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SAN FRANCISCO MEDICAL CENTER
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.ZEITSCHRIFT
FÜR
HYGIENE
UND
HERAUSGEGEBEN
VON
PROF. Da ROBERT KOCH,
GEH. MEDICI KALRATH,
PROF. Da C. FLÜGGE und PROF. Da G. GAFFKY,
GEH. MKDICIN ALRATH UND DIRKCTOR GEH. MRDICTNALRATH UND DIRECTOR
DRS HYGIENISCHEN INSTITUTS DER DES INSTITUTS FÜR DfFKCTIONSKRAN KU RITEN
UNIVERSITÄT BRESLAU, ZU BRRLIN.
EINUNDFÜNFZIGSTER BAND.
MIT ZAHLREICHEN ABBILDUNGEN IM TEXT UND ZEHN TAFELN.
LEIPZIG
VERLAG VON VEIT & COMP.
1905
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j->ruck von
r.Ietzger & Wittig in Lcipr.K
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Inhalt.
Seite
(>. Mülleb, Ueber den Nachweis von Typhusbacillen im Trinkwaßser mittels
chemischer Fällungsmethoden, insbesondere durch Fällung mit Eisen-
oxychlorid. 1
Anna Strbgulina, Ueber die im Züricher Boden vorkommenden Heubacillen
und über deren Beziehungen zu den Erregern der Panophthalmie nach
Hackensplitterverletzung. (Hierzu Taf. I.). 18
Josef Schnüreb, Zur präinfectionellen Immunisirung der Hunde gegen Lyssa 46
B. Gosio, Indicatoren des Bakterienlebens und ihre praktische Bedeutung . . 65
Kister und Schumacher, Untersuchung von pestverdächtigen Ratten aus in
Hamburg eingelaufenen Schiffen.126
H. Wolpert, Bemerkungen zu Dr. Heymann’s Erwiderung: „Wird die Kohlen¬
säure-Abgabe des Menschen durch Beimengung von Ausathranngsluft zur
Einathemluft beeinflusst?“ . . . ..175
F. K. Kleine, Neue Beobachtungen zur Hühnerpest.177
Hermann Pfeiffer, Ueber die nekrotisirende Wirkung normaler Seren . . . 183
Amt Kindborg, Die Pneumokokken ..197
Alfred Groth, Statistische Unterlagen zur Beurtheilung der Säuglingssterblich¬
keit in München. (Hierzu Taf. II.).233
Maximilian Herzog, Zur Frage der Pestverbreitung durch Insecten. (Hierzu
Taf. III.). 268
F. Neüfeld und W. Rimpau, Weitere Mittheilungen über die Immunität gegen
Streptokokken und Pneumokokken.283
Robert Koch, W. Schütz, F. Neüfeld und H. Miessner, Ueber die Immuni¬
sirung von Rindern gegen Tuberculose.300
E. Dorn, E. Baumann und S. Valkntiner, Ueber die Einwirkung der Radium¬
emanation auf pathogene Bakterien.328
Carl Spengler, Zur Formaldehyd-Abtödtung und -Züchtung der Tuberkel- und
anderer säurefester Bacillen.335
Carl Spengler, Die Sengzüchtung der Tuberkelbacillen aus Sputum .... 339
Ernst Löwenstein, Ueber Resorption und Imraunitätserscheinungen .... 341
M. Otto und R. O. Neumann, Studien über Gelbfieber in Brasilien. (Hierzu
Taf. IV—X.).357
[Aus dem hygienischen Institut der Universität Jena.]
(Director: Prof. Dr. A. Gärtner.)
Ueber den Nachweis von Typhusbacillen
im Trinkwasser mittels chemischer Fällungsmethoden,
insbesondere durch Fällung mit Eisenoxychlorid.
Von
O. Müller,
aMU tenten der städtischen Untersuchuogsttelle für Infectiomkrankheiten
am hygienischen Institut der Universität Jena.
In den letzten Jahren haben sich die Bakteriologen sehr viel mit dem
Nachweis von Typhusbacillen im Wasser beschäftigt. Soviel dank der
Vervollkommnung unserer Nährböden auch schon zur Verbesserung der
früheren Untersuchungsmethoden beigetragen worden ist, immer noch
stellen sich der Untersuchung von typhusverdächtigem Wasser Schwierig¬
keiten entgegen. Ein schneller, sicherer Nachweis von Typhusbacillen
in verdächtigen Wässern ist jedoch von grösster Wichtigkeit, da immer
und immer wieder der Ursprung von Typhusepidemieen trotz des nega¬
tiven Ausfalls der bakteriologischen Untersuchung in inficirtes Wasser ver¬
legt wird.
Schüder 1 veröffentlichte statistisch-epidemiologische Untersuchungen
über die Ursachen von 638 Typhusepidemieen innerhalb von 30 Jahren,
aus welchen hervorgeht, dass 77-4 Procent von ihnen durch inficirtes
Wasser veranlasst worden waren.
Durch den von v. Drigalski-Conradi angebenen Nährboden sind
wir zwar in differentialdiagnostischer Beziehung ein gutes Stück vorwärts
gekommen und in den Stand gesetzt, die dem Typhusbacillus nahe ver¬
wandten Bakterien der Coligruppe von vornherein auszuschalten. Die
1 Diese Zeitschrift. 1901. Bd. XXXVIII.
Zeitschr. f. Hygiene. LI. 1
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0. Müller:
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Schwierigkeit, Typhusbacillen im Wasser aufzufinden, besteht aber haupt¬
sächlich darin, die im Wasser enthaltenen Typhuskeime auch wirklich auf
die Nährböden zu bringen.
Wenn man bedenkt, welch’ ungeheure Verdünnung eine selbst reich¬
liche Einsaat von Typhusbacillen in Brunnen-, Fluss- oder Leitungswasser
erfährt, wenn man ferner bedenkt, welch’ geringer Bruchtheil der ganzen
inficirten Wassermenge zur bakteriologischen Untersuchung gelangt, wenn
man sich weiter vergegenwärtigt, dass meistens zwischen Infection und
Auftreten der ersten Krankheitserscheiuungen eine Incubationszeit von
2 bis 3 Wochen liegt, und dass die Mehrzahl der Typhusbacillen erfahrungs-
gemäss im Wasser unter natürlichen Verhältnissen schon innerhalb 14 Tagen
zu Grunde zu gehen pflegt, so kann man verstehen, dass von den un¬
zähligen im Laufe der Jahre ausgeführteu Untersuchungen nur eine ver¬
schwindend kleine Zahl mit Erfolg gekrönt wurde.
In der neueren Litteratur sind nur wenige Fälle bekannt gegeben,
wo Typhusbacillen in inficirtem Wasser einwandsfrei nachgewiesen wurden.
Der Erste, dem es gelang, den Ebert’schen Bacillus aus Wasser zu
isoliren, war Lösener. Er vermochte im Jahre 1895 aus Berliner Leitungs¬
wasser einen Bacillus zu züchten, der alle Eigenschaften des Typhusbacillus
besass und auch der Pfeiffer'sehen Reaction gerecht wurde. Nach ihm
konnten Kübler und Neufeld 1898 Typhusbacillen in einem Brunnen¬
wasser einwandsfrei nachweisen.
Den dritten positiven Fall publicirte Hankin 1899, ihm folgten
Fischer und Flatau, ferner Bonhoff, Tavel, Jack und Rau, die
theils aus Leitungs- theils aus Brunnenwasser virulente Typhusbacillen zu
züchten vermochten.
Anlässlich der Typhusepidemie in Pecs konnte Generisch Typhus¬
bacillen aus dem Trinkwasser isoliren. 1904 theilt Couradi in einer
interessanten Arbeit den Befund von Typhusbacillen im Brunnenwasser
einer Fabrikanlage in Nagyrzeben mit. Die neueste Publication stammt
von Ströszner 1 , der in Brunnenwasser Typhusbacillen nach wies. — Die>e
Veröffentlichung enthält zugleich eine genaue Litteraturangabe der oben an¬
geführten Publicationen, auf die ich hiermit verweise. — Die zahlreichen
Berichte früherer Jahre über gelungenen Nachweis des Eberth-Bacillus au>
Wasser sind mit Vorsicht zu betrachten, da damals die zur Identiticirung der
Typhusbacillen unbedingt nüthigen Mittel, wie sie uns heut zu Tage in
den verbesserten Nährböden und vor Allem der Serumagglutination und
dem Pfeiffer’schen Versuch zur Verfügung stehen, noch nicht be¬
kannt waren.
1 CentralhJatt für Bakteriologie . 1905. Bd. XXXVIII.
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Nachweis von Typhüsbacillen.
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In den letzten Jahren sind von einer Reihe namhafter Autoren
ausgiebige Versuche gemacht worden, die ungünstigen Verhältnisse, auf
die man bei der Untersuchung typhusverdächtiger Wässer stösst, zu ver¬
bessern, und zwar ist man bestrebt gewesen, einerseits das numerische
Verhältnis der Typhusbacillen zu den Wasserbakterien günstiger zu ge¬
stalten, andererseits die in einem grösseren Wasserquantum enthaltenen
Typhuskeime auf einen kleinen Raum zusammen zu drängen. Ersteres
suchte man auf dem Wege der Anreicherung, letzteres auf mechanischem,
chemischem, endlich biologischem Wege zu erreichen. Auch eine Com-
bination des mechanischen und chemischen Verfahrens wurde versucht,
indem der mittels chemischer Reagentien gebildete Niederschlag durch
Centrifugiren weiter concentrirt wurde.
Eine gute Anreicherungsmethode, d. h. ein Verfahren, welches die
Typhusbacillen zu üppiger Entwickelung zwingt und zugleich auf die Be¬
gleit bakterien hemmend wirkt, würde von grosser Bedeutung sein. Es
sind jedoch, so gute Resultate mau auch mit dem Anreicherungsverfahren
bei Cholera erzielt hat, die Erfolge der Anreicherungsmethoden für Typhus-
bacilleu im Wasser vorläufig noch nicht derartig, dass man sie als zweck¬
mässig empfehlen könnte.
Weit günstigere Resultate wurden mittels der chemischen Fällungs¬
methoden erzielt. Ist man durch diese doch in den Stand gesetzt, grössere
Wassermengen auf einmal zu verarbeiten und die in ihnen enthaltenen
Keime auf engem Raum zu vereinen. Freilich werden auch fast sämtliche
Wasserbakterien mit zu Boden gerissen, das Zahlenverhältniss zwischen
ihnen und den Typhuskeimen erfährt also keine Aenderung. Hier kommt
jedoch der von v. Drigalski-Conradi angegebene Nährboden zu Hülfe,
der vermittelst seines Gehaltes an Krystallviolett und wegen der Züchtung
bei Brutwärme zahlreiche W’asserbakterien nicht unwesentlich im Wachsthum
hemmt und ein gut Theil von ihnen gar nicht zur Entwickelung kommen
lässt. — Eine Combiuation von mechanischer und chemischerFällung hat zu¬
erst Valle t 1 versucht und die Resultate in seiner Arbeit „Uue nouvelle tech-
nique pour la recherche du bacille typhique dans les eaux de boissons“ ver¬
öffentlicht. Er verwendet zur Fällung gesättigte Natriumhyposultitlösug und
gesättigte Bleinitratlösung, und zwar setzt er zu den 20 ccm Wasser fassenden
Centrifugengläschen je 4 Tropfen dieser Reagentien. Nach 4 bis 6 Minuten
langem Centrifugiren hat sich ein Niederschlag gebildet, der nach Ab-
giessung des überstehendeu Wassers durch tropfenweisen Zusatz von ge¬
sättigter Natriumhyposulfitlösung wieder gelöst wird. Den gelösten Nieder¬
schlag bringt er dann tropfenweise auf Elsner’sche Gelatineplatten. So
1 Archiv de mcd. exutr. et d’anat. path. 1901.
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0. Mülleb:
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gute Resultate diese Methode auch Vallet geliefert haben mag, so
schliesst sie doch die Nachtheile in sich, dass die zur Verarbeitung ge¬
langenden 'Wassermengen viel zu klein sind und eine Centrifuge erfordern.
Schüder 1 , der das Vallet’sche Verfahren nachprüfte, hat dasselbe wesent¬
lich dadurch verbessert, dass er bedeutend grössere Wasserquanta ver¬
arbeitet, dass er ferner durch 24 ständiges Stehenlassen des mit den
Fällungsmitteln versehenen Wassers in hohen Cylindem einen völlig brauch¬
baren Niederschlag erzielt. Durch das Weglassen der Centrifuge hat er die
Methode erheblich vereinfacht, so dass sie auch in kleineren Laboratorien,
denen eine Centrifuge mangelt, ausgeführt werden kann. Indem er das
Verfahren auch noch dahin abänderte, dass er gestützt auf viele und er¬
folgreiche Versuche wesentlich geringere Mengen der beiden Reagentien
zum Wasser zusetzt, gestaltet sich seine Methode folgendermaassen: Zu je
2 Liter des inficirten Wassers werden 20 ccm einer 7-75 procentigen Natrium¬
hyposulfitlösung gegeben und nach ordentlichem Mischen 20 ccm einer
10 procentigen Bleinitratlösung. Der Niederschlag, welcher sich nach
20, spätestens 24 Stunden genügend abgesetzt hat, wird nach Abgiessen
der überstehenden Flüssigkeit mit 14 com einer 100 procentigen Natrium¬
hyposulfitlösung versetzt und zwecks Lösung in einem Reagensröhrchen
gut durchgeschüttelt. Nachdem sich die unlöslichen Bestandtheile gesetzt,
werden von der klaren Lösung 0 • 2 bezw. 0 • 5 ccm auf Drigalskiplatten mit
den üblichen Verdünnungen verstrichen. Nach 20 ständigem Stehen bei
Bruttemperatur kann dann die Identificirung typhusverdächtiger Colonieen
vorgenommen werden. Schüder hat mit dieser seiner modificirten Methode
eine grosse Reihe Versuche angestellt mit sehr guten Erfolgen. Gelang
ihm doch der Nachweis von Typhusbacillen in 2 Liter Canalwasser, das
mit V.oüo Oese einer Condenswasseraufschwemmung von einer Typhus-
agarcultur inficirt war. Zudem enthielt das Wasser Hunderttausende bis
Millionen Keime im Cubikcentimeter.
Wenn auch diese Resultate gute sind, so geben sie doch keinerlei
Aufschluss über das quantitative Verhältniss der Typhusbacillen zu den
Keimen des Wassers, so wenig wie sie einen Vergleich zwischen eingesäten
und wiedergefundenen Typhusbakterien gestatten.
M. Ficker®, der das Verfahren in zahlreichen Versuchen mit genauer
Zählung nachprüfte, fand bei Weitem nicht die Summe der Einsaat im
gelösten Sediment wieder. Auch bei meinen nach dieser Richtung hin
1 Schüder, Zum Nachweis der Typhusbaeillen im Wasser. Diese Zeitschrift.
1903. Bd. XLII.
* Picker, Ueber den Nachweis von Typhusbacillen im Wasser durch Fällung
mit Kisensu]tat. Jh/aien. Rundschau. 1904. Nr. 1.
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Nachweis von Typhusbacillex.
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augestellten Versuchen habe ich entsprechend der Ficker’schen Angabe
die Wahrnehmung gemacht, dass nie auch nur annähernd die Eiusaat-
meuge wiedergefunden wurde; meist war ein ganz erheblicher Verlust zu
verzeichnen. Ficker fand den Grund für die merkwürdige Erscheinung
einmal darin, dass überhaupt nicht alle Typhusbacillen von dem Nieder¬
schlag mitgerissen werden, dann darin, dass ein nicht unbeträchtlicher
Theil derselben zu Grunde geht, eine Thatsache, die er vor Allem auf das
lange Stehenlassen der Typhusbacillen zurückführt.
Er suchte daher nach einem Mittel, das eine schnellere Fällkraft
besässe, ohne auf die Typhuskeime schädlich zu wirken, und fand ein
beiden Bedingungen entsprechendes in dem Ferrisulfat. Dasselbe hat den
grossen Vorzug, dass es schon nach 2 bis 3 Stunden einen völlig brauch¬
baren Niederschlag liefert, wodurch die Bedingungen für die niedergerissenen
Bakterien also wesentlich günstiger werden als bei der vorigen Methode. Zur
Wiederauflösung des Niederschlages bedient er sich des neutralen weinsauren
Kalis. Nach dem Vorstehenden würde eine Untersuchung von Wasser auf
Typhusbakterien folgendermaassen durchzuführen sein: Das zu untersuchende
Wasser wird in Mengen von je 2 Liter in hohe Cylinder gefüllt und ihm
nach Alkalisirung mit 8 ccm 10 procent. Sodalösung 7 ocm einer 10 procent.
Eisensulfatlösung zugesetzt. Nachdem mit einem Glasstab gut umgerührt
worden ist, lässt man am besten im Eisschrank absetzen. Nach 2 bis
3 Stunden kann schon das überstehende Wasser abgesaugt oder abgehebert
werden. Der Bodensatz wird in sterilen Reagensgläsern mit ca. dem halben
Volumen einer 25 procentigen Lösung von neutralem weinsaurem Kali
versetzt und tüchtig geschüttelt. Sollte die Lösung danach noch keine
völlige sein, so kann dieselbe sicher durch weiteren tropfenweisen Zusatz
von weinsaurer Kalilösung erreicht werden. Nun wird ein Theil des ge¬
lösten Niederschlages mit 2 Theilen steriler Bouillon verdünnt und von
dieser Mischung eine entsprechende Menge auf Drigalskischalen oder Platten
verstrichen. Ficker ist es gelungen, mit dieser Methode sehr günstige
Resultate zu erzielen; geradezu glänzend gestalteten sich dieselben dort,
wo er zur weiteren Einengung des Niederschlages noch die Centrifuge be¬
nutzte. Hier fand er im Mittel 97 bis 98 Procent der Einsaatmenge im
gelösten Sediment wieder.
Allerdings stand ihm eine grosse elektrisch betriebene Centrifuge zur
Verfügung, deren Einzelglas bequem 200 ccra fasste. Eine solche dürfte
jedoch nur in den grössten Instituten zu finden sein, während die Unter¬
suchung typhusverdächtiger Wässer auch au kleinen Untersuchuugsstellen
vorgenommen werden muss. Ja es wäre wünscheuswerth, wenn durch
möglichste Vereinfachung der Methoden dem beamteten Arzt die Möglich¬
keit gegeben würde, die Untersuchung infectiousverdächtigen Wassers
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selbst vorzunehmen, da in dem schnellen Untersuchen an Ort und Stelle
ein nicht zu unterschätzender Vortheil liegt.
Von diesem Gesichtspunkt aus habe ich bei der Nachprüfung des von
Ficker angegebenen Verfahrens die Centrifuge weggelassen, obwohl mir
eine allerdings nur 40 ccm auf das Einzelglas fassende, elektrisch ange¬
triebene zur Verfügung stand. Ich habe dafür den lockeren voluminösen
Niederschlag durch Filtration weiter einzuengen gesucht. Als hierbei die
Wiederauflösung des am Papierfilter sitzenden Niederschlages einige
Schwierigkeiten machte, sah ich versuchsweise von einer Wiederauflösung
ab und strich den Niederschlag als solchen auf die Platten; ich war über¬
rascht, so günstige Resultate zu bekommen. Zahlreiche Versuche be¬
stätigten die Annahme, dass ein Wiederauflösen des Niederschlages nicht
unbedingt nöthig ist, unter gewissen Verhältnissen sogar weniger günstige
Resultate liefert. Als Nährboden benutzte ich den von v. Drigalski-
Conradi angegebenen, der vermöge seines Krystallviolettgehaltes das
Wachsthum der Wasserbakterien nicht unerheblich zurückdrängt. Da
die Brutwärme das Auswachsen vieler Wasserbakterien verhindert und
ausserdem der Gehalt an Wasserbakterien bei dem zu den Versuchen be¬
nutzten Leitungswasser ein geringer ist, so kann man einen relativ grossen
Theil des Niederschlages auf eine Platte überimpfen, ohne zu dichtes
Wachsthum zu bekommen.
Die Versuchsanordnung ist folgende: Um möglichst grosse Wasser¬
quanta auf einmal verarbeiten zu können, werden je 3 Liter des inficirten
Wassers in hohe Glascylinder gefüllt, den Ficker’schen Angaben ent¬
sprechend mit 12 ccm 10 procentiger Sodalösung alkalisirt und mit 10 1 / 2 ccm
lOprocentiger Ferrisulfatlösung versetzt. Nach gründlichem Umrühren
mit dem Glasstab lässt man 1 Stunde absetzen, giesst dann das über¬
stehende Wasser vorsichtig ab und giebt den lockeren voluminösen Nieder¬
schlag auf ein Papierfilter. Nach 1 / i bis a / 3 Stunde ist die Filtration
beendet; dass dabei ein nennenswerter Theil der Typhusbacillen durch
das Filter hindurchgeht, ist, wie zahlreiche Versuche zeigten, nicht zu be¬
fürchten. Der relativ feste Niederschlag wird ganz oder zu einem aliquoten
Theil mittels Glasspatels auf Drigalskiplatten verstrichen.
Die folgende vergleichende Versuchsreihe soll demonstriren, dass mit
gelöstem Niederschlag nicht wesentlich bessere Resultate erzielt werden
als mit ungelöstem.
1. Versuch.
3 Liter Leitungswasser wurden mit 1 /- 00 Nonnnlösc einer 24 Stunden
alten Typhusagarstrieheultur inticirt und mit der zur Fällung nöthigeu Menge
Soda- und Ferrisulfatlösung versetzt. Nach Sstündigem Stehen wurde das
überstehende Wasser vorsichtig abgegossen, dann ein Theil des Niederschlages
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Nachweis von Typhusbacillen.
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mit ca. dem halben Volumen weinsaurem Kalis gelöst, der andere ungelöst
verarbeitet. Eine weitere Einengung des Niederschlages durch Filtration
wurde nicht vorgenommen, da hier zunächst nur festgestellt werden sollte,
ob eine Lösung des Niederschlages erforderlich ist. 0 • 1 ccm des ungelösten
und die dementsprechende Menge von 0-15 ccra des mit weinsaurem Kali ge¬
lösten Niederschlages wurden auf Drigalskiplatten verimpft.
Nach 20 ständigem Stehen bei Bruttemperatur ergab die Revision der
Platten Folgendes:
Die mit gelöstem Niederschlag beschickte Originalplatte zeigte ein
Wachsthum von 600 Tvphuscolonieen, die mit ungelöstem Niederschlag be¬
strichene ein solches von 550.
2. Versuch.
3 Liter Leitungswasser wurden dieses Mal nur mit 1 / 1000 Oese Typhus-
agarstrichcultur inficirt. Nach vollzogener Fällung wurde in gleicher Weise
wie bei Versuch 1 weiter verfahren.
Resultat: Auf der mit gelöstem Niederschlag geimpften Originalplatte
wurden 335, auf der anderen 275 Typhuscolonieen nachgewiesen.
3. Versuch.
3 Liter Leitungswasser wurden mit 1 / 20(l0 Oese einer 24 Stunden alten
Typhusagarstrichcultur inficirt, dann folgte die gleiche Versuchsanordnung
wie vorher.
Resultat: Die mit gelöstem Niederschlag versehene Originalplatte hatte
ein Wachsthum von 150, die andere von 145 Typhuscolonieen zu ver¬
zeichnen.
Das Ergebniss dieser drei vergleichenden Versuche war also ungefähr
das gleiche. Gestalten sich auch die Resultate bei Verarbeitung des ge¬
lösten Niederschlages etwas günstiger, so kann dieser geringe Vortheil
durch weiteres Einengen des Niederschlages, wie schon oben erwähnt» aus¬
geglichen werden. Denn während auf gewöhnliche Koch’sche Platten
höchstens 0-3 ccm Flüssigkeit gebracht werden kann, verstrich ich von dem
tiltrirten, relativ trockenen Niederschlag eine erheblich grössere Menge.
Da dadurch die Bedingungen besser wurden, war anzunehmen, dass auch
die Resultate sich günstiger gestalteten. Das traf zu, wie die nachstehenden
Versuche zeigen.
Ich ging in der gleichen Weise, wie bei den vorigen Versuchen vor,
d. h. ich inficirte wieder jeweils 3 Liter Leitungswasser mit V500? V1000
und 1 / 20 oo Oese einer 24 Stunden alten Typhuscultur, vollzog die Fällung
in der oben geschilderten Weise und filtrirte schon nach 1 Stunde den
lockeren Niederschlag durch je ein steriles Papierfilter. Von dem den
Filterwänden anhaftenden Niederschlag entnahm ich mit dem Platinspatel
soviel, wie ich auf den Platten verstreichen konnte, ohne dieselben zu
stark zu verschmieren. Man kann bequem etwa 10 Spatel (d. h. eine
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0. Müller:
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Menge von 0*5 bis 0*8 ccm ) des relativ trockenen Schlammes auf eine
Platte bringen, also wesentlich mehr als von einer Lösung.
4. Versuch.
3 Liter Leitungswasser wurden mit 1 j &0<) Oese Typhus inficirt, nach
vollzogener Fällung der Niederschlag filtrirt und ein Theil desselben auf
Drigalskiplatten verimpft. Nach 20 ständigem Stehen im Brutschrank ergab
die Revision der Originalplatte ein Wachsthum von 850 Typhuscolonieen.
5. Versuch.
Die gleiche Wassermenge wurde mit */ 10)l0 Oese inficirt, der filtrirte
Niederschlag in gleicher Weise wie beim vorigen Versuch direct verstrichen.
Resultat: 450 Typhuscolonieen.
6. Versuch.
Infection mit V2000 Oese Typhuscultur, sonst die gleiche Versuchs¬
anordnung.
Resultat: 300 Typhuscolonieen.
Diese 3 Versuche, deren jeder ein besseres Resultat als die ent¬
sprechenden vorhergehenden hat, zeigen, dass in der That die Verarbeitung
von ungelöstem Niederschlag nicht unerhebliche Vortheile vor der Be¬
nutzung gelösten Niederschlages hat. Die besseren Resultate sind jedoch
an die Bedingung geknüpft, dass das inficirte Wasser einen geringen Ge¬
halt an Begleitbakterien hat. Uebersteigt der Keimgehalt des Wassers
eine gewisse Grenze, so bringt das Verimpfen grösserer Mengen des ein¬
geengten filtrirten Niederschlages keinen Vortheil mehr, da das zu dichte
Wachsthum die Identificirung der Typhuscolonieen auf der Originalplatte
ungemein erschwert, wenn nicht unmöglich macht. Zwar besteht die
Möglichkeit, Typhuscolonieen auf den Verdünnuugsplatten, wo die Colonieen
isolirt zu liegen pflegen, nachzuweisen; diese lassen jedoch keinen Schluss
auf die Zahl der auf der Originalplatte zur Entwickelung gekommenen
Typhusbakterien zu. Deshalb suchte ich deren Wachsthum immer auf
der Originalplatte festzustellen, was der geringe Keimgehalt von 75 bis
100 Bakterien pro 1 Cfm bei dem zu den Versuchen benutzten Leitungs¬
wasser ohne Weiteres gestattete. Ich habe absichtlich keine stark ver¬
schmutzten Wässer verarbeitet, da gerade Trinkwasser, also relativ keim¬
armes Wasser häutig zur Untersuchung auf Typhusbacillen eingeschickt wird.
Im Anschluss hieran wurden noch mehrere Versuche zur Erprobung
der Verarbeitung ungelösten Niederschlages angestellt, alle mit gleichem Er¬
folg. Eine Anführung derselben erübrigt sich daher wohl. Da sich das
Ferrisulfat in so vorzüglicher Weise als schnelles Klärungs- und Fällungs¬
mittel bewährt hatte, schien es mir von Interesse zu erproben, ob andere
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Nachweis von Typhusbaclllen.
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Eisenverbindungen ein ähnliches oder vielleicht ein noch grösseres Fälluugs-
vermögen besässen, ohne auf die Typhusbacillen schädigend einzuwirken.
Meine Aufmerksamkeit wurde dabei besonders auf Eisenoxychlorid gelenkt,
das im Institute bereits zu Stuhlfallungen herangezogen worden war. Es
zeigte sich, dass das Oxychlorid noch schneller als das Ferrisulfat Fällungen
bewirkt. Nun kam es darauf an, festzustellen, in welcher Menge das
Fällungsmittel dem Wasser zugesetzt werden muss, um einen genügend
voluminösen, dabei aber nicht baktericid wirkenden Niederschlag zu
erzielen.
Verschiedene nach der Richtung hin angestellte Versuche zeigten,
dass 5 ccm Liquor fern oxychlorati auf 3 Liter Wasser diesen Bedingungen
genügten. Dabei ist ein Alkalisiren des zu verarbeitenden Wassers, wie
dies das Ferrisulfat erfordert, nicht nöthig; die in Quell- und Brunnen¬
wasser gewöhnlich enthaltenen Kalksalze machen den Zusatz eines Alkali
entbehrlich. Jedoch muss das Wasser einen gewissen Kalkgehalt haben,
in destillirtem Wasser z. B. ist, wie man sich durch einen Versuch leicht
überzeugen kann, selbst bei Verwendung grösserer Quantitäten des Mittels
eine Fällung nicht zu erreichen. Die Eisenoxychloridfällung gestaltet sich
also noch einfacher als die vorher beschriebene Methode, da sie zu ihrer
Ausführung nur das Fällungsmittel selbst benöthigt. Ausserdem bietet
sie den Vortheil, dass in Folge der rascheren Niederschlagsbildung die
Untersuchung schneller ausgeführt werden kann.
Es fragte sich jetzt, ob sich der Niederschlag in gleicher Weise wie
der vorige verarbeiten liess, ob er also ungelöst verstrichen brauchbare
Resultate lieferte. Einige Versuche sollten hierüber Aufschluss geben
und zugleich zeigen, bis zu welcher Verdünnung der Nachweis von Typhus¬
keimen mit dieser Methode gelänge. Die Versuchsanordnung war die
gleiche wie bei dem Fällungsverfahren mit Ferrisulfat, nur blieb eine
Alkalisirung des Wassers weg und der Niederschlag konnte schon nach
Vj Stunde filtrirt werden. Der der Ferrisulfatfällung sehr ähnliche Nieder¬
schlag konnte etwa in gleichen Mengen wie jener auf Drigalskiplatten ge¬
bracht und verstrichen werden. Inficirt wurden wieder jeweils 3 Liter
Leitungswasser mit Bruchtheilen einer Normalöse, die 24 Stunden alte
Agarstrichcultur desselben Typhusstammes enthielt, der zu den vorher¬
gehenden Versuchen verwandt worden war.
7. Versuch.
3 Liter Leitungswasser wurden mit 1 / 500 Oese Typhus inficirt, mit 5 ccm
Eisenoxychlorid versetzt und stehen gelassen. Darauf wurde decantirt, der
Bodensatz filtrirt und ein Theil desselben auf Drigalskiplatten verimpft. Die
Revision der bei Bruttemperatur gehaltenen Platten ergab nach 20 Stunden
ein Wachsthum von rund 800 Typhuseolonieen auf der Originalplatte.
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8. Versuch.
3 Liter Leitungswasser wurden mit 1 / ]000 Oese Typhus inficirt und mit
5 mn Eisenoxychlorid versetzt. Der Niederschlag wurde dann wie beim
vorigen Versuch behandelt.
Resultat: 550 Typhuscolonieen.
9. Versuch.
Die gleiche Wassermenge wurde mit 1 / 5000 Oese Typhus inficirt und
dann gefällt.
Resultat: 75 Typhuscolonieen.
10. Versuch.
Infection mit Vioooo Oese Typhus.
Resultat: 53 Typhuscolonieen.
Wie aus den vorstehenden Versuchen hervorgeht, gelang es noch bei
recht geringer Einsaat, die Typhuskeime in verhältnissmässig grosser Zahl
wieder aufzufinden.
Da mit dieser Verdünnung jedoch die Grenze der Nachweismöglich¬
keit anscheinend nicht erreicht war, mischte ich dem Versuchswasser noch
weit geringere Mengen Typhuscultur bei und erhielt folgende Resultate:
11. Versuch.
Bei einer Vertheilung von Vsoooo Oese auf 3 Liter Wasser wurden
40 Typhuscolonieen auf der Originalplatte gezählt.
12. Versuch.
Eine Infection mit 1 / 60000 Oese Cultur hatte noch 20 Typhuscolonieen
als Resultat.
13. Versuch.
Bei einer Vermischung von 1 1(HMl00 Oese mit 3 Liter Wasser endlich
wurde noch ein Wachsthum von 5 Colonieen angetroffen.
Selbstverständlich wurden immer Parallelversuche und mehrfache
Wiederholungen der Versuche angestellt, deren Resultate nie wesentlich
von den angeführten abwichen und daher wohl eine Anführung unnöthig
machen. Eine völlige Uebereinstimmung der Resultate bei gleicher Ein¬
saat ist natürlich nicht zu verlangen, da das Ueberimpfen genau gleicher
Tlieile von Niederschlag sich schwieriger gestaltet als bei Lösungen.
Immerhin war bei den einzelnen Versuchen das Zahlenverhältniss der ein¬
gesäten und wiedergefundenen Keime ein annähernd constantes, d. h.
wenn beispielsweise bei V 5o0 Oese Einsaat 800 Typhuskeime wiedergefundeu
wurden, so konnten bei 1 / 1000 Oese etwa die Hälfte, also rund 400 Keime
nachgewiesen werden.
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Nachweis von Typhcsbacillen.
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Die Zahl der in einem bestimmten Oesenbruchtheil enthaltenen Keime
unterliegt dagegen grossen Schwankungen; vorstehende Versuche geben
in Folge dessen über das procentuale Verhältniss zwischen eingesäten und
wiedergefundenen Typhuskeimen keinen Aufschluss. Ein quantitativer
Nachweis ist nur bei genauer Kenntniss der Einsaatzahl möglich, die An¬
führung der nach dieser Richtung gemachten Versuche folgt später. Ver¬
dünnungen von noch weniger als Viooooo Oese auf 3 Liter Wasser wurden
auch hergestellt, dabei jedoch nur vereinzelt ein paar Keime wiedergefunden,
die Mehrzahl der Versuche fiel negativ aus. Von 6 Versuchen z. B. bei
denen die Infection Vuoooo Oese betrug, hatte nur einer ein positives
Resultat, 2 Typhuskeime, aufzuweisen. Hieraus kann man wohl schliessen,
dass für die Fällungsmethode mit Eisenoxychlorid die Nachweismöglichkeit
der Typhusbacillen bei einer Einsaat von 1 / I00 ooo Oese pro 3 Liter ihre
Grenze haben dürfte.
Vorstehende Versuchsresultate müssen zunächst geradezu verblüffen,
wenn man bedenkt, welch’ ausserordentlich kleiner Bruchtheil eines Oesen-
volumens Typhuscultur einer immerhin grossen Wassermenge beige¬
mischt wurde.
Ein solches Ergebniss ist jedoch, wie schon erwähnt, nur bei keim¬
armen Wässern möglich. Thatsächlich ist übrigens die Einsaatmenge
nicht so gering wie sie zunächst erscheinen mag. Verschiedene Zähl¬
versuche ergaben, dass in der zu den Versuchen benutzten Normalöse,
die 2“* fassen soll, im Mittel 75 Millionen Typhuskeime enthalten sind,
Viooooo Oese also immer noch 750 Keimen entsprechen würde.
Die differenten Angaben einzelner Autoren betreffs des Keimgehaltes
einer Normalöse dürften wohl darauf beruhen, dass der Füllungsgrad
einer Oese ein recht wechselnder ist und die Menge der mitgenommenen
Flüssigkeit je nach der Art des Nähragars sehr verschieden sein kann.
Da deshalb die Einsaatmenge nicht unerheblichen Schwankungen
ausgesetzt sein muss, so säte ich den entsprechenden Bruchtheil einer
Oese, mit dem ich das Wasser iuficiren wollte, direct auf Platten aus und
bekam durch Zählung der gewachsenen Colonieen einen ziemlich genauen
Hinweis auf die Einsaatmenge. Dabei ist zu beobachten, dass die zur
Iufectiou gelangende Cultur ganz fein verrieben dem Wasser beigemischt wird.
Nehmen wir au, es würde der Viooooo Theil einer 75 Millionen fassenden
Oese 3 Liter Wasser beigemengt, so enthalten die 3000 ccm Wasser
750 Keime, auf 1 ccm würden also 7b0 j 3OOO das ist 1 / i , oder auf 4 ccra 1 Keim
kommen.
Werden dann wie bei dem oben angeführten Versuch 5, bei weiteren
Versuchen 7 und 9 Typhuskeime auf einer Platte, die nur mit einem
geringen Bruchtheil eiues Cubikcentimeters Niederschlag bestrichen wurde,
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12
0. Müllee:
wiedergefunden, so tritt der grosse Yortheil, den die Fällung bietet, deut¬
lich zu Tage. Ob in dem Niederschlag nun wirklich auch alle Typhus¬
keime enthalten sind, kann man hieraus nicht ersehen. Wenn auch bei
verschiedenen Versuchen in dem überstehenden Wasser keine Typhus¬
bacillen nachgewiesen werden konnten, so lässt doch der quantitative Nach¬
weis stets eine wenn auch geringe Verminderung der Typhusbacillen er¬
kennen, die auf ein Suspendirtbleiben der Bacillen und auf ein Absterben
während des Versuchs zurückgeführt werden können. Sicheren Aufschluss
über die Grösse des Verlustes kann nur der quantitative Nachweis der
Typhusbacillen aus dem Sediment geben, der noch wenig geführt
worden ist
Wenn Schüder 1 mit seiner chemisch mechanischen Fällungsmethode
Typhusbacillen nachweisen konnte, nachdem „von einer kleinen mit Condens-
wasseraufschwemmung einer Typhusagarcultur gefüllten Oese Viooo der¬
selben je 2 Liter des zu desinficirenden Wassers beigemischt wurde“, so
ist dies bei dem ausserordentlich hohen Keimgehalt des verwendeten Canal¬
wassers, das Hunderttausende bis Millionen Keime im Cubikcentimeter
enthielt, gewiss ein sehr günstiges Resultat, lässt aber keinen Schluss auf
das quantitative Verhältniss von eingesäten und wiedergefundenen Typhus¬
bakterien zu.
Beim Durchsehen der Litteratur fand ich die Frage das quantitativen
Bacillennachweises nur bei Ficker* in seiner Arbeit: „Ueber den Nach¬
weis von Typhusbacillen im Wasser durch Fällung mit Eisensulfat“ be¬
handelt. Ihm gelang es mit der von ihm angegebenen Fällungsmethode
verbunden mit Centrifugiren 97 bis 98 Procent der Einsaatmenge im ge¬
lösten Sediment wiederzufinden.
Obwohl ich solch’ günstige und genaue Resultate bei der von mir
angewandten Methode nicht erwarten durfte, da die Verimpfung einer
genau bestimmten Niederschlagsmenge sich viel schwerer als bei Lösungen
ausführen lässt, so stellte ich doch einige quantitative Versuche an. Die
Hauptschwierigkeit bestand dabei in der Berechnung bezüglich Abschätzung
des Niederschlagbruchtheils, den ich zur Verarbeitung bringen wollte. Ich
suchte folgendermaassen zum Ziele zu gelangen: Nach Einengung des im
Glascylinder abgesetzten lockeren Niederschlages durch Filtriren, entnahm
ich von dem gleichmässig an den Filterwäuden abgesetzten Niederschlag
einen bestimmten Theil, einen Sector, durch Abscliaben mit dem Platiu-
spatel und vertheilte ihn auf mehrere Platten. Dabei erzielte ich folgende
Resultate:
1 Schüder, a. a. O.
2 Ficker, Hygienische Rundschau . XIV. Jahrg. Kr. 1.
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Nachweis von Typhcsbacillex.
13
14. Yersuch.
3 Liter Leitungswasser wurden mit 1 / 10000 Oese einer 24 Stunden alten
Typhusagarstrichcultur inficirt und mit 5 ccm Eisenoxychloridlösung versetzt.
Nach ^ stündigem Stehen wurde das Wasser vorsichtig abgegossen und der
lockere Niederschlag auf ein steriles Filter gegeben. Von dem an den
Filterwänden abgesetzten festen Niederschlag wurde der vierte Theil mittels
Platinspatels auf 4 Drigalskiplatten möglichst gleichmässig vertheilt und mit
dem Glasspatel verstrichen. Gleichzeitig wurde genau die gleiche Einsaat¬
menge zwecks Zählung der Colonieen auf Platten mit gewöhnlichem Nähr¬
agar gebracht. Die nach 20 Stunden vorgenommene Revision der bei Brut¬
temperatur gewachsenen Colonieen ergab auf den mit der Einsaatmenge
direct beimpften Platten 4000 Typhuskeime, die ganze Oese würde mithin
40 Millionen enthalten haben.
Die vier mit Niederschlag bestrichenen Drigalskiplatten zeigten folgendes
Wachsthum:
Platte
i .
. . 250 Tvphuscolonieen
»
ii .
. . 190
ii
in .
. . 275
*i
IY .
. . 200
Sa. 915 Typhuscolonieen
Multiplicirt man nun die gefundene Summe 915 mit 4, so bekommt man
3660, d. h. die dem Gesamtniederschlag entsprechende Zahl. Da die Eiu-
saatmenge, wie wir gesehen, 4000 Keime betrug, so wurden 91-5 Procent der¬
selben wiedergefunden.
Die folgenden Versuche unterschieden sich von dem vorigen einmal
durch wechselnde Einsaatmengen, dann dadurch, dass verschieden grosse
Quantitäten Filterniederschlages zur Verarbeitung gelangten. Im Uebrigen
war die Versuchsanordnung die gleiche.
15. Versuch.
Es wurde ebenfalls mit Vioooo Dese inficirt, aber diese Einsaat ent¬
spricht, wie die Zählung der direct damit beimpften Platten zeigt, hier
6000 Typhuskeimen. Von dem filtrirten Niederschlag wurde dieses Mal nur
der 8. Theil auf 4 Drigalskiplatten verimpft.
Resultat: Platte
I
II
III
IV
115 Tvphuscolonieen
190
225 ,,
200
730 X 8
Sa. 730 Typhuscolonieen
5840, d. h. 97 -3 Procent der Einsaatmenge wurden gefunden.
16. Versuch.
Eingesät wurde 1 300( , 0 Oese mit einem Inhalt von 2000 Typhuskeimen
und 1 4 des Niederschlages auf 4 Drigalskiplatten vertheilt.
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14
0. Müller:
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Resultat: Platte I
„ n
„ in
„ IV
75 Tvphuscolonieen
97
130
HO
Sa. 412 Tvphuscolonieen
412 X 4 = 164H, mithin wurden 82*4 Procent der Einsaatmenge
nachgewiesen.
17. Versuch.
Infection mit 1800 Typhuskeimen, die ebenfalls 1 / 3n000 Oese entsprechen,
Vertheilung eines Achtels des Niederschlages auf 4 Drigalskiplatten.
Resultat: Platte I . . . 47 Tvphuscolonieen
„ II 33 „
„ III .. . 65
» IY - - - 55
Sa. 200 Tvphuscolonieen
200 X 8 = 1600, das ist 88-8 Procent der Einsaat.
18. Versuch.
Infection mit 900 Typhuskeimen oder 1 / <i0000 Oese, Vertheilung eines
Viertels des Niederschlages auf 4 Drigalskiplatten.
Resultat: Platte I
. . . 55 Tvphuscolonieen
u
II
. . . 49
ii
III
• . . 67 ,,
ii
IV
. . . 50
Sa. 221 Tvphuscolonieen
221 X 4 = 8X4,
das ist
98*2 Procent der Einsaat.
19. Versuch.
Infection mit 1200 Typhuskeimen, ebenfalls 1 / Ö0(HK) Oese
Vertheilung eines Achtels auf 4 Drigalskiplatten.
Resultat: Platte I
22 Tyjdiuscolonieen
ii
II
. . . 87
ii
III
. . . 82
ii
IV
• • •
Sa. 110 Tvphuscolonieen
110 X 8 = 880,
das ist
73*3 Procent der Einsaat.
20. Versuch.
Infection mit 700 Keimen oder Vmnooo Oese, Vertheilung
des Niederschlages auf 4 Dri
galskiplatten.
Resultat: Platte I
35 Tvphuscolonieen
. . . 53
ii
II
• i
III
. . . 27
ii
IV
47
8a. 162 Tvphuscolonieen
162 X 4 = 648,
das ist
92*5 Procent der Einsaat.
Gck igh
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I
Nachweis von Typhusbacillex.
15
21. Versuch.
Desgleichen Infection mit 1 ' lf , 0 „ 00 Oese, 580 Typhuskeiinen entsprechend.
Vertheilung eines Achtels des Niederschlages auf 4 Platten.
Resultat: Platte I 19 Tvphuseolonieen
„ II ... 13
.. III .. . 22
Sa. 65 Tvphuseolonieen
65 X 8 =s 520, das ist 89’6 Procent der Einsaat.
Aus dieser Versuchsreihe geht hervor, dass auch bei Verarbeitung
des ungelösten Niederschlages ein erheblicher Verlust an Typhusbacillen
nicht eintritt. Die günstigen Resultate, wie sie Ficker zu verzeichnen
hatte, der ,.im Mittel 97 bis 98 Procent der Einsaat im gelösten Sediment
vorfaud, lassen sich nur durch Benutzung einer Centrifuge erklären, denn
meine nach der Fick er'sehen Methode angestellteu quantitativen Versuche
ohne Centrifuge hatten umrünstigere Resultate. Es wurden bei 6 Versuchen
72, 81. 76-3, 64-5. 80. 76'9 — im Mittel also 75*1 Procent — der
Einsaat im gelösten Sediment wiedergefunden. Diese Resultate stehen hinter
den mittels Eisenoxychloridfälluug erzielten erheblich zurück, da hier
der Nachweis von 88-8 Procent im Mittel gelang.
Der Grund für die schlechteren Resultate, die ich mit der Fick ersehen
Methode erhielt, scheint au der geringeren Fällkraft des Ferrisulfates zu
liegen; denn ich konnte durch Nachfällungen stets noch eine relativ grosse
Keimzahl in dem überstehenden Wasser nach weisen. Die Nachfäl lungeu
wurden in gleicher Weise wie die Erstfälluugen vollzogen, d. h. es wurden
nach vorsichtigem Abgiessen des über dem Bodensatz stehenden Wassers
in hohe C’ylinder die gleichen Mengen der Reagentien zugesetzt, der Nieder¬
schlag gelöst und ein bestimmter Theil auf Platten verstrichen. Ich
konnte auf diese Weise bei 6 Versuchen noch 15, 11*4, 17*7, 13-3, 19.
17-1 Procent der Einsaat naehweisen, ein Beweis, dass der bei der ersten
Fällung eintretende Verlust an Typhuskeimen nur zu einem geringen
Theil auf ein Absterben, in der Hauptsache aber auf ein Suspendiertbleiben
der Bacillen zurückzuführen ist.
Bei dem Eisenoxyd)loridverfahren habe ich auch Nachfällungen an¬
gestellt und erheblich weniger — 4 bis 6 Procent — Typhusbacilleu im
Sediment wiedergefunden.
Hiernach ist dem Eisenoxychlorid eine stärkere Fällkraft zuzuschreiben.
Da sich zudem ein erheblich grösserer Theil des liltrirten Eisenoxychlorid-
niederschlages auf eine Platte bringen lässt als von dem durch die Lösungs¬
flüssigkeit um die Hälfte vermehrten Ferrisulfatbodensatzes, so sind dem-
.entsprechend auch die Chancen auf wenig Platten einen grosseu Theil
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16
0. Müller:
der Typhusbacilleu zu haben, bei Verarbeitung von Eisenoxychloridschlamm
ungleich günstiger als bei Verwendung des gelösten Ferrisulfatnieder-
schlages.
Es scheint mir daher zweckmässig, bei der Untersuchung typhus-
verdächtiger Wässer die leicht ausführbare Fällungsmethode mit Eiseu-
oxychlorid heranzuziehen, besonders da, wo keine Centrifuge zur Ver¬
fügung steht.
Neuerdings hat C. Feistmantel 1 noch eine Fällungsmethode an¬
gegeben, die er folgendermaassen ausgeführt wissen will: Je einem Liter
des zu untersuchenden Wassers sollen I0 ccm einer 10 procentigeu Soda¬
lösung und dann unter tüchtigem Umrühren 5 ccm einer 10 procentigeu
Alaunlösung zugesetzt werden. Nach 2 bis 3 ständigem Stehen wird die
über dem flockigen Niederschlag stehende Flüssigkeit decantirt und der
Bodensatz nochmals zwecks weiterer Absetzung in einen kleinen ca. 100 ccm
fassenden Messcylinder gegossen. Nach weiteren 2 Stunden kann wieder
decantirt und der Niederschlag auf Platten verimpft werden. Einige Ver¬
suche, die ich zur Nachprüfung dieser Fällungsmetliode anstellte, zeigten,
dass sich der Niederschlag lange nicht so gut absetzte wie der von den Eiseu-
verbindungen erzeugte und sich auch uicht so gut verarbeiten liess. Ich
liltrirte daher diesen Bodensatz ebenfalls, um ihn weiter einzuengen, er¬
hielt aber auch daun weniger gute Resultate, wie aus der folgenden Ver¬
suchsreihe ersichtlich ist. Wieder wurden je 3 Liter Leitungswasser mit
gleichen Mengen Typhusagarcultur inücirt, dann gefallt und zwar: a) mit
Ferrisulfat — b) mit Eisenoxychlorid — c) mit Alaunlösung. Von den
liltrirten Niederschlägen wurden möglichst gleiche Quantitäten auf Drigalski-
platten verimpft.
22. Versuch.
Einsaat */ ]()000 Oese Typhuscultur, Fällung mittels der verschiedenen
Lösungen. Verstreichen gleicher Theile der Niederschläge auf Drigalskiplatten.
Die Revision nach 20 ständigem Stehen bei Brüttemperatur ergiebt: a) auf
der mit Ferrisulfatniederschlag beschickten Platte 230 Typhuscolonieen,
b) auf der mit Eisenoxychloridniederschlag bestrichenen 250 Typhuscolonieen,
c) auf der mit Alaunniederschlag geimpften 60 Typhuscolonieen.
23. Versuch.
Einsaat
Vanooo Oese, dann die gleiche Anordnung wie vorher.
Resultat: bei a . 130 Typhuscolonieen
., b . . . . 155
„ c . . . . 60
1 Fei st in an tel, Trinkwasser und lnfectionskrankheiten . Leipzig 1904.
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Nachweis von Typhusbacillen.
17
Einsaat Veoooo Oese.
Resultat: bei a
„ c .
Einsaat V100000 0ese -
Resultat: bei a
» b .
„ c .
24. Versuch.
93 Typhuscolonieen
90
23
Jf
25. Versuch.
16 Typhuscolonieen
23
Jf
2
Die Anführung dieser Versuche dürfte genügen, um zu zeigen, dass
die mit Alaunniederschlag erzielten Resultate hinter den anderen Zurück¬
bleiben. Es mag das hauptsächlich darauf zurückzuführen sein, dass in
Folge der geringeren Fällkraft des Alauns nur ein Theil der Bakterien
niedergerissen wird.
Endlich ist der Nachweis von Typhusbacillen im Wasser noch auf
biologischem Wege geführt worden, d. h. man hat eine Fällung der Typhus¬
bacillen mittels specifischen Serums zu erreichen gesucht. Diese Methode,
die im Princip von Schepilewsky-Windelband 1 angegeben, später
von Kasparek und Mine® modificirt worden ist, soll auch gute Ergeb¬
nisse haben. In Rücksicht auf die zu ihrer Ausführung nöthigen mannig¬
fachen Behelfe und Instrumente, möchte ich jedoch dem chemischen
Fällungsverfahren, hei keimarmen Wässern speciell der Fällung mit Eisen-
oxychloridlösung und directer Niederschlags Verarbeitung das Wort reden,
zumal man mit ihr, wie ich im Vorstehenden dargethan zu haben glaube,
recht brauchbare Resultate erzielen kann.
1 Schepilewsky, Ueber den Nachweis der Typhusbakterien im Wasser nach
der Methode von Dr. H. Windelband. Centralblatt für Bakteriologie. 1903.
* Mine, Methode zur Untersuchung von Typhusbacillen im Trinkwasser. Mit-
theilung der medicin. Gesellschaft zu Tokio. 1902. Bd. XVI Nr. 77.
Zeitschr. f. Hygiene. LL
2
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A
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[Aus der bakteriol. Abtheilung des Hygiene-Instituts der Universität Zürich.]
(Abtheilungsvorstand: Privatdocent Dr. W. Silberschmidt.)
Ueber die im Züricher Boden vorkommenden Heu¬
bacillen und über deren Beziehungen zu den Erregern
der Panophthalmie nach Hackensplitterverletzung.
Von
Anna Stregulina.
(Hierin T»f. I.)
Die Aetiologie der nach Hackensplitterverletzung entstehenden Panoph- j
thalmie beim Menschen ist in den letzten Jahren genügend aufgeklärt
worden. Poplawska (1) hat in einer unter Prof. Haab’s Leitung aus¬
geführten Arbeit die dicken Bacillen in histologischen Schnitten des wegen
Panophthalmitis enuclelrten Augapfels beschrieben und abgebildet Später
hat Haab (2) selbst über einen ähnlichen Befund mit gelungenem Cultur-
versuch berichtet.
Die ätiologische Bedeutung des Bac. subtilis bei der Panophthalmie
nach Hackeusplitterverletzung wurde zuerst von Silberschmidt (3, 26)
uachgewiesen. In einem mit Bänziger untersuchten und in einem zweiten
Falle aus der Haab’schen Klinik gelang der Nachweis von zwei ähnlichen
der Gruppe des Bac. subtilis augehörenden Bacillen im Glaskörper.
Einige Monate nach der gemeinsamen Mittheilung von Bänziger uud
Silberschmidt (3) in der ophihalmologischen Gesellschaft in Heidelberg,
hat Ivavser (4) aus der Klinik Axenfeld’s in zwei Fällen von Panoph-
tlialmie den Befund von Bac. subtilis im Glaskörper bestätigen können.
Seitdem sind auch die weiteren experimentellen Versuche von Silber-
schmidt von A. Palotti (52) in einer unter Leitung von Galli-Valerio
ausgeführten Arbeit übereinstimmenden Resultaten nachgeprüft worden. *
Gck igle
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J
Anna Stregulena : Über im Zürich. Boden vorkomm. Heubac. 19
Da durch die Untersuchungen von Bänziger und Silberschmidt der
Nachweis erbracht wurde, dass die betreffenden Krankheitserreger aus der
Erde stammen und da merkwürdiger Weise Fälle von Panophthalmie nach
Hackensplitterverletzung besonders häutig hauptsächlich in der nördlichen
und nordöstlichen Schweiz, bezw. Canton Zürich, Vorkommen (5), so er¬
schien es wünschenswerth, festzustellen, ob die aus verschiedenen Erdproben
der Umgebung Zürichs gewonnenen Mikroorganismen der Subtilisgruppe
mit den gefundenen Erregern der Panophthalmie zu identificiren seien.
Es wurden ferner die morphologischen Eigenschaften der isolirten Culturen
unter einander und mit anderen Bakterien derselben Gruppe verglichen.
Im Folgenden seien die Resultate meiner diesbezüglichen Untersuchungen
mitgetheilt.
Zunächst sei es mir gestattet, Einiges aus der umfangreichen Litteratur
über den Bac. subtilis vorauszuschicken.
Der Bacillus subtilis wurde im Jahre 1838 von Ehrenberg (6)
als ein zartes „Zitterthierchen“ (Vibrio subtilis) beschrieben. Die erste
genaue morphologische Untersuchung verdanken wir aber F. Cohn (7),
welcher ihn als „Prototyp“ der Gattung Bacillus erforscht hat. Bacillus
subtilis stellt nach seinen Angaben ein zartes dünnes Fadenbacterium
dar. Die Fäden können aus mehr als 20 Gliedern bestehen, deren Ab¬
grenzungen schwer zu bestimmen sind. Im Jugendzustand zeigen die
Bacillen ein Schwärmestadium, indem sie Pendelbeweguugen ausführen,
„wie ein Fisch, der zwischen Wasserpflanzen seinen Weg sucht“. Später
legen sich scheinbar ungegliederte Bacillenfäden parallel an einander. Im
Innern der Zellen bilden sich ovale, stark lichtbrecheude Sporen, welche,
in ein neues Nährmedium übertragen, anschwellen und an dem Pole einen
kurzen Keimschlauch treiben, der sich zu einem jungen Bacillus ausbildet,
sich in Bewegung setzt, durch Quertheilung gliedert, sich fadenförmig ver¬
längert und den ganzen Cyclus wiederholt. Durch Reagentien hat Koch (8)
nachgewiesen, dass das schwärmende Stäbchen des Heubacillus eine
lange gewundene Geissei trägt. Brefeld (9) hat diesen Befund bestätigt.
In der neueren Zeit haben aber die meisten Autoren den Heubacillus als
nicht ein-, sondern peritrisch begeisselt betrachtet. Die Auskeimuug des
B. subtilis wird gegenwärtig — im Gegensatz zu der Meinung Cohns
— von Prazmowski und Brefeld als äquatorial angegeben. Grethe (10)
hat diesen scheinbaren Widerspruch aufgeklärt, indem er bewies, dass
Heubacillen verschiedenen Ursprungs alle Uebergäuge von der äquatorialen
bis zu der rein polaren Keimung aufweisen können. Mühlschlegel (11)
hat gezeigt, dass, wenn das Ectosporium ringsherum gleich stark ist, die
Keimung bei einem und demselben Mikroorganismus auf verschiedene
Weise erfolgen kann. Die meisten Autoren beschreiben Gelatineplatteu-
•>*
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20
Anna Stkegulina:
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Colonieen des Bacillus subtilis „Seestern“ oder „Seeigel“ ähnlich. Ser-
kowski (12) nimmt als Typus für Bac. subtilis ringförmige Anordnung
an. Die Ausläufer sind den meisten Autoren zufolge Kruse (18), Eisen¬
berg (14), Günther (15), Levy (16), Matzuschita (17) strahlenkranz-
förmig, einem „starren Lanzenwald“ gleichend (Frankel 21), oder sie er¬
scheinen als in zahllose, verworrene Locken aufgelöst (Lehmann und
Neumann [18]), Schürmayer (19). Die meisten Autoren sprechen von
schneller Verflüssigung der Gelatine, die sackförmig, cylindrisch, trichter¬
förmig oder beckenformig vor sich gehe; während Macö (20) angiebt.
dass der B. subtilis erst in 4 bis 5 Tagen die Gelatinecultur zu verflüssigen
beginnt. Nach Fränkel (21) erinnert die Agarschrägcultur des B. sub¬
tilis an die „Gliederkette einer Taenia“ und zeigt einen weissen, dicken,
faltigen Ueberzug. Nach Heinze (22) wäre sie dünn und trocken, nach
Migula (23) matt und grau. Die Kartoffelcultur ist als rahmartiger,
gelblich-weisser Rasen beschrieben worden; nach Migula (23) soll sie
vielfach gefaltet sein. Neben dem „gemeinen Heubacillus“ sind verschiedene
andere Mikroorganismen derselben Gruppe, Bacillus mesentericus, Bacillus
mycoides, Bac. megatherium und zahlreiche andere sporentragende
Bacillen, welche sich jeder scharfen Gruppirung entziehen, beschrieben
worden. Kruse (13) spricht von einer Gruppe des Bac. subtilis.
welche morphologisch, biologisch und culturell sehr mannigfaltige Micro-
orgauismen vorstellt und welche letzteren sich nur nach den Fundorten
eintheilen lassen. Lehmann und Neumann (s. 334) sagen über die durch
Gottheil (24) ausführlich beschriebenen Bolen-Heupilze: „Trotz sorg¬
fältigstem eigenem Studium letzterer Arten und vielfacher Durcharbeitung
derselben, konnten ganz sichere, für die einzelnen Arten typische Angaben
nicht gemacht werden, da mehrere Arten oft ausserordentlich variiren und
vielfach einander so nahe stehen, dass mau sie ohne Mühe nicht ausein¬
ander halten kann.“ Der Bacillus mesentericus vulgatus stellt ein
schlankes, peritrisch begeisseltes Stäbchen mit rundlich ovalen Sporen dar.
Lehmann und Neumann (18) beschreiben die junge Colonie auf der
Gelatineplatte als „typhusähnlich“, mit einer durchscheinenden Zone
umgeben, die verflüssigte „einem Pautherfell“ gleicht; Vignal (25)
spricht von einer „auröole de nombreux Ans filaments“. Als charakte¬
ristisch für B. mesentericus wird ein runzliger, ausserordentlich ge¬
falteter Belag auf der Kartoffel angenommen, weicher aber auch bei
Subtilisarten Vorkommen kann (Migula 23, Gottheil 24). Bacillus
megatherium stellt nach Lehmann und Neumann (18) ein an den
Enden nicht abgerundetes, oft zu laugen Ketten sich vereinigendes Stäbcheu
dar. Nach Fränkel (21) stellt Bacillus megatherium einen RieseD-
kommabacillus dar, welcher durch die Granulation des Zellinhaltes und
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Übeb im Züricher Boden vorkommende Heubacillen.
21
seine eigentümliche kriechende Bewegung sich von den anderen Arten
unterscheiden lässt. Eine Gelatineplatten-Colonie von ihm hat eine „halb¬
mondförmige oder nierenförmigeGestalt“ (Kruse 13). Frankel betrachtet
sie aber als unregelmässig gestaltete, klumpige, gelbe Auflagerung, welche
bei Beginn der Verflüssigung als dünnes Häutchen mit leicht faserigem
Rande auf der Oberfläche schwimmt Auf dem Schrägagar bildet Bac.
megatherium eine schmutzig-weisse kräftige Auflage, mit einem leichten
Stich in’s Röthliche (Migula 23); nach Eisenberg (14) ist der Agar
dunkel gefärbt. Die Kartoffelcultur ist als gelblich-weisser rahmartiger
Rasen, subtilisähnlich oder an Bacillus coli erinnernd beschrieben
worden (Lehmann und Neumann 18).
Aus diesen wenigen Angaben ist ersichtlich, dass die unter dem Namen
Bac. subtilis, Bac. mesentericus, Bac. megatherium u. s. w. be¬
kannten Mikroorganismen verschieden beschrieben worden sind und dass
eine scharfe Abgrenzung verschiedener Arten des Heubacillus sehr
schwierig ist. 1
Eigene Untersuchungen.
In der Zeit von Juli bis September 1903 kamen folgende Boden¬
proben zur Bearbeitung:
I. Drei Mal Züricher Strassenstaub.
II. Vier Mal Weinberghumus aus Ortschaften in der nächsten Nähe
Zürichs (Wollishofen, Zollikon, Küsnacht, Bendlikon).
III. Vier Mal Gartenhumus aus denselben Ortschaften.
IV. Zwei Mal Steine aus Züricher Weinbergen.
V. Ein Mal frischer Kuhkoth und ein Mal Pferdekoth aus einem
Stall in Zürich.
Die zur Untersuchung verwendeten Erdproben wurden der oberen
Erdschicht entnommen und in sterilisirten Erlenmeyer’scheu Kolben
verschlossen. An demselben Tage sind die Proben untersucht worden,
indem die Erde in einem sterilisirten Glasmörser zermahlen und mit sterili-
sirtem Wasser aufgeschwemmt wurde, wobei zu l prm Erde 100 ccra Wasser
genommen worden ist. Darauf schüttelte ich die Proben x / 4 Stunde lang,
um die Bakterienkeime von den Erdpartikelchen loszulösen. Die Ver¬
mischung wurde 10 Minuten lang auf 100° erhitzt, um nur die sporen¬
bildenden Keime zu bekommen; dann wurden Gelatineplatten bezw.
1 Nach Abschluss der vorliegenden Untersuchungen erschien eine Arbeit von
Fred. D. Chester (53), welcher zehn verschiedene Arten der Subtilisgruppe
unterscheidet.
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22
Anna Steeg ulin a :
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Petrischalen hergestellt (1 Oese von der Erdaufschwemmung für je eine
Platte mit drei nachfolgenden Verdünnungen). Die Steine wurden auf
einer eisernen Platte mit einem Hammer zerkleinert. Um die Par*
tikelchen aus dem Inneren der Steine von den äusseren zu unterscheiden,
war die Oberfläche der Steine mit Carmin gefärbt. Die Steine wurden
10 Minuten lang auf 100° erhitzt, dann in verflüssigte Gelatine hinein¬
gebracht, in Petrischalen ausgegossen. Die Kothproben waren mit sterili-
sirtem Wasser verdünnt, tüchtig geschüttelt, 10 Minuten lang auf 100°
erhitzt und darauf ebenfalls auf Gelatineplatten gegossen.
Bei der Untersuchung beobachtete ich hauptsächlich folgende Colonieen:
1. Graue oder gelbliche Colonieen, couceutrisch angeordnete, sich
rasch verflüssigende, mit peripherischem Strahlenkranz versehen.
2. Solche mit proteusähnlichen Ausläufern oder mit lockeuartig ver¬
filztem Rand.
3. Solche mit verfilzter Structur im Mittelpunkt und mit strahligen
Fortsätzen, welche mehr oder weniger Insectenfüsschen entsprechen.
4. Halbmondförmige, glattrandige, gekörnte Colonieen.
5. Gelblich grüne, wellige, glattrandige oder mit kleinen Stachele
besetzte Colonieen.
6. Knäuelförmige oder weinblattförmig ausgebreitete.
7. Dem Wurzelbacillus ähnliche Colonieen.
Um die Zahl der zur Untersuchung kommenden Mikroorganismen
nicht zu sehr zu steigern, wurden die typischen Colonieen des Wurzel- |
bacillus nicht weiter untersucht, obschon eine grosse Aehnlichkeit mit j
den übrigen Bakterien dieser Gruppe besteht. Diejenigen isolirteu
Mikroorganismen, welche sich als unbeweglich erwiesen oder Gram
negativ waren, wurden ebenfalls von der weiteren Untersuchung aus¬
geschlossen. Es sei auch erwähnt, dass nur diejenigen Keime berück¬
sichtigt werden konnten, welche in den ersten 3 bis 4 Tagen jur Ent¬
wickelung kamen, weil die Gelatineplatten nach dieser Zeit verflüssigt
waren. Bei der Untersuchung der zahlreichen weiteren Colonieen ergab
sich, dass eine absolute Identificiruug verschiedener Stämme unmöglich
war, obschon mehrere derselben einander so nahe standen, dass nur mit
grosser Mühe sie als verschieden zu betrachten waren. Die Schwierig¬
keiten wurden noch dadurch erhöht, dass die einzelnen Mikroorganismen
bei weiterer Fortzüchtung auf künstlichem Nährboden keine absolute
Constanz zeigten. Obschon nach dem Gesagten eine Eintheilung nicht
leicht möglich ist, habe ich es versucht, die 112 isolirten Stämme in
5 Typen abzusondern. Von diesen Culturen habe ich 22 genauer unter¬
sucht, deren nähere Merkmale in der beigefügten Tabelle angegeben sind
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Übeb em Züricher Boden vorkommende Heubacillen.
23
Die Bacillen des Typus I haben folgende gemeinsame Merkmale:
Es sind schlanke Stäbchen, mit abgerundeten Enden, oft zu langen Ketten
vereinigt, wackelnd beweglich, peritrich begeisselt, Gram + , Sporen end-
oder mittelständig, manchmal rundlich oval, nicht breiter als der Bacillus¬
körper. Sie wachsen rasch bei 22 bis 37° C. — nicht bei 0 u. 50° —
aerob, facultativ anaerob. Auf den Gelatineplatten zeigen sich am
zweiten Tag kleine graue Colonieen mit verfilzter Structur des Mittel¬
punktes und gekräuselten Ausläufern an der Peripherie (Taf. I, Fig. 1).
Am dritten Tag, wo ihr Durchmesser bis 0-5 cm erreicht hat, ist ein
compact gebliebener Centraltheil mit einer Zone von vielfach gewuudeueu
Fäden umgeben; strahlenartig angeordnete Härchen an der Peripherie
bohren sich pfeilartig in die noch nicht vertlüssigte Gelatine (Taf. I,
Fig. 2). Gelatinestichculturen verüüssigen sich rasch trichterförmig
von oben nach unten; die verflüssigte Zone ist trüb, flockig; au der
Oberfläche der verflüssigten Gelatine öfters ein zartes, leicht zerbröckelndes
Häutchen (Taf. I, Figg. 4 u. 5). Agarplatten: Oberflächliche Colonieen
grauweiss, wachsähnlich mit verfilztem Rand (Taf. I, Fig. 8); tiefe Agar-
platten mit fein verzweigten Fortsätzen (Taf. I, Fig. 7). Agarstich:
Die Beläge sind grauweiss, ziemlich trocken, leicht abhebbar, seitlich
rasch ausbreitend, mit vielfach verflochtenem Rand. Agarstich: Stich
ist deutlich markirt; an der Oberfläche schmierige, bis an die Glas-
wanduug reichende, glatte, spiegelnde, manchmal leicht gefurchte Auf¬
lagerung. Die Bouillonculturen trüben sich nach einigen Stunden.
Häufig Häutchenbildung, welche zart und brüchig und bei der geringsten
Berührung zu Boden sinkt; manchmal nur Riugbildung. Zucker-
bouillonculturen weisen anhaltende Trübung auf. Häutchenbildung
selten. Meistens 1 bis 2 mra dicker Randbelag. Säurebildung ist stets
vorhanden. Die von Dr. Mankowski angewandte Mischung 1 zeigt
schon nach 18 Stunden Säurebildung. (Bei Zusatz von 1 bis 2 Tropfen
Reagens war die Cultur schön roth, während Zuckercontrolbouillon tief¬
blaue neutrale Reaction aufwies.) In Martin’scher Bouillon ist das
Häutchen beständig, dick, feucht, fadenziehend. Auf dem Serum bilden
die Bacillen eine einsinkende allmählich sich verflüssigende Auflagerung.
Tiefblaue Nutroselösung nach Barsikow - Segin wird von den
Bacillen in 3 bis 4 Tagen vollständig entfärbt. In Milch weisen sie
1 2 Theile Indigocarmin (2-0 ,rm auf 100* rm dest. Wasser), 1 Theil Säurefuchsin
(10*0 * rm auf 100*™ 1 procent. KHO), 22 Theile dest. Wasser. — Erythrit, Nutrose ää
1.0*”*, Kochsalz 0*5 ,rw , Lackmustinctur 10*0* nu , Aqua dest. 100*0. Lösung der
Nutrose in Chlornatrium wurde 1 Stunde sterilisirt, dann Erythrit hinzugefügt. Die
Mischung wurde in Reagensröhrchen abgefüllt und noch \ 4 Stunde dem strömenden
Wasserdampf ausgesetzt.
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24
Anna Stbegulina:
vom 2. Tage an eine transparente gelbliche Serumzone auf, welche all* !
mählich breiter wird. Kleine Säuremengen sind in den ersten Tagen !
nachweisbar, die älteren Culturen zeigen dagegen eine amphotere Reaction.
Lackmusmolke: Schwache Säurebildung. Kartoffelculturen stellen
einen erhabenen rahmartigen Belag dar, welcher später wie mit Meid ]
bestreut erscheint. Die meisten untersuchten Stämme bilden auf der
Kartoffel und auf Agar grauweisse Colonieen. Nur bei einem Bacillus
(Nr. 2) konnten auf Agar und auch auf der Kartoffel hellroth gefärbte
Colonieen beobachtet werden.
Bacillen des Typus II. Mikroskopisch sehen sie dem ersten Typus
ähnlich. Auf den Gelatineplatten sind die Colonieen unregelmässig
gestaltet, haben keinen eigentlichen Mittelpunkt, nur unregelmässiges
Gewirr der Ausläufer, welche tief in die noch nicht verflüssigte Gelatine
hineindringen. Die Ausläufer sind dünn wie Fäden, einige erscheinen
angereiht oder an einander geschichtet, so dass sie makroskopisch sichtbar
sind und gewissermaassen denjenigen des Bac. mycoides ähneln (Taf. I.
Fig. 3). Gelatinestich wird rasch trichterförmig verflüssigt; rings herum
dringen zahlreiche Härchen in die Gelatine hinein (Taf. I, Fig. 6). Au
der Oberfläche bildet sich manchmal ein leicht zerreissbares Häutchen.
Agarplatte zeigt ausgebreitete zottige Colonieen, mit zarten, durch ein¬
ander laufenden, gelockten Ausläufern. Agarstrichbelag sieht grauweiss. |
schmierig aus, mit einem verfilzten, an Milzbrandbacillus erinnernden
Rand. Agarstich: Fadenförmig, manchmal mit kleinen Börstchen.
Auflagerung fettig glänzend, glatt, selten gerunzelt. Kartoffelculturen,
Milch, Bouillon u. s. w. denjenigen des Typus I ähnlich.
Bacillen des Typus III charakterisiren sich durch ziemlich constaut
vorhandene Fältelung in Kartoffel- und Agarculturen und durch
Bildung eines gefurchten, regelmässig vorhandenen Häutchens in den
Nährflüssigkeiten. Mikroskopisches Aussehen ist den ersten zwei Typen
sehr ähnlich. Nähere Angaben über die einzelnen Bacillen des Typus III
sind in der Uebersichtstabelle zusammengestellt.
Bacillen des Typus IV stellen schlanke, kurze Stäbchen vor,
meistens zu zwei, aber auch Ketten von 8 bis 10 Gliedern, Gram sehr
lebhaft beweglich, peritrich begeisselt. Sporen rundlich oder rundlich
oval, klein, meist mittelständig. Wachsthumsoptimum 37°, gut bei 50°
nicht bei 0°. Gedeihen streng aerob. Gelatineplattenculturen
zeigen am 3. Tage hellgelbe, durchscheinende, weinblattförmig aus¬
gebreitete Colonieen; verflüssigte Colonieen mit schwachem Härchenkranz
und einem faserigen Häutchen auf der Oberfläche. Id Gelatinestich
geht die Verflüssigung langsam vor sich, schalenförmig, unter Bildung
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Übeb im Zükicheb Boden vobkommende Heubacillen.
25
eines gerunzelten Häutchens. Agarplattenculturen stellen gelblich-
weisse Colonieen mit einem welligen, scharf begrenzten Rand dar. Agar¬
stich: Beläge sehen gelblich durchscheinend aus, der Stich wenig
merkbar; Oberfläche netzähnlich gerunzelt. Serumoulturen werden
rasch verflüssigt. In Bouillon sieht man nach 24 Stunden ein trockenes,
stark gefaltetes Häutchen. Zuckerbouillon zeigt schwach saure, fast
amphotere Reaction. Nutroselösung wird nicht entfärbt. Milch wird
rasch peptonisirt, während nur Bacillus 19 erst nach 4 bis 5 Tagen das
Gerinnen der Milch veranlasst. Kartoffelculturen meist stark schleimige,
fadenziehende Auflagerung, welche nach 24 Stunden mit einer dünnen,
trockenen Membran überzogen erscheint, die sich zu steilen, unregel¬
mässigen Falten zusammenlegt. Auflagerung sieht schmutzig grau bei
dem Bacillus 20 und 17 aus, leicht röthlich verfärbt bei dem Bacillus 18,
Bacillus 19 dagegen zeigt senfgelben Belag mit niedrigen schmierigen
Falten.
Bacillen des Typus V sind dicke, plumpe Stäbchen, leicht ge¬
krümmt, meist isolirt mit abgerundeten Enden, peritrich gegeisselt.
Bewegung sehr langsam, kriechend. Vereinzelte Ketten von 5 bis 7 Glie¬
dern, welche sehr variabel gegliedert sind, 1-8 bis 3*4 bis 7/* lang.
Sporen in der Mitte der Zelle, gross, oval, nicht breiter als Bacillenkörper,
Wachsthum gut bei 22 bis 37° C. nicht bei 0 und 50° C. Streng aörob.
Gelatineculturen weisen am 2. Tage gelblich graue klumpige Colonieen
auf, welche bald in die Gelatine einsinken. Die schon verflüssigten zeigen
homogen grauen Inhalt; sind mit schwachen Haarkränzchen versehen.
Gelatinestich verflüssigt sich sack- oder schlauchförmig. Es findet
keine Häutchenbildung statt. Verflüssigte Gelatine fadenziehend, sieht
trübe aus. Die oberflächlichen Colonieen auf der Agarplatte sind
knöpfchenartig, rundlich, glattrandig. Agarstrichbeläge sehen homogen,
weiss, fettig, glänzend aus, mit einem scharf begrenzten welligen Rand.
Bouillonculturen zeigen andauernde Trübung. Häutchenbildung un¬
beständig. In Zuckerbouillon ist Säurebildung zu merken, Nutrose¬
lösung entfärbt sich langsam. Milch peptonisirt allmählich vom 3. bis
4. Tage an. Auf der Kartoffel unbedeutender Belag, meist am Stiche
begrenzt, flach, gelblich, später wie mit Körnchen bestreut.
Die drei ersten Typen zeigen sehr nahe Beziehungen zu einander und
weisen zahlreiche Uebergänge auf. So bilden die Bacillen des Typus I,
welche in der Regel keine langen Ausläufer haben (Taf. I, Fig. 2) und
deren Gelatinestichcultur keine Querästchen aufweisen (Taf. I, Figg. 4
und 5) manchmal dem Typus II ähnliche Colonieen auf der Gelatine-
platte (Taf. I, Fig. 3) und Härchen in dem Gelatinestich (Taf. I, Fig. 6).
Andererseits zeigen Bacillen des Typus III, welche sich durch Fältelung
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Anna Stregulina :
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in Agar und Kartoffelcultur charakterisiren, rahmartige, vollständig glatte
Beläge, so dass die Abgrenzungsmerkmale gegen die Bacillen der ersten
zwei Typen verwischt erscheinen.
Die Vertreter dieser 3 Typen, welche in pigmentbildende und
keinen Farbstoff producirende Bacillen sich eintheilen lassen, stehen
den Bacillen, welche Silberschmidt bei Panophthalmie (26) isolirt hat,
sehr nahe. Sie bilden die gleichen mannigfaltigen Ausläufer in Gelatine-
cultur, denselben charakteristischen Filzraud auf dem Agar (Taf. I,
Figg. 7 u. 8) unbeständige Häutchen auf Nährflüssigkeiten und bewirken
rasche Peptouisirung der Milch, Verflüssigung der Gelatine und des
Serums. Auch ihre morphologischen Eigenschaften als schlanke, peritrich
begeisselte, wackelnd bewegliche, Gram positive, sporenbildende und oft in
Ketten vereinigte Stäbchen sind einander ähnlich.
Mikroorganismen, welche dem Subtilisstamm der Sammlung des
Züricher Hygiene-Instituts entsprechen, waren in den Bodenproben nicht
zu treffen. Bei jenem handelt es sich um eine Cultur, welche Gelatine
nur sehr langsam vom 4. bis 5. Tage an verflüssigt, in Gelatinestrich regel¬
mässig vorhandene, parallelstehende Querästchen aufweist, auf dem schräg¬
erstarrten Agar durchscheinenden häutigen Belag und in Bouillon eine
feste, gerunzelte Rahmhaut erzeugt. Die Kartoffelcultur ist röthlich ver¬
färbt, manchmal leicht gerunzelt; Wachsthumsoptimum bei 37° C., gedeiht
gut auch bei 50° C.; streng aerob.
Eine Baihe Subtilisstämme, welche ich der Liebenswürdigkeit des
Herrn Prof. Burri verdanke, ergaben Culturen, welche grösstentheils
denjenigen des Bacillus mesentericus ähneln, oder es waren Stämme,
welche in den Nährflüssigkeiten sehr unbeständig vorkommeude Häutchen
aufwiesen, grauweisse glatte Beläge auf dem Agar und unregelmässig ge¬
staltete Fortsätze in der Gelatine zeigten und weder mit dem Bacillus
subtilis, noch mit Bacillus megatherium zu identificiren waren.
Betont muss auch werden, dass die culturellen Eigenschaften sehr
leicht variiren und die „Umstände, unter denen solche Veränderungen zu
geschehen pflegen“, wie Migula ganz richtig bemerkt, „noch zum weit¬
aus grössten Theile unbekannt sind“. Die Dauer des Kochens, Alkalescenz
und Wassergehalt des Nährbodens, die Verschiedenheit des chemischen
Charakters der Gelatine und des Agars, die Zusammensetzung des Fleisch¬
stofles üben einen bedeutenden Einfluss auf die Conflguration der Colonieeu
aus (Kruse, S. 480).
Es sei auch erwähnt, dass gewisse Aenderuugen der Eigenschaften
der Bacillen erzielt werden können. So hat v. Hall (27) eine asporogeue
Form bei Bacillus subtilis erhalten. Gottheil (24) hat zwei Subtilis-
arten beschrieben: eine aus dem Heuiufus — „normale“ — und eine
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Übeb m Zübicheb Boden vobkommende Heubacillen.
27
andere von Pflanzen isolirte — „Bacillus subtilis a“ —, welche culturell
von der „normalen“ abweicht. Nach öfteren Umzüchtungen gelang es
aber, die abweichende Form in die normale überzuführen. Ebenso hat
Vincent (28) gefunden, dass Bacillus megatherium und Bacillus
mesenterious vulgatus nach öfterem Cultiviren im thierischen Organis¬
mus ihre Cultureigenschaften ändern. Auch dürfte es nothwendig sein,
hier ergänzend zuzufügen, dass die Bacillen, welche frisch aus den Boden¬
proben isolirt wurden, mannigfaltigere Colonieen aufwiesen, als jene, welche
im Laboratorium schon einige Zeit cultivirt worden sind. Es mag sein,
dass die künstlichen Nährbedingungen ihre Individualität vermindern.
Aus dem Vorhergehenden ist wohl die Folgerung gestattet,’ dass ein
typisches Bild des Bacillus subtilis weder aus den Beschreibungen der
einzelnen Autoren, noch aus dem Vergleiche der verschiedenen Subtilis-
stämme gewonnen werden kann, so dass die Annahme gerechtfertigt er¬
scheint, dass der Name Bacillus subtilis nicht nur einem, sondern
mehreren Mikroorganismen gegeben wurde und dass heutzutage — welcher
Auffassung u. A. auch Lehmann und Neumann sind — eine scharfe
Umgrenzung auf Grund der mikroskopischen und der culturellen Merk¬
male nicht möglich ist. Im Laufe unserer Untersuchungen konnten wir
wiederholt Culturen beobachten, welche weder dem Bacillus subtilis,
noch dem Bacillus mesentericus vulgatus, noch dem Bacillus
megatherium entsprachen, wohl aber mit allen diesen sehr ähnlich
waren. Es erscheint daher zweckmässiger, von einer „Gruppe des
Bacillus subtilis“ zu sprecheu, statt ein jedes Unterscheidungsmerkmal
zur Aufstellung einer neuen Art oder Varietät zu verwenden. Demgemäss
werden wir auch unsere Typen einfach als zu der „Heubacillengruppe“
angehörende betrachten.
Vorkommen der einzelnen Typen. Bacillen der drei ersten
Typen wurden gefunden in Weinberghumus, Weinbergsteinen, Gemüse¬
gartenhumus und Kuhkoth, also in allen Proben aus gedüngter Erde.
Im Strassenstaube dagegen waren sie kein einziges Mal nachzuweisen.
Bacillen des Typus IV, welche ungefähr dem Bacillus mesentericus
entsprechen dürften, waren in Weinbergsteinen, Gemüsegarten- und Wein¬
berghumus und Strassenstaub anzutreffen. Die Bacillen des Typus V,
welche dem Bacillus megatherium ähnlich erscheinen, waren im
Strassenstaube, in Weinbergsteinen und im Gemüsegartenhumus zu finden.
Sauerstoffbedürfniss der Heubacillen. Bacillus subtilis
wird von den meisten Autoren als streng aerob beschrieben (Liborius 29),
welche Angabe aber meinen Beobachtungen nicht ganz entspricht. Es ist
richtig, dass in Stichculturen und in Bouillon das Wachsthum am üppigsten
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Anna Stregulina:
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an der Oberfläche ist. Dasselbe konnte ich bei Ueberimpfungen in ver¬
flüssigtem Glycerinagar beobachten. Wurden aber nach der von Liborius
angegebenen Methode Zuckeragarröhrchen verflüssigt, 10 bis 20 Minuten
gekocht, abgekühlt und geimpft, so waren Colonieen sichtbar nicht nur
in den oberen Theilen, sondern auch in den unteren. (Dieser Unterschied
zwischen Glycerinagar und Traubenzuckeragar ist in den Figg. 9 und 10.
Taf. I veranschaulicht.) Aber nicht alle untersuchten Bakterienarten
zeigen das erwähnte Verhalten: die Stämme Typus IV und V wachsen
in der Tiefe nicht. Die virulenten Stämme, welche Meerschweinchen
intraperitoneal injicirt worden waren, wie darauf noch zurückzukommen
sein wird, zeigten nach der Thierpassage öfters sowohl in der Tiefe des
Glycerinagars, als auch im Traubenzuckeragar deutliches Wachsthum.
Widerstandsfähigkeit der Heubacillensporen. Die Sporen
des Bacillus subtilis brauchen, um abgetödtet zu werden, wie von
Brefeld (9) angegeben worden war, Sstüudiges Kocheü bei 100° 0.
oder */ 4 ständiges bei 105° oder 5 Minuten bei 110° C. Die 5 bis 7 Tage
alten, sporenhaltigen Bouillonculturen wurden von mir in geschmolzenen
Pipetten im Wasserbade bezw. in Glycerin auf 100 und auf 110° C. er¬
hitzt, wobei sich folgendes Resultat ergab: nach 10 Minuten langem Er¬
hitzen auf 110° C. waren sämmtliche Culturen abgetödtet, nach 1 stän¬
digem Erhitzen auf 100° C. waren nur noch einige Culturen am Leben,
nach einem % Grindigen Erhitzen bei 100° C. waren die meisten noch
keimfähig geblieben, und nur Bacillus 4 des Typus I und Bacillus 15 des
Typus III waren abgetödtet.
Stoffwechselproducte der Heubacillen. Schon Cohn (7) ver-
muthete, dass Bacillus subtilis als Ferment bei der Buttersäuregährung
wirksam sei. G. Van der Velde (30) schreibt dem Bacillus sub¬
tilis die Fähigkeit zu, Kohlehydrat in Milchsäure zu vergähren und auf
Kosten der letzteren Buttersäure zu erzeugen. Bacillus subtilis ist
auch oft als ein zerstörendes Element in der conservirten Milch genannt
worden. Dank der Resistenz seiner Sporen vermag er die Sterilisations-
temperaturen auszuhalten und ungestört sich in der sog. sterilisirten Milch
weiter zu entwickeln, die letztere zucoaguliren und aufzulösen. Flügge(31)
hat in seiner Arbeit gezeigt, dass die Heupilze dabei giftige Substanzen
zu erzeugen vermögen. Bei Milchpeptonisirung, beim „Bitterwerden“
der Milch pflegen die Heubacillen niemals zu fehlen. Auch die schleimigen
Alterationen der Milch und verschiedener Infuse können durch die Heu¬
pilze allein oder in Symbiose mit anderen Bakterien zu Staude kommen
(Kruse 13). Die landwirthschaftliche Bakteriologie hat sich seit Jahren
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Ebee im Zübicheb Boden voekommende Heübacielen.
29
mit den Vertretern der Henbacillen als Nitrit- und Nitratbildner beschäftigt,
und „Anilit“, das von Verschiedenen empfohlene, von Anderen wieder nicht
anerkannte Düngmittel, stellt eine Cultnr dieser Mikroorganismen dar
(32, 22, 24). Weiter werden die Heupilze auch als Zersetzungserreger hei
Zuckerrübenbrand (33), Kartoffelnassfäule (34), Hirsebrand (13), bei Fäul-
niss des gekochten Reisses (35) und Maises (13) und Krankheitserreger
des Brodes (36) erwähnt. Lepoutre (37) konnte nachweisen, dass sapro-
phytische unschädliche Bacillen, darunter auch Bakterien der Heubacillen¬
gruppe, ihre Lebensweise ändern, als Parasiten leben und Fäulnisserschei-
n ungen auf den unterirdischen Theilen der Leguminosen bewirken können.
So gelang es ihm durch wiederholte Passagen bei Bacillus mycoides,
Bacillus mesentericus vulgatus, Bacillus liquefaciens eine ge¬
wisse Virulenz gegenüber Kartoffeln, Carotten und Kohlrüben hervor¬
zurufen. Van Hall (27) hat gefunden, dass der Bacillus subtilis
Cohn und Bacillus mesentericus vulgatus bei höheren Temperaturen
toxische Zerstörung der vegetabilischen Gewebe veranlassen, wobei Kartoffeln
eine charakteristische blaue oder schwarzgraue Färbung zeigen, und ein
Tropfen Saft von so verfaulten Kartoffeln kann einen grossen Theil der
Gewebe einer gesunden Kartoffelscheibe zum Absterben bringen.
Pathogene Eigenschaften der Henbacillen.
In der neueren Zeit ist oft hervorgehoben worden, dass Heubacillen im
thierischen Organismus zu gedeihen vermögen und für entkräftete Thiere
sich äusserst pathogen erweisen. Flügge (31) hat bei seinen bekannten
Versuchen über Milchsterilisirung uachgewiesen, dass die peptonisirenden
Bakterien nicht nur eine Veränderung der Milch verursachen, sondern auch
für Thiere pathogen wirken können. Lambotte (38) nimmt an, dass
der Erreger der Faulbrut bei Bienen der Bacillus mesentericus ist,
welche Ansicht aber von Harrison und von Burri wieder bekämpft worden
ist (39). Padbelski (40) hat gefunden, dass frisches Blutserum die Heu¬
bakteriensporen in 1 bis 2 Tagen tödten könne, glaubt aber, dass diese
bakteride Eigenschaft eine beschränkte ist, so dass bei Uebertragung einer
grösseren Menge Bakterien in das Serum die Sporen innerhalb 24 Stunden
eine neue Rasse der Bacillen liefern, welche im Serum leicht sich weiter
zu entwickeln vermögen. Die in der Bauchhöhle eines Kaninchens cul-
tivirten Heubacillensporen entwickelten sich zu Bacillen, welche innerhalb
des thierischen Körpers weiter zu gedeihen vermochten. Halban (41)
bemerkte bei seinen Versuchen über sporicide Wirkung des Serums, dass
Kaninchen eine intravenöse Injection von 1 ccm einer heubacillensporen¬
haltigen Emulsion ohne Gewichtsabnahme vertragen konnten, dagegen
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30
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verendeten 5 Thiere nach Injection derselben Aufschwemmung in einer
Menge von 2 ccm . Ein Kaninchen, welches mit 8 ccm der Emulsion intra-
peritoneal injicirt wurde, starb nach 8 Tagen.
Charrin und de Nittis (42) hatten aus Gartenerde einen Bacillus
isolirt, welcher in seinen Eigenschaften vollständig dem Bacillus subtilis
glich. Dieser Bacillus wurde in Bouillonculturen, welche immer stärkere
Beimengungen von Meerschweinchenblut erhielten, gezüchtet, wobei sich
ergab, dass der Bacillus eine ansehnliche Virulenz erhielt. Meerschweinchen
mit einigen Zehnteln eines Cubikcentimeters der Bouilloncultur subcutan
injicirt, verendeten in 24 Stunden. Vincent (28) hat nachgewiesen,
dass Bacillus megatherium und Bacillus mesentericus vulgatus
durch wiederholte Thierpassage eine starke Virulenz erwerben. Die Ba¬
cillen vermochten auch Toxine zu produciren, welche Vergiftung des
Versuchsthieres verursachten, wobei sich zeigte, dass Bacillus mes.
vulg. besonders stark toxisch für das Nervensystem ist.
Im menschlichen Organismus sind die Heubacillen mehrmals bei Krau k-
heitsprocessen beobachtet worden. So fanden Kruse und Pasquale(43) bei
multiplem Leberabscess einen dem Heubacillus ähnlichen Pilz in grossen
Mengen. Pansini (44) hat eine Menge von Bacillen aus Sputum von
Phthisikern gezüchtet. Aus dem Secret der Bronchitis putrida haben
Lumnitzer (45) und Bernabei (46) einen sporentragenden Bacillus
isolirt, welcher Bronchitis primär erregen soll. Sacquepee (47) fand in
zwei Fällen von Typhus abdominalis im Blute und einmal im Auswurf
Bacillus mesentericus, welcher intermittirende Fiebererhöhungen bei
den Kranken hervorrufe. Brunner (48) vermochte öfters aus der Darm-
iiora der Peritouitiskranken einen zur Subtilisgruppe angehörenden
Bacillus zu isoliren. Michalsi (49) konnte einen an Bacillus subtilis
erinnernden sporentragenden Mikroorganismus in etwa 50 Fällen von
Conjunctivitis acuta nachweisen. Dieser Bacillus rief bei andauernder
Einreibung in der Conjunctiva von Versuchstieren eine schnell vorüber¬
gehende Entzündung hervor. Bei Einspritzung in das Corpus vitreum
verursachte er Panophthalmie. Bereits Eingangs der Arbeit ist darauf
hingewiesen worden, dass die nach Verletzung des Augapfels und des
Glaskörpers entstehende Panophthalmie durch Bacillen hervorgerufen wird,
welche mit Bacillus subtilis und mit den oben beschriebenen Boden¬
bakterien eine grosse Aelmlichkeit haben.
Eigene Untersuchungen. Die Versuche wurden meist an Meer¬
schweinchen vorgenommen, daneben wurden auch Tauben uud weisse
Mäuse verwendet. In der Regel wurden 1- bis 2 tägige Culturen auf
Agar, welche in Bouillon auf geschwemmt waren (ca. 2 bis 3 ccm pro
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Über im Züricher Boden vorkommende Heubacillen.
31
Agarröhrchen) intraperitoneal oder subcutan injicirt. Die Bacillen des
Typus IV und V erwiesen sich für junge 250 bis 300 ?rm schwere Meer¬
schweinchen als harmlos. Auch bei wiederholten intraperitonealen In-
jectionen von zwei 1 tägigen Agarculturen war eine krankhafte Verände¬
rung nicht zu constatiren. Im Ganzen wurden sechs verschiedene
Culturen mit gleichem negativem Resultat geprüft.
Dagegen riefen die Bacillen des Typus I, II, III bei kleinen Thieren
stark toxische Erscheinungen hervor und verursachten raschen Tod. Bei
subcutaner Injection starben weisse Mäuse und Tauben in einigen Stunden
und junge Meerschweinchen, welche weniger als 300*™ wogen, starben
in 20 bis 30 Stunden. Aeltere Meerschweinchen (500 bis 600 & rm ) über¬
lebten die Injection, es entwickelte sich aber in den ersten Tagen ein
Abscess, dessen Inhalt eine Reincultur der Bacillen zeigte. Bei intra¬
peritonealer Injection starben 250 bis 300 * rm schwere Meerschweinchen
nach 3 bis 4 bis 6 Stunden, 500 bis 600 « rm schwere Meerschweinchen
blieben am Leben, jedoch geschah es öfters, dass bei stärkeren Dosen
(2 bis 3 Agarculturen) auch grössere Thiere nach wenigen Stunden ver¬
endeten. Die Section ergab Folgendes: Peritoneum parietale und viscerale
stark injicirt, die Därme gebläht und ebenfalls injicirt, die Nieren parenchy¬
matös getrübt, angeschwollen, Nebennieren weiss, unverändert. Ein reich¬
liches intraperitoneales röthlich verfärbtes Exsudat, welches viele Endothel¬
zellen, wenige pseudo-eosinophile und mononucleäre Zellen und sehr viele
sporentragende Bacillenstäbchen ergab. In den Organeu, sowie im Blut
waren die Bacillen spärlich, konnten zwar culturell nachgewiesen werden.
Auffallend ist bei diesen Versuchen der sehr acute Verlauf und der
schon in wenigen Stunden nach intraperitonealer Injection erfolgende Tod
des Versuchsthieres. Flügge (31) konnte Aehnliches mit den aus der
Milch isolirten Bacillen nachweisen. Silberschmidt (26) hat dieselben
Beobachtungen nach Injection der Panophthalmiebakterien gemacht und
kam zu dem Schluss, dass es sich hierbei um toxische Wirkung handle.
Er hat das Toxin auf verschiedenen Wegen zu gewinnen versucht, doch
ohne Erfolg und ich muss hinzufügen, dass auch meine Versuche, ein
Toxin nach der von Dr. Tiberti (50) für Bacillus anthracis angegebenen
Methode aus den Culturen zu erhalten, resultatlos verlaufen siud.
Versuche am Auge.
I. Versuch: Am 29. X. 1903, I2 h Mittags; Bac. 2, Typus I. 0• 1 ccm
einer 1 tägigen in 5 ccm Bouillon aufgeschwemmten Agarcultur seitlich durch
die Sclera in den Glaskörper des rechten Auges des Kaninchens Nr. 1 in¬
jicirt. Abends desselben Tages starke Chemosis, Oedem der Lider, Protrusion
des Bulbus, Trübung der Cornea. Am Morgen des nächsten Tages typisches
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Akna Stbegulina:
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Bild der Panophthalmie. Nach 3 bis 4 Tagen nehmen die Symptome ab.
Das Auge wird phthisisch, das andere blieb vollständig gesund.
II. Versuch: 1. XI. 1903, 12 h Mittags, Bac. 9, Typus II. O-l 00111
1 tägiger Agarcultur in Corpus vitreum seitlich durch die Sclera in das rechte
Auge des Kaninchens Nr. 2 injicirt. Um 4 h starke Chemosis, Schwellung.
Oedem der Lider, starke Secretion der Conjunctiva, grauer Reflex der Pupille.
Am anderen Tag typische Panophthalmitis. Am Nachmittag desselben Tages
wurde das Kaninchen getödtet. Befund am rechten Auge: Corpus vitreum
ganz vereitert, Retina stark infiltrirt. Mikroskopische Präparate des Glas¬
körpers und des Eiters zeigten schlanke Stäbchen, die entweder ausserhalb
der Leukocyten, isolirt oder zu Ketten vereinigt, lagen oder in Haufen
innerhalb der Leukocyten eingeschlossen waren. Die Culturen ergaben
reiche, üppige Colonieen des Bacillus.
III. Versuch: 3. XI. 1903, 2 h Nachmittags; Bac. 15, Typus HI. 0’ l ecnQ
1 Tag alter Agarcultur in das Corpus vitreum seitlich durch die Sclera in
das rechte Auge des Kaninchens Nr. 3 injicirt. Am nächsten Tag Panoph¬
thalmitis. Das Kaninchen wurde am 5. Tag getödtet. Die mikroskopische
Untersuchung des Glaskörpers wies keine Bacillen mehr auf. Die Phagocvtose
war noch sehr ausgesprochen. Bei der culturellen Untersuchung ergab sich
der Eiter als steril. Auch Silberschmidt (26) hat hervorgehoben, dass
die Bacillen sehr rasch aus dem Corpus vitreum verschwinden und sich
gegen den 3. Tag nicht mehr nachweisen lassen. Dr. Sidler (51) hat drei
wegen Panophthalmie zwischen dem 9. und 14. Tag nach der Verletzung
enucle'irte Bulbi untersucht und konnte keine Organismen mehr nachweisen.
Es scheint, dass die Bacillen durch Phagocytose sehr rasch vernichtet werden.
IV. Versuch: 12.VI. 1904, 12 h Mittags; Bac. 17, Typus IV. 0*l eeTn
einer 1 Tag alten Agarcultur in Corpus vitreum seitlich durch die Sclera
in’s rechte Auge des Kaninchens Nr. 4 injicirt. Am Abend desselben Tages:
Keine Protrusion, geringe Schwellung und Röthung der Conjunctiva, ver¬
mehrte Secretion, Pupillenreflex schwach. Am nächsten Tag ist das Auge
vollständig gesund.
V. Versuch: Zur gleichen Zeit: Bac. 22, Typus V. Auf gleiche Weise
in’s rechte Auge des Kaninchens Nr. 5 injicirt. Am Abend: Chemosis gering,
gleichfalls keine Panophthalmie.
Aus den hier angeführten Versuchen ist ersichtlich, dass unter be¬
stimmten Bedingungen eine Anzahl von Bakterien der Heubacillengruppe,
welche aus verschiedenen Bodenproben von Zürich und Umgebung und
zwar speciell aus]Weinberg- und Gemüsegartenerde isolirt worden waren,
für Thiere pathogen sind. Diejenigen Mikroorganismen, welche nach intra-
peritonealer Injection bei jungen Meerschweinchen den raschen Tod be¬
dingten, erwiesen sich auch im Stande nach Einimpfung in den Glaskörper von
Kaninchen, ähnlich wie das bei den aus menschlichen Augen gewonnenen
sogen. Panophthalmiebacillen der Fall war, eine acute Panophthalmie
zu erzeugen. Dieser Befund ist interessant, indem wir daraus ersehen,
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Über im Züricher Boden vorkommende Heubacil len .
33
dass nicht nur ein bestimmter Bacillus, dass vielmehr eine ganze Anzahl
verschiedener, allerdings nahe verwandter Bodenbakterien eine Panoph-
thalmie bedingen können, wenn dieselben in den Glaskörper gelangen.
Es handelt sich hierbei nicht um sogen, specifische Krankheitserreger,
sondern um Saprophyten, welche nur unter gewissen Bedingungen pathogen
wirken. Es sei noch erwähnt, dass Bacillus terrestris, welchen
Matzuchita (17) aus dem Boden isolirte und welcher sich für Mäuse
pathogen erwies, auch die Bacillen lactis I u. TII, welche Flügge (31)
als giftige Heubacillen aus der Milch gewonnen hat, wahrscheinlich zu
derselben Kategorie toxischer Saprophyten angehören.
Um pathogen wirkende Mikroorganismen zu identificiren oder um
dieselben zu trennen, ist es heutzutage erforderlich, neben der Prüfung der
mikroskopischen und culturellen Merkmale auch vergleichende Agglu¬
tinationsversuche vorzunehmen. Aus diesem Grund wurden von mir je
zwei Meerschweinchen mit zwei verschiedenen Bakterien (Bacillus Nr. 2,
Typus I und Bacillus Nr. 6, Typus II) vorbehandelt und das Serum der
„Immunthiere“ auf agglutinirende Eigenschaften untersucht.
1. Ein 550*™“ schweres Meerschweinchen wurde mit V,o einer 1 Tag
alten Agarcultur des Bacillus Nr. 2, Typus I, subcutan injicirt.
2. Ein 565 *™“ schweres Meerschweinchen war gleicher Weise mit
einer 10 Minuten lang auf 80° C. erhitzten Cultur des Bacillus Nr. 2,
Typus I, subcutan injicirt.
3. Ein 560*™“ schweres Meerschweinchen erhielt eine Aufschwem¬
mung von 7 ,o e * ner * Tag alten Agarcultur Bacillus 6, Typus III.
4. Ein 590*™“ schweres Meerschweinchen wurde in gleicher Weise
mit einer 10 Minuten lang auf 80° C. erhitzten Cultur des Bacillus Nr. 2.
Typus I, subcutan injicirt.
Die Untersuchungen wurden alle im hängenden Tropfen vorgenommen.
Da die Subtilisarten sich leicht zu Häufchen ansammelu und die Er¬
scheinung der Pseudoagglutination hervorrufen, so habe ich bei d«n
Agglutinationsversuchen 4 bis 5 Stunden alte Agarculturen benutzt, welche
in Kochsalzlösung anfgeschwemmt und dann durch sterile Papierfilter ab-
filtrirt wurden, wobei die Untersuchungszeit 2 Stunden betrug. In jedem
Falle wurde ein Controlpräparat angefertigt, das ebenfalls noch 2 Stunden
untersucht wurde. Zeigte dieses Häufchen, so wurde der Versuch nicht
berücksichtigt.
Das Serum von Meerschweinchen Nr. 1 agglutinirte den eigenen
Stamm bis auf 1:2560. Von den 21 übrigen zeigten nur 2 Bacillen
(Nr. 3 und Nr. 15) Agglutinationsreaction bis 1:50, aber nicht höher.
Die 19 anderen Stämme wurden nicht agglutinirt. Meerschweinchen Nr. 2
Zeitschr. f. Hygiene. LI. 3
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Gck igle
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34
Anna Stregulina :
Tabellarische Zusammenstellung der
Typus
Fundort Mikroskop. Aussehen Gelatine 22° C.
Bacillus Nr. 1 ; schlanke, wackelnd be- I PL Col. mit gekräu- PL Ausgebreitete Col. zarte?
Zollikon. ! wegliche Stb., 2-4-2 u ! selten Fortsätzen. I mit zottigem Rande. dünnes
Gemüse- lang, peritrieb begeisselt. St. Kasch verti., ohne! Str. Glatter grauer Häute her.
garten. SporenovaLmittelständig, Querästchen, öfters I Big. mit spärlichen. nicht regd-
Humus | kurze Ketten Häutchen j Ausläufern massig
Bacillus Nr. 2 kräftige, gut bewegl. Stb., PL Strahlige Col. mit PL Col. mit verfilztem brüchiges
Küssnacht. 2*6—4*2^u lg.; mehrere; Fortsätzen. | Rande. Häutchen
Weinberg, j Geissein, Sporen oval, St. Trichterförm.verfl.; Str. Röthlicher Big. öfters
Humus ! mittelstiindig. Ketten Härchen selten beob -1 mit einem dicht beobachtet
von 7—12 Gliedern achtet, Häutchen ! verflochtenem Rande
Bacillus Nr.3 schlanke, wackelnd be- IPl. Verfilzte Col. mitPl. Col. mit zottigem zartes
Züricher jwegliche Stb., 2*6 — 5-4 ij peripherem ( Rande. Häutchen,
Weinberg, [lang, peritrich begeisselt. Härchenkranz. Str. Grau-weisser Big. un*
Stein Sporen oval, nahezu end- St. Verti.trichterförm.; mit gefranztem Rande bestand::
ständig; zu 2, auch in i manchmal Härchen, |
| Ketten vereinigt Häutchen unbeständig'
| !
Bacillus Nr.4 schlanke, lebhaft beweg-! PL Knäuelförmig PL Flechtenartig ver- leicht ze:-
Bendlikon. j liehe Stb., 2*7—B» lg,; | ausgebreitete Col. | sehlungene Col. reissbar»-?
Weinberg, mehrere Geissein; Sporen St. SchalenlÖrm.verli., Str. Weisslicher Big. Häutclct
Humus mehr rundlich, endständ. ohne Querästchen, mit spärlichen Längs- öfters
JfKetten von 0-10 Gliedern 1 dünnes Häutchen fältehen beobacht-:
Ba«*illus Nr.5 kräftige, gut bewegl. Stb., PL Col. mit geraden !PL Col. mit gefranzt.; zartes
Küssnacht. 2*ö-5-4 u lg.; peritriche: Ausläufern. Rande. brüchige'
Gemüse- ! Geissein; Sporen oval. St. Verfi.trichterförm., Str. Glatter, wachs- Häutete:
garten. j mittelständig. Ketten | Härchen selten, artiger Big., Rand öfters
Humus I von 8—12 Gliedern j brüchiges Häutchen | verflochten beobacht:
Typus
Bacillus Nr. 6 schlanke, lebhaft bewegl., PL Strahlige Col. PL Moosartig ver- andauernd
Züricher kettenbildende Stb., 2• 2 mit Ausläufern. ( zweigte Col. Trübuüi
Weinberg. | bis 5-4 u lg., peritriche St. Verfi. trichterförm..! Str. Fettglänzend, Ring-
Stein ! Geissein; Sporen oval, Härchen in der Tiefe; röthl. verfärbter Big., bildun:
mittelständig j Häutchen selten Rand mit Ausläufern
Bacillus Nr. 7 kräftige, gut bewegl. Stb., PL Verfilzte Col. mitPl. Col. mit zottigem dünne*
Bendlikon. 2-7 —5-4« lg., Ketten jlangen gerad. Ausläuf. Rande. Häutch^
Weinberg, j von ö—12 Gliedern; St. Verfi. trichterförm. Str. Grauweisser, un-
Humus ! mehrere Geissein; Lange gewundene i quergefalteter Big.; 1 bestäinlL
! Sporen gross, oval Härchen in der Tiefe,; Rand verflochten
end- und mittelständig öfters Häutchen j
Abkürzungen: PL = Platte. Stb. = Stäbchen. Col. = Colonie. St. — Stich.
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Über im Züricher Boden vorkommende Hecbacillen.
35
genauer untersuchten Bodenbakterien.
i.
Milch
36° C.
Serum
36° C.
Kartoffel
36° C.
Widerstands¬
fähigkeit
der Sporen
1 bei 100° C.
Anaör. Wacbsth.
in der Tiefe
Glycer.- Zucker-
Agar Agar
fco g ~
P fc TZ
SOfl
'ö O o
■S bc '.
§SN
x.gSi
Farbstoff¬
bildung
Patho¬
genität
nach 24-30 St.
federkielähnl.,
gelblich-
nach
spärlich
gut
2-6
keine
t junge
deutl. Peptoni¬
langsam ein¬
weisser,
s / 4 stündig.
Meerschw'.,
sirung,
sinkender Big.
glatter Rasen
Erhitzen
w. Mäuse,
schmale
abg.
Traben.
Serumzone
nach
nach 24 Std.
röthlicher
desgl.
kein
99
2*8
röth-
t junge
24—30 Std.
eingesunkener
glatter Big.
Wachs¬
lich
Meerschw.,
deutliche
feuchter Big.
thum
w. Mäuse,
Serumzone
Tauben,
i Kan.-Auge.
nach
allmählich
weisslicher
desgl.
1 desgl
99
3*2
keine
t junge
24—30 Std.
, einsinkende,
schmieriger
Meerschw.
beginnende
glatte
Rasen
Peptonisirung
Auflagerung
nach
rahmartiger
1 weisser
desgl.
spärlich
99
2-7
99
t junge
24—30 Std.
dicker Big.;
trockener Big.
Meerschw.,
deutliche
allmählich
Tauben.
Peptonisirung
verflüssigt
nach
fettglänzender
gelb-weisser
i desgl.
1
kein
99
2-8
99
t junge
24—30 Std.
Big., langsam
rahm artiger
Wachs¬
Meerschw.
breite
1 einsinkend
Big.
thum
Serumzone
1
II.
nach
schmierige,
rahm artiger
nach
spärlich
gut
2-6
röth-
t junge
24—30 Std.
rasch
röthlicher Big.
# / 4 stünd.
!
1
( lieh
Meerschw.,
beginnende
einsinkende
Erhitzen
!
|
Tauben.
Peptonisirg.;
Auflagerung
abg.
|
i
Sc rum zone
|
1 1
1
nach
etwas ein¬
glatter.
desgl.
| kein
1
3-0
keine
1 t junge
24—30 Std.
gesunkener
trockener.
Wachs¬
Meerschw.
starke
gelbweisser
weisser Big.
thum
1
i
Serumzone
Belag,
1
|
I
langsam verfl.
1
1
i
l
1
1
i
lg. = lang.
i
Str. = Strich. Big. =
Belag. verfl. = verflüssig
t.
3 *
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36
Anna Stregulina:
Fort-
Fundort i Mikroskop. Aussehen G e 1 a t i n e 22 0 C. Agar 36° C
Bacillus Nr« 8 kräftige, bewegl. Stb., PI. Col. mit proteus- PI. Wachsälinliche diffuse
Wollishofener 2*7—4*8/< lg., mehrere ähnlichen Fortsätzen. gefranzte Col. Trübung
Gemüse- Geissein,Sporen rundlich, 8t. Verti. schalenförm., Str. Glatter, gelb- einzeln?
garten. endständig; kurze Ketten in der Tiefe Härchen weisser Big. mit zahl- Flocken
Humus reichen Ausläufern an der
! Oberfläche
Bacillus Nr. 9 dicke, kurze Stb., gut PI. Col. mit verfilzten PI. Col. mit Netzwerk, zartes
Wollishofener beweglich, 1 *3-3• 6^u lg.; Ausläufern. feinen Fasern a. Bande. Häutchen
Weinberg. Ketten von 6—10 Glied.; St. Verti. cylindrisch, Str. Glatter, gelb-
Humus peritriche Geissein. in der Tiefe Härchen, weisser Big. mit an
Sporen rundlich oval, selten Häutchen B. Anthrax erinnern-
mittelständig ' dem Rande.
Bacill. Nr. 10 schlanke, lebhaft beweg- PI. Col. mit langen, PI. Unregelmässig dünnes.
Wollishofener liehe Stb., 2*2—4*6 u lg.; unregelmässigen verzweigte Col. , trockene-
Weinberg. zu zwei auch in Ketten Ausläufern. Str. Röthlieber Big. I Häutchen.
Humus vereinigt, mehrere St. Verti. trichterform., mit vielfachen Fort- an bestand.
Geissein; Sporen oval, in der Tiefe Härchen sätzen
meist endständig
Bacill. Nr. 11 schlanke, wackelnd he- PI. Col. mit gekräu- PI. Ausgebreitete andauernde
Bendlikon. wegliche Stb., 2*6 bis selten Ausläufern. j Col. mit vielfachen 1 Trübung
Weinberg, j 5*4u lg.; Ketten von St. Verfl. schalenförm., Ausläufern. i Randbrl<u\
Humus , 10 — 12 Gliedern; öfters Querästchen. Str. Hellröthlicher selten
i peritriche Geissein. Häutchen unbeständig Big. mit verflochtenem Häutchen
Sporen oval, mittelständ. Rande.
Typus
Bacill. Nr. 12 dicke, kurze, gut beweg-PI. Verfilzte Col. mit PI. Flechtenartig dünne*.
Küssnacht. liehe Stb., 2 — 3•i>a lg. geraden Fortsätzen. ausgebreitete Col. gerunzelte-
Weinberg. Ketten von 7—9Gliedern;, St. Verfi. schalen- Str. Grauweisser Big., Häutchen
Humus peritriche Geissein; ! förmig; Härchen in quergefaltet
Sporen rundlich, | der Tiefe.
endständig Häutchen unbeständig I
I . l
Bacill. Nr. 13 schlanke, lebhaft beweg- PI. Rundliehe Col. mit PI. Wachsartige, zartes.
Wollishofener liehe Stb.; 1 • 6—4• 2 ( u lg. verflochtenem Rande. gefranzte Col. gefurchtes
Weinberg. Ketten von 8—12 Ulie- St. Verti. trichter- Str. Grauweisser Big. Kahm-
Stein dern; mehrere Geissein. ' förmig, hier und da mit verflochtenem häutchen
Sporen rundlich, 1 Härchen; i Rande, quergefaltet ;
end- und mittelständig gefaltetes Häutchen
Bacill. Nr. 14 kräftige, wackelnd be- Pl. Col. mit gekräu- PL Col. mit wolligem, brüchige
Züricher wegl. Sth., l*s—5*0« lg. selten Fortsätzen. verfilztem Rande. Häutchen.
Weinberg. Ketten von 7—15 Glie- St. Verfl. cylindrisch, Str. Fettglänzender, unbeständ.
Stein dern; mehrere Geissein, manchmal Härchen; wcisslicher Big.,
Sporen oval, mittelständ. Häutchen unbeständig quergefaltet
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Bouillon
3t;" C.
Original frorn
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Über i.m Züricher Boden vorkommende Heubacillen.
37
Setzung.
---
-
—
- — —
--
-- - —
—
— ■— —
—■ - “ 1
-*-» £
Anaer. Wachsth.
kr §
Milch !
Serum
i Kartoffel
2'S?o
in der Tiefe
!?o 5
= o ©
—
1 §
Patho-
36° C.
i
36° C.
36® C. |
Ü5 -
Glycer.-
Zucker-
SS«
JZi 2
• H
CS ^
genität
1
,|
g: - ja * s ■
^ Xi
Agar |
Agar
Ls ^ 5'!
1
nach
schleierartige
gelhweisser.
nach 1 std. spärlich
1 gut
■ 2-8
keine
t junge
24 — 30 Std.
Auflagerung,
flacher,
Erhitzen
Meerschw.,
breitere i
rasch
unbedeuten-
niclit abg.
weisse
Serurazone j
pepton isirt
der Big.
1
i
I
Mäuse.
i
nach
spiegelglatter
gelhweisser,
desgl.
desgl.
j
tt
2-8
»»
t junge
24—30 Std.
Big..
feuchter,
Meerschw.,
deutliche i
allmählich
flacher 131g.
Kaninchen-
Pepton isirung
I
einsinkend
1
i
äuge.
nach
langsam
röthlieher,
desgl.
kein
ft
!
2-7
röth-
t junge
24 — 30 Std.
einsinkender
trockener
Wachs-
i
lich
Meerschw.
deutliche
Serumzone
glatter Big.
»lg-
thum |
i
I
i
i
i
nach 48 Std.
!
fettglanzender hellrötlilicher.
desgl.
spärlich
\
„ 1
j
2-8 I
>» |
desgl.
beginnende
Rasen,
glatter.
1
Vpt<*nisirung
langsam
verflüssigt
trockener Big.
!
i
i
i
in.
nach
allmählich
trockener,
nach
spärlich
gut
2-8
keine
+ junge
24—30 Std.
einsinkende.
weisser Rasen,
8 / 4 ständig.
Meerschw.
deutliche
schleierig**
meistens glatt
Erhitzen
^eptoniöirung Auflagerung
abg.
I
nach
spiegelglatter
erhabener.
desgl.
desgl. |
, 2-7
„ desgl.
24—30 Std.
1 Big., allmäh¬
trockener
i
deutliche
lich tief
Big., leicht
Serum Zone
1 einsinkend
i
gerunzelt
i
nach
!
rahm artiger
feuchter.
nach 1 std.
gut
2-6
„ f junge
24 — 30 Std.
Big., langsam
weisser Rasen,
Erhitzen
1
Meerschw,
breitere
i einsinkend
selten
nicht
weisse
S® rumz<>ne
i
gerunzelt
abg.
Mäuse,
Tauben.
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38
Anna Stregulina:
Fundort Mikroskop. Aussehen Gelatine 22* C.
Agar 36° C.
Bouillon
36° t
Bacill. Nr. 15 kräftige, gut bewegl.Stb., Pi. Col mit schwach. PI. Col. mit zottigem geruDZ>I::
Zollikon. 1*8—3-2^ lg.; peritriche Härchenkranz. Rande. Kakmhari
Weinberg. Geissein; Sporen rundl.-St. Schalenförm. verfl. Str. Röthlicher Big.,
Humus oval, endstd., kurze Ketten Trockenes Häutchen, j längsgefaltet
Bacill. Nr. 16 schlanke, lebhaft bewegl. PI. Verfilzte Col. mit PL Verzweigte Col. trockene,
Kuhkoth Stb., 2*4-6*2/ulg. Ketten feinen Ausläufern. ' mit Ausläufern. gefalt»>
von 6—12 Gliedern. St. Cylindrisch verfl. Str. Hellröthlicher, Kalunhau:
Peritriche Geissein; Häutchen unbeständig unregelmässig ;
Sporen oval, mittelstäud. gerunzelter Big.
Typus
Bacill. Nr. 17 schlanke, lebhaft bewegl. PI. Vielfach verfilzte PI. Schleierartige, ' gerunzelt
Züricher Stb., 1*2—2*4 p lg., I Colonieen. | durchscheinende CoL trockene
Strassenstaub peritriche Geissein. St. schalenförm. verfl., Str. Häutiger Big. Häutch:
Sporen rundlich, end- I gerunzeltes Kahm- mit gelappt
ständig. Kurze Ketten i häutchen i zerrissenem Rande
häutchen
zerrissenem
Bacill. Nr. 18 schlanke Stb., lebhaft PI. Knäuelförm. aus- PL Rundliche Col. ,
Zollikon. beweglich, 1 *6—3*7^ lg. gebreitete Col. mit j mit welligem Rande.
Weinberg. Zu zwei, auch in Ketten glänzender Randzone. Str. Durchscheinender
Stein vereinigt. Mehrere St. Verfl.schalenförm., trockener Big. mit
Geissein. Sporen rundlich- gefurchtes Häutchen verzweigtem Rande !
oval, mittelständig •
Bacill. Nr. 19 schlanke, lebhaft bewegl. PL Weinblattförmig | PL Scharf begrenzte
Bendlikon. Stb., 1*8—4*2 u lg. iausgebreitete Col. mit rundliche Col.
Weinberg. Ketten von 6—8 Gliedern ;durchschein.Randzone.j Str. Fettig glänzender,
Stein peritriche Geissein. St. Verfl. cylindrisch, glatter Belag 1
Sporen rundlich, end- trockenes Häutchen j
und mittelständig | j
Bacill. Nr. 20 I sehr schlanke, lebhaft PL Durchscheinende,
Züricher bewegl. Stb., 1 «8—5-4/ul glänzende, faden-
Strassenstaub j lg.; zu zwei, auch in knäuelähnliche Col.
|Ketten vereinigt; peritr. St. Trichterförmig
| Geissein. Sporen rund- verfl., fädenziehendes
I lieh, mitteiständig Häutchen j
P1. Glattrandige,
klumpige Col.
Str. Gallertartig
fadenziehender Big.
dünn-r?
gefaltet*-
Hauten-:
spinnoi*
gewei*:*-
ähnlirb"'
H aut ehr
vielter
gefaltete
trocken-
Häutet
Typus
Bacill. Nr.21 plumpe, grosse, langsam PL Flache, krümelige PL Knöpfchenähnl., | diffus
Zollikon. ! bewegliche Bacillen, \ Colonieen. ! glattrandige Col. | Trühir-
Gemüse- ( 1*2—7^ lg. Geissein St. Verfl. sackförmig.! Str. Glatter, rahm- Viele
garten. | peritrich. Sporen oval, j Verfl. Zone trübe, ' artiger Big. Fetzen
Humus end- und mittelständig, j flockig, fädenziehend ! an de:
Kurze Stäbchen i | O bertla-
! j I
Bacill. Nr. 22 dicke, leicht gekrümmte PL Klumpige, oft mit PL Rundliche, scharf an daueri
Küssnacht. Stb., 1*8—3*4 u lg. ! schwachen Stacheln | begrenzte Col. Trübung
Weinberg. Ketten von 6-8 Gliedern;! besetzte Col. j Str. Dicker, grau- j Selten
Humus Bewegung kriechend; ! St. Verfl. schlauch- j weisser Big., Häutet
mehrere Geissein. förmig. VerH. Zone, I manchmal gerunzelt 1 bihlun.
Sporen oval, luittelständ.i fädenziehend, trübe
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Über im Züricher Boden vor kommende Heubacillen.
89
Setzung.
Milch
36 4 C.
Serum
36 0 C.
Kartoffel
36® C.
I ’S«
I jS Jg Oo
i B.äP «2
i
I 5: ^
Anaär. Wachsth.
in der Tiefe
nach 48 Std. I
beginnende
Peptonisirungj
nach
24-30 Std.
deutliche
Serumzone
dicker, hellröthlicher, nach
feuchter Big., etwas gerun- , 1 / 2 - # / 4 stdg.
allmählich I zelter Big.
verliÜ8sigt |
schmieriger,
allmählich
einsinkender
Big.
Glycer.-
Agar
kein
Wachs¬
thum
Zucker-
Agar
gut
bo§ ~
a ®
p g ö
fcUO
na O o
© a
ns
nP
jü n 3
SS»
rn .§ 1
fr*
Patho¬
genität
röthlicher,
leicht ge- i
falteter Basen
Erhitzen
abg.
nach spärlich
1 ständig.
Erhitzen
nicht abg.
3-0
2-7
röth-
lieh
IV.
nach 48 Std. ' trockener, I grauweisser nach 1 std.
Serumzone; schleierartiger gefalteter Big. Erhitzen
beginnende Big., allmähl.i nicht !
Peptonisirung verti. ! abg.
von 3 Tagen schleierartig., röthlich !
an deutliche rasch ein- ! verfärbter, I
Serumzone sinkender Blg.l gerunzelter |
Rasen
Gerinnung eingesunkener ( zart
von i dicker Big., gerunzelte,
4—5 Tagen an'; rasch verti. senfgelbe
; 1 Auflagerung
nach schleierartig., schleimige, zu
24—30 Std. gefaltet. Big., steilen Falten
starke rasche an geordnete
Serumzone Peptonisirung Auflagerung
V.
von eingesunkener unbedeutender nach s
Tagen Bchleierartiger gelblicher, 1 ständig,
an langsame Big., allmähl flacher Big. Erhitzen
Peptonisirung verti. 1 nicht
i i i abg.
keine keine
i T junge
Meersckw.,
Kaninchen-
Auge
7 junge
Meerseh w.
nicht
pathogen
desgl.
g
keine
röth-|
1
p
lieh i
i
1
1
00
1
nach !
©
2-7
i
gelb-.
— 1 std.
cf
lieh ■
Erhitzen
£
i
abg.
i
i
a
©
1
desgl.
keine
keine
spärlich 2*6 keine nicht
i pathogen
vom 3. Tage feuchter Big., 1 gelblicher
an beginnende rasch verti. Big., später
reptonisirung I wie gekörnt
desgl.
kein
W aehs-;
thum
2-6
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40
Anna Stkegflina:
agglutinirte den eigenen Stamm bis auf die gleiche Höhe. Vergleichende
Untersuchungen mit anderen Stämmen wurden nicht ausgeführt. Meer¬
schweinchen Nr. 3, mit Bac. 6, Typus 2 geimpft, agglutinirte den eigenen
Stamm bis auf 640. Die übrigen Stämme zeigten keine Agglutination.
Meerschweinchen Nr. 4, welches mit abgetödteten Culturen vorbehandelt
worden war, agglutinirte den eigenen Stamm nur 1:200, so dass ver¬
gleichende Untersuchungen nicht vorgenommen wurden. Ich bin mir dessen
bewusst, dass noch zahlreiche vergleichende Untersuchungen erforderlich
gewesen wären, um zu einem bestimmten Resultat zu gelangen. Immer¬
hin dürfen wir aus den mitgeteilten Befunden schliessen, dass die Agglu-
tinationsreaction eine Identificirung der isolirten, morphologisch ähnlichen
Mikroorganismen der Heubacilleugruppe nicht gestattet.
Schlussfolgerungen.
1. Unter dem Namen Bacillus subtilis sind verschiedene Bacillen
einzureihen, von den einzelnen Autoren sind verschiedene Mikroorganismen
unter diesem Namen beschrieben worden. Eine scharfe Abgrenzung der
einzelnen Vertreter dieser Gruppe Bacillus subtilis, Bac. meseut.
vulgatus, Bac. megatherium u.s. w. ist nicht durchführbar, so dass es
zweckmässiger erscheint von einer „Gruppe des Bac. subtilis“ zu
sprechen.
2. Die aus dem Boden isolirten Stäbchen der Heubacillengruppe
haben viele gemeinsame Eigenschaften, jedoch liessen sich die einzelnen
Bacillen durch das eine ödere andere Merkmal von einander unterscheiden.
Es ist nicht möglich gewesen, mehrere der isolirten Bakterien zu identi-
ticiren; zwar nehmen die Unterschiede bei wiederholter Ueberimpfung auf
künstliche Nährböden ab und die Mikroorganismen verlieren zum Theil ihre
individuellen Eigenschaften. Es entsprach auch von den von uns unter¬
suchten Stämmen kein einziger vollständig dem sogen, „gemeinen Heu¬
bacillus“, wie derselbe in den meisten Lehrbüchern beschrieben ist.
3. Die Identiticirung mittels Agglutinationsreaction ist mir auch
nicht gelungen.
4. Von den 112 aus Erde isolirten Bakterien der Heubacillengruppe 1
wurden 22 längere Zeit weiter gezüchtet und genauer geprüft. Ich habe
versucht, diese 22 Stämme in 5 Typen einzuteilen. Die Vertreter der drei
ersten von ihnen erwiesen sich unter einander sehr ähnlich und den von
1 Von einer genaueren Untersuchung der dem Wurzelbaeillus entsprechenden
Colonieen wurde Abstand genommen.
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Über im Züricher Boden vorkommende Helbacillen.
41
Dr. Silberschmidt bei Panophthalmie aus dem Glaskörper erhaltenen
Bacillen nahestehend.
5. Von den 25 auf Thiere überimpften Culturen erwiesen sich 16,
welche morphologisch und culturell mit den Panophthalmiebacillen eine
grosse Aehnlichkeit zeigten, als virulent für Meerschweinchen. Die intra¬
peritoneale Injection einer Aufschwemmung von frischer Agarcultur hatte
bei jungen Thieren den Tod innerhalb 6 Stunden unter dem Bilde einer
acuten Intoxication zur Folge. Yon diesen 16 für Meerschweinchen patho¬
genen Mikroorganismen wurden 3 in den Glaskörper von Kaninchen in-
jicirt; alle 3 erzeugten das typische BildderacutestenPanophthalmie.
Die 6 übrigen Stämme, welche sich auch culturell von den Panophthalmie-
bacillen unterscheiden lassen und den Typen IV u.V entsprachen, waren für
Meerschweinchen und nach Injection in den Glaskörper für das Kaninchen¬
auge (2 Versuche) nicht pathogen.
6. Die unter den angegebenen Bedingungen pathogen wirkenden
Bakterien der Heubacillengruppe wurden namentlich in Erd- und Stein¬
proben aus Weinbergen und Gemüsegärten des Cantons Zürich gefunden.
Da diese Mikroorganismen, welche den bei Panophthalmie nach Hacken¬
splitterverletzung beim Menschen gefundenen entsprechen, sehr verbreitet
sind, so ist es angezeigt, die erforderlichen Vorsichtsmaassnahmen gegen
Augen Verletzungen zu ergreifen (Schutzbrillen, Instrumente aus gutem
Metall, möglichst frühzeitige Behandlung).
Palotti ist es gelungen, aus Erdproben in Lausanne Bacillen der
Subtilisgruppe zu gewinnen, welche den Erregern der Panophthalmie ent¬
sprechen, obschon dortselbst Fälle von Panopthalmie nach Hackensplitter¬
verletzung nicht Vorkommen sollen. Es scheint somit die Art der Be¬
arbeitung des Bodens und namentlich die Qualität der zum Hacken
benutzten Instrumente bei der Entstehung der Krankheit die Hauptrolle
zu spielen.
Es wäre wünschenswerth, dass ähnliche Untersuchungen des Bodens
in anderen Gegenden ebenfalls vorgenommen werden.
Zum Schluss gestatte ich mir. meinem verehrten Lehrer, Herrn Dr.
Silberschmidt, für die Anregung zu dieser Arbeit und seine Rathschläge
und freundliche Unterstützung bei ihrer Ausführung meinen herzlichsten
Dank auszusprechen. Während eines längeren Ferieuaufenthalts in Moskau
habe ich Gelegenheit gehabt, die begonnenen Untersuchungen weiter zu
führen; es sei mir erlaubt, Herrn Dr. Blumenthal und seinen Mit¬
arbeitern, die mir ihr Privatlaboratorium in liberalster Meise zur \ er-
fugung stellten, bestens zu danken.
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42
Anna Stregulina:
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Litteratur - Verzeichniss.
1. Poplawska, Zur Aetiologie der Entzündung des Auges nach Verletzung
durch Fremdkörper. Archiv für Augenheilkunde. 1890 Bd. XXII. S. 337.
2. Haab, Weitere Mittheilungen über Panophthalmiebacillen. Fortschritte der
Medicin. 1891. Bd. IX. S. 781.
3. Bänziger und Silberschmidt, Zur Aetiologie der Panophthalmie naeii
Hackensplitterverletzungen. Bericht Über die 30. Versammlung der ophthalmol. Ge¬
sellschaft. Heidelberg 1902.
4. Kayser, Ein Beitrag zur Frage der Pathogenität des Bacillus subtilifi für
das Auge. Centralblatt für Bakteriologie. Abth. I. Bd. XXXIII. S. 241.
5. Weidmann, Ueber die Verletzung des Auges durch Fremdkörper. Inaun-
Dissertation. Zürich 1888.
6. Ehrenberg, Infusionstierchen als vollkommene Organismen. 1830. S.SU,
7. F. Cohn, Untersuchungen über Bakterien. Beiträge zur Biologie der
Pflanzen. Bd. L Hft. 2. S. 175. — Bd. I. Hft. 3. S. 188. — Bd. IL Hft. 2. S.262.
8. Koch, Zur Aetiologie des Milzbrandes. Mittheilungen aus dem Äaiseri
Gesundheitsamte . Bd. I. S. 49.
9. Brefeld, Schimmelpilze (B. subtilis). Bd. IV. S. 36.
10. Grethe, Ueber die Keimung der Bakteriensporen. Centralblatt für Bakterio¬
logie. Abth. 11. Bd. HI. S. 677.
11. Mühlschlegel, Ueber die Bildung und den Bau der Bakteriensporen
Ebenda. Abth. II. Bd. IV. S. 65.
12. Serkowski, Ueber den Bau der Bakteriencolonieen. Ebenda. Abth. H
Bd. VII. S. 391.
13. W. Kruse, Bacillen. Flügge's Mikroorganismen. 3. Aufl. 1896.
14. Eisenberg, Bakteriologische Diagnostik. 1891.
15. Günther, Bakteriologie. 1890.
16. ErnstLevy, Bakteriologischer Leitfaden. Strassburg 1901.
17. Matzuschita, Bakteriologische Diagnostik. 1902.
18. Lehmann u. Neumann, Atlas und Grundriss der Bakteriol. 3. Auti. 1904.
19. Bruno Schürmayer, Die pathogenen Spaltpilze.
20. Macö, Traite pratique de Bacteriologie . Paris 1897.
21. Frankel, Grundriss der Bakteriologie. 1890.
22. Heinze, Ueber die Beziehungen der sogen. Alinitbakterien zu dem Bacill^
megatherium de Bary, bezw. zu den Heubacillen. Centralblatt für BakterioloQ«
Abth. II Bd. VIII. S. 391.
23. Migula, System der Bakterien. 1900.
24. Gottheil, Botanische Beschreibung einiger Bodenbakterien. Centralblatt f.
Bakteriologie. Abth. II. Bd. VII. S. 430,
Gck igle
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Über im Züricher Boden vorkommende Heubacillen.
48
25. Vignal, Contribution ä l’ötude des Bacteriacees. Jhhe pretenfee ä la Faculte
des Sciences de Paris . 1889.
26. Silberschmidt, Bacillus subtilis et Panophthalmie. Annales de VInstitut
Pasteur. T. XVII. S. 268.
27. Van Hall, Bac. subtilis und Bac. vulgatus als Pfianzenparasiten. Central -
blatt für Bakteriologie . Abth. II. Bd. IX. S. 642.
28. Vincent, Microbes saprophytes et pathogenes. Ann. de VInstitut Pasteur .
T. XII. p. 785.
29. Liborius, Beiträge zur Kenntniss des Sauerstoffbedürfnisses der Bakterien.
Diese Zeitschrift . Bd. I. S. 115.
30. Van der Velde, Studien zur Chemie des Bacillus subtilis. Zeitschrift für
physiolog. Chemie. Bd. VIII. S. 367.
31. Flügge, Die Aufgaben und Leistungen der Milchsterilisirung. Diese Zeit¬
schrift. Bd. XVIL S. 272.
32. Lauck, Centralblatt für Bakteriologie. Abth. II. Bd. V. S. 20. — Stoklasa,
Ebenda. Abth. II. Bd. V. S. 350. — Kolkwitz, Ebenda. Abth. II. Bd. V. S. 370. —
Stoklasa, Ebenda. Abth. II. Bd. IV. S. 39. — Hartleb, Ebenda. Abth. II. Bd. V.
S. 706.
33. Stoklasa, Eljenda. Abth. U. Bd. V. S. 720. — Bd. IV. S. 687.
34. Wehmer, Untersuchungen über Kartoffelkrankheiten. Ebenda. Abth. II.
Bd. IV. S. 540.
35. Kit Toyokichi, Ueber die Mikroorganismen der Zersetzung des gekochten
Reis. Inaugural-Dissertation. Leipzig 1903.
36. Vogel, Beitrag zur Kenntniss des fadenziehenden Brotes. Diese Zeitschrift.
Bd. XXVI. S. 398.
37. Thomann, Centralblatt für Bakteriologie. Abth. IL Bd. VI. S. 740.
37a. Lepoutre, Recherches sur la transformation experimentale de Bacteries
banales en races parasites des plantes. Annales de VInstitut Pasteur. avril 1902.
38. Lambotte, Recherches sur le microbe de la Loque. Ebenda. Bd. X\I.
S. 654.
39. B. Burri, Bakteriologische Forschungen über die Faulbrut. \ ortrag , ge¬
halten an der 38. Wanderversammlung des Vereins schweizerischer Bienenfreunde in
Sarnen am 28. und 29. August 1904.
40. Podbelski, Contribution ä l'ütude de l'immunite vis-ä-vis du bacillus sub¬
tilis. Annales de VInstitut Pasteur. T. XII. p. 427.
41. Halban, Recherches sur l'action sporicide du serum. Ebenda. T. XII. p. 417.
42. Charrin et de Nittis, Saprophytes et agens pathogenes. La semaine med .•
1897. p. 265.
48. W. Kruse u. Pasquale, Untersuchungen über Dysenterie u. Leberabsceos.
Diese Zeitschrift. Bd. XVI. S. 1.
44. Pansini, Bakteriologische Studien über den Auswurf. Virchow’s Archiv.
Bd. CXXII. S. 424.
45. Lurauitzer. Ref. von Hutyra. Centralblatt f. Bakterxol. Bd. III. S. 621.
46. Bernabei. Ref. von Abel. Ebenda. Bd. XVII. S. 469.
47. Sacqu^pee, Infection secondaire par le B. mesentericus. Annales de l Inst.
Pasteur. T. XV. p. 261.
48. C. Brunner, Klinisches und Experimentelles über Verschiedenheiten der
Pathogenität des Darminhaltes gegenüber dem Peritoneum. Sonderabdruck aus dem
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. LXXIII.
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Anna Stregulina :
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49. Miclialski, Bacillus conjunctivitidis subtiliformis. Centralblatt für Bak¬
teriologie. 1904. Bd. XXXVI. S. 212.
50. Tiberti, lieber die immunisirende Wirkung des aus dem Milzbrandbacillus
extrahirten Nucleoprote'ids. Ebenda . 1904. Abth. I. Bd. XXXVI. S. 62.
51. Correepondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1903. S. 691. — (DiscuseioES-
sitzung vom 7. Februar 1903 der Gesellschaft der Aerzte in Zürich.)
52. Ad. Polatti, La panoftalmite a Bacillus subtilis. Ann.di OftcUmologia. 1904.
53. Fred. D. Chester, A review of the Bacillus subtilis Group of baeteria.
Centralblatt für Bakteriologie. Abth. U. Bd. XIII. S. 737.
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Über di Zükicheb Boden vorkommende Heübacillen.
45
Erklärung der Abbildungen.
(Taf. L)
Fi g. 1. Bac. Nr. 2, Typus I; oberflächliche Colonie auf der Gelatineplatte
nach 20 Stunden.
Fi*. 2. Bac. Nr. 2, Typus I; oberflächliche Colonie auf der Gelatineplatte
nach 30 Stunden.
Fi*. 8- Bac. Nr. 10, Typus II; oberflächliche Colonie auf der Gelatineplatte
nach 20 Stunden.
Fig. 4. Bac. Nr. 2, Typus I; Gelatinestich nach 30 Stunden.
Fi g. 5. Bac. Nr. 2, Typus I; Gelatinesticb nach 48 Stunden.
Fi*. 6 . Bac. Nr. 10, Typus II; Gelatinestich nach 30 Stunden.
Fig. 7. Bac. Nr. 2, Typus I; Glycerinagarplatte, Rand einer tiefliegenden
Colonie.
Fi g. 8. Bac. Nr. 2, Typus I; Glycerinagarplatte, Rand einer oberflächlichen
Colonie.
Fig. 9. Bac. Nr. 3, Typus I; Glycerinagar, Cultur in hoher Schicht, 5 Tage alt.
Fi?. 10. Bac. Nr. 3, Typus I; Traubenzuckeragar, Cultur in hoher Schicht,
5 Tage alt.
Die Agarculturen waren gezüchtet bei 36° C., die Gelatineculturen bei 22° C.,
wobei der Gelatinegehalt 12 Proc. betrug. Eine Ausnahme bildet die Fig. 2. welche
abgezeichnet ist von einer Platte mit 15 Proc. Gelatinegehalt, weil diese eine deut¬
lichere Differenz aufweist. Reaction in allen Fällen neutral. Plattencolonieen sind
bei Yergrösserung 60:1 Leitz abgezeichnet; die Colonie der Fig. 3 wurde nach¬
träglich auf Vs redueirt.
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[Aus dem K. u. K. ^Militär-Thierarzneiinstitute
und der thierärztlichen Hochschule in Wien. Medicinische Klinik.]
(Vorstand: Prof. Hugo Sclündelka.)
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Zur
präinfectionellen Immunisirung der Hunde gegen Lyssa.
I. M i 11 h e i 1 u n g.
Von
Th io rar zt Dr. Josel Schnürer,
Pocent am K. u. K. Thierarzneiinstitute und der thieriirztlichen Hochschule ln Wien.
Die priiinfectionelle Ljssa-Immunisirung der Hunde als Selbst¬
zweck hat, obwohl gerade diese Thiere in 93 Procent der Fälle die
Wuth auf den Menschen übertragen, bisher verhältnissmässig wenig
Beachtung gefunden. Wie Högyes (17) erwähnt, machte Bouley 18b4.
also im unmittelbaren Anschlüsse au Pasteur’s Publicationen über die
Immunisirung gegen Lyssa, den Vorschlag, eine obligatorische Impfung
aller jener Hunde, welche der Iufection am meisten ausgesetzt sind (Haus-.
Schäfer-, Fleischer- und Jagdhunde) durchzuführen. Högyes [cit. bei
Högyes (17)] selbst warf 1892 abermals diese Frage auf, nachdem er
die Leistungsfähigkeit und Unschädlichkeit seiner Verdünnungsmethode
an ca. 70 Hunden erprobt hatte. Doch blieben die auf diese Frage be¬
züglichen Anregungen jedoch bisher ohne praktische Bedeutung. Diese
Thatsache ist wohl auffallend, da ja sowohl die Methode von Pasteur,
wie die von Högyes vor ihrer Anwendung beim Menschen in zahlreichen
Thierversuchen, auch an Hunden, ihre volle Leistungsfähigkeit bewiesen
hatte. Auch Hessen Beobachtungen, wie die von Högyes (18), Burdach,
Tizzoni und Centanni (33), nach welchen die Nachkommen wuth-
immuner Elternthiere gleichfalls, wenigstens theilweise immun waren, die
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Josef Schnürer: Zur präinfectionellen Immunisirung u. s. w. 47
befriedigende Lösung der Frage in der Bekämpfung der Lyssa als be¬
sonders aussichtsvoll erscheinen. Dass nun aber trotzdem die präventive
Immunisirung der Hunde keine praktische Bedeutung erlangte, liegt fast
ausschliesslich an dem Mangel einer praktisch leicht durchführbaren und
dabei doch sicheren Immunisirungsmethode. Bekanntlich ist derzeit zur
Immunisirung eine Reihe von einzelnen Impfungen nothwendig, da einer¬
seits die Sicherheit der Immunisirung nur von virulentem Marke verliehen
wird (Pasteur, Högyes), andererseits aber die unvermittelte Einführung
von virulentem Marke zur Entstehung von Impfwuth Anlass geben könnte.
Es muss daher bei der Immunisirung gegen Lyssa in der gleichen Weise
vorgegangen werden, wie dies bei der Behandlung der Thiere, welche
Schutzstoffe in ihrem Serum erzeugen sollen, geschieht; es wird mit der
Einführung avirulenten oder gering virulenten Materials begonnen und
erst nach Entstehen der sog. Grundimmunität die Zufuhr immer höher
virulenten Materials vorgenommen. Die postinfectionelle Immunisirung
bei Lyssa beim Menschen dauert daher auch eine Reihe von Tagen,
wechselnd nach Schwere und Sitz der Verletzungen und erfordert eine
grössere Anzahl von Einzelimpfuugen. Dass nun die praktische Durch¬
führung einer solchen selbst nur facultativen, präinfectionellen Impfung
der Hunde gegen Lyssa nach einer dieser Methoden vollkommen aussichtslos
erscheint, da ihr Zweck ja nur erreicht wird, wenn die Immunisirungen
im grossen Maassstabe vorgenommen werden, ist selbstverständlich.
Allerdings liegen auch Versuche vor, eine Immunität gegen Lyssa
auch durch eine möglichst geringe Anzahl von Einzelimpfungen oder
wenigstens durch eine Verkürzung der Behandlungszeit zu erzielen. So
konnte Pasteur schon Hunde in einem Tage immunisiren, indem er den
ganzen Cyclus der Injectionen in 24 Stunden vornahm. Das Ergebnis^
ist zwar interessant, aber der praktischen Verwerthung gleichfalls rifcht
zugänglich. Högyes (15) machte bei 19 Hunden eine einzige Injection.
theils mit Strassenwuth, theils mit Virus fixe. Davon erwiesen sich später
9 Hunde auch gegen subdurale Infection mit Strasseu-Passage oder fixem
Virus immun. Ein Hund zeigte jedoch vom 17. bis 21. Tage nach der
Immunisirung Anfälle von rasender Wuth, die aber wieder verschwanden;
ein Hund erkrankte am 9. Tage und erlag der paralytischen Wuth.
Marx (26) schützte Kaninchen durch intraperitoneale Injection von
ca. 5-0 ?rm Mark (Virus fixe), Hunde schon mit 0’16 bis 0• 20 ?rm Mark
gegen subdurale Infection ohne einen einzigen Fall von Impfwuth. Auch
Högyes [cit. bei Aujesky (1)] konnte in einem Falle bei einem Hunde
durch intraperitoneale Injection einer enormen Menge von Wuthmark
(25 >0 in 160 ccm aufgeschwemmt) Immunität erzeugen. Ebenso erwähnt
Helman [cit. bei Marx (26)], dass mau Hunde ohne besondere Gefahr
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Josef Schnüreb:
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durch eine einmalige Einführung von einer grösseren Menge Mark immu-
nisiren könne, während Kaninchen in 10 Procent der Fälle bei einmaliger
Injection an Impflyssa erkranken.
Er führt diese relative Unempfindlichkeit der Hunde gegen rein
subcutane Infectionen auf die Unfähigkeit des Fettgewebes zurück, da<
Virus weiter zu leiten. Auch in unseren Versuchen erwies sich ein Hund
auf einmalige Einführung von 0*69* rm Mark (Virus fixe) subcutan nach
einem Jahre gegen subdurale Infection mit Strassenwuthvirus als immun.
Es unterliegt demnach keinem Zweifel, dass zur Erzeugung der
Immunität der Cyclus vom avirulenten zum vollvirulenten Marke nicht
unbedingt nothwendig ist. Anders steht allerdings die Frage, ob der
Cyclus nicht zur gefahrlosen Erzeugung der Immunität nöthig ist; deuu
es ist ja klar, dass selbst ein einziger Fall von Impflyssa die praktische
Durchführung der Methode absolut ausschliessen muss.
Allerdings wird diese Gefahr durch den Umstand wesentlich ver¬
ringert, als die Impflyssa bei Hunden nach Virus fixe Infection in den
allermeisten Fällen als paralytische, also ohne jede Agressivität verläuft.
Sowohl eigene Beobachtungen, wie aber namentlich zahlreiche Versuch?
am Wiener Lyssa-Institut (Prof. Paltauf; mündliche Mittheilung) be¬
stätigen diese Thatsache. Es findet sich auch in der Litteratur nur eine
einzige, dem widersprechende Angabe bei Högyes (15, S. 35): Von drei
mit Virus fixe geimpften Hunden starb einer nach 14 Tagen an rasender
Wuth. Eine diesbezügliche schriftliche Anfrage bei Prof. Högyes blieb,
wahrscheinlich in Folge der höchst bedauerlichen Erkrankung des Forschers,
ohne Beantwortung.
Andererseits ist aber allerdings die Toleranz der Hunde gegen rein
subcutane Einführung von virulentem Virus fixe, wie bereits erwähut.
eine auffallend grosse [Helman (14), Högyes (15), Kralouchkine (19).
Marx (26, 27, eigeneVersuche], so dass die Gefahr einer Impflyssa keine
besonders grosse ist. Aber sie besteht, und es ist daher nothwendig, eine
Methode auszuarbeiten, welche diese Gefahr sicher vermeidet, dabei aber
gegen den Wuthbiss verlässlich schützt; sie soll dann aber auch aus
praktischen Gründen so einfach beschaffen sein, dass sie in möglichst
grossem Maassstabe eventuell auch ausserhalb eines Laboratoriums zur
Ausführung gelangen kann.
Der Zweck einer derartigen facultativen Immuuisirung wäre ein
zweifacher. Ist eine grössere Anzahl von Hunden, welche am meisten
der Infection ausgesetzt sind (wie bereits Eingangs erwähnt, die Haus-,
Fleischer-, Jagdhunde) refractär gegen den Wuthbiss, so ist die wichtigste
Quelle der Wuthübertragung verstopft; die Immunisirung käme dann
praktisch gleich der Vernichtung ebenso vieler Thiere. Im Falle einer
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ZüB PBÄINFEOTIONELLEN IMMUNISIRUNG DER HüNDE GEGEN LYSSA. 49
ausgebrochenen Wuthepidemie könnte sogar die obligatorische Immu-
nisirung (allerdings mit der unten folgenden Einschränkung) in Frage
kommen [Högyes (17)]. Dagegen ist an eine gesetzliche Aenderung
der veterinär-polizeilichen Maassnahmen, also vor Allem der obligatorischen
Tödtung aller mit wüthenden Thieren in Berührung gekommener Thiere
derzeit absolut nicht zu denken. Ganz abgesehen von den viel zu ge¬
ringen Erfahrungen, welche über die Immunisirungen vorliegen, fehlt
nur noch eine unbedingt nöthige Kenntniss: der Zeitpunkt des Eintrittes
und die Kenntniss der Dauer der Immunität. Beide Momente sind uns
jedoch nur ungefähr und recht mangelhaft bekannt. Aus Untersuchungen
Centanni’s (9), Kraus und Kreissl (20), Marx (26) wissen wir, dass
durch die Production der rabiciden Schutzstoffe ungefähr 15 bis 20 Tage
nach der Immunisirung der Beginn der Immunität bezeichnet wird.
Andererseits fand aber Högyes (15) drei Hunde bereits am 4. Tage nach
Schluss einer 6 tägigen Behandlung, drei am 9., einen am 14. Tage nach
der Immunisirung gegen subdurale Infection immun. Es ist eben sehr
fraglich, ob der Nachweis rabicider Substanzen gleichbedeutend dem Nach¬
weis sicherer Immunität gegen Wuthinfection ist. Bezüglich der Dauer
der Immunität schwanken gleichfalls die Angaben: Högyes (16) fand
einen Hund noch 9 1 /* Jahre nach der Immunisirung gegen subdurale
Infection immun. Bei anderen Versuchen war aber die Dauer viel kürzer,
so dass als Durchschnitt 4 l j 2 Jahre zu berechnen ist. Sicher ist, dass
sowohl für den Eintritt, als auch für die Dauer der Immunität, die Art
der Impfung, andererseits aber auch individuelle Factoren eine wichtige
Rolle spielen. Aber auch angenommen, dass die durchschnittliche Dauer
nur 1 bis 2 Jahre zählte, so wäre der selbstverständliche Erfolg einer
Immunisirung in grösserem Maassstabe nicht gering anzuschlagen. Es
liesse sich die Immunisirung mit jenen Maassregeln vergleichen, die bei
Wald- und Wiesenbränden mit bestem Resultate vorgenommen werden:
es wird der Brandherd durch Abmähen des Grases oder Umschlagen der
Bäume, Ziehen von Gräben u. s. w. beschränkt und das Weitergreifen
des Feuers auf diese Weise verhindert.
Insolange also die Breite der Schwankungen der Immunitätsdauer
nicht an einem entsprechend grossen Materiale sicher festgestellt ist,
kann und darf die Immunisirung nur eine rein präinfectionelle sein, d. h.
nur bei absolut unverdächtigen Thieren vorgenommen werden; es könnte
daher eine Impfung, welche bei Thieren vorgenommen wurde, die nachher
der Infection verdächtig erscheinen, unter keinen Umständen eine Auf¬
schiebung der entsprechenden veterinär-polizeilichen Maassnahmen be¬
dingen, ebenso wenig als dieselbe bei Thieren, die nach der Immunisirung
inficirt wurden, irgend welche Aenderung erfahren könnten.
Zeitschr. f. Hygiene. LL
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Josef Schnürer:
Der zweite Vortheil einer Immunisirung wäre dann so zu sagen ein
rein persönlicher, ein Schutz des Eigentümers und seiner Umgebung. In
sehr vielen Fällen erfolgt ja die Infection des Menschen durch Thiere.
welche ihrerseits wieder inficirt wurden von Thieren, welche der Eigen¬
tümer des ersten Thieres, wenn er überhaupt etwas von der Verletzung
seines Thieres erfährt, für nicht wuthkrank hält.
Der Ausbruch der Wuth erfolgt also dann ganz unerwartet; rechnet
man nun noch dazu die klinisch und experimentell sicher gestellte That-
sache, dass die Wuthübertragung Tage lang (8 Tage) vor den ersten
Wutherscheinungen durch Eindringen des bereits virulenten Speichels in
Hautwunden oder Schrunden erfolgen kann (Roux, Nocard, Pampoukis).
wozu noch das veränderte Benehmen des Hundes in dem Sinne, dass er
freundlicher und zuthunlicher wird, vermehrte Wahrscheinlichkeit bietet,
so kann man die ungeheure Gefahr ermessen, welcher der Besitzer des
Hundes und seine Umgebung (namentlich Kinder) durch eine solche
occulte Infection seines Thieres ausgesetzt ist. Und vor dieser Gefahr
einer occulten Wuthinfection und weiteren Infection im Incubationsstadium
könnte die Immunisirung den Besitzer bewahren.
Als Immunisirungsmethoden der Hunde gegen Lyssa kommen genau
dieselben Methoden in Betracht, die wir bereits bei der Immunisirung
gegen andere Infectionskfankheiten kennen, also die active, passive und
combinirte Immunisirung. j
Die active Immunisirung, also die Einführung virulenten Markes in
der Art, wie sie bei der postinfectionellen Impfung beim Menschen oder
in vereinzelten Fällen bei gebissenen Thieren (Rindern, Schafen, Pferden)
zur Anwendung kommt [Galtier (12), Moncet (28), Kurtz und
Aujesky (23)], ist wegen der grösseren Anzahl der Einzelimpfungen j
oder bei ein- oder höchstens zweimaliger Injection wegen der drohenden i
Gefahr einer Impflyssa für den gedachten Zweck unbrauchbar.
Wie nämlich schon einmal erwähnt, hängt der Eintritt der Immunität
und ihr Grad direct von der Menge des eingeführten virulenten Markes ab;
die Tabellen von Högyes (15) demoustriren diese Thatsache sehr deutlich:
während er von 21 Hunden, deren jeder nach der Verdünnungsmethode
als Gesammtmenge 0-156 bis 0*351s™ virulenten Markes erhalten hatte,
nur 11 immun fand, 52 Procent (davon ‘8 bei intraoculärer, 3 bei sub¬
duraler Infection) konnte er bei 34 Hunden, die zwischen 0-552 bis
l-059 gT ™ erhalten hatten, 25 Hunde (davon nur 4 bei intraoculärer, alle
anderen bei subduraler Infection) immun finden (73 Procent).
Die passive Immunisirung mit dem Serum wuthiramuner Thiere
(Schafe, Hunde, Kaninchen, Esel, Pferde) [Babes u. Lepp (5), Babes,
eit. bei Högyes (17), Tizzoni und Centanni (34, 35), Babes und
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Zur prainfectionellen Immunisirung der Hunde gegen Ltssa. 51
Tolasescu (7)], ist aus dem Grunde unbrauchbar, da die Dauer einer
solchen Immunität sicher nur nach Wochen zählt.
Eine gefahrlose Immunisirung mit avirulentem Materiale ist nach
unseren heutigen Kenntnissen nicht wahrscheinlich; so mit normaler
Nervensubstanz Babes (2, 3). Calabrese (8), Aujesky (1), Marx (26),
Gratia u. Lienaux (13) haben die Unmöglichkeit dargethan, die auch
Babes selbst schliesslich zugab. Ebenso hat die Angabe von Rodet u.
Galaville (29, 30, 31), Galaville und Martin (11), sie hätten mit
Mark, das seine Virulenz durch langen Aufenthalt in Glycerin verloren
hatte, immunisirt, von keiner Seite Bestätigung erfahren, ein eigener
Versuch spricht gleichfalls dagegen. Doch soll die Angabe einer Nach¬
prüfung unterzogen werden. Das Gleiche gilt von avirulenten Thonfiltraten
virulenter Gehirnemulsionen. [De Blasi et Russo Travali (10).]
Eine theoretisch hochinteressante, aber für die praktische Verwerthung
nicht in Frage kommende Thatsache konnte Högyes (17) constatiren.
Er injicirte nämlich eine Emulsion von dem verlängerten Marke und
Rückenmarke eines künstlich immunisirten Hundes in grosser Menge
intraperitoneal mehreren Hunden. Einer derselben widerstand selbst einer
mehrfachen intraoculären Infection mit Strassenvirus.
Die combinirte Methode, Immunserum und virulentes Material zu
verwenden, wie sie z. B. bei Schweinerothlauf mit so ausgezeichnetem
Erfolge zur Anwendung kommt, würde auch bei der Immunisirung gegen
Lyssa die Idealmethode darstellen [A. Marie (24), Centanni (9), Babes
et Cerchez (6)]; sie vereinigt die Vortheile der passiven Immunisirung:
rascher Eintritt der Immunität wenige Stunden nach der Injection mit
den Vortheilen der activen: höherer Werth und lange Dauer. Die In¬
jection könnte getrennt, aber unmittelbar hinter einander oder in Form
einer Mischung verabfolgt werden; schliesslich könnte auch eventuell nach
entsprechender Zeit zur Erhöhung der Immunität eine Injection voll-
virulenten Markes nachgeschickt werden.
Unsere Versuche wurden nur an Hunden angestellt, von der Er¬
wägung ausgehend, dass Resultate, gewonnen durch Immunisirungen bei
anderen Thieren, durchaus nicht ohne Weiteres auf Hunde übertragen
werden dürfen. Kaninchen versuche wurden nur zur Fortpflanzung des
Virus, zum Nachweise der Virulenz verschiedenen Materiales und zur
Beantwortung gewisser, aus praktischen Gründen sich ergebenden Fragen,
unternommen.
Das Immunisirungsmaterial war stets Centralnervensystem von Thieren,
welche an Virus fixe-Infection zu Grunde gegangen waren. Das erste
Virus fixe wurde vom Lyssa-Institut in Wien (Prof. Paltauf) in dankens-
werther Weise überlassen. Der Grund, dass nur mit Virus fixe immunisirt
4*
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Josef Schnürer:
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wurde, liegt einerseits darin, dass nur Virus fixe-Mark stets in genügender
Menge und Frische vorräthig sein kann, andererseits aber vor Allem in
dem Umstande, dass eine glatte Immunisirung nur mit einem constanteo
Factor, wie es eben das Virus fixe darstellt, möglich ist. [Marx (26, 27).
Schüder (32).] Auch die Protokolle von Högyes (15) weisen darauf
hin: Von 15 mit Virus fixe immunisirten Hunden erwiesen sich 11 bei
subduraler Infection refractär, einer erkrankte an Wuth, genas aber wieder;
von 8 mit Strassenwuth immunisirten war nur ein einziger immun.
Bei den Thieren, die eine ganze Serie von Mark erhielten, kam die
Verdünnungsmethode nach Högyes zur Anwendung, da nur sie einerseits
wegen des ökonomischen Verfahrens hei Immunisirungen im grösserer
Maassstabe in Frage kommen könnte, und weil andererseits nur sie eint
ziemlich genaue Beurtheilung für die Menge des verwendeten Virus ge¬
stattet. Die Verreibung des Gehirnes erfolgte stets in einer sterilisirbarer
Glasmühle, welche aus einer Glasschale besteht, in der zwei ziemlich
schwere Glasräder durch Wasserantrieb zur Rotation gebracht werden.
Die Verreibung erfolgt in einigen Stunden unter langsamem Zusatz von
steriler Kochsalzlösung derart exact, dass nur ganz vereinzelte Reste von
besonders resistentem Gewebe (Gliagewebe) unverrieben bleiben. Das Filtrat
(durch ein gewöhnliches Faltenfilter) erscheint demnach ebenso gleich-
massig getrübt, wie die unfiltrirte Emulsion; dadurch wird natürlich dk
Berechnung der injicirten Markmenge wesentlich erleichtert. Control¬
versuche bewiesen, dass die filtrirte Emulsion sich bezüglich der Virulent
und Incubationszeit vollkommen gleich der nicht filtrirten verhielt
In den Versuchen IX und X wurde das Mark stark mit Kochsalz¬
lösung gleich mit dem Immunserum verrieben; das hatte den Zweck,
eines Theils die Berührung von Mark und Serum inniger zu gestalten,
und andererseits die Injectionsmengen geringer gestalten zu können.
I. Versuch. Zur Orientirung über die ganze Frage wurden vorerst
3 Hunde nach der Dilutionsmethode, und zwar nach dem Schema, das
Högyes für die postinfectionelle Impfung bei Menschen verwendet, deren
Verletzungen (Kopf- und Gesichtswunden) eine intensivere Behandlung er¬
heischen. Die Immunisirung dauerte 23 Tage mit 35 Einzelimpfungeii.
Die Menge des eingeführten Markes betrug für jedes Thier 0*122 prm Mark.
Die Thiere ertrugen die Impfung anstandslos.
6 Tage nach Schluss der Immunisirung wurde einer derselben am
15. VI. 03 der subduralen Infection mit Mark, das seit 29. V. in Glycerin
aufbewahrt worden war, inficirt. Am 7. Tage zeigte er Abends Kiefer¬
lähmung und ging am 8. Tage ein. Der Controlhund (brauner Dackel)
ging am 12. Tage an paralytischer Lyssa zu Grunde. Das Gehirn des
ersten Thieres war bei subcutaner Infection nicht infectiös. Die Obduction
ergab wegen hochgradiger Fäulniss kein sicheres Resultat.
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Zur präinfectionellen Immunisirung der Hunde gegen Lyssa. 53
In Folge des Misserfolges, welcher der zu geringen Gasammtdosis zur
Last gelegt wurde, werden die beiden überlebenden Hunde am l.IX. 03
einer Nachimmunisirung unterworfen; sie erhalten je 0-55 ff™ Mark in fünf
Einzelimpfungen, also zusammen mit der früheren Menge 0*672 grm . Einem
derselben wurde am 7.IY. 04, also 190 Tage nach Schluss der Nachimpfung
1.5 ccm dicker Aufschwemmung von Strassenwuthmark in die Nackenmuskel
injicirt. v = 16 (i), 2*5 m. Die Bezeichnung der Virulenz ist von Högyes CI 5)
angegeben und bedeutet v = Virulenz, i = Incubationszeit und m = Mors
in Tagen; Controlkaninchen Nr. 33 dieselbe Emulsion subdural, f 21. IV. 04
an Lyssa. Kaninchen Nr. 8 gleichfalls intramusculär in die Nackenmuskel,
t 25. IV. (typische Lyssa). Der Hund blieb gesund.
Der 3. immunisirte Hund wird zur Prüfung auf spätere Zeit reservirt.
Er wird am 7. VI. 04, also 1 Jahr nach der 1. Immunisirung, 9 Monate
nach der Nachimmunisirung subdural mit frischem Strassenvirus geimpft und
hielt der Infection stand (l.V. 05). Die beiden Controlkaninchen gingen
an paralytischer Lyssa am 19. bezw. 21. Tage ein. Ob nun der erste
immunisirte Hund einer Lyssa unterlag, ist nicht mit Sicherheit zu ent¬
scheiden. Dafür spricht nur die Kieferlähmung, während die kurze Zeit
(7 Tage) gegenüber dem nicht immunisirten Controlhunde dagegen spricht.
Der Mangel der Infectiosität ist nicht gegen die Diagnose Lyssa zu ver-
werthen, da Beobachtungen vorliegen, dass ungenügend immunisirte Thiere,
bei denen das inficirende Virus in Folge der Immunisirung nicht voll zur
Wirkung gelangt, eingehen, ohne dass ihr Mark virulent wird.
n. Versuch. 1 Hund wird nach der Dilutionsmethode immunisirt vom
27. V. bis 7. VI. 03, 12 Tage mit 16 Einzelimpfungen. Menge des ver¬
wendeten Marks 0*08 ?rm . Am 30. VI., also 23 Tage nach Schluss der
Immunisirung wird er subdural mit Gehirnemulsion des Controlhundes vom
I. Versuch inficirt. Er ging schon am 2. VII. ohne Erscheinungen ein. Ob-
ductionsbefund: Endocarditis chronica, Nephritis chronica. Das Control¬
kaninchen stirbt am 11. Tage an paralytischer Wuth. Das Gehirn des
Hundes dient später (Versuch XIIc) zu einem Versuch behufs Nachweis
rabicider Substanzen im Gehirne. Da der Versuch im positiven Sinne aus¬
fällt, dürfte der Schluss gestattet sein, dass der Hund vielleicht die Infection
ausgehalten hätte, wenn er nicht der intercurrenten Erkrankung erlegen wäre.
HI. Versuch. 2 Hunde werden nach der Dilutionsmethode (Mark des
Controlkaninchens vom vorhergehenden Versuch) immunisirt vom 14. VII. bis
17.VH. 03 4Tage, 8 Einzelimpfungen; Gesammtmenge je 0-55& rm Mark. Am
l.VHI., also 14 Tage später wird der eine derselben mit demselben Mark,
das zur Immunisirung diente, in Morphiumnarkose subdural inficirt. Er erlag
jedoch noch am selben Tage. Obductionsbefund vollständig negativ (Morphium¬
vergiftung?). Das Controlkaninchen erkrankte am 6. Tage an Lyssa und
wurde am 8. Tage aus der Carotis entblutet. Sein Serum diente zum
rabiciden Versuche XII a).
Der 2. Hund wurde am 21. Tage nach der Immunisirung, am 7. VIII.
subdural mit frischem Mark (Virus fixe) aus dem Lyssainstitute (Prof. Pal tauf)
inficirt. Der Hund zeigt sich refractär. Das Controlkaninchen erliegt am
17. VIII. der paralytischen Lyssa. Am 20. IX. wurden dem Hunde ca. 100 ccm
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Josef Scunükek:
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Blut aus der Arteria femoralis entnommen zur Bestimmung der rabiciden
Kraft des Blutes (Versuch XVII). Am 3. XII. wurden zum Zwecke der Er¬
haltung bezw. Steigerung der rabiciden Substanzen 20 ecm Virus fixe Emulsion
(1:100), also 0-2^ m Mark subcutan injcirt. Am 16.1. 04 zweiter Aderlaß.
IV. Versuch. 2 Hunde wurden vom 1.IX. bis 9.IX. 03 nach der Dilutions-
methode in 9 Einzelimpfungen iramunisirt; je 0*86*™ Mark Virus fixe.
Der eine Hund wird am 24. IX., also nach 15 Tagen mit Virus fixe subdural
inficirt. Er ging am 4. X., also 10 Tage später, ein. Die Obduction ergab
chronische Staupepneumonie. Das Controlkaninchen unterlag am 10. Tage
der paralytischen Wuth; vom Gehirn des Hundes wird ein Kaninchen s. d.
inficirt, dasselbe erliegt erst am 24. X., während das von diesem Kaninchen
geimpfte Kaninchen prompt am 11. Tag an paralytischer Lyssa eingeht.
Auffallender Weise stirbt ein zweites Kaninchen, das von dem Hundehin
am 24.X. inficirt wurde, am 2. XL, also am 9. Tage an typischer Wurh.
Wahrscheinlich hat in diesem Falle die chronische Staupeinfection das Zu¬
standekommen der Immunität verhindert.
Der 2. Hund wurde am 4.X., also am 25. Tage nach der Immunisirung
von einem Strassenwuthhunde 3 Mal tief in die Schnauze heissen gelassen.
Der heissende Hund ging 2 Tage später ein; das von seinem Gehirn geimpfte
Kaninchen starb am 20. Tage an paralytischer Wuth. Der immunisirte
Hund ist bis zum heutigen Tage gesund geblieben (l.V. 05).
V. Versuch. 10 ccra Markemulsion (Virus fixe) 1:10 und 20 cem Immun-
serum vom Imraunhunde (Versuch III) werden gemischt und 24 h bei Zimmer¬
temperatur stehen gelassen. Am 4. XI. 03 erhielten 2 Hunde je 10 ccm der
Mischung subcutan = 0-33* 1 ™ Mark : 6*6 ccm Serum. Beide Thiere ertrugen
die Injection anstandslos. An den einen wurde irrthümlich experimentel:
Taenieneier verfüttert; er ging am 4. XII. ein. Sein Gehirn war nicht
iufectiös. Der zweite wurde am 24. XI., also nach 20 Tagen subdural in*
ficirt mit Virus fixe; er überlebte die Infection, während 2 Controlkaninchen
zur typischen Zeit (10. und 11. Tag) eingingen. Auch diesem Hund wurde
2 Mal (27.1. und 7. III. 04) aus der Arterie femoralis Blut entnommen.
VI. Versuch. 1 Hund erhielt am 21.1. 04 17 ecm eines Filtrates (gewöhn¬
liches Filtrierpapier) = 0-17* rm Mark einer Gehirn-Glycerinemulsion (1:1 00
Glycerin und physiologische Kochsalzlösung ää), welche seit 26. XI., also seit
8 Wochen bei Zimmertemperatur stand. Das Filtrat erwies sich bei sub¬
duraler Infection (Kaninchen) bereits avirulent. Der Hund wurde am 10. IL
also nach 20 Tagen subdural mit Virus fixe inficirt und unterlag am 19. II.
der paralytischen Lyssa. Das Controlkaninchen starb am 18. H. Ein vom
Hundehirn geimpftes Kaninchen starb am 10. Tage an paralytischer Lyssa.
VII. Versuch. 20 ccm Immunserum (2. Aderlass, Versuch III) und 10° l J
Gehirnemulsion 1:18 (Virus fixe) Averden gemischt und 24 h bei Zimmer¬
temperatur stehen gelassen. Am 28. I. Averden 2 Hunde mit je 15 001,1 der
Mischung (= 0 • 25 * nn Mark) subcutan injicirt. Am nächsten Tage 29.1.04
erhält jeder 10 com unfiltrirter Gehirnemulsion 1:18 Virus fixe, so dass jeder
der Hunde 0*75 grm Mark erhalten hatte.
Am 27. II., also 30 Tage 6päter wird einem derselben 1 00,11 einer dicken
Markemulsion von Strassenwuthmark in die Xackenmuskel injicirt. Von
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Zur präinfectionellen Immunisirung der Hunde gegen Lyssa. 55
2 Controlkaninchen (subdural) erlag das eine am 13., das andere am 16. Tage
der paralytischen Wuth. Der Hund selbst blieb gesund.
Der zweite erhielt am 7. IV. 04, also 69 Tage nach der Immunisirung
eine Markemulsion von Passagevirus subdural. Ein Controlkaninchen, subdural
inticirt, stirbt am 12. Tage, ein intramusculär inficirtes am 18. Tage. Der
Hund ist gesund geblieben (l.V. 05).
Am 29. Y. 04, also 4 Monate später wird der erste Hund abermals mit
Strassenwuthvirus subdural geprüft, er erwies sich als refractär (1. V. 05).
VIH. Versuch. 20 ccm einer frischen filtrirten Markemulsion (Virus fixe)
1:18 Glycerin und physiologische Kochsalzlösung ää und 10 ccm Serum Vom
Immunhunde (Versuch V) gemischt und 24 h bei Zimmertemperatur stehen
gelassen. Am 30.1. wurden einem Hunde 20 ccm (U-7* rra Mark) subcutan
injicirt. Am 27.11.. also 28 Tage später wurde dieser Hund mit rasirtem
Kopfe und verbundener Schnauze in den Käfig eines an rasender Wuth
leidenden Hundes geworfen und empfing von dem Thiere mehrere stark
blutende Wunden an der Schnauze und Unterkiefer. Das beissende Thier
erlag 3 Tage später der Wuth und die zwei von seinem Mark geimpften
Thiere am 18. bezw. 19. Tage. Der gebissene Immunhund ist bis heute
gesund (l.V. 05).
IX. Versuch. 3*3 grra Virus fixe Mark des Hundes vom Versuch VI
werden mit 36 ccm Immunserum des Hundes (Versuch V) durch 6 Stunden
verrieben und sodann bei Zimmertemperatur noch weitere 18 h stehen ge¬
lassen. Am 24. II. erhalten 6 junge Hunde (4 Wochen alt) desselben Wurfes
je 6 ccm der Mischung subcutan (0*54 ^ rm Mark). Ein Controlkaninchen wird
mit derselben Emulsion subdural geimpft und geht am 4. III. an Lyssa ein.
Auch einer von den geimpften Hunden stirbt am 3. III. unter Lähmungs¬
erscheinungen. Die Obduction ergiebt jedoch starken Hydrocephalus; zwei
mit diesem Hundehirn subdural inficirten Kaninchen sind bis heute gesund
geblieben. Am 18. HI., also 23 Tage nach der Immunisirung, wurde ein
Hund mit Virus fixe subdural, einer intramusculär in die Nackenmuskel
inficirt. Von zwei weiteren Hunden wurde am selben Tage der eine subdural
und der andere intramusculär in die Nackenmuskel mit Passagevirus (v = 11 + 2)
inficirt. Beide subdural inficirten Hunde erlagen der Wuth, der erste am
29. Iü., der zweite am 31. III. und ihr Gehirn erwies sich infectiös bei
subduraler Infection von Kaninchen. Dagegen blieben die intramusculär
inficirten Thiere bis zum heutigen Tage gesund.
Der letzte der Hunde wurde am 7. IV. 04, also 43 Tage nach der
Immunisirung subdural mit Strassenwuth (v =16 + 2*5) inficirt. Von zwei
Controlkaninchen, eines subdural, eines intramusculär (am selben Tage 7. IV.),
starb das subdural inficirte am 21. IV., das intramusculär inficirte am 25. IV.
Der Hund selbst ist gesund geblieben (l.V. 05).
X. Versuch. 18. III. 8*3^™ Virus fixe (Kaninchenmark + 17. III.)
werden mit 23 ccra Immunhundeserum (Versuch V) durch 6 Stunden ver¬
rieben und 1 Stunde bei Zimmertemperatur stehen gelassen. Von dieser
Emulsion (virulent für Kaninchen) erhielten 5 Hunde je 5 ccm (l-8* rm Mark)
subcutan. Ein intraoculär mit dieser Emulsion inficirtes Kaninchen starb
am 13.IV. an paralytischer Lyssa. Von diesen 5 Hunden erlag einer am
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6. IV.; Obduction: chronischer Magendarmkatarrh. Sein Gehirn erwies sich
jedoch bei subduraler Infection zweier Kaninchen als infectiös. Sie gingen
beide an typischer paralytischer Lyssa am 15. IV., also nach 9 Tagen ein.
Ein 2. Hund ging an Pyämie in Folge Abscedirung der injicirten Gehirn¬
emulsion ein. Sein Gehirn war avirulent. Die übrigen Thiere ertrugen die
Injection einer solchen Menge Marks ohne Schaden.
Am 7. IV., also 20 Tage später, erhielten 2 Hunde je l ccm dicker
Markaufschwemmung von starkem Passagevirus intramusculär in die Nacken¬
muskel (v = 9 + 2), während ein Controlkaninchen subdural, ein anderem
intramusculär mit derselben Aufschwemmung inficirt wurden. Das subdural
inficirte starb am 11. Tage, das intramusculär inficirte am 16. Tage. Die
beiden Hunde blieben gesund. Am 17. VI. werden diese beiden, sowie der
dritte noch nicht geprüfte mit frischem Strassenvirus subdural geimpft. Die
beiden Controlkaninchen starben am 20. bezw. 21. Tage an paralytischer
Lyssa. Die 3 Hunde sind gesund geblieben (l.V. 05).
XI. Versuch. 31. VII. 03. Von 3 Kaninchen erhielt eines subdural
0*1 Glycerin, in dem seit 11. VII. 03 ein ganzes Virus fixe Kaninchenhim
auf bewahrt worden war. Ein zweites 0-1 Glycerin, in dem Mark vom
29.V. aufbewahrt worden war, ein drittes Controlthier erhielt 0-1 sterile?
Glycerin. Alle drei Thiere blieben am Leben.
Am 29. X. wurden 2 Kaninchen subdural inficirt; das eine mit Virus
fixe Kaninchenmark, das seit 7. VIII. in der 14 fachen Menge seines Ge¬
wichtes Glycerin lag, und das zweite mit dem Glycerin selbst. Während
das mit dem Mark inficirte Thier am 12. Tage an Lyssa einging, blieb da?
zweite Thier vollständig gesund. Das Virus ging also, wie aus diesen drei
Versuchen hervorgeht, in die Aufbewahrungsflüssigkeit nicht über.
