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MUSEUM OF COMPARATIVE ZOOLOGY
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Zeitschrift
Organ des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen
und Thüringen, unter Mitwirkung von
Geh. Rat Prof. Dr. Freih. v. Fritsch, Geh. Rat Prof. Dr. karcke
Geh. Rat Prof. Dr. E. Schmidt und Prof. Dr. Zopf
herausgegeben
von
Dr. G. Brandes
Privaidozent der Zoologie an der Universität Halle
73. Band
(Fünfte Folge, Elfter Band)
Mit 5 Tafeln und 27 Figuren im Text
Stuttgart
E. Schweizerbart’sche Verlagshandlung
(E. Naegele)
1900
Inhalt des 73. Bandes.
I. Original- Abhandlungen.
Erdmann, Prof. Dr. H., C. Höpfner, 8. Februar 1857 bis
14. Dezember 1900. ee Notiz . ;
Fahrenhorst, Dr. J., Ueber ein Vorkommen von Dolomit en
ee ; 2er a NONE: s
Gerbing, Walter, Die Charakters Be Be ilieher
Thüringer Waldes
Kalberlah, Dr. med. Fritz, neu a oe ark der Plagio-
stomen. Ein Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Central-
nervensystems. Mit 1 Tafel und 1 Figur im Text
Kersten, H., Die idealistische Richtung in der modernen Ent-
ea.
Marshall, Prof. Dr. W., Die Tierwelt as NN
— Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte und nn
Wunder . i
Möller, Hugo, Ueber Hlenhas. itatins na Blinöcerek Merki
als Inallırs des alt-diluvialen Menschen in Thüringen und
über das erste Auftreten des Menschen in Europa. Mit
ı Tafel UI WERE an an. ln ABETNTRUR IK IR RENSERSABI ALLE
Öfenheim, Dr. Ernst von, Ueber eine neue Distomidengttung
Mit 1 Tafel und 4 Kieuren im Text .
Schönichen, Dr. Walther, Blütenbiologische Schemabilder. Ein
Beitrag zur Methodik des naturkundlichen Unterrichts. Mit
12 Figuren im Text. SR NE RE Fee :
— Ueber Tier- und Menschenseele. Mit 10 Figuren im Text
Schulze, Dr. Erwin, Catalogus mammalium europaeorum .
Sceupin, Privatdozent Dr. H., Ueber vulkanische Bomben aus dem
Katzbachgebirge. Mit 1 Tafel . i i
Wiegers, Dr. Fritz, Ueber ae yacheitnken, an ons Mit
1 Tafel SE RS KERNE NEN SAL SOHe 0): PER
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367
275
398
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97
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267
IV
II. Kleinere Mitteilungen.
Astronomie.
Zur Jahrhundertwende
Ueber Sonnenuhren
Physik und Chemie.
Thermographie
Ueber Aleuronatpräparate ;
Die Riechstoffe aus der Gruppe kn Aldehyde
Explosive Wirkung der flüssigen Luft \
Die Riechstoffe aus den Gruppen der Ketone, ir Phenole Tal
der Säuren .
Die Kalkverbindungen Alt [onen amd die Being des
assimilierbaren Kalkes im Boden .
Das Blau des Himmels und des Wassers
Die Wirkung des Lichts bei tiefen nen >
Die Riechstoffe aus der Gruppe der Alkohole und Ester
Gleichzeitige Gewinnung von Stärke und Kleberteig .
Mineralogie und Geologie.
Ueber Argyrodit Ehe
Die Erdbeben im Könkersich Salem
Ueber Thüringer Meteoriten
Die Lakkolithennatur des Brockens
Neue Erdbebenschwärme im Vogtlande .
Botanik.
Ueber das Gefrieren der Pflanzen .
Nord und Süd im Jahresring . ;
Ueber eine gelbe Flagellate unserer omieiiieer
Die sogenannten Hexenbesen .
Ueber Maifröste . :
Ein Vorschlag zur Skalen Be der Pismenonkouresan
Ueber Pflanzengallen .
Zur Biologie des Soll
Zoologie.
Die Ursache des Drehens der japanischen Tanzmäuse
Die Begattung von Clepsine tessulata .
Ein neuer viviparer Fisch . ’ 5
Ein Beitrag zur Schneckenfauna des Thiringer Waldes :
Das Vorkommen von Planaria alpina nördlich vom Harz .
Die Parthenogonie der Bienen
Seite
Zur Biologie des Maikäfers
Das Summen der Dasselfliegen
Die Beeinflussung des Vogelmagens nah die Art le: Neahenne,
Die Zähne der Elefanten BENENNEN ARLLLERUDS LIE Sa,
III. Litteratur- Besprechungen.
Arbeiten der biologischen Abteilung für Land- und Forstwirtschaft
am kaiserlichen Gesundheitsamte . i
Bade, Der Schleierschwanz und der Teleıkopschlenschwanz
Behrens, Nutzpflanzen ..
Bleier, Nom gasometrische Methoden sind! Aare
Bloehmann, Physik b
Eekstein, Der Kampf zwischen Mensch un. Tier
Fickert und a Tierkunde
Fischerei-Zeitung : I
Fortschritte der Physik im ale 1898. AT Teil
Garcke, Illustrierte Flora von Deutschland .
Gerstung, Glaubensbekenntnis eines Bienenvaters
Geyer, Katechismus für Aquarienliebhaber Ai
Goldfuss, Die Binnenmollusken Mitteldeutschlands .
Günther, Handbuch der Geophysik
‚ Alexander von Humboldt, Leopold von Buch. anche
ee, Das Tierleben der “Rirde ERRN RE
Hallier, Die Pestkrankheiten der Keule che
Höck, Der gegenwärtige Stand unserer Kenntnis von der ur-
sprünglichen Verbreitung der angebauten Nutzpflanzen .
Höfler und Maiss, Naturlehre für die unteren Klassen der
Mittelschulen
Jühling, Die Tiere in der dlerichen NYalsmedi alter ed
neuer Zeit 5
Kars, Der einstige Eoreitie Mond dr (Erde sk Taler aller
miisahen Entwicklung . ß
Klein, Katechismus der aan 5 ; 5
Kleyers Eneyklopädie. Lehrbuch der ass $
Kloekmann, Lehrbuch der Mineralogie
Kraus, Brmickike der Naturlehre für Lehrer- und Tehrenmnen-
ren Ä
Lehmann, Länder- und Völkerkunde i
Maiss Ku Höfler, Naturlehre für die en olsekian der
Mittelschulen EAN:
Migula, Pflanzenbiologie .
Münch, Lehrbuch der Physik .
Nom, Naturgeschichte der Vögel Eee
Pohl, Die "Maus
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462
460
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456
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129
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132
453
461
305
307
132
vI
Preus, Geist und Stoff
Rössler, Die Raupen der Srsenahmakentasn Dankenkmis
Sehultz, Die Ursachen der Wettervorgänge .
Schwippel, Verbreitung der Pflanzen und Tiere .
Tümpel, Die Geradflügler Mitteleuropas . . . . .
Woltersterff, Ueber ausgestorbene Riesenvögel
Zenker, Lehrbuch der Photöchromie
Seite
311
454
137
458
308
465
149
Neu erschienene Werke . 2 Sr 1A2315 46
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für
Organ des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen
und Thüringen, unter Mitwirkung von
Geh.-Rat Prof. Dr. von Fritsch, Geh. Rat Prof. Dr. Garcke,
Geh.-Rat Prof. Dr.-E. Schmidt und Prof. Dr. W. Zopf
herausgegeben
von
Dr. G. Brandes,
Privatdozent der’Zoologie an der Universität Halle.
Mit 2-Tafeln und 13 Figuren im Text.
Jährlich erscheint 1 Band zu 6 Heften.
Preis des Bandes 12 Mark.
Vereinsausgabe.
Stuttgart
E. ‚Schweizerbart/sche Verlagshandlung
(E. Naegele)
1900.
Baulscheh Chemie.
u. 2. Hoft. 20. Oktober 1900.
R wir: ‚verweisen auf den beiliegenden ‚Prospekt von Friedr.
ieweg & Sohn, Braunschweig, no H. Erdmann, Lehrbuch
Inhalt.
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[4,0 Original- Abhandlungen. -
3 Dlkdahy erläh, Dr. med. Fritz, Ueber das Rückenmark der Plagio-
stomen. Ein Beitrag zur vergleichenden Anatomie des
Zentralnervensystems. Mit 1 Tafel und 1 Figur im Text
Möller, Hugo, Ueber Elephas antiquus und Rhinoceros Mercki
als Jagdtiere des alt-diluvialen Menschen in Thüringen und
über das erste Auftreten des Menschen in Europa. Mit
ivTafel:, £ :
Marshall, Prof. Dr. W., Die sei Aha EURER:
Schoenichen, Dr. Walther, Blütenbiologische a ak
Ein De zur Methodik des naturkundlichen Unterrichtes.
Mit 12 Figuren im Text . B Me:
IH. Kleinere Mitteilungen.
Mineralogie und Geologie: Ueber Arsyrodit. 8.115. —
Die Erdbeben im Königreich Sachsen. 8. 115.
Physik und Chemie: Thermographie. 8. 117. — Ueber Aleu-
ronatpräparate. S. 118. — Die Riechstoffe aus der Gruppe
der Aldehyde. S. 119. — Explosive We der flüssigen
Iutt. v8. 121
Botanik: Ueber das Gefrieren der Pflanzen. S. 122. — Nord
und Süd im Jahresring. S. 122. — Ueber eine gelbe
Flagellate unserer Gewächshäuser. 8. 123. — Die sog.
Hexenbesen. $. 123. — Ueber Maifröste. S.124.
Zoologie: Die Ursache des Drehens der japanischen Tanz-
mäuse. $.125. — Die Begattung von Clepsine tessulata.
S. 126.
III. Litteratur- Besprechungen .
IV. Neu erschienene Werke .
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12
14
Über das Rückenmark der Plagiostomen.
Ein Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Centralnervensystems
von
Dr. med. Fritz Kalberlah,
Assistent an der psyebiatrischen und Nervenklinik in Halle.
Mit Tafel I und 1 Figur im Text.
Aus dem anatomischen Institut in Leipzig.
Während nach der Erfindung des Mikroskops die Kenntnis
in der mikroskopischen Anatomie der verschiedenen Organe
des tierischen Körpers, vor allem natürlich des Menschen, rasch
durch eine grosse Reihe bedeutsamer Befunde erschlossen
wurde, blieb die Erforschung des Centralnervensystems lange
eine terra incognita für die Anatomen, trotzdem dies lebens-
wichtige Organ als der Sitz der psychischen Vorgänge, als
die Centrale für den komplizierten Lebensmechanismus in
ganz besonderer Weise zum Studium anregte. Ja selbst
heutzutage noch, wo die mikroskopische Forsehung unter
dem Einfluss der modernen histologischen Technik einen so
schnellen und erfolgreichen Aufschwung genommen hat, ist
die intimere Bekanntschaft mit dem feineren Bau des nervösen
Centralorgans sowohl nach der normal anatomischen und
physiologischen als auch nach der pathologischen Seite hin im
grossen ganzen auf die kleine Zahl der Mediziner beschränkt,
die dies Gebiet zu ihrem speziellen Studium erwählt haben.
Dies kann aber auch nicht Wunder nehmen, so auffällig
es vielleicht bei der Wichtigkeit des Organs erscheint, da
wir ja nirgends im tierischen Körper auf so engem Rkaume
eine solche Mannigfaltigkeit der Formen, ein so wechselvolles
Bild in der Struktur, ein scheinbar unentwirrbares Durch-
einander von anatomisch und funktionell versehiedenartigen
Gebilden finden wie im Centralnervensystem. Hier gilt es
nieht nur, wenn wir das Gehirn als Ganzes kennen lernen
Zeitschrift f. Naturwies. Bd. 73, 1900. 1
2 Dr. med. Fritz KALBERLAH,
wollen, — und nur so kann es uns über seine Funktion
Aufschluss geben, — die einzelnen Teile in ihre anatomischen
Substrate zu zerlegen, sondern die Details zu einem Gesamt-
bild zu vereinen und so allmählich das allerdings sehr
komplizierte, aber doch in seinen Hauptzügen gesetzmässige
Gerüst zu erhalten, das die Grundlage für seine Funktion
bildet.
So erklärt sieh der überaus langsame Fortschritt auf
diesem Gebiet.
Um den Zusammenhang der einzelnen Bezirke zu er-
kennen, mussten erst von der Natur besonders markant
gezeiehnete Bahnen genauer erforscht und in ihrer Bedeutung
sicher gestellt werden; dann erst war es möglich, durch
Anreihung von Einzelheiten das Gesamtbild verständlich zu
machen. Diese Untersuchungen konnten aber nur dann zu
einem befriedigenden Resultat führen, wenn daneben die
Erforschung der einzelnen Formelemente, aus denen sich die
nervösen Gebilde aufbauen, genügende Fortschritte machte,
um immer eine richtige Deutung der vorliegenden Befunde
zu ermögliehen. Die Natur der Ganglienzelle und des Axen-
zylinders musste z. B. erst erkannt und die Anatomie dieser
Gebilde bis zu einem gewissen Grade gefördert sein, bevor
die Untersuchungen über den Faserverlauf mit Verständnis
betrieben werden konnten.
Deshalb mussten sich auch die älteren Anatomen!)
lange mit einer rein äusserlichen Beschreibung des Gehirnes
begnügen, ohne eine eigentliche Kenntnis von dem Wert der
einzelnen Teile und ihrer Entstehung zu haben, während im
Innern desselben nur einige besonders auffällige Punkte die
Aufmerksamkeit auf sich lenkten.?)
Erst die ontogenetisch und phylogenetisch durch-
geführten entwicklungsgeschiehtlichen Untersuchungen der
neueren Zeit?) brachten ung Aufschluss über die Morphologie
1) Das sind vor allen: Vieq d’ Azyr, Sömmering, Gall,
Spurzheim, Bell, Arnold, Rolando, Foville u.a.
2) Siehe dazu besonders: Burdach, Vom Bau und Leben des
Gehirns, 1819—26.
®) Vorallen: Tiedemann, Reichert, Kölliker, His, Goette,
Kupffer, Burkhardt u.a.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 3
des Gehirns, so dass, nachdem dies äussere Gebäude in
seinen Hauptzügen feststand, die Detailforschung sowohl in
der Untersuchung der Faserstrassen und ihrem Zusammenhang
als auch in der Bewertung der einzelnen Formelemente als
solche und untereinander in anatomischer und physiologischer
Beziehung erfolgreich einsetzen konnte.
Besonders waren es zwei Männer, die auf dem Gebiete
der Erforschung des Centralnervensystems fruchtbringend
wirkten, und als die Gründer der exakten Gehirnanatomie
zu gelten haben, das sind SrıLLInG und MEYNERT.
Die Wege, auf denen die Erreichung dieses Zieles ver-
sucht wurde, waren sehr verschieden, aber gerade diese
mannigfaltige Inangriffnahme des spröden Stoffes führte dann
in verhältnismässig kurzer Zeit zu reichen Erfolgen, so dass
heutzutage bereits eine bei der Jugend dieser Wissenschaft
recht grosse Litteratur über diesen Gegenstand vorliegt, und
doch können wir nieht behaupten, dass wir damit einem
Abschluss näher gekommen wären.
Die ersten bei der Grobheit der Methode auffallend
reichen Resultate lieferte die Zerfaserung des alkohol-
sehärteten Gehirns. So wichtig diese Art der Untersuchung
für den damaligen Stand der Gehirnkenntnis war, so sehr
ist sie jetzt gegen andere Verfahren zurückgetreten.
Bahnbrechend und auch heute noch massgebend für die
Art der Bearbeitung des Centralnervensystems ist die Zer-
legung des Gehirns in dünne Schnitte und, was noch wichtiger
ist, in Schnittserien nach dem Vorgange STILLing’s, der
selbst mit dieser Methode eine Fülle des Neuen finden
konnte.
Aber auch so war es noch nicht möglich verschiedene
eng zusammenliesende Fasersysteme, verfilzte oder sich
kreuzende Fasergewirre oder zu Komplexen vereinigte
Nervenkerne distinkt von einander zu unterscheiden und in
ihrer Zusammengehörigkeit richtig zu erkennen. Dazu
bedurfte es einmal einer Reihe gleich zu besprechender
Massregeln, die uns erlauben, nur bestimmte gewünschte
Teile des Centralnervensystems unabhängig von den anderen
zu bearbeiten, dann galt es auch, überhaupt erst einmal die
einzelnen Formelemente als solche in dem mikroskopischen
1*
+ Dr. med. Frıtz KALBERLAH,
Bilde schärfer hervorzuheben und gegen die Umgebung ab-
zusetzen, was vor allem durch die Imprägnation mit
bestimmten Farbstoffen und Metallsalzen erreicht wurde.
Um so wertvoller wird eine solche Färbung sein, je präzis
elektiver dieselbe die einzelnen Gebilde färbt. Nachdem
GERLACH diese Färbung zuerst in die Gehirnforschung ein-
geführt hatte, sind rasch eine Menge neuer Verfahren, die
gegenüber der ersten Karmintinktion einen enormen Fort-
schritt bedeuten, aufgetaucht, besonders verdanken wir
WEIGERT, GOLGI, BELLONCI, MARCHI, EHRLICH, dann NissL,
HELD, Apırtay, BETHE, v. LENHOSSER, RAMON Y CAJAL, VAN
GıEson exakte Methoden.
Vor allem hat die Weıserr’'sche Markscheiden-
färbung für die verschiedensten Arten der Untersuchung
in normal anatomischer und pathologischer Beziehung grosse
Bedeutung erlangt, weil diese Methode bei verhältnismässiger
Einfachheit der Ausführung doch sehr exakte und dabei
elegante Bilder garantiert. Wiehtig vor allem für praktische
Zwecke ist, dass es bei den einzelnen Phasen der Färbung
nieht auf übermässige Peinlichkeit der Behandlung ankommt
und bei der Einwirkung der einzelnen Reagentien nicht mit
Sekunden gerechnet zu werden braucht. Dadurch macht
sich der Nachteil, der sonst bei jeder Färbung in dem
Prinzip der Differenzierung liegt, nicht so sehr geltend.
Etwas vermeiden lassen sich derartige aus zu starker Ent-
färbung entspringende Fehlerquellen auch dadurch, dass
man, wie ich es immer that, abweichend von der gegebenen
Vorschrift das Haematoxylin 24 Stunden und länger bei
Brutofenhitze einwirken lässt und mit etwas dünneren
Differenzierungslösungen arbeitet; ein Nachteil ist dann
allerdings die ungemein langsame Entfärbung, ein Vorteil
aber die grosse Sicherheit, auch die feinsten und isoliertesten
Nervenfasern tief dunkel und nieht dureh die Differenzierungs-
flüssigkeit teilweise angegriffen vorzufinden.
Besonders enthusiastisch wurde vor allem die Golgi-
methode der Silberimprägnation aufgenommen. Und
mit Recht ist dieselbe als eine der wertvollsten Be-
reicherungen unserer histologischen Technik der letzten
Zeit aufzufassen, hat sie uns doch in kurzer Zeit eine
Über das Rückenmark der Plagiostomen. b)
ungeahnte Bereicherung in der feinsten Detailforschung des
Gehirnes geliefert. So sehr aber ihre Bedeutung anzu-
erkennen ist, so vorsichtig muss man in der Verwertung
der damit erhaltenen Ergebnisse sein, wenn man nicht durch
die blendenden Resultate zu Trugschlüssen kommen soll,
zumal man ihre elektive Wirkung absolut nieht in der Hand
hat, sondern ganz auf den Zufall angewiesen ist. Ihr Haupt-
wert liegt wohl in der allerdings unentbehrlichen Ergänzung
zu den anderen Methoden, vor allem zur WEIGERT’schen
Markscheidenfärbung. Ganz unsicher wird oft die An-
wendung bei niederen Vertebraten, wo manchmal bei ganzen
Versuchsreihen die Imprägnation ohne erkennbare Ursache
einfach ausbleiben kann.
Von vielleicht ebenso grosser Tragweite für die Er-
forschung des Centralnervensystems dürfte die vitale
Methylenblaufärbung von EurLich werden. Gerade die
Vornahme der Färbung, während das Gewebe noch lebt,
dürfte uns noch über viele Irrtümer aufklären, die uns durch
die eingreifenden Behandlungen anderer Methoden vor-
getäuscht werden. Gerade die Gefahr, vielfach Kunst-
produkte zu erhalten, ist auch ein Vorwurf, den man der
Golgimethode nicht ersparen kann.
Doch mit der rein mechanischen Behandlung der
Präparate mit Farbstoffen wäre uns noch wenig gedient,
wenn uns nicht Methoden zur Seite ständen, mittels derer
es gelingt, wieder aus der Fülle des sich gleichfärbenden
bestimmte funktionell und genetisch zusammenhängende Teile
getrennt voneinander hervorzuheben, wobei besonders die
Möglichkeit, bestimmt beabsichtigte Erfolge durch die
methodische Vornahme der Untersuchung zu erzielen, von
Wert ist.
Schon MEckeEn hatte erkannt, dass die Nervenfasern
sich im Laufe der Entwicklung mit Markscheiden umgeben,
aber das grosse Verdienst FLecasie’s ist es, diese Be-
obachtung der Gehirnforschung dadurch dienstbar gemacht
zu haben, dass er lehrte, dass diese Markscheidenentwicklung
in Bezug auf die einzelnen Fasersysteme räumlich und
zeitlich getrennt, aber in ganz systematischer, gesetzmässiger
Weise, die mit der funktionellen Entwicklung im intimsten
6 Dr. med. Fritz KALBERLAH,
Zusammenhang steht, vor sich geht. Durch Verwertung
dieser Thatsache kann es nun gelingen unter Anwendung
entsprechender Markscheidenfärbungen die weisse Substanz
in eine Reihe von Einzelbahnen zu zerlegen, indem man die
einzelnen Faserbündel bei Entwieklungsstufen verfolgt, wo
dieselben, weil allein markhaltig, sieh gegen die noch mark-
losen Partien scharf abheben. Vor allem durch die An-
wendung der WEIGERT'schen Myelinfärbung ist diese Methode
zu ihrer jetzigen Bedeutung gelangt.
Auf die Vereinigung derselben mit der vergleichend-
anatomischen Untersuchung werden wir später noch näher
eingehen.
Auf anderem Wege ging TÜRK vor, der uns die
sekundären Degenerationen benutzen lehrte, wie sie
entstehen, wenn man die Nervenfaser von ihrem trophischen
Centrum, der Ganglienzelle, trennt. Bei Anwendung der
Marchimethode der Osmiumtinktion, resp. der WEIGERT’schen
Färbung erhält man so ungemein präzise und klare Bilder,
da die degenerierende Nervenfaser vor allem in .centrifugaler
Riehtung körnig zerfällt, resp. später völlig verschwindet und
sich so den Färbungen gegenüber entsprechend anders als
normale Teile verhält. Wird durch Ausschalten der Funktion
die Nervenzelle zur Inaktivität gezwungen, so degeneriert
auch sie, wie auch schliesslich der eentripetale Axeneylinder-
stumpf (retrograde Degeneration). Diese Zellentartung ist
für die Feststellung der Topographie der Nervenkerne von
Bedeutung. Die Nissl-Held-Färbung ermöglicht hier in
brillantem Kontrast die Erkennung der entarteten Zellen.
Wie experimentell, so kann die Degeneration auch durch
pathologische Prozesse bedingt sein, wie z. B. bei den System-
erkrankungen oder bei Unterbrechungen einzelner Bahnen
durch Traumen, Neoplasmen u. s. w. Dies ist besonders von
WESTPHAL, STRÜMPELL, CHARCOT, BRISSAUD u.a. ausgenutzt
worden.
Oft können auch angeborene Entwieklungshem-
mungen und Missbildungen uns ein Mittel an die Hand
geben, mit Leichtigkeit komplizierte Verhältnisse klar zu
analysieren, weil dieselben hier gerade besonders einfach
liegen Können.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 7
Gewissermassen aus der Methode der Entwicklungs-
hemmung und sekundären Atrophie zusammengesetzt ist das
Untersuchungsverfahren von GUDDEN,!) der im peripheren
oder eentralen Bezirk des Nervensystems bei ganz jungen
Tieren Teile entfernte und später die daraus resultierenden
Veränderungen studierte. Besonders von FOREL, MAYSER,
GANSER?) und MonakKow?°) ist dies Verfahren ausgiebig an-
gewandt worden, sollte aber, wie auch die anderen operativen
Methoden noch mehr für die niederen Vertebraten ausgenutzt
werden als bisher, da diese durch derartige Eingriffe in ihrem
Befinden relativ wenig alteriert werden.
Wie es schon in der Natur der Sache liegt, konnte zu
diesen verschiedenen Untersuchungsarten nicht immer das
menschliehe Gehirn herangezogen werden, sondern vielfach
musste das tierische, vor allem das der höher organisierten
Säuger dafür eintreten. Weiter war es dann die zoologische
Forsehung, die das Tiergehirn, und zwar auch das der
niederen Tiere in den Kreis der Untersuchung zog, wenn
auch meist nur auf die Beschreibung der äusseren Formen
sich beschränkend. Erst die Technik der Schnittserien führte
auch hier zur Durcharbeitung der komplizierteren inneren
Verhältnisse.
Naehdem so ein gewisser Fonds von Detailkenntnissen
über das Tiergehirn gewonnen war, konnte nun auch die
vergleichend-anatomisehe Untersuchungsmethode
einsetzen, um aus dem Erfahrungssatze, dass alle kom-
plizierteren Organsysteme höherer Tiere nur durch das
Studium der bei den niederen Vertebraten oft einfacher und
durehsiehtiger liegenden Verhältnisse erkannt werden können,
ebenfalls für sich ihre Vorteile zu ziehen. Und in der That
1) Siehe Gudden, Gesammelte hinterlassene Abhandlungen, Wies-
baden, 1889.
2) Monakow, Zahlreiche Abhandlungen, meist im Archiv für
Psychiatrie und im Neurolog. Centralblatt.
3) Forel, Mayser, Ganser, Über das Verhältnis der ex-
perimentellen Atrophie- und Degenerationsmethode zur Anatomie und
Histologie des Centralnervensystems. Festschrift zur Feier des
25. Doktorjubiläums von Nägeli und Kölliker, Zürich, 1891.
8 Dr. med. Frırz KALBERLAH,
gilt dies auch für das Centralnervensystem: „Das Säuger-
gehirn kann voll nur verstanden werden, wenn man berück-
sichtigt, wie es in der Tierreihe geworden ist“.!) Es galt
nur immer die Tierform aufzufinden, bei denen die ge-
wünschten Bilder besonders scharf und deutlich ausgeprägt
sich finden, und daraus die riehtigen Schlüsse für das höher
organisierte Gehirn zu ziehen.
Vor allem an den Namen JoH. MÜLLER und MEYNERT
anknüpfend hat dieser Gedanke in neuerer Zeit durch
EDINGER festere Form gewonnen und besonders dadurch
praktischen Wert bekommen, dass er mit der vergleichend-
anatomischen Methode die der Markscheidenentwicklung
kombinierte. Praktisch wertvoll deshalb, weil die Struktur-
verhältnisse bei niederen Tieren, besonders in der Medulla
oblongata und im Mittel- und Zwischenhirn durchaus nicht
einfacher und durehsichtiger sind und dadurch das Studium
leichter machen, während wir dagegen bei Embryonen und
Jungen Entwieklungsstufen sofort ungemein klare Bilder er-
halten und in ihren Details analysieren können. Auf diesem
vergleiehend-entwieklungsgeschichtlichen Wege
sind sicher noch sehr viele neue Aufschlüsse zu erwarten,
wenn auch die Schwierigkeit ihrer Anwendung nicht zu
leugnen ist. Nicht nur für die Anatomie werden sie von
Nutzen sein, sondern auch wohl für das Verständnis des
Lebensmechanismus, soweit er sich im Centralnervensystem
abspielt, weil man ja bei niederen Tieren den einfacheren
anatomischen Substraten entsprechend auch einfachere
Lebensbedingungen findet. In dieser Beziehung hat übrigens
schon die individuelle entwieklungsgeschiehtliche Methode
von FLEcHsıe manches bieten können, denn auch hier haben
wir eine, wenn auch in die Ontogenie zusammengedrängte,
phylogenetische Entwicklungsreihe im Einzelindividuum vor
uns, wobei allerdings zu bedenken ist, dass diese Ent-
wieklungsreihe sich hier noch weniger lückenlos darstellt,
wodurch oft gerade Typen ausfallen, die durch ihre Eigenart
wiehtige Aufschlüsse hätten geben können.
') Edinger, Vorlesungen über den Bau der nervösen Central-
organe des Menschen und der Tiere. VI. Aufl., Leipzig 1900.
Uber das Rückenmark der Plagiostomen. 9
Vorläufig können eigentlich nur die Vorarbeiten zur
Aufstellung vergleichend-anatomischer Gesichtspunkte ge-
schaffen werden, bevor es möglich ist, aus dem vielen
heranzuziehenden Einzelmaterial ein einigermassen lücken-
loses Gesamtgebäude aufzubauen. Vorher wird auch die
Gefahr bei Anwendung dieser Methode zur voreiligen und
nicht genügend begründeten Homologisierung von Einzel-
verhältnissen bei höheren und niederen Tieren noch grösser
sein, als wenn erst ein grosses und eingehend studiertes
Untersuehungsmaterial vorliegt, denn je genauer zu ver-
gleichende Dinge bekannt sind, desto exakter wird auch
der Vergleich ausfallen.
Epınger hat uns im Vorwort zur 2. Auflage seines
Buches kurz und treffend die Aufgabe der vergleichend
anatomischen Riehtung der Gehirnforschung vorgezeichnet,
wenn er sagt: „Es muss eine Anzahl anatomischer An-
ordnungen geben, die bei allen Wirbeltieren in gleieher
Weise vorhanden sind, diejenigen, welche die einfachsten
Äusserungen der Thätigkeit des Centralorgans ermöglichen.
Es gilt nun immer dasjenige Tier oder diejenige Ent-
wieklungsstufe irgend eines Tieres ausfindig zu machen, bei
der dieser oder jener Mechanismus so einfach zu Tage tritt,
dass er voll verstanden werden kann. Hat man das Ver-
halten einer solehen Einrichtung, eines Faserzuges, einer
Zellanordnung nur einmal irgendwo ganz sicher gestellt, so
findet man sie gewöhnlich leicht auch da wieder, wo sie
durch neu Hinzugekommenes mehr oder weniger undeutlich
gemacht wird. Das Auffinden soleher Grundlinien des Hirn-
baues aber scheint die nächstliegendste und wichtigste Auf-
gabe der Hirnanatomie zu sein. Kennen wir nur erst einmal
sie, so wird es leicht sein, die komplizierten Einriehtungen
zu verstehen, mit denen das höher organisierte Gehirn
arbeitet.“
Auch HaALrter!) tritt dafür in seiner Einleitung zur
Theorie des Wirbeltiergehirns ganz entschieden und ein-
dringlich ein. Und die Stimme dieser beiden Forscher
1) Haller, B., Vom Bau des Wirbeltiergehirns T. 1. Salmo und
Sceyllium, Morphol. Jahrbuch, Bd. XXVI.
10 Dr. med. Frırtz KALBERLAH,
muss um so gewichtiger sein, da sie ja beide durch die
Resultate ihrer grundlegenden Arbeiten den besten Beweis
für die Richtigkeit ihrer Worte beibringen können.
Die Bearbeitung des Tiergehirns hat schon früh ein-
gesetzt und ist bis zur Jetztzeit bedeutend gefördert worden,
wenn vielleicht auch die Menge der für die vergleichende
Anatomie verwertbaren Punkte noch nicht allzu gross ist.
Mindestens ist es aber schon möglich gewesen, auf diesem
Wege gewisse. Grundzüge für den Aufbau des Gehirns in
der Tierreihe aufzufinden, und der Versuch EpınGer’s, unter
Verwertung dieses noch etwas spärlichen Materials das
hochentwickelte Säugergehirn dem Verständnis näher zu
bringen, ist wohl berechtigt.!)
Am ausführlichsten und detailliertesten ist natürlich
das Gehirn der Säuger erforscht worden, zumal sie vor
allem bei der Anwendung der experimentell-physiologischen
und der der sekundären Degenerationen herangezogen
wurden.
Eine ausführliche Bearbeitung dieses Stoffes findet sich
in den umfassenden Werken über das Centralnervensystem
des Mensehen, dann mit besonderer Berücksichtigung der
vergleicehend-anatomischen Befunde in der Gewebelehre von
KÖLLIKER,?) genauer allerdings nur für das Rückenmark,
sehr dürftig für die Abschnitte des Gehirns, und in dem
bisher erschienenen Teil vom Nervensystem von ZIEHEN und
ZANDER,?) der sehr reichhaltig mit vergleichenden Be-
merkungen ausgestattet ist. Ohne Berücksichtigung der
inneren Strukturverhältnisse finden sich vergleichend -ana-
tomische Bearbeitungen des Säugergehirns in dem Werke
von FLATAU und JAKOBSOHN®) und in den Lehrbüchern von
GEGENBAUR und WIEDERSHEIM.5) Die nur mangelhaften
1) Edinger, op. cit. (cf. pg. 8).
2) Kölliker, Handbuch der Gewebelehre des Menschen, VI. Aufl.,
Leipzig 1896.
3) Ziehen und Zander, Nervensystem. Aus dem Handbuch der
Anatomie des Menschen von v. Bardeleben, 1899.
*) Flatau und Jakobsohn, Anatomie des Centralnervensystems
der Säugetiere, Berlin 1899.
5) Die Lehrbücher der vergl. Anatomie.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 11
Ergebnisse bis zum Jahre 1857 sind in dem Werke von
Leurer und GRATIOLET!) ziemlich umfassend mit guten
Litteraturangaben zusammengestellt. Die in der Ent-
wieklungsreihe am tiefsten stehenden Säuger sind in dem
Buche von ZIEHEN?) über die Aplacentalier besonders be-
handelt worden.
Für die vergleichend-anatomische Forschung im allge-
meinen wertvolle Zusammenstellungen finden sich auch in
den von EDINGER redigierten Jahresberichten aus dem Gebiete
der Hirnanatomie in Schumipr's Jahrbüchern, vor allem aber
in seinen „Vorlesungen“. Ein grosser Nachteil dieses Buches
ist leider im vergleichend-anatomiscehen Teil die oft geradezu
aphoristische Kürze der Darstellung, die zu Unklarheiten
führen muss. Dieser Mangel in der Ausführung muss z. B.
die Kapitel über das Mittel- und Zwischenhirn für den An-
fänger sehr schwer verständlich machen.
Viel mehr zerstreut ist das, was wir aus der Anatomie
des Gehirns der übrigen Tiere wissen; manche Gebiete
sind hier fast noch gar nicht oder doch nur mangelhaft
bearbeitet, so die ungeheure Menge der Wirbellosen, deren
Centralnervensystem von den wunderschönen Untersuchungen
von RErzıus?) und einigen anderen abgesehen, fast nur vom
rein zoologischen Standpunkt bearbeitet ist. Auf diesem
Gebiete ist vor allem von der vitalen Methylenblaufärbung
viel zu erwarten.
STIEDA, AHLBORN, MAYSER, BELLONCI, HALLER, BuMM,
EDINnGER sind es vor allem, denen wir grundlegende Arbeiten
für die verschiedenen Tierklassen verdanken.
Am besten ist wohl unter den niederen Vertebraten die
Klasse der Fische durchgearbeitet, besonders seitdem die
Arbeiten von STIEDA,t) MAvskr,5) FRITscH,®) u. a. die Basis
») Leuret et Gratiolet, Anatomie comparee du systeme nerveux,
Paris 1839—57.
?) Ziehen, Das Centralnervensystem der Monotremen und Masur-
pialier, Jena.
®) Retzius, Bivlog. Untersuchungen.
#) Stieda, Über das Rückenmark und Gehirn von Esox lueius,
Dorpat 1861. — Studien über das centrale Nervensystem der Knochen-
fische, Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. XVII. — Über die Deutung der
einzelnen Teile des Fischgehirns ibid. Bd. XXIII. (Anm. 5 u. 6 s. 5.12.)
12 Dr. med. Frırz KALBERLAH,
dazu geschaffen hatten, um von den älteren Bearbeitungen
wie CoLLINS, HALLER, VıcQ’D’ AZYR, TREVIRANUS, GOTTSCHE,
SwAN u. a. abzusehen.
Ein Teil dieser einschlägigen Arbeiten wird im speziellen
Teil, soweit das Rückenmark in Betracht kommt, vergleichend
herangezogen werden.
Hier interessiert uns zur eingehenderen Betrachtung
vor allem die Forschung über das Centralnervensystem der
Selachier, speziell der Plagiostomen, die in den letzten
Jahren durch umfassende Arbeiten grosse Bereicherung er-
fahren hat.
Ehe ich mit der Mitteilung meiner Untersuchungen, die
keineswegs abgeschlossen sind, beginne, möchte ich gleich
einen Überblick über das vorausschieken, was bisher in der
Selachierforschung zu Tage getreten ist, um nicht später
wieder auf die bisherigen Forschungen eingehen zu müssen.
Die Selachier sind von Zoologen und vergleichenden Ana-
tomen aueh in anderer Hinsicht mit Vorliebe zur Untersuchung
gewählt und nach den verschiedensten Seiten gründlich durch-
gearbeitet worden. Und das ist natürlich, denn die Organisation
höherer Fische wird man leichter verstehen, wenn man von
den Selachiern als der tieferen Stufe ausgeht. Für das Central-
nervensystem ist allerdings zu bemerken, dass manche Ver-
hältnisse bei den Ganoiden und Teleostiern besonders in der
Medulla oblongata einfacher liegen.
Sehr genau ist allmählich das periphere Nerven-
system und die Entwicklung des Centralorgans durchforscht,
Arbeiten, deren Kenntnis zum richtigen Verständnis der
inneren Strukturbilder, besonders der komplizierten Nerven-
austritte nieht zu entbehren ist. Ich verweise auf die Ver-
öffentlichungen von BALFOUR, BEARD, WIJHE, Hıs, DoHRN,
FÜRBRINGER, STANNIUS, JACKSON und CLARKE, ÜONODI,
5) Mayser, Vergleichend anatomische Studien über das Gehirn
der Knochenfische mit Berücksichtigung der Cyprinoiden, Zeitschrift
f. wiss. Zool. Bd. XXXVI.
#) Fritsch, Die elektrischen Fische, Nach neuen Untersuchungen
anatom. zoolog. dargestellt, Leipzig 1881. — Untersuchungen über den
feineren Bau des Fischgehirns. — Das Gehirn und Rückenmark von
Gymnotus electricus, in Sachs, Untersuchungen über den Zitteraal,
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 13
MiıtnEs-MARSHALL, EWART, HormanNn und vor allem auf die
der GEGEnBAUR’schen Schule.
Über die einzelnen Formelemente im Selachiergehirn
geben uns die speziellen Arbeiten von SCZAWINSKA,!) LEv1,?)
LENHOSSEK,5) SCHAPER*) und Rerzıus>) Aufschluss.
Eine Reihe von physiologischen Notizen finden sich bei
STEINER,°) BoLL?) u. a.
Auch nur kurz angeführt seien die Bemerkungen SAUER-
BECK’S®) über die Struktur einzelner Gehirnteile, die an GoLGI-
Präparaten anknüpfen, aber ziemlich allgemeiner Art sind.
Eine vielfache Berücksichtigung der Verhältnisse bei
den Selachiern finden wir, immer von vergleichend-ana-
tomischen Gesichtspunkten aus dargestellt, in den Vor-
lesungen von EDINGER. Derselbe Verfasser hat auch, um
auf die speziellen Arbeiten zu kommen, eine ausführlich
vergleichend anatomisch gehaltene Arbeit über das Zwischen-
hirn der Selachier®) geliefert, die sich durch ihre genaue
und klare Darstellung und ausgiebige kritische Berück-
siehtigung der Litteratur auszeichnet. EDInGEr giebt darin
abweichend von den früheren Angaben eine scharfe, genaue
Abgrenzung des Zwischenhirns, wobei vor allem die auch
!) Sezawinska, Recherches sur le systeme nervenx des Selaciens,
Archiv. Biolog. Bd. XV.
2) Levi, Riv. di pat. nerv. e ment. 1897. Sep. Abdruck.
3) v. Lenhossek, Zur Kenntnis des Rückenmarks der Rochen,
in Beiträge zur Histologie des Nervensystems und der Sinnesorgane,
Wiesbaden 1894. — Beobachtungen an den Spinalganglien und dem
Rückenmark von Pristiurus-Embryonen. A. Anz. 1892.
*) Schaper, The finer Structure of the Selachian Cerebellum
(Mustelus) as shown by chromesilver preparations, Journ. comp. Neurol.
MokavIH.
°) Retzius, op. eit. (ef. pg. 11).
6) Steiner, Über das Centralnervensystem des Haifisches und des
Amphioxus lanceolatus. Math. naturwiss. Mitteilungen der Akad. d.
Wiss., Berlin, 1886.
”) Boll, Beiträge zur Physiologie von Torpedo, Arch. f. Phys. u.
Anat. 1873.
®) Sauerbeck, Zum feineren Bau des Selachiergehirns, Anatom.
Anzeiger, Bd. XII, 1896.
®) Edinger, Zwischenhirn der Selachier und Amphibien, Ab-
handlungen der Senkenberg’schen Ges. 1892, Bd. 18. Untersucht
sind: Torpedo, Raja, Cephaloptera, Scyllium, Mustelus.
14 Dr. med. Frıtz KALBERLAH,
jetzt noch recht unklaren Gebilde, wie die Epiphysis, dann
die Hypophysis und der Saceus infundibularis, kurz der
caudale Zwiscehenhirnabsehnitt (Pars infundibularis EpinGEr)
genauere Würdigung erfahren. Weiter behandelt er die
einzelnen Faserbahnen, besonders die interessanten Be-
ziehungen der Ganglia habenulae und der Optieus-Ursprünge
zu den anderen Hirnteilen.
Weiter liegt von ihm vor eine Arbeit über die Ver-
bindung des 'Kleinhirns mit den Ganglien der sensiblen
Nerven,!) also die direkte sensorische Kleinhirnbahn, die bei
den Selachiern die Hauptmasse der Kleinhirnfaserung aus-
macht. Das Vorderhirn?) hat ebenfalls eine genauere Dar-
stellung gefunden, besonders die Beziehungen der Olfaktorius-
bahnen zu den höheren Hirneentren, wobei stets die anderen
Vertebraten in zahlreichen Beispielen herangezogen sind.
Wir erfahren in dieser Arbeit, dass bei den Rochen das
primäre ungeteilte Vorderhirn bestehen bleibt, während sich
bei den Haien bereits eine Anlage zum sekundären Vorder-
hirn findet. Dem Verfasser stand dabei ein sehr grosses
und gut konserviertes Material zur Verfügung, das auf die
verschiedenste Art behandelt wurde; so kam auch zum
ersten Mal für die Selachier die sekundäre Degeneration
zur Verwendung.
Eine sehr ausführliche Behandlung hat das Central-
nervensystem der Plagiostomen, wenn wir von den veralteten
Arbeiten von BuscH®) und MıcLucHo-MAcLAY?) abgehen, von
VIAULT>) und in mehreren Abschnitten von Ronon erfahren.
VıauLt giebt uns eine gute, vieles Neue bringende
ı) Edinger, Anatomische und vergleichend anatomische Unter-
suchungen über die Verbindung der sensorischen Hirnnerven mit dem
Kleinhirn, Neurolog. Centralblatt, Jhrg. XVII.
2) Ders., Vorderhirn, Abhandlungen der Senkenberg’schen Ges. 1888,
Bd. XV (Seyllium, Raja, Torpedo).
5) Busch, De Selachiorum et Ganoideorum Encephalo. Diss.
inaug. 1848 (Raja, Lepidosteus, Mustelus, Seyllium, Hexanchus).
#) Mielucho-Maclay, Beiträge zur vergleichenden Neurologie
der Wirbeltiere, Leipzig, 1870.
5) Viault, Recherches histologiques sur la structure des Centres
nerveux des Plagiostomes, Archiv de Zoolog. experiment. et generale, 1876
(Torpedo, Trygon, Seyllium).
Über das Riickenmark der Plagiostomen. 15
Beschreibung der äusseren Formen und des zelligen Auf-
baues und geht dann genauer auf die Verfolgung der Faser-
strassen ein, doch ist dieser Teil seiner Arbeit ziemlich
dürftig. Völlig unklar ist ihm noch der Trigeminus-faeialis-
acusticus-Complex geblieben, zumal hier die Vorarbeiten über
das periphere Nervensystem, speziell die Kranialnerven, der
GEGENBAUR’schen Schule noch fehlten, resp. völlig un-
berücksichtigt geblieben sind. Denn nur durch eine fort-
gesetzte Ergänzung der Resultate in der Erforschung des
centralen und peripheren Verlaufs der Nerven ist hier
Klarheit zu schaffen. Übrigens werden wir auf diese Arbeit
noch des öfteren zurückkommen.
Bedeutend höher steht die vergleichend -anatomische
Studie Romon’s!) über das Selachiergehirn, wenn sich auch
über die Berechtigung streiten lässt, ob man zum Vergleich
bei einem so niedrig stehenden Vertebraten vor allem das
menschliehe Gehirn, weil am eingehendsten untersucht, heran-
ziehen soll. Auch hier finden wir noch manche fundamental
falsche Auffassungen über die Einteilung des Gehirns, so hält
er das Mittelhirndach für das Zwischenhirn und lässt nur
den basalen Anteil Mittelhirn sein, eine unglückliche Ver-
schiebung, nachdem schon Fritsch mit seiner Behauptung,
das Mittelhirn sei ein sekundäres Vorderhirn, viel Ver-
wirrung geschaffen hatte. Die schwierigen Verhältnisse des
Trigeminus, Faeialis und Acustieus erfahren auch hier noch
keine Aufklärung, wohl aber liegen wertvolle neue Daten
über den Nervus Vagus vor, der auch in einer zweiten
Arbeit?) ausführlich behandelt wurde. Die Untersuchungen
über dessen Ursprungsgebiet knüpfen eng an die Resultate
GEGENBAUR’S an; genauere Berücksiehtigung finden die Lobi
eleetriei von Torpedo, die er gleich REICHENHEIN®) als
ı) Rohon, Das Centralorgan der Selachier, Denkschrift der
K. Akad. der Wiss. in Wien, 1578. (Untersucht sind: Hexanchus,
Squatina, Acanthias, Centrina, Sceyllium, Mustelus, Galeus, Carcharias,
Raja, Laeviraja, Trygon, Myliobatis, Torpedo.
2) Rohon, Über den Ursprung des Vagus bei den Selachiern,
Arbeit. des zoolog. Instit. zu Wien, 1878.
®) Reichenhein, Beitrag zur Kenntnis des elektrischen Central-
organs von Torpedo, Arch. f. mikrosk. Anat. u. Phys. 1873 und Über
das Rückenmark und den elektrischen Lappen von Torpedo, Berlin, 1878,
16 Dr. med. Frıtz KALBERLARH,
spezifische Centren auffasst, die nicht den Vaguslappen, wie
FrITscH meint, analog seien. Er stellt dann hier zum ersten
Male fest, dass der Vagus gemischt aus ventralen und
dorsalen Wurzeln gebildet sei, im Gegensatz zu GEGENBAUR,
ein Befund, der übrigens später von GORONOWITSCH!) und
HALLER?) u. a. bestätigt wurde.
Die etwa 10 Jahre später erschienene Arbeit von SANDERS
konnte ich mir leider nicht verschaffen, dem Referat?) nach
scheint sie jedoch manches Neue zu bringen. Die Be-
handlung des Rückenmarks scheint aber im wesentlichen
eine Wiederholung der StıepA’schen Befunde zu sein.
Die bedeutsamste Leistung auf dem Gebiete der Selachier-
gehirnforschung stammt aber unbedingt von BELA HALLER,?)
der das Centralnervensystem von Seyllium in umfassender
Weise durchgearbeitet hat. Der grosse Wert der Arbeit
besteht vor allem darin, dass er immer, von vergleichend
anatomischen Gesichtspunkten geleitet, das Gehirn der
Teleostier (Salmo) als einer abgezweigten Gruppe der
Fische ebenso ausführlich herauszieht. Eine genaue Be-
rücksichtigung der Amnioten ist für einen 2. Teil in Aussicht
gestellt. Leider ist auch hier die Darstellung oft recht
unklar gehalten und erschwert ein Eindringen in die vielen
neuen Thatsachen sehr, viel trägt dazu auch die oft ganz
abweichende Nomenklatur bei. Jedenfalls kann man den
Wert der Arbeit nieht hoch genug anschlagen, da hier über
eine Unmenge von Punkten, die bisher noch wenig oder gar
keine Aufklärung erfahren hatten, Licht verbreitet ist. Dem
Abschluss nahe gebracht ist die Forschung über das Selachier-
gehirn damit noch lange nicht, einmal sind noch viele Einzel-
heiten völlig dunkel geblieben, dann sind auch viele Resultate
durchaus nicht einwandsfre. Am meisten Sorgfalt wurde
verwandt auf die feinere Analyse der bis dahin noch wenig
2) Goronowits ch, Gehirn und Kranialnerven von Acipenser,
Morpholog. Jahrbuch Bd. 13.
2) Haller, Der Ursprung der Vagusgruppe bei den Teleostiern,
Festschrift zum 70. Geburtstag von K. Gegenbaur, 1896.
») Sanders, Contributions to the Anatomy of the central nervous
System of Plagiostomata. Proceed. of Royal Society Vol. XL, 1886.
(Khina, Seyllium, Acanthias u. a.)
Haller, op. eit. (pg.'9):
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 1.
aufgeklärten eentralen Verhältnisse der Kranialnerven, auf
den Zusammenhang der Faserstrassen und die Abgrenzung
der einzelnen Gehirnabschnitte. Besonders ausführlich ist
der metamere Abschnitt des Gehirns durchgearbeitet, der
durch die von BURKHARDT entdeckte Spalte (Suleus inter-
eneephalieus Hall.) vom prächordalen Teil getrennt ist. Auf
seine auch hier durchweg vertretene Ansicht vom Vor-
handensein eines Nervennetzes, etwa im Sinne GERLACH',
kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.
Nur kurz berührt ist das Rückenmark, in dem er, wie
auch in der Medulla oblongata, ein ventrales, ein mittleres
und ein dorsales Centrum unterscheidet. Dieselben sollen
sich allerdings nicht absolut scharf gegeneinander abgrenzen
lassen; im allgemeinen liefern die ventralen die Vorder-
stränge, die mittleren die Seitenstränge und die dorsalen
die Hinterstränge. Im weiteren wurden dann die Ursprungs-
beziehungen der Kranialnerven zu diesen Centren genauer
zu bestimmen gesucht, so soll z.B. der Nervus Vagus aus
allen 3 Gruppen Fasern beziehen. Die eingehendste Dar-
stellung -hat die Acustieus-faeialis-trigeminus-Gruppe ge-
funden, vor allem die Beziehungen ihrer Wurzelgebiete zum
Kleinhirn und den vorderen Hirnabscehnitten. Ein grosser
Abschnitt ist auch den Längsbahnen gewidmet, die das
Rückenmark mit höher gelegenen Hirnteilen verbinden und
besonders dadurch wichtig sind, dass sie die Ursprungskerne
sämmtlicher metamerer Hirnnerven mit anderen Hirnteilen,
wie Rückenmark, Pars infundibularis, sekundäres Vorder-
hirn u. s. w. in Verbindung setzen. Das prächordale Gehirn
ist nur kurz behandelt. ei
Die Arbeiten, die speziell das Rückenmark betreffen,
werden immer an den entsprechenden Stellen im folgenden
Teil herangezogen werden. Es sind dies Abhandlungen von
STIEDA,!) Re'rzıus?) und v. LENHOSSER.°)
Leider muss ich vorläufig davon Abstand nehmen, meine
Untersuchungen über die Medulla oblongata, das Mittel- und
1) Stieda, Über das Rückenmark der Rochen und Haie, Zeit-
schrift f. wiss. Zool. XXXIIL, 1873.
2) Retzius, op. cit. (pg. 11), VII. Folge.
>) v. Lenhossek, op. eit. (cf. pg. 13).
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd, 73, 1900, 2
13 Dr. med. Fritz KALBERLAH,
Zwischenhirn der Selachier zu veröffentlichen, weil ich die-
selben noeh durch Anwendung anderer Methoden und durch
Verarbeitung jüngerer Entwieklungsstufen ergänzen möchte.
Ich werde, da mich Gründe äusserlicher Art zu einer Unter-
brechung meiner Studien und zu einer Publikation nötigen,
mich darauf beschränken, unter Heranziehung vergleiehend
anatomischer Gesichtspunkte eine kurze Beschreibung des
Rückenmarks zu geben. Auch dieser Gegenstand ist durch-
aus nieht erschöpfend durchgearbeitet, es harren vielmehr
noch viele Punkte der Aufklärung und Ergänzung. Ich
konnte nämlieh nur die WEIGErT’sche Markscheidenfärbung
anwenden, und zwar nur an ungefähr gleichalterigen
Individuen, an denen schon alle Fasern markhaltig waren;
nur ein einziges adultes Exemplar, das leider schlecht ge-
härtet war, stand mir zur Verfügung.
Die Plagiostomengehirne sind von Herrn Privatdozent
Dr. Kästner 1893 von Rovigno mitgebracht, wo sie in eine
2%/,-Lösung von Kalium biehromie. eingelegt wurden. Die
eine viel jüngere Entwicklungsstufe erhielt ich von Herrn
Professor Hıs. Für die Überweisung dieses Materials sage
ich den genannten Herren auch an dieser Stelle meinen
verbindlichsten Dank, ebenso auch Herrn Prof. Hero, der
mir während meiner ganzen Arbeitszeit mit seinem Rat
unterstützend zur Seite stand.
Für das Rückenmark kamen zur Untersuchung: Mustelus,
Acanthias, Torpedo, Raja, Trygon.
Die Gehirne wurden in Celloidin eingebettet und mit
Hilfe der Photoxylinplattenmethode in möglichst lückenlose
Schnittserien zerlegt. Nachdem die einzelnen Blätter dann
noch einmal 12 Stunden einer dünnen Kaliumbichromieum-
lösung ausgesetzt waren, wurde die WEIGErT’sche Häma-
toxylinfärbung angewandt mit der Par’schen Differenzierung
in der anfangs angegebenen Modifikation.
Bei der Herstellung der Zeiehnungen ist in einzelnen
wenigen Fällen bei der Verfolgung der frei im Grau
verlaufenden Fasern der ScHuArrzr’sche!) Vorschlag der
!) Schaffer, Karl, Die Rekonstruktion mittels Zeichnung, Eine
Metlıode zum Studium der Faserung im Centralnervensystem, Zeitschr.
f. wiss. Mikroskopie, Bd. VII, 1890.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 19
Rekonstruktion mittels doppelter Zeichnungen benutzt worden.
Daher die öfter etwas schematisiert erscheinenden Zeich-
nungen.
I. Topographische Übersicht.
Der Querschnitt des Rückenmarks der Plagiostomen ist
rund bis oval, und zwar ist fast durchweg, wenigstens bei
erwachsenen Individuen, der dorsoventrale Durchmesser der
kleinere. Also eine Form, wie sie sich auch bei den anderen
Fischen findet, mit Ausnahme der Cyklostomen und Dipnoer,
die eine ganz ausgesprochen bandförmige Medulla spinalis
haben.
Im allgemeinen ist immer die ventrale Fläche des Rücken-
marks etwas breiter als die dorsale. Aber für Rochen und
Haie je besonders eharakteristische Typen anzunehmen, ist
wohl nieht durchzuführen, da die Form sehon in den einzelnen
Spezies und in den verschiedenen Segmenten zu wechseln
scheint. Jedenfalls kann ich die Angabe SrıepA’s, das
Rückenmark der Rochen sei mehr vierseitig prismatisch und
das der Haie eliptisch, nicht bestätigen, denn wir finden
hier gerade z. B. bei Torpedo (Fig. 4) die runde bis etwas
ovale Form vorherrschend, während man bei Mustelus (Fig. 1)
eher von einer vorderen und hinteren und zwei seitlichen
Flächen reden kann.
An der vorderen Seite zeigt das Rückenmark eine meist
kaum ausgeprägte fissura longit. ant., die dann im oberen
Teil beim Übergang in die Oblongata ganz verschwindet,
indem dann hier die Raphekreuzung auftritt und deshalb
nur noch ein Ventralseptum vorhanden ist. Der Mangel der
bei den höheren Vertebraten tiefen Fissur findet sich über-
haupt bei allen tiefer stehenden Wirbeltieren bis zu den
anuren Amphibien herauf. Dorsal findet sich wie ge-
wöhnlieh ein Ependymseptum, das die beiden Rückenmarks-
hälften von einander scheidet. Die Sulei longit. med. ant.
und post. bilden sanfte, aber ziemlich tiefe Furchen (Raja,
Mustelus, Trygon), so dass der Querschnitt oft semmelförmig
eingeschnürt erscheint. Die Sulei laterales sind nur schwach
angedeutet.
2*F
20 Dr. med. Fritz KALBERLAH,
.. Bei den Plagiostomen kann man bereits eine weisse und
graue -Substanz unterscheiden, weil hier schon markhaltige
Fasern existieren, während bei den Akraniern und Cyklos-
tomen noch sämmtliche Stränge marklos sind.
Die Form der grauen Substanz entspricht im Prinzip
schon dem gewöhnlichen Typus der höheren Vertebraten,
wenn auch durch besondere Eigentümlichkeiten das Bild
auf den ersten Blick etwas verwischt erscheint. Es ist also
in der Mitte der Centralkanal, umgeben von der grauen
Substanz, und gegen die Peripherie gedrängt die mark-
haltigen Gebiete, die dann an bestimmten Stellen mehr
Segen das Grau vorspringen, eine Sonderung, wie sie bei
den Pleetognathen noch aussteht. Diese mehr diffuse Ver-
teilung soll auch die Regel bei ganz jungen Selachier-
individuen sein.
Die Vorderhörner, die eine ausgeprägt keilförmige Gestalt
mit abgerundeter Basis haben, stehen fast horizontal gerichtet,
um erst weiter gehirnwärts eine schiefe Stellung anzunehmen.
Die Hinterhörner sind kaum einigermassen scharf zu um-
grenzen, sondern gehen allmählich in die weisse Substanz
über, weil die ganze Säule unregelmässig durchsetzt wird
von ziemlich bedeutenden longitudinalen Faserbündeln.
Ein Reichtum der grauen Substanz an markhaltigen
längsverlaufenden Fasern wird überhaupt von KÖLLIKER als
charakteristisch für die Fische hervorgehoben.
Dadurch, dass diese im Grau ziehenden Bahnen und ein
Teil des Seitenstranges sehr weit bis in die Mitte vorgelagert
sind, bleiben die einzelnen Bezirke, je Vorderhorn und Hinter-
horn und auch die beiden Rückenmarksgrauhälften nur durch
schmale graue Kommissuren verbunden. Diese schmalen
zwischen Vorder- und Hinterhorn neben dem Centralkanal
übrigbleibenden Verbindungen sind den Selachiern wohl
allein eigentümlich, wenigstens zeigen sie dies deutlich im
Gegensatz zu den Ganoiden und den Teleostiern.
Dicht über der vorderen weissen Kommissur resp. über
den Kuppen der Vorderstränge liegt der Centralkanal, so
dass sich hier gar keine oder doch nur eine ganz schmale
graue Kommissur findet. Er zeigt auf dem Querschnitt bei
den Rochen ein ovales Lumen, bei den Haien ein rundes.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 21
Frei in der Liehtung des Centralkanals trifft man nun
oft rätselhafte, glasig erscheinende Gebilde, die fast dem
Quersehnitte von Axeneylindern in ihrem Aussehen gleichen.
Sie sind hellbläulieh schwarz durch Weigertfärbung tingiert
und rings mit einer etwas dunkleren Umrandung eingefasst.
Dies Gebilde ist nach meinem Dafürhalten auf keinen Fall
mit einem Axeneylinder zu identifizieren. Das erscheint
eigentlich selbstverständlich, ich hebe es aber deshalb hervor,
weil gerade in neuester Zeit entgegengesetzte Auffassungen
vertreten worden sind.
Reissner!) hat auf dieselben zum ersten Male genauer
aufmerksam gemacht, wonach sie aueh Reısswer’sche Fäden
genannt sind; er hält sie für präformierte Gebilde im Gegen-
satz zu STILLING?), der sie aus Zelldetritus zusammen-
gesetzt erklärt, und zu BiDpErR und KupPprer?), die sie für
Coagulationsprodukte halten. StıEDA®) hat sie bei Selachiern
und Teleostiern gesehen, RoHon°) bei Selachiern; er nennt
sie direkt Axeneylinder. Über ihr Woher und Wohin findet
sich jedoch keine Angabe. Auch EDINGER®) erwähnt sie
neuerdings, er hält sie für “Sekretströme“: „an den vor-
trefflich konservierten Gehirnen liess sich auch immer er-
kennen, dass von den Epithelien des Ventrikels oder von
den Zwischenräumen zwischen denselben lange Sekretströme
in den Ventrikel hineinreichten ...... man hat den Ein-
druck, dass Verbrauchstoffe des Gehirns in den Ventrikel-
raum hinein abgeschieden werden“. Auch STUDNICKA') hat
sie vor kurzem als Produkt einer Sekretion erklärt.
1) Reissner, Beiträge zur Kenntnis vom Bau des Rückenmarks
von Petromyzon fluviatilis, Arch. f. Anat., Phys. u. wiss. Med. 1860.
2) Stilling, Neue Untersuchungen über den Bau des Rücken-
marks, Cassel, 1859.
3) Untersuchungen über die Textur des Rückenmarks und die
Entwicklung seiner Formelemente, Leipzig 1857.
#) Stieda, op. eit. (pg. 17).
5) Rohon, op. eit. (pg. 15).
6) Edinger, op. eit. (pg. 14).
”) Studnicka, Der Reissner’sche Faden aus dem Centralkanal
des Rückenmarks und sein Verhalten im Ventrieulus terminalis, Sitzungs-
berichte der böhmischen Ges. d. Wiss., math, naturwiss. Klasse,
Juli 1899,
22 Dr. med. FRITZ KALBERLAH,
Einen ganz anderen Standpunkt vertritt nun wieder in
einer unlängst erschienenen Arbeit SARGENT,!) der eine grosse
Reihe von Versuchen darauf hin an den verschiedensten
Tieren und mit den verschiedensten Fixierungsmitteln an-
gestellt hat und zu dem Resultate kommt, dass man hier
ein Gebilde von nervöser Struktur vor sich habe. Er ver-
folgte den Faden angeblich durch den Rückenmarkskanal,
den IV. Ventrikel, den Aquädukt bis in den ventriele of
optie. lobes. Über sein Ende sagt er: „At the anterior end
of the ventriele, where, as the ventriele narrows, its floor
becomes depressed, the fibre runs straight across the
depression toward the torus longitudinalis, which projeets
ventrad and caudad from the anterior wall of this ventriele.
Passing along the median fissure of the torus for once half
to two-thirds its lenght and elose to its surface, the fibre
passes beneath the membrane which covers the torus and
enters the brain substance.“
Vorher soll er sieh in feine Äste teilen; über den
weiteren Verlauf sagt SARGENT: „the fine branches.....
are intimately associated with the gelatinous traets of the
torus, which run to the ectal side of the teetum optieum.“
Nachgewiesen zu haben glaubt er die Existenz dieser
Fasern bei Selachiern, Teleostiern, Reptilien, Tauben,
Mäusen u. a.
Einen ganz anderen Eindruck nun hatte ich, als ich die
sonderbaren Gebilde im Centralkanal fand. Ich war dabei
gänzlich unbeeinflusst von den Befunden anderer Unter-
sucher, da ich die Litteratur erst später eingesehen habe.
Zuerst hielt ich es, ohne viel Aufmerksamkeit darauf zu
verwenden, für ein Coagulum der Cerebrospinalflüssigkeit,
bis mir doch die fast immer gleiehmässig runde, der Stärke
eines dieken Axenceylinders entsprechende Form bei meist
gleicher Lage im Lumen auffiel und mich vermuten liess,
dass es sich hier um lange fädige Stränge handele. Zu-
gleich erinnerte mieh das ganze durch sein Verhalten gegen-
über der Färbung mit Weigerthämatoxylin an Myelin; man
hatte etwa das Bild eines Axeneylinders, dessen Markscheide
!) Sargent, Reissner’s fibre in the Canalis Centralis of Verte-
brates, Anat. Anz. 1900.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 23
dureh mangelhafte Fixage oder aus anderen Gründen ge-
quollen glasig erscheint, ein Befund, den man auf Rücken-
marksquerschnitten gelegentlich einmal macht.!) Nie dachte
ich aber daran, hier nervöse Gebilde vor mir zu haben,
allerdings hatte ieh auch keine andere bestimmte Vor-
stellung. Da fand ich bei einem in toto in Müller gehärteten
Acanthiasembryo (siehe dazu Fig. 3), bei dem auch wieder
solche Pseudoaxeneylinder im Centralkanal lagen, an der
Peripherie des Rückenmarks, und zwar an der ventralen
Seite, den Suleus med. ausfüllend und breit aufliegend, eine
ganze Kollektion soleher Fädenquerschnitte von der be-
schriebenen merkwürdig glasig homogenen Beschaffenheit.
(In Fig. 3 ist dies auf der rechten Seite durch einen anderen
Farbenton wiedergegeben.) Caudalwärts wurde die Menge
immer geringer, nach oben grösser, und hier lagen auch die
einzelnen Quersehnitte enger aneinander, bis das ganze etwa
in der Höhe der oberen Cerviealnerven plötzlich aufhörte.
In dieser oberen Partie war der Suleus sehr vertieft, weil
ein Teil der Ventralstränge direkt durch dies Anhängsel
ersetzt war. Als ich diesen Anfangsteil, der doch voraus-
siehtlieh auch der Ausgangspunkt war, näher untersuchte,
fand ich folgendes:
Wie sehon berichtet, war hier der ventrale Teil der
Vorderstränge durch das anhängende Gebilde zum Teil
substituiert, nur dass die Breite und Dicke desselben noch
über die normale Peripherie des Rückenmarks hinausging.
Während nun weiter tiefer das Ganze aus lauter runden
Quersehnitten zusammengesetzt war, zeigten sich hier der
Grösse der vorherigen Durchmesser entsprechend breite
Streifen, die rechtwinkelig zur bisherigen Verlaufsrichtung
eentralwärts zogen und dort endeten, wo dann weiter höher
wieder normale Markscheidenquerschnitte lagen. Dieser
Befund war nicht anders zu erklären, als dass voraus-
sichtlich durch den Einfluss ungünstiger Fixage?) veränderte
1) Bekanntlich hat man ja in diesen Veränderungen auch den
Ausdruck gewisser pathologischer Läsionen sehen wollen.
2) Wohl postmortale Veränderungen des Markes infolge langsamen
Eindringens der Fixierlösung, vielleicht besonders dadurch, dass die
Schädeldecke nicht eröffnet war.
24° Dr. med. FrırTz KALBERLAH,
Myelinmassen nach aussen gequollen und am Rückenmark
herabgeflossen waren. An der Austrittsstelle war daher die
Struktur der Vorderstränge und die eigentliche Umrandung
des Rückenmarks stark zerstört, während sich eaudalwärts
nur an der Peripherie die herabgeflossenen Myelinfäden
fanden. Als ich nun darauf hin den Centralkanal unter-
suchte, konnte ich ebenfalls öfter Stellen finden, wo, wie
auch EDInGER beschreibt, zwischen den Zellen der Kanal-
wandung hindurch die Massen nach aussen drangen, und
zwar besonders von den Kuppen der Ventralstränge aus,
(Fig. 3) und dann die fädigen Gebilde darstellten.
Diese Fäden für physiologische Sekretströme zu halten,
kann ich mich nicht entschliessen, noch weniger allerdings
für präformierte nervöse Gebilde, wenigstens nach dem, was
ich gesehen habe, und ich glaube sicher, dass dieselben mit
dem von SARGENT und den anderen beschriebenen identisch
sind. Ich halte die Fäden für Kunstprodukte, und zwar für
herausgequollene Myelinmassen.
Was die Stützsubstanz betrifft, so zeigen uns er
präparate, wie von der grauen Substanz aus meist von der
Mitte radiär gerichtet und durch zahlreiche Zwischen-
brücken verbunden starke Züge vom Stützgewebe zur binde-
gewebigen Hülle des Markes ziehen, dadurch der weissen
Substanz ein gefächertes Aussehen gebend. In diese Septen
sollen übrigens nach HALLER!) zahlreiche kleine Ganglien-
zellen eingestreut sein.
Die weisse Substanz umgiebt ringsum die graue, sich
jedoch nur an den Vorderhörnern einigermassen scharf gegen
dieselbe absetzend. Das Kaliber der Fasern ist ein sehr
verschiedenes. Wir finden sehr feine Fasern und auffallend
mächtige, ohne aber die sogen. Kolossalfasern anderer Fische
vor uns zu haben.
MAUTHNERr’sche und MüLrer’sche Kolossalfasern fehlen
eben bei den Plagiostomen, was eigentlich auffällig ist, da
bei fast allen anderen Unterabteilungen der Fische, bei den
Leptocardiern, Cyelostomen, Teleostiern und Dipnoern und
auch noch bei den urodelen Amphibien solche gefunden
ı) Haller, op. eit. (cf. pg. 9).
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 25
werden. Es muss daher dieser negative Befund als Familien-
merkmal besonders hervorgehoben werden. Leider lassen
sich keine weiteren Schlüsse daraus ziehen, da wir über die
physiologische Bedeutung der Kolossalfasern so gut wie
nichts sicheres wissen, wenn auch die Vermutung von FRITSCH,
dass sie zur Innervation der Sehwanzflossenmuskulatur dienen,
viel für sich zu haben scheint. Übrigens ist auch HALLER
auf Grund seiner Untersuchungen neuerdings dafür ein-
getreten.
Unter den longitudinalen Faserelementen treffen wir die
starkkalibrigsten in dem Vorderstrang, und zwar besonders
im dorsalsten Teil und dann in dem Anteil des Seiten-
stranges, der in auffallend mächtiger Entwicklung zwisehen
Vorder- und Hintersäule nach der Mittellinie hin vorspringt
(ventrales und dorsales Grobfaserbündel von LENHOSSER).
Gemischte Fasern finden sich im allgemeinen im übrigen
Teil des Seitenstranges und fast durchweg feine in den
Hintersträngen, und zwar im peripheren Anteil die aller-
feinsten, etwas stärkere dagegen in den in der grauen
Substanz verteilten Bündeln, wie sich ja überhaupt bei allen
Vertebraten der Hinterstrang aus feinkalibrigen Fasern
zusammensetzt.
Die äusserliche Einteilung der weissen Substanz in
Stränge ist die gewöhnliche, nur zeigt ihre Anordnung
manche Eigentümlichkeiten.
Jederseits neben der Fissura long. ant., die weiter central
dann in das kräftige Septum ant. übergeht, liegen die beiden
verhältnismässig mächtig entwickelten Vorderstränge, die
ihre seitliche Begrenzung durch die austretenden vorderen
Wurzeln finden. Da die Vorderhörner eine ziemlich horizontale
Lage haben, so ragt nur der alleroberste Teil der Stränge
frei in die graue Substanz, während der grösste Teil sich
an die Seitenstränge anschliesst. Eine besondere Zerlegung
in einzelne grobe Bündelmassen erfährt der Vorderstrang
dadurch, dass quer durch ihn starke Faserzüge verlaufen,
auf die wir gleich noch näher eingehen werden.
Die grösste Entwicklung unter der weissen Substanz
zeigen die Seitenstränge. Sie erstrecken sich von den
vorderen Wurzeln an bis etwa zur Durchtrittsstelle der
26 Dr. med. Frırz KALBERLAH,
sensiblen Nerven. An den Vorderhörnern setzen sie sich
gegen die graue Substanz ziemlich scharf ab, an den Hinter-
hörnern ist eine feste Abgrenzung nicht möglich. In den
Seitensträngen findet sich auch die mächtigste Entwicklung
der Stützsubstanz, die hier in starken Zügen vielfach
anastomosierend die Seitenstränge in einzelne Biindel zer-
legt. Während das Faserkaliber im allgemeinen ein mittleres
ist, finden sich besonders an zwei Stellen gröbere Elemente
vor. Einmal, wenn auch nur in geringem Masse, im dorsalsten
peripheren Teil dieht an der Eintrittsstelle der hinteren
Nerven, wo die Fasern vor allem auch diehter zusammen-
liegen. Bei Mustelus und Trygon (Fig. 1 u. 6, Tec) z. B. hebt
sich diese Partie auch nach aussen als flacher Wulst ab.
Man könnte vielleicht analog den ventralen und dorsalen
‚Grobfaserbündeln (v. LENHossEkR) hier vom peripheren
Grobfaserbündel sprechen. Die zweite Stelle bildet das
erwähnte dorsale Grobfaserbündel (Fig. 1, Fm), das am
meisten centralwärts in dem Teile der Seitenstränge liegt, der in
mächtiger Entwieklung zwischen Vorder- und Hinterhorn nach
der Mittellinie zu vorspringt. Hier ist vor allem durch Züge
grauer Substanz eine Sonderung in viele einzelne Bündel
durchgeführt. Der ganze Absehnitt ist wohl dem Processus
retieularis der höheren Vertebraten an die Seite zu stellen.
Am meisten abweichend vom gewöhnlichen Typus zeigen
sich die Hinterstränge.
Ich unterscheide an ihnen eine mediale, eine laterale
und eine centrale Partie.
Der centrale Teil findet sich überall in der grauen
Substanz der Hintersäulen in Form ziemlich starker Bündel
verteilt (Fig. 1, Pc). Im äusseren Teil liegen die Bündel
weiter und mehr zerstreut, nach dem Centrum zu jedoch
enger zusammen, so dass sie bei einzelnen, z. B. bei Mustelus,
Torpedo, Raja, dieht neben der Mittellinie sehr ansehnliche
Massen bilden (Fig. 1, 4, 5).
Der periphere oder laterale Teil ist am wenigsten
stark entwickelt, weist auch mit dem medialen zusammen
ein viel feineres Faserkaliber auf (Fig. 1, Pl). Er umsäumt
das Hinterhorn als schmaler weisser Streifen an der Peripherie
des Markes.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 27
Der mediale Teil ist derjenige, der sich an den
lateralen anschliessend jederseits neben dem Septum post.
liegt (Fig. 1, Pm). Er ist meist auch nur verhältnismässig
schwach entwickelt und reieht etwa centralwärts bis zur
Hälfte der Entfernung vom Suleus long. post. zum Centralkanal.
Als Verbindung zwischen den beiden Rückenmarks-
hälften finden wir die vordere und die hintere weisse
Kommissur.
Sehr mächtig entwiekelt ist die vordere Kommissur, in
die untermiseht mit feineren sehr dicke markhaltige Fasern
eintreten (Fig. 1, Dv). Richtiger ist es allerdings von einer
Deeussation zu sprechen, wenn sich in der Litteratur auch
überall der andere Ausdruck findet. Denn der grösste Teil
der Fasern, die dieselbe bilden, sind sich kreuzende
heterodesmotische Elemente, wenn auch eine kleine Zahl
echte Kommissurfasern sein mögen.
Die wenigsten Fasern dieser Decussation nun schlagen
den Weg ein, den wir bei den höheren Vertebraten zu
sehen gewohnt sind, indem nämlieh der weitaus bedeutendere
Anteil nicht dorsal vom Vorderstrang unter dem Central-
kanal entlang zieht, sondern in verschiedenen Bündeln quer
durch die beiden Vorderstränge hindurch. Die eigentliche
Kreuzung in der Mittellinie findet zwar nur im dorsalsten
Teile statt, aber die einzelnen Bündel durchsetzen, indem
sie von diesem Punkte ausstrahlen, doch fast die ganze
obere Hälfte des Vorderstranges.
Nirgends findet sich bei meinen Exemplaren eine so
scharf durchgeführte Sonderung in eine gewöhnliche ventrale
Deeussation und eine tiefere sogen. Commissura transversa
(STIEDA) oder aceessoria (MAUTHNER), wie bei den Teleostiern,
bei denen sich übrigens am Anfang und Ende des Rücken-
marks auch solche diffuse Ausbreitung finden soll!) und nur
im übrigen Teil jene charakteristische Teilung in zwei
Portionen.
Danach hätten wir also bei den Plagiostomen eine
Zwischenstufe zwischen dem Verhalten bei den höheren
Vertebraten und dem der Teleostier vor uns. Jedenfalls
1) Haller, op. eit. (ef. pg. 9).
28 Dr. med. Fritz KALBERLAH,
scheint, soviel ich aus der Litteratur über die Fische er-
sehen konnte, diese Form der Decussation für die Selachier
recht charakteristisch zu sein.
Einen Unterschied dabei zu finden zwischen Rochen und
Haien, wie ihn VıAuLTr und STIEDA machen, war mir nicht
möglich. Auf jeden Fall zeigten alle die Species, die mir
zur Verfügung standen (Mustelus (Fig. 1), Acanthias (Fig. 2
u. 3), Torpedo (Fig. 4), Raja (Fig. 5), Trygon (Fig. 6), in
gleicher Weise die beschriebene Anordnung.
Viel lockerer und auch fast ganz aus sehr feinen Fasern
gebildet ist die hintere dorsale Kommissur. An ihr kann
man deutlich zwei Portionen unterscheiden. Ich werde den
Anteil, der dorsal vom dorsalen Grobfaserbündel liegt,
Portio dorsalis nennen und den ventral davon (aber
dorsal vom Centralkanal) gelegenen Portio ventralis.
Die erstere ist die stärkere und breitere, wenn sie auch
nur sehr locker ist, die letztere dagegen besteht nur aus
wenigen markhaltigen Fasern. Sie liegt dieht über dem
Centralkanal und dadurch unmittelbar über den obersten
Faserbündeln der ventralen Deeussation.
II. Der feinere Bau.
Die _ weisse Substanz ist zusammengesetzt aus longi-
tudinalen und transversalen Faserelementen. Der ersteren
Kategorie gehören vor allem die in den Strängen ver-
laufenden markhaltigen Fasern an und dann jene diffus in
der grauen Substanz verteilten Faserbündel und einzelnen
Fasern, die sich zusammensetzen aus verlängerten Wurzel-
bahnen, Abkömmlingen von Strangzellen, von Kommissur-
und Kommissurstrangzellen und eventuell Fasern anderer
Herkunft.
A. Vorderstrang.
In der topographischen Übersicht des Rückenmarks
hatten wir eine rein äusserliche Scheidung zwischen Vorder-
strang und Seitenstrang vorgenommen, bei Betrachtung der
feineren Verhältnisse müssen wir diese gekünstelte Ein-
teilung jedoch fallen lassen und können nur von einem
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 29
Vorderseitenstrang (Bauchstrang, KÖLLIKER) sprechen.!)
Jedenfalls kann man diese Teile ohne Untersuchung von
Entwieklungsstufen oder Anwendung der Degenerations-
methode nieht trennen. In diesem Vorderseitenstrang ver-
laufen Bahnen, die für das Leben des Tieres von der
grössten Bedeutung sind.
Wir treffen hier und wohl in überwiegender Mehrzahl
die kurzen Bahnen, die als Associationsfasern die ver-
schiedenen Höhen des Rückenmarks miteinander verbinden
und sich nachher in die Formatio retieularis der Medulla
oblongata fortsetzen, und dann jene wichtigen langen Bahnen,
die als Vorderseitenstrangreste vom Rückenmark durch das
verlängerte Mark hindurch bis zum Mittel- und Zwischenhirn,
bei höheren Vertebraten sogar bis zum Grosshirn aufsteigen,
wobei sie auf ihrem Wege direkt oder durch Collaterale
mit den verschiedensten Teilen des Gehirns, vor allem den
Gehirnnervenkernen, in Beziehung treten. Wenn wir dazu
bedenken, dass eine dieser langen Bahnen, das hintere
Längsbündel in der Entwicklung mit am ersten markhaltig
wird, so erkennen wir, welch fundamental bedeutsame
Strassen für das Tierleben wir hier vor uns haben.
Jederseits neben der Mittellinie dieht ventral vom
Centralkanal müssen. wir die beiden späteren hinteren
Längsbündel suchen, die sich im weiteren Verlauf immer
in dieser Lage neben der Raphe deutlich durch ihr starkes
Faserkaliber abheben und leicht verfolgen lassen. Es ist
dies eine Bahn, die von den Fischen aufwärts sich konstant
in gleicher Lage befindet. Sie zieht dieht unter dem
eentralen Grau des IV. Ventrikels und des Aquäduktes bis
zum Zwischenhirn, wobei vor allem die Gehirnnerven in
nahe Beziehung zu ihr treten. Doch gehören zu dem Faser-
komplex, der uns hier im Rückenmark im allgemeinen als
hinteres Längsbündel imponiert, noch andere Bahnen, die
wir überhaupt später erst davon trennen können, wenn sie -
z. B. in die Commissura cerebri post. und in die fontainen-
artige Haubenkreuzung übergehen. Wir haben hier im
1) Über die Einteilung des Rückenmarkes von B. Haller
siehe pg. 17.
30 Dr. med. Frırz KALBERLAH,
sanzen Bahnen vor uns, denen die wichtige Vermittelung
zwischen Rückenmark und funktionell bedeutsamen Centren
höher gelegener Hirnteile zukommt.
Weiter ist noch jener peripher dorsal gelegene Abschnitt
des Vorderseitenstranges isoliert hervorzuheben, der sich
durch ein grösseres Kaliber und das diehtere Zusammen-
liegen seiner Fasern auszeichnet (peripheres Grobfaser-
bündel), was besonders im obersten Teil des Rückenmarks
deutlich ist.: Hier haben wir höchstwahrscheinlich den
Traetus ecerebellospinalis (Fig. 1, 7e) vor uns, doch steht
die absolut sichere Identifizierung mit der gleichen Bahn
der höheren Vertebraten noch aus. Dieser Traktus soll
sich nach EDInGEr von den Selachiern und Teleostiern an
konstant in der Tierreihe als Verbindung des Rückenmarks
mit dem Kleinhirn finden, und zwar, wie es scheint, überall
in derselben Lage. Darüber, ob eine Beziehung zu einer
bestimmten Gruppe von Zellen im Grau des Rückenmarks
existiert, war hier nichts zu eruieren.
Wie schon hervorgehoben, fallen in dem medialsten
Teile der als Processus retieularis bezeichneten Teile des
Seitenstranges jederseits zwei starke dichte Bündel gross-
kalibriger Nervenfasern auf, die von StiEDA und VIAULT
schon erwähnt, von RoHon seitliches Längsbündel, von
v. LexnosseX dorsales Grobfaserbündel und von HALLER
Faseieulus medianus des Seitenstranges genannt
wurden (Fig. 1, Fm). Sie geben dem Rückenmarksquer-
schnitt ein für die Plagiostomen charakteristisches Gepräge,
wenigstens finden wir nirgends in der Tierreihe wieder an
gleicher Stelle ein so scharf umschriebenes und deutlich
hervorgehobenes Fasersystem, das diesem ganz zu homo-
logisieren wäre. Auch in diesen Fasern müssen wir eine
lange Bahn suchen, die vom Rückenmark durch die Medulla
oblongata heraufsteigt, aber das Mittelhirn nicht erreicht.
Vielleicht darf man ihnen eine ähnliche Rolle zu-
schreiben wie den MaAurnuner’schen Fasern, wenigstens
geben die Beziehungen, die beiden zum Acustieus zu-
kommen, immerhin zu denken. Wiehtig wäre es allerdings
für die Sicherung dieser Frage gewesen, wenn ich hätte
bestimmen können, ob diese Bahn bis in den caudalsten
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 31
Absehnitt des Rückenmarks geht; leider standen mir nur
obere und mittlere Rückenmarkstücke zur Verfügung, und
Aufzeichnungen darüber in der Litteratur fehlen.
Die genauesten Angaben über ihr weiteres Verhalten im
verlängerten Mark giebt HALLER,!) der darüber berichtet,
dass die Fasern bis zur Acustieusgegend reichen, wo sie
sich der Untersuchung entziehen. Einzelne feinere Fasern
sollen sieh schon im mittleren Vaguskern auflösen, andere
in die hintere Vaguskommissur übergehend hier enden oder
mindestens sich hier kreuzen. Vielleicht biegen auch Fasern
in die Postvagalnerven ein. Ich kann diese Angaben im
wesentlichen bestätigen auf Grund meiner Untersuchungen,
die ich gleichzeitig und unabhängig von BELA HALLER an-
gestellt habe. Übrigens hoffe ich selbst in einer späteren
Arbeit auf diesen Punkt genauer zurückkommen zu können.
Ausser diesen Faserkomplexen, deren Existenz man auf
Querschnitten bei allen mir vorliegenden Arten mit Sicherheit
nachweisen konnte, finden sich noch eine grosse Anzahl von
markhaltigen Fasern von verschiedener Bedeutung. So haben
wir hier wohl sicher noch gekreuzte oder ungekreuzte An-
teile von Bahnen zu vermuten, die die Vorstufe der Schleife
der höheren Vertebraten bilden. Auch hier dürfte uns nur
die entwieklungsgeschichtliche Methode und das Experiment
Aufschluss geben.
Pyramiden, d. h. das bei dem menschlichen Central-
nervensystem so wichtige Fasersystem, das in der Grosshirn-
rinde entspringend in die Vorderhörner des Rückenmarks
zieht, fehlt den Plagiostomen, wie denn diese Bahn sicher
erst bei den Säugern nachgewiesen ist, während bei den
Vögeln noch unsichere Befunde vorliegen.)
Neben diesen zahlreichen longitudinalen Elementen sehen
wir aber im Bereich des Vorderseitenstranges eine grosse
Menge transversal verlaufender Fasern, die denselben ent-
weder einfach durchqueren oder die Verbindung der grauen
Substanz mit der weissen direkt oder per commissuram
') Haller, op. eit. (ef. pg. 9).
?2) Siehe dazu die zahlreichen diesbezüglichen Einzelarbeiten von
Ziehen.
32 Dr. med. Frırz KALBERLAH,
vermitteln. Immerhin ist aber hier die Anzahl der mark-
haltigen Transversalfasern noch relativ gering, wenn man
damit das Rückenmark höherer Vertebraten vergleicht.
Diese Faserarmut, die wohl vor allem durch die geringe
Menge von markhaltigen Collateralen bedingt ist, findet sich
bis zu den Amphibien, wo die Batrachier plötzlich ganz
auffällig das entgegengesetzte Verhalten zeigen.
Unter diesen horizontalen Fasern, die von Axeneylindern
und Collateralen gebildet werden, was man aber an Weigert-
sehnitten nicht sicher unterscheiden kann, lassen sich ihrem
Verlauf und ihrer Zusammengehörigkeit nach unterscheiden:
1. Nervenwurzelfasern.
2. Direkte Verbindungsfasern der Stränge mit der grauen
Substanz.
3. Durch die Kommissur resp. die Decussation ver-
laufende Fasern.
1. Die vordere oder motorisehe Wurzel.
Die Fasern der vorderen Wurzel treten in nur kleinen
und nieht ganz regelmässigen Abständen aus der ventralen
Seite des Rückenmarks aus, meist immer eine ganze Anzahl
von Wurzelbündeln zu einer längs gestellten Platte ver-
einigt. Innerhalb der Rückenmarksubstanz strahlen dann
die Bündel je nach der verschiedenen Lage ihrer Ursprungs-
zellen auseinander, nachdem sie die weisse Substanz ziemlich
geschlossen durchquert haben. Der grösste Teil der Fasern
verliert sieh im unteren und mittleren Teil des Vorderhornes,
und ich glaube, dass wir wohl auch im allgemeinen die
Ursprungszellen dieser Abteilung der Wurzel auf ungefähr
demselben Niveau zu suchen haben. Wenigstens habe ich
auf Längsschnitten in der grauen Substanz der Vorderhörner
keine Umbiegungen nach oben oder unten gesehen.
Eine weitere, aber geringere Portion des Nerven geht
jedoch weiter lateral und dorsalwärts, um ziemlich dieht an
der weissen Substanz jedenfalls in den Zellen sein Ende zu
finden, die wir dort aus den GoLgI-Präparaten von RETzıus
und v. LENHOSSEK!) kennen.
1) Siehe die Arbeiten dieser Autoren über das Rückenmark der
Selachier.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 33
Bei dem jungen Acanthias-Exemplar konnte ich auch
sicher einige Fasern beobachten, die aus dem Gebiet des
Seitenstranges in das vordere Wurzelbündel eintreten (in
Fig. 3 nicht gezeichnet); dies sind also entweder Axen-
eylinder, deren Zellen in einem anderen Niveau liegen oder
nur Collaterale aus Seitenstrangfasern (periphere Collaterale,
HALLER).
Ein ganz bedeutender Anteil der vorderen Wurzel ent-
springt jedoch nicht im gleichseitigen Vorderhorn, sondern
kommt dieht an dem Vorderstrang entlang ziehend aus der
vorderen Decussation. Ob wir damit gekreuzte Elemente
der vorderen Wurzel vor uns haben, bleibt allerdings noch
zweifelhaft, ein Punkt, der bei den verschiedenen Unter-
suchern stets zu einer lebhaften Kontroverse Anlass gegeben
hat. Auf Grund ihrer Beobachtungen haben sich EpınGEr,!)
ÜBERSTEINER,?) STIEDA,?) VIAULT®) (Plagiostomen), MAYSER,?)
HALLER®) (Teleostier), BrAnDIS’) (Vögel), SCHAFFER®) (Rep-
tilien) dafür ausgesprochen im Gegensatz zu VAN GEHUCHTEN,
Ramon Y CaJAL, KÖLLIKER, v. LENHOSSER,?) RETZIUS 10)
(Plagiostomen) u. a., die einen gekreuzten Ursprung strikte
leugnen und nur Axeneylinder von Kommissurzellen und
direkte Zellfortsätze in der ventralen Decussation sehen
wollen.
Verfolgt man die Fasern in die Decussation, so sieht
man, wie sich ein grosser Teil bereits im Gebiet des gleich-
1) Edinger, op. eit. (ef. pg. 7).
2) Obersteiner, Anleitung beim Studium des Baues der nervösen
Centralorgane, III. Aufl., Leipzig und Wien 1896.
) Stieda, op. eit. (ef. pg. 17).
») Viault, op. eit. (ef. pg. 14).
5) Mayser, Vergleichend anatomische Studien über das Gehirn
der Knochenfische mit besonderer Berücksichtigung der Cyprinoiden,
Zeitschrift f. wiss. Zool. XXXVI, 1881.
°) Haller, Untersuchungen über das Rückenmark der Teleostier,
Morpholog. Jahrbuch XXIII, 1895.
”) Brandis, Riückenmark der Vögel, Arch. f. mikr. Anat., Bd. 41.
8) Schaffer, Vergleichend anatomische Studien über Rückenmark-
faserung, Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. XXXVIII, 1891.
9) v. Lenhossek, op. eit. (ef. pg. 13).
10) Retzius, op. cit. (cf. pg. 11).
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 32
34 Dr. med. Frırz KALBERLAH,
seitigen Vorderstranges verliert; ihre Ursprungszellen müssten
danach in einem anderen Niveau liegen. Ein Rest über-
schreitet aber sicher die Mittellinie. Eine direkte Verfolgung
der Fasern bis ins Grau des anderen Vorderhorns ist natürlich
bei Tieren, bei denen schon die ganze vordere Deeussation,
also auch die Fasern, die ausserdem dieselbe bilden helfen,
markhaltig ist, an Weigertpräparaten nicht möglich. Ich
halte jedoch nach dem ganzen Befund den gekreuzten
Ursprung für sehr wahrscheinlich.
Wenn andere Untersucher!) auf Grund ihrer Golgi-
präparate solehe gekreuzten Anteile leugnen zu müssen
glauben, so muss man doch zu bedenken geben, dass die
Silberimprägnation gerade durch ihren Vorzug, aus der Fülle
des Vorhandenen immer nur einzelne Teile zu färben, ein
Niehtvorhandensein von Formelementen höchstens wahr-
scheinlich machen, aber nie beweisen kann.
Einige der Wurzelfasern, die ganz medial am Vorderhorn
centralwärts ziehen, streben dem dorsalen Grobfaserbündel
zu. Diese Fasern können einmal kurz vorher entspringen,
da hier gerade eine Ansammlung grosser Ganglienzellen sich
findet, nieht unwahrscheinlich ist aber auch eine direkte
Beziehung zum Grobfaserbündel, denn die letzten Gehirn-
nerven stehen ja in ihrer motorischen Portion ganz sicher
in enger Verbindung mit demselben.
2. Direkte Verbindungsfasern der Stränge mit der grauen
Substanz sehen wir überall auf dem Querschnitt, mit Vorliebe
folgen sie dem Verlauf der Stützsubstanzbrücken, so dass sie
teilweise ziemlich weit zur Peripherie zu verfolgen sind.
Wir haben hier sowohl die aus den Strangzellen ent-
springenden Axencylinder vor uns, als auch sicherlich zahl-
reiche von den Strangfasern ausgehende Collateralen.
3. Eine eingehende Betrachtung verdient noch die
vordere Deeussation (Fig. 1, Dv), die, wie schon betont,
sehr mächtig entwickelt ist. Einen wichtigen Anteil haben
wir schon erledigt, nämlich den, der als mediale Portion in die
vordere Wurzel übergeht. Die übrigen Elemente werden ge-
bildet einmal durch Axencylinder, die von Kommissurzellen von
1) Besonders v. Lenhossek.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 39
Grau zu Grau hinüberkreuzen oder von Kommissurstrangzellen
in einen anderseitigen Strang gehen, dann jedenfalls auch
von Collateralen der verschiedensten Fasern; schliesslich
sollen sieh sehr reichlich direkte Zellfortsätze darin
finden, um einen Befund von v. LENHoSSEX an Golgipräparaten
heranzuziehen.
Die grösste Portion der in die vordere Decussation ein-
tretenden Fasern geht in den entgegengesetzten Vorderstrang
über, nachdem sie die Raphe gekreuzt haben, wobei ein Teil
erst dieht an derselben entlang nach unten zieht und dann
erst in den Ventralstrang eintritt. Die übrigen Elemente der
Kreuzung, die darüber hinaus in das graue Vorderhorn der
anderen Seite treten oder gar in den kontralateralen Seiten-
strang, lassen sich an Weigertpräparaten erwachsener
Exemplare wieder nur per analogiam vermuten, aber nicht
dureh Verfolgen der einzelnen Fasern beweisen.
Wir wollen nun sehen, aus welchen Teilen des
Rückenmarkquerschnittes die einzelnen Fasern der ven-
tralen Kreuzung stammen.
Ein Anteil kommt aus dem Grau des Vorderhornes, eine
Reihe anderer durchquert jedoch das Grau der Ventralsäule
und gelangt in den Seitenstrang, und zwar so ziemlich in
alle Teile desselben. Eine ebenso bedeutende Portion wie
die, die aus der Deeussation ventralwärts in die motorische
Wurzel überging, wie wir sahen, wendet sich im Bogen
dorsalwärts, um teilweise im dorsalen Grobfaserbündel zu
verschwinden. Ein kleinerer Teil strebt noch dorsaleren
Partien zu, und zwar sieht man einige Fasern, die sich, um
das Grobfaserbündel medial herumschlingend, nach dem
Hinterhorn zu verlieren, während andere lateral in die
Formatio retieularis eintreten und zum Teil im grossen
Bogen weiter bis zum Hinterhorn zu verfolgen sind.
Nieht eigentlich zur vorderen Deeussation gehörig sind
die nur spärlich vorhandenen locker nebeneinander liegenden
Fasern, die dieht oberhalb des Centralkanals verlaufen und
als ventrale Portion der dorsalen Kommissur bezeichnet
sind (Fig. 1, Po). Ihre nähere Besprechung erfolgt aber
deshalb an dieser Stelle, weil sie eben nur ventrale Bezirke,
d. h. die beiden Vorderhörner miteinander verbinden. Da sie
3a*
36 Dr. med. Fritz KALBERLAH,
immer nur von Grau zu Grau zu verfolgen waren, so werden
wir wohl lauter echte Kommissurzellfasern darin vor uns
haben.
Um kurz zu rekapitulieren, kommen also für den Aufbau
der vorderen Decussation in Betracht:
1. Vorderhorn . . . . . gekreuzter Vorderstrang
2. Seitenstrang . 1
(Diese Verbindung von em) bei Reptilien
nachgewiesen, sonst meist geleugnet.)
3. Dors. Grobfaserbündel. gekreuzter Vorderstrang
4. Hinterhorn (resp. Hinterstrang) „ 5
“ an vom Grobfaserbündel
5. Proe. retieularis. . . . gekreuzter Vorderstrang
Über das Bereich des gekreuzten Vorderstranges hinaus-
gehend, also sich der direkten Verfolgung entziehend:
1. Vorderhorn . . . . . gekreuzte motor. Wurzel
2. Vorderhorn . . . die eben unter 1—5 genannten,
aber gekreuzten Bezirke.
B. Hinterstrang.
Wie wir schon im topographischen Teil sahen, kann
man im Hinterstrang 3 Partien unterscheiden.
Die centrale nimmt die Mitte des Hinterhornes ein,
und zwar ist dieser Teil bei erwachsenen Exemplaren von
soleher Mächtigkeit, dass von der grauen Substanz nur
schmale Streifen übrig bleiben, wodurch dann das Bild des
Querschnittes ein ganz anderes Gepräge bekommt als bei
adulten Individuen. Wir haben in diesen Fasern die ab-
und aufsteigenden Teile der hinteren Wurzel zu suchen und
noch eine Menge jedenfalls kürzerer longitudinaler Bahnen,
wie man an Schnittserien sieht, wo die hintere Wurzel noch
nicht markhaltig ist und wo doch eine geringe Menge von
Faserbündeln sich finden.
Sehon verhältnismässig stark bei jungen Individuen
entwickelt dagegen ist die mediale und laterale Partie.
2) Schaffer, op. eit. (ef. pg. 33).
Über das Rüickenmark der Plagiostomen. 87
Wir finden sie schon dann ziemlich bedeutend, wenn noch
gar keine hinteren Wurzelfasern markhaltig sind, sie müssen
also auch andere Faserelemente enthalten.
Eine Sonderung des Hinterstranges in GoLL’schen und
Burpac#’schen Strang vorzunehmen gelingt ebenso wenig
wie bei anderen Fischen.
Überall auf dem Quersehnitt sieht man in die Hinter-
strangbündel feine Fasern eintreten und sich dort verlieren,
besonders auch von dem centralen nach den beiden anderen
Anteilen herüberlaufend. Diese Fasern verlaufen meist schief
von unten nach oben oder umgekehrt, sind also im allge-
meinen nicht in toto zu verfolgen.
Ein Teil derselben schliesst sich zuerst der hinteren
Kommissur, und zwar der Portio dorsalis an, läuft aber in
ihr nur bis zur Mittellinie, wo sie dorsalwärts umbiegen und
in die mediale Partie des gleichseitigen Hinterstranges über-
gehen, wobei sie zum Teil noch eine längere Strecke an
dem Ependymseptum entlang laufen.
Aus.der centralen Partie sehen wir auch längere Fasern
im Bogen durch den Processus retieularis hindurch ziehen
zum Vorderhorn, wo sie teilweise enden, teilweise auch, wie
wir gesehen haben, in die vordere Deeussation eintreten.
Wir haben wohl hierin zum Teil KöLuıker’s Reflex-
eollateralen (anteroposteriore Bündel, Ramon Y CAJAL) vor
uns, anderseits aber wohl auch sicher direkte Axeneylinder,
wofür ihr oft sehr starkes Kaliber spreehen dürfte.!)
Es wären dies dann die Axeneylinder, die im Vorderhorn
entspringend durch die hintere Wurzel nach aussen gelangen
sollen. Ein Befund, wie er von v. LENHOSSEK, EDINGER,
Ramon Y CAyau besonders betont wird. Wir hätten damit
also in der sensiblen Wurzel eentrifugale Bahnen, deren
physiologische Bedeutung noch unsicher ist (EDINGER:
motorische Eingeweidenerven; KÖLLIKER: Sympathieus- oder
Gefässnerven).
