könne.
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Literatur.
1) C. Schmidt, Charakteristik der epidemischen Cholera gegenüber
verwandten Transsndationsanomalien 1850.
2) Hoppe, Analyse von Peritonealexsudaten bei Cirrhose. Deutsche
Klinik 1853, p. 405.
Seröse Transsudate. Virchows Archiv, IX. Band, p. 245.
3) Wachsmuth, Ueber die Menge der festen Bestandteile und des
Eiweisses in verschiedenen Exsudaten des menschlichen
Körpers. Virchows Archiv, Bd. VII, p. 330.
4) Mehu, Etudes sur les liquides epanchements dans la pleure.
(Arch. gener. de Med., Juin et Juillet 1872.)
Nouvelles recherches sur les liquides pathologiques de la
cave pleurale. (Arch. gen. de Med., Fevrier 1875.)
5) Reuss, Beiträge zur klin. Beurteilung von Exsudaten und
Transsudaten. Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. XXIV,
p. 581.
Das Verhältnis des spez. Gewichtes zum Eiweissgehalt
in serösen Flüssigkeiten. Deutsches Archiv, für klin. Med.,
Bd. XXVm, p. 317.
6) Runeberg, Klinische Studien über Transsudationsprocesse.
Deutsches Archiv f. klin. Med., Bd. XXXIV, p. 1.
Klinische Studien über Transsudationsprocesse im Or¬
ganismus. Deutsch. Archiv f. klin. Med., Bd. XXXV, p. 266.
7) F. A. Hoffmann , Ueber den Eiweissgehalt der Axiterflüssig-
keiten. Virchows Archiv, Bd. LXXVHI, p. 250.
Eiweissgehalt der Oedemflüssigkeiten. Deutsches Archiv
f. klin. Med., Bd. XXXXIV, p. 313.
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spez. Gewichtes pathologischer Flüssigkeiten. Deutsches
Archiv f. klin. Med., Bd. XXXXVI, p. 129.
0) Neuenkirchen, Ueber die Verwertbarkeit des spez. Gewichtes
und des Eiweissgehaltes pathologischer Trans- und Exsudate
zur klinischen Beurteilung derselben. Inaugur.-Dissertat.
Dorpat 1888.
20 *
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302
Prof. Dr. Adolf Ott.
10) Lunin, ZurDiagnostik der pathologischen Trans- und Exsudate mit
Hülfe des spez. Gewichtes. Inaugur.-Dissertat, Dorpat 1892.
11) Bernheim, Beiträge zur Chemie der Exsudate und Transsudate.
Virchows Archiv, Bd. CXXXI, p. 274.
12) v. Jaksch, Ueber den Eiweissgehalt krankhafter Eigüsse. Zeit¬
schrift f. klin. Med., Bd. XXIII, p. 225.
13) Sansoni u. Fornaca, Contributo sperimentale alla conoscenza
chimica dei liqnidi effusi nella cavita dell’ organismo col
dosaggio dell’ azoto. La Riforma medica 1894, Nr. 163,
p. 147.
14) v. Jaksch, Ueber die Zusammensetzung des Blutes gesunder
und kranker Menschen. Zeitschr. f. klin. Med., Bd. XXITI,
p. 187.
15) Mya u. Viglezio, Ricerche quantitatora sulle sostunze albu-
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mulatie.
Rivista clin. Nr. 4, 1888 citiert nach Virchow - Hirsch
Jahresbericht 1888, I, p. 234.
16) Lehmann, Lehrbuch der physiol. Chemie, Bd. H, p. 275.
17) Halliburton, Lehrbuch der chemischen Physiologie u. Patholo¬
gie. Deutsch von Kayser, Heidelberg 1893.
18) Hammarsten, Lärobok i physiologisk kemisk Analys, p. 167,
Upsala.
19) Hoppe Seyler , Physiologische Chemie 1881.
20) Frerichs, Klinik der Leberkrankheiten, Bd. H, p. 45.
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WEITERE MITTHEILUNGEN ÜBER CEREBRALE
SPASTISCHE LÄHMUNGEN IM KINDESALTER
Von
Prof. Dr. GANGHO FNER.
In einer früheren Publication *) habe ich einige Fälle mit-
getheilt, welche nach dem Symptomekomplex, welchen sie auf¬
wiesen, vom klinischen Standpunkte zu dieser Krankheitsgruppe
gezählt werden mussten, welche jedoch bei der Autopsie ungewöhn¬
liche und nicht vorausgesehene Befunde ergaben. Trotzdem in den
letzten Jahren die Literatur über diese Krankheitsprozesse recht
angewachsen ist, wird immer wieder wegen mancherlei obschweben¬
der Fragen und ungeklärter Punkte die Notwendigkeit ^betont,
weiteres Material zu sammeln und insbesondere diesbezügliche Sek¬
tionsbefunde mitzutheilen.
Neuestens hat Erb*) zu diesen Krankheitsformen Stellung ge¬
nommen und gelegentlich der Mittheilung zweier Fälle von here¬
ditärer spastischer Spinalparalyse im Kindesalter daraufhingewiesen,
dass die in den neueren Arbeiten über spastische infantile Lähm¬
ungen hervortretende Tendenz, alle hierher gehörigen Fälle, auch
die reinen spastischer Paraplegien, auf primäre Schädigungen des
Gehirns zurückzuführen und keinen Raum zulassen für primäre
spinale Erkrankungen nicht genügend fundiert sei. Genügende
und erschöpfende pathologisch-anatomische Beweise hiefür lägen
keineswegs vor und es sei vielleicht zu rasch verallgemeinert
worden auf Grund vereinzelter Beobachtungen.
’) Jahrb. für Kinderheilk. 1895, Bd. 40, H. 2 u. 3.
*) Ueber hereditäre spastische Spinalparalyse. Deutsche Zeitschr. f. Nerveu-
beilk. 1894. Bd. Vf, H. 1 u. 2, pag. 137.
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304
Prof. Dr. F. Ganghofner.
Eine weitere Erforschung erheischt auch die Aetiologie dieser
Erkrankungen, da ja in einer grossen Zahl der in der Literatur
niedergelegten Fälle von einer Aetiologie überhaupt nichts bekannt
ist und auch die gewöhnlich angeführten ätiologischen Momente
vielfach bezüglich ihrer Dignität zweifelhaft erscheinen.
Die Frage nach der Aetiologie hängt zusammen mit der Frage
nach der Möglichkeit, intrauterin entstandene, durch den Geburtsakt
verschuldete und im extrauterinen Leben acquirierte Formen klinisch
und pathologisch-anatomisch zu unterscheiden.
Die verschiedenen in der Kenntnis dieser Krankheitsprozesse
bestehenden Lücken veranlassten mich, das nicht unbedeutende Be¬
obachtungsmaterial unserer Anstalt einer Sichtung zu unterziehn
und insbesondere die Fälle mit Sektionsbefunden mit Rücksicht
auf die fraglichen Punkte zu prüfen.
Ich beabsichtige hier zunächst nur die bilateralen Erkrank¬
ungen in Betracht zu ziehn, welche im Allgemeinen als cerebrale
spastische Diplegien bezw. Paraplegien bezeichnet zu werden pflegen,
und habe ich hiervon aus den letzten vier Jahren die Kranken¬
geschichten von 54 Fällen zusammenstellen können. Die meisten
der betreffenden Kranken waren längere Zeit in der stationären
Klinik verpflegt. Ausführliche Krankengeschichten sollen nur von
den zur Obduktion gelangten oder ein besonderes Interesse dar¬
bietenden Fällen mitgetheilt werden, eine Uebersicht über die Ge-
sammtheit der Beobachtungen beabsichtige ich in einer die
wichtigeren Daten enthaltenden Tabelle zu geben. Hemiplegische
Formen sind in diese Tabelle nicht aufgenommen worden, sollen
jedoch bei den weiteren Erörterungen ebenfalls verwertet werden.
Freud hat in seiner bekannten Arbeit 1 ) eine Reihe von statisti¬
schen Untersuchungon angestellt, deren Ergebnisse insoferne Be¬
achtung verdienen als sie sich auf ein relativ grosses, theils eigene
Beobachtungen betreffendes, theils aus der Literatur geschöpftes
Material beziehn. Diese Untersuchungen betreffen u. A. die ver¬
schiedenen ätiologischen Momente, welche bei der Entstehung der
in Rede stehenden Krankheitsprozesse eine Rolle zu spielen
scheinen und die Beziehungen dieser ätiologischen Momente zu ge¬
wissen Krankheitssymptomen oder Symptomengruppen.
Ich will zunächst versuchen, meine Fälle mit Rücksicht auf
die Aetiologie zu gruppieren und diesbezüglich mit Freuds grosser,
aus der Literatur zusammengestellter Reihe zu vergleichen. Unter
*) Zar Kenntnis der cerebralen Diplegien des Kindesalters. Leipzig and
Wien 1893.
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Weitere MittheUongen über cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter. 305
meinen 54 Fällen befinden sich 19 ohne Aetiologie, d. h. es war
in diesen 19 Fällen kein ätiologisches Moment zu eruieren.
Die übrigen 35 Fälle lassen sich nachstehend gruppieren.
I. Fälle mit ausgesprochen mütterlicher Aetiologie
11 Fälle.
Nr. 4 der Tabelle Katharina S., 11 J. alt, Tuberculose der Mutter.
Nr. 13 Thomas 8., 9 J., Mutter litt an Unterleibsschmerzen während
der Gravidität.
Nr. 18 Heinrich H., 3*/ 4 J., Tuberculose der Mutter.
Nr. 32 Marie P, 3 J., familiäre Erkrankung.
Nr. 33 Margarethe S., 13 J., Psychose der Mutter.
Nr. 35 Marie I, 2 J., fieberhafte Erkrankung der Mutter während
der Gravidität
Nr. 39 Marie H., 9 J., Psychose der Mutter, 2 Geschwister früh
gestorben, lmal auch Abortus.
Nr. 42 Anna S., 2 Monate, Lues hereditaria.
Nr. 46 Franz H., 22 Monate, heftige psychische Alteration der
Mutter während der Gravidität
Nr. 51 Karl P., 6 J., familiäre Erkrankung.
Nr. 52 Otto Br., 6 J., schwere nervöse Erkrankung der Mutter.
II. Zeichen von Degeneration der betreffenden Kinder¬
reihe, wiederholter Abortus, frühzeitiges Ab¬
sterben von Geschwistern etc. .6 Fälle.
Nr. 11 Johann K, 3*/ 4 J. alt, 2 Geschwister frühzeitig an Fraisen
gestorben.
Nr. 12 Josef K, 2 J., Geschwister an Fraisen gestorben.
Nr. 17 Karl B., 3 J., 13. Kind, vorher Abortus, ein 14. Kind starb
am 10. Tage.
Nr. 31 Franz L., 5*/* J., 2 Geschwister starben in den ersten
Lebenstagen, 1 Abortus.
Nr. 37 Karoline Ch., */* J., 3 Geschwister frühzeitig an Fraisen
gestorben.
Nr. 54 Rudolf F, 2*/ a J., 1 Abortus, 2 Geschwister frühzeitig ge¬
storben.
III. Fälle mit Frühgeburt .2 Fälle.
Nr. 26 Franz I, 8 J., 7 Monatkind.
Nr. 43 Fmü W., 4 J., 7 Monatkind, vorher wiederholt Abortus.
IV. Schwergeburt .2 Fälle.
Nr. 34 Josef St., 5 Monate, asphyktische schwere Geburt.
Nr. 47 Oskar Sch., 3 J., Schwergeburt mit lang dauernder Asphyxie.
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306
Prof. Dr. F. Ganghoftier.
V. Früh- und Schwergeburt .1 Fall.
Nr. 10 Josef W., 5 J.
FI. Nach oder im Verlaufe von Infektionskrankheiten
8 Fälle.
Nr. 15 Joseph Z., 6 J., nach Variola.
Nr. 25 Franz T., 6 J., nach Typhusabdom.
Nr. 27 Agnes N., 3 J., nach Scharlach.
Nr. 30 Angela B., 11 Monate, nach Pneumonie.
Nr. 36 Frans N., 13 Wochen, acute hämorrhag. Encephalitis.
Nr. 38 Barbara B., 5 1 /, J., nach einer nicht näher bezeichneten
fieberhaften Erkrankung.
Nr. 49 Josef K., 7 J., nach schwerer Diphtherie.
Nr. 53 Eduard Ä, 5 J., nach Morbillen und schwerer Bronchitis.
VII. Traumatisch bedingt .1 Fall.
Nr. 24 Marie L., 4 J., Fall auf den Kopf.
VIII. Fälle ohne bekannt gewordene ätiologische Momente, die
nach dem Sectionsergebnis als congenital entstanden anzu¬
sehen sind, somit zu Gruppe I oder II gehören: 4 Fälle.
Nr. 5 Marie F., 3 1 /* J- alt.
Nr. G Sophie S., 3 J. alt.
Nr. 7 Elisabeth F., 4 1 / 8 J.
Nr. 8 Eduard P, 17 Monate.
Zur Gruppe I ist zu bemerken, dass die Fälle Nr. 32 und Nr. 51
Geschwister betreffen und als familiäre Erkrankung der mütterlichen
Aetiologie zugerechnet wurden. Es muss zugegeben werden, dass
es sich hier auch um Vererbung von väterlicher Seite her handeln
könnte, doch gibt die Anamnese diesbezüglich keine besonderen
Anhaltspunkte. Dasselbe gilt auch vom Fsll Nr. 42, betreffend ein
Kind mit Lues hereditaria.
Fasst man die Häufigkeit der einzelnen ätiologischen Momente
ins Auge, wie dieselbe aus meinem Materiale hervorgeht, und stellt
sie den statistischen Ermittelungen von Freud gegenüber, so er¬
geben sich in mancher Beziehung ganz andere Verhältnisse.
Unter den von mir beobachteten Fällen finden sich:
19 Fälle = 351 °/o ohne Aetiologie,
11 „ = 20-3 °/ 0 mütterliche Aetiologie (Krankheit*
Trauma, psychische Alteration der
Mutter),
5 „ = 9-2 °/ 0 sog. Little'sche Aetiologie (EVOh- und
Schwergeburt, Asphyxie),
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Weitere Mittheilungen über cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter. 30?
9 Fälle = 16 6 °/ 0 extrauterine Erkrankung (Infections-
krankheit, Trauma).
Dazu kommen noch die sub II und sub VJLL1 angeführten:
10 Fälle, die wohl noch zu jenen mit mütterlicher Aetiologie
zugezählt werden könnten.
In der Statistik von Freudy welche 275 Fälle umfasst, sind:
34 °/ 0 ohne Aetiologie, 7-7 °/ 0 mit mütterlicher, 50 °/ 0 mit
ZiftZe’scher Aetiologie, 7*4 °/ 0 extrauterine Erkrankung.
In meinem Materiale sind sonach mütterliche Aetiologie und
extrauterine Erkrankung in mehr als doppelt so grossem Prozent¬
satz vertreten, während die sogenannten Li^e’schen Momente (Früh-
und Schwergeburt) bei mir nur 9-2 °/ 0 aufweisen gegenüber 50°/o
der grossen Beihe von Freud. Der Prozentsatz der mütterlichen
Aetiologie würde sich bei meinen Fällen noch erhöhen, wenn die
sub II und Vlil angeführten (zusammen 10) Fälle als hierher ge¬
hörig angesehen würden.
Wenn nun auch zugegeben werden muss, dass bei einer nur
54 Fälle umfassenden Beobachtungsreihe der Zufall eine so grosse
Differenz bezüglich der sogenannten Little 'sehen Aetiologie bewirken
konnte, so fordert dies doch dazu auf, der Statistik von Freud
weiterhin nachzugehn, insofern sich dieselbe mit den Beziehungen
der einzelnen, als wirksam gedachten ätiologischen Momente zu den
verschiedenen Formen der spastischen Cerebralparalysen bezw. zu
gewissen charakteristischen Symptomen derselben befasst.
Nach Freud findet sich in 25*2 °/ 0 aller Fälle cerebraler
Diplegie Strabismus vor und zeigt derselbe eine innige Beziehung
zur Frühgeburt einerseits, und zu jener Form der cerebralen Lähmung
anderseits, welche als paraplegische Starre bezeichnet wird, indem
39-4 °/ 0 der Fälle mit der Aetiologie Frühgeburt, und 39'8°/ 0 der
Fälle von spastischer Paraplegie Strabismus aufweisen. Er be¬
zeichnet daher die Dreiheit: Frühgeburt, paraplegische Starre und
Strabismus als einen zusammengehörigen klinischen Complex.
Unter meinen 53 Fällen (nach Ausscheidung des einen Falles
von acuter Encephalitis) finden sich 19 Fälle mit Strabismus, welcher
sonach in 35*8 °/ 0 der Fälle vorkommt. Von meinen Fällen para-
plegischer Starre, deren Zahl nach Ausscheidung von drei, erst im
dritten bis fünften Lebensjahr (nach Diphtherie, Typhus und Variola)
entstandenen Fällen sich auf 15 beläuft, sind neun mit Strabismus
complidert, somit 60 °/ 0 . Von diesen 15 Fällen haben nur fünf
Aetiologie und zwar 2 Fälle mütterliche Aetiologie (Tuberculose der
Mutter, Abortus und frühzeitiges Absterben von Geschwistern),
zwei Fälle Frühgeburt und ein Fall Früh- und Schwergeburt.
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308
Prof. Dr. F. Gaughofner.
Diese 15 Fälle sind wohl fast alle als congenital bedingte anzu-
sehn, die motorischen Störungen datieren aus der allerersten Lebens¬
zeit oder wurden doch im Verlauf des ersten Lebenjahres constatiert,
überdies fehlt in allen (bis auf einen) Fällen ein Geburtstrauma
Die von Freud statuierte klinische Dreiheit kommt hier nicht zum
Ausdrucke, da das ätiologische Moment der Frühgeburt in so ge¬
ringem Masse vertreten ist, während die innige Beziehung von
Strabismus und paraplegischer Starre in noch auffälligerer Weise
hervortritt.
Zur weiteren Charakterisierung der von mir beobachteten cere¬
bralen Lähmungen sei noch hervorgehoben, dass in mehr als der
Hälfte derselben eine Beeinträchtigung der Intelligenz notiert ist.
Es findet sich 12 Mal ausgesprochene Idiotie und 19 Mal zurück¬
gebliebene geistige Entwickelung also in 31 Fällen von 52 (nach
Abzug von 2 Kindern im Alter von 2 bis 3 Monaten) = 62%.
Die grosse Häufigkeit der Intelligenzstörung und das Zurück¬
treten der Little’schen Aetiologie, bezw. die relative Seltenheit der
Früh- und Schwergeburt bei den von mir beobachteten Fällen,
scheint die Annahme zu berechtigen, dass es sich vorwiegend um
intrauterin entstandene Fälle gehandelt habe.
Hierbei ist indess zu berücksichtigen, dass die Dignität der
Früh- und Schwergeburt als ätiologisches Moment der spastischen
Cerebrallähmung eine gewisse Einschränkung erfahren muss, in¬
sofern als die abnorme Geburt nicht ohne Weiteres in jedem Falle
als die wirkliche Ursache der Gehirnerkrankung gelten kann.
Freud *), welchem bei den typischen Formen allgemeiner und para¬
plegischer Starre der ätiologische Werth der Li^e’schen Momente
(Früh- und Schwergeburt) ausser Frage zu stehen scheint, gibt
gleichwohl zu, dass für eine Reihe von Fällen die Geburt von
untergeordneter Bedeutung sein kann und dass möglicherweise die
Anschauung von Förster zu Recht bestehe, wonach Schwergeburt
und Frühgeburt von denselben Abnormitäten des mütterlichen Or¬
ganismus abhängig sind, welche die Gehimentwickelung des Kindes
in utero gestört haben. Dann ist — sagt Freud — die abnorme
Geburt nicht die Ursache, sondern das erste Symptom des Krank¬
heitszustandes und ist von den Fällen mit Liftfe’scher Aetiologie
wahrscheinlich eine Anzahl mit mehr Recht den congenitalen zu¬
zuzählen. Als solche bezeichnet er besonders die Fälle mit Idiotie
und Spät-Convulsionen.
Im Sinne dieser Betrachtungen wären alsdann die von mir
J ) 1. c. pag. 88.
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Weitere Mittheiluagen Uber cerebrale spastische Lähmungeu im Kiudesalter. 309
beobachteten Fälle der Mehrzahl nach als congenitale anzusehn,
ohne das Symptom der Frühgeburt bezw. Schwergeburt. Mag man
auch der erschwerten Geburt und Frühgeburt und der damit zu¬
sammenhängenden Meningealhämorrhagie immerhin einen gewissen
Einfluss auf das Zustandekommen jener cerebralen Paralysen zu¬
schreiben, welche bald nach der Geburt oder doch im Verlaufe des
ersten Lebensjahres in Erscheinung treten, so dürfte doch die trau¬
matische Elinwirkung des Geburtsaktes auf ein vorher gesundes
Gehirn nur selten hierbei allein in Frage kommen. Als der haupt¬
sächliche Faktor erscheint die vom mütterlichen Organismus be¬
einflusste Entwickelung des Foetus. Die Verhältnisse können sich
diesbezüglich verschieden gestalten je nach dem Krankheitszustand
der Mutter oder der Schädlichkeit, welche sie betroffen. Handelt
es sich um eine von der Mutter auf das Kind übertragene Cachexie,
insbesondere hereditäre Lues, so kann die mit dieser einhergehende
hämorrhagische Diathese ihrerseits zu Meningealhämorrhagien wäh¬
rend des Geburtsaktes disponieren. Indem ich auch bezüglich dieser
Frage auf die Ausführungen von Freud 1 ) verweise, will ich nur
hervorheben, dass bei Durchsicht meiner Krankengeschichten nach¬
gewiesene Lues der Eltern oder des Kindes nur selten vorkommt,
dass jedoch die anamnestischen Erhebungen vielfach dazu drängen,
gleichwohl der hereditären Lues eine nicht unbedeutende Rolle in
der Aetiologie der congenitalen spastischen Lähmungen anzuweisen.
In diesem Sinne sprechen die so häufig angegebenen Fälle von
Abortus in der betreffenden Generationsreihe sowie das häufige
Absterben von Geschwistern in der ersten Lebenszeit. Nimmt man
nun an, dass hereditäre Lues eine der häufigeren Ursachen für das
Zustandekommen von congenitalen Cerebrallähmungen abgebe, so
muss es auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, dass der
Nachweis vorhandener oder vorhanden gewesener Lues der betreffen¬
den Eltern aus den Krankengeschichten zumeist nicht ersicht¬
lich ist
Geht man aber der Sache näher auf den Grund, so ergibt sich,
dass man fast immer nur auf die Angaben der Eltern, ja sehr oft
anderer Personen angewiesen ist, welche das Kind zur Aufnahme
in die Anstalt bringen. Genau dasselbe ist der Fall bei Säuglingen,
welche mit unzweifelhaften Zeichen der Lues hereditarie in die
Ambulatorien der Kinderspitäler gebracht werden. Man erfahrt
nur, dass so und so oftmal Abortus vorgekommen ist, dass Ge¬
schwister in den ersten Lebenswochen gestorben sind u. s. w., aber
*) 1. c. pag. 124.
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310
Prof. t)r. F. Ganghofaer.
fast nie wird Lues seitens der Eltern zugegeben und eine Unter¬
suchung der Eltern ist aus äusseren Gründen nur selten möglich
und auch dann nur in unvollständiger Weise.
Anderseits scheint es, dass hereditär syphilitische Kinder, welche
mit dem Leben davongekommen sind, nicht gerade häufig in späteren
Lebensjahren sichere Zeichen der Syphilis aufweisen.
Ich verfüge übrigens über einen selbst beobachteten Fall von
congenitaler spastischer Cerebrallähmung bei einem unzweifelhaft here¬
ditär syphilitischen Kinde, welcherweiteruntenmitgetheiltwerdensoll.
Während sonach Cachexie des mütterlichen Organismus unter
Umständen eine Früh- oder Schwergeburt zu verschulden vermag,
kann andererseits ein Krankheitszustand der Mutter oder Schädlich¬
keiten, welche dieselbe während der Gravidität treffen, insbesondere
Traumen und psychische Emotionen, die Gehimentwickelung des
Foetus in utero ungünstig beeinflussen, ohne dass weiterhin ein
Geburtstrauma in Frage kommt. Es kann sich da handeln, einmal
um intrauterin ablaufende entzündliche Prozesse oder vasculäre
Störungen im Bereich des Gehirns und weitere daran sich
schliessende Veränderungen, ferner um Entwickelungshemmungen
in der verschiedensten Abstufung, um Agenesien oder Hypoplasien.
Auch bei dieser Art des Zustandekommens von spastischen
Cerebrallähmungen dürfte Lues der Mutter häufig betheiligt sein,
doch spielen gewiss auch andere Krankheitszustände des mütter¬
lichen Organismus eine nicht unbedeutende Rolle.
Von anderweitigen Erkrankungen der Mutter, welche auf die
Entstehung cerebraler Lähmungen von Einfluss sind, kommen ins¬
besondere Psychosen und schwere Neurosen in Betracht und, wie
es scheint, auch Tuberculose. Beide Arten von mütterlicher Aeti-
ologie sind in meiner Beobachtungsreihe, die erstere durch drei, die
letzere durch zwei Fälle vertreten. Endlich ist noch ein Moment
zu erwähnen, nämlich das Auftreten cerebraler Lähmung bei den
Endgliedern einer grossen Kinderreihe. Der in meiner Tabelle
sub Nr. 17 angeführte dreijährige Patient Karl H. war als 13. Kind
geboren, vorher Abortus, ein nachgeborenes 14. Kind starb am zehn¬
ten Lebenstage. Die von Freud vertretene Auffassung, dass es
sich bei diesen letzten Früchten um eine Erschöpfung des mütter¬
lichen Organismus und damit zusammenhängende ungünstige in¬
trauterine Lebens- und Entwickelungsbedingungen handeln dürfte,
mag immerhin berechtigt sein.
Von der Symptomatologie der cerebralen Diplegien seien noch
die so häufig zu beobachtenden Sprachstörungen einer kurzen Er¬
örterung unterzogen.
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Woitere Mittheilungen über cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter. 311
Unter meinen 54 Fällen sind 44, welche das zweite Lebens¬
jahr erreicht bezw. überschritten haben und bei welchen sonach
Störungen der Sprache sicherer beurteilt werden können. Von diesen
44 zeigten Sprachstörungen verschiedenen Grades, bis zum voll¬
kommenen Fehlen der Sprache, 26 Kinder = 59°/ 0 ; unter ihnen
finden sich acht mit vollständigem Fehlen der Sprache und achtr
zehn mit meist auf schlechter Articulation beruhender Sprach¬
störung.
Die Sprachstörung geht meist Hand in Hand mit Verminderung
der Intelligenz, so dass sich unter meinen Fällen nur wenige finden,
wo bei normaler (oder anscheinend normaler) Intelligenz die Sprache
mangelhaft war und umgekehrt, wo bei guter Articulation das Kind
geistig zurückgeblieben erschien.
Nicht ohne Interesse ist die häufige Coincidenz noch eines die
motorische Sphäre betreffenden Symptoms mit der Sprachstörung,
nämlich der choreatischen oder athetotischen Bewegungsstörungen.
Unter den 26 Fällen mit Sprachstörungen zähle ich neun mit Chorea
oder Athetose in verschiedener Ausbreitung.
Die den cerebralen Diplegien der Kinder zu Grunde liegenden
Himläsionen haben sehr häufig, insbesondere, wenn sie grössere
Abschnitte der Hirnrinde betreffen, ausser der spastischen Lähmung,
Chorea und Athetose, Beeinträchtigung der Intelligenz und, wie
jüngst Oppenheim') ausgeführt hat, mitunter auch die sogenannte
„infantile Pseudobulbärparalyse“ zur Folge. In einem von ihm be¬
schriebenen Fall bestand neben geringem Grad von Schwachsinn
Dysarthrie vom Typus der bulbären (Articulation höchst mangel¬
haft, wie mit einem Kloss im Munde, näselnd), ferner Dysphagie;
diesen Funktionsstörungen entsprachen Lähmungserscheinungen im
Bereiche der Lippen-, Zungen-, Gaumen- und Kiefermuskulatur,
auch Speichelfluss. Die elektrische Erregbarkeit normal, keine
Muskelabmagerung. Oppenheim weist darauf hin, dass wohl in
der Casuistik der cerebralen Diplegien oft genug der Sprachstörungen
Erwähnung geschieht, aber da meist Idiotie vorliege, so werde die
Sprachstörung auf letztere zurückgeführt oder es werden spas¬
modische Zustände im Gebiet der Sprach- und Schlingmuskulatur
angeschuldigt.
Aber nirgends finde sich ein Fall mit so ausgeprägten Er¬
scheinungen einer cerebralen Glossopharyngolabialparyse. Er ge¬
langt zu dem Schlüsse, dass in seinem Falle die Bindenafiection
(im Gebiet der Centralwindungen, besonders ihres unteren Ab-
*) Ueber Mikrogyrie und die infantile Form der cerebralen Glossopharyngo-
labialparalyae. N eurolog. CentralbL 1895, Nr. 8.
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312
Prof. Dr. F. Ganghofner.
Schnittes und der benachbarten Rindenteile) nebst der Diplegie und
Athetose die Symptome der infantilen Pseudobulbärparalyse her¬
vorgerufen habe.
Wie bei anderen Autoren so finden sich auch in manchen
meiner Krankengeschichten Angaben über erschwertes Schlingen
und Speichelfluss neben Sprachstörungen, und kann man diese als
Andeutungen des erwähnten Symptomencomplexes auffassen J ). So
unterscheidet König*), ausgehend von dem Oppenheim'sch&o. Fall,
mit dessen Publication eine neue Frage aufgeworfen sei, die pseudo¬
bulbäre Form der cerebralen Kinderlähmung 1. in die klassische
Form, welche durch den Oppenheim'sehen Fall in klinischer und
anatomischer Beziehung am besten repräsentiert sei; 2. in die un¬
vollkommenen Formen (Formes frustes); für letztere sei charakte¬
ristisch das Fehlen resp. das geringe Ausgeprägtsein der Schluck¬
störung.
Das nicht so seltene Vorkommen von leichteren Formen der
Pseudobulbärparalyse bei den cerebralen Diplegien der Kinder er¬
klärt sich aus der Doppelseitigkeit der Hirnläsionen, welche ja
bekanntermassen mehr Störungen hervorrufen, als einer rechten und
linken Hemiplegie entsprechen würde.
Ich lasse nun einige Krankengeschichten mit Sectionsbefund
folgen.
Fall I. (Nr. 1 der Tabelle).
Eduard M. .5 J. alt, auf genommen am 7. Juli 1888. Nor¬
male Geburt, gesund bis zu 8 / 4 Jahren , dann Fraisen, von da an zu¬
erst Abnahme des Sehens, später Beeinträchtigung der Sprache und
des Ganges, die Intelligenz nimmt ab bis zur Idiotie, zuletzt Contrac-
tur der Beine.
Section: Multiple (circumscripte) sderotische Atrophie des Gross¬
hirns, rechts stärker, Rinde und Marksubstanz betreffend, Narben¬
gewebe mit multipler Cystenbildung. Meningen normal. Medutta
*) In einem kürzlich von mir beobachteten Falle war auch deutliche Lähmung
der Kiefermuskulatur vorhanden.
*) Ueber das Verhalten der Hirnnerven bei den cerebralen Kinderlähmungen
nebst einigen Bemerkungen über die bei den letzteren zu beobachtenden Formen
von Pseudobulbärparalyse. Autorreferat. Neurolog. Centralbl. 1895, Nr. 17.
Die ausführliche Publikation Königs hierüber im 30. Bd. der Zeitschr. für
klin. Med. 1896 erschien erst, nachdem meine Arbeit bereits dem Druck über¬
geben war. Es sei hier nur darauf hingewiesen, dass König unter 12 Fällen cere¬
braler Kinderlähmung mit Strabismus nur 2 mal Frühgeburt und 1 mal schwere
asphyktische Gebart als ätiolog. Moment fand, während in allen anderen Fällen
die Geburt normal war; das stimmt mit meinen pag. 307 u. 308 angeführten
Beobachtungen.
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Weitere Mittheilungen über cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter. 313
dblongata und spinalis normal , auch mikroskopisch zeigt das Rücken¬
mark nichts Abnormes, keine secundäre Degeneration, das Gehirn
mikroskopisch nicht untersucht .
Anamnese. Normal geboren, ausser einer leichten Conjunctivitis, die binnen
8 Tagen abheilte, gesund bis zu */* Jahren. Um diese Zeit Fraisenanfälle von
grosser Intensität. Während Patient vorher ganz gut gesehn haben soll, war
nach diesen Anfällen das Sehvermögen fast völlig geschwunden. Mit Vh Jahren
begann das Kind zu gehn und vermochte es bis zum Alter von 4 Jahren. Von
da an wollte es sich nicht mehr aufstellen, hie und da wurden Krämpfe im
Bereich der oberen und unteren Extremitäten beobachtet, später auch allgemeine
Convulsionen mit Schaum vor dem Munde. Auch die Sprache begann mit Vk
Jahren sich zu entwickeln, doch kam Patient über einzelne Worte wie Papa und
Mama nicht heraus; später nahm das Sprachvermögen wieder ab, das Kind wurde
bösartig und schrie viel, manchmal summte es eine Art Gesang vor sich hin,
ohne dabei Worte zu gebrauchen.
Im December des Jahres 1887 wurde das Kind auf der Augenklinik (Prof.
Sattler) untersucht und folgender ophthalmoskopischer Befund notiert: Beider¬
seits blässere Papillen, die Gefässe nicht verändert. Die Pupillen reagieren
prompt, das Kind greift nach grösseren Gegenständen.
Der Status praesens ergab beginnende Morbillenerkrankung und findet sich
bezüglich der Motilität nur die Angabe, dass die unteren Extremitäten an den
Unterleib angezogen gehalten werden und nicht gestreckt werden können. Ueber
Verhalten der oberen Extremitäten fehlt jedwede Angabe. Das monotone Singen
des Kindes, worüber die Angehörigen berichtet, wurde gelegentlich auch in der
Anstalt gehört. Das Kind starb am 15. Juli an secundärem Croup.
Seetion (Prot Chiari).
Körper 100 cm lang, schwächlich gebaut, abgemagert. Die Pupillen ziem¬
lich weit, gleich.
Weiche Schädeldecken blass, der Schädel 46 cm im Horiz. Umfang, von
gewöhnlicher Dicke.
Die harte Hirnhaut der inneren Schädelfläche fester adhärierend, in ihrem
Sinus reichliches, dunkles, flüssiges Blut. Die inneren Meningen im Allgemeinen
zart, ziemlich blutreich.
Das Kleinhirn von gewöhnlicher Grösse und Formbeschaffenheit, ebenso
auch die Medulla oblongata
Die Orosshimhemisphären ungleich gross , so dass die linke 16, die rechte
14 cm lang, ferner die linke 11 cm, die rechte 9.5 cm hoch ist
In Bezug auf den Dickendurchmesser findet sich geringe Differenz zwischen
rechts und links.
Von der linken Orosshimhemisphäre die inneren Meningen leicht abzuxiehn,
nach Entfernung derselben schon von Aussen Sklerose und Verschrumpfung an
dnxeltien Stellen wahrxunehmen. In dieser Weise als verändert zu erkennen:
der Cuneus, weiter die Gyri occipito-temporales inferiores, die Umbiegungsstello
des Gyrus uncinatus und das vordere Ende des Gyrus temporalis II atque III.
Auf einem Durchschnitte durch diese sklerotischen Stellen ist xu erkennen ,
wie hier die Corticalis aber auch auf weite Dimensionen hin die unterliegende
Marksubstanz in ein derbes, weisslich gelbliches Narbengewebe umgewandelt ist , in
welchem sich stellenweise , wie an der Spitze der Temporalgyri, kleine Cysten mit
serösem Inhalt vorfinden.
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314
Prof. Dr. F. Gangkofner.
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An der rechten Grosshimhemisphäre, deren innere Meningen sich anch gut
abziehn lassen, ist diese sklerotische Atrophie sehr viel ausgebreitetcr, indem die¬
selbe den ganzen Temporallappen, Occipitallappen, Praeouneus nnd den Parietal¬
lappen mit Ausnahme des Gyrus centralis posterior sowie die Insula Reilii be¬
trifft. Hier die Cystenbildung viel mächtiger. Die Hirnventrikel nicht erweitert.
Die Hirasnbstanz ausserhalb der sklerotischen Stellen von gewöhnlicher Con-
sistenz, ziemlich blass. Die grossen Ganglien des Gehirns anscheinend nicht
weiter verändert.
Am Rückenmarks frisch makroskopisch nichts Pathologisches zu konstatieren.
Die pathologisch-anatomische Diagnose lautete:
Bronchitis catarrh. Tracheitis crouposa, Pneumonia lobul. bilat. Sklcrosis
cercbri circumscripta.
Nach Härtung in Liquor Mülleri wurden an Querschnitten mikroskopisch
untersucht: Die Medulla oblongata in der Mitte der Oliven und in der Mitte der
DecuBsatio pyramidum, das 8. Cervical, das 4. Dorsal und das 3. Lumbalsegment
der Medulla spinalis. Ueberall zeigten sich ganz normale Verhältnisse. (Chiari).
Fall II. (Nr. 5 der Tabelle.)
Marie F., 5 1 / a J. (dt, aufgenommen am 22. Fehr. 1889. Gesund
bis su 8 / 4 Jahren, dann Darmkatarrh und Convulsionen, bald darauf
Steifigkeit und Parese der Beine und Arme (choreatisch-ataktisch),
Intelligenz gering, Sprache schlecht.
Section: Porencephalie beider Grosshirnhemisphären. Rechts
fehlt das Operculum, auch links ein tiefer Porus. Vielfach atypische
Windungen und Mikrogyrie. Pons, Medulla oblongata und spinalis
normal, auch bei mikroskopischer Untersuchung. Keine secundäre
Degeneration.
Anamnese. An der Mutterbrust ®/4 Jahre genährt, bekam das Kind bald
Beikost, war dabei gesund und sah angeblich blühend aus bis zum Alter von
*A Jahren, wo es an schwerem Darmkatarrh erkrankte. Damals litt es 10 Tage
lang an Convulsionen , die mitunter bis zu */ 4 Stunden dauerten.
Obwohl das Kind sich allmälig erholte, bemerkten die Eltern bald darauf,
dass es die Gliedmassen nicht mehr so lebhaft bewege wie ehedem und gegen
Ende des ersten Lebensjahres erschienen die unteren Extremitäten und die rechte
obere Extremität gelähmt. Auch konnte das Kind beim Aufsetzen den Kopf
nicht aufrecht halten. Bei Gehversuchen trat Steifigkeit der Beine auf, die
Hände fassten ungeschickt dargereichte Gegenstände, immer waren jedoch die
rechtsseitigen Extremitäten stärker afficiert. Das Kind blieb im Uebrigen ge¬
sund, hielt sich fast nur an flüssige und breiige Nahrung, gegen Ende des zweiten
Jahres begann es einzelne Silben zu sprechen, es war heiter und kannte seine
Umgebung. Die Eltern sollen gesund sein (der Vater litt an Phosphomekrose
des Kiefers), ebenso ist ein 2. Kind gesund, das gegenwärtig im Alter von sechs
Wochen steht. Ueber Gravidität und Geburtsverlauf findet sich keine Notiz.
Status praesens. Das Kind dem Alter entsprechend gross und mittelmässig
genährt zeigte eine gesunde Gesichtsfarbe, normale Augenbewegungen und
Pupillenreaction, keine Lähmung im Facialisgebiet.
Das Gebiss vollzählig, die Zähne vielfach kariös.
Im Bette kann das Kind nur sitzen, wenn es gestützt wird, den Kopf ver-
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Weitere Mittheilungen über cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter. 315
mag es nur kurze Zeit aufrecht zu erhalten, derselbe sinkt bald nach vorne oder
rückwärts, manchmal auch seitwärts.
Die Oberarme sind meist gegen die Brust fest angezogen, die Ellenbogen¬
gelenke gebeugt, die Hände zur Faust geballt.
Die Bewegungen der Hände sind sehr ungeschickt, bald an Chorea er¬
innernd, bald mehr ataktisch oder zitternd.
Die meisten Gelenke an den oberen Extremitäten etwas versteift, ziemlicher
Widerstand bei passiven Bewegungen. Die Tricepssehnenreflexe gesteigert.
Die unteren Extremitäten gestreckt, fest aneinander gedrückt, die Füsse in
Equinu88tellung. Starker Widerstand bei passiven Bewegungen, bes. in den Ad-
ductoren der Oberschenkel. Aktive Bewegungen mit den Beinen vermag das
Sand in der Bückenlage ziemlich gut auszuführen, dieselben sind meist zappelnd
oder schnellend. Selbstständiges Gehn ist nicht möglich; fasst man das Kind
unter den Armen und lässt Gehversuche machen, so setzt es langsam einen Fuss
vor den andern, dabei die Zehen am Boden schleifend.
Die Patellarsehnenreflexe erhöht, Fussklonus nicht deutlich auslösbar.
Das Kind vermag nur einige unverständliche Worte zu sagen, artikuliert schlecht.
In seiner Intelligenz ist es ziemlich zurück.
Am 10. März starb das Kind an Scharlach.
Die Section ergab Porencephalie beider Himhemisphären .
Auszug aus dem Sektionsprotokoll (Dr. Hammer).
Das Schädeldach von gewöhnlicher Grösse und Form, die Dura massig ge¬
spannt, in ihren Sinus spärliche, frische Blutgerinsel.
Die inneren Meningen zart, allenthalben leicht ablösbar, von mittlerem
Blutgehalte.
Rechts in der Gegend des Operculum, links an einer Stelle, die der Mitte
der vorderen und hinteren Centralwindung entspricht, zwischen Arachnoidea und
Pia geringe Mengen einer klaren serösen Flüssigkeit angesammelt. Die corebro-
spinale Flüssigkeit überhaupt nicht vermehrt. Die basalen Hirnarterien normal
angeordnet, zart
Die Configuration der Hirnwindungen an beiden Orosshimhemisphären ab -
norm; rechts xu konstatieren, dass die Fossa Sylvii weit klafft und das Oper¬
culum vollständig fehlt, so dass die dem Sulcus Rolandi entsprechende Furche
mit der Fossa Sylvii in breiter Communication steht.
Die beiden Centralwindungen dabei nicht ausgesprochen, vielmehr die ge¬
nannte Furche von den in sie einbiegenden hinteren Enden der Gyri frontales,
resp. vorderen Enden der Gyri des Lobus parietalis begrenzt.
In der Mitte der in ihrem Verlaufe ganz und gar dem Sulcus Rolandi ent¬
sprechenden Furche ein tiefer Poms, welcher nach aussen von der Mitte des
Corpus Striatum, das sowie die übrigen Grossganglien des Grosshims von nor¬
maler Beschaftenheit ist, mittelst einer erbsengrossen Oeffhung in den rechten Seiten¬
ventrikel einmündet. Sonst die Hirnwindungen der rechten Grosshirnhemisphäre
so ziemlich normal angeordnet, nur dass mitunter, so im Lobus temporalis, ein
Gyrus durch kleinste superficielle Furchen in zahlreiche kleinere Gyri zerlegt
erscheint.
An der linken Orosshimhemisphäre das Operculum, wenn auch klein, so
doch vorhanden, ebenso die mehrfach getheilte hintere Centralwindung ziemlich
gut entwickelt. In jener Partie dieser Hemisphäre, welche der Mitte der hier
nicht unterscheidbaren vorderen Centralwindung entsprechen würde, ein trichter¬
förmiger Poms von 1.5 cm Tiefe, welcher sich aber nicht bis in den Seiten-
Zeitschrift für Heilkunde. XVII. 21
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31G
Prof; Dr. F. Ganghofner.
vontrikel verfolgen lässt nnd gegen den, namentlich von vorne and oben her die
benachbarten Gyri radiär convergiren.
An dieser Hemisphäre die Mikrogyrie besonders an den OccipitalWindungen
ausgesprochen.
Am Rückenmark makroskopisch kein pathologischer Befund.
Nach Härtung in Liquor Mülleri wurden untersucht an Querschnitten: der
Pons Varoli in der Höhe der IV. Kerne, die Medulla oblongata in der Mitte der
Decussatio pyramid., das 5. Dorsal und das 3. Lumbalsegment der Medulla spinaüs.
Es liessen sich nirgends pathologische Veränderungen konstatieren. ( Chiari .)
Fall in. (Nr. 3 der Tabelle.)
Mathilde Sp., 1 J. alt, aufgen. am 5. Mai 1889, gesund bis zu
3 / 4 Jahren , dann allmälig Motilitätsstörung und Schwinden der In¬
telligenz, Athetose der oberen Extremitäten, die Beine spastisch-paretisch.
Section: Emollitio corticalis et Encephalitis chronica late extensa.
Die rechte Grosshimhemisphäre kleiner, die Hirnrinde und angrenzende
Marksubstanz in grosser Ausdehnung in einen grauröthlichen Drei
verwandelt. Die grossen Ganglien rechts kleiner und derber.
Mikroskopisch: Die inneren Meningen normal , in dem an die
Rindenerweichung angrenzenden Marke Bindegewebswucherung um
die Blutgefässe, diffuse Rundzelleninfiltration. Im Rückenmark
Faserarmuth in der rechten Pyramidenvorderstrang- und der linken
Pyseitenstrangbahn.
Anamnese. Das Kind war angeblich während der ersten */* Jahre stets
gesund; erst vor 12 Wochen fielen eigenthümliche Bewegungen der oberen und
unteren Extremitäten auf, ferner, dass das Kind fast ununterbrochen kauende Be¬
wegungen mit den Kiefern machte. Die Eltern bemerkten zur selben Zeit, dass
das Kind sie nicht mehr zu erkennen schien, es wurde theilnahmslos und voll¬
ständig gleichgültig gegen seine Umgebung. Zugleich verlor es die Fähigkeit
zu sitzen, beim Aufsetzen sank der Kopf herab. Die Eltern und Geschwister
sind gesund, Uber Geburtsverlauf und Gravidität keine Notiz.
Status praesens. Patient ist 72 cm lang, 6 1 /* Kilo schwer, schwächlich,
rachitisch, die Stirnfontanelle weit offen. Die Pupillen reagieren träge. Die Bulbi
sind in steter unregelmässiger Bewegung, meist nach links und oben gerichtet.
Die rechte Augenliedspalte etwas enger. Das Kind macht fortwährend Kau¬
bewegungen.
Setzt man das Kind auf, so sinkt der Kopf sofort nach vorne.
Die oberen Extremitäten in starker Beugung, passive Bewegungen begegnen
beträchtlichem Widerstand. Die Hände und Finger zeigen fortwährende cUhelo-
tische Bewegungen , rechts stärker.
Die unteren Extremitäten meist gestreckt, auch hier starke Muskelspannungeu.
Das Kind vermag activ dio Beine etwas zu bewegen. Die Patellarsehnen-
reflexe sind beiderseits prompt auslösbar.
Die Patientin liegt stets theilnahmslos da und muss gefüttert werden, was
nicht ohne Schwierigkeit von statten geht wegen der ununterbrochenen Be¬
wegungen der Kiefer und der Zunge. Die electrische Erregbarkeit der Extremi¬
tätenmuskeln erscheint normal.
Das Kind starb am 19. Juni an Pneumonie.
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Weitere Mittheilungen über cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter. 317
Section (Dr. Hammer).
Der Körper 72 cm lang, schwächlich gebaut, schlecht genährt. Pupillen
weit, gleich. Weiche Schädeldecken blass, der Schädel W/z cm im horizontalen
Umfang. An der Aussenfläche seiner Deckknochen leicht schneidbare, blutreiche
Osteophytauflagerungen.
Am Schädeldache die rechte Hälfte deutlich kleiner als die linke, dafür die
Schädelgruben rechts tiefer als links, die Nähte offen, die grosse Fontanelle
4 cm* gross. In den Sinus der Dura reichliches flüssiges Blut und frische Blut-
gerinsel.
In der reohten mittleren und hinteren Schädelgrube, an der Innenfläche der
Dura zarte, braun pigmentierte Bindegewebsmembranen aufgelagert.
Die inneren Meningen zart, schwer ablösbar . Stellenweise in den Subarach¬
noidalräumen eine geringe Menge Serum angesammelt Die Arterien der Hirn¬
basis durchgängig.
Die beiden Orosshimhemisphären asymmetrisch, indem die rechte kleiner
erscheint als die linke.
An beiden Grosshirnhemisphären auffällig, dass vielenorts die Rinde hoch -
gradig erweicht, ja geradezu fluktuierend erscheint . Am umfänglichsten sind diese
Partien im Bereiche der rechten Grosshimhemisphäre, woselbst die Oberfläche fast
des ganzen Parietal- und Occipitallappens hiervon betroffen erscheint. Sonst die
oberflächliche Erweichung mehr circumscript in Form von kleineren Herden. Ein¬
schnitte an solchen Erweichungsstellen zeigen die Rinde und angrenzende Mark-
substanz in einen graurötlichen Brei verwandelt An den Grosshimhemisphären
unter den erweichten Stellen der Oberfläche auffallend festere Consistcnz zu tasten.
Auf den nach Pitres geführten Schnitten durch beide Grosshirnhemisphären lässt
sich erkennen, dass in der rechten die grossen Ganglien bedeutend kleiner und
viel derber sind , als linkerseits, woselbst sie normale Verhältnisse zeigen. Weiter
erscheint rechts das Mark an Masse geringer und gleichfalls dichter als links und
ist der rechte Seitenventrikel gegenüber dem linken deutlich erweitert und mit
verdicktem Ependym ausgekleidet.
Kleinhirn und Medulla oblongata erscheinen normal. Die Hirnsubstanz im
Allgemeinen blass.
Das Rückenmark von gewöhnlicher Consistenz und Durchschnittszeichnung,
an demselben nur auffallend die grössere Menge grauer Substanz in der Intumes-
centia lumbalis.
Der mikroskopischen Untersuchung wurden unterzogen: Theile des in Alko¬
hol conservierten Gehirns, und das in Liquor Mülleri erhärtete Rückenmark.
Bezüglich des Gehirns zeigte sieh, dass im Bereiche der obengenannten Er¬
weichungsstellen unter den nicht veränderten inneren Meningen die Rinde gänz¬
lich zerstört war und an deren Stelle ein aus den Blutgefässen gebildetes Netz¬
werk sich befand, dessen Maschenräume mit einer feinkörnigen Gerinnungsmasse
und Fettkörnchenzellen gefüllt waren. Hie und da griff diese Zerstörung auf
das angrenzende Mark über. Sonst aber war dasselbe unter der erweichten Rinde
zumeist erhalten, wenn auch insofern pathologisch verändert, als sich um die
Blutgefässe Bindegewebswucherung und weiter eine diffuse Rundzelleninfiltration
fand. Analoge Veränderungen liessen sich auch in den Grossganglien und im
ganzen Marke der rechten Grosshimhemisphäre nachweisen.
Im Rückenmarke zeigte sich Faserarmuth in dem rechten Pyramidenvorder¬
strang und der linken Pyramidenseitenstrangbahn.
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Prof. Dr. F. Gaughofner.
Pathologisch anatomische Diagnose. Emollito corticalis ot Encephalitis chron.
late extensa. Pneumonia lobul. bilat. Enteritis follicul. Rachitis florida. Fractnra
femor. sin.
Fall IT. (Nr. 6 der Tabelle.)
Sophie Sch., 3 J. alt, aufgenommen am 9. Juli 1891. Fraisen
in den ersten Tagen nach der Geburt, das Kind konnte nie stehen,
alle 4 Extremitäten spastisch-paretisch, die Sprache fehlt, es besteht
Idiotie.
Section: Porencephalie beider Stirnlappen in Form von cystischen
Bäumen, über welche die inneren Meningen als gelblichbraune spinn¬
webenartige Membran ausgespannt sind. Das umgebende Himgewebe
hart, die Furchen und Windungen an der Convexität unregelmässig.
Entsprechend dem oberen Ende der rechtsseitigen Centralwindungen
narbige Einziehung, in deren Bereich eine nussgrosse Cyste, die Rinde
und Mark durchsetzt.
Mikroskopisch: Sklerotisches Himgewebe um den Defekt im
Stirnlappen, sklerotische Atrophie in den narbigen Stellen der Central¬
windungen.
Im Pons, Medulla öblongata und spinalis, geringgradige Atrophie
der rechten Pyvorderstrang- und der linken Pyseitenstrangbahn.
Anamnese. Pat. soll in den ersten Tagen nach der Geburt an Fraisen ge¬
litten haben, wurde 1 Jahr lang an der Brust genährt, hatte Öfters Ver¬
dauungsstörungen. Das Kind konnte niemals stehn oder gehn, es spricht nicht
und kann nur flüssige Nahrung zu sich nehmen.
Status praesens. Schwächlicher Körper von 78 cm Länge, mittelmässiger
Ernährungszustand. Augenbewegungen und Pupillenreaktion normal. Die Milch¬
zähne alle vorhanden, die Schneidezähne etwas abnorm gestellt
Das Kind kann seinen Kopf nicht recht aufrecht halten, derselbe sinkt meist
nach rückwärts, selten seitwärts. Am Thorax deutliche Zeichen von Rachitis,
die inneren Organe normal.
Die oberen Extremitäten sind im Ellbogen gebeugt, die Handgelenke stark
flektiert, die Finger gespreizt, die Daumen in die Hohlhand eingeschlagen.
An der linken Hand der Zeige- und Mittelfinger im 2. Interphalangealgelenk
überstreckt. Bei passiven Bewegungen in den Gelenken der oberen Extremitäten
überall starke Muskelrigidität, an der linken Extremität deutlich stärker als
rechts, die Tricepsreflexe beiderseits stark gesteigert.
Die unteren Extremitäten gestreckt, in Adduktion, die grossen Zehen in
Dorsalflexion. Bei passiven Bewegungen überall starker Widerstand, besonders
in den Adductoren der Oberschenkel. Die Patellar- und Achillessehnenreflexe
erhöht, Fussklonus nur manchmal auslösbar. Auch die Periostreflexe sehr lebhaft
Beim Versuch das Kind aufzustellen, wird die Starre und Streckung der
unteren Extremitäten noch bedeutender, das Kind vermag auch gestützt keine
Schritte zu machen.
Von Sprache keine Spur, nur zeitweilig ein eigenthümliches Geschrei.
Die Untersuchung des Augenhintergrundes ergab normalen Befund.
Am 16. Juli starb das Kind an einer intercurrierenden Diphtherie.
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Weitere Mittheilungen über cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter. 3 I 9
Die Section (Dr. Pick) ergab beiderseitige Porencephalie betreffend beide
Stirnlappen und den oberen Abschnitt der rechtsseitigen Centraltcindungen .
Das Schädeldach, 40 cm im Horizont&lumfang messend, ziemlich dünnwandig.
Der grösste Längsdurchmesser 18.3 cm, die Diameter bitempor. 9.5 cm, die Dia-
meter bipariet 12 cm. Die Dura mater der Lamina vitrea fester adhärent, in
ihren Sinus allenthalben dunkles, flüssiges Blut. Schon bei der Abnahme der
Schädelkapsel mit der Dura entleert sich eine reichliche Menge einer gelblich
serösen Flüssigkeit, welche aus zwei annähernd symmetrisch gelagerten, cystischen
Räumen stammte, die den Convexitätsantheil der mittleren und unteren Stirn-
tcindungen vollständig einnehmen.
Die allgemeine Configuration der Qehimhemisphären ist in den Umrissen
erhalten, doch fällt sofort die geringe Orösse der Stimlappen auf.
Die inneren Meningen erscheinen allenthalben blutreich, im Bereich der
oben erwähnten Stirnlappendefekte zeigen sie das Bild einer gelblich braunen,
spinnwebenartigen Membram, die über die Defecte ausgespannt ist. Bei der
Inspektion der dort von ihnen bedeckten Hohlräume erweisen sich dieselben nicht
glattwandig, sondern ihre Wandungen zeigen zahlreiche Leisten und Vorsprünge,
so dass noch mehrere kleine Recessus gebildet werden. Eine Communication mit
den Seitenventrikeln, die normal konfiguriert sind, ist nirgends nachzuweisen.
Das die Defekte umgebende Himgewebe ist in kleinem Umkreise auffallend
fest, beinahe hart anzufühlen, während sonst die Consistenz des Gehirns nicht
von der Norm abweicht.
Diese Verhältnisse zeigen die Defecte beider Stimlappen in ziemlich gleicher
Weise, nur ist das noch erhaltene Stück des Gyrus front, superior rechts etwas
breiter als links.
Die Furchen und Windungen der Hemisphären sind nur an der medialen
Fläche normal angeordnet, an der convexen Fläche im Bereich der Reste der
Stimlappen und im Bereiche der Parietallappen hingegen ganz unregelmässig.
An der rechten Hemisphäre findet sich, circa 1 cm hinter dem erwähnten
Defecte an der Convexität ganz nahe dem Scheitelrande eine circa guldengrosse
Stelle, ico die Meningen und die darunter liegende Himsubstanz bräunlich ver¬
färbt und wie narbig eingexogen erscheinen, dabei ist diese Stelle sehr hart an-
zufühlen.
Es wurde nun die rechte Hemisphäre zum Zwecke der Härtung durch
mehrere, etwa als frontal zu bezeichnende Schnitte zerlegt und zwar so, dass ein
Schnitt hinter dem Defecte im Stirnlappen, also etwa durch die Gegend, die der
vorderen Centralwindung entsprechen würde, der zweite durch die Gegend der
hinteren Centralwindung, der dritte durch die Grenze zwischen Parietal- und
Occipitallappen, der vierte durch letzteren gieng.
Hierbei zeigte sich im Bereiche der oben erwähnten, etwa dem oberen Ende
der Centralwindungen entsprechenden narbig eingexogenen Stelle an der Con -
vexüät eine die Rinde und das Mark betreffoide circa nussgrosse, durch mehr¬
fache Leisten in kleinere Abschnitte getheütc Höhle , die mit gelblicher Flüssig¬
keit erfüllt war und deren Umgebung narbige Beschaffenheit xeigte.
Das Kleinhirn und die Medulla oblongata ohne Besonderheiten. Die Hirn-
arterien von gewöhnlicher Beschaffenheit. Das Rückenmark ziemlich blutreich,
fest, sonst makroskopisch ohne Besonderheiten.
Der mikroskopischen Untersuchung wurden, nach Härtung in Müller' scher
Flüssigkeit unterzogen: Die rechte Grosshimhemisphäre, der Pons, die Medulla
oblongata und die Medulla spinaüs.
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Der Defect in der rechten Orosshimhemisphäre war von sklerotischem
Hirngewebe begrenzt, in welchem stellenweise noch verkalkte Ganglienzellen zn
sehn waren. Die inneren Meningen setzten sich in den Defect hinein nicht fort
Die narbig verdichtete Stelle am oberen Ende der Centralwindnngen dieser
Hemisphäre zeigte mikroskopisch sklerotische Atrophie der Hirnrinde, und des
angrenzenden Markes mit starkem Oedem der zwischen den geschrumpften Gyri
befindlichen Antheile der inneren Meningen.
Im Pons, in der Mednlla oblongata und Mednlla spinalis zeigte sich gering»
gradige Atrophie in der rechten Pyramiden Vorderstrang- nnd linken Pyramiden-
seitenstrangbahn.
Fall V. (Nr. 31 der Tabelle.)
Franz L., 5*/ 4 J- alt, aufgenommen am 12. Febr. 1894. Nor¬
male Geburt, 2 Geschwister frühzeitig gestorben, ein Abortus. Mit
14 Tagen Convulsionen, anschliessend allmälig spastische Parese der
Beine, Strabismus convengens. Arme frei. Sprache ziemlich gut,
Intelligenz vermindert.
Section: Diffuse Sklerose des Gehirns und Rückenmarks. Die
Markmasse des Gehirns derb und hart bes. um die Seitenventrikel,
deren Ependym verdickt ist, ferner im hinteren Schenkel der Capsula
interna. Auch Pons, Medulla oblongata , die Hals- und Lenden¬
anschwellung des Rückenmarkes fest und hart.
Mikroskopisch: Centralwindungen (sotoeit untersucht) normal,
Gliawucherung in der grauen und weissen Substanz im Pons und
Medulla oblongata sowie in den Seiten- und Hintersträngen des
Rückenmarkes, Verminderung der Zahl der markhaltigen Nerven¬
fasern und Verdünnung der Markscheiden derselben.
Anamnese. Patient ist das zweite normal geborene Kind einer etwas
schwächlichen Mntter, die angeblich an Herzpalpitationen leidet, der Vater soll
gesnnd sein. Vor dem Patienten gebar die Frau ein Mädchen, welches am
11. Tage an Schwäche starb. Ein drittes, nach dem Patienten geborenes Kind
starb drei Wochen alt (angeblich an Bronchitis), das vierte Kind wurde im
7. Monate abortiert (angeblich in Folge eines Falles der Mntter). Das 5. Kind,
jetzt 7 Monate alt, ist gesnnd. Als Patient 14 Tage alt war, traten heftige all'
gemeine Convnlsionen ein mit starker Cyanose des Gesichtes nnd zwar eine
Woche lang, täglich etwa zweimal, jedesmal mehrere Minuten dauernd. Nachher
schien das Kind gesnnd zu sein, nnr wurde bald nach jenen Krämpfen bemerkt,
dass die Beine sehr schwach waren. Patient konnte bis zum dritten Lebensjahre
nnr mit Unterstützung sitzen und stehen, dann konnte er sich wol aufstellen,
doch blieb die Motilität der Beine, die von der ersten Lebenszeit an mangelhaft
gewesen war, immer gering und hat Patient niemals ordentlich gehen können.
Status praesens. Patient entsprechend gross, kräftig, von mittlerer Er¬
nährung. Pupillen gut reagierend, es besteht Strabismus convergens. Patient
hält den Mund gewöhnlich offen, doch besteht kein Speichelfluss. Gesichtszüge
symmetrisch, die Zunge wird gerade vorgestreckt.
Patient spricht wenig, artikulirt ziemlich gut, verfügt aber über einen ge¬
ringen Wortschatz und ist die Sprache langsam. Nach den Beobachtungen der
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Wärterin, soll er ein leidlich gutes Gedächtniss haben und allerlei erzählen; im
Ganzen erscheint seine Intelligenz doch zurückgeblieben. Innere Organe normal.
An den oberen Extremitäten findet sich keine Bewegungsstörung, auch er¬
scheinen die Sehnen- und Periostreflexe nicht auffällig gesteigert. Die unterm
Extremitäten sind bei Rückenlage im Hüft- und Kniegelenk etwas gebeugt, die
Fiisse in Equinovarnsstellung, welche sich nur mit Gewalt ausgleichen lässt; die
grosse Zehe stark dorsaltcärfs gehoben, die übrigen Zehen leicht flektirt. Die
Patellar - und Achillessehnmreflexe deutlich gesteigert, manchmal auch Fussklonns
auslösbar.
Der Patient vermag nur mit Unterstützung zu gehen , geht deutlich spastisch -
paretisch mit gebeugten Knie- und Hüftgelenken und tritt nur auf die Fuss-
spitzen auf, das Vorsetzen der Füsse geschieht schleppend. Dabei sind die Ober¬
schenkel adducirt und nach Innen rotirt Sohlen- und Hodenreflexe normal, keine
Atrophie der Beinmuskulatur.
An der Wirbelsäule keine Abnormität wahrnehmbar. Der Augenhintergrund
normal.
Am 24. Februar erkrankte Patient an Morbillen und erlag am 30. März
einer sich anschliessenden Bronchopneumonie.
Sektion (Dr. v. Wunschheim ).
Makroskopisch wurde konstatirt: Diffuse Sklerose des Gehirns und Rücken -
?narkes , ausserdem eitrige Bronchitis und beiderseitige Lobularpneumonie; ex-
centnsche Hypertrophie des Herzens, fettige Degeneration des Myocards. Circum-
scripte Phlegmone in der Gegend der 1. Scapula. Chron. Tuberculose der
peribronchialen Lymphdrüsen.
Befund bezüglich des Gehirns und Rückenmarkes.
Das Schädeldach mesocephal, 47 cm. im H. U. normal gebildet. Die Dura
mater mit den Schädelknochen fest zusammenhängend, in den Sinus derselben
dunkles flüssiges Blut und postmortale Blutgerinsel.
Die inneren Meningen an der Convexität etwas getrübt und stark ödematös,
zart und leicht abziehbar. Die basalen Gefässe normal, das Gehirn normal con-
figurirt, seine Ventrikel nicht dilatirt. Die Consistenz des Gehirns im Bereich
der weisem Substanz allenthalben vcrmehrt f namentlich um die Seitenventrikel
und in dem hinteren Schenkel der inneren Kapsel fast knorpelhart Das Ependym
verdickt und hart
In der Umgebung des Ependyms der Seitenventrikel die Gehirnsubstanz
etwas grau gefärbt. Auch der Pons und die Medulla oblongata von vermehrter
Consistenz. Das Rückenmark im Hals- und Lendentheil auffällig fest, in den ge¬
nannten Theilen die Py. Sbahnen, namentlich im unteren Lendenmarke grau ge¬
färbt und von sehr harter Consistenz. Der Centralkanal stellenweise etwas
dilatirt, klaffend.
Mikroskopische Untersuchung (Prof. Chiari).
Nach Härtung in Liquor Müllen wurden an nach Pal und nach van Gieson
gefärbten Schnitten untersucht: der Gyrus centr. ant. dexter, der Gyrus centr.
post, sin., der Gyrus uncinatus dexter, der Pons in der Höhe der Trochlearis-
kreuzung, die Medulla oblongata in der Mitte der Oliven, das Ependym des
Hinterborns des r. Seitenventrikels, das dritte Halssegment, das vierte Dorsal-
und das dritte Lumbalsegment des Rückenmarkes.
In den Central Windungen und im Gyrus uncinatus fand sich nichts Patho¬
logisches.
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Prof. Dr. F. Gangbofner.
Im Pons: Deutliche Wucherung der Oliaxellen sowol in der weissen a*s in
der grauen Substanx mit Freibleiben des Ependyms. Die reichlichen Gliatellen
vielfach sehr plump, fortsatzlos, ihr Protoplasma in nach van Oieson gefärbten
Präparaten klau homogen. Derselbe Befund in der Mednlla oblongata, ebenso
zeigten sich die Gliazellen im Ependym des Hinterhorns des r. Seitenventrikels
zum Theile so verändert wie die im Pons.
Im dritten Cervicalsegmente des Rückenmarkes sehr starke Vermehrung der
Glia in den inneren zwei Dritteln der Seiten- und Hinterstränge, geringe Ver¬
mehrung der Glia in den den Vorderhörnem angrenzenden Theilen der Vorder¬
stränge. In den von der Gliawucherung betroffenen Theilen der Marksnbst&nz
weniger markhaltige Nervenfasern, die zumeist sehr schmale Markscheiden be¬
sitzen. Derselbe Befand im vierten Dorsalsegment. Im dritten Lumbalsegment
fand sich in der ganzen Marksubstanz Vermehrung der Glia, Verminderung der
Zahl der markhaltigen Nervenfasern and Verdünnung der Markscheide derselben.
In den ersten vier, hier mitgeteilten Krankheitsfällen handelt
es sich um bilaterale spastische Lähmungen, die unzweifelhaft durch
primäre Hirnläsionen bedingt sind. Gehen wir daran, die Be¬
ziehung der spastischen Erscheinungen zu den Vorgefundenen Hirn¬
prozessen zu erörtern, so ergibt sich Folgendes.
Bei den Fällen II, EU und IV, finden sich spastische Erschei¬
nungen der oberen und unteren Extremitäten (neben mehr weniger
ausgesprochener Parese derselben), im Fall I sicher Contractur der
Beine, bezüglich der Arme fehlt die Angabe. Die Hirnläsionen
sind: multiple sklerotische Atrophie des Grosshirns mit Cysten¬
bildung im Fall I, porencephalische Defecte in Fall II und IV, end¬
lich ausgedehnte Erweichung der Hirnrinde und des angrenzenden
Markes im Fall EU.
Die bei allen 4 Fällen vorgenommene mikroskopische Unter¬
suchung des Bückenmarkes ergab bei I und II nichts Abnormes,
bei IU und IV Faserarmuth der Pybahn einer Seite bezw. geringe
Atrophie derselben. Niemals fand sich secundäre Degeneration der
Pybahnen. Das Resultat der mikröskopischen Untersuchung, welche
sich auch auf die Mcdulla oblongata und zumeist auch auf den
Pons Varoli erstreckte, lässt sich in den zwei letzgenannten Fällen
als Agenesie der Pybahnen auffassen, während in den beiden ersten
Fällen, wenigstens anscheinend, normale Verhältnisse bestanden.
Nachdem schon Arnold Pick 1 ) auf das Vorkommen solcher
Agenesien aufmerksam gemacht und einen einschlägigen Fall be¬
schrieben, hat Anton*) sich über die Bedeutung derselben für die
angeborenen spastischen Lähmungen eingehend geäussert und her-
’) Zur Lehre von der Agenesie des Rückenmarks. Prager med. Wochenschr.
1880, Nr. 16 u. 16.
*) Ueber angeborene Erkrankungen des Centralnervensystems. Wien 1890.
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Weitere Mittheilungen über cerebrale spastische Lähmungen im Eindesalter. 323
vorgehoben, dass diese Agenesie zumeist nicht eine totale sei, es
sich vielmehr nur um Faserverminderung handele.
Gierlich 1 ) fand bei der mikroskopischen Untersuchung des
Centralnervensystems eines Falles von cerebraler Kinderlähmung,
welche aus dem ersten Lebensjahre datierte, keinerlei Produkte
einer Degeneration im ganzen Verlaufe der an Umfang verminderten
Pybahn, die Fasern der letzteren boten kein abnormes Aussehen
und standen an Grösse den Fasern der normalen Bahn nicht nach;
dagegen war die Zahl der Fasern in der verkleinerten Pybahn
geringer als in der gesunden. Der Unterschied in der Faserzahl
war am bedeutendsten im Pons und nahm bis ins Dorsalmark hinein
successive ab.
In ähnlichem Sinne äussert sich Sternberg a ) über die Agenesie
der Pybahnen. Nach diesem Autor bleibt die Entwickelung der
Pybahnen einfach aus, wenn Läsionen der motorischen Binde oder
des cerebralen Antheils der Pybahnen im Foetalleben oder in den
ersten vier Jahren nach der Geburt stattgefunden haben, während
derartige Läsionen beim Erwachsenen absteigende Degeneration
erzeugen. Bei der Agenesie der Pybahnen ist das Gewebe histo¬
logisch stets durchaus normal, es besteht absolut keine Spur von
secnndärer Degeneration, Vermehrung des interstitiellen Gewebes,
Gefässalterationen und dergl., sondern nur unvollkommene Ent¬
wickelung. Die Erscheinungen während des Lebens sind aber die¬
selben wie bei der absteigenden Degeneration der Pybahn an Er¬
wachsenen. Die Sehnenreflexe sind bedeutend gesteigert, nicht
selten besteht der Symptomencomplex der spastischen Gliederstarre.
In meinen Fällen I und II ergab die mikroskopische Unter¬
suchung des Bückenmarkes, wie schon erwähnt, nichts Abnormes.