XII. Versuch. 12. VIII. 03. Je 0-5 ccm Gehirnemulsion (Virus fixe-
Kaninchen) 1:100 filtrirt werden versetzt: a) mit 1-0 Serum des Kaninchen?
selbst, von dem das Mark stammt und das während des paralytischen Stadiums
aus der Carotis entblutet worden war (siehe Versuch III); b) mit 1*0 Ge¬
hirnemulsion (1:100 filtrirtj von einem normalen, wegen Fractura einer
hinteren Extremität vertilgten Hundes; c) mit Gehirnemulsion l*0 ccm , 1:100
filtrirt, des Immunhundes vom III. Versuche und 16 Stunden bei 37° stehen
gelassen. Bei der subduralen Infection erlag nur das Kaninchen, dass die
lyssanormale Hirnmischung erhalten hatte, sowie das mit dem Lyssamark
allein geimpfte, beide nach 10 Tagen, während die beiden anderen gesund
blieben. Es scheint also sowohl das Serum des lyssakranken Kaninchens, wie
das Gehirn des immunisirten Hundes rabicide Substanzen enthalten zu haben.
XIII. Versuch. 2 Kaninchen werden mit Virus fixe subdural inficirt.
Sie erkranken am 6. Tage. Am 8. Tage werden sie aus der Carotis ent¬
blutet; l ccm ihres Serums mit 0*5 ccm Emulsion ihres eigenen Gehirne?
(1:100 Glycerin Kochsalz ää) filtrirt, wird gemischt bei Zimmertemperatur
stehen gelassen. Nach 24 Stunden werden je 2 Kaninchen mit der Serum-
Markmischung des einen, je zwei mit der des zweiten und je eines als
Controlthier mit der Markemulsion allein und je eines mit einer Mischung
des virulenten Kaninchenmarkes mit normalem Kaninchenserum (0*5:1*0)
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Zur präintectionellen Immunisirung der Hunde gegen Lyssa. 57
subdural inficirt. Die Controlthiere verenden am 12. bezw. 13. Tage. Von
den mit den Gemischen geimpften erlag nur eines am 11. Tage der para¬
lytischen Wuth. Leider war inzwischen in unserem Kaninchenstalle eine
seuchenhafte Pneumonie ausgebrochen, welcher die übrigen Thiere zum
Opfer fielen; sie überlebten aber die Controlthiere um 20 bezw. 30 Tage,
so dass man nur von einer Abschwächung des Virus sprechen kann; mög¬
licher Weise aber war die Abschwächung bis zur vollständigen Avirulenz
gediehen.
XTV. Versuch. Dieser und die folgenden Versuche werden zu dem
Zwecke unternommen, um die Avirulenz des Speichels während und nach
der Immunisirung und bei einem an paralytischer Wuth verendeten Hunde
(Virus fixe subduraler Infection Versuch VI) nachzuweisen.
Am 25.1.04 wurden einem Hunde subcutan O-GO^“ frisches Virus
fixe-Kaninchenmark, in 20 CCTn Kochsalzlösung aufgeschwemmt, injicirt. Das
Thier ertrug diese recht beträchtliche Menge ohne jeden Schaden. Am 30.1.,
3. II. und 10. H., also 5 bis 9 bis 16 Tage nach der Injection wurde je ein
Stückchen der Glandula submaxillaris ausgeschnitten und einem Kaninchen
ein kleines Stück der Drüse, einem zweiten eine fein verriebene Emulsion
der Drüse subdural applicirt. Sämmtliche Thiere blieben gesund. Der Hund
selbst wurde am 8.1. 05 mit frischem Strassenwuthvirus subdural geprüft
und hielt der Infection Stand, während zwei Controlkaninchen am 16. Tage
an Lyssa eingingen.
XV. Versuch. Von dem einer subduralen Infection (Virus fixe) er¬
legenen Hunde (Versuch VI) wird eine Speicheldrüse sofort post mortem
ausgeschnitten, fein verrieben und 2 Kaninchen subdural injicirt. Eines
davon starb in 4 Tagen an einer Meningitis, das zweite Thier lebt und ist
gesund. Eine Wiederholung des Versuches am 6. XII. 04 ergab wieder die
Unschädlichkeit der Speicheldrüse bei subduraler Infection. Der Speichel
eines mit Virus fixe immunisirten Thieres war also ebenso wenig virulent,
wie der eines an Virus fixe-Infection gestorbenen.
XVI. Ver such. Von 2 Kaninchen wird das eine mit einer unfiltrirten
Virus fixe-Markaufschwemmung (1:100 Glycerin, Kochsalz 2:1), das andere
mit derselben Emulsion, aber durch gewöhnliches Filtrirpapier filtrirt, inficirt.
Beide Thiere gehen zu gleicher Zeit nach 11 Tagen an paralytischer Lyssa
ein. Die filtrirte Markemulsion wird nun in zugeschmolzenen Glasphiolen
bei Zimmertemperatur aufbewahrt, und erwies sich nach 24, 48 Stunden,
3, 8 Tagen, 4 Wochen an je zwei subdural inficirten Kaninchen vollvirulent,
ohne Aenderung der Incubationszeit.
Hiermit wird die auch von anderen Seiten gefundene Thatsache (Roux,
Frottingham, Kempner, Franzius), dass sich Emulsionen bezw. Mark
in Glycerinlösungen ziemlich lange bei Zimmertemperatur virulent erhalten,
neuerdings bestätigt.
XVTL Versuch. An 2 Kaninchen wird abermals die gleichartige Wirkung
einer filtrirten und unfiltrirten Markemulsion erprobt. Es werden nun je
0 * 5 ccm filtrirter Emulsion (Virus fixe) mit 1-0, 0 # 5, 0*1 Serum des Immun-
hundes vom Versuch HI versetzt, 24 Stunden bei Zimmertemperatur stehen
gelassen und dann bei je 2 Kaninchen subdural auf ihre Virulenz geprüft.
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Die beiden Controlthiere, die unversetzte filtrirte Markemulsion erhalten
hatten, starben beide am 10. Tage. Von den übrigen blieben die Thiere
mit der grössten Serumdosis (0 • 5) am Leben, die anderen starben an Lyssa,
aber mit bedeutend verlängerter Incubation (16 bezw. 28 Tage).
XVIII. Versuch. Das Filtrat durch Porzellanfilter (Reichelt) erwies
sich bei der subduralen Infection zweier Kaninchen als nicht infectiös. (Ge¬
hirnemulsion 1:100 Glycerin, Kochsalz ää.)
Bei der Zusammenfassung der vorliegenden Versuche ergiebt sieb
demnach folgendes Resultat:
Von 25 Hunden (siehe Tabelle), welche in verschiedener Menge viru¬
lentes Material subcutan erhalten hatten, starb einer (Hund 22) an Impi-
lyssa (paralytische Lyssa); er hatte allerdings die sehr grosse Menge von
l-8» rm Mark erhalten, welche durch die beigegebene Immuuserumdosis
offenbar nicht genügend abgeschwächt worden war. Ob der, bei der
Obduction gefundene chronische Magendarmkatarrh irgend eine Rolle bei
der Entstehung der Impflyssa gespielt hat, kann nicht entschieden werden.
4 Hunde, welche die gleiche Dosis erhalten hatten, blieben gesund.
8 Hunde starben, ohne auf ihre Immunität geprüft worden zu sein. Der
eine (Hd. 10) an Taenien, der zweite (Hd. 21) an Pyämie, der dritte (Hd. 22)
an Hydrocephalus. Von den restlichen 21 Hunden wurden 14 der sub-
duralen (8 mit Virus fixe, 6 mit Strassenwuth) Infection, 3 der intra-
musculären (2 mit Strassenwuth, 1 mit Virus fixe), 2 der intramusculären
uud später der subduralen Infection stets mit Strassenwuth unterworfen.
2 Immunhunde wurden den Bissen wüthender Hunde ausgesetzt.
Von den 8 subdural mit Virus fixe inficirteu Hunden starben 6-
Davon 2 (4. und 5. Hd.) am nächsten Tag nach der Infection, so dass
ihre Immunität zweifelhaft blieb; einer am 7. Tag (1. Hd.), ohne das;
sein Gehirn infectiös war; einer am 9. Tag (Hd. 7), sein Gehirn war
infectiös. Möglicher Weise hat die chronische Staupepneumouie, ver¬
bunden mit allgemeiner Abmagerung und Kachexie das Zustandekommen
der Immunität verhindert. Bei Hund 11 war zur Immunisirung ein
avirulentes Mark verwendet worden. Bei Hund 16 dürfte vielleicht die
grosse Jugend (4 Wochen) eine Rolle gespielt haben. Von den 6 subdural
mit Strassenwuth geprüften Thieren starb nur der junge, 4 Wochen alte
Hund Nr. 18. 5 zeigten sich refraetär. Von den intramusculär, den
iutramusculär und subdural, sowie von den durch Bisse geprüften Thieren
starb keines. Wenn nun auch vom streng wissenschaftlichen Standpunkte
die Prüfung der Verlässlichkeit einer Immunisirungsmethode gegen Lyssa
die Unempfindlichkeit der Immunhunde auch gegen subdurale Infection
gefordert werden muss, welcher Forderung in den vorliegenden Unter¬
suchungen in 14 Fällen mit 7 Todesfällen entsprochen wurde, so ist
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Zl'H PEÄINFECTIONEIiLEN ImMUNISIBUNG DEB HüNDE GEGEN Ll’SSA. 59
audererseits jedoch auch schon die Immunität gegen intramusculäre In¬
fection, wie sie bei 5 Hunden zur Anwendung kam, eine sicherlich für
praktische Zwecke ausreichende, da ja die experimentelle Infection durch
mehrere Cubikcentimeter dicker Markemulsion tief in die Muskel injicirt
die natürliche Infection an Menge des inficirenden Materials weitaus über¬
treffen dürfte. Ausserdem haben auch 2 Hunde (12 und 23), welche
bereits die intramusculäre Infection überstanden hatten, späterhin sich
refractär auch gegen die subdurale Infection erwiesen.
Was nun die Dauer der Immunisirung und die Zahl der Einzel¬
impfungen anbelangt, so waren von den zwei gegen die subdurale In¬
fection mit Virus fixe refractären Hunden einer (3. Hd.) durch 40 Tage
mit 28 Einzelimpfungen, der zweite jedoch (Hd. 9) nur einer 1 tägigen
Behandlung mit einer Einzelimpfung unterzogen worden. Die fünf gegen
subdurale Infection mit Strassenvirus refractären Hunde waren, ebenso
wie die gegen intramusculäre und spätere subdurale Infection und auch
die gegen Wuthbisse refractären nur ein einziges Mal injicirt worden.
Nur ein intramusculär geprüfter und immun befundener Hund hatte eine
40 tägige Impfung mit 28 Einzelimpfungen durchgemacht.
Was nun die Kaninchenversuche anlaugt, so stellen die Versuche XII
und XIII die Bestätigung der von Centanni (9) und Kraus (20, 21),
gefundenen Thatsache dar, dass Thiere an Lyssa erkranken, trotzdem ihr
Serum selbst in grösseren Verdünnungen (1:50 Kraus, 1:150 Centanni)
rabicid gewirkt hat. Unsere Versuche bilden ein Analogon zu den be¬
kannten Tetanusversuchen Ransom’s, der feststellte, dass die zum Schutze
nothwendige Serummenge ganz unverhältnissmässig wächst mit dem
Intervall, das zwischen Infection und Seruminjection verstreicht, und dass
nach Ablauf einer bestimmten Zeit selbst die vielfache Serumdosis die
bereits eingetretene Bindung zwischen Gift und Körperzellen nicht mehr
zu sprengen im Stande ist. Ueberdies scheint aus den Versuchen Cen-
tanni’s (9) hervorzugehen, dass bei der Immunität gegen Lyssa nicht
allein die im Serum auftretenden Schutzstoffe, sondern auch die un¬
abhängig davon auftretende Zellimmunität eine wichtige Rolle spielt.
Centanni fand im Blute immunisirter Thiere schon am 8. Tage Sub¬
stanzen, welche den Ausbruch der Lyssa bei anderen Thieren zu ver¬
zögern, am 11. Tage aber schon zu verhindern im Stande sind, während
das Nervensystem selbst erst vom 22. Tage an immunisirende Kraft erhält.
Andererseits kann aber ein Thier nach Jahren noch immun sein, ohne
dass sein Blut schützende Körper enthält.
Die Versuche XIV und XV sollen dem Ein wände begegnen, dass
durch Immunisirungen mit einer einzigen grösseren Menge Marks die
Thiere, möglicher Weise ohne zu erkranken, virulentes Material durch
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60 Josef Schnübeb:
Tabelle 4
Nummer des Ver¬
suches u. Anzahl
der Hunde
öesammtmenge und Art
des Markes
Art der
Immuni-
sirung
Dauer und
Menge der
Einzel¬
impfungen
1
Datum und Art
Infection
L
1.
Hund
0*122 Virus fixe
subcutan
28 Tge.
85 L
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n. Schluss d. Imin ui?
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11
16
ii
subdural mit Vir« i
23 Tage
III.
5.
99
0*55 „ yy „
4
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subd. mit Virus nie 1*1
6.
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8
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subdural mit Vin s
21 Tage
IV.
7.
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9
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subdural mit Vin i
15 Tage
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Hund
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9.
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Tg.
1
subdural mit Vin?:
des 6. Hundes
20 Tage
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desgl.
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1
11
1
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VI.
11.
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subdural mit Vin ®
20 Tage
VII.
12.
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2
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des 6. Hundes
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0*75 frm V. f. + 10 ccm Serum
2
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subdural mit Stra**- 1
des 6. Hundes
69 Tage
VIII.
14.
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0*7 V. f. + 17 cc “ Serum
1
Tg.
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Biss durch wütlier- 1
des 9. Hundes
Hund
IX.
15.
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des 9. Hundes
16.
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subdural mit Viruf"
23 Tage
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23 Tage
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23 Tage
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|
43 Tage
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1*8*™ V.f. + 4-5 ccm Serum
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11
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des 9. Hundes
22.
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desgl.
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desgl.
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Go^ 'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
ZUE PRÄINFECTIONELLEN ImMUNISIRUNG DER HüNDE GEGEN LYSSA. 61
ideTersnehe.
Sectione- und Impf- \
1 der Infection i
Controlthiere
Bemerkungen
Ergebnisse ^
.m 7. Tage p. i.
Cadaver faul
Hund f 12. Tag
-
Gehirn nicht infect.
paral. Lyssa C. -K. +11. Tg.
lebt
—
C.-K. Lyssa am 16. Tg.
—
—
2 C.-K. Lyssa 14. u. 18. Tg.
—
nach 1 Tage
chron. Endocarditis
C.-K. Lyssa 11. Tag
Das Gehirn d. Hand, enthält
u. Nephritis
rabio.Snbstanz., s.Vers. XII c.
.m selben Tage
Obd.-Bef.: negativ
C.-K. Lyssa, entblutet
Morphiumnarkose.
lebt
—
C.-K. Lyssa + 10. Tag
Das Blut d. Hund, dient zu
rabic.V ersuch., s.Vers.XYHL
: am 9. Tage
chron. Staupepneu¬
monie, Gehirn infect.
C.-K. Lyssa f 10. Tag
—
lebt
—
C.-K. v. Gehirn d. beiss.
—
Hundes f am 20. Tag
v
—
C.-K. t Lyssa
Aderlass.
nach 1 Monat
Gehirn nicht infect
—
Irrthüml. zu ein. and. Erper.
(Taenien verfüttrg.) verwend.
t am 9. Tage
Sect negativ
K. *j- Lyssa
C.-K. f Lyssa 10. Tag
Filtrat war avirulent
lebt
—
C.-K. f Lyssa
—
desgl.
—
desgl.
—
»
—
C.-K. vom Gehirn des
beiss. Hundes f Lyssa
—
am 9. Tage
Hydrocephalns acutus,
C.-K. Keine Lyssa
Die z.Immnnisirung verwen¬
dete Mark • Serummischung
ist virulent. K.f Lyssa 10. Tg.
-Assa 11. Tag
Obd.-Bef.: negativ
\
—
lebt
Gehirn infect j
> C.-K. f Lyssa 10. Tag
—
—
-«yssa 11. Tag
Obd.-Bef.: negativ !
\
—
Gehirn infect.
> C.-K. f Lyssa 13. Tag
lebt
—
—
—
C.-K. f Lyssa 18. Tag
—
todt
Pyämie
Emulsion bei i. m. Impfung
für Kaninchen infect.
t am 19. Tage
Obd.-Diag. chron.
_
Emulsion virulent für
Magendarmkatarrh
K.-Impf. f Lyssa 9. Tg.j
Kaninchen
i
lebt
— |
C.-K. s. d. f Lyssa 11. Tg.
—
|
i. m 16. Tg.
i
»>
i
1 C.-K. f Lyssa 20. Tag
—
J .. t 21.
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Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
62
Josef Schnürer:
ihren Speichel ausscheiden und so zur Uebertragung der Wuth Anlass
geben können. Es zeigte sich, dass nach einer Injection Ton 20 ccm Mark¬
emulsion, welche 0*69 frm Mark enthält, am 5., 9. und 16. Tage keine
virulente Substanzen in der Speicheldrüse zu finden waren. Ebenso wenig
war die Speicheldrüse eines an paralytischer Wuth verendeten Hundes
(Virus fixe) infectiös, so dass nach diesen wenigen orientirenden Versuchen
eine Gefahr durch die Immunisirung nicht erblickt werden kann.
Versuch XVI, XVII, XVIII bedürfen keiner Erklärung.
Die Richtung, in welcher die weiteren Versuche vorzunehmen sind,
um das angestrebte Ziel, eine möglichst einfache, sichere und gefahrlos
Immunisirungsmethode der Hunde gegen Lyssa zu finden, ist nach den
vorliegenden wenigen Versuchen klar vorgezeichnet: Nach dem Princip
der combinirten Methode soll ein Verfahren ausgearbeitet werden, welches
unter Benutzung entsprechend hochwerthigen Serums und unter Berück¬
sichtigung der dem Körpergewicht, event. Alter und Rasse entsprechenden
Menge virulenten Markes den Hunden einen sicheren Schutz gegen sub¬
durale und intramusculäre Infection verleiht. Anhangsweise sei nur er¬
wähnt, dass zur Erzielung eines hochwerthigen Serums in unserem Institute
die Immunisirung von Schafen bereits im Gange ist.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Zue pbainfectionellen Lm.munisirt'ng der Herde gegen Lyssa.
63
Litteratur * Verzeichniss.
1. Aujeski, Ueber Immunisirung gegen Wuth mit normaler Xervensubstanz.
CenfraWlatt für Bakteriologie. 1900. Bd. XXVII. S. 5.
2. Babes, Bemerkuntren über die Beeinflussung der Hundswuth durch Injec-
tb»nen von normaler Xervensubstanz u. über Wuthtoxine. Ebenda . 1900. Bd. XXVII.
iS. 564.
3. Derselbe, Bemerkungen über das Verhalten gegenüber specif. Infection.
Berliner klin, Wochenschrift. 1899. Xr. 17.
4. Derselbe, Xeuere Untersuchungen über die Wirkung der Xervensubstanz
bei Erkrankungen des Xervensystems. Kl in. th. Wochenschrift . 1900. Xr. 24.
5. Babes und Lepp, Reclierch. sur la vace. antirab. Annales de VInstitut
Pasteur. 1889.
6. Babes und Cerchez, Exper. sur Pattenuat du vir. rab. Ebenda 1893.
7. Babes und Tolasescu, £tudes sur la rage. Ebenda. 1894.
8. Calabrese, cit. bei Aujesky.
9. Centanni, Die specif. Immunität der Elemente der Gewebe. Ein Beitrag
zur Kenntniss der Immunität u. Serumtherapie bei Rabies. Deutsche med. Wochen -
schrift. 1893. Xr. 44.
10. De Blasi et Russo Travali, Recherche sulla Rabbies. Butt, della soc.
d'lgien. di Ealermo. 1989.
11. Galaville und Martin, Ueber Immunisirung gegen Strassenwuth. Compt.
rend. 1902.
12. Galtier, cit. bei Högyes.
13. Gratia et Lienaux, Injection von normaler Xervensubstanz zur Behand¬
lung der Wuth. Annal. de med. vet. 1898. p. 254.
14. Helman, Untersuchungen über die Hundswuth. Archiv für Biologie. 1893.
Bd. II. Nr. II.
15. Högyes, Die experimentelle Basis der antirab. Schutzimpfungen Fasteurs.
Stuttgart 1889.
16. Derselbe, Soll bei wiederholt von tollen Hunden Gebissenen die Schutz¬
impfung erneuert werden? Ref. Baum garten. 1901.
17. Derselbe, Lyssa. Nothnagel’s S/>ec. Pathol. u. Therapie. Bd. V. Till. V.
18. Derselbe, Contrib. experim. ä Petude des quelques questions etc. An na lei
de VInstitut Fasteur. 1889. p. 429.
19. Kraiuchkine, Sur Pellet des inject, souscutanees du virus fixe de la rage.
Arch. des Sciences biolog. 1897. p. 261.
20. Kraus u. Kreissl, Ueber den Nachweis von Schutzstolfen gegen Hunde-
wuth. Centralblatt für Bakteriologie. 1902. S. 802. Orig.
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Gck igle
Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
64 Josef Schnürer: Zur präinfectionellex Immunisibung c. s. t.
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21. Kraus u. Mare sch, Ueber die Bildung von Immunsubstauzen gegen Lyssa-
yirus bei natürlich empfänglichen und unempfänglichen Thieren. Diese Zeitschrift.
Bd. XLI. S. 527.
22. Kraus, Keller und Clairmont, Ueber das Verhalten des Lyssavirus im
Centralnervensystem empfänglicher, natürlich immuner und immunisirter Thierr.
Ebenda. 1902. S. 486.
28. Kurtz u. Aujesky, Massenimpfungen von Fohlen gegen Wuth. Veterinär
1901.
24. A. Marie, Immunisirungen gegen Toll wuth. Society de Biolog . Dec. 1902.
Ref. Berl. th. Wochenschrift. 1903. S. 619.
25. Derselbe, La Rage. Encyclop. scientif. des Aide Mim. Paris.
26. Marx, Beitrag zur Lyssaimmunität. Deutsche med. Wochenschrift . 18^.
S. 671.
27. Derselbe, Zur Theorie der Pias teur*sehen Schutzimpfung gegen Tollwutl
Ebenda. 1900. Nr. 29.
28. Moncet, Die Schutzimpfung gegen Toll wuth bei Pflanzenfressern. Bn.
vitir. 1898. p. 291.
29. Rodet et Galaville, Untersuchungen über die immunisirende Kraft m
Glycerin aufbewahrter Theile des Centralnervensystems von wüthenden Thieren
Annal. de mid. vit. 1901. p. 190. — Compt. rend. 1901.
30. Dieselben, Ueber Serotherapie der Wuth. Compt. rend. 1901. p. 1092.
81. Dieselben, Einfluss des langen Aufenthaltes des Virus fixe in Glycerin
Ebenda. 1901. p. 1147.
32. Schüder, Strassenvirus u. Virus fixe. Diese Zeitschrift. Bd. XLII. S. 362,
38. Tizzoni e Centanni, Die Vererbung der Immunität gegen Rabies auf da>
Kind. Centralblatt für Bakteriologie. 1893.
34. Dieselben, Ueber die Art, die bei Thieren schon ausgebrochene Wuth zu
heilen. Deutsche med. Wochenschrift. 1892. S. 624 u. 702.
35. Dieselben, Serum gegen Rabies von hochimmunisirender Kraft auf Menschen
anwendbar. Berliner klin. Wochenschrift. 1894. S. 189.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Indicatoren
des Bakterienlebens und ihre praktische Bedeutung.
Von
Prof. Dr. B. Gosio,
Direktor der mikrobiologischen Laboratorien des König], italienischen Gesundheitsamtes in Bum.
Die zahlreichen und bisweilen beträchtlichen Uebelstände, die in der
Praxis bei der Injection von nicht sterilen Heilmitteln zu Tage getreten
sind, haben schon seit langer Zeit bei den Aerzten eine grosse Be¬
unruhigung hervorgebracht und sogar ein wesentliches Hinderniss für
den Fortschritt und die Verbreitung von wissenschaftlich hergestellten
Heilproducten gebildet, welche, ihrem inneren Werth nach, sehr hoch
geschätzt zu werden verdienen. Ja diese Besorgniss ist noch gesteigert
worden durch die Erfahrung, dass selbst Producte, die aus Instituten
herkommen, welche eine hohe Achtung gemessen nicht nur wegen der
wissenschaftlichen Tüchtigkeit des in ihnen angestellten Personals, sondern
auch durch das besondere Vertrauen, dass man ihnen in Folge einer
langen vorwurfsfreien Thätigkeit schuldig ist, keineswegs gefahrlos sind.
Frisch in Erinnerung ist noch der Fall des Mailänder Instituts, das der
Heilpraxis ein Serum überliefert hat, durch dessen Anwendung zahlreiche
Kinder, statt von der Diphtherie geheilt oder g-gen sie immuni'irt zu
werden, dem Tetanus zum Opfer fielen . 1 Familien und Aerzte. die sich
bisher dieses Serums bedient hatten, sind durch dieses Ereignis in ernst¬
liche Bestürzung gerathen.* Alle stimmen darin überein, dass es sich
1 Hier weisen wir auf die bekannten Tetanusfälle hin, die im Winter 19<>* in
Oberitalien und der Schweiz in Folge des Gebrauchs von einer Partie verunreinigten
Serums vorgekommen sind.
* Ein schwerer Tetanusläll ist au'-h in Indien in Folge eine» verunreinigten
Pestvaccins vorgekommen. (Briefliche Mittheilungen von Hatikine.f — Ausserdem
ist in dieser Beziehung auch zu erwähnen, dass sich in Rom 1 1 £*00> mehrere Tetanus-
falle nach Injection verunreinigter hämostatiseher Gelatine gezeigt haben.
Zeiiscbr. f. lirgitue. LI. 5
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Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
66
B. Gosio:
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hier um ein Versehen oder Irrthümer gehandelt hat. Wenn es aber un¬
möglich ist, diese Irrthümer genau zu präcisiren, und wenn dieselben bei
Instituten, die sich durch lange Thätigkeit bewährt haben, Vorkommen,
so muss man nothwendiger Weise annehmen, dass selbst die von erfahrenen
Personen ausgeübte Technik Lücken aufweist, und dass unter gegebenen
Umständen, namentlich in Folge von Symbiosis, ein Serum, in welches
gewisse Infectionskeime eingedrungen sind, auch einer weiteren Entwicke¬
lung Vorschub leisten bann: woraus eine ernste Gefahr für das Publikum
von selbst hervorgeht.
Viele haben angenommen, dass durch die Hinzufügung von Antiseptica
allen Consequenzen vorgebeugt werden könnte. Aber es lässt sich nichts
Trügerischeres denken. Man könnte eine solche Maassnahme geradezu als
illusorisch bezeichnen, so zu sagen als eine Verschleierung der Gefahr:
entweder sind die Antiseptica im Stande, ihre Wirkung auszuüben, uud
in diesem Fall muss die Dosis so bedeutend sein, dass die zu Impfenden
selbst dadurch Schaden leiden; oder sie sind zur Abtödtung der Keime
unwirksam, und dann vermögen sie höchstens in Folge von Entwickelungs¬
hemmung ein Serum als steril erscheinen zu lassen, während thatsächlich
noch lebende Keime vorhanden sind. Jedenfalls verdient ein solches Ver¬
fahren nicht den Namen Sterilisation; ja man kann es nicht einmal
als absolutes Hinderniss für die Vervielfältigung der Keime bezeichnen.
Abgesehen von allen anderen Beweisen genügt die nachgewiesene That-
sache, dass die erwähnten den Tetanus verursachenden Sera mit Carbol-
säure zu 0*5 Procent versetzt waren. 1 Nichtsdestoweniger besassen sie
einen beträchtlichen Bodensatz von bakterischeu Zooglöen, unter welchen
sich ausser dem Tetanusbacillus zahlreiche direct mikroskopisch leicht
erkennbare Streptokokken befanden.
Folglich stellt der Zusatz von Carbol, Campher, Kresol u. s. w., wie
er jetzt üblich ist, nichts anderes als eine ganz grobe prophylaktische
nur für unsere Sinne bestimmte Maassnahme dar, weil dadurch nur ver¬
hindert wird, dass das Serum in Fäulniss übergehen kann. Jedoch wird
man zugeben müssen, dass wir uns nicht z. B. mit dem Mangel an üblem
Geruch zufrieden geben können, um eine Substanz, die unter die Haut
von Menschen gebracht wird, für unschädlich zu erklären. Wie ferner
aus dem obigen Beispiel hervorgeht, dürfen wir nicht nur nicht auf die
Abtödtung der eventuell in’s Serum eingedrungenen Keime rechnen,
sondern wir können nicht einmal immer auf die Verhinderung ihrer Ent¬
wickelung rechnen, was bei Weitem schlimmer ist.
1 Dies ergiebt sich nicht nur aus den Erklärungen des serotherapeutischen In¬
stituts, sondern auch aus den im chemischen Laboratorium des Gesundheitsamtes
ausgeführten Analysen.
Gck igle
Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Indicatoren des Bakteriexlebens ü. ihre prakt. Bedeutung. 67
Eine besondere Berücksichtigung verdienen, solchen Gefahren gegen¬
über, die sogenannten abgetödteten Vaccins (Ferran), d. h. diejenigen
Impfstoffe, die aus ehemals virulenten Bakterieuculturen bestanden haben,
aber vorsichtig ihrer Lebenskraft beraubt sind, vermittelst specieller
physikalischer oder chemischer Behandlung. Ich muss gestehen, dass,
wenn ich, wie es oft vorgekommen ist, mich in dem Fall befand, Präparate
der Art prophylaktisch in weitem Umfang gegen die Pest anzuwenden *,
ich nicht ruhig schlafen konnte bei dem Gedanken, dass dieses Yaccin
noch irgend lebende specifische Keime enthalten könnte. Allerdings war
eine gewissenhafte Coutrole der Reinheit und Wirksamkeit voraufgegaugen
und die Vertheilung des Yirus in Flacons war erst nach constatirter
Sterilität der Culturen vorgenommen worden. Es ist aber ebenso leicht,
sich davon zu überzeugen, dass diese Criterien nur einen relativen Werth
besitzen: es kann sein, dass das Prüfungsmaterial sich als steril ergiebt,
während irgend ein kleiner Theil der Gesammtmasse aus irgend einem
Grunde nicht steril ist, sei es, dass er nicht dem nöthigen Temperatur¬
grad ausgesetzt war, oder sei es, dass er durch die Dazwischenkunft
irgend eines Umstandes die Wirkung des Antisepticums nicht erfahren
hatte. Die Entscheidung über die Sterilität des Controlmaterials kann,
genau genommen, nur für das Prüfungsmaterial gelten, während der
praktische Gebrauch sich auf den ganzen Rest des Materials bezieht, aus
welchem die Controlprobe entnommen war. Auch in diesem Fall kann
die Anwendung der Antiseptica nur eine unsichere Garantie gewähren,
sofern sie sich innerhalb solcher Grenzen hält, welche die Wirksamkeit
des Impfmaterials und die Gesundheit der Impflinge nicht beeinträchtigt.
Obwohl der gewöhnlichste Fall der ist, dass solche Vaccine aus sehr
labilen, d. h. für physikalische und chemische Agentien sehr empfind¬
lichen Keimen herrühren, so können sie doch der 0*5 procent. Carbolsäure
Widerstand leisten, einer Verdünnung, die man heutzutage für solche
Vaccins anräth. — Vielleicht lässt sich nach einer laugen Coutactperiode
von einer gewissen Garantie sprechen: andererseits ist es aber auch be¬
kannt, dass im Interesse der Prophylaxis frisches mit sehr viru¬
lenten Keimen dargestelltes Vaccin auzurathen ist. Und zwar
darf dieses Vaccin in seiner activen Substanz weder durch Hitze, noch
durch das Antisepticum wesentlich gelitten haben, da diese Factoren nur
die Aufgabe haben, das Zellenleben mit der geringstmöglichen Schädigung
der Proteine zu unterbrechen, welche letzteren die active specifische Sub-
1 Dies sage ich mit Bezug auf die bei der kleinen Pestepidemie in Neapel 1901
vorgenommenen Vaccinationen. S. R. Santo!it/uido: Re!azurne al Constalio Superiore
di Sanitä sui cari di Reste bubbonica a Napoli-Roma. 1902.
5 *
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Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
68
B. Gosio:
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stanz darstellen. Dies gilt von den Keimen, deren Cultur das Darstellungs¬
material des Vaccins bildet; wenn man jedoch auf die Wahrscheinlichkeit
des Eindringens fremder Keime seine Aufmerksamkeit richtet, so wird
man auf dieselben Umstände zurückgeführt, die für die Sera auseinander¬
gesetzt sind; die Carbolsäure zu 0*5 Proceut kann höchstens die Entwicke¬
lung verdecken, aber sie wird nie im Stande sein, gewisse Infectionskeime.
und darunter gerade die gefährlichsten, zu zerstören. Es kommen also
die gerühmten Vortheile dieser und ähnlicher antiseptischer Maassnahmeu
auf eine gefährliche Dlusion hinaus, welche um eines scheinbaren Patentes
von Reinheit willen zur Anwendung solcher Producte ermuthigt, die
eigentlich ausgeschlossen werden sollten; in der That entweder ist das
Heilmaterial steril und dann ist es unnütz, diese Maske der Antiseptica
anzuwenden, oder es ist nicht steril und dann wird der Zweck durch das
Antisepticum nicht erreicht. Dieses letztere ist also auszuschliessen. Das
von Einigen versuchte Auskuuftsmittel, die Wirkung der Hitze mit der
des Antisepticums zu verbinden, hat praktische Uebelstände ergeben; in
erster Linie die starke Trübung der Sera schon bei einer Temperatur
von 50°. Ferner muss man in Betracht ziehen, dass, wenn man auf eine
absolute Garantie der Sterilität rechnen will, es erforderlich ist, bis zu
solchen Hitzegraden zu steigen, welche mit der Erhaltung des Serums
im flüssigen Zustande absolut unerträglich sind. Wenn man dagegen
solche Hitzegrade nicht zu Hülfe nimmt, so lässt sich höchstens von
einer partiellen Desinfection sprechen; und diese erstreckt sich nicht
einmal auf die gefährlichsten Keime, z. B. die Tetanussporen.
Dieser Sachlage gegenüber verfahren meiner Meinung nach diejenigen
am richtigsten, welche sich auf eine möglichst aseptische Technik be¬
schränken, indem sie alles, was vielleicht verunreinigt sein könnte, vom
Gebrauch ausschliesseu. So verjährt man, nach dem mir Berichteten,
im Institut Pasteur in Paris, in demjenigen von Bern und in anderen.
Die von diesen eingeschlagene Richtung hat eine gewisse Analogie mit
dem jetzt vielfach in der Chirurgie beobachteten Verfahren. Wenn man
mit der grössten Gewissenhaftigkeit (wie z. B. bei einer delicaten chirurgi¬
schen Operation) vor sich geht, so liefern die Thatsachen den Beweis,
dass man im Allgemeinen reine Producte erhalten kann. Wenn nachher
bei den vielfachen verwickelten Manipulationen zufällig ein Gefäss ver¬
unreinigt wäre, so würde die Abwesenheit der Antiseptica selbst die Ur¬
sache sein, dass die Verunreinigung in Folge von lebhafter Bakterieu-
vermehrung sich den Sinnen kundgeben kann. Dann werden diese Serien
ohne Weiteres ausgeschlossen. Hierdurch ist ein rationeller Fortschritt
erreicht: nichtsdestoweniger kommt man auch mit diesem System nicht
dahin, Ungewissheiten und Zweideutigkeiten ganz zu vermeiden. Alle
Gck igle
Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Indicatoren des Bakterjenlebexs ü. ihre prakt. Bedeetcxg. 69
Sera haben, nach mehr oder weniger langer Zeit, einen bisweilen selbst
bedeutenden Bodensatz albuminöser Natur 1 ; und häutig ist es sehr
schwierig, festzustellen, ob es sich um einen rein albuminüsen Bodensatz
handelt oder ob dieser albuminöse Niederschlag mit Bakterien vermischt
ist, die eventuell eingedrungen sind und sich im Serum vermehrt haben.
Bekanntlich entwickeln sich innerhalb der reinen Blutsera fast alle Keime
mehr oder weniger agglutinirend mit Zurücklassung eines Bodensatzes.
Dieser Umstand macht die Beurtheilung noch schwieriger. Ferner ist in
Erwägung zu ziehen, dass nicht alle Keime ein frühzeitiges Wachsthum
im Serum zeigen; viele zögern, sich einem ihnen wenig günstigen Cultur-
medium anzupassen, und es kann Vorkommen, dass Präparate, die als
steril betrachtet wurden, erst nach längerer Zeit, wenn sie schon für den
Handel bestimmt waren, sich als verunreinigt ausweisen; eben in Folge
jener sehr langsamen Bakterieuentwickelung. Sie zu unterscheiden von
denen, welche nur eiuen einfachen albuminüsen Bodensatz haben, ist
überaus schwierig, für den praktischen Arzt aber ganz unausführbar.
Nach dem Gesagten liegen die grossen Mängel der Controle auf der Hand.
Entweder wird sie so ausgeübt, dass man die Proben aus der noch nicht
iu Dosen vertheilten Gesammtmasse entnimmt, oder so, dass mau von
den Einheiten, d. h. von den Flacons nach geschehener Vertheilung, aus¬
geht. In beiden Fällen kann das Resultat fehlerhaft sein; ja, aller Wahr¬
scheinlichkeit nach wird es dies nicht selten sein. Ernste Schäden, sowohl
in sanitärer, wie auch in conimercieller Beziehung werden die Folge sein.
Bald wird man die ganze Masse verwerfen, obwohl es sich um eine
äusserst geringe Zahl von Mikroorganismen handelt, von denen nach ihrer
Vertheilung in Fläschchen zu erwarten steht, dass sie nur einen kleinen
Theil davon verunreinigen werden: ein erheblicher üconomischer Schaden.
Bald wird man die ganze Partie für rein erklären, während in Wirklichkeit
Flacons mit verunreinigtem Serum aus ihr hervorgehen: also ein sanitärer
Nachtheil. Berücksichtigt man ferner die Vorkommnisse, die beim Aus¬
giessen, bei der Vertheilung in Dosen u. s. w. möglich sind, so entfernt
man sich immer weiter von der Wahrscheinlichkeit, dass die Controle
ein praktisch gültiges Criterium ausdrückt, denn jedes Fläschchen stellt
eine Einheit für sich dar, welche, so zu sagen, ihre besondere Geschichte
besitzt. Das Resultat der Controle ist also höchstens für die
kleine der Prüfung unterzogene Probe gültig, und kann nicht
auf den Rest der Partie, aus der sie stammt, bezogen werden.
1 Allerdings ist die Möglichkeit, Sera von beständiger Klarheit zu erhalten,
nicht ausgeschlossen; zu diesem Zwecke sind jedoch viele Monate, ja bisweilen Jahre
erforderlich. Dadurch, dass man sie so lange stehen lässt, werden aber die Handels¬
interessen wesentlich geschädigt.
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
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70 B. Gosio:
Diesen Thatsachen gegenüber wird man dazu gezwungen,
eine absolute Garantie in irgend einem automatischen Control¬
system zu suchen, d. h. in solchen Mitteln, welche beim ersten
Blick darüber zu entscheiden erlauben, welche von den
Fläschchen steril sind und welche nicht. Das einfachste und natür¬
lichste dieser Mittel ist im Bakterienwachsthum selbst gegeben, sofern es
sich statt der Sera, um andere Nährflüssigkeiten, z. B. Bouillons handelt.
Hier giebt sich die Entwickelung der Keime fast immer von selbst durch
die charakteristische Trübung der Masse kund: Ich sage „fast immer 1 ',
um einige Fälle auszuschüessen, in denen das Wachsthum sehr spärlich
ist, und sich nur in Form von Wölkchen offenbart. Es liegt also auch
hier wie in Bezug auf die Serumpräparate nahe, ein Mittel zu suchen,
welches, dank charakteristischen vitalen Phänomenen, dem Auge des Be¬
schauers enthüllt, ob lebende Keime- vorhanden sind oder nicht.
Ich werde nicht bei allen sichtbaren Stoflfwechselerscheinungen ver¬
weilen, deren die Mikroorganismen fähig sind und die man gelegentlich
als diagnostisches Merkmal ihres Lebens benutzen kann, wie z. B. Ver¬
änderung der Farbe, Gasentwickelung, Niederschläge u. s. w. Jedenfalls
muss in dem uns hier interessirenden Falle das Erkennungsphänomen, um
seinem Zweck zu entsprechen, folgende Eigenschaften besitzen:
1. Es muss ein unzweideutiges Urtheil erlauben.
2. Es muss für alle Keime eine gemeinsame Gültigkeit haben,
wenigstens aber für die wichtigsten, durch welche die Verunreinigungen
gewöhnlich hervorgebracht werden, und gegen welche wir einer Garantie
bedürfen.
3. Es muss sehr empfindlich sein, so dass es auch bei einem spär¬
lichen Mikrobenwachsthum wirksam bleibt.
4. Es darf nicht zu theuer zu stehen kommen.
5. Es darf das Präparat nicht schädlich beeinflussen.
Natürlich schliesst diese letztere Bedingung mehrere Erfordernisse in
sich: dass das Mittel das Serum nicht in seinen wesentlichen Eigenthüm-
lichkeiten alterirt, dass es seinen Werth nicht in beträchtlicher Weise ver¬
mindert, dass es die Controloperationen nicht stört, und dass es dem Serum
keine nennenswerthen für den Menschen schädlichen Eigenschaften mit-
theilt.
Wirft mau einen Blick auf die Gesammtheit dieser mannigfaltigen
Erfordernisse, so begreift man leicht die Schwierigkeiten, das Problem im
Einklang mit den praktischen Bedürfnissen zu lösen. Wahrscheinlich ist
dies der Grund, weshalb bisher keine methodische Reform, die einem so
naheliegenden und wichtigen Zweck entspricht, vorgeschlagen worden ist.
Go gle
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Indicatoben des Bakterienlebens u. ihre prakt. Bedeutung. 71
Von dem Wunsch geleitet, einen Beitrag in einer Richtung, die mir so
rationell scheint, zu leisten, habe ich zahlreiche Untersuchungen unter¬
nommen und zwar habe ich die Frage so gestellt:
Giebt es ein Erkennungsmerkmal für das Bakterienleben
im Allgemeinen und ist dasselbe für unsere Zwecke praktisch
brauchbar?
Die reductive Wirkung, die die Bakterien auf einige Farbstoffe aus¬
üben, ist bekannt; diese ist gewöhnlich von einer Entfärbung des Nähr¬
substrates, in dem die Erscheinung stattfindet, begleitet. Da es sich
hier um einen mit blossem Auge erkennbaren Vorgang handelt, so wurden
die ersten Versuche mit reducirbaren Farben, wie namentlich Indigoblau
und Methylenblau, ausgeführt. Ich musste mich aber bald davon über¬
zeugen, dass sie praktisch den Anforderungen nicht entsprechen. Vor
allen Dingen giebt es ziemlich zahlreiche Ausnahmen, in denen ein
Mikrobenwachsthum stattfinden kann, während die Färbung des Nähr¬
substrates, in welchem es vorkommt, fortdauert. Zweitens ist ein sicheres
Urtheil nur bei einer vollständigen Entfärbung möglich. Nun weiss man,
dass das Serum ein schlechter Culturboden für die Keime ist; und wenn
die Entwickelung dieser letzteren spärlich oder localisirt ist, so ist auch
die Entfärbung spärlich und localisirt: daher bleibt schliesslich die Ent¬
scheidung ungewiss. Ferner muss man den Umstand der Entwickelung
in der Form eines Bodensatzes in Betracht ziehen, bei der sich eventuell
nur die tieferen Lagen entfärben, nämlich diejenigen allein, welche in Be¬
rührung mit den lebenden Mikroben stehen, eine Entfärbung, die durch
die Einwirkung der darüberliegenden Schichten nach und nach verloren
geht. Endlich (und dies ist der wichtigste Einwand) existiren secundäre
Erscheinungen, welche das Erkennungsmerkmal zerstören. So vermag der
Contact mit dem atmosphärischen Sauerstoff, selbst mit jener geringen in
dem Fläschchen oder inmitten der Flüssigkeit enthaltenen Quantität die
ursprüngliche Färbung wieder herzustellen. Fände das statt, nachdem
die Mikroben zu einem latenten Leben übergegangen sind, so würde man
die Flüssigkeit irrthümlich als steril erklären. Wegen so beträchtlicher
Uebelstände sind die Unterscheidungsmerkmale, welche sich lediglich auf
die Veränderung der Farbe gründen, bei Seite gelassen worden 1 und nur
diejenigen der Prüfung unterzogen, durch deren Wirkung dauernde Er¬
scheinungen hervorgerufen werden, die, sobald sie einmal eingetreten sind,
unveränderliche und klare Zeugen des stattgehabten Vorganges bleiben.
1 Hiermit will ich nicht ausschliessen, dass in besonderen Fällen auch die auf
Entfärbung beruhenden lndicatoren gute Dienste thun können. Vor Kurzem hat
Smidt Untersuchungen angestellt, durch die er zu dem Resultat gekommen ist, dass
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B. Gosio:
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Auf das Studium der Natur und Anwendbarkeit dieser Indicatoieu
wurde ich durch eine Reihe neuerdings von mir unternommener Unter¬
suchungen über die Tellur- und Selensalze geführt, die eine Ergänzung
der früher von mir veröffentlichten Arbeiten über die Biologie und Chemie
der Arsenpilze, bilden sollten. Ich beschäftigte mich mit dem schon von
Maassen 1 behandelten Thema über die Analogie zwischen dem Tellur
und Selen einerseits und dem Arsen andererseits in ihrem Verhalten gegen¬
über den Schimmelpilzen und wollte einen Beitrag zu der betreffenden
Differentialdiagnose liefern, den ich anderen Ortes publiciren werde. Die
Thatsache, die mir namentlich bei allen auf diese Frage bezüglichen
Experimenten in die Augen fiel, bestand darin, dass ausser den bio¬
synthetischen Vorgängen, die sich für die Hyphomyceten auf eine Aethy-
lation der genannten Metalloide zurückführen lassen, sich auch sehr
hervortretende Reductionsprocesse nachweisen lassen, die von höchst
charakteristischen Niederschlägen in den Culturen begleitet sind. Da eine
sehr grosse Anzahl von Schimmelpilzen und anderen Mikroorganismen
(d. h. alle diejenigen, die ich zu meiner Verfügung hatte) eine solche
Reaction vorzüglich gab, so ist es erlaubt, von einer allgemeinen Regel
zu sprechen, und es schien vollkommen gerechtfertigt, in diesen Eigen¬
tümlichkeiten des Tellurs und Selens einen für das Bakterienleben im
Allgemeinen gültigen ludicator zu erblicken. Hier scheint es mir an¬
gebracht, einen Augenblick bei dem Grundprincip zu verweilen, indem
ich, was über diesen Gegenstand bekannt war, kurz zusammenfasse, und
mit den neuen von mir gewonnenen Thatsachen vervollständige, welche
meiner Meinung nach die Basis bilden für die Anwendbarkeit des Princips
auf den uns hier beschäftigenden Zweck.
Die Thatsache, dass die Tellur- und Seleuverbindungen, wenn sie sich
im lebenden Organismus befinden, von den Zellen zersetzt werden und
Substanzen von charakteristischem Geruch hervorbringen, ist eine seit langer
Zeit bekannte. Dies geht aus den Untersuchungen von Gmelin 2 und
das Methylenblau ein vortreffliches Mittel zur Beurtheilung der Verunreinigung von
in den Handel gekommenen Milchproben gewährt. Er giebt für diesen Fall eine
Methode an, die einen wesentlichen Vortheil vor dem gewöhnlichen Plattenverfahren
darbieten möchte CH. Smidt, Ueber die Fähigkeit der Milch Methylenblau zu redu-
ciren. Ilygien. Rundschau. 1904. Nr. 23).
1 A. Maassen, Die biologische Methode Gosio’s zum Nachweis des Arsen und
die Bildung organischer Arsen-, Selen- und Tellurverbindungen durch Schimmelpilze
und Bakterien. Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte. Bd. XVIII.
2 Chr. Gmelin, Versuche über die Wirkungen des Baryts , Stronlians etc.
Tübingen lb24.
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Indicatoren des Bakterienlebens ü. ihre prakt. Bedeutung. 73
Hansen 1 * * hervor. Die Erscheinung wurde gegen Ende des vorigen Jahr¬
hunderts durch Beiträge verschiedener Autoren eingehender studirt und
man gelangte dazu, die Natur der riechenden Verbindungen zu bestimmen,
welche nach Hofmeister* mit einem methylsynthetischen Process Zu¬
sammenhängen. — Gmelin selbst weist im Verlauf seiner Untersuchungen
auf die Abscheidung von freiem Tellur und Selen im tellurisirten oder
selenisirten Organismus hin. Noch genauer untersuchte Beyer* die
Thatsache und stellte fest, dass die Präparate der genannten Metalloide
in Berührung mit den lebenden Zellen sich mit Pigmentation der das
Element absorbirenden Zellen zersetzen.
Inzwischen war schon durch die Arbeiten Chabrie’s und Lapicque’s 4 5
festgestellt, dass die mikrobischen Zellen (Mischcultureu) ein analoges
Verhalten aufweisen. Die bedeutendsten Arbeiten jedoch, die in dieser
Beziehung veröffentlicht sind und mit meinem Zweck in der nächsten
Verbindung stehen, sind die von Scheurlen und Klett 6 , die die Er¬
scheinung an den einzelnen mikrobischen Einheiten, d. h. mit Reinculturen,
genau studirt haben. Scheurlen hat den Milzbraudbacillus, in Gegen¬
wart von Natrium selenosum, anaörobisch gezüchtet, indem er hoffte, ein
üppigeres Wachsthum ohne Sporen zu erhalten, dank dem leichtgebundenen
Sauerstoff des Salzes, welcher, so zu sagen, eine Sauerstolfquelle, ähnlich
der der Hämoglobine des Blutes darstellt. Die Hoffnung des Verfassers
erfüllte sich nicht, dagegen offenbarte sich die Erscheinung eiuer activen
Reduction, durch welche alle Colonieen eine rothe Färbung annahmen.
Auch andere vom Verfasser nicht mit Namen erwähnte Keime zeigten
dasselbe Verhalten. Nachdem Scheurlen auf ein analoges Verhalten des
Natrium tellurosum (schwarzer Niederschlag) hingewiesen hat, that er der
Wahrscheinlichkeit Erwähnung, dass die bakteriologische Technik für die
DiffereDtialdiagnose der Mikrobencolonieen daraus einen Vortheil ziehen
könne wegen der Färbung, die sich in denselben kund gebe. — Klett’s
Untersuchungen erstrecken sich viel weiter. Er hat im Aufträge
1 K. Han sen, Versuche über die Wirkung des Tellurs auf den lebenden
Organismus. Annalen der Chemie und Pharmacie, 1853. Bd. LXXXVI.
* Hofmeister, Ueber Metliylirung im Thierkörper. Archiv f experim. Pathol.
u . Pharmakol. 1894. Bd. XXXIII.
9 1. L. Beyer, Durch welchen Bestandtheil der lebendigen Zellen wird die
Tellursäure reducirt? Archiv für Physiologie von Du Bois-Key mond. 1895.
4 C. Chabrie et L. Lapicque, Sur l’action physiologique de l'acide selenieux.
Compfes rendus. 1890. T. CX.
5 Scheurlen, Die Verwendung der selenigen und teilurigen Säure in der
Bakteriologie. Diese Zeitschrift . Bd. XXXIII. — Klett, Zur Kenntnis« der redu-
cirenden Eigenschaften der Bakterien. Ebenda .
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B. Gosio:
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Scheurlen’s die schon von dem Letzteren beschriebenen Erscheinungen
näher studirt, indem er sich namentlich mit dem Natrium selenosum
beschäftigte. Die Zahl der mit diesem Salz untersuchten Bakterienarten
beläuft sich auf 27, unter denen sich die allergewöhnlichsten Mikroorga¬
nismen befinden. Die Hauptschlüsse, zu denen Klett gelangt, sind folgende:
Das Natrium selenosum und das Natrium tellurosum werden durch
wachsende Bakterien zu metallischem Selen bezw. Tellur reducirt und
sind besonders geeignet, die reducirenden Eigenschaften der Bakterien zu
demonstrieren.
Es bestehen zwar Unterschiede bezüglich der Intensität der Reductiou
zwischen den einzelnen Bakterienarten; im Princip ist aber sämmtlichen
Bakterien eine reducirende Kraft zuzuschreiben.
Die Intensität der Reductiou ist im Allgemeinen der Wachsthums¬
intensität proportional.
Die Reductionswirkung der Bakterien gegenüber diesen Stoffen wird
von der Bakterienzelle und nicht von ihren Stoffwechselproducten geleistet.
Andere Schlussfolgerungen, die, für unseren Fall von geringerer Be- J
deutung sind, beziehen sich auf die Unmöglichkeit, den Dissociatious- I
Sauerstoff der betreffenden Salze für das Leben der aeroben Keime zu ver- j
wenden, den Mangel einer in den Culturen der aeroben Arten hervor¬
tretenden Sympathie derselben und die Indifferenz, die sie für die Er¬
haltung des Lebens und der Virulenz der Bakterien zeigen.
Die Arbeiten Scheurlen’s, Klett’s und anderer Autoren liefern den
zweifellosen Beweis, dass die Tellurite und Selenite am meisten geeignet
sind, das Reductionsvermögen der Bakterien zu beweisen. Dagegen stossen
wir in Betreff der Behauptung, die gewissermaassen die Umkehr des von
den Autoren ausgesprochenen Satzes darstellt, dass nämlich die Reductiou
der Selene und Tellure als Indicator des Bakterienlebens anzusehen sei.
auf grosse Bedenken. Es handelt sich nämlich um den Einwand, dass
die genannten Salze, auch ohne dass Bakterien ins Spiel kommen, leicht
reducirt werden könnten. In der That wird von rothem Bouillonboden-
satz bei den Seleniten gesprochen, ohne dass von Mikrobenleben die Rede
ist; ferner wird die Röthung der Nährsubstrate durch einfachen Zusatz
von Traubenzucker erwähnt. Ich will hier nicht von anderen Schwierig¬
keiten und Unsicherheiten sprechen, auf die wir später zurückkommen
werden.
Als ich meine Untersuchungen über diesen Gegenstand begann, habe
ich mich durch die eben erwähnten Arbeiten nicht beeinflussen lassen,
sondern eigene Wege eingesehlageu und eine in mehreren Punkten ab¬
weichende Technik befolgt.
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Indicatoben des Baktebeenlebens u. ihbe tbakt. Bedeutung. 75
Während Scheurlen und Klett vorzugsweise die Selensalze in’s
Auge gefasst hatten, nahm ich die Tellurite zum Ausgangspunkt und
statt mit dem von diesen Autoren vorgezogenen Natriumsalze experimen-
tirte ich auch, und sogar besonders, mit Kalisalzen. So bildete den ersten
und hauptsächlichen Gegenstand meiner Untersuchungen das Kalium tel-
lurosum mit einem geringen Ueberschuss von Kalilauge (K a Te0 3 + KOH).
Es ist dies ein in Wasser nicht leicht lösliches Salz; man kann höchstens
von einer Lösbarkeit von 3 Proc. bei gewöhnlicher Temperatur sprechen.
Diese ist jedoch für den von uns verfolgten Zweck mehr als hinreichend.
In Gegenwart jenes geringen Ueberschusses von Alkalien erträgt das Salz
ziemlich gut das Sieden, und wenn es weder dem Licht noch schwachen
Redactionsmitteln ausgesetzt ist, so vermag es sich unter gewöhnlichen
Umständen ohne nennenswerthe Zersetzungen zu erhalten. Nach meinen
Untersuchungen kann man bis zur Trockenheit 1 verdampfen und den
Rückstand lange Zeit hindurch in Berührung mit Baumwolle dem Licht
aussetzen, ohne die geringste Farbenveränderung zu bemerken. Hierin
besteht der Hauptwerth dieses Salzes gegenüber analogen Selen Verbindungen,
weshalb wir ihm hier den Vorzug geben und es als Grundlage für dies
Gelingen der uns interessirenden Methode betrachten. Andere Vorzüge
werde ich später noch hervorheben. Die mit dem Kalium tellurosum bei
Culturen der verschiedensten pathogenen und nicht pathogenen Mikro¬
organismen gemachten Versuche ergaben durchaus einwandsfreie Resultate.
Ich fasse hier kurz die von mir schon in einer anderen Mittheilung 1
publicirten Ergebnisse zusammen:
Wenn man einen Keim in ein Nährsubstrat bringt, dem eine Spur
von Kalium tellurosum hinzugesetzt ist, oder wenn man diese Spur einer
Cultur von Mikroben hinzufügt, so findet bei Gegenwart des activen
Mikrobenlebens eine wesentliche Reduction des Salzes mit Tendenz zur
Abscheidung von metallischem Tellur statt. Die Erscheinung offenbart
sich in einer sehr ausgesprochenen Farbenveränderung der bakterischen
Zooglöen, die gewöhnlich in einem Uebergange vom Weisslichen zum
Schwarzen, bisweilen jedoch zum Braunen oder Grünlichen oder Violetten
besteht 2
Diese Färbungen sind der Thatsache zuzuschreiben, dass die Bakterien¬
zellen gleichsam zu einer Niederlage der Reductionsproducte und dadurch
reich pigmentirt werden. Handelt es sich um Flüssigkeitscultureu, so
1 Bend. Acc. Lincei. Vol. X11L l.Semestre 1904.
* Diese Färbungsverschiedenheiten führen uns zu der Annahme, dass es sich
hier nicht immer um einen Bodensatz von metallischem Tellur handelt, sondern dass
in einigen Fällen andere Verbindungen, wahrscheinlich Tellurlire, verkommen.
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B. Gosio:
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pflegen die Zooglöen wegen ihres vermehrten specifischen Gewichts schneller
zu Boden zu fallen und einen Niederschlag zu bilden, dessen Natur durch
seine Farbe leicht zu erkennen ist.
Die anwendbaren Dosen von Kaliumtellurit schwanken je nach den
verschiedenen Bakterien. Hier existirt eine grosse Stufenleiter; der
Staphylococcus pyogenes z. B. und viele gewöhnliche Saprophyten er¬
tragen eine starke Dosis, während der Tetanusbacillus z. B. auch bei
kleinen Mengen schon Schaden leidet. Jedenfalls ist aber der Charakter
der Reductionserscheinung ein solcher, dass er vermittelst von Verdün¬
nungen, die mit dem Leben fast aller Bakterien verträglich sind, sich er¬
kennen lässt. Ausserdem kann die Sensibilität durch Hinzufügung von
besonderen Substauzen, wovon wir später sprechen, erhöht werden.
Die Zersetzung des Kaliumtellurits zeigt sich bei der grossen Mehr¬
heit der verschiedenen Mikrobenclassen, so dass man in diesem Fall von
einer allgemeinen Regel sprechen kann. Weun sich Ausnahmen constatireu
lassen, so beeinträchtigt dies den praktischen Zweck, den die Methode
verfolgt, nicht weiter, weil wir im Allgemeinen nur einen Anzeiger
gewöhnlicher Verunreinigungen suchen.
Die Bioreaction des Tellurs ist eine Frucht des Bakterienlebens 1 und
wird durch all’ die Elemente, welche den Stoffwechsel der Mikroorganismen
begünstigen, erleichtert: so u. a. durch den Ueberiluss von Sauerstoff bei
den aeroben Keimen, den jugendlichen Zustand des Mikroorganismus
selbst, die Quantität der Bakterien, die das Salz angreifen, die geeignete
Temperatur, die günstige Beschaffenheit des Nährmaterials.
Die Reduction des Tellurits liess sich weder vermittelst Culturen ab-
getödteter Keime unter einer möglichst niedrigen Temperatur
erreichen, noch durch Filtrate 2 lebender Culturen, ja nicht einmal durch
lebende Culturen, denen eiue derartige Dosis von Tellur, die als Anti-
septicum dienen konnte, hinzugesetzt war.
Hier tritt uns die Frage entgegen, ob die reducirende Wirkung der
Mikroben ein lediglich vitaler Process sei, d. h. ob sie unmittelbar an ihr
Leben gebunden sei, oder ob sie von den diffundirenden Stoffwechsel-
producten abhiinge. Eine grosse Anzahl von Forschern ist der ersteren
1 Hier ziehen wir natürlich die Reductionswirkungen, die durch besondere
Chemikalien ausgeübt werden, nicht in Betracht, so z.B. schwell. Säure, Aldehyde u.e.w.
Dieser Umstand könnte im Widerspruch mit den vom Princip verfolgten Zwecken zu
stehen scheinen; solche Fälle kommen jedoch in der Praxis nicht leicht vor, und
ausserdem kann man überall durch besondere Auskunftsmittel Abhülfe schaffen.
8 Wir sehen hier von den besonderen mit Reductionsvermögen begabten Cährungs-
producten ab (z. B. Aldehyden, Ketonen u. s. w.).
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Indicatoren des Baktebienlebens u. ihre 1’Rakt. Bedeutung. 77
Ansicht, so z. B. Cahen 1 , Spina 2 , Smith 3 , Rothberger 4 , Klett 5 ,
während Andere die entgegengesetzte vertreten (z. B. Roszahegyi 8 ,
Baginsky 7 , Müller 9 ). Noch neuerdings haben Hahn und Cathcart 9
für das Methylenblau und Maassen 10 für die Tellurite und die Selenite den
enzymotischen Charakter der Erscheinung betont. Dass man in einzelnen
Fällen Reductionssubstanzen aus den Mikroorganismen extrahiren kann,
unterliegt keinem Zweifel. So vermag man mit dem Buchner’schen
Hefepresssaft und anderen Säften Reduction der Tellurite und Selenite zu
erhalten; aber man darf sich dieser vereinzelten Thatsachen nicht zur
Aufstellung eines allgemeinen für alle Bakterien gültigen Gesetzes be¬
dienen. Später werde ich auf diesen Gegenstand zurückkommen, vorläufig
können wir als feststehend annehmen, dass unter keinen Umständen das
praktische Princip hierdurch leidet, denn es handelt sich um Flüssig¬
keiten, die steril erhalten werden müssen; und die eventuelle Reduction
der Tellurite bleibt immer ein Anzeichen von Verunreinigung, sei es,
dass sie direct vom Leben der Keime abhängt, sei es, dass sie auf ihre
Gährungsproducte zurückzuführen ist.
Die schon von mir erwähnten Untersuchungen, die ich in meinen
zwei vorläufigen Mittheilungen auseinandergesetzt habe, wurden nach ver¬
schiedenen Richtungen ausgedehnt, um neue Daten zur Bestätigung
meiner Auffassung zu gewinnen. So habe ich mit Tellurit und Selenit
an zahlreichen Mikroorganismen, ausser den schon früher von mir an¬
gewandten, experimentirt und meine Aufmerksamkeit vorzugsweise auf
diejenigen, welche ein besonderes praktisches Interesse darbieten (zer¬
setzende Luftkeime) gerichtet.
1 (Jähen, Ueber das Reductionsvermögen der Bakterien. Diese Zeitsehr. Bd. II.
1 Spina, Bakteriologische Versuche mit gefärbten Nährsubstanzen. Centralblatt
für Bakteriologie. Bd. II.
s Smith, Reductionserscheinungen bei Bakterien und ihre Beziehungen zur
Bakterienzelle. Ebenda. Bd. XIX.
4 Rothberger, Differentialdiagnostische Untersuchungen mit gefärbten Nähr¬
böden. Ebenda. Bd. XXI.
* Klett, a. a. 0.
* Roszahegyi, Ueber das Züchten von Bakterien in gefärbter Nährgelatine.
Centralblatt für Bakteriologie. Bd. II.
5 Baginsky, Ueber Gährungsvorgänge im kindlichen Darmeanal. Deutsche
med. Wochenschrift. 1888.
• Müller, Ueber reducirende Eigenschaften der Bakterien. Centralblatt für
Bakteriologie. Bd. XXXI.
• Hahn und Cathcart, Ueber die reducirenden Wirkungen der Bakterien.
Archiv für Hygiene. 1902. Bd. XLIV.
10 Maassen, a. a. 0. und Ueber das Reductionsvermögen der Bakterien und
über reducirende Stoffe in pflanzlichen und thierischen Zellen. Arbeiten aus dem
Kaiserl. Gesundkeilsamte. Bd. XXI.
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B. Gosio:
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Die Untersuchungen, die ein unsicheres Ergebniss hatten, habe ich
wiederholt. Es scheint mir nützlich, hier eine vollständige Liste der
bisher von mir untersuchten Mikroorganismen aufzuführen; ich theile sie
in drei Gruppen ein, je nach der Intensität, die ihre Culturen in der
Reaction auf die genannten Salze zeigen:
Starke Reaction. Staphylococcus pyog. aureus, Staph. pyog. albus.
B. pyocyaneus, B. sincyaneus, B. subtilis, Milchsäurebacillus, B. prodigiosus,
B. Coli (4 Varietäten), B. Typhi, B. acquatilis, B. mesentericus vulg., Proteus
vulg., B. pyogenes foetidus, B. megaterium, B. ozoenae, Hühnercholerabacillus.
Streptotrix lingualis, Streptotrix odorifera, B. suisepticus, B. Suipestifer, Vibrio
Cholerae asiaticae, Vibrio Metschnikoff, Vibrio phosphorescens, Rotzbacillus,
Vibrio Tyrogenes, B. Cubonianus, B. fluorescens liquef., B. luteus, Sarcina
lutea, Micrococcus rosaceus, B. violaceus, Penicillium glaucum (10 Varietäten),
Mucor Mucedo (3 Varietäten), Penicillium brevicaule, Aspergillus varians,
Asperg. fumigatus, Asperg. Havescens, Asperg. niger, 2 Oosporen 1 , 25 Wasser¬
bakterien 1 , 12 Luftbakterien 1 , 16 Bakterien aus Seidenwürmern isolirt. 1
Weniger intensive aber völlig evidente Reaction. Milzbrandb.,
B. pestis bub., Streptococcus pyogenes, Streptococcus adenitis equi, ein aus
der Ausleerung eines Pferdes isolirter Streptococcus, Staphylococcus cereus
Havus, Staph. cereus albus, Staph. cereus aureus, Staph. pyog. citreus, Staph.
pyog. haemorrhagicus (Pinna und Marini), B. pyog. Caviae, Sarcina alba,
Vibrio Massauensis, Rindertuberculosisbac., B. Tub. Hominis, B. Tub. aviarum.
Pseudotuberculosisbac. (Rabinowitsch), B. Diphtherit., B. pseudodiphtherit.
(2 Varietäten), Vibrio saprophyles, Micrococcus tetragenus citreus, Saccharo¬
myces elipsoideus, Saccharomyces albus, Saccharomyc. rosac., B. viscosus,
Sarcina aurantiaca, die Tobler’schen Säurebacillen (I, II, HI, IV, V),
Streptothrix Eppinger, B. dysentericus (3 Varietäten), Bothrytis Bassiana,
8 Wasserbakterien \ 3 Luftbakterien 1 , 3 Bakterien aus Seidenwürmern isolirt 1
Sehr geringe Reaction. Rauschbrandb., B. des malignen Oedems,
Tetanusbac., Proteus mirabilis, Proteus Zenkeri, B. phosphorescens, 5 Wasser¬
bakterien, 2 Luftbakterien, 1 Bacillus aus Seidenwürmern isolirt. 2
Es handelt sich also, wie man sieht, um 173 Mikroorganismen, Arten
und Varietäten zusammengenommen. Fügt man dazu acht andere Arten,
die in dieser Liste fehlen, aber schon von Klett 3 in ihrem positiven
Verhalten charakterisirt sind, so haben wir im Ganzen 181 Mikroorganismen,
die die Reaction gegen Tellurite und Selenite aufweisen. Ausserdem ist
1 Nicht genau identificirt.
3 Ich will hier daran erinnern, dass bei einigen wenigen Bakterien die Tellurit-
reduction mehr oder weniger zögernd erfolgt. Es können hier mehrere Tage ier-
streichen, während welcher eine Entwickelung ohne irgend eine Reaction stattfindet,
und wenn letztere auftritt, so ist sie kaum bemerkbar. Ausserdem erwähne ich, dass
bei zwei aus Trinkwasser isolirten Bakterien sich gar keine Reaction gezeigt hat
3 A. a. O. B. fluorescens non liquef., Vibrio ruber, schwarze Hefe, B. ramosus
Schweinerothlauf, Mäusetyphus, Pneumococcus Friedländer, Aktinomyces.
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1
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IXBICATOREN DES BAKTERIENLEBENS U. IHRE PRAKT. BEDEUTUNG. 79
in Betracht za ziehen, dass unter dieser Zahl Berücksichtigung gefunden
haben:
a) die im atmosphärischen Staub angetrofienen gewöhnlichsten Arten,
die folglich als Ursachen der Verunreinigung vorzugsweise Aufmerksamkeit
verdienen;
b) die wichtigsten pathogenen Arten;
c) die Species. welche namentlich in der Praxis der Injectionen unter
die Haut eine Holle spielen (die verschiedenen Pyogenen, der Tetanus¬
bacillus 1 );
d) die bei der Infection der Serum liefernden Thiere am meisten zu
fürchtenden Mikroorganismen (Rotzbac., Milzbrandbac.. Strept. adenitis
equi):
e) der Pe>tbacillus. der wegen der Verbreitung, welche das Pest-
vaccin zu prophylaktischen Zwecken findet, auch in Betracht zu ziehen ist.
Diese von uns hervonr^hubfnen Thatsachen bestätigen im Allgemeinen
den Satz, dass die eventuelle Keduction der gewissen Injectionspräparaten
hinzugefügten alkalischen Tellurite und Selenite als Indieatur der mehr
oder weniger grossen Gefahr zu betrachten ist, welche die Injection dieser
Substanzen für den Organismus im Gefolge haben kann. Dieser Anzeiger
ist sehr exact, deutlich und nicht leicht mit anderen zufälligen Erschei¬
nungen zu verwechseln, namentlich wegen der Färbung, die dem sich
bildenden Bodensatz eigenthümlich ist. — Nach Gewinnung der wissen¬
schaftlichen Grundlage ergab sich nun weiter die Xothwendigkeit. das
Verfahren nach den verschiedenen für die Praxis in Betracht kommenden
Gesieht-punkten zu studireu. Solcher Gesichtspunkte giebt es mehrere.
Die präcise Wahl des auzuwendeudeu Präparates.
In meinen früheren, auf diesen Gegenstand bezüglichen Schriften
habe ich mich abwechselnd bald mit den Telluriteu, bald mit den Seleuiten
beschäftigt und in beiden Substanzeu die Fähigkeit, als Indicatoren einer
Bakterienverunreinigung zu dienen, gefunden. Jedoch konnte ich mich
nicht fest entscheiden, welcher von beiden ich den Vorzug geben sollte,
und habe mich damals darauf beschränkt, auf einige besondere Eigen-
thümiiehkeiten derselben hinzuweisen. Ich habe jedoch im Vorhergehenden
1 Thatsächlich zeichnet sich der Tetanusbacillus durch seine grosse Empfind¬
lichkeit dem Tellnrit gegenüber aus, während seine Zersetzungstähigkcit sehr gering
ist. Man darf jedoch nicht vergessen, dass in einem aSrobisehen Nährboden anaerobe
nor in Sjmbiosis mit aerobischen Keimen leben können. Die Mitwirkung dieser
letzteren verstärkt also die Function des Indieators.
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80 B. Gosio:
bereits im Allgemeinen angedeutet, dass den Telluriten die erste Stelle
gebührt. Die Gründe, aus denen ich die Selenite als weniger dem Zweck
entsprechend erklären muss, sind folgende:
1. Die leichtere Zersetzbarkeit der Selenite, unabhängig vom Bakterien¬
leben. Dem, was ich in dieser Hinsicht schon erwähnt habe, füge ich
jetzt die experimentellen Befunde hinzu. Ich habe vergleichende Unter¬
suchungen angestellt: eine Beihe derselben bezog sich auf die Teilung,
die andere auf die Selenite. Beide Arten von Salzen (namentlich Kalium
tellurosnm und Kalium selenosum) wurden für sich verschiedenen Nähr¬
flüssigkeiten hinzugefügt, die bereits vorher in Röhrchen vertheilt und
durch Erhitzung sterilisirt waren. Die Dosis schwankte zwischen 1:5000
und 1:10000. Die Nährböden, mit denen ich experimentirte, bestanden
aus einfacher Bouillon, Milch, zuckerhaltigen Bouillons und Blutsemm.
Ein Theil der Röhrchen wurde steril gelassen; ein anderer nach und
nach durch verschiedene Keime geimpft; die sterilen wurden verschiedenen
Licht- und Temperaturbedingungen ausgesetzt: dem diffusen Tageslicht,
dem directen Sonnenlicht, der Zimmertemperatur und der Temperatur
des Thermostats. Ausserdem wurden einigen wenigen unter den ver¬
schiedenen Serien Carbolsäure und Formaldehyd hinzugefügt (1: 100
bezw. 1:1000), um so irgend welche Entwickelung von Keimen, die bei
der Oeffnung der Geiasse eindringen konnten, sicher zu verhindern. Das
Resultat dieses länger als 4 Monate dauernden Experimentes war, dass
man in der Milch sehr schnell eine ziemlich deutlich hervortretende
Reduction der Selenite erzeugen kann. Namentlich au der Oberfläche,
wo das Fett reichlich ist, bildet sich eine beträchtliche Anhäufung von
metallischen Selen, welches dem Röhrchen ringförmig anliegt und oft
auch zu Boden fällt, wo es sich mit dem von der Lactose herrührenden
Niederschlag vermischt. 1
Eine andere Reihe von Röhrchen, die gleichfalls eine beträchtlich-;
Reductionsthätigkeit, trotz ihrer Sterilität, aufwiesen, bestand aus denen,
welchen Glucose hinzugesetzt war. Diese Activität trat am meisten in
den bei 37° gehaltenen Röhrchen hervor und gab sich hier schon wenige
Tage nach dem Beginn des Experimentes kund. Weniger beträchtlich
und langsamer ergab sie sich in den bei Zimmertemperatur (25 bis 30 ]
gelassenen Röhrchen und noch geringer zeigte sie sich in den Saccharose
und Lactose enthaltenden Röhrchen. Wurden die mit dem Salz —
namentlich mit Natriumselenit — versetzten Glucose-Bouillons 2 Monate
stehen gelassen, so sprach sich stets eine gewisse Reduction aus, so dass
1 In dieser Beziehung habe ich eine verschiedene Activität zwischen den von
verschiedenen Kühen herstammeuden Milchproben constatirt.
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Indicatoren des Bakterienlebens u. ihre prakt. Bedeutung. 81
die Annahme berechtigt schien, dass sie mehr oder weniger einem Bakterien¬
wachsthum unterworfen seien. Dies konnte jedoch nicht der Fall sein
theils wegen der Beständigkeit des Befundes, theils wegen der in einem
Theil der Röhrchen durch den Zusatz der Antiseptica gebotenen speciellen
Garantie. Uebrigens schloss die bakteriologische Prüfung jeden Zweifel
aus. In den Röhrchen mit einfacher Bouillon und in dem bei Zimmer¬
temperatur gehaltenen Serum trat keine Reductionserscheinung hervor:
nur nach vieltägigem Verbleiben im Thermostat (37°) zeigten sich im
Serum ganz geringe Spuren.
Alle diese das Selenit betreffenden Befunde traten noch weit mehr
hervor, wenn die Temperatur erhöht wurde (50 bis 60°). Unter diesen
Bedingungen fand sich auch in der Bouillon eine leise Andeutung
von Röthung: das Maximum wurde erreicht, wenn man die Flüssig¬
keiten (Milch und Bouillon) einem andauernden Sieden aussetzte. Das
Licht scheint an und für sich keinen Einfluss auf die Reductions-
fähigkeit der Flüssigkeiten auszuüben. Die Bouillons mit Selenit zeigten
sich auch, nachdem sie mehrere Stunden lang dem Sonnenlicht und
ganze Monate hindurch dem diffusen Tageslicht ausgesetzt waren, voll¬
kommen normal. Es lässt sich folglich der Schluss ziehen, dass nur bei
den einfachen Bouillons und Sera eines der Selensalze (besser Kalium,
weil etwas beständiger) mit einer gewissen Sicherheit als Erkennungs¬
merkmal einer etwa eingetretenen Verunreinigung angewendet werden
kann. Uebrigens werden wir sehen, dass sich in Betreff der Sera ein
anderer ziemlich bedeutender Uebelstand für die Function des Indicators
herausstellt. In meiner Mittheilung über die Selenite habe ich von ihrem
Werth für die Unterscheidung des Bakterienlebeus gesprochen; alle damals
augestellten Versuche bezogen sich auf die gewöhnlichen Culturbüden
(einfache Bouillon, Agar und einfache Gelatine); die Ergebnisse konnten
folglich als günstig angesehen werden. Jetzt muss ich, nach aus¬
gedehnteren und eingehenderen Untersuchungen, die Sicherheit ihrer
Function als von verschiedenen Umständen abhängig bezeichnen. Ich
habe hier diejenigen, welche ein ungünstiges Resultat ergaben, angeführt.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass das Selenit als Anzeiger einer Ver¬
unreinigung, namentlich wegen seiner leichten Zersetzung eine nur sehr
beschränkte Anwendung erlaubt, und dies ist vielleicht der Grund, wes¬
halb Scheurlen und Klett, die sich hauptsächlich auf das Selenit
stützten, über die Anwendbarkeit desselben als Erkennungszeichen des
Bakterienlebens sich nicht direct ausgesprochen haben.
Eine weit grössere Garantie für die Beständigkeit den verschiedenen
physikalischen und chemischen Einflüssen gegenüber, die unter gewöhn¬
lichen Umständen Vorkommen können, bieten die Tellurite. Dies geht
Zoitschr. f. Hygiene. LI. 6
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B. Gosio:
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unwiderlegbar aus den mit beiden Salzen ausgeführteu vergleichenden I
Untersuchungen hervor. In der That konnte ich die ausserordentliche
Beständigkeit des Kalium tellurosum nicht nur in den Nährsubstraten,
welche in Bezug auf ihr chemisches Reductionsvermögen sich indifferent
gezeigt hatten (einfache Bouillon, Agar und Gelatine), feststelleu, sondern
auch unter gewöhnlichen Bedingungen in denen, welche die Reductiou
begünstigende Elemente enthielten (zuckerhaltige Bouillon und Milch).
Die genannten, mit Telluriten in den oben angegebenen Dosen versetzten
Flüssigkeiten blieben viele Wochen hindurch sowohl im Thermostat, wie
bei der warmen Sommertemperatur (25 bis 32°) frei von einer wesent¬
lichen Bräunung. Erst nach 2 bis 3 Monaten liess sich eine Andeutung
von Kastanienfärbung in den mit Glucose versetzten Röhrchen und in
der Milch wahmehmen. Diese Thatsache konnte ich namentlich in den
bei 37° gehaltenen Röhrchen constatiren. Ich. muss hier jedoch sogleich
bemerken:
a) Dass es sich hier um ungewöhnlich gesteigerte und in der Praxis
nicht vorkommende Bedingungen handelt, sei es in Bezug auf die Wärme,
vor der die Sera und Vaccins immer vorschriftsmässig geschützt werden, j
sei es wegen der Gegenwart von reducirenden Substanzen (Glucose wirkt j
bekanntlich wie ein Aldehyd) in zu bedeutender Menge, sei es ferner
wegen der angewandten Dosis Tellurit, welche in diesen Experimenten
bei Weitem höher genommen ist, als es in der Praxis erfordert wird.
b) Dass das Aussehen dieser so zu sagen chemischen oder besser
aseptischen Reaction absolut von dem durch die Mikroben hervorgebrachten i
abweicht. Das Auge kann sie auf den ersten Blick unterscheiden. Im !
erstereu Falle handelt es sich um eine sehr schwache Nüauce, wie eine !
zerstreute und homogene Hilchkaffeefärbuug in den unteren Schichten.
wo sie sich durch langes Stehen zusammenzieht; diese Färbung ver¬
schwindet, wenn man die Flüssigkeit schüttelt. Alles dies steht zu der
sehr spärlichen Abscheidung fein vertheilten Tellurs in Beziehung. Im
anderen Falle dagegen handelt es sich um eine vitale Erscheinung, indem
die Zelle das Tellurit zersetzt und das Product (Tellur oder Tellurüre) au
bestimmten Punkten ihres Protoplasma in sich anhäuft Jede Bakterien¬
zelle wird gleichsam zu einer organisirten Niederlage dieses Produc-tes. j
wie eiu kleiner Sack, in welchem das Mikroskop mit völliger Klarheit
grobe Körnchen, gleichsam kleine Anhäufungen unterscheidet, die bi>-
weileu die Grösse von 0-5// erreichen und die ganze Breite des Bactenums
einnehmen können. Nun muss eine specitische Erscheinung, eine Action. :
die beständigen physiologischen Gesetzen unterworfen ist, nothwenditr ein ;
charakteristisches Aussehen des Eudproduc-tes hervorrufen. Und in der
That erkennt man auf den ersten Blick den Bodensatz von Zoogloen.
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IXDICATOBEN DES BaKTEBIENLEBENS ü. IHBE PB AKT. BEDEUTUNG. 83
welche die Reductionsproducte des Tellurits in sich aufgenommen haben:
es handelt sich gleichsam um einen Haufen von Körnern, die in einer
wolkigen Masse eingeschlossen sind, eine Folge der verschiedenen Ver-
breitung des Phänomens in der Bakterienansammlung. Die ersten sich
entwickelnden Keime haben eine grössere Menge von Tellurit zu ihrer
Verfügung und verbrauchen folglich auch mehr, da sie überall mit
schwarzem Pigment erfüllt sind. Die anderen, später zum Vorschein
kommenden, finden das Terrain schon nach und nach von den Haupt*
bestandtheilen des Salzes fast befreit. Diese nehmen daher weniger
Tellurit in sich auf, und vermeiden immer mehr, sich von demselben
dadurch zu befreien, dass sie es in ihrem Protoplasma niederschlagen.
Im ersten Fall könnte man sagen, dass es sich um eine Färbung handelt,
die sich leicht verbreitet, und bei Schüttelung des Flacons zerstreut; im
zweiten Fall haben wir grobe Theilchen vor uns, welche auch beim
Schütteln, weil sie organisch Zusammenhängen, sich wenig vom Boden
entfernen; immer jedoch bleiben sie, wenn sie sich weiter entfernen, leicht
sichtbar als schwarze Wölkchen. Aus allem diesem ergiebt sich, dass die
eigentliche Function des Tellurits im Verlauf eines Bakterienwachsthums
darin besteht, dass es ihr Protoplasma stark färbt und sein specifisches
Gewicht vermehrt, und so leicht erkennbar wird, während unter gewöhn¬
lichen Umständen der weissliche Bodensatz der Mikroorganismen mit
anderen analogen Niederschlägen unbelebter Natur verwechselt werden
könnte. Diese Beobachtungen überzeugen uns durchaus von der
Verwendbarkeit des Indicators, mag auch, genau genommen,
die Anwendbarkeit ihre Grenzen haben, die in praxi ausnahms¬
weise einmal überschritten werden könnten.
2. Ein zweiter Grund, um dem Tellurit vor dem Selenit den Vorzug
zuzusprechen, liegt in der Färbung der Zersetzungsproducte des Indicators:
da es sich um Salze handelt, die wegen ihrer toxischen Wirkung nur in
sehr geringer Menge verwendet werden können, so ist es durchaus noth-
wendig, dass das Erkennungsphänomen trotz dieser kleinen Quantität wohl
hervortretend und leicht zu beurtheilen sei. Jedermann begreift, dass es
in unserem Fall weit leichter ist, eine Spur von Schwarz als eine solche
von Roth zu unterscheiden; folglich ist diese Verschiedenheit eine für die
Erfordernisse eines empfindlichen Indicators sehr wichtige.
3. Der dritte Grund zu Gunsten des Tellurits beruht auf der That-
sache, dass die Function des Selenits in manchen Fällen zweideutig seiu
kann. So bildet sich z. B. bisweilen am Boden der Serumlläschchen eine
Anhäufung von Blutkörperchen, deren Färbung sehr leicht mit einem
Selenniederschlag im Innern der Bakterienzellen verwechselt werden könnte.
Kaum der Mühe werth ist es, der Möglichkeit, dass sich in d*'u telluri-
e*
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B. Gosio:
sirten und selenisirten Culturbödeu chromogene Bakterien entwickelu
könnten, Erwähnung zu thun. Es liesse sich denkeu, dass ihr Pigment
die charakteristischen Eigenschaften des Tellurs und des Selens vorspiegeln
oder verdecken könnte: jedenfalls würden uns daun die Merkmale fehlen,
um zu entscheiden, ob die Indicatoren wirklich eine Function ausgeübt
haben. Es ist jedoch überflüssig, hinzuzufügen, dass diese Bemerkung
nur einen theoretischen Fall ins Auge fasst In der That mag es sich
um ein direct aus der Mikrobenentwickelung hervorgehendes Pigment
handeln, oder um ein indirectes, das der Zersetzung von Salzen seine
Entstehung verdankt, immer liefert es einen Beweis für das Bakterienleben.
Aus allen angeführten Gründen, namentlich aber wegen der leichteren
Zersetzbarkeit der Selenite gegenüber der im Allgemeinen grösseren Be¬
ständigkeit der Tellurite sind die letzteren für unseren Zweck vorzuziehen.
Vorgänge, die den Werth des Indicators beeinträchtigen
konnten.
Schon im vorhergehenden Capitel habe ich in Hinsicht auf die Selenite
und Tellurite von einigen Unzukömmlichkeiten gesprochen, indem ich
gewissermaassen die einen den anderen gegenüber abgewogen habe. Die Resul¬
tate, die ich aus dieser ersten Reihe allgemeiner Versuche gewonnen habe,
beziehen sich auf die eventuelle Zersetzbarkeit der Indicatoren unter dem
Einfluss von Substanzen die unschwer in Flüssigkeiten, deren Sterilität
garantirt werden kann, zu erkennen sind. Die gewonnenen Resultate
haben mich dazu bewogen, diese Untersuchungen für den speciellen Fall
der Tellurite, namentlich des Kalium tellurosum eingehender zu verfolgen.
Hier muss ich vor allen Dingen auf einen Vorgang biologischer Natur
hin weisen, dass nämlich das Tellurit auch unter dem Einfluss anderen,
nicht bakterischen Lebens wirken kann. Es ist bekannt (und ich habe
schon die reiche hierauf bezügliche Litteratur aufgeführt), dass, wenn man
einem Thier ein Tellurit einverleibt, die lebenden Gewebe reagiren, sei e?
in Gestalt eines methylsynthetischen Processes, wodurch ein Methyltellurin,
das schon durch seinen eigenthiimlichen Geruch an der Injectionsstelle
erkennbar ist, abgeschieden wird, sei es durch eine active Zersetzung de?
Salzes, in Folge deren alle Zellkerne und ein Theil des Protoplasmas stark
mit Tellur pigmentirt werden. Bei todten Geweben findet dies nicht statt:
nach Hofmeister 1 könnte es aber bei Proben, die aus lebendem Gewebe
frisch entnommen sind, möglich scheinen. Wir fragen uns daher, ob e?
sich hier wirklich um eine Beeinträchtigung des Werthes unserer Methode
1 Hofmeister, a. a. 0.
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IxDICATOREN DES BAKTERIENLEBENS U. IHRE PRAKT. BEDEUTUNG. 85
handeln könnte; offenbar ist dies nicht der Fall: unser Ziel bleibt immer
darauf gerichtet, dass wir uns von einer Bakterienverunreinigung oder,
besser ausgedrückt, von einem sich in einem todten Medium, wie z. B. dem
Serum, vollziehenden Bakterienleben Rechenschaft geben. Daher hat die
erwähnte Möglichkeit nur ein wissenschaftliches Interesse und bestätigt
das Gesetz der tellurischen Reaction als lediglich für Lebensvorgänge gültig.
Für uns besitzt eine andere Fehlerquelle grössere Bedeutung; diese
ist chemischer Natur und hängt von Stoffen ab, welche die Function des
Indicators in Frage stellen können, insofern sie im Stande sind, seine
Natur zu alteriren. Die hier in Betracht kommenden Fälle sind die beiden
folgenden: es kann sich entweder um Substanzen handeln, die ihren
Sauerstoff an das Salz abgebeu, oder um solche, die den Sauerstoff
absorbiren. Im ersteren Falle verwandelt sich das Tellurit in Tellurat
und verliert dadurch die Fähigkeit, als Indicator des Bakterienlebens zu
dienen, da die Bakterien der Regel nach nicht im Stande sind, es in
einer praktisch bemerkbaren Weise zu reduciren. Im zweiten Fall wird
vermittelst einer rein chemischen Action das Tellurit in Tellur verwandelt
und somit haben wir einen functionirenden Indicator, obwohl das Bakterien¬
leben ausser Spiel bleibt. Was den ersten Fall betrifft, so kann man
leicht a priori annehmen: eine so active Oxydation, die Tellurit in Tellurat
umformt, kommt nur durch so energische Oxydationsmittel zu Stande, wie
sie in den zu hypodermischen Injectionen bestimmten Flüssigkeiten nicht
vorhanden sind. Wären sie vorhanden, so könnte man überdies ohne
Zweifel erwarten, dass sie die Mikroben vernichten würden. Der zweite
Fall dagegen ist ein möglicher, muss aber in Beziehung auf seine prak¬
tische Bedeutung studirt werden: jedenfalls kann mau die Gegenwart von
stark Sauerstoff absorbirenden Substanzen nicht erwarten, wie es z. B.
schweflige Säure, gewisse Aldehyde, Ketone und ähnliche Chemikalien
wären. Unzweifelhaft ist eine an alle zur Injection bestimmten Flüssig¬
keiten zu stellende Forderung das ne noceat; andererseits ist es gewiss,
dass jede, eine energische desoxydireude Wirkung ausübende Substanz
schädlich sein würde. Folglich kommt es auf schwache Reductiousmittel,
die sich in den Flüssigkeiten finden könnten, hinaus; und auf diesen
Punkt haben sich daher unsere experimentellen Untersuchungen zu richten.
Abgesehen von den für das Leben des Keimes besonders geeigneten Cultur-
V'den, habe ich die Empfindlichkeit des Kalium tellurosum durch Ver¬
mischung mit ziemlich starken Lösungen mehrerer Zuckerarten in ver¬
schiedenen Proportionen geprüft: die von mir angewandten Zuckerarten
waren die drei gewöhnlichsten: Glucose, Lactose, Saccharose. Lösungen
von 5:100 in destillirtem Wasser wurden durch Erhitzung sterilisirt und
nach der Abkühlung mit 1, 2 oder 3 Tropfen 3 procent. Telluritlüsnng
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ß. Gosro:
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versetzt. Jedes Röhrchen enthielt also mindestens den 20sten Theil von
0• 03ff™, d. h. 0*0015ff™, eine viel höhere Menge als, wie wir sehen
werden, für den Indicator erforderlich ist. Einen Theil der Röhrchen liess
ich bei Zimmertemperatur stehen. Alle waren wohl verschlossen und mit
Paraffin abgedichtet; andere blieben im Thermostat bei 87°. Die Beob¬
achtung wurde 3 Monate lang (vom Juli bis zum September) fortgesetzt:
bei einigen Flüssigkeiten zeigte sich nach wenigen Tagen eine beträcht¬
liche Reduction des Salzes, aber die mikroskopische Prüfung des Befundes
ergab bald, dass es sich um Tellur, in einen dichten Rasen von Schimmel¬
pilzen eingeschaltet, handelte. In der That enthielt der Wattepfropfen an
der der Flüssigkeit zugewendeten Oberfiäche zahlreiche Sporangien eines
Hyphomyceten, der später als Aspergillus varians erkannt wurde. Die
Feuchtigkeit, die die Watte leicht in sich aufnimmt, und das lange Ver¬
bleiben bei günstiger Temperatur begünstigte das Wachsthum der Pilze
in vielen Flacons, und zwar bis zu einem Grade, dass dieselben in die
Zuckerflüssigkeit eindringen konnten. Bis hierher handelt es sich, wie
man sieht, um eine vollständige Bestätigung des Princips. Hätte eine
spärliche Hyphomycetenentwickelung mir unmöglich gemacht, auf anderem
Wege zu entscheiden, welche von den Röhrchen verunreinigt waren, so
würde mir die unzweideutige Function des Indicators immer ein klares
und sicheres Kriterium geboten haben.
Eine ansehnliche Zahl von Röhrchen blieb steril, weil das Wachs¬
thum nicht in die Flüssigkeit hineinreichte; und hier zeigte sich im All¬
gemeinen keine Spur einer Reductionserscheinung. Nur bei den Glucose¬
lösungen, deren aldehydähnliches Verhalten, den Metalloxyden gegenüber
bekannt ist, liess sich nach dem langen Verbleiben bei 37 bis 40° eine
ganz geringe Bräunung bemerken. Jedoch kann man hierin theils wegen
des Mangels eines wirklichen Niederschlages, theils wegen der aufs Höchste
getriebenen Bedingungen des Versuches, wie sie in der Praxis nicht leicht
Vorkommen, keinen Widerspruch gegen die Brauchbarkeit des Indicators
erblicken. 1 Entsprechende Lactose-, Glucose- und Saccharoselösungen wurden
1 Hierher gehören die schon früher gemachten und später auf's Neue wieder¬
holten Versuche über die Indifferenz, welche die Tellurite todten Bakterienkörpern
gegenüber zeigen. So sind durch Erhitzung sterilisirte Belege von Choleravibrio,
Staphylococcus pyogenes aureus und von Pestbacillen lange Zeit hindurch bei Kälte
oder milder Temperatur mit Lösungen von 1:50000 in Berührung geblieben, ohne
dass eine nennenswerthe Reduction eingetreten wäre. Bei starker Erhitzung jedoch,
oder bei langer Dauer (viele Wochen hindurch) eines solchen Contactes bei hoher
Temperatur kann man eine schwache Zersetzung des Salzes hervorbringen. Diese
Erscheinung ist aber nicht im Geringsten mit derjenigen zu vergleichen, die man
schon durch eine kurze Berührung des Keimes in seiner vollen Entwickelung erhält.
Jedenfalls scheint mir höchst interessant der Umstand, dass die Keime bei einer
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LODICATOREN DES BAKTERIENLEBENS U. 11IRE PR AKT. BEDEUTUNG. 87
4 Monate lang bei einer Temperatur von 27 bis 30° gehalten, ohne dass
eine nennenswerthe Zersetzung des darin gelosten Tellurits sichtbar wurde.
Andererseits habe ich beobachtet, dass Röhrchen mit gewöhnlicher Bouillon
nach einer langsamen, 5 bis 6 Monate dauernden Verdampfung einen
festen Rückstand zeigten, ohne dass auch nur die geringste Spur von
einer Reduction des in ihnen enthaltenen Salzes wahrgenommen werden
konnte. Wenn dieser Rückstand dagegen gelöst und inficirt wurde, so
trat eine normale Reaction ein, indem die bakterischen Zoogleen sich braun
färbten.
Um zu einer Fehlerquelle zu gelangen, die in Wahrheit eine be¬
trächtliche Erschwerung der Beurtheilung zur Folge haben könnte, müsste
man tiefgreifende Moditicationen in den physikalischen Bedingungen der
angewandten Culturböden vornehmen. Dies lässt sich, sei es durch sehr
hohe Temperatur, sei es durch eine wesentliche und andauernde Ver¬
minderung des atmosphärischen Druckes erreichen. Wenn man eine in¬
differente Flüssigkeit (z. B. destillirtes Wasser), in welcher Kalium tellurosum
gelöst ist, ziemlich lange Zeit sieden lässt, so tritt in der chemischen
lanL r e andauernden Berührung ihrer todten Körper mit Tellurit und Selenit ein ver¬
schiedenes Verhalten zeigen. Ich habe selbst bei einer Temperatur von 37° 3 Wochen
lang reichliche Cholera- und Pestbacillenculturen, die in verschiedenen Verhältnissen
mit Kalium tellurosum versetzt waren (1:25000, 1:50000, 1:100000, 1 :200000,
1 : 250000), stehen lassen, ohne dass sich auch nur die geringste Bräunung wahr-
nehinen liess. Dasselbe Ergebniss habe ich bei einer Temperatur zwischen 15 und
20° erreicht, obwohl der Contact 45 Tage anhielt. Belege von Staphvlococcus pvog.
aureus, der sich unter allen Keimen durch seine grosse Reductionsfähigkeit der Tel-
lurite und Selenite auszeichnet, ertrugen länger als 4 l / 2 Monate den Contact mit
Natrium selenosum (1:50000) bei einer zwischen 18 und 25° schwankenden Tempe¬
ratur, ohne irgend eine Andeutung von Reduction zu geben. Es ist daher wahr¬
scheinlich, dass es sich in diesen Fällen um ein völlig negatives Verhalten handelt.
Dagegen zeigte bei einer 14 tägigen Berührung mit Culturen des Typhusbacillus
(sterilisirt bei 60 bis 65°) das Kalium tellurosum in den oben angegebenen Verdün¬
nungen eine aschgraue Färbung des bakterischen Bodensatzes, während die mit einem
Theil des letzteren angefertigten Culturen keine merkliche Entwickelung hervor¬
brachten. Wenn diese Erscheinung auch nicht im Entferntesten mit derjenigen zu
vergleichen ist, welche man mit den entsprechenden lebenden Culturen erhält, so ist
sie doch nicht ohne Bedeutung. Falls es sich hier wirklich um absolut todte
Bakterien handelt, müssten wir auf specielle osmotische Eigentümlichkeiten
schliessen. Mit anderen Worten: wir hätten bei einigen Bakterien eine derartige
Structur anzunehmen, dass sie „selbst todt“ das Reactiv zu absorbiren im Stande
wären. Dies letztere würde die in der Bakterienzelle angehäufte reducirende Substanz
angreifen und eine schwache Andeutung von Reaction, jenseits des Lehensgebietes,
hervorrulen. Die Hauptaufgabe der lebenden Bakterien würde trotzdem immer die¬
selbe bleiben, nämlich das Salz wirksam zu absorbiren und es in die reaetiven
Punkte zu vertheilen.
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B. Gosio:
Constitution der Lösung keine wesentliche Veränderung ein; und dies dient
zum Beweis, dass es möglich ist, eine Telluritlösung unter Erhitzung zu
sterilisiren, ohne dass sie irgend etwas von ihrer Wirksamkeit als biologisches
Erkennungszeichen verliert, was von wesentlicher Bedeutung für die Er¬
fordernisse der Praxis ist.
Eine bei Weitem mehr ausgesprochene Veränderung tritt jedoch ein,
sobald man an Stelle des gewöhnlichen Siedens in offenem Röhrchen
eine solche in geschlossenen Apparaten, wie z. B. dem Autoclav vornimmt.
In diesem Fall hydrolysirt sich das Salz leicht und wird dadurch für
seine Function als Indicator viel weniger brauchbar. Schliesslich kann
man durch Erhitzung die höchste Veränderung erreichen, wenn man sich
statt einer indifferenten Flüssigkeit anderer bedient, die Substanzen mit
reductivem Vermögen enthalten. Dann kann schon die gewöhnliche Bouillon
eine entschiedene Reduction hervorbringen, obwohl es auch hier einer lange
andauernden Action bedarf, um die ersten Symptome constatiren zu können.
Die Erscheinung tritt noch viel mehr bei der Milch und bei allen Flüssig¬
keiten auf, die eine sehr complexe Structur aufweisen, namentlich wenn
sie zuckerhaltig sind.
Auch eine Temperatur von 60 bis 70°, wenn mau sie mehrere Tage
hindurch wirken lässt, kann eine Reduction des Tellurits durch nach
Sauerstoff begierige Substanzen hervorbringeu. Die höchste habe ich jedoch
bei den dem Autoclav ausgesetzteu Nährböden, ceteris paribus, beob¬
achtet.
Eine beträchtliche Reduction des Tellurits kann mau auch in einer
an und für sich indifferenten Flüssigkeit vermittelst eines anhaltenden
atmosphärischen Vacuums hervorrufen. Man sieht, dass das Tellurmolecül
mit der Zeit einen Theil seines Sauerstoffs verliert, und diese Erscheinung
tritt in Gestalt einer Bräunung der Flüssigkeit auf, in der sich mehr oder
weniger dunkle Färbungen zeigen, bis ein wirklicher Niederschlag eintritt
Diese Thatsache ist ganz besonders bezeichnend für die anaerobischen
Culturen: um also genau zu unterscheiden, ob ein anaerobisches Bacterium
das Tellurit reducirt, muss man es in einem indifferenten Gas (an Stelle
des Vacuums) cultiviren, oder es bleibt nichts anderes übrig, als die Er¬
scheinung vermittelst mikroskopischer Beobachtung, durch die sich die
Gegenwart des elementaren Tellurs in der Mikrobenzelle entscheiden lässt,
zu controliren.
Ich möchte jedoch sogleich bemerken, dass diese Thatsacheu nur
einen durchaus theoretischen Charakter haben, für die praktischen Ver¬
hältnisse kommen sie nicht in Betracht.
Für denjenigen, der sie eingehender studirt, werden sie, statt die
Function des Tellurits als Indicator in Frage zu stellen, bis zu einem
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Imucatoken des Bakteriexlebexs u. iure prakt. Bedeutung. 89
gewissen Grade als günstig dastehen, denn selbst in mehreren ungünstig
erscheinenden Fällen erwies sich das Salz verhältnissmässig beständig.
Thatsächliche Uebelstände würden nur vermittelst besonderer Kunst¬
griffe zum Vorschein kommen — Kunstgriffe, zu deren Hervorrufung gar
kein Grund besteht, welche vielmehr zu vermeiden sind.
Bezüglich der Empfindlichkeit für die Reaction werden wir später
auch auf den Fall zu sprechen kommen, wo das Tellurit der Wirkung
der aus der Zelle extrahirten reductiven Substanzen ausgesetzt wird.
Wir kommen jetzt zu den Fällen, in denen ein tellurisirtes Serum oder
Yaccin trotz einer vorhandenen Verunreinigung keine ein Bakterienlebeu
anzeigende Reaction ausübt. Ich habe mich zuerst mit dem Fall be¬
schäftigt, dass in Folge des laugen Verbleibens in Flüssigkeiten, die Luft
enthalten, und ausserdem leicht Erschütterungen ausgesetzt sind, die ge¬
ringe Menge von gelöstem Kalium tellurosum leicht oxydirt werden und
so ihr Werth als Erkennungsmittel für eine Bakterieuentwickelung in
Frage gestellt werden könnte.
Um festzustelleu, ob eine solche Oxydation des Iudicators leicht ein-
treten könnte, habe ich Röhrchen mit unzweifelhaft sterilen Bouillons und
Sera mit Kalium tellurosum im Verhältnis von 0-5 bis 1:10000 versetzt;
einige derselben wurden, um mich von der genauen Function des In-
dicators zu überzeugen, sofort inficirt. Wenn von keinem Zweifel be¬
züglich der Reaction mehr die Rede sein konnte, liess ich die verschiedenen
Röhrchen bei der Temperatur von 20 bis 30 u stehen. Die längste Beob¬
achtungsperiode beläuft sich auf 6 Monate, den Sommer eiugeschlossen.
Aber auch nach Ablauf dieser Zeit war die Reaction noch ausgesprochen.
Ich habe oben den Fall von tellurisirten Bouillons erwähnt, die, obwohl
sie in Folge von langsamer Verdampfung einen syrupartigen Rückstand ge¬
geben hatten, eine wirksame Function des Index zu beweisen im Stande
waren. In der That bildete sich, nach Zusatz von ein wenig mit einer
Spur atmosphärischen Staubes inficirtem Wasser, ein reichlicher Bodensatz
von Bakterien, in Folge der weitgreifenden Zersetzung des Salzes kohl¬
schwarz gefärbt. Ich kann nicht mit Bestimmtheit versichern, ob diese
Functionsfähigkeit des Iudicators als absolut zu betrachten sei, in dem
Sinne, dass nicht etwa eine minimale Spur Tellurit mit der Zeit in
Tellurat übergehen könne. Zu diesem Zweck wären höchst, minutiöse und
schwierige Dosirungen unter ganz besonderen Bedingungen erforderlich:
die einzigen nicht allzu schwer ausführbaren Methoden sind die titrimetri-
schen; aber bei diesen ergiebt sich ein grosser Uebelstand wegen der be¬
trächtlichen Mengen organischer Substanzen verschiedener Natur, die das
Salz begleiten. Jedenfalls, wenn mau auch eine ähnliche Hypothese als
zutreffend annehmen will, obwohl das Salz mehr Neigung zur Reduction
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als zur Oxydation zeigt, lässt sich daraus kein Uebelstaud ableiten.
Die Gründe dafür liegen auf der Hand:
1. Bei der Empfindlichkeit der Reaction kann man immer auf eine
solche Menge noch verfügbarer activer Substanz rechnen, dass man des
Indicators sicher sein darf.
2. Jede Oxydationserscheinung, welche den Iudicator bedroht, braucht
zu ihrer Vollziehung beträchtliche Zeit. Wir haben gesehen, dass 6 Monate
nicht genügen, um den Werth der Reaction, selbst bei sehr verdünnten
Lösungen, in Frage zu stellen. Das ist eine so lange Zeit, dass der Ver¬
brauch des Materials, über welches der Indicator zu wachen hat, sich
schon vollzogen haben wird.
3. Die günstigste Periode für die Entwickelung der Keime in einem
Serum oder in einer anderen zu Injectionen bestimmten Flüssigkeit, die
ebenfalls als ein guter Culturboden zu betrachten ist, gehört im All¬
gemeinen den ersten Tagen, die auf die Vertheilung in einzelne Kölbchen
folgen. Da es sich gewöhnlich um zugeschmolzene Gefässe handelt, so
ist selbstverständlich, wenn nach Verlauf einiger Wochen in ihrem Inhalt
keine Bakterieuentwickelung stattfindet, die dauernde Sterilität der Flüssig¬
keiten als sicher zu betrachten. Folglich erstreckt sich die kritische Periode
nur auf die ersten Tage; sind diese verflossen, ohne dass der Indicator
eine Wirksamkeit gezeigt hat, so ist für die Zukunft nichts mehr zu be¬
fürchten. Man könnte sogar sagen, dass der Indicator selbst im Verlauf
der Zeit überflüssig wird: seine Vernichtung ist nicht nur ohne Nachtheil.
sondern kann sogar als vortheilhaft angesehen werden.
Die wichtigsten Fälle einer zweifelhaften Function des Indicators be¬
ziehen sich auf die Lebensbedingungen der Bakterien selbst; und hier
muss ich sogleich, auf Grund meiner Experimente, hervorheben, dass zur
Zersetzung des Kalium tellurosum durch die Mikroorganismen die beiden
folgenden Bedingungen unerlässlich sind:
1. Dass die Mikroorganismen wirklich ihre Lebensthätig-
keit äussern, d. h. stoffwechselfähig sind. 1
2. Dass ihre Anzahl nicht so gering ist, dass sie dem
blossen Auge unsichtbar sind.
1 Hier müssen wir natürlich von der kaum bemerkbaren Reaction absehen, die
sieb bei den todten Körpern einiger Keime (z. B. Typhusbacillus) nach einer sehr
langen Berührung mit dem Reactiv wahrnehmen lässt. Einerseits haben wir eine
Erscheinung vor uns, die, um eine wirkliche praktische Bedeutung zu erlangen, sich
dem blossen Auge deutlich kundgeben muss; andererseits existiren viele andere Keime,
die, wenn sie nicht lebend sind, den Telluriten und Seleniten gegenüber ein voll i 2
negatives Verhalten (unter gewöhnlichen Umständen) zeigen.
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IXDICATOREX DES BaKTERIEXLEBEXS U. IHRE PRAKT. BeDEETENG. 91
Diese beiden Punkte, deren Bedeutung sowohl vom theoretischen als
vom praktischen Gesichtspunkt unsere besondere Aufmerksamkeit verlangt,
will ich im Folgenden specieller auseinandersetzen:
Schon in meinen vorläufigen Mittheilungen 1 habe ich darauf auf¬
merksam gemacht, dass durch Emulsion selbst einer beträchtlichen Menge
Aspergillen- und Penicilliensporen in schwachen indifferenten Lösungen
von Tellurit und Selenit sich niemals auch nur die geringste Reductiou
der genannten Salze gezeigt hat. Diese Reduction trat jedoch ein, sobald
die Sporen in Stand gesetzt waren, sich zu entwickeln, indem z. B. durch
Zusatz von Zucker und Pepton die Flüssigkeit aufhörte indifferent zu
sein und in einen Nährboden umgewandelt wurde. Hiermit war eine
erste ganz elementare Beweisführung dafür gegeben, dass das latente
Leben ohne jede biologische Umwandlungsaction bleibt. Das Verhalten
der Zelle lässt sich hier gewissermaassen als eine stumme Erwartung
besserer Existenzbedingungen deliniren. Diese Beobachtungen, welche
ursprünglich sich lediglich auf einige Hyphomyceten bezogen, wurden
später auch auf mehrere andere Mikroorganismen ausgedehnt. So habe
ich Versuche mit dem Bacillus subtilis, dem Milzbrand- und Rauschbrand¬
bacillus und dem des malignen Oedems gemacht. Die Culturen wurden
unter den günstigsten Sporulationsbedingungen gelassen; nachdem dann
die Vegetationsformen durch eine Temperatur von 70° abgetödtet waren,
wurden die Zoogleen in indifferente, mit Kalium tellurosum versetzte
Flüssigkeiten gebracht. Bisweilen bediente ich mich auch der Nähr¬
flüssigkeiten, suchte aber die Keimung der Sporen zu verhindern, indem
ich die Röhrchen bei einer Temperatur von 45 bis 50° hielt.* Aus allen
gemachten Versuchen ging das übereinstimmende Resultat hervor, dass
eine grosse Menge von Sporen mit angemessenen Dosen Tellurit in Contact
gesetzt werden kann, ohne dass das Salz die geringste Spur von Reductiou
zeigt. Nur im Fall einer unvollständigen Sporulation der Beläge kann
irgend welche Andeutung der Erscheinung in Folge der Gegenwart vou
uuzerstörten Bakterienrückständen, die noch eines gewissen Stoffwechsels
fähig sind, eintreten. Der Gegenbeweis, dass das negative Ergebniss
lediglich der Thätigkeit der Sporen zuzuschreiben ist, trat immer hervor,
sobald durch geeignete Maassuahmen Modiücatiouen im Medium sich voll¬
zogen, welche den Sporen eine Entwickelung erlaubten. Die Reductions-
erscheinung nahm dann sogleich ihren Anfang.
1 A. a. O.
1 Der Versuch darf jedoch nicht allzu sehr verlängert werden, sonst würde
man eine aseptische Reduction erhalten in Folge der h"hen Temperatur, eine Ke¬
duction, die der beim Zucker beobachteten analog wäre.
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Nicht geringeres Interesse gewährt die andere Thatsache, die ich
gleichfalls schon in meinen früheren Mittheiluugen 1 erwähnt habe, dass
nämlich selbst in sehr alten Culturen verschiedener Mikroorganismen die
Transformation des Tellurits erhalten werden kann: Dies tritt auf das
Entschiedenste bei denjenigen Keimen hervor, welche keine Sporen bilden,
so z. B. hei den Vibrionen. Die Activität der Erscheinung steht in um¬
gekehrtem Verhältniss zum Alter der Cultur, und hört auf, wenn die
Thätigkeit der Mikroben erlischt, wie es gewöhnlich schnell bei den
Streptokokken der Fall ist Sind nur einige Tage nach der Aussaat ver¬
flossen, so kann man lange Zeit hindurch einen gewissen Stillstand ihrer
Vermehrung beobachten, wie z. B. manchmal beim Rotzbacillus und im
Allgemeinen bei den Streptokokken, namentlich in den ersten Perioden
ihrer Anpassung an das saprophy tische Leben. Eine solche Verzögerung
kann man übrigens stets hervorrufen, wenn man Bakterienbelege ohne
Weiteres in indifferente Flüssigkeiten überführt. Jedenfalls, wie man
auch verfahren mag, um eine Weiterenteutwickelung der betreffenden, in
grösserer Menge aus normalen Culturen entnommenen Mikroorganismen
zu verhindern, wenn sich dieselben in Berührung mit einer angemessenen
Dosis Tellurit befinden und ihr Leben in Hinsicht des Stoffwechsels durch
keine besonderen Kunstgriffe paralysirt oder erschwert wird, so pigmentireu
sich die Bakterienzelleu binnen kurzem mit metallischem Te, womit ein
greifbares Anzeichen ihrer Vitalität gegeben ist. Diese Erscheinung
ündet nicht statt oder hört auf, sobald der Mikroorganismus, sei es durch
eine allzu hohe Temperatur, sei es durch eine zu starke Dosis Tellurit, sei
es durch irgend ein andere schädliche Ursache seine Lebensbedingungen
verliert. Aus jenen Beobachtungen lässt sich schliessen:
a) dass bei sporenbildendeu Organismen, bevor die Sporen zum Vor¬
schein kommen, eine Lebensphase existirt, welche sich einem latenten
Leben annähert und wo die Function des Index nicht ausbleibt, sondern
sich nur mühsam offenbart;
b) dass diese Function (obwohl sie mit dem Altern der Cultur weniger
intensiv wird) für die nicht sporenbildenden Keime auch in einer Periode
eintritt, in welcher die eigentliche Mikrobenentwickelung schon beendigt ist;
c) dass der Höhepunkt der Function des Tellurits als Anzeichen des
Bakterienlebens erreicht wird während der Periode des lebhaftesten Stoff¬
wechsels.
Wir gehen jetzt zu der anderen unumgänglichen Bedingung für die
Wirksamkeit des Tellurits als Iudicator des Mikrobenlebens über, nämlich I
1 A. a. O.
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Indicatorex des Bakteriexlebens u. ihre prakt. Bedeutung. 93
der Nothwendigkeit eiuer ziemlich bedeutenden Bakterienmeuge, welche
der Zersetzung des Tellurits eine hinlängliche Oberfläche bietet, um die
Wirkung mit blossem Auge beurtheilen zu können. Da es sich hier um
eine im Innern des lebenden Protoplasmas sich vollziehende Erscheinung
handelt, versteht es sich von selbst, dass wir sie nur gut und leicht wahr¬
nehmen können, wenn die Bakterien eine hinreichende, dem Auge wahr¬
nehmbare Masse bilden. Hiernach lässt sich die Function des Tellurits
als eines passenden Mittels zur Beurtheilung, ob ein Bodensatz, ein
Häutchen, ein Wölkchen, oder irgend eine Trübung in der Flüssigkeit
wirklich aus einer lebenden Masse gebildet sind, definiren. Eine solche
Masse liesse sich unter gewöhnlichen Bedingungen, von anderen im Inneren
der Flüssigkeit vorkommenden Erscheinungen schwer unterscheiden; ver¬
mittelst einer Färbung dagegen, welche sich nur in den lebenden Zoogleen
zeigt, ist man im Stande, jeden Zweifel in Betreff ihrer wirklichen Natur
zu beseitigen.
Wenn man dagegen die Frage rein theoretisch betrachtet, so ist es
gewiss, dass der Indicator viel früher, als sich seine Wirkung mit blossem
Auge bemerken lässt, functionirt; theoretisch kann man sogar die Function
auch für ein einziges stoffwechselfähiges Bacterium annehmen. Um sich
aber von einem so winzigen Phänomen zu überzeugen, bedarf es einer
genauen mikroskopischen Prüfung, die das eventuelle Vorhandensein von
Tellurkörnchen in der Bakterienzelle nachzuweisen im Stande ist Das
Tellurit reagirt eben in directem Verhältniss zu der Lebhaftigkeit des
Bakterienlebens. Im Grunde handelt es sich also um eine Maass-
nahme, die eine grosse Analogie mit derjenigen besitzt, zu der
man in der gewöhnlichen bakteriologischen Technik greift,
wenn man Mikroorganismen färbt, um sie leicht sichtbar zu
machen. Der Unterschied besteht nur darin, dass im ersten Fall die
Zelle sich nur färbt, so lange sie lebend ist, während im zweiten Fall
die todte Zelle gefärbt wird. Später werden wir sehen, dass unter dem
Quantum des Bakterienlebens nicht nur die numerische Zahl lebender
Mikroorganismen, die das Tellurit angreifen können, sondern auch der
Grad der Lebensenergie, die zwischen einem Bacterium und dem anderen
wechselt, verstanden werden muss. Klar ist, dass die Function des In-
dicators durch alle Ursachen, welche die Vermehrung der Bakterien oder
die innere Function der lebenden Zellen paralysiren oder in irgend welcher
Meise behindern, gestört werden muss. So sind die Antiseptica und die
verschiedenen chemischen Mittel oder physikalischen Einflüsse, durch die
das Leben der Bakterien irgendwie behindert werden kann, mit der
Function des Indicators unverträglich; ja es ist alle mögliche mit den
übrigen Erfordernissen im Einklang stehende Sorgfalt nöthig. um das
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Leben der etwa vorhandenen Keime zu begünstigen. Schon oben habe ich
darauf hingewiesen, wie sehr dies den gewöhnlichen praktischen Handels-
interessen entspricht. Im Folgenden werde ich dies noch weiter begründen.
Die toxische Wirkung des Tellurits und seine physiologische
Erträglichkeit.
Es existirt eine ziemlich reiche Litteratur über die Toxicität und Er¬
träglichkeit des Tellurs. Hansen 1 hat an sich selbst und an einem seiner
Freunde die Wirkung des Kalium tellurosum erprobt; er fand, dass diese?
Salz selbst einige Tage hindurch in der Dosis von 0*04»™ ohne irgend
einen Uebelstand ausser einer vorübergehenden Schläfrigkeit eingenommen
werden kann: ja es soll den Appetit vermehren. Dosen von 0-08^
bringen jedoch Herzbeschwerden und Neigung zum Erbrechen hervor.
Rabuteau 2 , Czapeck und Weil 3 4 haben die Versuche auf Thiere aus¬
gedehnt. Das Meerschweinchen stirbt in 45 Minuten nach Einverleibung
einer Dosis Tellurkalitartrat, die 0-024 * rm teiluriger Säure entspricht.
Der Hund stirbt nach wenigen Stunden in Folge einer Dosis von 0.072^'
Natrium tellurosum pro Kilo. Der Frosch stirbt nach 48 Stunden in
Folge der Injection von 0-002 s™ Natrium tellurosum. Mead und Gies*
sind zu ähnlichen Resultaten gelangt. Diese Autoren haben auch mit nicht
toxischen Dosen Tellur-Versuche angestellt. Bei subcutanen Injectiouen
fanden sie, dass z. B. ein Hund von 6 • 5 eine bedeutende locale Reizung
zeigte in Folge von 0-25 Tellurtartrat, Te(C 4 H 6 0 6 ) 4 . Daten über di*
Erträglichkeit des Tellurs lassen sich auch aus seiner therapeutischen An¬
wendung schöpfen. NachNeusser 5 vermögen 0-02 bis 0-06Kalium
tellurosum den nächtlichen Schweiss der Schwindsüchtigen zu vermindern.
Zu ähnlichen Schlüssen sind Combemale und Dubiquet 6 gelaugt: die**
rathen tägliche Dosen von 2 bis 5 C * Natrium telluricum als ein gute*
Antihydrotikon au. Solche Dosen brachten keine ungünstigen Erschei¬
nungen hervor.
Für unseren Fall sind diese toxicologischen Beobachtungen nicht
ausreichend, theils weil sie zu allgemein sind, tlieils weil sie keinen Au-
haltspuukt in Betreff der Telluritmenge geben, die als höchste für eine
Injection erträgliche Dosis zu betrachten ist. Der Begriff der Resistenz
1 Annal. der Chem. u. Pharm. 1853.
2 Gaz. hehdom. 1869. Vol. XVI.
3 Archiv für experim. Pathologie und Pharmakologie. 1893. Vol. XXXII-
4 The American Journal of Physiology. 1901. Vol. V.
6 Wiener kt in. Wochenschrift. 1890. Xr. 23.
Ä Sem. med. 1891.
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Lndicatoren des Bakterienleuens r. ihre prakt. Bedeutung. 95
erstreckt sich hier nicht nur auf die Todesgefahr oder Schwere der Er¬
krankungen, sondern bezieht sich auch auf locale Erscheinungen, die eine
mehr als vorübergehende Dauer haben und wesentlichen Schaden oder
Beschwerden herbeiführen können. Man begreift leicht, dass die Dosis
freilich nicht so stark sein darf, um den Impflingen irgend welchen
Schaden zuzufügen, dass sie andererseits aber auch nicht allzu gering sein
kann, weil sonst die Function des Indicators unsicher wird. Um hin¬
reichende Unterlagen zu gewinnen, waren also neue Untersuchungen un¬
umgänglich. Solche habe ich angestellt, indem ich Hunde, Meerschweinchen,
Kaninchen und Affen als Versuchstiere benutzte. Nach Gewinnung der
Grundlagen, die eine sichere Anwendung auf die Praxis erlaubten, habe
ich die Experimente einmal auch auf den Menschen (mich selbst) aus¬
gedehnt.
Zu grösserer Klarheit scheint es mir nützlich, die von mir angestellten
Versuche übersichtlich zusammenzustellen. In der folgenden Tabelle habe
ich natürlich alle diejenigen Experimente bei Seite gelassen, welche in
Bezug auf die angeführten Resultate lediglich Bestätigungen darstelleu.
Ausserdem muss ich bemerken, dass alle von mir ausgeführten Injectionen
sich auf das subcutane Gewebe des Unterleibes oder der Lendengegend
beziehen und dass das einzuimpfende Tellurit in 5 bis 10 ccm indifferenter
Flüssigkeiten (destillirtes Wasser oder Blutserum) aufgelöst war.
Aus dieser Tabelle geht hervor, dass die verschiedenen Thierspecies
eine ungleiche Widerstandskraft gegen das Tellurit zeigen; die Kaninchen
z. B. sind verhältnissmässig empfindlicher als die Meerschweinchen; die
Affen erweisen sich am meisten resistent. Die minimale tödtliche Dusis
entfernt sich nicht weit von einem Centigramm Tellurit pro Kilo bei
Meerschweinchen, eine Dosis, die für die praktische Anwendung nicht in
Betracht gezogen werden kann. Es ergiebt sich ferner, dass selbst der
zehnte Theil dieser minimalen tödtlichen Dosis noch als unanwendbar gelten
muss wegen der beträchtlichen andauernden und schmerzlichen An¬
schwellungen, die leicht in Geschwüre übergehen können, ein Umstand,
der zumal bei schwächlichen und kränklichen Kindern nicht vernach¬
lässigt werden darf, weil er in diesem Fall eine nicht unbedeutende
secundäre Gefahr darstellt. Natürlich sind auch alle dazwischen liegen¬
den Dosen, obwohl mit ihnen keine Experimente vorgenommen sind, als
gefährlich zu erklären, und folglich auszuschliessen. Um eine erträgliche
Dosis zu finden, muss man sich unter einem halben Milligramm halten.
Hiermit ist gesagt, dass die Flüssigkeitsmenge (Serum oder Vaccin). die in
einem einzigen Punkte zu injiciren ist, vielleicht noch 0*0004 Krm Kalium
tellurosum enthalten könnte. — Stellt man die Rechnung für das anti-
diphtherische Serum (den gewöhnlichsten Fall) an mit Voraussetzung
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Original fro-m
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Indicatoren des Bakterienlebens u. ihre prakt. Bedeutung. 97
eines Productes von mittlerer Wirksamkeit (100 E.), und nimmt man an,
dass davonauf einmal 10 octn inoculirt werden sollen, so darf dies Serum
nicht mehr als 4?™ auf 100000 oder 1:25000 enthalten. Nennens¬
werter Nachtheil ist von derartigen Dosen nicht zu befürchten. 1
Wenn man im Auge behält, dass die zehnfache Dosis noch von einem
kleinen Säugethier, wie es das Meerschweinchen ist, ertragen wird, so
dürfen wir uns in der That bei der Beschränkung auf die angegebene
Verdünnung des als Indicator dienenden Salzes gegen eine schädliche
Wirkung desselben auf einen grossen Organismus hinlänglich gesichert
halten. Es ist klar, dass die Mischung, je mehr man jenen Procentsatz
(0*004:100 der einzuspritzenden Flüssigkeit) mildert, um so unschädlicher
wird; es ist aber auch gleichfalls klar, dass die Verdünnung nicht über
gewisse Grenzen hiuausgehen darf, wenn man noch auf eine gute Function
des Indicators rechnen will. Wie diese Grenzen sich bestimmen lassen,
wird sich im folgenden Capitel über die Empfindlichkeit des Indicators
ergeben; man kann sagen, dass bis zu einem gewissen Punkt die Interessen
des Letzteren in direktem Gegensatz zu den eben erörterten der Toleranz
stehen: die Rücksicht auf Unschädlichkeit verlangt ein möglichst geringes
Quantum Tellurit; für die Empfindlichkeit der Reaction dagegen ist ein
möglichst grosses Quantum, das die Keime angreifen können, wünschens¬
wert^ um schnelle und entschiedene Färbungen zu gewinnen.
Ueber die definitive für den Menschen festzusetzende Dosis muss die
Erfahrung Auskunft geben, da die verschiedenen Thiere nicht dieselbe
Empfindlichkeit besitzen. Ich kann mich in dieser Hinsicht nur auf das
Ergebniss eines kleinen an mir selbst gemachten Versuches mit telluri-
sirtem Pestvaccin (TeK^ 1:50000) beziehen. Die inoculirte Dosis be¬
trug 2 ccm . Mehrere Male hatte ich mir Pestvaccin eingeimpft und habe
keinen Unterschied in den Folgen beobachtet, ob ich demselben Tellurit
hinzugesetzt hatte oder nicht. Freilich handelt es sich hier um eine ver-
hältnissmässig äusserst geringe Dosis (0 • 00004 * rm ) Tellurit.
Empfindlichkeit der Reaction.
Hier muss man die beiden an der Reaction betheiligten Facto reu
gesondert in Erwägung ziehen, das Kalium tellurosum und die zu seiner
Zersetzung verfügbaren Mikroorganismen. Bei der gewöhnlichen chemi¬
schen Analyse hat die Menge des zur Aufsuchung eines bestimmten Eie-
1 Es ist daran zu erinnern, dass auch die gewöhnlichen, den Sera hinzugefügten
Carboisäuredosen mehr oder weniger locale Reactionen hervorrufen, die erst nach
mehreren Tagen verschwinden.
Zeitschr. f. Hygiene. LI. • 7
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mentes dienenden Reactivs keine hervorragende Bedeutung; so besitzt z.B.
Ammoniummolybdat zwar eine ausserordentliche Empfindlichkeit als Reagens
für Phosphor; es wird aber um Spuren von Phosphor zu entdecken, immer
in beträchtlichen Ueberschuss hinzugefügt. Dasselbe gilt vom Reactiv
Fehling für Glucose, von dem Reactiv Nessler für Amm oniak u. s. w. Der
Ausfall der Reaction hängt hier in der Regel nur von den grösseren oder
geringeren Spuren, die sich von einer gegebenen Substanz entdecken lassen,
ab, während das Reactiv ohne Nachtheil im Ueberschuss angeweudet
werden kann. In unserem Falle liegt die Sache anders: es gilt nicht nur.
jede, selbst die geringste Bakterienentwickelung nachzuweisen, sondern
auch das Reagens in thunlicbst geringer Menge anzuwenden, da sonst seine
Giftwirkung sich geltend machen könnte.
An der Hand der experimentellen Thatsachen, die ich in ziemlich
grosser Anzahl zu sammeln im Stande gewesen bin, will ich jetzt die Em¬
pfindlichkeit der Reaction nach beiden Richtungen näher besprechen.
Die erste Anforderung an das chemische Reagens besteht dariu,
dass es die den Keimen erträgliche Dosis nicht überschreiten darf; ja, es
ist wohl darauf zu achten, dass es in keiner Weise ihr Leben behindert.
Ich habe über die Grenzen der Erträglichkeit viele Untersuchungen ge¬
macht und muss bekennen, dass es keineswegs gleichgültig ist, ob mau
mit diesem oder jenem Keime experimentirt. Nach den von mir erhaltenen
Ergebnissen besteht hier der grösste Abstand zwischen dem Staphylococcus
pyogenes aureus und dem Tetanusbacillus. Der erstere erträgt noch eine
Concentration von 1 zu 1000; die Entwickelung des letzteren dagegen
wird noch durch eine Concentration von 1 zu 25000 behindert. Die
übrigen Bakterien halten sich zwischen diesen Extremen. Die zahlreichen
von mir untersuchten Keime lassen sich in dieser Beziehung in verschiedene
Gruppen theilen, wie ich schon in meinen früheren Mittheilungen und zu
Anfang dieser Abhandlung hervorgehoben habe. Ich werde auf diesen
Punkt zurückkommen, wenn ich von dem verschiedenen Grade der Zer¬
setzungsfähigkeit der Bakterien handeln werde. Schon eine Telluritlösung
1:100 ist im Stande eine solche autiseptische "Wirkung auszuüben, dass
sie die Entwickelung der gewöhnlichen Bakterien hemmt; indem ich von
dieser Thatsache ausging, konnte ich eines der Kriterien gewinnen, welches
der biotellurischen Reaction recht eigentlich einen vitalen Charakter ver¬
leiht. In der That blieben reichliche, in einer Lösung von Kalium tellu*
rosum zu 1 bis 3 Procent eingeschlossene Bakterieubelege ganz inactiv
und unter gewöhnlichen Umständen trat innerhalb der Flüssigkeit auch
nach längerer Zeit nicht die geringste Andeutung von Bräunung hervor.
Bei Lösungen von 1 zu 5000 wird für die meisten gewöhnlichen pathogenen
und saprophytischen Keime das Leben schon möglich; bei vielen ist es
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Indicatoben des Bakterieklebens u. ihre pkakt. Bedeutung. 99
jedoch noch sehr kümmerlich, so dass man für die Erfordernisse der Praxis
die Nothwendigkeit einer grösseren Verdünnung des Indicators annehmen
muss. In Nährbouillon und in Milch gewährt nach meinen Versuchen
eiu Gehalt an Tellurit von 1:10000 bis 1:15000 die besten Bedingungen
für eine gute Function des Indicators. In der That, einerseits enthält
die Lösung soviel Salz, dass eintretende Zersetzung leicht bemerkbar ist;
andererseits sind die Bakterien, welche die gewöhnlichen Verunreinigungen
erzeugen, im Stande, das Salz zu ertragen und vermögen, abgesehen von
seltenen Ausnahmen, dasselbe mit genügender Activität zu zersetzen. Ob
eine solche Concentration im übrigen ohne Nachtheil Anwendung finden
kann, sei hier nicht erörtert. Wir wollen vielmehr zunächst uns der Auf¬
gabe zuwenden, zu bestimmen, bis zu welchem Grade der Indicator in
den Culturböden verdünnt werden muss, wenn jede Spur seiner charakte¬
ristischen Reaction ausbleiben soll. Hier müssen wir auf vielfache Um¬
stände Rücksicht nehmen. Diese sind zunächst zwei:
1. Die Natur des Nährsubstrats, in welchem der Indicator
seine Wirkung ausüben soll. In der gewöhnlichen Bouillon und in
der Milch ist die Function des Indicators eine sehr günstige; in der Milch
liess sie sich noch bei 1 zu 100000, in der Bouillon noch bei 1 zu
200000 bemerken. Natürlich handelt es sich hier um die praktische Be-
urtheilung, d. h. die Betrachtung mit blossem Auge, denn wenn man das
Mikroskop zu Hülfe nimmt, ist man im Stande, sich selbst bei 1 zu
1000000 genaue Rechenschaft zu geben. Dagegen zeigt sich die Wirk¬
samkeit des Indicators in Flüssigkeiten, die sehr reich an Eiweiss aber
zuckerlos sind, sehr gehemmt, vielleicht aus dem Grunde, dass sich mit
dem Eiweiss Doppelverbindungen bilden, die von den Bakterien weniger
leicht angegriffen und assimilirt werden. Beim Blutserum, welches uns
besonders interessirt, ist zur Aktivität des Indicators manchmal eine Con¬
centration von 1:25000 erforderlich. Auch in dieser Concentration macht
sich unter gewissen Umständen die Reaction trotz des Mikrobenlebens
sehr wenig bemerklich. Dies scheint für die Beurtheilung des Tellurits
als Indicator einer Verunreinigung durchaus nicht günstig, wir werden
jedoch bald sehen, in welcher Weise sich diesem Uebelstand abhelfen lässt.
2. Das Flüssigkeitsvolumen, in welchem sich die Erschei¬
nung vollzieht. Um recht zu verstehen, in welcher Weise die Function
des Indicators im Verhättniss zu den verschiedenen Flüssigkeitsvolumen,
in denen er seine Wirksamkeit ausüben soll, beeinflusst wird, ist es zweck¬
mässig, sich die Natur der Biotellurreaction und die Art, wie sie sich
dem Auge des Beobachters im praktischen Falle kundgiebt, im Allgemeinen
zu vergegenwärtigen. In meinen früheren Mittheilungen habe ich die
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Thatsache betont, dass der Sitz der Reduction des Tellurits im Bakterien¬
körper liegt, ein Urtheil, dessen Richtigkeit sich dadurch bestätigt, das?
auf einer flachen, selbst an Bakteriencolonieen sehr reichen Flüssigkeits¬
schicht die Reductionserscheinung jede, auch die kleinste Colonie auf da?
Genaueste abgrenzt, ihre Ränder ganz präcis markirt und auch alle
Zwischenräume, wo kein bakterisches Leben stattfindet, unzweideutig an¬
zeigt. Wir haben es hier mit einem weiteren Criterium zu thun, das
uns veranlasst, von einem mit dem mikroorganischen Leben eng ver¬
bundenen Phänomen zu sprechen. In der That, wenn dies nicht der
Fall wäre, und von einer Reduction bei den diffundirenden Producten der
Bakterien die Rede sein könnte, so würde sicherlich ein Reductionshof
rings um die Colonieen nicht fehlen.
Ohne Zweifel verdienen in dieser Hinsicht die zahlreichen Unter¬
suchungen über die aus einigen Mikroorganismen und überhaupt aus
pflauzlichen und thierischen Geweben extrahirten reducirenden Substanzen
besondere Aufmerksamkeit. Der erste auf diese Frage bezügliche Beitrag,
den ich speciell erwähnen will, ist der von de Rey Peilhade 1 , welcher
aus Hefezellen eine den Schwefel in Schwefelwasserstoff umwandelude
Substanz ausgezogen hat. Später sind Wroblewsky 2 und Maassen 6 zu
ähnlichen Ergebnissen gelangt. Mit specieller Reductionswirkung begabte
Stoffe sind von Laurent 4 , Binz und Schütz 6 aus höheren Pflanzen
gewonnen. Die letzteren beiden Verfasser haben darauf verwandte Sub¬
stanzen auch aus dem Thierkörper (Milz, Leber, Eingeweide) isolirt, eine
Entdeckung, die durch die eingehenden Arbeiten von Hefter 6 , Stepanow 7 ),
Abelous und Gerard 8 weitere Bestätigung erfahren hat. Das Reductions-
vermögen derartiger Säfte ist au verschiedenen chemischen Substanzen
(Arsenate, Nitrate, Cacodylsäure, Methylenblau, Schwefel, Nitrobenzinu. s.w.)
geprüft worden. Für unseren Fall hat der von Maassen 9 gelieferte Bei¬
trag ein besonderes Interesse. Seine Untersuchungen erstrecken sich auf:
einige Pflanzen (Lactuca sativa, Spinacia oleracea, Impatiens Balsamina,
Tradescantia Virginia, Yicia faba) — Thiere (Maus, Ratte, Meerschweinchen.
* Compt. Red. T. CVI, ('VII, CXVIII u. CXXXI.
8 Berichte der ehern. Gesellschaft. 1898. Bd. XXXI.
* A. a. O. und Arbeiten atis dem Äaiserl. Gesundheitsamte. Bd. XXI.
4 Annales de VInstitut Pasteur . 1890.
5 Archiv für experim. Pathologie u. Pharmakologie. 1879. Bd. XI. — 1896.
Bd. XXXVI.
• Menda. 1901. Bd. XLYI.
7 Ebenda. 1902. Bd. XIIVII.
8 Compt. rend. 1899. T. CXXIX.
• A. a. O.
Googfefö
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Indicatoren des Bakterienlebens u. ihre prakt. Bedeutung. 101
Kaninchen, Schwein, Rind) — Mikroorganismen (Schimmel- und Spross¬
pilze). In allen Fällen sind hier mit Hülfe der Buchner’schen Press¬
methode Substanzen von ausgesprochenen Reductionsvermögen zum Vor¬
schein gekommen. — Maassen’s Untersuchungen haben ein specielles
Interesse für unseren Fall aus dem Grunde, dass er auch gegenüber den
Telluriten und Seleniten das Reductionsvermögen nachgewiesen hat. Ich
kann meinerseits hinzufügen, dass ich in den Säften einer in der Raulin-
Flüssigbeit cultivirten Oospora eine ähnliche, wenn auch weniger intensive
Action beobachtet habe. Dass sich dies auch in Bezug auf die Schizo-
myceten behaupten lässt, ergiebt sich aus der Beobachtung von mir, dass
einige derselben (z. B. Typhusbacillus) nach einem lang anhaltenden Con-
tact mit dem Tellurit, namentlich bei hoher Temperatur, schliesslich eine
sehr schwache, jedoch noch wahrnehmbare Reduction hervorbringen. Es
liegt nahe, dies mit einer osmotischen Absorption des Salzes und seiner
darauffolgenden Reaction durch die im Bakterienkörper eingeschlossene
reductive Substanz in Beziehung zu setzen.
Es scheint mir hier nicht der Ort, auf die Frage näher einzugehen,
ob diese Beobachtungen zur Bestätigung der von einigen angenommenen
Theorie dienen, dass die durch Bakterien hervorgerufenen Reactions-
erscheinungen nicht eigentlich vitaler Natur sind, da sie auch durch einige
aus dem Zellenkörper ausziehbare Substanzen hervorgerufen werden können.
Diese Thatsachen stehen jedoch ohne Zweifel in nahem Verhältnisse zu
dem von uns aufgestellten Satze, insofern sie nämlich die Anwendung der
biotellurischen Reaction als Erkennungszeichen eines mikroorganischen
Lebens zu beeinträchtigen scheinen. In der That würde der Beweis, dass
eine solche Reaction durch leblose in Pflanzen und Thierreich verbreitete
Substanzen hervorgerufen werden kann, unserem Principe scheinbar ent-
gegeustehen. Meiner Ansicht nach muss man jedoch hier den
äusserst verschiedenen Bedingungen, unter denen *sich die
beiden Erscheinungen vollziehen, Rechnung tragen. In dem
einen Falle sehen wir, dass das Salz von der Zelle aktiv absorbirt und in
die für seine Reduction günstigen Stellen vertheilt wird: das Protoplasma
macht durch seine Pigmentation gewissermaassen ein Gift unschädlich,
nachdem es dasselbe in sich aufgenommen hat. In dem anderen Falle
haben wir Erscheinungen, die von besonderen künstlichen Mitteln ab-
hängen, und die Bedingungen der gewöhnlichen chemischen Proeesse
wiederspiegeln. In der That ist nicht einmal ihr enzymotischer Charakter
bewiesen. Ohne Zweifel wird die Kenntniss der wahren chemischen Con¬
stitution dieser Säfte sehr lehrreich sein; jedoch kann sie im allgemeinen
unserem Principe nicht widersprechen. Das Hauptkriterium wird immer
auf der Beobachtung beruhen, dass die Mikroorganismen ihrer Vitalität
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beraubt, unter gewöhnlichen Umständen mit dem Tellurit in Berührung
bleiben können, ohne nennenswerthe Andeutungen von Beduction zu geben,
während sie in lebendigem Zustande in kurzer Zeit die Erscheinung
zum Vorschein bringen. 1 Was werden wir nun unter der Inactivität der
todten Zellen zu verstehen haben, wenn es doch möglich ist, eine aetive
Substauz aus ihr zu extrahiren? — Es liegt auf der Hand, dass es dieser
Zelle an einer Function fehlt, vermittelst deren das Salz mit dem reduc-
tiven Element in Berührung gebracht wird: es fehlt ihr die Fähig¬
keit, das Salz zu absorbiren und es in die für die Reaction be¬
sonders geeigneten Punkte zu vertheilen. Gerade aus dieser That-
sache geht die Wichtigkeit des lebenden Zustandes hervor und gerade
hierdurch wird wenigstens nach unserer Anschauung, den reductiveu. durch
die Mikroorganismen hervorgebrachten Processen ein vitaler Charakter
verliehen.
In Betreff der praktischen Fälle ist es unter allen Umständen sicher,
dass, wenn der Indicator in einer Flüssigkeit seine Wirkung ausübt, die
Entscheidung durch die schwärzlichen Anhäufungen, die sich gewöhnlich
am Boden des Gefässes beünden, oder auf der Oberfläche schwimmen,
gegeben ist. Folglich wird ebensowohl bei grossen wie bei kleinen Volumen
das Endresultat, das sich dem Blicke darbietet, auf jenen kleinen Raum
beschränkt, auf den die schwärzliche Materie sich niederschlägt. Nun
kann man, falls die activen Factoren gleich sind (gleich aetive Keime,
gleicher Procentgehalt des Reagens u. s. w.), den grossen Unterschied der
Empfindlichkeit, je nach dem es sich um ein grosses oder ein kleines
Volum handelt, leicht erkeuneu. Wenn man z. B. einerseits den Staphylo-
coccus aureus sich in einem Liter einer 1:20000 Kalium tellurosum ent¬
haltenden Bouillon entwickeln lässt und andererseits in 10 ccm derselben
Bouillon, so muss man im ersten Falle eine 100 Mal grössere Wirkum:
erhalten, weil die Reductionsthätigkeit dort von einer ungeheuren Auzak!
von Bakterien auf O-OS^™ Tellurit ausgeübt wird, während sie sich hier
von viel weniger Bakterien auf 0-0005 ?rra erstreckt. Eigentlich dürfte
man, wenn der Experimentator das Flüssigkeitsvolum nach seinem Be¬
lieben vermehren kann, nicht mehr von einem Procentsatz sprechen, sou-
1 Wir haben schon gesehen, dass für einige Mikroorganismen (Pestbaeillus,
Choleravibrio u. a.) diese Unthätigkeit unter gewöhnlichen Bedingungen eine absolut«
zu sein scheint, während sie bei einigen anderen (z. B. Typhusbacillus) einen relativen
Charakter besitzt, insofern, als bei einer mehrere Tage hindurch fortgesetzten Be¬
rührung eine schwache Zersetzung des Tellurits eintritt. Diese Thatsaelie beein¬
trächtigt den Nachweis von Verunreinigungen im Allgemeinen gar nicht; wenn es
sieh jedoch um üppige Culturen von Keimen mit derartigen Eigenschaften handelt,
so muss man ihr Rechnung tragen.
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IxDICATOREN DES BAKTERIENLEBENS U. IHRE PRAKT. BEDEUTUNG. 103
dern lediglich von der absoluten Menge gelösten Tellurits. Dieselbe Dosis
Tellurit wird in einem kleinen Flüssigkeitsquantum antiseptisch wirken,
in einem grossen Volum von den Keimen ertragen und zersetzt werden.
So bin ich dazu gelangt, mit Hülfe von Controlen nachzuweisen, dass
0-000005 Kalium tellurosum noch hinreichend sind, um der diese
Quantität zersetzenden Bakterienmasse eine Farbe mitzutheilen, die mit
anderen Bodensätzen nicht verwechselt werden kann, sofern diese Menge
Salz in 500 gewöhnlicher Bouillon aufgelöst und der in Betracht
kommende Mikroorganismus der Staphylococeus pyogenes anreus war.
Indem ich mich jedoch auf die gewöhnlichen praktischen Fälle beschränke,
in denen es sich im Allgemeinen um nicht über 10 ocm hinausgehende
Menge von Flüssigkeit handelt, musste ich in dem Ansprüche an Empfind¬
lichkeit ziemlich weit hinuntergehen, und für den Augenblick gelten hier
die schon auseinandergesetzten Grenzen. Bei den Bouillons ist die Reaction
ganz deutlich erkennbar, wenn sie in dem Verhältnisse von 1 : 100000 mit
Tellurit versetzt sind; bei den Sera dagegen stellt sich ohne Anwen¬
dung besonderer künstlicher Mittel, in manchen Fällen schon bei
1:25000, eine Schwierigkeit in der Reaction ein. Ferner muss auch hier
hervorgehoben werden, dass sich in jedem einzelnen Falle bedeutende
Unterschiede, je nach der Wahl der Bakterienspecies, der das Tellurit
ausgesetzt wird, ergeben. Hier kommt eben die Bedeutung des anderen
Reactionsfactors, d. h. die Mikroorganismen und ihre grössere oder geringere
Activität, in Betracht. Die Reaction kann ausbleiben, weil die Flüssig¬
keit keinen geeigneten Nährboden für die Keime darstellt. Diesem Mangel
könnte aber eventuell künstlich abgeholfen werden.
Dann ist die ungleiche Empfindlichkeit verschiedener Keime für das
Antisepticum'zu berücksichtigen, die es bewirkt, dass bei gleicher Zer¬
setzungsfähigkeit die grösste Wirkung bei den eine grössere Menge Tellurit
ertragenden Keimen sich ergiebt. Die beiden eben angedeuteten Schwierig¬
keiten sind die häufigsten und in Hinsicht auf die Praxis die wichtigsten,
und zwar in dem Grade, dass die Gruppirung der Keime nach ihrer
verschiedenen Fähigkeit, das Erkenuungsmerkmal darzuthun, hauptsächlich
in Verhältnis zu diesen beiden Factoren steht. Es bleibt aber noch ein
dritter höchst wichtiger Umstand zu erwähnen, der für die Biologie ein
besonderes Interesse bildet, weil er den specifischen Charakter des lebenden
Protoplasmas der verschiedenen Keime klar kennzeichnet: Jeder Mikro¬
organismus besitzt, wie die Experimente beweisen, eine be¬
sondere Assimilations- und Zersetzungsfähigkeit dem Tellurit
gegenüber. Woraus folgt, dass die Intensität der Reaction in den Cul-
turen der verschiedenen Keime ceteris paribus nicht gleich sein kann.
Nehmen wir z. B. den Tetanusbacillus, den Saccharomyces elipsoideus und
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den Staphylococcus pyogenes aureus und lassen wir sie reichlich in verschie¬
denen Gefässen sich entwickeln, die dieselbe Menge einer für sie geeigneten
Flüssigkeit enthalten. Sobald sich ein reichlicher Bodensatz gebildet hat,
entnehmen wir demselben eine gleiche Quantität und vermischen sie mit
einer sicher für die drei Keime erträglichen Dosis Tellurit (1: 50000 )
und setzen die drei Mischungen der zur Hervorbringung des Phänomens
günstigen Temperatur aus. So finden wir, dass der Staphylococcus pyog.
aureus in kurzer Zeit (15—20 Minuten) eine entschiedene Zersetzung mit
starker Bräunung der Flüssigkeit erzeugt. Bei den anderen beiden Keimeu
dagegen werden wir eine wesentliche Activität vermissen. Bei Fortsetzung
der Beobachtung während mehrerer Tage sehen wir, dass auch die Saccharu-
mycesflüssigkeit sich allmählich, jedoch nur in den tiefsten Lagen, bräunt,
und die Tetanusbacillen enthaltende Flüssigkeit gleichfalls eine aber noch
schwächere Färbung zeigt. — Man erhält dasselbe Resultat, wenn man
den Keim von Anfang an in Berührung mit dem Tellurit sich entwickeln
lässt, obwohl in diesem Falle die Toleranz der verschiedenen Bakteri'n
mehr ins Spiel kommt, und daher die Verschiedenheit des Befundes in
den drei Culturen noch deutlicher hervortritt.
Die sehr geringe specifische Activität des Tetanusbacillus darf man
nicht von seinem Charakter eines anaöroben Keimes ableiten, denn Anaö-
roben sind auch der Bacillus des malignen Oedems und der des Rauscli-
brandes; diese zeigen jedoch eine mehr ausgesprochene Wirksamkeit trotz
ihrer Empfindlichkeit dem Antisepticum gegenüber. Aehnliches lässt sieb
auch beim Bac. dysentericus (Shiga-Kruse) nachweisen; dieser aerobe Mikro¬
organismus zersetzt das Kalium tellurosum nur sehr wenig, erträgt aber
das Salz in den für unseren Zweck brauchbaren Dosen recht gut. So
kann man, abgesehen von der Empfindlichkeit für das Präparat und der
grösseren oder geringeren Leichtigkeit der Vermehrung, von einem Zer-
setzungscoefficienten für die verschiedenen Bakterien sprechen, der von
dem besonderen Charakter ihres Protoplasmas, d. h. von ihrer Fähigkeit
als Gährungsmittel zu dienen, abhängt. Ebenso wie die Mikroorganismen
eine verschiedene Fähigkeit besitzen, z. B. den Zucker anzugreifen, so ver¬
halten sie sich auch in Bezug auf ihre Zersetzungsfähigkeit des Tellurits
sehr ungleich: wir finden Maxima, Minima und mittlere Grade, ja einige
seltene Formen weisen ein negatives Verhalten auf, wie ich es z. B. bei
zwei aus Trinkwasser isolirten Schizomyceten erfahren habe. Diese That-
Sache scheint dem Werthe des Tellurits als Indicator einer Verunreinigung
zu widersprechen, wie sich auch die Thatsache als compromittirend be¬
trachten liesse, dass der Tetanusbacillus in dieser Hinsicht ein so geringes
Vermögen besitzt. Hieraus ergiebt sich aber für die Praxis kein Uebel-
stand; vor allen Dingen handelt es sich hier um seltene Ausnahmen uml
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InBICATOREN DES BaKTEEIENLEBENS V. IHRE PRAKT. BEDEUTUNG. 100
ferner muss man erwägen, wie sich in der Praxis eine Verunreinigung
bildet und welchem Zwecke der Indicator gewöhnlich zu entsprechen be¬
rufen ist. Wir haben es fast immer mit vulgären Verunreini¬
gungen zu thun, herrührend von einer Beimischung von Bak¬
terien, die im atmosphärischen Staube Vorkommen. Diesen
Fullen gegenüber ist das einwandsfreie Verhalten des Tellurits nicht in
Zweifel zu ziehen. Mir liegen in dieser Hinsicht die Resultate einer
grossen Anzahl von Experimenten vor, die ich mit den allerverschiedensten
Culturböden angestellt habe. So lauge ein Culturboden mit der nöthigen
Fürsorge für die Bewahrung seiner Sterilität erhalten wurde, offenbarte
sich auch nicht die geringste Spur von Bräunung (die Beobachtung er¬
streckte sich auf mehrere Wochen). 1 * 3 Sobald diese Vorsicht unterblieb,
indem z. B. der Stöpsel abgenommen, oder das Gefäss mit einem Sprunge
versehen wurde, so zeigten sich bald darauf schwärzliche Flöckchen, welche
den Beginn bakterischer Lebensentwickelung im Tellursalze ankündigten.
Besondere Erwähnung verdienen auch die physikalischen und chemi¬
schen, die Erscheinung theils begünstigenden, theils hemmenden Be¬
dingungen. Das directe Sonnenlicht behindert die Zersetzungsthätigkeit
der Mikroben, die sich weit besser in der Dunkelheit vollzieht. Dies rührt
jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach von den normalen Anforderungen des
Bakterienlebens her, das durch das directe Licht leidet.
Die atmosphärische Luft übt bisweilen einen günstigen Einfluss aus,
so z. B. beim Stapbylococcus aureus, bei der gelben Sarcine, beim Bacillus
der Bubonenpest, bei dem der Diphtherie u. s. w. Das Maximum der
Zersetzung des Tellurits zeigt sich bei dem der atmosphärischen Luft direct
ausgesetzten Zoogleen. Am leichtesten kann man die Erscheinung bei den
meisten Cultureu dadurch hervorrufen, dass man die Bakterienbelege mit
Tellurit aufeuchtet. Einige seltene Keime verhalten sich entgegengesetzt,
so z. B. der Saccharomyces elipsoideus, bei welchem die tieferen Cultur-
schichten zuerst gebräunt werden.
Im Allgemeinen kann man, nach dem, was wir von dem biologischen
Factor als Reactionscoefficienten wissen, behaupten, dass das Maximum
der Wirksamkeit des Indicators bei denjenigen Keimen erreicht wird, deren
Entwickelung eine üppige ist, die das Tellurit gut ertragen und ihm
gegenüber ein hohes Zersetzungsvermögen besitzen. Sobald eine dieser
drei Eigenschaften unterdrückt oder verringert wird, bleibt entweder die
Function des Indicators aus, oder wird abgeschwächt. In der Praxis be-
1 Für die Bouillon stehen mir aueh Beobachtungen über 9 Monate (den »Sommer
eingerechnet) zu Gebote, für Sera über 5 Monate. Sterilisirte Milch zeigte nach
3 Monaten eine geringe perlgraue Färbung.
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finden wir uns, wie schon gesagt, fast immer solchen Bakterieuspecies
gegenüber, welche den erwähnten Anforderungen ziemlich gut entsprechen.
Dass in Hinsicht auf unser mikrobisches Reagens auch der Lebens¬
zustand der Bakterien in Betracht kommt, haben wir oben bereits aus¬
einandergesetzt. Um es kurz zusammenzufassen: Die Fälle, die in der
Praxis vorzukommen pflegen, sind zwei; es handelt sich entweder um
einen schon zu seiner normalen Entwickelung gelangten Mikroorganismus,
dessen Vervielfältigung somit als beendet zu betrachten ist, oder eine
solche Entwickelung hat sich noch zu vollziehen. Im ersteren Falle kann
Sporenbildung eingetreten sein oder nicht. So lange es sich lediglich um
Sporen handelt, bleibt der Indicator, wie gross auch ihre Zahl ist, unter
gewöhnlichen Umständen unthätig. Wenn es sich dagegen nur um einen
Stillstand in der Vermehrung handelt, so übt der Indicator seine Wirkung
aus und seine Action wird um so intensiver und schleuniger, je lebhafter
sich noch Lebensthätigkeit äussert und je ausgedehnter die Oberfläche ist.
die den Contact des chemischen Reactivs mit dem bakterischen erlaubt.
Die zu ihrer vollen Entwickelung gekommenen, aber noch sehr
jungen Culturen sind, wie wir gesehen haben, diejenigen, welche
in dieser Hinsicht die grösste Energie besitzen; in den günstig¬
sten Fällen derart kann man das Phänomen schon nach wenigen
Minuten wahrnehmen. Andererseits ist bei den sehr alten Culturen
die Activität gering, eine Thatsache, die der Verlangsamung des Stoff¬
wechsels entspricht. Haben wir es mit einer erst zu erwartenden Ent¬
wickelung zu thun, d. h. mit vereinzelten Keimen, die sich zu vervielfäl¬
tigen im Stande sind, so tritt uns stets zunächst die Frage entgegen, ob
diese Entwickelung in irgend einer Weise durch die hinzugefügte Tellurit-
dosis gehemmt werden könnte; über diesen Fall haben wir uns schon
früher klar ausgesprochen.
Mittel, uni die Empfindlichkeit der Reuction zu steigern.
Die einfache Anwendung der bis jetzt von uns auseinandergesetzten
Criterien genügt, um einen praktischen Erfolg von der Anwendung der
Tellurite als Reagens für das Mikrobenleben zu erwarten. Nichtsdesto¬
weniger schien es mir nothwendig, eine weitere Vervollkommnung der
Methode zu versuchen. Hierzu haben mich diejenigen Fälle bewogen, in
denen die Reaction iu Folge der speciellen Natur der gegebenen Flüssig¬
keit gehemmt oder unsicher gemacht wird. Besondere Aufmerksamkeit
verlangt das Blutserum und zwar mit Rücksicht auf die Serumtherapie,
die in erster Linie zur Wachsamkeit über die Sterilität der Injectious-
flüssigkeit mahnt. Das Blutserum ist. wie bekannt, au und für sich ein
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INDICATOREN DES BAKTERIENLEBENS U. IHRE PRAKT. BEDEUTUNG. 107
für die Entwickelung der Mikroorganismen im Allgemeinen wenig günstiger
Boden und bedingt schon hierdurch eine Hemmung der Function des
Indicators, der in Beziehung zur Bakterienmasse steht. Ausser diesem
Umstande kommt noch ein anderer in Betracht, der auf das Innigste
das Verhalten des Indicators, als chemischer Verbindung, berührt. In
Gegenwart einer grossen Menge Eiweiss bilden sich nämlich aller Wahr¬
scheinlichkeit nach complexe Verbindungen, die von den Mikroorganismen
schwerer reducirt werden können. In der That, wenn man Bouillon-
culturen mit Serumculturen vergleicht, so bemerkt man, dass das Kalium
tellurosum sich im Serum weniger leicht reducirt. Freilich besteht in
dieser Hinsicht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem einen und
dem anderen Serum und es ist ferner möglich, durch zweckmässige Ver¬
dünnung des Serums mit Wasser oder Bouillon, eine solche Verzögerung
zu beseitigen. Im Allgemeinen ist jedoch reines Blutserum der Function
des Tellurits als Indicators eines Bakterienlebens weniger günstig als die
Bouillon. Häufig kommt es vor, dass, um die Erscheinung in ihm völlig
klar auftreten zu lassen, die Dosis des Salzes wesentlich vergrössert werden
muss; da hierin aber eine mögliche Schädigung für die Bakterien gegeben
ist, so muss man so weit als möglich die toxische Wirkung des Tellurs
zu verringern suchen. Die Resultate der mit anderen physiologischen
Flüssigkeiten angestellten vergleichenden Versuche haben es möglich ge¬
macht, auch in dieser Beziehung abzuhelfen. Ich hatte nämlich bemerkt,
dass die Milch trotz ihrer sehr complexen Constitution und trotz ihres
bedeutenden Eiweissgehaltes, ein für die bakterische Reduction der Tellurite
ausserordentlich günstiger Boden ist. Wenn mau eine auch nur den
Procentsatz 0-001 Tellurit enthaltende Milch inoculirt, so zeigt der Iu-
dicator seine volle Wirksamkeit. Wenn dies nun von der Milch gilt, so
musste auch die Möglichkeit, dasselbe Ergebniss beim Serum zu erhalten,
gegeben sein und zwar vermittelst einer zweckmässigen Modification seiner
chemischen Natur. Ohne mich weiter über die zahlreichen Versuche, die
ich zu diesem Zweck angestellt habe, zu verbreiten, bemerke ich nur,
dass die mit einem Zusatz von Zucker gemachten Proben ein vortreff¬
liches Resultat ergeben haben. Wenn dieselbe Qualität und Quantität
von Serum und dieselben Keime angewandt wurden, trat die Reductions-
erscheinung des Tellurits in mit Zucker versetzten Culturen bei Weitem
schneller und evidenter hervor. Wenn man die Empfindlichkeit der
Keaction in’s Auge fasst und ihr Maximum mit Anwendung des zur
Offenbarung des bakterischen Lebens genügenden Minimums Tellurit zu
erreichen sucht, so findet man, dass die Gegenwart von Zucker dies
Minimum bisweilen um 2 / 3 und mehr herabdrückt. Dies bedeutet, dass,
wenn der Indicator in einem Serum ohne Zucker eine Bakterienentwicke-
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lung erst bei 1:25 000 anzeigt, im Serum mit Zucker dieselbe Erschei¬
nung schon bei 1:75000 bis 80000 und manchmal sogar bei und über
1:100000 hervortritt.
Bei der Untersuchung dieser vom biologischen Standpunkt inter¬
essanten Thatsache habe ich mich darauf beschränkt, nur die wichtigsten
Seiten im Allgemeinen in Betracht zu ziehen, da es mir hauptsächlich
auf die praktische Verwerthbarkeit ankam.
Von den gewöhnlichsten Zuckerarten, Glucose, Saocharose, Lactose,
zeigte sich Glucose am meisten geeignet, um die Reaction zu begünstigen:
auf dieselbe folgt sogleich Saccharose, während Lactose die letzte Stelle
einnimmt. Dieses Verhalten steht in genauem Verhältniss zu dem Grad-
der Assimilationsfähigkeit dieser Zuckerarten. Sobald ich jedoch zur
praktischen Anwendung schritt, überzeugte ich mich von der Zweck¬
mässigkeit, der Saccharose den Vorzug zu geben. Dieser Zucker ist
leichter rein zu erhalten, kostet weniger und rückt ausserdem die Mög¬
lichkeit, dass eine lediglich chemischer Action zu verdankende Reductiun
eintreten könnte, ferner. Die Glucose ist dagegen, wegen der in ihrem
Molekül enthaltenen Aldehydgruppe, einer solcher Fehlerquelle mehr auf¬
gesetzt. 1 Die nach meiner Erfahrung anzuwendende Zuckermenge beträgt
1 * rm : 100. Selbst mit Va grm kann man indessen schon eine sehr be¬
friedigende Empfindlichkeit hervorrufeu. Die Dosis Zucker wird in einer
möglichst geringen Quantität Triukwasser aufgelöst, durch Erhitzun:
sterilisirt, und dann der Bouillon oder dem Serum zusammen mit dem
Tellurit zugesetzt.
Ausser mit Serum, welches seiner Natur nach die bakterische Reaction
besonders hemmt, habe ich auch mit anderen Flüssigkeiten, in denen di-
erwähnten Hindernisse nicht hervortreten, Versuche angestellt. Auch bei
diesen erwies sich der Zusatz von Zucker als sehr günstig für den zu
erreichenden Zweck. Unter sonst gleichen Bedingungen tritt die Be-
ductionserscheinung immer lebhafter hervor, wenn sie sich in Gegenwart
des Zuckers vollzieht.
Die gewöhnliche Peptonbouillon ist, wie schon oben erwähnt, ein für
die Wirksamkeit des Indicators sehr günstiges Terrain: einerseits be¬
günstigt sie die Mikrobenentwickelung im Allgemeinen, andererseits ent¬
hält sie kein den Zweck des Tellurits hemmendes Element. In der.
meisten Fällen ist daher jede die Empfindlichkeit erhöhende Action über¬
flüssig. Trotzdem ist es immer vortheilhaft, sich des Zucker-
1 Hier haben wir es hauptsächlich mit einer theoretischen Betrachtung zu tkut
In der That haben wir gesehen, dass Kalium tellurosum bei Ausschluss besondere
künstlicher Mittel lange Zeit mit Glucose in Berührung bleiben kann, ohne sich :c
zersetzen.
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IxWCATOREN DES BaKTERIENLEBENS U. IHRE PRAKT. BEDEUTUNG. 109
zu bedienen, so oft es darauf ankommt, die Erscheinung klarer
zu stellen, wenn diese aus irgend einem Grunde eine voll¬
kommene Sicherheit vermissen lässt. So entsprechen z. B. einer
spärlichen Bakterienentwickelung gegenüber die mit Zucker versetzten
Bouillons dem Zwecke weit besser als die einfachen. Da es sich nun um
ein leicht zu erhaltendes Material handelt, welches übrigens den Cultur-
böden in keiner Weise Schaden zufügen kann, sondern sie auch als Nähr¬
böden, im Interesse der Function des Indicators günstiger werden lässt,
halte ich es für rathsam, einen kleinen Procentsatz Saccharose (z. B.
0-5 bis 1) stets hinzufügen. Dieser Procentsatz darf jedoch keinesfalls
zu hoch sein, weil die Entwickelung von Säuren als Resultat des Gährungs-
processes der Keime im Zucker ihrerseits das Wachsthum der Mikro¬
organismen schädigen könnte. 1 *
Hier tritt uns die Frage entgegen, wie sich diese günstige Wirkung
des Zuckers auf die bakterische Reduction der Tellursalze erklären lässt.
Wir haben oben gesehen, dass die Bakterienzellen das Salz absorbiren
und es in ihrem Protoplasma zerlegen, so dass das Element, dort ein¬
geschlossen, in Freiheit gesetzt wird. Nun muss man im Allgemeinen
annehmen, dass der von den Zellen aufgenommene Zucker sich in Ver¬
bindungen verwandelt, die dem Protoplasma eine grössere Reductions-
thätigkeit zu verleihen im Stande sind. Diese Behauptung findet eine
Bestätigung in der Thatsache, dass die geringe Anzahl Mikroben, die den
Zucker nicht angreifen, sich fast indifferent zeigen, wenn man versucht,
die Empfindlichkeit der biotellurischen Reaction vermittelst desselben zu
steigern. So erweist sich z. B. der Dysenteriebacillus in der Zersetzung
der Tellursalze schwach und sein Vermögen wird nicht durch Zusatz von
Zucker vergrössert. Was ferner den inneren Vorgang bei der Vermehrung
der Empfindlichkeit betrifft, so ist es wahrscheinlich, dass die Ursache
derselben in der Erzeugung von Milchsäure besteht. Die Beiträge ver¬
schiedener Forscher haben die Thatsache, dass die Milchsäuregährung
durch die meisten Mikroorganismen hervorgebracht werden kann, klar
in’s Licht gestellt.
Wenn man mit den Untersuchungen von Pasteur* Lister 3 4 5 ,
Hueppe*, Marpmann® beginnt und weiter geht bis zu denen von
1 Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass der Procentsatz 1 für einige Keime
>ehon zu hoch gegriffen ist. Meine bisherigen Versuche beziehen sich meistens auf
vulgäre Verunreinigungen.
* Compt . rend. Acad. des Sciences. Paris. T. XLV u. XLVII.
9 Pathol. Society of London. 18. Dec. 1877.
4 Deutsche med. Wochenschrift. 1884.
5 Ergänzungshefte zum Centralblatt für allgem. Gesundheitspflege. 1886. Bd. II.
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110 B. Gosio:
Schardinger 1 , Blachstein*, Grotenfelt 8 , Kuprianow 4 , Kavser 5 .
Günther u. Thierfelder 8 , Gosio u. Biginelli 7 , Leichmann 8 u. A..
so hat man eine lange Reihe von Experimenten vor sich, deren synthetische
Frucht in dem Ergebniss besteht, dass, abgesehen von seltenen Ausnahmen,
die verschiedensten Mikroorganismen, sobald sie mit absorbirbarem Zocker
in Berührung kommen, Milchsäure und andere flüchtige Säuren erzeugen.
Nun muss die Gegenwart einer energischen Säure in einem Kalium
tellurosum enthaltenden Nährboden (da dieses Salz schon an und für sich
wenig beständig ist) die Zersetzung desselben zur Folge haben, wodurch
die Tellursäure, welche viel leichter als Kalium tellurosum zu reducireu
ist, in Freiheit gesetzt wird. Im Inneren der Flüssigkeit ist diese Er¬
scheinung weniger wahrscheinlich, weil dort so viel freies Alkali vorhanden
sein kann, dass jene durch die Cultur hervorgebrachte Spur von Säure
in Salz verwandelt wird; aber innerhalb des bäuerischen Protoplasma',
welches für die absorbirbaren Materialien eigens geschaffen ist, können
wir uns eine unmittelbare Zersetzung der Tellurverbindung von Seiten
der in innige Berührung mit ihm gesetzten Säure vorstellen. Dann geh;
der Reductionsprocess des Salzes schleunig und entschieden vor sich, bis j
das Metalloid, welches in der Zelle gleichsam sequestrirt eingeschlossen
bleibt, in Freiheit gesetzt wird.
Bei den sehr eiweissreichen Flüssigkeiten, wie z. B. dem Blutserum
in denen die Schwierigkeit, das Tellurit durch die Keime zu zersetzen
weit beträchtlicher ist, muss man auf die Bildung viel complexerer und
weit mehr widerstandsfähiger Verbindungen (Telluralbuminat) gefasst sein
Hier ist die Gegenwart einer das Molekül spaltenden Säure doppelt nützlich,
da sie dem bakterischen Protoplasma eine andere, leichter zu spaltemi-
Verbindung bietet. Hierin liegt eine plausible Erklärung dafür, da.v
unter gleichen Bedingungen ein mit Zucker versetztes Serum die Wirkung
des Tellurits als Indicator weit mehr begünstigt als ein gewöhnliche;
Serum. Uebrigens muss man auch bei dem mit Zucker versetzten Serum
eine der Bakterienentwickelung im Allgemeinen günstigere Beschaffenen
aunehmen, die ebenfalls für die Mikrobenwirkung auf das Tellurit ron
der höchsten Bedeutung ist.
1 Mittheilungen für Chemie. Bd. XI.
a Arch. des scienc. biolog. St. Fetersbourg.
8 Fortschritte der Medicin. 1889.
4 Archiv für Hygiene. Bd. XIX.
5 Annettes de VInstitut Fasteur. 1894.
6 Archiv für Hygiene. 1895. Bd. XXV.
7 Archiv für Hygiene. Bd. XXI u. XXII. — Rivista d*igiene e sanifa publirt.
Anno 1898.
8 Centralblatt für Bakteriologie. 1896. Abth. II. Bd. 11.
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Indicatoren des Bakterienlebens u. ihre prakt. Bedeutung. 111
Beispiele praktischer Anwendung.
Zahlreiche praktische Vortheile dürfen wir von der mikrobiologischen
Reaction auf die Tellurite erwarten. Wer gegenüber einer scheinbaren
Bakterienentwickelung in Zweifel ist, besitzt im Tellurit ein sicheres Unter¬
scheidungsmittel.
Es kann Vorkommen, dass man feststellen muss, ob eine Cultur todt
oder lebend ist, oder, ein wie grosser Theil derselben als lebend zu be¬
trachten ist. Criterien der Art können z. B. eine Bedeutung haben, wenn
man über die Zwekmässigkeit von Desiufectionsmethoden zu urtheilen hat.
Die Laboratorien bedürfen verschiedener Culturböden, die lange Zeit
hindurch steril erhalten werden müssen und in welchen nicht immer ein
etwaiger Bodensatz oder eine Trübung als Anzeichen einer Verunreinigung
gelten können. Eine mit der späteren Verwendung dieser Culturböden
im Einklänge stehende Spur Tellurit giebt uns Auskunft darüber, ob und
wo eine Entwickelung der Keime eingetreten ist.
Das Tellurit vermag vermittelst entsprechender Processe zu entscheiden,
ob gewisse Nahrungsmittel sich gut oder schlecht conservirt haben.
In Anbetracht der verschiedenen Widerstandsfähigkeit, die den Mikro¬
organismen, je nach ihrer Species, dem Tellurit gegenüber zukommt, und
in Hinsicht des ungleichen Reductionsvermögens, das für dieselben charak¬
teristisch ist, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Salze auch eine
Bedeutung für die bakteriologische Diagnostik besitzen können.
Diese und ähnliche Schlussfolgerungen gehen schon aus einem ein¬
fachen Ueberblick über die in unseren Untersuchungen gewonnenen Re¬
sultate klar hervor. Ihr Werth ist jedoch vorläufig, obwohl er auf soliden
experimentellen Grundlagen beruht, nur ein allgemeiner. Ich halte es
darum für nöthig, die Anwendbarkeit für jeden besonderen
Fall eingehender zu rechtfertigen, vermittelst einer Reihe
daraufbezüglicher Untersuchungen, aus denen die Art, wie
man zu verfahren hat, genau hervorgeht. Ich behalte mir vor,
hierüber anderen Orts zu berichten. Dagegen ist die Frage der Anwen¬
dung des Reagens gegenüber den zur subcutauen Iujection bestimmten
Materialien, wie es die therapeutischen Sera und einige Vaccins sind,
schon ziemlich erschöpfend, auf Grund der von uns erörterten Thatsachen,
zu beurtheilen. Trotzdem habe ich es für zweckmässig gehalten, einen
ergänzenden Versuch, der die in der Praxis gewöhnlich vorkommeuden
Bedingungen reproducirt, anzustelleu. Ohne Zweifel kann man eiuwenden,
dass derselbe nur den Werth eines Laboratoriumschlusses besitzen kann.
Jedenfalls giebt er aber eine Hindeutung auf in der Praxis vorkommende
Fälle.
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112
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Ich beschloss, eine kleine Portion Pestvaccin uud Serum für den
Handel fertig zu stellen. In Hinsicht auf die allgemeinen Normen habe ich
mich an die in den Instituten beobachteten Regeln gehalten, jedoch habe
ich Antiseptica ausgeschlossen und au ihre Stelle ganz geringe Mengen
Kalium tellurosum, verbunden mit einem kleinen Procentsatz Saccharose,
gesetzt. Es ist allgemein bekannt, dass man, so sorgfältig man auch Vor¬
gehen mag, um den atmosphärischen Staub auszuschliessen, doch bei deo
mannigfachen Manipulationen grosser Flüssigkeitsmengen immer nur auf
eine verhältnissmässige Garantie rechnen kann. Ich habe im Gegentheile.
statt die Vorsichtsmaassregeln zu übertreiben, für zweckmässig gehalten,
die Umstände ungünstiger zu machen, indem ich bei einigen Recipienten
alle besondere Vorsorge unterliess, um sie der Verunreinigung mehr aus¬
zusetzen. Auf diese Weise erreichte ich Vergleichsmittel, die mir ein
entschiedeneres Urtheil über die Function des Indicators erlaubten.
Für das Pestvaccin habe ich mich eines Liters einer jungen Bouillon-
cultur bedient. Die ganze Masse wurde 3 Stunden lang bei einer Tem¬
peratur von 60° gehalten; nach erfolgter Abkühlung wurde sie mit 0,02
Kalium tellurosum (2 ccm einer sterilen Lösung von K 2 Te0 3 zu 1 Proceut
versetzt und 5sterilisirte und in wenig Wasser gelöste Saccharose hin¬
zugefügt. Nach Umschütteln wurde die Mischung in 100 Fläschchen, von
denen ein jedes 10 ccm enthielt, vertheilt. Bei einigen derselben habe ich
nicht nur die strengen aseptischen Vorsichtsmaassregeln ausser Acht ge¬
lassen, sondern habe sie auch mit einer Spur lebender Pestbacilluscultur
inficirt. So wurde der Fall nachgeahmt, in welchem der bakterische In¬
halt zu einem geringen Theile der sterilisirenden Wirkung der Hitze ent¬
zogen bleibt. Ich habe schon hervorgehoben, dass die ernstliche Gefahr,
welche hierin liegt, sich nicht immer vermittelst der gewöhnlichen Steri-
litätscontrole, die in der Bereitung einiger Culturen aus dem Vaccinmateria!
besteht, controliren lässt. Für das Blutserum wurde im Allgemeinen ein
analoges Verfahren beobachtet, indem die Technik nur in Hinsicht auf
die besondere Natur der Flüssigkeit verändert wurde. Das Serum wurde
aus Rinderblut im Betrage von einem Liter bereitet, darauf mit Tellur¬
salz (1:50000) und Saccharose (0-5 Procent) versetzt und ohne Weitere?
in 100 Fläschchen von je 10 ocm vertheilt. Auch hier wurden einige Reci¬
pienten absichtlich der Verunreinigung durch atmosphärischen Staub aus¬
gesetzt, während andere mit dem Staphylococcus pyogenes aureus, dem
Rauschbrand-, dem Milzbrand- und Colibacillus und dem Streptocoecu?
pyogenes inficirt wurden. Alle Fläschchen, sowohl die mit Vacein als
die mit Serum gefüllten, wurden hierauf zugeschmolzen und in einen
Brütschrank gesetzt, in welchem die Temperatur zwischen 25° und 30
schwankte. Das Serum wurde immer unter denselben Temperatur-
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Indicatoren des Bakterienlebens u. ihre prakt. Bedeutung. 113
bedingungen gehalten. Das Yaceiu dagegen wurde nach 5 Tagen in ein
kälteres Medium (15 bis 20 u ) versetzt. Die niedere Temperatur dient
nicht nur dazu, die Wirksamkeit des Materials zu erhalten, sondern steht
in unserem Falle auch mit der schon erwähnten Möglichkeit in Zusammen¬
hang, dass bei einer lange anhaltenden hohen Temperatur die todten
Bakterienkörper auf das Tellurit irgend einen reducirenden Einfluss aus¬
üben könnten. In dieser Beziehung handelt es sich mehr um Vorsicht,
als um ein wirkliches Bedürfniss, da meine Versuche den Beweis geliefert
haben, dass junge todte Culturen des Pestbacillus (wie auch des Cholera¬
vibrio) Wochen lang selbst bei 37° mit dem Tellurit in Berührung bleiben
können, ohne es merklich zu zersetzen.
Die Beobachtung dauerte einen Monat. Das Resultat war dem von
mir bisher entwickelten Principe entsprechend: wo sich Bakterienleben
entwickelte, wurde es durch das Tellurit angezeigt, indem sich innerhalb
der Flüssigkeit und bisweilen an ihrer Oberfläche die gewöhnliche schwarz-
bräunliche Materienansammlung bildete. In den mit Vaccinbouillon an¬
gefüllten Recipienten trat die Erscheinung weit schleuniger hervor, als in
den Serum enthaltenden, eine Thatsache, *die ohne Zweifel auf dem gün¬
stigen Nährboden beruht, der in der Bouillon, gegenüber dem Serum,
geboten wird. Nach einer Woche jedoch konnte die Function des Indi-
cators als definitiv betrachtet werden, in dem Sinne, dass alle von be-
merklicher Bräunung freien Proben als steril angesehen werden durften;
dies ging aus der für jedes Fläschchen gemachten bakteriologischen Con-
trole hervor. Die Proben mit dem Serum zeigten ausser der Verspätung
auch eine geringere Intensität des Phänomens, was wahrscheinlich eben¬
falls eine Folge der weniger günstigen Natur des Nährbodens ist.