Während wir ventral vom Centralkanal eine Deeussation
vor uns hatten, finden wir dorsal eine eehte Kommissur, die
!) Es ist allerdings fraglich, ob man selbst bei auftälliger Ver-
schiedenheit des Faserkalibers das Recht hat, bei Weigertpräparaten
Axeneylinder und Collaterale zu unterscheiden, wie esz.B. Kölliker thut.
38 Dr. med. Frırz KALBERLAH,
sich ausspannt zwischen den beiden Hinterhörnern resp.
Strängen, indem sie die beiden centralen Portionen und das
sich hier ausbreitende Fasergewirr untereinander verbindet.
Im ganzen ist die dorsale Kommissur sehr locker und
spärlich, wird aber dadurch verstärkt, dass in ihr bis zur
Mittellinie die bereits erwähnten Verbindungsfasern der
eentralen mit der medialen Hinterstrangpartie verlaufen.
Kurz vor dem Übergang in die Medulla oblongata, wo
sich auch sonst zwischen den beiden dorsalen Grobfaser-
bündeln und zwischen dorsaler Kommissur und Centralkanal
ein dichtes Fasergewirr findet, nimmt sie an Mächtigkeit zu,
um dann allmählich immer dünner und lockerer werdend
durch die Eröffnung des IV. Ventrikels naturgemäss auf-
zuhören.
Die hintere Wurzel.
Bei den Plagiostomen sind bereits typische von dem
Medullarrohr abgetrennte Spinalganglien vorhanden, die bei
Amphioxus noch fehlen, wo die sensiblen Wurzeln noch ganz
aus dorsal am Rückenmark liegenden Zellen entspringen,
während bei den Cyelostomen nach KÖLLIKER,!) der sich
dabei auf die Freup’schen?) Befunde stützt, eine Übergangs-
form anzunehmen ist, indem hier noch ein Teil der Zellen
im Rückenmark liegt, der grösste Teil aber schon in den
abgetrennten Spinalganglien. Diese hier bei den Cyelostomen
aus dem Rückenmark austretenden Fasern sollen danach
echte sensible Fasern sein, nicht etwa solche centrifugal
leitenden, wie wir sie eben aus dem Ventralhorn zur Dorsal-
wurzel ziehend kennen gelernt haben. Eine solehe echt
sensible Faser aus dem dorsalen Vaguskern stammend und
bis zu den Hautendverzweigungen zu verfolgen, bildet aller-
dings HALLER?) neuerdings auch bei einem Teleostier (Salmo)
ab. Ob auch für das Rückenmark ähnliche Befunde bei
anderen Vertebraten vorliegen, weiss ich nieht. Möglicher-
weise könnten ja auch noch bei den höheren Wirbeltieren
") Kölliker, op. eit. (ef. pg. 10).
2) Freud, Über den Ursprung der hinteren Nervenwurzeln bei
Ammocoetes Planeri, Wiener Sitzungsberichte 1877, Bd. 75.
3) Haller, op. cit. (ef. pg. 9).
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 39
sich Reste des bei dem Amphioxus und den Cyelostomen
persistierenden Zustandes finden, gesetzt die KöLLıkkr’sche
Anschauung über die Bedeutung der in der hinteren Wurzel
austretenden Fasern wäre richtig.
Die Durehtrittsstellen der hinteren Wurzeln finden sich
an der dorsalen Seite des Rückenmarks in bestimmten Ab-
ständen, die weiter sind als die engen Zwischenräume der fast
in einer diehten Reihe angeordneten
vorderen Wurzelbündel. Cd
Eine solehe Asymmetrie in dem Ur-
sprung von motorischen und sensiblen
Wurzeln findet sich übrigens auch bei den
Cyelostomen, Ganoiden und Dipnoern.
Die vereinigten hinteren Wurzel-
bündel übertreffen dadurch an Mächtig- Pl-
keit die ja mehr in kleinen Partien
austretenden vorderen Wurzeln.
Ihr Verlauf innerhalb des Rücken-
marks ist schief von aussen unten nach
oben innen. In der centralen Partie
des Hinterstranges sehen wir auf dem Ag.
Querschnitt die hinteren Wurzeln plötz-
lich wie abgeschnitten aufhören, weil
die Fasern hier in einen longitudinalen
Verlauf übergehen und dabei vor allem
die centrale Partie des Hinterstranges
bilden. Jede Wurzel teilt sich dabei, .sschnitt äurch dns Rücken-
in eine auf- und eine absteigende Partie mark von Raja.
von annähernd gleicher Stärke, wobei (4 Hinterhorn. Fin, Dorsales
. 0 ° ER: Grobfaserbündel. Pc, Centrale
sich die einzelnen Fasern gegenseitig Partie des Hinterstranges.
überkreuzen, wie das die nebenstehende 7% Taterale Partie des Hinter-
. 6 stranges. Ad, Hintere Wurzel.
Figur zur Anschauung bringt.
Die so mitten im Grau des Hinterhornes verlaufenden
Fasern schliessen sich in ihrem aufsteigenden Teil schliesslich
den peripheren und medialen Partien des Hinterstranges an,
um so nach oben zu steigen. Direkt in die lateralen Teile
des Hinterstranges scheinen keine Fasern überzugehen,
wenigstens sah ich das hintere Wurzelbündel hier immer
ganz geschlossen durchtreten.
40 . Dr.med. Frırz KALBERLAH, Rückenmark der Plagiostomen.
Dass Fasern der hinteren Wurzel resp. Collaterale der-
selben sich an der hinteren Kommissur beteiligen und nach
der anderen Seite hinübergehen, darf man deshalb wohl
mit Recht auch aus WEIGERT-Präparaten schliessen, weil
der grösste Teil dieser Kommissur aus dem Bezirk der
centralen Partie des Hinterstranges stammt und diese ja
fast ganz aus hinteren Wurzelfasern besteht.
Tafel I.
Kalberlah, Über das Rückenmark der Plagiostomen
A. Haie
Fig. 1. Mustelus, (15 >< vergr.)
Fig. 2. Acanthias, erwachsen, (20 x vergr.)
Fig. 3. Acanthias, junges Individuum (austretende Myelinmassen
rechts ventral und im Centralkanal — Reissner’sche
Fasern — (40 x vergr.)
B. Rochen
Fig. 4 Torpedo, (20 x vergr.)
Fig. Raja, (20 x vergr.)
Fig. 6. Trygon, (20 x vergr.)
=
Zeichenerklärung
Cd = Columna dorsalis
Cv = Columna ventralis
Dv = Decussatio ventralis
Fv = Funieulus ventralis
Fl = Funieulus lateralis
Fm = Fascieulus medianus des Seitenstranges
Pd = Portio dorsalis |
Pv = Portio ventralis|
Pm == Portio medialis
Pl = Portio lateralis ;, des Funieulus dorsalis
Pc — Portio centralis
Rd == Radix dorsalis
FRv = Radix ventralis
Te — Traetus cerebello-spinalis
der Commissura dorsalis
Ueber
Elepnas antiquus Falc. und Rhinoceros Merki
als Jagdtiere des alt-diluvialen Menschen in Thüringen und über
das erste Auftreten des Menschen in Europa
von
Hugo Möller, Breslau.
Mit Tafel II.
Das Vorkommen von Resten des Rentieres in den
berühmten Ablagerungen des Sommethals, wo zuerst in den
dreissiger Jahren des nun zur Rüste gehenden Jahrhunderts
von BOUCHER DE PERTHES die ersten sicheren Beweise für
die Existenz des diluvialen Menschen erbracht wurden, ge-
stattet bekanntlich keine genaue Festsetzung darüber, in
welchem Abschnitte der Diluvialepoche der Mensch dort
gelebt hat, zumal dessen Ueberbleibsel sich daselbst auch
noch auf sekundärer Lagerstätte vorfinden.
Man ist allerdings geneigt anzunehmen, dass das Somme-
thal bereits während der ersten Interglacialzeit, vielleicht
auch gar schon zur Präglaeialzeit bewohnt wurde, allein der
sichere vollgültige Nachweis des alt-diluvialen Menschen
hat für Europa bisher einzig und allein die klassische Fund-
stelle von Taubach b. Weimar erbracht. Seit den 70er
Jahren sind die Taubacher Travertin-Gruben schon mehr-
fach — besonders von paläontologischer Seite — zum
Gegenstand wissenschaftlicher Studien gemacht worden, es
ist daher nicht nötig, hier nochmals auf die stratigraphischen
und faunistischen Verhältnisse der Fundstelle näher einzu-
gehen, und ich beschränke mich darauf, am Sehlusse meiner
Abhandlung die einschlägige Litteratur namhaft zu machen.
Zeitschrift f. Naturwiss. Band 73. 1900. 3b
42 Huco MÖLLER, [2]
Der hohe wissenschaftliche Wert, welcher der Taubacher
Fundstelle beizumessen ist, beruht, wie JoH. RAnkE!) treffend
bemerkt hat, in der vollkommenen Reinheit und Ungemischt-
heit der faunistischen Zeugnisse für die geologische Periode,
in der der Mensch einst daselbst gehaust hat und auch darin,
dass der gegen 5 m mächtige Schichtenkomplex, welcher
über der Hauptfundschicht, dem „Knochensand“ lagerte,
sich als durchaus klar und niemals gestört erwiesen hat.
Weiterhin aber finden sich — das steht nunmehr fest —
in Taubach die Reste des diluvialen Menschen nicht wie
im Sommethal auf sekundärer, sondern auf primärer Lager-
stätte.
Dureh die Auffindung wirklicher Menschenreste im
Taubacher Travertinsand, bestehend in einem „vorderen
Milehbackenzahn aus dem linken Unterkiefer eines etwa
neunjährigen menschlichen Kindes?) und eines ersten wahren
Molaren aus dem linken Unterkiefer eines erwachsenen
Menschen“, wurde die Anwesenheit des Menschen zur Zeit
der Ablagerung der Taubacher Hauptfundschicht (des
Knochensandes), die ja bekanntermassen auch schon zuvor
durch andere Belegstücke nachgewiesen war, als unum-
stösslich sicher festgestellt. NEHRING der die beiden
fossilen Mensehenzähne auf das eingehendste untersuchte
und beschrieb, hat an beiden verschiedene pithekoide
Merkmale festgestellt, die, wiewohl es sich hier um bisher
1) Joh. Ranke, Diluvium und Urmensch (fin Meyer’s Volks-
bücher Nr. 1101—1103] Separat-Abdruck aus dessen Werk „Der
Mensch“, Bd. I, S. 43/45, S. 46/49, S. 64/72).
2) Vgl. a) O. Schötensack, Diluvial-Funde von Taubach [in
Verh. d. Berl. Anthropol. Ges. 1895, S. 92/95].
b) A. Nehring, Ueber einen fossilen Menschenzahn aus dem
Diluvium von Taubach, [ebenda 1895, S. 338/340].
c) Ders., Ueber einen diluvialen Kinderzahn von Predmost in
Mähren unter Bezugnahme auf den schon früher beschriebenen Kinder-
zahn von Taubach, [ebenda 1895, S. 425/433].
d) Ders., Ueber einen menschlichen Molar aus dem Diluvium von
Taubach, [ebenda 1895, 573/577].
e) Ders., Ueber fossile Menschenzähne aus dem Diluvium von
Taubach [in Naturwissenschaftliche Wochenschrift, herausgegeben von
Potoni&, 1895, 8. 371ff. u. 522].
[3] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 43
unwiderlegt gebliebene, allerdings vorläufig noch isoliert
dastehende Thatsachen handelt, als eine starke Stütze für
die durch Ernst HÄckEL in seinem Cambridge -Vortrage !)
neuerdings abermals in Fluss gebrachte Frage, von der
Primaten-Descendenz des Menschen angesehen werden
können. Sollte es freilich gelingen den definitiven Nach-
weis zu führen, dass, wie dies jetzt immer wahrscheinlicher
wird, die Taubacher Hauptfundschieht (der Knochensand)
präglacialen Alters ist, so erscheint mir die Spanne Zeit
im geologischen Sinne zu kurz zu sein, die zwischen der
Einlagerung der soviel Aufsehen erregenden Fossilreste des
Pithecanthropus erectus Dubois in jene jung-pliocänen
Schichten des erhärteten vulkanischen Tuffes von Trinil
auf Java und der Einbettung der fossilen Menschenzähne
im Kalktuff-„Sand“ von Taubach liest, um den Pithecan-
thropus überhaupt als direkten Vorfahren des Menschen
betrachten zu können. Es muss als feststehend angesehen
werden, dass der alt-diluviale Mensch von Taubach trotz
der von NEHRING nachgewiesenen pithekoiden Merkmale
seiner Zähne, wie seine Kulturreste es bezeugen, uns schon
in jener uralten Epoche als voller Mensch entgegentritt.?)
Es bestätigt somit auch der Befund der Taubacher Zähne
die Ansicht von H. KraArscH?) und W. Branco’s,!) dass
bei Annahme der Primaten-Deseendenz des Menschen „die
Ausprägung des menschlichen Typus in eine noch weiter
zurückliegende Zeit als das Pliocän datiert werden muss“.
!) Vgl. E. Häckel, Ueber unsere gegenwärtige Kenntnis vom
Ursprung des Menschen, Bonn 1898, 8, 17/21 u. 47/49.
2) Vgl. dazu: H. Pohlig, Die grossen Säugetiere der Diluvialzeit,
Leipzig 1890, 8. 18/19.
>) Vgl. H. Klaatsch, Die Stellung des Menschen in der Primaten-
reihe und der Modus seiner Hervorbildung aus einer niederen Form
[im Korrespondenzbl. d. deutsch. Anthropol. Ges. XXX Jahrgang 1899,
S. 154—157].
Desgl. „Globus“ Bd. LXXVI, Nr. 21 v. 2. Dez. 1899, S. 330/332,
Nr. 22 v. 9. Dez. 1899, S. 354/357, speziell $. 356.
*) Vgl. W.Branco, Die menschenähnlichen Zähne aus dem Bohn-
erz der schwäbischen Alb [in den Jahresheften des Vereins für vater-
ländische Naturkunde in Würtemberg 54. Jahrg., Stuttgart 1898, S. 2/139].
3b*
44 Hugo MÖLLER, [4]
Seit dem Erscheinen der NEHrIn@’schen Publikationen
über die Taubacher fossilen Menschenzähne, den geologisch
ältesten Menschenresten, die bis jetzt mit Sicherheit in
Europa nachgewiesen werden konnten, sind noch einige
weitere höchst bemerkenswerte Funde aus Taubach bekannt
geworden. Es sind dies einige Erwerbungen des RöÖMER-
Museums in Hildesheim, aus der paläontologischen Sammlung
des Herrn Lehrer Tu. REICHE in Braunschweig stammend.
Es befinden sich darunter zwei Stücke, deren schon
PouuLıe in der Sitzung vom 16. Februar 1891 der nieder-
rheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Bonn
kurz Erwähnung thut!) und deren Abbildung und Be-
schreibung er später im Zusammenhang geben wollte, was
aber bis dato unterblieben ist. Als anthropologisch von
höchster Wiehtigkeit nenne ich hier zunächst die löffelartig
zu einer Trinkschale künstlich ausgehöhlte Femurkugel
von Rhinoceros Merki. Das in Fig. 1 Taf. II abgebildete
Gefäss hat einen grössten Durchmesser von 111 mm und
eine Höhe von 55 mm. Der Kubikinhalt der porösen, leim-
getränkten Trinkschale lässt sich wegen ihres zerbröckelten,
ungleichhohen Randes nur schätzungsweise angeben.?2) Mit
den primitiven, nur ganz roh und unsymmetrisch zugehauenen
Steinwerkzeugen des alt-diluvialen Urmenschen von Taubach,
mag es ein äusserst mühseliges, zeitraubendes Stück Arbeit
gewesen sein, den harten Gelenkkopf auszuhöhlen und aus-
zuschaben, eine Arbeit, deren unverwischbare Spuren noch
heute nach diversen zehntausend Jahren deutlich sichtbar
sind. Ganz abgesehen davon, dass dieser Femur-Gelenkkopf
des MErK’schen Nashorns vom alt-diluvialen Urmenschen
D) Vgl. H.Pohlig, Ueber neue Ausgrabungen von Taubach b.
Weimar [in den Sitzungsberichten der niederrheinischen Gesellschaft für
Natur- und Heilkunde in Bonn 1891, S. 38/39, Sitzung v. 12./2. 1891].
2) Herr Prof. Dr. A. Andreae, Direktor des Römer-Museums in
Hildesheim, hatte die Freundlichkeit mir die oben angegebenen Dimen-
sionen der „Trinkschale‘ mitzuteilen, wofür ich demselben meinen besten
Dank sage.
Vgl. auch Führer durch das Römer-Museum in Hildes-
heim, Abteilung Nr. II, ethnographische u. prähistorische Sammlungen,
Hildesheim 1897, S. 7/8 und Tafel I Fig. 1 u. 2.
[5] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 45
Taubach’s zu einem ausgesprochenen Gebrauchszweck be-
arbeitet wurde, ist dieser bemerkenswerte Fund ein überaus
wichtiges und sicheres Beweisstück für die Coexistenz
des Menschen mit Rhinoceros Merki, der geologisch älteren
Rasse der beiden diluvialen Rhinozeronten, denn nur im
frischen Zustand ist es möglich den Gelenkkopf mit den
armseligen Taubacher kleinen Feuersteinmessern (vom Chelles-
Typus) derartig auszuhöhlen. Das grösste anthropologische
Interesse gewinnt aber dieses Fundstück als ältestes von
Menschenhand gefertigtes Trinkgeschirr bezw. Ge-
fäss, das bisher mit Sicherheit in Europa nachweisbar ist.
GörzE!) beschreibt zwar in seiner Abhandlung über „die
paläolithische Fundstelle von Taubach b. Weimar“ ein Ge-
bilde, hergestellt durch Abschlagen der störenden Knochen-
teile, aus der „Gelenkpfanne“ eines grösseren Tieres,
das er als „Becher“ bezeichnet. Indessen kann es sich bei
diesem „Becher“ ebensogut auch um ein zufällig bei der
Mahlzeit entstandenes Beekenbruchstück handeln, zumal es
immerhin nieht ganz ausgeschlossen erscheint, dass die nach
Görze’s Beschreibung „an einer Stelle deutlichen Spuren
eines scharfen Instruments, vielleicht eines Meissels“ auf
Einwirkungen von Tieren oder von Pflanzenwurzeln zurück-
geführt werden können. Es gilt dies namentlich auch für
„die vielen, in versehiedenen Riehtungen verlaufenden Kritze
der ebenen Standfläche des Görze’schen Bechers. Allerdings
darf nieht unerwähnt bleiben, dass das städtische Museum
in Weimar noch einige ähnliche mindergut erhaltene und
roher geformte Becekenbruchstücke aufbewahrt, deren An-
fertigung für menschliche Gebrauchszwecke zwar zweifelhaft
erscheint, die aber, selbst wenn zufällig entstanden, möglicher-
weise doch Trinkzwecken gedient haben können, da sie sich
thatsächlich hierzu einigermassen eignen.
Ein auf ähnliche Weise, wie die Femurkugel (Gelenk-
kopf) von Khinoceros Merki künstlich ausgehöhlter Gelenk-
kopf vom Schenkelbein eines Pferdes, der mutmasslich als
„„ampe“ (?) verwendet worden sein soll, wahrscheinlich aber
») Vgl. A.Götze, Verhandlungen d. Berl. Anthropol. Ges. 1892,
8. 374/375.
46 Huco MÖLLER, [6]
gleichfalls Trinkzweeken diente, wird von MaskA!) be-
schrieben und abgebildet. WANKEL fand dies „Gefäss“ mit
zahlreichen anderen Artefakten in der Höhle Byeiskäla
zwischen Josefsthal und Kiritein in Mähren. Dieser aus-
gehöhlte Gelenkkopf vom Pferd befindet sich mit den
übrigen Manufakten aus der Byeiskäla im naturhistorischen
Hofmuseum in Wien und gehört einer wesentlich jüngeren
Kulturperiode an.
Das RöMmeEr-Museum zu Hildesheim bewahrt auch das
zweite von PoHLIG a. a. 0. erwähnte anthropologisch wichtige
Fundstück, einen Knochendolch (Fig.2 und 3 Taf. II), her-
gestellt aus der rechten inneren und proximalen Ulnahälfte
eines Ursus arctos(?). Das Fundstück (die älteste bis dato
nachweisbare Stichwaffe) gleicht, wie schon PonHLıG sehr
richtig hervorhebt, ganz den heutigen, aus menschliehen Ulna-
oberenden hergestellten polynesischen Knochendolchen und
besitzt eine Länge von 198 mm, jedoch ist die Spitze leider ab-
gebrochen. Der Dolch weist deutliche Bearbeitungsspuren auf.
Auch noch einen anderen, ebenfalls der REıcar’schen
Sammlung entstammenden, paläolithisch - anthropologisch
höchst wichtigen Fund, birgt das RÖMER-Museum, den
gleichfalls die Taubacher Travertinsandgruben geliefert
haben. Ich meine den in Schrank Nr. 3 aufbewahrten
Schenkelknochen eines jungen Urelephanten (Fig. 4 Taf. I).
Dieser Sehenkelknochen ist vom alt-diluvialen Urmenschen
Taubachs zum Zwecke der Markgewinnung „durch Auf-
schlagen mit einem spitzen Stein durchlöchert und ge-
borsten“. An eine zufällige Durchlöcherung, Zerberstung
und Zersplitterung in eben beschriebener Weise kann hier
auf keinen Fall gedacht werden, das steht fest. Ebenso-
wenig kann aber auch der Zahn eines Raubtieres, etwa der
eines Bären, den Knochen derart durchlöchert und geborsten
haben. Nur eine Möglichkeit giebt es hier! Einzig und
allein die mit einem spitzen Stein bewaffnete Hand des
nach dem fettreichen Mark der jungen Urelephanten lüsternen,
alt-diluvialen Urmenschen, dem jegliche Haustiere und somit
auch alles fette Fleisch fehlte, kann mit kräftigen Schlägen
ı) Vgl. Karl J.Maska, Der diluviale Mensch in Mähren, Neu-
titschein 1886, 8.19 u. 29,
[7] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 47
diesen Schenkelknochen zertrümmert haben, um sich der
vielbegehrten Marksubstanz in den Röhrenknochen des er-
legten Jagdtieres zu versichern, da sie ihm nicht nur ein
grosser Leckerbissen, sondern geradezu ein Lebensbedürfnis
war. Gerade dieses Stück ist somit, wie kein anderer Fund
aus den Taubacher Travertinsandgruben, als ein vollgültiger
Beweis dafür anzusehen, dass der alt-diluviale Mensch von
Taubach das grösste Landtier aller Zeiten, den mächtigen,
über 5 m Schulterhöhe erreichenden Urelephanten (E. anti-
quus Fale.) thatsächlich gejagt und vornehmlich dessen
„Junge“ am Lagerfeuer verzehrt hat. Wir haben in diesem
geöffneten Schenkelknochen abermals einen greifbaren,
sicheren Beweis für die Co&xistenz des Menschen mit der
Elephas antiquus-Fauna und für seine Existenz zur Zeit
der Bildung der Taubacher Hauptfundschieht (des Knochen-
sandes), was allerdings ebenso überzeugend auch durch den
Fund der beiden fossilen Menschenzähne dargethan ward.
Wie anlässlich der Diskussion über den Vortrag von
A. MakowskyY!) von dem Wiener Anatomen Prof. ToLpT
(NB. auf dem vorjährigen Anthropologen-Kongress zu Lindau)
dargethan worden ist, ist speziell bei jungen Elephanten die
Spongiosa der Schenkelknochen mit reichliehen Markmassen
erfüllt. Mit zunehmendem Alter des Tieres tritt an deren
Stelle eine Markröhre, die zuerst auf die Mitte beschränkt
ist, aber allmählich die ganze Länge des Knochens durch-
setzt.) Es ist bekannt, dass der diluviale Mensch während
einer erheblich späteren geologischen Periode in Mähren
existierte, als wie dessen alt-diluvialer Vorläufer in Taubach.
Merkwürdigerweise waren es aber ganz wie in Taubach
ı) Vgl. Bericht über den Anthropologen-Kongress in Lindau
1899 [in der 1. Beilage der Vossischen Zeitung, Berlin, Nr. 423, Morgen-
Ausgabe vom 9. Sept. 1899].
Vgl. Alex. Makowsky, Ueber den diluvialen Menschen in
Mähren [im Korrespondenzbl. d. deutsch. Anthrop. Ges. XXX Jahrg. 1899,
Nr. 19, 8. 109/112].
Ders, Sitzungsbericht d. Wiener Anthrop. Ges. (in Mitteilungen der
Anthrop. Ges. in Wien Bd. XXX, Nr. 1, Januar 1900, $. [41/46]).
?) Die Untersuchungen von E. Fraas bestätigen dies. Ueber die
Markhöhle im Humerus von Elephas [vgl. Korrespondenzbl. d. deutsch.
Anthrop. Ges. XXXI Jahrg. 1900, Heft 5, S. 38].
48 Huco MÖLLER, [8]
L
auch dort vornehmlich die jugendlichen Tiere, die den
Gegenstand der prähistorischen Jagd bildeten. Es ist auch
bei den so äusserst primitiven Waffen und geringen Hilfs-
mitteln des Menschen der Diluvialzeit gar nicht zu ver-
wundern, dass er sich in erster Linie die unbeholfeneren,
weniger erfahrenen und daher leichter zu erlegenden Ele-
phas- und Rhinoceros-Kälbehen als Jagdbeute ausersehen
hat und die riesigen „Alten“ verschonte, bezw. sieh nicht
getraute sie zu erlegen. Der Nachweis, dass der alt-diluviale
Urmensch von Taubach thatsächlich den Elephas antiquus
Fale. jagte und verzehrte, bezw. die Langknochen seiner
„Jungen“ zum Zwecke der Markgewinnung zu öffnen ver-
stand, bildet nun auch ein gewichtiges Argument für die
Behauptung MAKkowsky’s, dass der geologisch jüngere Mensch
der Diluvialzeit Mährens ebenfalls aus den Extremitäten-
knochen der von ihm erlegten jungen Mammuthe die Mark-
und Fettsubstanz herauszunehmen wusste, also gleichzeitig
mit dem Mammuth in Mähren lebte.
Durch die neuerdings von NürscHh im Kesslerloch
bewirkten Ausgrabungen !) ist endgültig festgestellt worden,
dass der Renntierjäger des Kesslerloches, der wie PEnck ?)
nachgewiesen hat diese Grotte erst nach dem Rückzuge
der dritten alpinen Vergletscherung bewohnte, auch
ein Mammuthjäger gewesen ist. Es geht aus Nürscnr’s
Untersuchungen somit hervor, dass der Troglodyte des
Kesslerloch’s bei Thayngen noch zur Postglaecialzeit ein
Zeitgenosse des Mammuths in Süddeutschland gewesen ist,
und mit diesem und dem Rennthier in Süddeutschland
zusammengelebt hat. Er jagte und erlegte das Mammuth,
1) Vgl. den Brief von Dr. J. Nüesch, Schaffhausen an Dr.
A.Makowsky, Brünn v. 5. Dez. 1899, publiziert [in Mitt. d. Anthrop.
Ges. in Wien Bd. XXIX 1899, Sitzungsber. 1899 8. 68/69].
Vgl. Dr. J. Nüesch, Neue Grabungen und Funde im Kesslerloch
bei Thayngen [im Korrespondenzblatt d. deutsch. Anthrop. Ges. 1899,
Heft 11 u. 12, 8. 142/144].
2) Vgl. A.Penck, Die Glacialbildungen um Schaffhausen und ihre
Beziehungen zu den prähistorischen Stationen des Schweizerbildes und
von Thayngen, Teil IV von Dr. J. Nüesch, Das Schweizerbild [in
Neue Denkschriften der allgemeinen schweizerischen Gesellschaft für
die gesamten Naturwissenschaften Bd. XXXV, Zürich 1896, S. 154/180].
[9] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki et. 49
briet däs Fleisch am Lagerfeuer und nährte sich auch teil-
weise davon, ganz wie sein alt-diluvialer Vorläufer in Tau-
bach, der Zeitgenosse des riesigen Urelephanten diesen
gleichfalls als Jagdtier erlegte und verzehrte.
Durch den Nachweis wirklicher Menschenreste in Gestalt
der beiden Zähne aus der paläolithischen Fundschicht Tau-
bachs, weiterhin durch die sicher erwiesene Thatsache, dass
der alt-diluviale Mensch von Taubach den Zlephas antiguus
erlegte und verzehrte, sowie endlich durch die neuen
NüzscH’schen Funde im Kesslerloch dürften nun endlich
einmal die von STEENSTRUP !) und neuerdings auch von
RANKE?) geäusserten Bedenken hinsichtlich der Gleich-
zeitigkeit des Menschen der Diluvialzeit Mährens mit dem
Mammüuth endgültig beseitigt sein.
Die von JoH. RAnKkE a.a. 0. diesbezüglich geäusserten
Zweifel sind allerdings vor Bekanntwerden der NürscH’schen
neuen Funde im Kesslerloch voll und ganz berechtigt ge-
wesen und wurden ja auch vor Publikation derselben
niedergeschrieben. Nachdem jedoch inzwischen erwiesen
ist, dass das Mammuth noch zur Postglaeialzeit in Deutsch-
land zusammen mit Moschusochs und Rentier lebte sind
Ranke’s mit kritischer Schärfe geführten Argumentationen
hinfällig geworden.
Ebenso wie der jungdiluviale Mensch des Kesslerlochs,
sowohl ein Rentierjäger, als auch ein Mammuthjäger gewesen
ist, mit diesem Diekhäuter also zusammengelebt hat, muss dies
auch von den Bewohner der Rentierstationen am „Schweizer-
bild“ und in der Grotte von St. Madeleine?) im Perigord
angenommen werden. In beiden Stationen fanden sich be-
kanntlich auf einer Kalkstein- bezw. Elfenbeinplatte die
beiden, soviel Aufsehen erregenden Gravierungen, welche
1) Vgl. Japetus Steenstrup, Die Lössstation von Prödmost in
Mähren [in Mitt. der Anthrop. Ges. in Wien Bd. XX 1890].
2) Johannes Ranke, Vorgeschichte der Menschheit [in Welt-
geschichte, unter Mitwirkung hervorragender Fachgelehrter heraus-
gegeben von Dr. Hans F.Helmolt, Bd.I, Teil4, Leipzig u. Wien
1899, 8. 133/134].
3) Vgl. die Abbildung in Zittel, Karl A. v. Handbuch der Palä-
ontologie München, Leipzig 1891/1893 Abt. I. Paläozoologie Bd. IV.
Vertebrata S. 717 und Fig. 589.
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 4
50 Huco MÖLLER, [10]
unverkennbar das Bild eines Mammuths darstellen. Bei dem
nunmehrigen Stande unserer Kenntnisse der faunistischen Ver-
hältnisse der Postglacialzeit Mitteleuropas, muss man, was bis-
lang immer nur vermutet werden konnte, als sicher annehmen,
dass die diluvialzeitlichen Künstler, die jene Abbildungen
verfertigten, thatsächlich das Mammuth lebend gesehen und
nach der Natur in rohen Umrissen portraitiert haben.
Auch das muss jetzt als feststehend angesehen werden,
dass am Ende: der Eiszeit und im Beginn der Nacheiszeit
der diluviale Mensch, sowohl in Predmost b. Prerau in Mähren,
als auch in der Umgebung von Brünn und in den mährischen
Devonkalkhöhlen gleichzeitig mit dem Mammuth gelebt
und dieses gejagt und verzehrt hat, obgleich sich nebenbei,
ganz wie im Kesslerloch auch unverkennbare Vertreter der
eigentlichen Fauna der Rentierperiode, wie Wolf, Bär, Ren-
tier, Mosehusochs und Wildpferd vorfinden.
Doch kehren wir nach dieser Abschweifung wieder
zum Ausgangspunkt der vorliegenden Abhandlung, zur Tau-
baecher Fundstelle zurück! Da scheint es mir zunächst am
Platze zu sein einiger anderer, anthropologisch höchst
wichtiger Momente zu gedenken, deren in zum Teil schwer
zugänglichen nur einem kleinen Kreis von Fachgelehrten be-
kannten paläontologischen Schriften Erwähnung gethan wird.
Ausser den heute nicht mehr festzustellenden, der
Wissenschaft leider verloren gegangenen Knochenmengen, die
man in den 60er Jahren bedauerlicherweise aus Unkenntnis
wagenladungsweise in Taubach in die Ilm versenkte und
von denen erst unlängst wieder, bei Baggerarbeiten einiges
zu Tage gefördert wurde, erwähnt PonLıs der Reste von
mindestens 100 Individuen des Rhinoceros Merki, die auf
dem nur wenige Quadratruten grossen Platze gefunden
worden seien, sodass letzteres sonach Hauptgegenstand der
Jagd des alt-diluvialen Urmensehen gewesen zu sein scheint.
Von Elephas antiquwus seien 40 (NB bis Febr. 1891) bezw. 50
(NB bis Herbst 1891) von eben daher nachweisbar und etwa
gleich gross werde die Zahl der Reste je von Bären, Bison,
Hirsch und Biber sein.!) Pontıg hat festgestellt — ich
ı) Vgl. H.Pohlig [in Sitzungsber. d. niederrheinischen Ges. etec.,
Bonn 1891 $. 38/39].
[11] Weber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. sl
bitte dies besonders zu beachten — dass „unter höchstens
50 Individuen von Elephas antiquus“ deren Reste bis zum
Herbst des Jahres 1891 in Taubach gefunden wurden „sich
mindestens 7 Stück so ganz jugendliche, fast embryonale
Tierehen befanden, bei denen erst der erste Milchbacken-
zahn durehgebrochen war, zu denen reichlich ebensoviel
Reste von Tierchen kamen, die erst den zweiten Milchbacken-
zahn in voller Thätigkeit hatten.“
Doch lassen wir uns von PoHLıG weiter über diese Ver-
hältnisse, deren er an anderer Stelle erwähnte, eingehender
unterrichten. Bis Herbst 1891 bezifferte sich nach dessen
Angaben!) „die Anzahl der von Taubach bis dahin nach-
weisbaren Urelephantenkälbehen bei denen der hinterste
Milehmolar noch nieht, oder doch ganz wenig erst im Ge-
brauch gewesen ist, auf mindestens etwa 20, unter den Resten
von höchstens 50 Tieren der Spezies überhaupt, welehe man
daselbst innerhalb weniger Quadratruten Landes teilweise
zu Tage gefördert hat.“ „Diese verhältnismässig grosse
Zahl von Resten ganz jugendlicher und jüngster Individuen
zu Taubach, ist an sich schon wiederum ein anthropologisches
Moment, so gut wie in der Höhle von Balve, in dem Löss
von Predmost“ (NB und auch im Kesslerloch) „und in andern
paläolithischen Stationen.“ „Der Taubacher Urmensch, dem
es augenscheinlich nicht um das Elfenbein, sondern nur um
den Braten zu thun war, hatte es ebenfalls des ausgiebigeren
Fanges wegen, offenbar vorzugsweise auf Muttertiere abge-
sehen.“ Haben doch seiner Zeit die Ausgrabungen in den
Gruben Mehlhorn und Sonnrein neben zahlreichen Knochen-
resten, auch noch ein wahres „Magazin“ von Zähnen des
Elephas antiguus in allen Grössen und Altersstadien, in sehr
sutem Erhaltungszustand aufgedeckt.
2) Vgl. H. Pohlig, Dentition und Kranologie des Elephas antiquus
Fale. mit Beiträgen über Zlephas primigenius Blum und E. meridionalis
Nest. [in den Verhandlungen der Kaiserl. Leopoldinisch Karolinischen
deutschen Akademie der Naturforscher Bd. LVII. Halle a. S. 1892.
S. 291, 295, 298]. Es ist dies der zweite Teil einer Monographien-Reihe,
deren Herausgabe Prof. Pohlig sich vorgenommen hat, die aber bislang
leider nur teilweise erschienen ist. (Titel: Monographie der Elephas
antiguus Fale. führenden Travertine Thüringens, ihrer Fauna und Flora).
4*
82 HuGo MÖLLER, [12]
Nachdem nunmehr durch jenen zum Zwecke der Mark-
gewinnung aufgeschlagenen Schenkelknochen nachgewiesen
ist, dass der Taubacher Urmensch die erlegten Elephanten
auch thatsächlich verzehrt hat, findet die von PonLıG be-
kanntgegebene Anhäufung von Zähnen, in dem in Grube
Mehlhorn und Sonnrein damals angebrochenen „Magazin
fossilen Elfenbeins“ in befriedigender Weise wohl nur da-
durch eine Erklärung, dass es sich hier um die Jagdtrophäen
des alt-diluvialen Urmenschen handelt. Nichts deutet nämlich
unter den zahlreichen in Taubach gefundenen Geräten aus
Stein (Typus von Chelles) daraufhin, dass der Mensch be-
reits damals die Möglichkeit der Verarbeitung des heute
so gesuchten Elfenbein-Materials zu Gegenständen des Ge-
brauchs kannte. Ich glaube daher nicht fehl zu gehen,
wenn ich das von PonLıG erwähnte „Magazin“ als einen
Sammelplatz der Jagdtrophäen der alt-diluvialen Klephas-
und KRhinoceros-Jäger anspreche.
Aus allen dem geht nun auch zur Evidenz hervor, dass die
Meinung von v. Frirsch,!) die Anhäufung der Knochen und
Zähne auf so verhältnismässig kleinem Platze sei eine Folge von
Zusammenschwemmung durch die Ilm eine irrige ist. Weiter-
bin scheint mir durch diesen Nachweis die von v. FrIrscH
a. a. O. gleichfalls ausgesprochene Ansicht widerlegt zu sein,
dass die Entstehung der Knochenansammlungen ete. eventuell
darauf zurückzuführen sei; dass sich auf der Taubacher
Fundstelle einst eine „Suhle“ der diluvialen Tiere befunden
habe, in welche die unbeholfenen, jugendlichen Tiere häufig
beim Baden durch Einbrechen in die noch nachgiebige Kalk-
kruste verunglückt seien. Die schon von Porrıs?) und später
von GÖTZE®) gemachte Beobachtung, dass unter den Knochen
!) Vgl. v. Fritsch, Sitzungsberichte des naturwissenschaftlichen
Vereins für Sachsen u. Thüringen in Halle a. S., Sitzung v. 16. Febr. 1888.
[in Zeitschrift für Naturwissenschaften, Bd. 61, Halle a. S. 1888.
S. 78/79].
2) Vgl. Portis, Alessandro, Ueber die Osteologie von Rhino-
ceros Merki Jäg. und über die diluviale Säugetierfauna v. Taubach
b. Weimar [in Paläontographica Bd. XXV. 1878 S. 145—162 speciell
8. 159].
s) Vgl, Götze, A. 2.2.0. 8.376.
[13] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki etc. 59
der zahlreichen Individuen des Rrhinoceros Merki noch keine
Rücken- und Lendenwirbel und nur vereinzelte Bruchstücke
von Rippen gefunden wurden, da diese schwer transpor-
tabelen und schlecht zerlegbaren Teile wohl am Orte der
Jagd liegen bleiben, kann hier nicht gegen v. FrırscH’s An-
nahme hervorgehoben werden, denn diese Beobachtungen
sind nieht im vollen Umfang zutreffend. So wurden bei-
spielsweise nach Weıss in Taubach Rippen in grossen
Mengen gefunden, wurden jedoch als wertlos weggeworfen,
da sie nicht präpariert werden konnten.
Nach PonHrıe’s Bericht befand sich damals in dessen
Besitz unter vielen anderen aus Taubach stammenden Zähnen
des Elephas antiquus Fale., der linke vorderste mandibulare
Milchmolar eines sehr jugendlichen Kälbehens dieser Rle-
phantenart. Dieser Zahn fand sieh, mit noch zwei anderen
Zähnehen und Kieferbruchstücken desselben Tierchens in
Grube Hänschen zu Taubach vor. Hierzu gesellten sich,
wenn auch erst einige Jahre später, in der benachbarten
MEHLHoRrN’schen Grube gefunden, der dazugehörige rechte
vorderste maxillare Milchbackenzahn desselben Individuums.
Beide Zähnchen sind bemerkenswert, weil sie die einzigen
Taubacher Milchmolaren von E. antiquus Fale. darstellen,
welche alte Brandspuren aufweisen, und die Fund-
umstände deuten darauf hin, dass der junge Träger dieser
Zähne von den alt-diluvialen Rhinoceros- und Elephas-Jägern
Taubachs am Lagerfeuer verspeist wurde. „Die Brand-
spuren sind bei dem vordersten Milehmolar der Maxille“,
den PonLıG genau beschreibt und abbildet,!) „auf die Kau-
fläche beschränkt, besonders stark am Dentin und Cortical,
während an dem linkseitigen, vorderen, mandibularen Milch-
backenzahn die Wurzel alte Spuren von Feuer und
Absplitterung des Basalendes an sich trägt,2) wie sie nur
beim Braten bezw. Rösten der Kieferstücke am offenen Feuer
ı) Vgl. Pohlig H. Dentition u. Kranologie ete. [in Verh.d. Kaiserl.
Leop. Karol. Deutschen Akademie der Naturforscher Bd. LVI. Halle
1892 S. 292 u. Abbildung Tafel II bis Fig. 3—3b].
2) Pohlig, H., Dentition und Kranologie etc. [in Verhandlg. der
Kaiserl. Leop. Karol. Deutsch. Akademie der Naturforscher, Bd. LIII,
Halle 1889, S.71 und Abbildung, Tafel II, Fig. 5—5b].
54 Huco MÖLLER, [14]
von Menschen hervorgebracht worden sein können. Als
ebenfalls aus Taubach stammend und in der Sammlung des
Herrn GABR. Max in München befindlich, erwähnt PoHLıe
noch „das mandibulare Paar der ersten wahren Molaren
(M!) und den M" der gleichen Mandibel. Die drei Molaren
sind an den Innenwänden oben fast bis zur Hälfte bereits
vor der Ausgrabung abgesplittert und angekohlt ge-
wesen. PoHLIG, der diesen Fund nur vorläufig erwähnt,
versprach an anderer Stelle (d.h. wohl in dem immer noch
ausstehenden anthropologischen Teil seiner Monographien-
Reihe) Abbildung und Beschreibung davon zu geben.
Nachdem das Zusammenleben des Menschen sowohl
mit der sogenannten Mammuth- als auch mit der Zlephas-
antiquus-Fauna als sicher erwiesen betrachtet werden kann,
entsteht nunmehr die Frage, ob nicht doch etwa irgend ein,
wenn auch noch so isoliert dastehendes Ueberbleibsel mensch-
licher Besiedelung Europas aus noch älteren Perioden des
Diluviums nachweisbar ist? Mit anderen Worten: es fragt
sich, ob der Mensch nicht schon vor der Zeit der
Ablagerung der Taubacher Hauptfundschicht (des
„Knochensandes“) den Boden Europas bewohnt hat?
Nach Penck!!) soll der Mensch bei Taubach nach dem
Rückzug der Gletscher der ersten Eiszeit (d. h. der älteren
diluvialen Vergletscherung Nord- und Mitteldeutschlands,
welche der zweiten alpinen Eiszeit entsprechen würde) ge-
lebt haben. Die dortigen Kalktuffe und Tuffsande sollen
nach Penck’s Ausführungen, ähnlich den Cannstätter Tuffen,
auf Quartärgeröll auflagern und dieses enthalte nordische
Geschiebe (?), die nur durch skandinavische Vergletscherung
nach Thüringen gelangt sein könnten. „Die Taubacher
Fundstelle ruht“ — so sagt PEnck weiterhin — „un-
mittelbar auf den äusseren Moränen der älteren Eiszeit auf,
welche von der Ausdehnung der jüngeren nicht mehr er-
reicht wurde.“
Diese Annahme Penck’s war damals, als sie ausge-
sprochen wurde, wohl berechtigt, seitdem sind unsere Kennt-
1) Penck, A., „Mensch und Eiszeit“ [im Archiv für Anthropo-
logie, Bd. 15, Jahrgang 1884, S. 216].
[15] Ueber Elephas antiguus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 59
nisse über die Taubacher Kalktuff-Ablagerungen und anderer
Ablagerungen in der Nähe von Weimar-Taubach jedoch
wesentlich bereichert worden, sodass heute, nach 16 Jahren,
die Meinung PEnckK’s sich wohl kaum noch im vollen Um-
fang aufrecht erhalten lassen wird.
Nach einer mir von Herrn Dr. phil. ARTHUR Weıss in
Hildburghausen (früher in Weimar) gemachten Mitteilung,
muss zunächst als feststehend angesehen werden, dass für
die Taubacher Kalktuff-Ablagerungen — da charakteristische
‘ Glaeialbildungen an der Fundstelle fehlen — bisher noch
in keiner Weise ein Zusammenhang mit den nordischen
Eiszeiten gefunden ist. Man kann nach den faunistischen
Verhältnissen der unteren Taubacher Schichten nur an-
nehmen, dass diese Kalktuff- „Sande“ alt-diluvialen Alters
sind und während einer der wärmeren Teilperioden des Alt-
Diluviums abgelagert wurden. Ob speziell die hier in Frage
kommende Hauptfundschicht, der Knochensand (populär
„Scheuersand“ genannt) während der „Voreiszeit“ der prä-
glaeialen Epoche, oder während der älteren (ersten) „Zwischen-
eiszeit“ !) der alt-interglacialen Epoche abgelagert wurde,
kann bisher, wie gesagt, mit Sicherheit noch nicht bestimmt
werden. Leider hat A. Weiss?) seine Absicht, die geo-
logischen Verhältnisse der Taubacher Schichten zu be-
stimmen, bisher noch nicht ausführen können, da der Aufbau
noch nicht genügend studiert ist, doch wird dessen Arbeit
nun bald fertig gestellt. WAHNSCHAFFE hält den Kalktuff
von Schwanebeck >) für präglacial, wegen seiner Lagerung,t)
1) Im Sinne von Keilhack, K., Gliederung der norddeutschen
Diluvialablagerungen in dessen Abhandlung Die Geikiesche Gliederung
der nordeuropäischen Glacialablagerungen [im Jahrbuch d. Kgl. Preuss.
geologischen Landesanstalt für das Jahr 1895, Berlin 1896, S. 111—115,
speziell S. 123].
2) Ich ergreife hier gerne die Gelegenheit, dem genauen Kenner
der geologischen Verhältnisse Taubachs, Herrn Dr. phil. Arthur
Weiss in Hildburghausen, meinen verbindlichsten Dank für die freund-
liche Durchsicht des Manuskripts auszusprechen.
®) Vgl. Wolterstorff, Die Conchylienfauna der Travertine von
Schwanebeck [in der Zeitschr. d. Deutsch. geolog. Ges., Bd. 48, 1896].
*) Vergl. dazu Zech, Leonh., Die geologischen Verhältnisse der
nördlichen Umgebung von Halberstadt [im Jahresbericht der Oberreal-
56 Hugo MÖLLER, [16]
derselbe wird wegen seiner Fauna, die genau dieselbe ist
wie die Weimar-Taubacher von Weiss als interglacial an-
genommen.
Nach einem, wie ich mir wohl bewusst bin, nicht ohne
weiteres zulässigen Analogieschluss, bin ich geneigt anzu-
nehmen, dass die Taubacher paläolithische Hauptfundschicht,
wie der Kalktuff von Schwanebeck präglaeialen Alters ist.
Zu dieser Annahme eines präglacialen Alters stimmen dann
auch sehr gut die von A. Wrıss gemachten Beobachtungen,
nach denen bei den Tuffen „zu oberst oft an gewissen
Sehiehten Faltungen und Stauchungen bemerkbar sind,
welehe auf Gletscherwirkung schliessen lassen.“ Dies kann
nur das Inlandeis der Hauptglacialzeit bewirkt haben, da
die Vergletscherung der anderen Eiszeiten niemals bis in
die Gegend von Weimar-Taubach reichte.!) Einschlüsse
von erratischem Gneis im fossilreichen Kalksand und Tra-
vertin Taubachs — wie v. FrITscH angiebt — und einzelne
Gesteinsstücke skandinavischer Herkunft im Liegenden der
Kalktuffsande nach PonuLıG und MicHAEL sprechen noch
lange nieht gegen die Annahme des präglaeialen Alters der
unteren Taubacher Schiehten. „So lange nieht der einwand-
freie Nachweis geführt ist, dass im Liegenden der Kalktuff-
„Sande“ noch wirkliche Moränenbildungen vorkommen, so
lange muss man diese Kalktuff-Sande“ nach dem Vorgange
KeıtHack’s?) als „diluvial-präglaeial bezw. alt-interglacial
ansehen, d.h. als in einer Zeit abgelagert, in welcher das
skandinavische Inlandeis noch bei weitem nicht bis zu so
südlicher Gegend vorgedrnngen war, sondern erst durch
seine von Norden nach Süden fliessenden Schmelzwasser,
die grosse Quantitäten ausgewaschenen nördischen Materials
mit sich führten gewissermassen sich ankündigte.“ In diesem
Falle, der für die Bestimmung des geologischen Alters der
schule zu Halberstadt, Ostern 1894. Programm Nr. 273. 8. 14—15 u.
Anm. 9 auf S. 19].
1) Vgl. A. Weiss, Zeitschr. der deutschen geologischen Gesellsch.
Jahrg. 1896, 8. 182.
2) Vgl. Keilhack, K., Ueber präglaeiale Süsswasserbildungen im
Diluvium Norddeutschlands [im Jahrbuch der geolog. Landesanstalt etc.
für das Jahr 1882. Berlin 1883. S. 166—167].
[17] Weber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 97
bisher ältesten, sicher nachweisbaren Spuren des Menschen
in Europa so wichtig ist, können die faunistischen Ver-
hältnisse allein unmöglich die ausschlaggebenden Faktoren
der Altersbestimmung bilden. Hat doch die präglaeiale
(jungplioeän-diluviale) Mischfauna der Sande und Kies-
ablagerungen von Saint-Prest (Eure et Loire), Chagny (Saöne
et Loire), Durfort (Gard) ete. sehr grosse Aehnlichheit mit
derjenigen Taubachs, sodass man wohl sagen kann, die
Fauna Taubachs ist jünger als diejenige der eben ange-
führten Gegenden. Ob jedoch die Taubacher Travertin-
„Sande“ der Hauptfundschicht vor oder nach der ersten
diluvialen!) Vereisung abgelagert wurde, das ist aus den
paläontologischen Erfunden bis heute noch in keiner
Weise zu ersehen. Was EwALp Wüsrt?) für die Verhält-
nisse der ersten Interglaeialzeit geltend macht, muss zweifel-
los auch für die Praeglacialzeit als zu Rechte bestehend
angesehen werden. Wir haben beide Abschnitte der Di-
luvialepoche unbedingt als lange andauernde Perioden anzu-
sehen, die man sich sehr wohl aus Zeitabschnitten mit,
durch das allmähliche Absinken, bezw. die allmähliche
Steigerung der mittleren Jahrestemperatur begründete, recht
verschiedenartigen klimatischen, floristischen und faunistischen
Verhältnissen vorstellen kann. Dadurch erklärt es sich auch,
dass die alt-interglaeiale Fauna Mitteleuropas der voreis-
zeitlichen (praeglaeialen) sehr ähnlich erscheint und es, wie
ich wiederholt hervorhebe, unmöglich angängig ist, lediglich
aus paläontologischen Gründen das Alter der Ablagerung der
untersten Taubacher Schichten zu bestimmen.
Gerade Penck’s „Untersuchungen der Glaeialbildungen
um Sehaffhausen“3) lehrten ja in überaus überzeugender
Weise „auf wieschwachen Füssen die paläontologische
1) Die erste Eiszeit Geikie’s [dessen „Scanian“ die Schonensche
Stufe] ist möglicherweise ein pliocäner Vorläufer der diluvialen Ver-
gletscherung (Privatansicht des Verfassers), vgl. hierzu K. Keilhack,
2.2.0. S. 111 u. 115.
2) Wüst, Ewald, Die geologische Stellung des Kieslagers von
Süssenborn bei Weimar [i. d. Zeitschrift f. Naturwissenschaften, Bd. 71,
Heft 6. Halle a. S., 6. Juni 1899, S. 393—400, speziell 8. 399].
s) Vgl. hierzu auch das Referat von E. Geinitz [i. Neues Jahrb.
für Mineralogie ete. Jahrgang 1898, Bd. II, S. 227—228].
58 Huco MÖLLER, [18]
Chronologie der Pleistoeänzeit steht.“ Durch die Er-
gebnisse jener Untersuchungen (l. e. S. 175/179.) war PEncK
bereits in der Lage, seine früheren Angaben (s. Mensch und
Eiszeit) hinsichtlich des Alters der Stationen von Schussen-
ried und Thayngen zu berichtigen. Beide prähistorische
Stationen sind wie nunmehr feststeht nicht interglaeialen,
sondern postglaeialen Alters, dies gilt auch für die Funde
des Schweizerbildes.
Die Taubacher Hauptfundsehieht (der „Knochensand‘“)
wird nun unterteuft von Kiesen, Sanden und Konglomeraten,
welche PoHL1G, nach den angeblich darin gemachten Funden
von zahlreichen Resten des Elephas trogontherii Pohl. der
Mosbacher Stufe seiner Gliederung des Pleistocäns zurechnet.
Nach A. Weiss!) ist es jedoch „trotz eifrigen Forschens noch
lange nicht erwiesen, ob die „Kiese“ von Taubach (das
Liegende der Taubacher Kalktuffe) den Süssenborner Kiesen
und Sanden und somit auch den rheinischen Sanden von
Mosbach, Mauer, Hangenbieten ete. gleichalterig sind, oder
ob sie jünger sind. Ebensowenig ist bis dato sicher fest-
gestellt, ob die Süssenborner Kiese alt-diluvialen oder plio-
cänen Alters sind. Indessen berechtigen uns die paläonto-
logischen Funde vollständig dazu die Kiese von Süssenborn
für älter zu betrachten, als die Weimar-Taubacher Travertin-
kalke.?)
Diese Auseinandersetzung war notwendig für das richtige
Verständnis des Folgenden:
PoHLiG®) giebt in seiner zweiten Diluvial-Monographie
„Ueber die Cerviden der thüringischen Diluvial-Travertine
ete. Abbildung und Beschreibung eines Stangenstumpfes von
Cervus (elaphus) Antigqui Pohl. (einen Vorläufer unseres
heutigen Edelhirsches). Nach PoHaLıG zeigte dieser Geweih-
1) Vgl. A. Weiss, Die Conchylienfauna der Kiese von Süssenborn
bei Weimar [i. Zeitschrift der deutschen geolog. Ges., Bd. LI, 1899,
S. 156—167, speziell 165—166].
2) Vgl. auch Ewald Wüst, a.a. O., S. 395.
s) Vgl. H. Pohlig, Ueber die Cerviden der thüringischen Diluvial-
Travertine mit Beiträgen über andere diluviale und über rezente Hirsch-
formen i. Palaeontographica, Bd. 39, 1892, pag. 239, 240, 249. — Vgl.
auch das Referat [i. Archiv f. Anthropologie, Bd. 23, 1895, 8. 122—123].
[19] Weber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki et. 59
stumpf „eine deutliche Spur urmenschlieher Thätigkeit, in-
dem der Stamm dieht ober dem Okularspross abgeschnitten
worden ist. Die Schnittfläche ist glatt, sehr eben, geht fast
über die innere Hälfte des Stammes und ist mit dem gleichen
bräunlichen, mineralischen Ueberzug bedeckt, wie die sonstige
Oberfläche des Stumpfes.“
Die Fundstätte soll nach Ponuie’s Angaben in Grube
Mehlhorn jener von ihm mit der Bezeichnung „Trogon-
therienschotter“!) belegte, „fluviatile Sand“ sein, der die
Taubacher Hauptfundschieht (den Knochensand) unterteuft
und in welchen der erstere dureh Thon und fluviatilen Sand
allmählich übergeht. PonrLıs rechnet diese Sandsehichten
wie bereits bemerkt der „Mosbacher Stufe“ seiner Gliederung
des Pleistoeäns zu. Der Stumpf soll sich daselbst verge-
sellsehaftet mit zahlreichen Resten von Elephas trogontheriü
Pohl. vorgefunden haben.?)
Sowohl A. Weıss3) als auch EwAaLp Wüsrt) bezweifeln
indes die Riehtigkeit dieser Angaben PonLıe’s. Wie Weiss be-
richtet wurde nach dessen seit über zwölf Jahren ununter-
brochen geübten Kontrolle der Taubacher Gruben nur zwei-
mal Kies angeschürft und nichts von Wirbeltierresten
sefunden. Die von PorLıe in „Paläontographica* XXXIX.
1892, p. 235, 239, 247, f. 22a. 249 besonders 260 aus dem
Fluviatilsande von Taubach beschriebenen Funde gehören
sicher alle dem Kieslager von Süssenborn an. Schwunghaftes
Geschäft mit Süssenborner Klephas-Zähnen haben die Tau-
bacher Grubenbesitzer MEHLHORN und ERNST getrieben,
nachdem ihre Gruben schon seit dem Jahre 1890 nicht viel
Wirbeltierreste mehr lieferten. Das auf pag. 239. Fig. 16a
D) Vgl. H. Pohlig [in Sitzungsber. d. niederrhein. Ges. in Bonn
1883. pag. 228]. — Vgl. H. Pohlig [in Sitzungsber. d. niederrhein. Ges.
in Bonn 1884. pag. 48. — Vgl. H.Pohlig [in Zeitschrift für (die ge-
samten) Naturwissenschaften Halle 1885. Bd. LVIlI. pag. 258/259. —
Vgl. H. Pohlig [in Zeitschrift d. Deutsch. geolog. Ges. Bd. XXXIX.
1887. pag. 806 etec.
2) Vgl. H. Pohlig, Ueber die Cerviden ete. a. o. 0. pag. 260.
®) Vgl. A. Weiss, Die Conchylienfauna der Kiese von Süssenborn
a. a. 0. pag. 161.
*) Vgl. Ewald Wüst, Die geolog. Stellung der Kiese v. Süssen-
born. a. a. O. pag. 395. Anmerkung 1.
60 Huco MÖLLER, [20]
abgebildete Geweih z. B. wurde von dem Stuckateur ERNST
in Süssenborn gekauft.“
Auch der Ponuie’sche „Geweihstumpf“ rührt wahr-
scheinlich aus den Süssenborner Kiesgruben her, ist von
dort nach Taubach importiert und als ein Taubacher Fund-
stück ausgegeben worden. Soviel steht jedenfalls fest, dass
kein Forscher jemals selbst, weder Elephas trogontherüi
Pohl. Zähne, noch sonstige Wirbeltierreste den Taubacher
Kiesen und Sanden entnommen hat, welche das Liegende
der dortigen Kalktuffe bilden.
Da der Schotter die erst später abgelagerten Kalktuff-
schichten Taubach’s unterteuft, die überlagernde Sehiehtung
der Kalktuffe aber anerkanntermassen durchaus klar ist und
niemals gestört wurde, so müsste der „Geweihstumpf“, wenn
wir voraussetzen, dass dessen Entnahme aus dem Taubacher
Schotter besser, bezw. einwandfreier bezeugt wäre, insofern
ein hohes wissenschaftliches Interesse beanspruchen als er:
1. der älteste Beleg menschlieher Thätigkeit und An-
wesenheit in Europa sein würde,
2. unter allen den Taubacher Nachweisen des alt-dilu-
vialen Urmenschen als das geologische älteste Stück ange-
sehen werden müsste,
3. aber müsste als nächste Konsequenz dieses Fundes
gelten, dass der Mensch nieht nur Zeitgenosse des Klephas
primigenius Blum. und des E. antiquus Fale. gewesen ist,
sondern es müsste auch die Co&xistenz des Mensehen mit
dem nur in den untersten Schichten des Alt-Diluviums
vorkommenden und somit geologisch noch älteren Elephas
trogontheriw Pohl. der direkten Uebergangsform zwischen
dem plioeänen Elephas meridionalis und dem oberdiluvialen
Mammuth als erwiesen angesehen werden, wenngleich es
sich hier um einen isoliert dastehenden Fund handelt. Nach
Pourıg!) steht nämlich die Molarenform seines Zlephas tro-
") Vgl. H. Pohlig, Dentition u. Kranologie [in Verh. d. K. Leop.
Karol. Akademie Bd. LIII. Halle 1889. S. 208. Bd. LVII. Halle 1892.
S. 458/459.] Vgl. H. Pohlig, Ueber Elephas trogontherü u. Rhinoceros
Merki v. Rixdorf b. Berlin [in Ztschr. d. D. geolog. Ges. Bd. XXXIX.
1887. 8. 789/807]. Vgl. A. Weiss, Die Conchylienfauna der Kiese von
Süssenborn. [in Ztschr. d. D. geolog. Ges. Bd. LL. 1899. S. 160]. Vgl.
Wilh. Volz, [in Ztschr. d. D. geolog. Ges. Bd. XLIX, 1897, S. 194].
[21] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 61
gontherüü zoologisch wie ihrer geologischen Lagerstätte nach
in der Mitte zwischen derjenigen des Elephas primigenius
und der des E. meridionalis. Dem E. antigquus kommt sie
in der Lamellenformel am nächsten, ist aber in der Gestaltung
der Sehmelzfiguren der Kaufläche und in der allgemeinen
breiten Kronenform und geologischen Lagerstätte von dieser
Art weit schärfer gesondert, als von den anderen beiden
Spezies. Von der Stammform E. primigenius unterscheidet
sich E. trogontherii Pohl. fernerhin durch beträchtlichere
Dimensionen (?) und weniger gekrümmte Curve der Defensen.
Elephas meridionalis und E. primigenius stehen nach Krano-
logie und Dentition über Elephas trogontheri hin in direkter
Verwandtschaft. Auf Grund der Bedeutung seines geo-
logischen Vorkommens muss .E. trogontherii Pohl. nieht nur
als selbständige Form von dem Rang einer natürlichen Rasse
betrachtet werden, sondern auch als ein gutes Leitfossil
für die Süssenborn-Mosbachstufe des Alt-Diluviums.
Bedauerlicher Weise scheint PoHLıe, dieser um die
Dentition und Kranologie der fossilen Elephanten und um
die Paläontologie der grossen Diluvial-Säugetiere so ver-
dienstvolle Gelehrte, was den „Geweihstumpf“ und seine
Begleitfunde anbelangt das Opfer einer Fälschung geworden
zu sein. Bei den weitgehenden, bereits vorstehend von mir
angedeuteten Schlussfolgerungen, welche die Nachwelt, im
Vertrauen auf die Richtigkeit von PoHtıe’s Angaben,
möglicherweise auf jenes, wenn auch noch so isoliert da-
stehende Fundobjekt aufbauen könnte, schien es mir ver-
dienstlich zu sein, so lange noch Zeugen und genaue Lokal-
kenner am Leben sind, diese Fälschung aufzudecken. Ob
sich thatsächlich an dem „Geweihstumpf“ menschliche Be-
arbeitungsspuren vorfinden, wage ich nicht zu entscheiden,
da ich selbst das Fundstück niemals zu Gesicht bekam.
Angebliche Bearbeitungsspuren an Funden aus Diluvial-
Kiesen und Schottern sind im allgemeinen zu bezweifeln,
dieselben können Rollstücke oder geschrammte oder gekritzte
Glacialgeschiebe sein und Bruchspuren, welche abgenützt
erscheinen, sind oft der Wasserwirkung zuzuschreiben.
Wäre thatsächlich der „Geweihstumpf“ einwandfrei
bezeugt dem Taubacher Sehotter entnommen worden, so er-
62 Hugo MÖLLER, [22]
hielte dieses Fundstück eine noch weit höhere wissenschaft-
liehe Bedeutung durch den Fund menschlicher Skelett-
reste aus der paläolithischen Kiesterasse von Galley-
Hill (Kent), die der Geologe NewTon beschrieben und ab-
gebildet hat.!) Diese menschlichen Skelettreste sind, wenn
riehtig gedeutet, zu mindestens gleichaltrig mit den Tau-
bacher fossilen Menschenzähnen, ja, wenn nicht alles trügt,
gehören sie sogar ebenfalls der Süssenborn - Mosbach Stufe
des Alt-Diluviums an, wie — die Richtigkeit von PoHLıG’s
Angaben vorausgesetzt — der mehrfach erwähnte „Geweih-
stumpf“ von Cervus (elaphus) Antigwi Pohl. Die gleich-
alterigen Grandlager in der Nachbarschaft von Galley-Hill
führen nämlich Säugetierreste, welche anscheinend der Fauna
der.mitteldeutschen Trogontherienschotter von Mosbach bei
Wiesbaden und Süssenborn bei Weimar angehören und so-
mit als alt-diluvial (präglaeial?) bezeichnet werden müssen.
Leider erfolgte die Aufdeekung der Skelettreste nicht durch
einen Mann der Wissenschaft, sondern durch (allerdings
einwandfreie) Privatpersonen, so kam es, wie bedauerlicher-
weise schon oftmals, dass ein solch interessanter Diluvialfund
nieht beweiskräftig genug wurde, weil die Lagerung nicht
genügend festgestellt, oder doch die Feststellung nicht ge-
nügend durch den Augenschein von Autoritäten gedeckt
wurde. Der Skepsis bleibt daher auch in diesem Falle
immerhin noch einiger Spielraum.
Wohin ich also auch blicke, bis zur Stunde noch müssen
die beiden Taubacher Zähne als die geologisch ältesten
fossilen menschlichen Reste angesehen werden, die in Europa
mit Sicherheit nachzuweisen waren.
Ob thatsächlieh bereits vor Eintritt der „Gletscher-
periode“ (also während der Präglacialzeit) der präglaeiale
Urmensch bei Kiew gelebt, wie dies nach der hier unten
wiedergegebenen, der russischen Tageszeitung „Kiewljanin“
1) Vgl.E. T. Newton, On fossile human remains from paläolithie
Gravells at Galley-Hill (Kent) [in Quarterly Journal of the Geological
Society. Vol. LI, 1895 (5), pag. 505—528]. — Vgl. hierzu auch das
Referat von E.Koken, [i. d. Deutschen naturwissenschaftlichen Rund-
schau, Jahrgang XI, 1895, Heft 1, S.6—8]. — Vgl. auch Archiv für
Anthropologie, Bd. XXV, 1898, Litteraturverzeichnis, S. 161.
[23] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 68
entnommenen Notiz der Breslauer Morgenzeitung,!) die
neueren Funde Cuwosko’s dargethan haben sollen, dar-
über sind die Untersuchungen, wie es scheint, bislang noch
zu keinem abschliessenden Resultat gelangt.
Uebrigens gedachte bereits auf dem X. russischen archäo-
logischen Kongress zu Riga (1./13 bis 15./27. August 1896)
1) Breslauer Morgenzeitung Nr. 251, 2. Beilage (Donnerstag, den
1. Juni 1899): Die älteste Kulturstätte in Russland. Glänzende
Resultate haben die Ausgrabungen gezeitigt, die unter der Leitung von
Chwojko auf einer Privatbesitzung bei Kiew während der letzten
sechs Jahre veranstaltet worden sind. Der „Kiewljanin“ berichtet dar-
über folgendes: Es wurde eine Fülle von Mammuthknochen wie auch
von Knochen anderer Tiere, ferner Kohle und Reste verkohlter und
versteinerter Holzsticke und verschiedene Gerätschaften gefunden, die
von der Hand eines Menschen aus Feuerstein und aus Mammuthknochen
hergestellt waren. Letzteres verdient besonders hervorgehoben zu
werden, da man bis jetzt bei den Ausgrabungen in Europa noch keine
einzige Gerätschaft aus Mammuthknochen aufgefunden hatte. Feuer-
steingerätschaften finden sich in dieser Schicht nur sehr spärlich und
in einer sehr groben primitiven Form. Man darf wohl annehmen, dass
man es hier mit dem ältesten der bis jetzt in Russland entdeckten
Aufenthaltsorte des Urmenschen zu thun hat. Beim Beginn der Aus-
grabungen in diesem Jahre wurde beschlossen, ein genaues Register
der gefundenen Mammuthskelettreste zu führen, in der Zeit vom 15. Jan.
bis 1. Mai konnten allein 31 Unterkiefer ausser einer grossen Zahl
anderer Knochen verzeichnet werden. Die Zähne der gefundenen
Mammuthkiefer deuten darauf hin, dass sie nicht nur von Mammuthen
verschiedenen Alters stammen, sondern vielleicht auch von ver-
schiedenen Unterarten. In einer offenen Kulturschicht wurden
auch gut erhaltene Knochen einer Menschenhand gefunden. Die Ge-
schichte des Hügels, auf dem diese Ausgrabungen gemacht werden, ist
interessant. Es wurden zwei Kulturschichten in ihm freigelegt. In seinem
untersten Teile sind die erwähnten Reste aufgefunden worden, die den
Beweis zu liefern scheinen, dasshiervordemEintrittderGletscher-
periode Urmenschen gelebt haben. Nach einem ausserordentlich
langen Zeitraum erscheint dann wieder der Mensch fast auf dem neu-
gebildeten Gipfel des Hügels, etwa 20 Meter höher als sein Ahne, der
Zeitgenosse des Mammuths. Ein Beweis für die Existenz dieses zweiten
Aufenthalts des Urmenschen liefern etwa 50 von Chwojko aufgefundene
Höhlen und Erdhütten, die zur Wohnstätte dieses Menschen gedient
haben. Der Mensch dieser Zeitperiode stand schon auf einer bedeutend
höheren Kulturstufe, als jener erste, aus dessen Zeit die Reste in den
untersten Kulturschichten stammen. Seine Wohnstätte — die Höhle —
besass bereits ein Dach, das ihn vor Unwetter schützte. Unter den Ge-
rätschaften, die in seinen Erdhütten gefunden wurden, befinden sich
64 Huco MÖLLER, [24]
Prof. W. B. Antoxowırsch aus Kiew!) auch der Funde
CHwoJKo’s (bis zum Juli 1896) und erwähnt, dass die
Mammuthknochen und Feuersteingeräte in sehr grosser Tiefe
(über 20 m) gefunden sind, nämlich an der Grenze der
tertiären Schicht.
Nach meiner Ueberzeugung hat der präglaeiale
Mensch in Europa bereits existiert. Ich hoffe hierüber in
kurzem Gewissheit zu erlangen und bereite demnächst eine
Publikation über dies Thema vor.
Nach Professor ZITTEL,?) dem berufensten Forscher auf
dem Gebiete der Paläontologie in Deutschland, steht der
Existenz des Menschen in der Tertiärzeit an und für sich
niehts entgegen, seine Entstehung im Tertiär ist sogar höchst
wahrscheinlich. Vollgültige Beweise für die Existenz des
Menschen — sagen wir noch Homo stupidus — während
der Tertiärzeit liegen jedoch vorläufig noch nicht vor.
Weitere Forschungsergebnisse bringen hierüber vielleicht
früher oder später unerwartet neue Aufschlüsse, denn auch
der Pithecanthropus erectus Dub. kann als direkter Vorläufer
des Menschen auf keinen Fall angesehen werden.
Im Heppenloch, am Nordabhang der schwäbischen
Alb fand allerdings Medizinalrat Dr. HEDINGER?) Steingeräte
von beilförmiger, messerförmiger und keilförmiger Gestalt
(den Taubacher Feuersteinsplittern am ähnlichsten), derart
vergesellschaftet mit den Resten von pliocänen Tieren, dass
die Existenz des Menschen zur Tertiärzeit kaum
noch länger bezweifelt werden kann. Von den plio-
schon Aexte aus Feuerstein, Elentier- und Hirsch-Horn. Weiter sind
viele kleinere Werkzeuge, hie und da auch Thongeschirre, aufgefunden
worden. Verschiedene Tierknöchen, wie auch Fischgeräte, Muscheln
etc. zeigen an, dass der Mensch von der Jagd lebte, aber auch Fische,
Muscheln u. dergl. nicht verschmäht hat.
!) W. B. Antonowitsch, Die während der letzten drei Jahre
in Kiew gefundenen Gegenstände der Steinzeit. Bericht über den
zehnten archäologischen Kongress zu Riga (1/13 bis 15/27 Aug. 1896)
[im Archiv für Anthropologie Bd. XXV. 1898. S. 78].
2) Zittel, Handbuch der Paläontologie Bd. IV. S. 719.
3) Vgl. Hedinger, Neue Höhlenfunde auf der schwäbischen Alb.
[in Korrespondenz-Bl. d. deutsch. Anthropol. Ges. XXII. Jahrg. 1891.
S. 9/12 u. 20/24].
[25] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 65
eänen Tieren nenne ich hier nur: den Oberkiefer eines Affen
Inuus suevicus,') ferner das Aceratherium; ein dem Nashorn
ähnliehes und das Palaeotherium, ein dem Tapir ähnliches
Tier, ferner Oyon alpinus fossilis,2) eine Wolfsart. Aber
auch die ausserdem noch im Heppenloch gefundenen Reste
der eigentlichen Diluvialtiere zeigen einen älteren Typus,
sodass wir es hier entschieden mit einer präglacialen,
besser gesagt, jungtertiären Fauna zu thun haben.
1) Vgl. Hedinger, Neues Jahrbuch für Mineralogie ete. 1891.
Bad. 1. S. 169 ete.
2) Vgl. Nehring, A., Sitzungsbericht der Ges. naturforschender
Freunde zu Berlin Jahrg. 1890 No. 2. (Sitzung v. 18. Febr. 1890).
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900.
or
Litteratur.
1. Schmid, E. E., Geologische Spezialkarte von Preussen
und den Thüringischen Staaten. 1:25000. Nr. 359. Blatt
Magala nebst den Erläuterungen. (1872) pag. 8.
2. Schmid, E. E., Briefliche Mitteilungen desselben an
Prof. H. B. Geinitz vom 20. Mai 1873, über die Auffindung der
damals für Mammuthreste gehaltenen Skelettteile von E. antigquus
Fale. (betrifft das grosse, sehr vollständige Skelett eines der
riesigsten Urelephanten, das leider in 7 verschiedenen Museen
Deutschlands stückweise aufbewahrt wird und sich in den Haupt-
teilen in Jena befindet. [Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geo-
logie und Paläontologie, 1873, S. 401.]
3. Pfeiffer, L., und Rohlfs, G., Nachricht über das an-
sebliche Vorkommen von Menschenknochen, zusammen mit denen
von Jthinoceros Merki in Taubach. |[Verhandl. der Berliner
Gesellsch. £. Anthropologie ete. vom 12. Oktober 1872 8. (260),
vom 14. Dezember 1872 8. (279).]
4. Vgl. auch [Korrespondenz-Blatt der deutschen anthropo-
logischen Gesellschaft, 1873, 8. 3].
5. Fritsch, K. v., Ueber Wirbeltierreste von Taubach bei
Weimar. [Zeitschrift für (die gesamten) Naturwissenschaften,
Bd. 45 (N. F. 11. Bd), 8. 461. Berlin 1875.]
6. Fritsch, K.v., Ueber die bisher bekannt gewordene
diluviale Fauna und Spuren urmenschlicher Thätigkeit, Lagerungs-
verhältnisse und Entstehungsweise der Kalktuff- Ablagerungen
von Taubach in [dieser Zeitschrift, Bd. 61 (4. Folge, 7. Bd.),
Halle a. S. 1888, 8. 78—79]. Bericht über die Sitzung vom
16. Februar 1888 des naturwissenschaftl. Vereins für Sachsen
und Thüringen.
7. Bericht über die VII. allgem. Versammlung d. deutschen
Gesellschaft für Anthropologie ete. zu Jena am 9.—12. August
1876. [Korrespondenz-Blatt der deutschen anthrop. Ges. 1876,
8. 76. Ueber die Exkursion der Teilnehmer nach Taubach am
12. August 1876.]
[27| Weber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 67
8. Virchow, R., Ueber diluviale Funde bei Taubach
(Weimar) in |Verhandl. der Berliner Gesellschaft für Anthropo-
logie, Ethnologie u. Urgeschichte, Jahrg. IX, 1877 8. (25—27).]
9. Klopf£leisch, R., Ueber Spuren urmenschlicher Thätig-
keit zusammen mit Resten von E. antiquus ete. in |Korrespondenz-
Blatt der deutschen anthropologischen Gesellschaft, 1877, Heft 5,
8. 37].
10. Klopfleisch, R., Fundbericht (Grube Hänschen) Feuer-
stelle, in [Vorgeschichtliche Altertümer der Provinz Sachsen,
Heft I, 8. 32—36].
11. Portis, Allessandro, Ueber die Osteologie von
Rhinoceros Merki Jäg. und über die diluviale Säugetierfauna
von Taubach bei Weimar in [Paläontographica von W. Dunker
und K. v. Zittel, Bd. 25, Kassel 1878, S. 145—162].
12. Referat darüber in [Neues Jahrbuch f. Mineralogie ete.
1878, 8. 884—885].
13. Pohlig, H., Ueber Elephas antiquus Fale. und die
Gliederung des Plistocäns in [Sitzungsbericht d. niederrheinischen
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Bonn 1882] (Sitzung
vom 3. Juli 1882) S. 134—136.
14. Pohlig, H.. Ueber das Milchgebiss der Elephanten.
[Sitzungsbericht der niederrheinischen Gesellschaft in Bonn]
Sitzung vom 4. Februar 1884.
15. Pohlig, H., Vorläufige Mitteilungen über das Plistocän,
insbesondere Thüringens, gekürzte Ausführung. [Sitzungsbericht
der niederrhein. Gesellschaft in Bonn] Sitzung vom 3. März 1884.
16. Pohlig, H., Vorläufige Mitteilungen über das Plistocän,
insbesondere Thüringens, ausführlichere Behandlung, in [dieser
Zeitschrift, Bd. 58 (4. Folge, 4. Bd.) Halle a. S., Jahrgang 1885,
S. 258—276.
17. Pohlig, H., Beabsichtigte Herausgabe einer Mono-
sraphie der Elephas antiquus Fale. führenden Travertine
Thüringens, ihrer Flora und Fauna in 15 Büchern. (Bis jetzt
nur 3 erschienen.) |Sitzungsbericht der niederrheinischen Ge-
sellschaft in Bonn]. Sitzung vom 14. Januar 1888.
18. Pohlig, H., Dentition und Kranologie des Elephas
antiguus Fale. mit Beiträgen über Elephas meridionalis Nest.
und Elephas primigenius Blum. Buch I, 1, Dentition. [Ver-
handl. der Kaiserlich - Leopoldinisch - Carolinischen Deutschen
Akademie der Naturforscher, Bd. 53, Halle 1889.]
19. Pohlig, H., vgl. das Referat von Branco in |Neues
Jahrbuch für Mineralogie ete. Bd.1I, 1890, S. 462—466].
20. Pohlig, H., Kranologie und Nachtrag zur Dentition
des Elephas antigquus Fale. Buch I, 2, Dentition, Buch II,
Kranologie. Ibd. Bd. 57, Halle a. S. 1892.
5*
68 | . Hugo MÖLLER, 128]
21. Pohlig, H., Die grossen Säugetiere der Diluvialzeit.
(Heft 5 von Zoologische Vorträge, herausgegeben von William
Marshall.) Leipzig 1890, Verlag von Richard Freese (jetzt
Dresden).
22. Pohlig, H., Vgl. Referat von Branco [in N. Jahrbuch
für Mineral., Jahrg. 1891, S. 339.
23. Pohlig, H., Ueber neue Ausgrabungen in Taubach
bei Weimar [Sitzungsbericht der niederrheinischen Gesellschaft in
Bonn, S. 38—39]. Sitzung vom 16. Febr. 1891.
24. Pohlig, H., Die Cerviden der thüringischen diluvial-
Travertine mit Beiträgen über andere diluviale und über rezente
Hirschformen, [Paläontographica Bd. 39. 1892 p. 215—262].
25. Pohlig, H., Vgl. Referat von Schlosser [im Archiv
für Anthropol. Bd. 23, 1895 8. 122—123.
26. Förtsch, O., Die Entstehung der ältesten Werkzeuge
und Geräte, Inaugural-Dissertation Halle a. S. 1892.
27. Götze, A., Die paläolithische Fundstelle in Taubach
bei Weimar |Verhandl. der Berliner Gesellschaft für Anthropol.
ete. Jahrgang 1892 8. 366—377].
28. Götze, A., Menschliche Spuren in den Travertinlagern
bei Weimar (Hirsch’scher Steinbruch in der Belvedere- Allee).
[Verhandl. der Berliner Gesellschaft für Anthropologie 1893,
8. 327—329].
29. Götze, A., Vgl. auch Regel, Thüringen (Bd. II, 2, 1895
Sb 387).
30. Götze, A., Die Urzeit des Menschen, Bilder aus den
frühesten Tagen unserer Heimat, Szenischer Vortrag, Berlin 1898,
Verlag der Gesellschaft „Urania“ Taubenstr. 48/49. 8. 6—9.
öl. Regel, Fr., Thüringen, Ein geographisches Handbuch.
Jena, 1892—96.
a) Bd, I, 1892, S. 167, Fossilreste S. 168—169. Lagerungs-
verhältnisse (Grube Hänschen) S. 168--169, Flora und
Fauna der Kalktuffe, Gleichzeitigkeit des Menschen mit
den diluvialen Säugetieren S. 291, Schilderung nach
A.Porti, 5.400, Bruch bei Hänschen jetzt zugeschüttet.
b) Bd. II, 1. 1895, 8. 330, 333, 337. Conchylien Vor-
kommen.
Bd. II, 2. 1895 S. 386, Privatsammlungen (Hänschen)
S. 389— 390, Erste Nachrichten Altersbestimmung,
S. 391— 392. Uebersicht der Fundstelle nach Götze,
Lagerungsverhältnisse a) Grube Weise, b) Grube Ernst,
primäre Lagerstätte, S. 393. Feuerstelle in Grube Hänschen,
Spuren der Abrollung und Bearbeitung, S. 394 die Ab-
lagerungszeit S. 394—397, die Funde (nach Götze)
C
DZ
[29] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 69
S. 397 menschliche Spuren in den Travertinlagern der
Belvedere-Allee.
d) Bd. III. 1896 S. 126, Kalktuff als Baumaterial 8. 415
fossiler Menschenzahn.
32. Ranke, Joh., 1896 Der Mensch Bd. II. 2. Aufl. 1894
8.417 &.
33. Ranke, Joh., 1896 Diluvium und Urmensch, Meyers
Volksbücher Nr. 1101—1103.
34. Ranke, Joh., Vorgeschichte der Menschheit in „Welt-
geschichte“ herausgegeben v. H. Helmolt, Bd. I, Teil IV 1. Leipzig
und Wien 1899, S. 117—118 u. 121—124.
35. Schötensack, ©. Diluvial-Funde von Taubach in
(Verhandl. der Berliner Gesellschaft für Anthropologie ete. 1895
S. 92 — 9.
36—-40. Nehring, A., Ueber die beiden fossilen Menschen-
zähne von Taubach, vergl. die Fussnote, diese Zeitschrift,
Bd. 73, 1900, 8. 42 [2].
41. Fraas, E., Ueber den Fund eines Menschenzahns im
Alt-Diluvium von Taubach bei Weimar, [Zeitsch. der Deutschen
geolog. Gesellschaft Bd. XLVII. 1895 S. 616 (v. 14. Aug. 1895)]
42. Fraas, E, Ueber die pleistoeänen Bildungen im
schwäbischen Unterlande mit besonderer Berücksichtigung auf
Cannstatt (Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft,
Bd. XLVIII. 1896, S. 696).
43. Weiss, A., Die Conchylienfauna der 'altpleistocänen
Travertine des Weimarisch-Taubacher Kalktuffbeckens und Ver-
gleich der Fauna mit aequivalenten Pleistocänablagerungen, in
[Nachrichtsblatt der deutschen Malako-zoologischen Gesellschaft,
Nr. 9 u. 10, 1894, S. 145—165].
44. Weiss, A., Ueber die Conchylienfauna der inter-
glacialen Travertine des Weimar -Taubacher Kalktuffbeckens,
eine revidierte Liste der bis jetzt gefundenen Conchylien (13. bis
15. Dezember 1895). [Zeitschrift der deutschen geologischen
Gesellschaft, Bd. XLVIII, 1896, S. 170—182.]
45. Weiss, A., Ueber die Conchylienfauna der inter-
glacialen Travertine (Kalktuffe) von Burgtonna und Gräfentonna
in Thüringen, eine revidierte Liste der bis jetzt dort nachge-
wiesenen Conchylien (NB. bis 10. September 1897). [Zeitschrift
der deutschen geologischen Gesellschaft, Bd. XLIX, 1897,
8. 685 —686.]
46. Weiss, A., Die Conchylienfauna der Kiese von Süssen-
born bei Weimar (10. Januar 1899). [Zeitschrift der deutschen
geologischen Gesellschaft, Bd. LI, 1899, S. 156—167.]
70 Hugo MÖLLER, Ueber Elephas antiquus Fale. ete. [30]
47. Michael, P., Die Gerölle- und Geschiebevorkommnisse
in der Umgegend von Weimar. [XXXIV. Jahresbericht des Real-
gymnasiums zu Weimar. Ostern 1896. Programm Nr. 693,
8. 3—21, besonders 8. 16—18.]
48. Zech, Leonhard, Die geologischen Verhältnisse der
nördlichen Umgebung von Halberstadt. [Jahresbericht der Ober-
realschule zu Halberstadt. Ostern 1894. Programm Nr. 273,
S. 3—19, besonders S. 14—15 u. 19 Anm. 8.]
49. Wolterstorff, W., Die Conchylienfauna der Kalk-
tuffe der Helix canthensis Beyr. -Stufe des Altplistocän von
Schwanebeck bei Halberstadt. [Zeitschrift der deutschen geo-
logischen Gesellsch., Bd. XLVIII, 1896 (4. März), S. 192—196.]
50. Wolterstorff, W., Ueber fossile Frösche aus den
altpleistocänen Kalktuffen von Weimar und Taubach (3. April
1896). [Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft,
Bd. XLVII, 1896, S. 197—198.]
51. Bayberger, A., Der glaciale und der tertiäre Mensch.
[Himmel und Erde, Jahrgang VII, S. 105—126.]
52. Buschan, Georg, Das erste Auftreten des Menschen
auf der Erde. [Nord und Süd, LXXXIX. Bd., Breslau, April
1899, Heft 265, 8. 108—120.]
53. Beck, G., Der Urmensch. Kritische Studie, Basel,
1899, 62 8.
Tafel II.
Hugo Möller, Ueber Elephas antiquus Fale. und
Rhinoceros Merki
als Jagdtiere des alt-diluvialen Menschen in Thüringen und über
das erste Auftreten des Menschen in Europa.
Fig. 1. Trinkschale vom alt-diluvialen Urmenschen Tau-
bachs künstlich mittelst Feuersteinmesser bezw. Schaber
aus einer Femurkugel von Rhinoceros Merki löftelartig
ausgehöhlt. !/, nat. Grösse.
(NB. das älteste bisher mit Sicherheit nachweisbare Gefäss.)
Fig.2u.3. Knochendolch von Taubach, hergestellt aus der
rechten inneren und proximalen Ulnahälfte eines
Ursus arctos(?). Ansicht von zwei Seiten. 1!/, nat.
Grösse.
(NB. die älteste bis jetzt nachweisbare Stichwafte.)
Fig. 4. Schenkelknochen eines jungen Urele-
phanten, zum Zwecke der Markgewinnung vom
alt-diluvialen Urmenschen Taubachs durch Auf-
schlagen mit einem spitzen Stein durchlöchert und
geborsten. 1/, nat. Grösse.
(NB. zeigt deutliche Hieb- bezw. Schlagmarken sowie
zahlreiche Kritze.)
G
Die Tierwelt Chinas
Prof. Dr. W. Marshall - Leipzig.
Von der Ausdehnung Chinas kann man sich nur schwer
eine richtige Vorstellung machen. Wenn man liest, es um-
fasse 11115650 qkm, so liest man eben eine achtstellige
Zahl. Etwas verständlicher wird nun die Sache, wenn man
sich überlegt, dass die Insel Hainan, der südlichste Teil
des Riesenreiches, der auf der Karte im Vergleich zu seinem
festländischen sich nur sehr winzig ausnimmt, fast so
gross ist wie die Königreiche Sachsen und Württemberg zu-
sammen.
Das ganze Gebiet umfasst das eigentliche China im
Süden, im Osten und im Zentrum, die Mandscehurei im
Nordosten, die Mongolei im Norden, Tibet, die Dsungarei
und ÖOstturkestan im Westen. Seine äussersten Grenzen
liegen zwischen dem 18. und 53.° n. Br. und den 74. und
135. östl. L., sodass zwar der weitaus grössere Teil Chinas
der subtropischen und gemässigten Zone angehört, aber im
Süden doch ein ansehnliches Stück von ihm in die Tropen-
natur hineinfällt. Etwa fünf Sechstel des ganzen Reiches
sind gebirgig, erheben sich stellenweise bis in die Regionen
des ewigen Schnees, oder sind wüste Hochplateaus von un-
geheurem Umfang und schauerlicher Oede. Zwei grosse
Ströme durchfliessen das Land wesentlich in der Richtung
von Westen nach Osten, der eine, der Yang-tse-kiang im
subtropischen, der andere, der Hwang-ho im Süden des ge-
mässigten Gebiets. Ein System grösserer Süsswasserseen
72 Prof. Dr. W. MARSHALL, [2]
begleitet den untersten Lauf des Yang-tse-kiang und zahl-
reiche Gebirgsseen zeichnen Tibet aus; der grösste von ihnen,
der Kuku-nor liegt bei einer Höhe von 3070 m im Nord-
osten. In der Mongolei zieht sich im Norden eine Reihe
zum grösseren Teil salziger Seen nahe der russischen Grenze
dahin.
In keinem politischen, in sich abgeschlossenen zusammen-
hängenden Reiche der Erde sind die Bedingungen, die sich
der Tierwelt bieten, so vielseitig wie in China, und kein
Reich der Erde hat eine gleich mannigfaltige Fauna. Wir
wissen zwar von der Tierwelt des grössten Teils des Riesen-
landes sehr wenig, eigentlich so gut wie gar nichts, aber
wir haben alle Ursache anzunehmen, dass dem so ist.
Wir brauchen bloss eine grosse, weit verbreitete Gattung
von Käfern in dem Käferkatalog von Harold & Gemminger
aufzuschlagen und den Bestand ihrer Arten zu prüfen, so
werden wir bald gewahr werden, wie wenig bekannt die
chinesische Fauna im Grunde genommen ist. Die Pracht-
käfer-Gattung Acmaeodera umfasst 152 Arten, davon sind
26 nordamerikanisch, von den 126 verbleibenden finden sich
30 in Südeuropa und Nordafrika, der Rest verteilt sich
auf Westasien, das kontinentale tropische und südliche Afrika
und das tropische Amerika. Aus China ist keine einzige
bekannt! Die Akmaeoderen sind aber keineswegs kleine
und unscheinbare Käfer, sie haben eine Durchschnittslänge
von 15 bis 20 mm, eine dunkelmetallische Körperfärbung
und auf den Flügeldecken häufig sehr auffallende gelbe
Flecken und Querbinden. Wenn aber um das adriatische
und mittelländische Meer herum 30 und in Nordamerika
26 Arten der Gattung vorkommen, so ist es höchst wahr-
scheinlich, dass China mindestens ein Dutzend Arten be-
herberst.
Tiergeographisch können wir China in fünf Provinzen
zerlegen: in die Nord-, Ost-, Süd-, Westprovinz und in die
zentrale Provinz. Die Nordprovinz, die grösste von allen,
erstreckt sich von der russischen Grenze an südwärts, im
Osten bis zum 40.° n. Br., im Westen bis an das Küen-lüen-
Gebirge und in ihren mittleren Teilen bis zum Bayan-Kara-
Gebirge. Sie umfasst Ost-Turkestan, die Mongolei und die
[3] Die Tierwelt Chinas. 73
grössere, nördliche Hälfte der Mandschurei. Die Ostprovinz
reicht vom 40.° bis zum 25.° n. B. und vom 117. östl. Länge
bis an die Küste. Südlich schiebt sich zwischen sie und
die Südküste die Südprovinz ein. Die Westprovinz
dehnt sich westlich vom 100.0 östl. Länge bis an die Grenze
und vom Küen-lüen-Gebirge im Norden bis in den Himalaya
im Süden aus und umfasst die Dsungarei und Tibet. Der
übrigbleibende Teil bildet die zentrale Provinz. —
Wir beginnen unsere eingehenderen Betrachtungen mit
den Wirbeltieren und zwar mit den Säugetieren, die ver-
hältnismässig noch am Besten gekannt sind und ja auch im
Vordergrunde des allgemeineren Interesses stehen.
China ist sehr reich an originellen Säugetierformen,
was sich besonders seit den Forschungen, die der Jesuiten-
pater Armanp Davıp in Tibet Ende der sechziger Jahre
vornahm, herausgestellt hat. Durch die nicht hoch genug
zu würdigende Thätigkeit dieses Mannes lernte die Wissen-
schaft nicht nur eine ganze Reihe höchst interessanter neuer
Gattungen und Arten kennen, sondern auch eine grosse Zahl
der überraschendsten tiergeographischen Thatsachen. Auch
die Reisen, die der russische Oberst PRSCHEWALSKIJ von
1370 an nach den noch so gut wie ganz unbekannten
Gegenden des nordwestlichen und nördlichen Chinas unter-
nahm, haben unter anderen auch unsere Kenntnis der Säuge-
tierfauna jener Länder sehr wesentlich bereichert. Die
Wirbeltiere des Südens waren schon früher und zwar haupt-
sächlich durch den Engländer ROBERT SwINHoR untersucht
worden.
Der Süden und namentlich der Südwesten hat eine durch-
aus indische Säugetierwelt. Hier findet sich ein sog. menschen-
ähnlicher Affe, eine Gibbonart (Hylobates lar), ein paar Arten
von Makaken, ein kleiner schwanzloser, wie fast alle An-
gehörigen seiner Sippe nächtlieher Lemur (Nyeticebus tardi-
gradus), der indische Tapir, das einhörnige Nashorn ete.
Hier ist wohl auch die Gegend, wo der indische, jetzt fast
in ganz China als Haustier verbreitete Büffel (Dos bubalus),
noch in ursprünglicher Wildheit vorkommt.
Der tropische Süden Chinas ist aber merkwürdigerweise
nicht das einzige Gebiet, in dem innerhalb seiner Grenzen
74 Prof. Dr. W. MARSHALL, [4]
Affen gefunden werden. Der erwähnte Pater Davıp war
nicht wenig überrascht, als er 1869 in den Gebirgen von
Nupin und des Koko-noor unter dem 32.° n. Br., in denen
die Winter so streng sind, wie bei uns in den Alpen, in den
Zweigen der schneebedeekten Bäume Affen herumklettern
sah. Es waren dieht behaarte Makaken (Macacus tebetanus
und icheliensis) und ein sehr grosser Nasenaffe (Rhinopithecus
Rozxellana), dessen nächster Verwandter, der Kahau (Rhino-
pithecus nasicus), eines der charakteristischsten Tropenländer,
die Insel Borneo unmittelbar unter dem Aequator bewohnt.
Jene nördliche Gebirgsform unterscheidet sich vom Kahau
durch ihre beträchtlichere Grösse und ganz besonders durch
die Bildung ihrer Nase. Der erwachsene Kahau hat be-
kanntlich und namentlich im männlichen Geschlecht eine
höchst wunderliche, grosse, herabhängende Nase, die beim
Jungen noch als Wippnäschen auftritt. Eine, freilich an-
sehnlichere Wippnase hat auch der tibetanische Nasenaffe.
Fledermäuse sind in China gut vertreten. Pater DAvıp
fand in Tibet Arten aus 5 Gattungen der insektenfressenden
Fledermäuse und im Süden ist diese Tierordnung noch besser
entwickelt. Eine Art der fruchtfressenden Fledermäuse oder
fliegenden Hunde (Pieropus) findet sich entlang der Süd-
und Südostküste bis Amoy und wahrscheinlich noch weiter
nördlich, da sie auch im südlichen Japan angetroffen wird.
Kein Land der Erde ist so reich an Insektenfressern,
wie das Reich der Mitte. Abgesehen davon, dass sich Igel
in den nördlichen Gegenden südlich bis Amoy herab und
umgekehrt indisch-tropische Formen (Spitzhörnehen oder
Tupajiden, kletternde, baumbewohnende Insektenfresser vom
äusseren Vorkommen der Eiehhörnehen) im Süden etwa bis
Amoy nördlich finden, ist Tibet und das nordwestliche China
die Wiege der Desmane, der Spitzmäuse und der Maulwürfe.
Hier existieren vom Pater Davıp entdeckte, höchst merk-
würdige Formen, die — Eigenschaften dieser drei Gruppen
in sich vereinigend — gewissermassen das sind, was die Palä-
ontologen als Sammeltypen bezeichnen. Die von DAvıp
entdeekten Gattungen sind: Nectogale, eine an das Wasser
angepasste Form der Spitzmäuse mit Schwimmhäuten
zwischen den Zehen, Anurosorex, eine ungeschwänzte
[5] Die Tierwelt Chinas. 15
Spitzmaus, Scaptochirus, eine Maulwurfsform, Uropsilus, eine
‘ Gattung, die die japanische und nordamerikanische Gattung
Urotrichus mit den Spitzmäusen und Scaptonyx, die sie mit
den Maulwürfen verbindet.
Sehr artenreich sind die Raubtiere aller Familien in
China vertreten. Im Norden werden sich so ziemlich alle
europäisch-sibirischen Formen finden und im Süden Arten
der meisten indischen Sippen. Hierzu kommen noch ver-
schiedene, ursprünglich tibetanisch - chinesische, teilweise
höchst originelle Gestalten.
Beginnen wir mit den Bären. Da wäre zunächst der
gemeine, braune Bär (Ursus arctos),.der in einer sehr statt-
lichen, grossen Form die Mandschurei bewohnt. Eine zweite
kleinere Art von schwarzer Grundfarbe mit einer weissen,
halbmondförmigen Binde über der Oberbrust (Ursus tibet-
anus) haust im ganzen mittleren Asien querdurch, von
Nepal und Silhat über China, die Amurländer bis Japan.
Eine merkwürdige Bärenform, die am nächsten mit den
amerikanischen Waschbären verwandt zu sein scheint, be-
wohnt den Himalaya auch in seinen chinesischen Ausläufern.
Das ist der Panda oder Katzenbär (Adlurus fulgens), ein
Tier ungefähr von der Grösse einer mässigen Hauskatze mit
einem langen, buschigen Schwanze. Seine Farbe ist oben
schön glänzend rostrot, unten und an den Füssen glänzend
schwarz. Die bei weitem merkwürdigste Bärenform, eine
der interessantesten neueren Entdeckungen auf dem Gebiete
der Säugetierkunde überhaupt, wurde von Pater DaAvıD in
Tibet aufgefunden. Es ist das der Aeluropus melanoleucus,
ein echter Bär fast von der Grösse eines grossen braunen
Bären, ohne Schwanz, von weisser und schwarzer Farbe.
Die Ohren, ein Kreis um jedes Auge, die Beine und ein
von den Vorderbeinen zu den Schultern heraufziehendes
Band sind schwarz, alles andere ist weiss. Ich kenne nur
Abbildungen von diesem Tier, aber es muss, natürlich nach
der Anschauungsweise eines Naturforschers beurteilt, ein
wundervolles Geschöpf sein.
Unser gemeiner Dachs ist an für seine Existenz ge-
eigneten Stellen durch das ganze nördliche und mittlere
China verbreitet und findet sich auch in Japan. Eine andere
76 Prof. Dr. W. MARsHALL, [6]
Dachsform mit langem, busehigem Schwanze, die schon aus-
gesprochene Beziehungen zu den Mardern zeigt, ein sog.
Spitzfrett (Halictis moschata) ist indischen Ursprungs, kommt
aber bis Shang-hai vor. Ebensoweit und bis auf die, politisch
freilich nicht mehr, aber tiergeographisch trotzdem zu China
gehörige Insel Formosa findet sich eine indische Art der
Rollmarder, der Larvenroller (Paradozurus larvatus).
Unsere Fischotter und unsere Marder-, Iltis- und Wiesel-
arten, oder doch zu ihnen gehörige Rassen leben auch im .
nördlichen China. Indische Formen kleiner Raubtiere,
Viverren (wie z.B. die Rasse — Viverra indica), Mangusten
(wie z.B. der Mungos — Herpestes griseus) dıingen in die
tropischen Gegenden des Südens vor.