Es wäre jedoch gleichwohl denkbar, dass eine leichte, aber nicht
auffällige Verminderung der Fasern in der Pybahn auch in diesen
Fällen bestand, die immerhin eine funktionelle Unzulänglichkeit der
Pybahn zur Folge haben konnte.
Analoge Verhältnisse finden sich mitunter bei den durch Hydro-
cephalus chronicus bedingten spastischen Lähmungen.
In einer früheren Arbeit 8 ) habe ich drei derartige Fälle be¬
schrieben, von welchen jedoch nur die beiden ersten zum Vergleich
*) Ueber secnndäre Degeneration bei cerebraler Kinderlähmung. Archiv f.
Pychiatrie, Bd. XXIII, 1892, pag. 201.
*) Die Sehnenreflexe. Leipzig nnd Wien 1893.
*) Ueber cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter Jahrbuch filr Kinder¬
heilkunde 1895, Bd. 40, Heft 2 und 3.
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324 Prof. Dr. F. Ganghofner.
herangezogen werden können, da der dritte Fall mit Hydromyelie
compliciert war.
Der 1. Fall betraf ein 4'/^jähriges Mädchen (Nr. 7 der Tabelle), die Er¬
scheinungen der spastischen Parese datirten ans der allerersten Kindheit Bei
der Section fand sich chronischer Hydrocephalns, bei der mikroskopischen Unter¬
suchung des Rückenmarkes Hessen sich manifeste pathologische Veränderungen
nicht erkennen, nur im Halsmarke machte es den Eindruck, als ob in den Py-
seitenstrangbahnen eine geringere Zahl von Nervenfasern und eine grossere
Menge von Glia vorhanden wären.
Im 2. Fall handelte es sich um einen 17 Monate alten Knaben (Nr. 8 der
Tabelle) mit seit der ersten Lebenszeit bestehender spastischer Gliederstarre.
Die Section ergab chronischen Hydrocephalus mit beträchtlicher Reduktion der
Hirnrinde, die Pybahnen der Medulla oblongata waren bei sonst normaler Struktur
an Masse ungemein verringert, dabei znm Theil sklerotisch, im Cervical- und
Dorsalmark die Vorderstränge schmäler, in ihren medialen Lagen sklerotisch, die
Py S.-strangbahnen ungemein klein und fast ganz sklerotisch; die Seitenstränge
im Lendensegment sehr schmal.
Alle diese Beobachtungen zeigen, dass Läsionen der Hirnrinde
im Foetalleben oder in der ersten Kindheit partielle Agenesien
der Py bahnen zur Folge haben, welche in einer Verminderung der
Faseranzahl ihren anatomischen Ausdruck finden.
Dieser Vorgang wird verständlich, wenn man die Thatsacbe
berücksichtigt, dass die Fasern der Pybahnen die Nervenfortsätze
der in den Centralwindungen der Hirnrinde befindlichen Pyramiden¬
zellen darstellen und mit letzteren eine Nerveneinheit, das corti-
cospinale motorische Neuron bilden. Die Pyfasern wachsen also
im Foetalleben als Nervenfortsätze (Neuraxonen) der Hirnrinden-
zellen in das Rückenmark hinein und umhüllen sich später mit
einer Markscheide, doch ist die Entwickelung der Pyfasern zur
Zeit der Geburt noch nicht vollendet, und findet die Markent¬
wickelung der cerebralen Pyramidenfasern erst später statt. So¬
wohl das normale Wachsthum, die Entwickelung dieser Nervenfort¬
sätze als auch ihre weitere Existenz ist von der funktionellen
Integrität der betreffenden Nervenzellen in der Hirnrinde abhängig,
da diese letzteren einen trophischen Einfluss üben, welcher znr
Erhaltung der Nervenfaser notwendig ist.
Es wird so verständlich, dass frühzeitig, vor Abschluss der
Entwickelung der Pyfasern stattfindende Läsionen der Hirnrinde,
welche den Untergang oder die funktionelle Schädigung einer An¬
zahl von Nervenzellen daselbst verursachen eine mehr weniger aus¬
gesprochene Faserarmuth der Pybahnen also verschiedene Grade
von Agenesie derselben zur Folge haben.
Doch gibt es Fälle von hierher gehörigen Himläsionen, bei
welchen sich Veränderungen im Rückenmark finden, die nicht als
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Weitere Mittheilungen über cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter. 325
direkt von der Hirnläsion abhängig erscheinen, sondern ihr mehr
coordiniert sind.
So weist Kahlden J ) in seiner Arbeit „über Porencephalie“ auf
ßückcnmarksbefnnde hin, wo eine Verschmälerung auch solcher
Fasern nachgewiesen wurde, die zu dem defekten Rinden bezirk an¬
scheinend nicht in direkter Beziehung stehn (Mikromyelien), ferner
auf Missbildungen des Rückenmarks bei Porencephalien, partielle
Doppelbildung des Rückenmarkes, die Absprengung eines Vorder¬
horns, die Verlagerung von Ganglienzellen in die weisse Sub¬
stanz u. s. w.
Doch bezeichnet auch dieser Autor als häufigen Befund bei
den Porencephalien (die ja doch zumeist congenitale Erkrankungen
darstellen) eine totale oder partielle Agenesie der Pyramidenbahn,
die sich von degenerativen Processen ganz wesentlich unterscheidet.
Es wird bei diesen Fällen von Agenesien theils Defect der
Nervenfasern, theils abnorme Schmalheit derselben angeführt.
Bei den congenitalen bezw. den intrauterin entstandenen und
bei den durch Geburtstraumen bedingten Himlähmungen spielt also
die Entwickelungshemmung der Pybahnen dieselbe Rolle wie bei
den Hirnläsionen der Erwachsenen die secundäre Degeneration
derselben. Auf der Leitungsstorung in dem corticospinalen moto¬
rischen Neuron beruht die spastische Lähmung.
Wie sind nun jene Fälle zu deuten, wo die mikroskopische
Untersuchung des Rückenmarkes anscheinend durchaus normale Ver¬
hältnisse ergab, wo also weder von einer Faserverminderung noch
Verschmälerung derselben etwas zu bemerken war? Solche Fälle
sind meine sub 1 und 2 angeführten Beobachtungen und habe ich
schon erwähnt, dass der nicht gelungene Nachweis einer krank¬
haften Veränderung und insbesondere auch einer Verminderung der
Fasern gleichwol das Vorhandensein funktioneller Insufficienz der
Pybahnen nicht ausschliesst.
Es ist aber auch die Auffassung möglich, dass hier mit der
Hirnläsion eine Beeinträchtigung der normalen Funktionen des
Gehirns verbunden ist und dass so, trotz erhaltener Leitung in
den Pybahnen, der hemmende Einfluss des Gehirns auf die spinalen
Reflexcentren entfällt. Eine ähnliche Deutung gibt Sternberg *) in
verschiedenen Fällen von cerebralen Läsionen ohne Degeneration der
Pybahnen, welche im Leben den Symptomencomplex der „spastischen
’) Ziegler Beiträge zur patholog. Anatomie nnd allgem. Pathologie. 18. Bd.,
2 . Heft, 1896, pag. 366, 367.
*) 1. c. pag. 217.
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326
Prof. Dr. F. öanghofner.
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Spinalparalyse“ zeigten. Doch bemerkt er, dass sich bei diesen
„reflexophilen“ d. h. mit Steigerung der Sehnenreflexe verbundenen
Contracturen nicht unterscheiden lasse, ob es sich da um einen
Ausfall cerebraler Hemmung oder um cerebrale Bahnung bandele
Anschliessend an diese Erörterungen will ich hier noch einen
Fall zur Besprechung bringen, dessen Krankengeschichte und makro¬
skopischen Sectionsbefund ich schon in meiner oben erwähnten
Arbeit „über cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter“ mit-
getheilt habe, wo jedoch die mikroskopische Untersuchung des
Centralnervensystems noch nicht vorgenommen war. Aus der
Krankengeschichte sei nur das Wesentlichste wiederholt.
Die 2jährige Patientin Marie T. (Nr. 36 der Tabelle) wurde am 14. April
1894 ausgenommen. Sie war das 3. Kind, die Mutter hatte] nie abortirt, die
früher geborenen Kinder gesund. Im 4 und 5. Schwangerschaftsmonate machte
die Mutter eine mit Fieber und Husten verbundene Krankheit durch, die Gravidität
verlief weiterhin normal, ebenso die Geburt. Am achten Lebenstage bekam das
Kind Krampfanfälle mit starker RUckwärtsbeugung des Kopfes und Contractur
in den Händen. Die Krämpfe wiederholten sich 8 Tage lang in heftiger Weise,
und traten auch später von Zeit zu Zeit noch auf, zuletzt einige Tage vor der
Aufnahme in die Anstalt
Das Kind hat niemals mit den Händen einen Gegenstand recht fassen
können; es vermag den Kopf nicht aufrecht zu erhalten, weder zu sitzen noch
zu stehen. Dasselbe bot deutliche Zeichen von Rachitis »lässigen Grades, der Er¬
nährungszustand war ziemlich gut. Der Kopf stets nach links gewendet, der
linke Mundfacialis schien stärker innervirt. Leichter Strabismus convergens, die
Sprache fehlt, das Kind erscheint theilnamslos.
Anfallsweise Streckkrämpfe der oberen Extremitäten bei psychischer Er¬
regung, in der Ruhe keine Muskelrigidität; die aktiven Bewegungen derselben
zeigen choreatisch-ataktischen Charakter. Ziemlich lebhafte Sehnen- und Periost¬
reflexe. Die Beine aktiv und passiv (in der Rückenlage) gut beweglich, ihre
Muskulatur gut entwickelt, keine Contracturen, nur bei psychischer Erregung
eigentümliche Streckkrämpfe. Stellt man das Kind auf, so macht es keinen
Versuch, selbständig zu stehn oder zu gehn, manchmal tritt hiebei spastische
Versteifung der Beine auf. Die Patellarsehnenreflexe beiderseits lebhaft, manchmal
auch leichter Fussklonus auslösbar. Patientin ist auch nicht im Stande aufzu¬
sitzen, setzt man sie auf, so fällt der Kopf seinem Gewichte nach hinab. Tod
an Morbillen am 13. Mai.
Die Section ergab bezüglich des Gehirns und Rückenmarkes makroskopisch
nichts Abnormes. Nach Härtung in Liquor Mülleri wurden von Herrn Prof.
Chiari mikroskopisch untersucht mittelst Weigert’ scher Markscheidenfärbung und
nach van Qieson: Schnitte vom Gyrus centralis ant dexter im oberen Drittel,
Querschnitte durch die Medulla oblongata in der Mitte der Oliven und Quer¬
schnitte durch das 3. Halssegment, das 8. Dorsal- und das 3. Lumbalsegment
des Rückenmarkes.
An den Schnitten durch die vordere Centralwindung finden sich ganx
normale Verhältnisse, ebenso am Querschnitt durch die Medulla oblongata. An
den erwähnten Querschnitten des Rückenmarkes im Hals-, Dorsal- und Lcndm-
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Weitere Mittheilungen Uber cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter. 327
theü: leichte Enceiterung des Centralcanals und Faserarmuth in den Pyramiden -
seitenstrangbahnen.
Nach den vorstehenden Ausführungen Hessen sich die motorischen
Störungen in diesem Falle nur ans der Faserarmuth der Pybahnen
erklären. Die zurückgebliebene geistige Entwickelung, das voll¬
ständige Fehlen von Sprachlauten und die seit den ersten Lebens¬
tagen bestehenden Convulsionen weisen überdies darauf hin, dass
auch das Hirn und insbesondere die psychomotorischen Himrinden-
gebiete, funktionell nicht normal waren, wenngleich die mikro¬
skopische Untersuchung nicht im Stande gewesen ist, ein materielles
Substrat dieser Funktionsstörung aufzudecken. Auf die, übrigens
nicht allzu hochgradige Rachitis allein, kann ein so vollständiges
Darniederliegen jeder geistigen Regsamkeit und die schon am achten
Lebenstage beobachteten Convulsionen nicht wol bezogen werden.
Es erübrigt sonach, wie mir scheint, auch hier nur die Annahme
einer mangelhaften Entwickelung des Gehirns, für welche aller¬
dings der anatomische Nachweis nicht erbracht ist, und welche
daher vorerst als eine fnnktionelle Anomalie bezeichnet werden
müsste.
Die in den Pyramidenseitenstrangbahnen Vorgefundene Faser¬
armuth lässt wol die Auffassung zu, dass die Pyramidenzellen der
zugehörigen Himrindenbezirke auch in ihrer trophischen Funktion
gestört und insufficiert waren, trotzdem dass bei der mikroskopischen
Untersuchung (die sich übrigens bezüglich der Hirnrinde nur auf
das obere Drittel der einen vorderen Centralwindung erstreckte)
keinerlei anomales Verhalten derselben nachgewiesen wurde. Zu
ähnlichen Anschauungen scheint auch Anton gelangt zu sein, welcher
sich in der schon citierten Arbeit über angeborene Erkrankungen
des Centralnervensystems 1 ) folgendermassen äussert: „Auch viel
mildere foetale Erkrankungen des Gehirns dürften die quantitative,
vielleicht auch die qualitative Ausbildung der Pybahnen bis ins
Rückenmark beeinträchtigen und in Beziehung stehen zu den an¬
geborenen, geringeren funktionellen und trophischen Störungen im
Bewegnngsapparate. “
Die hier schon seit der frühesten Kindheit bestehenden und
immer wieder sich einstellenden Convulsionen sprechen schon an
und für sich für einen krankhaften Zustand der Hirnrinde. Es
würde sich nun fragen, ob hier die Convulsionen nicht zugleich als
das ätiologische Moment des ganzen, das Centralnervensystem be¬
treffenden Krankheitszustandes anzusehen sind, oder ob dieselben
*) 1. c. pag. 43.
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Prof. Dr. F. Ganghofncr.
als Symptom eines schon vor der Geburt vorhandenen, bezw. bei
derselben entstandenen, derartigen Krankheitszustandes zu gelten
haben. Bekanntlich gehen die Ansichten auch der neuesten Autoren
über die ätiologische Bedeutung der Convulsionen bei Hirnlähmungen
noch sehr auseinander. So glaubt Sachs 1 ) in Uebereinstimmung
mit Osler, Honey, AsKbey und Anderen, dass eine ganze Anzahl
Fälle nur so richtig erklärt wird, wenn man die Lähmung als
direkte Folge der Convulsionen ansieht, während Freud*) es mit
Entschiedenheit ablehnt, die Convulsionen selbst im Allgemeinen
als eine Aetiologie der cerebralen Lähmung gelten zu lassen, wenn¬
gleich er zugibt, dass dies hier und da einmal zutreffen kann.
Der in Rede stehende Krankheitsfall der Marie T.... scheint
mir kein geeignetes Object für die Discussion dieser Streitfrage
abzugeben und so will ich nur hervorheben, dass die berichtete
Anamnese des Falles auch die Auffassung ermöglicht, es habe das
Gehirn dieses Kindes schon in utero eine Schädigung seiner nor¬
malen Entwickelung erlitten, da die Mutter desselben im vierten
und fünften Schwangerschaftsmonate eine fieberhafte Erkrankung
mit Husten durchzumachen hatte.
In drei der vorstehend beschriebenen Fälle, nämlich im Fall I,
II und III, datieren die ersten Krankheitserscheinungen von genau
dem gleichen Lebensabschnitte, indem bei allen drei Kindern notiert
wurde, dass sie bis zu ®/ 4 Jahren gesund erschienen, und erst von
dieser Lebensperiode an die Motilitätsstörungen wahrgenommen
wurden.
Gleichwol lässt sich mindestens bei einem jener Fälle (II) ans
dem Sectionsergebnisse mit Sicherheit erschlossen, dass die den
spastischen Lähmungen zu Grunde liegende Gehirnerkrankung schon
aus dem Foetalleben datiert.
In Fall II findet sich bei dem 3 1 /* jährigen Kinde, welches
bis ®/ 4 Jahre gesund, an Convulsionen erkrankte, worauf die spastisch-
paretischen Symptome hervortraten, bei der Section: Porencephalie
beider Grosshirnhemisphären, rechts fehlt das Operculum, auch
links ein tiefer Porus, Mikrogyrie.
In seiner Arbeit: „zur Kenntnis der Störungen im Oberflächen¬
wachsthum des menschlichen Grosshirns bezeichnet Anton 9 ) derartige
Hirnläsionen als sicher im Foetalleben entstandene.
’) Die Himlähmungen der Kinder. Sammlung blin. Vortr. Nr. 46, 47,
pag. 451.
*) 1. c. pag. 60—63.
s ) Zeitschr. f. Heilkunde 1886, Bd. VII, pag. 453 u. 1888 Bd. IX, pag. 237.
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Weitere Mittheiiuugen Uber cerebrale spastische Lähmungeu im Kiudeaaltcr. 320
In dem Unbedecktbleiben der Insel sieht Anton einen ge¬
nügenden Anhaltspunkt dafür, dass die Entwickelungsstörung schon
intrauterin Platz gegriffen hat. Bei einem im ersten Theil der
angeführten Publikation beschriebenen Falle erklärt Anton das
Zustandekommen der Mikrogyrie durch Verminderung der Mark-
cntwickelung in Folge von Verwachsungen der Ventrikelwände *)
und consecutiver Vermehrung des Oberflächenwachsthums. „Diose
Rindenmasse musste auf einer abnorm kleineren Kugeloberfläche
Platz finden und dies führte zu einer immens gesteigerten atypischen
Furchung, der Mikrogyrie.“
Nun hat wol neuerdings Oppenheim *) einen (schon oben er¬
wähnten) Fall von Porencephalie mit Mykrogyrie publiziert, für
welchen er, entgegen der herrschenden Anschauung, wonach eine
Entwickelungshemmung im Mark der primäre, die Mikrogyrie selbst
ein secundärer Vorgang ist, die Anschauung vertritt, dass der Pro-
cess von der Rinde selbst ausgegangen ist, etwa im Gefolge einer
meningealen Blutung bei der Geburt bezw. einer Meningoence¬
phalitis. Er fand in dem erwähnten Falle an vielen Stellen der
Rinde Verwachsungen benachbarter Gyri, GefässWucherungen an
diesen Stelleu und eine stellenweise recht markante Verdickung
der Pia, ferner einen schon von Otto beschriebenen Befund, nämlich
Nester von grauer Substanz, die wie abgesprengt unter der Rinde
lagen nnd die er als zusammengelagerte, durch Verwachsungszonen
getrennte, scheinbar in die Tiefe gedrängte Gyri deutet.
Da in meinem Falle die Verhältnisse durchaus anders liegen
als im Falle Oppenheims, nichts von derartigen Veränderungen
sich vorfand und insbesondere die inneren Meningen als zart, leicht
ablösbar und von mittlerem Blutgehalte befunden wurden, so kann
eine Genese desselben im Sinne der von Oppenheim entwickelten
Anschauung nicht angenommen werden.
Auch Kahlden 9 ) gelangt nach Sichtung der in der Literatur
verzeichneten Fälle von Porencephalie und gestützt auf eigene
Beobachtungen zu dem Schlüsse, dass, wenn auch in vereinzelten
Fällen durch entzündliche Processe, durch Traumen oder Gefäss-
embolien eine erworbene, also extrauterin entstandene Porencephalio
zuzugeben sei, doch für die grosse Mehrzahl der Fälle die Poren¬
cephalie nur auf eine Entwickelungsstörung des Gehirns zurück-
gefuhrt werden könne.
’) Anton 1. c. pag. 476.
*) Neurolog. CentralbL 1895, Nr. 3.
*) 1. c. pag. 383.
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Das Verhalten der porencephalischen Defecte und der benach¬
barten Hirnwindungen erscheint in meinem Falle ganz analog
jenem bei den typischen, zumeist angeborenen Porencephalien, wie
sie bereits in recht stattlicher Zahl beschrieben sind.
An der rechten Grosshirnhemisphäre wird die dem Sulcus
Rolando entsprechende Furche von den in sie einbiegenden hinteren
Enden der Gyri frontales resp. den vorderen Enden der Gyri
des Lobus parietalis begrenzt, in ihrer Mitte findet sich ein
tiefer Porus, welcher mittelst einer erbsengrossen Oeflhung in
den rechten Seitenventrikel einmündet An der linken Gross¬
hirnhemisphäre entsprechend etwa der Mitte der nicht unterscheid¬
baren vorderen Centralwindung ein trichterförmiger Porus, welcher
sich aber nicht bis in den Seitenventrikel verfolgen lässt, und gegen
den die benachbarten Gyri radiär convergieren.
In seiner Monographie über die Porencephalie ist Kundrat J )
zu der Anschauung gelangt, dass die Radiärstellung der dem Porus
benachbarten Gyri als sicheres Zeichen dafür gelten könne, dass
die Porencephalie aus dem Foetalleben datiere. Dem widerspricht
Kahlden *) unter Anführung fremder und eigener Beobachtungen,
wo eine solche Radiärstellung der Gyni bei sicher extrauterin er¬
worbener Porencephalie sich vorgefunden hat. Er führt aus, dass
aus der Richtung der Windungen ein Schluss auf congenitale oder
extrauterine Entstehung der Porencephalie nicht gezogen werden
könne. Der Grund, weshalb diese Radiärstellung bisher haupt¬
sächlich bei congenitalen Fällen gefunden worden sei, liege darin,
dass überhaupt die grosse Mehrzahl der beschriebenen Fälle von
Porencephalie angeboren sei und dass es sich bei den erworbenen
Fällen meist um umfangreichere Defecte handele, bei welchen die
Radiärstellung überhaupt nicht deutlich werden kann. Da mein
Fall II nach all dem Gesagten mit Sicherheit als eine intrauterin
entstandene Gehirnerkrankung angesehen werden kann, so bekräftigt
er aufs Neue die wiederholt gemachte Beobachtung, dass auch con¬
genitale Hirnlähmungen in den ersten Lebensmonaten nach der
Geburt anscheinend keine Symptome machen, dass die betreffenden
Kinder gesund zu sein scheinen und erst im 2. Halbjahr oder gegen
Ende des 1. Lebensjahres die spastische Lähmung hervortritt
Feer*) macht in seiner Arbeit „über angeborene spastische
Gliederstarre“ die Angabe, dass die Muskelstarre zumeist erst bei
Gehversuchen im Alter von 1—2 Jahren bemerkt wurde und in
] ) Die Porencephalie. Graz 1882.
*) 1. c. pag. 869.
s ) Jahrb. f. Kinderheük. 1890, Bd. 31, pag. 234.
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Weitere Mittheilungen Uber eerebralo spastische Lähmungen im Kindesalter. 331
ihrer klinischen Studie haben Freud und Ric ausgeführt, dass
spät auftretende Lähmungen in congenitalen Veränderungen be¬
gründet sein können. Als wesentliche Momente kämen hier in
Betracht einmal, wenn die congenitale Hirnerkrankung erst während
des Extrauterinlebens soweit fortschreitet, dass sie Symptome
machen kann, ferner wenn der Krankheitszustand sich erst bei
einem gewissen funktionellen Entwicklungszustand des Grosshirns
zu äussern vermag.
Im Fall HI meiner Beobachtungen betreffend ein 1 jähriges
Kind mit ausgebreiteter entzündlicher Erweichung der Hirnrinde
und zum Theil der angrenzenden Markmasse wurde bei nach Pitres
geführten Schnitten durch beide Grosshirnhemisphären erhoben, dass
in der rechten die grossen Ganglien bedeutend kleiner und viel
derber sind als linkerseits. Die rechte Hemisphäre war auch die
in weit grösserer Ausdehnung von dem Process ergriffene, nämlich
im Bereiche fast des ganzen Parietal- und Occipitallappens.
Es hat nun Monakow 2 ) in einer grösseren Arbeit neuerdings
darauf aufmerksam gemacht, dass alte Grosshirndefekte genau ihrer
Lokalisation entsprechende secundäre Degenerationen in den Seh¬
hügeln zur Folge haben und die Ansicht ausgesprochen, dass jedem
Sehhügelabschnitt eine correspondierende begrenzte Windungsgruppe
zugewiesen sei, welche die Existenz desselben beherrscht
Der Befund an den Grossganglien der rechten Hemisphäre
kann jedoch in meinem Falle nicht mit Sicherheit als secundäre
Veränderung aufgefasst werden, da die entzündlichen Veränderungen
der Hirnrinde stellenweise bis tief in die Markmasse hinein sich
fortsetzten und daher möglicherweise die Grossganglien der stärker
ergriffenen rechten Hemisphäre schon primär mit erkrankt sein
konnten.
Wenn die von Monakow beschriebenen secundären Verände¬
rungen der Sehhügel sonst in keinem meiner Fälle, auch nicht in
dem mit typischer Porencephalie vorgefunden wurden, so kann der
Grund wol darin gesucht werden, dass eine genauere Untersuchung
daraufhin nicht stattgefunden hat, anderseits auch darin, dass (wie
Monakow selbst für negative Fälle annehmen muss) eine nur un¬
vollständige Unterbrechung der Leitung bestanden haben konnte.
Was meine weiteren Fälle anbelangt, so ist Fall IV: Poren¬
cephalie beider Stirnlappen und der oberen Abschnitte der rechts¬
seitigen Centralwindungen wol auch mit grosser Wahrscheinlichkeit
*) 1. c. pag. 60.
*) Archiv für Psychiatrie und Nervenkr. Bd. 27., Jg. 1895, pag. 419—425.
Zeitfchjift fdr Heilkunde. XVII. 22
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als congenital zu bezeichnen, während in Fall V: diffuse Sklerose
des Gehirns und Rückenmarks bei einem 5 8 / 4 Jahr alten Knaben
keine ausreichenden Anhaltspunkte im Sectionsbefimde vorliegen,
um die Zeit der Entstehung bezw. des Beginnes der Krankheit be-
urtheilen zu können.
Die anamnestischen Daten sprechen übrigens - auch hier zu
Gunsten der Auffassung, dass eine angeborene krankhafte Verände¬
rung oder Veranlagung des Centralnervensystems dem sklerotischen
Process zu Grunde lag. Denn die Erkrankung setzte sehr früh
mit Convulsionen am 14. Lebenstage ein, zwei Geschwister des
Patienten starben in der zweiten bezw. dritten Lebenswoche und
ein Mal abortierte die Mutter im siebenten Monat.
Sprechen diese Momente immerhin in dem Sinne, dass hier eine
mütterliche Aetiologie vorliegt, so gibt es anderseits Fälle mit
ganz ähnlichem Beginn und Verlauf, die ebenfalls auf Sklerose des
Gehirns und Rückenmarks beruhen, ohne dass die Annahme einer
congenitalen Erkrankung in der Anamnese eine Stütze findet Ein
solcher Fall ist der nachfolgend hier mitzutheilende.
VI. Adolf St., 9 Uonate alt, aufgen. am 5. März 1895. 1 )
Patient ist das 2. Kind einer angeblich gesunden Mutter, das 1. Kind ist
gesund, die Mutter hat nie abortirt. Gravidität und Geburtsverlauf normal. ALs
das Kind 14 Tage alt war, bekam es einen Fraisenanfall, worauf bemerkt wurde,
dass der Kopf stets nach links geneigt war. Ein zweiter Fraisenanfall erfolgte im
Alter von 5 Monaten, derselbe dauerte 1V* Tage und war mit Verlust des Be¬
wusstseins verbunden. Am 2. Tage wurde Beugekontraktur des rechten Armes
bemerkt, die seitdem mit zeitweiligen Remissionen fortbesteht. Seit 3 Wochen
auch Bengekontraktur im rechten Bein mit Dorsalflexion des Fnsses. In der
letzten Zeit öfters Anfälle von Spasmus glottidis, seit 8 Tagen Diarrhoen, hoher
Obstipation.
Status praesens. Sehr mittelmässig ernährtes Kind, Stimfontanelle 3 cm im
Durchmesser, Augenbefund normal. Im Gesicht keine Lähmung, deutliches
Faciaüsphänomen. Die rechte obere Extremität im Ellbogengelenk gebeugt, die
Hand stark flektirt, die Finger ebenfalls in Beugestellung, ähnlich wie bei Tetanie,
die Contracturen lassen sich nicht vollständig ausgleichen.
Die rechte untere Extremität im Kniegelenk etwas gebeugt, vollständige
Streckung gelingt schwer, der Fuss in Caleaneo-Valgusstellung; auch hier be¬
steht starre Contractur. Die rechtsseitigen Extremitäten werden nur wenig be¬
wegt, die obere fast gar nicht. Die linksseitigen gut beweglich zeigen keinerlei
Contractur. An den linksseitigen Extremitäten mitunter Erregbarkeitssteigerung
im Radialis und Peroneus. Sehnenreflexe scheinen zu fehlen. Rachitischer Rosen¬
kranz, keine Zahnentwicklung. In den folgenden Tagen grünliche, übelriechende
Stuhlentleerungen und wiederholte Anfälle von Glottiskrampf.
Am 17. März liessen sich die Patellarreflexe beiderseits auslösen, rechts
stärker. Das Faciaüsphänomen, die gesteigerte Erregbarkeit des N. radialis und
*) Dieser Fall sowie der folgende Fall VII wurden in die Uebersichtstabelle
nicht aufgenommen.
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Weitere Mittheilnngen Uber cerebralo spastische Lähmungen im Kindesalter. 333
peroneus geschwunden, ebenso traten die Anfälle von Glottiskrampf nicht
mehr auf.
Die Diarrhoen bestanden fort, ab und zu gesellte sich Erbrechen hinzu und
unter zunehmendem Kräfteverfall starb das Kind am SO. März.
Die Contracturen der rechtsseitigen Extremitäten waren während der
ganzen Beobachtungszeit unverändert geblieben, die neben der Rachitis und
Gastroentenitis aufgetretenen Erscheinungen latenter Tetanie (gesteigerte Er¬
regbarkeit der Nerven und Glottiskrampf) dauerten nicht bis zum Tode an.
Es handelt sich sonach um eine seit 4 Monaten bestehende
cerebrale spastische Hemiplegie bei einem rachitischen an gastro¬
intestinalen Störungen und consecutiver Tetanie leidenden Kinde.
Paihologisch-anatom. Diagnose. Sclerosis cerebri. Rachitis florida. (Prof.
Qiiari) Auszug aus dem Sectionsprotokoll: Körper 66 cm lang, schwächlich
gebaut, sehr schlecht genährt.
Der Schädel 43 cm im horizontalen Umfang, die grosse Fontanelle 6 cm*
gross, in den Nähten hie und da Schaltknochen, die Schädeldeckknochen in der Nähe
ihrer Ränder mit Osteophytlamellen an der Aussenfläche bedeckt, die blutreicher
sind und mit dem Messer sich gerade noch schneiden lassen.
Die inneren Meningen zart, von mittlerem Blutgehalt, in geringem Grade
ödematös. Die Seitenventrikel um ein Geringes weiter, ihr Ependym etwas ver¬
dickt, derb anzufühlen. Der 3. und 4. Ventrikel nicht erweitert, ihr Ependym
etwas dicker. Auf Horizontalschnitten durch die beiden Grosshirnhemisphären
lässt sich beim Vergleiche zwischen rechts und links constatiren, dass die an
das Ependym angrenzende Markmasse, dann das Ammonshorn und die Capsula
interna sowie der den Centralwindungen entsprechende Theil der Corona radiata
links etwas härter als rechts sind.
Das linke Ammonshorn auch deutlich kleiner als das rechte. Der Pons
und die Medulla oblongata überhaupt von auffällig harter Consistenz, Dio Rinde
nirgends härter. Eine Herderkrankung nirgends nachzuweisen.
Die Spinalmeningen zart, das Rückenmark überhaupt von derberer Consistenz,
an der Grenze zwischen dorsalem und lumbalem Mark in der rechten Hälfte der
grauen Substanz eine röthlich graue Verfärbung.
Die übrige Section musste unterbleiben. Nach Härtung in Liquor Mülleri
wurden untersucht: die beiden Ammonshörner, der Pons, die Medulla oblongata
und die Medulla spinalis.
Das linke Ammonshorn war bedeutend kleiner als das rechte, sein Gewebe
auffallend reich an Gliazellen. Dieser Reichthum an Gliazellen trat auch deutlich
hervor an Querschnitten des Pons und der Medulla oblongata. Die Medulla
spinalis war frei von pathologischen Veränderungen (Chiari).
In dem vorstehend mitgetheilten Falle war der sklerotische
Process in der linken Grosshirnhemisphäre augenscheinlich beträcht¬
lich mehr ausgedehnt und hat so zu dem klinischen Bilde einer
spastischen Hemiplegie geführt.
Etwas anders liegt ein sonst sehr ähnlicher Fall, dessen
Krankengeschichte ich ebenfalls mittheilen will; derselbe betrifft
ein 14 Monate altes Mädchen, welches von angeblich gesunden
Eltern stammend bis gegen Ende seines ersten Lebensjahres gesund
22 ’
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334
Prof. Dr. F. Ganghofher.
war und sich normal entwickelte, dann aber unter schweren All¬
gemeinerscheinungen akut erkrankte, an welche Erkrankung sich
dann eine spastische Cerebrallähmung in hemiplegischer Form an¬
schloss.
Neben chronischem Hydrocephalus ergab die Section circum
scripte chronische Meningitis, ferner Sklerose des Pons, der Medulla
oblongata und spinalis.
VH. Marie Ch., 14 Monate alt, aufgenommen 2. März 1896.
Patientin erkrankte Mitte Dezember v. J. zu Ende ihres ersten Lebensjahres,
unter Fieber und heftigem Erbrechen. Dabei bestand 14 Tage hindurch ein Zu¬
stand von Somnolenz bezw. Coma, der Kopf wurde nach rückwärts gezogen, die
oberen Extremitäten waren in beständiger Agitation und regelloser Bewegung.
Häufig wurden rollende Bewegungen der Augen beobachtet. Das Fieber dauerte
etwa 4 Wochen, die Unruhe und die fortwährenden Bewegungen der oberen
Extremitäten blieben noch längere Zeit bestehen. Das Kind, welches vor dieser
Erkrankung im Stande war, sich aufzustellen und einige Schritte zu machen,
auch schon einige Worte zu sprechen, hat alle diese Fähigkeiten verloren. Ebenso
schwand das Sehvermögen. Später, etwa 6 Wochen vor seiner Aufnahme in die
Anstalt, soll das Kind wieder etwas gesehen haben, aber das dauerte nur einige
Tage, dann schien es wieder blind zu sein. Patientin ist das 6. Kind angeblich
gesunder Eltern ; die Mutter abortirte bei ihrer ersten Gravidität im 7. Monat,
hierauf gebar sie 4 gesunde Kinder. Die Geburten waren leicht.
Status praesens . Das Kind liegt apathisch und theilnahmslos im Bette, scheint
keine Lichtempfindung zu haben, sobald man es berührt, wird es sehr ungebärdig
und schreit.
Der rechte Mundfacialis anscheinend leicht paretisch, die rechtsseitigen
Extremitäten werden nur wenig bewegt, wogegen die linksseitigen sehr lebhafte
Abwehrbewegungen zeigen. Die rechte obere Extremität ist in leichter Beuge¬
kontraktur, die Periostreflexe sehr lebhaft. Das rechte Bein ebenfalls in Beuge¬
stellung, die Patellarsehnenreflexe beiderseits deutlich gesteigert.
Die ophthalmoskopische Untersuchung ergibt normalen Befund der Papille,
der Augenhintergrund ist sehr pigmentarm.
Das Kind litt an Darmkatarih, verfiel immer mehr und starb am 18. März.
Section . Die von Herrn Professor Chiari ausgeführte Section ergab ausser
einem Dickdarmkatarrh bezüglich des Centralnervensystems folgenden Befund:
Hydrocephalia chronica interna. Cicatrices ependymatis. Meningitis chronica
circumscripta. Sclerosis pontis Varoli, medullae oblongatae et medullae spinalis.
Hepatitis interstitialis chronica. (Lues hereditaria)
Auszug aus dem Sektiomprotokoll.
Der Körper 76 cm lang, schwächlich gebaut, sehr mager und blass. Die
Todtenstarre überhaupt wenig, rechts mehr als links ausgesprochen. Die rechte
Hand mit eingeschlagenem Daumen zur Faust geballt und im Handgelenke volar-
wärts gebeugt, der rechte Fuss gegen die Sohle mehr gebogen als der linke.
Der Schädel 43 cm im horizontalen Umfange, seine Knochen von gewöhn¬
licher Dicke und Festigkeit, die Pachymeninx der lamina vitrea fest adhärent,
Die inneren Meningen über der Convexität des Grosshirns in Form von umschriebenen
bis 0,5 cm 2 grossen Flecken und Streifen weisslich verdickt; diese Verdickungen
besonders in der Gegend der linken Centralfurche und des hinteren Abschnittes der
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Weitere Mitteilungen über cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter. 335
lin\ en Stirnwindungen ausgesprochen. Rechts diese Verdickungen an den correspon-
direnden Stellen viel weniger entwickelt Analoge solche fleckigeVerdickungen an den
inneren Meningen der Sylvischen Spalten und im Bereiche der Incisura margin.
poster. cerebelli besonders an der dort befindlichen Arachnoidalbrücke ausgesprochen,
endlich auch noch an der unteren Fläche des Pons Varoli.
Die Himarterien zart. Die Windungen reichlich, im Allgemeinen von ge¬
wöhnlicher Anordnung, dieselben abgeplattet. Die Seitenventrikel sehr stark aus¬
gedehnt, mit klarem Serum erfüllt, ihr Ependym verdickt und derb, im Bereiche
der Grossganglien deutlich granulirt.
In den Hinterhörnern beiderseits, links mehr ausgebreitet als rechts, im
Ependym Narben, die auf das angrenzende Mark übergreifen. Der 3. Ventrikel
und das Infnndibulum ebenfalls stark ausgedehnt, auch hier das Ependym granu-
lirt Der 4. Ventrikel deutlich, wenn auch nicht stark diktiert, sein Ependym
ebenfalls granuliert. Das Foramen Magendie von gewöhnlicher Grösse.
Auf horizontalen Schnitten durch die beiden Grosshimhemisphären zeigt sich
die Rinde reichlich, von gewöhnlicher Dicke, das Mark, besonders in den Wänden
der Hinter- und Unterhömer, aber auch im Bereiche der Vorderhörner, sehr stark
an Masse verringert, dabei etwas dichter. Die Grossganglien von gewöhnlichen
Dimensionen, nur etwas abgeplattet, die Capsula interna von gewöhnlichem
Verhalten. Das Kleinhirn überhaupt etwas dichter, von gewöhnlicher Durch¬
schnittszeichnung. Der Pons und die Medulk oblongata auffallend derb. Die
ganze Hirnsubstanz von geringem Blutgehalt.
Die Spinalmeningen zart, blass, das Rückenmark selbst blass, allenthalben,
namentlich aber im Cervicaltheil bedeutend härter; seine Durchschnittszeichnung
normal.
Nach Härtung in Liquor Mülleri wurde vom Centralnervensystem untersucht:
1. Die Verdickungsherde der inneren Meningen über den Gyri centrales.
Hier zeigte sich der Befund einer mit Bindegewebswucherung einhergehenden
entzündlichen Infiltration der inneren Meningen.
2. Die Wand des einen Hinterhonies. Das Ependym war stark verdickt
und enthielt zahlreiche Herde von Granulationsgewebe.
3. Der Pons und die Medulla oblongata. Das Ependym war ebenso ver¬
ändert wie im Hinterhorn. Weiter zeigte sich entzündliche Infiltration der
inneren Meningen und diffuse Vermehrung der Oha.
4. Das Kleinhirn, dasselbe bot keine pathologischen Veränderungen.
5. Die Medulla spinalis in verschiedenen Segmenten. Auch hier fanden sich
keine pathologischen Veränderungen und zwar weder im Rückenmarke noch in
den Meningen.
Weiter wurde auch nach Härtung in Liquor Mulleri die Leber untersucht
und fand sich in derselben diffuse Hepatitis interstitialis chronica .
Der Befund einer diffusen interstitiellen Hepatitis interstitialis
spricht immerhin für die Annahme, dass das Kind hereditär syphi¬
litisch war, obgleich die Anamnese keinerlei Anhaltspunkte hierfür
bietet. Ein Abortus bei der ersten Gravidität, worauf dann vier
gesunde Kinder folgten, fällt nicht genügend ins Gewicht.
Unter dieser Voraussetzung kann die Erkrankung des Central¬
nervensystems in diesem Falle als unter dem Einflüsse von Syphilis
entstanden aufgefasst werden. Die Erweiterung der Ventrikel, die
Verdickung des Ependyms sowie die Herde von Granulationsge-
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336
Prof. Dr. F. Ganghofner.
webe in demselben finden sich in gleicher Weise bei einem noch
weiterhin mitzuteilenden Falle von unzweifelhaft syphilitischer Natur.
Dann gibt es Fälle von sklerotischen Processen des Gehirns
und Rückenmarks, welche sich bei anscheinend gesunden Säuglingen
ganz allmälig entwickeln, so dass die ersten Symptome des
Leidens etwa in der zweiten Hälfte oder gegen Ende des ersten
Lebensjahres wahrgenommen werden, ohne das irgend eine nach¬
weisbare Schädlichkeit bezw. acute Erkrankung das Kind betroffen
hätte. Die Symptome zeigen dann durch kürzere oder längere
Zeit eine gewisse Progredienz.
Diese Form der Krankheitsentwickelung zeigt die nachfolgende
Beobachtung.
VilL. Der 2 Jahre alte Knabe Ernst K. (Nr. 60 der Tabelle) gelangte am
30. September 1895 zur Aufnahme.
Er ist das 2. Kind angeblich gesunder Eltern, die Hutter hat vorher zwei¬
mal abortiert, dann folgte ein ansgetragenes Kind, welches im 3. Monate starb,
sodann nnser Patient. Derselbe wurde ansgetragen, in Steisalage geboren, kam
jedoch nicht asphyktisch zur Welt. Die Gravidit&t war normal verlaufen.
Im 1. Lebensjahre soll das Kind dargereichte Gegenstände in den Händen
gehalten haben und vermochte sich, als es ttber 1 Jahr alt war, wenn man es
aufstellte, etwas auf den Beinen zu erhalten. Etwa Mitte des 2. Lebensjahres
fiel es auf, dass die Hände meist krampfhaft geschlossen waren, dass das Kind die
dargereichten Gegenstände nicht fassen konnte oder bald fallen liess und die
Beine mehr und mehr steif wurden.
Status prarsens. Ziemlich kräftig gebautes, entsprechend genährtes Kind,
mit normaler Kopfbildung. (Horiz. Umfang des Schädels 42 cm.) Die Stellung
der Bulbi und die Pnpillenreaktion normal, die Gesichtszüge symmetrisch, die
Arme gebeugt, die Finger eingeschlagen, mässige Contractur. Das Kind fasst
nichts mit den Händen, liegt im Bette stets auf dem Rücken, Bewegungen der
Beine sind aktiv möglich, bei passiven Bewegungen starker Widerstand in den
Kniegelenken, die Füsse plantar flektiert, in den Fussgelenken stark versteift.
Setzt man das Kind auf, so sinkt der Kopf nach vorne, ohne Stütze vermag
das Kind nicht zu sitzen, ebenso wenig kann es sich, wenn man es aufstellt, auf
den Beinen erhalten.
Die Sehnenreflexe scheinen an den oberen Extremitäten nicht gesteigert zu
sein, an den Beinen sind sie wegen der beträchtlichen Contractur nicht aas¬
lösbar. Das Kind spricht gar nicht, der Schlingakt ist unbehindert, geistig er¬
scheint es sehr zurückgeblieben.
Das Kind starb am 9. Oktober an eitriger Bronchitis und Pleuritis.
Auszug aus dem Sektionsprotokoll. (Prof. Chiari.)
Ausser eitriger Bronchitis, Lungenabscess und eitriger Pleuritis fand sich
circumscripte Sklerose in den Grossganglien des Grosshirns und diffuse Sklerose
des Kleinhirns, ferner Hydrocephalns chronicus internus leichten Grades.
Die weichen Schädeldecken blass, Schädel auffallend rund, sein horizon¬
taler Umfang 41 cm, die grosse Fontanelle vollständig geschlossen, die Nähte
sehr wenig beweglich. Die Schädelknochen dünn, die Furchen für die Vasa
meningea media auffallend tief.
Die harte Hirnhaut der lamina vitrea fest adhärent, die inneren Meningen
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Weitere Mittheilungen über cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter. 337
ziemlich blass, stark ödematös. Die Hirnwindungen von gewöhnlicher An¬
ordnung.
Die Seitenventrikel und der III. Ventrikel deutlich, wenn auch nicht stark
erweitert, mit klarem Serum erfüllt. Ihr Ependym, besonders in den Vorder-
hörnern der Seitenventrikel verdickt .
Nach Anlegung von Horizontaldurchschnitten durch die beiden Gehirnhemi¬
sphären zeigt sich beiderseits in der Gegend der Qrossgangliefn Sklerose und zwar
betrifft dieselbe rechts den Globus pallidus und den Kopf des Nucleus caudatus,
links die gleichen Theile und auch noch einzelne Stellen des äusseren Gliedes
des Linsenkems.
Der IV. Ventrikel etwas erweitert , sein Ependym nur leicht verdickt.
Das Kleinhirn etwas kleiner als sonst, dabei sein Mark deutlich sklerotisch.
Der Pons anscheinend auch etwas härter. Die Jfedulla oblongata von gewöhn¬
licher Beschaffenheit.
Das Rückenmark von gewöhnlicher Consistenz und Durchschnittszeichnung.
Die mikroskopische Untersuchung des Centralnervensystems musste in diesem
Falle unterbleiben, da die conservierten Theile sich nach der Härtung als zur
Anlegung von Schnitten ungeeignet erwiesen.
Die drei zuletzt berichteten Fälle VI, VII und VIII haben be¬
züglich der Lokalisation und Ausbreitung des sklerotischen Pro-
cesses im Gehirn und Bückenmark, sowol untereinander eine ziem¬
liche Analogie als auch mit dem sub V mitgetheilten Fall betreffend
den Knaben Franz L. Im Fall V war die Sklerose im Gehirn
auf das Mark der Hemisphären beschränkt, die Hirnrinde erschien,
soweit sie mikroskopisch untersucht wurde, normal; betroffen war
von der Sklerose namentlich die Umgebung der Seitenventrikel,
die innere Kapsel, Pons, Medulla oblongata und spinalis, von
letzterer am stärksten der Lumbaltheil, wo in der ganzen Mark¬
substanz Vermehrung der Glia, Verminderung der Zahl der mark¬
haltigen Nervenfasern und Verdünnung ihrer Markscheiden vorge¬
funden wurde.
Im Fall VIII wurde das Centralnervensystem nicht mikro¬
skopisch untersucht, in den Fällen VI und VH wurde die Hirnrinde
in die stattgefundene mikroskopische Untersuchung nicht einbezogen,
doch geht schon aus dem makroskopischen Befunde mit Wahrschein¬
lichkeit hervor, dass der die Sklerose bedingende Krankheitsprocess
auch in diesen Fällen die Hirnrinde verschonte.
Die Entstehung der circumscripten sowohl wie der mehr diffusen
Sklerosen des Gehirns und Rückenmarks bei Kindern darf mau
wol in einem Theil der Fälle auf acute Erkrankungen zumeist
infectiöse beziehen, deren Natur allerdings häufig unerkannt bleibt.
In dieser Beziehung wäre zunächst an die von Virchow be¬
schriebene, von Jastrowitz bezüglich ihrer Bedeutung bekämpfte
sogenannte Encephalitis congenita zu denken. Bekanntlich beschrieb
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Prof. Dr. P. Ganghofuer.
Virchow im Marklager von Gehirnen neugeborener oder bald nach
der Geburt verstorbener Kinder (deren Mütter mit acuten Ex¬
anthemen oder mit Syphilis behaftet waren) zwei Formen von
Encephalitis: die eine als umschriebene gelbliche Herde in der
Balkenstrahlung, welche aus Fettkörnchenzellen bestehn, die andere
als diffuses Auftreten von Fettkörnchenzellen in der ganzen Mark¬
substanz.
Nun hat von Limbeck 1 ) in einer 1886 erschienenen Arbeit dar-
gethan, dass wol die sogenannte diffuse Form der Encephalitis
Virchows als physiologischer Zustand zu bezeichnen sei, indem der
Befund von Fettkörnchenkugeln überhaupt allen Gehirnen Neuge¬
borener allgemein zukommt, dass jedoch die andere Form, die Ence¬
phalitis congenita disseminata als entzündlicher Prozess zu Recht
bestehe.
Ferner gehören hieher Befunde, welche R. FiscM *) bei gastro¬
intestinalen und Lungenerkrankungen septisch inficierter Säuglinge
beschrieben hat Bei einem vier Wochen alten Mädchen fand sich
„Encephalitis sic dicta neonatorum“ in der linken Hemisphäre, bei
einem ebenso alten Mädchen „Encephalitis sic dicta rubra“; in dem
letzteren Falle wurden in den Erweichungsherden benachbarten
Parthien des Markes Zellinfiltrationen nachgewiesen, die von nach
Crram färbbaren Coccen erfüllt waren.
Die acute hämorrhagische Encephalitis, welche bei Erwachsenen
vielfach beschrieben wurde, spielt vielleicht bei der cerebralen
Kinderlähmung doch eine grössere Rolle, als man in der letzten
Zeit geneigt war ihr zuzugestehen.
Dass sie bei sehr jungen Kindern sicher vorkommt, konnte ich
an einem selbst beobachteten Falle nachweisen, der bereits publiciert
ist 8 ). Es handelte sich um ein drei Monate altes Kind und ergab
die Section hämorrhagische Encephalitis im Pons, Medulla oblongata,
den Gehimstielen und Linsenkernen beiderseits.
Bei den Sklerosen des Gehirns kommt ferner noch die Syphilis
in Betracht, welche ja schon unter den ätiologischen Momenten der
cerebralen Kinderlähmung angeführt worden ist, wobei jedoch zu
bemerken ist, dass von vielen Autoren der Einfluss der hereditären
Lues vorwaltend für jene Form der cerebralen Kinderlähmung in
Anspruch genommen wird, welche man als JWWe’sche Krankheit
*) Zar Kenntnis der Encephalitis congenita. Prager Zeitschrift für Heilk.,
VII. Bd., 1886, H. 2 n. 8.
*) Ueber septische Infection des S&nglings mit gastrointestinalen resp. pul¬
monalen Symptomen. Prager Zeitschr. f. Heilk., XV. Bd., 1894, pagn. 10 n. 18.
*) Jahrbuch fttr Kinderheilkunde, 1895. Bd. 40.
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Weitere Mittheilungen über cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter. 339
bezeichnet, also für die mit Früh- und Schwergeburt in Zusammen¬
hang gebrachten Fälle. Dabei hatte man zunächst Gefässver-
änderungen im Auge, welche die Disposition zur Meningealblutung
intra partum bedingen.
Von den neueren Autoren äussert sich in diesem Siune auch
Vassal *) unter Betonung der Ansicht von Foumier; die Syphilis,
sagt Vassal , sei insbesondere ins Auge zu fassen, da sie Frühge¬
burten ja oft verschuldet und vasculäre Läsionen verursacht
Eine etwas andere Auffassung der Rolle, welche die Lues bei
der cerebralen Kinderlähmung spielt, hat Erlenmeyer 4 ) vertreten,
indem er darauf hinwies, dass eine latente congenitale Syphilis
durch verschiedene Reize, als Traumen, fieberhafte Erkrankung u. s. w.
aktiv werden könne.
J. Hoffmann 8 erörtert die Art der Einwirkung der hereditären
Lues für gewisse Fälle der cerebralen Kinderlähmung, wobei er
annimmt, dass nicht die bekannten ächt syphilitischen, anatomisch
als solche erkennbaren Veränderungen in Frage kommen, sondern
wol solche meta- oder parasyphilitischer Natur, also durch die
hypothetischen Syphilistoxine hervorgerufene degenerative und skle¬
rotische Processe. Man könne sich die Sache auch so vorstellen,
dass normal angelegte und ausgebildete Leitungsbahnen später der
Degeneration anheimfallen in Folge einer ihnen anhaftenden, durch
die Syphilis bewirkten Schwäche. Es würde nach dieser Auffassung
Iloffmanns die Lues bei den Gehirnsklerosen der Kinder etwa eine
ähnliche Rolle spielen, wie man sie ihr für Erwachsene bei der
Tabes, der progressiven Paralyse etc. zumisst.
Da beweisende Beobachtungen in dieser Richtung nur in spär¬
licher Anzahl publiciert sind, so soll der folgende Fall mitgetheilt
werden, welcher in diese Kategorie gehört.
IX. Anna Sm., 2 Monate alt, aufgenommen am 21. Februar 1895. (Nr. 42
der Tabelle).
Anamnese. Das Kind zeigt seit seiner Geburt hochgradige Contractur-
stellungen der Extremitäten, die insbesondere an den Händen auffallen.
Patientin ist das 5. Kind, die Matter war angeblich gesund. Das 1. Kind war
ausgetragen, doch war die Geburt desselben nur mittelst Embryotomie möglich.
Das 2. und 3. Kind todt geboren im 7. Monat, das 4. Kind ausgetragen aber
ebenfalls todt geboren. Patientin bekam mit 14 Tagen allgemeine Convulsionen
mit Bewusstseinsstörung und Cyanose, die sich jedoch später nicht mehr wieder¬
holten. Ein Hautausschlag wurde nicht beobachtet
*) M. Vassal. Etüde critique sur les affections spasmo-paralytiques infantiles.
Paris. G. Steinheil. 1894, pag. 29.
*) Erlenmeyer, Beiträge zur Lehre von der congenitalen Syphilis. Zeitschr.
für klin. Medicin, Bd. 21, Jg. 1892, pag. 360.
s ) J. Hoffmann. Nenrolog. Centralbl. 1894, Nr. 13.
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Status praesens. Schwächliches, schlecht genährtes Kind, Körpergewicht:
2280 gr, der Schädel 84 cm im Horizont&lnmf&ng, die Stirnfontanelle 3 1 /* cm lang.
3 cm breit, die Coronar- nnd Sagittalnaht etwas klaffend.
Langen- and Herzbefund normal, Unterleib aasgedehnt, Leber and Milz er¬
scheinen nicht vergrössert. Dio oberen Extremitäten an den Kampf adducirt, im
Ellbogengelenk stark gebeagt, die Vorderarme in Pronationsstellung. Starker
Widerstand beim Versnch, im Ellbogengelenk zu strecken, w f as nnr unvollkommen
gelingt, ebenso beim Versuch, den Vorderarm in Supination zu bringen. Pie
Hände befinden sich in einer Stellung, ähnlich deijenigen, welche als Talipomanos
vara beschrieben wird; sie sind im Radiocarpalgelenke so stark gebengt, dass
die Hand mit dem Vorderarm einen rechten Winkel bildet, dabei sind die
Finger in den Metacarpo-phalangealgelenken überstreckt, in den Interphalangcal-
gelenken gebeagt, die Daumen in die Hohlhand eingeschlagen.
Das Kind kann mit den oberen Extremitäten aktive Bewegungen vornehmes,
doch sind dieselben träge und wenig ausgiebig.
Die abnormen Stellungen der Hände und Finger lassen sich passiv ohne
besonderen Widerstand ausgleichen, doch wird sofort wieder bei Nachlass des
Zuges die frühere Stellung eingenommen. Im Handgelenk besteht leichte Sub¬
luxation, jedoch ist nirgends ein Knochendefekt zu konstatiren. Die Sehnen-
reflexe nur schwach auslösbar, die elektrische Erregbarkeit erschien im
Vergleich zu den Durchschnittswerten bei Erwachsenen gering. Deutliche
Contraction im Bereiche der Vorderarmmuskulatur erfolgte erst bei 70 bis 60 mm
Rollenabstand. 1 )
Die Beine sowol im Hilft- als im Kniegelenk gebeugt, es bestand erhebliche
Contractur, passive Bewegungsversuche begegneten starkem Widerstand, die
Sehne des Biceps in der Kniekehlengegend springt stark vor, vollkommene
Streckung im Kniegelenk gelingt nicht. Aktiv werden die Beine fast gar nicht
bewegt.
Die Füsse befinden sich in massiger Calcaneusstellung, die Zehen sind
plantarflektirt. Sehnenreflexe wegen der starken Contractur nicht auslösbar.
Das sehr schwächliche Kind litt an Darmkatarrh, bald trat eine Broncho¬
pneumonie hinzu und am 26. Februar erfolgte der Exitus.
Die Sektionsdiagnose (Prof. Chiari ) lautete: Lues hereditaria. (Sclerosis
pontis Varoli et cruris post, capsulae internae utrinsque Sclerosis medullie
spinalis. Hydrocephalia chron. interna gr. lev. (congenita) Hepatitis interstitialis
chronica partim gummosa. Tumor lienis chronicus gr. lev. Intumescentia gl&ndnL
lymphat. in porta hepatis). Catarrhus intestini crassi gr. lev. Bronchitis catarrh&l.
Pneumonia lobularis bilateralis.
Auszug aus dem Sektionsprotokoll. Körper 48 cm lang, sehr schwächlich
gebaut, schlecht genährt, blass. Die Ellbogengelenke nicht ganz vollkommen za
strecken, die beiden Hände insofeme abnorm gestellt, als im Carporadialgelenke
*) Schon Soltmann hat gezeigt, dass bei neugeborenen Thieren die elektrische
Erregbarkeit der Nerven und Muskeln verhältnismässig gering ist und von der
Geburt an bis etwa zur 6. Woche allmälig ansteigt. Neuestens ist A. Westphal
(Arch. für Psychiatrie 1894, Bd. 26) bei Untersuchungen an Neugeborenen und
jungen Säuglingen zu einem ähnlichem Ergebnis gelangt. Hiernach sind die
Nerven und Muskeln derselben bis zu einem gewissen, nicht für alle Fälle gleichen
Zeitpunkte wesentlich schwerer elektrisch zu erregen als jene von Erwachsenen.
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starke Volarflexion, in den Metacarpophalangealgelenken (rechts mehr als links)
Dors&lflexion besteht und die Finger volarwärts zusammengekrümmt sind.
Passiv alle diese Stellungsanomalien der einzelnen Handtheile gegen ein¬
ander vollständig auszugleichen. Die beiden Kniegelenke und Hüftgelenke nicht
vollkommen zu strecken, sonst aber frei beweglich. Die Sprunggelenke in ge¬
wöhnlicher Stellung, die Zehen stark flektirt.
Der Schädel 33 cm im Horizontalumfang, seine Deckknochen gegen einander
leichter verschieblich. Die grosse Fantanelle im grössten Frontaldurchmesser 3 cm,
im grössten sagittalen Durchmesser 3 1 /* cm messend. In den Sinus der Dnra
spärliches flüssiges und frisch geronnenes Blut. Die inneren Meningen blass, stark
üdematös. Die sämmtlichen Ventrikel und der Aquaeduatus Sylvii deutlich er¬
weitert, mit klarem Serum erfüllt. Das Ependym deutlich verdickt, in der
Mitte der Stria comea sin. mit einem hanfkomgrossen, bräunlichen, sehr harten
Knoten versehn. Die Hirnwindungen von gewöhnlicher Anordnung. Die Him-
substanz blass, Rinde und Mark schon ziemlich gut abgegrenzt, ebenso auch die
grossen Ganglien. Die bereits ganz markhaltigen inneren Kapseln, namentlich
in den hinteren Schenkeln von derber Konsistenz. Der Pons in seiner ventralen
Hälfte deutlich derber , das Kleinhirn von gewöhnlichem Aussehn. Das Rücken -
mark ziemlich blass, durchwegs dichter anxufuhlen.
Im Halsmark erscheinen die Seitenstränge leicht grau.
Die Leber vergrössert und zwar namentlich in der unteren Partie der rechten
Hälfte ihres rechten Lappens, welcher Theil ziemlich stark hervonagt, theils
blassgrau, theils ecchymosirt erscheint und an seiner Oberfläche durch zarte
Exsudatlamellen mit der Flexura coli d. verklebt ist. Die Leber überhaupt blass,
von derberer Konsistenz, im Bereiche der früher erwähnten Partie des rechten
Lappens von geradezu knorpliger Härte und wie Einschnitte zeigen, von schwieliger
Beschaffenheit, insofeme nur spärliches Lebergewebe in weisslich grauer Schwiele
persistirt. Ein etwa haselnussgrosser analoger schwieliger Herd in der rechten
oberen Ecke des rechten Leberlappens.
Die Knorpelknochengrenzen des allein untersuchten rechten Kniegelenkes
vollständig geradlienig. Die Präparation der Muskeln der beiden Ober- und Vorder¬
arme erweist an denselben ganz normale Verhältnisse.
Mikroskopische Untersuchung der Leber. Schnitte durch die Leber zeigen
allenthalben eine entzündliche Infiltration des interstitiellen Bindegewebes und
in den früher erwähnten knorpelharten Stellen Schwielen mit darin eingeschlossenen,
meist nur miliaren Gummen
Durch die Anamnese: Dreimal Todtgeburt bexw. Frühgeburt und den Be¬
fund einer syphilitischen Lebererkrankung mit Gummen erscheint die syphilitische
Natur der Hirn - und Rückenmarksklerose genügend sicher gestellt.
Vom Centralnervensystem wurden nach Härtung in Liquor Mülleri unter¬
sucht: die Capsula interna dextra et sinistra, die laterale Wand des Vorderhornes
des rechten Seitenventrikels, der Pons, die Medulla oblongata und die Medulla
spinalis und zwar an mit Kupfer-Hämatoxylin nach Weigert und an mit Häma-
toxylin-Pikrin-Fuchsin nach van Qieson gefärbten Schnitten. In den inneren
Kapseln erschienen die Felder für die Pyramidenfasern und die Felder des sogen.
Carrefour sensitif sehr arm an markhaltigen Nervenfasern. Die Wand des
rechten Seitenventrikels zeigte Verdickung des Ependyms und stellenweise Herde
von kleinzelliger Infiltration in diesem. Im Pons, in der Medulla oblongata und
spinalis zeigten sich durchwegs die Pybahnen sehr arm an markhaltigen Nerven¬
fasern und waren auch hier die Achsencylinder auffallend spärlich an Zahl.
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342 Prof. Dr. F. Ganghofner.
Ausserdem fand sich im Bückenmarke eine gleichmäßige geringgradige Dilatant
des Centralcanals.
Das hareditäre und familiäre Auftreten von cerebralen Diplegien
und Paraplegien im Kindesalter ist in der Literatur dieser Krank¬
heit vielfach vertreten und hat Freund 1 ) hierher gehörige Fälle
von Lütle, Feer, Naef, Osler, Sachs, Kraft-Ebing, Fr. SchnUz>
sowie auch die, vielleicht eine besondere Form derselben repräsen¬
tierenden Fälle von Pelizaeus zusammengestellt, überdies 2 eigene
Beobachtungen hinzugefügt. An diese reihen sich dann die neuer¬
dings von Erb *) als hereditäre-spastische Spinalparalyse bei Kindern
beschriebenen 2 Fälle, zu welchen nach diesem Autor auch die
beiden Familiengruppen von Neumark gehören würden. Ferner
hat A. Souques 9 ) 2 Geschwister mit Erscheinungen der reinen
spastischen Spinalparalyse beobachtet Wie schon erwähnt, hält
es Erb für fraglich, ob derartige Fälle mit unkomplicierter
spastischer Paraplogie durchwegs als durch cerebrale Läsionen
bedingt, anzusehen sind oder ob nicht doch zuweilen eine primäre
spinale Erkrankung vorliegt Auf diese Frage komme ich noch
zurück. Die erwähnten hereditären und familiären Formen zeigen,
wie aus der Literatur hervorgeht, allerlei Verschiedenheiten in der
Ausbreitung und Intensität der spastischen Lähmung, in der Schädigung
der Sprache sowie der psychischen Funktionen; während bei einer
Gruppe das Auftreten der Erkrankung erst jenseits des 3.-4. Lebens¬
jahres notiert ist, finden sich andere, wo dieselbe ich schon in den ersten
Lebensmonaten deutlich manifestierte und endlich Beobachtungen,
wo eines der Geschwister sehr frühzeitig erkrankte, während ein
anderes in den ersten Lebensjahren gesund blieb, um dann doch
von dem gleichen Leiden ergriffen zu werden.
Manche Fälle zeigen eine stetige Progredienz der Krankheits-
erscheinungen und tödtlichen Ausgang in relativ kurzer Zeit,
während andere später stationär bleiben, ja selbst eine gewiss
Besserung aufweisen. Ich verfüge über eine eigene Beobachtung
von familiärer Erkrankung dieser Art, welche auch zeigt* wie ein
und dieselbe congenitale Krankheitsursache abwechselnd in Früh¬
geburt, frühzeitigem Absterben der Kinder und im Auftreten cere¬
braler Lähmung ihren Ausdruck findet.
*) 1. c. pag. 138 u. ff.
*) Ueber hereditäre spastische Spinalparalyse. Deutsche Zeitschrift ft r
Nervenheilkunde, Bd. VI, 1894, pag. 137.
*) Contribution h letude de la forme familiale de la paraplegie spasinodiq*
infantile. Revue neurologique. 1895, Nr. 1 (Ref. im Neurol. Centralbl. ltfiö.
Nr. 11).
Go^ 'gle
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W eitere Mittheilnngen Uber cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter. 313
Die Mutter der beiden Geschwister mit spastischer Diplcgie,
deren Krankengeschichte ich kurz anführen will, hat 6mal geboren.
Das 1. Kind kam im 8. Monat zur Welt und starb 10 Wochen alt,
das 2“. und 3. Kind wurden normal geboren, erkrankten jedoch
beide an der zu schildernden spastischen Lähmung, ein 4. Kind
starb 5 Tage nach der Geburt. Das 5. Kind, jetzt 3 Jahre alt,
ist gesund und kann seit dem 1. Lebensjahre gehen, zeigt keinerlei
Motilitätsstörung; das 6. Kind, 4 Monate alt, ist bis jetzt gesund.
Bezüglich der beiden erkrankten Geschwister sei Folgendes
mitgetheilt.
X. Marie P. (Nr. 82 der Tabelle), 3 Jahre alt, in die Klinik aufgenommen
am 14. Juli 1890
Das Kind erschien gesund bis zum Alter von einem Jahre, wo Schwäche
und Zittern der Beine bemerkt wurde und zwar beim Versuch, das Kind auf-
zustellen. Gehversuche misslangen stets, so dass das Kind auch jetzt nur mit
Unterstützung gehn kann. Mit 2 Jahren begann Patientin zu sprechen.
Status praesens. Gut genährt, kräftig, 62 cm lang, die Boine verhältnis¬
mässig kurz und schwach, keine Zeichen von Rachitis. Schädel normal konfiguriert.
47 cm im Horizontalumfang. Diameter glabello-occip. 16 cm. D. bipariet. 14 cm
D. bitemp. II 1 /« cm. Gesicht und Gehör anscheinend gut, Sprache scandirend,
der Wortschatz genügend, Intelligenz gut, Scblingakt normal, ebenso die Zungen¬
bewegungen.
Obere Extremitäten. Bewegungen deutlich ataktisch, über Reflexe keine
Notitz.
Untere Extremitäten. Gesteigerte Patellarreflexe, leichter Fussklonus.
Patientin steht mit gespreizten Beinen, kann nur unterstützt gehen; der Gang
unsicher, die Beine werden stets stärker im Hüftgelenk gebeugt, Patientin tritt
oft auf den äusseren Fussrand auf.
Am 16. Juni 1892 abermals aufgenommen, die Sprache ist jetzt besser, sonst
der Zustand unverändert.
Im December 1896 wird ein jüngerer Bruder der Patientin behufs Aufnahme
in die Anstalt gebracht, welcher das gleiche Leiden aufweist. Die Mutter be¬
richtet hiebei, dass Marie P., jetzt 8 Jahre alt, nunmehr gut zu gehen vermag
nnd sonst gesund ist, doch sei eine Störung der Sprache immer noch bemerkbar,
ancb sollen die Hände noch etwas ungeschickt sein. Der erwähnte Bruder
Karl P. (Nr. 51 der Tabelle) ist 6 Jahre alt, hat angeblich niemals recht gehen
gelernt und konnte erst mit 8 Jahren stehen, in welchem Alter auch die Sprache
sich zu entwickeln begann; dieselbe blieb immer schwerfällig.
Status praesens. Patient ist von seinem Alter entsprechender Grösse,
ziemlich mager; sein Schädclumfang 50 cm, der Diameter bitemporalis 9’/t cm,
D. bipariet. 14'/a der frantooccipitale 16 1 / 2 cm , die Intelligenz gering, die Sprache
sehr langsam und undeutlich. Es besteht Strabismus convergens. die Bewegungen
der oberen Extremitäten nicht auffällig gestört, doch etwas ungeschickt, tappend,
manchmal leicht zitternd. Die Reflexe an denselben nicht gesteigert. Patient
kann nur gehen, wenn er geführt wird, der Gang ist unsicher, schwankend, die
Knie versteift, die grosse Zehe ist dorsal flektirt, doch tritt er mit der
Fers© auf.
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344
Prof. Dr. F. Gaugüufuer.
In der Rückenlage bei passiven Bewegungen mäBsiger Widerstand, die
aktiven scheinen nicht auffällig gestört zu sein.
Die Patollarsehnenreflexe beiderseits gesteigert, auch leiter Fnssklonn«
anslösbar.
Es erübrigt noch die Erörterung der Frage, ob es spastische
Paraplegien im Kindesalter gibt, welche als primäre Rückenmarks¬
affektionen anzusehen sind, oder ob auch jene Fälle, wo ausser der
spastischen Lähmung der Beine keinerlei andere Krankheits¬
erscheinungen vorliegen, wo also die oberen Extremitäten voll¬
kommen unbetheiligt sind, die Sprache und intellektuelle Ent¬
wicklung durchaus normal erscheint, gleichwol als auf cerebralen
Läsionen beruhend gedeutet werden müssen.
Erb 1 ) weist auf den durch Strümpell geführten Nachweis der
primären Seitenstrangsklerose bei der spastischen Spinallähmnng
Erwachsener hin und folgert daraus, dass sich die Existenz einer
ähnlichen Affektion auch bei Kindern nicht ohne weiteres von der
Hand weisen lasse. Diese Frage sei sonach als eine offene zu be¬
trachten und müssten erst die entscheidenden Sektionsbefunde ab¬
gewartet werden, welche das Vorhandensein cerebraler Läsionen
in Fällen von reiner, spastischer Spinallähmung bei Kindern ohne
alle Betheiligung der Arme, der Hirnnerven und Himfunktionen
darthun würden.
Wie kommt man nun überhaupt dazu, die letzterwähnten Fälle
als cerebral bedingte Paraplegien zu erklären und im gegebenen
Falle eine primäre Rückenmarkserkrankung als weniger wahr¬
scheinlich anzusehen?
Zu einer derartigen Auffassung ist man hauptsächlich wol da¬
durch gekommen, dass, wie von verschiedenen Autoren ausgefhhrt
worden ist, alle möglichen Uebergänge existieren, von der ans¬
gesprochenen allgemeinen Starre mit Schädigung der Intelligenz
und Sprache bezw. von den schweren cerebralen Diplegien bis zu
jenen milderen Affektionen, wo ausser Versteifung der Beine nichts
Abnormes sich findet.
Als Beispiele einer solchen leichten Form kann ich aus meiner
Beobachtungsreihe die Fälle Nr. 43 (betreffend das 4 Jahre alte
Kind Emil W.) und Nr. 54 (betreffend den 2 1 /, jährigen Knaben
lludolf F.) anführen. Doch können sie beide nicht als vollkommen
reine Fälle spastischer Spinallähmung gemäss der Definition von
Erb angesehen werden, da bei beiden Strabismus besteht, als die
einzige Andeutung einer auf Hirnläsion hinweisenden Erscheinung.