Uebrigens trat in Bezug auf die praktische (Verwerthbarkeit
die Diagnose der Verunreinigung auch hier in allen Fällen
sehr klar und unzweideutig hervor.
Als Ergänzung dieser ersten Prüfung sollte die Erhaltung der Wirk¬
samkeit des Indicators in den Fläschchen, die sich als steril ergeben hatten,
festgestellt werden. Freilich hat ja diese Bestätigung insofern einen nur
theoretischen Werth, da es sich um hermetisch verschlossene, einer Ver¬
unreinigung nicht mehr zugängliche Gefässe handelt. Nichtsdestoweniger
müssen auch hier Fälle als möglich in’s Auge gefasst werden, in welchen
im praktischen Interesse die volle Functionsfähigkeit des Indicators auch
nach langer Zeit nicht verloren gehen darf. Es kann Keime geben, deren
Wachsthum sehr langsam ist, und die nur sehr mühsam eine hinläng¬
liche Quantität erreichen, um das Tellurit in einer für das blosse Auge
sichtbaren Weise zu zersetzen. Um mir nach jener Richtung Rechen¬
schaft zu geben, habe ich folgendes Verfahren eingescblagen: ungefähr
Zeitschr. f. Hygiene. LI. 8
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2 Wochen nach Fertigstellung der ersten Probe entnahm ich aus beiden
Serien, sowohl der mit Vaccinbouillon als der mit Serum, eine Anzahl
Fläschchen, bezüglich deren Sterilität kein Zweifel bestehen sollte (nicht die
geringste Andeutung von Zersetzung des Tellurits), öffnete sie und inticirte
sie theils mit Staub, theils mit den gewöhnlich in der Luft vorkommendeu
Keimen (Streptokokken, Staphylokokken, Bacillus subtilis). Das Resultat
entsprach der Erwartung: in einem zwischen 2 und 6 Tagen schwankenden
Zeiträume zeigten alle der Probe unterworfenen Flüssigkeiten eine mehr
oder weniger reichliche Ansammlung schwärzlicher Wölkchen: bakterische
Zooglöen, durch das Tellurmetalloid gefärbt. — Offen gestehe ich, dass
sich dem Reagens gegenüber folgender, schon früher berührter Einwand
nicht abweisen lässt: Es können Sporenformen in den Fläschchen vor¬
handen sein, die keine günstigen Bedingungen für ihre Entwickelung finden,
oder, wenn dies auch der Fall ist, in ihrem Wachsthume nicht hinläng¬
lich fortschreiten, um das Tellursalz in sichtbarer Weise zu zersetzen.
Die Regel wird jedoch durch die Ausnahme nicht aufgehoben. Es ist
bekannt, dass auch die Lösung anderer analoger hygienischer Probleme
den Charakter eines Grenzwerthes besitzt, d. h. dass bei ihr immer ein
kleiner Spielraum für etwaige Irrthümer übrig bleibt. Wenn aber auch
die Garantie nicht eine vollkommene ist, sind wir doch durch die grosse
Mehrzahl der günstigen Fälle berechtigt, ein solches Verfahren zu em¬
pfehlen; in unserem Falle besteht der Fortschritt darin, dass es uns bisher
an ähnlichen Mitteln fehlte. Auch ist zu berücksichtigen, dass nach
Hinzufügung einer Spur Tellurit zu den einzuimpfenden Flüs¬
sigkeiten ihr Werth und ihre Brauchbarkeit für den Handel
durchaus nicht alterirt werden. 1 Man muss ferner in Anschlag
bringen, dass die Anzahl der erwähnten Ausuahmsfälle in entgegengesetztem
Verhältnisse zu der Vorsicht steht, die gegen das zufällige Eindringen von
Keimen in die Gefässe angewandt wird. Zu diesem Zwecke dienen die
wohl bekannten, durch die Praxis bewährten Maassregeln. Ich halte es
aber noch für nothwendig, zwei Umstände besonders hervorzuheben, die
von der grössten Wichtigkeit sind für diejenigen, welche die Anwendung
eines mikrobiologischen Indicators mit den Interessen der Hygiene und
der die Sera fabricirenden Institute in befriedigender Weise vereinigen
wollen.
1 In dieser Hinsicht bemerke ich, dass ich vor 3 Monaten nach Hinzufügung
von Tellurit (1:50000) und Zucker (0*5 Procent) den Immunisirungswerth zweier
Diphtheriesera geprüft habe, und keinen wesentlichen Unterschied zwischen den
beiden Bestimmungen gefunden habe.
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Indicatoben des Bakterienlebens u. ihre prakt. Bedeutung. 115
Ausschluss der Antiseptica.
Wenn das Kalium tellurosum sich in einem Medium befindet, das
mit einem Antisepticum versetzt ist, so ist es nicht mehr im Stande,
seine Function auszuüben, aus dem einfachen Grunde, weil die Ursache
der ßeduction aufgehoben wird. Ich habe Untersuchungen mit Röhrchen,
die Serum oder Pestvaccin enthielten und mit Tellur versetzt waren, in
der Weise angestellt, dass ich minimale Mengen Formaldehyd oder 0-5Proc.
Phenol zusetzte. Diese Röhrchen verhielten sich, trotzdem eine Spur atmo¬
sphärischen Staubes in sie eingeführt war, während der ganzen Beobach¬
tungszeit (4 Wochen) ungefärbt. Für die Proben mit Carbolsäure, deren
antiseptisches Vermögen verhältnissmässig schwach ist, reichte es hin, die
Flüssigkeit zu verdünnen, um binnen Kurzem ein positives Resultat zu
gewinnen. In Betreff des Formaldehyds blieb eine entsprechende Ver¬
dünnung fruchtlos. 1
Der in vielen Instituten herrschende Gebrauch, die zu subcutanen
Injectionen bestimmten Producte mit Carbolsäure, Cresol, Campher u. s. w.
zu versetzen, steht also in Widerspruch mit der Function eines das Leben
der Bakterien anzeigenden Indicators. Freilich bin ich (auch vermittelst
von Experimenten) zu der Gewissheit gelangt, dass sich manche mikro-
bische Symbiosen bilden, die selbst Culturböden mit 0*5 Procent Carbol¬
säure ohne wesentliche Störung vertragen. Der Fall der mit Tetanus in-
ficirten Mailänder Sera trägt unter anderem dazu bei, dies auf das Klarste
zu erweisen. Somit würde auch unter solchen Umständen die Hinzu¬
fügung eines Indicators nicht ohne Nutzen sein, denn dieser würde trotz
des Antisepticums eine Mikrobenentwickelung anzeigen. Aber in den ge¬
wöhnlich vorkommenden Fällen muss man annehmen, dass die Versetzung
mit Carbolsäure, wenn sie auch die Keime nicht zerstört, ihre Entwicke¬
lung unumgänglich auf ein Minimum einschränken muss. Folglich haben
diejenigen, welche eine genaue Kenntniss von dem Sterilitätszustande der
Gefässe vermittelst eines biochemischen Indicators erwerben wollen, diese
Praxis bei Seite zu lassen. Eine solche Ausschliessung würde, meiner
Meinung nach, keinen Uebelstand, sondern vielmehr einen Vortheil zur
Folge haben, sowohl vom sanitären Standpunkte aus, als im Inter¬
esse des Handels.
1 Dies Resultat bezieht sich auf wenige Proben Pestvaccinbouillon, weswegen
die Thatsache nur einen im Verhältnis zu der beschränkten Anzahl der Versuche
stehenden Werth besitzt. Die mit Formol behandelten Serumlläschchen zeigten bald
eine Gerinnung. Natürlich bleibt nicht ausgeschlossen, dass trotz des dem Formol
eigenen antiseptischen Vermögens eine von den Mikroben verträgliche Verdünnung
stattfinden kann.
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Von Seiten des hygienisch-sanitären Standpunktes gewährt der Zusatz
von 0*5 Procent Carbolsäure, wie ich schon Anfangs bemerkt habe, nicht
nur keinen Vortheil, sondern bedeutet zuweilen geradezu einen Uebelstand:
er kann nämlich eine nicht existirende Sterilität Vortäuschen, während
ohne ihn der Praktiker unter normalen Umständen durch den Sinnen wahr¬
nehmbare Merkmale auf die Gefahr aufmerksam gemacht worden wäre
(Zersetzungsgeruch, charakteristische Trübungen u, s. w.). Der vermeint¬
liche Gewinn von solchen spärlichen antiseptischen Zusätzen ist thatsäch-
lich nur eine unsichere Garantie gegen die Entfaltung mikroorganischen
Lebens. Kann man sich aber mit unsicheren empirischen Criterien be¬
gnügen, wenn ein Urtheil darüber abgegeben werden soll, ob ein Präparat
dazu geeignet ist, unter die Haut eines Menschen eingeführt zu werden?
Durch die schmerzlichen Erfahrungen, die wir gemacht haben, be¬
stärkt, stehe ich nicht an, die Nothwendigkeit eines entschiedenen und
durchgreifenden Vorgehens in dieser Beziehung besonders hervorzuhebeu.
Entweder muss das Antisepticum seinem Namen und Zwecke wirklich
entsprechen, d. h. es muss ihm eine zur Erreichung des Zweckes genügende
Form und Dosis verliehen werden; oder es muss, wenn das aus irgend
einem Grunde unmöglich ist, auf die gefährliche Illusion verzichtet werden.
Substanzen steril gemacht zu haben, die es in Wahrheit nicht sind. In
der That lassen denn auch mehrere, die besten Impfstoffe und Sera
fabricirende Institute, in denen man sich den modernen Fortschritt in
allen medicinischen Fächern zu Nutze macht, an Stelle der Antisepsis
nach und nach die viel rationellere und wirksamere Asepsis treten. Dient
der Verzicht auf die Antiseptica also ohne Zweifel zum Vortheile der
öffentlichen Gesundheit, so wage ich auch zu behaupten, dass die Handels¬
interessen der Producenten durch ihn ebenfalls direct und indirect ge¬
fördert werden;.und dies will ich jetzt zu beweisen suchen:
Nach den für den Handel mit Sera und verwandten Producten gel¬
tenden Normen werden nur diejenigen Partieeu, welche absolut von jeder
Spur mikroorganischen Lebens frei sind, dem Verkehre übergeben. Man
berücksichtigt weder die Qualität, noch die Quantität der
Keime. Nehmen wir an, um einen theoretischen Fall aufzustellen, dass
ein Gefäss mit 25 Liter Serum nur ein einziges Bacterium enthält,
so würde das hinreichend sein, um die ganze Masse zu ver¬
dammen. Eine derartige Vorsicht kann uns übertrieben erscheinen; ist
aber die unumgängliche Folge des heutigen für die Feststellung der Rein¬
heit üblichen Systems. Das Culturverfahren führt immer zu einem
positiven Resultate, welches auch immer die Zahl der Keime,
worauf es sich bezieht, sein mag. Da nun gewöhnlich als Cultur-
boden Bouillon vorgezogen wird, weil sie die Bakterienentwickelung be-
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Indicatoren des Bakterienlebens ü. ihre prakt. Bedeutung. 117
sonders begünstigt, so fehlt auch jede Möglichkeit, sich ein Urtheil über
die Zahl der vorhanden gewesenen Mikroorganismen zu bilden, sobald ein
Wachsthum in der Bouillon erfolgt ist. Nehmen wir nun ferner an, dass
jene Gesammtmasse von 25 Litern einen Werth von 200 I.-E. enthält und
mit ihrem einzigen Bacterium in 5000 Fläschchen von je 5 ccm vertheilt
wird, so würden wir 4999 sterile Fläschchen und ein einziges verunreinigtes
haben. Die Folge wäre aber, dass alle 5000 Dosen verworfen werden
müssten, obwohl nur gegen eine einzige ein schwacher Verdacht von Ge¬
fahr besteht. Zu so einschneidenden Maassregeln, die die commercielle
Seite der Serotherapie hart treffen, führt die Controle der Gesammtmasse!
Andererseits war es bisher unmöglich, diese Controle der Masse durch
eine auf alle einzelnen Dosen sich erstreckende Controle zu ersetzen. Man
müsste sich auf die Prüfung einiger weniger beschränken, würde aber
auf diese Weise die beabsichtigte Garantie nicht erreichen. So bleibt den
Producenten nichts anderes übrig, als die Folgen der unvollkommenen
Controlmethode über sich ergehen zu lassen. Wenn man jedoch die
Masse vor ihrer Vertheilung auf die einzelnen Fläschchen mit einem
mikrobiologischen Iudicator versieht und die Function dieses Indicators
noch dadurch verstärkt, dass man alle Antiseptica bei Seite lässt und die
Fläschchen bei geeigneter Temperatur stehen lässt, mit anderen Worten,
die Entwickelung der Bakterien dort, wo sie sich unglücklicher Weise
eingeschlichen haben, geradezu begünstigt, so wird sich der commercielle
Verlust auf ein Minimum beschränken. In dem soeben besprochenen
F'alle würde sich unter den 5000 Fläschchen nur ein einziges als un¬
brauchbar erweisen, und zwar durch ein für die Sinne leicht wahrnehm¬
bares Phänomen. Die übrigen 4999, in denen sich t kein Anzeichen von
Bakterienleben bemerken lässt, würden nicht zu beanstanden sein. Der
aus diesem Verfahren hervorgehende Vortheil ist demnach so greifbar,
dass jeder weitere Beweis dafür überflüssig scheint.
Das gewählte Beispiel, dessen ich mich bedient habe, um die Sache
so klar als möglich zu machen, entspricht in Wirklichkeit Thatsacheu,
denen wir alltäglich begegnen. Wenn eine grosse Flüssigkeitsmasse zu¬
fällig und einmalig verunreinigt wird, so vertheilen sich die Bakterien
nicht gleichmässig in der ganzen Masse, sondern sie verbleiben an be¬
stimmten Punkten, von denen aus sie erst durch active Bewegung und
numerisches Wachsthum allmählich sich verbreiten. Eine solche Ver¬
breitung findet jedoch ziemlich zögernd statt, da die Keime, namentlich
die Sporenformen, zu ihrer Vervielfältigung eines gewissen Zeitraumes
bedürfen. So kann man sich für die Praxis mit ziemlicher Sicherheit eine
Periode vorstellen, innerhalb welcher, namentlich wenn die Flüssig¬
keit nicht geschüttelt wird, die etwa existirenden Mikroorganismen
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ganz localisirt bleiben. Wenn mau also mit der nöthigen Vorsicht beim
Eingiessen und Vertheilen verfährt, so kann man einen beträchtlichen
Procentsatz der Masse retten. Ich habe einen entsprechenden Versuch
mit l 1 /* Liter Milch, die vorher durch Erhitzung sterilisirt war, gemacht,
indem ich sie für einige Minuten einer spontanen Verunreinigung aus¬
setzte. Unter 100 Fläschchen, in die diese Milch nach Versetzung mit
Kalium tellurosum 1:80000 vertheilt wurde, zeigten nur 22 eine Bakterien¬
entwickelung, die durch das biotellurische Reagens auf das Deutlichste
bemerkbar gemacht wurde, und zwar noch bevor die Sinne sonst irgend
eine Alteration spürten. Wenn dies von der Milch gilt, so lässt es sich
noch mit viel grösserem Rechte von dem Serum sagen, das für die Keime
einen weit weniger günstigen Nährboden darstellt. Auch bei der bakterio¬
logischen Prüfung des Trinkwassers findet man sich bisweilen verschieden¬
artigen Befunden gegenüber, obwohl die Untersuchungen sich auf eine
und dieselbe Wasserprobe beziehen; dies ist die Folge der Thatsache, dass
die Vertheilung der Keime in Flüssigkeiten, wenn man nicht besondere
Kunstgriffe an wendet, sehr ungleich ist, so dass man bei geringen Ver¬
unreinigungen, sobald mau den Inhalt auf zahlreiche Gefasse vertheilt,
zur Isolirung der iuficirten Theile gelangen kann. Nach all’ diesem liegt
es auf der Hand, dass, statt die Sera mit einer schwachen Dosis Carbol-
säure zu versetzen (was so viel heisst, wie einen Mangel zu verbergen,
der sich aller Wahrscheinlichkeit nach bei der Controle herausstellen wird'i,
die Producenten weit besser thuu würden, die Mängel so viel als möglich
hervortreten zu lassen mit Benutzung eines Mittels, welches die schnelle
Erkennung begünstigt. Auf diese Weise wird immer ein grosser Theil
des Productes gerettet werden können, während sonst die Gesammtmasse
verworfen werden müsste. Es scheint mir, dass diese Bemerkungen, in
denen sich in gewisser Weise die herrschenden Anschauungen über die
Prophylaxis gegen Infectionen im Allgemeinen widerspiegeln (Isolirung),
um so mehr angebracht sind, als sich physikalische Methoden finden lassen,
die den grössten Theil der ein Serum verunreinigenden Keime durch
Niederschlag abzusondern gestatten. Von der auf solche Weise schon
bonificirten Masse würde nach der Vertheilung auf Fläschchen bei Gegen¬
wart eines Indicators trotz der ursprünglichen ungünstigen Umstände ein
wesentlicher Theil conservirt werden können.
Beobaclitungszeit.
Es muss vorausgesetzt werden, dass von dem Tage an, wo ein Serum
oder ein Yaccin in Dosen vertheilt wird, bis zu dem Zeitpunkte, an welchem
es praktisch angewendet wird, gewöhnlich so lange Zeit verfliesst, dass der
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Indicatoren des Bakteriendebens u. ihre prakt. Bedeutung. 119
Indicator seine Function ausüben kann. Dies heisst so viel, dass die etwa
in den Fläschchen enthaltenen Bakterien Zeit zu ihrer Entwickelung und
zur Zersetzung des Kalium tellurosum in einer dem blossen Auge sicht¬
baren Weise finden. Das Mikrobenwachsthum, durch welches die Function
des Indicators beschleunigt und verstärkt wird, muss so viel als möglich
gefordert werden. Namentlich ist es zweckmässig, die zu prüfende Serie
bei einer Temperatur von 30 bis 35 0 C. zu halten. Es ist leicht zu ver¬
stehen, dass die hierdurch gewonnene Sicherheit um so grösser wird, je
länger die Beobachtungszeit dauert; denn auch denjenigen Bakterien,
welche in ihrem Wachsthume sehr langsam sind, muss die erforderliche
Zeit gelassen werden, die zur deutlich erkennbaren Zersetzung des Tellurits
nöthige Quantität zu erreichen. In Betreff der todten Vaccine, deren
active Substanzen sich am besten in der Kälte erhalten und bei denen,
wenigstens für einige Mikroorganismen, wir die Möglichkeit einer gewissen
Reaction der Bakterienkörper auf die Tellurite beobachtet haben, ist es
rathsam, sie nicht länger als nöthig ist einer hohen Temperatur auszu¬
setzen. Wenige Tage reichen hier aus, um über die Sterilität ein Urtheil
abzugeben, da wir uns einer für die Entwickelung der Bakterien günstigen
Flüssigkeit, der Bouillon, gegenüber befinden.
Im Allgemeinen und auch für die Sera bin ich nach den verschiedenen
Untersuchungen zu dem Schlüsse gelangt, dass 5 bis 6 Tage mehr als
hinreichend sind, um ein stichhaltiges Urtheil auszusprechen. Freilich
muss man mit einigen seltenen Ausnahmen rechnen; in der Regel ver¬
geht ja aber auch ziemlich lange Zeit bis zum Verbrauche der Dosis
durch den Consumenten. Der Arzt, der die Inoculation ausführt, hat
darüber zu urtheilen, ob der Inhalt des Fläschchens steril ist, oder mit
anderen Worten, ob die biotellurische Reaction sich klar und überzeugend
ausgesprochen hat.
Vorschriften zur Darstellung und Anwendung des Indicators.
Die grossen chemischen Fabriken sind im Stande, Kalium tellurosum
ganz rein zu liefern; es möchte daher jede Angabe über die Darstellung
desselben überflüssig scheinen. Trotzdem will ich nicht unterlassen, einige
Andeutungen darüber zu geben. Wenn man reine tellurige Säure be¬
sitzt, so genügt es, dieselbe mit der zu ihrer völligen Umwandlung in
das Salz erforderlichen Menge Aetzkali aufzulösen, und zwar ist es zweck¬
mässig, dass das Alkali in schwachem Ueberschusse vorhanden ist. Die
Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass die tellurige Säure des Handels häufig
verunreinigt ist. Diesem Uebelstaude gegenüber ist es rathsam, die Sub¬
stanz direct aus dem metallischen Tellur darzustelleu. Vermittelst Ein-
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Wirkung der Salpetersäure (Dens. = 1*15) auf das metallische Tellur bei
einer Temperatur von etwa 50° C. erhält man das basische Tellurnitrat.
Behandelt man das letztere in der Hitze mit destillirtem Wasser, so er¬
hält man die tellurige Säure, die nach Befreiung von der Salpetersäure
durch sorgfältiges Waschen zur Herstellung des Tellurit dient.
Es ist zweckmässig, eine mit Kalium tellurosum gesättigte Lösung
bereit zu halten, weil diese wegen ihres hohen antiseptischen Vermögens
sich sicher steril erhält. Unter allen Umständen ist es rathsam, jede zu:
Tellurisation einer gegebenen Menge Serum oder Vaccinbouillon erforder¬
liche Dosis mit Wasser zu verdünnen und zur grösseren Garantie auf's
Neue zu sterilisiren. sei es durch Filtration mittels einer Chamberland¬
kerze, sei es dadurch, dass man sie einige Minuten sieden lässt. Bei
dieser letzteren Methode darf keine Erhöhung des Druckes stattfinden,
damit eine Hydrolyse des Präparates vermieden wird; denn hierdurch
würde seine Fähigkeit als Iudicator verringert. In Betreff der Genauig¬
keit der Dosis genügt es, wenn der Titer der ursprünglichen Lösung be¬
kannt ist, sich präciser Pipetten zu bedienen, und einfach arithmefrische
Berechnungen vorzuuehmeu.
Der Gehalt der Lösung lässt sich übrigens durch Titrireu mit Kalium¬
permanganat ermitteln. Zur Bestimmung des metallischen Tellurs ist.
falls man nicht schweflige Säure zur Reduction benutzen kann, der bio¬
logischen Methode der Vorzug zu geben. Man sucht die Flüssigkeit, um
die es sich handelt, für die Bakterienentwickelung so günstig als möglich
herzustellen (z. B. beim Serum durch Hinzufügung von Nährbouillon) und
säet dann auf das Tellurit stark einwirkende Bakterien aus. Dann kann
man gewiss sein, dass alles Tellur des Salzes durch die Bakterien nieder¬
geschlagen wird. Nun lässt sich das Metalloid mit Hülfe geeigneter
chemischer Behandlung gewinnen und abwiigen. Bei der Hinzufüguus
des Tellurits zu den Producten ist strenge Asepsis zu beobachten. Will
man die Tellurisation an einer grösseren Menge des Productes vornehmen,
so hat sie unmittelbar vor der Vertheilung auf Fläschchen zu geschehen.
Wenn mau nicht so verfährt, so erstreckt sich die Function des Indicators
vielmehr auf die Gesammtmasse, als auf die Dosen, in die sie zu vertheileu
ist. In einzelnen Fällen ist es jedoch auch rathsam, die Gesammtmasse
besonders mittels des Iudicators zu prüfen: dies bezieht sich z. B. auf die
Pestvaccinbouillou, bei der es der möglichsten Sicherheit wegen zweck¬
mässig ist, sich zunächst davon Rechenschaft zu geben, ob die Abtüdtuug
der specifischen Bacillen in der Gesammtmasse sich vollständig vollzogen
hat. Zu diesem Zwecke muss man sie einige Tage, nachdem man sie
tellurisirt hat, bei mässiger Temperatur überwachen. Der Indicator, der.
wie wir gesehen haben, sein Vermögen lange bewahrt, hat dann die
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Indicatoren des Bakterienlebexs u. ihre prakt. Bedeutung. 121
weitere Aufgabe, anzuzeigen, ob die Vertheilung in Fläschchen mit Ver¬
meidung jeglicher Verunreinigung stattgefunden hat. 1
Will man die Function des Indicators auf eine einzige Probe einer
bestimmten Reihe Fläschchen beschränken, die als Zeuge für die Sterilität
der ganzen Reihe gelten soll, so kann die Dosis des Indicators auch weit
über das oben von uns angegebene Maass hinaus erhöht werden. Solche
als Zeugen dienende Fläschchen sollten rationeller Weise immer, und zwar
in den Niederlagen, in den Apotheken und besonders bei den Gesundheits¬
ämtern verwahrt werden. Da sie nicht zum praktischen Gebrauche be¬
stimmt sind, so kann man ihnen selbst einen Procentsatz von 0-01 oder
0-02 geben, wodurch der Nachweis der am häufigsten vorkommenden
Verunreinigungen wesentlich erleichtert wird. Allerdings müsste bei einem
solchen Vorgehen, wenn sich in dem einzigen Controlfläschchen eine Spur
von Verunreinigung zeigte, die ganze betreffende Partie verworfen werden.
Das Verfahren würde also analog sein dem in vielen Staaten, z. B.
in Deutschland,‘üblichen Gebrauche, wo, auf Grund eines ungünstigen
Ergebnisses der Prüfung einer einzigen Probe, der Verkauf der ganzen
Partie, welcher diese Probe angehört, untersagt wird. Der einzige Unter¬
schied besteht darin, dass bisher die Entscheidung über eine Verunreinigung
immer auf Grund von Culturen bei verdächtigen Producten stattgefunden
hat; während, wenn das System eines biologischen Indicators angenommen
wird, das Urtheil durch eine Art von automatischem Mechanismus be¬
stimmt wird.
Dass aber ohne wesentliche Umstände die Controle mittels des Iudi-
cators für jedes einzelne Fläschchen ausführbar ist, habe ich schon gezeigt.
Der Vortheil dieses Verfahrens springt, wie mir scheint, in die Augen:
der praktische Arzt, dem es obliegt, die Inoculation auszuführen, hat nichts
weiter zu thun, als den Zustand der zu injicirenden Masse zu beobachten.
Wenn der Inhalt eines Fläschchens schwarze Punkte oder
dunkele Wölkchen aufweist, so wird es unterlassen, ihn ein¬
zuimpfen. Hierin liegt die höchst einfache praktische Nutzanwendung
alles dessen, was bisher über das Kalium tellurosum als Indicator des
Bakterienlebens auseinandergesetzt ist.
Vergegenwärtigen wir uns den in Mailand vorgekommenen Fall, wo
ein Serum schädlichen Charakters über ganz Italien und auch das Aus¬
land zur praktischen Anwendung verbreitet wurde. Die Aerzte waren
1 Die Gegenwart todter Bakterien körper verbirgt bei dem Haffkin e’schen und
ähnlichen Vaccius die Entwickelung fremder Keime, weshalb die Function des Indi¬
cators doppelt wichtig ist. Wir haben schon der Schädigungen Erwähnung gethan,
die ein solches Vacein in der Praxis bethätigt hat.
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damals nicht im Stande, zu unterscheiden, welche Fläschchen einen ab¬
normen Inhalt hatten und welche gefahrlos ihrer Bestimmung übergeben
werden konnten. Da unter solchen Umständen natürlich die Befürch¬
tungen bezüglich der Anwendbarkeit der dort fabricirten Sera allgemein
wurden, ergab sich von selbst, dass auch die thatsächlich sterilen Product«
als verdächtig betrachtet wurden. Berücksichtigt man ferner, dass fast
in ganz Italien das aus Mailand herrührende Serum vertrieben wurde, so
begreift man, dass eine Anzahl Erkrankter im Zweifel sein musste, ob sie
sich überhaupt eines solchen Heilmittels ohne Gefahr bedienen könnten.
Es ist leicht zu berechnen, wie gross die hieraus hervorgehenden mate¬
riellen und moralischen Verluste sein mussten. Wäre dagegen die ganze
Masse mit Kalium tellurosum in der im Vorhergehenden erörterten Weis«
behandelt worden, so würden alle Uebelstände vermieden worden sein. —
Ich bin der üeberzeugung, dass mit der von uns vorgeschlagenen
Vorsichtsmaassregel in Zukunft allen solchen Unzukömmlich¬
keiten abgeholfen sein wird.
Schlussfolgerungen.
Die alkalischen Tellurite und Selenite können als gute Erkennungs¬
zeichen des Bakterienlebens functioniren, da sie durch die Mikroorganis¬
men zersetzt und in gefärbte Reductionsproducte umgewandelt werden,
welche die Bakterienzellen u. s. w. pigmentiren. Die Tellurite bringen eine
schwarze, die Selenite eine rothe Färbung hervor.
Die Tellurite bieten in dieser Hinsicht die grösste Garantie, theils weil
sie beständiger sind, theils weil die durch sie hervorgebrachte farbige Re-
aetion leichter wahrzuuehmen und von jeglicher Zweideutigkeit frei ist.
Beim Kalium tellurosum tritt diese Wirkung am besten hervor.
Damit diese chemische Substanz (der Iudicator) im Stande ist, mit
völliger Sicherheit ein mikroorgauisehes Leben anzuzeigen, ist es noth-
wendig, dass die Keime sich gut entwickeln, oder, nach eingetretener Ent¬
wickelung, eines aktiven Stoffwechsels fähig sind. Sobald es sich nur um
Sporenformen handelt, denen die Entwickelungsbedingungen fehlen, oder
wenn es sich sonst um ein latentes Leben handelt, so zeigt sich das
Tellurit, ohne Anwendung besonderer künstlicher Mittel unthätig, oder
wenigstens unsicher.
Die Empfindlichkeit der biotellurischen Reaction steht in directem
Verhältniss zu der Menge des chemischen Reagens, sowie auch zu der
Quantität der Bakterien, die in Berührung mit demselben leben können.
Diese letztere Bedingung enthält implicite die Nothwendigkeit, dass die
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In'DICATOREN DES BaKTERIENLEBENS U. IHRE PRAKT. BEDEUTUNG. 123
Dosis der Substanz nicht über die Grenzen hinausgehen darf,
jenseits welcher die Mikroorganismen sie nicht mehr vertragen.
Die Empfindlichkeit der chemischen Substanz ist unter allen Um¬
ständen so bedeutend, dass sich höchst evidente Reactionen durch sicher
von den Keimen zu ertragende Dosen gewinnen lassen.
Alle der Entwickelung und der biologischen Activität der Keime
förderlichen Bedingungen begünstigen die durch den Indicator hervor¬
gerufene Reaction; alle entgegenstehenden Ursachen (so z. B. die Anti-
septica) erschweren die Erscheinung.
Nicht alle Culturböden sind dem Reactionsphänomen gleich günstig:
in der Nährbouillon und der Milch tritt es am leichtesten hervor; in an¬
deren, in denen besondere Eiweisse vorherrschen (wie z. B. den Sera) voll¬
zieht sich die Erscheinung mit einer gewissen Zögerung. In allen Fällen
aber darf man auf ein den praktischen Anforderungen entsprechendes
Resultat rechnen.
Durch einen geringen Zusatz von Zucker wird die Empfindlich¬
keit der biotellurischen Reaction wesentlich gesteigert, weil hierdurch einer¬
seits ein der Entwickelung der Keime günstigerer Boden geschaffen wird,
andererseits specielle Gähruugsproducte erzeugt werden, die den Bakterien
die Aufgabe, das Tellursalz zu reduciren, erleichtern. — Die anzuratenden
Dosen Zucker (Saccharose) scheinen bei gewöhnlichen Verunreinigungen
zwischen 0*5und 1 grm : 100 zu schwanken.
Die Energie, mit der die Mikroorganismen das Kalium tellurosum
augreifen, ist eine verschiedene: einige, wie z. B. der Staphyloc. pvog.
aureus, erweisen sich besonders energisch, während andere, wie z. B. der
Tetanusbac., eine schwächere Action kundgeben. Im Allgemeinen besitzen
jedoch, abgesehen von seltenen Ausnahmen, die Bakterien die Fähigkeit,
das Tellurit mit vom blossen Auge leicht erkennbaren Erscheinungen zu
zersetzen.
Die höchste Leistung der biotellurischen Reaction als eines Iudicators
des Bakterienlebens wird erreicht bei den gewöhnlich vorkommenden Ver¬
unreinigungen, wenn nämlich die gemeiniglich im atmosphärischen Staube
sich findenden Keime eine symbiotische Entwickelung annehmen. Das
Kalium tellurosum hat also eine besondere Fähigkeit, solche
gewöhnliche Verunreinigungen anzuzeigen.
Todte Bacillenkörper können unter gewöhnlichen Umständen mit dem
Tellurit in Berührung bleiben, ohne es merklich zu zersetzen. Wird der
Contact viele Tage hindurch fortgesetzt, so können einige Keime (z. B.
Typhusbac.) namentlich bei höherer Temperatur eine schwache aschgraue
Färbung annehmen. Andere dagegen (Choleravibrio, Pestbacillus u. a.)
zeigen trotzdem ein negatives Verhalten.
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Das Kalium tellurosum ist geeignet, über die Sterilität von Flüssig¬
keiten zu wachen, die zu Injectionen bestimmt sind, wenn diese Flüssig¬
keiten dem Mikrobenleben nicht ungünstig sind. Der Fall der
Heilsera und derjenige der aus abgetödteten Bakterien bestehenden Vacciu;
sind die wichtigsten. In Betreff der Sera ist die Tellurisation im Stand?,
uns Aufschluss darüber zu geben, ob eine Verunreinigung stattgefunden
hat; im Fall einiger todten Vaccins (Pest — Choleravac. Haffkine — Ferrari;
gestattet sie nicht nur, eine Verunreinigung zu erkennen, sondern vermag
uns auch bei besonderer Vorsicht darüber aufzuklären, ob die Bakterien, di?
zur Herstellung des Vaccins gedient haben, in Wahrheit abgestorben sino.
Das praktisch in erster Linie stehende Anzeichen, auf das der Ant
zu achten hat, besteht in dem Auftreten von schwärzlichen Wölkchen
innerhalb der Flüssigkeiten. Flüssigkeiten, in welchen sich keine
Spur von Bräunung bemerken lässt, würden als steril zu be¬
trachten sein, auch wenn sie trübe wären.
Damit der Iudicator seine Function vollziehen kann, ist der Kege’
nach ein Zeitraum von wenigen Tagen (1 bis 5) erforderlich. Die Wirk¬
samkeit wird durch alle Umstände begünstigt, die dem Leben und de:
Entwickelung der Keime günstig sind.
Vermittelst der Anwendung des Tellurits könnte die Sterüitätscontrol?
sich auf alle einzelnen dem Handel übergebenen Dosen erstrecken, während
man bei der gegenwärtig befolgten Praxis, streng genommen, nur für di?
jedes Mal geprüfte Probe einstehen kann.
Die Impfmaterialien erleiden unter gewöhnlichen Umständen durch
die Gegenwart des Indicators keine wesentliche Alteration ihrer specitischen
Eigenschaften.
Ein in bedeutender Menge angewendetes Kalium tellurosum könnt?
nachtheilig wirken; für die Funktion als Iudicator bedarf es jedoch
so geringer Quantitäten, dass man im Allgemeinen auf sein?
Unschädlichkeit rechnen kann. Hierüber geben uns folgende That-
sachen hinlängliche Sicherheit:
a) das Salz reagirt höchst evident bei einer Verdünnung von 1:10000U
und selbst von 1: 150000 und 1:200000;
b) bei den Versuchsthieren (Affen, Hunden, erwachsenen Kaninchen
und Meerschweinchen) brachte die Inoculation von 5—I0 ccm einer Lösung
1:50000 (in einigen Fällen auch 1:25000) nur leichte locale Erschei¬
nungen hervor, die im Verlauf von wenigen Tagen verschwanden;
c) die zu hypodermischem Gebrauch bestimmten Präparate werden
gewöhnlich in verhältnissmässig beschränkten Mengen verabreicht 1 .
1 In einigen Fällen reducirt sich alles auf 1 bis 2 ccm , wie z. B. beim Pestvaccir
und bei den sehr hochwertigen Sera.
Gck igle
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
IXDICATOREN DES BaKTERIENLEBENS U. IHEE PRAKT. BEDEUTUNG. 125
Im Uebrigen kann, soweit es sich um den Menschen handelt, erst
die weitere Erfahrung zeigen, welche Verdünnung bei den verschiedenen
Impfmaterialien für den Indicator die geeignetste ist.
Das Kalium tellurosum erhält in den gewöhnlichen Substraten, denen
es als Indicator beigegeben wird, seine chemischen Eigentümlichkeiten
viele Monate hindurch unverändert; man kann daher lange Zeit auf sein
Vermögen, etwaige verzögerte Verunreinigungen anzuzeigen, mit Sicher¬
heit rechnen.
Functioniren des Indicators ohne Bakterienwirkung (aseptische Re-
actionen) könnte unter chemischen oder physikalischen Bedingungen Vor¬
kommen, unter welchen das Tellurit sich zersetzen muss (Anwesenheit von
sehr Sauerstoff begierigen Chemikalien *, Erhitzung, andauernde Einwirkung
ausserge wohnlich gesteigerter Temperaturen,lange anhaltendesVacuum u.s.w.).
Da jedoch derartige Bedingungen sich in der Praxis schwerlich erfüllen,
oder doch vermieden werden können, so wird der Werth unseres Reagens
als mikrobiologischen Indicators durch sie, soweit bis jetzt unsere Er¬
fahrungen reichen, nicht beeinträchtigt.
Der Beitrag, den ich hiermit namentlich in Bezug auf die Ueber-
wachung der Heilsera geliefert habe, soll uns in den Stand setzen,
praktisch darüber zu entscheiden, ob eine in den Flüssigkeiten
auftretende Trübung Bakterien zuzuschreiben ist oder nicht.
Cebrigens glaube ich hiermit eine Principienfrage aufgestellt
zu haben, nämlich die Frage nach der Nothwendigkeit, für die schnelle
Sterilitätsdiagnose besonderer zur Einimpfung bestimmter Flüssigkeiten
genauere und zuverlässigere Criterien einzuführen als heutzutage benutzt
werden.
Ich hebe dies hervor, da sich ja noch irgend eine andere Substanz
linden könnte, die den verschiedenen praktischen Anforderungen noch
besser als die von mir vorgeschlagene entspricht. Dergleichen Vervoll¬
kommnungen würden ohne Zweifel eine grosse Wohlthat bedeuten; sie
würden uns Aerzten die schmerzlichen Erfahrungen ersparen, die wir im
Dienste der Wissenschaft in Folge des aus Unwissenheit stammenden
Misstrauens des Publicums so oft zu machen haben.
1 Zu solchen Substanzen rechne ich natürlich auch die reducirenden Säfte, die
man mit Hülfe specieller chemischer Methoden aus den pflanzlichen und thierischen
•>weben extrahirt.
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Gck igle
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[Aus dem staatlichen hygienischen Institut in Hamburg.]
(Director: Prof. Dr. Dun bar.)
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Untersuchung von pestverdächtigen Ratten aus
in Hamburg eingelaufenen Schiffen.
Von
Dr. Kister, und Stabsarzt Dr. Schumacher,
Abtheilungsvorsteber am Institut eommandirt zum Institut
In Hamburg werden seit Ende des Jahres 1899 alle aus verdächtige
Häfen einlaufenden Schiffe genaustens auf todte Ratten durchsucht. Ad
Cadaver werden, insbesondere, wenn mehrere solcher auf einem Seid'
gefunden werden, den Pestlaboratorien des Hygienischen Instituts Ver¬
wiesen.
Im Ganzen wurden seit 1900 1537 Rattencadaver zur Untersuchuu
eiugeliefert, ausserdem 196 Mäuse, ferner in 66 Fällen Untersuchung-
material von Menschen und schliesslich in 46 Fällen Material verschiedene:
Herkunft, wie Thierfelle, Rattenkoth u. s. w. Die Vertheilung des Euter-
suchungsmaterials auf die verschiedenen Jahre ist iu Tabelle I w-
sammengestellt.
Tabelle I.
Znsammenstellang des von 1900—1904 eiugelieferten
pestverdächtigen Materials.
Material
von Menschen
Ratten
Mäuse
Verschieden
Material
1900 (
38
4
—
11
1901
15
79
1
1
1902
7
114
1
—
1903
5
571
187
12
1904
1
709
7
22
Summa = JN4Ö
00
1537
196
46
Go igle
Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Zusammenstellung der Schiffe mit Pestratten
Kister u. Schumacher: Untersuchung v. pestvehdächt. Rattex. 127
Difitized by Gougle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
128
Kister uxi> Schumacher:
Digitized by
Unter diesen Fällen wurden, abgesehen von einem Falle von Menschen-
pest im Jahre 1900, 6 Mal Schiffe mit Pestratten angetroffen (vgl. Tab. II
mit im Ganzen 75 Pestratten und mit einer mit Pest behafteten Mau?.
2 Mal wurden Katzen eingeliefert, die sich aber nicht als mit Pest inliein
erwiesen. In einem Falle (Chios) hatte nur 1 Ratte Pest, in deren
Organen sich fast ausschliesslich die bekannten Ringformen fanden, anderer¬
seits waren in dem ersten Fall (Pergamon) fast alle Ratten mit Pest inlicirt.
In 3 Fällen (Chios, Cordoba, Bishopsgate) hatte keine der an Bord noch
lebenden Ratten Pest, dieselbe war also wahrscheinlich schon im Er¬
löschen begriffen. In den anderen 3 Fällen hingegen (Pergamon, West-
phalia, Blagdon) wurde Pest auch bei Ratten nachgewiesen, die nach Er¬
stellung des ersten Pestbefundes mit Gift oder Kohlenoxyd an Bord ge-
tödtet waren, auf dem Dampfer Pergamon waren sogar noch 9 lebende
pestinficirte Ratten gewesen. Zwar haben Strassmann und Schulz 1
nachgewiesen, dass Kohlenoxyd auch noch in Leichen einzudringeu ver¬
mag, doch glauben wir aus dem hochgradigen Kohlenoxydbefunde sowie
aus der sonstigen Beschaffenheit der Cadaver und dem Vergleich mit der
übrigen negativen, keiue anderen pathologisch-anatomischen Veränderungen
aufweisenden Rattencadavern sicher schliessen zu können, dass die er¬
wähnten Ratten erst durch das Kohlenoxyd getödtet sind.
Was die Vertheilung der Ratten auf die verschiedenen Schiffsräume
anlangt, so waren in 3 Fällen (Pergamon, Chios, Cordoba) Pestratten nur
in einem Raume aufgefunden, in den anderen Fällen waren die Pestratten
auf 2 bezw. 3 Räume vertheilt. Dass mehrfach die mit Pest inficirten
Ratten in ein und demselben Raume aufgefunden werden, während in
anderen Räumen zwar auch zahlreiche Ratten, aber keine mit Pest be¬
hafteten sich finden, kann nicht Wunder nehmen, da die einzelnen Räume
durch Schotten in der Regel so dicht verschlossen sind, dass ein Ueber-
wandern von einem Raume in den anderen für Ratten unmöglich ist.
Dieser Befund ist aber hinsichtlich derlDesinfectionsmaassnahmen von be- j
sonderer praktischer Bedeutung, denn wenn sich die Pestverseuchung
eines Schiffes auf einen einzigen Raum beschränkt, so wird man bei der
Desinfection der übrigen Räume, zumal wenn es sich um eine werthvolle
Ladung handelt, die durch die Desinfection beschädigt oder werthlos ge¬
macht wird, eine gewisse Beschränkung üben können.
Ueber die Erfahrungen, welche bezüglich der Diagnosenstellung bei |
den hier genannten positiven F'ällen gemacht wurden, ist bereits an
andererStelle berichtet worden. 2 Die Untersuchungen und Beobachtungen
1 Strassmann und Schulz, Berliner kl in. Wochenschrift. 1904. Nr. 48.
2 Dun bar und Kister, Zur bakteriologischen Diagnose bei pestkranken Ratten.
Centralblatt für Bakteriologie. Orig. 1904. Bd. XXXVI. NY. 1.
Go gle
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Untersuchung von pestverdächtigen Hatten.
129
gelegentlich dieser zahlreichen pestverdächtigen Fälle gaben jedoch Anlass,
eine Reihe weiterer Versuche vorzunehmen. Zunächst seien diejenigen
angeführt, durch welche Stellung genommen werden sollte zu der Frage
über die Art und Weise der Verbreitung der Pestkeime unter Beihülfe
der Ratten. Diese Versuche verdanken zum Theil ihre Entstehung einer
Anregung von Hm. Geheimrath Koch gelegentlich einer Besprechung
dieses Themas mit Hm. Professor Dun bar.
Dass die Pest durch Ratten verbreitet werden kann, ist so oft erörtert
und durch so viele Beispiele belegt, dass darüber wohl kein Zweifel be¬
stehen kann. Den in der Litteratur aufgezeichneten Beobachtungen
können wir eine weitere hinzuffigen. Am 6. September vorigen Jahres
wurden auf einem aus Rosario kommenden Dampfer Bishopsgate im hiesigen
Hafen mit Pestbakterien behaftete Ratten aufgefunden. Die Löschung
des Dampfers fand unter den vorgeschriebenen Vorsichtsmaassregeln 1 statt.
Vor Beendigung derselben und vor der Desinfection der Schiffsräume nahm
ein in Hamburg angemusterter Schiffszimmermann an den Aufräumungs¬
arbeiten theil. Eiuige Tage später, nachdem das Schiff freigegeben war
und sich auf der Reise befand, erkrankte der Betreffende, wie in einem
englischen Hafen bakteriologisch festgestellt wurde, an Bubonenpest. Es
ist wohl anzunehmen, da Pesterkrankungen bei anderen Menschen auf
dem Schiffe nicht vorkameu, dass der Schiffszimmermann sich durch Ver¬
mittelung einer Pestratte direct oder indirect, jedenfalls nicht durch einen
pesterkrankten Menschen, inficirt hatte.
Wenn also auch wohl feststeht, dass die Ratten eine Rolle bei der
Uebertragung der Pest spielen, so fragt es sich doch, ob der Pestkeim
stets an den Rattenkörpern gebunden ist oder auch durch Ratten verstreut
ausserhalb des Rattenkörpers kürzere oder längere Zeit lebens- und infections-
fahig sich erhält und auch gelegentlich andere Vehikel benutzt. Sind
also die Cadaver der gefallenen Pestratten allein oder vorzugsweise die
Quelle der Infection oder vermittelt Ungeziefer, insbesondere Flöhe und
Wanzen die Uebertragung, oder aber sind es leblose Gegenstände, auf-
gespeicherte Waaren, wie Getreide, Mais und dgl., welche mit Se- und
Excreten kranker Ratten verunreinigt, Anlass zu immer neuen Pest-
infectionen geben. In den ersten beiden Fällen würde die Verbreitung
der Pest mit der Verbreitung der Pestratten einhergehen, bei uns würden
also zunächst nur in den Seestädten Pestfälle zu erwarten sein. Wird
aber durch die Ratten infectiüses Material verstreut, so wäre mit der
Möglichkeit einer gelegentlichen weiteren Verschleppung der Pest in das
Inland unabhängig von Ratten zu rechnen.
1 Vgl. Nocht, Die Pest unter den Ratten des Dampfers Cordoba, Deutsche
med. Wochenschrift. 1904. S. 244.
Zeit sehr. f. Hygiene. LL U
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Gck igle
Original frorn
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
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130 Kisteh und Schumachee:
Um den angedeuteteu Fragen näher zu treten, haben wir seit längerer
Zeit Laboratoriumsversuche angestellt, welche, soweit sie bis jetzt ab¬
geschlossen sind, sich zunächst auf eine Reihe von Rattenfütterungen,
ferner auf Versuche mit Ungeziefer und schliesslich auch auf eine grössere
Anzahl von Versuchen mit möglichst unter natürlichen Bedingungen
inficirtem Mais erstreckten.
I. Zur Frage, welche Bedeutong Rattencadaver bei der
Verbreitung der Pest haben.
Nach Angaben in der Litteratur könnte man zu dem Schlüsse
kommen, dass Ratten bei Verfütterung von Culturmaterial oder von Pest-
cadavern prompt oder wenigstens in der überwiegenden Mehrzahl der
Fälle an Pest eingehen. Nach unseren Versuchen trifft dieses so all¬
gemein nicht zu. Einmal kommt es auf die Virulenz und die Zahl der
verfütterten Bakterien an, dann aber auch auf die Beschaffenheit des ver¬
fütterten Materials. Je nachdem ob die Ratte das Infectionsmaterial beim
Beriechen und Fressen aspirirt oder sich an spitzen Knochentheilchen
im Maule verletzt oder endlich nur weiches Material, Organe, Mus-
culatur, verzehrt, kann der Erfolg ein verschiedener sein. Wie bereits
von der Deutschen Commission hervorgehoben 1 2 , sind drei Arten von
Infection bei Fütterung von Ratten zu unterscheiden. Es kann eine
Pestpneumonie auftreten oder die Infection von den Submentaldrüsen aus¬
gehen oder endlich kann es zu einer Darmpest kommen. * Alle drei Arten
der Infection konnten wir bei unseren Fütterungsversuchen auch be¬
obachten. Nach unseren Untersuchungen scheinen zur Erzeugung einer
Darmpest grössere Mengen von Bakterien erforderlich zu sein, — es kann
hierbei die Entgiftung der Toxine durch die Verdauungssäfte eine Rolle
spielen — während nur wenige Pestbakterien zu einer Infection genügen,
wenn die Möglichkeit einer Verletzung der Ratten am Maule gegeben ist.
Auch zum Zustandekommen einer Pestpneumonie dürften weniger Bakterien
ausreichend sein als zur Erzeugung einer Darmpest. Aber selbst wenn
die Möglichkeit der Verletzung gegeben ist, und selbst wenn die Cadaver
nachgewiesenermaassen voll von virulenten Pestbakterien sind, gehen
die Ratten nur in einem verhältnissmässig geringen Procentsatz an
Pest ein.
1 Arbeiten aus dem Kaiser!,. <iesundheitsamfe. 1S99. Bd. XVI. S. 2^3.
2 Die österreichische Commission (Albrecht und Chon) erwähnt in ihrem
Bericht die Pestjmeumonie nach Fütterung’ von Hatten nicht.
Gck igle
Original frum
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Untersuchung von pestvebdächtigen Ratten.
131
Tabelle III. Ftttternngsrersiiche.
Virulente Stämme (Bishopsgate, Blagdon)
Wenig Pestbakterien Reichlich Pestbakterien
im verfütterten Material im verfütterten Material
Wenig
virulente
(Westphalia,
Cordoba)
2
Verfüttertes
Material
ist weich
(Organe)
i
| 3 , 4 !
Verfüttertes , verfütterte«. '
Material ent- ” 1
hält Knochen :
(Cadaver ohne; (Brot „
. mit Organsatt
nnr Kopf oder;
Brustbein) . 0r ^ ane > j
5
Verfüttertes
Material ent¬
hält Knochen
(ganzer
Cadaver)
Ergebnis»
1
0
1
8
16 |
42
positiv
14
4
1 9
1
23 |
31
negativ
bei Verfütterg.
v. reichlichen
1 Pestbakterien
l
58 +,
54 -
1 50 4-, 40 -
bei Verfütterg.
v. knochigem
Material
17 +, 27 -
bei Verfütterg.
von weichem
Material
Gesammtresultat von 148 Versuchen: P os ^' e = 45 Procent.
81 negative
Wie die Tabelle III zeigt, in welcher wir nur die Versuche aus den
letzten Jahren berücksichtigt haben, weil sie gleichmässig und unter den¬
selben Gesichtspunkten angestellt sind, wurden im Ganzen 148 Ratten
und zwar weisse und gefleckte als auch wilde verschiedener Art mit Pest-
material gefüttert. Von diesen erlagen im Ganzen 67 = 45 Proc. einer
Pestinfection. Sehen wir uns aber die in der Tabelle angeführten Ver¬
suche näher an, so könnten wir zunächst die 14 Thiere (Columne 1 der
Tabelle) ausscheiden, die mit wenig virulenten Bakterien der Westfalia-
und Cordobastämme gefüttert wurden. Die Thiere überlebten sämmtlich
die Fütterung. Rechnen wir diese mit wenig virulentem Material ge¬
fütterten Thiere nicht mit, so gingen von 134 Ratten 67 = 50 Procent
an Pest ein. Von den mit virulenten Pestbakterien gefütterten Ratten
können wir eine weitere Gruppe von 22 Ratten abtrenuen, welche Material
mit nur wenigen Pestbakterien erhielten. Von diesen Tliieren blieben 13
am Leben (Columue 2 und 3). Andererseits gingen aber Ratten prompt
ein trotz der geringen Anzahl der verfütterten Bakterien; diese Ratten
hatten aber fast alle knochiges Material bekommen, meist nur den Kopf
der Cadaver, welcher zwar wenig Bakterien enthielt, aber Gelegenheit zu
9»
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132
Kister und Schumacher:
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Schleimhautverletzungen an Maul und Nase geben konnte (Columue 3).
Hierbei kam es nicht zu einer Darmpest, sondern die primären Bubonen
fanden sich am Halse. Es erhellt daraus die Bedeutung der Beschaffen¬
heit des verfütterten Materials. Wie sehr die Schleimhautverletzungen
für den Erfolg der Fütterungen von Einfluss sind, dafür möge eine der
von uns wiederholt gemachten Beobachtungen als Beispiel dienen. Eine
Ratte erhielt die Organe eines Meerschweinchens mit massenhaft Pest¬
bakterien, eine zweite Ratte dagegen nur den Kopf desselben Meer¬
schweinchens als Futter. Die erste Ratte blieb am Leben, obgleich sie
gefressen hatte, die zweite Ratte ging nach 3 Tagen mit typischem Pest¬
befunde ein. Sehen wir uns nun weiterhin die noch übrig bleibenden
Fälle an, in denen den Ratten Cadaver mit reichlichem Gehalt an viru¬
lenten Bakterien vorgeworfen wurden, so finden wir, dass selbst von diesen
Ratten nur etwa die Hälfte an Pest einging (58 von 114), obgleich wieder
die Cadaver in jedem Falle von den betreffenden Ratten verzehrt waren.
Darnach muss also bei einer Anzahl von Ratten in gewisser Hinsicht eine
natürliche Immunität bestehen. Auch hier ist auffallend der Unterschied
zwischen den mit weichem und den mit Knochen enthaltendem Material
gefütterten Ratten: bei ersteren verhält sich die Zahl der positiven Fälle
zu der der negativen wie 16:23, bei letzteren hingegen wie 42:31. Be¬
merkenswerth ist noch, dass die Ratten, welche Brot mit zahlreiche Bak¬
terien enthaltendem Organsaft getränkt, also weiches Futter ohne Knochen,
erhalten hatten, unter dem typischen Bilde einer Darmpest eingingen.
Weil keine Verletzung der Schleimhaut am Maule und an der Nase statt¬
gefunden hatte, blieben die Submentaldrüsen verschont.
Diejenigen Ratten, welche auf die Fütterung reagirten, erlagen der¬
selben meist in wenigen Tagen, frühestens am zweiten Tage, in der Regel
(zu 80 Procent) nach 3 bis 5 Tagen, doch muss hervorgehoben werden,
dass gelegentlich auch Ratten, obwohl man bei ihnen nicht das typische
Bild einer chronischen Pest, wie bei Meerschweinchen findet, erst nach
längerer Zeit am achten, neunten oder selbst am elften Tage mit positivem
Pestbefunde eingingen. Es scheint als ob die Ratten, welche Darmpest
acquirieren, etwas später an Pest zu Grunde gehen. Auch mag es Vor¬
kommen, dass Ratten, selbst bei subcutaner Impfung, an Pest erkranken,
aber die Infection überwinden und wieder völlig hergestellt werden. Für
die Diagnose pestverdächtiger Fälle hat ein solches Vorkommnis, wie
nebenbei bemerkt sein mag, keine besondere Bedeutung, da zwecks Fest¬
stellung von Pest immer mehrere Ratten in verschiedener Weise und mit
verschiedenen Dosen geimpft werden, und wir ferner eine von den mit
grösseren Dosen geimpften Ratten, wenn sie nicht prompt eingehen, am
zweiten Tage zu tödten und zu untersuchen pflegen.
Gck 'gle
Original fram
UMIVERSITY OF CALIFORNIA
Unteksüchung von pestvekdächtigen Ratten.
133
Wenn nun also bei Yerfütterung von Pestratteu nur ein gewisser
verhältuissmässig geringer Procentsatz der Thiere eingeht, so kann mau
weiterhin auch bei Vornahme von Reihenfütterungen ein allmähliches
Versagen der Infection beobachten, ln analoger Weise mag auch bei
einer Rattenepidemie unter natürlichen Verhältnissen ein Abklingen der
Epidemie erfolgen. Füttert man nämlich Ratten nach einander, indem
immer der ganze Cadaver des eingegangenen Thieres einer frischen Ratte
vorgeworfen wird, so reisst bald der Faden dieser Fütterungsreihen ab.
Schon die dritte Ratte ging in den drei in Tabelle IV aufgezeichueten
Versuchen nicht mehr ein. Mikroskopisch und culturell kann man nach-
weisen, dass die Zahl der Pestbakterien von Ratte zu Ratte eine geringere
wird. Es soll damit natürlich nicht gesagt sein, dass immer schon die dritte
Ratte am Leben bleibt, es soll durch diese Beispiele nur unsere ganz all¬
gemein gemachte Beobachtung erläutert werden, dass die Infectiosität der
Pestbakterien bei fortgesetzter Verfütterung ohne Einschaltung von Culturen
allmählich abuimmt. Einen Unterschied in der Widerstandsfähigkeit der
verschiedenen Rattenarten gegenüber Pestbakterien haben wir nicht be¬
obachten können.
Tabelle IV. Reihenffitterongen.
Ratte a. Ratte a. Maus a.
Eingelieferte Pestratte. subcutan Organaufschwem- EiDgelieferte Pestmaus;
zahlreiche Pestbakterien. inung; zahlr. Pestbakterien. > zahlreiche Pestbakterien.
I I I
Ratte b. | Ratte b. Ratte b.
Lunge, Leber Ratte a; todt n. Cadaver Ifatte a; todt nach Cadaver Maus a; todt nach
4 Tag., wenige Pestbakterien. 6 Tag., zahlr. Pestbakterien. 6 lag., massig vielePestbakt.
I : I i I
Ratte c. ; Ratte c. Ratte c.
Cadaver Ratte b; todt nach Cadaver Ratte b, todt nach Cadaver Ratte b; todt nach
6 Tagen, nur in einer Drüse 6 Tag.; keine Pestbakterien 4 Tagen, nur in einer Drüse
Ringe. nachweisbar. i Pestbakterien.
i 1 • 1 i
Ratte d. Ratte d. Ratte d.
Cadaver Ratte c; bleibt Cadaver Ratte c; bleibt Cadaver Ratte c; bleibt
leben. ^ leben. leben.
Die natürliche, individuell verschiedene Resistenz der Ratten scheint nun
manchmal durch mehrfache Verfütterung von Pestmaterial gesteigert werden
zu können, so dass schliesslich die Ratten auch bei subcutaner Verimpfung
grosser, sonst sicher tödtlich wirkender Dosen virulenter Pestbakterien
nicht eingehen. In der Tabelle V sind die Versuche zusammengestellt,
in denen Ratten 2 bis 5 Mal mit Pestbakterieu gefüttert wurden. Von
diesen 31 Ratten gingen von 19 2 Mal gefütterten Ratten 8 bei der
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184
Kisteb und Schumachek:
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Tabelle V.
Mehrfache Ratteuffitternngen.
f—
Wann
ao Ci)
00 Um
Nummer
gefüttert.
Womit
Womit war das verfütterte
G -2
Verwendeter
S
der Ratte
wann
gefüttert
Thier inficirt
■§-p
Pestßtamm
gestorben
u?
1
1962
12. X.1904
Organe v.
R. 1977 subcutan geimpft
_
1725
M. decuma-
R. 1977
m. Pestorganen v. R. 1971,
Bishopsgate
nus
todt n. 5 Tg., viele Pestbakt.
13. XII. 04
M.-S. 542
M.-S. 542 mit Cultur 1713
—
1713
l
cutan, todt n. 2 Tg., massig
Bishopsgate
1
viel Pestbakterien.
2
j 1967
l.X. 04 |
Organe v.
R. 1954 subcut. Cultur 1706,
_
| 1706
M. decuina-
R. 1954
todt n. 72 Std., massenhaft.
Bishopsgate
nus
Pestbakterien.
13.X. 04
Organe v.
M.-S. 529 subcut. m. R. 1971,
4-
1725
f 18.X. 04
M.-S. 529
todt nach 6 Tagen, viele
Bishopsgate
1 i
1
Pestbakterien.
1
IM.
M
M
1969
decuma-
nus
19TB
decuma-
nus
17. XI. 04 i Brustbein
i v. M.-S. 538
13. XII. 04
M.-S. 538 cutan in. Cult. 1725,
todt n. 5 Tg., sehr viele
Pestbakterien.
Organe v. M.-S. 585 cutan m. Cult. 2026,
M.-S. 585 todt n. 4 Tg., sehr viele
I Pestbakterien.
1725
Bishopsgate
2026
Blagdon
7. XI. 04 Organe v.
M.-S. 540
12. XI. 04 24 stünd. i
10. XII.04 Agarcultur
(keine Pest) j 1713 1
M.-S. 540 subo. m. Cult. 1713,
todt n.6Tg., wenig Pestbakt. ;
I
1984 !
decuma-:
nus |
11.X. 04
Organe v.
M.-S. 531
i 26.X.
f30.X.
04 Organe v.
04 M.-S. 533
M.-S. 531 subc. m. Cult. 1725,
'todt n. 4 Tg., sehr viele
j Pestbakterien.
M.-S. 533 subc. m. Cult. 1725,
todt nach 9 Tagen, wenig
Pestbakterien.
M
1996 |
decuma-■
nus
11.XI. 04
M
I 27. XI. 04
+ 28. XII. 04
(keine Pest)
127x1
Organe v.
M.-S. 541
Organe v.
M.-S. 558
1713
Bißhopsgate
1713
Bishopsgate
1725
Bishopsgate
1725
Bishopsgate
M.-S.541 cutan ru. Cult. 1713,
todt nach 10 Tagen, viele
| Pestbakterien. i
iM.-S. 558 cutan geimpft m.l
Cult. 1713, todt n. 5 Tg.,i
viele Pestbakterien. i
1999
decuma-'
nUH | 11.XII.04
fl3.XII.04
04 | Agarcultur
1713
Organe v.
M.-S. 587
I
M.-S. 587 cutan m.Cult. 2026,
jtodt n. 3 Tg., sehr viele
I Pestbakterien.
1713
Bishopsgate
1713
Bishopsgate
1713
Bishopsgate
2026
Blagdon
8 | 2006 |
M. decuma-'
! nus i
10.XII.04 . Organe v. M.-S.582 cutan m.Cult. 1718,j —
M.-S. 582 todt n. 8 Tg., massig viele
Pestbakterien. I
5.1. 05 Organe v. R. 2342 subcut. Cult. 2026,i —
R. 2342 todt n. 3 Tg., viele Pest-,
I bakterien.
1713
Bishopsgate
2026
Blagdon
Gck igle
Original from
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Untersuchung von pestveädäohtigen Ratten.
135
Tabelle V. (Fortsetzung.)
u
2
! Nummer
2 >
2 i
Wann
gefüttert,
wann
gestorben
Womit
gefüttert
s SP,
j Womit war das verfütterte jg 5 i
i i
Thier inficirt
Verwendeter
Peststamm
9 2016
M. decuma*
nus j
25. XII. 04 1
7.1.
1+14.1.
05
05
Cadaver
R. 2*288
Organ und
Kopf v.
R 2343
R. *2288 subcut. m.Cult 2026,, —
todt nach 3 Tagen, zahl¬
reiche Pestbakterien. |
R. 2343 Hauttasche, Organ, j +
todt nach 4 Tagen, wenig;
Pestbakterien.
2026
Blagdon
2026
Blagdon
10
2023
M. decuma-
nus
1 14.1. 05 | Organe u. >R. 2263 subc. Organ, todt — ! 1713
Kopf v. nach 2 Tag., sehr viele Pest-; Bishopsgate
R. 2263 ibakterien (u. Diplokokken). 1
Cadaver |R. 2322 gef. mit Cad., todt + I 2026
v. R. 2322 n. 4 Tg., viele Pestbakterien. j Blagdon
12 . 11 .
f 15.11.
05 |
05
11 2181
M. decuma-
nus
14.1. 05
8. II. 05
Organe u. R. 2016 m. Organen, todt —
Kopf v. in. 7 Tg., viele Pestbakterien.
R. 2016 !
ganzer Cad. R. 2006 subcutan m. Organ, —
v. R. 2006 todt n. 2 Tg., viele Pest¬
bakterien.
2026
Blagdon
2026
Blagdon
12 2265
M. decuma-
nus
17.XII.04 Cadaver v. M.-S. 604 cutan Cult. 2026, —
M.-S. 604 todt nach 4 Tagen, sehr
1 viele Pestbakterien.
2026
Blagdon
5.1. 05
_
Cadaver v. R. 2161 1 Oese 2026 subc.,! —
R. 2161 todt n. 3 Tg. massig viele)
Pestbakterien. ,
2026
Blagdon
_
13 2273
M. decuma-
20. XII.04 Cadaver v. M.-S.601 Cult.2026 cut., todt —
M.-S. 601 In. 7 Tg., sehr viele Pestbakt.
2026
Blagdon
nus
5.1. 05 Cadaver v. R. 2341 Cult. 2026 subc , todt —
2026
R. 2341 n.BTg., wenig Pestbakterien.
Blagdon
14 2289
schwarz-
22.XII.04
Organe v. M.-S.610 Cult.2026 cut., todt —
M.-S. 610 n. 6 Tg., sehr viele Pestbakt.
2026
Blagdon
weiss
9.1. 05 ganzerCad. M.-S. 592 Org. cut., todt n. —
v. M.-S. 592 6 Tg., massenhaft Pestbakt.
2026
Blagdon
15 2315
M. decuma-
26. XII. 04
Organe v. R. 2264 Org. subcut., todt n. — i
R. 2264 jlO Tg., wenige Pestbakter. i
1713
Bishopsgate
nus
i
10.1. 05 Cadaver v. R. 2350 cut. Schwanz, todt —
| R. 2350 n. 3 Tg., sehr viele Pestbakt.
2026
Blagdon
16 2320
M. decuma-
nus
28. XII 04
Cadaver v. M.-S. 630 Org. Hauttasche, —
M.-S. 630 todt nach 6 Tg., sehr viele
Pestbakterien.
1713
Bishopsgate
1
10.1. 05
Cadaver v. R. 2349 cut. Schwanz Org., —
R. 2349 todt nach 3 Tg., sehr viele
Pestbakterien.
2026
Blagdon
17 2322
weiss
22.1. 05
Cadaver R. 2250 gef. Organ, todt n. —
ohne Kopf 7 Tg., wenige Pestbakterien. |
v. R. 2250 |
2026
Blagdon
i
8. II. 05 ganzer Cad. iR. 2361 gef. m. Cad. M.-S., + i
f 12.11. 05 v. R. 2361 todt nach 9 Tagen, viele '
Pestbakterien.
2026
Blagdon
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
136
Kisteh und Schumachek:
Digitized by
Tabelle V. (Fortsetzung.)
3*
Nummer
der Ratte
18! 2368
|M. decuma-
nus
!
19: 2499
! schwarz-
weiss
201 1958
M. decuma
I nus
Wann
gefüttert,- ;
wann j
gestorben
Womit i Womit war das
gefüttert Thier inficirt
* tc
.25 i
verfütterte g -S
I <y s
j bpfc 1
&T3\
12.1. 05 Organ und|M.-S. 598 Organ Hauttasche
Kopf v. 2026, todt nach 5 Tg., viele
M.-S. 598 I Pestbakterien. I
05 ganzer Cad.|R. 2315 subcut., todt n. 2Tg.,i
05 v. R. 2315 viele Pestbakterien.
.II.
. 11 .
8 .
+ 13.__
7. II. 05 Cadaver M.-S. 663 Cult. 2026 cutau, —
! ohne Kopf
(v. M.-S. 663
17.11. 05 Lunge u.
f20.II. 05 Leber
_V.M.-S.673
12.X. 04 I Hälfte der
<)rgane
v. M.-S. 528
4. XI. 04 Drüsen u.
Kopf
v. R. 2005
2. XII. 04 ganzer Cad.
v. M.-S. 563
todt nach 8 Tg., viele Pest¬
bakterien.
M.-S. 673 Org. Hauttaschej
todt nach 8 Tg., sehr viele
Pestbakterien.
I
M.-S. 528 subcut. m. Organ¬
saft v. R. 1971, todt n. 5 Tg.^
viele Pestbakterien.
R.2005 subcut. m. Cult. 1713,
todt n. 3 Tg., wenig Pest¬
bakterien in allen Organen.
M.-S. 568 cutan Milz v. Pest¬
ratte 2024, todt nach 9 Tg.,
wenig Pestbakterien.
21 1974
[M. decuma-
i nus
5.
11 .
27.
t 1-
I
X. 04 t Organe v. iß. 1963 subcut. m. Cult. 1725,
R. 1968 todt n.5Tg., wenig Pestbakt.
XI. 04 Organe v. |M.-S.541 cutan.m.Cult. 1713*
” todt n. 10Tg., viele Pestbakt.
M.-S. 554 subcut. m. Organ,
todt nach 9 Tg., sehr viele
Pestbakterien.
M.-S. 541
XI. 04 I Organe v.
XII. 04! M.-8.Ü54
Verwendeter
Peststamm
2026
Blagdon
2026
Blagdon
2026
Blagdon
2026
Blagdon
1725
Bishopsgare
1713
Bishopsgat*
2024
Blagdon
1725
Bishopsgate
1713
Bishopsgate
1725
Bishopsgate
22 1997 i 20.X. 04 Organe v. M.-S.532 subc. m. Cult. 1725,
:M. decuma- M.-S. 532 :todt nach 3 Tg., sehr viele
I nus | Pestbakterien. f
I 7.XL 04 Organe v. M.-S.540 subc. m. Cult. 1713,!
M.-S. 540 todt n. 6Tg., wenigPestbakt.
j ' Organe v. |R. 2043 subcut. m. R. 2026
I I 27.XI. 04 j R. 2043 '(Organ), todt n. 3 Tg., sehr
+ 5. XII. 04' i viele Pestbakterien.
— | 1725
i Bishopsgate
- I 1713
j Bishopsgate
+ 2026
j Blagdon
23
2012
25.XH.04 i Organe v. M.-S. 624 subcut. in. Organ, —-
2026
M. decuma-
M.-S. 624 todt n. 6 Tg., viele Pestbakt.
Blagdon
nus
! 7.1. 05'Cadaver v. R. 2347 subcut. Organ, todt; —
2026
R. 2347 n. 4 Tg., viele Pestbakterien.
Blagdon
i
s
24.1. 05 Organe v. M.-S. 629 cutan Organ, todt —
2026
!
| M.-S. 629 jn. 5 Tg., viele Pestbakterien.
Blagdon
24 j
j 2018
i 29. XI. 04 ! Organe v. jR.2041 subc. in. R.2026(Org.)J —
! 2026
M. decuma-
! R. 2041 todt n. 5 Tg., viele Pestbakt.,
Blagdon
nus
; 13. XII 04 Organe v. M.-S. 586 cutan m. Cult 2026, —
2026
M.-S. 586 itodt n.5Tg., mäss.viel.Pestb.
Blagdon
5.1. 05 Kopf v. R. 2342 subc. ('ult. 2026, todt — i
2026
i
R. 2342 n. 3 Tg., viele Pestbakterien. 1
Blagdon
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Untersuchung von pestverdächtigen Ratten.
137
£ Wann J £?
^ Nummer gefuttert. Womit Womit war das verfütterte «i» Verwendeter
4? der Ratte wann gefüttert Thier inficirt äsS Peststamm
S gestorben ^ ^
25 2019
M. decuma-
nus
2226
w^eisse
2281
M. decuma-
nus
!
9. I.
i
12. II.
28
2014
29. XL
M.
decuma-j
!
nus j
. 1
i
i
19. XII.
1
|
7. I.
i
1
!
1
24. I.
i
29 !
2021 j
19. XI.
19. XI. 04 Organe v. M.-S. 535 cutan m.Cult. 1725,
M.-S. 535 todt nach 6 Tagen.
3. XII. 04 Cadaver t. M.-S. 564 cutan m. Pestratte
M.-S. 564 2024, todt n. 10 Tg., massig
viele Pestbakterien.
30. XII. 04 Cadaver v. R. 2316 gef. Org. R. 2236,
R 2316 todt n. 4 Tg., massig viele
Pest bakterien.
25. XII. 04 Cadaver v. R. 2278 Organe cutan
R. 2278 (Schwanz), todt n. 4 Tagen,
sehr viele Pestbakterien.
10. I. 05 Cadaver v. M.-S. 636 Organe cutan, todt
M.-S. 636 nach 8 Tagen, massig viele
i Pestbakterien.
24. I. 05 Kopf v. M.-S. 625 cutan Organ, todt
M.-S. 625 n. 5 Tg., viele Peätbakterien.
21. XII. 04 Cadaver v. R. 2268 Organ pernasal, todt
R. 2268 nach 4 Tagen, sehr viele
Pestbakterien.
9 I. 05 Kopf v. M.-S. 641 Cult. 2026 cutan,
M.-S. 641 todt nach 6 Tg., sehr viele
Pestbakterien.
12. II. 05 Cadaver v. R. 2018 Cult, subc., todt n.
R. 2018 8 Tg., wenige Pestbakterien.
29. XI. 04 Organe v. M.-S.559 cutan m. ('ult. 1713,
M.-S. 559 todt nach 7 Tg., sehr viele
Pestbakterien.
19. XII. 04 Organe v. M.-S. 608 subeut. m. Organ,
M.-S. 608 todt nach 6 Tg., sehr viele
Pestbakterien.
7. I. 05 Cadaver v. R. 2345 Organ pernasal, todt
R. 2345 nach 4 Tagen, sehr viele
Pestbakterien.
24. I. 05 Kopf v. M.-S. 629 cutan Organ, todt
M.-S. 629 nach 5 Tagen, viele Pest¬
bakterien. i
19. XI. 04 Organe v. M.-S. 536 cutan Cult. 1725,
M.-S. 536 todt nach 6 Tagen, zahllose
Pestbakterien.
8. XII. 04 Cadaver v. M.-S. 580, cutan Cult. 1713,
M.-S. 580 todt nach 5 Tagen, zahllose
| Pestbakterien.
22. XII. 04 Organ u. M.-S. 617 subeutan Organ.
| Kopf v todt nach 6 Tg., sehr viele
M.-S. 617 Pestbakterien.
! 9.1. 05 Organ v. M.-S. 641 cutan Cult,, todt
M.-S. 641 nach 6 lagen, sehr viele
Pestbakterien.
M.-S. 608
R. 2345
M.-S. 629
M.-S. 536
8. XII. 04 Cadaver v.
M.-S. 580
22. XII. 04 Organ u.
Kopf v
M.-S. 617
9. I. 05 Organ v.
M.-S. 641
1732
Bishopsgate
2024
Blagdon
1713
Bisbopsgate
2026
Blagdon
2026
Blagdon
2026
Blagdon
2026
Blagdon
2026
Blagdon
2026
Blagdon
1713
Bishopsgate
2026
Blagdon
2026
Blagdon
#
2026
Blagdon
1725
Bishopsgate
1713
Bishopsgate
1713
Bishopsgate
2026
Blagdon
Digitized fr,
Google
Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
138
Kister und Schumacher:
Digitized by
Tabelle V. (Fortsetzung.)
C |
Wann
^ 1 Nummer
gefüttert.
-o I der Ratte
wann
^ i
gestorben
30 1968
1. X. 04 1
11. XI. 04
17. XI. 04 i
>
28. XI. 04
i
j 15. XII. 04 !
!
31 1998
21. X. 04
M. decuiua-
i
i nus
|
i
1 4. XI. 04
1 !
!
13. XI. 04
1
28. XI. 04
i
8. XII. 04
Womit
gefüttert
l Womit war das verfütterte
Thier inficirt
Organe v. ;R. 1955
R. 1955 |72 Std.,
Bubo v.
M.-S. 541
Organe v.
M.-S. 538
subcut., todt nach
massenh. Pestbakt,
|m.-S. 541 cutan in.Cult. 1713,
j todt nach 10 Tagen, zahllose
| Pestbakterien.
M.-S. 538 cutan m. Cult 1725,
Itodt nach 5 Tagen, sehr
i viele Pestbakterien.
04 ganzer Cad. M.-S. 560 cutan m. Cult. 1713,
iv. M.-S. 560 todt n. 6 Tg., viele Pestbakt.
Organe v. M.-S.595 cutan m.Cult.1713,
M.-S. 595 todt nach 5 Tagen, sehr viele
| Pestbakterien.
Organe v. M.-S. 530 subcut. m. Organ,
M.-S. 530 todt nach 4 Tg., viele Pest¬
bakterien, meist i. Ringform.
R. 2U05
Organe v.
M.-S. 542
todt nach 3 Tagen, wenige
Pestbakterien.
M.-S.542 cutan m.Cult.1713,
todt nach 2 Tagen, massig
| viele Pestbakterien,
ganzer !M.-S. 555 cutan m. Cult. 1713,
Cadaver v. todt nach 6 Tagen, sehr
M.-S. 555 I viele Pestbakterien.
Cadaver v. M.-S. 581 cutan m.<'ult. 1713,
M.-S. 581 ! todt n. 5 Tg., viele Pestbakt.
c &
M-d
Verwendeter
Peststamm
_
i _
i
1706
Bishopsgate
1713
Bishopsgate
1
1725
Bishopsgate
!
__
1713
Bishopsgate
1713
Bishopsgate
; 1
1725
Bi shopsgate
1 ~ i
1713
Bishopsgate
j 1
1713
Bishopsgate
'-!
1718
Bishopsgate
i
1
1713
Bishopsgate
zweiten Fütterung, von 8 3 Mal gefütterten 2 bei der dritten Fütterung ein.
2 4 Mal und 2 5 Mal gefütterte Ratten überstanden die vierte bezvr.
die fünfte Fütterung. Zur Prüfung auf Immunität wurden 16 dieser
mehrfach gefütterten Ratten nach 1 bis 4 Wochen subcutan mit in der
Regel vielfach tödtlicher Dosis geimpft. Es überstanden die Impfung eint
2 Mal, 3 3 Mal, eine 4 Mal und beide 5 Mal gefütterten Ratten. Eine
der 5 Mal gefütterten Ratten vertrug eine ganze Cultur, von der 1 / 4 Oe?t
eine andere Ratte in 4 Tagen tödtete.
Die Ratten haben vielleicht schon von vornherein eine gewisse Immu¬
nität besessen, so dass sie der ersten Fütterung nicht erlagen. Diese
Immunität muss aber durch die nächsten Fütterungen erheblich gesteigert
worden seiu, denn in unseren nach Tausenden zählenden Rattenversuchen
haben wir keine Ratte gefunden, die gegen so hohe Dosen virulenter Pest¬
bakterien, wie sie diesen Ratten nach der letzten Fütterung zur Prüfung
auf Immunität subcutan einverleibt wurden, sich refractär verhalten hätte.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Untersuchung von pestverdächtigen Ratten.
139
Ausserdem gingen zur Controle mit kleineren Dosen geimpfte Thiere prompt
in wenigen Tagen ein.
Ziehen wir nun das Facit aus den mitgetheilten Versuchen, so ergiebt
sich, dass die Ratten eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegen¬
über den Pestbakterien besitzen und durchaus nicht auf jede
Einverleibung, insbesondere Fütterung auch virulenten Mate¬
rials reagiren, und dass somit der Ausbreitung der Pest unter
den Ratten eine gewisse Grenze gesetzt wird. Diese Thatsache
kann jedoch nicht Anlass geben, die Rolle, welche den Ratten
hinsichtlich der Uebertragung und Verbreitung der Pest zu¬
kommt, gering anzuschlagen. Die von Robert Koch zuerst
recht gewürdigte Bedeutung der Ratten für diese Infections-
krankheit bleibt unbestritten.
II. Insectenversuche.
Es ist ja bekannt, dass Insecten, wenn sie mit Bakterien in Be¬
rührung kommen, diese an ihren Beinen und ihrer Körperoberfläche ver¬
schleppen und so zur Verbreitung dieser Mikroorganismen beitragen können.
Besonders überzeugend und leicht zu demonstriren sind die in dieser
Richtung mit dem Bacterium prodigiosum vorgenommenen Versuche. Es
kann daher nicht Wunder nehmen, dass auch Pestbakterien sich an der
Körperoberfläche von Insecten finden, wenn diese mit pestbakterienhaltigem
Material in Berührung kommen, oder in ihren Eingeweiden, wenn die
Insecten Pestmaterial in sich aufnehmen. So konnten denn auch von ver¬
schiedenen Autoren an und in Fliegen, Mücken, Wanzen und Ameisen
Pestbakterien nachgewiesen werden. Es gelang ferner durch Verimpfung
solcher pestinficirter Insecten Pest bei Ratten und Mäusen zu erzeugen.
Für den Nachweis der Pestbakterien in den Eingeweiden der Insekten
sind allerdings nur die Thierversuche beweisend, bei denen mit Sicherheit
die gleichzeitige Verimpfung etwa an der Körperoberfläche der Insecten
haftender Pestbakterien vermieden worden ist. Der Aufnahme von Pest¬
bakterien in den Verdauungstractus gegenüber sollen sich nämlich die
Insecten verschieden verhalten, Fliegen sollen beispielsweise durch die
Pestbakterien zu Grunde gehen, während andererseits in Wanzen die Pest¬
bakterien in kurzer Zeit absterben. 1
1 Litteratur bei Nuttal, Hygienische Rundschau. 1899. Nr. 5—12. — Tira-
boschi, Archiv für Hygiene. 1903. Bd. XLVI. — Diese Zeitschrift. 1904.
Bd. XL VIII.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
140
Kisteb und Schumacher:
□ igitized by
Anders steht es nun mit den Versuchen, experimentell unter Datür-
liehen Verhältnissen entsprechenden Bedingungen Ratten durch inficirte
Insecten pestkrank zu machen. Die meisten Autoren, die nach dieser
Richtung hin Versuche angestellt haben, kamen zu negativen Ergebnissen.
Dem gegenüber stehen positive Erfolge ganz vereinzelt da. Simond 1
will 2 Mal durch inficirte Flöhe Pest auf Ratten bezw. Mäuse übertragen
haben, Gauthier und Rayboud 2 behaupten, dass es ihnen 5 Mal ge¬
lungen sei. Simond’s Versuche sind aber insofern nicht einwandsfrei,
als er die Ratte bezw. die Maus zu der mit Flöhen behafteten Pestratte
hinzusetzte, so dass eine Infectiou der Versuchstiere statt vermittelst der
Flöhe durch die Pestratte direct nicht ausgeschlossen erscheint. Derselbe
Einwand ist gegen zwei von Gauthier und Rayboud angestellte Versuche
zu erheben, während in den zwei anderen die Versuchsratten durch ein
doppeltes Drahtgitter von den Cadavern der Pestratten getrennt waren.
In unseren Versuchen haben wir einige Male Flöhe von pestinficirten
Ratten mikroskopisch und culturell oder auch durch Verimpfung auf eine
Ratte untersucht. Das Ergebniss war stets negativ. Auch Flöhe und Läuse
von Pestratten anderen Ratten zugesetzt führten nicht zur Pesterkrankung
der betreffenden Thiere. Vielleicht ist in diesen Versuchen die Zeit nicht
richtig gewählt, da wohl anzunehmen ist, dass Flöhe von Pestratten
nicht immer und zu jeder Zeit infectionstiichtige Pestbakterien beherbergen.
Wir führten daher, um einer möglichst grossen Zahl von auf Pestratten
sitzenden Flöhen Gelegenheit zu geben, zu jeder Zeit auf eine andere Rattt
überzuwandern und diese zu inficiren, Versuche nach folgender Versuchs-
anordnuug aus. In einem grossen cylindrischen, mit durch Watte ge¬
dichteten Drahtdeckel versehenen Glaskäfig, wie wir ihn im Pestlaboratoriuni
für Versuchstiere zu verwenden pflegen, wurde über einer dünnen Lagt
Torfstreu ein Drahteinsatz mit weiten Maschen als Unterlage für die Ver¬
suchsratten eiugebracht. Auf diesem Drahteinsatz ruhte eine dichte Blech-
wand, durch welche der Käfig iu zwei Theile getheilt wurde. Drah:-
gitter, wie sie Gauthier und Rayboud verwendeten, wurden absichtlich
vermieden, um jede Möglichkeit einer directen Uebertragung der Pest
von Ratte auf Ratte auszuschliessen. Auf die eine Seite der Scheidewand
wurde nun eine durch vorheriges Waschen mit Seifenwasser von Un¬
geziefer gründlich gesäuberte Ratte gesetzt, auf die andere Seite dagegen
eine mit Pest inficirte Ratte, welche möglichst viel Flöhe hatte. Eine
directe Berührung der Thiere war ausgeschlossen. Die Flöhe konnten aber
durch die weitmaschige Drahteinlage von der einen Seite nach der anderen
1 Simond, Annales de VInstitut rasteur 1898. T. XII.
2 Gauthier und Rayboud, Reime d'hyniene 1903. p. 426.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Untersuchung von fest verdächtigen Ratten.
141
überwandern. Der Torfmull verhinderte eine Durchnässung des Bodens
des Käfigs und erleichterte gleichzeitig das Ueberwandern der Flühe von
einer Seite auf die andere. Dass dieses in der That statttindet, hatten wir
durch Vorversuche festgestellt. Es liess sich nachweisen, dass die gründ¬
lich gewaschene und sicher flohfreie Ratte, wenn neben ihr eine Ratte
mit Flühen sass, nach einiger Zeit ebenfalls solche aufwies. Es wurde
auch ferner durch Versuche festgestellt, dass die gewaschene Ratte, wenn
keine mit Flühen behaftete Ratte auf der anderen Kätigseite sass, auf andere
Weise, etwa aus dem Torfstreu heraus, keine Flühe bekam. Nach dieser
Versuchsanordnung wurden nun mit Pestratten im Ganzen 23 Versuche
angestellt. Starb die mit Pest inficirte Ratte, so wurde der C'adaver noch
einen Tag liegen gelassen und so den Flühen Gelegenheit gegeben, den
erkalteten C’adaver zu verlassen, um einen warmen Körper aufzusuchen.
In die Abtheilung der Pestratten wurde dann nach dem Tode der ersten
Ratte eine neue mit Pest inficirte Ratte gesetzt. Die Käfige wurden
während der ganzen Dauer der Versuche nicht gereinigt, damit sich eine
möglichst reiche Fauna in denselben ansammeln konnte. Das Ergebniss
dieser Versuche war ein absolut negatives, in keinem Falle kam es zu
einer Infection der ungeimpften Ratte.
Weiterhin wurden auf Wunsch von Hrn. Professor Dun bar Versuche
mit Wanzen augestellt, weil es nach seinen, mit anderen Infectionserregern
angestellten Versuchen möglich erschien, dass Bakterien durch Biss von
Wanzen von Thier zu Thier übertragen werden. Um zu verhindern, dass
die pestinficirten Wanzen, welche an der Glaswandung der Käfige herauf¬
zukriechen und sich auch durch Watte hindurchzuarbeiten vermögen, aus
dem Versuchskäfige entkommen, wurde jeder Käfig in ein zweites weiteres
Glas gestellt und dieses wieder in eine mit Sublimatlösung gefüllte Wanne.
Zu den Versuchen wurden gauz juuge weisse Ratten verwendet, einmal
weil auf einem weissen Fell die Wanzen sich deutlicher abheben und dann, weil
es mehrfach beobachtet war, dass die Wanzen zum Beissen die zarte Haut
der Füsse der jungen Ratten bevorzugen. Die Wanzen wurden nun nach
mehrtägiger Hungerperiode auf Organe von an Pest zu Grunde gegangenen
Ratten oder auch auf mit Pestbouilloncultur getränkten Fleischstückchen
gesetzt. Nach 24- bis 72 stündigem Verweilen der Wanzen auf dem Pest-
material wurden sie auf Ratten gebracht. Manchmal begaben sich die
Wanzen sofort auf die Füsse der Ratten, uud es schien auch hin und
wieder, wie man nach den Abwehrbewegungen der Ratte annehmen durfte,
als ob die Wanzen gebissen hätten, mit Sicherheit liess sich dieses jedoch
nicht feststellen. Zur Controle wurden Ratten mit und ohne Wanzen
unter gleichen Versuchsbedingungen gehalten. Trotz dieser für eine Leber¬
tragung der Pestbakterien sehr günstigen Versuchsbedingungen erkrankte
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
142
Iüster und Schumacher:
in keinem unserer 8 Wanzenversuche eine Ratte an Pest. Ueber Ver¬
suche mit Fliegen endlich werden wir später berichten.
Unsere unter verschiedenen Modificationen angestellten Insecten-
versuche konnten also nur dazu beitragen, die Zahl der in der Litteratui
bereits niedergelegten negativen Versuche noch zu vermehren. Weun
auch die Möglichkeit einer Uebertragung durch mit Pest be¬
haftete Insecten zugegeben werden muss, so scheint doch
dieser Modus der Uebertragung, insbesondere soweit eine solche
in Folge von Biss von Flöhen und Wanzen in Frage kommt,
kein gewöhnlicher und häufiger zu sein.
III. Nachweis von Pestbakterien im Kothe und Urin von Pest¬
ratten und Versuche über Übertragung von Pest durch mit
Ausscheidungen von Ratten verunreinigten Mais.
Durch die Versuche von Maassen 1 ist nachgewiesen, dass sich Pest¬
bakterien im trockenen Rattenkothe einen Tag lang, im künstlich feucht
gehaltenen bis zu 4 Tagen halten, und dass mit Darminhalt von Pest¬
ratten vermengtes Getreide nicht länger als 3 Tage infectiös bleibt.
Otto 2 konnte im Koth von an Darmpest eingegangenen Ratten je nach
der Temperatur (22° und 6°) Pestbakterien 1 bis 3 Tage lang nachweisen.
In feuchter, künstlicher Mischung von Koth oder Urin, Getreide und
Pestbakterienreinculturen blieben Pestbakterien 3 bis 9 Tage laug lebens¬
fähig. Dagegen gingen Ratten, welche mit durch Koth oder Urin von
Pestratten vermischtem Getreide gefüttert wurden, nicht ein, nur wenn
künstlich viele Pestbakterien dem Gemisch zugefügt waren, und dieses
feucht im Eisschrank auf bewahrt wurde, gelang es noch nach 48 Stunden
Ratten damit zu inficiren.
Nach unseren Versuchen können wir bestätigen, dass die Pestbakterien
im trockenen Rattenkothe schnell absterben. In den Laderäumen der
Schiffe wird diese Austrocknung in der Regel wohl rasch vor sich gehen,
wenigstens haben wir in den untersuchten Pestschiffen den zwischeu der
Ladung verstreuten Rattenkoth mehrfach gesammelt und in der Regel
trocken gefunden. Demnach ist von vornherein ein negativer Ausfall der
Untersuchungen dieses Kothes auf Pestbakterien zu erwarten. L T ebrigeu$
haben wir gelegentlich auch feuchten Koth aus Pestschiffen untersuchet
können. Im Ganzen standen uns 13 Kothproben aus Pestschiffen zur
1 Maassen, Arbeiten aus dem Kauerl. Gesundheitsamte. 1908. Bd. XIX.
* Otto, Festschrift zum 60. Geburtstage von Robert Koch. Jena 1903.
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Untersuchung von pestverdächtigen Eatten.
143
Verfügung; in keinem Falle aber waren infectionstüchtige Pestbakterien
nachzuweisen. Ebenso wenig konnten wir Pestbakterien in dem trockenen
Kothe aus den Käfigen von Versuchsratten auffinden. Dagegen gelang
es in ganz frischem, eben entleertem Kothe von Pestratten virulente Pest¬
bakterien nachzuweisen. Auch aus dem aus der Blase entnommenen Urin
frisch eingegangener Ratten gelang dieser Nachweis.
Vor Allem nun richteten wir unsere Versuche darauf, festzustellen,
ob mit Se- und Excreten von Eatten verunreinigte Waaren die Pest zu
übertragen vermögen. Dieser Frage wurde einer Anregung von Hm. Ge¬
heimrath Koch zu Folge auf Wunsch von Hm. Professor Dun bar in
einer möglichst grossen Zahl von Versuchen näher getreten. Da nämlich
die Beobachtung gemacht ist, dass die Erkrankungen von Menschen an
Pest in einen gewissen Zusammenhang zu bringen sind mit den von
Ratten gern aufgesuchten Waarenspeichem, so besteht die Vermuthung,
dass diese durch Ausscheidungen von Ratten inficirten Waaren zu weiteren
Pestinfectionen führen. Da nun die in Hamburg aus pestverdächtigen
Häfen einlaufenden Schiffe, welche zahlreiche Ratten beherbergen, häufig
als Ladung Mais führen, und die Ratten diesen, wie wir beobachten
konnten, oft gerne fressen, so erschien uns der Mais als ein geeignetes
Versuchsobject. Um möglichst die natürlichen Verhältnisse nachzuahmen,
führten wir die Versuche folgendermaassen aus. Es wurden zu den Ver¬
suchen nur gefütterte Ratten verwendet, da nur diese in natürlicher
Weise die Pest erwerben, andererseits durch die dann vielleicht auftretende
Lungen- oder Darmpest der Mais am sichersten inficirt wird. Sodann
wurde Werth darauf gelegt, dass die Versuchsratten nur mit inficirtem
Mais, nicht aber mit den Cadavern der Ratten, welche den Mais inficirt
hatten, in Berührung kamen. Demnach verfuhren wir in der Weise, dass
wir zunächst eine Ratte mit dem Cadaver einer Pestratte fütterten. Am
nächsten Tage wurde diese Ratte, nachdem festgestellt war, dass sie den
ihr vorgeworfenen Cadaver gefressen hatte, in einen frischen Glaskäfig
gebracht, dessen Boden in Höhe von etwa 5 cra mit Mais gefüllt war. Die
Patte wurde dann, wenn sie der Iufection erlegen war, sobald als möglich
aus dem Käfig entfernt und auf Pest untersucht. Fiel die Untersuchung
positiv aus, so wurde in den Maiskäfig eine ungeimpfte Ratte — es wurden
sowohl weisse, gefleckte als auch graue verschiedener Art verwendet —
gesetzt. Da unsere gefütterten Thiere, wie oben angegeben, durchschnitt¬
lich nach 3 bis 5 Tagen, manchmal auch später eingingen, so konnte der
Mais in der Regel 2 bis 4 Tage lang durch die Pestratte inficirt werden.
Dieses wird wohl hauptsächlich durch den Ivoth und Urin der Ratten
erfolgen ; wir konnten niemals beobachten, dass in sichtbarer Weise Secret
aus Mund oder Nase der Pestratten austloss. Der Mais wurde während
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144
Kister und Schumacher:
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der ganzen Dauer der Versuche mit etwas Wasser feucht gehalten. Die
in dem Käfig der verwendeten Pestratte gesetzten ungeimpfteu Batten
kamen stets mit dem Mais in innigste Berührung, indem sie denselben
aufwühlten und auch aunagten und frassen. Um sie hierzu möglichst in
veranlassen, gaben wir ihnen Anfangs kein weiteres Futter, bis wir einige
Todesfälle zu verzeichnen hatten, bei denen eine Pestinfection sicher nicht
vorlag, während die Leere von Magen und Darm den Verdacht einer un¬
zureichenden Ernährung rechtfertigte. Deshalb verabreichten wir weiterhin
täglich den Thieren eine kleine Ration eingeweichteu Brodes. Seitdem
haben wir ähnliche Zwischenfälle nicht mehr beobachtet. Nach diese:
Methode nahmen wir nun 65 Versuche vor, jeden Versuch dehnten tu
nach Möglichkeit von dem Hineinsetzen der Ratten ab gerechnet, auf
etwa 3 Wochen aus. Von allen Versuchen fiel nur ein einziger positiv aas,
diese eine Ratte ging unter ausgesprochenem Pestbefund mit Pestbakterier
in allen Organen ein. Es beweist dieser Versuch, dass in der That ein*
Infection durch Mais, welcher durch Ausscheidungen einer Pestratte in-
ficirt wird, erfolgen kann, andererseits zeigt jedoch die grosse Anzat.
negativer Versuche, dass eine derartige Infection zu den allergrösstes
Seltenheiten gehört, um so mehr als unter natürlichen Verhältnissen wohl
nicht immer der Mais so frisch inficirt ist und dauernd feucht gehalten
wird, wie in unseren Versuchen. Unter Umständen, bei Lagerung der
Waaren in hellen Speichern, wird ferner noch mit dem schädigenden
Einfluss von Licht und Temperatur auf die Pestbakterien zu rechnrs
sein. Es gelang uns auch nicht, bei Ratten dadurch Pest zu erzeuge
dass wir losen Mais aus einem Pestschiff, der mit reichlichem Rattenkoü
untermischt war, gründlich mit steriler physiologischer Kochsalzlösung
abspülteu und diese Spülflüssigkeit einer grösseren Zahl Ratten subcutan
injicirten. Diese Versuche über die indirecte Uebertragung der Pest durci
Ratten werden wir noch weiter fortsetzen und darüber, falls wir r*
weiteren positiven Ergebnissen kommen, später berichten.
Nach den von uns mitgetheilten Versuchen und nach den Erfahrungen
die wir gelegentlich der Feststellung von Pest auf Schiffen machten, haben
wir somit keine Anhaltspunkte dafür, dass die Verbreitung de?
Pestkeims durch Insecten oder durch Ausscheidungen der Ratte
und durch damit verunreinigte Waaren wesentlich in Betracht
kommt, wir neigen daher auch der Ansicht zu, dass wenigsten?
für die Verbreitung der Pest unter den Ratten in erster Linie
die Cadaver der Pestratten verantwortlich zu machen sind. Dt?
in der Litteratur verzeichnete Angabe, dass Ratten die Cadaver ihr-:
eigenen Art ungern verzehren, können wir nach unseren Erfahrung*:'-
nicht bestätigen; alle unsere Ratten begannen, sofern sie nicht kurz vor-
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Untersuchung von pest verdächtigen Ratten.
145
her gefüttert waren, sofort den ihnen vorgeworfenen Rattencadaver anzu-
nagen. Allerdings muss man sich bei Versuchen davor hüten, dem zur
Verfütterung dienenden Material mit Carbol zu nahe zu kommen, da die
Ratten gegen diesen Geruch offenbar, wie wir uns oft zu überzeugen Ge¬
legenheit hatten, einen ausgesprochenen Widerwillen haben. Ebenso wenig
darf das verfütterte Material bereits einer stärkeren Fäulniss unterlegen
sein, während geringere Grade einer solchen nach den übereinstimmenden
Versuchen von Maassen und Otto, die wir bestätigen können, keine Ab-
ueigung erwecken. Auch wurden uns häufig aus pestverdächtigen Schiffen
von Ratten mehr oder weniger angefressene Rattencadaver eingeliefert, so
dass ausser Frage steht, dass die Ratten, selbst wenn ihnen andere Nahrung
geboten ist, ihre todten Kameraden anzufressen nicht verschmähen. Es
ergiebt sich also daraus die Nothwendigkeit der sorgfältigen
Ueberwachung aller Schiffe aus pestverdächtigen Häfen und
der Aufsuchung und Unschädlichmachung aller Pestratten auf
denselben.
Unsere weiteren Untersuchungen über Rattenpest beziehen sich auf
diagnostische Fragen. Sie umfassen insbesondere Versuche über den Nach¬
weis der Pest bei faulen Rattencadavern aus dem makroskopischen und
mikroskopischen Befunde und über die Brauchbarkeit verschiedener Impf-
methodeu für die Bestätigung der vorläufigen Diagnose durch den Thier¬
versuch.
IV. Zur Frage der Pestdiagnose bei faulen Rattencadavern.
Naturgemäss befinden sich die aus pestverdächtigen Schiften zur
Untersuchung kommenden Ratten zu einem grossen Procentsatz in einem
mehr oder weniger vorgeschrittenen Zustande der Fäulniss.- Ist die Pest
unter den Ratten eines Schiffes noch in vollem Gange, so wird man wohl,
wie es auch in unseren Fällen zu geschehen pflegte, einige frische Pest-
rattencadaver darunter auf das Secirbrett bekommen. Aber meist wird
dieses erst der Fall sein, wenn nach Stellung der Diagnose die Abtödtung
aller Ratten des betreffenden Schiffes durch Gas iu’s Werk gesetzt ist,
und nun die Cadaver beim Löschen der Ladung zwischen dieser auf¬
gefunden werden. Gerade die ersten Ratten hingegen, welche auf der
Ladung oder an sonst leicht zugänglichen Stellen gefunden werden,
sind manchmal schon vor längerer Zeit eingegangen und je nach der
Temperatur und dem Feuchtigkeitsgrade ihrer Umgebung in vertrocknetem 1
oder fauligem Zustande.
1 In Laderäumen, in welchen loser, in der Auskeimung befindlicher Mais lagerte,
kamen Temperaturen bis 50 ° und darüber zur Beobachtung.
Zeit sehr. f. Hygiene. LL
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146 Kister und Schumacher:
Welche Schwierigkeiten bei der Untersuchung solcher fauler Cadaver.
die in ihnen enthaltenen Fäulnissbakterien, zumal, wenn sie im Ausstrich¬
präparate die Form und Färbbarkeit der Pestbakterien aufweisen, bereiten
können, ist bereits früher an anderer Stelle 1 dargethan worden. Inzwischen
ist auch von Maassen*, Otto 3 und Zlatogoroff* festgestelit, dass die
Möglichkeit des Nachweises von Pestbakterien in faulen Cadavern ihre
Grenzen hat und abhängig ist von der umgebenden Temperatur, dem
Grade der Fäulniss und der Zahl der im Cadaver vorhandenen Pestbakterien.
Der Nachweis von Pestbakterien gelingt nach Maassen bei 5 bis 12
93 Tage, bei 16 bis 28° 30 Tage, nach Otto bei einer Durchschnitts¬
temperatur von 6° 61 Tage, von 22° 30 Tage, nach Zlatogoroff bei
1 bis 3° 140 Tage, bei 3 bis 5° 109 Tage, bei 12 bis 18° 28 Tage und
endlich bei 30 bis 35° 5 Tage lang. Im Allgemeinen kann man, wie
Otto angiebt, annehmeu, dass Pestbakterien in Rattencadavern in der
Regel nicht länger als zwei Monate virulent bleiben. Wir sehen daher
davon ab, nochmals auf die äussersten Grenzen der Nachweisbarkeit der
Pestbakterien einzugehen und wollen in erster Linie eine weitere Fragt
erörtern, deren Beantwortung uns die Untersuchungen der in den letzten
Jahren aus pestverdächtigen Schiffen eingelieferten Ratten wünschens-
werth erscheinen liess.
Wenn pestverdächtige Ratten aus Schiffen eingeliefert werden, so
kommt es darauf an, in kürzester Frist den Fall auf Gruud des makro¬
skopischen Befundes und der mikroskopischen Untersuchung als verdächtig
oder unverdächtig anzusprechen, damit bezüglich des Schiffes sofort die
erforderlichen Maassnahmen getroffen werden oder im anderen Falle die
Löschung der Ladung unbehindert ihren Fortgang nehmen kann. Iu
wie weit wird nun durch die Fäulniss das bekannte typische
Bild der Pestinfection bei Ratten verwischt, und auf welche
Befunde hin lässt sich noch bei faulen Cadavern der Verdacht
auf Pest aussprechen mit solcher Sicherheit, dass diese vor¬
läufige Diagnose durch die nachherige culturelle Untersuchung
und durch den Thierversuch auch ihre Bestätigung findet?
Diese Fragen sind von grosser praktischer Bedeutung. Einmal könnte mar
in die Lage kommen, einen Fall nach der vorläufigen Untersuchung ab
unverdächtig zu bezeichnen, der daun plötzlich nach 3 bis 5 Tagen oder
auch erst später durch den Thierversuch sich als positiv erweist. Es ist
1 Dunbar und Kister, a. a. 0.
* Maassen, a. a. 0.
3 Otto, a. a. 0.
4 Zlatogoroff, Centralblatt für Bakteriologie. I. Originale. 1904. Bd.iXXM
S. 559.
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Untersuchung von pestverdächtigen Ratten.
147
dann aber schon die Ladung ganz oder zum Theii gelöscht und den
Ratten die Möglichkeit gegeben die Pest zu verbreiten. Andererseits aber
könnte man ein Schiff nach der vorläufigen Untersuchung mit Recht als
verdächtig bezeichnen müssen, aber nicht im Stande sein, vielleicht weil
die Bakterien nicht mehr entwickelungsfähig und infectionstüchtig sind,
den vorgeschriebenen Beweis durch die culturelle Untersuchung und durch
den Thierversuch zu erbringen. Die bereits hinsichtlich des Schiffes ge¬
troffenen Maassnahmen müssten dann also rückgängig gemacht werden.
Beides, sowohl die verspätete positive Diagnose, als auch eine Nicht¬
bestätigung der positiven Diagnose durch die culturelle Untersuchung und
durch den Thierversuch liegen wohl im Bereiche der Möglichkeit. Bezüg¬
lich des letztgenannten Falles verweisen wir als Beispiel auf den Ein¬
gangs verzeichneten Fall Chios. Hier war von den 21 Ratten des
»Schiffes nur eine einzige mit Pestbakterien behaftet und diese zeigten be¬
reits die bekannte Ringform. Es gelang allerdings noch aus der Ratte
die Pestbakterien culturell zu gewinnen, und auch der Thierversuch fiel
positiv aus. Immerhin hätte jedoch in einem solchen Falle, wenn z. B.
der positive Rattencadaver noch etwas älter gewesen wäre, die Bestätigung
der vorläufigen Diagnose durch das Culturverfahren und durch den Thier¬
versuch fehlschlagen können. Für die erstgenannte Mögüchkeit aber haben
wir in unseren Versuchen mit faulen Cadavern eine Reihe von Beispielen
gefunden.
In diesen Versuchen mit faulen Rattencadavem gingen wir nun von
den oben angedeuteten Gesichtspunkten aus. Wir wollen daher für unsere
Schlussfolgerungen ausschliesslich durch Verfütterung von Pestmaterial,
oder durch Impfung auf die Nasenschleimhaut eingegangene Ratten heran¬
ziehen, denn nur diese entsprechen den unter natürlichen Verhältnissen
an Pest verendeten Thieren. Diese Pestcadaver zeigen nämlich, wie schon
bei unseren Fütterungsversuchen im ersten Theii unserer Arbeit angegeben,
nicht immer denselben makroskopischen und mikroskopischen Befund wie
subcutan geimpfte Ratten. So findet man bei Darmpest die Injection der
Subcutis in der Regel nicht so ausgesprochen, desgleichen nicht bei einer
primären Pestpneumonie, falls sich au diese nicht eine allgemeine Septi-
cämie angeschlossen hat. Auch ist die Vertheilung der Pestbakterien bei
den eben genannten Formen der Pestinfection vielfach nicht eine so gleich-
massige, wie bei einer nach subcutaner Impfung erfolgten Septicämie.
Wir würden also, wenn wir auch faule Cadaver von einer subcutan oder
intraperitoneal geimpften Ratte einbezögen, die Bedingungen zu günstig
gestalten. Des Weiteren hielten wir es nicht für einwaudsfrei, von der
Zahl der eingegangenen Ratten zur Feststellung, ob in der That Pest vor¬
lag, nur einen Theii der Ratten auf Pestbakterieu zu untersuchen, wie es
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Otto gethan hat. Wir haben nämlich die Erfahrung gemacht, da»
durchaus nicht jede Ratte, welche innerhalb der gewöhnlichen Zeit nach
Yerfütterung von Pestmaterial einging, auch thatsächlich einer Pest er¬
legen war. Besonders wilde Ratten leiden oft an allen möglichen anderen
Krankheiten, chronischen, glasigen Pneumonieen, Bandwürmern und da¬
durch hervorgerufenen Darmkatarrhen, Trypanosomen u. s. w., so dass die
Thiere manchmal zufällig innerhalb der auch für die Pest in Betracht
kommenden Zeit, aber ohne Pestbefund eingehen können. Für die 0 tto’schen
Versuche mag allerdings die jedesmalige Untersuchung der eingegangeuen
Ratten insofern nicht unbedingt erforderlich gewesen sein, als hauptsäch¬
lich die Grenzen der Nachweisbarkeit der Pest in faulen Cadavem fest¬
gelegt werden sollten. Bei unseren Versuchen kam es aber auf den Be¬
fund jedes einzelnen Cadavers und auch darauf an, die Zahl der negativen
Fälle im Vergleich zu den positiven zu setzen. Wir führen daher nur
Versuche an, in denen wir uns nach einer kleinen Verletzung der Haut von
dem Vorhandensein von Pestbakterien in einer Drüse oder in Leber oder
Lunge überzeugt hatten. Da ferner die Zahl der im Cadaver enthaltenen
Pestbakterien, wie oben erwähnt, von Bedeutung ist, so wurden diejenigen
Cadaver, bei denen wir nicht sofort zahlreiche Pestbakterien im Ausstriche
fanden, ganz aufgeschnitten und für andere Zwecke verwendet. Fanden
sich in einem der genannten Organe massenhaft Pestbakterien, so wurde
der Cadaver in seinem Käfig, also auf Torfmull, bei der betreffenden
Temperatur die gewünschte Zeit lang liegen gelassen. Bei der daun
später vorgenommenen Section wurde zunächst festgestellt, welche für Pe>t
charakteristische pathologisch-anatomischen Veränderungen der Cadaver
aufwies, ferner wurden alle Organe auf Zahl und Art der in ihnen vor¬
handenen Bakterien untersucht. Die nach dem mikroskopischen und
makroskopischen Befunde gestellte Diagnose wurde sodann controlirt durch
die culturelle Untersuchung und durch den Thierversuch. Zu letzterem
Zwecke impften wir mit dem Organ, welches die meisten pestähnlichen
Bakterien enthielt, eine Ratte subcutan und auf die Empfehlung Zlato-
goroff’s hin eine zweite pernasal, ferner eine dritte Ratte subcutan mit
2 ccm Orgauaufschwemmung, und endlich je ein Meerschwein subcutan
und cutan.
In einigen wenigen Versuchen Hessen wir die Cadaver bei 32° faulen:
schon nach vier Tagen waren die* Pestbakterien nicht mehr zu gewinnet).
Am wichtigsten erschienen jedoch die für unsere Verhältnisse in Betracht
kommenden Temperaturen von 10 und 20° C., wir führten daher dn-
Mehrzahl unserer Versuche bei Temperaturen aus, die diesen Graden nahe
kamen. Doch ist dabei zu bemerken, dass geringe Temperaturschwankungpn
um ein paar Grade bei diesen Versuchen unvermeidbar sind und auch
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Untersuchung von restverdächtigen Ratten.
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beim Faulen von Cadavern unter natürlichen Verhältnissen Vorkommen
dürften. Auch der Feuchtigkeitsgehalt der Luft ist gewissen Schwankungen
unterworfen. Dadurch sowie auch aus der Zahl und Art der dem faulen
Cadaver anhaftenden Fäulnissbakterien erklärt es sich, dass manchmal
weniger alte Cadaver eine weiter vorgeschrittene Fäulniss aufwiesen, als
solche, die mehrere Tage länger bei gleicher Durchschnittstemperatur ge¬
legen hatten. Es wäre daher auch richtiger, wenn es angängig wäre, den
Grad der Fäulniss anstatt des Alters des Cadavers und der Aufbewahruugs-
temperatur anzugeben. Im Allgemeinen machten wir die Beobachtung,
dass die Aussicht Pestbakterien nachzuweisen gering ist, wenn das Fell
beim üblichen Abwaschen desselben mittels Wattebausch sich ablöst, Brust
und Bauchhöhle mit fauliger Flüssigkeit angefüllt sind und der Milz-
ab.'trioh ein schwärzliches Aussehen hat.
Im Ganzen wurden nun 43 Versuche ausgeführt, 22 Cadaver blieben
bei einer Durchschnitttemperatur von lü° liegen und zwar 7 bis 37 Tage,
21 Cadaver bei einer Durchschnitttemperatur von 20° und zwar 4 bis
15 Tage laug.
Da bei diesen Versuchen mancherlei Einzelheiten in Betracht kommen,
so geben wir unsere Protokolle, in Tabellen zusammengefasst, hier in
extenso wieder. Tabelle VI und VII zeigen die makroskopischen und
mikroskopischen Befunde, Tabelle VIII und IX die Ergebnisse der Thier¬
impfungen.
Was nun zunächst den mak roskopischen Befund anlangt, so fanden
wir. dass das für Pest charakteristische Bild schon bei wenig vorgeschrittener
Fäulniss undeutlich wird. Eine deutliche Injection der Subcutis ist nur
noch in den ersten Stadien der Fäulniss in seiner ursprünglichen Aus¬
dehnung erhalten. Sobald das subcutane Gewebe eine grünliche oder
röthliche Tönung angenommen hat, sind höchstens noch Reste der früheren
Injection als feinste schwarze Aederchen, manchmal auch als weisse Stränge
von der Achselhöhle bis zur Inguinalgegend herabziehend zu erkennen, bis
schliesslich auch diese Residuen der bei Irischen Thieren auch die feinsten
Blutgefässe füllenden Injectionen verschwinden. Wie in Tabelle VI u. VII
angegeben, finden sich Reste von Injectionen der Subcutis bei den Cadavern,
welche bei 10° lagen, in den ersten 12 Tagen regelmässig, wenn auch
in verschiedener Deutlichkeit. Nach dieser Zeit fehlten dieselben mehr¬
fach, waren aber andererseits gelegentlich noch bis zum 27. Tage nach¬
weisbar. Bei den Cadavern, welche bei 20° lagen, verschwanden die Injec¬
tionen erheblich früher. Sie waren regelmässig nur bis zum etwa 5. Tage
nachweisbar, längstens bis zum 10. Tage. Allerdings fanden wir häutig
mehr oder weniger gleichmässig schwarz pigmentirte Partieen in der
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Original fram
UNIVERSITY 0F CALIFORNIA
Lfde. Nr.
152
Kistek und Schumacher:
Tabelle VIII.
Ergebnisse der Thierversuche bei den Cadavern, welche bei 10"
gefault haben.
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der Ratte
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Resultat des Pest nachgewiesen durch Irnpfg. von
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mikro¬
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1 R. 2210
gef. m.
M.-S. 583
todt n.3Tg.
R, 2279
gef. m.
M.-S. 619
todt n. 5 Tg.
R. 2237
gef. m.
M.-S. 578
todt n.3Tg.
R. 2017
gef. m.
M.-S. 600
todt n. 3 Tg
R. 2157
gef. m.
M.-S. 602
todt n. 3 Tg.
R. 2178
gef. m.
M.-S. 620
todt u. 8 Tg.
R. 1999
gef. m.
M.-S. 587
todt n.4Tg.
R. 2224
gef. m.
M.-S. 611
todt n. 6 Tg.
9 R. 2319
gef. m.
M.-S. 630
todt n.4Tg.
10 R. 2295
gef. m.
M.-S. 638
todtn.3Tg.
11
7 verdächtig
R. 2296
gef. m. |
M.-S. 639 i
todt n. 3 Tg. 1
nicht ganz
unver¬
dächtig
verdächtig
12
12
15
16 nicht ganz
unver¬
dächtig
19 unver¬
dächtig
19 verdächtig
20
22
nicht ganz 4- 4
unver¬
dächtig
unver- + 5
dächtig
verdächtig —
unver- + 5
dächtig
nicht ganz | —
unver¬
dächtig
unver- — 9
dächtig
nicht ganz —
unver¬
dächtig
verdächtig — 4-3
4- 4
4- 5
4- 8
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in fection
4- 3
Misch-
infection
— 5
Diplo-
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infection
4- 11
nicht ganz —10 4-5
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dächtig
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Misch-
infection
nicht 4- 4 Pest
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4- 4
Misch-
infection
— nicht 4- 8
geimpft Mi * ch *
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4- 4 4- 7 4- 4 „
— 5
— 15
+ 13 - -
— 9
+ 5 -
+ = mit positivem Befunde eingegangen. —= negativer Ausfall der Impfung.
e
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1
Untersuchung von pestverhächtigen Ratten.
153
Tabelle VIII. (Fortsetzung.)
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4 der Ratte
> ' Resultat des Pest nachgewiesen durch Impfg. von
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12 R. 2568
gef. m.
M.-S. 690
todtn.BTg. 1
13 R. 2493 ,
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R. 2309
todt n.5Tg.
23 verdächtig nicht ganz
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24
keine
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14
25
25 unver¬
dächtig
I
| 26 nicht ganz;
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i dächtig.
, 27
R. 2363
gef. m.
R. 2351
todt n.5Tg
15 R. 2362
gef. m.
M.-S. 625
todt n. 7 Tg. : |
16 R. 2251 26 \\ verdächtig ;
gef. m. 1 i ;
M.-S. 607 |
todt n.3Tg.
7 R. 2257 ;
gef. m.
M.-S. 615
todt n. 4 Tg.
$ R. 2427 j
gef. m.
M.-S. 684
todt n.4Tg.
9 R. 2233 1
gef. m. 1
M.-S. 640 |
t>dtn.6Tg.
0 R. 2333 |
gef. in.
M.-S. 658
todt n.3Tg.
1 R. 2323 !
gef. m. j
M.-S. 664
todt n. 3 Tg.
2 R.-2371 |
gef. in. !
R. 2153
todt n. 3 Tg.
28
29
29 unver- ,
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Misch- I
infection
Die Zahl hinter den Zeichen giebt den Tag des Todes an.
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Gck igle
Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
154 Kistek und Schumacher:
Tabelle IX.
Ergebnisse der Thierversuche bei den Cadavern, welche bei 20 ”
gefault haben.
z Nummer
^ der Ratte
>
50 «
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Resultat des Pest nacligewiesen durch lmpfg.von
makro¬
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M.-S. 533
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gef. m.Org.
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M.-S. 685
todtn.3Tg.
R. 2485
gef. m.Cad.
R. 2471
todt n. 3 Tg.
4 R. 2490
pernasal m.
Bubo
R. 2613
todtn.4Tg.
5 R. 2506
gef. m.Org.
M.-S. 688
todtn.3Tg.
6 R. 2011
peruasal ra.
Drüse
M.-S. 538
todtn.6Tg.
7 R. 2020
gef. m.Org.
M.-S. 535
todt n.4Tg.
8 R. 2367 7
gef. m. Kopf
M.-S. 664
todt n.5Tg.
9 R. 2406
pernasal m.
Bubo
R. 2613
todt n.3Tg.
10 R. 2376 8
gef. m. Kopf
v. R. 2468
todt n. 5 Tg.
4- = mit positivem
nicht ganz
unver¬
dächtig
verdächtig —
4- 11
verdächtig nicht ganz
unver¬
dächtig
nicht ganz
unver¬
dächtig
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unver¬
dächtig
verdächtig 4- 5
— 10
unver¬
dächtig
nicht ganz —
unver¬
dächtig
verdächtig —
nicht ganz nicht ganz
unver- unver¬
dächtig
dächtig
+ 3
— 1
(Sepsis)
4- 4
4 - 6
4 - 6
4 - 6
4 - 6
4- 6
— 4
4- 2
Misch¬
in fection
4 - 7
- 5
- 12
4- 15
nicht —
geimpft
— -9
— — o
nicht
geimpft
4- 3
— 9
Befunde eingegangen. — = negativer Ausfall der Im[ -
Original from
UNIVERS1TY OF CALIFORNIA
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Untersuchung von pestverdächtigen Ratten.
155
Tabelle IX. (Fortsetzung.)
der Ratte
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R. 2497 j
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M.-S. 095
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R. 2039a
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M.-S. 70z I
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R. 26S9
ef. m.Cad.
I.-S. 695 b
>dt n.3Tg.
R. 2696 i
d. ni.Org.
VI.-S. 7U6
dt n.3Tg.
R. 2640 '!
f. m.Org.
I.-S. 707
Jt n. 4Tg. 1
t. 2500
f. m.Cad.
C 2289
11 n. 3 Tg.
i. 2680 !
ornasal
n. Leb. |
L. 23X3
It n.6Tg.
i. 2516 |
f. in. (»rg. 1
t. 2613
lt n-öTg.,
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d. 2614
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Resultat des
Pest nachgewiesen durch Impfg. von j
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13
15
nicht ganz nicht ganz
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(Sepsis)
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— — 4
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unver¬
dächtig
— — 5 — 11 — ! —
— 7 — 3 — 4 I - 6
keine
Pest
I
Ihe Zahl hinter den Zeichen giebt den Tag des lodes an.
Digitized by
Go^ 'gle
Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
156 Kister und Schumacher:
Inguinalgegeiid. Diese sind aber nicht für Pest charakteristisch, da rj
sie auch ebenso häufig bei faulen, nicht mit Pest geimpften Controlratte,
sahen. Solche faulen Controlratten haben wir zu Beginn unserer Versuch-
stets, späterhin gelegentlich, zum Vergleich herangezogen; es ist dies un¬
bedingt erforderlich, da man sonst leicht bezüglich der Verfärbungen da
Gewebe und Vergrösserungen der Organe zu irrthümlichen Auffassung
kommen kann. Mindestens ebenso lange wie die Iujectionen der Sub¬
cutis bleiben Vergrösserungen der Drüsen, Milz und Leber erkennbar,
erstere treten meist in ihrer schwarzen Färbung deutlich hervor und lassen
so manchmal noch Schlüsse auf den primären Sitz der Infection zu, wem
auch hin und wieder die cadaveröse Durchträukung des fauligen Gewebe-
die Drüsenschwellungen erheblicher erscheinen lässt, als sie in der That
beim frischen Cadaver waren. Diese Organveränderungen, insbesondere
die Drüsen vergrösserungen, waren noch bei mehreren über 20 Tage alt«
der bei 10° aufbewahrten Cadaver deutlich nachweisbar, selbst bei de
ältesten der bei 20° auf bewahrten Cadaver waren sie mehrfach noch deut¬
lich erkennbar. In der Regel sind aber die Vergrösserungen der genannte
Organe keine erheblichen, und, zumal denselben auch andere Ursachen
zu Grunde liegen können, keine sehr beweisenden. Sehr schnell dagegen
werden andere Organveränderungen, die typischen Herde der Milz, Leb'-'
und Lunge, unkenntlich, wenigstens konnten wir solche bei keinem unsere
Thiere, auch nicht bei den bei 10° auf bewahrten, auffinden, während dod
auzunehmen ist, dass wohl das eine oder andere unserer 42 Thiere leis
Tode solche Veränderungen aufwies. Manchmal gestattet auch der Langtu¬
befund die Annahme, dass die Lunge in einzelnen Abschnitten schon '»
Lebzeiten der Ratte luftleer war, iu 6 (10°) bezw. 3 (20°) Fällen konnte:
solche hepatisirt aussehende Partieen aufgefunden werden, in der Re?
jedoch bot sich das Lungengewebe gleichmässig missfarben und dnrtl-
tränkt dar. Auch die geschwollenen Plaques des Darmes bleiben W
faulen Cadavern lange sichtbar, sie sind aber für die Diagnose nicht ünn
zu verwerthen, da sie sich auch, sofern sie nicht hämorrhagisch siud. bei,
anderen, mit dem Befunde von Darmkatarrhen eingegangenen Rat 1
finden. Auch bei Ratten, welche mit Phosphor vergiftet waren, haben r -
hin und wieder grosse halbkugelig vorgewölbte gelbliche Plaques beobact-
die den nekrotischen Plaques bei Pest sehr ähnlich sehen. So tvp> :
also der makroskopische Befund der frischen Pestrattencadaver in &
Regel ist, so wenig sichere Anhaltspunkte bietet der faule Cadaver ff
eine Diagnose. Nur in den ersten Tagen nach dem Tode, wenn der Cadu '
bei nicht allzu hoher Temperatur gelegen hat, lassen sich noch eindeutL.'-
für die Pestdiagnose verwerthbare Residuen auffindeu.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Untersuchung von pestverdächtigen Hatten.
157
Länger als der makroskopische Befund bietet der mikroskopische
Befund Anhaltspunkte. Allerdings tritt in den Ausstrichpräparaten die
mannigfaltigste Flora zu Gesicht. Fast stets ist das Präparat mit Fäulniss-
bakterien überschwemmt, die je nach Art der auf der Oberfläche der
Cadaver gerade befindlichen Mikroorganismen aber auch nach der Tempera¬
tur, bei welcher die Cadaver gelegen haben, verschieden sind. Bei niederen
und mittleren Temperaturen sahen wir meist kurze schmale Stäbchen in
überwiegender Menge, bei höheren Temperaturen beherrschten plumpe
grosse Sporenbildner, meist mit endständigen Sporen versehen, das Bild.
Hinter diesen Fäuluissbakterien treten die Pestbakterien in der Mehrzahl
der Fälle sehr zurück, abgesehen von der geringen Zahl auch in Folge
ihrer verhältnissmässig geringeren Grösse und wegen ihrer in faulem
Material häutig weniger leichten Färbbarkeit. Vielfach sind nur noch die
leichter färbbaren Enden der Polstäbchen deutlich sichtbar, so dass ihr
lussehen dem von Pestbakterien aus Agarculturen gleicht. Andererseits
Jnd aber die Polstäbchen in mehrere Tage alten Cadavern oft noch
echt gut erhalten und färbbar, ausnahmsweise sogar so gut, dass das
Yä parat wie einem frischen Cadaver entnommen aussieht. Wie die
’abellen VI und VII zeigen, fanden wir in der Mehrzahl der Fälle so-
ohl bei den Cadavern, welche bei 10°, als bei denen, welche bei 20°
elegen hatten, pestähnliche Stäbchen. Am längsten blieben dieselben
l der Lunge uud in den Drüsen erhalten, während sie in der Leber und
filz viel kürzere Zeit nachweisbar waren, in der Milz nur solange, als
eselbe noch nicht die gleichmässig schwärzliche Färbung angenommen
itte. Nun wissen wir aber, dass eine Reihe von coliähnlichen Bakterien
ld Fäulnissstäbchen den Pestbakterien mehr oder weniger täuschend
mlich sehen können, so dass auch Polstäbchen von typischer Form und
irbbarkeit nicht unbedingt Pestbakterien zu sein brauchen. Auch die
ram’sche Färbung hat uns dabei keine Vortheile geboten. Sowohl bei
n faulen Cadavern dieser Versuche, als auch bei den aus pestverdächtigen
hiffen eingelieferten, bereits im Zustande vorgeschrittener Fäulniss be-
dlichen Ratteücadavern haben wir in grösserem Umfange Gramfärbungen
•genommen. Leider aber verhielten sich gerade die pestähnlichen Stäbchen
t durchweg wie die Pestbakterien selbst gramnegativ, so dass mit dieser
rbungr eine Differenzirung nicht möglich war. Bei anderem Material,
bei der Untersuchung von Sputum mag die Gramfärbung zur Unter-
eidungf der Pneumokokken und Streptokokken von den Pestbakterien,
bekanntlich in flüssigen Medien streptokokkenähnliche Formen auf-
sen, von Nutzen sein. Bei faulen Rattencadavern dagegen ist sie nach
eren Erfahrungen ohne besonderen Werth. Eher führt die Unter-
liungr auf Beweglichkeit im hängenden Tropfen zum Ziele. Wenn wir
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Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
158
Kister und Schumacher:
Digitized by
es also mit nicht ganz frischen Rattencadavern zu thun haben, so müssen
wir uns hüten, aus dem Befunde von pestähnüchen Polbakterien in Ausstrich¬
präparaten allzu weit gehende Schlüsse zu ziehen, dieses um so mehr, wenn
bei Anwesenheit solcher Polstäbchen der makroskopische Befund in keiner
Weise auf Pest verdächtig erscheint. Wir sind also mit wenige
Ausnahmen nicht in der Lage, auf Grund des makroskopischen
und mikroskopischen Befundes eines faulen Rattencadaver-
mit Sicherheit die vorläufige Diagnose „verdächtig“ abzugeben.
selbst wenn nach der einen oder anderen Richtung hin ein
Verdacht auf Pest vorliegt.
Wir würden weiterhin auch aus dem Grunde nicht die vorläufige
Diagnose stellen dürfen, weil wir nicht immer im Stande sein würden,
diese durch die Culturuntersuchung und durch den Thierversuch zu be¬
stätigen. In unseren Versuchen waren die Ratten mit Pest iuficirt uni
alle hatten, wie die Voruntersuchung in frischem Zustande ergab, massen¬
haft Pestbakterien in den Organen. Es waren also wohl die bei der Sectivu
gesehenen Organveränderungen und die in den Ausstrichen gefundenes
Polbakterien mit der Pestinfection in Zusammenhang zu bringen. Trotzdem
gelang es aber nicht immer durch ßeincultur und Thierversuch den Be¬
weis dafür zu erbringen. Gelingt das aber nicht, so kann auch nicht die
amtliche Diagnose auf Pest gestellt werden.
Vor Allem lässt die culturelle Untersuchung, wie schon Maassen
und Otto hervorgehoben haben, sehr bald im Stich. Unter Umstände:,
werden die Kossel’schen Schleifen das Auffinden von Pestbakterien er¬
leichtern können. Den Hauptwerth legen wir darauf, dass es mit Hüb
dieser Schleifen unter Umständen möglich ist, die Pestdiagnose zu er¬
härten zu einer Zeit, wo das geringe Wachsthum der Colonieen eine
Agglutination noch nicht gestattet. Allerdings haben wir diese Schleifer,
in so schön ausgeprägter Weise, wie sie Kossel und Overbeck 1 ab¬
bilden, nicht darstellen können. Auch steht die durch manche Fäulnis
bakterien bewirkte äusserst schnelle Verflüssigung der Gelatine bezw. das
schleierartige, den ganzen Nährboden überziehende Wachsthum derselbe
auf Agar der Beobachtung der Schleifen entgegen. Im Allgemeinen er¬
scheint uns die Gelatine bei faulem Material ein geeigneterer Nährboden
zu sein als Agar (32°), wenn es gelingt bei niederer Temperatur
Fäulnissbakterien hintenanzuhalteu. Aber auch auf Agar traten, sei.-'
wenn zunächst keine Pestbakteriencolonieen sichtbar waren, diese manch¬
mal noch nach 3 bis 4 Tagen zwischen den anderen Colonieen hervor, sei;:.
1 Kossel u. Overbeck, Arbeiten a. d. Kaiserl. Gesundheitsamte. Bd. XV!U.
S. 114.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Untersuchung von pestverdächtigen Hatten.
159
makroskopisch oder bei Lupenvergrösserung kenntlich an dem zarten und
unregelmässigen Saum. Verdünnungen des Aussaatmaterials können keinen
Erfolg haben, weil in der Regel die Fäulnissbakterien in der Mehrzahl
vorhanden sind, die Aussicht nur Fäulnissbakterien in den Culturen zu
erhalten, also um so grösser ist, je mehr das Material verdünnt wird.
Den Ausschlag muss daher bei der Stellung der Diagnose der Thier*
versuch geben, nur wenn dieser positiv ausfällt, ist die Diagnose Pest
gesichert. Im Ganzen konnten wir unter 43 Versuchen mit faulen Ratteu-
cadavern 26 Mal die sichere Diagnose auf Pest stellen, 17 Mal dagegen
verlief der Thierversuch negativ. Bei den bei 10° auf bewahrten Cadavern
war der Thierversuch 16 Mal positiv und 6 Mal negativ. Nach 7- bis
12 tägiger Fäulniss bei 10° konnte Pest durch den Thierversuch regelmässig
lachge wiesen werden, bei 23 Tagen war der erste negative Ausfall zu
erzeichnen und von den 11 länger als 22 Tage auf bewahrten Cadavern
vurden nur bei 5, also in etwa der Hälfte der Fälle, Pest mit Sicherheit
estgestellt. Der Nachweis gelang aber selbst noch bis zum 37. Tage,
•erade bei den vier ältesten Cadavern ergab der Thierversuch noch positive
Jesultäte. Jedenfalls wird also der 37. Tag nicht als die äusserste Grenze
er Nachweisbarkeit der Pestbakterien in Rattencadavern, welche bei 10°
elegen haben, anzusehen sein. Von den bei 20° angestellten Versuchen
?rlief der Thierversuch in 10 Fällen positiv und in 11 Fällen negativ,
ier konnte die Diagnose Pest durch den Thierversuch nur bis zum
Tage regelmässig gestellt werden. Bereits nach 7 tägiger Aufbewahrung
nd sich neben drei positiven ein negativer Rattencadaver und darüber
uaus konnte unter 12 8 bis 15 Tage alten Cadavern nur 2 Mal, bei
uem 8- und bei einem 11 tägigen Cadaver, die Pestdiagnose gestellt werden.
)ch wird auch für diese Temperatur der 11. Tag nicht als die äusserste
*enze der Nachweisbarkeit gelten dürfen. Zur leichteren Uebersicht diene
i folgende Zusammenstellung in Tabelle X.
Tabelle X.
Nach
positiv
10°
negativ
positiv
20"
iH'Lrati v
4— 6 Tagen
—
—
5
—
7—11 „
3
—
5
9
12—15 „
3
—
—
2
16—22
5
—
—
—
23 — 29 „
4
6
—
—
37
1
—
6 io
Digitized by
Goi igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
160
Kister und Schumacher:
Was nun die verschiedenen Impfmethoden anlangt, so hatten wu
in unseren 43 Versuchen unter verschiedenen Bedingungen hinsichtlich
Temperatur und Dauer der Fäulniss 6 Mal bei cutaner Impfung tob
Meerschweinchen, 21 Mal bei Impfung von Meerschweinchen in eine
Hauttasche, 8 Mal bei Impfung von Ratten in eine Hauttasche, 4 Mal bei
subcutaner Impfung von Ratten mit Organaufschwemmung (in 5 Fällen
unterblieb diese Art der Impfung) und 4 Mal bei pernasaler Impfung von
Ratten einen positiven Erfolg. Hiernach gab uns bei faulem Material die
ImpfuDg von Meerschweinchen in die Hauttasche die bei Weitem günstigsten
Resultate. Allerdings findet sich nicht selten eine erhebliche Eitern?
an der Impfstelle und eine gleichzeitige Infection durch andere Bakterien
Solchen Mischinfectionen begegneten wir in 5 Fällen. Dadurch kann da-
charakteristische Bild der Pestinfection nicht unwesentlich getrübt und.
weil weitere Thierversuche erforderlich sind, die Diagnose erheblich ver¬
zögert werden. Diese Mischinfectionen sind bei der cutanen Impfung von
Meerschweinchen kaum zu befürchten. Die Vorzüge dieser Methode für
die Isolirung von Pestbakterien aus Bakteriengemischen sind von fast aller
Autoren uneingeschränkt hervorgehoben worden. Wir können nach unserer
Erfahrungen diesen Anschauungen nur bedingtermaassen beipfiichten. Di;
cutane Meerschweinchenimpfung bietet gute Resultate, wenn die in den
Impfmaterial enthaltenen Bakterien hinreichend virulent sind, also z. B-
bei Isolirung von Pestbakterien aus Koth, dagegen versagt diese Impfnc?
häufig, wenn es sich um faules Material handelt, in dem die Pestbakteh«
abgeschwächt sind. Zlatogoroff hat ähnliche Erfahrungen gemacht, er
sagt, bei cutaner Impfung von Meerschweinchen ist eine bedeutende Viruleu
erforderlich. Die von Zlatogoroff bei faulem Material besonders empfohlen ■
pernasale Impfung von Ratten hat uns wenig befriedigende Resultate ge-=
geben. Abgesehen von der immerhin etwas umständlichen Impfung er¬
scheint sie uns bei faulem Material zu unsicher. Wir ziehen derselben d;e
Impfung von Ratten in eine Hauttasche und subcutan mit abgesturt«
Mengen von Orgauaufschwemmung vor. Bei den mitgetheilten Versuch« 1
haben wir stets ein etwa erbsengrosses Organstück in 2 ccm physiologisch«
Kochsalzlösung aufgeschwemmt und diese ganze Aufschwemmung den
Ratten injicirt. Bei solchen Mengen gehen aber viele Thiere, wie aus
den Tabellen ersichtlich ist, au Toxinen zu Grunde, es empfiehlt sich;
daher neben dieser Menge auch solche von 1*0 und 0-5 ceni Ratten aj
injiciren.
Es ist aber nicht allein von Bedeutung, bei welcher Art der Impfung
die Versuchsthiere am sichersten an Pest eingehen, sondern auch, i®|
Interesse einer möglichst raschen Diagnosenstellung, innerhalb welcher Zeit
In dieser Hinsicht nun unterschieden sich die verschiedenen Impfmethoden
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
I
Untersuchung ton pestverdächtigen Ratten. 161
nicht wesentlich von einander. Die Meerschweinchen gingen in 2 bis
11 Tagen, die Ratten in 3 bis 15 Tagen ein; länger als 7 Tage blieben
am Leben: ein cutan geimpftes (11 Tage) und 3 in eine Hauttasche ge¬
impfte Meerschweinchen (8, 8 und 11 Tage), ferner 2 in eine Hauttasche
geimpfte Ratten (13 und 15 Tage), eine subcutan mit Organaufschwemmung
(11 Tage) und eine pernasal geimpfte Ratte (8 Tage).
Endlich sei es gestattet mit ein paar Worten noch auf die cutane
Impfung von Ratten, wenn sie auch für faules Material kaum in Betracht
kommt, einzugehen, da sich in der Litteratur, so auch in dem neuesten Hand¬
buch von Wassermann und Kolle, die Angabe findet, dass Ratten dieser
Art der Impfung gegenüber sich resistent verhalten. Wir haben eine
grössere Anzahl Ratten im Laufe der Zeit cutan geimpft, indem wir unter
Vermeidung einer sichtbaren Verletzung nur die Haare an der Schwanz¬
wurzel mittels Scheere abschnitten und dann das Material sorgfältig und
kräftig auf die von Haaren befreite Stelle verrieben. Von den so geimpften
Ratten gingen uns 48 Procent an Pest ein und sogar 70 Procent, wenn
wir solche mit wenig virulentem Material (die auch bei den Fütterungs-
Versuchen als wenig virulent bezeichneten Westphalia- und Cordoba¬
stämme) geimpfte nicht mitrechnen. Der Sectionsbefund dieser cutan ge¬
impften Ratten war stets ein typischer. Bei einigen derselben fanden wir
derartig grosse Inguinalbubonen, wie wir sie bei auf andere Weise geimpften
Ratten selten zu Gesicht bekommen hatten. Es steht also ausser allem
Zweifel, dass Ratten auch einer cutanen Impfung von Pestbakterien auf
die möglichst unverletzte Haut erliegen, wenn auch von dieser Impf¬
methode dasselbe gilt, was oben von der cutanen Impfung von Meer¬
schweinchen gesagt ist, dass sie nämlich nur bei virulentem Material zu
dem gewünschten Erfolge führt. Mit anderen Bakterien ist es aber bis¬
lang noch nicht gelungen, dasselbe zu Wege zu bringen, und deshalb
scheint uns gerade diese Methode als Ergänzung der übrigen gebräuch¬
lichen zweckmässig zu sein. Ein positiver Ausfall bei dieser Impfung wird
von besonderem diagnostischen Werth sein können.
Vergleichen wir nun die Ergebnisse der Thierversuche mit der nach dem
makroskopischen und mikroskopischen Befunde gestellten vorläufigen Dia¬
gnose, so kommen wir zu dem Schlüsse, dass, obgleich der Cadaver nach
einer oder der anderen Richtung hin mehr oder weniger pestähnliche Be¬
funde aufwies, was in der Bezeichnung „verdächtig“ bezw. „nicht ganz
unverdächtig“ in Spalte 4 und 5 der Tabelle zum Ausdruck kommt, der
Thierversuch in einer verhältnissmässig grossen Zahl der Fälle (17 von 34)
die Bestätigung der vorläufig gestellten Diagnose nicht ermöglichte. In
17 Fällen hätten wir also die Diagnose Pest nach dem Ausfall des Thier-
versucbs nicht aufrecht erhalten können, wenn wir in praxi auf den
Z*it*chr. f. Hygiene. LI. H
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162 Kister und Schumacher:
makroskopischen und mikroskopischen Befund hin den Verdacht auf Pest
ausgesprochen haben würden.
Von den 12 Cadavern, welche nur nach dem makroskopischen Befunde
verdächtig erschienen, verlief der Thierversuch in 4 Fällen negativ, von den
vieren, welche nur hach dem mikroskopischen Befunde verdächtigerschienen,
in einem Falle. In 6 Fällen konnten die Cadaver sowohl nach dem mikro¬
skopischen als auch nach dem makroskopischen Befunde als „pestverdächtig"
gelten und doch war bei zweien derselben der Thierversuch ein negativer.
Diese 6 Fälle betrafen 2 Cadaver, welche bei 10° 10 und 19 Tage ge¬
legen hatten, — diese waren beide im Thierversuch positiv — und
4 Cadaver, welche bei 20 0 4, 6, und in 2 Fällen 10 Tage gelegen hatten,
von diesen waren die beiden 10 Tage lang auf bewahrten Cadaver im Thier¬
versuch negativ.
Andererseits war aber auch eine Anzahl Cadaver makroskopisch ganz
unverdächtig und mikroskopisch nur wenig verdächtig, oder umgekehrt
nur makroskopisch nicht ganz unverdächtig, so dass man sich daraufhin
kaum entscheiden würde, den Fall in praxi als „pestverdächtig“ anzusprechen,
und doch wurde durch den Thierversuch bei einigen die Diagnose Pest
ausser Zweifel gestellt. Dieses war 5 Mal der Fall, 4 Mal bei Kalten,
welche bei 10° 16 bis 29 Tage gelegen hatten und 1 Mal bei einer 7 Tagt
lang bei 20° auf bewahrten Hatte. Erwähnenswerth ist dabei noch, dass bei
zweien dieser Cadaver (Versuch Nr. 7 und 8 der Tabelle VIII) der positive
Nachweis erst am 11. bezw. 13. Tage durch den Thierversuch erbracht
wurde. 11 bis 13 Tage lang könnte sich also in einem solchen Falle die
definitive Diagnose verzögern.
Ziehen wir aus den hier mitgetheilten Untersuchungen die praktischen
Consequenzen, so kommen wir zu dem Ergebnisse, dass wir uns bezüglich
der Diagnosenstellung bei faulen pestverdächtigen Cadavern
anders zu verhalten haben, als wenn es sich um frische Cadaver
handelt. Liegen frische Cadaver zur Untersuchung vor, so werden wir
nach dem mikroskopischen und makroskopischen Befunde uns mit Sicher¬
heit aussprechen können, ob der Fall pestverdächtig ist oder nicht. 1-
liegen dann nach unseren zahlreichen praktischen Erfahrungen nur zwei
Möglichkeiten vor: entweder finden wir einen für Pest hinreichend charak¬
teristischen Befund und in mindestens einem Organe viele nach Form
und Färbbarkeit typische Polstäbchen oder der Befund ist ein in jeder
Hinsicht negativer und der Tod des Thieres durch eine leicht erkennbare
Ursache, wie Trauma oder Phosphor, erklärt. In dem einen Falle hat
unser Urtheil „verdächtig“, im anderen Falle „unverdächtig“ zu lauten.
Wir sehen hier ab von dem wohl äusserst seltenen Vorkommen pestähn¬
licher Stäbchen in frischen Cadavern.
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Untersuchung von pestverdächtigen Ratten.
163
Anders ist es bei faulen Cadavern. Hier kommen mehrere Möglich¬
keiten in Frage. Zunächst kann der makroskopische und mikroskopische
Befund ganz unverdächtig sein: es findet sich keine einzige auf Pest hin¬
weisende pathologisch-anatomische Veränderung und in den Ausstrich¬
präparaten sind ausschliesslich in jeder Beziehung sich als Fäulnissbakterien
documentirende Stäbchen vorhanden, oder der Cadaver ist so hochgradig
faul bezw. vertrocknet, dass die Organe nicht mehr zu unterscheiden sind,
und während sich zugleich in den Ausstrichpräparaten von den noch vor¬
handenen unkenntlichen Massen nichts Pestverdächtiges findet- In diesen
Fällen kann ebenfalls die Diagnose „unverdächtig“ gestellt werden.
Als zweite Möglichkeit kommt ein theilweiser also entweder makros¬
kopisch oder mikroskopisch verdächtiger Befund in Betracht. Hier ist nach
der einen oder anderen Richtung hin ein bestimmter Entscheid nicht
möglich, denn einerseits kann der Fall nicht «als „unverdächtig“ bezeichnet
werden, weil die Fäulniss den makroskopischen Befund undeutlich gemacht
oder im mikroskopischen Präparat die Pestbakterien mehr oder weniger
verändert haben könnte, andererseits kann nicht der Verdacht auf Pest
bejaht werden, weil bei faulem Material es oft fraglich erscheinen muss,
ob nicht die etwa vorhandenen Organveränderungen auf andere Ursachen,
die mit einer Pestinfection nichts zu thun haben, zurückzuführen und
etwaige Polstäbchen im Ausstrichpräparat nur als pestähnliche Fäulniss¬
bakterien zu deuten sind. Selbst wenn die pestähnlichen Stäbchen wirk¬
lich Pestbakterien sind, wissen wir nicht, ob dieselben in dem faulen
Material noch so virulent sich erhalten haben, dass die Diagnose durch
Cultur und Thierversuch bestätigt werden kann. Gelingt aber dieses nicht,
und können wir den sicheren Nachweis von Pestbakterien mit allen uns
zur Verfügung stehenden Hülfsmitteln nicht erbringen, so kann auch nach
unseren jetzigen Kenntnissen in dem Vorhandensein dieser Cadaver auf
dem Schiffe keine Gefahr für eine Verbreitung von Pestkeimen erblickt
werden.
Dasselbe gilt von der dritten Möglichkeit, wenn sich nämlich sowohl
der makroskopische, wie auch der mikroskopische Befund in gewisser Hin¬
sicht als verdächtig erweist. In denjenigen Fällen also, in denen bei
faulem Material entweder der makroskopische oder mikroskopische Befund
oder beide die Annahme, dass es sich um eine Pestinfection der betreffenden
Hatten gehandelt hat, nicht unbedingt von der Hand weisen lassen, können
wir nur sagen, dass der Fall „nicht ganz unverdächtig“ ist. Wir werden
aber daraus Anlass nehmen, sofort um Eiulieferung weiteren Materials zu
ersuchen. Handelt es sich in der That um einen positiven Fall, so ist,
da ein Schiff in der Regel sehr viele Ratten beherbergt, anzunehmen, dass
nunmehr, bei genauem Durchsuchen, auch ein frischer Pestcadaver ge¬
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Kisteb und Schumacheb:
i'unden wird, welcher sofort die vorläufige und bald auch die definitive
positive Diagnose ermöglichen wird. Man wird so sicherer und schneller
zum Ziele kommen, als wenn man nach einer vergeblichen culturellen
Untersuchung des faulen Cadavers den Ausfall des Thierversuches ab¬
wartet. Natürlich muss aber letzteres ebenso eingehend ausgeführt werden
wie bei einem von vornherein sicher verdächtigen Fall. Werden aber keine
frischen Pestcadaver oder nur ebensolche faule, mehr oder weniger ver¬
dächtige aufgefuuden, indem vielleicht die Pest unter den Ratten bereit?
erloschen ist, und führt die weitere Untersuchung der Cadaver nicht zum
Nachweis von Pestbakterieu, so würde der Fall ebenso als negativ an¬
zusprechen sein, wie in dem Falle, dass nur unverdächtige Cadaver ge¬
funden wären.
Diese hier entwickelten Anschauungen mag folgendes Schema ver¬
anschaulichen.
Schema zur Beurtheilung frischer und fauler Rattencadaver
bezüglich der vorläufigen Pestdiagnose.
I.
II. Faule Cadaver
III.
A. Befund
der Cadaver
frischtodte
Th iere, makro¬
skopisch und
mikroskopisch
negativ
(Trauma,
Gift u. s. w.)
a) makro¬
skopisch und
mikroskopisch!
negativ
b) theil-
weise, ma- I c) makro-
kroskopisch skopisch und
oder mikro- mikroskopisch
skopisch verdächtig
verdächtig
_i
frischtodte
Thiere. makro¬
skopisch uni
mikroskopiKj
verdächtig
B. Unter-__
suchungs-
ergebnissnach unverdächtig nicht ganz unverdächtig
der makro¬
skopischen u.
mikroskop.
Untersuchung
verdächtig
C. Meldung unverdächtig
Ersuchen
um weiteres Material
verdächtig
In der Rubrik A sind unter I die sicher unverdächtigen, unter III
die sicher verdächtigen Fälle zusammengefässt, während von den unter II
aufgeführten faulen Cadavern die Unterabtheilung a zu I zu rechnen
sein wird, die Unterabtheilung b und c hingegen eine besondere zwischen
„verdächtig“ und „unverdächtig“ stehende Gruppe bildet. Diesen so
gebildeten drei Gruppen (B) entsprechend hat die Meldung wie unter C
angegeben zu erfolgen. Wir sind der Ansicht, dass es praktisch
zweckmässig ist und in aller Interesse liegt, bei der Unter¬
suchung fauler Rattencadaver in denjenigen wenigen Fällen.
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Untebsuchung von pestvebdächtigen Ratten.
165
in denen solches nöthig sein wird, die vorläufige Diagnose
„nicht ganz unverdächtig“ zu stellen und es erst von dem Befund
weiterer Rattencadaver abhängig zu machen, ob ein Verdacht
auf Pest ausgesprochen werden soll oder nicht. Dadurch wird
sowohl eine verspätete positive Diagnose als auch die Zurücknahme einer
als vorläufig positiv gestellten Diagnose vermieden werden können. Von
welcher praktischen Bedeutung dieses ist, braucht nicht näher erörtert
zu werden.
Weiterhin haben wir Versuche ausgeführt, welche im Zusammenhang
mit der Behandlung der Pestratten beherbergenden Schiffe stehen. Diese
die Ratten betreffenden Maassnahmen bei Pestschiffen bestehen bekanntlich
im Wesentlichen darin, dass sämmtliche auf dem Schiffe befindliche Ratten
abgetödtet und dann alle Räume des Schiffes, insbesondere die Laderäume,
in denen sich ja die Ratten vornehmlich auf halten, desinficirt werden.
Die folgenden Abschnitte beziehen sich also auf Untersuchungen über den
Nachweis von Pestbakterien in durch Gift getödteten Pestratten und auf
Versuche über die Leistungsfähigkeit der hier gebräuchlichen Methode der
Desinfection von Laderäumen der Pestschiffe.
V.
Leben die für die Rattenabtödtung anf Schiffen gebräuchlichen
Mittel einen Einfluss anf den nachherigen Nachweis von Pest-
bakterien in den Cadavern ans?
Die Abtödtung von Ratten auf Schiffen geschieht einmal durch metallische
Gifte, sodann durch gasförmige Gifte. In Hamburg wurde Anfangs (Dampfer
Pergamon) ein Gift gelegt, welches aus kohlensaurem Baryt und Arsen be¬
stand, später (Dampfer Chios) wurde eine Phosphorspeise angewandt, die
auch jetzt noch in Hamburg in ausgiebigem Maasse und mit bestem Erfolge
für die Rattenvertilgung benutzt wird. Auf Schiffen jedoch, in denen
Pestratten nachgewiesen sind, werden die Ratten neuerdings nach dem
von Nocht und Giemsa angegebenen Verfahren vernichtet, welches in
der Einleitung eines Gemisches von Kohlenoxyd, Stickstoff und Kohlen¬
säure besteht. Dieses Verfahren hat den Vorzug, dass es in kürzester Zeit
mit aller Sicherheit sämmtliche Ratten abtödtet und dass es Waren, auch
empfindliche Nahrungsmittel, durchaus nicht beschädigt. Vielfach werden
Schiffe auch mit schwefliger Säure ausgeräuchert; bei dem Clay ton’schen
Verfahren wird solche unter Druck in die Schiffsräume eingeleitet. Schliess¬
lich hat man auch daran gedacht, Formaldehyd allein oder mit anderen
Gasen gemischt in Pestschiffe einzuleiten, um so gleichzeitig eine ober-
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166
Kister und Schumacher:
flächliche Desinfection zu erzielen. Was nun die baktericiden Fähigkeit«
der genannten Mittel anlangt, so gilt das Arsenik als ein brauchbare?
bakterienfeindliches Conservirungsmittel, durch Phosphor gelingt es nicht.
Fäulnissprocesse hintenanzuhalten; von den Gasen ist der Stickstoff völlig
indifferent, dem Kohlenoxyd wird höchstens eine schwach entwickelung-
hemmende Wirkung auf Bakterien zugeschrieben, Kohlensäure, selbst unter
Druck, hat keine oder nur eine unsichere baktericide Wirkung. Stärker
ist letztere bei der schwefligen Säure, wenn dieselbe in genügender
Concentration und längere Zeit zur Einwirkung kommt, dagegen ist
Formaldehyd als gutes Desinficiens, wenn auch nur mit geringer Tiefen¬
wirkung, bekannt.
Der Sectionsbefund wird bei Vergiftung mit manchem dieser Mitte,
dem bei Pestinfection mehr oder weniger ähnlich sein. Bekanntlich rufen
Arsenik und Phosphor eine starke Injection der Gefässe der Subcutis um:
Blutungen in den Organen hervor, und, wie bereits erwähnt, haben wir
bei Phosphorvergiftungen auch Schwellungen der Darmplaques gesehen,
die den nekrotischen Plaques bei Pest durchaus glichen. Schweflige Säur?
und Formaldehyd geben, indem sie eine Erstickung der Thiere herbei¬
führen, den Lungen ein fleckig geröthetes Aussehen, während Kohlenoiy.
nur eine gleichmässig hellrothe Färbung der Organe bewirkt. Wenn ab
demnach auch diese Gifte manchmal den Pestbefunden ähnliche pathologisch-
anatomische Veränderungen hervorrufen, so werden sie doch, wenn man
den ganzen Sectionsbefund in Betracht zieht, kaum diagnostische Schwierig¬
keiten bereiten, vor Allem wird der mikroskopische Befund den Ausschla.
geben. Es könnte nun aber die Züchtung der Pestbakterien aus den.
Organismus und ihr Nachweis durch den Thierversuch eine Beeinträchtigun:
erfahren. Es war daher von Interesse festzustellen, ob diese Mittel von
irgend welcher Bedeutung für den schnellen und sicheren Nachweis von
Pestbakterien im Cadaver der mit Pest inficirten Ratten sind. Zu dem
Zwecke wurden Thierversuche an Ratten mit jedem dieser Mittel aL-
gestellt.
Zunächst erhielten Ratten gleichzeitig mit einer subcutan einverleibten
tödtlicheu Dosis Pestcultur, Brod, welches mit einer 0-1 arsenige Säur¬
enthaltenden Lösung getränkt war, als Futter. Die Thiere gingen uaet
1 bis 2 Tagen mit typischem makroskopischen und mikroskopischen Pe>i-
befunde zu Grunde. Die Cultureu ergaben reichliche Colonieen von Pest¬
bakterien; eine Einwirkung dieses Giftes auf die Entwickelungsfahigke.
der Pestbakterien konnte nicht nachgewiesen werden. Sodann wurden
Ratten mit tödtlicheu Dosen Pestculturen subcutan geimpft und am 2.
bezw. 3. Tage durch Leuchtgas getödtet. Zur Controlle wurden Ratten
nur mit einer gleichen Dosis Pest geimpft. Der Befund war auch be:
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Untersuchung von pestverdächtigen Ratten.
167
den durch Leuchtgas getödteten Thieren ein ausgesprochener Pestbefund,
culturell konnten bei diesen Thieren ebenso reichlich Colonieen nach¬
gewiesen werden, wie bei den Controllratten. Also auch dem Kohlenoxyd
konnte kein Einfluss auf die Entwicklungsfähigkeit der Pestbakterien zu¬
geschrieben werden. Des Weiteren wurden Versuche mit Phosphor an¬
gestellt. In den ersten 30 Versuchen wurden Pestculturen in abgestufteu
Mengen von 1 / i bie 1 Oese subcutan injicirt und gleichzeitig eine Phosphor¬
speise in Mengen von 100 bis 1*5 verfüttert. Von diesen 30 Ratten
blieben 8 am Leben. Von den übrigen 22 zeigten 6 einen Pestbefund,
16 hingegen nur einen Phosphorbefund, während Pestbakterien weder
mikroskopisch noch culturell nachgewiesen wurden. Aus diesen Befunden
hätte man nun einen Einfluss des Phosphors auf die dem Organismus
einverleibten Pestbakterien herauslesen können. Aber diese Versuche
wurden wieder zu einer Zeit ausgeführt, als noch der schon mehrfach als
wenig virulent bezeichnete Cordobastamm in Gebrauch war. Der häutige
negative Ausfall derselben schien diesem Umstande zur Last gelegt werden
zu müssen, weshalb später die Versuche mit virulenten Culturen wieder¬
holt wurden. Diese ergaben nun, dass die Vergiftung von Ratten mit
Phosphor in keiner Weise den Nachweis der Pestbakterien im Organismus
beeinträchtigt, die Colonieen der Pestbakterien gingen bei den vergifteten
Thieren ebenso gut auf den Nährböden auf, wie bei den nicht vergifteten,
und die Virulenz der Pestbakterien wurde, wie die Thierversuche ergaben,
nicht geschädigt.
Schliesslich wurden mit Pestmaterial gefütterte Ratten, nachdem
sie deutliche Krankheitserscheinungen aufwiesen, durch schweflige Säure,
die durch Verbrennen von Schwefel in dem möglichst abgedichteten
Kätig hergestellt wurde, oder durch Formaldehydwasserdampf getödtet. In
beiden Fällen waren die Pestbakterien leicht durch Cultur zu gewinnen
und ihre Virulenz war nicht herabgesetzt.
Wir haben somit die Ueberzeugung gewonnen, dass keines
der genannten rattentödtenden Mittel eine Verzögerung oder
Erschwerung der Pestdiagnose herbeizuführen geeignet ist.
VI.
Zur Desinfection der Laderäume von pestverseuchten Schiffen.
Von Dr. Kister und Dr. Trautmann.
Im Laufe der letzten 5 Jahre sind in Hamburg wie Eingangs an¬
gegeben 7 Mal Schiffe eingelaufen, welche, wie die Untersuchungen des
hiesigen Institutes ergaben, an Bord pestinficirte Ratten beherbergten und
daher nach Löschen ihrer Ladung desinficirt werden mussten. Wie bei
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168
Kistek ükd Schumacher:
jeder Desinfection, so ist auch für Schilfe zunächst die sichere Wirksam¬
keit des Desinficiens erforderlich, sodann ist aber auch eine möglichst
schnelle Erledigung der Desinfection wünschenswerth, da man die Schiffe
nicht allzu lange einer oft recht störenden Ausserverkehrsetzung unter¬
werfen kann, und endlich darf das Mittel auf die zu desinficirenden Gegen¬
stände nicht schädigend einwirken. Seit Langem ist in diesem Sinne zur
Desinfection von Laderäumen der Schiffe die Kalkmilch in Gebrauch. Um
jedoch sicher eine hinlängliche Wirkung zu erzielen, muss sie einmal jeden
einzelnen Punkt des zu desinficirenden Schiffsraumes benetzen, anderer¬
seits eine gewisse Zeit lang zur Einwirkung kommen. Den Erfordernissen
einer wirksamen und doch möglichst schnellen Vertheilungdes Desinfections-
mittels konnte ein Verspritzen oder Anstreichen der Kalkmilchlösung an
die Wände mittels Pinsel nicht in gewünschtem Maasse Rechnung tragen.
Das Bedürfniss nach einer zweckmässigeren Methode machte sich bald
geltend. So hat denn auf Anrathen des Hafenarztes Dr. Kocht, der
Leiter der hiesigen Desinfectionsanstalten, Hr. Inspector Zorn, seit einiger
Zeit auch für die Desinfection mit Kalkmilch einen Sprayapparat ver¬
wendet, welcher, anderen Sprayapparaten nachgebildet und in seiner Con-
struction ähnlich wie die für Wohnungsdesinfectionen 1 zur Versprühung
1 Kister und Matthes, Gesundheitringenieur. 1903. Nr. 7.
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Untersuchung von pest verdächtigen Ratten.
169
von Kresolwasser von Inspector Zorn verwendeten im Laufe der Zeit mehr
und mehr vervollkommnet worden ist, und sich vorzüglich bewährt hat.
Er ermöglicht eine völlig gleichmässige Benetzung aller Theile des Raumes
und die Erledigung der Desinfection in kürzester Zeit, so dass jedes
Schiff in einem Tage völlig desinficirt werden kann. Der Apparat, wie
er jetzt hier in Gebrauch ist, wird durch die Abbildung veranschaulicht.
In einem Eimer wird reiner, gebrannter Kalk (Fettkalk) mit 4 Theilen
Wasser, nach Löschung des Kalkes mit einer geringen Menge dieses
Wassers, zu Kalkmilch verrührt, letztere in einen eisernen Kübel geschüttet
uud sodann mit 5 Theilen Wassers weiter verdünnt, so dass die Mischung
4 Procent Kalk enthält. Diese Kalkmilchverdünnung wird durch einen
in den Kalkmilchkübel tauchenden Schlauch vermittelst einer Handpumpe,
an der zwei Männer arbeiten, in ein eisernes mit Manometer versehenes
Gef äs s gepumpt, welches als Windkessel dient. Mit diesem sind vier lange
Schläuche, die in einen Spritzenansatz auslaufen, verbunden. Die Luft¬
pumpe arbeitet so kräftig, dass aus allen vier Schläuchen die Kalkmilch in
kräftigem Strahl herausgespritzt wird, und auf diese Weise eine völlig
gleichmässige energische Benetzung aller Theile des Raumes in sehr kurzer
Zeit bewerkstelligt werden kann.
Der Gang der Desinfection war anfänglich folgender: Alle zu des-
: inücirenden Räume werden mit der in oben angegebenerWeise hergestellteu
»4 procentigen Kalkmilch gründlich bespritzt, sodann 3 Stunden sich selbst
i überlassen, darauf abermals mit frisch bereiteter 4procentiger Kalkmilch
jbesprüht und endlich noch bis nach Ablauf von 24 Stunden der Nach-
pvirkung des Desinfectionsmittels ausgesetzt. Erst dann durften die Räume
[durch Abwaschen von der Kalkmilch befreit und von neuem in Benutzung
genommen werden.
' Eine der letzten derartigen Desinfectionen wurde Anfang Januar 1904
luf dem von Brasilien in den Hamburger Hafen eingelaufenen Dampfer
| .Cordoba“ ausgeführt, da die bakteriologische Untersuchung in einem
meiner Laderäume pestinlicirte Ratten ergeben hatte. Bei dieser Gelegen-
leit wurden in einem Laderaum vor Beginn der Desinfection Testobjecte
mtergebracht, zur Prüfung, ob der Effect der Desinfection ein ausreichender
ei. Um die natürlichen Verhältnisse möglichst nachzuahmen, wurden Bretter
md Holzstäbe, die mit Bouillonculturen oder Agarculturaufschwemmung
»estrichen waren, ferner Agarplatten und mit Culturmaterial getränkte
leidenfaden ausgelegt. Da es nicht angängig war, Pestbakterien zu ver-
renden, dienten statt ihrer das Bacterium coli und der Staphylococcus
ivogenes aureus als Testobjecte. Die Gegenstände wurden an verschiedenen
; tellen des Raumes in wechselnder Höhe ausgelegt, und blieben auch
päter dauernd unter unserer Aufsicht. Die Desinfection ging in der oben
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170
Kisteb und Schumacheb:
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beschriebenen Weise von statten. Nach Beendigung der zweiten Versprühuu.'
von Kalkmilch wurden die Objecte eingesammelt, bis zum Ablauf tsl
24 Stunden nach Beginn der Desinfection bei Zimmertemperatur auf bewahr;
und dann sorgfältig von der anhaftenden Kalkmilch mit sterilem destillirke
Wasser gesäubert. Die Seidenfaden und die Agarculturen, sowie das vol
den Brettern und Holzstäbchen mit sterilem Messer abgeschabte Cultui-
material wurde darauf in Bouillon gebracht und mehrere Tage bei 37 1
bebrütet. Aus den getrübten Bouillonculturen wurden die gewachsene
Keime durch Aussaat auf Platten identificirt. Als Resultat dieses Ver¬
suchs ergab sich, dass das Bacterium coli überall abgetödtet, der Stapln! -
coccus pyogenes aureus jedoch in 5 Proben (= 38 Procent) am Leie,
geblieben war.
Die Pestbakterien gehören nun bekanntlich zu den weniger wider¬
standsfähigen Bakterien, während gerade die Staphylokokken oft als recht
widerstandsfähig sich erweisen. So durfte man immerhin hoffen, dar
durch die geübte Desinfection alle in dem zu desinficirenden Raum etw.
vorhandenen Pestkeime abgetödtet sein würden. Doch gab dieser Versuch
Anlass zu einer Reihe von Laboratorium versuchen mit Pestbakterieu.
damit die thatsächliche Widerstandsfähigkeit derselben gegenüber der ver¬
wandten Kalkmilchlösung genauer festgestellt würde.
Diese Versuche zur Abtödtung von Pestbakterieu mittels Kalkmilch
wurden nach folgender Versuchsanordnung ausgeführt: Organe von x.
Pest gestorbenen Meerschweinchen oder Ratten wurden an vierkantige
kleinen Holzstäbchen, die etwa 4 mm breit und dick und etwa 14 c “ lan:
waren, derart aufgetragen, dass das untere Drittel ringsum mit dein
Infectionsmaterial bedeckt war. Diese Holzstäbchen wurden nun in Reagenz¬
röhrchen eingetaucht, welche 15 ccm einer frisch bereiteten Kalkmilch ent¬
hielten, und darin während der gewünschten Zeit belassen. Nach Ablau:
derselben wurde das Holzstäbchen dem Kalkmilchröhrchen entnommen,
sorgfältig in sterilem destillirten Wasser abgespült und auf Vorhandensein
entwickelungsfahiger Pestbakterien untersucht. Hierzu bestrichen wir zu¬
nächst mit dem Stäbchen eine Agarplatte, manchmal auch noch eine
Gelatineplatte, darauf wurde es auf der von den Haaren befreiten Bauch-
haut von Meerschweinchen verrieben. Bei jedem Versuch wurden immer
zwei Holzstäbchen in ganz gleicherweise behandelt, ausserdem zur Controlie
in gleicher Weise mit Infectionsmaterial beschickte Holzstäbchen auf Ag r-
platten und Meerschweinchen verrieben; auch wurde durch Controllstäbehr:
festgestellt, dass nicht durch das Abspülen in Wasser das Infectionsmateru
abgeschwemmt wurde.
Um die Verhältnisse der praktischen SchifFsdesinfection nach Mög¬
lichkeit nachzuahmen, wurden die mit Organsaft von Pestthieren fcr*
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Untersuchung von pestverdächtigen Ratten.
171
hafteten Holzstäbchen zunächst einige Minuten lang in der Kalkmilch-
lüsung belassen, dann herausgenommen und mit dem anhaftenden Ueber-
zug von Kalkmilch 3 Stunden lang in ein leeres steriles Reagensglas
gestellt. Darauf wurden sie von neuem einige Minuten lang in frisch
bereitete Kalkmilch getaucht und nun die noch an 24 Stunden fehlende
Zeit hindurch wiederum in einem leeren Reagensglas aufbewahrt. Es ge¬
schah dies in der Ueberlegung, dass in der Praxis die Kalkmilch nach
dem Versprühen abläuft und nur ein Rest von Kalk an den Wänden und
Planken des Schiffes zurückbleibt Das zweite Eintauchen entsprach der
zweiten Versprühung in der Praxis.
Die Tabelle XI zeigt an einem Beispiele das Ergebniss:
Tabelle XI.
1 4 procent. Kalkmilch (24 stdg.
Art der Untersuchung unterbrochene Eintauchung) Controle
Stäbchen I i Stäbchen II
Culturell. — — +
Thierversuch. — — -t-
Wie aus der Tabelle hervorgeht, waren bei dieser Versuchsanordnuug
alle Pestbakterieu abgetödtet; die Agarplatten blieben sämmtlich steril,
während die Control platte reichliches Wachsthum von Pestbakterien auf¬
wies; die geimpften Meerschweinchen erkrankten nicht an Pest, während
das Controlmeerschweinchen nach der Impfung mit typischem Befunde
einging.
Um nun weiterhin festzustellen, ob schon eine einmalige Besprühung
mit Kalkmilch gegebenenfalls zur Abtödtung der Pestbakterien genügen
würde, wurde in weiteren Versuchen 4proc. Kalkmilch 5, 10, 15 Minuten
und 3 Stunden lang mit und ohne Nachwirkung zur Anwendung gebracht.
In ersterem Falle verblieb das Holzstäbchen 5, 10 und 15 Minuten lang
in der Kalkmilch, und darauf noch 3 Stunden hindurch in einem leeren
Reagensröhrchen. Wie die Tabelle II zeigt, waren die Pestbakterien nach
Behandlung mit Kalkmilch abgetödtet, während die Controlen die Ent¬
wickelungsfähigkeit und Virulenz der nicht mit Kalkmilch behandelten
Bakterien ergaben.
Wir sehen, um Wiederholungen zu vermeiden, davon ab, sämmtliche
unter gleichen Versuchsbedingungen angestellte Versuche anzuführen,
zumal bei diesen eine nicht sehr virulente Pestcultur zur Verwendung
kam, so dass eine Anzahl von Versuchen, weil auch die Controllmeer-
>chweinchen am Leben blieben, nicht verwerthet werden konnte. Es
geht aus Tabelle XII zur Genüge hervor, dass die 4 procentige Kalkmilch
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172
Kister und Schumacher:
selbst bei kurz dauernder Einwirkung die Pestbakterien abzutödten im
Stande ist. Feine Organbröckchen werden wohl von der Kalkmilch durch¬
drungen, ob eine weitere Tiefenwirkung zu Stande kommt, haben wir
bislang nicht festgestellt.
+ = Pestbakterien lebend nachgewiesen. — = Pestbakterien abgetödtet
Die Versuche wurden wieder aufgenommen, nachdem inzwischen
wieder zwei Schiffe mit Pestratten an Bord, Bishopsgate und Blagdon, in
den hiesigen Hafen eingelaufen waren, bei denen die Laderäume nach j
einem von den oben geschilderten abweichenden Desinfectionsmodus be- t
handelt wurden. In diesen beiden letzten Fällen- wurde nur eine ein- ;
malige Besprühung mit 4 procentiger Kalkmilchverdünnung, der ein«
24stündige Nachwirkung folgte, vorgenommen. Bei den Versuchen, di«
in Tabelle XIII zusammengestellt sind, wurde der die Pestbakterien ent¬
haltene Organsaft auf das untere Drittel von Holzstäbchen aufgetragec.
welche etwa 2 cm breit, 4 mm dick und 17-5 cm lang waren. Auf Wunsch
von Hrn. Professor Dun bar wurde die Zeit der Kalkmilcheinwirkung hier
noch kürzer als in den früheren Versuchen gewählt, um die Chancen für
die Kalkmilch keinesfalls zu günstig zu gestalten. Die Holzstäbchen wurden
nur ganz kurze Zeit, etwa 1 / 2 Minute laug, in die frisch bereitete 4 procent.
Kalkmilchverdünnung getaucht und darauf 24 Stunden lang in einem
leeren Glase stehen gelassen. Mit den Controlstäbchen wurde in gleicher
Weise verfahren, nur wurden diese statt in Kalkmilch in physiologische
Kochsalzlösung eingetaucht. Nach 24 Stunden wurden die Stäbchen nach
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Untersuchung von pestverdächtigen Ratten.
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Aufleuchtung mit sterilem Wasser mit einem Messer abgeschabt und
das Material je einer Ratte und einem Meerschweinchen subcutan ein¬
verleibt.
Tabelle XIII.
Holzstäbchen, mit Pestmaterial beschickt, ca. 1 Minute in 4procentiger
Kalkmilchverdünnung und 24 Stunden im leeren Glase.
3 J3
•*§
Impfmaterial
Mit 4 procentiger
Kalkmilch behandelt s Control-
Holz- Holz- Stäbchen
Stäbchen 1 Stäbchen 2
l
Milz, Meerschweinchen 540, wenig Pest¬
bakterien (Cultur: Bishopsgate)
—
1 —
—
2
Leber, Meerschweinchen 541, massig viele
Pestbakterien (Cultnr: Bishopsgate)
—
1 _
—
3
Leber, Meerschweinchen 538, zahlreiche
Pestbakterien (Cultur*. Bishupsgate)
—
—
4
Leber, Meerschweinchen 579, zahlreiche
Pestbakterien (Cultur: Bishopsgate)
—
—
+
5
Leber, Meerschweinchen 579, zahlreiche
Pestbakterien (Cultur: Bishopsgate)
—
—
+
6
Leber, Meerschweinchen 584, zahlreiche ,
Pestbakterien (Cultur: Blagdun) i
—
I
7
Leber, Meerschweinchen 595, zahlreiche l
—
* —
+
Pestbakterien (Cultur: Bishopsgate) ,
+ = Pestbakterien lebend nachgewiesen. — = Pestbakterien abgetödtet.
Xach Ausweis der Tabelle XIII führten die mit Kalkmilch behandelten
^estbakterien in keinem Falle zu einer Pestinfection der Versuchstiere,
n den beiden ersten Versuchen gingen zwar auch die Controlthiere nicht
in, was aber in diesen Fällen nicht Wunder nehmen kann, da nur ver-
ältnissmässig wenig Material auf die Stäbchen gebracht worden war, und
ie Organe beide Male, wie die mikroskopische Untersuchung ergeben
atte, nur massig viele Pestbakterien enthielten. In den anderen fünf Ver¬
liehen waren die Pestbakterien an den zehn mit Kalkmilch behandelten
lolzstäbchen abgetödtet, während alle Controlstäbchen noch mit virulenten
estbakterien behaftet waren. Die Versuche werden noch, nach der einen
ier anderen Richtung hin modificirt, weiter geführt.
Wir können jedoch schon jetzt aus unseren Versuchen den Schluss
ehen, dass die Kalkmilch in einer Concentration von schon 4 Procent
n sicher wirkendes Desinfectionsmittel gegenüber den Pestbakterien ist.
dem es diese wenig widerstandsfähigen Mikrobien iu verhältnissmässig
irzer Zeit vernichtet; sie eignet sich also zumal bei ihren sonstigen
orzügen besonders gut für die Desinfection pestverseuchter Schifte.
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* ,
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i
174 Kister u. Schumacher: Untersuchung v. pestverdächt. Ratten.
Die zweimalige Versprühung der Kalkmilch hatte vornehmlich den
Zweck eine ganz gleichmässige Benetzung aller Theile des Raumes zu-
verlässig zu bewirken, diese lässt sich aber mittels des oben beschriebenen
Sprayapparates auch bei einmaliger Besprühung erzielen, wenn sie mit
der nöthigen Sorgfalt ausgeführt wird; von Wichtigkeit ist jedoch, dass
die Kalkmilch aus reinem Fettkalk und frisch bereitet wird. Da neuer¬
dings statt der 4 procentigen eine noch stärkere bis zu 10 procentige Kalk¬
milchverdünnung angewandt werden soll, so dürfte bei diesem Ver¬
fahren nicht nur eine schnell ausführbare Desinfection, sondern
auch eine sichere Abtödtung der etwa in den Laderäumen der
Schiffe befindlichen Pestkeime gewährleistet sein.
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Gck igle
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[Aus dem hygienischen Institut der Universität Berlin.]
Bemerkungen zu Dr. Heymann’s Erwiderung: 1
„Wird die Kohlensäure-Abgabe des Menschen durch Beimengung von
Ausathmungsluft zur Einathemluft beeinflusst?“
Von
Prof. Dr. raed. H. Wolpert.
Auf die am Schluss des vorigen Bandes dieser Zeitschrift abgedruckte
Erwiderung Dr. Heymann’s möchte ich in aller Kürze Folgendes be¬
merken:
1. In meinen Versuchen wurde zum ersten Mal der directe Weg
‘ingeschlagen, die Eigenschaften einer verathmeten Luft iu objectiv fass-
>arer Weise zu prüfen durch den Einfluss auf die Respirationsvorgänge
les Menschen. Der bisherige Weg, die subjectiven Symptome zu prüfen,
vurde als unzuverlässig aufgegeben. An der von mir gefundenen That-
ache Correctur zu üben, habe ich keinen Grund.
2. Ueber die näheren Ursachen der von mir gefundenen Wirkung
labe ich mich weder auslassen können noch wollen, da ich Aufklärung
lieröber durch sich anschliessende andere Experimente erhoffte. In einem
>hysikalischen Einfluss wie der "Wärme konnte die Wirkung nicht liegen,
jb directe Wirkung eines Stoffes, wie man so oft unbewiesen angenommen,
der ein psychischer Einfluss vorliegt, das zu entscheiden ist gar nicht
regenstand der zur Discussion stehenden Versuche gewesen. Zwischen
leiden Annahmen wäre aber ein sehr wesentlicher Unterschied denkbar,
twa wie zwischen dem Apomorphin und einem Haar in der Suppe, die
•eide denselben Effect, einen Brechakt, auslösen können.