Von Hunden ist der gemeine Fuchs so ziemlich durch
das ganze chinesische Reich verbreitet und ebenso der Korsak.
Der Wolf findet sich im Nordosten, eine sehr interessante,
auch in Japan vorkommende Form, der Marderhund (Nyc-
tereutes procyonoides) im Osten vom Amur südlich bis Kanton.
Dieses Tier ist breit, dachsartig, klein, kurzbeinig und kurz-
ohrig, mit gestrecktem Rumpfe, buschigen, bis zu den Fersen
reichendem Schwanze. Es hat nächtliche Gewohnheiten und
lebt hauptsächlich von Mäusen und Fischen.
Bei Betrachten des Vorkommens der Katzenformen in
China begegnen wir einigen überraschenden Thatsaehen. Es
war zu erwarten, dass indische Arten im Süden so wenig
fehlen würden, wie sibirische im Norden. Hier mag der
Silberluchs (Lynx cervaria) vorkommen, dort ist die Tüpfel-
katze (Felis viverrina), die fishing-cat der englischen Inder
keine Seltenheit, wohl aber ist das Vorkommen des Tigers
neben dem Panther und dem Irbis durch einen grossen Teil
Chinas, bis über seine Nordgrenze hinaus überraschend.
Der Verbreitungsbezirk des Tigers erstreckt sich von
der Südküste Javas über Sumatra, Malakka durch ganz
Hinter- und Vorderindien. In Ceylon ist er im 18. Jahr-
hundert ausgerottet. Westlich wird er in ganz Persien und
selbst in Kurdistan angetroffen, früher wurde er bei Tiflis
und selbst bis Darbent gefunden und vor etwa 30—40 Jahren
wurden an der Westseite des Kaspischen Meeres im Lenko-
waner Kreise jährlich durchsehnittlich noch 15 geschossen.
[71 Die Tierwelt Chinas. 27
Am südlichen Ufer des Aralsees ist er nicht selten. Von
hier aus erweitert sich die Grenze seines Vorkommens nord-
wärts über das Altaigebirge hinaus bis Barnaul am Ob unter
dem 53.° n. Br., in das Gebiet von Irkutsk, um den Baikalsee
und durch das ganze Amurland bis zu den südlichen Ab-
hängen des westlichen Teiles des Stanowoigebirges, wo er
bei 55.° n. Br., also unter der Breite von Tilsit und Appen-
rade seine Nordgrenze erreicht. In den Gebirgen geht der
Tiger in bedeutende Höhen, im Himalaya bis zur Schnee-
grenze. In der Mandschurei ist er besonders häufig, auch
in Korea, der Mongolei und vielen Gegenden des eigentlichen
Chinas.
Der sibirisch-mandschurische Tiger unterscheidet sich
bedeutend von seinen südlichen Vettern, dem von Festlande
von Indien nördlich bis Peking vorkommenden bengalischen
und den sundanischen von Java und Sumatra. Die nörd-
liehste Rasse soll konstant etwas kleiner sein als der süd-
ehinesisch-indische, doch mass SwINnHoE ein Exemplar, das
von der Sehnauzenspitze bis zur Schwanzwurzel die respek-
table Länge von 7 Fuss 8 Zoll englisch hatte. Sein Pelz
hat immer, auch im Sommer, längeres Haar als der der
südlichen Rassen, im Winter wird er aber noch weit länger
und dichter, entwickelt um den Hals eine Art Mähne und
wird sehr hellfarbig, gelblich weiss. Der nordehinesische muss
durehschnittlich 3 Monate lang eine Kälte von — 20 bis
25% C. ertragen.
Der Panther (Felis pardus) hat eine ungeheuer weite
Verbreitung, fast über das ganze kontinentale Afrika und
in Asien von den Sundainseln nördlich bis zum Kaukasus,
dem Aralsee bis Mittelehina und Japan. Hier wird seine
Behaarung länger und ihre Farbe fällt mehr ins Graue als
ins Gelbe.
An die nördliche Grenze seiner Verbreitung schliesst
die südliche die des Irbis (Felis uncia), auch Unze oder
Schneepanther, an. Die südlichen Exemplare dieser, dem
Panther an Grösse wenig nachstehenden Katzenart werden,
was die Färbung angeht, den nördlichen des Panthers äusserst
ähnlieh, und vielleicht ist der Irbis bloss eine Rasse von diesem.
Nagetiere finden sich selbstverständlich in einem so
18 Prot. Dr. W. MARSHALL, [8]
ungeheuer grossen, dem Einflusse so verschiedener Klimate
ausgesetzten Lande in zahlreichen Arten und Individuen.
Auf den Hochplateauen Zentralasiens stand die Wiege der
Hamsterformen, der echten Mäuse, der Feld- oder Wühl-
mäuse, der Springmäuse, der Murmeltiere etee Wahr-
scheinlich ist auch die in China vielfach gern gegessene
Wanderratte, diese greuliche Bestie, eine Gabe des himmli-
schen Reiches. Eine, bloss eine Art umfassende Hamster-
gattung (Oricetulus) findet sich nur in der Gegend von Peking,
wo auch ein Stachelschwein (Hystrix suberistatus) ange-
troffen wird. Auch die beiden Arten der wie Maulwürfe
unter der Erde lebenden Gattung Myospalax sind auf Nord-
china und das benachbarte Sibirien besehränkt. Gleichfalls
dem nördliehen China gehören fliegende Eichhörnchen an,
die die Westgrenze ihrer Verbreitung in Lappland finden,
von hier aus aber durch das ganze nördliche Asien und
Amerika verbreitet sind. Im Süden Asiens, in Indien, auf
Ceylon, auf Java, in Malakka und von hier bis Formosa
treten wieder Arten derselben Gattung auf, während sie
zwischen diesen Gebieten und Nordehina fehlen. Von den
5 Arten der Gattung der Backenhörnehen (Tamias), Eich-
hörnchen, die sich an ein Leben auf und z. T. unter dem Boden
angepasst haben. bewohnen vier Nordamerika und eine
(Tamias striatus) lebt vom Ural an ostwärts durch das
ganz nördliche Asien soweit es bewaldet ist. Hasen finden
sich wohl in dem grössten Teil Chinas, eine Art (Lepus
tolai) bevölkert die Wüsten der Mongolei und eine andere
wird nur auf der Insel Hainan gefunden.
In den Wüsten und Steppen der Mongolei und Mand-
schurei und südlich bis Tibet und Zentralehina lebt auch
eine Art der Wildesel, der Dsehiggetai (Equus hemionus),
eine andere (Eguus kiang) in Tibet selbst und eine dritte,
in der man die wilde Stammform des gewöhnlichen Pferdes
hat sehen wollen (Eguus Prschewalskii) in den Einöden der
Dsungarei. Verwilderte Hauspferde, Tarpans, die man früher
auch als die wilden Vorfahren derselben angesehen hat,
durehsehwärmen oft in grossen Herden die Hochplateaus Tur-
kestans und der Mongolei, die Wüste Gobi und dringen
bis in die Hochgebirge Tibets vor.
[9] Die Tierwelt Chinas. 79
Die hirsehartigen Wiederkäuer sind im nördlichen und
westlichen China durch sehr bemerkenswerte Formen ver-
treten. Pater Davıp sah im kaiserlichen Park zu Peking
eine eigentümliche, nach ihm benannte Hirschart, Cervus
oder Hlaphus davidianus, den Widu, ein ziemlich helles
Tier von der Grösse des Damhirsches, aber mit runden
Geweihenden. Ferner finden sich noch kleine Vertreter ver-
schiedener anderer abweichender Gattungen, so Elaphodus
michianus mit ganz kleinen, nur ein Zoll langen, einfachen
Geweihen, aber mit ziemlich langem Rosenstoeck und von
Lophotragus, einer ganz geweihlosen Form. Der indische
Muntjack (Cervulus muntjak) findet sich im Süden bis auf
die Insel Hainan.
Eine Art von hirschähnlichen Tieren Chinas (oder besser
ein Produkt von ihm) ist schon seit den Mittelalter im Abend-
lande berühmt, das ist das ächte Moschustier (Moschus moschi-
ferus), das Nordehina vom Amurfluss und Peking an süd-
wärts bis in den Himalaya hinein und hier bis zu einer
Höhe von- 2500 m hinauf bewohnt. Ein seltsames reh-
artiges Tier, das geweihlose Wasserreh (Hydropotes inermis)
das sich vor allen Wiederkäuern dadurch auszeichnet, dass
es eine grössere Anzahl von Jungen (5 bis 6) zugleich wirft,
lebt in den Ländern nördlich vom Yang-tse-kiang.
An hohlhörnigen Wiederkäuern, an Antilopen, Ziegen
und Schafen ist in China kein Mangel. Herden von Dam-
hirsch-grossen Kropfgazellen (Procapra gutterosa und pich-
caudata) durehstreifen die Wüsten der Mongolei und Tibets.
Durch einen Kollegen Davıp’s, den französischen Jesuiten-
pater HAUDE, wissen wir, dass im Innern Chinas in den
Gebirgen mehrere Arten von Ziegenantilopen (Nemorhoedus)
vorkommen von Schaf- bis Kuhgrösse Die näher noch
nieht gekannten Tiere leben ähnlich wie die Gemsen und
haben kurze, nur sehr schwach nach hinten gebogene Hörner.
Eine gleichfalls noch sehr wenig gekannte ansehnliche
Antilope Osttibets ist der Takin (Budorcas taxicolor) mit
schweren Kopf und runden, dicht beieinander stehenden
Hörnern, die wie bei einem Gnu im untern Teile nach unten
und aussen, im obern aber wieder nach oben und innen ge-
bogen sind.
80 Prof. Dr. W. MARSHALL, [10]
Die hohen Gebirge Chinas werden von verschiedenen,
grossen, teils auch fast unbekannten Formen und Lokal-
rassen von wilden Ziegen und Schafen oder Steinböcken
und Argalis bewohnt, ja, sie scheinen recht eigentlich der
Herd zu sein, von den aus sich diese Tiere über die nördliche
Erdhälfte, westlich bis Spanien und den Atlas, östlich bis
Nordamerika, nördlich bis Kamtschatka und südlich bis zu
den Nilgherribergen in Vorderindien verbreitet haben.
Ausser dem Büffel, der, wie erwähnt, wild im tropischen
Südwesten Chinas vorkommen mag, umschliesst die Fauna
des Reiches der Mitte noch eine andere Rinderart, den
prächtigen Yak oder Grunzochsen (Poöphagus grunniens).
Wild findet er sich nur in den Hochgebirgen des nördlichen
Tibet, aber als Haustier ist er im innern Asien weit ver-
breitet. Von den sog. zahnarmen Säugetieren oder Edentaten,
deren Entwicklungs-Schwerpunkt in Südamerika liegt, ist
ein Sehuppentier (Manis brachyurus) nordostwärts bis Hainan,
Amoy, und den Tschusan-Archipel vorgedrungen.
Die Vogelwelt Chinas ist zu reich, als dass wir ihrer
anders als nur andeutungsweise gedenken könnten. Was
für die Verbreitung der meisten Angehörigen der ver-
schiedenen Tierklassen in dem Riesenreiche gilt, gilt auch
für die der Vögel: im Süden und Osten zahlreiche indische,
im Westen mediterrane, und im Norden sibirische, daneben
aber auch ein bedeutender Bestand eigentümlieher Formen.
So kommt es stellenweise zu höchst eigentümlichen Misch-
ungen: auf den Tschusan-Inseln leben unsere Elstern,
Bastardnachtigallen, Feldsperlinge und Amseln neben echt
ostindischen Vögeln wie dem bengalischen Eisvogel (Alcedo
bengalensis) und dem indischen Pirol (Orxolus indieus). Manche
indische Formen gehen entlang der Ostküste weit nach
Norden, so finden sich bei Peking, also unter demselben
Breitgrad (40. n. Br.) wie die Insel Sardinien: Drongowürger
(Dieruridae), Brillenvögel (Zosteropidae), Pittas ete. Im
Ganzen umfasst die Vogelwelt der mandschurischen Unter-
region, d. h. Nordehinas, Koreas, Japans, die sich tier-
geographisch nieht wohl trennen lassen, Vertreter von 105
Vogelgattungen, von denen 49 typisch nördlich-altweltliche,
56 aber orientalisch-indische sind.
11] Die Tierwelt Chinas. 81
- Früher nannten die Tiergeographen diese Unterregion
das „Reich der Fasanen“, und das war vollkommen be-
rechtigt, denn in ihr sind 11 Gattungen von Fasanen durch
mehr als 50 Arten vertreten, und es ist sehr wahrscheinlich,
dass uns nieht wenige chinesische Fasanenformen noch völlig
unbekannt sind. Der Gold- und Silberfasan stammen gleich-
falls aus dieser Unterregion, und man kann sagen, dass sie
so recht eigentlich der Entstehungsherd der fasanenartigen
Vögel ist, über den hinaus sich nur wenig Arten südwärts
bis Borneo, westwärts bis Afrika und in das südliche Europa
verbreitet haben. Unser gemeiner Fasan ist nur ein ver-
wilderter Südost-Europäer. Ob die nordamerikanischen
Truthähne wirklich zu der Familie der Fasanen gehören,
will ich hier unentschieden lassen; wäre es der Fall, dann
würde sich die Verbreitung dieser schönen Familie ähnlich
gestalten wie die der wilden Schafe und Ziegen.
Es dürften aber gewisse Teile Chinas, namentlich die
Hochplateaus der Mongolei u.s.w.auch noch das Entstehungs-
zentrum anderer Hühnerformen, kurzbeiniger langschwänziger,
mit einem wunderbaren Flugvermögen begabter echter
Wüstenvögel, der Sandflughühner (Pterocles) und der Faust-
hühner (Syrrhaptes) sein. Eine der beiden Arten der Faust-
hühner (Syrrhaptes paradoxus) ist es bekanntlich gewesen,
über die zweimal in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts,
1863 und 1888 jener wundersame Wandertrieb kam, der
Hunderttausende von ihnen westwärts, vom Fusse der
chinesischen Mauer bis an die Küsten des Atlantischen
Ozeans und bis nach Grossbrittanien hinüberführte.
Jene Wüsten sind wahrscheinlich auch das Ursprungs-
gebiet der Lerehen, die hier durch sechs bis acht Gattungen
und zahlreiche Arten, namentlich von Haubenlerchen, ver-
treten sind. Dass sie auch in Afrika zahlreich sind, beruht
darauf, dass ihre Familie hier sehr günstige Lebens-
bedingungen vorfand.. Die Tierwelt Afrikas ist seltsam
gemischt: neben einer uralten Fauna, der die Halbaffen,
Sehuppentiere, Erdferkel u. s. w. angehören, findet sich eine
später eingewanderte, die die Affen, Katzen, Hyänen, Pferde,
Wiederkäuer und viele andere Familien von Säugetieren und
Vögeln mehr, unter diesen auch die Lerehen umfasst. Die
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73. 1900. 6
82 Prof. Dr. W. MARSHALL, [12]
Gattung der Rotschwänzchen (Ruticilla) dürfte in den Ge-
birgen des Himalayasystems entstanden sein, denn hier
finden sich ihrer 15—17 Arten, während in Europa bloss
zwei und in den Gebirgen Abessiniens drei vorkommen.
Einer interessanten Thatsache sei noch gedacht. Ausser
einigen kleineren Papageien aus den Gattungen Loriculus
und Palaeornis findet sich ein ansehnlicher, auch von Pater
Davın entdeckter (Palaeornis derbyana) im Tibet unter
dem 32.'n. Br. Keine Papageienart geht in der Alten Welt
gleich weit nach Norden.
Die Kriechtiere und Lurche des himmlischen Reiches
sollen uns noch weniger eingehend beschäftigen als seine
Vögel.
Auch in ihrer Verbreitung wiederholt sich die schon
öfter hervorgehobene Thatsache, dass entlang der Süd- und
Ostküste zahlreiche indische Formen vorgedrungen sind; so
blinde Minirschlangen (Typhlyna), giftige grüne Baumottern
(Trimesurus), Angehörige einer Familie harmloser aber
bissiger Nattern, den Fangzähner (Lycodontidae) u. 8. w.
Ebenda findet sich die Pama (Bungarus fasciatus), eine
fürchterliche Giftschlange, die bis 1,75 m lang wird. Die
ebenso giftige Brillenschlange und eine Riesenschlangenart
(Python Schneideri) werden noch auf den Tschusan-Inseln
angetroffen, und eine auch auf Celebes und bei Cambodja
lebende Natterart (Xenopeltis unicolor) selbst noch bei
Peking. Im Norden, in Tibet, der Tatarei, Mongolei und
Mandsehurei ist die giftige Halysschlange (Ancistrodon halys)
keine Seltenheit und ebenso wenig unsere Kreuzotter, um
so seltener aber eine sehr giftige Baumotter.
Die Eidechsen Chinas sind wenig charakteristisch. Im
Süden finden sieh auch von ihnen indische Formen, farben-
prächtige, schmetterlingsähnliche Flugechsen oder Drachen,
Sehönechsen (Calotes) u.s. w. Auch das so ungemein weit,
von Beludschistan und Ceylon bis zu den Fidschi- und
Salomoninseln verbreitete Leistenkrokodil (Orocodilus bipor-
catus) wird in den südlichen Strömen angetroffen. Weit
interessanter aber ist die Thatsache, dass im unteren Lauf
des Yang-tse-kiang eine bis 2m lang werdende Alligator-
art (Alligator sinensis) lebt, also eine Vertreterin einer
[13] Die Tierwelt Chinas. 83
Gattung, deren übrige acht bis zehn Arten ausschliesslich
amerikanisch sind.
Die seltsame, ganz flache Grosskopfschildkröte (Platy-
sternum megacephalum) ist eine sehr charakteristische Be-
wohnerin der westlichen Teile der südchinesischen Provinzen
Kuang-tung und Kuang-si. Auch sonst finden sich im Süden,
wie zu erwarten, die zahlreichsten Schildkrötenarten, doch
fehlen sie auch im Norden nieht. So leben in den wenigen
Bächen der Mongolei Weichschildkröten (Trionyx), die fast
1 m lang werden, sehr wild und bissig und den Mongolen
ein Gegenstand des Aberglaubens und der Scheu sind.
Von niederen Wirbeltieren sind Lurche in den feuch-
teren Teilen des ungeheueren Reiches, wie überall, vor-
handen, dürften aber auf den gewaltigen Hochplateaus des
Innern fehlen. Im Tschusan-Archipel begegnen sieh unsere
Arten von Laub-, Gras- und Wasserfröschen neben indisch-
tropischen Formen (Polypedates u. a.).
Weit interessanter sind die, nur in Amerika den Wende-
kreis des -Krebses südwärts überschreitenden, geschwänzten
Lurche, die in den nördlichen Gegenden Chinas sehr gut
entwickelt sind. Neben den allgemein in der nördlichen
Alten Welt, auch in Deutschland vorkommenden Arten ge-
wöhnlicher Wassersalamander (Triton) finden sich auch
eigene, sehr charakteristische Formen (Ranodon und Tylo-
iriton). Wohl ins Auge zu fassen ist die Thatsache, dass
von den drei Arten der Salamandergattung Dermodactylus
(oder Hemidactylium) eine (Pinchonii) im nördlichen China,
die zweite in Südkalifornien und die dritte in den östlichen
Vereinigten Staaten von Nordamerika gefunden wird. Aus
der Gattung Riesensalamander — sie hat eine ganze Reihe
von Namen im Laufe der Zeit erhalten: Andrias, Orypto-
branchus, Megalobatrachus, Sieboldia, Tritomegas — war
seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine einzige,
von VON SIEBOLD auf Nipon entdeckte Art (maximus) be-
kannt, es gelang Pater Davıp eine zweite, sehr nahe mit
dieser verwandten (davidianus) in den Seen des Koko-nor
zu entdecken.
Sowohl die Küstengewässer wie die Flüsse und Seen
Chinas werden von zahlreichen Arten und Individuen der
6*
s4 Prof. Dr. W. MARSHALL, [14]
verschiedensten Fische bewohnt, und Fische bilden ein
Hauptnahrungsmittel der bezopften Kinder des Himmels.
Unser Raum verbietet es näher auf sie einzugehen, nur
Wichtigstes sei hervorgehoben.
Wie in alle mittelbar oder lber in den Atlan-
tischen und Stillen Ozean mündenden Ströme und Flüsse
der nördlichen Erdhälfte, steigen auch in die Chinas Stör-
arten (z. B. .Acipenser sinensis) hinauf um zu laichen, aber
wir finden gerade hier, wenigstens im Yang-tse-kiang Formen,
die dauernd im süssen Wasser leben und zwar Formen, deren
nächste Verwandte nordamerikanisch sind. Die merk-
würdige, durch die zu einer langen Schaufel umgestaltete
Obersehnauze so überaus charakteristische Familie der
Spatelstöre (Spatularüudae) umfasst nur eine Gattung (Spa-
tularia oder Polyodon), von dem die eine Art (gladius) den
Yang-tse-kiang, die andere (fokum) den Mississippi bewohnt.
Eine, auch durch eine, aber viel weniger stark verlängerte
Schnauze gekennzeichnete Gattung der Störe (Scaphorhyn-
chus) ist im Stromgebiet des Mississippi durch eine Art, in
den süssen Gewässern Zentralasiens aber dureh vier Arten
vertreten. Es verdient noch Erwähnung, dass der Yang-
tse-kiang der südlichste Strom der Erde ist, der Störformen
dauernd oder vorübergehend beherbergt.
Sehr charakteristisch für das nördliche und mittlere
China sind karpfenartige Fische und zwar echte Karpfen
(Cyprininae), Brachsen (Abramitinae) und Steinpeitzger und
Sehmerlen (Cobitinae), während Weissfische (Leueiseinae)
ebenso charakteristisch für Sibirien und das nördliche
Europa sind. Jene Unterfamilien der Karpfenfische sind
ohne Zweifel in Zentralasien entstanden und haben sich
von hier aus strahlig über die süssen Gewässer der Alten
und Neuen Welt und zwar besonders deren nördlicher
Hälfte verbreitet. Auch unter den karpfenartigen Fischen
stossen wir auf Gattungen, die nur in Nordamerika und
China bezw. in Zentralasien Vertreter haben (z. B. die
Gattung Catostomus). Sehr zahlreiche (18—20) spezifisch
chinesische Karpfengattungen umfassen nur wenige (1—4)
Arten. Unser gemeiner Karpfen stammt ursprünglich auch
aus dem Innern Chinas, wo er wirklich wild massenhaft
[15] Die Tierwelt Chinas. 85
vorkommt, während die unsere Gewässer bewohnenden bloss
verwildert sind. Auch der Goldfisch ist ein Produkt chine-
sischer künstlicher Züchtung, das »erst 1691 nach England
kam. Die wilde Stammform ist grausilberig wie unsere
Karausche, der sie überhaupt sehr nahe verwandt ist, daher
wäre der Name „Goldfisch“ und der lateinische Carassius
auratus eigentlich zu verwerfen, da er sich auf seine dege-
nerierte Kulturrasse bezieht, die freilich die abendländischen
Naturforscher zuerst kennen lernten. —
Hiermit wollen wir Abschied von den chinesischen
Wirbeltieren nehmen und uns der Fauna der Wirbellosen
des Reiches der Mitte zuwenden, auf die wir selbstver-
ständlich nur ganz kurze Streifblieke werfen können. Ueber
die faunistischen Verhältnisse des Südens und Ostens sind
wir in dieser Beziehung, wenn auch lange noch nicht gut,
so doch besser als über die des Westens, des Nordens und
namentlich des Zentrums unterrichtet. Hier kann von einer
auch nur etwas zusammenhängenden Kenntnis nicht die
Rede sein, nur fast verschwindend kleine Bruchstücke stehen
zu unserer Verfügung.
Zunächst wollen wir uns den Insekten und zwar den
Schmetterlingen widmen.
An Schmetterlingen ist China ungemein reich.
Praehtvolle Formen von Tagfaltern und Spinnern bewohnen
besonders den Süden. Eine Lokalität, an der die herrlichsten
„Ausgeburten des Liehts“, um mit Goethe zu reden, fliegen
sollen, ist halb sagenhaft. Etwa 14 Meilen von Kanton entfernt
liegt der Lofou-Berg, der 4—5000 Fuss hoch ist. Eigentlich
ist er ein aus mehreren Berghügeln, Thälern und Schluchten
bestehender, von zahlreichen Bächen durchströmter Gebirgs-
stoek, der eine Länge von drei und einen Umfang von 24
deutschen Meilen hat. „Die Schmetterlinge,“ schreibt der
Missionar Krone im Jahre 1864 in PETERMANNS Mitteilungen,
„sollen ausgezeichnet sein. Das Thal, wo sie besonders vor-
kommen, nennt man das Schmetterlingsthal. Eine Art soll
von sonst nie gesehener Grösse und wunderbarer Farben-
pracht sein und die Teisten (wohl eine buddhistische Sekte)
behaupten, dass dieselbe nur auf dem Lofou sich fände und
86 Prof. Dr. W. MARSHALL, [16]
aus den Kleidern des Kot-sin, eines teistischen Heiligen,
entstanden sei.“
Die Schmetterlingsfauna des Südens hat wie seine ganze
Insekten-, ja Tierwelt überhaupt, wie wir schon hervor-
gehoben, einen wesentlich indischen Charakter, aber echte
indische, unserem Schwalbensehwanz verwandte Falterformen
finden sich aueh im Osten bei Peking, ja bis in das Thal
des Amur, das eine merkwürdig gemischte Schmetterlings-
welt beherbergt. Von den 324 bekannten Arten sind 274
über Europa und das mittlere und nördliche Asien weit
verbreitet, 33 sind ausschliesslich hier zu Hause, der Rest
„ist tropisch-indisch. Es mag einen befremdenden Eindruck
auf einen Deutschen, der in seiner Jugend einmal Schmetter-
linge sammelte, machen, wenn er bei Peking 22 Arten ge-
meiner deutscher Tagfalter, darunter den Distelfalter, dieses
fast über die ganze Erde verbreitete Allerweltskind, den
Schwalbenschwanz, den Rübenweissling, den grossen Fuchs
herumfliegen sieht und dazwischen herrliche tropische
Formen, wie den Paris oder den Bianor, beide wie unser
Schwalbensehwanz und Segelfalter Angehörige der Familie
der Papilioniden. Abends könnten wohl auch, wenn unser
Deutscher im Garten sitzt, Landsleute wie der Weidenbohrer,
der mittlere Weinvogel, der Windig oder Bisamschwärmer,
der Goldafter und der Weidenspinner nach dem Lichte seiner
Lampe fliegen.
In dem nordwestlichen Hochlande Chinas und an den
Abhängen des nördlichen Himalayagebirges ist wohl die
Wiege zahlreicher Schmetterlingsgattungen, namentlich auch
der Apollofalter und der Kleevögelehen oder goldenen Achten
(Colias) zu suchen, von dem die ersteren die gemässigten
Gegenden, besonders die höheren Gebirge in Nordamerika,
Asien und Europa, hier bis zum 60.° n. Br. hinauf bewohnen.
Die Kleevögelehen haben sich weiter verbreitet. Das
Zentrum ihres Vorkommens liest im sibirischen und mon-
golisch-tibetanischen Mittelasien, von hier aus wanderten
die Falter nach allen Richtungen der Windrose, südlich bis
zu den Nilgerrhis in Vorderindien, durch Afrika bis zum
Kap, wo eine Art gefunden wird und westwärts in fünf
oder sechs Arten, von denen aber die meisten im östlichen
[17] Die Tierwelt Chinas. 87
Deutschland und in den Alpen ihre Westgrenze erreichen.
Früh auch haben sie sich nach dem Norden gewendet und
sie liefern den hauptsächlichsten Bestand oder den Stock
der hochnordischen Tagschmetterlingsfauna in der Alten
und Neuen Welt sowohl wie in Grönland. In Amerika sind
sie, den hohen Gebirgen folgend, in einer Art bis Port
Famine an der Magelhaös-Strasse vorgedrungen. Eine,
wahrscheinlich aus Südamerika rückwärts eingewanderte
und aberrant gewordene Form findet sich auf den Sand-
wiehinseln.
Bekanntlich ist China auch das Vaterland verschiedener
nützlicher Schmetterlinge, nämlich mehrerer Seidenspinner.
darunter des nützlichsten von allen, des gewöhnlichen
(Bombyz mori), der, in seinem Vaterlande seit Jahrtausenden
gezüchtet, so entartet ist, dass seine Stammart mit Sicherheit
‚nieht nachgewiesen werden kann. Aber wahrscheinlich ist
es Dombyx Huttoni, eine Form des südwestlichen Teils des
himmlischen Reiches.
Drei andere Arten von prächtiger Gestalt und schöner
Färbung gehören zur Gattung Saturnia. Es sind: der Ai-
lanthusspinner (Saturnia Oynthia), aus Südchina, 1856 vom
Pater ANNIBALE SAnTonI von Hang-Tung nach Paris ge-
bracht, der sehr nahe verwandte Rieinusspinner (Saturnia
Arindia), aus Tsino-kien in Nordehina von BARUFHI und
BoRGoNZI zuerst nach Italien eingeführt und der chinesische
Eichenspinner (Saturnia Pernyr), den Ende der 50er Jahre
der französische Abbe PAuL Perny aus der Provinz Kuy-
tschau nach Paris übersiedelte.
Die Käfer Chinas sind im Zusammenhange noch nicht
untersucht. Im Süden herrschen indische Formen, besonders.
schöne Prachtkäfer oder Buprestiden vor; in dem gebirgigen
Tibet sind die Laufkäfer gegenüber ihrer Häufigkeit und
Schönheit in Sibirien auffallend zurückgetreten, dagegen
sind Mai- und Rosenkäferformen (Rhomborhina, Macronota
u.8.w.), die dort nur gering entwickelt sind, auffallend
zahlreich. Von Gruppen, die auch in Deutschland in einigen
Arten eingewandert, sind Steppenformen des Zentrums her-
vorzuheben, bei deren Verbreitung ähnliche Erscheinungen
wie bei der der Kleevögelehen sich zeigen, nur sind sie
88 Prof. Dr. W. MARSHALL, [18]
noch nicht so weit vorgedrungen wie die leichtbeweglichen
Schmetterlinge. Namentlich ist hier wohl der Entstehungs-
herd eines eigentümlichen, an das Bodenleben angepassten
und demzufolge flugunfähig gewordenen Geschlechts der
Boekkäfer oder Cerambyeiden, der Gattung der Widderkäfer
(Dorcadion), zu suchen. Die Tiere finden sich innerhalb
eines Gürtels ungefähr zwischen dem 35. und 52.° n. Br.,
mit einer peripheren Art in den Nilgherri-Bergen in Vorder-
indien. Nach Deutschland sind nur zwei oder drei Arten
vorgedrungen, von der die am weitesten westlich vor-
kommende etwa bei einer von Bielefeld nach Blankenburg
am Harz gezogenen Linie ihre Grenze erreicht. In Süd-
europa jenseits der Alpen, besonders aber auf der Balkan-
insel und mehr noch in Spanien sind zahlreiche Arten vor-
handen. Auf der iberischen Halbinsel fand diese Gattung
Verhältnisse, namentlich in der Entwicklung der Hoch-
plateaus, die der der ursprünglichen Heimat höchst ähnlich
waren, und daher konnte sie sich besser als sonst wo im
Westen entwiekeln und in zahlreiche neue Arten spalten.
Was die übrige Insektenordnung angeht, so sei nur er-
wähnt, dass auch in China Heuschreeken nicht selten ver-
heerend auftreten und bei der stellenweise so bedeutenden
Diehtigkeit der Bevölkerung sehr gefährlich werden können.
Sehöne Cikaden finden sich im Süden, wo der schon länger
als zwei Jahrhunderte in Europa von Sammlern geschätzte
chinesische Laternenträger (Fulgora candellaria), eine mit
einem langen, schlankkegelförmigen Stirnfortsatz ausge-
zeiehnete Cikadenart von mennigeroter Körperfarbe mit
srünen, gelbgefleckten Vorder- und orangenen, mit einer
‚schwarzen Spitze versehenen Hinterflügeln sehr gemein ist.
So schön und stattlich dieses etwa 4 em lange und gegen
8 em klafternde Insekt auch ist, hat es sonst weiter keinen
Wert, wohl aber eine andere chinesische Cikadenart (Flata
limbata), die auf ihrer ganzen Körperoberfläche eine schnee-
weisse Wachsmasse in Gestalt diehtstehender, nach hinten
gerichteter Fäden ausschwitzt. Diese Substanz wird ge-
sammelt und bildet als Pa-la-tsehong oder weisses China-
wachs einen wertvollen Handelsartike. Als Chinawachs
schlechthin kommt ein anderer Stoff in den Handel, den
[19] Die Tierwelt Chinas. 8
die chinesische Esche (Fraxinus chinensis) zufolge der Stiche
einer Schildlaus (Ooccus ceriferus) absondert.
Von den sehr wenig gekannten Spinnentieren Chinas sei
der Skorpiongattung Centaurus gedacht, weil diese nicht
nur in Ostasien, sondern auch im nördlichen Amerika, sonst
aber nirgends Vertreter hat.
Von der Naturgeschichte der übrigen Gliederfüsser Chinas
wissen wir noch weniger als von der seiner Insekten und
Spinnen. Dass die Küste besonders im Süden und Süd-
osten zahlreiche Formen langsehwänziger Krebse und kurz-
schwänziger Krabben beherbergen wird, ist bei den dortigen
klimatischen Verhältnissen wenig befremdlich. Auch Süss-
wasserkrabben bewohnen den Yang-tse-kiang und die kleinen
Flüsse des Südens. Im Norden, im rechten Teil des Fluss-
sebietes des Amurs, finden sich mindestens zwei Arten echter
Süsswasserkrebse (Astacus Schranki und dauwricus), die von
unseren Flusskrebsen nicht sehr wesentlich unterschieden sind.
Die Weichtierfauna des Innern des Reiches der Mitte
ist noch wenig gekannt. Für die der Küsten gilt das eben
für die Krebsfauna gesagte gleichfalls. Die des Südens
gliedert sich unmittelbar an die indische an und ist reich an
grossen und schönen Formen. Dass bei der diehtgedrängten
Bevölkerung die Meereskonchylien wichtige Nahrungsmittel
abgeben, liest auf der Hand. Auch grosse Seeschnecken,
die sonst nicht gerade gern gegessen werden, finden hier
ihr Liebhaber; so sah von MARTENS eine riesige Spindel-
schnecke (Hemifusus colosseus) auf dem Markte von Hongkong.
In ganz China werden auch ausser Muscheln des Meeres
solehe des braekischen und süssen Wassers von der ärmeren
Bevölkerung in Mengen gegessen. Im Innern hauptsächlich
eine massenhaft vorkommende Schwanenmuschel (Anodonta
agricolarum), die Schwanenmuschel der Landleute oder des
armen Mannes. In Shang-hai werden hauptsächlich zwei
Braekwassermuscheln (Novaculina constriecta und Oyclina
sinensis) in Massen auf den Markt gebracht.
Die erstere wird künstlich gezüchtet, indem man ihre,
erst ein paar Millimeter grosse Brut in Menge sammelt und
an geschützten Stellen, wo die Strömung sie nicht weg-
spülen kann, „aussäet“. Hier überlässt man die Muscheln
90 Prof. Dr. W. MARSHALL, [20]
3 Jahre lang ruhig sich selber, bis sie 8 em lang und damit
marktfähig geworden sind. Die Tiere vergraben sich 30 bis
40 em tief in den Schlamm, und auf den wattenartigen
Strandbildungen des z. T. braekischen Nimrodsunds bei
Ning-po fahren die Fischer bei der Ebbe, wie auf unseren
nordwestlichen Watten die sog. Buttjer, auf Schlitten über
den Schlamm um die Muscheln zu stechen, die ihre Gegen-
wart dadurch verraten, dass sie ab und zu einen kleinen
Wasserstrahl über das Niveau des Schlammes hervorspritzen.
An derselben Lokalität wird auch seit unvordenklichen
Zeiten die künstliche Austernzucht getrieben, und die Austern-
bänke des Nimrodsundes sind berühmt bei allen Fein-
schmeckern des ganzen Reiches. Ein weniger leckeres
Gericht mag eine grosse Auster (Ostrea gigas) in Norden
abgeben, deren aus der Schale genommenen Weichteile mit
einer Salzbrühe zusammengeschüttet in den Küstenstädten
allenthalben feil geboten werden. Die Schalen werden
eigens gesammelt und zum Kalkbrennen verkauft, denn der
sparsame und spekulative Chinese lässt so leicht nicht etwas
umkommen.
Die Schalen der Kuchenmuschel (Placuna placenta)
werden zur Herstellung von Fensterscheiben benutzt. Sie
sind sehr flach, fast kreisrund und durchscheinend. Da sie
einen Durchmesser von nur 6 bis 8 cm haben und vor der
Fassung viereckig geschnitten werden, so kann man denken,
wie viele solcher Schalen nötig sind um auch ein bloss
mässig grosses Wohnhaus mit Scheiben zu versehen.
Bekanntlich wissen die Chinesen und Japaner aus
Muschelschalen alles mögliche herzustellen und die aus ein-
gefassten Seeohren (Haliotis) von ihnen gefertigten Nadel-
schälchen sind auch bei uns für ein Weniges zu haben.
Den originellsten Gebrauch machen sie aber von den Schalen
einer niedliehen Venusmuschel (Oytherea nisoria). Hierüber
bemerkt von MARTENS: „Die Innenseiten derselben (der
Schalen) wird willkürlich bemalt und zwar die zwei zu-
sammengehörigen Schalenhälften desselben Individuums in
ähnlicher Weise, dann werden die halben Schalen einer
srösseren Anzahl unter einander gemischt, und die Spieler
müssen die zusammengehörigen Paare zusammen finden; wer
[21] Die Tierwelt Chinas. 91
zuerst eine vorher bestimmte Anzahl Paare beisammen hat
oder wer am Ende die meisten Paare hat, ist Gewinner.
Es ist also ein Wettkampf in rascher Uebersicht und Augen-
mass.“
In den Flüssen des nördlichen Chinas kommt eine riesen-
hafte, bis 27 cm lange und 14 em hohe Schwanenmuschel
(Oristaria plicata) vor, die grösste Süsswassermuschel, die es
überhaupt giebt. Sie liefert Perlen und etwa seit der Mitte
des 15. Jahrhunderts werden bei Hutscheu-fu kleine aus
Perlmutter geschnitzte Kügelehen und flache Buddhabildchen
aus Zinn zwischen die Schale und den Mantel (eine diese
und auch die Perlen bildende, das Muscheltier umhüllende
Haut) geschoben. Nach 10 Monaten bis 3 Jahren werden
die so behandelten Muscheln wieder aufgefischt und die ein-
gelegten Fremdkörper sind dann vom Mantel her mit einer
festen Perlmutterschicht überzogen und an der Innenseite
der Schale angekittet, wobei die Figürchen in allen Teilen
noch deutlich erkennbar sind.
Buddhapriester sollen diese Kunst ausüben und die
Sehalen mit den Götzenbildehen um schweres Geld an die
Gläubigen verkaufen, wahrscheinlich mit den Hinweis:
Ein tiefer Bliek in die Natur!
Hier ist ein Wunder, glaubet nur.
Die Molluskenfauna ist in den südlichen Teilen rein
indisch, enthält aber im Norden viel Elemente, die für
die Länder um das östliche Mittelmeer herum hoch
charakteristisch sind, namentlich Schliessmundschnecken oder
Clausilien. Doch gehen tropische Formen bis Nordehina
hinauf, besonders aus der unseren kleinen Glasschnecken
(Vitrina) verwandten, grosse Arten umfassenden Gattung
Nanina.
Süsswasserschnecken sind sehr zahlreich an Arten, vor-
züglieh aus Gattungen, die in Europa gar nicht, oder nur
sehr spärlich im Süden vertreten sind (Ampullaria, Melania).
Eine Gattung (Potamidas), die eine Süsswasserform der
sonst das Meer bewohnenden Hornsehnecken (Oerithiidae) ent-
hält, findet sich zahlreich in den grossen Strömen vertreten,
92 Prof. Dr. W. MARSHALL, [22]
Auch in den Reisfeldern, die den grössten Teil des Jahres
: etwas unter Wasser stehen, finden sich zahlreiche Süss-
wasserschneeken.
Die übrigen wirbellosen Tiere des himmlischen Reiches
sind noch weniger erforscht, nur wissen wir, dass die Menschen
und Haustiere von äusserlichen und innerlichen Schmarotzern
nieht wenig zu leiden haben. Das ist immer so, wo es sich
um alte Kulturländer handelt, die meist dicht bevölkert
waren, oder es noch sind, wie Aegypten, Indien, Japan.
Hier wird Reinlichkeit zum Luxus, den sich nur die besser
Situierten- gestatten, und die ärmere Bevölkerung muss hier
allerlei in den Mund stecken, was die eines weniger stark
bewohnten Landes mit Widerwillen zurück weist.
Zwei Doppellöcher oder Egelwürmer sind als spezifisch
ehinesisch und japanisch bekannt. Das eine (Distomum
Rathouisi), von 25 mm Länge und 16 mm Breite ging unter -
europäischer ärztlicher Behandlung einer Chinesin, die über
heftige Leberschmerzen klagte, ab. Eine andere 10 bis
13 mm lange, ziemlich schlanke Art (Distomum spathulatum)
fand sich auch bei einem Chinesen in den Lebergängen.
In Japan ist der letztere Parasit so häufig, dass in gewissen
Distrikten 20 Prozent der Bevölkerung damit behaftet ist.
Möglicherweise gelangen die Larven mit roh oder als Salat
verzehrten und mit Kanalwasser mangelhaft gereinigten
Gemüsen in den Menschen, indem sie entweder unmittelbar
oder mit einem Zwischenwirte, einer kleinen Schneckenart
etwa, mittelbar verzehrt werden.
Es ist nicht unmöglich, dass wir, wenn erst einmal die
unsichtbare Mauer, mit der ganz China und ein jeder einzelne
Chinese, sehr zum Unterschiede von den Japanern, sich um-
giebt, gefallen ist, noch verschiedene neue Parasiten des
Menschen und, wie wir hoffen wollen, auch sonst noch zahl-
reiche und merkwürdige, höhere und niedere Wesen kennen
lernen werden, die vielleicht ein neues Licht auf zur Zeit
noch dunkele tiergeographische Fragen werfen werden.
[23] Die Tierwelt Chinas. 93
Wenn wir zum Sehlusse die Fauna und die tier-
geographischen Verhältnisse Chinas kurz und allgemein zu-
sammenfassend betrachten, so drängt sich uns bald die
Ueberzeugung auf, dass die Berglande seines Westens und
Nordwestens, wie die Zentralasiens überhaupt, für eine grosse
Anzahl von Tierformen des Landes und des süssen Wassers
aus allen Klassen und Ordnungen die Entstehungsherde ge-
wesen sind. Von hier aus dehnten sich ihre Nachkommen,
teils in derselben Gestalt wie die Vorfahren, teils in sich
immer mehr modifizierender je weiter sie sich von ihren
„Schöpfungszentrum“ entfernten, nach allen Seiten hin aus,
aber in sehr verschiedenem Grade.
Die grössere Gleichartigkeit der klimatischen Bedingungen
machten die west- und ostwärts gelegenen Gebiete leichter
zugänglich als die nördlichen und südlichen. Besonders der
Westen wurde reichlich besiedelt, und es ist in der That
so, wie der vortreffliche russische Forscher SEWERZOW
sagt: die mitteleuropäische Fauna ist im wesentlichen nichts
anderes als eine verarmte, zentralasiatische. Von einer
Mischung zentralasiatischer und mitteleuropäischer Elemente
im Westen kann keine Rede sein, da es letztere als ur-
sprüngliehe ja eigentlich gar nieht giebt. Es ist auch noch
sehr die Frage. ob die südeuropäisch-nordafrikanischen Formen,
die sich dort gleichfalls finden, nicht auch eigentlich aus
Zentralasien stammen. Es beweist nichts, dass sie jetzt
hier weniger zahlreich sind, als in den Ländern um die
westlichen Teile des Mittelmeeres herum, wo sie als einge-
wanderte Steppen- und Wüstentiere günstigste Verhältnisse
für eine weitere Entwicklung und für eine weitere, artliche
Differenzierung fanden.
Sehr eigentümlich sind die Verhältnisse in der chine-
sischen, tiergeographischen Ostprovinz, da hier zu den ur-
sprünglich zentralasiatischen Elementen eine sehr starke
Beimischung indischer kam, die die Südprovinz fast ganz
beherrschen. Es lässt sich oft beobachten, dass Tierformen
sich entlang der Meeresküsten weiter nord-, süd-, ost- und
westwärts, je nachdem verbreiten, als im Inneren eines
Landes, auch im westlichen Mittel-, ja, selbst Nordeuropa
treten afrikanische mediterrane Formen auf. Die Felstaube
94 Prof. Dr. W. MARSHALL, [24]
(Columba livia) findet sich als Brutvogel bis Norwegen und
den Loffoten, der gemeine Pirol (Oriolus galbula) bietet in
Westeuropa eine analoge Erscheinung wie der indische in
Ostasien und der Provenzesänger (Sylria provencalis) findet
sich entlang der Gestade des Atlantischen Ozeans bis nach
Südengland. Die gesprenkelte Schnirkelschnecke (Helix
adspersa), ein echt mediterranes Tier, geht im Westen unseres
Kontinents bis Holland, Geomalacus maculatus, eine schöne,
interessante Naektschnecke des südwestlichen Europas, bis
Irland. Aehnliehe Thatsachen sind von Insekten, besonders
von Käfern und nicht etwa bloss von salzliebenden Formen
bekannt.
Der Grund der Erscheinung liegst darin, dass einmal
der Weg entlang der Küste bequem zu sein pflegt, und
zweitens darin, dass in der Regel in der Nähe des Meeres
das Klima weit milder ist, und namentlich die Winter nicht
so kalt werden, wie unter den gleichen Breitengraden tiefer
im Innern des Kontinentes. Das gilt sowohl für die At-
lantische wie für die Pacifische Küste der nördlichen Hälfte
der Alten Welt.
Die interessanteste Thatsache hinsichtlich der Fauna
des gemässigten Asiens liegt aber in der Uebereinstimmung
des Vorkommens von Arten derselben Tierfamilien und
-gattungen nur hier und in Nordamerika. Diese Familien
und Gattungen können einmal sehr weit oder kosmopolitisch
verbreitete, wahrscheinlich uralte sein, deren Entstehungs-
herd mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht mehr nachweisbar
ist; dann solche, die in Zentralasien ihren wahrscheinlichen
Ursprung hatten und sich konzentrisch oder radiär aus-
breiteten, und endlich solehe, die nur in Ostasien und in
Nordamerika Vertreter haben. Die ersten kommen hier
nicht in Betracht. Zu den zweiten gehören von Säuge-
tieren: die spitzmaus- und die maulwurfsartigen Insekten-
fresser, die Schafe, die Wühlmäuse (Arvicola) und die
Pfeifhasen (Lagomyidae). Von Vögeln dürften hierher ge-
hören: die echten Steinschmätzer (Sazxicola), die Wasser-
amseln (Oinchus), vielleicht die Zaunkönige (Troglodytes),
die Baumläuferehen (Certhia), die Spechtmeisen (Stitta), die
echten Würger (Lanius) und die Lerchengattung Otocorys.
[25] Die Tierwelt Chinas. 35
Von Lurchen, die in der nördlichen Alten und Neuen Welt
als Arten gleicher Gattungen vorkommen und ihren Ur-
sprung wahrscheinlich in Zentralasien hatten, dürften viel-
leicht die echten Molehe (Triton) in Betracht kommen. Die
auch in Nord- aber nieht in Südamerika vertretenen Karpfen
(Oyprinidae) sind wohl die einzige Familie von Süsswasser-
fisehen, die man zu den in Zentralasien entstandenen, von
hier aus allseitig sich verbreitet habenden und auch in
Nordamerika eingewanderten Tieren mit einiger Sicherheit
rechnen kann. Von Insekten will ich bloss der Gattungen
der Klee- (Colias) und der Apollofalter (Doritis oder Par-
nassius) als ursprünglieher, nach Nordamerika vorgedrungener
Kinder Zentralasiens gedenken.
Am bemerkenswertesten sind aber die Tiergattungen,
die nur im mittleren östlichen und zentralen Asien und im
Norden der Neuen Welt vorkommen, besonders aber die
störartigen (Scaphorhynchus und Spatularıa) und karpfen-
artigen (Catostomus und Sclerognathus) Süsswasserfische,
denn für echte Süsswasserfische, d. h. für solehe, die zu
im Meere nicht vertretenen Familien oder alten, hoch-
originellen Gattungen gehören, bildet das Salzwasser ein
unüberwindbares Hindernis der Verbreitung.
Die Thatsachen, die in dem Vorhergehenden mitgeteilt
wurden, machen es höchst wahrscheinlich, ja, wir dürfen
wohl sagen, beweisen, dass ein Zusammenhang der Alten
und der Neuen Welt und zwar oben im Norden vor, geo-
logisch gesprochen, noch gar nicht so lang entlegener Zeit
stattgefunden haben muss, sonst ist es eine Unmöglichkeit,
dass Gattungen und selbst Arten von echten Süsswasser-
fischen (wie z. B. auch der gemeine Hecht) in beiden Ge-
bieten vorkommen. Bemerkenswert ist noch das, dass jene
gemeinsamen Formen in den weitaus meisten Fällen in der
Neuen Welt sieh nieht an der viel näher gelegenen West-,
sondern an der Ostseite des Felsengebirges finden. Der
Zusammenhang der nordöstlichsten Teile Asiens und der
nordwestliehsten Amerikas fand im höheren Norden statt,
vielleicht mit einer breiten Landbrücke zwischen dem 60.
und 70.°n. Br. und zu einer Zeit als das Felsengebirge und
die Westküste Nordamerikas sich noch nicht gehoben hatten.
96 Prof. Dr. W. Marsnarı, Die Tierwelt Chinas. [26]
Auf das Vorkommen eines Alligators im Yang-tse-kiang
möchte ieh nieht all zu viel Gewicht legen, denn wir wissen,
dass in Südengland Reste von Krokodilen, Alligatoren und
Gavialen im unteren Tertiär (Eoeän) nebeneinander gefunden
werden.
Die Gegenwart mancher gleicher Tiergestalten im nörd-
lichen Amerika, Europa und Asien südlich bis nach Nord-
china hinein, wie die des Elchs, des Luchses, der Lemminge,
der laehsartigen Fische u. s. w. darf nicht so ohne Weiteres
aus den nämlichen Ursachen, wie die ähnlichen oder gleichen
Formen in Ost- und Zentralasien und Nordamerika erklärt
werden. Jene Tiere sind altarktische, eireumpolar verbreitete
und sind Bestandteile einer eigenen Fauna, die weiter süd-
wärts vorgedrungen sind als andere.
Blütenbiologische Schemabilder.
Ein Beitrag zur Methodik des naturkundlichen Unterrichtes
von
Dr. Walther Schoenichen, Halle a. d. S.
Mit 12 Figuren im Text.
Anschaulichkeit ist eine der ersten Forderungen, die
man an jede Unterrichtsmethode stellen muss. Namentlich
gilt dies für den naturkundlichen Unterricht, der ja vor
allem dazu berufen ist, Anschaulichkeit zu wahren und An-
schauungskunst bei der Jugend heranzubilden. Und in der
That sind die meisten Schulen wohl auch mit einem grösseren
oder kleineren Vorrate von Ansehauungsmitteln ausgestattet;
es fragt sich nur, ob diese Mittel immer zweckentsprechend
sewählt sind. Unentbehrlich sind natürlich alle Ansehauungs-
materialien aus der Natur, wie frische Pflanzen, konservierte
Tiere, Skelette u. s. w. Weniger unentbehrlich dagegen sind
vielleieht manche der üblichen Tafelabbildungen. Ganz ab-
gesehen davon, dass sie meistens längst nicht gross genug
sind, um bis in alle Einzelheiten auch aus grösserer Ent-
fernung studiert werden zu können,!) sind sie vor allem
deswegen nicht immer von grossem Nutzen, weil die Schüler
namentlich in niederen Klassen noch gar nicht richtig sehen
gelernt haben. Trotz der ausführlichen Erklärungen, die
der Lehrer bei der Vorstellung einer Abbildung den Schülern
zu teil werden lässt, wird oft genug manche wichtige Einzel-
heit von einer Reihe von Schülern übersehen werden.
1) Die vortrefflichen zoologischen Wandtafeln von Leuckart und
Chun machen hiervon meistens eine rühmliche Ausnahme.
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 7
98 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [2]
Ganz anders liegen diese Verhältnisse, wenn der Lehrer
selbst in riesenhafter Vergrösserung Skizzen der zu be-
trachtenden Naturobjekte an die Tafel entwirft. Hier sieht
der Schüler jede Linie vor seinen Augen entstehen, und
er wird nicht umhin können, von jedem einzelnen Striche
besonders Notiz zu nehmen, um so weniger, als er gewöhn-
lieh wohl veranlasst wird, das vom Lehrer an die Tafel
skizzierte Bild schliesslich in das Diarium oder in ein be-
sonderes Naturkundeheft abzuzeichnen. Der pädagogische
Nutzwert solcher gleichsam in „statu nascendi“ vorgeführten
Bilder wird stets grösser sein als der von fertigen Tafel-
abbildungen. Allein nicht jeder Lehrer besitzt das nötige
Geschick, um alle Naturobjekte in von ihm selbst kon-
struierten, klaren schematischen Zeichnungen wiedergeben
zu können. Um so mehr ist es erfreulich, dass es bereits
einige Werkchen giebt, die entsprechende Vorlagen enthalten.
Wir nennen hier die zoologischen Zeichentafeln von VoGEL
und ÖOHMANN, sowie die von W. A. Lay herausgegebenen
schematischen Zeichnungen zur Tier-, Menschen-, Pflanzen-
und Mineralienkunde.
Freilich kann man auch mit diesen Vorlagen nicht
immer ganz einverstanden sein. Hingewiesen sei hier nur
auf eine Unsitte, die uns auch in fast allen Schullehrbüchern
begegnet. Legt man durch eine radialsymmetrische Blüte
einen Symmetrieschnitt, so wird dieser einerseits nur ein
Kelehblatt, andererseits nur ein Blumenblatt treffen können.
Statt dessen zeigen die üblichen Schemabilder jederseits
sowohl ein Keleh- als auch ein Blumenblatt. Da nun der
Schüler oft genug genötigt wird, in der Schule derartige
Symmetrieschnitte auszuführen, so muss ihm der Wider-
spruch zwischen Zeichnung und Naturbild offenbar werden.
Nach meinem Gefühle verführe man wohl richtiger, wenn
man dem nach der Natur entworfenen Bilde überall den
Vorzug gäbe. Aber wenn man auch von diesen Kleinig-
keiten absieht, so genügen die üblichen Schemazeichnungen
den Anforderungen des modernen Naturkunde-Unterrichtes
dennoch nicht in vollem Umfange, und zwar in erster Linie
aus dem Grunde, weil sie fast durchgehend nur die morpho-
logischen Verhältnisse der Pflanzen darstellen. Der moderne
[3] Blütenbiologische Schemabilder. 99
Naturkunde-Unterrieht will sich aber auf diese eine Seite
der Pflanzenkunde nicht beschränken, sondern will möglichst
viel Biologisches bieten, wie es in dem vortrefflichen Lehr-
buche der Zoologie von SCHMEIL und in dem reizenden
Werkchen „Pflanzen der Heimat“ von demselben Verfasser
mit unübertroffenem Geschick durchgeführt ist.) Damit
soll nimmermehr gesagt sein, dass jetzt in der Naturge-
schichte auf die Kenntnis von dem morphologischen Bau
eines Naturobjektes kein Wert mehr zu legen sei. Im
Gegenteil: ein Naturobjekt biologisch betrachten heisst doch
nichts anderes, als den Zweck, die Funktion seiner Organe
und Glieder kennen lernen. Wer aber wissen will, wie
ein Mechanismus funktioniert, der muss zunächst über dessen
Aufbau völlige Klarheit besitzen. Deswegen wird ja auch
im physikalischen Unterrichte jeder Apparat erst genau nach
allen seinen Teilen beschrieben, ehe er dem Schüler in
Thätigkeit gezeigt wird. Aus ganz demselben Grunde kann
auch der moderne Naturkunde-Unterricht der bislang üblichen
Anschauungsmaterialien, die in erster Linie die Morphologie
der Naturobjekte darstellen, nieht völlig entbehren; allein
er bedarf für seine Zwecke noch besonderer Anschauungs-
mittel. Der Schüler soll auch über die biologischen Ver-
hältnisse der Geschöpfe belehrt werden, und es muss auch
für diesen Zweck Anschauungsmaterial geschaffen werden.
Die folgenden Schemabilder sind aus diesem Gedanken-
gange herausgewachsen. Sie sind bestimmt, dem Lehrer
einige Zeichnungen zu bieten, die er während des Unter-
richtes möglichst gross an die Wandtafel entwerfen kann.
Bei der einfarbigen Darstellung, in der hier die Zeich-
nungen erscheinen, wird man vielleicht nicht umhin können,
einige davon als zu unklar und verworren zu bezeichnen.
Dies liess sich in der That nicht vermeiden, denn die
Mittel, die bei diesen Vorlagen zur Unterscheidung der
einzelnen Blütenteile angewendet werden konnten, bestehen
in Schraffierung und in grösserer oder geringerer Dieke der
Linien. An der Tafel aber soll mit farbiger Kreide ge-
zeichnet werden, und dass hierbei recht klare und über-
1) Cfr. Dr. O0. Schmeil, Ueber die Reformbestrebungen auf dem
Gebiete des naturgeschichtlichen Unterrichts. 4. Aufl. Stuttgart 1900.
7*
100 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [4]
siehtliche Bilder resultieren, habe ich in der Praxis häufig
genug feststellen können.
Was nun den Inhalt der folgenden Zeiehnungen angeht,
so fallen sie sämtlich unter das Kapitel der Blütenbestäubung.
Ueberall sind in den Blüten die Insekten in dem Augenblicke
gezeichnet, in dem sie entweder mit Blütenstaub beladen
werden, oder den mitgebrachten Blütenstaub an der Narbe
abstreifen. Ich. glaube, dass solche Zeichnungen zunächst
geeignet sind, den Begriff der Insektenbestäubung bei dem
Schüler recht konkret werden zu lassen. Wenn er immer
und immer wieder Insekt und Blüte beisammen sieht, so
wird es ihm schliesslich ganz und gar ins Gefühl übergehen,
was Goethe mit den Worten ausgedrückt hat:
„Ein Blumenglöckchen
Vom Boden hervor
War früh gesprosset
Im lieblichen Flor;
Da kam ein Bienchen
Und naschte fein: —
Die müssen wohl beide
Für einander sein.“
Daneben wird durch manche der Abbildungen auch der
Begriff der zeitlichen Trennung der Befruchtungsorgane, im
besonderen der Begriff der Vormännlichkeit (Fig. 2, 3, 4,
10, 11) dem Schüler veranschaulicht.
Als Vorlagen haben mir bei diesen Schemabildern hin
und wieder die Illustrationen aus KERNER voN MARILAUN’S
Pflanzenleben gedient, so bei Nr. 4 und 8. Von einer künst-
lerischen Vollendung der Zeichnungen musste schon deshalb
abgesehen werden, weil dadurch ihr Wert als leicht kopier-
barer Schemata allzu sehr beeinträchtigt worden wäre.
Ueberhaupt soll diese Publikation in erster Linie für die-
jenigen Kollegen, die über mehr pädagogisches und manuelles
Geschick verfügen als ich, eine Anregung bieten, zur
Schöpfung eines dem modernen Naturkunde-Unterrichte an-
gepassten Anschauungsmateriales. |
[5] Blütenbiologische Schemabilder. 101
1. Die deutsche Schwertlilie (Zris germanica).
1 le
Die Anloekung der Insekten wird dureh Farbe und
Duft der grossen Blüten bewirkt. Als Landungsplatz (?)
wählen die Insekten eins der herabhängenden Blütenblätter.
Der Weg zum Honig (h) führt durch einen Tunnel, dessen
Decke von einem Narbenzipfel (rn), dessen Boden von dem
zur Landung benutzten Blütenblatte gebildet wird. Als
Wegweiser zum Honig dienen die weissen Streifen (s,) auf
den herabhängenden Blütenblättern und der Bart von gelben
Haaren (s,) am Eingange des Tunnels. Die Aufladung
des Pollens erfolgt im Tunnel, an dessen Deeke sich ein
seinen Staub nach unten entleerendes Staubgefäss befindet.
Die Vermeidung der Selbstbefruehtung besorgt ein
kleiner Saum (a), der hinter der belegungsfähigen Stelle der
Narbe so befestigt ist, dass er nur dem einkehrenden Insekt
die Abladung des Pollens gestattet.
[Die Zeiehnung stellt die von einem Symmetrieschnitt
getroffenen Blütenteile dar. 5! — Blumenblatt, f = Samen-
anlagen, d = Hüllblätter des Fruchtknotens.]
102 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [6]
2. Der Eisenhut (Aconitum Napellus).
Par
A. Fig. 2. B.
Der Anlockung der Insekten dienstbar ist der Kelch (),
dessen oberstes, helmförmiges Blatt das Innere der Blüte
vor Benetzung schützt. Zu Honigbehältern (h) sind die
beiden oberen Blütenblätter (bl) umgewandelt; die drei
übrigen Blütenblätter (52) sind verkümmert. Das landende
Insekt stellt sich breitbeinig über die Befruchtungsorgane.
In jungen Blüten (Fig. A) ist dabei die Aufladung des
Pollens an die Bauchseite des Insektes unvermeidlich, in
älteren (Fig. B) die Abladung des Pollens an die Narben.
Die Blüten sind also vormännlich.
Eine Blüte A erschliesse sich am 10., eine Blüte B am
12. Juli; nur etwa am 12. Juli, wo in beiden Blüten ent-
gegengesetzte Geschleehtsorgane reif sind, ist eine Pollen-
übertragung im Sinne des Pfeiles möglich. Siehe folgendes
Schema:
Datum I 10. Juli | 12. Juli | 14. Juli
Blüte A (6) Q =
t
Blüte B — (6) 2
[7] Blütenbiologische Schemabilder. 103
3. Der hohe Rittersporn (Delphinium elatum).
j‘
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7 TINR
FERN
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AL
1. Die Anloekung der Insekten ist den fünf lebhaft
blau gefärbten Kelchblättern (%) übertragen. Weithin auf-
fällig werden die Blüten durch ihre Häufung.
2. Als Landungsplatz benutzt das Insekt die unteren
Blütenblätter (bl), auf die es seine Vorderbeine stellt, während
die hinteren Beinpaare auf den unteren Kelehblättern ruhen.
3. Der Honig (h) befindet sich in den sporenförmigen
Fortsätzen der beiden oberen Blütenblätter, die — wie zwei
kleine Düten von einer grösseren — von dem Sporn des
obersten Kelchblattes umschlossen sind.
4. Die Aufladung des Pollens (Fig. A) erfolgt auf
jungen Blüten. In ihnen stellen die reifen Staubgefässe (m)
104 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [8]
ihre Beutel so vor den Eingang der Honigsporen, dass die
Unterseite der Brust des naschenden Insektes unvermeidlich
mit Pollen eingepudert wird. Die noch unreifen Staub-
sefässe, sowie die noch wenig entwickelten Stempel (w)
sind auf diesem Stadium durch das breitere Vorderende der
unteren Blütenblätter vor jeder Berührung geschützt.
5. Die Abladung des Pollens (Fig. B) auf die Narben
erfolgt bei älteren Blüten. In ihnen sind die Staubgefässe
gewelkt; die Stempel dagegen sind gewachsen und stellen
ihre belegungsfähigen Narben vor die Oeffnung der Honig-
sporen, so dass ein mit Pollen beladenes Insekt beim Blüten-
besuche unvermeidlich die Bestäubung ausführen muss.
Die Trennung der Geschlechter ist beim Rittersporn
zeitlich; insbesondere sind seine Blüten vormännlich.
4. Die Trollblume (Trollius europaeus).
Zur Anlocekung der Bestäuber dienen neben dem
aurikelartigen Dufte die gelben Kelehblätter (%), die infolge
des feuchten Standortes der Pflanze niemals sich zurück-
biegen, sondern stets den Pollen mit einer schützenden
Kuppel überdachen.
Der Honig befindet sich in den zu spatelförmigen
Nektarien umgewandelten Blütenblättern (bl).
Im ersten Stadium der Blüte (Fig. I) sind die Staub-
gefässe (m) noch sämtlich geschlossen. Die Stempel (w)
sind unentwickelt. Fig. II zeigt die äusserste Reihe der
Staubgefässe gereift: sie haben ihre Staubbeutel so über
die Nektarien gestellt, dass ein Insekt, das durch gewalt-
sames Auseinanderbiegen der Kelchblätter sich den Eingang
ins Blüteninnere gebahnt hat, an seinem Rüssel mit Staub
beladen werden muss. In Fig. III ist die äusserste Reihe
der Staubgefässe gewelkt; die zweite Reihe ist an ihren Platz
getreten. Fig. IV zeigt die drei äussersten Staubgefäss-
reihen gewelkt; nur noch die innerste Reihe bietet ihren
Pollen aus.
[9] Blütenbiologische Schemabilder. 105
Endlich (Fig. V) nach Abwelkung aller Staubgefässe
wachsen die Stempel (w) und stellen ihre belegungsfähigen
Narben über die Nektarien an jene Stelle, die vorher die
III.
Fig. 4.
Staubbeutel inne hatten. Streekt jetzt ein Insekt seinen
mit dem Pollen einer benachbarten Trolhius-Blüte beladenen
Rüssel nach dem Nektarium, so ist eine Bestäubung unver-
‚meidlich.
106 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [10]
5. Die Akelei (Aqwilegia vulgaris).
Fig. 5.
Zur Anloekung der Hummeln dienen in erster Linie die
fünf grossen, blattartigen Kelchblätter (A). Als Landungs-
platz dient die von Staubgefässen und Stempeln gebildete
Säule, die aus der Mitte der Blüte nach unten herabhängt.
In hohem Masse auffällig wird der Landungsplatz durch
seine gelbe, dem Blau der Blütenhülle entgegengesetzte
Färbung. Der Honig (h) befindet sich in den dütenförmigen
Blütenblättern (bl), die also in erster Linie als Honigbehälter
und erst in zweiter Linie als Lockapparate dienen. Wenn
die Hummel mit ihren Beinen die Säule der Staubgefässe
umklammert, ist es unvermeidlich, dass ihr Bauch mit
Pollen beladen wird. Abgeladen wird dieser Pollen
sehr leicht an den Narben einer Blüte, deren Stempel die
völlige Reife erlangt haben.
[Besser ist es, wenn in der Zeichnung das vordere Bein-
paar des Bestäubers im Inneren des dütenförmigen Blüten-
blattes ruht.]
[11] Blütenbiologische Schemabilder. 107
6. Der Erdrauch (Fumaria offieinalis).
Fig. 6.
1. Zur Anloekung dienen die vier rot gefärbten
Blumenblätter (bl). Was den Blüten an Grösse abgeht, das
ersetzen sie durch ihre Anzahl.
2. Als Landungsplatz (l) dienen die beiden seitlichen
Blumenblätter, die wie zwei hohle Hände gegeneinander
gelest die Befruchtungsorgane einschliessen. Um das Landen
recht bequem zu machen, ist senkrecht zur Fläche dieser
Blumenblätter jederseits eine Lamelle (») angebracht, worauf
die Insekten ihre Beine wie auf ein Pedal oder ein Tritt-
brett setzen können.
3. Der Honig (h) lagert in der spornartigen Erweiterung
(sp) des oberen Blütenblattes, dessen krempenartiges Vorder-
ende ein treffliches Schutzdach für die Befruchtungsorgane
bildet.
4. Durch das Gewicht des Blumengastes werden die
seitlichen Blumenblätter zum Herabsinken veranlasst, so dass
die Staubgefässe (m) und der Stempel (w) nunmehr frei-
stehen und wie eine Pistole dem Insekt auf die Brust ge-
setzt sind. Dabei wird Pollen an der Brust des Insektes
angeheftet und kann leicht auf die Narbe einer anderen
Erdrauchblüte übergeführt werden.
[%* = Kelehblättehen. Die Zeichnung kann mit geringen
Aenderungen auch bei Besprechung der Gattung Corydalis
(Lerehensporn) verwendet werden.]
108 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [12]
7. Das hängende Herz (Dicentra spectabilis).
Fig. 7.
Die biologischen Verhältnisse der Dicentra-Blüte sind
denen der Erdraueh-Blüte ausserordentlich ähnlich. Für
den Unterrieht wird es sich stets empfehlen vor der Be-
spreehung des Erdrauches das „hängende Herz“ vorzuführen,
da seine Blüten erheblich grösser sind und deshalb alle jene
beim Erdrauech so minutiösen Verhältnisse in voller Deutlichkeit
erkennen lassen. Namentlich ist hier das Gelenk, das dem
Endteile der seitlichen Blumenblätter infolge der Belastung
durch das Insekt ein Herabsinken gestattet, sehr leicht
nachzuweisen. Der Honig (k) wird am Grund der beiden
halbherzförmigen Blütenblätter (bl) abgesondert. Ihn ent-
wenden häufig die Ameisen, indem sie mit ihren Kiefern
eine Oeffnung in den Grund der grossen Blütenblätter kneifen
und sich so den Eintritt ins Innere erzwingen. In ähnlicher
Weise werden auch die dütenförmigen Blütenblätter der
Akelei häufig von Hummeln geöffnet und ihres Honigs be-
raubt. Dureh Vormännlichkeit der Blüten ist bei der Di-
centra eine Selbstbestäubung ausgeschlossen. Im übrigen
bedeutet wie vorher:
bl — Blütenblatt,
} — Landungsplatz,
» — Pedal,
m — Staubgefäss.
[13] Blütenbiologische Schemabilder. 109
8. Das Veilchen (Viola odorata).
Fig. 8.
1. Die Anloekung der Insekten wird durch Farbe
und Duft der Blüten bewirkt.
2. Als Landungsplatz (l) wählen die Insekten das
unterste, lippenartig vorgeschobene Blütenblatt.
3. Der Weg zum Honig, der in den spornartigen An-
hängen (k) der beiden untersten Staubgefässe abgesondert wird
und in die Aussackung (sp) des unteren Blumenblattes herab-
siekert, ist gekennzeichnet erstens durch die weissen Striche
(s) auf den Blumenblättern. Sodann bilden die dreieckigen
Zipfel, die den Staubbeuteln aufsitzen, am Eingange zum
Honig eine Pyramide (s,), die durch ihre gelbe Farbe scharf
sich abhebt von dem Blau der Blüte.
4. Das Insekt, das seinen Rüssel durch die vom unteren
Blumenblatt gebildete Rinne nach dem Honig führt, muss
an die hakig umgebogene Spitze des Stempels stossen.
Hierdureh wird dieser erschüttert; die Erschütterung pflanzt
sich fort auf die dem Stempel eng anliegenden Staubgefässe,
aus denen der Pollen herausfällt auf den Rüssel des Insektes.
5. Wird dieser Pollen beladene Rüssel in eine andere
Veilchenblüte eingeführt, so muss der Blütenstaub an der
Narbe abgestreift werden.
bl = Blumenblatt, % = Kelehblatt.
110 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [14]
9. Die Schlüsselblume (Primula offieinalis).
Bi):
Die Figur stellt einen Symmetrieschnitt durch eine
Blüte dar. Rechts ist ein Blütenkronenzipfel (bl) und der
Einsehnitt zwischen zwei Kelehzipfeln, links ist ein Kelch-
zipfel (k) und der Einschnitt zwischen zwei Blumenkronen-
zipfeln vom Schnitte getroffen. Die getroffenen Zipfel sind
um 90° gedreht gedacht, so dass ihre Flächen in die Ebene
der Zeichnung fallen. Vielleicht erscheint diese Art der
Zeiehnung nieht jedermann vorteilhaft; alsdann empfiehlt
es sich, auch die geschnittenen Zipfel nur durch einfache
Linien anzudeuten.
Die beiden vorstehend verzeichneten Blüten sind hetero-
styl. Eine Befruchtung kann nur zwischen Befruchtungs-
organen von gleicher Höhe, im Sinne der beiden Pfeile,
stattfinden. Da aber in jeder Blüte nur Befruchtungsorgane
von ungleicher Höhe enthalten sind, so müssen bei der Be-
stäubung stets zwei verschiedene Blüten mitwirken, d. h. die
Fremdbestäubung ist gesichert.
Es bedeutet: s = Saftmal, das hier als orange-roter
Fleck vor dem Eingange in die Blütenröhre ausgebildet ist;
m — Staubgefäss, w — Stempel.
[15] Blütenbiologische Schemabilder. 111
10. Der rote Fingerhut (Digitalis purpurea).
3
Fig. 10.
1. Die Anloekung der Insekten (Hummeln) wird be-
wirkt dureh Grösse, Häufung, einseitige Riehtung und Farbe
der Blüten.
32. Als Landungsplatz dient der lippenartig vorge-
zogene unterste Zipfel der Blumenkrone (l).
3. Der Weg zu dem am Grunde der Blüte befindlichen
Honig ist durch zahlreiche braune Flecken kenntlich ge-
macht (s).
4. Während das Insekt nach dem Honig kriecht, kommt
in jungen Blüten sein Rücken mit den an der Decke des
Blütentunnels aufgestellten Staubbeuteln in Berührung und
wird mit Pollen beladen. Die Narbe (n) hat in diesem
Stadium ihre Reife noch nicht erreicht; ihre Aeste liegen
noch eng an einander.
5. In älteren Blüten biegen sich die Narbenäste aus-
einander (a), so dass ein mit Pollen beladenes Insekt sie
bei seiner Einkehr bestäuben muss.
L. Blum veröffentlicht in Jg. 8 der Luxemburger „Fauna“ bio-
logische Beobachtungen am roten Fingerhut. Nach ihm sollen Ameisen,
die er häufig in den Blüten fand, die Bestäubung besorgen. Natürlich
handelt es sich hier nur um einen Honigraub. Dagegen beobachtet
man im Garten vielfach Bienen an den Blüten. Sie nehmen ihren Weg
zum Honig häufig an der Decke der Blütenröhre entlang und werden dann
nicht auf dem Rücken, sondern auf der Bauchseite mit Pollen beladen,
112 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [16]
11. Röhrenblüten einer Composite.
A. Die Staubgefässe (m) sind noch geschlossen. Der
Stempel (w) erreicht noch nicht die Höhe der Staubgefässe,
seine Narbenäste sind noch gegeneinander gelehnt, so dass
die belegungsfähige Stelle unzugänglich ist.
[dl = Blumenkrone; fh — Fegehaare; f = Samenanlage.
Das links stehende Diagramm zeigt, dass die Staubbeutel
eine Röhre bilden.]
B. Die Staubgefässe (m) haben ihre Pollen (st) entleert,
so dass er die von den Staubbeuteln gebildete Röhre wie
ein Pfropfen verschliesst. Der Stempel ist wie vorher.
C. Der Stempel (w) wächst durch die von den Staub-
beuteln gebildete Röhre und schiebt den Pollen vor sich
[17] Blütenbiologische Schemabilder. 113
her, so dass er aus der Antheren-Röhre herausgehoben wird.
Ein über die Blüte schreitendes Insekt wird sich jetzt an
seiner Unterseite leicht mit Pollen beladen können. Einige
Staubkörnehen sind an den Fegehaaren hängen geblieben.
D. Durch Auseinanderbiegen der Narbenäste wird die
belegungsfähige Stelle (») frei. Ein mit Pollen beladenes
Insekt führt beim Ueberschreiten der Blüte die Bestäubung
aus. Die Staubgefässe sind in dieser Figur und in der ent-
sprechenden auf Bild 12 als verwelkt gezeichnet, um recht
deutlich zur Anschauung zu bringen, dass die Blüten vor-
männlich sind.
E. Durch starkes Zurückbiegen der Narbenäste kommt
die belegungsfähige Stelle mit dem an den Fegehaaren
haften gebliebenen Pollen in Berührung; so kann im Falle
des Ausbleibens einer Fremdbestäubung Selbstbefruchtung
eintreten.
12. Blütenköpfchen einer Composite.
Die zeitlich aufeinanderfolgenden Stadien, die eine
einzelne Röhrenblüte während ihrer Entwieklung zu dureh-
laufen hat, sind auf Figur 12 an einer Mehrzahl von
Röhrenblüten räumlich nebeneinander dargestellt. Obwohl
der Entwurf dieser Zeichnung an die Tafel mehr Zeit in
Anspruch nimmt als bei Fig. 11, so bietet sie andrerseits
insofern einen Vorteil, als sie über die Beziehungen, die
zwischen den Röhrenblüten innerhalb des Blütenköpfehens
herrschen einige Aufklärung giebt.
Zunächst zeigt sich klar, dass die Röhrenblüten um so eher
aufblühen, je näher sie der Peripherie der Scheibe stehen.
So erklärt es sich, dass die äussersten Röhrenblüten in unserer
Darstellung bereits auf Stadium 5 angelangt sind, während.
die mittelste noch auf dem ersten Stadium verharrt.
Die rechte Hälfte unserer Darstellung enthält nur eine
Wiederholung der Fig. 11. Auf der linken Hälfte hingegen
sieht man, wie infolge einer Erschütterung der Pflanze, etwa
durch einen Windstoss, der Pollen der höher gelegenen
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 8
114 Dr. W. SchornIcHen, Blütenbiologische Schemabilder. [18]
Blüte 3 auf die Narbe der tiefer stehenden Blüte 4 über-
geführt wird.
Endlich sind zwei Randblüten (2) sichtbar.
>
Fig. 12.
[Die einzelnen Stadien der Blütenentwicklung sind an
den Zeiehnungen 11 und 12 mit voller Absicht schärfer von
einander getrennt, als dies in der Natur meist der Fall ist.]
Kleinere Mitteilungen.
Mineralogie und Geologie.
Ueber Argyrodit. Das Freiberger Vorkommnis dieses
interessanten Minerals, in dem CL. WINKLER das Germanium
entdeckte, war als monoklin angesprochen worden. Später
wurde dasselbe Mineral in Amerika in anderer Krystallform
regulär aufgefunden und als Canfieldit bezeichnet. Eine
Vergleichung dieser beiden Mineralien ergab aber, dass die
sehr undeutlichen Formen des Arsyrodit ebenfalls dem
regulären System angehören und dass Canfieldit und Argy-
rodit dasselbe Mineral sind.
In allerneuester Zeit wurde nun ein in der Freiberger
Sammlung befindliches, im Jahre 1821 in der Grube „Simon
Bogner’s Neuwerk“ gefundenes und damals als Pulsinglanz
bezeichnetes Mineral von FREnzEL gleichfalls als Argyrodit
erkannt. Dieser war also schon im Jahre 1821 entdeckt,
aber man ahnte nicht, dass er ein neues Element enthielt.
Dieses aufzufinden, war erst CL. WINKLER vorbehalten.
Prof. Lüdecke, Ver.-Sitz. 26. April 00.
Die Erdbeben im Königreich Sachsen, die seit dem
Jahre 1875 in beträchtlicher Anzahl zur Beobachtung ge-
kommen sind und deren 15 ersten von HERMANN ÜREDNER
in dieser Zeitschrift (1876, S. 246; 1878, S. 275; 1884, 8.1)
ausführlich beschrieben wurden, sind von dem genannten
Forscher fortdauernd gebucht und eingehend studiert worden.
Er berichtet darüber in einer grösseren Abhandlung!) und
1) Die sächsischen Erdbeben während der Jahre i889—1897, ins-
besondere das sächsisch-böhmische Erdbeben vom 24. Oktober bis
8*
116 Kleinere Mitteilungen.
einer kleineren Mitteilung!) aus der wir folgende allgemeine
Resultate entnehmen.
Von den in den ersten 22 Jahren registrierten 38 Beben,
von denen das letzte 37 Tage andauerte und hunderte von
zum Teil erschreckenden Erschütterungen brachte, konzen-
trieren sich nicht weniger als 22 und unter diesen die in-
tensivsten Ersehütterungen auf das Vogtland, während sich
die übrigen 16 über die verschiedensten anderen Gebiete
des Königreiches verteilen. Das Vogtland stellt also ein
ehronisches Schüttergebiet vor.
Von diesen 38 sächsischen Erdbeben fallen 29 und
unter denselben von den 22 vogtländischen Beben nicht
weniger als 16 in die herbstlich-winterliche Zeit von Mitte
September bis Anfang März und zwar gehören diesem Zeit-
abschnitte die zugleich kräftigsten Erschütterungen an.
Jene 38 Erdbeben haben sich mit wenig Ausnahmen in
dem nächtlichen Tagesabschnitt zwischen 8 Uhr abends
und 8 Uhr morgens, vorzugsweise aber in den Stunden nach
Mitternacht ereignet.
Im Laufe der letzten zwei (resp. drei) Jahre, wurden in
Folge eines sehr viel diehteren Beobachtungsnetzes 13 Erd-
erschütterungen registriert, von denen sich nicht weniger
als 12 im Vogtlande äusserten.
Diese 12 vogtländischen Beben fallen ausnahmslos in
den winterlichen Zeitabsehnitt, nämlich in die Monate
Dezember bis März, nur die einzige, unbedeutende, ausser-
vogtländische Erschütterung ereignete sich im August.
Die bei weitem meisten der 41 makroseismischen Einzel-
stösse obiger 13 Beben, nämlich 29, gehören dem nächtlichen
Tagesabschnitte, und zwar wesentlich den Stunden nach
Mitternacht an.
Die letztjährigen Erfahrungen auf dem Gebiete säch-
sischer Seismologie stehen also in vollstem Einklang mit
denjenigen der vorhergegangenen 22 Jahre.
29. November 1897 (mit 5 Tafeln und 2 Karten). Abh. der math. phys.
Cl. d. Kgl. Sächs. Akad. d. Wiss. Wien 1898.
!) Die seismischen Erscheinungen im Königreich Sachsen während
der Jahre 1898 und 1899 bis zum Mai 1900. Ber. der math. phys. Cl.
d. Kgl. Sächs. Akad. d. Wiss. Leipzig, 7. Mai 1900.
Kleinere Mitteilungen. 117
Was die Ausgangspunkte der vostländischen Erdbeben
angeht, so hat sich ergeben, dass sie an Gebiete grösserer
tektonischer Störungen gebunden sind, dass sie also der
Gruppe der tektonischen Beben zugezählt werden müssen.
CREDNER vermutet aber, dass der gebirgsbildende Druck
nur als indirekte Ursache der Erdbeben bezeichnet werden
darf, indem die dureh ihn entstandenen Dislokationen jene
Gebiete zur Erdbebenentstehung prädisponiert haben,
während die Erregung der seismischen Thätigkeit selbst
in anderen Agentien gesucht werden müsste Für diese
Vermutung macht CREDNER geltend, dass die Beben sowohl
in der Zahl, wie in der Intensität einer gewissen Periodi-
zität unterworfen sind, indem sie sich einerseits auf die
Wintermonate, andererseits auf die Zeit von Mitternacht bis
8 Uhr morgens konzentrieren.
Physik und Chemie,
Thermographie. Dem bekannten Düsseldorfer Photo-
graphen R. E. LIESEGANG ist es gelungen, einen chemischen
Körper herzustellen, der eine bemerkenswerte Empfindlichkeit
gegen strahlende Wärme besitzt. Dieser intensiv dunkel-
blaue Körper entsteht nach Lresegang’s Mitteilung in der
neu gegründeten „Physikal. Zeitschrift“, Jahrgang I, S. 317,
dureh Verrühren gleicher Teile von Hydrochinon und wasser-
freien kohlensauren Natron mit einer so geringen Menge
von Alkohol, dass das Pulver eben nur befeuchtet und
streichfähig wird. LIESEGANnG hält diesen nach wenigen
Minuten entstehenden blauen Körper für eine Zwischenstufe
der Oxydation von Hydrochinon und kohlensaurem Natron.
Verstreicht man den alkoholischen Brei auf dünnes
Briefpapier und wischt alles weg was nicht in das Papier
eingedrungen ist, so färbt sich das Papier dunkelblau. Setzt
man ein solches Papier der Strahlung eines Gasofens aus,
so tritt innerhalb 5 Sekunden eine vollkommene Bleichung
des blauen Körpers ein. Aufgelegte Münzen und andere
Objekte bilden in dieser Zeit ihren Schatten ab. Die Ent-
stehung solcher Bilder wird nur um wenige Sekunden ver-
118 Kleinere Mitteilungen.
zögert. wenn man das empfindliche Präparat in schwarzes
Papier einschlägt.
Dieses in so ungewöhnlich hohem Masse wärmeempfind-
liche Papier ist nur wenige Tage haltbar.
Ueber Aleuronat-Präparate. Jeder Mensch, der sich
ergiebig ernähren will, muss seinem Körper täglich eine be-
stimmte Summe von Eiweiss, Fetten und Kohlenhydraten zu-
führen. Die Statistik belehrt uns jedoch darüber, dass bei
den ärmeren Schiehten der Bevölkerung das Eiweiss (wohl
zumeist wegen seines hohen Kaufpreises) nicht in genügen-
dem Masse genossen wird. Die Industrie hat hier helfend
einzugreifen und billige Eiweissnährpräparate zu liefern
gesucht.
Die Aleuronat-Präparate bilden eine Gruppe dieser
künstlichen Nahrungsmittel. Sie werden aus den Neben-
produkten der Stärkefabrikation gewonnen und zeiehnen
sich durch hohen Eiweissgehalt aus. Der Kleber, der bei
dem sog. Halleschen- oder Sauer-Verfahren, das hier noch
in etwa 20 Fabriken betrieben wird, in solcher Form ge-
wonnen wird, dass er zur Umwandlung in menschliche
Nahrungsmittel unbrauchbar ist und nur als Schweinefutter
oder zur Herstellung von Schusterpapp (Schuhleim) ver-
wendet werden kann, wird bei dem Marrı-Verfahren als
eine frische, zähe Masse erhalten, die Anfang der sieb-
ziger Jahre zum ersten Male in Paris unter Zusatz von Mehl
zur Herstellung eines Kleberbrotes benutzt wurde. Später
unternahmen drei Mannheimer Fabriken Sehritte nach der-
selben Riehtung. Aber ein bedeutender Fortschritt war erst
zu verzeichnen, als es im Jahre 1889 Dr. HUNDHAUSEN in
Hamm gelang, den Kleber zu trocknen. Der getrocknete
Kleber gelangt gemahlen unter dem Namen Aleuronat in
den Handel. Dieses enthält 80 %/, Eiweiss, 10°/, Stärke und
10°/, Wasser. Da es ausserdem nicht teuer ist, so kann es
als Zusatz zu Speisen oder Gebäck aller Art eine weite
Verwendung finden.
Prof. Baumert, Ver.-Sitz. 1. März 00,
Kleinere Mitteilungen. 119
Die Riechstoffe aus der Gruppe der Aldehyde. Man
kann die Riechstoffe nach ihrer chemischen Konstitution
und ihrem Geruchscharakter in etwa 7 Hauptgruppen ein-
teilen. Diese Gruppen sind in einer ihrer Bedeutung un-
sefähr entsprechenden Reihenfolge aufgezählt: 1. Aldehyde,
2. Alkohole und Ester, 3. Ketone, 4. Phenole und Phenol-
äther, 5. Säuren und Säureanhydride, 6. Stiekstoffhaltige
Substanzen, 7. Kohlenwasserstoffe.
Die erste und wichtigste Klasse, sowohl hinsichtlich
der Intensität und Feinheit ihres Aromas, als auch hin-
siehtlich ihrer grossen Verbreitung in den ätherischen Oelen
sind die Aldehyde. Die niedrigsten Glieder dieser Gruppe,
die Aldehyde der Fettreihe, wie Formaldehyd, Acetaldehyd,
Butyraldehyd, Valeraldehyd finden sich zwar häufig in den
Organen der Pflanzen und, da sie leicht flüchtig sind, auch
in ätherischen Oelen, sie sind jedoch keine eigentlichen
Riechstoffe, wenigstens nicht im Sinne wohlriechender Sub-
stanzen; sie wirken höchst steehend. Unter den höheren
Gliedern mit offener Kette sind hervorzuheben das Citral
und Citronellal, beide im Citronenöl vorhanden. Das
Citral stellt recht eigentlich das riechende Prinzip des
Citronenöles dar; auch das Lemongrasöl besteht grossenteils
aus Citral, eine Frage, die bekanntlich eine wichtige Rolle
in dem Jonon- oder Veilchenölprozess der Firma Haarmann
und Reimer gegen Fritzsche & Co. in Hamburg gespielt hat.
Künstlich lässt sich Citral bereiten durch Oxydation des
zugehörigen Alkohols, des Rhodinols (Geraniols) oder auch
des Linalols.
Das Furfurol gehört schon zu den eyklischen Alde-
hyden, es kommt ihm keine grössere Verbreitung. in den
ätherischen Oelen zu; immerhin ist sein beständiges Vor-
kommen im Nelkenöl interessant, in welchem es sich leicht
nachweisen lässt durch die schöne rote Färbung, welche
Furfurol mit einer Lösung von 8-Naphtylamin in Eisessig
liefert. !)
Von den aromatischen Aldehyden ist der Benzaldehyd,
1) Vgl. E.Erdmann, Die Analyse des Nelkenöls. Diese Zeit-
schrift, Bd. 70, 8. 224.
120 Kleinere Mitteilungen.
welcher bekanntlich in grossem Massstabe aus Toluol künst-
lich dargestellt wird, zu bekannt, als dass ich darüber ein
Wort zu sagen brauchte. Weniger bekannt ist sein nächstes
Homologe, der Phenylacetaldehyd. Derselbe hat einen
intensiven, angenehmen Hyacinthengeruch und dürfte sich
in diesen Blumen vorfinden, wenngleich er bisher nieht in
der Natur nachgewiesen worden ist. Er lässt sich bei An-
wendung bestimmter Vorsichtsmassregeln in guter Ausbeute
aus Zimmtsäure herstellen.!) Leider polymerisiert sich diese
Substanz sehr leicht, weit leichter wie Acetaldehyd, so dass
die leichtbewegliche Flüssigkeit, welehe im Vacuum fast
konstant bei SS—90° und 15 mm siedet, beim Aufbewahren
diekflüssig wird.
Synthetisch lässt sich auch der Anisaldehyd her-
stellen durch methylieren von p-Oxybenzaldehyd. Gewöhn-
lich wird er jedoch durch Oxydation von Anethol bereitet.
Anisaldehyd besitzt den Geruch des blühenden Weissdorns
(Crataegus oxyacantha) und kommt in Frankreich unter dem
Namen „Aubepine“ in den Handel. Auch in fester Form,
nämlich als Natriumbisulfitverbindung, bildet er ein Handels-
produkt.
Der Zimmtaldehyd ist derjenige Stoff, weleher dem
aus den chinesischen Zimmteassiablättern destillierten Cas-
siaöl Geruch und Geschmack verleiht, und auch im Ceylon-
zimmtöl, welches aus der Rinde des eigentlichen Zimmt-
baumes (Cinnamomum Ceylonicum) destilliert wird, sind
davon 65 —75°/, enthalten. Synthetisch lässt sich der
Zimmtaldehyd aus Benzaldehyd erhalten und von dieser
Darstellung macht die Industrie Gebrauch.
Vanillin, das riechende Prinzip der Vanillenschote,
der Frucht einer in den tropischen Ländern Amerikas
wachsenden Orchidee, ist in der Natur weit verbreitet. Es
ist im Perubalsam enthalten und im Benzo&harz, es wurde
in einigen Rübenzuckern nachgewiesen und kommt in der
Holzsubstanz ziemlich allgemein vor. Die Vanillenscehote
enthält davon durchschnittlich 2%). Den Bemühungen des
unlängst verstorbenen Prof. FERDINAND TIEMANN ist be-
ı) H. Erdmann, D.R.P. Nr. 107228 und 107229.
_ Kleinere Mitteilungen. 121
kanntlieh nieht nur die Aufklärung der Konstitution des
Vanillins gelungen, sondern auch seine künstliche Herstellung.
Anfangs durch Oxydation des Coniferins erhalten, eines im
Cambialsaft der Nadelhölzer enthaltenen Stoffes, wird es
jetzt ganz allgemein aus dem Nelkenöle dargestellt. Das
in letzterem enthaltene Eugenol wird zunächst in Isoeugenol
übergeführt, dieses wird acetyliert und dann oxydiert. Die
künstliche Herstellung des Vanillins ist also kein synthe-
tischer Prozess, sondern ein Prozess des Abbaues. Die
eigentliche Synthese, d. h. der Aufbau des Vanillins aus
einfacheren Benzolabkömmlingen, ist bisher in einer technisch
brauchbaren Weise trotz aller auf derartige Verfahren ge-
nommenen Patente nicht gelungen und bei dem niedrigen
Preise des Nelkenöles und dem Preissturz, den das Vanillin
selbst vor zwei Jahren erfahren hat, sind derartige Bestreb-
ungen auch ganz aussichtslos. Der Preis des Vanillins be-
trug 1876 Mk. 7000, 1897 Mk. 120 pro 1 kg und ist seitdem
noch weiter gefallen.
Das Heliotropin oder Piperonal ist dem Vanillin
ähnlieh konstituiert und wird auch in analoger Weise durch
Abbau aus dem Piperin, dem Hauptbestandteil des Pfeffers,
billiger aber aus dem Isosafrol gewonnen. Es ist für Helio-
tropparfums sehr geschätzt; sein Preis beträgt zur Zeit nur
etwa Mk. 30 pro 1 kg. Dr. E. Erdmann, Halle a. S.
Explosive Wirkung der flüssigen Luft. Professor
LinpeE hat in der Münchener Akademie der Wissenschaften
über eine Art der Verwendung der flüssigen Luft berichtet,
die nieht nur technisches, sondern in ebenso hohem Grade
theoretisches Interesse beanspruchen darf.
Durch eine Tränkung von gepulverter Kohle mit flüssiger
Luft nimmt erstere in mehrfacher Hinsicht die Eigenschaften
des Schiesspulvers an, so explodiert sie schon bei der Be-
rührung mit der Flamme eines Zündhölzchens.
Hat man vorher das Kohlenpulver mit Petroleum ge-
tränkt, so wird die Explosion ohne weiteres durch die
Hüssige Luft selber ausgelöst. Die Wirkung ist eine sehr
heftige und besonders dadurch interessant, dass sie sich
122 Kleinere Mitteilungen.
von einer Sprengpatrone auf andere fortpflanzen kann, wenn
diese in einer Entfernung von !/, m aufgestellt sind.
Theoretisch sind diese Vorgänge deshalb von so grossem
Interesse, weil sie sich bei einer sehr niedrigen Temperatur
(— 1800) abspielen. Bei solchen Temperaturen hören
chemische Prozesse gewöhnlich auf uud andererseits be-
trachtet man die Explosion als eine durch chemische
Umsetzung hervorgerufene Gasentwieklung. So bemächtigt
sich bei vielen Explosivstoffen — und das wird auch hier
der Fall sein — der vorhandene Kohlenstoff des reichlich
vorhandenen oder hinzutretenden Sauerstoffes und bildet da-
mit in unmessbar kurzer Zeit grosse Mengen von Kohlen-
säuregas.
Botanik.
Ueber das Gefrieren der Pflanzen. Bei Frost scheiden
die Pflanzenzellen Wasser in die Intracellularräume aus, um
so eine stärkere Konzentration zu erreichen und infolge da-
von das Gefrieren des Zellsaftes zu erschweren. Gelingt es
den Pflanzen, bei langsamen Aufthauen von dem ausge-
schiedenen Wasser die nötige Menge in die Zellen zurück-
zuziehen, so wird die Gefahr des Erfrierens vermieden.
Vielleicht beruht auf diesem Feuchtigkeitsbedürfnis ge-
frorener Pflanzen eine Methode, die von Gärtnern vielfach
zur Rettung derartiger Gewächse angewendet wird und die
darin besteht, dass man die gefrorenen Pflanzenteile vor-
siehtig mit Wasser besprengt.
Dr. A. Kalberlah, Ver.-Sitz. 22. Febr. 00.
Nord und Süd im Jahresring. Einem weitverbreiteten
Volksglauben zufolge zeigen die Jahresringe unserer Bäume
eine Exzentrizität in der Art, dass sie auf der Nordseite
‚enger als auf der Südseite sind. Vielfach geht man sogar
so weit, dass man bei dem Umsetzen eines Baumes ängstlich
eine Aenderung in der Riehtung dieser Exzentrizität ver-
meidet.
Genaue Messungen, die Professor GR. Kraus an Material
_ Kleinere Mitteilungen. 123
des hiesigen zoologischen Gartens angestellt hat, haben er-
geben, dass von einer solehen Nord -Süd-Exzentrizität nieht
die Rede sein kann. Die Entstehung des obigen Aber-
glaubens führt genannter Forscher zurück auf die irrtümliche
Verbindung der Thatsache des Bestehens einer beliebigen
Exzentrizität an den Jahresringen mit der häufig zu be-
obachtenden Erscheinung, dass die Rinde an der Südseite
stärker als an der Nordseite entwickelt ist.
Dr. Schoenichen, Ver.-Sitz. 25. Jan. 00.
Ueber eine gelbe Flagellate unserer ßewächshäuser.
Auf der Oberfläche finnländischer Moraste entdeckte WORONIN
im Jahre 1876 einen staubartigen, goldgelben Ueberzug, der
von einer Flagellate (Ohromulina) gebildet wird. Eine ähn-
liche Form (Ohromulina woroniniana) fand später Fısch in
den Wassergefässen der Gewächshäuser. Auch in dem Ge-
wächshaus des hiesigen botanischen Gartens zeigt ein Vallis-
nerien enthaltendes Gefäss den Ohromulina-Ueberzug. Die
mikroskopische Untersuchung zeigt, dass die Flagellaten
nicht im Wasser, sondern nur aufihm liegen. Eine Gallert-
hülle schliesst meist eine Anzahl der Flagellaten des Wasser-
spiegels ein, doch haben die Einzelorganismen die Fähigkeit,
mittels einer Geissel im Wasser frei umherzuschwimmen.
Namentlich bei Beunruhigung der Wasseroberfläche gehen
die Flagellaten in den freischwimmenden Zustand über, als-
dann verschwindet der staubartige Ueberzug des Wasser-
spiegels. Die goldgelbe Färbung erklärt sich aus der An-
wesenheit eines grossen Pigmentfleckes.
Dr. A. Kalberlah, Ver.-Sitz. 8. März 00.
Die sog. Hexenbesen, auch Donnerbüschel und Wasser-
besen genannt, sind sonderbar gestaltete Missbildungen an
den Zweigen höherer Sträuche und Bäume, die durch para-
sitische Pilze verursacht werden und erst nach mehrjährigem
Wachstum absterben. Am leichtesten kenntlich sind die
Hexenbesen der Birken, deren infizierte Zweige eine Art
Nest bilden; in jedem Jahre werden neue Zweige des Hexen-
124 Kleinere Mitteilungen.
besens, die stets emporgeriehtet sind, erzeugt; hellgraue
Flecken auf der Unterseite der Blätter bezeichnen die Stellen,
an denen die Pilze ihre Sporenschläuche entwickeln. Bei
Erle, Birke, Kirsche und Pflaume sind es Arten der Gattung
Exoascus, die die Veranlassung zu der sonderbaren Wucher-
ung geben, wohingegen die Hexenbesen der Akazie und
Edeltanne durch Aecidium-Arten, also durch Rostpilze, ver-
ursacht werden. Die Zweige des Hexenbesens der Edel-
tanne zeichnen sich gegenüber den normalen Zweigen da-
durch aus, dass die Nadeln nieht zweireihig, sondern rings
um den Spross angeordnet sind. Eigentümlich ist den
Hexenbesenzweigen die von der normalen abweichende
Wachstumsrichtung, indem sie stets in die Höhe streben,
weiter aber, dass sie fast nie Blüten tragen, sondern nur
Blätter, die der Fructifieation des Pilzes dienen und durch
diesen beeinflusst, meist ein zerknittertes Aussehen zeigen. —
Als Hexenbesen bezeichnet man auch Wucherungen an den
Zweigen von Syringa vulgaris und Ligustrum vulgare, die
durch Stiche von Gallmilben veranlasst werden.