Im .EWfschen Sinne vollkommen reine Fälle sind nicht allzu hänfig.
0 1. c.
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Weitere Mittheilungen über cerebrale spastischo Lähmungen im Kindesalter. 345
So kann Freud 1 ) unter seinen Beobachtungen nur Fall XXIX als
reinen und typischen Fall bezeichnen. Unter meinen 54 in der
beigegebenen Tabelle zusammengestellten Fällen kann nur Fall
Nr. 41, betreffend die 3jährige Marie V., als typischer Fall Geltung
beanspruchen. Doch verfüge ich noch über 2 Beobachtungen,
welche ich in die Tabelle nicht aufgenommen habe, da mir mit
[Rücksicht auf die allmälige und verhältnissmässig spät einsetzende
Entwicklung des Leidens (in dem einen Fall nach dem 3., im
anderen im 11. Lebensjahre) und die deutliche Pregredienz des
Krankheitszustandes die vorläufige Ausscheidung dieser beiden
Fälle aus der Tabelle und eine gesonderte Schilderung derselben
empfehlenswert schien.
Die Krankengeschichte des erwähnten Falles (Nr. 41 der Ta¬
belle) ist in Kürze folgender.
XI. Marie V 3 J. alt, aufgen. am 9. Dezember 1894.
Patient ißt das 2. Kin$, kein Abortus vorgekommen, Gravidität und Geburt
normal, Eltern gesund, keinerlei hereditäre Belastung. Schon im 1. Lebensjahr
fiel die geringe Beweglichkeit der Beine auf.
Status praesefis. Patientin gut genährt, kräftig gebaut, Fontanellen ge^
schlossen, der Schädel erscheint etwas gross.
Die oberen Extremitäten verhalten sich vollkommen normal, bind aktiv und
passiv frei beweglich, die Sehnenreflexe lebhaft, aber nicht erhöht.
Geistige Funktionen, Gesicht , Gehör und Sprache normal.
Die unteren Extremitäten in der Rückenlage leicht im Knie gebeugt, addu-
ciert, zeigen deutliche Rigidität und Versteifung in sämmtlichen Gelenken.
Zeitweilig Dorsalflexion der grossen Zehen.
Die Patellarsehnenreflexe gesteigert.
Beim Gehversuch — mit Unterstützung — Fussspitzengang mit gegen
einander gepressten Knien, exquisit spastisch.
Andere Fälle von reiner spastischer Paraplegie.
XII. Marie H ., 11 Jahre alt, aufgenommen am 19. Mai 189B.
Patientin stammt von gesunden Eltern, in der ganzen Verwandschaft keinerlei
Nervenleiden; sie hat noch 7 Geschwister, alle gesund, hiervon sind 3 älter und
4 jünger als unsere Patientin. Dio Mutter hat nie abortiert, Gravidität und
Geburtsverlauf normal. Das Kind entwickelte sich normal, konnte im 2. Lebens¬
jahre laufen, erst als das Kind 3 Jahre alt war, konnte man wahmehmen, dass
es mehr auf den Fussspitzen gieng. Das Kind besuchte später die Schule und
machte gute Fortschritte, doch seit dem 6. Lebensjahre wurde ihr Gang immer
schlechter. Das Mädchen besuchte noch bis jetzt die Schule, doch wurde ihr das
Gehen immer schwieriger. Dabei verhielten sich die Funktionen der oberen
Extremitäten, der Sinne, die Sprache und Intelligenz durchaus normal. Niemals
hatte sie Fraisen, Sphincteren und Sensibilität ungestört.
Die Untersuchung ergab bis auf das Vorhandensein eines vollkommen kom¬
pensierten Herzklappenfehlers und abgesehen von der Motilitätsstörung der Beine
durchaus normale Verhältnisse: Sprache, Intelligenz, Sinnesfunctionen, Function
*) Freud 1. c.
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346
Prof. Dr. F. GangUofner.
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der oberen Extremitäten vollkommen wie bei gesunden Kindern, auch kein Strabis¬
mus, keine Steigerung der Reflexe an den oberen Extremitäten.
Der Gang der Patientin ist hingegen bedeutend gestört; sie geht mit ge¬
beugten Knien, tritt nur auf die Fussspitzen auf, die Füsse werden langsam vor¬
wärts bewegt, die Oberschenkel sind nach einwärts rotiert Beim Heben des
Fasses bemerkt man stets Dorsalflexion der grossen Zehe. Passive Bewegungen
der Beine begegnen keinem auffälligen Widerstand.
Die Patellarsehnenreflexe hochgradig gesteigert (mehrere Zuckungen nach
einem Schlag), deutlicher Fussklonus. Die Sohlenreflexe schwach, die Baucbreflexe
lebhaft. Die Sensibilität an den Beinen bezüglich aller Qualitäten normal.
XHI. Aloiaia K„ 12 Jahre alt, aufgenommen am 5. März 1896.
Patientin soll immer gesund gewesen sein bis zum vollendeten 11. Lebens¬
jahre. Erst vor ’/•* Jahren, also zu Beginn des 12. Lebensjahres begann sie schlecht
zu gehen und nahm die Gehstörnng sichtlich immer mehr zu. Sie stammt von
gesunden Eltern, wurde normal geboren, auch die Geschwister sind alle gesund.
Sprache und Intelligenz encheint normal, doch soll sie in der Schule den
gleichaltrigen Kindern nachstehen. Die oberen Extremitäten functionieren gut,
doch sind die Sehnen- und Periostreflexe an denselben sichtlich erhöht
Der Gang der Patientin ist sehr steif, sie geht auf den Fussspitzen mit
etwas vorgebeugtem Oberkörper. Die Patellarsehnenreflexe stark gesteigert, auch
Fussklonus auslösbar. Bei passiven Bewegungen der Beine starke Mnskelspannungen.
Derartige Fälle, wie die beiden letzten von mir mitgetheilten,
legen immerhin die Frage nahe, ob es sich da nicht doch um
primäre Rückenmarkserkrankung handeln könne.
Sie scheinen sich übrigens von der allgemeinen Charakteristik
der reinen Paraplegien cerebralen Ursprungs auch in mehrfacher
Beziehung zu entfernen. Einmal unterscheidet sie das späte Auf¬
treten der Krankheitssymptome, welche ohne interkurrierende akute
Erkrankung oder anderweitige nachweisbare Schädlichkeit ganz
allmälig sich einscbleichen und mit den Jahren an Intensität zu¬
nehmen. Es fehlt bei diesen beiden Fällen auch das ätiologische
Moment der Frühgehurt, auf welches gerade bei den reinen spasti¬
schen Paraplegien cerebraler Natur vielfach Gewicht gelegt wird.
Eher nähern sie sich den hereditären Fällen, wie sie jüngst Erb
beschrieben und als spastische Spiralparalysen aufgefasst hat,
welchen eine Degeneration der Pyramidenbahnen, bezw. Seiten¬
stränge in der unteren Rückenmarkshälfte zu Grunde liegen dürfte.
Von allen meinen Beobachtungen eignet sich keine einzige zur
Entscheidung der von Erb aufgeworfenen Frage, da ich ebenso¬
wenig wie andere diesen Gegenstand bearbeitende Autoren über
einen Sectionsbefund bei ganz reiner paraplegischer Starre verfüge.
Sehr beachtenswert erscheint mir indess eine von Erb selbst
in dem betreffenden Aufsatze berührte Möglichkeit.
Erb supponiert zwar in seinen Fällen eine Degeneration im
Bereich der Seitenstränge der unteren Rückenmarkshälfte, hält es
jedoch für möglich, dass dieselbe doch von einer mangelhaften
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Weitere Mittheilungen über cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter. 347
Thätigkeit und Leistung der trophischen Zellen im Gehirn bezw.
des ganzen motorischen Neurons EL Ordnung abhängt, also in diesem
Sinne secundär ist. Es könnte sich dabei — sagt Erb — um eine
functionelle Störung des ganzen Neurons um eine Functionsschwäche
desselben bezw. der dasselbe bildenden Zellen handeln, die jedoch
zunächst ihren anatomischen Ausdruck nur in den distalen am
meisten entfernten Abschnitten des Nervenfortsatzes findet. Das
ausschliessliche Ergriffensein der Neurone für die unteren Extremi¬
täten erklärt Erb dadurch, dass sie in der Entwickelung am meisten
zurückstehen, daher leichter erkranken, vielleicht auch deshalb, weil
sie am frühesten und intensivsten zu functionellen Leistungen
(Gehen, Laufen) herangezogen werden.
Der Auffassung, dass auch der sogenannten primären Degene¬
ration der Pyramidenseitenstrangbahn eine krankhafte Veränderung
der Gehirnrinde zu Grunde liegt, gibt von Lenhossek 1 ) bestimmten
Ausdruck indem er diesbezüglich sagt: „Hier muss es sich um eine
primäre, leichte, mit unseren bisherigen Hilfsmitteln kaum nach¬
weisbare Alteration der corticalen Pyramidenzellen handeln, wo¬
durch sie in der trophischen Unterstützung, die sie ihrem als Pyra¬
midenfaser durch Hirn und Rückenmark absteigenden Axon zu
Theil werden lässt, beeinträchtigt wird“.
Für eine solche Entstehung scheinbar primärer Rückenmarks¬
veränderungen spricht auch eine von meinen vorstehend mitge-
theilten Beobachtungen. Bei dem, das zweijährige Kind Marie T.
(Nr. 35 der Tabelle) betreffenden Falle von spastischer Lähmung
der Beine und choreatisch-ataktischer Bewegungsstörung der
oberen Extremitäten fand sich im Rückenmarke nur Faserarmuth
der Pyramidenbahnen, die Hirnrinde erschien, so weit sie mikro¬
skopisch untersucht wurde, normal. Auch da drängte sich eine
analoge Deutung dieses Befundes auf, nämlich die, dass gleichwol
eine krankhafte Veränderung der Hirnrinde vorliegen dürfte, welche
die trophische Function derselben beeinträchtigt hat. Diese func¬
tionelle Unzulänglichkeit der Rindenzellen wäre vielleicht den
Agenesien leichten Grades anzureihen. Die hierdurch bedingte Faser¬
armuth der Pyramidenbahnen kann sodann unter Umständen zur
Sklerose derselben Veranlassung geben, da die Gliazellen sich gegen¬
über einer Atrophie oder einem degenerativen Ausfall von Nerven-
substanz im Rückenmarke ausserordentlich empfindlich und reaktions¬
fähig zeigen, wie dies von Lenhossek*) neuerdings ausführt. Man
*) Der feinere Ban des Nervensystems im Lichte neuester Forschungen.
Berlin 1896, pag. 115.
*) v. Lenhossek , 1. c.
Zeitschrift für Heilkunde. ’
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pag. 246.
XVII.
23
Original fro-m
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348
Prof. Dr. F. Ganghofner.
wird dann — sagt dieser Autor — „progressive Veränderungen an
den Stützzellen nie vermissen, wodurch jene regressiven Vorgänge
gleichsam kompensiert werden“. Dies dürfte insbesondere für das
Gliagewebe im Centralnervensystem des Kindes Geltung bean¬
spruchen.
Aus den vorstehenden Beobächtungen und Darlegungen seien
schliesslich einige der wichtigeren Ergebnisse in Nachfolgendem
zusammengefasst.
1. Die traumatische Einwirkung des Geburtsaktes auf ein vor¬
her gesundes Gehirn kommt bei der Entstehung der cerebralen
Lähmungen wol selten an sich allein in Frage; als ein sehr wesent¬
licher Factor erscheint hierbei die vom mütterlichen Organismus
beeinflusste Gehirnentwickelung des Foetus.
2. Die anamnestischen Erhebungen drängen dahin, der here¬
ditären Lues eine hervorragende Rolle in der Aetiologie der con¬
genitalen spastischen Lähmungen anzuweisen.
3. Nach den Ergebnissen einzelner Sectionsbefunde scheinen
insbesondere Sklerosen des Gehirns und Rückenmarks, welche früh¬
zeitig, oft schon intrauterin einsetzen, unter dem Einfluss der here¬
ditären Lues zu Stande zu kommen.
4. Die mikroskopische Untersuchung des Centralnervensystems
von Fällen cerebraler Kinderlähmung, welche aus dem Fötalleben oder
aus der ersten Zeit des Extrauterinlebens datieren, lehrt, dass die
betreffenden Hirnläsionen (insbesondere jene der Hirnrinde) Agenesien
der Pyramidenbahnen (meist nur partielle) zur Folge haben, welche
in einer Verminderung der Faseranzahl, vielleicht auch in abnormer
Schmalheit der Fasern, ihren anatomischen Ausdruck finden. Die
spastische Lähmung beruht auf der dadurch bedingten Leitungs¬
störung in dem corticospinalen motorischen Neuron. Es gibt jedoch
Fälle, wo krankhafte Veränderungen im Bereich der Pyramiden¬
bahnen mit den bisherigen Hilfsmitteln nicht gefunden wurden.
Man muss dann vorläufig annehmen, dass gleichwol eine fundioneUe
Insufficienz der Pyramidenbahnen vorliegt oder, dass bei erhaltener
normaler Leitung in denselben in Folge der Gesammtschädigung
des Gehirns durch die Läsion der normale hemmende Einfluss des
Gehirns auf die spinalen Reflexcentren ausgefallen ist.
5. Es gibt andererseits Fälle mit dem Symptomenkomplex
der spastischen Cerebrallähmung, wo sich Faserarmuth der Pyra¬
midenbahn im Rückenmark findet, jedoch das Gehirn und speziell
die Hirnrinde sich bei mikroskopischer Untersuchung als anscheinend
normal erweist. Bei der unzweifelhaften Abhängigkeit der Pyra¬
midenfasern von ihren trophischen Centren, den Pyramidenzellen
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Weitere Mittheilungen Uber cerebrale spastische Lähmungen im Kindesalter. 349
der Hirnrinde, deren Nervenfortsätze sie darstellen, muss hier
gleichwol an eine, vorerst nur als functioneil zu bezeichnende
Anomalie des Gehirns gedacht werden, wofür auch die klinischen
Erscheinungen sprechen.
6. Meine Beobachtungen bestätigen die von verschiedenen
Autoren angeführte Thatsache, dass intrauterin entstandene
spastische Cerebrallähmungen häufig erst gegen Ende des ersten
Lebensjahres manifest werden.
7. Bei einer Anzahl von Fällen cerebraler Kinderlähmung
ergibt die Section Sklerose des Gehirns und Rückenmarkes; mög¬
licherweise ist manchmal die Sklerose des Rückenmarkes jener des
Gehirns coordiniert und gibt es in diesem Sinne eine cerebro¬
spinale Kinderlähmung Die Hirnsklerose ist häufig eine circum-
scripte und nicht selten auf das Marklager beschränkt oder in
diesem wenigstens am stärksten entwickelt. Die Ventrikel sind
mehr weniger erweitert, ihr Ependym verdickt und granuliert.
Bei der Entstehung dieser Sklerosen dürften Lues und akute In-
fectionskrankheiten (auch der Mutter) nicht selten betheiligt sein.
Auf Agenesie beruhende Faserarmuth der Pyramidenbahnen
kann zur Sklerose Veranlassung geben, da die Gliazellen auf einen
Ausfall von Nervensubstanz mit progressiven Veränderungen
reagieren.
8. Fälle von reiner spastischer Paraplegie im Sinne von Erb
ohne Betheiligung der oberen Extremitäten und der Gehirn¬
functionen mit vollständig normaler Sprache und Intelligenz und
ohne Strabismus sind verhältnismässig selten. Die Möglichkeit,
dass dieselben auf einer primären Erkrankung der Pyramiden¬
bahnen bezw. Seitenstränge in der unteren Rückenmarkshälfte be¬
ruhen, ist nicht von der Hand zu weisen, jedoch bisher nicht durch
Sektionsbefunde erhärtet. Wahrscheinlich ist auch für diese Fälle
eine mangelhafte Leistung der trophischen Zellen im Gehirn ver¬
antwortlich zu machen.
23*
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Tabellarische Uebersicht von 54 Fällen
cerebraler Kinderlähmung.
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Original frnm
UNIVERSITY OF CALIFOF
JIA
(Aus der Kinderklinik des Herrn Prof. Alois Epstein an der deutschen
Universität in Prag.)
ÜBER EINE NEUE KLINISCHE METHODE ZUR
BESTIMMUNG DER BLUTALKALESCENZ UND ÜBER
UNTERSUCHUNGEN DER BLUTALKALESCENZ BEI
KINDERN.
Von
Du. NICOLAUS BEBEND,
erstem Secundftrarzt des Stephanio-KinderapitalcB zu Budapest.
(Hierzu 2 Abbildungen und 4 Tabellen im Texte.)
Die noch unentschiedene Frage, in welchem Grade die alkalische
Reaction des lebenden Blutes und deren Schwankungen durch die
körperlichen Vorgänge beeinflusst werden, hat Physiologen, wie
auch Kliniker vielfach beschäftigt und sind namentlich in letzter
Zeit sehr werthvolle Untersuchungen über die Alkalescenz-Ver-
bältnisse des Blutes veröffentlicht worden. Manche dieser Unter¬
suchungen haben aber den Fehler, dass sie für die Klinik ent¬
weder gar nicht oder nur sehr schwer verwendet werden können.
Die Resultate der bisherigen klinischen Untersuchungsmethoden
sind auch wegen der später anzuführenden Gründe in der letzten
Zeit sehr anfechtbar geworden. Das ist auch die Ursache, dass
in dieser Hinsicht die klinische Beobachtung weit hinter den aus
Thierexperimenten gewonnenen Resultaten steht und dass die
Untersuchungsmethoden der Blutalkalescenz, welche schon manche
Wandlung erfahren haben, an Genauigkeit selbst hinter anderen
Blutuntersuchungsmethoden zurückstehen. Und das will viel sagen,
wenn man bedenkt, dass fast die ganze klinische Untersuchung des
Blutes ihre grossen Mängel hat. Man braucht z. B. nur auf die
Blutkörperchenzählung oder an die Hämoglobin-Bestimmung zu
denken, bei welchen die aus den klinischen Untersuchungen ge¬
wonnenen Schlüsse nur mit der grössten Reserve und nur auf
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352
Dr. Nicolaus Bereud.
Grund sehr vieler Zahlen und Controlproben zu verwerthen sind.
Nun haben aber die klinischen Blutalkalescenz-Untersuchungs-
methoden auch noch den Nachtheil gegenüber den vorerwähnten, dass
sie jedenfalls etwas grössere Blutmengen erfordern, wenn sie auf
Genauigkeit einen Anspruch machen wollen. Die Gewinnung dieser
grösseren Blutmenge, sei es durch Aderlass, sei es durch Schröpf¬
köpfe, ist umständlich und nicht jeden Tag auszuführen. Weiter
lehren uns manche bisherigen Untersuchungen, dass grosse
Schwankungen der Blutalkalinität bei derselben Person auch schon
innerhalb der physiologischen Verhältnisse bestehen, wie dies auch
mit Sicherheit aus meinen, später anzuführenden Beobachtungen
hervorgeht Es ist ferner festgestellt worden, dass es auf die
Blutalkalinität von Einfluss ist, wann die Untersuchung geschieht;
wir kennen die Beeinflussung derselben durch Muskelarbeit, Er¬
nährungsweise, Salzsäuregehalt des Magens. Ich hoffe auch be¬
weisen zu können, dass die Alkalinität des Blutes selbst unter
denselben Verhältnissen ziemlich grossen Schwankungen ausgesetzt
ist —
Unter Blutalkalescenz-Untersuchungsmethoden verstehe ich
eigentlich nur die Bluttitrationsmethoden, da die Kohlensäure-Be¬
stimmung des Blutes oder die Bestimmung der Aschenbestandtheile
für eine klinische Untersuchung wegen der gebrauchten grossen
Blutmengen nicht in Betracht kommen kann. Sie entsprechen auch
nicht der Blutalkalescenz; die Gasbestimmung wegen der Abhängig¬
keit von dem Athmungsprocess, und die Aschebestimmung schon
aus dem Grunde nicht, weil durch sie nur das mineralische Alkali
des Blutes bestimmt wird. Nun wissen wir aber, dass die
Alkalinitätsschwankungen des lebenden Blutes in erster Reihe von
den complicierten organischen Bestandtheilen abhängen. Das Wenige,
was wir über die Vertheilung der alkalischen Affinitäten im Blute
kennen gelernt haben, ist in erster Reihe den Untersuchungen von
Hofmeister, Kraus, Lehmann, Zunte, Loewy zu verdanken.
Die alte Ansicht, dass die alkalische Reaction des Blutes nur
von seinen Salzen (Mononatriumphosphat, Dinatriumhydrosulphat,
Natriumcarbonat und Dinatriumcarbonat) abhängig sei, hat in mehr
als einer Hinsicht eine Aenderung erfahren. Aus den neueren
Untersuchungen der erwähnten Forscher geht hervor, dass nicht
das ganze Alkali als kohlensaures Alkali im Blute gebunden ist,
sondern dass sehr viel alkalische Affinitäten in den organischen
Bestandtheilen des Blutes, namentlich den Eiweisskörpern, manche
in loser, manche in sehr inniger Bindung im Blute enthalten sind.
Wir wissen ferner, dass manche dieser alkalischen Verbindungen
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Ueber eine neue klinische Methode znr Bestimmung der Blutalkalescenz etc. 353
des Blutes nicht als eigentlich präformiertes Alkali anzusehen sind,
sondern dass sie sich aus dem Zerfalle neutraler Molecülaggregate
bilden . l ) Dieser Zerfall der höher constituierten neutralen Molecüle,
welche zum Theil in alkalische Bestandteile zerfallen, geht im
lebenden Blute unter noch nicht genug studierten Verhältnissen
durch die Kohlensäure vor sich; aber dasselbe geschieht auch unter
dem Einflüsse der titrierenden Säure. Wir wissen aus den Unter¬
suchungen von Zuntz *), dass die Alkalescenz des Blutserums mit jener
des Cruor nicht gleich ist. Durch Kohlensäurewirkung kann man
das Serum reicher, den Cruor ärmer an alkalischen Affinitäten machen.
Diese Schwankungen rühren auch nicht vom mineralischen Alkali
in erster Linie her, sondern von den organischen Bestandteilen,
was dadurch bewiesen ist, dass die Aschebestimmungen des Serum
und des Cruor dieselben Schwankungen nicht aufweisen. Diese
verschieden grosse Alkalimenge im Cruor und im Serum ist aber
auch die Ursache der Alkaliwanderung aus den Blutkörperchen ins
Serum und in die Gewebe des Körpers. Die Ursache der ver¬
schiedenen Alkalispannung in den verschiedenen Blutbestandtheilen
ist nach Lehmann' s 8 ) Ermittelungen darin gelegen, dass das Blut¬
alkali teilweise difiusionsfahig, teilweise aber auch diflusions-
unfähig im Blute gebunden ist, und dass unter gegebenen Verhältnissen
das diffusionsunfähige Alkali der Blutkörperchen durch Kohlensäure
in Carbonate umgewandelt und so difiusionsfahig gemacht werden
kann, was den Austritt desselben aus den Blutkörperchen in das
Serum ermöglicht. Dieses diffusionsunfähige Alkali haben wir aber
nicht nur in den Blutkörperchen, sondern auch in dem Serum selbst,
wie Dialysierungsversuche von Loewy und Zuntz *) beweisen. Diese
Alkalien sind an Eiweiss, Hämoglobin und Nuclein gebunden. Nun
müssen wir aber voraussetzen, dass, wenn die Alkalescenz-
Schwanknngen des Blutes irgend einen Einfluss auf die körperlichen
Vorgänge besitzen, diese Schwankungen eben durch diese complicierten
organischen Verbindungen zu Stande kommen müssen. Es ist nicht
denkbar, dass das anorganische Alkali des Blutes in seiner Zu¬
sammensetzung und Bindung diese Schwankungen aufweisen könnte.
Diese organischen Verbindungen sind auch die Ursache, dass,
während wir durch Aschenanalyse und CO a -Bestimmung des Blutes
so ziemlich nahestehende Kesultate bekommen, diese doch viel
kleinere Zahlen aufweisen als die durch Bluttitration gewonnenen
*) Loewy und Richter. D. med. Wochenschrift 1896; Nr. 14.
*) Hermann, Handbuch der Physiologie, IV. 2. Seite 77.
*) Lehmann, Pflügers Archiv für Physiologie. 68. B.
4 ) Loetcy und Zunix, Archiv für Physiologie. 58. B,
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Original frum
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354
Dr. Nicolans Berend.
Resultate, indem, wie schon erwähnt, durch den Einfluss der
titrierenden Säure die alkalischen Affinitäten des Blutes ans ihren
höher constituierten Verbindungen ebenso frei gemacht werden, als wie
wenn wir das Blut einem starken C0 2 -Strom durch längere Zeit
aussetzen. Die titrierende Säure beeinflusst das Blut aber nicht in
gleicher Weise bei den verschiedenen Titrationsmethoden, was
wiederum zur Folge hat, dass die Autoren mit verschiedenen Titra¬
tionsmethoden sehr verschiedene Resultate erhielten.
Es genügen einige Zahlen, um das zu beweisen:
v. Jaksch *) fand als Normalwerth 0.26—0.30 proc. NaOH.
Kraus*) 0.226 proc. NaOH.
Loewy 8 ) gibt schon höhere Zahlen an: 0.48 - 49 vol. proc-
NaOH.
Tausek*) 0.70—80 proc. NaOH.
Wie wir also sehen, werden die Werthe der Blutalkalescenz
ganz verschieden angegeben. Die Kritik der einzelnen Me¬
thoden legt aber auch den Grund dieser colossalen Differenzen
klar. Bevor ich auf die Methoden selbst übergehe, möchte ich
bemerken, dass man, wie Loewy angiebt, bei fast allen älteren
Methoden, die Werthe je nach der Schnelligkeit der Titration,
nach dem Wärmegrad, bei welchem titriert wird, grösser oder
kleiner gestalten kann. Meine Vergleichsversuche, welche ich
später anführen werde, bezeugen die Richtigkeit der Angabe
Ijoewy' s auch bezüglich der klinischen Methoden. Im allgemeinen
bekommt man andere Werthe schon nach der Wahl des Indicators.
Es ist nicht gleichgiltig, ob das gegen CO* empfindliche Lackmus
oder Lackmoid verwendet wird. Vor allem ist aber die Menge des
zur Untersuchung verwendeten Blutes nicht gleichgiltig. In einer
Arbeit, welche ich im vorigen Jahre mit meinem Freunde Br. Kornel
Preisich „Ueber die Blutalkalescenz der Kinder bei Infections-
krankheiten“ 6 ) unter Leitung meines hochgeehrten Chefs Herrn
Prof. J. Bökai im Stefanie-Kinderspitale zu Budapest gemacht habe,
benützte ich die Methode von meinem hochgeschätzten Freunde
Tauszk, welche mit sehr geringen Blutmengen (1—2 cgr) die Unter¬
suchung zulässt. Ich habe mich aber überzeugt, dass bei dieser
Methode, bei welcher deckfarbiges Blut titriert wird, die Werthe
um so grössere Schwankungen aufweisen, je geringer die zur Unter-
*) Zeitschrift für klin. Medic., Bd. 13.
*) Zeitschrift für Heilkunde, Bd. 10.
*) Pflügern Archiv, Bd. 58.
*) Ungarisches Archiv, 1896.
5 ) Ungarisches Archiv, 1896.
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Ueber eine neue klinische Methode zur Bestimmung der Blntalkalescenz etc. 355
snchnng genommene Blutmenge ist. Andererseits gestaltet sich
aber, wenn grössere Blutmengen verwendet werden, — ich verstehe
darunter schon 5—6 cgr Blut — die Beurtheilung des Ueberganges
sehr schwierig. Es handelt sich bei dieser Methode um Titrierung
des in 0.6°/ o iger Kochsalzlösung aufgenommenen Bluttropfens mit
^ Schwefelsäure und um die Benützung einer Lackmoidlösung als
Indicator, also um eine Umänderung der Methode von Kraus für
klinische Zwecke. Das Blutgewicht wird durch Wägung bestimmt
und so die Alkalescenz aus dem Gewichte berechnet. Nun zeigt
sich aber völlig den Angaben von Loewy entsprechend, auch bei
dieser Titration, dass die Resultate davon sehr abhängig sind, wie
schnell man titriert. Noch bevor wir die Arbeit desselben gelesen,
haben wir bemerkt, dass der Farbenumschlag der Blutlösung ins
Rothe nach der Titration sich oft verliert und die Lösung wieder
einen Stich ins Blaue annimmt Die Experimente von Loewy er¬
klären die Ursache dieses Farbenwechsels. Die Titrirsäure wirkt
nur sehr langsam auf die Blutkörperchen ein und wenn man schnell
titriert, bekommt man einen Farbenumschlag ins Rothe, welcher
aber durch das langsam frei werdende Alkali wiederum verdrängt
wird. Nun ist es sehr schwer zu bestimmen, wieviel Zeit
man für die Titration zu verwenden hat. Es steht aber fest, dass
bei langsamem Zusetzen der Säure fast 2mal so grosse Werthe zu
erzielen sind wie bei dem raschen Titrieren. Die eigentliche Ur¬
sache aber, warum ich die sonst bei Innehaltung der langsamen
Titration ziemlich brauchbare Methode verliess, lag in der Um¬
ständlichkeit. der zweimaligen Wägung, welche auch zu mancher
Fehlerquelle führen kann.
Ich stellte sodann einige Untersuchungen mit anderen Methoden an,
namentlich mit der gebräuchlichsten klinischen Methode von Landois-
Jaksch. Ich will die bekannte Methode nicht wiederum beschreiben,
aber die Resultate, welche ich allerdings nur im Thierversuche
mit dieser Methode bekam, standen an Genauigkeit noch weit hinter
den nach Tauszk gewonnenen zurück. Ich kann in erster Linie
eine Methode nicht als „klinisch“ brauchbar anerkennen, welche
zur Ausführung 5 cm 8 Blut bedarf; noch kann ich die Bestimmung
des zur Einzelprobe verwendeten Blutes mittels der Capillarpipette
als genau bezeichnen. Bei dieser Methode werden nach Landois
in Schälchen, welche mit weinsäure-schwefelsaurem Natron ver¬
schiedener Säureconcentration gefüllt sind, einige Tropfen Blut zu¬
gegeben, welche frisch aus der Fingerbeere mittels Einstiches ge¬
nommen werden; die Reaktion wird mit Lackmuspapier geprüft.
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Dr. Nicolaas Berend.
356
Nun ist mir aber bei Blutproben, welche nur ein oder zwei Tropfen
Blut enthalten haben, eine genaue Reaktion mit Lackmuspapier nie¬
mals begegnet, da, wenn man 1—2 Blutstropfen in 2—3 cm 8 Wasser
auflöst, die alkalische Reaktion nur sehr undeutlich auftritt Man
braucht manchmal zu einer solchen Probe nur einen Tropfen
Schwefel- oder Weinsäure zuzusetzen und die alkalische Reaktion
wird schon neutral. Dass aber das Lackmuspapier, wenn dasselbe
auch, um die Hämoglobin-Diffusion zu verhindern, mit concentrierten
Mittelsalzlösungen getränkt wird, einen brauchbaren Uebergang
nicht darbietet, das kann man am besten beurtbeilen, wenn man
z. B. zu einer solchen „neutralen“ Blutprobe noch ein paar Tropfen
j“, Schwefelsäure zusetzt. Die saure Reaktion kommt nur sehr
allmälig zum Vorschein. Uebrigens komme ich noch auf die
Titration mit dem Lackmuspapier zurück.
Bei der Methode von Landois ist ferner die Untersuchung der
Alkalescenz nur insoweit zulässig, als die Vergleichslösungen aus-
einanderliegen. Zum Beispiel: Mischung Nr. V entspricht 0.18 gr,
Nr. VI 0.21 gr Alkali; was zwischen diesen Lösungen liegt, das
kann natürlicherweise nicht zur Bestimmung gelangen. Ueber die
Abänderung von v. Jaksch, der schon mit 18 Lösungen arbeitet,
also zu 18 Schaden je einen Tropfen des mittels Schröpfköpfen ent¬
nommenen Blutes zusetzt (welches aber inzwischen nicht gerinnen
darf), kann ich nur berichten, dass es mir niemals gelungen ist,
die Gerinnung bis zur Vertheilung des Blutes aufzuhalten. Ausser¬
dem wird bei diesen beiden Methoden das Blut mit Lösungen ge¬
mischt, welche auf das Blut nicht indifferent sind, also die Alkalescenz
auch beeinflussen können. Ausser diesen, nur empirisch erprobten
Fehlerquellen der Methode sind aber auch theoretische Bedenken,
welche gegen die Methode sprechen. „Wird Lackmus als Indicator
verwendet, so ist ein neutraler Punkt streng genommen überhaupt
nicht zu erzielen, weil keines der drei möglichen Alkalisalze der
dreibasigen Phosphorsäure für sich allein und auch kein Phosphor¬
gemenge neutral gegen diesen Farbkörper reagirt“ u. s. w.
(Limbeck). 1 )
Die Methode von Schultz-Schulteenstein a ) habe ich aus dem
Grunde nicht geprüft, weil nach meinen bisherigen Erfahrungen
eine Methode, welche 7.5 mgr Blut benutzt, dessen Entnahme mittels
des aus dem Fleischlschen Hämometer bekannten Capillarröhrchens
geschieht (was unmöglich genau sein kann), und welche zur Titrirang
>) IAml>eck, Klin. Pathologie des Blutes, II. Aull.
*) 1. c.
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Ueber eine neue klinische Methode zur Bestimmung der Blutalkalescenz etc. 357
n.KOH benöthigt, auf Pünktlichkeit keinen Anspruch machen
kann. Man bedenke nur, dass ein Fehler, der bei 7.5 mgr gering
erscheint, kolossale Dimensionen annimmt, wenn man daraus den
Alkalescenzgrad auf 100 cm 8 Blut berechnet — der Fehler wird einige
Tausendmal grösser. Der Methode von Schultz-Schultzenstein aber
gebührt die Anerkennung, dass sie die erste klinische Methode ist,
bei welcher zur Titrirung lackiges Blut verwendet wird.
Durch die Untersuchungen von Loewy wurde eine neue Aera
in der Bluttitration inaugurirt. Der Hauptgrundsatz seiner Methode
ist: Nur die Titration lockigen Blutes giebt Aufschluss über die
Alkalescenzverhältnisse, die Titration deckfarbigen Blutes giebt
unzuverlässige Resultate. Diese Methode kann aber leider, da zu
ihrer Ausführung auch sehr grosse Blutmengen (5 cm*) benöthigt
werden, als klinische Methode nicht in Betracht kommen, übrigens
werde ich im Verlaufe meiner Arbeit auf diese Methode noch
zurückkommen.
Die eben jetzt publizierte Methode von Limbeck,*) wendet
sich auch {der Titration lackigen Blutes zu. Da aber auch hier
5 cm* Blut verwendet werden, so ist auch diese Methode, welche
mir an leichter Ausführbarkeit hinter der Methode von Loewy
zurückzustehen scheint, für klinische Zwecke ebenfalls schwer ver¬
wendbar; persönliche Erfahrungen habeich mit der Methode einst¬
weilen noch nicht gesammelt.
Im Anschluss an die vorerwähnte Arbeit über Blutalkalescenz-
verhältnisse bei Infektionskrankheiten der Kinder ist es mir
wünschenswerth erschienen, die Verhältnisse der Blutalkalescenz
bei Neugeborenen und Säuglingen kennen zu lernen. Herr Prof.
A. Epstein in Prag, stellte mir auf meine diesbezügliche Bitte sein
Material und seine Klinik in der liebenswürdigsten Weise zur Ver¬
fügung. Es sei mir an dieser Stelle erlaubt, dafür meinen innigsten
Dank auszusprechen.
Die Vorarbeiten über die Methodik der Untersuchung machte
ich im pharmakologischen Institute des Herrn Prof. Hofmeister. Für
seine Rathschläge und liebevolle Unterstützung zolle ich ihm, wie
auch seinem Assistenten, Herrn Prof. Pohl, meinen grössten Dank.
Da ich die Alkalescenzverhältnisse bei jüngsten Kindern zu
untersuchen gedachte, brauchte ich jedenfalls eine Methode, welche
mit geringen Blutmengen eine entsprechend genaue Arbeit zulässt.
Da ich aber die Ueberzeugung hatte, dass mit der Verminderung
der verwendeten Blutmenge das Verfahren auch an Pünktlichkeit
] ) Limbeck, 1. c. S. 50.
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358
t)r. Nicolaus Berend.
verlieren wird, bestimmte ich erst durch mehrere Versuche das
Maximum jener Blutmenge, welches durch einen Nadelstich in die
grosse Zehe beim Säugling noch leicht zu gewinnen ist; diese
Blutmenge entspricht 0,10 cm 8 . Diese Menge verwendete ich bei
allen meinen Untersuchungen. Zur Blutentnahme habe ich mich
eines, nach meiner Vorschrift von Reichert in Wien verfertigten,
genau graduierten, grossen Melangeurs bedient. Später aber ver¬
warf ich den Melangeur mit kugeligem Ende und ich benutze jetzt
einen Melangeur von der beigegebenen Form (Fig. 1), welcher überaus
leicht zu handhaben und zu reinigen ist und
mittels dessen die Blutentnahme bei einiger
Uebung sehr leicht und genau geschehen kann.
Es ist rathsam, das Lumen des Melangeurs
etwas über l 1 /? Millimeter zu bestimmen; zu
capillär darf die Röhre auch nicht sein. Der
Melangeur wird mit einem gewöhnlichen Kaut¬
schukschlauch armiert, wie bei dem Blut¬
körperzählapparat. Man kann im Nothfalle
den Melangeur für weisse Blutkörperchen eben¬
falls zur Untersuchung benutzen. —
Ich gieng bei meinen ersten Versuchen
von dem Verfahren von Kraus aus. Das¬
selbe besteht darin, dass eine bestimmte
Menge Blut in 0.6 % Kochsalzlösung zehnfach
verdünnt und nach Absetzen der Blutkörperchen
ein aliquoter Theil des verdünnten Serums mit
Schwefelsäure titriert wird. Als Indicator
dient eine alkoholische concentrierte Lackmoid-
lösung. Kraus bestimmte mittels dieses Ver¬
fahrens die normale Alkalescenz auf 0.22 Volumenprocente NaOH
und stellte mit demselben auch mehrere Untersuchungen bei ver¬
schiedenen Krankheitsformen an, wobei er sich auch einer Menge
von 5 cm 8 Blut bediente. Eigentlich hat das Verfahren im Anfang
nur zum Thierexperimente gedient und benutzte hierbei Kraus
50 cm 8 Blut, welches er auf 500 verdünnte.
Ich benutzte zu meinen Untersuchungen, wie erwähnt, 0.10 cm®
Blut, welches ich in 10 cm 8 0.6 °/ 0 iger Kochsalzlösung aufgefangen
habe. Schon die Blutentnahme kann ihre Schwierigkeiten haben.
Es ist nicht zweckmässig, das Blut stark nachzudrücken, da auf
diese Weise kein wirkliches, sondern ein mit Grewebssäften ver¬
dünntes Blut gewonnen wird, welches relativ mehr Serum und
weniger körperliche Bestandteile enthält. Dadurch kamt schon im
Fig. l.
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Ueber eine neue klinische Methode zur Bestimmung der Blutalkalescenz etc. 359
Beginne ein Fehler verursacht werden, indem der Alkalescenzgrad
der Gewebssäfte demjenigen des Blutes nicht gleichgestellt werden
kann. Bei einiger Uebung gelingt es aber auch bei Säuglingen,
ohne nachzudrücken, eine genügende Menge Blutes zu gewinnen.
Bei grösseren Kindern, welche über drei bis vier Monate alt sind,
wird dies aber im Allgemeinen ohne Schwierigkeit gelingen.
Die Verwendung der 0.6 °/ 0 igen Kochsalzlösung als conser-
vierende Flüssigkeit hat ebenfalls zu einigen Vorversuchen genöthigt,
welche die Isotonie des Säuglingsblutes betreffen. Dass die 0.6 °/ 0 ige
Kochsalzlösung für Erwachsene nicht als isotonisch angesehen
werden kann, ist in der neueren Zeit festgestellt worden {Ham¬
burger, Bleubtreu ) 1 ). Einige Versuche, welche ich selbst mit Säug-
lingsblut in dieser Richtung gemacht habe, und namentlich die
Untersuchungen des Herrn Dr. Toch, Assistenten der Kinderklinik,
der so gütig war, mir seine Ergebnisse mitzutheilen, haben aber ge¬
zeigt, dass die 0.6 °/ 0 ige Kochsalzlösung für Kinder oder Säuglinge
immer als hypertonisch angesehen werden kann, und dass die lso-
toniegrenze meist zwischen 0.45—0.5 °/ 0 Kochsalzlösung schwankt.
Die Untersuchung ist in dieser Richtung jedenfalls nothwendig ge¬
wesen, da es nicht gleichgültig sein kann, ob das Volumen der
Blutkörperchen sich verändert oder nicht.
Auf den Rath des Herrn Prof. Hofmeister habe ich nun diese
Blutkochsalzlösung centrifugiert; dadurch erhielt ich eine fast un¬
gefärbte, ganz durchsichtige, reine Serumlösung, welche nun mit
Hilfe von Lackmoid mit einer HjS 0 4 Lösung titriert wurde. Ich
muss das Lackmoid doch als den besten Indicator
für die Titration von Blutlösungen anerkennen. Es
ist aus chemischen Gründen sehr gut verwendbar und
wenn auch sein grösster Fehler, dass der Umschlag
bei Sättigung nicht ganz plötzlich erfolgt, nicht zu
leugnen ist, so sehen wir bei Titration von Blut¬
lösungen denselben Fehler auch bei allen anderen
Indicatoren.
Ich will noch bemerken, dass ich zum Centri-
f'ugieren Röhren von 10—15 cm 8 Inhalt benutzte, die
in ein kugeliges Ende auslaufen, damit sich daselbst
das Sediment absetzen kann. Die Kugel selbst soll
aber klein sein und höchstens 0.20 cm 8 fassen, wo¬
rauf ich noch zurückkomme (Fig. 2).
J ) Limbeck, 1. c.
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Dr. Nicolaas Berend.
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In diese Centrifugierröhre werden nun mittelst einer Pipette
10 cm 8 0.6 °/oige Kochsalzlösung abgemessen und in derselben der
das Blut enthaltende Melangeur ausgewaschen. Durch ein mehr¬
maliges Ansaugen kann man so den Melangeur viel vollständiger
vom Blute entleeren, als wenn man noch im Melangenr selbst das
Blut mit der Kochsalzlösung versetzt. Von dem letzteren Verfahren
bin ich später sowol wegen der schwereren Reinigung als auch
wegen der grösseren Möglichkeit, einen Tropfen der Lösnng durch
Abtropfen zu verlieren, abgekommen.
Da wir wissen, dass nicht nur in den Blutkörperchen, sondern
auch im Serum selbst schwer diffusibles Alkali sich befindet,
welches auch nur durch langsames Titrieren aus seinen Kohlen¬
säure- oder organischen Verbindungen losgelöst wird, so habe ich
es für richtiger gehalten, nicht die einfache Titration mit Schwefel¬
säure anzuwenden, sondern nach Zusatz von überschüssiger Säure
mit einem genau auf die Säure gestellten NaOH auf die blaue
Farbe zurückzutitrieren.
Diese Ansicht, dass die Zurücktitration zur Bestimmung ge¬
eigneter sei, findet auch eine Stütze in der vorerwähnten neuen
Arbeit v. Limbecks, welcher ebenso verfahrt.
Es seien hier einige Resultate der Titrierung mit Schwefel¬
säure allein oder mit Natronlaugezusatz (Doppeltitration) angeführt,
welche mich zu dieser Methode bestimmt hatten:
Versuch 1. 0-1 cm* Blut von Erwachsenen auf 10 Proben:
1) 5 Proben nur mit ~ H 4 S0 4 titriert,
brauchen: 0.30, 0.35, 0.33, 0.36, 0.36 Säure.
2) 6 Proben übersäuert, zurücktitriert,
brauchen: 0.35, 0.345, 0.35, 0.365, 0.34 Lange.
Es ist daraus leicht zu ersehen, dass sich die Resultate der
Doppeltitration viel günstiger gestalten als mit dem einfachen
Säurezusatz. Durch Zusatz der überschüssigen Säure erreichen
wir aber nicht nur die genauere Abmessung der Alkalescenz,
sondern haben ausserdem den Vortheil, dass wir viel schneller im
Stande sind, die Titration auszuführen. Wenn man nach Zusatz
überschüssiger Säure das Gemenge durch einige Minuten oder noch
besser nach Umrühren mit einem Glasstab, stehen lässt, so voll¬
zieht sich in demselben die Abspaltung sämmtlicher alkalischer
Affinitäten. Es wird das ganze Bindungsvermögen des Blutes
gegen H a S0 4 ausgenützt und die Kohlensäure ausgetrieben. Nun
sind wir beim Zurücktitrieren nicht an das langsame Zusetzen der
Lauge gebunden, sondern können in 1—2 Minuten mit der Titra-
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Ueber eine neue klinische Methode zur Bestimmung der Blntalkalesccnz etc. 3(51
tion fertig werden. Es ist eher gerathen, schnell zu titrieren, um
eine neue Kohlensäurebindung zu verhindern.
Dass bei diesem Verfahren die Neutralisation vollständig er¬
folgt, zeigt folgender Versuch:
Versuch 2. 0.10 Kaninchen-Blut verbraucht beim Titrieren mit HjSO<
0.15 Säure; die rothe Farbe der Probe verliert sich nach
einer Stunde vollständig, wogegen eine andere Probe, welche
beim Zuröcktitrieren 0.20 Lauge verbraucht hat, in einer
Stunde die Farbe nicht wechselt.
Dieser Versuch entspricht völlig den Daten, welche Loewy
beim Thierexperimente gefunden, indem er das deckfarbige, früher
neutralisierte Blut nach einigen Stunden wieder alkalisch fand.
Dass in diesem Falle die Neutralisation durch den Gebrauch
der überschüssigen Säure wirklich eingetreten war, ist dadurch
bewiesen, dass 5 cm 8 reines Blutserum von demselben Kaninchen
mit Lackmuspapier und Doppeltitration austitriert, auch nach
3 Stunden dasselbe Verhalten zeigte, und dass die Titration des
reinen Serums mit einer Differenz von 3 egr dem Resultate der
Serumtitration von 0.10 gr Blut (auf 100 cm 8 berechnet) gleichkam.
Bei meinen späteren Untersuchungen bewog mich der Umstand,
dass sehr leicht ein Tropfen oder ein halber Tropfen der Lauge
im Ueberschuss zugesetzt werden kann, und dies schon eine nam¬
hafte Fehlerquelle bildet, die Säuretitration zu einer Controlprobe
zu verwenden, in der folgenden Weise: Die mit Lakmoid blau-
gefärbte Blutlösung wird langsam und unter stetem Umrühren mit
Schwefelsäure soweit versetzt, dass eine deutlich beginnende Roth-
färbung das Ende der Reaktion verräth. Die verbrauchte Säure¬
menge wird notiert und jetzt noch 5—6 Tropfen Säure der Probe
zugesetzt. Nach einigen Minuten titrieren wir mit der Lauge
zurück. Die Differenz zwischen der verbrauchten Lauge muss bei
pünktlicher Titration dem Säurewerthe entsprechen, wenn von
demselben der letzte überschüssige Tropfen (0.05 cm 8 ) abgerechnet
wird. So wird eine Blutprobe eigentlich zweimal titriert und wir
haben dadurch eine Controlprobe in der Hand, nach welcher wir leicht
beurtheilen können, ob das Verfahren gut ausgeführt wurde oder
nicht. Wenn der Unterschied zwischen den beiden Titrations¬
ergebnissen grösser sein würde als 0.10 cm 8 Lauge, so ist die
Probe als ungenau lieber gar nicht zu verwenden. Nun finden
sich aber Differenzen nur in dem Falle, wenn die Schwefelsäure
sehr schnell zugegeben war oder wenn man noch nicht die ge¬
nügende Uebung im Titrieren hat. Wenn man aber immer auf
dieselbe Farbennuance titriert, bekommt man auch immer gleiche
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362
Dr. Nicolaus Bereud.
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Werthe, vorausgesetzt, dass ein Untersuchungsfehler nicht stattr
gefunden hat Eine genaue Uebung im Titrierverfahren von Blut¬
lösungen ist aber nothwendig, da der Uebergang selbst bei dem
reinen Serum erst auf 2—3 Tropfen erfolgt. Eben dieser lang¬
same Uebergang hat mich bei späteren Untersuchungen bewogen,
statt Lösungen ^ normale zu benützen. Ich wurde durch mehrere
Proben überzeugt, dass, wiewohl man dann mit Lösungen von
stärkerer Concentration titriert, der so entstandene Fehler durch
die genauere Beurtheilung der Farbenübergänge mehr wie auf¬
gewogen wird. So bin ich schrittweise dazu gekommen, mit dieser
Serumtitration einige Untersuchungen an Kindern zu machen. Ich
bekam aber so schwankende Ergebnisse bei demselben Blute, dass
ich nochmals genöthigt wurde, die Methodik durchzuprüfen. Es
stellte sich dabei heraus, dass nicht nur der der Methode jeden¬
falls anhaftende Fehler, dass das Verhältnis von Serum und übrigen
Blutbestandtbeilen nicht immer gleich ist, die alleinige Schuld
an der grossen Verschiedenheit der Werthe trägt, sondern dass
durch Schütteln oder Stehenlassen die Alkaleseenz dieser Blutr
proben bedeutend beeinflusst wurde. Dadurch wurde ich zu Ver¬
suchen in dieser Richtung hin genöthigt, welche folgendes Er¬
gebnis hatten:
Versuch 3. 8 Blutproben von demselben Manne:
1) 8 Proben ohne Stehen und Schütteln, brauchen:
0.26, 0.26, 0.26 cm* ^ Lauge.
2) 3 Proben, stark geschüttelt, brauchen: 0.36, 0.36, 0.36.
3) 2 Proben, geschüttelt und auf 87° erwärmt, brauchen:
0.38, 0.885 cm* ”, Lauge.
Wie wir sehen, stehen die Werthe sehr weit aus einander.
Die Grösse der verbrauchten Lauge kann aber noch höher steigen,
wenn man das Gemenge mehrere Stunden stehen lässt, und dasselbe
vor dem Zentrifugieren noch mehrere Male schüttelt. Eine Probe von
demselben Blute, wie bei Vers. 3, hat unter diesen Verhältnissen
zur Neutralisation 0.45 Lauge verbraucht. Ich wiederholte diesen
Versuch mehrere Male, immer mit demselben Resultate; dagegen
bekam ich feste Werthe, wenn ich die Probe nach der Entnahme
einmal durchgeschüttelt und dann zentrifugiert hatte. In dieser
Weise entsprach z. B. die Hälfte eines Blutgemenges von 0.10
Blut und 10 cm 8 Kochsalz 0.35—0.37 cm 8 Säure (Erwachsener,
1 Stunde nach der Mahlzeit) Nach der Zentrifugierung ist diese
grosse Veränderlichkeit der Proben nicht mehr zu constatieren und
wenn man eine sofort nach Entnahme zentrifugierte Probe selbst
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U eber eine neue klinische Methode znr Bestimmung der Blutalkalescenz etc. 363
24 Stunden stehen lässt, kann man auch nur eine sehr kleine Zu¬
nahme der Serumalkalescenz constatieren. Man muss daher auch
in dieser Hinsicht in völlig gleichartiger Weise verfahren, wenn
man die Resultate vergleichen will.
Die Zahlen, welche ich nun mit Berücksichtigung aller dieser
Thatsachen fand, waren allerdings ziemlich constant; da aber in
dieser Weise eigentlich nur relative Schwankungen der Alkalescenz-
Verhältnisse zu erhalten wären, so gäbe diese Methode gar keinen
Aufschluss über die wirkliche Serumalkalescenz, noch weniger aber
über die Totalalkalescenz-Verhältnisse des Blutes. Denn es ist
leicht zu verstehen, dass die so gewonnenen Werthe der Serum¬
alkalescenz nicht entsprechen, weil sie viel grösser ausfallen, als
dieselbe thatsächlich ist. Andererseits entsprechen sie auch nicht
der Totalalkalescenz, da die letztere, wie wir aus den Unter¬
suchungen von Loewy wissen, wieder viel grösser ist (So fand
z. B. Loewy die Total-A. 480—490 mg pro 100 cm® Blut, ich fand
nach diesem Verfahren nur 300 mg.) Ich beschloss daher eine Unter¬
suchungsmethode auszuarbeiten, welche die Bestimmung der Total¬
alkalescenz des Blutes für klinische Zwecke ermöglicht, womöglich
so, dass dabei eventuell auch das Verhältniss der Alkalescenz des
Serums zu jener der Blutkörperchen bestimmt werden könnte.
Ich ging von der Methode Loewy's aus, welche auch mir im
Thierexperimente gute Dienste geleistet hatte und von deren Genauig¬
keit ich mich überzeugt habe. Ich entnahm auf die beschriebene
Weise 0.10 cm® Blut, welches in 5 cm* Ammonoxalatlösung (0.20 °/ 0 )
sofort lackig wurde und vermochte mit Hilfenahme von Lackmus¬
papier es auszutitrieren. Ich war aber nicht im Stande, einen Ueber-
gang beobachten zu können und kann wiederum die Angabe des ge¬
nannten Autors nur bestätigen, der ausdrücklich betont, „dass es
ihm überhaupt schwer fiel, auf diese, bei Landois , v. Jaksch und
Drouin ausführlich beschriebene Weise (kleine Blutmengen) über
die Farbenveränderung des Lackmuspapiers einen Einblick zu ge¬
winnen.“ Welche grosse Schwankungen bei solcher Titration die
einzelnen Proben aufweisen, zeigt folgendes Experiment:
Yersnch 4. 20 cm* Ammonoxalatlösung -f 0.40 Blut braucht 0.84 H,S0 4
10 cm* „ -j- °-20 „ „ 0.70 H,S0 4
6 cm* „ -j- 0.10 „ „ 0,40 H,80 4
Da das benutzte Lackmuspapier, welches aus dem Laboratorium
des Herrn Prof. Huppert stammte, über alle Zweifel erhaben ist,
musste ich daran denken, dass die Ammonoxalatlösung selbst kein
geeignetes Mittel für die Titration so geringer Blutmengen ist.
Dass dies wirklich der Fall ist, zeigt die Titration der reinen
Zeitschrift für Heilkunde. XVII.
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24
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364
Dr. Nicolaus Berend.
Ammonoxalatlösung mit Lackmoid. Eine, gegen Lackmuspapier sieb
neutral verhaltende Ammonoxalatlösung braucht 3—4 Tropfen der
Säure oder Lauge, bis sie ihre Farbe wechselt, und selbst dann ist
der erzielte Farbenumschlag noch sehr schwer zu beurtheilen. Das¬
selbe sehen wir aber, wenn wir die Reaktion einer Ammonoxalat¬
lösung mittelst Lackmuspapier nach Zugabe einiger Tropfen Säure
oder Lauge prüfen; der Farbenwechsel ist nur sehr schwer zu be-
urtheilen. Dass die Ammonoxalatlösung kein geeignetes Mittel für
die Titration geringer Blutmengen ist, zeigen noch folgende Daten:
Versuch 5. 1) 6 cm* A.-O.-Lösung -f- 0.1 cm* Blut ■+• 1.2 cm* ELSO,
verbraucht: 1.1 cm* Lauge (Lackmuspapier).
2) & cm* A.-O.-Lösung -f 0.20 cm* Blut braucht 3.0 cm* ~
Säure (!). (Die Serumalkalescenz des verwendeten Blutes
ist 0.24 gr (Lackmuspapier).
3) Die vorige Probe braucht beim Zurücktitrieren 2.5 cm*
Lauge; die Totalalkalescenz entspräche also in der Control¬
probe 0.50 cm* Lauge = 0.20 gr — das ist eine geringere
Zahl als jene der Serumalkalescenz.
4) Ebensolche Probe, mit Lackmoid titriert, braucht 0.80 cm*
Säure, beim Zurücktitrieren 0.60 cm* Lauge.
Diese Resultate ermuthigten keineswegs in dieser Richtung
fortzufahren. Dass auch das Lackmuspapier für so kleine Blut¬
mengen ganz unbrauchbar ist, zeigen noch die folgenden Daten:
Versuch 6. 1) 5 cm* Wasser -f- 0.06 cm* Blut verändert die rothe Farbe
des Lakmuspapieres nicht, es verbraucht 0.20 cm* Säure
zur Böthung des blauen Papiers.
2) 6 cm* Wasser -+- 0.10 cm* Blut, mit überschüssiger Säure
versetzt, braucht bis zum Blauwerden des rothen Papiers
1.2 cm* Lauge. (Die zugesetzte Säure betrug 1.1 cm* —
hier ist also das Blutalkali gar nicht ersichtlich.)
Ich verwarf also sowol das Ammonoxalat wie auch das Lackmus¬
papier und machte das Blut durch Zusatz relativ grosser Mengen
Wasser lackig, wie dies auch Loewy gemacht hatte:
Versuch 7. 1) 5 cm* Blutwasserlösung (0.20 Blut) verbraucht 0.66 Säure
(Lackmoid). Beim Zurücktitrieren ist die Differenz 0.62
Lauge. Dies entspricht circa 0.496 gr. Alkali, was mit
dem Resultate Loewy' s übereinstimmt.
2) Dieselbe Menge Blut braucht bei einer anderen Titration
0.72 Säure. Beim Zurücktitrieren nach Zusatz über¬
schüssiger Säure ist die Differenz 0.64 Lauge.
3) 0.10 Blut in Wasserlösung braucht bei Doppeltitration
0.30 Lauge.
Die Serumalkalescenz des verwendeten Blutes ist 0.24
gr Alkali.
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lieber eine iieac klinische Mothode zur Bestimmung der Blutalkalescenz etc. 3(35
Da Loewy bei einzelnen Versuchen ebenfalls Wasser, allein
oder mit Glycerinzusatz, schon verwendet hatte, so scheint es mir,
dass er davon nur darum abgekommen ist, weil zum Lackigmachen
von 5 cm® Blut eine zehnfache Verdünnung keinesfalls hinreicht
und ein Globulinniederschlag entstehen kann. Wenn wir aber
50—100 fach verdünnen, so löst sich das Blut auch im Wasser voll¬
ständig auf und ist dann für die klinische Untersuchung wol zu
benutzen. Man bekommt so eine vollkommen klare, durchsichtige,
durch Hämoglobin roth gefärbte Flüssigkeit, welche der Ammon-
oxalatlösung in nichts nachsteht.
Nun ist aber eine derartige Blutwasserlösung, wenn man sie
mit Lakmoid versetzt, im durchfallenden Lichte nicht zu titrieren.
Soviel Lakmoid man auch zusetzt, die Flüssigkeit verliert nicht
ihren röthlichen Schimmer und ein Uebergang ist nicht zu be¬
obachten. Wenn man aber diese Blutlösung in eine Porzellanschale
ausgiesst und einige Tropfen Lakmoid zusetzt, wird die rotbe Farbe
sofort verdeckt. Man bekommt eine blaugrünliche, fast undurch¬
sichtige, an den Rändern grüne Flüssigkeit, welche durch Zusatz
von Säure sehr langsam sich röthet, nach Zusatz überschüssiger
Säure ihre rothe Farbe wieder erlangt, und wenn man jetzt zu
der so angesäuerten Lösung tropfenweise Lauge zusetzt, bekommt
man einen sehr guten Farbenumschlag zu sehen. Es genügen, wenn
das Blut neutralisiert ist, ein bis zwei Tropfen, um die rothe
Flüssigkeit wieder undurchsichtig und blaugrün zu färben. Der
Anfang des Ueberganges ist am besten an dem Schalenrand zu be¬
obachten. Dass dieser Uebergang ziemlich genau erfolgt, und gut
zu beurtheilen ist, zeigt folgender Versuch:
Versnob 8. 0.50 cm* Blut wird in 100 cm* Wasser lackig gemacht und auf
zehn Proben vertheilt:
1) Die ersten 3 Proben, sofort titriert, brauchen: 0.50, 0.55, 0.54 Lauge.
2) 3 Proben langsam titriert, geschüttelt: 0.49, 0.54, 0.53 „
3) 2 Proben nach 5 Stunden titriert: 0.52, 0.64, — „
4) 2 Proben nach Erwärmen auf 37°: 0.61, 0.52, — „
(Die Differenz zwischen 0.49—0.55 cm* Lauge entspricht 4 cgr).
Diese Versuche zeigen die grosse Constanz des lackigen Blutes
und stimmen mit den Ergebnissen von Loewy gfit überein. Durch
Stehenlassen, Erwärmen, Schütteln, schnelles oder langsames Tit¬
rieren wird die Alkalescenz dieser Proben nicht beeinflusst. Die
4 cgr-Differenz, welche ich gefunden, entspricht der Fehlergrenze
und ist der Kleinheit der hier verwendeten Blutmengen zuzu¬
schreiben. Wenn man aber bedenkt, dass Loewy auch bei 5 cm*
Blut, wie er selbst angibt, nicht ganz fehlerfrei arbeitet, und wenn
24*
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man aus Erfahrung weiss, dass den anderen Methoden noch viel
grössere Fehlerquellen anhaften, wird man das nicht zu gross
finden; übrigens werden wir sehen, dass dieser Fehler noch ver¬
ringert werden kann.
Ich stellte einige Versuche in der Richtung an, ob es nieht
besser wäre, das Blut gleich in der Schwefelsäurelösung aufzufangen
und so einfach mit NaOH und Lackmoidzusatz zu titrieren. Die
Ergebnisse waren in dieser Richtung gar nicht besser und setzt
man sich nur noch grösseren Fehlerquellen aus.
Versuch 9. 1) 0.30 Blut in 3 Proben vertheilt, mit W&Bser lackig gemacht,
entspricht 0.40, 0.41, 0.42 Lauge.
2) 0.20 Blut in 20 cm* Säure aufgenommen, lackig auf zwei
Proben. Lackmoidzusatz verursacht einen amorphen Nieder¬
schlag (Lackmoid) es wird 0.40 und 0.44 Lauge gebraucht
3) 0.20 cm* Blut mit 20 cm* Wasser lackig gemacht + 1 cm*
Lange; 2 cm* Säure; das Endergebnis ist 0.39 Lange.
4) 0.10 Blut mit 10 cm* Wasser braucht zur Neutralisation
0.46 Säure; -|- 1 cm* Lauge, verbraucht wiederum 0.98 Säure;
die jetzt nicht eruierbare Alkalimenge entspricht 0.02 cm*,
das heisst l 1 /* egr Alkali.
Diese Proben zeigen in erster Reihe, dass durch die Ver¬
wendung der Säure als Medium die Titration nicht nur nicht vor¬
teilhafter sich gestaltet, sondern dass wegen des entstehenden
Lakmoidniederschlags dieBeurtheilung der Endergebnisse schwieriger
wird. Diese Proben zeigen aber auch, dass man das dem Blute
zugesetzte Alkali bei der Zurücktitration auch wieder findet.
Es sei hier erlaubt ein ähnliches Experiment von Loewy an¬
zuführen:
5 cm* neutral. Serum -)- 2.00 Lauge. Zurücktitrieren braucht 1.8 Säure.
5 „ „ „ -j- 4.80 ,, ,, „ 5.10 ,,
6 „ „ „ + 6.— „ „ ,, 5.25
Nun betragen die Differenzen von Loewy, der mit 5 cm* Blut
und Va» N-lösungen arbeitet, bei der Serumtitration 16 mgr. Ich
habe bei demselben Experimente mit lackigem Blut 2 egr ge¬
funden. Der Unterschied ist wol auf die schwierigere Titration
des lackfarbigen Blutes gegenüber dem Serum zu beziehen. Dass
dies wirklich der Fall ist, zeigt der folgende:
Versuch 10. 5 cm* Serumlöaung (nach meiner Methode geronnen) braucht
zum Neutralitätspunkte 0.20 Säure. Zusatz von 0.50 Lauge. Bei
Zurücktitrierung finden sich davon 0.49 Lauge; die fehlende Lauge
entspricht 1 cg Alkali
Die Blutmenge, oder vielmehr die Serummenge, welche Loewy
verwendet ist 50 mal so gross als bei meinen Versuchen, bei
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Ueber eine neue klinische Methode zur Bestimmung der Blntalkalescenz etc. 36?
welchen die Fehlergrenze nur 8—10 mal grösser ist Ich glaube,
dass diese Thatsache allein zeigt, dass mit einer Blutentnahme von
0.10 cm* noch relativ gute Ergebnisse zu erzielen sind. Die
Schwankungen gestalten sich etwas grösser beim lackigen Blute,
ebenso bei Loewy wie auch bei mir. Doch sind diese Fehlergrenzen
leicht zu eruieren, und wenn man sie kennt, wird man vor falschen
Folgerungen geschützt Wenn die früheren Untersucher auch die
Fehlergrenzen ihrer Methoden bestimmt hätten, wären vielleicht
bei den Untersuchungen der Blntalkalescenz weniger bestimmte
Resultate behauptet worden: wir würden es aber dann auch nicht
so nöthig gehabt haben, dieselben Untersuchungen noch einmal auf¬
zunehmen.
Um bei diesen Untersuchungen eine Controlprobe zu haben,
verwendete ich auch das Lackmuspapier zur Beurtheilung dessen,
ob die Lösung nicht übersäuert oder überalkalisch ist. Diese
Versuche haben aber auch bestätigt, dass der Reactionswechsel des
Lackmuspapieres immer später und zögernder erfolgt, als bei der
Lakmoidlösung. Ich glaube daher, dass das Lackmuspapier sich gar
nicht zu feineren Blutuntersuchungen eignet Daran ist nicht
allein seine Reaction auf CO, schuld, denn man beobachtet das¬
selbe auch bei saueren Lösungen, wenn man auf Lauge titriert,
wobei doch freie Kohlensäure ganz fehlt.
Ich habe mir ferner die Frage gestellt, ob der Weg, auf
welchem die neueren Untersuchungen sich fortbewegen, richtig ist
und ob man annehmen darf^ dass die Titrationswerthe des lackigen
Blutes den physiologischen Verhältnissen entsprechen. Ich glaube,
dass die Frage berechtigt ist. Wenn wir deckfarbiges Blut, oder
Blutserum untersuchen, haben wir jedenfalls physiologische Ver¬
hältnisse vor uns.
Wenn wir aber sämmtliche körperliche Bestandteile des Blutes
aQflösen und durch irgend ein Verfahren neutrale organische Ver¬
bindungen zur Dissociation bringen, so rufen wir eigentlich alkalische
Verbindungen hervor, die nicht präformiert im Blute waren, daher
als Blutalkali keineswegs thätig sein konnten. Dieses Bedenken
würde entfallen, wenn wir beweisen könnten, dass derartige
Dissociationsvorgänge auch im Leben sich abspielen und dass diese
neutralen Verbindungen unter gewissen Verhältnissen sich in ebenso
grosser Menge spalten, wie in dem aufgelösten, lackigen Blute.
Wir wissen wol aus den Untersuchungen von Lehmann*) dass die
durch das Blut getriebene Kohlensäure die organischen Verbindungen
') Pflüger ’s Archiv, Bd. 58.
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368
Dr. Nicolaas Beiend.
der Blutkörper lockert, dass alkalische, oder säorebindende Affini¬
täten in das Serum übertreten, und dass also unter dem Einfluss
der Kohlensäure eine beständige Wanderung von Blutalkali ans
den Körpern in das Serum stattfindet. Wir wissen aber auch, dass
diese Vorgänge, wenn sie sich im Leben auch abspielen, ganz sicher
viel geringer sind. Dies ergiebt sich eben aus der experimentell
gewonnenen Thatsache, dass diese Dissociationsvorgänge selbst
unter dem Einfluss einer der Kohlensäure viel überlegeneren
Titriersäure nur sehr langsam und allmälig, nie aber in dem Masse
zu Stande kommen, wie bei dem lackigen Blut, dessen Titrations¬
ergebnisse sich viel höher gestalten.
Es kommt aber auch noch etwas weiteres in Betracht,
u. z. das beständige Zugrundegehen von rothen Blutkörperchen im
kreisenden Blute. Es ist leicht zu verstehen, dass wo dieser Unter¬
gang stattfindet, die Verhältnisse andere sein werden. Ferner ist
zu berücksichtigen, dass an verschiedenen Körperstellen die Kohlen¬
säurespannung des Blutes grosse Unterschiede hat, so dass wir
also auch im Blute eine verschiedene Alkalispannung annehmen
müssen. Alle diese Vorgänge werden die Alkalescenz mächtig be¬
einflussen und wir sind deshalb zu dem Schlüsse genöthigt, dass die
Blutalkalescmz nicht als eine constante Grösse betrachtet werden
kann.
Da wir also keine sichere Antwort darauf geben können,
ob die Tritration lackigen Blutes den physiologischen Verhältnissen
entspricht, da aber anderseits das native, deckfarbene Blut aus den
angeführten Gründen zur Alkalescenzbestimmung nicht geeignet
erscheint, so glaubte ich den physiologischen Verhältnissen besser
zu entsprechen, wenn ich an demselben Blute sowol das Serum
als auch die körperlichen Bestandteile getrennt zur Untersuchung
der Alkalescenz heranziehe. Und diese Möglichkeit ist vorhanden.
Wenn wir 0.10 ccm 8 Blut mit 5 cm 8 0.6 °/ 0 iger Kochsalzlösung
mischen und gleich zentrifugieren, so setzen sich die Blutkörperchen
in der Kugel des Sedimentierröbrchens in Form einer rothen Schichte
ab. Wenn man nun nach Abschütten des Serums zu dem zurück¬
gebliebenen Körperbrei überschüssiges Wasser zusetzt, so lösen sich
diese vollständig auf und wir können dann das Serum und die
Blutkörperlösung von einander gesondert der Titration unterwerfen.
Zu den ersten, in dieser Weise ausgeführten Versuchs-Titrationen
verwendete ich verschiedene Blutmengen. Die Ergebnisse sind
folgende:
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Ueber eine neue klinische Methode zur Bestimmung der Blntalkalescenz etc. 369
Versuch 9.
Serum-
Blut-Körper-
Totale
alkalescenz
breialk&lesc.
Alkalescenz
• •
1. Blutentnahme 1)
0.20 cm* Blut
0.86
1.16
2.0 cm*
m
iÜöLauge
'S ‘
2. „ 2)
0.10
n n
0.40
0.71
1.11 „
*
Andere Person:
0.30
0.10
» n
n w
0.90
0.88
0.90
0.39
1-80 .
0.69 „
Säugling:
0.10
0.10
n i»
n i»
0.30
0.80
0.46
0.46
0.76 „
0.76 „
ß .T. alter Knabe:
0.50
n n
1.6
1.0
2.6
12)
0.10
t» n
0.80
0.60
0.90 „
Dieser Versuch zeigt folgendes:
Während die Werthe der so vorgenommenen Serumtitration
ziemlich genau dem Verhältnisse der verwendeten Blutmenge ent¬
sprechen, sehen wir an den Werthen der Blutkörperbreititration,
dass dieselben umso grössere Schwankungen zeigen, je grösser die
verwendete Blutmenge war. Die Ursache davon liegt in der
wechselnden Menge des Hämoglobins, welches auf die Titration umso
störender einwirken kann, in je grösserer Menge es vorhanden ist.