1 Diene Zeitschrift. Bd. L. S. 535.
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176 H. Wolpert: Bemerkungen zu Dr. Heymann’s Erwiderung.
3. Die Angabe über luftdichten Verschluss des Apparates ist nick
unterlassen worden, s. S. 26 meiner Arbeit. Nicht die ganzen Versuche
vergleiche ich ferner unter einander, sondern die Versuchsphasen, und
während der letzteren mussten im gleichen Versuch die Durchmischung-
Verhältnisse gleiche sein. Die gemachte Beobachtung, dass durch die
elektrische Glühlampe die relative Feuchtigkeit herabgesetzt und eine be¬
ginnende Condensation vermieden wurde, dürfte ein Mal auf die Temperatur¬
erhöhung, soweit sie durch das (geschützt aufgehängte) Quecksilber-
thermometer gemessen wurde, und dann auch auf die (nicht gemessene
Wärmestrahlung zurückzuführen sein; hätte ich übrigens, was im Orignal
nicht geschehen ist (S. 31), das Wort „elektrisch“ gesperrt, wie Her¬
mann dies thut (S. 396), so wäre die diesbezügliche irrige Annahme
Heymann’s berechtigt. Meine Berechuungsweise halte ich für ent¬
sprechender, weil sie auch die Nachwirkung aus den vorausgehenden
Phasen berücksichtigt. Ein Einfluss der Nüchternheit auf die Kohlensäure-
abgabe ist bei meiner Versuchsanordnung ausgeschlossen. Selbstverständ¬
lich habe ich auch Rubner’s Resultate bei Deutung meiner Versuch:-
ergebnisse in Betracht gezogen.
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[Aus dem Königl. Institut für Infectionskrankheiten in Berlin.]
(Direotor: Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Gaffky.)
Neue Beobachtungen zur Hühnerpest . 1
Von
Stabsarzt Dr. F. K. Kleine,
oommacdirt xum lustitut.
Seit den grundlegenden Arbeiten von Centanui und Savonuzzi 2
sind über Hühnerpest verschiedene bemerkenswerthe Abhandlungen er¬
schienen, unter denen ich besonders die von Lode und Gruber 3 , Cen-
tanni 4 , Ostertag und Wolffhügel 5 , Maggiora und Yalenti 9 hervor¬
hebe. Da die Resultate in den wesentlichen Punkten übereinstimmen,
werde ich auf sie nur soweit zurückkommen, als meine eigenen Unter¬
suchungen zu ihnen in Beziehung stehen.
Zwischen dem stürmisch schnellen Verlauf der Hühnerpest bei Hühnern
ind dem Verlauf, wie er sich bei anderen weniger für diese Krankheit
‘mpfanglichen Vögeln gestaltet, bestehen einige Unterschiede. Bei den
1 Folgend dem Vorgang von Ostertag und Wolffhügel bediene ich mich
les Namens „Hühnerpest" für Vogelpest, Kyanolophiea, exsudat. Typhus u. s. w.
n derer Autoren.
* E. Centanni e E. Savonuzzi, La pesfe aviaria I e II communicazione
xtta all*Academia delle Scienze mediche e naturali di ferrara . 1901.
* A. Lode und J. Gruber, Bakteriologische Studien über die Aetiologie einer
pidemischen Erkrankung der Hühner in Tirol (1901). Centralblatt f. Bakteriologie .
901. Bd. XXX.
4 E. Centanni, Die Vogelpest. Ebenda . 1902. Bd. XXXI.
* Ostertag und Wolffhügel, Untersuchungen über die „Hühnerpest" u. s. w.
tcrnatshefte für prakt, Thierheilkunde . Bd. XIV.
* Arnaldo Maggiora und Gian Luca Valenti, Ueber eine Seuche von
jsodafc. Typhus bei Hühnern. Diese Zeitschrift . Bd. XLII und XLYIII.
peitschr. f. Hygiene. LI.
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12
Original fro-m
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178
F. K. Kleine:
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Hühnern kommt es verhältnissmässig seltener zu der Ausbildung jenes
nervösen Symptomencomplexes, der bei Tauben und Gänsen eine so grosse
Rolle spielt. Und während das Blut verendeter Hühner höchst infecti'se
Eigenschaften besitzt, vermissen wir dies bei gestorbenen Tauben (Cen-
tanni) und Gänsen (Maggiora und Valenti). Was die nervösen
Symptome anbetrifft, so ist es ohne Weiteres verständlich, dass sie an
Hühnern bei der überaus kurzen Krankheitsdauer häufig nicht zur Beob¬
achtung gelangen, weniger verständlich aber finde ich, warum das un¬
bekannte Virus, das nach den Arbeiten der genannten Autoren nichts
weniger als labil scheint, in dem Blute verendeter Gänse und Tauben
durch Verimpfung nicht mehr nachzuweisen ist. Handelt es sich hier
um principielie Gegensätze oder darf man annehmen, dass bei länger und
milder verlaufender Krankheit auch bei Hühnern die Erreger aus dom
Blute schliesslich verschwinden würden, dass eben dies Verschwinden eine
gesetzmässige, in der Entwickelung der Parasiten begründete Erschei¬
nung ist?
Um in dieser Richtung einige Beobachtungen zu machen, benutzte
ich zu meinen Versuchen junge Gänse, welche im Gegensatz zu alten
Thieren für Hühnerpest wohl empfänglich sind, ohne dabei der Seuche
so schnell wie Hühner zu erliegen. Die durchschnittliche Dauer der
Krankheit betrug 7 Tage, die Temperatur war 1 bis 2° C. gegen die
Norm erhöht. Zuerst überzeugte ich mich, dass in der Regel das Blut
gestorbener Gänse thatsächlich nicht infectiös ist. Später entnahm ich
täglich oder jeden 2. Tag nach der Infeetion aus der Flügelvene 1 bis 2
Blut und prüfte seine Infectiosität durch Injection in den Brustinuskel
eines Huhnes. Hierbei bemerkte ich, dass das Blut der inficirten Gänse
bisweilen schon am nächsten Tage, bevor noch eine Temperatursteigerung
eintritt, ansteckend ist. Die Schnelligkeit, mit der das unsichtbare Viru?
in’s Blut gelangt, ist von dem Infectionsmodus und der Dosis abhängig.
In der Regel verschwindet das Virus einige Tage nach der Infeetion
wieder, während die bekannten Krankheitserscheinungen (Krämpfe u. s. v.
nicht etwa nachlassen, sondern im Gegentheil an Intensität zunehmeu.
bis schliesslich der Exitus eintritt. Da ich für die Annahme, dass die
erwähnten Gehirnsymptome die Folge einer Intoxication sind, experimentell
keine Stütze beibringen konnte, hielt ich es nicht für ausgeschlossen, d;t"
die Hühnerpesterreger selbst in das Gehirn einwandern und
durch ihre Anwesenheit dort jene Reizerscheinungen ausläsen.
In der That erwiesen sich bei diesbezüglicher Prüfung Gehirn und
Rückenmark verendeter Gänse, deren Blut nicht mehr ansteckte,
als höchst infectiös.
Gck igle
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Neue Beobachtungen zur Hühnerpest.
179
Ich lasse einige Versuchsprotokolle folgen, die geeignet sind, meine
Ausführungen zu bestätigen.
Versuch 1 . Gans, am 13. XII. 04 mit Dünndarmschlingen eines an
der Hühnerpest verendeten Huhnes gefüttert, erkrankt am 18. XII. mit
Krampferscheinungen. 23. XII. Exitus. 24. XII. 0*5 ccra Blut auf Huhn
verimpft, das nicht erkrankt. 1 Oese Gehirn auf Huhn verimpft, Exitus
am 27. Xn.
Versuch 2 . Junge Gans, am 18. IV. 05 subcutan mit Oese Gehirn
von junger Gans geimpft, macht am 22 . IV. kranken Eindruck. Plötzlicher
Tod am 24.IV. 0»5 ccm Blut verimpft auf Huhn; bleibt gesund. 25.IV.
1 Oese Gehirn verimpft auf eine neue Gans, stirbt am 2 . V.
Versuch 3. Junge Gans am 25. IV. subcutan an der Brust mit Oese
Gehirn von Gans geimpft, zeigt am l.V. leichte Krampferscheinungen.
0*5 ccm Blut verimpft auf Huhn; bleibt gesund. 3. V. Exitus der Gans.
1.5 com ß] u t verimpft auf Huhn, bleibt gesund. 1 ccm Blut verimpft auf
zweites Huhn, bleibt gesund. 1 Oese Gehirn auf Huhn, Exitus am 5 . V.
Fenier 1 Oese Gehirn subcutan auf junge Gans, Exitus am 9. V.
Versuch 4. Junge Gans, am 12.V. unten am rechten Bein intra-
musculär mit 0-l ccra verriebenem Gehirn inficirt, wird am 14.V. getödtet,
bevor irgendwelche Krankheitserscheinungen wahrnehmbar sind.
1 ccm .verimpft auf Huhn, Exitus am 18. V.
Ischiadicus des rechten Beines „ „ , t „ „ 19. V.
„ linken „ „ „ „ „ ,, 18. V.
O .5 ccm Rückenmark ,, „ „ ,, „ 17. V.
1 Oese Gehirn ,, „ ,, ,, ,, 20. V.
Versuch 5. Junge Gans, am 3 . V. mit
geimpft, stirbt am 9. V. unter Krämpfen, am
parenchymatöse Keratitis.
10 . V. Cornea des rechten Auges verimpft
Ischiadicus „
1 Oese Rückenmark „
1 .. Gehirn „
3 ccni Blut
Oese Grossgehirn von Gans
rechten Auge bestand eine
auf Huhn, Exitus am 11 . V.
13 V
„ m yj j* L t.t, T .
„ „ „ „ 12 . V.
„ Gans „ „ 15. V.
„ Huhn, bleibt gesund.
Versuch 6 . Gans, am 16. V. mit 0*2 ccm verriebenem Gehirn intra-
musculär in der rechten Backe inficirt, hat am 21 . V. leichte Krämpfe. Ver¬
änderungen am Augenhintergrund (s. unten). 22. V. beginnende parenchy¬
matöse Keratitis links, 23. V. beginnende Keratitis rechts. Abends Exitus.
22 . V. 2 ccm Blut verimpft auf Huhn, bleibt gesund.
23. V. 1.4"“„
27. V. 1 Oese Gehirn „ „ „ Exitus 30. V.
Versuch 7. Junge Gans, am 16 . V. mit 0-2 ccm verriebenem Gehirn
imramusculär in der rechten Backe inficirt, hat am 22 . V. ausgedehnte Ver¬
änderungen am Augenhintergrund. Krämpfe. 23. V. Exitus.
12*
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Gck igle
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180
F. K. Kleine:
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18. V. 2 ccn ’
20. V. 2 „
21. V. 2
Blut verimpft auf Huhn, Exitus am 21. V.
>> »t !• n „ 22. ^ .
„ „ .. ,. bleibt am Leben.
22. V. 2 *5™”,, „ „ ,. „ ..
23. V. l ccm „ .
24. V. 1 Oese Gehirn
Exitus am 27. V.
Versuch 8. Junge Gans, am 18. V. subcut. an der Brust mit 0-5
verriebenem Gehirn inficirt, macht am 22. V. einen kranken Eindruck. Ver¬
änderungen am Augenhintergrund. 23. V. Krämpfe. 24. V. Keratitis beider¬
seits. 25. V. Exitus. j
19.V. 2-5 eem Blut verimpft auf Huhn, Exitus am 21. V. j
21. V. 2 „
»1
ii
ii
ii
n 23. V. i
22. V. 2 „
M
ii
bleibt
am Leben. j
23. V. 1-4 „
»1
V
Ii
ii
ii
1
11 11
24.V. 2-0 „
17
11
Ii
ii
71
11 17 |
25. V. 1 Oese
Gehirn
11
11
*i
Exitus
am 27. V. j
Versuch 9. Junge Gans,
am 27. V.
am
rechten
Bein intrarausculär 1
0-3 ccm verriebenem Gehirn
inficirt,
bekommt am 1. VI. Krämpfe
Exitus.
28.V. 0-1 ccm
Blut verimpft auf Huhn,
Exitus am 31. V.
29.V. 0*1 „
11
ii
ii
ii
11
» 31. V. j
30.V. 0*1 „
11
ii
ii
ii
11
„ l.VI.
31.V. 2-0 „
11
ii
ii
ii
11
„ 2. VI. j
l.VI. 2-0 „
11
17
ii
ii
bleibt
am Leben. j
2. VI. 2-0 „
11
11
ii
ii
ii
ii r j
3. VI. 2-0 „
11
11
ii
ii
ii
ii ii
1 Stück Milz
11
ii
ii
ii
ii ii i
1 Stück Leber
11
ii
ii
ii
» *• j
1 Stück Rückenmark
11
ii
ii
Exitus
am 5. VI. j
1 Oese Gehirn
11
ii
ii
ii
„ 5. VI. |
Aus den Versuchen geht hervor, dass nach dem Verschwinden m \
dem Blut das Virus der Hühnerpest noch in Gehirn und Rückenmark ztt
finden ist. Zum zweiten Male lernen wir eine Krankheit kennet. :
deren Erreger sich als Sitz das Cerebrospinalsystem ausersehen. ;
Die Hühnerpest tritt in Parallele zur Lyssa.
Nehmen wir an, dass die unsichtbaren Mikro bien der Hühnerseueh-
zu den Bakterien gehören, so würden wir kaum Analogien für ihr Ver¬
halten unter den bekannten pathogenen Spaltpilzen finden. Ein Ver¬
schwinden aus dem Blut und ein Aufsuchen anderer Gewebe beobachteten
wir bisher nur bei Protozoen; ich erinnere au die verschiedenen Malaria¬
plasmodien und an die Recurrensspirochaeten. Vielleicht ist, bevor nicht
weitere Untersuchungen andere Gesichtspunkte ergeben, die Hypothese nicht
ungerechtfertigt, dass die Erreger der Hühnerpest im Thierkörper sich in
zwei Stadien befinden, im Blut im Zustand der Vermehrung, im Gr
Gck igle
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Neue Beobachtungen zub Hühnebpest.
181
hiru u. s. w. in dem der Ruhe. Die hochempfanglichen Hühner erliegen
der Krankheit, während die Mehrzahl der Parasiten sich noch im Stadium
der Vermehrung befindet.
Durch das Eindringen der Parasiten in das Gehirn wurden als klinische
Symptome nicht nur Krampferscheinungen ausgelöst. Centanni be¬
obachtete bei Tauben Labyrinthschwindel. Ich selbst konnte bei einem
Huhn und bei verschiedenen Gänsen die schwersten Veränderungen am
Augenhintergrund nachweisen.
Die Befunde, wie ich sie hier gebe, verdanke ich der Liebenswürdig¬
keit des Augenarztes Hm. Dr. A. Koch, der mich bei den Augenspiegel¬
untersuchungen durch seine Hülfe unterstützte.
Das erwähnte Huhn überlebte — als einziges von recht vielen —
Immunisirungsversuche, die ich mit wiederholten Injectionen kleinster
Dosen von 3 Monate lang conservirtem Virus unternahm (Hühnerpestblut:
Wasser: Glycerin wie 1:1:2).
Obwohl man noch nie ein Huhn, welches die nervösen Symptome
der Hühnerpest zeigte, genesen sah, so habe ich doch Veranlassung, das
Ueberstehen der Krankheit vorläufig lediglich für ein Spiel des Zufalls zu
halten. Aus diesem Grande gehe ich auf eine Beschreibung der Immuni¬
sirungsversuche nicht näherein. Jenes Huhn also, dem am 24.11. 0-001 00m
der Mischung injicirt waren, machte am 2. III. einen kranken Eindruck.
Am nächsten Tage hielt es in der bekannten von anderen Autoren be¬
schriebenen Weise den Kopf zum Rücken gedreht und musste gefüttert
werden. Vom 9. III. ab trat Besserung ein. Nachdem es sich vollständig
wieder erholt hatte, fiel auf, dass es beim Fressen das Futter stets mit
dem linken Auge musterte, als ob es rechts erblindet sei. Am 16. III.
sah man im umgekehrten Bilde am rechten Augenhintergrund runde und
lang gestreckte atrophischeHerde mit Pigmentsaum und stärkerer Pigment¬
ansammlung im Centrum. Die Herde waren theilweise schon vollständig
weiss, theilweise in den Randpartien gelblich bis rosa gefärbt. Links
fanden sich ähnliche Herde, doch von geringerer Ausdehnung und Zahl.
Das Sehvermögen des rechten Auges musste hiernach wohl ziemlich er¬
loschen sein.
Am 8.V. waren rechts die Herde noch ausgedehnter, weiss und
rein atrophisch und besassen knochenkörperartige Fortsätze, durch welche
sie zum Theil mit einander in Verbindung standen. Links waren sie
meist stecknadelkopfgross. — Bei den Gänsen konnte man verschiedentlich
schon vor dem Eintreten der Krämpfe chorioretinitische Herde von blau-
grauer Farbe und wechselnder Ausdehnung beobachten, die bisweilen von
einem Pigmentsaum umgeben waren. Einige lagen in der Peripherie,
andere mehr im Centrum neben den Opticis. In der Form waren sie
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182 P. K. Kleine: Neue Beobachtungen zub Hühnekpest.
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rundlich, durch einzelne Ausläufer vielfach mit einander in Verbinden?
stehend. In fortgeschrittenen Fällen machte das Auftreten einer paren¬
chymatösen Keratitis eine weitere Beobachtung manchmal unmöglich.
Die mikroskopischen Untersuchungen der Gehirnschnitte von Gäulen
sind noch nicht abgeschlossen. Bei Thieren, die nach starken Krämpfca
zum Exitus gekommen waren, fielen rundliche, scharf begrenzte Körper
von der wechselnden Grösse der Zellkerne auf, die sich bei Einhaltung
der Mann’sehen Färbmethode roth bis violettroth färbten und, meinte
Ansicht nach, mit Negri’schen Körperchen eine gewisse Aehuliehke::
hatten. Sie lagen meist in Ganglienzellen, aber auch ausserhalb. Vielleicht
handelt es sich um Zellkerne, die in Folge pathologischer Vorgänge ike
normale Färbefähigkeit eiugebüsst hatten.
Zu besonderem Dank für fortdauernde Assistenz bei meinen Versuche:
bin ich Hm. Oberarzt Dr. B. Möllers verpflichtet.
Goi igle
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[Aus dem Institut für gerichtliche Medicin der Universität Graz.]
(Vorstand: Prof. J. Kratter.)
lieber die nekrotisirende Wirkung normaler Seren.
Von
Hermann Pfeiffer,
+ AMlttenten im Institut.
Es hat vor Jahren als Erster Uhlenhuth 1 einwandsfrei nachgewiesen,
dass manche normale Thierseren unter allen aseptischen Cautelen Meer¬
schweinchen subcutan eingebracht, am Orte der Injection in kleineren
Dosen Infiltrate, in grösseren Nekrosen zu erzeugen vermögen. Die
Mengen, welche bei den verschiedenen Seren hinreichten, um die ge¬
nannten Veränderungen zu bewirken, waren ganz beträchtlichen Schwan¬
kungen unterworfen. So vermag z. B. nach Uhlenhuth das Serum vom
Schwein und Hammel in Mengen Mortification der Haut und Subcutis
zu erzeugen, in denen Seren vom Pferd oder Kaninchen fast reactionslos
vertragen werden.
Wie ich gütigen mündlichen und schriftlichen Mittheilungeu und den
Discussionsbemerk ungen dieses Autors auf dem Breslauer Naturforscher tage
entnehme, konnte er bei weiterer Verfolgung seiner ersten Beobachtungen
in unveröffentlichten Versuchen nachweisen, dass es durch wiederholte
Injectionen normaler Seren gelingt, die Thiere selbst gegen die nekro¬
tisirende Wirkung unempfindlich zu machen und dass auch ihr Serum
artgleiche Thiere davor zu schützen im Stande ist. Damit hat Uhlen¬
huth den Beweis erbracht, dass sie ein Haptin im Sinne Ehrlich’s sei.
1 Diese Zeitschrift. Bd. XXVI. S. 384.
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Gck igle
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
184
Hebmann Pfelffeb:
) »'
Vj|[
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Es haben nun zwar schon im Verlaufe der letzten Jahre verschiedene
Autoren, die mit heterologen Seren zu immunisiren Gelegenheit hatten,
auf Infiltrate und Abscesse bei subcutaner Application dieses Materiales
hingewiesen, so z. B. Schur in der Monographie von ß. Kraus, „Ueber
specifische Niederschläge“ (Kolle und Wassermann, „Handbuch der
pathogenen Mikroorganismen“). Ein genaueres Studium dieser eigen-
thümlichen Wirkung aber, die namentlich im Lichte der neueren
Forschungen über die Wirkung „giftiger“ Thierseren von principieller
Wichtigkeit sein musste, stand aus.
Da für mich schon allein in Hinblick auf meine Untersuchungen
über die Aetiologie des primären Verbrennungstodes und die hierbei für
das Kaninchen gemachten Erfahrungen, deren Veröffentlichung sich aus
äusseren Gründen über Jahresfrist verzögert hat, die von Uhlenhuth
erwähnte Wirkung mancher normalen Thierseren von doppeltem Interesse
sein musste, so habe ich es versucht, experimentell diesen Verhältnissen
näherzutreten. Ich konnte, wie weiter unten auseinandergesetzt ist
folgende Beobachtungen machen, die geeignet erscheinen, die Beob¬
achtungen Uhlenhuth’s nicht nur vollinhaltlich zu bestätigen, und zu
erweitern, sondern auch den Vorgang der nekrotisirenden Wirkung nor¬
maler Seren klarzustellen.
Als ich an das Studium dieser Fragen herantrat, erschien es mir
einmal von Wichtigkeit, die von Uhlenhuth erhobenen Befunde nach-
zuprüfen.
Voraussetzung für die Erzielung einwandsfreier, verlässlicher Resultate
war dabei natürlich die Verwendung eines vollkommen sterilen Materiales,
da bei der Entwickelung von Infiltraten und Nekrosen nach der Injection.
sollten diese Effecte wirklich der Serumwirkung zugeschrieben werden, eine
bakterielle Infection ausgeschlossen werden musste. Diese Forderung war.
sofern es sich dabei um die Seren unserer gewöhnlichen Laboratoriumsthiere
handelte, unschwer zu erfüllen, wenn man unter allen aseptischen Cautelen
das Blut aus der Halsschlagader der Thiere entnahm und nach der Ab
Scheidung des Serums dieses sofort verwendete. Es erwies sich aber, das?
die Seren der Schlachtthiere — und gerade diese zeigten sich für derartig«
Versuche als besonders geeignet — nur in seltenen Fällen trotz aller Tor¬
sichtsmaassregeln wirklich vollkommen steril in meine Hände kamen, wovon
ich mich durch Plattencontrolen überzeugen konnte. Um nun auch hier
unter den obengenannten Bedingungen arbeiten zu können, benützte ich ira
Laufe meiner Versuche verschiedene Sterilisirungsmethoden, von denen sich
mir noch die Filtration durch bakteriendichte, gutziehende Thonzellen, oder
Berkefeldfilter am besten bewährten. Freilich verstopfen sich diese Apparate
rasch und lassen schon ganz neu im Gebrauche oft nicht quantitativ die
wirksame Substanz durch.
Go igle
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Über die nekrotisirende Wirkung normaler Seren. 185
Die Sterilisirung durch fractionirte Erwärmung im Brutofen bei 58° C.
hat mir hier der Thermolabilität der zur Untersuchung kommenden Sub¬
stanzen wegen keine guten Dienste geleistet. Manchmal ging ich auch so
zu Werke, dass ich die in kleinen Mengen in Eprouvetten gefüllten Seren
durch 48 Stunden im Brütofen bei 37° C. hielt und nach dieser Zeit die
steril gebliebenen zu meinen Versuchen verwendete.
In allen Fällen aber wurden nur aus der Wirkung solcher Seren auf
das cutane Gewebe bindende Schlüsse gezogen, die früher auf ihre Keim¬
freiheit untersucht worden waren.
Als Versuchsthiere, an denen die nekrotisirende Wirkung dieses sterilen
Materiales geprüft wurde, dienten Meerschweinchen, deren Bauchhaut vor
der Injection rasirt und desinficirt worden war. Mit sterilen Strohschein¬
spritzen brachte ich den Thieren die Seren in das subcutane Zellgewebe und
verschloss, da ein Rückfliessen des Materiales aus der Einstichöffnung anders
nicht sicher vermieden werden konnte, diese mit einer sterilen Wundnaht-
k lammer nach Michel und mit Jodoformcollodium. In zahlreichen anderen
Versuchen wurden an Stelle der Meerschweinchen Kaninchen und in einigen
Fällen auch Tauben verwendet.
Auf diese, wie ich glaube einwandfreie Art, habe ich die nachfolgenden
Versuche ausgeführt.
Brachte ich den Versuchsthieren eines der in Tabelle I angeführten
wirksamen, artfremden Seren (z. B. Rinderserum) in genügend grosser
.Menge ein, so entwickelte sich zunächst in den ersten Stunden nach der
Injection am Orte der Einwirkung ein teigiges Oedem. Die Haut über
diesem erschien in den centralen Theilen blass, sie fühlte sich welk und
morsch an, die Epidermis liess sich in Form eines zarten Häutchens
durch einfaches Darüberstreifen ablösen. An den peripheren Theilen des
"dematösen Bezirkes erschien die Cutis durch zahlreiche Hämorrhagieeu
rothbraun gesprenkelt. Beim Einschneiden entleerte sich eine klare, roth-
gefärbte, seröse Flüssigkeit. Im weiteren Verlaufe nun wurde die Haut
vollständig gangränös, sie vertrocknete und wandelte sich in einen dunkel¬
braunen, harten, lederartigen Schorf um. Das darunter liegende Iufiltrat
fühlte sich derb und prall an.
Nach Abstossung des Schorfes (5 bis 6 Tage) kam es zur Bildung
eines tiefgreifenden Geschwüres mit aufgeworfenen, derb iufiltrirten
Hindern, dessen Basis häufig schon im Bereiche der Bauchmuskelschicht
liegen ist. Ueberlässt man die Thiere nun ihrem Schicksale, so schliesst
uch dieses Geschwür nach einigen Wochen und an seiner Stelle findet
man eine derbe, strahlige Narbe, in deren Umkreise nicht selten voll¬
mundiger Haarschwund zu beobachten ist.
Die Thiere sind namentlich in den ersten Tagen der Serumwirkung
•;rank, sitzen zusammengekauert in ihrem Käfig, zeigen wenig Fresslust
md magern stark ab. Später erholen sie sich meist vollkommen.
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186 Hermann Pfeiffer:
Verwendet mau geringere Mengen wirksamen Serums, so ist dem¬
entsprechend auch die Nekrose beträchtlich kleiner oder aber es komm'
gar nicht zur Entwickelung einer solchen, sondern nur zur Bildung eire-
umfänglichen Infiltrates, das sich langsam, im Verlaufe von Wockii
resorbirt. Wie aus Tabelle I hervorgeht, entfaltet die Einverleibung nud ..
so grosser Mengen arteigenen Serums keine solche Wirkung. Sie sin:
schon nach 2 bis 3 Tagen, ohne Veränderungen am Injectionsorte zu
setzen, aufgesaugt.
Desgleichen konnten zahlreiche artfremde Thierseren gefuuden werde:. -
(Pferd, Kaninchen, Hammel), die in den zur Verwendung gekommene:
grossen Versuchsmengen keine Nekrosen zu erzeugen vermochten, wen: -
sich auch an der Injectionsstelle Infiltrate entwickelten, welche mehre:- ~ .
Tage bestehen blieben, um dann resorbirt zu werden. v-
Tabelle I.
Versuchsthier: Meerschweinchen. Injectionsstelle: Bauch, Subeuti- ■
Serumart
Menge in ccm
[ Infiltrat nach 3 Tagen
Nekrose
Ri ii der ser um
10
+
+
,,
5
+
+
2
+
4-
Sehweineserum
10
+
+
»»
5
-
»*
2
—
—
Hammelserum
20
+
-
10
—
—
Menschenserum
20
+
4 -
»»
10
+
—
>»
5
—
-
Kaninchenserum
20
+ 1
—
»>
10
— 1
-
Meerschweinchenserum
20
—
—
M
10
—
—
Infiltrat nach 3 Tagen +: nach 3 Tagen noeli nachweisbar.
Infiltrat nach 3 Tagen —nach 3 Tagen vollständig resorbirt.
Es ergiebt sich also aus diesen Beobachtungen in voller Bestärke:
der Befunde Uhlenhuth’s, dass verschiedene normale Thierseren Rr.
Schwein, Mensch) in die Subcutis des Meerschweinchens unter a!.-
aseptischen Cautelen eingebracht, dort eigentümliche Nekrosen erzeug
während wieder andere heterologe Seren (Hammel, Kaninchen. Pfer
diese Wirkung nicht, oder doch nur in viel geringerem Maasse zu aus--"
vermögen. Es bestehen also hinsichtlich der nekrotisirenden Wir-r:
verschiedener Serumarten ganz beträchtliche Enterschiede. Das norm-
homologe Serum wird von der Subcutis reactiouslos resorbirt.
Gck igle
|
UMIVERSITY OF CALIFORNLJ
Über die nekrotisirende Wirkung normaler Sehen.
187
Nachdem somit die nekrotisirende Wirkung heterologer Seren sicher¬
gestellt war, handelte es sich darum, die Frage nach der Haptinnatur zu
entscheiden, die durch noch unveröffentlichte Versuche Uhlenhuth’s in
bejahendem Sinne erledigt worden war. Man hätte ja, wenn man alle
Möglichkeiten in Betracht zog, immerhin supponiren können, dass diese
eigenthümliche Serumwirkung durch molecular niedriger constituirte Körper,
also etwa durch die normaler Weise den Blutstrom passirenden Salze be¬
dingt seien. Ich verimpfte wiederholt in 10- bis 14 tägigen Intervallen
entweder in die Subcutis oder in die Bauchhöhle von Meerschweinchen
kleinere Mengen von Rinderserum (später auch Tauben- oder Kaninchen¬
serum), und prüfte das Serum dieser Thiere schliesslich auf seine schützende
Wirkung artgleichen Thieren gegenüber. Die darauf abzielenden Versuche
waren zuerst von Misserfolg begleitet und ich kam erst dann zu wirklich
einwandfreien und schönen Resultaten, wenn ich, wie aus später mit-
getheilten Versuchen begreiflich werden wird, statt der Seren die sorg-
, faltig gewaschenen Erythrocyten jener Thierart verwendete, deren nekroti¬
sirende Serumwirkung ich mit dem Immunserum paralysiren wollte.
Es sei folgendes, wiederholt durchgeführtes Versuchsparadigma als
Beleg angeführt:
Zu je 10 ccm frischen Rinderserums wurden in verschiedenen Röhrchen
zugesetzt:
a) 10 ccm eines Serums vom Meerschweinchen, das 4 Mal mit gewaschenen
Rindererythrocyten vorbehandelt worden war.
b) I0 ccra normalen Meerschweinchenserums.
c) I0 ccm 0-85 procent. Kochsalzlösung.
Diese Proben wurden durch mehrere Stunden bei Zimmertemperatur
stehen gelassen und dann Meerschweinchen in verschieden grossen Mengen
eingebracht. Während Bich nun bei den mit Probe b) und c) injicirten
Thieren am Orte der Einwirkung typische, mächtige Nekrosen entwickelten,
wurde a) ohne Veränderungen zu setzen glatt resorbirt.
Durch diesen und durch andere Versuche, auf welche ich später
nochmals ausführlicher zurückzukommen haben werde, konnte ich auch,
was die Haptinnatur der in Rede stehenden Substanzen anlaugt, die gütigen
mündlichen Mittheilungen Uhlenhuth’s vollkommen bestätigen.
Dass übrigens die nekrotisirenden Substanzen heterologer, normaler
Thierseren zu den Haptinen gehören, erschien von vorneherein durch drei
Eigenschaften wahrscheinlich, die ich früher erheben konnte, als mir ihre
Absättigung durch specifische Antikörper in vitro gelungen war. Das ist
äinmal ihre Thermolabilität, die weiter unten ausführlicher besprochen
werden soll, dann ihre Fällbarkeit durch Alkohol und endlich die That-
iache, dass sie bakteriendichte Thonzellen meist nur unvollständig passiren.
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Gck igle
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
188
Hermann Pfeiffer:
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Angesichts dieser Beobachtungen und in Hinblick auf die durch
Ehrlich und seine Schule so exact studirte Wirkung der hämolytischen
Function mancher Seren auf artfremde Erythrocyten erhob sich die Frage:
Ist die nekrotisirende Wirkung normaler, heterologer Seren bedingt durch
eiue, von der hämolytischen abtrennbare nekrotisirende Componente, oder
sind etwa beide Erscheinungen — die Hämolyse in vitro einerseits, die
Nekrose bei subcutaner Application andererseits — nichts als die ver¬
schiedene Wirkung ein und desselben Körpers bei verändertem Objecte,
sind also etwa beide Effecte auf die allgemein cytotoxische Wirkung art¬
fremden Eiweisses zurückzuführen?
Mein Bestreben war zunächst darauf gerichtet, in ihrer Integrität
unveränderte Thierseren zu fiuden, welche für gewisse Thierarten keine
hämolytische, wohl aber nekrotisirende Eigenschaften besitzen oder um¬
gekehrt, um vielleicht auf diesem Wege für die Multiplicität der in Rede
stehenden Körper einen Anhaltspunkt zu gewinnen. Ich will gleich hier
bemerken, dass meine Bemühungen in dieser Richtung von einem voll¬
ständigen Misserfolg begleitet waren.
Tabelle II.
Serum von
Blutkörperchen
u. Subcutis von
Hämolyse
Kleinste 1
lösende Dosis 1
Nekroti¬
sirende
Eigenschaften
I Kleinste
nekrotisirende
Dosis
Kind
Meerschw.
+
1 0-03
+
2 ccm
*»
Kaninchen
i +
0-03
+
2
Taube
—
—
Taube
Meerschw.
+
| 0-13
+
5
Meerschw.
Taube
—
—
Hammel
Meerschw.
spuren weise
—
Infiltrat bei
1 —
bei 1 ccm 1
20 cc ®
,,
Taube
1 —
—
Menschen
Meerschw.
+
0* ‘25
4-
15 cc ®
„
Taube
—
—
1 Kleinste lösende Dosis für 1 ccm einer 5 proceutigen Aufschwemmung 3 Mil
gewaschener Erythrocyten in 0-S5 procentiger NaCI-Lösung. Serum in fallenden
Mengen von 1 ccm abwärts, NaCl-Lösuug auf das gleiche Niveau. 2 h Thermostat bei
37°, dann Eiskasten. Ablesen nach l‘2 b .
Wie aus Tabelle II hervorgeht, wo ich einen Theil dieser Versuche :
wiedergebe, zeigte es sich ganz allgemein, dass nur jene Thierseren aut '
das subcutane Gewebe einer Thierspecies nekrotisch zu wirken vermögen,
denen auch gleichzeitig eine lytische Function auf die Erythrocyten der¬
selben Art zukommt.
Gck igle
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CBEIf DIE NEKROTISIRENDE WIRKUNG NORMALER SeRF.N.
189
So kam es auch, dass die nekrotisirende Wirkung einer und derselben
Serumart an Yersuchsthieren verschiedener Species gemessen in ihrer
Intensität ganz beträchtlichen Schwankungen unterworfen war. So wurden
Seren gefunden (z. B. Rinderserum), welche für eine Thierart A (Meer¬
schweinchen) eine energische nekrotisirende Wirkung entfalteten, auf eine
zweite Thierart B (Taube) diesen Einfluss gar nicht zu äussern ver¬
mochten. Wurde nun ein solches Serum beiden Erythrocytenarten gegen¬
über auf seine hämolytische Function geprüft, so zeigte sich diese den
Erythrocyten A. gegenüber als sehr intensiv, für die Erythrocyten B. hin¬
gegen als vollkommen fehlend. (Vgl. Tabelle II.)
Es kann also aus diesen Versuchen gefolgert werden, dass ganz all¬
gemein nur jene Seren auf das cutane Gewebe zerstörend wirken, denen
auch gleichzeitig eine lytische Eigenschaft für die betreffenden Erythro¬
cyten zukommt.
In weiteren Versuchsreihen habe ich mich bemüht, durch Einwirkung
genau dosirter schädigender Einflüsse, wie namentlich der Hitze, der Eosin¬
belichtung, des Chloroforms oder des Phenolzusatzes, zu derart veränderten
Seren zu gelangen, denen eine der beiden in Rede stehenden Functionen
erhalten geblieben, die andere aber genommen war. Auch die Auffindung
eines solchen Verhaltens der wirksamen Substanz, welches freilich eine
Verschiedenheit ihrer Labilität diesen Einflüssen gegenüber zur still¬
schweigenden Voraussetzung gehabt hätte, würde einen Beweis für ihre
Multiplicität gebildet haben.
Da die ausführliche Wiedergabe meiner darauf gerichteten Versuche
zu weit führen würde, lasse ich nur einen von ihnen, die Einwirkung
von 56° C. auf Rinderserum, hier folgen. (Vgl. Tabelle III.)
Wie aus der beigegebenen Tabelle hervorgeht, würde allerdings dann
eine beträchtlich höhere Widerstandsfähigkeit der nekrotisirenden Substanz
gegenüber der hämolytischen bei Einwirkung von 56° C. in die Er¬
scheinung treten, und somit auch ein Schluss auf eine Verschiedenheit
beider Componenten erlaubt sein, könnte man die Resultate der Colonne 2
direct mit jenen von 4 und 5 vergleichen. Die hämolytische Function
eines während 1 1 / i Stunden erhitzten Rinderserums an einer vom Serum
durch Waschen befreiten Aufschwemmung von Meerschweinchenerythrocyten
gemessen, ist allerdings nahezu vollständig zerstört, während die nekrotische
Wirkung nur wenig gelitten hat. Der principielle Unterschied zwischen
beiden Versuchen, der ihre directe Vergleichung nicht gestattet, ist aber
der, dass wir in Versuchsreihe A, nachdem das Complement des Rinder¬
serums durch die Hitze zerstört ist, ein complementfreies Versuchsobject
haben, während in Versuchsreihe B durch Einbriugen des Serums in den
Thierkörper das Serum des Versuchsthieres in Contact mit dem thermo-
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190
Hermann Pfeiffer:
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Tabelle III.
48 h altes Rinderserum in jedem dieser Versuche.
Rinderserum
Kleinste noch deutlich lösende Dosis 1
auf Meerschweinehen-Erythrocyten
i mit Zusatz von 0*3 ccra
°* L Meersehw.-Comp!em.
Nekrosen
noch in der
Menge von
Infiltrate nach
3 Tagen noch in
der Menge von
Unerhitzt
0*03 CCID
0*03 ccm
2 ccm
2 ccm +
30 bei 56° C.
0*03 „
0-03 „
2 „ -t*
2 „ +
i h ,. ..
0*5 „
0-03 „
2 ,« -f
2 ,. +
i'L h
1 2 »» M
1-0 ..
0-13 ,.
2 ccm __ ^ ccm
2 „ +
spurenweise
v>h
“ ** *r
negativ
0-25 „
2 ,. -.5 „ +
2 „ +
3 h
■' »» ♦>
»»
negativ
10 «m _
JQ CCID CCS! _
4 h „ „
10 „ -
10 ccm —
6 U ..
M
10 „ -
10 -
a) (in Colon ne 2 u. 3) auf seine hämolytische Wirkung auf eine 5 procentige
Aufschwemmung 3 Mal gewaschener Meerschweinchen-Erythrocyten mit und ohne
Zusatz von 0-3 rc ™ reaetivirenden normalen Meerschweinchenserums geprüft. Ver¬
suchsanordnung wie in Tabelle II.
b) (Colonne 4 u. 5) in den Mengen von 10, 5 und 2 <!CI,, auf seine nekrotisirei-
den Eigenschaften an der Subcutis des Meerschweinchens geprüft.
stabileren, also durch 1 1 / 2 stündiges Erwärmen auf 56° nicht zerstört«
hämolytischen Amboceptor tritt. Da nun aber in unserem Falle das
Meerschweinchenserum ein Complemeut enthält, welches auf den noch er¬
haltenen Zwischenkörper des Rinderserums einpasst, dieses also, wie schon
aus Colonne 3 hervorgeht, in seiner Wirkung auf Meerschweinchen-
erythrocyten innerhalb gewisser Grenzen zu reactiviren vermag, so sind
nur daun bindende Schlussfolgerungen auf verschiedene oder gleicht
Labilität der in Rede stehenden Substanzen gestattet, wenn wir, wie dies
bei der Prüfung auf die nekrotisirende Eigenschaft durch das Versuchsthier
geschieht, so auch bei dem hämolytischen Reagensglasversuche complet*
tirendes normales Meerschweinchenserum zusetzen.
Dass normales Meerschweinchenserum wirklich ein Complement ent¬
hält, welches geeignet erscheint, jenes zerstörte des Rinderserums zu er¬
setzen, ist schou in den so berühmt gewordenen Versuchen Ehrlich'*
und Morgenroth’s: „Leber Hämolysine“ 1 erwähnt. Später machte
H. Sachs in seiner Arbeit: „Leber Alexinwirkung“ 2 unter anderem auch
dieses Verhalten zum Gegenstände eingehender Studien.
1 Berliner klin. Wochenschrift 1899. Nr. 22.
1 Ebenda. 1902. Nr. 9 u. 10.
Gck igle
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Über die nekrotisirende Wirkung normaler Seren.
191
Hat man aber auf diese Weise den Thierversuch in vitro durch
Completirung mit normalem Meerschweinchenserum nachgeahmt, so zeigt
■ sieh nun thatsächlich, dass zu gleicher Zeit und in demselben Ausmaasse
die nekrotisirende Wirkung verschwindet, in der auch die hämolytische
Function durch Meerschweinchenserum nicht mehr reactivirbar ist.
Durch diese und ähnliche Versuchsreihen mit anderen schädigenden
Einflüssen und an anderen Seren gelang es mir trotz genauer Dosirung
der schädigenden Agentien nicht, zu einem Serum zu kommen, das noch
eine der beiden Wirkungen zu äussern vermocht, die andere aber verloren hätte.
Aus diesen Beobachtungen heraus wird nun auch ein eigenthümliches
Verhalten verständlich, das mir bei Beginn meiner Versuche ziemlich
räthselhaft erschien.
Es ergab sich nämlich, dass z. B. Rinderserum an verschiedenen
Thierarten auf seine nekrotisirende Wirkung geprüft bei schädigenden
Einflüssen (Hitze u. s. w.) seine zerstörende Wirkung den einzelnen Species
gegenüber nach verschieden langer Zeit der Schädigung verliert, die
..nekrotisirende Substanz“ also an verschiedenen Thierarten gemessen von
verschieden hoher Labilität schien. Wie ich später bei Wiederholung
dieser Versuche feststellen konnte, ging diese Verschiedenheit der Labilität
immer Hand in Hand einerseits mit der Möglichkeit der Completirung
des Versuchsserums durch jenes der Thierart, au welcher die nekrotisirenden
Eigenschaften geprüft wurden, andererseits aber mit der Thermolabilität
ier verschiedenen hämolytischen Partialamboceptoren.
In derselben Weise lässt sich wohl auch die Thatsaclie erklären,
iass die nekrotisirenden Eigenschaften verschiedener Thierseren gegen
schädigende Einflüsse von verschieden hoher Widerstandskraft sind.
So erschien z. B. die nekrotisirende Wirkung vou Schweinescrum, die
illerdings schon bei unverändertem Materiale weniger heftig als jene des
tinderserums ist, nach 1 ständigem Erwärmen auf 56° C. selbst für Injections-
nengen von 20 cctn vollständig erloschen, während, wie ich oben gezeigt habe
Tab. III), das Rinderserum selbst noch nach 2 ständiger Einwirkung dieses
»Varrnegrades seine gewebezerstörenden Eigenschaften nicht verloren hat.
Cs handelt sich eben auch hier einerseits um eine verschieden grosse Labilität
er in den Versuchsseren enthaltenen Complemente und Zwischenkörper,
ndererseits aber auch um die Möglichkeit der Reactivirung eines noch un-
eschädigten Amboceptors durch jenes Thierserum, an dem die nekrotisirende
Virkung geprüft wird.
Es erwies sich also ganz allgemein, dass bei schädigenden Einflüssen
ie nekrotisirende Wirkung normaler Seren so lange erhalten bleibt, als
Te die hämolytische Eigenschaft des Serums nach Zerstörung des ihm
igenthümlichen Complementes durch Completirung mit jenem Serum
eactivirbar ist, auf dessen Thierart beide Functionen geprüft werden.
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102
Hebmann Pfeiffer :
Schon die bisher mitgetheilten Beobachtungen machten es aufs Höch«?
wahrscheinlich, dass die nekrotisirende Wirkung normaler Seren nichts
anderes darstellt als die lytische Function des Hämolysines bei verändertem
Objecte.
Es gelang mir nun meine Vermuthung durch die im Nachfolgend
angeführten Versuche, wie ich glaube einwandsfrei zur Thatsache zu erhärten
Der Anordnung meiner darauf gerichteten Bestrebungen lagen folgende
Ueberlegungen zu Grunde.
1. Handelt es sich bei der beobachteten nekrotisirenden Wirkung um
nichts anderes als um eine Function des Hämolysines auf die Cutis, so
musste nach quantitativer Entfernung des hämolytischen Amboceptors an:
dem Wege der Bindung durch die Erythrocyten jener Thierart, an welch«
die gewebezerstörenden Eigenschaften eines Serums gemessen werde:
sollten, zugleich mit der hämolytischen auch die nekrotisirende Wirte:
verschwunden sein. Beruhten aber beide Eigenschaften auf verschiedene
Körpern, so musste trotz Entfernung des hämolytischen Zwischenkörpti'
nach Injection des so präparirten Serums, in derselben Weise, wie früher
Nekrosen entstehen.
2. Es muss das Serum einer Thierart A., welches von vorneherek
keine nekrotisirenden und hämolytischen Eigenschaften für eine Thierart B
besitzt, dann auch nekrotisch wirken können, wenn man durch Inject!
mit den Erythrocyten der Art B. das Serum der Art A. zu einem tu:
die Thierart B. hämolytischen Immunserum macht.
3. Es muss ein vor der nekrotisirenden Wirkung eines bestimmt«
Serums schützendes Immunserum auch die Erythrocyten jener Thierai
an welcher die nekrotisirenden Eigenschaften gemessen werden sollen. v>::
der Hämolyse durch dieses Hämolysin schützen.
Was nun die erste dieser drei Forderungen anlangt, so erscheint *
mir durch folgendes, wiederholt und an verschiedenen Thierarten ui
Seren durchgeführte Versuchsbeispiel erfüllt.
Frisches Rinderserum wird durch 1 1 / 2 ständiges Erhitzen auf 56' *
inactivirt. In Versuch a werden zu 10 ccra dieses Serums 10 ccm ein-'
50 procentigen, gründlich mit steriler Kochsalzlösung gewaschenen u T -
complementfreien Aufschwemmung von Meerschweinchenerythrocyten r>
gesetzt. In Versuch b wird statt der Erythrocyten I0 ccm einer 0*85proc<?i
Kochsalzlösung hinzugefügt. 1
1 An Stelle der gebräuchlichen 5 procent. Blutkörperchen-Aufschwemmung
diente ich mich aus dem Grunde einer 50 procentigen, da ich durch den Zusatz ei:'
zur quantitativen Entfernung des hämolytischen Amboceptors hinreichenden Met*"
einer 5procentigen Emulsion zu grosse Flüssigkeitsmengen erhalten hätte, um di—
subcutan injiciren zu können. Andererseits aber wären auch durch zu weitgeber
Verdünnung der wirksamen Substanz Fehlerquellen geschaffen worden.
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Über die nekrotisirende Wirkung normaler Seren.
193
Diese beiden Mischungen werden nun durch 4 h bei Zimmertemperatur
gehalten und dann die Erythrocyten abcentrifugirt. Die Seren beider Ver¬
suche werden mit und ohne Zusatz von normalem Meerschweinchenserum
auf ihre hämolytische, als auch am Meerschweinchen auf ihre nekrotisiren-
den Eigenschaften geprüft. Ausserdem werden die aus dem inactiven Serum
abcentrifugirten Erythrocyten unter Zusatz von Meerschweinchencomplement
nach mehrmaligem Waschen auf den eventuell an sie gebundenen Amboceptor
geprüft.
Serum a und b + 1 ccm 5 procent. Meerschweinchen-Erythrocyten mit
und ohne 0*3 ccra normalen Meerschweinchenserums. Versuchsbedingungen
und Ablesung wie in Tabelle II.
Tabelle
IV.
Tabelle
V.
Rinderserum
0*3 ecm
0.3 ccm
Rinderserum 1 0-3 ccm
0-3 cc “
von a
NaCl
Compleraent
von b
NaCl
Complement
0-5
—
Spur
0-5
—
complet
0-25
—
—
0-25
—
»>
0-13
—
—
0-13
—
f»
0-06
—
—
0-06
—
deutlich
0-03
0
—
—
0-03
0
—
—
Die von
Serum a
abcentrifugirten
und gewaschenen Erythrocyten zeigen bei
Zusatz normalen, isohämolysinfreien Meerschw'einchenseruras intensive Hämolyse.
Meerschweinchen & erhält 10 ccm von Serum a subcutan. Es wird ohne
Veränderungen zu setzen resorbirt.
M eerschweinchen b erhält 10 cc “ von Serum b subcutan. Es entwickelt sich
am Injectionsorte eine ausgebreitete typische Nekrose.
Ich habe diesen eindeutigen Versuch mehrmals am Meerschweinchen
wiederholt und ihn auch für das Kaninchen durchgeführt; immer mit
demselben Erfolge.
Es lässt sich also folgern: Holt man durch Bindung den hämo¬
lytischen Amboceptor eines Serums mit den Erythrocyten jener Thierart
heraus, an der die nekrotisirende Wirkung geprüft werden soll, so hat
ein solches Serum zugleich mit seiner hämolytischen auch seine nekro¬
tisirende Wirkung verloren und wird nun glatt resorbirt.
In einigen orientirenden Vorversucheu konnte ich übrigens auch
folgende Wahrnehmung machen: War noch ein Theil des hämolytischen
Zwischenkörpers, sei es durch Zusatz zu geringer Erythrocytenmenge
oder durch eine für die vollständige Bindung zu kurze Versuchsdauer, im
Serum zurückgeblieben, so zeigte dieses auch noch in geringem Maasse
nekrotisirende Eigenschaften, eine wie mir scheint brauchbare C'ontrole für
las oben mitgetheilte Ergebniss.
Zeitschr. f. Hygiene. LI. 13
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194
Hermann Pfeiffer:
Meerschweinchenserum Taubenerythrocyten
Bemerkungen
1-0
0*5
0-25 „
0-13 „
0-06 „
0-03 „
Spur
negativ
Taube erhält 5““ Meer¬
schweinchenserum subeutan.
Reactionslose Resorption.
Ich habe es auch nicht unversucht gelassen, durch elective Bindung
der verschiedenen hämolytischen Partialamboceptoren die Multiplicität der
nekrotisirenden Wirkung für die verschiedenen Thierspecies nachzuweisen.
Ich musste aber diese Versuche aus Mangel an dem so kostspieligen Thier-
materiale früher abbrechen, bevor ich mir bindende Schlüsse zu ziehen
gestatten durfte.
Was die zweite der oben aufgestellten Forderungen anlangt, — die
nekrotisirende Wirkung eines hämolytischen Immunserums gegen eine
Thierart, auf deren Erythrocyten und Subcutis das betreffende Normal¬
serum nicht zu wirken vermag — so konnte ich sie in folgender Weise
erfüllen:
A. Normales Meerschweinchenserum ist für die Taube weder von nekroii-
sirender noch von deutlich ausgesprochener hämolytischer Wirkung. Immu-
nisirt man aber ein Thier mit den gewaschenen Erythrocyten der Taube,
so gewinnt sein Serum zugleich mit den hämolytischen Eigenschaften auch
eine heftige nekrotisirende Wirkung. (Vgl. Tabelle VI und VII.)
Tabelle VI.
Meerschweincheuserum normal in fallender Menge + 1 ccm 5 procentigc
Aufschwemmung gewaschener Taubenerythrocyten. Versuchsbedingungen
und Ablesung wie in Tabelle II.
1
Tabelle VII.
Meerschweinchenserum eines 4 Mal mit Taubenerythrocyten vorbehandeltcn
Thieres bei derselben Versuchsanordnung wie in Tabelle II.
raubenimmunserum Taubenerythrocyten
von Meerschweinchen J J
Bemerkungen
0-5 ccr
0-25 ,
0-13 ,
0-06 ,
0-03 ,
0 * 016 ,
complet
**
»»
fast complet
**
deutlich
Taube erhält 5 ccm dieses hämo¬
lytischen Immunserums. Am One
der Injection entwickelt sieh ein
derbes Infiltrat und Nekrose.
!
B. Dasselbe Versuchsparadigma konnte ich mit demselben Erfolge für
die Combination Meerschweinchenserum-, Kaninchen-Erythrocyten und -Sub-
cutis und Kaninchenimmunserum vom Meerschweinchen-, Kaninchen-Erytbro-
cvten und -Subcutis durchführen.
Gck igle
Original fro-m
UMIVERSITY OF CALIFORNIA
Über die nekrotisirende Wirkung normaler Seren.
195
5 ccm des normalen Meerschweinchengerums, welches nur in sehr ge¬
ringem Grade lösende Eigenschaften für Kaninchenerythrocyten besitzt,
wurden vom Kaninchen reactionslos vertragen. Dieselbe Menge eines hämo¬
lytischen Immunserums gegen das Kaninchen vom Meerschweinchen erzeugte
am Injectionsorte eine mächtige Nekrose.
Dass endlich ein, gegen die nekrotisirende “Wirkung eines bestimmten
Serums schützendes Immunserum auch die Erythrocyten jener Thierart
vor Hämolyse zu bewahren vermag, dass also nach allem Vorhergehenden
das Wesentliche dieser Schutzwirkung in einer immunisatorisch ausgelösten
Antihämolysinwirkung beruht, konnte ich unter anderem durch folgenden
Versuch erhärten.
Es wird zu I0 ccm frischen Rinderserums zugesetzt:
a) I0 ecm normalen Meerschweinchenserums.
b) Dieselbe Menge Serum von einem Meerschweinchen, welches 4 Mal
mit gewaschenen Erythrocyten des Rindes intraperitoneal vorbehandelt
worden war.
c) Dieselbe Menge einer 0 • 85 procent. Kochsalzlösung.
Diese Serummischungen werden duroh 3 Stunden bei Zimmertemperatur
stehen gelassen und dann in der nachfolgenden Weise auf ihre hämolytischen
und nekrotisirenden Eigenschaften an Meerschweinchenmaterial geprüft:
Tabelle VIII.
Serumgemisch a = Rinderserum + normalesMeerschw.-Ser.ääpart.aequ.
„ b = „ + Rinderimmunserum von
Meerschweinchen „ „
,, c= „ +0-85proc. Kochsalzlösg. „ „
Serum in fallenden Mengen + je 1 ccm 5 procent. gewaschene Erythrocyten
vom Meerschweinchen. Versuchsbedingungen und Ablesung wie in Tab. II.
Seru la¬
teinisch a
1 Hämolyse der Q j Hämolyse der
Meerschw.- ., , \ | Meerschw.-
, Erythrocyten %" 1801 i Erytlirocyten
Hämolyse der
ÄTT, Meerschw.-
^cnnsch t Erytlirocyten
1-0
complet
1-0 —
1*0 complet
0-5
99
0-5 . ,
0-5
0 »25
! »
0-35 —
0-25
0-13
fast complet
0-13 —
0*13 fast complet
0-06
i deutlich
0-06 —
0*08 deutlich
0-03
! —
0-03 —
0*03 —
Jeerscbw. a. Erhält 10 ccm
vom Serumgemisch a.
Am Injeetionsort mächtige
Nekrose.
99
^• »> »f
„ b.
Reactionslcse Resorption.
99
C: m i 9
» »» ©•
Am Injeetionsort mächtige
Nekrose.
Ich
habe zu Beginn
meiner Versuche, wie
früher erwähnt, immer
lurch Seruminjectionen meine Versucbsthiere immunisirt und auch auf
13*
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196 Hebmann Pfeiffeb: Nekrotisir. Wirkung normaler Seren.
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diesem Wege zwar eindeutige, aber lange nicht so schöne Ergebnisse er¬
zielt, als ich, von der Annahme ausgehend, die nekrotisirende Wirkung
sei eine Aeusserung des Hämolysines, mit gewaschenen Erythrocytet
immunisirte. Die Ursache erscheint nun begreiflich, wenn man bedenkt,
dass bei Seruminjectionen durch Entstehung einer ganzen Reihe ver¬
schiedener Antikörper, gerade die Wirkung jenes die Hämolyse uni
Nekrose paralysirenden Antihämolysines verdeckt sein kann.
Aus der Gesammtheit der oben angeführten Versuche lassen siet
nachfolgende Schlüsse ziehen, von denen ein Theil die früher erhobenen
Befunde Uhlenhuth’s bestätigt:
1. Manche normale Seren äussern, einer anderen Thierart subeutsn
injicirt, die Fähigkeit, am Orte der Einwirkung dann nekrotisirende Eigen¬
schaften, wenn ihnen auch für die Erythrocyten jener Thierart eine häm¬
lytische Wirkung eigentümlich ist.
2. Diese Substanz ist ein Haptin im Sinne Ehrlich’s und identisch
mit dem Hämolysin normaler Seren, so zwar, dass ein bestimmtes Normal-
serum in dem Augenblicke seine nekrotisirende Wirkung für eine be¬
stimmte Thierart einbüsst, wo entweder der hämolytische AmbocepK
zerstört ist oder durch Bindung an die Erythrocyten dieser Thierart eu •
fernt wird. Es gewinnt demnach auch ein unwirksames Serum einet
Thierart nekrotisirende Eigenschaften für eine beliebige andere, wenn mai
sich auf immunisatorischem Wege ein hämolytisch wirkendes Immunsen®
darstellt.
3. Es bedeuten also die nach der Injection mancher hämolvtis-
wirkender heterologer Normalseren am Orte der Injection auftretend-
Nekrosen nichts anderes als den Effect der Wirkung des Hämolyjicf'
auf die Zellen der Cutis.
Endlich ist es mir ein Bedürfnis, an dieser Stelle Hrn. Profess
Uhlenhuth für die Liebenswürdigkeit zu danken, mit der er mir hit-
sichtlich der Litteratur und seiner unveröffentlichten Versuche V-
tkeilungen machte. 1 Desgleichen sei es mir gestattet, meinem verehre
Lehrer, Hrn. Professor Kratter, für das grosse Interesse meinen Psr-:
auszusprechen, mit dem er diese Arbeiten verfolgte.
1 Anm. bei der Correctur: Wie ich nach Abschluss dieser Arbeit br
liehen Mittheilungen dieses Autors entnehme, hat auch Uhlenhuth seiner Zeii :
Thermolabilität der in Frage kommenden Substanz bei 56 u C. beobachtet. Aach
hält es nach unabhängigen, unveröffentlichten Versuchen für höchst wahrseheitü -
dass die nekrotisirende Wirkung auf das Hämolysin zurückzuführen sein dürfte.
Gck igle
Original frn-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
[Aus dem hygienischen Institut der Universität Halle a/S.]
(Director: Geheimrath Prof. Dr. C. Fraenkel.)
Die Pneumokokken.
Vergleichende
Untersuchungen mit besonderer Berücksichtigung der Agglutination.
Von
Amy Kindborg, M.D.
Unsere fortschreitende Kenntniss der Bakterien hat es mit sich ge¬
bracht, dass manche Begriffe, unter denen man früher eine einzige
Bakterienart verstand, insofern eine Aenderung erfahren haben, als wir
jetzt an deren Stelle eine Vielheit zwar nahe mit einander verwandter
und in wesentlichen Eigenschaften übereinstimmender, unter sich jedoch
Unterschiede aufweisender Bakterien zu setzen gelernt haben. Dies gilt
ganz besonders von den Bakterien der Typhus- und Coli-Gruppe, von den
Tuberculoseeregern und von den Eiterkokken. Man ist jedoch in diesen
Bestrebungen noch weiter gegangen und hat versucht, selbst einen schein¬
bar so scharf umschriebenen und eng begrenzten Begriff, wie den des
Frankel- W eichsei bau m’schen Pneumococcus in eine Reihe von Unter¬
arten aufzulösen. Es ist dies eine zweite und gewissermaassen rückläufige
Phase in der Entwickelung der Lehre vom Pneumococcus, denn ursprüug-
ich war man zu der Aufstellung dieses Begriffs dadurch gelangt, dass
nan die im Speichel normaler Personen und im Bronchialsecret Pneu-
noniekranker vorkommenden Diplokokken, auf Grund der Erkenntniss
hrer gemeinsamen Eigenschaft, bei Versuchstieren Septicämie zu erregen,
u einer Art vereinigt hatte.
Der Erste, der diese beiden miteinander verglich, war A. Frankel 1 ;
1 A. Franke], Verhandlungen des III. CoDgresses für innere Medicin. 1884.
'eitsck) ift für kl in. Medicin. 1886. Bd. X.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
198
Amy Kindborg:
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vor ihm hatten schon Friedländer 1 2 und auch andere Forscher eines
kokkenähnlichen Mikroorganismus aus pneumonischem Sputum beschrieben,
von welchem jetzt noch eine Bakterienart unter dem Namen des Pneum
bacillus Friedländer als Erreger mancher Pneumoniefalle anerkannt wir:,
mit dem eigentlichen Pneumococcus jedoch nichts zu thun hat.
Die grundlegenden Untersuchungen über die Erreger der mensch¬
lichen Pneumonie stammen aus dem Jahre 1886 von A. Weichselbaum ! .
der ausser dem eben erwähnten Friedländ er’schen Organismus, haupt¬
sächlich den Fränkel’schen Diplococcus in entsprechenden Krankheit-
fällen gefunden hat; daneben fand er auch Streptokokken, von denen e
nach unserer jetzigen Kenutniss dahingestellt bleiben mag, ob es sich am
wirkliche Streptokokken (in Fällen von septischer Pneumonie) oder nich'
etwa um streptokokkenähnliche Varietäten der Pneumokokken gehandelt
hat. — Schon im folgenden Jahre wurde die Weichselbaum’sche Ent¬
deckung des Diplococcus Pneumoniae von Gamalela 3 und Anderen be¬
stätigt. Um die Erforschung der septicämieeregenden .Mikroorganismei
des Speichels hat sich besonders Sternberg 4 * , ferner auch Biondi 8 * be¬
müht, welch’ Letzterer einen solchen unter dem Namen Bacillus Salivariu?
Septicus im Jahre 1887 beschreibt und auch schon der Ansicht huldigt,
dass derselbe mit den von Fränkel und Weichselbaum gefundene
Pneumonieerregern identisch sei. Von dem Vorkommen streptokokken¬
ähnlicher Varietäten des Pneumococcus sprechen bereits einige Jab
nach dessen Entdeckung Banti 6 , der vier Arten hauptsächlich nach d-rt
Kettenbildung unterscheidet, und vor Allem Kruse und Pansini 7 , die mit
einem sehr grossen Material von Pneumoniestämmen gearbeitet haben. Aud
Foä 8 , der nach anderen Gesichtspunkten mehrere Varietäten des Pneum-
coccus unterscheidet, bezeichnet eine dieser Varietäten als Streptococci
lanceolatus. Artenunterschiede machen ausserdem Ey re undWashbourn
und zwar nach der Virulenz und der Widerstandsfähigkeit derb-
treffenden Stämme. Levy und Steinmetz 10 beschreiben auch mehr*
1 Friedländer, Virchow’s Archiv. Bd. LXXXVII. — Fortschritte der Sie
Bd. I. Nr. 22. S 287.
2 A. Weichselbaum, Meiicin. Jahrbücher. Wien 1886. — Monatsschrift 0"
Ohrenheilkunde. 1888. Nr. 8 u. 9. — Centralblatt für Bakteriologie. 1883. Bd.'
5 Gamalela, Annales de VInstitut Pasteur. T. II. p. 440.
4 Sternberfg, Bef. in Centralblatt für k/in. Medicin. 1885.
8 Biondi. Diese Zeitschrift. 1887. Bd. II. S. 199.
8 Banti, Archiria di anatom. norm, e pathol. Firense 1890.
1 Kruse und I’ansini, Diese Zeitschrift. 1892. Bd. XI. S. 279.
8 Foä, Ebenda. 1893. Bd. XV. S. 3fi9.
• Eyre and Wasbbourn, Lancet. Vol. I. p. 19.
10 Levy und Steinmetz, Archiv für experim. Pathologie. Bd. XXXVII. 8.J-
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Original fram
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Die Pneumokokken.
199
Abarten, meinen aber, dass diese in einander übergeführt werden können,
und in ähnlichem Sinne äussert sich Stoltz. 1 — Als dann mit der Ent¬
deckung des Agglutinationsphänomens durch Gruber und Widal
eine neue Untersuchungsmethode in die Bakteriologie eingeführt wurde,
bat dieselbe auch auf den Pneumococcus Anwendung gefunden. Dabei
stellte es sich dann heraus, dass bei Fällen von menschlicher Pneumonie
die agglutinirende Wirkung des von dem Kranken gewonnenen
Serums sich gegenüber den von demselben Falle isolirten
Pneumokokken deutlicher zeigte als gegenüber Anderen (Gar-
gano und Fattori*), und dass es sogar Fälle gab, in denen eine Ag¬
glutination überhaupt nur mit demselben Stamme zu erreichen war.
Bezan^on und Griffon 3 , die die letztere Erscheinung beobachtet haben,
sahen sich daher zu der Vermuthung veranlasst, dass man sich möglicher
Weise des Agglutinationsverfahrens zur Unterscheidung verschiedener
Rassen des Pneumokokkus bedienen könne. Anderweitige Aeusserungen
über die Benutzung der Agglutinationsmethode zur Unterscheidung ver¬
schiedener Pneumococceuarten habe ich in der mir zugänglichen Litteratur
nicht finden können. Dagegen haben Eyre und Washbourn 4 festgestellt,
dass sich auch die immunisirenden Eigenschaften des Serums nicht
gleichmässig gegen alle Pneumokokkenstämme richteten, und sind daher
der Meinung, dass ein specifisches Immunserum ein Mittel sei, um
mehrere Bassen des typischen Pneumococcus unterscheiden zu lassen.
In ähnlichem Sinne äussert sich Foä, welcher die verschiedenen und
einander widersprechenden Ergebnisse der Autoren bei Immunisierungs¬
versuchen mit Pneumokokken darauf bezieht, dass die Untersucher ver¬
schiedene Varietäten dieses Mikroorganismus vor sich hatten. Diese
Schlussfolgerungen sind indessen, wie man sieht, bisher immer nur aus
vereinzelten und zufälligen Befunden gezogen worden, während systema¬
tische Untersuchungen darüber bislang noch nicht Vorlagen, so dass
Weichsel bäum in seinem Aufsatz über den Pneumococcus im Hand¬
buch von Kolle-Wassermann eine weitere Bearbeitung dieser Gebiete
iu dem gedachten Sinne als wünschenswerth hinstellt.
Ich bin daher gern einer Aufforderung Herrn Prof. Fränkel’s ge¬
folgt, solche Untersuchungen an einem grösseren Material von eigens zu
diesem Zwecke isolirten Pneumokokkenstämmen vorzunehmen, nicht ohne
dieses Material zugleich auch noch von anderen Gesichtspunkten aus zu
bearbeiten.
1 Stoltz, Centralblatt für Bakteriologie. Abth. I. IM. XXIV. 8. 387.
* Gargano e Fattori, Rivista critira di clinica medica. 1903. Nr. 12 —15.
* Bezan9on et Griffon, Soc. de Biol. Juin 5. — Semaine mtd. p.217.
4 Evre and Washbourn, Brit. med. Joum. Vol. II. p. 124.
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200
Amy Kindborg:
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Bei meinen Untersuchungen giug ich in der Weise vor, dass ich mn
eine grössere Anzahl von Pneumokokkenstämmen aus verschiedenen Quellen
(normalem Speichel, pneumonischem Sputum, Empyem u. s. w.) isolirte
und diese zunächst in ihrem morphologischen und culturellen Verhalten,
später in ihren Beziehungen zum Serum mit einander verglich. Dabei sei
des besseren Verständnisses wegen von vornherein bemerkt, dass ich unter
der Bezeichnung „Stamm“ stets die Fortzüchtung eines einzelnen uni
genau in seinen Eigenschaften bestimmten Pneumococcus, unter
„Art“ oder „Rasse“ eine Mehrzahl verschiedener in gewissen maass*
gebenden Eigenschaften übereinstimmender Bakterien der genannten
Typen verstehe. Dass die einzelnen von mir isolirten Stämme während
der ganzen Dauer der Untersuchungen streng aus einander gehalten werden,
bedarf eigentlich nicht der ausdrücklichen Erwähnung.
Solcher Stämme wurden im Ganzen 24 isoliert und zwar:
Speichelkokkeu
5 Stämme.
Otitis media-Eiter
2 Stämme.
Meningitis
2 Stämme.
Pneumonisches Sputum
7 Stämme.
I Empyemeiter
2 Stämme.
Abscess aus dem Gehirn
I 1 Stamm.
Tuberculöses Sputum
enthaltd. Pneumokokken
4 Stämme.
Panophthalmitis
1 Stamm.
Bevor wir auf die Besprechung dieser Stämme eingehen, mögen eret
einige Worte über die '
Methodik ihrer Gewinnung und Erhaltung
gesagt sein.
Als der beste Weg zur Cultivirung eines Pneumococcus aus irgend
einem Material, in dem man sich von seiner Anwesenheit durch Ausstrich¬
präparat überzeugt hat, ist die directe intraperitoneale Impfung von Mäusen,
welche von allen Versuchsthieren am meisten für diesen Mikroorganismu-
empfänglich sind — falls derselbe nicht seine Virulenz völlig eingebüss*
hat, was bei Material aus Empyem oder alten Abscessen zuweilen vor¬
kommt — und nach der Impfung in 10 bis 24 Stunden zu Grunde gehe;
Die zu diesem Zweck nöthige Menge des Materials beträgt bei Sputum
höchstens l j t ccm . Man findet dann, falls man ein noch zahlreiche ander-
Bakterien enthaltendes Material, wie z. B. Sputum eingespritzt hat. fl" :
blutig-eitrige Masse in der Bauchhöhle, die verschiedene Bakterienarw
enthält, wohingegen im Herzblut der mit eingebrachte Pneumococcus sh>
in Reincultur vorfindet. Man bedient sich also am besten des Herzblut*-
Gck igle
|
UNIVERSITY OF CALIFORNIA^
Die Pneumokokken.
201
sofort nach Eröffnung des Thieres unter sorgfältiger Vermeidung der
Bauchhöhle zur Anlegung von Culturen, von denen man selbst dann
positiven Ausfall erwarten darf, wenn es bei mikroskopischer Durchsicht
des Herzblutes nicht gelingt, Pneumokokken aufzufinden. War die intra-
peritoneale Impfung mit einer Reincultur des Pneumococcus erfolgt, was
zu einer nicht-eitrigen, sondern meistens blutig-serösen Ausschwitzung in
der Bauchhöhle führt, so ist auch diese Flüssigkeit und ebenso der
-Milzsaft zur Anlegung von Culturen geeignet.
Weniger vortheilhaft als die im Vorstehenden aus einander gesetzte
Methode, jedoch bei einiger Uebung ebenfalls ausführbar, ist die directe
Isolierung der Pneumokokken aus dem zu untersuchenden Material. Die¬
selbe erfolgt entweder in der üblichen Weise auf Platten, wobei man es
jedoch nicht mit drei Platten, wie es sonst wohl angängig ist, bewenden
lassen darf, sondern besser vier oder fünf solche anlegt, um die Pneumo-
kokkencolonieen ganz gesondert zu erhalten und vor der Ueberwucherung
durch andere Bakterienarten, der sie sehr leicht ausgesetzt sind, zu
schützen. Noch einfacher ist es, sich hierzu der Methode des auf einander
folgenden Ausstrichs auf 4 bis 5 Röhrchen mit geeignetem Nährboden zu be¬
dienen. Ueber die in Betracht kommenden Nährmedien, sowie über das Aus¬
sehen der Culturen siehe den diesen Dingen besonders gewidmeten Abschnitt,
ln den meisten Fällen wurde von mir sowohl die Methode der Isolierung
des Pneumococcus mit diesem Verfahren als die seiner Gewinnung mittels
des Thierversuches angewandt, worauf ich mich jedes Mal von der Identität
der beiden so gewonnenen Pneumokokken überzeugte. Die Isolierung des
Pneumococcus unter Ausschluss des Thierkörpers hat indessen den ausser¬
ordentlichen Nachtheil, dass hierbei das betreffende Bacterium meist
seine Virulenz vollständig einbüsst und damit für die weiteren
Untersuchungen verloren ist. Denn bekanntlich ist der Pneumococcus
ein Organismus, der sehr dazu neigt, seine Virulenz und mit dieser
auch seine Cultivirbarkeit zu verlieren. Es ist daher, um einen Pneumo¬
kokkenstamm überhaupt am Leben zu erhalten, nöthig, dass er erst durch
Thierpassage auf einen gewissen Virulenzgrad gebracht ist. Bei
meinen Arbeiten wurde jede Pneumokokkencultur, die zu weiteren Ver¬
buchen bestimmt war, zunächst einer 6 bis 7 maligen unmittelbar auf
einander folgenden Thierpassage unterzogen. Während der Dauer der Fort¬
züchtung wurde die Thierpassage regelmässig alle 4 Wochen und
ausserdem immer nach je 14 Tagen die Uebertragung auf neue Nähr¬
böden vorgenommen. Auf diese Weise gelang es, die meisten der be¬
handelten Stämme über ein Jahr lang lebend und virulent zu erhalten.
•Sämmtliche untersuchten Stämme boten in ihrer
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Amy Klndbokg:
Morphologie
das Bild des typischen Pneumococcus, wie es schon von Frankel und
Weichselbaum gezeichnet und seitdem durch zahlreiche Beobachtungen
allgemein anerkannt ist. Es handelte sich also um paarweise gelagerte
Mikroorganismen von der bekannten Lancettform (d. h. an je einem
Ende spitz zulaufend und mit den breiten Seiten einander zugekehrt), mit
deutlicher Kapselbildung im Thierkörper und positiver Färbbar¬
keit nach Gram. — Bei aller Uebereinstimmung in diesen Grund-
zügeu wiesen indessen die einzelnen Stämme mannigfache und zum
Theil ihrerseits wieder gewissen Gesetzen unterworfene Unterschiede auf.
So war namentlich für die einzelnen Stämme eine bestimmte Grösse
ihrer Individuen charakteristisch. Doch bestanden, wenn es sich um Ab¬
weichungen von der Norm handelte, diese, gleichviel welchem Material die
Culturen entstammten, eher in einer ungewöhnlichen Grösse als in einer
Kleinheit der Individuen, denn die letztere Eigenschaft war nur bei
einem einzigen unserer Stämme vorhanden, bei diesem allerdings in so
hohem Grade, dass seine mikroskopische Beobachtung zu einer äusseM
schwierigen und ermüdenden Aufgabe wurde. Dabei bestanden zwischet
der Herkunft der betreffenden Stämme und ihrer Grösse gar keine Be¬
ziehungen, dagegen bestanden solche nach einer anderen Richtung
hin, in welcher sich ebenfalls durchgreifende Unterschiede zwischen den
untersuchten Stämmen zeigten; damit meine ich die einzelnen Pneumo¬
kokken innewohnende Eigenschaft der Kettenbildung, und zwar war
der Zusammenhang zwischen dieser Eigenschaft und der Grösse dei
Individuen derart, dass es stets die grösseren Pneumokokken wareu.
welche die längsten Ketten zu bilden pflegten. Dieses Vermögen
kommt, wenn es einem Stamm überhaupt in besonderem Maasse eigeu ist,
sowohl in der Cultur wie im Thierkörper zum Ausdruck, wenn auei
in letzterem nicht in so hohem Grade als bei der künstlichen Züchtung.
Bei letzterer waren einzelne unserer Stämme (Stamm Nr. I Speichelcoccu«.
Stamm Nr. VII Tuberculosesputum-Pneumococcus, Stamm Nr. IX Pan-
Ophthalmitis, Stamm Nr. XIII Meningitis) im Stande, Ketten von ausser¬
ordentlicher Länge zu bilden, die sich in mannigfachen Windungen
durch das ganze Gesichtsfeld zogen, so dass der Gedanke nahe lag. e?
möglicher Weise mit Streptokokken zu thuu zu haben; indessen ist der
Pneumococcus von diesen Mikroorganismen, mit denen er durch die ge¬
meinsame Eigenschaft der Kettenbildung nahe verwandt erscheint, bei
hinreichend genauer Beobachtung wohl zu unterscheiden. Diese Unter¬
scheidung lässt sich am besten dadurch treffen, dass man den betreffenden
Organismus in den Thierkorper bringt. Dann zeigen sich nämlich im
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Die Pneumokokken.
203
Herzblut, wo der Pneumococcus, wie seit jeher festgestellt ist, auch nach
gleichzeitigerEinbringungzusammenmit anderen Mikroorganismen, z. B. aus
dem Sputum, in Reincultur aufzutreten pflegt, neben einzelnen typischen
Pneumokokken, ebenfalls die erwähnten, wenn auch hier bedeutend
kürzeren und niemals gewundenen Ketten, die sich überdies durch
Kapselbildung und Zusammensetzung aus einzelnen an einander ge¬
lagerten Diplokokkenpaaren als mit den Einzelformen zusammengehörig
erweisen. Die Bildung der Ketten aus einzelnen Diplokokkenpaaren lässt
sich überdies hei einiger Aufmerksamkeit selbst in den Culturen, wo die
Kapseln mit den gewöhnlichen Mitteln nicht zu beobachten sind, erkennen
und zur Unterscheidung von den aus lauter gleichmässigen Kugeln ge¬
bildeten Ketten der Streptokokken verwenden. — Diese Eigenschaft der
Kettenbildung gehört zu den unveränderlichen Eigenschaften einzelner
Stämme, denn wenn wir auch bei den meisten Pneumokokken im Condens-
wasser oder in Bouillonculturen kürzere Ketten auftreten sehen, so kommt
es doch nur hei gewissen Stämmen zur Bildung der erwähnten langen
und gewundenen Ketten, und es fehlte andererseits einem unserer
Stämme, und zwar dem schon einmal angeführten kleinsten die Eigen¬
schaft der Kettenbildung ganz. Ein Wechsel im Verhalten der Ketten¬
bildung wurde bei keinem unserer Stämme beobachtet, dasselbe war viel¬
mehr während der ganzen Dauer unserer Versuche im Thierkörper wie in
der Cultur stets das gleiche.
Von den Beziehungen derGrösse und der Kettenbildung zur Viru¬
lenz der betreffenden Stämme soll in einem späteren Capitel die Rede sein.
Ausser der bekannten Anordnung zu Diplokokken ist es besonders
Die Kapsel,
welche dem Pneumococcus das charakteristische Aussehen verleiht. Dieser
Bestandtheil kommt jedoch erst bei färberischer Behandlung der
Präparate recht zur Geltung, und zwar sind für diesen Zweck eine Reihe
von Methoden angegeben worden. Darnach bedienen sich die Einen des
Gentianaviolets, die Anderen einer Carbol-Fuchsin-Mischung, bei
verschiedener Weise der Fixiruug. Auf die erstere Art färben Albrecht
und Ghon 1 , welche in Anlehnung an die Pittfield’sche Geisselfärbungs-
methode folgende beiden Lösungen verwenden, die jedes Mal frisch vor
dem Gebrauche zubereitet und tiltrirt werden müssen:
1. Sol. alum. concentr. 1-00
„ alkoh. concentr. Gentianaviolet 10-00
2. Acid. tann. 1-00
Aqu. dest. 10*00
1 Albrecht und Ghon, Beulenpest. II. S. 604.
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I I '
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204 Amt Kindborg :
zu gleichen Theilen mischen, das Präparat damit, unter leichtem Erwärmen,
auf dem Deckglas färben und, wenn nöthig, mit Alkohol oder verdünnter
Essigsäure entfärben.
Des nämlichen Farbstoffes bedient sich auch Pane 1 * , welcher
dabei in nachstehender Weise verfährt.
Von einer frisch bereiteten alkoholischen 4 procentigen Gentianaviolet-
lösung wird ein Tropfen zu 1 ccm Wasser zugesetzt, damit einige Se-
cunden gefärbt und mit Wasser abgespült. Falls zu stark gefärbt, mit
Alkohol entfärben.
Besser als diese beiden Methoden gefiel uns unter denen, die Gen¬
tianaviolet anwenden, das Verfahren von Raebiger 1 , welcher sich zur
Fixierung des Formalins bedient. Es geschieht dies in der Weise, dass
15 bis 20 Gentianaviolet mit 100 bis 150 ccm einer 4 procentigen
Formalinlösung übergossen und nach Umrühren über Nacht stehen ge¬
lassen werden. Der Farbstoff darf dann nicht vollständig gelöst sein.
Filtriren und damit ohne vorherige Fixirung oder Erwärmung des Deckglas¬
präparats 20 Secunden färben.
Mit Carbol-Fuchsin färben Gabbi 3 nach raschem Trocknen über
der Flamme eine Minute mit 1 bis 2 Tropfen folgender Mischung:
1 grm Fuchsin 15^ m Alkohol
2 bis 5 „ Carbolsäure 100 „ Wasser
und Boni 4 , dessen Verfahren sich dadurch ausgezeichnet, dass er zum
Zweck der Fixirung den Gewebssaft, in dem die Bakterien sonst suspendirt
sind, durch eine Eiweisslösung zu ersetzen sucht. Das Weisse eines
Hühnereies wird mit 50 Glycerin und 2 Tropfen Formaliu geschüttelt
und filtrirt. Diese Lösung ist, wie wir uns überzeugt haben, mehrere
Monate haltbar. Das Präparat wird mit einem Tropfen dieser Mischung
auf dem Deckglase verrieben und unter leichtem Erwärmen, bis zu dem
Grade, dass eben weisse Dämpfe aufsteigen, vorsichtig über der Flamme
getrocknet und dann ganz kurz mit Carbol-Fuchsin gefärbt. Mit diesem
Verfahren meint Boni die Kapsel auch uachweisen zu können, wo unsere
anderenMethoden nicht ausreichen. Er will nämlich sowohl in älteren
Pneumokokkenculturen, als auch in Culturen anderer, bisher für kapsellos
gehaltener Bakterien solche Bildungen nachgewiesen haben. — Dass man
nach der genannten Methode sehr schöne Bilder von Kapseln erhält und
1 Pane, Ri forma med. Nr. 98. — Ref. CentralbL f. Bakteriologie . Bd. XXIV.
S. 289.
8 Raebiger, Zeitschrift für Fleisch - und Milchhygiene. Bd. XI. S. 68.
s Gabbi, La Riforma med . 1889. Nr. 31.
4 Boni, Ref. Centralhlatt für Bakteriologie . Bd. XXVIII. p. 705.
Go. 'gle
Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Die Pneumokokken.
205
auch iu älteren Culturen Erscheinungen sieht, die für Kapseln gehalten
werden können, sei zugegeben; doch haben wir uns des Eindrucks nicht
erwehren können, als ob gerade dieses Verfahren am leichtesten zur Ent¬
stehung von Kuustproducten Veranlassung geben könnte. Wir konnten
auch, was die Schönheit des Präparats anlangt, keiner dieser Methoden
vor der einfachen Anwendung von verdünntem Carbol-Fuchsiu (1:4
oder 1:5) oder dem Gram’schen Verfahren den Vorzug geben. Mittels
dieser beiden Methoden lassen sich die Kapseln in Gewebssäften von
Thieren, Sputum und in frisch aus dem Thierkörper augelegten Culturen
— bis zur 3. bis 4. Generation, am besten bei Verwendung vou Blut¬
agar — sehr schön zur Darstellung bringen. Ebenso wenig wie besonderer
Färbungsmethoden bedarf es unseres Erachtens besonderer Nährmedien,
wie sie gleichfalls zur besseren Sichtbarmachung der Kapsel angegeben
worden sind.
Wie bei allen Bakterienarten treten auch beim Pneumococcus in
alten Krankheitsherden die sogenannten
Involutionsformeu
auf. Solche beschreiben u. A. auch Stoltz 1 und Michaelis 2 , welch’
letzterer sie in 28 Fällen von seröser Pleuritis angetroffen hat. Vou
dem Vorkommen solcher Involutionsformen konnte ich mich ebenfalls
überzeugen, wenn ich Material aus alten Eiterherden zur Untersuchung
bekam. Die darin Vorgefundenen Pneumokokken machten dann den Ein¬
druck, als ob die Componenten der einzelnen Paare immer mehr aus
einander wichen und dabei gleichzeitig immer kleiner würden, bis
das Ganze schliesslich wie ein Bacillenleib aussah, von dem im ungefärbten
Präparat die Enden stärker lichtbrechend, bezw. im gefärbten nur
diese mit dem Farbstoff tingirt erschienen. Mit diesem Vorgang
geht zugleich ein Verlust der Kapsel Hand in Hand. Ganz ähnliche
Gebilde sah ich bei einem meiner Pneumokokkeustämme, den ich über
1 Jahr lang zu Versuchen gezüchtet hatte, vorübergehend auch in deu
Culturen auftreten. Dabei war aber die Virulenz des betreffenden Stammes
uoch erhalten und durch geeignete Erhöhung derselben mittelst besonderer,
später näher zu schildernder Thierpassagen gelang es, die Involutions¬
formen aus der Cultur verschwinden zu lassen. Hingegen wurde in
alten, sich selbst überlassenen Culturen, deren Virulenz verloren gegangen
war, zwar eine Aenderung der Conturen und granulöser Zerfall der Indi¬
viduen, aber niemals das Vorkommen bacillenähnlicher Formen
beobachtet.
1 Stoltz, Centralblatt jür Bakteriologie. Abth. I. Bd. IV. S. 937.
* Michaelis, Berliner klin. Wochenschrift. 1902. Nr. 20.
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206
Amy Kind borg:
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Das Verhalten der Pneumokokken in der :
Cultur
ist bekannt, und hierin zeigten die von uns untersuchten Stämme im All¬
gemeinen grosse Uebereinstimmung. Bei allen fand sich die aUbekannte
Wahrnehmung bestätigt, dass sie bei einer schwach alkalischenßeaction
des Nährmediums am besten gedeihen, obwohl sie sich auch noch eine
schwach saure oder stark alkalische Reaction gefallen lassen. Auch fand
ich bestätigt, dass der Pneumococcus zwar die Gegenwart von Sauerstoff
vorzieht, aber auch anaörob fortkommen kann, denn bei Anlegung
von Stichculturen in Agar oder Gelatine siebt mau auch Wachsthum in Form
einzelner Colonieen längst des Stichcanals auf treten. — Als Regel stellt?
es sich heraus, dass diejenigen Stämme, welche in der Cultur am
üppigsten wuchsen, die geringste Virulenz besassen und umge¬
kehrt, eine auch bei anderen Bakterien beobachtete Erscheinung. In
flüssigen Medien, insbesondere dem gebräuchlichsten derselben, der
Bouillon, kamen die Unterschiede der Wachsthumsenergie in dem Grade
der durch die Bakterien verursachten wolkigen Trübung zum Aus¬
druck. Auf festen Nährböden stellten sich die Unterschiede so dar, dass
die weniger virulenten Stämme compact zusammenhängende
grauweisse Beläge bildeten, während die virulenteren in Form
durchscheinender Ueberzüge wuchsen. Die Farbe derselben war
entweder ein zartes Perlgrau oder sie waren ganz wasserklar »ie
Thautropfen, mit denen man sie öfters verglichen hat. Letztere Wachs¬
thumsform zeigte sich aber immer nur vorübergehend kurz nach der .
Isolirung und ging nach 2 bis 3 Generationen in die erwähnte perl¬
graue Form über, die manchmal auch einen grünlich metallischen Schimmer
zeigte. Diese Unterschiede der Erscheinungsformen traten am deutlichsten
bei Verwendung von Agarnährböden hervor. Bei Wachsthum auf er¬
starrtem Serum trug die Eigenfarbe dieses Nährbodens dazu bei, die Unter¬
schiede zu verwischen und auf Gelatine wuchsen die Pneumokokken im
Allgemeinen spärlich, das heisst in Form von äusserst kleinen, leicht
gelblichen, weit aus einander liegenden Colonieen. Dieses spärliche Wachs¬
thum auf Gelatine rührt jedenfalls davon her, dass der Pneumococcus als
ein pathogener Mikroorganismus an eine höhere Temperatur angepasst ist.
Zwei von meinen Stämmen konnten überhaupt auf Gelatine auch bei
einer Temperatur von 27 bis 28°C. nicht zum Wachsthum gebracht
werden. Die übrigen wuchsen auch bei dieser relativ hohen Tem¬
peratur nur in der gekennzeichneten spärlichen Weise, und bei noch
niedrigeren Temperaturen (Zimmertemperatur 18° C.) waren bloss noch
Spuren von Wachsthum bemerkbar. Eine Mittelstellung nahmen drei
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UMIVERSITY OF CALIFORNIA
Die Pneumokokken.
207
Stämme ein, welche bei Zimmertemperatur gar nicht mehr wuchsen,
bei 27 bis 28° dies zwar noch thaten, aber nach bedeutend längerer
Zeit als die anderen, nämlich in 2 bis 3 Tagen. Eine Ausnahme bildete
nur der von mir in einer besonderen Abhandlung 1 2 beschriebene Pneumo-
coccus, welcher schon nach seinem Vermögen, Gelatine zu verflüssigen,
eine Sonderstellung einnahm und der auch noch bei Temperaturen
von 9° C. im Eisschrank üppiges Wachsthum zeigte. Eine Beziehung
dieser Wachsthumsverschiedenheit zur Herkunft oder zur Virulenz der
Stämme konnte nicht nachgewiesen werden. Ebenso wenig konnte eine
solche Beziehung zu der durch manche Stämme verursachten Gerinnung
der Milch, welche für alle ein gutes Nährmedium darbot, gefunden
werden. Den Pneumococcus auf Kartoffeln zu züchten, ist uns nicht
geglückt.
Aus diesen Erörterungen geht zur Genüge hervor, dass beim prak¬
tischen Arbeiten mit Pneumokokken am besten Bouillon- oder Agar-
nährböden von schwach alkalischer Reaction Verwendung finden,
und dass auch gegen erstarrtes Serum nichts einzuwenden ist. Auf durch¬
sichtigen festen Nährböden — Agar oder Gelatine — sehen die Pneumo-
kokkencolonieen bei schwacher Vergrösserung körnig aus, sind von kreis¬
runder Form und bieten ausser einem dunkleren Centrum und einer
etwas helleren Randzone keine Besonderheiten.
Im Einzelnen wurden verschiedene, theils von anderen Autoren
angegebene Nährböden geprüft, theils neue Zusammensetzungen versucht.
Nachgeprüft wurde z. B. die von Guarnieri* angegebene Agargelatiue
mit hohem Peptongehalt. Dieser Nährboden, den man auch der Brut¬
temperatur aussetzen kann, bewährte sich in unseren Versuchen insofern,
als er den Pneumokokken sehr günstige Wachsthumsbedingungen darbot,
und die Einzelcolonieen darin eine aussergewöhnliche Grösse erreichten.
Bemerkenswerth ist auch, dass auf diesen Nährböden alle Stämme, die
überhaupt Neigung zur Kettenbilduug zeigten, ganz besonders lange und
verschlungene Ketten bildeten.
Diesen Vorzügen stehen andererseits einige erhebliche Nachtheile
gegenüber, die das Arbeiten mit dem erwähntem Nährmedium zu einem
unangenehmen machen: kann man sich desselben doch nicht wie des Agars
zur Anlegung von Strichcultureu bedienen, da es bei Brüttemperatur zu
einer halbflüssigen Masse zusammensickert. Doch kann man dem Uebel-
-tand durch Anlegung von Stichculturen, in denen der Pneumococcus,
1 Centralblatt für Bakteriologie . Bd XXXII. S. 573.
2 Guarnieri, Atti delV Accad. med. di Roma . 1888. Vol. IV. Vgl. Flügge,
hie Mikroorganismen. Bd. II. S. 118.
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208 Ami Kindbokg:
wie bereits erwähnt, längs der Impfstiche wucherte, noch abhelfen. Der
grösste Nachtheil dieses Nährbodens ist aber der, dass man die Abimpfang
niemals vornehmen kann, ohne dabei grosse Theile des Substrates mit auf
die anzufertigenden Präparate, oder die einem Versuchstiere einzuspritzeude
Aufschwemmung hinein zu bekommen.
Ebenso wenig erwies sich die von Caruot und Fournier 1 * empfohlene
Benutzung vou Hirnsubstanz zur Bereitung von Agar in unseren Ver¬
suchen von Nutzen. Allerdings hatten diese Autoren mit Kaninchen-und
Menschengehirn gearbeitet, während wir das leichter erhaltbare Kalbsgehirn
benutzten, in dem Glauben, dass dies für den gewünschten Zweck keinen
Unterschied machen könne.
Ein solcher mit Gehirnsubstrat hergestellter Agar tiltrirt sehr schwer
und büsst bei der Filtration seinen Nährwerth in so hohem Maasse eiu.
dass nur noch spärliches Wachsthum darauf eintritt. Verzichtet man
andererseits auf die Klärung des Agars durch Filtration, so wird der¬
selbe gerade bei dieser Art der Herstellung besonders trübe und dadurch
unangenehm.
Eines von dem üblichen völlig abweichenden Verfahrens zur Herstellung
eines für den Pneumococcus geeigneten Nährbodens bedienten ach
Adolph Smith* und Grawitz und Steffen 3 , indem sie pneumonisch*
Sputum durch einstüudiges Erhitzen auf 65° C. zur Erstarrung brachten,
dasselbe dann fractionirt sterilisirten und darauf Culturen anlegten. Doch
machten schon die Erfinder dieser Methode darauf aufmerksam, dass sehr
mucinreiche Sputa bei Erhitzung leicht flüssig, statt hart werden. Uns
ist es überhaupt niemals geglückt, eine Verflüssigung trotz sorgfältigster
Behandlung der Sputa zu vermeiden. Wir versuchten dann, veranlasst
durch das üppige Wachsthum der Pneumokokken auf dem Guarnierrschen
Nährboden, ob dies nicht vielleicht nur dessen hohem Peptongehalt
zu verdanken sei und stellten, um den Nachtheil des halbflüssigen Nähr¬
substrats zu vermeiden, einen Agar von erhöhtem Peptongehalt her. Aul
diesem konnten wir denn auch ein reichlicheres Wachsthum beobachten
und ganz besonders dann, wenn dieses Medium noch mit Blut (Kaninchen¬
oder Menschenblut) bestrichen wurde. Ein solcher Blutzusatz erwie>
sich übrigens auch bei allen anderen Nährböden von Vortheil, nament¬
lich zeigten sich dann die Kapseln besonders schön ausgebildet. Für
gewöhnliche Zwecke genügt es indessen vollständig, wenn man sich des
1 Carnot et Fournier, Arch. de mtd. exper. et d’anat. pathol. T. XII. p.35‘*
— Ref. Baumgarten’s Jahresbericht. 1900. ßd. XVI. S. 37.
* Adolph Smith, Centralblatt für klin. Medicin. 1893. S. 625.
3 Grawitz u. Steffen, Centralblatt für Bakteriologie. 1894. Bd. XVI. S.257
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Die Pneumokokken.
209
zur Züchtung des Pneumococcus altbewährten G-lycerinagars, und
zwar von der erwähnten schwach alkalischen Reaction bedient, da
ein solcher einfach herzustellen ist und die erwähnten complicirteren Medien
nur in der Ueppigkeit der darauf gewachsenen Culturen, aber nicht
in deren Haltbarkeit und Virulenz sich überlegen zeigten. Zur Er¬
haltung der Virulenz, für die man schon alle möglichen Auskunftsmittel
angenommen hat, fanden wir ein sehr einfaches Verfahren als besonders
geeignet; wir benutzten nämlich die Coagula von steril in einem
Erlenmeyer’schen Kölbchen aufgefangenem normalem Kaninchenblut,
dessen abgesetztes Serum anderem Zwecke diente, zur Anlegung von Pneumo-
kokkenculturen und fanden, dass sich alle darauf gezüchteten Stämme
ohne weitere Umzüchtung 4 7a Monate lang lebensfähig und
vollvirulent erhielten. Der gewachsene Pilzrasen ist allerdings auf
diesem Substrat, dessen rothbraune, in’s Grünliche schimmernde Farbe er
annimmt, sehr schwer erkennbar.
Ueber das Wachsthum der Pneumokokken in flüssigem Normalserum
soll in einem besonderen Capitel, wo von den Beziehungen der Pneumo¬
kokken zum Serum überhaupt die Rede sein wird, Näheres mitgetheilt
werden.
Ueber die Virulenz
der Pneumokokken weiss man schon lange, dass sie grossen Schwankungen
unterliegt. Im Besonderen ist der Unterschied in der Virulenz zwischen
Speichel-undPneumonie-PneumokokkenschonFränkel aufgefallen,
und es bedurfte, wie Eingangs bereits erwähnt, erst eines intensiveren
Studiums, bevor man darüber zur Klarheit kam, dass der die Schleim¬
häute gesunder Individuen bewohnende Mikroorganismus und der Erreger
der Pneumonie ein und derselben Bakterienart angehörten. Späterhin
lernte man dann den Pneumococcus als einen viel weiter verbreiteten
Krankheitserreger beim Menschen kennen: man hat diese Bakterien in
Entzündungsprocessen verschiedener Art, so bei Pleuritis, Peri-
carditis, Meningitis, Gehirnabscessen, Arthritis und Otitis
media, aber auch als Erreger septicämischer Infectionen ge¬
funden. Hat man doch sogar in Fällen von croupöser Pneumonie die
'pecifischen Mikroorganismen öfter aus dem Blut der betreffenden Kranken
jezüchtet.
Wir hatten uns nun zur Aufgabe gemacht, eine Reihe verschiedener
Pneumokokken zu untersuchen, namentlich in der Absicht, uns darüber
Klarheit zu verschaffen, ob, wie Manche wissen wollen, es verschiedene
Lrten von Pneumokokken gäbe, oder in welcher Beziehung die aus ver-
•chiedenenQuellen stammenden Pneumokokken sonst zu einan der stän den.
Zeitschr. f. Hygiene. IJ.
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210 Amy Kindboeg:
Pneumokokken aus menschlicher Septicämie standen uns nicht zu
Gebote, dagegen hatten wir eine Anzahl aus typischen Pneumonie¬
fällen isolirt, ferner solche aus tuberculösem Sputum, aus Menin¬
gitis, Gehirnabscessen, Otitis media, Panophthalmitis, sowie die
leicht zu erhaltenden Speichelkokken gesunder Personen. Nach dieser
Eintheilung Hesse sich zwar im Allgemeinen der Satz aufstellen, dass die
Virulenz der Pneumokokken nach ihrem Ursprung eine verschiedene
ist, indem die Pneumoniekokken die höchste, die aus Sputum
(tuberculösem und normalem) und aus frischen entzündlichen Processen
eine mittlere, und die aus alten Eiterherden (Empyem, Gehirn¬
abscessen) gar keine Virulenz besitzen. Im Einzelnen kommen jedoch
von dieser Regel vielfache Ausnahmen vor; so fanden wir auch Pneumonie-
Pneumokokken ohne Virulenz, ebenso einen avirulenten Stamm von Menin¬
gitis, ferner konnten wir aus 2 Fällen von Otitis media je einen hoch¬
virulenten und einen avirulenten Stamm isoliren, wogegen die Speichel¬
kokken mehr eine konstante Virulenz mittleren Grades besassen. Hierzu
sei noch bemerkt, dass die Pneumokokken aus tuberculösem Sputum
besonders leicht dem Absterben bei der künstlichen Züchtigung aus¬
gesetzt schienen, so dass es überhaupt immer nur gelang, einen von etwa
4 bis 5 solchen Stämmen dauernd zur weiteren Untersuchung am
Leben zu erhalten. — Die Virulenz der Pneumokokken richtet sich natür-
Uch auch nach der Art der inficirten Versuchsthiere und dem Vorgang
der Infection. Wir wissen seit den Untersuchungen Gamalela’s 1 , dass
am empfängüchsten Mäuse und Kaninchen, weniger empfänglich Meer¬
schweinchen, Schafe und Hunde sind, während Geflügel bisher für un¬
empfänglich galt. Letzteres konnten wir jedoch nicht bestätigen, denn
es gelang uns wiederholt, mit einem unserer virulentesten Stämme eine
tödtliche Infection bei Tauben hervorzurufen. Doch sind diese Be¬
ziehungen zwischen Virulenz und Versuchsthier mitunter ganz specifisch.
da es Pneumokokkenstämme giebt, die nur für Mäuse virulent, für Kaninchen
dagegen avirulent sind und umgekehrt. Der Infectionsmodus spielt inso¬
fern eine Rolle, als, wie bei den meisten Bakterien die intravenöse En-
verleibung am wirksamsten und die intraperitoneale wieder der subcutanen
überlegen ist. Bei den meisten der von uns untersuchten Stämme wurde
die genaue Feststellung des Virulenzgrades gegenüber Mäusen als dem
am leichtesten in grösseren Mengen zu bearbeitenden Versuchsthier unter¬
nommen, wobei ausschliesslich die intraperitoneale Infection angewandt
wurde. Bei diesen Versuchen zur Virulenzbestimmung wurden durch¬
gängig 24 Stunden alte Bouillonculturen aus dem Herzblut der
1 Gamal eia, Annales de V Institut Pasteur. T. II. p. 440.
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Die Pneumokokken.
211
zuletzt getödteten Thiere benutzt; in den Fällen, wo Bouillonculturen sich
von vornherein als wirkungslos erwiesen, bedienten wir uns der Auf¬
schwemmungen von Agarculturen, um so noch grössere Bakterienmengen
ohne allzu grosse Erhöhung der zur Suspension nöthigen Flüssigkeitsmenge
einverleiben zu können. Doch sei bemerkt, dass auch eine derartige
Steigerung der ein verleibten Bakterienmenge bei Stämmen, deren Bouillon-
culturen der Virulenz ermangelten, keine Wirkung hatte. Wir konnten
solche Stämme daher mit gutem Recht als avirulent bezeichnen. Dies
waren unter 24 Stämmen im Ganzen 1 Stamm aus Pneumonie, 1 aus
Otitis media, 2 aus Empyem, 2 aus Meningitis und 1 aus Ge-
hirnabscess. Führte hingegen die Einspritzung einer jungen Bouillon-
cultur zum Tode des Versuchsthieres, so wurden unter fortwährender Ver¬
ringerung der Dosis weitere Thierpassagen vorgenommen, bis eine Grenze
erreicht war, bei der die Versuchsthiere nicht mehr starben. Traf dies
eiD, so wurde noch eine Reihe von Thieren mit der zuletzt tödtlichen
Dosis geimpft und dann nach Anlegung neuer Bouillonculturen aus diesen
Thieren die Dosis weiterhin versuchsweise herabgesetzt, um zu sehen, ob
die Virulenz der betreffenden Pneumokokken durch die letzte Thierpassage
nicht eine weitere Steigerung erhalten hätte. Es gelang uns nämlich da¬
durch, bei einer Reihe von Stämmen die Virulenz gegenüber Mäusen
erheblich zu steigern und das Verfahren wurde in der erwähnten
Weise fortgesetzt, bis von den Versuchsthieren keines mehr der Impfung
erlag. Die bei der vorangegangenen Infection noch tödtliche Dosis wurde
dann als Dosis letalis minima bezeichnet. Um mit einer constanteren
Maasseinheit zu arbeiten, bedienten wir uns auch bei Bouillonculturen
der Maassöse und schwemmten das damit entnommene Material in 1 ccm
steriler Bouillon auf. Bei der geringsten tödtlichen Dosis angelangt,
wurde die Zahl der in der Maassöse enthaltenen Bakterien durch die An¬
legung von Agarplatten und Zählung der aufgegangenen Colonieen fest¬
gesetzt. Diese nach zahlreichen Thierpassagen in der geschilderten Weise
erreichte und durch weitere Passagen nicht mehr zu steigernde, zur
Tödtung einer Maus erforderliche Menge betrug bei den Speichelkokken,
deren Virulenz eine, wie schon gesagt, ziemlich constante war, gerade
eine solche Maassöse, hingegen schwankte die tödtliche Dosis
bei den Pneumonie-Pneumokokken zwischen V 2000000 (entsprechend
5 Colonieen) und V 10000 (entsprechend 200 Colonieen derselben Oese). Nur
bei dem in jeder Beziehung eine Ausnahme bildenden, bereits erwähnten,
Gelatine verflüssigenden Pneumococcus war die Virulenz zwar
vorhanden, aber doch erheblich geringer. Die kleinste tödtliche Gabe be¬
trug nämlich 1 / 2 com Bouilloncultur.
Bei den aus entzündlichen Processen stammenden Pneumokokken,
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die, wie ebenfalls schon bei der allgemeinen Besprechung erwähnt, eine
mittlere Stellung zwischen den genannten einnahmen, schwankte die
tödtliche Menge, soweit sie nicht überhaupt a vir ule nt waren, zwischen
einer ganzen und 1 / 60 Oese.
Die bei den Pneumonie-Pneumokokken von uns gefundene noch tät¬
liche Gabe von V 2000000 Oese dürfte wohl der höchsten, bisher überhaupt
festgestellten Virulenz dieses Mikroorganismus entsprechen, denn sie findet
in der Litteratur nur in den Angaben Eyre und Washbourn’s 1 eie
Gegenstück, indem diesen Autoren zu Folge V 1000000 Oese eines Pneumo-
coccus auf Kaninchen noch tödtlich wirkte. Es handelte sich dabei
ebenfalls um einen Pneumonie-Pneumococcus. Ueber die Vergleichung mit
Pneumokokken aus anderen Quellen liegen keine Angaben vor.
Selbstverständlich spielt für die Beurtheilung der Virulenz auch die
Zeit, innerhalb deren die Versuchsthiere der Infection erliegen, eine Bolle.
In unseren Versuchen starben die Mäuse, wenn sie mit hoch virulenten
Stämmen geimpft waren, selbst nach den kleinsten Gaben stets innerhalb
12 bis 16 Stunden, bei Stämmen von mittlerer Virulenz bedurfte e*
24 Stunden und nur in Ausnahmefällen vergingen 2 bis3 mal 24 Stunden
bis zum Untergange der Versuchsthiere an Pneumokokkeninfectäon; der
erwähnte hochvirulente Stamm von Eyre und Washbourn tödtete in
der angegebenen kleinsten Menge die Mäuse innerhalb 4 Tagen.
Da bei den aus menschlicher Pneumonie gewonnenen Pneumokokken
von mehreren Autoren Unterschiede in der Virulenz während der einzelnen
Stadien dieser Krankheit angegeben worden 'sind, so versuchten wir, auch
dieser Frage näherzutreten. Indessen stellte sich nun dabei eine Schwierig¬
keit entgegen, deren Ueberwindung uns nicht gelungen ist. Wenn wir
nämlich, um die Virulenz der Pneumokokken bei der Entnahme derselben
unmittelbar aus dem Sputum ohne jegliche Erhöhung durch Thierpassaget;
zu bestimmen, die Isolirung des Bacteriums direct aus dem Auswurf ver¬
suchten, so hatte, bevor uns dies, mittels Ausstrich- oder Plattencultur.
gelang, die Virulenz des Bacteriums bereits derartig abgenommen, dass
wenn die Reincultur erhalten war, die Versuchsthiere daran nicht mehr
zu Grunde gingen, was wohl bei den Thieren der Fall war, die mit
demselben Sputum geimpft waren, aus dem die Reincultur stammte. Ds
wir dieses Verfahren in 17 Fällen mit dem gleichen negativen Resultate 1
versuchten, mussten wir auf eine derartige Vergleichung der Virulenz io j
den verschiedenen Stadien der Pneumonie verzichten. — Da nun in !
der Bakteriologie kein einziges Beispiel dafür bekannt ist, dass ein •
virulenter Organismus diese Eigenschaft bei einer künstlichen Züchtuni: ;
1 Eyre and Washbourn, Journ . of Path. and Bact Yol. V. p. 13.
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Die Pneumokokken.
von nur 3 bis 5 tägiger Dauer verliert und der Pneumococcus sonst,
wenn er auch nur einmal durch den Thierkörper gegangen ist, seine
Virulenz viel länger in den Culturen zu bewahren pflegt, so müssen wir
auf Grund unserer Versuche annehmen, dass der Pneumococcus im
menschlichen Sputum eine hohe Virulenz von vornherein nicht
besitzt und er erst beim Durchgang durch den Thierkörper aus
dem Auswurf zu einem Organismus von den bekannten pathogenen Eigen¬
schaften wird.
In diesen Ausführungen haben wir bereits die Frage der Erhaltung
der Virulenz des Pneumococcus gestreift. Auch diese Frage haben wir
zum Gegenstand eingehender Untersuchungen gemacht, deren Ergebnisse
wir im Folgenden mittheilen. Es ist bekannt, dass der Pneumococcus ein
Mikroorganismus ist, dessen Virulenz in der Cultur sehr rasch abnimmt.
Doch liegen in der Litteratur einige Angaben von Autoren vor, denen es
geglückt ist, Pneumokokken längere Zeit ohne Vornahme von Thierpassagen,
ja sogar ohne Uebertragung auf neue Nährmedien virulent zu erhalten.
So gelang es Foä 1 60 Tage lang, indem er das Blut pneumokokken-
inficirter Thiere nach 24 ständigem Aufenthalt bei Brüttemperatur im
Dunkeln und in der Kälte aufbewahrte. Zu ungefähr demselben Resultate
(67 Tage) will Sclavo 2 durch Aufheben der Milz inficirter Thiere in
Glycerin gekommen sein, und die Erhaltung der Virulenz für etwas
kürzere Dauer (50 Tage) erreichte er durch Anlegen von Culturen in
frischen Hühnereiern. Andere Autoren haben ähnliche Resultate mit noch
anderen Methoden erlangt. Wir haben von deren Nachprüfung abgesehen
und vielmehr darauf Werth gelegt, die Haltbarkeit der Culturen auf den
üblichen Medien zu bestimmen, und sind in der Lage, darüber folgende
Angaben machen zu können.
Am geringsten ist die Haltbarkeit von Bouillonculturen; die¬
selben sterben nach 2 bis 3 Wochen völlig ab. Agarculturen halten
sich länger, nämlich 1 bis 1 1 / i Monat, und Culturen auf Glycerin¬
agar sogar 2 bis 2 1 / a Monate und ungefähr ebenso lange Culturen auf
Blutagar oder erstarrtem Serum.
Diese Resultate entsprechen also ungefähr denen der italienischen
Forscher, oder übertreffen diese sogar. Jedenfalls geht aus unseren Ver¬
suchen zur Genüge hervor, dass es zur Erhaltung der Virulenz und der
Lebensfähigkeit des Pneumococcus für die angegebene Zeit besonderer
Methoden nicht bedarf, die üblichen Nährböden vielmehr genügen.
Richtig ist allerdings, dass Blut ganz besonders für die Erhaltung des
1 Foä, Diese Zeitschrift. 1893. Bd. XV. S. 369.
* Sclavo, Annales de l'lnsiitut Pasteur. 1893. T. VII. p. 221.
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Aaiv Kindbohg:
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Pueumococcus und seiner Virulenz günstig ist. Es gelang uns nämlich, wie
schon erwähnt, auf den Coagulis von steril entnommenem, normalen Kanin¬
chenblut, dessen Serum anderen Zwecken gedient hatte, eine grössere Anzahl
unserer Pneumokokkenstämme über 4 Monate voll virulent zu erhalten.
Es ist dies eine relativ sehr lauge Zeit für die Aufbewahrung von Pneumo¬
kokken ohne Umzüchtung, wenngleich sich in der Litteratur 2 Angaben
finden, denen zu Folge die Erhaltung der Pneumokokken ohne Umzüch¬
tung über ein Jahr lang geglückt ist. Die eine dieser Angaben stammt
von G. Bernabeo 1 , die andere von Bezan^ou und Griffon 2 3 , die
ebenfalls Blut, aber im defibrinirten Zustande und in Verdünnung mit
Ascitesserum anwandten.
Unsere obigen Angaben sind noch dahin zu ergänzen, dass natürlich
die Lebensfähigkeit der Culturen bei den einzelnen Stämmen verschieden
ist, und zwar lässt sich die allgemeine Kegel aufstellen, dass je virulenter
ein Pneumokokkenstamm ist, desto besser und länger sich auch
seine Cultur hält, was auch Weichselbaum mit Recht in seinem
Referat über die Pneumokokken im Handbuch von Kolle-Wassermann
hervorhebt. Dem Absterben der Culturen pflegt ein Verlust der Virulenz
voranzugehen, nach welchem immer noch eine Weiterzüehtuug von 3 bis
5 Generationen möglich ist.
Nach diesen Angaben über die Virulenz der Pneumokokken und ihre
Erhaltung müssen wir bei der Besprechung der
Pathologischen Veränderungen
verweilen, welche der genannte Mikroorganismus im Körper geeigneter
Versuchstiere hervorruft.
Alle bisherigen Untersucher stimmen darin überein, dass die am
meisten empfänglichen Thiere — Kaninchen und Mäuse — gleichviel in
welcher Weise inficirt, an einer allgemeinen Septicämie zu Grunde
gehen und man bei der Section den Krankheitserreger im Herzblute
und in der Milz am reichlichsten findet. In Bezug auf Einzelheiten des
Sectionsbefundes lauten indessen die Angaben der Autoren verschieden,
namentlich über die Beschaffenheit der Milz, welche bald als weich
und hyperämisch, bald als fibrös und hart beschrieben wird. Foä 5
unterscheidet darnach sogar verschiedene Rassen des Pneumococcus, während
Banti 4 der Züchtungsweise des Pneumococcus, ob aörob oder anaörob.
die Verschiedenheit der pathogenen Wirkung zuschreibt.
1 Bernabeo, Riforma medica. Vol. XII. Nr. 21.
3 Bezan^on et Griffon, Annales de l'Institut Pasteur. T. XIV. p. 449.
3 Foä, Diese Zeitschrift. 1893. Bd. XV. S. 369.
4 Banti, Arch. di anat. norm, e palhol. 1890. Vol. V. p. 62.
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Die Pneumokokken.
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Im Gegensatz zu diesen Autoren habe ich in meinen zahlreichen Ver¬
suchen niemals eine harte und fibröse Beschaffenheit der Milz,
sondern immer nur ein weiches, blutreiches, wenig vergrössertes
Organ gefunden. Im Uebrigen bot die Bauchhöhle nach intraperitonealer
Infection das Bild einer ausgedehnten Peritonitis von sero-sanguinolentem
(bei Mischinfection mittelst Sputums auch wohl eitrig-sanguinolentem)
Charakter. Von den Bauchorganen zeichnen sich ausser der Milz noch
die Nieren durch Hyperämie aus. Der Tod der Thiere erfolgte bei
jeder Art der Infection unter dem Bilde einer Septicämie mit besonders
reichlichem Pneumokokkenbefunde im Herzblut und in der Milz. Bei
Kaninchen, weniger bei Mäusen, fand ich auch nach intraperitonealer
Impfung mehrmals eine seröse Pericarditis. Bei Impfung in die Lunge
von Thieren haben andere Autoren, z. B. Banti 1 umschriebene Pneumo-
nieen und Pleuritiden beobachtet, was ich sowohl bei Kaninchen wie
hei Mäusen bestätigt fand; auch in diesem Falle erlagen aber die Thiere
einer Septicämie. Abscessbildung, wie sie gleichfalls von mehreren
Autoren nach subcutaner Impfung als Wirkung zur Allgemeininfection
nicht genügender Gaben beschrieben worden ist, habe ich in meinen Ver¬
suchen niemals augetroffen, die Thiere starben, wie gesagt, entweder an
Septicämie oder sie überlebten die Impfung ohne weitere Krankheits¬
erscheinungen; höchstens zeigte sich nach subcutaner Impfung ein leichtes
Infiltrat an der Impfstelle. Eine besondere und nur in einem Falle von
mir bei ungenügender Gabe beobachtete Erscheinung war ein aus¬
gedehntes Erysipel der Bauchhaut, welches ausheilte. Hingegen
ist es mir nicht gelungen, künstlich ein ausgesprochenes Erysipel
durch Pneumokokken zu erzeugen, wie dies Neufeld 2 , Schür¬
meyer 3 und Anderen geglückt ist; einige Male traten allerdings am
Kaninchenohr, wo die Oberfläche nach leichter Scarificatiou inficirt
wurde, Veränderungen auf, die man allenfalls als erysipelartig ansprechen
konnte.
Verhalten der Pneumokokken zum Serum.
Haben wir in den bisherigen Capiteln gewissermaassen die classischeu
Eigenschaften unseres Bacteriums besprochen, d. h. diejenigen, welche
man von jeher zum Gegenstände der Untersuchung zu machen pflegte,
und dabei — wie dies aber bei unserer Aufgabe einer möglichst voll¬
ständigen Bearbeitung des Pneumococcus nicht zu' vermeiden war —
1 Banti, Archiv, per le scienze med. Yol. XIII. Nr. 3.
* Neufeld, Diese Zeitschrift. Bd. XXXVI. S. 254.
■ Schürmeyer, Centralblatt für Bakteriologie. Bd. XXV. Nr. 5 u. 6. S. 183.
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manches schon Bekannte wiederholen müssen, so haben wir doch anderer¬
seits auch den Anforderungen der modernen Wissenschaft Rechnung ge¬
tragen, welche den Beziehungen zwischen Bakterien und Immunserum
nachzugehen und die dabei gewonnenen Ergebnisse zu diagnostischen und i
therapeutischen Zwecken nutzbar zu machen sucht. An hierauf gerichteten
Bestrebungen hat es zwar auch bei dem Studium des Pneumococcus bisher
schon nicht völlig gefehlt. Indessen ist die Zahl derer, die sich damit
beschäftigt haben, klein und die Summe der von ihnen mitgetheilten Er¬
fahrungen noch nicht bedeutend. Es rührt dies unseres Erachtens daher,
dass die meisten der betreffenden Forscher sich vielfach mit den Be¬
ziehungen des Pneumococcus zu menschlichem Serum als dem praktisch
wichtigsten beschäftigt haben, ohne dass vorher genügende Erfahrungen
an dem leichter und umfassender zu bearbeitenden Material der Labo-
ratoriumsthiere Vorlagen. Wir hielten es daher für rathsam, hier ein¬
zusetzen und zunächst das Verhalten der Pneumokokken gegenüber
dem Serum geeigneter Versuchsthiere, und zwar zunächst gegen¬
über normalem und dann auch gegen Immunserum zu prüfen.
Auf das verschiedene Verhalten des Pneumococcus gegenüber normalem
und Immunserum hat bereits Metschnikoff 1 hingewiesen, indem er
darauf aufmerksam machte, dass der Pneumococcus in Immunserum
in Form länger verschlungener Ketten, in normalem Serum hin¬
gegen stets in Gestalt von einzelnen Individuen oder höchstens
kürzeren Ketten zum Wachsthum gelangte, eine Erfahrung, welche
später von Bezanyon und Griffon 2 , sowie von Pane 3 , Huber* und
Neufeld 5 bestätigt wurde. Diese Verschiedenheit zwischen den beiden
Serumarten kommt im Verhalten des Pneumococcus, den letztgenannten
Autoren zufolge, auch schon makroskopisch zum Ausdruck, indem sich in
normalem Serum eine gleichmässige Trübung wie in Nährbouillon
bildet, im Gegensatz zum Immunserum, worin das Wachsthum in Form
zusammengeballter, am Boden des Gefässes unterhalb einer klaren
Flüssigkeitsschicht liegender Bakterienhaufen statt hat.
Wir begegnen damit auch beim Pneumococcus dem bereits bei den
verschiedenen Bakterieuarten bekannten und heutzutage in der Bakterio¬
logie eine grosse Rolle spielenden Phänomen der Agglutination.
1 Metschnikoff, Annales de VInstitut Pasteur . T. V. p. 474.
2 Bezan£on et Griffon, Ebenda . T. XIV. p. 444.
8 Pane, Ri forma med . 1897—1898. — Centralblatt f. Bakteriologie. Bd. XXI.
S. 664.
4 Huber, Centralblatt für innere Medicin. 1902. Nr. 17.
5 Neu fei d, Diese Zeitschrift . Bd. XL. S. 54.
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217
Und zwar finden wir diese Agglutination den genannten Autoren zu¬
folge sowohl bei dem in Fällen menschlicher Pneumonie von seihst ent¬
stehenden, als bei dem durch Infection geeigneter Thiere künstlich
erzeugten Immunserum. Doch liegen hier nach den bisherigen Unter¬
suchungen die Verhältnisse wesentlich anders, als wie es uns z. B. von
dem bekanntesten und ältesten Object des Agglutinationsphänomens, nämlich
r om Typhusbacillus her geläufig ist. Denn während das letztgenannte
Bacterium von jedem unverdünnten Normalserum agglutinirt zu
werden pflegt und sogar bei menschlichem Serum ein Agglutinationswerth
von 1:20 bis 1:30 noch als normal angesehen wird, fanden alle bis¬
herigen Beobachter beim Pneumococcus die Agglutinationsgrenze nicht
etwa eines normalen, sondern eines Immunserums wesentlich niedriger
liegend, d. h. bei Verdünnungsgraden, deren Wirksamkeit man beim
Typhus noch im Bereich oder wenigstens an der Grenze des Normalen
iegend anzusehen gewöhnt ist, ja manche der genannten Untersucher
ionnten sogar nur bei Anwendung unverdünnten Immunserums
Igglutinationserscheinungen auslösen.
Der höchste Werth ist bisher beim menschlichen Serum, und zwar
>ei pneumoniekranken Kindern durch Jehle 1 * * vor nicht langer Zeit
;efunden worden. Dieser Werth betrug 1:160. Erheblich geringer war
ie Agglutinationsfähigkeit der von Neufeld* untersuchten mensch-
ichen und Thiersera, von denen bereits ein im Verhältniss von 1:60
gglutinirendes als stark wirkend bezeichnet wird. Darnach kommen die
on Bezan 9 on und Griffon 8 durch Immunisirung von Kaninchen er-
altenen Werthe von 1:50, und noch geringer sind die von Pane 4 * ) au-
egebenen, der bei Eselserum ein Verhältniss von 1:30, Kuhserum
ber bei 1:25 und Kaninchenserum nur bei 1:15 agglutinirend fand,
'eber das Verhalten von menschlichem Serum liegen aus neuester Zeit
och Angaben von Gargano und Fattori* vor, welche im Gegensatz zu
en höheren Werthen Jehle’s nur eine Agglutination von 1:10 feststellen
onnten. — Rin anderes Moment, welches das Agglutinationsphänomen
jim Pneumococcus von dem uns bei dem Typhusbacillus bekannten
nterscbeidet, ist die zu seiner Auslösung nöthige Zeitdauer. Während
'.an nämlich bei diesem gewöhnt ist, mit einem schnellen Eintreten der
gglutination zu rechnen und für praktische Zwecke eine Einwirkung von
, bis 2 Stunden bei Brüttemperatur als Grenze des Versuches an-
1 Jehle, Wiener lclin. Wochenschrift. 1903. Nr. 32.
* Neufeld, Diese Zeitschrift. Bd. XL. S. 54.
» Bezamjon et Griffon, Socilte d. Biol. Juin. 5. — Sem. mtd. p. 217.
4 Pane, Centralblatt für Bakteriologie. Bd. XXI. S. 604.
* Gargano © Fattori, Rivista critica di clinica med. 1903. Nr. 12 15.
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zunehmeu pflegt, haben es die bisherigen Untersucher für nöthig gefunden,
das Wachsthum des Pneumococcus in dem betreffenden Serum, d. h.
einen Zeitraum von 15 bis 24 Stunden abzuwarten. Bezan^on und
Griffon 1 sagen in einer ihrer Arbeiten ausdrücklich, dass die bei Typhus
übliche Widalsche Technik beim Pneumococcus nicht anwendbar sei.
sondern in der eben angegebenen Weise verfahren werden müsse.
Mit Rücksicht auf diese Angaben haben wir uns zunächst derselben
Versuchsauwendung bedient und den Pneumococcus in normalem und
Immunserum sich selbst überlassen. Dabei stellte sich denn zunächst
heraus, dass, wie von genannten Forschern richtig beobachtet worden war
die Pneumokokken im Allgemeinen im unverdünnten Immunserum
agglutinirt wurden, während sie von normalem Serum nicht weite: |
beeinflusst wurden, sondern sich gleichmässig darin entwickelten.
Indessen ändern sich diese Verhältnisse sofort, wenn mau statt des
Kaninchenserums, an welchem die erwähnten Beobachtungen gemacht
worden waren, ein stärker wirkendes Serum, nämlich Hammel¬
serum anwendet. Dann kann man die Agglutination in der geschilderten
Weise auch bei normalem Serum, und zwar nicht bloss in nur un¬
verdünntem Zustande, sondern sogar noch in Verdünnungen ziemlich
hohen Grades eintreten sehen; der Unterschied zwischen normalem und
Immunserum ist also auch für den Pneumococcus kein absoluter, sondere
— wie bei Typhus — nur ein gradueller.
Der mikroskopische Befund, welchem das geschilderte makroskopisch?
Aussehen bei positiver Agglutination entspricht, war eine deutlich
vermehrte Neigung des Pneumococcus zur Kettenbildung, wie dies
schon Metschnikoff erkannt hatte, wogegen man bei gleichmässig?:
Trübung des Serums genau wie in einer Bouilloncultur nur einzeln?
Diplokokken antraf. Dieser Unterschied kam sogar bei denjenigen unsere:
Stämme zum Ausdruck, welche, wie in dem ersten Capitel erwähnt, eis
besonders ausgebildetes Kettenwachsthum von vornherein zeigten, dem
bei solchen Stämmen wurden die Ketten in agglutinirtem Zustand?
der Bakterien noch länger und verschlungener. Indessen sei zu¬
gegeben, dass sich, wie Bezan<;on und Griffon 2 behaupten, das Auf¬
treten der Agglutination mikroskopisch bei den Stämmen ohne Kettet-
bildung besser beurtheilen lässt. Man konnte dann unter dem Mikroskop
deutlich verfolgen, wie die einzelnen Diplokokken zu Ketten zu-
sammentrateu und diese Ketten sich dann kreuzweis über einander
1 Bezan 9 on et Griffon. Ref. Baumgarten’s Jahresbericht. 1900. Bd.IVL
S. 41.
s Bezan 9 on et Griffon, Annales de l’Institut Pasteur. T. XIV. p. 449.
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Original from
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Die Pnecmokokkek.
219
lagerten, bis dass aus etwa je 12 bis 15 solcher Ketten eigentüm¬
liche and charakteristische sternförmige Figuren entstanden. Beim
weiteren Fortschreiten des Agglutinationsphänomens traten dann immer
mehr Ketten hinzu, so dass schliesslich aus den eben beschriebenen Stern-
bildungen unförmige Klumpen entstanden, wie sie als Ausdruck der
Agglutination von den früheren Beobachtern, die nur dieses Endstadium
gesehen hatten, beschrieben worden sind.
Dieses Einhergehen makroskopischer und mikroskopischer Erschei¬
nungen sahen wir indessen nicht bei jedem Agglutinationsversuch,
selbst bei Verwendung unverdünnten Immunserums auftreten.
ßezan 9 on und Griffon führen diese Thatsache bereits an und Huber
spricht von einer Art unvollkommener Agglutination, welche zwar mikro¬
skopisch wahrgenommen werden konnte, makroskopisch jedoch die gleich-
massige Trübung des Serums nicht veränderte. Es sei an dieser Stelle
bereits bemerkt, dass auch wir einer solchen Erscheinung in unseren Ver¬
suchen begegneten, dieselbe aber niemals als positiven Ausfall berück¬
sichtigten, sondern als solchen nur die deutlich mikroskopisch und
makroskopisch wahrnehmbare Agglutination gelten Hessen.
Die Ursache des verschiedenen Ausfalles der Aggiutiuationsprüfung, auch
bei Verwendung unverdünnten Immunserums, findet sich in der Arbeit
von Bezan^on und Griffon bereits angedeutet. Diese beiden Forscher
bemerkten nämlich, dass mitunter menschliches Serum nur mit den
von demselben Krankheitsfalle stammenden Pneumokokken, hingegen
nicht mit den in ihrem Laboratorium vorhandenen Culturen Agglutination
-'ab. eine Erscheinung, die übrigens Gargano und Fattori in ähnlicher
Weise wahrgenommen haben. Bezan^on und Griffon wurden durch
diese Beobachtung zu der Annahme veranlasst, dass es möglicher Weise
verschiedene Varietäten des Pneumococcus geben könne, deren
f uterscheidung allein durch das Agglutinationsverfahren mög¬
lich sei. Dieser Spur sind wir nun gemäss unseren, zu Beginn der
krbeit auseinandergesetzten Absichten nachgegangen und haben eine
,unsere Anzahl von thierischen Immunseris auf entsprechend viele
Pneumokokkenstämme einwirken lassen. Eine Gruppe solcher Versuche
wurde zunächst mit dem Serum immunisirter Kaninchen angestellt. Zum
2'veck der Immunisirung bewährte sich folgende Methode: Die Thiere
erhielten 6 bis 7, durch eiustiiudiges Erhitzen auf 60° abgetüdtete und
Q Bouillon (oder steriler Kochsalzlösung) aufgeschwemmte Agarculturen —
■s war dies die höchste ohne Schaden für die Thiere anwendbare Einzel-
Mbe — in einer Sitzung in die Ohrvenen eingespritzt. Dann wurde
weh 8 bis 10 Tagen aus der Carotis steril Blut entnommen und das
* gewonnene Serum zu Versuchen benützt. Eine Lösung von Blut-
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
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220 Amy Kindbobg:
farbstoff im Serum, welche beim Absetzen zuweilen Yorkommt, störte die
Agglutinationsversuche durchaus nicht, wie andere Autoren angeben, wenn i
es auch natürlich angenehmer ist, mit einem klaren Serum zu arbeiten. (
Yon dem so gewonnenen Serum wurden Verdünnungen mit steriler Koch¬
salzlösung zunächst ää, davon 1 zu 10 hergestellt und in ihrer Wirksam- j
keit gegenüber einer Reihe von Pneumokokkenstämmen geprüft. Dabei !
stellte sich nun heraus, dass die Anzahl der beeinflussten Stämme |
bei Verdünnung ää partes geringer war, als bei Verwendung des un¬
verdünnten Serums, und bei Verdünnung von 1 zu 10 geringer als
bei ää partes, wobei jedoch ausdrücklich hervorgehoben sei, dass bei den '
Stämmen, die der Agglutination überhaupt zugänglich waren, die Deut- .
lichkeit der Erscheinung nichts zu wünschen übrig liess. Diese
Beobachtung veranlasst« uns, zu einem noch höheren Grade der Yer-
dünnung überzugehen und trotz der gegentheiligen Angabe Be-
zan^on’s und Griffon’s die Widal’sche Technik zur Anwendung zu
bringen. Dieselbe bewährte sich denn auch vollkommen, so dass meine-
Erachtens kein Grund besteht, zur Agglutination von Pneumokokken ander«
Methoden als die sonst übliche zu benutzen. Im Einzelnen gestaltete siel
die Ausführung in der Weise, dass wir unsere Proben gleich nach der
Ansetzung des Versuches und von da ab nach Aufenthalt derselben im
Brütschrank in kurzen Zwischenräumen mikroskopisch auf das Ein¬
treten der bereits ausführlich beschriebenen Agglutinationserscheinungen
controlirten. Diese pflegten sich bei Verwendung unverdünnten
Serums und bei Verdünnungen von ää partes im Verlauf einer halben
Stunde, bei Verdünnungen höheren Grades innerhalb 3 bis
4 Stunden, einzustellen, und nach noch längerer Zeit, nämlich 12 bis j
15 Stunden war dann die Reaktion auch makroskopisoh deutlich, und
nur solche Versuche, bei denen die Reaction bis zu diesem Grade verfolg:
werden konnte, Hessen wir, wie bereits erwähnt, als positive gelten.
Waren bei Verdünnung des Serums auf 1 zu 10 nur sehr wenig«
Stämme der Agglutination zugänglich befunden worden, so blieb, wenn
wir noch höhere Grade der Verdünnung anwandten, immer nur eia
einziger Stamm übrig, und zwar alle Mal derjenige, mittels dessen
die Immunisirung der betreffenden Thiere erfolgt war. Es ent¬
spricht diese Beobachtung den bereits angeführten Bezan^on’s und
Griffon’s sowie ferner Gargaro’s und Fattori’s, die bei menschHcber
Pneumonie das Serum gegenüber dem von demselben Kranken stam¬
menden Pneumococcus am wirksamsten fanden. Dieser sogenannt«
homologe Stamm erwies sich in unseren Versuchen mit thierischen
Immunseris der Agglutination regelmässig in so hohem Grade zugäng¬
lich, dass wir Verdünnungen des Serums anwenden konnten, wie sie bei
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Die Pneumokokken.
221
Agglutinationsversuchen mit Pneumokokken überhaupt noch niemals er¬
reicht worden sind. Die folgenden Tabellen, aus welchen das Er¬
gebnis unserer Agglutinationsversuche mit Eaninchenserum bis zu
einer Verdünnung von 1 bis 1000 zu ersehen ist, mögen diese Ver¬
hältnisse erläutern.
Versuchs-Serie Nr. I.
A. Kaninohenserum.
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Noch schärfer ersichtlich wurden diese so weit festgestellten Ur¬
sachen, als wir dazu' übergingen, von Thieren mit einem von Natur
stärker wirksamen Serum, nämlich von Schafen, ein Immunsenm
zu gewinnen. Zu diesem Zwecke wurden zwei kräftige und gesur,!-.
Schafe im Gewicht von etwa 70 Pfund in folgender Weise immuni?::'
Sie erhielten zuerst in’s Unterhautzellgewebe Einspritzungen von Bouillon
culturen, die durch einstündiges Erhitzen auf 60° C. abgetödtet wai-.".
später lebende Agarculturen, von kleinen Dosen ansteigend. Die Thw-
reagirten auf jede Gabe mit einer Temperatursteigerung von uugeU:
1°, die in einem Tage vorüberging. Die Einspritzungen wurden
Zwischenräumen von 14 Tagen wiederholt, so dass der Zeitraum de:
Immunisirung sich über mehrere Monate hin erstreckte. Wenn u-
Thiere 2 bis 4 Massenculturen vertragen konnten, wurde die Immun:-
sierung für abgeschlossen erachtet, und es sei noch ausdrücklich bemerk'.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Die Pneumokokken.
223
dass beide Thiere sich während der ganzen Immunisirungszeit
bei vollkommener Gesundheit befanden. Einige Tage nach vollendeter
Immunisirung erfolgte die Entnahme von Blut durch einen Troikart aus
der Vena jugularis externa. Die Versuche mit diesem Serum wurden in
derselben Weise, wie mit dem Kaninchenserum angestellt. Im Gegensatz
zu letzterem wirkte, wie bereits erwähnt, schon das normale Hammel-
serum — von denselben Thieren vor der Impfung entnommen — auf die
Pneumokokken stark agglutinirend, und zwar erwiesen sich bei einer Ver¬
dünnung ää partes und 1 zu 10 fast alle Pneumokokkenstämme der Ag¬
glutination zugänglich, während bei weiteren Verdünnungen die Zahl der
beeinflussten Stämme proportional dem Grade der Verdünnung abnahm.
Doch wurden durch das eine unserer beiden Hammelsera zwei Pneumo¬
kokkenstämme noch bis zu einer Verdünnung von 1 zu 250 angegriffen;
wir begegnen damit also einer Wirkung normalen Serums, die alle bisher
Ton Immunseris erreichten Werthe übertrifft. Durch die Immunisirung
wurde naturgemäss die ohnehin schon so hohe Agglutinationskraft dieser
Sera noch erheblich gesteigert, doch gingen mit der Steigerung auch Ver¬
änderungen der agglutinirenden Eigenschaft des Serums Hand in Hand;
es war nämlich die Agglutinationskraft des Immunserums gegenüber den
Pneumokokken im Allgemeinen unter die des normalen Serums herab¬
gesunken. Gegenüber dem zur Immunisirung verwendeten Stamme
jedoch hatte sich wiederum eine Specificität ausgebildet, welche
in der Wirksamkeit von Verdünnungen so hohen Grades zum Ausdruck
kam, wie sie bisher überhaupt nur bei hochwirksamem Typhus- und Cholera¬
serum beobachtet worden ist. Die Agglutinationsgrenze betrug nämlich
bei einem unserer Thiere 1 zu 5000 und bei dem anderen, welches eine
längere und auch höhere Immunisirung durchgemacht hatte, 1 zu 100000,
wofür die nachstehende Tabelle, aus welcher gleichzeitig auch der Rück¬
gang der allgemeinen Agglutinationskraft gegenüber der des Normalserums
zu ersehen ist, als Beleg dienen möge.
B. Hammelserum.
Normalserum.
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„ VII aus tuberculösem Sputum,
„ VIII aus Otitis media-Eiter,
„ IX aus Panophtalmitissecret.
Versuchs-Serie Nr. II.
A. Kaninohenserum.
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Die Pneumokokken.
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226
Amy Kindbobg:
Stamm A., B., C. aus tuberculösem Sputum,
„ D., E. aus normalem Speichel,
„ F., 6. aus pneumonischem Sputum.
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„ D., E. aus normalem Speichel,
„ F., G. aus pneumonischem Sputum.
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Die Pneumokokken.
227
Die Frage nach der
Immunität
gegen den Pneumococcus haben wir bereits bei der Behandlung der
Agglutination gestreift, da die Immunisirung sonst gegen den Pneumo¬
coccus empfänglicher Thiere nöthig war, um die agglutinirenden Sera zu
erhalten. Da wir aber in dem Serum auch die Träger der immunisirenden
Kräfte zu sehen gelernt haben, so ist es wohl nicht unberechtigt, wenn
wir gemäss dem im Eingang des vorigen Capitels Gesagten auch die
Lehre von der Immunität zu den der modernen Forschung angehörigen
Abschnitten rechnen, wiewohl es an Untersuchungen über die Möglichkeit
einer Immunisirung gegen den Pneumococcus überhaupt schon bei den
ältesten Forschern nicht gefehlt hat. Hat doch bereits A. Frankel 1 im
Jahre 1886 festgestellt, dass ein Thier, welches eine Pneumokokkeninfection
überstanden hat, dadurch gegen die Wirkung grösserer Dosen geschützt
ist, eine Wahrnehmung, die noch in demselben Jahre von Foä und
Bordoni-Uffreduzzi 2 bestätigt wurde. Erst später, nämlich im Jahre
1891, gelang es Emmerich und Fawitzky 3 , sodann Foä und Carbone 4 ,
mit dem Serum immunisirter Thiere andere Thiere gegen die Pneumo-
kokkeninfection zu schützen. Daraufhin hat es nicht an Versuchen ge¬
fehlt, derartiges Immunserum bei Fällen menschlicher Pneumonie anzu-
menden. Zuerst waren es G. und F. Klemperer 5 * , dann vor Allem
Washbourn® unter Verwendung von Pferde- und Pane 7 unter Ver¬
wendung von Eselserum, die behaupteten, ein für Menschen wirk¬
sames Heilserum gefunden zu haben; doch hat bis jetzt keines der
Paeumokokkensera die darauf gesetzten Hoffnungen erfüllt. Daher ist die
Zahl der Forscher, die sich eine Immunisirung gegen den Pneumococcus
:ur Aufgabe gesetzt haben, auffallend gross und entsprechend auch die
Suhl der hierfür angegebenen mehr oder minder complicirten Methoden,
fon allen diesen hat sich nur die älteste und einfachste, die schon von
!eu beiden erstgenannten Beobachtern hier angewandt wurde, Eingang
erschafft und sich bis zum heutigen Tage erhalten. Wir meinen damit
as Verfahren, den Thiereu erst durch Hitze abgetödtete oder ab-
eschwächte und erst später lebende vollvirulente Culturen in
1 A. Frankel, Zeitschrift für klin. Medicin. 1886.
* Foä e Bordoni-Uffreduzzi, Deutsche med. Wochenschrift . 1886.
* Emmerich und Fawitzky, Münchener med. Wochenschrift. 1891.
* Foä e Carbone, Gaz. med. di Torino . 1891. — Riforma med. 1891.
* G. n. F. Kl ein per er, Berliner klin. Wochenschrift. 1891.
* Washbourn, Brit. med . Journ. 1897.
7 N. Pane, Riforma medica. 1897 — 1898. — Centralhlatt für Baktei'iologie .
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
228 Amt Kindbokg:
steigender Dosis subcutan einzuspritzen. Mittelst dieser Methode,
deren sich namhafte Forscher, wie Kruse und Pansini 1 , die beiden
Klemperer*, Levy und Steinmetz 8 , Mennes 4 , Issaeff* und ins¬
besondere Washbourn bedient haben, ist es uns gelungen, die beiden
im vorigen Capitel besprochenen hochwerthigen Schafsera zu gewinnen.
Auf dieselbe Weise gelang es uns, Kaninchen so weit zu immunisiret, das?
sie die Einspritzung einer ganzen virulenten Agarcultur vertragen
konnten. Indessen hat dieses Verfahren gerade bei Kaninchen den grossen
Nachtheil, dass es sich über längere Zeiträume (bis mehrere Monate) hin
erstreckt und Jeder, der mit Kaninchen gearbeitet hat, weiss, wie leicht
diese Thiere verheerenden Seuchen ausgesetzt sind und wie schwer es ist.
immunisirte Exemplare mehrere Monate lang lebend und gesund zu er¬
halten. Daher leistete uns eine in neuerer Zeit viel geübte Methode, da
sie in kürzester Zeit die Gewinnung brauchbarer Immunsera ermöglicht,
gute Dienste. Dieselbe besteht in einer einmaligen intravenösen Ein¬
verleibung einer grösseren Menge abgetödteter Cultur. Das den
Thieren nach 8 bis 10 Tagen entnommene Serum besass die im vorigen
Capitel besprochenen und tabellarisch wiedergegebenen hohen agglutinirenden
Eigenschaften. Die Schutzwirkung dieser Sera wurde nicht untersucht
Für diese Zwecke diente uns allein das Schafserum, nachdem wir vor
der Immunisirung dieser Thiere festgestellt hatten, dass das normale
Schafserum — ebenso wie übrigens auch das normale Kaninchen¬
serum — jeder Schutzwirkung völlig entbehrte. Als empfänglich«
Versuchsthier benutzten wir für diese Untersuchungen weisse Mäuse,
weil man mit solchen Thieren am leichtesten grössere Versuchsreihen an¬
setzen kann. Und zwar umfasste eine solche jedes Mal 16 Mäuse, die
folgender Versuchsanordnuug ausgesetzt wurden:
Einverleibung von Serum.
17 Stunden 2 Stunden zu gleicher Zeit 2 Stunden nach
vor der Impfung vor der Impfung mit der Impfung der Impfung
Jede dieser Gruppen betraf 3 Stück und bei jeder wurde ein viert«
inficirtes Thier ohne Serumbehandlung als Controlthier belassen.
Die Impfung erfolgte intraperitoneal, die Einverleibung des Serums
unter die Haut.
1 Kruse und Pansini, Diese Zeitschrift. 1892. Bd. XI.
* Klemperer, Berliner klin. Wochenschrift. 1891.
3 Levy und Steinmetz, Archiv für experim. Fathol. 1896. Bd. XXXVIL
4 .Mennes, Diese Zeitschrift. 1897. Bd. XXV.
3 Issaeff, Annales de l'Institut Pasteur. 1893.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Die Pneumokokken.
229
Die Menge des Impfmaterials betrug jedes Mal 7ioo Oese einer
24stündigen Bouilloncultur, entsprechend dem 20 COO fachen der
geringsten tödtlichen Dosis (= Vjoooooo) des betreffenden Stammes.
Die beigegebene Serummenge betrug je 1 j 2 , l / l0 und V. oo ccm bei
einer der 3 Mäuse.
Das Ergebniss dieser Versuche war folgendes:
Mit Immunserum vor der Infection (gleichviel ob 17 oder
2 Stunden) behandelte Mäuse kamen stets durch.
Mit Immunserum gleichzeitig mit der Infection behandelte
Mäuse kamen meist durch.
Mit Immunserum nach der Infection behandelte Mäuse
erlagen meist.
Die unbehandelten Controlthiere erlagen stets.
Hierzu sei ausdrücklich bemerkt, dass sich das Immunserum
nur dann in der eben erwähnten Weise als wirksam erwies,
wenn die Impfung der Versuchsthiere mit demselben Pneumo¬
kokkenstamme erfolgte, mittels dessen das Immunserum er¬
zeugt worden war, und dass es jedem anderen Stamme gegen¬
über sich ebenso unwirksam wie normales Hammelserum zeigte.
Dieses Verhalten der immunisirenden Eigenschaften unseres Serums
entsprach also genau der im vorigen Capitel festgestellten Specificität der
agglutinirenden Fähigkeit, die ebenfalls immer nur gegenüber dem zur
Gewinnung des Serums verwendeten Stamme (dem sogenannten
homologen), diesem gegenüber jedoch in auffallend hoher Wirksamkeit
nachgewiesen worden war.
Durch diese Ergebnisse wird es erklärlich, weshalb sich noch keines
der durch die verschiedenen Methoden gewonnenen „Immunsera“ in der
Praxis bewährt hat. Jedoch bleibt für dieses Ziel noch ein Weg zu
beschreiten übrig, den Tavel bei der Gewinnung des Streptokokken¬
serums, wie es scheint, mit Erfolg eingeschlagen hat, nämlich die Immuni-
sirung mit möglichst vielen Stämmen, die Erzeugung eines sogenannten
polyvalenten Serums.
Einen Versuch nach dieser Richtung zu machen hatte ursprünglich
auch in unserer Absicht gelegen, indessen haben uus äussere Gründe zur
Aufgabe dieser Absicht gezwungen und es muss späteren Bearbeitern
dieser Frage überlassen bleiben, auf dem angegebenen Wege nach Erfolgen
zu suchen. 1
1 Inzwischen ist ein nach den Angaben von Roemer hergestelltes polyvalentes
Serum von der Firma Merck in Darmstadt in Handel gebracht worden.
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230 Amy Kindborg:
Anhangsweise sei hier noch einer eigenthümlichen, von Neufeld 1 zur
Immunisirung von Kaninchen angegebenen Methode gedacht, die wir eben¬
falls in den Bereich unserer Untersuchungen gezogen haben. Der ge¬
nannte Forscher giebt nämlich an, dass die normale Gallenflüssigkeit von
Kaninchen in hohem Maasse die Gabe besitzt, die Pneumokokken aufzu¬
lösen und dass die so gewonnene klare Flüssigkeit ein hervorragendes
Mittel zur Immunisirung von Thieren derselben Art darstelle. Indessen
giebt Neufeld selbst bereits zu, dass es Pneumokokkenstämme geben
könne, die diesem Auflösungsprocess nicht unterliegen.
Wir hatten mit dieser Methode gar kein Glück: von unseren Stämmen
wurde keiner durch die Galle beeinflusst, sie entwickelten sich im Gegen-
theil darin sehr üppig, so dass die Flüssigkeit trüb wurde und erwiesen
sich bei Aussaat auf Agar im Gegensatz zu den Angaben Neufeld’s als
lebensfähig.
- i
Zusatnnienfassendes Ergebnis».
Neuere Arbeiten über den Pneumococcus, über welche in der Ein¬
leitung berichtet worden ist, haben es bereits in hohem Grade wahr¬
scheinlich gemacht, dass wir in dem Fränkel-Weichselbaum’schen
Diplococcus nicht ein bestimmtes Bacterium, sondern eine Vielheit
nahe verwandter Mikroorganismen vor uns haben. Für diese Yer-
muthuug haben wir durch die schon im Beginn unserer Untersuchungen
erfolgte Auffindung eines aus menschlicher Pneumonie gezüchteten Diplf- ,
coccus, der sich durch die Gabe, Gelatine zu verflüssigen, von allen bis¬
her bekannten Pneumokokken unterschied, in seinen sonstigen Eigen¬
schaften jedoch in keiner YVeise von deren bekanntem Typus abwich. I
rascher als wir vermutheten, eine neue Stütze gefunden. Im Uebrigen
wiesen die von uns untersuchten Stämme in ihrer Morphologie, Cultui.
Pathogenität und Virulenz zwar Unterschiede auf, indessen nicht grössere,
als wir sie auch bei anderen Bakterien, die wir deswegen doch für etwas
Einheitliches ausehen müssen, zu finden gewöhnt sind. Hingegen bat
uns die systematische Untersuchung der Beziehungen zwischen Bak¬
terien und Serum mittels des Immunisirungs- uud besonders des
Aggluti na tions Verfahrens mit Sicherheit gezeigt, dass die Verhältnisse
bei den Pneumokokken genau denen bei den Streptokokken, mit
denen sie ja ohnehin als nahe verwandt zu betrachten sind, entsprechen.
Zwar sind Unterschiede der Agglutination verschiedener Stämme durch
Immunserum auch beim Typhusbacillus gefunden worden 2 , allein diese
1 Neufeld, Diese Zeitschrift. Bd. XXXIV. S. 454.
2 Laubenbeimer, Dissertation. Giessen 1903.
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Die Pneumokokken.
231
Unterschiede siud doch nur graduelle und äussern sich keineswegs im
Sinne einer specifischen Beeinflussung des zur Immunisirung verwendeten
Stammes. Daher wird es gewiss auch Niemand einfallen, den Begriff
des Typhusbacillus in eine Vielheit auflösen zu wollen, was natürlich mit
der Abtrennung des Paratyphus, auf dessen Verhältnisse hier einzugehen
sich erübrigt, nichts zu thun hat. Bei den Streptokokken — bei den
Staphylokokken passt der Vergleich nicht, weil hier die Unterschiede viel
deutlicher zu Tage liegen — hat man sich aber schon längst daran ge¬
wöhnt, diese Bakterien trotz völliger äusserlicher Uebereinstimmung für
eine Vielheit von Arten anzusehen und hat aus dieser Anschauung
durch die Gewinnung polyvalenter Sera schon längst praktische
Cousequenzen gezogen. Ausserdem ist die Richtigkeit dieser Auffassung
erst ganz neuerdings durch eine Arbeit von Fischer 1 aus dem Tavel'sehen
Institut ebenfalls mit Hülfe des Agglutinationsverfahrens endgültig be¬
wiesen worden. Ebensolche Beweiskraft dürfen wir aber auch wohl für
lie in vorstehender Arbeit veröffentlichten Agglutiuations- und Immuni-
irungs versuche in Anspruch nehmen und man wird sich daher gewöhnen
flössen, von jetzt ab nicht mehr von dem „Pneumoccocus“, sondern
on den „Pneumokokken“, ebenso wie von den „Streptokokken“ zu
prechen. Ob es freilich gelingen wird, auch in diesem Falle der ver¬
werten Anschauung praktische und für die Therapie nutzbare Consequenzen
tbzugewinnen, muss die Zukunft lehren.
Schlusssätze.
1. Die dem Typus des Fränkel-Weichselbaum’schen Pueumo-
occus entsprechenden Bakterien können morphologische Unterschiede
ufweisen. Dieselben äussern sich meist in der Richtung überwiegender
Jrösse, aber auch in ausserordentlicher Kleinheit der Individuen.
2. In den culturellen Eigenschaften herrscht zwischen den
inzelnen Stämmen grosse Uebereinstimmung. Nur ein sonst typischer
ud virulenter Stamm unterschied sich durch seine Fähigkeit, Gelatine
n verflüssigen, auffallend von allen anderen. Alle Pneumokokken
edeihen am besten bei schwach alkalischer Reaction. Für prak-
sche Zwecke ist das altbewährte Glycerinagar allen complicirten Nähr¬
öden vorzuziehen.
3. Die Virulenz der Pneumokokken uuterliegt grossen Schwankungen,
m virulentesten pflegen die Pneumonie-Pneumokokken zu sein, doch
iebt es hiervon Ausnahmen.
1 Fischer, Centralblatt für Bakteriologie. Bd. XXXVII.
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232 Amy Iündboeg: Die Pneumokokken.
j
Die höchste von uns — und bisher überhaupt — beobachtete Virulenz
betrug V 2 oooooo Oese einer 24 ständigen Bouilloncultur (entsprechend
5 Colonieen) für weisse Mäuse.
Speichelkokken besitzen eine constantere Virulenz mittleren
Grades.
Avirulent sind meist Stämme aus alten Eiterherden (Abscessen.
Empyem).
Zur Erhaltung der Virulenz ist öftere Umzüchtung und Thiei-
passage nothwendig; doch gelang es uns auf diese Weise ohne Zuhülfe-
nähme besonderer Methoden den grössten Theil unserer Stämme über ein
Jahr lang lebend und virulent zu erhalten.
4. Pathogen kann der Pneumococcus für weisse Mäuse, Kaninchen.
Meerschweinchen und im Gegensatz zu früheren Beobachtungen auch
für Tauben sein. In der Art der Pathogenität weisen die einzelnen
Stämme Unterschiede auf. Der Tod der Versuchstiere erfolgte durch
Septicämie.
5. Die Agglutination ist eine specifische für den Stamm,
mittelst dessen das agglutinirende Serum erzeugt ist. Diesgiit
sowohl für Kaninchen-, wie für das stärker wirksame Schafserum. Der
Grad der Agglutination kann ein sehr hoher sein (1:1000 bei Kaninchen-
1:100 000 bei Schafserum.)
Für die Anstellung der Agglutination eignet sich zunächst die
Widal’sche Technik. Nach 24 Stunden ist die Agglutination bei posi¬
tivem Ausfall auch makroskopisch erkennbar.
6. Es gelingt active und passive Immunisirung gegen den
Pneumococcus; doch ist auch die Immunisirung für den dazu benützten
Stamm streng specifisch.
7. Die Pneumokokken sind eine Vielheit verwandter Bakterien,
ebenso wie die Streptokokken.
I
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Statistische Unterlagen
zur Beurtheilnng der Säuglingssterblichkeit in München.
VOD
Dr. raed. Alfred Qroth.
(Htersi Taf. II.)
Die Grösse der Sterblichkeitsziffer eines Landes oder einer Stadt wird
wesentlich beeinflusst von der Höhe der Sterblichkeit der Kinder. Die
ausschlaggebende Rolle, welche der Kindersterblichkeit im engeren Sinne,
die lediglich die im 1. Lebensjahre Verstorbenen, die Säuglinge, umfasst,
gerade auch in Deutschland zukommt, macht es verständlich, dass die
Darlegung ihrer Ursachen und ihrer eigentümlichen Verhältnisse von der
Betrachtung der allgemeinen Sterblichkeit getrennt und ihr eine besondere
Stellung eingeräumt wurde. Auf Grund dieser Forschungen sind auch
vielfach Vorschläge gemacht worden, wie man der hohen Säuglingssterb¬
lichkeit in Deutschland, die mit Recht als eines Culturstaates unwürdig
bezeichnet wurde, entgegenarbeiten könne. Leider sind erst in letzter Zeit
und zwar in recht bescheidenem Maasse die Anfänge hierzu gemacht
worden, was um so verwunderlicher erscheint, als Hygiene und sociale
Fürsorge auf jedem anderen Gebiete weit früher und in grösserem Maass¬
stabe unter oft sehr erheblicher Aufwendung von Capital und Arbeit um
die Hebung der Volksgesundheit sich bemühte. Die nachfolgende Be¬
trachtung befasst sich mit der Säuglingssterblichkeit in München, das
bekanntermaassen im Laufe der letzten Jahrzehnte durch hygienische
Maassnahmen zu einer der gesündesten Städte Deutschlands geworden ist.
Diese allgemeine sanitäre Hebung Münchens ist selbstverständlich nicht
ohne Einfluss auf die Sterblichkeit der Säuglinge geblieben, und wenn
auch ein directer Zusammenhang zwischen der Abminderung der Sterb¬
lichkeitsziffer und den Maassnahmen öffentlicher Gesundheitspflege, wie sie
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234
Alfred Groth:
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Tabelle I.
Vergleichende Uebersicht der Geburten und Sterbefalle in München
1871 bis 1903.
(Mittheilungen des statist, Amtes der Stadt München 1903.1
Jahr
Mittlere
. Ein¬
wohner¬
zahl
Zahl
der
Lebend¬
geburten
insge-
sammt
1
Zahl der Sterbe¬
fälle ausschliessl.
der Todtgeburten
Auf 1000 Einwohner treffen
durchschnittlich jährlich
Auf 100
Lebend¬
geburten
treffen
Sterbefallc
im
1 . Jahre
insge-
sammt
1
davon
im
1 . Leb.-
Jahre
Lebend¬
geburten
insge-
sammt
Sterbefälle,
aus8chl. Todtgeb.
insge-
sanimt
im
1. Leb.-
Jahre
1871
167 200
6 065
6 954
2 531
36-3
41*6
15-1
41-7
1872
173 000
6 941
7 236
2 908
40-1
41-8
16-8
41-9
1873
178 800
7 684
7 799
2 997
43-0
43*6
16-8
39-0
1874
184 600
7 619
7 217
2 994
41-3
39-1
16-2
39.3
1875
190 600
8 064
6 939
3 145
42-3
36*4
16-5
39-0
1876
196 500
8616
6 830
3 173
43-8
34 >7
16-1
36-S
1877
208 800
9 315
7 307
3 482
44*6
35-0
16-7
37-4
1878
215 000 .
9168
7 709
3 501
42-7
3ö-9
16-3
38-2
1879
221 200
9 088
8 081
3 486
41-1
36-5
15*8
38-4
1880
227 400
9 007
7 887
3 323
39-6
34-7
14-6
36-9
1881
233 600
9117
7 570
3 108
39-0
32-4
13-3
34 »1
1882
240 000
9 071
7 270
2 892 1
37-8
30*3
12-1
31-9
1883
246 400
8 863
7 676
3 121
36-0
31-2
12-7
35-2
1884
252 800
9 107
7 369
2 925
36-0
29-2
11-6
32-1
1885
259 200
8 850
7 539
2 871
34-1
29-1
11.1
32-4
1886
268 000
9 255
7 847
3 073
34-5
29-3
11-5
1
33-2
1887
280 200
9 529
8 057
3 086
34-0
28-8
11-0
32-4
1888
292 800
9 992
8 236
3 244
34-1
28-1
11-1
32-5
1889
306 000
10 869
8 721
3 442
35.5
28-5
11*2
31*7
1890
331 000
11814
8 953
3 591
35*7
27-0
10-8
30.4
1891
357 000
13213
9 854
4 073
37-0
27-6
11-4
30-8
1892
372 000
13213
9717
4 019
35.5
26-1
10-8
30-4
1893
385 000
13 633
10 075
4 207
35.4
26-2
10-9
30-9
1894
393 000
13 638
9 283
3 762
34.7
23-6
9-6
27-6
1895
400 000
13 937
10 301
4 443
34-8
25-8
11-1
31-9
1896
415 000
14 668
9 422
3 759
35*3
227
9-1
25-6
1897
430 000
15 217
10 463
4 457
35.4
24-3
10-4
29-3
1898
446 000
15 696
10 789
4619
35-2
24-2
10-4
29-4
1899
466 000
16 572
10 630
4 240
35-6
22-8
9-1
25-6
1900
490 000
17 527
12317
5 272
35-8
26*1
10-8
30-1
1901
503 000
18 291
11 177
4 508
36-4
22-2
9-0
24-6
1902
509 000
17 861
10 876
4 292
35-1
21-4
8-4
24-0
1903
515 000
17 080
10 680
4 075
33-2
20-7
7.9
2S-9
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Zur Beurtheilung der Säuglingssterblichkeit in München. 235
namentlich seit Pettenkofer in vorbildlicher Weise in München durch¬
geführt wurden, nicht exakt nachgewiesen werden kann, so wird man doch
ohne Weiteres zugeben, dass Münchens Hochquellwasserversorgung, Cana-
lisirung, Abschwemmung der Fäkalien, die Errichtung von Krankenanstalten,
Sanatorien und Friedhöfen und nicht zuletzt die Beschaffung gesunder und
zweckentsprechender Wohnungen sicherlich ein grosses Verdienst an dem
langsamen aber stetigen Rückgang der Säuglingssterbeziffer beanspruchen
darf. Allgemeine hygienische Bestrebungen genügen jedoch nicht, um
eine wirkliche Besserung unserer Säuglingsverhältnisse herbeizuführen, dazu
müssen besondere Maassnahmen ergriffen werden, die sich auf eine genaue
Kenntniss aller einschlägigen Verhältnisse stützen. Da diese nach Oert-
lichkeit und Klima, nach Sitte und Gewohnheit bei mancher Ueberein-
stimmung doch auch nicht unbedeutend von einander abweichen, so werden
dementsprechend auch die Maassnahmen in den einzelnen Gemeinden sich
von einander unterscheiden müssen. Gerade in München mit seiner noch
immer sehr hohen Säuglingssterblichkeit ist bis jetzt sehr wenig geschehen,
und das mag seinen Grund vielleicht auch darin haben, dass die hier
herrschenden Verhältnisse noch keineswegs in genügender Weise klar¬
gelegt sind.
I. Allgemeiner Theil.
Es erscheint vor Allem von Interesse, auf Grund eines über mehrere
Jahre ausgedehnten Materiales darzulegen, wie sich in München die ein¬
zelnen Lebensmonate des Säuglings und die Kalendermonate des Jahres
iu ihren gegenseitigen Beziehungen verhalten. Diese Verhältnisse hat
.Schlossmann 1 an der Hand eines sehr grossen Materiales für das König¬
reich Sachsen in umfassendster Weise klargestellt und es könnte daher
überflüssig erscheinen, hier noch darauf einzugehen. Immerhin halte ich
es nicht für ganz werthlos, dieselben auch für München besonders zu be¬
leuchten, da die bayerische Hauptstadt in Folge ihrer klimatischen Ver¬
hältnisse von anderen Städten sich nicht unwesentlich unterscheidet. Da
gerade München eine relativ sehr hohe Säuglingssterblichkeit aufzuweisen
hat, so hielt ich die Betrachtung eines Zeitraumes von 5 Jahren für ge¬
nügend, zumal in den letzten Jahren wesentliche Schwankungen nicht
in Erscheinung traten.
In der Tabelle Ia sind sämmtliche während der Jahre 1899 bis 1903
verstorbene Säuglinge, im Ganzen 22388, eingetheilt nach ihrem Alter
und dem Kalendermonate, in welchem sie verstarben. Bei der Zusammen-
1 Diese Zeitschrift. Bd. XXIV.
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Zur Beurtheilung der Säuglingssterblichkeit in München. 237
Stellung des 1. Lebensmonates wurde aus später zu erörternden Gründen
unterschieden, ob das Kind an einer Krankheit, an Lebensschwäche, oder
ob es gleich nach der Geburt verstarb. Zu den letzteren wurden alle
Kinder gerechnet, die den auf die Geburt folgenden Tag nicht überlebten.
Ausserdem wurden, wie ersichtlich, der 5. und 6. Lebensmonat, sowie die
beiden letzten Vierteljahre in je eine Rubrik zusammengezogen, da sich
sonst bei der geringen Zahl der in den späteren Lebensmonaten ver¬
storbenen Säuglinge und bei dem nicht sehr ausgedehnten Materiale für
die weitere Behandlung desselben fehlerhafte Schwankungen hätten er¬
geben müssen.
In der Tabelle Ib wurde nach dem Vorgänge von Schlossmann die
Summe der im günstigsten Kalendermonate verstorbenen Säuglinge der
einzelnen Altersstufen = 100 gesetzt und danach die Zahlen der übrigen
Kalendermonate in Beziehung gebracht.
Selbstverständlich ist ein Material, das sich nur über 5 Jahre erstreckt,
nicht gross genug, um als durchaus einwandsfrei gelten zu können, jedoch
lassen sich die Grundzüge, nach welchen die Säuglingssterblichkeit in
München ihren Ablauf nimmt, deutlich erkennen.
Nach Schlossmann übt der Sommer mit seiner erhöhten Temperatur
auf alle Kinder einen gewissen perniciösen Einfluss aus, relativ sehr gering
ist diese todtbringende Beeinflussung für die Säuglinge des 1. Lebens¬
monates. Je älter das Kind wird, desto grösser wird zwar für dasselbe
die Wahrscheinlichkeit, überhaupt am Leben zu bleiben, andererseits aber,
wenn es stirbt, dem schädlichen Einfluss gerade des Sommers zu erliegen.
Das Maximum der sommerlichen Noxen macht sich gegen das
Ende des 1. und Anfang des 2. Lebenshalbjahres geltend. Später
sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ein überhaupt sterbendes Kind gerade
in den Sommermonaten erliegt, allmählich ab. Doch für das ganze
1. Lebensjahr bleibt stets der Sommer noch gefährlicher als der Winter.
(Vergl. die Taf. IIc.) So stellen sich nach Schlossmann die Verhält¬
nisse für Sachsen, speciell für Dresden dar. Betrachten wir dagegen die
Verhältnisse, wie sie sich in München ergaben, und wie sie die Taf. II d
erkennen lässt, in welcher die Curve des 1. Lebensmonates nicht auf¬
gezeichnet ist Wirersehen bei einem Vergleiche, dass in München die
Steigerung durch die Sommerwärme am bedeutendsten ist für
die Kinder des 2. Lebensmonates, dass diese Steigerung um so
geringer ausfällt, je älter das Kind wird und dass die Kinder des
letzten Vierteljahres so gut wie keine Steigerung gegenüber demjenigen
Monat, der die günstigste Sterblichkeit hat, in den Sommermonaten er¬
fahren. Wir haben also in München gerade das umgekehrte Verhältniss,
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238
Alfred Groth:
wie es Schlossmann für Sachsen im Allgemeinen und für Dresden im
Besonderen entwickelt hat.
Dieser Unterschied zwischen dem Ablauf der Sterblichkeit in München
gegenüber Dresden findet seine Erklärung in den besonderen und zwar
ungünstigen klimatischen Verhältnissen Münchens. Es ist klar, dass die
Grösse einer Steigerung abhängig ist einmal von der Grundzahl, von
welcher die Berechnung ihren Ausgang nimmt, d. h. von der Zahl der im
günstigsten Kalendermonate verstorbenen Säuglinge eines bestimmten
Lebensalters und zweitens von der im ungünstigsten Monate erreichten
Sterblichkeitsziflfer. Die Differenz zwischen beiden wird um so grösser, je
höher die letztere wird, aber auch, je niedriger die erstere wird. Auf die
Säuglinge Münchens wirkt nun ein mit den Lebensmonaten parallel an¬
steigendes, ungünstiges Moment ein und zwar nicht ein Moment, das sich
in seiner Wirkung über das ganze Kalenderjahr gleichmässig erstreckt,
wie es der Fall ist bei denjenigen Städten, in denen dem Säuglinge durch
ungünstige sociale Verhältnisse zu allen Zeiten reichlich Gelegenheit ge¬
geben ist, in Folge mangelhafter Pflege und fehlerhafter Ernährung zu
Grunde zu gehen, sondern es übt nur oder vornehmlich in denjenigen
Kalendermonaten seinen Einfluss aus, in welchen im Allgemeinen die
Säuglingssterblichkeit eine niedrige ist, erhöht also die Zahl der in den
günstigsten Monaten verstorbenen Kindern, und damit die Grundzahl, von
der eine Berechnung der Steigerungen in anderen Jahreszeiten auszugehen
hat. Dieses Moment bilden wie gesagt die ungünstigen klimatischen Ver¬
hältnisse Münchens, und zwar ist es einmal die winterliche Kälte überhaupt
und dann die häufigen und starken Temperaturschwankungen, wie sie vor¬
nehmlich in den Monaten des Ueberganges von der kalten zur warmen Jahres-
zeit durch die Lage Münchens auf der Hochebene bedingt sind. Wenn
man nämlich die Todesursachen berücksichtigt und zwar eingetheilt nach
Lebens- und Kalendermonaten, so ergiebt sich für München, dass in der
kalten-Jahreszeit, ebenso wie im Hochsommer, die Säuglinge
der ersten Monate, wenn auch in wesentlich verminderter Zahl. 1
fast ausschliesslich Magen-Darmkrankheiten zum Opfer fallen,
während die Kinder höherer Lebensmonate nur vereinzelt
solchen, meist aber Erkrankungen der Luftwege erliegen. Die
Todesfälle au den letzteren übertreffeu namentlich im letzten Lebens¬
vierteljahre und im Frühjahre um ein Mehrfaches die Sterbefälle an Ver¬
dauungsstörungen.
Dass mit den Lebensmonaten ein Ansteigen der Erkrankungen der
Luftwege stattfindet, hat sicherlich seinen Grund nicht in einer geringeren
Widerstandsfähigkeit der höheren Lebensmonate denselben gegenüber,
sondern darin, dass die besonderen klimatischen Verhältnisse auf die Kinder
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Zur Beurtheilung der Säuglingssterblichkeit in München. 239
früherer Lebensmonate weniger einzuwirken vermögen als auf die der
späteren Monate. Das wird verständlich, wenn man sich den grösseren
Schutz der ersteren vergegenwärtigt, den dieselben theils durch wärmere
Kleidung, theils dadurch, dass sie seltener der freien Luft ausgesetzt
werden, geniessen.
Dazu kommen noch als ein weiteres, wenn auch nicht so ausschlag¬
gebendes Moment die acuten Infectionskrankheiten, denen gegen¬
über ja bekanntermaassen Kinder der 1. Lebensmonate eine gewisse Wider¬
standsfähigkeit zeigen.
Gegen den Sommer zu nehmen die Erkrankungen der Luftwege und
auch die Infectionskrankheiten bedeutend ab, dagegen mehren sich, wenn
auch mit zunehmendem Alter der Kinder in allmählich sich vermindernder
Zahl, die Magen- und Darmkrankheiten, so dass schliesslich in den heissen
Monaten ein gerade umgekehrtes Verhältniss resultirt wie im Frühjahr.
Diese für München eigenthümlichen Verhältnisse werden besonders
deutlich, wenn man die auch anderwärts vorhandene, aber nicht in so
hohem Maasse zu Tage tretende Erhöhung während des Frühjahres in
Betracht zieht. Während in München auf der einen Seite die durch die
Sommerwärme bedingte Steigerung der Sterblichkeit den Lebensmonaten
entgegengesetzt abnimmt, zeigt die durch die besonderen klimatischen Ver¬
hältnisse hervorgerufeue Erhöhung im Frühjahr parallel den Lebensmonaten
des Säuglings eine steigende Zunahme, so dass für München der Satz
Geltung hat: Je älter das Kind wird, desto geringer wird die Wahr¬
scheinlichkeit für dasselbe, im Sommer zu sterben und um so grösser die
Wahrscheinlichkeit, wenn es stirbt, gerade den Schädlichkeiten des Früh¬
jahres zu erliegen.
Könnte man dagegen die ungünstigen klimatischen Verhältnisse aus¬
schalten, so würde in München ein ganz ähnlicher Ablauf der Säugliugs-
'terblichkeit wie in Dresden sich heraussteilen und zwar dadurch, dass
?twa vom dritten Lebensmonate ab mit der allmählich immer grösser
werdenden Ausschaltung der Erkrankungen der Luftwege die Grundzahl
m Winter erniedrigt wird, die Höhe der im Sommer erreichten Sterblich-
ieitsziffer gleich bleibt, mithin die Differenz zwischen beiden sich ver¬
wässert. Es ist klar, dass dadurch der Abstand zwischen den Punkten
ler höchsten und niedrigsten Sterblichkeit mit dem Steigen der Lebens-
nonate grösser werden muss.
Die Schlussfolgerungen jedoch, die Schlossmann aus der mit den
.ebensmonaten bis zum Schlüsse des ersten Lebeushalbjahres steigenden
Zunahme der Sterblichkeit im Sommer ableitet, entbehren meines Erachtens
ler Berechtigung. Er glaubt nämlich dadurch bewiesen zu haben, dass
lie gewöhnliche Anschauung, die Gefährdung durch die Sommer-
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Alfbed Gboth:
240
wärme falle von der Geburt an stufenförmig ab, unrichtig sei,
dass vielmehr die sommerlichen Temperatursteigerungen gerade
die Kinder, die mehr der Mitte des ersten Lebensjahres nahe
stehen, gefährden, die jungen Säuglinge und die älteren Kinder
aber weniger bedrohen. Als Ursache dieser Erscheinung glaubt
Schlossmann eine durch das im Sommer gesteigerte Durstgefühl be¬
dingte Vermehrung der Nahrungsaufnahme ausprechen zu sollen, die einen
Ueberschuss an nicht verdautem und darum der Zersetzung anheimfallendem
Eiweiss herbeiführen muss. Diese erhöhte Eiweisszufuhr muss gerade des
Kindern derjenigen Alterclassen gefährlich werden, denen bei Ernährung
mit Muttermilch weniger Eiweiss zugeführt wird, und das ist der Fall bei
den Säuglingen, die am Ende des ersten Lebenshalbjahres stehen, da der
Gehalt au Eiweisssubstanz in der Frauenmilch von der Geburt bis zum
fünften oder sechsten Monat nach der Entbindung abnimmt. Es wäre un¬
richtig, einen Einfluss dieses Verhaltens der Frauenmilch auf die Sterb¬
lichkeit der Kinder ganz leugnen zu wollen, doch darf derselbe sicherlich
nicht so hoch eingeschätzt werden, dass ihm eine besondere, auf keinen
Fall eine derartige ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden kann
Die scheinbare mit den Lebensmonaten bis zur Mitte des ersten
Jahres zunehmende Gefährdung durch den Sommer ist viel¬
mehr so gut wie ausschliesslich eine Folge des im Winter
steiler als im Sommer vor sich gehenden Abfalls der Sterb¬
lichkeit an Krankheiten des Magendarmcanals. Wir müssen um
nämlich vorstellen, dass die Schädlichkeiten der Nahrung, die im Winter
den Säugling treffen, zwar den jüngeren Kindern vermöge ihrer geringer
Widerstandsfähigkeit gefährlich werden können, dass aber diese Gefährdung
im Winter für die älteren Säuglinge viel weniger oder fast gar nicht in
Frage kommt. Anders dagegen im Sommer, wo die mit der Nahrung
zugeführten Schädlichkeiten viel grössere sind und demnach auch den
älteren Kindern zur Todesursache werden können, da der So mm er mit
seiner die Nahrung in viel höherem Grade zersetzenden Wirkung hier viel
leichter als im Winter die mit dem Alter gewonnene Widerstandsfähig^:
überwindet.
Zudem muss auch betont werden, dass die hier besprochene Ver-
werthung der an sich hochinteressanten Zahlen Schlossmann’s überhaupt
nicht geeignet ist, die grössere oder geringere Gefährdung der einzelnen
Lebensmonate des Säuglings zu beweisen. Dies kann nur dadurch ge¬
schehen, dass man Monat für Monat feststellt, wieviel Kinder eines be¬
stimmten Alters thatsächlich vorhanden waren und wieviele von diesen
Kindern starben. Nur wenn in Proceuten genau festgelegt werden kaut,
dass z. B. im Monat August von den Kindern, die während desselben im
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Zur Beurtheiluxg der Säuglingssterblichkeit in München. 241
fünften Lebensmonate standen, mehr starben als von denjenigen Kindern,
die im zweiten Lebensmonate standen, daun dürfte die Richtigkeit der
Behauptung von Schlossmann erwiesen sein. Nun ist gerade das Material,
welches die Säuglingssterblichkeit in München liefert, seiner besonderen
Verhältnisse wegen nicht geeignet, als Beispiel zu dienen, so dass ich
leider auf den statistischen, übrigens leicht zu erbringenden Nachweis ver¬
zichten muss. Die Zahlen jedoch, welche Schlossmann für das König¬
reich Sachsen ermittelt hat, lassen die Annahme zu, dass wenigstens in
diesem Lande die Gefährdung des kindlichen Lebens bis zum dritten
Lebensmonate steigt und dass sie von da ab und zwar Sommer wie Winter
stufenförmig fällt. Die grössere Gefährdung des dritten Lebensmonates
erklärt sich zwanglos dadurch, dass dem neugeborenen Kind einerseits
aus verschiedenen Gründen überhaupt bessere Pflege zu Theil wird, anderer¬
seits, wie Schlossmann besonders für Dresden ausgeführt hat, während
der ersten Wochen vielfach die Brust gereicht wird.
Bei diesen Betrachtungen kann nun der erste Lebeusmonat nicht
ohne Weiteres mit den späteren Monaten verglichen werden, vielmehr
muss demselben in Folge des Einflusses, den die unmittelbar voraus¬
gegangene intrauterine Entwickelung und die mit der Geburt selbst einher¬
gehende Gefährdung des kindlichen Lebens auf das Gedeihen des Säug¬
lings auszuüben vermag, eine besondere Stellung eingeräumt werden. Die
Sterblichkeit des ersten Monates setzt sich nämlich zusammen
aus drei Gruppen von Todesursachen. Um dies klarzulegen, ist
man genöthigt, ebenso wie im Vorhergehenden auf die Angaben des be¬
handelnden Arztes oder des Leichenschauers zurückzugreifen, die bekannter-
maassen keineswegs immer als einwandfrei angesehen werden dürfen. Diese
Unsicherheit derselben muss zwar gerade bei den Kindern des ersten Lebens¬
monates besonders in Rücksicht gezogen werden und wenn ich trotzdem
ihnen eine Bedeutung beimesse, so geschieht es deshalb, weil einmal in
München fast sämmtliche Todesursachen ärztlich beglaubigt sind uud zweitens
die Ausübung der Kinderheilkunde in München zum grossen Theile in
Händen specialistisch ausgebildeter Aerzte ruht.