Dr. Dittrieh, Ver.-Sitz. 10. Mai 00.
Ueber Maifröste. Selbst die heissen Tage, die so
häufig das Ende des April und die erste Hälfte des Mai
auszeichnen, werden verständige Gärtner nicht bewegen,
empfindliche Pflanzen ins Freie zu stellen, da sie wissen,
dass fast regelmässig in der Mitte des Mai ein oft sehr
empfindlicher Kälterückschlag zu erwarten steht, und der
Landwirt sieht mit Zagen dem Erscheinen der Nachtfröste
entgegen, die leider gerade dann erscheinen, wenn die Junge
Saat saftstrotzend wenig Widerstand zu leisten vermag.
Der Volksmund legt bei uns die sog. drei Eismänner oder
gestrengen Herren auf den 11.—13. Mai. In der That
scheinen diese Tage besonders vom Froste heimgesucht zu
werden. Nach 56 jährigen Aufzeichnungen (1824—1881) hat
sich nach den Untersuchungen von Assmann ergeben, dass
in Magdeburg innerhalb dieses Zeitraumes nur in sieben
Jahren im Mai keine Nachtfröste stattgefunden hatten. Fast
im ganzen Monat Mai traten Nachtfröste auf; die Höchstzahl
EN BKEEEE: a
"Kleinere Mitteilungen. 125
13, d.h. 7%/,, fällt auf den 10. Mai, auch am 11. Mai waren
für jenen Zeitraum in 11 Jahren Nachtfröste verzeichnet.
So nimmt also in der That vom 5. Mai an die Disposition
zu Nachtfrösten entschieden zu, was besonders beim Ver-
gleich der 5tägigen Perioden hervortritt, indem der 1.—5.Mai
230%, Fröste haben, der 6.—10. Mai 25°/,, der 16.—20. Mai
27%/,, der 21.—25. Mai 5°/, ete. Diese Frosttage waren
also nieht auf die drei gestrengen Herren beschränkt; in
besonders strengen Frühlingsmonaten traten sogar in zehn
Nächten (1837), acht Nächten (1838) und gar zwölf Nächten
(1866) Frost auf; im Mittel hatte Magdeburg an 3—4 Mai-
tagen Nachtfrost. Aus diesen Ermittelungen ergiebt sich,
dass der Ruf der drei gestrengen Herren in der That kein
unbegründeter ist.
Dr. A. Kalberlah, Ver.-Sitz. 17. Mai 00.
Zoologie.
Die Ursache des Drehens der japanischen Tanz-
mäuse. Eine von den Japanern seit längerer Zeit gezüchtete,
meist grau und weiss gefleckte Rasse der Hausmaus, be-
zeichnet man als Tanzmäuse, weil alle Individuen die Eigen-
tümlichkeit haben, sich während der Vorwärtsbewegung in
rasender Geschwindigkeit im Kreise herumzudrehen. Die
Tiere haben also einen biologischen Arteharakter erworben,
der ähnlich wie bei den Purzeltauben für das Einzelindivi-
duum und damit für die Art schädlich ist. Solche Charaktere
können sich nur bei Wirkung der künstlichen Zuchtwahl
hervorbilden, in der freien Natur müssten derartige Varia-
tionsriehtungen schon in ihren Anfängen ausgemerzt werden.
Neuere Untersuchungen haben nun auch ergeben, dass
dieser Eigentümlichkeit ein pathologischer Zustand zu Grunde
liest. Da man schon seit längerer Zeit weiss, dass 50%, der
Leute, die Taumelbewegungen zeigen, Veränderungen an den
halbkreisförmigen Kanälen des Ohres, den sog. Bogengängen,
aufweisen, so lag es nahe, das Ohr und besonders die Bogen-
gänge der japanischen Tanzmäuse einer eingehenden Unter-
suchung zu unterziehen. B. Rawırz, der im Archiv für
126 Kleinere Mitteilungen.
Anatomie und Physiologie (Physiol. Abteilung 1899) „Das
Gehörorgan der japanischen Tanzmäuse“ beschreibt, teilt
nun mit, dass’ nur der obere Bogengang, der etwa in der Richt-
ung der Längsachse des Körpers verläuft, normal genannt
werden kann, die anderen beiden Kanäle sind rudimentär
und weniger scharf als es sonst der Fall ist von einander
getrennt. Auch der Utrieulus und Saceulus stehen durch
eine weite Oeffnung mit einander in Verbindung und ebenso
fehlt auch zwisehen diesen und der Schnecke die übliche
Verengerung.
Die mangelhafte Ausbildung der Bogengänge erschwert
den Tieren die Orientierung im Raum in hohem Masse, be-
sonders sind sie nieht im Stande, geradeaus zu laufen. Durch
die wirbelnden Drehbewegungen, die aus der genannten Un-
fähigkeit resultieren, wird nach RAawırz’ Ansicht auch die
Fähigkeit zu hören beeinflusst, indem die Endolymphe durch
die weite Oeffnung der Skala Tympani lebhaft hinüber
strömt, stark auf die Membran des Corrrsschen Organs
drückt und dadurch die Schwingungsfähigkeit beeinträchtigt.
Unter solehen Umständen kann es uns nicht Wunder nehmen,
wenn auch die Hörzellen und die zugehörigen Nervenzellen
und Fasern starke Degeneration erkennen lassen.
Entsprechende Versuche haben dann auch ergeben, dass
die japanischen Tanzmäuse völlig taub sind, ein Umstand,
der vermutlich anderseits wieder die Ursache der fortwähren-
den Unruhe der Tiere ist, die jeden Augenblick den Kopf
vorwärts und in die Höhe strecken, um zu wittern.
Dr. Brandes, Ver.-Sitz. 1. März 00.
Die Begattung von Clepsine tessulata. Schon im
Jahre 1844 hat kein geringerer als der jüngst verstorbene
Frırz MÜLLER in seiner Dissertation, !) die Begattung von
Olepsine tessulata, der grössten unserer heimischen Rüssel-
egel, beschrieben. Er beobachtete eine mehrtägige Kopu-
lation zweier Tiere, bei der auch eine Vorstülpung des
1) De hirudinibus eirca Berolinum hucusque observatis. Berlin
1844. 8. 34.
Kleinere Mitteilungen. 127
Penisrohres und eine Einführung in die Scheide des Partners
festgestellt werden konnte. BrumPpT!) meint neuerdings,
dass diese Schilderung nieht recht im Einklang mit dem
Bau der Geschlechtsorgane stände. Nun ist es allerdings
richtig, dass wir bei Ol. tessulata keinen Cirrus mit lang
ausstülpbarem Penis finden, andererseits unterscheidet sich
aber auch die genannte Spezies von allen übrigen Rüssel-
egeln und von Nephelis dadurch, dass der männliche End-
apparat nicht als sogenannte Spermatophorentasche ausge-
bildet ist. Das unpaare Endrohr ist sehr lang, womit eine
ebenfalls stark verlängerte Vagina in Korrelation steht. Es
ist also sehr wohl eine — natürlich nur geringfügige —
Ausstülpung des Penisrohres in die Scheide denkbar.
Ich habe nun Gelegenheit gehabt, die Kopulation von
Ol. tessulata im Laufe dieses Jahres zu beobachten und kann
die Angaben Frrrz MÜLLER’s nieht nur bestätigen, sondern
auch in nicht unwesentliehen Punkten vervollständigen.
Ende April fand ich unter einem Steine des Passen-
dorfer Gutsteiches zwei stattliche, über 10 em lange Exem-
plare der genanten Art. Ich brachte sie in ein besonderes
Gefäss und versuchte vergeblich sie zu füttern. Am 11. Mai
fand ich die Tiere in Kopula. Mit den Saugnäpfen hatten
sie sich an der Glaswand in einer Entfernung von etwa 5 bis
6 em vor Anker gelegt und pressten die Bauchseiten des
Vorderkörpers aufeinander. Diese Kopula dauerte mit ge-
ringen Unterbrechungen bis zum 25. Mai. Eines Morgens
(21. Mai) fiel mir in dem Wasser ein kleiner weisslicher
Körper auf, der sich unter dem Mikroskop als ein mit zahl-
reichen, doppelt kontourierten Röhren durchsetzter Sekret-
ballen entpuppte. Ich gab den Tieren frisches Wasser und
fand am anderen Morgen, also im Verlaufe von 24 Stunden
sechs soleher Sekretballen im Wasser vor. Am nächsten
Morgen hatte ich das Glück, bei einem der Tiere einen
solehen Sekretballen aus der weiblichen Geschlechtsöffnung
heraushängen zu sehen. Ich entfernte ihn mit grösster Vor-
sicht und konnte nun unter dem Mikroskop feststellen, dass
1) De l’accouplement chez les Hirudinses. Bull. Soc. zool. France
Sg. 2%
128 Kleinere Mitteilungen.
an der Seite, die in der Vagina gesteckt hatte, zahlreiche
Spermatozoen aus den schon erwähnten Röhren herausge-
wandert waren und eine lebhafte Bewegung zeigten, während
in den Röhren an der anderen Seite die zu eigentümlichen
Ringen zusammengerollten Samenfäden ganz bewegungslos
lagen.
Die Deutung ist nach meinen im vorigen Bande dieser
Zeitschrift (S. 212 ff.) gemachten Mitteilungen über die Be-
gattung von Nephelis nieht sonderlich schwer. Wir haben
bei 01. tessulata einen Uebergang von der Begattung mittelst
Kanülen zu der Begattung mittelst Penis. Die Kanäle
werden in Form langer, mit Sperma gefüllter Röhren als -
Ausguss der Vasa deferentia gebildet und in einem Sekrete
verpackt der Vagina des Partners einverleibt. Die Ein-
führung dieses Sekretballens ist infolge einer Verlängerung
des männlichen und weiblichen Endrohres ermöglicht, aber
noch nicht sehr gesichert. Damit steht die lange Dauer
der Kopula und die reiehliche Produktion der Sekretballen
in bester Uebereinstimmung: es gelingt eben den Tieren
nur selten, den Sekretballen wirklich in die Vagina ein-
zuführen. Dr. G. Brandes, Ver.-Sitz. 14. Juni 00.
Litteratur- Besprechungen.
Klocekmann, F., Lehrbuch der Mineralogie. 2. Aufl.
Stuttgart, Enke. 1900.
Die Anordnung des Stoffes ist dieselbe geblieben wie
in der ersten Auflage (vgl. diese Zeitschrift 1892); dagegen
hat der Verfasser manche Kapitel vollständig umgearbeitet;
hier ist besonders die geometrische Krystallographie zu
nennen. Referent wagt es über die ersten 40 Seiten, welche
allgemeine Gesetze der geometrischen Krystallographie be-
handeln, die Frage aufzuwerfen, ob es in einem Lehrbuche,
welches „ja nur für solche Studierende berechnet ist, welche
in der Mineralogie eine Hilfswissenschaft für ihre Studien
auf dem Gebiete der Chemie, der Bergbau- und Hüttenkunde
und sonstigen Technik erblieken“ (S. X), angebracht ist,
diese allgemeinen Gesetze so breit zu erörtern. Bei den
tetartoödrischen Krystallen des regulären Systems führt der
Autor nur künstliche Salze an und sagt ausdrücklich, dass
tetartoädrische Mineralien nicht bekannt seien, was den
Thatsachen nicht entspricht. Auch bei den optischen Eigen-
schaften der Krystalle ist versucht worden, die bekannten
Erscheinungen zu erklären; ebenso ist bei der Beschreibung
der Mineralien eine grössere Vollständigkeit der Eigen-
schaften angestrebt worden. Bei der Aufzählung der Plagio-
klase rechnet der Autor Albit von Ab — Ab; An,, Oligoklas
von Ab, An, bis Ab, An,, Andesin Ab; Anz — Ab, An,,
Labrador Ab; An, — Ab, An,, Rytoronit von Ab, An, —
Ab, An, und Accorthit von Ab, Anz, — An. Nun wird
von allen deutschen Mineralogen eine fortlaufende symmorphe
Reihe angenommen, der Autor schliesst durch seine Zahlen
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 9
130 Litteratur-Besprechungen.
eine ganze Menge Plagioklase aus, so die zwischen Ab, An,
und Ab, An, liegenden, ebenso die zwischen Ab, An, und
Ab, An, liegenden ete., eine in der That merkwürdige Auf-
fassungsweise. Die Figuren reichen zur Erklärung des ge-
gebenen aus, nur hätten wohl eine grössere Anzahl durch
neu gezeichnete ersetzt werden können. Trotz dieser kleinen
Ausstellungen kann das Buch der oben genannten Kategorie
der Studierenden empfohlen werden.
Halle a. S. Luedecke.
Günther, S., Handbuch der Geophysik. Zweite, gänz-
lich umgearbeitete Auflage. 2 Bände. Stuttgart, F. Enke,
1897—1899.
In dem I. Bande des umfangreichen Werkes behandelt
der Verfasser in der 1. Abteilung die kosmische Stellung
der Erde, in der 2. die allgemeinen mathematischen und
physikalischen Verhältnisse des Erdkörpers, in der 3. das
Erdinnere und seine Reaktion gegen die Aussenwelt, in der
4. die magnetischen und elektrischen Erdkräfte.
Schon äusserlich ist durch verschiedenen Druck das
Gerippe von dem erläuternden Texte abgehoben und am
Sehlusse jedes Kapitels eine ausserordentlich ausgedehnte
Zitatensammlung angefügt.
Der Berücksiehtigung der Litteratur hat der Verfasser
ganz besondere Sorgfalt zugewendet, und soweit Referent
bei genauerer Durehmusterung gefunden hat, ist in dem
Werke überall die Litteratur bis in die neueste Zeit mit
Geschiek benutzt worden, um dem Leser ein gutes Bild
über den augenblieklichen Stand der mannigfaltigen Probleme
in der geophysikalischen Wissenschaft zu geben.
Eine grössere Zahl von Abbildungen unterstützt die
Darstellung in günstiger Weise.
Die Schwierigkeiten, die der Abfassung eines solchen
Werkes, wie das vorliegende ist, sich entgegenstellen, be-
ruhen hauptsächlich in der grossen Mannigfaltigkeit und
Heterogenität der heranzuziehenden Hilfswissenschaften.
Der Leser gewinnt aber bald den Eindruck, dass der
Verfasser dieser Schwierigkeiten in sehr geschiekter Weise
Herr geworden ist.
nn
Litteratur-Besprechungen. 131
Es ist hier nicht wohl möglich, dem ganzen Umfange
des zweibändigen Werkes gerecht zu werden; nur einzelne
Kapitel von allgemeinem Interesse will der Referent heraus-
greifen.
Im IL, I. und III. Kapitel werden die neueren An-
sichten über die übrigen Glieder des Planetensystems ein-
gehend behandelt. Besonders eingehende Darstellung hat
die Theorie der Nordlichter gefunden, über deren Wesen
die neueren Untersuchungen elektrischer Schwingungsvor-
gänge mancherlei Aufschluss gebracht haben.
Im II. Bande ist in 11 Kapiteln die Physik der Atmo-
sphäre behandelt, die folgenden 6 Kapitel beschäftigen sich
mit der Physik der Meere, worauf 3 weitere Kapitel die
Wechselbeziehungen zwischen Meer und Land darstellen.
Den Schluss des Werkes bilden Untersuchungen über
den tektonischen Aufbau der Erdoberfläche und insbesondere
über den Einfluss des Wassers auf die Gestalt der Kontinente.
Von besonderem Interesse dürfte für den alpinen Be-
strebungen zugewandten Leser der Absehnit über das Süss-
wasser im festen Zustande sein. In diesem findet der Leser
eine ausführliche Darstellung der wissenschaftlichen Be-
strebungen, die Naturgeschichte der Gletscher zu ergründen.
In trefflicher Weise hat der Verfasser die vielen Hilfsbe-
trachtungen, welche hier notwendig wurden, besonders aus
dem Gebiete der Physik, durchgeführt, und dem Leser ein
Bild zu geben gesucht, das sein Interesse im höchsten Masse
wachruft.
Dem Problem der Ebbe und Flut ist in der VI. Ab-
teilung das Kapitel IV gewidmet, welches uns ausführlich
die Geschichte und den augenblicklichen Stand der An-
schauungen über diese allgemein interessierenden Erschei-
nungen behandelt. Mit Geschick streift der Verfasser die
theoretische Behandlung des Problems und flieht in seine
Darstellung eine grosse Menge interessanter Beobachtungs-
daten über die Grösse der durch die Umrisse der Kontinente
so mannigfach variierten Flutwelle.
Allgemeineres Interesse dürfte das IV. Kapitel der V. Ab-
teilung besitzen, in welchem der Verfasser die heutigen
9*+
132 Litteratur-Besprechungen.
Anschauungen über Luft- und Gewitter-Rlektrizität mit Be-
nutzung der neuesten Litteratur in übersichtlicher Weise
entwickelt. Prof. Sehmidt.
Lehmann, Dr. F. W. Paul, Direktor des Schillergymnasiums
in Stettin. Länder und Völkerkunde. Bd.I. Europa.
Verlag von J. Neumann, Neudamm. 1899. Preis 7,50 Mk.
Der Verfasser will nach seinen Worten in der Vorrede
eine Kulturgeographie bieten als Grundlage der Kultur-
geschichte Europas. In fliessender Erzählung schildert er
grossenteils aus eigener Anschauung Land und Leute unseres
Erdteiles auf Grund der Naturverhältnisse und der Kultur-
stufe und ihrer Wechselbeziehungen. Obwohl auch hin und
wieder in dem Buche geologische Fragen behandelt worden
sind, so ist dadurch die allgemeine Verständlichkeit der
Darstellung nirgends gestört. Unterstützt wird der lebendige
Text durch Karten und zahlreiche, meist recht gute Ab-
bildungen von Landschaften, Städten, sowie bedeutenderen
Bauwerken der Kunst und Industrie Auch die Trachten-
bilder sind eine höchst angenehme Zugabe. Die Buntdrucke,
die eher in einen Jugendfreund passen, verschwinden hoffent-
lich in einer zweiten Auflage, die wir dem trefflicehen Buche
wünschen. Wir empfehlen das Werk zur Anschaffung für
Haus- und Schulbibliotheken, sowie als Geschenk oder
Prämie für Schüler höherer Klassen.
Dr. Walther Schoenichen.
Pohl, Josef, Die Maus. Anregende Betrachtungen über
den Einfluss der Körpergrösse auf Bau und Leben der
Säugetiere. Für die Jugend. Verlag von Fournier und
Haberler. Znaim 1897.
Die Mehrzahl der naturwissenschaftliehen Jugendschriften
beschränkt sich entweder darauf, dem sammelnden Knaben
trockene Bestimmungstabellen und Diagnosen in die Hand
zu geben, oder durch die Schilderung interessanter bio-
logischer Einzelheiten die Phantasie der Jugend zu kitzeln.
Beide Methoden haben für die Verstandesbildung keine
Litteratur-Besprechungen. 133
grosse Bedeutung. Die bildende Kraft der naturgeschicht-
lichen Stoffe wird vielmehr erst dann vollwertig ausgenutzt,
wenn jede Naturerscheinung als Ursache oder Folge einer
anderen betrachtet, und somit der jugendliche Geist zu fort-
währenden logischen Uebungen genötigt wird. Das letztere
ist dem Verfasser des vorliegenden Büchleins im reichsten
Masse gelungen; indem er die Maus von dem Gesichtspunkte
ihrer Körpergrösse aus betrachtet, zeigt er, wie zahllose
Charaktere und Organisationszüge der Säugetiere Funktionen
der Körpergrösse sind. Dabei weicht der Verfasser nirgends
von der Bahn populärer Darstellungsweise ab; zu wünschen
wäre, dass bei einer Neuauflage auf diejenige Eleganz der
Darstellung noch mehr Wert gelegt wird, die den Reiz
einer Jugendschrift in so hohem Masse zu steigern geeignet
ist. Jedenfalls können wir das Büchlein aufs wärmste em-
pfehlen, namentlich auch für die Hand des Naturkunde-
Lehrers, der aus ihm für seinen Unterricht manche An-
regung empfangen wird. Dr. Walther Schoenichen.
Arbeiten aus der biologischen Abteilung für Land- und
Forstwirtschaft am kaiserlichen Gesundheitsamte.
Gemeinsamer Verlag von Paul Parey und Julius Springer
in Berlin.
Unter obigem Titel erscheinen seit dem Anfang dieses
Jahres in zwangloser Folge einzeln käufliche Hefte, die
grössere Veröffentlichungen über die Resultate von Unter-
suchungen und Beobachtungen auf allen Arbeitsgebieten der
biologischen Abteilung enthalten. Das eben ausgegebene
2. Heft enthält folgende Abhandlungen:
1. Frank, Dr., Geh. Reg.-Rat, Prof., Beiträge zur Be-
kämpfung des Unkrautes durch Metallsalze.
2. Hiltner, Dr., Reg.-Rat, Ueber die Ursachen, welche
die Grösse, Zahl, Stellung und Wirkung der Wurzelknöllehen
der Leguminosen bedingen.
3. Jacobi, Dr., Die Aufnahme von Steinen durch Vögel.
4. Rörig, Dr. Reg.-Rat, Ein neues Verfahren zur Be-
kämpfung des Schwammspinners.
5. Kleine Mitteilungen:
134 Litteratur-Besprechungen.
a) Mitteilungen über das Clasterosporium Amyg-
dalearum;;
b) Beschädigungen des Wintergetreides durch die
Getreide-Blumenfliege;
e) Der Gürtelschorf, eine unter den Zuckerrüben
neuerdings häufiger auftretende Krankheit.
Das Heft enthält zu der ersten Arbeit eine vortrefflich ge-
zeichnete farbige Tafel, zur zweiten Arbeit eine Tafel in
Liehtdruek und noch 7 Figuren im Text.
Der Inhalt der einzelnen Arbeiten ist kurz folgender:
FRANK besprieht nach einer Zusammenfassung der bis
jetzt vorliegenden Mitteilungen über die Vertilgung des Un-
krautes durch Metallsalze, die Wirkung einer Eisenvitriol-
lösung auf Unkräuter und Kulturpflanzen. Näher geprüft
wurden Pflanzen aus der Familie der Cruciferen, der Pa-
paveraceen, der Fumariaceen, der Polygonaceen, der Chene-
podiaceen, der Caryophyllaceen, der Violaceen, der Euphor-
biaceen, der Geraniaceen, der Umbelliferen, der Rosaceen,
der Papilionaceen, der Labiaten, der Serophulariaceen, der
Convolvulaceen, der Compositen, der Gramineen, der Equi-
setaceen und von Kulturpflanzen der Hafer, die Gerste, der
Sommerweizen und -roggen, der Rotklee, die Erbsen, die
Wieken und die Rüben. In gleicher Weise wird sodann die
Wirkung des Kupfervitriols auf obige Pflanzen besprochen.
Ein weiterer Absehnitt behandelt die Bedingungen der Ver-
siftbarkeit der Pflanzen durch aufgebrachte Metallsalz-
lösungen. Viele Pflanzen haben Schutzmittel, durch die sie
einer vollkommenen Benetzung und damit dem Tode ent-
sehen, weil die Metallsalze nur lokal wirken. Solche Schutz-
mittel sind die verborgene Lage des Vegetationspunktes am
Stengel und der jungen Blätter (Gramineen, Polygonaceen,
Equisetaceen), die geringe Flächenausdehnung der Blätter,
die Richtung der Pflanzenteile, die Haarbekleidung der
Pflanzenteile (Centaurea, Labiatae, Verbaseum, Chenopodia-
ceae), die Beschaffenheit der Cutieula (Erbse, Getreideblätter).
Sodann werden die Versuche mit pulverförmigen Eisen-
mitteln mitgeteilt, die einzelnen Spritzen zur Verteilung der
Vitriollösung besprochen und die in der Praxis verwertbaren
Ergebnisse zusammengefasst.
- Litteratur-Besprechungen. 135
In dem Aufsatz über die Leguminosenknöllchen
schildert HıLtner das Eindringen der Bakterien in die
Wurzelhaare auf Grund seiner Untersuchungen an der Erle,
um sich dann der Frage der Arteinheit der Leguminosen-
knöllehenbakterien zuzuwenden. In Uebereinstimmung mit
BEYERINCK und FRANK und im Gegensatze zu KIRCHNER,
GONNERMANN und SCHNEIDER spricht er sich für die Art-
einheit aus. Morphologisch sind sich die Bakterien der ver-
schiedensten Leguminosen und selbst der Mimosaceen ausser-
ordentlich ähnlich, dagegen verhalten sich die aus den
Knöllehen verschiedener Leguminosen isolierten Bakterien
biologisch und physiologisch sehr verschieden. Die Bakterien
zeigen eine Anpassungsfähigkeit an eine bestimmte
Pflanze. Die Bakterien aus den Knöllehen verschiedener
Leguminosen sind Anpassungsformen ein und derselben,
allerdings ausserordentlich polymorphen Art. Wird die An-
passungsfähigkeit zugegeben, so muss die Zahl, Grösse und
Wirkung der Knöllehen in demselben Boden bei derselben
Leguminosenart verschieden sein nach dem Anpassungsgrade
des Bakteriums zu der betreffenden Pfianze.e Der Erfolg
einer Impfung mit Bakterien hängt nicht von der Menge
der verwendeten Bakterien ab, sondern von ihrer Virulenz.
Soll Nitragin eine Wirkung zeigen, so ist die Ausgangs-
kultur aus Knöllchen von Pflanzen zu entnehmen, die schon
mehrmals auf dem betreffenden Boden gebaut waren, dessen
Bakterien schon mehrmals in den Knöllchen derselben Pflanze
gelebt haben. Durch zeitweise Uebertragung der Reinkultur
auf die lebende Pflanze ist die Virulenz zu steigern. Be-
sitzen Pflanzen thätige Knöllehen, so ist durch Nitragin der
Ertrag nur zu steigern, wenn Bakterien höherer Virulenz
verwendet werden. Thätige Knöllchen verleihen der Pflanze
Immunität gegen Bakterien von gleichem oder niedrigerem
Virulenzgrade, als die in den Pflanzen thätigen Bakterien
haben; nur Bakterien von höherer Virulenz können noch
in die Wurzeln eindringen. Diese Immunitätslehre wird
bewiesen an Versuchen mit Erle und Robinia. Gestützt
wird sie durch die Stellungsverhältnisse der Knöllehen in
den Wurzeln, da sie sich nur nahe der Oberfläche bilden.
Der Sauerstoff bewirkt diese Stellung nieht, sondern durch
136 Litteratur-Besprechungen.
die an den Wurzeln des Keimpflänzehens entstehenden
Knöllchen werden die tiefer eindringenden Wurzeln immun.
Die Ursachen, welehe die Bildung und Wirkung der
Knöllehen beeinflussen, sind folgende. Die vorhandenen
Bakterien verhindern die Bildung von neuen, weil die Ge-
samtmasse der Knöllchen eine bestimmte Grenze nicht über-
schreiten kann, ohne dass der Gleichgewiehtszustand gestört
wird. Die Pflanze schützt sich gegen nicht genügend viru-
lente Bakterien durch Ausscheidung von Abwehrstoffen.
Diese Bakterien können erst eindringen, wenn die Pflanzen
nach Stickstoff hungern, bleiben aber ohne Wirkung. Bei
gut ernährten Pflanzen ist die Knöllehenbildung sehwächer;
nur wirklich virulente Bakterien können in gut ernährte
Pflanzen eindringen. Der Salpeter wirkt schädlich auf die
Bakterien, am meisten auf sandigem Boden, der Ammoniak-
stickstoff vermindert die Knöllchenbildung weniger, der
organische Stickstoff gar nicht. Auch Kalk scheint manch-
mal die Knöllchenbildung zu vermindern. Weiter sind die
Witterungsverhältnisse von Einfluss. Die mit Bodenstick-
stoff ernährten Pflanzen können noch bei Temperatur- und
Feuchtigkeitsverhältnissen wachsen, welche bereits unter der
Grenze liegen, innerhalb welcher die Knöllchen thätig sind.
Zum Schluss bespricht HıLtner noch die verschiedenen
Formen der Knöllchen bei derselben Pflanze.
Die Aufnahme von Steinen durch Vögel. JAcoBI
betrachtet zunächst die Art und Menge der verzehrten Ge-
steine durch die in Frage kommenden Vögel und erörtert
im zweiten physiologischen Teile die Fragen: Zu welchem
Zwecke verzehren die Vögel Steine und welche Umstände
beeinflussen die Aufnahme?
In dem letzten grösseren Aufsatz über ein neues Ver-
fahren zur Bekämpfung des Schwammspinners be-
sprieht RörIG zunächst die seither üblichen Verfahren auf
ihre praktische Brauchbarkeit. Er empfiehlt sodann das
Durchtränken der Schwämme mit Petroleum, dem zur Er-
kennung der getränkten Schwämme etwas Alkannin zuge-
setzt ist. Um sicher und einfach das Durchtränken auszu-
führen, wird eine eigens zu diesem Zwecke gebaute Kanne
empfohlen. Dr. H. Biedenkopf in Chemnitz.
Litteratur-Besprechungen. 187
Schultz, Carl, Die Ursachen der Wettervorgänge.
Neuerungen und Ergänzungen zum Weiterbau der meteoro-
logischen Theorien. In kurzer allgemeinverständlicher
Fassung. 9 Bogen. Oktav. Geheftet 1 fl. 10 kr. = 2 Mk.
A. Hartlebens Verlag, Wien.
Die an neuen Gedanken reiche Arbeit vertritt den
Standpunkt, dass alle heutigen Bestrebungen, die Wetter-
vorgänge auf einzelne Ursachen zurückzuführen, verfehlt
sind, da das Wetter die Resultante sämtlicher einwirkender
Faktoren bildet. Diese sucht der Verfasser durch Unter-
suchung der als möglich erscheinenden, die zur Ausmerzung
einiger unter ihnen führt, festzustellen. Er betont, dass die
ältere Theorie des Luftaustausches zwischen Aequator und
Polen als Ursache der Winde neben der neueren, auf Luft-
druckerteilung fussenden festzuhalten ist und die richtige
Anschauung im Kombinieren beider besteht. Auf in-
duktivem Wege, von bekannten Grundursachen auf
deren Wirkungen schliessend, gelangt er zu Erweiter-
ungen beider Theorien. Einerseits zu Schlüssen auf die
stete Bewegung des an Volumen weit überwiegenden Teiles
der Atmosphäre oberhalb der Wolkenregion nebst einem in
ihm herrschenden Vertikalkreislauf und dessen Einflüssen,
sowie auf den uns durch seine relativ hohe Temperatur
gewährten Schutz gegen die kaum vom absoluten Nullpunkt
abweichende Kälte des Weltraums und auf eine Erklärung
der BrRÜückner’schen Klimaperioden aus den Schwankungen
dieses Schutzes. Andererseits über die wahrscheinlichen
Entstehungsweisen der Luftdrucksverschiedenheiten. Es wird
die neue Bahn betreten, die Maxima sowie die Depressionen
je nach ihrem Ursprung und ihren Tendenzen in bestimmte
Klassen einzuteilen und deren besonders bei den Depressionen
hiernach zu erwartende von einander abweichende Ein-
flüsse auf Wind und Wetter zu untersuchen. Die Ursachen
ihrer Ortsveränderung werden erörtert und im Gegensatze
zu der herrschenden Ansicht, dass stets nur Fortpflanzung
stattfinde, verschiedene Fortbewegungsweisen je nach den
Klassen angenommen. Die Wechselwirkungen zwischen
Wind und Luftdruckverteilung werden hervorgehoben. Zur
Faup’schen Theorie bringt der Verfasser neben teils zu-
138 Litteratur-Besprechungen.
stimmenden, teils widersprechenden Betrachtungen eine
wesentliche Hinzufügung, welche Aufschlüsse über eine der
Depressionsklassen (2b) giebt, zugleich aber eine neue Er-
klärung des Zodiakallichtes und auch der Perlmutter-
wolken enthält. Bezüglich der Sonnenfleeken wird auf deren
anscheinenden Zusammenhang mit der Elektrizitätsstrahlung
der Sonne hingewiesen und die Möglichkeit merkbaren Ein-
flusses dieser auf das Wetter zugegeben, sofern sie die Ge-
witter besonders der Tropen und damit die vom Verfasser
auf letztere zurückgeführte Depressionenklasse (2a) be-
einflusst.
Fortschritte der Physik im Jahre 1898. II. Teil. Physik
des Aethers. Redigiert von R. Börnstein. Braunschweig,
Vieweg & Sohn, 1899.
Der vorliegende Band enthält die Referate der Arbeiten
über Optik, Wärmelehre und Elekrizität. In dem Gebiete
der Optik sind besonders die Besprechungen der Arbeiten
über die Uranstrahlen 14 Kapitel beachtenswert. In dem
Abschnitt über Elektrizitätslehre findet sich eine gute Zu-
sammenstellung der im Jahre 1893 gelieferten Arbeiten über
Röntgenstrahlen.
Die Litteratur-Nachweise über wichtige Arbeiten aus
dem Gebiete der Elektrotechnik sowie die Referate über
Akkumulatoren betreffende Arbeiten (Kapitel 29) und über
Arbeiten aus dem Gebiete der messenden Wechselstrom-
technik werden vielen Lesern willkommen sein.
Schmidt.
Garcke, August, Illustrierte Flora von Deutschland.
Zum Gebrauche auf Exkursionen, in Schulen und zum
Selbstunterrieht. Achtzehnte, neubearbeitete Auflage. Mit
760 Originalabbildungen. Verlag von Paul Parey, Berlin.
1898. 8.
Es hiesse Eulen nach Athen tragen, wenn man einem
Buche, das während eines Zeitraumes von fast 50 Jahren
in mehr als 55000 Exemplaren verbreitet ist, ein langes
Empfehlungssehreiben auszustellen für nötig befände. Es
genügt hier hervorzuheben, dass die vorliegende Auflage
Litteratur-Besprechungen. 139
ihre Vorgängerinnen infolge der Beifügung zahlreicher guter
Abbildungen von charakteristischen Formen an praktischer
Brauchbarkeit noch übertrifft. Ausserdem hat eine grosse
Anzahl neuer Pflanzenstandorte Aufnahme gefunden, während
in der Bestimmung der Genera und Spezies vielfach Er-
leichterungen eingeführt sind. Alle diese Bereicherungen
und Verbesserungen werden sicherlich dazu beitragen, dem
treffliehen Buche immer neue Freunde zu erwerben.
Dr. Walther Sehoenichen.
Kraus, Konrad, Grundriss der Naturlehre für Lehrer-
und Lehrerinnnen-Bildungsanstalten. 1. Teil. Wirk-
ungen der Molekularkräfte, Wärmeerscheinungen, magne-
tische und elektrische Erscheinungen. Mit 139 Holzsehnitten.
Wien, Verlag von Pichler’s Ww. & Sohn, 1899. 8. Preis in
Leinwand gebunden 90 kr. II. Teil. Chemie. Mit 64 Holz-
schnitten. Wien 1897. 8. Preis in Leinwand gebunden
kr.
Von Lehrbüchern und Leitfaden für den naturkundlichen
Sehulunterricht ist nach gerade eine erkleckliche Anzahl
erschienen. Zum Erscheinen der oben genannten Büchlein
lag also wohl nicht gerade ein dringendes Bedürfnis vor;
nichts desto weniger erscheinen sie durchaus beachtenswert.
Die Auswahl des Stoffes ist nicht ohne Geschick ausgeführt.
Die Anordnung des gebotenen ist überall zweckentsprechend,
sodass auch für den propädeutischen Unterricht in Physik
und Chemie, wie er an den höheren Lehranstalten erteilt
wird, der Lehrer reichliche Beratung in den vorliegenden
Leitfäden finden kann. Die Darstellung ist klar und wohl
gegliedert; die Abbildungen lassen nichts zu wünschen übrig.
Wenn es schliesslich noch gestattet ist, einem Wunsche Aus-
druck zu verleihen, so sei darauf hingewiesen, das die kon-
‚sequente Einführung der neuen Orthographie dem Buche
vorteilhaft sein würde. Vielleicht empfiehlt es sich auch,
bei den in den Anmerkungen angeführten griechischen und
lateinischen Wörtern durch Accente eine falsche Betonung
unmöglich zu machen. Dr. Walther Schoenichen.
140 Litteratur-Besprechungen.
Zenker, Wilhelm, Lehrbuch der Photochromie. Neu
herausgegeben von Schwalbe. Braunschweig, Vieweg und
Sohn, 1900.
Von dem Gedanken der Pietät geleitet, hat Professor
SCHWALBE eine Neuherausgabe des fast der Vergessenheit
anheim gefallenen Werkes von ZENKER besorgt.
Wir erfahren aus dem Lebenslauf, welcher dem Werke
vorgedruckt ist, dass ZENKER harte, schwere Lebensschick-
sale durehgemacht hat und durch Unglück aus glänzenden
Lebensverhältnissen in den herben Kampf ums Dasein ge-
schleudert, in kümmerlichster Weise sein Leben fristen
musste.
Um so mehr müssen wir bewundern, wie er in diesem
harten Kampfe doch stets der Wissenschaft treu blieb und
die wenigen Stunden freier Zeit immer wieder ernster,
geistiger Arbeit zuwandte.
Das Verzeichnis seiner Arbeiten zeugt von der Mannig-
faltigkeit seiner Bestrebungen. Zunächst in den fünfziger
Jahren mit zoologisehen Studien beschäftigt, wendet er sich
in dem folgenden Jahrzehnt optischen Arbeiten zu, deren
Resultate in dem vorliegenden Buche wiedergegeben sind.
Endlich finden wir auch noch eine Reihe meteoro-
logischer Arbeiten angeführt, welche ZENKER auch in den
Zeiten seiner Krankheit bis kurz vor seinem Tode weiter-
führte.
Das vorliegende Werk giebt in trefflicher klarer Dar-
stellung die Geschichte der Bestrebungen, farbige Photo-
gramme zu erzeugen. In diese geschichtliche Darstellung
hat der Verfasser in geschiekter Weise die experimentellen
Untersuchungen und die theoretischen Ueberlegungen, welche
sich ihnen anschliessen, verflochten.
Von besonderem Interesse ist dem Leser natürlich die
S. 116 ff. gegebene eigene T'heorie des Verfassers,
welche 1890 von Orro WIENER experimentell erwiesen
wurde, dass nämlich die Farbenbilder BECQUEREL’s entstehen
durch die Interferenz an Elementarspiegeln aus Silber,
welehe durch die Einwirkung stehender Wellen hervorge-
rufen werden.
Auf Grundlage dieser theoretischen Einsicht ist dann
Litteratur-Besprechungen. 141
später der grosse Fortschritt in der farbigen Photographie
gemacht, wie er uns in den Bildern LırpmAann’s und den
neuesten Aufnahmen von NEUHAUS’ entgegentritt. ZENKER’S
Name ist also untrennbar mit der Photochromie verbunden.
Schmidt.
Das Tierleben der Erde von Wilhelm Haacke und
Wilhelm Kuhnert. 3 Bände. Mit 620 Textillustrationen
und 120 chromotypographischen Tafeln. In 40 Lieferungen
zu je 1Mk. Berlin, Martin Oldenbourg, 1900.
Wir wollen nicht versäumen, schon jetzt auf dieses
Werk hinzuweisen, da die zur Zeit in 3 Lieferungen vor-
liegenden 9 Bogen und 10 Farbentafeln bereits zur Genüge
erkennen lassen, dass wir es hier mit einem Prachtwerk
erster Klasse zu thun haben. HAAckE will kein zweites
„Brehm’s Tierleben“, sondern etwas völlig neues liefern,
und er hat — nach der vorliegenden Probe zu urteilen —
einen sehr guten Griff gethan. Haacke geleitet uns in die
einzelnen Erdteile, die er grösstenteils aus eigener An-
schauung kennt, als zoologischer Führer und beginnt mit
Mitteleuropa, indem er uns nach dem modernen Prinzip der
Zusammenfassung der belebten Natur in Lebensgemein-
schaften den deutschen Wald zeigt mit allem, was in ihm
lebt. Seine Darstellung ist überaus reizvoll und inhaltreich
und Kunnerr's Illustrationen ebenso wie die typographische
Ausstattung über jedes Lob erhaben. Im nächsten Hefte
werden wir ausführlicher auf dieses Werk zurückkommen.
Dr. G. Brandes.
Neu erschienene Werke.
Mathematik und Astronomie.
Hahn, R. Die Entwicklung der Leibnizischen Metaphysik und der
Einfluss der Mathematik auf dieselbe bis zum Jahre 1686. Halle
1899. 4. 35 pg.
Lengauer, L., Geometrische Wahrscheinlichkeitsprobleme. Würzburg
1899. 8. 62 pg.
Reichesberg, N., Der berühmte Statistiker Adolf Quetelet. Sein
Leben und Wirken. Neue Ausgabe. Bern (Zeitschr. Schweiz. Statist.)
1899. gr. 8. 142 pg. 2,00 Mk.
Wolff, H., Ueber die Anzahl der Zerlegungen einer ganzen Zahl in
Summanden. Halle 1899. 4. 23 pg.
Dölp, H., Aufgaben zur Differential- und Integralrechnung nebst den
Resultaten und den zur Lösung nöthigen theoretischen Erläuterungen.
8. Auflage, neu bearbeitet von E. Netto. Giessen 1900. gr.8. A und:
216 pg. Leinenband. 4,00 Mk.
Jung, H., Ueber die kleinste Kugel, die eine räumliche Figur ein-
schliesst. Marburg 1899. 8. 26 pg.
Pernter, J.M., Ein Versuch, der richtigen Theorie des Regenbogens
Eingang in die Mittelschulen zu verschaffen. 2. Auflage. Wien 1899.
gr.8. 28 pg. mit 1 Tafel und 11 Holzschnitten. 0,80 Mk.
Physik und Chemie.
Erfindungen und Erfahrungen, Neueste, auf den Gebieten der
praktischen Technik, Elektrotechnik, der Gewerbe, Industrie, Chemie,
der Land- und Hauswirtschaft. Herausgegeben und redigiert von
Th. Koller. Wien. gr. 8. mit Abbildungen. — Jahrgang 27: 1900
(13 Hefte). 7,50 Mk.
Edelmann, M., Der Galvanometer mit beweglicher Spule (d’Arsonval-
Galvanometer). München 1899. . 8. 40 pg.
Faller, O., Eine neue Anschauung über die Reibung. Vorläufige Mit-
teilung. München 1899. gr. 8. 16 pg. mit Holzschnitten. 0,40 Mk.
Feliei, R., Ueber die mathematische Theorie der elektrodynamischen
Induktion. (1854.) Uebersetzt von R. Dessau. Herausgegeben von
E. Wiedemann. Leipzig 1899. 8. 121 pg. Leinenband. 1,80 Mk.
Hillers, W., Ueber den Einfluss des Gasdruckes auf elektrische Ströme,
die durch Röntgenstrahlen hervorgerufen werden. Jena 1899. 8.
42 pg- 1,80 Mk.
Neu erschienene Werke. 143
Leixl, O., Zur chemischen Charakteristik der Malagaweine. Ein Bei-
trag zur Beurteilung der Süss- und Südweine. München 1898. 8.
38 Dg.
Lenecek, O., Der Torf und die moderne Torfindustrie. Brünn 1899.
8. 20 pg.
Monheim, J., Beiträge zur Kenntnis des Tannenhonigs. Erlangen 1899.
8. 42 ng.
Schwab,M.J., Untersuchungen über die Beschaffenheit der in Deutschen
Städten fabrikmässig hergestellten Säuglingsmilch. Würzburg 1899.
8. 21 pg.
Bersch, W., Die moderne Chemie. Eine Schilderung der chemischen
Grossindustrie. Wien 1900. gr.8. mit Tafeln und Abbildungen. —
Lieferung 17—30: pg. 8 und 631—952. Jede Liefg. 0,50 Mk.
Das jetzt vollständige Werk, 960 pg. mit 34 Tafeln und 696 Abbildungen. 15,00 Mk.
1 in Leinenband 17,50 Mk.
Brühl, E., Kritische Studien über die Anwendung des Wasserstoff-
superoxydes in der quantitativen Analyse. Wiesbaden 1900. 8.
34 pg. 0,80 Mk.
Geitel, M., Das Wassergas und seine Verwendung in der Technik.
3. umgearbeitete und vermehrte Auflage. Berlin 1900. gr. 8. mit
74 Abbildungen. 7,00 Mk.
Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Bersch, J., Lexikon der Metall-Technik. Enthaltend die Schilderung
der Eigenschaften und der Verwertung aller gewerblich wichtigen
Metalle, deren Legierungen und Verbindungen. Wien 1899. gr. 8.
mit zahlreichen Abbildungen. — Lieferung 17—20: pg. 6 und 768
bis 864. Jede Liefg. 0,50 Mk.
Das jetzt vollständige Werk, 870 pg. mit zahlreichen Abbildungen. 10,00 Mk.
Brauns, R., Betrachtungen über die Krystallisation des Schwefels aus
seinem Schmelzfluss. (Stuttgart, N. Jahrb. Mineral.) 1899. gr. 8.
51 pg. mit 7 Tafeln. 4,00 Mk.
Twrdy, K., Methodischer Lehrgang der Krystallographie. Wien 1899.
gr. 8. 11 und 208 pg. mit 184 Holzschnitten. 2,50 Mk.
Day, D.T., The production of Fluorspar in 1898 (in the United States).
Washington 1899. 4. 5 pg. 0,80 Mk.
Hornung, W., Die Diluvial- und Alluvialablagerungen des Regnitz-
thales nördlich Erlangen, nebst einigen Betrachtungen der oro-
graphischen und hydrographischen Verhältnisse des Niederschlags-
gebietes der Regnitz. Erlangen 1899. 8. 46 pg. mit 2 Karten.
Studer, G., Ueber Eis und Schnee. Die höchsten Gipfel der Schweiz
und die Geschichte ihrer Besteigung. 2. Auflage, von A. Wäber und
H. Dübil. Band III: Südalpen, Schluss; Ostalpen. Bern 1899. 8.
12 und 508 pg. Leinenband. 7,00 Mk.
Das jetzt vollständige Werk, 3 Bände, 1896—99. 535, 537 und 520 pg. mit 1 Portrait,
Leinenband. 21,00 Mk,
144 Neu erschienene Werke.
Botanik.
Bo en, F., Die Lärche. Ihr leichter und sicherer Anbau in Mittel-
und Nord-Deutschland durch die erfolgreiche Bekämpfung des Lärchen-
krebses. Hameln 1899. 8. 140 pg. mit 3 Tafeln. 2,00 Mk.
Wübbena, A., Untersuchungen über die Aenderung der Quell- und
Keimfähigkeit harter Rot- und Weisskleesamen. Berechnung der
Qualitätseoeffizienten aus der mittleren chemischen Zusammensetzung
und den mittleren Marktpreisen landwirtschaftlich wichtiger Futter-
mittel. Kiel 1899. 8. 87 pg. mit 3 Tafeln. — Zeitschrift für Biologie
— siehe No. 370.
Zibale, Ueber die Bewegungserscheinungen im Pflanzenreiche. Nauen
1899. 4. 29 pg.
Cavara,F., Osservazioni eitologiche sulle „Entomophthoreae“. (Firenze,
N. Giorn. botan. Ital.) 1899. in-8. gr. 56 pg. e. 2tavole. — Annales
de l’Institut Pasteur — voir no. 81. — Annales de Mikrographie —
no. 137.
Britzelmayr, M., Cladonien-Abbildungen. Teil II. Berlin 1900.
30 Tafeln in-4. 10,00 Mk.
Teil I. 1898. 30 Tafeln in-4. mit 34 pg. Text in-8. 10,00 Mk.
Zoologie.
Krüger, L., Insektenwanderungen zwischen Deutschland und den
Vereinigten Staaten von Nord-Amerika und ihre wissenschaftliche
Bedeutung. Herausgegeben vom Entomologischen Vereine zu Stettin.
Stettin 1899. gr. 8. 8 u. 174 pg. 4,00 Mk.
Koeninck, A., Versuche und Beobachtungen an Fledermäusen. Mar-
burg 1899. 8. 32 pg.
Schaap, P. C. D., De Glandulae genitales accessoriae van het Konijn
voor en na Castratie en Resectie des Vasa deferentia. Utrecht 1899.
gr. 8. 80 pg. m. 3 Tafeln. 3,00 Mk.
Boas, J. E. V., Einige Bemerkungen über die Metamorphose der
Insecten. (Jena. Zool. Jahrb. 1899.) gr. 8. 18 pg. m. 3 Textfiguren
u. 1 colorirten Tafel. 2,00 Mk.
Herbst, C., Ueber die Regeneration von antennähnlichen Organen an
Stelle von Augen (bei Krebsen). Theil III u. IV: Weitere Versuche
mit total exstirpirten Augen u. Versuche mit theilweise abgeschnittenen
Augen. (Leipzig, Arch. Entwicklungsmech.) 1899. gr. 8. 78 pg. m.
3 Tafeln in-4. u. 1 Holzschnitt.
Theil I. (Leipzig, Arch. Entwicklungsmech.) 1896. 15 pg. m. 1 Tafel. 2 Mk. —
Theil II. (Zürich, Festschr. Naturf. Ges.) 1896. 20 pg. m, 1 Tafel. 2 Mk.
Mrazek, A., Sporozoenstudien. Il: Glugea lophii Doflein. Prag
(Sitzungsb. Böhm. Ges. Wiss.) 1899. gr. 8. 8 pg. m. 1 Tafel.
0,80 Mk.
Druck von Ehrhardt Karras, Halle a. S.
Verlag von E. Nägele in Stuttgart.
Lehrbuch der Zoologie
für höhere Lehranstalten und die Hand des Lehrers.
Von biologischen Gesichtspunkten aus bearbeitet
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Dr. O0. Schmeil.
3. verbesserte und vermehrte Auflage.
Preis gebunden Mk. 4,—.
Leitfaden der Zoologie.
Ein Hilfsbuch für den Unterricht in der Tier- und Menschenkunde
an höheren Lehranstalten
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Dr. 0. Schmeil.
Preis gebunden Mk. 2,80.
Grundriss der Naturgeschichte
Dr. ©. Schmeil.
1. Heft:
Tier- und Menschenkunde.
“Preis kart. Mk. 0,85.
Der Mensch.
Ein Leitfaden -
für-den
Unterricht in der Menschenkunde und Gesundheitslehre
von
Dr. 0. Schmeil.
Preis kart, Mk. 0,80.
Ueber die Reformbestrebungen
auf dem Gebiete des naturgeschiehtlichen Unterrichts
von
Dr. 0. Schmeil.
4. verbesserte und vermehrte Auflage.
Preis broschiert Mk. 1,40.
er
gr”
und zum SeThennerzie ee igD
‚ mehrte und vollständig umgearbeitete. Auflage.
589 in den Text gedruckten Figuren. gr. 8°.
Mk. 15; geb. in Halbleder Mk. 16.
Beide Abteilungen bilden ein zusammenhängendes Ganze and Werden
„In der Flut von Lehrbiichern der Physik, welche i
Jahren den Büchermarkt überströmte, nimmt dieses Wer
ersten Plätze ein. Klarheit und Schärfe der Darstellung, P
Bestimmtheit des Ausdruckes erfreuen den Leser ebenso wie
ERRN, haltigkeit des Inhalts. Ueberall arbeitet der Verfasser mit den
1 Anschauungen in ebenso geschiekter wie glücklicher Weise ,
N ‚für a q. 5 di. a KH
Be
Verlag von E. Sehweizerbart in Stuttgart. a,
System
synihelischen Philosophi
‚yon
e > 5 ER Herbert Spencer. a
Autorisierte deutsche Ausgabe.
” i 109
Bd.I. Grundlagen der Philosophie. . .. ... . Mk.
© Bd. III. Die Prinzipien der Biologie. IT. . . . Mk. 24,
Bd. IV—V. Die Prinzipien der Psychologie. I/II . . . 27,
Bd. VI-IX. ‚Die Prinzipien der Soziologie. I/IV. . .
Bd. XXI Die Prinzipien der Ethik, I/II . .
mg, Bund, | 3. u. 4. Heft. 19. Dezember 1900.
6565 FEB. 8 1997
Zeitschrift
für
Naturwissenschaf en.
Ai ep
Organ des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen
und Thüringen, unter Mitwirkung von
Geh.-Rat Prof. Dr. von Fritsch, Geh. Rat"Prof. Dr. Gareke
Geh.-Rat,Prof. Dr. E, Schmidt und Prof. Dr. W. Zopf
herausgegeben
‚von
Dr. G. Brandes
Privatdozent‘ der Zoologie an. der Universität Halle
- Mit 2 Tafeln und 14 Figuren im Text
Jährlich erscheint 1 Band zu 6 Heften
Preis des Bandes 12 Mark
Vereinsausgabe
Stuttgart
E. Sehweizerbart’sche Verlagshandlung
(E. Naegele)
1900
we
Inhalt.
ieh
ven EB OBshldihAhyhandlungen.
Fahren herk$, |Dr. D., Ueber ein Vorkommen von Dolomit bei
Magdeburg... RE UN NEE VER
Ofenheim, Dr. Ernst von, Geber eine neue Donna
Mit Tafel II und 4 an im Rext ®.
Schoenichen, Dr. Walther, Ueber Tier- und Menschrnse te
Mit 10 Figuren im Mext 5
Schulze, Dr. Erwin, Catalogus mammalium euröpaeurum
Wiegers, Dr. Fritz, Ueber Aetzungserscheinungen an Gyps.
Mit Tafel IV . Ai
II. Kleinere Mitteilungen.
Chemie und Physik: Die Riechstoffe aus der Gruppe der
Alkohole und Ester. 8.280. — Gleichzeitige Gewinnung
von Stärke und Kleberteig. S.28. .
Mineralogie: Ueber Thüringer Meteoriten. ‘8. 288.
Botanik: Ein Vorschlag zur ‚gleichförmigen Benennung. der-
Pflanzenordnungen. $. 298. — Ueber Pflanzengallen,. S. 300.
Zoologie: Ein neuer viviparer Fisch. 8.301. — Ein Beitrag
zur Schneckenfauna des nordwestlichen Thüringer Waldes.
S. 302. — Das Vorkommen von Planaria alpina Zoralich
vom Harz. 8. 303.
III. Litteratur - Besprechungen .
IV. Neu erschienene Werke .
Seite
Ueber eine neue Distomidengattung
von
Dr. Ernst von Ofenheim.
Mit Tafel III und 4 Figuren im Text.
Es sind vielfach Versuche gemacht worden eine Ein-
teilung des Genus Distomum vorzunehmen, so z. B. schon‘
von DUJARDIN!) und CoBBoLD,?) ferner in neuerer Zeit
von MoNnTIcELLI,?) SrtossicH®) und Looss.®) Dass die von
DusarDın vorgeschlagene und von MoNTIcELLI in der ge-
nannten Arbeit acceptierte und verbesserte Einteilung in
neun Untergattungen unhaltbar ist, hat MonrickLuıs) selbst
in einer späteren Arbeit in eingehender Weise begründet.
Ebendort sehlägt MonrTickLuı vor, die Einteilung des Genus
Distomum in Untergattungen ganz aufzugeben und die schon
von CoBBoLD vorgeschlagene Auflösung dieser artenreichen
Gattung in mehrere Genera, wenn auch in veränderter Form,
anzunehmen.
») Dujardin, I.; Histoire naturelle des Helminthes. Paris 1845.
2) Cobbold, T. Sp.; Synopsis of Distomidae in Journ. Linn. Soc.
London 1859.
®) Monticelli, Fr. Sav., Saggio di una morfologia dei Trematodi.
Napoli 1888.
*) Stossich, M.; Appendice al mio lavoro: „I Distomi ete.“
Programma Ginn. comunale Trieste 1888.
5) Looss, A.; Weitere Beiträge zur Kenntniss der Trematoden —
Fauna Egyptens. Zool. Jahrb. Abt. f. Syst. Bd. XIL. 1899.
6) Monticelli, Fr. Sav.; Studii sui Trematodi endoparassiti.
III. Supplementheft d. Zool. Jahrb. Jena 1893.
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 10
146 Dr. ERNST Von OFENHEIM, [2]
Er will vier Gattungen aufstellen, nämlich: Podocotyle,
Echinostomum, Crossodera und Distomum, deren Spezies er
nach den Typen ihres organischen Baues in Gruppen zu-
sammenzufassen gedenkt. Bei der Aufstellung der oben
genannten vier Gattungen zieht MoNTICELLI nur die äusseren
Charaktere in Betracht mit der Begründung: „Questi generi,
secondo io propongo, sono fondati eselusivamente su di un
solo ordine di caratteri, le caratteristiche esterne, come
quelle, che prime si mostrano, e sono di piu facile appreza-
mento di quelle interne! ... Diese mangelhafte Begründung,
sowie der Umstand, dass einerseits Apoblema keinen Platz
in dieser Einteilung findet, anderseits oft die dem inneren
anatomischen Bau nach heterogensten Arten in ein und die-
selbe Gattung kommen, indes andere infolge geringer äusserer
Unterschiede, bei gleichem anatomischen Bau, verschiedenen
Gattungen zugeschrieben werden, beweist zur Genüge die
Hinfälligkeit dieser Einteilung. In allerneuester Zeit hat
Looss die Einteilungsfrage wieder aufgegriffen und eingehend
behandelt. Er verlangt darin strenge Innehaltung des Priori-
tätsgesetzes, soweit dies möglich ist, indem er das Genus
Distomum in unbestimmt viele Gattungen zerlegt und den-
selben neue oder jene Namen giebt, unter welchen Individuen
derselben zuerst so beschrieben wurden, dass sie gegenüber
anderen Gattungen streng abgegrenzt sind.
In diesem Sinne, glaube ich, haben sich auch die von
mir im folgenden eingehend charakterisierten beiden Formen
als scharf zu trennende, und doch wiederum eng zusammen-
gehörige Arten ergeben, für die ein neues Genus zu schaffen
ist. Sie bilden somit wieder einen Beweis für die Richtigkeit
des Looss’sehen Standpunktes, dass nämlich fortwährend
Formen gefunden werden, welehe sich nicht in den Rahmen
bereits bestehender Gattungen einfügen lassen und für
welche somit am besten neue Gattungen aufgestellt werden.
Die eine der von mir behandelten Arten ist bereits von
MonTIcELLI!) eingehend beschrieben worden, und ich werde
daher die Beschreibung derselben nur in grossen Zügen
wiedergeben und im besonderen nur auf jene Punkte hin-
!) Monticelli; Studii ete. S. 139—148.
[3] Ueber eine neue Distomidengattung. 147
weisen, in denen sich meine Beobachtungen mit den Angaben
MonTicEruı’Ss nieht deeken. Ich werde schliesslich versuchen
jene Merkmale zusammenzufassen, dureh welehe ich mich
bereehtigt glaube, eine neue Gattung aufzustellen, sowie
jene Arteharaktere zu kennzeichnen, durch welehe sich
die beiden in dieser Gattung enthaltenen Spezies unter-
scheiden.
Anaporrhutum‘) albidum Brandes in litt.
Während meiner Studienzeit in Halle vertraute mir
Herr Privatdozent Dr. BrRAnDzs eine interessante Distomiden-
form zur Untersuchung an, die von Herrn Prof. Dr. ScHAU-
INSLAND, Direktor des Naturhistorischen Museums zu Bremen,
auf einer Reise nach dem Paeifie in dem Jahre 1896/97
aus der Leibeshöhle und dem Pericardium von Aetobatis
narinari gesammelt war. Diese Form zeigte schon bei
oberflächlieher Untersuchung auffallende Beziehungen zu
dem aus dem Herzbeutel von Haifischen bekannten Disto-
mum richiardiu Lopez.
Dr. BRANDES war so liebenswürdig mir auch von dieser
Form einige gut konservierte Exemplare zur Verfügung zu
stellen. Das Material von A. albidum war teils in Formol,
teils in Sublimat konserviert, das ganze Material lag jedoch
in Alkohol, als ich es erhielt. Was den Erhaltungszustand
anbelangt, so ist derselbe leider nicht gut genug für histo-
logische Studien; wahrscheinlich ist daran aber weniger die
Konservierungsmethode schuld, als vielmehr das Lebensalter
der Tiere. Trotz der verschiedenen Grösse der Tiere scheinen
sich doch alle ziemlich in dem gleichen Entwieklungsstadium
befunden zu haben, obwohl man im allgemeinen sagen kann,
dass die kleineren Exemplare etwas besser erhalten waren.
Ich glaube daher, dass wir es hier mit Tieren zu thun
haben, bei denen die männliche Geschlechtsperiode bereits
vorüber war, da die Hoden oft nur noch spärlich, mitunter
gar nieht mehr vorhanden sind, während der weibliche
Geschlechtsapparat noch in voller Thätigkeit gewesen sein
1) « privativum und anogövros —= mit Abfluss versehen; «ve-
r0o06vrog — ohne Abfluss.
10*
148 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [4]
muss, denn Uterus, Ootyp, Oviduet und Ovarium erscheinen
stets mit Eiern oder Eizellen erfüllt. Dieser Befund er-
innert von vornherein an die von WALTER!) für die sogenannte
Lanzenspitzform von Monostomum proteus Brandes gemachten
Angaben. Ich werde übrigens noch an anderer Stelle auf
diesen Gegenstand zurückkommen.
Im ganzen waren es 15 Individuen von sehr verschiedener
Grösse, die bei meinen Untersuchungen verwendet wurden;
das grösste darunter befindliche war 31,0 mm lang und
12,0 mm breit, das kleinste 7,8 mm lang und 4,3 mm breit.
Aeusseres Aussehen.
Die allgemeine Körperform ist ein Oval, an dessen
Vorderende der Bauchsaugnapf liegt und dem am vorderen
Körperpol ein kleiner Zapfen aufgesetzt ist, wie wir ihn
ähnlich bei Fasciola hepatica kennen. Dieser bildet einen
vorspringenden Lappen von flach -konischer Form, in
dessen vorderstem Winkel sich ventral der Mundsaugnapf
befindet. In dorso-ventraler Richtung ist der Körper ausser-
ordentlich stark abgeflacht, meistens aber in der Weise ge-
krümmt, dass die Bauchseite leicht konkav, die Rücken-
seite leicht konvex ist. Es haben sich aber auch vier
Individuen vorgefunden, bei denen dieses Verhalten gerade
umgekehrt war. Bei diesen letzteren war der Krümmungs-
radius kleiner als bei jenen; ein derartiges Exemplar ist
in Profilansieht auf Taf. III Fig. 2 dargestellt. Die Ver-
schiedenheit der Krümmung der Körperfläche dürfte wohl
auf Kontraktionszustände zurückzuführen sein. Der Mund-
saugnapf ist, wie sehon oben bemerkt, am äussersten Vorder-
rande des Körpers gelegen, und zwar nicht terminal, sondern
ventral, seine stets kreisrunde Mündung habe ich weit offen
gefunden. (Taf. III Fig. 4) Ziemlich stark hervorragend,
ist derselbe bei den einzelnen Individuen von sehr ver-
schiedener Grösse und zwar ist seine Grösse nicht proportional
1) Walter, E.; Untersuchungen iber den Bau der Trematoden.
Zeitschr. f. wiss. Zoologie. 1892. Bd.56. 8. 189—236.
[5] Ueber eine neue Distomidengattung. 149
zur Grösse des Tieres; so beträgt der Durchmesser des
Mundsaugnapfes von den äusseren Rändern gemessen bei
dem grössten der Tiere 0,903 mm, bei dem kleinsten da-
gegen 0,505 mm, also ist bei den kleineren Individuen der
Saugnapf verhältnismässig sehr gross. Auch der Abstand
des Bauchsaugnapfes vom Mundsaugnapf ist keineswegs
konstant, auch nieht konstant im Verhältnis zur Grösse des
Individuums. Der Bauchsaugnapf ist ungefähr von derselben
Grösse wie der Mundsaugnapf und misst im Durchmesser
bei dem oben genannten grössten und kleinsten Exemplare
1,124 mm resp. 0,408 mm. Der Bauchsaugnapf ragt ziemlich
stark über die Körperoberfläche hervor und zwar stärker
mit seinem kaudalen, als mit seinem oralen Rande. Durch
diesen Umstand erscheint er ein wenig dem vorderen Körper-
ende zugewendet. Zwischen beiden Saugnäpfen in der
Medianlinie befinden sieh, ungefähr gleichweit von denselben
entfernt, die Geschlechtsöffnungen. Diese liegen zwar sehr
nahe an einander, münden aber jedenfalls getrennt, so dass
man von einem männlichen und weiblichen Geschlechtsporus
sprechen kann. Der weibliche Geschlechtsporus liegt etwas
vor- und seitwärts vom männlichen. Trotzdem die Mündungs-
stelle ein wenig erhaben ist und die beiden Geschlechts-
öffnungen von einem gemeinsamen leicht erhabenen Wall
umgeben sind, glaube ich doch nicht, dass man hier von
einem Genitalnapf sprechen kann.
Der Exkretionsporus befindet sich am Grunde einer
kleinen Einbuchtung des äussersten Körperendes. Die Ex-
kretionsöffnung mündet zwar terminal, jedoch stark gegen
die Bauchseite gedrängt. Die Körperoberfläche ist voll-
ständig glatt und besitzt keinerlei Stacheln oder Schuppen.
Der Verdauungsapparat.
Der Mundsaugnapf, dessen dorsale Wandung fast doppelt
so lang ist als die ventrale, (Tafel. III Fig. 4) zeigt deutliche
Radial und Ringmuskulatur. Die Ringmuskeln liegen zum
grösseren Teile an der inneren Fläche. Die Mundöffnung
150 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [6]
ist trichterförmig. Unmittelbar an den Mundsaugnapf schliesst
sich der muskulöse Pharynx an, welcher birnförmig ist und
sich mit seinem verjüngten Ende weit in den Mundsaugnapf
vorschiebt. Es giebt somit keinen eigentlichen Boden des
Saugnapfes, dieser stellt vielmehr ein Rohr dar, welches an
seinem rückwärtigen Ende durch den a hingendien Zapfen
des Pharynx begrenzt wird.
Diese Anordnung des Pha-
rynx ist eine Besonderheit,
die ich bei keiner anderen
mir bekannten Distomiden-
Art gefunden habe und die
auch in der einschlägigen
Litteratur nicht erwähnt zu
sein scheint. Das innere
Lumen des Pharynx ist sehr
eng und erweitert sich nur
wenig in dem mittleren
bauchigen Teile, um sich
sofort wieder zu verengen.
Der Oesophagus ist nur sehr
kurz (Taf. II Fig. 4) und
R ' scheint innen in Längsfalten
ontourpause einer photogra- = a
phischen Aufnahme. Der Verdau- gelegt zu sein. Möglicher-
ungsapparat durch Tusche kräftig weise gehört allerdings noch
hervorgehoben. ein Teil der angrenzenden
bsn. Bauchsaugnapf, i. Darm- Darmwand zum Oesophagus,
msn. Mundsaugnapf, ph. Ale sich haider Knaknon
aryıx, rs. Receptaculum seminis, z {
2 ash des Wurmes eine Strecke
weit in das Darmlumen um-
Bis-2le
Anaporrhutum albidum. 8 >
sestülpt hat.
Looss!) stellt als Regel auf, dass bei allen Formen, bei
denen ein deutlicher Pharynx vorhanden ist, sich auch ein
sogenannter Vorhof findet. Wie wir sehen, macht jeden-
falls die hier beschriebene Spezies eine Ausnahme von dieser
Regel.
1) Die Distomen unserer Fische und Frösche. Bibl. Zool. Hft. 16,
8.138. Stuttgart 1894.
[7] Ueber eine neue Distomidengattung. 151
Die Darmsehenkel haben schon in ihrem vordersten
Teile ein geräumiges Lumen, dieses erweitert sich aber
allmählich noch mehr und weist im ganzen Verlaufe der
beiden hinteren Körperdrittel ungefähr die gleiche Weite
auf, die mehr als 1 mm im Durchmesser beträgt. Die Darm-
schenkel verlaufen, von geringen Windungen, welche offen-
bar von Füllungs- und Kontraktionszustäinden abhängen,
abgesehen, ziemlich parallel zum Körperrande. jedoch von
diesem ungefähr ebenso weit entfernt wie von der Körper-
mitte. Das Darmepithel war nieht gut zu erkennen, doch
slaube ich bestimmt, dass ein solches vorhanden ist und
wie bei allen Trematoden aus einer Lage von eylindrischen
Zellen besteht. Unter diesem Epithel liegt eine nicht sehr
starke Muskelschicht, von welcher ich jedoch nur die Ring-
muskelfasern genauer zu unterscheiden vermochte. Der
Darminhalt bildet eine kompakte Masse, welehe man in der
ganzen Länge des Darmes vorfindet, welche jedoch das
Darmlumen nieht vollständig ausfüllt, sondern stets in der
Mitte desselben liest und einen fast vollkommen regel-
mässigen Cylinder bildet. Looss!) hat an frischen Exem-
plaren anderer Distomidengattungen die Beobachtung ge-
macht, dass der Darminhalt oft durch einen leeren Raum
von der Darmwandung getrennt zu sein scheine, dass man
aber mit starken Vergrösserungen feststellen könne, dass der
fragliche Raum mit einer verworrenen streifigen Masse er-
füllt sei. Trotzdem meine Exemplare schon lange konserviert
waren, fand ich jenen leeren Raum, konnte jedoch von einer
streifigen oder faserigen Ausfüllung desselben nichts sehen.
Der Darminhalt besteht, soweit es sich noch beurteilen liess,
aus zerstörten Zellenelementen, unter denen geschrumpfte
Blutkörperchen vorwiegend vertreten waren, ausser diesen
lassen sich jedoch auch noch ziemlich gut erhaltene Blut-
körperehen nachweisen. Wir sehen also, dass sich Ana-
porrhutum albidum vom Blute seines Wirtes ernährt, eine
Erscheinung, welche zuerst von RAILLIET?) für Distomum
1) Die Distomen etc. 8. 142.
2) Railliet; Une experience propre & &tablir le mode d’alimen-
tation du Distoma hepatique. Bull, Soc. Zool. France, 1890. T. 15, 8. 88.
152 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [8]
hepaticum nachgewiesen und von MonTIcELLI auch bei
D. richiardiü beobachtet wurde; die weitere Folgerung
MonTIcELLTs, dass sich alle Distomen vom Blute ihres
Wirtes ernähren, ist jedoch unrichtig, und die gegenteilige
Behauptung findet sich auch bei Looss, welcher bei dem
srössten Teil der Distomiden den Darminhalt des Wirtes
oder sonstige Sekrete und Abfälle als Nahrung erkannt hat.
Unter den Distomen der Frösche sind nur die beiden Lungen-
distomen auf Blut angewiesen, während von den Fisehdistomen
D. tereticolle nur bei Mangel anderer Nahrung Blut saugt.
Das Nervensystem.
Das Nervensystem ist leider der bei dem mir zur Ver-
fügung stehenden Material am schlechtesten erhaltene Teil,
und es gelang mir trotz eifrigster Nachforschung nur das
Folgende mit Bestimmtheit festzustellen. Beiderseits des
Pharynx liegen zwei stärkere Ganglienmassen, die durch
eine Kommissur verbunden sind. Die Kommissur verläuft
dorsal von jener Stelle, wo der Pharynx an den Oesophagus
resp. an den Darm grenzt. Die Ganglienmassen hingegen
liegen nicht genau lateral vom Pharynx sondern erscheinen
gegen die Bauchseite gedrängt. Man sieht deutlich den
Verlauf der Nervenfasern in der Kommissur und dazwischen-
liegende Ganglienzellen, die ausschliesslich unipolar zu sein
scheinen. Von jedem der Ganglien verlaufen kaudalwärts
zwei Nervenäste, von denen der äussere der stärkere ist.
Trotzdem ich den weiteren Verlauf der Nerven nicht zu
verfolgen vermochte, so glaube ich doch aus der Richtung,
die sie einschlagen, annehmen zu- können, dass die äusseren
Nerven ihren Verlauf ausserhalb der Darmschenkel nehmen,
indes die inneren innerhalb derselben bleiben. Auch oral-
wärts entspringen zwei Nervenpaare, bei denen ich jedoch
weder den Verlauf noch die Richtung zu sehen vermochte.
An den Ursprungstellen der Nerven erscheinen die Ganglien-
zellen besonders stark gehäuft, jedoch habe ich, wie ich
glaube, auch in dem Muskelgewebe des Mundsaugnapfes,
[9] Ueber eine neue Distomidengattung. 153
des Bauchsaugnapfes und des Pharynx eingestreute Ganglien-
zellen und feine Nervenenden gefunden, wie solche auch auf
Taf. III Fig. 4 wiedergegeben sind. Es ist möglich und so-
gar recht wahrscheinlich, dass noch mehr Nerven aus den
Ganglienknoten entspringen, nach dem mir vorliegenden
Material vermag ich dies jedoch nieht zu entscheiden. Im
allgemeinen scheint das Nervensystem des Anaporrhutum
albidum demjenigen des D. richiardii sehr ähnlich zu sein,
nur dass es entsprechend der viel geringeren Ausbildung
des Muskelsystems bei weitem schwächer entwickelt ist als
jenes.
Das Wassergefäss-System.
Das Exeretionsgefäss-System zeigt eine merkwürdige
Abweiehung von dem bei Distomiden sonst üblichen Aus-
sehen. Es mündet, wie schon oben bemerkt, am Grunde
einer ventralen Einbuchtung am hinteren Rande des Körpers.
Von hier zieht sich der Endkanal, welcher ziemlich eng be-
sinnt, sich jedoch sehr rasch erweitert und sodann fast
während seines ganzen Verlaufes das gleiche Lumen bei-
behält, ungefähr in der Mittellinie des Körpers, aber der
Dorsalseite stark genähert, nach vorne. Dieser Endkanal
erstreckt sich bis zur Grenze des zweiten und dritten Körper-
fünftels, wo sich meist eine kleine, blasenartige Erweiterung
vorfindet, von welcher zwei senkrecht zur Längsachse des
Tieres verlaufende Kanäle entspringen. (Fig. 2 bl.) Nicht
bei allen meinen Exemplaren war diese Stelle erweitert, ein
Umstand, der darauf schliessen lässt, dass diese Erweiterung
die Folge verschiedener Füllungsgrade ist, indem vielleicht
gerade an dieser Gabelung die Gefässwandung weicher und
nachgiebiger ist, wiewohl man im histologischen Bau keinen
Unterschied gegenüber den übrigen Teilen des Endkanals
findet. Bei den Exemplaren mit erweiterter Blase bemerkte
ich auch ausser den beiden schon erwähnten Seitenästen
zwei, mitunter auch drei ganz kurze nach vorne ab-
gehende, blind endigende Zweige (Fig. 2 und Tafel II
Fig. 3). Die beiden Seitenäste verlaufen noch eine Strecke
154 Dr. ERNST voN OFENHEIM, [10]
weit dorsal, wenden sich dann ziemlich plötzlich ventral-
wärts, um die Darmschenkel zu umfassen und sich sofort
dem Rücken wieder zuzuwenden. Hier senden sie abermals
zwei Aeste aus, welche rechtwinkelig von dem Seitenaste
abbiegen. Der eine von diesen verläuft nach vorne, indem
er sich, je weiter er
nach vorne kommt,
desto mehr dem äus-
seren Rande des be-
treffenden Darm-
schenkels nähert und
endlich diesen auch
dorsal überschreitet,
um in der Nähe des
Bauchsaugnapfes über
dem inneren Rand des
Darmes blind zu enden.
Diese Seitenäste ent-
senden während ihres
Verlaufes in ziemlich
dw gleichen Abständen
zwei, seltener drei,
ihrerseits wieder
Contourpause einer photographischen diehotom verästelte
Aufnahme. Das Wassergefässsystem durch Zweige gegen die Mitte
Tusche stark hervorgehoben. des Tieres hin, die
a. Anastomosen, bl. blasenartige Er- dorsal vom Darm ver-
weiterung, Dsn. Bauchsaugnapf, ep. Ex- Jaufen und denselben
kretionsporus, ex. Hauptstamm des Wasser-- mitunter auch nach
gefässsystems, msn. Mundsaugnapf, nex.
Nebenstämme des Exkretionsgefässsystems.
FZLER---—--.
Fig. 2.
Anaporrhutum albidum. 8><
innen überschreiten.
(Taf. III Fig. 3). Die
caudalwärts verlaufenden Seitenäste liegen wie die vorderen
ziemlich parallel zum äusseren Körperrande, jedoch in
einigem Abstande von ihm. Sie erstrecken sich bis kurz
vor das Ende des Darmes, woselbst sie meist gabel-
förmig in zwei kurze Aestehen auslaufen. Auch diese nach
rückwärts verlaufenden Seitenstämme entsenden median-
wärts zwei bis drei Zweige; bei einigen Individuen fand ich
eine merkwürdige Anastomose der letzten dieser kleinen
[11] Ueber eine neue Distomidengattung. 155
Seitenzweige mit ihrem Stamme durch einen kurzen Kanal,
wie dies an der Fig. 2 bei a und auch Taf. III Fig. 3 zu
sehen ist. Da ich leider keine lebenden Tiere zur Ver-
fügung hatte, kann ich über das Vorhandensein und über
die Beschaffenheit von Wimperflammen nichts sagen, da
diese durch die längere Konservierung in Alkohol stets zu
Grunde zu gehen scheinen, resp. nicht mehr unterscheidbar
sind. Die Einteilung des Wassergefässsystems, wie dieselbe
von Loosst) vorgeschlagen wird, ist bei unserer Spezies
schwer durchführbar. Ich konnte eine zellige Struktur der
Wandung, wie sie zur Bestimmung des Bereiches der End-
blase massgebend sein soll, selbst im äussersten Hinterende
nieht sehen; dagegen fand ich sowohl im Hauptstamme
(Taf. III Fig. 3, ex) als auch in den senkrecht von demselben
entspringenden Seitenästen jene Längsfalten, die Looss als
charakteristisch für die Sammelröhren angiebt, und die auf
dem Querschnitte dem Lumen das Aussehen eines Sternes
mit kurzen Spitzen verleihen. In den beiden seitlich
nach vorne und hinten verlaufenden Gefässen sind solche
Längsfalten nieht mehr zu sehen, und diese Teile des Ex-
kretionssystems wären somit nach Looss als Kapillaren auf-
zufassen, trotzdem auch von ihnen noch Seitenzweige ab-
sehen. Wenn wir diese Nebenstämme des Exkretionssystems
(Taf. II Fig. 3 nex) also als Kapillaren betrachten, so würden
der Mittelstamm und die beiden von ihm ausgehenden Seiten-
äste als Sammelröhren zu bezeichnen sein, indes eine End-
blase ganz fehlen würde. Dieses letztere ist einigermassen
unwahrscheinlich, und es wäre nicht unmöglich, dass bei
lebendem Material ein Teil, den man als Endblase zu be-
zeichnen hat, unterschieden werden kann.
Aber auch wenn man den histologischen Bau ganz un-
berücksichtigt lässt, ist es nieht leieht, eine Entscheidung
über die Ausdehnung der Endblase zu treffen, da wir der
Form nach ein ganz abweichendes Wassergefässsystem vor
uns haben. Man kann dasselbe jedoch vielleicht dadurch
auf die recht häufig vorkommende Y-Form zurückführen,
dass man annimmt, dass die beiden schräg nach vorn
2) Die Distomen ete. S, 156,
156 Dr. ERNST Von OFENHEIM, [12]
verlaufenden Schenkel des Y senkrecht zur Längsachse an-
gesetzt sind, wodurch wir zu unserer T-Form gelangen. Die
Frage der Endblase ist dadurch natürlich noch nicht definitiv
erledigt, da wir Formen mit Y-förmigen Wassergefässsystem
haben, bei denen die Endblase nur bis zur Gabelungsstelle
reicht, andere dagegen, wo sich dieselbe in die beiden daran
schliessenden Hörner fortsetzt. Nach dem allgemeinen Ein-
druck, den das Wassergefässsystem bei unserer Form macht,
möchte ich den Mittelstamm mit seiner Erweiterung am
vorderen Ende als Endblase, die von hier entspringenden
Seitenäste samt den lateralen Längskanälen als Gefässe und
erst die von diesen entspringenden Zweige als Kapillaren
bezeichnen.
Der Geschlechtsapparat.
Der Hauptunterschied dieser Spezies von den übrigen
Distomiden-Arten beruht im Bau des Genitalapparates, so-
wohl in seinem männlichen, als auch in seinem weiblichen
Teile. Vor allem fällt uns auf, dass die Hoden nicht nur
zwischen den Darmschenkeln liegen, sondern zum grössten
Teile ausserhalb derselben verteilt sind, was meines Wissens
sonst nur bei den Gattungen Opisthotrema, Notocotyle und
Ogmogaster, welehe als Monostomiden hier nicht in Betracht
kommen, ausser bei diesen aber nur noch bei D. richiardiv
Lopez der Fall ist. Aber auch von diesem unterscheidet
sich die Anordnung der Hodenbläschen sowie hauptsächlich
der Verlauf der Vasa deferentia in manchen Punkten.
Im weiblichen Geschlechtsapparat ist vor allem das
Fehlen des LAurkr’schen-Kanals charakteristisch, ein Ver-
halten, das, wie es scheint, nur bei Apoblema, Haemato-
loechus und D. richiardii beobachtet wurde.
Männlicher Geschleehtsapparat.
Der männliche Geschlechtsporus liegt, wie ich schon bei
der äusseren Beschreibung des Tieres bemerkt habe, auf
[13] Ueber eine neue Distomidengattung. 157
halbem Wege zwischen Mund- und Bauchsaugnapf, un-
mittelbar hinter der Darmgabelung. Er liegt lateral von
der weibliehen Oeffnung (Vgl. Taf. III Fig. 5 und Fig. 6),
mit dieser zusammen umgeben von einer geringen, wall-
artigen Erhebung, die ich nieht für stark genug ausge-
prägt halte, um sie als Genitalwall im gebräuchlichen
Sinne des Wortes zu bezeichnen. Ich glaube, dass diese
Umwallung nur darauf zurückzuführen ist, dass das Binde-
Fig. 3.
Anaporrhutum albidum. 16><
Contourpause einer phoötographischen Aufnahme. Der männliche
Genitalapparat durch Tusche kräftig hervorgehoben.
avd. Anastomose der vasa deferentia, bsn. Bauchsaugnapf, mgo.
männliche Genitalöffnung, msn. Mundsaugnapf, t. Hoden, vd. Vasa
deferentia, vs. Vesicula seminalis.
gewebe um die beiden Genitalöffnungen etwas verstärkt
ist. Der sich an die Mündung anschliessende ductus
ejaculatorius verläuft ziemlich gerade und geht allmählich
in eine mehrfach gewundene Samenblase über (vgl. Taf. III
Fig. 6 vs), die ich stets mit grossen Mengen von Sperma
erfüllt gefunden habe. Die ganze Samenblase, sowie auch
ein grosser Teil des ductus ejaculatorius, wird von einem
stark entwickelten Drüsenkomplex begrenzt (vgl. Taf. III
Fig. 5 pr), welcher aus einzelligen Drüsen besteht, die
158 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [14]
einen stark färbbaren Kern enthalten. Es sind das jene
Drüsen, welche bei anderen Arten von MONTICELLI, LEUCKART,
Looss u. a. als Prostatadrüsen bezeiehnet wurden. Ein eigent-
licher Cirrus fehlt vollständig. (Taf. III Fig. 5 und 6.)
Gegen ihr proximales Ende hin verbreitert sich die Vesi-
cula seminalis ein wenig und am Boden dieses Teiles
treten die beiden vasa deferentia in sie ein. (Taf. III Fig. 6).
Diese Stelle liegt ungefähr oberhalb des vorderen Randes
des Bauchsaugnapfes. Die beiden vasa deferentia nehmen
nunmehr ihren Verlauf dorsal vom Bauehsaugnapf, indem
sie gleichzeitig immer mehr und mehr divergieren. Eines!)
dieser vasa deferentia verläuft streckenweise so dicht parallel
zum Uterus (Fig. 3), dass ich mich erst durch das genaue
Studium von Quersehnitten über den Verlauf zu orientieren
und denselben auch auf Totalpräparaten aufzufinden ver-
mochte. Die beiden Samenleiter divergieren leicht bis sie
die grösste Entfernung von einander ungefähr auf halbem
Wege zwischen Bauchsaugnapf und Receptaculum seminis
erreichen, und konvergieren von da ab, bis sie sich hinter
dem Receptaculum seminis in sehr eigentümlicher Weise
vereinigen. Bei einigen Individuen scheinen sie sich gegen
einander bis zur Berührung zu nähern um sofort nach ihrer
Berührung im spitzen Winkel wieder auseinanderzulaufen;
bei anderen hingegen macht es den Eindruck, als ob die
beiden Gänge durch einen besonderen Kanal, eine Anastomose,
(vgl. Fig. 3 und Taf. III Fig. 3 avd) mit einander verbunden
seien, für dessen Selbständigkeit auch der geringere Durch-
messer zu sprechen scheint. Bei allen von mir daraufhin
untersuchten Individuen, (es sind deren mindestens ein Dutzend
gewesen) konnte ich diese Brücke zwischen den vasa defe-
rentia konstatieren, ein Umstand, der wohl den Einwand,
dass hier ein pathologisches Verhalten vorliegen könnte,
unerhoben lassen dürfte. Ein ähnliches Verhalten ist mir
in der einschlägigen Litteratur nirgends aufgestossen. Von
dieser Brücke aus wenden sich die Samenleiter fast recht-
1) Infolge der häufig vorkommenden Amphitypie, auf die ich noch
später eingehender zurückkommen werde, kann ich hier eine nähere
Bezeichnung, wie links und rechts nicht angeben.
[15] Ueber eine neue Distomidengattung. 159
winkelig zur Längsachse des Tieres lateralwärts und lösen
sich noch ehe sie den inneren Rand der Darmschenkel er-
reicht haben in die vasa deferentia auf, indem sie sich gleich-
zeitig stark der Ventralseite nähern. Die einzelnen ver-
ästelten Zweige, welche stets an erweiterten Stellen entspringen,
sind nur sehr kurz und tragen an ihrem Ende Hodenbläschen,
welche in der Weise befestigt zu sein scheinen, dass sie
von den am Ende trichterförmig erweiterten Gängen umfasst
werden. Die Hodenbläschen machen somit den Eindruck
bloss Erweiterungen oder Ausbuchtungen der vasa deferentia
zu sein, die mit Samenzellen erfüllt sind. Noch verstärkt
wird dieser Eindruck dadurch, dass der Kanal sieh mit-
unter über das Hodenbläschen hinaus fortsetzt und ein
zweites Hodenbläschen mit dem ersten und mit dem Haupt-
stamm, dem vas deferens, verbindet. Die Gruppierung der
Hodenbläschen könnte man am ehesten eine traubenförmige
nennen, indem sich der Hauptstamm, nach dem derselbe
mehrere Zweige ausgesendet hat, wieder eine Streeke weit
unverästelt fortsetzt, um von neuem eine Gruppe von Aesten
abzugeben und eine neue Hodentraube zu bilden. (Taf. III
Fig.3 £) Man findet zwei, meist jedoch drei oder mehr
soleher Gruppen auf jeder Seite, die zwar sehr unregelmässig
verteilt und geformt sind, im allgemeinen jedoch derart ge-
lagert sind, dass die erste zum grossen Teile noch innerhalb
der Darmschenkel, die zweite ventral von denselben und sie
nach aussen überschreitend, die dritte bereits ganz ausser-
halb derselben liegt. Mitunter liegen auch je zwei Hoden-
bläschen eng aneinander, in welchem Falle dann der von
ihnen ausgehende Zweig des Samenleiters zwischen ihnen
entspringt, sie liegen jedoch so eng aneinander, dass ich
nieht sehen konnte, in welcher Weise dies geschieht. Die
Grösse der einzelnen Hodenbläschen ist sehr verschieden
und liegen grosse und kleine derart vermengt untereinander,
dass man nicht entscheiden kann, in weleher Richtung die
Jüngeren oder älteren zu finden sind. Von der Struktur der
Bläschen vermag ich nur soviel zu sagen, dass man deutlich
eine innere stärker und eine äussere schwächer gefärbte
Zone unterscheiden kann, welche ziemlich scharf gegenein-
ander abgegrenzt sind.
160 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [16]
Nähere Untersuchungen über den Spermagehalt und die
Spermabildung konnte ich aus den an anderer Stelle an-
gegebenen Gründen nicht anstellen (vgl. Seite 24).
Bemerkenswert ist eine Erscheinung, die ich mir in
keinerlei Weise zu erklären vermag, nämlich die, dass
manche Hodenbläschen dureh kleine Kanäle untereinander
verbunden sind, trotzdem jedes einzelne der Bläschen seiner-
seits auch mit dem Vas deferens in Verbindung steht. Bei
den meisten der von mir untersuchten Individuen schien die
männliche Geschlechtsperiode bereits vorüber zu sein, da
die vasa deferentia, sowie deren Seitenäste und der ganze
übrige männliche Geschlechtsapparat mit dunkel gefärbten,
sehr feinen Körnehen von unregelmässiger Gestalt erfüllt
waren, welche die Zersetzungsprodukte des Inhaltes der
funktionsunfähig gewordenen männlichen Geschlechtsteile
zu sein scheinen.
Der soeben beschriebene Bau des männlichen Genital-
apparates würde uns nötigen unsere Form der Gattung
Polyorchis anzugliedern, wenn wir die Diagnosen der von
STossıcH !) vorgeschlagenen Untergattungen annehmen wollten.
Hier würde sie in enge Gemeinschaft kommen mit D. cy-
gnoides Zeder, D. formosum Sonsino, D. polyorchis Stossich,
Syncoelium Looss und D. richiardü Lopez. Diese schon von
MonTicELLı verworfene Auflösung der Gattung Distomum
findet hierdurch, wie sich das des weiteren noch deutlicher
ergeben wird, einen neuen Beweis ihrer Unhaltbarkeit.
Weiblicher Geschlechtsapparat.
Von dem weiblichen Geschleehtsporus, welcher, wie
schon bemerkt wurde, etwas seitlich und vor dem männ-
lichen liegt (Taf. III Fig. 5 wgo), setzt sich der Uterus fort,
der sich in seinem Endteile ziemlich verengt. Ich möchte
diesen Teil jedoch nicht eine Vagina nennen, um Ver-
wechslungen mit dem LAaurer’schen Kanal, welcher leider
von vielen Autoren mit diesem Namen belegt wurde, zu
') Stossich; Appendice al mio lavoro „I Distomi dei pesei marini
e d’acqua dolce.“ Trieste 1888.
[17] Ueber eine neue Distomidengattung. 161
vermeiden, sondern möchte dem Vorschlage WaArp’s!) bei-
stimmen, für diesen Endteil den Ausdruck Metraterm zu
gebrauchen. Looss?) ist zwar mit dieser neueingeführten
Bezeichnung nieht einverstanden, indem er entweder dieselbe
gänzlich zu verwerfen für nötig erachtet, oder ihre konse-
quente Durehführung bei allen jenen Tiergattungen verlangt,
„bei denen die reifen weiblichen Geschlechtsprodukte dureh
e-----
--ulal
am men
Bed
Fig. 4.
Anaporrhutum albidum. 16><
‚Contourpause einer photographischen Aufnahme. Der weibliche
Genitalapparat durch Tusche kräftig hervorgehoben.
bsn. Baugsaugnapf, dst. Dotterstöcke, kst. Keimstock, msn. Mund-
saugnapf, ph. Pharynx, rs. Receptaculum seminis, sd. Schalendrüse,
utd. distaler Teil des Uterus, utp. mer Teil des Uterus, wgo.
weibliche Genitalöffnung.
den Begattungskanal und die Begattungsöffnung nach aussen
geführt werden.“ So unanfechtbar dieser Standpunkt im
allgemeinen auch ist, so glaube ich, dass es doch nieht gut
durchführbar wäre, „der Gerechtigkeit halber auch der
Mehrzahl der übrigen weiblichen Tiere bis herauf zu den
menschlichen Frauen den Besitz einer Vagina abzusprechen.“
1) Ward; On the Parasites of the Lake-Fish in: Proc. Amerie.
mier. Soc. V.15, 1894.
2) Looss; Weitere Beiträge zur Trematoden-Fauna Egyptens n:
Zool. Jahrb. XII. Bd. 1899. 8. 553.
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd, 73, 1900. 11
162 Dr. ERNST Von OFENHEIM, [18]
Warum sollte man aber nieht die Bezeichnung Metraterm
speziell bei der Familie der Distomiden für dieses Organ
einführen, bei welehem die Frage seiner physiologischen
Bedeutung noch nieht abgeschlossen ist, da wir doch auch
sonst bei vielen Tiergattungen gleiehen Funktionen dienende
Organe mit verschiedener Bezeichnung belegen.
Auf die Funktionen dieses Metraterms, sowie auf die
des LAaurer’schen Kanals werde ich übrigens bei der Zu-
sammenfassung der Gattungseharaktere des Genus Ana-
porrhutum noch des näheren eingehen, und versuchen, auf
Grund der hier beschriebenen Formen die Unmöglichkeit,
den Laurzr’schen Kanal als Vagina sowohl in physio-
logischem als auch in morphologischem Sinne zu betrachten,
darzuthun (8. Seite 37—40). |
Der Uterus verläuft nunmehr in ziemlich gerader Linie
nach rückwärts und zwar stets etwas seitlich von der
Medianlinie des Tieres bis ungefähr zur Höhe des Recepta-
culum seminis. Von da an wendet er sich stärker seitlich
und setzt sich in einer Wellenlinie bis gegen das Ende der
Darmsehenkel fort; an dieser Stelle wendet er sich im
spitzen Winkel nach vorne und steigt in einer, ein paar
kleinere Sehlingen beschreibenden, im allgemeinen jedoch
dem zurücklaufenden Teil des Uterus parallelen Linie nach
dem Vorderteile an. In der Höhe des Receptaculum seminis
wendet sich dieser proximale Teil des Uterus fast im rechten
Winkel gegen dasselbe und geht an dessen dorsalem Rande
innerhalb der Schalendrüse in das sogenannte Ootyp über
(Taf. III Fig. 7 utp). Von hier aus gehen drei Kanäle ab,
proximalwärts der kurze Ausführungsgang des Receptaculum
seminis, das von gewaltiger Grösse ist, ventral der unpaare
Dottergang und lateral der Oviduet. Dieser führt in das
schwach gelappte, sehr kleine Ovarium, das dem Recepta-
culum seminis kaudalwärts und dorsal angelagert ist. Die
Dotterstöcke liegen in der Höhe des Receptaculum seminis
und zwar zum grösseren Teile noch innerhalb der Darm-
schenkel (vgl. Taf. III Fig. 7 dst); sie sind jedoch durch
dieselben nieht scharf begrenzt, da ich mehrere Fälle ge-
funden habe, in denen sie sich ventral von den Darm-
schenkeln bis zum äusseren Rande derselben hin erstrecken.
[19] Ueber eine neue Distomidengattung. 103
Sie bestehen aus schwach dendritischen Aesten, die mehr-
fach untereinander anastomisieren und sich dann beiderseits
zu einem stärkeren, senkrecht zur Längsachse des Tieres
verlaufenden Kanale vereinigen. Die Dotterstöcke sind im
Verhältnis zur Grösse des Tieres, sowie zur Grösse und Zahl
der Eier äusserst klein. Die beiden vorerwähnten paarigen
Dottergänge vereinigen sich ventral- und kaudalwärts vom
Receptaceulum seminis zu einem gemeinsamen Kanal, dem
unpaaren Dottergang (Taf. III Fig. 7 gdg), welcher zusammen
mit dem proximalen Teile des Uterus in den als Ootyp be-
zeichneten Raum mündet. Diesen Teil der vereinigten
Dottergänge bezeichnet MonTIcELLI bei D. richiardiü, wo
die Verhältnisse ganz ähnlieh liegen, als Dotterreceptaeulum
(rieettaeolo vitellino), eine Bezeichnung, die ich nicht an-
wenden möchte, da dieser Teil in keiner Weise dem Begriffe
eines Receptaeulums entspricht.
Mir wenigstens erscheint dieser Ausdruck nur für jene
Organe berechtigt zu sein, welche, mehr oder weniger
blasenartig erweitert, dazu dienen, von aussen eingeführte
Sekrete oder Substanzen aufzunehmen und zu verwahren.
Hier ist jedoch von dem allen nichts der Fall. Man kanı,
abgesehen von einer Erweiterung des Kanallumens, die
übrigens bei vielen anderen Formen und auch bei anderen
Organen in ähnlicher Weise, ja in noch viel stärkerem
Masse vorhanden ist, keine besondere Bildung konstatieren.
Das Receptaculum seminis bildet eine grosse dorso-
ventral abgeplattete Blase, welehe unmittelbar der ventralen
Leibeswand aufliegt und von dem Bauchsaugnapfe ungefähr
eben so weit oder etwas weiter entfernt ist als dieser vom
Mundsaugnapfe. Es ist meist in der Mittellinie des Körpers
gelegen oder nur wenig von derselben abgerückt. Ich habe
es immer und bei allen meinen Exemplaren sanz oder teil-
weise gefüllt gefunden, niemals leer. In allen jenen Fällen,
wo dasselbe nicht ganz angefüllt war, lag sein Inhalt halb-
mondförmig in dem aboralen Teile zusammengedrängt im
Umkreise der Stelle, wo sich der zarte Ausführungskanal
befindet (vgl. Fig. 3 und Taf. III Fig. 3 rs), weleher eben-
falls und zwar von der oralen Seite her in das schon viel-
fach erwähnte Ootyp leitet.
lin
164 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [20]
Der Durchmesser des Receptaculums beträgt bis zu
1,25 mm, eine im Vergleich zu anderen Distomidenarten ganz
auffallende Grösse, wie sie ähnlich nur bei D. richiardii
Lopez und bei Haematoloechus Looss bisher gefunden wurde.
Der Inhalt des Receptaeulums besteht zum grössten Teile
aus Spermatozoen, ich habe jedoch in demselben zuweilen
auch mehr oder minder deformierte Dotterzellen und Eier
gesehen, deren Vorhandensein aus der Lage der Organe
ganz erklärlich ist. Kaudalwärts schliesst sich unmittelbar
an das Receptaculum seminis die schon erwähnte Schalen-
drüse an, ein aus zahlreichen dunkelgefärbten, einzelligen
Drüsen bestehender Komplex, welcher von allen Seiten jene
als Ootyp bezeichnete Stelle umgiebt und seinerseits von
bindegewebigen Fasern eingeschlossen wird (Taf. III Fig. 7
sd). Es treffen somit in derselben, wie übrigens bei den
meisten Trematoden, zusammen: oralwärts der Ausführungs-
gang des Receptaculum seminis, von der Bauchseite her der
Uterus mit dem gemeinsamen Dottergang, von der Rücken-
fläche und kaudalwärts der Eileiter (Oviduet). Trotz ge-
nauester Untersuchung sowohl auf Totalpräparaten wie auf
Transversal-, Sagittal- und Frontalschnitten konnte ich auch
nicht die geringste Spur eines LAurer’schen Kanals ent-
deeken, sodass ich glaube mit gutem Rechte behaupten zu
können, dass ein soleher nicht vorhanden ist.
Die ovarialen Eier zeigen eine Eigentümlichkeit, die
von MoNTICELLI!) schon von D. richiardü und .D. veliporum
semeldet wurde, von BönmIe?) bei den Eiern der Rhabdo-
eoelen, von PINTNEr>) bei denen des Calliobothrium corollatum
und von LEyDI@) bei Hirudineen-Eiern beschrieben wurde.
Sie enthalten nämlich neben dem grossen Kerne ein, zwei
oder auch mehr Körperehen, welche MontIıcELLı mit dem
2) Monticelli, Sul nucleo vitellino delle uova dei Trematodi.
Boll. Nat. Napoli 1892. Vol. IX.
2) Böhmig; Untersuchungen über rhabdocoele Turbellarien. Zeit-
schrift f. wiss. Zool. 1891. Bd. 51. 8.320.
. 3) Pintner; Neue Beiträge zur Kenntnis des Bandwurmkörpers.
Arb. a. d. zoolog. Instit. zu Wien 1890, Bd. 9. 8.80. Fig. 180.
#) Leydig; Beiträge zur Kenntnis des tierischen Eies im unbe-
fruchteten Zustande. Zool. Jahrb. Abt. f. Anatom. 1889. Bd. III. S. 297.