Wenn die Lösung viel Hämoglobin enthält, so müssen wir der Probe
zum Verdecken der rothen Farbe so viel Lackmoid zusetzen, dass
dadurch die ganze Lösung total undurchsichtig wird und die Be-
urtheilung eines Ueberganges sich um viel schwieriger gestaltet.
Wo aber nur 0,10 cm 8 verwendet wurde, da sehen wir die Alkaleseenz-
werthe des Blutkörperbreies auch übereinstimmen, weil eben die
Lösung leichter zu titrieren war. Aus dem Grunde habe ich den
Blutkörperchenbrei noch stärker diluiert und verwende jetzt zu
der Auflösung von 0.10 cm* Blut 12—15 cm 8 neutrales Wasser.
Das erwähnte Experiment wurde mehrere Male mit demselben
Resultate wiederholt. Hier will ich nur noch einen Versuch an-
führen, an welchem die relativen Schwankungen zwischen Serum
und Körperbrei bei verschiedener Behandlung der Proben zu er¬
sehen ist:
V ersuch 10.
In allen Proben 0.10 cm 8 Blut
Serum-
alkalescenz
Blut-Körper-
breialkalesc.
Totale
Alkalescenz
2 Jahre alter kranker Knabe;
0.6 cm* Blut auf 6 Proben.
1) Ohne Schütteln sofort zentrifugiert .
0.17
0.20
0.87 gr
2) „ „ centrifugiert nach
1 Stunde .
0.21
0.14
0.36 „
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370
t)r. Nicolaas fierend.
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Serum-
Blut-Körper-
Totale
Alkalescenz
breialkalesc.
Alkalescenz
3) Stark geschüttelt, centrif. n. 2 Std.
0.25
0.12
0.37 gr
4) Ebenso, „ „ 2 „
5) Ohne Schütteln, centrifagiert and
0.26
0.12
0.38 „
titriert nach 24 Standen . .
0.24
0.13
0.37 „
6) Sofort centrifagiert, titriert n. 24 Std.
0.19
0.18
0.37 „
Nicht geschüttelt bei Blutentnahme.
Erwachsener:
1
1) Ohne Schütteln sofortige Titrierang
2) Geschüttelt, centrifagiert a. titriert
0.20
0.27
0.47 gr
nach 2 Standen .
0.24
0.22
0.46 „
3) Nach 24 Std. centrifagiert a. titriert
0.23
0.23
0.46 „
Kein Schütteln.
4) Geschüttelt, nach 24 Std. centrifag.
and titriert.
0.28
0.17
0.45 „
6) Kein Schütteln, sofort centrifagiert
nach 24 Standen titriert . .
0.21
0.25
0.46 „
Im Gegensätze zu den verschiedenartig behandelten Proben
folgen einige, welche in derselben Weise (kein Schütteln, sofor¬
tige Titration) behandelt wurden. Sie zeigen folgende Werthe:
Versuch 11.
Serum
Blutkörper
Totalalkalescenz
4 Jahre alter
Knabe
(gesund)
1»
3)
0.28 cm*
0.265 cm*
0.28 cm*
0.26 cm*
0.255 „
0.24 „
0.54 cm*
0.52 „
0.52 „
= 0.43 gr
= 0.41 „
= 0.41 „
Kind
von 6 Monaten
(Rachitis)
IS
3)
4)
0.18 gr
0.252 „
0.218 „
0.236 „
0.20 gr
0.172 „
0.168 „
0.146 „
= 0.38 gr
= 0.424 „
= 0.386 „
= 0.382 „
Kind von 3 Wochen 1
(Scleroödem) \
fl)
[2)
0.148 gr
0.16 „
0.144 gr
0.125 „
—
= 0.292 gr
= 0.286 „
Diese Experimente zeigen, wie ich glaube, vollkommen, dass
es für die Bestimmung der Totalalkalescenz völlig gleichgültig ist,
ob eine Probe geschüttelt wurde oder gestanden ist Auch nach
24 Stunden sehen wir eine kaum merkliche Abnahme der Alkalescenz,
während es für die getrennten Werthe der Serum- und Körper¬
breititration absolut nicht gleichgültig ist, wie man mit der Probe
verfährt. Diese Experimente liefern auch einen vollgültigen Beweis
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üeber eine neue klinische Methode zttr Bestimmung der Blntalkalescenz etc. 371
für die Richtigkeit des Experimentes Nr. 3, in welchem eben die
grossen Schwankungen ersichtlich sind, welche durch die ver¬
schiedene Behandlung der Proben erzielt werden. Dort haben
■wir dieselben Verhältnisse gehabt. Die Versuche Nr. 10 und 11
liefern dazu die Erklärung. Die Serumalkalescenz vergrössert
sich durch Stehen, durch Schütteln, namentlich in dem Falle, wenn
die Probe nicht sofort centrifugiert wird. Es besteht also ein
sehr grosser Unterschied zwischen dem defibrinierten Blute und
dem Blutkochsalzgemisch. Während Loewy bei dem Schütteln von
deformiertem Blute nach dem Centrifugieren die Serumalkalescenz
constant fand, also ein ziemliches Alkaligleichgewicht zwischen
diesen Blutbestandtheilen besteht — geschieht ein grosser Alkali¬
ausgleich in dem mit Kochsalzlösung verdünnten Serum und den
Blutkörperchen.
Durch den Zusatz von Kochsalzlösung entsteht eine grössere
Alkalidifussion von den Blutkörperchen in das Serum, welche
durch Schütteln, längeres Stehen natürlicherweise begünstigt wird.
Der grosse Einfluss des Schütteins kann vielleicht ausser der er¬
wähnten leichteren Diffusion noch dadurch erklärt werden, dass
die C0 2 der Luft leichter hinzutritt
In beiden angeführten Experimenten (Nr. 10 und 11) ist, wie
wir sehen, die Serumalkalescenz der Blutkörperalkalescenz über¬
legen. Nun wissen wir aber, dass dies der Wahrheit nicht ent¬
sprechen kann, da Loewy gezeigt hat, dass das umgekehrte Ver¬
hältnis besteht, indem die Körperalkalescenzwerthe viel höher sind
als die Serumwerthe.
Die so gewonnenen Resultate können also wieder nicht ver-
werthet werden, da sie den physiologischen Verhältnissen nicht
entsprechen. Ich musste daher womöglich trachten, die Ursache
dieser allzu grossen Serumalkalescenz, also die Difiussion, zu be¬
seitigen. Das Wichtigste in dieser Hinsicht ist das sofortige
Centrifugieren, da sich bei sofortigem Centrifugieren, wie ersicht¬
lich ist, das Verhältnis der Werthe mehr dem normalen Ver¬
hältnisse nähert. Die Diffusion wird aber dadurch nicht aus¬
geschlossen. Da ich sah, dass die Isotonie des Blutes auch nicht
eine constante Grösse ist, sondern dass dieselbe ebenfalls Schwan¬
kungen zeigt und da wir auf alle Fälle eine hypertonische Koch¬
salzlösung benutzen müssen, so habe ich auf Herrn Prof. Hofmeister 's
Rath statt der 0.6 °/ 0 igen eine l°/oige Lösung benützt Diese
Lösung verändert die Blutkörper fast gar nicht und verhindert
die Difiussion. Sie ist selbst für Säuglingsblut nicht in dem Maasse
hypertonisch, dass die Blutkörper schrumpfen würden und es treten
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372
Dr. Nicolaas Berend.
unter ihrem Einfluss ebensowenig N. haltige Verbindungen aus den
Körperchen in das Serum über, als beim Gebrauch der 0.6 °/„ igen
Lösung.
Dass durch Anwendung der 1 °/ 0 igen Salzlösung die Diflussion
wirklich erheblich verhindert wird, zeigt folgender Versuch:
Versuch 12.
Alle Proben von demselben Blute, alle Proben sofort centrifhgiert.
Serum
Blutkörper¬
brei
Totalalkalesceni
Hit 0.6 °/oiger Kochsalzlösung
10 cm* SalzlOsnng
0.23
0.25
0.27
0.19
0.16
0.13
0.42 gr
0.41 „
0.40 „
Mit 1 °/oiget Kochsalzlösung
10 cm* Salzlösung
© po
8 s £
0.21
0.23
0.19
O O O
* » 3
Mit 1 °/oiger Kochsalzlösung
6 cm* Salzlösung
0.15
0.18
0.19
ö ö ö
0.40 gr
0.41 „
0.41 „
Es entsprechen nur die letzten drei Werthe dem normalen
Verhältnisse. Hier ist die Diflussion durch die geringere Menge
der Conservflüssigkeit durch die Anwendung einer l # /oigen statt
0.6 °/ 0 igen Lösung und durch das sofortige Centrifugieren auf das
Minimum herabgedrückt, wenn auch nicht vollständig ausgeschlossen.
Dass durch die Anwendung von 5 cm 8 einer l°/ 0 igen, anstatt
10 cm* 0.6 °/ 0 igen Kochsalzlösung die Diflussion wirklich erheb¬
lich gehindert wird, zeigt sich noch besser, wenn man die
Proben nicht sofort centrifugieVt, sondern durch 4 -5 Stunden
stehen lässt Bei einer Probe mit 10 cm 8 0.6°/ o iger Lösung war
dann das Verhältnis des Serums zum Körperbrei 0.27 :0.14; bei
Anwendung von 5 cm 8 1 °/ 0 iger Lösung 0.21: 0.21, also ganz gleich.
In dieser Probe hat sich aber durch das Stehen das Verhältnis
noch immer anders gestaltet, wie in der dritten Probe, welche so¬
fort centrifugiert wurde mit 5 cm 8 1 °/ 0 iger Lösung und bei welcher
ein ganz umgekehrtes Verhältnis eintrat (0.18:0.23) als bei der
ersten Probe.
Da mehrere in dieser Weise ausgeführten Versuche dasselbe
Resultat gaben, blieb nur noch zu untersuchen übrig, ob die Werthe
dieses fraktionierten Titrierens denen gleichkommen, welche wir
durch das sofortige Lackigmachen erreichen. Ich konnte zwar auf
diese Frage schon a priori eine bejahende Antwort geben, da die
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Ueber eine neue klinische Methode zur Bestimmung der Blut&lk&lescenz etc. 373
Totalalkalescenz in den Versuchsergebnissen eine ziemliche Constanz
zeigte, wenn auch manchmal Serum- und Körperbrei-Alkalescenz
stark schwankten:
Versuch 13.
1 Gleich lackiges Blut 1) A 1 ) = 0.46 gr.
Knabe I 2) A = 0.44 gr.
von 5 Jahren. Nach meiner Methode 1) Serum: 0.20, Körper 0.24 = 0.44 gr.
2) „ 0.19, „ 0.25 * 0.44 gr.
9 Wochen alter Säugling, \ Gleich lackig A = 0.39 gr.
gesund. ( Nach meiner Methode S®) = 0.17, K*) = 0.21, A = 0,88 gr.
Diese Werthe stimmen, wie ersichtlich, vollkommen überein.
Das Thierexperiment zeigt auch, dass zwischen der Methode von
Loewy und meiner fraktionierten Methode keine grossen Unter¬
schiede bestehen. Es wurden von einem Kaninchen 15 cm 8 Blut
nach Loewy mit Ammonoxalat austitriert. Von dem Blute wurden
ausserdem 3 Proben k 0.10 entnommen.
Nach Loewy auf 100 cm* = 0.30 gr.
Nach mir: Probe 1 = 0.27 „
„ 2 = 0.27 „
* 8 = 0.25 n
Ich glaube, dass die Differenzen nicht so gross sind, dass sie
gegen die Anwendung der Methode sprechen könnten; denn Diffe¬
renzen von 1—2 cgr werden wir in einzelnen Fällen finden, und
ist an denselben nur der Umstand schuld, dass die Methode mit
einer kleinen Menge Blut — und dies ist eben für klinische Zwecke
nothwendig — arbeitet. Da ich mich aber schon zwei Jahre lang
mit Bluttitrationen beschäftige, so wage ich zu behaupten, dass
anderen klinischen Methoden noch grössere Fehler anhaften, dass
sie umständlicher, complicierter und daher weniger brauchbar sind,
als die Verwendung meiner Methode.
Noch einige Worte über das Ausrechnen der Alkalescenzwerthe
in Centigrammen. Da wir immer mit derselben Blutmenge arbeiten,
können wir einfach eine Tabelle aufstellen, von der man einfach
ablesen kann, welcher Menge von Alkali die verbrauchte Lauge
entspricht Es entfällt also auch das umständliche Rechnen.
*) A = Totalalkalescenz.
*) 8 = Serum alkalescenz.
*) K = Körperbreialkalescenz.
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374
Dr. Nicolaus ßerend.
Beispiel: 0.10 cm* Blut hat 0.15 Lauge verbraucht;
also 1 cm* braucht 1.5 cm*
und 100 cm* braucht 150 cm* Lauge.
150 cm* ^ Lauge entsprechen 30 cm* “ Lauge.
1 cm* ~ Lauge enthält 0.004 gr Aetznatron.
Somit entspricht die Alkalescenz dieses Blutes 0.004 x 30 = 0.12 gr Aetznatron.
In derselben Weise berechnet, entspricht z. B. 0.16 cm* : 0.128 gr NaHO.
0.17 cm* : 0.136 „
0.18 cm* : 0.144 „
Wir sehen also, dass bei dieser Probe 0.01 cm* Lauge 8 Milli¬
grammen NaHO entspricht. Es ist daher der Alkalescenzgrad
einfach zu berechnen, indem die Menge der gebrauchten Lauge mit
8 multipliciert wird. Z. B. 0.18 Lauge X 8 = 144 mgr NaHO.
Auf Grund dieser Untersuchungen schlage ich also folgendes Ver¬
fahren als klinische Methode der Blutalkalescenzbestimmung vor:
Nach der Reinigung der Fingerheere wird mit einem Stecher, eventuell
auch mit einer Stecknadel eingestochen. Das heraustretende Blut
wird mit dem Melangeur genau und unter Vermeidung von Luftblasen
bis zu dem Zeichen 0.1 gesogen. Dann wird der Melangeur in das
früher vorhereitete und mit 5 cm 8 1 °l 0 iger neutraler Kochsalzlösung
gefüllte Centrifugiergläschen ausgeleert und durch mehrmaliges An¬
saugen vollkommen ausgewaschen. Die Drohe wird sofort centrifugiert.
Die reine Serumlösung wird in ein Glasgefäss abgeschüttet. Zu dem
verbleibenden Blutkörperbrei wird 10 cm* neutrales Wasser zugesetzt
und dieses einstweilen hei Seite gestellt. Die Serumlösurtg wird mit
Lackmoid versetzt, sodass sie nicht allzu stark gefärbt wird, mit Säure
und mit Lauge titriert. Als Endergebnis wird der Mittelwerth der
beiden Zahlen genommen. Nach der Säureneutralisation ist es gerathen,
die Probe noch mit einem Zusatz von 0.20, 0.30 cm* anzusäuem, und
erst dann die Titration mit Lauge vorzunehmen. Sodann wird die
Blutkörperbreilösung auf eine Porzellanschale ausgegossen, das Rohr
mit noch 5 cm 8 Wasser vollständig ausgespült und soviel Lackmoid
zugegeben , dass die rothe Farbe vollständig verdeckt wird. Der so
entstandenen, blaugrünen, undurchsichtigen Lösung wird Säure in
Ueberschuss zugesetzt (es genügt dazu 0.70 bis 1 cm 8 Säure), umge¬
rührt, und die rothe Lösung durch tropfenweisen Zusatz von NaOH
titriert. Die Endreaction der Probe ist eingetreten, wenn sie die
rothe Farbe vollständig verloren hat und wieder undurchsichtig ge¬
worden ist. Nachdem der Uebergangstropfen mit 0.05 cm 8 abgerechnet
ist, wird die Differenz zwischen verbrauchter Säure und Lauge be¬
rechnet, und der dieser Differenz entsprechende Alkalescenzgrad wird
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Ueber eine neue klinische Methode zur Bestimmung der Blntalkalesceuz etc. 375
in der Tabelle einfach nachgeschlagen oder durch Multiplication mit
0.8 ausgerechnet. Die Summe der einzelgewonnenen Werthe der
Serum - und der Körperbreialkalescens ergibt den Werth der Totdl-
alkalescenz.
Ich habe ziemlich viele Untersuchungen mit meiner Methode
gemacht, und, von den unvermeidlichen Fehlerquellen abgesehen,
dieselbe brauchbar und genau gefunden. Die Dauer einer Alkales-
cenzuntersuchung beträgt mit der Centrifugierung nicht mehr als
15 Minuten. Nur muss ich noch einmal betonen und davor warnen,
dass Schwankungen, welche im Bereiche von 0.02 gr liegen, nicht
sofort als Veränderungen der Blutalkalescenz aufzufassen sind, son¬
dern durch die natürlichen Fehlerquellen erzeugt werden können.
Der grösste Nutzen, den aber diese Methode darbietet, besteht
darin, dass sie eine mehrmalige Ausführung und häufige Wieder¬
holung der Untersuchung ermöglicht Mancher hat schon Schlüsse
daraus gezogen, wenn er z. B. nach einer zehntägigen Pause den
Kranken nochmals untersucht und dann etwa eine Verringerung ge¬
funden hat.
Man darf aber erst dann von einer Erhöhung oder Verminde¬
rung sprechen, wenn solche in fortlaufenden, in kurzen Zwischen¬
räumen einander folgenden Untersuchungen sich herausstellen.
1L Klinische Untersuchungen.
Ausser dem Materiale, welches ich zu den meiner Methode zu
Grunde liegenden Versuchen benützt habe, untersuchte ich nach
Vollendung der Methode noch 29 Kinder, gesunde und kranke, um
die bisher noch sehr wenig studierten Verhältnisse der Blut¬
alkalescenz bei Kindern womöglich festzustellen. Zu diesem Behüte
war es aber in erster Linie nöthig, Erwachsene zu untersuchen,
um die Frage festzustellen, ob und welche Schwankungen das Blut
der Erwachsenen unter denselben Verhältnissen aufweist, oder ob
die Alkalescenzwerthe constant sind, wie dies von den meisten
Untersuchern angenommen wird. Untersuchungen, welche ich an
verschiedenen Erwachsenen vomahm, haben zu dem Resultate ge¬
führt, dass nicht nur die Alkalescenz des Einen manchmal stark
von jener eines Anderen differierte, wiewol bei ihnen die Er-
nährungs- und Arbeitsverhältnisse dieselben waren, sondern ich muss
auch behaupten, dass die Blutalkalescenz einer und derselben, und
unter denselben Verhältnissen verbleibenden Person nicht constant
bleibt Um einen Einklang der Untersuchungen möglichst her¬
zustellen, machte ich die jeweilige Bestimmung immer eine Stunde
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• 376
Dr. Nicolaus Berend.
nach der Mahlzeit, also zu einer Zeit, wo die Magensäuresecretion
noch nicht wesentlich auf die Blutalkalescenz einwirkt und welche
ich als dem Alkali-Gleichgewichte des Blutes am nächsten liegend
betrachten möchte. Diese Zeit habe ich sowol bei der Unter¬
suchung Erwachsener als auch bei Säuglingen immer genau ein¬
gehalten, um eben die Resultate mehr miteinander vergleichen zu
können. Wie Loewy fand auch ich die Schwankung bei Erwachsenen
zwischen 45—50 cgr Alkali an verschiedenen Personen, doch fand
ich diese Schwankungen auch bei einer und derselben Person, wenn
auch in etwas geringerem Grade.
Bei nahezu 20 Bestimmungen am eigenen Blute fand ich den
Alkalescenzwerth zwischen 46—50 cgr. Die Schwankungen liessen
keine Regel erkennen, sind aber jedenfalls viel grösser als die
nicht mehr als 1 cgr betragende Fehlergrenze der Methode, so
dass ich diese Schwankungen, wenn ich sie auch nicht erklären
kann, jedenfalls als physiologisch betrachten muss, umsomehr, als
ich sie auch bei gesunden Kindern vorgefunden habe. Diese
Schwankungen sind etwas anderes, als was Jeffries 1 ) unter dem
Namen der Tagesschwankungen beschrieben hat, da dieser die
Untersuchungen unter verschiedenen, ich aber unter denselben
Verhältnissen machte. Diese einfache, nicht zu leugnende That-
sache ist in den älteren Analysen niemals erwähnt. Die Blut-
alkalescenz wird stillschweigend als eine constante Grösse an¬
genommen. Meine Befunde sind nur mit denen Loewy 1 s und
Limbeck 's zu vergleichen, da dieselben wie auch ich zu den Unter¬
suchungen die Titration lackigen Blutes geübt haben. Mit den
Ergebnissen anderer Methoden sind sie nicht vergleichbar, da es,
wie auch Loewy bemerkt, nahe liegt, zu vermuthen, dass bei einer
jeden Methode etwas anderes geprüft wird. Aber auch Loewy und
Limbeck finden eine Constanz der Alkalescenz bei demselben Indi¬
viduum. Letzterer sagt: „Wiederholte Untersuchungen an einer
und derselben Person ergaben jedoch gute Uebereinstimmung der
Resultate“. Ich kann dies nicht bestätigen. Vielleicht ist dieser
Widerspruch dadurch zu erklären, dass die genannten Forscher
soviel Blut zu ihren Untersuchungen benöthigten, dass es ihnen
nicht möglich war, bei einer und derselben Person an jedem Tage
den Alkalescenzgrad festzustellen, wogegen ich im Stande war,
jeden Tag die Untersuchung vorzunehmen und zu wiederholen.
Aus allen meinen Untersuchungen geht aber hervor, dass solche
unerklärte Schwankungen bestehen und dass die Alkalescenz-
5 ) Vir choic-Hirsch Jahresberichte 1890.
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Lieber eine neue klinische Methode znr Bestimmung der Blutalkalescenz etc. 377
Verhältnisse ebenso wie alle körperlichen Vorgänge und ebenso
wie das Blnt selbst angemein labil sind. Wenn aber dieser
zwingende Schloss richtig ist, wie sind wir dann im Stande, physio¬
logische und pathologische Schwankungen von einander zu unter¬
scheiden? Bei den Untersuchungen haben wir schon a priori mit
den Fehlergrenzen der Methode und mit den nicht minder wichtigen
physiologischen Schwankungen zu rechnen. Nun beträgt die Fehler¬
grenze meiner Methode 0.01 gr. Die physiologischen Schwankungen
möchte ich nach meinen Untersuchungen auf 0.03 bis 0.04 gr an¬
schlagen. Diess in Betracht gezogen, kann ich nur dann eine
Schwankung als pathologisch annehmen , wo eine anhaltende
Differenz von mehr als 0.03 — 0.04 gr "besteht. Ich kann aber nicht
ansschliessen, dass auch geringere Veränderungen pathologisch sein
können.
Es ist verständlich, dass, wenn man mit dieser Einschränkung
seine gewonnenen Untersuchungsresultate kritisiert, in denselben
weniger zu finden sein wird, als wenn man eine jede, noch so
geringe Schwankung der sogenannten „Norm“ als pathologisch
aufzufassen geneigt ist. Wenn ich die Literatur der Unter¬
suchungen seit Loewy durchsehe, finde ich bereits Mancherlei, was
mit den älteren Behauptungen aus denselben Gründen im Wider¬
spräche steht. Während es z. B. früher als Regel galt, bei irgend
einem Fieber verminderte Alkalescenz zu finden, findet Loewy die¬
selbe manchmal vergrössert, ebenso bei Krankheiten, „bei welchen
die Verminderung der Alkalescenz ein Dogma war". In der
während des Abschlusses meiner Arbeit erschienenen II. Auflage
seiner „klinischen Pathologie des Blutes“ spricht Lithbeck die An¬
sicht aus, dass „die Herabsetzung der Alkalescenz des Bltftes oder
des Serums, speciell bei fiebernden Kranken, jedenfalls nicht als
regelmässige Erscheinung besteht“. — An einer anderen Stelle
spricht er aber den Satz aus, welchem ich mich im vollsten Maasse
anschliessen kann: „Die Alkalescenz des Gesammtblutes.
schwankt bei Gesunden und nicht Fiebernden innerhalb weiter
Grenzen.“ Ich ersehe daraus, dass meine Beobachtungen auch von
autoritativer Stelle bestätigt sind, was mich aber noch mehr in
der vorausgesetzten Absicht bestärkt, gegen die althergebrachten
traditionellen Alkalescenzverhältnisse meine Untersuchungsrcsultato
ins Feld zu führen.
Meine Untersuchungen erstrecken sich auf 29 Kinder mit 150
Untersuchungen — eine zwar nicht sehr grosse Zahl, aber doch
hinreichend, um aus derselben mit einiger Zuversicht einige Schlüsse
ziehen zu können.
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Original frum
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378
Dr. Nicolaas Bercud.
Was die Literatur der Blutalkalescenz bei Kindern betrifft, so
ist sie sehr bald zusammenznfassen. Es liegt eine Untersuchung
von Peiper 1 ) vor, nach welcher die Blutalkalescenz erwachsener
Frauen geringer ist, als die der Männer und gesunde Kinder im
Alter von 6—13 Jahren noch kleinere Werthe zeigen als die
Frauen. (Methode Landois ). Ausserdem liegen die Untersuchungen
von mir und Preisich (1. c.) vor, die wir im vorigen Jahre nach
der Methode von Tauszk ausgefiihrt haben. Sie lassen sich be¬
züglich der normalen Verhältnisse kurz dahin resümieren, dass neu¬
geborene Kinder eine verhältnismässig hohe Alkalescenz des Blutes
zeigen, welche nach einer Verminderung in den ersten Lebenstagen
im ersten Halbjahre noch ziemlich hoch bleibt. Im 2.-3. Jahre
fanden wir die relativ kleinsten Zahlen (0.32—0.35 gr pro 100 an*
Blut gegen 0.45—0.48 gr beim Neugeborenen). Wir fanden ferner
bei älteren Kindern, die uns im Verhältnis zu den Neugeborenen
in viel grösserer Anzahl zur Verfügung standen, eine Verminderang
der Blutalkalescenz bei Diphtherie, Scarlatina und Morbillen, die
allerdings nicht eine grosse Regelmässigkeit zeigte, doch in allen
Fällen zu bemerken war.
Meine jetzigen Untersuchungsergebnisse stimmen nicht in allen
Punkten mit den früher gefundenen überein. Während die frühere
Arbeit, welche sich auf Titrationsergebnissen deckfarbigen Blutes
stützte, auch mit den Ergebnissen anderer Forscher der älteren
Periode übereinstimmt, zeigen die jetzt folgenden Unterschiede in
ihren Resultaten eine grössere Uebereinstimmung mit der Arbeit
Loewy's und, wie ich jetzt wahrnehme, auch mit jener Limbeck's.
Sie beweisen, dass wir bei den Bestimmungen der Totalalkalescenz
etwas ganz Verschiedenes eruieren.
Ich untersuchte 8 neugeborene Kinder (Tabelle I) auf Herrn
Prof. v. Rosthorn’s geburtshilflicher Klinik, dem ich für seine Ge¬
fälligkeit meinen innigsten Dank ausspreche. Von diesen waren
drei ebengeborene. In zwei Fällen wurde gleichzeitig die Alkales¬
cenz des mütterlichen Blutes und auch des Placentarblutes bestimmt.
Von diesen kann ich aber nur die eine Untersuchung verwerthen,
da ich im anderen Falle das Ergebnis wegen eines Untersuchungs¬
fehlers, welcher durch die Controlprobe festgestellt war, als nicht
genau betrachten muss. Die Alkalescenz des mütterlichen und des
Placentarblutes war nahezu die gleiche (0.41 und 0.40 gr) und
kleiner als sonst bei Erwachsenen. Im Vergleiche zu dem mütter¬
lichen und dem Placentarblute war das der Zehe entnommene, stark
*) Virchoic 's Archiv. Bd. llü.
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Ueber eine neue klinische Methode zur Bestimmung der Blntalkalescenz etc. 379
dunkel gefärbte Blut des Ebengeborenen weniger alkalisch (0.376).
Dieser Vergleich scheint mir nach manchen Richtungen hin
interessant und ist auch für die Frage wichtig, ob es denn gerecht¬
fertigt ist, das Blut des Ebengeborenen mit dem Blute der Placenta
oder dem sogenannten Reserveblute als identisch anzunehmen.
Leider konnte ich aus äusseren Oründen diese Frage nicht weiter
verfolgen. Jedenfalls spricht aber diese eine Beobachtung nicht
zu Gunsten dieser Ansicht.
Die Alkalescenz, die ich nach der Geburt oder am ersten
Lebenstage des Kindes untersucht habe, schwankte zwischen 0.42
bis 0.30 g, am zweiten Lebenstage zwischen 0.40—0.296, am dritten
Lebenstage zwischen 0.38—0.307. Sie vermindert sich also. Am
vierten Tage bewegte sich die Alkalescenz zwischen 0.36—0.31,
nur bei einem Kinde fand sich eine Erhöhung auf 0.39. In den
meisten Fällen ist die Herabsetzung am fünften und sechsten Tage
zu bemerken, wo sie sich zwischen 0.36—0.34 bewegt. Am achten
bis zehnten Tage findet sich fast constant ein Alkalescenzgrad von
0.38—0.37.
Diese Abnahme der Alkalescenz in den ersten Lebenstagen
war bei allen untersuchten Kindern bemerkbar, am wenigsten viel¬
leicht in Fall 8, doch auch hier deutlich ausgesprochen. Ob das
Kind icterisch wurde oder nicht, scheint auf dieses Verhalten
ebenso wenig Einfluss gehabt zu haben als das Gewicht und der
Kräftezustand des Neugeborenen.
Die Abnahme der Blutalkalescenz von der Geburt bis zum
5. — 6. Tage und das abermalige Ansteigen derselben zwischen dem
6. —8. Tage lässt sich wol unschwer aus den grossen Veränderungen
erklären, welche das Blut des Neugeborenen nach der Geburt durch¬
macht und welche auch in dem nachgewiesenen massenhaften
Untergänge rother Blutkörperchen und in dem hohen Hämoglobin¬
gehalte, welcher in den ersten Lebenstagen nachgewiesen ist, ihren
Ausdruck finden. Diesen Veränderungen, welche in der Regel
stattfinden, reiht sich nun auch das Verhalten der Blutalkalescenz
beim Neugeborenen an. In letzterem Punkte stimmen meine jetzigen
Ergebnisse mit den schon früher von mir und Preissich gefundenen
Resultaten überein, so dass ich diese constante Schwankung der
Blutalkalescenz, als physiologisch annehmen darf. Ich glaube, dass
erst durch diese Veränderungen das Blut des Neugeborenen,
welches bis zum ersten Athemzuge Fötalblut ist, zum wirklichen
Säuglingsblute wird. Um so weniger ist aber das Reserveblut
dem Blute des Säuglings gleich; es kann höchstens noch als Fötal¬
blut aufgefasst werden.
Zeitschrift fttr Heilkunde. XVII. 25
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380
Dr. Nicolaus Berend.
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Ich übergehe nun zu den Untersuchungen von gesunden Säug¬
lingen (Tab. II Nr. 9—12). Nr. 10, 11 und 12 betreffen Brust¬
kinder, welche zu Anfang der Untersuchungen ein Alter von 35
bis 40 Tagen hatten und welche ein verschiedenes Verhalten
zeigen, wiewol sie unter denselben Verhältnissen standen und die
Untersuchung immer eine Stunde nach dem Saugen, also im Alkali¬
gleichgewicht, geschah. Es schwankt die Alkalescenz bei Nr. 11
und 12 zwischen 0.34—0.42 gr. Jedenfalls sind dies so grosse
Schwankungen, dass sie durch Fehler der Methode nicht zu er¬
klären sind, und welche nur in der labilen Beschaffenheit des
Blutes eine, wenn auch nicht einwandsfreie Erklärung finden
können. Nr. 9, ein mit Lahmann’s Pflanzenmilch künstlich er¬
nährtes Kind, zeigt ein mehr constantes Verhalten, aber sein-
grosse Alkalescenzwerthe, welche zwischen 0.38—0.46 schwanken.
Das Kind war 2 Monate alt und ausser einer vorübergehenden,
einen Tag dauernden, geringen Dyspepsie, welche seine Blut-
alkalescenz nicht beeinflusst hatte, immer gesund. Bei dem Kinde
fand ich fast so grosse Alkaliwerthe, wie bei Erwachsenen, welche
sogar manchmal einen geringeren Blutalkaligehalt zeigten. Es
wäre mir also jedenfalls unmöglich, eine bestimmte Zahl für
die Alkalescenz dieses Zeitalters anzugeben. Ich kann nichts
anderes sagen, als dass sie bei verschiedenen Kindern auch ein
verschiedenes Verhalten, aber auch bei einem und demselben Indi¬
viduum beträchtliche Unterschiede zeigen kann. Wenn man die
Mittelzahl aus den Untersuchungswerthen berechnet, so finden wir
in diesem Alter eine fast so grosse Alkalescenz, wie am Ende der
ersten 10 Lebenstage. Der aus meinen Untersuchungen gewonnene
Mittelwerth entspricht 0.39 gr. Es ist also gegen 0.38 eine nur
ganz geringe Erhöhung zu constatieren.
Der Umstand, dass ich bei den in den ersten Lebenstagen
icterisch gewordenen Säuglingen die Serumkochsalzlösung immer
gelb gefärbt fand, lenkte die Aufmerksamkeit des Herrn Prof. Epstein
auf dieses Verhalten (Nr. 13—17). Die gelbe Färbung des Blut¬
serums bei Cholämie ist eine längst bekannte Sache. Dagegen ist
die Frage, wie der Icterus neonatorum zu Stande kommt, bisher
eine sehr unentschiedene, da im Urin neugeborener Kinder in der
Regel Gallenfarbstofife nicht nachgewiesen werden. Bei gewöhn¬
licher Cholämie gibt das gelb gefärbte Blutserum die Gallenfarb-
stoffreactionen; der Schaum des geschüttelten Serums färbt sich
gelb, bei Stehenlassen in einem Brutofen nimmt die Lösung eine
grasgrüne Färbung an, während bei meinen Serumlösungen der
Schaum hell verblieb, das Serum im Brutofen die gelbe Färbung
Gck igle
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Ueber eine neue klinische Methode zur Bestimmung der Blutalkalescenz etc. 381
nicht verlor and die Gallenfarbstoffreactionen, incl. die Reaction
von Huppert, negativ ausfielen. Die Alkalescenzverhältnisse bei
diesen icterischen, sonst gesunden Kindern zeigten etwas geringere
Werthe, wie andere Säuglinge dieser Altersperiode. Bei Nr. 13
schwankte der Alkalescenzwerth zwischen 0.32—0.39, bei Nr. 14
zwischen 0.32—0.38, bei Nr. 15 zwischen 036—0.38, bei Nr. 16
zwischen 0.33—0.35, bei Nr. 17 zwischen 0.35 — 0.40. Diese aller¬
dings grossen Schwankungen dürften durch den Icterus selbst
kaum bedingt sein, welcher Ursache er auch entstammen mag.
Es sind wol etwas grössere Schwankungen wie bei gesunden, doch
fand ich in allen Untersuchungen, dass Kinder, welche mit irgend
einer Krankheit behaftet waren, grössere Schwankungen der
Alkaliwerthe dargeboten haben, wie gesunde, ohne dass diese
Alkalescenz-Schwankung etwas für die Krankheitsform charakte¬
ristisches dargeboten hätte.
Die erwähnte Gelbfärbung des Blutserums bei den an Icterus
leidenden Neugeborenen veranlasst« einige Vorversuche in der
Richtung, wodurch die Gelbfärbung eigentlich bedingt sei. Beim
Schütteln des Blutserums mit Aether übergeht der Farbstoff in
den Aether, sodass man aus mehreren Blutproben den Aether-
extract sammeln konnte. Nach dem Verdampfen des Aethers blieb
der Farbstoff auf der Schale als gelber, amorpher Rest zurück.
Derselbe erwies sich im Wasser als unlöslich. Ebensowenig wie
die Einzelprobe ergab auch der gesammelte Farbstoff die Reactionen
des Gallenfarbstoffs. Herr Prof. Epstein hat sich Vorbehalten, diesen
Gegenstand an einem geeigneten Materiale weiter zu verfolgen.
Tabelle m, welche die Untersuchungen von Nr. 18 bis Nr. 26
enthält, betrifft Säuglinge mit gastrointestinalen Störungen und Soor.
Wir wissen dass die gastrointestinalen Störungen beim Säugling mit
einer noch viel grösseren Störung der Blutverhältnisse einhergehen,
als beim Erwachsenen. Da Untersuchungen aus der älteren Periode
bei gastrointestinalen Störungen der Ewachsenen Alkalescenz-Ver-
minderung nachgewiesen hatten, war es jedenfalls geboten, in
dieser Richtung ausgedehnte Versuche anzustellen. Dass ich zu
diesen Untersuchungen meist mit Soor complicierte Fälle nahm, be¬
ruht auf dem Umstand, dass Herr Prof. Epstein mich aufgefordert hat,
die Alkalescenzverhältnisse bei Säuglingen mit Soor zu untersuchen,
da Cnlturversuche, welche auf der Klinik vor längerer Zeit an¬
gestellt worden sind, nachgewiesen haben, dass je alkalischer der
Gelatine-Nährboden ist, auf welchem Soor gezüchtet wird, desto
mehr das Wachsthum desselben gehemmt wird, bis dasselbe bei
einem bestimmten Alkalinitätsgrad vollständig aufhört. Es war
25 *
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382
Dr. Nicolaus Berend.
also möglich, dass analog dem Experimente vielleicht eine Ver¬
schiebung der Alkalinitätsgrenze bei soorkranken Kindern zu finden
wäre. Nun kann ich beide Fragen, die sich auf die gastrointestinalen
Störungen als auch auf den Soor beziehen, in demselben Sinne be¬
antworten. Es fand in keinem Falle, welcher Art bezüglich ihrer
Intensität die Störung auch war, eine so bedeutende Verschiebung
der Alkalinitätsgrenze statt, dass man zu irgend einem Schlosse
in dieser Richtung berechtigt wäre, trotzdem bei gastrointestinalen
Störungen der Säuglinge eine relativ grosse Bluteindickung und
auch eine wahrscheinlich auf Giftwirkung beruhende Leukocytose
sich einstellt.
Bei der Musterung der untersuchten Fälle von Magen-Darm-
krankheiten der Säuglinge hat es wol den Anschein, dass bei den¬
selben die Schwankungen der Alkalescenz grössere seien und die
letztere nicht so constant wäre als bei gesunden Kindern desselben
Alters. Ich fand manchmal Werthe von 0.30, 0.31, 0.32 gr, welche
jedenfalls eine Herabsetzung bedeuten. Ich fand aber auch schon
so niedrige Werthe bei Kindern, welche an den vorhergehenden
oder nachfolgenden Tagen fast normale Gesundheitsverhältnisse dar¬
geboten haben. Wenn man aus allen den hierher gehörigen Fällen
die Mittelwerthe berechnet, so ergibt sich ein Mittelwerth von
0.37—0.35 gegen den Werth von 0.38— 0.37 bei normalen Verhältnissen.
Dennoch glaube ich, dass es zu weitgehend wäre, aus dieser Ver¬
minderung der Zahlen den allgemeinen Schluss zu ziehen, dass bei
Magen-Darmstörungen die Alkalescenz gesetzmässig herabgesetzt
sei. Eine Erklärung darüber, warum die grösseren Schwankungen
vorhanden sind, kann ich nicht geben und werden vielleicht spätere
Untersuchungen darüber Aufschluss bringen.
Ich habe noch zu erwähnen, dass, wie aus den Tabellen zu er¬
sehen ist, manche Kinder mit interner Verabreichung von Salzsäure
behandelt wurden. Ich erwartete wenigstens bei solchen Kindern
eine Herabsetzung der Alkalescenz in Folge der Einverleibung der
HCl. Dies war aber nicht der Fall. Einige Versuche, welche ich
in dieser Beziehung an mir selbst anstellte, waren ebenfalls negativ.
Es scheint also, dass die geringen Mengen Salzsäure, welche
man zu therapeutischen Zwecken verabreicht, an der Blutalkalescenz
nichts zu ändern vermögen — auch ein Umstand, welcher von
älteren Autoren eher in bejahendem Sinne beantwortet wurde.
Die Untersuchungen von Loewy, der bei manchen Leukocytosen
eine beträchtliche Vergrösserung der Alkalescenz fand, konnte ich
in einem Falle bestätigen. Es war dies ein gesundes Kind von
6 Wochen (No. 10), bei welchem Diphtherie-Heilserum zur
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Heber eine neue klinische Methode zur Bestimmung der Blntalkalescenz etc. 383
Immunisierung eingespritzt wurde (500 Einheiten Wiener Heilserum).
Zwei Stunden nach der Injecktion fand ich denselben Alkalescenz-
grad wie vor der Einspritzung. Wahrend Loewy schon nach relativ
kurzer Zeit eine Erhöhung der Alkalescenz fand, fand ich
sie erst am 2. und 3. Tage, worauf sie wieder zur normalen Grenze
zurückkehrte. Die Leukocytose erklärt aber die Erhöhung der
Alkalinit&t umso weniger, als Loetoy die Alkalinitätserhöhung bei
manchen anderen Leukocytosen nicht vorgefunden hat. So fand er
sie z. B. nicht bei künstlich erzeugten Leukocytosen (z. B. nach
Pilocarpin). Ebensowenig finde ich sie in den ersten Lebenstagen,
wo doch nach den Untersuchungen von Schiff l ) eine grosse Leukocytose
stattfindet, und auch im acuten Stadium der Diphtherie und Scarlatina,
bei welchen Krankheitsformen jedenfalls eine Leukocytose ausge¬
prägt ist, haben ich und Preisich sie nicht gefunden. Diese einzelne
Beobachtung von Erhöhung der Alkalinität nach Einspritzung von
Heilserum, welche sich nur ihrem zeitlichen Auftreten nach von
dem Untersuchungs-Ergebnisse von Loetoy unterscheidet, mag aber
jedenfalls ein wichtiger Hinweis darauf sein, dass der Heilungs-
process der Diphtherie vielleicht in irgend einer Weise mit Alkalinitäts-
verhältnissen im Zusammenhänge steht, da ich und Preisich schon
im vorigen Jahre gezeigt haben, dass im Laufe der Diphtherie eine
constante Verminderung des Blutalkalis stattfindet. Da aber meine
jetzigen Untersachungsresultate in manchen Punkten mit den früheren
nicht übereinstimmen, so behalte ich mir vor, die Alkalinitäts-
verhältnisse bei Infectionskrankheiten der Kinder noch einmal durch¬
zuprüfen.
Seit Geppert *) ist man gewohnt, bei allen fieberhaften Krank¬
heiten eine herabgesetzte Alkalinität anzunehmen. Fall Nr. 20, ein
Kind mit Palatoschisis, purulenter Parotitis und Soor, ist in dieser
Hinsicht interessant Das Kind fieberte manchmal hoch. Die Al¬
kalescenz verhielt sich bei dem Kinde ziemlich hoch, indem sie
zwischen 0.42—0.38 schwankte. Dieser Fall schliesst sich den Be¬
obachtungen von Loewy und Limbeck an, die bei manchen fieber¬
haften Affectionen eine vergrösserte Alkalescenz gefunden haben.
Verminderte Alkalinitätswerthe habe ich ferner in folgenden
Fällen beobachtet:
Nr. 22. Kind von zwei Monaten, welches an intensiven Krämpfen
litt, die Alkalinität schwankte zwischen 0.30—0.34.
Es lässt sich auf Grund dieses einen Falles nicht behaupten,
*) Zeitschrift für Heilkunde. Bd. 11.
*) Limbeck, L c.
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384
Br. Nicolaua Bereud.
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dass die angestrengte Muskelarbeit (intensive Convulsionen) diese
Verminderung der Alkalescenz verursacht habe. Da das Kind
Aceton im Harn hatte, so ist es vielleicht wahrscheinlicher, dass
die Alkalescenz auch dadurch beeinflusst war.
Den geringsten Blutalkaligehalt unter allen Untersuchungen
zeigte ein sehr schwaches anämisches Band (Nr. 29) mit einem
Initialgewicht von 1320 gr, bei welchem auch der Hämoglobinge¬
halt auch immer sehr niedrig war; die Alkalinität war andauernd
klein und zeigte Schwankungen von 0.29—0.33.
Ebenso habe ich bei einem Kinde (Nr. 27), welches in Folge
von Gastrointestinalcatarrh sehr herabgekommen war, eine Ver¬
minderung der Blutalkalinität verzeichnet, welche aber nicht so
andauernd sich erhielt, wie bei dem vorigen Falle. Die Schwan¬
kungen waren sehr gross; viermal stieg die Alkalescenz von 0.33
auf 0.39 cgr.
Bei einem anderen Kinde, Nr. 28, welches mit ererbter Luk;
behaftet war und einer Schmiercur unterzogen wurde, konnte ich
auch eine ziemliche Herabsetzung beobachten.
Was die Altersunterschiede der untersuchten Säuglinge betrifft,
so konnte ich einen entschiedenen Unterschied zwischen 1 Monat
oder 3—4 Monate alten Kindern nicht bemerken. Es scheinen die
letzteren im Allgemeinen eine etwa grössere Blutalkalescenz zu
haben.
Einige Untersuchungen bei älteren, gesunden Kindern bieten
sehr interessante und von dem Gewohnten ziemlich verschiedene
Resultate dar. Sie stimmen auch mit meinen und Preisich's Unter¬
suchungsresultaten nicht ganz überein. Es sind das drei Kinder
im Alter von 4—5 Jahren, in welchem Alter wir eine verminderte
Alkalinität gefunden hatten, wie dies auch Peiper angibt Bei
Titration lackigen Blutes scheint sich jedoch dieses Verhalten nicht
zu bestätigen. Ich habe jetzt Werthe gefunden, welche dem des
Erwachsenen fast gleichkommen und etwas höher liegen als die
Alkalinität der Säuglinge. Auf Grund dieser kleinen Untersuchungs¬
reihe lässt sich aber ein bestimmtes Urtheil nicht aussprechen, zu¬
mal die Beobachtungen durch Kinder, die zwischen 1—3 Jahren
stehen, zu ergänzen wären.
Ich hätte noch Einiges über die Beziehungen der Serumalkale-
scenz zu der Alkalescenz des Blutkörperbreies zu bemerken. Ich habe
Anfangs dieser Untersuchung gehofft, aus der Wechselbeziehung
dieser beiden Bestandtheile des Blutes über manche Verhältnisse
einen Aufschluss zu bekommen. Wie die Resultate zeigen, ist aber
die Alkalinität des Serums zu jener des Blutkörperbreies auch nicht
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Heber eine neue klinische Methode zttr Bestimmung der Blutalkalescenz etc. 385
in einem beständigen Verhältnisse. Die Alkalinität des Serums ist
manchmal nur halb so gross, manchmal aber nur um weniges geringer
als die des Blutkörperchenbreies. Aus der Zusammenstellung der Unter¬
suchungen ist jedenfalls das eine ersichtlich, dass je kleiner die Alka¬
linität des Serums ist, desto grösser der Unterschied zwischen dem
Serum und Blutkörperbrei wird. Bei Fällen, wo die Serumalkalescenz
nur 0.12 betrug, fand ich manchmal den doppelten Blutkörperbreiwerth;
bei Fällen, wo schon die Serumalkalescenz eine hohe war, z. B. 0.20,
fand ich dieses Verhältnis nicht. Es scheint demnach die Differenz
zwischen Serum und Blutkörperalkalescenz um so grösser zu sein,
je kleiner die Serumalkalescenz ist. Daraus folgt aber auch, dass
durch die Titration lackigen Blutes und durch die Bestimmung der
Totalalkalescenz viel constantere Zahlen zu bekommen sind als
durch Titration des Serums allein, dessen Werthe sich sehr ver¬
änderlich zeigen. Eine Regel lässt sich in letzterer Beziehung nicht
aufstellen. Es scheint mir aber, dass dort, wo die Serumalkalescenz
eine hohe ist, der Werth der Totalalkalescenz niemals klein aus¬
fällt, während den kleinen Werthen der Serumalkalescenz nicht
immer auch kleine Zahlen der Totalalkalescenz entsprechen.
In dieser Beziehung zeigen auch die Fälle der Tab. m, dass
bei fast allen Gastrointestinalerkrankungen die Serumalkalescenz
herabgesetzt ist, während, wie ich schon erwähnt, die Totalalkalescenz
sich kaum ändert. Dagegen sehen wir recht deutlich ein ganz um-
Verhalten in den Fällen Nr. 27 und 28 (Lues und chronische
Dyskrasie nach Gastroenteritis), wo die Serumalkalescenz eine
ziemlich normale (ca. 0.15) ist und die Alkalescenzverminderung durch
den Blutkörperbrei selbst bedingt ist. Meine Untersuchungen sind
nicht zahlreich genug, dass ich einen sicheren Schluss über das
gegenseitige Verhalten dieser beiden Bestandtheile des Blutes ziehen
durfte, aber ich glaube, dass es wünschenswerth ist, die Verhältnisse,
bei welchen diese Verschiebungen zu Stande kommen näher zu unter¬
suchen. Da wir in dem Serum mehr das mineralische und in dem
Blutkörperbrei mehr das organische Alkali bestimmen, scheinen mir
diese Untersuchungs-Resultate darauf hinzudeuten, dass in acuten
Erkrankungen mehr das anorganisch gebundene Alkali, in chronischen
Fällen mehr das organisch gebundene sich vermindert ist. Diese
Vermuthung bedarf aber jedenfalls noch einer, auf zahlreichere Unter¬
suchungen gestützten Prüfung.
Ich fasse meine Untersuchungsresultate in Folgendem zusammen:
1. Die Blutalkalescenz ist keine constante Grösse. Sie variiert
nach der Individualität, sie schwankt aber auch hei demselben Indi¬
viduum innerhalb gewisser Grenzen.
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386
Dr. Nicolaus Berend.
2. Ich finde die Alkalinität des erwachsenen Mannes zwischen
0.45 — 0.50 gr., entsprechend der Angabe Loewy's, dessen einschlägige
Angaben ich nur bestätigen kann.
3. Die Alkalescenz des Neugeborenen am ersten Lebenstage ist
fast so gross wie jene seiner Mutter bei der Geburt. Die AUcalescen:
des Neugeborenen nimmt in den ersten Lebenstagen ab. ln einigen
Fällen ist am 5. — 6. Tage eine erneute Erhöhung zu beobachten.
Am 10. — 12. Tage beträgt sie 0.37—0.38 gr.
4. Die Alkalescenz des Säuglings scheint in den ersten Lebens¬
monaten zuzunehmen. Die Werthe sind aber noch weniger beständig
als beim Erwachsenen. Manche gesunde Säuglinge zeigen auch unter
physiologischen Verhältnissen niedrige Alkalescenzwerthe , während
dieselben sich bei anderen jenen des Erwachsenen nähern.
5. Die Alkalescenz des Säuglings schwankt in einer physio¬
logischen Breite von 0.34 — 0.44 gr. Die individuellen Verschieden¬
heiten scheinen mit dem Körpergewichte und dem Kräftezustande
nicht zusammenzuhängen.
6. ln Folge der grossen physiologischen Schwankungen der
Blutälkälescenz ist es bei Krankheiten nur dann zulässig von einer
erhöhten oder verminderten Alkalescenz zu sprechen, wenn wir in
der Lage waren, die Alkalescenz auch im gesunden Zustande zu
prüfen.
7. Bei magendarmkranken Säuglingen und beim Soor sind die
Schwankungen etwas grösser als bei gesunden. Es kann Vorkommen,
dass an manchen Tagen eine unterhalb der normalen Grenzen
liegende Verminderung der Alkalescenz beobachtet wird. Diese Ver¬
minderung tritt jedoch nicht in allen Fällen ein und ist somit nicht
als eine Regel zu betrachten.
8. Fieber vermindert bei Säuglingen nicht in allen Fällen die
Blutälkälescenz.
9. Aeltere Kinder von 4—5 Jahren scheinen eine etwas höhere
Alkalescenz (um 0.1—0.2 gr) zu haben.
10. Die Ursachen der grossen Schwankungen der Blutälkälescenz
sind noch nicht festgestellt. Ebensowenig auch die Ursachen der
relativen Schwankungen des Verhältnisses zwischen Serum- und Blut-
körperchenalkalescenz. Die Verhältnisse der Blutälkälescenz sind im
Ganzen noch sehr unklar und deshalb weitere Untersuchungen noth-
wendig.
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Ueber eine neue klinische Methode zur Bestimmung der Blutalkalescenz etc. 387
Tabelle I.
Neugeborene Kinder.
Name,
Tag der Qeburt,
Initial ge wicht,
Nummer der
Untersuchung.
Tag der Unter¬
suchung.
Gewicht, Bemerkungen über die
Gesundheitsverhältnisse.
’S
o Serum-
§ ► i
S
€
ro
M
Lkaleacei]
cm 3 Blu
'S
O
H
IX
t in gm
Martinek,
geh. 1V./6.
VI./6.
Alkalescenz des Mutterblutes nach
der Entbindung
0.16
0.25
0.41
In.: 3800
n
Placent&rblut
0.20
0.20
0.40
Nr. 1.
9
Das Kind gleich nach Geburt
0.186
0.24
0.376
7.
Icterus tritt auf, Serum gelb
0.16
0.21
036
8.
Gewicht — 8680
0.16
0.21
0.36
10.
G. - 8400 (
0.14
0.22
0.86
13.
G. = 8400 ] Icterus im Zunehmen
0.14
0.224
0.364
14.
G. = 8480 |
0.14
0.23
0.87
Kopie ,
IV./5.
Blutentnahme nach Geburt
0.16
0.24
0.40
geh. IV./5.
6.
Geringe Gelbfärbung
0.16
0.28
0.38
In.: 2800
9.
Gewicht 2680
0.13
0.20
0.33
Nr. 2.
10.
0.13
0.20
0.83
12.
Gewicht 2610
0.14
0Ü1
0.35
13.
Gewicht 2620
0.11
0.26
0.86
Siroky,
IV./3.
20 Stunden alt, schon getrunken
0.15
0.22
0.87
geh. IV./8.
4.
Geringer Icterus, Serum gelb
0.16
0.22
In.: 8080
6.
G. — 2960
0.16
0.20
0.36
Nr. 8.
7.
G. = 2900
0.14
9.
G. = 2980
0.12
11.
G. = 8000
0.126
12.
G. = 8000
0.12
Renner,
IV./8.
10 Stunden nach Geburt
0.12
0.24
0.36
Gottlieb,
4.
Geringer Icterus
0.12
0.18
0.30
geb. IY./3.
6.
G. = 3450. Serum gelb
0.14
0.20
0.84
In.: 3670
8.
G. = 3660.
0.14
0.20
0.34
Nr. 4.
9.
G. = 3660. *
0.14
020
0.34
11.
G. — 3870.
0.12
0.24
036
13.
G. = 3830.
0.18
0.25
0.38
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
388
t)r. Nicolaus Berend.
Digitized by
Neugeborene Kinder.
Name,
Tag der Geburt,
Initialgewicht,
Nummer der
Untersuchung.
Tag der Unter- !
Buchung. !
!
Gewicht, Bemerkungen
i
ä
E
0»
A
pro 100
ur
■8 3
S o
ü i H
s I
lkalescens
cm 3 Blut in (pn
Daniel,
IY./5.
1 Stunde alt
0.17
0.21
0.38
Marie ,
6.
Keine Gelbfärbung
0.12
0.21
053
geb. IV./6.
8.
G. «= 3750
0.13
0.22
0.35
In.: 8820
11.
G. = 3980
0.13
0.23
0.36
Nr. 5.
18.
G. = 4190
0.12
056
0.37
14.
G. = 4350
0.12
055
0.37
Oucha, Josef,
IV./4.
12 Stunden alt, noch nicht getrunken
0.162
1
054
059
geb. IV./4.
5.
0.16
0.17
0.32
In.: 2820
6.
G. = 2600
0.12
054
0.36
Nr. 6.
9.
G. = 2570
0.128
0.23
0568
12.
G. = 2650
0.128
055
0578
13.
0.128
0.26
0.378
14.
G. = 2690
0.12
0.25
0.37
Krasl, Josef,
IV./4.
16 Stunden alt. Schon getrunken
0.13
0.23
036
geb. IY./8.
5.
Geringer Icterus. G. = 3380
0.186
0.16
0.296
In.: 3460
6.
G. — 3460
0.128
0.179
0507
Nr. 7.
9.
Icterus im Zunehmen
0.13
0.18
051
10.
G. = 3510
0.13
0.18
051
11.
G. = 3600
Serum in allen Proben
0.12
0.22
0.34
18.
G. = 8670
I gelb
0.13
0.25
0.38
14.
G. = 3680
0.12
0.25
057
Matejka ,
IV./4.
24 Stunden alt, 8 Meconiumsttthle
0.16
0.26
0.42
Wilhelm,
5.
2 dyspep. Stühle, acidum
0.14
0.26
0.40
geb. IV./8.
7.
G. = 2950.
Icterus, Dyspepsie
0.14
054
0.38
In.: 2960
9.
G. — 2960.
Gebessert
0.14
056
059
Nr. 8.
10.
Acidum ausgesetzt, Icterus im Zu-
nehmen
0.12
056
058
12.
G. => 3050
0.13
0.25
0.38
13.
G. = 3070
0.12
0.26
057
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Ueber eine neue klinische Methode zur Bestimmung der Blutalkalescenz etc. 389
Tabelle II.
Gesunde Säuglinge.
Name,
Tag der Geburt,
Initialgewicht,
Nummer der
Untersuchung.
•
»4
«>
fl ei>
u 3
!«
g
ff
6*
£
O
©
Bemerkungen.
©
an j
A
pro 100
i
JO
u
4>
&
:0
M
Ikalescei
cm 3 Blu
•
4
O
H
12
t in gm
Strich, Josef\
III./29.
4200
Bis zur Untersuchung immer ge*
geb. 27./I.
sund. Künstliche Ernährung.
In.- 2420
Lahmanns Pflanzenmilch
0.18
0.20
0.38
Nr 9
31.
4250
0.20
0.24
0.44
IV./l.
4250
2 dyspept. Stühle
0.16
0.29
0.45
2.
4280
Stühle normal
0.20
0.26
0.45
4.
4330
0.20
0.26
0.46
Hajek, Josef\
III./29.
4070
Vor 2 Wochen geringer Soor,
geb. II./23.
jetzt gesund
0.14
0.20
0.34
In.: 2630
30.
4200
0.18
0.21
0.89
Nr. 10.
31.
4180
6 ccm 1 Wiener Heilserum
(600 Einheiten)
Vor der Injection:
0.16
0.21
0.37
2 Stunden nachdem:
0.14
0.25
0.36
IV./1.
4260
Keine Reaction. Vormittags:
0.148
0.24
0.388
Nachmittags:
0.14
0.26
0.40
2.
4280
Normales Verhalten
0.16
0.28
0.44
3.
4350
0.13
0.24
0.37
4.
4420
0.13
0.24
0.37
5 .
4620
0.12
0.24
0.36
Rexek, Marie,
III./29.
3670
Vordem Soor gehabt, seit zwei
geb. II./12.
Wochen gesund
0.13
0.21
0.34
In.: 2900
31.
3700
Geringe Bronchitis
0.16
0.20
0.36
Nr. 11.
IV./l.
8700
0.16
0.23
0.39
3.
3750
0.15
0.23
0.38
5.
3790
0.15
0.23
0.38
Schmorant-
III./26.
3900
Vordem geringe Dyspepsie, seit
xer, Josef,
10 Tagen gesund
0.18
0.21
0.39
geb. IIL/9.
29.
3850
Gesund
0.18
0.22
0.42
Nr. 12.
31.
3820
0.17
0.24
0.41
IV./1.
3860
0.188
0.20
0.388
2.
3870
0.18
0.24
0.42
Aeltere, gesunde Kinder.
Hubes, 4 Jahre alter Knabe
1)
0.20
0.24
mm
2)
0.20
0.26
Matejowsky , 4 Jahre alter
!) j
0.19
0.26
Knabe
2) |
0.18
0.25
Frencl, 5 Jahre altes
! 1)
0.18
0,26
0.43
Mädchen
i 2) |
0.19
0.26
0.45
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
3Ö0
Dr. Nicolaus Berend.
Digitized by
Icterische SXnglinge.
Name,
Tag der Geburt,
Initialgewicht,
Nummer der
Untersuchung.
L
|*
?!
■8 1
ff '
H
Gewicht.
Bemerkungen.
! ä
! S
oo
A
pro 100
h
■£ -
M
w
Ikaleaoens
cm * Blut in gm
Sladky ,
! 1
, 1V./4.,
3200
Kräftig, aonat gesund, starker
i
t
Wenxi,
Icterus, Serum gelb
0.12
0.23
0.35
gab. m./21.
Tn • 97AO
' 6.
3220
Icterus besteht, Serum gelb
0.18
0.21
0.39
Nr. 13.
8.
8370
n n
0.17
0.21
; 0X8
Chudoba,
Franx,
IV./1.
3200
Sonst kräftig und gesund
0.15
0.17
0.32
geb. HL/21.
2.
3270
Serum gelb
0.17
0.18
0.35
In.: 3000
4.
3870
0.14
0.18
0.32
Nr. 14.
n
Gaberle,
IV./4.
2980
Leichter Icterus im Abnehmen,
Ferdinand ,
cmh TTT /17
Serum wenig tingiert
0.15
0.21
0X6
gOU. •
Tn • 3250
5.
8000
Icterus blasst ab, Serum farb¬
Nr. 15.
los
0.13
0.25
0X8
Sindelar,
IV./4.
3900
Geringe Gelbfärbung der Haut¬
geb. IH./34.
decke
0.13
0.21
0.34
In.: 8920
5.
3950
Ebenso
0.12
0.21
033
Nr. 16.
6.
3980
n
0.13
0X2
0.35
Richter,
IV./1.
2820
Kräftiges Kind, intensiver
Karoline,
Icterus
0.15
0X2
0.37
geb. HI./22.
2.
2870
Serum intensiv gelbgefärbt
0.14
0X4
0.38
In.: 2760
w» irr
4.
2980
Icterus im Zunehmen
0.16
0X4
0.40
INT. 17.
5.
3010
0.18
0X0
038
7.
3120
Icterus weniger intensiv
0.15
0.22
037
9.
3200
» » n
0.14
0.23
0.37
14.
3250
Icterus geschwunden, Serum
hell
0.15
0.20
035
Gck 'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Tabelle HL
Säuglinge mit Dyspepsie, Gastroenteritis und Soor.
Ueber eine nene klinische Methode zur Bestimmung der Blutalkalescenz ctc. 391
-PROJ. 1
3 5
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0.42
0.424
0.41
0.38
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2 6
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0.26
0.27
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CM S CO Ol
wH vH
o o o o
0.18
0.164
0.14
0.18
Bemerkungen.
Bis IV./2. gesund, dann Dyspepsie, täglich 4—5 stinkende Stahle mit
unverdauten Milchresten. Soor orte, bekommt Guajacol carb., steht
seit IV./1. auf gleichem Körpergewicht
4 Stahle, bricht
Ebenso, 3 dttnnfl. Stühle
Ueber beiden Lungen dichtes Rasseln. Links unten tympan. 4 Stühle
Wird häufig asphyctisch. Lungenbefund unverändert
4 Stühle, bricht nicht mehr
Conjunctivitis, Icterus. Am 1V./9. entsteht Soor oris
Soor stärker entwickelt, 2 dttnnfl. Stühle
Soor besteht; Salzsäure, Senfbäder
n n n »
Palatoachieia. Am 16./1II. entwickelt sich Parotitis puruL Eiterent¬
leerung durch den D. Stenonianus; Incision am III./19. (Staphylo-
coccen in Reincultur.) Am 25./III. tritt intensiver Soor orte auf, aus
der Wunde und dem Gehörgange entleert sich phlegmon. Eiter. Fiebert
Ueber beiden Lungen bronchitische Geräusche
Soor besteht, fiebert noch
„ , Wundsecretion nimmt ab
Gewicht.
I ilill
2750
2770
2760
2760
2900
2870
2870
2900
'jhraqon8J9)U£i
wp Suj,
IV./6.
7.
S.
10.
12 .
14.
1V./11.
12.
13.
14.
d ^
d .
7* »—* Ol
0 "C
Name,
Tag der Geburt,
Initialgewicht,
Nummer der
Untersuchung.
k
"f ~ I ®
ItÜjg
Pfeifer, Oottlieb ,
geb. QL/26.
In.: 2750
Nr. 19.
| ^ i s
Digitized by
Gck 'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
392
Dr. Nicolaus Berend.
Digitized by
Gck 'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Ueber eine neue klinische Methode zur Bestimmung der Blutalkalescenz eic. 393
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Digitized by
Gck igle
Original ftom
UNIVERSITY 0F CALIFORNIA
394
Pr. Nicolaus Berend.
Digitized by
Tabelle IV.
Andere Krankheiten.
Namo,
Tag der Gebart,
Initialgewicht,
Nummer der
Untersuchung.
j Tag der Unter-
I Buchung. |
Gewicht.
Bemerkungen.
s
1 ^
A
| pro 100
£
•2 3
& 1 £
.*© j
Ihalesceuz
cm 3 Blut in gm
Sctüechta,
Rosa,
geb. I./24.
In.: 2860
Nr. 27.
III. /23.
25.
29.
IV. /1.
4.
2420
2470
2570
2050
2700
Anfangs Februar stürmische
Gastroenteritis Überstunden,
starken Soor gehabt; kommt
nur allmälig zu sich. All¬
gemeine Schwäche und Ka¬
chexie
Status idem
Kommt langsam zu sich. 4 St
Brust
Kommt langsam zu sich j
n n » n |
0.14
0.14
0.14
0.15
0.13
0.18
0.19
0.19
0.24
0.24
;
0.32
0.33
0.33
0X9
0.37
Müller,
III./24.
4520
Lues congenita. 6 Schmier-
i
Franziska,
touren beendet, künstliche
o*pK XII /3
Ernährung (Lahmanns Uilch).
Milz und Leber hart, ver-
In.: 2960
grössert. Acute Symptome
Nr. 28.
schon geschwunden
0.16
0.18
0.34
2*5.
4550
Geringe Dyspepsie. HCl inner¬
lich
0.15
0.18
0.33
27.
4620
Dyspepsie gebessert
0.17
0.20
0.37
29.
4700
0.15
0.19
034
81.
4800
0.17
0.20
037
IV./4.
4820
0.15
0.21
0.36
Dvorxsak,A.,
IIL/28.
1460
Angeborene Ijebenssckwäche.
geb. I./19.
äcleroödem, Soor orte. Nimmt
Tn • 1320
Coffein. HCl. Temperatur
XXI« • J. KßädXJ
XT-* nn '
35.6—37.0
0.148
0.15
0.298
Nr. 29.
29.
1490
3,426,447 rothe, 14JB40 weisse
Blutkörperchen, Hämoglobin
nach Fleischl. 40°/®
0.14
0.16
0.30
31.
1470
Coffein weggelassen, sonst
Status idem
0.166
0.16
0.316
IV./l.
1490
0.14
0.15
0.29
2.
1500
2 dyspeptische, etwas dünn fl.
i
Stühle
0.145
0.16
0-305
7.
1660
0.14
0.185
0.325
10.
1540
0.136
0.20
0.336
14.
1560
i
0.128
0.20
0328
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
(Aus der medicinischen Klinik des Prof. v. Jakseh in Prag.)
KLINISCHE ERFAHRUNGEN ÜBER DEN HARNSTOFF
ALS DIURETICUM
Dr. siegmünd kohn,
Exteraarst der Klinik.
Cr. Klemperer 1 ) veröffentlichte Anfangs Jänner 1896 seine
Anschauungen über die Wirkungsweise des Harnstoffs als Diureticum.
Er theilt gleichzeitig seine Erfahrungen mit, dass er bei der Be¬
handlung der Lebercirrhose mit Ascites und bei Herzaffectionen
deutliche Erhöhung der Diurese erzielt habe, während er vom
Gebrauche des Harnstoffes direct abräth bei Leuten mit Nieren-
erkrankungen, weil nur gesundes Nierenepithel durch das genannte
Mittel zur Secretion gereizt werden könne, eine Vorstellung, von
der er überhaupt ausgieng, als er die physiologische Wirkung des
normal vorkommenden Harnstoffes erwog. Zum Schlüsse seiner Arbeit
empfiehlt er den Harnstoff zu weiteren Versuchen an geeigneten
FäHen.
Prof. v. Jaksch unterzog bisher an seiner Klinik zehn Fälle
der Behandlung mit Urea und beauftragte mich, die Erfahrungen
hierüber zu sammeln, zu vergleichen und zu veröffentlichen.
Wir entsprachen jedesmal den Wünschen Klemperer's, nur bei
Leuten mit gesunden Nieren Harnstoff anzuwenden, stiegen mit der
Tagesdosis von 5 gr (Min.) bis 25 gr (Max.) und legten Tabellen
*) Klemperer, Berl. Klin. Wochenschrift 33, 6, 1896.
ZeiUchiift für Heilkunde. XVII.
Digitized by Gougle
26
Original frorn
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
396
Dr. Siegmnnd Kolm.
von der täglichen Hammenge und dem specifischen Gewichte des
Harnes an bei Anwendung von Urea, um dieselben mit anderen
Tabellen vergleichen zu können, welche uns die täglichen Hara-
mengen und das specifische Gewicht unter Anwendung anderer
Diuretica, wie Digitalis, Natr. salicyL, Calomel, Inf. Petroselini,
hauptsächlich aber von Diuretin zeigten.
Wir zogen zur Behandlung herbei vier Fälle von Lebercirrhose
mit Ascites, 2 Pleuritiden mit beiderseitigen Exsudaten, eine acnte
Pericarditis mit grosser Exsudatmenge, einen incompensierten
Herzfehler, einen Hydrops ascites, wahrscheinlich durch Tuber-
culose des Peritoneums bedingt, und endlich einen Hydrops ascites
mit Anasarca bei Carcinomatose des Ovariums. Die folgenden
Tabellen sollen uns zunächst die Medicamentenverabreichung zeigen,
sollen uns weiter über die Harnmengen und dessen specifisches Ge¬
wicht belehren und uns einen Vergleich gestatten, damit unsere
Erfahrungen über die Wirkungsweise der Urea auch anderweitig
solche Versuche anregen, zunächst aber die Frage sichergestellt
werde, ob die künstliche Zufuhr von Harnstoff sicher eine Ver¬
mehrung der Diurese gleich anderen so zahlreichen harntreibenden
Mitteln herbeifuhrt. Es können allerdings zehn Fälle kein
definitives Urtheil erlauben. Auch v. Noorden 1 ) hält seine Er¬
fahrungen noch nicht für gross genug, um abschliessend urtheilen
zu können, trotzdem er in einzelnen Fällen eine vorzügliche Ein¬
wirkung bei der Behandlung schwerer Herzaffectionen nach Ver¬
abreichung von 6—10 gr pro die beobachtete.
Vorangeschickt sei noch, dass die Fälle ohne besondere Aus¬
wahl für die Medication genommen wurden, mochte auch von vorn¬
herein, wie im Falle 10, ein Erfolg sehr zweifelhaft erscheinen.
*) v. Noorden, Eulenburg’ß Bealencyclop. 10, DI. Anfl. 1896. S. 441.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Klinische Erfahrungen über den Harnstoff als Diureticum.