Die erste der drei Gruppen bilden die bald nach der Geburt und
wie man aunehmen darf, zum grossen Theil wohl in Folge der Geburt,
d. h. durch den Uebergang vom intra- zum extrauterinen Leben ver¬
storbenen Kinder, worunter ich alle die Säuglinge zusammeufasste, die den
auf die Geburt folgenden Tag nicht überlebten. Die zweite Gruppe bilden
die Kinder, welche an Lebensschwäche verstürben, eine Todesursache, die
in den späteren Lebensmonaten au Bedeutung ausserordentlich zurücktritt
und darum bei diesen ganz vernachlässigt werden kann. An dritter Stelle
stehen die thatsächlichen Erkrankungen, die allein mit den Todesursachen
Zeiuchr. f. Hypene. LI.
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242
Alfbed Gboth:
der späteren Monate auf gleiche Stufe zu stellen sind. Die Betrachtung
der Sterblichkeit des ersten Lebensmonates ergiebt nun bei Unterscheidung
nach diesen drei Gruppen ein ganz anderes Resultat als es bei summarisch«
Betrachtung sich herausstellt (s. Taf. He, Ablauf der Sterblichkeit des
ersten Lebensmonates in München). Bei letzterer ergiebt sich nämlich
eine nur sehr unbedeutende Erhöhung der Sterblichkeit in der heissen
Jahreszeit, wodurch sich der erste Monat in ganz auffallender Weise von
den unmittelbar darauffolgenden unterscheidet. Diese Thatsache steht in
vollkommenen Einklang mit den Angaben, wie sie Schlossmann sowohl
für Sachsen im Allgemeinen, als auch für die einzelnen Städte, wie Dresden
gemacht hat. Ein ganz anderes Bild erhält man jedoch, wenn man die
drei Gruppen jede für sich allein betrachtet. Dann sieht man, dass die
Zahl der Erkrankungen, welchen die Kinder des ersten Lebensmonates
erliegen, durch die Sommerhitze eine ganz bedeutende Steigerung erfährt,
die in unserem Falle ebenso hoch ist wie die Steigerung des zweiten
Lebensmonates. Ein gerade umgekehrtes Verhältnis zeigt sich bei den
Kindern, die an Lebensschwäche verstürben. Das Maximum ihrer Sterb¬
lichkeit liegt in der kalten, das Minimum in der warmen Jahreszeit. Die
dritte Gruppe der bald nach der Geburt verstorbenen Kinder zeigt zwar
ihren grössten Tiefstand im gleichen Monat wie die an LebensschwäcU
verstorbenen Kinder, ihre an sich nicht bedeutenden Schwankungen sind
jedoch neben anderem hauptsächlich abhängig von der Grösse der jeweiligen
Zahl der Geburten. Das Sinken der Sterblichkeit an Lebens¬
schwäche während der heissen Jahreszeit kann seinen Grund
nur darin finden, dass der Sommer mit seiner hohen Tempera¬
tur auf lebensschwache Kinder geradezu lebenerhaltend ein¬
wirkt. Es ist klar, dass die beiden Wirkungen der hohen
Temperatur, die lebenbedrohende und lebenerhaltende bis zu
einem gewissen Grade sich gegenseitig aufheben müssen, und
dass hierdurch bei der grossen Zahl der an Lebenschwäche verstorbenen
Kinder eine Steigerung der Mortalitätsziffer des ersten Lebensmonates
durch den Sommer nicht so zum Vorschein gelangen kann, wenn auch
in Wirklichkeit die Sommerhitze eine ausserordentlich grosse Gefährdung
auch für die Kinder des ersten Lebensmonates bedingt.
II. Specieller Theil.
Die nachfolgenden Erörterungen sind dadurch ermöglicht, dass im
Jahre 1876 auf Vorschlag des Gesundheitsrathes der Stadt München für
die Sterbefälle der Kinder unter einem Jahre ein Totenschein in An-
Original frorn
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Zur Beurtheilung der Säuglingssterblichkeit in München. 243
wendung gebracht wurde, welcher der genauen Erforschung einer Reihe
der wichtigsten Momente, denen man einen Einfluss auf die Säuglings¬
sterblichkeit zuschreiben musste, dienen sollte. Ich habe nun gelegent¬
lich einer kleinen Arbeit 1 über: „Die wahrscheinliche Ausdehnung der
natürlichen und künstlichen Ernährung in München und ihren Einfluss
auf die Säuglingssterblichkeit“, die Totenscheine des Jahres 1902, wenn
auch nicht in ihrer Gesammtheit einer eingehenden Durchsicht unterzogen
und mich davon überzeugt, dass in denselben ein äusserst interessantes
und beachtenswerthes Material verborgen liegt. Zugleich zeigte sich, dass
die als Totenschauer fungirenden Aerzte zum grössten Theile mit wirklich
anerkennenswerther Sorgfalt bemüht waren, die immerhin nicht geringe
Anzahl der gestellten Fragen nach Möglichkeit zu beantworten und dies
ist um so erfreulicher, als diese Arbeit seit nunmehr Jahrzehnten ohne
die Früchte geblieben ist, die man mit Fug und Recht hätte er¬
warten dürfen.
Eine Verwerthung der Totenscheine der im Jahre 1903 verstorbenen
Säuglinge, wie sie hier an gestrebt werden soll, wird vor Allem den Ein¬
wand gewärtigen miisseü, dass die aus denselben gewonnenen Resultate
nur einen beschränkten Werth für sich in Anspruch nehmen können, da
es sich um einen sehr kurzen Zeitabschnitt und ein relativ kleines Material
handelt. Es muss daher schon hier betont werden, dass mauche der ge¬
fundenen Resultate erst durch umfangreichere Untersuchungen ausschlag¬
gebenden Werth erhalten können, immerhin wird es möglich sein, im
Folgenden zu beweisen, dass auch die Betrachtung eines verbältnissmässig
kleinen Materiales manches Interessante ergeben kann, sofern nur eine
ernsthafte und bis in’s Kleinste gehende Durchforschung sich desselben
bemächtigt. Die vorliegende Arbeit soll nur den Au fang einer fortlaufenden
Statistik der Säuglingssterblichkeit in München bilden und es wird hoffent¬
lich gelingen, für dieses wichtige Gebiet, das unserer Fürsorge mehr wie
jedes andere bedarf, aus den Kreisen des medicinischen Nachwuchses ge¬
eignete Kräfte zu interessiren.
Zur Untersuchung verwerthbare Totensclieiue standen im Ganzen
3757 zur Verfügung bei einer Zahl der Todesfälle von 4075, also 92-1 Proc.
155 Totenscheine, d. h. 3*9 Procent waren zwar vorhanden, aber nicht
verwerthbar. Dieselben stammen zum grössten Theile aus der Universitäts-
Kinder- und Frauenklinik, in welchen beiden Anstalten nicht das für die
Säuglinge vorgeschriebene Formular, sondern dasjenige tür Erwachsene in
Benützung genommen wurde. Weitere 163 Totenscheine, also etwa 4 Proc.
waren anscheinend zu Verlust gegangen, da es mir nicht möglich war, die-
1 Münchner mal. Wochenschrift. 1904. Xr. 21.
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244 Alfred Groth :
selben zu erhalten, was wohl damit zusammenhängt, dass die Totenscheine
durch eine grössere Anzahl von Händen gehen, bis sie in die König!
Polizeidirection gelangen, wo sie mir ausgehändigt wurden. Immerhin
sind diese Verluste so gering, dass das mir zur Verfügung gestellte Material
als ein vollständiges angesprochen werden darf.
Die Stellung des Säuglings innerhalb seiner Familie, auf deren für¬
sorgenden Thätigkeit sein ganzes Dasein beruht, bringt es mit sich, dass
es vor Allem sociale Momente sind, die seine Sterblichkeit bedingen,
wodurch zweifellos ebenfalls wirksame, natürliche Momente stark in
den Hintergrund gedrängt werden. Eine Trennung dieser beiden Gruppen
von Factoren vorzunehmen, ist um so schwieriger, als natürliche und
sociale Momente vielfach überhaupt nicht auseinander gehalten werden
können, ich werde mich jedoch bemühen, aus Gründen der Uebersichtlich-
keit eine derartige Scheidung so weit als möglich durchzuführeu.
I
a) Beziehungen des Alters der Eltern, des Altersunterschiedes
der Eltern und der Zahl der vorausgegangenen Geburten auf
die Sterblichkeit der Säuglinge.
Ein natürliches Moment, das von Einfluss auf die grössere oder ge¬
ringere Lebenswahrscheinlichkeit der Kinder zu sein scheint, ist das Alter
der Eltern und es wurde daher eine Zusammenstellung vorgenommeu, in
welcher die verschiedenen Altersstufen des Vaters mit den Altersstufen
der Mutter in Beziehung gebracht wurden, um zu untersuchen, ob die
verschiedenen Combinationen verschiedene Resultate hervorbriugen würden.
Der geringe Umfang des Materials liess jedoch eine derartige Verwerthung
nicht zu und es erschien daher nothwendig, nur die Beziehungen de>
Alters des Vaters ohne gleichzeitige Berücksichtigung des Alters der
Mutter und umgekehrt zu betrachten. Dabei war die Anschauung maass¬
gebend, dass, je früher ein Kind erliegt, desto geringer seine Lebenswahr¬
scheinlichkeit ist, wobei jedoch wie verständlich, nur die überhaupt Ver¬
storbenen, nicht aberauch das Endglied der Kette, zugleich das Wichtigste,
die das erste Jahr überlebenden Kinder zur Verfügung standen. Ich muss
es daher unentschieden lassen, ob man berechtigt ist, von grösserer oder
geringerer Lebenswahrscheinlichkeit zu sprechen, je nachdem das Kind
gleich zu Beginn seines Daseins oder erst gegen das Ende des ersten
Lebensjahres zu Grunde ging. Doch auch so erschienen mir die ge- i
fundenen Resultate, wie sie in Tabelle Ila u. b gegeben sind, interessant
genug und werth, hier mitgetheilt zu werden.
Aus der Tabelle Ila geht nun anscheinend hervor, dass bei einem
Alter des Vaters von unter 25 Jahren die Kinder am gefähr-
detsten sind, d. h. dass im Vergleiche zu den anderen Altersstufen die
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(ohne Berücksichtigung des Alters der Mutter).
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246 Alfred Groth :
grösste Zahl solcher Säuglinge, soweit sie im ersten Lebensjahre versterben,
schon innerhalb der ersten Lehensmonate erliegt. Günstiger liegen
die Verhältnisse bei einem Alter des Vaters von über 40 Jahren
und die geringste Sterblichkeit in den ersten Lebensmonaten
zeigen die Kinder der Väter, die im besten Mannesalter, näm¬
lich zwischen 30 und 40 Jahren stehen. Vergleichen wir nun damit
die Resultate, wie sie in der Tabelle Ilb enthalten sind, so finden wir fast
genau die gleichen Einflüsse des Alters der Mutter, indem auch hier die
Kinder der jugendlichen Mütter die grösste Sterblichkeit in
den ersten Monaten zeigen. Zu ähnlichen Resultaten ist auch
Körösi 1 gekommen, der an einer nur viel grösseren Zahl, die ihm ein
Eingehen in Detailfragen erlaubte, die Behauptung aufstellte, dass unter
den Kindern unter 20 jähriger Mütter auffällig viele Schwächlinge sind.
Körösi hatte dabei auch die Todesursachen, wenn auch in einer vielleicht
nicht ganz einwandfreien Weise in Rücksicht gezogen, indem er vor Allem
die schon intrauterin erworbenen Krankheiten betrachtete, wozu er jedoch
nicht nur die an Lebensschwäche, sondern auch die an Atrophie, Inauition.
Rhachitis u. s. w. verstorbenen Kinder mit einbezog.
Mir erscheint es nun nicht angängig, die Tabellen ohne Weiteres
dahin zu deuten, dass dem Lebensalter der Eltern an sich, soweit wenigstens
es gerade die jugendlichen Eltern betrifft, ein so grosser Einfluss zu¬
geschrieben werden darf, ich glaube vielmehr, dass es neben dem gewiss
auch dem Alter zuzuerkeunenden Einfluss es hier hauptsächlich darauf
ankommt, dass jugendliche Eltern eben am wenigsten im Stande sind, für
ihre Kinder in entsprechender Weise zu sorgen, dass also im Grunde ge¬
nommen es auch hier sich wesentlich um sociale Einflüsse handelt, welche
die frühe Sterblichkeit der Kinder jugendlicher Eltern bedingen.
Sicherlich muss aber auch dem Alter der Eltern eine gewisse Mit¬
bestimmung zugeschrieben werden, wie auch aus der Tabelle II c hervor¬
geht, in welcher die zwischen dem Alter der beiden Eltern bestehenden
Unterschiede mit dem früher oder später erfolgenden Absterben ihrer
Kinder in Beziehung gebracht wurden. Leider traten gerade hier die
Nachtheile des kleinen Materiales besonders deutlich hervor, so dass ich
gezwungen war, bei dem Lebensalter des Kindes möglichst grosse Gebiete
gegen einander abzugrenzen. Dabei erscheinen die Kinder am ge-
fährdetsteu, deren Väter einerseits über 20 Jahre älter, anderer¬
seits überö Jahre jünger sind als dieMütter, während die Kinder,
deren Vät er von gleichem Alter oder bis zu 10 Jahren älter
sind als die Mütter, die geringste Sterblichkeit in den ersten
1 Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik. 3. Folge. 1S92. Bd. IV.
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Zur Beurtheilung der Säuglingssterblichkeit in München. 247
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
248
Alfred Groth:
Lebensmonateu zeigen, und dementsprechend in grösserer Zahl bis
zum Ende des ersten Lebensjahres erhalten bleiben. Damit stimmt auch
die Beobachtung von Körüsi überein, nach welchem Frauen im Alter
von unter 30 Jahren es sich überlegen sollten, mit Männern von über
50 Jahren zur Ehe zu schreiten, ferner dass es für Mäuner im Alter von
20 bis 30 Jahren nicht empfehlenswerth ist, Frauen im Alter von über
35 zu wählen, wie man sieht, Forderungen, die sich vollkommen mit den
in der Tabelle II c gebrachten Resultaten decken.
Weiterhin suchte ich Beziehungen zu finden, ob die Anzahl der
vorhergegangenen Geburten von Einfluss auf die Lebenswahrscheinlichkeit
des Kindes sei, mit andern Worten, ob eine Mutter, die einmal oder öfters
geboren, Kinder mit grösserer oder geringerer Lebenswahrscheinlichkeit
zur Welt bringen würde. Eine dahingehende Zusammenstellung bringt
die TabelleII d. Dabei zeigt sich, dass die Kinder von Erstgebärenden,
wenn sie im ersten Lebensjahre erliegen, in grösserer Anzahl schon
im ersten Lebensmonate sterben wie die Kinder von Mehr¬
gebärenden. Günstigere Aussichten haben schon die zweiten, dann die
dritten Kinder derselben Mutter, während diejenigen, welche die vierten
bis die zehnten Kinder ihrer Mutter sind, in etwa der gleichen Weise
dem Tode anheimfallen. Die Kinder von Vielgebärenden, d. h. von
solchen Müttern, die mehr als 10 Kinder zur Welt gebracht haben, sind
jedoch wieder fast in demselben Maasse gefährdet, früh zu
sterben, wie die Sprösslinge von Erstgebärenden. Eine Erklärung
hierfür ist nicht schwer zu geben, wenn auch sicherlich nicht eines, sondern
eine Reihe von Momenten die Schuld an diesem frühen Absterben der
Kinder von Erst- und Vielgebärenden tragen wird. Einmal sind erst¬
geborene Kinder, wenigstens in den Schichten, die am meisten zu der
hohen Kindersterblichkeit beitragen, häufig illegitime, dann mag auch
die in diesen Kreisen weit verbreitete Syphilis, die bei Erstgebärenden
länger dauernden und schwereren Geburten, die mangelhafte Kenntniss der
jungen Mütter von der Pflege und Ernährung des Kindes eine Rolle
spielen, und gewiss kommt auch der Umstand in Betracht, dass erfahrungs-
gemäss die Kinder von Erstgebärenden weniger kräftig als die nach¬
folgenden Kinder sind. Für die frühe Sterblichkeit der Kinder von Viel¬
gebärenden dürfte wohl hauptsächlich ausschlaggebend sein die Erschöpfung
der mütterlichen Kraft und damit zunehmende Schwächlichkeit der Kinder,
vielleicht auch wie aus den Tabellen II a und II b anscheinend hervorgehi,
das höhere Alter der Eltern, weiterhin ist es ja bekannt, dass Vielgebärende
häufiger Anomalien des Geburtsverlaufes darbieten, also dass deren Kinder
schon hierdurch in die Gefahr des frühzeitigen Absterbens geratheu. Dass
auch mit der Vermehrung der zu ernährenden Kinder das Einzelne sich
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Zur Beurtheilung der Säuglingssterblichkeit in München. 249
mit einem entsprechend kleineren Antheil des Familienunterhaltes bescheiden
muss, wird gerade den jüngsten Familienmitgliedern am verhängnisvollsten
werden.
b) Einfluss der Ernährungsart auf die Sterblichkeit der Kinder.
Den Uebergang von den natürlichen zu den rein socialen Momenten
bildet die in letzter Zeit vielfach besprochene Thatsache, dass die Er¬
nährung der Säuglinge an der Mutterbrust gegenüber der künstlichen
Ernährung sehr in den Hintergrund tritt. Ob diese Erscheinung nun als
natürliches Moment angesprochen werden darf, d. h. ob sie thatsächlich
darauf zurückzuführen ist, dass die Mütter physisch nicht im Stande sind,
ihre Kinder zu stillen und wie weit dies der Fall ist, ist vielfach discutirt
worden. Durch persönliche Rücksprache mit einer noch so grossen An¬
zahl von Müttern lässt sich diese Frage nicht entscheiden. Nur eine
objective ärztliche Beobachtung, wie sie in Entbindungsanstalten möglich
ist, kann zuverlässige Resultate ergeben, darum wird auch nicht der
Kinderarzt, sondern nur der Geburtshelfer darüber entscheiden können,
ob eine Degeneration der mütterlichen Brust thatsächlich sich bemerkbar
macht oder nicht. Immerhin muss hervorgehoben werden, dass selbst die
Zahl der Mütter, die auf die Frage, warum sie ihre Kinder nicht gestillt
haben, Milchmangel vorschützen, keineswegs gross ist, wobei noch ange¬
nommen werden muss, dass eine grosse Zahl derartiger Antworten den
Ihatsachen nicht entspricht. Schuld an dem Ueberhandnehmen der künst-
ichen Ernährung tragen vor Allem drei Factoren, das sind einmal sociale
Verhältnisse, wenn die Mutter gezwungen ist, bald nach ihrer Niederkunft
m die Arbeit zu gehen, dann die ausserordentliche Gleichgültigkeit der
Mütter dieser ganzen Frage gegenüber, die sicherlich zum grossen Theile
uif die Unterschätzung der Gefahren der künstlichen Ernährung und die
Cnbenntniss von dem grossen Werth des Stillens zurückzuführen ist,
ielleicht auch die gänzlich unbegründete Furcht vor Unbequemlichkeiten
>der körperlichen Nachtheilen, welche das Stillen mit sich bringen soll,
im dritter Stelle steht das geringe Interesse, welches die hauptsächlichsten
leratherinnen unserer Mütter, die Hebammen, für die natürliche Er-
jährung fast durchweg zeigen, eine Interesselosigkeit, die sich bis zur
lirecten Abhaltung steigert. (Als Beleg hierfür diene nur ein Beispiel:
.'ine keineswegs in ärmlichen Verhältnissen lebende Mutter von drei
lindern, von denen sie die beiden ersten, zwei kräftige und gesunde,
usserhalb Münchens geborene, Kinder gestillt hatte, gab auf die Frage,
ramm sie das bei dem dritten, einem Kinde mit hochgradiger Rhachitis
mterlassen habe, zur Antwort: die Hebamme habe sie mit den Worten
bgehalten, da sie doch im Haushalte thätig sein müsse, so habe sie
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252
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auch die Bestrebungen bei Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit be¬
wegen, sofern sie eine Zunahme der natürlichen Ernähruug der SäugliL.-
herbeiführen wollen.
Für die Darlegung der Beziehungen zwischen künstlicher Ernähre;
und Säuglingssterblichkeit lässt sich aus den Totenscheinen nur ein rect
unvollkommenes Bild gewinnen. Dieselben lassen zwar erkennen, n
hoch der Procentsatz an künstlich genährten Kindern unter den Toi*-
fallen des ersten Lebensjahres ist, sie geben auch darüber Aufschk-
wieviele von den verstorbenen Kindern trotz Ernährung au der Jta-
brust oder bei gemischter Kost, theils Mutterbrust, theils künstlich«
Ernährung verstarben, sie lassen aber hinsichtlich weiterer Beziehung
keine Schlüsse zu.
In den Tabellen III a und III b finden sich die Aufzeichnungen u»
3757, das sind 92*1 Proc. aller im Jahre 1903 in München verstorben
Säuglinge und in Tabelle ELI c sind unter Bezugnahme auf die genaust«
Zahlen der in den einzelnen Lebensmonaten verstorbenen Kinder die a
Tabelle lila und b niedergelegten Kesultate auf die wirkliche Gesamf-
zififer 4075 als Summe berechnet. Dabei geht hervor, dass weitaus ci
grösste Theil der verstorbenen Kinder künstlich ernährt wurde und m
ungefähr 83*3 Procent. Weitere 9-4 Procent wurden zwar an die
gelegt, aber nur für kurze Zeit und die Zahl der verstorbenen Ku$
welche länger als ein halbes Jahr gestillt wurden, ist eine verschwind
kleine. Dieses Verhältniss bessert sich auch nur um ein geringes.
man von denjenigen Kindern, die an Lebensschwäche innerhalb des er-s
Lebensmonates verstarben (776) ganz absieht, was dadurch berechtigt d
dass die meisten, namentlich fast alle, welche gleich nach der Geburt d
starben (438), gar keine oder so gut wie keine Nahrung erhielten.
Damit ist eigentlich alles, was sich aus der Betrachtung un*ä i
Totenscheine gewinnen lässt, erschöpft. Derartige Angaben sagen abe:i
Grunde genommen nicht viel und auch etwaige Schlussfolgerunget.. < >
die grosse Gefährdung der künstlich genährten gegenüber den Brustkind
lassen sich erst dann aus ihnen ziehen, wenn bekannt ist, wieviele
überhaupt in München gestillt werden. Dadurch wird es ermöglich; i
bestimmen, ob von den künstlich genährten ein höherer Procets >
innerhalb des ersten Lebensjahres erliegt als von denjenigen Kinder... 1
längere Zeit die Mutterbrust erhielten, mit anderen Worten, ob i
alte Erfahrungstatsache, dass Brustkinder um so viel mehr vor 4
Tode geschützt sind als künstlich genährte, auch durch Zahlen erbtl
werden kann.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
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Zeit Beurtheilung der Säuglingssterblichkeit in München. 258
Um darüber Aufschluss zu erhalten, habe ich schon im Jahre 1908
auf Anregung von Professor Martin Hahn in München bei 2816 Kindern
Erhebungen angestellt, deren Erfolg ich in der schon oben erwähnten
Arbeit kurz niedergelegt habe. Im Jahre 1904 habe ich zum zweiten
Male und nun in grösserem Maassstab gelegentlich der öffentlichen Im¬
pfungen und zwar hei der Nachschau die Mütter befragt, ob sie ihre
Kinder selbst nährten oder ob sie dieselben künstlich aufzogen und wenn
das Erstere der Fall war, wie lange sie dieselben an der Mutterbrust
hatten. Derartige Erhebungen ohne Hülfe vorzunehmeu, ist selbstverständ¬
lich zumal bei den grossen Impfterminen in München unmöglich und ich
hin hierbei von verschiedener Seite in liebenswürdigster Weise unterstützt
worden. Vor Allem bin ich zu Danke verpflichtet meinem hochverehrten
Chef, Hrn. Mediciualrath Dr. Ludwig Stumpf, der mir sowohl durch
Uebernahme eines Theiles meiner impfärztlichen Functionen als auch
durch persönliche vielfache Mitwirkung seine Beihülfe gewährte, sodann
Hrn. Geheimrath Prof. Dr. von Ranke, der die Güte hatte, auf meine
Bitte bei den in seinem Impfkursus geimpften 412 Kindern die Resultate
ermitteln zu lassen. Weitere 279 Angaben von Impflingen des Kinder-
-pitals München-Nord verdanke ich der Liebenswürdigkeit der HHrn. Privat-
docenten Dr. Hecker und Dr. Trumpp. Besonders habe ich auch zu
ledenken der HHrn. cand. med. J. Rascher und C. Boudevin, die mich
mf den öffentlichen Impfterminen in bereitwilligster Weise unterstützten.
Dabei bin ich in der Weise verfahren, dass ich zuerst die Frage
teilte, ob die Ueberbringerin des Kindes die Mutter selbst, ob sie derselben
iahe verwandt oder nur bekannt sei, um von vornherein über die Zu-
erlässigkeit der Antworten ein Urtheil zu erhalten. Erst dann ging ich
azu über, hinsichtlich der Ernährung und der allenfalsigen Dauer der
latürlichen Ernährung weiter zu forschen, wobei die Erfahrung lehrt, dass
ur ganz bestimmte und eingehende Fragestellungen richtige Antworten
u erzielen vermögen.
Auf diese Weise erhielt ich bei 7576 Kindern, die im Jahre 1904
ir Impfung gelangten, von 7240 verwerthbare Angaben, bei 363 Kindern
onnte ich keine oder doch keine so genauen Antworten erhalten, dass
e zu der vorliegenden Arbeit hätten Berücksichtigung finden können.
In der Tabelle III d habe ich diese Kinder unter Berücksichtigung
ires Geburtsjahres eingetheilt nach Dauer der Lactation, wobei ich es
?nnied, die Angaben, so wie sie mir von den Müttern gemacht wurden, zu
'rwerthen und zwar aus dem Grunde, weil Angaben nach Wochen eiu-
al sicherlich nicht die gewünschte Genauigkeit darbieten können, anderer¬
es auch für die Beurtheilung des Werthes der natürlichen Ernährung
cht von so ausschlaggebender Bedeutung sind. Die Kinder, welche vor
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
254
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Art der Ernährung bei 7576 im Jahre 1904 geimpften Kindern.
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Vor dem Jahre 1902
161
15
28
22
20
16
22
284
52
m
56-7
5-3
9*9
7-7
; 7 -° 1
5-6
7-7
100
15-5
too
Im Jahre 1902
923
177
193
141
50
28
40
1552
113
1665 '
Im Jahre 1903
2650
614
690
607
200
80
54
4895
187
Im Jahre 1904
232
60
80
,
91
18
1
—
482
11
493
In den Jahren 1902-04
i
3805
851
963
839
268
1 1
109
94
6929
311
7240
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Im Jahre 1902
59-5
11-4
12-4
9-1
3-2
1-8
2.6
100
6-8
100
Im Jahre 1903
54-1
12-5
14-1
12-4
4*1
1-6
1*1
100
3-7
100 '
Im Jahre 1904
48-1
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16-6
18-9
3-7
0-2
—
100
2-2
100
In den Jahren 1902-04
54-9
12-3
13-9
12-1
3-9
1-6
1-3
l
ICO
4'3
ICC'
dem Jahre 1902 geboren wurden, habe ich von den anderen getrennt und
dieselben sind, wie auch ersichtlich bei der Zusammenfassung nicht be¬
rücksichtigt. Ihre an sich nicht bedeutende Zahl setzt sich zusammen
einerseits aus einem ziemlich hohen Procentsatz von nichtgestillten Kindern,
andererseits aus einem im Vergleich zu den späteren Geburtsjahren ganr
unverhältnissmässig hohen Procentsatz von solchen Kindern, die länger
als ein halbes Jahr gestillt wurden. Unter den ersteren haben wir haupt¬
sächlich Münchener Kinder vor uns, die in Folge Kränklichkeit mehrere
Jahre von der Impfung zurückgestellt werden mussten. Die grosse Anzahl
der letzteren ist der Ausfluss von Wauderungsstörungen, indem Kinder
aus anderen Gegenden, in denen mehr und länger gestillt wird als bä
uns, ungeimpft nach München verzogen und hier der Impfung unterstellt
wurden. Ich glaube, dass der Fehler, der mit der Ausserachtlassnug der
vor dem Jahre 1902 geborenen Kindern begangen wird, bedeutend ge¬
ringer ist, als wenn dieselben bei den weiteren Ausführungen zur Ver-
werthung herangezogen würden. Dazu kommt noch, dass bei dieser
Kindern die Zahl derjenigen, für welche keine oder keine genügende An
gäbe erzielt werden konnte, relativ sehr hoch ist, 15-5 Procent aller Be
fragten, während sie für 1902 6*8 Procent, für 1903 3*7 Procent un<
bei den im Geburtsjahre geimpften Kindern nur 2*2 Procent betrat
Original frorn
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Zub Beuktheuxng dek Säuglingsstebblichkeit in München. 255
Mau ersieht daraus, dass je weiter das Geburtsjahr des Kindes zurückliegt,
lesto weniger zuverlässig sind aus begreiflichen Gründen die Angaben über
lie Ernährungsverhältnisse des Kindes als Säugling.
Weiterhin erscheint bemerkenswerth, dass die Zahl der Nichtgestillteu
reringer wird mit dem Näherliegen des Geburtsjahres, wofür der Grund
licht etwa darin zu suchen ist, dass sich die Verhältnisse im Laufe der
etzten Jahre gebessert hätten, sondern wir haben hierin einen weiteren
teweis dafür zu erblicken, dass nicht gestillte Kinder schwächlicher sind
Is gestillte, indem der körperliche Zustand der ersteren, auch ohne dass
orher die Art ihrer Ernährung ermittelt wurde, häufiger Veranlassung
iebt, die Impfung bis zum nächsten Jahre zu verschieben, als bei den
•tzteren, die in grösserer Zahl schon im Geburtsjahre zur Impfung
elungen.
Bei einem Vergleich der Schlussresultate in Tabelle III c u. d zeigt
ch ein Unterschied von etwa 25 Procent bei den im ersten
ebensjahie verstorbenen und den dieses Jahr überlebenden,
icht gestillten Kindern, und schon hieraus lässt sich mit
icherheit folgern, dass Kinder, die die Mutterbrust ent-
;hren müssen, in viel höherem Grade gefährdet sind als
Iche, denen diese zu Theil wird.
Es bandelt sich in unserem Falle (Tab. III c) einmal um die Sterbe-
sammtheit des Jahres 1903, die im Folgenden des öfteren mit einer
tlich sehr naheliegenden Geburtengesammtheit, ebenfalls des Jahres 1903
Beziehung gebracht werden soll. Dabei ist zuzugeben, dass die im
hre 1903 verstorbenen Säuglinge nicht völlig aus den im Jahre 1903
borenen Kindern bervorgeheu, dass also nicht ganz gleichwerthige Zahlen
t einander verglichen werden. Immerhin stammt der grösste Theil der
•rbefalle des Jahres 1903 aus den Geburten desselben Jahres und
in ist zu der Annahme berechtigt, dass sich die einerseits zu viel —
nder, die im Jahre 1902 geboren wurden und erst 1903 verstürben —
i die andererseits zu wenig — Kinder, die 1903 geboren wurden und
t 1904 verstarben — in Rechnung gestellten Verstorbenen ungefähr
apensiren. Aehnlich verhält es sich dann auch mit den in Tabelle III d
geführten Kindern, ihr grösster Theil geht aus dem Jahre 1903 hervor
I wir dürfen auch hier annehmen, dass die summarische Betrachtung
nerhin gute und brauchbare Näherungswerthe giebt.
Zweifellos schwerer wiegt ein weiterer Nachtheil, der meinen Erhebungen
hwendiger Weise anhaften musste, da es sich um Kinder handelt, die der
ntlichen Impfung unterstellt wurden. Während die Tabelle III c die
ultate der Verstorbenen aller Gesellschaftskreise enthält, setzt sich die
,elle III d fast ausschliesslich aus den unteren Volksschichten zusammen.
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Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
256
Alfred Groth:
Und wenn auch die directe Beziehung der beiden Tabellen, soweit sie
ohne Bezugnahme auf die Gesammtzahl der Geburten möglich ist, keinen
zu grossen Fehler darstellt, da die Sterbefälle ebenfalls in ihrer über¬
wiegenden Mehrheit, wie ich später noch Gelegenheit haben werde, dar¬
zulegen, aus den minderbemittelten Kreisen stammen, so liegt doch in
der für die weitere Behandlung nothwendigen Annahme, dass die von
mir ermittelten Zahlen bei den überlebenden Kindern auf alle überlebenden
Kinder Anwendung finden dürfen, zweifellos ein leider nicht zu um¬
gehender Fehler. Wie weit in München die Kinder besser situirter Kreise
gestillt werden, entzieht sich leider der genauen Erkenntniss, da der dem
einzelnen Arzte zugängliche Kreis immer ein viel zu beschränkter ist, um
auch nur Schätzungen eine gewisse Wahrscheinlichkeit zu verleihen. Immer¬
hin ist die von mir gebrachte Zahl so gross und nach dem übereinstimmende’.)
Urtheil der Aerzte auch in den gut situirten Kreisen die natürliche Er¬
nährung so wenig verbreitet, dass es erlaubt erscheint, den gefundener
Werthen eine allgemeinere Bedeutung beizulegen als ihnen an sich zu-
gesprochen werden muss.
Im Jahre 1903 wurden 17 081 Kinder geboren, von denen 4075
innerhalb des ersten Lebensjahres verstarben, demnach 13 006 dasselbe
überlebten. In der Annahme, dass von 6929 Kindern, nämlich van
53*3 Procent auf 13 006 als Gesammtheit Schlüsse zu ziehen erlaubt sei
wurde berechnet, wieviel Kinder in München überhaupt gestillt werden
und weiterhin, wie sich gestillte und nicht gestillte Säuglinge hinsichtlich
ihrer Sterblichkeit im ersten Lebensjahre verhalten. Dabei erschien es
nothwendig, bei den Verstorbenen diejenigen Kinder auszuschliessen. die
innerhalb des ersten Lebensmonates au Lebensschwäche verstarben nnc
zwar aus dem Grunde, weil einmal die unmittelbar nach der Gehurt
verstorbenen Säuglinge überhaupt keine Nahrung erhalten und auch für
den Tod derjenigen lebensschwachen Kinder, die im Verlaufe der nächsten
Wochen verstarben, nicht ausschliesslich die Art ihrer Ernährung, sondern
auch die in ihnen liegende Schwäche verantwortlich gemacht werden mos.-.
Während demnach der Berechnung 13 006 überlebende Kinder zu Grunde
zu legen waren, belief sich die Zahl der Verstorbenen, die verwertet
werden konnte, auf 3299. Von den 13 006 überlebenden Kindern waren
unter Zugrundelegung der in Tabelle IIId gefundenen Werthe 54-9 Pruccct
das sind 7140 nicht gestillt, während 12-3 Procent, das sind 160t» bis
einen Monat, 13-9 Procent das sind 1808 Kinder 1 bis 3 Monate gestillt
wurden u. s. w. Ueber die innerhalb des ersten Lebensjahres verstorbenen
Kinder sind die Daten direct aus der Tabelle III c entnommen. Die
Gesammtzahl der nicht gestillten Kinder betrug 9812 (Summe aus 7140
überlebenden und 2672 verstorbenen Kindern) das sind 60-2 Procen»
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Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Zur Beurtheilung der Säuglingssterblichkeit in München. 257
aller im Jahre 1903 geborenen Kinder nach Abzug der schon erwähnten,
an Lebensschwäche verstorbenen Säuglinge. In der gleichen Weise be¬
rechneten sich die anderen Kategorien. Es wurde also in München die
ausserordentlich hohe Zahl von 60-2 Procent aller geborenen Säuglinge
überhaupt nicht an die Brust gelegt und nur 5*5 Procent wurden länger
als Vs Jahr gestillt.
Weiterhin blieben von 9812 überhaupt nicht an die Brust gelegten
Kindern 7140, das sind 72*8 Proc. am Leben, 2672, das sind 27 «2 Proc.
verstarben, während schon von den 2013 1 bis 3 Monate gestillten Kindern
nunmehr 205, das sind 10-2 Procent im ersten Lebensjahre erlagen.
Tabelle Ille.
Eruährungsverhältnisse der Säuglinge in München mit Beziehung auf die
im Jahre 1903 geborenen Kinder:
1
!
i
i
i
[
Nicht
gestillt .
1
Bis 1 Mon.
gestillt J
1—3 Mon.
gestillt
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CO g
1 bß
00
6—9 Mon. !
gestillt
9-12 Mon. i
gestillt 1
12 Monate
u. länger
gestillt
!
Summe
Das erste Jahr überlebende
Kinder j
1 7140
1600
1808
1574
; 507
208
169 '
13 006
nnerhalb des ersten Jahres
yerstorbene Kinder
2672
333
i
205
72
12
i
i
5 1
i
! ” 1
3 299
resammtzahl der Säuglinge
9812
1933
2013
' 1646
519
213
169
16 305
60-2
11-8
12-3
10-1
3-2 !
1-3
1-0 100
Tabelle HIf.
Beziehungen zwischen den Ernährungsverhältnissen der Säuglinge in
München und ihrer Sterblichkeit innerhalb des 1. Lebensjahres.
1
i
| Nicht
| gestillt
1 Bis 1 Mon.
gestillt
* 1—3 Mon.
gestillt j
3—6 Mon.
i gestillt
I
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| b£
s CO
§ 22
^ ’S
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7 1 bc
_ , J
12 Monate
und länger
gestillt
i ,
Summe i
3sammtzahl der Säuglinge
| 9812
1933 J
2013
1646
! 519 |
,
I 213
169 '.16 305
is erste Jahr überlebende
Kinder
7140
1600
1 1808
1
i 1574
507 i
1
208
,
169 |
13 066
72-8
1 82-8
[
89-8
! 95-6
1 97-7 '
97*7
100 |
79-8
oerhalb des ersten Jahres
verstorbene Kinder
2672
333
205
72 j
12 |
5 i
—
3299
27-2
17-2
10-2
4*4
2*3 1
2-3
— |
20-2
Die auf diese Weise gewonnenen Resultate zeigen die Tabellen Ille
d Ulf, von denen die letztere in sehr anschaulicher Weise klar legt,
Zettschr. f. Hygiene. LI. 17
Digitized by Gougle
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258
Alfred Groth:
dass es wirklich die nicht gestillten Kinder sind, die das grösste Coating®
zu den Sterbefallen des ersten Lebensjahres stellen, und dass je lüge:
das Kind gestillt wird, desto geringer die Wahrscheinlichkeit wird, dis
es im ersten Lebensjahre erliegt. Dabei ist der Zeitpunkt, zu welch®
das Kind verstarb, nicht berücksichtigt worden, so dass es sich beite
nicht gestillten Kindern um den Zeitraum des ganzen ersten Lebensjahr*
handelt, während z. B. denjenigen Kindern, die 6 Monate gestillt ward®
nur mehr in dem wesentlich kürzeren Zeitraum eines halben Jahres Ge¬
legenheit gegeben ist, tödtlich zu erkranken. Ein directer Vergleich ohffi
Berücksichtigung dieses Punktes ist darum natürlich nicht gestatte:
Immerhin darf jedoch daran erinnert werden, dass Kinder, so lange *
an der Mutterbrust sind, nur in sehr geringer Anzahl sterben, wie ate
aus der Tabelle III c hervorgeht, und dass man schliesslich berechtigt k
diese als den Verlust zu erachten, den die 6 Monate gestillten Kinde
während des ersten Lebenshalbjahres erlitten haben.
Es erschien mir nun interessant, zu untersuchen, ob Kinder, dis
einige Zeit gestillt und dann künstlich genährt wurden, durch die vorher¬
gehende natürliche Ernährung einen wesentlichen Vortheil vor denjenie-*»
Kindern voraus hatten, die während der Zeit, während welcher die ent®
die Mutterbrust erhielten, künstlich aufgezogen wurden. Die Möglich^
die Zahlen hierfür zu erhalten, war dadurch gegeben, dass ich bei d®
Zusammenstellung der verstorbenen Kinder auseinanderhielt, ob d*
Kind gestillt und dann künstlich genährt wurde, ob es an der Mutter-
brust oder bei gemischter Kost verstarb. Dabei habe ich die letztere:
beiden Kategorien (Mutterbrust, gemischte Kost) nur insoweit berät-
sichtigt, als sie gemischte Kost erhielten, während die Kinder, welche ha
Ernährung mit Muttermilch verstürben, nothwendiger Weise nicht
Rechnung gezogen werden konnten.
Die Art meines Vorgehens hierbei war folgende: Bis 1 Monat gest¬
und dann künstlich genährt wurden einmal die das erste Lebend
überlebenden 1600 Kinder (siehe Tabelle Ille), dann 294 weitere Einte
das sind um die an der Mutterbrust verstorbenen 39 Säuglinge weite-
als die Zahl der bis 1 Monat gestillten und während des ersten Lehr¬
jahres verstorbenen 333 Kinder (siehe Tabelle IIIc). Es wurden also 3
Ganzen 1600 = 84-5 Procent überlebende und 294 = 15-5 Procent W
storbene Kinder, also 1894 bis 1 Monat gestillt und dann künstliche'
nährt. Zum Vergleiche müssen diesen gegenüber gestellt werden ein® 1
die das erste Lebensjahr überlebenden, nicht gestillten Kinder (7140) c
dann die als Säuglinge verstorbenen nicht gestillten Kinder (2672), &
als 72*8 Procent und 27-2 Procent die Gesammtsumme 9812 ausmack'
Weiterhin wurden 1 bis 3 Monate gestillt und dann künstlich gente'
<* D i S i t i zes by GO ‘gl g
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Zue Beubtheilung deb Säuglingssterblichkeit im München. 259
nach Tabelle Ille 1808 Kinder und nach Tabelle IIIc von den 205 ver¬
storbenen, 1 bis 8 Monate gestillten Kindern 185 d. h. um 20 bei Dar¬
reichung von Mutterbrust verstorbene Säuglinge weniger. 1808 betragen
90-7 Procent und 185 9*3 Procent der sämmtlichen 1 bis 3 Monate
gestillten und dann künstlich genährten Kinder, im Ganzen 1993. Diesen
müssen gegenübergestellt werden alle diejenigen Kinder, die 1 bis 3 Monate
nur künstlich genährt wurden, das sind einmal alle überlebenden, nicht
gestillten Kinder 7140 und von den Verstorbenen diejenigen nicht ge¬
stillten Kinder, die den ersten Monat überlebten und erst im weiteren
Verlaufe des ersten Lebensjahres versterben, d. h. 2672 abzüglich 484,
ilso 2188. Hier stellen sich dann die procentualen Verhältnisse wie
16 5 zu 23-5.
Tabelle IIIg.
Beziehungen zwischen Dauer der natürlichen bezw. künstlichen Ernährung
und der Lebenswahrscheinlichkeit der Säuglinge.
t
Bis 1 Monat
gestillt und
dann künst¬
lich* genährt
1—8 Monate
gestillt und
dann künst¬
lich genährt
3—6 Monate
gestillt und
dann künst¬
lich genährt
6—9 Monate
gestillt und
dann künst¬
lich genährt
9—12 Monate
gestillt und
dann künst¬
lich genährt
1
►as erste Jahr,
überlebten: .
1600
84*5
1808
90-7
1574
96-2
507
97-9
208
98*6
anerhalb des
. Lebensjahr.i
294
185
63
11
8
verstarben:
15»5
9*3
3*8
2-1
1 *4
"
1
Von Lebens¬
Von Lebens¬
Von Lebens¬
Von Lebens¬
Von Lebens¬
i
beginn an bis
beginn an
beginn an
beginn an
beginn an
1 Mou. künst¬
1—3 Monate
3—6 Monate !
6—9 Monate
9—12 Monate
j
lich genährt
künstlgenährt ktinstl.genährt künstl.genährtjkünstl.geuährt
i
as erste Jahr
7140
7140
7140
7140
7140
Iberlebten:
72*8
76-5
85-2
92-5
96*6
:nerhalb des
Lebensjahr.
2672 '
2188
1242
580
252
rerstarben:
\ 27-2
1 1
23*5
14-8
7-5
3*4
Die Ergebnisse für die weiteren Kategorien lassen sich aus der
abeile Illg ersehen, aus der, wie ich glaube, der Werth der Brust-
ihrung am Deutlichsten zu erkennen ist Darnach würde, um nur ein
eispiel herauszugreifen, ein von Anfang an künstlich genährtes
ind erst nach 9 Monaten dieselbe Widerstandsfähigkeit gegen-
ber den Schädlichkeiten des letzten Lebensvierteljahres er-
17*
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260
Alfred Gboth:
* I
~ Digitized by
I .1 >' •
langen, die ein etwa 3 bis 6 Monate altes, aber bis dahin
gestilltes Kind gegenüber den Schädlichkeiten des zweiten
Lebenshalbjahres besitzt.
Soviel mir bekannt ist, sind derartige Erhebungen, wie sie hier von
mir besprochen wurden und die aus denselben gezogenen Schlüsse ausser
für München noch nicht gewonnen worden und es wäre sehr naheliegend,
ihnen eine Bedeutung beilegen zu wollen, die sie nicht ganz verdienen.
Ich möchte daher betonen, dass die hier dargelegten Zahlen nur für
München Geltung haben, und dass namentlich in der Höhe der Procent¬
sätze bei Wiederholung dieser Erhebungen in anderen Städten oder
Landestheilen auch andere Werthe voraussichtlich sich ergeben würden.
Immerhin werden aber die Grundzüge, welche diesen Zahlen eigentümlich
sind, überall die gleichen bleiben und es würde gewiss von grossem luter¬
esse sein, auch unter anderen, wohl in der Mehrzahl günstigeren Ver¬
hältnissen, als wir sie hier in München haben, eine Bestätigung der
gebrachten Zahlen zu finden.
Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, dass es irrig sein würde, die
natürliche oder künstliche Ernährung als hier allein maassgebend an¬
sprechen zu wollen. Schon die einfache Ueberlegung, dass eine Mutter,
die ihr Kind längere Zeit an der Brust behält, für dasselbe auch dann,
wenn sie gezwungen sein würde, es bei künstlicher Ernährung aufzuziehen,
besser sorgen würde als eine andere, die aus socialen Rücksichten ihrem
Kinde überhaupt die Brust verweigert, macht es verständlich, dass es sich
im Vorhergehenden wohl zum Theil, aber nicht ausschliesslich um Folgt-
zustande handeln kann und dass wir zum anderen Theil darin nur
Parallelen zwischen dem Fehlen der natürlichen Ernährung und der
Vitalität des Säuglings erblicken dürfen. Es ist nämlich, wie auch
Schlossmann ausführt, nicht alleiu das Nichtstillen, sondern die Art.
wie die Kinder, welche die Mutterbrust entbehren müssen, ernährt werden,
das ausschlaggebende Moment bei ihrer Sterblichkeit und er glaubt, da»
Kinder, die mit peinlicher Sorgfalt unter genauer Beobachtung aller nur
erdenklichen Vorsichtsmaassregeln mit Kuhmilch ernährt werden, keine
beträchtlich schlechtere Mortalität geben als die Brustkinder in den gleichen
Familien. Das kann wohl ohne Weiteres zugegeben werden. Nur darf
bei Betrachtung des Werthes der natürlichen und künstlichen Ernährung 1
auch das eine nicht ausser Acht gelassen werden, dass der Tod ein«.
Säuglings nur der Schlussstein dessen ist, wozu die künstliche Ernährung
führen kann, und dass zwischen diesem und völliger Gesundheit ein?
grosse Anzahl von krankhaften Zuständen liegt, die unsere Betrachtung
nicht nur dann und deshalb verdienen, soweit sie eine ausgesprochene
Schädigung des kindlichen Organismus darstellen und allenfalls bei inter-'
Go igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Zur Beurtheilung der Säuglingssterblichkeit in München. 261
zurrenten Erkrankungen prädisponirend für einen etwaigen ungünstigen
iusgang wirken können, sondern allein schon deshalb, weil sie sich in
iem einen Falle weniger, in dem anderen Falle mehr vom Gesunden ent-
ernen, d. h. Abweichungen von normaler Entwickelung bedeuten. Auf
lies letztere ist sicherlich ein eben so grosser Werth zu legen, wie auf
tohe Mortalität und jeder, der sich die Mühe genommen hat, auch in
olchen Kreisen, die der Pflege und Ernährung ihrer Kinder, ja selbst
mter ärztlicher Leitung, besondere Sorgfalt widmen, nach Zeichen
normaler Entwickelung, wie Rhachitis, zu suchen, wird damit über-
instimmen, dass ein über Erwarten hoher Procentsatz durch die künst-
iche Ernährung geschädigter Kinder sich herausstellt. Daran ändert
uch die Thatsache nichts, dass man ebenso unter den ausschliesslich
lit Muttermilch ernährten Säuglingen dieselben Krankheitszustände hie
nd da antreffen wird; denn selten erreichen sie hier die hohen Grade
ie bei künstlicher Ernährung und man ist berechtigt zu erklären, dass
as auf der einen Seite fast die Ausnahme ist, das wird auf der anderen
> gut wie zur Regel. Und darum stehen bei Bekämpfung der Säuglings-
-erblichkeit diejenigen Bestrebungen an erster Stelle, die eine Zunahme
es Stillens herbeiführen sollen, selbst auf die Gefahr hin, dass den Be-
lühungen nicht der Erfolg zu Theil wird, den man sich von ihnen
•wartet.
c) Einfluss der socialen Verhältnisse auf die Sterblichkeit
der Kinder.
Das Fehlen der Mutterbrust ist es zugleich, welches den schon mehr-
ch berührten socialen Verhältnissen die Möglichkeit bietet, durch die
instliche Ernährung Einfluss auf die Vitalität der Säuglinge zu gewinnen,
m diese Erscheinung zu erläutern und über die Grösse dieses Ein-
lsses Klarheit zu erhalten, kann man direct die öconomischen Verhält-
sse der Eltern in Beziehung setzen zu der Sterblichkeit der Kinder und
ar durch eine Eintheilung nach Steuerfreien und Steuerpflichtigen mit
nterscheidung nach deren berechnetem Einkommen. Hierdurch würde
in gewiss zu erheblich einwandfreieren Resultaten gelangen als durch das
ifache, aber der Willkür und Unsicherheit in hohem Grade ausgesetzte
erfahren, das hierbei gewöhnlich eingeschlagen wird, indem man den
den Totenscheinen angegebenen Stand der Eltern zur Beurtheilung
ranzieht und die Zahl der im ersten Lebensjahre verstorbenen Kinder
r jeweiligen Berufsclassen feststellt. Derartige Vergleiche gewinnen
erhaupt erst dann einen gewissen Werth, wenn ihre Ergebnisse in
ziehung' gesetzt werden können zu der Gesammtzahl der den einzelnen
rufsclassen zugehörigen Personen oder noch besser solcher Familien,
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Ijl
J ’lf-
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262 Alfred Groth:
die während der Zeitperiode, für welche die Zahl der Verstorbenen er¬
mittelt wurde, im Säuglingsalter stehende Kinder besitzen. Das letztere
wäre insofern ermöglicht, als bei Anmeldung einer Geburt auf dem i
Standesamt zugleich angegeben werden muss, zu welchem Stande die
Eltern des Kindes gehören. Leider ist die Beziehung auf die in dem¬
selben Jahre geborenen Kinder nur bei der an sich am wenigsten werth¬
vollen Methode der Ermittelung des Standes der Eltern verhältnissmässis
einfach, während sie bei den anderen in Folge Mangels an directen An¬
gaben nur mit einem ausserordentlichen Aufwand von Zeit und Müht
durchzuführen wäre.
Für München lassen sich nun auf Grund der Totenscheine in
anderer Weise Beobachtungen anstellen und zwar dadurch, dass beim
Ausfüllen der Scheine vom Leichenschauer Angaben darüber verlangt
werden, aus wieviel Räumen die Wohnung, in welcher das Kind verstarb, j
besteht und wieviel Personen diese Räume bewohnen. Dies scheint mir
ein immerhin brauchbarer Maassstab für die gute oder schlechte Ver- i
mögenslage der Angehörigen zu liefern. Eine absolut richtige Beurtheilung
der öconomischen Verhältnisse ist dadurch zwar nicht gegeben, sicherlich
ist dies Verfahren jedoch mehr als Betrachtungen über den Stand und •
die Beschäftigung der Eltern dazu geeignet, einen Einblick in die Lebens¬
führung der einzelnen Familie zu gestatten. Es bietet zugleich den gewiss
schätzenswerthen Vortheil, sich, wenn auch nur in gewisser Einschränkung,
ein Urtheil zu bilden über den Einfluss guter und schlechter Wohnungs¬
verhältnisse auf die Sterblichkeit der Kinder. Wesentlich wertbvoller
wären natürlich genaue Angaben über Raum- und Lichtverhältnisse der
Wohnungen nach Höhe, Breite und Tiefe, nur leider bei einem so grossen
Materiale, wie es die Münchener Säuglingssterblichkeit liefert, ohne be¬
sondere Aufwendung von Zeit und Geld nur schwer zu beschaffen, lud
selbst, wenn diese Verhältnisse für die verstorbenen Säuglinge allein ge¬
wonnen werden könnten, so würde zum Vergleiche noch nothwendig sein
die Kenntniss der Verhältnisse der gesummten Wohnungen, wie sie nur
von fachkundiger Seite ausgeführte Erhebungen zu Tage fördern könnten.
Bei der folgenden Zusammenstellung über die Wohnungsverhältnisse
habe ich nur die Kinder berücksichtigt, bei denen eine mehr oder minder
grosse Beeinflussung durch ihre Umgebung, d. h. durch das sociale Milieu,
in welchem sie sich entwickeln sollten, überhaupt angenommen werden
durfte. Die Nichtverwerthung der bald nach der Geburt (438) und inner¬
halb des ersten Lebensmonates an Lebensschwäche (338) verstorbenen
Kinder erfolgte hier aus ganz ähnlichen Gründen, wie sie im Vorher¬
gehenden bei der Besprechung des Einflusses der Emährungsverhältnisse
auf die Vitalität der Säuglinge als maassgebend erachtet wurden.
Go igle
I
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Zur Beürtheilung der Säuglingssterblichkeit in München. 263
Tabelle IV a.
Zahl der
Bewohner
Von 3027 Säuglingssterbefällen
des Jahres 1903 trafen auf Wohnungen mit
1 Raum i 2 Räumen 8 Räumen ; 5 J ™J en 6
Summe
i i
32
2
1 —
—
— i*
34
2 l
110
126
12
2
— !l
250
3 1
149
356
60
8
—
573
4 |
106
587
95
14
1 i
803
5
42
476
112
20
1
651
6 1
11
231
| 88
21
! 1 1
352
7
2
114
42 1
18
1 1
177
8 1
2
58
32
9
3
104
9
—
26
18
6
—
50
10 1
—
11
7 s
3
j _
21
11 und mehr 1
—
2
! 3
7
1 —
12
Summe 1.
454
1989 I
t !
| 469 ,
108
* 1
3027
Ta
belle I\
r b.
~"i.
Von 100
Säuglingssterbefällen
!
Zahl der ,[
des Jahres 1903
trafen auf
Wohnungen mit |
Bewohner
1 Raum
i
2 Räumen
1
3 Räumen
4 und
5 Räumen
6 und mehr;
Räumen i
Summe
i i
1-1
0-06 I
—
—
l —
1-2
2
3-6
4.2
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—
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Summe !'
15-0
! 65-8
I 15-5
| 3.5
0-2 {
100
Nach Abzug dieser beiden Gruppen sind 3299 Kinder der Bereeh-
mng zu Grunde zu legen. Von diesen konnten 3027, d. b. 91*8 Procent,
;u den beiden Tabellen IYa und b herangezogen werden, in welchen
dne Eintheilung der Wohnungen nach Anzahl der Räume und Bewohner
lurchgeführt ist. Tabelle IVa giebt an, wieviel von 3027 Säuglings¬
terbefallen des Jahres 1903 auf jede einzelne Wohuungsclasse trafen und
Cabelle IVb enthält dieselben Zahlen nur umgerechuet auf 100 als Ge-
ammtziffer. Dabei ergiebt sich, dass nicht weniger als 80>8 Procent
tller verstorbenen Säuglinge in Wohnungen von 1 und 2 Räumen
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Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
V liF''
# Digitizedby
I
264 Alfred Groth:
erlagen, und dass nur 3*7 Procent in Wohnungen verstürben,
die als über kleine Verhältnisse hinausgeheud erachtet werden
können. Ein Vergleich mit solchen Wohnungen, welche im Jahre 1903
Kinder des ersten Lebensjahres beherbergten, ist nun leider nicht möglich,
wohl aber mit dem Wohnungsbestand Münchens überhaupt, bei dessen
Feststellung ich auf eine, Ende des Jahres 1900 vom hiesigen statistischen
Amte vorgenommene Erhebung über die Wohnungsverhältnisse in München,
zurückgreifen konnte. Ich entnahm den „Mittheilungen des statistischen
Amtes der Stadt München“ (Bd. 17, Heft 3, Theil 2, die Wohnungs¬
zählung vom 1. December 1900 in München) eine Tabelle, in welcher die
besetzten Wohnungen Münchens nach ihrer Grösse und der Zahl der
Wohngenossen aufgezählt waren, und die ich, um sie für den vor¬
liegenden Zweck nutzbar zu machen, einer kleinen Umänderung unterzog
(vgl. Tabelle IV c).
Tabelle IVc.
Zahl der
Bewohner
Die besetzten Wohnungen Münchens
nach ihrer Grösse und der Zahl der Wohnungen
Summe
1 Raum
2 Räume
3 Räume
4 und
5 Räume
6 und mehr
Räume
1
3721
1903
1496
540
45
7 705
2
3194
6528
5964
2525
197 | 18 408
3
1725
6941
8430
4351
516
21 963
4
876
5594
8487
4618
786
20361
5
405
3875
7143
4181
848
16 452
6
194
2177
5130
3050
803
11354
7
80
1096
3351
1996
591
7114
8
31
483
1954
1171
351
3 990
9
6
201
1013
700
236
2156
10
3
82
525
395
115
1 120
11 und mehr
2
51
453
521
214
1 241
Summe
10 237
, 28 931
1 43 946
24 048
4 702
111 864
i 9-2
25*9
39-3
21-5
4-2
100
Bei einem Vergleich der Tabellen IV b und c zeigt sich, dass die
Wohnungen mit 1 und 2 Räumen nur 35*1 Procent aller Woh¬
nungen betragen, denen die oben erwähnten 80-8 Procent der
verstorbenen Säuglinge entsprechen, während in den 25-7 Pro«,
des Wohnungsbestandes, welche die grösseren Wohnungen um¬
fassen, nur 3-7 Procent aller Säuglinge erliegen.
Die Tabelle IV b erlaubte auf die wirkliche Gesammtziffer der ver¬
storbenen Säuglinge, nämlich 3299 zu schliessen (Tabelle IV d), wodurch
es weiterhin mit Hülfe der Tabelle IVc ermöglicht war, zu bestimmen, j
Gck igle
Original from .
UNIVERSITY OF CALIFORNIA 1
Zue Beubtheilung deb Säugukgsstebblichkeit in München. 265
Tabelle IYd.
;i Von 3299 Säuglingssterbefällen des Jahres 1903
Zahl der u trafen auf Wohnungen mit
Bewohner
| 1 Raum
2 Räumen
■
^ 3 Räumen
i
4 und
5 Raumen
6 und mehr
Räumen
summe
1
36 |
2
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—
| ——
38
2
119 '
139
14
2
_
274
3
162 1
389
66
8
—
625
4
: 1,5 l
630
102 !
17
1
865
5
i 46 ;
518
122 !
23
i '
710
6
13 i
251
96
24
i 'i
385
7
2 i
125
46
21
1
195
00
63
36
9
3
113
9 I
—
30
20
6
—
56
10 s
—
14
7
3
—
24
1 and mehrj
—
2
3
7
—
12
Summe
495
2163 |
512
120
i 7 1
3299
Tabelle IVe.
i
Zahl der |
| Auf je 100 der einzelnen Wohnungsclassen Münchens
1 trafen an Säuglingssterbefällen
Summe
Bewohner
1 Raum
2 Räume
3 Räume
I
1 4 und
5 Räume
6 und mehr
! Räume
1
1 1-0
0-1
—
—
i —
; 0-5
2
II 3-7
2-1
0-2
0-1
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1-5
3 |
| 9-4
5-6
0-8
0-2
1 —
1 2-8
* I
13-1
11-3
1-2
0-4
0-1 !
4-2
5
! 11-4
13-4
1-7
0*6
; o.i
4-3
6
6-7
11-5
1-9
0-8
0-1
3-4
7
2-5
11-4
1*4
1-1
0-2 1
2-7
8
6*5
1 13-0
1-8
0-8
0-9
2*8
9
—
14-9
2*0
0-9 |
i
2-6
10
—
17-1
i 1*3
0-8 1
2-1
und mehr
i
3-9
0-7
1-3 1
1 —
1-0
Summe j
| 4-8
7-5 j
1-2
0-5 |
1 0>1
2-9
eviel Sterbefalle im Jabre 1903 auf je 100 der einzelnen Wohnungs-
issen trafen. Aus der so gewonnenen Tabelle IV e ist abgesehen von
hwankungen, welche der geringe Umfang des betrachteten Materiales
it sich bringen musste und die sich namentlich da bemerkbar machen,
• einmal die Zahl der Wohnungen einer bestimmten Classe und dann
; Zahl der Sterbefalle gering ist, deutlich zu erkennen, dass die Säug-
lgssterblichkeit steigt mit steigender Zahl der Bewohner
td fällt mit steigender Zahl der bewohnten Bäume. Wenn es
ch dieser Tabelle eine Anzahl von Wohnungen giebt, in denen in
bis 15 Procent während eines einzigen Jahres ein Kind des ersten
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266
Alfred Groth:
Lebensjahres erliegt, so rückt diese an sich schon ausserordentlich hole
Ziffer erst dann in das rechte Licht, wenn man sich vergegenwärtigt, du
hei einer Gesammtzahl der Geburten von 17 081 im Jahre 1903 die hier
in Betracht kommenden lebensfähigen Kinder sich auf 16 205 beliefe«
Da dieselben auf 111864 Wohnungen vertheilt werden müssen, so be¬
herbergten etwa 14-5 Procent aller Wohnungen Kinder des ersten Leben-
jahres. Es ist zwar klar, dass gerade diejenigen Wohnungen, welche die
höchste Sterblichkeitsziffer aufweisen, auch die kinderreichsten sind uni
dass eine Anzahl der in Tabelle IV c aufgeführten Wohnungsclassen über¬
haupt keine Säuglinge aufweisen können, dass also der Procentsatz von
14-5 für die erstereu Wohnungsclassen als viel zu niedrig angeseh-n
werden muss. Immerhiu geht aber aus der Tabelle IV e mit Sicherte
hervor, dass die Säuglinge solcher Kreise, welche durch ihn
sociale Stellung nur kleine Wohnungen zu miethen im Stande
sind, in viel höherem Grade gefährdet sind als die Kinderde:
besser situirteu Kreise. Das wird auch weiter noch deutlich, »eti
man in der Annahme einer gleichmässigen Vertheilung der Säugling-
sterbefälle auf alle Wohnungsclassen den daun resultirenden niedrig:
Durchschnittswerth von 2-9 mit den beträchtlich höheren Werthen ver¬
gleicht, welche sich für die Wohnungen mit 1 und 2 Räumen thatäi-
lieh ergeben.
Es erscheint fernerhin nach dem vorliegenden Materiale durchaus
rechtfertigt, auch einen Einfluss der Wohnungsverhältnisse selbst, namet:
lieh der Wohuungsüberfüllung auf die Sterblichkeit der Kinder anzunehm-
wenn auch dieser Einfluss nicht direct nachweisbar ist. Dass aber doic
die mit einer höheren Bewohnerzahl einhergehende grössere Verschmutzt-
der Räume, die Verschlechterung der Zimmerluft, die namentlich in heisft
Sommernächten sich in ausgesprochenem Maasse fühlbar machende Er¬
höhung der Temperatur in überfüllten Räumen nicht ohne schädigend
Einfluss auf den Säugling selbst und vor Allem auf die demselben s
reichende Nahrung sein muss, kann wohl nicht bestritten werden. Ed-
artige Missstände sind jedoch in letzter Hinsicht wiederum auf ungün®
sociale Verhältnisse zurückzuführen und erscheinen daher in ihrer Virfo?
ebenso wie die aus Mangel an Mitteln direct qualitativ und quantaüiF
unzureichende Ernährung den socialen Verhältnissen nicht gleichwertig
sondern denselben untergeordnet. Ebenso muss auch das mangelt
Verständniss von der Pflege und Ernährung des Kindes und die Ab¬
stumpfung der ethischen Gefühle, wie sie sich in der Gleichgültig!
gegenüber dem Wohl und Wehe des häufig als Last empfundenen Säm¬
lings ausspricht, zum Theil, wenn auch nicht ausschliesslich als Ab¬
fluss ungünstiger socialer Verhältnisse angesprochen werden.
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Zub Beubtheilüng deb Säuglingssterblichkeit in München. 267
Schlussfolgerungen:
1. Die Gefährdung unserer Säuglinge fällt von den ersten Lebens- *
monaten an stufenförmig ab. Unrichtig ist die Anschauung, dass durch
die sommerlichen Temperatursteigerungen die Kinder, die am Ende des
ersten und Anfang des zweiten Lebenshalbjahres stehen, mehr gefährdet,
die jungen Säuglinge und die älteren Kinder aber weniger bedroht werden.
Die geringe Erhöhung der Sterblichkeitscurve des ersten Lebens¬
monates durch die sommerliche Wärme erklärt sich dadurch, dass die¬
selbe zwar hier ebenso wie auf die anderen Lebensmonate einen aus¬
gesprochen lebenbedrohenden Einfluss ausübt, zugleich aber auch auf die
lebensschwachen Kinder lebenerhaltend einwirkt.
2. Zu jugendliches und höheres Alter der Eltern übt einen ungünstigen
Einfluss auf die Lebenswahrscheinlichkeit der Kinder aus.
Kinder, deren Väter einerseits wesentlich jünger und andererseits
bedeutend älter als die Mütter sind, haben geringere Lebenswahrschein¬
lichkeit als Kinder, deren Eltern in gleichem oder annähernd gleichem
Alter stehen.
Erst- und Vielgebärende erzeugen Kinder mit geringerer Lebens¬
wahrscheinlichkeit als Mehrgebärende.
8. Den grössten Einfluss auf die Sterblichkeit der Kinder hat die
Ernährung. Nicht gestillte Kinder sind während des ganzen ersten
Lebensjahres ausserordentlich mehr gefährdet als an der Mutterbrust
ernährte.
4 . Je ungünstiger die socialen Verhältnisse, deren Einwirkung durch
das Fehlen der natürlichen Ernährung erst voll und ganz ermöglicht ist,
desto grösser die Kindersterblichkeit
Ein Einfluss der Wohnungsverhältnisse ist insofern wahrscheinlich,
als die Höhe der Säuglingssterblichkeit parallel der Zahl der Insassen
und entgegengesetzt der Zahl der bewohnten Bäume einer Wohnung steigt
oder fallt.
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Gck igle
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[Aus dem biologischen Laboratorium der Regierung Manila, Ph. I.]
Zur Frage der Pestverbreitung durch Insecten.
Eine nene Species von Rattenfloh.
Von
Dr. Maximilian Herzog,
TOD Chicago, Ul. 0. 8. A„ X. Z. Miuiln, Pb. I.
(Hierin Tif. III.)
Unter einigen zwanzig vom Verfasser in Manila in der Zeit von
Februar bis Juli 1904 secirter, bakteriologisch und histologisch unter*
suchter Pestfalle befand sich einer, der eines Kindes, in dem die Ueber-
tragung der Infection allem Anscheine nach durch Pediculi capitis erfolgt
war. Es lässt sich ein derartiger Ansteckungsmodus allerdings mit ab¬
soluter Bestimmtheit nicht ermitteln, da Experimente mit virulenten Pest¬
keimen am Menschen unstatthaft sind. Man muss sich daher damit be¬
gnügen, nach genauer Untersuchung aller Umstände und unter Berück¬
sichtigung aller Befunde einen hohen Grad der Wahrscheinlichkeit fest¬
gestellt zu haben.
Die Frage, welche Rolle verschiedene, besonders blutsaugende In¬
secten bei der Verbreitung der Pest spielen möchten, ist bald nach der
Entdeckung des Pestbacillus zum Gegenstand der Untersuchung und der
Discussion gemacht und bis zum heutigen Tage lebhaft weiter erörtert
worden, ohne dass eine allseits befriedigende Lösung der Fragestellung
erzielt worden wäre. Es sind daher weitere Untersuchungen und weitere
kasuistische Beiträge wohl angebracht. Um so mehr als, wie die vor¬
liegende Arbeit, soweit sich dieselbe auf Rattenflöhe bezieht, beweist, sieb
die Frage durchaus nicht ohne Weiteres principiell im Allgemeinen be¬
antworten lässt, sondern für einzelne Gebiete gesondert untersucht werden
muss.
Gck igle
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I
Maximilian Hebzog: Zue Feage deb Pestvebbbeitung u. s. w. 269
Einer der Ersten, der sich mit der Frage der Pestverbreitung durch
Insecten beschäftigte, war Hankin (1). Er untersuchte, ob Ameisen, die
an pestverendeten Rattencadavem genagt hatten, virulente Pestkeime ent¬
hielten. Er machte Extracte von derartigen Ameisen und injicirte die
ersteren Ratten und Mäusen. Diese Thiere verendeten dann und die
Section ergab typische Pestläsionen. Ogata(2), der seine Peststudien in
Formosa machte, entnahm einer pestverendeten Ratte sieben Flöhe, zer¬
rieb dieselben zwischen sterilen Objectträgern und machte zwei Mäusen
Einspritzungen aus diesem Material. Eines der Thiere starb an Pest, das
andere blieb gesund. La Bonadiöre und Xanthopulides (8) behaupten,
dass es ihnen gelang, im Körper einer Stechfliege, die einen pestkranken
Menschen gebissen hatte, Pestbacillen nachzuweisen. Es war hauptsäch¬
lich Simmond (4), der zuerst darauf hinwies, dass möglicher Weise Ratten¬
flöhe eine grosse Rolle in der Verbreitung der Pest unter dem Menschen¬
geschlechte spielen. Er fand in dem Safte von Rattenflöhen von pest¬
kranken Ratten Bacillen, die morphologisch Pestbacillen ähnelten. Als er
drei Mäuse mit derartigem, von Rattenflöhen erlangten Material inficirte,
starb indessen nur eine, während die anderen beiden am Leben blieben.
Loir (5) ging dann noch weiter wie Simmond und stellte die Behauptung
auf, dass der Rattenfloh der Hauptfactor in der Uebertragung der Pest
auf den Menschen sei. Galli-Valerio hat indessen ganz richtig be¬
merkt, dass Loir eigentlich gar keine Beweise vorgebracht und einfach
nur eine unbewiesene Behauptung mit Nachdruck aufgestellt habe. Kolle(6)
versuchte auf systematische Weise gesunde Ratten durch Rattenflöhe von
pestkranken oder verendeten Thieren zu inficiren. Es ist ihm indessen
niemals gelungen, Pest auf diese Weise von Ratte zu Ratte zu verbreiten,
obgleich er sich von der Zuwanderung der von den Pestratten kommenden
Flöhe auf gesunde Ratten überzeugen konnte. Aus seinen Beobachtungen
hat er den Schluss gezogen, dass die Pest unter den Ratten in der Regel
dadurch weiterverbreitet wird, dass Ratten die Cadaver der eigenen Art
auffressen und dass dann das Pestvirus durch Verletzungen am Maule
oder in demselben Eingang findet. Bei auf natürlichem Wege an Pest
erkrankten oder verendeten Ratten findet man den primären Bubo zumeist
in der Submaxillargegend. Sehr treffend bemerkt Kolle in dieser An¬
gelegenheit, dass Flöhe, wenn sie das Blut pestkranker Ratten aufsaugen,
damit allerdings Pestbacillen in den eigenen Körper mitnehmen. Dass aber
dann auch der Biss solcher Thiere andere inficire, sei durchaus niemals
über allen Zweifel hinaus bewiesen worden. Nuttall (7) hat in zahl¬
reichen Untersuchungen den Antheil von Insecten bei der Pestübertragung
zu ermitteln gesucht. Er zeigte, dass, wenn man Fliegen mit pest¬
bacillenhaltigem Material füttert, diese Insecten 24 bis 28 Stunden nach
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Gck igle
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
270
Maximilian Herzog:
i
der letzten derartigen Fütterung noch virulente Bacillen enthalten. Di?
Gefahr der eventuellen Verbreitung der Pest durch Wanzen hält dieser
Untersucher für ganz belanglos. Ueber die Hypothese der Infection durcfc
Flöhe äussert sich Nuttall (8) sehr absprechend und er giebt an, dass
alle seine eigenen Versuche, Ratten und Mäuse auf diese Weise zu in-
ficiren, zu absolut negativen Resultaten führten. Galli-Valerio (8, 9. IG
hat es sich besonders angelegen sein lassen, die Theorie, dass Rattenfl r b?
hei der Verbreitung der Pest unter dem Menschengeschlecht eine gaai
wichtige Rolle spielen, zu bekämpfen. Er weist nach, dass fast all»
Jene, welche zu dieser Angelegenheit das Wort genommen, nicht einmi
untersuchten, welche Flöhe auf der Ratte Vorkommen, und ob dieselbe
überhaupt Menschen heissen. An den Ratten Europas, an denen Galli-
Valerio seine Beobachtungen machte, fand er unter normalen Verhält-
nissen Typhlopsylla musculi und Pulex fasciatus. Diese Flöhe bis--!
Galli-Valerio bei seinen Versuchen niemals. Pulex serraticeps, de*
Hunde- und Katzen floh, der Menschen zuweilen heisst, fand der mdr-
genannte Autor niemals auf Ratten. Tidswell (11), der seine Beobact
tungen bei der letzten Pestepidemie in Sidney, Australien, machte, ly¬
nchtet, dass er dort 100 Rattenflöhe sammelte, welche wie folgt bestimn'
wurden. Pulex fasciatus 10, Typhlopsylla musculi 8, Pulex serraticeps'
und Pulex pallidus 81. Der letzte Floh ist als Bewohner der Ratte fc
jetzt nicht beobachtet worden. Sein bisher bekannter Wirth ist nach
Thomson’s (12) Angaben Mus albipes von der Insel Socotra und H-:-
pestes ischnomon in Egyten. Pulex pallidus beisst zu Folge den Angara
von Tidswell den Menschen, was Typhlopsylla musculi bei den an
gestellten Versuchen nicht that. Die Beobachtungen von Tidswell, a»
denen er Pestinfection des Menschen durch Rattenflöhe folgert, suek:
Galli-Valerio mit dem Eiuwande zu entkräften, es sei Jenem eben»
wenig wie Anderen gelungen, Pest unter Ratten mittels Flöhe zu ra-
breiten und es sei doch ganz unglaublich, dass diese Flöhe, die nie«
einmal die Pest von Ratte zu Ratte verschleppen, sie häufig auf da
Menschen übertragen sollten. Thompson (12) dagegen, der während fe
Pestepidemie in Sidney an Pestkranken häufig die Beulen von Flohstich-!
beobachtet zu haben angiebt, glaubt, dass Rattenflöhe oft die Pest ä
den Menschen übertragen. Zirolia (13) ist der Ansicht, dass Pest leif- :
durch Flöhe verbreitet werden kann. Er beobachtete, dass Exemplare ra
Pulex irritans und Pulex serraticeps, die eine Zeit lang gehungert batra
Blut von einer pestinficirteu Maus saugen und er behauptet, dass er in te
Leibern von so gefütterten Flöhen noch nach 7 bis 8 Tagen lebende, Ta¬
lente Pestbacillen nachweisen konnte. Auch giebt dieser Autor an, das* de
Fäces von Flöhen, die an pestkranken Thieren gesaugt haben, virule!' 1 -
' Digitized by (jQG^lC
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Zue Fbage des Pestvebbbeitung duech Insecten.
271
sich lange erhaltende Bacillen aufweisen. Maxwell (14), der in Changpoo
in China Pestkranke behandelte, giebt an, dass in den Häusern derselben,
sowohl er wie seine Schüler von Flöhen oft gebissen worden sei, ohne
indessen dadurch von der Pest angesteckt zu werden. Auch erzählt er,
dass unter den Chinesen allgemein die Sitte herrscht, die gefangenen
Flöhe mit den Zähnen zu zerbeissen. Er hat nie beobachtet, dass auf
diese Weise Pest verschleppt wurde. Die englisch-indische Pest¬
commission (15) hat sich neben anderem auch mit der Frage der Ver¬
breitung der Pest durch Flöhe beschäftigt. Nach allen eingezogenen
Erkundigungen glaubt die Commission, dass Simmond’s Bemühungen
einen Zusammenhang zwischen der Pestverbreitung und blutsaugenden
Insecten nacbzuweisen, kaum Beachtung verdienen. Alle Erfahrungen in
den grossen indischen Pesthospitälern, speciell die Beobachtungen im
Arthur Road Hospital zu Bombay scheinen klar darzuthun, dass blut¬
saugende Insecten keine Rolle bei der Verbreitung der Pest spielen. Die
Aerzte und das Pflegepersonal in jenem Hospital, wo Tausende von Pest¬
fällen behandelt wurden, seien beständig den Stichen von Insecten, be¬
sonders denen von Mosquitos, ausgesetzt gewesen, es sei aber auch nicht
ein Fall vorgekommen, wo überhaupt im Hospital eine Infection von
einem Kranken auf Aerzte oder Wärter auf diese Weise erfolgt wäre.
Die Commission giebt ferner auf Grund des von ihr gesammelten Materials
an, dass wenig Grund vorhanden sei anzunehmen, dass ein gewöhnlicher
vorübergehender Contact mit lebendigen oder todten inficirten Ratten
gefährlich sei. Anders indessen verhalte es sich bezüglich des Bisses
pestinficirter Thiere. Dieser sei geeignet, wie Beispiele bewiesen, die
Pest zu übertragen.
Der umfang- und inhaltreiche Bericht der indischen Pestcommission
enthält indessen eine bemerkenswerthe Mittheilung, die sicher einiger-
maassen dafür spricht, dass Kopfläuse eine Rolle bei der Uebertragung
der Pest spielen können. Zu Folge den Statistiken über die Pestepidemie
in Bombay im Jahre 1896 war die Peststerblichkeitsrate unter der Secte
oder Kaste der Janis per 1000 Seelen derselben, verglichen mit der
Sterblichkeitsrate für andere Secten der volkreichen Stadt ausserordentlich
hoch und es herrschte die Ansicht, dass dies auf gewisse Eigentümlich¬
keiten dieser Secte zurückzuführen sei. Es starben in Bombay während
der 1896er Pestepidemie an Pest per 1000 männlicher Einwohner 2-63
und per 1000 weiblicher Einwohner 1*88 Personen; dagegen unter den
Janis per 1000 Männer 8*69 und per 1000 Weiber 6-77. Die Janis
halten zu Folge ihren Religionsansichten alles thierische Leben heilig,
sie fegen weder ihre Treppen noch ihre Zimmer und nur sehr selten die
Küche, da sie befürchten beim Auskehren Insecten zu zerstören. Dabei
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Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Zub Fbage deb Pestvebbbeitung dubch Insecten.
273
Die Zeichnungen von dem letzteren verdanke ich Hrn. W. Schultze,
Assistenten in der entomologischen Abtheilung des Laboratoriums, von
ihm stammt auch der grösste Theil der folgenden Beschreibung der
neuen Species.
Pulex philippinensis, nov. spec. Kopf mit einigen sehr kleinen
Haarborsten, Stirn hoch, stark gerundet; Augen rund, über denselben
schräg nach hinten gerichtet die dreigliederigeu Fühler, keulenförmig.
Erstes Glied so lang wie das dritte, becherförmig; mittleres Glied sehr
klein. Oberkiefer langgestreckt, dreieckig. Palpi maxillarum viergliedrig,
das letzte Glied ist das längste. An den Hinterrändern der Brustsegmente
je eine Reihe feiner Haarborsten;
ebenso an den Hinterrändern der Ab¬
dominalsegmente; bis zur Mitte des
Abdomens und von der Bauchseite
aufwärts einige. Am Hinterrand
des achten Abdominalsegmentes auf
dem Rücken zwei grosse Borsten;
ebenso beim Männchen unterhalb der
äusseren Geschlechtsorgane, je seit¬
lich zwei, also vier grosse Borsten.
Hinterleib des Männchens nach oben
gebogen, in demselben, bei den ver¬
schiedenen Exemplaren mehr oder
weniger deutlich, die stark spiral¬
förmig gewundenen, inneren Ge¬
schlechtsorgane. Hinterlei b des Weib¬
chens oval, eiförmig; auf dem
9. Segmente um die Geschlechts¬
organe Haarborsten. Im Hinterleib
zwischen dem 7. und 8. Segmente ein dünndarmschlingenartig oder
wurstformig stark gekrümmtes dunkles Organ, der Eierstock, dahinter
bei einem der Weibchen eine Anzahl tonnenförmiger Eier. Die längsten
Borsten sind je sechs am unteren Ende des Femur stehende, dieselben
messen beim Weibchen 0-2 mm und beim kleineren Männchen 0-15 mm .
Farbe: hell, rothbraun.
Grösse des Männchens: Länge
: Breite
Pulex philippinensis nov. spcc.,
der in Manila vorkommende Kattcnfloh.
Ad". B 9.
„ Weibchens: Länge
„ „ : Breite
Grösse der Eier: Länge
„ „ „ : Breite
1-16 bis l«78 rom
0-70
1-80
0-80
7(V.
55 ft.
0-75
2-67
1-25
Zeit sehr. f. Hygiene IX
18
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Original fro-m
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274 Maximilian Herzog:
Pulex philippinensis ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein stationärer
Parasit der Ratte.
Beträchtliche Aehnlichkeit hat P. philippinensis mit der vor Kon«
von Baker (16) beschriebenen neuen, in Californien gefundenen Sp«r
P. anomalus. Doch Kopf, Augen, Fühler und Palpen, sowie die Haar-
horsten an den Unterschenkeln und die zwei Haarborsten auf dem Büch:
am 8. Segment zeigen unverkennbare Unterschiede.
Es ist von Interesse hier hervorzuheben, dass Baker in seiner Mono¬
graphie über amerikanische Siphonaptera eine neue Rattenflohspecies a-
Brasilien, P. brasiliensis beschreibt. Diese Species ist sehr gross, da#
Männchen 3*5, die Weibchen 5*5 mm messen. Es scheint demnach.#;
es in verschiedenen Theilen der Welt recht verschiedenartige Siphouaptcj
auf Ratten giebt.
Fliegen als Verbreiter der Pest.
Versuche, die gemacht worden sind, um darzuthun, dass Flies::
eventuell als Verbreiter der Pest eine Rolle spielen könnten, sind ao-
nahmslos, soweit eine thatsächliche directe Pestübertraguug in Bernes
kommt, ganz unbeweisend. So wie das Experiment gemacht wmc
musste die Pest nothwendiger Weise auf empfängliche Thiere übertrsr-
werden, ohne dass dadurch das Geringste bewiesen worden wäre. ‘
wurden Fliegen mit pestbacillenhaltigen Nährböden gefüttert, dann wnri
die Insecten nach kürzerer oder längerer Zeit mit sterilem Wasser ge¬
rieben und das so erhaltene Substrat sehr empfänglichen Thieren ea-
gespritzt, die dann auch natürlich an der Pest zu Grunde gingen.
Um die Verhältnisse, die in der That gelegentlich vorliegen könsa
mehr naturgetreu nachzuahmen, wurde der folgende Versuch ausgefütr
Frische Organe von Menschen, die auf natürliche Weise an Pest '
Grunde gegangen, oder Organe von Meerschweinchen, die an bwi-
virulenten Pestculturen eingegangen waren, wurden in ein passe»;*
Glasgefäss eingelegt. Ueber dies Gefäss wurde eine aus Glas und Piff
angefertigte Fliegenfalle, wie man sie beispielsweise bei der Züchte
von Mosquitos aus Larven benutzt, aufgestellt Nachdem vorher in #
Falle eine Anzahl Fliegen eingebracht worden und der Apparat über o«
Organstücken im Glasbehälter aufgestellt war, wurde die Fallthürt
öffnet, so dass die Insecten an das pestinficirte Material gelangen kenn»
Waren dieselben sodann mit dem letzteren gehörig in Berührung '*
kommen und hatten sie Gelegenheit gehabt von demselben zu firess»
so wurden die Fliegen durch Verdunkelung des unteren Gefässes
in die Falle zurückgetrieben. War dies geschehen, so wurde die Fl*
Google
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Zür Frage der Pestverbreitung durch Insf.cten.
275
thiire geschlossen und die Falle auf einen, eigens construirten insecten-
sicheren Käfig aufgesetzt. In dem letzteren befanden sich ein paar
.Meerschweinchen mit rasirtem Rücken, auf den etwas Syrup aufgetropft
worden war. Sobald der Fliegenapparat auf den Käfig aufgesetzt worden
war, wurde die Fallthüre geöffnet und die Fliegen durch geeignete Ver¬
dunkelung in den Käfig getrieben. Nun wurde die Fallthüre wieder ge¬
schlossen und den Fliegen war dann über Nacht Gelegenheit gegeben
mit den rasirten Meerschweinchen in Berührung zu kommen. Dies
Experiment wurde bei zwei verschiedenen Gelegenheiten gemacht, aber
lie vier exponirten Meerschweinchen blieben gesund bis auf eines, das
iber nicht an Pest erkrankte. Durch eine Voruntersuchung war fest-
bestellt worden, dass an oder in dem Körper der Fliegen, die Gelegenheit
gehabt hatten mit den Pestorganen in Berührung zu kommen, wirklich
J estbacillen vorhanden waren. Es scheint somit, dass die Gefahr der
’estverbreitung durch die gewöhnlichen Hausfliegen nicht sehr gross ist.
ai dieser Ansicht veranlasst mich, abgesehen von diesen, nichts weniger
ls zahlreichen Experimenten, eine andere unter ganz natürlichen Ver-
ältnissen angestellte Beobachtung. Als ich zuerst anfing in Mauila, in
er vorgeblich fliegensicheren San Lazaro Morgue, deren Thüren und
’enster aber durch die Witterungsverhältnisse ganz undicht geworden
aren, Sectionen an Pestleichen zu machen, beunruhigte ich mich nicht
eilig wegen der zahlreichen Fliegen, welche die Leiche und die An¬
usenden umgaben und von jener nach Belieben zu diesen oder auch
i’s Weite schwärmten. Es ist aber innerhalb 6 Monate, während deren
h diese Beobachtung fortgesetzt anstellte, weder in der directen Um-
‘bung der Morgue, noch überhaupt in jenem Stadttheile ein Pestfall
»rgekommen und es kann mithin auch keiner den Fliegen zur Last
‘legt werden.
Fasst man Alles das, was im Vorstehenden auf Grund der aus der
tteratur (soweit mir dieselbe zur Zeit zugängig ist) zusammengestellten
igaben und auf Grund eigener Versuche und Beobachtungen, mit¬
theilt wurde, zusammen, so muss man wohl sagen, dass es den An-
txein hat, als ob im Allgemeinen Insecten bei der Verbreitung der Pest
üiig in Frage kommen und in dieser Beziehung jene Infection auch
iht im Geringsten mit Malaria, Trypanosom iasis, Filariasis und Pyro-
ismosis verglichen werden kann. Trotzdem mag es gelegentlich Vor¬
namen, dass, wie allem Anschein nach in dem folgenden Falle, blut-
jcrende Insecten die Infectionsvermittlerrolle spielen können. In dem
Ile, auf den hier Bezug genommen ist, ergab die Section u. s. w. den
fgenden Befund:
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276
Maximilian Herzog:
Sectionsprotokoll Nr. 910 San Lazaro Morgue Manila, d. 5. Man 19W.
4 Uhr Nachmittags. Section 5 Stunden nach eiugetretenem Tode, an da
Leiche von P. C., 9 jähriges, eingeborenes Mädchen. Die Leiche ist <fe
eines wohlentwickelten Mädchens, etwa 9 bis 10 Jahre alt. Leichenstarr:
kräftig; Leichenflecke an den unteren Körpertheilen, sowie an den Seiten
von Brust und Hals. Haut im Allgemeinen cyanotisch. Die Gegend de
Cervicaldrüsen beiderseits stark augeschwollen, sich teigartig anfohletl
Gewebe hier stark ödematös. Nirgends Anden sich an der Körperober¬
fläche Wunden, Ulcerationen oder Abschürfungen. Kein Ausfluss aus
den Gehörgängen, dieselben zeigen keine Geschwüre u. s. w. Nasen-.
Mund- und Rachenschleimhaut cyanotisch, congestionirt, sonst noim
keine Verletzungen u. s. w. In der behaarten Kopfhaut laufen eine An¬
zahl Pediculi unruhig umher, drei derselben werden mit steriler Pineeiic
in leere sterile Röhrchen und später in je 50 ccm einer leicht alkalische:
Nährbouillon eingebracht. Auf der Kopfhaut sieht man eine Anzahl de:
von den Pediculi herrührenden Stiche. Bei der Eröffnung der Körper
höhlen entleeren die Venen dunkles, flüssiges Blut. Seröse Häute stri
injicirt, sonst normal. Das Herz zeigt eine starke Füllung der Corona
gefässe und ihrer Zweige; Myocardium ziemlich schlaff; blass gelb-röthkt
leicht zerreisslich, sonst normal. Pleuren glatt, keine Adhäsionen, Längs
ziemlich schwer, obere Lappen grau röthlich, untere dunkel blaupurj 1
Auf der Schnittfläche sind die unteren Lappen dunkel-rothbraun. sek
blutreich. Schleimhaut von Bronchien, Trachea, Larynx geschwolk
stark injicirt, besonders die der Epiglottis, Milz von mittlerer Grii»
ziemlich schlaff, Kapsel glatt im Ganzen, stellenweise gerunzelt; aus*'
Farbe graublau; auf der Schnittfläche rothbraun. Trabekel und Foliu-
gut erkennbar. Nieren von normaler Grösse, Kapseln glatt durchscheme:
Unter denselben Anden sich über die Oberfläche zerstreut eine Anni
Hämorrhagieen, die von der Grösse eines punktförmigen Fleckchen:
zu 5“ m Durchmesser variiren. Kapseln leicht abziehbar. Auf der Ober
fläche erscheinen die Glomeruli als rothgraue Punkte, umgeben von gn--
gelbem Gewebe. Auf der Schnittfläche Gefässe stark gefüllt; Har
canälchen graugelb; Pyramiden tief roth. Mucosa der Nierenbecken sbri
injicirt, so dass selbst die kleinsten Gefässe sichtbar sind, keine Blutung*
in den Nierenbecken, in den Ureteren oder in der Blase. Nieren is
Ganzen weich, beinahe gallertartig. Nebennieren gross, angeschwoll*
weich, dunkel gelbbraun.
Leber: Oberfläche blau röthlich mit blass-grau-gelben Flecken. Katt"
glatt und prall. Consistenz vermehrt. Schnittfläche grau-röthlich-r
Venen sehr blutreich, sonst nichts Besonderes. Die Gallenblase ent!*
eine trübe gelbliche Galle. Schleimhaut glatt; Gallengang offen norcu
Qriginal from
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Zur Fragk rer Pestverbreitung durch Insecten.
277
Pie Serosa von Magen und Duodenum, sowie vom Darm überhaupt
röthlich mit einem Stich Purpur, Gefasse stark injicirt, Schleimhaut im
Allgemeinen massig congestionirt. Die Magenschleimhaut zeigt in grosser
Ausdehnung zahlreiche punktförmige submucöse Blutungen. Die Serosa
des Uterus und der Tuben ist stark congestionirt, blau-röthlich. Die
Mesenterial- und die Subperitonealdrüsen sind geschwellt, geröthet und
erweicht.
Die stärksten Veränderungen von Lymphdrüsengewebe finden sich
in den beiden Cervicalregionen. Alle Drüsen jener Gegend sind stark
vergrössert, stark mit Blut gefüllt und erweicht. Von der Schnittfläche
lässt sich viel trüber blutiger Saft abstreichen. Diese Veränderungen
linden sich auch an den tieferen Submaxillardrüsen und an der ganzen
Kette entlang den Sternocleido mastoides. Indessen sind alle Drüsen
noch gut gegen die stark ödematöse Umgebung abgrenzbar und zu einer
Verschmelzung von Drüsen und periglandulärem Gewebe ist es nicht ge¬
kommen.
Ausstrichpräparate von den Drüsen enthalten zahlreiche typische
Pestbacillen.
Anatomische Diagnose: Hämorrhagische acute, parenchymatöse
Vephritis; Lungencongestion und Oedem; massige Fettdegeneration der
'..eber. Hypertrophie, Entzündung und Erweichung der Cervicaldrüsen
lebst allgemeiner Hypertrophie der Lymphdrüsen. Bubonenpest.
Die weitere bakteriologische Untersuchung des Falles ergab das
•’olgende. Ein von der Milz und zwei von den Halsdrüsen geimpfte
iöhrchen entwickelten Pestbacillen, desgleichen gelang es von allen drei
»ei der Section gesammelten Pediculi typische Pestculturen zu erlangen.
Da dies Kind aus einem Stadtdistrict kam, in dem seit Langem
;ein Pestfall vorgekommen war und da eben der Verdacht vorlag, dass
lie Infection durch Läuse übertragen worden war, so wurden Nach-
orschungen angestellt, um etwas über die Genese des Falles zu er-
nitteln. Der Sanitätsinspector des betreffenden Districtes, Hr. College
L E. S. Newberne, berichtete wie folgt: Zu Folge den Sanitäts¬
tatistiken sind früher in Calle Anda nur zwei Pestfälle vorgekommen.
)er eine im Hause Nr. 11 im Jahre 1900, der andere im Hause Nr. 137
m Jahre 1901. Diese beiden Häuser liegen von dem, aus welchem
\ C. kam, ziemlich weit entfernt. Das Kind, eine Waise, wurde am
3. December 1903 von dem Waisenhause San Jose nach der Andastrasse
ebracht. Dort soll es sich bis Ende Februar wohlbefunden haben. Das
lind klagte dann über Ohrenschmerzen, die einer localen Behandlung
icht wichen, auch stellte sich Fieber ein. Am 4. März erfolgte die
reberführuug der Patientin nach dem San Juan de Dios Hospital, nach
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278
Ma ximil ian Herzog:
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24 Stunden trat der Tod ein. Im Ganzen soll das Kind etwa 9 Tagt
krank gewesen sein. Die Verwandten desselben versichern, dass das Kind
während der Zeit, als es in der Andastrasse wohnte, nicht mit Pedicul
behaftet gewesen sei. Solchen Angaben von Eingeborenen kann übrigem
nicht viel Werth beigemessen werden, da hier Kopfläuse sowohl bei
Kindern, als bei Erwachsenen sehr verbreitet sind. Aus dem Haa*.
aus dem das Kind ursprünglich gekommen war, wurden nach sein®
Tode 18 Ratten und 5 Wanzen zur Untersuchung eingeliefert L
konnten aber keine Pestbacillen in diesen Thieren nachgewiesen werdet
Mikroskopische Untersuchung des Falles.
Bei der Section wurden Gewebsstücke in Zenker’sche Lösung p-
bracht, später in Paraffin eingebettet, geschnitten und nach verschied®
Methoden gefärbt
Schnitte von den Cervicaldrüsen zeigen profunde histologische W
äuderungen, nämlich: 1. Beinahe vollständiger Verlust der normal
Differenzirung in corticale Follikel und Markstränge. 2. Ausgesprochen
Coagulationsnekrose. 3. Blutextravasate. 4. Ausscheidung von Fto
fädeu und Granula. 5. Gegenwart enormer, unregelmässig vertheu
Massen von Bacillen. In den tieferen Lagen der Rindensubstanz &
die früheren Follikel noch zum Theil dadurch kenntlich, dass die Bini-
gewebsbalken der Trabekel gut erhalten sind. Die rundlichen Es©
sind indessen nicht mit normalem Follikelgewebe, sondern mit nefc-
tischem Material und Blutextravasaten angefüllt. Da, wo man die dickt«
Massen der Bacillen sieht, sind überhaupt fast gar keine Gewebselemö
vorhanden. Die wenigen Zellen, die hier noch zu sehen, sind w*
nucleäre, deren Kern in der Regel stark pyknotisch ist. Am Rande*'
Bacillenklumpen sieht man mehr mononucleäre Zellen und viele mtfe
kernige Leukocyten, unter ihnen eine ganze Anzahl eosinophiler Zete
Gleichfalls ziemlich zahlreich sind in diesen Raudzonen Plasmazellet! *
zutreffen. Vermischt mit allen jenen cellulären Elementen sind rotk
Blutkörperchen und vereinzelte Bacillen oder Bacillen in kleineren
oder weniger zusammenhängenden losen Gruppen. Zunächst der Kap-
da, wo ehemals der Lymphsinus sich befand, sieht man eine Anhäni-
von degenerirten Erythrocyteu, Hämatoidin und Hämosideriu, ferner ai-
reiche Bacillen. Fibrinablagerung findet sich in unregelmässiger U
theilung innerhalb des veränderten Drüsengewebes. Im Innern der Dd*
erscheint das Fibrin sowohl in Form von unregelmässigen körnigen Mas 1 *
als in Form gröberer oder feinerer Fäden. An der Randzone der dick'*
Bacillenklumpen stellt sich das Fibrin als ein Netzwerk dar, da? fe“
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ZUK FltAGE I)EK PESSTVEKMiEITÜNG DUKCH INSECTEN.
279
Fäden zwischen die Bacillenhaufen hinein sendet. Auch im ehemaligeu
Lymphsinus findet sich ein Fibrinnetz. Hyaline Thromben finden sich
in den kleineren Drüsen- und Drüsenkapselgefässen. Weder in den
thrombosirten, noch in den offenen Gefässen sieht man im Allgemeinen
Bacillen, selbst in solchen, die von den Massen der letzteren ganz um¬
geben sind. Gelegentlich indessen findet man doch ein Gefäss, das ein
paar Bacillen enthält. Die Bilder, die man an den Drüsenschnitten sieht,
sprechen sehr dafür, dass die Pest heim Menschen durchaus nicht als
eine allgemeine hämatogene Infection, wie dies irrthümlich von ver¬
schiedenen Seiten geschehen ist, aufzufassen ist. 1
Die iu den Drüsenschnitten so zahlreich vorhandenen Bacillen zeigen
lie bekannten morphologischen und tinctoriellen Eigenschaften der Pest-
jacillen.
Ein ausserordentlich instructives und schönes Bild liefern die nach
ier Weigert’schen Fibrinmethode gefärbten Schnitte von den Nieren.
Jan findet hier beinahe alle Glomeruli mehr oder weniger vollständig
•bliterirt und zwar dadurch, dass die Capillarschlingen hyaline Thromben
nthalten. Diese Thrombosirung erstreckt sich vielfach nicht bloss auf
ie Hauptäste der Yasa afferentia, sondern auch auf deren sämmtliche
iinste Verzweigungen. Man erhält dadurch ein Bild, wie bei einem
ngewöhnlich gut gelungenen Leiminjectionspräparat. Die hyalinen
'hromben füllen in der Regel als solide Massen die Capillare ganz aus;
ur hier und da scheint es, als ob ein Thrombus gelegentlich im Innern
ine Höhle zeigt, d. h. also röhrenförmig sei. Das Endothel der thrombo-
rten Capillare ist im Allgemeinen gut erhalten. Da, wo die thrombo-
schen Massen verhältnissmässig dünn sind, kann man sowohl im Längs-
s im Querschnitt der Glomerulusgefässe allem Anscheine nach ganz
>rmale Gefässendothelien beobachten. Da, wo die Schlingen recht derbe,
oke Thromben enthalten, erscheint das Endothel flachgedrückt. Da¬
ngen .kann man nirgends eine grössere Strecke an den thrombosirten
e fassen sehen, wo das Endothel fehlt. Man kann daher die Bildung
*r hyalinen Thromben nicht dem Verlust der Endothelien mit Ent¬
lassung der Gefiisswände zuschreiben. L. Loeb (17) hat vor Kurzem
ersuche über Bedingungen der Blutgerinnung mitgetheilt und aus den-
Ltoen den Schluss gezogen, dass, nach Entfernung des Endothels, aus
n Geweben specilische, gerinnungserregend wirkende Substanzen extrahirt
•rden, die das in colloidaler Lösung gehaltene Fibrinogen als Fibrin
1 Beobachtungen wie diese habe ich nicht nur in dem einen, sondern in allen
■jetzt histologisch untersuchten Fallen gemacht. In den Blutgefässen findet man
fc stets nur ganz vereinzelte Pestbacillen.
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UNIVERS1TY OF CALIFORNIA
280
Maximilian Hebzog:
ausscheideu. Da aber in unserem vorliegenden Falle ein Verlust d~
Endothels nicht nachweisbar ist, so könnte mau die Annahme wob
vertreten, dass durch toxische Einflüsse die Endothelzellen so in ihm
Function geschädigt wurden, dass die gerinuungserregeude Substanw
durch sie hindurch treten konnten. Derartige Functionsstörung von Zellen,
ohne nachweisbare morphologische Veränderungen, findet man ja ge¬
legentlich.
Die Bowman'sehen Kapseln sind normal, bis auf hier und da vor¬
handene, sehr massige Verdickungen. Das Kapselepithel zeigt keine ii
die Augen fallenden Veränderungen. Stellenweise findet man eine Fort¬
setzung der hyalinen Thromben aus den Glomerulusschlingen in dr
Vasa afl'erentia und efferentia und von diesen in die zwischen den Han
canälchen verlaufenden Gefässe höherer Ordnung. In den grösseren Niens-
gefässen finden sich indessen keine vollständigen Thromben, höchster
etwas feinkörniges Fibrin und einige desquamirten Endothelien. Weite
Veränderungen bieten die Gefässwände nicht dar, auch fehlen Anzeicher
von endo-, meso-, und periphlebitischen oder arteritischen Processen.
Das Epithel der gewundenen Harncanälchen zeigt mässige Schwellut:
schlecht und undeutlich conturirtes Protoplasma mit feiner Vacuolisirui:
Kerne indessen noch wohl erhalten. Hier und da findet sich körnige
Material in den gewundenen Harncanälchen. Das Epithel der gerat
Harncanälchen zeigt keine Veränderung. Die Nierenkapsel ist normt.
Im Allgemeinen finden sich keine Pestbacillen in den Nierengetassei
indessen sieht man hier und da ganz vereinzelt einen solchen. Weit.
Pestbacillen finden sich in den Lymphspalten zwischen den Harncanälet-'
und in der Umgebung der Bowman'sehen Kapseln.
Die in den Nieren gefundenen thrombotischen Processe an «
kleinsten Gefässen muss man als auf Grund von toxischer Einwirtmt
von der directen Gegenwart der Pestbacillen unabhängig ansehen. Der¬
artige Thrombosen in den Nieren scheinen bei Pest keineswegs giß
selten zu sein. Wir haben sie bei der histologischen Untersuchung v:
20 Pesttällen 5 Mal angetroffeu. In der uns zur Zeit zugänglich
Litteratur findet sich eine Beschreibung solch’ ausgedehnter hyal®»
Thrombosen der kleinsten Nierengefässe bei Pest nicht. Man darf dH
hyalinen Thromben natürlich nicht verwechseln mit metastatischen to¬
teren Embolien der Glomerulusgefässe, die sich bei gewissen Färbut-
uud bei schwacher Vergrösserung auf den ersten Anblick beinahe gftß
so darstellen, wie die hyalinen Thromben. Derartige metastatische bacii -'j
Embolien mit Verschleppung in die Nieren und Leber sahen wir in ein
Falle von primärer Pestpueumonie mit terminaler seeuudärer Pestsepticär -
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Zur Frage der Pest Verbreitung durch Inskcten.
281
Hyaline Nierenthrombosen, wie die oben geschilderten, sind übrigens
uu Welch (17) für die Schweinecholera mit den folgenden Worten be-
chrieben worden: „Das schlagendste Beispiel dieser Art der hyalinen
'hrombose, mit dem ich bekannt bin, findet man in den Nierencapillaren,
peciell denen der Glomeruli bei an (Schweine-)Cholera verendeten
chweinen, oder bei anderen mit dem Bacillus der Schweinecholera in-
cirten Thieren. In den ausgesprochensten Fällen besteht vollständige
nurie und es kommt vor, dass man in die Nierengefässe nur ein kleines
uantum von Iujectionsflüssigkeit einspritzen kann. Nach der Weigert’-
•hen Fibrinmethode gefärbte Präparate sehen aus, als ob man die
apillare mit Berlinerblau iujcirt hätte.“
An Schnitten der Leber des hier beschriebenen Pestfalles sieht man
■reinzelte kleine periportale entzündliche Herde, die aus kleinen ein-
•rnigen Rundzellen bestehen. Die Parenchymzellen der Leber sind grob
icuolisirt; die Vacuolen sind hier und da grösser als die Zellkerne. Die
tralobulären Capillare sind stark gefüllt, dagegen sind freie Blutextra-
>sate nicht vorhanden. Es fanden sich in den Leberschnitten ganz ver-
nzelt ein paar Pestbacillen.
Wir haben es in dem vorliegenden mit einem reinen Fall von Bu-
■nenpest zu thun, mit dem oder den primären Bubonen in der Cervical-
gend. Zu einer allgemeinen ausgedehnten septicämischen Verschleppung
s Pestvirus ist es nicht gekommen, dagegen sind doch jedenfalls in der
rone eine kleine Anzahl Pestbacillen in die Blutbahn gelangt. Dass
■r eine nennenswerthe Vermehrung stattgefunden, ist nieht ersichtlich.
Litteratur.
Die mit einem * versehenen Arbeiten konnten im Original eingesehen werden.
*1. Hankin, Note on the Relation of insects and rats to the spread of plague.
itralblatt für Bakteriologie. 1897. Bd. XXII. 8. 487.
*2. Ogata, Ueber die Pestepidemie in Formosa. Ebenda. 1897. Bd. XXL 8.769.
3. La Bonadiere et Xanthopulides. De l’cxistance daiis le corps d’un
ustique etc. Annales d'hygiene publique et de la medecin legale. 1902. Ser. III.
vLVIL Nr. 4.
4. Simmond, La Propagation de la Peste. Annales de VInstitut Pasteur.
8 . Nr. 10. p. 625.
5. Loir, Revue Scientifiques. 1900. Nr. 13. p. 395.
*6. Kolle, Bericht der Peststation. Diese Zeitschrift. 1901. Bd. XXXVI. S. 397.
*7. Nuttall, Zur Aufklärung der Rolle, welche die Insecten bei der Verbrei-
g der Pest spielen. Centralblatt für Bakteriologie. 1S97. Bd. XXII. 8. 87.
icr: The supposed Transmission of Plague by Heas. The Journal of Tropical
iicine. 1902. p. 65.
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Original fram
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[Aus dem Institut für Infectionskrankheiten in Berlin.]
(Director: Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Gaffky.)
Weitere Mittheilungen über die Immunität gegen
Streptokokken und Pneumokokken.
Von
Dr. F. Neufeld und Dr. W..Rimpau.
In einer früheren Mittheilung 1 haben wir kurz über Versuche be¬
richtet, die uns zu einer in wesentlichen Punkten neuen Auffassung über
die der Immunität gegen Strepto- und Pneumokokken zu Grunde liegenden
Verhältnisse führten. Bekanntlich ist früher vielfach die Möglichkeit, ein
gegen die genannten beiden Mikroorganismen gerichtetes Serum zu ge¬
winnen, überhaupt bezweifelt worden; nachdem nunmehr die Thatsache
eines im Thierversuch wirksamen Serums gesichert erscheint, ist über
die Art der in dem Serum enthaltenen specifischen Stoffe eine Ueber-
einstimmung trotz vieler auf diesen Punkt gerichteten Untersuchungen
nicht erzielt worden.
Was das Pneumokokkenserum anlangt, so haben G. u. F. Klemperer 2 ,
die als die ersten ein zweifellos specifisch wirksames Serum in Händen
gehabt haben, angenommen, dass seine Wirkung auf einem Antitoxin
beruht; nach ihnen haben sich Foä u. A., in allerjüngster Zeit noch
Tizzoni und Panichi 3 für diese Ansicht ausgesprochen; die letzteren
Autoren nehmen ausserdem an, dass die Kokken in dem Körper des
immunisirteu Thieres eine dauernde Virulenzabschwäehung erleiden. Dem
1 Deutsche med. Wochenschrift ?. 1904. Nr. 40.
2 Berliner klin. Wochenschrift. 1891.
3 Centralhlatt für Bakteriologie. 1905.
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284
F. Neufeld und W. Rimpau:
gegenüber haben eine Reihe anderer Autoren, vor Allem Enimerkk 1 *
ferner Bonome* und in den letzten Jahren Römer 3 das Serum als®
baktericides erklärt. Ihnen schliesst sich Weichselbaum in sein« ns
Jahre 1904 erschienenen Monographie 4 5 an.
Dagegen ist von Issaeff 6 in einer in Metschnikoff’s Lab®-
torium entstandenen Arbeit die Ansicht begründet worden, dass das Sem
weder eine baktericide, noch eine antitoxische Wirkung besitzt, sonäer.
dass es die Leukocyten derart stimulirt, dass sie die Infectionserr«'
durch Phagocytose vernichten. Diese Hypothese, der sich mehrere späte
Autoren anschlossen, ist durch Denys Schüler Mennes® und durt:
Huber 7 * , auf deren Versuche wir noch zurückkommen, aufgeuommen
ergänzt worden.
Hinsichtlich der Streptokokken-Immunität wurden analoge Anschai-
ungen vertreten und auch hier sowohl Antitoxin wie baktericide Kraft
supponirt, ohne dass eine Einigung der Anschauungen zu Stande ge¬
kommen wäre. Noch mehr aber als bei den Pneumokokken wurde ^
die cellulären Vorgänge Gewicht gelegt: insbesondere hat Bordet* &
Grund ausgedehnter Versuche die immunisireude Wirkung des Semit-
ausschliesslich auf Phagocytose zurückgeführt. Bereits vorher war:
jedoch durch Denys in Gemeinschaft mit seinen Schülern Leclef nt.
Marchand 9 die phagocytären Vorgänge, die sich bei der Immun:
gegen Streptokokken abspielen, beschrieben und durch eine gauz net-
artige Methodik näher analysirt worden: diese Beobachtungen haben das:
den Ausgangspunkt für unsere Untersuchungen abgegeben.
Auch die Mehrzahl der späteren Beobachter hat sich der Anac:
genähert, dass man zur Erklärung der Streptokokkenimmuuität ohne &
Annahme der Mitwirkung cellularer Einflüsse nicht auskommt. Wir ver¬
weisen insbesondere auf die Ausführungen über die Theorie der Wirb::
des Streptokokkenserums von Aronson 10 , Meyer 11 , Michaelis 1 '
1 Diese Zeitschrift. 1894. Bd. XVII. S. 412.
* Riforma medica. 1891.
8 Archiv für Ophthalmologie. 1902.
4 Kolle-Wassermann’s Handhuch der path. Mikroorganismen. Bd. IV.
5 Annales de VInstitut Rasteur. 1893.
6 Diese Zeitschrift. Bd. XXV.
7 Berliner kl in. Wochenschrift. 1903. S. 358.
9 Annales de VInstitut Pasteur. 1897.
9 La cellule. 1895. — Bull, de VAcad. r. de Beigigue. 1896.
10 Berliner klin . Wochenschrift. 1902. Nr. 42. — 1903. S. 399. — Deut**
med. Wochenschrift. 1903. Nr. 25.
11 Zeitschrift für klin. Medicin. 1903. Bd. L.
Verein für innere Medicin. 16.111. 1903.
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Immunität gegen Streptokokken und Pneumokokken. 285
v. Langelsheim. 1 Die Ansichten dieser Autoren stimmen insoweit
überein, als sie zu dem Schlüsse kommen, dass das Streptokokkenserum
zum Mindesten nicht völlig in das Schema der baktericiden Sera hinein¬
passt und dass zweifellos cellulare Vorgänge eine gewisse Rolle darin
'pielen. Zu einer befriedigenden Erklärung des Mechanismus der Strepto-
kokkenimmunität sind unserer Ansicht nach die genannten Autoren
nicht gelangt; wir möchten wegen der Einzelheiten auf die angeführten
Arbeiten verweisen und nur das eine hervorheben, dass darin nirgends
eine weitere Ausbildung der von Denys und Leclef angegebenen
Ueagensglasversuche unternommen worden ist.
Die Anschauungen über die Wirkungsweise des Strepto- und Pneumo¬
kokkenserums und anderer ihnen offenbar nahestehenden Sera, wozu wir,
jlme deshalb eiue vollständige Uebereinstimmung in dem Mechanismus
ler Immunität anzunehmen, vor Allem wohl das Pest-, Rothlauf- und
ililzbrandserum rechnen dürfen, haben übrigens nicht ausschliesslich ein
heoretisches Interesse. Bei allen diesen Serumarten fiel es auf, dass
nan auch nicht annähernd so constante Versuchsreihen erhielt und daher
uch nicht mit derselben Sicherheit den Titer des Serums bestimmen
:onnte, wie bei den wirklich baktericiden Seris, nämlich dem Cholera-
md Typhusserum. Diese Unregelmässigkeiten des Erfolges sind nun von
ielen Autoren (z. B. von Marx 2 für Rothlauf, von Römer 8 für Pneumo-
okken, vgl. auch Dönitz’ Artikel über die Werthbemessung der bak-
ericiden Sera 4 ) durch den Mangel geeigneter Complemente erklärt und
uch die Eventualität einer „Complementablenkung“ ist in Betracht ge-
ogen worden; dementsprechend hat man auch für diese Sera daran
edacht, durch Zufuhr fremden C’omplements ihre Ausnutzung zu sichern.
>iese Fragen wird man in ganz anderem Lichte betrachten, wenn man
ach unseren Versuchen annimmt, dass im Gegensatz z. B. zum Cholera-
‘rum beim Streptokokkenserum ein freies Complement sich überhaupt
ieht bei der Serumwirkung betheiligt.
Unsere eigenen Untersuchungen begannen damit, dass wir uns durch
lat tenversuche davon überzeugten, dass die von uns von Kaninchen
^wounenen hochwirksamen Streptokokken- und Pneumokokkensera weder
i frischem Zustaude noch bei Zusatz von Complement eine Abtödtung
?r Kokken bewirkten; ebenso wenig liess sich bei mikroskopischer Beob-
:htung eine Auflösung verfolgen. Es erübrigt sich, diese negativen
* Kolle-Wa ösermann's Handbuch. Bd. IV.
* Deutsche med. Wochenschrift. 1901.
1 Archiv für Ophthalmologie. 1902.
4 K olle-Wassermann’s Handbuch. Bd. I\. S. 587—589.
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286 F. Nettfeld und W. Rimpau:
Versuche ausführlicher zu beschreiben. Wir zogen dann die Möglichkeit
in Betracht, dass die gesuchten Complemente nicht frei im Blute, sondert
in den Organen vorhanden sein könnten; einige Versuche mit Verreibung®
von Milz und Leber führten jedoch zu keinem positiven Ergebnis». Dä
auch in der Bauchhöhle von Mäusen unter der Wirkung des Immm-
serums sich keine extracelluläre Auflösung der Strepto- bezw. Pneumo¬
kokken, dagegen aber eine ganz zweifellose Aufnahme durch Phagocy’.^.
zeigte, so bedienten wir uns der Versuchsanordnung, die Denys in Ge¬
meinschaft mit Leclef für Streptokokken, später Denys Schüler Menne»
für Pneumokokken angegeben hat, indem wir die Strepto- bezw. Pneumo¬
kokken im Reageusglase mit Leukocyten zusammenbrachten und thei
das zugehörige Immunserum, theils normales Serum hinzufügten. D*
Versuche von Mennes hat Huber 1 * * bestätigt unter Verwendung menget-
licher Leukocyten; er machte dabei die interessante Beobachtung, di-;
auch in normalem Serum Phagocytose stattfand, aber nur gegenübe
avirulenten Pneumokokken.
Die Resultate, die wir mit dieser von Denys und Leclef ge-
schaffenen Methodik, die uns einen sehr wesentlichen Fortschritt zu be¬
deuten scheint, erzielten, haben wir in unserer Eingangs citirten erst*
Veröffentlichuug mitgetheilt; sie seien hier nochmals kurz zusammengefi-
1. Konnten wir das Denys-Leclef’sche Phänomen, nämlich
Zustandekommen einer äusserst lebhaften Phagocytose im Reagensgli*
beim Zusammentreffen von Leukocyten, Kokken und dem zugehörig»;
Immunserum bestätigen, ebenso das Ausbleiben des Phänomens in öri
Coutrolen mit normalem Serum.
2. Konnten wir durch den Bindungsversuch den Nachweis fühu:
dass das Serum nicht auf die Leukocyten, sondern die Kokken veränder¬
en! wirkt; nur diese fixireu das specilische Agens.
3. Bei dem ganzen Phänomen spielen die Complemente des Serust
keine Rolle.
4. Die Veränderung, durch welche die Kokken zur Aufnahme in d*
Phagocyten geeignet gemacht werden, ist eine specifische, eine Schädigt-
irgend welcher Art oder Abtödtung genügt dazu nicht; auch abgetöd* 8
Kokken wurden erst dann aufgenommen, wenn specifisches Serum fr
gesetzt wurde.
Diese Anschauungen bedeuten unseres Erachtens in der HauptssA
eine Anerkennung der Metschnikoff’schen Phagocytentheorie. insofc"-
sie überhaupt der Phagocytose die ausschlaggebende Rolle bei der Imffi'--
1 Berliner klin. Wochenschrift. 1903. S. 358.
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Immunität gegen Streptokokken und Pneumokokken. 287
nität gegenüber den beiden in Rede stehenden Mikroorganismen zu¬
erkennen. Andererseits aber stehen sie in Bezug auf die Erklärung über
das Zustandekommen der Phagocytose in wichtigen Punkten im Gegensatz
zu den Lehren der Metschnikoff’schen Schule. Auf diese Differenz¬
punkte wollen wir nunmehr näher eingehen.
Denys und Leclef hatten bereits nachgewiesen, dass sich die
Leukocyten eines immunen Thieres an sich nicht anders wie
die eines normalen verhalten; wenn sie trotzdem eine lebhafte Phago¬
cytose ausüben, so erhalten sie diese Fähigkeit erst durch das Serum.
Metschnikoff 1 hat die Beweiskraft dieser Versuche mit der Begründung
bekämpft, dass dabei „die Phagocytose in einer von den natürlichen
Bedingungen zu sehr abweichenden Form auftritt, als dass man aus
derselben irgendwelche Schlüsse zu ziehen berechtigt wäre“.
Dies ist unserer Ansicht nach für die vorliegenden Versuche un¬
zutreffend. Wenn etwa die isolirten Leukocyten im Reagensglase über¬
haupt nicht im Stande wären, z. B. Streptokokken in sich aufzunehmen,
so brauchte das natürlich nicht maassgebend für die Vorgänge im Körper
zu sein; wir könnten dann eben annehmen, dass sie in Folge ihrer
Isolirung aus dem lebenden Organismus die Fähigkeit zur Phagocytose
verloren hätten. Ganz anders liegt die Sache aber bei positivem Ausfall
des Experimentes. Wir sehen, dass die Leukocyten in vitro eine ebenso
intensive und durchaus ebenso verlaufende Phagocytose wie im Thier¬
körper entfalten können, dass diese Phagocytose aber nur in Gegenwart
von specifischem Serum eintritt, gleichviel ob die Leukocyten von einem
immunen oder einem normalen Thier stammen. Hiernach scheint uns der
Schluss unabweisbar, dass auch die Phagocytose, die wir im Körper des
immunen Thieres beobachten, während sie beim normalen fehlt, nicht auf
einer erworbenen Veränderung der Leukocyten, sondern des Serums beruht.
Dieser Standpunkt ist unvereinbar mit der Auffassung, dass die
Leukocyten eines immunisirten Thieres dazu „erzogen“ seien, die Bak¬
terien anzugreifen. Noch in seiner Monographie 2 spricht sich Metsch-
nikoff in diesem Sinne aus und sagt speciell mit Bezug auf die er¬
worbene Immunität gegen Milzbrand: „Der grundlegende Unterschied ist
auf die Empfindlichkeit der Leukocyten zurückzuführen; diese zeigen beim
normalen Kaninchen negative, beim immunisirten positive Chemotaxis
gegenüber dem betreffenden Krankheitserreger.“ Dem gegenüber be¬
deutet der Standpunkt von Denys gewissermaassen bereits eiue An-
näheruDg an die „humorale“ Theorie.
1 Immunität hei lnfectionskrankheiten . Deutsche Ausgabe. S. 252.
* A. a. O. S. 193.
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288
F. Neufeld und W. Rimpau:
Immerhin stimmen Denys und seine Schüler mit Metschnikoff I
darin überein, dass auch sie eine stimulirende Wirkung des speastha
Serums auf die Leukocyten annehmen. Diese Vorstellung ist von Met-d- 1
nikoff und seinen Schülern au zahlreichen Stellen vertreten und alla
Einwänden gegenüber verteidigt worden. Metschnikoff 1 selbst föhn
aus, dass die Immunsera nicht nur auf die Bakterien, sondern „unmitte-
bar auf den inficirten Organismus einwirken, indem sie seine Schutzapparaif
zur stärkeren Bethätigung anregen“. Die Wirkung des Hog-Choleraserort
erklärte er damit, „dass dies die Bakterien in keiner Weise beeinfluss
Serum seine Wirkung allein auf den Organismus des passiv lmmumsra
Thieres ausübt,“ und dass es „die Phagocyten gegen die Toxine wenig* *
emplindlich macht und zu energischem Kampfe gegen die Bakterien
stimulirt“. Bezüglich der Streptokokken-Immunität. sagt Metschnikoff.
dass „die durch das Immunserum zu erhöhter Thätigkeit angespomw
Phagocyten einen wesentlichen Antheil daran haben“. Metschnikoff;
Anhänger und Schüler haben in demselben Sinne die Annahme
Stimulinen vertreten; es sei nur auf die bekannten Arbeiten von Bordet.
Mesuil, Besredka, Gengou hingewiesen. Mesnil 2 fasst seine Resuiak
über die Wirkung des Rothlaufserums dahin zusammen: Die Wirkungda
Serums besteht in einer Stimuliruug der Phagocyten. Das Serumiil
also ein Excitans für die Zellen, die mit der VertheidieaH
des Organismus betraut sind. In einer Arbeit, die aus Metsck-
nikoff’s Laboratorium im vorigen Jahre während der Drucklegung una*
ersten Mittheilung erschien, beschäftigt sich Besredka* eingehend S
der Wirkungsweise des Antistreptokokkenserums und kommt dabei fl
folgenden, den unserigen entgegengesetzten Anschauungen: „Das Sera
übt keine directe Wirkung auf die Streptokokken aus. ... Es bleibt «kl
nur eine einzige Interpretation als möglich übrig,... dass nämlich dl
Ueberleben der mit Serum behandelten Thiere auf der stimulirendfl
Wirkung beruht, welche das Serum auf die weissen Blutkörperchen ausüfe 1
Entsprechend dieser Auffassung über die Stimuline haben Metsch
nikoff und Besredka 4 weiterhin die Annahme vertreten, dass mau dufl
Injection von stimulinhaltigem Serum bei einem anderen Thiere wieder*
ein „antiphagocytäres Serum“ erhalten könne.
Wir glauben, dass sich die Annahme von Stimulinen nicht länger fl
recht erhalten lässt, und halten uns für berechtigt, in diesem einem Purf
' A. a. O. Cap. VIII—X.
* Anna/es de VInstitut Pasteur. 1899. T. XIII.
• Ebenda. 1904.
A Menda. 1901. T. XV.
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Immunität gegen Stheptokokken und Pneumokokken. 289
die von ans für Streptokokken und Pneumokokken erhaltenen unzwei¬
deutigen Ergebnisse als allgemeingültige auf die analogen Verhältnisse
bei anderen Mikroorganismen zu übertragen.
Durch den von uns angestellten Bindungsversuch ist nachgewiesen,
dass das Serum eine specifische Bindung mit den Bakterien eingeht, aber
nicht mit den Leukocyten; es ist also kein „Stimulans“ oder „Excitans“
für die Zellen, sondern bewirkt eine eigenthümliche Umwandlung der
Bakterien. Um diese neugewonnene Anschauung durch einen
sinnentsprechenden Namen zu präcisiren, möchten wir die
Sera, die den Gegenstand unserer Untersuchungen bilden, als
„bakteriotrope“ im Gegensatz zu den bakteriolytischen be¬
zeichnen. Der Name besagt nichts weiter, als dass unter dem Einfluss
des Serums eine Umwandlung oder Umstimmung der Bakterien stattfindet,
als deren Ausdruck wir zunächst nur ihr verändertes Verhalten den Leuko¬
cyten gegenüber kennen. Es ist jedoch möglich, dass die Bedeutung dieser
Stoffe hiermit nicht erschöpft ist und dass beispielsweise in den inneren
Organen noch andere mit der Immunität zusammenhängende Vorgänge
sich abspielen; gerade deshalb schien uns ein so allgemein gehaltener
Ausdruck zweckmässig. Dass die bakteriotropen Stoffe des Serums etwa
mit den Agglutininen identisch sein sollten, war a priori sehr unwahrschein¬
lich. Direct ausschliessen können wir diese Möglichkeit, nachdem wir zu¬
fällig von einem Kaninchen ein Serum erhalten haben, das auf Strepto¬
kokken stark bakteriotrop, aber gar nicht agglutinirend wirkte. Ueber das
Verhältnis der bakteriotropen zu den bakteriolytischen Stoffen können
wir aus den Untersuchungen mit Strepto- und Pneumokokken keine An¬
haltspunkte gewinnen, da uns hier keine specitischen Lysine begegnet
sind. Diese Frage ist in einer vor Kurzem erschienenen Arbeit von
Neufeld und Töpfer 1 behandelt und dahin entschieden worden,
dass beide Arten von Stoffen nicht identisch sind. Gerade dieser
Nachweis hat uns die Veranlassung gegebeu, die bakteriotropen Stoffe
nunmehr mit einem eigenen Namen zu belegeu.
Wir möchten in diesem Zusammenhänge bemerken, dass wir absicht¬
lich nicht die interessanten Befunde von Radziewski 2 und die von ihm
angewandten Färbungsmethoden für unsere Zwecke herangezogen haben.
Dieser Autor hat gefunden, dass im Verlauf der Iufection mit verschiedenen
Bakterien, unter anderen auch mit Pneumokokken, neben der enormen
Vermehrung der Bakterien stets, auch bei hochempfindlichen Thieren,
eine fortdauernde Abtödtuug und Auflösung derselben einhergeht, die sich
1 Centralblatt für Bakteriologie . 1905. Nr. 5.
* Diese Zeitschrift. Bd. XX XVLI.
ZefUdbr. f. Hygiene. LI.
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290
F. Neueeld und W. RniPAtr:
durch besondere Färbemetbodeu darstellen lässt. Wir haben diese Vorm:-
zunächst ausser Acht gelassen, da sie auch bei normalen Thieren Tor¬
kommen, während uns ausschliesslich daran gelegen war, aufzutlär-L
worin der Unterschied im Verlauf der Reaction bei normalen und ba
immunisirten Thieren besteht. Hier glauben wir in dem Verhalten da
durch die bakteriotropen Substanzen des Serums modificirten Bakterie:
gegenüber den Leukocyten den bisher wenigstens einzig greifbaren Unter¬
schied gefunden zu haben.
Diese Eigenschaft fand sich dementsprechend auch bei jedem über¬
haupt wirksamen Serum, gleichviel welcher Herkunft. In unserer eßta
Mittheilung ist nur von dem Serum eines von uns gegen einen Strepto¬
coccus immunisirten Kaninchens die Rede. Wir haben seitdem <fe
Sera von einigen anderen in derselben Weise behandelten Kaninek
ferner von einer mit dem gleichen Streptococcus immunisirten Ziege, so¬
wie endlich einige Proben des von Aronson an Pferden gewonnen-'.
Serums untersucht und bei allen die gleichen im Reagensglase ebenso*;-
im Thierkörper zur Wirkung gelangenden bakteriotropen Stoffe gefundti.
Da das Aronson’sche Serum durch Vorbehandlung mit einem anders
Streptococcus gewonnen ist, so geht hieraus hervor, dass sich die specifek-
Serumwirkung auch im Reagensglase nicht ausschliesslich gegen eine
bestimmten Streptokokkenstamm richtet; dies stimmt völlig mit den firüb-'
von dem einen von uns 1 mitgetheilten Versuchen überein, wonach®
Thierversuch ein mit einem Streptokokkenstamm gewonnenes Sen®
durchaus in derselben Weise gegen jeden zum Versuch heraugezoeen-
Stamm schützte, wie gegen den homologen.
Ebenso wie die Sera haben wir später auch die Leukocyten nie
nur von Kaninchen, sondern auch von anderen Thierarten zu den Reagt>
glasversuchen herangezogen. Insbesondere fanden wir die von Me:
schweinchen (durch Aleuronatinjection in die Bauchhöhle) erhaltenen Lenk
cyten insofern sehr geeignet, als wir bei ihnen seltener als bei Kaninek
Exsudate mit schlechtbeweglichen Zellen erhielten; solche darf man sbfl
zu diesen Versuchen nicht benutzen, sondern muss sich vorher im hängend- -
Tropfen von der genügenden Beweglichkeit überzeugen. Wir haben dak
später meist mit Meerschwei nchenleukocyten gearbeitet, ferner ge legen tk
mit solchen von Mäusen und, worauf wir noch zurückkommen, mit Leut
cyten, die wir aus einem ganz frischen Abscess vom Menschen gewönne
hatten. Es ergab sich, dass die Herkunft der Leukocyten (sobald sie d?
gut beweglich sind) auf das Denys-Leclefsche Phänomen ebenso^rt-
einen Einfluss hat, wie die Thierart, von der das Serum stammt, sonde"
1 Diese Zeitschrift. Bll. XLIV.
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Original frorn
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Immunität gegen Streptokokken und Pneumokokken. 291
dass dieses Phänomen ausschliesslich von dem Gehalt des Serums an
specifischen Stoffen abhängt. Diese Thatsache spricht ganz unzweideutig
dafür, dass die specifischen Wirkungen sich ausschliesslich zwischen dem
Serum und den Bakterien abspielen; denn wenn daneben auch eine directe
Wirkung des Serums auf die Zellen in Frage käme, so müsste man er¬
warten, dass z. B. ein von Kaninchen stammendes Serum die Leukocyten
von Kaninchen stärker als die von anderen Thierarten beeinflussen würde,
und andererseits auch stärker als ein vom Pferde oder der Ziege gewonnenes
Immunserum. Bei unseren vielfach variirten Versuchen hat sich niemals
etwas Derartiges ergeben; auch das scheint uns ein gewichtiger Grund
gpgen die Annahme einer stimulirenden Wirkung des Serums zu sein.
Indem wir uns aus den soeben dargelegten Gründen ge¬
zwungen sehen, einige von Metschnikoff und seinen Schülern
eifrig verteidigte Hypothesen als nicht vereinbar mit den neu
gewonnenen Thatsachen aufzugeben, bleibt dennoch unseres
Erachtens der Grundgedanke der Phagocytentheorie hiervon un¬
beeinflusst bestehen; ja, wir glauben sogar, dass diese Theorie
in der von uns (zunächst für die Immunität bei zwei bestimmten
Bakterienarten) gegebenen Modification sich manche neuen An¬
hänger erwerben dürfte. Einer der Hauptgründe, die im Besonderen
in Deutschland die Phagocytentheorie zu keiner allgemeinen Anerkennung
kommen liessen, war unserer Ansicht nach — neben der zu weit
gehenden Verallgemeinerung derselben auf nahezu alle Verhältnisse der
natürlichen und künstlichen Immunität — ihre Unvereinbarkeit mit den
Grundgedanken (nicht etwa nur mit gewissen Einzelheiten) der Ehr-
lich’schen Theorie. Dieser Theorie zu Folge muss der Bestandtheil des
Serums, welcher der Träger der specifischen Wirkung ist, eine exclusive
Beziehung zu dem StofFe haben, der zur Immunisirung gedient hat: das
Antitoxin zum Toxin, das Hämolysin zum Erythrocyten, die baktericide
oder agglutinirende Substanz zum Bacterium. Diese Exclusivität ist aller¬
dings, ihrem eigentlichen Sinne entsprechend, etwas weiter zu fassen, in¬
dem sie sich bisweilen auch auf andere Zellen oder andere gelöste Stoffe,
als diejenigen, mit denen das betreffende Thier immunisirt worden ist,
erstrecken kann, insoweit jene nämlich gemeinsame Receptoren mit den
letzteren haben; aber als völlig unvereinbar hiermit müssen wir die
Vorstellung von „Stimulinen“ ansehen, wonach bei einem mit Strepto¬
kokken oder Pneumokokken vorbebandelten Thiere Stoffe in’s Blut ab-
gestossen werden sollen, die eine specifische Wirkung auf die Phagocyten
des Kaninchens, der Maus und anderen Thierarten haben. Diese Differenz
zwischen den Theorieen Ehrlich’s und Metschnikoff's würde durch
die von uns gegebene Erklärung aus der Welt geschafft, werden.
19 *
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F. Neufeld und W. Rimpau:
292
Was die eigentliche Wirkungsweise der bakteriotropen Stoffe aa-
langt, so bleibt da noch viel zu erklären übrig. Die naheliegende Ter-
muthung, dass etwa zuerst eine extracelluläre Abtödtuug der Bakteri«
und dann erst secundär die Aufnahme durch die Phagocyten erfolgt. L4
wie wir in unserer ersten Mittheilung bereits uachgewiesen haben, mehr
haltbar. Man konnte ferner an die Möglichkeit denken, dass durch dis
Serum gewisse, von den virulenten Kokken ausgeschiedene Stoffe, durch
welche diese sich vor den Phagocyten schützen, neutralisirt würden; 3
dieser Weise ist ja öfters die Thatsache, dass die Phagocyten sich ra
den virulenten Kokken fern halten, erklärt worden. Eine solche Auffas®
hätte die Wirkung des Serums in gewissem Sinne als eine antitoiw>
erscheinen lassen. Hiergegen spricht aber u. a. schon die mitgetbÄ
Beobachtung, dass auch abgetödtete Kokken, die doch keine derartig-;
Stoffe mehr secerniren können, ebenfalls erst durch das Serum zur Ab¬
nahme in die Leukocyten präparirt werden.
Ernstlicher haben wir dagegen die Vorstellung in Betracht gette--
dass die Wirkung des Serums darauf beruht, dass durch dasselbe geiis
feste Receptoren der Bakterienzelle, die auch bei der Abtödtung erhala
bleiben, und zwar diejenigen Receptoren, welche die Träger^
Virulenz des betreffenden Bacteriums sind, besetzt und datö
ausser Function gesetzt werden. Die Vorstellung, dass die Virulenz «a
Bacteriums auf dem Besitz von bestimmten Receptoren bezw. von 1
sonders zahlreichen Receptoren einer bestimmten Art beruht, ist -
besondere von Pfeiffer näher begründet worden. Bekanntlich sind s 1
gerade bei den Streptokokken und Pneumokokken die Schwankung?!
Virulenz im Vergleich z. B. mit den Typhusbacillen ganz ungehc-
wir kennen Stämme, von denen der millionste Theil eines Cubikcentim--
Mäuse und Kaninchen mit Sicherheit tödtet und andere, von denen ?
ganzer Cubikcentimeter unschädlich ist: ja derselbe Stamm kann im 1
lauf einer kurzen Fortzüchtung im Laboratorium vou dem eineu s
anderen Extrem schwanken. Im Gegensatz zu anderen Bakterie
denen wir stark wirksame Gifte entweder in den Secretionsproducteu
in der Leibessubstanz nach weisen können, wirken ja die „Sepbc-is
Erreger“, zu denen die beiden hier in Rede stehenden Kokkenar:?;
exquisitem Maasse gehören, vorzugsweise durch ihre Virulenz deletär. ■
durch ihre Fähigkeit, sich im Blute und in den Organen des
scheinbar schrankenlos zu vermehren. Wenn wir nun annehmen«-
dass durch das Immunserum gerade diejenigen Receptoren ausser FW*
gesetzt werden, welche die Virulenz des Pueumo- oder Streptococci
dingen, so würde das als eine im höchsten Grade zweckmäßige *
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Immunität gegen Streptokokken und Pneumokokken. 293
richtung erscheinen: es würde dabei diesen Bakterien die Waffe, mit
der sie den Körper bedrohen, ebenso sicher entwunden werden, wie dem
Diphtherie- oder dem Tetanusbacillus, dessen Toxin neutralisirt wird.
In Consequenz dieser Vorstellung müssten wir erwarten, dass, wenn
das Serum speciell an die die Virulenz bedingenden Receptoren des
Bacteriums gebunden wird, es eben diese Receptoren sind, die die Pro¬
duction der Immunstoffe bezw. deren Abstossung in die Blutbahn auslösen.
Dann müssten also avirulente Kokken unfähig sein, die Immunkörper-
bildung auszulösen, abgetödtete virulente Kokken dagegen (nach dem oben
Gesagten) fähig dazu. Diese Annahme scheint mit den bisher be¬
kannten Thatsachen übereinzustimmen. Wie in den früheren Ar¬
beiten des Einen von uns mitgetheilt ist, gelingt es sowohl bei Pneumo- als
bei Streptokokken durch eine einmalige Injection der abgetödteten Körper¬
substanz von virulenten Kokken eine relativ hohe Immunität zu erzielen.
Was dagegen die immunisirende Wirkung avirulenter Culturen anlangt,
so stand damals ein ganz avirulenter Pneumokokkenstamm zur Verfügung,
von dem selbst 10*0 ccm lebender Cultur Kaninchen nicht tödteten: eine
Immunität gegen einen virulenten Stamm wurde durch ihn
aber nicht erzeugt. Aehuliche Beobachtungen wurden in der Folge
noch mehrmals gemacht; es scheint also bei Pneumokokken in der That
eine Immunisirung durch gänzlich avirulente Stämme nicht zu gelingen.
Bezüglich der Streptokokken wurde zwar nicht der gleiche Versuch ge¬
macht, dagegen durch Untersuchung des Moser’schen Streptokokkenserums
(von Pferden stammend) festgestellt, dass dieser avirulente Stamm keine
Bildung von Schutzstoffen auslöste. 1 Der von Moser zur Immunisirung
benutzte Streptokokkenstamm erwies sich nämlich als völlig avirulent,
und dementsprechend hatte das mit demselben erzeugte Serum keine
immunisirende Wirkung; dagegen besass es hohe Agglutinationskraft
gegenüber allen, auch höchstvirulenten Streptokokkenstämmen, wobei den
verschiedenen Stämmen bezw. den verschiedenen Modificationeu derselben
Stämme gegenüber durchaus die gleichen Schwankungen sich zeigten, wie
bei agglutinirendem Serum, das durch Vorbehandlung mit unseren hoch¬
virulenten Streptokokken erzeugt war. 2 Der Moser’sche Streptococcus
hatte also eine Reihe von Receptoren, darunter solche, die bei der Agglu-
1 IHete Zeitschrift. Bd. XLIV.
* Da ich meine damaligen Ausführungen mehrfach so citirt finde, als führte
ich die Schwankungen bei der Agglutination der Streptokokken ausschliesslich auf
Veränderungen der Virulenz zurück, so möchte ich hier nochmals betonen, dass
meiner Erfahrung nach beide Erscheinungen zwar häutig, jedoch durchaus nicht
regelmässig und vollständig mit einander parallel gehen. N.
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294
F. Neufeld und W. Rimpau:
I
k
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tination in Functiou treten, mit unseren Stammen gemeinsam, nur fehlte
diejenigen, auf denen die Virulenz beruht. 1
Die soeben mitgetheilten Erfahrungen weisen darauf hin, dass <fc
bakteriotropen Stoffe des Serums in enger Beziehung zu den Receptoren der
Bakterienzelle stehen, auf denen die Virulenz beruht, und dass sie ein
Reactionsproduct des inficirten Organismus auf eben diese Receptoren sind.
In unserer ersten Mittheilung hatten wir die Frage offen lassen müssen
ob die Bedeutung der bakteriotropen Substanzen sich darin erschöpft, dir
Aufnahme der Bakterien in die Phagocyten zu vermitteln, oder ob sie auch
an der intracellulären Verdauung der Bakterien betheiligt sind und hier¬
bei etwa die Rolle eines Amboceptors spielen, zu dem im Innern dfc
Leukocyten ein passendes Complement tritt. Um diese Frage zu losen,
haben wir uns bemüht, die zweifellos in den Leukocyten vorhandene
wirksamen Stoffe zu extrahiren. Wir haben dazu die Maceration bei 3?.
1 Hier ist natürlich zunächst von der Virulenz für die Laboratoriumsthiere ns>i
von der Wirkung des Serums im Thierversuch die Rede. Ich mochte aber bt
dieser Gelegenheit eine in neuerer Zeit mehrfach geäusserte Anschauung über &
Verhältuiss der Thier- und der Menschenpathogenität nicht unwidersprochen las**
Koch und Petruschky (diese Zeitschrift, Bd. XXIII) haben durch ImpfungeD c
Menschen gezeigt, dass der von Marmorek zur Serumgewinnung benutzte Strept
coccus für Menschen gar nicht pathogen war. Dieser Streptococcus stammte von
Oberfläche der Tousille eines an Angina Erkrankten und war durch KanincLfS
passagen zu hoher Virulenz für Kaninchen herangezüchtet worden; wir müatfo
hieraus schliessen, dass durch solche Passagen ein Streptococcus nicht gleichzeitig tr
Menschen virulent wird. Eine weitere Beobachtung derselben Autoren spricht daft*
dass Kaninchenpassagen nicht einmal ein sicheres Mittel sind, einem Ursprünge
für Menschen virulenten Streptococcus diese Virulenz zu erhalten.
Die Anschauung aber, dass nun umgekehrt ein Streptococcus dadurch
Menschen virulent erhalten werden sollte, dass man ihn in einer Weise aufbewihr
bezw. fortzüchtet, die seine Virulenz für Mäuse und Kaninchen völlig verloren gehe:
lässt, — diese Anschauung stützt sich auf keine einzige Thatsache und darf wohl al?
ausserordentlich unwahrscheinlich bezeichnet werden. Für durchaus unrichtig möchv
ich nach meinen Erfahrungen die vielfach (neuerdings auch von Ar on so u) vertrrtc T
Ansicht halten, dass die für Menschen pathogenen Streptokokken in der Regel tci
vorneherein für unsere Versuchstiere wenig virulent seien. Das Gegentheil gti
schon aus den ersten Untersuchungen Petruschky's hervor, dessen Methode
Nachweis der Streptokokken im menschlichen Blut ja gerade auf der Thatsache &
ruht, dass die bei Sepsis im Blute circulirenden Kokken in der Regel maiiE-
Virulenz für Mäuse besitzen. Ich habe früher sehr vielfach Gelegenheit gehabt, selbe
am Krankenbett oder aus der Leiche, insbesondere bei Erysipel und schwerer Seps»
Streptokokken zu züchten und sofort in der ersten oder zweiten Generation an Thien 1
zu prüfen; ich fand dieselben in der Mehrzahl der Fälle ganz hochvirulent n:
Kaninchen und Mäuse. Die gegentheiligen Beobachtungen erkläre ich mir dar*:'
dass die Virulenz der Streptokokken, wenn sie frisch aus dem Menschenkörper komB^
eine noch viel labilere ist, als wenn sie bereits längere Zeit im 1 Moratorium gezückt
Google
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Immunität gegen Stkeptukokken und Pneumokokken. 295
die Extraction mit inactivem Serum fremder Thierarten, ferner wiederholtes
Gefrieren und Aufthauen angewandt, — Methoden, welche sich zur Ex¬
traction von „Alexinen“ aus den Zellen bewährt haben. Als diese uns
nicht zum Ziele führten, machten wir einige Versuche mit „leukotoxischem“
Serum, das wir uns durch Vorbehandlung von Meerschweinchen mit
leukocytenhaltigem Material von Kaninchen herstellten. Keine dieser
Methoden führte uns zum Ziel; d. h. es gelang uns auf keine Weise,
aus den Leukocyten Stoffe in Lösung zu erhalten, die, sei es
für sich allein, sei es nach Hinzufügung des „Immunkörpers“
in Gestalt specifischen Serums, unsere virulenten Strepto- und
Pneumokokken aufzulösen im Stande waren. Dass man durch die
genannten Methoden beträchtliche Mengen von „Alexinen“ aus den Leuko¬
cyten gewinnen kann, die gegenüber einer Reihe von Mikroorganismen
wirksam sind, ist durch zahlreiche Versuche verschiedener Autoren er-
sind; es genügt dann schon eine kurze Fortzüchtung auf ungeeignetem Nährboden,
um sie schnell sinken zu lassen. Kaninchen und Mäuse sind im Allgemeinen wohl
empfänglicher für Streptokokken als der Mensch und wenn die menschenpathogenen
Streptokokken in der Regel für diese Versuchstiere erst recht virulent sind, so spricht
die Wahrscheinlichkeit dafür, dass diejenigen Stämme, die ihre Virulenz für Kanin¬
chen und Mäuse völlig verloren haben, auch für Menschen nicht mehr virulent sind.
Wenn ich es also für wahrscheinlich halte, dass die für Thiere avirulent ge¬
wordenen Streptokokken auch nicht mehr menschenpathogen sind, so ist die Möglich¬
keit, dass diese letztere Eigenschaft auch durch wiederholte Thierpassagen beein¬
trächtigt wird, ebensowenig auszuschliessen. Koch und Petruschky warnen in
ihrer citirten Arbeit vor der Anwendung derartiger, durch vielfache Passagen ange-
gezüchteter Culturen zur Serumgewinnung. Sie sagen: „Nach diesen Erfahrungen
muss es sehr fraglich erscheinen, ob es überhaupt ein richtiger Gedanke war, mit
derartigen Streptokokken, die für den Menschen ganz unschädlich sind, die Erzeugung
eines Antistreptokokkenserums zu versuchen, welches doch gegen die dem Menschen
schädlichen Streptokokken in*s Feld geführt werden sollte. Sowohl Marmorek wie
Aronson haben derartige Streptokokken zur Erzeugung ihres Serums verwendet, aus¬
gehend von dem Gedanken, höchst virulente Streptokokken an sich in Händen zu haben.“
Später haben Tavel, Moser u. A. den hier ausgesprochenen Gedanken auf¬
genommen; aber die Art, wie sie ihn in die Praxis umgesetzt haben, möchte ich
nicht als zweckmässig ansehen. Petruschky hat seinerzeit die zu den Impfungen
am Menschen bestimmten Streptokokken nicht durch Thieqiassagen virulent er¬
halten, sondern durch die von ihm als ausgezeichnet zur Erhaltung der Virulenz
gefundene Methode der Aufbewahrung im Gelatinestich bei Eisschranktemperatur.
Da wir wissen, dass die so auf bewahrten Culturen Monate lang für Thiere hoch¬
virulent bleiben, so dürfen wir verniuthen, dass auch die Virulenz für den Menschen
Meh dabei erhält; in der Tbat wurde diese Voraussetzung durch den Ausfall der da¬
maligen Erysipelimpfungen an Carciuomkranken bestätigt. Wenn man also auf die
Vermeidung aller Thierpassagen einen so hohen Werth legt, so wäre es gewiss
rationell, nach derselben Methode die Streptokokkenstämme zu conserviren, mit
denen man ein Serum zur Anwendung an Menschen gewinnen will. Neufeld.
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296
F. Xeöfeld und W. Kimi'au:
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wiesen; offenbar sind also diese „Alexine“ mit den Stoffen, die in unsereu
Versuchen die intracellulare Auflösung der Bakterien bewirken, nicht
identisch.
Da es uns also nicht gelungen ist, die Auflösung der Kokken ausser¬
halb der Leukocyten vor sich gehen zu lassen, so können wir die Frage,
auf welchen Stoffen dieselbe beruht und ob dabei, ebenso wie bei der
Bakteriolyse durch specifisches oder normales Serum, ein Zusammenwirken
von zwei Substanzen stattfindet, nicht entscheiden.
Zur Ergänzung unserer früheren Mittheilung seien noch folgende
einzelne Punkte’hervorgehoben.
Was die quantitativen Verhältnisse anlangt, so schien uns die
Stärke der im Reagensglase gemessenen bakteriotropen Wirkung eines
Serums mit der Schutzwirkung an Mäusen parallel zu gehen. Bei einem
stark wirksamen Kaninchenserum stellten wir die quantitativen Verhält¬
nisse dahin fest, dass 0*2 davon eine Maus in der Regel bis gegen 0*1,
zuweilen auch noch gegen 0 • 2 der 24 Stunden nach der Serumapplication
injicirten Bouilloncultur unseres hochvirulenten Streptococcus schützte:
von demselben Serum löste noch 0-003, im Reageusglase mit 0-2 Leuko-
cytenaufschwemmung und 0-2 Streptokokkenbouilloncultur gemischt, eiuc
recht lebhafte Phagocytose aus, während 0-001 keinen deutlichen Effect
mehr hatte.
Eine auffallende?|Erscheinung, die in unserer ersten Mittheilung
noch nicht erwähnt;iwurde, ist die Neigung derjenigen Leukocyten.
welche mit Kokken gefüllt sind, sich in grossen, festen Haufen zusammen¬
zuballen; schon hierdurch bekommen die aus den mit Immunserum ver¬
setzten Röhrchen angefertigten Präparate ein ganz anderes Aussehen als
die aus den Controlröhrchen. Diese intensive Haufenbildung ist eine
secundäre; sie bleibt aus, wenn man die Leukocyten allein mit dem
Immunserum versetzt, ohne die Kokken hiuzuzufügen. Ebenso auffallend
ist — insbesondere bei der Infection mit Pneumokokken — die Ver¬
klumpung der Leukocyten in der Bauchhöhle von immunisirten Mäusen
während des Actes der Phagocytose. Levaditi 1 hat bei der Spirochäten¬
krankheit des Huhnes einen ähnlichen Vorgang im Thierkörper unter
der Wirkung des Immuuserums beschrieben; er führt denselben auf
eine unmittelbare Wirkung des Serums auf die Leukocyten des kranken
Thieres zurück.
Als sehr bequem erwies sich uns das Arbeiten mit carbolisirtem
Serum; insbesondere bei Anwendung kleinerer Serumdosen liess der geringe
Carbolgehalt keine Schädigung der Thätigkeit der Phagocyten erkenuen.
1 Annale.s de PInstitut Pasteur. 1 ‘JO4.
Gck igle
Original from
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Immunität gegen Stkeptokokken und Pneumukukken. 297
Dass freie Complemente bei dem ganzen Vorgänge keine Rolle spielen,
haben wir schon früher nachgewiesen; dementsprechend haben wir späterhin
ast stets mit inactivirten, bezw. carbolisirtem Immunserum gearbeitet
md die Leukocyten anstatt in Serum in Kochsalzlösung aufgeschwemmt.
In ziemlich seltenen Fällen zeigte sich auch in den Controlröhrchen,
lie keinen Zusatz von specifischem Serum hatten, eine lebhaftere Phago-
ytose. Diese blieb jedoch aus, wenn wir die Leukocyten mehrmals in
Kochsalzlösung wuschen, so dass die Spuren der anhaftenden Exsudat-
.üssigkeit möglichst beseitigt wurden; wir möchten daher annehmen, dass
erartige Exsudate von Meerschweinchen oder Kaninchen bisweilen bak-
eriotrope Substanzen gegenüber den Streptokokken enthalten können.
Von Interesse war es, festzustellen, ob auch die menschlichen Leuko-
yten sich den Streptokokken gegenüber ebenso verhalten, wie die von
'aninchen und Meerschweinchen. A priori schien es nicht ausgeschlossen,
iss die mit den Leukocyten verschiedener Laboratoriumsthiere angestellten
ersuche mit menschlichen Leukocyten nicht gelingen würden. Verhält
ch der Mensch doch gerade den Streptokokken gegenüber ganz anders
ie unsere Versuchsthiere. Bei diesen finden wir, sobald sie eine schwere
;reptokokkeninfection überwunden haben, meist eine ganz zweifellose
amunität: sie vertragen reactionslos ein oft erhebliches Multiplum der
sten Dosis, und ihr Serum hat fast immer eine deutliche Schutzwirkung
•i verschiedenen Thierspecies. Anders liegen die Verhältnisse beim
ensehen: kurz nach Ablauf eines Erysipels kann durch Impfung mit
mselben Streptococcus immer wieder ein Erysipel erzeugt werden 1 , und
i einem von einer Streptokokkenkrankheit Genesenen ist bisher noch
?mals mit Sicherheit nachgewiesen worden, dass sein Serum irgend-
Iche Schutzkörper enthält; wir selbst hatten bei vielfachen Versuchen
*ser Art stets negative Resultate* Dazu kommt, dass nach den bis-
rig’en Erfahrungen auch ein im Thierversuch stark wirksames Serum
der Anwendung am Menschen nicht eine so deutliche Einwirkung
;* den Krankheitsverlauf gezeigt hat, wie man es hätte erwarten sollen,
n konnte daran denken, dass diese Verschiedenheiten mit einem ab-
chenden Verhalten der menschlichen Leukocyten zusammenhingen,
i dass aus diesem Grunde der menschliche Körper ebenso unfähig sei,
bakteriotropen Stoffe eines specifischen Thierserums auszunutzen, wie
selbst ausser Stande zu sein scheint, seinerseits unter der Einwirkung
Streptokokkeninfection Schutzstoffe zu produciren, die bei unseren
suchsthieren wirksam sind. Nun ist es schwer, ganz frische und lebens-
tit?e Leukocyten von Menschen zu erhalten. Aus diesem Grunde fielen
* Koch und Petrusehky. Diese Zeitschrift. Bd. XXIII.
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Original frum
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298
F. Neufeld und W. Rimpau:
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wohl unsere beiden ersten Versuche mit Leukocyten, die aus einer Phleg¬
mone und einer Osteomyelitis stammten, das Denys-Leclef’sche Phä¬
nomen zu erzeugen, ganz negativ aus. Dann erhielten wir zufällig Eiter
aus einem kleinen, ganz oberflächlichen und frischen, höchstens 48stän¬
digem Abscess, den wir im Institut selbst incidirten und sogleich zum
Versuch benutzten; im mikroskopischen Präparat fanden sich darin keine
Bakterien, culturell spärlich Streptokokken.
Die gewaschenen Leukocyten zeigten nun das Denys-Leclef’sche
Phänomen in typischer Weise: nach Zusatz einer kleinen Quantität
unseres Streptokokkenserums wurden die reichlich hinzugefügten Strepto¬
kokken schnell und fast vollständig phagocytirt, während in der mit
normalem Kaninchenserum versetzten Controle keine Phagocytose auftrat.
Uebrigens gelang der Versuch ebenso mit dem Aronson’schen Serum:
theoretisch lässt sich also von diesem Gesichtspunkte aus gegen dir
Möglichkeit der Ausnutzung der darin enthaltenen Schutzstoffe auch im
menschlichen Körper nichts einwenden.
Am Schlüsse unserer ersten Mittheilung hatten wir in Aussicht ge¬
stellt, über analoge Versuche mit anderen Mikroorganismen, insbesondre
mit solchen, welche septicämische Krankheiten erzeugen, zu berichteu.
Aus äusseren Gründen mussten wir uns aber auf ein Paar orieutirender
Versuche mit Rothlauf und Milzbrand beschränken, Krankheiten, von denn
wir nach den bisherigen Beobachtungen (ebenso wie von der Pest) mi:
Sicherheit annehmen dürfen, dass die bei ihnen auftretende Immumtä'
ebenfalls nicht oder doch höchstens nur zum kleinen Theile auf einer
baktericiden Wirkung des Serums beruht. Wir fanden jedoch, dass im
Reagensglase bei Rothlauf und Milzbrand nicht ohne Weiteres eint
bakteriotrope Wirkung des Immunserums in derselben eindeutigen Vfeitr.
wie bei Strepto- und Pneumokokken, zu Tage tritt, sondern dass ins¬
besondere bei Rothlaufbacillen bereits im normalen Serum lebhafte Plage-
cytose stattfindet. Unserer Ansicht nach darf man also nicht ohne Weiteres
weun man beim Zusammenbringen von Leukocyten, Bakterien und Serum
im Reagensglase Phagocytose auftreten sieht, dieses Phänomen auf inimu-
nisirende Stoffe des betreffenden Serums beziehen, sondern dieser Zu¬
sammenhang muss für jeden Fall erst bewiesen werden.
Dies entspricht auch den im Thierkörper gemachten Beobachtungen;
so ist es bei Rothlauf bereits lange bekaunt, dass im Thierkörper auca
bei ganz virulenten Culturen und hochempfäuglichen Thieren schon obre
Einwirkung specitischen Serums eine sehr starke Phagocytose emiri"
Ebenso wissen wir, dass Tuberkelbacillen die einem Meerschweinchen in d-f
Bauchhöhle injicirt werden, sehr energisch von Phagocyten aufgeuomnw-
werden; auch hier kann von einer Immunität nicht die Rede sein.
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Original from
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I
Immunität gegen Stkeptokokken und Pneumokokken. 299
Bekanntlich ist man jetzt sehr vorsichtig darin geworden, Zusammen¬
hänge zwischen der oft enorm starken baktericiden Wirkung eines nor¬
malen Serums auf gewisse Bakterien und der natürlichen Immunität der
betreffenden Thiere gegen dieselben Bakterien zu construiren. Es hat
sich z. B. bei Milzbrand ergeben, dass auch eine stark baktericide Wir¬
kung eines normalen Serums absolut nicht der Ausdruck einer entsprechen¬
den Immunität zu sein braucht. Eine ähnliche Zurückhaltung dürfte sich
auch gegenüber der bakteriotropen Serumwirkung empfehlen.
Im Vorstehenden haben wir uns darauf beschränkt, die Stoffe zu
untersuchen, auf denen unserer Ansicht nach die specifische Wirkung
gewisser Immunsera beruht. Wir gehen deshalb nicht des Näheren auf
die Untersuchungen von Wright ein, welcher in mehreren Arbeiten 1
eine phagocytosebefördernde, von ihm als „opsonisch“ bezeichnete Wirkung
normalen menschlichen Serums auf verschiedene Mikroorganismen be¬
schrieben hat, die er als Ausdruck der Immunität ansieht. In einigen
Fällen erfuhr diese „opsonische“ Serumwirkung eine gewisse Steigerung,
uachdem die Versuchspersonen mit abgetödteten Culturen des betreffenden
Mikroorganismus injicirt worden waren. Ob das „opsonische“ Serum eine
immunisirende Wirkung besass, hat Wright nicht untersucht. Des
Weiteren beruht die von ihm beobachtete Serumwirkung im Gegensatz
zu unseren bakteriotropen Stoffen auf einer thermolabilen Substanz.
1 Die Litteraturangabcn s. in Deutsche med. Wochenschrift. 1904. S. 1929.
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Original fro-m
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[Aus dem Iustitut für Infectiouskraiikheiten iu Berlin und
aus dem pathologischen Iustitut der thierärztlichen Hochschule in Berlin.'
Ueber
die Immunisirung von Rindern gegen Tubereulose.
Von
Prof. Dr. Robert Koch, Prof. Dr. W. Schütz,
Prof. Dr. P. Neufeld, Dr. H. Miessner.
Für die Möglichkeit, Kinder gegen die experimentelle Iufectiou
Perlsucht zu immunisireu, liegen heute bereits viele Beweise vor, di« ^
verschiedenen Seiten beigebracht worden sind. Dagegen herrscht noch
Uebereinstimmung über die Methoden, die zur Immunisiruug anzuwi
sind und über die Zuverlässigkeit der Resultate, die sich dabei übe:
erreichen lassen. Im Folgenden soll daher eine grössere Versucl
mitgetheilt werden, bei der es gelungen ist, durch eine bestimmte Art
Vorbehandlung einen hohen Grad von Immunität bei Rindern herzusu
Andererseits soll auch gezeigt werden, dass anscheinend geringe
änderuugen der Methode ausreichten, um das Ergebniss der Vi
zweifelhaft zu machen.
Von den verschiedenen Wegen, auf denen mau die Immuwsr
gegen Perlsucht versucht hat, sind bisher ohne Zweifel die besten Ri
durch die intravenöse Injection lebender menschlicher Tuberkelbacillea
zielt worden. Es ist das die Methode, die auch wir von An
an angewandt haben, und die sich uns naturgemäss aus
Ausfall der vorangegangenen Versuche über den Untersek
zwischen den Bacillen der menschlichen und der Rim
tuberculose ergab. Denn für uns steht es fest, dass das 1
Original frorn
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Robert Koch. W. Schütz, F. Neui-ked, H. Miessner: Immükisir. 301
lilem der Tuberculose-Immunisirung in dem Sinne, wie es uns
hier beschäftigt, d. h. im Sinne des Impfschutzes vorher ge¬
sunder Thiere gegen tödtliche Dosen virulenten Materials auf
das Innigste mit der Frage der Verschiedenheit der Bacillen
der menschlichen Tuberculose und der Bacillen der Perlsucht
verknüpft ist, und dass dieses Problem in ein neues Stadium
eingetreten ist, seitdem diese gelegentlich schon früher be¬
hauptete Verschiedenheit durch die Versuche von Koch und
Schütz in exacter Weise nachgewiesen wurde. Aus diesen Ver¬
suchen hatte sich ergeben, dass Rindern grössere Mengen lebender Bacillen
der menschlichen Tuberculose ohne Schaden eingespritzt werden konnten,
während sie nach der Einspritzung selbst von kleinen Mengen lebender
Bacillen der Perlsucht an allgemeiner Tuberculose erkrankten. Hiernach
lag es nahe, Rinder, die nur für das Virus der Perlsucht empfänglich
sind, durch vorhergehende Behandlung mit dem Virus der menschlichen
Tuberculose zu immunisiren, und so stehen unsere Immunisirungs-
versuche im unmittelbaren Zusammenhänge mit den früheren Versuchen
von Koch und Schütz und knüpfen direct an diese an. Unseren Ver¬
suchen an Rindern sind die von Neufeld 1 2 beschriebenen Experimente
au Eseln und Ziegen zum Theil zeitlich vorausgegangen, und an diesen
beiden Thierarten gelang es uns, zum ersten Male (im Herbst 1901) die
Möglichkeit einer Immunisirung gegen grosse Dosen virulenter Perlsucht¬
bacillen mit Sicherheit festzustelleu. Kurze Zeit darauf haben wir, wie
ebenfalls bereits von Neufeld* mitgetheilt ist, dasselbe Immuuisirungs-
rerfahren auf Rinder übertragen.
Die Einspritzung von lebenden Bacillen der menschlichen Tuberculose
i't im Uebrigen nicht die einzige Methode gewesen, durch welche man
versucht hat, Rinder gegen Perlsucht immun zu machen. Es kameu da¬
neben, indem wir von den Versuchen mit passiver Immunisirung hier ab-
sehen, in Betracht: 1. Die Einspritzung von Stoffwechselproducten der
Tuberkelbacillen oder von todten Tuberkelbacillen, 2. die Einspritzung
von lebenden Bacillen, die den Tuberkelbacillen nahe stehen (Bacillen der
Getliigeltuberculose, Bacillen der Kaltblütertuberculose und säurefeste Ba¬
cillen) und 3. die Einspritzung von Perlsuchtbacillen, deren Virulenz ab¬
geschwächt worden ist.
Die beiden zuerst erwähnten Methoden hat M’Fadyean 3 zur Jm-
1 Deutsche med. Wochenschrift. 1903.
2 Ebenda. 1904.
3 M’Fadyean, Experiments regarding the iinnmnisation ofcattle ag&iust Tubcr-
• ulosis. The Journal of comparative patholoyy and thera prüftet. 1901. p. 136 um]
1*02. S. 60.
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302 Robert Koch, W. Schütz, F. Neuffld t;nd H. Miessxer:
munisirung benutzt. Wir wollen auf die wenig bekannt gewordenen Ver¬
suche desselben hier ausführlicher eingehen, weil es die ersten ge*««
sind, bei denen unzweifelhaft ein beträchtlicher Grad von Immunität k
Rindern erreicht und durch Prüfung mit einem an Controlrindern it
virulent erwiesenen Material demonstrirt wurde. Bei den Versuchen r
Tuberculosegiften handelt es sich allerdings nicht um gesunde, sonden
um bereits spontan tuberculose Rinder, und der Autor selbst nimmt in
dass hier die Immunität nicht durch das Tuberculin allein, sondern dwt:
dessen Wirkung auf die schon bestehenden tuberculösen Herde befe
wurde.
Bei zwei Rindern, die schon vor dem Versuche auf eine Einsprititt.
von Tuberculin reagirt hatten, also tuberculös waren, versuchte M'Fadm:
Immunität durch grosse Dosen von Tuberculin hervorzurufen. Da< ®
der beiden Thiere erhielt zuerst kleine Mengen, dann 4 Mal 10 er “ tut
5 Mal 20 ccm Tuberculin. Schliesslich wurden ihm gleichzeitig mit i*
Coutrolthieren verriebene Theile einer tuberculösen Gekröslymphdrüse flfc
Pferdes in die Vene gespritzt. Als die drei Thiere 2 bezw. 3 Morn’
nach dieser Injection getödtet wurden, ergab die Section, dass da* m
Tuberculin vorbehandelte Rind nur eine verkalkte mesenteriale Ljmpt-
drüse aufwies, während alle übrigen Organe frei von tuberculösen Vs-
änderungen waren, dass dagegen bei den beiden Controlthieren eine *
gedehnte Lungentuberculose bestand.
Bei einem zweiten bereits ebenfalls spontan tuberculösen Rinde *nrö
zuerst vier Injectionen von Tuberculin gemacht; darauf erhielt es gk
zeitig mit einem Controlrind intravenös 1 l / t ccm einer Emulsion ans c*
mit miliaren Knötchen durchsetzten Leber eines mit Perlsucht inficir?
Kaninchens. Das Controlrind wurde etwa nach 7 Wochen schwer kn->
getödtet und zeigte ausgebreitete Miliartuberculose der Lungen; da? et*
erwähnte Thier dagegen blieb zunächst gesund und erhielt in ton-'
Zwischenräumen 7 Mal 20 ccm und 1 Mal 10 ccm Tuberculin unter die Hr
gespritzt. Dann wurde die Einspritzung von Theilen tuberculöser Orrtf
(Lunge eines mit Perlsucht inficirten Kaninchens und Pferdemilz) in &
Venen noch 2 Mal wiederholt, und endlich wurden 4 Mal Tuberkelbac >
culturen (ob Perlsucht oder menschliche Tuberkelbacillen ist ms du
Angaben des Autors nicht ersichtlich) in die Venen gespritzt, dazwi*^
mehrfache Injectionen von Tuberculin. 2 Monate nach der letzten l
spritzung und fast 2 Jahre nach der oben erwähnten ersten Injection r
der für das Controlthier tödtlichen Perlsuchtverreibuug starb das R'
und die Section ergab tuberculose Herde in beiden Nieren, in den unttf®
Lungenpartieen, in vielen Drüsen, sowie Miliartuberculose der weiß-
Hirnhaut. Auch dieses Rind hat, wie schon der Vergleich mit d®
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Über die Immünisirung von Rindern gegen Tuberculose. 303
Controlthier ergiebt, zweifellos einen beträchtlichen Grad von Immunität
besessen, der jedoch bei der immer erneuten Zufuhr von infectiösem
Material nicht ausreichte.
Wir lassen die anderen Versuche von M’Fadyean gleich folgen.
Zwei Rinder, die auf die Einspritzung mit Tnberculin nicht reagirt
hatten, erhielten zuerst eine Aufschwemmung von Geflügeltuberkulose¬
bacillen (bacillenreiche Emulsion der Leber eines spontan tuberculösen
Fasans bezw. Huhns) intravenös, alsdann mehrfach wiederholte Dosen von
Tnberculin. Darauf wurden den Thieren je 3 bis 4 Mal perlsuchthaltige
Organ Verreibungen, 4 bis 5 Mal je eine Tuberkelbacillen-Reincultur (die¬
selbe, die in den oben erwähnten Versuchen angewandt wurde) in die
Venen gespritzt, dazwischen wieder mehrfache Tuberculindosen. Beide
Tkiere starben schliesslich nach längerer Zeit (etwa 2 Jahre nach der
ersten Injection von Perlsuchtmaterial). Die Section ergab nicht besonders
zahlreiche Herde in den Lungen, Nieren und Drüsen, ferner in dem einen
Falle einige Miliarknötchen in der weichen Hirnhaut, in dem anderen
Falle einen haselnussgrossen, bacillenhaltigen Knoten im verlängerten Marke.
Auch bei diesen Rindern darf man annehmen, dass sie bereits einen
gewissen Grad von Immunität erreicht hatten; die Immunität reichte aber
noch nicht aus, um derartig grosse und wiederholt verabreichte Mengen
des virulenten Materials unschädlich machen zu können.
Auch Pearson und Gilliland 1 versuchten Rinder durch Einspritzung
von Tuberculin zu iinmunisiren.
Sie spritzten zwei Kühen, die vorher mit Tuberculin geprüft waren,
ohne zu reagiren, an zehn aufeinander folgenden Tagen jedes Mal je 5 ccm
Tuberculin unter die Haut. Darauf fütterten sie die Versuchsthiere und
zwei Controlthiere 10 Tage lang mit je 100 g einer perlsüchtigen Lunge
vom Rinde und spritzten den Versuchsthieren während der Fütterung ausser¬
dem noch täglich je 15 ccm Tuberculin unter die Haut. Drei Monate später
wurden sämmtliche Thiere getüdtet. Bei der Obduction wiesen die Ver-
suchsrinder nur tuberculose Veränderungen in den mesenterialen Lymph-
drüsen auf, die Controlrinder dagegen auch in anderen Drüsen sowie in
den Lungen. Hieraus schlossen die Verfasser, dass die Widerstandsfähig¬
keit gegen die Infection mit Perlsucht durch die Einspritzungen von Tuber¬
culin erhöht worden sei.
Die Immunisirung von Rindern mit den Bacillen der Gellügeltuber-
culose und mit anderen den Tuberkelbacillen mehr oder weniger nahe-
1 PearsoD and Gilliland. S<mie experiments ujion tlie iinniunisation of cattlc
urainst tuberculosis. Journal of comparaiive mrdicine and veterinory archives. Phila-
kljdiia* November 1902.
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304 Robert Koch, W. Schütz, F. Xeufeld und H. Miessner-.
stehenden Bacterien ist mehrfach versucht worden, nachdem bereits in fe
neunziger Jahren entsprechende Versuche an kleinen Thieren gemac:
worden waren. Die Versuche an kleinen Thieren sollen nur sow«
kurz erwähnt werden, als sie eine gewisse Analogie zu den Versuchen u
Rindern bieten.
So versuchten Grau eher und Ledoux-Lebard 1 2 , Kaninchen durchEis-
Spritzungen von Bacillen der Geflügeltuberculose in die Venen immun r.
machen. Aehnliche Versuche machten Hericourtund Riebet* bei Hunden
Grancher und Martin 3 4 * spritzten Kaninchen zuerst alte und dann (neck
sehr virulente Bouillonculturen der Geflügeltuberculose in den Venen. Babe : ‘
impfte Hunde, Kaninchen und Meerschweinchen mit Bacillen der Getter
tuberculose. Auch Courmont und Dor 6 7 versuchten durch Einspritic
von immer gesteigerten Mengen der Bacillen der Geflügeltuberculose Imoi
nität bei Kaninchen hervorzurufen. Paterson 6 wandte zu diesem Zweö
bei Kaninchen und Meerschweinchen abgetödtete Culturen der Gefltte
tuberculose an. Im Allgemeinen ist zu sagen, dass die Erfolge, von det-
ein Theil der Experimentatoren spricht, von einem anderen Theile in Ab¬
rede gestellt worden ist. Zu den letzteren gehört namentlich Straai
Auch Terre 8 gelang es nicht, mit Fischtuberculosebacillen Meerschw-i-
chen gegen Tuberculose zu immunisiren.
1 Grancher et Ledoux-Lebard, Etudes snr la tuberculose experimentii*
lapin. Arch. de med. exp. et d’anat. path. 1891. Nr. 2.
2 H^ricourt et Richet, De la vaccination contre la tuberculose humaiii-
la tuberculose aviaire. Etudes exp. et clin. sur la tuberculose. 1892. A. III. Fist*
p. 865. — La vaccination tuberculeuse chez le chien. Compt. rend. de Uac&
Sciences. 1892. T. CXIV. p. 854. 1889. — Inliuence sur l’infection tuberculec** *
la transfusion du sang des chiens vaccines contre la tuberculose. Ebenda. T. (Ti‘
p. 842. — La vaccination tuberculeuse chez le chien. Le bull. m&d. 1892. Nr 2
p. 741 et Nr. 48. p. 906.
8 Grancher et Martin, Tuberculose experimentale sur un mode de traites*
et de vaccination. La sem. mtd. 1890. Nr. 37. — Note sur la vaccination astä*
Congres pour Vtfude de la tuberculose. 1891. p. 10. — £tude sur la vaccination ns'*
culeuse. Revue de la tuberculose. 1893. T. I. p. 289.
4 Babes, Essais de traitement de la tuberculose (par Pinjection du 1
chiens rendus refractaires a cette maladie). Communication au congres pour 1'**
de la tuberculose. 1893.
8 Courmont et Dor, De la vaccination contre la tuberculose aviaire
maine avec les produits solubles du bacille tuberculeux aviaire. Congres pour
de la tuberculose. 1891. p. 651.
6 Paterson, A method of producing immunity against touberculous infrtv*
The Lancet. 1897. p. 1106.
7 Straus, La tubercul. et son bacille. 1895. p. 797.
8 Terre, Ref. Centralblatt für Bakteriologie. Bd. XXXIII. S. 200.
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UNIVERSiTY OF CALIFORNIA
Über die Immunisirung von Rindern gegen Tuberculose. 305
Wir selbst wurden durch die Beobachtung, dass das Serum von Ziegen
und Eseln, die gegen Tuberculose immunisirt worden waren, nicht nur
Tuberkelbacillen, sondern auch eine Reihe anderer säurefester Bacillen
igglutinirte \ und dass umgekehrt das Serum von Thieren, die z.B. mit dem
Moeller’schen Thimotheebacillus vorbehandelt worden waren, wiederum
Tuberkelbacillen agglutinirte, auf die Anwendung „säurefester“ Bacillen
cur Immunisirung gegen Tuberculose hingewiesen. Aber schon wenige
Versuche an Ziegen ergaben, dass mit dem Moeller’schen Thimothee-,
-’seudoperlsucht- und dem Blindschleichentuberculose- Bacillus zum min-
lesten eine so schnelle und vollkommene Immunität, wie mit dem Bacillus
ler menschlichen Tuberculose auch nicht annähernd erzielt werden konnte;
um Theil hatten diese Culturen auch noch schädliche Nebenwirkungen.
Vir haben deshalb die Versuche nicht weiter fortgesetzt.
Nur bei Meerschweinchen, bei denen noch keines der zahlreichen
i.sher versuchten Immunisirungsverfahren als sicher wirkend anerkannt
orden ist, wurde eine grössere Zahl von Versuchen mit lebenden Culturen
es Thimothee-, Mist-, Pseudoperlsucht- und Bliudschleichentuberculose-
lacillus gemacht. Die Meerschweinchen wurden grösstentheils intravenös
lurch Injection in die Axillarvene) in einigen Fällen auch intraperitoneal
lit lebenden Culturen der genannten Bacillen vorbehandelt und nach ver¬
mieden langer Zeit durch aubcutane oder intraperitoneale Injectionen
einer Mengen schwach virulenter Tuberkelbacillen auf ihre Immunität
■prüft. Bei den so vorbehandelten Meerschweinchen liess sich zwar
iufig eine Verzögerung im Auftreten der ersten Infectionserscheinungen
ld im Verlaufe der Infection nachweisen, insbesondere war die Erkrankung
>r Lymphdrüsen bei subcutaner Infection bisweilen eine sehr geringe,
id wir hätten deshalb bei einer nicht genügend langen Beobachtung der
liere leicht zu falschen Schlussfolgerungen verleitet werden können,
nsere Meerschweinchen sind indess schliesslich alle tuberculös geworden.
Auch andere Experimentatoren sind zu ähnlichen Ergebnissen ge-
mmen.