[21] Ueber eine neue Distomidengattung. 165
nicht sehr glücklich gewählten Namen „Dotterkerne“ (nucleo
vitellino) bezeichnet. Ich halte diesen Namen deswegen für
nicht geeignet, weil er leicht zu Verwechslungen mit dem
Kern der Dotterzellen führen kann. Die an der, der Mündung
des Ausführungsganges des Ovariums gegenüberliegenden
Wand befindlichen Eier, welche auch die kleinsten des
ÖOvariums sind, zeigen noch keine Spur dieses Einschlusses;
je weiter dieselben gegen die Mitte des Ovariums, resp.
gegen den Ausführungsgang gelagert sind, desto deutlicher
und grösser erscheint jene Einlagerung in den Eiern (Taf. III
Fig. 8). Man findet mitunter ein grosses, häufiger jedoch
zwei oder vier kleinere Körperchen, welche sich neben dem
scharf umschriebenen Kerne in der Eizelle befinden. Die
Eier behalten diese Nebenkerne, wenn man sie als solche
bezeichnen darf, auch auf ihrem weiteren Wege durch den
Eileiter und dureh die Schalendrüse bis in den Uterus. Ich
glaube sogar bei einzelnen Eiern diese Körperchen noch in
den äussersten kaudalen Schlingen des Uterus gesehen zu
haben, doch waren sie dort nieht mehr so deutlich, als an-
fangs und schienen auch viel kleiner zu sein.
Ich werde auf diesen Punkt bei der Beschreibung der
zweiten Form nochmals eingehender zurückkommen und
mich an jener Stelle über die vermutliche physiologische
Bedeutung dieser Nebenkerne äussern.
Die ovarialen Eier zeigen an der dem Ausführungs-
sang gegenüberliegenden Wand eine Grösse von 1—2 u,
an der Mündung des Oviducts dagegen einen Durchmesser
von 20 u.
Im Uterus zeigen die Eier eine gelb-bräunliche Färbung,
und zwar werden sie desto dunkler, je mehr sie sich der
Geschlechtsöffnung nähern (Taf. III Fig. 3). Der Unterschied
der Färbung der Eier im distalen und proximalen Teile des
Uterus ist ein so grosser, dass man schon allein durch
diese Färbungsverschiedenheit den auf- und absteigenden
Ast leieht unterscheiden kann, ein Verhalten, das ja be-
kanntlich in der Gruppe der Trematoden häufig zu be-
obachten ist. Die Eier sind im allgemeinen von rundlicher
Form, haben keinen siehtbaren Deckel und durchschnittlich
einen Durchmesser von 0,034—0,04 mm,
166 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [22]
Im Anschlusse an die Beschreibung des weiblichen
Geschleehtsapparates möchte ich noch einer Beobachtung
Erwähnung thun, auf welche ich durch eine kürzlich er-
schienene Arbeit von JAcosY!) aufmerksam wurde Es
handelt sich nämlich um das Vorkommen eines „situs in-
versus“ im weiblichen Geschlechtsapparat, eine Abnormität,
welehe schon von KowALewskı?) bei Opisthorchis be-
schrieben wurde. Eine Erwähnung derselben, ebenfalls
unter Berufüng auf KowAtLEewskı macht Looss, indem er
die von KowaALkwskı gewählte Bezeichnung „sexuelle
Amphitypie“ beibehält. Es handelt sich hierbei um die
Thatsache, dass bei einer ganzen Reihe von Trematoden
(JAcogY allein erwähnt sie bei fünf Opisthorchis- und zwei
Distomum-Arten) die Geschlechtsorgane bei dem einen In-
dividuum links, bei dem anderen rechts gelegen sind, in
der Weise, dass dadurch der ganze innere anatomische Bau
der einen wie ein Spiegelbild desjenigen der anderen er-
scheint.
Bei der hier beschriebenen neuen Spezies hatte ich nun
Gelegenheit diese Beobachtung des öfteren zu machen, in-
dem bei einigen von meinen Exemplaren der Uterus speziell
in seinem der Mündung zulaufenden Teile links liegt, links
an dem Receptaeulum seminis und infolgedessen auch an
der Sehalendrüse und dem Ovarium vorbeizieht und seine
erste Windung hinter diesen Organen mit einer Biegung
nach rechts beginnt.
In diesem Falle liegt auch der weibliche Geschlechts-
porus links von der Medianlinie. Diese Anordnung traf ich
bei zehn von meinen Exemplaren an, und ich glaube, wenn
man aus einer so geringen Zahl von Individuen einen Schluss
ziehen darf, dass diese Anordnung bei unserer Spezies die
häufigere ist. Bei den übrigen fünf Exemplaren liegt die
weibliche Geschlechtsöffnung rechts von der Mecdianlinie,
desgleichen verläuft der distale Teil des Uterus rechts an
1) Jacoby, Severin; Beiträge zur Kenntnis einiger Distomen.
Arch. f. Naturg. 1890, S. 1—30.
2) Kowalewski, M.; Studya helmintologizne. Franz. Resume
in: Sitzungsber. der math.-naturw. Sektion der Akademie der Wissensch.
Krakau 1898.
[25] Ueber eine neue Distomidengattung. 167
dem Receptaculum seminis und dem Ovarium vorbei,
während die erste Krümmung hinter denselben sich nach
lmks wendet. Wie bei den erstgenannten Tieren das
Ovarium etwas nach rechts hinter der Schalendrüse ver-
schoben ist und der proximale Teil des Uterus von links in
die Schalendrüse einbiegt, so liegt bei diesen das Ovarium
links, seit- und rückwärts von der Schalendrüse, und der
rücklaufende Teil des Uterus entspringt an der rechten
Seite der Schalendrüse.
Ich habe schon in den einleitenden Bemerkungen darauf
hingewiesen, dass ich fast bei allen meinen Exemplaren
Veränderungen gefunden habe, welche hauptsächlieh darin
bestehen, dass der histologische Bau der meisten Organe
bis zur Unkenntlichkeit verschwommen und das Gewebe des
Körperparenehyms äusserst weitmaschig ist. In diesen
Fällen fand ich entweder gar keine Hoden vor oder nur
auf einer Seite und immer waren sie in einem derartigen
Zustande, dass man von ihrem Bau oder von einem Vor-
handensein von Sperma nichts erkennen konnte.
Etwas ähnliches berichtet E. WALTER!) von Monosto-
mum proteus Brandes aus dem Darm einer Schildkröte und
kommt zu dem Schlusse, dass „die Tiere ihre Geschlechts-
reife bereits hinter sich haben und die Ablage der Ge-
schlechtsprodukte beendet ist“. Er deutet dieses Stadium
also als ein postgenitales und ich muss sagen, dass ich
dieser Ansicht vollkommen beipflichte.
Neuerdings hat Looss?) die von WALTER beschriebene
Form in lebenden Exemplaren eingehend studieren können,
und kommt hierbei zu wesentlich anderen Ansichten. Die
ihm vorliegenden Exemplare waren sämtlich geschlechtsreif
und er meint daher, WALTER habe es nicht mit senilen,
sondern „mit jungen, aber nicht frisch, sondern in einem
sehr vorgeschrittenen Stadium der Dekomposition konser-
vierten Individuen“ zu thun gehabt, und hält sich für be-
reehtigt auf Grund seiner Untersuchungen die Lanzen-
!) Walter, E.; Untersuchungen über den Bau der Trematoden
in Z. f. wissensch. Zoolog. Bd. 56, 8. 196.
2) A. Looss; Weitere Beiträge etc. S. 769,
168 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [24]
spitzform als besondere Art, ja sogar als besondere Gattung
aufzustellen. Ich bin der Ansicht, dass diese von Looss
aufgestellte Behauptung nicht riehtig ist und begründe dies
dadurch, dass:
1. die von WALTER untersuchte Schildkröte in Halle
frisch geschlachtet wurde,
2. die Trematoden sofort in einer konzentrierten Sub-
limatlösung mit Essigsäurezusatz konserviert wurden,
3. die Sehildkröte sich schon lange unterwegs befand,
also eine Neuinfektion ausgeschlossen war,
4. endlich dadurch, dass junge Individuen sich gerade
dureh diehteres Körperparenehym auszeichnen, wovon aber
bier gerade das Gegenteil der Fall war.
Schon bei oberflächlicher Betrachtung fand ich in dem
Verhalten der Gewebe eine grosse Aehnlichkeit unserer
Form mit jener von WALTER beschriebenen Lanzenspitzform,
die sich bei mikroskopischer Untersuchung auch bestätigte.
Es ist aber bei unserer Form noch viel weniger ein der-
artiger jugendlicher Entwieklungszustand anzunehmen, denn
bei allen meinen Exemplaren habe ich schon Eier in grosser
Menge und in allen Teilen des Uterus angetroffen, ferner
war die Vesicula seminalis stark mit Sperma gefüllt, indes
bei einigen Tieren das Receptaculum seminis nur noch teil-
weise gefüllt erschien und es gerade die grössten Exemplare
waren, bei denen diese Symptome am deutlichsten hervor-
traten.
Dass man weder in den Vasa efferentia noch deferentia
Sperma vorfand, ist kein Beweis dafür, dass man es mit
jugendliehen, unentwiekelten Stadien zu thun hätte, wohl
aber sprieht aufs entschiedenste die Füllung der Samenblase
dagegen. Die Samenleitungswege sind voraussichtlich früher
mit Sperma gefüllt gewesen und vielleicht waren in der
Zeit der männlichen Geschlechtsreife auch die Hoden viel
ansehnlicher. Wie ich schon bei der Beschreibung des
männlichen Geschlechtsapparates zu erwähnen Gelegenheit
fand, habe ich die männlichen Genitalwege mit einer Masse
von dunkel gefärbten Körnchen angefüllt gefunden, über
deren Struktur ich keine näheren Angaben zu machen in
[25] Ueber eine neue Distomidengattung. 169
der Lage bin. Ich halte diese Massen für zersetzte Sperma-
reste. Ich glaube also, dass von einem „in Dekomposition
befindliehen Jugendstadium“ hier keineswegs die Rede sein
kann, sondern dass alle Anzeichen dafür zu sprechen scheinen,
dass wir es mit senilen Individuen zu thun haben, deren
männliche Geschlechtsreife vorüber ist.
Anaporrhutum richiardii Lopez.
Die zweite von mir untersuchte, zweifellos mit der
vorhergehenden nahe verwandte Form stammt aus der
Sammlung des Berliner Naturh. Museums und wurde mir
von Herrn Privatdozent Dr. BRANDEs in neun Exemplaren,
von denen zwei bereits als Totalpräparate montiert waren,
zur Untersuchung überwiesen. Die Exemplare waren von
Herrn Stabsarzt SANDER im Atlantischen Ozean in der
Nähe von Kapstadt der Leibeshöhle einer Scylkum-Art ent-
nommen,- mit Sublimat konserviert nnd in Alkohol aufbe-
wahrt.
Die nähere Untersuchung ergab, dass die Form nicht
neu ist, sondern identifiziert werden muss mit dem von
MonrIıcELLI eingehend beschriebenen Distomum richiardü
Lopez,!) einer Art, die in der Leibeshöhle mehrerer Selachier
des Mittelmeeres (z. B. Acanthias vulgaris, Mustelus vulgaris,
Myliobatis aquila) gefunden worden ist.
Aeusseres Aussehen.
Im folgenden gebe ich eine kurze Beschreibung dieser
Art, wobei ich besonders eingehend diejenigen Punkte be-
handeln werde, in denen ich die Beschreibung MonTIcELLr's
zu berichtigen und zu ergänzen in der Lage bin.
Die allgemeine Körperform ist oval, verengt sich jedoch
in der Höhe des Bauchsaugnapfes, sodass der vordere flach-
konische Teil den Eindruck macht, als wäre er an dem
vorderen Rande angewachsen (Taf. III Fig. 10 und 11).
!) Lopez,C.; Di un Distoma probabilmente nuovo, in Proc. Verb.
Soe. Tose. Se. Nat. Adunanza 1 Luglio 1888, S. 137—138.
170 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [26]
An der vordersten Spitze dieses Teiles liegt subterminal
der Mundsaugnapf. Er ähnelt in seiner äusseren Form dem
von A. albidum, nur dass er kräftiger entwickelt ist. Meine
Exemplare fühlen sich fast lederartig an, sind aber nicht
glatt, sondern die Bauchseite des vorderen Körperteils ist
bis über den Bauchsaugnapf hinaus mit kurzen, kräftigen
Stacheln versehen. Ich glaube, dass ein Versehen MoNTIcELLYs
vorliegt, wenn er sagt, dass die Körperoberfläche durch-
gehends glatt und sehuppenfrei ist. Die Mundöffnung liegt
in der Mitte des vorderen Saugnapfes, welcher ziemlich
kräftig entwickelt ist und stark über die Körperwand vor-
ragt. Der Bauchsaugnapf liegt, wie MonTicELLI behauptet,
an der Grenze zwischen dem ersten und zweiten Drittel des
Körpers, — nach meinen Beobachtungen jedoch trifft dies
nicht immer zu, sondern der Bauchsaugnapf ist meist weiter
nach vorne gelegen als MonTIcELLIı angiebt. Auch darin
kann ich mit MonTicELLı nicht übereinstimmen, dass der
Bauchsaugnapf bedeutend grösser und stärker vorragend
sei als der Mundsaugnapf, da ich beide bei meinen Exem-
plaren ziemlich gleich stark entwickelt und von ziemlich
gleicher Grösse gefunden habe, wenn auch der Durchmesser
des Bauchsaugnapfes im allgemeinen etwas grösser ist als
der des Mundsaugnapfes. Auf halbem Wege zwischen
Mund- und Bauchsaugnapf liegen die Geschleehtsöffnungen
von einem kleinen Walle umgeben, von dem schon MonTI-
CELLI sagt, dass man ihn nur mit vieler Mühe erkennen
kann. Am Grunde einer kleinen Einbuchtung des rück-
wärtigen Körperrandes liegt der Exkretionsporus.
Die von mir gesehenen Exemplare waren von sehr ver-
schiedener Grösse, das grösste derselben (allerdings in kon-
serviertem Zustande) war 19 mm lang und 13 mm breit, das
kleinste hingegen 6 mm lang und 4,5 mm breit. Die meisten
von mir untersuchten Exemplare waren an der Bauchseite
stark konkav, indes die Rückenfläche konvex gewölbt war
(vgl. Taf. III Fig. 9 und 10), und dies überall mit einer
solehen Gleichmässigkeit und so stark, dass bei dem Ver-
suche den Körper flach auszubreiten, der Rand stets einriss.
Diese Erscheinung könnte uns fast verleiten, die Krümmung
der Körperfläche für die natürliche Körperform des Tieres
[27] Ueber eine neue Distomidengattung. 171
zu halten. Monticeuuı jedoch ist nieht dieser Ansicht und
dürfte darin zweifellos recht haben, da ihm ja bei seinen
Untersuchungen lebende Exemplare zur Verfügung standen.
Der Verdauungsapparat.
Meine Beobachtungen stimmen hier mit denen von
MonriceLtLı im allgemeinen überein. Auf den trichter-
förmigen Mund folgt ein kräftiger nach vorne erweiterter
Pharynx, welcher sich dem Mundsaugnapfe gleichsam an-
presst, ihn jedoch nicht, wie MonrIicELLı behauptet, umfasst,
(... ad abbraceiare la ventosa anteriore...) (Taf. III Fig. 11
ph). An sein hinteres Ende schliesst sich ein nicht sehr
langer, enger Oesophagus an, welcher triehterförmig in die
Darmgabelung tibergeht. Die beiden Darmschenkel, die
anfangs schmal sind, erweitern sieh rasch und behalten
während ihres ganzen Verlaufes ein ziemlich gleiches
Lumen bei.
Sie verlaufen an beiden Seiten des Körpers in seichten
Windungen, doeh mehr der Körpermitte als dem Rande ge-
nähert, und enden unweit des Exkretionsporus am hinteren
Körperende Die äussere muskulöse Schicht ist ziemlich
kräftig entwickelt, das Epithel besteht aus länglichen Zellen,
die an ihrer Basis breiter als an ihrer in das Darmlumen
vorragenden Spitze sind, Bei allen meinen Individuen war
der Darm stark gefüllt, die Füllungsmasse bestand un-
zweifelhaft teils noch aus gut erhaltenen, teils aus bereits
deformierten Blutkörperchen, sowie aus anderen bereits in
Dekomposition begriffenen Zellelementen.
Das Nervensystem.
An der Grenze zwischen Pharynx und Oesophagus
liegen seitlich gelagert zwei stark entwickelte und deutlich
sichtbare Ganglienknoten, welche durch eine breite Kom-
missur oberhalb des Schlundes verbunden sind. Das ganze
172 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [28]
Nervenzentrum scheint aus Nervenfasern zu bestehen,
zwischen welchen die Ganglienzellen eingestreut liegen.
An dem vorderen Rande der Ganglienknoten entspringen
zwei Nerven, ein äusserer stärkerer und ein innerer
schwächerer, die sich einerseits zum Mundsaugnapf, ander-
seits zur Körperwand hinzuwenden scheinen, deren Verlauf
ich an meinem Material jedoch nicht genau festzustellen
vermochte.
Dorsalwärts von den Ganglienknoten verlaufen ebenfalls
zwei Nerven, ein äusserer und ein innerer gegen das Körper-
ende zu.
MonriceLLı glaubt, dass die beiden Nervenpaare am
hinteren Ende des Körpers sich nochmals in der Weise ver-
einigen, dass die Nerven der einen Seite mit den korre-
spondierenden Nerven der anderen sich verbinden. Ich
vermochte eine derartige Vereinigung nicht zu sehen, will
damit aber nieht sagen, dass sie nicht besteht, möglicher-
weise ist dieselbe nur an frischen Exemplaren zu erkennen.
Von den beiden Ganglienknoten sehe ich in Ueberein-
stimmung mit MoNTICELLI noch je drei Nerven entspringen,
ein lateraler, ein dorsaler und ein ventraler, der die Richtung
gegen den Körperrand hin einzuschlagen scheint.
Den weiteren Verlauf dieser Nerven vermochte ich
ebensowenig wie MoNTICELLI festzustellen. Ausser in den
Nervenzentren habe ich auch im ganzen Verlaufe der ein-
zelnen Nerven Ganglienzellen gefunden, ebenso zwischen
den Muskelfasern des Pharynx und der beiden Saugnäpfe.
Das Wassergefäss-System.
Die Mündung des Exkretionsgefässsystems befindet sich
in einer kleinen Einbuchtung des kaudalen Körperendes und
zwar ziemlich stark nach der Bauchseite hin gedrängt. Der
von hier beginnende Hauptstamm ist anfangs ziemlich eng,
erweitert sich jedoch rasch und trichterförmig bis zum
vorderen Ende des hinteren Körperdrittels (Taf. III Fig. 11
[29] Ueber eine neue Distomidengattung. 173
ex). An dieser Stelle gabelt sich der Hauptstamm in zwei
schräg nach vorn und seitwärts verlaufende Seitenäste,
welehe ungefähr in der Höhe des Pharynx blind endigen
(Taf. III Fig. 11 nex). Dieselben entsenden seitlich mehrere
kleinere Aeste nach aussen sowohl wie nach innen, jedoch
war es mir nicht möglich an dem konservierten Material
Wimperflammen oder Flimmertrichter zu sehen. Die Wandung
der Kanäle besteht äusserlich aus einer dünnen Muskelschicht,
innen hingegen in dem Hauptstamme aus jenem Epithel mit
unregelmässig vorspringenden Zellen und deutlich sichtbaren
Kernen, welches nach Looss für die „Endblase“ charakter-
istisch ist. In den beiden Seitenästen verschwindet die
Differenzierung der Zellen und es tritt an ihre Stelle eine
Längsfaltung der Gefässwände, sodass also diese Teile als
„Sammelkanäle“ oder „Gefässe“ zu betrachten sind. Die
von diesen Gefässen entspringenden Seitenästehen, die je-
doch nicht bei allen Exemplaren deutlich siehtbar sind,
würden dann die „Kapillaren“ vorstellen.
Wir sehen also, dass das Wassergefässsystem von der
allgemeinen Regel abweichende Merkmale nicht aufweist,
sondern in seinem Endteile jene häufig vorkommende Y
Gestalt besitzt.
Männlicher Geschlechtsapparat.
Anschliessend an den männlichen Geschlechtsporus liegt
ein ziemlich enger ductus ejaculatorius, welcher sieh unge-
fähr bis zum vorderen Rande des Bauchsaugnapfes fortsetzt,
woselbst er sich in die beiden Vasa deferentia gabelt. Dorsal
erweitert sich dieser ductus ejaculatorius zu einer geräumigen
Blase, der Vesicula seminalis. Sowohl der Ausführungsgang,
als auch die Samenblase sind mit dunkelgefärbten Drüsen
umgeben, für welche die Bezeiehnrung Prostatadrüsen all-
gemein üblich geworden ist.
Meine Beobachtungen stimmen hier mit denen MonrtIı-
CELLIS nicht überein, indem MoNTICELLI von einem „Cirrus-
beutel“ (tasca del pene) spricht, einem Gebilde, welches ich
bei keinem meiner Exemplare zu sehen vermochte.
174 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [30]
Uebrigens hat bereits Looss !) darauf hingewiesen, dass
der Ausdruck „Cirrusbeutel“ häufig von Autoren in Fällen
angewendet wird, wo ein solcher gar nieht vorhanden ist,
und er führt gerade D. richiardii als ein solches Beispiel
an, indem auch er das Vorhandensein eines Cirrusbeutels
im engeren Sinne bei dieser Spezies leugnet.
MoNTICELLI spricht ferner von einem „äusseren Recep-
taculum seminis“ (ricettacolo seminale esterno).
Ich glaube, dass er mit diesem Namen die Samenblase
bezeichnet, ein Ausdruck, den ich jedoch abgesehen davon,
dass er leicht zu Irrtümern führen kann, schon aus den an-
lässlich seines „Dotter-Receptaeulums“ angeführten Gründen
nieht gutheissen kann. Eine andere Deutung dieses Aus-
druckes ist jedoch nicht gut zulässig, da sich kein anderes
Organ an der von ihm bezeichneten Stelle im Bereiche des
männlichen Geschlechtsapparates befindet. Er verlegt zwar
dieses „äussere Receptaculum seminis“ seitwärts von der
„tasca del pene“, indes ich diese Aussackung der vesicula
seminalis dorsal vom ductus ejaculatorıus gefunden habe.
Ich glaube aber nieht, dass diese Verschiedenheit in der
Lage von Belang ist, da solehe Verschiebungen vielleicht
eine Folge von Kontraktionszuständen sind oder vielleicht
auch mit dem Alter der Tiere zusammenhängen.
Die beiden Vasa deferentia verlaufen nunmehr im Bogen
ziemlich ventral längs der Darmschenkel hin und nehmen
auf ihrem Wege die von den einzelnen Hodenbläschen
kommenden Vasa efferentia, welehe ebenfalls ventral die
Darmschenkel kreuzen, auf. (Taf. III Fig. 11).
Die Hoden sind in einer grossen Menge von einzelnen
Bläschen links und rechts an den Seiten des Tieres ausser-
halb der Darmschenkel angeordnet, und zwar so, dass sie
den Raum zwischen dem Körperende und dem betreffenden
Darmsehenkel fast vollständig ausfüllen, und zwar ungefähr
von der Höhe des Bauchsaugnapfes an bis gegen das Ende
der Darmschenkel hin. (Taf. III Fig. 11 2). Die Vasa
efferentia, die sich in die beiden grossen Samenleiter er-
giessen, werden ihrerseits von mehreren kleinen Kanälen
!) A, Looss; Weitere Beiträge ete. $. 551.
[31] Ueber eine neue Distomidengattung. 175
gebildet, welehe von jedem einzelnen der Hodenbläschen
ihren Ursprung nehmen.
Weiblicher Gesehlechtsapparat.
Die weibliche Gesehlechtsöffnung liegt ein wenig seitlich
von der männlichen mit dieser zusammen umgeben von einer
kleinen Erhöhung der Körperbedeekung. Diese Umwallung
ist jedoch bei meinen Tieren nicht sehr deutlich sichtbar
und verdient kaum den Namen eines Genitalnapfes. MonrtI-
CELLI nennt diese Umwallung ein „antro genitale“, dessen
Rand verdiekt ist („margine ispessito“).
An den Geschleehtsporus schliesst sich unmittelbar der
Uterus an, welcher in seinem Endteile verengt und von
einigen wenigen Drüsen umgeben ist; er erweitert sich je-
doch sehr rasch und verläuft, bereits in seinem oberen Teile
einige kleine Windungen beschreibend, seitlich an dem Bauch-
saugnapf vorbei, dehnt seine Schlingen jedoch unmittelbar
hinter demselben so weit aus, dass dieselben den ganzen
Raum zwischen den Darmsehenkeln bis zu deren Ende hin
ausfüllen und nur den Platz für das Receptaculum seminis,
das Ovarium und die Schalendrüse freilassen. Nach den
vielfachen Windungen im hinteren Teile des Körpers geht
der Uterus innerhalb der Scehalendrüse in das Ootyp über,
welehes unmittelbar hinter dem Receptaculum seminis und
vor dem Ovarium liegt. Seitlich, also fast unter einem
Winkel von 90° setzt sich das Ootyp in den Ovidukt fort,
welcher seinerseits zum Ovarium führt. An jener Stelle,
wo der Eierstoek in den Eileiter übergeht, finden wir eine
Verstärkung der Wandung durch Radialfasern, welche bei
A. albidum fehlt. Schon Pınrner!) hat eine derartige
Bildung bei Cestoden mehrfach beschrieben und recht zu-
treffend einen „Schluekapparat“ genannt, welchem die Auf-
sabe zufällt, die Eier aus dem Ovarium herauszupumpen.
MonTIcELLI hat diesen Muskelapparat auch bei mehreren
anderen Trematoden beobachtet, übersetzt aber den Aus-
druck Pıintner’s „Schluckapparat,, nicht sehr glücklich mit
») Pintner, Th.; Neue Beiträge zur Kenntnis des Bandwurmkörpers
II. Einiges über die weiblichen Geschlechtsorgane etc. in Arb. Zoolog.
Inst. Wien 1890, Bd. 9, 8. 74 ff.
176 Dr. ERNST von OFENHEIM, [32]
„sfintere ovarico*, was leicht zu der irrtümlichen Ansicht
führen könnte, dass wir es hier mit einem Schliessmuskel
zu thun haben, was thatsächlieh nicht der Fall ist.
Vogt!) und LoREnZ?) bezeichnen eine ganz ähnliche
Bildung an der Basis des Ootyps als „Sehlucköffnung“, in-
des dieselbe später von PAronA und PERUGIA?) „organo
nastriforme“ genannt wurde.
Neuerdings hat H. B. Warp?!) in Anlehnung an „Ootyp“
für dieses Organ die Bezeiehnung „Oocapt“ vorgeschlagen,
und ich meine, dieser Vorschlag wird sich allgemeiner Zu-
stimmung erfreuen, da das Wort im Gegensatz zu „Schluck-
apparat“ den Charakter eines internationalen Terminus tech-
micus besitzt.
Das Ovarium liegt etwas seit- und rückwärts von der
Schalendrüse und grenzt mit seinem vorderen Rande an
diese (Taf. III Fig. 11 und 12 %st). Es ist viel stärker
entwickelt als bei.A. albidum und deutlich zweifach, meistens
jedoch dreifach gelappt. Die Dotterstöcke liegen ausserhalb
der Darmsehenkel vor den Hoden in Form von bäumchen-
artig verzweigten Röhren, die sich jederseits zu einem ge-
meinsamen Gange vereinigen, welcher, den entsprechenden
Darmschenkel ventral kreuzend, gegen die Körpermitte hin
verläuft. Diese beiden Dottergänge treffen sich ventral und
hinter der Scehalendrüse, von wo sie sich in einem gemein-
samen Gange in das Ootyp ergiessen. (Taf. III Fig. 12 dg
und gdg). MoNTIcELLı nennt diesen gemeinsamen Kanal,
der nieht einmal wesentlich erweitert ist, ein „ricettacolo
vitellino“, ein wohl nicht ganz zutreffender Ausdruck, wie
ich sehon gelegentlich der Beschreibung von A. albidum des
näheren erörtert habe.
1) Vogt, C.; Ueber die Fortpflanzungsorgane einiger ektopara-
sitischer mariner Trematoden in: Zeitschr. f. wissensch. Zoologie. Bd. 30
Suppl. 1878.
2) Lorenz, L.; Ueber Distoma robustum n. sp. aus dem afrika-
nischen Elefanten in: Verh. Zool. Bot. Ges. Wien. Bd. 30 S. 583—586.
s) Parona, C. e Perugia, A., Res ligusticae XIV. Contribuzione
per una monografia del genere Microcotyle, in: Ann. Mus. Civico. St.
Nat. Genova. Vol. 10 8. 171.
s) H. B. Ward, Note on Cestode Nomenclature. American
Naturalist, 1900, Vol. 34, p. 533.
[33] Ueber eine neue Distomidengattung. 177
Von vorne her mündet in das Ootyp der kurze und
zarte Ausführungsgang des Receptaculum seminis, an dessen
dorsaler Wand er seinen Ursprung nimmt. Das Receptaculum
ist sehr gross und stark entwickelt, im Verhältnis noch
grösser als bei A. albidum, und liegt ziemlich nahe und
mitunter etwas seitwärts vom Bauchsaugnapfe, der dorsalen
Wand stark genähert. Ich habe dasselbe auch hier stets
sanz oder teilweise gefüllt gefunden; der Inhalt bestand
vornehmlich aus Sperma, jedoch fanden sich auch Zellreste
und Eier darin. Die Schalendrüse besteht aus zahlreichen
einzelligen Drüsen, welehe die gewöhnlichen Färbmittel
(Haematoxylin oder Borax-Carmin) stark aufnehmen. Inner-
halb der Schalendrüse treffen also nach oben gesagtem vier
Kanäle zusammen; der Uterus, der Oviduct, der gemeinsame
Dottergang und der Ausführungsgang des MReceptaculum
SEMAMIS.
Schon MonTIcELLı hat berichtet, dass diese Spezies
keinen Laurer’schen Kanal besitzt, und ich habe dies bei
allen meinen Exemplaren bestätigt gefunden. Weder mit
dem Receptaculum seminis, noch mit dem Ootyp steht irgend
ein Kanal oder auch nur der Ansatz eines Kanales in Ver-
bindung, der als Laurer’scher Kanal gedeutet werden
könnte.
In den ovarialen Eiern sieht man deutlich neben der
Keimzelle ein, zwei oder auch mehrere stark färbbare
Körperchen liegen, welche eine unregelmässige Gestalt haben
und leicht von der Keimzelle zu unterscheiden sind. Schon
bei der Beschreibung der ovarialen Eier des A. albidum
habe ich ähnliehe Beobachtungen mitgeteilt, und darauf
hingewiesen, dass dies jene Dotterkörperehen sind, die
MonTIcELLı nicht sehr vorteilhaft mit dem Namen „nucleo
vitellino“ bezeichnet hat. Um Verwechslungen zu vermeiden,
werde ich mich für diese Gebilde des Namens „Dotter-
körperehen“ bedienen.
Ich habe gefunden, dass jene Eier, welche an der
der Mündung des Oviduktes gegenüberliegenden Wand ange-
ordnet sind, die kleinsten sind und fast niemals ein solches
Körperehen enthalten; je weiter die Eier gegen den Aus-
führungsgang des Ovariums hinkommen, desto grösser werden
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 12
178 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [34]
sie, und desto deutlicher zeigen sie das Vorhandensein von
Dotterkörperchen. Im allgemeinen glaube ich die Ent-
wieklung dieser Dotterkörperehen folgendermassen schildern
zu können: Zuerst erscheint innerhalb des Protoplasmas
neben dem Kern ein kleines dunkel gefärbtes Pünktchen.
Dieses winzige Körperehen wächst allmählich, es tritt ein
zweites Körperchen auf und in der Mitte des Ovariums sieht
man bereits zwei ziemlich grosse, leicht färbbare Körperchen
in der Eizelle liegen.
Die in der dem ÖOvidukt benachbarten Partie des
Ovariums, sowie die im Ovidukte selbst befindlichen Eier
zeigen zumeist schon vier Körperchen, von denen ein jedes
kleiner ist als eines der beiden Körperchen, die in den Eiern
der mittleren Zone des Ovariums enthalten sind, sodass es
kaum zweifelhaft erscheinen kann, dass diese Körperchen
aus den beiden früheren durch Zerfall hervorgegangen sind.
Der in Figur 8 der Tafel gezeichnete Querschnitt durch
das Ovarium von A. albidum kann auch zur Veranschauliehung
dieser Verhältnisse bei A. richiardiü dienen, da das Verhalten
beider Arten in dieser Beziehung ganz das gleiche ist; für
A. richiardii müssten nur Eier und Ovarium entsprechend
grösser gezeichnet sein. Natürlich sind die einzelnen Gegenden,
wo ein, zwei oder vier Dotterkörperehen in den Eiern ent-
halten sind, nieht streng geschieden, aber jedenfalls stimmen
meine Angaben mit denen MonTicELLr’s insofern nieht voll-
ständig überein, als er behauptet, dass die am Rande ge-
legenen Eier überhaupt die schwächste Entwicklung zeigen
und die in der Mitte (uova della zona eentrale dell’ ovario)
die am weitest vorgeschrittenen seien, indes ich ein stetiges
Fortschreiten der Entwicklung von dem proximalen Rande
des Ovariums zum distalen deutlich gesehen habe.
Die Dotterkörperchen sind auch noch, wie schon MoNTI-
CELLI bemerkt hat, bei den uterinen Eiern zu sehen, jedoch
scheint der Zerfall derselben noch weiter fortzuschreiten,
indem sie stetig kleiner werden und an Zahl zunehmen, bis
sie eine körnige Masse bilden, welche schliesslich verschwindet,
indes die eigentlichen, spärlich vorhandenen Dotterzellen
noch lange bestehen bleiben. Die Stellen, wo ich zuletzt in
den einzelnen Eiern Dotterkörperchen oder deren Rudimente
[35] Ueber eine neue Distomidengattung. 179
gefunden habe, waren sehr verschieden gelegen, so dass ich
nicht anzugeben vermag, an welcher Stelle dieselben ver-
schwinden.
Was nun die physiologische Bedeutung dieser Dotter-
körperehen anbelangt, so huldige ich darin der Ansicht
MoNnTIcELLT’s, dass nämlich diese Gebilde in keinem Zu-
sammenhang mit der Befruchtung stehen, sondern als pro-
gressive Stoffwechselprodukte von der Eizelle aus dem auf-
senommenen Nahrungsmaterial gebildet werden, um während
der Entwicklung des Embryos als Reservestoffe zu dienen
und zur Ernährung beizutragen. Diese Ansicht hat schon
MonTIicELLı dadurch unterstützt, dass er auf die geringe
Entwicklung der Dotterstöcke bei A. richiardii im Vergleich
zu der Menge und Grösse der Eier hinwies, welche aller-
dings den ganzen Uterus in allen seinen weiten und ver-
wickelten Schlingen ausfüllen und im allgemeinen einen
Durchmesser von 50 u zeigen, indes die ovarialen Eier durch-
schnittlich einen Durchmesser von 15—25 u haben.
MonTICcELLI sagt ferner, dass er das Auftreten solcher
Dotterkörperehen bei den meisten übrigen Trematoden nicht
zu beobachten vermochte. Wie wir gesehen haben, finden
sich diese Dotterkörperehen in ganz gleicher Weise bei A.
albidum. Sie sind aber auch von Looss bei einigen Distomen
der Fische und Frösche, vor allem aber bei Apoblema
mollissimum Levinsen beobachtet worden, und auch Looss !)
spricht seine Zustimmung zu der Ansieht aus, dass das Vor-
kommen dieser Körperchen im Zusammenhang mit der geringen
Entwicklung der Dotterstöcke, resp. mit der des einzigen
Dotterstockes bei Apoblema stehe, indem er sagt... „et
cela appuie l’opinion, suivant laquelle cette formation des
cellules oeufs est en relation avee la petite taille des vi-
tellogenes“ ... Da wir diese Dotterkörperehen nur bei
Formen finden, bei denen die Dotterstöcke schwach ent-
wickelt, dagegen aber die Eier ziemlich gross oder sehr
zahlreich vorhanden sind, so scheint es keinem Zweifel zu
ı) Looss, A., Recherches sur la faune parasitaire de l’Egypte:
in M&m. Inst. &gypte V. 3, 1896.
12*
180 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [36]
unterliegen, dass diese Einsehlüsse in den Eizellen als Nähr-
material dienen und gleichsam den mangelnden Dotter er-
setzen.
Charaktere der Gattung Anaporrhutum.
Aus dem bisher gesagten geht schon zweifellos die
Zusammengehörigkeit der beiden Spezies A. albidum und
A. richiardii: hervor, und ich will hier nur versuchen, ihre
gemeinsamen Merkmale kurz zusammenzufassen und diejenigen
derselben hervorzuheben, auf Grund deren mir die Aufstellung
einer neuen Gattung berechtigt erscheint.
Beide Spezies sind Endoparasiten von Chondropterygiern
und werden im Pericard oder in der Leibeshöhle meist nur
in wenigen Exemplaren an ein und derselben Stelle gefunden.
Im äusseren Aussehen sowie in der Grösse finden wir schon
eine hervorragende Aehnlichkeit.
Der Verdauungsapparat zeigt in beiden Arten dieselbe
charakteristische Form, indem der Mundsaugnapf sich in
einen kräftigen muskulösen Pharynx fortsetzt, an den sich
fast unmittelbar die Darmgabelung anschliesst. Die Darm-
schenkel reichen bis ans Hinterende des Körpers, woselbst
sie blind endigen. Der Darminhalt, sowie die Lage des
Darmes zum Körperrande ist bei beiden gleich.
Bei beiden Arten liegt der Exkretionsporus an derselben
Stelle, nämlich am kaudalen Körperrande und zwar ventral,
indes der Verlauf der Kanäle vornehmlich dorsal ist.
Grosse Aehnlichkeiten finden wir auch im männlichen
Geschleehtsapparat, dessen Porus bei beiden Arten ungefähr
an derselben Stelle liest und getrennt von dem weiblichen,
jedoch innerhalb einer gemeinsamen Umwallung mit diesem
ausmündet. Ein Cirrus fehlt beiden Arten. Die Prostata-
drüsen sind hier wie dort vorhanden. Ein weiterer Gattungs-
charakter ist die Lage der männlichen Geschlechtsdrüsen,
welche sieh, wenigstens zum grossen Teile, ausserhalb der
Darmschenkel befinden und in zahlreiche Hodenbläschen
aufgelöst sind.
Der weibliche Geschlechtsapparat zeigt in den beiden
Spezies wohl Unterschiede, aber andererseits sind es gerade
[37] Ueber eine neue Distomidengattung. 181
Eigentümliehkeiten des Geschleehtsapparates, die den ge-
meinsamen Gattungscharakter bilden. An den ungefähr in
der Medianlinie ventral zwischen Mund- und Bauchsaugnapf
liegenden weiblichen Genitalporus schliesst sich mit seinem
verjüngten Teile der Uterus an, weleher sowohl vor als
hinter dem Bauchsaugnapfe mehr oder weniger Schlingen
bildet und ganz mit Eiern erfüllt ist. Seine Schlingen
reichen so weit nach hinten wie die Darmschenkel, über-
schreiten deren inneren Rand jedoch nirgends.
Die Dotterstöcke bestehen bei unserer Gattung aus zwei
seitliehen, sehr schwach entwickelten, verästelten Drüsen-
komplexen, deren einzelne Zweige mit einander mehrfach ana-
stomisieren und teilweise ausserhalb der Darmschenkel liegen.
Das Ovarium liegt bei Anaporrhutum hinter dem
Receptaculum seminis etwas seitlich von der Medianlinie des
Körpers und ist mehr oder weniger gelappt. Es entsendet
seinen Ausführungsgang, den Ovidukt nach vorne in die
Sehalendrüse, von wo dieser seine Fortsetzung im proximalen
Teile des Uterus findet. Die Form des Eierstockes ist aber
selbst in ein und derselben Spezies oft eine sehr verschiedene,
so dass ich glaube, dass dieser Punkt für die systematische
Beurteilung ziemlich belanglos ist. Das Receptaculum seminis
ist bei Anaporrhutum ganz enorm gross und zeigt eine
Entwieklung und ein Lumen, wie sie wohl nur wenig andere
Distomidengattungen aufzuweisen vermögen. Es ist fast
kreisrund, dorsoventral ein wenig abgeplattet und scheint
von einer mehr oder weniger elastischen Membran umgeben
zu sein. Wie ich noch zu zeigen beabsichtige, bringe ich
die Grösse des Receptaculum seminis in direkten Zusammen-
hang mit dem Fehlen oder dem Vorhandensein eines
LAurer’schen Kanals. In der That fehlt ein solcher der
Gattung Anaporrhutum vollständig und ich erblicke darin
gerade eines ihrer wichtigsten Gattungsmerkmale.
Dieser Genuscharakter, welcher auch der Gattung den
Namen gegeben hat, wird aber noch von zwei anderen
Gattungen geteilt. Es sind dies Apoblema LEvInsen !) und
2) Levinsen; Bidrag till Kundskab om Gronlands Trematodfauna;
Oversigt over d. K, Dansk. Vidensk, Selsk. Forhdl. 1881. Nr.1.
182 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [38]
Hoaematoloechus Looss. Es thut das aber dem Werte dieses
Merkmales keinen Eintrag, da ja, wie auch Looss in seiner
letzten Arbeit betont, ein einzelnes Merkmal für die Be-
stimmung einer Gattung nicht ausschlaggebend ist. Die
beiden hier angeführten Genera, welche noch ausser Ana-
porrhutum eines LAurERr’schen Kanals entbehren, sind aber
von diesem so grundverschieden, dass sie wohl gar nicht in
Betracht kommen.
Wenn wir aber diese Gattungen ins Auge fassen, bei
denen ein LAurer’scher Kanal fehlt, so fällt uns auf, dass
wir gerade bei ihnen ein ganz kolossal entwickeltes Recep-
taculum seminis finden. Es hat mich dieser Umstand auf
den Gedanken gebracht, die physiologische und morpho-
logische Bedeutung des LAurer’schen Kanals mit dem Recep-
taculum seminis in engsten Zusammenhang zu bringen.
Schon vor einem Jahrzehnt ist BRANDES!) auf das
energischste gegen die von mancher Seite so z. B. von
PInTNER?) verteidigte Auffassung des LAurer’schen Kanals
als Vagina aufgetreten. Er betont dabei vor allem dass
bisher niemals eine /mmissio penis in den LAURER’schen
Kanal beobachtet worden sei, wohl aber das Einführen des
Penis in die benachbarte Vagina desselben Tieres oder in
das gleiche Organ eines anderen Individuums. Auch zeigt
der Laurer’sche Kanal niemals irgendwelche Korrelationen
mit dem Bau des vorstülpbaren Begattungsorgans, während
an dem Endteile des Uterus, der als Vagina funktioniert,
eine derartige Anpassung nicht selten ist. Ich erinnere hier
nur an die von Looss neuerdings aufgestellten Gattungen
Philophthalmus, Pygorchis, Haplometra, Prymmoprion und
andere mehr.
Wenn sich PInTnEr 3) mit seiner Annahme darauf stützen
will, dass man im LAurer’schen Kanal sehr häufig Sperma
!) Brandes, G.; Zur Frage des Begattungsaktes bei den endo-
parasitischen Trematoden in: Centralbl. f. Bakteriologie und Parasiten-
kunde. Bd.IX, 1891 Nr.: 8.
?) Pintner, Th.; Neue Beiträge zur Kenntnis des Bandwurm-
körpers. (Arbeiten d. Zool. Instit. zu Wien. Bd. IX. Heft ]).
°) Pintner, Th.; Nochmals über den Begattungsakt der para-
sitischen Plathelminthen in: Centralbl. f. Bakteriol. und Parasitenk.
BAER: 13912 Nr:522:
[39] Ueber eine neue Distomidengattung. 183
findet, — eine Beobachtung, die übrigens schon lange vor-
her von SrIEpA!) gemacht worden ist, — so kann man
natürlich erwidern, dass dieses auch aus den Uterusschlingen
oder aus dem Receptaculum seminis stammen kann, dass
somit diese Thatsache vielleicht mit grösserem Reehte als
Beweis für die von BRANDESs vorgetragene Ansicht angeführt
werden könnte.
Zur weiteren Unterstützung dieser Ansicht möchte ich da-
rauf hinweisen, dass alle jene Formen, denen ein LAURER’scher
Kanal fehlt, ein stark erweitertes Receptaculum seminis be-
sitzen und dem die Thatsache gegenüberstellen, dass wir
bei allen übrigen Formen einen LAurer’schen Kanal, bei
vielen derselben jedoch nur ein sehr unscheinbares, oft aber
auch gar kein Receptaculum seminis nachzuweisen vermögen,
ich nenne hier nur beispielsweise Asymphylodora (Looss),
Haplometra (Looss), Accacoelium (MoNTIcELLI), Otiotrema
(SETTI), Halipegus (Looss), Heterolope (Looss), Dolichosomum
(Looss), Urogonimus (MONTICELLI), Urotocus (Looss), Hapa-
lotrema (Looss), Notocotyle (DIESING).
Bei-einzelnen Formen aber erscheint das Receptaculum
seminis gar als eine Ausstülpung des LAurer’schen Kanals,
wie z. B. bei Coenogonimus (Looss), Anchitrema (Looss)
(identisch mit dem ehemaligen D. sanguineum Sonsino), 80-
dass sich uns unwillkürlich der Gedanke aufdrängt, dass
der LAurer’sche Kanal nichts anderes als ein Abflussrohr
für das Receptaculum seminis oder besser gesagt, für die
Samenmasse ist, da, wie wir gesehen haben, der LAURER’sche
Kanal auch bei völligem Fehlen eines Receptaculum seminis
vorhanden sein kann. —
Diese Annahme wird dadurch unterstützt, dass kein
einziger Fall bekannt ist, in welchem gleichzeitig mit dem
Mangel eines Receptaculums auch das Fehlen des LAurERr’schen
Kanals beobachtet wird. Es wäre somit der LAurERr’sche Kanal
allerdings ein Sicherheitsventil, jedoch nicht, wie SOMMER?)
1) Stieda, L.; Ueber den angeblichen inneren Zusammenhang
der männlichen und weiblichen Organe bei den Trematoden in: Reicherts
und Du Bois-Reymonds Archiv 1871.
2) Sommer, F.; Die Anatomie des Leberegels, Distomum hepa-
tieum L.: in Zeitschr. f, wiss. Zool., Bd, 34. pag. 539—640,
184 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [40]
annahm, für die Produkte des eigenen Körpers, welche
voraussichtlich nur nach Massgabe ihres Bedarfes erzeugt
werden,!) sondern für das von einem fremden Individuum
oder vielleicht sogar von mehreren von aussen einge-
führte Sperma, welches vielleicht, wenn in zu grosser
Menge vorhanden, in allen jenen Fällen wo nur ein kleines
oder gar kein Receptaculum seminis vorhanden ist, die Ge-
fahr einer Verstopfung der Leitungswege herbeiführen könnte,
und dadurch, statt das Tier zu befruchten, gerade das Gegen-
teil, nämlich seine Unfruchtbarkeit bewirken würde. Durch
diese Hypothese findet auch die Beobachtung, dass der
LAurer’sche Kanal oft mit Sperma gefüllt ist, ihre natürliche
Erklärung.
Es leuchtet aber auch ein, dass bei allen jenen Gattungen,
bei denen der LAaurer’sche Kanal fehlt, das Receptaculnm
seminis sehr gross sein muss, um die Gefahr einer Ueber-
füllung zu vermeiden, oder dass anderseits diese Vergrösserung
des Receptaculum seminis vielleicht gerade erst durch die
Ansammlung von Samenmasse, welche keinen Abfluss findet,
eintritt; ein Verhalten, das an der hier aufgestellten Hypo-
these nichts ändern würde.
Ob das Receptaculum nicht auch in morphologischem
resp. in entwieklungsgeschichtlichem Zusammenhang mit dem
LAurer’sehen Kanale steht, worauf die Thatsache hinzu-
weisen scheint, dass es mitunter nur als Ausbuchtung des
letzteren auftritt, wäre eine Frage, die zu lösen die Auf-
gabe einer entwicklungsgeschichtlichen Untersuchung sein
würde.
Als Charaktere für die neue Gattung Anaporrhutum
können wir also nunmehr zusammenfassend aufstellen:
1. Abgeflachter ovaler Körper mit abgesetztem Vorder-
ende,
2. Geschleehtsöffnungen dieht nebeneinander, in der
Mitte zwischen Mund- und Bauchsaugnapf,
3. Oesophagus sehr kurz und unscheinbar,
1) Vergl. Brandes; Die Familie der Holostomiden. Zool. Jahr-
bücher. Abt. f. Systematik ete. Bd. V, pag. 565.
[41] Ueber eine neue Distomidengattung. 185
4. Weite unverästelte Darmsehenkel bis ans Hinterende
des Körpers reichend,
5. Cirrus ist nicht vorhanden,
6. Hoden in einzelnen Bläschen trauben- oder dolden-
förmig angeordnet, liegen zum grossen Teile ausserhalb der
Darmschenkel,
7. Receptaculum seminis sehr gross,
8. Gänzlicher Mangel eines LAurer’schen Kanals,
9. Auftreten von Dotterkörperchen in den ovarialen
sowie in den uterinen Eiern.
Ich glaube, dass diese Merkmale hinreiehen werden,
um ein klares Bild von der Gattung Anaporrhutum zu
geben und sie von anderen Distomidengattungen abzugrenzen.
Unterschiede zwischen den beiden bisher bekannten
Arten von Anaporrhutum.
In der äusseren Körpergestalt unterscheiden sich unsere
beiden Arten insofern, als A. richiardiw im allgemeinen einen
gedrungeneren Bau zeist, dieker ist und in seinem vorderen
Teile an der ventralen Seite bis über den Bauchsaugnapf
hinaus mit sehr kleinen, kurzen und dieken Stacheln be-
setzt ist, welehe jedoch nur auf Schnitten gesehen werden
können.
A. albidum ist länglicher, weicher d. h. muskelärmer und
besitzt eine vollkommen glatte Körperoberfläche.
Der Pharynx, welcher sich bei der letztgenannten Form
birnförmig in den Mundsaugnapf vorschiebt, legt sich bei
A. richiardii mehr kugelförmig an denselben an.
. Das Wassergefässsystem ist bei A. albidum durch die
wagerechte Stellung der vom Hauptstamme entspringenden
Aeste mehr T-förmig und durch den Ansatz von Neben-
stämmen, welche teils ausserhalb, teils dorsal von den
Darmschenkeln verlaufen weiter ausgebreitet. A. richiarduü
dagegen zeigt die häufig vorkommende Y-Form.
Die Vesicula seminalis zeigt insofern einen kleinen
Unterschied, als dieselbe bei A. albidum aus mehreren spiralig
186 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [42]
angeordneten Windungen besteht, indes sie bei A. richiardiü
nach MoNTICELLI aus einer seitlichen, nach meinen eigenen
Beobachtungen aus einer dorsalen Aussackung des ductus
ejaculatorius besteht.
Bei diesem letzteren findet man auch nieht jene merk-
würdige Anastomose der Vasa deferentia. Dagegen liegen
hier die Hodenbläschen auch noch teilweise innerhalb der
Darmschenkel, während dies bei A. richiardi niemals der
Fall ist.
Entsprechend dem grösseren, durch tiefe Einschnitte
gelappten Ovarium besitzt A. richiarduü einen stark ent-
wickelten Uterus, weleher mit seinen Schlingen den ganzen
Raum zwischen den Darmschenkeln völlig ausfüllt und
nur das Receptaculum seminis, das Ovarium und die Schalen-
drüse unbedeckt lässt. Das bedeutend kleinere Ovarium von
A. albidum besteht aus mehr Lappen, die jedoch weniger
scharf von einander getrennt sind. Der Uterus zeigt nur
wenige, kleine Sehlingen im äussersten kaudalen Teile des
Körpers, indes er sonst nur in einer sanften Wellenlinie
verläuft.
Die Dotterstöcke liegen bei A. richiardu ganz ausser-
halb der Darmschenkel, wogegen sie bei A. albidum kaum
den äusseren Rand der Darmschenkel ventral überschreiten.
Wenn diese Unterschiede auch vollständig hinreichen,
um eine deutliche Trennung der beiden Arten zu ermöglichen,
so glaube ich doch nicht, dass man nach den bisherigen Er-
gebnissen die Zusammengehörigkeit zu ein und derselben
Gattung vorläufig anzweifeln kann. Immerhin ist es möglich,
dass späterhin, wenn neue zu jeder der beiden Spezies
passende Arten gefunden werden, jede derselben für sich
wieder als neue Gattung aufgestellt wird.
a
WURDEN
N
4
WOHIN,
“ Tafel I.
Dr. E. v. Ofenheim, Ueber eine neue Distomidengattung.
Fig. 18. Anaporrhutum albidum.
Fig. 1. Aeussere Ansicht von der Bauchseite; nat. Gr.
Fig. 2. Profilansicht, nat. Gr.
Fig. 3. Innere Anatomie v. d. Bauchseite aus gesehen, ca, 4
Fig. 4. Sagittalschnitt durch Mundsaugnapf, Pharynx, Oeso-
Er phagus und den Beginn des Darmes. 50x
Fis.. 5. Medianschnitt durch weiblichen und männlichen Ge-
schlechtsporus, duct. ejaculat. und Ves. semin. 110
Fig. 6. Dorsal-Ansicht des Endabschnittes des männl. und weibl.
Genitalapparates; aus Sagittalschnitten rekonstr. ca. 70x
Fig. 7. Weibl. Geschlechtsapparat a. Querschnitten rekonstr. 50
Fig. 8. Sagittalschnitt durch Ovarium und Ovidukt. 190
Fig. 9—12. Anaporrhutum richiardü.
Fig. 9 und 10. Aeussere Ansicht von der Bauchseite, nat. Gr.
Fig. 11. Innere Anatomie, von der Bauchseite gesehen, ca. 6x
Fig. 12. Weibl. Geschlechtsapparat aus Querschnitten rekonstruiert
(Dotterstöcke und Uterus abgeschnitten), ca. 25
avd: Anastomose der Vas. def. | nex: Nebenstämme des Fxkretions-
br: Befruchtungsraum (Ootyp). \ gefässsystems.
bsn: Bauchsaugnapf. 9: Mundöffnung.
de: duetus ejaculatorius. pe: Porus exeretorius.
dg: Dottergänge. | ph: Pharynx.
dst: Dotterstöcke. pr: Prostatadrüsen.
ec: Haupstamm d. Exkretionssyst. | rs: Receptaculum seminis.
i: Darmschenkel. sd: Schalendrüse.
gdg: Gemeinsamer Dottergang. ı t: Hoden.
go: Ort der Genitalöffnungen. ı utd: Distaler Teil des Uterus.
kg: Keimgang (Oviduct). | utd: Proximaler Teil des Uterus.
kst: Keimstock (Ovarium). vd: Vasa deferentia.
mgo: Männliche Genitalöffnung. | vs: Vesicula seminalis.
msn: Mundsaugnapf.
|
wgo: Weibliche Genitalöffinung.
Die in der Tafel wiedergegebenen Zeichnungen wurden von
Dr. Etzold teils nach meinen Skizzen und Angaben, teils direkt von
meinen Präparaten mit Hilfe des Zeiss’schen Zeichenapparates angefertigt.
Er ie —
S '8 oIIeH “TauggaTd '1q89 UOoA Yonapjyarı "ISP PIOZIY "A "dd
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u
UST
III 'F8ıL 0061 'EL ‘pa uaıpsyasussermanggN AnF IITUUoesIeZ
Tafel IV.
Wiegers, Ueber Aetzungserscheinungen an Gyps.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 4a.
Fig. 4b.
Gypszwilling mit einspringendem Winkel; Beginn der
Bildung von Flächen der hinteren Orthodomenzone
infolge der Aetzung.
Gypszwilling, bei welchem durch vorgeschrittene An-
ätzung der einspringende Winkel dem Verschwinden
nahe gebracht ist; die abstumpfenden Flächen sind
stark entwickelt.
Gypszwilling mit schwach gewölbter Endigung; der
einspringende Winkel ist verschwunden. Die Thon-
einschlüsse auf den Flächen der negativen Hemi-
pyramide sind sichtbar.
Gypszwilling mit zugespitzter Endigung; das Endglied
der Reihe.
Derselbe vergrössert. Einschlüsse wie in Fig. 3.
Zeitschrift für Naturwissenschaften. 1900. Bd. 793. ERS IOVE
r BER?
M ve RN Er ",
Fig. 43.
F, Wiegers phot. Lichtdruck von Gebr. Plettner, Halle a. S.
Catalogus mammalium europaeorum
Seripsit
Erwin Schulze.
Praefatio.
Mammalium species europaeae hoe eatalogo secundum
eam systematis formam enumerantur quae orta est e reeenti-
oribus zoologorum nee non palaeontologorum studiis. De sin-
gulis speeiebus synonyma praeeipua nuneupantur, loei litte-
rarji prineipales indieantur, distributio geographiea exponitur.
De quorundam generum et specierum determinatione et
nominibus deque una quadam speeie obsoleta et in hoc
eatalogo praetermissa pauca sunt hie dieenda, ne specierum
enumeratio dissertationibus subseribendis eoartetur.
1. Europaeum Bovem urum s. bonasum atque ameri-
canum Bovem bisontem eiusdem et unius speciei esse varie-
tates seu subspecies locorum et vietus diversitate effeetas,
illam silvaticam, hane eampestrem, vel inde apparet quod
Bovis uri atavus diluvianus, Bos priscus, quem constat in
campis vietitavisse, americano Bovi bisonti similior est quam
suae ipsius progeniei europaeae.
2. Couesianum genus. Huotomyis cum ab Hypudaeo
parum diserepet, eonvenienter illi subiungitur tanquam sub-
genus. (Ne Fiber quidem zibethicus, species americana, ita
ut apte peculiari genere exeipiatur diversus est ab Hypudaeo,
a quo non differt nisi notis adaptatieiis vietu aquatico effeetis,
nee unquam fortasse seorsum in systemate eollocatus foret,
nisi magnitudine in illo genere insolita ae singulari habitum.
alienum praeberet.!)
1) Etiam Oldfield Thomas videtur Fibrum Hypudaeo s. Microto
subiungendum esse censere, quum in generum glirium conspectu quem
a. 1896 conscripsit generis Fibri mentionem non faciat.
188 ERWIN SCHULZE, [2]
3. Arvicola campestris, quae species ab J. H. Blasio
a. 1853 in uno tantum specimine quod in territorio urbis
Braunschweig inventum erat constituta est, in hoc catalogo
omittitur, quia a nemine postea visa est et confirmata, eum
Hypudaei species passim et gregatim vivere soleant. Exem-
plar blasianum videtur aut hibrida fuisse Aypudaei agrestis
et arvalis aut animal abnorme.
4. Genus Soricis ita est determinatum ut S. amphibium
s. fodientem eomprehendat, e quo Wagler a. 1832 proprium
genus Crossopodis constituit, quod Selys quidem a. 1839
repudiavit, plerigue autem recentiores auetores probaverunt
et receperunt. A reliquis enim Soricis speciebus S. amphi-
bius non generieca indole, sed (praeter dentium numerum,
qui in his animalibus minoris est momenti) accommodatieiis
tantum notis differt, ut bestia aquatiea.
5. Non est dubium quin Linnaeus generis Mustelae
exemplaria seu species typieas M. ermineam et nivalem
subintellexerit. Mustelae igitur nomen (id quod W. Lillje-
borg a. 1874 in fauna mammalium scandinaviea notavit)
adhibendum est ad species M. ermineae eongeneres, no-
minaque generiea Putorü et Foetorii sunt reiieienda.
6. Diserimen quod inter hominem ae simias anthropo-
morphas, Pithecum troglodytam et satyrum, intereedit eius-
modi est ut ratio mere morphologiea hominem ab illis genere
separari nee iubeat nee postulet et vix sinat. Accedit quod
hominis diluviani dentes, in poro seu topho taubachiano
reperti, Pitheci troglodytae dentibus etiam assimiliores sunt
quam dentes hominis hodierni.!)
Seribebam Lipsiae 1900 mai. 1. E. Schulze.
1) Schötensack, O., Diluvial-Funde von Taubach (Weimar).
Vh. Berl. @. Anthr. a. 1895. — Nehring, A., Über einen fossilen
Menschenzahn aus dem Diluvium von Taubach bei Weimar. Vh. Berl.
G. Anthr. a. 1895, p. 338—340. — Nehring, A., Über einen diluvialen
Kinderzahn von Pfedmost in Mähren unter Bezugnahme auf den schon
früher beschriebenen Kinderzahn aus dem Diluvium von Taubach bei
Weimar. Vh. Berl. G. Anthr. a. 1895, p. 425—433. — Nehring, A.,
Über einen menschlichen Molar aus dem Diluvium von Taubach bei
Weimar. Vh. Berl. G. Anthr. a. 1895, p. 573—577. — Nehring, A.,
Über fossile Menschenzähne aus dem Diluvium von Taubach. Ntw.
Wochenschr. ed. Potoni£., Berl., v. 10 (a. 1895), p. 371. 522,
[3] Catalogus mammalium europaeorum. 189
Vete
Balaenidae
BALAENA (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 105 g. 38).
1. mysticetus. (B. m. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1
p. 105 sp. 1). In mari glaeiali et in partibus maxime septen-
trionalibus oceani atlantiei et paeifiei.
2. glacialis. (B. glacialis 1789 Bonnaterre eet., p. 3 [1898
True, P. U. S. Nat. Mus. p. 633]. BD. biscayensis 1860 Eschricht,
OR. Ac. Par. v. 50 p. 924. BB. tarentina 1877 Capellini,
Rend. Ac. Nap.) In oceano atlantico, mari mediterraneo.
Physalidae
PHYSALUS
1. latirostris. (Physalus sibbaldii 1847 Gray, P. Z. S.
Lond. p. 92. Balaenoptera gigas 1857 Reinhardt ap. Rink,
Grönland, v. 1 pt. 2, app. p. 10. Sibbaldus borealis 1864
Gray, Ann. Mag. N.H. s.3 v.14 p. 352. Physalus latirostris
1864 Flower, P. Z. S. Lond. p. 414.) In maribus borealibus.
2. musculus. (Balaena boops 1766 Linne syst. nat.,
ed. 12, v.1 p. 106 sp. 3. Balaenoptera musculus 1830 Com-
panyo. Physalus musculus 1871 Malm, Sv. Vet. Ak. Handl.
Stockh. 8.2 v.9 fase. 2 p. 40.) In oceano atlantieco N, mari
mediterraneo.
3. laticeps. (Balaena rostrata Rudolphi, Abh. Ak. Berl.
a.1820 p.27 t.1..4. Balaenoptera laticeps 1846 Gray,
zool. voy. erebus a. terror 1839/1843, mamm., p. 20.) In mari-
bus borealibus.
4. rostratus. (Balaena rostrata 1780 Fabrieius f. groenl.,
p. 40. Dbalaenoptera rostrata 1839 Kröyer, Nth. Tidsskr.
Kjjöbenh. v. 2 p. 617.) In maribus borealibus, oceano atlantico
N, mari mediterraneo.
5. boops. (Balaena boops 1780 Fabrieius f. groenl.,
p- 16 n. 22. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 291 n. 149.
balaena longimana 1832 Rudolphi, Abh. Ak. Berl. a. 1829
p- 133 t. 12. Megaptera longimana 1846 Gray, zool. voy.
erebus a. terror 1839/1843, mamm., p. 17. Megaptera boops
1862 Lilljeborg öfvers. skand. hvalart. däggdj., fase, 2 p. 50
sp. 1.) In oceanis atlantico et paeifico N.
190 ERWIN SCHULZE, [4]
Delphines
Delphinidae
PHOCAENA (1817 G. Cuvier regne anim., v.1 p. 279).
Phocaena
1. commumis. (Delphinus phocaena 1766 Linne syst. nat.,
ed. 12, v. 1 p. 108 sp. 1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1
p- 284 n. 145. Phocaena communis 1827 Lesson mamm.,
p- 413 n. 1078.) In maribus europaeis.
Orca (1846 Gray zool. voy. erebus a. terror 1839/1843,
mamm., p. 33).
2. gladiator. (Delphinus orca 1804 La Cepede eet.,
p- 298. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 285 n. 146.
Delphinus gladiator 1804 La Cepede eet., p. 302. Orca
gladiator 1846 Gray zool. voy. erebus a. terror 1839/1843,
mamm., p. 33. | 1866 Lilljeborg, Recent mem. on the cetacea,
ed. by the Ray S., p. 232.) In oceano atlantico N, mari
mediterraneo.
3. eschrichtü. (Orca eschrichtii 1866 Steenstrup, Recent
mem. on the cetacea, ed. by the Ray S., p. 188.) In maribus
septentrionalibus.
4. crassidens. (Phocaena crassidens 1846 Owen brit.
foss. mamm., p. 516.) In oceano atlantico paeifico australi,
mari mediterraneo.
Grampus (1828 Gray).
5. grisea. (Delphinus griseus 1812 Cuvier, Ann. Mus.
H.N. Par. v.19 p.14 t.1. Phocaena grisea 1827 Lesson
mamm., p. 415 n. 1085.) In oceano atlantico N.
6. rissoana. (Delphinus rissoanus 1820 Desmarest
mamm., p. 519 n. 778. Phocaena rissoana 1827 Lesson
mamm., p. 416 n. 1088.) In mari mediterraneo.
[5] Catalogus mammalium europaeorum. 191
GLOBICEPS (1883 Flower, P. Z. S. Lond. p. 471).
1. melas. (Delphinus melas 1809 Traill, Nicholson’s J.
Nat. Phil. Lond. v. 22 p. 81 1.3. Delphinus globiceps 1812
Cuvier, Ann. Mus. H. N. Par. v.19 p. 14 t.1 f.2. Globiceps
melas 1883 Flower, P. Z. S. Lond. p. 471. 509.) In oceano
paeifico et atlantico, mari mediterraneo.
DELPHINUS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.108 g.40).
Steno (1846 Gray zool. voy. erebus a. terror, mamm., p. 43).
1. frontatus. (Delphinus frontatus 1823 Cuvier oss. foss.,
ed. 2, v.5 p. 278 1.22 f.8.) In oceano pacifieco et indico,
in mari rubro et mediterraneo.
Delphis
2. delphis. (Delphinus delphis 1766 Linne syst. nat.,
ed. 12, v.1 p. 108 sp. 2. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1
p. 284 n. 144. Delphinus algeriensis 1860 Loche, Rev. Mag.
Zool. p. 474 1.22 f.1.) In oceano atlantieo, mari mediterraneo.
3. mediterraneus. (Delphinus mediterraneus [? 1858
Loche cat. mamm. et ois. alg.]) In mari mediterraneo.
4. albirostris. (Lagenorynchus alberostris 1846 Gray
zool. voy. erebus a. terror 1839/1843, mamm., p. 35 t. 10. 11.
Delphinus albirostris 1861 Lilljeborg öfvers. skand. hvalart.
däggdj., fase. 1 p. 8 sp. 2.) In oceano atlantico.
5. rostratus. (Delphinus rostratus 1817 Cuvier regne
anim., v.1 p. 278.) In oceano atlantico.
6. acutus. (Delphinus acutus 1829 Gray spieil. zool.,
v.1 p.2. Delphinus leucopleurus 1845 Rasch, Nyt Mag.
Ntv. v.4 p. 97.) In maribus septentrionalibus.
Olymene (1846 Gray zool.voy. erebus a. terror, mamm., p.40).
7. tethyos. (Olymene euphrosyne 1846 Gray zool. voy.
erebus a. terror, mamm., p. 40 t. 22. Delphinus tethyos 1858
192 ERWIN SCHULZE, [6]
Gervais, Bull. S. Agr. Herault v. 40 p. 150 t. 1. | 1853 Gervais,
S. Philom., proe. verb., p. 23. | 1853 Gervais, /’Institut, v. 21
n. 1001 p. 85.) In oceano atlantico, mari mediterraneo.
Tursio (Nardo).
8. tursio. (Delphinus tursio 1780 Fabrieius f. groenl.,
p.49 0.31. Delphinus truncatus 1821 Montagu, Mem. Werner.
N.H.S. v.3 p.75. Tursio truncatus Nardo.) In oceano
atlantico, mari mediterraneo. i
9. parvimanus. (Tursiops parvimanus 1887 Lütken,
Dansk. Vid. Selsk. Skr. v. 6 p. 391.) In mari mediterraneo.
DELPHINAPTERUS (1804 La Cepede eet., p. XLI. 243).
1. leucas. (Delphinus leucas 1776 Pallas reise d. d.
russ. reich, v. 3 p. 85 t.4 f.1.2 [eran.]. | 1811 Pallas zoogr.
rosso-as., v. 1 p. 273 n. 143 t. 31.32. Delphinapterus leucas
1861 Lilljeborg öfvers. skand. hvalart. däggdj., fase. 1 p. 28
sp. 1.) In maribus aretieis.
Monodontidae
MONODUS (1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v. 1 p. 105 g. 37).
1. monoceros. (Monodon monoceros 1766 Linne syst.
nat., ed. 12, v.1 p.105 sp. 1. Ceratodon monodon 1811
Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 295 n. 151.) In oceano polari
septentrionali.
Hyperoodontidae
HYPEROODUS (1804 La Cepede eet.. p. XLIV. 319).
1. rostratus. (Balaena rostrata 1744 Pontoppidan nat.
hist. norw., p. 233. Hyperoodon borealis 1820 Nilssor skand.
f., dägg. dj., p. 404. Hyperoodon rostratus 1846 Gray zool.
voy. erebus a. terror 1839/1843, mamm., p. 26 t.3.) In maribus
borealibus.
[7] Catalogus mammalium europaeorum. 193
ZIPHIUS (1823 G. Cuvier oss. foss., ed. 2, v. 5).
1. gervaisü. (Hyperoodon gervarsw 1851 Duvernoy,
Ann. Se. Nat. Par., zool., 8.3 v.15 p. 49. Ziphius gervaisii
1867 Fischer, N. Arch. Mus. H. N. Par. v.3 p. 55. In oceano
atlantico.
2. bidens. (Physeter bidens 1804 Sowerby brit. mise.,
p. 1. Delphinorynchus micropterus 1836 F. Cuvier eet., p. 114;
1.7; 1.8 £.1. Ziphius bidens 1874 Lilljeborg sver. och norg.
ryggradsdj., 1. däggdj., p. 989 sp. 2.) In oceano atlantico.
3. epiodus. (Delphinus epiodon 1820 Desmarest mamm.,
p. 521 n. 786. Ziphius cavirostris 1823 Cuvier oss. foss., ed. 2,
v.5 p. 350 t.27 £.3.) In mari mediterraneo.
Physeteridae
PHYSETER (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 107 8.39).
1. tursio. (Physeter tursio 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v. 1 p. 107 sp. 4.) In oceano atlantico N, mari mediterraneo.
2. macrocephalus. (Physeter macrocephalus 1766 Linne
syst. nat., ed. 12, v.1 p. 107 sp. 2. | 1811 Pallas zoogr. rosso-
as. v.1 p. 287 n. 147.) In oceano atlantico N, mari medi-
terraneo.
Zeitschrift £. Naturwiss, Bd. 73, 1900. 13
194 ERWIN SCHULZE, [8]
Pecora
Moschidae
Camelina
CAMELUS (1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v. 1 p. 90 g. 27).
1. tophicus.
1. subsp. monotophus topho simpliei. (CO. dromas 1551
Gesner quadrup. vivip., p. 171. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as.,
v.1p.197 n.116. CO. dromedarius 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1p.90 sp.1. C. monotophus 1818 Walther, Ann. Wetterau.
Ges. Ntk. v.4 p. 103 sp. 1.) Domestieus in Afriea N, Asia W,
Peloponneso.
2. subsp. ditophus topho dupliei. (CO. bactrianus 1766
Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 90 sp. 2. | 1811 Pallas zoogr.
rosso-as., v.1 p. 193 n. 115. CO. ditophus 1818 Walther, Ann.
Wetterau. Ges. Ntk. v.4 p. 104 sp. 2.) In ecampis inter Chinam
Indiam et Songariam; domestieus in Asia N, Crimea.
Cervina
CERVUS (1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v.1 p. 92 g. 29).
Capreolus (1827 Hamilton Smith ap. Griffith anim. kingd.,
v.5 p.313 sg. 7).
1. capreolus. (CO. capreolus 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1 p. 94 sp. 6. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 219
n. 121. CO. pygargus 1771 Pallas reise d. d. russ. reich, v.1
p- 453 n. 1.) In Europa usque ad 58° lat.; in Sibiria usque
ad Lenam; in Armenia, Persia.
Elaphus (1827 Hamilton Smith ap. Griffith anim. kingd.,
v.5 p. 307 38.4).
2. elaphus. (C. elaphus 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1 p.93 sp. 3. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 216
n. 120.) In Africa N; in Europa usque ad 65° Jat.; in
Sibiria 8.
[9] Catalogus mammalium europaeorum. 195
Dama (1827 Hamilton Smith ap. Griffith anim. kingd., v. 5
p- 306 sg. 3).
3. dama. (C. dama 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1
p- 93 sp. 5.) In Africa N, Europa S, Asia minore.
Alces (1827 Hamilton Smith ap. Griffith anim. kingd., v. 5
p- 303 sg. 1).
4. alces. (0. alces 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1
p- 92 sp. 2. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 201 n. 118
t. 14.) In Sceandinavia Fennia Borussia E; in Rossia usque
ad Caucasum et Baikal lacum; in America boreali.
Tarandus (1553 Gesner ie. quadrup., p. 62).
5. tarandus. (C. tarandus 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1 p.93 sp.4. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 106
n. 119.) In regione aretica Europae Asiae Americae; in
Groenlandia, Spitsbergia.
Bovina
COLUS (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 393).
1. naso. (Capra tatarica 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1p.97 sp.11. Antilope saiga 1777 Pallas spieil. zool.,
fase. 12 p. 14 sp. 8; p. 21; t.1;t.3£.6..11. | 1811 Pallas
z00gT. r0o880 -a8., v.1 p. 252 n.135. Antilope colus 1827
Hamilton Smith ap. Griffith anim. kingd., v.5 p. 335 n. 829
sp. 22.) In campis Europae E et Sibiriae.
RUPICAPRA (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 321).
1. dorcas. (Tragus dorcas 1751 Klein quadrup., p. 17.
Capra rupicapra 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 95
sp. 4. Antilope rupicapra 1767 Pallas spieil. zool., fase. 1
p- 7 sp. 2. | 1777 Pallas spieil. zool., fase. 12 p. 12 sp. 3. |
1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 250 n. 132. Rupicapra
dorcas 1897 Schulze mamm. eur., p.9 sp. 1.) In Pyrenaeis
Alpibus Carpatis centralibus Caucaso.
13*
196 ERWIN SCHULZE, [10]
CAPRA (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 94 g. 30).
1. ibex. (Capra ibex 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1
p- 95 sp. 2. Ibex sibiricus 1776 Pallas spieil. zool., fase. 11
p. 52; 1.3; 1.5 f.A. _Aegoceros ibex 1811 Pallas zoogr. rosso-
as, v.1 p. 224 n.122; t.15.) In Hispania S, Pyrenaeis,
Alpibus, Caucaso, Sibiria.
2. hircus. (Capra hircus 1766 Linn& syst. nat., ed. 12,
v.1p.94 n.1. Capra aegagrus 1788 Gmelin Linnaei syst.
nat., ed. 13, v. 1 p. 193 sp. 1. Aegoceros aegagrus 1811
Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 226 n.123; t.16.) In alpinis
Caucasi Persiae Tauri Imai.
3. ammon. (Capra caucasica 1783 Pallas, Act. Ac. Petrop.
a. 1779 pt. 2 p. 273 t#. 172. 17®. Aegoceros ammon 1811
Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 229 n. 125; t. 17. 18.) In
summis Caucasi iugis.
OVIS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 97 2. 31).
1. aries. (Ovis aries 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1
p- 97 sp.1. Capra musmon Bonaparte ie. f. ital., fol. 45.
Ovis musmon 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur., p. V.
29 n. 20.) In Hispania S, Sardinia, Corsica.
2. musimon. (Aegoceros musimon 1811 Pallas zoogr.
rosso-as., v. 1 p. 230 n. 126; t. 19.) In rupestribus montosis
ad orientem laeus Caspii in ditione Tureomanorum; in mon-
tibus Cerauniis Persiae; in Cypro.
BOS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 98 g. 32).
Dbubalus (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 139).
1. bubalus. (B. b. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1
p- 99 sp. 5. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 247 n. 130.)
In India et Sundaieis insulis; domestieus in Asia S Afriea
Italia Dalmatia Hungaria Valachia Moldavia Bulgaria Tureia
Graeeia Tauria Georgia Armenia Astrachan.
11] Catalogus mammalium europaeorum. 197
Bison (1553 Gesner ie. quadrup., p. 69).
2. bison. (Bos bison 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v. 1
p- 99 sp.3. Urus 1811 Wilde ap. Pallas zoogr. rosso - as.,
v.1 p. 242..247.) In silva bialovicensi Lituaniae; in Cau-
easo; in N.-Ameriea.
Taurus (1827 Hamilton Smith ap. Griffith anim. kingd.,
v.5 p. 375 88. 3).
3. taurus. (B. taurus 1766 Linn6 syst. nat., ed. 12, v.1
p. 98 sp. 1.) Domestieus in Europa, America, Australia.
Syidae
SUS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 102 g. 35).
1. scrofa. (S8. scrofa 1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v.1
p. 102 sp. 1. S. europaeus 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1
p. 265 n. 139.) In Europa usque ad 55° lat., in Asia,
Africa N.
Hippidae
EQUUS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 100 g. 33).
1. caballus. (E. c. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1
p. 100 sp. 1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 255 n. 136.)
In eampis Europae E et Asiae mediae.
2. asinus. (E. asinus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1
p. 100 sp. 2. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 263 n. 138
t. 26. 27.) In eampis Tatariae magnae, Persiae, ad Aral
lacum; domestieus in Europa.
198 ERWIN SCHULZE, [12]
Glires ')
Sciuridae
Seiurina
SCIURUS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 86 g. 25).
1. vulgaris, (8. vulgaris 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1 p.86 sp. 1. $.varius 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1
p-. 183 n. 110.) In Europa, Asia N.
TAMIAS (1811 Iliger syst. mamm. et av., p. 83 g. 34).
1. virgatus. (Sciurus minor virgatus 1760 Gmelin, N.
Comm. Ace. Petrop. v.5 p. 344 n.41.9£.1. Sciurus sibiricus
1769 Laxmann sibir. briefe, p. 69. Sciurus striatus 1778
Pallas glir., p. 378. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 187
n. 112. Tamias pallasii 1857 Baird mamm. north am,,
p: 295.) In Uralo et Sibiria.
SPERMOPHILUS (1822 F. Cuvier, Mem. Mus. H. N. Par.
v.9 p. 293).
1. citillus. (Mus ce. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1
p- 80 sp. 4. | 1770 Pallas, N. Comm. Ace. Petrop. v. 14 [a. 1769]
pt.1 p.549 n.1 f.21 £.1. | 1778 Pallas glir., p. 76 sp. 5;
p- 119; 1.6. Spermophilus c. 1840 Keyserling et Blasius
wirbelt. eur, p. XIl.43 n. 72.)- In Silesia Polonia Austria
Hungaria Rossia S.
2. guttatus. (Mus citillus var. guttata 1770 Pallas,
N. Comm. Ac. Petrop. v. 14 [a. 1769] pt.1 p. 566 ft. 21 £. 2. |
1778 Pallas glir., p. 123. 127; t.6B. Spermophilus guttatus
1827 Temminck monogr. de mammalogie, v.1 p. XXVII.)
In Rossia S inter Tanain et Volgam et ultra Lenam.
!) 1897 Oldfield Thomas, On the genera of rodents: an attempt
to bring up to date the current arrangement of the order. P.Z.S.
Lond. 1896 p. 1012... 1028.
[13] Catalogus mammalium europaeorum. 199
3. rufescens. (S.r. 1840 Keyserling et Blasius wirbelt.
eur, p. XII. 42 n.69.) In provineiis orenburgiea et kasa-
niensi inter 50% et 569 lat.
4, fulvus. (Arctomys f. 1823 Lichtenstein ap. Evers-
mann reise nach buchara, p. 119 n.3. Spermophilus f. 1840
Keyserling et Blasius wirbelt. eur., p. XII. 42 n. 68.) Ad Ural
fl. et in campis kirgisieis inter 44% et 46° lat.
"5. mmugosaricus. (Arctomys m. 1823 Lichtenstein ap.
Eversmann reise nach buchara, p. 119 n.5. Spermophilus
m. 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur., p. XII. 42 n. 70.)
Ad Ural fl. et in ecampis kirgisieis inter 46° et 49° lat.
6. musicus. (8. m. 1832 Menetries eatal. rais. d. obj. de
zool., p. 21 n.18.) In alpinis Caucasi Georgiae Dagestan Elbri.
ARCTOMYS (1778 Pallas glir., p. 97).
1. alpinus. (Mus alpinus 1551 Gesner quadrup. vivip.,
p. 840. Mus marmota 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1
p- 81 sp. 7. | 1778 Pallas glir., p. 74 sp. 1. Marmota alpina
1779 Blumenbach handb. naturgesch., p. 80 sp. 1. Arctomys
marmota 1792 Schreber säugt., v. 4 p. 722 sp. 1 1.207.) In
alpinis Pyrenaeorum Alpium Carpatorum centralium.
2. bobac. (Mus arctomys 1778 Pallas glir., p.75 sp. 3;
p- 111; £.5; 1.9 f£l..5. Arctomys bobac 1792 Schreber
säugt., v.4 p. 738 sp. 3 1. 209. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as.,
v.1 p.155 n. 72.) In eampis Galieiae Poloniae S Bucovinae
Rossiae S Sibiriae S, usque ad 55° lat.
SCIUROPTERUS (1825 F. Cuvier dents des mammif.,
p. 161 n. 56).
1. volans. (Sciurus volatilis 1738 Du Vernoi, Comm.
Ac. Petrop. v.5 p. 220. Sciurus volans 1766 Linne syst. nat.,
ed. 12, v.1 p.88 sp. 10. | 1773 Pallas glir., p. 355. | 1811
Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.190 n.114. Sciuropterus volans
1874 Lilljeborg sver. och norg. ryggradsdj., 1. däggdj., p. 401
sp. 1.) In Europa boreali et orientali, in Sibiria usque ad
Lenam,
200 ERWIN SCHULZE, [14]
Castorina
CASTOR (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 78 g. 23).
1. fiber. (C. f. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 78
sp. 1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 142 n.63.) In
Europa, Asia N, N.-Ameriea.
Sminthidae 1)
Myoxina
MYOXUS (1792 Schreber säugt., v. 4 p. 824 g. 29).
Elius (1900 Schulze, Zeitschr. Ntw. ed. Brandes, Stuttg.,
v. 73 p. 200).
1. glis. (Sciurus g. 1766 Linn syst. nat., ed. 12, v.1
p- 87 sp.8. Myoxus g. 1792 Schreber säugt., v.4 p. 825
sp. 1 t. 225. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 178 n. 104.)
In Europa media et australi usque ad Caucasum.
2. dryas. (Mus nitedula 1778 Pallas glir., p. 88 sp. 32.
Myoxus dryas 1792 Schreber säugt., v.4 p. 831 sp. 21.225 B.
Myoxus mitedula 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 179
n. 105.) In Silesia superiore, Austria, (uns Rossia S
usque ad Caucasum.
Muscardinus (1829 Kaup entw. eur. tierw., p. 139).
3. muscardinus. (Mus avellanarius 1766 Linne syst.
nat., ed. 12, v.1 p.83 sp. 14. Myoxus muscardinus 1792
Schreber säugt., v.4 p. 835 sp. 4 t. 227.) In Anglia Gallia
Germania Suecia S Galieia Bessarabia Volhynia Italia.
Elhomys (1843 Wagner, Abh. Ak. Münch. v. 3 p. 176).
4. nitela. (Mus quercinus 1766 Linn syst. nat., ed. 12,
v.1p.84 sp. 15. Myoxus nitela 1792 Scehreber säugt., v. 4
p- 833 sp. 3 t. 226.) In Gallia Belgio Germania Hungaria
Galieia Transsilvania Helvetia Italia Sicilia.
1) = Myomorpha.
[15] Catalogus mammalium europaeorum. 201
Murina
MERIONES (1811 Illiger syst. mamm. et av., p. 82 g. 32).
Gerbillus (1804 Desmarest, N. Diet. H. N. v. 24 tabl. p. 22).
1. longipes. (Mus meridianus 1773 Pallas reise d. d.
russ. reich, v. 2 p. 702 n. 4. Mus longipes 1778 Pallas glır.,
p. 88 sp. 30; p. 314; t.18B.) In regione laeus Caspii et in
Asia centrali usque ad Mongoliam.
Idomeneus (1900 Schulze, Zeitschr. Ntw. ed. Brandes,
Stuttg., v. 73 p. 201).
2. tamaricinus. (Mus t. 1773 Pallas reise d. d. russ.
reich, v. 2 p. 702 n. 3. | 1778 Pallas glir., p. 88 sp. 31; p. 322;
t.19. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.172 n.93. .Meriones
i. 1820 Kuhl beitr. zool., p. 69. | 1823 Lichtenstein ap. Evers-
mann reise nach buchara, p. 121 n. 11.) In regione lacus
Caspii, in Turkestan, Palaestina.
Rhombomys (1843 Wagner säugt., v.3 p. 485).
3. opimus. (Meriones opimus 1823 Lichtenstein ap.
Eversmann reise nach buchara, p. 122 n.13.) In regione
laeuum Caspii et Aral, in Asia centrali.
MUS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.79 g. 24).
1. minutus. (Mus minutus 1771 Pallas reise d. d. russ.
reich, v. 1 p. 454 n. 4. | 1778 Pallas glir., p. 96 sp. 45; p. 345;
t. 24B. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.169 n.S8. |
1839 Selys &t. de mierom., p. 68 sp. 8. Mus soricınus 1804
Hermann obs. zool., v.1p.57. Mus pendulinus 1804 Hermann
obs. zool., v. 1 p. 62. Mus parvulus 1804 Hermann obs. zool.,
v.1 p. 62. Mus campestris F. Cuvier et Geoffroy mamm.
Mus messorius Shaw gen. zool., v.2 p. 62. Mus praiensis
1831 Ockskay, N. Act. Ace. Leop. v. 15 pt. 2 p. 243. Micromys
agilis 1841 Dehne [in proprio libello, Hoflösnitz 8°). | 1855
Dehne, Alg. D. Nth. Ztg. Dresd. s. 2 v. 1 p. 237. | 1857 Dehne,
Als. D. Nth. Ztg. Dresd. s.2 v.3 p. 35.) In Europa, Sibiria.
202 ERWIN SCHULZE, [16]
2. agrarius. (M.agrarius 1771 Pallas reise d.d. russ.
reich, v. 1 p. 454 n. 3. | 1778 Pallas glir., p. 95 sp. 44; p. 341;
t. 24 A. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 168 n. 87. | 1839
Selys et. de mierom., p. 67 sp. 7.) In Germania Rossia
Sibiria W.
3. silvaticus. (M. sylvaticus 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1 p.84 sp. 17. | 1778 Pallas glir., p. 94 sp. 42. | 1811
Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.167 n.86. | 1834 Melchior
dansk. og norg. patted., n. 36 t. 4. | 1839 Selys et. de mierom.,
p- 64 sp.6. _M. flavicollis 1834 Melehior dansk. og norg.
patted., n. 35 t. 1 [1836 Nathusius, Arch. Ntg. a. 2 v. .1 p- 78
n. 35.) In Europa, Sibiria W.
4. meridionalis. (M. m. 1832 Costa f. del regno nap.,
t.1f.4..7.) In Italia S.
5. hebridensis. (M. h. 1895 Winton, Zoologist s. 3 v. 19
p- 369.) In Hebridibus externis.
6. wagmeri. (M. w. 1848 Eversmann, Bull. S. N. Mose.
v.1p.191 t.1£.2.) In Rossia S trans Volgam, in Asia.
7. mmusculus. (M. musculus 1766 Linn& syst. nat., ed. 12,
v.1 p.83 sp. 13. | 1778 Pallas glir., p. 95 sp. 48. | 1811
Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 166 n. 85. | 1839 Selys et. de
mierom., p. 61 sp. 4.) In Europa, Sibiria W.
8. hortulanus. (M.hortulanus 1840 Nordmann ap. Demi-
doff voy. d. la russie mer., v.3 p.45 sp. 4; mammif., t. 5.
M. nordmanni 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur., p. IX.
37 n.90.) Odessae.
9. rattus. (M.rattus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1
p- 83 sp. 12. | 1778 Pallas glir., p. 93 sp. 41. | 1811 Pallas
zoogr. r0880-a8., v.1 p. 165 n. 84. | 1839 Selys &t. de mierom.,
p.58 sp.3. M. alexandrinus 1813 Audouin ap. Geofitoy,
Deser. de l’Egypte, hist. nat., v.2 p. 733 1.5 f. 1. | 1839 Selys
et. de mierom., p. 54 sp. 2.) In Asia S Africa N Europa.
10. decumanus. (M.d. 1778 Pallas glir., p. 91 sp. 40. |
1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 164 n. 83. | 1839 Selys
et. de mierom., p. 52 sp. 1.) In omnibus terrae partibus,
[117] Catalogus mammalium europaeorum. 203
CRICETUS (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 836).
1. accedula. (Mus migratorius 1773 Pallas reise d.d.
russ. reich, v.2 p. 703 n.5. Mus accedula 1778 Pallas glir.,
p- 86 sp. 22; p. 257; 1.18 A. Cricetus accedula 1811 Pallas
zoogr. r08Ss0-as., v.1 p. 162 n.78.) Ad Ural fl. et Volgam.
2. phaeus. (Mus phaeus 1778 Pallas glir., p. 86 sp. 23;
p- 261; 1.15 A. Cricetus phaeus 1811 Pallas zoogr. rosso-as.,
v.1 p.163 n.81.) In campis ad Volgam et eirca lacum
Caspium usque ad Persiam.
3. arenarius. (Mus arenarius 1773 Pallas reise d. d.
russ. reich, v.2 p. 704 n.7 t.B £.2.| 1778 Pallas glir., p. 86
sp. 24; p. 265; 1.16 A. COröcetus arenarius 1811 Pallas zoogr.
rosso-as., v.1 p.162 n.79.) In sabulosis ad Volgam, ad
Ural fl., ad Irtim, in chersoneso taurica.
4. migricams. (C. nigricans 1832 Brandt ap. Menetries
eat. rais. d. obj. zool., p. 22. | 1836 Brandt, Bull. Ae. Petersb.
v.1p.42. Ü.nigriculus 1893 Nehring, Arch. Ntg. a. 64 v. 1
p- 380 sp. 1.10 £.10.) In Caucasia N.
5. newtomi. (Cricetus newtoni 1898 Nehring, Zool. Anz.
v.21 n.559 p. 329. | 1898 Nehring, Arch. Ntg. a. 64 v.1
p- 386 sp. 4 1.10 f.12..15. Mesocricetus newtomi 1898
Nehring, Zool. Anz. v. 21 n. 567 p. 494. | 1899 Nehring,
Ntw. Wochensehr. Berl. v. 14 p. 1.) In Bulgaria E.
6. dbrandti. (C. brandti 13898 Nehring, Zool. Anz. v. 21
n.959 p. 331. | 1898 Nehring, Arch. Ntg. a. 64 v.1 p. 383
sp. 3 1.10 £.11.) In Transeaucasia.
7. frumentarius. (Mus cricetus 1766 Linne syst. nat.,
ed. 12, v.1 p. 82 sp. 9. | 1778 Pallas glir., p. 83 sp. 21.
Oricetus frumentarius 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 161
n. 77.) In Germania, in Rossia usque ad Caucasum, in
Sibiria usque ad Ob fl. et 60° lat.
HYPUDAEUS!) (1811 Illiger syst. mamm. et av., p. 87).
Euotomys (1874 Coues, P. Ac. Philad. p. 186).
1. fulvus. (Mus glareolus 1792 Schreber säugt., v. 4
1) De Hypudaeo et Myode exposuit Gerrit Miller, NAm.F. n. 12,
Washington 1896: Genera and subgenera of voles and lemmings.
204 ERWIN SCHULZE, [18]
p- 680 1.190 B. Arvicola fulvus 1828 Millet f. de maine et
loire. Hypudaeus hercynicus 1831 Mehlis, Isis v. 24 col. 876
1.7 f. 8 [dent.]. | 1834 Zimmermann harzgebirge, v. 1 p. 222. |
1835 Schreber-Wagner säugt., t. 191 A. Arvicola riparius
1832 Yaırell, P. Z. S. Lond. p. 109. Hypudaeus glareolus
1834 Melchior dansk. og norg. patted., n. 42 t.3 [1836
Nathusius, Arch. Ntg. a.2 v.1 p.79 n.42]. | 1843 Wagner
säugt., v.3 p. 582 sp. 8. | 1845 Schinz mamm., v.2 p. 241
sp. 14. Arvicola rufescens 1836 Selys ecampagnols d. env.
de liege, p. 13 sp. 3. Arvicola rubidus 1839 Selys et. de
mierom., p. 112 sp. 11 1.3 £.5. Arvicola glareolus 1840
Keyserling et Blasius wirbelt. eur., p. VIII. 34 n. 40. | 1857
Blasius säuget. deutsehl., p. 333. 337 sp.1. Hypudaeus nageri
1845 Sehinz mamm., v.2 p. 237 sp. 4.) In silvis praesertim
pieetis Europae.
2. rutilus. (Mus rutilus 1778 Pallas glir., p. 79 sp. 17;
p. 246; t.14B. Hypudaeus rutilus 1827 Brants muiz., p. 70
n. 16. | 1845 Schinz mamm., v.2 p. 242 sp. 15.) In regione
arctoa Europae et Asiae.
3. rufocanus. (H.r. 1847 Sundevall, Öfv. Vet. Ak. För-
hal. Stockh. a. 3 [1846] p. 122.) In Seandinavia Fennia Uralo N
Sibiria Kamtschatka.
Terricola (1867 Fatio campagnols du bassin du leman, p. 36).
4. subterraneus. (Arvicola subterraneus 1836 Selys cam-
pagnols d. env. de liege, p. 10 t. 3. | 1839 Selys &t. de mierom.,
p- 102 sp. 7 1.3 £.2. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 335.
388 sp. 8. Hiypudacus subterraneus 1845 Schinz mamm.,
v.2 p.240 sp. 11.) In Gallia Belgio Germania.
5. savü. (Arvicola savii 1838 Selys, Rev. Zool. | 1839
Selys &t. de mierom., p.100 sp.6 t.3 £.1. | 1857 Blasius
säuget. deutschl., p. 336. 394 sp. 9. Hypudaeus savu 1843
Wagner säugt., v.3 p. 581 sp. 7. | 1845 Schinz mamm., v. 2
p. 241 sp. 13.) In Gallia S, Italia.
Campicola (1890 Sehulze, Schr. Ntw. V. Harz. Wernigerode
v.5 p. 24 sg.1).
6. agrestis. (Mus agrestis 1761 Linne f, suec., ed. 2,
[19] Catalogus mammalium europaeorum. 205
p.11 n.30. Hypudaeus agrestis 1834 Melehior dansk. og
norg. patted., n. 41. | 1843 Wagner säugt., v.3 p. 574 sp. 3.|
1845 Schinz mamm., v.2 p. 240 sp. 12. Arvicola agrestis
1841 Selys, Bull. Ae. Brux. v.8 pt.2 p. 234. | 1857 Blasius
säuget. deutschl., p. 334. 369 sp.5. Lemmus insularis 1845
Nilsson, Öfv. Vet. Ak. Förhdl. Stockh. a. 1 [1844] p. 34) In
Europa media et N.
7. arvalis. (Mus arvalis 1778 Pallas glir., p. 75 sp. 14.
Microtus terrestris 1798 Schrank f. bo, v.1 p.72 n. 80.
Hypudaeus arvalis 1827 Brants muiz., p. 82. Arvicola ar-
valis 1827 Griffith anim. kingd., v.5 p. 209 n. 534 sp. 2. |
1839 Selys &t. de mierom., p. 105 sp. 8. | 1857 Blasius säuget.
deutsehl., p. 335. 379 sp. 7. Arvicola fulvus 1839 Selys £t.
de mierom., p. 99 sp. 5.) In Gallia Germania Italia N Istria
Croatia Dalmatia N Tureia Rossia S Sibiria W.
8. ratticeps. (Arvicola ratticeps 1841 Keyserling et
Blasius, M&m. Ace. Petersb. par div. sav., v.4 p. 319. | 1857
Blasius säuget. deutschl., p. 334. 365 sp. 4. Hypudaeus ratti-
ceps 1843 Wagner säugt., v.3 p.573 sp. 2. | 1845 Sehinz
mamm., ‘v.2 p. 236 sp.2. Lemmus medius 1845 Nilsson,
Öfv. Vet. Ak. Förhdl. Stockh. a. 1 [1844] p. 34.) In Batavia
Germania N Sueeia Lapponia Fennia Rossia N Sibiria.
9. alpinus. (Arvicola nivalis 1842 Martins, CR. Ac. Par.
v.15 p. 805. | 1843 Martins, Ann. Se. Nat. s. 2, zool., v. 19
p- 87..100. | 1847 Martins, Ann. Se. Nat. s. 3, zool., v. 8
p- 193... 203. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 334. 359
sp. 3. Hypudaeus alpinus 1843 Wagner säugt., v.3 p. 576
sp. 4 1.191B. Hypudaeus nivicola 1845 Schinz mamm,, v. 2
p- 236 sp. 3.) In alpinis Pyrenaeorum, Alpium.
10. socialis. (Mus socialis 1773 Pallas reise d.d. russ.
reich, v.2 p. 705 n.10. | 1778 Pallas glir., p. 77 sp. 13;
p. 218; t. 13B; t. 17 £. 14.15. Hypudaeus socialis 1827
Brants muiz., p. 66 n. 14.) In Sibiria W, Rossia S, eirca la-
eum Caspium, in Persia, Asia minore, Syria, Palaestina.
Arvicola (1801 La Cepede, Me&m. Inst. Par. v.3 p.489 g. 44).
11. amphibius. (Mus terrestris 1766 Linne syst. nat.,
ed. 12, v.1 p. 82 sp. 10. Mus amphibius 1778 Pallas glir.,
206 ERWIN SCHULZE, [20]
p- 80 sp. 20. | 1799 Ljungh, N. Act. S. Se. Ups. v. 6 p.5..10.|
1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 170 n.91. Microtus
amphibius 1798 Schrank f. bo., v.1 p.72 n.31. Arvicola
amphibius 1801 La Cepede, Mem. Inst. Par. v. 3 p. 489. |
1839 Selys &t. de mierom., p. 88 sp. 1; t.1£.1.2;1.2£.1.2.
Hypudaeus amphibius 1827 Brants muiz., p. 88. | 1845
Schinz mamm., v.2 p.235 sp.1.) In Europa media et N,
Sibiria.
12. monticola. (Arvicola monticola 1838 Selys, Rev.
Zool. p. 249. | 1839 Selys &t. de mierom., p. 92 sp. 2; t.1
f.3; 1.2 £.3. HAypudaeus monticola 1845 Schinz mamm,,
v.2 p. 238 sp. 6.) In Pyrenaeis.
13. destructor. (Arvicola destructor 1839 Savi, N. Giorn.
Lett. Pisa n. 102. | 1839 Selys et. de mierom., p. 93 sp. 3;
t.1 2.4.5; 1.2 f.4. Hypudaeus destructor 1845 Sehinz
mamm., v.2 p. 238 sp. 7.) In Gallia Iberia Italia Dalmatia
Hungaria Caucaso.
14. terrestris. (Arvicola terrestris 1839 Savi, N. Giorn.