397
I.
F. R., 56jähriger Mann.
Klinische Diagnose: Cirrhosis hepatis atrophica, Oedema extremitatum in¬
feriorem. Icterus.
Eintrittstag: 26./III. 1896.
Datum
Diureticum
Harumenge*)
Specif. Gewicht
Bemerkungen
27. III. bis
6./IV. 1896
Diuretini 5*0
27./IH—l./IV.
400-800 cm»
1.—6./IV.
1200-2000
1016-1020
1012
Bei sechs bis acht
Durchfällen pro Tag.
7./IV.
Calomel 0'6
600
1016
Drei Durchfälle
pro Tag.
8./IV.
Calomel 0-4
500
1016
9./1V.
Calomel 0'2
550
1016
10.—14./IY.
Diuretini 6-0
1200—1600
1014—1016
14.—16./IV.
Ureaepur. 5*0
400
600
1018
Keinerlei Beschwer¬
den, keinerlei
Durchfälle.
16.—90./IV.
Ureaepur. 10*0
450—800
1016—1020
n.
B. E., 19jähriger Mann.
Klinische Diagnose: Hepatitis interstitialis chronica. Intnmescentia hepatis
et lienis. Starker venöser collateraler Kreislauf. Ascites mfissigen Grades.
Eintrittstag: 14./IV. 1896.
Datum
Diureticum
Harnmenge
Specif. Gewicht
Bemerkungen
24/IY-7./Y.
Ureaepur.10'0
1050—1250
1018-1020
7.—15/5.
Ureaepur . 15*0
750—1100
1016—1020
Keine
Durchfälle.
15.—25/V.
Vreaepur20*0
1000—1500
1016
26./V. bis zum j
Austritt |
Ureaepur 25*0
1500
bis 1750*)
1017—1022
Messung der Umfänge. I. Umfang des Abdomens: 1) in Nabelhöhe — 74 cm,
2) grösste Circumferenz = 79 em, 8) Pr. xiph.-Nabel = 20 cm, 4) Nabel-Symph.
=» 13 cm.
II. Messung am 15./V.: 1) = 83 cm, 2) = 87 cm, 3) = 20 cm, 4) = 17 cm.
HL Messung am 15./YI.: 1) = 86 cm, 2) ■» 89 cm, 3) «=> 22 cm, 4) = 18 cm.
*) Die Hammengen mussten, sobald nicht grössere Differenzen vorkamen, im
Durchschnitte gewählt werden, denn sonst müssten die Tabellen zu sehr ermüden,
wollte man Tag für Tag etwa durch 8—4 Monate die Hammengen wiedergeben.
*) Ein einziges Mal wurde eine Hammenge von 8800 cm erreicht
26*
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
398
Dr. Siegmund Kohn.
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in.
M. A., 22jfihriger Mann.
Klinische Diagnose: Atrophische Leberoirrhoee.
Eintrütstag: 21./DL 1896.
Datum
Diureticum
Hammenge
ßpeoif. Gewicht
Bemerkungen
21./m— 6./IV.
Diuretini 6-0
1800
durchschnitt¬
lich!
1018
Verabreichte Mengt
m Mo
102 gr
7.—10../IV.
Calomel 0-6,
0-4, 0-2
1000-1250
1018-1021
16 gr
10.—14/IV.
Diuretini 6 0
850—1200
1018
60 gr
15.—18./IV.
Ureaepur. 10-0
800—1000
1015
625 gr
19.—25./IV.
Ureae pur. 25* 0
950—1150
1014—1016
854V—14/V.
Ureaepur. 25'0
1100—1400
1012—1014
16./V.—15./VI.
Sohmierour
Ung. hydrarg.
ein. 2-0 pro die
1200-1600
1016
6 Touren zu je 10 gr
= 60 gr
IV.
P. J., 23jähriger Mann.
Klinische Diagnose: Insufficient valvuL aortae. Insnffic. ralv. mitral. Con-
oretio pericard. cum oorde. Ascites. Stauungsleber mit Induration.
Eintrittstag: 14/1. 1896.
Datum
Diureticum
Hammenge
8pedf.Gewicht
Bemerkungen
15./I.-17./H.
Inf. fol. digi¬
tal» purp,
e 0-6,0 5,0-4,
03, 02, 0-1
1000—1100
1016—1020
Abdominal-Punctkm
am 10/[I. Entleerung
von 12 Liter Tnhalt
18./II.—8./IV.
Inf. Petroselini
e 10-0
450—1000
zumeist
600-800
1018—1022
Abdomin&l-Punction
am 6./IV. Entleerung
von 12 Liter Inhalt
8.—20./TV.
Diuretini 6-0
800—1250
1016
21—25 /IV.
26—28./IV.
29./IV.—11./V.
Ureaepur. 5'0
UreaepurJO-O
Ureaepur J5'0
750—1000
1000-1100
1000-1250
1015
1012-1014
1014—1018
12—20 ./V.
Digitalis 0-6
1200-1600
1016
Abdominal-Punctkm
am 14/V. Entleerung
von 10 Liter.
20./V.—15./VI.
Diuretini 6*0
950—1400
1018
Abdominal-Punctioo
am 12./VI. Entleerung
von 11 Utar.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Klinische Erfahrungen über den Harnstoff als Diureticum.
399
V.
M. J. y 40jähriger Mann.
Klinische Diagnose: Rechtsseitiges ausgebreitetes pleurit. Exsudat mit Ver¬
drängung der Brustorgane.
Eintrittstag: 24./FV. 1896.
Datum
Diureticum
Harnmenge
Specif. Gewicht
26.—28./IV.
kein solches
450—700
1022—1025
gereicht
29./IV.-4./V.
Ureae pur . 5 0
1050 —1600
1018—1020
5.—15./V.
Ureae pur. 10 0
1600—2400
1018-1020
16./V.
bis Schloss
Ureae pur. 15 0
1800 —2650
1016-1020
Bemerkung: Das Exsudat verändert sich trotz der grossen Harnmenge nicht;
es wird daher am 24./V. eine Aspirationspunction gemacht und l 1 /* Liter Flüssig¬
keit entleert. Das Exsudat nimmt auch dann noch nicht wesentlich ab.
VI.
S. J.y 22jähriger Mann.
Klinische Diagnose: Exsudat, pleuriticum bilaterale.
Eintrittstag: 28./IV. 1896.
Datum | Diureticum
Harnmenge
Specif. Gewicht Bemerkungen
29./IV.—13./V.
kein solches
gereicht
1000—1500
1018-1020
Kein Rückgang.
14.-20 ./V.
Diuretini 5-0
1250—1400
1016—1020
21.-30 ./V.
Inf. fol.
Digitalis 10 in
absteig. Dosis
760—1200
1016—1018
1.—10./VL
Diuretini 6 0
850—1200
1022—1024
11.—20./VI.
Ureae pur. 5-0
10-0
20-0
960
800
1100
1018
1020
1020
VII.
S. J.y 23 jähriger junger Mann.
Klinische Diagnose: Pericarditis exsudativa; Pleuritis sinistr. Rheuma¬
tismus artic. peractus. Endocarditis ad valvul. mitralem.
Eintrittstag: 29./IV. 1896.
Datum
Diureticum
Harnmenge
Specif. Gewicht
1.—7./V.
Infus, fol. Digitalis
e 0 6, 0-5, 0'4y
0-3, 0 2, 01
von 300 Anfangs
bis 2500
angestiegen
1022
8.—10./V.
Ureae pur. 5 0
800
1018
10.—12./V.
Ureae pur . 10-0
1200
1016-1018
12.—16./V.
Ureae pur. 15-0
1650
1018-1020
Bemerkung: Beide Exsudate sind durch Ruhelage und Verabreichung beider
Diuretica so zurükgegangen, dass Patient wesentlich gebessert das Spital verliess.
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400
Dr. Siegmund Kohn.
vm.
Pr. Fr., 18 Jahre alt.
Klinische Diagnose: Insufficientia valv. mitr. in stadio incompensationis.
Eintrittstag: 19./1Y. 1896.
Datum
Diureticum
Harnmenge
Specif. Gewicht
Bemerkungen
19./IV.-1./V.
Ureae pur. 5'0
400-800
1015-1018
1.-6./7.
Ureae pur. 10'0
550—700
1012—1016
7.—ll./V.
Ureae pur. 15'0
400—600
1016—1020
12.—15 ./V.
Ureae pur. 20'0
350—600
1015
15.-18./V.
Calomelanos
0-6
400
1020
7 Diarrhöen!
0-4
650
1030
5
02
650
1026
4
19.—23./V.
Diuretini 5'0
1850
1015
Der Hydrops ascites fast
völlig gescnwunden, die
1750
1016
2300
1018
Dvspnöe des P. gering.
2500
1015
In diesem Zustand ver¬
lässt P. auf eigenes
Verlangen das Spital.
IX.
Sch. J.y 9jähriger Knabe.
Klinische Diagnose: Peritonitis chronica tuberculosa.
Eintrittstag: 19./V. 1896.
Datum
Diureticum
Harnmenge
Specif. Gewicht
Messungen
20./V.
Ureae pur. 5'0
400
(minimal)
1020
Grösster Umfang des
Abdomens = 64 cm,
in Nabelhöhe = 57 cm
28./V.
do.
650
1018
Gr. Umf. = 60 cm,
in Nabelhöhe = 56 cm
7./VI.
do.
650
1018
Gr. Umf. = 60 cm,
in Nabelhöhe = 55 cm
15./VL
do.
800
(maximal)
1016
Gr. Umf. = 58 cm,
in Nabelhöhe = 54 cm.
Bemerkung: Patient verlässt fast völlig geheilt das Spital.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Klinische Erfahrungen über den Harnstoff als Diureticum.
401
X.
0. M., 59jährige Frau.
Klinische Diagnose: Carcinoma ovarii, Flüssigkeitserguss in die Bauch- und
in die rechte Pleurahöhle (Metastasen an den serösen Häuten).
Eintrittstag: 7./V. 1896.
Datum
Diureticum |
Harnmenge
8pecif. Gewicht
Messungen
7.—10./V.
Ureae pur. 5 0
300 cm*
1024
Gr. Umfang = 112 cm
11.—14./V.
Ureaspur. 10'0
400
1022
Gr. Umfang nach der
Punction = 96 cm
16.—20./V.
Ureae pur. 15'0
900
| 1026
Gr. Umfang = 98 cm
21.-25./V.
Ureaepur.200
600
1024
Gr. Umfang = 100 cm
25./V.
bis 16.,VL
Ureae pur.25 0
850
1
1024
Gr. Umfang = 106 cm.
Bemerkungen: Punction am 12./V., wobei 2 Liter Flüssigkeit entleert werden.
— Bei der Malignität der Erkrankung war auch durch ein Diureticum selbst¬
verständlich keine Besserung zu erzielen.
Das Resumö, das wir ans diesen Tabellen zu ziehen hätten,
ist, dass der Harnstoff nicht in allen pathologischen Fällen seine
Wirkung als physiologisches Diureticum bewährte. Dass er zu den
sogenannten Diureticis specificis gezählt ist, erklärt auch Kobert 1 )
wie Klemperer dadurch, dass er das secemierende Nierenparenchym
zu grösserer Thätigkeit anrege. Doch fügt er bei, dass wir Urea
bisher noch nicht als Diureticum angewendet haben, weil sie schon
an und für sich in überreicher Menge vom Organismus selbst her¬
vorgebracht wird, und die Niere an die von ihr hervorgebrachten
Reize schon gewöhnt ist. Zugegeben muss werden, dass unsere
Kranken den Harnstoff ohne jede Störung vertrugen, wir beob¬
achteten nie Beschwerden, welche auf seine Darreichung zu beziehen
gewesen wären.
In unseren Fällen sind während der Ureaverabreichung drei
nennenswerthe Besserungen eingetreten, in dem Sinne, dass die
Hammengen stiegen. Der Fall 9 bietet den besten Erfolg, denn
die Flüssigkeitsansammlung in Abdomine schwand völlig unter
blosser Hamstoffverabreichung. Die Fälle 2 und 5 wiesen unter
Ureaverabreichung andauernd grosse Hammengen auf, doch
wurden dadurch weder die Cirrhosis hepatis, noch das rechts¬
seitige pleuritische Exsudat wesentlich beeinflusst. Bei unseren
Herzaffectionen leisteten Digitalis und Diuretin doch imm er
*) Robert, Lehrbuch der Pharmakotherapie, 288, Enke, Stuttgart 1896.
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Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
402
Br. Siegmund Kohn.
noch das Beste. In den erübrigenden Fällen musste man dem da¬
neben gereichten Digitalis, Diuretin und Calomel, endlich gewiss
oft dem Natr. salicyl. die vermehrte Haramenge zuschreiben.
Es kann und wird demnach noch längere Zeit hindurch fort¬
gesetzte Beobachtung über die Wirkungsweise der Urea uns erst
belehren können, ob und wann wir das Mittel anwenden sollen,
um mit Sicherheit diesem eine gute Wirkung zuschreiben zu können.
Vielleicht finden sich dann noch einige Afiectionen, bei denen es
zu meiden ist, und die Indication für die Verabreichung des Mittels
wäre vielleicht enger zu stellen.
Juli 1896.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
(Aas der medicinischen Klinik des Prof. R. v. Jaksch in Prag.)
EIN BEITRAG ZUR KENNTNIS DER ACUTEN
SCHWEFELKOHLENSTOFF-VERGIFTUNG
Db. KARL PICHLER,
Assistenten der Klinik.
Seit Ddpech 1 ) das Symptomenbild der chronischen Schwefel¬
kohlenstoff-Vergiftung bei den Arbeitern der Kautschnckindnstrie auf¬
gestellt hatte, sind eine ganze Reihe von casuistischen Mittheilungen
erschienen, welche über das Vorkommen dieser Gewerbeerkrankung
uns hinlänglich belehrt haben. Insonderheit hat sich die bei solchen
Intoxicationen zu beobachtende Sehstörung des Interesses der Augen¬
ärzte zu erfreuen gehabt 8 ) Viel spärlicher fliessen die Berichte
über acute Vergiftungen mit diesem Mittel 9 ) und dies ist der Grund,
weshalb im folgenden über den an unserer Klinik jüngst behandelten
Fall berichtet wird.
Am 24. April d. J. l*/ 4 Uhr Nachts wird der 38jährige Hut¬
macher F. K. von der Sicherheitsbehörde an die Klinik gebracht
Er war eine Viertelstunde vorher in bewusstlosem Zustande auf¬
gefunden worden; neben ihm stand ein Fläschchen von gegen
150 cm 8 Inhalt, welches zu 8 / 8 mit einer wasserhellen Flüssigkeit
gefüllt war. Ein Schreiben in den Kleidern des Mannes enthielt
die Mittheilung, dass er durch Selbstmord sein Leben enden wolle.
Der Mann ist bei der Einbringung stark benommen, reagiert
und antwortet jedoch auf lautes Anrufen. Patient bietet keinerlei
*) Delpech, Union medicale 66, 1856 and Annales d’hygiene publique et de
med. 16g. 19, 66, 1868.
*) Vergleiche hierzu Reiner, Wiener klin. Wochenschrift 8, 919, 1895, wo¬
selbst die einschlägige oculistische Litteratar erwähnt ist.
*) Aach in der jüngst in der Berliner medic. Gesellschaft (17./VI. d. J.) ab¬
gehaltenen Disoassion (siehe Referat in der Deatsohen medio. Wochenschrift 22 ,125
Vereinsbeilage 1896) vermisse ioh eine Erwähnung der acuten Intoxioation mit
dem Mittel.
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
404
l)r. Earl Pichler.
motorische Reizerscheinungen (Zittern oder Krämpfe). Seinem Munde
entströmt ein intensiver, rettigähnlicher Geruch. Weder an den
Kleidern, noch am Munde Spuren von Erbrochenem. Unter lebhaftem
Sträuben seitens des Kranken wird der Magenschlauch eingeführt
und eine Magenausspülung vorgenommen. Die entleerte Flüssigkeit
riecht sehr stark nach Schwefelkohlenstoff. Es wird mit der Spülung
so lange fortgefahren, bis das Wasser geruchlos abläuft
Status praesens (erhoben den 24./IV. 9 Uhr früh von Professor
v. Jaksch ): Kräftiger Mann, gut genährt, von mittlerer Muskulatur,
nicht fiebernd. Der Patient ist noch immer etwas benommen, klagt
über Kopfrehmerz, Schwindel, sowie über Brechreiz. Die Farbe
des Gesichtes ist (von früher her) etwas geröthet, dabei aber livide,
cyanotisch. An der oberen Bauchhaut einige kleine Hautblutungen;
sonst allenthalben die Haut normal, gesteigerte Erregbarkeit der
Hautgefässe beim Darüberstreichen. Die Augen werden geschlossen
gehalten; Patient empfindet das Oefinen der Lider schmerzhaft;
es besteht starke Röthung und Schwellung der Bindehäute mit ver¬
mehrter Secretion. Die brechenden Medien normal, Pupillen prompt
reagierend. Die Augenspiegeluntersuchung, der Lichtscheu wegen
nur im umgekehrten Bilde möglich, ergiebt weder an den Sehnerven¬
papillen, noch an den Gefässen einen abnormen Befund. Aus den
Munde noch immer deutlicher Schwefelkohlenstoffgeruch. Die Rachen¬
schleimhaut ist stark geschwellt und geröthet, aber unverletzt
Leichte Heiserkeit
Die physikalische Untersuchung der Brustorgane zeigt normale
Verhältnisse. Der Radialpuls ist von gewöhnlicher Frequenz, von
guter Füllung und Spannung.
Das Abdomen ist nicht ausgedehnt, überall, besonders in der
Magengegend etwas druckempfindlich. Leber, Milz nicht vergrössert
Im nativen Blutpräparate keine Poikilocytose, kein Pigment,
weder frei, noch in Zellen eingeschlossen zu finden.
Die Blutuntersuchung ergiebt weiters:
R = 4.600.000
W = 10.000
W:R = 1:466
Hb ( Fleischt ) = 90°/ 0 = 12 6 gr.
Pat. kann alle Extremitäten gut bewegen; seine Sensibilität
ist prompt; die Patellarreflexe sind lebhaft.
Die Untersuchung des erstentleerten (katheterisirten) Harnes
ergiebt: derselbe riecht nicht nach Schwefelkohlenstoff, ist gesättigt,
sauer, frei von Eiweiss; er zeigt Reduction bei der frommerschea
Probe, ist aber optisch inactiv. Indican (Jaffe), Aceton (Legal),
sowie Acetessigsäure (Eisenchloridreaction) positiv.
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Ein Beitrag zur Kenntnis der aonten SchwefelkoUenstoff-Vergiftong. 405
Decursus. 24./IV. Pat erhält im Verlaufe des Tages ein
Klysma, sowie ein Sennainfus per os; der entleerte Stuhl bietet
nichts auffälliges weder für das unbewaffnete Auge, noch im
mikroskopischen Bilde; auch zeigt er keinen Schwefelkohlenstoff-
geruch.
25. /IV. Die Reizungserscheinungen an den Augen, sowie die
Röthung der Bindehaut sind geschwunden. Das Sensorium ist wieder
völlig frei. Patient vermag (trotz warmer Umschläge auf die Unter¬
bauchgegend etc.) nicht spontan zu urinieren, sondern muss kathete-
risiert werden, wobei der Katheter am Sphincter längere Zeit aufge¬
halten wird. Im heutigen Harne fehlen abermals Eiweiss und
Zucker; Aceton und Acetessigsäure sind positiv, letztere schwächer
als früher. Die Chlorzinkammoniakprobe auf Urobilin zeigt leichte
Fluorescenz. Alimentärer Glukosurie-Versuch. Der Kranke erhält
100 gr Traubenzucker in Thee. Der vorher entleerte Harn gibt
sämtliche Zuckerproben negativ (1. Trommer, 2. Nylander, 3. Phenyl¬
hydrazin, 4. Gährung, 5. Polarisation). Der bis zum Abend des¬
selben Tages abgesonderte, mit Katheter entleerte Ham hingegen
(600 cm 8 vom spec. Gewichte 1013) alle 5 Proben positiv; nach
Massgabe der Rechtsdrehung enthält er 0 45 °/ 0 Traubenzucker
= 2’7 gr. Der Morgenham vom 26./IV. ist wieder völlig zuckerfrei
26. /V. Noch immer nicht spontane Harnentleerung. 27./IV.
Starke Salivation. Einmaliges Erbrechen. Nach Sennainfus mehrere
diarrhoische Entleerungen. Patient kann wieder willkürlich Ham
lassen.
28./TV. Schmerzen in der Magengegend; leichte Salivation.
Der Kranke klagt über Ermüdung beim Lesen; Sehschärfe eine gute.
Neuerlicher Glukosurieversuch: von 100 gr eingeführten Trauben¬
zucker werden in den nächsten 4 Stunden 0*11 gr ausgeschieden.
Die folgenden Tage bis zum 3./V. besteht noch immer der
Speichelfluss. An diesem Tage bekommt der bis dahin stets fieber¬
freie Patient eine leichte Temperatursteigerung (bis 37*6° C) und
Diarrhöen.
Nach dieser Episode verläuft der übrige Spitalsaufenthalt (bis
zum 9./V.) ohne weitere Störung nnd wurde der Mann über eigenen
Wunsch im besten Wohlsein entlassen.
Eine (an der Augenklinik Prof. Ceermak) am 6. vorgenommene
Untersuchung ergab normalen Befund (Sehschärfe beiderseits */ 6 ,
Gesichtsfeld normal, ebenso der Spiegelbefund).
Am 7. erhält der Kranke zum dritten Male 100 gr Trauben¬
zucker, welcher diesmal völlig assimiliert wird.
Die quantitative N- Bestimmung im Harne der ersten Tage
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Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
406
Dr. Earl Pichler.
(nach Kjelddhl ), sowie die Harnsänrebestininmngen nach Hopkins 1 )
sind ans folgender Tabelle zu ersehen; in allen Fällen sind die Zahlen
das arithmetische Mittel ans zwei gutstimmenden Parallelanalysen.
Ham
vom
Menge
in cm*,
specif.
Gewicht
N in der
Tagesmenge
(in 6)
Harasfiure
in 100 cm*
Harnsäure
in der
Tages¬
menge
Ham*
säure-N
in der
Tages¬
menge
Hara-
säure-N: Ge-
sammt-N
24./V.
(Nacht)
600
1014
5-83
(Oeeunmtmange)
0-0183
00916 | 0-0806
(Gesammtmenge)
1:194
24./V.
1800
1014
1588
0-0208
0-2639
0-0879
1: 180
25./V.
1400
1014
1710
0-0985
1-8790
0-4596
1 :372
26.—28./V. fehlt
28./V.
1800
1020
16-47
0-0697
0-9061
0-3020
1 :545
29./V.
1200
1017
15-62
00523
0-6276
0-2092
1:74-6
Die bei dem Kranken vorgefhndene Flüssigkeit, welche nach
seiner Angabe zum Lösen von Kautschuck bei seiner Gewerbsthätig-
keit diente, erwies sich nach dem Aussehen, dem Gerüche, sowie
der charakteristischen rothen Farbe, mit welcher Jod darin sich
löste, als Schwefelkohlenstoff. Das Präparat war, wie die meisten
in der Technik verwendeten, schwefelwasserstoffhältig; *) Bleipapier
wurde sofort geschwärzt
Unser Kranker hat von der Flüssigkeit etwa 50 cm* genossen;
nachträglich gab er an, sofort ein Zusammenschnüren auf der Brust
verspürt zu haben und dann bewusstlos geworden zu sein; die Zeit,
welche bis zu seiner Einbringung verstrich, betrug weniger als
eine halbe Stunde.
Die bisher beschriebenen Fälle acuter Schwefelkohlenstoff-Ver¬
giftung verdienen nur zum Theile diesen Namen; es handelt sich
meist um Unglücksfälle von Arbeitern, welche bereits chronisch
den Einwirkungen der Dämpfe bei ihrer Arbeit ausgesetzt waren
und eines Tages durch Platzen eines Gefässes oder a. m. plötzlich
grössere Mengen eingeathmet hatten. So berichtet Delpech*) nach
*) Hopkins, siehe v. Jakseh , Klinische Diagnostik, 4. Auflage, 481, 1896.
*) Delpech 0- c.). p. 118.
*) Delpech (L o.), p. 78 und 97.
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Original frurn
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Ein Beitrag zur Kenntnis der acuten Schwefelkohlenstoff-Vergiftung. 407
Erzählungen von Arbeitern, über einige solche Fälle in der Kaut-
schuckindustrie, wo die Individuen in bis mehrere Standen dauernde
Bewusstlosigkeit verfielen.
Flies 1 ) erwähnt kurz, dass zwei Arbeiter beim Reinigen eines
grossen Bottiches, in welchem Rübölknchen mit Schwefelkohlen¬
stoff entfettet wurde, nach wenigen Minuten Aufenthaltes der eine
in einem tmnkenheitsähnlichen Zustande, der andere wie leblos
herausgeholt worden, wobei der zweite erst nach Standen unter
Zeichen höchster Exaltation sich erholte.
Von acuten Vergiftungen in selbstmörderischer Absicht fand
ich in der Litteratur zwei verzeichnet Davidson-Douglas •) beob¬
achteten einen 33 jährigen Kutscher, welcher 2 Unzen (= 56 */s gr)
käuflichen, zum Putzen von Pferdegeschirr verwendeten Schwefel¬
kohlenstoff absichtlich getrunken hatte. Der Kranke war tief be¬
nommen, blass und cyanotisch, in einem schweren Collapse mit
stertoröser Athmung und kleinem Pulse.
Er erbrach wiederholt Massen vom charakteristischen Gerüche.
Der bedrohliche Zustand dauerte gegen 4 Stunden an; dabei
bestand Temperatursteigerung bis 101° F = 38*3° C. Noch am
folgenden Tage bestand starker Kopfschmerz, Reizung der Binde¬
häute, Pupillenerweiterung. Athemluft, Harn und Stuhl rochen
nach Schwefelkohlenstoff. Temperatur 99° F = 37-2® C. Noch
5 Tage währender Kopfschmerz; am 12. Tage wurde der Kranke
völlig gesund entlassen. Die Behandlung bestand in sofortiger
Magenansspülnng und in Darreichung von Gummischleim.
Foreman ®) erlebte eine tödtlich endende Vergiftung nach Ein¬
fuhr von etwa 1 / t Unze (= 14 gr) Schwefelkohlenstoff bei einem
63jährigen Potator; derselbe gieng 2 1 /* Stunden nach der Einnahme
comatös zu Grunde. Magenausspttlung, Brechmittel, hernach Alco¬
holica waren vergebens. Bei der Obduction (20 Stunden nach dem
Tode) fand sich im Magen starke Injection der Schleimhaut mit
kleinen Blutaustritten.
Endlich berichtet Jaenicke 4 ), dass ein schwer Betrunkener im
Arrest todt aufgefunden wurde neben einem Reinigungs-Apparate,
der mit Schwefelkohlenstoff beschickt war, wobei die Vergiftung
durch Einathmung oder vielleicht auch durch Trinken der Flüssig¬
keit erfolgt sein konnte. Der Obductionsbefund bot nichts Be-
merkenswerthes.
*) Flies, Berliner klin. “Wochenschrift 3 , 820, 1866.
*) Davidson-Douglas, Med. Times and Gazette 360, 1878. 2. Bd.
•) Foreman Lancet 118, 1886, II. Bd.
*) Jaenicke citiert nach Virchotc-Eirsch’s Jahresbericht 504, 1889, L Bd.
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Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
408
Dr. Earl Pichler.
Eine Möglichkeit zu acuten Vergiftungen wäre noch in der
medicinalen Anwendung des Mittels gegeben; hat ja Dujardm-
Beaumetz 1 ) den Schwefelkohlenstoff als Darmantisepticum empfohlen
und zwar in Tagesdosen bis 25 gr (!). Wenn ausser Aufstossen
und Diarrhöen nichts Nachtheiliges von der Anwendung berichtet
wurde, so liegt dies vielleicht daran, dass das Mittel nicht auf
einmal, sondern in mehreren Einzelgaben gereicht wurde.
Wir beobachteten in unserem Falle neben den nervösen Symp¬
tomen (Coma und im Anschlüsse daran Kopfschmerz) leichte Beizungs-
erscheinungen von Seiten verschiedener Schleimhäute: Conjunctivitis,
Stomatitis, Beizung der Magen- und Harnröhrenschleimhaut.
Dass der Schwefelkohlenstoff örtlich auf die Schleimhäute
reizend wirkt, ist bekannt. So beschreibt Ddpech 9 ) eine mit Horn-
hautstaphylom ausheilende Keratitis durch (zufälliges) Eindringen
eines Tropfens des Mittels in den Bindehautsack. An anderer
Stelle (p. 80) erwähnt er, dass der Harn bei seinem Durchgänge
durch die Urethra ein starkes Brennen verursache. Wir sind daher
wohl berechtigt, die in unserem Falle aufgetretene Dysurie auf die
Vergiftung zu beziehen. Auch die von uns beobachtete Salivation
fehlt nach Beipech nicht im Symptomenbilde der chronischen Ver¬
giftung (cf. p. 94).
K. B. Lehmann *) fand bei seinen Experimenten, dass Ein-
athmung der Dämpfe beim Menschen Kratzen im Halse, heftigen
Hustenreiz, auch Augenschmerzen im Gefolge habe.
Ausser der narkotisierenden und örtlich reizenden Wirkung
sollte der Schwefelkohlenstoff noch als Blutgift wirken, d. L zur
Zerstörung von rothen Blutzellen, zowie zum Auftreten von Pigment
im Blute führen.
Schwalbe 4 ) giebt an, experimentell bei verschiedenen Thieren
Melanämie durch Schwefelkohlenstoff erzeugt zu haben; daneben
bestehen auch Fieberanfälle; der Autor versteigt sich zu der Be¬
hauptung, die Malaria beruhe auf einer Intoxication mit Schwefel¬
kohlenstoff, bezw. mit Kohlenoxysulfid (COS).
Kiener und Engel 6 ) haben diese Angaben, sowie jene von
Tatnassia, welcher Veränderungen an den rothen Blutzellen (nach
Art der Poikilocytose), sowie Zerfall derselben beschreibt, in Ver¬
suchen an 12 Kaninchen nachgeprüft. Sie konnten wol in acuten
*) Dujardin-Beaumetz oitiert nach Virchow-Hirsch’s Jahresbericht L 412,1886.
*) Delpeeh (L c.), p. 178.
•) K B. Lehmann, Archiv für Hygiene 20, 26, 1894
4 ) Schwalbe, Virchow’s Archiv 105, 600, 1886.
6 ) Kiener and Engel, Comptes rendas 103, 894, 1886.
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Ein Beitrag zur Kenntnis der acuten Schwefelkohlenstoff-Vergiftung. 409
Vergiftungen deutliche Poikilocytose beobachten, vermissten dagegen
stets das Vorkommen von Pigment im Blute. Beim Menschen ist
unseres Wissens bis jetzt eine derartige Blutveränderung, speciell
das Auftreten von Pigment nicht beschrieben worden; auch wir
fanden von alle dem nichts 1 ).
Die Zählung der Blutzellen, sowie die Ermittelung des Hämo¬
globingehaltes erlaubten es, eine nur einigermassen erheblichere
Blutzerstörung als unwahrscheinlich hinzustellen.
Die Untersuchung des Blutes, wie des Serums auf seinen Stick¬
stoffgehalt wurde am 1. Tage nach der Vergiftung von Dr. Goldbach •)
ausgeführt; dieselbe ergab sehr niedrige Zahlen.
Was den Stoffwechsel unter dem Einflüsse des Giftes anlangt,
so fanden wir, da iu den ersten Tagen der Mann nur etwas Milch
einnahm, eine recht hohe Gesammtstickstoffausscheidung. Im Ver¬
eine mit dem Auftreten von Acetessigsäure deutet dies auf einen
gesteigerten Zerfall von Organ-Eiweiss hin. Die Harnsäurezahlen
sind in den ersten zwei Tagen sehr niedrig, um später hohe Werthe
zu erreichen. Bedenkt man freilich, welchen Schwankungen die
täglichen Harnsäureausscheidungen unterliegen, 8 ) so wird man diesen
Differenzen nicht zu viel Gewicht beilegen.
Das Auftreten alimentärer Glykosurie unter dem Einflüsse der
Vergiftung erinnert an die analogen Erfahrungen, welche Münzer
und Palma 1 ) an unserer Klinik bei Kohlenoxyd- und Nitrobenzol¬
vergiftungen gemacht hatten.
Die Diagnose der Vergiftung wurde in unserem Falle und wird
in jedem anderen Falle sofort aus dem charakteristischen Gerüche
gemacht werden können.
Die Prognose hängt, abgesehen natürlich von der Menge des
Giftes, wesentlich von der eventuellen baldigen Entfernung des
Giftes aus dem Magen (durch Erbrechen oder durch Magenaus¬
spülung) ab.
Der so rasch eingeleiteten Behandlung unseres Kranken ist es
wol zuzuschreiben, dass er die Einverleibung der grossen Dosis
nicht mit dem Leben büsste, sah doch Foreman (s. oben) nach einer
weit geringeren Giftmenge den Tod eintreten.
*) In der oben erwähnten Berliner Discnssion betont Krönig ausdrücklich
den sicheren Abgang von Erscheinungen der Blutzerstörung in einem klinisch
genau beobachteten chronischen Vergiftungsfalle, der zum Tode führte.
*) Goldbach, diese Zeitschrift 8. 427.
*) Vergleiche v. Noorden, Lehrbuch der Pathologie des Stoffwechsels 53,
1898, Berlin, Hirschwald.
*•) Miinxer und Palma Zeitschrift für Heilkunde 15, 186, 1894.
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410
Dr. Earl Piohler.
Was schliesslich die Therapie anlangt, so steht wie immer in
erster Linie die schleimige Entleerung des Yerdauungskanals von
noch nicht resorbirtem Gifte. Sofortige Magenansspülnng, in zweiter
Linie anch Entleerung des Darmes sind dringend angezeigt. 1 ) Bei
schweren comatösen Zuständen wird man dieselben symptomatischen
Massnahmen treffen, wie bei Vergiftungen durch andere Narkotika
Gegen eventuelle Schleimhautentzündungen gebrauchen wir dn-
hüllende, schleimige Mittel.
*) Vergl. 0 . Jakseh, Nothnagel’* Handbuch 1, 166, 1894, sowie Husemam,
Handbuch von Penxoldt und Stintxing 2, 128, 1895.
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(Ans der medicinischen Klinik des Prof. R. v. Jaksch in Prag.)
ÜBER EINEN FALL VON HYDROTHIONURIE
Db. FRANZ v. 8TRANSKY,
Assistenten der Klinik.
Die Fälle, in welchen mit Bestimmtheit als Ursache der
Schwefelwasserstoff-Ausscheidung, oder besser gesagt, Entwicklung
im Harne ein Bacterium nachgewiesen worden ist, 1 ) sind noch
ziemlich selten, und es bietet daher, wie ich glaube, nachfolgende
Beobachtung einer durch ein ganz bestimmtes Bacterium bedingten,
bis zum Tode des betreffenden Patienten anhaltenden Schwefel¬
wasserstoff-Entwicklung im Harn ein gewisses Interesse.
Die Krankengeschichte ist folgende: W. A., 39 Jahre alter
Schnitzer, erkrankte angeblich 4 Wochen vor seiner am 5. März 1896
erfolgten Spit&lsaufnahme unter Fieber, Schmerzen in der Magen-
und Lebergegend und Gelbsucht
Bei seiner Aufnahme wird folgender Status praesens aufge¬
nommen :
Patient ist klein, stark abgemagert, Sensorium frei, Hautdecken
icterisch. Die unteren Extremitäten und die Kreuzbeingegend
oedematös. Temperatur 38-7° C, Schleimhäute ebenfalls stark
icterisch verfärbt; Lunge und Herz bieten nichts auffälliges.
Das Abdomen ist aufgetrieben, die Percussion meteoristiseh, in
den abhängigen Partien freie Flüssigkeit. Die Leber ist vergrössert,
überragt handbreit den Rippenbogen, ihre Oberfläche ist glatt, ihr
Rand stumpf. Die Milz ist palpabel.
J ) Siehe Müller , Berliner klinische Wochenschrift 24, 406 und 486, 1887.
Rosenheim und Qutxmann, Deutsche medicinische Wochenschrift 14. 101, 1888.
Karplus, Virchows Archiv 181, 210, 1898. Savor, Wiener klinische Wochen¬
schrift 8. 186, 161, 1896.
Zeitschrift fttr Heilkunde. XVII.
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412
Dr. v. Straosky.
Stuhl acholisch, mikroskopisch das Bild des Fettstuhles.
Im Harne geringe Mengen Eiweiss und Pepton, Gallenfarbstoff
nnd Aceton. In dem sehr spärlichen Sedimente desselben einzelne
Lenkocyten nnd hyaline Cylinder, einzelne Blasen- nnd Nieren-
epithelien, letztere Beiden mit Gallenfarbstoff imbibiert
Im Blnte ist das Verhältniss von rothen Blutkörperchen zu
weissen wie 623:1. Haemoglobingehalt (nach v. FleischJ) = 85•/,
= 119 gr. Die klinische Diagnose wurde mit Wahrscheinlichkeit
auf Leberabscess gestellt
Der Krankheitsverlauf gestaltete sich derart, dass die Schwäche
des Patienten stets zunahm, das Fieber einen intermittierenden
Character annahm, die Lebervergrösserung und der Icterus sich stets
gleich blieben und eine in den letzten Lebenstagen auftretende
Pneumonie den Patienten hinwegraffte.
Während dieses Krankheitsverlaufes, der vom 5. bis 29. März
an der Klinik und von diesem Tage bis zum Tode in der
Wohnung des Patienten beobachtet wurde, trat am 20. März ein
früher an diesem Harne nie beobachteter Geruch nach faulen Eiern
auf. Die auf Schwefelwasserstoff mit dem Harne angestellten
Proben 1 ) ergaben, dass Schwefelwasserstoff in demselben enthalten sei.
Nachdem der wiederholte mikroskopische Befund im Harn¬
sedimente eine Cystitis und ebenso irgendeine abnorme Communi-
cation mit dem Darme ausschlossen, der Harn auch stets klar
gelassen wurde und erst nach längerem Stehen sich wolkenartige
Trübungen in demselben bildeten, der Geruch auch mit dem Stehen
des Harnes an Intensität zunahm, so lag die Vermuthung nahe, dass
der Schwefelwasserstoffgehalt des Harnes bedingt sei durch einen
abnormen Gährungserreger in demselben, welcher zur Schwefel¬
wasserstoff-Ausscheidung führte.
Die darauf gerichteten bacteriologischen Untersuchungen führten
zu folgenden Beobachtungen:
Abgenommen wurde, nachdem unter den entsprechenden Cautelen
die Umgebung des Orificium urethrae gereinigt worden war, ans
dem Harnstrahle.
Schon die ersten Culturen, die auf Agar-Agar und Gelatine
angelegt wurden, waren Reinculturen eines Bacteriums, das folgende
Wachsthumsverhältnisse darbot: a) auf Gelatine im Striche ent¬
wickeln sich entlang des Striches untereinander rasch confluierende,
gegen die Peripherie zu wachsende Culturen von gelblich graner
Farbe, die Gelatine nicht verflüssigend. Die Ränder der Culturen
*) v. Jakach, Klinische Diagnostik, IV. Auflage, 469, Schwarzenberg, Wien, 1895.
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Uebor einen Fall von Hydrothionurie.
413
sind gekerbt. Im Stiche rasche Entwicklung im Stichkanale und an
der Oberfläche von den Stichkanalrändem gegen die Peripherie.
h) Auf Agar-Agar ist das Wachsthum hei einer Temperatur
von 36—38° C. ein enorm rasches, so dass schon nach 12 Stunden
eine 8 mm an der Basis breite, den ganzen Strich einnehmende
Cnltnr vorhanden ist, die in dünnen Lagen deutlich irisiert und
von weisslichgrauer Farbe ist Der Band der Cultur zeigt dieselbe
Kerbung wie auf Gelatine.
Ln Stiche dasselbe Wachsthum wie auf Gelatine.
c) Ln Stiche in Zuckeragar tritt schon nach 3—6 Stunden
Gasentwicklung auf.
d) Plattenculturen dieses Bacteriums auf Agar-Agar und
Gelatine zeigen eine rasche Entwicklung von kreisrunden, anfangs
weisslichgrauen, später leicht bräunlich erscheinenden Colonien, die
nach 48 Stunden schon einen Durchmesser von 1 mm erreichen.
e) Auf Kartoffel nach 24 Stundenein ausgebreitetes, glänzendes,
fenchtes Häutchen, von unregelmässiger Begrenzung, das im weiteren
Verlaufe zu einer bräunlichen Auflagerung auf der Kartoffel¬
scheibe wird.
f) Auf Nährböden nach Elsner 1 ) (Jodjodkaliumgelatine) rasche
Entwicklung im Stichkanale und von den Rändern gegen die
Peripherie.
g) In Bouillon tritt rasch Trübung ein und nach 24 Stunden
ein weisslichgrauer, beim Schütteln in Fäden aufwirbelnder Satz.
h) Unter Sauerstoffabschluss gute Entwicklung. (Kalilahge,
Pyrogallol.)
i) Milch wird zur Gerinnung gebracht.
k) Setzt man zu Agar-Agar spurenweise essigsaures Blei
hinzu, so entwickeln sich bräunlich gefärbte Culturen.
Was das chemische Verhalten der Culturen anbelangt, so geben
sie die Indolreaction.
1m mikroskopischen Bilde sieht man kleine kurze Stäbchen,
deren Länge nicht viel die Breite überwiegt.
Die Bacillen nehmen Anilinfarbstoffe gut an, sind jedoch nicht
nach Gram färbbar. Aus den vorliegenden Beobachtungen des
Wachsthum8, der Färbbarkeit, der Milchgerinnung und Indolreaction,
halte ich das in diesem Falle aus dem Harne gezüchtete Bacterium
für das Bacterium coli 9 ) und die Schwefelwasserstoff-Entwicklung
durch dieses bedingt, wie nachfolgende Versuche bestätigen. Ich
*) Elaner, Zeitschrift fttr Hygiene und Infectionskrankheiten 21, 25, 1895.
*) Savor, Wiener klinische Wochenschrift 8. 188, 161, 1895.
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414
Dr. y. Str&nsky.
versetzte mit diesen Culturen oder mit dem schwefelwasserstoff-
haltigen Harne die verschiedensten Harne, sowohl eiweissfreie, als
eiweisshältige, ferner Zuckerharne, nachdem ich selbe zuvor durch
Kochen steril gemacht hatte, und in allen konnte ich schon nach 12 bis
24 Stunden Schwefelwasserstoff-Gährung beobachten, wie die in die
Fläschchen hineingehängten Bleiacetatpapierstreifen anzeigten,
während die zugleich mit denselben Hamen aufgestellten ControU-
proben keinen Schwefelwasserstoff entwickelten. Aber nicht bloss
aus Hamen, auch aus Exsudatflüssigkeit war ich im Stande, das
Gas znr Entwicklung zu bringen, wenn auch in diesen Fällen die
Schwefelwasserstoff-Entwicklung in gar keinem Verhältnisse zu der
aus den Hamen stand.
Die aus letzteren wieder gezüchteten Culturen zeigten stets
dasselbe Verhalten, wie die ursprünglich verimpfbe Cultur und ent¬
wickelten, selbst wieder verimpft, abermals Schwefelwasserstoff^
sodass ihre schwefelwasserstoffentwickelnde Fähigkeit keine Ab¬
schwächung erfuhr.
Ein Nachweis von Merhaptan, wie diesen Karplus 1 ) für sein
schwefelwasserstoffentwickelndes Harabacterium erbrachte, gelang
mir nicht.
Die Versuche aus Nährlösungen, wie sie v. Jaksch *) für den
Micrococcus ureae angegeben, in denen man das schwefelsaure Magne¬
sium durch Zusatz verschiedener schwefelhaltiger Substanzen, als
unterschwefligsaures Natrium und Rhodansalzen, Sulfonal ersetzt,
Schwefelwasserstoff zur Entwicklung zu bringen, gelangen mir nicht,
ebenso fiel ein Versuch, aus Peptonlösung Schwefelwasserstoff zu
entwickeln, negativ aus.
Wo der Angriffspunkt der Schwefelwasserstoff-Entwicklung zu
suchen ist, ob in den organischen Schwefelverbindungen oder den
anorganischen, darüber konnte ich zu keinem Resultat kommen, nur
das eine konnte ich bestätigen, dass der Eiweiss- oder Peptongehalt
für die Schwefelwasserstoff-Entwicklung ganz irrelevant ist, indem
die Schwefelwasserstoff-Gährung in den Hamen auftritt, ob sie Ei¬
weiss enthalten oder nicht. Was nun die Hydriothionurie selbst be¬
trifft, so konnte man folgendes beobachten:
Das einzige Symptom, welches zur Beobachtung kam, war der
intensive Schwefelwasserstoffgeruch des Harnes auch nach nur kurz
dauerndem Stehen. Frisch entleert, reagierte der Ham sauer und
war klar.
') Karplus, Virchows Archiv 181, 210, 1898.
*) v. Jaksch, Zeitschrift für phys. Chemie 5, 396, 1881.
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Ueber einen Fall von fiydrothionarie.
415
In der Blase selbst konnte man nie eine grössere Gasansammlung
beobachten, die sich hätte durch das Symptom der Pneumaturie
bemerkbar machen müssen. Der Harnstrahl war continuierlich,
glucksende Geräusche gegen Ende der Entleerung waren nie vor¬
handen. Irgend ein schädigender Einfluss auf die Blase, d. h.
eine Cystitis war bis zum Tode des Patienten nicht vorhanden,
man hätte doch sonst im Sedimente dafür Anhaltspunkte finden
müssen. Eine Resorption von etwa vorhandenem Gas durch die
Blasenwand und die hernach auftretenden Erscheinungen von
Hydrothionaemie waren ebenfalls nicht nachzuweisen, denn das Blut
zeigte sich bei der darauf gerichteten Untersuchung frei von
Schwefelwasserstoff. (Verwendet wurden etwa 25 cm® Blut.)
Dass die Infection der Blase in unserem Falle durch die Urethra
erfolgt wäre, ist vollkommen ausgeschlossen, da der Patient weder
Incontinenz hatte, noch auch je auf der Klinik oder ausserhalb der¬
selben der Harn künstlich entleert worden war.
Ob die Infection der Blase durch die Blut- oder Säftebahn erfolgt
sei, darüber kann man kein Urtheil fällen, zumal die Section, die
vielleicht hätte eine Aufklärung dieses klinisch nicht vollkommen
durchsichtigen Falles bringen können, leider unmöglich war.
Die Forschungen der letzten Jahre haben bekanntlich gezeigt,
dass das Bacterium coli 1 ) durchaus nicht ein stets harmloser Darm¬
parasit sei, sondern als Erreger von schweren Krankheitsprocessen
in den verschiedensten Körperorganen auftreten kann.
i) Diesbezügliche Litteratur siehe v. Jaksch, klinische Diagnostik, 4. Auf¬
lage. 69, 1896.
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(Ans der mediciniBchen Klinik des Prof. Dr. R. v. Jakseh.)
ÜBER DEN STICKSTOFF- UND WASSERGEHALT
DES BLUTES.
Von
Dr. LEOPOLD GOLDBACH,
Extern arzt der Klinik.
Seit der Wiedergeburt der Medicin durch Einführung der Hilfs¬
wissenschaften, besonders der Chemie, in dieselbe, hat es nicht an
chemischen Untersuchungen des Blutes gefehlt, die eine gewisse
Exactheit erkennen lassen.
So haben sich Männer wie Mulder, 1 ) Simon, Andral und Gavaret*)
mit derartigen Untersuchungen befasst. Doch sind die Resultate
dieser Forschungen für die Medicin nicht zu verwerthen, da einer¬
seits die dazu verwendeten Methoden ganz und gar ungenau sind,
andererseits die noch zu geringe Kenntnis der Chemie vieles lückenhaft
erscheinen lässt Wer hierüber Näheres zu erfahren wünscht, möge
sich in der Arbeit von R. v. JaJcsch 8 ) umsehen. Ich übergehe darum
die weiteren Arbeiten auf diesem Gebiete.
Es war nun ein grosser Fortschritt auf dem Gebiete der
klinisch-chemischen Untersuchungsmethoden, als R. v. Jaksch die
einfache von Kjeldahl angegebene Methode zur Bestimmung des
Stickstoffs auch für das Blut anwandte. Die Resultate, welche
man mit dieser Methode erhält, sind vollständig einwandsfrei,
denn ControUbestimmungen, wobei gleichzeitig immer zwei Be¬
stimmungen gemacht wurden, ergaben, dass die Resultate in vielen
Fällen auf die zweite Decimalstelle übereinstimmten — in allen
*) Mulder, Versuch einer allgem. physiologischen Chemie 2, 1064,1844—1865.
Fr. Vieweg u. Sohn.
*) Andral und Oavaret, Annales de chim. et de phys. 76, 225.
') R. v. Jakseh, Zeitschrift fttr klinische Medicin 23, 188. 1893.
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418
Dr. Leopold Goldbach.
Fällen aber war die erste Decimalstelle in beiden Bestimmungen
gleich.
Zur Bestimmung des Stickstoffgehaltes des Blutserums ver¬
wendete ich gleich v. Jaksch dieselbe Methode.
Während nun auf die Weise Eiweissgehalt sowol des Blutes
als auch des Blutserums sich genau und einfach bestimmen lassen,
ist dies in Bezug auf den Wassergehalt, hezw. die Trockensubstanz,
noch nicht der Fall. — Wir besitzen hier allerdings eine Methode,
die ganz verlässliche Resultate liefert, welche gleichfalls v. Jaksch *)
angewendet hat; doch ist diese Methode sehr zeitraubend und ver¬
langt ein grösseres Quantum Blut.
Es war daher als ein sehr erfreulicher Fortschritt auf diesem
Gebiete zu begrüssen, als Stintzing und Gumprecht *) eine Methode
zur Trockenbestimmung des Blutes angaben, die innerhalb 24
Stunden ohne Mühe und mit einem Quantum Blut von höchstens
0-8 gr durchzufuhren sei. Nichtsdestoweniger wird diese Methode
niemals in der Medicin Eingang finden, da sie Resultate liefert,
die alle bisherigen Kenntnisse auf diesem Gebiete über Bord wirft
Ich werde später auf die Ausführung dieser Methode, die sehr ein¬
fach ist, und auf die damit gewonnenen Resultate näher eingehen.
Es wäre überflüssig, die -K^'eWaW-Methode genauer zu be¬
schreiben, nur das eine möchte ich bemerken, dass ich zur Oxydation,
die Gunnig'ache s ) Mischung verwendete, die sich sehr gut bewährt
hat Ich beobachtete dabei nie, dass ein Kamin abgerissen worden
oder ein Kölbchen gesprungen wäre, ja es gelang mir, innerhalb
vier Stunden die Oxydation zu Ende zu führen.
Bezüglich der Wasserbestimmungen habe ich ebenfalls genau
das Vorgehen von R. v. Jaksch *) befolgt. Ich gebe zu, dass diese
Methode sehr zeitraubend ist, dass man hierbei vielen Zufällen ans¬
gesetzt ist, welche die Beobachtung vernichten können, dafür aber
sind die Resultate nach unseren gegenwärtigen Anschauungen voll¬
kommen richtige und exakte. Neben dieser Methode wurde nnn
gleichzeitig die von Stintzing und Gumprecht # ) angegebene versucht
Die Ausführung dieser Methode ist sehr einfach. Ich citiere im
folgenden den Wortlaut der Angabe von Stintzing und Gumprecht.
„Durch tiefen Einstich einer Lancette in die Fingerkuppe wird eine
kleine Wunde gesetzt, aus welcher erforderlichen Falles bei massigem
*) v. Jaksch 1. c.
*) Stintzing und Gumprecht.
*) Siehe v. Jaksch, Klinische Diagnostik, IV.. Auflage, 438, 1896.
*) R. v. Jaksch 1. c. 190.
5 ) Stintzing und Gumprecht, Deutsches Archiv fUr klin. Med. 23, 266, 1894.
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tJeber den Stickstoff- und Wassergehalt des Blutes.
419
Druck auf das Mittelglied des betreffenden Fingers etwa fünf
Tropfen = 0*2—0*3 gr Blut in das untergesetzte Schälchen herab¬
fallen. — Sofort nach der Blutentnahme wird der Deckel aufgelegt,
das Schälchen gewogen, darauf 24 Stunden bei 65—70° C offen ge¬
trocknet, dann wieder schnell zugedeckt und wieder gewogen.“
Die Schälchen sind die von Stintzing angegebenen und von
Zeiss in Jena gefertigten und wiegen durchschnittlich 5-5 gr. Dazu
Hesse sich folgendes bemerken:
Wenn das Blut durch die Luft tropfenweise in das Schälchen
fällt, verliert es an Gewicht, und da dieser Gewichtsverlust sich
addiert, so wird er bei der Rechnung auf Procente gewiss eine
Zahl geben, die sich nicht ohne weiteres übergehen lässt. Diese
Zahl wird um so grösser sein, je kleiner die einzelnen Tropfen
sind, je länger die Zwischenräume zwischen der Tropfenbildung
sind. Bei dem einzelnen Tropfen ist gewiss der Gewichtsverlust
ein so minimaler, dass man ihn ohne einen Fehler zu begehen,
nicht aber wenn man mehrere Tropfen, so 5—10, auffängt. Gesetzt
den Fall, er beträgt bei einem Tropfen Vioooo» 80 ißt das bei 5 Tropfen
‘/iooooj auf Procente berechnete */ioo> eine Zahl, die bereits eine
Bedeutung hat, allerdings nur für exacte Bestimmungen. Es ist
ferner sehr unwahrscheinlich, dass Blut bei einer Temperatur von
65 bis 70° C durch 24 Stunden getrocknet, sein Wasser ganz ab-
giebt. Wollte man dies bei einer solchen Temperatur erreichen,
so müsste man es mindestens durch 6—8 Trage trocknen, was doch
gewiss ein sehr langwieriges Verfahren wäre, welches ausserdem noch
den Nachtheil hätte, dass die Resultate doch ungenau wären. —
Wenn Stintzing und Gnmprecht behaupten, dass die Resultate der
Controllversuche übereinstimmen, so beweist dies noch immer nicht,
dass die gefundenen Werthe richtig sind — denn sie machen bei
beiden Bestimmungen denselben Fehler, infolgedessen ist es ja sehr
leicht möglich, dass die Controllversuche vollkommen gleich aus-
fallen.
Es scheint ja auch dabei auf Exadheit abgesehen zu sein,
denn wozu zwei Bestimmungen, wenn man nur approximative Werthe
haben will?
Man muss eben in allem, besonders aber in der Chemie, die
Exactheit sich zum Principe machen. — Es sei mir gestattet, einen
kleinen Vergleich anzuwenden. Wozu suchen wir nach genauen
Methoden zur Zählung der Blutkörperchen oder zur Bestimmung
des Hämoglobins? Wenn wir mit ungefähren Werthen zufrieden
sein wollen, ist es ja ganz überflüssig, complicierte Apparate anzu¬
wenden. Dazu genügt es, ein natives Blutpräparat anzusehen und
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420
Dr. Leopold Goldbach.
man wird sofort entscheiden können, oh eine Vermehrung oder
Verminderung der corpnsculären Elemente vorhanden ist oder nicht,
und doch ben&tzt man in allen modernen Kliniken genaue Zähl¬
apparate. Ebenso ist eine Exactheit nothwendig bei anderen Unter¬
suchungen und gerade in der Chemie gibt es ohne Exactheit über¬
haupt kein wirkliches Arbeiten. Ich will nicht behaupten, dass
die Methode der Trockenbestimmung nach B. v. Jaksch vollkommen
fehlerfrei ist und die Resultate, die damit gewonnen werden, unan¬
tastbar sind, aber die Methode vermeidet bei sorgfältiger Hand¬
habung alle uns bekannten Fehler, selbstverständlich nur diejenigen,
die sich vermeiden lassen. — Fehler, die wir nicht kennen, sind
wir auch nicht imstande zu unterlassen, umsomehr ist es aber auch
unsere Pflicht, durch exactes Arbeiten die bekannten Fehlerquellen
auszuschalten.
Wenn dieser Methode der Vorwurf gemacht wird, dass durch
das Erhitzen auf 120° C und durch das Trocknen bis zu einer
Zeit, wo keine Gewichtsabnahme eintritt, eine Zersetzung des Ei*
wemses stattfindet, so ist das unrichtig, denn bei dieser Tem¬
peratur zersetzt sich Eiweiss noch nicht, dazu gehört ein viel
stärkeres Erhitzen.
Stintzing sagt weiter, man solle das heisse Gläschen wägen;
und doch ist es jedem Chemiker bekannt, dass alle Körper, die heiss
gewogen werden, auf der Wage an Gewicht abnehmen, man müsste
also solange wägen, bis ein constanter Ausschlag eintritt; dazu
gehört allerdings eine Wage, die Vioooo g noch prompt angibt
Das Gewicht, das man heiss gefunden, ist selbstverständlich grösser
als jenes, welches man findet, wenn man unter einem Schwefelsäure-
exsiccator die Gläschen 1 l i Stunde stehen liess. — Den Fehler, den
man beim Wägen des heissen Gläschen begeht, zu schätzen, halte
ich deshalb für unmöglich, weil man doch nur etwas schätzen kann,
was einem von ungefähr bekannt ist. Noch auf eine Behauptung
Stintzings möchte ich zurückkommen.
Er will nämlich den blutigen Schröpf kopf aus den Mitteln
zur Gewinnung des Blutes vollständig entfernen. Meiner Ansicht
nach ist dies nicht rationell; wenn es auch gelingt, mit 5 Tropfen
Blut eine Stickstoffbestimmung nach Kjddahl durchzuführen, so
hat der blutige Schröpfkopf vor allem dort noch eine Be¬
deutung, wo man Stickstoff- respective Eiweissbestimmungen des
Serums zu machen hat Man muss weiter einen blutigen Schröpf¬
kopf setzen, um den Eiweissgehalt des Blutes zu bestimmen, in
allen jenen Fällen, wo derselbe stark herabgemindert ist; znm
Schlüsse bin ich auch der Ansicht, dass man bei der Trocken- nnd
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Ueber den Stickstoff- nnd Wassergehalt des Blutes.
421
Wasserbestimmung den blutigen Schröpfkopf nicht entbehren kann,
denn, wie aus den folgenden Resultaten hervorgeht, sind die mittelst
der Methode von Stintzing und Gumprecht gefundenen Zahlen im
Vergleiche zu denen mit unserer Methode gefundenen Zahlen viel
geringer und niedriger, was freilich nach der verschiedenen Behand¬
lung des Blutes leicht einzusehen ist. Ich nehme auch keinen An¬
stand, nach dem früheren zu behaupten, dass die Resultate unserer
Methode gewiss genaue und exacte sind, während die mittelst der
so genannten Hygrämometrie weniger verlässlich und brauch¬
bar sind. — Es wäre daher wol zu wünschen, dass die Hygrämo¬
metrie von Stintzing und Gumprecht sehr bald zu den Unter¬
suchungsmethoden gehöre, die nur eine geschichtliche, aber nicht
dauernde Stelle in der Reihe der klinisch-chemischen Methoden ein¬
nehmen.
Anlangend die Zahl der weissen und rothen Blutzellen, hätte
ich zu sagen, dass dieselbe mit dem Thoma-Zeiss’ sehen Apparat
und Eisessig, respective Toison’scher Flüssigkeit bestimmt wurde.
Der Hämoglobingehalt wurde mittelst des Hämometers von
v. Fleischt festgestellt.
Es folgen nun die Resultate meiner Untersuchungen und zwar
zuerst die Fälle von Erkrankung der Leber.
Nr.
Name
und Diagnose
N in 100 gr
Blut
berechnet
auf Eiweiss
N in 100 gr '
Serum
berechnet
auf Eiweiss
Zahl der
Erythro-
cyten
Zahl der
Leuko-
cyten
Hb Fleischl<
Wasser in
100 gr Blut
Trocken¬
substanz in
100 gr Blut
1 .
F. Ä.,
Cirrhoais
hepatia atroph.
2-73 1
16-98
1*44
9*02
3.480.000
9000
75
81-43
21*06
2.
U. A.,
Cirrhoais
hepatia e lue
414
25 92
1-44
905
4.380.000
6000
80
74-64
20*28
3.
B. R,
Cirrhoais hepatia
hypertroph.
308
19-25
1-50
977
3.200.000
8.400
65
80-46
1916
4.
F. F.,
Cirrhoais hepatia
323
20-21
1-52
9-51
3.420.000
7.600
70
79*43
1974
5.
M. J.,
Cirrhoais hepatia
3*43
21*48
1-35
8*49
3.960.000
10.000
75
77*74
20-25
Aus den hier mitgetheilten Beobachtungen ergibt sich, dass bei
den 5 Fällen von Lebercirrhose für den Eiweissgehalt des Blutes
1 Die hier angeführten Zahlen sind durchgehends Mittelwerthe aus zwei
gleichzeitig ausgeführten Bestimmungen.
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422 Dr. Leopold Qoldbach.
Zahlen gefunden wurden, die von dem normalen Blute nicht ab¬
weichen.
Nur im Falle 2 ist der Eiweissgehalt des Blutes ein sehr
hoher, 25*92. Es ist dies gewiss darauf zurückzuführen, dass der
Patient, welcher einen hochgradigen Ascites hatte, als Diureticum
durch lange Zeit 25 gr Urea pura bekam. Leider war es mir
nicht möglich, nach dem Aussetzen der Urea-Therapie das Blut
des Patienten wieder zu untersuchen. Ich werde später noch auf
die Ursache der höheren Zahlen zurückkommen.
Die Werthe des Eiweissgehaltes des Serums bewegen sich
ebenfalls innerhalb normaler Grenzen und es scheint, dass 1*4 °/ 0 N
eine constante Zahl ist, die auch mit der von R. v. Jaksch *) ge¬
fundenen übereinstimmt.
Die Zahl der rothen und weissen Blutkörperchen ergibt keine
hochgradige Veränderung; nur die Zahl der Erythrocyten war
etwas herabgesetzt, da es sich in allen 5 Fällen um Männer handelte,
und 5000000 nie erreicht wurden; ebenso ist der Hämoglobin-
gehalt etwas herabgemindert.
Der Wassergehalt zeigt ebenfalls keine sonderliche Aenderung
er beträgt im Durchschnitte 79 °/ 0 , eine Zahl, die nach den Unter*
Buchungen von R. v. Jaksch eine etwas hohe ist.
Der für die Trockensubstanz gefundene Werth ist ebenfalls
mit früheren Beobachtungen übereinstimmend und beträgt im
Mittel 20 o/o*
Daraus geht hervor, dass die Leber-Cirrhose zu keiner wesent¬
lichen quantitativen Veränderung des wichtigsten Best&ndtheiles
des Blutes, des Eiweisses, führt
II. Erkrankungen des Herzens.
Es wurden nur zwei Fälle untersucht; der eine Fall wegen
der Complication mit secundärer Lebercirrhose, der zweite Fall
experimenti causa, um zu sehen, ob die Urea den Stickstoffgehalt
des Blutes erhöhe.
*) Ä. v. Jaksch, 1. c.
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Original frum
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Ueber den Stickstoff- und Wassergehalt des Blutes.
423
Nr.
Name
and Diagnose
N in 100 gr
Blat
berechnet
auf Eiweiss
N in 100 gr
Serum
berechnet
auf Eiweiss
Zahl der
rothen
Blut¬
zöllen
Zahl der
weisaen
Blut¬
zöllen
Hb-Gehalt j
Wasser in
100 gr Blut
Trocken¬
substanz
1.
P. F.,
Vitium oordia
2-64
16-52
1-29
807
1
3.620.000
7.200
65
82-45
19-43
a.
27. A.y
Vitium oordis
2-87
17 94
1-42
8-91
4.268.000
5.400
75
80-25
20 43
Sa.
Derselbe
Fall
331
2081
1-42
8-96
4.340.000
5.800
75
8017
1915
1 VT— — V Oi* i • _ J /t_ l .a
8214*
17-26 >
1 Nach Stintxing und Qwmprecht.
In diesen beiden Fällen ist der Eiweissgehalt des Blutes be- •
trächtlich herabgesetzt, besonders tritt dies im Falle 1 deutlich
zn Tage; in demselben ist es dadurch erklärlich, dass bei dem
Patienten ein sehr mächtiger Ascites vorhanden war, welcher be¬
reits mehrmals zuvor punktiert worden war.
Der zweitangefiihrte Fall zeigt ebenfalls einen etwas niedrigen
Eiweissgehalt, welcher aber nicht durch eine Incompensation von
Seiten des Herzens erklärt werden kann.
Die sub 2a angeführten Zahlen beziehen sich auf eine spätere
Untersuchung. Patientin bekam durch drei Tage 15, 20, 25 gr
Urea pura, um zu sehen, ob der Stickstoffgehalt des Blutes er¬
höht würde. Gleichzeitig erhielt sie eine möglicht N freie Nahrung.
Die Resultate zeigen wol zur Genüge, dass wirklich die Urea
dasjenige Moment ist, welches im Falle 2 der Tabelle I den hohen
Werth für N hervorgebracht hat.
Der iV-Gehalt des Serums ist in dem ersten Falle ebenfalls ein
sehr niedriger, während er im 2. Falle normale Werthe zeigt; dass
in beiden Fällen, trotzdem beide Decimalzahlen gleich sind, differente
Werthe für den Eiweissgehalt angegeben sind, hat seinen Grund
darin, dass die 3. und 4. Decimalstelle in beiden Fällen verschiedene
waren. Die Werthe für Wasser- und Trockensubstanz sind in dem
ersten Falle etwas höher respective geringer, was durch den Ascites
erklärt ist, obzwar, wie R. v. Jaksch nachgewiesen hat, Ascites und
Wassergehalt nicht jedesmal parallel gehen müssen — im zweiten
Falle normal. Die zwei noch in der Rubrik Wasser- und Trocken¬
substanz angeführten Werthe beziehen sich auf die Methode von
Stinteing und Gumprecht. Die damit gefundenen Zahlen stimmen
auch mit den von jenen Autoren angegebenen Werthen überein, ohne
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424
Dr. Leopold Goldbach.
jedoch aus den obigen Gründen auf Genauigkeit Anspruch zu haben
— Um einen allgemeinen Schluss ziehen zu können ist die Zahl der
untersuchten Fälle viel zu gering, es scheint aber doch, als ob der
Eiweissgehalt nach mehreren Funktionen sinken würde.
ELI. Diabetes mellitus.
Gerade bei dieser Erkrankung gieng ich mit grossem Interesse
an die Untersuchung und habe es deshalb auch nicht unterlassen,
das Verfahren von Stintzing und Gumprecht dabei auszufahren.
Es stellte sich nun dabei heraus, dass die damit gefundenen Werthe
weit hinter meinen Zahlen Zurückbleiben, während sie mit den .von
Grawitz 1 ) angegebenen Werthen, der dieselbe Methode angewendet
hat, übereinstimmen. Die Besorgnis, dass durch das Erhitzen auf
120° C bei unserem Verfahren sich eine neue Fehlerquelle er¬
schlossen könnte durch Schwinden der Zuckersnbstanz, ist hin¬
fällig, da ja dazu der Siedepunkt des Traubenzuckers erreicht
werden müsste, der noch weit über 120° C liegt
Betrachtet man die Tabelle, so hat es auch den Anschein, als
ob ich ein Deficit von Eiweiss dabei zu verzeichnen hätte. Dies
erklärt sich einfach dadurch, dass die fehlenden 5—6 °/ 0 Eiweiss
sicherlich vertreten werden durch den reichen Zuckergehalt des
Blutes. Infolgedessen ist der Eiweissgehalt des Blutes nicht ge¬
ringer, aber die Trockensubstanz ist deshalb abnorm erhöht oder,
was dasselbe sagt, der Wassergehalt ist bedeutend herabgesetzt
Die von mir gefundenen Zahlen stimmen mit den Angaben von
v. Jaksch *) vollkommen überein und die gegenteiligen Angaben
Stintzing's und Gumprecht's sind eben dadurch bedingt, dass ihre
Methode die erwähnten Fehler birgt.
Es ist also der Diabetes mellitus gewiss eine Erkrankung, bei
welcher die Trockensubstanz bedeutend erhöht ist, während der
Wassergehalt in demselben Masse vermindert ist Der Eiweiss-
gehalt zeigt eine Verminderung nur, wenn hochgradige Veränder¬
ungen im Stoffwechsel und Stickstoffgleichgewichte vorhanden sind.
*) Qrawitx, Klinische Pathologie des Blutes. 1896.
a ) R. v . Jakschi 1. c. S. 206.
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Ueber den Stiokstoff- and Wassergehalt des Blntes.
425
Nr.
Name
N in 100 gr
Blut
berechnet
auf £iweis8
N in 100 gr
Serum
berechnet
anf Eiweiss
Zahl der
Erythro-
cyten
Zahl der
Leuko-
cyten
Hb-Gehalt |
Wasser in
100 gr Blut
|1
11
1.
B. F.
3-05
19-05
1-64
10-27
4.070.000
5.800
70
76-82
22-97
a.
P. E.
3-S3
20*29
1-36
8-46
4.720.000
6.200
85
7382
79-42*
25-91
22 60*
3.
P. R.
* Nach Sti
314
mtxing
19-63
und <
1-52
Jumpr
9-50
echt.
3.680.000
8.200
70
8004
81-87»
20-74
1716*
IT. Leukämie.
Von dieser Erkrankung standen mir zwei Fälle zur Ver¬
fügung, beide waren bereits ziemlich fortgeschritten.
Nr.
Name
N in 100 gr
Blut
berechnet
auf Eiweiss
N in 100 gr
Serum
berechnet
auf Eiweiss
Zahl der
rothen
Blut¬
zellen
Zahl der
Leuko-
cyten
Hb-Gehalt
Wasser in
100 gr Blut
Trocken-
beetitnmung
1 .
c. a.
292
1825
1-33
8-32
3.150.000
450.000
50
79-45
2014
81-87»
17-86*
2.
R. J.
241
1506
1-41
8’82
3.402.000
512.000
60
81-46
18-35
82-48*
20-01*
* Nach Stintxdng und Qumprecht.
Es geht aus der Tabelle hervor, dass der Eiweissgehalt im
Blute hochgradig vermindert ist, aber nicht im Serum; hier ist die
Verminderung entweder nur sehr gering, oder sie fehlt vollständig.
Es ist nun sehr merkwürdig, dass Stinteing und Gumprecht 1 ) be¬
haupten, dass bei der Leukämie eine Zunahme des Eiweissgehaltes
stattfinden soll. Dies zu erklären bin ich allerdings nicht in der
Lage, wol aber spricht für die Richtigkeit meiner Zahlen die
Thatsache, dass R v. Jaksch bei der Leukämie die gleichen Werthe
fand. Die Werthe für Wasser und Trockensubstanz sind verhältnis¬
mässig niedrig.
V. Krankheiten, die mit Icterus einher gehen.
Es wurden zwei Icterische untersucht; in dem ersten Falle
handelte es sich um einen einfachen gastroduodenalen Icterus, in
*) Stintxing and Qumprecht, Deutsches Archiv für klm. Hed. 23, 291. 1894.
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426
Dr. Leopold Goldbaoh.