M oeller 2 versuchte Meerschweinchen und Kaninchen durch sub-
tane und intravenöse Injectionen säurefester Bacillen immun zu machen,
erbei zeigte sich, dass selbst durch wiederholte intravenöse Injectionen
r ein hemmender Einfluss auf die Entwickelung der Tuberculose, aber
ne vollständige Immunität gegen dieselbe zu Stande kam, und zwar
1 Koch, Ueber die Agglutination der Tuberkelbacillen und über die Verwertlmng
-,-r Agglutination. Deutsche nied. Wochenschrift . 19dl. Nr. 48.
* Moeller, Ueber active Immunisirung gegen Tubereulose. Zeitschrift für
bereute** und Heilstätten treten. ßd. V. S. 206.
/ e itöCiir. f. Hygiene. LI. 20
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306 Robert Koch, W. Schütz. F. Neufeld und H. Meessxeb:
hatte der Timotheebacillus und der Grasbacillus II die relativ geringe
der Pseudoperlsuchtbacillus die relativ stärkste Wirkung.
Klemperer 1 kommt auf Grund von acht Versuchen an Meer¬
schweinchen zu dem Schlüsse, dass durch subcutane. bezw. intraperitoneir
Einspritzungen von säurefesten Bacillen ein abschwächender und hemmt:
der Einfluss auf die tuberculöse Infection ausgeübt wird. Der Schutz
aber nur gering und vorübergehend, da alle behandelten Meerschweinchej
in Folge der Einspritzung der Bacillen der menschlichen Tubercub
später dennoch zu Grunde gingen. Dieudonnö 2 fand, dass eine ol¬
dem Froschkörper gezüchtete Cultur bei Meerschweinchen keine Immnni^
gegen eine nachfolgende intraperitoneale Impfung mit Tuberkelbadlfe
hervorrief. Die betreffende Cultur war nach mehreren Passagen durrt
Frösche gewonnen, nachdem der erste Frosch mit Säugethiertubercufe
geimpft worden war. Auf die Frage der Umzüchtung von Tuberk-
bacillen durch derartige Passagen brauchen wir nicht mehr einzugebt
nachdem durch die eindeutigen Versuchsergebnisse von Weber -
Taute 8 die Fehlerquelle, der die früheren Autoren zum Opfer gefall
sind, aufgedeckt worden ist.
Friedmann 4 hat aus einer spontan entstandenen Höhle in <k-
Lungen einer Schildkröte einen Bacillus gezüchtet, den er für eins
modificirten Bacillus der menschlichen Tuberculöse hält. Er beheb
zunächst über die immunisirende Wirkung dieser Cultur (soweit ersichtl -
bei intravenöser Application) an Meerschweinchen; bei den theilweise £
scheinend günstigen Resultaten ist jedoch nach dem oben angeführt
zu beachten, dass in allen Fällen die Beobachtungsfrist der Thiere r
viel zu kurze ist, um irgend sichere Schlüsse aus den Versuchen zu ziebrt
In einer späteren Mittheilung berichtet Fried mann b über zweit
seiner Cultur vorbehandelte Rinder, die nachher mit einer Perlsuchtcote
1 Klemperer, Ueber die Beziehung der säurefesten Saprophyten (F^
tuberkelbacillen) zu den Tuberkelbacillen. Zeitschrift für klin. Medici ».
Bd. XLVIII. S. 250.
* Dieudonn4, Münchener med. Wochenschrift . 1903. S. 2282.
8 Weber und Taute, Tuberculöse-Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundhei!t&
Hft. 3.
4 Friedmann, Spontane Lungentuberculose bei Schildkröten und die fctr •
des Tuberkelbacillus im System. Zeitschrift für Tubei'culose und Heilstätte**^
Bd. IV. S. 439. — Immunisirung gegen Tuberculöse. Deutsche med. Woche
1903. S. 953. — Zur Frage der activen Immunisirung gegen Tuberculöse. B***
1904. S. 166.
5 Diese Bedenken werden durch die seither erfolgte Publication von LibberU
und Ruppel (Deutsche med. Wochenschrift , 1904, Nr. 46) noch verstärkt.
6 Friedmann, Ueber Immunisirung von Rindern gegen Tuberculöse (Perl' ‘
und über Tuberculoseserum-Versuche. Deutsche med. Wochenschrift. 1904. J? r
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Über die Immunisirung von Hindern gegen Tobekculose.
307
iuficirt wurden, ohne an allgemeiner Tuberculose zu erkranken. Die
iufectionsdosis wird nicht angegeben. Sie genügte jedenfalls nicht, um
das Controlthier in 4 Monaten zu tödten, sondern dasselbe wurde alsdann
geschlachtet und wies in den Lungen „unzählige feinste, dem Verlauf der
Jefässe folgende Knötchen (Miliartuberkel)“ auf. Nach den vorliegenden
spärlichen bezw. wenig exacten Versuchen muss es wohl dahingestellt
»leiben, ob und bis zu welchem Grade sich mit dem Schildkrötentuberkel-
wcillus eine Immunisirung herbeiführen lässt.
Friedmann hat auch einen Heilungsversuch bei einem Rinde vor-
fenommen, das auf die Einspritzung von Tuberculin reagirt hatte, also
uberculös war. Bei der Section dieses Rindes fanden sich nur einige
leine, verkalkte und abgekapselte tuberculose Herde in zwei trachealen
jymphdrüsen. Nun lässt sich aber ein ähnlicher Befund bei gar nicht
ehandelten Rindern sehr häufig beobachten. Mithin geht aus dem Be¬
rnde nicht hervor, dass die Verkalkung und Abkapselung der tuber-
ulösen Herde eine Folge der Behandlung mit Schildkrötentuberkel-
acillen war.
Römer 1 macht eine kurze Angabe über Versuche, mit einem Stamm
Hühnertuberculosebacillen Rinder gegen Perlsucht zu immunisiren.
as Verfahren wurde jedoch als zu gefährlich und für die Praxis nicht
^eignet wieder verlassen.
Ein ganz sicheres Urtheil darüber, inwieweit Rinder durch Ein-
»ritzung von Geflügeltuberculosebacillen oder von manchen anderen
urefesten Bacillen gegen Perlsucht immunisirt werden können, lässt
ch aus den Mittheilungen der oben genannten Autoren noch nicht ge-
nnen. Wenn sich auf diesem Wege eine gewisse Immunität erreichen
sst, so dürfte in jedem Falle der Grad derselben nicht annähernd mit
mjenigen zu vergleichen sein, den eine geeignete Vorbehandlung mit
bten Tuberkelbacillen hervorruft.
Was die oben erwähnte dritte Methode betrifft, durch Einspritzung
n Perlsuchtbacillen, deren Virulenz abgeschwächt worden ist, gegen
•ulente Perlsucht zu immunisiren, so wollen wir später darauf zuriick-
mmen. Wir wenden uns jetzt zu den Versuchen von Behring’s.
Von Behring hat in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern Römer
d Kuppel über eine grössere Anzahl von Versuchen, Rinder gegen
rlsucht zu immunisiren, berichtet und auf Grund der dabei von ihm
laltenen Resultate die intravenöse Injection eines bestimmten Stammes
’ultur I“) von menschlichen Tuberkelbacilleu zur Einführung in die
ixis empfohlen, um durch Immunisirung der Kälber in den ersten
1 Römer, Beitrüge zur experimentellen Therapie. Hit. 7, S. 8(i.
•ZU’
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308 Robebt Koch. W. Schütz, F. Neüfeld und H. Miessneb:
Lebensmonaten allmählich eineu tuberculosefreien Viehstand zu schaffe
Was die Methode der Immunisirung aulangt, so hat von Behrinc 1
zuerst (Einl. S. V) die vorläufige Angabe gemacht, Rindern im Alter ra
5 bis 7 Monaten als erste Dosis 0*001? rm seiner Cultur intravenös ein*
zuspritzen und nach 4 Wochen eine zweite Injection von 0-025?™ folg«
zu lassen; dann hat er die Dosis auf 0*004 bezw. 0-01? rm festgesetzt.
Später hat von Behring empfohlen, dieselbe Cultur, nachdem*
im Vacuum bei niederer Temperatur getrocknet ist, zur Schutzimpfuti:
zu benutzen und bei der ersten Injection 0 • 004 ? rm ; bei der zweiter,
frühestens 12 Wochen darnach auszuführendeu Injection 0*02?™ Trocken¬
substanz zu injiciren. Die Impfung soll in der Regel nur bei Kälten
von 3 Wochen bis zu 4 Monaten, bei älteren, bis zu 2jährigen Kälter,
aber nur ausnahmsweise und nur daun ausgeführt werden, wenn eifc
Prüfung mit Tuberculin negativ ausgefallen ist. Der Impfstoff soll 2
diesem getrockneten Zustande 1 Monat lang haltbar sein.
von Behring hat bisher keinen Versuch veröffentlicht, in welche
ein Rind durch eine der von ihm empfohlenen Methoden immunisirt tri
der Erfolg der Immunisirung durch eine Controlinjection nachgewi«-
worden ist. Dagegen haben einige der von ihm auf andere Weise imm*
nisirten Rinder zweifellos einen genügenden Grad von Immunität besessa
um eine für Controlthiere acut tödtliche Perlsuchtinfection wenigst«
eine Zeit lang zu überleben, so die in der ersten Mittheilung beschrieben«
Rinder 8, 10, 11, 16, 17, 20. Die Mehrzahl dieser Thiere erwies *i
jedoch bei der Sectiou nicht als frei von Tuberculose, bei einigen fanii
sich sogar erhebliche tuberculose Veränderungen, die theils auf die Prüfe!
mit virulentem Material, theils auf die zur Vorbehandlung gemach:
lujectionen zurückzuführen sein dürften. Sämmtliche soeben angeführt
Thiere waren, bevor sie mit virulentem Material geprüft wurden, ent¬
weder intravenös, oder subcutan mit wenig virulentem Perlsuchtmater j
behandelt worden; es ist dies eine Vorbehandlung, die von Behrirt
wie er und Römer mehrfach betonen, für die Praxis vollkommen »•
schliesst. Die meisten der genannten Thiere hatten ausserdem noch mehr¬
fache (zwei Thiere sogar neun) lujectionen von menschlichen Tubeü
bacillen erhalten. Wodurch also in diesen Fällen die Immunität era«
worden ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.
Weniger scheinen uns die später von Römer 2 mitgetheiltec be¬
suche für die Frage der Immunisiruug zu beweisen, und zwar deswes
weil hier der Nachweis fehlt, dass die zur Prüfung benutzte Perkndi
1 von Behring, Tuberculose. Beiträge zur experimentellen Therapie. Hr.
1 Hörner, Ebenda. Hft. 7.
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ÜliEK DIE LmMÜNISIKUNG VON KlNDERN GEGEN TlJBEKCULOSE. 309
cuJtur genügend virulent war. Im Gegentheil geht aus der Durchsicht
der Curven hervor, dass die hauptsächlich benutzte Perlsuchtcultur 18
wenigstens im Mai 1903 keine hohe Virulenz besass. Es wurden nämlich
am 26. Mai 1903 zwei Controlthiere intravenös mit 0 • 0005 grm der Cultur
inficirt (bei einem der Thiere gelangte vielleicht nicht das ganze Material
wirklich in die Vene) und am 6. bezw. 13. October 1903 getödtet. Der
Befund war beim ersten Thier: In vier Drüsen je ein bis zwei stecknadel-
bis hirsekorngrosse Knötchen mit spärlichen Tuberkelbacillen. „Innere
Organe ohne Veränderungen“. Das zweite Thier, das niemals ge¬
fiebert hatte, zeigte ausser zwei Drüsen mit verkästen bezw. verkalkten
Herden in einer Lungenspitze drei hirsekorngrosse verkalkte Tuberkel mit
spärlichen Bacillen. Noch geringfügigere Veränderungen zeigte ein am
5. Juli 1903 mit 0-0025 derselben Cultur subcutan inficirtes und am
29. August getödtetes Controlrind. Mithin sind diejenigen Rinder, die
etwa in der Zeit der soeben angeführten Virulenzprüfungen mit Perlsucht-
cultur 18 inficirt wurden, ohne sichtlich zu erkranken, daraufhin doch
nicht als immunisirt anzusehen. An acuter fortschreitender Tuberculose
nach Injection dieser Perlsuch tcultur ist von den von Römer an dieser
Stelle beschriebenen Thieren nur ein einziges (Nr. 44) erkrankt, welches
im August 1902 0*01 ?rm der Cultur intravenös erhalten hatte. Dies ist
jedoch gerade ein Thier, das wenigstens annähernd nach der für die
Praxis empfohlenen Methode immunisirt worden war, indem es zwei In-
jectionen (0*01 bezw. 0-02 gTm ) der Cultur I von menschlichen Tuberkel¬
bacillen, und ausserdem zwei Injectionen der Arloing’schen Cultur er¬
balten hatte. Es erkrankte nach der Injection der Perlsuchtcultur schwer
und wies, als es etwa 8 Wochen darnach getödtet wurde, allgemeine
Tuberculose der Lungen auf. Römer deutet an, dass dieser Misserfolg
darauf beruhe, dass das Rind 44 (welches zu Beginn der Immuuisirung
146 ** wog) schon in zu vorgeschrittenem Alter sich befunden habe, —
eine Erklärung, die nach unseren eigenen, sowie Hutyra’s Beobachtungen
nicht als zutreffend angesehen werden kann.
Ueber den zweiten von Römer benutzten Perlsuchtbacillenstamm (2015)
liegt überhaupt keine Virulenzprüfung an einem Rinde vor. Nun kann
gewiss nicht erwartet werden, dass bei Tuberculoseversuchen au grossen
Thieren etwa jedes Mal ein Controlthier geopfert wird, aber von Zeit zu
Zeit, insbesondere aber beim Abschluss jeder grösseren Versuchsreihe, muss
unbedingt die Virulenz der Perlsuchtculturen festgestellt werden, wenn die
Versuche überhaupt eine beweisende Kraft haben sollen. Als befremdlich
muss es wohl bezeichnet werden, wenn Römer eine Methode der Immuni-
sirung auf Grund von Versuchen empfiehlt, bei denen die wenigen Control-
prüfungeu, die überhaupt angestellt wurden, negativ ausgefallen sind.
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310 Robekt Koch, W. Schütz, F. Neufeld und H. Miessner:
i , 0 l* I «
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An einer Stelle berichtet von Behring 1 über fünf Kälber, vs
denen das eine durch einmalige, die übrigen durch mehrmalige Be¬
spritzung seiner Cultur I von menschlichen Tuberkelbacillen vorbehandtt
waren; die Thiere erhielten schliesslich zugleich mit einem Controltfe
0-0005 der Perlsucht 18 (die anscheinend 24 Tage im Vacunm auf-
bewahrt war) intravenös. Da das Controlthier indessen nicht tödtlich er¬
krankte und weder über dieses noch über die fünf Versuchskälbei 01-
ductionsberichte vorliegen, so lassen sich aus diesen Mittheihmgen fei®
Schlüsse über eine etwa eingetretene Immunität ableiteu.
Von Behring 2 selbst äussert sich speciell mit Bezog auf die Ai-
wendung der im Vacuum getrockneten Tuberkelbacillen: Meine Institut-
experimente beweisen, dass die hier beschriebene Schutzimpfung nf
Cultur I von menschlichen Tuberkelbacillen gegen nachfolgende willküru-
ausgeführte Injectioneu eine grössere Widerstandsfähigkeit bedingt, tk-
noch nicht in dem Grade, dass acut tödtliche Dosen vom Rindertukr-
culosevirus gut vertragen werden.
Man kann hiernach die Versuche von Behring’s und seiner Mit¬
arbeiter dahin zusammenfassen, dass aus denselben wohl die Möglichkeit
einer Immunisirung von Rindern überhaupt hervorgeht, dass aber «s
geeignete Methode zur Immunisirung sich daraus nicht ergiebt.
Um eine unparteiische Nachprüfung zu ermöglichen, hat von Behrit:
mehrere Thiere, die von ihm schutzgeimpft waren, au andere Untersuch-
zur Nachprüfung abgegeben. Auch diese Thiere waren jedoch keines«?
nach einer der von v. Behring für die Praxis angegebenen Metk»i-
behandelt, sondern hatten vielfach wiederholte Injectionen von Ver¬
schiedenem Material erhalten. Wenn somit von vorueherein aus dieser
Versuchen ein Schluss auf die Leistungsfähigkeit des für die Praxis ® -
pfohlenen Verfahrens nicht gezogen werden konnte, so lieferten sie ntt
einmal in allen Fällen den Beweis, dass die betreffenden Thiere über¬
haupt immun waren. Einerseits gelang es in der Regel nicht, dies#
einer für die Coutrolthiere tüdtlichen Infection zu unterwerfen, anderer«:
erwiesen sich einige der Thiere, trotzdem sie nicht mit hoch virulente
Material geprüft wurden, in der Folge nicht als tuberculosefrei.
So erhielt Lorenz 3 zwei Kälber, von denen das eine 8 und
andere 14 Einspritzungen von tuberculösem Material erhalten hatte.
erwies sich das von Lorenz für die Coutrole benutzte Material als +
•
1 von Behring, Beiträge zur experimentellen Therapie. Hft. 8.
2 Zeitschrift für Thiermedicin. N. F. VI. S. 321.
3 Lorenz, Die Bekämpfung der Rindertuberculose und das \\ Behring
Immunisirungsverlähren. Berliner thierärztl. Wochenschrijt. 1903. Nr. 48.
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Über die Immunisirung von Hindern gegen Tuberculose. 311
wenig virulent, dass auch die Controlthiere nach der subcutanen Iufection
zwar massig starke locale Erscheinungen zeigten, bei der Schlachtung
aber nur ganz geringfügige tuberculose Veränderungen an den inneren
Organen aufwiesen. Da ferner ein Obductionsbericht über die beiden
vorbehandelten Thiere nicht vorliegt, so fehlt überhaupt jeder Nachweis
dafür, dass letztere immun waren.
Schlegel 1 unterwarf zwei in Marburg immunisirte Rinder, von
denen das eine (Nr. 14) neun und das andere (Nr. 40) drei Einspritzungen
von tuberculösem Material erhalten hatte, einer Probe. Hierbei ist be¬
sonders hervorzuheben, dass dem Rinde Nr. 14 8 Mal der für den prak¬
tischen Gebrauch empfohlene Stamm (I) von Bacillen der menschlichen
Tuberculose in ansteigenden Mengen von 0*005 bis 0*4in die
Venen eingespritzt worden war. Bei der ersten Probe wurde den beiden
Versuchsrindern und einem Controlrinde eine Einspritzung von einem
perlsüchtigen Drüsenstückchen eines Rindes gemacht. Hierbei konnte
kein Unterschied zwischen dem Verhalten der Versuchsrinder und dem
des Controlrindes nachgewiesen werden, abgesehen von der grösseren
Tuberculinempfindlichkeit des letzteren, auf welche Römer besonderen
Werth legt. Römer übersieht dabei die naheliegende Möglichkeit, dass
die Tuberculinempfindlichkeit der Versuchsrinder durch die vielfach wieder¬
holten Injectionen von tuberculösem Material abgestumpft sein kann. 2
Darauf wurde den drei Rindern zugleich mit zwei neuen Controlrindern
0*0005 von Perlsuchtbacillen in die Venen gespritzt. Es ist dies die
oben genauer besprochene Iufection, bei welcher sich der Stamm der
Perlsuchtbacillen 18 für die Controlrinder so wenig virulent erwies. Das
vorbehandelte Rind Nr. 14 wurde allmählich marantisch; als es etwa
3 Monate später getödtet wurde, fanden sich in den Mediastinaldrüsen
sowie in einer Lunge und in einer Niere mehrere kleine Knötchen, die
Tuberkelbacillen enthielten. Das ersterwähnte Controlrind, dem 2 Mal
Theile eines Perlsuchtknotens injicirt worden waren, wies zahlreichere
Knötchen in Lungen, Nieren, Milz und mehreren Lvmphdrüsen auf. Die
beiden anderen Controlriuder, denen nur einmal Perlsuchtbacillen in die
Venen gespritzt worden waren, zeigten, wie oben erwähnt, keine bezw.
ganz minimale Veränderungen der inneren Organe. Ueber das zweite
vorbehandelte Thier ist noch kein Sectionsbericht mitgetheilt.
1 Schlegel, Zur Tuberculose-Schutzimpfung. Bert. thierärztL Wochenschrift.
1903. Nr. 49.
Ä Eber ( D . thierärztL Woch 1905, Nr. 1) theilt einen entsprechenden Fall mit,
wo ein vielfach vorbehandeltes Thier sich trotz negativer Tubercnlinprobe als tnber-
culös erwies.
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312 Robeht Kocu, W. »Schütz, F. Neufeld und H. Mikssnkk:
An Eber 1 waren zwei Rinder zur Probe gesandt worden. Das eiö¬
der Thiere (Nr. 9), welches mit acht intravenösen und einer intraocukrti
Injection vorbehandelt worden war, erhielt zur Prüfung seiner ImmuniC
zunächst 4 Mal Verreibungen von Perlsuchtknoteu subcutan bezw. intra¬
venös. Erst das bei einer fünften (intravenösen) Injection verwand:-
Material (0-01 einer Perlsuchtcultur) war von genügender Virulenz, ui
2 Controlthiere in 28 bis 38 Tagen zu tödten. Das immuuisirte Thie:
wurde nach 5 s / 4 Monaten schwer krank getödtet und zeigte zahlreich'
verkäste Knötchen in Lungen und Nieren, sowie tuberculöse Baak-
meniugitis. Ueber das Ergebniss der Probe bei diesem Rinde und itz
Rinde Nr. 46 sagt Eber Folgendes: ,.Die Widerstandsfähigkeit der ra¬
behandelten Rinder war keine absolute. Bei genügend starker Dcoirm.;
erkrankten beide Rinder au den Folgen der tuberculösen Infection."
Weit günstiger fielen die Versuche von Hutyra 2 aus. Hutjn
verwandte theils den Originalimpfstotf von Behring’s, theils drei ver¬
schiedene von ihm selbst frisch gezüchtete Culturen des menschlich-:
Typus; dabei sei bemerkt, dass eine dieser letzteren von einem au Tute
culose eingegangenen Affen herstammte.
Die Versuchskälber Hutyra’s standen im Alter von 3*/,
12 Monaten. Der Autor injicirte von v. Behring’s Impfstoff bei «
ersten Impfung 0*004, bei der zweiten 0-01, in anderen Fällen 0*04H
von seinen eigenen Culturen 0-005 bezw. 0 • 025 grTn . Zwischen beute
Einspritzungen lagen etwa 40 Tage, zwischen der zweiten Impfung us;
der Infection 7 bis 8 Wochen. Als Prüfungsdosis diente 0-02^ *'
von Behring’schen Perlsuchtcultur 18. Dieselbe wurde in einem Fic
subcutan, sonst intravenös gegeben, und ihre Virulenz stets an Conrr-
thieren erwiesen. Vier von den zehn schutzgeimpften Thiereu wur«
ausserdem vor der intravenösen Injection der Perlsuchtcultur noch 14 Is?
lang mit derselben Cultur gefüttert.
Von den zehn vorbehandelten Thieren war bei einem die Imm^-
sirung misslungen; dasselbe starb annähernd gleichzeitig mit den G>
trolen etwa 5 Wochen nach der Infection an Miliartuberculose. Di
anderen wurden, während alle Controlthiere an Miliartuberculose
Lungen eingingen, nach 2 x / a bis 3 Monaten getödtet. Keines der Thiea
zeigte sich völlig frei von Tuberculöse, sondern es fandeu sich sW
1 Eber, Ueber die Widerstandsfähigkeit zweier in Marburg mit TuberkelW^
verschiedener Herkunft vorbehandelter Kinder gegen subcutane und intraven> *
jectionen mit tuberculösem vom Rinde »stammenden Virus. Berl. thierärztl. WcM
schrift. 1904. Nr. 53.
* Hutyra. Schutzimpfungsversuche gegen die Tuberculöse der Rinder^
v. Behring’s Methode. Beiträge zur experimentellen Therapie . Hft. 9.
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Über bj_e Immunisirung von Hindern gegen Tubercueuse. 313
in den inneren Organen, sowie in einigen Lymphdrüsen bacillenhaltige
Knötchen; diese Veränderungen waren zum Theil nur sehr geringfügig,
zom Theil auch ausgedehnter, wobei bemerkenswerth ist, dass die von
dem Autor selbst gezüchteten frischen Culturen entschieden ein besseres
Resultat ergaben, als der von Behring’sche Originalimpfstoff. Mit Rück¬
sicht auf die Menge des zur Prüfung eingespritzten Infectionsmaterials,
dessen Virulenz stets controlirt wurde, steht ausser Zweifel, dass die Ver-
suchsthiere Hutyra’s zum grössten Theil einen erheblichen Grad von
Immunität besassen. .
Ferner hat Thomassen 1 eine Mittheilung veröffentlicht, nach der
es ihm gelungen ist, bei zwei Kälbern nach der Einspritzung von Bacillen
der menschlichen Tuberculose in die Venen einen erheblichen Grad von
Immunität gegen die Perlsucht zu erzeugen. Dieselben zeigten nach der
Controleinspritzung von Perlsuchtbacillen nur geringe tuberculose Ver¬
änderungen in den Lungen, während das gleichzeitig mit derselben Menge
der Perlsuchtbacillen inficirte Controlkalb innerhalb 19 Tagen an all¬
gemeiner Tuberculose zu Grunde ging. Ein drittes Thier immunisirte
Thomassen durch eine intraoculare Injection. Dieses Versuchskalb war
frei von Tuberculose.
Einen guten Immunisirungserfolg hatten ein Jahr früher Pearson
und Gilliland 2 bei zwei Kälbern erreicht. Sie spritzten zwei Kälbern
in einem Zeiträume von 2 Monaten Bacillen der menschlichen Tuberculose
in ansteigenden Mengen, zusammen 0-16^ rm in die Venen ein. Nach
weiteren 2 Monaten erhielten die beiden Versuchskälber und zwei Control¬
kälber eine Einspritzung von Perlsuchtbacillen in die Luftröhre. Nach
abermals 2 Monaten wurden sämmtliche Kälber getödtet. Die Versuchs¬
kälber erwiesen sich bei der Obductiou frei von Tuberculose, während
die Controlkälber zahlreiche Herde in den Lungen und in vielen Drüsen
erkennen Hessen.
Von Baumgarten 3 hat durch Einspritzung von Bacillen der mensch¬
lichen Tuberculose in die Unterhaut bei Kälbern einen so hohen Grad
von Immunität erreicht, dass sie gegen eine für Controlriuder tödtliche
Infection mit Perlsuchtbacillen geschützt waren. Von Baumgarten sagt:
..Schon eine einmalige subcutane Impfung mit menschlichen Tuberkel¬
bacillen genügt, um diese Immunität gegen Perlsuclitinfection zu be-
1 Thomassen, L’immunisation des jeunes bovides contre la tuberculose. Rer.
de rru d. veterinaire. 1903. p. 6
* Pearson and Gilliland, a. a. 0.
3 von Baumgarten, Ueber Immunisirungsversuehe gegen Tubereulose. Berl.
klin. Wochenschrift. 1904. Nr. 43.
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o*-g/a-ccess_üse#pd-i
314 Robert Koch, W. Schütz, F. Neu Feld und H. Miessner:
wirken.“ Auch bestand diese Immunität noch 2V 2 Jahre nach ds
Präventivimpfung „gegen jede folgende für Controlrinder tödtliche Peit
suchtimpfung“ fort. Nähere Angaben hat von Baumgarten über die
Versuche bisher nicht gemacht; er glaubt aber die Einspritzung in dt
Venen durch eine Einspritzung in die Unterhaut ersetzen zu können. 1 I
n.
Von unseren eigenen Versuchen sollen hier nur die späteren in aus¬
führlichen Protokollen wiedergegeben werden, bei denen Rinder ausschliefr
lieh durch ein- oder zweimalige intravenöse Injection vorbehandelt wurden
Von den früheren Versuchen ist der erste, in welchem eine In»
sirung gelungen war, bereits von Neufeld 2 mitgeteilt worden; dieser uni
einige folgende Versuche ergaben zwar die Möglichkeit einer Immmnsinu?
von Rindern, waren jedoch insofern nicht ganz rein und für die Metbofl
1 Nach Abschluss dieser Arbeit hat F. Kleraperer (Experimenteller Bntnf
zur Tuberculosefrage. Zeit sehr. f. klin. Medicin. Bd. LVI, Hft. 3 u. 4) sehr bemeriai
werthe Versuche publicirt, auf die wir kurz hin weisen möchten. Der Autor
zunächst durch einen Versuch am Rinde fest, dass sich auch durch subcuuneli
jection von menschlichen Tuberkelbacillen Immunität erzeugen lässt, und wandte
dann der Frage zu, ob auch bei schon bestehender Perlsuchtinfection noch eine vi
trägliche Immunisirung und somit günstige Beeinflussung der bestehenden Knatt
möglich ist. Bei den von Klemperer in Versuch genommenen, natürlicher!
Thieren, war jedoch die Tuberculose schon zu weit vorgeschritten, als dass
Einfluss hätte erwartet werden können. Bei einigen künstlich mit Peilsucht in!
Rindern dagegen sah Klemperer bis zu einem gewissen Grade eine günstige
fiussung des Verlaufes der Infection durch nachträgliche subcutane Injectionea
menschlichen Tuberkelbacillen.
Nunmehr verfolgt Klemperer den folgenden Gedankengang (der th<
auch von v. Baumgarten gelegentlich schon gestreift wurde): wenn, ent>pi
den Anschauungen Koch's die Perlsuchtbacillen für den Menschen eine
Virulenz besitzen, so ist damit die Möglichkeit gegeben, Menschen durch Inj
lebender Perlsuchtbacillen in analoger Weise wie Rinder durch menschliche Tu!
bacillen zu iramunisiren. Klemperer giebt nun eine Anzahl von Vorversuc!
dieser Richtung, aus denen zunächst so viel hervorgeht, dass in der That
Perlsuchtmaterial der verschiedensten Herkunft in nicht unbeträchtlicher
einer Anzahl von Versuchspersonen z. Th. vielfach wiederholt subcutan einj
werden konnte, ohne dass, abgesehen von gelegentlichen AbseesseD, nacbi
Folgen auftraten. Auch tuberculose Personen verhielten sich den Injectionei
Perlsuchtmaterial gegenüber nicht anders wie gesunde.
Das Ergebniss dieser Versuche, deren ersten der Verfasser an sich selha
führte, bietet neben den bekannten v. Baumgarten’schen Experimenten eine
gewichtige Stütze für die Koch'sche Lehre.
2 Neufeld, Deutsche med. Wochenschrift. 1904.
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ÜBK1C DIE IMMUNISIBUNG VON 1ÜNDEBN GEGEN TUBEBCULOSE. 315
der Immunisirung nicht maassgebend, als die Thiere zunächst zu anderen
Zwecken eine subcutane Einspritzung und inzwischen mehrfach wieder¬
holte Dosen von Tuberculin oder von abgetödteten Tuberkelbacillen er¬
halten hatten.
Allmählich kamen wir dann zu einer einfacheren und sicheren
Methode der Immunisirung, wobei uns wiederum die früher an Ziegen
und Eseln gemachten Erfahrungen unterstützten, bei denen sich die
Möglichkeit ergehen hatte, Thiere durch eine oder zwei Injectionen lebender
Culturen von Tuberkelbacillen hoch zu immunisiren.
Bei Rindern gelang uns eine vollkommene Immunisirung durch nur
zwei Injectionen zuerst bei Anwendung einer abgeschwächten Perlsucht-
bacillencultur (P. A.), von der unten noch die Rede sein wird, in dem
folgenden Falle:
Kalb XIII (Gewicht 157**).
25. VIII. 02 Cultur P. A.0-01 intravenös
17. X. 02 Cultur P. A.0.01 intravenös
24. XII. 02 Perlsuchtbacillencultur (XIV) 0*01 intravenös
getödtet 11. VIII. 03 (Gewicht 274 k *), gesund.
Als Controlthier diente:
Kalb XIV.
24. XII. 02 Perlsuchtbacillencultur (XIV) 0‘01 intravenös
16.1. 03 gestorben, Miliartuberculose der Lungen.
Die Kälber, deren Protokolle im folgenden mitgetheilt werden sollen,
wurden in systematischer Weise mit verschiedenen Tuberkelbacillenculturen
menschlicher Herkunft oder mit der soeben erwähnten, abgeschwächten
Perlsuchtcultur vorbehandelt und sämmtlich durch intravenöse Injection
derselben hochvirulenten Perlsuchtcultur XIV, die in dem obigen Versuche
verwendet wurde, auf ihre Immunität geprüft. Bei diesen Versuchen
sollten die Fragen entschieden werden, wie viele und wie grosse Injectionen
zur Immunisirung nothwendig sind, zu welchem Zeitpunkt die Immunität
eintritt, und ob verschiedene Stämme menschlicher Tuberkelbacillen er¬
hebliche Unterschiede bei der Immunisirung erkennen lassen.
Es wurde zunächst eine grössere Anzahl von Tuberkelbacillenculturen
aus Krankheitsherden von Menschen gezüchtet. Den grössten Theil des
Materials verdanken wir Herrn Geheimrath Orth; aber auch Herren Privat-
docenten Dr. Oestreich und Dr. Westenhöffer und Herr Dr. Fried¬
mann waren so liebenswürdig, uns Theile von tuberculösen Lungen und
Lymphdrüsen vom Menschen zu überlassen.
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Über dik Lmmunisirung von Rindern gegen Tuberculose. 317
1. Cultur Friedmaun (Kalb 1 und 2) war aus tuberculösem
Material von Menschen gewonnen. Die Cultur wuchs sehr üppig, und
ein Meerschweinchen, das mit einer Oese der Cultur inficirt worden war,
ging innerhalb 1 */» Monat zu Grunde.
2. Cultur 482 (Kalb 3 und 4) entstammte der Lunge eines Menschen
(.Sectionsprotokoll des pathologischen Instituts der Berliner Universität
Nr. 482 des Jahres 1903). Das mit diesem Material inficirte Meer¬
schweinchen war nach 2 Monaten schwer erkrankt und wurde deshalb
getödtet. Auf den mit Milzstückchen dieses Thieres beschickten Glycerin-
serumröhrchen wuchsen die Bacillen sehr gut.
3. Cultur 486 (Kalb 5 u. 6) war gezüchtet aus der Milz eines Meer¬
schweinchens, das mit einem Theile der tuberculösen Bronchialdrüse eines
Menschen (Sectionsprotokoll des pathologischen Instituts der Berliner Uni¬
versität Nr. 486 des Jahres 1903) inficirt worden und innerhalb 3 Monaten zu
Grunde gegangen war. Die Cultur wuchs anfänglich schlecht, später besser.
4. Cultur 496 (Kalb 7 und 8). Mit einem eingesandten tuber¬
ösen Lungenstückchen eines Menschen (Sectionsprotokoll des patho¬
logischen Instituts der Berliner Universität Nr. 496 des Jahres 1903)
wurde ein Meerschweinchen subcutan inficirt und nach zwei Monaten
getödtet. Die aus der Milz d^ses Meerschweinchens gezüchteten Tuberkel¬
bacillen wuchsen gut.
5. Cultur 492 (Kalb 9 und 10) entstammt der tuberculösen Lunge
eiues Menschen (Sectionsprotokoll des pathologischen Instituts der Berliner
L niversität Nr. 492 des Jahres 1903), mit der drei Meerschweinchen
subcutan inficirt worden waren. Zwei Meerschweinchen starben nach 1 V 2>
ein Meerschweinchen nach 2 Monaten. Aus der Milz des zuerst gestorbenen
Meerschweinchens wurden Culturen angelegt, die gut wuchsen.
6. Cultur Westeuhöffer (Kalb 11 und 12). Das Ausgangsmaterial
rührte von der tuberculösen Lunge eiues Menschen her, der von Herrn
W estenhoffer am 14. März 1903 im pathologischen Institute der Uni¬
versität obducirt worden war. Die drei mit Lungentheilcheu inficirten
Meerschweinchen starben innerhalb 2 Monaten.
7. Cultur Augusta-Hospital (Ivalb 13 und 14). Von einem im
Augusta-Hospitai am 17. Februar 1902 von Herrn Privatdocent Dr. Oest-
reich obducirten tuberculösen Menschen wurden Theilchen der Bronchial-
ürüse einem ^Meerschweinchen unter die Haut gebracht und von der Milz
'iieses Thieres, d as nach 2 Monaten gestorben war, Culturen angelegt.
8. Cultur 800 (Kalb 15 und 16) entstammte der Milz eines Meer¬
schweinchens, mit menschlich ein tuberculösen Material inficirt und
uach 1V 2 Monaten gestorben war.
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318 Robert Koch. W. Schütz, F. Neüfeld und H. Miessner:
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Nr. der Kälber
Bacillen-
cultur
p? Gewicht der
Kälber
1. Injection
Zahl d. Tage zwischen
der 1. u. 2. Injection
Ge¬
wichts
Ver¬
ände¬
rung
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1
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2
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7
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41 „ AI „
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11
Westen höffer
150
43 Tg. A 2 c «
50
+ io
12
»»
136
43 „ Al „
63
+ 5
13
Augusta-Hosp.
154
47 Tg. A 2 c »
52
+ 28
14
»
132
14 „ B 1 „
44
— 9
15
800
100
41 Tg. A 2 "
54
+ 19
16
»»
123
41 „ A 1 „
54
+ 16-
17
494
100
18 Tg. A 2 * *
39
- 4
18
n
120
18 „ Al „
39
— 21
21
482
114
30 Tg. B 3 '*
103
+ 43
22
V
135
30 „ B 2 „
103
+ 68
23
»
107
30 „ Bl „
103
+ 41
24
abge¬
148
25 Tg. B 2'»
169
+ 105
25
104
25 „ Bl „
169
+ 86
schwächte
Perlsucht-
cultur
P. A.
26
146
25 „ B 1 „
21
+ 19
Fieber
28
32
A 5
+ + + 31 Tg. A 5
+ + + 32 „ B 5 „
+ + + 33 Tg. A 5 **
+ + + 33 „ A5„
+ + + 14 Tg. B ö'*
+ + ^14 „ B 5 „
+ + + 50 Tg. B 5 «
+ ■£ + + 13 „ B 5 „
+ + 24 Tg. B 5 «•
+ + 24 »» 3 5 „
+ + 19 Tg. A 5 **
4- 4* 19
A 5
+ 4-4- 31 Tg. B 5 e *
31
B 5
4- 4-4-4-
2*5 *«
42
+01
42
+ 5]
*2,
+2« 1
42
+ 1*
37
+ 9-ii
36
+21 I
93
+a|
93
+61
90
+T3 |
90
+M j
90
+ü
88
+6T I
88
+61 1
88
+#
91
+411
91
+6H
87
87
+«
148
1 Als letzter Versuchstag für die nicht etwa schon früher gestorbenen oder!
vorbehandelten Thieren ungefähr dieselbe Anzahl von Versuchstagen der Berechntnp
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oogie
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Über die Immunikirüng von Rindern gegen Tuberculose. 319
Zahl der
Summe
Tage
zwisch.d.
ontrol- ! Control-
jection , injection
^erlsucht- u*d.Tode
altur b f w ‘
dem
Ge-
wichts-
ver-
ände- j
rung ,
aller Ver-
. suchs-
1 tage
rv 1 bis zum
* ,eber Todes-
'| tage
!. bezw.
Ge-
sammte,
Ge- 1
wichts-
yer-
fcnde-
rung
Fieber
nach Ab¬
lauf der
Reaction
auf die j
Control- i
injection
|
Tag
der
Tddtung
Obductionsbefund
10. XII.
1!'04 1
i
kg ,
|
10. XII.
1904
kg
g. B 2 c * i 100
■|~ 61
+ +
I 169
t 165
+ 75-5
+
I 18 .V .04
gesund
’ B 2 „
> 96
4- 11-5
+ +
+ 18
+ +
14. V. 04
Lungentuberculose
g. B 2«
j 100
|
H- 80
+ +
1 168
+ 113-5
+ +
|l8.V.04
Serosa- und Nieren«
tuberculose
1 B 2 „
98
1
4- 36
+ +
166
+ 72-5
+ +
16. V. 04
1
Serosa- und Nieren-
tuberculose
B 2 •»
100
+ 56
+
169
+ 64-5
+
19. V. 04
gesund
B 2„,
1
30
+ 3
+ 4-4-
99
+ 26-5
+ + + +
11.UL04
gestorben
Miliartuberculose
. B 2'* i
246
4-132-5
+
37a
+ 214
—
lebt
B 2„
4-192
+
359
+ 240-5
—
30. XL 04
gesund
B 2*
221
4- 98
+
360
+ 169
—
130. XI. 04
gesund
B 2„
221
4-112
+
370
+ 194-5
—
lebt
. B 2*
220
4- 123
+
360
+ 205
—
lebt
B 2 „
209
4- 52
+ +
| 860
+ 124
— 1
20. XIL 04
gesund
B 2«
209
— 14
+ +
349
1
+ 81
- |20. XU. 04
ein haselnussgrosser
tuberculöser Herd in
den Lungen
B 2 »
209
4- 37
+ +
1 341
+ 98
20. XU. 04
gesund
B2 c «
194
4- 80
l
+ +
1 339
+ 140
+ +
21. XII. 04
in den Lungen tuber-
culöse Herde
B 2 „
194
|4- 110
+
1 339
+ 192
—
lebt
B 2'*
184
4- 88
+
1 310
+ 144
—
30. XI. 04
gesund
B 2 „
194
i 4- 81
+
| 320
+ 142
—
lebt
B 2 '«
117
14- 56
i
+
220
+ 99
—
30. XI. 04
Pleuritis et Peritonitis
yillosa
B 2 J
127
| 4- 79
+ +
1 230
+ 147
—
21. XIL 04
Pleuritis villosa
B 2 „
119
; 4- 75
+ +
222
+ 116
—
2. XII. 04
gesund
B 2 f *
91
j 4-110
4-4-
1, 260
+ 215
—
lebt
B 2,/
1
91
i
1 + 55
|
+ +
l| 260
li
| + 14l
1
1
__
i
5.1.05
Pleuritis chronica vil-
losa, Bronchitis et
Peribronchitis catar-
rhalis chronica lobu*
laris
B 2 „
i
91
1
+ 47
+ +
260
t
+ 161
—
5.1. 05
Bronchitis catarrhalis
lobularis
ist der 10. XII. O-f. in der Absicht gewählt worden, um bei allen mit gleichem Material
»"können.
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Gck igle
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f
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320 Robbbt Koch, W. Schütz, F. Neufeld und H. Miessneb:
9. Cultur 494 (Kalb 17 und 18). Mit tuberculösen Lungenstückchen
eines Menschen (Sectionsprotokoll des pathologischen Instituts der Berliner
Universität Nr. 494 des Jahres 1903) wurden zwei Meerschweinchen inficirt,
von denen das eine nach 2 und das andere nach 4 Monaten starb. Von
dem zuerst verendeten Thiere wurden Culturen angelegt.
In der vorhergehenden Tabelle ist genau zu ersehen, welche Cultur
eingespritzt wurde, in welchen Zwischenräumen die Einspritzungen auf
einander folgten und welchen Einfluss sie auf die geimpften Kälber in
Bezug auf Körpergewicht und Temperatur ausübten. Wir wollen hierbei
noch bemerken, dass sämmtliche Kälber zu Beginn des Versuches etwa
V, Jahr alt waren und dass ferner alle in der Tabelle angegebenen In-
jectionen intravenös ausgeführt wurden. Hierbei mögen gleichzeitig die
für eine tabellarische Zusammensetzung im Interesse der Uebersicht not- “
wendigen Abkürzungen Erwähnung linden. A bezw. B bedeuten Glycerin-
agarcultur bezw. Glycerinbouilloncultur, die davorstehenden Zahlen da-
Alter derselben und die dahiuterstehenden Zahlen die Anzahl der Centi- "
gramme, die von der Cultur eingespritzt worden sind.
— = kein Fieber;
+ = sehr geringe Temperatursteigerung;
+ + = schwache Temperatursteigerung;
+ + + = starke Temperatursteigerung;
4- + + + = starke und lang andauernde Teinperatursteigerung.
Allen Kälbern, die zu den Versuchen benutzt werden sollten, wurde
Tuberculin eingespritzt, und zu den Versuchen wurden nur diejenigen ge¬
nommen, deren Temperatur nach der Einspritzung nicht über 0,5° ge¬
stiegen war. Während des Versuches Hessen wir die Temperatur täglich
zwei Mal und das Gewicht wöchentlich ein Mal feststellen.
Die zweite Impfung wurde gewöhnlich erst dann ausgeführt, wenu
sich die Kälber von der ersten völlig erholt hatten, wozu etwa 4 bi> ,
6 Wochen erforderlich waren. Denn nach der ersten Einspritzung stieg
die Körpertemperatur plötzlich auf 40 bis 41 0 und hielt sich mehrere
Tage lang auf dieser Höhe. Aber auch noch später wurde eine hoch-
normale Temperatur etwa 2 Wochen lang beobachtet, womit gleich¬
zeitig entweder nur eine geringe Gewichtszunahme oder aber sogar eine
Gewichtsabnahme festgestellt werden konnte. Darauf sank die Temperatur,
und die Thiere erholten sich innerhalb weniger Tage so vollständig. da.v
die zweite Einspritzung der Bacillen ohne Bedenkeu stattfinden konnte
Im Uebrigen wollen wir bemerken, dass die oben erwähnten Erscheinungen
so wenig augenfällig waren, dass sie nur bei einer genauen Untersuchung
und Beobachtung der Kälber nachgewiesen werden konnten.
Gck igle
Original frarn
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
ÜBEB DIB IiTMUNISIRUNG VON Rindern GEGEN TuBEROULOSE. 821
Der zweiten Einspritzung folgte unmittelbar eine Temperatureteigerung,
die aber nnr wenige Tage andauerte und das Allgemeinbefinden der Kälber
nicht störte.
Um nun die Immunität der Kälber zu prüfen, spritzten wir sämmt-
lichen Thieren 2 cg der Perlsuchtcultur XIY in die Venen, von der schon
der vierzigste Theil genügte, um bei einem Kalbe innerhalb 20 bis 80 Tagen
eine tödtlioh verlaufende acute Miliartuberculose hervorzurufen. Wir betonen
dabei, dass wir zu Controleinspritzungen stets die gleiche Menge (2®*)
eines und desselben Bacillenstammes benutzt haben. Die Wirksamkeit
dieses Stammes war, um allen Einwendungen vorzubeugen, innerhalb von
2 Jahren nicht weniger als an 8 Kälbern zu verschiedenen Zeiten geprüft
worden. Stets waren die damit inficierten Kälber innerhalb eines Zeit*
raumes von einem Monat an allgemeiner Tuberculose zu Grunde gegangen.
Wir lassen hier eine kurze Uebersicht über die mit Perlsuohtbacillen-
cultur Kalb XIV intravenös infioirten Kälber folgen:
Laufende
i Nummer
Tag der
Menge
der intra-
Tag
Zahl der
Tage nach
Nummer
des Kalbes
Injection
1 venösen
des Todes
der
Injection
Injection
1
XIV
24. xn. 02
leg
16.1. 03
23
2
I
4. XII. 03
5„
26. Xn. 03
22
3
II
4. XII. 03
2 „
29. XII. 03
25
4
6
9. II. 04
2 „
ll.IIL 04
30
5
30
21. V. 04
0-05 „
8. VI. 05
18
6
31
21 . V. 04
0*05 „
28. VI. 05
33
7
32
21. V. 04
0-05,,
22 . VI. 05
31
8
IX
6. Xn. 04
2 „
2 . V. 05
27
Mithin war zweifellos festgestellt, dass der zur Controleinspritzung
benutzte Stamm der Perlsuchtbacillen von hoher Virulenz war.
Was den Zeitpunkt betrifft, an dem die Controleinspritzung der letzten
Impfling mit Bacillen der menschlichen Tuberculose folgte, so lag bei den
Kälbern 1 bis 6 ein Zeitraum von etwa 40 Tagen zwischen beiden. Dieser
Zeitraum erwies sich als zu kurz.
Hierauf glauben wir die theilweisen Misserfolge in dieser Versuchs¬
reihe und die auffallende Ungleichmässigkeit der Resultate zurückführen
zu müssen, auf die wir hier näher eingehen wollen, da sie uns besonders
lehrreich zu sein scheinen.
Das Kalb 6, welches 30 Tage nach der Einspritzung der Perlsucht¬
bacillen an acuter Miliartuberculose einging, hatte zuerst 1 <* einer 29 Tage
alten Glycerinagarcultur (486) in die Venen erhalten, und danach eine
etwa 14 tägige sehr kräftige Reaction gezeigt 33 Tage später wurden ihm
Zeltschr. f. Hygiene. LI. 21
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Gck igle
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
322 Robert Koch, W. Schütz, F. Neufeld und H. Miessneb:
5 ce derselben Bacillencultur eingespritzt. Hiernach war Kalb 6 3 fe
lang fieberhaft erkrankt; dann war die Temperatur wieder gefallen
Auch das Allgemeinbefinden war ausgezeichnet. Nach der EinspritznK
der Persuchtbacillencultur XIV stieg die Temperatur plötzlich an und bliet
meist zwischen 40° und 41°. Dazu gesellten sich Husten, mangelhaft
Fresslust und Athemnoth, die sich täglich steigerte. Am 30. Tage ver¬
endete das Kalb und zeigte bei der Obduction eine acute, käsige, tnber-
culöse Lungenentzündung, Schwellung der Milz, tuberculöse Entzünde:
der Lymphdrüsen, tuberculöse Granulationen am grossen Netz und aa
Brustfell, submiliare Tuberkel in der Leber, Trübung des Herzfleiscfcr
und der Nieren und Darmkatarrh.
Mit diesem Kalbe gleichzeitig war Kalb 5 immunisirt worden, mr
dem einzigen Unterschiede, dass es als erste Dosis bei der Vorbehandlou
2 anstatt 1 cg der Cultur erhalten hatte. Es wurde nun gleichzeitig mr
dem vorigen Thier mit derselben Menge virulenter Perlsuchtbaciüen is-
ficirt, zeigte sich aber bei Lebzeiten vollkommen gesund und erwies ad
auch bei der Obduction frei von tuberculösen Veränderungen.
Mithin lag der merkwürdige Fall vor, dass von zwei fast in derselbe:
Weise vorbehandelten Thieren das eine in Folge der Controleinsprite.'
acut zu Grunde gegangen, das andere völlig gesund geblieben war.
Etwas Aehnliches haben wir auch bei den Kälbern 1 und 2 bed¬
achtet. Beide Kälber waren mit der Cultur Friedmann immunisirt, tob
sie beide etwa gleich starke Reactionen gezeigt hatten, und deusdte
waren 42 Tage nach der letzten Einspritzung je 2 cg der hochviruleEtt:
Perlsuchtbacillencultur in die Venen eingespritzt worden. Kalb 1 ertr.-
diese Einspritzung ausgezeichnet, nahm ständig im Gewicht zu, hatte
normale Körpertemperatur und erwies sich bei der Obduction als gesc-
Kalb 2 dagegen fieberte andauernd und zeigte bei der Obduction, me-
dem es am 165 Versuchstage getötet worden war, ausgebreitete Tubercul-
der Lungen. Die in den Lungen vorhandenen Knoten waren allerfc
von dicken Kapseln umgeben, und an ihnen wäre vielleicht Heilung «*•
getreten, wenn man das Kalb längere Zeit am Leben gelassen hätte.
Auch hier lag wiederum in einem Punkte ein Unterschied vor. 1*
gesund gebliebene Kalb 1 hatte bei der ersten Vorbehandlung 2". b
erkrankte Kalb 2 nur 1 cg erhalten. Wir hielten uns auf Grund di'*
beiden Erfahrungen zu der Annahme berechtigt, dass durch die gross*
Menge der zur ersten Vorbehandlung benutzten Tuberb-
bacillen eine reichlichere und vor allem wohl eine schnell*
Bildung genügender Mengen von Schutzstoffen angeregt wora' 1
sei, und dass der Eintritt der Immunität sehr langsam erfolg
die Controleinspritzung demnach möglichst spät ausgeüi*
Original frorn
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Übeb die Immunisirung von Bindern gegen Tübebcudose. 323
werden müsse. Wir vermutheten also, dass die Kälber 2 and 6 vielleicht
nur deshalb schwer erkrankt seien, weil der Zwischenraum zwischen Vor¬
behandlung und Controleinspritzung zur Ausbildung einer hinreichenden
Immunität nicht ausgereicht habe.
Die Thiere 3 und 4 dieser Versuchsreihe zeigten keine erheblichen
Unterschiede, hei beiden war die Immunisirung nur unvollkommen ge¬
lungen, denn bei der Obduction fanden sich bei beiden Thieren eine ge¬
ringfügige Tuberculose des Bauch- und Brustfelles sowie einige tuberculöse
Herde in den Nieren.
Auf Grund der oben angeführten Erwägungen spritzten wir in einer
zweiten Versuchsreihe bei den Kälbern 7 bis 18 die Bacillen der Perlsucht
erst ein Vierteljahr nach der letzten Vorbehandlung mit den Bacillen der
menschlichen Tuberculose ein und konnten nunmehr feststellen, dass alle
Thiere mit Ausnahme von zweien, die verhältnissmässig geringfügige Resi¬
duen von älteren tnberculösen Processen aufwiesen, völlig gesund geblieben
waren. Die einzigen Erscheinungen, welche die Thiere zeigten, waren
leichtes Fieber, das 3 bis 5 Tage lang andauerte. Die Thiere entwickelten
sich sehr gut und nahmen an Gewicht zu. Die einzelnen Beobachtungen
sind in der Tabelle genau mitgetheilt und deshalb kann eine Schilderung
an dieser Stelle unterbleiben. Bis zum Abschluss der Arbeit hatten wir
bereits sieben Kälber obducirt, nachdem sie etwa 1 Jahr lang gehalten
worden waren. Hierbei konnten wir bei den Kälbern Nr. 8, 9, 12,
G und 17 nach sehr genauer Untersuchung auch nicht die ge-
rin gsten tuberculösen Veränderungen feststellen. Nur bei den
Thieren 13 und 15 zeigten sich einige alte zweifellos abgeheilte tubercu¬
löse Herde.
K^b 13 hatte nach der Controleinspritzung 5 Tage lang hohes Fieber
and wurde dann wieder fieberfrei. Es nahm aber nur wenig an Gewicht
zu, zeitweise sogar ab und wurde am 394. Versuchstage getödtet. Bei der
ucuon fanden sich ausser einer haselnussgrossen, rotlien, derben Stelle
jn d er Lunge, die als das Product einer alten Bronchitis und Peribrouchitis
erculosa angesehen wurde, keine Veränderungen.
Zeit ^ heberte und hustete nach der Controleinspritzung längere
der na ^ m an Gewicht ab. Erst in den letzten beiden Monaten vor
Thier versc hwanden diese Erscheinungen; von da ab wurde das
"rosser besser. Bei der Obduction fanden sich in der Milz ein erbsen-
} m ^ T ^ en Dangen vier erbsengrosse tuberculöse Knoten. Die Knoten
Alle SCn C * ne Kapsel und ein kaum hirsekorngrosses käsiges Centrum.
hten den Eindruck, als ob sie in der Abheilung begriffen wären.
Süden 16 ^ noc ^ ^b^den fünf Kälber 7, 10, 11, 16 und 18 be-
81 °h i n ausgezeichnetem Nährzustande und sind frei von allen Er-
2r
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Go^ 'gle
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
S24 Robert Kocu, W. Schütz, F. Neufeld und H. Miessneb:
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Gougle
scheinungen, die auf das Vorhandensein von Tuberculose schliessen liaa.
Bei dem eindeutigen Ergebniss, welches die Schlachtung der übrigen. 1
derselben Weise vorbehandelten Thiere geliefert hatte, erschien es nid
nothwendig, auch diese Thiere zu opfern; sie wurden daher zu weitere
Versuchen benutzt.
Aus den vorstehenden Versuchen geht hervor, dass es durch Vor¬
behandlung mit Bacillen der menschlichen Tuberculose in der von t- ;
angegebenen Weise gelingt, bei Rindern einen sehr hohen Grad von Imin:
nität gegen Perlsucht herbeizuffthren, dass es aber eine geraume Zeit dsuon
bis diese Immunität sich zur vollen Höhe entwickelt hat; dabei schein
die Menge der zur erstmaligen Injection verwendeten Cultur insbesonir
auf die Schnelligkeit des Eintritts der Immunität von Bedeutung zu sä
Bei unseren Versuchen war es im Princip gleichgültig, welcte
Bacillenstamm wir benutzten, da mit allen Stämmen eine Immunität heP ’
gerufen werden konnte. Die Fähigkeit, Rinder ohne Schädigung n
immunisiren, kommt also nicht etwa nur einzelnen bestimmt«
Culturen zu. Nur insofern machte sich ein Unterschied bemerkbar . at
die Kälber durch manche Stämme mehr angegriffen wurden als tot
andere; namentlich verursachten jüngere Culturen gewöhnlich ein längs
andauerndes Fieber als ältere; doch lässt sich wohl vermuthen, dass de?
Differenzen ausgeglichen werden können.
In derselben Weise wie mit Bacillen der menschlichen Tubercuj*
gelang uns die Immunisirung auch mit dem abgeschwächten Perisues-
bacillenstamm P. A., dessen geringe Virulenz für Rinder uns bekannt ß
Wir spritzten hiervon dem Kalbe 26 1 cg und 21 Tage später 2 , /j < * ins
Venen. Die Einspritzungen wurden gut ertragen, wenn auch beide Mn
ein ziemlich heftiges und längere Zeit andauerndes Fieber auftrat 148T*
später folgte die Controleinspritzung mit dem Perlsuchtbacillenstamm X?
Auch diesmal trat eine Temperatursteigerung ein, die etwa 8 Tage
währte; dann fiel die Temperatur und hielt sich beständig in den *
malen Grenzen. Im Uebrigen erschien das Kalb gesund, und bei der®-
duction fand sich eine Veränderung in den Lungen, die nicht tubercuiY
Natur war. Im rechten Herzlappen zeigte sich nämlich eine fünfpfe -
grosse, dunkelrothe, von der Umgebung scharf abgesetzte Stelle, die®
gesunken war. Auf dem Durchschnitt, der glatt und trocken war. ^
man kleine weisse, mit dickflüssiger Masse angefüllte Bronchien. Elfi*
Stellen von derselben Beschaffenheit fanden sich auch im rechten Sp3»
lappen. Bei der mikroskopischen Untersuchung konnte man die mit 2#
vollgepfropften Bronchien erkennen. Die Scheidewände der Alveolen hü*
sich retrahirt, und dadurch waren die Alveolen bezw. Lungenläppchen i’;-d
geworden. Tuberkelbacillen konnten nirgends nachgewiesen werden und -i
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Über die Immuniserung von Rindern gegen Tuberculose. 325
mit erkrankten Lungenstückehen inficirten Meerschweinchen blieben gesund.
Es lag also einfache Bronchitis catarrhalis chronica mit Atelectase vor.
In den oben beschriebenen Versuchen, in denen die Immunisirung
gelangen war, hatte die Vorbehandlung in einer zweimaligen Einspritzung
der Bacillen der menschlichen Tuberculose bestanden. Die zweite Ein¬
spritzung hatte aber meist nur eine geringe Reaction hervorgerufen, und
wir glaubten deshalb annehmen zu können, dass vielleicht schon eine
Einspritzung von einer allerdings nicht zu geringen Menge von Bacillen
der menschlichen Tuberculose ausreichen dürfte, um eine genügende Immu¬
nität bei Rindern herbeizuführen. Hierfür sprach die Thatsache, dass es
uns schon in einigen früheren Versuchen gelungen war, Immunität durch
eine Injection bei Eseln und Ziegen zu erzeugen. Die starke Fieber-
reaction, die nach der Einspritzung grösserer Mengen von Bacillen der
menschlichen Tuberculose bei Kälbern zu Stande kommt, hielt uns von
dem Versuche nicht ab, weil wir uns von der Unschädlichkeit dieser
Reaction überzeugt hatten. Dagegen lag in dem Vortheile, der mit der
einmaligen Einspritzung gegenüber der zweimaligen in der Praxis ver¬
bunden war, ein genügender Grund, um diesen Versuch an mehreren
Kälbern zu machen. Denn die Einspritzungen in die Venen müssen
sorgfältig ausgeführt werden; und es würden deshalb Mühe und Zeit ge¬
spart werden, wenn zur Erreichung des Zieles nur eine Einspritzung noth-
wendig wäre. Dazu kommt, dass das Umgehen mit lebenden Bacillen der
menschlichen Tuberculose nicht ungefährlich und demnach jede Einschrän¬
kung desselben anzustreben ist.
Zu diesen Versuchen wählten wir von den Culturen, die wir bisher
geprüft hatten, die Cultur 482 aus, weil nach ihrer Einspritzung eine
massig kräftige Reaction zu Stande gekommen war. Wir spritzten dem
Kalbe 21 3*», dem Kalbe 22 2 e ? und dem Kalbe 23 l c * Bacillen aus
der 30 tägigen Bouilloncultur 482 in die Venen. Hiernach wurde das
Allgemeinbefinden der Thiere nicht gestört. 103 Tage später spritzten
wir zur Controle 2 cg unserer virulenten Perlsuchtbacillencultur XIV ein.
Danach trat ein mehrtägiges Fieber auf. Nachdem das Fieber ver¬
schwunden war, erschienen die Kälber völlig gesund. Nach abermals
117 bis 127 Tagen kamen alle drei Kälber, die sich sehr gut entwickelt
hatten, zur Obduction, sie erwiesen sich als völlig frei von Tuber¬
culose. Beim Kalbe 21 sassen auf dem Bauch- und Lungenfell und
beim Kalbe 22 nur auf letzterem vereinzelte, kurze, zottenförmige Anhänge,
die aus einem feinen, durchsichtigen Gewebe, in das Fettkügelchen ein¬
gesprengt waren, bestanden. Tuberkelbacillen liessen sich weder durch
die mikroskopische Untersuchung, noch durch Uebertragung der be-
zeichneten Anhänge auf Meerschweinchen nachweisen. Kalb 23 hatte in
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Gck igle
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
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326 Robebt Koch, W. Schütz, F. Neufeld und H. Miessneb:
der rechten Lunge einen erbsengrossen, vollkommen glatten und festen
Knoten. Derselbe bestand auf dem Durchschnitt aus einer I / 4 cm dicken,
rothbraunen, derben, peripheren Zone und einem weissgelben Zerfalls¬
centrum. Mikroskopisch liessen sich Tuberkelbacillen in dem letzteren
nicht nachweisen. Jede Hälfte des Knotens wurde einem Meerschwein¬
chen unter die Haut gebracht; beide Thiere blieben gesund.
Mithin hatten 3 Kälber durch eine einmalige Einspritzung von
1 • 2 bezw. 3 cg der Bacillen der menschlichen Tuberculose eine sehr hohe
Immunität erreicht.
Zu einem ähnlichen Resultate gelangten wir, als wir den Kälbern 24
und 25 2 bezw. 1 cg des abgeschwächten Perlsuchtbacillenstammes P. Ä.
ein Mal in die Vene spritzten und 169 Tage später unseren hoch virulenten
Perlsuchtbacillenstamm XIV folgen liessen. Kalb 24, welches sich stets
in einem ausgezeichneten Nährzustande befunden hat, lebt noch, und da
es noch zu einem anderen Versuche benutzt wird, so kann die Tödtung
desselben erst später erfolgen. Kalb 25 dagegen ist am 260. Versnchs-
tage getödtet worden und ergab bei der Obduction folgenden Befund:
Am Lungenfell vereinzelte zottenformige Anhänge. Im Anhangs¬
lappen mehrere bohnengrosse, scharf begrenzte dunkelrothe und luftleert
Stellen. Auf dem Durchschnitt zeigten sich in dem dunkelrothen Gewel*
weisse Ringe oder Streifen, die den Wänden der erweiterten Bronchien
entsprachen. In Ausstrichen aus dem Inhalte der Bronchien waren keine
Tuberkelbacillen nachzuweisen. In mikroskopischen Schnitten wurde eine
einfache Verdickung der Bronchialwände festgestellt. Mithin hatte das
Kalb an Pleuritis chronica villosa, Bronchitis et Peribronchitis catarrhalis
chronica lobularis gelitten.
Hiernach war es auch nach einer einmaligen Einspritzung von
Bacillen der menschlichen Tuberculose und von abgeschwächten Bacillei.
der Perlsucht gelungen, Rinderu einen hohen Grad von Schatz gegtt
eine Infection mit Perlsuchtbacillen zu verleihen.
Zur Zeit haben wir eine grössere Anzahl von Kälbern nach der oben
beschriebenen Methode immunisirt. Alle Kälber haben die Einspritzung
von Bacillen der menschlichen Tuberculose in die Venen in Mengen von
1 bis 3 c * ausgezeichnet ertragen. Da durch diese Versuche die Dauer
der künstlich hervorgerufeuen Immunität festgestellt werden soll, so werden
wir die immunisirten Kälber verschieden lange Zeit, mindestens aber
1 Jahr lang leben lassen, bevor wir ihnen die übliche Controldosis rot
2 cg eines hochvirulenten Perlsuchtbacillen Stammes in die Venen ein-
spritzen werden. Sollte sich bei diesen Versuchen ergeben, dass die Im¬
munität etwa nach einem Jahre verschwindet, so müsste vor Ablauf dieser
Frist eine zweite Einspritzung von Bacillen der menschlichen Tuberculose
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Über die Immünislrüng von Rindern gegen Tubeeculose. 327
stattfinden, wenn die Kälber auch gegen eine weitere Infection geschützt
sein sollen. Mithin sind diese Versuche für die Praxis von grosser Be¬
deutung, über die Ergebnisse derselben kann aber selbstredend erst später
berichtet werden.
Am Schlüsse wollen wir noch ein Mal die Ergebnisse unserer Ver¬
suche zusammenfassen:
Es gelingt durch einmalige Einspritzung von 1 bis 3 C * Bacillen
der menschlichen Tuberculose bezw. abgeschwächten Bacillen
der Perlsucht, Rinder gegen hochvirulente Bacillen der Perl¬
sucht zu immunisiren. Die hierzu benutzten und auf Glycerinbouillon
gezüchteten Bacillen müssen ein Alter von 30 bis 40 Tagen haben. Sie
werden zwischen Fliesspapier getrocknet und die erforderliche Menge mit
10 ccm physiologischer Kochsalzlösung vermischt in die Venen gespritzt.
Oie vollständige Immunität der geimpften Kälber tritt erst nach Verlauf
.on ca. 3 Monaten ein.
Wir glauben uns auf Grund der beschriebenen Versuche zu der An-
mbme berechtigt, dass das Problem der Immunisirung von Rindern gegen
^rlsucht insoweit gelöst ist, als wir jetzt die Bedingungen kennen, unter
enen wir im Laboratoriumsversuch Thiere mit grosser Sicherheit gegen
echt erhebliche Mengen des virulentesten Materials immunisiren können,
nd wir können im Vergleich mit anderen Krankheiten sagen, dass gerade
ei der Tuberculose, bei der die Möglichkeit der Erzeugung einer echten
mmunität überhaupt noch vor wenigen Jahren allgemein bezweifelt
urde, sich eine solche durch eine verhältnissmässig einfache Methode
nd mit einem recht hohen Grad von Sicherheit erzielen lässt.
Wir müssen uns jedoch vor Augen halten, dass das zunächst nur
ir den Laboratoriumsversuch gilt Die Infection ist zwar in unseren
allen eine sehr schwere gewesen, — eine vielmals schwerere, so sollte
.an meinen, als bei der natürlichen Uebertragung der Krankheit; allein
e letztere ist eben andersartig und es kann nur in der Praxis studirt
erden, wie sich ihr gegenüber die künstlich immuuisirten Thiere ver-
ilten. Für solche Versuche in der Praxis möchten wir empfehlen, sich
;i Ausführung der Schutzimpfungen in jeder Beziehung möglichst au
e Bedingungen zu halten, die sich bei unseren Versuchen im Laboratorium
s die besten bewährt haben.
Wir können die Arbeit nicht ohne den Ausdruck der dankbaren
»fühle für die Behörde schliessen, die das Zustandekommen derselben
jeder Weise gefördert hat. Dem Kgl. Preuss. Ministerium für Landwirth-
laft, dessen wohlwollendes Interesse für unsere Arbeit es uns allein ermög-
hte, unser Ziel zu erreichen, sind wir zu allergrösstem Danke verpflichtet.
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Ueber die Einwirkung
der Kadiunienianation auf pathogene Bakterien.
Von
E. Dorn, E. Baumann und S. Valentiner.
Nach den Versuchen von Bouchard, Curie und Balthazard 1 ,
sowie von Dorn und Wallstabe 2 werden kleinere Thiere durch Ein-
athmeu von Radiumemanation getödtet.
Es legt dies die Frage nahe, ob die Emanation eine ähnliche zer¬
störende Wirkung auf Bakterien, insbesondere pathogene, ausübt. 3
Bei unseren Versuchen in dieser Richtung dienten zur Gewinnung
der Emanation zunächst vier Lösungen von Radium-Baryumchlorid in
kleinen Gaswaschflaschen nach H. Erd mann. Die Flaschen 1, 2, 3 ent¬
hielten relativ bedeutende — leider nicht mehr genau festzustellende —
Mengen der Activität 240, 240, 1000 4 , die Flasche 4 0-5*™ der Acti-
vität 3000.
Weit kräftiger wirkten 30 reines Radiumbromid von Giesel, die.
in wenigen Tropfen Wasser gelöst, in einem kleinen offenen Fläschchen
auf dem Boden eines Reagensglases sich befanden. Den verschliessenden
Gummistopfen durchsetzte ein nahe zum Boden reichendes und ein kurzes
Röhrchen.
Sollte Luft oder Flüssigkeit in einem Versuchsraum mit Emanation
beladen werden, so wurde dieser durch einen Gummistopfeu mit langem
1 Comj)tes rendus. 1904. T. CXXXVII1. p. 1884.
2 Physilcal. Zeitschr. 1904. Bd. V. S. 568.
* Nachträglich ersehen wir, dass einige Versuche über Bakterien von Dativs:
und Curie ausgeführt sind. Comptes rendus. 1903. T. CXXXVI. p. 461.
4 Bezogen auf Uran.
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E. Dobn, E. Baumann u. S. Valentineb: Radiumemanation. 329
md kurzem Glasröhrchen verschlossen. Zur Vermeidung einer Verun¬
einigung durch Luftkeime waren vor beide Röhrchen Wattefilter gelegt;
iese, sowie die sämmtlichen zwischen ihnen befindlichen Glas- und
rummitheile waren vorher in der Hitze sterilisirt.
Aus dem so geschützten Versuchsgefäss, der Emanationsquelle und
inem kleinen Gummigebläse, das einerseits drückte und andererseits saugte,
urde ein nach aussen abgeschlossener Kreis hergestellt, in dem man
ieselbe Luftmenge beliebig circuliren lassen konnte.
Der Emanationsgehalt der „Versuchsluft“ wird nicht immer der gleiche
wesen sein, vielmehr nach dem Verhältnis von Entnahme und Neu-
Idung in der activen Substanz variirt haben.
Um indessen wenigstens einen Anhalt für die Stärke der Emanation
fi den Versuchen zu gewinnen, wurde in der eben beschriebenen Weise
e Luft in einem Erlenmey er’sehen Kölbchen von 63 ccni Inhalt —
is nahe den Verhältnissen der eigentlichen Versuche entsprach — mit
nanation beladen. Nach einem hier nicht näher zu erörternden Ver-
uren wurde gefunden, dass 1 Liter dieser Luft in 1 Minute 5-8.10 8
zw. 3-0.10 7 elektrostatische Einheiten der Elektricitätsmenge entladen
tte, je nachdem die Flaschen 1, 2, 3, 4 oder die 30 Radiumbromid
•ides nach etwa 8 tägiger Ruhe) zur Activirung benutzt waren.
Eine Vergleichung der Activität beider Präparate durch Entladung
les Braun’schen Elektrometers führte auf eine nahe übereinstimmende
rhältnisszahl (ö).
I. Für die meisten Versuche haben wir Typhusbacillen verwandt,
durch ihr gutes und rasches Wachsthum eine schnelle Entscheidung
er das Ergebniss ermöglichen.
1. Agar, in einem Reagensglas von etwa 15 em Länge und 2 cm
rchmesser schräg erstarrt, wurde mit einer Oese Typhusbouilloncultur
ich massig bestrichen und sofort der Einwirkung der Emanation aus-
etzt, wobei das Gebläse 10 bis 12 Minuten im Gange erhalten wurde,
ihrend der Versuchsdauer — in der Regel 2 bis 3 Tage — wurde das
rchblasen täglich 1 bis 2 Mal ausgeführt.
Bei Tage wurde das Präparat — und ebenso ein mit der gleichen
>huscultur bestrichenes Controlrohr — in einem Wasserbade auf 86° C.
alten, über Nacht auf Zimmertemperatur.
Die s ämm tlichen Versuche dieser Art — 11 an Zahl — führten
litativ zu dem gleichen Ergebniss: während im Controlrohr schon nach
Stunden starkes Wachsthum bemerkbar war, zeigte sich im Versuchs-
• auf dem Agar sehr wenig oder gar nichts, nur in dem am Boden
ansammelnden Condens wasser, sowie an den von herabtropfendem
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330
E. Dokn, E. Baumann und S. Valentinek:
Condenswasser benetzten Stellen des Agar trat Entwickelung der Typhus¬
bacillen ein.
Am wirksamsten erwiesen sich die 30 reines Radiumbromid in
zwei Versuchen vom 4. bis 7. und 5. bis 11. November 1904. Insbesondere
bei letzterem blieb der Agar von Bacillencolonieen frei, selbst nachdem
die Versuchsröhre vom Emanationsapparat gelöst und 4 Tage in den Brüt¬
schrank gesetzt war.
Nahe gleich war der Erfolg bei zwei Versuchen (8. bis 11. October)
mit den Radiumchloridlösuugen 1, 2, 3, welche durch längeres Stehen
Emanation angesammelt hatten; recht gut wirkten auch die Lösungen 1,
2, 3, 4 auf drei Präparate (30. September bis 4. October). Mit drei anderen
verlief der Versuch (vielleicht nicht ganz einwandfrei) mit schwächerer
Wirkung, die geringste wurde erzielt mit Lösung 4, nachdem kurz vorher
das Salz umkrystallisirt war, offenbar weil noch nicht genug Emanation
sich entwickelt hatte. Uebrigens wurde bei einem sonst genau gleich ge¬
führten Versuch mit Durchblasen von emanationsfreier Luft die
Entwickelung von Typhusbacilleu auf Agar nicht im Geringsten beein¬
trächtigt. Schon nach 24 Stunden war lebhaftes Wachsthum eingetreten.
Die Emanation besitzt hiernach zweifellos eine entwickelungshemmendt
bezw. keimtödtende Wirkung. In der Absicht, über den Meckanismm
dieser Wirkung näheren Aufschluss zu erlangen, wurden die folgenden
Versuche angestellt.
2. Das senkrecht gestellte Reagensglas wurde bis etwa 1 / 3 seiner Höhe
mit Gelatine gefüllt und diese durch ein Wasserbad von 37° C. flüssig
erhalten. Durch das in die Gelatine tauchende, fast bis zum Boden
reichende Zuführungsröhrchen wurde 15 Minuten lang der emanations¬
haltige Luftstrom in der früher angegebenen Weise hindurchgetrieben.
sodann die Gelatine mit Typhusbouillon geimpft und nochmals 1 Minute
Emanation hindurchgeblasen.
Dann wurde das Zuführungsröhrchen so weit emporgezogen, dass es
nicht mehr in die Gelatine eintauchte, diese durch Temperaturerniedrigung
auf 15° zum Erstarren gebracht und wieder 10 bis 15 Minuten Emanation -
nunmehr durch den Luftraum über der Gelatine — hindurchgeblasen.
Dies wurde während der folgenden Tage 1 bis 2 Mal täglich wiederholt i
Gleichzeitig wurde ein zweites Reagensglas mit Gelatine und Typhus¬
impfung mit emanationsfreier Luft ebenso behandelt.
Beide Präparate wurden durch schwarzes Papier gegen Licht geschützt.
Der letzte Versuch dieser Art vom 28. October bis 2. November, mit
30™« Radiumbromid, mag beschrieben werden. Die Versuchsröhre, wie
die Controlröhre zeigten beide merklich gleiche Trübung durch Typhus-
colonieen bis nahe an die Oberfläche. Während aber beim Controlrot:
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Einwirkung der Radiumemanation auf pathogene Bakterien. 331
nach der Oberfläche zu das Wachsthum am kräftigsten war, lag die Stelle
stärkster Entwickelung im Versuchsrohr etwa 2 mm unter der
Oberfläche, von da bis oben war die Gelatine fast klar. Ent¬
sprechende Wahrnehmungen, nur weniger deutlich, wurden gemacht bei
zwei Versuchen mit Radiumchlorid 1, 2, 3 und einem Versuch mit allen
Tier Radiumchloridlösungen.
3 a. Weiter wurde der Einfluss der Emanation auf Typhusbacillen
in Boailion folgendermaassen geprüft (9. bis 30. December). Durch
sterilisirte Bouillon, welche das Reagensglas etwa zu einem Drittel füllte,
wurde 5 Minuten Emanation geblasen, dann wurde eine Oese Typhus-
bouilloncultur eingeführt und weiter 10 bis 12 Tage lang täglich 2 bis
3 Mal 10 Minuten Emanation hindurchgetrieben. Zur Controle diente
wieder ein gleiches mit Luft ohne Emanation behandeltes Reagensglas.
2 Mal, am 10. und 13. Tage, wurden gleiche Mengen der Bouillon
zu Gelatineplatten gegossen. Die Zählung der in 3 Tagen gewachsenen
Typhuskeime ergab in beiden Eällen für die mit Luft behandelten Cul-
turen etwa das Zehnfache der in den „Emanationsplatten“ vorhandenen.
Bei der zuletzt benutzten Anordnung befand sich über der Bouillon
ein ziemlich beträchtlicher Raum, angefüllt mit emanationshaltiger Luft.
3 b. Wir änderten bei zwei nachträglich (im Mai und Juni 1905)
angestellten Versuchen das Verfahren so ab, dass der Luftraum über
der Flüssigkeit möglichst eingeschränkt wurde.
Zu dem Ende ersetzten wir das Reagensglas durch einen (nach oben
sich verengenden) Erlenmeyerkolben von etwa 60 ccm Inhalt, den wir mög¬
lichst hoch mit der Bouillon füllten. Etwas Raum musste frei bleiben,
da sonst die Flüssigkeit durch das kurze Röhrchen ausgetreten wäre.
Auch hier wurde 2 Mal täglich die von 30 mg Radiumbromid ge¬
wonnene Emanation je 10 Minuten durchgeblasen — ebenso reine Luft
durch einen Controlkolben.
Ein Versuch verlief nicht ganz rein; beim zweiten wurde nach
7 Tagen je eine Oese in Gelatine geimpft und diese in Platten gegossen.
3 Tage später zeigte die „Emanationsplatte“ nur der Keime der
„Luftplatte“.
Nach 10 Tagen wurde nochmals abgeimpft und Platten gegossen:
nunmehr erschienen (wieder 3 Tage später) im Gesichtsfeld eines Mikro-
skopes bei der „Emanationsplatte“ 2 bis 4 Colonieen, bei der „Luftplatte“
aber zahllose.
4. Es mögen noch einige Versuche mitgetheilt werden, bei denen
Tvphusculturen der Strahlung 1 von 5 n ' K reinen Radiumbromides aus-
1 Aeltere derartige Versuche s. u. A. bei Aschkinass und Caspari, Archiv
für die ge s. Physiologie. 1901. Bd. LXXXVi.
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332 E. Dorn, E. Baumann und S. Valentener:
gesetzt wurdeu. Da die active Substanz in ein dünnwandiges Glasröhrchen
eingeschmolzen war, so gelangten nur ß- (und y-) Strahlen zur Wirkung.
Emanation und «-Strahlen waren ausgeschlossen.
Auf die in einer Petrischale befindliche Gelatineschicht, in welche
vorher eine Oese Typhusbouilloncultur eingesät war, wurde ein feiner
Drahtring und auf diesen das Röhrchen mit dem Radiumbromid gelegt.
Das Präparat blieb nebst einer Controlschale bei Zimmertemperatur
vom 28. September bis 3. October im Dunkeln. Nach diesen 5 Tagen
waren in der Controlschale überall Colonieen zu bemerken; im Versuchs¬
object waren da, wo das Radiumbromid gelegen hatte, gar keine, unter
dem übrigen Stück des Röhrchens nur vereinzelte Colonieen mit einem
Mikroskop erkennbar.
Bei einem zweiten entsprechenden Versuch (5. bis 11. October, Tem¬
peratur 26°) liess sich am 5. Tage mit dem Mikroskop eine deutliche
Grenze der Wirkung des Radiumröhrchens in 10 bis 15 mm Abstand von
demselben feststellen, innerhalb deren nur einzelne Colonieen sich ent¬
wickelt hatten.
Abimpfungen auf Agar und Bouillon aus bestrahlten Stellen dieses
Gelatinepräparates im Vergleich mit nicht bestrahlten zeigten deutlich,
dass eine Abtödtung der Keime stattgefunden hatte.
Eine nur 24ständige Bestrahlung einer 3 Tage alten, kräftig an¬
gegangenen Typhuscultur auf Gelatine durch die 5 mg Radiumbromid
genügte aber noch nicht zur Abtödtung. Denn Abimpfungen von be¬
strahlten Stellen auf Agar und in Bouillon zeigten deutliches Wachsthum.
wenn auch schwächeres, als Controlimpfungen von unbestrahlten Partieen.
II. Ausser Typhusbacilleu haben wir die Erreger von Mäusetyphus,
Cholera und Diphtherie untersucht und zwar durchgängig unter
Verwendung der 30 m « Radiumbromid.
1. Ueber Mäusetyphusbacillen liegen drei einwandfreie Versuche vor
mit schräg erstarrtem Agar, auf den eine Oese der Cultur aufgestrichen
wurde. (Vgl. 1,1.)
Bei zweien derselben (8. bis 11. und 15. bis 17. November) war auf
dem Agar selbst nichts gewachsen, nur das Condenswasser zeigte Trübung;
bei einem dritten (14. bis 15. November), wo der Agar frisch und feucht
war, trat auch in dem mit Emanation behandelten Röhrchen Entwicke¬
lung ein.
2. Choleravibrionen, ebenfalls auf Agar untersucht, ergaben in
zwei Versuchen (23. bis 25. und 24. bis 28. November) auf dem Agar
kein Wachsthum, aber Trübung des Condenswassers.
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Orifiriial from
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Einwirkung der Radiumemanation auf pathogene Bakterien. 333
8. Zwei analoge Agarversuche mit Diphtheriebacillen (28. bis
30. November, 80. November bis 2. December, Temp. 86°) lieferten in
einem Falle gar keine, im anderen schwache Entwickelung im Versuchs-
rohr, bei kräftiger im Controlrohr.
Auf Löffler’schem Serum, über welches die Emanation geblasen
wurde, wuchsen Diphtheriebacillen 1 Mal (3. bis 6. December 1904) schwach,
ein anderes Mal (5. bis 7. December 1904) überhaupt nicht, im Control¬
rohr beide Male stark.
III. Nach der gegenwärtig herrschenden Anschauung 1 * durchläuft
die Radiumemanation mehrere (6) Zustände und sendet bei den ersten
Uebergängen «-Theilchen, bei den späteren auch ß - Theilchen und
^-Strahlen aus.
Für den Einfluss auf Mikroorganismen kommen zunächst sicher die
Y-Theilchen in Betracht, denn das Radium wirkt auch durch die Wand
einer einschliessenden Glasröhre hindurch, welche Alles ausser den ß-
Theilchen und den ^-Strahlen zurückhält. Letztere aber werden sehr wenig
ibsorbirt, und da die absorbirten Energiemengen für die Wirkung maass-
jebend sind, so wird man den y-Strahlen höchstens einen kleinen Theil
ierselben zuzuschreiben geneigt sein.
Die «-Theilchen enthalten den grössten Theil der von den radioactiven
Substanzen ausgesandten Energie.* Sie besitzen aber eine geringe durch-
iringende Kraft: eine Schicht von 0-005 mm Aluminium hält bereits die
Hälfte der «-Theilchen zurück 3 , und man wird die gleiche Absorption in
;twa 0*01 mm Wasser erwarten dürfen.
Trotzdem erscheint es uns zweifelhaft, ob den a-Strahlen ein wesent-
icher Theil der baktericiden Wirkung zukommt, denn sie machen z. B.
mf eine photographische Platte nur wenig Eindruck.
Am ersten könnten sie noch bei der Abtödtung der Keime auf Agar
»etheiligt sein, da die aufgestrichene Bouilloncultur nur eine sehr dünne
Ichicht bildet.
Für die Beurtheilung der Versuchsergebnisse ist noch von Bedeutung,
lass Emanation in Wasser diffundirt 4 , und dass eine nur wenig geringere
)iffusion in Gelatine, Agar und Serum wahrscheinlich ist. Bei Durch¬
rasen und auch bei längerer Berührung theilt sich die Emanation zwischen
Vasser und Luft so, dass bei Zimmertemperatur erster es im gleichen
1 Ygl. z. B. Rutherford, Radioactiviiy. p. 326.
* Rutherford, a. a. O. p. 150ff.
* Rutherford, a. a. O. p. 93.
4 Wallstabe, Dissertation. Halle 1903. — Physikalische Zeitschrift. 1903.
d. IV. S. 721.
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334 E. Dokn, E. Baumann u. S. Valentiner: Radiumemanation.
Volum etwa 0*3 vom Gehalt der letzteren besitzt. Bei höherer Temperatur
ist dieser Bruchtheil für Wasser noch geringer. Die in den gelatinösen
Massen oder der Bouillon befindliche Emanation wird auch strahlen, aber
die Strahlung (bezw. die Theilchen) wird schon auf einer kurzen Strecke
absorbirt werden — für die /9-Theilchen vielleicht in 1 mm auf die Hälfte
sinken. 1
Hiernach wird zunächst verständlich, warum bei den Versuchen unter
I, 2 in der Hauptmasse der Gelatine die Typhusbacillen sich trotz des
Durchblasens der Emanation (bei 37°) merklich ebenso entwickelten, wie
in dem Controlrohr. Die nahezu keimfreie Oberflächenschicht von 2 mta
Dicke ist auf Rechnung der von der Luft über der Gelatine ausgesandten
/9-Theilchen zu setzen; «-Theilchen würden nicht so tief eindringen.
Auch das relativ langsame Abtödten der Typhusbacillen in den fast
ganz mit Bouillon gefüllten Erlenmeyerkolben erklärt sich leicht, be¬
sonders wenn man beachtet, dass im Laufe der Zeit eine Anreicherung
des Emanationsgehaltes in dem nach aussen abgeschlossenen Apparat erfolgt
Die Emanation selbst verhält sich wie ein träges Gas, kann also nicht
physiologisch wirken. Auch für die späteren Umwandlungsproducte ist
dies nicht anzunehmen, da sie zwar in Säuren, nicht aber in Wasser
löslich sind.
Die benutzten radioactiven Substanzen sind Eigenthum des phy¬
sikalischen Instituts.
Hr. Geheimrat Fraenkel hatte die Freundlichkeit, die Hilfsmittel
des hygienischen Instituts uns zur Verfügung zu stellen, wofür ihm auch
an dieser Stelle gedankt sei.
1 Geschätzt nach Rutherford, S. 93.
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Zur Formaldehyd-Abtödtang und -Züchtung der
Tuberkel- und anderer säurefester Bacillen.
Antikritische Bemerkungen zu Professor Dr. Reichenbach’s Arbeit:
„Die Leistungen der Fonnaldehyddesinfection.“ (1)
Von
Dr. Carl Spengler
in Daros.
Professor Reichenbach macht mir in der oben citirten Arbeit den
Vorwurf, bei meinen Untersuchungen über die Fonnaldehyddesinfection
das Thierexperiment nicht zu Rathe gezogen zu haben.
Bekanntlich habe ich die Tuberkelbacillen-Anreicherung und Züchtung
dem Thierexperiment vorgezogen und zwar aus stichhaltigen Gründen, die
ich auseinandersetzen werde.
Die thierexperimentelle Prüfung der Formaldehydsputa auf Erhaltung
der Tuberkelbacillenvirulenz bezw. Abtödtung hatte bislang durchwegs ein
negatives Ergebniss, d.h. das Thierexperiment schien die hohe Desinfections-
kraft des Formaldehyds auch den Tuberkelbacillen gegenüber zu beweisen.
Die Thiere wurden nicht tuberculös. Daraus folgerte man, sie seien durch
die Desinfection abgetödtet worden.
Diese Schlussfolgerung ist aber in diesem Falle unrichtig und sie
steht in strictem Gegensatz zu meinen positiven Züchtungsversuchen.
Man hat eben ganz übersehen, dass eine secundäre Abtödtung im Thier¬
körper möglich sein könnte.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass nach der Formalin-
desinfection noch lebende und gut entwicklungsfähige Tuberkelbacillen
secundär im Thierkörper abgetödtet werden und zwar unter dem Einfluss
des in das Sputum eingedrungenen Formaldehyds. Die Thierwärme activirt
das Formaldehyd in der Impftasche.
Dieser Vorgang lässt sich experimentell beim Züchtvingsverfahren
nachahmen.
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rM
336
Carl Spengler:
In den Culturröhrchen ohne Kappenverschluss und mit nicht zu
festen Watte Verschlüssen, in welchen dem Entweichen des im Sputum
zurückgehaltenen Formaldehyds keine Hindernisse im Wege liegen, findet
lebhafte Tuberkelbacillenentwickelung statt, sobald das Formaldehyd nach-
gewiesenermaassen (durch Färbung) entwichen ist.
Dagegen tritt Tuberkelbacillenabtödtung im gleichen Sputum ein.
wenn die Röhrchen von vorne herein völlig abschliessenden Kappen¬
verschluss erhalten. Wie in letzterem Falle liegen die Verhältnisse in
der hermetisch abdichtenden Impftasche.
Den bisher geübten Versuchsanordnungen haften indessen noch andere
Mängel an. Manche Phthisikersputa wirken an sich stark baktericid. Die
Anwesenheit nur geringer Mengen Formaldehyd steigert die Baktericidie.
Andererseits giebt es ziemlich viele Sputa bei Tuberculösen mit Tuberkel¬
bacillen herabgesetzter Virulenz und Entwickelungsfahigkeit.
Die Versuchsprämissen für das Thierexperiment wären somit nicht
in allen Fällen gleich und vor Allem in den Ungleichheiten unbekannt.
Die Züchtung ist dem Thierexperiment hier absolut überlegen und die
einzig mögliche und zulässige Prüfungsmethode auf Erhaltung oder Ver¬
nichtung der Lebensfähigkeit der Tuberkelbacillen nach einem De?*
infectionsact.
Ich möchte einige Versuchsanordnungen mittheilen, deren Nachprüfung
ich dringend empfehle. Sie werden jeden Untersucher von der Richtig¬
keit meiner Behauptungen von der maximalen Resistenz der Tuberkel¬
bacillen und auch der Perlsuchtbacillen und anderer „Säurenfester“ über¬
zeugen und beweisen, dass das Thierexperiment in der üblichen Form
gar nicht in Betracht kommen kann, da letzteres bis jetzt nur negatire
Resultate gegeben. Die Züchtungen fallen oft noch positiv aus bei Ver¬
wendung 500 Mal grösserer Formaldehydmengen als sie Flügge
zur Keimtödtung empfiehlt. Ich habe diese Versuche einer Reihe t«. ;
Aerzten demonstrirt und sie stimmen darin mit mir überein, dass die
Breslauer Schule einem Irrthum verfallen sei. In erster Linie empfehle
ich, den Testsputen, Tuberkel- oder Perlsuchtbacillen bekannter Viralem
beizumengen. Weitaus am zweckmässigsten ist es aber, Smegmabaciller
dem Sputum als Testbakterien zuzufügen. Sie sind weniger resistent
als Tuberkel- und Perlsuchtbacillen. Was für sie Geltung hat, besteht
deshalb in höherem Maasse bei Tuberkel- und Perlsuchtbacilleu zu Recht.
Ferner wachsen sie bei Brütwärme ausserordentlich schnell, so dass da?
Arbeiten sich bedeutend erleichert und uns in Tagen die Culturen das
sagen, was wir sonst nur in Wochen erfahren.
Wenn man 10 Tropfen Formalin = 0*5 Krra vom Schalen-
deckel einer Petrischale aus in der Weise, wie ich es beschrieben
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Ürifinal fram
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Zub Fobmaldehtd - Abtödtung.
337
habe, x /a Stunde bei ca. 20° auf das in der unteren Schale be-
fiudliche Sputum wirken lässt, entwickeln sich ausnahmslos
zagemengte Tuberkel- oder Perlsucht- oder Smegmabacillen
in den Culturen. Alle übrigen Bakterien, die im Sputum Vorkommen,
sind dagegen abgetödtet. Selbst nach 48 stündiger Exposition ist
keine Abtödtung von Tuberkelbacillen erfolgt. Das Sputum ist
nach dieser Expositionszeit zu einer harten Kruste eingetrocknet, muss
deshalb, mit dem Fliesspapier steril excidirt, auf den Nährboden ge¬
legt werden und zwar so, dass das untere Ende in das Condenswasser
taucht. Nach ca. -14 Tagen ist das Sputum meist schon weich und nun
beginnt eine ganz ausserordentlich intensive Entwickelung der Tuberkel¬
bacillen. (Filtrierpapier natürlich dem Nährboden zugewendet.) Da die
Petrischale 100®*“* und 1 Cubikmeter 1 Million Cubikcentimeter fasst,
vermochten somit 0*5 x 10000 =* 5 Liter Formalin oder 2000*"“
Formaldehyd pro Cubikmeter Raum die Tuberkelbacillen nicht
abzutödten. Ich habe hinreichend Versuche mitgetheilt, die natürlichen
Beschmutzungen mit Sputum Rechnung trugen und in denen die Tuberkel¬
bacillen ebenfalls lebend blieben. Ich unterlasse es deshalb, hier noch¬
mals detaillirt darauf zurückzukommen.
Nach 1 j 2 stündiger Exposition der Smegmabacillen bei 2000 *™ Form¬
aldehyd im Cubikmeter findet in Culturen nur eine kurze Verzögerung
des Wachstums statt Am 2. oder 3. Tag ist das Glycerin-Blutserum,
auf dem die Smegmabacillen vorzüglich gedeihen und zu langen Fäden
auswachsen, mit einem dicken schmutzig grau-braunen Belag bedeckt.
An eine abtödtende Wirkung durch Formaldehydmengen, wie
sie Flügge für die Keimtödtung schlechthin empfiehlt, ist bei
den Tuberkel- oder anderen säurefesten Stäbchen gar nicht zu
denken. Das Thierexperiment ist hier irreleitend. Dagegen
ist die desinficirende Formalinmethode eine geradezu klassische
Züchtungsmethode für Tuberkelbacillen und andere säurefeste
Stäbchen aus Bakteriengemischen geworden (2). Die Arbeiten
von Weber und Taute (3 und 4) aus dem Kaiserlichen Gesund¬
heitsamt und von Piatkowski (5) haben den grossen Werth
meiner Methode vollauf bestätigt.
Zur Züchtungstechnik möchte ich noch bemerken, dass die dicken
Primärausstriche am zweckmässigsten auf Glycerin-Blutserum mit Glas¬
wandfixation der Sputumtheile und Condenswasserberührung, oder noch
besser für ganz kurze Zeit auf einen Glycerin-Agar folgender Zusammen¬
setzung gemacht werden: 2 bis 5*™ Liebig, 5»™ NaCl, 5 bis 10»™ Pepton
Witte oder besser Chapoteaut, 20 ccm Glycerin, 2 »™ Krystallsoda, 15»™ Agar,
1000»™ Wasser.
ft sehr. f. nypione. JA. 22
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338
Carl Spengler: Zur Formaldehyd-Abtödtung.
I
üigitized L
Nach einigen Tagen werden Ueberimpfungen nöthig. Am meisten
sind solche auf Glycerin-Serum zu empfehlen.
Ein genauer Zeitpunkt lässt sich nicht angeben. Man muss ihn
mikroskopisch bestimmen.
Die Smegmasputa kommen gleich auf Glycerin-Serum, ebenso die
auf Filtrierpapier angetrockneten und excidirten Sputa.
Ich darf zum Schluss noch bemerken, dass ich die Formaldehyd-
desinfection trotz allen meinen Ausstellungen immer noch für die hervor¬
ragendste Desinfectionsmethode halte. Dafür bürgt die hier in ausgedehntem
Maasse zur Anwendung kommende „Davoser Methode“, dies zweizeitige
Verfahren, welches ich in Davos zum Vorschlag brachte und einföhren
liess. Es verbindet sich allerdings mit dieser Methode noch eine gründ¬
liche secundäre Wasch- und eventuell Sublimatdesinfection. Das frisch
„desinficirte“ Sputum vermittelt beim Menschen sicherlich ebenso wenig
Infectionen, wie es Thiere nicht zu iuficiren vermag. Nach und nach
entweicht aber das Formaldehyd und damit gewinnt das Sputum seine
alte Infectiosität.
Das Desinfectionswesen hat noch nicht den Grad von Vollkommenheit
erreicht, den man vielfach erzielt zu haben glaubt. Wir haben Grund.
Vervollkommnungen anzustreben. Dazu ist aber nöthig, sich von Dogmen
zu emancipiren, und nicht, wie Reichenbach dies thut und von Anderen
fordert, an Versuchsanordnungen festzuhalten, die, wie im gegebenen Falle
das Thierexperiment, nichts leisten können.
Litteratur - V erzeichniss.
1. Reichenbach, Die Leistungen der Formaldehyddesinfection. Diese Zeit¬
schrift. Bd. L. 1905.
2. Carl Spen gier, Tuberkelbacillenzüchtung u. s. w. Ebenda . Bd, XLII. 1902
3. Weber und Taute, Zur Frage der Umwandlung der Tuberkelbacillen i®
Kaltblüterorganismus. Deutsche med. Wochenschrift . 1904.
4. Dieselben, Die Kaltblütertuberculose. Tubercu!ose-Arbeiten aus dem Kaiser i
liehen Gesundheitsamt. Heft 3.
5. Piatkowski, Ueber eine neue Eigenschaft der Tuberkel- und anderer säure
fester Bacillen. Deutsche med. Wochenschrift. 1904.
Goo gle
Qritjiraal from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Die Sengzüchtung der Tuberkelbacillen aus Sputum.
Von
Dr. Carl Spengler
in Dato*.
Noch einfacher als die Formalinzüohtung der Sputumtuberkelbaoillen
ist eine von mir seit geraumer Zeit geübte Methode, welche ich Seng-
züchtung nenne. Sie beruht auf der Partialsterilisation des tuberculösen
Auswurfs durch Hitzeeinwirkung, welche die Begleit* und Mischbakterien
vernichtet, ohne die Tuberkelbacillen abzutödten. Was mit meiner Formalin¬
methode auf chemischem Wege, wird bei der Sengmethode auf physikali¬
schem erzielt. Die Formalinmethode hat den Vorzug, dass sie sich nicht
auf geballte Sputa zu beschränken braucht, sondern universell angewandt
werden kann und nicht bloss bei Tuberkel- und Perlsuchtbacillen, sondern
bei allen säurefesten Stäbchen gute Resultate giebt.
Die Sengmethode ist ausschliesslich für geballte Phthisikersputa em-
pfehlenswerth. Dünnflüssige, stark schleimige und auch blutige Sputa
eignen sich nicht für die Sengung. Die Handhabung der Methode ist
äusserst einfach. Ein kleinhaselnussgrosses Sputumtheil wird auf starker
grosser Oese (1: l l / 2 ) aufgewickelt und dann der Gasflamme genähert
oder direct in sie hineingeführt und zwar unter rotirenden Bewegungen
des Glasstabes und des Ballens. Dabei ist zu beachten, dass das Sputum
nicht von der Oese abgleitet.
Die Flammenhitze bräunt und faltet die Sputumoberfläche, und in
die Flamme hineingehalten, bläht sich das Sputum sphäroid auf. Nach
2- bis 8 maliger kurzer Aufblähung des Ballens, und nach leichter Ober¬
flächenbräunung und Fältelung, die an dem aus der Flamme entfernten
Sputum beobachtet wird, ist die Partialsterilisirung als gelungen und
vollendet zu betrachten.
Man streicht nun den ganzen Ballen unter Sprengung der zäh ge¬
wordenen, angesengten Oberfläche auf 2 Procent glyceriuhaltiges Blut¬
serum aus, eventuell auch auf Glycerin-Agar.
22*
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340 Carl Spengler: Die Sengzüchtung d. Tuberkelbacillen u.s.w.
Die Hülleiisprengung nimmt man an der Röhrcheninnenwand and
nicht auf der Nährbodenfiäche vor, weil man bei dieser Manipulation zu¬
weilen recht energisch drückende Streichbewegungen mit dem dicken
Platindraht machen muss, welche die Nährbodenfläche leicht erheblich
verletzen könnten.
Nach erfolgter Sprengung der Hülle lässt sich der Kern des Ballens
mühelos auf der Nährbodenfläche ausbreiteu. Sollte dies nicht der Fall
sein, der Kern des Ballens vielmehr auch zäh geworden sein, daun ist
die Sengung zu weit getrieben und möglicher Weise sind nun auch die
Tuberkelbacillen abgetödtet.
Am sichersten vermeidet mau dies durch Wahl grosser Sputumtheile.
wie ich sie bezeichnete. Erbsengrosse Theile müssen schon recht vor¬
sichtig behandelt werden. In solchen leidet das Sputuminnere rasch
unter der sterilisirenden Hitze. Bei grossen Partikeln gelingt dagegen
die gewünschte Partialsterilisation geradezu ohne Ausnahme.
Vom Primärausstrich auf Glycerin-Blutserum oder Glycerin -Agm
nimmt man nach 8 bis 14 Tagen Ueberimpfungen vor und zwar am
zweckmässigsten wieder auf Glycerin-Blutserum. Diese Art der Behand¬
lung der Ausstriche empfiehlt sich auch als die zweckdienlichste für
meine Formalinmethode.
Die Sengung eines Sputums dauert nicht länger als das gründliche
Ausglühen eines dicken Platindrahtes. Sie lässt an Eleganz und Sicher¬
heit und an Einfachheit für die Tuberkelbacillenzüchtung nichts zu
wünschen übrig.
In noch höherem Maasse als bei der chemischen Formalinwirkung.
kommt bei der physikalischen Wirkung der Sengung die Inactivirung
der baktericiden Functionen der Sputumleukocyteu in Betracht. Die unter
dem Einfluss der partial sterilisirenden Senghitze gestandenen Leukocvteu
haben ihre, die Tuberkelbacillenentwickelung hemmenden, bezw. ihre ab-
tödtenden Functionen nahezu völlig eingebüsst.
Das Tuberkelbacillenwachsthum geht deshalb ungehindert von Statten,
wenn die Sengung einen gewissen, allerdings nur empirisch festgestellten
Grad nicht überschritt. Tuberkelbacillen, welche nur etwas zu stark er¬
wärmt wurden, erholen sich langsam wieder und wachsen dann nornnn
weiter.
I
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[Aus dem bakteriolog. Laboratorium der Heilstätte Bel zig bei Berlin.]
(Director: Prof. Dr. A. Möller.)
Ueber Resorption und Immunitätsersckeinungen.
Eine Imnmnitätsstndie.
Von
Dr. Ernst Löwenstein,
Vorstaud des bakteriologischen Laboratoriums der Heilstätte.
SeitArloiug die ersten gelungenen Versuche über Agglutination der
uberkelbacillen veröffentlichte, ist viel Mühe darauf verwendet worden,
e Agglutinationsreaction als ein brauchbares Hülfsmittel der klinischen
ntersuchungsmethoden auszugestalten. Man hätte eigentlich erwarten
innen, dass sofort nach dem Bekanntwerden der Gruber-Widal'schon
eaction diese Frage auch bei der Tuberculose studirt worden wäre, aber
11 er solchen Schematisirung war die Sprödigkeit des Materials im Wege,
nn nicht jeder Stamm eignet sich zur Anstellung der Agglutinatious-
action, speciell nicht die alten Laboratoriumsstämme; es gelingt ja bei
r Mehrzahl der Stämme, durch Verreiben an der Glaswand oder im
örser eine völlig gleichmässige Homogenisirung der Testflüssigkeit her¬
steilen, wenn man nur stets von jungen Culturen ausgeht, die
chstens 4 Wochen gewachsen sein dürfen; aber einzelne Stämme,
3 in harten Knoten wachsen, erfordern ganz besondere Vorsichts-
lassregeln. Bei gewissen Stämmen hingegen, besonders denjenigen,
Iche direct aus dem Sputum gezüchtet wurden, macht die Homogeni-
ung in physiologischer Kochsalzlösung nicht mehr Schwierigkeit als bei
phus oder Cholera.
Einen solchen Stamm hat Arloing aus tuberculösem Material ge-
jhtet. Zuerst stellte er die Stammemulsion durch Verreiben her, später
ipfahl er die Glycerinbouillonculturen selbst nach einem 8 - bis 12 tägigen
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342 Eenst Löwensteln :
Wachsthum als Ausgangsmaterial zu verwenden. Die Mehrzahl der Unter¬
suchungen hat sich dieser von Arloing angegebenen Methodik bedient;
die in weiten Kölbchen gewachsenen, die ganze Bouillon im Verlauf von
8 bis 12 Tagen trübenden Arloing’sclien Bacillen wurden in kleine
Röhrchen verfüllt und das Serum dann zugesetzt. Trat bei einem Ver-
hältniss von 1:5 des Serums zu der verwendeten Bouillonmenge eine
Klärung der trüben Bouillon mit Niederschlagsbildung auf, während die
Controlröhrchen gleichmässig getrübt blieben, so galt die Reaction ah
eine positive. Obzwar Courmont und Arloing bereits feststellten, dass
nicht nur Tuberculüse, sondern auch Gesunde reagiren können, so konnten
sie jedenfalls doch diese Methode zur Nachprüfung empfehleu, da in
91 Procent der untersuchten Proben der Agglutinationsausfall durch die j
klinische Diagnose völlig bestätigt war. Später haben Courmont und
Arloing die auffallende Thatsache publicirt, dass auch das Blutserum
von Typhösen häutig dieselbe Reaction gebe.
Die Bedenken, welche gegen die Brauchbarkeit der Reaction laut i
werden mussten, wurden aber noch wesentlich verstärkt durch die Publi-
cation der Resultate, welche C. Fraenkel erhalten hatte. Denn
C. Fraenkel fand, dass 66 Procent von sicher gestellten Tuberculosen
die Reaction nicht zeigen und dass überhaupt zahlenmässig gar kein
wesentlicher Unterschied im Verhalten Tuberculöser und Nicht-Tubei-
culöser gefunden werden könne. Noch überraschender waren die Versuch»-
ergebnisse von Beck und Rabinowitsch; in diesem Material stelltet
überhaupt die Nicht-Tuberculösen ein um 7 Procent höheres Contingent
der positiven Versuchsausfälle als die sicheren Tuberculosen; von den
letzteren gaben nur 28 Procent, von den Nicht-Tuberculösen 35 Procent
eine positive Reaction. Besonders werthvoll ist die aus dem Paltauf’-
sehen Institut stammende Arbeit von Eisenberg und Keller, da sie
sich auf ein Sectionsmaterial von 81 Fällen stützt. Von den 81 in Be¬
tracht kommenden Fällen entfallen 53 auf Nicht-Tuberculöse, von denen
37 = 70 Procent eine positive Reaction zeigen, und 28 auf Tuberculöse.
von denen 71*5 Proceut eine positive Reaction zeigen. Diese aus einem
einwandsfreien Material gewonnenen Erfahrungen stimmen überein mit
denen von Nebelthau, Thellung, Horcicka und anderen Forschem,
während Knopf, Carriöre, Rothamel, Bendix diese Methode als einen
wesentlichen klinischen Behelf vertheidigten.
Die Differenzen und Widersprüche in den einzelnen Angaben könnten
versuchsweise damit erklärt werden, dass eine verschiedene Technik ein¬
gehalten wurde. Weil das Wachsthum der Arloing-Tuberkelbacillen
doch unter den wechselnden Bedingungen der verschiedenen Laboratorien
gewiss kein gleichmässiges ist und in vielen Arbeiten die technischen
Go igle
Original fro-m
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Übeb Resobption und Immunitätsebscheinungen.
343
Schwierigkeiten auch besonders hervorgehoben wurden, und weil für
quantitative Untersuchungen doch möglichst eine bestimmte Einheit un¬
erlässlich ist, so hat Behring gewissermaasen eine Standardlösung heraus¬
gegeben. l* rm getrockneter und pulverisirter Tuberkelbacillen werden
durch eine 1 / 2 procent NaOH in einem 8 Tage dauernden Contact aus¬
gelaugt; diese Flüssigkeit, welche stark verdünnter Milch ähnelt, wird
ueutralisirt und ist dann gebrauchsfertig. R o m b e r g prüfte diese
Emulsion und konnte dennoch nur zu den Schluss kommen, dass der
Agglutinationsprobe in dieser Form kein Werth für die Praxis zu¬
gesprochen werden darf, da einerseits bei sicher gestellter Tuberculose
negative, andererseits bei sichergestellter Freiheit von Tuberculose positive
ßeaction ausserordentlich häufig waren.
Die von Koch selbst angegebene gemahlene Substanz der Bakterien-
leiber, welche als Ausgangspunkt der Standardlösung zu benutzen ist,
scheint nur von Rumpf und Guignard geprüft worden zu sein, jeden¬
falls ist sie von Koch mehr als ein Indicator der erreichten Immuni-
sirungsstufe empfohlen worden; im Verlaufe der specifischen Behandlung
ist thatsächlich über eine erhöhte Agglutinationskraft des Blutes berichtet
worden. (Rumpf und Guignard, Möller und Kayserling.)
Kurz resumirt scheint die Mehrzahl der Untersucher der Ansicht
zuzuneigen, dass die Agglutination kein brauchbares Mittel ist, die In-
fection mit Tuberkelbacillen zu erkennen. Gewiss sind die Resultate der
oben erwähnten Arbeiten völlig eindeutig.
Aber um so mehr ist die Frage berechtigt, warum im natürlichen
Verlaufe einer Tuberculose es nicht wie bei den anderen Infectionskrank-
heiten zur Agglutininbildung kommt. In erster Linie muss hier eine
Thatsache betont werden, die in allen früheren, die praktische Seite der
Frage berührenden Arbeiten keine Berücksichtigung gefunden hat. Alle
setzen nämlich als eine selbstverständliche Thatsache voraus, dass ein
Serum, welches durch Immunisation bezw. Infection mit einem Stamme von
Tuberkelbacillen erzielt ist, alle Stämme von Tuberkelbacillen in gleicher
Weise oder wenigstens ohne grosse Unterschiede agglutiniren muss. Diese
Voraussetzung ist eine völlig irrige, wie schon aus einer holländischen
Arbeit hervorgeht Schwoner und Verfasser haben dieselben Fragen
völlig unabhängig von der obigen Arbeit an einer grösseren Anzahl von
Tuberculosestämmen studirt und sind zu demselben Resultate gekommen.
Es herrschen hier ähnliche Verhältnisse, wie sie bei Bact. coli durch
Wassermann und durch Schwoner bei den Pseudodiphtheriebacillen
xmstatirt wurden. Ein Serum, das durch Immunisation mit einem
stamme erzeugt ist, wirkt in erster Linie nur auf diesen Tuberculose-
tamm, auf manche andere Stämme in geringem Grade, in den meisten
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Original frum
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344
Ernst Löwenstein:
Fällen aber gar nicht in sichtbarer Weise ein. Und eigentlich ist von
vorneherein ein anderes Verhalten gar nicht zu erwarten gewesen; jeder,
der sich damit beschäftigt, weiss, dass sich frisch gezüchtete Tuberculose-
Stämme nicht immer völlig in ihren uns sichtbaren Eigenschaften decken.
Schon der erste Anblick der Cultur würde eine Differenzirung gestatten,
wenn wir dem morphologischen Moment die gleiche Bedeutung zumessen
würden, wie dem physiologischen Moment. Die einzelnen Tuberculose-
stämme unterscheiden sich von einander nicht bloss im Aussehen der
Cultur, d. h. in dem Aufbau, in der Art des Zusammenschlusses zu
grösseren Verbänden, in ihren Ernährungsbedingungen, sondern auch
wirklich in der Gestalt der Bakterienindividuen. Dass die einzelnen
Tuberculosestämme auch wesentliche Differenzen in ihrer Virulenz für
unsere Laboratoriumsthiere zeigen, ist eine längst bekannte Thatsache:
die Agglutination hat nur von Neuem auf diese Verschiedenheiten auf¬
merksam gemacht.
Die Regellosigkeit, in welcher eine Agglutination bei Gesunden und
Kranken eintritt, legt den Gedanken nahe, dass es sich hier gar nicht
um eine specilische Agglutination handelt, zumal die Titres der Sera sich
selten bei Gesunden und Kranken über 1:20 erheben. Schon aus dem
Grunde, dass in den Angaben der Autoren durchaus kein Hinweis zu
linden ist, dass das Serum der Tuberculösen einen höheren Agglutinations¬
werth hat als das Gesunder, geht hervor, dass es sich um Normal-Agglu-
tination handelt. Solche Normal-Agglutinine sind im menschlichen Blut
für viele Bakterien nachgewiesen; es agglutinirt normales menschliches
Blutserum sehr häufig Typhusbacillen bis 1:40, Colibacillen noch höher.
1:50 oder 60 ist keine Seltenheit, weiter Bac. Pyocyaneus, Staphylo¬
kokken, Rotzbacillen bis 1:100 bis 300 u. s. w.
Unter ganz bestimmten Umständen kann die agglutinireude Wirkung
des normalen Blutserums gegen mehrere Bakterien zu gleicher Zeit ver¬
mehrt sein, ohne dass dieselben in einem ätiologischen Zusammenhang
mit dieser Veränderung des Blutes stehen. Hierher gehört die von Köhler
gemachte Beobachtung, dass das Blut von Ikteruskranken den Typhus-
bacillus agglutinirt. In der Mehrzahl der Arbeiten, in denen diese Fragt
behandelt wird, ist die Agglutination entweder auf eine frühere Infecüon
mit Typhus zurückgeführt worden, oder die bestehende Affection als eine
typhöse angesprochen worden. Dieser Irrthum ist erst 1903 von Joachim
aufgeklärt worden. Dieser Autor zog nicht etwa bloss Typhus, sondern
auch Coli, Cholera, Pyocyaneus, Dysenterie in den Bereich seiner Unter¬
suchung und constatirte im Blut seiner zwei untersuchten Fälle eine
wesentliche Erhöhung des Agglutinationswerthes für die eben erwähnten
Bakterien. In den Beobachtungen von Eisenberg und Keller findet
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Übee Resobption und Immunitätsebscheinungen.
345
sich ein ähnlicher Fall. Das Blut eines Falles von Cholelithiasis agglu-
tinirte den Arloing’schen Stamm im Verhältniss von 1:500, obzwar
kein Anhaltspunkt für die Diagnose Tuberculose gegeben war. Diese
Vermehrung der Agglutinationskraft des Blutes tritt aber nicht bei jedem
Ikterus auf, sondern es müssen offenbar ganz bestimmte Bedingungen er¬
füllt sein, um die uns unbekannten wirksamen Körper in das Blut über¬
treten zu lassen. Eine Ergänzung zu diesem merkwürdigen Verhalten
bietet vielleicht die Angabe von Arloing, dass er nach Injectionen von
Sublimat, Kreosot, Eukaljptoi ebenfalls eine Steigerung der Agglutinations¬
kraft des Blutes beobachtet hat.
Jedenfalls sind die Körper, welche eine der Agglutination ähnliche
Fällung der Bakterien hervorrufen können, in der Natur sehr verbreitet.
Sabrazös und Brengnes haben eine grosse Anzahl von solchen
Verbindungen aufgefunden. Im Allgemeinen kann man wohl sagen, dass
die eiweissfällenden Mittel sämmtlich, falls die Fällung in einem ge¬
eigneten Medium vor sich geht, eine Verklumpung der Bakterien
herbeizuführen im Stande sind. Falls die Untersuchungen über nicht
specifische Agglutination in einem mehr eiweisshaltigen, viscösen Medium
angestellt würden, würden die Ergebnisse völlig eindeutig ausfallen.
Das Ricin, ein Pflanzengift, vermag in normalem Serum eine volumi¬
nöse Fällung hervorzurufen. Das Ricin allein ist nicht im Stande, Typhus¬
bakterien oder eine chinesische Tuscheaufschwemmung zu agglutiniren,
setzt man aber eine Spur Serum zu, so werden Bakterien, bei weitem
schöner aber die Theilchen der chinesischen Tusche, zu Flocken geballt,
agglutinirt und zu Boden gerissen. Mikroskopisch sieht man dann die
Bakterien von einem feinen Netz umsponnen, das aus dem Gewebe der ge¬
fällten Eiweisssubstanzen besteht (nach eigenen, nicht publicirten Versuchen).
Die voluminöse Eiweissdecke, welche bei den Fällungen entsteht,
reisst die Bakterien mit in den Niederschlag.
Solche nicht specifische Agglutinine für Bakterien und rothe Blut¬
körperchen sind beim Huhn z. B. besonders ausgesprochen; möglicher
Weise spielt hier der grössere Kieselsäuregehalt eine Rolle (der bei dem
federtragenden Geflügel physiologischer Weise ein höherer sein muss). 1
Normaler Weise hat das Serum des Huhnes einen Agglutiuationswerth für
Tuberkelbacillen von 1:50 und mehr. Auch bei Ziegen findet man den
Tuberkelbacillen gegenüber fast regelmässig eine Agglutination von 1:20.
Beim Menschen schwankt die Agglutinationskraft des normalen Blutes
ausserordentlich. Romberg spricht eine Agglutination von 1:1 bereits
als eine specifische an. Pal tauf hingegen kommt zu dem Schluss: „Es
* Nach einer persönlichen Aeusserung des Hm. Doz. Dr. E. P. Pick, Wien.
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346
Ernst Löwenstein:
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ist durchaus nicht erwiesen, dass die Reaction specifisch ist, im Gegen-
theil erscheint es höchst wahrscheinlich, dass die Agglutination des mensch¬
lichen Serums eine der normal vorkommenden, manchmal vielleicht patho¬
logisch gesteigerten Mitagglutinationen ist.“ Thatsächlich war also noch
die Frage völlig ungelöst: „Kommt es im natürlichen Verlaufe einer
Tuberculoseinfection zur Agglutininbildung?
Im Thierexperiment lassen sich die oben erwähnten Schwierigkeiten
am besten umgehen. Es handelt sich also darum, beim Versuchsthiei
eine tuherculöse Erkrankung zu setzen, die in ihrem ganzen Charakter
der natürlich erworbenen Tuberculoseerkrankung bei dem Menschen mög¬
lichst entspricht. Eine der Lungentuherculose des Menschen ähnliche
Erkrankung des Versuchstieres herbeizuführen, gelingt nur unter ganz
besonderen Umständen, die wir nicht völlig in unseren Händen haben.
Die Iristuberculose des Kaninchens scheint diejenige Erkrankung zu sein,
welche vielleicht nicht in ihrem Entstehen, sicher aber in ihrem Verlaufe
mit der natürlich erworbenen Iristuberculose des Menschen die weit¬
gehendste Analogie zeigt.
Gelegentlich des Studiums mehrerer direct aus dem Sputum ge¬
züchteter Stämme von Tuberkelbacillen — über die Methodik wird viel*
leicht an anderer Stelle berichtet werden — wurden auch systematische
Virulenzprüfungen vorgenommen und zwar an Kaninchen und Meer¬
schweinchen.
Hier seien nur folgende Versuche angeführt:
Die zweite Generation des Stammes H., dessen Reincultnr direct an¬
dern Sputum am 13. X. 04. vorgenommen worden war, kam in Form einer
18 tägigen Cultur auf saurem Kartoffel-Glycerinagar zur Verwendung. Da»
Kaninchen grau, Rücken roth, erhält am 29. XI. 04. J / 6 Oese in 0-2 N;
physiologischer Kochsalzlösung in die rechte vordere Augenkammer. Da»
Kaninchen silbergrau, erhält auf dieselbe Weise */, 0 Oese in 0 • 1 ccro physio¬
logischer Kochsalzlösung. Am 12. XII. 04. zeigen beide Thiere leichte
Ciliarinjection, Vertiefung und Verbreiterung der Krypten, Hyperämie der
Iris. Am 20. XII. 04. zeigen beide Thiere zarte graue Knötchen an der
oberen Hemisphäre der Iris verstreut, von der Grösse einer Nadelspitze
Im weiteren Verlaufe bildet sich eine Trübung und Verfärbung der vorderen i
Kammer aus, und Ende Januar ist die Phthisis bulbi völlig ausgesprochen.
Am 10. II. wird das Kaninchen grau, Rücken roth und am 21. II. 05. da»
Kaninchen silbergrau durch Entbluten getödtet. Die Tuberculose zeigte sich
anscheinend völlig auf das eine Auge beschränkt, in Lunge, Leber, Milz
konnten keine Anhaltspunkte für die Ansiedelung von Tuberkelbacillen ge¬
funden werden. Im Auge hingegen, besonders in dem der vorderen Kammer
entsprechenden Raum, waren sie sehr leicht zahlreich nachweisbar. Die Rein-
cultur gelang hier ohne jede Schwierigkeit. Das Serum dieser beiden Thiere
zeigte in den Verdünnungen 1:5, 1:10, 1:20, 1:50, 1:100 und 1:200
auch nicht die Spur einer Agglutinationskraft; es verhielt sich demnach
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Übeb Resorption und Immunitätsebscheinungen.
347
hier -rollig wie das Serum normaler Kaninchen, das nach den Untersuchungen
von Schwarzkopf an 71 Kaninchen auch keine Tuberculosebacillen agglu-
tinirenden Körper besitzt.
Am selben Tage erhielten die Kaninchen weiss und Kaninchen braun,
Rücken roth intravenös 2 ccm bezw. 1 ccm derselben Cultur in einer Auf¬
schwemmung, in welcher l ccm bis 1 / 10 Oese war. Am 18. XII. wurde Ka¬
ninchen weiss todt aufgefunden. Obductionsbefund: Pneumonie rechtsseitig,
in allen Organen massenweise Tuberkelbacillen, obwohl makroskopisch keine
dahin deutende Veränderung mit Ausnahme eines geringen Milztumors zu
finden war. Höchst auffallend war der Befund, dessen Verfolgung ich mir
noch Vorbehalte, von Tuberkelbacillen im Blute. Aus dem Herzblute gelang
die Cultur in einer ganz charakteristischen Weise. Ueberall dort, wo die
Oese einen grösseren Blutstropfen abgesetzt hatte, gingen in zierlicher Weise
nebeneinander zarte, weisse Colonieen auf, die sich als aus Tuberkel¬
bacillen bestehend erwiesen. Da auch das andere Thier den Eindruck einer
schweren Erkrankung bot, wurde es ebenfalls am 19. XII. verblutet. Der
Agglutinationsversuch, für den natürlich immer nur der Stamm H. in Ver¬
wendung kam, wurde mit der dritten Generation dieses Stammes ausgeführt.
Das Resultat war nach 3 Stunden Verweilens im Brütschrank folgendes:
1:10 beendet, über dem Niederschlag stehende Flüssigkeit völlig klar
1 ^ >i » n n » n v n
^tf » »> tt » » » »
1:100 noch nicht beendet, aber grobe Flockenbildung
1:200 deutliche Flöckchenbildung.
Am 4. H. 05. wurde der Versuch wiederholt mit demselben Erfolge, wie
das angeschlossene Protokoll beweist.
Kaninchen weiss, beide Ohren schwarz, Rücken schwarzer Strich 1600^“.
Kaninchen weiss erhalten je 1 / 10 Oese intravenös von der Cultur H., dritte
Generation vom 16. L
Kaninchen weiss ist am 23. U. 05. bereits todt; makroskopisch ist nur
eine leichte Milzschwellung nachweisbar, mikroskopisch dagegen erweisen
sich Leber, Milz und Lunge vollgepfropft mit Bacillen. Die Cultur aus dem
Herzblute ergab das Vorhandensein von Bacillen in der Blutbahn. Am 25. H.
wird das Kaninchen weiss, beide Ohren schwarz, Rücken schwarzer Strich,
wegen hochgradiger Schwäohe aus der Carotis entblutet. Die Lunge zeigt
makroskopisch nur wenige Knötchen von Nadelspitzengrösse, im Herzbeutel
vielleicht 1 ccm klares Serum, mikroskopisch hingegen zahlreiche Bacillen in
Lunge, Leber und Milz leicht nachweisbar. — Reincultur aus dem Herzblute
gelang. Das Serum dieses Thieres zeigt einen Agglutinationswerth von 1:100.
In 3 Stunden bei 37° war bis zu dieser Verdünnung inclusive eine Aggluti¬
nation eingetreten.
Am 15. m. wurde die dritte Versuchsreihe angestellt und zwar in
folgender Weise: 2 Oesen der Cultur H. vom 22. H. vierte Generation werden
in 2 ccm physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt.
Nr. 22 Kaninchen weiss, Rücken roth, erhält 0• 2 ccm = */ l0 Oesen subcutan,
„ 23 „ „ „ „ „0-2 „ = a / 10 „ intravenös,
„ 24 „ Bchwarz-weiss „ „ „ 0>2 „ = 2 / 10 ,, in die
vordere Augenkammer.
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[
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348 Ernst Löwenstein:
Am 24. III. wurde den drei Thieren aus der Ohrvene mittelst der
Lüer’schen Spritze Blut entnommen und auf seine Agglutinationskraft mit
dem Stamme H. Cultur vom 22. II. vierte Generation geprüft. Der Versuch,
am 25. UI. angestellt, ergab folgendes Resultat:
Kaninchen Nr. 22 subcutan: Kaninchen Nr. 23 intravenös:
2 h
6 h
2 h
6 h
1: 10
+
+
1 : 10
+
+
1:25
0
0
1:25
+
+
1:70
0
0
1:70
Beginn
Kaninchen Nr. 24 in die vordere Augenkammer:
2"
6 h
1:10
o
0
1:25
0
0
1:70
0
0
Dieser Versuchsausfall ist ein völlig eindeutiger; in allen drei Ver¬
suchsserien war bei Infection in die vordere Augenkammer keine Agglutinin¬
bildung aufgetreten, während dieselbe Dosis bei subcutaner oder intra¬
venöser Application stets eine solche hervorrief, oder allgemein gesprochen:
Während die Allgemeininfection leicht zu hohen Agglutinationswerthea
führt, scheint eine local bleibende Infection überhaupt nicht im Stande
zu sein, eine Agglutininbildung zu bewirken. 1
Pal tauf hat im „Handbuch der pathogenen Mikroorganismen“ in
dem speciellen Capitel über die Agglutination die jetzt allgemein aner¬
kannte Vorstellung über das Entstehen der Agglutinine in folgende Worte
gefasst: „Bedingung für das Entstehen von Agglutiuinen ist die Re¬
sorption bakterieller Substanzen von den Geweben her ohne Veränderune
durch die Verdauungssäfte und zwar speciell des Magensaftes, ferner eine
gewisse, unbestimmt lange Incubationszeit.
Ob noch ein maassgebender Factor im thierischen Organismus anzu¬
nehmen ist, ist nicht erwiesen, doch wäre zu erinnern, dass bei herab¬
gekommenen Thieren, bei schweren Erkrankungen (acuten Infectionen), bei
schweren Schädigungen der künstlichen Immunisirung, es nicht oder nur
mangelhaft zur Bildung von Agglutininen kommt“
Die widernatürliche Resorption, d. h. die Resorption von
dem Körper fremden Stoffen mit Umgehung des für die Resorption
bestimmten Verdauungsapparates durch anderen Zwecken angepasste Organe,
ist eine der wichtigsten Voraussetzungen der Agglutininbildung.
- |
1 Dass die Verhältnisse bei der Immunität ganz ähnlich sind, beweist die schöne.
jetzt erschienene Arbeit von Dr. Prowazeck, Rovigno: Untersuchungen über da>
Wesen des Vaccineerregers. Deutsche med. Wochentchr. Nr. 19. Vorläufige Mitthlg-
Gck igle
Orifinial fram
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Übeb Resobption und Immunitätsebscheinungen.
349
Warum kommt es nun nicht im Verlaufe einer Iristuberculose zur
Agglutininbildung? Dafür können wohl im Ganzen zwei Momente ver¬
antwortlich gemacht werden:
1. Die geringe Menge des Infectionsmaterials; dieser Ein¬
wand ist nicht stichhaltig, weil dieselbe Menge, intravenös oder subcutan
’ipplicirt, doch zu einer lebhaften Agglutininproduction führte; ausserdem
kommt es im Eammerwasser sicher zu einer wesentlichen Vermehrung
ier Tuberkelbacillen.
2. Die schlechten Eesorptionsbedingungen in der vorderen
Kammer. Um nun die Frage zu entscheiden, ob thatsächlich die localen
Verhältnisse allein das Ausbleiben der Agglutininbildung verursachen und
virklich der Beschaffenheit der Bacillen in dieser Frage keine Bedeutung
;ukommt, wurde folgender Versuch zur Aufklärung herangezogen. Das
lassische Object für Agglutinationsstudien war von jeher der Typhus-
»acillus. Deshalb wurde dieselbe Frage, deren vollständige Lösung bei
er Tuherculose noch einer Erklärung bedurfte, auch bei der Infection
nit Typhusbakterien aufgeworfen.
Am 18. IQ. erhält das Kaninchen schwarz-weiss, 430schwer,
Wochen alt, 0*2 ccm todter Typhusbakterien in Form des Ficker’schen
’/agnosticum in die vordere Angenkammer, und Kaninchen weiss-gelb, Rücken
>th, 460 RTtn schwer, vom selben Wurf stammend, genau dieselbe Menge
itravcaöa injicirt. In der vorderen Kammer des Kaninchen schwarz-weiss,
t nach der Injection ein Blutstropfen und eine Luftblase zu sehen. In
sn nächsten Tagen Trübung des Kammerwassers und Hyperämie der Iris,
ildung leichter, flockiger Präcipitate, welche aber langsam zu verschwinden
dieinen. Am 30. III. Vormittags wird den kleinen Thieren die Vena
igularis freigelegt und mit der Luer’schen Spritze je 1 cem Blut aspirirt,
is bereits nach 6 Stunden auf seinen Agglutinationswerth geprüft wurde.
Is Titer diente wieder das Ficker’sche Diagnosticum, dessen Vorschrift
ich für diesen Versuch streng eingehalten wurden.
Das intravenös injicirte Kaninchen lieferte ein Serum mit folgendem Titre
' . 1
| 2 h
3 h |
24 h
1:50
+
völlig beendet
—
1:100
Spur
beendet
1
Das Serum des in die vordere Kammer injicirten Kaninchens zeigte
ioch in keiner Verdünnung eine positive Agglutination.
Diesem Versuch lag folgende Ueberlegung zu Grunde: Trat bei beiden
ininchen eine Agglutininbildung ein, so war nur der Schluss gestattet,
ss bei Injection von Typhusbacillen in die vordere Kammer des Kaninchen-
ges doch durch das Kamraerwasser diejenigen Substanzen aus den Typhus-
kterien ausgelaugt werden, welche die Agglutininbildung veranlassen,
ehrend die die Agglutininbildung anregenden Stoffe der Tuberkelbacillen
scheinend nicht im Kammerwasser des Auges löslich sind. Thatsächlich
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Ebnst Löwenstein:
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hat aber der Versuch ergeben, dass sowohl Tuberculosebacillen als
Typhusbakterien, in die vordere Kammer des Kaninchens eingebracht, nicht
zur Agglutininbildung führen, während dieselbe Menge aus derselben Cultur,
subcutan oder intravenös applicirt, eine lebhafte Agglutininbildung bewirkt.
Es können also als Ursacho des Ausbleibens der Agglutinin¬
bildung nur die localen Verhältnisse angesehen werden, die
vordere Kammer ist für eine directo Aufnahme körperfremder Eiweissstoffe
nicht geeignet, da von der Umgrenzung der vorderen Kammer für die Re¬
sorption nur das Gewebe der Iris und das Kammerwasser selbst in Betracht
kommen. Von todtem Material besonders kann die Iris wieder nur resor-
biren, was im Kammerwasser löslich ist, so dass der Iris auch keine wesent¬
liche Rolle hier zuerkannt werden kann.
Aber dem Versuchsausfall entsprechend ist auch die Lösungskraft des
Kammerwassers nur gering, der Stoffaustausch ein träger und demgemäss
muss die Resorption, welche sich auf dem Wege des Kammerwassers be¬
werkstelligt, eine ausserordentlich verlangsamte sein gegenüber der Resorp¬
tion im Unterhautzellgewebe oder im Blutstrom der Organe.
Ja wir wissen weiter, dass überhaupt eine Resorption von Körpern
mit so grossen Molekülen, wie das Eiweissmolekül, bereits im gelösten Zu¬
stande auf grosse Schwierigkeiten stösst und jedenfalls von der vorderen
Kammer aus eine weit längere Zeit in Anspruch nimmt; um so langwieriger
wird sich die Resorption bei dem „geformten Eiweiss“ gestalten,
du sie aussschliesslich durch die zelligen Elemente vermittelt werden kann.
Dieser Voraussetzung entspricht auch die Erfahrung: Infectionskrank-
heiten, welche das Auge befallen, bleiben meist auf dasselbe beschränkt,
ebenso wie die oben beschriebenen experimentellen Infectionen; denn bringt
man todte Typhusbakterien oder lebende Tuberkelbacillen in die vordere
Augenkammer des Kaninchens, so bleibt im ersten Falle gewiss, im zweiten
Fall bei einer gewissen Anzahl der Fälle die Affection auf die Infectious-
stelle localisirt; das Serum dieser Thiere verhält sich aber auch nicht wie
das Serum von Thieren, welche unter dem Einflüsse einer Allgemein-
infection stehen, denn das Serum der letzteren agglutinirt in der Regel
den specilischen Erreger, während im Verlaufe einer reinen Localinfection
im Blute bisher noch keine Agglutinine nachweisbar waren.
Es erhebt sich also sofort die Frage, ob nicht doch bei einer rein localen
Infection andere Körper im erkrankten Organismus entstehen können, welche
Beziehungen zu den specilischen Erregern der Localerkrankung besitzen.
Durch die Arbeiten von Pfeiffer und Kolle, C. Fraenkel und Otto
und anderer Autoren ist zwar die Frage völlig bei Cholera nnd Typhös !
entschieden worden, dass Agglutination und Bakteriolyse zwei von ein¬
ander unabhängige Vorgänge sind. Gerade bei der Tuberculose ist nun
Gelegenheit gegeben, sich völlig einwaudsfrei zu überzeugen, dass di«
Google
Original fram
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Übkb ReSOKPTION und Immunitätseksoheenungen.
351
materiellen Substrate dieser beiden Functionen verschieden sind; denn es
ist eiue alltägliche Laboratoriumserfahrung, dass es einerseits ohne Weiteres
gelingt, ein Serum zu erzielen, welches Tuberkelbacillen bis zu 1:5000
agglutinirt, andererseits aber auch, dass bakteriolytische Fähigkeiten dieser
hoch agglutinirenden Sera weder beim Versuche in vitro noch in vivo
uachzuweisen sind.
Immerhin dürfen diese Momente nicht die gleiche Eutstehungsweise
und den weitgehenden Parallelismüs dieser Reactionsproducte des thierischen
Organismus vergessen machen.
Es ist eine allgemein anerkannte Thatsache, dass der Organismus,
welcher gewisse Infectionskrankheiten überstanden hat, gegen dieselben
durch eine längere Zeit einen weitgehenden Schutz geniesst. Das ist eine
durch jahrhundertelange Beobachtung gesicherte Thatsache. Die Erfahrungen
bei Variola, den anderen acuten Exanthemen, Typhus, Cholera u. s. w.
schlossen da jeden Zweifel aus.
Bei der Tuberculose hingegen liegen die Verhältnisse wesentlich
anders. Die Frage, ob die Spontanheilung eines tuberculösen Herdes dem
betreffenden Organismus eine erhöhte Widerstandskraft gegenüber dieser
Infection verleiht, ist leider noch nicht in einem Umfange studirt worden,
der der Bedeutung der Frage angemessen wäre.
Zweifellos kommen Spontanheilungen von Lungen-, Knochen-, Haut-,
Drüsen- und Kehlkopftuberculose mehr oder weniger häufig zur Beobach¬
tung. Natürlich können hier nur die durch Spontanheilung genesenen
Fälle in Betracht kommen; solche, die einem chirurgischen Eingriff ihre
Genesung verdanken, sind selbstverständlich ausgeschlossen.
In der Litteratur, soweit sie mir zugänglich war, fand ich nur eine
einzige Arbeit, welche sich mit dieser Frage befasst: Cornet citirt Marfan 1
in folgendem Zusammenhang: Nun glaubte Marfan beobachtet zu haben,
«lass die Träger einer wirklich geheilten localen Drüsen-, Haut- und Knochen-
tuberculose fast nie (im späteren Leben) von Lungentuberculose befallen
würden, und er berichtet über 13 Krankenwärter, die Narben von aus¬
gedehntem Lupus oder Scrophulose aufwiesen und die trotz ihrer Be¬
schäftigung auf Phthisikersälen gesunde Lungen hatten. Marfan scheint
jedoch mit der Diagnose der Lungenaffection wie der Ausheilung localer
Processe zu sparsam zu sein. Auch unter nicht geheilten Lupösen und
Scrophulösen sah er sehr selten solche, die an Phthise litten. Doch diese
Behauptung steht im Widerspruche mit der allgemeinen Erfahrung. Im
Gegentheil hat man von jeher, und zwar mit Recht, betont, wie häufig
das Schicksal der echten Tuberculo-Scrophulösen, der mit verkästen Drüsen
1 Handbuch der pathogenen Mikroorganismen von Wassermann und Kollo.
Kd. IV. Th. II. S. 822.
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352
Ernst Löwenstein:
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behafteten, mit dem Tode durch spätere Lungentuberculose besiegelt wird. 1 ’
Com et giebt nur die Ansicht wieder, welche jetzt völlig anerkannt ist
Thatsächlich scheint die Erkrankung und Vereiterung der Drüsen z. B.
eher den Beginn der Tuberculose der Lungen vorzustellen als eine erfolg¬
reiche Schutzmaassregel des Organismus. Marfan hat offenbar nur das
zeitliche Moment übersehen, denn nach den Krankengeschichten der Heil¬
stätte Belzig, die in dieser Hinsicht mit ganz besonderer Sorgfalt geführt
werden, verstreichen zwischen der ersten DrüsenafFection und dem Auf¬
treten der ersten Lungensymptome sehr oft 5, 10 bis 15 und mehr Jahre.
Ausserdem kann die Infection auch noch länger latent bleiben und erst
bei einer anderen Schädigung plötzlich wieder zum Ausbruch kommen oder
sie kann schliesslich völlig zum Stillstand kommen. Es sind hier ganz ähnliche j
Verhältnisse, wie bei der Impfung in die vordere Kammer. Manchmal
bleibt die Tuberculose thatsächlich auf das Auge beschränkt, ein anderes
Mal führt sie in einer gewissen Zeit zu einer allgemeinen Miliartuberculose.
Tritt eine Spontanheilung eines tuberculösen Herdes ein, so ist man
wohl berechtigt, anzunehmen, dass der Organismus es gelernt hat, in der
richtigen Weise gegen die Tuberkelbacillen zu reagiren. Das müsste dann
dadurch zum Ausdruck kommen, dass mit der Spontanheilung eines tubercn-
lösen Herdes im Organismus ein anderer gleichzeitig anwesender eine Hei¬
lung oder wenigstens eine günstige Beeinflussung erfährt oder das Auftreten
von anderen Herden in der Folge unterbleibt. Indessen lehrt uns die
alltägliche Erfahrung, dass trotz Ausheilung eines tuberculösen Herdes,
z. B. im Kehlkopf, nicht nur keine günstige Beeinflussung eines anderen
Herdes zu constatireu ist, sondern dass sogar in der allernächsten Nähe
der eben gebildeten Narbe wieder neue Geschwüre auftauchen. Also nicht
einmal eine locale Immunität, wie sie auf Grund theoretischer Voraus¬
setzungen wohl möglich wäre, scheint sich in solchen Fällen entwickeln
zu können. Selbstverständlich gilt das auch von tuberculösen Herden,
die nicht demselben Gewebe histologisch angehören. So wiederholt sich
die Beobachtung, dass die Tuberculose des Larynx ausheilt, während die
Lungentuberculose erschreckende Fortschritte macht, recht oft. Seltener
sind die Fälle, bei denen die Lungentuberculose ausheilt, während das
Kehl köpf leiden sich verschlimmert. Ein nach diesem Gesichtspunkt studirte-
grösseres Krankenmaterial würde da gewiss viel Aufklärung bringen.
Warum bestehen nun die bei gewissen acuten Infectionskrankheitei
gewonnenen Erfahrungen nicht auch bei der Tuberculose zu Recht?
Darauf lässt sich Folgendes antworten:
Alle acuten Infectionskrankheiten, welche eine erhöhte Widerstands¬
kraft in dem erkrankten Organismus zurücklassen, sind Allgemein¬
erkrankungen oder besser Allgemeininfectionen.
Google
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Über Resorption und Immunitätserscheinungen.
353
Das ist gesichert, denn Variola und die anderen acuten Exantheme,
Cholera, Typhus, Tetanus, Diphtherie u. s. w. sind Erkrankungen, bei
denen entweder die Erreger selbst oder deren Stoffwechselproducte nicht
bloss am Orte der sichtbaren Erkrankung, sondern auch in anderen Ge¬
weben entweder direct oder indirect nachgewiesen werden können.
Es wären demnach nur diejenigen acuten Infectionskrank-
heiten, welche Allgemeininfectionen sind, auch diejenigen,
welche zu einer Immunität führen.
Ist dieser Schluss richtig, so müssen diejenigen acuten Infectionen,
welche nicht eine allgemeine, sondern eine locale Infection bedeuten, sich
dadurch auszeichnen, dass nach dem Abheilen einer Infection der Organis¬
mus einer Reinfection gegenüber völlig empfindlich bleibt oder vielleicht
noch empfindlicher, disponierter wird, oder kurz, dass nach dem Ablauf
einer solchen Infection keine Immunität auftritt.
In der menschlichen Pathologie sind uns nur zwei Infectionskrank-
heiten mit constanter Aetiologie bekannt (abgesehen von der Malaria und
den ihr ätiologisch nahestehenden Krankheiten), welche keine Immunität
nach der Erkrankung hinterlassen, nämlich die Gonorrhoe und das
Erysipel. Diese beiden Krankheiten sind in der Regel ausgesprochene
Localerkrankungen, die Erreger werden nur in den erkrankten Bezirken
des Körpers gefunden; und thatsächlich sind es gerade diese beiden Er¬
krankungen, welche so oft recidieren, dass jede Erkrankung förmlich den
Boden schon für die nächste Reinfection empfänglich macht. Hier kann
man von einer Ueberempfindlichkeit, aber nicht von einer Immunität
sprechen. Bereits hier sei darauf hingewiesen, dass in diesen Fällen ein
sprechender Beleg dafür gegeben ist, dass die Antikörper, deren Anwesenheit
derzeit als die unerlässliche Vorbedingung der erworbenen Immunität gilt,
hier nicht in den natürlich empfänglichen Organen entstehen können.
Diese beiden acuten, aber localisirt bleibenden Infectionskrankheiten
bilden den Uebergang zu den chronischen Infectionskrankheiten. Auf¬
fallend ist, dass die letzteren durchaus die Eigenschaften zeigen, welche
ausgesprochenen Localerkrankungen zukommen. Der Kreis der chronischen
Infectionskrankheit und der localen Infection scheinen bei näherer Ueber-
legung mehr und mehr in einander zu fallen. Nur die oben genannten
Krankheiten, die Gonorrhoe und das Erysipel, stehen zwischen beiden
Krankheitsgruppen.
Tuberculose, Aktinomykose, Trachom, Lepra sind die Hauptrepräsen-
:anten der chronischen Infectionskrankheiten. Diese vier Krankheitsbilder
•ind aber auch eine classische Illustration dafür, wie chronisch und torpide
•ine Infection verläuft, wenn sie rein local bleibt.
Obzwar die Zeit vom Moment der Infection bis zum Auftreten der
Zeitschr. t. Hygiene. LL 23
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Ernst Löwenstein:
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ersten Krankheitssymptome eine sehr lange ist/' und auch die Dauer der
Krankheit selbst sich über Jahre hinauszieht, also hinreichend Zeit zur
Entwickelung einer Immunität gegeben wäre, so haben wir bis jetzt auch
nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, eine Immunität anzunehmen.
An den Bacillen selbst kann es nicht gelegen sein, denn wir beobachten
oft genug Spontanheilung der einzelnen Herde, welche aber ein Wieder¬
auftreten anderer Herde durchaus nicht verhindern. Also muss die Ur¬
sache im Organismus gelegen sein. Vielleicht ist nun folgende Vorstellung
discutabel: Die von den specifischen Erregern befallenen Organe sind zur
Erzeugung von Antikörpern oder besser einer Immunität aus folgendem
Grunde überhaupt nicht geeignet. Aus den isolirten Krankheitsherde«,
welche in allen diesen vier Krankheiten „wirkliche Knötchen“ sind,
kann nichts oder nur sehr wenig zur allgemeinen Resorption komme«,
so dass die Organe, welche Schutzstoffe bilden können, nicht den zur
Antikörperproduction nothwendigen „Reiz“ erhalten.
Vielleicht liegt nun in dem Verhalten der Infectionskrankheiten. welche
eine Immunität nach ihrem raschen Verlauf hinterlassen, ein Finger¬
zeig, welcher Weg eingeschlagen werden müsste, um den schleichende«,
immer wieder neue Herde bildenden Krankheitsprocess bei der Tuber-
culose, Aktinomykose, Lepra und Trachom energisch zu beeinflussen und
das Auftreten neuer Herde zu verhüten. Die Infectionen, welche eine
Immunität hinterlassen, sind durchaus Allgemeininfectionen, das beweise«
die zahlreichen Metastasen bei Variola an der Haut, im Hoden (Chiarii.
im Knochenmark; beim Scharlach ist das Bild der Allgemeiuinfection
ebenso deutlich; beim Typhus abdominalis werden die Erreger direct im
Blut gefunden, im Knochenmark hat sie Fraenkel ständig nachgewiesen;
bei der Diphtherie und beim Tetanus sehen wir an dem Charakter der
ganzen Erkrankung, dass das leicht resorbirbare Gift in den allgemeine«
Kreislauf gedrungen ist; kurz überall, wo eine Immunität auftritt, sehe«
wir, dass die Bakterien oder deren Stoffwechselproducte nicht bloss in den
erkrankten oder vielleicht empfänglichen Organen, sondern dass sie immer,
wenn auch vielleicht nur kurze Zeit, in der Blutcirculation und auch in
gesunden, nicht empfänglichen Organen vorhanden sind. Ob das nu«
nach den Untersuchungen von Pfeiffer und Marx bei Cholera das Knochen¬
mark, nach Kraus und Verfasser bei der Wuth das Knochenmark, Lympb-
drüsen und Milz sind, ist für das Wesen der Frage völlig gleichgültig. BW
Ursache des Eintrittes der Immunität scheint eben darin gelegen zu sei«,
dass das krankmachende Agens der allgemeinen Resorption unterworfen ist.
Diese Vorstellung, auf die chronischen Localinfectioneu angewendet,
führt zu folgendem Schlüsse: Das Princip der hier vorgeschlagenen Be¬
handlung besteht darin, dass das die Krankheit erregende Agens noch
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Über Resorption und Immunitätserscheinungen.
355
wiederholt an anderen Stellen als den erkrankten zu einer möglichst voll¬
ständigen und raschen Resorption gebracht wird; und zwar kann nur das¬
selbe Agens, das auch wirklich in dem betreffenden Falle die Ursache der
Erkrankung ist, — und nicht etwa ein nach dem heutigen Staude unseres
Wissens artgleiches Agens — hier in Betracht kommen, nur dann sind
die oben ausgeführten theoretischen Voraussetzungen erfüllt. Diese For¬
derung ist auch experimentell gut gestützt, denn wir wissen recht wohl,
dass die durch einen Stamm erzeugte Immunität sich durchaus nicht
gegen jeden Stamm derselben Art bewährt. Es sei hier nur an die Er¬
fahrungen Sobernheim’s beim Milzbrand und Krautstrunk’s bei
der Schweiueseuche erinnert. Dementsprechend müssen also den
Tuberculüsen ihre eigenen Tuberkelbacillen oder wirksame Derivate der¬
selben, den Aktinomykose-Kranken genau die specifische Art ihrer Er¬
krankung, den Leprösen Leprabacillen eingespritzt werden.
Beim Trachom, dessen Erreger bis heute unbekannt ist, liegen die
Verhältnisse ganz ähnlich wie bei der Wuth.
Genau so wie hier, durch die ungemein lange Incubatiouszeit, Zeit
gegeben ist, durch Immuuisation mit Virus fixe den Ausbruch der Wuth
u verhindern, genau so ist dort in Folge des ausserordentlich langsamen,
a Recidiven reichen Verlaufes des Trachoms Zeit gegeben, die völlig
efahrlose Immunisation — wenigstens nach menschlichem Ermessen
— mit dem Inhalt der Trachomkörner durchzuführen; es ist
auz wohl möglich, dass diese Behandlung eine erfolgreiche ist, ob nun
ie Injection der Trachomköruer, welche ja zerdrückt in Kochsalzlösung
ufgeschwemmt verwandt werden können, subcutan oder intravenös vor-
enommen wird; das Wesen der Behandlung besteht eben darin, dass
udere Organe als die empfänglichen zur Resorption der spe-
ifisclien Krankheitserreger gezwungen werden.
Die von den gesunden Geweben producirten Stolle, welche ursprüng-
ih vielleicht nur der Resorption dienlich waren, kommen in die Circu-
tion und können dann die empfänglichen und erkrankten Gewebe in
rem Kampfe gegen die Mikroorganismen — oder deren Stoffwechsel¬
öd ucte, soweit wir überhaupt bei den chronischen Iufectionen berechtigt
ld, von solchen so allgemein zu sprechen — unterstützen.
Die Schlussfolgerungen der vorliegenden Arbeit sind nun folgende:
1 . Aus der oben berichteten Thatsache, dass Tuberkelbacillen, todte
phusbakterien, welche subcutan oder intravenös in derselben Menge
1 verleibt eine lebhafte Agglutininbildung hervorrufen, bei Injection in
» vordere Augenkammer diese Fähigkeit eingebüsst haben, geht hervor,
ss eine rein locale Iufection keine Agglutininbildung zur Folge hat.
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356 Ernst Löwenstein: Resorption u. Immunitätsebscheinuxgen.
2. Bei der Immunität sens. strict. scheinen dieselben Verhältnisse
vorzuliegen. Wir wissen, dass gerade diejenigen acuten Infectionen, welche
eine Allgemeininfection darstellen, auch am ehesten zu einer Immunität
führen. Diejenigen acuten Infectionen, welche dagegen in der Regel eine
reine Localinfection bedeuten, hinterlassen keine Immunität (Go¬
norrhoe, Erysipel.)
3. Die chronischen Infectionen sind durchweg Localinfectionen; des¬
halb beobachten wir bei diesen stets das Ausbleiben der Immunität. Nach
Abheilen eines Herdes bildet sich ein zweiter oder dritter, in nächster
Nähe oder an ganz anderer Stelle.
4. Deshalb würde es sich empfehlen, den einförmigen tor¬
piden Verlauf der chronischen Infectionskrankheiten dadurch
umzugestalten, dass man cum grano salis den Verlauf der¬
jenigen acuten Infectionen nachzuahmen versucht, welche eine
Immunität hinterlassen; d. h. dass man die specifischen Er¬
reger der chronischen Infectionskrankheit möglichst für die
Resorption zugänglich macht, kurz eine Immunisation mit
dem specifischen Virus bei ausgebrochener Erkrankung durch¬
führt; also dass man behandelt bei der Tuberculose mitTuberkel-
bacillen, welche aus demselben Falle gezüchtet sind oder wirk¬
samen Derivaten derselben. Bei der Aktinomykose würde diese
Forderung der idealen Specifltät nur noch mehr am Platze sein.
Bei der Lepra und dem Trachom ist diese Forderung der „idealen
Specifität“ schon deshalb nicht zu umgehen, weil es bis jetzt noch nicht
gelungen ist, die Erreger dieser Krankheiten auf unseren künstlichen Nähr¬
böden zur Fortpflanzung zu bringen. Deshalb müssen hier die Krankheits-
producte des Patienten selbst zur Verwendung kommen. Dem Leprösen
müssen diesem Gedanken'entsprechend die excidirten und dann
emulsionirten Lepraknoten, dem Trachomkranken der in Bouil¬
lon aufgeschwemmte Inhalt der Trachomkörner subcutan ein¬
verleibt werden.
Gerade das Trachom ist für die Lösung dieser Frage wegen der
leichten Beobachtungsmöglichkeit besonders geeignet. Hier wird es sich
am besten feststellen lassen, welche Bedeutung für die Pathologie dem
Gedanken zukommt. Dasselbe, was Ursache der Erkrankung ist, kann
auch direct Ursache der Genesung sein. Dieser Fragen-Complex ist hier¬
mit zur Discussion gestellt.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, Hm. Prof. Möller für seine
freundliche Unterstützung und sein stets bereites Wohlwollen meinen
wärmsten Dank auszusprechen.
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Original fr am
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[Aus dem Seemannskrankenhause
und Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten in Hamburg.]
(Director: Hafenarzt Physikus Dr. Nocht.)
Studien über Gelbfieber in Brasilien.
Von
Dr. med. M. Otto, und
ist. klin. Aufstenten am Beemunuskraukenbiuee
und I nett tut für Schifft- und Tropenkrankhelten
ln Hamburg.
(Mit 55 Karten, Skizzen, Bildern and Planen nnd Taf. IV—X.)
Dr. med. et phil. R. O. Neumann,
Printdoeent an der UniTersltit Heidelberg,
t. Z. aggreg. dem Seemen nt kranken banse und
Institut für Schiffs- und Tropeokrankheiten
in Hamburg.
Einleitung.
Von allen Tropenkrankheiten, welche für Handel und Schifffahrt eine
wichtige Rolle spielen, hat das Gelbfieber bisher die meisten Opfer ge¬
fordert. Es sei nur an die grossen Verluste erinnert, die beispielsweise
die deutsche Handelsflotte in den neunziger Jahren des verflossenen Jahr¬
hunderts in brasilianischen Häfen, besonders Santos, erlitten bat. Hier
starben allein von einer einzigen deutschen Rhederei 85 Seeleute während
der Fieberepidemie 1891 bis 1892. In Rio de Janeiro erreichte in
derselben Zeit die Sterblichkeit der Seeleute an Gelbfieber bis 30 Procent
und das italienische Kriegsschiff „Lombardia“ starb 1896 fast völlig aus. 1
Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse für die See- und Küsten¬
bevölkerung nicht nur Brasiliens, sondern fast des ganzen amerikanischen
Continentes, eines Theiles der westafrikanischen Küste, ja sogar Europas,
wo auch immer das Gelbfieber zeitweilig aufgetreten ist.
Da nun auch die Haassnahmen, welche man gegen die gefürchtete
Krankheit anzuwenden sich bestrebte, bis in die letzten Jahre hinein
so gut wie erfolglos waren (M. de Piza 1 ), war es die natürliche Folge,
1 Nocht, Die gesundheitlichen Verhältnisse in der Handelsmarine und auf
modernen Dampfschiffen. XXL Vers. d. D. Ver. für ojfenll. Gesundheitspß. zu Kiel.
* M. de P iza, Conference sanitaire internationale de Paris 1903. Frocrs-verbal
ie la huitihme stance. 13. XI. 1903. p. 13.
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358
M. Otto und R. 0. Neümanx:
dass von den grossen seefahrenden Nationen Aerzte zum Studium der
„gelben Pest“ ausgesandt wurden. Erschien es doch nothwendig, zunächst
das Wesen der Krankheit, über die man seit ihrem ersten Auftreten so
zahlreiche, sich vielfach widersprechende und abenteuerliche Berichte über¬
kommen hatte, an Ort und Stelle im weitesten Umfange zu studiren.
Insbesondere musste man den Ursachen auf den Grund gehen, um an
der Hand dieser Ergebnisse eine rationelle Bekämpfung einzuleiten.
Derartige Studien fallen, wie schon Curschmann 1 betont hat, an
erster Stelle tropenhygienischen und ähnlichen Instituten zu, und so sind
auch in den letzten Jahren von amerikanischen, englischen und französi¬
schen Anstalten Mitglieder ausgesandt worden, deren Arbeiten unsere
Kenntnisse über das Gelbfieber ganz wesentlich gefördert, ja in manchen
Punkten bis zu einem gewissen Abschluss gebracht haben. Die auf ihnen
basirenden praktischen Bekämpfungsmaassnahmen haben, soweit sich über¬
sehen lässt, ungeahnte Erfolge erzielt. Da die deutsche Rhederei und
das Hamburgische Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten das grösste
Interesse an der Ausführung und dem Resultat dieser Maassnahmen hatten,
schien es zweckmässig, auch von hier Aerzte auszusenden. Als Studien¬
platz war Anfangs Havanna in’s Auge gefasst, weil dort zum ersten Mal
nach den neuesten Gesichtspunkten gegen die Seuche mit Erfolg vor¬
gegangen worden war. Allein der Umstand, dass ebenda das Gelbfieber
als erloschen galt, führte uns nach Brasilien, von wo dauernd Fälle ge¬
meldet wurden. Als Stützpunkt wählten wir Rio de Janeiro, dehnten
aber unsere Studien auch mit auf Pernambuco, Bahia, Santo*.
S. Paulo und Campinas aus.
Den Hauptwerth legten wir auf das Studium der von den brasiliani¬
schen Behörden getroffenen prophylaktischen Maassregeln. Dabei war
Gelegenheit gegeben, in die gesammte Materie einzudringen und uns mit
der Ausbreitung, den Uebertragungsmöglichkeiten und dem Wesen der
Krankheit aus eigener Anschauung vertraut zu machen. Eingehendere
specialistische Untersuchungen ätiologischer Natur haben wir, soweit es
die für uns in Aussicht genommene Zeit zuliess, ebenfalls ausgeführt.
Es liegt nicht in unserer Absicht, hier eine Monographie des Gelb¬
fiebers zu geben, wir wollen vielmehr nur unsere eigenen Beobachtungen
und Nachprüfungen in Verbindung mit den neuesten Errungenschaften
der anderen Gelbfiebercommissionen kritisch niederlegen, in der Erwartung,
dass dadurch einem grösseren medicinischen Leserkreis ein Gesammt-
überblick über die Gelbfieberfrage gegeben und gleichzeitig mancher ein-
1 Curschmann, Mcdicin und Seeverkehr. Verh. der Gesellschaft Deutscher !
Naturforscher und Aerzte. 1901. Allgem. Theil.
Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Studien über Gelbfieber in Brasilien.
359
seitigen Darstellung, wie sie z. B. in dieser Zeitschrift vou J. Bandi 1
versucht worden ist, entgegengetreten wird.
Eine wesentliche Förderung erfuhren unsere Studien durch die warmen
Empfehlungen des Auswärtigen Amtes und die Bemühungen der deutschen
Gesandtschaft bei den brasilianischen Behörden, durch welche
uns die weitgehendste Unterstützung zu Theil wurde. So erhielten wir
einerseits einen umfassenden Einblick in sämmtliche sanitäre Institutionen
des Staates, andererseits die Möglichkeit, unsere Arbeiten in einem ge¬
eigneten Laboratorium des Gelbfieberkrankenhauses Säo Sebastiao, wo
auch die französische Commission seit längerer Zeit arbeitete, ausführen
zu können.
Wir verfehlen deshalb nicht, auch an dieser Stelle den Dank für
unsere Förderung auszusprechen, insbesondere Hm. v. Treutier, dem
deutschen Gesandten in Petropolis, Hm. DDr. Falcke, deutschem Consul
in Rio de Janeiro, Hrn. Dr. Oswaldo Cruz, Generaldirector des öffent¬
lichen Sanitätswesens in Rio de Janeiro und Hm. Dr. Carlos Seidl,
Director des Gelbfieberkrankenhauses S. Sebastiao in Rio de Janeiro, sowie
den anderen brasilianischen Hrn. Collegen, welche uns stets bereitwilligst
entgegenkamen.
Soweit es uus möglich war, haben wir alle mit unseren Studien im
Zusammenhang stehenden Beobachtungen photographisch festgehalten,
können aber freilich von den ca. 400 Aufnahmen nur einen sehr be¬
scheidenen Theil hier zur Darstellung bringen.® Die beigegebenen Farben¬
tafeln sind gleich im Anschluss au die Sectionen, die übrigen Tafeln,
1 I. Bandi, Klinisch-experimentelle Studien über die Aetiologie u. Pathogenese
des gelben Fiebers. Diese Zeitschrift Bd. XLVI.
* Die weiteren Ergebnisse der Reise sind, bezw. werden niedergelegt in:
I. Otto und Nenmann, Vorläufiger Bericht über die Reise nach Brasilien zum
Studium des Gelbfiebers vom 10. Febr. bis 4. Juli 1904. Als Manuscript gedruckt.
Hamburg 1904.
II. — Bericht über die Reise nach Brasilien zum Studium des Gelbfiebers.
Archiv für Schiffs - und Tropenhygiene . 1904. Bd. VIII.
UI. — Hygienisches aus Brasilien. Hygienische Rundschau. 1904. Nr. 22.
IV. — Ueber einige bakteriolog. Wasseruntersuchungen im Atlantischen Ocean.
Centralblatt für Bakteriologie . 1904. Bd. XI 11. Abth. II. Nr. 16/17.
V. — Ursachen u. Bekämpfung des Gelbfiebers. Die Umschau . 1904. IX. Jahrg.
Sr. 8 u. 9.
VL — Schiffshygienische Untersuchungen auf der Reise nach Brasilien zum
Studium des Gelbfiebers. Archiv für Schiffs - u. Tropenhygiene.
VH. — Klimatisch-meteorologische Beobachtungen auf der Reise nach Brasilien
rum Studium des Gelbfiebers. Archiv für Hygiene.
V T TI . — Beobachtungen über einige Infectionskrankhciten in Brasilien. Münchener
ned . Wochenschrift.
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360
M. Otto und R. 0. Neümann:
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Karten und Skizzen nach uns zugänglichem Material von uns ausgeführt
worden. Eingehendere Studien über mikroskopische Befunde und über
die Biologie der Stegomyia fasciata konnten aus naheliegenden Gründen
erst nach der Rückkehr vorgenommen werden.
Wir haben versucht, das umfangreiche Material nach folgenden Ge¬
sichtspunkten einzutheilen:
Einleitung.
1 . Historisches.
2. Geographisches.
3. Uebertragung des Gelbfiebers.
Entwickelung der modernen Lehre und frühere Anschauungen.
4. Ueberträger.
a) Beschreibung,
b) Ausbreitung,
c) Biologie,
1 . Zucht,
2. Nahrung,
3. Stechen und Blutsaugen,
4. Fortpflanzung,
5. Brutplätze,
d) Verschleppungsmöglichkeiten.
5. Untersuchungen bezüglich des Erregers.
Ultramikroskopische Beobachtungen.
6 . Wesen der Krankheit.
a) Krankheitsbild,
b) Prognose,
c) Therapie,
d) Diagnose,
e) Immunität und Disposition,
f) Morbidität und Mortalität.
7. Pathologie.
a) Sectionsbefuud,
b) Bakteriologische Untersuchungen,
c) Histologische Untersuchungen,
d) Pathogenese.
8 . Prophylaxe.
a) Maassuahmen gegen inficirte Menschen und gegen inticirte
Mücken,
b) Maassnahmen gegen Mücken überhaupt,
c) Persönliche Prophylaxe.
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Studien übek Gelbfieber in Brasilien.
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9. Ergebnisse für Handel und Schifffahrt.
Prophylaktische Maassnahmen im Seeverkehr.
a) Von Seiten der brasilianischen Behörden,
b) „ „ „ Rhedereien,
c) „ „ Deutschlands.
Historisches.
Die ersten sicheren Nachrichten vom Gelbfieber gelangten erst nach
der Entdeckung Amerikas nach Europa. Ob alle aus jenen Zeiten be¬
richteten Epidemieen, welchen die europäischen Eroberer zum Opfer fielen,
auch wirklich Gelbfieber gewesen sind, wird sich wohl nie bestimmt fest¬
stellen lassen, und die Meinungen der Autoren über den Werth der
Litteraturquellen und den Charakter der geschilderten Epidemieen gehen
auseinander. Näheres siehe Hirsch 1 , Sodrö und Couto 2 , Stern¬
berg 3 u. A. Hirsch vertritt in seinem Werke die Anschauung, dass
die frühesten der Kritik standhaltenden Nachrichten aus der Mitte des
17. Jahrhundert von den Antillen stammen. Es bleibt einstweilen un¬
aufgeklärt, ob von dieser Inselgruppe aus mit dem zunehmenden Ver¬
kehr die Seuche an Orten Südamerikas Eingang gefunden hat, oder ob
dieselbe in den letzteren schon von vornherein heimisch war. Jedenfalls
ist die Ostküste des tropischen Amerika als der Ausgangspunkt für fast
alle weiteren Uebertragungen nach Afrika und Europa anzusehen. Der
Ansicht, dass das Gelbfieber erst von Afrika nach Amerika durch Sklaven-
transporte gelangt sei, ist mit Recht entgegengetreten worden, denn
trotz der so viel älteren lebhaften Handelsbeziehungen kam die erste
Nachricht über eine Gelbfieberepidemie aus Afrika (St Luiz) erst im
Jahre 1778 nach Europa.
Den Litteraturangaben ist zu entnehmen, dass die Krankheit im Laufe
des 18. Jahrhunderts zum ersten Male Europa heimsuchte. Spanien,
Portugal und Italien wurden bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts von
grösseren Epidemieen ergriffen, von denen wir hier nur die bedeu¬
tendsten, Malaga 1741, Livorno 1804, Lissabon 1857 erwähnen möchten.
Während so Südeuropa ernstlich vom Gelbfieber bedroht erscheint, haben
in Nordeuropa zahlreiche Einschleppungen (33 nach Reineke 4 bis 1875)
1 Hirsch, Die allgem. acuten Infectionskrankheiten. Stuttgart 1881. S. 2331F.
1 Sodrd tu Couto, Das Gelbfieber. Spec. Pathol. u . Therapie v. Xotlinagel.
Wien 1901. Bd. V. Th. IV. Abth. II.
a Sternberg, The history and geographical distribution of yellow fever. Janus,
Archives internationales pour Thistoire de La medecine et pour la geographie mtdi-
cale . Amsterdam 1896/97. p. 196 ff.
4 Reineke, Bedeutung des Gelbfiebers für den Horden Europas . Hamburg 1875.
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nur dreimal (1802 Brest, 1861 San Nazaire, 1865 Swansea) klein«
Epidemieen nach sich gezogen.
Die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind verschiedentlich »t
schwer, zuletzt in den 70 er Jahren, vom Gelbfieber heimgesucht vork
Nach Hirsch hat erst in der 2. Hälfte des vergangenen Jahrhunc-'
das Gelbfieber eine grosse Ausdehnung auf dem südamerikanischet (V:
tinente angenommen. Demgegenüber halten Sodrö und Conto 4 tJ
fest, dass diese Krankheit epidemisch in Brasilien schon 1686 bis 16t- :
wüthete. Nach einer ca. 150 jährigen Ruhepause erfolgte 1849 eir.t t-
Einschleppung aus New Orleans nach Bahia, von wo aus das gelb? Fi«'
dann längs der Küste nach Norden wie nach Süden seinen Weg
In Rio de Janeiro erschien es 1850 zum ersten Mal und raffte in e:K
Jahr über 4000 Menschen hinweg. Seit dieser Zeit ist die Krzt.it-
nach den neuesten von uns in Brasilien erlangten Veröffentlichungen«
Carvalho 1 2 mit Ausnahme der Jahre 1865, 66, 67 beständig zur I-
obachtung gekommen, während Sodr6 und Couto noch angeben,
die Jahre 1855 und 1856 und ausserdem 1862 bis 1868 vollständig -
Gelbfieber frei gewesen seien. Die grössten Verheerungen richtete e -
den Jahren 1873, 1876, 1891, 1892, 1894 an. In diesem letzten J-:
starben in Rio allein beinahe 5000 Menschen.
Von besonderer Bedeutung ist die Thatsache, dass das Gelbfieber ■
Anfang der achtziger Jahre von Santos aus nach dem Innern der Pi r
S. Paulo vorgedrungen ist und dort ebenfalls zahlreiche Opfer g a !
hat. Wir brauchen nur an die grossen Epidemieen von Campi-
Jabotikabal, San Carlos del Pinhal u. a. zu erinnern.
Geographisches.
Gegenüber allen anderen grossen Volksseuchen zeigt das Geito-
die Eigenthümlichkeit, dass es bisher nur in Amerika, Afrika und E"-
zur Beobachtung gekommen ist. Alle übrigen Angaben über du« 1
kommen der Krankheit in Asien und Australien sind nach Hirsch 1 !
verbürgt und beruhen auf einer Verwechselung mit anderen Krankl-«
Malaria, biliösem Typhoid u. s. w. Die auffallende Thatsache, dass die E 1
anderen Erdtheile Asien und Australien bisher noch verschont
1 Bulhoes Carvalho, Contribuicäo para o Estudo epidemiolopieo
amarella. Rio de Janeiro 1903.
2 Hirßck, Ueber die Verbreitungsart von Gelbfieber. Deutsche Vier* *
schrift für offentl . Gesundheitspflege . 1872. Bd. IV. S. 354.
G. Clernow, The geography of disease. Cambridge 1903.
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UMIVERSITY OF CALIFORNI^
Studien über Gelbfieber in Brasilien.
363
sind, erklärt sich wohl aus ungünstigeren Verkehrsbeziehungen, und wie
wir schon hier erwähnen möchten, aus dem Umstande, dass zur Weiter-
verbreitung des Gelbfiebers doch verschiedene Faktoren Zusammentreffen
müssen, was anscheinend bisher nicht der Fall war. Die Möglichkeit der
Verschleppung dürfte jedenfalls nach Vollendung des Panamacanals und
dadurch abgekürztem Reisewege eine grössere werden.
Als äusserste Grenzpunkte, an denen noch Gelbfieber festgestellt
worden ist, fanden wir 1 für die westliche Halbkugel im Norden
Quebeck (48° NB), im Westen S. Francisco (122° WL), im Süden
Buenos Aires (35° SB). Für die östliche Hemisphäre werden
folgende Grenzen angegeben: Im Norden Swansea (51° NB), im Osten
Triest (24° OL), im Süden S. Paulo de Loanda (9° SB). Wie die
beigegebene Karte (s. S. 364) zeigt, befiel im Grossen und Ganzen das
Gelbfieber die Küstengebiete nebst anliegenden Inseln, ist aber z. B. in
Nordamerika am Mississippi und Missouri hinauf bis nach Cairo und Cin-
ciuati vorgedrungen und hat alle umliegenden Staaten, Texas, Arkansas,
Alabama, Florida, Georgia, Tennessee, Carolina, Missouri, Kentucky u. s. w.
bis nach New York verseucht.
In Südamerika setzte sich die Krankheit längs der Küste von Vene¬
zuela, Guiana und Brasilien fest, tauchte aber auch, abgesehen vom
Amazonenstromgebiet, in Paraguay auf und wurde sogar an die Westküste
nach Chile, Peru, Ecuador und Columbien verschleppt.
In Europa hat mit Ausnahme von Spanien die „gelbe Pest“ nur die
Küstenstädte von England, Frankreich und Italien besucht, während
Deutschland verschont geblieben ist.
Lange Zeit ansässig war dagegen das Fieber an der Westküste von
Afrika, drang fast bis nach Deutsch-Süd westafrika vor und befiel auch die
in der Nähe der afrikanischen Küste gelegenen Canarischen und Cap
Yerdischen Inseln, ja auch Ascension und St. Helena. In Kamerun sind
noch keine Fälle bekannt geworden.
Die angegebenen Orte umfassen ein ungeheuer grosses Gebiet, das
aber insofern eine Einschränkung erfährt, als nur in einem kleineren
Theil desselben eine grössere örtliche Disposition für Gelbfieber besteht.
In diesem letzteren Gebiet liegen die jetzt noch endemischen Herde,
von denen wir für Amerika nur auf die wichtigen Handelsplätze Cuba 2 ,
1 Vgl. Fussnoten 1 und 2 auf vorhergehender Seite.
* Die in neuester Zeit im JV ew York Herald vom 27. XII. 1904 gemeldeten zwei
neuen Fälle machen es wahrscheinlich, dass das Gelbfieber doch noch nicht ganz aus¬
gerottet ist,
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M. Otto und R. 0. Neümann:
Vera Cruz, Rio de Janeiro und Para verweisen, während in Afrib
die Senegalmündung und ganz sicher der Strich zwischen Elfen¬
bein* und Goldküste anzuführen sind.
Andererseits hat sich gezeigt, dass in jenem engeren Gebiet eine 1
schleppung leichter erfolgt und, falls sie stattgefunden hat, meist
Epidemie nach sich zieht, die um so langsamer wieder versctvii
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UMIVERSITY OF CALIFORN J
Studien über Gelbfieber in Brasilien.
365
'reffend bezeichnet Beranger-Fdraud 1 * dieses Gebiet, als dessen Grenzen
lan in Amerika im Norden Charlestown (33° NB), im Süden Santos
14° SB), in Afrika im Norden die Senegalmündung (16° NB), im Süden
. Paulo de Loanda (9° SB) annehmen kann, als „gewöhnlich verseuchungs-
—iige“ Zone.
Wir möchten schon hier auf die wichtige Thatsache hin weisen, dass
is eben beschriebene Gebiet, in welchem Gelbfiebererkrankungen sich
•eigneten, mit dem Vorkommen der Stegomyia fasciata fast genau über¬
stimmt. Wenn gewisse Gebiete innerhalb desselben, z. B. unsere
mtschen Colonieen, bislang vom Gelbfieber völlig verschont gehlieben
ld, so ist dies lediglich dem Umstande zu verdanken, dass nicht alle
idingungen, deren es zum Entstehen einer Epidemie bedarf, erfüllt ge-
jsen sind.
Uebertragung des Gelbfiebers.
Auf Grund der unserer Reise vorangegangenen Studien der älteren uud
ueren Litteratur, insbesondere der neuesten Arbeiten der amerikanischen,
k glischen, französischen und brasilianischen Commissionen Reed, Car roll
i, d Agramonte 3 , Reed 3 * “ 1 *, Durham und Myers 6 , Parker, Beyer
_d Pothier 8 , Marchoux, Salimbeni und Simond 7 , Ribas und
itz 8 haben wir uns der jetzt fast allgemein angenommenen Anschauung
t der Uebertragung des Gelbfiebers durch Stegomyia fasciata anschliessen
müssen geglaubt und durch unsere eigenen Studien und Beobachtungen
Ort und Stelle eine volle Bestätigung dieser Auffassung erhalten.
Wir stehen also auf dem Standpunkt, dass das Gelbfieber
f natürlichem Wege nur durch inficirte Stechmücken auf
1 Beranger-F6raud, TraiU de la fievre jaune. 1890.
• Reed, Carroll u. Agramonte, The pathology of yellow fever. Boston
Hcal and Surgical Journal . 1901. Vol. CXLIV. Nr. 14.
• Reed, Recent Researches concerning the Etiology etc. The journal of Hygiene.
I. Vol. II. Nr. 2.
4 Reed, Report of the Yellow Fever Expedition to Para , Liverpool School of
pical Medicine . Memoir VII.
• Durham u. Myers, Yellow fever. Journal of Tropical medicine . 1901.
• Parker, Beyer u. Pothier, A study of the Etiology of Yellow fever.
^Icrw fever Institute , Bulletin . Nr. 13.
1 Marchoux, Salimbeni u. Simond, La fiövre jaune. Rapport de la mission
$aise. Annales de VInstitut Pasteur. 1903. T. XVII.
• Ribas u. Lutz, Le Moustique considSre comme agent de propagation de la
e jaune . S. Paulo 1904.
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AI. Otto und K. 0. Neumann:
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den Menscheu übertragen werden kann und zwar, wie bis ja:'
sicher für Rio und Havanna festgestellt ist, nur durch Steg:"
myia fasciata.
Der Schluss scheint nicht unberechtigt, dass das, was für Ri» ul:
Havanna gilt, auch für andere Gelbfiebergegenden zutreffen wird. Aller¬
dings ist noch nicht bewiesen, ob nicht auch andere Stechmückeiür--
als üeberträger in Betracht kommen können.
"Wir verzichten deshalb darauf, uns eingehender mit den früh*:
Annahmen anderer Uebertragungsmöglichkeiten des Gelbfiebers zu brlWi.
wie z. B. der Einathmung der Luft inficirter Stätten (Sodre et Couta.
der Aufnahme inficirter Nahrungsmittel (Strain*) Wasser u. s. w.