Lett. Pisa n. 102. | 1839 Selys et. de mierom., p. 97 sp. 4;
t.1 £.6; 1.2 £.6. | 1840 Schinz eur. f., v.1 p.59. Hypu-
daeus terrestris 1845 Schinz mamm., v.2 p.239 sp. 8.) In
Helvetia.
MYODES (1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 154 g.5;
p. 1728.19).
Lemmus (1795 Link zool. beitr., v.1 pt.2 p. 75 g. 8).
1. lemmus. (Mus lemmus 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1 p.80 sp.5. | 1778 Pallas glir, p. 77 sp. 10; p. 186;
t.12 A. Myodes lemmus 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1
p- 173 n. 94.) In regione aretoa Europae et Asiae.
2. migratorius. (Muris lemmi var. e Lapponia russiea:
1778 Pallas glir., p. 191. 201; t.12B. Hypudaeus migra-
torius 1823 Lichtenstein ap. Eversmann reise nach buchara,
p- 123 n.16. Lemmus obensis 1827 Brants muiz., p. 55 n.10.
Myodes obensis 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur.,
p- VI. 32 n. 35.) In Rossia NE inde a mari albo, in
Sibiria N, Kamtsehatka, America boreali.
[21] Catalogus mammalium europaeorum. 207
3. schisticolor. (M.s. 1844 Lilljeborg, Svensk. Ak. Handl.
Stoekh. a. 1843 p. 65 t. 1. | 1845 Lilljeborg, Öfv. Vet. Ak.
Förhdl. Stockh. a. 1 [1844] p. 33.) In Scandinavia, Fennia,
in litore oceidentali maris ochotskieci.
Tylonyx (1897 Schulze mamm. eur., p. 11 g. 2).
4. torguatus. (Mus torquatus 1773 Pallas glir., p. 77
sp. 11; p. 206; t. 11 B. Myodes torquatus 1811 Pallas zoogr.
rosso-as., v. 1 p. 173 n. 95.) In regione aretica Europae
'Asiae Amerieae.
CHTHONURGUS (1840 Nordmann ap. Demidoff voy. d.
la russie mer., v.3 p. 37).
1. murinus. (Mus talpinus 1770 Pallas, N. Comm. Ace.
Betrop. v. 14 |a. 1769] pt. 1 p:568 n.2 1.21 £.3. | 1778
Pallas glir.. p. 77 sp. 9; p. 176; t.11A. Spalax murinus
1811. Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 160 n. 76. Ellobius tal-
pinus 1814 Fischer zoogn., v. 3 p.73 sp. 1. Chthonergus
murinus 1840 Nordmann ap. Demidoff voy. d. la russie mer.,
v.3 p. 37. Chthonoergus talpinus 1840 Keyserling et Blasius
wirbelt. eur., p. VII. 32 n. 32.) In Rossia et Sibiria W usque
ad 59° lat.
Spalacina
SPALAX (1770 Güldenstädt, N. Comm. Ace. Petrop. v. 14
[a. 1769] pt. 1 p. 409).
1. micerophthalmus. (S. m. 1770 Güldenstädt, N. Comm.
‚Ac. Petrop. v. 14 [a. 1769] pt. 1 p. 411 t. 8. 9. | 1897 Nehring,
‚SB. G. Ntf. Fr. Berl. n. 10 p. 164 sp. 1. | 1898 Nehring, SB.
G. Ntf. Fr. Berl. n.1 p. 2.) In eampis prope Novo-Chopers-
'kaja ad Choper fl.; in praefeetura Ekaterinoslaw prope Bach-
mut et Taganrog; ad Volgam inferiorem prope Sareptam.
2. giganteus. (S. g. 1897 Nehring, SB. G. Ntf. Fr. Berl.
n. 10 p. 169 sp. 2.) In territorio urbis Petrowsk ad lacum
Caspium W.
208 ERWIN SCHULZE, [22]
3. humgaricus. (S. typhlus 1897 Nehring, SB. G. Ntf.
Fr. Berl. n.10 p. 171 sp.3. $. hungaricus 1898 Nehring,
Zool. Anz. v. 21 n.567 p.479.) In Hungaria, Rumaenia,
Bulgaria E.
4. graecus. (8. 9. 1898 Nehring, Zool. Anz. v. 21 n. 555
p- 228.) In Graeeia (Attieca).
5. monticola. (S. m? 1898 Nehring, SB. G. Ntf. Fr. Berl.
n.1 p.6.) In Bosnia, Hercegovina.
6. kirgisorum. ($. k. 1897 Nehring, SB. @. Ntf. Fr. Berl.
n. 10 p. 176 sp. 5.) In eampo Caspio inter Volgam et
Ural fl. inferiorem.
Sminthina
SMINTHUS (1840 Nordmann ap. Demidoff voy. d. la russie
mer. v.3 p. 49).
1. loriger. (Mus subtihis 1773 Pallas reise d. d. russ.
reich, v.2 p.705 n.11. Mus betulinus 1778 Pallas glir.,
p. 90 sp. 35; p. 332; 1. 22 f.1. Mus vagus 1778 Pallas glir.,
p- 90 sp. 36; p. 327; t. 22 f. 2; 1.25 f.12.13. Mus hkneatus
1823 Lichtenstein ap. Eversmann reise nach buchara, p. 123
n. 20. Sminthus loriger 1840 Nordmann ap. Demidoff voy.
d. la russie mer., v.3 p. 49; mammif., 1.3. Sminthus nord-
mann 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur., p. X. 38
n. 56. Sminthus vagus 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 302.)
In Sueeia Fennia Rossia Hungaria Crimea Sibiria Bucharia.
DIPUS (1792 Schreber säugt., v. 4 p. 840 g. 30).
1. sagitta. (Mus s. 1773 Pallas reise d. d. russ. reich,
v.2 p.706 n.12. | 1778 Pallas glir., p. 87 sp. 28; p. 306;
t. 21. Dipus s. 1792 Schreber säugt., v. 4 p. 849 sp. 2 t. 229. |
1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 181 n. 106.) Inter Vol-
gam et Tanain; in campis meridionalibus ad Irtim; in Son-
garia, Mongolia.
2. haltieus. (D. halticus 1811 Illiger, Abh. Ak. Berl.
p- 17.19. D. telum 1823 Liehtenstein ap. Eversmann reise
[23] Catalogus mammalium europaeorum. 209
nach buchara, p. 120 n.7.) Ad Volgam inferiorem prope
Sareptam; in campis kirgisieis ad Aral lacum; in litore
orientali laeus Caspii.
SCIRTETES (1843 Wagner säugt., v.3 p. 283 g. 9).
1. iaculus. (Mus i. 1778 Pallas glir., p. 87 sp. 27; p. 275;
t. 20. Seirtetes i. 1843 Wagner säugt., v.3 p. 285 sp. 3.) In
campis inter Danubium et Tanain; in Crimea; in Tataria
magna; usque ad 50° lat.
2. acontion. (Dipus a. 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1
p. 182 n. 108. Scirtetes a. 1843 Wagner säugt., v.3 p. 289
sp. 7. Alactagulus a. 1897 Nehring, SB. G. Ntf. Fr. Berl. n. 9
p- 154. | 1900 Nehring, SB. G. Ntf. Fr. Berl. n. 2 p. 63. 70.)
Ad Volgam inferiorem prope Sareptam; in Sibiria W et
campo kirgisico; in praefectura Ekaterinoslaw prope Bach-
mut; in Crimea.
3. elater. (Dipus e. 1823 Lichtenstein, Abh. Ak. Berl.
a. 1825 p. 155 sp. 13 1.9. Scirtetes e. 1843 Wagner säugt.,
v.3 pP. 290 sp. 8. Alactaga e. 1897 Nehring, SB. G. Ntf. Fr.
Berl. n.9 p. 151. | 1900 Nehring, SB. G. Nif. Fr. Berl. n. 2
p- 67.70 n.2.) In campo kirgisieo; prope Baku; in campo
muganico Transcaucasiae.
Hystrichidae
HYSTRIX (1766 Linn syst. nat., ed. 12, v.1 p. 76 g. 21).
1. cristata. (H. c. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1
p- 76 sp. 1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 141 n. 61).
In Hispania Italia Africa N Asia minore Tauria.
Lagidae
LAGOMYS (1793 G. Ouvier tabl. &l&m. hist. nat. anim., p. 132).
1. pusillus. (Lepus pusillus 1769 Pallas, N. Comm. Ae.
Petrop. v. 13 [a. 1768] p. 531 t. 14. | 1778 Pallas glir., p. 31
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 14
210 ERWIN SCHULZE, [24]
t.1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 151 n.70 #. 12.
Lagomys pusillus 1820 Desmarest mamm., p. 353 n. 568.)
In regione Volgae australi, in promontoriis meridionalibus
Urali, in Sibiria S usque ad Ob fl.
LEPUS (1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v.1 p. 77 g. 22).
1. timidus. (L. timidus 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1 p.77 sp.1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 148
n. 66.) In Europa W usque ad 58°, E usque ad 48° lat.
2. variabelis. (L. variabilis 1778 Pallas glir., p.1. | 1811
Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 145 n.65. L. borealis 1820
Nilsson illum. fig. skand. f., t. 19. | 1845 Nilsson, Öfy. Vet.
Ak. Förhdl. Stockh. a.1 [1844] p. 133. L. canescens 1820
Nilsson illum. fig. skand. f., t.22. | 1845 Nilsson, Öfv. Vet.
Ak. Förhdl. Stockh. a. 1 [1844] p. 133. L. hibernicus 1833
Yarrel, P. Z. S. Lond. p. 88.) In Hibernia Scotia Scandinavia
Lapponia Rossia N Sibiria; in Pyrenaeis Alpibus Caucaso.
3. mediterrameus. (L. mediterraneus 1841 Wagner, Anz.
Ak. Münch. v. 12 p. 439. | 1844 Wagner säugt., v.4 p. 77
sp. 2 1.233C.) In Hispania Gallia S Italia Corsica Sardinia
Sieilia Dalmatia Graeeia.
4. cuniculus. (L. c. 1766 Linne syst. nat, ed. 12, v.1
p- 77 sp. 2.) In Europa S, Gallia, Germania.
[25] Catalogus mammalium europaeorum. 21.
Bestiae
Myogalidae
SOREX (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 73 g. 19).
1. araneus. (S. vulgaris 1754 Linne, Mus. Ad. Frid. v.1
p- 10. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 126. 129 sp. 2.
8. araneus 1761 Linne f. suec., ed. 2, p. 9 n. 24. | 1766 Linne
syst. nat., ed. 12, v.1 p. 74 sp. 5. | 1811 Pallas zoogr. rosso-
as., v.1 p. 131 n. 54. | 1834 Melchior dansk. og norg. patted.,
p- 69 n. 24. S$. tetragonurus 1780 Hermann ap. Zimmermann
geogr. gesch. vierf. tiere, v. 2 p. 383 n. 312. | 1804 Hermann
obs. zool., p.48. | 1839 Selys et. de mierom., p. 18 sp.1.
S. fodiens 1793 Bechstein naturg. deutschl., v. 3 p. 746.
S. eremita 1796 Bechstein abbild., cent. 2 p. 22. $. cunicu-
larius 1801 Bechstein naturg. deutschl., ed. 2, v.1 p. 879.
8. concinnus 1832 Wagler, Isis v. 25 eol. 54. $. rhinolophus
1832 Wagler, Isis v. 25 col. 54. S. melanodon 1832 Wagler,
Isis v. 25 col. 54.) In Europa, Asia N et media.
2. pygmaeus. (9. minutus 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1 p.73 sp.2. S. pygmaeus 1769 Laxmann sibir. briefe,
p- 72. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 134 n. 58 t. 10
f.4. | 1826 Gloger, N. Act. Ac. Leop. v.13 pt. 2 p. 279. |
1839 Selys &t. de micerom., p. 21 sp. 2. | 1857 Blasius säuget.
deutschl., p. 126. 133 sp. 3. $. pumilio 1832 Wagler, Isis
v.25 col. 54. S. pumilus 1845 Nilsson, Öfv. Vet. Ak. Förhdl.
Stockh. a.1 [1844] p. 33. 82.) In Europa Asia N Afriea N.
3. alpinus. (S.a. 1836 Schinz, Mitt. a. d. Geb. d. theor.
Erdkunde, ed. Fröbel et Heer, Zürich, v.1 p. 114. | 1837
Schinz f. helv., wirbelt., [N. Denkschr. Schweiz. G. Ntw. v. 1]
p- 13 sp. 3 t.1 £.1. | 1839 Selys &t. de mierom., p. 22 sp. 3; -
p- 160. | 1840 Schinz eur. f, v.1 p. 27. | 1841 Wagner säugt.,
v.2 2.59 sp. 4. |1855 v.5 p.543 sp.4.] | 1844 Schinz
mamm., v.1 p. 267 sp. 6. | 1857 Blasius säuget. deutschl.,
p- 126 sp. 1.) In subalpinis: in Pyrenaeis Alpibus Jura
Hereynia Sudetis Carpatis.
14*
212 ERWIN SCHULZE, [26]
4. amphibius. (8. fodiens 1756 Pallas [imago aeri ine.]. |
1839 Selys &t. de mierom., p. 24 sp. 4. $. daubentonü 1777
Erxleben syst. regn. anim., 1. mamm., p. 123 sp. 5. | 1789
Beehstein naturg. deutschl., v.1 p. 394 sp.2 1.9. 8. con- -
strictus 1780 Hermann ap. Zimmermann geogr. gesch. vierf.
tiere, v. 2 p. 383 n. 313. | 1804 Hermann obs. zool., v. 1
p. 47. $.carinatus 1780 Hermann ap. Zimmermann geogr.
gesch. vierf. tiere, v.2 p.383 n. 314. | 1804 Hermann obs.
zool., v.1 p.46. $. bicolor 1791 Shaw naturalist’s miscell-
any, 1.55. 9. fluviatilis 1793 Bechstein naturg. deutschl.,
v.3 p. 746. 9. ciliatus 1806 Sowerby brit. mise., t. 49. |
1839 Selys &t. de mierom., p. 28 sp. 5. SS. canaliculatus
1806 Ljungh, Vet. Ak. Nya Handl. Stoekh. v. 27 p. 263 1.6B
f.1..6. S. cauda medioeri subtetragona e pilis albis subtus
carinata, eorpore nigriecante subtus albo-griseo, digitis eilia-
tis: 1806 O. Swartz, Vet. Ak. Nya Handl. Stockh. v. 27 p. 269.
S. hydrophilus 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 130 n. 53.
Ö. lineatus 1811 Geoffroy, Ann. Mus. H.N. Par. v. 17 p. 181
sp. 6. S.remifer 1811 Geeoffroy, Ann. Mus. H.N. Par. v. 17
p- 182 sp. 7 t.2 £.1. S. amphibius 1826 Brehm, Ornis v. 2
p- 38. S. natans 1826 Brehm, Ornis v.2 p. 44. $. stagna-
tilis 1826 Brehm, Ornis v.2 p. 47. S.rwalis 1830 Brehm,
Isis v. 23 col. 1128. $. musculus 1832 Wagler, Isis v. 25
col. 54. $. psilurus 1832 Wagler, Isis v. 25 col. 54. S. ni-
gripes 1834 Melchior dansk. og norg. patted., p. 68 n. 23.)
In Europa, Sibiria W.
CROCIDURA (1832 Wagler, Isis v. 25 col. 275 2. 2).
1. etrusca. (Sorex etruscus 1822 P. Savi, N. Giorn. Lett.
Pisa n.1 p.60 t.1. Crocidura etrusca 1839 Selys &t. de
mierom., p. 32 sp. 1. COrocidura suaveolens 1857 Blasius
säuget. deutschl., p. 139. 147 sp. 3.) In regione mediterranea.
2. aranea. (Sorex araneus 1778 Schreber säugt., v.3
p- 573 sp. 5 1.160. | 1789 Bechstein naturg. deutschl., v.1
p. 389 sp.1. Sorex russulus 1780 Hermann ap. Zimmer-
mann geogr. gesch. vierf. tiere, v.2 p. 382. Sorex gälden-
städti 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 132 n.55 1.9 £.1.
[27] Catalogus mammalium europaeorum. 213
Sorex suaveolens 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.133
n.56 1.9 f.2. Sorex gmelini 1811 Pallas zoogr. rosso-as.,
v.1 p.154 n.57 1.10 £.3. Sorex fimbriatus 1832 Wagler,
Isis v. 25 col. 54. Crocidura moschata 1832 Wagler, Isis
v.25 col. 275. Crocidura maior 1832 Wagler, Isis v. 25
eol. 1218. Orocidura rufa 1832 Wagler, Isis v. 25 eol. 1218.
Orocidura poliogastra 1832 Wagler, Isis v. 25 col. 1218.
Sorex pachyurus 1835 Küster, Isis v. 25 eol. 76. Orocidura
aranea 1839 Selys &t. de mierom., p. 34 sp. 2. | 1857 Blasius
säuget. deutschl., p. 139. 144 sp. 2. Sorex chrysothorax 1855
Dehne, Alg. D. Nth. Ztg. Dresd. s.2 v.1 p. 241.) In Gallia
Germania Hungaria Rossia Sibiria Italia Dalmatia Afriea N.
3. leucodus. (Sorex leucodon 1780 Hermann ap. Zimmer-
mann geogr. gesch. vierf. tiere, v.2 p. 382 n. 31l. Crocidura
leucodon 1839 Selys &t. de mierom., p. 37 sp. 3. | 1857 Blasius
säuget. deutschl., p. 139. 140 sp. 1.) In Gallia Germania
Hungaria Rossia S Italia Istria Dalmatia.
MYOGALE (1800 G. Cuvier lec. d’anat. comp.).
1. moschata. (Castor moschatus 1766 Linne syst. nat.,
ed. 12, v.1 p. 79 sp. 2. Sorex moschatus 1771 Pallas reise
d.d. russ. reich, v.1 p. 156. | 1785 Pallas, Act. Ac. Petrop.
a. 1781 pt. 2 p. 315..337 1.3.5. | 1811 Pallas zoogr. rosso-
as., v.1 p. 128 n.52 1.3. Myogalea moschata 1829 Fischer
mamm., p. 250 sp. 1.) Ad lacus in Ressia SE inter Volgam
et Tanain, in Sibiria SW, in Turkestan, Bucharia.
2. pyrenaica. (M. p. 1811 Geoffroy, Ann. Mus. H.N.
Par. v.17 p.193 t.4 £f.1..4.) In Pyrenaeis et Iberia N.
TALPA (1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v.1 p. 73 g. 13).
1. scalops. (T. europaea 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1 p.73 sp.1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 126
n. 51. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 109 sp. 1. T. scalops
1897 Schulze mamm, eur., p. 19 sp. 1.) In Europa Asia
Japonia,
214 ERWIN SCHULZE, [28]
2. caeca. (T.c. 1822 P. Savi, N. Giorn. Lett. Pisa n. 2
p- 299. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 109. 115 sp. 2.)
In Iberia Italia Dalmatia Graeeia.
Acanthionidae
ERINACEUS (1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v.1 p. 75 2.20).
1. echinus. (E. europaeus 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1 p.75 sp.1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 137
n. 59. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 153 sp.1. E. echinus
1897 Schulze mamm. eur., p. 19 sp. 1.) In Europa, Asia.
2. auritus. (E.a. 1770 Gmelin, N. Comm. Ac. Petrop.
v.14 [a. 1769] pt.1 p.519 1.16. | 1770 Pallas, N. Comm.
Ac. Petrop. v. 14 [a. 1769] pt. 1 p. 573 n.3 1.21 f. 4. | 1811
Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 138 n. 60 t.11.) In Sibiria S,
in regione laeus Caspiü, in Mesopotamia.
[29] Catalogus mammalium europaeorum. 215
Chiroptera
Nycteridae
Vespertilionina
MINYOPTERUS (1837 Bonaparte ie. f. ital., fase. 21).
1. schreibersü. (Vespertilio schreibersii 1819 Natterer
ap. Kuhl, Ann. Wetterau. G. Ntk. v.4 p. 185 sp.7. Minio-
pterus ursiniü 13837 Bonaparte ie. f. ital., fol. 106. Minio-
npterus schreibersii 1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg.
a.5 v.1 p.323 sp. 1.) In Hispania Helvetia Austria in-
teriore Banatu Italia Sieilia Africa Madagascar Asia S
Japonia Philippinis insulis Archipelago malaico Australia.
VESPERTILIO (1775 Schreber säugt., v.1 p. 147).
Brachyotus (1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Ztg. 8.2 v. 2
p. 174 sg. 1).
1. mystacinus. (V. m. 1819 Leisler ap. Kuhl, Ann. Wet-
terau. G. Ntk. v. 4 p. 202 sp. 14.) In Europa, Asia.
2. daubentonü. (V.d. 1819 Leisler ap. Kuhl, Ann. Wet-
terau. G. Ntk. v. 4 p. 195 sp. 11 t. 25 f. 2.) In Europa,
Asia N.
3. dasycnemus. (V.d. 1825 Boie, Isis col. 1200.) In tem-
peratis Europae et Asiae.
4. capaccimüi. (V. c. 1832 Bonaparte ie. f. ital., fol. 99.)
In Italia Philippinis insulis Japonia.
Isotus (1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Ztg. 8.2 v.2 p. 177
Sg. 2).
9. nattereri. (V. n. 1818 Kuhl, Ann. Wetterau. G. Ntk.
v.4p.33 sp.3 t. 23.) In Europa media, Rossia.
6. cihatus. (V. emarginatus 1806 Geoffroy, Ann. Mus.
H.N. Par. v.3 p. 198. V.cikatus 1853 Blasius, Arch. Ntg.
a.19 v.1 p. 288) In Gallia Germania Italia,
216 ERWIN SCHULZE, [30]
Myotus (1842 Gray, Ann. Mag. N. H. Lond. v. 10 p. 257).
7. bechsteinü. (V.b. 1813 Leisler ap. Kuhl, Ann. Wetterau.
G. Ntk. v.4 p. 30 sp. 2 t. 22.) In Anglia S Suecia Germania
Rossia 8.
8. murinus. (V. m. 1775 Sehreber säugt., v.1 p. 165
sp. 9 1.51.) In Europa usque ad Angliam S et Daniam, in
Asia Africa N Abessinia.
VESPERUGO (1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a. 5
v.1p.312 8.5).
Hypsugo (1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Ztg. s.2 v. 2 p. 167
sg. 1).
1. maura. (V. m. 1853 Blasius, Anz. Ak. Münch. v. 37
n. 13 col. 107.) In Canariis insulis Alpibus China India
Java.
Nannugo (1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Ztg. s. 2 v.2 p. 169
sg. 2).
2. abrama. (Vespertilio abramus 1839 Temminck mono-
gr. mamm., v.2 p. 232 1.53 f£. 1.2. Vesperugo nathusiü 1839
Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p. 320 »p.11.
Vesperugo abramus 1876 Dobson as. chiropt., p. 97.) In
Europa media et australi, Asia, Archipelago malaico, Celebes,
Nova Guinea, Australia N.
3. pipistrella. (Vespertilio p. 1775 Schreber säugt., v.1
t. 54 p. 167 sp. 12. Vesperugo p. 1839 Keyserling et Blasius,
Arch. Ntg. a.5 v.1 p. 321 sp. 12.) In regione palaearctiea.
4. marginata. (Vespertilio kuhliı 1819 Natterer ap. Kuhl,
Ann. Wetterau. G. Ntk. v. 4 p. 199 sp. 13. Vespertilio margı-
natus 1826 Cretzschmar ap. Rüppell atl. reise nördl. afr.,
zool., p. 74 1.29 f.a. Vesperugo kuhli 1839 Keyserling et
Blasius, Arch. Ntg. a.5 v. 1 p. 319 sp. 9. Vesperugo margt-
natus 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur., p. XIV. 47
n. 83.) In Europa S Africa N Asia S.
Panugo (1856 Kolenati, Alg. D, Nth. Ztg. 8.2 v.2 p. 172
sg. 3).
[31] Catalogus mammalium europaeorum. 217
5. leisleri. (Vespertilio I. 1818 Kuhl, Ann. Wetterau. G.
Ntk. v.4 p. 46 sp. 6. Vesperugo !. 1839 Keyserling et Bla-
sius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p. 318 sp. 8.) In Europa, Asia.
6. noctula. (Vespertilio n. 1775 Schreber säugt., v. 1
t. 52 p. 166 sp. 10. Vesperugo n. 1839 Keyserling et Blasius,
Arch. Ntg. a.5 v.1 p.317 sp. 7.) In Europa Africa Asia
Japonia Ceylon Sumatra Java.
VESPERUS (1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a. 5
van. als)
Cateorus (1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Zig. s.2 v. 2 p. 162
sg. 1.)
1. serotinus. (Vespertilio s. 1775 Schreber säugt., v.1
t. 53 p. 167 sp. 11. Vesperugo s. 1839 Keyserling et Blasius,
Arch. Ntg. a.5 v.1 p. 313 sp. 1. Vesperus s. 1856 Kolenati,
Alg. D. Nth. Ztg. s.2 v.2 p.162 sp.1.) In Europa Africa
Asia America N et centrali.
Meteorus (1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Ztg. s. 2 v.2 p. 163
sg. 2).
2. borealis. (Vespertilio borealis 1838 Nilsson illum. fig.
skand. f., fase. 19. Vesperugo nilssonü 1839 Keyserling et
Blasius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p.315 sp. 3. Vesperus nilssonii
1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Ztg. s.2 v.2 p.163 sp. 2. Ve-
sperugo borealis 1865 Holmgren skand. däggdj., p. 88.) In
Scandinavia Hereynia Rossia Asia N.
3. discolor. (Vespertilio d. 1819 Natterer ap. Kuhl, Ann.
Wetterau. G. Ntk. v.4 p. 187 sp. 8 t.25 f.1. Vesperugo d.
1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p. 314 sp. 2.
Vesperus d. 1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Ztg. 8.2 v.2 p. 164
sp. 3.) In montanis Europae Sibiriae W Turkestan E.
PLECOTUS (1813 Geoffroy, Deser. de l’Egypte, hist. nat.,
v.2p.112 @.2).
1. auritus. (Vespertilio a. 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1 p.47 sp. 5. Plecotus a. 1813 Geoffroy, Deser. de
l’Egypte, hist. nat., v.2 p- 118 sp. 2; 1.2 £.3.) In Europa
Afriea N Asia,
218 ERWIN SCHULZE, [32]
SYNOTUS (1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a.5
vul0pr 305 222). |
1. barbastellus. (Vespertilio b. 1775 Schreber säugt.,
v.1 t.55 p. 1638 sp. 13. Synotus b. 1839 Keyserling et
Blasius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p. 305 sp. 1.) In Europa media
et australi, Africa N, Arabia.
Noetilionina
DYSOPES (1826 Cretzschmar ap. Rüppell atl. reise nördl.
afr., zool., p. 69).
1. midas. (Dinops cestoniüi 1325 Savi, N. Giorn. Lett. Pisa
p. 230. Dysopes midas 1842 Sundevall, Sv. Vet. Ak. Handl.
Stockh. p. 207. Nyctinomus cestonü 1876 Dobson as. chiropt.,
p. 180.) In Madeira; in Helvetia Italia Sieilia Graecia; in
Aegypto, Nubia; in Amoi, China.
Rhinolophidae
RHINOLOPHUS (1803 Geoffroy, N. Diet. H. N. v.19 p. 383).
1. euryale. (R. e. 1853 Blasius, Anz. Ak. Münch. v. 37
n. 13 eol. 109.) In Italia Istria Dalmatia Syria Africa N.
2. blasü. (R. clivosus 1839 Keyserling et Blasius, Arch.
Ntg. a.5 v.1 p. 327 sp. 3. | 1857 Blasius säuget. deutschl.,
p. 29.33 sp.3. R. blasii 1866 Peters MB. Ak. Berl. p. 17.)
In Italia Sieilia Istria Dalmatia Afriea N Palaestina.
3. hippocrepis. (Noctilio hipposideros 1801 Bechstein
ntg. deutschl., ed. 2, v. 1 p. 1194. Vespertilio hippocrepis
1804 Hermann obs. zool., p. 18. Rhinolophus bihastatus 1813
Geoffroy, Deser. de l’Egypte, hist. nat., v. 2 p.132 sp. 2.
Rhinolophus hippocrepis 1839 Keyserling et Blasius, Arch.
Ntg. a.5 v.1 p.325 sp. 1.) In Europa media et australi,
Africa NE, Asia minore.
4. wmihastatus. (Vespertilio ferrum egqwinum 1775
Schreber säugt., v.1 1.62 £.2 p. 174 sp. 20. Rhinolophus
unihastatus 1813 Geoffroy, Deser. de ’Egypte, hist. nat., v. 2
p. 132 sp. 1. Rhinolophus ferrum eqwinum 1839 Keyserling
et Blasius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p.326 sp. 2.) In Europa
media et australi, Afriea, Asia,
[33] Catalogus mammalium europaeorum. 219
Carnivora
Cynidae
CANIS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 56 g. 12).
Lupus (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 716).
1. lIupus. (0.1.1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 58
sp. 2. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.36 n. 10.) In
Europa, Asia N et media.
2. aureus. (CO. a. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 59
sp. 7. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 39 n. 11 t. 3.)
In Dalmatia Graeeia Caueaso Asia S Afriea N.
Vulpes (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 1081).
3. vulpes. (O. v. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 59
sp. 4. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.45 n.14.) In
Europa, AsiaN.
4. corsac. (C. c.1768 Linne syst. nat., ed. 12, v.3 p. 223. |
1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.41 n.12 1.4.) Ad Vol-
gam, ad lacum Caspium, per Asiam mediam usque ad Baikal
laeum.
5. lagopus. (C. I. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 59
sp. 6. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.51 n. 15 #.5.)
In regione arctica.
URSUS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 69 g. 16).
1. arctos. (U, a. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 69
sp. 1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.64 n.17.) In
Europa, Sibiria.
2. marinus. (U. m. 1776 Pallas reise d. d. russ. reich,
v.3 p. 691 n. 1. | 1780 Pallas spieil. zool., fase. 14 p. 1 t.1.|
1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.69 n.18.) In regione
arctica,
220 ERWIN SCHULZE, [34]
Galeidae
MELES (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 778. 1103).
1. taxus. (Ursus meles 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1 2.70 sp.2. Meles taxus 1778 Schreber säugt., v.3
t. 142 p. 516 sp. 3. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 70
n. 19.) In Europa, Asia.
GULO (1780 Pallas spieil. zool., fase. 14 p. 25).
l. luscus. (Mustela gulo 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1 p. 67 sp. 5. | 1773 Hollsten, Vet. Ae. Handl. Stockh. v. 34
p- 230 1.7.8. Ursus luscus 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1p.71 sp. 4. Meles gulo 1780 Pallas spieil. zool., fase. 14
p.25 t.2. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.73 n. 20.
Gulo sibiricus 1780 Pallas spieil. zool., fasc. 14 p. 35 t.2.
Gulo borealis 1800 Retzius f. suee., v.1 p.25. Gulo luscus
1824 Sabine in Suppl. to the app. of Parry’s voy. for the
dise. of a n.-w. pass. in the y. 1819/1820, cont. the zool. a.
bot. not., app. 10 p. 184 n. 2.) In silvis borealibus Europae
Asiae Americae.
MARTES (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 865).
1. zibellina. (Martes z. 1756 Brisson regn. anim., p. 248
n. 9. | 1827 Griffith anim. kingd., v.5 p.124 n.351 sp. 3.
Mustela z. 1766 Linne syst. nat., ed.12, v.1 p.68 sp. 9. |
1780 Pallas spieil. zool., fase. 14 p. 54 1.3 f.2. | 1811 Pallas
zoogr. 10880-a8., v.1 p.83 n.25 1.6.) In AsiaN ab Uralo
usque ad Kamtschatkam.
2. silwestris. (M. syWestris 1551 Gesner quadrup. vivip.,
p- 867. M. vulgaris 1827 Griffith anim. kingd., v.5 p. 123
n.349 sp. 1.) In silvis Europae, Sibiriae W.
3. foina. (M. domestica 1551 Gesner quadrup. vivip.,
p- 865. M. foina 1827 Griffith anim. kingd., v. 5 p. 123
n. 350 sp. 2.) In Europa, Sibiria W,
[35] Catalogus mammalium europaeorum. 221
MUSTELA (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 66 g. 15).
Gale (1841 Wagner säugt., v.2 p. 234).
1. gale. (M. nivalis 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1
p. 69 sp. 11. M.gale 1778 Pallas glir., p. 6 [nomen|. | 1811
Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 94 n. 32.) In Europa, Sibiria.
2. hibernica. (Putorius h. 1895 Thomas et Barret-
Hamilton, Ann. Mag. N.H. s. 6 v. 15 p. 374. | 1895 Thomas
et Barret-Hamilton, Zoologist s. 3 v.19 p. 125. | 1895 Thomas,
Nat. Se. v.6 n.40 p. 377 t.4.) In Hibernia.
3. erminea. (M. e. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1
p- 68 sp. 10. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 90 n. 31.)
In Europa, Asia.
4. boccamela. (M. b. 1801 Bechstein naturg. deutschl.,
ed. 2, v. 1 p. 819.) In Sardinia Sieilia Italia S Graeecia
Caucaso Asia minore Persia Kurdistan.
Ietis (1897 Schulze mamm. eur., p. 25 g. 8).
8. putoria. (M. p. 1766 Linn syst. nat., ed. 12, v.1
p. 67 sp. 7. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 87 n. 28.)
In Europa, Asia N et media.
6. sarmatica. (Mustela pedibus fissis, eapite et corpore
subtus aterrimis, corpore supra brunneo luteoque vario, ore
faseia frontali aurieulisque albis: 1770 Güldenstädt, N.
Comm. Ac. Petrop. v. 14 [a. 1769] pt. 1 p. 455 t. 10. Mustela
sarmatica 1771 Pallas reise d. d. russ. reich, v.1 p. 453 n. 2. |
1780 Pallas spieil. zool., fase. 14 p. 79 t.4 f.1. Foetorius
sarmaticus 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. europ., p. 68
n. 142. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 221. 226 sp. 2.)
In Rossia S a Tanai usque ad Danastrim.
7. Iutreola. (M. l. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1
p- 66 sp. 3.) In Europa N.
LUTRA (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 775).
1. vulgaris. (Mustela lutra 1766 Linne syst.nat., ed. 12,
. v.1p.66 sp. 2. Lutra vulgaris 1777 Erxleben syst. regni
anim., mamm., p. 448 sp. 2. Lutra nudipes 1834 Melchior
dansk. og norg. patted., n. 15.) In Europa, Sibiria.
222 ERWIN SCHULZE, [36]
Hyaenidae
VIVERRA (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v. 1 p. 63 g. 14).
1. genetta. (V. g. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1
p- 65 sp. 6.) In Gallia S Iberia Africa N.
Lyncidae
FELIS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 60 g. 13).
Catus (1551 Gesner quadrup. vivip., pP. 353).
1. catus. (F. c. 1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v.1 p. 62
sp. 6. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 25 n. 7.) In silvis
Europae.
2. manul. (F. m. 1776 Pallas reise d. d. russ. reich,
v.3 p. 692 n.2. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 20
n.5 t.1.) In promontoriis australibus Urali, in Asia media.
Lynx (1553 Gesner ie. quadrup., p. 32).
3. chaus. (F. chaus 1776 Güldenstädt, N. Comm. Ace.
Petrop. v. 20 [a. 1775] p. 483 t. 14. F. catolynx 1811 Pallas
zoogr. 10880-a8., v.1 p. 23 n.6 t.2.) Ad lacum Caspium, ad
Terek fl. ad Aral lacum.
4. pardina. (F. p. 1827 Temminck monogr. de mam-
malogie, v.1 p. 116.) In Iberia Sardinia Sieilia Tureia.
5. Iynx. (F. I. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 62
sp. 7.. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1p.28n.7A.) In
Alpibus Carpatis Seandinavia Rossia N Sibiria.
Phocidae
PHOCA (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.55 g.11).
1. vitulina. (P. vitulina 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1 p.56 sp. 3. P.canina 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1
p. 114 n. 44.) Ad litora Europae N Groenlandiae Asiae N;
in lacubus Baikal Oron Caspi Aral.
2. foetida. (P. foetida 1776 Müller zool. dan., p. 8.
P. hispida 1791 Fabrieius, Skr. Nth. Selssk. Kjöbenh. v. 1
[37] Catalogus mammalium europaeorum. 223
fase. 2 p. 74. P. annellata 1820 Nilsson skand. f., dägg. dj.
p- 365 n. 56.) In maribus septentrionalibus.
3. dorsata. (P. groenlandica 1776 Müller zool. dan.,
p- 8. | 1790 O. Fabrieius, Skr. Nth. S. Kjöbenh. v.1 fase. 1
p- 87..157. P. oceanica 1773 Lepechin, Act. Ace. Petrop.
a. 1777 pt.1 p.259 t.6.7. P.dorsata 1811 Pallas zoogr.
rosso-as., v.1 p. 112 n. 41.) In regione aretiea.
4. barbata. (P. barbata 1776 Müller zool. dan., p. 8.
P. leporina 1773 Lepechin, Act. Ac. Petrop. a. 1777 pt.1
p- 264 t.8.9. P.albigena 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1
p-. 109 n. 39.) In maribus aretieis.
HALICHOERUS (1820 Nilsson skand. f., dägg. dj., p. 376).
1. grypus. (Phoca g. 1791 Fabrieius, Skr. Nth. Selssk.
Kjöbenh. v. 1 fase. 2 p. 167 1.13 f.4. Halichoerus g. 1837
Nilsson illum. fig. skand. £., v. 2 t. 34.) In maribus germanico
et baltieo.
PELAGIUS (1826 F. Cuvier, Diet. Se. Nat. v. 39 p. 550.)
1. monachus. (Phoca m. 1779 Hermann, Beschäft. Berl.
Ges. Ntf. Fr. v.4 p. 501; 1.12 £.1; t. 13. | 1811 Pallas zoogr.
rosso-as., v.1 p. 113 n. 42. Pelagius m. 1826 Cuvier, Diet.
Se. Nat. v. 39 p. 550.) In mari mediterraneo.
CYSTOPHORA (1820 Nilsson skand. f., dägg. dj., p. 382).
1. cristata. (Phoca c. 1777 Erxleben syst. regni anim.,
mamm., p. 590 sp. 7. Cystophora-c. 1840 Nilsson illum. fig.
skand. f., fasc. 20.) In maribus septentrionalibus.
Triehechidae
TRICHECHUS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1p.49 8.6).
1. rosmarus. (Trichechus rosmarus 1766 Linne syst.
nat., ed. 12, v.1 p.49 sp.1. Rosmarus arcticus 1811 Pallas
zoogr. r0sso-as., v.1 pP. 269 n. 141 t. 28.29.) In maribus
aretieis.
224 ERWIN ScHuLze, Catalogus mammalium europaeorum. [38]
Simiae
Pithecidae
INUUS (1812 Geoffroy, Ann. Mus. H. N. Par. v. 19 p. 100).
1. ecaudatus. (Simia inuus 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1p.35 sp. 3. JInuus ecaudatus 1812 Geoffroy, Ann. Mus.
H.N. Par. v.19 p.100 sp.1.) In rupibus prope Gibraltar,
in Afriea N.
PITHECUS (1800 Latreille ap. Buffon hist. nat., ed. Sonninj,
v. 35 p. 166).
|Species: satyrus, troglodytes, homo.|
Anthropus
1. homo. (Homo sapiens 1766 Linne syst. nat., ed. 12,
v.1p.28 sp.1.) In omnibus terrae partibus.
Ueber Tier- und Menschenseele
von
Dr. Walther Schoenichen.
Mit 10 Figuren im Text.
Unter den mannigfaltigen Bewegungen, die wir in der
uns umgebenden Natur wahrnehmen, pflegen wir die Mehr-
zahl derjenigen, die an Lebewesen stattfinden, auf eine
psyehische Ursache zurückzuführen. Wir verfahren dabei
lediglich- nach einem Analogieschlusse, indem wir ähnliche
seelische Vorgänge, wie wir sie an uns beobachten, auch
bei anderen Organismen vermuten. Allein wenn wir schon
die psychologischen Motive unserer eigenen Mitmenschen
nur zu oft ganz falsch beurteilen, so nimmt der Wahrheits-
wert unserer Analogieschlüsse noch mehr ab, wenn wir die
Seelenäusserungen der Tiere in den Bereich der Betrachtung
ziehen. Giebt es doch in der Tierwelt eine Fülle von Sinnes-
organen, deren Zweck zu kennen wir weit entfernt sind.
Erinnert sei nur an die Ampullen der Haie und Rochen.
Und dass in der That die Welt sich in den Sinnesorganen
mancher Tiere ganz anders spiegeln muss als bei uns, hat
LusBock durch seine schönen Experimente bewiesen, durch
die er die Empfindlichkeit der Ameisen gegen ultraviolette
Strahlen erhärtete.
Angesichts soleher Thatsachen kann es nicht Wunder
nehmen, wenn das Verhältnis zwischen Menschen- und Tier-
seele die widersprechendsten Beurteilungen gefunden hat.
Aus der Fülle der von Philosophen und Naturforschern ge-
äusserten Ansichten seien nur einige der landläufigsten hier
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 15
226 Dr. Wautunr SCHORNICHEN, [2]
angedeutet. CArTeEsıus hat die Tiere für Maschinen ge-
halten und ihnen eine Seele überhaupt abgesprochen. Nicht
viel besser ist es, wenn ein durch die Lebenskraft oder
durch das „Unbewusste“ verursachter Trieb als einzige
Quelle tierischer Seelenäusserungen der menschlichen Ver-
nunft diametral gegenüber gestellt wird. Im Gegensatze zu
derartigen Bestrebungen, die philosophischen oder auch
religiösen Dogmen zuliebe die Kluft zwischen Mensch und
Tier möglichst. zu erweitern suchen, bieten zahlreiche Autoren,
besonders auch Naturforscher, in der Beurteilung der Tier-
seele nur „Menschliches, allzu Menschliches.“ Namentlich
sind es die wunderbaren Kunsttriebe der Insekten, die zu
einer völligen Gleichstellung der Menschen- und Tierseele
verführt haben. Vor allem sind es die populären Werke
eines BREHM und eines BUECHNER, die sich im Rühmen der
Tierintelligenz nicht genug thun können. Und die Wochen-
und Monatsschriften sind voll von blumenreichen Lobpreisungen
des tierischen „Geisteslebens“.
Die Tendenz derartiger Bestrebungen liegt klar auf der
Hand: Der Descendenztheorie zuliebe soll das Tier so weit
als irgend möglich vermenschlicht werden. So wird denn
selbst sehr tief stehenden Tieren die Fähigkeit zweck-
bewusst ihre Handlungen zu modifizieren zugeschrieben; in
ihrem Gebahren sollen sich Mutterliebe, Mitleid und zahl-
lose andere humane Affekte spiegeln. Allein derartige Auf-
fassungen der Tierseele fussen gewöhnlich auf oberflächlicher
Beobachtung oder auf phantasievoller Deutung der That-
sachen. Man möchte dieser „vulgären“ Tierpsychologie
gern eine Variante aus dem Faust entgegenhalten:
„Was ihr den Geist der Tiere heisst,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist.“
Wie schwer es ist, die Seelenäusserungen der Tiere
immer mit dem richtigen Massstabe zu messen, zeige das
Beispiel der Schüsselmuschel (Patella vulgata). Sie be-
wohnt auf felsigem Meeresgrunde kleine, flache Aushöhlungen,
die sie von Zeit zu Zeit verlässt, um auf Nahrungssuche
auszugehen. Nach solehen Exkursionen kehrt sie stets in
dieselbe Höhlung zurück. Romanzs glaubte auf Grund dieser
[3] Ueber Tier- und Menschenseele. 227
Beobachtungen der Sehüsselmuschel ein Ortsgedächtnis zu-
schreiben zu müssen. BETHE!) aber konnte feststellen, dass
die Muschel beim Kriechen eine Schleimspur auf dem Fels-
boden zurücklässt, die ihr beim Heimwege gleichsam als
Ariadnefaden dient und sie auf demselben Wege zur Höhlung
zurückführt, auf dem sie diese verlassen hatte.
Wie aus dem Citat bezüglich der Schüsselmuschel zu
ersehen ist, fehlt es nieht an Stimmen, die gegen die vulgäre
Tierpsychologie im Sinne BuUECHNERr’s und BREHM’S energisch
ankämpfen. Allein so wertvoll derartige Gegenbestrebungen
sind, so darf nicht verkannt werden, dass sie in manchen
Fällen doch weit über ihr Ziel hinausgeschossen haben.
Namentlich gilt dies von den viel besprochenen Unter-
suchungen BErHk’s, die, soweit sie sich auf die Ameisen be-
ziehen, in dieser Zeitschrift (Bd. 71, pg. 238) bereits von
berufenerer Feder referiert worden sind. BETHE kommt zu
dem Resultat, die Ameisen seien reine Reflexmaschinen,
denen jegliche psychischen Qualitäten abzusprechen sind.
Ebenso gering taxiert BETHE die psychischen Fähig-
keiten der Bienen. Die Frage zunächst, ob die Bienen eines
Stoekes einander kennen, glaubt er verneinend beant-
worten zu müssen, und er erklärt sich die feindliche Reaktion,
die Bienen den Angehörigen fremder Stöcke gegenüber zeigen,
durch einen für jeden Stock spezifischen Neststoff. Dieser
Neststoff kann unter besonderen Vorsiehtsmassregeln auch
auf Individuen fremder Stöcke übergehen. Stellt man z. B.
einen kleinen Käfig mit einer neuen Königin in einen fremden
Stock, so ist sie schon nach wenigen Tagen „gewittert“
worden und wird von den Bienen des Stockes wie eine
Freundin behandelt. Dass der Neststoff von den Bienen
selber produziert wird, dass seine Verschiedenheit auf Keimes-
variation beruht, und dass die verschiedene Reaktion auf
Nestgenossen und Fremde ein angeborener Chemoreflex ist,
leitet Berne aus folgenden Beobachtungen her. Die In-
dividuen eines neu gegründeten Stockes behandelten An-
gehörige des Mutterstockes zunächst wie Freunde. Nachdem
aber aus den von der Königin des Tochterstockes abgelegten
1) Bethe, „Dürfen wir den Ameisen und Bienen psychische Quali-
täten zuschreiben?“ Archiv für die gesamte Physiologie. Bd. 70. 1898.
15*
228 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [4]
Eiern zahlreiche junge Bienen sich entwiekelt hatten, wurde
das Verhalten der beiden Stöcke gegen einander feindlich.
v. BUTTEL-REEPEN !) hat die BerHe’schen Versuche und
Hypothesen einer strengen Kritik unterworfen. Er stellt
zunächst fest, dass dasjenige, was BETHE allgemein mit
„Neststoff“ bezeichnet, sich aus mancherlei Faktoren zu-
sammensetzt. Die wichtigsten von diesen sind der Individual-
geruch, der Familiengeruch, der Brut- und Futterbreigeruch,
der Drohnengeruch, der Wachs- und Honiggeruch. Ferner
stellt v. BurrteL-REEPEN fest, dass der Nestgeruch keines-
wegs angeboren ist; vielmehr ist er völlig exogener Natur,
so dass er äusserlich von den Bienen erworben werden
kann. Wie wäre es sonst möglich, dass Bienen, die 30 und
mehr verschiedenen Stöcken entnommen sind, sich mit
Leichtigkeit zu einem neuen Stocke vereinigen lassen, ohne
dass dabei ein Ausbruch von Feindseligkeiten stattfindet?
Folgt schon aus diesem Experimente, dass die Reaktion der
Bienen gegen Angehörige fremder Stöcke keineswegs in so
gleichförmiger Weise erfolgt, wie man dies von einer „Reflex-
maschine“ erwarten darf, so gilt dasselbe von einer Reihe
von Beobachtungen, die dem Imker längst bekannt sind.
So laufen hin und wieder weisellose Völker zum benach-
barten Stocke über und finden hier eine durchaus freundliche
Aufnahme. In Analogie hierzu lässt sich ein schwaches
Volk meist gut zu einem starken versetzen, ohne dass eine
Beisserei stattfindet. Ferner werden honigbeladene Bienen
in fremden Stöcken häufig ganz freundlich aufgenommen.
„Die betteln sich ein“ sagt der Imker, d.h. sie lassen den
Hinterleib auf dem Flugbrette schleifen, strecken den Rüssel
vor und teilen von ihrem Honigvorrate an die sie umringenden
Feinde aus. Weiter kann durch Behandlung der Bienen
mit geeigneten narkotischen Mitteln die Reaktion auf Fremde
ganz ausgeschlossen werden; solehe Individuen lassen sich
dann nach Belieben unter fremde Stöcke verteilen. Handelt
es sich in allen diesen Fällen um eine Herabminderung der
Reaktion gegen Nestfremde, so muss als Gegenstück erwähnt
werden, dass nach Darreichung von Buchweizenhonig oder
ı) H. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen Reflexmaschinen?
Biolog. Oentralbl. 1900. pg. 97.
[5] Ueber Tier- und Menschenseele. 229
Branntwein die Bienen sich untereinander viel leichter feind-
selig begegnen. Junge Bienen haben wahrscheinlich noch
einen ganz indifferenten Geruch, denn sie werden gewöhnlich
auch in fremden Stöcken nicht feindlich behandelt: auch
dies deutet darauf hin, dass der Nestgeruch nicht angeboren
sein kann. Bei Drohnen endlich und Königinnen löst der
Nestgeruch fremder Völker gar keine Reaktion aus: die
ersteren vagabundieren ohne Gefahr von Stock zu Stock;
die letzteren gehen nur gegen ihresgleichen feindlich vor.
Diese Fülle von Verschiedenheiten in der Reaktion der
Bienen auf den Nestgeruch beweist mit voller Deutlichkeit,
dass hier von einem verknöcherten Chemoreflex nieht die
Rede sein kann.
Des weiteren gelingt es v. BUTTEL-REEPEN, es äusserst
wahrscheinlich zu machen, dass den Bienen ein Mitteilungs-
vermögen zukommt. In erster Linie glaubt er dies aus dem
urplötzlichen Ausbrechen der Weiselunruhe schliessen zu
dürfen, namentlich in den Fällen, wo Geruchswirkungen
völlig ausgeschlossen sind. Das Verständigungsmittel bilden
hierbei offenbar Töne. Vor allem geht dies daraus hervor,
dass der Schwarmton eines schwarmreifen Volkes häufig
auf Völker, die noch nicht in dieses Reifestadium eingetreten
sind, ansteekend wirkt. Auch die Königinnen scheinen sich
ihre Eifersucht!) gegenseitig ausdrücken zu können: denn
die frei gewordene Königin hat meist nichts eiligeres zu
thun, als ihre noch in den Weiselwiegen eingeschlossenen
Kolleginnen durch zorniges „Tühten“ zu begrüssen, worauf
ihr mit einem ebenso zornigen „Quaken“ geantwortet wird.
Hören wir nun wieder BETHE, wie er sich die Sicherheit,
mit der die Bienen aus weiter Entfernung zu ihrem Stocke
zurückkehren, erklärt. Mit gutem Erfolg weist er zunächst
nach, dass chemotaktischen Reizen hierbei keine erhebliche
Rolle zufällt. Bekannt ist ja, dass Schmetterlingsmännchen
eingefangene Weibchen aus einer Entfernung von mehreren
Kilometern aufsuchen, angelocekt wahrscheinlich durch einen
flüchtigen Stoff. Nur für kriechende Bienen sind chemo-
1) IJeh brauche wohl nicht besonders darauf hinzuweisen, dass
dieser anthropomorphistische Ausdruck hier nur im übertragenen Sinne
gebraucht ist.
230 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [6]
tropische Reize von einiger Wichtigkeit. Wurde z. B. inner-
halb eines Bienenhäuschens ein Stock an einen anderen
Platz gestellt, so fiogen die heimkehrenden Bienen zum
weitaus grössten Teile nach dem alten Flugloch zurück und
krochen in dem hinter diesem befindlichen leeren Raume
in Menge umher. Endlieh fand sich ein Individuum dicht
an der Innenwand des Häuschens entlang krieehend in den
Stock hinein. Bald folgten andere ihm nach, bis endlich
eine Strasse nach dem Stocke entstand. Wenn es bei diesem
Versuche in der That wahrscheinlich ist, dass chemische
Spuren den Bienen als Wegweiser dienten, so konnte BETHE
andererseits feststellen, dass die fliegenden Bienen nur in
ganz geringem Masse durch chemotaktische Reize geleitet
werden. Drehte er nämlich einen Stock aus der Ostriehtung
nach der Südriehtung um 90° oder mehr, so folgte die vor
dem Stocke stehende Bienenstrasse nur bis zu einer Drehung
um 45° An diesem Punkte blieb sie stehen. Nur wenn
die Drehung bis zu 180° fortgesetzt wurde, trat eine neue
Aenderung in der Stellung der Bienenstrasse ein, und zwar
ging sie wieder nach derjenigen Stelle zurück, die sie vor
dem Einsetzen der Drehung inne hatte. Wahrscheinlich
waren es die der Rückseite des Stockes in reichlicher Menge
entströmenden Riechstoffe, die die Bienen wieder in die
ursprüngliche Stellung zurückführten.
Dass ehemotropisehe Reize die Bienen auf ihrem Heim-
wege nicht leiten, geht fernerhin wohl auch aus der That-
sache hervor, dass diese Tiere gar nicht immer nach dem
Stocke zurückfliegen, sondern nach derjenigen Stelle, wo
sie ihren Ausflug angetreten haben. Wird z.B. ein Bienen-
stock einige Meter seitwärts oder rückwärts verschoben, so
sammeln sich die heimkehrenden Bienen stets in diechtem
Schwarme vor der Stelle, an der vorher ihr Stock gestanden
hatte; nur ganz wenige finden sieh zum Flugloch zurück.
Aehnlich ist das Resultat, wenn Bienen in einer Schachtel
an eine ihnen unbekannte Lokalität getragen und dort los-
gelassen werden. Sie kehren alsdann stets zu dem Orte
zurück, wo die Schachtel beim Ausfluge stand; oder sie
versammeln sich, falls die Schachtel beim Oeffnen in die Luft
gehalten wurde, an jenem Punkte in der Luft.
[7] Ueber Tier- und Menschenseele. 231
Es erhebt sich nunmehr die Frage, welche Kraft die
Bienen stets nach der Ausgangsstation, d.h. in den meisten
Fällen zum Stocke, zurückführt. Der Erdmagnetismus ist es,
wie zu erwarten, nicht: denn BETHE klebte einzelnen Bienen
kleine Magnete an; jedoch fanden die Tiere sich nach wie
vor sicher nach Hause. Ebensowenig stichhaltig ist die
Annahme, die Bienen registrierten alle Biegungen und
Krümmungen ihres Weges durch das Luftmeer sorgfältigst
und kehrten dann auf demselben Wege wieder nach Hause
zurück; denn Individuen, die BETHE mehrere hundert Male
auf einer Drehscheibe hatte rotieren lassen, flogen sogleich
in gerader Linie zum Stocke zurück. Ferner ist BETBE der
Ansicht, dass die Bienen auch nicht durch Gesiehtseindrücke
bei ihrer Heimkehr geleitet werden. Das Beweismaterial,
das er als Stütze seiner Hypothese anführt, ist freilich recht
dürftig: Zunächst beobachtete Brrue, dass die Bienen auf
einen grossen, ihre gewohnte Flugstrasse sperrenden Sehirm
erst aus einer Entfernung von 1—1!/; m reagierten. In
dieser Entfernung gaben sie nämlich ihrer Bahn erst die
notwendige Riehtungsänderung. BETHE schliesst hieraus,
dass der Gesichtssinn der Bienen ziemlich gering entwickelt
ist. Sodann maskierte er den Stock und dessen Umgebung
mit allerlei buntfarbigen Gegenständen bis fast zur Unkennt-
liehkeit; trotzdem flogen die Bienen sieher auf das Flug-
loch zu. Nur wenn zur Maskierung den Bienen unangenehme
Färbungen, wie grelles Weiss und Rot verwendet waren,
zeigten die Tiere einige Unruhe. Endlich wurden Bienen
nach der ihrem Stocke benachbarten, ihnen aber nach
Berur’s Meinung völlig unbekannten Stadt gebracht und
dort frei gelassen; die Tiere nahmen dabei vielfach die
Flugrichtung nach dem Stocke bereits zu einem Zeitpunkte,
an dem sie noch zwischen den Häusern befindlich waren
und einen Ueberblick über. die Stadt und ihre Umgebung
noch nieht gewinnen konnten. Namentlich auf Grund dieser
Versuche kommt BETHE zu der Annahme, dass die Bienen
durch eine uns vorläufig gänzlich unbekannte Kraft, deren
Wirkungszone sich etwa auf 3—4 km im Umkreise be-
schränkt, zu ihrer Ausgangsstation zurückgeführt werden.
Die Kraft, die nach BETHE uns so vollkommen unbe-
232 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [8]
kannt ist. weiss v. BUTTEL-REEPEN sehr bestimmt zu nennen:
sie besteht in dem Ortsgedächtnis der Bienen. Dass diese
Tiere kein Ortsgedächtnis besitzen, hat BrruE nicht zu
beweisen vermocht. So ist seine Annahme, den Bienen sei
die Stadt, von der er seine Versuchstiere fliegen liess, un-
bekannt gewesen, vollkommen haltlos; denn die Bienen be-
suchen die Konditorläden und ähnliche süsse Lokale doch
gewiss mit grosser Vorliebe. Aber selbst wenn man BETHE
in diesem Punkte zustimmen wollte, so gestattet sein Ex-
periment nimmermehr einen Schluss auf eine unbekannte
Kraft. Stand doch das Institut, wonach die Bienen zurück-
flogen, im Süden der Stadt, d. h. dort, wo die Sonne schien.
Da nun die Bienen stets nach dem Lichte zufliegen, so
mussten sie, selbst wenn die Stadt ihnen unbekannt war,
wohl oder übel zum Institute zurückkehren. Als wenig
zuverlässig hat sich die „unbekannte Kraft“ in einem
anderen Experimente Beruer’s bewährt: Von den Bienen,
die er aus einer Schachtel in grösserer Entfernung vom
Stoeke frei liess, kehrten einige zum Stocke, andere zur
Schachtel zurück. Wie soll man sich dieses Ausbleiben
jeder Wirkung der unbekannten Kraft bei den letzteren
Exemplaren erklären? BerHE bleibt hierauf die Antwort
schuldig. Endlich sind auch die Maskierungsversuche gänz-
lieh wertlos. Den Imkern ist es eine längst bekannte That-
sache, dass die Bienen die einmal gewohnte Strasse ganz
genau inne zu halten wissen; sie treffen daher, solange die
Lage des Stockes unverändert ist, ganz genau das Flugloch,
auch wenn der Stoek und dessen Umgebung noch so merk-
würdig verändert werden.
Dass die Bienen in der That über ein Ortsgedächtnis
verfügen, dafür führt v. BUTTEL-REEPEN auch positive Be-
lege an. In erster Linie ist es wichtig, dass die Tiere,
wenn sie ihren Stock das erste Mal verlassen, sich über
dessen Umgebung genau orientieren: sie schweben auf und
nieder immer den Kopf dem Stoeke zukehrend und umfliegen
den Stock in kleineren oder grösseren Kreisen. Anderer-
seits ist häufig beobachtet worden, dass Bienen an einen
Ort, wo sie öfter Futter vorfanden, auch dann noch zurück-
kehrten, wenn längst kein Futter mehr dort war. Soll
[9] Ueber Tier- und Menschenseele. 239
man hier auch eine „unbekannte Kraft“ annehmen ? Gewiss
nieht! Vielmehr werden die Bienen in diesen Fällen nur
von ihrem Ortsgedächtnis geleitet. Natürlich reicht das Orts-
gedächtnis nur so weit, wie die Bienen geflogen sind, d.h.
3—4 km weit. So erklärt es sich, dass junge Bienen, die
noch keine weiten Exkursionen unternommen haben, sich
viel schwerer heimwärts finden als ältere. Durch Betäuben,
Abkühlen und Baden lässt sich das Ortsgedächtnis voll-
kommen auslöschen. Doch finden derartig behandelte Bienen
sich später wieder zurecht, sie lernen also. Auch die
jungen Königinnen merken sich beim Hochzeitsfluge ihren
Stock. Damit nun diesen wertvollen Tieren das Merken
erleiehtert werde, machen die Imker in diesem Falle den
Stock dureh ein belaubtes Reis in besonderem Masse kennt-
lich. Den auffälligsten Beweis für das Ortsgedächtnis der
Bienen liefert aber eine Beobachtung des Barons v. BERLEPSCH:
Durch die Spurbienen, die bekanntlich vor dem Sehwärmen
eines Volkes die Umgebung auskundschaften, wurde ein
Sehwarm direkt nach einem 3/, Stunde entfernten hohlen
Birnbaume geführt. Die Apparate, mittelst deren die Bienen
ihre Ortskenntnis erlangen, ‘sind offenbar die wohl ent-
wickelten Augen. So erklärt es sich, dass Tiere, die in
der Dunkelheit in der Nähe des Stockes emporgeworfen
werden, sich niemals zu diesem zurückfinden. Vielleicht
erkennen die Bienen auch an der Art des Anfluges Freunde
und Feinde, sodass also die feindliche oder freundliche
Reaktion gegen andere Individuen nicht allein durch chemo-
taktische, sondern auch dureh phototaktische Reize ausge-
löst wird. Ja v. BurtEeL-REEPEN ist sogar der Ansicht,
dass die Bienen heranziehende Gewitterwolken mit den
Augen wahrnehmen. Sollte man hier nicht lieber an ein
besonderes Witterungsvermögen denken?!)
Aus den interessanten Mitteilungen von v. BUTTEL-
REErEN folgt mit Sieherheit zweierlei: erstens, dass die
Bienen sicherlich über Wahrnehmung verfügen; zweitens,
dass sie keine Reflexautomaten sind.
Zu ähnlichen Resultaten sind auch GEORGE W. und
1) Vgl. diese Zeitschrift, Bd. 70, pg. 139. „Bienen“-Meteorologie.
234 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [10]
ELIZABETH G. PECKHAM !) bei ihren Studien an den solitären
Wespen gekommen. Ihre wertvollen Beobachtungen über
die Gewohnheiten der Sandwespen (Ammophiliden), über
die in Bd. 72 (pg. 113) bereits kurz referiert wurde, bieten
zahlreiche Thatsachen, die von einem Vertreter der vul-
gären Tierpsychologie als Zeiehen von Intelligenz betrachtet
würden. Erstaunlich ist in erster Linie, wie weitgehende
Verschiedenheit die einzelnen Individuen in fast allen ihren
Handlungen bekunden.
Ammophila wrnaria legt bekanntlich zu Beginn des
Sommers mit Hülfe der Kiefer und der Vorderbeine in
festem Erdreiche Nester an, die. aus einer etwa zolllangen
Röhre und einer daran sich anschliessenden Höhlung be-
stehen. Die einzelnen Nester zeigen nun untereinander be-
merkenswerte Verschiedenheiten in Bezug auf den Neigungs-
winkel, den die Röhre gegen die Erdoberfläche bildet, in
Bezug auf die Grösse und Gestalt der Höhlung und bezüglich
des Winkels, unter dem Röhre und Höhlung zusammenstossen.
—a TI _-
lan AR SE
te Ya Yu] Yan. uk 2 & Yn)y
In Fig. 1 sind zwei extreme Formen dargestellt. Ist das
Nest vollendet, so wird es mit einem Verschluss versehen.
Auch bei dieser Arbeit treten weitgehende individuelle Ver-
schiedenheiten zu Tage. Während einige Exemplare den
Verschluss ganz oberflächlich und ungeschickt anlegen, so-
dass nur ein Zufall die junge Brut vor dem Untergange
bewahren kann, verfahren andere mit der grössten Sorgfalt.
Gewöhnlich wird die Nestöffnung mit einem gut abge-
!) George W. Peckham and Elizabeth G.Peckham, On
the instinets and habits of the solitary wasps. Madison 1898.
[11] Ueber Tier- und Menschenseele. 239
messenen Erdklümpehen bedeckt, so dass sie nahezu unauf-
findbar ist. Häufig aber haben die Tiere an ihrem Arrange-
ment bald etwas auszusetzen. So wurde eine Sandwespe
beobachtet, die kurz nach Vollendung des Nestes den ver-
sehliessenden Erdklumpen wieder entfernte, um ein paar
kleine Steinehen auszugraben und dann einen neuen Erd-
klumpen herbeizuschleppen (Fig. 2). Jedoch auch dieser er-
Hier 2
schien ihr in der Kürze als nicht recht passend ; sie holte daher
einen dritten herbei und legte neben ihn ein kleines Steinchen.
Schliesslich gab sie noch einige kleine Erdbröckchen zu.
Andere Individuen stampften manchmal aueh noch etwas
Staub über die Erdklumpen; ja, in einigen wenigen Fällen
wurde ein Verschluss gar nicht angelest. In der Mehrzahl
der Fälle verschliesst aber Ammophila urnaria das Nest
noch vor dessen Verproviantierung ähnlich wie A. argentata
und A. sabulosa; nur A. holosericea lässt ihr Nest eine Zeit
lang offen stehen. Dieses abweichende Verhalten der letzt- -
genannten Spezies glaubt FABrE dadurch bedingt, dass von
ihr 5—6 Nährtiere als Proviant eingetragen werden. Dass
diese Erklärung wohl nicht ausreichend ist, lehrt das Beispiel
236 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [12]
der A. yarrowi, die ebenfalls stets mehrere Beutetiere ein-
trägt und doch das Nest vor der Verproviantierung ver-
schliesst.
Auch bei der Raupenjagd, auf die sich die Ammophi-
liden nach Beendigung des Nestbaues begeben, zeigen die
einzelnen Individuen allerlei Verschiedenheiten. Während
die einen ganz bei der Sache sind und unermüdlich umher-
fliegen, bis eine Raupe erlegt ist, lassen sich andere durch
jede Ampferblüte von ihrer Jagd ablocken. Ist nach 1 bis
2 Tagen eine Raupe erlegt, so lässt sich die Wespe nach
zahlreichen vergeblichen Versuchen, das Opfer zu besteigen,
endlich am Vorderende der Beute nieder, stellt sich mit
ihren Beinen darüber, hebt sie mit den Mandibeln in die Höhe
und krümmt den Hinterleib unter den Leib der Raupe, um
ihr eine Anzahl von Stichen beizubringen (Fig. 3). Wie ver-
schieden die Sandwespen bei dem Anstechen der erbeuteten
Raupen verfahren, zeigt die nachstehende Tabelle. Die
Stiche variieren nieht allein der Zahl nach, sondern sie
werden auch bei den verschiedenen Opfertieren in ver-
schiedene Körperteile gebohrt. Endlich ist auch die weitere
Behandlung der Raupen, die zumeist in einem mehrfachen
Einbeissen in die Nackengegend besteht, nicht immer die
[13] Ueber Tier- und Menschenseele. 237
gleiche. Die Brüche in unserer Tabelle zeigen an, dass
der Einstich in den Zwischenraum zwischen zwei benach-
barten Segmenten erfolgte.
N Zahl der Nummer
4 ane un 1 der angestochenen | Weitere Angriffe
er Wespe Stiche Segmente
Ammophila ee;
urnaria 7 Ir ns 3 Nackenbeissen
(nach Peckham’s) he—"®hıs
a 7 a rt Nackenbeissen
N 5 Nachdrückliches
” la Nackenbeissen
Ammophila
hirsuta 12 o—12lız —
(nach Fabre)
en %) 3, 2, 1, 4—9 Nackenbeissen
Die Beobachtungen der PECKHAM’s über das Anstechen
der Raupen stehen in einem bemerkenswerten Gegensatze
zu den Ansichten FABrE’s. Dieser französische Forscher
hat nämlich behauptet, die Raupen würden durch die Stiche
nur gelähmt, niemals aber getötet, denn im letzteren Falle
wären sie als Futter für die Sandwespenlarve nieht mehr
tauglich. Die beiden Amerikaner konnten hingegen fest-
stellen, dass von 15 Raupen einige nur drei Tage, andere
etwas länger lebten, noch andere endlich noch nach zwei
Wochen Lebenszeichen von sieh gaben. Häufig ist von den
zwei Raupen, mit denen Ammophila wurnaria jedes ihrer
Nester verproviantiert, die zweite längst tot, ehe die erste
völlig aufgefressen ist. Dabei geht die Wespenlarve keines-
238 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [14]
wegs zu Grunde, vielmehr bleibt nicht nur ihr Appetit ganz
normal, sondern auch ihre Verpuppung verläuft ganz regel-
mässig. In einem Falle bereitete der Biss der soeben aus-
sekroehenen Larve der Raupe solche Schmerzen, dass sie
sich mächtig zusammenkrümmte. Bei Berührung bewegte
| sich diese Raupe so stark wie im un-
verletzten Zustande, ohne dass hierbei
das Ei, das an die Seite des 6. oder
7. Körpersegmentes des Nährtieres ge-
legt wird (Fig. 4), abgeschüttelt wurde.
Fig. 4. ‘ Die zweite Raupe wird manchmal erst
am dritten Tage nach der ersten ins
‘Nest gebracht. (Fig. 5 zeigt eine Wespe, die eine Raupe
auf dem Erdboden nach Hause schleppt.) Die junge Larve
krieeht 2—3 Tage nach der Ablage des Eies aus, frisst
6—8 Tage undspinnt dann ihren blassgelben Kokon. Be-
merkenswert ist noch, dass ein Riesenexemplar von A. urnaria
nur eine einzige Raupe von kolossalen Dimensionen als
Proviant in ihr Nest brachte, das von dem gewaltigen
Beutetiere gänzlich ausgefüllt wurde. Die Larve, die aus
dem an jene Raupe gelegten Ei auskroch, frass 14 Tage
[15] Ueber Tier- und Menschenseele. 239
lang, also beinahe doppelt so lange, als dies sonst bei den
Ammophila-Larven Brauch ist.
Aehnliehe Variationen, wie sie bei dem oben geschilderten
provisorischen Nestverschlusse zu Tage treten, zeigen sich
auch bei dem definitiven Nestverschluss, der nach der Ver-
proviantierung des Nestes und der Ablage des Eies vor-
genommen wird. So legte eine Wespe nur ein paar Steinchen
auf die Mündung des Nestes, schüttete noch ein wenig
Staub darüber und glättete endlich die Oberfläche: in fünf
Minuten war die ganze Arbeit gethan. Viel sorgfältiger
verfuhr ein zweites Individuum. Unter lautem Gesumme
legte es an den Rand der Nestöffnung feine, mit grosser
Kraft zusammengepresste Erde und fegte allen Staub aus
der Umgebung hinweg, um sich alsdann nach einem ge-
eigneten Deekstücke umzuschauen. Zuerst wurde mit einem
welken Blatte ein Versuch gemacht, dann mit einem grösseren
Steine, der sich jedoch bald als viel zu schwer erwies.
Hierauf wurde ein Erdklumpen herbeigeschleppt und endlich
ein welkes Blatt über den Nesteingang gelegt. Noch sinn-
reicher benahm sich ein drittes Exemplar: Von den Wänden
der Röhre biss es alle losen Erdpartikelehen ab und liess
sie auf den Boden des Nestes herniederfallen. Dann wurde
von der Umgebung noch mehr Erde herzugetragen, bis die
Röhre vollkommen aufgefüllt war. Nunmehr trug die Wespe
noeh einige feine Schmutzkörner herbei und hämmerte sie
mit einem zwischen die Mandibeln genommenen Steine wie
mit einem Hammer fest.
In einigen Fällen wurden auch grobe Irrungen in den
Handlungen der Sandwespen beobachtet: So hatte eine
Ammophila urnaria soeben mit vieler Mühe eine Raupe in
ihr Nest gesehleppt. Nach mehrmaligem, unruhigem Umher-
laufen zog sie das Beutetier wieder heraus und legte ein
Ei auf den Erdboden ab. Obwohl die Raupe von dem Be-
obachter ins Nest zurückgebraeht wurde, kümmerte sieh die
Wespe nieht mehr darum. In einem anderen Falle jagte
ein Individuum derselben Spezies ruhig weiter nach Raupen,
obwohl es soeben ein mit zwei Raupen versehenes Nest
definitiv verschlossen hatte.
Aus alledem geht hervor, dass die Sandwespen beim
240 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [16]
Nestbau, beim Erjagen und Anstechen der Beutetiere und
beim provisorischen wie definitiven Verschluss der Nester
die mannigfachsten individuellen Verschiedenheiten zeigen.
Diese zahllosen Modifikationen, die nach den Beobach-
tungen der beiden Prcknam’s in dem Handeln der Ammo-
philiden zu Tage treten, lassen eine doppelte Erklärung
zu. Entweder kann man in ihnen Beweise sehen für die
Fähigkeit, entsprechend den mannigfach wechselnden Be-
dingungen der Aussenwelt die Handlungen zwecekmässig zu
modifizieren, oder man sieht in ihnen nichts als Variationen
primärer, d. h. durch natürliche Zuchtwahl entstandener
Instinkte. Wollte man der ersteren Meinung beipflichten,
so müsste man den Sandwespen wohl oder übel eine sehr
hohe psychische Begabung beilegen: es sei nur daran er-
innert, dass Ammophila urnaria zur Glättung der Umgebung
ihres Nestes in einem Falle einen Stein als Werkzeug be-
nutzte. Geschähe dies auf Grund einer Ueberlegung, so
stände die Psyche der Sandwespen hinter der der höchst
organisierten Affen wohl kaum zurück. Aus diesem Grunde
erscheint der erstere Erklärungsweg weniger brauchbar, so
dass nur der andere, der zudem den Vorzug einer grösseren
Ungezwungenheit bietet, übrig bleibt. Dass eine Variation
der Instinkte unter den einzelnen Individuen stattfindet,
muss ja vom Standpunkte der Descendenztheorie aus gerade-
zu postuliert werden, und die grosse Mannigfaltigkeit der
Variationen, wie sie sich bei den Instinkten der Ammo-
philiden findet, eröffnet hier der natürlichen Zuchtwahl ein
reiches Arbeitsfeld, auf dem die Instinkte zu immer höherer
Vervollkommnung herangezüchtet werden können.
Die bislang wiedergegebenen Beobachtungen der PEcK-
HAM’sS sind demnach für die von BETHE aufgestellte Theorie
der Hymenopteren-Psyche noch nicht geradezu verhängnis-
voll, obwohl auch aus ihnen schon hervorgeht, dass von
einem blinden Automatismus bei den solitären Wespen nicht
die Rede sein kann. Noch mehr gilt das letztere von den
Beobachtungen und Experimenten der PEcKHAMm’s über den
sogenannten Richtungssinn. Vielen Tieren und unter den
Mensehen manchen Wilden und Jägern hat man die Fähigkeit
zugeschrieben, den Rückweg nach einem bestimmten Ziel,
[117] Ueber Tier- und Menschenseele. 241
etwa ihrem Wohnsitze, selbst aus grosser Entfernung und
nach Umhersehweifen in den verschiedensten Richtungen
vermöge eines besonderen, von jeglicher Erfahrung gänzlich
unabhängigen Sinnes stets in der kürzesten geraden Linie
zu nehmen. In der That ruft es die Bewunderung jedes
Beobachters hervor, wenn z. B. eine Ammophila, ohne auch
nur das leiseste Zögern oder die geringste Unsicherheit zu
verraten, schon aus weiter Entfernung direkt auf ihr Nest
zufliegt, nachdem sie zuvor stundenlang in der Kreuz und
der Quer in der Umgebung herumgeflogen ist, um nach
Raupen zu jagen. Der ganze Vorgang hat etwas so My-
steriöses an sich, dass nur die Annahme eines besonderen
Riehtungssinnes das Rätsel lösen zu können scheint.
Dass aber eine solche immerhin etwas prekäre Hypothese
durchaus nicht unentbehrlich ist, ersieht man aus den Be-
obaehtungen der PECKHAM’s an Ammophila urnaria. Wenn
diese Spezies zum Nestbau schreitet, so pflegt sie zunächst
längere Zeit nach einem geeigneten Bauplatze zu suchen.
Ist endlich ein soleher aufgefunden, so fliegt sie während
des Grabens 2—3 Mal auf, um nach kurzem Fluge zu ihrer
Arbeit zurückzukehren. Auch nach der Fertigstellung des
Nestes kehrt sie, namentlich in der ersten Zeit, häufig nach
dem Neste zurück und fährt hiermit solange fort, bis der
Bau mit Proviant versehen und das Ei abgelegt ist. Dass
nach so zahlreichen Inspektionsbesuchen die Wespe all-
mählich eine ziemlich genaue Kenntnis der Umgebung ihres
Nestplatzes erlangen kann, ist durchaus wahrscheinlich; da-
durch wird die Beobachtung, dass Ammophila nach Er-
beutung einer Raupe auf nahezu direktem Wege zum Brut-
platze zurückkehrt, auch ohne die Annahme eines Richtungs-
sinnes erklärlich. Ein ähnliches Studium der Lokalität
wenden die Ammophiliden auch in den Fällen auf, wenn
sie während des Rückweges zum Nistplatz ihr Beutetier für
einige Augenblicke verlassen müssen. Noch klarer tritt das
Bestreben, eine genaue Lokalkenntnis von der Umgebung
des Nestes zu gewinnen, bei Sphex ichneumonea zu Tage.
Aueh sie verfährt beim Aufsuchen des Nistplatzes ausser-
ordentlich wählerisch; häufig legt sie sogar einige Röhren
an, um sie schon nach kurzer Zeit unvollendet zu verlassen.
Zeitschrift £. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 16
242 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [18]
Fig. 6.
Derartige unvollendete
Nester umfliegt die
Wespe niemals, während
sie die fertigen, zur Auf-
nahme des Eies und der
Beutetiere bestimmten
Nester mehrfach in Spiral-
touren umsehwärmt. Die
ersten Male (Fig. 6) sind
diese Spiraltouren ziem-
lich eng, späterhin (Fig. 7)
erweitern sie sich all-
mählich.
In anderer Weise als
Sphex ichmeumonea er-
wirbt sich Astata bicolor
ihre Lokalkenntnis. Sie
fliegt von dem Neste zu-
nächst nach einem nahe
gelegenen Punkte, setzt
sich dort einen Augen-
blick nieder und kehrt
dann entweder zum Neste
zurück oder fliegt zu
einem neuen Ruhepunkte.
So fährt sie eine Zeit
lang fort, um endlich mit
einem raschen Ziekzack-
flug ihre Studien zu be-
enden. (Fig. 8) Aehnlich
verfährt die verwandte
Astataunicolor:doch läuft
sie auf der Erde von einem
Rubeplatz zum andern,
ohne dabei das Nest
wieder zu berühren, erst
zum Schluss bedient auch
sie sich ihrer Schwingen.
Dass das Resultat solcher
[19] Ueber Tier- und Menschenseele. 243
Studien in der That in einem gewissen Ortsgedächtnis besteht,
scheint uns aus den folgenden Beobachtungen hervorzugehen.
Ein Nest von Astata unicolor wurde von den Beobachtern
ausgegraben; die Wespe
legte sogleich in einer Ent-
fernung von etwa 10 em
ein neues an. Nachdem
dieses fertig gestellt war,
flog das Tier für eine
Viertelstunde fort. Nach
der Rückkehr fand die
Wespe nicht sogleich das
richtige Nest wieder. Zu-
nächst begab sie sich zum wa
alten und begann einige Fig. 8.
Bauarbeiten daran vorzu-
nehmen; erst nach einiger Zeit fand sie den richtigen Platz
wieder auf.
In Ziekzackflügen, die nur die eine Seite des Nestes
halbkreisförmig umschliessen, gewinnt Cerceris deserta ihre
Lokalkenntnis. Erst zum Schluss fliegt sie einige Male
rings um das Nest herum (Fig. 9).
Nest?
Fig. 9.
16*
244 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [20]
Würden die Wespen wirklich von einem besonderen
Riehtungssinn geleitet, so müsste dieser bis zu einem ge-
wissen Grade unfehlbar sein. Wie wenig dies der Fall ist,
beweist die Gattung Pompilus. Sie ist dadurch ausge-
zeichnet, dass sie ihre Beutetiere bereits einfängt, bevor
sie zum Nestbau schreitet. Der Platz, auf dem die Beute
deponiert wurde, ist von dem Neste bei P. quinquenotatus
1—10 Fuss, bei P. fuscipennis höchstens 14 Zoll entfernt.
Solange diese Wespen mit dem Graben beschäftigt sind,
besuchen sie oftmals ihre Beute. Dabei haben sie oft die
grösste Mühe, diese aufzufinden. Namentlich zeigte sich
dies bei der Beobachtung eines P. fuscipennis, der soeben
sein Nest beendet hatte und nun seine Beute aufsuchen
wollte. Obwohl diese nur 3 Zoll vom Neste entfernt und
leicht siehtbar war, machte die Wespe einen grossen Um-
weg, ehe sie ihr Ziel erreichte; und als sie hierauf zu ihrem
Neste zurückkehren wollte, verfehlte sie zunächst auch
dieses. Aehnliches konnten die PECKHAM’s noch an 10 In-
dividuen derselben Spezies konstatieren. In einem Falle
suchte die Wespe 15 Minuten lang in wilder Hast nach
ihrer Beute; dabei entfernte sie sich immer mehr und mehr
von ihr, und sie hätte sie wohl überhaupt nicht gefunden,
wenn ihr nicht der Beobachter mitleidig zu Hilfe gekommen
wäre. Solehe Unsicherheit, wie sie Pompelus beim Auf-
finden der Beute und des Nestes zeigt, beweist aufs
deutlichste, dass ein unfehlbarer „Richtungssinn“ diesen
Geschöpfen nicht zukommt.
Eine ähnliche Unsicherheit beim Wiederauffinden des
Nestes zeigt das Genus Tachytes, das seine Nester mit jungen
Grashüpfern verproviantiert. Fig. 10 zeigt den Umweg, auf
dem eine dieser Wespen zu ihrem Neste zurückgelangte.
Dass solitär lebende Wespen sicherlich eine Kenntnis,
eine Anschauung von ihrem Nestplatze besitzen, beweist das
Benehmen von Aporus fasciatus. Diese Spezies erkannte
ihr Nest nicht wieder, wenn das darüber gedeckte Blatt
entfernt wurde, während sie es nach Wiederauflegen des
Blattes sogleich wieder auffand. Inähnlicher Weise zeigten alle
Angehörigen der Gattung Cerceris eine grosse Unruhe, wenn
irgend ein neues Objekt in die Umgebung ihres Nestes ge-
[21] Ueber Tier- und Menschenseele. 245
lest wurde. Ammophila verliess sofort ihr Nest, nachdem
einige tiefe Furchen in dem davorliegenden Staube einge-
schrieben waren. Auch zeigte sie sich in hohem Masse be-
unruhigt, wenn auf dem Platze, wo sie ihre Beute nieder-
gelegt hatte, irgend eine Veränderung vorgenommen wurde.
Selbst eine Aenderung in der Stellung der benachbarten
Gräser und Blumen entging den Wespen nieht. Manche
Arten, die erst jagen und dann graben, haben die Ge-
wohnheit, ihre Beutetiere einstweilen auf einer Pflanze zu
deponieren. Häufig kommt es dabei vor, dass diese Pflanzen
Fig. 10.
vom Winde erschüttert werden, sodass die erlegte Spinne
oder Raupe auf die Erde herabfällt. Durch solehe Vor-
kommnisse werden die Wespen nicht auf’s leiseste be-
unruhigt; vielmehr fliegen sie, offenbar geleitet durch ihren
Gesichtssinn, sofort der Stelle zu, auf der ihr Opfer liest.
Wahrscheinlich sind solche Vorkommnisse den Wespen durch-
aus nicht ungewohnt: denn wenn sie ihre Beutetiere auf den
Pflanzen angreifen, werden diese oft genug zu Boden fallen,
so dass die Angreifer gezwungen sind, ebenfalls auf den Erd-
boden zu fliegen. Dieser Gewohnheit folgen die Wespen wahr-
scheinlieh auch dann, wenn der Wind das schon erlegte
Beutetier auf die Erde wirft; zu einer Beunruhigung liegt
also bei solchen Fällen keinerlei Grund vor, vorausgesetzt
246 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [22]
dass in der Umgebung keine Veränderung vorgenommen
wurde.
Mit vollem Rechte schliessen die PECKHAM’s aus diesen
ihren Beobachtungen, dass die solitären Wespen die Fähigkeit
zum Erwerb einer Ortskenntnis besitzen, und dass ihnen ein
Ortsgedächtnis zugesprochen werden muss. Es stimmen
also ihre Resultate sehr gut mit denen überein, die
v. BUTTEL-REEPEN aus dem Studium der sozialen Bienen
abgeleitet hat.
In gleicher Weise hat BETHE auch mit seiner Hypothese
über die Psyche der Ameisen Schiffbruch gelitten. Hier
ist es vor allem WasmAnn, jener gründlichste Kenner des
Ameisenlebens, der ihm entgegentritt. WASMANN hebt zu-
nächst !) hervor, dass BETHE den Begriff der Reflex-
erscheinungen nicht enge genug gefasst hat. In der That
ist es unrichtig, von Reflexerscheinungen überall dort zu
sprechen, wo Handlungen auf Grund erblicher Gewohnheiten
ausgeführt werden, von Intelligenz dagegen dort, wo auf
Grund individueller Erfahrung in den erblichen Thätigkeiten
eine Modifikation eintritt. Bei dieser Definition des Reflexes
kann man die Seelensäusserungen der Tiere nur noch unter
die Rubriken „Reflex“ und „Intelligenz“ verteilen, die grosse
Rubrik des Instinktes ist einfach gestrichen. Ein solches
Vorgehen ist aber durchaus ungerechtfertigt: denn die ein-
fache sinnliche Empfindung und Wahrnehmung, die doch
die Triebfeder der Instinkthandlungen bilden, und die das
Tier befähigen, zu jeder Zeit das Nützliche aufzusuchen und
die Gefahr zu fliehen, werden alsdann vollständig ignoriert.
Allein diese mehr formalen Ausstellungen sind nicht die
einzigen, die sich bei der Lektüre der bekannten BETHE’sehen
Arbeit aufdrängen; vielmehr stehen seine Behauptungen auch
inhaltlich mehrfach in grellem Gegensatze zu den Beobach-
tungsergebnissen anderer Forscher. So glaubt BEeTHE den
Ameisen ein Mitteilungsvermögen gänzlich absprechen zu
ı) E. Wasmann, Instinkt und Intelligenz im Tierreich. 2. Aufl.
Freiburg i. B. 1899. pag. 102. Vergleiche auch: E. Wasmann, Eine
neue Reflextheorie des Ameisenlebens. Biol. Centralbl. Bd. XVII, 1896.
pag. 577.
[23] Ueber Tier- und Menschenseele. 247
müssen. Hören wir dagegen WAsmAnn!. Wenn eine Ab-
teilung blutroter Raubameisen (Formica sanguinea) auf ein
Nest der Formica rufa losmarschiert, so eilt die erste rufa,
die den nahenden Feind bemerkt, ins Nest zurück, um hier
den ihr begegnenden Kameradinnen durch erregte Fühler-
schläge ihre eigene Erregung mitzuteilen. Sofort treffen
dann die rufa eilige Vorkehrungen zur Flucht und zur
Rettung der Brut. Aehnlich verhalten sich auch Lasius
flavus und niger. Einen weiteren Beweis für die Existenz
eines Mitteilungsvermögens bietet folgende Beobachtung.
Eine rufa, die sich lange vergeblich abgemüht hatte, eine
Lomechusa fortzutragen, eilte ins Nest und kehrte mit vier
anderen rufa zurück. Mit vereinten Kräften gelang dann
der Transport des geschätzten Gastes. Endlich ist es eine
bereits von FoREL festgestellte Thatsache, dass von Formica
sanguinea einzelne umherstreifende Individuen die Sklaven-
nester aufspüren und die Resultate dieses Kundschafter-
dienstes zu Hause melden, so dass zu geeigneter Zeit ein
Raubzug ausgeführt werden kann. Solehe Beobachtungs-
thatsachen, deren Zahl sich beliebig mehren liesse, beweisen
auf’s klarste, dass den Ameisen ein Mitteilungsvermögen zu-
gestanden werden muss.
Sodann führt Wasmann eine Reihe von Beobachtungen
an, aus denen mit Sicherheit hervorgeht, dass den Ameisen
eine weitgehende Plastizität des Instinktes zuzuschreiben
ist, dass sie also nicht wohl als „Reflexmaschinen“ bezeichnet
werden dürfen. So schwankt z. B. die Anzahl der Sklaven,
die ein sangwinea-Nest birgt, zwischen weiten Grenzen. Im
allgemeinen gilt zwar das Gesetz: „Je stärker die Herren-
kolonie, desto weniger Sklaven“, und die Herren sind in
!) Die nachfolgenden Einwände gegen Bethe und die vulgäre
Tierpsychologie sind dem Buche: „E.Wasmann, Vergleichende Studien
über das Seelenleben der Ameisen und der höheren Tiere. Zweite
vermehrte Aufl. Freiburg i. B. 1900%, das uns zur Recension vorliegt,
entlehnt. Obwohl wir hin und wieder mit dem Verfasser nicht ganz
übereinstimmen können, müssen wir doch sein treffliches Buch aufs
wärmste empfehlen allen denen, die in der Tierpsychologie an Stelle
der vielfach üblichen Phantastereien wissenschaftliche Thatsachen und
wissenschaftliche Hypothesen hören wollen,
248 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [24]
den meisten Nestern 3—6 Mal zahlreicher als die Sklaven;
allein es kommen auch Fälle vor, in denen die Zahl der
Hilfsameisen die der Herren bei weitem übertrifft. Ein
ferneres Beispiel für die Fähigkeit der Ameisen, ihr Handeln
zu modifizieren, lieferte eine Beobachtungskolonie, die durch
grosse Sterblichkeit stark dezimiert war. Sie erzog sich
aus im September nachgelesten Eiern noch spät im Herbste
zwei neue Königinnen: offenbar sollten diese Spätlinge durch
fleissiges Eierlegen die Zahl der Nestbewohner wieder er-
höhen. Auch die Thatsache, dass zwei benachbarte Nester,
die sich zunächst aufs heftigste befehdeten, allmählich zu
friedliehen Bundeskolonien werden, verbreitet über die
BETHE’sche Hypothese ein äusserst unvorteilhaftes Licht.
Am wunderbarsten aber offenbart sich die Plastizität des
Ameiseninstinktes bei den Nestbauten. Bei einer und der-
selben Art zeigen diese oft die denkbar grössten Verschieden-
heiten. So legt Formica sanguinea, die vorzugsweise unter-
irdische Erdnester baut, auch in morschen Kiefernstrünken
oder Eichenstubben unter der Rinde oder im morschen Holze,
ja sogar in Holzspalten lebender Bäume Wohnungen an.
Dieselbe Variabilität, die bezüglich des Ortes der Nester
herrscht, gilt auch für deren Anzahl. Unter 400 sangwinea-
Kolonien fand WAsMANN nur wenige, die nur ein einziges
Nest hatten. Meist waren dies schwache Völker, in einigen
Fällen dagegen auch sehr starke. Die meisten Kolonien
hatten mehrere Nester, und zwar schwankte deren Zahl von
2—8. Bei der Benutzung ihrer verschiedenen Nester ver-
fahren die Ameisen oft ungemein zweckmässig: eine im
Gebüsch unter Baumwurzeln tief und vor Kälte und Sonnen-
glut geschützt angelegte Wohnstätte dient ihnen als Quartier
im Winter und Hochsommer, während das Frühlingsnest
meist frei am Rande eines Gebüsches gelegen ist. Wie die
Temperatur, so zwingen auch die Feuchtigkeitsverhältnisse
zu Modifikationen im Nestbau. Lasius niger, Tetramorium
caespitum und Myrmica scabrinodis legten in Beobachtungs-
gläsern, sobald die Feuchtigkeit im Neste zu hoch stieg,
einen von zahllosen Oeffnungen durehbohrten Kuppelbau an,
so dass bei der so vergrösserten Oberfläche der Ueberfluss
von Wasser schneller der Verdunstung anheimfiel, Ferner
[25] Ueber Tier- und Menschenseele. 249
ist es WASMANN gelungen, eine Formica rufibarbis gleichsam
zu zähmen. Das Tier lernte allmählich Honig von der
Fingerspitze abzuholen, d. h. von einem Orte, dessen Geruch
sonst die Kampfeswut der Ameise wachgerufen hätte. Einer
gänzlichen Aenderung ihres Charakters fallen diejenigen
Individuen von Formica fusca anheim, die in den Nestern
der kriegstüchtigen sanguinea als Hülfsameisen thätig sind.
Während diese Tiere sonst ziemlich feige sind, werden sie
in der Gesellschaft der mutigen sangwinea zu wackeren
Verteidigern des Nestes. Endlich kommt auch dem Brut-
pflege-Instinkt der Ameisen eine hohe Plastizität zu. So
wurde in königinnenlosen Beobachtungsnestern von Polyergus
rufescens, Formica sangwinea und F. rufibarbis von den
Arbeiterinnen, resp. bei Polyergus von den Sklaven, irgend
eine besonders stattliche Arbeiterin reichlich gefüttert und
so zu einer Ersatzkönigin umgewandelt, die parthenogenetisch
Eier ablegen konnte. Einer eigenartigen, wohl pathologischen
Abänderung des Instinktes verfallen sanguwinea-Kolonien, die
seit längerer Zeit die Lomechusa-Zucht eifrig betrieben
haben.. Diese Abänderung äussert sich einerseits in der
Erziehung zahlreicher krüppelhafter Arbeiterinnen, sogen.
Pseudogynen, andererseits in der Behandlung der Lomechusa-
Larven. Während diese in normalen Kolonien bald nach
der Verpuppung wieder aus der Erde hervorgezogen werden
und dabei fast sämtlich zu Grunde gehen, werden sie in
den veränderten Kolonien nach der Verpuppung in Ruhe
gelassen, so dass derartige Nester zu wahren Lomechusa-
Herden werden. Andererseits kann das Verhalten der Ameisen
gegen ihre Gäste auch zum Nachteil der letzteren sich
ändern. So wurde eine Anzahl von Individuen eines sanguinea-
Nestes, die Dinarda Merkel zu töten gelernt hatten, auch
zu eifrigen Verfolgern der sonst geduldeten Dinarda dentata.
Feindlich wurde auch das Verhalten, wenn zu viele Dinarda
ihnen ins Nest gesetzt wurden. In ähnlicher Weise ging
auch Formica sangwinea feindlieh gegen die sonst so gern
gesehene Lomechusa strumosa vor, als einmal 30 Stück
dieses Käfers in ein Beobachtungsnest gesetzt wurden. 19
davon wurden vertrieben, die übrigen 11 dagegen mit der
üblichen Sorgfalt gepflegt, Diese wenigen Beispiele mögen
2350 Dr. WALTHER SCHORNICHEN, [26]
genügen für den Nachweis, dass sich in dem Leben der
Ameisen sicherlich mehr als ein Reflexautomatismus offenbart.
Dass aber trotz dieser vielfachen Modifikationen im
Handeln der Ameisen von menschlicher Intelligenz wohl
nicht die Rede sein kann, sei durch einige wenige Beispiele
angedeutet. So hat die Amazone (Polyergus), die unter den
Ameisen das glänzendste Kriegertalent besitzt, den Instinkt
zur selbständigen Nahrurgsaufnahme vollkommen eingebüsst,
und muss, obwohl sie die Fähigkeit besitzt, durch Lecken
Nahrung aufzunehmen, elend verhungern, wenn sie nicht
von ihren Sklaven gefüttert wird.) Ein deutlicherer Beweis
für das Fehlen der Intelligenz kann in der That wohl kaum
erbracht werden. Sodann beobachtete WAsmAnn mehrfach,
dass eine Ameise die Erdklümpehen, die von einer Kameradin
soeben zu einer Mauer aufgeschichtet waren, wieder loslöste,
um sie anderwärts als Baumaterial zu verwerten. Endlich
siebt er eine ungezwungene Erklärung für die viel be-
sprochenen Beispiele vom Brückenbau. Das bekannteste
hiervon ist das von LEUCKART erzählte. LEUCKART hatte,
um von einem Baume die Ameisen fernzuhalten, dessen
Stamm mit einem Ringe von Tabaksjauche bestrichen, ohne
jedoch den gewünsehten Erfolg zu erzielen; denn die Tiere,
die nach der Baumkrone strebten, trugen Erdpartikelehen
herzu und bauten über die Jauche einen gangbaren Weg.
Da indes die Ameisen stets übelriechende oder klebrige
Gegenstände, die sich nieht forttragen lassen, mit Erde be-
deeken, so wird auch dieser „Brückenbau“, weit entfernt
als Beweis für die Ameisenintelligenz dienen zu können, auf
das Niveau einer Instinkthandlung herabgedrückt. Wie in
diesem Beispiele so ist es auch bei allen übrigen scheinbar
eine menschliche Intelligenz der Ameisen beweisenden; sie
alle lassen sich sehr wohl erklären durch die Annahme
eines Instinktes; die Annahme einer menschenähnlichen In-
telligenz wird damit für die Ameisen überflüssig.?)
1) Vergleiche C. Smalian, Altes und Neues aus dem Leben der
Ameisen. Diese Zeitschrift Bd. 67, pg. 42.
2) Neuerdings hat. Bethe (Noch einmal über die psychischen
Fähigkeiten der Ameisen; Archiv f. d. ges. Physiol. 1900) in dieser
Controverse nochmals das Wort ergriffen. Zwar vermag er seine
[27] Ueber Tier- und Menschenseele. 251
Mit dem Nachweise, dass die Ameisen der Intelligenz
entbehren, begnügt sich jedoch Wasmann nicht. Vielmehr
versucht er durch Vergleich einiger Lebensthätigkeiten der
Ameisen mit den entsprechenden höherer Wirbeltiere den
Satz zu erhärten, dass, falls eine Ameisenintelligenz nicht
existiere, überhaupt von einer Tierintelligenz nieht die Rede
sein könne. Und dieser Satz, der zwischen Tier- und
Menschenseele eine unüberbrückbare Kluft aufreisst, wird
für WaAsmAnn die Operationsbasis zu einem Angriffe auf
die Descendenztheorie und ihre Voraussetzungen. Dass es
einen Kampf ums Dasein giebt, wird allerdings zugestanden:
Ja, Wasmann erbringt selbst ein treffliches Beispiel dafür,
dass gerade unter den Angehörigen einer und derselben
Hypothese nicht mehr durch neue Versuche zu stützen, glaubt aber
immer noch nicht an psychische Qualitäten der Ameisen. So denkt er
sich das Mitteilungsvermögen der Ameisen ganz ähnlich wie die Ueber-
tragung einer Infektionskrankheit. Dass solche Vergleiche jeglicher
Beweiskraft entbehren, braucht kaum hervorgehoben zu werden. Im
übrigen schliesst sich Bethe an Beer und v. Uexküll an, die alle
Begriffe_wie „Verstand, Gedächtnis, Instinkt u. s. w.“ als veraltetes
Gerümpel über Bord werfen wollen. (Vergl. z.B. S.v. Uexküll, Ueber
die Stellung der vergleichenden Physiologie zur Hypothese der Tier- .
seele. Biol. Centralbl. Bd. 20.) Diese Forscher wollen die Tierpsycho-
logie umwandeln in eine Nervenphysiologie, die sich damit begnügt,
die zentripetalen und zentrifugalen Erscheinungen im Nervensystem zu
erforschen. Das eigentlich Psychologische, das ja nur durch innere
Selbstbeobachtung festgestellt werden kann, werde, soweit es die
Tierseele betrifft, uns immer unbekannt bleiben, da wir uns nie in die
Seele des Tieres versetzen und auf psychische Qualitäten der Tiere
nur durch Analogieschlüsse schliessen können. Am besten sei es daher,
von psychischen Qualitäten der Tiere überhaupt nicht zu sprechen.
Sehen wir hier ganz davon ab, dass treffende Analogieschlüsse vielfach
für die Wissenschaft von der grössten Bedeutung sind, so sei daran
erinnert, dass wir uns auch nicht in die Seele unserer Mitmenschen
versetzen können, und dass wir deren psychische Qualitäten ebenfalls
nur auf Grund von Analogieschlüssen annehmen. Demnach kann
Uexküll nur sich selbst Verstand, Gedächtnis u. s. w. zuschreiben,
allen übrigen Menschen aber muss er diese psychischen Qualitäten
absprechen. Dagegen möchte ich für meine Person protestieren; und
ich halte es demzufolge noch für ganz berechtigt, dem Gebrauche von
Ausdrücken, wie Instinkt, Erinnerung u. a., die Uexküll gern in einem
Altertumsmuseum unterbringen möchte, noch immer nach Herzenslust
zu fröhnen.