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dem zweiten wahrscheinlich um einen Icterus, bedingt durch einen
malignen Tumor.
Nr.
Name and
Diagnose
&
§2
ö«
•H
berechnet
auf Eiweiss
N in 100 gr |
Serum 1
berechnet
auf Eiweiss
Zahl der
rothen
Blut¬
zellen
Zahl der
weissen
Blut¬
zellen
Hb-Gehalt 1
Wasser in
100 gr Blut
sj
|!
j- ö
gH m
1.
K J .,
Icterus oatar-
rhalis
2-96
18-50
1-34
8-38
4.008.000
10.000
75
8007
82-14*
18-53
16-52*
2.
M. J.,
Icterus, Ca. ven-
tric., sec. hepat.
307
1918
1-36
8-50
3.140.000
12.000
55
80-84
78-84*
19-11
2001*
1 Nach Stintxing and Qumprecht.
In beiden Fällen ist der Eiweissgehalt des Blutes beträchtlich
herabgesetzt; in dem ersten Falle ist der Icterus als solcher dafür
verantwortlich zu machen, da sonst kein Moment da war, welches
die Herabminderung erklären würde.
Im zweiten Falle, wo ein maligner Tumor da ist, erklärt sich
der geringe Eiweissgehalt viel ungezwungener.
Der Wassergehalt und die Menge der Trockensubstanz bewegeQ
sich in annäherend normalen Grenzen.
Die Erythrocyten und der Hämoglobingehalt zeigen in dem
einen Falle eine leichte, in dem zweiten eine hochgradige Ver¬
minderung, was durch die Cachexie des Individuums erklärt ist
Die Leukocyten sind normal in Bezug auf ihre Zahl.
VI. Vergiftungen.
Untersucht wurden zwei Fälle von Vergiftungen, ein Fall von
Phosphor-Vergiftung und einer von acuter Schwefelkohlenstoff-Ver¬
giftung. 1 ) Der Eiweissgehalt des Blutes zeigt bei der Phosphor-
Vergiftung einen vollständig normalen Werth, wie dies auch
R. v. Jaksch ®) gefunden hat. Die Zahl der rothen Blutzellen ist
erhöht, eine Thatsache, die ebenfalls aus unserer Klinik von Taussig 9 )
und v. Jaksch 4 ) angegeben wurde. Die Zahl der Leukocyten und
der Hämoglobingehalt sind normal.
Was den Fall von Schwefelkohlenstoff-Vergiftung betrifft, so ist
der Eiweissgehalt ein niedriger. Der Mann war nicht cachektisch
*) Siehe Pichler, diese Zeitschrift S. 403.
*) R. v. Jaksch, 1. c. S. 204.
*) Taussig, Archiv für experimentelle Pathologie 30, 161, 1892.
4 ) R. v. Jaksch, Deutsche med. Wochenschrift 19, 10, 1893.
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Ueber den Stickstoff- and Wassergehalt des Blutes.
427
und man konnte den geringen W-Gehalt auf die Vergiftnng zurück-
führen.
Der Eiweissgehalt des Serums ist der niedrigste in der ganzen
Beobachtung, wodurch dies hervorgerufen ist, bin ich ebenfalls nicht
in der Lage anzugeben. Das Verhalten der Blutkörperchen und
des Hämoglobins ist nahezu normal. Ich möchte aus der Ver¬
minderung des Eiweissgehaltes bei diesem einem Falle nicht den
Schluss ziehen, dass dieselbe eine der Schwefelkohlenstoff-Vergiftung
eigene Erscheinung sei.
Die Werthe für die Trockensubstanz bewegen sich in beiden
Fällen in normalen Grenzen.
Nr.
Name and
Diagnose
N in 100 gr
Blut
berechnet
auf Eiweiss
N in 100 gr
Serum
berechnet
anf Eiweiss
Zahl der
rothen
Blut¬
zellen
Zahl der
Lenko-
cyten
Hb-Gehalt j
Wasser in
100 gr Blut
Trocken¬
substanz
1.
S. A.,
P-Vergiftung
3-66
22'81
1-40
8-76
5.920.000
6.200
85
81- 04
82- 95*
18-79
17-02*
2.
F. F.,
C8j-Vergiftung
227
14-28
0-92
5-80
4.600.000
10.000
90
81-25
19-90
1 Nach Stintxing and Gumprecht.
Zum Schlüsse erwähne ich noch drei Fälle, von denen der eine
besonders wegen der Art der Erkrankung (es handelte sich nämlich
um eine geheilte Lues cerebri mit sehr zahlreichen Blutplättchen),
der zweite Fall war ein Morbus Basedowii; der dritte betraf eine
Osteomolakische.
Das Blut zeigt in allen Fällen vollständig normale Verhält¬
nisse, sowol inbezug auf den Eiweissgehalt als den Wassergehalt
und die Menge der Trockensubstanz.
Nr.
Name und
Diagnose
N in 100 gr
Blut
berechnet
auf Eiweiss
N in 100 gr
Serum
berechnet
auf Eiweiss
Zahl der
Erythro-
cyten
Zahl der
Leuko-
cyten
Hb-Gehalt
Wasser in
100 gr Blut
Trocken- |
Substanz 1
1.
T. F.,
Lue« oerebri
3-47
21-72
1-55
9-72
5.210.000
12.000
75
78-42
20-99
2.
K. A.,
Morbus Base¬
dowii
3-62
22-63
1.22
7*67
4.220.000
10.000
85
78-84
20 91
3.
R. A.,
Osteom&l&cia
8-30
20*62
1-47
919
1
—
—
7916
—
Zeitichilft für Heilkunde. XVII. 28
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428
Dr. Leopold Goldbach.
Fasst man die gesammten Beobachtungen zusammen, so ergibt
sich, dass der Eiweissgehalt des Blutes wechselt, je nach dem Zu¬
stande des Individuums.
Der Serumgehalt des Blutes scheint eine constante Zahl zn
sein, eine Beobachtung, die auch R. v. Jaksch in seinen Unter¬
suchungen gemacht hat; wo etwas höhere Werthe für das Seram
auftreten, könnte dies dadurch bedingt sein, dass beim Abnehmen
des Serums mittelst Pipette sehr leicht einzelne Blutkörperchen
mitgenommen werden und dadurch höhere Werthe sich ergeben.
Im Allgemeinen stimmen die Werthe mit den Beobachtungen
R. v. Jaksch's und Biemacki’s 1 ) überein, während sie aus den an¬
gegebenen Gründen den Angaben Stintzings und Gumpreckts wider¬
sprechen.
*) Biemacki, Zeitschrift für klin. Medicin 24, 460, 1894.
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(Aus der medicinischeu Klinik des Prof. R. v. Jaksch in Prag.)
EIN CASUISTJSCHER BEITRAG ZUR KENNTNIS
DER GEHIRNLUES.
Von
Dr. siegmund kohn,
Bxtern*rxt der Klinik.
(Hieran 2 Figuren im Texte.)
Die luetischen Erkrankungen des Gehirns nehmen unter
allen Gehimerkrankungen sicherlich eine der ersten Stellen ein.
Die Literatur darüber, besonders die Zahl der casuistischen Mit¬
theilungen ist sehr gross. Wenn ich dennoch an die Veröffent¬
lichung eines Falles gehe, so veranlassen mich dazu das grosse
klinische und anatomische Interesse, welches derselbe bot sowie
die Ueberzeugung, dass bei den wechselnden und verschiedenen
Bildern, unter denen wir der Gehirnlues begegnen, jeder einzelne
Fall einen Fortschritt in der topographischen Diagnostik und in
Folge dessen in dem durch die Diagnose bedingten therapeutischen
Vorgehen bedeuten kann.
Allerdings ist die Besprechung der Therapie und der eventuelle
Rückgang der Krankheitserscheinungen bei dem zu schildernden
Patienten unmöglich, denn er starb an einem während des Auf¬
enthaltes auf der Klinik eingetretenen anderen Leiden, noch ehe
ein Erfolg der Therapie auffällig geworden war.
Doch die Analogie mit so vielen in der Literatur beschriebenen
Fällen liess sicherlich einen eclatanten Erfolg erwarten.
Marschner J ) berichtet aus unserer Klinik zur Genüge über die
Erfolge der Schmierkur sowol bei Erkrankungen des centralen
Nervensystems als auch bei peripheren Erkrankungsformen. Es sind
*) Marschner, Zeitschrift für Heilkunde 17, 1, 1896.
28*
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430
Dr. Siegmund Kohn.
das sowol Fälle, bei denen früher überstandene Lues sicher nach-
gewiesen worden war, als auch solche, bei denen sie sicherlich
nicht vorhanden war.
Zur Zeit des Eintrittes unseres Patienten hatten wir Gelegen¬
heit, folgendes aufzunehmen.
K. M., 62 J. alter Tagelöhner.
Anamnese: Eltern an dem Patienten unbekannter Krankheit
gestorben. Frau und 2 Kinder sind vollständig gesund. Frau des
Patienten hat niemals abortiert. Vor 20 Jahren Gelenksrheumatis¬
mus von zwanzigwöchentlicher Dauer, hierauf in kurzer Aufeinander¬
folge mehrere fieberhafte, durch einige Tage andauernde Erkrank¬
ungen. Vor 45 Jahren war Patient mit Ulcus durum infidert,
machte damals eine Schmierkur durch. Sein jetziges Leiden ent¬
wickelte sich allmählich vor 10 Jahren unter Kopfschmerz, Schwindel¬
gefühl, Schwerhörigkeit, allmählicher Abnahme des Sehvermögens,
ohne dass Doppeltsehen beobachtet worden wäre. Vor 6 Jahren
bemerkte man am Patienten, dass er schiele, wobei das 1. Auge
stets nach aussen abwich. Eine Operation, der sich der Patient
vor 4 Jahren unterzog, hatte nach seiner strikten Aussage eine ge¬
ringe Besserung zufolge, doch erreichte er nie eine normale
Augenstellung.
Status praesens: Der somatische Teil bietet bis auf einen hohen
Grad von Arteriosclerose und auf die durch diese bedingten Er¬
scheinungen nichts Abnormes. Auf der Rückenhaut fand sich eine
ausgebreitete, serpiginös begrenzte, narbige Fläche.
Nervenstatus.
Olfadorius: keinerlei Störung.
Opticus, Oculomotorius, Trochlearis, Äbducens.
Augenhintergrund: normal.
Links totale , nicht ganz complete Ophthalmoplegie.
Die Bewegungen des rechten Auges nach allen Richtungen hin
frei, links nur nach innen möglich; bei allen Bewegungen des
rechten Bulbus bleibt das linke Auge in der Richtung nach oben
und aussen unbeweglich stehen. Die Rollbewegung des rechten
Auges normal, links nur bei Bewegung nach oben möglich.
Trigeminus : In der Gegend der Incisura supra-et infra-
orbitalis, am Foramen ment sin. Druckschmerzpunkte, Geschmacks¬
sinn normal, Kaubewegungen ungestört
Facialis: Keine Störung zur Zeit des Eintritts des Patienten.
Acusticus: Keinerlei nervöse Störung; als Ursache der Schwer¬
hörigkeit wurde ein beiderseitiger chronischer Mittelohrkatarrh
gefunden.
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Eis casoistischer Beitrag zur Kenntnis der Qehirnlnes.
431
Glossopharyngeus, Vagus , Recurr. Hypoglossus. Nichts Patholo¬
gisches bemerkbar. Sowol die active als die passive Beweglich¬
keit an beiden oberen wie unteren Extremitäten gut erhalten,
keinerlei Coordinationsstörungen, keine Erscheinungen von Spasmns
oder von Zittern.
Die genaue Prüfung der Sensibilität des Patienten ergab voll¬
kommen normalen Befund, ebenso verrieth die Reflexerregbarkeit
der Haut und der Sehnen nichts Abnormes.
Im weiteren Verlaufe konnten an dem Patienten einige neue
Erscheinungen beobachtet werden. Unter anderem wurde eine
leichte Parese des rechten Facialis im Mundtheile beobachtet, dann
fiel ein stetig zunehmender Krampf in der Stirn-Muskulatur auf.
Die Kopfschmerzen, das Schwindelgefühl wurden heftiger, die Seh¬
schärfe nahm ebenfalls stetig ab, ebenso konnte Nystagmus beob¬
achtet werden.
Als Herr Prof. Ceermak die Güte hatte, den Patienten zu
untersuchen, gab er folgenden Befund ab:
Vollst. Lähmung des unvollst Lähmung des
Obliqu. sup. Orbicul. orbit.
Rectus super. oculi sin. Levator palp. sup.
Rectus inf. Rectus int.
Sphincter pupill. Rectus ext
MuscuL eil.
Aber auch Parese des Nerv, abduc. dext. und des Muse. rect.
sup. D. Seit.
L. c.Ssch. 6/18 OC R. c.Ssch. 6/12 OC
Sn. 3-5, + 4-0 Sn. 10 Sn. 3 5, -f 4-0 0'6
Gleichzeitig wurde damals (4./XI. 1895) das Gesichtsfeld auf-
genommen, welche Aufnahme hier wiedergegeben ist (Fig. I und II).
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432
Dr. Siegmund Kohn.
Als am 12. November der Patient von Prof. v. Jaksch seinen
Hörem demonstriert wurde, bestanden die Erscheinungen nahezu
unverändert fort. Dass es sich um eine Lues cerebri handle,
stand nahezu fest, denn die Erscheinungen einer totalen äusseren
Ophthalmoplegie, einer Parese des Abducens des anderen Auges,
der intensive Kopfschmerz, der des Nachts sich steigerte, die vor
vielen Jahren überstandene Primäraffection sprachen entschieden
dafür. Es wurde die klinische Diagnose gestellt auf:
Lues inveterata unter dem Bilde der Meningitis basil. syphilitica
mitOphthalmoplegia externa und Hemianopsiadextra*) (Vermuthlicher
Sitz mittlere Schädelgrube hinter dem Chiasma nervorum opticoram);
Arteriosclerosis.
*) Die Erscheinungen der Hemianopsie, sowie die Verlegung des Herdes nur
an eine Gehimstelle sollen später besprochen werden.
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Ein casuistischer Beitrag zur Kenntnis der Gehirnlues.
433
Therapie: Schmierkur (3 gr pro die). Decursus. Noch ehe ein
Schluss aus der Wirkungsweise unseres therapeutischen Vorgehens
gezogen werden konnte, trat beim Patienten, drei Tage nach ein¬
geleiteter Schmierkur, eine mit hohem Fieber einsetzende acute
Erkrankung auf. Es bestanden Anfangs profuse Durchfälle, Milz¬
tumor, Schmerzhaftigkeit constant und intensivst in der Ileocoecal-
gegend. Herpes nasalis et labialis.
Schon 5 Tage darauf ausgeprägte Erscheinungen einer beider¬
seitigen hypostatischen Pneumonie (Gramfärbung — zahlr. charakt.
Diplococcen.)
Unmittelbar ante mortem: Eine ziemlich grosse Resistenz in
der Fossa iliaca dextra, Oedeme beider Beine, eine Keratitis e
lagophthalmo, Parese beider Beine mit ausgesprochenen Sensibilitäts¬
störungen, aus denen jedoch bei der ziemlich hochgradigen Be-
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434
Br. Siegmund Rohn.
nommenheit des Patienten kein sicherer Schluss gezogen werden
konnte. Singultus, Erbrechen.
Am 24./XII. Exitus letalis.
Die am 25./XII. vorgenommene path.-anat Section (ausgeführt
von Herrn Prof. Chiari ) ergab:
Ulceratio et perforatio processus vermiformis snbseqnente peri-
tonitide suppurativa chronica. Bysenteria recens. Bronchitis catar-
rhalis. Pneumonia lobularis bilateralis. Endarteriitis chronica
deformans. Encephalomalacia multiplex. Inflammatio chronica
gummosa renis sinistri. Orchitis fibrosa gummosa dextra. Neuritis
nn oculomotorii et ahducentis sinistr. Cicatrices cutis thorads.
Thrombosis marantica venar. extremitatum infer. Infarct haemor-
rhagic. pulmon. sinistr. Keratitis sinistra. Ulcera laryngis catar-
rhalia.
Aus dem Obduktionsprotokolle führe ich folgende wichtige
Stellen an:
„An der linken Grosshirnhemisphäre von aussen ein Er¬
weichungsherd an der medialen Fläche des Occipitallappens wahr¬
zunehmen, welcher den unteren Band des Cuneus und den oberen
Band des Gyrus occipitotemporalis inferior medialis betrifft, in der
Bichtung von vorne nach hinten 4 cm, von oben nach unten 2 cm
misst. Das hintere Ende dieser Erweichungsstelle reicht ganz
nahe an die Spitze des Occipitallappens. Beim Einschneiden in
den linken Occipitallappen entsprechend der Fissura calcarina ist
zu sehen, wie im Bereiche der gesummten Erweichung die Corti-
calis und das Mark bis zum Ependym hin zerstört sind. Bei
Lamellierung beider Grosshimhemisphären nach Pitres zeigt sich
an mehreren Stellen weitere umschriebene Erweichung, so ein
erbsengrosser Heerd im Nucleus caudatus sinister, ein ebensolcher
im Thalamus opticus dexter und ein 1 cm 8 grosser Heerd in der
Corticalis und unterliegenden Markmasse des Gyrus angularis dexter.“
„Auf Querschnitten durch Pons und Medulla oblongata, von denen
der erstere durch das obere Ende des Pons und der letztere durch
das obere Ende der Medulla oblongata geführt wurde, keine Structur-
veränderung wahrzunehmen. Die Untersuchung der basalen Hira-
nerven erweist am intracraniellen Theile des Nervus oculomotorius
sinister eine spindelige Verdickung, wobei auch die Farbe dieses
Nerven gegenüber der rein markweissen Farbe des Nervus oculomo-
torius dexter ins röthliche verändert erscheint Auch der Nervus
abducens sinister gegenüber dem dexter etwas dicker. An den
Nervi trochleares normale Verhältnisse, ebenso an den übrigen
basalen Hirnnerven keine pathologischen Veränderungen."
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Ein caauißtischer Beitrag rar Kenntnis der Gehirnlues.
435
„Die rechte Niere gewöhnlich gross, von mittlerem Blutgehalte,
mit glatter Oberfläche. Die linke Niere bedeutend kleiner, mit
umfänglichen Narben versehen, dabei auch an vielen Stellen, im
Bereiche der Pyramiden gelb, trocken, nekrotisch. Diese Nekrose
betrifft hie und da auch die Papillen. Die beiden Nierenarterien
stark erweitert und in ihrer Wand verkalkt.“
„Der linke Hoden gewöhnlich beschaffen, der rechte von
schwieligen Stellen durchsetzt Die Hohle der Tunica vaginalis
propria dextra obliteriert“
„Das Rückenmark gleich seinen Meningen von mittlerem Blut¬
gehalte, dabei von gewöhnlicher Durchschnittszeichnung.“
„Bei der mikroskopischen Untersuchung der linken Niere fand
sich in derselben hochgradige chronische interstitielle Entzündung
der Rinde mit Endarteriitis chronica proliferans und herdweiser
Nekrose in den Pyramiden, sowie auch von Schwielen umschlossene
Nekroseherde an der Grenze von Corticalis und Pyramiden.“
„Die mikroskopische Untersuchung der schwieligen Partieen des
rechten Hodens ergab hochgradige chronische Entzündung mit Binde¬
gewebswucherung und Atrophie der Samenkanälchen und weiters
kleinste gummöse Heerde mit ganz umschriebener Verkäsung und
einzelnen Riesenzellen.“
Das Rückenmark , welches nach Formolhärtung in der Höhe
des 5. Cervicalsegmentes, des 6. Rücken- und des 3. Lendensegmentes
an Querschnitten mikroskopisch untersucht wurde, zeigte sehr reich¬
liche Corpora amylacea namentlich in den Hintersträngen, sonst
aber keine pathologischen Veränderungen.“
„Am Nervus abducens sinister (Formolhärtung) fand sich ent¬
sprechend der Durchtrittstelle des Nerven durch die Pachymeninx
entzündliche Infiltration in diesem und in der Pachymeninx. Die
spindelige Verdickung des Nervus oculomotorius sinister bestand
aus in verschiedener Richtung sich durchkreuzenden Bündeln mark¬
haltiger Nervenfasern und zeigte sich am vorderen Ende dieser
Verdickung, also an der Durchtrittsstelle des Nerven durch die
Pachymeninx chronische Entzündung mit Bindegewebswucherung in
der Pachymeninx und im Nerven.“ 1 )
Eine Reihe von Erscheinungen bieten bei unserem Patienten
lebhaftes Interesse. So zunächst, dass die Symptome der tertiären
Lues im Gehirn erst sehr spät zum Vorschein kamen, beiläufig
vierzig Jahre nach überstandenem Primäraffect. Nach Hjdmanns *)
*) Herrn Professor Chiari danke ich bestens für die liebenswürdige Ueber-
lassnng des Obduktionsbefundes, sowie der mikroskopischen Untersuchungsergebnisse.
*) Hjelmann, Ref. Neurologisches Centralblatt 13, 342, 1894.
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436
Dr. Siegmund Kolm.
Berechnungen über den Eintritt der Erscheinungen von Lues des
centralen Nervensystems wäre das ein ausnehmend seltener FalL
Die allgemeinen Symptome, welche Patient darbot, in Schlaf¬
losigkeit, Kopfschmerz, Schwindelgefühl, allgemeiner Abnahme der
Intelligenz, Langsamerwerden der Sprache bestehend, gaben in
ihrer Gesammtheit wol einen Fingerzeig, aber nichts Sicheres und
Charakteristisches für die Diagnose.
Als Griesinger J ) eine Reihe angeblich klinisch wichtiger diagno¬
stischer Hülfsmittel bei Gehirnlues anführte, musste er zugeben, dass
alle diese allgemeinen Symptome in ihrer Gesammtheit wol etwas,
aber nichts ausschliesslich Charakteristisches bedeuten.
Und die Arbeiten Rumpfs, Gerhardts ,*) Oppenheims 1 ) schliessen
sich dem vollauf an.
Wie so häufig, betrafen die direkt diagnosticierten Er¬
scheinungen der gummösen diffusen Basilarmeningitis die Neivi
Oculomotorius, Abducens, Trochlearis.
Dass die bei der Section beobachteten Erweichungen im Thala¬
mus opticus und Nucleus caudatus bei Lebzeiten nicht diagnosti-
eiert wurden, darf nicht wundem, denn gerade die Arbeiten Charcots,
Flechsigs, Meynerts, Nothnagels belehren uns, dass Läsionen in
diesen Theilen fast niemals bestimmte Ausfallssymptome machen,
sondern zumeist einhergehen mit Läsionen der inneren Kapsel über¬
haupt oder von den in dieselbe einmündenden Stabkranzfasem
abhängig sind.
Wahrscheinlich ist es, dass bei den mit Lues inficierten
Menschen die Arteriosclerose das Ihrige zur Erweichung im Gehirn
beitragen dürfte. Heubner 4 ) und Baumgarten # ) zeigen uns sehr
classisch den Gang pathologischer Veränderungen in solchen Gehirnen.
Was nun die Hemianopsie anbelangt, so wies dieselbe, wie der
Fall lag, zunächst auf eine basale Affection hin.
Das Fehlen zweier Erscheinungen hätte uns allerdings unter
Umständen dahin fuhren können, dass die Läsion nicht dem Tractus
opticus angehören könne, sondern dass der Occipitallappen der ent¬
sprechenden Seite betheiligt sein müsse.
Wie wir wissen, bedingt die Zerstörung des Tractus opticus die
*) Griesinger, Diagn. Bemerkungen über Gehirnkrankheiten. Archiv für
Heilkunde, 1, 68, 1860. — *) Gerhardt, Ueber Himsyphilis. Berliner klinische
Wochenschrift, 23, 1,1886 — *) Oppenheim , Zur Kenntnis der syph. Erkrankungen
des Central-Nervensystems. Berlin 1890. Hirschwald. — 4 ) Hcnbner, Ueber
Gehirnerkrankungen der Syphilitischen. Archiv für Heilkunde, 11, 272, 1870, —
B ) Baumgarten, Ueber gummöse Syphilis des Gehirns und Rückenmarks, besonders
der Gefösse. Virchow’s Archiv, 86, 179, 1881.
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Original frum
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Ein casuistischer Beitrag zur Kenntnis der Gehirnlues.
437
sogenannte hemianopischo Papillenreaction, i. e. die Lichtreaction beider
Pupillen ist nur bei Beleuchtung der lichtempfindlichen Netzhaut*
hälften vorhanden, erfolgt nicht, wenn Licht auf die unempfindlichen
Netzhauthälften fällt. Martins 1 ) und Seguin 1 ) berichten über das
Vorkommen und den diagnostischen Werth dieses Symptoms. Auf
dasselbe wurde leider erst in der letzten Zeit untersucht, wo die
Prüfung wegen des schweren Allgemeinzustandes kein sicheres Er¬
gebnis liefern konnte.
Eine zweite Erscheinung, welche die Läsion des Tractus
mit der Zeit nach sich führen muss, ist die secundäre Degene¬
ration in absteigendem Sinne; in unserem Falle hätte uns die Blässe
der Papillenhälften eventuell darauf aufmerksam machen können,
doch bestand dieselbe nicht typisch.
Das Bestreben, möglichst viele klinisch beobachtete Einzel¬
erscheinungen auf eine einzige Grundursache zurückzuführen, recht¬
fertigt unsere Diagnose, da sie allein dieselben Erscheinungen hätte
herbeiführen können.
Was nun endlich die Therapie anbelangt, so muss die Frage
offen bleiben, ob sie auch bei unserem Patienten in Form der
Schmierkur und nachträglichen Jodverabreichung den gewünschten
Erfolg gehabt hätte.
*) Martins, Charite-Annalen, Bd. XIII, 1888. — Seguin , Journal of nerv and
ment diseases. November 1887. 3 Fälle. Beides citiert nach Knies : Die Be¬
ziehungen des Sehorgans und seiner Erkrankungen in den übrigen Krankheiten
des Körpers 1893. Wiesbaden, Seite 60—68.
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(Aus der medicinischen Klinik des Herrn Prof. Ä. v. Jakseh in Prag.)
ÜBER DEN EINFLUSS DER SCHILDDRÜSEN¬
PRÄPARATE AUF DIE STICKSTOFF AUSSCHEIDUNG
IM HARNE.
Von
Du. ROBERT DAVID,
Externarzt der Klinik.
Die meisten Autoren, die sich mit Stoffwechseluntersuchungen
nach Darreichung von Schilddrüsenpräparaten beschäftigt haben,
gelangen zu dem Schlüsse, dass diese Präparate eine meist erheb¬
liche Steigerung der Stickstoffausscheidung im Harne, sowie der
Diurese verursachen.
Nach den ersten diesbezüglichen Mittheilungen von Mendel 1 )
Ord und White *) und Napier ,*) veröffentlichte Vermehren*) zuerst eine
grössere Anzahl diesbezüglicher genauerer Beobachtungen, denen
sich die Arbeiten von Bennig,*) Scholz*) der Selbstversuch von
Wendelstadt , 7 ) sowie die theils am Menschen, theils am Hunde
durchgeführten Versuche von Boos*) bald anschlossen.
Wendelstadt , der 3—4 Tabletten Thyreoidin pro Tag zu sich
nahm, fand „einen, wenn auch nicht sehr hochgradigen Zerfall von
Körpereiweiss, der sich, entgegen den bisherigen Erfahrungen bei
anderen Stoffwechselversuchen durch eine grössere Zufuhr stick¬
stofffreier Nahrungsmittel nicht aufhalten liess.“
*) Mendel, Deutsche med. Wochenschr., 19, 25, 1893.
*) Ord und White, citiert n. Boos, Zeitschr. £ physiol. Chemie, 21, 19, 1895.
•) Napier citiert n. Treupel Münch, med. Wochenschr., 43 , 118, 1896.
*) Vermehren , Deutsche med. Wochenschr., 19, 254 und 1037, 1893.
6 ) Dennig, Münch, med. Wochenschr., 42, 389 und 42, 464, 1895.
•) Scholz, Centralblatt f. int Medicin, 16, 1041, 1895.
’) Bleibtreu u. Wendelstadl, Deustche med. Wochenschr., 21, 346, 1895.
s ) Roos, Zeitschrift f. physiol. Chemie, 21, 19, 1895.
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440
Dr. Robert David.
Auch DinJder 1 ) und Treupel,*) welch letzterer die ersten Ver¬
suche mit Thyrojodin anstellte, constatieren eine Vermehrung der
Stickstoff ausscheidung nach dem Gebrauche von Schilddrüsen¬
präparaten.
Dem entgegen steht die Beobachtung von C. A. Ewald*) welcher
fand, dass nach Thyreoidindarreichung „weder Eiweiss abgegeben
noch zugefiihrt wird“, dass also weder die Stickstoffausscheidung
im Harne steigt, noch das Körpergewicht eine Abnahme erfährt
Schole sah in einem seiner Fälle (Morbus Basedowii) keinen
Einfluss der Schilddrüsendarreichung, „nur die Diurese wuchs
ein wenig“.
Ein ganz ähnliches Verhalten sah Vermehren bei drei jugend¬
lichen gesunden Individuen, bei denen das Thyreoidin keine be-
merkenswerthe Wirkung hervorrief. Richter*) fand ähnliche Re¬
sultate, wie Scholz in dem ebenerwähnten Falle.
Diese anscheinend einander widersprechenden Ergebnisse lassen
sich wol hinreichend durch die individuelle Verschiedenheit der
Reaction erklären, welche die Patienten, beziehungsweise Versuchs¬
personen gegenüber den Schilddrüsenpräparaten zeigen.
Vermehren, der bei Myxödematösen Stickstoffausscheidungen
beobachtete, die das 2—3 fache der Norm erreichten, glaubt, dass
jugendliche, gesunde Individuen für Schilddrüsenpräparate weniger
empfänglich sind; Greise sich hingegen wie Myxödemkranke ver¬
halten. Dennig betont ebenfalls die bestehenden individuellen
Unterschiede: „Der Stoffwechsel des Einen wird sehr beeinflusst,
während der Andere das Mittel unbeschadet in grossen Dosen za
sich nehmen kann.“ Dass jugendliche Individuen weniger auf
Schilddrüse reagieren, kann Dennig hingegen nicht bestätigen,
da er im Gegensätze zu Vermehren bei vier solchen Personen eine
erhebliche Steigerung der Stickstoffausscheidung gegenüber der
Norm beobachtete.
Roos konnte bei einem Falle, dessen Nahrungsaufnahme aller¬
dings nicht ganz genau controlliert werden konnte, keine grösseren
Schwankungen in dem Stickstoflumsatze finden, als eben solche, die
durch kleine Schwankungen in der täglichen Nahrungsaufnahme
bedingt sein konnten.
Dass der Grad der Steigerung des Stickstoffumsatzes nicht von
*) Dinkler, Münch, med. Wochensohr., 43, 513, 1896.
*) Treupel , Münch, med. Wochenechr., 43, 117 , 1896.
*) C. A. Ewald, Berliner klin. Wochenschr., 32, 25, 1895. — C. A. Ewald,
ibidem, 32, 55, 1895.
*) Richter, Centr&lbL f. interne Medicin, 17, 67, 1896.
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Einfluss der Schilddrtisenpräparate auf die Stickstoffaasscheidung im Harne. 441
der Dosis des verabreichten Präparates abhängt, erhellt daraus,
dass sowohl Vermehren als Dennig, welche Steigerungen bis zum
3 fachen der individuellen Normalausscheidung erzielten, kleine Dosen
verwendeten, wogegen es an der Klin ik v. Jaksch trotz Verabrei¬
chung sehr hoher, wie ich glaube, der höchsten Bosen, die bis jetzt in
derartigen Versuchen an Menschen gegeben wurden , nicht gelang,
eine derartige Steigerung herbeizuführen (nur in einem Falle, siehe
Tabelle IV, betrug die Steigerung 110 °/ 0 ).
Dabei wäre allerdings zu berücksichtigen, dass es sich in
keinem unserer Fälle um Myxoedem handelte und dass die enormen
Steigerungen, über die berichtet wird, eben bei Myxoedematösen
eintraten. Die an der Klinik verwendeten Präparate sind Thyreoidin
von Dr. G. Döpper in Köln nach Angabe von Leichtenstem , sowie
in zwei Fällen das von Baumann und Boos 1 ) entdeckte Thyrojodin
(a. d. Fabrik von Bayer in Elberfeld).
Beide Präparate enthalten in einer Tablette 0 3 g wirksamer
Schilddrüsensubstanz, das Thyrojodin ausserdem 0 3 mg Jod per
1 g Thyrojodin. Unsere höchste Dosis für Thyreoidin war 50, für
Thyrojodin 20 Tabletten per Tag, also für letzteres das Doppelte
der von Ewald*) festgesetzten täglichen Maximaldosis. Die Tabletten
wurden in steigender Dosis, meist täglich um 5 ansteigend gegeben,
und wurde mit der Darreichung beim Auftreten auch noch so geringer
Intoxicationserscheinungen ansgesetzt.
Nur in einem meiner Fälle (Tabelle VI) beobachtete ich wirk¬
lich beunruhigende Erscheinungen.
Es handelte sich um eine an Morbus Basedowii leidende
36 jährige Frau. Zunahme der Tachycardie, ferner Arhythmie, Schlaf¬
losigkeit, Aufgeregtheit traten schon nach Einnahme von im
Ganzen 10 Tabletten Thyrojodin innerhalb dreier Tage ein.
Auch in einem 2. Falle von Morbus Basedowii (23 jährige Frau,
bei der jedoch die Stickstoffausscheidung nicht controlliert wurde)
trat nach 14 Tabletten Thyreoidin täglich Hyperämie des Ge¬
sichtes, Pulsbeschleunigung und Schlaflosigkeit, sowie hochgradige
Erregung und Schweisssecretion ein.
Bei einem dritten Falle von Morbus Basedowii (Tab. II) ver¬
ursachten schon 12 Tabletten Thyreoidin per Tag Uebligkeiten,
so dass mit dem Mittel ausgesetzt werden mnsste. Auch Aould 9 )
*) E. Baumann, Münchner med. Wochenschr., 43, 309, 1896.
*) Ewald , XIV. Congress f. int Medicin in Wiesbaden, cit nach: BerL
klin. Wochensohr., 33, 405, 1896.
*) Aould, (Brit. med. Jonrn.) cit n. Schmidt’8 Jahrb., 243, 141, 1894 .
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442
Dr. Robert David.
beobachtete eine Verschlimmerung der Symptome eines Morbus
Basedowii nach Schilddrüsendarreichung.
Im Gegensätze zn den Beobachtungen von Scholz, dessen Fall
von Morbus Basedowii sich dem Thyreoidin gegenüber „wie ein
Gesunder“ verhielt, und denen von Voisin, 1 ) Silex*) und anderen, die
eine Besserung dieser Krankheit nach der erwähnten Medication ein-
treten sahen, macht es mir den Eindruck, als ob Basedowkranke die
Schilddrüsenpräparate besonders schlecht vertragen würden. Sonst
beobachtete ich nur leichte Pulsbeschleunigung, Uebligkeit, Auf-
stossen als gelegentliche, mit Aussetzen des Mittels schwindende,
unangenehme Wirkungen der Thyreoideapräparate und zwar meist
erst nach Tagesdosen von 30—50 Tabletten. Ein Cretin ohne
Zeichen von Myxoedem nahm mehrere Tage hinter einander 50 Tab¬
letten Thyreoidin. Er bekam im Ganzen 508 Tabletten in 18 Tagen,
ohne dass sich überhaupt eine Wirkung gezeigt hätte. Das Körper¬
gewicht nahm sogar etwas zu.
Ewald und Dennig (letzterer an sich selbst) constatierten das
Auftreten von Zucker im Harne, v. Noorden *) fand dieses Vor¬
kommen 5mal unter 17 Fällen, wogegen sich Friedheim*) von dem¬
selben nicht sicher überzeugen konnte. An unserer Klinik wurde
niemals Glycosurie gefunden. Auch in den beiden mit Thyrojodin
durchgeführten Versuchen fand ich ebensowenig wie Treupel und
Grawite 6 ) in ihren Thyrojodinfällen Zucker im Harne.
Albuminurie, die Dennig erwähnt, beobachteten wir nie.
Einen Einfluss auf die Harnsäureausscheidung, welche Irsai,
Vas und Gara •) in 2 Fällen, die jüngst publiciert wurden,
„entschieden vermehrt“ fanden, sah ich in den hier beschriebenen
6 Fällen nicht. Auch Mayer 7 ) (an unserer Klinik) konnte eine
Beeinflussung der Harnsäureausscbeidung nicht constatieren. Es
wäre daher diese Vermehrung vielleicht als zufälliger Befund anf-
zufassen.
Ich lasse nun 6 tabellarisch geordnete Beobachtnngs-
reihen folgen, von denen die vier ersten Thyreoidin betreffenden
*) Voisin, (Semaine med. XV.) cit n. Schmidts Jahrb., 248, 23, 1895.
*) Silex, XIV. Congress f. int. Medicin in Wiesbaden, cit. n. BerL klin.
Wochenschr., 33, 405, 1896.
•) v. Noorden, XIV. Congr. f. int. Medic., Wiesbaden. Cit n. BerL klin.
Wocbenschr., 33, 405, 1896.
4 ) Friedheim, Festschrift für Benno Schmidt bei Besold. Leipzig 1896,
pag. 85.
B ) Orawitx, Münch, med. Woohenschr., 43, 312, 1896.
®) Irsai, Vas und Qara, Deutsche med. Wochenschr., 22, 439, 1896.
') Mayer, Deutsche med. Wochenschr., 22, 186, 1896.
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Einfluss der Schilddrttsenpräparate auf die Stickstoffausscheidung im Harne. 443
von den Herren Collegen Dr. v. Stranslcy , Dr. Czemetschka und Dr.
Sinek ausgearbeitet wurden.
Die beiden letzten mit Thyrojodin durchgeführten Versuche
stammen von mir.
Tabelle I. (Thyreoidin.)
L., Eduard, 28 J. (Hydrocephalus).
Datum
Tägl.
Harn¬
menge
in cm #
Spec.
Gewicht l
Gesammt-j
Stickstoff!
in 5 cm 8
Gesammt-
Stickstoff
i.d. Tages¬
menge
Ham- i
säure in 1
100 cm 8 1
D
© tt
S-S
■S-S s
Ul
W £
Stickstoff
der Harn¬
säure
Bemerkungen.
16.—17.
650
1017
00672
8 7360
00551
0-3582
01194
Normaltag
Nov. 96
17.—18.
1000
1018
00577
11 5500
0 0334
0334
01113
n
18.-19.
1000
1017
00554
110940
0 3500
0-3505
01967
n
19.-20.
850
1016
00579
9-8473
0 0660
0-5610
01869
20.-21.
1100
1021
00619
136290
00434
0 4774
01691
3 Tabletten
21.—22.
1050
1021
00535
11-2455
0 0386
0-4058
01352
Thvrooidin
6 „
22.-23.
1450
1016
00532
15 4280
00363
0 5271
01757
9
23 —24.
900
1019
0 0528
95130
00340
03060
01019
12
24.-25.
2150
1016
00429
18-4341
0 0352
07579
02526
15
85.-96.
1800
1021
00548
197316
00353
0*6588
0 2195
18 „
26.-27.
1000
1015
00643
138600
0 0488
0-4880
0*1626
20 „
27.-28.
1000
1015
0*0692
13-8880
0 0480
0-4800
01599
25
28.-29.
1750
1018
00529
I 18-5360
0*0339
0-5933
01977
30 „
29.-30.
850
1021
0-0787
13-3870
00570
0-4004
01334
30 „
30.—1.
1000
1028
00710
142160
0 0548
05480
01826
35 „
Dec.
1.-2.
1150
1027
00701
161253
00599
0-6889
0-2296
40 ,,
2.-3.
850
1027
00985
16-7484
00868
0-7878
0 2459
45 „
3.-4.
1800
1025
0 0679
24-4728
00482
0-8658
0-2894
50 „
8.-9.
1250
1022
0 0698
17-4675
00574
0-7175
0*2391
Normal tag
10.—11.
1300
1019
0 0631
16-4268
0-0471
10-6123
0-2041
yi
. 11.-12.
l 800
1024
| 0 0565
90400
| 0 0385 |
0-3080
1 01026
ii
Ad Tabelle I. Die Stickstoffsteigerung beträgt, wie aus dem
Vergleich von Durchschnittszahlen hervorgeht, 50 °/ 0 täglich. Sie
scheint auch einige Tage nach Aussetzen des Mittels anzudauern
und sinkt dann ziemlich unvermittelt wieder ab. Ein ähnliches
Absinken fanden auch Dennig und Boos (letzterer an einem Ver-
suchsthiere).
Eine deutliche Beeinflussung der Diurese ist nicht erkennbar.
Nach 30 Tabletten trat eine leichte Hyperämie des Gesichtes auf,
die bald schwand, nach 50 Tabletten Uebligkeit und Brechneigung,
weshalb das Mittel ausgesetzt wurde. Die Gewichtsabnahme be¬
trug in 14 Tagen 4 200 kg (Anfangsgewicht 805 kg).
In diesem Falle wurde auch eine Bestimmung der Phosphor-
Zeitschrift für Heilkunde. XIV. 29
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444
Dr. Robert David.
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säure im Harne an einem Thyreoidintage und 2 Normaltagen durch-
geführt, das Ergebnis derselben war Folgendes:
Datum
Harnmenge
in cm*
Speo.
Gewicht
Phosphor-
säure in g
Bemerkungen
2./XII.
1150
1027
3-36875
40 Thvreoidm-
tabletten
9./xn.
1250
1022
2-63125
0
12./XII.
800
1024
2-90400
0
Wir sehen also eine erhebliche Vermehrung der Phosphorsälire
an dem Thyreoidintage, was mit den Beobachtungen von Boos und
Scholz übereinstimmt. Dieselbe Beobachtung machten auch vor
kurzem Irsai, Vas und Gara.
Tabelle II, (Thyreoidin.)
P., Ludmilla, 34 J. (Morbus Basedowii).
Datum
Tägl.
Harn¬
menge
Spec.
Gewicht
1J § 1
ÖOQ-S
Gesammt-
Stickstoff
i.d. Tages¬
menge
Harn¬
säure in
100 cm*
TT
Jsf
l’ 2 !
W £
Stickstoff
der Harn¬
säure
Bemerkungen
12.-13.
Jän. 96
1300
1016
0-0388
10088
00396
0-5140
0*1711
Normaltag
13.-14.
1350
1015
0-0315
8505
00866
0-4941
01645
fl
14.—15.
1500
1015
00325
9-766
00302
0-4530
0-1508
f»
15.-16.
1500
1016
00350
10510
00350
0-5250
01748
3 Tabletten
16.-17.
2100
1015
00237
9-996
00415
0-8715
0-2902
6
17.—18.
1500
1016
00369
10078
00172
0-3163
01053
» „
18.-19.
1850
1015
0-0463
16-946
0 0396
0-7326
0-2439
12 „
Ad Tabelle II. Erst am 4. Thyreoidintage ist eine deutliche
Steigerung der Stickstoffausscheidung bemerkbar, dagegen tritt die
diuretische Wirkung des Thyreoidins hervor. Leider musste die
Thyreoidindarreichung wegen subjectiven schlechteren Befindens der
Patientin ausgesetzt werden.
Das Körpergewicht zeigt keine bemerkenswertlle Aenderung,
was dem Verhalten der Stickstoffausscheidung vollkommen ent¬
spricht.
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Einfluss der Schilddrüsenpräparate auf die Stickstoffausscheidung im Harne. 445
Tabelle III. (Tbyreoidin.)
G., Eduard, 25 J. (Bleilähmung).
Datum
Harn¬
menge
in cm 3
Spec.
Gewicht
1
so a A
a * °
jgS
Gesammt-
Stickstoff
i.d. Tages¬
menge |
Harn¬
säure in
100 cm 8
• i
2 §>
s 5 !
■ ,2 c
eil 1
s - |
Stickstoff
der Harn¬
säure
Bemerkungen
10.—11.
1500
1018
00522
15*6550
! 0 0148
0 2220
0*0739
Norinaltag
Jiin. 96
11.-12.
2000
1017
0 0516
206400
0 0171
0*3420
01138
n
12.-13.
2000
1015
00474
17*5464
00277
0 5560
0*1851
fj
13.-14.
1600
1017
0 0486
15 5520
0-0354
05664
0 1886
ii
14.-15.
1500
1017
00512
153810
0-0254
0*3810
0*1268
10 Tabletten
15.—16.
1400
1020
00603
169036
0-0379
0*5446
, 0*1813
16.-17.
1500
1020
0*0628
18 8460
0*0200
0*3000
0*0900
Tbyreoidin
20 .,
17.—18.
2000
1016
00593
23-7280
0 0452
0*8780
1 0 2923
30 „
18.-19.
; 1300 1
1016
0 0623
16 1980
0 0444
0 5772
! 01922
40 „
19.—20. 1
1400
1020
0 0626
20*8886
0 0432
06048
0*2013
1 50 „
20.—21.
a50
1020
0 0796
13 5320
00124
0 3595
01197
150 „
21.—22.
1200
| 1020
| 0 0792
19 0200
! 0*0428
0*5136
0*1710
| Nonnaltag
Ad Tabelle III. Die Zunahme der Stickstoffausscheidung ist
hier keine so augenfällige als in den anderen Beobachtuugsreihen,
dennoch zeigt ein Vergleich der Durchschnittszahlen an den voraus¬
gehenden 5 Normaltagen und den darauf folgenden 6 Thyreoidin-
tagen, dass eine Steigerung thatsächlich besteht.
Das Körpergewicht sank in 6 Tagen von 54 700 kg auf 52 500 kg.
Die Diurese zeigt keine Steigerung. Trotz der hohen Dosis gar
keine unangenehmen Symptome.
Tabelle IV. (Thyreoidin.)
B., Johann, 43 J. (Pleuritis tuberculosa).
Datum
Harn¬
menge |
in cm 3
Spec.
Gewicht
~ *3 «
22 a d
- •« o E
2 yow
© - ***
O0Q.S
Gesammt-
Stickstoff
i.d.Tages-
mengo
Harn¬
säure in
100 cm 8
Harnsäure
in der
Tagesmenge
Stickstoff
der Harn¬
säure
Bemerkungen
26.-27.
950
1017
0 0416
7-9610
0 0519
04930
01643
Normal tag
Feber 96
27.-28.
350
1023
0-0639
5 1815
0*0583
0 2042
00680
ii
28.-29.
600
1023
00733
8*7960
00490
0 2942
0*0980
ii
29.-1.
1050
1022
00635
133390
0 0480
05050
01680
10 Tabletten
März
1.—2.
1450
1021
0 0619
150713
0 0421
0*6032
02010
Thyreoidin
20 „
2.-3.
1400
1023
00666
18*6876
0 0583
0*8190
02730
30
3.-4.
650
1023
0 0883
11-4868
0*0519
0 3380
0*1130
Normaltag
Patient hat während der Versuchsdauer ebenso wie vorher ein remittierendes
Fieber mit Steigerungen bis 38*4°, auf dessen Typus und Höhe das Thyreoidin
keinen Einfluss zeigt.
Ad Tabelle IV. Die Steigerung der Stickstoffausfuhr ist in
diesem Falle ausserordentlich deutlich. Sie beträgt über das
29*
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446
Dr. Robert David.
Doppelte (110 °/ 0 ) der Norm und sinkt im Gegensätze zu der Beob¬
achtung in Tabelle I sofort mit Aussetzen des Mittels ab. Auch
die Diurese scheint an den Thyreoidintagen bedeutend vermehrt.
Da die ThyreoidinWirkung sich nur über 3 Tage erstreckt und
ausserdem gleichzeitig Fieber besteht, kann das Körpergewicht
nicht in Betracht gezogen werden.
Wegen Gefühl von Uebligkeit, Drücken in den Magengegend,
Appetitlosigkeit wird mit dem Thyreoidin ausgesetzt.
Tabelle Y. (Thyrojodin.)
31., Josef, 28 J. (Radialislähmung).
Datum
Harn-
meuge
in cm 8
Spec.
Gewicht |
Gesammt-
Stickstoff
in 5 cm 3
Harn
Gesammt-
Stickstoff
i. d. Tages¬
menge
Harn¬
säure in
100 cm 3 j
Harnsäure !
in der
Tagcsmenge
Stickstoff i
der Harn¬
säure
Bemerkungen
3.-4.
1350
1020
0 0505
13*6674
00315
0-4242
0*1412
Normaltag
Mai 96
4.-5.
1500
1020
0*0483
14*5058
0 0271
0*4072
01356
n
5.-6.
1500
1015
0 0493
149550
00166
02498
0*0832
3 Tabletten
6.-7.
1200
1020
0*0614
14*7420
0 0319
0*3768
01254
Thyrojodin
5 n
7.-8.
1450
1020
00624
18 1105
0 0338
0*4966
01653
10 „
8.-9.
1700
1015
00512
187666
0 0220
0-3740
0-1245
15 „
9.-10.
1350
1015
0 0556
150255
0*0308
0-4165
01386
^ormätag
10.—11.
2000
I 1017
00436
16*3800
0 0277
0-5540
01844
11.—12.
1450
! 1017
0 0438
126873
0 0291
0-4219
0-1403
>i
Ad Tabelle V. Die Steigerung der Stickstoffausscheidung be¬
trägt ca. 24°/ 0 , die Diurese ist nicht deutlich gesteigert, das Körper¬
gewicht nicht'bedeutend geändert.
Mit dem Mittel musste wegen leichter Steigerung der Puls¬
frequenz, die den sehr intelligenten Patienten beunruhigte, ausgesetzt
werden.
Tabelle VI. (Thyrojodin.)
K., Anna, 36 J. (Morbus Basedowii).
Datum
Harn-
mengo
in cm 3
Spec.
Gewicht
Gosammt-
Stickstoff i
in 5 cm 3
Harn
Gesammt-
Stickstoff
i. d. Tages¬
menge
Harn¬
säure in ,
100 cm 8 1
Harnsäure j
in der
Tagesmenge
Stickstoff
der Harn¬
säure
Bemerkungen
i
9.—10.
700
1020
00529
7*938
o
§
01452
00480
Normaltag
Juni 96
10.—11.
1650
1017
00378
12-475
0 0165
0*2879
0 0959
»i
3 Tabletten
11.—12.
750
1020
00651
9114
0*0174
01308
00431
12.—13.
850
1018
0 0593
10 085
0 0180
01530
0 0505
13.-14.
1100
1014
0*0602
15056
00228
0-2513
0 0829
Thyrojodin
5 »
14.—15.
1400
1020
0*0673
18-858
0*0192
0-2688
0 0887
2 „
15.-16.
1700
1017
0 0572
19 455
0 0158 '
0 2694
0 0889
NormaltAg
16.—17.
1800 ,
1017 J
0 0548
19735 ,
00161
02898
0 0956
n
17.—ia
1700 1
1017 |
00362
12 308
00116 1
01972
0 0657
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Einfluss der Schilddrflsenpr¶te auf die Stickstoflnusscheidung im Harne. 447
Ad Tabelle VI. Die Stickstoffsteigerung beträgt 90 °/ 0 , die Diurese
ist deutlich vermehrt. Auch hier besteht die Steigerung nach Aus¬
setzen des Mittels fort und fällt dann jäh ab. (Vergleiche Tab. I.)
Schon nach Verbrauch von zusammen 10 Tabletten musste wegen
der oben ausführlicher beschriebenen unangenehmen Wirkungen mit
dem Thyrojodin ausgesetzt werden. Das Körpergewicht zeigt eine
unbedeutende, nicht verwerthbare Schwankung.
Sämmtliche Versuchspersonen bekamen durch die ganze Versuchs¬
dauer eine gleichbleibende, genau gewogene Kost und es wurde dafür
Sorge getragen, dass kein Ham bei der Stuhlentleerung verloren gieng.
Die Stickstoffbestimmungen sind nach der Kjeldahl'schen Methode
mit Anwendung der Gtwmp’schen Mischung, 1 ) die Harnsäurebe¬
stimmungen nach der Methode von G. Hopkins a ) ausgeführt, doch
wurde die Harnsäure schliesslich nicht durch Titriren, sondern nach
v. Jaksch durch Wägung bestimmt.
Sowol die Werthe für Stickstoff, als auch für Harnsäure sind
Durchschnittszahlen aus zwei gut stimmenden Controllversuchen.
Auf Grund vorstehender Beobachtungen gelange ich zu folgenden
Schlüssen:
1. Die Stickstoffausscheidung im Harne nimmt nach dem Ge¬
brauche von Thyreoidin und Thyrojodin zu, diese Zunahme ist meist
beträchtlich und steigt bis zum Doppelten der Norm. (Tab. IV.)
2. Ein Anhalten der Steigerung nach Aussetzen des Mittels und
darauffolgendes plötzliches Sinken der Stickstoffausscheidung scheint
häufig vorzukommen. (Tab. I und VI.)
3. Die Diurese ist meist etwas vermehrt.
4. Entsprechend der vermehrten Stickstoffabgabe sinkt auch das
Körpergewicht. (Tab. I und IH.)
5. Die Hamsäureausscheidung wird nicht beeinflusst.
6. Ein Unterschied zwischen der Wirkung des Thyreoidins und
Thyrojodins zeigte sich nicht.
7. Eine Vermehrung der Phosphorsäure-Ausscheidung im Harne
wurde in dem einen Falle, wo daraufhin untersucht wurde, gefunden.
Prag, im Juli 1896.
*) v. Jaksch, Elin. Diagnostik, IV. Anfl. 438, 1896.
*) v. Jaksch, ibidem 481, 1896.
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(Ans der mediciniflchen Klinik des Prof. R. v. Jaksch in Prag.)
ÜBER DIE BEHANDLUNG DES TYPHUS
ABDOMINALIS MIT BLUTSERUM VON TYPHUS¬
REKONVALESZENTEN.
Von
Db. gottlieb pollak,
Exteraarst der Klinik.
Bei der grossen Bedeutung, welche die Serumtherapie durch
die Fortschritte der jüngsten Zeit in der Lehre von den Infektions¬
krankheiten gewonnen hat, wird es nicht Wunder nehmen, dass
auch beim Typhus abdominalis Versuche dieser Art vorgenommen
wurden. Die erste Anregung dazu ging von Chantemesse 1 ) und
Vidal 1 ) aus, die das Serum von gegen Typhus immunisierten
Thieren Typhuskranken einverleibten, ohne jedoch einen therapeuti¬
schen Effekt hiervon zu sehen. Dann wurde von Pfeiffer a ) ange¬
geben, dass im Blute von Typhusrekonvaleszenten sich immuni¬
sierende Körper finden dürften; Stern*) bestritt jedoch, dass das
Blutserum von Typhusrekonvaleszenten bactericide Eigenschaften
besitze. Auch aus den Angaben von A. Hammerschlag , 4 ) der Blut
von Typhusrekonvaleszenten zum ersten Male Typhuskranken ein*
impfte, lassen sich keine endgültigen Schlüsse ziehen.
Bevor noch die genannte Mittheilung von Pfeiffer erschien,
wurden von R. v. Jaksch Versuche dieser Art an dem reichen
Typhus-Materiale seiner Klinik begonnen.
Es wurde von Typhusrekonvaleszenten nach mittelschwerem
*) Chantemesse und Vidal: Baumgarten'& Jahresbericht 7,1027 (Referat) 1893.
*) Pfeiffer, Deutsche med. Wochenschrift 13, 48, 1894.
*) Stern, Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten 16, 468, 1894.
4 ) A. Hammerachlag, Deutsche med. Wochenschrift 12, 711, 1898.
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450
Dr. Gottlieb Pollat
oder schwerem Verlauf der Erkrankung vom 20.—58. Krankheite¬
tage Blut unter aseptischen Cautelen mittelst Schröpfköpfen ent¬
nommen, in den Eisschrank gestellt, das Serum mittelst steriler
Pipetten abgehoben und nach Zusatz von etwas Campher in der
Kälte aufbewahrt Dieses Serum nun wurde unter Anwendung
strengster Asepsis mittelst ZocA’scher Spritze Typhuskranken onter
die Haut des Oberschenkels injiciert und zwar wurde mit 2 cm*
begonnen und die Gesammtmenge bis 45 cm* gesteigert Die kleinste
Einzel-Dosis betrug 2 cm 8 , die grösste 10 cm*.
In nachstehendem gestatte ich mir auf Anregung des Herrn
Prof. v. Jaksch in detaillierter Weise die genannten Versuche nebst
einigen nach der Publikation von Prof. v. Jaksch vorgenommenen
mitzutheilen, nachdem bereits in Kürze über die ersteren von Herrn
Prof. v. Jaksch auf dem Kongresse für innere Medizin 1895 berichtet
worden ist 1 )
In den Auszügen der Krankengeschichten ist besondere Rück¬
sicht auf die Fieberverhältnisse, Darm-, Nieren- und Gehirnsymptome
genommen, ebenso ist in Fall XI—XV1I1 das Verhältnis derLeuko-
cyten vor und nach der Injection einer besonderen Würdigung
unterzogen.
Fall I. M. J., 39 j. Kutscher.
Beginn der Erkrankung 26./I. 1895. Status praesens vom
ll./n. 1895: An der Brust- und Bauchhaut Roseolaflecke. Kern
Milztumor. Blutzählung. R. Blk.: 5.700.000, W. Blk. 5600, Fleischl 65.
Am Vortage höchste Temperatur 40° C., Harn eiweisshältig.
12./II. Roseola deutlicher, höchste Temperatur 39,6° C., bis zum
14./H. steigt die Temperatur bis 40° C., vom 15./IL ist Pat be¬
nommen, lässt Stuhl und Harn unter sich. 16./II. deutliche Zeichen
von rechtsseitiger Unterlappenpneumonie, seit dem 13. Herpes.
Am 16./H. Injection von 2 cm* Serum in den linken Ober¬
schenkel um 3 h Nchm., Temperatur um 2 h Nchm. 89,2° C., Abend¬
temperatur 39,4° C.
17. /H. Diarrhöischer, blutig tingierter Stuhl, kein Collaps. Die
Injectionsstelle reactionslos, höchste Temperatur 39° C.
18. /IÜ. 3 blutige Diarrhöen. Im Ham Eiweiss, keine Cylinder,
im Sputum zahlreiche Diplococcen, höchste Temperatur 39,3° C.;
auch am 19./I. die blutigen Stühle anhaltend.
Bis zum 31./H. Fieber bis 39,2° C. Erscheinungen von beider¬
seitiger Unterlappenpneumonie, die Diarrhöen nicht mehr blutig.
*) v. JaJcsch, Verhandlungen des Congresses für innere Medicin 13, 539,1895.
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Heber die Behandlung des Typhus abdominalis mit Blutserum etc. 451
Am 22./H an der linken Gefässbacke Decubitus. Das Sensorium
von nun an freier, Stühle diarrhöisch, lichtgelb, Decubitus bald
geheilt
Yon 28./Ü. ist Pat. fieberfrei, am 3./ELL leichter Anstieg der
Temperatur bis 38-1° C., vom 4./HI. bis zur Entlassung 23./I1I. kein
Fieber mehr.
Ge8ammtmenge des injic. Serums 2 cm 8 (1 Inj.)
Pall II. N. K., 24jähr. MftUergehülfe.
Beginn der Erkrankung 2./I. 1896.
Status praesens vom I0.fl. leichte Milzvergrösserung, keine
Roseola, starke Diarrhöen. Temperatur bis 39,7° C.
12-11. 1. Injection von 1 cm 8 Serum in den 1. Oberschenkel
um 2 h Nchm., Temperatur um 2 h 39,5° C., Abendtemp. 39,4° C.
Am 13. und 14. Temperatur bis 39,1° C.
Am 15./I. 2 h Nchm. 2. Inj. mit 2 cm 8 Serum in den r. Obersch.
Temperatur 2 h 38° C., Abend 38,5° C.
16./I. Beide Injectionsstellen reactionslos, höchste Temperatur
37,8° C. Vom 18./I. ist Pat. fieberfrei und wird am 2./IL geheilt
entlassen.
Gesammtmenge des injic. Serums 3 cm 8 (2 Inj.).
Fall III. W. Fr., 21jähr. Maurer.
Beginn der Erkrankung 4./II. 1895. Status praesens vom 1./H3.
Roseola an Brust- und Bauchhaut, kein Milztumor, 2 Diarrhöen.
Harn eiweissfrei. Höchste Temperatur 40,2° C., ebenso am 2./HI.,
am S./ILL 39,4* C.
4./IH. Milz deutlich zu tasten, 2 Diarrhöen. Bronchitis diffusa.
Blut: R. Bl. 4.680.000, W. Bl. 8400, Fleischl 12,6.
6. /IH 1. Inj. um 2 h Nchm. von 2 cm 8 Serum in den 1. Ober¬
schenkel. Temperatur 2 h 38,9° C., Abendtemperatur 38,9° C.
7. /HI. fester Stuhl, Milz deutlich zu tasten, Injectionsstelle
etwas schmerzhaft, Sensorium frei.
8. /HI. 2. Injection von 2 cm 8 Serum in den r. Oberschenkel um
2 h Nchm. Temperatur vor der Inj. 38,4° C., Abends 38,6° C.
9. /HI. Die 2. Injectionsstelle schmerzhaft. Die Schmerzhaftig¬
keit schwindet auf Applikation von feuchtwarmen Umschlägen.
Vom ll./IH an ist Pat. fieberfrei und wird am 25./IH. geheilt
entlassen.
Gesammtmenge des injic. Serum 4 cm 8 (2 Inj.).
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452
Dr. Gottlieb Pollak.
Fall IY. D. Fr., 33jähr. Schneidersgattin.
Beginn der Erkrankung angeblich 9./IIL 1895.
Status praesens vom 17./IH Ausgebreitete Roseola an der Haut
des Thorax und Abdomens. Milz percussorisch vergrössert, durch
Palpation eine Vergrössemng nicht nachweisbar. Gravidit&t im
im VII. Monat. Im Harn Eiweiss, höchste Temperatur 39,5° C.
18./IH. Früh Schüttelfrost, kein Milztumor.
20. /IH. 1. Injection von 2 cm 8 Serum in den r. Oberschenkel
Temp. vor der Inj. 38,7 0 C., Abends 39,2° C.
21. /IÜ. höchste Temperatur 39,2® C.
22. /HL 2. Inj. von 2 cm® Serum in den L Oberschenkel um
2 h Nchm., Temp. 2 h 38,7® C., Abends 38,6® C.
23. /IH. Die gestrige Injectionsstelle schmerzhaft, die vom
20./IH. reactionslos, höchste Temp. 37,9® C.
Vom 25./HL ist Pat fieberfrei, die Schmerzhaftigkeit der In-•
jectionsstellen ist geschwunden.
Gesammtmenge des injic. Serums 4 cm® (2 Inj.).
Fall Y. M. W., 18jähr. Schlosser.
Beginn der Erkrankung 20./H. 1895 unter Schüttelfrost
Status praesens vom l./m. Pat. apathisch. Am Thorax und
Abdomen deutliche Roseola. Milz nicht deutlich vergrössert, im Harn
Eiweiss, höchste Temperatur 40,3® C., am 2./HL höchste Temperatur
40,2 °C., am 3./HI. 39,9° C., 5./HL Roseola ausgebreiteter. 3 Diar¬
rhöen. Blut: R. Bl. 4.860.000, W. BL 8,800, Fleischl 11,2.
6. /ÜI. Temperatur 2 h Nchm. 38,4° C.
1. Ii\j. um 2 h Nchm. von 2 cm® Serum in den 1. Oberschenkel,
Abendtemperatur 38,7® C., 2 Diarrhöen.
7. /IIL Injectionsstelle reactionslos. Sensorium, das bisher be¬
nommen, frei, höchste Temperatur 39,6° C., 1 diarrh. StuhL
8. /m. 2 h Nchm. 2. Injection von 2 cm® Serum in den r. Ober¬
schenkel, Temperatur 2 h 38,3° C., Abends 40® C.
9. /ni. Injectionsstelle von gestern schmerzhaft, höchste Tem¬
peratur 39,2° C.
10. /m. Die Injectionstelle noch immer schmerzhaft, nicht ge*
röthet, höchste Temperatur 39,1® C.
11. /IH. höchste Temperatur 89,5® C.
12. /III. 3 h Nchm. 3. Inj. von 3 cm® Serum in den L 0bersch,
Temperatur, 2 h Nchm. 39,6° C., Abendtemp. 39,9® C.
13. /IH. Die gestrige Injectionsstelle schmerzhaft Rasseln über
den Lungen, höchste Temperatur 38,8° C.
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Ueber die Behandlung des Typhus obdominalis mit Blutserum etc. 453
14. /ÜI. Fester Stuhl. Lungenbefund wie gestern, höchste Tem¬
peratur 38,6° C.
15. /HL Kreuzbeingegend etwas geröthet, höchste Temperatur
38,3« C.
Pat. vom 16.—21./III. fieberfrei, am 22./ID. Temperaturanstieg
bis 38° C., ebenso am 23./DX, vom 24./IH. ist Pat wieder ent-
fiebert und verlässt am 27./I1I. geheilt die Klinik.
Gesammtmenge des injic. Serums 7 cm* (3 Inj.).
Fall TL Z). J-, 38jähr. Arbeiter.
Pat. ist Potator. Beginn der Erkrankung 24./II. 1895.
Status praesens vom 9./IH. Keine Roseola, kein Milztumor,
höchste Temperatur 39,8° C.
lO./m. höchste Temperatur 40,1° C., ll./III. Milz zu tasten,
Sensorium frei, diarrh. Stuhl, höchste Temperatur 39° C.
12. /IH. 1. Injection von 2 cm* Serum in den 1. Oberschenkel,
Temperatur vor der Injection 39° C., höchste Abendtemp. 39,2° C.
13. /IÜ. starke Schweisse. Blut: R. BL 5.340.000, W. BL 7600,
höchste Temperatur 39,2° C.
In den nächstfolgenden Tagen Fieber bis 38,5° C., starke
Diarrhöen.
Am 19./III. etwas Eiweiss im Ham.
20./IIL um 2 h Nchm. 2. Inj. von 3 cm* Serum in den r. Ober¬
schenkel, Morgen- und Abendtemp. 39,1° C.
Ebenso am 21./IQ.
22. /13I. Morgentemperatur 88° C., 2 h Nchm. 3. Inj. von 2 cm 8
Serum in den 1. Obersch., Abendtemperatur 39,7° C.
23. /HI. höchste Temp. 40,1° C., Injectionsstellen reactionslos.
25. /III. 4. Inj. von 2 cm* Serum in den r. Oberschenkel um
2 h Nchm., Abendtemp. 39,5 0 C.
26. /IH. Injectionsstelle von gestern schmerzhaft, höchste Tem¬
peratur 37,9° C.
Am 27./IH. Anstieg der Temp. bis 38,8° C. Vom 28./HL ist
Pat. entfiebert, die Milz nicht mehr zu tasten, Ham eiweissfrei.
14./IV. Entlassung.
Gesammtmenge des injic. Serums 9 cm* (4 Inj.).
Fall YD. P. W., 19j. Giesser.
Beginn der Erkrankung 27./VII. 1895.
Status praesens vom 30./VII. Vereinzelte Roseolaflecke, deut¬
licher Milztumor, Temp. 4 h Nchm. 40,3° C., 8 h Abends 40,5° C.,
1 diarrh. Stuhl.
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454
Dr. Gottlieb Pollak.
31./VII. Roseola sehr deutlich, höchste Temperatur 39,9° C-,
2 Diarrh., bis 5./VIII. schwankt die Temperatur zwischen 39,5 • C.
und 40° C.
6. /VIH. Temperatur um 2 h Nchm. 38° C.
Um , / s 3 h 1. Inj. von 5 cm* Serum in den 1. Obersch., darauf
höchste Abendtemp. 38,9® C.
7. /VIII. Injectionsstelle von gestern reactionslos.
8. /VILI. Temperatur 10 h Vorm. 36,3® C.
Um 11 h 2. Inj. von 5 cm* Serum in den r. Obersch^ höchste
Abendtemperatur 38,6® C.
9. /VJH. Beide injectionsstellen reactionslos. Vom 11./VIEL ist
Pat fieberfrei. Die Milz bis zu seinem Austritte am 31./V111. zu
tasten.
Gesammtmenge des injic. Serums 10 cm 8 (2 Inj.).
Fall VII. P. V., 19 j. Schneider.
Beginn der Erkrankung 10./IIL 1895 unter heftigen Diarrhöen.
Status praesens vom ll./JH. Keine Milzvergrösserung, keine
Roseola, Harn eiweisshaltig.
13. /IH. Roseola deutlich, Milzdämpfung vergrössert, Milz nicht
zu tasten, 5 erbsenfarbene diarrh. Stühle, Temp. 2 h Nchm. 39,2 °C
Um 3 h Nchm. 1. Inj. von 2 cm 8 Serum in den r. Oberschenkel, Abend¬
temperatur 40,1® C.
14. /III. höchste Temperatur 40® C., 5 Diarrhoen.
15. /HE. Pat apathisch, 6 diarrh. Stühle. Blut: R. Bl. 5,220,000,
W. Bl. 8400.
16. /IH. höchste Temperatur 39,9® C., 9 Diarrhoen.
18. /IH. 2 h Nchm. 2. Inj. von 2 cm 8 Serum in den 1. Obersch,
Temp. um 2 h 39® C., Abendtemp. 39,7® C. Pat ist sehr apathisch,
der Harn eiweisshaltig, im Sedimente keine Cylinder.
19. /HI. höchste Temp. 39,8® C., 7 Diarrhöen.
20. /m. Abdomen etwas meteoristisch aufgetrieben. Diarrhöen
anhaltend, um 2 h Nchm., 3. Inj. von 2 cm 8 Serum in den r. Ober¬
schenkel, Temp. um 2 h 39,4® C., Abendtemp. 40,1® C.
21 ./HI. Fieber anhaltend. Injectionsstellen reactionslos, kein
Schüttelfrost, 6 Diarrhöen.
22./HI. Pat. somnolent, heftige Delirien; Stuhl lässt Patient
unter sich, Zunge fciliginös belegt, um 2 h Nchm. 4. Inj. von 2 cm*
Serum in den 1. Obersch., Temp. 2 h Nchm. 39,4® C., Abendtemp.
40,1® C.
S.S.12. 23./IÜ. Injectionsstellen reactionslos. Bronchitis diffusa.
Im Sputum keine Tuberkelbacillen, höchste Temp. 39,9 ®C., 6 Diarrh.
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Ueber die Behandlung des Typhua abdominalis mit Blutserum etc. 455
24./m. Delirien und Diarrhoen anhaltend, höchste Temperatur
39,9® C.
26. /HI. Patient deliriert auch bei Tag. Die Kreuzbeingegend
geröthet, der Barn eiweisshaltig.
27. /DI. Pat. benommen, Stuhl flüssig, nicht blutig, um 2 h Nchm.
5. Inj. von 3 cm 8 Serum in den r. Obersch., Temp. um 2 h 38,7 0 C.,
Abendtemp. 39,4° C.
28. /m. Ham eiweisshaltig, höchste Temperatur 39,2° C.
29. /m. Benommenheit geringer, höchste Temperatur 38,6° C.,
4 diarrh. Stühle.
30. /IH. Zeichen des einfachen Katarrhes über den Lungen.
Ham eiweissfrei; 5 diarrh. nicht blutige Stühle, höchste Temp.
38® C.
31. /IQ. Puls kaum zu tasten, Abdomen druckschmerzhaft, kein
Fieber.