Wir haben auch niemals in Brasilien, trotz vielfacher auf di*.
Punkt gerichteten Nachforschungen, eine Stütze für obige Auffassung-,
gefunden. Trotzdem konnte man noch, selbst von ehemals autoriu’.:-:
Stelle in Rio, heftige Angriffe auf die Lehre von der Uebertragune di: :
Stechmücken hören, die geeignet waren, einer zielbewussten BekämtPu:
der Krankheit hindernd in den Weg zu treten. Dieser AuffasrA
schlossen sich leider auch noch einige, lange Jahre am Ort asisb-:.
Aerzte an, wobei die wissenschaftliche Ueberzeugung nicht immer Er¬
gebend scheint.
Wie schwierig es z. B. war, bei der festeingewurzelten alten Aus -
der damaligen Gesundheitsbehörde, die auf neuen Gesichtspunkten ba.-ir-:
den Bekämpfungsmaassnahmen auch nur zu versuchen, bewies eine per- :
liehe Mittheilung eines jetzt in leitender Stellung bei der Gelbnet-:-
prophylaxe stehenden Herrn. Erst nachdem alle üblichen Desinfi.u.:
maassregeln nichts gefruchtet hatten, wurde ihm nur auf die allerdringeni"
Bitten hin gestattet, in einer Strasse nach neuen Grundsätzen probe wett.
verfahren (Mückenvemichtung, Isolirung der Kranken unter Netzen u. s."
Aber auch der erzielte Erfolg änderte einstweilen noch nichts an der i'
festgehaltenen Auffassung.
Noch viel schwerer findet die neue Lehre begreiflicher Wei?e
Laienkreisen Eingang. Hier gilt das Gelbfieber noch immer, viel:..:
selbst bei welterfahrenen gebildeten Persönlichkeiten, als eine „klimatxr
Krankheit, die man sich durch den Genuss mit Unrecht verdäclr--'
Nahrungsmittel (Bier, Fruchtarteu), Erkältung, Excesse in baccho er u:-
zuzieheu kann.
1 Sodre u. Couto, a. a. O.
2 W. L. Strain, Yellow fever, its mode of dissemiuation. Journal ofT'-}
Medicine. 1899. Xr. 9.
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UMIVERSITY OF CALIFORNl|
Studien über Gelbfieber in Brasilien.
367
Entwickelung der modernen Lehre.
Schon in der älteren Litteratur finden sich Hinweise, die auf Grund
udemiologischer Beobachtungen den Moskitos hei der Verbreitung des
elbfiebers eine wichtige Rolle zuschreiben; z. B. berichtet Roche 1 ,
iss bei einer der grausamsten Epidemieen in Philadelphia 1797 die
oskitos so unerträglich waren wie die grassirende Seuche. Weder vor
»ch nach der Epidemie war eine solche Unzahl der lästigen Iusecten
•rhanden. Während der grossen Epidemie 1853 in Nattches und in
inton fanden sich Moskitos immer in ausserordentlich grosser Zahl,
i Plack River und Concordia gab es stets eine grosse Menge von Haus¬
egen von Anfang des Frühlings bis zum Sommer, aber die Moskitos
iren zu Epidemiezeiten bemerkbarer als gewöhnlich. Hammond 2
stätigt diese Beobachtung und citirt den bemerkenswerthen Fall von
mmerville (Georgia) 1854. Diese Stadt, die nie Gelbfieber gehabt hatte,
>tz ihrer nahen Lage an Augusta, wo Gelbfieber seit 1839 existirte,
irde Schauplatz einer ausgebreiteten Epidemie, die auf massenhaftes
scheinen von Moskitos zurückzuführen war. Die Vermehrung war offen-
r bewirkt worden durch zahlreiche neu angelegte Cisternen. 3 In ähn-
hem Sinne sprach sich Nott 4 * * * aus.
Das Verdienst, zuerst Moskitos als Ueberträger des Gelb-
•bers erkannt zu haben, gebührt unbestreitbar Finlay. 8
Finlay kam Anfang der 80er Jahre auf Grund epidemiologischer Be-
ichtungen zur Ueberzeugung, dass die durch die tropische Temperatur
lingte Ausbreitung der Moskitos mit der Verbreitung der Krankheit
respondire. Von ihm rühren die ersten experimentellen Versuche her,
Gelbfieber durch Moskitos zu übertragen und ein Verfahren zur
munisirung gegen die Krankheit durch Mücken, die er zuvor an Gelb-
>erkranke angesetzt hatte, auszuarbeiten. Die von ihm herausgefundeue
1 zu seinen Versuchen verwendete Stechmücke war bereits Stegomyia
ciata. Seine damals höchst auffälligen Befunde wurden mit grosser
1 Roche, cit. nach Barrada, Bacteriologia de la fiebre amarilla. Revisfa de
■io eiedad Midica Argentina. Buenos Ayres 1901.
3 Hammond, cit. nach Barrada.
* Aehnlich scheint es sich in Campinas verhalten zu haben, worauf wir spater
i zurückkommen werden.
4 Nott, cit. nach Nuttall, Die Rolle der Insecten, Arachniden (Ixodes) und
iopoden u. s. w. Hygienische Rundschau. IX. Jahrg. Nr. 6. S. 283.
s Finlay, El mosquito considerado hipoteticamenle como agente de transmission
a fiebre amarilla. Habanna 1881.
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Skepsis aufgeuommen (z. B. Corre 1 und Sternberg*), und konnten ancb
deshalb keine Beweiskraft beanspruchen, weil die Experimente in eine:
durchseuchten Gegend angestellt wurden, wo eine anderweitige Infotioi
als durch die Insectenstiche nicht ausgeschlossen war. So erscheint t
nicht verwunderlich, wenn sie in Vergessenheit geriethen und erst wieder
in neuester Zeit, nach Entdeckung des Modus der MalariaübertrajaE
durch Ross, an’s Licht gezogen wurden.
Eine amerikanische Commission, bestehend aus den Militairärz'?:
Reed, Caroll, Agramonte und Lazear, kam bei ihren von Sternber:
veranlassten Gelbfieberstudien auf die Uebertragung der Krankheit durd
Mücken zurück. Es gelang, in einer Reihe klassischer Versuche den B^.-
zu erbringen, dass das Gelbfieber auf natürlichem Wege u:
durch den Stich einer Stegomyia fasciata übertragen werdet
kann, welche mindestens 12 Tage vorher einen Gelbfieber-
kranken in den ersten 3 Krankheitstagen gestochen hat. 3 Anderer¬
seits schlugen alle Versuche, das Gelbfieber durch Contact mit infectioi-
verdächtigem Material auf empfängliche Personen zu übertragen, fct
obgleich die Versuchspersonen eine Infection nach Möglichkeit bert-s-
zuführen suchten.
Man bediente sich dabei folgender Versuchsanordnung: An einem il-
gelbfieberfrei erachteten Orte auf Cuba (Quemados) wurde ein mosfcr-
sicheres Haus errichtet und für genügend hohe Temperatur und Feuchtig¬
keitsgehalt der Luft Sorge getragen. In dieses Haus wurden Kisten a-
besudelter Wäsche und Bettzeug von Gelbfieberkranken gebracht. Men:-'-
sich freiwillig meldende, für Gelbfieber empfängliche Versuchsperson?:
schliefen Wochen lang in diesem Raume. Jeden Abend packten sie dt
infectionsverdächtigen Kisten aus, schüttelten die beschmutzten Gegenstänö
durch und verwandten sie zum persönlichen Gebrauch für die Nacht
1 Corre, Revue critique sur une nouvelle thdorie pathogdnique de la
jaune. Arch. de mid. navale. Paris 1883. T. XXXIX. p. 67—70.
4 Sternberg, Dr. Finlay’s mosquito inoculations. American jour*. m<?.*
1891. Vol. CII. p. 264—268.
* Nach Reed (Recent Researches concerning the Etiology, Propagatioc
Prevention of Yellow fever by the United States Anny Commission. Jo
Hygiene. 1902. Vol. II, 1, IV. Nr. 2. p. 112) ist die Mücke noch 57 Tage naet
Saugen am Kranken im Stande, die Krankheit zu übertragen.
Mit der Thatsache, dass mindestens 12 Tage veratriehen sein müssen, ehe :
Mücke infeetionstüchtig ist, stimmt die epidemiologische Erfahrung gut :
Nie verbreitet sich nach Einschleppung des ersten Falles das öe!
lieber sofort explosionsartig, es vergehen vielmehr durchschnittlich 14 Tv?
bis der zweite Fall auftritt, dem dann allerdings rasch weitere folgen.
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Studien übee Gelbfiebeb in Bbasilien.
869
Nicht eine einzige Versuchsperson erkrankte. Auf der anderen
Seite wurden in einem anderen zu demselben Zwecke errichteten Gebäude
lichtimmune Versuchspersonen den Stichen von Moskitos, welche an Gelb¬
ieberkranken gesogen hatten, ausgesetzt. Von 12 Personen erkrankten
10 = 83 Procent. Gleichzeitig befanden sich in demselben Raume eben-
älls nichtimmune Versuchspersonen, welche durch Moskitonetze geschützt
raren. Letztere erkrankten nicht. Unter den Gestochenen nnd Erkrankten
latten sich auch Personen befunden, welche dem Versuch mit inficiiter
Väsche widerstanden hatten. Um jeden Verdacht einer anderen Infection
uszuschliessen, wurden diejenigen Versuchspersonen, welche zu beiden
fersuchen herangezogen waren, zwischen dem ersten und zweiten Versuch
bis 4 Wochen in strenger Quarantäne gehalten, wie überhaupt in
.'der Beziehung Sorge getragen wurde, jede andere Infectionsquelle aus-
uschliessen.
Die Nichtübertragbarkeit des Gelbfiebers durch inficirte
regenstände constatirten bei ihren nach dem Vorbild der amerikanischen
ommission vorgenommenen Nachprüfungen ebenfalls Barreto, de Bar-
os und Rodrigues 1 in S. Paulo. Auch Marchouz, Salimbeni und
imond 2 hatten gleiche Resultate. Vielleicht dürfen auch wir selbst als
ersuchspersonen in diesem Sinne gelten, da wir doch als höchst empfang-
3h 3 Monate lang täglich mit den Gelbfieberkranken und deren Aus-
;heidungsproducten bei Untersuchungen und Obductionen Stunden lang
a engsten Contact waren, ohne fieberhaft zu erkranken. Trotz gelegent-
3her Verletzungen bei den Ausführungen von Obductionen blieben wir
>m Gelbfieber verschont.
Ueber die Uebertragbarkeit durch Mückenstiche stellten
eitere Nachprüfungen zunächst Guiteras 3 , alsdann Parker, Beyer
ld Pothier 4 , endlich die französische Commission und die eben er¬
ahnten Aerzte in S. Paulo an. Alle bestätigten die amerikanischen Be-
nde nnd bewiesen, dass das Gelbfieber durch Stegomyia fasciata über-
agbar sei. Einzelne Versuche hatten den Tod an Gelbfieber zur Folge.
Wir selbst haben aus leicht begreiflichen Gründen auf Uebertragungs-
rsuche an Menschen, die ja allein zu Experimenten in Betracht kommen,
rzichtet. Die Unempfänglichkeit von Tieren für Infection mit Gelbfieber
1 Barreto, Barros n. Rodrigues, Travaux touchant la propbylaxie de la
vre jaune. 1901—1903. Service sanifaire de S Paulo. 1904.
* Marchoux, Salimbeni u. Simond, Rapport sur la fievre jaune. Annales
l y Institut Pasteur. Novbr. 1903. Nr. 11.
* Guiteras, Experimental yellow fever at the inoculation Station etc. Dej>ar/e-
nts de Sanidad Hahanna , Cuba et America medic. 1901. II. p. 109.
4 Parker, Beyer u. Pothier, a. a. O.
Zeitschr. f. Hygiene. LI.
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hielten wir durch zahlreiche Versuche für hinlänglich bewiesen. 1 Wir
konnten um so eher von Menschenversuchen absehen, weil Marchuti.
Salimbeni und Simond durch Verlegung der Eiperimente nach k
Gelbfieber - immunen Petropolis alle Zweifel an einer möglichen ander¬
weitigen Infection beseitigt haben.
Wir halten uns für verpflichtet, ausdrücklich darauf hinzuweisen. it-
J. Bandi* in seinem niedergelegten Bericht 8 lediglich die ersten Versuct-
von Reed, Caroll, Agramonte und Lazear berücksichtigt und t-
Ergebnisse der Nachprüfungen durch die nordamerikanische, brasilianis-t-
und besonders die französische Commission den Lesern vorenthält. Nieht-
destoweniger sucht er die Meinung zu erwecken, dass die neue Thea;
vor der Hand nur als auf Wahrscheinlichkeiten und Analogieen gegrütd-
betrachtet werden darf, indem er ausspricht, dass ihr jegliche expenm;!-
teile Grundlage abgehe (a. a. 0. S. 219).
Erwähnt mag hier noch sein, dass Reed, Caroll und Agramucm
sich auch mit der Frage der Uebertragbarkeit des Erregers auf die kV
kommenschaft der Stegomyia befassten. Sie geben nur einen Vt-M-
an, der negativ ausfiel. Die Stiche von 14 Moskitos, welche aus Er.
einer inficirten Stegomyia stammten, die auch Gelbfieber überm:;
hatte, bewirkten keine Erkrankung.
Negativ waren auch in gleichem Sinne angestellte Versuche m
Guiteras. 6 Ausserdem stellte er fest, dass nichtinficirte StegomvieB.:
er in einen Käfig gesetzt hatte, in welchem inficirte Moskitos auf!**-- '
worden waren, die Krankheit nicht übertragen haben.
Von Beyer, Parker und Pothier 6 wissen wir, dass die Er:*
die in zerriebenen inficirten Mücken einem empfänglichen Indium.:
eingegeben wurden, auf dasselbe nicht übertragbar waren.
Marchoux und Simond 7 , haben jüngst eiuwandsfrei fest:--
dass unter noch nicht näher bekannten Bedingungen der Gelbfiebern
auf die Nachkomnienschaft der Mücke übergehen kann, nachdt-a
Mücke einen Gelbtieberkranken in der ersten Krankheitsperiode gesvr:' r
1 Marchoux, Salimbeni u. Simond, La fievre jaune. Rapport de Uej-
franyaise. Anna/es de V Institut Pasteur. 25. nov. 1903. T. XVII. Nr. 11.
* I. Bandi, Diese Zeitschrift. 1904.
5 Officio]ler, an die Direction der öflfentl. Gesundheitspflege des Staates S - 1
(Brasilien) eingereichter Bericht.
4 Reed, Caroll u. Agramonte, American medicine. 6. Juli 1901. p '■ >■
* Guiteras, cit. nach Marchoux et Simond, La fievre jaune. lj' r ~ ,
Bulletin de l’ Institut Pasteur. T. II. Nr. 2. p. 11.
r tt
6 Beyer, Parker u. Pothier, a. a. (),
7 Marchoux u. Simond, La transmission hereditaire du virus dt U ^
jaune cliez le Stegomyia lasciata. Societt de Biolog. 1905. T. L1X. Nr. 27. p.
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I
Studien über Gelbei kbek in Brasilien.
371
lat. Dabei verdient Beachtung, dass der Zeitraum, welcher vergehen
miss, bis das durch Vererbung iuflcirte Insekt den Keim durch seinen
Speichel entleeren kann, länger ist, als wenn die Mücke den Erreger direct
us dem Blute des Kranken aufgenommen hat. In dem angeführten
•ositiven Versuch betrug dieser Zeitraum 22 Tage.
Die Autoren machen darauf aufmerksam, dass die Uebertragung durch
ererbung nicht als die Regel, sondern nur als Ausnahme angesehen
erden darf. Ferner lässt der leichte Verlauf der Krankheit bei der Ver-
ichsperson an eine Abschwächung des Giftes durch Passage von einer
tegomyiageneration auf die andere denken und lenkt die Forschungen
ich einer Impfung gegen Gelbfieber in neue Bahnen.
(Wir möchten hier folgende Bemerkung einschalten: Die Versuchs-
>rson erkrankte erst, als sie von demselben Insekt zum zweiten
ale gestochen wurde. Das Iusekt war also einmal mit Blut ernährt,
ach den Untersuchungen von Schaudinn 1 werden auch die hereditär
ficirten Halteridienmücken erst infectiös, wenn sie mit Blut genährt
>rden sind. Mit anderen Worten: sie inficiren also nicht beim ersten
ich.)
Ueberträger.
Vor unserer Ausreise war es uns nicht möglich gewesen, über
egomyia fasciata, die in Deutschland bekanntlich nicht vorkommt,
ahrungen zu sammeln, und so musste sich unser Augenmerk bei der
kunft in Brasilien sofort auf diesen Punkt richten.
Wir hatten erwartet, dass in Rio die Beschaffung von Material nicht
Schwierigkeiten stossen würde, allein weder im Freien noch in ge-
lossenen Räumen gelang es uns zunächst, Stegomyien aufzufinden.
;h Excursionen, die wir zu diesem Zwecke in die für inficirt geltenden
dtteile und anderweitig hin ausführten, hatten nicht den gewünschten
jlg. Die wenigen, nach Wochen langer Trockenheit von uns auf-
mdenen Tümpel und Pfützen beherbergten keine Larven, ebenso
aten wir sie in anderen Wasseransammlungen, wie z. B. in Regen¬
ten, Gräben, Dachrinnen u. s. w. vergeblich. Dr. Havel bürg, den
zufällig in Rio trafen, bestätigte unsere Beobachtung über die geringe
ahl von Mücken in diesem Jahre gegenüber früheren Jahren. Auch
latte den Eindruck, dass der zur Zeit von der obersten Gesundheits-
>rde geführte unerbittliche Krieg gegen die Moskitos bereits Erfolge
itigt haben müsse. Erst später, als sich die Feuchtigkeitsverhältnisse
1 Schaudinn, Arbeiten a. d. JCaiterl. Gesundheitsamt?. 1904. Bd. XX. S. 428.
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gegen Ende des dortigen Sommers änderten und wir Zwecks Erumg
bekannter Brutplätze mit unseren brasilianischen Collegen in Verb inte
traten, gelang es uns, einer Collection Stegomyien habhaft zu werden. Wu
erhielten auch später von Seiten des Institutes für Gelbfieberpropkii-
verschiedentlich Exemplare freundlichst zugestellt.
Bei dem allgemeinen Interesse, welches Stegomyia fasciata k
Ueberträger des Gelbfiebers in Anspruch nimmt, haben wir es für angeKS
gehalten, der Beschreibung ihres Aussehens, Vorkommens und Ir:
Lebensweise einen etwas breiteren Raum zu widmen, besonders aas
weil bisher in der deutschen Litteratur entweder gar nichts oder imr gai:
lückenhafte Angaben darüber vorhanden sind. Da es uns glückte, ltl«d=
Mückenmaterial aus Brasilien unversehrt mit nach Hamburg zu über¬
führen, so sind wir auch in der Lage, über Züchtungsversuche c..
über die Entwickelung der Eier, Larven, Puppen und Imagkc
unter veränderten klimatischen Verhältnissen zu berichten. Die eigfc-
Versuche über die Lebensdauer bei verschiedenen Temperaturen,
Nahrung, Fortpflanzung, die Bedingungen des Blutsaugeu! m:
Stechens dürften auch als willkommener Beitrag zur Biologie die»:
Stechmücke angesehen werden können.
Der Name Stegomyia fasciata ist der Mücke von Theobald fe¬
ge legt worden; die erste Beschreibung unter dem Namen „Cnlex faset*
gab 1805 Fabricius. Im Laufe der Zeit wurde sie jedoch an amk-
Orten neu gefunden uud neu bestimmt, so dass jetzt für dasselbe kl¬
eine ganze Reihe Synonyma vorliegen. Wir oitiren nach Theobii:
dem bekannten englischen Mückeukenner: Culex fasciatus Fahr*
C. calopus Meigen, C. taeniatus Wiedemann, C. elegans Fici
C. Rossii Giles, C. exagitans Walker, C. formosus Walker, C.fnv
Desvoidy, C. excitans Walker, C. viridifrons Walker, C. iuexora-
Walker, C. Bancroftii Skuse, C. mosquito Arribalzaga, C. aiua
tarsis Macquart, C. impatibis Walker, C. Konoupi Brülle(?;. 0
natipes Walker.
Besohreibnng.
Stegomyia fasciata gehört zu der grossen weit verbreiteten Grr-
der Culiciden und theilt mit ihnen auch in Folge dessen die m
charakteristischen Eigenschaften. Nichtsdestoweniger weicht sie >>■
durch einige hervortreteude Merkmale erheblich von ihren Schwestern ^
ab, so dass es nicht allzu schwer wird, diese Mücke von anderen k' ;
1 Theobald, A Monograph of the Culicidae or Mosquitos. Lon-Ln
Vol. I. p. 289.
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
373
mücken zu unterscheiden. Sie fallt vor Allem durch ihre zierliche
Gestalt, ihre schwarzgraue Farbe und ihre Zeichnung an Brust und
Beinen auf. Auch verrathen ihre schwebenden Bewegungen und die
schwingende Haltung des letzten Beinpaares ihre Eigenart. Das Männchen
ist im Allgemeinen dunkler und kleiner als das Weibchen, im aus¬
gewachsenen Zustande beträgt die Grösse des letzteren aber auch nur
3 bis 4 mm , mit Stechrüssel 6 bis 6 • 5 mm (Taf. IY, Fig. 3).
Die ganze Mücke zeigt eine braune bis grauschwarze Farbe, der kleine
dicke Kopf ist stets ganz dunkel, die Brust mehr oder weniger braun,
das Abdomen grau-schwarz-braun mit deutlich sich abhebenden Ringen
(Taf. IY , Fig. 5). Die dunklen, mit weissen Bändern umgebenen
Augen lassen im Verein mit der weiss-glänzenden Schuppung auf dem
Hinterkopf eine zierliche Zeichnung erkennen (Taf. IV, Fig. 2 d), die
sich in noch schönerer Weise auf das Bruststück (Thorax, Taf. IV,
Fig. 2«) 'fortsetzt. Hier ziehen zwei schmale, eng aneinander liegende
Linien von gelblicher Färbung bis fast an das „Scutellum“ (Taf. IV,
Fig. 2 f) herab und werden zu beiden Seiten eingefasst von je einem
gekrümmten, reinweiss schimmernden Band. Das Ganze erinnert an das
Bild einer Leier und ist das typische Erkennungsmerkmal der
Stegomyia fasciata, da alle übrigen Stegomyien andere Zeichnungen
auf dem Thorax aufweisen. Die Seiten des Bruststückes sind mit silber¬
glänzenden unregelmässigen Flecken besetzt (Taf. IV, Fig. 5 a ).
Am Abdomen unterscheidet man 8 Segmente und einen Endring,
der durch das Vorhandensein der Geschlechtsorgane charakterisiert ist.
Die Bauchseite des Abdomens ist von hellgelb-bräunlicher Farbe, ebenso
wie der vordere Theil jedes Ringes, dessen Mitte durch einen weissen
silberglänzenden Fleck gekennzeichnet wird (Taf. IV, Figg. 1 und 4).
Der Hinterleib des Männchens ist schmäler und spitzer als der des
Weibchens.
Zur Beurtheilung der Art ziehen die Zoologen auch den Bau des
männlichen Geschlechtsapparates heran, welcher durch die Halt¬
zangen und seinen verbreiterten oberen Theil (Basallappen) charakterisirt
ist (Taf. IV, Fig. 7a). Die weiblichen äusseren Organe (Taf. IV,
Fig. 7 b) fallen durch ihre Einfachheit weniger auf.
Als weiteres Erkennungszeichen für Stegomyia fasciata dieut das
dritte Beinpaar. Während Femur und Tibia einfarbig erscheinen, tragen
Metatarsus und besonders die ersten 3 Tarsi basales weisse Bänderung.
Der Endtarsus ist ganz weiss und nur durch eine schwarze Spitze aus¬
gezeichnet (Taf. IV, Figg. 1 und 4 d, e, f\ g). Beim Sitzen hebt die
Stegomyia ausnahmslos das letzte Beinpaar in die Höhe und führt sehr
zierliche schwebende Bewegungen damit aus.
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M. Otto und R. 0. Neumann:
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Zur Unterscheidung gegen andere Stegomyiaarten dienen ferner die
mit stärkerer Vergrösserung sichtbaren Klauen am Ende des letzten Tarsus.
Beim Weibchen trägt jede Klaue des vorderen und mittleren Beinpaares
noch einen Zahn, nur die etwas schwächeren, aber sonst gleichlangen
Klauen des letzten Beinpaares sind zahnlos. Das Männchen hat ungleich¬
lange Klauen, von denen auch nur die eine Klaue des ersten Beinpaares
einen Zahn aufweist (Taf. IV, Fig. 8, 1 und 2).
Die Flügel liegen beim Sitzen der Mücke über einander, reichen
aber nur etwa bis zum 7. bis 8. Segment des Hinterleibes. Bei genauer
Betrachtung beobachtet man ein lebhaftes Irisiren. Sie besitzen im Gegen¬
satz zu den Anopheles- und einigen Culexmücken keine Flecke, sind aber
sonst in keiner Weise von den Culexflügeln unterschieden. Die Be-
schuppung ist gleichmässig auf das Geäder und den Saum der Flügel
vertheilt (Taf. IV, Fig. 6). Die Erkennung des Männchens oder de?
Weibchens geschieht, abgesehen von dem Grössenunterschied, leicht durch
die verschiedenen Palpen und Antennen. Als wesentliches Unterscheidungs¬
merkmal dienen in erster Linie die beim Weibchen sehr kurzen, beim
Männchen erheblich langen Palpen (Taf. IV, Figg. 1 u. 2b). Im letzteren
Fall sind sie ausserdem noch weiss gebändert, kahl, und erreichen
mindestens die Höhe des Stechrüssels, während die des Weibchens nie
mehr als Vs desselben ausmachen.
Auch die Antennen beim Männchen fallen mehr durch ihre Grösst
und büschelige Befiederung auf. Jede Antenne trägt an der Basis de?
12. Gliedes einen separaten Büschel, während die Antennen des Weibchens
aus 14 Gliedern mit nur kurzen Borstenansätzen bestehen (Taf. IV.
Figg. 1 u. 2 c).
Der Stechrüssel ist aus 7 Theilen zusammengesetzt wie bei Culex.
Der männliche wird zum Stechen nicht benützt. Alle Körperteile
sind mit zierlichen Schuppen bedeckt, welche für die Artbestimmung
gewisse Bedeutung haben. Wichtig für Stegomyia sind nach Theoball
die sogen, „gabelförmigen Schuppen“ (Taf. IV, Fig. 9 e), die sich am
Hintertheil des Kopfes finden und die flachen Kopfschuppen (Taf. P.
Fig. 9 aa ). Die sichelförmigen Schuppen (Taf. IV, Fig. 9 d) bedecken in
grosser Anzahl den Thorax, aber auch den Kopf, während die lang¬
gestreckten (Taf. IV, Fig. 9c) in erster Linie für den Flügel reserrin
zu sein scheinen. Die übrigen in der Abbildung wiedergegebene:
Schuppen sind auf den ganzen Körper vertheilt und bieten nichts be¬
sonders Charakteristisches.
Während die Imagines der Stegomyia von denen der Culexmüek;
immerhin in manchen Punkten abweichen, gleiohen ihre Larven und j
Puppen sich fast gänzlich. Nur die Eier difleriren nicht unerheblich. .
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
375
Ganz junge, eben dem Ei entschlüpfte Larven sind nur etwa l“ m
lang, ausserordentlich zart, farblos und durchsichtig. Sie zeigen aber
bereits durchaus alle Merkmale des erwachsenen Thieres und gehen nach
kurzer Zeit zum Pressen über. Später erreichen sie eine Länge von
4 bis 6 mra , jedenfalls sind sie im Allgemeinen länger als Culexlarven.
Typisch für ihre Form ist der grosse breite Kopf, welcher im Jugend¬
stadium ein wenig breiter als der Thorax erscheint Bei älteren Exemplaren
finden wir das umgekehrte Yerhältniss (Taf. V, Figg. 1, 2, 3). Ausser den
beiden hervortretenden schwarzen Augen zeigt der Kopf mehrere braun
oder gelb bis dunkelbraune, für die einzelnen Arten charakteristische Flecke.
Am Vorderende desselben entspringen hörnerartige Fortsätze, die Antennen.
Als Beihülfe für den Kauapparat dienen zwei gelborange Haarborsten¬
büschel, mit deren Hülfe die Nahrung herbeigestrudelt wird. Die Zeich¬
nung auf dem Kopf und dem Thorax scheint je nach dem Alter sehr
zu wechseln, so dass man fast bei jeder Larve etwas andere Figuren
sehen kann. Bei frisch gehäuteten Thieren ist es leicht, durch die zarte
Hülle hindurch die Kau- und Athemwerkzeuge in Thätigkeit zu sehen.
Bei älteren Thieren, kurz vor der Häutung (Taf. V, Fig. 3) ist dies wegen
der dunklen Färbung nicht möglich.
Den Thorax zieren auf jeder Seite drei kleine warzenartige Er¬
hebungen, aus denen je ein Büschel feinster Härchen entspringt, ebenso
wie auch auf der Thoraxrückseite zwei solcher Haarbüschel hervortreten
(Taf. V, Figg. 1, 2, Sb). Durch die ersteren drei Vorsprünge wird der
Proto-, Meso- und Metathorax des zukünftigen Thieres gekennzeichnet.
Am Abdomen lassen sich deutlich neun, jederseits mit eiuem Haar¬
büschel versehene Segmente unterscheiden, deren letztes die Anal-
öffnung trägt. Die 4 blättchenartigen Gebilde am Rande der letzteren
enthalten reichliche Lnftröhrchen, doch scheinen die Functionen der
Läppchen trotzdem noch nicht ganz sicher gestellt (Taf. V, Figg. 1, 2, 3e).
Ihre Länge genügt, um auch bei der senkrechten Hängelage der Larve
die Oberfläche des Wassers zu berühren (Taf. V, Fig. 9«). Den noth-
wendigen Sauerstoff entnimmt die Larve mittels der Respirationsröhre,
die scheinbar den Abschluss des Abdomens bildet, in Wirklichkeit aber
am achten Segment abzweigt. Für Stegomyia fasciata ist ihre ge¬
drungene, kürzere und breitere Form, sowie die dunkle Farbe charak¬
teristisch (Taf. V, Figg. 1, 2, 3 d), und man kann ohne Weiteres mit
blossem Auge die schwärzliche hütchenartige Röhre von dem Endsegment
unterscheiden und die Larve erkennen.
Von der Respirationsröhre aus laufen zwei geräumige schlauchartige
Tracheen, bei gehäuteten Thieren grau, bei kurz vor der Häutung be¬
griffenen Thieren braun aussehend, durch das Abdomen hindurch bis zum
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M. Otto und R. 0. Neumann:
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Thorax, wo sie sich in kleinste Canälchen auflösen (Taf. V, Figg.2u. 31
Zwischen den Schläuchen schimmert der zum Theil gefüllte Dann hin¬
durch (Taf. V, Fig. 1).
Ist die Larve vollständig herangewachsen, dann wirft sie zum letzte;
Mal ihr Kleid ab und verwandelt sich zur Puppe, einem zuerst fi* - .
farblos erscheinenden, würmcheuähnlichen Gebilde, an dem nur die dunkk
Augen auffallen. Je älter das Thier wird, desto intensiver wird auch *ii.-
Färbung, welche kurz vor dem Auskriechen des Insectes beinahe sehwar 1
geworden ist (Taf. V, Fig. 9 c, d, e, f). Dem Dunklerwerden entspr.c: :
die fortschreitende Ausbildung der Mücke im Innern der Hülle, bei k
die schwarz gefärbten Beine, der Kopf und das Abdomen immer deu'-
licher hervortreten. Der Kopf ist unterhalb des Thorax placirt. sei:
Mundtheile liegen in einer Vorwölbung dicht unter den kleinen, an :
Seiten des Thorax gedrückten Flügeln, und neben diesen die wie SchliuD:
zusammen gelegten Beine. Letztere sind bereits von Anfang an deutlich ' ->
verfolgen (Taf. V, Figg. 4, 5 a). Als bessonders auffallendes Organ b»;
die Puppe zwei Respirationshörner (Taf. V, Figg. 4, 54) auf <!•:
Rücken des Thorax, welche oben offene Röhren bilden und direct mit a- j
Tracheen communiciren. In Folge dessen ist auch die Lage der Puppe i~
Wasseroberfläche so, dass die Respirationshörner senkrecht von der«..-'
abstehen. Das Thier liegt also mehr mit dem Rücken der Oberfläche r
während das Abdomen nach unten, um den Thorax herum gekrümmt i-
Aehnlich wie bei der Larve, trägt auch hier das 9. Segment die Analr.ffnu: -
Daran schliessen sich ein paar plumpe, beim Weibchen mehr br-
Fortsätze. Das Ende des 8. Segmentes bilden ein paar eifönn-
blattartige Gebilde mit einer Mittelrippe, deren Zweck nicht gew
bekannt ist.
Einen sehr erheblichen Unterschied von anderen Culiciden zeigt •
Stegomyia fasciata in dem Gelege ihrer Eier. Die Mücke legt F
einzeln regelmässig in Reihen mit der Breitseite neben einander oder ~
regelmässig an einander. Die Eier sind etwa 1 mm gross, schwarz (Ti
Fig. 6) und zeigen bei ungefähr 15 bis 20facher Vergrösserung (Taf
Fig. 7) punktförmige Sprenkelung, die sich bei sehr starker Vergröße¬
rn bläschenartige Gebilde auf löst (Taf. VI, Fig. 8). Die Bläschen -
halten Luft, wodurch die Eier zuuächst nach der Ablage auf der f
fläche verbleiben, sie sinken aber doch, wenn man sie mit dem W--- -
zusammen schüttelt, unter. Die Raudpartieen des Eies sind dem
sprechend durchscheinend und gelblich oder farblos schimmernd. • '
Form des Eies ist die eines Torpedos. Beim Ausschlüpfen der L^-''
entsteht nur eine lochartige Oeffnung (Taf. V, Fig. 7 a), während
Culexeiern ein Deckelchen sich klappenartig öffnet.
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UMIVERSITY OF CALIFORNlJ
Studien übeb Gelbfieber in Brasilien.
37t
Vorkommen der Stegomyia fosoiata.
Wie die bisherigen Nachforschungen ergaben, wurden überall dort,
wo Gelbfieber festen Fuss fasste, auch Stegomyien aufgefunden und zwar
in erster Linie an der Ostküste Amerikas und der Nordwestküste Afrikas.
Weitere Untersuchungen stellten fest, dass die Stegomyia fasciata weit
über die Grenze der Gelbfieberherde hinaus verbreitet ist, und wie ein
Blick auf die anliegende Karte II (S. 878) zeigt, jetzt auf sämmtlichen
Erdtheilen einheimisch ist. Glücklicher Weise trifft der Satz nicht zu,
dass dort, wo Stegomyia ist, auch Gelbfieber sein müsse, aber nichts
desto weniger sind solche Länder bei geeigneten Einschleppungsbedingungen
für Gelbfieber doch recht gefährdet, da auch hier die „gelbe Pest“ ende¬
misch werden kann.
Die Zone, innerhalb derer Stegomyia fasciata vorkommt, liegt im
Grossen und Ganzen zwischen den beiden Wendekreisen, doch reicht die
nördliche Grenze bis nach Japan, Spanien und Nordamerika, die südliche
bis nach Südaustralien. Es lässt sich daraus folgern, dass diese Mücke
nur wärmere Klimate bevorzugt, in gemässigten sich weniger behaglich
fühlt und in den kälteren Zonen garnicht zur Ausbreitung gelangt.
Die hier niedergelegten Standorte umfassen gewiss nicht das gesammte
Ausbreitungsgebiet, da viele Gegenden überhaupt noch nicht auf Stegomyia
fasciata abgesucht sind, sie bezeichnen aber alle die Orte, welche durch
Litteraturaugaben oder persönliche Mittheilungen uns bekaunt wurden.
In Mittel- und Südamerika, und zwar an der Ostküste, dürfte Stego¬
myia am meisten verbreitet sein, besonders in den angrenzenden Landes-
theilen des Golfs von Mexiko und auf den Inseln der kleinen Antillen.
Gefunden sind Herde auf Cuba, Haiti, Jamaica, Trinidad, St. Vincent,
Granada, Barbados, Antigua, Porto Rico, Dominica u. a. m. Die Küste
von Venezuela, Guyana und Brasilien und hier wiederum die Mündung
des Amazonenstroms, Bahia, Rio de Janeiro und Sautos sind sicher seit
Jahrhunderten bereits Brutstätten dieser Stechmücke gewesen. Bei Rio de
Janeiro überschreitet sie den Wendekreis und ist noch bis Montevideo
anzutreffen.
In Europa sind nach Theobald in Spanien, Portugal und Italien
Stegomyien aufgefunden worden; ob der von Stephens gemachte Befund
in England sicher gestellt ist, ist uns unbekannt geblieben.
Das Verbreitungsgebiet in Westafrika schliesst ziemlich genau mit den
Wendekreisen ab. Lange bekaunt sind hier die Herde in Senegambien,
Sierra Leone, an der Sklavenküste, welche auch mit den Gelbfieberherdeu
zusammenfallen. Leider sind auch unsere deutschen afrikanischen Colonieeu
von der Mücke nicht verschont; sie lebt in Togo, Kamerun und wie
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M. Otto und R. 0 . Neumann:
Studien über Gelbfieber in Brasilien.
379
uns Hr. Stabsarzt Prof. 011 wig aus seiner persönlichen Erfahrung mit¬
theilte, kommt sie auch in Deutsch- und Britisch-Ostafrika vor. Auch
in Zanzibar und auf den Seychellen hat sie sich angesiedelt; von ihrem
reichlichen Vorkommen auf den Nildampfern bei Chartum berichtet Bal-
four. 1 Nach einer schriftlichen Mittheilung des Hm. Dr. Grünberg in
Berlin ist sie in Deutsch-Südwestafrika bislang nicht gefunden, wenn sie auch
wahrscheinlich dort vorkommt. Gefunden ist sie dagegen in Kamerun und
Togo. In Südafrika scheint man bisher nur einen Herd (Durban) zu kennen.
Die inselreiche Gegend zwischen Australien und Asien ist dicht be¬
setzt mit Stegomyia und auch die noch ganz frei scheinenden Inseln
üelebes, Sumatra und Java dürften ebenfalls ihre Stegomyien haben. Es
väre wenigstens sehr auffallend, wenn sie nicht auch dahin übertragen
vorden wären. Die Westküste von Indien, Indochina mit der Malayischen
lalbinsel, und die chinesische Küste weisen Herde auf, und auch Japan
.usserhalb des Wendekreises beherbergt sie. Das Gleiche gilt von Australien,
ro an der Westseite das ganze Gebiet ausserhalb des Wendekreises, Neu-
lüd-Wales und Victoria dicht besiedelt ist. Von dem Vorhandensein der
itegomyia in unserer Colonie Kaiser Wilhelmsland auf Neuguinea setzte
ns Hr. Stabsarzt Prof. Oll wig in Kenntniss.
Biologie der Stegomyia fasoiata.
Zucht.
Die Studien über die Lebenseigenthümlichkeiten der Stegomyia haben
ir zum Theil schon in Bio betrieben, eine weitere Vertiefung erfolgte
ber erst in Hamburg, als unsere Mückenzüchtungsversuche von Erfolg
ekrönt waren. Das Ausgangsmaterial stammte aus San tos, Rio und Bahia
- im Ganzen 30 bis 40 Mücken und eine Menge Larven.
Es wurde bei der Rückkehr auf dem Dampfer in einem erwärmten
aum mitgeführt und kam ohne Verlust hier an. Im Seemannskranken-
ius und Institut für Tropenkrankheiten befindet sich ein sogen. „Mücken-
mmer“, d. i. ein auf 27° constant gehaltener grosser Raum, in welchem
ssondere Käfige und ein mit mückensicherer Drahtgaze versehenes grosses
quarium als Brutstätte aufgestellt sind. In dieses Zimmer wurde auch
ar kleine Mückentransport gebracht und wir hatten Gelegenheit, inner-
ilb von 6 Monaten 12 Generationen aufwachsen zu sehen. Die gleich-
itig mitgebrachten Culex fatigans und Anopheles argyrotarsus
lanzten sich leider nicht weiter fort.
Unsere Mückenkäfige sind meist rechteckige Kästen von 40 cm Länge,
j cm Breite und 25 cra Höhe und bestehen aus einem Brett mit fünf über-
1 Balfour, Mosquitoes and Steamers. Journ. of Trop.Med. 1903. Vol.VI. p.253.
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Fig. 4.
Mückenfangglas
nach Dr. Nocht.
Fig. 5.
Mücken fangröhre
nach Dr. Lutz.
Fig. 6.
Mückenglas für
Einzelbeo bachtungen.
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Fig. 2.
Muckensicliere Gaze für Mückenkäfige.
Fig. 3.
Mückenkäfig aus Metallgaze.
Thür
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Fig. l.
Mückenkäfig aus Tüllgaze.
Studien über Gelbfieber in Brasilien.
381
spannenden Messingbügeln (Fig. 1). Das Ganze ist mit einer feinen grauen
Gaze (Fig. 2) überzogen, welche vorn zugebunden wird.
Andere Käfige sind mit Metallgaze überzogen und tragen nur als
Thür einen einzuknotenden Gaze Verschluss (Fig. 3). Es will uns aber
scheinen, als ob sich die Mücken in den Kästen mit Tüllgaze besser
hielten, jedenfalls erlitt die charakteristische Beschuppung in den Metall*
gazekästen eine gewaltige Einbusse. Vielleicht würden sich zur Erhaltung
des äusseren Aussehens der Mücken Kästen mit Glaswänden noch besser
eignen.
Als vorzügliche Fangapparate für die Mücken dienten uns die von
Hm. Physikus Dr. Nocht angegebenen „Mückenfanggläser“ (Fig. 4).
In ein etwa 10 om langes und 2*5 om breites Glasrohr ist auf der einen
Seite ein conischer Tubus eingesenkt, welcher verhindert, dass die im
Glas befindlichen Mücken beim Einfangen anderer entschlüpfen. Das
andere Ende ist mit einem durchbohrten und innen mit Gaze über¬
zogenen schmalen Kork verschlossen, welcher zur Entnahme der Mücken
entfernt wird. Der Tubus lässt sich mittels eines Korkes für den Trans¬
port verschliessen.
Will man Mücken im Zimmer, von den Wänden und an Stellen
wegfangen, zu denen man nicht leicht mit dem kleinen Apparat gelangen
kann, dann benutzten wir die von Dr. Lutz in S. Paulo angegebene
Fangröhre mit gutem Erfolg. Diese ist eine einfache, etwas gebogene
Glasröhre (Fig. 5) mit Gummischlauch, an deren einem Ende Watte sich
befindet. Man setzt das Rohr über die Mücke, was ziemlich leicht ge¬
lingt, und saugt dieselbe mittels des Gummischlauches bis zur Watte an.
Für Einzelbeobachtungen von Mücken ist im Tropen-Institut eine sehr
einfache, aber doch ausreichende Einrichtung in Verwendung. Ein ßecher-
glas wird mit Gazetüll Überbunden, auf den Boden desselben ein Wasser¬
näpfchen zur Eierablage gesetzt und eine Anzahl Stäbchen hineingebracht,
um den Mücken Gelegenheit zum Sitzen zu geben. Zum Herausfangen
dient ein mit Watte verstopftes Loch in der Gaze (Fig. 6). Noch primi-
, tiver, aber auch genügend, sind Reagenzröhrchen, die mit Gaze über-
. bunden sind. Sie werden aufrecht gestellt und auf den Boden des Glases
[ werden einige Tropfen Wasser gebracht.
Die Aufzucht von Stegomyien hatte in Rio de Janeiro gewisse
Schwierigkeiten, indem kleinste Ameisen, eine Species, die bei uns nicht
vorzukommen scheint, die Mücken aufzehrten, sobald sie deren nur irgend¬
wie habhaft werden konnten. Es ist uns passirt, dass wir beim Auf-
> moutiren von Stegomyien im Laboratorium von Ameisen belästigt wurden,
und dass unsere Objecte, während wir auf kurze Zeit (etwa 20 Minuten)
den Arbeitsplatz zufällig verlassen hatteu, radical aufgefresseu waren.
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382
M. Otto und R. 0. Neumann:
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Unsere Züchtungsgläser mussten stets sorgfältig in eine grosse Schal-
mit Wasser gestellt werden, und auch dann noch erlebten wir geld¬
lich, dass über Nacht die Ameisen auf irgend eine Weise einen He:
zu den Gläsern fanden, durch die feine Netzgaze hindurch gekroehö
waren und unsere Stegomyien verspeist hatten. Wir halfen uns schliess¬
lich so, dass wir die Glasschaalenwände mit einer klebrigen Masse be¬
strichen, an der die Ameisen hängen blieben.
Ernährung. Blutsaugen.
Die Nahrung der Mücken besteht in der Gefangenschaft «> ::
Zucker, Honig, Bananenfleisch und Wasser. Am besten feuchtet ms:
Watte mit Zuckerlösung oder verdünntem Honig an und legt sie in k .
Käfig bezw. oben auf die Gaze, oder man benutzt Bananen. Die Mück-'
wissen sehr bald, wo sie sich die Nahrung zu suchen haben. Für Zucht*
zwecke ist freilich Blut nöthig.
Wir haben auf der Reise von Brasilien nach Deutschland für <fe -
Fall einen Canarienvogel in den Mückenkäfig gesetzt, an welchem st¬
einige Thiere vollsogen. Dabei muss allerdings Acht gegeben werk :
dass der Vogel die Mücken nicht abfängt Man kann dies leicht erreich:,
wenn derselbe eine so kleine Behausung bekommt, dass er sich u::
viel rühren kann. In diesem unbehaglichen Gefängniss braucht er k
eine Nacht zu sitzen, da die bluthungrigen Weibchen sich währ*: :
dieser Zeit mit Blut gefüllt haben. Mit Vorliebe suchen sie beim ?>•:
die von Federn loser bedeckte Nackengegend auf.
Ein viel besseres Object zur Fütterung mit Blut ist aber zweite-'
die Ratte. Setzt man von Zeit zu Zeit eine weisse Ratte zu den Much:
so gelingt es noch leichter, besonders Nachts, sie zum Saugen zu brinp:
Der Hinterleib ist oft um das Doppelte bis Dreifache aufgetrieben i- *
dunkelroth verfärbt. (Taf. IV, Fig. 4).
Den Ratten bringt der Saugact offenbar ganz gewaltige Unben*
lichkeiten, vielleicht auch erhebliche Schmerzen, wenn auch (ausser eit & •
beobachteter Sugillation) nichts von Quaddeln, Röthung oder Schweb-
zu beobachten ist. Wird die Ratte in den Mückenkäfig gestellt. !>•'
drängt sie sich unter unruhigen Bewegungen gegen die Blechthür i-
kleinen Bauers, zieht den Schwanz ein, krümmt sich ängstlich zusamt-
und schnappt gierig nach ihren Peinigern, ohne sie zu erreichen.
Es braucht kaum erwähnt zu werden, dass Stegomyia fa-c •
Menschenblut jedem Thierblut vorzieht und auf jede Weise sich sei**
zu verschaffen sucht.
In dieser Beziehung haben wir manche interessante Beobacht--
gemacht und gesehen, mit welcher Hartnäckigkeit und Zudringiido-
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
383
die Thiere dem Menschen nachstellen. Nicht nur Nachts oder Abends,
sondern auch am Tage fallen sie den sich ruhig Verhaltenden an. Oft
genug belästigten sie uns im Laboratorium in Rio während des Mikro-
skopirens und trotz aller Abwehrbewegungen und Verscheuchungsmittel
griffen sie von Neuem an, bis sie an einer unbedeckten Stelle des Körpers,
Hm Nacken, am Arm, an der Hand oder im Gesicht ihr Ziel erreicht
hatten. Mit Vorliebe stechen sie auch in die Knöchelgegend.
Hier ist auch der Ort, festzustellen, ob die in der Litteratur vor*
handene Bezeichnung der Stegomyia fasciata als Tagmücke oder Nacht¬
mücke ihre Berechtigung hat.
Nach den Angaben von Dr. Lutz 1 sticht Stegomyia lieber in den
Tagesstunden; auch nach George Gray 1 wird man am meisten von
1 bis 3 Uhr Nachmittags gestochen. In dem Bericht von Durham über
die Expedition zur Erforschung des Gelbfiebers in Parä heisst es ganz
ähnlich, dass die Hauptstechzeit in die Mittagsstunden fiele, aber anderer¬
seits suche die Mücke ihre Opfer auch am frühen Morgen und am Nach¬
mittag. Endlich machte auch Finlay die Beobachtung, dass Stegomyia
am Tage sticht, und Ban di hat gleich uns im Laboratorium in S. Sebastiäo
in Rio Gelegenheit gehabt, Mücken, die eben gestochen hatten, am Tage
zu fangen.
Demnach könnte man versucht sein, die Stegomyia einfach als Tag¬
mücke zu proclamiren; sie sticht aber ebenso gut am späten Abend und
auch in der Nacht. Den Beweis dafür können wir selbst erbringen, indem
es uns mehrfach gelang, in der Nacht unter unserem Moskitonetz
Stegomyiaweibchen einzufangen, nachdem sie Blut gesogen hatten; ebenso
stachen sie uns in unserem Chalet im Hötel international, wenn wir, leicht
bekleidet, noch spät Abends am Tische sassen. Auch Ribas constatirt
das Stechen ohne Unterschied bei Tag und Nacht.
Die Sache dürfte sich so verhalten, dass Stegomyia fasciata, wenn sie
hungrig ist und Menschenblut haben kann, zu allen Stunden des Tages
den Menschen attackirt, im Grossen und Ganzen allerdings lieber gegen
Abend ihre Beute sucht, weil sie, wie wir noch weiter unten ausführen
werden, das Licht scheut.
Damit wäre auch die tausendfach gemachte Beobachtung, dass Gelb¬
fieber meist nur am Abend und in der Nacht acquirirt wird, ganz gut
in Einklang zu bringen.
Immerhin harrt hierbei eine Frage, die auch Bandi — allerdings
vom gegnerischen Standpunkt der Mückentheorie — einer Besprechung
unterzieht, noch der Beantwortung.
* Th eobald. A Monoqraph of (he Culieidae or Mosquifos . London 1901. Vol. I.
>. 294.
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Wenn die Stegomyia nach den Angaben der verschiedenen AntoM
und wie wir selbst oft genug beobachtet haben, auch am Tage sticht,
ist eigentlich wunderbar, dass z. B. alle Personen, die sich in Bio Tag-
über aufhalten und erst am Nachmittag nach dem fieberfreien Petrupfc
fahren, wodurch sie die Abende und Nächte in Rio meiden, vom Gele
fieber verschont bleiben.
Marchoux, Salimbeni und Simond, die Mitglieder der fram-
sischen Gelbfieberexpedition, glauben als Erklärung dafür annehmti r.
müssen, dass, wenn Stegomyia fasciata einmal Blut gesogen hat, sie nie-
wieder am Tage, sondern nur des Nachts sticht.
Dieser Anschauung tritt Bandi entgegen, indem er sagt, es I ,;
durchaus kein Grund vor, dass die Mücken nach einmaligem Saugen nie:
alsbald wieder stechen sollten, auch sei die Stechlust der Mücken am Tg
ja hinreichend bewiesen. Es könne also die Ansicht von Marcboai
Salimbeni und Simond nicht als Beweis für die Moskitotheorie a-
geführt werden.
Wir können hier hinzufügen, dass, selbst wenn die Erklärung sei'--
der französischen Forscher für die Nichterkrankung der Petropolisbewie'
nicht richtig sein sollte, sie dennoch in keinem Widerspruch nm :
Uebertragungstheorie durch Stegomyia steht. Die Leute sind jedeik
während ihres Aufenthaltes in Rio zur Tageszeit den Angriffen der Sk:
myia nicht besonders ausgesetzt, sei es durch Bewohnung heller len-;'
Räume, sei es durch günstige Verhältnisse ausserhalb des Hauses: &■
dings mögen vereinzelte Ausnahmen Vorkommen.
Haben die Stegomyien sich vollgesogen, so bleiben sie träge sin-!
und sind nicht leicht von der Stelle zu bewegen, während sonst *-
leiseste Windhauch sie von ihrem Platz forttreibt. Die Verdamm? '*
Blutes geht verhältnissmässig langsam vor sich und während i-'
stechen sie wohl nicht wieder. Wir haben aber auch gesehen, dass ^
Mücke, welche beim Stechen und Saugen an einem unserer Finger >
stört und sogleich einem Gelbfieberkranken angesetzt wurde, das
geschäft sofort wieder begann.
Ficalbi erwähnt ebenfalls, dass eine Mücke am 8. Lebenstage
und sog und 3 Tage nach dem ersten Stich, obwohl sie noch niefci
Blut verdaut batte, von Neuem wieder stach. Nach Marchoux. SM
beni und Simond sticht am Tage nur das junge, noch blutmici -
Weibchen; diejenigen, welche schon einmal gesogen haben, stechen
nur bei Nacht. Junge Mücken sind nach unseren Erfahrungen
leicht zum Stechen zu bringen, ältere weniger leicht. In manchen L
gelang es uns aber auch nicht, hungrige junge Mücken zum Sauge:: j
bewegen, trotz häufiger, länger dauernder Versuche. .
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Studien übeb Gelbfiebeb in Bbasilien.
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Die Mücken scheinen auch eine weisse zarte Haut zu bevorzugen,
jedenfalls gehen sie lieber an weisse als an farbige Menschen, und auch
unter den ersteren mögen sie wohl eine Auswahl treffen. So wurde der
Eine von uns stets mehr gestochen als der Andere.
Ganz analog der „Disposition“, gestochen zu werden, sind auch bei
den einzelnen Menschen die Beactionserscheinungen verschieden; während
bei dem Einen von uns nach mehreren Stichen der Arm dick anschwoll
nnd Tage lang anormal blieb, zeigten sich bei dem Anderen nur kleine,
schnell verschwindende Quaddeln.
Es mag hier auch erwähnt sein, dass die Stiche, selbst bei langem
Fortzüchten der Mücken, an Schmerzhaftigkeit und Intensität nichts ver¬
lieren. Es traten nach 7 monatlichen Züchtungen im Hamburger Institut
nach dem Stechenlassen bei uns dieselben Beactionen auf wie in Bio
de Janeiro.
Sämmtliche Beobachtungen, die wir in Bio und auch seit vielen
Monaten hier bei Stechversuchen angestellt haben, weisen unbedingt darauf
hin, dass nur die Weibchen stechen. Wir versuchten unzählige Male das
Experiment mit männlichen Mücken, aber stets ohne Erfolg. Die Angaben
verschiedener Beobachter, dass auch die Männchen stechen sollen, ver¬
mögen wir daher nicht zu bestätigen.
Möglich ist aber, dass männliche Stegomyien Blut aufnehmen, wenn
sie es, ohne stechen zu müssen, erlangen können. So sahen wir, wie
Stegomyien sich mit Blut vollsogen, welches ihnen auf Watte als Nahrung
angeboten wurde. Durham 1 beobachtete bei der Section eines Chinesen,
wie Stegomyia Blut zu sich nahm. Ob in diesem letzteren Falle Männ¬
chen oder Weibchen betheiligt waren, ist nicht dabei gesagt. Gewöhnlich
heisst es ja auch, dass die Männchen nur von Yegetabilien leben.
Wir haben eine in Bio bereits gemachte Beobachtung hier wieder
erneut machen können. In einen Behälter mit Stegomyiaweibchen wurde
"Watte gebracht, welche mit defibrinirtem und durch physiologische Koch¬
salzlösung verdünntem Blute getränkt war. Die Mücken sogen sofort das
Blut aus der Watte; in der Folge wurden regelrecht Eier abgelegt, aus
denen sich weiterhin Larven entwickelten. Allerdings schien die junge
Brut sich nicht so schnell zu entwickeln wie sonst.
Wie bereits oben erwähnt ist, scheuen die Stegomyien das Licht.
Als Lieblingsaufenthalt in den Bäumen gelten dunkle Winkel oder schwarze
Sachen. Wenn in unserem Laboratorium in Bio Mücken gesehen und
gefangen wurden, so war es meist an den dunklen Beinkleidern oder an
dem den photographischen Apparat bedeckenden Tuch. Auch in den
* Theobald, Bd. III. S. 4.
Zeitsehr. f. Hygiene. LI. 25
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M. Otto und R. 0. Neumann:
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Mückenkäfigen nnd in unserem Mückenhaus in Hamburg konnten r:
täglich dieselbe Erfahrung von der Lichtscheu machen. Senkt man nc
den Vorhang des Mückenzimmers, so werden die Mücken lebhafter, k
schwarz behangenem Käfig tummeln sie sich aber noch weit lebendig-:
unter lautem summenden Geräusch umher. Plötzlich herbeigebrad*
Licht schreckt sie sichtlich, sie verziehen sich sofort auf die dem Lieh;
entgegengesetzte Seite und werden ruhiger. Es geht so weit, dass sie k
plötzlicher elektrischer heller Beleuchtung einen in den Käfig gehaltene:
Arm nicht stechen, beim Auslöschen des Lichtes aber sofort über der¬
selben herfallen.
Die Lichtscheu trifft auch bei den Larven und Puppen zn.
Entwickelung und Fortpflanzung.
Das geschlechtliche Leben ist bei den Stegomyien unter ihnen behagikk
Temperaturen von etwa 25° bis 27° und günstigen ErnährungsverhÜ
nissen stark ausgeprägt. Man sieht die etwas kleineren Männchen de
ganzen Tag sehr geschäftig hin- und herfliegen, von einem Weibchen an
andern, und unermüdlich den Copulationsaot ausüben. Dabei setzt
das Männchen auf den Rücken des Weibchens, schlägt sein letztes Sega*
mit den Geschlechtsorganen um das Ende des weiblichen Abdomens u:
vollendet den Act an Ort und Stelle oder noch öfter im Fluge. GL:;
darauf wird die Wahl einer neuen Gefährtin getroffen und dieses ereif--
sich viele Stunden hinter einander, offenbar bis alle Weibchen befind-'
sind. Man kann aber auch noch häufiger beobachten, wie manc:-
Männchen es vorziehen, die Copulation Brust an Brust auszuführen, «L
sich dieselben fest an die Weibchen anklammern.
Ganz ähnliche Beobachtungen machte George Gray. 1 Nach scs
Angaben geht das Männchen ebenfalls unter das Weibchen und fühlt de:
Copulationsact in der Luft aus. Auch ganz junge Mücken, kaum £
Puppe entschlüpft, begatten sich und zwar bei Tag und Nacht, währsx ;
Culex fatigans nach Low 2 nur bei Nacht copulirt
Nachdem der Begattungsact vollzogen ist und die Mücken Gelee«*
gehabt haben, Blut zu saugen, sind sie in der Regel nach 3 bis 4 Tg-'
für die Eiablage vorbereitet, legen aber nie Eier ohne vorherige Er¬
nährung. Sie suchen sich in der Freiheit irgend einen kleinen Was*
tümpel oder Wasserrest, im Käfig müssen sie sich mit dem vorhanden
Wasser begnügen. Ob das Wasser unrein ist, stört sie nicht, im G«e-
theil scheinen sie schmutziges Wasser vorzuziehen. Ban di will beobach -
1 Theobald, Bd. III. S. 143.
* Theobald, Bd. III. S. 3.
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UMIVERSITY OF CALIFORNJA
Studien über Gelbfieber in Brasilien.
387
haben, dass sie mit Vorliebe in seifiges Wasser ihre Eier legen; uns
machte es den Eindruck, als ob sie, wenn das Wasser nur unsauber war,
überhaupt nicht lange wählten. Ihrer Eier müssen die Thiere ja unter
allen Umständen sich entledigen und sie thun es auch, selbst wenn sie
gar keine Flüssigkeit vor finden.
Wir haben Ezperimenti causa vollgesogene und befruchtete Mücken
in Glaskästen gesetzt, in welche nur feuchte Watte bezw. feuchtes Fliess¬
papier hinein gelegt war und prompt haben sie ihre Eier darauf abgelegt.
Die Eiablage geht so vor sich, dass die Stegomyia — auf dem Wasser
sitzend — ihren Hinterleib nach unten krümmt, so dass er fast die Ober¬
fläche des Wassers berührt; alsdann rutscht sie nach vorn und lässt einige
Eier zurück. Dieses Spiel wiederholt sie mehrere Male, bis das Gelege
vollendet ist.
Die Frage, ob die Mücken nach einmaligem Saugen 2 Mal Eier ab-
legen, konnten wir nicht ein wandsfrei beantworten; es scheint aber doch,
als ob sie in einer und der folgenden Nacht oder mehrere Nächte hin¬
durch das Geschäft fortsetzen.
Die Zahl der Eier ist verschieden gross. Ein Gelege enthält 20 bis 40
und mehr Eier, alle auf der Oberfläche des Wassers ausgebreitet, dicht
in Reihen oder unregelmässig angeordnet. Interessant war uns die That-
sache, dass dann auf den Wassergläsern in den Mückenkästen eine zarte,
dünne, irisirende Schicht erscheint, die, sobald die Larven ausgeschlüpft
sind, wieder verschwindet. Wir dachten zuerst an eine Art Nahrung für
die jungen Larven, welche möglicher Weise physiologisch von den Mutter-
thieren bei der Eiablage mit ausgeschieden worden wäre. Wahrscheinlich
ist es aber nur abgesondertes Fett, da man die Schicht auch zuweilen
in Wasser findet, auf dem Mücken — auch solche ohne Blutnahrung —
gesessen hatten oder in welches sie hineingefallen waren.
Unter normalen Verhältnissen und bei genügend warmer Temperatur
(25 bis 27°) entschlüpfen den kleinen schwarzen Eiern nach ca. 3 bis
4 Tagen winzige farblose Larven, die mit hüpfenden Bewegungen
sich sofort im Glase tummeln. Das Auskriechen erfolgt aber keineswegs
bei allen Larven zu derselben Zeit. Die Differenz vom Ausschlüpfen der
ersten bis zur letzten Larve kann viele Tage betragen.
Ueberführten wir Eier in destillirtes Wasser, so schlüpften die Larven
ebenfalls aus und gediehen auch weiter, blieben aber später ohne Nahrung
sehr zurück.
Ist den Mücken nicht Gelegenheit geboten, ihre Eier in Wasser zu
legen, so kann natürlich die Entwickelung der ganzen Brut in Frage ge¬
stellt werden, da ein Antrocknen der Eier allmählich den Inhalt zur
Schrumpfung bringt und ein Auslaufen von Larven unmöglich wird.
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Da es ein Interesse hat, zu wissen, wie lange derartige auf trockene
Unterlagen abgelegte Eier lebens- bezw. entwicklungsfähig bleiben, haben
wir, um sichere Anhaltspunkte zu gewinnen, mehrere Versuche angestellt.
So wurden im Mückenzimmer bei 27°, im Kurssaal bei 20° und
im Gartenmückenhause bei gewöhnlicher Aussentemperatur (im September 1 )
ganze Eigelege, an Fliesspapier angetrocknet, auf bewahrt. Einen Theil
derselben brachten wir nach 8 Tagen, eine zweite Partie nach 14 Tagen
und den Rest nach 3 Wochen in Wasserbehälter im Mückenzimmer.
Wie zu erwarten war, konnten die Eihüllen einer langen Austrocknung
nicht Stand halten. Je wärmer die Temperatur, desto schneller war die
Vernichtung. Es gelang auch in mehreren Parallelversuchen nicht, die
bei 27° 8 Tage lang angetrockneten Eier zur Entwickelung zu bringen.
Zimmertemperatur hatte sie so geschädigt, dass sich erst nach 11 tägigem
Verweilen im Wasser Larven entwickelten. Nach 14 tägigem Antrocknen
liefen auch die Eier vom Kurssaal nicht mehr aus.
Conservirend auf den Eiinhalt hatte aber zweifellos im Gartenmücken¬
hause die niedrigere Aussentemperatur gewirkt, denn sowohl nach 8tägi gern
wie nach 14 tägigem Antrocknen erfolgte beim Verbringen der Eier in
Wasser die Weiterentwickelung zu Larven. Wir sahen sogar in einem
Falle Puppen und Imagines entstehen. Bewahrte man die Eier 3 Wochen
lang trocken auf, so erfolgte kein Ausschlüpfen mehr, auch wenn sie
bei niedrigen Temperaturen conservirt waren.
Eine etwas abweichende Beobachtung berichtet Theobald. 2 Er er¬
hielt von Finlay Eier, welche 2 Monate lang in einem Glase aufbewahrt
waren. Nachdem er sie auf erwärmtes Wasser gelegt hatte, schlüpften am
nächsten Tage bereits Larven aus, deren Weiterentwickelung glatt voa
Statten ging. Hier müssen besonders günstige Verhältnisse gewaltet haben,
wenn die Eier 8 Wochen lebensfähig blieben. Vielleicht war der Auf¬
bewahrungsort (loch mehr 4 oder weniger feucht. Etwas Genaueres ist darüber
aber nicht mitgetheilt.
1 Die Aussentemperaturen betrugen nach Angaben der Seewarte in Haabu.v
für die Monate Juli bis November 1904 (für Hamburg):
Monatsmittel
Maximum
Mittel
Minimum
Mittel
Juli ....
17-5
22-0
13*0
August. . .
16-4
21 • 1
12-4
September. .
13-2
17-5
9-7
October. . .
8-6
12*3
1 5-7
November. .
4-6
7-2
2-5
* Theobald. Bd. III. S. 6.
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
389
Die kleinen Larven scheuen das Licht und befinden sich stets auf
der dem Licht abgewendeten Seite des Gefässes. Nach kurzer Zeit fallen
sie über die ihnen in Form von Mais gebotene Nahrung her und zwicken
mit ihren Fresswerkzeugen kleinste Bröckelchen ab. Das Ganze macht
den Eindruck des Abgrasens, besonders wenn sie am Boden schlängelnd
hinkriechen. Sie können, ohne Luft zu holen, : / 3 bis 1 Minute und länger
unter Wasser bleiben, gehen dann aber in zuckenden wurmartigen Be¬
wegungen, die träger sind als bei Culex, an die Oberfläche und hängen
sich mit ihrer Saugröhre senkrecht an derselben an. Hier ver¬
weilen sie oft mehrere Minuten, ehe sie wieder nach unten verschwinden.
In der Natur, wo ihnen Maiskörner nicht zur Verfügung stehen, nähren
sie sich wohl hauptsächlich von Algen und anderen organischen Substanzen.
Wenigstens hatten wir Gelegenheit, zu sehen, wie in unserem geräumigen
Aquarium, dessen grosse Glaswände dicht mit grünen Algen besetzt waren,
in wenigen Wochen die Scheiben absolut rein „abgegrast“ wurden. Die
Larven erhielten dadurch ein grünlich-bräunliches Aussehen, während sie
sonst bei Maisfütterung weiss-gelblich erscheinen.
Das Wachsthum der Larven schreitet rasch vorwärts. Unter öfterer
Häutung haben sie in 9 bis 13 Tagen eine Länge von 4 bis 6 mm und
ihre vollständige Ausbildung erreicht, worauf ziemlich plötzlich, nach
nochmaliger Ablegung der Hülle, die Puppe entsteht. Offenbar spielt
sich dieser Vorgang, ebenso wie das Auslaufen aus dem Ei, in den Nacht¬
stunden ab. Wir haben nur ganz wenige Male den Verpuppungsact bei
Tage gesehen.
Giebt man den Larven gar keine Nahrung, so können sie zwar
Wochen lang leben, aber in ihrer äusseren Gestalt bleiben sie ausser¬
ordentlich kümmerlich.
Anfangs sind die Puppen ganz hell, allmählich werden sie dunkler,
bis nach 3 bis 4 Tagen die braune Farbe einer schwärzlichen Platz
macht (Taf. IV, Fig. 10 b, c). Genau wie die Larven meiden sie das
Licht und ziehen sich stets an die dem Licht entgegengesetzte Seite
zurück. Da eine Nahrungsaufnahme nicht mehr erfolgen kann und nur
noch Luft durch die Respirationshörner zugeführt werden muss, so hängen
sie die meiste Zeit an der Oberfläche des Wassers; nur gelegentlich, und
auch nur auf kurze Dauer, gehen sie mit zuckenden Bewegungen nach
unten. Ihr Gesichtssinn muss sehr gut ausgebildet sein, da sie, auch
wenn man ganz vorsichtig einen Gegenstand in die Nähe des Wassers
bringt, sofort tiefere Wasserschichten aufsuchen.
Ist die Mücke in der Puppe vollständig entwickelt, dann streckt sich
letztere (Taf. IV, Fig. 10 c/) und hebt ihr Köpfchen über die Wasserober¬
fläche (Taf. IV, Fig. IO/ 1 ). Die Kopfhülle der Puppe reisst ein und der
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M. Otto und R. 0. Neumann:
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Mückenkopf wird in seiner in der Pappe innegehabten Stellung sichtbar
(Taf. IV, Fig. 10^). Durch Schieben und Drängen streift die Mücke
allmählich die Hülle von sich ab und stellt sich senkrecht auf (Tat IT.
Fig. 10 h). Bis dahin sind der Stechapparat, die Flügel und die Beine
eng an den Leib angelegt. Die Entfaltung beginnt mit dem Heben de
Kopfes (Taf. IV, Fig. 10 1 ), dann wird das erste und zweite Beinpaar
hervorgezogen und die Flügel werden gelockert (Taf. VI, Fig. 10A). End¬
lich schiebt die Mücke ihre frühere, jetzt schuhartig aussehende Hölle toi
sich, hebt die Flügel und stellt auch das letzte Beinpaar auf das TTas*r
(Taf. IV, Fig. 10/). Ein Weilchen macht sie noch ungeschickte Geb¬
bewegungen, dann fliegt sie das erste Mal auf. Dieser Vorgang des Aus-
schlüpfens dauert 2 bis 4 Minuten.
Merkwürdig ist, dass bei der gleichlangen Dauer der Entwickeln:
eines Geleges stets die Männchen zuerst auskriechen. Erst gewöhnlic:
24 Stunden oder noch später folgen die Weibchen. Das Ausschlüpfe
der Mücken geht, ähnlich wie die Verpuppung der Larven, meist in de
Nacht vor sich.
Die Entwickelungsdauer der einzelnen Stadien wie auch des gano:
Cyclus, vom Ei bis zur Mücke, ist nach unseren Beobachtungen nicb
constant. Sie umfasst bei Temperaturen von 25 bis 27° und günstig«.
Ernährungsbedingungen etwa 12 bis 16 Tage. Sinkt die Temperatur au«
nur um Weniges, oder wird die Nahrung mangelhafter, so erfolgt sofcr
eine Reaction. Entweder legen die Thiere keine Eier oder die Larr«.
schlüpfen nur sehr spät aus oder aber die Larven bleiben ganz bedeut*
in ihrem Wachsthum zurück und das Puppenstadium verzögert sich, kl¬
eine Weiterentwickelung nicht etwa ganz sistirt.
Um es gleich vorauszunehmen: Während wir bei unseren Züch¬
tungen in 5 Monaten, bis Anfang März 1905, im Mückenzimmer bei *21
12 Generationen erlebten, sahen wir bei gewöhnlicher Zimmertempenr.’
nur 3 Mal Mücken entstehen. Im Gartenmückenhaus aber, welches
wechselnden Tages- und Nachttemperaturen ausgesetzt ist, gelangte nie:'
1 Mal die zweite Brut zum Ausschlüpfen.
Wir geben hier zunächst eine kleine Tabelle von mehreren aufeinacc
folgenden Generationen, wobei zu bemerken ist, dass zu den neu a?
Generation:
1 n
III
IV
V
VI
VII
vrü
Blut gesogen . . .
7.VII.
30. VII.
IS. VIII.
l.IX.
21. IX.
8. X
" :.i:
Eierablage ....
11.V1I.
2.VIII.
16.V1II.
5. IX.
25. IX.
20. X.
10.1
Larven ausgeschl. . . 1
16. VII.
6.VIII.
19.VIII.
7. IX.
29. IX
24.X.
13 I-
Puppenstadium . . .
22.V11.
27.VIII.
17. IX.
6.X.
29. X.
itX
Imagines ausgekr.. . ,
, 26.VII.
12. VIII.
30.VIII.
20. IX.
7. X.
6. XI.
22.1
Gck igle
Original from I
UMIVERSITY OF CALIFORNlI
Studien über Gelbfieber in Brasilien.
391
geschlüpften Mücken, gewöhnlich am folgenden Tage, stets auf 24 bis
48 Stunden eine Hatte gesetzt wurde, um ihnen das Blutsaugen und
damit das Eierlegen zu ermöglichen.
Das betreffende Datum bezeichnet jedes Mal nur den Beginn einer
neuen Metamorphose; denn das Ausschlüpfen von Larven und Mücken,
ebenso die Entwickelung sämmtlicher Larven zu Puppen ist nicht in
einem Tage beendet. So können die letzten Mücken derselben Generation
8 bis 10 Tage und noch viel später auslaufen als die ersten.
Im Mittel vergehen
von dem Saugen bis zur Eiablage 3 bis 4 Tage,
von der Eiablage bis zum Larvenstadium 3 bis 4 Tage,
von dem Larven- bis zum Puppenstadium 7 bis 9 Tage,
vom Puppenstadium bis zur Mücke 3 bis 4 Tage.
Ein Beispiel, wie die Temperatur die Entwickelung beeinflussen kann,
zeigt sich in Generation VIII. Die Mücken hatten bereits am 8. X. ge¬
sogen. Durch ein Versehen war die Temperatur im Brutzimmer unter
25° heruntergegangen. Sofort sistirte die Eiablage. Erst als die Tem¬
peratur wieder 26 bis 27° erreicht hatte (am 20. X.) gingen die Mücken
ihrem Fortpflanzungsgeschäft nach.
In Rio de Janeiro, wo die Temperatur an sich gewiss die genügende
Entwickelungswärme für die Stegomyien aufwies, die Tageswärme aber doch
auch Schwankungen unterlag, dauerte das Larvenstadium stets 12 bis
14 Tage, während bei uns in constanter Temperatur von 26° nur 7 bis
9 Tage bis zum Puppenstadium nöthig waren. Drei Züchtungen in Rio
neben einander zeigten:
Generation
I. Zucht
II. Zucht
III. Zucht
Blut gesogen.
9. V.
11. V.
9. V.
Eierablage.
13. V.
14. V.
16. V.
Larven ausgeschl. . . .
17. V.
18. V.
18. V.
Puppenstadium . . . . >
30. V.
30. V.
31. V.
Imagines ausgeschl. . . . '
3. VI.
2. VI.
Ganz erheblich ändert sich aber die Sachlage, wenn man die Mücken
den Temperaturen in unseren Breiten aussetzt.
Wir brachten einen Mückenkäfig in den Kurssaal bei Zimmer¬
temperatur, den anderen in das Mückenhaus im Garten des Institutes.
Wie bereits erwähnt, entwickelten sich in Zimmertemperatur nur
3 Generationen Mücken.
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392
M. Otto und R. 0. Neumann:
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Generation
1
11
UI
Blut gesogen.
7. VIIL
23. IL
Eierablage.
24. VIIL
28. H
Larven ausgeschl. . . .
29. VIIL
3.X.
Puppenstadium ....
2. VIIL
9. IX.
28. X.
Imagines ausgeschl. . .
6. VIIL
22. IX.
6. XL
Die jungen Mücken brauchten in der 2. Generation fast 3 Voeta
bis sie zur Eiablage kamen, das Larvenstadium dauerte 13, in te
3. Generation sogar 25 Tage. Die 3. Generation Imagines vermochte nid;
mehr Eier abzulegen und starb bis zum 18. XI. ab.
Die Entwickelung im Mückenhaus ging im Juli noch leidlich t::
Statten: Eier 13. VII.; Larven 17. VII.; Puppen 30. VII.; Imagines 2.TIE
Letztere starben aber im August bis auf wenige bereits ab. Der R*'
hinterliess nach 7 Wochen (!), am 29. VIII., einige Eier, aus denen 10 T&-
später Larven ausschlüpften. An kümmerlicher Entwickelung Hessen
trotz unserer Augusttemperatur nichts zu wünschen übrig. Sie süik
nach 6 wöchentlichem Hinvegetiren ab, ohne das Puppenstadium «Riff
zu haben.
Setzten wir Stegomyien bei 0° im December vor das Fenster. •
starben sie alsbald ab. Bei 4° Wärme konnten sie, wenn sie nach 1 Stad-
in’s warme Zimmer hereingenommen wurden, noch zum Leben zurc-■
kommen, aber nach längerem Verweilen draussen waren sie ebenfalls w
Hieraus dürfte hervorgehen, dass die Weiterentwickelungsm
lichkeit der Mücken bei unseren Temperaturen ausserordentlich s-
geschränkt wird, wenn nicht ganz verloren geht, dagegen kann eine 1 "
servirung der Imagines auf Wochen, vielleicht auf Monate hinaus i-
sicher angesehen werden; gelang es uns doch sogar, Stegomj*
weibchen im Eisschrank bei einer constanten Temperatur'
7 bis 9° bis zu 82 Tagen am Leben zu erhalten!
Für dieses Experiment verwendeten wir 25 männliche und 25 «
licho Mücken. Sie erhielten als Nahrung Zucker, Honig und Was-'
Von den Weibchen hatte ein Theil Blut gesogen. Nach kurzer Zeit“
bei den Thieren Kältestarre ein, sie bewegten sich nur sehr In¬
sassen fast immer am Boden des Glases, gleichsam als könnten sic'
an der Glaswanduug nicht festhalteu. Nach 8 Tagen starben die er-' -
4 Männchen, alle übrigen 21 überlebten auch den 15. Tag nicht '
den Weibchen dagegen gingen in den ersten 2 Wochen nur sehr vera;
Grunde, nach 30 Tagen lebte noch ungefähr die Hälfte, nach 50 I-
noch 3, nach 61 Tagen noch 2 und nach 71 Tagen noch eine. So t-
auch hier wieder die so oft beobachtete interessante Thatsache vor
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
393
grösseren Resistenz der Weibchen gegenüber den Männchen von Neuem
constatirt werden. Es sei erwähnt, dass die todten Mücken fast immer
in den Wassergefässen und nur ausnahmsweise ausserhalb derselben am
Boden der Käfige gefunden wurden.
Eins ist uns aufgefallen: es macht den Eindruck, als ob die Thiere
in der Kälte ihre Schönheit und Farbe besser conservirten als in wärmeren
Temperaturen, wo sie leicht einen bräunlichen Ton bekommen. Bringt
man die Mücken in wärmere Temperaturen, so werden sie alsbald ganz
munter; nach Zurückversetzung in die Kälte verfallen sie sehr bald wieder
in die Starre.
Brutplätze.
Die Ausbreitungsverhältnisse in Rio und Umgebung haben wir
nach Möglichkeit zu ergründen gesucht und die Gelbfiebermücke im
späteren Verlaufe unseres dortigen Aufenthaltes fast überall vorgefunden.
Da die Stegomyien, wie ja auch Culex sich lieber in Wohnungen und
Hütten dicht bebauter Gegenden aufhalten — Anopheles dagegen zieht
einzeln stehende Häuser vor und findet sich daher mehr in der Peripherie
der Städte und in Wohnstätten auf dem Lande —, so suchten wir in erster
Linie jene Orte ab und hatten die Genugthuung, sie daselbst zu finden.
Als Lieblingsaufenthaltsorte und Brutplätze dienen ausserhalb des
Hauses besonders dunkle Grotten, versteckte düstere Winkel, Dachrinnen,
Wasserbassins, Regentonnen, Springbrunnen, Gräben und kleine Lachen,
Glasflaschen mit Wasserresten, weggeworfene Blechgeschirre, Conserven-
büchsen, Thonscherben u. dergl. Auch Fahrrinnen und ausgetretene Löcher
aaf der Strasse wählen sie oft. In der Behausung selbst ziehen sie
sich in dunkle Ecken zurück und legen ihre Eier in irgend welche zu¬
gänglichen Wasserreste. Dort ist zu achten auf Spül- und Waschabflüsse,
Closetwasserbehälter, Pflanzentopfuntersetzer, Spucknäpfe u. s. w.
Wegen ihrer ausgesprochenen Vorliebe für warme Temperaturen und
süsse Nahrung schlagen sie gern ihren Wohnsitz in Brauereien, Bäckereien,
Zuckersiedereien, Wirthschaften auf; auch feuchte dumpfige Locale, Lager¬
häuser, Kellerwohnungen, Winkelkneipen und Bordelle, in welch letzteren
sie zum Blutsaugen stets Gelegenheit haben, suchen sie als Nistplätze aus.
Zugluft ist den Stegomyien zweifellos sehr unangenehm, sie meiden
alle windigen Plätze, luftigen Räume. Daher suchten wir sie vergebens auf
exponirten zugigen Stellen und erhöhten, dem Wind zugänglichen Punkten,
z.B. dem Monte da Providencia mitten in der Stadt. Gefährdeter sind
dagegen in Rio die vielen vom Wind abgeschlossenen kleinen Seitenthäler
des Corcovadogebirges, in denen dauernd eine drückende schwüle Luft
herrscht und die jeglicher Ventilation entbehren, z. B. Paula Mattos.
(Vgl. anliegende Karte III [S. 394] von Rio de Janeiro und Umgegend.)
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Nach einer im Jnsfiluf für Gelbfieberprophylaxe in Rio de Janeiro bearbeiteten Zusammenstellung
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
395
In der weiteren Umgebung von Rio trafen wir Gelbfiebermücken in
Xictheroy, der am anderen Ufer der Bay gelegenen Stadt an und ebenso
auch auf einzelnen Inseln der Bay (Fig. 7). Letztere scheinen für Mücken
Fig. 7. Palmas-Insel in der Bay von Rio de Janeiro.
wie geschaffen zu sein, da auch Culices und Anopheles in grosser Menge
vorhanden waren. (Vgl. anliegende Karte IV [S. 396] der Bay von Rio
de Janeiro.)
Fig. 8.
Hotel International in Rio de Janeiro, ca. 400“, dahinter der „Corcovado“, 780“.
Es wäre ein Irrthum, zu glauben, dass Stegomyia nur in der Ebene
oder in den unteren Stadttheilen sich aufhielte, sie steigt vielmehr auch
viele hundert Meter hinauf und existirte auch in unserem 400 ra hoch
gelegenen Hotel International (Fig. 8). Auch in den noch höher gelegenen
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versteckt liegt, waren dagegen wie die der französischen Commission ver¬
geblich; andere Stechmücken wurden aber angetroffen. Die uns vielfach
Wohnungen am Tijucagebirge soll sie zu finden sein. Unsere Nach¬
forschungen in Petropolis, welches 1000“ über dem Meere im Waldgebiete
Karte IV.
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nach einerenglischen Segelkarte
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
397
berichtete Thatsache, dass zu gewissen Zeiten Stegomyien zahlreicher oder
seltener erscheinen, dürfte mit klimatischen Verhältnissen Zusammenhängen.
Wenn man auch dafür keine definitiven Beweise hat, so darf man vielleicht
folgende Erwägung in Betracht ziehen: Es kann als sicher gelten, dass
zur Zeit des häufigsten Auftretens von Gelbfieber auch die Stegomyien
rermehrt sind. Da aber das Maximum der Gelbfieberfalle mit dem Maxi¬
mum der Temperatur im Grossen und Ganzen zusammenfällt, so muss
auch die Vermehrung der Stechmücken mit der Temperatur in Zusammen¬
hang stehen und zwar so, dass bei grösserer Wärme die Entwickelung
der Mücken besser und schneller fortschreitet.
Man darf auch mit Bestimmtheit annehmen, dass die Feuchtigkeit
bezw. intensive Trockenheit eine bedeutende Rolle spielt Sind die Mücken
ihrer Lieblingsplätze durch Austrocknen beraubt, so ist eine Larvenbildung
so gut wie ausgeschlossen.
Möglicher Weise können auch unter den Mücken Epidemieen aus¬
brechen, die für gewisse Zeit eine weitere Vermehrung hintanhalten, ein
Umstand, welcher vielleicht mit erklären lässt, warum iu manchem Jahr
wenig oder gar keine Gelbfieberfälle auftreten. Für letztere Erscheinung
kommt aber wohl ein wichtigerer Grund, der weiter unten besprochen
werden soll, in Betracht.
VersohleppungsmSgliohkeit.
Bei Besprechung der Lebensgewohnheiten der Stegomyia fasciata
drängt sich unwillkürlich die Frage auf, ob diese Stechmücke dauernd an
die Umgebung ihrer Brutstätte gebunden, oder ob sie befähigt ist, activ
weite Strecken zu durchwandern und neue Orte aufzusuchen. Letzteres
würde zutreffenden Falles ein höchst beachtenswerther Factor in der Aus¬
breitung des Gelbfiebers sein.
Wir glauben die Frage verneinen zu müssen. Wenn auch im Bereich
von Wohnungen und Häusern ein Wechsel der Ansiedlung wahrscheinlich
ist, so ist eben Stegomyia doch keine Zug- und Land-, sondern eine
Hausmücke. Ihrer activen Ausbreitung sind gewisse Grenzen gezogen.
Leider müssen wir einen anderen Maassstab anlegen, wenn es sich
um eine Weiterverbreitung der Stegomyien durch Verschleppung handelt.
Und diese ist, wenn sie auch praktisch nicht immer zu Calamitäten führt,
doch recht wohl möglich.
In Betracht kommt hierbei der Land verkehr mittels Eisenbahnen,
elektrischen Bahnen, Wagen, der Seeverkehr auf Schiffen und der Wind.
Um die Möglichkeit der Verschleppung durch den Wind gleich vor¬
weg zu nehmen, so stehen wir auf dem Standpunkt, dass durch Windstösse
Wirbelwinde oder heftige Strichwinde die leichten Mücken ohne Weiteres
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M. Otto und R. 0. Neumann:
fortgetragen werden können und zwar in sonst von den Thieren nicht
aufgesuchte Höhen und auf weite Strecken hin. Wir glauben deshalb
auch nicht, dass z. B. Schiffe, deren Liegeplätze sich mehrere hundert
Meter vom Lande entfernt befinden, absolut vor Mückenübertragung ge¬
schützt sind. Immerhin wird diese Anordnung von Nutzen sein.
Pig. 9. Gedeckter Leichter.
Mehr Aufmerksamkeit verdient die Verschleppung der Mücken durch
Frachtgüter, was für den Land- und Seeverkehr von gleicher Bedeutung
ist. Es kommen am meisten in Betracht Zucker, Melasse, Früchte,
Fig. 10. Trapiches (Lagerhäuser), im Vordergrund gedeckte Leichter (geöf&et).
feuchte Emballagen, wie Stroh, Seegras u. s. w., in oder an denen die
Mücken in Eisenbahnwaggous oder Güterwagen oder Laderäume der Schiffe
gelangen können. In dieser Beziehung sind auch die dunklen in Brasilien
üblichen gedeckten Leichter (Fig. 9), in denen von den wenig venti-
lirten alten „Trapiches“ (Lagerhäusern) am Quai in Rio (Fig. 10)
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Studien übeb Gelbfieber in Bbasilien.
399
die Schiffsgüter befördert werden, verdächtig, weil sich hier eine directe
Verbindung vom Lande zum Schiff ergiebt. Dasselbe gilt von den
Bumbooten. 1
Der mitzunehmende Ballast an Steinen (Granit in Rio) oder Erde ist
ganz unbedenklich, dagegen muss darauf aufmerksam gemacht werden,
dass die Wasserboote und Ballasttanks auf Handels- und Kriegsschiffen
eine Rolle als Conservirungs-, Fortpflanzungsraum und Verbreitungsmodus
spielen können.
Stehende Pfützen und Wasseransammlungen in den Ablaufrinnen auf
den Schiffen, Condenswasserreste in den Laderäumen, Regenwassertümpel
auf Holzschiffen und vor allen Dingen das Bilschwasser können Larven
and Eier für eine längere Dauer erhalten und die Verbreitung der Mücken
begünstigen.
Besteht das Bilschwasser- zum grössten Theil aus eingedrungenem
Seewasser, wie dies bei Holzschiffen (Seglern und Leichtern) der Fall zu
sein pflegt, so dürfte die Gefahr nicht als allzu gross anzuschlagen sein.
Wir haben in Rio de Janeiro in derartiges Wasser Stegomyialarven
hineingesetzt und fanden dieselben stets nach 48 Stunden todt. Das
Bilschwasser hatte einen Chlorgehalt entsprechend einer 1*5 bis 2-3pro-
centigen Salzlösung.
Weitere Untersuchungen in dieser Hinsicht stellten wir in Hamburg
mit Seesalzlösungen von 1, 2, 3, 4, 5 procent. Sal marinum an.
Intensiv auf die Larven wirkte eine 3, 4 und öprocentige Lösung,
und zwar so, dass bei 5 Procent Salz bereits nach 2, bei 4 Procent nach
etwa 3, bei 3 Procent nach etwa 7 Stunden die Larven fast bewegungs¬
los wagerecht an der Oberfläche lagen und nach 24 Stunden todt waren.
In 2 procentigen Lösungen sind die Larven noch nach 20 Stunden lebendig,
bei 1 procent. Salzgehalt mehrere Tage. Mehrere Larven verpuppten sich
und entwickelten sich weiter zu Mücken.
Sehr wenig oder gar nicht empfindlich sind die Puppen. Es scheint,
als ob die Salzlösung die Puppenhülle nicht so leicht durchdringen könnte,
denn wir sahen selbst in der 5 procent. Salzlösung alle Puppen sich zu
Mücken entwickeln.
Daraus geht hervor, dass in etwa 1 procent. Lösungen die Larven
wahrscheinlich sich so lange halten können, bis sie verpuppt sind, im
Puppenstadium aber weiter auszuharren vermögen, bis sie Imagines werden.
Die Beobachtung einer grösseren Resistenz der Puppen kann man
auch machen, wenn Larven und Puppen in Formalinlösung gebracht werden.
1 Darunter versteht man kleinere Leichter-artige Schiffe, welche Nahrungsmittel
nnd Leute zum Löschen und Laden an Bord bringen.
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400
M. Otto und R. 0. Neumann:
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Noch bei 5 Procent Formalin, einer doch erheblich starken Lösung, hielten
sich Puppen bis 18 Stunden. Sogar die Larven überlebten mehr als
5 Stunden.
Hochprocentiger Alkohol scheint ein intensives Gift zu sein, da Larven
und Puppen darin nur wenige Secunden leben.
Ein Wort soll noch gesagt sein über die Verschleppungsmöglichkeit
von Stegomyien durch Reisegepäck. Es wäre immerhin der Fall denk¬
bar, dass Mücken aus inficirten Häusern mit Kleidern oder Wäsche, be¬
sonders wenn sie etwa feucht war, in Koffer unversehens mit eingepackt
oder während die Koffer offen standen, hineingeflogen sein könnten. Da
die Lebensdauer der Imagines unter geeigneten Verhältnissen nach-
gewiesenermaassen bis 150 Tage dauern kann, so lag die Möglichkeit vor,
dass die Mücken sich unter ungünstigen Verhältnissen, wie in Koffern,
Kisten u. s. w., wenn auch nicht so lange Zeit, aber doch viele Wochen
halten könnten.
Um hierüber einigermaassen sichere Anhaltspunkte zu gewinnen,
haben wir gegen 20 Versuche angestellt, bei denen Wäsche sowohl in
trockenem wie auch in feuchtem Zustande in Cabinenkoffer, wie wir sie
auf der Reise mit hatten, gepackt wurde. In die einzelnen Abtheile der
Koffer kamen bei jedem Versuch 50 bis 60 männliche und weibliche
Mücken, von denen die Weibchen zum Theil Blut gesogen hatten, worauf
einer der Koffer bei 27° im Mückenzimmer, ein zweiter bei 22° im
Kurssaal, ein dritter bei Aussentemperatur im Mückenhaus verschlossen
aufgestellt wurde. Irgend welche Nahrung gaben wir nicht bei.
Die Resultate überraschten uns zunächst insofern, als die Lebens¬
dauer überhaupt unter diesen Verhältnissen eine sehr beschränkte ist.
Auch bei den Versuchen mit angefeuchteter Wäsche betrug sie nur wenige
Tage mehr. Letzteres befremdet, weil Stegomyien in einfachen Behältern,
wenn auch nur feuchte Watte vorhanden ist, länger leben. Vielleicht
ist der Grund darin zu suchen, dass die Wäsche innerhalb weniger Wochen
auch bei verschlossenem Koffer zu sehr austrocknet und darum dieselben
Verhältnisse geschaffen werden, wie bei von vornherein trockener Einlage.
Wurden die „trockenen Koffer“ nach 8 Tagen geöffnet, so waren in den
Fällen, in welchen die Koffer im Mückenzimmer bei 27° gestanden hatten,
alle Mücken abgestorben, ebenso die Mücken bei 22° im Kurssaal. Sur
in einem Versuch, bei dem der Koffer im Kurssaal alle 2 Tage geöffnet
wurde, lebten die Thiere 12 Tage.
Auffallender Weise lebten die Stegomyien in Koffern im Mückenhaus
bei Aussentemperatur immer noch, wenn die anderen im Kurssaai j
und Mückenzimmer gestorben waren. Was zuletzt noch übrig blieb, waren •!
stets Weibchen. Gelegentlich ging ihre Lebensenergie so weit, dass sie ;
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
401
nach 10 bis 12 Tagen matt und halb verendet herausgenommen, sich in
24 bis 48 Stunden erholten und beim Ansetzen an den Arm stachen.
Länger als 15 Tage vermochten sie allerdings in trockener Wäsche
auch im Mückenhaus sich nicht zu halten, höchstwahrscheinlich, weil
sie keine Nahrung gehabt hatten. In dieser Beziehung nützt es auch
nichts, wenn man zu den Versuchen Mücken gebraucht, welche vorher
Blut gesogen haben. Auch sie leben nicht länger.
Feuchte Wäsche wirkt Anfangs auf die Mücken scheinbar erfrischend.
Sie sind viel munterer als im „trockenen Koffer“ und vermögen 10 bis
12 Tage auszuhalten. Ob sie dabei im Mückenzimmer oder im Curssaal
oder im Mückenhaus gehalten wurden, schien unwesentlich zu sein, sie
starben sämmtlich ab.
Letzteres gilt für die wärmeren Monate. Im October und November,
wo die Nachttemperatur bis 2° sank, gingen sie im Mückenhaus eher zu
Grunde. In unseren Fällen in 5 bis 6 Tagen.
Untersuchungen über die Erregerfrage.
Unsere Studien wurden in einem Laboratorium des Hospitals Säo Se-
bastiäo, wo wir fast die ganze Zeit unseres Aufenthaltes in Bio verbracht
haben, ausgeführt. Dieses für Gelbfieber- und Pockenkranke bestimmte
♦
Fig. 11.
Gelbfieberkrankenhaus in Rio de Janeiro. Vorderansicht.
Isolirkrankenhaus (Fig. 11) liegt ausserhalb der Stadt auf einer Bay-
Halbinsel „Ponta da Cajü“ (vgl. Karte III u. IV, S. 394 u. 396) und
besteht aus dem Hauptgebäude uud einem Coinplex älterer und neuerer
Zeitschr. f. Hygiene. LL 26
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M. Otto und R. 0. Neümann
Baracken (Figg. 12, 13) mit den zugehörigen Nebengebäuden (SectioDs-
haus, Laboratorium, Verbrennungsraum). Die zur Zeit ungenügende
Isolirung zwischen Pocken- und Gelbfieberkranken soll durch Errichtung
Fig. 12.
Neue Gelbfieberbaracke,
Fig. 13.
Alte Gelbfieberbaracke.
eines neuen grossen Gelbfieberkrankenhauses ihr wönschenswerthes Ende
finden. Immerhin bemüht sich die Krankenhausdirection, entsprechend
den neuesten Erfahrungen, die Verhältnisse so günstig wie möglich m
gestalten.
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
403
Hr. Director Dr. Seidl, Hr. Subdirector Dr. Ferrari und Hr. Assistenz¬
arzt Dr. de Aquino liessen uns ihre Unterstützung hinsichtlich des
Krankenmaterials in jeder Weise zu Theil werden und nahmen an unseren
Studien regen Antheil.
Während unsere Kenntnisse über die Uebertragungswege des Gelb¬
fiebers durch die von so vielen Seiten unternommenen Untersuchungen
in den letzten Jahren ganz ausserordentlich bereichert worden sind, ist
man der Frage nach dem Erreger trotz aller Anstrengungen kaum näher
gekommen. Auch wir haben versucht neben älteren Methoden
auf einem neuen Wege — mittels des Ultramikroskopes — ihm
nachzugehen.
Aus den früheren Untersuchungen bezüglich des Erregers scheint be-
merkenswerth, dass die Mehrzahl der Autoren im Blut und Gewebe der
Gelbfieberkranken Mikroorganismen fand, während andere völlig negative
Ergebnisse hatten. So führt Barrada 1 * * in seiner Arbeit unter Anderem
an: Die Bacillen von Biohardson, Gibier, Havelburg, Sanarelli,
die Mikrokokken von Freire (Cryptococcus xantogenicus), Finlay und
Delgado (Micr. tetragenus), endlich sogar Filze von Carmona y Yalle
(Peronospora lutea) und Lac er da (Fungus febris flavae). Schon 1890
bat Sternberg* für die Mehrzahl der genannten Erreger naohweisen
können, dass sie als Ursache des Gelbfiebers nicht in Betracht kommen.
Bezüglich der Bedeutung des Bacillus Havelburg hat der Autor selbst
seine Meinung geändert, so dass jetzt nur der Bacillus Sanarelli von ge¬
wisser Seite, u. A. Sanarelli und Bandi, aufrecht erhalten wird, un¬
geachtet der erdrückenden Beweise gegen seine Specifität.
Trotzdem wir von seiner Bedeutungslosigkeit fest überzeugt waren 8 ,
haben wir in geeigneten Fällen bei Kranken- und Sectionsmaterial ihm
Dachgespürt, um uns nooh einmal von der Haltlosigkeit der erst jüngst
veröffentlichten Ban di’sehen Angaben zu vergewissern.
Den von Durham 4 * * * und Myers erst 1900 neu entdeckten influenza¬
ähnlichen Organismus, welcher sich in allen Leichen finden sollte, haben
auch wir gleich Laveran® niemals bei unseren auf diesen Punkt gerich¬
teten Untersuchungen angetroffen.
1 Barrada, a. a. O.
* G. M. Sternberg, Report of the Etiology and Prevention of yellow fever.
Washington 1890.
» Vgl. Otto, a. a. 0.
4 H. W. Durham, Report of the yellow Fever Expedition to Parä. Thompson
Yates Laboratories. Report. 1902. Vol. I1L Part. II.
* Laveran, Sur la nature de l’agent de la fievre jaune. Societt de Biologie.
Compte* rendtu. 1902. T. LIV. p. 891 ff.
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404
M. Otto und i£. 0. Neumann:
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Die sorgfältigen Beobachtungen Ton Beed, Caroll, Agramonteu:
Lazear hatten die Angaben der Autoren, welche negative Befunde er¬
hoben hatten, bestätigt
Sie fanden im Blute der von ihnen beobachteten Kranken mit des
stärksten Yergrösserungen (Zeiss */,, Immersion) niemals Bakterien oder
Protozoen und schlossen daraus zunächst, dass entweder kleine Lebeveeer
im Blute oder den Geweben nicht vorhanden seien oder dieselben in Folf
ibrer Kleinheit oder Färbungsunmöglichkeit dem Beobacht» entging
Für Letzteres sprach der Umstand, dass solches Blut auf Gesunde über¬
tragen, Gelbfieber wieder von Neuem hervorrief, selbst auch dann, wen
das Blut theilweise defibrinirt oder das Serum desselben mit steriiiarta
Wasser verdünnt und durch ein bakteriensicheres Berkefeldfilter filtrr
war. Der krankmachende Effect blieb aber aus, wenn das Blut auf 55' 1
10 Minuten lang erhitzt wurde, ebenso zogen Blutinjectionen die Krass¬
heit nicht nach sich, wenn das Blut nach dem dritten Krankheit:
tage verwandt wurde, eine Thatsaehe, welche die amerikanische Coc-
mission zuerst feststellte, und die französische bestätigte. Auch der la¬
teren gelang es nicht, trotz eingehendster Studien im Moskito und 3
Blut den Erreger zu finden. „Pas plus dans le moustique que das* b
sang nous n’avons räussi jusqu’ä präsent ä mettre en dvidence l’agent f
la fievre jaune.“
Dagegen lehrt uns der Bericht von Marchoux, Salimbeni n-
Simond, dass die von Beyer, Parker und Pothier in der Stegoim
gefundenen Protozoen nicht als die gesuchten Erreger in Betracht komm-'
sondern anderweitige Infectionen dieser Mücken darstellen.
Von ihren weiteren Resultaten sei noch angeführt, dass der Emy'
durch Porzellanfilter hindurchgeht und zwar ohne vorherige Verdünner:
des Serums, ferner, dass eine Erhitzung des Serums auf 55° währe:
5 Minuten dem letzteren jede Virulenz nimmt. Nach 48 Stunden ver¬
liert unter Luftzutritt auf bewahrtes Serum seine Virulenz, auch wem -
zuvor nicht erhitzt war. Defibrinirtes Blut — unter Luftabschluss
halten — bleibt länger activ, noch nach 5 Tagen vermag es eine Er
krankung an Gelbfieber zu bewirken, nach 8 Tagen jedoch kann es ob
Gefahr injicirt werden. 1
Aus dem oben Geschilderten geht unzweifelhaft hervor, dass wir ü -
den Erreger selbst nichts Sicheres wissen, weil unsere Untersuche!.'“
methoden bisher sämmtlich versagten.
1 Marchoux et Simond, La fievre jaune. Extrait du Bulletin de
Pasteur. T. II. Nr. 2. p. 13.
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I
Studien über Gblbpiebeb in Brasilien.
405
Schaudinn 1 hat die Vermuthung geäussert, dass die Erreger des
gelben Fiebers Spirochäten sein könnten. Im Verlauf der Entwickelung
dieser Protozoen werden so enorm kleine Formen gebildet, dass deren
Passage auch durch ein Bakterienfilter wohl denkbar ist. Andererseits
könnten sich in einem anderen Entwickelungsstadium deutlich sichtbare
Formen finden, die aber beim Gelbfieber noch nicht als speoifisoh er*
kannt wären.
Nach diesen Voraussetzungen war der Weg für unsere weiteren Unter¬
suchungen yorgezeichnet. Es kam einerseits darauf an, dem Erreger im
kranken Menschen, besonders während der ersten drei Krankheitstage
nachzuspüren, andererseits, ihn in solchen Mücken, die in dieser Zeit
am Gelbfieberkranken gesogen hatten, aufzusuchen.
Wir haben damit begonnen, in erster Linie das Blut der Kranken
mittels des Ultramikroskopes zu untersuchen und zwar yon der Voraus¬
setzung ausgehend, dass der Erreger durch seine Kleinheit den bisherigen
Beobachtern entgangen sein könnte.
Unser von Siedentopf und Zsigmondy* angegebenes Instrument,
welches ultramikroskopische Theilchen sichtbar macht, war nur für Be¬
nutzung Yon Sonnenlicht eingerichtet, weil Yon vornherein angenommen
wurde, dass beim Vorhandensein von Tropensonnenlicht eine elektrische
Lichtquelle entbehrlich sei und die Benutzung genügend starker Kraft¬
quellen nicht vorausgesetzt werden konnte. Ein für Handbetrieb ein¬
gerichteter Heliostat erschien uns der Einfachheit halber am geeignetsten.
Wir machten aber später die Erfahrung, dass ein durch Uhrwerk ge¬
triebener Apparat empfehlenswerther gewesen wäre, weil die beständige
Veränderung der Spiegelstellung mit der Hand höchst lästig und zeit¬
raubend ist.
Wenn wir auch gern zugeben, dass das Sonnenlicht die von uns
gestellten Anforderungen in Bezug auf Intensität erfüllte und die Mitnahme
eines complicirten Beleuchtungsapparates überflüssig machte, so dürfen
wir auch die uns oft hindernd in den Weg getretenen Nachtheile nicht
verschweigen. Häufig genug erscheinen plötzlich Wolken vor der Sonne,
welche das Licht so abschwächen, dass die Beobachtungen unterbrochen
werden müssen; bei bedecktem Himmel, der zur dortigen Winterzeit nichts
Seltenes ist, sind ultramikroskopische Untersuchungen überhaupt unmög¬
lich. Ferner muss der Arbeitsraum in Betreff seiner Lage gewisse Vor-
* Schaudinn, Generations- u. Wirtswechsel bei Trypanosoma u. Spirochaete.
Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte. Bd. XX. S. 482 ff.
* Siedentopf und Zsigmondy, Ueber Sichtbarmachung und Grössenbestim¬
mung ultramikroskopischer Theilchen mit besonderer Anwendung auf Goldrubingläser.
Annalen der Physik. IV. Folge. 1908. Bd. X.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
406
M. Otto und B. 0. Neumann:
bedingungen erfüllen, insofern als bei sinkender Sonne Fenster durch
davorstehende Bäume oder Häuser nicht beschattet werden. Endlich ist
ein grosser Uebelstand der Beleuchtung mit Sonnenlicht, dass Unter¬
suchungen Abends und bei Nacht nicht stattfinden können. Wir müssen
deshalb auf die Notwendigkeit der Mitnahme einer elektrischen Licht-
quelle für künftige Fälle hinweisen.
Für unsere Zwecke erwies sich von den beiden Modificationen zur
Sichtbarmachung kleinster Theilchen nur die eine als brauchbar und
zwar die zur Untersuchung von Bakterien. Wir überzeugten uns leider
sehr bald, dass der für Flüssigkeiten bestimmte Apparat im Stich liess.
Die Einstellung auf den Spalt und das centrirte System bot bei dem
schwankenden Sonnenlicht grosse Schwierigkeiten. Weiterhin zeigten die
von Menschen stammenden Flüssigkeiten selbst nach sorgfältigem Filtriren
eine so ungeheure Menge stark leuchtender und blendender Körperchen,
dass irgend welche Differenzirung zu den Unmöglichkeiten gehörte, selbst
nach reichlicher Verdünnung mit frisch destillirtem Wasser. Uebrigens
würden allzu starke Verdünnungen den Erfolg schon deswegen illusorisch
gemacht haben, weil die Anzahl der Erreger dementsprechend bedeutend
vermindert worden wäre. Bekanntermaassen sieht man ja überhaupt nur
Zerstreuungskreise. Eine Beurtheilung der Form ist, wie schon Sieden¬
top f gleich Anfangs selbst hervorgehoben hat, nicht möglich. Wir hatten
also höchstens durch Vergleich der Menge sichtbarer Theilchen im Blute
Gesunder und Kranker gewisse Schlüsse ziehen können. So kamen vir
sehr bald dazu, die Untersuchung mit dieser Modifioation ganz aufzugeben
und uns ausschliesslich der anderen zuzuwenden.
Wesentliche Erfahrungen über das Ultramikroskop lagen zur Zeit
unserer Abreise noch nicht vor. Unser Instrument gehörte zu den eisten,
die von der Firma Zeiss abgegeben wurden. In Folge dessen blieb es
uns Vorbehalten, erst in Bio de Janeiro selbst die nöthigen Fertigkeiten
in der Handhabung des Apparates und der Beurtheilung der Befunde zu
erwerben. Es erging uns zunächst wie Allen, die mit diesem Mikroskop
gearbeitet haben: Wir hatten bei der Einstellung des Dunkelfeldes, welche
nur durch Ausprobiren zu erzielen ist, Anfangs grosse Schwierigkeiten.
Mit grösserer Uebung kamen wir über dieselben hinweg, imme rhin er¬
forderte aber die Einstellung doch stets einige Zeit.
Unsere mikroskopischen Arbeiten begannen mit der Untersuchung
des Blutes eines Gelbfieberkranken, dem am zweiten Krankheitstage Blut
entzogen worden war. Es war der erste geeignete Fall, der uns zur Ver¬
fügung stand. Wie wir oben ausgeführt haben, ist der Erreger ja nur
innerhalb der ersten drei Krankheitstage im Blute zu vermuthen-
ihn später aufzufinden, bestand demnach keine Aussicht. Nichts desto-
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Studien übee Gelbfiebeb in Bbasilien.
407
estuweniger haben wir auch Kranke in späteren Stadien zur Untersuchung
erangezogen. Unter den 24 von uns gesehenen Fällen befanden sich
ur drei, bei denen die Krankheit den dritten Tag nicht überschritten
itte. Die übrigen 21 wurden erst in einem späteren Stadium auf-
•nommen. In allen Fällen wurde das Blut durch Venenpunction mittels
uer’scher Spritze aus der Ellenbogenbeuge entnommen. Ein Theil
sselben wurde sofort auf Objectträger ausgestrichen und fixirt, ein
siterer Theil zur ultramikroskopischen Untersuchung verwandt. Zur Her-
,*llung des Blutserums liessen wir das Blut im Eisschrank absetzen,
enso wie wir zur sofortigen Untersuchung des Serums das Blut direct
er nach vorhergehendem Defibriniren centrifugirten.
Die Entnahme von Material zu den Präparaten erfolgte vermittelst
riler Capillaren. Die Tröpfchen wurden auf Objectträger gebracht,
t Deckgläschen bedeckt, mit Wachs umzogen und dadurch vor der
rdunstung geschützt. Selbstverständlich achteten wir auf peinlichste
r iberkeit aller benutzten Gegenstände, um
ht durch kleinste Fremdkörper (Staubtheil-
n u. s. w.) irregeführt zu werden. Dies ge-
ft aber nur bis zu einem gewissen Grade,
tz sorgfältigster mechanischer Reinigung sieht
T l noch immer Verunreinigungen, wie sie in
.14 skizzirt sind.
In Folge ihrer dauernden und absoluten
»eweglichkeit lassen sie sich aber leicht als
- le charakterisiren.
Bei genauer Einstellung auf die Flüssig-
k- .schicht zwischen Deckgläschen und Objectträger, welche möglichst
: ' i sein muss, erstrahlen bei einem Präparate frisch entnommenen
- es die Blutkörperchen in so intensivem Lichte, dass weder in den
'••alen Partieen noch am Rande Veränderungen zu erkennen sind,
ordern sind die Reflexe so stark, dass bei längerer Beobachtung Details
iit - ren gehen. Wir haben in Folge dessen später fast ausschliesslich blut-
rc: irchenfreie Flüssigkeiten untersucht, in denen die Anwesenheit des Er-
's, wie oben bereits ausgeführt ist, ebenfalls angenommen werden durfte.
: .tf Wir gingen nunmehr zu Serumuntersuchungen über. Im Grossen
Ganzen ergaben sich bei den äusserst zahlreichen Untersuchungen
\ fc Blutsera von Gelbfieberkranken, die wir nach dem obigen Modus
£vreitet hatten, gleiche Befunde, und zwar insofern, als eine Form von
: ten Körperchen auffällig hervortrat.
t Jeber diese Formen vermögen wir, da die Beurtheilung bei der
i ; :;y I zitternden Bewegung überhaupt sehr schwierig war, nur so viel
Fig. 14.
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M. Otto und R. 0. Neumann:
anzngeben, dass sie theils rundlich, theils oval erschienen. Möglicher
Weise beruhte die Formveränderung auf der jeweilig verschiedenen
Stellung, die das Körperchen einnahm. Die Grösse liess sich etwa auf
den lOOsten Theil eines rothen Blutkörperchens schätzen. In geringem
Grade schwankte sie wohl auch bei den einzelnen Elementen. Legten
sich mehrere Körperchen an einander, so konnten Conglomerate entstehen,
die ungefähr den zehnten Theil eines Blutkörperchens ausmachten. Die
Liohtintensität konnte fast der der Blutkörperchen gleichkommen, be¬
sonders dann, wenn noch grössere Conglomerate sich gebildet hatten, die,
wie wir später lernten, immer in längere Zeit abgesetztem Serum und im
Centrifugenrückstand angetroffen wurden (Fig. 15). Bei den ersten Unter¬
suchungen hatten wir auffälliger Weise diese Beobachtung nicht machen
können. Die Zahl der gesehenen Theilohen schwankte erheblich; während
in manchen Fällen verhältnissmässig wenige sich im Gesichtsfeld be¬
fanden, war dasselbe andere Male völlig von ihnen bedeckt. Bei längerer
& <m 9 o .
Fig. 15.
Beobachtung ein und desselben Präparates machte es den Eindruck, als
ob die Menge eine geringe Abnahme erführe, vielleicht aus dem Grande,
weil die Körperchen in Folge ihrer Schwere, ganz ähnlich wie auch
Bakterien, zu Boden sanken und so aus dem Gesichtsfeld verloren gingen.
Dass diese Erklärung riohtig war, liess sich leicht feststellen, indem da?
Präparat auf den Kopf gestellt wurde. Dann sah man wieder eine Un¬
menge Individuen in lebhaftestem Hin- und Herpendeln.
Die Bewegung selbst können wir nur als Molekularbewegung auf¬
fassen, wenn man auch bei der starken Yergrösserung manchmal an Eigen¬
bewegung denken musste. Die Körperchen machten zwar kleine Ei-
cursionen, veränderten aber ihren einmal eingenommenen Platz nur
verhältnissmässig langsam, was wohl mit dem oben genannten allmähliches
Heruntersinken in Zusammenhang zu bringen ist Die Untersuchung des
von jedem Gelbfieberfall hergestellten Serums wurde viele Tage hinter¬
einander ausgeführt, bei einigen besonders interessanten Kranken bis zu
21 Tagen, wobei jedes Mal die Anwesenheit der erwähnten Körperchen
festgestellt werden konnte.
t> i-
% :
Fig. 16.
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Qrifmal frorn
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Studien übeb Gelbfieber in Brasilien.
409
Da die Grösse nicht weit unter die der kleinsten Bakterien herunter
. zu gehen schien, versuchten wir sie auch mit unseren gewöhnlichen Mi*
kroskopen zu ermitteln. Der Versuch gelang. Indem wir zunächst mit
Leitz Obj. 1 / ia Immersion und Ocular V die grössten conglomerirten oder
vielleicht agglutinirten(P) Theilchen zu Gesicht bekamen, war es uns auch
in der Folge möglich, einzelne zu erkennen, ja selbst dann noch, wenn
wir schwächere Oculare benutzten. Freilich bedurfte es zum Auffinden
■> and Erkennen erst einer gewissen TJebung, da das gewöhnliche Mikroskop
im ungefärbten Präparat doch wesentlich weniger zeigt, als die Ultra*
einrichtung (Fig. 16).
Wir glaubten zunäohst diesen kleinen corpusculären Elementen eine
gewisse Bedeutung beilegen zu können, da sie auch im filtrirten Serum
anzutreffen waren. Um uns davon zu überzeugen, ob diese Bedeutung
eine specifische sei, verabsäumten wir nicht, auch das Serum von an
anderen Krankheiten Leidenden und das Gesunder zu prüfen. Dabei
stellten wir die Anwesenheit ganz gleicher Körperchen fest, deren Unter¬
scheidung von denen beim Gelbfieberkranken gesehenen in keiner Weise
möglich war. Unter mehreren hundert Präparaten aller möglichen Pro¬
venienzen vermissten wir sie kein einziges Mal.
Ohne uns über ihre Bedeutung näher aussprechen zu können, ge¬
wannen wir die Ueberzeugung, dass sie mit dem Gelbfieber nichts zu
thun haben und vielleicht nur mit den von Raehlmann 1 beschriebenen
identisch sind.
Das unbefriedigende Resultat unserer Untersuchungen legte uns den
Gedanken nahe, nach einer Körperflüssigkeit zu suchen, in der wir die
Anwesenheit des Erregers vermuthen durften, die aber andererseits durch
ihre chemische und physikalische Beschaffenheit zur Untersuchung ge¬
eigneter war als das Blutserum. Die einzige, welche durch Armuth an
Salzen und Eiweiss diesen Bedingungen entsprach, war die Cerebro¬
spinalflüssigkeit, die unseres Wissens von uns zum ersten Mal bei
Gelbfieber untersucht worden ist. Hier war Aussicht vorhanden, dem
störenden Einfluss jener kleinen Elemente, die möglicherweise Beziehungen
zum Eiweissgehalt des Serums haben konnten, zu entgehen.
Bei der Lumbalpunktion gingen wir in der üblichen Weise vor. Die
auslaufende Flüssigkeit stand stets nur unter geringem Druck, einmal
mussten wir uns der Aspiration mittels der Luer’schen Spritze bedienen.
Das völlig klare wasserhelle Liquidum, von dem wir ca. 5 bis 8 cctn ent-
1 E. Raehlmann, Ueber ultramikroskopische Untersuchungen von Lösungen
der Albuminenbstanzen u. Kohlehydrate und eine neue optische Methode der Eiweiss¬
bestimmung bei Albuminurie. Münchener med. Wochenschrift. 1903. Nr. 48. S. 2089.
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M. Otto und R. 0. Nbümann:
nahmen, bot bei makroskopischer Betrachtung keine Besonderheiten, mit
Ausnahme eines Falles, bei dem sich eine Spur Blut beigemischt hatte.
Nach längerem Stehen setzte sich ein zarter schleierartiger Bodensatz ab.
Die ultramikroskopische Untersuchung wurde in ganz derselben Weise
vorgenommen wie bei den Serumpräparaten und zwar direct nach der
Entnahme im centrifugirten wie im nicht centrifugirten Zustande.
Unserem Auge bot sich in der nicht centrifugirten Flüssigkeit ein
völlig verändertes Bild dar. Wir sahen zum ersten Male neben ganz
vereinzelten zitternden Blutkörperchen und Trümmern spärliche, kleinste,
sehr feine Gebilde, welche sich im Gegensatz zu den im Blut¬
serum gesehenen kleinen Theilchen sehr lebhaft bewegten and
flatternd durch das Gesichtsfeld flogen. Die Bewegungen er¬
innerten ungemein an die eines Schmetterlings und auch die Bahn,
welche die Körperchen verfolgten, war die einer unregelmässigen Zick¬
zacklinie. Die Form der Elemente schien, soweit es die rasche Be¬
wegung zuliess, die eines rundlichen Gebildes zu sein, andere Male
konnten wir sie mit einem Ausrufungszeichen vergleichen, auch Sternchen-
formen schienen vorzukommen. Oft war es, als ob man als Bewegungs¬
organ eine Geissei entdecken konnte oder als ob mehrere kleine Schwänzchen
an dem Gebilde hingen; immer aber blieben uns jede genaueren Form¬
verhältnisse verborgen und von irgend einer Structur konnte trotz an¬
gestrengtesten Sehens und bester Beleuchtung nichts bemerkt werden.
Bei weniger scharfer Einstellung sah es aus, als ob die Körperchen etwas
in die Länge gezogen wären, und als sei die Seite in der Richtung, in
welcher der Organismus schwamm, angesohwollen. Der ausgesandte Befiel
war reinweiss, ohne bunte Zerstreuungskreise und intensiv hell, so dass ein
wohlgelungenes Dunkelfeld mit zahlreichen Körperchen einem Sternen¬
himmel nicht unähnlich sah. An Grösse mögen sie den 20. Theil eines
zum Vergleich herangezogenen Coccus ausgemacht haben, jedenfalls waren
sie bei Weitem kleiner als die früher im Serum gesehenen Theilchen.
Auffallend war ihre Bewegungsrichtung. In den sehr zahlreichen Präparaten
sahen wir fast ausnahmslos die Elemente gegen den Strom schwimmen
oder auch quer zur Stromrichtung oft mit einer ganz rapiden Schnellig¬
keit durch’s Gesichtsfeld schiessen. Wollte man einem Nebenstehenden
den Vorgang zeigen, so war der „Schmetterling“ oftmals bereits davon
geflogen. Unsere zeitlichen Messungen betrugen für das Durcheilen des
grossen Gesichtsfeldes durchschnittlich 15 bis 45 Seounden. Während
wir bei der Bewegung der Theilchen im Serum Molecularbewegung an¬
nehmen mussten, glaubten wir hier wohl an eine Eigenbewegung denken
zu dürfen. Jedenfalls waren uns so schnell dahineilende Elemente bis
dahin noch nicht vorgekommen. (Fig. 17.)
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Qrigiriial fmm
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
411
Nach sehr lange dauernder Bewegung stiessen die Körperchen zu*
ilen an und blieben einen Augenblick sitzen, um dann wieder weiter
flattern. Mehrere Male beobachteten wir, dass sie am Glase (Deck
Bchen) hängen blieben, die Bewegungen wurden langsamer und allmählicVi
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412 M. Otto und ß. 0. Neümann:
trat vollständige Ruhe ein. Alsdann erschienen sie runder, etwas grösser
und zeigten auch stärkere Reflexe. War das Körperchen einmal ganz
zur Ruhe gekommen, so konnten wir ein abermaliges Abflattern nicht
mehr beobachten. Blieb das Präparat am Mikroskop mehrere Stunden
oder über Nacht stehen, so zeigten sich alsdann eine grosse Menge solcher
kleiner Reflexringe am Deckgläschen mit hellem Punkt in der Mitte; aller
Wahrscheinlichkeit nach zur Ruhe gekommene Theilchen, die aber nicht
mit den ursprünglich sichtbaren Verunreinigungen des Glases zu ver¬
wechseln waren.
Nach mehrtägiger Aufbewahrung der Lumbalflüssigkeit sahen wir
dieselben beweglichen Körperchen, jedoch scheinbar in verminderter Anzahl
auch schienen sie bisweilen ansehnlicher geworden, so dass sie die Grösse
von Mikrokokken überschreiten mochten. Vielleicht hatten wir es auch
hier mit einer Zusammenballung einzelner Theilchen zu thun. Nach
10 Tagen hatte die Bewegung ihr Ende erreicht, wenigstens haben wir
dann in der im Eisschrank aufbewahrten Flüssigkeit nichts davon mehr
entdecken können.
Wurde die Flüssigkeit centrifugirt und sofort untersucht, dann fanden
sich in den oberen Schichten nur ausnahmsweise die eben beschriebenen
Körperchen, während sie im Bodensatz reichlicher vorhanden waren.
Ohne aus unserem Befunde bestimmte Schlüsse zu ziehen, sind wir
alsbald dazu übergegangen, die Cerebrospinalflüssigkeit durch bakterien¬
sichere Filter zu filtriren und zwar stand uns unter anderen einer der
engsten (Chamberland F) Filter zur Verfügung, welchen uns Hr. Dr. Mar¬
ch oux zur Benutzung freundlichst überliess. Hatten die gefundenen
Körperchen eine specifische Bedeutung, so mussten wir sie in den
Filtraten wiederfinden, da der Gelbfiebererreger ja, wie Reed, Carrol,
Agramonte und Lazear nachgewiesen haben, Bakterienfilter passin
Wir beschränkten uns, nach Maassgabe der früheren Erfahrungen, auf
die Untersuchung des Centrifugenrückstandes, weil voraussichtlich sie hier
zu finden sein mussten. In der That liess das Mikroskop auch hierin
die bewussten kleinsten Elemente erkennen. Bei nochmaliger Nachprüfung
des unfiltrirten und filtrirten Blutserum dieses Kranken, konnten wir sie
auch darin entdecken. Vielleicht waren sie uns vorher wegen ihrer ge¬
ringen Anzahl entgangen.
Nach diesem Ergebniss glaubten wir unserem neuen Befunde eine
gewisse Wichtigkeit beimessen zu können, zur Controle gingen wir deshaib
zur Untersuchung der Cerebrospinalflüssigkeit anderer Kranker und Ge¬
sunder über und nahmen zunächst die Lumbalpunction eines Pocken¬
kranken am 4. Krankheitstage vor. In der wasserklaren Flüssigkeit fanden
sich zu unserer Ueberraschung auch hier äusserst ähnliche Körperchen.
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Studien übeb Gklbflbbeb im Bbasilien.
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)a möglicher Weise der Fall so liegen konnte, dass der noch unbekannte
’ockenerreger in ähnlicher Gestaltung in der Lumbalflüssigkeit vorhanden
rar, so blieb uns als Experimentum crucis noch die Untersuchung der
)erebro8pinalflüssigkeit Gesunder übrig. Für diesen Versuch stand uns eine
Negerin, die zur Zeit zufällig im Krankenhause anwesend war, zur Verfügung.
Auch hier wurden in der auf dieselbe Weise vorbehandelten Lumbal*
össigkeit jene kleinsten beweglichen Theilchen entdeckt.
Was diese Dinge zu bedeuten haben mögen, ist uns bisher unklar
eblieben. Für die Ansicht, dass die Körperchen nichts für Gelbfieber
pecifisches bedeuten, würde der ganz gleiche Befund bei Gelbfieber¬
ranken, Pockenkranken und Gesunden sprechen; — aber wer vermag
u sagen, ob die gesehenen Partikelchen aus dem Gelbfieberkranken von
enen aus dem Pockenkranken oder denen aus dem Gesunden nicht
oe"h verschieden sind? Das Ultrsmikroskop vermag dies leider nicht zu
ltscheiden.
Wir müssen in Folge dessen das Resultat unserer ultra-
likroskopischen Untersuchung dahin zusammenfassen, dass
ir bei Gelbfieberkranken jene kleinsten beweglichen Körperchen
eher beobachteten, ihre Bedeutung aber vorläufig unent-
3hieden lassen.
Es bedurfte zahlloser Untersuchungen im Verlaufe mehrerer Wochen,
le wir zu diesem Urtheil gekommen sind, da das Krankenmaterial nicht
imer nach Wunsch uns zur Verfügung stand, und die schon oben er¬
ahnten Unannehmlichkeiten der Sonnenbeleuchtung die Arbeiten störten
id unterbrachen.
Irgend welche anderen corpusculären Elemente, die einen bestimmten
erdacht auf den Erreger auf kommen lassen konnten, liessen sich durch
is Ultramikroskop nicht constatiren. Spirillen, Trypanosomen und ähn-
;he Gebilde konnten uns nicht entgangen sein, weil die zum Vergleich
irangezogenen sehr kleinen Spirillen der vonHarchoux 1 beschriebenen
ühnerseuche als ausserordentlich grosse Gebilde imponirten.
Ob bei anderen Krankheiten mit noch unbekannten Erregern oder
;i Wiederaufnahme der Gelbfieberuntersuchungen das Ultramikroskop die
rregerfrage lösen wird, mag dahingestellt bleiben.
Das Haupterfordeiniss bei solchen Untersuchungen wird immer eine
öglichst grosse Zahl ganz frischer Fälle bleiben. Uns standen, wie
wähnt, nur wenige zur Verfügung, bei denen die Krankheit den 3. Tag
>ch nicht überschritten hatte. Immerhin möchten wir die Möglichkeit
en lassen, dass die geringe Zahl unserer Fälle nicht ausreichend war.
* Marchoux u. Salimbeni, La spirillose des poules. Annale» de l’Institut
rjtteur. 1903. T. XVIL p. 569 ff.
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414 M. Otto und R. 0. Neumann:
Uebrigens hatten wir nicht nur nach Anhaltspunkten für den Er¬
reger in den ersten 3 Tagen gefahndet, sondern auch in anderen Krank¬
heitsperioden, selbst bis in die Zeit der späteren Reconvalescenz hinein.
Eine Auswahl der Fälle, in denen Blut, Blutserum und Lumbal¬
flüssigkeit untersucht wurde, geben wir nachstehend:
Blut und Blutserum.
Gelbfieberkranker Nr. 906.
Gesunder: Dr. Otto
„ Dr. Neumann
„ Berger
„ Hospitalapotheker
5. Krankheitstag. Blut sofort centrifugirt.
Filtrirtes Serum. Wenig kleinste bewegliche
Organismen.
2. KrankheitBtag. Blut sofort centrifugirt.
Filtrirtes Serum. Mehrere kleinste bewegliche
Organismen.
4. Krankheitstag. Blut sofort centrifugirt.
Viele kleinste Organismen. Oft mehrere zu¬
sammen.
5. Krankheitstag. Serum filtrirt und un-
filtrirt. Viele kleinste Organismen in beiden
Flüssigkeiten.
2. Krankheitstag. Unfiltrirt.Serum|
Filtrirtes ,
6. Krankheitstag. „ ,,
7. Krankheitstag. „ ,,
478. 20. Tag nach der Krankheit. Filtrirtes Serum.
Grössere Organismen.
post mortem. Unfiltrirtes Serum. Grössere
Organismen.
post mortem. Pericardialflüssigkeit. Nichts
beobachtet.
3. Krankheitstag. Unfiltrirt.Serum. Kleinste
Organismen.
769.
769.
522.
478.
478.
478.
551.
551.
411.
grössere
und
kleinste
Orga¬
nismen.
Blut und Serum, filtrirt und unfiltrirt. Stets
kleinere und grössere Organismen.
Cerebrospinalflüssigkeit.
Gelbfieberkranker Nr. 906.
851.
851.
588.
5. Krankheitstag. Filtrirt, zahlreiche kleinste j
bewegliche Organismen im Bodensatz.
3. Krankheitstag. Nicht centrifugirt. Wenig
kleinste bewegliche Organismen. Im Centn-
fugenschlamm mehrere.
7. Krankheitstag. Im Eisschrank aufbewahrt
Derselbe Befund.
2. Krankheitstag. Unfiltrirt und filtrirt.
Mehrere kleinste bewegliche Organismen.
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
415
Gelbfieberkranker
Nr. 588.
„ 588.
„ 769.
Dieselben Befunde.
Pockenkranker (Neger).
(Mulatte).
Gesundes Negermädchen.
3. Krankheitstag.
5. Krankheitstag.
2. Krankheitstag. Filtrirt und nicht filtrirt.
Beide Male das gleiche Resultat. In unfiltrirter
Flüssigkeit, welche eine Spur trübe war, ausser¬
dem grössere Conglomerate nebst einigen rothen
Blutkörperchen. Kleinste bewegliche Organismen
wenig zahlreich.
5. Krankheitstag. In filtrirter und nicht
filtrirter Flüssigkeit. Kleinste Organismen; sehr
vereinzelt.
Reconvalescent. In nicht filtrirter Flüssig¬
keit nur ganz vereinzelte kleinste bewegliche
Organismen.
Filtrirt und nicht filtrirt In beiden Fällen die¬
selben kleinsten beweglichen Organismen.
Wir sind auf die Darstellung unserer ultramikroskopischen Unter¬
suchung deshalb so genau eingegangen, um späteren Beobachtern Mühe
und Enttäuschungen zu ersparen.
Welches Interesse der neue Apparat in dortigen medicinischen Kreisen
erregte, geht aus den häufigen Besuchen, die wir von Aerzten und Laien
erhielten, zur Genüge hervor. Besonders die am Krankenhaus Säo Sebastiao
thätigen Aerzte, wie auch Dr. Marchouz nahmen öfter Gelegenheit, sich
unsere Befunde anzusehen.
Alle weiteren nicht-ultramikroskopischen Untersuchungen bez,
der Feststellung des Erregers erstreckten sich auf inficirte Stegomyien und
Blut von Gelbfieberkranken.
Inficirte Stegomyien, d. h. solche, die am 2. und 3. Krankheitstage
an Gelbfieberpatienten gesogen hatten, wurden nach den gebräuchlichen
Methoden sowohl am frischen Präparat, als auch nach Färbung mittels
Romanowsky-, Boraxmethylenblau- und Hämatoxylinlösung untersucht.
Ebenso wurde Schnittmaterial von inficirten Mücken verarbeitet.
Als Resultat ergaben sich Befunde, die wir mit den von Marchoux,
Salimbeni und Simond 1 erhobenen identificiren möchten. Es gelang
uns bei diesen mühevollen und zeitraubenden Arbeiten aber nicht, einen
sicheren Anhaltspunkt für die Anwesenheit des Erregers zu finden, ob¬
gleich wir unsere Mücken in den verschiedensten Zeiträumen nach der
Infection am Kranken untersucht und auch blutnüchterne Mücken, sowie
nach dem 3. Krankheitstage angesetzte zum Vergleich herangezogen hatten.
1 Marchoux, Salimbeni u. Simond, La fievrc jaune. Annalen de VInstitut
Pasteur. 25. XI. 1903. T. XVII. Nr. 11. p. 713 ff.
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416 M. Otto und R. 0. Neumann:
In frischen, am Tage wie in der Nacht entnommenen Blutproben,
in gefärbten Blutpräparaten, sowohl der ersten als auch späterer Krank¬
heitstage, im Leichenblut, endlich in Knochenmarksausstrichen fanden wir
nichts, was wir auf Grund der sonst bekannten Erfahrungen über Erreger
von Infectionskrankheiten als specifisch hätten ansehen können.
Wesen der Krankheit.
Krankheitsbild.
Eine erschöpfende klinische Darstellung einer Infectionskrankheit
lässt sich nur geben an der Hand eines grossen Materials Ton Fällen, wie j
es zur Zeit einer Epidemie anzutreffen ist. Nur unter dieser Voraus¬
setzung kann mau das Krankheitsbild [ in den verschiedensten Phaser
studieren, bis in seine feinsten Details verfolgen und ein Urtheil über
Abweichungen im Verlauf, Complicationen und dgl. gewinnen.
Leider bestand zur Zeit unserer Ankunft in Rio de Janeiro, wie
überhaupt in Brasilien nur wenig Gelbfieber. Die Nachrichten über ein
gehäuftes Auftreten dieser Krankheit in Paranagua, wohin wir sogleich
aufzubrechen gedachten, erwiesen sich als unrichtig. So mussten wir uds
mit den sporadischen Fällen, welche während unserer Anwesenheit im
Hospital Säo Sebastiäo Aufnahme fanden, begnügen und das dort Gesehene
durch Erkundigungen bei unseren Collegen ergänzen. Wir erhielten stets
bereitwilligst Auskunft. In den Privatkrankenhäusern, deren Leiter uns
ebenfalls Material versprochen hatten, kam in dieser Zeit kein Gelbfieber¬
patient zur Beobachtung.
Wir bekamen im ganzen 24 Fälle zu Gesicht, von denen 16 der
Krankheit erlagen, im übrigen wurden aus der Stadt während derselben
Zeit ungefähr ebensoviele Erkrankungen gemeldet Die Kranken wurden
jedoch nicht in ein Hospital überführt, weil man, wie weiter unten noch
ausgeführt wird, eine zwangsweise Behandlung im Krankenhause nur
dann anordnet, wenn die nothwendige Isolierung in der eigenen Wohnung
undurchführbar ist.
Unter den in das Krankenhaus aufgenommenen Personen befanden
sich nur 3, bei denen die Krankheit den 3. Tag noch nicht über¬
schritten hatte. Die übrigen 21 wurden erst im späteren Stadium ein¬
geliefert, wie dies fast immer zu geschehen pflegt. Die Gründe dafür
sind mannigfacher Natur, als wichtigste seien angeführt: Indolenz der
meist den niederen Ständen ungehörigen Kranken, die ihr Leiden ver¬
kennen, Abneigung gegen Trennung von den Angehörigen und Kranken-
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
417
hausbehandlung, endlich die selbst für einheimische Aerzte ausserordentlich
schwierige Frühdiagnose, wodurch bisweilen die eingetretene Erkrankung
als beginnendes Gelbfieber verkannt wird.
Wie bei anderen Infectionskrankheiten, so vergeht auch beim Gelb¬
fieber vom Augenblick des Eindringens der Erreger in den Körper bis zu
den ersten ausgesprochenen Krankheitserscheinungen eine gewisse Zeit,
die Incubationsperiode. Die Kenntniss der Dauer dieses Prodromal¬
stadiums ist deshalb wichtig, weil sie unter Umständen einen Rückschluss
auf den Ort, wo die Infection vor sich ging, gestattet, andererseits aber
auch bei krankheitsverdächtigen Personen annähernd die Zeit bestimmen
lässt, innerhalb derer ein Manifestwerden der Krankheit zu erwarten ist.
Und der letztere Punkt hat deswegen grosse praktische Bedeutung, weil
er uns einen Anhalt dafür giebt, wie lange solche Personen, die sich an
einem inficirten Ort aufgehalten haben, für die öffentliche Gesundheit
eiue Gefahr bilden.
Bezüglich der Dauer der Incubationszeit, die früher lediglich nach
Angaben der Kranken und Irrthümer nicht ausschliessenden Nach¬
forschungen über den Aufenthaltsort eruirt werden konnte, sind wir durch
die experimentellen Infectionen jetzt genau orientiert. Nach den Be¬
obachtungen der amerikanischen Commission 1 auf Cuba betrug sie,
einerlei ob die Infection durch Blutserumeinspritzung oder den Stich in-
ficirter Stegomyien erfolgt war, zwischen 41 Stunden und 5 Tagen
17 Stunden. Nach Parker, Beyer und Pothier’s* Versuchen betrug
sie 74 Stunden, nach denen von Barreto, de Barros und Rodrigues 8
3 Tage. Jedoch kommt auch eine wesentlich längere Dauer vor; nach
Marchoux, Salimbeni und Simond 4 kann die Incubationszeit bis
13 Tage betragen, und zwar nicht nur bei experimenteller, sondern auch
bei natürlicher Infection, eineThatsache, die in dem neuen „Regulamento
betr. den Sanitätsdienst zu Lasten der Brasilianischen Union
(Anlage zum Decret Nr. 5156 vom 8. März 1904)“ bereits Berück¬
sichtigung gefunden hat.
1 Reed, Carroll and Agramonte, The pathology of yellow fever. Boston
med. and surgical Journal 1901. Nr. 14.
* Parker, Beyer u. Pothier, Yellow fever Institute. Bulletin XII 1.
Washington. Uärz 1903. p. 34.
* Barreto, de ßarros u. Rodrigues, Travaux touchant la prophylaxie de
la fieore jaune 1901 — 1903. S. Paulo 1904. ]). 47 ff.
4 Marchonx, Salimbeni u. Simond, La fievre jaune. Anna/es de VInstitut
Pasteur. 25. nov. 1903. T. XVII. p 674.
Zcitschr. f. Hygiene. LI.
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Während dieser Zeit treten subjektive Symptome nicht in den Vorder¬
grund. Wenigstens haben wir von den unserer Beobachtung zugänglichen
Kranken nichts darüber vernommen, wobei allerdings zu bemerken ist.
dass es sich meist um indolente, den niederen Klassen angehörige Per¬
sonen handelte, mit denen auch die Verständigung nicht immer leicht
war. Nur ein einziger Patient machte die Incubationszeit im Kranken¬
hause durch (der anderen Ortes beschriebene Fall von Hausinfection); er
äusserte bis zum Ausbruch der Krankheit keine Klagen. Nach den An¬
gaben der Litteratur sind Prodromalerscheinungen ebenfalls selten, sie
bestehen dann in allgemeinem Unbehagen, Mattigkeit, Appetitmangel.
Schwindelgefühl, Eingenommensein des Kopfes u. dgl.
In der Regel beginnt also das Gelbfieber mitten aus vollem Wohlsein
heraus mit einem mehr oder weniger heftigen Schüttelfrost, während
dessen die Temperatur rasch ansteigt, um sofort oder bisweilen erst in
den nächsten 2 bis 8 Tagen ihren höchsten Stand (40° und darüber
hinaus) zu erreichen. Die Befallenen werden sogleich schwer mit¬
genommen, nur bei leichten Fällen kann es Vorkommen, dass sie ihre
gewohnte Beschäftigung nicht aufgeben und die Krankheit ganz oder
theilweise ambulatorisch überstehen. Die Kranken klagen über Kopf¬
schmerzen namentlich in der Stirngegend, welche einen derartig heftigen
Charakter annehmen können, dass schon hierdurch der Verdacht auf
Gelbfieber erweckt wird, wie uns ein in Rio ansässiger deutscher College
aus seiner eigenen Krankheitsgeschichte mittheilte. Ein ebenfalls cou-
stantes Symptom sind epigastrisches Angstgefühl und Lendenschmerzen,
welch’ letzteren die Benennung des Gelbfiebers als „Coup de barre“ im
französischen Westindien ihren Ursprung verdankt. Die weiteren Er¬
scheinungen im Beginn, wie Erbrechen, Gefühl von Abgeschlagen heit u. dgl..
bieten gegenüber denen anderer acuter Infectionskraukheiten keine Be¬
sonderheiten.
Wir haben 2 Kranke in diesem Stadium gesehen. Sie waren, wie
dies die Regel bildet, bei voller Besinnung. Ihre Mienen verriethen eine
gewisse Erregung, die Conjunctiven zeigten Injection, das stark hyperämisch>
und gedunsene Gesicht konnte mit dem eines Trunkenen verglichen
werden. Die Zunge war an den Rändern und der Spitze roth, in der
Mitte leicht belegt. Der volle und harte Puls war in seiner Frequenz
auf 108 bis 112 Schläge vermehrt, entsprach aber eigentlich nicht der
Höhe des Fiebers und ging in der Folge noch weiter herunter, eine Er¬
scheinung, die für das Gelbfieber als charakteristisch angesehen werden
kann. Bei einem der Kranken trat Epistaxis ein. An den inneren
Organen ergaben sich keine Veränderungen, die Untersuchung des Blutes
(bei einem der beiden Kranken auch Nachts vorgenommen) liess auffällige.
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Studien übeb Gelbfiebeb in Brasilien.
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etwa bei anderen Affectionen fehlende Befunde speciell bezüglich der
Morphologie und Zahl der weissen Blutkörperchen vermissen. Der Harn
enthielt kein Eiweiss, welches bei ganz schweren Fällen schon am ersten
Krankheitstage auftritt, bei mittleren, wie den unserigen, vom 2. oder 3. Tage
an vorhanden ist und nur hei leichtester Erkrankung überhaupt fehlt.
Die Harnmenge sank von Beginn an, wie es auch sonst stets beobachtet
wird, wobei die Verminderung der Harnsecretion der Schwere der Er¬
krankung proportional zu sein pflegt. Beide Kragen, wie auch alle
übrigen, welche wir sahen, verbreiteten sogleich mit der Exspirationsluft
den von allen Autoren erwähnten eigentümlichen Geruch, der als aas¬
haft, faulig und ähnlich bezeichnet wird. Wir möchten ihn nach
Dr. Ferrari mit dem Geruch vergleichen, den man in einem Schlächter¬
läden, wo frisch geschlachtetes Fleisch aushängt, bemerkt (Odeur de la
boucherie). Er erinnert bisweilen auch an den bei Urämischen vor¬
kommenden Foetor, der im Wesentlichen wohl auf NH,-Ausscheidung
beruht. Wie dieser wird er mit zunehmender Niereninsufficienz intensiver
und ist vielleicht auch ätiologisch mit ihm identisch, denn beim An¬
hauchen eines in HCl getauchten Glasstabes entwickeln sich deutliche
Nebel. Man vergisst diesen höchst charakteristischen Geruch nie wieder,
und wir wurden durch ihn öfters auf die Krankheit aufmerksam, ehe wir
den Kranken selbst zu Gesicht bekommen hatten.
Die eben beschriebenen Erscheinungen bilden im Wesentlichen das
Ensemble der I. Periode des Gelbfiebers, welche im Allgemeinen 3 Tage
zu dauern pflegt, also gerade so lange, wie der Erreger erwiesenermaassen
im Blute der Kranken vorhanden ist. Dass schon in dieser Zeit, in die
ja der Höhepunkt der Erregerentwickelung fällt, ähnlich wie beim Typhus
in der ersten Krankheitswoche, der Tod in Folge „Schwere der Infection“
eintreten kann, müssen wir jetzt auf Grund eigener Erfahrungen und von
Urtheilen mit der Krankheit sehr vertrauter Aerzte ablehnen. Wir 1
möchten eine früher geäusserte, auf theoretischen Studien basirende
Meinung in diesem Sinne richtigstellen.
Vom 4. Tage an beginnt die II. Periode, in welcher erst diejenigen
Symptome manifest werden, welche dem Gelbfieber das specifische Gepräge
verleihen. Eingeleitet wird sie durch einen bald mehr bald weniger
ausgesprochenen Temperaturabfall, mit dem eine allgemeine subjective
Besserung und ein Zurücktreten sämmtlicher Symptome verbunden sein
kann. Jetzt entscheidet sich der weitere Verlauf. Bei leichten Fällen
schliesst sich unmittelbar die Genesung au, die Harnmenge steigt, der
1 Otto, Ueber das Gelbfieber, sein Wesen und seine Ursachen u. s. w. Viertel-
jahrstchrift für gerichtL Med . u. öffentl. San . 3 . Folge. XXVII. Suppl.-Heft. S. Ifi.
27*
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420
M. Otto und R. 0. Neumann:
Harn wird eiweissfrei und enthält oft reichliche Uratmengen, der Kranke
erholt sich aber auffällig langsam und ein leichter Ikterus, zuweilen nur
an den Skleren deutlich, lässt die abgelaufene Erkrankung als Gelbfieber
sicher erkennen.
In der eben beschriebenen Weise verläuft eine grosse Anzahl von
Fällen. Die Genesenden mögen oft gar nicht zum Bewusstsein der Gefahr
kommen, in der sie sich befanden, sie glauben ein „Fieber“, also einen
Malariaanfall überstanden zu haben. Häufig genug wird nicht einmal
ein Arzt hinzugezogen, und so kommt die Erkrankung auch nicht rar
Kenntnis der Behörde. Diese abortiven Fälle können in Folge dessen
ebenso wie die noch leichteren ambulatorischen bei der Morbiditäts- und
Mortalitätsstatistik nicht genügend gewürdigt werden und beeinflussen den
Werth beider, sie erklären uns aber andererseits die Conservirung des
Krankheitsgiftes und die Infection mancher Oertlicbkeit ohne nachweisbare
Einschleppung.
In der älteren Litteratur findet man die Anschauung vertreten (so
z. B. bei Griesinger 1 u. a.), dass die in der Regel am 4. Krankheits¬
tage einsetzende Veränderung des klinischen Bildes als eine selbständige
Phase, als zweite oder „Remissionsperiode“ anzusehen ist, der ent¬
weder, wie oben geschildert, bei günstigem Verlauf die Reconvalescenr
auf dem Fusse folgt oder aber, in der Mehrzahl der Fälle, das Eintreten
der graven Symptome, welche dann als III. Periode bezeichnet werden.
Man müsste danach erwarten, dass wenigstens bei der Mehrzahl der
Kranken ein solches Remissionsstadium, das nach jenen Autoren wenige
Stunden bis 2 Tage betragen soll, erkennbar wäre. Dies ist jedoch nacl
unseren Erfahrungen nicht zu constatieren. Wir sahen bei der zu voller
Höhe sich entwickelnden Krankheit fast immer ein allmähliches Ueber-
gehen der Stadien ineinander, ohne dass die am 4. Tage eintretendr
Temperaturerniedrigung allgemein mit irgendwie erheblicher subjectiver
oder objectiver Besserung einherging, und wir müssen uns daher auf
Grund unseres Materiales der Ansicht von Sodrö und Couto* anschliessen.
welche nur 2 Perioden des Gelbfiebers anerkennen, deren erste, wie wir
eingangs ausführten, durch Fieber und allgemeine Reactions-
erscheinungen sich charakterisirt und auch bei anderen Infection?-
krankheiten vorkommt, während die zweite, bestehend in Collaps und
specifischen Organläsionen, der Krankheit den individuellen Stempel
aufdrückt. Diese Einteilung in nur 2 Perioden entspricht auch, wie wir
1 Griesinger, lnfeetionskrankheilen. Erlangen 1864. S. 86.
1 Sodrd u. Couto, Das Gelbfieber. Spec. Pathol.u. Therapie von Nothnagel- j
Wien 1901. Bd. V. Th. IV. Abth. II. S. 127.
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Studien übeb Gelbfiebeb in Bbasilien.
421
noch sehen werden, dorchans dem Wesen des pathologischen Processes,
indem die 11. Periode sich unmittelbar aus der 1. entwickelt, also nur
einen Folgezustand darstellt, der in seiner Intensität von den voraus*
gegangenen Vorgängen abhängig ist.
Während die Dauer der ersten, der „Congestivperiode“, mit grosser
Regelmässigkeit 3 Tage zu betragen pflegt, ist die der zweiten je nach
der Schwere des Einzelfalles schwankend. Bei ganz graven Formen kann
der Tod schon am 4. Krankheitstage im Collaps ein treten, ohne dass
die Cardinalzeichen, Ikterus und Blutungen, deutlich hervortreten. Die
typischen Fälle laufen dagegen innerhalb etwa 5 bis 10 Tagen ab. Sie
sind mit einem Wiederanstieg der Temperatur vergesellschaftet, der jedoch
die Fieberhöhe der I. Periode nicht erreicht. Das Erbrechen, welches
mit dem Ende der I. Periode sistirt hatte, kehrt in verstärktem Maasse
zurück; die anfänglich noch unter Anstrengung erbrochenen Mengen sind
zunächst noch schleimig, mit galligen Beimengungen innig gemischt,
allmählich enthalten sie dunkle Partikelchen, deren schwarzröthliche
Färbung auf die Entstehung aus Blutfarbstoff, welcher durch die Salz¬
säure des Magensaftes Veränderungen erlitten hat, hinweist. Schliesslich
werden ganz schwarze, theerartige oder auch blutige Massen entleert.
Damit haben wir das gefürchtete „Vomito negro“ vor uns, nach dem das
Gelbfieber im spanischen Südamerika den Namen erhalten hat. Neben
diesen Blutungen in den Magen treten auch solche aus anderen Schleim¬
häuten auf; besonders häufig sind profuse Nasenblutungen, Hämorrhagieen
aus Zunge und Zahnfleisch, so dass die untere Gesichtspartie und das
Kopfkissen des Kranken mit schwärzlichen Massen bedeckt sind. Die
Darmblutungen documentiren sich durch das Erscheinen schwarzer
diarrhöischer Stühle, welche die in der I. Periode vorwiegend bestehende
Verstopfung ablösen. Weit seltener sind stärkere Blutungen in die Harn¬
wege, demgemäss ist blutiger Ham eine Ausnahme, und ebenso haben
wir irgendwie erheblichere Hauthämorrhagieen bei unserem Material nicht
zu Gesicht bekommen.
Das epigastrische Angstgefühl nimmt höhere Grade an, Druck auf
die Magen- und Lebergegend ist enorm schmerzhaft und selbst sonst
ganz theilnahmslose Kranke reagiren mit lautem Stöhnen. Bei letaler
Prognose beobachtet man, worauf uns Hr. Director Seidl speciell auf¬
merksam machte, das gleiche Phänomen auch bei Druck auf die Gegend
oberhalb der Symphyse.
Mit dem Auftreten der Blutungen — oft auch schon früher — zeigt
sich, zuerst an den Skleren, dann rapide auf den Körper übergehend, eine
leichte Gelbfärbung der äusseren Bedeckungen, die sich von Stunde zu
Stunde steigert, aber niemals, wie nicht nur unsere eigenen Beobachtungen,
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422 M. Otto und R. 0. Neümann:
sondern auch Nachforschungen bei unseren Collegen im Krankenhaus?
ergaben, eine gewisse Grenze überschreitet, derart etwa, dass bräunliche
Nuancen zu bemerken wären. Wir sahen stets nur ein schmutziggelbliche?
oder chamoisgelbes Colorit, wie es die Abbildung (vgl. Taf. VI) wieder-
giebt. Diese gleichmässige Gelbfärbung, welche auch bei tödtlichem
Ausgange nicht sehr in die Augen zu fallen braucht, wird aber regelmässig
nach dem Tode deutlich, so dass jede Gelbfieberleiche, wie Cochran 1
richtig bemerkt, das „gelbe Kleid“ trägt. Die gelbe Farbe ist dabei von
eigenthümlich lividen grösseren und kleineren Flecken und Schattirung®
unterbrochen, wie marmorirt — ein Ausdruck der allgemeinen Stase -
und ein Kranker, bei dem sie schon intra vitam auf der Brust und den
Streckseiten der Arme und Beine entstanden, fragte uns wenige Stunden
vor dem Tode verwundert, was sie zu bedeuten hätten!
War schon beim Beginn der Erkrankung Sinken der Harnmeug?
und das Erscheinen von Eiweiss ein Vorbote tiefgreifender Störungen, so
werden in der II. Periode beide Symptome immer deutlicher. Mit der
jetzt rapiden Verminderung der Harnsecretion steigt der Gehalt an
Albumen, bei einem unserer Kranken betrug er bis 6*4 pro mill«
(Esbach), und oft kommt es zu vollkommener Anurie, die Blase erweist
sich bei Kathetereinführung als leer. Dieser Ausdruck hochgradiger Nieren-
affection correspondirt aber nicht mit der vielleicht zu erwartenden Meng'
an Formelementen im Urin: wir haben im Gegentheil bei allen daraufhin
gerichteten Untersuchungen stets nur spärliche hyaline und granuluv
Cylinder, hier und da einige Nierenepithelien, ganz vereinzelt weis*
Blutkörperchen und nur einmal Erythrocyten auffinden können. Hämo¬
globinurie wird überhaupt nie beim Gelbfieber beobachtet. Immer aber
enthielt der Harn Gallenfarbstoff, dessen Anwesenheit nicht stets schon
bei einfacher Betrachtung in’s Auge fiel, sondern meistens die Anwendung
der chemischen Probe erforderte. Bierbrauuen Harn, wie er beim Ver¬
schluss der Gallenwege angetroffen wird, sahen wir nie.
Im Uebrigen ergiebt die objective Untersuchung der einzelnen Organe
keinen wesentlichen positiven Befund. Hervorzuheben ist das Fehlen
der Milzschwellung; wo wir eine solche antrafen, hatte sie wohl mit
der Erkrankung selbst nichts zu thun, sondern schon vorher bestand®,
sie blieb bei eintretender Reconvalescenz unverändert die gleiche. Die
Leber schwankte in ihrer Grösse nur unbedeutend, sie schien bisweil®
ganz wenig vergrössert. Die Feststellung der Grösse war bei der enormen
Empfindlichkeit des Epigastriums mit Schwierigkeiten verbunden. Von
1 Cochran, Behandlnng des Gelbfiebers. Handbuch der tpeciellen Falho>. *
Therapie inn. Krankheiten. Bd. I. S. 439 ff.
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Studien übeb Gelbfieber in Brasilien.
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specifischen, für die Diagnose und Prognose des Gelbfiebers wichtigen
Symptomen am Herzen und an der Aorta, auf welche Sodrd und Couto 1
Werth legen, haben wir uns nicht überzeugen können, wir sind durch
das Resultat der Sectionen in unserer Auffassung nur bestärkt worden.
Die zu beobachtenden Phänomene unterscheiden sich unseres Erachtens
nicht von denen, welche auch bei anderen Krankheiten, die mit Herz¬
schwäche einhergehen, in Erscheinung treten.
Am Nervensystem haben wir mit Ausnahme von Anzeichen schwerer
Allgemeininfection anderweitige auffallende Symptome vermisst. Mit zu¬
nehmendem Herzcollaps, wobei der kleine, oft unfühlbare Puls mit der
stürmischen Herzaction augenfällig contrastiren kann, werden die Kranken
somnolenter, sie liegen seitlich in sich zusammengekauert oder auch auf
dem Bauche im Bett, sind nur schwer aufzurütteln und gehen dann
lallend unverständliche Antworten, andere sind bei klarem Bewusstsein,
werden von Singultus gequält und leiden sichtlich grosse Schmerzen, bei
Fragen nach der Ursache ihres Stöhnens deuten sie meist auf die Magen¬
gegend. Endlich sahen wir einzelne Patienten trotz ihres schweren Zu¬
standes aus dem Bett gehen und ähnlich, wie es beim Delirium tremens
vorkommt, allerhand Beschäftigungen in ihrem Isoürkasten vornehmen,
ohne dass vorangegangener Alkoholabusus dafür verantwortlich gemacht
werden konnte.
Dies wären die wesentlichen Züge des klinischen Bildes, wie sie bei
unseren 24 Kranken hervortraten. Sie können in ihrem Zusammentreffen
und der Intensität im Einzelnen Abänderungen erfahren, das schwarze
Erbrechen, Epistaxis, blutige Stühle fehlen bei geringer Tendenz zu
Blutungen oder treten auch gegenüber den Zeichen gestörter Nieren¬
function zurück, niemals aber, und das sei besonders betont, werden
die letzteren vermisst. Stehen sie bei fehlenden Hämorrhagieen im
Vordergründe, ist andererseits Ikterus nicht sehr ausgesprochen, so verwischt
sich die Plastik des Krankheitsbildes, dessen specifischer Charakter dann
übersehen werden und dem nicht mit dem Gelbfieber vertrauten Arzte als
Urämie imponiren kann. Daraus erklärt es sich, wenn man namentlich
in der älteren Litteratur verschiedene Formen des Gelbfiebers beschrieben
findet, je nach dem Vorwiegen des einen oder anderen Symptoms, ob¬
gleich doch die Krankheit immer die gleiche bleibt» Derartige Ein¬
teilungen sind daher nicht gerechtfertigt, sie tragen höchstens zur Ver¬
wirrung bei. Eine Unterscheidung in leichte und schwere Fälle würde
unseres Erachtens völlig ausreichen.
1 Sodre u. Conto, a. a. 0. S. 217ff.
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Prognose.
Die Prognose des Gelbfiebers ist immer eine ernste. Sie ist mit an¬
nähernder Sicherheit erst in der II. Periode zu stellen, allerdings giebt
es auch in der I. schon gewisse Anhaltspunkte für den weiteren Verlauf.
Hierher gehört, abgesehen von dem Allgemeineindruck, den der Kraute
macht, die Höhe des Fiebers. Temperaturen nahe an 40° oder gar über
40° sind ein sehr bedenkliches Zeichen, ebenso reichliches Auftreten vun
Eiweiss oder rasches Absinken der Harnmenge. Nach Marchoui.
Salimbeni und Simond 1 correspondirt die Schnelligkeit und der Grad
des Temperaturabfalles am 4. Tage mit der Schwere des Falles. In der
II. Periode gelten frühzeitiges Erscheinen des Ikterus und ausgedehnte
Hämorrhagieen, namentlich auf der Haut, für sehr ungünstig. Ebenso
sollen Singultus und Schlaflosigkeit von übelster Vorbedeutung sein. Wir
möchten besonderes Gewicht auch hier auf die Beobachtung des Zustandes
der Nieren legen. Solange die Urinabsonderung reichlich bleibt, kann
sich alles zum Besseren wenden, mögen auch die anderweitigen Erschei¬
nungen noch so schwer sein. Andererseits deutet, wie nicht anders zn
erwarten, Oligurie auf schwersten Verlauf hin, selbst wenn die übrigen
Symptome nicht so ausgesprochen sind. Genesung anurischer Kranker
gehört zu den grössten Seltenheiten. Immerhin kann es sich doch bis¬
weilen ereignen, dass selbst bei verzweifeltster Prognose — schwarzem Er-
brechem und drohender Urämie — die Patienten noch durchkommen,
in einem solchen Falle sank die hohe Eiweissmenge innerhalb 3 Stunden
von 5 pro mille auf 3 pro mille (Esbach), am nächsten Tage war über¬
haupt kein Einweiss mehr nachzuweisen. Im Kindesalter pflegt das Gelb¬
fieber einen weit milderen Charakter zu zeigen als in den späteren Lebens¬
jahren und in der Mehrzahl der Fälle abortiv zu verlaufen, insbesondere
soll das schwarze Erbrechen bei Säuglingen nicht die ominöse Bedeutung
haben, wie bei Erwachsenen. Wir selbst sahen nur die letzteren im
Hospital Sfto Sebastiso; von 24 Erkrankten, darunter 2 Frauen, starben 16.
was einer Mortalität von ca. 66 Procent entsprechen würde. Weiter«
Schlüsse auf die Mortalität des Gelbfiebers überhaupt möchten wir daraas
nicht ziehen, denn dazu war unser Material doch zu gering, ferner setzte
es sich ja aus sporadischen Fällen zusammen. Kräftige Constitution biete!
keine besseren Aussichten auf Genesung als schwächliche, aber mit Leber-
und Nierenleiden Behaftete, so insbesondere dem Alkohol ergebene Per¬
sonen, erliegen aus leicht begreiflichen Gründen fast immer.
1 Marchonx, Salimbeni n. Simond, La fiövre jaune. Annaht de l'lnstü «■'
Pasteur. 25. nov. 1908. T. XVII.
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
425
Complicationen im Krankheitsverlaufe, wie als solche namentlich
Parotitis und Abscesse beschrieben sind, kamen uns nicht zu Gesicht,
ebensowenig Nachschübe, die bei unzweckmässigem Verhalten in der
Reconvalescenz hier und da beobachtet werden. Letztere darf erst dann
als eingetreten gelten, wenn der Urin völlig eiweissfrei ist. Stets dauert
es lange, bis Restitutio ad integrum erfolgt und die Genesenden sehen
erschrecklich heruntergekommen aus. Der allmählich schwindende Ikterus
hält am längsten Stand. Durchschnittlich währt der Krankenhaus-Aufent¬
halt 14 Tage, wobei berücksichtigt werden muss, dass die Aufnahme kaum
vor dem 4. Krankheitstage stattfindet Ueber nachbleibende Störungen
konnten wir nur so viel in Erfahrung bringen, dass bisweilen schmerz¬
hafte Sensationen in der Lebergegend noch Jahre lang an die durch¬
gemachte Erkrankung erinnern sollen. Alle von uns selbst befragten
Personen, welche das Gelbfieber überstanden hatten, so die überwiegende
Mehrzahl der uns bekannt gewordenen, in Rio lebenden Ausländer, stellten
das Zurückbleiben von Beschwerden in Abrede.
Therapie.
Ein wirksames Heilmittel gegen das Gelbfieber ist bisher nicht ent¬
deckt. Die Therapie ist daher immer noch eine symptomatische, wenn
wir auch nach den neuesten Versuchen der französischen Commission
einer Serumbehandlung näher gekommen sind. Marchoux, Salimbeni
und Simond 1 haben experimentell erwiesen, dass das Serum der Gelb¬
lieberkranken nach dem 4. Krankheitstage und in noch höherem Grade
das der Reconvalescenten in gewissen Fällen heilkräftige Wirkung zu
entfalten scheint, eine Eigenschaft, die aber nicht allen Sera zukommt.
Bei 11 daraufhin gerichteten Versuchen ergaben sich 7 Erfolge und
4 Misserfolge. Aber wie die Autoren selbst bemerken, darf bei diesem
scheinbar wenig beweiskräftigen Resultat eines nicht vergessen werden:
das Serum jedes gerade zur Verfügung stehenden Reconvalescenten musste
herangezogen werden, ohne dass eine vorherige Prüfung seiner Wirk¬
samkeit stattfinden konnte. So mögen sich, wie die Autoren ausführen,
unter den Sera solche befunden haben, die wenig oder gar keinen Heilwerth
besassen, wie ja auch nicht jedes mit anderen Infectionserregern geimpfte
Pferd ein wirksames Serum gegen die betreffende Krankheit liefert. Da¬
gegen entwickelte das Serum deutlich schützende Eigenschaften gegen eine
Iufection mit Gelbfieber und zwar, wenn es in der I., in der II. Periode
'W Krankheit oder auch in der Reconvalescenz entnommen war. Im ersten
1 M archoux u. Simond, La fievre jaune. Kxtrait du* Bulletin de VInstitut
Pasteur. T. II. p. 14.
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M. Otto und R. 0. Neumann:
Falle musste es natürlich zunächst von den Erregern befreit werden, was
durch 5 Minuten langes Erhitzen auf 55° oder mindestens 8 tägige Auf¬
bewahrung delibrinirten Blutes unter Luftabschluss geschah. In der
II. Periode können diese Maassnahmen fortfallen, da der Erreger nach dem
3. Tage aus dem Blute verschwunden ist.
Noch wirksamer zeigte sich das Reconvalescentenserum. Der hier¬
durch erlangte Impfschutz hat sich nach den obengenannten Forschern
noch nach 26 Tagen als vorhanden erwiesen. Sie empfehlen die Präventiv-
impfung für gewisse dringende Fälle, z. B. wenn ein bis dahin gelbfieber-
freies Land inficirt wird, weil man die der Gefahr am meisten aus¬
gesetzten Personen schützen kann, bis die nöthigen prophylaktischen
Vorkehrungen vollendet sind. Zur Beschaffung von Serum würde man
den zuerst Erkrankten durch Aderlass 200 bis 250 ccm Blut zu entnehmen
haben, ein Eingriff, von dessen wohlthätiger Wirkung auf das Befinden
der Kranken auch wir uns oft überzeugen konnten. Gegen die in der
I. Periode so heftigen Kopfschmerzen dürfte es kaum ein besseres Mittel
geben, und ausser der Entlastung des Kreislaufes in dieser congestiven
Periode ist wohl auch die Eliminirung einer grossen Anzahl von Erregen
und der von ihnen producirten Toxine nicht zu bezweifeln.
Eine Chinintherapie ist völlig wirkungslos und daher jetzt unsere-
Wissens allgemein verlassen. Auch andere Mittel des Arzneischatzes, su
z. B. Natr. salicyl., dem der brasilianische Kliniker Domingos Freire
eine Heilwirkung zuschrieb, haben sich nicht bewährt. Ein neues, *os
Paris bezogenes Präparat, das aus Lebern hergestellt wird — weitere-
über seine Zusammensetzung konnten wir nicht in Erfahrung bringen -
wurde zur Zeit unserer Anwesenheit in Rio gerade versucht und subcutan
iujicirt. Wir hatten nicht den Eindruck, dass es den Verlauf beeinflusste.
Ueber den Werth der einzelnen Symptomatica gehen die Ansichten
auseinander. Das post hoc ergo propter hoc macht sich auch hier
geltend. Die im Hospital Säo Sebastiäo übliche Behandlungsweise ha;
Dr. Ferrari in einer Arbeit, betitelt „Ensaio do Therapeutica physiologiu
no tratamento da febre amarella“ 1 niedergelegt. Er empfiehlt auch die
Darreichung von Strychnin angelegentlich, nur bei Anurie sei es contra-
indicirt. Auffallend war uns, dass grosse Subcutaninfusionen während
unserer Zeit nicht zur Anwendung kamen. Wir würden solche besonder;
im ersten Stadium der Krankheit für indicirt halten, in Verbindung mit
dem Aderlass, weil die Function des Herzens und der Nieren die Resorptiou
und Ausscheidung grösserer Flüssigkeitsmengen dann noch gestattet, wobei
die Toxine verdünnt und rascher eliminirt würden. Und hierauf komm:
1 Publicacöes do Brazil Medico. Rio de Janeiro 1902.
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
427
es ja ganz besonders an. Deshalb sind auch gewiss alle jene Maass-
uahmen angebracht, die das gleiche Ziel durch reichliches Trinkenlassen
von Vichywasser, Schwitzkuren gleich nach Beginn der ersten Krankheits¬
zeichen und die Verordnung von Abführmitteln, wie Calomel und Ricinusöl,
erreichen wollen. In Laienkreisen erfreut sich diese Behandlungsmethode
grosser Beliebtheit, sie wird vielfach noch vor Hinzuziehen des Arztes an¬
gewendet.
Ist die Krankheit in das II. Stadium eingetreten, so sind wir weit
weniger in der Lage, den Process zu beeinflussen. Denn gegenüber den
bereits eingetretenen Organläsionen ist die Therapie machtlos und kann
sich nur darauf beschränken, die einzelnen Symptome zu mildern. Den
verschiedensten, auf theoretische Speculationen oder praktische Erfahrungen
gegründeten Behandlungsarten ist hier ein weiter Spielraum gelassen.
Nur auf zwei Dinge sei aufmerksam gemacht. Das Morphin wird, was
Herr Director Seidl uns gegenüber besonders betonte, in allen Stadien
sehr schlecht vertragen. Ferner erheischt die enorme Empfindlichkeit der
Kranken gegen Temperaturerniedrigungen ganz besondere Vorsicht. Bei
stärkerer Abkühlung, wie sie bisweilen nach Gewittern oder in der
kühleren Jahreszeit Nachts eintritt, muss für eine zweckmässige Bedeckung
der Kranken Sorge getragen werden. Dem Pflegepersonal ist einzuschärfen,
dass die Kranken nie völlig entblösst daliegen dürfen, und dass unruhige
Patienten, welche ihre Bettdecke abwerfen, besonders beobachtet und
immer wieder bedeckt werden müssen. Wie deletär Temperaturabfalle
auf Schwerkranke wirken, konnten wir auch bei den Pockenkranken in
Säo Sebastiäo sehen. Nach einer kühlen Nacht war die Zahl der Toten
jedesmal auffallend gross.
In der Reconvalescenz wird besonderer Werth auf eine angemessene
Ernährung zu legen sein. Die Genesenden dürfen erst ganz allmählich
wieder ihrer gewöhnlichen Kost zugeführt werden. Diätfehler haben leicht
Nachschübe, denen der Kranke dann noch erliegen kann, zur Folge.
Diagnose.
Die Diagnose des Gelbfiebers begegnet in ausgesprochenen Fällen, wo
man den Erkrankten im II. Stadium zu Gesicht bekommt, keinen Schwierig¬
keiten. Das klassische Bild, wie wir es oben schilderten, ist so typisch,
dass jeder Arzt, auch wenn er nur theoretische Kenntnisse über die
Krankheit besitzt, es sicher nicht verkennen wird. Von anderen Affectionen,
mit denen allenfalls eine Verwechselung möglich wäre, muss zunächst
die Phosphorvergiftung erwähnt werden. Hier würde der Nachweis des
Giftes die Sachlage sofort auf klären, ganz abgesehen davon, dass der
klinische Verlauf derselben von Beginn an doch wesentlich anders ist
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M. Otto und R. 0. Neumann
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Studien übeb Gelbfieber in Brasilien.
429
(Fehlen eines fieberhaften Vorstadiums!) und Ikterus wie Blutungen
(namentlich in die Haut) in den von uns gesehenen Fällen von Phosphor-
ntoxication viel stärker waren. Die hämoglobinurische Form der Malaria,
lei der neben Ikterus auch hämorrhagisches Erbrechen Vorkommen kann,
üsst den Milztumor nicht vermissen, die Hämoglobinurie charakterisirt
;ich meist als solche schon bei makroskopischer Betrachtung des Urins,
lurch die mikroskopische Untersuchung wird aber das Fehlen roter Blut-
;örperchen bewiesen und damit die Annahme einer Hämaturie, die auch
.usnahmsweise beim Gelbfieber beobachtet wird, unmöglich. Beim biliösen
Typhoid, wenn es überhaupt in Frage kommt, sichert neben der stark
ergrösserten Milz der Spirillennach-
feis die Diagnose. Immerhin wären
iweifel nicht ganz unmöglich, z. B.
ei suppurativer Entzündung der
fallenwege oder auch in den seltenen
’ällen acuter gelber Leberatrophie.
>ann wird man zunächst in’s Auge
issen müssen, ob die Möglichkeit
iner Infection mit Gelbfieber vorliegt.
v r enn eine solche nicht vorhanden war,
ann es sich natürlich nicht um Gelb¬
eber handeln. Andernfalls wird die
namnese und der ganze bisherige
erlauf unter genauester Berücksich-
gung des objektiven Befundes heran-
lziehen sein. Beweisend wäre aller-
ngs erst das Ergebnis der Autopsie,
lange wir keine chemische oder bio¬
gische Reaction besitzen, welche für
>s Gelbfieber spezifisch ist.
Der Nachweis des Erregers oder
ner für ihn charakteristischen Re-
tion kommt aber als Desideratum noch weit mehr für das I. Stadium
r Krankheit in Betracht. In diesem ist die Diagnose nach allgemeiner
äbereinstimmung ganz ausserordentlich schwer. Und gerade hier ist
e frühzeitige Erkennung von allerhöchster Wichtigkeit, da der Kranke
x in diesem Stadium die Stegomyia zu inficiren und das Gelbfieber
iter zu verbreiten vermag.
Unter den Erkrankungen, welche eine Verwechselung zulassen, stehen
erster Linie Pest, Pocken und Malaria, letztere allerdings nur dann,
nn ein Mikroskop nicht zur Verfügung ist oder, wie in seltenen Fällen,
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M. Otto und R. 0 . Neumann:
430
die Parasiten sich dem Nachweise entziehen. Als wichtigste Kennzeichen
für Gelbfieber und Unterscheidungsmerkmale gegenüber anderen Krankheiten
möchten wir folgende betrachten: das eigenthümlich geröthete Gesicht,
dessen Eindruck so charakteristisch ist, dass es den mit der Krankheit
vertrauten Arzt sofort auf den richtigen Weg führt Wie uns der Director
des Gelbfieber-Hospital Sao Sebastiao, Dr. Carlos Seidl, einer der besten
Kenner der Krankheit, berichtete, vermochte er bei den im Jahre 1896
auf dem italienischen Kriegsschiff Lombardia eingetretenen Massen¬
erkrankungen die Gelbfieberkranken schon beim ersten Anblick herauszu¬
finden, und der weitere Verlauf bestätigte seine Diagnose. Ferner kommt
Fiq.22.
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der eigenthümliehe, von den Patienten verbreitete Geruch in Betracht
das so ausgesprochene epigastrische Angstgefühl, das Auftreten von Ei-
weiss im Harn schon in den allerersten Krankheitstagen. Gerade da.-
letztere Symptom verdient ganz besondere Beachtung, indem es bei der.
anderen Krankheiten kaum je Vorkommen dürfte. Endlich ist noch da?
Verhältniss des Pulses zur Temperatur heranzuziehen: beim Gelbfieber
entspricht die Pulsfrequenz ähnlich wie beim Typhus nicht der Höhe des
Fiebers, ferner sinkt die Pulsfrequenz, welche beim Beginn 100 bis 112
zu betragen pflegt, beständig ab, auch wenn die Temperatur noch weiter
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
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usteigt (vgl. Figg. 19, 20, 21, 22). 1 Die vergleichende Blutuntersuchung
iat für die Differentialdiagnose sichere Resultate noch nicht gezeitigt,
elbstveretändlich muss neben obigen Punkten die Anamnese und der
brige Befund sorgfältig berücksichtigt werden.
Immunität und Disposition.
Wie bei anderen Infectionskrankheiten, so lässt sich auch beim Gelb¬
eber eine örtliche, zeitliche und individuelle Disposition und Immunität
ststeilen. Während wir über diese Begriffe bis vor kurzem grössten-
leils noch auf Vermuthungen angewiesen waren, sind wir jetzt durch
e Kenntniss von der alleinigen Uebertragung durch Stechmücken in der
ige, einen grossen Theil der hierher gehörigen Fragen richtig erklären
■t können. Von diesem Gesichtspunkte aus muss an die Erläuterung der
nzelnen Facto re n herangegangen werden, wobei allerdings zu berück-
ihtigen ist, dass sie nicht scharf von einander zu trennen sind.
Die örtliche Disposition ist in allererster Linie von der in der be¬
ißenden Gegend herrschenden Temperatur abhängig. Sobald die letztere
ih innerhalb der für das Gedeihen von Stegomyia fasciata nothwendigen
ärmehöhe hält, besteht auch eine Disposition für Gelbfieber, ganz be¬
weis dann, wenn die Mücke dort vorkommt Immun dagegen sind
che Orte, wo die Nachtmittel unter 22° bleiben, z. B. Petropolis. Im
Igemeinen ist die Disposition der Temperaturhöhe und speciell auch dem
rweilen der Temperatur oberhalb der bestimmten Grenze direct pro-
rt-ional. Die Lage an der Küste und an Flüssen galt früher allein als
r Krankheit zugänglich. Wir wissen aber jetzt, dass das Gelbfieber
t der Verbesserung der Commnnicationsmittel und der Ausdehnung des
rkehrs auch an Orte gelangt ist, die weit ab vom Meere oder Strömen
jen (S. Paulo, Campinas u. a.). Wenn die am Wasser gelegenen
rtlichkeiten von der Seuche bevorzugt werden, so hat die feuchte
nosphäre, der man ehemals eine wichtige Rolle zuschrieb, gewiss nichts
nit zu thun, vielmehr kommt hier die gewöhnlich hohe Temperatur
Küstenniederungen und die Gelegenheit zur Sumpfbildung in Betracht,
lingnngen, welche der Ausbreitung der Stegomyia günstig sind, ferner
Verkehr, durch den einerseits die Einschleppung des Erregers er-
htert ist, andererseits das geeignete Menschenmaterial — disponirte
sonen — herangebracht wird.
Die Vorliebe des Gelbfiebers für Schiffe, an der nicht zu zweifeln
hat in neuerer Zeit ganz wesentlich abgenommen, weil die alten
1 Wir haben die Cnrven nach den uns im Krankenhause Sao Sebastiäo von
. Direckor Seidl in dankenswerter Weise zur Verfügung gestellten Original-
ikengeschichten reproducirt.