252 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [28] -
Spezies der Kampf um die Existenz am heftigsten tobt,
indem er auf die „Bruderkriege“ der Ameisen, die unter
den Völkerschaften einer und derselben Ameisenart aus-
gefochten werden, zu sprechen kommt. Dagegen glaubt
WAsMANN nicht an den Effekt dieses Kampfes ums Dasein,
an die natürliche Zuchtwahl. In der That bietet die
Ameisenbiologie einen Fall, der den Bedingungen, die DARWIN
selbst an seine Selektionstheorie knüpfte, zu widerstreiten
scheint. Es betrifft dies die Zuneigung, die von den Ameisen
den Lomechusa-Larven entgegengebracht wird. Da diese
Pfleglinge durch Verzehren der Ameisen-Eier und -Larven
den Stock ihrer Adoptiveltern in hohem Masse schädigen,
so könnte man glauben, hier folgten die Ameisen einem
Instinkte, der ihnen selbst zum Nachteile gereicht. So ver-
einzelt ein derartiges Vorkommnis auch wäre, für das
Selektionsprinzip wäre es von geradezu verhängnisvoller
Bedeutung: sagt doch Darwın selbst, er werde seine Theorie
als unzulänglich betrachten, sobald der Nachweis erbracht
sei, dass irgend ein Geschöpf einen ihm selbst schädlichen
Körperteil oder Instinkt besitze.
Sehen wir hier ganz davon ab, dass sozial lebende
Tiere von der natürlichen Zuchtwahl in ganz anderer Weise
beeinflusst werden als solitär lebende, so kann man in der
Lomechusa-Frage wohl auch einen anderen Standpunkt ein-
nehmen. ESCHERICH!) hebt mit vollem Rechte hervor, dass
die echten Gäste der Ameisen meist mit excessiven Aus-
bildungen der verschiedenen Hautdrüsen, mit eigenartigen
Triehomen, mit seltsamer Fühlergestaltung, kurz mit einer
ganzen Reihe von Charakteren versehen sind, die offenbar
eine auf Täuschung der Pflegeeltern abzielende Maske bilden.
Es sind also die Ameisen, von denen Paussus oder Lomechusa
mit aller Freundlichkeit behandelt werden, gleichsam die
Opfer arglistiger Hintergehungen. Es ist daher unrichtig
zu sagen, die Ameisen hätten zur Pflege der Lomechusa-
Larven einen instinktiven Trieb; vielmehr muss es heissen:
die Lomechusa-Larven, die ja, wie WASMANN schreibt, den
1) C. Escherich, Zur Naturgeschichte von Paussus F'avieri.
Verhandl. der k. k. zoolog.-botan. Gesellsch. in Wien, Jg. 1899. Heft 5.
[29] Ueber Tier- und Menschenseele. 253
Ameisen einen ähnlichen, ja noch angenehmeren Eindruck
machen wie Ameisenlarven, nutzen den ihren Adoptiveltern
innewohnenden, unter normalen Umständen äusserst nützlichen
Brutpflege-Instinkt zu ihrem Vorteile aus. Wie die Tröpfehen
auf den Drüsenhaaren des Sonnentaublattes an den Honig-
suche-Instinkt vieler Insekten appellieren und diese meuchlings
ins Verderben locken, so täuschen die Lomechusa-Larven
die Ameisen, indem sie deren stark entwickeltem Brutpflege-
instinkt Anregung geben. Die Behauptung, die Pflege der
Lomechusa von Seiten der Ameisen erschüttere das Selektions-
prinzip, ist demnach wohl nicht gerechtfertigt.
Weiter lest WaAsmAann grossen Wert besonders auf den
Vergleich der Seelenäusserungen der Affen mit denen der
Ameisen. Ein derartiger Vergleich zwischen ganz verschieden
organisierten Geschöpfen von gänzlich verschiedener Lebens-
weise hat schon von vornherein etwas Missliches an sich.
Ausserdem aber muss hervorgehoben werden, dass WASMANN
für seine Behauptung: „Es giebt keine Ameisenintelligenz
und folglich auch keine Affenintelligenz“ keineswegs einen
senügenden Beweis erbracht hat. Wenn man auch unbedingt
zugeben muss, dass die vier Punkte, in denen WAsSMANN
seine Vergleiche der Ameisen und höheren Säugetiere anstellt,
nämlich das Geselischaftsleben, die Kriege, die Baukunst
und die Brutpflege bei den Ameisen vielleieht am höchsten
im ganzen Tierreiche entwickelt sind, so folgt daraus noch
nicht, dass die höheren Säuger auch in ihren übrigen Seelen-
äusserungen hinter jenen Hymenopteren zurückstehen. Sind
doch die genannten vier Lebensthätigkeiten sämtlich solehe,
die der Natur der Sache nach hei sozial lebenden Ge-
schöpfen hoch, bei solitär lebenden in viel geringerem
Masse entwickelt sind, ohne dass darum den letzteren über-
haupt geringere psychische Qualitäten zugeschrieben werden
dürften. Was soll wohl ein Orang-Utan mit der Baukunst
einer Ameise? Ist es doch eine bekannte Thatsache, dass‘
auch unter den nestbaukundigen Vögeln die stärkeren Spezies
sich fast stets durch eine lüderliche Baumanier auszeichnen.
Sie können sich solehe geringe Aceuratesse eben leisten:
denn ihr starker Schnabel und die mächtigen Krallen werden
. jeden nahenden Feind abfertigen. Wie kann man da erst
254 Dr. WALTHER SCHORNICHEN, [30]
bei dem riesenhaften Waldmenschen nach einer hochent-
wickelten Baukunst suchen? Wie kann WasMmAnN ferner
von den Affen verlangen, dass sie ebenso hohe Brutpflege-
instinkte zeigen wie die Ameisen? Findet doch die Ent-
wicklung der Säuger zum grössten Teile im Innern des
Muttertieres statt. Es zeigt sich bei diesen Beispielen so
recht drastisch, wie vorsichtig man zu Werke gehen muss,
wenn man aus einem Vergleiche zwischen Tieren von ganz
heterogener Lebensweise allgemeinere Schlüsse ziehen will.
Die höher entwickelten Organismen kommen hier oft genug
viel zu schlecht davon, indem gerade ihre höheren psychischen
Qualitäten leieht unberücksichtigt bleiben. So sei z. B. hier
auf eine von Romanks!) zitierte Beobachtung hingewiesen,
für deren Einfügung bei Wasmann keine Gelegenheit sich
bietet. . Ein gefangener Affe wurde von Krähen an jedem
Morgen seines Futters beraubt. Eines Tages legte sich das
Tier wie tot neben seinem Futterplatze nieder. Die Krähen
kamen nach ihrer Gewohnheit herzu und liessen sich durch
den bewegungslosen Affenkörper nieht weiter stören. Plötz-
lich jedoch griff der Affe nach einem der kecken Mund-
räuber, erfasste ihn und bestrafte ihn für seinen Diebstahl.
Hier scheint doch der Affe nach einem überlegten Plane
gehandelt zu haben, und es kann ihm eine gewisse Stufe
menschlicher Intelligenz nicht wohl abgesprochen werden.
Wie man im übrigen sich das Vorkommen von Intelligenz
bei Menschen und Tieren denkt, hängt ganz davon ab, wie
man den Begriff „Intelligenz“ definiert. Wer zwischen
Menschen- und Tierseele ein breites Intervall einrücken
möchte, der versteht unter Intelligenz ganz einfach nur die-
jenigen Seelenäusserungen, die für den Menschen spezifisch
sind: dann freilich kann von Tierintelligenz keine Rede
sein. Andererseits kann man auch eine Anzahl von niederen
und höheren Stufen der Intelligenz unterscheiden und etwa
Ortsgedächtnis, Erinnerung und ähnliches bereits als in-
telligenzähnliche Seelenäusserungen betrachten: alsdann wird
man auch von Tierintelligenz reden dürfen. Welcher Richtung
ı) Romanes, Die geistige Entwicklung im Tierreiche. Das Buch
ist auch für das folgende mehrfach benutzt.
[31] Ueber Tier- und Menschenseele. 255
man sich ansehliesst, das ist im Grunde Geschmackssache.
Wer wie WAsMAnN seine theistische Weltanschauung in
die Naturwissenschaft überträgt, wird sieh für die erstere
entscheiden. Demzufolge sprieht Wasmann!) ganz folge-
richtig von Intelligenz nur da, wo ein formelles Abstraktions-
vermögen zu Tage tritt. Anhängern der Deseendenztheorie
hingegen wird zumeist die letztere Anschauung sympathischer
Sein.
Indessen auch wenn man sich auf Wasmanw’s Stand-
punkt stellt, selbst dann ist nicht zu befürchten, dass von
Seiten der vergleichenden Psychologie aus eine Bresche in
die stolze Festung der Descendenztheorie, wie sie die ver-
gleichende Anatomie, Embryologie und Palaeontologie er-
richtet haben, gelegt werde. In diesem Sinne möge die
folgende Darlegung über die Seelenäusserungen von Menschen
und Tieren sprechen.
Vorausgeschiekt sei, dass auch zahlreichen Philosophen
zunächst gewisse Berührungspunkte zwischen Menschen- und
Tierseele aufgefallen sind. So schreibt ArısTOTELES Menschen
wie Tieren die gleichen psychischen Grundfähigkeiten zu,
wobei er die evidente Ueberlegenheit der Menschenseele
durch das Vorhandensein des voüg zu erklären versucht.
Seine Gedanken haben im Altertume besonders PoRPHYRIUS,
LAcTAnTıUs, ARNOoBIUS und PHILo, in der Neuzeit unter
vielen anderen PAsQuIER, RORARIUS, MONTAIGNE, ÜHARRON
und vor allen LEısnıtz aufgenommen. Ja, bei LEIBNITZ ist
die Idee von einer fortschreitenden, in der Menschenseele
kulminierenden Entwicklung der Geisteskräfte mit voller
Klarheit ausgesprochen.?)
Wenn es der Descendenzgedanke ist, der den Behaupt-
ungen jener letztgenannten Psychologen mehr oder weniger
deutlich als Voraussetzung vorgeschwebt hat, so ist es klar,
dass in unserem Jahrhundert, in dem die Transmutations-
theorie durch den Darwinismus ihre Begründung erhielt, die
vergleichende Psychologie einen bedeutenden Aufschwung
)E.Wasmann, Instinkt u. Intelligenz im Tierreich. 2. Aufl. 1899.
2) Vignoli, Ueber das Fundamentalgesetz der Intelligenz im
Tierreiche.
256 Dr. WALTHER SCHORNICHEN, [32]
nehmen musste. Und in der That haben schon allein die
vergleichend neurologischen Studien der letzten Jahrzehnte
insofern ein beachtenswertes Ergebnis gezeitigt, als sie ein
kontinuierliches Anwachsen der zentralen Nervenorgane unter
den Metazoen nachgewiesen haben. Hieraus folgt, wenn
man den offenbaren Zusammenhang zwischen Seele und
Nervensubstanz nicht wegleugnen will, dass eine analoge
Zunahme auch für die Seelenäusserungen statt hat, ein Satz,
der innerhalb der einzelnen Tierklassen durch die Be-
obachtungen der tierischen Gewohnheiten vollkommen be-
stätigt wird. Ganz gleichgültig ist es dabei, ob man die
Ganglienzellen für die Gedankenfabrik hält, oder ob man
in ihnen nur einen nutritiven Apparat für die Pri-
mitivfibrillen, die die eigentlichen nervösen Organe re-
präsentieren, sieht.!)
Und noch eine zweite naturwissenschaftliche Thatsache
scheint für die vergleichende Psychologie von einiger Be-
deutung zu sein; das ist der Nachweis, dass selbst die
niedrigsten Tierformen, mit Einschluss der einzelligen Pro-
tozoen, ganz die gleichen vitalen Grundfunktionen: Be-
wegung, Empfindung und Beantwortung von Reizen, Er-
nährung sowie Fortpflanzung vollziehen wie das höchste
Wirbeltier, der Mensch, dass also im Prinzip zwischen dem
Menschen und der niedrigsten Amoebe nicht ein qualitativer
sondern nur ein quantitativer Unterschied besteht. Wenn
man daher das Seelenleben auch als eine der animalen
Lebensfunktionen ansieht, so ist die Behauptung, dass auch
zwischen Tier- und Menschenseele nur ein gradueller Unter-
schied vorhanden ist, a priori wohl nicht ganz unwahr-
scheinlich.
Dieser Satz, der von zahlreichen Anhängern der De-
scendenztheorie gut geheissen wird, ist mehrfach z. B. von
STRÜMPELL?) missverstanden worden. Keineswegs soll damit
gesagt sein, dass in der Amoebe etwa der Verstand des
1) Bethe, A., Die anatomischen Elemente des Nervensystems und
ihre physiologische Bedeutung. Biol. Centralbl. Bd. 18.
2) Strümpell, Die Geisteskräfte des Menschen verglichen mit
denen der Tiere. Leipzig 1878.
[33] Ueber Tier- und Menschenseele. 257
Menschen als eine schlummernde Kraft bereits fertig aus-
gebildet sei, sich aber nach aussen nur nicht bethätigen könne.
Vielmehr soll unsere Behauptung von dem nur graduellen
Unterschiede zwischen den Seelen der verschiedenen Tiere
nur sagen, dass in der Psyche der niedrigsten Tiere bereits
die Prinzipien zu allen den mannigfaltigen Seelenäusserungen
der höheren Tiere embryonenhaft vorhanden sind.
Jenes Grundprinzip des Geistes liegt in dem Unter-
scheidungsvermögen zwischen verschiedenen Reizen
und in der Fähigkeit, Bewegungen hervorzubringen, die
jenem Unterscheidungsvermögen angepasstsind. Dass
diese Fähigkeit schon bei den niedrigsten Amoeben zu finden
ist, zeist das Beispiel der Vampyrella spirogyra, die unter
den Hunderten von Algenspezies unserer süssen Gewässer
nur die ihr zusagende Spirogyra auswählt. Ja, selbst den
Pflanzen kann man dieses psychische Grundprinzip nieht
absprechen, wie vor allem einige der Insekten fressenden
Pflanzen besonders deutlich zeigen. Ein Bewusstsein ist mit
diesen niedersten seelischen Regungen freilich niebt ver-
bunden, sie verharren auf der Stufe der Reflexe. Die
Wissenschaft klassifiziert sie als Chemo-, Photo-, Geo- ete.
-Tropismus.
Dass unter den Evolutionsprodukten dieses psycho-
logischen Grundprinzipes die Empfindung, d.h. ein durch
einen Reiz hervorgerufenes Gefühl, dem Gros der höheren
Tiere zukommt, bedarf keiner weiteren Ausführung; und
das gleiche gilt auch von der Wahrnehmung, natürlich mit
der Einschränkung, dass die letztere nur bei Geschöpfen
mit entwickelteren Sinnesorganen- möglich ist. Betont sei
hierbei, dass die Wahrnehmungen zahlreicher Wirbeltiere
offenbar viel feiner sind als die des Menschen. Man denke
nur an das Auge der Raubvögel, an das Gehör der Katze ete.
Versteht man unter „Wahrnehmung“ nicht nur diejenigen
psychologischen Akte, bei denen ein äusserer Gegenstand
als soleher wahrzunehmen ist, sondern auch noch diejenigen
Fälle, wo die einfachsten Eigenschaften eines Gegenstandes
als denen eines früher wahrgenommenen ähnlich oder un-
ähnlich erkannt werden, so ist die notwendige Voraussetzung
dieser Art von Wahrnehmung die Existenz eines Gedächtnis-
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. af
258 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [34]
vermögens. Auch diese Fähigkeit, mit der das Vermögen,
Vorstellungen zu assoziieren aufs engste zusammenhängt, ist
im Tierreiche wohl entwickelt. Unser Referat über die
neueren Studien an Ameisen, Bienen und Wespen enthält
hierfür ein umfangreiches Belegmaterial. Bei Vögeln zeigt
sich schon ein ziemlich bedeutendes Gedächtnisvermögen,
wie die Thatsachen bezüglich der Reproduktion von Tönen,
ja selbst Worten und Sätzen hinlänglich beweisen. Unter
den Säugetieren finden wir eine besonders hohe Entwicklung
der Erinnerung beim Pferde, beim Hunde, beim Elefanten
und beim Affen.
Ob es im Tierreiche neben den zahlreichen ausschliesslich
dureh Selektion entstandenen, sogenannten primären In-
stinkten auch noch Instinkte giebt, die ursprünglich
zweckbewusste, durch das Zurücktreten der Intelligenz
mechanisch gewordene Handlungen vorstellen, die zur
Wurzel „Wahrnehmung“ und „Gedächtnis“ haben, ist zweifel-
haft. Gerade an derartigen sekundären Instinkten fehlt es
aber der Menschenseele nicht. In der That finden wir an
uns die verschiedenartigsten Instinkte. Eine ganze Reihe
unserer Handlungen werden ganz mechanisch verübt, die
doch, als sie erlernt wurden, unseren Willen mächtig in An-
spruch nahmen. Es sei nur erinnert an das Gehen, Schreiben,
Sehlittschuhlaufen, Tanzen und ähnliches. Und was an-
dauernde Uebung hierbei zu leisten vermag, begreifen wir mit
Staunen, wenn wir der Hand des Klaviervirtuosen oder des
Schriftsetzers folgen. Auch an angeborenen primären In-
stinkten ist die Menschenseele überreich. Auf solchen basiert
z. B. unser ganzes sexuelles Leben und der Trieb zum
Nahrungserwerb. Ja, vielfach beruhen gerade diejenigen
Triebe, in denen sich die Gemütstiefe der menschlichen Seele
am wunderbarsten offenbart, wie z. B. die Mutterliebe, fast
ausschliesslich auf instinktiven Impulsen.
Nach alledem ist es nieht ganz unberechtigt, wenn der
Mensch als „ein Bündel von Gewohnheiten“ bezeichnet
worden ist. Jedenfalls steht die Vernunft keineswegs so
im Vordergrunde des menschlichen Seelenlebens, wie man
das gewöhnlich glaubt. Definieren wir die Vernunft als
„Erkenntnis der Beziehungen zwischen angewandten Mitteln
[35] Ueber Tier- und Menschenseele. 259
und zu erreichendem Endzweck“, so werden, wie bereits
oben ausgeführt, alle die wunderbaren Fähigkeiten der
sozialen Insekten, die so häufig als ein Zeichen von fast
übermenschlicher Vernunft angestaunt werden, auf das Niveau
der Instinkte herabgedrückt. Dagegen finden wir bei den
höheren Tieren untrügliche Zeichen von Vernunft, welche
sich in einer bewussten Vergleichung der Gegenstände,
Eigenschaften oder Beziehungen äussert. Als Beleg für diese
Behauptung sei hier von neuem auf den spontanen Schein-
tod bei Füchsen und Affen hingewiesen, bei dem das Handeln
nach einem vorher entworfenen Plane ganz evident ist. Die
höchste Stufe der Vernunft, welche in jener Vergleichung
der Gegenstände einen geistigen Prozess sieht, der dann
selbst wieder einen Gegenstand unserer Erkenntnis bildet,
wird von keinem Tiere erreicht, und dieses Gebiet, in welches
die Fähigkeit der Abstraktion, der Reflexion und des
selbstbewussten Denkens gehören, darf daher als ein
Kriterium des normalen Menschengeistes angesehen werden.
Dazu gesellt sich noch ein zweites den Menschengeist
hoch über die Tierseele erhebendes Moment; das ist die
Fähigkeit „willkürliche Bilder hervorzubringen zu dem aus-
drücklichen Zweck, neue ideale Kombinationen zu erhalten.“
Aber auch diese psychische Thätigkeit hat ebenso wie die
Vernunft ihre Vorstufen in der Tierseele. So findet bei
vielen Tieren eine Bildung von Ideen ganz unabhängig von
einer äusseren Veranlassung statt. So wenigstens lässt sich
das Träumen der Hunde, Pferde und Papageien allein er-
klären; ebenso verhält es sich mit den Halluzinationen bei
Hunden und Affen. Ferner haben viele domestizierte Tiere
eine Idee von der Behaglichkeit ihrer Wohnplätze und Ställe.
Den Pferden merkt man, wenn sie auf dem Heimwege sind,
deutlich eine frohe Stimmung an, die offenbar durch den
Gedanken an die ihrer harrenden Ruhe bewirkt wird.
Im Vorhergehenden sind die beiden Hauptpunkte ge-
nannt, welche die gewaltige Praevalenz der Menschenseele
vor der Tierseele auf logischem Gebiete verursachen. Noch
grösser ist die Kluft zwischen Mensch und Tier auf ästhe-
tischem Gebiete; doch muss auch hier beachtet werden,
dass das Gefühl für Schönheit keineswegs dem Menschen
sl
260 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [36]
allein zuzuschreiben ist, sondern auch bei Tieren vorkommt.
Wenn auch Darwın vielleicht den Scehönheitssinn bei den
Tieren und seine Bedeutung für die geschlechtliehe Zucht-
wahl etwas überschätzt hat, so bleibt doch die Thatsache
bestehen, dass viele Vogelweibehen an der Farbenpracht
des Gefieders oder an dem lieblichen Gesang ihrer Männchen
ein gewisses Schönheitsgefühl empfinden. Das verfeinerte
ästhetische Gefühl, wie es der Kulturmensch im allgemeinen
besitzt, kommt übrigens garnicht allen Menschenrassen zu;
finden wir doch bei Wilden und auch bei Bauern häufig
einen ausserordentlich dürftigen Schönheitssinn.
Noch weniger vorbereitet als das ästhetische Fühlen
finden wir den Sinn für Moralim Tierreiche. Und unstreitig
sind diejenigen Autoren in vollem Rechte, die diesen Sinn
für Moral oder das Gewissen für eins der wichtigsten Unter-
scheidungsmerkmale zwischen Menschen- und Tierseele halten.
Ist doch dieser Sinn die edelste aller Seelenfähigkeiten des
Menschen, der ihm gebietet, selbst sein Leben für seine Mit-
menschen einzusetzen, und der ihn nur durch das Gefühl
des Rechtes oder der Pflicht zwingt, sich einem idealen
Ziele zu weihen, ohne auf seinen eigenen Vorteil Rücksicht
zu nehmen. Spuren solehen moralischen Gefühls hat man
mehrfach zu finden geglaubt bei Tieren, die mit einem
starken geselligen Instinkte ausgestattet sind. Die Arbeits-
teilung, die sich meist in derartigen Tiergesellschaften heraus-
gebildet hat, führt häufig Einzelindividuen zu Handlungen,
welche dem Vorteile des Einzelindividuums zwar wider-
streiten, für die Gesellschaft aber von grossem Nutzen sind.
Von moralischen Handlungen darf aber hier nicht gesprochen
werden, denn das Tier weiss nicht, was gut und böse ist.
Bei dem Menschen ist wahrscheinlich die Sprache, durch
die ja ein ausserordentlich intimer Verkehr der zusammen-
gehörenden Individuen ermöglicht wird, der Haupthebel bei
der Ausbildung der Moralität gewesen.
Werfen wir noch einen Blick auf die Gemütsbewegungen
der Tiere, so erschöpft das folgende Verzeichnis wohl alle
im Tierreiche nachweisbaren Affekte. Es wurden beobachtet:
Ueberrasehung, Furcht, geschlechtliche und elterliche Zu-
neigung, soziale Gefühle, Kampflust, Fleiss, Neugierde, Eifer-
[37] Ueber Tier- und Menschenseele. 261
sucht, Aerger, Spielerei, Neigung, Sympathie, Nacheiferung,
Stolz, Empfindlichkeit, Schreck, Kummer, Hass, Grausamkeit,
Wohlwollen, Rachsucht, Zorn, Scham, Reue, Verschlagenheit
und Lustigkeit. Verglichen mit der grossen Anzahl mensch-
licher Gemütsbewegungen zeigt dieses Verzeichnis allerdings
recht beträchtliche Lücken, und es erweist sich auch auf
diesem Gebiete die quantitative Ueberlegenheit des Menschen-
geistes über die Tierseele.
Nach alledem darf wohl die folgende Behauptung als
feststehend betrachtet werden: „Das Tier hat die gleiche
räumliche und zum Teil auch zeitliche Anschauung der
Aussenwelt, wie der Mensch; es hat, wie dieser, Gedächtnis
und Erinnerung; an seine Sinnesempfindungen und Wahr-
nehmungen schliessen sich ähnliche Gefühle und Begehrungen
an wie beim Menschen und laufen zu gleichen Handlungen
aus wie in diesem; die höchsten Tiere endlich unterscheiden
und überlegen und äussern in ihren Handlungen einen, wenn
auch niedrigen, so doch mit dem menschlichen Verstande
gleichartigen Verstand.“ Die in diesen Sätzen zusammen-
gestellten Punkte sind der Menschen- und Tierseele ge-
meinsam, spezifisch dem Menschen eigen sind nur die höheren
Stufen der Vernunft und der Ideenbildung, sowie der Sinn
für Moral und ein feineres Gefühl für das Schöne.
Fassen wir das Resultat unserer Revue über die Seelen-
äusserungen im Tierreiche zusammen, so ergiebt sich, dass
bei den tiefststehenden Tieren die Seelenäusserungen in nur
sehr dürftiger Weise entwickelt sind. Je höher wir in der
Tierreihe aufwärts steigen, desto komplizierter werden die
psychischen Erscheinungen. Zu den blossen Reflexen ge-
sellen sich zahlreiche primäre Instinkte, bei höheren Formen
begegnen wir neben diesen der Empfindung und Wahr-
nehmung und dem Gedächtnis, bis uns endlich bei den höchst
entwickelten Tieren Zeichen von verstandesmässiger Ueber-
legung entgegentreten.
Trotz aller Uebereinstimmungen zwischen Tier- und
Menschenseele muss aber dennoch zugegeben werden, dass
durch die oben erwähnten Spezifiea der Mensch so hoch über
die gesamte Tierreihe gehoben wird, dass der Gedanke
nahe liegen konnte, seine Seelenäusserungen als etwas ganz
262 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [88]
Eigenartiges und jeglichen Analogons in der Tierseele Ent-
behrendes anzusehen. Dass aber unsere Behauptung, die
Menschenseele sei nur eine weiterentwickelte Tierseele, in
der That riehtig ist, dafür besitzen wir in den Thatsachen
der Ontogenesis der Menschenseele einen überaus wert-
vollen Beweis.
Eine ausführliche Abhandlung über den Werdegang der
Kindesseele verdanken wir Preyer.!) Von diesem Forscher
ist festgestellt worden, dass in den ersten Wochen nach der
Geburt die Sinnesempfindungen des Säuglings überaus un-
deutlich sind. Das Auge vermag zuerst nur „hell“ und
„dunkel“ zu unterscheiden; rasche Bewegungen werden erst
vom zweiten Monat an wahrgenommen; eine genaue Trennung
der Farben tritt erst im dritten Lebensjahre ein; und sehr
lange dauert es, bis Durchsichtigkeit, Glanz, Schatten und
die dritte Dimension des Raumes begriffen werden. Jedes
Neugeborene ist taub, und erst nach einigen Tagen vermag
es ein starkes Geräusch wahrzunehmen. Selbst die Be-
rührungsempfindlichkeit ist in den ersten Lebensstunden
ziemlich gering, und der Temperatursinn fehlt noch voll-
kommen. Am besten ist noch der Geschmack bei der Ge-
burt ausgebildet: Süsses wird von Bitterem, Sauerem und
Salzigem sehr wohl unterschieden, eine Fähigkeit, die auch
vielen neugeborenen Tieren zukommt. Der Geruchssinn ist
einige Stunden nach der Geburt soweit entwickelt, dass er
angenehme Gerüche von unangenehmen unterscheiden kann.
Man sieht also, dass die Menschenseele äusserst unvoll-
kommen in die Welt tritt, und dass ihre Kräfte denen vieler
neugeborenen Vögel und Säugetiere, die viel weiter ausge-
bildete und viel korrekter arbeitende Sinnesorgane besitzen,
erheblich nachstehen. Auch die Gefühle der Kinder sind
anfänglich noch sehr wenig mannigfaltig, können aber bis-
weilen sehr intensiv werden. Sie sind entweder Gefühle
des Angenehmen oder des Unangenehmen. Die letzteren Ge-
fühle finden ihren Ausdruck in starken, lauten Ausathmungen,
Sehreien und in einem einfachen Mienenspiel, das lediglich
in einer Gestaltsveränderung des Mundes besteht. Die Ge-
’) Preyer, Die Seele des Kindes.
[39] Ueber Tier- und Menschenseele. 263
fühle sind längst ausgeprägt, bevor noch von Wollen, Ge-
dächtnis oder gar von Urteilen sich das leiseste Merkmal
gezeigt hat. „Durch die Wiederholung der Gefühle, welche
entgegengesetzten Charakter haben, kommt das Gedächtnis
und Abstraktionsvermögen, das Schliessen und Urteilen erst
nach und nach zur Bethätigung. Der mächtigste Faktor
für die beginnende Verstandes-Entwickelung ist das Er-
staunen und die ihm verwandte Furcht. Aus dem Begehren
alles dessen, was einmal Lustgefühle herbeigeführt hat, ent-
wickelt sich allmählich der Wille des Kindes.“
In der ersten Zeit nach der Geburt unterscheidet sich
demnach die menschliche Seele kaum von der selbst niedriger
Tiere. Zum Ausdrucke kommt dies besonders in den vom
Säugling ausgeführten Bewegungen, die fast ausschliesslich
angeborene sind. Drei Arten soleher Bewegungen lassen
sieh unterscheiden: impulsive, die aus Prozessen im nervösen
Zentralorgane entspringen; reflektorische, die auf periphere
Reize unbewusst erfolgen, und instinktive, die nach gewissen
sensorischen, peripheren Erregungen eintreten. Ein vor-
zügliches Beispiel für die letztere Art ist das Saugen. In
diesem Stadium bleibt die Seele des Kindes hinter der zahl-
reicher junger Tiere zurück, die, wie wir am eben ausge-
krochenen Hühnchen sehen, viel entwiekeltere instinktive
Bewegungen zeigen. „Gewollte Bewegungen können erst
dann zu Stande kommen, wenn auch die Ursache einer
Wahrnehmung erkannt wird, wodurch die letztere zur Vor-
stellung aufrückt.“ Erst nach dem ersten Vierteljahre treffen
wir solche gewollte Bewegungen beim Kinde. In ihnen
sind gleichzeitig die ersten Anlagen des Verstandes gegeben,
der sich, ohne vielleicht notwendig an das Vorhandensein
von Sprache gebunden zu sein, in einem räumlichen und
zeitlichen Ordnen der Sinnesempfindungen, in der Bildung
von Begriffen und dem logischen Operieren mit letzteren
bethätigt. Und hier ist die Kindesseele etwa auf der Ent-
wicklungshöhe angelangt, die das höhere Tier aufweisen
kann. Die Anthropogenie der Kindesseele wird erst dann
vollkommen, wenn die Undeutlichkeit der alalischen Begriffe
und ihre vielfach logisch unriehtige Verwendung durch die
Erlernung der Sprache beseitigt werden.
264 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [40]
Diese Thatsachen beweisen zur Genüge, dass eine Ent-
wicklung der anfänglich tierischen Kindesseele zur voll-
kommenen Menschenseele möglich ist, und wir dürfen in
ihnen für unsere Behauptung, die Menschenseele sei nur eine
potenzierte Tierseele, ein weiteres Argument sehen.
Aber noch einen zweiten Schluss können wir aus dem
obigen Thatsachenmateriale ziehen. Wenn, wie dies HAECKEL
im biogenetischen Grundgesetze ausgedrückt hat, die Onto-
genesis eine kurze Rekapitulation der Phylogenesis ist, so
berechtigt uns die geringe Entwicklung des Seelenlebens
beim Kinde zu der Behauptung, dass im Laufe der phylo-
genetischen Entwicklung die Menschenseele in der That
aus der Seele eines Tieres, sagen wir aus der eines aflen-
ähnlichen Geschöpfes,!) sich herausentwiekelt hat genau in
gleicher Weise, wie der menschliche Körper aus dem eines
Tieres herausgewachsen ist. Für diese Behauptung bietet
die folgende Darlegung noch einen weiteren Beweis.
Wie unser Körper rudimentäre, zwecklos gewordene
Organe besitzt, die wir von unseren tierischen Vorfahren
ererbt haben, so finden wir auch unter den psychischen
Aeusserungen des Menschen gewisse Bewegungen, die ehe-
mals zweckmässig und zweckbewusst ausgeführt wurden,
jetzt aber meist, wenn auch nicht gerade zwecklos geworden,
so doch nur noch Ueberbleibsel derartiger Willenshandlungen
sind. Es sind dies die Ausdrucksbewegungen der
Affekte. DAarwın?), der diesem Gegenstande ein umfang-
reiches Werk gewidmet hat, weist nach, dass wir unter den
zahlreichen Ausdrucksbewegungen unserer Affekte eine An-
zahl mit Bestimmtheit von unseren tierischen Vorfahren ge-
erbt haben. Hierher gehört das Lachen als Zeichen des
Vergnügens oder des Genusses, welches bereits vielen Affen-
arten eigen ist. Ebenso sind die Komplexe von Ausdrucks-
bewegungen, die Furcht, Leiden, Wut, Zorn und Ekel zu
begleiten pflegen, schon von unseren tierischen Voreltern
erworben worden, so dass sich auch hierdurch die Tierseele
als eine Vorstufe der Menschenseele offenbart.
1) Vergl. H. Klaatsch, Der kurze Kopf des Musculus biceps
femoris. Berlin, Sitzungsberichte der Akademie. 1900. 8. 852.
2) Darwin, Ueber den Ausdruck der Gemütsbewegungen.
[41] Ueber Tier- und Menschenseele. 265
In derselben Weise wird die Menschenseele der Tier-
seele nahe gebracht durch die Ergebnisse der Völker-
psyehologie.!) Namentlich ist das Studium der Naturvölker
in diesem Sinne fruchtbar gewesen. Als Hauptmotive treten
bei Naturvölkern erfahrungsmässig nur drei auf: physisches
Wohlbefinden, das sich nur auf grobe sinnliche Genüsse, wie
Essen, Trinken, geschlechtlichen Genuss und faulen Müssig-
gang richtet; geselliges Wohlbefinden, das die Unterwerfung
der Familienmitglieder unter den Willen des Mannes und
die Befriedigung von Ehrgeiz und Eitelkeit erstrebt, und
endlich die Gewohnheit, die sich immer in gleicher Weise
weiter vererbt und „physisches Elend wie moralische Rohheit
und intellektuelle Stumpfheit verewigen zu wollen scheint.“
Es steht zu erwarten, dass bei solchen Trieben die
Moralität der Naturvölker überaus unentwickelt sein muss.
So finden wir denn auch, dass Kannibalismus, Kindermord
und ähnliche Schändlichkeiten vielfach ganz ohne Gewissens-
bisse verübt werden. Ja, die Thatsache, dass die Neger
von Ost-Sudan Betrug, Diebstahl und Mord für eines Mannes
würdige Thaten halten, scheint auf ein Fehlen jeglichen
moralischen Gefühles hinzuweisen. Vor allem aber zeugt
das Geschlechtsleben oft von einer unglaubliehen Rohheit.
Ausschweifungen der Mädchen vor der Ehe gelten bei manchen
Völkern für ehrenhaft; Paederastie, die als Folge der Poly-
gamie ein häufiges Laster ist, erregt keinen Anstoss; und
Schamhaftigkeit ist meist etwas ganz ungekanntes. Selbst
Fallahweiber entblössen ohne Bedenken ihren ganzen Körper
vor Männern, nur das Gesicht nicht. Uebrigens ist es
keineswegs nötig bis zu Naturvölkern hinabzusteigen, um
moralische Rohheit zu finden. Diese ist ja auch in der
zivilisierten Welt noch reichlich verbreitet.
Wie der Morphologe bei der Vergleichung des mensch-
lichen und tierischen Körpers die vergleichende Anatomie,
die Embryologie und die Palaeontologie berücksiehtigen muss,
so haben wir im Vorstehenden bei dem Vergleiche der
Menschen- und Tierseele zunächst eine Uebersicht über die
hauptsächlichsten Seelenäusserungen der gesamten Lebewelt
1) Vgl. Waitz, Anthropologie.
266 Dr. W. ScHoEnIcHen, Ueber Tier- und Menschenseele. [42]
gegeben, um darauf die Embryologie der Menschenseele
und die Spuren ihrer phylogenetischen Entwieklung, wie
sie uns im Ausdruck der Gemütsbewegungen und in der
Völkerpsychologie überliefert sind, zu betrachten. Das Er-
gebnis aller drei Untersuchungsmethoden deutet darauf hin,
dass zwischen Menschen- und Tierseele ein qualitativer Unter-
schied nicht bestehen kann; und wenn der Mensch durch seine
Geisteskräfte alle übrigen Geschöpfe so eminent überragt,
so ist dies ausschliesslich die Folge seiner weit entwickelten
Verstandesgaben, seines feinen Schönheitssinnes und seiner
Moralität. Aus welchen Ursachen diese drei Kriterien der
Menschenseele zu so hoher Ausbildung gelangt sind, steht
bisher nicht völlig fest. Soviel nur ist sicher, dass der Mensch
hauptsächlich durch die Sprache und die Hand, dieses
Werkzeug, das so überaus geeignet ist, „seine passenden
Bewegungen von der notwendigen Verbindung mit Muskel-
koordinationen zu emanzipieren“, seine bevorzugte Stellung
den Tieren gegenüber errungen hat.
Es lässt sich vielleieht nieht leugnen, dass in unserer Be-
trachtung manches Hypothetische mit untergelaufen ist. Das
aber geht aus der obigen Darlegurig mit Sicherheit hervor, dass
die Deseendenztheorie vor den Thatsachen der vergleichenden
Psychologie noch längst nicht zu Kreuze zu kriechen nötig
hat. Dass es Erscheinungen giebt, die entweder mit dem
Descendenzgedanken nur schwer zu vereinigen sind, oder
durch das Selektionsprinzip nicht genügend erklärt werden,
weiss jeder, der diese Fragen auch nur einigermassen über-
schaut. Trotz dieser Mängel aber bietet die Descendenz-
theorie immer noch die beste Erklärung für die Thatsachen
der Biologie.
Ueber Aetzungserscheinungen an Gyps
von
Dr. Fritz Wiegers,
Assistenten am mineralogischen Institut der technischen Hochschule zu Karlsruhe,
Mit Tafel IV.
In den letzten 25 Jahren sind mehrere Arbeiten ver-
öffentlicht worden, in denen die Resultate der künstlichen
Erzeugung von Aetzfiguren an Gypskrystallen oder Spaltungs-
stücken derselben beschrieben wurden. Es soll im folgenden
zunächst eine kurze Uebersicht über diese Publikationen
gegeben werden, weil im Hauptteil dieser Abhandlung mehr-
fach Bezug darauf genommen ist.
BAUMHAUER!) erwärmte Spaltungsstücke von Gyps mit
konzentrierter Kalilauge und erhielt dadurch auf © P
grosse rhombhoidale Aetzfiguren, deren Seiten den Kanten
des Prismas und der negativen Hemipyramide parallel laufen
und auf & P oe „äusserst feine, dicht nebeneinanderliegende
Furchen“, welehe der Kante e Px:xP& parallel gehen.
KLIEN?) setzte die Versuche BaumHAuEr’s an Krystallen
aus dem mioeänen Thon von Sütel in Oldenburg fort: er
nahm als Lösungsmittel Kalium- oder Natriumkarbonat und
erhielt mit ihnen nicht nur dieselben Resultate, sondern er
fand auch, dass bei längerer Einwirkung des Aetzmittels
an der spitzen Ecke von — P und & P eine drusige Fläche.
1) H. Baumhauer, Ueber die Aetzfiguren des Apatits und des
Gypses. Sitzungsberichte der k.k. Akademie der Wissenschaften zu
München. Bd. V. 1875. p. 169.
2) P. Klien, Studien aus dem mineralog. Museum der Universität
Kiel. Poggendorffs Annalen, Bd. VII. 1876. p. 611.
268 Dr. Frıtz WIEGERS, [2]
entstand, die dem hinteren Orthohemidoma P & entspricht.
KLıen versuchte sodann die Bildung von Gypskrystallen
künstlich nachzumachen, indem er sehr verdünnte Lösungen
von Chlorbarium und Schwefelsäure unter dem Mikroskop
auf einem Objektträger zusammen brachte. Es entstanden
so kurzprismatische, nach & P & tafelförmige, auf den
— P-Flächen parallel miteinander verwachsene Zwillinge,
und zwar nicht die gewöhnliche Form derselben, sondern
vollkommene . Durehkreuzungszwillinge (vergl. in der ange-
führten Abhandlung Fig. 6 u. 7, Taf. VII). Dabei ist mehr-
fach ein Verjüngen derselben nach dem Ende der c-Axe zu
beobachten. Aus der Anordnung der Aetzhügel, die er irr-
tümlich für Subindividuen hielt, zog Kiew den Schluss,
dass die Hauptzonen des Oper mit den tektonischen Axen
zusammenfallen.
Nun seheint das Interesse an den Aetzfiguren des
Gypses für längere Zeit erloschen zu sein. Zwar er-
schienen in den Jahren 1877 und 1835 zwei Arbeiten von
Weiss!) und Brasıus?) über Aetzfiguren (W.) und Zer-
setzungsfiguren (BL.), aber bei diesen Untersuchungen hatte
die Forschung einen anderen Weg eingeschlagen, indem die
Figuren auf troekenem Wege durch Erhitzen erhalten wurden,
und dieser „Verwitterungsprozess“ ist doch im Grunde ein
von dem Lösungsprozess recht verschiedener.
Erst im Jahre 1897 veröffentlichte ©. VioLA°) in Rom
eine neue Arbeit über Aetzfiguren, die er durch Einwirkung
einer verdünnten Lösung von Chlorbarium auf Gyps erhalten
hatte. Bei den Versuchen Vıora’s ergab sich nun das neue
Resultat, dass die Aetzfiguren auf dem Klinopinakoid nicht
nur die bereits von BAUMHAUER und KLIen erhaltenen Um-
risse zeigten, sondern in der einen Ecke von einer weiteren
Fläche, die der Zone (101) —=P & angehört und, wie wir
später sehen werden, einer positiven Pyramide oder einem
1) E. Weiss, Aetzfiguren bei Gyps. Zeitschrift der deutschen
geologischen Gesellschaft. Bd. 29. 1877. p. 211. E
2) Blasius, Zersetzungsfiguren an Krystallen. Zeitschrift für
Krystallographie. 1885. Bd. 10. p. 221.
») ©. Viola, Ueber Aetzfiguren am Gyps. Zeitschrift für Kry-
stallographie. 1897. Bd. 28. p. 573.
[3] Ueber Aetzungserscheinungen an Gyps. 269
positiven Orthohemidoma entspricht, begrenzt waren. Die-
selbe Abstumpfung zeigten auch die Aetzhügel.
Das sind, kurz mitgeteilt, die Resultate, die durch
künstliche Anätzung von Gypskrystallen erhalten worden
sind. Es ist auffallend, dass bei der leichten Löslichkeit
des Gypses dieselben Erscheinungen nicht häufiger an
natürlich geätzten Krystallen beobachtet sind,!) da doch
in der Natur dieselben Mittel, die im Laboratorium ange-
wendet wurden, wie Wasser und Lösungen von Alkali-
karbonaten genügend vorhanden sind.
Im folgenden sollen nun natürlich geätzte Krystalle
beschrieben werden.
Im Jahre 1897 fand ich gelegentlich einer Exkursion
in die Thongruben von Trotha bei Halle a. S. in einer der-
selben eine Menge Gypskrystalle, die nebst zahlreichen
Pyrit- und Markasitkonkretionen von den Arbeitern aus dem
Thon herausgelesen und an einer Stelle angehäuft waren.
Der Thon gehört der Formation des Rotliegenden an.
Die aufgefundenen Krystalle sind in doppelter Hinsicht
beaehtenswert: durch die Aetzungserscheinungen, die sie
zeigen, und die dadurch verursachte Veränderung der Form
und durch die Einschlüsse. Betraehten wir zunächst die
erstere Erscheinung.
1. Die Aetzfiguren.
Die Gypskrystalle, die in der Grösse sehr variieren,
sind teils einfache Krystalle, teils Zwillinge nach (101) —
oo Po. Die ersteren sind tafelig ausgebildet nach (010) —
© P oe und zeigen ausserdem die Flächen (110) = xP
und (111) = —P; sie sind gestreckt nach der c-Axe,
wasserhell, durchsichtig und meistens frei von Einschlüssen.
Alle Flächen zeigen Aetzungserscheinungen. Auf.dem
Klinopinakoid sind Aetzhügel uud Aetzfiguren vorhanden.
Die letzteren sind die bekannten kassettierten rhomboidalen
Vertiefungen, wie sie BAUMHAUER zuerst beschrieb; häufig
sind sie an einer Ecke gerundet, aber die Fläche, die diese
1) K.v. Kraatz beschrieb solche an Gyps von Kl. Schöppenstedt
bei Braunschweig. Mitteilung aus dem Roemer-Museum, Hildesheim.
1896. Nr. 4.
270 Dr. Fritz WIEGERS, [#]
Rundung bewirkt, gehört nicht, wie die von VIoLA ge-
fundene, der Zone des positiven, sondern des negativen Ortho-
hemidomas an; liegt also nicht dem spitzen, sondern dem
stumpfen Winkel des Klinopinakoids gegenüber. Sie tritt
in der Regel auch nur in einer Ecke der Vertiefung auf,
selten ist sie auch an der gegenüberliegenden ausgebildet
und dann weniger vollkommen.
Bei einigen Krystallen fehlen auf &P & die Ver-
tiefungen fast ganz und es treten die Aetzhügel desto mehr
hervor. In der idealsten Form sind sie an einem Krystall
ausgebildet: es sind nach der c-Axe lang gestreckte Er-
höhungen, die die ganze Länge des Klinopinakoids ein-
nehmen und oben und unten vorwiegend von einer zur Zone
(101) —=P & gehörigen Fläche begrenzt werden, deren Kante
mit der vertikalen einen Winkel von ca. 112° bildet. Die
andere Begrenzungsfläche wechselt und ihre Kante mit
oo P x läuft der Kombinationskante von e Px und —P
zum Teil parallel, zum Teil bildet sie mit ihr einen schiefen
Winkel. Einzelne Flächen scheinen der Basis zu entsprechen.
Diese Aetzhügel haben sich in der ganzen vertikalen
Zone des Krystalles entwickelt; auf © P & überwiegt die
dieser Fläche entsprechende Aetzfläche, die Hügel sind hier
tafelförmig, auf den Prismenflächen, deren Kombinations-
kanten mit dem Klinopinakoid verschwunden sind, treten
sie als schmale langgestreckte prismatische Erhöhungen auf,
und es erfolgt eine treppenförmige Abstufung von © P x
zu © P. Dabei erfolgt nun eine weitere Korrosion der
Krystalle, indem durch die ebenfalls stufenartig überein-
ander liegenden, neu gebildeten Flächen der Zone Px zu-
nächst die spitze Eeke der Krystalle verschwindet und bei
länger andauernder Aetzung sich zwei oder mehrere, posi-
tiven Pyramiden angehörende Flächen bilden, die, wie auch
ihre Zwisehenkante, infolge der Entstehung gerundet sind
und sich durch einen eigentümlichen fettartigen Glanz aus-
zeichnen.
Durch die, in der Zone des negativen Orthohemidomas
liegenden Aetzflächen sind in gleicher Weise an Stelle der
Kanten zwischen — P und & P x ebenfalls zwei neue
Prärosionsflächen hervorgebracht.
[5] - Ueber Aetzungserscheinungen an Gyps. 271
Es ist damit auch für den Gyps die Thatsache nach-
gewiesen, die schon Mons 1824 berichtete, dass durch
Aetzung neue Flächen entstehen können.!)
Die Prismenflächen sind wie schon erwähnt, ausschliess-
lich mit Aetzhügeln bedeckt.
Auf den negativen Pyramidenflächen sind die eben
beschriebenen prächtigen Erscheinungen nicht wahrzunehmen.
Die Flächen sehen entweder matt aus und sind mit winzigen,
unregelmässig begrenzten, aber doch zur Symmetrieebene
symmetrisch liegenden Vertiefungen bedeckt, oder sie sind
mehr oder weniger stark zerfressen. Es besteht also, in
Bezug auf das Verhalten der einzelnen Flächen gegen den
Angriff von Lösungen ein wesentlicher Unterschied zwischen
den Pyramidenflächen und denen der vertikalen Zone.
Neben den Krystallen fanden sich in der Grube
auch Spaltungsflächen an einigen Stücken, die wohl beim
Graben des Thones durch die Geräte der Arbeiter zer-
schlagen waren. Auch diese waren mit Aetzungsfiguren
bedeekt und wiesen einige Eigentümlichkeiten auf, die an
den primären Krystallflächen nicht zu beobachten waren.
Diese Spaltstücke sind grösser als die bisher beschriebenen
einfachen Krystalle und weichen auch in der Form dadurch
ab, dass sie nicht wie jene nach der c-Axe, sondern nach
der a-Axe gestreckt sind. Bemerkenswert ist an ihnen,
dass von den Seiten der Aetzfiguren aus sehr schmale, gerade
Rinnen ausgehen, die immer feiner werdend und in eine
zarte Spitze endigend, die Umrisse für spätere Aetzver-
tiefungen bilden. Diejenigen, welche parallel den Prismen-
kanten verlaufen, sind häufiger und länger als die, welche
den Kanten der negativen Pyramide gleich gerichtet sind.
Ferner ist auf diesen Spaltflächen die Erscheinung
wahrzunehmen, dass zwischen den beiden spitzen Ecken
des Klinopinakoids eine Linie verläuft, die aus vielen kleinen,
dieht aneinander gedrängten Aetzfiguren besteht.
Die Zwillingskrystalle zeigten ganz auffällige, durch
die chemische Korrosion hervorgerufene Formveränderungen,
deren Bildung teils schon in der primären Lagerstätte, im
1) Mohs, Grundriss der Mineralogie. II. Teil. 1824.
272 Dr. Frırz WiıEGers, [6]
Thon selbst begonnen haben mag, teils erst seit dem Heraus-
holen aus demselben und dem Liegen an der Oberfläche
vor sich gegangen ist. Dass bei dem Liegen zu Tage starke
Aetzungen eingetreten sind — es war eine längere Regenzeit
voraufgegangen — ist ja auch durch die zuletzt erwähnten,
mit zahlreichen Vertiefungen bedeckten Spaltungsstücke er-
wiesen.
Diese Zwillinge (nach © P &) erreichen die Länge
von 10 em; sie sind stets nur an dem einen Ende der
c-Axe frei ausgebildet, während sie an dem anderen ab-
gebrochen sind. Es ist demnach entweder anzunehmen, dass
sie vollkommene Durchkreuzungszwillinge bildeten, wie es
die schon erwähnte Abbildung KLIENn’s zeigt, oder dass sie
zu mehreren zu Gruppen zusammengewachsen waren. Es
selang mir leider nicht, eine solehe Gruppe aufzufinden, und
die bei der Ausgrabung des Thones ausgelesenen Stücke
waren sämtlich zerbrochen, da ja erklärlicherweise eine der-
artige Krystallgruppe von vielleicht 20—830 em Durchmesser
“nur mit grosser Sorgfalt unversehrt gewonnen werden kann.
Ist aber die Annahme richtig, so wäre dieses Vorkommen
sehr interessant, da Krystallgruppen einfacher Individuen
zwar häufig genug sind, solehe von Zwillingskrystallen aber
bis dahin in der Natur unbekannt geblieben sein dürften.
Es treten hier nun dieselben Aetzungserscheinungen
auf, wie an den einfachen Krystallen, nur noch in stärkerem
Masse und darum auch mit grösserer Wirkung, die sich be-
sonders in der Bildung der positiven Pyramidenflächen
seltend macht und zu den auf Tafel IV abgebildeten selt-
samen Deformationen geführt hat. Fig.1 (Taf. IV) stellt
einen Zwillingskrystall dar, bei dem die Zwillingsform noch
vollkommen erhalten und die Bildung der Zone Px erst
im Anfangsstadium ist; in Fig. 2 (Taf. IV) ist sie bereits
stärker vorgeschritten und der einspringende Winkel zwischen
den negativen Pyramidenflächen ist dem Verschwinden nahe.
In Fig. 3 ist er bereits völlig verschwunden, und wir haben
als obere Begrenzung eine schwach gewölbte Fläche. Nun
aber schreitet die Auflösung weiter und Fig. 4, die in b das
Original etwas vergrössert darstellt, zeigt uns das Endglied
der Reihe: aus dem Schwalbenschwanz ist ein finger-
[7] Ueber Aetzungserscheinungen an Gyps. 273
förmiger Zwillingskrystall geworden, der keine scharfen
primären Kanten mehr aufweist, auf allen Flächen der
Hauptzone mit Aetzfiguren und Aetzhügeln bedeckt ist und
mit zunehmender Verjüngung nach oben in eine Spitze
ausläuft.
2. Die Einschlüsse.
Die einfachen Krystalle sind meistens, wie schon er-
wähnt, frei von Einschlüssen; nicht aber die Zwillings-
krystalle.. Wie aus den Abbildungen auf Taf. IV ersichtlich
ist, läuft in der Mitte, im Innern, in der Richtung der c-Axe
ein Streifen von grünem Thon, von dem aus regelmässig in
verschiedenen Abständen nach beiden Seiten Thonstreifen
sich abzweigen, die auf den Flächen der negativen Pyramide
liegen. Diese Streifen, die man mit den Jahresringen der
Bäume vergleichen könnte, bedeuten sehr wahrscheinlich
den jeweiligen Anfang einer neuen Periode des Weiter-
wachsens nach voraufgegangenem Stillstand.
Der Thon ist reich an Schwefelkies, der sich bei Gegen-
wart von Wasser zu Eisenvitriol oxydiert; es ist bekannt,
dass letzteres seinerseits durch Einwirkung auf das in Lösung
vorhandene Caleiumkarbonat zur Bildung von wasserhaltigem
schwefelsauren Caleium, von Gyps, führt. Nun ist die Menge
des im Thon vorhandenen Wassers unbedingt, da derselbe
wenigstens in seinen oberen Schichten, die hier in Betracht
kommen, über dem Grundwasser liest, von dem atmosphä-
rischen Wasser abhängig, und es werden daher in trockenen
Zeiten die chemischen Vorgänge gering sein oder ganz auf-
hören, in nassen Zeiten dagegen stark zunehmen.
Ich glaube annehmen zu dürfen, dass sich die kleineren,
einschlussfreien einfachen Krystalle, sowie die einschluss-
freien Teile der Zwillingskrystalle in einer Zeit gleich-
mässiger, geringer Feuchtigkeit und gleichmässiger Zufuhr
von Gypslösung gebildet haben, dass dagegen nach längeren
Regenzeiten plötzlich eine viel grössere Stoffzufuhr möglich
und infolgedessen ein rascheres Wachstum bedingt wurde,
wobei, da der Krystall an den Kanten schnell wuchs, auf
den Flächen die Thonsubstanz eingeschlossen wurde, die
bei langsamem Wachsen bei Seite gedrängt wurde. Durch
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd, 73, 1900. 18
pP Aa F > =
274 Dr. F. Wırgers, Ueber Aetzungserscheinungen an Gyps. |8]
diese Einschlüsse zeigt sich aber auch, dass wir keinen ein-
fachen, sondern einen zusammengesetzten Zwilling vor uns
haben, der aus mehreren kurzprismatischen Einzelzwillingen
besteht, und damit macht sich die Aehnlichkeit mit dem von
KLırn abgebildeten Zwilling geltend, die noch durch die
Thatsache erhöht wird, dass auch an den natürlichen Stücken
stufenweise Verjüngung (Taf. IV Fig. 3 zeigt sie schwach)
auftritt.
An Fig. 3 und 4 auf Taf. IV ist zu sehen, dass die nega-
tive Pyramide nieht allein, sondern in Kombination mit einer
anderen Fläche auftritt, die mit der Prismenkante einen
Winkel von 80—81° mit dem Anlege-Goniometer gemessen
ergab und demnach wohl der Basis entsprieht. Die Kom-
binationskante ist nieht scharf, sondern stark gerundet, viel-
leieht infolge des’ Vorhandenseins vizinaler Flächen.
Ausser dem Thon sind vereinzelt auch kleine Schwefel-
kiesknollen von dem Gyps umschlossen.
Veber ein Vorkommen von Dolomit bei Magdeburg
Dr. J. Fahrenhorst.
Die nähere Umgebung von Magdeburg ist recht mineral-
arın, und nur wenige Orte sind es überhaupt, die als Fund-
stellen in Frage kommen. In erster Linie gehören hierher
die Steinbrüche der Kulmgrauwacke, welche schöne Krystalle
von Scehwefelkies, Kalkspath, Eisenglanz und anderes mehr
geliefert haben und wohl noch heute liefern.
Eines der bemerkenswertesten Mineralvorkommen nun
fand sieh vor einigen Jahren in der Grauwacke von Eben-
dorf, ungefähr 5 km nordwestlich von Magdeburg, wo gut
ausgebildete Krystalle von Braunspath vergesellschaftet
mit Caleit, Baryt, Pyrit und Kupferkies Spalten der
Grauwacke ausfüllten.
Da eine Beschreibung dieses Vorkommens nicht vorzu-
liegen scheint, dasselbe aber immerhin ein lokales Interesse
beanspruchen dürfte, so mögen die schon vor längerer Zeit
von mir gemachten Funde hier etwas eingehender besprochen
werden.
In unmittelbarer Nähe von Ebendorf befinden sich
drei Steinbrüche: zwei rechts der Chaussee Neustadt-Neu-
haldensleben am Anfange des Dorfes, und einer am Ende
des Dorfes links derselben. In dem letzteren Bruche nun
ist die Grauwacke von Spalten durchzogen, die auf beiden
Seiten mit Dolomit ausgekleidet sind. Die Krystalle sitzen
zum Teil direkt auf dem Gestein, meist aber sind sie von
ihm durch eine dieke Schicht späthigen Dolomits getrennt.
18*
276 Dr. J. FAHRENHORST, [2]
Das schönste Vorkommen fand sich an der direkt unter
dem Inspektorhause liegenden Wand des Bruches.
Die Krystalle zeigen nur das Grundrhomboäder, bei
Spaltungsstücken wurde der Winkel zu 106° 10° gemessen
(Mittel aus 6 Ablesungen). Die Kantenlänge beträgt in der
Regel 0,5 bis 1 cm, steigt aber gelegentlich bis 1,5 em.
Die Krystalle sind meist von frischem Aussehen, fast farblos,
durchscheinend und von lebhaftem Glasglanz, zuweilen aber
auch gelblich: und matt infolge beginnender Verwitterung.
Völlig regelmässige Ausbildung ist nieht allzu häufig. Viel-
mehr sind infolge paralleler Verwachsung mehrerer Indi-
viduen die Kanten oft treppenartig eingekerbt, und die
Flächen weisen Erhöhungen und Vertiefungen auf. Auch
eine Krümmung der Flächen ist nicht selten zu beobachten,
jedoch kommt der am Braunspath so häufige sattelförmige
Habitus an den Krystallen dieses Bruches nicht vor.
Das Material zur Analyse wurde den frischesten Kry-
stallen entnommen.
Beim Lösen des Pulvers in verdünnter Chlorwasserstoff-
säure blieb stets eine geringe Menge Quarz zurück, der in
den Krystallen eingeschlossen ist. Die Trennung des Eisens
und Mangans von Caleium und Magnesium wurde durch
zweimalige Fällung mit Schwefelammonium, die des Eisens
von Mangan durch einmalige Fällung mit Natriumacetat
bewirkt. Die Fällung des Caleiums wurde wiederholt, da
bei Anwesenheit grösserer Mengen von Magnesium dieses
leicht in den Niederschlag eingeht. Die Kohlensäure habe
ich aus der Differenz bestimmt. Im übrigen wurden die
sebräuchlichen Methoden angewandt.
Die mit 1,0012 gr ausgeführte Analyse ergab:
310; 0,16%
CaO 28,69 „
Fe0 14,01 „
Ms:0O 11,95 „
MnO 0,86 „
Die Zusammensetzung des Dolomits berechnet sich also
nach Abzug der Kieselsäure zu:
[3] Ueber ein Vorkommen von Dolomit bei Magdeburg. 277
CaCO, 51,2%
FeC0, 22,60 „
MsC0O,;, 25,14 „
MnCO; 1A,
100,47 %o
@a.00,:(Ms, Ee,.Mn) €0, — 12T.
Fe:Mg —= 3:2.
Das spezifische Gewieht betrug 2,96 bei 21°.
Es liegt also demnach ein normaler Braunspath mit
relativ hohem Gehalt an Ferrokarbonat vor.
Obwohl ich oft auch in den übrigen bei Ebendorf
liegenden Steinbrüchen gesucht habe, gelang es mir nieht
dort ein ähnliches Vorkommen anstehend zu finden. Dass
aber der Braunspath nicht auf den einen Bruch beschränkt
ist, beweist ein Fund, den ich in dem alten, rechts der
Chaussee gelegenen und durch seine hohe baumbewachsene
Halde kenntlichen Steinbruch machte. Im Schutt der Halde
fanden sich nämlich einige Stücke mit kleinen bis zu 4 mm
grossen perlmutterglänzenden Rhomboedern, welche sehr
schön die am Braunspath so häufige sattelförmige Krümmung
der Flächen aufweisen. Die Krystalle sitzen auf späthigem
Dolomit und sind mit winzigen Krystallen von Schwefelkies
übersät, der auch als Einschluss auftritt.
Infolgedessen bot die Gewinnung reinen Analysen-
materials einige Schwierigkeiten, doch gelang es, mit Hilfe
der Lupe solches zu erhalten.
Die mit 1,1208 gr ausgeführte Analyse ergab eine von
dem Vorkommen des erst beschriebenen Bruches etwas ab-
weichende Zusammensetzung.
SiO, 0,08%
Ca0O 3195 „
FeO 10,71 ,
MsO 10,553 „
MnO 237 „
Nach Abzug der Kieselsäure ergiebt sich als Zusammen-
setzung:
278 Dr. J. FAHRENHORST, [4]
CaCO, 57149,
FeC0, 1729 „
M&CO, 22,15 „
MnCO,; 3,86 „
100,44 9),
Ca00;: (Mg, Fe, Mn) CO, — 4:3.
Ke:Me’— 4:3,
Sieht man CaCO; : (Mg, Fe, Mn) CO, = 1:1 als das
normale Verhältnis an, so ist hier ein immerhin nicht un-
beträchtlicher Ueberschuss an CaCO, vorhanden. Nach
NAUMANN kann man dies dadurch erklären, dass dem Braun-
spath etwas Caleit beigemengt ist.
Wie schon erwähnt, finden sich mit dem Dolomit ver-
gesellschaftet in Ebendorf noch Kalkspath, Schwerspath,
Kupferkies und Eisenkies.
Der Caleit überkrustet in der Regel den Braunspath,
doch finden sich andererseits auch auf ihm Dolomitkrystalle
aufsitzend, so dass der Absatz wohl ein gleichzeitiger resp.
in abwechselnden Perioden erfolgter ist. Der Kalkspath
zeist nur die Form — 1/, R mit untergeordnetem und zum
Teil fast ganz zurücktretendem x R. Die Farbe ist rein
weiss bis hellgelb, die Grösse der Individuen beträgt bis
zu 14mm. Ein eigentümliches Aussehen erhalten die Kry-
stalle dadurch, dass sie keine glatten Flächen aufweisen,
sondern aus unzähligen Subindividuen zusammengesetzt er-
scheinen, die eine rauhe drusige Oberfläche bedingen. Es
macht den Eindruck, als ob sie einer Aetzung unterworfen
gewesen wären. So sind auch die Flächen des Prismas
fast stets gerundet.
Der Schwerspath ist ein in Ebendorf nicht seltenes
Mineral, war mir aber bisher nur in derben Massen bekannt,
die hier und da die Grauwacke durchsetzen. Im Dolomit
eingewachsen finden sich nun auch fast farblose Krystalle
von beträchtlieher Grösse (bis zu 3 em). Da an den mir
vorliegenden Stücken die Individuen rings von Dolomit um-
schlossen und von Caleit überkrustet sind, die Ausbildung
auch recht unvollkommen ist, habe ich die Krystallform
nicht bestimmen können,
[5] Ueber ein Vorkommen von Dolomit bei Magdeburg. 279
Im Braunspath eingewachsen findet sich Kupferkies
in kleinen Partien, der an einem Stück auch in grösseren
Krystallen von 4 mm Länge auftritt. Eine Bestimmung der
Form ist auch hier leider nieht möglich, da die Krystalle
aus Subindividuen zusammengesetzt erscheinen, und die
Flächen gewölbt, die Kanten gerundet sind. Man könnte
auch hier wieder an eine Aetzung denken. Nur die von
Caleit bedeekten Krystallflächen erscheinen nach Entfernung
des ersteren glatt und frisch. Der Habitus wird dem An-
schein nach dureh die Formen u und 2 s 2 bestimmt.
Die bis zu 2 mm grossen, ausserordentlich scharf aus-
gebildeten Krystalle des Pyrits zeigen Würfel und Oktaöder
im Gleichgewicht. Auch Penetrationszwillinge nach einer
Fläche des Oktaöders kommen vor. Diese Krystallform ist
meines Wissens für Magdeburg neu, denn die bekannten
Schwefelkieskrystalle von Gommern weisen nur die Formen
0)
00 0 und | 9
Der Pyrit sitzt ausnahmslos auf den Braunspathrhomboädern
und zeigt meist lebhafte Anlauffarben.
| für sieh oder ın Kombination auf.
Kleinere Mitteilungen.
Physik und Chemie,
Die Riechstoffe aus der Gruppe der Alkohole und
Ester. Wir haben im vorigen Hefte (S. 119) die wichtigsten
Riechstoffe aus der Gruppe der Aldehyde aufgeführt und
lassen heute diejenigen aus der Gruppe der Alkohole und
Ester folgen.
Wir nennen zuerst diejenigen Substanzen in der ali-
phatischen Reihe, welche als „Fruchtessenzen“ bezeichnet
werden und ausgedehnte Anwendung finden in der Limonade-,
Liqueur- und Konfiturenfabrikation. Es sind dies haupt-
sächlich der als „Rumessenz“ bezeichnete Ameisensäure-
äthylester, der unter dem Namen „Ananasäther“ ein Handels-
produkt bildende Buttersäureäthylester und die Amylester
der Essigsäure und Isovaleriansäure, welche als „Birnen-
essenz“ und „Apfelessenz“ im Handel sind. Durch Mischen
dieser Ester und Zusätze von Amylalkohol, Chloroform, Sal-
petersäureäther, Aldehyd lässt sich auch das Aroma anderer
Früchte wie der Erdbeeren, der Aprikosen täuschend nach-
ahmen. Ob die Früchte thatsächlich jenen Estern, welche
nach ihnen benannt sind, ihr Aroma verdanken, darüber ist
niehts bekannt. Nur das Weinöl, auch Cognaköl oder
Drusenöl genannt, welches man durch Destillation des Weines
oder besser der Weinhefe erhält, ist Gegenstand wieder-
holter Untersuehung gewesen. LieBIG hielt dies Oel für
den Aethylester der Oenanthsäure; die durch Verseifung
zu gewinnende Säure stellte sich indessen später als ein
Gemenge verschiedener Fettsäuren, hauptsächlich Capryl-
säure und Caprinsäure, heraus, welche im Cognaköl mit
- Kleinere Mitteilungen. 281
Aethyl- und Isoamylalkohol verbunden sind. Künstlich wird
das Cognaköl dargestellt durch Veresterung der im Kokos-
fett enthaltenen Säuren.
Auf dem Gebiete der künstlichen Fruchtessenzen ist
übrigens ebenso wie auf dem Gesamtgebiete der Herstellung
und Mischung von Riechstoffen eine ängstliche Geheimhal-
tung üblich und manche Arbeit, welche wertvolle Beiträge
zu unserer Kenntnis von Naturprodukten liefern würde, wird
nieht veröffentlicht, um das Gefundene unter dem Schleier
des Geheimnisses besser ausnutzen zu können. So soll auch
das in hoher Sehätzung stehende Aroma der Himbeere Ein-
geweihten bekannt sein, synthetisch hergestellt und in er-
heblieher Menge nach Frankreich exportiert werden — zur
Fabrikation von Bordeauxwein.
Von den ungesättigten Alkoholen hat das Rhodinol
(Geraniol) viel Interesse gefunden, da es einen wesentlichen
Bestandteil wichtiger ätherischer Oele, wie des Rosenöles
und des Geraniumöles bildet. Auch das Zitronellöl besteht
etwa zur Hälfte aus Rhodinol.!) Seine nicht ganz einfache
Konstitution ist von F. TiEMAnN und SEMMLER?) festgestellt
worden. Das Rhodinol gehört heutzutage zu den eingehend
uutersuchten Verbindungen und lässt sich auch leieht iden-
tifizieren, da wir jetzt gut krystallisierende Derivate des-
selben kennen, wie seine Diphenylurethanverbindung,°) das
Silbersalz des sauren Phtalsäureester,!) den Opiansäureester’)
des Rhodinols. Indessen sind an diesen Alkohol, welcher
80 °%/, des Rosenöles ausmacht, als Riechstoff anfänglich Er-
wartungen geknüpft worden, die sich nieht erfüllt haben.
Reines Rhodinol ist ein ziemlich “fade riechendes, an der
Luft sieh leicht veränderndes Oel; der süsse Honiggeruch
des Rosenöles rührt von anderen Stoffen her, welche wir
noch nicht kennen.
1) Darstellung des Handelsgeraniols daraus nach Schimmel & Co.
D.R.P. Nr. 76435.
2) Berichte 28, 2132.
3) Journal für praktische Chemie (I), 53, 45; 56, 8.
#) Journal für praktische Chemie, 56, 17.
5) Berichte 31, 358.
282 Kleinere Mitteilungen.
Wiehtiger als Geruchsstoff ist das Linalool, ein tertiärer,
dem Rhodinol sehr ähnlich konstituierter Alkohol, welcher
einen maiblumenartigen Geruch besitzt. Er spielt ebenso
wie sein mit ausgesprochenem Bergamottgeruch ausgestatteter
Essigsäureester, das Linalylacetat, eine bedeutsame Rolle in
den ätherischen Oelen und in der Parfumerie. Linalool ist
ein Hauptbestandteil des künstlichen Maiglöckehenextraktes
oder „Extrait Muguet“ (neben Ylang-Ylang). In der Natur
kommt es in, zwei verschiedenen optisch aktiven Formen
vor, gewöhnlich zusammen mit Linalylacetat, wie im Berga-
mottöl, im Lavendel- und im Orangenblütenöl.
: Unter den eyklischen Verbindungen dieser Gruppe findet
sich in der Tabelle zuerst der Furfuralkohol aufgeführt.
Derselbe bildet, wie ich feststellen konnte, einen erheblichen
Bestandteil des ätherischen Kaffeeöles. Man erhält letzteres
durch Destillation grösserer Mengen gebrannten Kaffees mit
Wasserdampf und Ausschütteln des Destillates mit Aether.
Fast 50°/, des so dargestellten, von organischer Säure be-
freiten Oeles bestehen aus Furfuralkohol, dessen Geruch
indessen nur schwach und für den allbekannten Kaffee-
geruch nicht von wesentlicher Bedeutung ist; wohl aber
kommt dieser Bestandteil für die physiologische Wirkung
des Kaffees in Betracht.
Der Terpenreihe gehören von eyklischen Alkoholen an
das Borneol, Terpineol, Menthol und Eucalyptol.
Borneol ist bekanntlich ein in der Natur weit ver-
breiteter Kampfer, dessen Formel zwei Wasserstoffatome
mehr aufweist als der gewöhnliche Laurineenkampfer. Er
lässt sich thatsächlieh auch durch Reduktion des letzteren
erhalten. Die beiden Kampferarten stehen zueinander in
dem Verhältnis eines Alkohols zu einem Keton. — Die
Ester des Borneols mit Essigsäure und Valeriansäure sind
die Träger des Tannen- und Fichtennadelgeruches unserer
Wälder.
Das Terpineol, welches sich künstlich aus Terpin-
hydrat oder aus Pinen durch Einwirkung von Säuren her-
stellen lässt, wird wegen seines angenehmen fliederartigen
Geruches ebenfalls in der Parfumerie verwandt. Das flüssige
Terpineol, welches wahrscheinlich aus mehreren Isomeren
- Kleinere Mitteilungen. 283
besteht, ist hierzu geeigneter als das einheitliche feste
(Schmelzpunkt 35°), welches weniger fein und weniger in-
tensiv riecht. Letzteres findet sich in der Natur in optisch
inaktivem und aktivem Zustande.
Grössere praktische Bedeutung hat das Menthol, der
bekannte Riechstoff des Pfefferminzöles. Die Pfefferminzöl
erzeugenden Länder sind hauptsächlich Amerika (Staat
New-York und Michigan), Japan und England (Mitcham-
distrikte). Die nordamerikanische Produktion erreichte 1897
einen Höchstbetrag von 114000 kg, die japanische 1896
einen solehen von 135000 kg; das englische „Mitchamöl“,
dessen Produktion schätzungsweise auf 9000 kg angegeben
wird, gilt im Handel als die feinste Marke. Unter normalen
Verhältnissen wird die jährliche Gesamtproduktion an Pfeffer-
minzöl auf 175000 kg geschätzt im Werte von etwa 2!/, Mill.
Mark. Ausser einer Anzahl anderer, weniger wesentlicher
Bestandteile!) enthält das Pfefferminzöl 55 bis 900%), Menthol,
zum grössten Teil im freien Zustande, zu einem kleineren
im veresterten. Das Menthol findet infolge seiner desinfi-
zierenden Eigenschaften arzneiliche Verwendung. Solche hat
auch das Euealyptol oder Cineol, durch dessen energisch
antiseptische Wirkung bei 0,5%, Gehalt bereits die Hefe-
gährung sistiert wird. Infolge dieser Eigenschaft und wegen
seines angenehm erfrischenden kampferartigen Geruches ist
das Eucalyptol besonders beliebt als Zusatz zu Mundwassern
und Zahnpulvern. Im chemischen Sinne gehört es genau
genommen nicht zur Klasse der Alkohole, sondern zu den
Aethern, sein Sauerstoff ist in ätherische Weise gebunden.
— Das Eucalyptol findet sich zu etwa 60°/, in dem afrika-
nischen Eucalyptusöl, welches aus den Blättern von Euca-
Iyptus globulus in Algier destilliert wird; eine zweite
Handelssorte ist das australische Eucalyptusöl, welches in
Viktoria, in Südaustralien und in Queensland in grossen
Mengen gewonnen wird. |
Als charakteristischen Riechstoff des Perubalsams hat
H. Tuoms?) unlängst einen Alkohol aufgefunden, welchem
) Siehe Power und Kleber, Ueber die Bestandteile des ameri-
kanischen Pfefferminzöles. Arch. Pharm. 232, 639.
2) Arch. Pharm. 237, 271.
284 Kleinere Mitteilungen.
er die Benennung Peruviol und die Formel C,H,O erteilt.
Sollte diese Formel sich bestätigen, so wäre die Vermutung
nieht unbegründet, dass jener Alkohol vielleicht in einer
näheren Beziehung zu dem Jonon stünde. Dass der Peru-
balsam, nachdem ihm durch Behandlung mit Aetzalkali alle
sauren Bestandteile entzogen sind, ausser Benzo&säurebenzyl-
ester, Zimmtsäurebenzylester und etwas Vanillin noch einen
verhältnismässig niedrig siedenden, riechenden Bestandteil
enthält, welcher für das Perubalsamöl (sog. „Cinnamein“)
charakteristisch ist, kann ich aus eigener Untersuchung be-
stätigen. Die genannten Ester des Benzylalkohols sind in
reinem Zustande fast geruchlos.. Auch reiner Benzyl-
alkohol riecht nur schwach, während sein Acetat inten-
siven Fruchtgeruch besitzt. Letztgenannter Ester bildet zu-
sammen mit dem freien Benzylalkohol einen wesentlichen
Bestandteil des Jasminblütenöles.
Dr. E. Erdmann, Halle a. S.
Geichzeitige Gewinnung von Stärke und Kleberteig.
Die Gewinnung und Reirisung der Stärke beruht bekannt-
lieh auf ihrem (1,5 und mehr betragenden) spezifischen
Gewichte, vermöge dessen sie sich bei den von Alters her
bis auf den heutigen Tag in den Stärkefabriken üblichen
Schlamm- und Sedimentierverfahren aus der Stärkemilch
zuerst absetzt — daher auch der alte Name Satzmehl —,
während die spezifisch leichteren Begleitsubstanzen — Ei-
weiss, Cellulose ete. — später nachfolgend sich auf die
Stärke auflagern und so von dieser mechanisch getrennt
werden können.
In derselben durch ihr verschiedenes spezifisches Ge-
wieht bedingten Reihenfolge, aber weit rascher und voll-
kommener, lagern sich die in der rohen Stärkemilch suspen-
dierten Stoffe unter dem Einflusse der Zentrifugalkraft ab,
wobei die Stärke, in sich wiederum in eine gross- und
kleinkörnige Zone geschieden, die äusserste Randschicht
bildet.
Gestützt auf diese der Rohstärke-Zentrifuge zu Grunde
liegende Thatsache, machte bereits vor etwa 30 Jahren
. Kleinere Mitteilungen. 285
A. FescA!) den Vorschlag zu einer neuen Methode der
Stärkefabrikation durch einfaches Zentrifugieren,
wonach ein aus Weizenmehl und Wasser bereiteter dünner
Brei mittelst der Rohstärkezentrifuge direkt in Rohstärke
und Kleberbrei zerlegt wird. Erstere enthält noch ein
wenig Kleie und Kleber und wird in der üblichen Weise
weiter gereinigt; letzterer besteht aus der Hauptmenge des
Klebers, der sog. Kleberstärke, einschliesslich aller übrigen,
in die Rohstärke nicht übergegangenen Mehlbestandteile,
und liefert nach Fesca (a. a. ©. S. 301) mit Mehl vermischt
und getrocknet ein schönes gelbes Klebermehl oder ver-
kleistert ein vortreffliches Viehfutter.
Die grossen wirtschaftlichen Vorzüge dieses Verfahrens,
bei welchem nur ein kleiner in die Rohstärke übergehender
Teil der physiologisch wertvollen Weizenbestandteile in
Verlust gerät, gegenüber den alten Gährungsmethoden, sind
offensichtlich, gleichwohl hat es eine irgend nennenswerte
praktische Bedeutung nicht erlangt, sei es, dass die Trennung
von Rohstärke und Kleberbrei nieht mit genügender Schärfe
sich vollzog, sei es, dass der Kleberbrei seiner dünnflüssigen
Beschaffenheit wegen oder aus anderen Gründen damals
keine vorteilhafte Verwendung finden konnte.
Neuerdings ist nun der an sich gute FescA’sche Ge-
danke wieder aufgenommen und technisch weiter durch-
gearbeitet worden zu einem Verfahren,?) welches die
Stärkefabrikation in: naturgemässe engste Beziehung zum
Bäckereigewerbe bringt, derart, dass bei der Stärke-
fabrikation aus Weizenmehl ein für die Bäckerei unmittel-
bar verwertbarer Kleberteig erhalten oder umgekehrt bei
dem Bäckereibetriebe als Nebenprodukt Stärke gewonnen
werden kann.
Das in Rede stehende Krır’sche Verfahren ist nach
der Patentbeschreibung folgendes: Man verrührt das Mehl
») L. von Wagner, Die Stärkefabrikation in Verbindung mit der
Dextrin- und Traubenzuckerfabrikation. Braunschweig 1876. $. 293.
2) Verfahren zur Trennung der Stärke und des Klebers von Ge-
treide und Leguminosen unter Gewinnung eines nährkräftigen Teiges
für Bäckereizwecke u. dgl. von Julius Keilin Hallea.S. D.R.P.
Nr. 102465.
286 Kleinere Mitteilungen.
in bekannter Weise mit Wasser, welches 0,2°/, Kaleium-
oxydhydrat gelöst enthält, und bringt die Mischung in einen
Kessel, in welchem sich ein Rühr- und Knetwerk befindet.
Dieses besteht aus einem an einer vertikalen Welle be-
festigten Systeme von miteinander verbundenen Schaufeln
und Rührern und trägt oben einen tellerförmigen Ansatz,
welcher das weitere Aufsteigen der Teigmasse verhindert.
In diesem Kessel, dessen Rührwerk sich mit steigender
Geschwindigkeit dreht, wird die Beschiekung (20—50 kg)
innerhalb 30—45 Minuten durchgearbeitet und bildet dann
eine salbenartige, diekflüssige Masse.
Diese wird nun durch einen am Boden angebrachten
Hahn in eine Zentrifuge — Rohstärkezentrifuge — abge-
lassen und geschleudert, wobei die Stärke sich vom Kleber-
teige trennt, der im Innern der Trommel verbleibt, während
die Stärke sich an den Wandungen im festen Zustande ab-
lagert. An Stelle des Wassers kann zum Einteigen des
Mehles, wenn die Art des Gebäckes dies zweckmässig er-
scheinen lässt, auch Milch genommen werden, in welchem
Falle der Nährwert des Kleberteiges noch durch die Nähr-
stoffe der Milch erhöht wird.
Der geringe Zusatz von Kaleiumoxydhydrat ist für die
Verwendung des Kleberteiges zu menschlichen Genuss-
zwecken ganz unbedenklich, technisch aber insofern von
Bedeutung, als er die Trennung des Klebers von der Stärke
begünstigt.
Die Patentansprüche lauten: 1. Verfahren zur Gewinnung
von Stärke und Kleber aus Cerealien und Leguminosen,
gekennzeichnet durch einen Zusatz von Kaleiumoxydhydrat
zu dem mit Wasser oder Milch in Breiform übergeführten
Material, wonach das Gemisch bis zur teigartigen Kon-
sistenz in einem Rührwerk bearbeitet und zentrifugiert wird.
2. Apparat zur Ausübung des unter 1. genannten Verfahrens,
gekennzeichnet durch ein an einer vertikalen Welle ange-
ordnetes Rührwerk und einen an dieser Welle angebrachten
tellerförmigen Ansatz.
Die Vorteile dieses Verfahrens liegen in der schnellen,
leiehten und vollständigen Ausscheidung der Stärke, in dem
Erhalten sämtlicher, auch der leicht lösliehen Nährstoffe im
. Kleinere Mitteilungen. 287
Kleber, in seiner konsistenten Form, welche ihn als Zusatz
zu menschlichen Nahrungsmitteln ohne weiteres geeignet
macht und in der hierdurch bewirkten volkswirtschaftlich
wichtigen Verwertung von bis jetzt verloren gehenden
Stoffen.
Der Weizenstärkefabrikation ist von jeher, und gewiss
nieht mit Unrecht, der Vorwurf gemacht worden, dass sie
zu wenig Rücksicht auf den physiologisch wertvollsten Teil
des Weizenkornes, das unter dem Sammelnamer „Kleber“
bekannte Gemenge verschiedener Eiweissstoffe, nimmt, indem
sie sich darauf beschränkt, dieses Nebenprodukt, soweit es
nicht überhaupt verloren geht, zu technischen Zwecken, sog.
Scehusterpapp ete. oder als Viehfutter zu verwerten.
Bedenkt man andererseits, welche hochwichtige Rolle
serade der Kleber bei der Herstellung von Teig- und Back-
waren spielt, wie die Backfähigkeit des Mehles von seiner
Menge und Beschaffenheit abhängt, und dass unter den
gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen dringendste
Veranlassung vorhanden ist, mit den von der Natur ge-
sebenen -bezw. landwirtschaftlich produzierten Nährstoffen
möglichst ökonomisch umzugehen, so wird jeder Versuch, die
Stärkefabrikation mit der Nahrungsmittelindustrie in engere
Beziehung zu bringen, mit Interesse zu begrüssen sein.
Die Besichtigung einer von der Halleschen Firma
F. A. HoLLmıe eingeriehteten provisorischen Anlage und die
chemische Untersuchung der verwendeten Materialien und
der erzielten Produkte ergab,!) dass das neue Verfahren
die Erwartungen erfüllt, welche Fesca einst an seinen
Vorschlag knüpfte, denn das Weizenmehl wird bei Ver-
arbeitung nach Patent KrıL geradeauf geschieden in Roh-
stärke und Kleberteig, welch letzterer unmittelbar verwert-
bar ist und im getrockneten Zustande die Zusammensetzung
eines der eiweissreichsten Leguminosenmehle besitzt, die
bekanntlich vielfach zu allerlei Nährpräparaten verwendet
werden. Der Verlust an Nährstoffen ist gering, der Ver-
brauch an Wasser und dementsprechend die Abwässermenge
1) Ausführliche Angaben über diese Untersuchungen findet man
in der Zeitschrift für angewandte Chemie. 1900. Heft 33.
288 Kleinere Mitteilungen.
im Vergleich zu den seitherigen Methoden der Stärkefabri-
kation minimal.
Ein abschliessendes Urteil wird sich natürlich erst ab-
geben lassen, wenn Betriebsergebnisse einer grösseren An-
lage!) vorliegen werden, doch darf aus dem Betriebe der
hiesigen kleinen provisorischen Einrichtung schon heute der
Schluss gezogen werden, dass eine rationelle Verbindung
zwischen Stärkefabrikation und Bäckereigewerbe thatsäch-
lich praktisch ausführbar ist und das FescA -Keır’sche
Zentrifugalverfahren mithin einen wesentlichen Fortschritt,
nieht nur der Stärkefabrikation, sondern auch des Bäckerei-
sewerbes, bedeutet.
In welches Verhältnis beide zu einander treten, hängt
selbstverständlich von lokalen Verhältnissen ab. An Orten
mit Weizenstärkeindustrie würde diese den als wertvolles
Nebenprodukt gewonnenen Kleberteig an die einzelnen
Bäckereien abgeben, wogegen in Städten mit grossen oder
zahlreichen kleineren Bäckereibetrieben die in diesen neben-
bei gewonnene Rohstärke in einer (gemeinschaftliehen) Stärke-
raffinerie zu verarbeiten wäre.
Von einer zweckmässigen Verbindung zwischen Weizen-
stärkefabrikation und Bäckereigewerbe würden nicht nur
die Beteiligten, sondern auch die Allgemeinheit Nutzen
haben. Prof. Dr. Baumert, Ver.-Sitz., 28. Juli 00.
Mineralogie und Geologie.
Ueber Thüringer Meteoriten. Unter Meteoriten
(eigentlich Erscheinungen in der Höhe) verstehen wir Stein-
oder Metallmassen, welche aus dem Himmelsraume durch
die Atmosphäre auf unsere Erdoberfläche niederfallen. Diese
Erscheinungen sind den Kulturvölkern schon seit undenk-
lichen Zeiten bekannt, und man findet sichere Aufzeich-
nungen über solche Beobachtungen in verhältnismässig sehr
frühen Zeiten sowohl bei den Völkern Asiens wie Europas;
!) Eine solche ist in Dresden bereits im Bau.
- Kleinere Mitteilungen. 289
so bei den Chinesen, welche seit 2600 Jahren die sorg-
fältigsten Aufzeichnungen über Meteore mit genauen An-
gaben der Zeit und der Nebenumstände führen, so bei den
Römern, deren Nachrichten ebenso weit hinaufgehen und
endlich bei den Griechen, welche über Steinfälle vor 3000
Jahren berichten. Es ist nicht wunderbar, dass diese Vor-
gänge den Geist der Völker beschäftigten, und wir finden
demgemäss, dass manche dieser vom Jenseits zu uns ge-
kommenen Massen Gegenstand der göttlichen Verehrung
wurden; so im Altertum das Ancile des Numa Pompilius
in Rom, so der schwarze Meteorit der Kaaba in Mekka,
der noch jetzt von den muhamedanischen Pilgern geküsst
wird, so die interessanten Meteoriten, welche von den prä-
kolumbischen Indianern der Vereinigten Staaten von Nord-
amerika verehrt wurden; ja sogar in der Christenheit hat
der Fall solcher Steine zur Anlage von Gotteshäusern Ver-
anlassung gegeben. Manche Meteoriten treffen unsere Erde
unter so flachem Winkel, dass sie abprallen und wieder gen
Himmel auffliegen; so fiel im vorigen Jahrzehnt in China
ein Meteorit in ein Reisfeld ein, um hier abprallend wieder
segen den Himmel aufzusteigen und in weiter Ferne in das
Meer zu fallen. Aehnlich ging es wahrscheinlich im Mittel-
alter einem Meteor, welcher in der Stadt Halle die Höhe
des Saalufers in der Nähe des botanischen Gartens traf
und dort abprallend wieder zum Himmel flog und wahr-
scheinlich weit draussen in der sumpfigen Saalebene nieder-
fiel; der fromme Glaube machte daraus eine goldene Egge,
welche als ein Zeichen der göttlichen Huld für unsere
Gegend vom Himmel gefallen und wieder gegen denselben
aufgestiegen sei; an der Stelle des Falles gründete ein be-
kannter Kirchenfürst das später durch die reichen Reliquien-
schätze ausgezeichnete Kloster zum „Neuen Werk“, welches
bald das reichste von ganz Sachsen wurde.
Es sind aber auch vier sicher verbürgte Fälle von.
Meteoriten in unserem engeren Vaterlande bekannt; von
diesen sind die von Kl. Wenden, Politz und Meuselbach
Steine und einer, der in Tabarz niedergegangen war, ein
Eisen.
Man unterscheidet nämlich Meteore aus Mineralien, wie
Zeitschriit f. Naturwiss. Bd. 73. 1900. 19
290 Kleinere Mitteilungen.
wir sie in unseren Felsarten vorfinden, und solche aus
regulärem Eisen.
1. Der jüngste dieser Thüringer Meteorsteine, die
alle aus Olivin, Bronzit, Niekeleisen und anderen neben-
sächlichen Gemengteilen bestehen und immer kleine Chon-
drite führen, ist der von Meuselbach bei Schwarzburg in
Thüringen. An einem nebeligen Gewittertage, dem 19. Mai
1897, Abends 7 Uhr 45 Minuten, wurde eine starke, einem
Donner- oder, Kanonenschlage ähnliche Detonation mit dar-
auffolgendem periodischen Rollen vernommen, was einige
Minuten anhielt. Dicht beim Orte sauste der Stein ungefähr
4m vom Kopfe eines auf dem Felde befindlichen Mädehens
nieder; er hatte auf dem Ackerfelde ein ca. 20 em tiefes
Loch in schräger Riehtung gemacht; beim Herausnehmen
soll er noch warm gewesen sein, doch war dies nach
15 Minuten nicht mehr der Fall; das Herabfallen erfolgte
aus NNO unter ea. 40%. Einige Beobachter wollen einen
grünlichen Lichtschein während des Falles und nach dem-
selben einen Geruch nach schwefeliger Säure wahrgenommen
haben. Die Hauptmasse des Steines befindet sich in Rudol-
stadt, eine Platte davon in Wien, kleine Teile in Jena und
Halle a. S.
Die äussere Form des Steines von Meuselbach stellt
ein ziemlich regelmässiges vierseitiges Prisma von den
Kantenlängen 10><8><6!/, em dar, sein Gewicht betrug
ea. 870 gr. Auf zwei benachbarten Seiten finden sich
Fingernagel ähnliche Eindrücke; eine 0,3 mm dicke, pech-
schwarze, z. T. gekörnte Rinde umgiebt den Stein.
Die innere Beschaffenheit des Steines ist feinkörnig
krystallinisch, die Farbe der Körner hellgrau mit einem
Stich ins Grüne; porphyrartig, doch wenig hervorstechend
heben sich daraus Kügelehen (Chondrite) heraus; letztere
sind zahlreich und z. T. ebenso wie das übrige gefärbt,
z. T. dunkelgrau und schwarz; sie erreichen selten eine
Grösse von 2,5 mm. Von Erzen sind vorhanden Nickeleisen,
Schwefeleisen und Chromeisenerz; der Stein gehört zu den
geaderten, krystallinischen Kügelehenchondriten.
Die Untersuchung im Mikroskop lehrt, dass neben Olivin
und Bronzit (beides bekanntlich Verbindungen der Kieselerde
_ Kleinere Mitteilungen, 291
mit Eisenoxydul und Bittererde), Niekeleisen, Schwefeleisen,
Chromeisen, ein farbloses und ein bräunliches Glas und ein
unbestimmbares regulär krystallisierendes Mineral vorhanden
ist. Der Olivin von heller bis grünlicher Farbe zeigt öfter
seine Spaltbarkeit nach der Quer- und Längsfläche, selten
aber gut ausgebildete, von deutlichen ebenen Flächen um-
schlossene Formen; sind letztere vorhanden, so werden sie
von jenen für die sogenannten „orientalischen“ Chrysolithe
so charakteristischen Flächen umgeben, wo die Querfläche
alle anderen überwiest; neben der Gradendfläche, der Längs-
fläche, den Prismen und beiderseitigen Domen (dachartige
Flächen) kommen Pyramiden vor; doch sind solche Kıy-
stalle in den weniger gut ausgebildeten Krystallmassen
selten, vielmehr sind gewöhnlich die Massen nur durch die
umgebenden anderen Krystalle begrenzt. Sowohl in den
Chondren als in dem Glase finden sich die orientalisch aus-
gebildeten Krystalle In denselben finden sich in rundlichen
oder lappigen Partien ein bräunliches Glas und Chromeisen.
Die optischen Eigenschaften deuten vielfach darauf hin, dass
die Krystalle einem starken Druck ausgesetzt gewesen sind.
Der Bronzit ist öfters nur sehr schwer von dem Olivin
zu unterscheiden; vielfach ist man hier auf die chemisch
grössere Widerstandsfähigkeit in Salzsäure angewiesen; er
ist in einzelnen Fällen faserig und dann besser vom Olivin
unterscheidbar, auch seine in Querschnitten siehtbare Spalt-
barkeit nach dem Prisma eharakterisiert ihn. Vortragender
konnte sich auf chemischem Wege von der Anwesenheit des
Bronzits neben Olivin in diesem Vorkommen überzeugen;
er behandelte Teile des Meteoriten mit Salzsäure, filtrierte
die Lösung von dem Rückstande ab und wiederholte diese
Operation mit viel Säure an einer sehr kleinen Menge Sub-
stanz drei Mal. Nach Entfernung der Kieselsäure, welche
durch Zersetzung des Olivins entstanden war, mittelst einer
konzentrierten Lösung von kohlensaurem Natron auf dem
Wasserbade zeigte der Rückstand deutliche grünliche Kry-
stallkörner von ziemlich hohen Brechungsexponenten (höher
als 1,54) und niedriger Doppelbrechung; entsprechend letzterer
waren die Interferenzfarben der kleinen Körner grau und
gelb I. Ordnung.
. 19:
299 Kleinere Mitteilungen,
Das farblose isotrope Glas bildet gleichsam den Grund-
teig, in welchem die übrigen Bestandteile eingebettet liegen;
ebenso wie die Rosinen im Kuchen, liegen Bronzit, Olivin,
Niekel-, Schwefel- und Chromeisen in diesem farblosen
Glase; es ist offenbar die Mutterlauge, aus welcher sich die
übrigen Gemengteile zuerst ausgeschieden haben. Doch tritt
die Menge des Glases den übrigen Gemengteilen gegenüber
sehr stark zurück. Das Glas ist eine Verbindung von
Kieselerde mit Thonerde und Kalk. Das Chromeisen kommt
in winzigen Körnchen und Kryställchen vor. — Neben diesen
Bestandteilen findet sich ein gelbliches Mineral mit Spalt-
barkeit nach dem Rhombendodekaäder. Das andere bräun-
liehe bis grünlich-braune Glas kommt nur in Olivin und
Bronzit vor. Auch dieses ist wie der Bronzit in kochender
Salzsäure nicht löslich. Der Meteorit ist aus feuerflüssigem
Guss entstanden; es schied sich zuerst aus demselben aus
der Chromeisenstein, dann folgte Olivin und Bronzit, sodann
das Nickeleisen und das Schwefeleisen, dann das reguläre
unbekannte Material, und zuletzt erstarrte das farblose Glas.
Die Chondren sind Anhäufungen der in Rede stehenden
Mineralien zu einem z. T. eckigen, z. T. kugeligen, runden
Gebilde; sie sind sehr mannigfach gebaut; vielfach besteht
das Kügelchen aus Krystallstengelehen, gebildet von Olivin
oder Bronzit, welehe radial von der Mitte ausstrahlen und
zwischen ihnen sind die Zwischenräume erfüllt mit weissem
Glase; andere haben zwischen den genannten Krystallen
dunkle Anhäufungen von Chromeisen und dunklem Olivin,
noch andere bestehen aus einem einzigen Olivinkrystalle,
welcher aber bei seiner schnellen Krystallisation Massen
weissen Glases oder Bronzits eingeschlossen hat; noch andere
zeigen einen Olivinkrystall in der Mitte, von dessen Ecken
langgestrekte Ausläufer desselben Stoffes in gleicher An-
ordnung ausstrahlen, und zwischen welchen Einschlüsse
anderer Minerale und Glas sich angesiedelt haben. Die
Beobachtungen Lınck’s an den Meteoriten von Meuselbach
zeigen, dass von tuffartigen Bildungen, als welche TscHERMAK
diese Meteorite auffasste, nicht die Rede sein kann, dass
vielmehr weiter nichts vorliegt als eine Ausscheidung von
Chondren und Krystallen aus Schmelzfluss; allerdings ist
‚Kleinere Mitteilungen. - 293
später der Meteorit einem Drucke ausgesetzt gewesen, wie
die an verschiedenen Stellen stattgefundene Auflockerung
zeigt.
2. Zu den Chondriten gehört auch der Meteorit von
Klein Wenden (Kreis Nordhausen. Am 16. September
1843, nachmittags gegen 43/, Uhr, waren die Ehefrau des
Holzhauers Kaspar Schulze geb. Köthen aus genanntem Orte
und der Webergeselle Heinrich Schwarzburger ebendaher
Augenzeugen des Falles des krystallinischen Chon-
driten. Sie waren in der Nähe der Domäne Münchenlohra
auf dem Felde thätig, der Himmel war ganz hell, auch
eine Gewitterschwüle nicht bemerkbar. Plötzlich vernahmen
sie einen ausserordentlich starken Knall in der Luft, welchem
nach etwa 2 Sekunden ein Gesause und zuletzt ein Geprassel
folgte. Die erschreekten Leute hatten bemerkt, dass dabei
etwas zur Erde gefallen war. Anfangs wagten sie sich
nieht heran. Nach einer Weile gingen sie näher zum Fallort
und fanden einen 13 em tief in die Erde eingedrungenen
schwarzen Stein, der noch so heiss war, dass, als die Schulze
darauf spukte, der Speichel ohne Zischen sofort verdampfte.
Nach einiger Zeit griffen sie den Stein an, fanden ihn aber
noch so warm, dass sie erst nach längerem Warten den-
selben aufzunehmen wagten. Durch den Landrat von ByLA
kam der Stein in die Hände von Direktor FiscHER und
Oberlehrer Dr. Kürzıng, welehe denselben als Meteor er-
kannten.
Sein Gewicht betrug 31/, Kilogr. Gegenwärtig befindet
sich die Hauptmasse im Berliner Mineralogischen Museum
2508 g, aber auch die Museen in Kalkutta, Cleveland, Dorpat,
Göttingen, Greifswald, London und Stockholm besitzen Teile
davon. Wie schon oben gesagt, gehört der Meteorit zu den
krystallinischen Chondriten; auch er besteht mineralogisch
aus Olivin, Bronzit, Niekeleisen und Chromeisen; in einer
festen, krystallinischen, im Bruche schimmernden (nicht _
staubartig matten) Grundmasse liegen fest damit verwachsen
harte, feinfaserige Kügelehen, welche beim Zerbrechen des
Steines mit der Grundmasse gleichzeitig entzwei brechen.