1. /IV. Benommenheit noch vorhanden, höchste Temp. 36,8° C.
2. /IY. Nchm. wieder leichtes Fieber 38,4° C., oberflächlicher
thalergrosser Decubitus in der Kreuzbeingegend.
3. /IV. höchste Temperatur 38,8° C., Milz nicht zu tasten.
5./IV. Pat. fieberfrei, Decubitus schön granulierend.
8./IV. kein Fieber. Alle Injectionsstellen reactionslos geheilt,
Stuhl angehalten.
23./IV. wird Pat. geheilt entlassen.
Ge8ammtmenge des injic. Serums 11 cm 8 (5 Inj.).
Fall IX. 8. M., 51 j. Kramsitzerin.
Beginn der Erkrankung angeblich 4./L 1895.
Status praesen^ vom 25./I. Pat. soporös, Milz vergrössert,
keine Roseola, höchste Temperatur 39,8° C.
26. /I. höchste Temp. 40° C.
27. /I. Pat lässt Ham unter sich. Ueber den Lungen katarrha¬
lische Erscheinungen, höchste Temp. 40,1° C.
28. /I. Benommenheit andauernd, keine Delirien, Harnverhaltung.
Pat muss katheterisiert werden. Im Ham Eiweiss und Aceton,
im Sedimente hyaline und granulierte Cylinder. 2 h Nchm. 1. Inj. von
2 cm 8 Semm in den r. Obersch., Temp. 2 h Nchm. 38,7° C., Abends
40« C. Blut: R. BL 4.940.000, W. BL 6000, Fleischl 55®/ 0 .
29. /I. 2 h Nchm. 2. Inj. von 3 cm 8 Serum in den 1. Obersch.,
Temperatur 2 h 38,1° C., Abends 39,5° C. Zahlreiche Roseolen.
Pat. muss katheterisiert werden, fester Stuhl.
30. /I. Beide Injectionsstellen reactionslos. Katheterismus. Höchste
Temperatur 40° C.
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31./L 4 h Nchm. 3. Inj. von 6 cm 8 Serum in den r. Obersch,
Temperatur 4 h 38,8° C., Abends ebenfalls.
1. 'II. Heute Morgen Collaps bei Temp. von 36,2° C, Puls 144,
reichlicher, nicht blutiger Stuhl, starke Benommenheit Abends
neuerlicher Temperaturabfall, Temp. 4 h 37,9° C., Abends 8 h 36,3° C,
mehrere Stuhlgänge mit frisch geronnenen Blutmassen vermengt
Pat stärker benommen.
2. /II. Abdomen stark druckschmerzhaft. Patient muss täglich
katheterisiert werden. Die Injectionsstellen an beiden Obersch.
blutig suffundiert, höchste Temperatur 39,4° C. Im Harne kein
Pepton (Devoto).
3. /II. Gestern wieder blutiger Stuhl. P. erhält seit vorgestern
Plumb. acetic. 0,3 in dos. VI., tgl. 1 Pulver, höchste Temp. 39,1 0 C.
4. /H. Seit gestern kein Stuhl, Zunge fuliginös belegt, höchste
Temperatur 39,6° C.
5. /II. Pat. muss täglich katheterisiert werden, das Sensorium
noch benommen, höchste Temp. 38,8° C.
8./H Milz zu tasten, schwarz gefärbter Stuhl, höchste Temp.
39,2° C.
10./n. Sensorum frei, höchste Temp. 38,8° C.
Das Fieber siukt am 15./H. bis 36,6° C. ab, steigt am 16./H.
wieder bis 38,5° C.
Vom 17./II. bis 4./HI. ist Pat. fieberfrei, am 5./HI. Temperatur¬
anstieg bis 38,2 0 C., am 6./III. Abfall auf 37,2 0 C. Seit dem 4./IH.
uriniert P. wieder spontan.
Am 16./IH. verlässt Pat. geheilt das Spital.
Gesammtmenge des injic. Serums: 11 cm 8 (3 Inj.).
Fall X. S. B., 37jähr. Taglöhner.
Beginn der Erkrankung 9./XI. 1894 unter Fieber und Schüttelfrost.
Status praesens vom 19./XI. keine Roseola, Milz nicht ver-
grössert. Vom VH. Brustwirbeldorne hinten Dämpfung, vesicnläres
Athmen.
20. /XI. Nachts Delirien; Sputum, zähe, blutig, übelriechend,
höchste Temp. 39,3° C.
21. /XI. Delirien anhaltend, 3 Diarrhöen, höchste Temp. 39,3® C.
24./XI. Roseolaflecke am Thorax, höchste Temp. 39,3° C.
Am 25./XI. höchste Temp. 39,7° C.
26. /XI. 2 h Nchm. 1. Inj. von 1 cm 8 Serum in den 1. Obersch,
Temp. 2 u 38,6, Abends 38,7 0 C.
27. /XI. 2 h Nchm. 2. Inj. von 2 cm 8 Serum in den r. Obersch,
Temp. 2 h 38,1, Abends 38,3° C.
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lieber die Behandlung des Typhus abdominalis mit Blutserum etc. 457
28. /XI. 2 h Nchm. 3. Inj. von 3 cm* Seram in den 1. Obersch.,
Temp. 2 h 37,5, Abends 39° C.
29. /XI. höchste Temp. 39,8 °C. Allelnjectionsstellen reactionslos.
1. /XÜ. 2 h Nchm. 4. Inj. von 3 cm® Serum in den r. Obersch.,
Temp. 2 h 38,1, Abends 39,1° C.
2. /XII. Injectionsstelle von gestern reactionslos, höchste Temp.
38,5° C.
3. /XH lV 4 h Nchm. 5. Inj. von 3 cm® in den 1. Obersch., Temp.
12 h 37,6° C., Abends 39,8° C. Abends Schmerzen an der In¬
jectionsstelle um 5 h Schüttelfrost, bei einer Temp. von 38,1° C.
4. /m kein Fieber.
5. /XD. 2 h Nchm. 6. Inj. von 3 cm® Serum in den r. Obersch.,
Temp. 2 h 37,5° C., Abends 38,7° C.
6. /XII. Pat muss katheterisiert werden, 6 Diarrh.
9./XÜ. Der Stuhl seit 3 Tagen angehalten. Im Rectum zahl¬
reiche Kothmassen, die manuell entfernt werden. Auf Glycerin¬
klysma 2 diarrh. Stühle.
Pat bis 9./I. fieberfrei, an welchem Tage er geheilt die Klinik
verlässt.
Ge8ammtmenge des injic. Serums 15 cm® (6 Inj.).
Fall XI. P. J-, 20jähr. Kutscher.
Beginn der Erkrankung 16./XI. 1895.
Status praesens vom 30./XI. zahlreiche Roseolaflecke an Brust-
und Bauchhaut, Milz nicht zu tasten, höchste Temperatur 39,6° C.,
3 Diarrhoen.
Am 1. u. 2./XII. Temperatursteigerung bis 39,7° C.
3. /XÜ. Am 127* h Mittags 1. Inj. von 5 cm® Serum in den r.
Obersch., Temp. 12 h 38,6, Abends 89,4° C. Blutbefund um ll h
R. BL 5.050.000, W. BL 7800; Blutbefund um 3 h R. Bl. 5.200.000,
W. Bl. 8000.
4. /XQ. höchste Temperatur 39,4 0 C., kein Milztumor.
5. /XH. Um 117* h Vorm. 2. Inj. von 10 cm® Serum in den 1.
Obersch., Temp. 10 h 39, Abends 39,2 0 C. Blutbefund um 10 h
Vorm. R. Bl. 5.200.000, W. Bl. 8.400, Blutbefund um 2 h Nachm.
R. Bl. 5.770.000, W. Bl. 10.800.
6. /XD. Injectionsstelle von gestern geröthet, schmerzhaft; feucht¬
warme Einpackung, höchste Temp. 39° C.
7. /xn. Um 12 7* h Nachm. 3. Inj. von 10 cm® Serum in den
r. Obersch., Temp. 10 h 37,8 0 C., Abends 38,2 0 C. Blutbefund um
10 h R. BL 5.260.000, W. Bl. 9000, Blutbefund um 37* h R. Bl.
5.120.000, W. Bl. 8400.
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Dr. Gottlieb Pollak.
8. /XH höchste Temp. 87,9 0 C.
9. /XII. kein Fieber, Injectionstelle vom 5./XIL geschwollen,
nicht geröthet.
10. /XII. Pat. fieberfrei, Roseola abgeblasst.
16./XH In, den letzten Tagen keine Temperatursteigerung.
An der Injectionsstelle vom 5./XII. eine handteileigrosse Schwel¬
lung mit deutlicher Fluctuation.
20. /XII Fiebersteigerung bis 38,6 0 C.
21. /XII. Eröffnung des Abszesses am 1. Oberschenkel und Ent¬
leerung eines dicken phlegmonösen Eiters. Morgentemp. 37,9,
Abends 39,1° C.
24./XU geringes eitriges Wundsecret, Schwellung abgenommen.
31./XII. Pat. fieberfrei. Am 1. Unterschenkel stärkeres Oedem,
das bis zum 2./L verschwunden ist. Am 9./L wird Pat geheilt ent¬
lassen.
Gesammtmenge des injic. Serums 25 cm* (8 Inj.).
Fall XII. P Fr., 18jähr. Fleischergehilfe.
Beginn der Erkrankung 23. Oktober 1895.
Status praesens vom 28./X. Reichliche Roseola an Rumpf und
Extremitäten, Milz tastbar, Pat. etwas benommen, 4 flüssige, gelbe
Stühle.
29. /X Blutbefund R. Bl. 4.750.000, W. Bl. 6200.
30. /X. 1. Inj. von 5 cm* Serum in den r. Obersch. um 12 b Mit¬
tag, Temp. 12 h 38,9° C., Abends 39,2° C. Blutbefund 3 h Nachm.
R. BL 4.800.000, W. Bl. 8800.
31. /X. Injectionsstelle reactionslos, höchste Temp. 39,4 0 C.
1. /XI. Sensorium frei. 9 h Vorm. 2. Inj. von 10 cm* Serum in
den 1. Obersch., Temp. vor der Inj. 36,9, Abends 39,2 ® C. Blut-
befand vor der Inj. R. Bl. 4.700.000, W. Bl. 13.400, Blutbefund nach
der Inj. R. Bl. 4.710.000, W. Bl. 14.000.
2. /XI. Injectionsstelle von gestern reactionslos.
3. /XI. 9 h Vorm. 3. Inj. von 10 cm* Serum in den r. Obersch,
Temp. vor der Inj. 36,2 0 C., Abends 38,9 0 C. Blutbefund vor der
Inj. R. Bl. 4.700.000, W. Bl. 10.200, Blutbefund nach der Inj. R. Bl.
5.000.000, W. BL 18.400.
4. /XI. Injectionsstelle reactionslos, Pat. bis zum 14./XI. fieber¬
frei, an diesem Tage entlassen.
Gesammtmenge des injic. Serums 25 cm* (3 Inj.).
Fall XIII. W. A., 24jähr. Postdiener.
Beginn der Erkrankung 12./III. 1895 mit Schüttelfrost, Fieber
und Diarrhöen.
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Ueber die Behandlung des Typhus abdominalis mit Blutserum ctc. 459
Status praesens vom 26./III. keine Roseola, Milz percussorisch
und palpatorisch nicht vergrössert, Harn eiweissfrei, höchste Temp.
39,9° C., 1 diarrh. Stuhl.
27. /HL spärliche Roseolaflecke auf der Brust, die Kreuzhein¬
gegend geröthet. 2 h Nachm. 1. Inj. von 5 cm 6 Serum in den r.
Obersch., Temp. 2 h Nachm. 39 0 C., Abends 39,7 0 C. Blutbefund
R. Bl. 4.900.000, W. Bl. 5600.
28. /III. Milzdämpfung deutlich, Injectionsstelle von gestern
reactionslos.
29. /IÜ. 2 h Nachm. 2. Inj. von 5 cm 8 Serum in den 1. Obersch.,
Temp. 2 h 39,2 0 C., Abends 39,5 0 C.
30. /m. Ueber den Lungen etwas Giemen, kleiner Decubitus
über dem Kreuzbein, höchste Temp. 39,5 0 C.
31. /HI. Katarrhalische Erscheinungen über beiden Lungen.
5 h Nachm. 3. Inj. von 5 cm 8 Serum in den 1. Obersch., Temp. 4 h
Nachm. 38,4 0 C., Abends 39,1 0 C., l./IV. Milzdämpfung deutlich
vergrössert, höchste Temp. 39,6 0 C.
2. /IV. Morgentemp. 39,7 0 C., Mittags 40,3 0 C., */* 6 h Abends
4. Inj. von 5 cm 8 Serum in den r. Obersch., Temp. 4 h 38,8 0 C.
3. /IV. Morgentemp. 38,4 0 C., Milz zu tasten, Abends 38,9 0 C.
4 /IV. Morgens 38,8 0 C., 4 h Nchm. 5. Inj. von 5 cm 8 Serum in
1. Obersch., Temp. 4 h 38,7 0 C., Abends ebenso.
5. /IV. höchste Temp. 39,6 0 C.
6. /IV. Morgentemp. 38 0 C., 4 h Nachm. 6. Inj. von 3 cm 8 Serum
in den r. Obersch., Temp. 4 h 38,8 0 C., Abends 38,4 0 C.
8./IV. Rechts vom Kreuzbein die Haut geröthet, mit einer
Borke bedeckt.
Vom 10./IV. ist Pat. fieberfei, am 20./IV. ist der Decubitus ge¬
heilt, am 27./IV. verlässt Pat. geheilt die Klinik.
Gesammtmenge des injic. Serums 28 cm 8 (6 Inj.).
Fall XIY. K. A., 26jähr. Schmied.
Beginn der Erkrankung l./IX. 1895.
Status praesens vom 18./IX.: keine Roseola, Milz zu tasten.
19. /IX. deutlicher Milztumor, höchste Temp. 39,6° C., Zahl
der Leukocyten 8.800.
4 b Nchm. 1. Inj. von 5 cm 3 Serum in den r. Obersch. Zahl
der Leucocyten nach der Inj. 15.800, Temp. vor der Inj. 38.5 0 C.
Abends 39.6 0 C.
20. /IX. Reichliche Roseola, höchste Temp. 39.6 0 C.
22./IX. 4 h Nchm. 2. Inj. von 10 cm 8 Serum in den 1. Obersch.,
Temp. vor der Inj. 38.8, nach der Inj. 39.6° C.
ZeiWchiift für Heilkunde. XVII. 30
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460
Dr. Gottlieb Pollak.
23./IX. 3 h Nchm. 3. Inj. von 10 cm® Serum in den r. Obersch,
Temp. vor der Inj. 39.1, nach der Inj. 39.6° C.
25./IX. 4. Inj. von 10 cm 8 Serum in den 1. Obersch., Temp.
vor der Inj. 38, nach derselben 38.2 0 C.
Vom 26./IX. ist Patient fieberfrei und wird am 4./X. geheilt
entlassen. Gesammtmenge des injic. Serum 35 cm® (4. Inj.).
Fall XY. P. Fr., 23jähr. Fleischer, Potator.
Beginn der Erkrankung l./IX. 1895.
Status praesens am 13./IX.: keine Roseola, kein Milztumor,
höchste Temp. 39.2° C.
1. Inj. von 5 cm® Serum in den r. Obersch. um 1 / 4 ß b Nchm-
Temp. vor der Inj. 38.4 0 C., nach derselben 39.7, Leukocytenzahl
vor der Inj. 9.800, nach derselben 8.600.
15. /IX. höchste Temp. 39,6° C., Stat. id.
16. /IX. 2 h Nchm. 2. Inj. von 5 cm® Serum in den r. Obersch,
Temp. vor der Inj. 38, nach derselben 39° C.
17. /IX. 4 h Nchm. 3. Inj. von 10 cm 8 Serum in den 1. Obersch,
Temp. 4 h Nchm. 38.6 0 C., Abends 38.2 0 C.
19. /IX. 4 h 38.4 V* 5 h A Inj. von 8 cm® Serum in den r.
Obersch., Abendtemp. 37.6 0 C., Leukocytenzahl vor der Inj. 10.000,
nach derselben 12.800.
20. /IX. höchste Temp. 38.4° C.
21. /IX. 5. Inj. von 10 cm® Serum in den 1. Obersch, höchste
Temp. 38.4 0 C.
Vom 22./IX. ist Patient fieberfrei und wird am 26./EX. geheilt
entlassen.
Gesammtmenge des injic. Serums 38 cm® (5 Inj.).
Fall XYI. K. Fr., 16jähr. Taglöhner.
Beginn der Erkrankung 10./IX. 1895 mit Schüttelfrost und
Delirien.
Status praesens vom 17./IX. Roseola, Milz nicht vergrössert
Im Harne Eiweiss nebst hyalinen und granulirten Cylindern, höchste
Temp. 40.2° C.
19. /IX. Roseola deutlicher, höchste Temp. 40.2° C.
20. /IX. 1. Inj. von 5 cm® Serum in den r. Obersch. um 5 h
Nchm, Temp. 4 h Nchm. 39.2 °C, Abends 39.7 0 C. Zahl der Leoko-
cyten vor der Inj. 6.800, nach derselben 8.200.
21. /EK. höchste Temp. 40.1 0 C.
22. /IX. 11 h Vorm. 2. Inj. von 10 cm® Serum in den 1. Obersch,
Temp. um 10 h Nachm. 39,2 0 C, Abends 40,6 0 C. Zahl der Leu-
kocyten vor der Inj. 9700, nach derselben 9800.
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Ueber die Behandlung des Typhus abdominalis mit Blutserum etc. 461
23. /IX. Frtthtemp. 38,5 0 C., höchste Tagestemp. 39,5 0 C.
24. /IX. starke Schmerzen in den Beinen, 10 h 3. Inj. von 5 cm*
Serum in den r. Obersch., Temp. 10 h Vorm. 38,4 0 C., Abends
38,8 0 C. Zahl der Leukocyten vor der Inj. 14.200, nach der¬
selben 14400.
25. /IX. Morgentemp. 37,4 0 C., Abends 38.7 0 C.
26. /IX. Morgentemp. 37,2 0 C., 10 h Vorm. 4. Inj. von 10 cm 8
Serum in den 1. Obersch., Temp. 10 h 38,2 0 C., Abends 38,7 0 C.
27. /IX. Frtthtemp. 38,5 0 C., Abends 38,7 0 C., Stuhl angehalten.
28. /IX. Frtthtemp. 37,4 0 C. Um 10 h Vorm. 5. Inj. von 10 cm 8
Serum in den r. Obersch. (entnommen von Fall XV.), Temp. um
10 h 38,3 0 C., Abends 39,1 0 C.
Am 29. und 30. IX. höchste Temp. 38,1 0 C.
Vom l./X. ist Pat. fieberfrei und wird nach 9 Tagen völligen
Wohlbefindens am 10./X. geheilt entlassen.
Gesammtmenge des injic. Serums 40 cm 8 (5 Inj.).
Fall XVII. E. J. 20jfthr. Tischler.
Beginn der Erkrankung 9./X. 95.
Status praesens vom 17./X. keine Roseola, Milz zu tasten,
höchste Temp. 40,1® C.
18. /X. Nachts Delirien, Roseola undeutlich, höchste Temp. 40,3 °C.
19. /X. 12 h Mittags 1. Inj. von 5 cm 8 Serum in den r. Obersch.,
Temp. 12 h 39,8 0 C., Abends 40,3 0 C.
20. /X. Auch heute Nacht Delirien, höchste Temp. 39,9° C.
21. /X. Delirien anhaltend, 1 diarrh. Stuhl. 1 */* h Nachmittags
2. Ipj. von 6 cm 8 Serum in den 1. Obersch., Temp. um 12 h 38,9 0 C.,
Abends 40.3° C. Blutbefund 12 h Mittags R. Bl. 5.080.000, W. Bl.
9800, um 4 h Nachm. R. Bl. 5.600,000, W. Bl. 10.400.
22. /X. trockene, rissige Zunge, Benommenheit, Injectionsstelle
reactionslos, höchste Temp. 39,6° C.
23. /X. 1 h 3. Inj. von 10 cm 8 Serum in den r. Obersch., Temp.
12 h Mittags 39,1 0 C., Abends 39,5 0 C. Blutbefund 12 h Mittags
R. Bl. 5.240.000, W. Bl. 9200, um 4 h Nachm. R. Bl. 5.090.000, W.
Bl. 9800.
25. /X. Morgentemp. 38,2° C., Bewusstsein klarer, 1V* h Nachm.
4. Inj. von 10 cm 8 Serum in den 1. Obersch. (von Fall XVI), Temp.
12 h 38,6° C., Abends 39,4° C. Blutbefund 12 h R. Bl. 5.500.000,
W. Bl. 8800, um 4 h R Bl. 5.350.000, W. Bl. 8400.
26. /X. höchste Temp. 38.8° C.
27. /X. Roseola noch immer sichtbar, Pat. soporös.
28. /X. 5. Inj. von 10 cm* Serum um 1V* h Nachm, in den r.
30*
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462
Dr. Gottlieb Pollak.
Obersch. (entnommen dem Fall XVI), Temp. 12 h 38,7 0 C., Abends
39,1 0 C. Blotbefund 12 h R. Bl. 4.750.000, W. BL 7600, nm 4 1 /, b
Nachm. R. Bl. 4.500.000, W. Bl. 8600.
Vom 31./X. zeigen sich pneumonische Erscheinungen fiber der
1. Lunge, die Temp. schwankt zwischen 38,2 und 39 0 C.
Vom 4./XI. ist Pat. fieberfrei und verlässt am 20./XI. geheilt
die Klinik.
Gesammtmenge des injic. Serums 40 cm 4 (5 Inj.).
Fall XVIII. K. Th. 30jähr. Magd.
Am 23. Juli 1895 Geburt eines lebenden Kindes, das Pat bis
14 Tage vor der Erkrankung gestillt hat. Beginn der Erkrankung
17. Dezbr. 1895.
Status praesens vom 31./XIL, deutliche Roseola und. Milzver-
grösserung, keine Diarrhoen, Temp. 40,7° C.
1. /I. fester Stuhl, höchste Temp. 40,5 0 C.
2. /I. Blutbefund um 4 h Nachm. R. Bl. 4.200.000, W. Bl. 6000.
Im Harn Eiweiss und hyaline Cylinder.
3. /I. Um 11 h Vorm. 1. Inj. von 5 cm* Serum in den r. Ober¬
schenkel, Temp. 10 h 39,2 0 C., Abends 40,1 0 C. Blutbefund vor
der Inj. R. Bl. 4.400.000, W. Bl. 8400, nach der Inj. R. Bl. 4.900.000,
W. Bl. 9000.
4. /I. Nachts Delirien, fuliginöser Zungenbelag, Pat. ist benom¬
men, entleert den Harn ins Bett, die Ipjectionsstelle von gestern
reactionslos, starke Diarrhöen.
Um 11 b Vorm. 2 Inj. von 10 cm 4 Serum in den 1. Obersch.,
Morgentemp. 39,8° C., Abends 40,3° C. Blutbefund vor der Inj.
R. Bl. 3.670.000, W. Bl. 6000, nach der Inj. R. Bl. 3.850.000, W.
Bl. 7000.
5. /I. Delirien und Benommenheit anhaltend, spärliche Roseola¬
flecke, Injectionsstellen reactionslos, höchste Temp. 40,2 0 C.
6. /I. Stuhl und Harn werden ins Bett entleert, Morgentemp.
40 Ä C.
Um 9 h Früh 3. Inj. von 10 cm 8 Serum in den r. Obersch.
Abendtemp. 40.3 0 C. Blutbefund um 9 h R. BL 2.060.000, W. BL
5800, um 12 h R. Bl. 3.400.000, W. Bl. 9200.
7. /I. Delirien und Benommenheit dauern fort, höchste Temp.
40,1 0 C.
8. /I. 4. Inj. von 10 cm 3 Serum, um 9 h Vorm, in den 1. Ober¬
schenkel. Frühtemp. 39,5 0 C., Abends 40.1 0 C. Blutbefund 9 h
R. Bl. 3.890.000, W. Bl. 12.000, um 12 “ R. BL 3.940.000, W.
Bl. 16.000.
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Ueber die Behandlung des Typhus abdominalis mit Blutserum etc. 463
9. /I. Delirien stärker, die gestrige Injectionsstelle reactionslos,
höchste Temp. 39,9° C.
10. /L Subsultus tendinum, höchste Temp. 39,9° C.
10./I. Vs 11 h Nachm. 5. Inj. von 10 cm 8 Serum in den r. Ober¬
schenkel, Temp. um 10 h 39 0 C., Abends 39,2 0 C. Blutbefund 10 h
R. Bl. 3.600.000, W. Bl. 8200, um 2 h R. Bl. 3.620.000, W. Bl. 7200.
Abends um 10 h tritt starke Dyspnöe, Trachealrasseln, Kleiner¬
werden des Pulses ein, die Erscheinungen bessern sich nach einer
subcutanen Infusion von 0.6 °/o NaCl-lösung nicht. Um 6 1 /» h Früh
tritt Exitus letalis ein. Im Harn Eiweiss und hyaline Cylinder.
Die pathologisch-anatomische Untersuchung ergab folgenden
Befund: Typhus abdominalis in statu necroseos et ulcerationis in-
cipientis. Tumor lienis acutus. Ulcera typhosa laryngis et pha-
ryngis. Intumescentia et necrosis partialis glandularum lympha-
ticarum mesenterii, Pneumonia lobularis bilateralis, Degeneratio
parenchymatosa myocardii, hepatis et renum.
Wenn ich nun zum Schlüsse die Ergebnisse der beschriebenen
Versuche resümiere, so ergibt sich folgendes:
1. Ein therapeutischer Effekt wurde im allgemeinen nicht ge¬
sehen. Was die Wirkung der Injektionen auf das Fieber betrifft,
so trat fast immer unmittelbar nach der Injektion eine Temperatur¬
steigerung auf, der aber ein weiterer Fieberabfall resp. ein Herunter¬
gehen der Temperatur auf normale Werthe nicht folgte.
Abnorm hohe Temperatursteigerungen anschliessend an die
Injektion wurden beobachtet in Fall XVI nach der 2. Injektion
von 39.2 0 C. auf 40.6 0 C., in Fall XVH nach der 1. Injektion von
39.8 0 C. auf 40.3° C., nach der 2. Inj. von 38.9 0 C. auf 40.3 0 C., in Fall
XVIII nach der 1. Inj. von 39.2 0 C. auf 40.1 0 C., nach der 2. u. 3.
Inj. von 39.8 0 C. auf 40.3 0 C. Nur in 3 Fällen, welche allerdings
sehr leicht verliefen, zeigte sich insofern ein Einfluss auf das Fieber,
als dasselbe unmittelbar nach der Injektion abfiel, ohne später noch¬
mals anzusteigen. In Fall II trat nach der 2. Inj. ein Temperatur¬
anstieg bis 38.5 0 C. ein, der vom 2. Tage nach der Injektion völlig
normaler Temperatur Platz machte. In Fall XIV ist Patient un¬
mittelbar nach der 4. Inj. fieberfrei, und in Fall XV tritt nach der
4. Inj. ein Fieberanstieg bis 38.4° C. ein, der am nächsten Tage
einer dauernden Apyrexie Platz macht. In den besonders schweren
Fällen (VIII, IX, X, XVHI) hatten jedoch die Injektionen auf den
Fieberverlauf gar keinen Einfluss.
Es sei hier bemerkt, dass die Kranken während der Serum-
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464
Br. Gottlieb Poll&k.
behandlung bei Milchdiät and geringen Mengen Alkohol in Form
von Cognak gehalten wurden.
Völlig unbeeinflusst blieben durch die Injektionen die Dara-
und Gehirnerscheinungen, sowie die Milz.
2. Ueble Allgemeinwirkungen wurden beobachtet in Form ein»
Collapses in Fall IX, der nach der Injektion eintrat und mit einer
Darmblutung und Temperaturabfall bis 36.1 0 C. verbunden war, wobei
es allerdings fraglich erscheint, ob diese üblen Zufälle eine direkte
Folge der Therapie waren.
Auch in Fajl I trat nach der Injektion eine Darmblutung anij
ohne dass es jedoch zu Collaps gekommen wäre. In Fall X stieg
nach der Injektion die Temperatur unter Schüttelfrost bis 39.8 0 C,
ebonso in Fall VIII bis 40.4, um in letzterem Falle unter Er¬
scheinungen des Collapses auf 36.3 abzusinken.
3. Ueble lokale Wirkungen zeigten sich in stärkerem Maasse
nur in Fall XI, wo es am 4. Tage nach der Injektion zu einer
Abscessbildung an der Injektionsstelle kam, welche einen Anstieg
der Temperatur des bereits entfieberten Patienten auf 38.6 0 C. znr
Folge hatte. Nach Eröffnung des Abscesses bildeten sich diese
Symptome schnell und völlig zurück.
Sonst beobachteten wir nur leichte Schmerzhaftigkeit der In*
jektionsstellen in 6 Fällen (HI, IV, V, VI, X, XI), die unter Blei¬
wasserumschlägen in Kürze schwand.
4. Was endlich die Verhältnisse der Blutkörperchen vor und
nach der Injektion betrifft, so liess sich in Betreff der Erythro-
cyten keine Veränderung konstatieren; wohl aber zeigten die
Lenkocyten, wie nachstehende Tabelle erweist, nicht unbeträcht¬
liche Steigerung ihrer Zahl in 5 Fällen (7 Injektionen), von welchen
nur einer einen schweren Verlauf zeigte (Fall XVIil).
Fall
Injektion
vor
der Injektion
nach
der Injektion
XI.
a.
8.400
10.800
XII. {
a.
18.400
14000
3.
10.800
18.000
XIV.
1 .
8.800
15.800
XV.
4.
10.000
18800
XVIIL {
8 .
4.
5.800
13.000
9.800
16.000
Zum Schlüsse ist es mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof.
jR. v. Jaksch für die Ueberlassung dieser Mittheilung den herz¬
lichsten Dank auszusprechen.
Juli 1896.
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(Aas der medicinischen Klinik des Prof. v. Jakseh.)
ÜBER DAS VERHALTEN DES BLUTES NACH KOCH¬
SALZ- UND WASSERINJECTIONEN.
Von
Dr. LEOPOLD GOLDBACH.
Exteraarst der Klinik.
Auf die Anregung des Herrn Professor v. Jaksch hin habe ich
es unternommen, die Angaben Cheron's, 1 ) nach dessen Untersuchungen
bei subcutaner Injection verschiedener indifferenter Flüssigkeiten
oder anderer einen peripheren Reiz setzender Momente eine Aende-
rung der Blutbestandtheile bei anämischen Personen eintreten sollte,
einer Prüfung zu unterziehen. Doch habe ich die Versuche nicht
an anämischen Individuen angestellt, sondern an solchen, die fieber¬
frei waren und von denen von vorneherein anzunehmen war, dass
keine Veränderung in dem absolnten und relativen Verhältnisse des
Blutes sich ergeben dürfte. — Nach den Angaben Cheron's soll
eine Verminderung der Erythrocyten sowie des Hämoglobingehaltes
eintreten, während über das Verhalten der weissen Blutzellen über¬
haupt nichts erwähnt wird. Ich habe in meinen Versuchen auch
diese berücksichtigt Die Untersuchungen wurden in der Weise
angestellt, dass Patienten unserer Klinik, mit den verschiedensten
Erkrankungen 5 cm 8 steriler physiologischer Kochsalzlösung oder
5 cm 8 destillierten sterilisierten Wassers unter die Haut des Ober¬
schenkels eingespritzt wurden. Zuvor wurden immer sowol die
rothen als auch die weissen Blutkörperchen, sowie der Hämoglobin¬
gehalt bestimmt Die Zahl der Erythrocyten, der Leukocyten und
die Menge des Hämoglobins wurden nach den an unserer Klinik
üblichen Methoden festgestellt. 8 ) Zur Zählung der rothen Blut-
*) Chiron, Centralblatt f. innere Medicin 17, 186, Referat 1896.
*) v. Jakseh, Diagnostik. 4. Auflage 1896, 8. 12 n. £
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466
Dr. Leopold Goldbach.
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zellen wurde der Apparat von Thoma-Zeiss und als Conservierungs-
flüssigkeit die Toison’sche Lösung verwendet, die nach den Unter¬
suchungen, welche Marschner 1 ) an unserer Klinik ausführte, sich
sehr gut eignet. Für die Leukocyten diente als Verdünnung»-
flüssigkeit eine 03 °/ 0 Eisessiglösung. Der Hämoglobingehalt wurde
mittelst des Hämometers von v. Fleischl bestimmt Sämmtliche
Untersuchungen wurden aus der Haut der Fingerbeere immer
derselben Hand vorgenommen. Selbstverständlich wurden, um den
Einfluss der Verdauung bezüglich der weissen Blutzellen auszn-
schliessen, die Versuche an nüchternen Personen ausgeführt Die
Zeit, welche seit der letzten Nahrungsaufnahme verstrichen war,
betrug regelmässig 16 Stunden. Zum Frühstück wurde ausser einer
Menge von 250 cm* Caffee nichts gestattet In den Vormittags¬
stunden erhielten die Patienten bis zum Schlüsse des Versuches
keine Nahrung. Es wurde nun vor der Injection, eine */* Stunde
darnach und 2 Stunden später die Zahl der rothen, der weissen
Blutzellen und die Menge des Hämoglobins bestimmt.
I. Kochsalz-Injectionen.
Name
Erythrooyten
Lenko-
cyten
Fleischl
E.:L.
z. w.
26 J. Hann.
Syringomyelia
cervicalis
5,220,000
4,320,000
6,200
8,400
95 °/o = 13-3
85 °/o =11-9
842:1
514:1
Tor dem Versuche.
7« St nach d. Vers.
4,980,000
5,200
86 °/o —11-9
967:1
2 St nach <L Vers.
W. W.
5,560,000
4,800
95 o/o = 13 3
1166:1
vor dem Versuche.
20 J. Mann.
5,290,000
8,100
85 “/o=ll-9
653:1
V« St. nach d. Vers.
Tabes dors.
4,980,000
7,200
86 “/o=ll-9
691:1
2 8t. nach d. Vera.
W. W.
5,350,000
4,400
90 o/o = 12-6
1216:1
vor dem Versuche.
20 J. Mann.
6,020,000
6,200
86 "/o = ll-9
807:1
% 8t. nach d. Vera.
Tabes dors.
4,600,000
5,600
80% = 11-2
876:1
2 St nach d. Vera.
D. R.
14 J. Mann.
Rrnnrhitis
6,360,000
4,980,000
4,800
10,800
75% =105
70%= 9-8
1117:1
461:1
vor dem Versuche.
74 St. nach d. Vers.
Ul l/llulll lila
chronica
4,950,000
7,200
70 % = 9-8
687:1
2 St. nach d. Vers.
L. M.
6,680,000
6,600
80 °/o =11-2
708:1
vor dem Versuche.
20 J. Weib.
Pneumonia centr.
naoh d. Krise
5,160,000
6,320,000
9,600
7,200
70 ®/o = 9-8
75% = 10 5
537:1
738:1
% St nach d. Vers.
2 St nach d. Vera
T. A.
86 J. Weib,
compensierter
Mitralfehler
4,660.000
4,060,000
6,200
9,800
75 "/o = 10*5
65%= 8-1
735:1
414:1
vor dem Versuche,
v« St nach d. Vera
4,120,000
7,200
70%= 9-8
572:1
2 St. nach d. Vera
! ) Marschner , Prager mcdic. Wochenschrift 20, (Sonderabdrnck), 1895.
Gck igle
Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Ueber das Verhalten des Blutes nach Kochsalz- und Wasserinjectionen. 467
IL Wasser-Injectionen.
Name
Erythrocyten
Leuko-
cyten
Fleischl
E.:L.
8. W.
4,950,000
9,800
<1
o
„o
©
II
98
505:1
vor dem Versuche.
35 J. Mann.
4,670,000
8,700
70°/» =
98
537:1
V« St. nach d. Vers.
lcwnio uurun.
recidiv.
5,020,000
9,200
75 °/o =
10-5
543:1
2 St naeh d. Vers.
z. w.
5,380,000
4,600
90 °/o =
126
1169:1
vor dem Versuche.
26 J. Mann.
5,120,000
6,200
86°/» =
11-9
825:1
V« St nach d. Vers.
ojrringomy eiia
cervic.
5,430,000
5,400
96°/o =
183
1005:1
2 St nach d. Vers.
A. W.
5,140,000
6,400
90°/o=»
12*6
803:1
vor dem Versuche.
34 J. Mann.
.9plArnaifl
4,930,000
7,100
85°/« =
11*9
694:1
V« St. nach d. Vers.
multiplex
6,220,000
6,800
90°/« =
12*6
767:1
2 St. nach d. Vers.
T. F.
4,510,000
6,500
<1
o
,©
©
II
98
690:1
vor dem Versuche.
26 J. Mann.
4,380,000
6,200
70°/o =
98
706:1
V« St. nach d. Vers.
Lues cerebri
4,600,000
6,800
70°/o =
9-8
676:1
2 St. nach d. Vers.
B. F.
Qi T lf A „_
4,840,000
6,200
80°/o =
11*2
780:1
vor dem Versuche.
o4 j. mann.
Plenrit.
4,680,000
6,600
80 °/° =
112
708:1
*/. St. nach d. Vers.
X AvtUiV«
tnbercol.
4,860,000
6,400
75 # /® =
10*5
769:1
2 St. nach d. Vers.
H. A.
4,600,000
5,800
80°/® —
112
793:1
vor dem Versuche.
40 J. Weib.
4,280,000
6,200
80 % =
112
690:1
V4 St. nach d. Vers.
Tabes dorsalis
4,520,000
6,600
85°/o =
11-9
684:1
2 St nach d. Vers.
Wie sich nun aus Tabelle I ergiebt, zeigen die Erythrocyten
in allen 6 Versuchen */ 4 Stunde nach der Injection eine leichte
Verminderung ihrer Zahl. Ich glaube, dass diese Herabsetzung der
Zahl der rothen Blutzellen nicht mehr in den Bereich der Fehler¬
quellen gehört, sondern bedingt ist lediglich durch die Kochsalz-
Injection und ich halte mich zu diesem Ausspruche umsomehr
berechtigt, als in jenen Fällen, wo Patienten destilliertes Wasser
injiciert wurde, diese Verminderung ausblieb. Die Erythrocyten
selbst zeigten sowol im nativen als in dem nach Aldehoff') ge¬
färbten Präparate keine Veränderung.
Etwas anders war das Verhalten der weissen Blutzellen; diese .
zeigten constant nach Injection steriler physiologischer Kochsalz¬
lösung eine deutliche Vermehrung. In zwei Fällen stieg die Leuko-
cytenzahl auf das Doppelte, in dem übrigen betrug sie um Vs des
ursprünglichen Werthes. Um zu sehen, welche Art der weissen
Blutzellen vermehrt ist, wurden getrocknete Deckglas-Präparate
gefärbt nach den üblichen Methoden. Dabei zeigte es sich, dass
*) t. Jaksch, Diagnostik. 4. Aufl., 36, 1896.
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468
Dr. Leopold Goldbach.
nicht die Lymphocyten vermehrt waren, sondern die polynucleiren
Lenkocyten mit neutrophilen Granulationen. Hier ist wohl die
Kochsalzlösung sicher die Ursache der Vermehrung, denn bei der
n. Versuchsreihe blieb die Leukocytose aus, nur in einem einzigen
Falle stieg die Zahl der Lenkocyten etwas höher, sonst blieb sie
gleich oder fiel sogar etwas, was wahrscheinlich auf Rechnung der
Fehlerquellen zu setzen ist. Nach zwei Stunden war bei Kochsalz-
Injectionen noch immer eine, wenn auch geringe Steigerung nach¬
zuweisen.
Ueber die Angabe Cheron’s, den Hämoglobingehalt betreffend,
lässt sich sagen, dass auch hier wieder nur bei Kochsalzipjectionen
die Verminderung zu finden ist
Nach diesen Untersuchungen scheint es mir unzweifelhaft» dass
eine leichte Erhöhung des Kochsalzgehaltes des Blutes, denn es
wurden nur 0 035 gr injiciert — im Stande sein dürfte, diese Er¬
scheinung hervorzurufen. Einen Grund hierfür anzugeben bin ich
nicht in der Lage, vielleicht ist die Angabe Cherons , dass der
periphere Reiz das wirksame Moment ist, die richtige, doch ist es
dann immerhin auffallend, dass destilliertes Wasser diese Zustände
nicht hervorrief.
Juli 1896.
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Original frum
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ÜBER DEN STICKSTOFFGEHALT DES MENSCH¬
LICHEN HIRNES
ron
Prof. Dr. B. v. JAKSCH.
Nachfolgende Bestimmungen worden von dem Gesichtspunkte
ans unternommen, um durch eine chemische Untersuchung des Hirnes
den Versuch zu machen, ob nicht hiedurch die so werthvollen
Aufschlüsse, welche uns die histologische Untersuchung des Hirnes
in so grossem Maasse gebracht hat und bringt, ergänzt oder
gar erweitert werden könnten. Insbesondere hoffte ich, dass die
Veränderungen des Gehirnes bei Psychosen, als der progressiven
Paralyse eto, auch einen zahlenmässigen Ausdruck finden würden in
einer Verminderung des Stickstoffgehaltes eines derartigen Hirnes.
Wollte man überhaupt Resultate erzielen, so mussten immer
die gleichen Theile des Hirnes untersucht werden, da von einer
Untersuchung des Gesammthirnes aus naheliegenden technischen
Gründen Abstand genommen werden musste. Ich bin nun so vor¬
gegangen, dass ich stets die Spitzen beider Frontallappen, welche
ich durch einen durch beide Hemisphären symmetrisch verlaufenden
Querschnitt nach sorgfältiger Entfernung der Hirnhäute abtrennte
und dem Kjeldahl-Y erfahren unterwarf.
Die Resultate dieser Untersuchungen mussten über folgende
Fragen Aufschluss geben:
1. Bestehen Differenzen im Stickstoffgehalt zwischen dem
Frontallappen der rechten und linken Gehirnhemisphäre?
2. Gibt es Erkrankungen des Hirnes, in welchen der Stickstofi-
gehalt des genannten Theiles der Frontallappen zu- oder abnimmt?
3. Wie hoch ist der Stickstoffgehalt des Hirnes überhaupt?
Ich lasse zunächst die tabellarische Zusammenstellung meiner
Untersuchungen folgen und bemerke dazu, dass die Hirntheile u. z.
2 gr bis 1.5 gr in den von mir angegebenen Kölbchen der Oxy¬
dation mittelst der Gunnt^’schen Mischung unterworfen wurden
und dann das K)'cWaA/-Verfahren in der bekannten Weise aus¬
geführt wurde.’) Die Menge des gefundenen Stickstoffes wurde auf
100 gr der zu diesem Versuche verwandten Hirnsubstanz berechnet.
Diese Zahlen werden in der Tabelle aufgeführt
*) Vergleiche v. Jakseh, Klinis che Diagnostik, IV. Auflage, S. 84 a. 438,
Urban und Schwarzenberg, Wien und Leipzig, 1896.
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470 Prof. Dr. R. v. Jaksch.
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Ueber den Stickstoffgehalt des menschlichen Hirnes
471
Ich lasse zunächst die Tabelle folgen. Ich habe zn bemerken,
dass ich die Diagnosen nnr kurz, soweit es zum Verständniss des
Folgenden nothwendig ist, anführe.
Die erste Frage beantwortet sich aus dem vorliegenden
Materiale dahin, dass derartige Differenzen existieren, allerdings
in recht geringem Grade. 16 Mal unter 24 Untersuchungen bei
den verschiedensten Erkrankungen zeigte sich die linke Hirnhälfte,
allerdings in recht verschiedenem Grade, etwas reicher an Eiweiss,
8 Mal war dies bei der rechten Hemisphäre der Fall. Aber alle
diese Differenzen sind zum Theile, so im Falle VH, XYI, XXI,
xxn u. XXVI so gering, dass sie in der Analyse als solcher ihre
Erklärung finden. Es bleiben dann nur noch 11 Fälle gegen 9 Fälle,
in welchen ein grösserer Stickstoffreichthum der linken Hemisphäre
gefunden wurde, also eine so geringe Zahl, dass das Spiel des Zu-
faUes nicht ausgeschlossen ist, und ich aus meinen Beobachtungen
nicht den Schluss ziehen kann, dass derartige Differenzen wirklich
existieren; um so mehr als im Falle XXX das Gegentheil besteht
und gerade der linke Frontallappen, der kleiner war als der rechte,
um 0.52 °/ 0 reicher an Stickstoff sich erwies, als der rechte.
Auch die zweite oben angeführte Frage lässt sich kurz beant¬
worten. Die Untersuchungen zeigen nur zu deutlich, dass auch
bei den schwersten anatomischen Processen eine in Zahlen aus-
drfickbare Vermehrung oder Verminderung des Stickstoffgehaltes
des Hirnes nicht zu constatieren ist So finden sich bei der pro¬
gressiven Paralyse, Fall IV, V Werthe, wie 2,21, 1,81 links und
1.97, 1.61 rechts, welche sie uns wiederholt bei anderen Kranken
mit anscheinend gesundem Hirne, so Fall Vm, IX, X (links 2.09,
1.81, 1.63, rechts 1.83, 1.83, 1.65) auch begegnen. Fall I ist aller¬
dings viel versprechend, indem in einem typischen Falle von Para¬
lysis agitans der Stickstoffgehalt fast auf die Hälfte vermindert
erscheint Ich halte mich jedoch nicht berechtigt aus einer Be¬
obachtung einen Schluss zu ziehen, umsomehr, als in diesem Falle
durch einen unglücklichen Zufall der Versuch, welcher den linken
Frontallappen betraf, verloren gieng.
Mustern wir sonst die Reihen durch, so sind, obwohl es sich
um die verschiedenartigsten Krankheiten handelt, in welchen das
Hirn anscheinend nicht afficiert ist, andererseits schwer afficiert
war, keine solche Differenzen zu finden, dass wir daraus irgend
welche Schlüsse ziehen können und scheint — was mir ganz un¬
erwartet kam — der Stickstoffgehalt des schwerkranken Hirnes
nur in sehr geringem Grade zu schwanken.
Allerdings bewegen sich die Werthe in ziemlich weiten Grenzen
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472
Prof. Dr. R. v. Jakgeh.
von 2.21 (Progressive Paralyse, Fall IV) bis 1.63 (Herzfehler,
Fall X) beim linken nnd 2.46 (Gehirntumor, Fall XX) bis 1.61
(Progressive Paralyse, Fall V) beim rechten Frontallappen; aber
die verschiedensten Erkrankungen sind es, welche uns diese Diffe-
renzen zeigen. Es ist demnach wohl ansgeschlossen, dass wir auf
diesem Wege eine tiefere Erkenntniss der zum Theil noch immer
räthselhaften Erkrankungen des Hirnes gewinnen.
Die letzte Frage nämlich, wie gross der Stickstoffgehalt des
menschlichen Hirnes ist, wird allerdings präcis beantwortet Er
beträgt für den linken Frontallappen (Durchschnitt ans 25 Beobacht¬
ungen) 1.89 gr Stickstoff, für den rechten Frontallappen (Durch¬
schnitt ans 29 Beobachtungen) 1.81 gr Stickstoff.
Es ist demnach als wahrscheinlich anzunehmen, nachdem wir
auch bei den schwersten Erkrankungen des Hirnes keine sicheren,
durch Zahlen ausdrückbaren Veränderungen des Stickstoffgehaltes
der genannten Theile des Hirnes constatierten, dass der Stickstoff¬
gehalt des normalen linken Frontallappens in 100 gr Frontallappen¬
substanz 1.89 gr Stickstoff beträgt, des rechten 1.81 gr Stickstoff
also im Durchschnitt für die Frontallappen des Hirnes 1.85 gr
Stickstoff.
Wenn wir auch aus diesen Beobachtungen bis nun irgend wie
verwerthbare Schlüsse nicht ziehen können, so dürften sich dieselben
doch als ein für andere kommende Untersuchungen brauchbares
Material erweisen und deshalb glaube ich, dass dieselben auch dem
Pathologen einiges Interesse bieten. Ausserdem dürften diese Be¬
obachtungen Werth für den Physiologen haben, da sie meines
Wissens die ersten Angaben sind, welche Zahlen über den Stick¬
stoffgehalt des menschlichen Hirnes liefern. 1 )
Juli 1896.
*) Für die Ueberlassung des Leichenmaterials zu diesen Untersuchungen
spreche ich Herrn Collegen Chiari meinen besten Dank ans.
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ÜBER DERMOIDCYSTEN DES MEDIASTINUM
ANTICUM.
Von
Dr. ERN8T PFLANZ,
(gew. Operationssögling an der ohirurg. Klinik des Prof. Dr. A. Wölfler.)
(Mit 1 Figur im Texte.)
Unter den Körperregionen, welche als Prädilectionsstellen von
Dermoidcysten gelten, nimmt das Mediastinum anticnm einen her¬
vorragenden Platz ein, nicht so sehr was die Häufigkeit ihres Auf¬
tretens an diesem Orte betrifft, sondern wegen des Interesses,
welches sie in klinischer und besonders in genetischer Hinsicht
bieten. Der im Folgenden mitgetheilte Fall, welcher während der
Supplierung der Grazer chirurgischen Klinik durch Herrn Prof.
Ebner zur Beobachtung kam, bildet einen weiteren Beitrag zur
Casuistik und gibt mir auf Anregung des Herrn Prof. Wölfler An¬
lass, eine zusammenfassende Erörterung dieses Gegenstandes daran
zu schliessen. Für die freundliche Unterstützung und Förderung
dieser Arbeit erlaube ich mir meinen verehrten Lehrern hier den
besten Dank abzustatten.
D. A., 21 Jahre alt, Bäckergehilfe, früher stets gesund, litt
seit mehreren Jahren zeitweise an Schmerzen im rechten Ohr und
seit ungefähr einem Jahre auch in der rechten Schulter. Im
August 1894 traten öfter Schluckbeschwerden, besonders beim Ge¬
nüsse fester Nahrungsmittel, auf; im November nahmen die
Schmerzen in Ohr und Schulter zu und es stellte sich besonders
bei grösseren Anstrengungen Athemnoth ein; zugleich bemerkte Pat.
eine Anschwellung oberhalb des rechten Schlüsselbeines. In den
nächsten Wochen hielt dieser Zustand im ganzen unverändert an.
Ende Jänner 1895 machte Pat. unter ziemlich ungünstigen Ver¬
hältnissen die Ueberfahrt von New-York nach Europa, seitdem
steigerten sich die Schmerzen, namentlich an der Stelle der Ge¬
schwulst und strahlten von da in den ganzen Arm aus, auch wurde
damals eine Auftreibung der oberen Brustgegend bemerkbar.
Bei der Aufnahme am 23. Februar 1895 wurde erhoben, dass
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Dr. Ernst Pflanz.
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Pat. niemals an Heiserkeit, Herzklopfen oder Erbrechen gelitten
und nie gefiebert habe.
Status: Pat. ist ziemlich gross, kräftig gebaut, gut genährt
Weder Oedeme, noch Venektasien.
Die Gegend des Manubrium sterni, sowie des medialen Antheils
der rechten Clavicula und der ersten zwei Hippen der rechten
Seite ist beträchtlich vorgewölbt, die Haut darüber von gewöhn¬
licher Beschaffenheit Innerhalb eines Bezirkes, der, scharf ab¬
gegrenzt, nach rechts ca. 4 cm, nach links 2 cm über den Sternal-
rand, nach unten in der Mittellinie bis in die Höhe des H Inter-
costalraumes reicht, herrscht absolute Dämpfung, und in diesem
Bereiche ist keine Spur eines Geräusches, auch keine Pulsation
wahrzunehmen. Oberhalb und nach aussen vom rechten Sterno-
claviculargelenk, zum Theil vom Sternocleido-mastoideus gedeckt,
befindet sich eine nussgrosse, verschiebliche, deutlich fluctuierende
Geschwulst, die hebende Pulsation zeigt, welche anscheinend von
den unter ihr verlaufenden Gefässen herrührt. Die Lunge bietet
überall vollkommen normale Verhältnisse, kein Stenosengeräusch.
Die Herzdämpfung ist von der vorher erwähnten Dämpfung durch
eine Zone mit etwas hellerem Schalle getrennt, hat normale Lage
und Grösse, Spitzenstoss im fünften Intercostalraum, Töne rein.
Herzaction nicht gestört, mässig frequent Radialpuls beiderseits
isochron und von gleicher Spannung. Laryngoskopisch sind keine
Abnormitäten nachweisbar. Die Pupillen sind gleichweit und
reagieren prompt. Temperatur normal.
Eine Probepunction der Geschwulst oberhalb der Clavicula
ergab Eiter. Es wurde angenommen, dass es sich hier um einen
Drüsenabscess handle, der wahrscheinlich mit dem Tumor des
Mediastinums im Zusammenhang stehe. Ueber die Natur des
letzteren konnte man begreiflicherweise nur Vermuthungen hegen,
darunter hatte die, dass man es mit einem Drüsenpaquet zu thon
habe, einige Wahrscheinlichkeit für sich.
Die Geschwulst am Halse wurde incidiert, wobei sich eine ge¬
ringe Menge Eiter entleerte, und sodann drainiert Nach einigen
Tagen war die Abscesshöhle geschlossen, die Incisionswunde ver¬
klebt, und Pat. wurde, da zu dieser Zeit auch die subjectiven Be¬
schwerden abgenommen, am 10. März entlassen.
Am 30. März liess er sich wieder aufnehmen, da neuerlich
eine Anschwellung von der Grösse eines Hühnereies über der
Clavicula aufgetreten war; Status im übrigen wie früher.
Am 12. April wurde diese Geschwulst (vom Assistenten Dr. Neu¬
gebauer) in Narcose breit eröffnet
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Ueber Dermoidcysten des Mediastinum anticum.
475
Durch einen 5 cm langen, fingerbreit über der Clavicula in qnerer
Richtung verlaufenden Schnitt werden Haut und Weichtheile
(Clavicularportion des Stemo-cleido-mastoideus) durchtrennt, die
Oberfläche der Geschwulst freigelegt, incidiert und dadurch eine
etwa tanbeneigrosse Höhle eröffnet, welche gelben Eiter enthält.
Yon dieser Höhlung ans fuhrt eine Fortsetzung in der Richtung
nach unten und innen in eine zweite, im Brustraume gelegene
grössere Höhle. Der Zugang zu letzterer ist durch die nach
hinten vorspringende I. Rippe sehr verengt, infolgedessen ist eine
vollständige digitale Austastung nicht möglich, und es kann nur
constatiert werden, dass sie einen beträchtlichen Umfang besitzt,
dicht hinter dem Sternum gelegen ist und dass an ihrer unteren
und hinteren Wand ein grosses Gefäss (Aorta?) mächtig pulsiert.
Bei der Ausspülung mit Borlösung kommen in der mit Eiter ver¬
mischten Flüssigkeit mehrere kurze braune Haare zum Vorschein,
ausserdem krümelige Massen, welche, wie die mikroskopische Unter¬
suchung ergiebt, hauptsächlich aus Epidermisschollen und Fett¬
körnern bestehen.
Die Geschwulst erweist sich daher als eine vereiterte Dermoid¬
cyste des vorderen Mediastiums. Die Ausspülung wird so lange
fortgesetzt, bis die Flüssigkeit klar abläuft. Einführen eines
Jodoformgazestreifens, Verkleinerung der Hautwunde durch Nähte.
In den ersten fünf Tagen nach der Operation überstieg die
Temperatur stets 38°, fiel dann aber zur Norm ab, während sich
eine profuse eiterige Secretion aus der Tiefe entwickelte. Nach
einiger Zeit stellte sich der bisherige Modus der Drainage als un¬
genügend heraus, indem sich der Zugang zur Höhle immer mehr
verkleinerte und das Einführen des Streifens erschwerte. Deshalb
wurde am 25. April in Narcose mittelst Trepanation des Sternums
eine Gegenöffhung angelegt.
Ueber den oberen Theil des Brustbeines wird ein verticaler,
8 cm langer Schnitt bis auf den Knochen geführt, das Periost nach
beiden Seiten abgehebelt und dann in der Höhe der H. Rippe
ein ca. 4 cm langes und 2V 8 cm breites Stück aus dem Knochen vor¬
sichtig herausgemeisselt. Nach Freilegung des Periostes an der
Innenfläche des Knochens kann man nun das Ende der von der
oberen Oeffnung her eingeführten, gekrümmten Kornzange leicht
durchfühlen. Um den Austritt des purulenten Cysteninhaltes in
das umgebende normale Mediastinalgewebe zu verhüten, wird von
jetzt ab der Thermokauter angewendet Mit demselben wird das
Periost durchtrennt, und es kommt nun eine glatte Fläche, die
Cystenwand, zum Vorschein, welche jenem zwar unmittelbar an-
Zeitschrift für Heilkunde. XYLL
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Cr. Ernst Pflanz.
liegt, aber nicht mit ihm verwachsen ist, da sie mit Hilfe der Kora-
zange von innen her leicht nach allen Seiten verschoben werden
kann. Nach Verschorfung der ganzen Umgebung wird die Cyste
eröffnet und mittelst der nun sichtbar werdenden Kornzange ein
kleingerdickes, durchlöchertes Drain durchgezogen, sodass es aus
der oberen und unteren Oefinung herausragt Die Hautwunde wird
zum Theil vernäht
Der Verlauf war in der nächsten Zeit vollständig reactions-
los, indem die Temperatur nie über 37-5° stieg und an den Brost-
Organen ausser einer leichten Bronchitis keine besonderen Er¬
scheinungen auftraten. Die Drainage fnnctionierte jetzt gut, die
Secretion blieb reichlich.
Das eine grosse Drain, welches anscheinend durch Druck auf
die Umgebung Schmerzen in Brust und Schulter verursachte, wurde
nach zehn Tagen durch zwei andere ersetzt, von denen das obere
dünner, das untere aber eben so stark wie das frühere und 11 cm
lang war. Das Einführen des letzteren beim Verbandwechsel machte
stets Schwierigkeiten und gelang nur dadurch, dass von der oberen
Wunde her ein starker Seidenfaden zur unteren Oefinung heraus¬
geleitet, das Drain daran befestigt und so in den Brustraum ge¬
zogen wurde; der Faden blieb neben dem oberen Drain liegen.
Am 9. Mai trat plötzlich Temperatursteigerung (405°) auf
gleichzeitig starkes OppressionsgefÜhl auf der Brust und Dyspnoe.
Als Ursache fand sich eine bedeutende Secretretention, herbeige¬
führt durch Verstopfung des unteren Drains. Nach Behebung der¬
selben ging die Temperatur zwar etwas herab, blieb jedoch in den
nächsten Tagen immer noch bedeutend erhöht (Abendtemp. über 39*)
und fiel erst vom 20. Mai an allmälig ab. Ende Mai war Pat. afebril und
verblieb es auch weiterhin. Der Grund dieses fortdauernden Fiebers
wurde in einer Ausbreitung des entzündlichen Processes auf die
Umgebung gesucht, doch ergab sich dafür, wenigstens anfänglich,
kein sicherer Anhaltspunkt, denn erst am 18. Mai konnte man LHU
ein pleuritisches Exsudat constatieren, das die Höhe von ca. 4 cm
erreichte und sich nach vorne bis zur mittleren Axillarlinie er-
strekte. Eine Probepunction lieferte jedoch eine klare seröse
Flüssigkeit, die nur wenige Pleuraendothelien und Fibringerinnsel
enthielt und sich bei der bacteriologischen Untersuchung als voll¬
kommen steril erwies. Das Exsudat blieb über eine Woche stationär,
nach weiteren drei Wochen war es anscheinend vollständig resorbiert
Einige Tage nach dem Auftreten dieses Exsudates ging die
seit der 2. Op. bestehende, serös-schleimige Bronchitis in eine
eiterige über, die bis Mitte Juni anhielt Es fanden sich jedoch
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Ueber Dermoidcysten des Mediastinum anticum.
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niemals Anzeichen dafür, dass die Cyste in einen Bronchus durch¬
gebrochen sei.
Von Juni an schritt die Besserung allmälig und ohne Zwischen¬
fälle vorwärts. Der Allgemeinzustand, der durch die starke Eiterung
und das Fieber sehr gelitten hatte, hob sich bedeutend, die Eiter-
production verminderte sich, sodass die Drains durch dünnere und
kürzere ersetzt und das obere Rohr Ende Juni ganz weggelassen
werden konnte, worauf sich die Incisionswunde bald schloss. In
dem Secret waren ausser spärlichen verfetteten Plattenepithelzellen
keine Bestandtheile des ursprünglichen Cysteninhaltes nachzuweisen.
Die Behandlung bestand in täglichen Ausspülungen mit Lysol und
in öfteren Iqjectionen von Carboiglycerin und Jodtinktur.
Ende Juni war auch schon eine entschiedene Schrumpfung der
Cyste ersichtlich, indem sich der Dämpfungsbezirk bis auf einen
schmalen Streifen verkleinert hatte, der von der Fistel bis zum
Sterno-claviculargelenk reichte. In dieser Richtung drang auch die
Sonde noch 10 cm tief ein, wovon aber sicher 4 cm auf den Weich-
theil- und Knochenkanal kamen; seitliche Bewegungen waren nur
in ganz geringem Masse auszuführen. Auch die subjectiven Be¬
schwerden, die besonders während des Fiebers in Dyspnoe, Husten
und Schmerzen in der Brust, Schulter und im ganzen rechten Arm
bestanden, waren um diese Zeit vollständig verschwunden.
Von da ab ging es nur sehr langsam vorwärts, sodass erst
Anfang September das letzte Drain entfernt werden konnte.
Anfang Oktober 1895 war der dicht hinter der Brustwand
schief nach rechts-oben verlaufende Kanal nur mehr 8 cm lang und
nur für eine dünne Sonde passierbar. Die Secretion war sehr gering
und rein eiterig ohne irgendwelche epitheliale Beimischungen. Man
konnte somit hoffen, dass sich die Fistel bald ganz schliessen werde.
Der Pat. wollte jedoch diesen Zeitpunkt nicht mehr abwarten,
sondern verliess das Spital, um sich wieder nach Amerika einzuschiffen.
Dermoidcysten im Mediastinum sind eine verhältnismässig
seltene Erscheinung, und ich konnte in der Literatur bloss 24 der¬
artige, mehr oder weniger ausführlich berichtete Beobachtungen
finden; 1 ) darunter sind 6 Fälle, welche als Dermoidcysten der
*) Ueber einen Fall von Gläser (Langenbeck’s Arch. XVII p. 443) berichtet
nur die Notn, dass in einem Bronchus eine Dermoidcyste mit Haaren gefunden
wurde. — Der Fall von Paget (A System of surgery de Holmes et Hnlke 1883)
war mir nicht zugänglich. — Das Verzeichnis von Dardignac (1894) umfasst 23
Fälle, davon scheinen sich Nr. 8 (Villard ) und Nr. 14 (Le Btle) nicht auf Dermoid¬
cysten des Med. ant. zu beziehen. Zwei Fälle sind doppelt angeführt, indem
Nr. 16 (Roser) und Nr. 17 (Kückmanriy, ferner Nr. 16 (Finkler) und Nr. 18 ( Pinders )
je einen und denselben Fall betreffen. 31 *
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Dr. Ernst Pflanz.
Lunge beschrieben wurden, deren Zuhörigkeit zu jenen jedoch, wie
die betreffenden Autoren zumeist anerkennen, auf Grund der
anatomischen Verhältnisse, insbesondere aber mit Rücksicht auf ihre
Bildungsgeschichte nicht anzuzweifeln ist. Im Nachstehenden ist
eine kurzgefasste Zusammenstellung der publicierten Fälle gegeben;
dazu bemerke ich, dass die Krankengeschichten derjenigen Fälle,
welche einer chirurgischen Behandlung unterzogen wurden, znr
Illustration der dabei angewendeten Methoden weiter unten ge¬
sondert angeführt werden.
1. Gordon. Med.-chir. Trausact XIII 1823 (cit. bei Kück-
mann u. A.)
Frau, 21 Jahre. Zwei Monate nach einer Erkrankung an
Pneumonie und Hämoptoe entstand am Sternalende der linken
Clavicula ein stark pulsierender Tumor, der sich rapid vergrösserte
(Diagnose: Aneurysma der Aorta oder des Truncus anonymus).
Nach etwa einem halben Jahre unter Athembeschwerden raschere
Zunahme und Uebergreifen der Geschwulst auf die rechte Seite.
Bald nachher platzte der Tumor unter Entleerung von seröser
Flüssigeit, verkleinerte sich dann und war nach drei Monaten ver¬
schwunden. Einen Monat später trat nach acuter fieberhafter
Krankheit schnell der Tod ein.
Obd.-Bef.: Hinter den beiden oberen Dritteln des Sternums
und dem Sternalende der rechten Clavicula eine Balggeschwulst,
fest verwachsen mit dem Sternum und dem Trane, anonymus. In¬
halt: seröse Flüssigkeit, talgartige Massen, Haare und ein Knochen
mit sieben Zähnen. Seröser Pleuraerguss und Lungenödem.
2. Spath. Gazette möd. de Paris, 1836, p. 120 (dt bei
Dardignac, Rev. de Chir. 1894).
Mann, 60 J. An der linken Brustseite trat in der Gegend
der Brustwarze eine Geschwulst auf, die sehr langsam nach oben
wachsend sich endlich über den ganzen Hals bis zum Ohr nnd
Nacken erstreckte. Die Punction der fluctuierenden Geschwulst
lieferte ca. 1 Kilog. einer gelatinösen Masse. Der Pat starb an
Erstickung.
Obd.-Bef.: Der Tumor am Halse bildete die Fortsetzung einer
grossen intrathoracischen Geschwulst, welche das ganze vordere
Mediastinum einnahm und theils aus fettigen, theils aus kalkartigen
und knorpeligen Massen bestand. Linke Lunge stark comprimiert,
athrophisch, an einigen Stellen hepatisiert Compression der Aorta
und der übrigen grossen Gefässe.
3. Müne. Atlas der path. Anat von ATbers. Erläuterungen,
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Ueber Dermoidcysten des Mediastinum anticum. 479
8. Abthlg. 1839 (kurz mitgetheilt von Mohr, Berl. med. Centralzeit.
1839, S. 261).
Frau, 28 J. Im 15. und 16. Jahre hustete Pat Haare aus,
seit dem 20. Jahre litt sie an Phthise, der sie auch erlag. In der
letzten Zeit vor dem Tode wurden wieder Haare ausgehustet
Obd.-Bef.: An der Innenseite des linken Oberlappens, an ihrem
äusseren und hinterem Umfang von Lungensubstanz, an der Unter¬
seite von verdickter Pleura umgeben, eine Balggeschwulst. Wand:
hautartig (Haare, Haarbälge) mit mehrfachen Auswüchsen, die
wieder Hohlräume mit Haaren enthielten. Inhalt: hauttalgartig.
Offene Verbindung mit dem Anfangtheil des linken Luftröhrenastes.
4. Büchner. Deutsche Klinik 1853. No. 28.
Frau, 36 J. Seit ®/ 4 Jahren Husten und Dyspnoö, vor 4 Monaten
Pneumonie, darauf vermehrter Husten mit weisslichem Auswurf.
Vor 5 Wochen Pneumorrhagie, seitdem andauernder Bluthusten. —
Die rechte Brustwand dicht neben dem Sternum, von der II. bis
IV. Kippe kugelig vorgewölbt und deutlich pulsierend; Dämpfhng
von der II. Kippe bis zum Diaphragma, nach links bis zur Mitte
des Sternums reichend, nach hinten allmälig sich verlierend. Auf¬
fallenderweise bestand über der ganzen rechten Brusthälfte bron¬
chiales Athmen und consonierendes Kassein, in der Umgebung der
Brustwarze war auch ein blasendes Gefässgeräusch wahrnehmbar.
Diagnose: Aneurysma oder tuberc. Depöt.
Nach acht Tagen, während welcher Zeit der Answurf von
Blut cessierte und Dämpfung, sowie bronchiales 4thmen am rechten
Unterlappen auftraten, Exitus unter hohem Fieber.
Obd.-Bef.: Eine gut kindskopfgrosse, mit der Umgebung innig
verwachsene Cyste (mit zwei Nebenhöhlen) nahm die rechte Brust¬
seite von der II. Kippe bis zum Diaphragma herab ein, die rechte
Lunge ganz nach hinten verdrängend. In die letztere war die
Geschwulst mit teilweiser Entleerung ihres Inhaltes durchgebrochen
(bezeichnet durch die Pneumorrhagie) und hatte Pneumonie verur¬
sacht (Aufhöreu der Lungenblutung als Hepatisation eingetreten).
Es fand sich weiter eine Communication zwischen Cyste und Aorta
ascendens. Wand: kein Epithelüberzug, aber Haare, auch Knorpel
und Knochen. Inhalt: neben atheromartigen Massen hauptsächlich
Blutcoagula. — Pleuritis serosa sin.
5. Lebert. Prager Vierteljahrschr. LX. S. 47. 1858.
Mann, 60 J., starb infolge eines Emphysems, das schon viele
Jahre bestanden. Keine Symptome von Mediastinaltumor.
Ob.-Bef.: Zwischen beiden Lungen, oberhalb des Herzens, mit
dem Pericard fest verwachsen, eine Balggeschwulst von 7 cm Höhe,
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480
Dr. Ernst Pflanz.
7 cm Breite und 4*/* cm Dicke, mit mehreren kleinen Cysten in
ihrer Wandung, stellenweise von Pflaster- und Cylinderepithel aus¬
gekleidet. Inhalt: atheromatöser Brei. Compression der Art pulm.
6. Cordes. Virch. Arch. XVI. S. 290. 1859.
Mann, 28 J., erkrankte nach einem Diätfehler an einer heftigen
Gastritis, bot zugleich die Erscheinungen eines massigen Pericar-
dialergusses. Die Symptome von Seite des Magen-Darmcanals
besserten sich in einigen Tagen, der Erguss aber nahm langsam
zu, und es entwickelte sich Oedem an den Beinen und Ascites.
Dazu trat beiderseitige Pneumonie und der Pat gieng, nachdem
der Pericardialerguss eine ausserordentliche Grösse erreicht hatte,
nach einer ca. 50 tägigen Beobachtungszeit suffocatorisch zu Grunde.
Obd.-Bef.: Der enorm ausgedehnte Herzbeutel nahm fast den
ganzen Thoraxraum insoweit ein, dass er die beiden Lungen fast
auf die Hälfte ihres Volumens comprimiert und nach hinten und
oben gedrängt hatte. Die Lungen waren hinten im Zustande der
Hypostase, der linke Lungenlappen im Zustande der Splenisation,
nur die Spitze normal und lufthaltig. Im Pleuraraume einige
blutige Flüssigkeit Der Pericardialsack enthielt reichlich drei
Bouteillen einer meergrünen Flüssigkeit, in welcher fettige Flocken
umherschwammen. An seiner oberen Fläche sass ein männerfanst-
grosser Tumor, der auch mit der Aorta, Trachea und Pleura innig
verwachsen war. Derselbe trug an seiner Innenfläche zahlreiche
fibröse Geschwülste und enthielt einen fettigen Brei mit Pflaster-
epithelien und Haaren. Eine Ausbuchtung dieses Sackes war durch
eine kleine Oefinung mit der Pericardialhöhle in offener Verbindung.