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432 M. Otto und R. 0. Nbümann:
hölzerneu, unzweckmässig gebauten Segler, in denen für Ventilation. Be¬
lichtung und Reinlichkeit so wenig Sorge getragen war, immer mehr ver¬
schwinden. Die früher so unerklärliche Tenacität des Keimes an be¬
stimmten Orten, einzelnen Häusern oder Zimmern, gewissen Schiffs¬
kammern u. dgl. beruht nicht auf einer localen undefinirbaren Prädisposiüon.
sondern auf den Lebensgewohnheiten der Mücken, welche einem „Stand¬
wild“ vergleichbar, ihre Aufenthaltsstätte nur ungern verlassen. Warm
und dunkel gelegene Stellen sind ihre Lieblingsstätten; in Rio, das wir
als Beispiel herausgreifen wollen, ist an solchen kein Mangel. Man brauch'
nur einen Blick in die zahlreichen, nach portugiesischer Art gebauten, sehr
tiefen Häuser zu thun, um die früher so ausgedehnte Infection der Stadl
zu verstehen: die als Schlafgemach dienenden Räume in den alten Häusern
liegen meist in der Mitte derselben und erhalten Luft und Licht nur in
dürftiger Weise von den vorn und hinten anstossenden Zimmern. Noch
günstiger gestalten sich die Verhältnisse für die Stegomyia, wenn sk
neben Wärme, Lichtmangel und wenig bewegter Luft geeignetes Nähr-
material antrifft — so zuckerhaltige Substanzen — wie z. B. in Brauereien
Bäckereien, Zuckersiedereien. Von den verhältnissmässig wenigen, um
in Rio zur Kenntniss gekommenen Gelbfieberfällen stammten drei am e
zwei Brauereien bezw. aus unmittelbarer Nähe derselben, deren eine mr ;
besichtigen konnten. Es wimmelte dort von Stegomyien. In Campina.-
ging nach Strain 1 die grosse Epidemie des Jahres 1889 von einer
Bäckerei aus. Auch in einer Zuckersiederei, welche in der Rua da Saude
in Rio lag, trafen wir Stegomyien an. Mit ihrer Entfernung oder Ver¬
minderung ändert sich auch die locale Disposition eines Ortes: it t
Campinas und anderen Städten der Provinz S. Paulo trat mit der
Assanierung durch Beseitigung von Wasseransammlungen, welche det
Mücken zur reichlichen Vermehrung Gelegenheit gegeben hatten, auch j
das Gelbfieber zurück, nachdem es zuvor allen anderen hygienischen Maas.-
nahmen getrotzt hatte. Ein gleiches Moment kommt für die Erklärung des
jetzt so günstigen Gesundheitszustandes von Santos in Betracht, welcher
allgemein auf die Vollendung der Hafenanlagen dort bezogen wird. Mit
der Anlage von Docks an Stelle eines sumpfigen Hafens verschwand der
grösste Theil von Mückenbrutstätten, allerdings brachte die Fertigstete
der Arbeiten auch ein Nachlassen der Immigration für das Gelbfieber
empfänglicher Personen — der zahlreichen europäischen Hafenarbeiter -
mit sich. Aus diesen beiden Momenten heraus glauben wir das Ver¬
schwinden der Krankheit erklären zu können. Die von einzelnen Autoren
1 Strain, Yellow Fever — its mode of dissemination. Journal of Tropft 1
Medicine. April 1899. Nr. 9.
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Studien übeb Gelbfiebeb in Bbasilien.
433
'eäusserte Meinung, dass ausgedehnte Aufwühlungen des Bodens, wie die
ben genannten, den Ausbruch einer Epidemie begünstigen und eine locale
)isposition schaffen, würde auch heute noch insofern zu Recht bestehen,
ls bei solchen Erdarbeiten zahlreiche Wasseransammlungen zu entstehen
'Hegen und viele Menschen zusammenströmen, die, meist dem Auslande
ntstammend, Empfänglichkeit für die Seuche besitzen. Beide Bedingungen
'erden demnächst in Rio de Janeiro, wo grosse Umgestaltungen im
lafen und Dockanlagen geschaffen werden sollen, vorhanden sein. Die
’ehörde beabsichtigt daher, die Arbeiter mückensicher in Baracken unter-
ibringen und ärztlicher Aufsicht zu unterstellen, damit die traurigen
eiten von Santos sich nicht in Rio wiederholen und nach der bis jetzt
in Erfolg begleiteten Sanirung der Stadt die alten Zustände nicht von
euem Platz greifen können.
Eine zeitliche Disposition lässt das Gelbfieber insofern erkennen,
s es gerade in den Monaten, während derer die Temperatur am höchsten
eigt, in gehäuftem Maasse auftritt, in Brasilien also vom November bis
ibraar. Mit dem Steigen der Temperatur geht der Anstieg einer
jidemie einher, mit dem Sinken ein Nachlass (vgl. Pig. 26 S. 442), die
issesten Monate sind daher der Gipfelpunkt, da die Mücken in ihnen
l besten gedeihen. In der Regenzeit nimmt das Gelbfieber häufig ab,
iht, wie man früher glaubte, weil atmosphärische Niederschläge die oft
d Schmutz starrenden Strassen tropischer Städte reinigen, sondern weil
haltender und sehr reichlicher Regen Larven und Eier hinwegschwemmt,
st gegen das Ende der Regenzeit wächst die Gefahr wieder, denn es
bt dann eine ganze Anzahl kleiner, nur allmählich austrocknender
isserbehälter, in denen die Larven vorzüglich fortkommen. Bei grosser
rre, wie wir sie im März erlebten, werden die Stegomyien seltener und
ait geht auch die Zahl der Erkrankten zurück. Besondere Erwähnung
dient eine Beobachtung, die uns ein College in Rio mittheilte, dass
zelfälle oder Epidemien, welche erst spät im Jahre (d. h. für Brasilien
Mai und Juni) auftreten, sich durch eine ganz besondere Mortalität
zeichnen sollen. Man kann diese merkwürdige Erscheinung wohl
itig damit erklären, dass der Stich einer inficirten Stegomyia eine um
schwerere Erkrankung zu bedingen scheint, je längere Zeit seit der
*ction der Mücke am kranken Menschen verstrichen ist, wie die Unter-
lungen der französischen Commission ergeben haben. 1 Die solche
tfiälle veranlassenden Stegomyien haben aber den Keim wohl meist
»n vor Monaten in der heissen Zeit in sich aufgenommen. Wenn
1 March oui, Salimbeni n. Simond, La fievre jaune. Annales de l’ Institut
eur. Nov. 1903. Nr. 11. p. 729.
itscDr- f. Hygiene LL
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auch nach deGouvea 1 * einzelne Personen gegen das Gelbfieber tob&u
refractär sind, wie er aus den Versuchen von Reed, Car roll und Agrs-
monte ableitet, so ist doch eine natürliche individuelle Immunität j-h
die Krankheit keiner Rasse eigen. Im Allgemeinen ist aber die
Rasse empfänglicher als die schwarze, vermuthlich weil die letztere dtn:
das beständige Verweilen an den Infectionsherden und die sich dini¬
ergebenden Consequenzen (Vererbung, Ueberstehen der Krankheit i
Kindesalter) ähnlich wie bei der Malaria allmählich immun geworden :<
Ausserhalb der Gelbfieberzone lebende Neger fallen der Seuche nie:
weniger zum Opfer als Weisse, wie aus den Veröffentlichung-a »■-
Meurtry* und Ferreira 3 über die Epidemien zu New-Orleans. ilemth
und Granada bezw. Rio Claro (Brasilien 1897) hervorgeht. Dagegen •
wirkt die durchgemachte Erkrankung eine fast absolute Immunität >
sah der Subdirector im Krankenhause Säo Sebastiäo, Dr. Ferrari. ü y
1000 Gelbfieberkranken nur 4, bei denen ein Recidiv angenommen «rette:
konnte, es gehört also ein zweimaliges Befallenwerden zu den
Seltenheiten. In Laienkreisen ist viel von einer durch „AcclimattsiUt'
erlangten Immunität die Rede, und in der That wird die Empfänglich!
für das Gelbfieber mit der längeren Dauer des Aufenthaltes in en-:
Gelbfieberlande immer geringer. Dies erhärtet folgende Zusammen?^:::-
von Portugal, welchen Carvalho 4 citirt:
Im Jahre 1892 starben in Rio de Janeiro an Gelbfieber 4312 P ‘
souen. Von diesen hatten sich in der Stadt aufgehalten
weniger
als 1 Jahr . . .
2226
!>
„ 2 Jahre . . .
731
>>
„ 3 „ ...
298
» 4 D ...
126
,.5 „ ...
60
mehr
„ 5 „ nur
69
unbekannt
802
Diese relative Immunität kann aber durch Aufenthalt ausserhait
Gelbfieberzone wieder verloren gehen. Die Litteratur führt zah.r;
Beispiele dafür an, dass Personen, welche in einem Gelbfieberlandc r::
Jahre gelebt hatten ohne zu erkranken, nach Rückkehr von einer Eurg
1 de Gouvßa, Le Bulletin Medical. 1901. Nr. 81. p. 869.
3 Meurtry, Lancet . 10. oct. 1878.
3 Ferreira, Referat aus dem Centralblatt für Bakteriologie. Bd. XX^
u. 12. S. 366.
4 Bulhöes Carvalho, Contribuicao para o Estudo Epidemiologie ^
amarella. Rio de Janeiro 1903.
Gck igle
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UMIVERSITY OF CALIFORNIA
Studien über Gelbfieber in Brasilien.
435
reise doch noch die Krankheit bekamen und starben. Hiernach dürfte
zur Erhaltung der durch „Acclimatisation“ erworbenen Immunität eine
öftere Zuführung des Infectionsstoffes nothwendig sein, ähnlich der wieder¬
holten Impfung zum Schutz gegen Pocken, und dieser Auffassung würde
auch die Beobachtung entsprechen, dass diese relative Immunität mit dem
glücklichen Ueberstehen von Epidemieen zu wachsen scheint. Es sei
noch erwähnt, dass Männer häufiger befallen werden als Frauen uud
Kinder, nicht weil Geschlecht und Lebensalter eine besondere Prä¬
disposition schüfen, sondern weil der Strom der Einwanderer sich ganz
überwiegend aus Männern zusammensetzt und das Arbeiten in inficirten
Gegenden sowie der Verkehr in Kneipen und Logierhäusern, in denen die
Krankheit sich mit Vorliebe niederlässt, eine weit höhere Ansteckungs¬
gefahr mit sich bringt. Wie wir schon früher erwähnten, ist die letztere
bei Nacht besonders gross, und Berufe, in denen Nachts gearbeitet werden
muss, zeigen deshalb eine hohe Erkrankungsziffer, so Bäcker, Heizer,
Maschinisten, wobei noch die erhöhte Temperatur der Arbeitsstätten,
welche die Anwesenheit von Stegomyien begünstigt, mit in Betracht ge¬
zogen werden muss.
Endlich möchten wir noch auf eine besonders bei Laien weit ver¬
breitete irrige Anschauung eingehen, dass unsolider Lebenswandel, nament¬
lich Excesse in Baccho, die Empfänglichkeit für das Gelbfieber ausser¬
ordentlich steigern. Wir hörten von einer ganzen Reihe uns bekannt
gewordener Europäer in Rio, dass sie unmittelbar im Anschluss an eine
„Bummelperiode“ von der Krankheit ereilt wurden, während sie zuvor
stets verschont geblieben waren.
Fast alle führten ihre Erkrankung auf die durch die Excesse herab¬
geminderte Widerstandsfähigkeit des Körpers, verdorbenen Magen u. dgl.
zurück. Die Erklärung ist unseres Erachtens aber eine andere. Die be¬
treffenden Personen gaben ausnahmslos das nächtliche Verweilen in
zweifelhaften Häusern in der „Bummelperiode“ vor Eintritt der Krankheit
zu, und diese sind anerkanntermaassen sehr häufig Brutstätten des Gelb¬
fiebers. Dort ist die Infection vor sich gegangen und so klärt sich der
Zusammenhang zwischen dem Ausbruch der Krankheit während oder nach
ausschweifender Lebensweise auf.
Mortalität und Morbidität an Gelbfieber.
Wie gewaltig die Verheerungen durch das gelbe Fieber an deu
Heimathsorten der Seuche gewesen sind, haben wir bereits erwähnt.
Ganz unmöglich dürfte es aber sein, aus all* diesen verseuchten Ländern
ein genaues statistisches Material, insbesondere aus den früheren Zeiten, zu
28 *
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AI. Otto und li. 0. Neumann:
Slerblichkeil an Gelbfieber in Rio de Janeiro von 1850 -1902.
' .'■x*'-«KSt ^
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
437
erhalteD, und wir können deshalb auch nicht erwarten, dass sichere Daten
über alle Erkrankungs- und Todesfälle vorliegen.
Selbst in jenen Gegenden und Städten, wo ein geordneterer Sanitäts¬
dienst eingerichtet ist, hält es sehr schwer, bei der fluctuirenden Bevölke¬
rung und den nicht zur Anzeige gelangten oder auch nicht erkannten
Gelbfieberfallen ein genaues Bild über den Procentsatz der Erkran¬
kungen zu den Todesfällen und den Procentsatz der Todesfälle
zur Bevölkerungsziffer zu bekommen. Man wird dementsprechend
günstigen Falles auch hier eher eine Statistik der Mortalität vor¬
finden als eine solche der Morbidität.
Wir haben uns bemüht, auch aus anderen Gelbfieberherden als Rio
de Janeiro, z. B. aus San tos, Gampinas, Bahia, statistisches Material bei¬
zubringen, glaubten aber diese doch noch lückenhaft gebliebenen Ergeb¬
nisse zu Gunsten der reichlicheren statistischen Nachrichten aus Rio de
Janeiro, die uns von der obersten Gesundheitsbehörde zur Verfügung ge¬
stellt worden waren, hier ausser Acht lassen zu können.
Die Angaben aus Rio beruhen auf amtlichen Ermittelungen und
geben ein anschauliches Bild von den Beziehungen des Gelbfiebers zur
Mortalität der Bevölkerung, zur Einwanderung nicht immuner
Personen, zu Temperaturverhältnissen und zu desinfectorischen
Maassnahmen.
Wie schon angedeutet, liegt aber auch hier über die Zahl der Er¬
krankungen kein umfassendes Material vor. Als Unterlage unserer Mit¬
theilungen diente uns eine kleine officielle Schrift von Carvalho 1 , dem
wir auch die Tabellen in theilweise veränderter Form entnommen haben.
Wie sehr es bisher berechtigt war, Rio de Janeiro als „Gelbfieber¬
nest“ zu bezeichnen, veranschaulicht nachstehende Tabelle, in welcher die
Todesfälle seit 1850 eingetragen sind (Fig. 23). In dieser langen Zeit
gab es nur 3 Jahre: 1865, 1866 und 1867, wo keine Gelbfiebersterbefälle
aufgetreten sein sollen. Sonst fand keine Unterbrechung statt, wenn auch
zu manchen Zeiten, besonders in den sechziger Jahren, nur wenig Gelb¬
fieber vorkam. Andererseits sind aber Anstiege bis 1000 und 2000 Todes¬
fälle öfters zu verzeichnen gewesen und in sechs verschiedenen Jahren:
1850, 1873, 1876, 1891, 1892 und 1894, wurde für die Stadt Rio die
enorme Höhe von 3000 bis fast 5000 Todesfällen erreicht. Die schreck¬
lichste Zeit war 1894, wo nicht weniger als 4852 Menschen dem Fieber
erlagen. Seit 1896 ist die Zahl der Erkrankungen und Todesfälle erheb¬
lich gesunken, und man darf jetzt die Zuversicht hegen, dass sie nicht
mehr ansteigt.
1 Dr. Bnlhöes Carvalho, Confribuifäo para o e.ifudo epidemio/o/jico da fehre
amarella. Rio de Janeiro. 1903.
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Original frurn
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M. Otto und R. 0. Neumann
Einwanderung und Todesfälle an Gelbfieber
in Rio* de Janeiro F
Einführung der Desinfection
Einführung der Desinfection
Ebig ew ander
Todesfälle
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Studien übee Gelbfiebeb in Brasilien.
439
Interessant ist die Thatsache, dass nach einem Gelbfieberjahr mit
hoher Sterblichkeit im nächsten Jahr fast ausnahmslos die Todesfälle
wesentlich zurückgehen. Wir glauben, dass diese Erscheinung nur darauf
zurückgeführt werden kann, dass die meisten empfänglichen Individuen
weggestorben waren, ein neuer Zuzug von Einwanderern bei vorhandenen
infectiösen Stegomyien aber die Seuche im nächsten Jahr von Neuem
aufflackern liess.
In welcher Art die Einwanderung die Ausbreitung des Gelbfiebers
bezw. die Mortalität beeinflusst, giebt beistehende Tabelle in höchst lehr¬
reicher Weise wieder (Fig. 24).
Die Einwanderung in Rio
betrug:
Es starben
an Gelbfieber:
1882
25 845
1893
48 948
1882
89
1893
825
1888
26 789
1894
33 733
1883
1608
1894
4852
1884
19 608
1895
91 773
1884
863
1895
818
1885
22 727
1896
99 550
1885
445
1896
2929
1886
22 286
1897
44 255
1886
1449
1897
159
1887
31310
1898
27 650
1887
137
1898
1078
1888
55 863
1899
20020
1888
747
1899
731
1889
47 760
1900
13 804
1889
2156
1900
344
1890
85151
1901
13 324
1890
719
1901
299
1891
191151
1902
14 358
1891
4456
1902
984
1892
54 509
1892
4312
Während in den Jahren 1882 bis 1887 die Einwanderung zwischen
25845 und 31310 schwankte und in dieser Zeit 89 bis 1608 Personen
starben, stieg dieselbe 1888 und 1889 auf 55863 und 47760 Menschen.
Dementsprechend vermehrten sich die Todesfälle sofort bis auf 2156.
Ein noch weiteres Anwachsen der Einwanderung 1890 mit 85 000
Menschen und 1891 mit gar 191000 beschwor die furchtbare Epidemie
herauf, welche 1891 4456 und 1892 4312 Personen hinwegraffte.
Dann sank die Einwanderung und mit ihr die Gelbfiebermortalität,
bis 1896 sich der Vorgang wiederholte. Einer äusserst frequenten Ein¬
wanderung von 91 700 und 99500 Menschen in den Jahren 1895 uud
1896 folgte eine Sterbeziffer von nahezu 3000.
Der Erklärung bedarf noch die ungeheure Sterblichkeit im Jahre 1894,
obwohl gerade in diesem Jahre die Einwanderung recht gering war. Die
Todesfälle sind vermuthlich bedingt durch die wahrend der Revolution in
Brasilien in Rio de Janeiro zusammengedrängten Menschenmassen und
den Umstand, dass die vielen, für Gelbfieber empfänglichen Ausländer ge¬
zwungen waren, in der Hauptstadt zu verbleiben.
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440
M. Otto und R. ü. Neumann:
Ganz die gleichen Beobachtungen geben Specialaufzeichnungeu. äs
im Gelbfieberhospital S. Sebastiao gemacht wurden, wieder.
Es ist eine erwiesene Thatsache, dass die Ausländer ein grösser«
Contingent Todesfälle an Gelbfieber stellen als die Brasilianer
Sterblichkeit an Gelbfieber in Rio de Janeiro
mangelnden Immunität. Der Unterschied in der Menge der TodesfilM i
unter den Brasilianern und Nichtbrasilianern ist ausserordentlich bedeut«l |i
und beträgt in manchen Jahren das 10 fache und noch mehr (Fig-‘’M 5
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Studien übeb Gelbfieber in Brasilien.
441
So starben:
Brasilianer
Fremde
Brasilianer
Fremde
1890
76
636
1897
15
141
1891
249
4083
1898
110
955
1892
374
3716
1899
86
639
1893
43
777
1900
39
303
1894
384
4372
1901
79.
220
1895
64
754
1902
201
777
1896
304
2599
1903
188
376
Besonders in die Augen fallend sind die Jahre 1891, 1892, 1894
und 1896, wo die Sterblichkeit der Ausländer 11 bis 18 Mal grösser als
die der Brasilianer war.
Diese Thatsache kann auch zur weiteren Bekräftigung der oben be¬
sprochenen Abhängigkeit der Todesfälle von der Einwanderung in’s Feld
geführt werden.
Auffälliger Weise nimmt in den letzten Jahren 1901 bis 1903 der
Procentsatz der an Gelbfieber gestorbenen Brasilianer gegenüber den Aus¬
ländern zu, denn während
1898 ca. 10 Proc. Brasilianer und 90 Proc. Ausländer,
1899
ca.
13
11
11
11
87
11
11
1900
ca.
12
11
11
11
88
11
„ starben,
erlagen 1901
ca.
25
11
11
11
75
11
11
1902
ca.
20
11
11
80
11
11
1903
ca.
33
11
11
11
66
11
„ der Krankheit,
Vielleicht ist dieses Factum damit zu erklären, dass sich nach der
Stadt Rio mehr und mehr Brasilianer, die in 'gelbfieberfreien Gegenden
wohnten, hinziehen und gleich den nicht immunen Fremden von der
Krankheit ergriffen werden.
Bei der Beweisführung über die Richtigkeit der Theorie von der Ueber-
tragung des Gelbfiebers durch Moskitos, war es nothwendig, den Anstieg
und Abfall des Gelbfiebers während der einzelnen Monate im
Jahre mit den jeweiligen Temperaturen in Beziehung zu setzen
und zu vergleichen. Dies hat BulhöesCarvalho in einer ausführlichen
Tabelle für Rio, deren Resultate in etwas veränderter Weise hier wieder¬
gegeben sind, ausgeführt (Fig. 26).
Da es nicht möglich ist, auf alle interessanten Einzelbeobachtungen
einzugehen, so mag als Resultat hervorgehoben werden, dass im Grossen
und Ganzen mit dem Steigen und Fallen der Temperatur auch die
Abnahme und Zunahme des Gelbfiebers Hand in Hand geht. Die
höchsten Temperaturen fallen stets in die Monate October bis Januar, den
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442
M. Otto und R. 0. Neümann:
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
443
dortigen Sommer. Die meisten Krankheitsfälle und die grösste Sterblich¬
keit sind zu derselben Zeit zu verzeichnen. Die niedrigsten Temperaturen
treten im Mai bis September ein, in welcher Zeit stets ein Rückgang der
Krankheit beobachtet wird.
Nur ganz ausnahmsweise in jenen berüchtigten Jahren von 1891 bis 1892,
wo wahrscheinlich eine ungeheuere Masse inficirter Stegomyien vorhanden
war, trat auch in den dortigen Wintermonaten das Gelbfieber nicht zurück.
Sank die Temperatur unter 13°, dann erlosch das Gelbfieber, um bei
einer Mindest-Mitteltemperatur von 20° wieder von Neuem auszubrechen.
Die Maxima bewegen sich von 24*5 bis 39°, die Minima von 11*2
bis 21 • 5°. Erstere sind für die Entwickelung der Stegmoyia fasciata ausser¬
ordentlich günstig, daher auch stets die Zunahme des Gelbfiebers im Oc-
tober bis Januar. Während der Periode der niedrigen Temperaturen im
Mai und September, dem dortigen Winter, wird die Entwickelung unter¬
brochen oder stark verzögert, daher das Zurückgehen der Krankheitsfälle.
Nicht minder interessant ist ein andrer Vergleich, der ebenfalls für
die Moskitotheorie Verwerthung finden kann. Man stellte die Todesfälle
vor Einführung der allgemeinen Desinfection (im Jahre 1890)
und nach derselben zusammen und zwar, wie beifolgende Karte zeigt,
von 1877 bis 1889 und von 1890 bis 1903 (Fig. 27).
Ein kurzer Blick überzeugt, dass die eingeführte Desinfection absolut
nichts genützt bat, im Gegentheil treten nach Einführung derselben die
grossen Epidemien auf. Nun soll allerdings nicht damit gesagt sein, dass
die eingeführte Desinfection die Vermehrung der Gelbfieberfälle befördert
hätte, aber es geht daraus hervor, dass ein desinfectorisches Vorgehen die
Mücken nicht tangirte und ihre Brut nicht zerstörte. Ist die Mücken¬
theorie also richtig, so durfte selbstverständlich gar kein Erfolg durch der¬
artige Maassnahmen zu verzeichnen sein.
Wir deuteten bereits schon an, dass die statistischen Mittheilungen
über sämmtliche Erkrankungsfälle an Gelbfieber lückenhaft sind und
wohl auch kaum ganz einwandfrei gegeben werden können, weil eben viele
Fälle unentdeckt bleiben, nicht diagnostizirt oder nicht angemeldet werden.
So weit uns das Material zur Verfügung stand, haben wir für Rio
zwar eine Zusammenstellung von angemeldeten Gelbfieberfällen und Todes¬
fällen gefunden, die nachstehend graphisch wiedergegeben ist. Dement¬
sprechend würden von den angemeldeten Erkrankungsfällen
im Jahre 1896 73*6 Procent im Jahre 1900
„ „ 1897 49 „ „ ,, 1901 82*3 Procent
„ „ 1898 94-5 „ ,. ,’ 1902 76-5 .,
„ „ 1899 82-6 ,, ,, ., 1903 61.2 ..
, mit dem Tode abgegangen sein.
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444
M. Otto ünd R. 0. Neumann
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Sterblichkeit an Gelbfieber in Rio de Janeiro
Wert der Desmfection Fig.27.
4800 _
4700_
4600_
«00 _
4 *»00_
4300 —
«00 _
4100_
4000_
3900_
.1800 __
3700_
3600_
.3500_
3 400_
3300_
3200_
3100_
3000_
2900_
£800_
2700_
2600_
2300_
2400_
2300_
2200_
2 10 0_
2000_
1900_
1800_
1700_
1600_
1300_
1400_
1300_
1200_
1100_
1000_
900_
800_
700_
600_
500_
400_
300_
200_
100_
vor nach
der Einführung der Dosinfection
i
Jahr
Gestorben
1877
282
1878
117 6
1B79
97 4
1880
^62 3
1881
257
18 82
89
1883
1608
1884
863
1885
4-45
1886
1449
1887
137
1888
7 47
1889
2 156
Summa 11803
i.
Jahr
Gestorben
1890
719
1891
4456
1892
4312
1893
825
189 4
4852
1895
818
1896
1897
159
1898
1078
1899
731
1900
3 44
190 1
299
1902
984
Summa . 22500
J__ »oo
4700
— 4600
— 4500
_ 4400
_ 4300
_ 420 #
— 4100
_ 4000
—»00
—3800
—3700
— 3«0
— MOO
—3400
—3300
—3200
U _ 3 l 0 ü
_ 3000
_ 2800
_ 2800
—2700
—2800
2300
.2400
1—2300
[-2200
[—2100
rlaooo
»00
1—»00
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_ 1 Ä 00
_ 1300
— 140 P
— ÖOü
—1200
— 1100
— 1000
_ 900
— 800
700
— 800
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Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Studien über Gelbfieber in Brasilien.
445
Dies würde aber eine Andern eitle te Gelbfieberfälle und
ausserordentlich hohe Mor¬
talitätsziffer darstellen, da
man im Allgemeinen 50 bis
70 Procent rechnet, über
80 Procent hinaus aber
wohl nur selten beobachtet
sein dürfte.
Wir glauben, dass diese
Augaben mit den wahren
Verhältnissen zwischen
Gelbfiebermorbidität und
Mortalität nicht ganz in
Einklang gebracht werden
können. Wahrscheinlich
würde die Procentzahl eine
ganz andere, wenn alle,
auch die ambulanten und
abortiven Gelbfieberfälle,
zur Anzeige der Behörde
kommen könnten. Viel¬
leicht ist in dieser Be¬
ziehung bereits in den
letzten beiden Jahren 1902
und 1903 eine Besserung
eingetreten, wo man mit
besonderem Nachdruck auch
die versteckten Fälle aus¬
findig und so der Statistik
zugängig zu machen sucht,
denn wir sehen hier eine
den wirklichen Verhält¬
nissen mehr Rechnung
tragende Procentzahl an
Todesfällen von 76-5 Pro¬
cent und 62*2 Procent.
Wie lückenhaft die An-
gabeninWirklichkeitwaren,
beweist das Jahr 1900, in
welchem nur 314 Erkran¬
kungsfälle angemeldet
Original fram
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Todesfälle in Rio de Janeiro 18% 1903
Digitized by Gougle
446
M. Otto und R. 0. Neumann:
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wurden, 344 Todesfälle aber vorgekommen sind! — Aus diesem Grande
dürfte es auch vorläufig schwer sein, ein richtiges Verhältnis zwischen
Morbidität und Bevölkerungsziffer herauszufinden.
Pathologie.
Sectionsbefund.
Eine Aufklärung über das Wesen des pathologischen Processes beim
Gelbfieber und die klinischen Erscheinungen, welche in seinem Verlaufe
beobachtet werden, geben uns die Resultate der Obductionen. Allerdings
gilt dies eigentlich nur für die II. Periode der Krankheit, denn in der L
stirbt niemand, jedenfalls haben wir keinen solchen Fall zu ermitteln
vermocht. Er wäre unseres Erachtens auch nur denkbar beim Vor¬
handensein von Complicationen (Herz-, Nierenleiden u. dgl.), wo die
schwere Allgemeinaffection zu einem schon an und für sich schweren
Grundleiden hinzukommt. Die Beurtheilung solcher Fälle würde ausser¬
ordentlich schwierig sein, da sie kein reines Bild ergeben können.
Wir haben im Ganzen 12 Sectionen von Gelbfieberleichen beiwohnen
können, den grössten Theil derselben haben wir selbst ausgeführt. Stets
handelte es sich um erwachsene Personen. Nicht immer waren die Re¬
sultate verwerthbar, denn die Aufbewahrung der Leichen ohne Abkühlungs¬
vorrichtungen lässt im tropischen Klima Fäulnisserscheinungen ja ganz
ausserordentlich rasch eintreten. In Folgendem kann deshalb auch keine
eingehende Beschreibung der pathologischen Anatomie des Gelbfiebers ge
geben werden, wir wollen nur die hauptsächlichsten Merkmale, wie sie
sich uns darboten, hier niederlegen. Im Allgemeinen haben wir bei dem
uns zur Verfügung stehenden Material die gleichen Befunde erhoben, mir
in einem Falle ergaben sich Abweichungen, die auf Rechnung vorans-
gegangener anderer Erkrankung — soweit wir feststellen konnten.
Alkoholismus chronicus — gesetzt werden mussten. Bei den übrigen
Autopsien sah man immer das gleiche Bild, welches bis auf Einzelheiten,
auf die wir noch kommen werden, dem in der Litteratur geschilderten
entsprach.
Sämmtliche Leichen zeigten einen mehr oder minder ausgesprochenen
Ikterus, dessen Intensität von Hellgelb bis zu einem schmutzigen Dunkel¬
gelb schwankte (vgl. Taf. VI). Diese Gelbfärbung pflegte, wie wir oben
erwähnten, deutlicher zu sein als im Leben, sie war mit Ausnahme eim*
Falles, in dem sie an der Brust auffällig intensiver hervortrat, über den
ganzen Körper gleichmässig vertheilt und bald mehr, bald weniger von
violetten oder dunkelrothen grösseren und kleineren Flecken unterbrochen,
die sich beim Einschneiden als Todtenflecken erwiesen. Dabei verdien:
Gck igle
Original fram
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
447
'rwähnung, dass diese Flecken sich durchaus nicht nur an den ah-
mngigen Theilen der Leiche, sondern vielfach auch an der ventralen
!eite des Rumpfes und der Vorderseite der Arme und Beine fanden, so
ass also bei ihrer Entstehung die Position des Cadavers nicht allein den
iiisschlag giebt, wie schon Dutrouleau 1 experimentell nachgewiesen
at. Neben diesen Flecken sieht man auch echte Blutungen, sie traten
her bei unserem Material ersteren gegenüber an Zahl und Grösse ganz
1 den Hintergrund und imponirten als höchstens linsengrosse runde, mehr
ellrothe Tüpfelchen. Die von manchen Autoren erwähnten Erytheme,
’usteln u. dgl. haben wir nie beobachtet. Nur einmal sahen wir bei
leciell darauf gerichteter Aufmerksamkeit eine den von Durham* als
typical bites“ beschriebenen Hautläsionen ähnliche Affection. Wir haben
ich vergeblich nach den von ihm constatirten Drüsenschwellungen gesucht.
Die Todtenstarre war stets sehr ausgesprochen, einen auffälligen Grad
>n Abmagerung haben wir entsprechend der kurzen Krankheitsdauer
cht angetroffen. Die Musculatur bot makroskopisch nichts Weseut-
:hes, sie war von ziemlich dunklem Aussehen, die Farbnüance schwankte
vischen dunkelgrau- bis dunkelbraunroth, bisweilen fanden sich kleine
lutaustritte.
Gleiche bis linsengrosse Hämorrhagieen trifft man bei der Eröffnung
*r Leiche in allen Organen an, insbesondere auf den serösen Häuten
ld den Schleimhäuten. Sie bilden einen constanten Befund beim Gelb-
•ber, doch treten sie im Allgemeinen, was ihre Zahl anbetrifft, mit Aus¬
ihme des Darmtractus nicht sehr hervor. Grosse flächenhafte Blutungen,
e sie bei der Phosphorvergiftung nicht selten sind, bekamen wir nie
Gesicht.
Die Angaben der Litteratur, dass Gehirn und Hirnhäute mit Aus-
hme kleiner Hämorrhagieen nichts Wesentliches darbieten, fanden wir
stätigt. Histologische Untersuchungen mussten allerdings, Zeitmangels
Iber, unterbleiben. Die Section des Rückenmarkes, welche den gleichen
fund wie die des Gehirnes ergiebt, haben wir aus äusseren Gründen
terlassen müssen.
Von den Organen der Brusthöhle liess nur das Herz wesentliche
•ränderungen erkennen. In den Pleurasäcken zeigte sich keine oder
te nur sehr geringe Flüssigkeitsansammlung, aus ikterischem, klarem
rum bestehend, die Pleurahöhlen waren mehr oder weniger mit Ecchy-
>sen bedeckt. Das Gewebe der Lungen war durchweg herdfrei, lutt-
1 Dutrouleau, citirt nach Sodr6 u. Conto, p. 105.
* Durhain, Report of the Yellow Fever Expedition to Para. Liverpool School
tj'op. Medicine. Memoir VII. 1002. p. 34 ff.
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haltig mit vermehrtem Saftgehalt namentlich der abhängigen Partien.
Nur einmal trafen wir einen wallnussgrossen, graurothen Verdichtung-
herd an, aus dem eine Reincultur von Streptococcus lanceolatus wuek
Die bisweilen hyperämische Bronchialschleimhaut wies einzelne kleine
Blutungen auf.
Im Herzbeutel befand sich stets ein bald geringerer, bald grösserer
Flüssigkeitserguss von bernsteingelber Farbe, dessen Menge im Durch¬
schnitt 2 bis 3 Esslöffel betrug. Parietales und viscerales Blatt des
Pericard waren mit Ecchymosen bedeckt, sonst aber glatt und spiegelnd.
Das Herz schwankte nur wenig in seinen Grössenverhältnissen. Nie
überschritt es die Grösse der Leichenfaust, immer fanden wir es weich
und schlaff, besonders den rechten Ventrikel. Die an letzterem von
Sodrö und Couto 1 als auffälligste Veränderung beschriebene Fettanhäufung
hat uns als eine für das Gelbfieber specifische nicht imponiren können,
sie ist unseres Erachtens nicht stärker als bei vielen anderen Leichen.
Das Gleiche gilt auch für die bisweilen vorkommenden Sehnenflecken,
welche wohl von früheren Erkrankungen herrühren. Wir möchten hier
gleich bemerken, dass wir auch die unseres Wissens allein von Sodr£
und Couto 1 als ausnahmslos vorhanden geschilderte Endocarditis der
Klappenränder bei unserem Material stets vermisst haben. Die Hen¬
kammern zeigten häufig Dilatation, das Myocard war durchgehend hoch¬
gradig verändert, von grauröthlicher bis gelbrother Farbe, und lies» alle
Stadien von der trüben Schwellung bis zur ausgesprochenen fettiger
Degeneration erkennen. Nur einmal fehlte reichliche Gerinnselbildung
im rechten Herzen. An den Coronargefässen und der Aorta vermochten
wir grobanatomische Läsionen nicht zu entdecken, insbesondere nicht die
von Sodre und Couto* beschriebenen Granulationen der Aortenintima.
Es sei gern zugegeben, dass wir unsere abweichenden Ergebnisse auf
eine nur kleine Zahl von Fällen stützen können, aber nach der von den
beiden Autoren gegebenen Beschreibung hätten wir zu einer Bestätigung
der von ihnen geschilderten Befunde gelangen müssen.
Dis bisher mitgetheilten Ergebnisse der Leichenöffnungen zeigen Ver¬
änderungen, wie sie auch bei anderen Krankheitsbildern Vorkommen und
würden an und für sich eine Diagnose auf Gelbfieber nicht gestatten.
Diese wird aber doch schon aus dem Leichenbefund möglich, wenu die
durch die Krankheit bedingten Phänomene der Bauchhöhlenorgane
deutlich hervortreten, was bei unserem Material stets der Fall war. Hier
fällt ganz besonders die Beschaffenheit der Leber in’s Auge. Im Verein
1 A. a. ü. p. 109.
* A. a. O. p. lllff.
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Studien übeb Gelbfieber in Brasilien.
449
mit der violettgefleckten, ikterischen Hautdecke entsteht so ein ungemein
charakteristisches Bild, das nach Marchoui, Salimbeni u. Simond 1
die Diagnose zulässt. Wir können uns dieser Ansicht völlig anschliessen.
Während die Grösse der Leber nur wenig oder gar nicht die Norm
iberschreitet, zeigt das Organ constant mehr oder minder ausgesprochene
jelbfarbung, dabei können alle Uebergänge von blassgelben bis zu bräunlich-
gelben Nuancen vertreten sein, sie können auch an ein und derselben
ieber ab wechseln, obgleich wir letzteres seltener sahen. Das Aussehen,
vie es sich auf dem Durchschnitt gewöhnlich darbietet, illustrirt Taf. VII.
.Vir möchten es mit dem von angefeuchtetem Rhabarber oder Lehm ver¬
gleichen. Leider gelang es uns ebenso wenig wie anderen Untersuchern,
ie natürliche Färbung durch das Kayserliugverfahren festzuhalten, während
itzteres bei anderen Leichentheilen nie versagte. Die Consistenz der Leber
rschien uns zwar nicht direct brüchig, aber immerhin weicher als es
ie Litteratur angiebt, nur einmal — bei einem Alkoholisten — möchten
ir sie als hart bezeichnen; hier sah mau auf der Schnittfläche muskatnuss-
rtige Zeichnung, während sonst die Läppchenzeichnung verwaschen war.
m Messer haftet beim Durchschneiden eine dünne Fettschicht. Geradezu
ifl'allend ist der geringe Blutgehalt, ja vielfach ist völlige Blutleere zu
mstatiren. Die grossen Gallenwege waren stets durchgängig, in der
allenblase fand sich eine geringe Menge syrupartig eingedickter, meist
•hwarzgrünlicher Galle. Sowohl in der Gallenblasenschleimhaut, wie in
ld auf der Leber sahen wir Ecchymosen.
Während wir die Nebennieren immer intact fanden, waren die Nieren
allen Fällen Sitz tiefgreifender Veränderungen, welche schon makro-
opisch sich deutlich offenbarten. In der Regel waren sie etwas ver-
össert. Die Kapsel liess sich leicht abziehen, die Nierenoberfläche bot
s auf Taf. VIII dargestellte Aussehen; man erkennt auf gelblich-braunem
runde streifige rothe Flecken. Die gleiche Niere ist auf dem Durch-
hnitt auf Taf. IX abgebildet; es ist eine Schwellung des gesammten
•gans vorhanden mit Verbreiterung der Rindenpartie, die sich in ihrer
hmutzig gelb-bräunlichen Färbung von den rothen Pyramiden abhebt,
der trüben Rindensubstanz sieht man Gefässinjectioneu, bisweilen auch
chymosen, welche bei unserem Präparate jedoch nur in der etwas
erischen Nierenbeckenschleimhaut zu erkennen waren. In anderen
llen war der Unterschied zwischen Rinden- und Marksubstanz nicht
utlich, die Schnittfläche erschien gleichmässig homogen graugelb, sehr
ibe, wie gekocht. In der Mehrzahl aber zeigten die Nieren das Aus-
1 Marchoui, Salimbeni u. Simond, La fievre jaune. Annale* de l’Institut
tteur. 25. nov. 1903. T. XVII. p. 669.
Zeitochr. f. Hygiene. LL 29
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sehen, wie es die Abbildung (Taf. IX) wiedergiebt. Ureteren und Blase
geben zu Bemerkungen keinen Anlass. Die Blase war fast stets leer und
contrabirt oder sie enthielt 1 bis 2 Esslöffel eiweissreichen Urins.
Eine Erscheinung, die wir bei allen unseren Fällen nie vermissten
und die auch sonst, wie competente Beobachter angeben, stets constatirt
wird, ist die hochgradige Hyperämie des Darmtractus. Schon bei der
Eröffnung der Bauchhöhle fällt die dunkelblaue, bald mehr bald weniger
ausgebreitete Farbe der Serosa des Magens und der Darmschlingen, wie
auch der namentlich im unteren Abschnitt des Peritonealcavums gelegenen
Bauchfellpartien in’s Auge, auf der sich grössere oder kleinere Ecchjmosen
abheben, die bisweilen den kleinen, von Blut strotzenden Gefässen direct
aufsitzen. An anderen Stellen können Blutungen in die Schleimhaut
durch die Serosa durchschimmern.
Gewöhnlich war der Magen etwas erweitert, er enthielt flüssige,
homogene, schwärzliche oder schwarzrothe Massen von dicklicher oder
schleimiger Consistenz. Nach Abspülen derselben präsentirte sich die
Magenschleimhaut stets als geschwellt, mehr oder minder geröthet, durch¬
setzt mit Gefässinjectionen, hämorrhagischer Streifung oder auch grösseren
Blutungen. Bisweilen glich das Aussehen des Magens dem bei Cyankali¬
vergiftung. Im Allgemeinen sahen wir den auf Taf. X, Fig. 1 ab-
gebildeten Befund.
Die Beschaffenheit des Darmes war der des Magens sehr ähnlich,
so dass auf eine gesonderte Beschreibung verzichtet werden kann. Nur
war die Schwellung der Schleimhaut im Allgemeinen weniger aus¬
gesprochen, auch traten die Blutungen nicht so reichlich hervor. Die?
gilt besonders für den Dickdarm, wenn auch bisweilen die Intensität der
Veränderungen eine sehr hochgradige ist (vgl. Taf. X, Fig. 2). Bier war
es zu einer sehr starken Schwellung des ganzen Darmes gekommen, mit
starker ßöthung der Schleimhaut, auf der zahllose, theils confluirende,
theils einzeln stehende Hämorrhagieen sichtbar sind. Mehrmals fanden
wir bei sehr ausgeprägten Darmerscheinungen Schwellung der Mesenterial-
drüsen.
Bakteriologische Untersuchungen.
Sobald sich die neue Theorie von der Uebertragung des Gelbfiebers
durch Stechmücken allgemeineren Eingang zu verschaffen aufing, begann
das Interesse au den bisher als Erreger beschriebenen Mikroorganismen
zu sinken.
Hatte mau sich auch schon ein für alle Mal damit abgefunden, dass
die sogen. Erreger, wie das Bact. sanguinis febris flavae Richard-
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
451
son 1 * * 4 * * , Peronospera lutea Carmona y Valle*, der Fungus febris
flavae von Lacerda®, der Cryptococcus xantogenicus Freire*,
der Mierococcus tetragenus von Finlay und Delgado 8 und die
Bacillen von Gibier® und Havelburg 7 “• 8 für die Gelbfieberätiologie
abgethan waren, so erfreute sich der „Bacillus icteroides“ von Sa-
narelli 9 immernoch eines gewissen Rufes, der Urheber der gefürchteten
Krankheit zu sein. Allein die objectiven späteren Untersuchungen und
Nachprüfungen liessen auch darüber keinen Zweifel, dass der Sanarelli’sche
Bacillus mit Gelbfieber nichts zu thun hatte. Hur Sanarelli selbst und
sein Schüler Ivo Bandi befleissigten sich nach wie vor, in ausführlichen
Darlegungen den Organismus für ihre Anschauungen zu retten.
In dieser letzten Beziehung sind noch 1904 zwei Arbeiten 10 "• 11
on Bandi erschienen, in denen einmal (Centralblatt für Bakteriologie)
tine neue Methode zur leichteren Isolirung des Bacillus icteroides aus
Hut und Organen von Gelbfieberleichen angegeben ist und andererseits
diese Zeitschrift) die von ihm im Gelbfieberkrankenhaus S. Sebastiao in
tio gemachten bakteriologischen Untersuchungen niedergelegt sind. Wir
•eabsichtigen nicht im Einzelnen auf diese Publicationen einzugehen.
Der Versuch, mittels eines complicirten Verfahrens den verdächtigen
anarelli-Organismus von seinen sehr nahen Verwandten zu isoliren, ist
ewiss an sich interessant, kann aber nicht mehr die Bedeutung einer
ehr wichtigen Methode beanspruchen, seitdem das Suchen nach dem
»acillus icteroides überhaupt in den Hintergrund getreten ist. Im Uebrigen
eweist die Arbeit von Bandi auch nur, wie ausserordentlich schwierig
1 Richardson, citirt nach Barrada, Bacteriologia de la fiebre ainarilla.
’.evista de la Sociedad Midica Argentina. Buenos Ayres 1901. p. 209.
* Carmona y Valle. Ebenda.
* Lacerda. Ebenda.
4 Freire. Ebenda.
* Finlay u. Delgado. Ebenda.
• Gibier. Ebenda.
7 Havel bürg, Experimentelle u. anatomische Untersuchungen über das Wesen
id die Ursachen des gelben Fiebers. Berliner klin. Wochenschrift. 1897. S. 493,
!6, 542, 564.
• Derselbe, Ueber die Beziehungen der Moskiten zuin gelben Fieber. Ebenda.
•03. Nr. 31. 8. 705.
• Sanarelli, Etiologie et Pathogdnie de la fievre jaune. Annales de VInstitut
isteur. 1897. — Centralblatt f. Bakteriologie. Bd. XXJLL S. 181 u. 668. Bd. XXVII.
142. Bd. XXIX S. 222.
10 Ivo Bandi, Klinisch-experimentelle Studien über die Aetiologie und Patbo-
nesis des gelben Fiebers. Diese Zeitschrift. Bd. XLVI. S. 81.
11 Derselbe, Beitrag zur bakteriologischen Erforschung des Gelbfiebers. Central -
alt für Bakteriologie. Bd. XXXIV. Nr. 5
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das Auffinden dieses Organismus überhaupt ist und wie noch viel schwie¬
riger die Differentialdiagnose gegenüber ähnlichen Bakterien sich gestaltet.
Sanarelli selbst sagt ja (citirt nach Bandi, diese Zeitschrift, Bd. XLYI).
„dass nur unter Aufwand grosser Geduld und unter üeberwindung nicht
weniger Schwierigkeiten im Blut der Gelbfieberkranken und in den Organen
der Leichen die Bacillen hätten nachgewiesen werden können.“
Nach dieser Aeusserung wird es auch nicht Wunder nehmen, wenn
die Isolirungsversuche Bandi’s im Gelbfieberhospital in Rio nicht immer
zum gewünschten Ziele führten.
So fand er in 80 Fällen im Fieberabfall den Bacillus 'icteroides
nur 17 Mal im peripheren Blut, 10 Mal rein und 7 Mal mit Strepto¬
kokken, Staphylokokken und Bact. coli vermischt;
in 18 Fällen während der Agone 6 Mal im Blut, 4 Mal rein und
2 Mal mit anderen Keimen vermischt;
bei 20 Sectionen 12 Mal im Blut und in den Organen;
in 42 Fällen, im Fieberanfangsstadium, konnte er aber gar
keine Bacillen ermitteln.
Das Procentverhältniss der Icteroidesbacillen beträgt also:
im Fieberabfall.21
in der Agone.30
bei den Sectionen.60
und im Fieberanfangsstadium.0.
Der Grund, warum es so schwierig sei, im Fieberanfangsstadium
die Bacillen aufzufinden, ist nach Bandi darin zu suchen, dass es dem
„Bac. icteroides“ unmöglich sei, sich im menschlichen Organismus schnell
genug zu vermehren. Dagegen treten die Bakterien im „zweiten Stadium' 1
um so eher — aber auch nur in beschränkten Fällen — auf, weil der
menschliche Organismus alsdann weniger widerstandsfähig sei und sich
„in einem Zustande deutlich herabgesetzter Unthätigkeit befindet“ Die?
wäre auch der Zeitpunkt, „in welchem man die Darmkeime in der
Blutstrom eindringen sieht.“
Letztere sind freilich für die Beweislieferung derSpecifität des „Bacillus
icteroides“ für Gelbfieber eine grosse Calamität, da sie leider das bak¬
teriologische Bild, besonders bei der Isolirung des Sanarelli-Bacillus aus
Leichentheilen, sehr verwischen. Und so schreibt auch Bandi, offenbar
im Bewusstsein dieser unsicheren Lage: „Der Umstand, dass es nicht
einmal stetig gelingt, den Bacillus icteroides aus den Organen der Leichen
zu isoliren, wo er den anderen Keimen gegenüber, mit welchen er sieb
in zufälliger Symbiosis befindet, immer in entschieden geringerer Anzahi
vorhanden ist, könnten von vornherein Zweifel über seinen spe-
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Studien übeb Gelbfiebeb in Brasilien.
453
eifischen Charakter erwecken und ihn als einen gewöhnlichen
Secundärinfectionskeim betrachten lassen.“
Diese wohlbegründete Unsicherheit sucht Ban di zwar wieder zu zer¬
streuen, indem er dafür eintritt, dass sich der „Bacillus icteroides“ bis
jetzt nur in Gelbfieberkranken und Gelbfieberleichen, dagegen weder in
den Ländern, wo Gelbfieber nicht herrscht, noch bei anderen Kranken
vorgefunden habe. 1 Allein wir können uns des Eindruckes nicht erwehren,
dass auch dadurch die Zweifel an der Specifität dieses Bacillus nicht
hinweggenommen sind.
Dazu kommt, dass das Blut von Gelbfieberkranken und von der
Krankheit Genesenen gar kein oder ein nur sehr geringes Agglutinations-
vermögen auf den Sanarelli-Organismus aufweist *• * *• 4 und die Impfungen
an Versuchstieren nicht gelingen, trotz grosser Mengen Blut, welche
dazu benutzt werden. Ban di verweist zwar wegen der geringen Agglu¬
tination auf Analoga mit Tetanus und Diphtherie, aber diese Bakterien
scheinen uns als Analoga gar nicht richtig gewählt, vielmehr müsste man
solche in den dem Bacillus icteroides so nahe verwandten typhusähnlichen
Bakterien suchen, die bekanntlich alle hohe specifische Agglutinations-
werthe zeigen.
Im Uebrigen haben uns auch unsere bakteriolgischen, nur in
Rücksicht auf die eben erschienenen Bandi’schen Arbeiten in Rio de Janeiro
vorgenommenen Untersuchungen an Gelbfieberkranken und Gelbfieber¬
leichen in der Auffassung bestärkt, dass der angebliche Gelbfiebererreger
von Sanarelli unmöglich mit dieser Krankheit etwas zu thun haben kann.
Unter den 24 Fällen, die uns zur Beobachtung und zur Verfügung
standen, haben wir 16 geeignete Fälle zur bakteriologischen Untersuchung
herangezogen. Von diesen betrafen 10 Gelbfieberpatienten und einer
einen Gelbfieberreconvalescenten. Ausserdem wurde bei öSectionen
Herz- und Organblut zur Prüfung verwendet.
Als Nährboden dienten Agar, „Tropengelatine“, d. i. eine 10 procent.
Gelatine, der 0*5 Procent Agar zugesetzt ist, und Hammelserum.
Zur Blutentnahme bei den Kranken bedienten wir uns steriler
Luer’scher Spritzen, mittels deren aus der Armvene 10 bis 20 ccm Blut
entzogen wurden.
1 Agramonte fand den „Bacillus icteroides“ in drei Leichen, bei denen Gelb¬
fieber ansgesehlossen war.
1 Novy, The Etiology of yellow Fever. Jhe med . News. 10. u. 17. Sept 1898.
— Hygienische Bundschau. DL Jahrg. Nr. 12.
• Agramonte, citirt nach Durhara, Report of the Yellow Fever Expedition
to Para. Liverpool School of Tropical Medtcine. Memoir VII.
4 Otto, a. a. 0. Das Serum eines mit dem Bacillus icteroides vorbehandelten
Thieres lässt eine Agglutination noch bis 1:5000 zu!
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Die Herstellung der Culturen erfolgte in der üblichen Weise, dass
theils 1 bis 2“” Blut mit geschmolzenem Agar oder Gelatine in Petri¬
schalen ausgegossen, theils 1 bis 2 ccm Blut auf die Oberfläche von in
Petrischalen erstarrtem Agar, Gelatine oder Serum ausgestrichen wurden.
Die Aufbewahrung geschah bei 37° und bei gewöhnlicher Aussentemperatur.
Neben den Blutuntersuchungen wurde auch Urin und Lumbal¬
flüssigkeit der Kranken geprüft.
Bei Sectionen erhielten wir das Untersuchungsmaterial mittels steriler
Spritze aus dem Herzbeutel und dem Herzen, andererseits wurde steril
entnommene Milzpulpa und Leber in zerriebenem Zustande zu Ausstrichen
auf Nährboden und zu Mischculturen benutzt.
Um die bakteriologische Untersuchung nicht einseitig in Angriff zu
nehmen, sind selbstverständlich jedes Mal gefärbte und ungefärbte Blut¬
präparate genau besichtigt worden und vor allen Dingen wurden Culturen
und Präparate zu ganz verschiedenen Zeiten des Krankheits¬
verlaufes angelegt.
So besassen wir solche bereits vom 2. Tage des Krankheitsausbruches,
vom 3. und 4. Tage, aus der Zeit des höchsten Fieberstandes, des Fieber¬
abfalles, der früheren und späteren Reconvalescenz und auch solche direct
nach dem Tode.
Unsere Ergebnisse sind im Allgemeinen negativ ausgefallen, d. h.
die untersuchten Flüssigkeiten und Organe waren zumeist steril. Nur in
4 Fällen fanden wir vereinzelte Bakterien und zwar zwei Mal bei Kranken
am 4. und 8. Krankheitstage und zwei Mal in Leichenorganen, kurz
nach der Section. In dem einen Krankheitsfalle wurden ganz vereinzelte
Keime aus dem Blut am 8. Krankheitstage isolirt, im anderen Falle am
4. Tage aus dem Urin. In den Leichen fanden sich die Keime zwei Mal
in der Milz.
Hierbei muss aber besonders betont werden, dass unter den
gefundenen Bakterien der Nachweis eines „echten Sanarelli“
nicht gelungen ist.
Nicht nur, dass wir zum Identitätsnachweis alle morphologischen und
biologischen Merkmale prüften, es stand uns auch von Hm. Director
Dr. Seidl freundlichst überlassenes wirksames Sanarelli-Serum zur Ver¬
fügung, womit wir geeignete Agglutinationsversuche anstellen konnten.
Von den isolirten Keimen agglutinirte nur die Reincultur des einen
Bakterium aus der Milz im Verhältnis 1:10, nicht aber höher. Die
anderen Organismen, welche sämmtlich der Coligruppe im weiteren Sinne
angehörten, erreichten nicht einmal den Agglutinationswerth 1:10.
Nach unseren Feststellungen waren die Stäbchen aus der Milz der
ersten und zweiten Leiche stark beweglich, diejenigen aus dem Blut
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
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des Kranken nur schwach. Mit Ausnahme der Stäbchen aus dem Blut
bildeten alle in Traubenzucker Gas. Indol fehlte bei allen Bakterien,
ausser bei dem aus Urin und aus Milz I. Milch wurde nicht coajs^ulirt
von dem Organismus aus der Milz der ersten Leiche.
Bakterien
aus
Ißeweglich-
keit
Gasbildung
Indol¬
bildung
Milch¬
coagulation
! Aggluti¬
nation
Makroskop.
Wachsthum
Urin
lebhaft
+
4-
0
coliähnlich
Blut
schwach
—
sehr
schwach
0
typhusähnlich
Milz I
lebhaft
+
+
—
1:10
9 »
Milz II
9 »
+
—
+
0
coliähnlich
B. icteroides ^
lebhaft ^
+
—
mindestens
1:500
typhusähnlich
oder schwach
coliähnlich
Wie die kleine Tabelle lehrt, weichen all die isolirten Bakterien unter
sich von einander etwas ab und ebenso auch vom echten „Sanarelli“.
Das Stäbchen aus Urin ist ein reiner Coli, dasjenige aus Blut erinnert
mehr an Typhus, die anderen beiden aus der Milz stehen mehr in der
Mitte und nähern sich dem Bact. enteritidis; sie unterscheiden sich
vom „Sanarelli“ im ersten Falle nur durch die vorhandene Indolbildung, im
zweiten Falle durch die eingetretene Milchcoagulation. Bact. icteroides
ist aber selbst nur ein dem Bact. enteritidis, oder noch besser, dem
Bact. paratyphi, Typus A, sehr nahe stehendercoliähnlicher Organismus
und zeigt keineswegs immer, wie auch die Beobachtungen von Havel¬
burg 1 , Barrada*, Otto 3 , Lehmann-Neumann 4 , Durham und
Myers* lehren, constante Eigenschaften. Es ist daher unter Umständen
sehr leicht möglich, bei so geringen Differenzen und der grossen Variabilität
der coliähnlichen Organismen, harmlose, in die Organe bei der dortigen
Temperatur besonders nach dem Tode schnell übergetretene Bakterien für
typische Icteroidesbakterien zu halten.
Hiernach ist es auch erklärlich, wenn Sanarelli unter 12 Fällen
bei Erkrankten bezw. Leichen 7 Mal den gesuchten Erreger findet, eine
1 Havelburg, Ueber die Beziehungen der Moskiten zum gelben Fieber. Berl.
klin. Wochenschrift. 1903. Nr. 31.
* Barrada, Bacteriologia de la Fiebre amarilla. Revista de la Sociedad Medica
Ärgentina. Buenos Ayres 1901. p. 209.
• Otto, Ueber das Gelbfieber, sein Wesen u. s. w. Vierteljahrsschrift für ge-
richtl. Mediein. 3. Folge. Bd. XXVII. Suppl.-Hft.
4 Lehmann-Neumann, Atlas u. Grundriss der Bakteriologie. 3. Aufl. 8.514.
8 Durham u. Myers, Thompson Yates Laboratories Report. T. IV. p. 485.
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Zahl, welche sich übrigens nach Durham nur auf 2 Mal reducirt, und
ebenso begründet ist die ängstliche Sorge Bandi’s, dass ein Zweifel über
die Specifität seiner gefundenen Bakterien bei gleichzeitigem Mitauftreten
fremder Keime in den Organen der Leiche entstehen könne.
Unzweifelhaft sind die häufig auftretenden Begleitbakterien für etwas
Specifisches angesehen worden.
Auch unsere Beobachtungen, wenn auch das Material nur klein ist
liefern doch ebenfalls den Beweis, dass, wenn überhaupt Bakterien ge¬
funden wurden, sie dem „echten Sanarelli“ recht nahe standen und sehr
leicht zu Täuschungen hätten Veranlassung geben können, falls man den
Nachweis der biologischen Eigenschaften vernachlässigt hätte. Uebrigens
weiss jeder Bakteriologe, der sich mit Untersuchungen von Körperflüssig¬
keiten aus Kranken und von Leichentheilen befasst hat, dass derartige
coliähnliche Organismen zu den häufigen Befunden gehören. Wir hatten
ja ohnehin nicht mit der Specifität des Sanarelli’schen Erregers gerech¬
net, können sie nun aber nach den eigenen Beobachtungen
erst recht nicht anerkennen.
Die Widerlegung der anderen von Sanarelli in’s Feld geführten
Beweise kann uns erspart bleiben, da sie bereits von anderer Seite mit
Erfolg durchgeführt wurde, so von Sternberg 1 , Durham 2 * , Agra-
monte 8 , Novy 4 * , Otto. 6 *
Es soll ja auch nicht der Zweck dieser kurzen Replik sein, die ganze
Sanarelli-Frage noch einmal aufzurollen, es sollte nur gezeigt werden, dass
auch die neuesten Versuche Bandi’s, den Sanarelli’sehen Bacillu*
wieder zu Ehren zu bringen, scheitern müssen.
Gedenken wir noch mit einem Wort des im Jahre 1900 von Durham
und Myers 6 in 14 untersuchten Gelbfieberleichen gefundenen 4 p (im
Darminhalt 20 bis 30/x) langen Bacillus, so hatte derselbe schon, als man
erkannte, dass der wirkliche Erreger durch ein engstes Bakterien filter
1 Sternberg, The Bacillus of yellow Fever. (Referat.) British Med. Journal
Nr. 2090. p. 169.
• Durham, Report of the yellow Fever Expedition to Para. Thompson Tatet
Laboratories Report '. 1902. Vol. III. Part. II.
• Agramonte, citirt nach Durham.
4 Novy, The Etiology of yellow Fever. The med . News. 10. u. 17.Sept. 1S9S.
— Hygienische Rundschau. IX. Jahrg. Nr. 12.
• Otto, a. a. O.
6 Durham u. Myers, Yellow Fever. Journal of Tropical medic. März 1901.
Abstract of Interim Report on yellow Fever, by the yellow Fever Commission of
the Liverpool School of Tropical Medicine. p. 821.
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Studien übee Gelbfieber in Brasilien.
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ndurchgeht, seine Rolle als specifisches Bacterinm ausgespielt. Laveran 1
nnte ihn übrigens bei Nachprüfungen nicht finden. Auch uns gelang
t Nachweis nicht.
Histologie.
Dem gleichartigen makroskopischen, pathologisch-anatomischen Bilde
tsprachen auch die mikroskopischen Befunde, die wir bei 9 Fällen er¬
ben.* Nur trat hier bei unseren Untersuchungen — wenigstens an
färbten Präparaten von conservirtem Material — eine gewisse Monotonie
rvor, welche das histologische Studium des Gelbfiebers wenig interessant
staltet und zu eingehenderen Forschungen nicht gerade anregen dürfte,
ir haben unser Augenmerk besonders auf die Organe gerichtet, deren
mctionsstörung beim Gelbfieber klinische Erscheinungen macht, und die
lon bei der Obduction die Aufmerksamkeit erregen.
Um ein richtiges Bild von den durch das Gelbfieber gesetzten pathe¬
tischen Veränderungen der Zellen zu erhalten, ist es unbedingt nöthig,
3 Fett in den letzteren zu conserviren. Einbettungsmethoden, die Fett
en, dürfen daher nicht angewandt werden. Nur unter dieser Voraus-
zung gelingt es, die Ansammlung feinster und gröberer Fetttröpfchen
den Zellen zu erkennen, welche als Ausdruck der fettigen Degeneration
3 wesentliche Moment bei der Krankheit bildet. Sie wird vornehmlich
den Parenchymzellen des Herzfleisches, der Leber, der Nieren, den
tgen- und Darmdrüsen angetroffen, ferner in den Capillarendothelien
• Gefässe. Nach Alkoholhärtung und Einbettung in Paraffin erhält man
jegen Befunde, welche bisweilen zu dem durch Untersuchung im
sehen bezw. unter Conservirung des Fettes gewonnenen Präparat in
ectem Gegensatz stehen und einen krankhaften Process kaum mehr
ennen lassen.
Die Organstücke wurden möglichst bald nach dem Tode entnommen,
ils in 10procent. Formalin, theils in Alkohol conservirt, in Paraffin
gebettet und geschnitten. Zur Färbung diente Hämatoxylin-Eosin, das
Gieson-Gemisch, für den Nachweis von Bakterien im Gewebe benutzten
' das Gram’sche Verfahren, die Färbung mit Unna’schem polychromen
tbylenblau und Differenzirung mittels Glycerinäthermischung, endlich
einzelnen Fällen auch die von Durham und Myers für ihre Bacillen
1 Laveran, Sur la nature de l’agent de la fiövre jaune. Societö de Biologie
ipt. rend. 1902. T. LIV. p. 391.
* Für die Durchsicht unseres Materials sind wir dem Prosector am Patholog.
itut des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Eppendorf, Hrn. Dr. Eugen
■ enkel, zu grossem Danke verpflichtet.
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empfohlene concentrirte Carbolfuchsinlösung mit Entfärbung in ver¬
dünnter Essigsäure.
Auffällig wenig Veränderungen im Gegensatz zu den bei der makro¬
skopischen Untersuchung uud bei frischen Präparaten erhoben Befanden
ergaben sich am Herzen. Von der durch Sodre und Couto 1 beschrie¬
benen Fettdegeneration des subendocardialen und subepicardialen Zell¬
gewebes konnten wir uns nicht überzeugen. Die Muskelfasern zeigten
nichts Bemerkenswerthes, Zellen und Kerne färbten sich gut, Bindegewebs¬
vermehrung fehlte. Auch an den Gefässen liess sich nichts Wesentliches
entdecken, Leukocytenanhäufung haben wir in ihnen, wie auch'bei allen
übrigen Organen, vermisst.
Einen ähnlichen negativen Befund ergaben gefärbte Präparate des
Magendarmtractus. Hier fand sich im Wesentlichen nur eine starke
Blutfüllung der Gefässe in der Muscularis mucosae und der Submncosa.
In einem Falle sahen wir kleinzellige Herde in der Muscularis mucosae.
Während nach dem makroskopischen Aussehen reichliche Hämorrhagie^
stattgefunden haben mussten, glückte uns eine Erklärung derselben au-
dem mikroskopischen Bilde nicht Die Schleimhaut schien sogar aufiallk
gut erhalten.
Die Milz wies stets einen reichen Blutgehalt auf, einmal enthielt sie
ganz kleine hämorrhagische Herde. Im Uebrigen waren keine Abnormitäten
zu constatiren, nur zeichneten sich die Follikel durch Kleinheit aus. Auf
den Befund an Pigment möchten wir hier nicht eingehen.
Die Leber trafen wir. entsprechend der von allen Autoren gegebener
Beschreibung, immer im Zustande hochgradiger Verfettung an. Während I
in einigen Fällen die Structur der Läppchen noch gut erhalten war. und
nur die Zellen grössere oder kleinere Fetttropfen enthielten und gequollen
waren, sah man in anderen als Reste der Lobuli nur spärliche, der
Centralvenen anliegende Zellinseln. In den letzteren waren die Leber¬
zellen als solche noch deutlich erkennbar und gut von einander abgegrenzt,
die peripheren Abschnitte zeigten dagegen verwaschene Conturen. das
Protoplasma färbte sich schlecht, bisweilen auch der Kern. Selten aber
war es zu völligem Kernschwund gekommen. In den Leberzellen und
zum Theil in den Kupffer’schen Sternzellen lagen in mehreren Fällen
Körnchen und Schollen von Gallenpigment, was mit der Behauptung von
Sodrö und Couto 2 , „dass dieselben keine Spur von Pigment enthalten",
in Widerspruch steht. Gallengänge und Gefässe geben zu Bemerkungen
1 Sodrd u. Couto, Das Gelbfieber. Nothnagel’s Spee. Pathol. «. Thrravu
Wien 1901. Bd. V. Th. IV. Abth. IL S. 108/09.
* A. a. 0. S. 238.
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
459
keinen Anlass, das interstitielle Bindegewebe war nnr ein Mal — bei dem
oben erwähnten Alkoholiker — in frischer Wucherung begriffen, im
übrigen aber, wie auch Havelburg 1 fand, intaot.
Das mikroskopische Bild der Nieren beim Gelbfieber lässt Ver¬
änderungen erkennen, wie sie auch bei anderen schweren Infections-
krankheiten angetroffen werden: es handelt sich im Wesentlichen um
acute Degeneration des Epithels der Hamcanälchen, welche in der Binden¬
substanz am stärksten ausgesprochen ist, sich aber auch noch bis in die
Henle’schen Schleifen und in die abführenden Canälchen erstreckt. Die
Epithelzellen sind vielfach ganz zu Grunde gegangen. Wo sie erhalten
geblieben, nehmen sie namentlich in ihren, dem Lumen zugekehrten Ab¬
schnitten, die wie aufgefasert erscheinen, den Farbstoff nicht recht an,
die Kerne sind zum grossen Theil unfärbbar. Constant ist das Vorkommen
von Cylindem in zahlreichen Canälchen, selten sind kleinste Blutungen.
An den Glomerulis konnte nichts Wesentliches bemerkt werden, dagegen
enthielten die Capseiräume in der Mehrzahl ein feinkörniges Exsudat.
Die von Babes* beschriebenen frischen interstitiellen Processe sind uns
an unserem Material nicht begegnet. In einem Falle waren die Nieren
von kleinsten Abscessen durchsetzt, die jedenfalls einer Secundärinfection
ihre Entstehung verdankten.
Wir haben bei allen von uns geschnittenen Organen besonders auf
das Vorkommen von Mikroorganismen geachtet. Ein positives Resultat
hatten wir nur im Magendarmtractus, in der Milz und den Nieren. Den
Befund auf der Sohleimhautoberfläche des Magendarmcanals, wo einzelne
Stäbchen und Kokken bemerkbar waren, glauben wir vernachlässigen zu
können. In der Milz fanden sich einmal Häufchen ganz kleiner Kokken.
Dagegen waren in den Nieren in der Mehrzahl der Fälle Bakterien nach¬
weisbar. Meist handelte es sich um Herde ovoider Kurzstäbchen, welche
vorwiegend in den Gefässen lagen, besonders reichlich waren sie in den
oben erwähnten kleinen Abscessen. Der von Durham und Myers 3 be¬
schriebene feine Bacillus ist uns trotz Anwendung der von den Autoren
angegebenen Färbungsmethode niemals zu Gesicht gekommen.
Es sei gestattet, hier nochmals auf die Bedeutung der Nieren¬
veränderungen hinzuweisen. Sie fehlen nach dem Urtheil aller Vor¬
untersucher und unseren eigenen Beobachtungen niemals und gerade
1 Havelbarg, Experiment, and anatomische Untersuchungen Ober das Wesen
and die Ursache des gelben Fiebers. Berliner klin. Wochenschrift. 1897. Nr. 28 —26.
* Babes, citirt nach Scheube: Die Krankheiten der warmen Länder. Jena
1900. 8. 71.
* Darhain, Report of the Yellow Fever Expedition to Parä. Liverpool School
jf trop. Medicine. Memoir YH. 1902. p. 8.
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M. Otto und ß. 0. Neümann:
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darin liegt ein bedeutsames Moment. Sind sie auch nicht durch specifische
Merkmale charakterisirt, so ist ihr constantes Vorkommen doch als ein
unabweisbares Postulat zu betrachten, wenn aus vorliegenden Leichen-
theilen die Frage entschieden werden soll, ob der Tod durch Gelbfieber
verursacht gewesen sein könnte. Eine sichere Diagnose ermöglicht aber
die mikroskopische Untersuchung einstweilen überhaupt noch nicht, während
der makroskopische Leichenbefund, wie wir oben ausgeführt haben, eine
solche unter gewissen Umständen zulässt. Möglicherweise führt die
spätere Entdeckung des specifischen Erregers auch hierin eine Aenderung
herbei.
Pathogenese.
Wie aus dem Ergebniss der makroskopischen und mikroskopischen
Untersuchung hervorgeht, kommen als wichtigste Veränderungen in Be¬
tracht: der Ikterus, die Stasen, insbesondere in den von der Pfortader
abhängigen Gebieten, die sowohl in letzteren wie auch sonst vorhandener
Blutungen, endlich die Zelldegenerationen in den Organen, vor Allem
im Herzfleisch, der Leber, den Nieren, den Capillaren, den Magen- und
Darmdrüsen. Dieser Befund bildet pathologisch-anatomisch an und für
sich nichts Specifisches, er kommt bei vielen in die Gruppe der hämor¬
rhagischen Septikämien gehörenden Krankheiten vor. Dieser Gruppe ist
auch das Gelbfieber zuzurechnen. Die Entwickelung des Krankheits-
processes bei letzterem möchten wir uns folgendermaassen vorstellen: die
I. Periode mit ihren congestiven Erscheinungen ist bedingt durch die
Einwanderung und Vermehrung des specifischen Keimes, mit der eine
Production von besonders heftig wirkenden Toxinen einhergeht, welche
— ähnlich dem Gift des Phosphors oder Arsens — eine Degeneration zur
Folge haben. Mit dem Verschwinden des Erregers aus dem Blute, also
nach dem 3. Krankheitstage, sistirt die Toxinbildung, möglicher Weise
kommt der Vorgang durch die an diesem Tage oder kurz danach auf¬
tretende Temperaturerniedrigung zum Ausdruck. Aber die Einwirkung
auf die Organzellen ist einmal erfolgt, sie sind mehr oder minder ge¬
schädigt, und vom Intensitätsgrade der Schädigung hängt der Verlauf der
II. Periode ab, welche somit nur einen Folgezustand der I. darstellt. Sind
die Zellen nur in geringem Grade von der Giftwirkung betroffen, wobei
Menge und Intensität des Giftes, die Widerstandsfähigkeit und die natür¬
lichen Schutzvorrichtungen des Körpers, endlich vielleicht auch die durch
eine zweckmässige rechtzeitige Behandlung erleichterte Ausscheidung ein?
Kolle spielen mögen, so können sie sich erholen und der Process geht in
Heilung über. Im entgegengesetzten Falle kommt es zur Degeneration
der Zellen, insbesondere in den oben erwähnten Organen, welche dann
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
461
ihrerseits in der Folge ihre Functionen nicht mehr ausüben können.
Damit ist nun die weitere Complication eingetreten, dass die grossen
Unterleibsdrüsen — Leber, Niere — ihre Aufgabe, die Ausscheidung der
Stoffwechselproducte, nicht mehr erfüllen. Hieraus resultirt eine Auto-
intoxication des Organismus mit ihren weiteren Consequenzen auf die bereits
geschädigten Zellen, andererseits aber auch in Folge Behinderung des Pfort¬
aderkreislaufes durch die erkrankte Leber eine Stase, welohe, wenn auch
vorwiegend auf die von der Pfortader abhängigen Gebiet« des Abdomens
beschränkt, doch auch die Circulation in den übrigen Gefässbezirken be¬
einträchtigt und zwar um so eher, als das hochgradig veränderte Herz
in seiner Triebkraft erlahmt. So werden uns die vielfachen Stauungen,
insbesondere in den Unterleibsorganen, verständlich, und die enorme
Empfindlichkeit der Blasengegend auf Druck, welche uns durch die Blut-
füllung und die dadurch entstandene Compression der Nerven veranlasst zu
sein scheint und, wie im klinischen Theil angeführt war, ein sehr ungünstiges
Prognostikon darstellt. Weiterhin trägt die Stase auch zu den zahlreichen
Blutungen, namentlich im Magendarmcanal, aber auch sonst in den Ge¬
weben bei, indem die an und für sich schon durch die fettige Degeneration
zur Ruptur geneigten Capillarendothelien bei erhöhten Drucke erst recht
nachgeben und die oft unstillbaren Hämorrhagien bewirken. Wenn die
im II. Stadium des Gelbfiebers vorgenommenen bakteriologischen Unter¬
suchungen oftmals ein positives Ergebniss hatten, so kann ein solches
nicht überraschen, wenn man sich den Zustand des Darmes vergegen¬
wärtigt, dessen durch Blutungen so hochgradig veränderte Innenfläche
eine vorzügliche Eintrittspforte für alle möglichen im Intestinaltractus
vorhandenen Mikroorganismen und Toxine abgiebt und damit auch die
Schwellung der Mesenterialdrüsen erklärt. Ebenso werden auch an anderen
Stellen des Körpers Bakterien eindringen können. Die Anurie wird durch
die degenerativen Processe der Nierenepithelien und das Sinken des arteriellen
Druckes bewirkt
Ueber die Entstehung des Ikterus gehen die Meinungen noch aus¬
einander. Sodre und Couto 1 nehmen an, dass die erkrankten Leber¬
zellen keine Galle mehr zu bilden vermögen und das durch Wegfall seines
natürlichen Ausscheidungsorganes im Blute zurückgehaltene Hämoglobin
unter der Einwirkung des Gelbfiebertoxins in Gallenfarbstoff verwandelt
wird. Sie erklären ausdrücklich: „der Ikterus beim Gelbfieber ist demnach
ein hämatogener Ikterus“. Den gleichen Standpunkt scheinen Marchoux,
Salimbeni und Simond 2 einzunehmen, indem sie schreiben „C’est parce
1 Sodrd n. Conto, a. a. 0. S. 242.
* Marchonx, Salimbeni u. Simond, a. a. O. p. 669/70.
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M. Otto und R. 0. Neumann:
que le foie ne fonctionne plus que l’hemoglobine n’est plus eliminöe soos
forme de pigments biliaires et qu’elle se fixe plus ou moins alteree dan-
les tissus“. Weshalb kommt es dann aber nicht zur Hämoglobinurie:
Diese wird beim Gelbfieber niemals beobachtet. Weiter steht der vor¬
genannten Erklärung des Ikterus von Sodrö und Couto der Umstand
entgegen, dass es nach den Untersuchungen von Naunyn, Kunkel.
Minkowski, Stadelmann u. A. 1 einen Ikterus ohne Vermittelung der
Leber nicht giebt Somit muss er also auch beim Gelbfieber ein hepa-
togener, durch Resorption von Galle in der Leber entstandener sein.
Da nun die grossen Gallenwege immer frei gefunden werden und
wir bei unserem Material auch immer Galle, wenn auch in spärlicher
Menge, in der Gallenblase fanden, möchten wir annehmen, dass die
Production nicht vollkommen aufgehoben, sondern nur stark herabgesetzt
und ferner, dass der Abfluss der Galle durch die in der Leber sich ab-
spielenden Processe nicht ganz verhindert, wohl aber stark behindert ist. i
Die Behinderung des Abflusses könnte man sich mit Ha not* so ver¬
stellen, dass die geschwollenen Leberzellen die feinsten Gallencapillartn
im Innern der Läppchen verlegen oder nur verengern, wodurch sehet
bei dem geringem Secretionsdruck der Galle die Möglichkeit der Reabsorption
gegeben ist, dabei brauchen — wie wir im Gegensatz zu Sodre und
Couto annehmen möchten — die unter höherem Drucke stehenden intra-
lobulären Venenwurzeln nicht dem gleichen Schicksal zu verfallen, so das
eine Aufsaugung der Galle trotzdem erfolgen könnte. Nach der von
Liebermeister 3 und Havel bürg * gegebenen Erklärung kommt der
Ikterus durch Diffusion zu Stande, indem die geschädigten Leberzellen dk
ihnen innewohnende Fähigkeit, die Galle zurückzuhalten und nur an dk
Gallencapillaren abzuliefern, verloren haben, so dass die Galle dann in dir
Lymph- und Blutgefässe übertreten kann. Uns scheint diese Auffassung
die richtigste zu sein. Mit der zweifellos vorhandenen Herabsetzung dtf :
Gallenproduction steht möglicher Weise auch die Intensität des Ikterus in
Beziehung, welche nach unseren eigenen Wahrnehmungen und dem Urtheil
—
i
1 Citirt nach Kaufmann, Lehrbuch der spec. pathol. Anatomie. Berlin 1&&
S. 449.
* Hanot (citirt nach Sodrd u. Couto), Note sur les altdrations cellulaires di
foie infectieux. Soc. de BioL 17. jun. 1893. — Vgl. auch: Ictere grave. La Senä#
MSdicale. 1893. p. 373.
8 Liebermeister, Zur Pathogenese des Ikterus. Deutsche med . Wockentchnjl
1893. Nr. 16. S. 365.
4 Havelburg, Experimentelle u. anatomische Untersuchungen über das Wese
und die Ursachen des gelben Fiebers. Berliner klin. Wochenschrift . 1897. S. 49S,
525, 542, 564ff.
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Studien über Gelbfieber in Brasilien,
463
erfahrener einheimischer Aerzte niemals so hohe Grade erreicht, wie sie
z. B. beim einfachen katarrhalischen Ikterus nicht selten sind.
Es erübrigt noch, mit einigen Worten darauf einzugehen, weshalb die
Milz beim Gelbfieber fast immer keine Veränderungen erkennen lässt.
Diese auffällige Erscheinung dürfte nur vermuthungsweise zu deuten sein.
Vielleicht kommt bei dem immerhin kurzen Verweilen des Erregers im
Blute eine Vergrösserung des Organs nicht zu Stande. Andererseits könnte
man daran denken, dass das wesentliche Moment beim Gelbfieber ja eine
Giftwirkung ist und dass gerade dessen Toxin keinen Einfluss auf die
Milz zu entfalten vermag, während ein solcher bei anderen Toxinen
bakteriellen oder organischen Ursprungs nicht vermisst wird.
Prophylaxe.
Maassnahmen gegen gelbfieberkranke Menschen und
gegen inficirte Mücken.
Gegenüber den früheren zeitraubenden und kostspieligen und dabei
unwirksamen Verhütungsmaassregeln — wir möchten nur an die zum
Theil noch mittelalterlichen Maassregeln langer Quarantänen erinnern
oder an die Desinfection ganzer Schilfe bis zum Elaggenknopf —, ge¬
staltet sich die Bekämpfung des Gelbfiebers verhältnissmässig einfach und,
wie es scheint, absolut sicher. Aus dem Ergebniss der heroischen Ver¬
suche am Menschen geht hervor, dass für die Weiterverbreitung der
Krankheit ausschliesslich die Stechmücken (Stegomyia fasciata) in Be¬
tracht kommen. Die nothwendige Folge musste eine vollständige Um¬
wälzung auf dem Gebiete der prophylaktischen Maassnahmen gegenüber
früheren Zeiten sein. Die Verhältnisse liegen hier ganz ebenso wie bei
der Malaria, nur mit dem Unterschiede, dass wir den Erreger des Gelb¬
fiebers nicht kennen, andererseits jedoch genau wissen, dass er nur bis zum
4. Tage nach dem Auftreten manifester Krankheitserscheinungen im Blute
der Befallenen vorhanden ist und in die Stechmücken übergehen kann.
Die Bekämpfung der Seuche braucht demnach lediglich den kranken
Menschen und die Stechmücken zu berücksichtigen und alle weiteren
Maassnahmen, wie sie früher in Anwendung kamen, können fallen gelassen
werden. Dazu gehören unter anderem die umfangreichen Desiufectionen
ler Reiseeffecten und Ladegüter und überhaupt aller Gebrauchsgegen-
itände, welche mit Gelblieberkranken in Berührung gewesen waren.
Weiterhin geht daraus hervor, dass in allen Gegenden, wo Stegomyia
äsciata nicht Vorkommen kann — weil die niedrigen Temperaturen
Nachtmittel unter 22°) eine Entwickelung verhindern — gar keine Ver-
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hütungsmaassnahmen nothwendig sind; hier könnte höchstens der an
sich sehr unwahrscheinliche Fall eintreten, dass unter ganz besonderen
Umständen irgendwo in einem warm gelegenen Raum des Schiffes sich
inficirte Mücken gehalten haben und nach längerem Fasten auf den Ein¬
tretenden sich stürzen. Dieser würde dann erkranken, könnte aber ausser¬
halb des Schiffes nicht weiter zur Verbreitung der Krankheit beitragen, da
die Stechmücken fehlen.
Wesentlich anders liegen die Verhältnisse aber, wenn eine Gegend
klimatische Bedingungen bietet, welche die Entwickelung der Stegomna
fasciata gestatten. Es ist der Ausbruch der Krankheit ohne Weiteres
zu befürchten, wenn Stegomyia fasciata dort heimisch ist und an einem
frisch inficirten Ankömmling zu saugen Gelegenheit hat. Für den Fall
dass die Mücke dort fehlt, ist daran zu denken, dass gleichzeitig mi:
dem Kranken auch die Mücke ihren Einzug halten kann und sich dort
vermehrt.
In beiden Fällen müssen die gleichen Vorsichtsmaassregeln zur An¬
wendung kommen. Gefährdeter ist natürlich eine Gegend, in welche:
die Stegomyia bereits vorhanden ist.
Eine auf modernen Gesichtspunkten basirende Gelbfieberprophylaie
muss darin bestehen, dass in erster Linie Stechmücken von Gelbfieber-
kranken abgehalten werden, sodann müssen als infectionsverdächtig alle
in der Umgebung des Kranken befindlichen Mücken vertilgt werden,
endlich ist dafür Sorge zu tragen, dass die Stegomyien überhaupt nach
Möglichkeit ausgerottet werden. Mit einem vollen Erfolg in der Ver¬
nichtung der Stechmücken würde die Brücke zu weiterer Verbreitung
abgebrochen sein.
In grossem Maassstabe sind die Amerikaner in Havanna nach den
obigen Grundsätzen zum ersten Male verfahren.
Die günstigen Resultate brachten es mit sich, dass man in Rio de
Janeiro den gleichen Weg eingeschlagen hat, eine Thatsache, die um so
mehr Anerkennung verdient, als die dortigen politischen Verhältnisse eia
derartiges Unternehmen ganz ausserordentlich erschweren, während in
Havanna die Amerikaner als Sieger über Cuba die neuen Maassnahmei
dictiren konnten.
Bei der ungeheuren Ausdehnung der Stadt Rio mit ihren vielen Vor¬
orten erforderte ein solches Unternehmen ganz besonders weitläufige Ein¬
richtungen und viel Geduld. Der oberste Sanitätsbeamte, Dr. Oswald«
Cruz, hat es verstanden, die schwierige Aufgabe zu lösen, indem er die
amerikanischen Institutionen zum Muster nahm und in grossem Maa.'>-
stabe ausgestaltete. Von der Schwierigkeit der Aufgabe kann sich nui
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Studien übeb Gelbfiebek in Brasilien.
465
der eine Vorstellung machen, welcher weiss, wie ablehnend sich das
brasilianische Volk hei seinem ausgebildeten Sinn für individuelle Freiheit
gegen die mit hygienischen Verbesserungen verbundenen Eingriffe verhält.
Auch von Seiten der Gebildeten wird das Vorgehen des Dr. Cruz nicht
immer mit Wohlwollen und Verständniss aufgenommen, wie aus den
häufig erscheinenden Carricaturen in Witzblättern hervorgeht (Fig. 29).
Glücklicher Weise lassen sich aber die maassgebenden Kreise nicht be¬
irren, so dass die sehr erheblichen Mittel zur Bestreitung der Unkosten
WSliCLR
1
1 • 1 1
f>RAGA DO f OVO |
' r
’ Aür & to ?}
Fig. 29.
Carrikatur auf Dr. Oswaldo Cruz,
den Organisator der Gelbfieberprophylaxe in Rio.
bewilligt werden. Hoffentlich wird dies auch in Zukunft geschehen, was
in Brasilien bei den schwankenden Parteiverhältnissen nicht ohne Weiteres
rorauszusetzen ist.
Nur um ein Beispiel zu geben, möchten wir aus dem Verbrauchs¬
ahr 1903 einige Daten anführen. Es wurden vom 26. März bis 31. De¬
zember allein verbraucht:
Zeitechr. f. Hygiene. LL 30
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M. Otto und R. 0. Necmann:
an
Reinigungsmaterial für Häuser . .
für 21 638 Milreh
Schwefel.
„ 11 937 ..
>>
Pyrethrum.
16 426 .,
Alkohol.. .
., 1029 „
u
Petroleum und Streichhölzern . .
„ 4137 „
Papier zum Verkleben.
„ 6 835 ,,
ausserdem an Betriebs- und anderem Ver-
brauchsmaterial.
„ 525 614 „
587 616 Milreis
= ca. 600000 Mk.
Das Verbrauchsmaterial betrug in dieser Zeit z. B. an:
Papier .
Pyrethrum
Schwefel
Petroleum
Alkohol.
5 521 Kilo
4 395 „
26 831 „
375 Liter
1467 „
Es wurden 2692 Häuser gereinigt und 3134 cbm Schmutz aus ihnen
entfernt. Dabei zerstörte man 788 Larvenherde, musste 59 Häuser mit
616 Menschen isoliren und 502 Sanitätswachen aufstellen.
Bei der speciellen Suche nach Larvenherden visitirte man innerhalt
6 Monaten (Juni bis December) 99086 Häuser und zerstörte 12 475 Herd?
Die Reinigung erstreckte sich auf:
14 389 Rinnen und Dächer
114 247 Baljen und Fässer
23 587 Wasserkästen
16 282 automatische Tanks.
Mit Petroleum wurden behandelt:
97 739 Pfützen und Tümpel
70025 Ausleerkästen
und dabei 10108 Liter verbraucht.
Die Bewältigung dieser enormen Arbeit übernimmt die Institarioü
des „serv^o de prophylaxia especifica da febre amarella“.
Durch ein Decret vom 8. März 1904 wird die gesammte UeberwaehuDC
und Bekämpfung der Generaldirectiou de Saude publica in Rio über¬
tragen. Es wurde nach amerikanischem Vorbild eine Brigade errichtet
mit folgenden Obliegenheiten:
a) Isolirung der Gelbfieberkranken im eigenen Hause.
b) Entfernung der Gelbfieberkranken, wenn die Isolirung im Hau'-
nicht möglich.
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•Studien übeb Gelbflebeb in Bbasilien.
467
c) Moskitovernichtung an den Krankheitsherden.
d) Gesundheitspolizeiliche Ueberwachung der inficirten und verdäch¬
tigen Orte.
e) Gesundheitspolizeiliche Ueberwachung der Wohn- und Logirhäuser.
f) Specielle ärztliche Ueberwachung.
Zur Brigade gehören unter anderem zur Zeit 1 Director, 10 Ober-
te, 70 Hülfsärzte, 1 Administrator, 9 Oberaufseher, 36 Aufseher und
hrere Hunderte Unterbeamte.
Die Brigade selbst wird eingetheilt nach Artikel 5 des oben genannten
glements in die Section der Isolirung und Reinigung und in die Section
• gesundheitspolizeilichen Ueberwachung der Krankheitsherde.
Jede dieser beiden Sectionen hat ihre ganz bestimmte Dienstinstruction.
bei ist Vorsorge getroffen, dass die nöthigen Arbeiten nicht unterbrochen
werden brauchen.
Der Section der Isolirung und Reinigung unter der Direction von
Merzten liegt ob:
1. Die Isolirung der Gelbfieberkranken in den Häusern nach folgenden
ichtspunkten:
a) Schutz des Kranken vor Mückenstichen.
b) Einrichtung des Isolirzimmers.
c) Vernichtung der Moskitos im Hause und seiner Umgebung
und Zerstörung ihrer Brutstätten.
2. Ueberführung der Gelbfieberkranken aus ihrer Behausung in’s
nkenhaus, falls der Kranke es selbst wünscht oder falls es wegen der
nöglichkeit der Isolirung im Hause im öffentlichen Interesse geboten
heint.
Sämmtliche Angestellte der Brigade werden von Anfang an genau
rrichtet und können bei geeigneter Fähigkeit in bessere Stellen auf-
en, nachdem sie das betreffende Examen bestanden haben. Minder-
hige werden abgestossen. Die ganze Organisation ist nach militärischem
ter eingerichtet, was Anfangs auch mit Schwierigkeiten verknüpft
•sen sein soll, aber unter der Leitung des Chefs der Prophylaxe,
Alendonza, sich vorzüglich bewährt hat.
Der prophylaktische Dienst ist in Rio folgendermaassen organisirt.
ganze Stadt ist in 10 Districte geteilt, deren jedem ein Arzt vorsteht,
edem District gehört eine Colonne von Desinfectoren. Das gesammte
>nal bestand zur Zeit unserer Anwesenheit nach authentischen Angaben
ea. 2000 Mann.
^tlan kann täglich in der inneren Stadt und auch in den entlegensten
tädten ganze Trupps von „Saudebeamten“ ihrem Geschäft nachgehen
30 *
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M. Otto und R. 0. Neumann:
sehen und beobachten, mit welcher Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit die
Torgeschriebene Aufgabe in kürzester Zeit gelöst wird.
Die Fäden der gesammten Prophylaxe laufen in der Centrale für
Gelbfieberprophylaxe zusammen, wohin jeder verdächtige ErkrankungsfaL
berichtet werden muss. Neben dem Verwaltungsgebäude, in dem auch
das statistische Material gesammelt und fortgesetzt an der Verbesserung
der Einrichtungen gearbeitet wird, liegt ein ungeheures Magazin, in
welchem die sämmtlichen Utensilien und Vorräthe auch für den Fall einer
grossen Epidemie aufgestapelt sind. Ferner stehen hier, ganz ähnlich wie
beim Feuerlöschdienst, Tag und Nacht Wagen mit Besatzung in Bereit¬
schaft, um beim Einlaufen einer Meldung zum Infectionsorte abzufatm-n.
In solchem Falle gehen jedesmal zwei Wagen ab, von denen der eine dazt
bestimmt ist, bei Bedarf noch fehlendes Material nachzuholen. Zur gleichen
Zeit begiebt sich ein beamteter Arzt an Ort und Stelle, um nach Sicher¬
stellung der Diagnose das Verfahren einzuleiten.
Es soll nur ganz ausnahmsweise Vorkommen, dass von einer Be>- j
infection Abstand genommen wird, denn auch für den Fall einer unklare!. :
Diagnose ist es sicherer, die Vorbeugemaassregeln zu treffen. Andererseits
wird dadurch vermieden, dass die Privatärzte aus sachlichen oder persön¬
lichen Gründen die Meldungen unterlassen.
Ja man geht der Sicherheit wegen, weil eine Meldung vergessen oder
unterdrückt sein könnte, so weit, dass man in den Apotheken in die mr
Strasse und Hausnummer der Kranken versehenen Recepte Einsich;
nimmt, damit aus den bei Gelbfieber ziemlich gleichlautenden Verordnung«!
auf neue Fälle geschlossen werden kann. Ferner zieht man Erkundigungen
über die vorwiegend bei Neuankömmlingen aus Europa vorkommend«)
Erkrankungen ein.
Zur Aufklärung des Publikums über die Weiterverbreitung des Gelb¬
fiebers dienen Anweisungen, welche in den Häusern verteilt werden
Solche Zettel enthalten auf der Rückseite Belehrung über Moskitos, Ver¬
nichtung der Moskitolarven, Isolirung bei Gelbfieber und sollen zur Be¬
ruhigung des Publikums über die zu ergreifenden Maassnahmen beitraget.
Auf diese Weise wird die Nothwendigkeit des Eingreifens in die Privat-
verhältnisse des Einzelnen namentlich dem Verständnis des niedrigen Volke-
näher gebracht.
Im Staate S. Paulo geht man sogar noch einen Schritt weiter. Don
wurde nach Havelburg 1 die öffentliche Ausstellung der Stegomyia fasciaa
augeordnet, um die Bevölkerung mit dem gefährlichen Ueberträger bekamt
1 Havelburg, Die prophylactische Behandlung des Gelbfiebers. Archir (v
Schiffs- und Tropenhygiene. 1904. Bd. VIII. S. 411.
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STCDIEX UBEB GeLBFFEBEB FS’ Bra>1UFN.
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jachen. Man kann Havelburg nur beistimmen. wenn er dieses
j^hen auch für andere Orte und besonders für Schiffe zur Belehrung
Mannschaft und Reisenden, die sich nach Gelbfiebergegeuden begehen,
Behlt.
(Gleichzeitig dienen die Anweisungen für den Arzt zu Aufzeichnungen
müssen auf Verlangen dem revidirenden Beamten vorgezeigt werden.
Insbesondere wird den Hausvorständen zur Pflicht gemacht, jeden
ächtigen Fall unverzüglich zu melden.
Das Vorgehen im Einzelfalle ist verschieden, je nachdem die Aus-
ung der Prophylaxe im Privathaus erfolgen kann oder nicht. Sind
häuslichen Verhältnisse hygienisch ganz ungenügend, so wird die
erführung in das Gelbfieberkrankenhaus S. Sebastian erzwungen, anderu-
darf der Kranke in seiner Behausung verbleiben. Er muss sich jedoch,
alle Bewohner des Hauses, allen von der Sanitätsbehörde für noth-
Jig erachteten Anordnungen unterziehen. Die letztere betleissigt sich,
aller Gründlichkeit möglichst schonend vorzugehen, in der klugen
»ussetzung, dass das Publikum die unumgänglich nothwendigen Uu-
lemlichbeiten des Verfahrens dann leichter hinnimmt. So werden z. B.
el überhaupt nicht angewendet, sondern nur Schrauben, um jedes
mde Geräusch zu vermeiden. Alle Angestellten sind zu rein sachlichem
chem Auftreten verpflichtet.
Die Sanitätscolonne beginnt ihre Thätigkeit damit, den Kranken so¬
mit einer Netzvorrichtung zu umgeben. Dies geschieht um die Mög-
:eit des Zutritts von Mücken zur Infectiousquelle zu verhindern. Bei
hohen Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins vou bereits inticirten
ken im Krankenzimmer wird zunächst dieses durch Verbrennen vou
itenpulver (Pyrethrum) ausgeräuchert, eine Procedur, welche gestattet,
der Kranke im Zimmer verbleiben kann.
Die Vorschriften lauten dahin, dass pro Cubikmeter Raum 2—IO* 1 '
thrum verbrannt werden sollen, nachdem das Zimmer genügend ab-
htet ist. Die Mücken werden von dem Pyrethrumdampf nur betäubt,
ichen, um der Erstickung zu entgehen, die hellen Fenster auf, fallen dort
zu Boden. Um sie leichter aufzufiuden, hat man vorher auf Möbel,
^erbretter und Fussboden weisse Tücher ausgebreitet» Die Mücken
»n zur definitiven Vernichtung zusammengekehrt und sofort verbrannt,
andere Abtheilung der Colonne ist zu gleicher Zeit damit beschäftigt,
ihrigen Räume des Hauses von Mücken zu säubern. Für diesen
br wird zur Zeit ausschliesslich die schweflige Säure benutzt, wobei
Schwefel auf einen Cubikmeter Raum gerechnet werden. Handelt
>h um Räume, deren vollkommene Abdichtung auf Schwierigkeiten
so wendet man bis zu 20 ?rra Schwefel pro Cubikmeter an. Die Ab-
Difitized
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M. Otto und R. 0. Neumann:
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dichtung der auszuräuohemden Räume geschieht in sehr vollkommener
Weise. Alle Oeffnungen zu den Räumen werden mit Papier verkiek
Bei Fenstern und Thüren dichtet man die Fugen ab. Auf den Fu߬
boden stellt man eine eiserne Pfanne mit Schwefel, welcher mit Spiritu.*
genügend begossen wird. Bevor das Anzünden erfolgt, werden alle Dinge,
so weit sie beweglich sind, aus dem Zimmer entfernt, noch zurück-
bleibende Metallgegenstände gegen die schwefligsauren Dämpfe durcl
Yaselineüberzug geschützt. Alle Schränke und Kästen müssen offen bleiben
damit die Dämpfe überall hindringen können. Zur Controle dienen Test¬
objekte (Mücken in Gazekästchen), welche in verschiedenen Höhen dt:
Räume angebracht sind. Nach Anzünden des Schwefels bleiben letzter-
für 1 bis lV a Stunden geschlossen. Die Abdichtung ist derart angeordnet
dass an einer Stelle des Raumes eine Lücke bleibt, durch welche Lieb
einfallen kann, weil die Mücken erfahrungsgemäss sich dort an sammelt..
Die Controle über die Menge der vernichteten Mücken wird dadurch
wesentlich erleichtert.
Die erstgeschilderte Räucherung des Krankenzimmers mit PjTethrun.
hatte lediglich den Zweck, alle in der Umgebung des Kranken befindliche ~
Mücken zunächst einmal zu beseitigen. Da natürlich auch das Krankes
zimmer ausgeschwefelt werden muss, so wird der Kranke aus diesem i:
eines der geschwefelten und gehörig gelüfteten Zimmer verbracht, welche*
in besonderer Weise vorbereitet wird. Sämmtliche Oeffnungen sind nu
Metallgaze, deren Maschenweite ca. l mm bis höchstens l 1 /,““ betrieb
ausgefüllt. Die Gaze ist in Holzrahmen von verschiedener Grösse eis- ■-
gezogen, die für jede einzelne Fensteröffnung passend Zusammengehen:
werden können (Fig. 30). Lassen sich die Oeffnungen nicht vollständig
mit den Rahmen ausfüllen, so werden die Zwischenräume mittels Gas
überspannt. Dadurch wird ein absolut sicherer Schutz gegen Mücke:
hergestellt. Alle durch Fenster oder Thüren verschliessbaren Oeffnungei
von deren Sicherung mit Gaze aus irgend welchen Gründen abgesehe: (
wird, versieht der leitende Arzt mit einem Siegel, damit ein unbefugt :
Oeffnen, welches den Mücken neuen Eingang verschaffen würde, 1-
merkt wird.
Zwecks einer Yerbindungsmöglichkeit des Krankenzimmers mit d-t,
Aussen weit wird nur eine Thür zum Verkehr frei gegeben und diese hü--
wiederum mittels eines „Tambours“ verschlossen. (Fig. 31).
Der Tambour besteht aus einem mannshohen ca. 1 bis 2“ lang« »t
Kasten aus Metallgaze, dessen vordere und hintere Thür automatic- k y
schlossen uud durch Bänder derartig mit einander verkuppelt sind, di-j
stets nur eine Thür zur Zeit geöffnet werden kann, wodurch den Mück-n
der Eintritt in das Krankenzimmer nach Möglichkeit erschwert wird. I
Gck igle
Original fro-m
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Fig. 30.
insatzfenster für Gelbfieber¬
häuser in Rio de Janeiro.
Fig. 31. Tambour.
nständen wird eine letzte Räucherung des Zimmers vorgenommen,
egulamento Artikel 33).
Fig. 32.
eitung zur Abdichtung eines Gelbfieber¬
hauses vor der Räucherung.
Fig. 33.
„Versiegelung“ der Brauerei.
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M. Otto und R. 0. Neumann
Während dieser Zeit hat der beamtete Arzt die Verpflichtung, alle
Personen, die mit dem Kranken in Berührung kamen, zu beobachten, um
Fig. 34.
Hot'raum eines Gelbfieberhauses in Rio de Janeiro, Wohnung der Kranken.
(Nach der Räucherung.)
Fig. 35.
Verschluss der Hallen in der Brauerei
vor der Räucherung.
Qrifinal from
UNIVERSIVf OF CALIFORNI.
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
473
Schwierigkeiten zu überwinden sind und auch überwunden werden. Wir
waren verschiedene Male bei umfangreichen Häuserdesinfectionen zugegen
und nahmen Gelegenheit, die inficirten Räume nicht nur während
der Vorbereitung und nach der Desinfection, sondern auch vorher auf
Mücken zu untersuchen. In einem besonders interessanten Falle, wo
eine ganze Brauerei (Fig. 33) ausgeräuchert wurde, die in unmittelbarer
Nachbarschaft des Gelbfieberhauses (Fig. 34) lag, mussten grosse offene
Hallen, der Siederaum und das Flaschenlager abgedichtet werden. Dies
geschah theils durch grosse Leinwandplanen (Fig. 35) theils durch Papier¬
bogen (Fig. 36), von welch letzteren mehr als 1000 < * m verbraucht wurden.
Im Flaschenbierlager wimmelte es von Stegomyien, die an den immer
Fig. 36.
Verklebung des Siederaums in der Brauerei vor der Räucherung.
durchfeuchteten Korken ihre Nahrung und in reichlich vorhandenen Wasser¬
ansammlungen die beste Gelegenheit zur Fortpflanzung fanden. Nach
beendeter Räucherung war sowohl hier wie in den Gelbfieberhäusern der
Fussboden mit todten Mücken übersät.
Abgesehen von diesem Desinfectionsverfahren mit schwefliger Säure
gegen die geflügelten Insecten, wird auch gegen die im inficirten Bereich
sich findenden Eier, Larven und Puppen vorgegaugen. Wir werden unten
noch darauf zurückkommen.
Es ist selbstverständlich, dass nach der Isolirung des Kranken uud
der Vernichtung der Mücken die ganze Aufmerksamkeit dem Auftreten
von Neuerkrankungen gewidmet sein muss. Verdächtig sind zunächst alle
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474
M. Otto und R. 0. Neumann :
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Personen, die in dem betreffenden Hanse gewohnt haben. Weiterhin auch
solche, welche häufig in dem Hause verkehrt haben, endlich die Bewohner
benachbarter Grundstücke. Auf diese alle erstreckt sich die Controk
während mindestens 7 Tagen und zwar richtet sich dieselbe nach den je¬
weiligen Umständen im Einzelfalle. Die Entscheidung trifft jedes Mal der
Generaldirector.
Unseres Wissens begnügt man sich mit Erkundigungen und Be¬
sichtigungen, wobei ausgesprochene Erkrankungen gewiss nicht verborgen
bleiben. Nicht das Gleiche gilt von ambulanten und abortiven Fällen, die
die Krankheit ja in gleicher Weise verbreiten können wie manifeste Fälle.
Bei solchen kann Temperaturerhöhung das einzige objecüve Symptom sein,
welches zu erwarten ist, während subjective Erscheinungen fehlen oder nicht
geäussert werden. Hier sind Temperaturmessungen das einzige Mittel, um
Verdächtige herauszufinden. Derartige Messungen müssten zum mindesten
bei den Hausinsassen und besonders suspecten Personen vorgenommen
werden und zwar auf 10 bis 14 Tage hinaus, da die Incubationszeit nach den
Beobachtungen der französischen Commission sich so lange ausdehnen kann.
Wenn nach den jetzt geltenden Bestimmungen diese Maassregeln noch
nicht zur Ausführung gekommen sind, so mag dies darin seinen Grund
haben, dass man die Bevölkerung nicht auf ein Mal mit allzu vielen Un¬
bequemlichkeiten behelligen will.
Die vorstehenden Ausführungen bezogen sich auf den Fall, dass die
mückensichere Isolirung im Hause der Kranken stattfinden konnte. Er¬
folgt jedoch die Ueberführung des Kranken in’s Krankenhaus, so bleiben
alle Maassnahmen dieselben, nur wird natürlich von der Einrichtung eines
mückensicheren Krankenzimmers abgesehen.
Zur Aufnahme der Gelbfieberkranken dient in erster Linie da-
staatliche Hospital S. Sebastiao, ausserdem das von der englischen Colonk
gegründete Privatkrankenhaus „Stranger’s Hospital“ in Botafogo. Beile
erfüllen die jetzt gesetzlich festgelegten Anforderungen mückensicherer
Unterbringung der Kranken. Nur solche Krankenhäuser dürfen Gelb¬
fieberkranke aufnehmen.
Zur Abholung von Gelbfieberkranken dienen die von der Centrale der
Gelbfieberprophylaxe gestellten „Isolamentowagen“ (Fig. 37), die auf der
Schienen der Mauleselbahnen nach dem Hospital geleitet und von den
Mannschaften der Colonne bedient werden. In S. Sebastiao finden die
Kranken in verschiedenen Gebäuden Aufnahme, welche hinsichtlich der
Art des Mückenschutzes von einander abweichen.
In dem ältesten Gebäude, einem offenen grossen Pavillon (Fig. 13 .
dessen moderne Umgestaltung ohne vollständigen Umbau nicht hätte an¬
geführt werden können, sind geräumige, von Marchoux augegeben
Gck igle
Original frum
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Studien übeb Gelbfiebeb in Bbasilien.
475
Drahtgazekästen mit Doppelthüren aufgestellt (Fig. 38). Jeder dieser
Kästen bietet Raum für zwei Betten mit dem nöthigen Zubehör. Bei der
neuen Baracke (Fig. 12) haben Thüren und Fenster mückensichere Ein-
Fig. 87.
Isolamentowagen in Rio de Janeiro.
Fig. 38.
Netzkasten für Gelbfieberkranke in der älteren Baracke in Säo Sebastiäo
in Rio de Janeiro.
sätze aus dem gleichen Stoff erhalten. Durch einen sinnreichen Mecha¬
nismus, den oben beschriebenen „Tambour“, ist die Sicherheit gewähr-
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476
AI. Otto und R. 0. Neumann:
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leistet, dass stets nur die vordere oder die hintere Thür geöffnet werden
kann, um den Mücken das Eindringen zu erschweren. Ein drittes in
gleicher Weise eingerichtetes Haus mit Einzelzimmern dient zur Aufnahme
bessersituirter Patienten. Werden in diesen Räumen Mücken angetroffen,
so wird dem zuständigen Wärter eine hohe Geldbusse auferlegt.
Immerhin kann es auch bei grösster Achtsamkeit Vorkommen, dass
beim Defectwerden der Drahtgaze Mücken sich an Kranken inficiren und
dann das Gelbfieber weiter übertragen können.
Einen einschlägigen Fall erlebten wir selbst; wir konnten bei einem
wegen anderer Krankheit wochenlang behandelten Matrosen, der als nicht
gelbfieberkrank ausserhalb der Netzkasten lag, einen unzweifelhaften Fall
von Hausinfection mit allen klassischen Symptomen beobachten. Somit
mussten sich inficirte Stegomyien im Hospital befinden. Sicherer in
unserer Auffassung wurden wir noch, als wir in einem Nebenraum der
Baracke in stehen gebliebenem Ablaufwasser erwachsene Larven von Ste-
gomyia auffanden und auch an der Aussenseite der Netzkasten Stegomyien
fangen konnten.
Für offene Räume, die zur Unterbringung zahlreicher Kranker be¬
stimmt sind, hat das Netzkastensystem sicherlich eine Annehmlichkeit
Die Ventilation ist eine bedeutend bessere, da der natürliche Zug den
Kasten in toto bestreichen kann, während in einem geschlossenen Saal
mit Drahtgazefenstern und Thüren naturgemäss die Luftventilationsmöglich¬
keit geringer ist.
In „Stranger’s Hospital“ sind dieselben Einrichtungen getroffen wie
in der neuen Baracke in S. Sebastiao.
Ausser den eben beschriebenen Maassregeln — Isolirung der Kranken
und Vernichtung der inficirten Mücken durch schweflige Säure — wird
weder in Privat- noch in Krankenhäusern eine weitere Desinfection im
alten Sinne, wie etwa Desinfection der Wäsche, ausgeführt.
Von allgemeineren Maassregeln mögen noch Erwähnung finden die
sorgfältige Beaufsichtigung aller Häuser und Wohnungen (Hotels, Internate.
Schulen, Siechenhäuser, Absteigequartiere u. A.) durch Aerzte. UeberaU
sollen Vorrichtungen zum Schutz vor Moskitos vorhanden sein.
Maassnahmeu gegen die Mücken überhaupt
Zur Bekämpfung des Gelbfiebers in grossem Maassstabe kommt es
neben der Ausschaltung der Gelbfieberkranken und der Vernichtung der
inficirten Mücken darauf an, die ganze Masse der Ueberträger selbst nach
Möglichkeit auszurotten. Eine solche Riesenaufgabe auszuführen, erscheint
kaum denkbar, und doch kann man sich in Rio davon überzeugen, wieviel
durch ein planmässiges und energisches Vorgehen erreicht werden kann.
Gck igle
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
477
Diese Mückenvernichtung im Grossen ist schon deshalb angezeigt,
weil eine Vererbung des Gelbfiebererregers auf die Nachkommenschaft
möglich ist (vgl. S. 370, Versuch von Marchoux und Simond). 1 Zur
Vernichtung der Mücken ist ein ganzer Feldzugsplan ausgearbeitet, der
quasi einen Kleinkrieg gegen die Mücken selbst und einen Grosskrieg
gegen unhygienische und die Entwickelung der Mücken befördernde Ein¬
richtungen vorsieht. Es ziehen, wie schon bemerkt, täglich ganze Colonneu
von „Saudemannschaften“ durch die Stadt und in die Vorstädte, auf die
Höhen und in die Seitenthäler der Stadt, um den Kampf gegen die ge¬
fährlichen Insecten aufzunehmen. Ihre hierzu gehörigen Einrichtungen
sind verschieden, je nach der Art der Brutstätte der Mücken, und so
sieht man sie mit Karren, Schaufeln, Besen, Seilen, Leitern, Kannen und
Eimern die Mückenplätze aufspüren.
Zur Vertilgung der Larven, welche in irgend welchen Wasseran¬
sammlungen in Dachrinnen, Wassertonnen, Gräben, Pfützen, weg¬
geworfenen Blech- und Conservenbüchsen, Flaschenscherbeu
leben, dient als souveränstes Mittel das Petroleum.* Es wird stets von
den Colonnen mitgeführt und in geeigneter Weise auf die Oberfläche der
Lachen ausgegossen. Man rechnet pro Quadratmeter Fläche 10*™ Petro¬
leum und hat damit in Rio recht gute Erfolge erzielt. Als absolutes
Tödtungsmittel kann es natürlich nur gelten, wenn die Wasserfläche
völlig bedeckt ist und die Larven und Mücken nicht Gelegenheit haben,
an irgend einer Stelle, wo das Petroleumhäutchen zerrissen ist, frische
Luft zu schöpfen. Dies kann bei Tümpeln oder anderen grösseren Wasser¬
flächen, wenn eine starke Windbewegung stattfindet, eintreten. Die Ueber-
giessungen mit Petroleum müssen von Zeit zu Zeit (etwa alle 8 Tage)
wiederholt werden.
Um uns von dem Erfolg einer durch Petroleum herbeigeführten Ab-
tödtung zu überzeugen, ahmten wir in einem grossen Wasserbehälter die
natürlichen Verhältnisse nach, setzten eine grosse Anzahl jüngerer und
älterer Larven und Puppen hinein und bedeckten die Oberfläche mit dem
Petroleum im oben genannten Verhältniss. Dabei konnten wir Folgendes
beobachten:
Die Larven werden nach wenigen Minuten, nachdem es ihnen beim
erstmaligen Versuch missglückt ist, Luft zu holen, unruhig. Sie ver¬
suchen es nun ein zweites, drittes Mal, schnellen eiligst von einem Platz
1 Marchoux u. Simond, Soc. de biolog. 1905. T. LIX. Nr.27. p. 259 60.
* Es soll sich bewährt haben, Salz in derartige Wässer zu schütten (de Guvea).
Nach unseren oben erwähnten Experimenten müsste das allerdings schon eine be¬
trächtliche Menge sein!
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Gck igle
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
478
M. Otto und R. 0. Neumann:
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au der Oberfläche zum anderen und wollen mit ihrer Saugröhre das Petro¬
leumhäutchen durchbohren. Dabei fressen sie sich an den Luftröhren hemm,
als ob sie etwas entfernen wollten, und krümmen sich hin und her. Aus
der Saugröhre steigen fortwährend kleine Bläschen (verbrauchter CO, (?]).
Gelingt die Athmung nicht, dann gehen sie wieder nach unten, um
alsbald von neuem an die Oberfläche emporzusteigen. Während sie sonst
bei jeder Annäherung der Hand sofort hinunterfahren, bleiben sie jetzt alle
oben, bis sie vor Lufthunger entkräftet langsam auf den Boden sinken.
Mit wahrer Gier suchen sie noch vorher die an den Glaswandungen haften¬
den Luftbläschen ab.
Die empfindlichsten Larven sinken nach ca. 10 Minuten zu Boden. Nach
2 bis 3 Stunden halten sich keine Larven mehr an der Oberfläche. Das
Untersinken ist nicht gleichbedeutend mit Absterben, da sie am Boden des
Gefässes während einer grossen Reihe von Stunden zuckende Bewegungen
ausführen. Wir sahen sogar noch nach 18 Stunden eine Larve am Leben,
freilich so matt, dass sie, in frisches Wasser überführt, doch alsbald starb.
Beträchtlich anders verhalten sich die Puppen. Sie, die sonst viel
resistenter als die Larven sind, sterben viel eher ab.
Sobald sie fühlen, dass ihnen die Respirationsmöglichkeit genommen
ist, schnellen sie mit grosser Hast von Stelle zu Stelle und legen sich ge¬
wöhnlich auf die Seite. Falls alle Versuche, Luft einzunehmen, scheitern,
strecken sie sich, legen sich auf den Rücken und versinken allmählich
auf den Boden. Dies geschieht gewöhnlich schon nach 10 bis 15 Minuten.
Weitere 30 Minuten genügen dann, um sie vollständig zum Absterben zu
bringen.
Uebergiesst man die Wasseroberfläche mit dickerer Petroleumschicht,
wie wir es auch in einigen Versuchen ausführten (Schicht 1 bis 1 */', “ B ).
so geht die Vernichtung schneller von statten. Es ist dann offenbar auch
nicht mehr die Möglichkeit vorhanden, die Schicht mit der Saugröhre zu
durchbohren.
Diese Versuche zeigen also, dass in der That viel Erfolg zu erwarten
ist, und besonders dort, wo irgend welche andere Luft bezw. Sauerstoffquell J
ausgeschlossen erscheint. Wir glauben aber, dass z. B. in Tümpeln, wo
viele Sauerstoff spendende Algen vorhanden sind, die Abtödtung einige
Schwierigkeit haben dürfte; auch wird gelegentlich die Petroleumhaut nicht
überall genau mit dem Rand abschliessen. Sobald aber eine kleine Lücke
irgendwie entsteht, suchen Hunderte die lebenspendende Oeffnung auf.
Ist es möglich, "Wasseransammlungen dauernd trocken zu legen, so
zieht man diese Methode vor; solche Orte werden sorgfältig gereinigt
und mit Erde zugeworfen.
Gck igle
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UMIVERSITY OF CALIFORNIA. ^
Studien über Gelbfieber in Brasilien.
479
Bewegliche Gegenstände, in denen sich Regenwasser ansammeln kann,
z. B. Conservenbüchsen, Flaschen werden gesammelt und karrenweise auf¬
gegriffen. Schon allein durch diese Maassnahmen wird ein grosser Nutzen
gestiftet.
Fig. 39.
Reinigung von Dachrinnen durch „Saude“-Mannschaften in Rio de Janeiro.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen Dachriunen (Fig. 39) und die an
Gartenmauern zur Verhinderung des Uebersteigens festgekalkten Flaschen¬
scherben. Wir hatten verschiedene Male Gelegenheit zu sehen, mit welcher
Behändigkeit die Mannschaften die Dächer erklommen und dort ihre nicht
ungefährliche Arbeit sorgfältig vollbrachten. Ausserordentlich geschickt
geht man bei der Verfolgung der Larven in Wasserbassins, Springbrunnen
u. s. w. zu Werke. Da es nicht gut durchführbar ist, alle derartigen Luxus-
Fig. 40. Fig. 41. Bassins mit Rundung.
Barrigudo. Vorschriftswidrig. Bei a, wo
die Rundung anfängt, müsste
das Bassin aufhören.
wässer mit Petroleum zu begiessen, werden die Besitzer aller solcher An¬
lagen gehalten, dieselben mit einem Fisch (Barrigudo, Fig. 40) zu bevölkern,
der die lobenswerthe Eigenthümlichkeit hat, alle Larven, deren er habhaft
werden kann, aufzufressen. Was ihm unmöglich zu verschlingen ist,
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480
M. Otto und R. 0. Neumann:
wird todtgebissen. Uns wurde mitgetheilt, dass der Fisch mehr als 2»™
dieser kleinen Larven und Puppen vertilgen kann. Sind die Bassins an
ihrem oberen Rande abgerundet, so müssen sie geändert werden und zwar
so, dass die Fische an jede Stelle der Wasseroberfläche, wo Larven und
Puppen hängen, heran können, d. h. die Wände müssen gerade abfallend
sein. (Fig. 41.) Wer diesen Bestimmungen nicht nachkommt, wird bestraft.
Die im Haushalt sich sammelnden Spül- und Brauchswässer giesst man. falls
sie in das Canalnetz nicht abgeleitet werden können, auf trockenes Erdreich,
wo sie sofort eindriugen. Muss man irgendwie Wasservorräthe halten (Regen-
und Wassertonuen), so lautet die Vorschrift, dieselben mit Drahtgaze zu
bedecken. Ebenso sollen Kellerlöcher und Luftcanäle mit Drahtgaze ver¬
sehen sein, um den Mücken keinen Unterschlupf zu gewähren. Wasser.
Fig. 42.
Claytonapparat und „Saude“-Mannschaft.
welches zu Nahrungszwecken dient, muss durch ein Sieb gegossen werden,
auf welchem Larven und Puppen Zurückbleiben. Ferner unterliegen die
Closetwasserbehälter und Wasserhähne einer sorgfältigen Controle, damit
es nirgends innerhalb oder ausserhalb des Hauses zur Entwickelung von
Brutstätten kommen kann.
Bemüht man sich so einerseits durch rastloses Vernichten der Mücken¬
brut über die Insecten Herr zu werden, so geht man anderseits gegen die
Imagines selbst in sehr energischer Weise vor. Der Vernichtungskampf
wird in der Hauptsache im Canalsystem geführt, wo unglaubliche Massen
Stegomyien sich aufhalten (die vielfachen stehenden Wasserlachen in den
Canälen dienen natürlich auch gleichzeitig als Brutstätten). Als einfachstes
und sicherstes Mittel hat sich schweflige Säure bewährt, welche mittet
des „Clayton“-Apparates (Fig. 42) in die Canäle eingeleitet wird.
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Studien übeb Gelbfieber in Brasilien.
481
Das ganze Canalnetz der Riesenstadt ist in 10 Bezirke getheilt, von
denen jeder von dem anderen durch festschliessende Klappen oder Einsätze
getrennt werden kann. Für jeden Bezirk besteht in Folge dessen die Mög¬
lichkeit, für sich allein ausgeräuchert zu werden. Während einer Jahres¬
frist säubert man die Canäle 3 Mal und zwar so, dass die Bezirke in
bestimmter Reihenfolge auf einander folgen. Wir hatten mehrfach Gelegen¬
heit Zeugen dieser Mückenvertilgungen zu sein und konnten einen ausge¬
zeichneten Erfolg constatiren.
Bei der Vornahme solch’ einer Canalreinigung muss vor Allem dafür
Sorge getragen werden, dass alle Einlässe und Auslässe mückensicher
verwahrt werden können. Dies bewerkstelligt man, indem die Zufluss¬
öffnungen von oben, welche sonst für gewöhnlich mit Eisenrosten bedeckt
Fig. 43.
Claytonapparat in Thätigkeit.
sind, durch festsitzende Drahtnetze verschlossen werden. Alsdann dichtet
man durch Schieber den betreffenden Bezirk gegen die Nachbarbezirke
ab und verschliesst endlich, falls der auszuräuchernde Theil des Canal¬
netzes an der Baj liegt, die Endmündung des Abführungscanals mittels
eines Holzeinsatzes, der durch Lappen und Cement gegen die Canal¬
wandungen abgedichtet wird.
Die Claytonapparate werden dann gewöhnlich zu dreien in Abständen
von mehreren hundert Metern auf den Strassen aufgestellt (Fig. 43) und
das im Apparat entwickelte schwefligsaure Gas in die Mannlöcher ein¬
geleitet. Bereits nach ganz kurzer Zeit sammeln sich Schwärme von
Mücken unter den Drahtverschlüssen der Einflussöffnungen an, und suchen,
von der schwefligen Säure bedrängt, einen Ausweg. Sie fallen aber alsbald
Zeitschr. f. Hygiene. LI. 31
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M. Otto und R. 0. Neumann:
todt nieder. Die Wirksamkeit des Gases in den Canälen wird durch ein-
gesenkte Testobjecte und die chemische Analyse des Gases an Ort und
Stelle coutrolirt.
Hier sei hinzugefügt, dass mit diesem Verfahren auch gleichzeitig den
Canalratten der Garaus gemacht wird, deren Vernichtung bei den in Rio
immer wieder auftretenden Fällen von Pest durchaus geboten erscheint. 1
Mit dieser directen Vernichtung der Stechmücken hält die allgemeine
Assauirung der verschiedenen Stadtbezirke gleichen Schritt. Man ist sich
in Rio der grossen Bedeutung des Werthes von Luft und Licht zur Be¬
kämpfung der verderblichen Infectionskrankheiten wohl bewusst und ver-
Fig. 44.
Tiefe, lichtlose Häuser im Abbruch viertel in Rio de Janeiro.
sucht Alles, um die Verseuchungsherde und Brutstätten zum Verschwinden
zu bringen.
In letzterer Beziehung ist die Neuanlage einer grossen „Avenida",
welche dem Winde Zugang in die Stadt verschaffen soll, ein gewaltiges,
hoch anzuerkennendes Werk. Die neue Avenida durchquert die grosse
1 leider sind bei unseren Versuchen, Stegomyien mit dem zur Rattenvernichtni?
noch besser geeigneten Generatorgasgemisch von Nocht und Giemsa abzutcdten.
genügende Erfolge nicht erzielt worden. Auch ein starker Formalinzusatz zu
Gasgemisch vermochte die Resultate nicht zu bessern. Ein Theil der Mücken blieb
am Leben!
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Studien übeb Gelbfieber in Brasilien.
483
Stadt von einer Seite zur anderen, wobei dem Unternehmen nicht weniger
als 800 Häuser zum Opfer fallen. Wenn hierbei vielleicht auch unnöthiger
Weise einzelne neuere Häuser mit weggerissen werden müssen, so ist das
Niederlegen der vielen kleinen, tiefen, dunklen, jeder Ventilation und
jedes Lichtstrahles entbehrenden Wohnungen — corticos — ein Segen
gewesen (Fig. 44). Wie viel Mücken und Rattenherde mögen dabei zer¬
stört worden sein! Zu wünschen bleibt freilich, dass man den alten
portugiesischen Baustil mit seinen unendlich tiefen und dabei sehr schmalen
lichtlosen Häusern verlässt Immerhin wird das bald vollendete Werk
sehr viel Gutes schaffen und auch zur Nachahmung in anderen un-
hygienischen Vierteln beitragen.
Schon jetzt wird die Luftfülle und der frische Wind freudig begrüsst,
der durch die lange Avenida streicht, denn es fehlte bisher in den engen
Strassen, mit wenig Ausnahmen, an irgend welcher Luftcirculation.
Leider ist Rio in dieser Beziehung schlecht daran, da die die Stadt
im Halbkreise umschliessenden Gebirge vielfach den erfrischenden Seewind
abhalten. Man hatte sich deshalb auch bereits mit dem Gedanken ge¬
tragen, einen dieser störenden Höhenzüge niederzulegen; allein so schön
der Gedanke an sich ist, er würde ungeheure Summen verschlingen, welche
nicht aufgebracht werden könnten.
Dafür fördert man aber andere hygienisch-sanitäre Arbeiten zum
Schutz gegen Insecten, welche in Nivellirung und Drainage, in Regulirung
von Wasserläufen und Aufstauung von Gewässern bestehen. Neuerdings
wird auch ein stagnirender See „Lago de Freitas“ (vgl. Karte III, S. 394),
in der weiteren Vorstadt, beim Botanischen Garten, welcher eine der zahl¬
reichen grösseren Mückenbrutstätten darstellen soll, mit anderen Mitteln
aber kaum gefahrlos gemacht werden kann, zugeschüttet.
Persönliche Prophylaxe.
Nachdem der Infectionsmodus durch Stegomyia fasciata sichergestellt
ist, muss die persönliche Prophylaxe sich ebenfalls verhiiltnissmässig ein¬
fach gestalten.
Als erste Regel wird naturgemäss gelten, sich, wenn möglich, keinen
Mückenstichen auszusetzen. Dies ist aber leichter gesagt, als gethan.
Immerhin dürfte es gelingen, mit gewisser Vorsicht sich vor jenem Un¬
geziefer einigermaassen zu bewahren. Wir sagen absichtlich nur „einiger-
maassen“, weil es ganz ausgeschlossen ist, trotz der peinlichsten Auf¬
merksamkeit, dauernd von Mückenstichen befreit zu bleiben.
Rationell für Rio gilt noch immer, nach Sonnenuntergang die Stadt
zu meiden. Denn selbst wenn die Stegomyia auch als Tagmücke be-
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M. Otto und R. 0. Neümann:
zeichnet wird, so liebt sie doch die Dunkelheit und kommt dann aas
ihren Schlupfwinkeln hervor, um Blut zu saugen. Seit jeher nehmen
deshalb auch die ausländischen Kaufleute die Unbequemlichkeit auf sich
und machen täglich am Nachmittag die 8 ständige Reise bis nach Petro-
polis, um erst am nächsten Morgen wieder herunter zu kommen.
Die ganz vereinzelten Ausnahmen von Gelbfieber, welche als „Bio-
infection“ bei Petropolisbewohnern bekannt geworden sind, bestätigen also
den guten Erfolg dieser Maassregel.
Geradezu geboten erscheint es, falls man des Abends in der Stadt
weilen muss, dumpfige, enge, luftlose Locale zu meiden. Es ist uns in
Fig. 45.
Rio eine ganze Reihe von Fällen bekannt geworden, in denen die Infections-
quelle auf eine Wirthschaft, ein Bordell zurückgeführt werden konnte.
Der persönliche Schutz in der eigenen Behausung besteht während
der Nacht oder überhaupt während der Ruhe in dem Moskitonetz, unter
welchem man die Nacht verbringt. Dabei darf aber ja nicht ausser Acht
gelassen werden, dass man dasselbe gründlich vorher auf Mücken und un¬
dichte Stellen absucht. Beim Zurechtmachen des Bettes am Tage gelangen
die Thiere gelegentlich unter das Netz und man bemerkt sie erst, wenn sie
in der Nacht über einen herfallen. Vorzüglich haben sich uns die kleinen
elektrischen Taschenlampen bewährt, mit denen man gründlich das Innere
des Netzes und das Bett absuchen kann. Das Netz soll auch lang genug
Original fram
UNIVERSITY OF CALIFORNIA^
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Studien übeb Gelbfieber in Brasilien.
485
sein, um unter der Matratze festgestopft werden zu können. Lässt man
es bis auf den Boden reichen, dann muss für einen guten Abschluss ge¬
sorgt werden.
Von der allergrössten Bedeutung ist die Maschenweite des Netzes.
Von der „Prophylaxe zur Bekämpfung des Gelbfiebers“ in Rio wird ein
Netz angeordnet mit einer Maschenweite von nicht mehr als 1V 2 mm Breite,
da die Stegomyia fasciata bedeutend kleiner als andere Stechmücken ist.
Uns haben sich Netze von beifolgend abgebildeter Maschengrösse be¬
währt (Fig. 45). Die runden Maschen (Fig. 46) sind, wie wir experi¬
mentell festgestellt haben, unter allen Umständen zu weit. Trotzdem
Fig. 46.
fanden wir Netze davon in Privathäuseru von Rio. Es will uns scheinen,
als schenkte man diesem Punkte in den gefährdeten Gegenden noch nicht
die nöthige Aufmerksamkeit. So sahen wir oft Moskitonetze mit Löchern.
Selbstverständlich wird dadurch der Werth der ganzen Netze illusorisch,
weil die Stegomyia derartige Oeffuungen sehr leicht findet.
Um Mücken absolut sicher abzuhalten, könnte man ja Netze ver¬
wenden, die weniger als 1 bis l 1 / 2 mm Maschenweite hätten, doch unter
solchen Ueberhängen in den Tropen zu ruhen und zu schlafen, erscheint
bei der grossen Hitze und dumpfen Luft, die sich darunter entwickelt,
einfach unmöglich; man würde sie sehr bald wieder bei Seite legen.
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M. Otto und R. 0. Neumann:
Als persönlicher Schutz wird eine grosse Reihe von Mittel angeprm
die man äusserlich auf die Haut applicirt und dadurch — meist tek
den Geruch — die Stechmücken abzuhalten sucht. Hierzu gtMa
Salben, Oele, Pulver, Extractlösungen, Seifen, Wässer, nkk
von Zeit zu Zeit mit mehr oder weniger Reclame in den Handel geh**
und wohl auch gekauft werden.
Aber mit air diesen Mitteln ist es ähnlich so wie mit den Mittn
gegen Seekrankheit. Es kommen immer neue auf den Markt, wrüäf
vorherigen nichts helfen; und helfen können sie nicht, weil es überiiß*
ein probates sicher wirkendes Mittel nicht geben kann. So
schwankende Schiffe und zur Seekrankheit disponirte Menschen eit?trc.
wird auch letztere weiter bestehen, und so lange blutdürstige Mi.te
und zum Stechen geeignete Menschen leben, wird auch das Stechen
aller Gegenmittel nicht auszurotten sein.
Uns standen bereits vor der Abreise nach Brasilien verschleim |
Präservativmittel zur Verfügung, allein wir haben sehr bald alle alsnau*
bei Seite gelegt. Unsere einzige Vorsichtsmaassregel bestand nur in
Anwendung des Netzes während der Nachtruhe.
Auch die Herren der französischen Commission und die Aent«-
Krankenhauses S. Sebastiao in Rio maassen den Präservativmittelii &
recht wenig oder gar keinen Schutz bei. Sie erzählten uns als Umca|
mit sichtlichem Behagen, wie ein Arzt, der in demselben Krankel
auch Gelbfieberstudien betrieb, trotzdem er an eine Mückenübeitrag^J
nicht zu glauben vorgab, aus Furcht vor Mückenstichen sich mit üte
reichlichen Mengen 01. menthae pip. zur Last aller anderen Pei
einbalsamirt hatte.
Nach unserer Rückkehr aus Brasilien fanden wir von Dr. v. Ba:
witz 1 aus Porto Alegre Vorschläge zur individuellen Prophylaxe gef®
Moskitostiche dahingehend, dass Einreibungen mit Pjrethrump^
oder daraus angefertigten Salben sicher wirkende Mittel
Moskito- und Gelbfiebermückenstiche seien. Um uns sofort von
Richtigkeit dieser, wenn sie sich bestätigte, praktisch höchst wicha
Beobachtung zu überzeugen, wiederholten wir 2 die Versuche mit gi*l
frisch bezogenem wirksamen Dalmatiner Insectenpulver, aber oWB
jeden Erfolg. Wir haben uns in der damaligen Notiz schon
I
1 E. v. Bassewitz, Porto Alegre, Vorschläge zur individuellen Prophyto^l
Gelbfiebers auf Grund der Fin lay'schen Contagionstheorie. Münchener med .^^I
schrift. 1904. Nr. 29. *
* Otto und Neumann, Hamburg, Bemerkungen zu den Vorschlägen rar
viduellen Prophylaxis des Gelbfiebers auf Grund der Finlay’schen Contagion.4b««*|
von Dr. E. v. Basse witz in Porto Alegre (Brasilien). Ebenda. 1904. Nr. 36.
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Studien übeb Gelbfieber in Brasilien.
487
ausgesprochen, dass die Erfolge des Hm. v. Bassewitz wahrscheinlich
darauf zurückzuführen sind, dass er seine Mücken, die stechen sollten,
in Reagensgläsem auf die Haut aufsetzte. Es hat uns aber die Er¬
fahrung in Rio gerade gelehrt, dass Mücken in Reagensgläsem oft nur
sehr schwer „anbeissen“, während sie sofort stechen, wenn man den Arm
in einen Kasten mit hungrigen Mücken hält.
In einem anderen Falle theilt Hr. Dr. Stephan Rosenberg 1 mit,
dass man überall in Südamerika als Schutzmittel gegen Mückenstiche
einen Quassiaholzauszug mit Erfolg benütze. Man müsse damit die Arme
bezw. den ganzen Körper einreiben und die Flüssigkeit eintrocknen lassen,
dann wäre man vor Moskitostichen sicher. Es war leicht, diesen Versuch
zu wiederholen. Lign. Quassiae wurde mit der 10 fachen Menge Wasser
12 Stunden lang macerirt, der Arm mit der Lösung eingerieben und
nach dem Trocknen in den Stegomyiakasten gesteckt. Im Nu stachen
die Mücken!
Da wir auch von diesem Mittel weder in Rio, noch in Santos, Bahia
oder Pernambuco etwas gehört haben, so dürfte die „sichere Wirkung“
wohl nicht sehr bedeutend sein.
Besonders günstige Wirkung soll eine Thymollösung ausüben. 2 Wir
haben den Versuch, allerdings ohne Erfolg, wiederholt. Die Mücken
stachen nach wenigen Minuten.
Ohne uns eingehender mit der älteren einschlägigen Litteratur dieser
prophylaktischen Mückenstichmittel befassen zu wollen, sind wir dazu
übergegangen, zunächst zu unserer eigenen Orientirung, eine Reihe Mittel,
die sich leicht einreiben liessen, auszuprobiren. Frische, junge, saug¬
kräftige und blutgierige Stegomyien hatten wir nach unseren Züchtungen
reichlich im Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten, wo die Versuche
stattfanden, zur Verfügung.
Im Ganzen kamen ca. 30 Mittel zur Verwendung, meist ätherische
Oele, die wegen ihres Geruches besonders zur Abhaltung von Mücken
geeignet erschienen, ausserdem noch „Dr. Langheld’s Jelly“ — eine
Salbe aus Pflanzenextract —, „Dr. Langheld’s Seife“ und Becker’s
Dermatoline, ein Präparat von salbenartiger Consistenz mit uns un¬
bekannter Zusammensetzung.
Der Uebersichtlichkeit halber lassen wir die Stechversuche in kurzer
Tabelle folgen:
* Stephan Rosenberg, Zur Malariafrage. Münchener med. Wochenschrift.
1904. Nr. 27. Unter Correspondenz. S. 1232.
* Deutsche med. Wochenschrift. 1904.
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488
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490 M. Otto und R. 0. Neumann:
Mit dem betreffenden Mittel wurde unser rechter oder linker Ami
oder der unseres Dieners bis Hand breit über den Ellenbogen tädu
eingerieben, daun sofort in den Mückenkasten hineingebracht nnda&l
destens 10 Minuten darin gelassen. Wenn überhaupt Mücken steehal
wollten, dann stachen sie während dieser Zeit gewiss. Konnte
Arm aber nach 10 Minuten unversehrt wieder herausziehen, so nri?l
noch ein zweiter oder dritter Versuch angeschlossen, um wirkliches
zu sein, ob das Mittel geschützt oder nicht geschützt hatte.
Aus den Versuchen geht deutlich hervor, dass von den vielen Miui
überhaupt nur 01. Caryophyll., 01. Cumini, 01. Cassiae und Oi
Origani in reinem Zustande oder in Verdünnung 1:10 die Mücken ft
kurze Zeit abhalten.
Wir müssen annehmen, dass nicht der Geruch es ist, der die Thiai
vom Arm abhält, sondern der Reiz, der durch das ätherische Oel auf *
Tracheen ausgeübt wird. Ist dieser Reiz nicht mehr vorhanden, da
hindert auch ein so bösartiger Geruch wie von 01. Cumini nicht zu stecba
Man kann die Mittel für kurze Zeit mit Erfolg verwenden, f*
man aus dem Käfig Mücken herausfangen will oder dergl., als prophj*
tische Maassnahme im Grossen glauben wir sie nicht empfehlen zu scLä
denn erstens liebt nicht Jedermann immer solchen penetranten Gtfi
um sich, dann brennen einige Oele ziemlich, wer weiss ob sie nicht aft
bei längerer Fortsetzung Erytheme auf der Haut oder gar Nierenreinisf*
erzeugen und endlich ist das ganze Einreiben doch für längere Zeit ri
ausreichend.
Wir hätten gern auch noch die rothe Farbe des Orleansstraueta
Bixa Orellana, die bei den Indianern unter dem Namen „TTrubr
Mittel gegen die Moskitos gebraucht werden soll, probirt, aber *
konnten keine erhalten. Dr. Mansfeld 1 , der 1898 bis 1900 an*
4. Xinguexpedition nach Centralbrasilien theilnahm, versichert, dasi
Mücken dann viel weniger an den Menschen herankommen; er M
allerdings offen, ob nicht das Einreiben von Fischöl, mit welchem*
Indianer das rothe Pulver verreiben, allein dieselben Dienste gethan bi»
1 Dr. Mansfeld, Berlin, Medicinische Beobachtungen aus Centralbnsä*
Münchener med . Wochenschrift. 1904. Nr. 3. S. 124.
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Studien übeb Gelbfieber in Brasilien.
491
Ergebnisse für Handel und Schifffahrt.
Welchen unheilvollen Einfluss das Gelbfieber auf Handel und Schiff¬
fahrt in früherer Zeit hatte, ist Eingangs genügend gekennzeichnet worden.
Glücklicher Weise sind wir jetzt in der Lage, ruhiger einem erneuten
Aufflackern der Krankheit, wie es z. B. die demnächst in Rio bevorstehen¬
den umfangreichen und langdauernden Hafenbauten vielleicht mit sich
bringen werden, entgegen sehen zu können. Die Erkenntniss des Ueber-
tragungsweges giebt uns ja die Mittel an die Hand zu einer erfolgreichen
Bekämpfung, die sich erfreulicher Weise viel einfacher als früher gestaltet
nnd mit weniger Kosten verbunden ist.
Während im Gelbfieberlande selbst die Maassnahmen für alle Schiffe
naturgemäss dieselben sein müssen, wird die weitere Behandlung der Fahr¬
zeuge nach Rückkehr in den Ausgangshafen von der Gelhfieberempfäng-
lichkeit des betreffenden Landes abhängen. Bezüglich des letzteren Punktes
haben wir geglaubt, die einschlägigen Verhältnisse in anderen Ländern
hier übergehen zu können. Dagegen werden wir am Schluss der Arbeit
auf die für uns in Deutschland in Betracht kommenden Punkte zurück¬
kommen.
Dem Zweck unseres Programms entsprechend haben wir uns in der
Hauptsache mit den Uebertragungsmöglichkeiten, wie sie in den von uns
besuchten brasilianischen Hafenstädten zu Stande kommen können, befasst,
unter besonderer Berücksichtigung von Rio de Janeiro; schon aus dem
Grunde, weil seit einiger Zeit Gelbfieber nur dort noch beobachtet wird.
Es ist selbstverständlich, dass die Regierung in einem Lande, wo
Gelbfieber endemisch herrscht, und welches auf regste Handelsbeziehungen
mit dem Auslande angewiesen ist, Alles thun muss, um auch die Ver¬
schleppung der Krankheit in andere Länder nach Möglichkeit zu verhüten.
Je eifriger in dieser Beziehung vorgegangen wird, desto mehr wachsen
die Aussichten, eine Infection von den Schiffen fern zu halten. Und
gleichzeitig mit dem Erfolg dieser Prophylaxe wird eine Störung des Ver¬
kehrs und der Handelsbeziehungen vermieden.
Die brasilianische Regierung hat sich dieser Erkenntniss nie ver¬
schlossen und sachgemäss je nach dem Stande der wissenschaftlichen An¬
schauung über das Gelbfieber gewisse Vorschriften gegeben. Sie mussten
sich ändern, sobald die Uebertragung durch Mücken festgestellt war.
Die neuen hierauf fussenden Bestimmungen sind niedergelegt in dem
„Reglement, betreffend den Sanitätsdienst zu Lasten der brasilianischen
Union (Anlage zum Decret Nr. 5156 vom 8. März 1904)“, welches während
unserer Anwesenheit in Rio der definitiven Annahme noch harrte.
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492
M. Otto und R. 0. Neumann:
Da uns daran lag, die Bestimmungen kennen zu lernen, welche bk
dato noch in Kraft waren, so bemühten wir uns, die einschlägigen Vor¬
schriften in Erfahrung zu bringen.
Erkundigungen bei der Gesundheitsbehörde ergaben, dass die altes
Vorschriften eben ausser Kraft gesetzt würden, um dem neuen Reglement
SifuaHonsplan der Ankerplätze im Halen von Rio de Janeiro
(mit Benutzung dts Sageihandbuches zusammengsstoUt.)
^ EnchxulusJns. O tddteiras Bank,
Aty,.
Ankerplatz für
lekykiifjpe ' - -. „ nach der Besichtigung
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Ladeplatz
Untiefe
Löschplatz
V » Pedro. doMero
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durch Gesundheit*»fc Zollbehörde
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Freiankerplatz
Ankerplatz für Schiffs mit
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-''Schutzsuchende Schiffe
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Platz zu machen. Die wesentlichen Punkte finden sich übrigens im Segel¬
handbuch der Ostküste Südamerikas von 1902 abgedruokt und lauten:
„ln der heissen Jahreszeit, vom 1. November bis zum 31. März, io
der das gelbe Fieber herrscht, darf kein Schiff an den Landungsbrüekfs
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
493
oder Kais anlegen, sondern muss ausserhalb der Linie ankern, die vom
Fort Villegaignon nach der Ostseite der Fiscal-Insel, von da nach der
Mitte der Verbindungslinie der Inseln Euchadas und Santa Barbara und
Ton diesem Punkte nach der letzteren Insel läuft.“ (Vgl. Karte V:
Situationsplan der Ankerplätze im Hafen von Rio.)
Weitere Verhaltungsmaassregeln, wie sie den Capitänen bei der An¬
kunft im Hafen von der Behörde früher eingehändigt wurden, gelangten
nicht mehr zur Ausgabe; zufälliger Weise erhielten wir aber noch ein
Exemplar von einer der deutschen Rhedereien, an die wir uns bezüglich
weiterer Nachforschungen gewandt hatten.
Diese „Extractos do regulamento sanitario internacional para conheci-
mento dos Srs. Commandantes de navios 1890“ enthalten aber nur all¬
gemeinere Bestimmungen. Die wichtigsten sind:
Das Schiff ist stets zuerst von der Hafen-Sanitätsbehörde zu visitiren.
Die gelbe Flagge bedeutet, dass das Schiff jeglichen Verkehr zu ver¬
meiden hat.
Nationalflagge im Vortopp bedeutet, dass sich Kranke an Bord befinden.
Kein Capitän kann einen Kranken von Bord schicken ohne Erlaubniss
der Sanitätsbehörde.
Alle Schiffe, die nach brasilianischen, argentinischen oder orientalischen
Häfen gehen, haben von der Sanitätsbehörde Gesundheitspässe
mitzunehmen.
Zu Epidemiezeiten wird die innere Hafenvisite 2 Mal am Tage aus¬
geführt.
Diese dürftigen alten Vorschriften Hessen erwarten, dass vielleicht
von Seiten der Rhedereien ausführlichere Anweisungen gegeben wären.
Wir erfuhren jedoch, dass den Capitänen keine besonderen Vorschriften
eingehändigt würden, vielmehr die zu treffenden Anordnungen ihrem Er¬
messen überlassen Wieben. Sie beschränkten sich in Rio in der Haupt¬
sache darauf, jeden Urlaub zu versagen und Kranke möglichst bald von
Bord zu entfernen.
Wir müssen jedoch bemerken, dass die Verhältnisse in Santos ganz
anders liegen, wo das Gelbfieber so furchtbare Opfer an Menschenleben
gefordert hatte. Hier war es der Initiative zweier deutscher Rhedereien,
der Hamburg - Südamerikanischen Dampfschifffahrtsgesellschaft und dem
Norddeutschen Lloyd, Vorbehalten, ein geeignetes Abwehrmittel gegen die
Decimirung ihrer Schiffsmannschaft zu finden und in grossartiger Weise
zu. verwirkUchen.
Dies ist um so mehr anzuerkennen, als bis heute keinerlei gesetzliche
Bestimmungen existiren, welche Schiffe in Gelbiieberhäfeu zu gewissen
Vorsichtsmaassregeln zwingen.
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494
M. Otto und R. 0. Neumann:
Beide Rhedereien haben die Einrichtung getroffen, dass während d«
Aufenthaltes in Santos zu Gelbfieberzeiten die Mannschaften tod den
Schiffen ausquartiert und in geeigneten gelbfiebersicheren Plätzen unter¬
gebracht werden.
Das Löschen und Laden der Schiffe wird ausschliesslich durch ein¬
heimische Arbeiter besorgt. Erst nachdem sämmtliche Arbeiter von Bord
sind, darf die Mannschaft das Schiff wieder betreten.
Der eine dieser Orte ist die am Eingang in die Bucht von Santo*
liegende, der Hamburg-Südamerikanischeu Dampfschiflffahrtsgesellschaft ge¬
hörige liebliche Insel Ilha Palma, ein mit Palmen bewachsenes Eiland,
welches der erfrischenden Seebriese dauernd ausgesetzt ist. (Vgl. Karte VI:
Hafen von Santos.)
Karte VI.
Ein kleines Wohnhaus für die Schiflfsofficiere und ein grösserer Bi-
rackenbau für die Mannschaft nebst den nothwendigen Nebengebäuden
bilden die Unterkuuftsräume für die Besatzung und enthalten in ihrem
Innern alle nothwendigen Einrichtungen für einen dauernden Aufenthalt
(vgl. Fig. 47). Die Instandhaltung der Anlage untersteht jedes Mal der¬
jenigen Besatzung, der die Insel zum mehrwöchentlichen Ruheplatz an¬
gewiesen ist.
Das Gleiche gilt von der Erholungsstation des Norddeutschen Llojd
am Rio branco (vgl. Fig. 48).
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Original frn-m
UNIVERSITY OF CALIFORNI^
Studien übek Gelbfieber in Brasilien.
495
Im Gegensatz zu Ilha Palma ist hier ein Seemannsheim im Walde
an einer freien, am Fluss Rio branco gelegenen Stelle errichtet, mit
Officierswohnungen und einer grossen Baracke für die Mannschaften nebst
Küche, Baderaum und sonstigem Zubehör. Man erreicht die Station nach
ca. 3stündiger Bootfahrt durch Niederungen und Urwald. Ob an diesen
Stationen Stegomyien Vorkommen, ist uns nicht bekannt. Wir haben bei
unserem einmaligen Besuche dort solche nicht auffinden können. In der
Fig. 47. Ilha Palmas bei Santos.
schrecklichen Zeit der neunziger Jahre haben jene Wohlfahrtseinrichtungen
die allerbesten Dienste gethan, nachdem vorher zuweilen ganze Schiffs¬
besatzungen ausstarben und der ganze Handel dadurch auf ein Minimum
reducirt wurde.
Fig. 48. Station am Rio branco bei Santos.
Glücklicher Weise scheinen seit Fertigstellung der neuen Hafenanlagen
n Santos derartige Vorkommnisse sich nicht mehr zu wiederholen, und
;s ist zu erwarten, dass jene Stationen nicht mehr verwandt zu werden
»rauchen.
Inzwischen ist mit dem Amtsantritt des jetzigen Generaldirectors der
luade publica Dr. Cruz das obengenannte neue Regulamento erschienen,
velches neben den anderen gefürchteten Infectionskrankheiten Cholera
ind Pest auch Gelbfieber berücksichtigt.
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496
M. Otto ünd R. 0. Neumaün:
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Die darin enthaltenen Vorschriften, durchaus auf die modernen Gesichts¬
punkte sich stützend, bezwecken natürlich in erster Linie die Landeshäfet
vor der Seucheneinschleppung zu schützeu. Andererseits ist aber auch
Vorsorge getroffen, dass an verseuchten Plätzen Schiffe vor Ansteckungs¬
gefahr nach Möglichkeit bewahrt werden. Hierauf sich beziehende An¬
ordnungen, welche jedem Capitan eingehändigt werden sollen, waren zu:
Zeit unserer Anwesenheit noch nicht erschienen. Man darf aber nach
dem Stand der Dinge jetzt erwarten, dass sie den nothwendigen An¬
forderungen Rechnung tragen werden.
Die gesundheitspolizeiliche Controle der Schiffe in Rio wird in de:
bei uns gebräuchlichen Weise ausgeübt. Ihre Ausführung liess, soweit wir
uns persönlich überzeugen konnten, nichts zu wünschen übrig und scheint
für den Fall kommender Epidemieen die nöthige Sicherheit zu verbürgen.
Wir können nicht auf alle Vorschriften, die in dem neuen Reglemer;
gegeben sind, eingehen und beschränken uns in dieser Arbeit auf dir
Wiedergabe der auf das Gelbfieber bezüglichen Bestimmungen:
Art. 69, § 1. Wenn es sich um Gelbfieber handelt, verfahrt man in
folgender Weise:
A. Für Schiffe, welche andere brasilianische Häfen anlaufen werden:
a) Die Kranken werden sofort ausgeschifft und durch geeignete
Moskitonetze isolirt.
b) fm ganzen Schiffe werden die Moskitos systematisch getödtet ufk
ihre Bildungsherde zerstört.
c) Die Passagiere, welche in dem Hafen, in dem das Schiff sich
befindet, ihren Aufenthalt nehmen, erhalten einen Gesundheitspaß
und werden während 13 Tagen einer ärztlichen Ueberwachun:
unterstellt, zu welchem Zweck die Hafengesundheitsbehörde der
Behörde an Land die nöthigen Mittheilungen macht. 1
d) Das Schiff wird darauf zum freien Verkehr zugelassen, nimmt
jedoch einen Marine-Gesundheitsinspector an Bord, welcher dasselk
bis zum letzten brasilianischen Hafen begleitet und in folgende'
Weise verfährt:
I. Er untersucht täglich sorgfältig alle Passagiere und Matu-
schaften und isolirt durch Netze jeden, welcher Fieber¬
erscheinungen zeigt.
II. Wenn sich Moskitos zeigen, erfolgt sofort die Vertilgung
B. Für Schifte, welche keinen anderen brasilianischen Hafen anlauft e,
wird nach den Verordnungen unter a) b) und c) des § 1 A verfahren
1 Für Passagiere, welche sogleich weiter in’s Innere reisen wollen, vermiss *
wir Bestimmungen. Aus den Vorschriften geht nicht hervor, ob sie die Abreise ^
nach Ablauf der Beobaehtungszeit antreten dürfen oder ob ihnen die Weiterreise >?
gleich gestattet und die Ueberwachung am Ankunftsorte ausgeführt wird. Iß tö*-
terem Falle würde natürlich den Umständen entsprechend verfahren werden raüßci j
(Dauer des Keiseweges, Möglichkeit der Ueberwachung u. s. w.).
Gck igle
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Studien übeb Gelbfieber in Brasilien.
497
Man sieht, dass diese Bestimmungen sich auf die neuesten von der
Wissenschaft festgestellten Thatsachen auf bauen, und dass die lästigen
zeitraubenden Quarantänen, sowie die kostspieligen Desinfectionen der
Schiffe in Wegfall kommen.
Seehospitäler an den Hafenplätzen, wo Inspectionen der Gesundheits¬
behörde ihren Sitz haben, sind ebenfalls geplant und würden dann den
bei uns zum gleichen Zweck errichteten entsprechen (z. B. dem Quarantäne-
lazareth in Cuxhaven).
Die grösste schon vor Jahren erbaute Anstalt dieser Art liegt auf
Ilha grande, einer etwa 16 Seemeilen langen, dicht bewaldeten Insel,
welche 60 Seemeilen von Rio de Janeiro entfernt ist
Fig. 49. Quarantaine-Station auf Ilha grande.
Die Einrichtungen bestehen in zwei ausserordentlich geräumigen
Unterkunftshäusern, in denen zur selben Zeit über 1000 Personen Platz
finden können (vgl. Fig. 49). In dem tiefer gelegenen Gebäude werden
Zwischendecker untergebracht, im oberen Hause die übrigen Schiffs¬
passagiere. Für letztere ist durch Einrichtung von Einzelzimmern und
allem thunlichen Comfort ebenfalls auf’s Beste gesorgt. Neben diesen
Unterkunftshäusern bestehen die weitgehendsten Einrichtungen in Bezug
auf einen längere Zeit nothwendig werdenden Aufenthalt einer grossen
Sehiffsbesatzung. So verfügt die Station über eine eigene Bäckerei, grosse
Apotheke, vorzügliches vom Gebirge hergeleitetes Trinkwasser, Bade¬
einrichtungen, moderne Bedürfnissanstalten sowie eine Reihe Verwaltungs¬
räume.
Zeitachr. f. Hygiene. LI. 32
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Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
498
M. Otto und R. 0. Neumann:
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Etwa 20 Minuten von diesem Häusercomplex entfernt hat man
Lagerschuppen errichtet, die das Löschen selbst der grössten Öctifr
ladungen gestatten. In sehr praktischer Weise sind jene Hailen r
einem riesigen Desinfectionsraum verbunden, in welchem sammt-t
Ladegüter und Effecten in fünf der modernsten Apparate desiniir
werden können. Alle Schuppen und Hallen sind mit dem LösehfL
durch Schienenstränge verbunden, um ein schnelles Abwickeln de: Ge¬
schäfte zu erleichtern.
An einem anderen Punkte der weiten Bucht liegt mitten in üpp'-:
Vegetation ein neu errichteter Barackenbau für Kranke nebst einer Ar;'-
wohnung.
Sämmtliche Einrichtungen dieser Anstalten können jeden Augeitti
in Gebrauch genommen werden, indem ärztliches Verwaltungen*!-
stets auf der Insel stationirt ist.
Das letzte Schiff, welches vor Jahren wegen Gelbfiebers sich k
einer Desinfection unterziehen musste, war das italienische Kriegst
„Lombardia“, dessen fürchterliche Verluste im Jahre 1896 in Rio
in aller Erinnerung sind.
Ist auch zu erwarten, dass während einer Gelbfieberepidemie doti-
zu Desinfectionszwecken nicht mehr nach Dha grande geschickt wercr
müssen, so wird doch die so ausgedehnte Station darum nicht fe
flüssig, weil sie bei Pest- und Choleragefahr ganze Auswanderern^
zu evacuiren und zu desinficiren gestattet»
Die Ausräucherung eines gelbfieberverdächtigen Schiffes gestaltet st.
ganz analog dem bereits ausführlich beschriebenen Verfahren am Lat-
zur Vernichtung der Mücken. Der Unterschied besteht nur darin, k
ein „Claytonapparat“ zur Entwickelung von schwefliger Säure in t:
Specialschiff eingebaut ist, welches durch eigene Kraft sich fortb***
und au jedes Schiff heranfahren kann. Ausserdem enthält das
schiff noch Einrichtungen für Dampfdesinfection, Formalindesinfection s-
chemisch-mechanische Reinigung.
Leider haftet der sicheren Wirkung des Claytongases der Ueber¬
au, dass mauche Waaren und Gegenstände durch die schweflige
leiden oder gar unbrauchbar gemacht werden (Seide, Metallt-heile. m~- : '
Nahrungsmittel), worüber namentlich in neuerer Zeit Klagen lau;
worden sind. Es wäre daher mit Freuden zu begrüssen, wenn e> t
länge, eine Gasmischuug zu verwenden, die ebenso sicher gegeD -
Moskitos wirkt und gleichzeitig die Waaren intact lässt.
Behördliche Fürsorge, mag sie auch noch so weitgehend sein, br.-
aber nicht ausreichen, alle Möglichkeiten einer Infection unserer Sb"
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Original fram
UNIVERSITY OF CALIFORN
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
499
uszuschliessen. Es ist von hervorragender Wichtigkeit, dass auf den
Ichiffen selbst Alles geschieht, um die Bildung eines Krankheitsherdes
u verhindern. Ein solcher kann, wie wir bereits gezeigt haben, einmal
ntstehen, wenn mit Gelbfieber inficirte Stegomyien an Bord gelangen,
ann aber auch, wenn an Bord vorhandene Stechmücken Gelegenheit
nden, eine auf dem Schiff befindliche gelbfieberkranke Person innerhalb
er ersten Krankheitstage zu stechen.
Nach diesen Gesichtspunkten muss sich das Vorgehen richten.
Die erste Möglichkeit liegt praktisch dann besonders vor, wenn ein
chiff in der Nachbarschaft eines gelbfieberverseuchten Schiffes seinen
iegeplatz erhielte oder in der Nähe eines inficirten Stadttheiles vor
.nker gehen müsste. Weit geringer ist, wie oben erwähnt, die Gefahr
er Verschleppung von Moskitos durch Waaren und Ladegüter; eine Aus¬
ahme scheinen nach den bisherigen Erfahrungen nur die Zuckerschiffe
1 bilden, in denen sich auch die Stegomyia besonders gut hält.
Das geeignetste Mittel zur Abwendung dieser Gefahr ist eine mög-
chst isolirte Lage des SchifFes in einer dem Winde ausgesetzten Gegend
is Hafens, da die Mücken gegen jede Windbewegung ausserordentlich
npfindlich sind. Dies gilt in erster Linie für solche Häfen, wo den
apitänen die Wahl des Liegeplatzes überlassen ist; in Rio werden die
iegeplätze von der Hafengesundheitsbehörde zweckmässig angewiesen.
Kann man auch nicht absolut sicher verhindern, dass gelegentlich
lf die eine oder die andere Weise Mücken an Bord gelangen, so hat
an doch Mittel an der Hand, dieselben dort unschädlich zu machen
ad ihre Vermehrung zu verhindern. 1
Licht und Luft sind Feinde der Mücken, daher ist eine möglichst
isgiebige Ventilation, speciell der von Menschen bewohnten Räume unter
len Umständen geboten. Noch wichtiger ist es aber, den Mücken jede
rutgelegenheit zu nehmen. Deshalb müssen alle überflüssigen Wasser-
isammlungen im ganzen Schiffe beseitigt werden, sei es, dass sie sich
ich Regen bildeten, oder in den Passagier- und Laderäumen vorhauden
iren. Wie anspruchslos Stegomyia in der Wahl ihres Brutplatzes sein
inn, haben uns mehrere Beobachtungen gezeigt, welche bewiesen, dass
?nige Cubikcentimeter Wasser zum Gedeihen genügen. Auch berichtete
is ein von einer Reise zurückgekebrter Schiffsarzt, dass er in dem
'aschgefäss einer nicht belegten Cabine kurz vor dem Eintreffen in
amburg gut entwickelte Stegomyialarven vorgefunden habe.
1 Die Ueberführung von Stegomyialarven an Bord durch Töpfe mit Wasser-
anzen hat Gudden festgestellt. Archiv für Schiffs- und Tropenhygiene. 1905.
1. IX. S. 299.
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Die Entwickelungsmöglichkeit von Mücken auf dem Schiff scheint
uns auf Segelschiffen noch grösser, weil diese in den Häfen meist längere
Zeit liegen und dadurch häufiger dem Besuch von Mücken ausgesetzt sind.
Dass es nicht zu den Unmöglichkeiten gehört, dass Stegomjia ge¬
legentlich auch einmal im Reisegepäck mit an Bord gelangen kann, haben
wir bereits früher hervorgehoben.
Es kann für diesen Fall die Desinfection bezw. Ausräucherung dtr
Effecten in Frage kommen, worauf auch ein Passus im Reglement (Art. 6t;. b]
hinweist: „bei Gelbfieber ist die Tödtung der Moskitos an Bord und im
Gepäck vorzunehmen“.
Eine absolute Sicherheit, in tropischen Gegenden Moskitos vod
Bord fernzuhalten, existirt nicht. In Folge dessen ergiebt sich
als nächst wichtigste Forderung, diesen Mücken keine Gelegenheit zur
Infection mit Gelbfieber zu geben. Dies wird erreicht, wenn mau unter
keinen Umständeu Gelbfieberkranke an Bord nimmt. Und hierbei muss
als Cardinairegel beherzigt werden, dass in einer gelbfieberverdächtiget.
Gegend jede fieberhaft erkrankte Person als suspect angesehen und keiues-
falls mitgenommen wird.
Denn bei der Schwierigkeit der Diagnose in den ersten Kraukheib-
tagen, selbst für einheimische, mit der Krankheit vertraute Aerzte, wird
der Schiffsarzt noch viel weniger Sicherheit über die Natur der ein-
getretenen Krankheit gewinnen und unter Umständen einen Gelbliebertäll
und damit eine Infectionsquelle mitgehen lassen.
Gauz ausgeschlossen ist es, dass Laien — so auf Schilfen ohne
Arzt — ein richtiges Urtheil über die Ursache einer fieberhaften Kr-
krankung haben können. Sie müssen erst recht jede Person, deren Tem¬
peratur fieberhaft erhöht ist, von Bord zurückweisen.
Angesichts dieser Thatsache wäre es nothwendig, dass bei Jedem,
der sich in einem Gelbfieberhafen einschiflft, thermometrisch die Körper¬
temperatur festgestellt würde, was auch durch geschultes Schilfspersena!
geschehen könnte.
Um zu verhindern, dass das Schiffspersonal an Land in iuücirten
Häusern, die ja besonders während der Nachtzeit gefährlich sind, ver¬
kehrt, sich dort die Krankheit zuzieht und auf das Schiff verschleppt,
muss der Capitän in Gelbfieberhäfen möglichst jeden Urlaub versaeen.
insbesondere müssen auch alle Personen, welche das Schiff dienstlich ver¬
lassen, vor Eintritt der Dunkelheit zurückgekehrt sein.
In gleicher Weise soll der Verkehr vom Land zum Schiff thunlicb-r
beschränkt werden, weil nur so eine gewisse Möglichkeit gegeben ist. Leut-
fernzuhalten, welche für die Mücken schon Infectionsquellen bilden, ob¬
gleich sie nicht sichtlich erkrankt sind.
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i:
Studien über Gelbfieber in Brasilien. 501
Sollten während des Aufenthaltes im Hafen Bewohner des Schiffes
erkranken, so müssen sie alsbald an Land gesetzt werden. Diese Maass¬
regel darf aber nach Art 73, § 6 des Reglements nicht ohne vorherige
Erlaubniss der Sanitätsbehörde, die den Kranken untersuchen wird,
geschehen.
Trotz aller dieser Vorsichtsmaassregeln kann aber doch der Fall ein-
treten, dass Personen beim Uebertritt auf das Schiff in der Incubations-
periode sich befinden und erst nach Verlassen des Hafens sichtlich mit
Fieber erkranken. Ferner könnten, wenn auch nur ausnahmsweise, auf
das Schiff gelangte inficirte Moskitos Erkrankungen während der Fahrt
verursachen. Dann muss der Kranke sofort unter einem Moskitonetz in
einem anderen Raume isolirt werden und zunächst der von ihm be¬
nutzte Schlafraum, weiterhin aber auch die stets verdächtigen in der Nähe
liegenden Wohnräume ausgeräuchert werden, zu welchem Zweck jedes
Schiff eine geeignete Menge Schwefel mitzunehmen hätte. Ebenso müssen
dauernd Moskitonetze an Bord vorhanden sein.
In dieser Beziehung ist die Hamburg-Amerikalinie unseres Wissens
zuerst mit gutem Beispiel vorangegangen und hat die Mitnahme von
Moskitonetzen auf allen ihren nach den Tropen fahrenden Schiffen obli¬
gatorisch gemacht.
Nachdem die Vorsichtsmaassregeln und Anordnungen besprochen sind,
welche im Lande des endemischen Gelbfiebers von Seiten der Regierung
und der Rhedereien bezw. der Schiffscommandanten zu ergreifen sind,
handelt es sich um die Frage, ob und inwieweit andere Länder, in
unserem Falle Deutschland, durch Gelbfieber gefährdet sind und welche
Maassregeln zum Schutze gegen die Einschleppung desselben angewendet
werden müssten.
Wir glauben von vornherein die Eiuschleppungsgefähr in deutsche
Häfen praktisch als nicht vorhanden betrachten zu können; haben wir
doch gesehen, dass die Ausbreitung der Seuche an bestimmte, ziemlich
hohe Mitteltemperaturen gebunden ist, wie sie bei uns auch im Sommer
sich nicht vorfinden.
Ausserdem kommt Stegomyia fasciata bei uns überhaupt nicht vor,
und falls sie, was durchaus im Bereich der Möglichkeit liegt, doch einmal
eingeschleppt werden sollte, so findet sie, wie wir auch experimentell nach¬
gewiesen haben, nicht die ihr zusagenden Bedingungen zur weiteren Ent¬
wickelung. Wir sahen ja, dass sie nur im Warmzimmer (Tropentemperatur!)
dauernd fortgezüchtet werden kann, dagegen ausserhalb desselben bald
eingeht.
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502
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Nun wäre es immerhin nicht ganz ausgeschlossen, dass die eine oder
andere inficirte Mücke sich an Bord gehalten hätte, z. B. in uneröffneten
Laderäumen oder unbewohnten Kammern. Dass unter diesen Umständen
für Personen, die den betreffenden Raum betreten, Gefahr entstehen kann,
ist nicht ganz unmöglich, doch glauben wir, diesen Punkt vernachlässigen
zu können, da bei unserer verhältnissmässig niederen Temperatur die
Moskitos keine Tendenz zum Stechen zeigen.
Im ungünstigsten Falle würde nur der Gestochene erkranken können.
Zu einer Weiterverbreitung fehlt die Voraussetzung, die Anwesenheit von
Stegomyien.
Die einzige Zeit, in welcher überhaupt die Bedingungen für eine
Weiterverbreitung des Gelbfiebers gegeben sein könnten, wären Sommer¬
monate mit abnorm langen constanten Wärmeperioden, wie sie ausnahms¬
weise Vorkommen können und von Reineke 1 z. B. für den Sommer 186S
festgestellt sind.
Mit unserm Sommer correspondirt aber in den Gelbfieberländern die
kühle Zeit, in der das Gelbfieber erfahrungsgemäss ganz zurückzutreten
pflegt. Damit ist eine weitere Sicherheit gegen die Verschleppung inficirter
Mücken oder Ueberführung gelbfieberkranker Personen gegeben.
Andererseits wird ein Schiff, das während des Sommers in Südamerika
inficirt ist, mit frischen Gelbfieberkranken in Deutschland kaum eintreffen.
weil nach Passiren der wärmeren Breiten die Stegomyia fasciata nicht
mehr sticht und deshalb Neuerkrankungen ausbleiben.
So mag es sich wohl auch erklären, wenn wir trotz aller Nach¬
forschungen keinen frischen in unsere heimischen Häfen gelangten Fall
von Gelbfieber auffinden konnten, nur solche würden ja der Weiterver¬
breitung dienen, da der Kranke vom 4. Tage ab nicht mehr zu weiteren
Infectionen Anlass geben kann. Hier könnte man die Frage aufwerfen,
ob für den Fall, dass trotz der betonten UnWahrscheinlichkeit ein Gelt¬
fieberkranker innerhalb der ersten drei Tage zu uns gelangte, die weitere
Verbreitung nicht durch unsere einheimischen Stechmücken möglich wäre.
Wir halten dies für ausgeschlossen. Nach den bisherigen Erfahrungen
ist Stegomyia fasciata als einziger Ueberträger des Gelbfiebererregers an-
zusehen.
Weiter liegt die Annahme sehr nahe, dass der Erreger zu seiner Ent¬
wickelung in der Mücke einer bestimmten Temperaturhöhe bedarf, wofür
wir ein Analogon bei der Malaria heranziehen können. Der Erreger der
Malaria tropica entwickelt sich in der Anophelesmücke nur bei einer ent¬
sprechenden hohen Aussentemperatur weiter.
’ Reineke, Bedeutung des Gelbfiebers f. d. 2sorden Europas. Hamburg 1 S7, T \
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Studien über Gelbfieber in Brasilien.
503
Als Resultat dieser Auseinandersetzungen ergiebt sich,
dass praktisch für Deutschland eine Gelbfiebergefahr nicht
besteht.
Wenn der Gesetzgeber trotzdem in das Reichsseuchengesetz vom
30. VI. 1900 die Krankheit als anzeigepflichtig aufgenommen hat, so geschah
dies, weil man in jener Zeit auf Grund der damaligen Anschauungen mit
einer Gefahr rechnete, die wir nach den neuesten Forschungen nicht mehr
als bestehend anerkennen können. Auch an maassgebender Stelle hat man
die Frage wohl nicht für brennend erachtet, sonst wären die Ausführungs¬
bestimmungen zu dem Gesetz für das Gelbfieber bereits erschienen.
Sie würden sich auf den modernen Anschauungen von der alleinigen
üebertragung durch Stechmücken aufzubauen und demgemäss denen zu
entsprechen haben, wie sie in Gelbfieberländern zur Anwendung kommen.
Es würde also im Wesentlichen darauf ankommen, für den Fall, dass
das zur Zeit zurückgehende Gelbfieber in Südamerika wieder aufflackern
sollte, unsere Schiffe im Auslande nach Möglichkeit vor Infection zu
bewahren.
Hierzu gehört vor allen Dingen eine ausreichende Kenntniss des Gelb¬
fiebers seitens der Schiffsärzte, für die eine specielle Ausbildung wie in
anderen Ländern obligatorisch sein sollte. Auch müssen die Schiffs-
officiere, da auf den meisten Fahrzeugen sich kein Arzt befindet, über die
Krankheit und deren Bekämpfung genügend unterrichtet sein. Zur Auf¬
klärung der Gelbfieberhäfen aufsuchenden Personen halten wir Merkblätter,
wie sie das Kaiserl. Gesundheitsamt für andere Infectionskrankheiten heraus¬
gegeben hat, für ein sehr geeignetes Mittel.
Für unsere deutschen Colonieen, welche in der für die Stegomyia-
entwickelung geeigneten Zone liegen, würden dieselben oder ganz ähnliche
prophylaktische Maassregeln — falls Stegomyien ansässig sind — zu er¬
greifen sein, wie sie für Brasilien genauer beschrieben wurden.
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M. Otto und R. 0. Neumann:
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Erklärung der Abbildungen.
(Taf. IV-X.)
Tafel IV.
Stegomyia fasciata.
Fig. 1. Ausgewachsene Mücke. Weibchen, ca. 8 fache Vergrössertng.
a Stechrüssel, b Palpen, c Antennen, d Femur, e Tibia, f Metatarsus. 0 TW-
Fig. 2. Kopf und Brust einer Mücke. Männchen, ca. 12 fache Verp.
a Stechrüssel, b Palpen, c Antennen, d Kopf, e Brust mit Lyra.
Fig. 3* Sitzende Mücken. Weibchen Natürl. Grösse.
Fig. 4. Sitzende Mücke. Weibchen. Der Hinterleib stark an gesell woben
von eben gesogenem Blut. ca. 3 fache Vergrösserung.
Fig. 5. Sitzende Mücke. Weibchen, ca. 10 fache Vergr. Das hitr.er*
Beinpaar in schwingender Stellung.
Fig. 6. Flügel einer Mücke, ca. löfache Vergrösserung.
Fig. 7. Rumpfende von Mücken, ca. 40fache Vergr. a Männlicher Ge¬
schlechtsapparat. b Weiblicher Geschlechtsapparat.
Fig. 8. Klauen der Mücken. ca. 350 fache Vergrösserung.
1. Weibchen: a Vorderes Beinpaar, b Mittleres Beinpaar, c Hinteres Beinpaar.
2. Männchen: a „ „ b „ „ c „
Fig. 9. Schuppen von Mücken, ca. 350fache Vergrösserung.
a Hauptsächl. auf Abdomen, aa auf Kopf. b Hauptsächl. auf den Beinen. Th m
c „ „ Flügel. d „ , # dem Thorax.
e „ Hinterkopf. f Haarähnl.Schuppen, überall verthtu:
Fig. 10. Entwickelung der Mücke aus Larve und Puppe, Natürlich
Grösse, a Larven, b Junge Puppe, c Alte Puppe, dunkel, direct vor dem Afr-
schlüpfen der Mücke, d Die Puppe legt sich flach. /*, g Der Kopf steigt über k*
Oberfläche, h, i, k Entwickelung der Beine. I Entwickelung der Flügel.
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UMIVERSITY OF CALIFORNIA^
Studien über Gelbfieber in Brasilien.
505
Tafel v.
Stegomyia fasciata.
Fl?. 1. Larve. Eben ausgeschlüpft aus dem Ei. ca. 25fache Vergr.
Fl?. 2. Larve. Erwachsen, etwa 10 Tage alt. ca. 25fache Vergr.
Fi?. 3. Larve. Erwachsen, kurz vor dem Verpuppen, etwa 14 Tage alt.
Ziemlich dunkel, ca. 25 fache Vergr.
Fi?. 4. Puppe. Erwachsen, kurz vor dem Ausschlüplen. ca. 15 fache Vergr.
a Kopf und Bruststück, b Saugröhre, c Hinterleib, d Endstück.
Fig. 5. Puppe. 3 Tage alt. ca. 30fache Vergr. a Kopf mit Rüssel, Beine
und Bruststück, b Saugröhren, c Hinterleib, d Endstück.
Fig. 6. Eier. Zahlreiche Eier, ein Gelege bildend. Natiirl. Grösse.
Fi?. 7. Eier. In älterem Stadium, ca. 30 fache Vergr. Die kleinen als
Körnchen erscheinenden Gebilde entsprechen Luftbläschen.
Fig. 8. Ei. In älteren Stadien, ca. 200fache Vergr.
Fig. 9. Larven und Puppen. Natürl. Grösse, a Larven an der Oberfläche
des Wassers hängend, b Larven an Mais fressend, e Puppe, eben verpuppt, ganz
hell, d, e Puppe, älter, etwa 3 Tage alt, bräunlich, f Puppe, kurz vor dem Aus-
schlüpfen, dunkel, bis schwarz.
Tafel VI.
Arm eines Gelbfieberkranken, direct nach dem Tode. Die violette Fleckung
und Schattirung tritt bisweilen schon mehrere Stunden vor dem Exitus ein.
Tafel VII.
Fig. 1. Leber eines Gelbfieberkranken, direct nach dem Tode. Durchschnitt.
Fi?. 2. Die gleiche Leber nach ‘/jstümligem Liegen an (1er Luft.
Fl?. 3. Leber eines Gelbfieberkranken, direct nach dem Tode. Durchschnitt,
und Oberfläche.
Tafel VIII.
Aussenseite der Niere eines Gelbfieberkranken, direct nach dem Tode. Stark
•reibe Verfärbung. Die Kapsel ist zum Theil abgezogen. Hämorrhagieen.
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506 M. Otto ü. R. 0. Neumann: Studien über Gelbfieber i:. s. w.
Tafel IX.
Schnittfläche der Niere eines Gelböeberkranken. Schwellung, Verbreiterung drr
Rindenpartie, Gefässfüllung. Ekchymosen der Nierenbeckenschleimhaut.
Tafel X.
Flg. 1. Theil eines Magens vom Gelbfieberkranken, direct nach dem Tode.
Mit zahlreichen Hämorrhagieen.
Flg. 2. Stück eines Dickdarmes. Innenseite. Direct nach dem Tode. Schleim¬
hautschwellung, Stase, Hämorrhagieen.
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