7. Cloetta. Virch. Arch. XX. S. 42. 1861.
Frau, 20 J., starb an chron. Lungentuberculose; hatte Haare
in grösserer Quantität ausgehustet.
Obd.-Bef.: An der Innenfläche des linken Unterlappens, mit
einem Drittel ihres Umfanges in das Lungengewebe hineinragend,
eine apfelgrosse Cyste. Die Wand enthielt Knochen- und Knorpel¬
stücke und trug Haare. Inhalt: schmieriges Fett und Haare.
Offene Verbindung mit einer faustgrossen Lungencaveme, in welche
ein Bronchus mündete.
8.. Salomonsen. Schmidt’s Jahrb. Bd. 124. S. 292. 1864.
Frau, 24 J., starb an chron. Lungentuberculose mit Hämoptoe;
hatte niemals Haare ausgehustet.
Obd.-Bef.: Dicht am vorderen Bande der rechten Lunge eine
taubeneigrosse Cyste mit hautartiger Wand (darin ein Knochen¬
stück) und grützeartigem, mit Haaren vermengten Inhalt Offene
Verbindung mit einem Bronchus.
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Ueber Dermoidcysten des Mediastinum anticnm.
481
9. Collenberg und Waldeyer. Langenbeck’s Arch. XU S. 843.
1871.
Mann, 44 J., an Pleuropneumonia dextra inf. mit Lungenödem
verstorben.
Obd.-Bef.: In der rechten Thoraxhälfte eine über kindskopf¬
grosse Goschwulst, die das Zwerchfell stark nach abwärts, das
Herz nach links und unten gedrängt und die linke Lunge bedeutend
comprimiert hatte. Wand: Haut mit Talgdrüsen. Inhalt: Fett¬
emulsion mit Plattenepithelien und Haaren. Die Pleurablätter sind
verdickt und umhüllen den Tumor in so eigentümlicher Weise,
dass sich erkennen lässt, „dass sioh der Tumor höchstwahrschein¬
lich von der Halsgegend her in die Tiefe gesenkt hat und dabei
einen Theil der Pleura pariet. als sein späteres Visceralblatt vor
sich herschob und einstülpte.“ Der Stiel des Tumors erstreckte
sich nach oben bis zur Schilddrüse und enthielt eine lange von der
Art. thyr. inf. herstammende Arterie* mehrere Venen, welche sich
mit den Venae thyr. inf. vereinigten, und einen schmalen Strang,
der vom rechten Lappen der Schilddrüse ausging und sich aus dem
eigentümlichen Drüsengewebe der Thyreoidea und kleinen Colloid-
cysten zusammensetzte.
10. PÖhn. Beschreibung eines Falles von Dermoidcyste des
Mediast. antic. Inaug.-Diss. Berlin 1871. Operativ, siehe unten.
11. Virchow. Virch. Arch. LUE. S. 444. 1871.
Mann, 22 J., litt an Kurzatmigkeit, Schmerzen in der rechten
Brust und neben dem rechten Schulterblatt, dabei Husten mit
schleimigem Auswurf. — Rechts vorne vollständige Dämpfung von
der IH. Rippe beginnend und nach unten in die Leberdämpfung,
nach links in die Herzdämpfung übergehend. Die obere Grenzlinie
der Dämpfung fällt von der III. Rippe schräg nach hinten zum
unteren Winkel der Scapula ab. In diesem Bereiche kein Re¬
spirationsgeräusch, Pectoralfremitus aufgehoben. Temp. normal.
Später trat Fieber aufj die Dämpfung nahm zu und es entwickelte
sich ein Oedem an der rechten Brustseite. Exitus nach 2 monat¬
lichem Krankenlager.
Diagnose: abgekapseltes pleurit. Exsudat im vorderen Theile
des rechten Pleurasackes.
5 Wochen vor dem Tode entstand am vorderen Ende der
HI. Rippe links eine kleine Geschwulst, die sich rasch vergrösserte
und faustgross wurde.
Obd.-Bef.: Statt des Exsudates fand man einen den grössten
Theil der rechten Brusthälfte einnehmenden Tumor von sehr zu-
sammengesetzem Bau. (Teratoma myomatodes.) Der grössere Theil
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482
Dr. Ernst Pflanz.
bestand aus quergestreiften Muskelfasern, der kleinere aus einem
multiloculären Cystoid mit theils cutaner, theils mucöser (Flimmer¬
epithel) Wand. In der Umgebung einzelne carcinomatöse Stellen
und Knollen von sarcomartigem Gewebe. Die Geschwulst an der
Kippe zeigte im allgemeinen die gleiche Beschaffenheit wie die
Hauptgeschwulst (Metastase).
12. Kückmann. Anlegung einer künstlichen Cystenfistel zur
Heilung einer Haarbalggeschwulst im Med. ant. Inaug.-Diss. Mar¬
burg 1874.
Operativ.
13. Marchand. XXII. Bericht der Oberhess. Ges. für Natur-
und Heilkunde 1883, S. 326.
Frau, 27 J., erkrankte an Pneumonie des linken Unterlappens,
zwei Tage darauf erfolgte die Geburt eines Kindes, das ebenfalls
sehr bald an einer Pneumonie starb. Bei der Mutter stellte sich
darauf ein allmälig zunehmendes pleurit. Exsudat der linken Seite
und ein geringeres der rechten Seite ein, die Pneumonie ergriff
auch den Oberlappen und Pat. starb 12 Tage nach Beginn der
Krankheit.
Obd.-Bef.: Im oberen Theile des Mediastinums eine kindskopf¬
grosse Cyste mit Haaren. Zahlreiche Adhärenzen mit der Umgebung,
Compression und Thrombose der V. cava sup. Von der Geschwulst
gingen bis nahe an den unteren Rand der Schilddrüse zwei zungen-
förmige Fortsätze ab, welche aus Thymusgewebe bestanden. Grosses
pleurit. Exsudat links, kleineres rechts, Compression der linken
Lunge mit frischer Hepatisation.
14. und 15. Finders. Ueber Dermoidcysten des vorderen Me¬
diastinums. Inaug.-Diss. Bonn 1887.
1. Obd.-Bef.: Im vorderen Mediastinum eine ganseigrosse Cyste,
mit Pericard und Pleura innig verwachsen und Fett, Choleste&rin
und Reste von Epithelzellen enthaltend, in Combination mit einem
anscheinend von der Thymus ausgehenden grossen Lymphosarcom,
das auf die Lunge übergegriffen hatte.
2. Mann, 53 J., an Bulbärparalyse gestorben.
Obd.-Bef.: Zwischen dem Herzbeutel und dem linken Haupt¬
bronchus eine ganseigrosse Cyste mit einer Art Epithelbekleidung
und demselben Inhalt wie beim Falle 1. Von ihrer Hinterseite ging
ein bis zur oberen Brustapertur reichender Strang aus, welcher
einige Cystchen von ähnlichem Baue wie die Hauptcyste enthielt,
sonst aber aus Gewebe bestand, das der Zusammensetzung und
Anordnung nach dem Thymusgewebe entsprach.
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Ueber Dermoidcysten des Mediastinam auticum.
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16. Loetoenmeyer. Berl. klin. Wochenschr. 1888, S. 135.
Mann, Alter? erkrankte vor 4 Jahren an Hämoptoö und links¬
seitiger Pleuritis mit massigem Exsudat. Er erholte sich bald,
doch blieb folgender Befund: Ziemlich starke Vorwölbung der
linken Brusthälfte, im Bereich derselben eine Dämpfung, die von
der Clavicula bis ungefähr zur VI. Rippe herabreichte; Spitzenstoss
an der gewöhnlichen Stelle nicht zu fühlen, dagegen Erschütterung
der rechten Brusthälfte und Pulsation im Epigastrium. In den
darauffolgenden Jahren ziemlich gutes Befinden, keinerlei Druck¬
erscheinungen, erst in der letzten Zeit Anfälle von Athemnoth
Unter hochgradiger Dyspnoö und Cyanose Exitus.
Obd.-Bef.: Den grössten Theil der linken Brusthälfte nahm ein
über kindskopfgrosser Tumor ein, dem Pericard, Diaphragma und
der linken Lunge innig adhärierend. Herz nach rechts verdrängt,
mit dem Zwerchfell und dem Tumor fest verwachsen (Todesursache).
Compression und Thrombose der V. anon. d. Der Tumor bestand
aus einer grossen Cyste mit dermoidem Inhalt (Epidermis, Fett,
Haare) und aus mehreren kleinen Cysten mit Flimmerepithel und
schleimigem Inhalt
17. Sangatti. Rendiconti del R. Istituto Lombardo. Serie II,
Vol. XXI, fase. XV. Mailand 1888.
Frau, 50 J. Ueber den Verlauf keine Angaben, es ist nur be¬
merkt, dass die Diagnose intra vit auf chron. Lungentuberculose
mit reichlichem serofibrinösem Erguss in der rechten Pleurahöhle
lautete.
Obd.-Bf.: Keine Spur von Tuberculose oder pleurit Exsudat.
Dagegen fand sich in der rechten Brusthöhle eine 26 cm lange
und 16 cm breite Geschwulst, welche mit der Brustwand und dem
Zwerchfell verwachsen war und die rechte Lunge stark comprimiert
und ganz nach hinten gegen die Wirbelsäule gedrängt hatte.
Multiloculäre Cyste. Wand: Haare, Haarbälge, Talgdrüsen, Knorpel-
und Knochenlamellen. Inhalt: atheromatös (Fett, Cholestearin) mit
Beimischung von Blut
18. Godlee. Med.-chir. Transact. 1889. S. 817. Operativ.
19. Sormani. Gazetta degli Ospitale. 1890. No. 40.
Frau, 26 J., litt seit Kindheit an starkem Husten, im 16. Jahre
Auswurf von Haaren, seitdem Athemnoth. Kurz vor dem Tode
starke. Dyspnoö, Husten und Schmerzen in der linken Brust.
Obd.-Bf.: Den oberen und zwei Drittel des unteren Lappens
der linken Lunge nahm eine kindskopfgrosse Cyste ein, deren
Wand vollkommen wie die äussere Haut gebaut war und Atherom¬
brei mit Haaren enthielt. Die umgebende Lungensubstanz im Zu-
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Dr. Ernst Pflanz.
stände der braunen Induration. Im Oberlappen eine zweite, kleinere
Cyste von gleicher Beschaffenheit wie die grosse, aber vollständig
getrennt von derselben. Rechte Lunge ödematös, geringer Peri-
cardial- und Pleuraerguss.
20. Marfan. Gazette hebdomadaire 1891, No. 33.
Mann 30 J. Alkoholiker, erkrankte unter den Erscheinungen
einer heftigen Gastro-Enteritis, nachdem schon einige Monate
Diarrhöen vorhergegangen. Nach einigen Tagen traten Delirien
auf, dann Coma bei Ungleichheit der Pupillen und Polsverlangsamung,
Exitus. Die Temp. war stets normal.
Obd.-Bf.: Im oberen Theil des vorderen Mediastinums eine
zweifaustgrosse Cyste, nur mit dem Pericard fester verwachsen.
Mässige Compression der Aorta und Art. pulm. Wand: nur aus
fibrösem Gewebe bestehend. Inhalt: atheromatös mit Haaren. —
Zahlreiche tuberculöse Darmgeschwüre, frische tbc. Affection der
Lungen und Meningen.
21. Koerte. Berl. klin. Wochenschr. 1891. No. 51. Operativ.
22. Jores. Virch. Arch. CXXXIII. S. 66.
Pat. hatte an einer Pleuritis gelitten (die Krankengeschichte,
in einer Diss. von Kraus mitgetheilt, war mir nicht zugänglich).
Obd.-Bf.; Die ganze linke Brusthälfte ausgefüllt durch einen
grossen Tumor, welcher der Hauptsache nach aus einem Spindel-
zellensarcom bestand. Dasselbe war aus einem multiloculären
Cystoid hervorgegangen, das sich aus einer Hauptcyste mit haut-
artiger Wandung und breiigem Inhalt mit Haaren und aus einem
cystösen Gewebe mit Platten- und auch Cylinderepithel zusammen¬
setzte. In der epidermoidalen Wand fanden sich Haare, Haarbälge,
Talg- und Schweissdrüsen, glatte Muskelfasern, Knorpel und drei
Zähne.
23. Bastianelli, Riforma medica, 20. Mai 1893. Operativ.
24. Dardignac. Revue de Chirurgie 1894. No. 9. Operativ.
Dem Geschleckte nach vertheilen sich die vorliegenden Beob¬
achtungen auf 14 Männer und 10 Weiber, es besteht also keine
sonderliche Differenz. Grössere Unterschiede ergeben sich bezüglich
des Alters, da 13 Fälle im 20.—30., 3 im 30.—40., 2 im 40.—50.
und 3 nach dem 50. Lebensjahre zur Beobachtung kamen; es ist
somit ein bedeutendes Ueberwiegen des jugendlichen Alters er¬
sichtlich.
In einigen Fällen reichten die ersten Erscheinungen, dnrch
welche sich die Geschwulst nach aussen hin bemerkbar machte,
auf noch frühere Epochen zurück, so Auswurf von Haaren im 15.
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Ueber Dermoidcysten des Mediastinum anticum.
485
('Münz) und 16. (Sormani) Lebensjahre, Auftreten eines sichtbaren
Tumors ebenfalls im 16. Jahre (Bastiandli).
Hält man dies mit dem Umstande zusammen, dass schon hei
jugendlichen Individuen so häufig Dermoidcysten im Mediastinum
gefunden wurden, welche eine bedeutende, ja ungeheure Grösse
erreicht hatten und oft auch die Zeichen einer regressiven De¬
generation (Verlust des Oberflächenepithels und der drüsigen Ele¬
mente, Ausfall der Haare) aufwiesen, so kann man hei dem äusserst
langsamen Wachsthum dieser Geschwülste wol annehmen, dass es
sich hier höchst wahrscheinlich um congenitale Bildungen handle,
■wie dies von Dermoiden an andern Körpergegenden direct nach¬
gewiesen wurde, indem man ihre Existenz schon in frühester Kind¬
heit constatierte.
Was die Lage der Cysten anbelangt, so zeigt sich, wenigstens
in den meisten Fällen, wo die Entwicklung noch nicht so weit
'vorgeschritten ist, insofern ein typisches Verhalten, als sie den
oberen Abschnitt des vorderen Mediastinums einnehmen. Sie haben
ihren Sitz meist dicht hinter dem Manubrium und oberen Theil
des Corpus sterni, nach unten zu liegen sie der Vorderfläche des
Herzbeutels auf und hinten grenzen sie an die grossen Gefässe.
Einige lagen seitlich von der Mittellinie an der Innenfläche einer
oder der anderen Lunge, andere ragten mit einem kleineren oder
grösseren Abschnitt in das Lungengewebe hinein (Münz, Cloetta ,
Salomonsen), in dem Fall von Sormani endlich ergab sich der auf¬
fallende Befund, dass die Cyste den linken Oberlappen und */ 8 des
Unterlappens einnahm und der Beschreibung nach vollständig von
Lungenparenchym umgeben war. Dass auch in diesem Falle die
Dermoidcyste nicht in der Lunge selbst entstanden, sondern von
der Umgebung her, wahrscheinlich aus dem Mediastinum in die¬
selbe eingewandert ist, lässt sich im Hinblick auf die eben an¬
geführten Beobachtungen mit Gewissheit annehmen. Aus diesen
und einigen anderen Fällen ergiebt sich eine Reihe von Ueber-
gängen, welche von den einfachen oberflächlichen Verwachsungen
der Cyste mit der Pleura und Lunge bis zur völligen Einschliessung
führen und die einzelnen Stadien einer solchen Wanderung, in ver¬
schiedenen Zeitpunkten gleichsam festgehalten, darstellen.
Wenn die Cyste an Ausdehnung zunahm, so geschah dies ent¬
weder hauptsächlich in der Richtung nach oben, und dann trat sie
über die obere Brustapertur heraus und erschien als fluctuierende
Geschwulst hinter der Artic. stemo-clavic. meist einer, seltener
beider Seiten. Etwas häufiger fand das Wachsthum mehr nach
der Seite und nach unten zu statt, dabei wurde die betreffende
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Dr. Ernst Pflanz.
Lunge comprimiert und nach hinten und oben verschoben, das
Diaphragma herabgedrängt und das Herz nach der andern Seite
dislociert. In den extremsten Fällen nahm die Geschwulst die
eine Hälfte des Thoraxcavums beinahe ganz ein und die Lunge
war bis auf geringe Reste an der Hinterfläche des Tumors zu¬
sammengeschrumpft. Einen derartigen Befund hat auch Sangaüi
mitgetheilt und als Dermoidcyste der Lunge beschrieben, indem er
die Vermuthung aussprach, dass die Geschwulst aus dem Lungen-
geWebe hervorgegangen sei. Ein Beweis hiefttr auf Grund ana¬
tomischer Thatsachen konnte jedoch nicht erbracht werden, und
daher muss eine solche Ansicht als im Widerspruche mit unseren
Anschauungen über die Entwicklungsgeschichte der Dermoide
stehend zurückgewiesen werden.
Die Grösse der Geschwülste schwankt in ziemlich weiten
Grenzen, die kleinste war etwa taubeneigross, die grösten füllten
wie erwähnt als colossale Tumoren einen beträchtlichen Theil der
Brusthöhle aus. Es ist zu bemerken, dass mehr als die Hälfte
recht ansehnliche Dimensionen, die eines Kindskopfes und darüber
erreicht hatten. Die letzteren waren meist zusammengesetzte
Cystoide, die neben grösseren Hohlräumen zahlreiche kleinere, oft
nur mikroskopische Cystchen enthielten.
Zur Umgebung stehen die Cysten gewöhnlich in vielfachen und
sehr engen Beziehungen. Bei grossen Tumoren erklärt sich dies
ohne weiteres aus den topographischen Verhältnissen, denen zufolge
das Wachstum nach der Körperoberfläche zu sehr beschränkt ist
und die Ausdehnung der Geschwulst also nur auf Kosten der Brust¬
organe erfolgen kann. Auffallend ist es dagegen, dass auch bei den
kleinen und kleinsten Cysten die im Folgenden verzeichneten Er¬
scheinungen, besonders Verwachsungen mit den Nachbarorganen,
so häufig zur Beachtung kamen. Es scheint dies also eine Eigen¬
tümlichkeit der Dermoidcysten des Mediastinums überhaupt zu sein,
ein Umstand, der für ihre operative Behandlung von Bedeutung ist
Abgesehen von den ausgedehnten Verwachsungen mit der Brust¬
wand (in 6 F.) und von Durchbruch nach aussen (Gordon, Koerte )
waren fast sämmtliche Organe der Brusthöhle in dieser oder jener
Weise alteriert Mit der Pleura war der Tumor in 5. F. in grösserem
Umfang verwachsen, manchmal war er sogar förmlich von der
Pleura umhüllt. Wie sich in einigen Fällen die Cyste zur Longe
verhielt, wie sie mit einzelnen Abschnitten oder mit ihrem ganzen
Umfange in die Lungensubstanz eingebettet war, wurde bereits
angeführt; dazu ist noch zu bemerken, dass in 3 weiteren Fällen
eine bloss überflächliche Verwachsung mit der Lunge bestand.
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Ueber Dermoidcysten des Mediastinum anticnm.
487
Büchner constatierte in seinem Falle, dass an einer Stelle, wo
die Cyste mit dem rechten Unterlappen verwachsen war, eine
Ruptur der Wand stattgefhnden hatte; dabei war Cysteninhalt in
das Lungenparenchym ansgetreten und hatte Pneumonie verursacht.
In 5 F. beobachtete man Perforation in einen Bronchus, einmal in
eine grosse Lungencaverne. Am häufigsten fanden sich Ver¬
wachsungen mit dem Pericard (in 10 F.), in dem von Cordes mit-
getheilten Falle war es auch zur Perforation und Entleerung in
den Herzbeutel gekommen, der ausserdem durch ein secundär
(Druck auf die Venen) entstandenes Transsudat zu einem enormen
Sack erweitert war.
Vielfach waren auch die grossen Gefässe betheiligt, so fanden
sich Verwachsungen mit der Aorta in 5. F., darunter einmal mit
massiger Compression, ein anderes Mal ( Büchner) mit einer offenen
Verbindung zwischen Cyste und Pars ascendens. Verwachsungen
mit der Art. pulm. bestanden in 4 F., 2 mal mit massiger Compression,
mit dem Trunc. anoymus in 1 F. Mehr noch als die Arterien
waren die grossen Venen in Mitleidenschaft gezogen, indem sie
stärker comprimiert und thrombosiert wurden. So war in dem Falle
von Marchand die Ven. cava sup. bis auf eine schmale Spalte ver¬
engt und mit einem frisch entstandenen Gerinnsel, das sich noch
in die V. anonyma sin. bis zur V. jugularis fortsetzte, ausgefüllt,
ebenso war in dem Falle von Loewenmeyer die V. anonyma d. ca.
3 cm weit mit dem Tumor verwachsen und thrombosiert. In 2. F.
bestand eine feste Verbindung mit der Trachea, jedoch ohne
Compression, dagegen berichtet Kückmann, dass in seinem Falle eine
bedeutende Trachealstenose das Leben des Kranken bedrohte. Ver¬
wachsung mit dem Oesophagus wurde nur einmal beobachtet.
Ihrem Baue nach zeigen die verschiedenen Tumoren beträcht¬
liche Differenzen, bald findet sich nur eine einzige Cyste mit ein¬
facher Wandung, bald wieder sind es äusserst compliciert angelegte
multiloculäre Kystome. Die letzteren bestehen entweder aus einem
grösseren Hohlraum mit mehr oder weniger abgeschlossenen Aus¬
buchtungen und auch ganz selbstständigen Abtheilungen oder aus
einer Hauptcyste, welche in ihrer Wand zahlreiche kleine Cystehen
trägt Manchmal befindet sich in der Umgebung einer solitären
Cyste ein schwammiges Gewebe mit kleinen cystösen Bäumen, die
ähnlich wie die Hauptcyste zusammengesetzt sind.
Jores führte in einem solchen Falle den Nachweis, dass diese
Nebencysten aus den Drüsen des Cystenbalges, insbesondere den
Schweissdrüsen hervorgegangen sind.
Die Cystenwand zeigte in den Fällen von Salomonsen, Collen -
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Dr. Ernst Pflanz.
berg und Sormani vollkommen die Structur der Cutis mit ihren An¬
hangorganen (Haare, Haarbälge, Talgdrüsen): eine oberflächliche
Lage von glatten, zum Theil verhornten Pflasterepithelien, eine
tiefere, dem Rete Malpighii entsprechende, darunter ein Stratum
von fibrillärem Bindegewebe mit Gefässen, ja sogar eine Schicht
von subcutanem Fettgewebe. In andern Fällen waren nur an ein¬
zelnen Stellen, besonders dort wo die Haare in Gruppen standen,
Epithelien nachweisbar, in 7 Fällen fehlte jeglicher Epithelüberzng
und die Cyste war bloss von glattem Bindegewebe ausgekleidet, so
dass ihre dermoide Natur nur aus den in der Wand sitzenden
Haaren, sowie aus dem eigenthümlichen Inhalt zu erkennen war.
Neben Plattenepithelien wurden hin und wieder auch Cylinder- und
Flimmerepithelien beobachtet (siehe unten.) Die Haare stehen in
der Regel in dichten Büscheln, besonders an der Oberfläche jener
häufig vorkommenden, knolligen oder leistenförmigen Hervor-
ragungen der Cystenwand, die in ihrer fibrösen Grundsubstanz öfter
kleine Cysten, Knorpel- und Knochenstücke enthalten. Manchmal
sind die Haare schon ausgefallen und man findet nur noch Haar¬
bälge, oft sind anch diese schon verschwunden, ein Zeichen, dass
die Entwicklung der Dermoidcyste schon lange aufgehört hat.
Talgdrüsen kamen in 6 Fällen, Schweissdrüsen nur in 2 Fällen
vor. Ausser einfachen Verkalkungen fand man in'der Cystenwand
noch Gewebsarten, die in der Haut der Körperoberfläche kaum auf-
treten, bei Dermoiden dagegen ganz gewöhnlich sind, nämlich
Knorpel (in 8 F.) und Knochen (in 5 F.). Es sind meist an der
Innenfläche der Wand oder in deren Auswüchsen gelegene flache
Lamellen oder grössere Platten von hyalinem Knorpel und echter
Knochensubstanz. Zähne wurden in 2 Fällen beobachtet, einmal
in Verbindung mit einem Knochenstück, das in seiner Form an einen
Unterkiefer erinnerte.
Der Inhalt der Cyste besteht meist aus einer breiigen, mit
Bröckeln untermischten, schmierigen Masse, die als Product der
epidermoidalen Wand desquamierte Epithelzellen, Fett, Cholestearin
und fast immer Haare von blonder oder röthlicher Farbe enthält.
Im Allgemeinen entspricht die Cystenwand ihrem histologischen
Bau und ihrer physiologischen Function nach der normalen Hast
und ihre Entwicklung geht abgesehn von verschiedenen accidentellen
Processen wie Hämorrhagie (Sangallt) oder Vereiterung (Föhn, unser
Fall) in ganz regulärer Weise vor sich, bis unter Atrophie und
Abstossung der epithelialen Elemente eine Rückbildung eintritt
Ausnahmsweise kommt es auch zu atypischer Gewebsneubildung
und maligner Degeneration der Cystenwand. Firchow fand bei
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Ueber Dermoidcysten des Mediastinum anticum.
489
einem complicierten Teratom des vorderen Mediastinums in der
Umgebung eines multiloculären Cystoids carcinomatöse Stellen und
Gewebe von drüsenartigem Habitus mit sarcomatöser Grundsubstanz.
Ihre maligne Natur zeigte die Geschwulst durch Ausbreitung auf
die Nachbarschaft und Metastasenbildung. Jores beschrieb ein
grosses auf die Lunge übergreifendes Cystosarcom, das von einer
Dermoidcyste des Mediastinums, bezw. von dem dieselbe umgebenden
cystösen Gewebe ausgegangen war.
Eine ganz andere Beziehung zwischen Dermoidgeschwulst und
eigentlichem Neoplasma ergibt sich aus einer Beobachtung von
Finders (1. F.), wo sich neben einer Dermoidcyste ein grosses
Lymphosarcom vorfand, das allem Anscheine nach aus der Thymus
hervorgegangen war. Hier ist ein Zusammenhang in der Weise
denkbar, dass die Cyste, im Sinne eines Reizes auf die Umgebung
wirkend, Anstoss zu einer excessiven Zellproliferation gegeben hat
Die anziehendste Seite an den Dermoiden ist ohne Zweifel ihre
Genese , und seitdem man über genauere Beschreibungen solcher
Geschwülste verfügte und ihre eigentliche Natnr erkannte, wurde
die Frage lebhaft discutiert, wie das auffallende Vorkommen von
hautartigen Bildungen fern von der Oberfläche, ja tief im Innern
des Körpers zu erklären sei. Es wurden verschiedene Hypothesen
aufgestellt und mit Eifer, allerdings in meist einseitiger Weise ver¬
fochten, eine positive Grundlage aber gewann die Bildungsgeschichte
der Dermoide erst in neuerer Zeit durch den Fortschritt auf dem
Gebiete der normalen und pathologischen Anatomie und insbesondere
durch die in den letzten Decennien gemachten Errungenschaften
der Embryologie. Ein abschliessendes Urtheil ist wol auch heute
noch nicht erlaubt und es bedarf auch weiterhin noch der ein¬
gehendsten Untersuchung und Verarbeitung eines jeden einzelnen
vorkommenden Falles, um die Lücken, welche noch bestehen, aus¬
zufüllen.
Es ist nun zu untersuchen, ob und wie die verschiedenen
Theorien, so weilt sie überhaupt für die Dermoidcysten des Media¬
stinums in Betracht kommen können, mit den bisher beschriebenen
Beobachtungen in Einklang zu bringen sind.
Ausgehend von der Erwägung, dass die Dermoide durch con¬
genitale Entwicklungsstörungen verursacht werden, suchten Js.
Geoffroy Saint-Hilaire und andere Autoren, 1 ) Fanum,*) Ahlfeld*) u. a.
’) cf. Lannelongue et Ächard, Trait6 des kystes congenita«, Paris 1886.
*) Virch. Aroh., Bd. 72, 8. 821.
*) Die Missbildungen des Menschen, 1880.
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Dr. Emst Pflanz.
dieselben mit höher organisierten Missbildungen, den Doppelbildungen,
in Zusammenhang za bringen. Von den letzteren an bis zn den
einfachsten teratoiden Gebilden herab finden sich so zahlreiche and
mannigfaltige Uebergangsformen, dass der Gedanke nahe lag, sie
auf einen einheitlichen Entstehnngsmodos zurückzuführen. Die
höchste Stufe nehmen die durch totale Spaltung entstandenen gleich¬
mäßig entwickelten Doppelbildungen ein, die entweder vollständig
von einander getrennte oder mit einem Theil ihres Körpers ver¬
schmolzene Doppelfrüchte darstellen ( homologe Zwillinge, Thora-
copagen u. s. w.). Wenn die Ernährung eines Zwillings von dem
andern übernommen wird, so wird die Form des einen, des Para¬
siten, mehr oder weniger beeinträchtigt und es resultieren daraus
die ungleichmässig entwickelten Formen. Der Parasit hängt ent¬
weder nur mit der Placenta des Autositen zusammen oder wird
diesem selbst einverleibt. Der includirte Fötus kann nun in der
Entwicklung so Zurückbleiben, dass nur noch die Rudimente von
Skelettheilen oder andern Organen (Darm, Gehirn) auf seinen
fötalen Ursprung hinweisen (Acardiacus amorphus). Ein Schritt
weiter führt zu jenen Tumoren, welchen auch diese Organe fehlen
und die nur aus einer Anzahl verschiedenartiger Gewebsformationen
(Muskel-, Knochen-, Knorpelgewebe, Haut, Cysten) ohne syste¬
matische Anordnung zusammengesetzt sind, und von diesen zu den
einfachen, hauptsächlich aus Hautgewebe bestehenden Cysten. Es
sind nun aber, wie von anderer Seite (Arnold, 1 ) v. Bergmann, 9 )
Emcfnuel *) u. a.) betont wird, die letztgenannten Bildungen in
genereller Beziehung von den Doppelbildungen zu trennen, und es
muss gerade das Vorhandensein oder Fehlen fötaler Organe oder
ihrer Reste als Kriterium dafür gelten, ob es sich im concreten
Falle um eine Indusio foetus in foetu oder um eine Entwicklungs¬
störung eines Einzelfötus, eine Keimverirrung , handle.
Will man die Theorie der fötalen Inclusion in diesem Sinne
auf die Mediastinaldermoide anwenden, so wäre trotz der com-
plicierten Bauart der meisten eigentlich nur in dem Falle von
Gordon ein Anhaltspunkt dafür zu finden, daß die Geschwulst aus
einer zweiten Fruchtanlage hervorgegangen ist. Hier ist nämlich
angegeben, dass in der Cyste ein Knochen mit 7 Zähnen lag, der
eine gewisse Aehnlichkeit mit einem Unterkiefer hatte. Eine ge-
•) Ueber behaarte Polypen der Rachen-Mnndhtihle and deren Stellung *n
den Teratomen, Virch. Arch., Bd. 111, ferner: Myelooyste, Transposition von Ge-
webskeimen und Sympodie. Zieglers Beitr. XVL
*) Berl. klin. Wochensohr. 1884. Nr. 48 und 49.
*) Ueber Teratoma ovarii. Zeitschr. f. Geb. n. Gyn. XXV.
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Ueber Dermoidcysten des Mediastinum anticom.
491
nauere Beschreibung des Knochens liegt nicht vor, und aus der
unbestimmten Angabe über die Form desselben lässt sich nicht ent¬
nehmen, dass es wirklich ein rudimentäres Organ gewesen ist.
Von diesen! zweifelhaften Falle abgesehen, ergibt sich, wie gesagt,
ans den übrigen Beschreibungen von Dermoiden des Mediastinums
kein Grund, dieselben als Abkömmlinge eines zweiten Individuums
aufzufassen, sie sind im Gegensatz zu den eigentlichen Teratomen
monogerminale, autochthone Bildungen.
Lebert 1 ), welcher (1852) ein grösseres Material sammelte und
die Bezeichnung Dermoidcyste einführte, stellte sein „Gesetz der
plastischen Heterotopie“ au£ welches in dem Satze gipfelte, dass in
Folge einer besonderen Ernährungsstörung einfache und zusammen¬
gesetzte Gewebe und selbst complicierte Organe an Stellen des
Körpers sich bilden können, wo sie im normalen Zustande nicht
Vorkommen. Diese Theorie beruht auf der willkürlichen Voraus¬
setzung eines eigentümlichen Nisus formativus, sie gibt aber keine
Aufklärung über diesen Punkt und hat daher keine Bedeutung mehr.
Die jetzt allgemein herrschende Ansicht, zuerst von Remdk *)
ausgesprochen, später besonders von EescM 9 ) Thier sch*) u. a ver¬
treten, geht dahin, dass die Dermoidcysten durch Abschnürung von
Theilen des Ektoderms während des fötalen Lebens und durch Ein¬
schliessung in andere Gewebe zu Stande kommen. Diese ver¬
sprengten Epithelkeime gehen entweder zu Grunde, oder sie ent¬
wickeln sich, nachdem sie eventuell eine Zeit lang latent geblieben,
zu Geschwülsten von hautartiger Beschaffenheit. Denn es ist
anzunehmen, dass nicht nur ektodermale Keime an dem Processe
theilnehmen, sondern auch Theile des Mesenchyms, sodass die nor¬
male Formation der äusseren Haut, Epidermis und Derma, und
die entsprechenden Nebenorgane resultieren. Die Bedingungen,
unter welchen dies eintritt, sind nicht überall die gleichen, daher
findet man Dermoidcysten besonders häufig an gewissen Körper¬
stellen, wo rein locale Vorgänge die Absprengung und Verschleppung
von Epithelkeimen begünstigen. Mit Mikulicz ®) kann man drei
Hauptarten von Entstehungsursachen für Dermoide annehmen:
1. durch Schliessung der Leibeshöhlen in der Mittellinie des
*) Soc. de BioL 1862, S. 208. Tratte d’anatomie pathologique I, S. 256 und
Prager Vierteljahrsschr. 1868, Bd. 60.
*) Deutsche Klinik 1864, Nr. 16.
•) Ueber die Dermoid-Cysten. Prager Vierteljahrssohr. 1860.
4 ) Der Epithelialkrebs. Leipzig 1866, 8. 67.
*) Beitrag zur Genese der Dermoide am Kopfe. Wiener med. Wochen¬
schrift 1876, Nr. 89.
Zeitschrift für Heilkunde. XVH.
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Dr. Ernst Pflanz.
Körpers, 2. durch Schliessung von Hohlgängen und Spalten, welche
während einer Zeit des fötalen Lebens mit Epithel bekleidet sind,
3. durch abnorme Einstülpung von Epidermis. Hier kommen natür¬
lich nur die ersten zwei Punkte in Betracht. Wenn die vordere
Brustwand gebildet wird, in dem die Somatopleuren (Ektoderm und
Hautfaserblatt) sich entgegenwachsen und in der Mittellinie in
einer Naht verschmelzen, ist Gelegenheit gegeben, dass Partien
des äusseren Keimblattes aus ihrem Zusammenhänge gelöst und in
die Tiefe gedrängt werden. Auf diese Weise können sie gewiss
auch in das Mediastinum gelangen und sich hier zu Dermoidcysten
entwickeln. Allerdings hat man niemals irgend eine Abnormität
an der äussern Haut oder der Brustwand gefunden, welche auf
einen solchen Zusammenhang hinweisen könnte, auch sonst wurde
kein Umstand beobachtet, der gerade diesen Entstehungsmodus
wahrscheinlich machte. Direct gegen diese Auflassung aber spricht
ein anderer Umstand. Die vordere Schlusslinie erstreckt sich von
den Oberkieferfortsätzen des ersten Kiemenbogens bis zur Ver¬
einigung der beiden Dammwülste in der Baphe des Dammes, und in
diesem ganzen Bereiche sind gewiss die gleichen Bedingungen für
eine Keimversprengung gegeben. In Mediastinum treten nun aber
die Dermoidcysten relativ doch so häufig auf, gegenüber allen
andern Orten, wo sie sicher auf die Schliessung der Leibeshöhlen
zurückzuführen sind, 1 ) dass man, um dieses Missverhältnis zu er¬
klären, unbedingt eine anderweitige, auf speciellen örtlichen Ver¬
hältnissen dieser Begion beruhende Ursache heranziehen muss.
Von den Kiemenspalten nämlich, welche, wie bekannt, so oft
Anlass zur Entstehung von Dermoidcysten am Halse geben, köunen
auch die des Mediastinums abgeleitet werden, und zwar, wie %
scheint, am einfachsten mit Bücksicht auf die Bildung der Thymus¬
drüse, einem Derivat der Kiemenspalten. Es wird daher ein kurzer
Bückblick auf die Entwicklungsgeschichte der Thymus angezeigt sein.
Kölliker *) wies zuerst nach, dass die Thymus ein epitheliales
Organ ist und aus einer Schlundspalte (der 2. 3. oder 4.) hervorgeht,
Born 9 ) fand in einem von der 3. inneren Schlundtasche ventral-
wärts ziehenden Blindsack, an dem sich ein grosses dreieckiges
Epithellager bildet, die Thymusanlage, was in der Folge von KÖUilcer
*) cf. Lannelongue et Achard 1. c.
*) Entwicklungsgeschichte 1879.
•) Ueber die Derivate der embryonalen Schlundbogen und Schlundspalten
bei SAugetbieren. Arch. f. mikroskop. Anat., Bd. XXII.
*) Grundriss der Entwicklungsgeschichte, 1884.
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Ucber Dermoidcysten des Mediastinum anticum.
493
Froriep,*) de Meuron,*) Rabl , 8 ) Mall,*) Piersöl 5 ) im allgemeinen
bestätigt wurde. Im Gegensatz zu dieser Ansicht, nach welcher die
Thymus entodennalen Ursprunges ist, sprach sich His 6 ) anfänglich
dahin aus, dass sie vom Ektoderm und zwar vom Sinus praecervicalis
(Sinus cervicali8 Rabl) abzuleiten sei. Der letztere kommt dadurch
zustande, dass der 1. und 2. Kiemenbogen stärker wachsen und sich
über den 3. und 4. lagern, welche dadurch mehr in die Tiefe
treten. Weiter verwächst der 3. Bogen über den 4. hinüber mit
der seitlichen Halswand und dadurch wird der Grund der Hals¬
bucht nach Aussen hin abgeschlossen. Der so aus dem Fundus
pr&ecervicales entstandene, selbstständig gewordene epitheliale Hohl¬
körper sei die Anlage der primären Thymus.
His kam später 7 ) auf Grund neuerlicher Untersuchungen von
8 einer ursprünglichen Meinung zurück und schloss sich der anderen
Auffassung insofern an, als er zugab, dass die Hauptanlage der
Thymus entodermalen Ursprungs ist und der 3. Schlondtasche ent¬
spricht; dagegen betrachtet er die Frage über die Betheiligung
des ektodermalen Funduskörpers an der Thymusbildung als eine
offene. Zu ähnlichen Resultaten kam auch Fischelis, 6 ) der die
Thymus zugleich aus der 3. inneren Schlundtasche und der 3.
äusseren Kiemenfurche entstehen liess. Heutzutage ist diese Ansicht
fast gänzlich verlassen, und man nimmt allgemein an, dass die
Thymus eine rein entodermale Bildung ist. 8 ) Wenn sonach das
Ektoderm auch keine genetische Bedeutung für die Thymus hat, so
besteht doch, wie aus all diesen Untersuchungen unzweifelhaft her¬
vorgeht, ein sehr inniger Connex zwischen beiden, wodurch es sich
eben erklärt, dass die Frage, ob die Thymus entodermal oder
entodermal und ektodermal sei, so schwer zu entscheiden war.
*) Ueber Anlagen von Sinnesorganen am Facialis etc. Arcb. f. Anat. und
Phys., Anat Abth. 1885.
*) Recherches sur le developpement da thymas etc. Dies., Genf 1886.
*) Zur Bildungsgesohicbte des Halses. Prager med. Wochenschr. 1886, Nr. 52.
4 ) Entwicklung der Branchialbogen u. -Spalten des Hühnchens. Arch. für
Anat u. Phys., Anat. Abth. 1887.
*) Ueber die Entwicklung der embryonalen Schlondspalten and ihrer Derivate.
Zeitschr. f. Wissenschaft!. Zool., Bd. 47, 1888.
*) Ueber den Sinns praecervicalis and über die Thymusanlage. Arch. für
Anat. u. Phys., Anat Abth. 1886.
T ) Schlondspalten and Thymnsanlage. Arch. f. Anat. a. Phys., Anat. Ab¬
theilung 1889.
*) Beitrüge zur Kenntnis der Entwicklungsgeschichte der Gland. thyreoidea
and Gland. thymas. Arch. £. mikrosk. Anat, Bd. XXV, 1885.
®) 0. Hertwig , Entwicklungsgeschichte 1898. Minot, Entwicklungsge¬
schichte 1894.
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Dr. Ernst Pflanz.
Gerade an der 3. Kiemenspalte ist die Verschlussmembran zwischen
äusserer Kiemenfurche und innerer Schlundtasche äusserst dünn,
sodass äusseres und inneres Keimblatt an dieser Stelle direct an¬
einander liegen und vollständig verschmelzen. Somit ist der
ektodermale Epithelkörper, welcher durch die Abschliessung nnd
Abtrennung des Fundus praecervicalis von der Oberfläche entsteht,
dicht an die Thymusanlage angelagert, er verwächst mit dieser
und wird endlich von ihr aufgenommen. Ueher sein weiteres Schick¬
sal äussem sich Kastsehenko *) und Piersol *) dahin, dass das Bläschen
sein Lumen verliert und dass es schliesslich, aber erst nach einiger
Zeit gänzlich verschwindet Wäre es nun nicht auch möglich, dass
dieser epitheliale Best einmal nicht zu Grunde gienge, sondern, bei
der Weiterentwicklung der Thymusdrüse in den Brustraum herab¬
steigend, sich hier im Mediastinum zu einer Dermoidcyste entwickelte?
Nach Hü, Arch. f. Anat u. Phys. 1889, S. 157. — II u. III, 2. u. 3. Kiemen-
bogen. — Sp., Beet der nicht obliterierten 2. Kiemenforche. — Hw, seitliche Hals-
wand, verlötet mit m, so dass IV (4. Kiemenbogen) völlig in der Tiefe verborgen
ist — Ip, Infnndibnlum praecervicale, Zugang zum sinns praecervicalis, denen
Fundus, F, isoliert ist. — 3 n. 4, 3. u. 4. Schlundtasche. — 8* n. 4*, 3. nt
Aortenbogen — Th, entodermale Thymusanlage. — IX, Ganglion glossophuTS-
geum. — XII, Nervus hypoglossus. — nl, Nervus laryngeus sup. — Ep, Epiglottis.
Bei der Durchsicht der einzelnen Fälle findet man nichts, was
gegen eine solche Auffassung sprechen würde, vielmehr sind einige
Befunde beschrieben, welche nur in diesem Sinne gedeutet werden
können. Schon der gewöhnliche Sitz der Cysten im vorderen oberen
*) Das Schicksal der embryonalen Schlundspalten bei S&ugethieren. Aich. f.
mikrosk. Anat., Bd. XXX, 1887.
*) L c.
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Ueber Dennoidcysten des Mediastinum anticum. 495
Theil des Mediastinums weist auf die Thymusdrüse hin. Einen
directen Zusammenhang mit letzterer konnte Marchand in seinem
Falle nachweisen: von der Cyste giengen zwei zungenförmige Fort¬
sätze aus, welche sich an der Vorderfläche der Trachea nach auf¬
wärts bis nahe an den untern Eand der Schilddrüse erstreckten.
Aussehen und Consistenz dieser Gebilde, welche nach abwärts ganz
allmälig in die Oberfläche der Cyste übergingen, war ähnlich wie
Fettgewebe. Aus der ganzen Gestalt und Lage gieng aber zweifellos
hervor, dass es sich um einen Thymusrest handelte, eine Vermuthung,
welche durch die mikroskopische Untersuchung bestätigt wurde.
Zwischen den reichlich vorhandenen Fettzellen fanden sich breite
Züge von lymphoidem Gewebe, welches hauptsächlich die zahl¬
reichen Gefässe begleitete. In demselben fanden sich zerstreut die
bekannten geschichteten Körperchen der Thymusdrüse.
Ein analoger Befund wurde von Pinders beschrieben: an der
Hinterseite der Cyste war ein weiches Gewebe angeheftet, welches
nach oben an Umfang abnehmend sich bis zur Thoraxapertur er¬
streckte, hier aber von dem umliegenden Fettgewebe nicht mehr
deutlich abzugrenzen war. Dieses Gewebe bestand aus einem binde¬
gewebigen Maschenwerk, welches in seinen Maschenräumen rund¬
liche, ungeiähr gleich grosse Haufen von kleinen lymphoiden Zellen
enthielt, die vielfach mit einander in Verbindung standen. Diese
Anordnung erinnerte an den Bau der Thymus, und es machte den
Eindruck, als seien Thymusläppchen von dem stark gewucherten
und sklerosierten Bindegewebe umwachsen.
Diese beiden Befunde sind um so höher anzuschlagen, als es
sich bei der Thymus um ein Organ handelt, welches im späteren
Leben meist vollständig schwindet. Es ist wohl anzunehmen, dass
ein solcher Zusammenhang noch öfter nachzuweisen sein wird,
wenn es gelingt, diese Geschwülste bei jüngeren Individuen auf¬
zufinden. Auch der zweite Fall von Pinders ist in dieser Richtung
beweisend: hier war eine Dermoidcyste in Combination mit einem
grossen Lymphosarcom, welches mit grosser Wahrscheinlichkeit
von der Thymus abgeleitet werden konnte. Die Cyste stand mit
dem Sarcom in einer derartig innigen Verbindung, ohne aber selbst
sarcomatös entartet zu sein, dass man auf ein Hervorgehen beider
Theile aus dem gleichen Organ, der Thymus, schliessen musste.
Nach all dem eben gesagten ist man wol berechtigt, die Ent¬
stehung der Dermoide des Mediastinums in erster Linie auf die
Thymus, resp. auf die 3. Kiemenspalte zurückzuführen. Es erhebt
sich nun die Frage, ob nicht auch andere Kiemenspalten, speciell
die 4. zu solchen Bildungen Anlass geben können. Aus der
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496
t)r. Ernst Pflanz.
4. Schlundtasche entwickeln sich die von Wölfler 1 ) entdeckten
seitlichen Schilddrtisenanlagen. Von vornherein scheint es nicht
ausgeschlossen, dass durch diese ebenfalls Theile der äusseren
Kiemenfurchen verschleppt werden können, indessen ist zu be¬
merken, dass hier die Verhältnisse dafür nicht so günstig liegen,
wie bei der 3. Kiemenspalte. Nach Froriep *), His*), Piersol*)
und Liessner •) erreicht nämlich das Epithel der 4. inneren Kiemen-
tasche das der äusseren für gewöhnlich nicht, sondern ist von ihm
durch eine ziemlich dicke Schicht mesodermalen Gewebes getrennt,
es wird also nur ausnahmsweise zu einer Verwachsung beider
kommen. Dass dies unter Umständen eintreten und zur Entstehung
einer Dermoidcyste führen kann, scheint aus dem von CoUenberg
beschriebenen Falle hervorzugehen: ein Stiel setzte sich von der
Cyste nach oben bis zur Schilddrüse fort und enthielt neben
lockerem Bindegewebe 1. eine sehr lange, von der Art. thyr. inf.
herstammende Arterie; 2. mehrere Venen, welche sich mit den
Venae thyr. inf. zu einem Stamme vereinigten; 3. einen dicht neben
der Arterie verlaufenden schmalen Strang, der von dem rechten
Lappen der Schilddrüse ausgieng und sich vollständig aus dem
eigentümlichen Drüsengewebe der Thyreoidea und aus kleinen
Colloidcysten zusammensetzte. Auffallend war dabei das Verhalten
der Pleura. Das parietale Pleurablatt hatte sich nämlich an einigen
Stellen auf den Tumor und dessen Stiel fortgesetzt und demselben
dadurch einen visceralen Pleuraüberzug verliehen. Daraus war zu
erkennen, dass sich der Tumor höchstwahrscheinlich von der Hals¬
gegend her in die Tiefe gesenkt hat und dabei einen Theil der
Pleura parietalis als sein späteres Visceralblatt vor sich herschob
und einstülpte. Es ist dies der einzige Fall, bei welchem eine
Entstehung der Cyste aus der Schilddrüse und erst secundäre Ver¬
lagerung ins Mediastinum angenommen werden kann.
Die Auffassung der Dermoide des Mediastinums als branchiogene
Geschwülste gibt uns auch eine Erklärung für das gleichzeitige
Vorkommen von Flimmer- und Cylinderepithel neben Plattenepithel
{Lebert, Nr. 5, Virchow , Nr. 11, Loewenmeyer, Nr. 16). Dass Flimmer
cysten des Mediastinums durch Abschnürung von Lungengewebe
______ •
>) Ueber die Entwicklung und den Ban der Schilddrüse. Berlin 1880.
*) 1. c.
*) Ueber den Sin. praecervic. etc. 1. c.
*) 1. c.
8 ) Ein Beitrag zur Kenntnis der Kiemenspalten und ihrer Anlagen bei
amnioten Wirbelthieren. Morphol. Jahrb., Bd. XIII, 1888.
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Ueber Derrooidcysten des Mediastinum anticum.
497
entstehen können, wurde von Stüling x ) nachgewiesen, das Auftreten
von Plattenepithelien dagegen deutet auf einen ganz andern Ur¬
sprung hin. So wie die Halskiemenfisteln bald von Flimmerepithel,
bald von Plattenepithel oder auch von beiden zugleich (Roth?)
Zahn *)) ausgekleidet sind, so zeigen auch die branchiogenen Cysten
am Halse entweder nur die eine Epithelart oder beide neben¬
einander (Neutnann und Raumgarten*)), jenachdem diese Gebilde
nur aus den Schlundtaschen oder aus dem Sinus cervicalis, oder
aber bei Durchbruch der Verschlussmembran aus beiden Abschnitten
der Eiemenspalten hervorgehen. 5 ) Mit Rücksicht auf die letzt¬
genannte Entstehungsweise bietet also das Vorkommen von Flimmer¬
epithel und Plattenepithel in einer im Mediastinum gelegenen Cyste
nichts auffallendes, und es ist nicht nothwendig in einem solchen
Falle eine Betheiligung des Respirationsapparates anzunehmen.
Vielmehr bietet gerade dieser Umstand einen weiteren Beweis da¬
für, dass auch diese Cysten von den Kiemenspalten abstammen.
Im Anschlüsse hieran seien auch kurz die Dermoidcysten,
welche in der Lunge gefunden wurden, ihrer genetischen Stellung
nach erwähnt Dass die Lunge, welche als Ausstülpung des
Schlunddarms eine entodermale Bildung darstellt, zur Entwicklung
von dermoiden Cysten mit echten Hautdrüsen, Haaren u. s. w. An¬
lass geben könnte, ist gewiss auszuschliessen. Sie sind jedenfalls
ausserhalb der Lunge entstanden und erst secundär in dieselbe ein¬
gewandert, was sich ja auch aus ihren anatomischen Verhältnissen
ergibt (siehe oben).
Bezüglich der Symptomatologie der Mediastinaldermoide ist
vor allem festzustellen, dass die meisten überhaupt keine Er¬
scheinungen hervorriefen, welche auf einen Tumor im Mediastinum
zu beziehen waren. Es wurden an der Leiche öfter ganz beträcht¬
liche, bis kindskopfgrosse Cysten gefunden, und dabei war, wie
Lebert, Marchand und Marfan ausdrücklich betonten, intra vitam
kein Anhaltspunkt für das Bestehen eines Mediastinaltumors vor¬
handen. Dieses auffallende Verhalten erklärt sich ohne Zweifel
aus dem äusserst langsam fortschreitenden Wachsthum der Cyste
und dem Mangel jeglicher destruierenden Tendenz, demzufolge die
Raumbeschränkung in der Brusthöhle nur ganz allmälig eintritt
!) Virch. Arch., Bd. 114, 8. 557.
*) Virch. Arch., Bd. 72, S. 444.
») Zeitachr. f. Chir., Bd 22, 8. 414.
4 ) Arch. f. klin. Chir., Bd. 20, 8. 819.
*) Kostaneek* und Mideeki, Die angebornen Eiemenfisteln des Menschen.
Virch. Arch, Bd. 120 nnd 121.
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Dr. Ernst Pflanz.
and eine weitgehende Anpassung der Nachbarorgane an die ge¬
ringen Dracksteigerongen erfolgt. Daher worden auch bei den
grössten Geschwülsten nur selten eigentliche Druckerscheinungen
beobachtet, und es ist ganz interessant, dass das für maligne
Mediastinaltumoren pathognomonische Symptom, ein auf venöser
Stauung beruhendes Oedem der betreffenden Thoraxseite, nur da
zur Erscheinung kam, wo sich neben der Dermoidcyste eine rasch
wachsende bösartige Geschwulst entwickelt hatte. So bestand bei
dem von Virchoto beschriebenen maligne degenerierten Teratom
Oedem der rechten Brustseite; in dem von Jores mitgetheilten Falle
von Dermoidcyste in Verbindung mit einem Cystosarcom bestand
Oedem des rechten Armes. Nur bei einigen Fällen ist angegeben,
dass Athembeschwerden oder Schmerzen in der Brust, Schulter und
von da in einen Arm oder den Hinterkopf ausstrahlend, einmal mit
lähmungsartigen Erscheinungen in einem Arm, aufgetreten waren.
Auch bei jenen grossen Geschwülsten, welche sich bei der physi¬
kalischen Untersuchung bemerkbar machten, fand sich oft so wenig
für einen Tumor charakteristiches, dass Verwechslungen mit andern
Affectionen nicht vermieden werden konnten. So dachte man im
Falle von Virchow an ein abgekapseltes Exsudat im vorderen Theil
des Pleurasackes, im Falle von Sangalli an einen grossen Pleura¬
erguss, ebenso im Falle Godlee an ein Empyem. Die grössten
Schwierigkeiten erwachsen beim Eintreten von Complicationen, wie
in dem Falle von Büchner, wo über der Geschwulst ein blasendes
Geräusch und Pulsation wahrgenommen wurde, was später in dem
Befund einer offenen Comunication zwischen Cyste nnd Aorta
ascendens seine Erklärung fand; in dem Falle von Cordes be¬
herrschte das Krankheitsbild ein colossaler Pericardialerguss, bei
der Autopsie fand sich eine Perforation der Cyste in das Pericard.
Damit sind einige jener pathologischen Zustände angedeutet,
welche mit einem Tumor des Mediastinums verwechselt werden
können, nämlich Aneurysma, Pleura- und Pericardialerguss, dazu
kommen ferner Mediastinalabscesse, retrosternale Kröpfe und Ge¬
schwülste des Sternums.
Wenn es nun schon gelingt, auf Grund differential-diagnos¬
tischer Momente, deren Erörterung hier zu weit führen würde,
einen Tumor zu constatieren, so ist doch die weitere Frage nach
der eigentlichen Natur desselben oft schwer zu entscheiden. Die
hier ungleich häufiger vorkommenden malignen Geschwülste zeigen
zwar gewöhnlich ein rapides Wachsthum und machen stürmischere
Erscheinungen, doch kann ein solcher Verlauf auch bei Dermoid¬
cysten Vorkommen, da dieselben besonders zur Zeit der Pubertät
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Ueber Dennoidcysten des Mediastinum anticom.
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oft eine plötzliche Vergrösserung erfahren, was jedenfalls mit der
menen Entwicklungsphase auch der normalen Epidermisgebilde
(Bartwachsthum) zusammenhängt. 1 ) Beweisend für Dermoidcyste
ist eigentlich nnr, wenn etwas von dem Cysteninhalt nach anssen
gelangt, sei es durch Perforation in einen Bronchus {Münz, Cloetta,
Kückmann, Godlee, Sormani), sei es bei Durchbrach durch die
Brustwand ( Koerte ). Ein werthvolles, bei vorsichtiger Anwendung
vollkommen gefahrloses diagnostisches Hülfsmittel ist die Probe-
punction.*) Sie sollte in jedem zweifelhaften Falle vorgenommen
werden, um eine exacte Diagnose zu ermöglichen, was um so
wichtiger ist, als die Dermoidcysten zu der geringen Zahl der
Mediastinaltumoren gehören, fiir welche ein operativer Eingriff in
Frage kommen kann. Ein solcher ist bei einer gewissen Grösse
der Geschwulst jedenfalls angezeigt, da bei fortdauerndem Wachs-
thum doch schwere functioneile Störungen eintreten können nnd
stets die Gefahr besteht, dass durch Perforation der Cyste in die
Pleura, Lunge u. s. w. plötzlich Exitus erfolgt.
Zur chirurgischen Behandlung von Dermoidcysten des vorderen
Mediastinums kann man verschiedene Wege einschlagen. Die im
Folgenden kurz angeführten Krankengeschichten der operierten Fälle
geben im Zusammenhang mit dem von uns beobachteten ein Bild
von den hier in Betracht kommenden Verfahren und ihren Resultaten.
Pöhn. (Aus der Langetibeck 'sehen Klinik 1871.)
Pat, 34 jähr. Mann, litt seit fünf Jahren an reissenden Schmerzen,
später lähmungsartigen Erscheinungen in der rechten Schulter und
im rechten Arm. Vor zwei Jahren Auftreten einer Geschwulst in
der Gegend der Artic. sterno-clavic., zuerst rechts, nach einem
Jahre auch links. Beide Geschwülste fluctuieren deutlich, communi-
cieren mit einander und zeigen Pulsation. Die vordere obere
Thoraxpartie aufgetrieben. Absolute Dämpfung bis zum unteren
Rand der II. Rippe, kein Reibegeräusch. Herz etwas nach aussen-
unten verdrängt Linker Radialpuls unmerklich schwächer. Nach
Probepunktion (Eiter) ausgiebige Incision oberhalb der Clavicula.
Es entleert sich wenig flüssiger Eiter und darauf eine gelbe, zähe,
fettige Masse mit Haaren. Injection von Jodtinctur. Darauf heftige
Reaction (Temp. über 40°), am fünften Tage trat profuse Eiterung
ein, mit welcher Schmerzen und Fieber nachliessen. Die Incisions-
wunde wurde zum bessern Abfluss des Eiters erweitert, und die
Höhle täglich mit Carbolsäurelösung ausgespült. Unter dieser Be-
*) Lücke, Geschwülste in Billroth-Pitha, Handbach der Chirurgie.
*) Fränkel, Ueber die Diagnostik der BrusthOhlengeschw&lste, und Discussion.
Berl. klm. Wochenschr. 1891, Nr. 48.
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Dr. Emst Pflanz.
handlang verkleinerte sich die Höhle etwas, doch nur in ihrem
oberen Antheil, während der untere durch den sich dahin senken¬
den Eiter in seiner ursprünglichen Ausdehnung erhalten blieb.
Kückmann. (Aus der .Roser’schen Klinik 1874.)
Der Pat., 83 Jahre alt, hatte anfänglich Schmerzen in der
linken Schulter und im Hinterkopf, sowie Athembeschwerden.
Später Entwicklung einer ganseigrossen fluctuierenden Geschwulst
zwischen den Ansätzen des linken Sterno-cleido-mast.; Sternalende
der linken Clavicula etwas vorgetrieben. Eine Probepunktion er¬
gab eine bräunliche Flüssigkeit mit Fettklümpchen und Epithelien.
Darauf Incision im Jugulum, wodurch eiterähnliche Flüssigkeit und
Haare entleert wurden. Der Finger konnte bis zur n. Rippe
hinter dem Brustbein eingefuhrt werden, aber die Implantations¬
stelle der Cyste war nicht zu erkennen. Unter Drainage mittels
einer Canüle fiel die Geschwulst bald zusammen. Im Verlaufe eines
Monates Pneumonie, dabei putrider Auswurf mit Haaren (Perfora¬
tion in einen Bronchus). Da die Canüle zur Entleerung der Cyste
unzureichend erschien, wurde das Manubrium stemi trepaniert und
der obere Rand desselben abgemeisselt, wodurch eine 3 cm lange
und 2 cm breite Spalte entstand. Auch jetzt konnte die Wandung
der Cyste nicht deutlich gefühlt und ihre Grenze nicht bestimmt
werden. Von da an erholte sich Pat., hatte aber immer von Zeit
zu Zeit an starken Hustenanfällen zu leiden. Die Fistel wurde
durch Laminariastäbchen und eine Canüle offen erhalten und mehr¬
mals Luftinjectionen gemacht, nach welchen Husten und Auswurf
für einige Zeit nachliessen. Etwa 1V 2 Jahre nach Anlegung der
Sternalfistel bestand noch ein ungefähr wallnussgrosser Tumor, der
nach allen Seiten mit der Sonde verschoben werden konnte und
nur nach rechts-unten eine festere Fortsetzung hatte. Die Oeffnung
nach dem Bronchus hin war anscheinend geschlossen, da Pat nur
wenig hustete und der Auswurf nicht mehr übelriechend war.
Godlee. (1887.) Die Pat., 29 Jahre alt, war vor acht Jahren
angeblich an rechtsseitigem Empyem erkrankt, das nach einigen
Jahren in einen Bronchus durchbrach. Als sie in Behandlung kam,
bestand eine leichte Schwellung in der rechten Axilla, sowie
Schmerzen in der rechten Schulter. Eine Dämpfung begann vorne
in der Höhe der HI. Rippe und reichte in convexer Linie bis
unterhalb des rechten Schulterblattwinkels, hier kein Athemgeräusch.
Nach mehrfachen Punktionen (Eiter) wurde ein Stück der VI. Rippe,
nach aussen von der Mamillarlinie, reseciert, die Höhle eröffnet
und drainiert. Darauf verringerte sich der Auswur£ doch wurden
einmal Haare ausgehustet, ein anderes Mal solche mit dem Drain
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Ueber Dermoidcysten des Mediastinum anticnm.
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entfernt. Nach ca. zwei Monaten wurde das Secret Übelriechend,
weshalb jetzt ein weiteres Stück von der VI. Rippe, im ganzen
7 1 /, cm, und ebensoviel von der V. Rippe reseciert wurden. Dabei
constatierte man, dass eine Cyste mit hautartiger Wandung fast
die ganze rechte Brusthälfte einnahm und fest mit Lunge und
Zwerchfell verwachsen war. Da eine Exstirpation unthunlich
schien, wurde die Cystenwand kautherisiert und mit den Hautlappen
vernäht Später rückte die Communicationsöfinung zwischen Cyste
und Bronchus in den Bereich des äusseren grossen Drainloches;
ein Versuch, dieselbe durch Anfrischung der Ränder und Naht zu
schliessen, missglückte. Eine wesentliche Verkleinerung der Cyste
scheint nicht eingetreten zu sein.
Dardignac (1894). 22jähr. Mann. Vor vier Jahren hatte sich
unter Athembeschwerden und Brustschmerzen eine Auftreibung der
rechten oberen Brustseite entwickelt, und es wurde damals eine
Hydatidencyste, ausgehend von der Pleura oder Leber, diagnosticiert.
Nach einigen Monaten schwanden die Beschwerden und erst nach
zwei Jahren stellte sich wieder Kurzathmigkeit ein — Die ganze
rechte vordere Brustseite vorgewölbt, besonders in der Gegend der
Mamilla; Dämpfung von der HI. Rippe bis zum Diaphragma
reichend, kein Geräusch, keine Pulsation; Compressionserscheinungen
von Seite der Lunge. Nach einer resultatlosen Probepunction
wurden 6 cm vom vorderen Abschnitt der IV. Rippe subperiostal
reseciert, die mit der Brustwand verwachsene Cyste incidiert und
der Inhalt, eine braune Flüssigkeit mit gelblichen Klumpen und
Haaren, durch verschiedene Manöver (Erregung von Husten durch
Kitzeln der Uvula!) herausbefördert. Die Cyste lag dem Zwerch¬
fell auf und hatte die Lunge stark comprimiert, ihre hintere Wand
war nicht palpabel. Injection von Jodtinctur und Drainage. An¬
fänglich hohes Fieber mit starker Eiterung, später Abnahme der
Secretion und allmälige Verkleinerung der Cyste, wobei die Lunge
ihre normale Ausdehnung fast vollständig wieder gewann. Acht
Monate nach der Operation bestand noch eine Fistelöffnung, 3 cm
nach innen von der Mamilla; die Cyste hatte nur noch einen sehr
geringen Umfang, jedoch führte von ihr ein Fistelgang 6 cm tief
nach hinten und innen. Pat. hatte weder Schmerzen noch Be¬
schwerden und war wieder arbeitsfähig.
Koerte (1894). Der Kranke hatte einige Zeit hindurch über
lebhaften Druck in der Brust geklagt, dann war eine Fistel in der
vorderen Brustwand entstanden, worauf Erleichterung eintrat. Es
wurde im Verfolge dieser Fistel ein Stück des Sternums und der
n. Rippe reseciert und ein kleinfaustgrosser Sack freigelegt, der
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Dr. Ernst Pflanz.
den gewöhnlichen Inhalt von Dermoidcysten mit Haaren hatte. Die
weitere Therapie bestand in Verschorfung der Innenfläche des
Sackes mit der galvanokaustischen Schlinge und in Verätzung mit
Jodtinctur und Chlorzink. Der Erfolg war ein derartiger, dass
nur eine 4 cm lange und bleistifbdicke Fistel zurftckblieb. Der
Pat., welcher ausserdem an Lungentuberculose litt, starb einige
Wochen später in Folge einer Hämoptoö.
Bastianetti (1893). Die 20jähr. Pat hatte seit vier Jahren
eine Fistel an der linken Seite des Halses, zwei Finger breit über
der Artic. stemo-clavic., welche nach Incision einer Geschwulst in
dieser Gegend (Entleerung von Fett und Haaren) zurückgeblieben
war. Nun wurde die Fistel gespalten, ihre Wände excidiert und
die Wunde vernäht. Heilung per primam, nach wenigen Tagen
jedoch neuerliches Aufbrechen mit Ausfluss von Eiter. Noch zwei¬
mal wurden ähnliche Operationen ohne dauernden Erfolg ausge-
fiihrt Nun machte B. die Resection des Manubrium sterai und
entdeckte hinter diesem einen nussgrossen Tumor. Die vordere
Wand riss sofort ein, die hintere wurde von einer mit ihr fest
verwachsenen grossen Vene lospräpariert, wobei dieselbe verletzt,
aber sofort ligiert wurde. Seitlich wurde der Sack nach Ein¬
führung der Schlundsonde vom Oesophagus, unten vom Pericard
abgetrennt. Mit dem Arcus Aortae war er weniger innig ver¬
wachsen. Der Tumor wurde vollständig exstirpiert Die Heilung
erfolgte ohne besonderen Zwischenfall und hielt an.
Die eine Art der Behandlung besteht also in der Incision und
Drainage der Cyste. (Die einfache Punction kann wegen der haut¬
artigen Beschaffenheit des Cystenbalges, die einer Verklebung der
Wände hinderlich ist, nicht in Frage kommen.) Die darauf ein¬
tretende Eiterung bringt die epithelialen Elemente der Cystenwand
zur Abstossung, welcher Process durch Application von Aetzmitteln
unterstützt werden kann; die Höhle verkleinert sich theils durch
Granulation, theils durch Schrumpfung des Balges und kann endlich
ganz verschwinden, worauf sich die Fistel schliesst Die Fistel
muss an einem möglichst tief gelegenen Punkte der Cyste angelegt
werden, um bei der oft abundanten Secretion günstige Abfluss-
bedingungen zu schaffen, auch darf die Drainageöfihung nicht zu
klein sein, da es sonst leicht zu Retention und putrider Zersetzung
des Secretes kommt Am besten wird daher ein Stück vom Sternum
oder von einer oder mehreren Rippen reseciert. Bei Cysten, welche
beim Wachsthum über die obere Brustapertur heraustreten und hier
incidiert werden, ist es angezeigt, weiter unten eine Gegenöffimng
anzulegen. Die zu diesem Zwecke in unserem Falle ausgeführte
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Trepanation des Sternums bietet keine besonderen Schwierigkeiten.
Unter Schonung des Periostes wurden mit sehr scharfem Meisel
und durch kurze Hammerschläge kleine Enochenspähne abgetragen
bis das Periost an der Innenfläche des Knochens an einer Stelle
freigelegt war, worauf der Defect erweitert und ihm eine ovale
Form mit grösserem Durchmesser in der Längsachse des Sternums
gegeben wurde. Der Verlauf war bei allen Fällen, wo dieses Ver¬
fahren zur Anwendung kam, ein sehr langwieriger, doch insofern
günstiger, dass stets eine bedeutende Schrumpfung der Cyste ein¬
trat und öfter bloss ein mehr weniger langer Fistelcanal zurück¬
blieb, dessen völlige Schliessung nur eine Frage der Zeit schien.
Nur in dem Falle von GocUee, wo die Lunge ihre Ausdehnungs¬
fähigkeit vollkommen verloren hatte, trat keine Verkleinerung der
Cyste ein. Es wäre zu erwägen, ob in einem solchen Falle nicht
eine Heilung dadurch erzielt werden könnte, dass man die Brust¬
wand, wie bei der Behandlung des Empyems der Pleura, durch
ausgedehnte Besectionen „mobilisirte“.
Natürlich hat die Anlegung einer Cystenfistel nur bei mono-
loculären Cysten Aussicht auf Erfolg, wenn es sich dagegen um
eine zusammengesetzte Cyste handelt, was allerdings vor der
Operation kaum zu bestimmen ist, so kann nur die Totalexstirpation
eine definitive Heilung herbeifuhren. Bei den complicirten topo¬
graphischen Verhältnissen im Mediastinum, bei den meist zahl¬
reichen und innigen Verwachsungen der Dermoidcysten mit der
Umgebung gehört diese aber zu den schwierigsten und gefahr¬
vollsten Aufgaben der operativen Technik. Schon zur Freilegung
der Geschwulst muss die knöcherne Thoraxwand in grossem Um¬
fange reseciert werden, bei der Auslösung der Cyste aber ist die
Verletzung grosser Gefässe und Nerven, die Eröflhung der Pleura¬
oder Pericardialhöhle fast unvermeidlich. Einer der unangenehmsten
Zufälle, die Verletzung der Pleura bei nicht adhärenter Lunge,
kann zwar nach den Erfahrungen von König, 1 ) Küster, 9 ) Maas 9 )
bei geeigneten Massnahmen (sofortige Tamponade und Naht) ohne
schwere Folgen bleiben, doch nur unter der Voraussetzung, dass
es gelingt, die ganze Operation vollkommen aseptisch durchzuführen.
In unserem Falle, wo wir es mit einer vereiterten Cyste zu thun
hatten, musste schon aus diesem Grunde eine radicale Entfernung
der Geschwulst unterbleiben.
‘) Centralbl. f. Chir. 1882, 8. 681.
*) Berl. kl. Wochensohr. 1883, Nr. 9.
*) Centralbl f. Chir. 1883. Verhandlungen am XIV. Chir.-Congreas.
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Tafel J.
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J'ü k ticHifh h Hwsc Prag
Ch ia ri Selbstverdauung des Pankreas
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Fig.8.
TafelK
Fig. 9
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TAF III
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