Die Rinde ist meist rauh und grob. Die Menge des ein-
gesprengten Eisens ist nach G. Rose oft sehr beträchtlich,
294 Kleinere Mitteilungen.
die Chondren sind sparsam vorhanden, die Olivin-Krystalle
klein und die Chromeisenkörner noch deutlich erkennbar;
nach ©. F. RAMMELSBERG ist auch noch Labradorfeldspath
vorhanden.
3. Am 13. Oktober 1819, Morgens gegen 7 Uhr, hörten
viele Personen bei einem ziemlich starken Nebel und bei
vollkommener Windstille in der Gegend von Politz, Köstritz,
Langenberg und Gleina (Reuss-Gera) einen sehr starken
Knall, den ein Kaufmann mit dem eines Vierundzwanzig-
Pfünders verglich, dem schloss sich ein Sausen und Knistern,
als wenn der Sturm im Eichenwald braust, an; zum Schluss
hörten einige einen starken Schlag, wie wenn ein schwerer
Körper auf den Erdboden aufschlägt. Karl Winter aus
Köstritz ackerte mit einem Ochsen, hörte dasselbe, er glaubte
das Getöse käme von Rubitz und ginge nach Roben, also
von SW nach NO; sein Ochse stand beim Beginn des Ge-
töses still.
Der Holzhauer Joh. Gottfr. Waldmann aus Kasehwitz
hörte ebenfalls zur angegebenen Zeit im Borngrunde bei
Gleina, etliche Kilometer westlich von Politz, bei stiller
Luft und heiterem Himmel einen Knall und hinterdrein ein
Brausen, als wenn das Wehr furchtbar rauscht: „Mir war,
als wenn alle Klötze lebendig würden und den Berg her-
unter gerollt kämen, und als wenn die Erde dabei erbebte.
Der Knall gab ein Echo und das Getöse nachher dauerte
ein halbes Vaterunser lang.“ Einige Zeit nachher hatte
sich der Nebel verzogen, der Himmel war heiter geworden,
und die Atmosphäre ganz ruhig geblieben. Der Knall ist
in einem Umkreise von 8 Stunden gehört worden, so in Jena,
Kamburg, auf allen Vogelherden bei Hummelshain u. s. w.
Von Feuererseheinugen hat niemand etwas bemerkt. Nach
Nachriehten, welche der Bergsehreiber Lindig auf dem
Wege nach Gera einzog, war das Getöse am stärksten bei
Gera gewesen; am heftigsten war es zwischen Auma und
Eisenberg, namentlich bei Mittelpöllnitz, Grossebersdorf,
Münchenebersdorf u. s. w., und es ist wahrscheinlich, dass
die Explosion in dieser Gegend ihren Anfang genommen
hat. Auch die Söhne des Dorfschulzen Bär von Politz
und der Bauer Rothe hörten zur angegebenen Zeit auf dem
. Kleinere Mitteilungen. 295
Felde ein Getöse, welches anfangs einem Kanonendonner,
später aber dem Lärm vieler fahrender Wagen ähnlich und
mit einem Sausen verbunden war. Es endigte mit einem
scharfen Pfeifen und einem dumpfen Schlage, woraus man
schloss, dass irgend ein Körper niedergefallen sein müsse.
Der Bauer Rothe bemerkte am nächsten Tage, dass auf
seinem Acker die Erde aufgeworfen war; er ging näher
hinzu und sah in einer Vertiefung einen schwarzen Körper
liegen, den er für Fuchswitterung bielt. Ohne den Körper
zu berühren, kehrte er nach Hause um, fragte den Jäger,
und als ihm dieser die Frage verneinte, gingen sie beide
auf den Acker um die Sache genauer zu untersuchen. Der
Jäger fiel gleich darauf, dass es ein Meteorstein sei, hob
ihn sorgfältig auf, bemerkte, dass er auf der unteren Seite
nach Schwefel roch und, dass der Raum, den er bedeckte,
mit gewissen Figuren aus feinen gelb gefärbten Sandkörnern
bedeckt war, was auch Herr Dr. Schottin aus Köstritz be-
stätigt. Das Loch fand Herr Kammerassessor Braun aus
Gotha noch unverändert vor; es hatte 20 em Tiefe und
50 em Weite, die Erde war ringsum wallförmig aufgeworfen,
ein Beweis, dass der Stein noch mehrere drehende Be-
wegungen gemacht hatte. Nachdem der Stein mehrere
Tage in den Händen des Bauern gewesen war, und mehrere
Stücke abgeschlagen waren, nahm ihn die Regierung von
Gera in Verwahrung; er wog, als er noch vollständig war,
3,2855 Kilogramm.
Seine Gestalt ist sphaeroidisch, hat mehrere flache und
tiefe Eindrücke und gleicht überhaupt einem im Wasser
serundeten, birnenförmigen Geschiebe; als er ganz war, war
seine grösste Länge ca. 15 em; am starken Ende ist er
ca. 12 em, am schwächsten 6—7 em diek. Nach dem Zer-
schlagen wog das grösste Stück 2518 gr. Davon besitzen
Berlin 713 gr, Pohl 422 gr, das Wiener Hofmuseum 404 gr
und Gera 930 gr; auch in Pesth, Kalkutta, Dorpat, Frei-
berg i. S., Gotha, London, Moskau und Tübingen sind Stücke
vorhanden; kleine Partieen sind in Cleveland, Cambridge,
Göttingen, Greifswald, Halle, Harward-Universität, Heidel-
berg, Paris und Petersburg aufbewahrt. Die Rinde ist
äusserlich graulich-schwarz, matt, etwas rauh und !/, Linie
296 Kleinere Mitteilungen.
diek. Das Innere hat eine lichte aschgraue Farbe, fein-
erdigen Bruch wie manche Grauwacke, an einzelnen Stellen
ist es splitterig; die Chondren von der Grösse einer Linse
und auch kleiner als diese, sind fest mit der Hauptmasse
verbunden und haben eine etwas dunklere Farbe; mit
blossem Auge kaum, wohl aber mit dem Mikroskope er-
kennbare Metallteile sind in der Masse verteilt. Der ganze
Stein ist von zwei geraden, die ganze Masse durchquerenden,
parallel verlaufenden Gängen durchsetzt, welche 2 em von ein-
ander entfernt sind; kleinere Gangtrümmer durchsehwärmen
die ganze Masse.
4. Im Gegensatz zu den vorstehenden Meteoriten be-
steht der letzte in Thüringen beobachtete aus Eisen; die
anderen Minerale treten hier ganz zurück. Diese Eisen-
masse wurde am 18. Oktober 1854 bei Tabarz bei Gotha
aufgefunden; nach einer anderen Nachricht, die jedoch
wenig glaubhaft ist, soll der Fall beobachtet und das Eisen
beim Funde noch heiss gewesen sein. Wie gross die Masse
ursprünglich war, ist nieht mehr festzustellen, indess haben
um 1863 noch ea. 135 gr in Göttingen und Wien existiert;
da nun schon 1855 eine Analyse davon angefertigt war, so
muss ursprünglich mehr davon vorhanden gewesen sein;
auch über die ursprüngliche Form ist nichts bekannt ge-
worden. Nur sprieht die Rinde von Eisenoxyd dafür, dass
er längere Zeit in der Erde gelegen hat, der Fall der
Masse also wahrscheinlich nieht beobachtet worden ist.
Der Tabarzer Meteorit ist ein sogenanntes octae-
drisches Eisen, d.h. es besteht aus verschiedenen Arten
von Nickeleisen, welehe parallel den Flächen des regulären
Octaeders angeordnet sind. Zuerst ist wahrscheinlich das
sogenannte Fülleisen (Plessit) auskrystallisiert in Oetaedern,
dann legte sich darum in parallelen kartenblattdieken
Sehiehten der Taenit oder das Bandeisen, welches wiederum
von dem Balkeneisen (Kamazit) umschlossen wurde. Letzteres
ist niekelärmer, der Taenit dagegen nickelreicher; diese
Art der Bildung wiederholte sich öfter, sodass ein Krystall-
stock aus diesen verschiedenen Eisen entstand. Wird nun
ein derartiger Stein zersägt, ungefähr parallel den Octaeder-
flächen und mit Salzsäure geätzt, so zeigt er die WIDMANN-
‚Kleinere Mitteilungen. 297
STÄTTEN’schen Figuren, welehe nach ihrem Entdecker benannt
sind und aus dreieckigen ete. Figuren in der Eisenmasse
bestehen. Sie entstehen deshalb, weil die nickelreicheren
Legierungen der Einwirkung der Salzsäure einen grösseren
Widerstand entgegensetzen als die nickelärmeren Partieen;
auf diese Weise wird dann die oetaedrische Struktur sicht-
bar. Man hat nun die Eisen nach der grösseren oder ge-
ringeren Feinheit ihrer Lamellen in solche mit feinen, mit
mittleren und groben Lamellen eingeteilt; unser Tabarzer
Eisen zeigt nun grobe Lamellen, welche geschart, meist
ziemlich unregelmässig begrenzt, sehr stark schraffiert und
mit lebhaft orientiertem Schimmer versehen sind. Der
Kamazit ist weitaus herrschend, aber Felder, Kämme und
Plessit (Fülleisen) fehlen fast immer oder sind nur winzig
entwickelt. Die Breite der Lamellen ist 1,5 —2 mm.
Meteoriten fallen täglich nieht nur in Thüringen, sondern
überall aus dem Weltenraume auf unsere Erde nieder, und
es ist daher nieht wunderlich, dass dem Mineralogen solche
Körper oft gebracht werden. Freilich sind es in einer
grossen Anzahl der Fälle Täusch-Meteoriten, d.h. es sind
nicht aus dem Weltenraume auf unsere Erde niedergefallene
Steine, sondern Teile dieser selbst, welehe dem Beobachter
nur von aussen zu kommen schienen. Der Mineralog kann
dies sehr leieht konstatieren, da nur eine ganz bestimmte
Klasse von Mineralien sich in den Meteoriten findet und
diese wieder in ganz bestimmter Vereinigung; endlich sind
auch das äussere Ansehen, die Rinde ete. ganz charakte-
ristisch. So passiert es denn, dass Köpfe von Kaminen,
Mörtel von Gesimsen, Gypse von Facaden, Schlacken von
Hüttenprozessen, Schwefelkieskälber, Steine von Schmiede-
essen und ähnliche mineralogisch sehr angenehme Steine
dem Kenner als Meteorite vorgelegt werden. Zum Glück
verhindert der ganz eigentümliche Bestand der Meteoriten
eine Täuschung.
Dureh den Fall derselben wird der Massenbestand
unserer Erde jährlich immer mehr vermehrt, und es giebt
Forscher, welehe behaupten, dass ganz mächtige Felsmassen,
z. B. die Basalte des hohen Nordens in Grönland durch
diese Fälle gebildet seien, Noch andere nehmen gar an,
298 Kleinere Mitteilungen.
dass unsere ganze Erde nur auf diesem Wege gebildet sei.
Jedenfalls ist das Studium dieser Steine ein äusserst an-
regendes, gewährt es doch einen Einblick in den Massen-
bestand der Planeten, die unserer Erde so ferne sind. Auch
hier hat das Studium gelehrt, dass dort keine anderen
Elemente vorhanden sind. als jene, aus welehen unsere liebe
Erde erbaut ist; auch hier bestätigt sieh die Einheit
unseres Sonnensystems. |
Prof. Lüdecke, Ver.-Sitz., 3. Mai 00.1)
Botanik.
Ein Vorschlag zur gleichförmigen Benennung der
Pflanzenordnungen. Die Benennung der Pflanzenfamilien
ist in neuerer Zeit gleichförmig gemacht worden, indem die
Namen von dem einer als Typus gewählten Gattung mit
der Endung -aceae gebildet wurden (Fagaceae, Rosaceae,
Violaceae). Die wenigen anders gebildeten Familiennamen,
die sich bis jetzt erhalten haben (Gramineae, Cruciferae,
Leguminosae, Umbelliferae, Labiatae, Compositae), sollten
der Gleiehförmigkeit halber durch den übrigen entsprechend
gebildete ersetzt werden (Poaceae, Brassicaceae, Lotaceae,
Cieutaceae, Mentaceae, Asteraceae, Lactucaceae).
Bei der Benennung der den Familien übergeordneten
Gruppen (Familienreihen, Ordnungen, Klassen) ist Gleich-
förmigkeit nieht minder wünschenswert als bei der der
Familien. Zweckmässigerweise werden die Namen nach
dem Muster von „Bryophyta“ und „Pteridophyta“ gebildet.
Es folgt eine Aufzählung der in der deutschen Flora
vertretenen Ordnungen der Embryophyten mit den zuge-
hörigen Familien. In Klammern stehen die in EnGLER’s
Syllabus der Pflanzenfamilien (2. Auflage, Berlin 1898) ge-
brauchten Namen.
1) Betreffs der genaueren Angaben über die einschlägige Litteratur
und die Ergebnisse der chemischen Analysen siehe: Lüdecke, Ueber
Thüringer Meteoriten. Leopoldina, 1900, Nr, 7,
- Kleinere Mitteilungen. 299
BRYOPHYTA: Rieeiaceae. Marchantiaceae. Anthocerotaceae.
Jungermanniaceae. Sphagnaceae. Andreaeaceae. Archidia-
ceae. Bryaceae (Bryales).
PTERIDOPHYTA (Filieales): Ophioglossaceae. Pteridaceae
(Eufilieineae). Marsiliaceae. Salviniaceae.
ARTHROPHYTA (Equisetales): Equisetaceae.
OSMOPHYTA (Lyeopodiales): Lycopodiaceae. Selaginella-
ceae. Isoetaceae.
PEUCOPHYTA (Coniferae): Taxaceae. Pinaceae.
GNETOPHYTA (Gnetales): Epbedraceae (Ephedroideae).
Monocotylae
TYPHOPHYTA (Pandanales): Typhaceae. Sparganiaceae.
HELOPHYTA (Helobiae): Potamogetonaceae. Triglochina-
ceae (Juncaginaceae). Alismaceae. Butomaceae. Hydrocha-
ritaceae.
POEPHYTA (Glumiflorae): Poaceae (Gramineae). Cyperaceae.
AROPHYTA (Spathiflorae): Araceae. Lemnaceae.
CRINOPHYTA (Lilüflorae): Juneaceae. Liliaceae. Amarylli-
daceae. Iridaceae.
ORCHEOPHYTA (Mierospermae): Orchidaceae.
Dicotylae
ITEOPHYTA (Salieales): Salicaceae.
MYRICOPHYTA (Myricales): Myricaceae.
DRYOPHYTA (Fagales): Betulaceae. Fagaceae.
SYCOPHYTA (Urtieales): Ulmaceae. Moraceae. Urticaceae.
SANTALOPHYTA (Santalales): Loranthaceae. Santalaceae.
ASAROPHYTA (Aristolochiales): Aristolochiaceae.
RHEOPHYTA (Polygonales): Polygonaceae.
BLITOPHYTA (Centrospermae): Betaceae (Chenopodiaceae).
Amaranthaceae. Portulaeaceae. Alsinaceae. Silenaceae.
LAUROPHYTA (Ranales): Nymphaeaceae. Ceratophyllaceae.
Ranunculaceae. Berberidaceae.
CRAMBOPHYTA (Rhoeadales): Papaveraceae. Fumariaceae.
Brassicaceae (Cruciferae). Resedaceae.
DROSOPHYTA (Sarraceniales): Droseraceae.
RHODOPHYTA (Rosales): Crassulaceae. Saxifragaceae. Riba-
ceae. Rosaceae, Lotaceae (Leguminosae).
300 | Kleinere Mitteilungen.
LINOPHYTA (Geraniales): Geraniaceae. Oxalidaceae. Lina-
ceae. Rutaceae. Polygalaceae. Euphorbiaceae. ? Callitri-
chaceae.
RHOOPHYTA (Sapindales): Buxaceae. Empetraceae. Tlicaceae
(Aquifoliaceae). Celastraceae. Aeseulaceae (Hippocastana-
ceae). Balsaminaceae.
RHAMNOPHYTA (Rhamnales): Rhamnaceae. Vitaceae.
MALACHOPHYTA (Malvales): Tiliaceae. Malvaceae.
IOPHYTA (Parietales): Hypericaceae. Elatinaceae. Tamari-
caceae. Cistaceae. Violaceae.
MYRTOPHYTA (Myrtiflorae): Thymelaeaceae. Elaeagnaceae.
Lythraceae. Oenotheraceae. Halorrhagidaceae.
DAUCOPHYTA (Umbelliflorae): Araliaceae. Cieutaceae (Um-
belliferae). Cornaceae.
LEDOPHYTA (Ericales): Pirolaceae. Ericaceae.
MYRSINOPHYTA (Primulales): Primulaceae. Plumbagina-
ceae.
ORNOPHYTA (Contortae): Oleaceae. Gentianaceae. Apocy-
naceae. Aselepiadaceae.
THYMOPHYTA (Tubiflorae): Convolvulaceae. Polemoniaceae.
Boraginaceae. Verbenaceae. Mentaceae (Labiatae). Solana-
ceae. Serofulariaceae. Orobanchaceae. Lentibulariaceae.
Globulariaceae.
NEUROPHYTA (Plantaginales): Plantaginaceae.
IXOROPHYTA (Rubiales): Rubiaceae. Sambueaceae (Capri-
foliaceae). Adoxaceae. Valerianaceae. Dipsacaceae.
SICYOPHYTA (Cueurbitineae): Cueurbitaceae.
SONCHOPHYTA (Campanulineae): Campanulaceae. Astera-
ceae (Compositae tubuliflorae). Lactucaceae.
Dr. Erwin Sehulze.
Ueber Pflanzengallen. Da wir im letzten Hefte des
vorigen Bandes die Resultate von Untersuchungen, die
Dr. Küster über Pflanzengallen angestellt hat, mitgeteilt
haben, so wollen wir nicht unterlassen, auf die Resultate
einer kurz vorher erschienenen und von Küster auch be-
rücksiehtigten Publikation Dr. Arper’s über denselben Gegen-
stand hinzuweisen, zumal da der Autor teilweise ganz andere
- Kleinere Mitteilungen. 801
Gesichtspunkte in den Vordergrund stellt. Die Abhandlung
ist unter dem Titel „Ueber Zoo- und Phyto-Morphosen“
(Sehriften der physikal. ökonom. Ges. zu Königsberg, Bd. 39,
1898) erschienen und schliesst etwa mit folgendem Resume:
Viele Gallenerzeuger sind im Stande, schon differen-
ziertes Gewebe in eine ursprüngliche Form zurückzuver-
wandeln, aus somatischem wieder embryonales zu bilden.
Die Möglichkeit, hoehdifferenzierte Morphosen zu bilden,
ist am grössten am Vegetationspunkt und nimmt umso-
mehr ab, je weiter sich die Anlagestelle der Morphose
von demselben entfernt. Ob diese Möglichkeit aber aus-
senutzt wird, hängt ganz von dem Reiz des Erzeugers der
Morphose ab.
Morphosen, bei deren Anlagen die vorhandenen Stoffe
nieht allseitig ausgenutzt werden, können unter Umständen
auch an weniger jungem Gewebe entstehen, ohne dass da-
durch eine Aenderung ihrer Gestalt bedingt wird.
Um aber den Vegetationspunkt in der geschlossenen
Knospe bei der Eiablage genau zu treffen, sind besonders
ausgebildete Fähigkeiten nötig, man kann also von gallen-
tüchtigen Insekten sprechen.
Die Ursachen der Morphosen sind zweifellos chemischer
Natur. Die Konstitution dieser Stoffe festzustellen, ist bis-
her jedoch noch nicht gelungen, jedenfalls aber müssen
sie den in der Pflanze vorhandenen Wuchsenzymen ähn-
lich sein.
Zoologie,
Ein neuer viviparer Fisch. Aus Südamerika wird
seit einiger Zeit eine kleine Karpfenart, Girardinus decem-
maculatus, der Zehnfleekkärpfling, zu uns als Aquarienfisch
gebracht, der nach P. Marrr’s Schilderung in „Natur und
Haus“ ein höchst interessantes Tierchen ist, da das Weibchen
im Laufe weniger Stunden 15—30 lebendige Junge zur
Welt bringt.
Da bei dieser Art der Fortpflanzung der männliche
Samen in das Innere der weiblichen Leitungswege einge-
302 Kleinere Mitteilungen.
führt werden muss, so kann es uns nicht Wunder nehmen,
wenn wir hören, dass das männliche Tier ein kräftig ent-
wickeltes Begattungsorgan aufweist.
Dr. Brandes, Ver.-Sitz. 25. Jan. 00.
Ein Beitrag zur Schneckenfauna des nordwestlichen
Thüringer Waldes. In der ersten Hälfte des Oktobers
dieses Jahres untersuchte ich den Abhang eines feucht-
schattigen Seitenthälchens des Ungeheuren Grundes bei
Friedrichroda genauer auf die daselbst vorkommenden
Schnecken, speziell die Gehäuseschnecken. Der Hang ist
lieht mit Buchen und Fichten bestanden, dazwischen be-
finden sich zahlreiche Strunke dieser Bäume, und der Boden
ist teilweise mit Gras, teilweise mit Digitalks, Belladonna ete.
bewachsen, teilweise auch lässt das Gesteinsgeröll (Rotliegen-
des) Pflanzenwuchs nicht aufkommen. Mein Hauptaugenmerk
richtete ich auf die Baumstümpfe und machte an ihnen auch
ziemlich gute Beute, während an den Felsen nicht viel zu
holen war. Auffallend war die Abhängigkeit der Schnecken
von der Temperatur; obgleich die nötige Feuchtigkeit stets
vorhanden war, waren doch an jedem Tage weiter in den
Herbst hinein, je kühler die Temperatur wurde, weniger Ge-
häuseschnecken zu finden; offenbar hatten sie sieh möglichst
weit unter das Moos zurückgezogen. Den Nacktschnecken
dagegen schien die Kälte gar nichts anzuhaben, sie krochen
auch, als Schneefall eintrat, ebenso munter umher als früher.
Am häufigsten unter den Gehäuseschnecken waren Olau-
silia lammiata Mont. (— bidens Drap.) und Cl. bidentata Ström.
(— nigricans Pult.); etwas seltener, aber immer noch zahl-
reich, Ol. plicatula Drap. Die sonst in der Buchenregion des
Thüringer Waldes sehr verbeiteten Cl. cana Held und or-
thostoma Menke konnte ich nicht finden, obgleich es wahr-
scheinlich ist, dass sie auch hier vorkommen. Patula
rotundata Müll. ist häufig, seltener P. ruderata Studer. Von
den Hyalina-Arten fanden sich ausser Hyalina fulva Müller
(— Conulus fulvus) auch Hyalina alliaria Miller, die echte
Knoblauehschnecke, die aus dem Thüringer Walde erst in
Jüngster Zeit durch meinen Vater bekannt geworden ist.
‚Kleinere Mitteilungen. 303
Der auffallende Knoblauehgeruch dieser Art, den sie nur,
wenn sie gereizt wird, von sich giebt, scheint mir ein Ver-
teidigungsmittel zu sein. Endlich fand sich noch ein schönes
Exemplar von Vitrina elongata, dass Herr GoLDFuss mir
zu bestimmen die Güte hatte. Das ziemlich seltene Tier
war aus dem Ungeheueren Grunde bereits bekannt.
Unter den Nacktsehneeken fiel mir die zierliche, sonst
ziemlich seltene Limax tenellus Nilsson auf.
Walter Gerbing.
Das Vorkommen von Planaria alpina nördlich
vom Harz. Die muntere und zierliche Planaria alpina,
die durch zwei tentakelartige, ausstreckbare Vorsprünge an
den Seiten des oralen Körperendes ausgezeichnet ist und
infolge dieser Eigentümlichkeit aus einiger Entfernung mit
Polycelis cornuta verwechselt werden kann, habe ich im
Laufe des verflossenen Sommers ausser im Thüringer Wald
und im Harz, wo sie schon früher bekannt geworden ist,
auch an zwei Punkten nördlich des Harzes in grosser
Menge angetroffen.
Einer der nördlichen Ausläufer des Westharzes ist der
Heber (nördlich von Gandersheim). An dessen Nordabhange
liegt der Flecken Lamspringe, eine alte Mönchsniederlassung
an der Quelle der Lamme, eines Seitenflüsschens der Innerste,
die sich zwischen Hannover und Hildesheim in die Leine
ergiesst.
Die Lamme entspringt im Innern des Klostergartens
in mehreren Quellen, die teils offen, teils wie ein Brunnen
gefasst und bedeckt sind. Sowohl in einen schmalen Ab-
fluss des gedeckten Brunnens fand ich unter Steinen Exem-
plare von Planaria alpina, als auch in einem geräumigen
Quelltümpel, dessen Boden aus einem weichen Mulm bestand
und vielfach mit moderndem Laub bedeckt war. Hier sah
ich die behenden Tierchen zu Hunderten in lebhafter Be-
wegung auf dem nachgiebigen Boden herumkriechen. Ob
die Tiere eine Strecke weit flussabwärts vorkommen, habe
ich nieht untersucht.
Der zweite Fundort liegt noch weiter nördlich. Als
Vorberg des Ostharzes ist der Huy bei Halberstadt ziemlich
804 Kleinere Mitteilungen,
bekannt. Ein weiterer Vorposten nach Norden ist der Elm
zwischen Braunschweig und Helmstedt. Dieser buchenbe-
waldete Muschelkalkrücken hat oberhalb des Städtehens
Königslutter eine sehr starke Quelle, die die Lutter bildet.
Diese fliesst zur Schunter, einem Nebenflüsschen der Oker.
Diese Quelle, Lutterspring genannt, ist seit alters her
überbaut. Ihr Abfluss ist mehrere Meter breit und strömt
sehr schnell über das Geröll von Kalksteinen dahin. Die
Steine sind mit prächtigem Rasen einer Batrachospermum-
Art dieht bedeckt und zwischen ihnen wachsen auch einzelne
Büsche von Nasturtium. Ausser einigen Lymnaeen fand ich
unter den Steinen nicht selten Planaria alpina. Im weiteren
Verlauf der Lutter machte sie sehr bald der bekannten
Planaria gonocephala Platz, nur in den obersten Seiten-
bächen der Lutter konstatierte ich lediglich Pl. alpına.
Also auch in diesen beiden Fällen bewohnt Planaria
alpina wahrscheinlich nur die Quelle und die allerobersten
Teile des Bachsystems, wie das von WALTER VoIGT für
verschiedene Stellen nachgewiesen ist.!) Die äusseren Um-
stände sind in den beiden soeben mitgeteilten Fundorten
sehr verschieden. Das eine Mal finden sich die Würmer
in einem Tümpel auf mulmigen, völlig steinlosen Boden, der
mit moderndem Laub bedeckt ist, das andere Mal unter
Steinen eines stark strömenden Abflusses. Warum Planaria
gonocephala der kleinen Art an diesen Orten den Platz
nicht streitig macht, während sie es sonst überall thut, ist
immer noch zu eruieren. Dr. @. Brandes.
1) Vergl. Walter Voigt, Die Einwanderung der Planariaden in
unsere Gebirgsbäche. Verhandlungen des naturhistorischen Vereins des
Rheinlandes ete. (Bonn) 1896. Bd. 53, S. 103—148.
Litteratur-Besprechungen.
Münch, Dr. Peter, Lehrbuch der Physik, bearbeitet von
Dr. H. Lüdtke. Freiburg im Br. Herder’sche Verlags-
handlung 1900.
Die vorliegende elfte Auflage erscheint nach Massgabe
der preussischen Lehrpläne von 1892 in zwei Teilen. Der
erste enthält einen vorbereitenden Lehrgang nebst einem
Anhange über die chemischen Erscheinnngen, der zweite
einen ausführlichen Lehrgang nebst den Grundlehren der
mathematischen Geographie. |
Gegen frühere Auflagen hat besonders die Wärmelehre
und die Lehre von der Elektrizität grössere Aenderungen
und Erweiterungen erfahren, indem ein allerdings kurz ge-
haltener Abriss der mechanischen Wärmetheorie und ein
besonderer Abschnitt über Meteorologie beigefügt ist. In
der Elektrizität ist u.a. die Lehre vom Potential, von den
Kraftlinien sowie das notwendigste über Kathoden- und
Röntgenstrahlen und elektrische Wellen aufgenommen. Druck
und Ausstattung sind sehr gut. Dr. A. Wagner.
Kleyers Encyklopädie. Lehrbuch der Integralrech-
nung. Zweiter Teil: Anwendung der bestimmten Inte-
srale auf Quadratur, Rektifikation, Komplanation und
Kubatur, sowie auf Aufgaben aus der Mechanik und
Technik, bearbeitet von Prof. Dr. August Haas. Stuttgart,
Verlag von Julius Maier, 1900.
Das Werk enthält in 9 Absehnitten die Anwendung der
Lehre von den bestimmten Integralen auf die Geometrie.
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 20
306 Litteratur-Besprechungen.
Es beginnt mit der Quadratur ebener Kurven, behandelt
dann die Rektifikation ebener und Raumkurven, ferner die
Inhaltsbestimmung und Oberflächenbereehnung von Körpern,
und giebt schliesslich die Anwendung von mehrfachen Inte-
gralen. Die Behandlung geschieht nach dem Krever’schen
Verfahren in Form von Fragen und Antworten. Daneben
sind noch Erklärungen eingeflochten, in denen häufig histo-
rische Bemerkungen Platz gefunden haben. Die Behandlung
des Stoffes ist eine ausserordentlich klare und fassliche,
sodass sich das Buch sehr wohl zum Selbststudium eignet.
Der grösste Wert des Werkes liegt aber in der überraschend
grossen Fülle von interessanten z. T. auch praktisch wichtigen
Aufgaben, deren Lösungen teils vollständig durchgeführt,
teils nur angedeutet sind. Unterstützt wird das Verständnis
durch zahlreiche, sehr anschauliche Figuren. Die Ausstattung
ist eine vorzügliche, sodass das Werk allen Interessenten
angelegentlichst empfohlen werden kann.
D. A. Wagner.
Bleier, 0., Neue gasometrische Methoden und Appa-
rate. Wien, Spielhagen und Schurich.
In klarer und sehr ausführlicher Form führt uns der
Verfasser die auf verschiedenem Wege durchzuführenden
Methoden der Bestimmung der Gasvolumina vor; seine Dar-
stellung wird durch eine grosse Zahl guter Abbildungen
trefflich unterstützt. Das Buch kann daher jedem, der mit
gasanalytischen Arbeiten zu thun hat, empfohlen werden.
Die Verlagsbuchhandlung hat es sich angelegen sein
lassen, das Werk gut auszustatten. Sehmidt.
Naumann, Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas.
Herausgegeben von Dr. C. Hennieke. III. Band: Lerchen,
Stelzen, Waldsänger und Finkenvögel. Mit 48 Chromo-
tafeln. Preis 16 Mark. Gera-Untermhaus. Verlag von
Fr. Eugen Köhler. 1900.
Wieder ist ein umfangreicher Band des mehrfach warm
empfohlenen Prachtwerkes fertig gestellt und erfreut uns
durch seinen reichen Inhalt und seine vornehme Ausstattung.
Litteratur-Besprechungen. 307
Die Lerehen behandelt der bekannte Ornithologe HARTERT
(am Rothschild’schen Museum in Tring) (S. 1—44), die Tafeln
dazu sind von KEULEMANS und von KLEINSCHMIDT gezeichnet
und zeigen in 14 Vertretern die 9 mitteleuropäischen Arten,
dazu kommen noch die sehr getreuen Abbildungen von
39 Eier-Individuen, die Ar. REICHERT gemalt hat. Von
besonderem Interesse für uns Hallenser ist die Beschreibung
und Abbildung (im Text) des sog. Lerchenspiegels, mit dem
hauptsächlich in unserer Gegend der Lerchenfang stark be-
trieben worden sein soll.
Die Pieper, deren Revision Rup. BrLAsıus besorgte
(S. 45— 96), lernen wir in 9 Arten kennen, von denen 16
verschiedene Individuen und 34 Eier durch NEcSEY resp.
REICHERT zur Darstellung gekommen sind.
Die Gruppe der übrigen Stelzen — Bach- und Schaf-
stelze — umfasst 9 Arten mit 8 Unterarten, die in 29 Indi-
viduen und 37 Eiern von DE Mars und KLEINSCHMIDT ab-
gebildet sind, während die textliche Revision (S. 97’ —145)
von PRAZAK besorgt wurde.
Mit- Uebergehung der Waldsänger erwähne ich, dass
die von PRAZAK, HARTERT und KLEInscHMIpr bearbeiteten
Ammern ($. 149—219) 17 Arten zählen, von denen 39 Indi-
viduen durch KEULEMANnsS und KLEINSCHMIDT und 52 Eier
durch REICHERT zur Darstellung gebracht werden.
Den Beschluss machen 25 Finkenarten (8. 220— 381),
die PRAzAK, HARTERT und DEICHLER bearbeitet haben und
von denen nicht weniger als 66 verschiedene Individuen
und 108 Eier abgebildet sind. Von besonderem Interesse
sind die Ausführungen DEICHLERrR’s über den Birkenzeisig
resp. seine geographischen Formen, von denen 5 Stück auf
den Tafeln durch KLEinscHmipdr wiedergegeben sind.
Insgesamt finden sich also in dem vorliegenden Bande
die Abbildungen von nicht weniger als 164 Vogelindividuen
und 240 Eiern, eine Thatsache, die zur Genüge darthut, _
dass man bei der Bestimmung eines Balges oder eines Eies
das Werk niemals vergeblich zu Rate ziehen wird. Wir
können das Werk nur immer und immer wieder jedem
Vogelliebhaber oder Jäger auf’s angelegentliehste empfehlen.
Dr. G. Brandes.
20*
308 Litteratur-Besprechungen.
Tümpel, Dr. R., Die Geradflügler Mitteleuropas. Mit
20 von W. Müller nach der Natur gemalten farbigen und
3 schwarzen Tafeln nebst zahlreichen Textabbildungen.
Eisenach, M. Wilckens Verlag, 1901. Preis 15 Mark.
Das im Sommer 1898 begonnene und in Band 71
dieser Zeitschrift (S. 376) angekündigte faunistische Werk
Tümper’s liegt nun in einem 308 Seiten starken Bande ab-
geschlossen vor.
Wir haben schon zu wiederholten Malen darauf hin-
Sewiesen, dass es bei uns in Deutschland in hohem Masse
an einer gleichmässig durehgearbeiteten faunistischen Litte-
ratur, die den Zweeken der Dilettanten und denen der Ge-
lehrten in gleicher Weise zu dienen im Stande ist, fehlt,
ganz im Gegensatz zu England, das eine grosse Anzahl
derartiger (und noch dazu preiswürdiger) Werke besitzt.
Um so mehr müssen wir jeden Versuch, hierin Abhilfe zu
schaffen, mit Freude begrüssen, und wir haben dazu in der
letzten Zeit mehrfach Veranlassung gehabt. Ich erinnere
nur an die zweite wohlfeile Ausgabe von Naumann’ Vogel-
werk, das auf der vorhergehenden Seite aus Anlass des
Abschlusses von Band III wieder einmal gewürdigt werden
konnte.
Tümper’s Werk verdient aber ganz besondere Aner-
kennung deshalb, weil es eine bisher von den Dilettanten
der Entomologie stark vernachlässigte Insektengruppe in
erschöpfender Weise behandelt und dadurch zweifellos eine
Menge Liebhaber diesem Gebiete gewinnen wird. Und das
bedeutet auch für die Wissenschaft einen Gewinn, denn zur
Beschaffung von Arbeits- und Beobachtungsmaterial können
der Hände und Augen nicht leicht zu viel werden.
Der Titel des Buches kann insofern zu Missverständ-
nissen Veranlassung geben, als man den Begriff „Gerad-
flügler“ in neuerer Zeit meist ziemlich eng fasst, indem man
nur die eigentlichen Orthopteren (Ohrwürmer, Schaben, Fang-
heusehrecken, Gespensterheuschrecken, Feldheuschrecken,
Laubheuschrecken und Grillen) darunter versteht. Das thut
Tünmepeu aber nicht, sondern dehnt den Begriff „Geradflügler“
auf die Pseudoneuropteren (Amphibiotica und Corrodentia)
und die Thysanopteren aus. Und dementsprechend sind in
Litteratur-Besprechungen. 309
dem Werke ausser den genannten Familien auch die Libellen,
Ephemeriden, Perliden und deren Larven ausführlich be-
handelt; ausserdem auch noch die Holzläuse (Psociden) und
die Blasenfüsse (Physopoda).
Nachdem alles, was von der Lebensweise der Familien
bekannt ist, vorausgeschickt wurde, setzt die ausführliehe
Sehilderung der Körperform ein, die durch Abbildungen
einzelner, für die Artunterscheidung wichtiger Körperteile
und durch solehe gröberen oder feineren anatomischen
Details illustriert ist. Es folgen Angaben über die besten
Fang- und Präpariermethoden, die besonders darauf gerichtet
sind, die Farben auch an den getrockneten Tieren zu er-
halten. Sehr gut ausgearbeitete Schlüssel für die Fest-
stellung der Unterfamilien, der Gattungen und der Arten
sehen der systematischen Aufzählung und eingehenden
Charakterisierung sämtlicher im mitteleuropäischen Faunen-
gebiete vorkommenden Arten voraus. Sehr zahlreiche und
vorzüglich ausgeführte Habitusbilder erlauben eine weit-
sehende Vergleiehung des zu bestimmenden Objektes, so-
dass wöhl selbst der Uneingeweihteste jedesmal zum Ziele
kommen dürfte. Von Libellen sind 54 Arten (häufig im
männlichen und weiblichen Geschlecht) und 12 Larven ab-
sebildet, von Ephemeriden 10 Imagines und 6 Larven, von
Perliden 12 erwachsene Tiere und 2 jugendliche. Ferner
5 Ohrwurmarten, 6 Schaben, 70 Heuschrecken, 9 Psociden
und 6 Blasenfüsse. Sämtliche Abbildungen sind in den
natürlichen Farben ausgeführt, die meisten in natürlicher
Grösse, manche aber auch vergrössert. Nur einige Larven
sind durch einfachere Abbildungen charakterisiert.
Man sieht, das Werk bietet sehr vieles, möge es auch
sehr Vielen etwas bieten! Wenn derartige lobenswerte
Unternehmungen sieh in Deutschland mehren sollen, müssen
sich auch Käufer finden, denn nur bei reichem Absatz kann
der Verleger so kostspielig herzustellende Bücher so preis--
wert liefern, wie es hier geschieht. Dr. @. Brandes.
Klein, Dr. Hermann J., Katechismus der Astronomie.
Belehrungen über den gestirnten Himmel, die Erde und
810 Litteratur-Besprechungen.
den Kalender. Neunte, vielfach verbesserte Auflage. Mit
3 Tafeln und 143 Abbildungen. Leipzig, Verlag von
J. J. Weber. Preis 3,50 Mark.
Der gestirnte Himmel, die Sonne und der Mond, die
Kometen und die Sternschnuppen sind dem Menschen von
frühester Jugend eine Quelle des Fragens und des Nach-
denkens, und Jeder greift deshalb gern zu einem leicht-
verständlich geschriebenen Büchlein, das ihm Auskunft
giebt über alle die himmlischen Wunder. Und das Studium
der Astronomie führt auch wieder zur Erde zurück, indem
es zeigt, dass ohne diese Wissenschaft keine exakte Zeit-
messung, keine Gradeinteilung, keine Schiffahrtskunde
möglich ist.
Den grösseren Respekt flösst sie uns aber doch ein,
durch die gewaltige Förderung unserer Erkenntnis. Wir
wissen durch sie nicht nur, dass die entferntesten Gestirne
aus der gleichen Materie wie unsere Erde bestehen, sondern
dass sie auch denselben Gesetzen der Anziehung unterworfen
sind. Die Astronomie berechnet die Geschichte der Welt
in der Zukunft, so weit es sich um den Gang der grossen
Weltkörper handelt, mit einer so oft erprobten Zuverlässig-
keit, dass diese an Sicherheit grenzt.
Alles dies und noch vieles mehr, ist in dem 311 Seiten
starken Bändehen der bekannten und geschätzten WEBER-
schen illustrierten Kateehismen knapp und klar auseinander-
gesetzt, von einem Gelehrten, der in Forscherkreisen wie
bei Laien seit langem ein hohes Ansehen geniesst.
Fickert und Kohlmeyer, Tierkunde unter grundsätz-
licher Betonung der Beziehungen zwischen
Lebensverriehtungen, Körperbau und Aufent-
haltsort der Tiere. 3. Aufl. Mit 570 Abbildungen
und 1 farbigen Tafel. Leipzig 1900, Verlag von G. Freytag.
Preis 4,80 Mark.
Die vorliegende Auflage bezeichnen die Verfasser —
zum Vergleich steht mir allerdings nur die 1. Auflage zur
Verfügung — mit Recht als „verbesserte“. Sie haben es
sich in der That angelegen sein lassen, viele der zahlreichen
Litteratur-Besprechungen. s1l
Halbheiten ete. zu beseitigen, aber eine Arbeit, die vor
strenger Kritik stand halten kann, ist das Buch noch bei
weitem nicht. Als Vorteil anzuerkennen ist die Einfügung
der Einzelbetrachtungen, die bisher den ersten Teil des
Buches bildeten, in den Text und ferner die Anfügung eines
Abrisses der Menschenkunde, in dem allerdings von dem
biologischen Prinzip, das nach dem Titelblatte „grundsätz-
lieh betont“ sein soll, herzlich wenig zu merken ist.
Da das Buch nicht nur wie bisher für Lehrerbildungs-
anstalten, sondern auch für andere höhere Schulen bestimmt
ist, haben die Verfasser, abgesehen von der Titeländerung,
auch ethymologische Erklärungen der zoologischen Namen
aufgenommen.
Die Abbildungen, die bisher wohl sämtlich aus älteren
Werken des FreyrAs’schen Verlags (POKORNY, GRABER etc.)
entnommen waren, sind durch zahlreiche neue vermehrt
worden, von denen mehrere allerdings gänzlich misslungen
sind. Es ist eben nicht leicht, wirklich gute „biologische“
Bilder zu schaffen. Wenn ich bemerke, dass das Buch bei
einem Umfange von 420 Seiten 570 und dazu oft noch sehr
grosse Abbildungen enthält, so kann man sich ein Bild
davon machen, wie kurz der Text vielfach weggekommen ist.
Dr. G. Brandes.
Geist und Stoff, Erläuterungen des Verhältnisses
zwischen Welt und Mensch nach dem Zeugnis der
Organismen von Wilh. H. Preuss. 2. dureh Nachträge
vermehrte Auflage. Oldenburg 1899, Schulzesche Hof-
Buchhandlung (A. Schwartz). Brosch. 4,— Mark
Im Vorwort bittet der Autor den Leser um etwas
Geduld. Diese Tugend muss man allerdings in reichem
Masse sein eigen nennen, wenn man sich durch die Fülle
der originellsten Ansichten „zu den tiefsten Problemen“ _
hindureharbeiten will. Im übrigen betrachten wir es als
ein schlechtes Zeugnis für das lesende deutsche Publikum,
dass derartige Machwerke in zweiter Auflage erscheinen
können.
312 Litteratur-Besprechungen.
Gerstung, F., Glaubensbekenntniseines Bienenvaters.
Versuch einer Versöhnung der natürlichen und göttlichen
Welt- und Lebensauffassung. Verlag von P. Waetzel.
Freiburg i. B. u. Leipzig 1900. Preis 1 Mark.
An Brosehüren, die sich die Versöhnung zwischen
Religion und Naturwissenschaften zum Ziele setzen, ist
bereits eine Ueberfülle erschienen. Trotzdem kann man
nieht sagen, dass einer dieser Versuche so recht geglückt
wäre. Fast durchgehend sind die Friedensbedingungen so
sewählt, dass die Naturwissenschaften auf ihre wertvollsten
Theorien Verzicht leisten sollen. So auch in der vorliegenden
Sehrift, in der die Deseendenztheorie und der Darwinismus
vom Standpunkte der Teleologie aus wacker bekämpft werden.
Freilich ist das Beweisverfahren, wodurch der Verfasser
jenen naturwissenschaftlichen Hypothesen den Boden abzu-
graben sucht, im allerhöchsten Masse einseitig. Das Leben
und Treiben des Biens, das ja in der That dem Descendenz-
theoretiker manch eine harte Nuss zu knacken giebt, ist es,
worauf GERSTUNG ausschliesslich sich stützt. Es ist dies
eine Methode, die auch von anderen theologischen Natur-
forschern, so vor allem von Wasmann, beliebt wird, und
der wir in unserem Artikel „Ueber Tier- und Menschenseele“
bereits entgegengetreten sind. Bleiben doch bei solch einem
Beweisverfahren die so überaus wichtigen Forschungsresultate
der Embryologie sowie die Lehre von den rudimentären
Organen vollkommen unberücksichtigt; und gerade dies ist
der Boden, worein die Descendenztheorie „die festen Wurzeln
ihrer Kraft“ geschlagen hat. Ja, man kann dieses so be-
liebt gewordene Beweisverfahren wohl nieht mit Unrecht
als sophistisch bezeichnen; werden doch aus der Gesamt-
masse der naturwissenschaftlichen Forschungsresultate nur
diejenigen herausgezogen, die der zu beweisenden These
günstig liegen. Seit wann ist das eine ehrliche Empirie ?
Aus den genannten Gründen wird der Naturwissenschaftler
vom Fach das Buch unbefriedigt bei Seite legen, um so
mehr, als es nichts neues bietet und, wie die Vorrede be-
merkt, auch nichts neues bieten will. Zudem laufen dem
Verfasser, der ein trefflieher Bienenzüchter ist und manches
Interessante vom Bien zu erzählen weiss, auch manche
Litteratur-Besprechungen. 313
sachlich bedenkliche Stellen unter. Geschrieben ist das
Buch vornehmlich für soche, die an den Brüsten natur-
wissenschaftlicher Weisheit noch nicht gesogen haben. Und
wir wollen wünschen, dass in diesem Kreise das Buch
weite Verbreitung und Erreichung seines Zieles finde; denn
nichts kann dem Faehmanne unangenehmer sein, als wenn
wissenschaftliche Hypothesen unverstanden unter
Laien kursieren.
Dr. Walther Sehoenichen.
Fischerei-Zeitung. Wochenschrift für die Interessen
der gesamten deutschen Fischerei, Fischzueht
und Teichwirtschaft, des Fischhandels, der Fisch -
verwertung, Sportfischerei, Zierfischzucht und
Aquarienkunde. Herausgegeben unter Mitwirkung her-
vorragender Fachmänner der Theorie und Praxis von
Regierungsrat Dr. Wilh. Dröscher-Schwerin i.M. Erscheint
wöchentlich Dienstag. Abonnementspreis: vierteljährlich
2 Mark. Neudamm, J. Neumann, Verlagsbuchhandlung
für Landwirtschaft, Fischerei, Gartenbau, Forst- und Jagd-
wegen.
Von dieser erst neuerdings begründeten Zeitschrift liegt
mir das 2. Quartal des 3. Jahrgangs (1900) vor. Die gut
redigierte ausserordentlich vielseitige Zeitschrift ist jedem
Fischerei-Interessenten wie jedem Liebhaber von Zierfischen
auf’s angelegentlichste zu empfehlen. Auch der Morphologe
und Physiologe wird bei regelmässiger Lektüre viele wert-
volle Belehrung daraus schöpfen, denn die Rassenbildungen
und der Stoffwechsel der einzelnen Fischarten bilden sehr
häufig die Themata der wissenschaftlichen Abhandlungen.
Berichte über Fischerei-Versammlungen lokaler, provin-
zialer, nationaler und internationaler Vereine oder Verbände
finden sich regelmässig in den Nummern der Zeitung. Ferner
statistische Erhebungen über Fischereierträge ganzer Länder
oder einer enger begrenzten Gegend oder bei Berücksich-
tigung dieser oder jener Fischart; weiter Vorschläge zur
zweckmässigen Verwertung gelegentlicher Ueberproduktion;
314 Litteratur-Besprechungen.
monatliche Beriehte meteorologischer Natur über Nieder-
schläge und Wasserstand mit ausführlicher Betonung der
für Fischereizwecke in Betracht kommenden Gesichtspunkte;
endlich findet man auch reichlieh Belehrung über fischerei-
rechtliche Fragen und ähnliches. Die Ausstattung des in
Lexikonformat erscheinenden Blattes ist zweekentsprechend,
besonders zeichnen sich die zahlreichen Figuren durch gute
Herstellung und sauberen Druck aus.
Dr. G. Brandes.
Neu erschienene Werke.
Mathematik und Astronomie.
Cantor, M., Vorlesungen über Geschichte der Mathematik. (3 Bände)
Band II. 2. Autlage. Halbband 2: Von 1550—1608. Leipzig 1900.
gr.8. pg. 12 und 481—943 mit 97 Holzschnitten. 12,— Mk.
Band 11. jetzt vollständig, 955 pg. mit 190 Holzschnitten. 26 Mk. — Band I (von
den ältesten Zeiten bis 1200 n. Chr.) 2. Auflage 1894. 891 pg. mit 1 Tafel und
1/4 Holzschnitten. 22 Mk. — Band 111 (1668—1758). 1. Aufl. 1894—98. 907 pg. mit
145 Holzschnitten 24 Mk.
Formelsammlung zur Hilfe beim Selbstunterricht in Mathematik,
Physik, Chemie und Astronomie. Hefti. 2. Auflage. Moskau 1899.
8. 247 pg. — Russisch. 3,50 Mk.
Mitteilungen der Hamburger Sternwarte. No. V: Schorr, R., Be-
merkungen und Berichtigungen zu C. Rümker’s Hamburger Sternen-
katalogen 1836.0 und 1850.0. Serie 2. Hamburg (Jahrb. wiss. Anst.)
19002, Rex} 8.737 pg: 2,— Mk.
Bilfinger, G., Die Zeitrechnung der alten Germanen. Stuttgart 1899.
4. 100 pg.
Kugler, F. X., Die Babylonische Mondreehnung. Zwei Systeme der
Chaldäer über den Lauf des Mondes und der Sonne. Auf Grund
mehrerer von J. N. Strassmaier kopierten Keilinschriften des Britischen
Museums. Mit einem Anhang über Chaldäische Planetentafeln. Frei-
burg 1900. Lex.8. 15 und 214 pg. mit 13 Tafeln und Holzschnitten.
Sr 24,— Mk.
Rudolph, H., Ueber die Ursache der Sonnenfleeken. Wien. (Denkschr.
Akad.) 1900. gr.4. 20 pg. 1,40 Mk.
Orff, K. v., Ueber die Hilfsmittel, Methoden und Resultate der inter-
nationalen Erdmessung. München 1899. 4. 59 pg. 2,— Mk.
Physik und Chemie.
Klinkert, G., Die Bewegung elektromagnetisch erregter Saiten. Mar-
burg 1898. 8. 26 pg. mit 2 Tafeln. 1,50 Mk.
Krieg, M., Taschenbuch der Elektrizität. Nachschlagebuch und Rat-
geber für technische Lehranstalten, Techniker ete. 5. Auflage.
Leipzig 1899. 12. 8 und 350 pg. mit 295 Holzschnitten, Leinen-
band. 4,00 Mk,
316 Neu erschienene Werke.
Mache, H., Ueber die Temperaturverhältnisse in der Flamme. Wien
(Sitzungsb. Akad.) 1900. gr. Ss. 9 pg. mit 1 Holzschnitt. 0,30 Mk.
Charlier, C. V. L, Ueber achromatische Linsensysteme. Zweite Mit-
teilung. (Stockholm, Oefv. k. Vet.-Ak. Förh. 1899. 8. 12 pg. 0,80 Mk.
Mitteilung I. 1895. 16 pg. 1,20 Mk
Thompson, S. P., Michael Faraday’s Leben und Wirken. Autorisierte
Uebersetzung von A. Schütte und H. Danneel. Halle 1900. 8. Mit
1 Portrait und 22 Abbildungen. 8,00 Mk.
Krämer, J., Konstruktion und Berechnung für 20 verschiedene Typen
der Dynamo-Gleichstrom -Maschinen. 2. Auflage. Leipzig 1899.
Lex. 8 8 ‘und 101 pg. mit 25 Tafeln (9 in Farbendruck) und
49 Holzschnitten. 15,00 Mk.
Beermann, H., Kritische Studien über die neueren quatitativen Be-
stimmungsmethoden der Borsäure, mit Einschluss der Turmalinanalyse.
Erlangen 1898. 8. 37 pg. 1,50 Mk.
Bickel, H., Ueber den Kohlensäuregehalt in der Luft der Gährkeller
von Brauereien und den Einfluss desselben auf den Gesundheits-
zustand der hier beschäftigten Arbeiter. Würzburg 1598. 8. 19 pg.
Fffront, J., Die Diastasen und ihre Rolle in der Praxis. Deutsche
Uebersetzung von M. Bücheler. (2 Bände). Band I: Die Enzyme
der Kohlehydrate und die Oxydasen. Wien 1900. gr.8. 11 und 340 pg.
7,00 Mk.
Herrmann, R., Ueber das fette Oel des Quittensamens. Erlangen 1899.
8. 36 Pg.
Schultz, G., Die Chemie des Steinkohlentheers, mit besonderer Be-
rücksichtigung der künstlichen organischen Farbstoffe. 3., vollständig
umgearbeitete Auflage. (2 Bände.) Band I: Die Rohmaterialien.
Braunschweig 1900. gr.8. 7 u. 308 pg. mit Holzschn. 10,00 Mk.
Zipser, J., Die textilen Rohmaterialien und ihre Verarbeitung zu Ge-
spinnsten. (Materiallehre und Technologie der Spinnerei.) Theil II:
Verarbeitung der textilen Rohstoffe zu Gespinnsten. 2 Hälfte: Ver-
arbeitung der tierischen Rohstoffe. Wien 1900. gr. 8. 16 und 206 pg.
mit 124 Abbildungen. 5,00 Mk.
Das jetzt vollständige Werk, 2 Teile, 1895—1900. 87 und 583 pg. mit 291 Abbildungen.
9,70 Mk.
Guarini- Foresio, E., Tölegraphie &leetrique sans fil. Transmission
de l’Energie eleetrique par un fil et sans fil (par l’öther). 2 memoires.
Liege 1899. $. 16 et 50 pg. 1,80 Mk.
Mitteilungen, Illustrierte Aöronautische. Fachzeitschrift für alle Inter-
essen der Flugtechnik mit ihren Hilfswissenschaften, für aöronautische
Industrie und Unternehmungen. Herausgegeben vom Münchener und
Oberrheinischen Verein für Luftschifffahrt. Redigiert von Moennichs.
Strassburg. gr. 4. Mit Tafeln und Abbildungen. — Jahrgang IV:
1900 (4 Hefte). 6,— Mk.
Bohlin, K., Ueber eine sonderbare am 2. Januar 1897 beobachtete
Nordlichterscheinung. Stockholm (Bih. Vet.-Akad. Handl.) 1898. 8.
18 pg. mit 4 Tafeln. 2,50 Mk.
Neu erschienene Werke. 317
Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Vukovie, A., Erdbeben und Magnetnadel. Beobachtungen und Studien
über den Zusammenhang zwischen den Erdbeben und den Ab-
lenkungen der Magnetnadel. Wien 1890. gr. 8. 42 pg. mit 3 gra-
phischen Darstellungen. 1,80 Mk.
Grimmer, J., Fossile Säugetierreste aus der Save. Wien (Mitt. Bosn.)
1900. Lex. 8. 10 pg. mit 9 Abbildungen. 0,50 Mk.
Harmer, S.F., On a Speeimen of Cervus belgrandi Lart. (C. verti-
cornis Dawk.) from the Forest-Bed of East Anglia. (London, Zool
Soc. Trans., Dee. 1899.) roy. 4. 12 pg. with 1 plate. 5,00 Mk.
Kornhuber, A., Ueber das Geweih eines fossilen Hirsches in einem
Leithakalk-Quader des Domes zu Presburg. (Presburg, Verhandl.
Ver. Naturk.) 1899.) 8. 9 pg. mit ! Abbildung. 1,00 Mk.
Geologische Spezialkarte des Königreichs Sachsen, 1: 25000,
bearbeitet unter Leitung von H. Credner. Blatt 76: Sektion Penig-
Burgstedt von J. Lehmann. 2. Auflage, revidiert von E. Danzig.
Leipzig 1900. 1 kolorierte Karte in Fol. Mit Erläuterung in gr. 8.
(34 pg.) 3,— Mk.
Bisher erschien (1877—99): Blatt 4, 7, 8, 10-57, 59—75, 77-89, 93--104, 107—111,
194—131, 134—140, 149—148, 150—156 (Blatt 28, 45, 46, 60, 96, 137 u. 142 in 2. Aufl.).
Blatt 111 und 112 mit Erläuterungen je 2 Mk., die übrigen mit Erläuterungen je
3Mk. — 3 Beilagen (Profile durch das Kohlenfeld von Zwickau, das Steinkohlen-
revier von Lugau- Oelsnitz und das Steinkohlenbecken des Plauenschen Grundes).
15,50 Mk. — 2 Ergänzungshefte (Müller, Erzlagerstätten von Berggieshübel und Erz-
gänge des Annaberger Bergreviers) 6,80 Mk.
Katzer, F., Ueber die rote Farbe von Schichtgesteinen. (Stuttgart,
Neues Jahrbuch für Mineralogie, 1899.) 8. 5 pg. 0,60 Mk.
Voller, A., Das Grundwasser in Hamburg. Mit Berücksichtigung der
Luftfeuchtigkeit, der Niederschlagsmengen und der Flusswasserstände,
der Luft- und Wassertemperaturen, sowie der Bodenbeschaffenheit
dargestellt. Hft. VII: Beobachtungen aus dem Jahre 1898. Hamburg
(Jahrb. wiss. Anst.) 1900. gr.4. 6pg. Mit 5 Tafeln. 3,50 Mk.
Heft I—VI (1888—97). 18933—98. 53pg. Mit 35 Tafeln und 1 Karte. 23,50 Mk.
Gebhardt, R., Beiträge zur Kenntnis der Beziehungen zwischen Erz-
gängen und faulen Ruschern des nordwestlichen Oberharzes. Rostock
1899. 4. 38pg. Mit 2 Tafeln.
Hoernes, R., Bericht über die Obersteierischen Beben des ersten
Halbjahres 1899 (zumal über die Erschütterungen vom 1., 7. und
29. April). Wien (Sitzungsbericht der Akademie) 1900. gr. 8. 22 pg.
Mit 2 Tafeln. 0,70 Mk.
Weber, C. A., Versuch eines Ueberblickes über die Vegetation der
Diluvialzeit in den mittleren Regionen Europas. Berlin 1900. gr. 8.
31 pg. 1,— Mk.
Frech, F., Die Steinkohlenformation. Beschreibung und Abbildung
der für dieselbe bezeichnendsten Versteinerungen. (Aus. Lethaea
geognostica.) Stuttgart 1899. Lex. 8. 177 pg. Mit 5 Tabellen,
3 Karten, 9 Tafeln und 99 Abbildungen. Erhöhter Preis 24,— Mk.
318 Neu erschienene Werke.
Zoologie.
Boulenger, G. A., Descriptions of two new blind Snakes. (London,
Ann. and Magaz. Nat. Hist.) 1898. 8. 1 pg. 0,30 Mk.
Mik, J., Eine neue Aulax-Galle. Ein hymenopterologischer Beitrag.
(Wien, W. Ent. Ztg. 1899.) S. 3 pg. mit 1 Tafel. 1,00 Mk.
Van Breda de Haan, J., Levensgeschiedenis en bestrijding van het
Tabaks-Aaltje (Heterodera radieicola) in Deli. Batavia (Mededeel.
uit’s Lands Plantentuin, 35) 1899. kl. 4. 69 pg. mit 3 Tafeln.
4,00 Mk.
Bertz, F., Ueber die chemische Zusammensetzung der Zähne. Würz-
burg 1898. 8. 36 pg. mit 1 Tafel.
Rawitz, B., Ueber Megaptera boops Fabr., nebst Bemerkungen zur
Biologie der Norwegischen Mystacoceten. (Berlin, Arch. Natur-
gesch.) 1900. gr.8. 34 pg. mit 1 Tafel.
Grobben, K., Einige Betrachtungen über die phylogenetische Ent-
stehung der Drehung und der asymmetrischen Aufrollung bei den
Gastropoden. (Wien, Arb. Zool. Inst.) 1899. gr. 8. 20 pg. mit
8 Abbildungen.
Comstock, J. H., and Needham, J. G., The Wings of Insects.
A Series of Articles on the Structure and Development of the Wings
of Inseets, with special reference to the Taxonomie Value of the
Characters presented by the Wings. Ithaca N. Y. 1899. roy. 8.
124 pp. with 90 figures. 6,00 Mk.
Speiser, P., Ueber die Strebliden, Fledermausparasiten aus der Gruppe
der pupiparen Dipteren. (Berlin, Arch. Naturgesch.) 1900. gr. 8.
40 pg. mit 2 Tafeln.
Foot, K., The Cocoons and Eggs of Allolobophora foetida. (Boston,
Journ. Morphol) 1898. roy. 8. 26 pg. with 1 colored plate in-4.
and 4 figures.
Huber, J. C., Bibliographie der Klinischen Entomologie (Hexapoden,
Acarinen). Heft 3: Diptera (Musciden und Oestriden), Sarcophila,
Sarcophaga, Calliphora, Anthomyia, Musca, Lucilia, Teichomyza,
Compsomyia, Hypoderma, Dermatobia, Ochromyia. Jena 1899. 8.
25 pg. 1,50 Mk.
Heft 1 u. 2. 24 u. 24 pp. 3 Mk
Rauber, A., Der Ueberschuss an Knabengeburten und seine bio-
logische Bedeutung. Leipzig 1900. gr.8. 4 und 220 pg. Mit
16 Holzschnitten. 5,— Mk.
Bergh, R.$., Das Schicksal isolierter Furchungszellen. Leipzig (Zool.
C. Bl.) 1900. 8. 14 pg. 1,— Mk.
Rey, E., Die Eier der Vögel Mitteleuropas. (In 25 Lieferungen.) Gera
1900. gr. 8. Mit 125 Farbendrucktafeln (über 1200 Abbildungen). —
Lieferung 2—4: pg. 25>—72. Mit 15 Tafeln. Jede Lieferung 2,— Mk.
Blätter für Aquarien- und Terrarien-Freunde. Herausgegeben von
W. Jagodzinski. Magdeburg. 8. Mit vielen Abbildg. Jahrg. XI:
1900 (24 Nrn.). 5,— Mk
Neu erschienene Werke. 319
Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen. Ergänzungsheft I
und II: Atlas der normalen und pathologischen Anatomie in typischen
Röntgenbildern. Hamburg 1900. 4. M. 18 Taf. u. 44 Abbild. 21,— Mk.
Rawitz, B., Das Gehörorgan der japanischen Tanzmäuse. Leipzig
(Arch. Anat. Ges.) 1599. 8. 9pg. Mit 1 Tafel. 1,— Mk.
Brick, C., Das amerikanische Obst und seine Parasiten. Hamburg
(Jahrb. wiss. Anst.) 1900. Lex. 8. 34 pg. 1,50 Mk.
Löwit, M., Die Leukämie als Protozoeninfektion. Untersuchungen
zur Aetiologie und Pathologie. Wiesbaden 1900. gr. 8. 8 und
2850 pg. Mit 10 Tafeln. 14,60 Mk.
Leon, N., Du röle de la Zoologie a la Facult& de Medeeine. Lecon
d’ouverture. Jassy 1900. 8. 15 pg. 0,80 Mk.
Heinemann, H.N., Experimentelle Untersuchungen am Menschen über
den Einfluss der Muskelarbeit auf den Stoffverbrauch und die Be-
deutung der einzelnen Nährstoffe als Quelle der Muskelkraft. München
1898. 8. 51 pg.
Immermann, F., Ueber Doppeleier beim Huhn. Basel 1900. 8. 42 pg.
Mit 5 Figuren.
Medreezky, S., Die Farbenveränderungen der Singvögel im Freien
und in der Gefangenschaft. (Budapest, Aquila 1899.) 4. 6 pg.
0,60 Mk.
Garten, $., Beiträge zur Physiologie des elektrischen Organes der
Zitterrochen. Leipzig (Abhandl. Ges. Wiss.) 1899. Lex. 8. 116 pg.
Mit 4 Tafeln. 5,— Mk.
Wasmann, E., Vergleichende Studien über das Seelenleben der
Ameisen und der höheren Tiere. 2. vermehrte Auflage. Freiburg
190). 8. 7 und 152 pg. Mit 5 Abbildungen. 2,— Mk.
Botanik.
Schmidt, H. R., Ueber verschimmelte Tapeten. Erlangen 1899. 8.
31 pg.
Wolff, E., Ueber die Bedeutung der Verzweigungen für die Systematik
der Bakterien. Würzburg 1898. 8. 19 pg.
Keissler, K.v., Ueber einen androgynen Fichtenzapfen. (Wien, Oest.
bot. Zeitschr.) 1899. 8. 4 pg. mit 8 Abbildungen. 0,50 Mk.
Möbius, M., Der Japanische Lackbaum, Rhus vernieifera D.C. Frank-
füurt a. M. (Abhandl. Senckenb. Naturf. Ges.) 1900. 4. 48 pg. mit
1 Tafel und 29 Abbildungen. 4,00 Mk.
Reinke, J., Ueber Caulerpa. Ein Beitrag zur Biologie der Meeres-
Organismen. (Kiel, Wiss. Meeresuntersuch. Comm. Untersuch. D.
Meere) 1899. gr. 4. 96 pg. mit 87 Abbildungen. 8,00 Mk.
Rodewald, H., und Kattein, A., Ueber die Herstellung von Stärke-
lösungen und Rückbildung von Stärkekörnern aus den Lösungen.
(Berlin, Sitz.-Ber. Ak. Wiss. 1899.) 4. 3 pg. 0,50 Mk.
Czapek, F., Zur Biologie der holzbewohnenden Pilze. (Berlin, Ber.
D. Bot. Ges. 1899.) gr.8. 5 pg- 0,60 Mk.
320 Neu erschienene Werke.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. Herausgegeben
von R. Koch und C. Flügge. Band 33, Heft 1. Leipzig 1900. gr. 8.
pg. 1—160. Mit 1 Karte, 1 kolor. Tafel u. 2 Holzschn. 6,— Mk.
Inhalt: Cozzolino, V., Ein neues Fadenbakterium, eine pseudo - aktinomyko-
tische Erkrankung erzeugend (mit 1 Karte). — Hofimann, R., Ueber das Vorkommen
und die Bedeutung des Koch-Weeks’schen Bazillus. — Klett, A., Zur Kenntnis der
reduzierenden Eigenschaften der Bakterien etc,
Hassack, C., Wodurch unterscheiden sich die Textilfasern? Einige
Unterrichtsstunden im Mikroskopieren. Leipzig (Zeitschr. ges. Textil-
industrie) 1900. gr.$. 48 pg. Mit Abbildungen. 1,50 Mk.
d’Aygalliers, P., L’Olivier et l’huile d’olive. Paris 1899. S. 350 pg.
Avec 64 figures, cart. 3,60 Mk.
Garcke, A., Flora von Halle. Nachtrag von H. Fitting, A. Schulz und
E. Wüst. Herausgegeben von E. Wüst. Teil I. Berlin (Verhandl.
Bot. Ver. Brandenb.) 1900. gr.8. 48 pg.
Flora von Halle. 2 Teile. Halle u. Berlin 1848—56. 743 u. 276pg. 12,— Mk.
Fabricius, L., Ueber den Einfluss der Sonnenstrahlen auf die Rinde-
bildung einiger Waldbäume. München 1899. 8. 39 pg.
Me Donnel, M.E., Ueber Milchsäurebakterien. Kiel 1899. 8. 58 pg.
Mit 3 Tafeln.
Johannsen, W., Das Aetherverfahren beim Frühtreiben, mit be-
sonderer Berücksichtigung der Fliedertreiberei. Jena 1900. gr. 8.
28 pg. Mit 4 Abbildungen. 0,80 Mk.
Beauverie, J., Etudes sur le polymorphisme des Champignons. In-
fluence du milieu. Lyon (Ann. Univ.) 1900. gr. in-8. 267 pg. Av.
75 figures. 7,— Mk.
Hesdörffer, M., Köhler, E. und Rudel, R., Die schönsten Stauden
für die Schnittpflanzen und die Gartenkultur. (12 Lief.) Berlin 190.
Lex. Ss. 48 Farbendrucktafeln mit Text. — Lief. 1: 4 Tafeln mit
Apg. Text. Jede Lieferung 0,90 Mk.
Frank, A.B., Aufforderung zum allgemeinen Kampf gegen die Fusi-
cladium- oder sog. Schorfkrankheit des Kernobstes. Herausgegeben
von der biologischen Abteilung für Land- und Forstwirtschaft am
kaiserlichen Gesundheitsamte. Berlin 1900. gr.8. Apg. Mit 1 Ab-
bildung. 0,10 Mk.
Hoyer, D. P., Beiträge zur Kenntnis der Essigbakterien. Berlin
(Deutsche Essigindustrie) 1899. 8. 102 pg. Mit 6 Holzschnitten.
4,— Mk.
Rh,
Verlag von E. Schweizerbart in Stuttgart.
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Blütenbiologische Schemabilder.
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zur Methodik des naturkundlichen Unterrichtes
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Mit 12 Figuren im Text.
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ausgestorbene Riesenvögel
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Zoologica.
m: aus dem Gesammtgebiete der Zoologie.
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Prof. Dr. €. Chun.
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Inhalts- und Preisverzeichnisse stehen zu Diensten.
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herausgegeben von
Prof. Dr. &. Schwalbe,
Direktor des anatom. Instituts der Universität Strassburg.
Jährlich ein Band zu 3 Heften.
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Ar. Kur, Zoologie (inel. Palaeozoologie). 5380 eg
„94. Philosophie, Pädagogik. 1955 Nr. >
” » 9597. Botanik (Bibl. Ö. Boeckeler, J. Lange, I. 1. Forssci).
ER Phanerogamae, Florae. .3889 Nr. — 96. Pr ee i
tica. ‚41872 Nr. — 97. Cryptogamae. 2277. Nr, ;
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RER se 80: Geh. Mk. in a geb. = 12
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Maassanalyse und zum Selbststudium. ‚Mit 21: Textab-
pilungen, 8°. Geh. Mk. 3,—.
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Verlag von E. Schweizerbart in Stuttgart. SD
System
orberl Be ;
"Autorisierte deutsche Ausgabe.
Ba. I. Grundsätze einer synthetischen Aufrassung ‚der.
Dinge. 2. Auflage . . Sa MR
Bd. 11-IH. Die Prinzipien der Biologie. Een RAR Mk
- Bd. IV—V. Die Prinzipien der Psychologie. TIL. .. Mk: 27
Bd. VI—IX. Die Prinzipien der Soziologie. uIv. =. DE 96
‚Bd. Eae "Die nen der Ethik. [H .. % k.
i ; Drich, von Ehrhardt Karras, Halle a. Sx
v uf
f: rt
I <BR wenrs
A Hr
Se 13 5
5.16 a : 97. Februar 1901.
Zeitschrift
: für
Naturwissenschaften
RING f
"Organ des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen
und Thüringen, unter Mitwirkung von
Geh.-Rat Prof. Dr. von Fritsch, Geh. Rat Prof. Dr. Garcke
- Geh.-Rat Prof. Dr. E. Schmidt und Prof. Dr.. W. Zopf
herausgegeben
von
Dr. G. Brandes
Privatdozent der Zoologie an der Universität Halle
Mit 1 Tafel
ee Jährlich erscheint 1 Band zu 6 Heften
£ Preis des Bandes 12 Mark
Een | = Vereinsausgabe
2 a SECRR
4
See
- E. Schweizerbart’sche Verlagshandlung
we (E. Naegele)
1901
Inhalt.
I. Original-Abhandlungen. FR
Erdmann,. Prof. Dr. H., C. Höpfner, 8. Februar 1857 bis.
BANNER "Dezember 1900. Biographische Notiz
GErkihen, ‘Walter, Die ee des en
‚Thüringer Waldes 8
Kersten, HM, Die idealistische Richlng in ‚der vahdemmen Ent-
wieklungslehre %
Marshall, Prof. Dr. William, Geflügelzüchter, Tierärzte,
Menschenärzte. und zoölogische Wunder .. Son,
Seupin, Privatdozent Dr. H., Ueber. vulkanische Bomben aus
‚dem N Mit Tafel V
1I. Kleinere Mitteilungen.
Astronomie: Zur J ahrhundertwende, S. 41 FT. ‚Ueber Sonnen-
ukren. “8: 415, °
Chemie und Physik: Die Ricchstohe aus den a der
Ketone, der Phenole und der Säuren. 8. 417. — Die
Boa der Ackererden und die Bestimmung
des assimilierbaren Kalkes im Boden. S. 419. — Das Blaü
des Himmels und des Was:ers., 8.42X. — Die Wirkung
des Liclites bei tiefen Temperaturen. 8. 429..
Mineralogie und Geologie: Die ae des
Brockens. :8. 43). — Neue Erdbebenschwärme im Noet
lande. .- 8. 431.
Botanik: Zur Bivlogie des Schattenblattes. 5 4833.
Zoologie: Die Parthenogonie der Bienen. S. 438. — Zur Bio-
logie des Maikäfers. $:439. — Das Summen der Dassel-
fliegen. S. 443. — Die Beeinflussung des Vogelmagens
durch die Art der Nahrung. 8.441. — Die Zähne der
Elefanten. S. 443.
Ill. Litteralur - Besprechungen .
IV. Neu erschienene Werke .
Seite
367
398
321
369
399
467
Die idealistische Richtung in der modernen
Entwicklungsiehre.
Mit besonderer Berücksichtigung der Theorien von 0. Hamann
und E. von Hartmann
von
H. Kersten.
Vier Dezennien sind verflossen, seit DARwINn zuerst
seine neue und originelle Lehre verkündete. Der Kampf
der Meinungen, der hierdurch entfacht wurde, dauert heute
noch fort. Doch nicht mehr um die Entwicklungsidee als
solehe, denn die ist längst in der Biologie zu allgemeiner
Anerkennung gelangt. Heute dreht sich alles um das „Wie“
der Entwicklung. Dem Darwinismus, sei es in seiner ur-
sprünglichen Form, sei es in der später von mehreren
Forschern (ef. WEısmAnn und EIMER) modifizierten, ist je
länger je mehr eine entschiedene Gegnerschaft erstanden,
welehe nichts von einer rein mechanischen Erklärung der
Entwicklung wissen will, sondern „das Ausschlaggebende“
bei jeder Entwicklung in „inneren im Organismus liegenden
Ursachen“ sehen zu müssen glaubt. Man kann die von
Darwın’s prinzipiellen Gegnern vertretene und seit etwa
einem Jahrzehnt stärker hervorgetretene Richtung in der
Entwicklungslehre kurz als die idealistische oder vielleicht
treffender noch als die teleologisehe bezeichnen. Denn wenn
auch die Anhänger dieser Richtung in ihren Erklärungs-
versuchen vielfach auseinander gehen, so treffen sie sich
doch darin, dass sie die ganze Entwicklung zuletzt auf
teleologische Prinzipien zurückführen wollen. Es geschieht
dies zum Teil mit Anlehnung an SCHOPENHAUER und an.
Zeitschrift £. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 21
322 H. KERSTEN, [2]
von HARTMANN, und es fehlt nicht an Versuchen, gewisse
Grundideen beider Philosophen zum Aufbau einer teleo-
logischen Naturphilosophie zu verwerten. Teilweise laufen
bei diesen teleologischen Tendenzen auch religiöse Motive
mit unter.
Indem wir uns nun im folgenden eine kritische Be-
trachtung der ganzen in Rede stehenden Riehtung zur Auf-
gabe machen, wollen wir uns zunächst an einen typischen
Vertreter derselben halten. Als einen solehen dürfen wir
wohl O. Hamann, früher Professor der Zoologie in Göttingen,
ansehen. Sein 1892 erschienenes Buch „Entwieklungslehre
und Darwinismus“!) ist zwar nicht neuesten Datums, um-
fasst aber schon alles Wesentliche, was hier in Betracht
kommt, und behandelt besonders auch die prinzipiellen
Fragen in einem gewissen systematischen Zusammenhange.
Es erscheint daher auch gegenüber den vielen neueren
Publikationen gleicher Tendenz ganz angebracht, auf jenes
Buch zurückzugreifen und darauf hinzuweisen, dass dort in
der Hauptsache so ziemlich alles schon gesagt ist, was
seither zu Gunsten einer teleologischen Entwicklungslehre
ins Feld geführt ward.
Seinen allgemeinen Standpunkt charakterisiert HAMANN
selbst mit der Bemerkung, dass die moderne Entwicklungs-
lehre stehe und falle „mit der Antwort auf die schwer-
wiegende Frage nach der Stellung des Menschen im Kreise
der Organismenwelt, nach seinem Ursprung und seiner Ent-
wieklung.“ Den anthropozentrischen Standpunkt, den er
hier schon verrät, kehrt er an anderen Stellen aufs sehärfste
hervor. Für ihn ist der Mensch nieht etwa nur „eine äusser-
liche Zugabe der Welt“, sondern „die Krone und das Ziel
der Schöpfung“. „Die ganze organische Schöpfung und
Entwieklung“, so erklärt er, „scheint darauf vorzubereiten,
dass als Endglied, als Schlussstein, der Mensch erscheint“.
Will man sich die Schöpfung als eine Entwieklung denken,
so kann es nur eine solche sein, die von einer überall in
!) Jena bei Costenoble. Im Vorworte bemerkt Hamann, dass
in seinem Buche „zum ersten Male“ ein Versuch gemacht werde, „die
Prinzipien der Entwicklungslehre vorurteilsfrei unter neuen Gesichts-
punkten darzustellen“.
[3] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 323
der Natur zu erkennenden „Zielstrebigkeit“ beherrscht wird.
Durch Sprache, Vernunft und sittlieh-religiöse Anlagen nimmt
der Mensch eine prinzipielle Sonderstellung unter den Orga-
nismen ein, und er hat dementsprechend eine geistige Be-
stimmung, wie sie sich in der weltgeschichtlichen Entwick-
lung der Menschheit offenbart. Wenn es sich hiernach für
die Entwicklungslehre nur darum handeln kann, die natür-
liche Herkunft des Menschen mit seiner Sonderstellung und
-bestimmung in Einklang zu bringen, so muss seine Herkunft
frei gehalten werden von allem Tierischen. Eine tierische
Abstammung des Menschen erscheint mit seinen Anlagen
und seiner Bestimmung von vornherein unverträglich.
Man sieht, wie HAMmAnNns ganze Stellungnahme zur
Entwicklungslehre von allgemeinen Erwägungen bedingt ist,
die eigentlich ganz ausserhalb der biologischen Wissenschaft
liegen. Doch sind dieselben für ihn in dem Grade mass-
gebend, dass ihm die Annahme der ganzen Lehre davon
abhängig erscheint, ob letztere mit eben diesen Erwägungen
vereinbar ist oder nicht. Im Grunde handelt es sich bei
Hamann -und der von ihm vertretenen Richtung überhaupt
darum, dass sich die teleologische Weltanschauung mit dem
modernen Entwieklungsgedanken abzufinden sucht. Die Idee
der Entwicklung wird acceptiert, als eine Hypothese, aber
nur unter der Voraussetzung, dass die Entwicklung nicht
mechanisch, oder wenigstens nicht rein mechanisch, sondern
in erster Linie teleologisch erklärt wird. Und Hamann hält
letzteres für thunlich und macht es sich zur Aufgabe, den
rein mechanischen Erklärungsversuch der Darwinianer zurück-
zuweisen und an seine Stelle einen teleologisch-mechanischen
zu setzen. Was er sich des näheren hierunter denkt, das
wird sich später zeigen.
I. Teil.
Zunächst unterscheidet sich Hamann sehon in der Auf-
fassung des genetischen Zusammenhanges der Organismen
nicht unwesentlich von DArwın und dessen Anhängern. In
der Frage nach der Herkunft resp. erstmaligen Entstehung
(Urzeugung) der lebenden Substanz schliesst er sich FECHNER’S
21*
(eb)
24 H. KERSTEN, [4]
Hypothese von einem ursprünglich „kosmoorganischen Zu-
stand“ der Erde an.!)
Indem er dann weiter nur das Tierreich und dessen
verwandtsehaftliche Beziehungen in Betracht zieht, nimmt
er für die Metazoen (d.h. die Tierstämme mit Ausschluss
der Protozoen) einen Ursprung aus einzelligen Wesen an,
einfacher gebaut, als die heutigen „relativ hoch“ organi-
sierten Protozoen. Die letzteren sind ihm höchstens Seiten-
zweige jener einzelligen Urformen, nicht aber selbst Stamm-
formen der Metazoen.
Bis hierher erscheint Hamann’s Ansicht mit derjenigen
der Darwinianer noch ganz wohl vereinbar. Und auch darin
zeigt sich Uebereinstimmung, dass Hamann gleichfalls die
Weiterbildung von ursprünglich einzelligen Formen zu mehr-
zelligen als eine notwendige Forderung der Theorie ansieht.
Nur hält er es für unthunlich, über die Art dieser Weiter-
entwicklung etwas Bestimmtes auszusagen, und speziell gegen
Häcker’s „Gasträa-Theorie“ und dessen „biogenetisches
Grundgesetz“, das er für eine reine Hypothese erklärt,2)
verhält er sich durchaus ablehnend. Was dann aber den
Ursprung der einzelnen Metazoen-Stämme oder -Typen be-
trifft, so sieht er im Gegensatz zu den Darwinianern die
Herleitung irgend eines Typus aus einem andern als aus-
geschlossen an, indem er seinerseits für eine polyphyletische
Entwicklung eintritt. Diese letztere denkt er sich so, dass
mehrzellige Formen von zweischichtigem Bau, hervor-
gegangen aus den besagten einzelligen Urformen, die Grund-
formen für die verschiedenen Typen abgaben; so nämlich,
1) „Organisches und Unorganisches“, sagt Hamann, „denken wir
uns hervorgegangen aus einem Zustand der Urmaterie, auf den weder
der Begriff unserer heutigen organischen noch unorganischen Zustände
vollkommen anwendbar ist“.
2) Ein „Gesetz“ ist dasselbe in der That nicht; als solches müsste
es zum mindesten der Ausdruck sicher ausgemachter Thatsachen sein,
von denen die einen mit den andern kausal verknüpft zu denken wären.
Es handelt sich allerdings hier nur um eine Hypothese. Im übrigen
macht Hamann auch seinerseits Rückschlüsse aus der Ontogenie auf
die Phylogenie. Nur lässt er die Entwicklung da wie dort nicht „von
einem Speziellen in ein anderes Spezielles“, sondern „aus dem All-
gemeinen in das Spezielle“ gehen.
[5] Die idealist. Richtung in der modernen Entwieklungslehre. 325
dass jeder Typus für sich aus einer besonderen Gruppe
dieser Grundformen hervorging und getrennt von den übrigen
Typen seinen gesonderten Entwieklungsgang einschlug, einem
ihm eigentümlichen Organisationsplane gemäss. Sämtliche
Typen sollen unabhängig von- und nebeneinander schon in
der archäolithischen Zeit ihre Auswirkung erfahren haben.
Uebergänge lässt Hamann weder zwischen den verschiedenen
Typen, noch auch zwischen den verschiedenen Klassen eines
Typus gelten. Vielmehr sollen sich die allgemeinen Grund-
formen eines jeden Typus in Gruppen spezieller Grundformen
gesondert haben, aus denen dann die einzelnen Klassen
ihren Ursprung nahmen. In analoger Art sollen weiter auch
die verschiedenen Ordnungen innerhalb einer jeden Klasse
getrennt von einander entstanden sein. „Nur innerhalb kleiner
Abteilungen, innerhalb einer Ordnung, da war es in einzelnen
Fällen möglich, Reihen zusammenzustellen, die man als
aus einander entstanden, von einander abstammend, ansehen
durfte.“
Was nun speziell den Menschen angeht, so stellt ihn
HAMANN neben die verschiedenen Ordnungen der Säugetier-
klasse in eine besondere Ordnung. Als „den direkten Vor-
fahren des Menschengeschlechts“ hat man sich diejenige
Grundform der Säugetierklasse zu denken, die keiner andern
Säugetierordnung, wie etwa der der Affen, den Ursprung
sebend „stetig zur Menschwerdung hinarbeitete“, also die
in den übrigen Säugetierordnungen nicht weiter zur Ent-
faltung gelangte Fähigkeit bewahrte, „dereinst die höchsten
Geisteseigenschaften, Sprache, Religion und Moral auszu-
bilden“. Indem Hamann auf diesem Wege zeigen will,
dass und wie man sich die Vorfahrenkette des Menschen
und diejenige der Tiere als bei aller Berührung doch
streng von einander geschieden vorstellen kann, sucht er der
anfangs ausgesprochenen Tendenz gemäss den Menschen
vom Tierischen freizuhalten und ihm eine Ausnahmestellung
zu wahren, eine Ausnahmestellung, wie sie ihm bekanntlich
die Darwinianer nicht zugestehen.
Wir wollen auf diese Lehre Hamann’s von den Grund-
formen hier nieht weiter eingehen. Es muss dahingestellt
bleiben, ob und wieweit seine Annahmen bei fortschreitender
326 H. KERSTEN, [6]
Forsehung eine Stütze in den Thatsachen finden werden.
Aber auch wenn eine polyphyletische Descendenzhypothese
wie die Hamanw’sche mehr Wahrscheinlichkeit für sieh
haben sollte als eine monophyletische, so bleibt es noch
eine andere Frage, wie die Entwicklung als solche zu er-
klären ist, und speziell, ob dieselbe etwa nur so zu erklären
ist, wie HAMANN will.
11. Teil.
Wenn wir nun dieser Frage jetzt näher treten, so ist
im voraus zu erwarten, dass sich Hamann in einen möglichst
schroffen Gegensatz zu den Darwinianern stellen wird. Und
dies zeigt sich in der That nieht nur bei seiner Kritik
des Darwinismus, sondern auch bei der Aufstellung seines
eigenen Erklärungsversuches. Was zuerst seine Kritik an-
geht, so mögen von den zahlreichen gegen die Prinzipien
der Selektionstheorie von ihm erhobenen Einwänden hier
wenigstens die wichtigsten kurz besprochen werden.!)
A, 1.
Zunächst bestreitet er die Bedeutung der Variabilität?)
als eines Faktors zur Bildung von bleibenden Varietäten
und schliesslich von neuen Arten. Er meint, dass die an-
geborenen kleinen individuellen Abweichungen, durch die
sich die Organismen einer Generation von ihren Erzeugern
und untereinander unterscheiden, „sich nicht als Regel ver-
erben“; sie würden sich mithin auch nicht irgend regel-
mässig von Generation zu Generation häufen und summieren
können. An einer Stelle spricht er sich gegen die Vererb-
barkeit der Variationen noch entschiedener so aus: „Pflanzen
und Tiere variieren im Naturzustande, aber kein Fall ist
bekannt, in dem sich diese neu aufgetretenen kleinsten
Abweichungen im Laufe der Zeit auf die Nachkommen
fortgepflanzt hätten. Immer schlugen die Nachkommen in
!) Die Kritik der geschlechtlichen Zuchtwahl mag hier als für
unseren Zweck minder wichtig ganz bei Seite bleiben.
2) Soweit es sich nämlich um angeborene Variationen handelt.
[7] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 327
der nächsten Generation wieder in die alte Form zurück ...
Erst sobald der Mensch bei einer Abänderung einer Tier-
form züchtend eingreift, kann sie beibehalten werden. Aber
veredelte Pflanzen fallen, sobald sie wieder sich selbst
überlassen sind, in die alte Art zurück. Das Gleiche gilt
von den Tieren.“
Wir möchten hier nun vor allem gegen jede Verall-
gemeinerung der Art protestieren, dass die Varietäten im
freien Naturzustande gleich in der nächsten Generation
oder doch in einer der nächstfolgenden Generationen stets
wieder in die alte Form zurückschlügen. Als ob dieselben
überhaupt daraufhin in umfassender Weise und genau be-
obachtet wären! Und als ob auch nur die Vorfrage erledigt
wäre, was in jedem Falle eine Varietät sei! Das müsste
man doch vor allen Dingen wissen, um sicher zu sein, dass
nicht manche als „echte Art“ angesprochene Form, selbst
wenn sie sich so fortpflanzt, „eine blosse Varietät“ ist, die
dann eben ihre Abweichungen von der Stammform ganz
regelrecht weiter vererbt. Es wäre also erst einmal er-
forderlich; die Varietäten nicht bloss nach der Form-
verwandtschaft mit den betr. Arten, denen sie angehängt
werden, aufzustellen, sondern wirklich ihren genetischen
Zusammenhang mit diesen Arten aufzuweisen. Danach
käme die Frage, wieweit die so konstatierten Varietäten
nur in einer Generation auftretende und wieder ver-
schwindende und sich ebenso zeitweilig wiederholende, oder
aber relativ beständige Formen repräsentieren, die sich als
solche fortpflanzen. Und an sich ist jedenfalls nicht ein-
zusehen, warum jene kleinen Variationen, die Darwin zur
Erklärung der Artenbildung heranzieht, weniger durch Ver-
erbung fixierbar sein sollen, als die grossen sprungweisen
Abänderungen, welche, wie wir sehen werden, HAMAnN’s
Erklärungsversuch annimmt. Denn die einen wie die andern
entspringen derselben Eigenschaft der Variabilität und sind
insofern, wie man sich im übrigen auch die Variabilität
selbst erklären mag, gar nieht prinzipiell, sondern nur
graduell verschieden. Doch davon später noch.
328 H. KERSTEN, [8]
A, 2,
Ganz besonders handelt es sich nun für Hamann darum,
der darwinistischen Behauptung von der rein mechanischen
Natur der Variabilität entgegenzutreten. Er meint, die
individuellen Abweichungen, wie sie an den Organismen im
Naturzustande thatsächlich auftreten, seien nicht „unbe-
stimmte“ und „unbegrenzte“, durch den „Zufall“ entstandene,
wie dies Darwins Theorie fordere, um die Möglichkeit für
eine Erklärung der Varietäten- und Artenbildung ohne eine
planmässige Entwieklung zu wahren. Vielmehr seien be-
stimmte Riehtungen und Grenzen für die Variabilität vor-
geschrieben. Kein Tier und keine Pflanze zeige z. B. in der
Färbung alle möglichen Variationen, durch alle Farben des
Spektrums, sondern nur eine gewisse begrenzte Zahl. „Das
heisst aber“, so folgert er, „in dem Organismus liegende
Kräfte, eine gesetzmässige innere spontane Variationstendenz
schreiben die Riehtung vor und regeln die Abweichungen.“
Man muss nun wohl zugeben, dass die Erfahrung gegen
eine sehrankenlose Variabilität spricht. Legen wir uns also
einmal die Frage vor, wie man sich auf darwinistischem
Standpunkt hiermit würde abfinden können. Wer im Orga-
nismus einen blossen Mechanismus sieht und in jedem einzelnen
Abänderungsprozess nur eine mechanische Reaktion des
Organismus auf eine äussere Einwirkung, der kann sich
eigentlich von vornherein sagen, dass bei aller Biegsamkeit
und Flüssigkeit der organischen Formen die Variationen
bestimmte Richtungen und Grenzen haben werden. Sind
nämlich die bei der Zeugung zu Tage tretenden Variationen
die Folge einer indirekten Anpassung, d.h. einer solchen,
bei weleher sieh der umgestaltende Einfluss äusserer Um-
stände nicht direkt, an dem davon betroffenen Organimus
selbst, sondern indirekt, erst an seiner Nachkommenschaft
bemerklich maecht,') so erscheinen diese Variationen in ihrem
Auftreten genau geregelt einerseits durch die äusseren
Lebensumstände, welehe auf den elterlichen Organismus und
dessen Fortpflanzungsorgane einwirken, andrerseits durch
die besondere Natur des elterlichen Organismus selbst. Da
ı) Vgl. hierzu besonders die betr. Ausführungen Häckels in
seiner Nat. Schöpfungsgesch.
[9] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 329
jeder Organismus auf eine bestimmte Aktion von aussen
her schliesslich doch nur so reagieren kann, wie dies durch
die spezifische und individuelle Konstitution resp. Bewegung
seiner Protoplasmamolekeln bedingt ist, so werden hiermit
eben bestimmte Richtungen und Grenzen für die auftretenden
Variationen gegeben sein. Es liesse sich also auch bei An-
nahme einer rein mechanischen Natur der Variabilität sehr
wohl begründen, dass die letztere keine unbestimmte und
unbegrenzte ist. Ob jene Annahme richtig ist, das ist eine
Frage für sich. Man darf aber nicht schon daraus, dass
die Variationen nur gewisse und nicht „alle möglichen“
Riehtungen einschlagen, schliessen wollen, dass dieselben
nieht aus „zufälligen“, soll heissen mechanischen, Ursachen
entspringen können, sondern nur aus „planmässigen“, indem
man die thatsächlich eingeschlagenen Richtungen als beab-
siehtigte und bevorzugte deutet. Was heisst denn das: die
Variationen schlagen nicht „alle möglichen“ Richtungen ein?
Wenn man sich auch neben den thatsächlich auftretenden
Riehtungen noch viele andere, die nicht auftreten, als
möglich denken kann, so sind diese doch darum noch nicht
in der Sache möglich. Sie können vielmehr gerade bei
Voraussetzung rein mechanischer Ursachen im voraus aus-
geschlossen sein, so dass es danach heissen müsste: die
Variationen schlagen die der Natur der Sache nach einzig
möglichen Richtungen ein. Man hat also nicht nötig, die
Variationen deshalb, weil sie gerade nur in dieser oder
jener Weise auftreten, so anzusehen, als seien sie von einem
„zielstrebig wirkenden Prinzip“ eigens bestimmt und be-
zweekt, um ihrerseits wieder weiteren Zwecken zu dienen.
Und wie steht es vollends, wenn man im konkreten Falle
fragen wollte, welches spezielle Ziel denn erstrebt werden
soll? — Was bedeutet es denn z. B., wenn wir bei einer
Scehmetterlingsart eine — wohlverstanden angeborene! —
Abänderung in Farbe oder Zeichnung der Flügel, oder bei
einer Pflanzenart eine solche in Form oder Stellung der
Blätter, in Grösse oder Färbung der Blüten® in Zahl oder
Gestalt der Staubfäden auftreten sehen? Hamann selbst
giebt uns kein Beispiel, aus welchem zu ersehen wäre, in-
wiefern sieh bei einer angeborenen Variation überhaupt
330 H. KERSTEN, [10]
nur von einem bestimmten Ziele oder Zwecke sprechen lässt.
Denn wenn er uns als einen Fall von Variabilität, in dem
ein Zweck deutlich erkennbar sein soll, die Tritonenlarven
vorführt, welche durch äussere Umstände im Wasser zurück-
gehalten ihre Kiemen beibehalten und geschlechtsreif werden,
so handelt es sich hier nicht um eine angeborene Variation,
sondern um eine später durch direkte Anpassung hervor-
gerufene. Variationen der letzteren Art allein könnten über-
haupt in Frage kommen, wollte man sich auf HAmAnns
Standpunkt stellen und von erkennbaren bestimmten
Zwecken sprechen. Denn bei diesen Variationen, welche
an einem Organismus während seines selbständigen Lebens
unmittelbar unter der Einwirkung äusserer Umstände ent-
stehen, ergeben sich zu diesen äusseren Umständen bestimmte
Beziehungen, die immerhin den Eindruck von Zweckbezieh-
ungen machen können und so auch auf eine im Organismus
liegende „Zielstrebigkeit“ hinzuweisen scheinen. Was es
freilich mit dieser Zielstrebigkeit in Wahrheit auf sich hat,
das werden wir später sehen.
A, 3.
Zunächst wollen wir noch eine andere sieh uns auf-
drängende Frage zu beantworten suchen. Nämlich, ob die
angeborenen Variationen, wenn sie sich, wie zugegeben,
innerhalb bestimmter Riehtungen und Grenzen halten, dem
Kampfe ums Dasein noch genügend Angriffspunkte für seine
Wirksamkeit bieten können. Die Auslese, welche der
Kampf ums Dasein bewirken soll, setzt voraus, dass sich
unter den auftretenden Variationen solehe finden, die ihren
Besitzern bei einer Aenderung der Lebensverhältnisse einen
Vorteil vor den übrigen Artgenossen verschaffen. Schlagen
nun aber die Variationen nur bestimmte Richtungen ein,
wie oft wird dann, wenn irgend eine neue Lebensbedingung
eintritt, auch eine gerade dazu passende Variation vorhanden
sein, die den nötigen Nutzen gewährt? Jedenfalls findet
ein zufälliges Zusammentreffen derart, wie es die Selektions-
theorie fordert, bei einer bestimmt gerichteten Variabilität
weit weniger häufig statt, als bei einer unbestimmten. “ Des-
wegen braucht man aber die Selektionstheorie noch nicht
[11] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 331
sehlechtweg zu verwerfen. Denn es bleibt immerhin denkbar,
dass sich auch unter den von einer bestimmt gerichteten
Variabilität in beschränkter Zahl hervorgebrachten Variationen
noeh genug solche finden, welche zufällig für irgendwie
neu eintretende Lebensverhältnisse passen und so Gelegenheit
erhalten, im Kampfe ums Dasein sich nützlich zu erweisen.
Ferner aber braucht gar nicht bestritten zu werden,
dass die einmal nützlich gewordenen Variationen, auch wenn
jede innerhalb ihrer Richtung nur bis zu einer bestimmten
Grenze steigerungsfähig ist, durch die Auslese zu einer Um-
und Neubildung der Arten beitragen können. Durch die
Auslese — dieselbe im übrigen als ein im Sinne der Selektions-
theorie thatsächlich wirkendes Prinzip vorausgesetzt, wovon
später — werden die ursprünglich vielleicht recht gering-
fügigen nützlichen Abänderungen in einer Reihe aufeinander
folgender Generationen summiert. Die einzelnen vorteilhaften
Abänderungen nämlich, deren Besitzer vor den anderen minder
begünstigten Artgenossen vorzugsweise sich am Leben er-
halten, zur Fortpflanzung kommen und ihre Vorteile weiter
vererben werden, übertragen sich bei der Vererbung nicht
bloss einfach so, wie sie zuerst waren, sondern sie treten
von Generation zu Generation vermehrt und verstärkt auf
(wie nämlich in Analogie zu der künstlichen Zuchtwahl für
die natürliche angenommen wird). Hierdurch werden dann
die betreffenden Individuen den neuen Lebensverhältnissen
immer besser angepasst, gelangen immer mehr ins Ueber-
gewicht und bleiben schliesslich allein existenzfähig. Es
wird nun wohl eingewendet,!) dass durch diesen, doch nur
bis zu einem gewissen Grade möglichen Steigerungsprozess
allenfalls Varietäten entstehen könnten mit nicht eben
grossen, wesentlich nur physiologischen Abweichungen, aber
keine neuen Arten mit wirklich verändertem morphologischen
Typus. Diesem Einwand brauchen wir jedoch so lange kein
Gewicht beizumessen, als uns nicht die Grenze zwischen .
Varietät und Art angegeben wird. Letzteres würde auf die
!) So von E. v. Hartmann, Wahrheit und Irrtum im Darwinismus.
Berlin 1875. Wie derselbe den physiologischen Charakter der fr. Ab-
weichungen betont, davon später noch.
3832 H. KERSTEN, [12]
Frage nach dem Speziesbegriff hinauslaufen, eine Frage, die
auch von solchen für unbeantwortbar gehalten wird, die
eben jenen Einwand erheben.
Bilden sich nun auf dem besagten Wege neue Arten
heraus, so werden sich dieselben freilich von dem ursprüng-
lichen Ausgangspunkte nicht weiter entfernen können als
bis zu der Grenze, wo die Steigerungsfähigkeit ihrer nütz-
lichen Variationen sich erschöpft. Ist bei erschöpfter
Steigerungsfähigkeit die Anpassung an die neuen Lebens-
verhältnisse keine genügende, so wird dies zum Schaden
der betreffenden Art ausschlagen, und die Existenz derselben
kann in Frage gestellt sein. Wo dagegen in einer bestimmten
Richtung das Anpassungsgleichgewicht hergestellt ist, da
kann sich wieder in einer anderen, von der ersteren unab-
hängigen, eine Anpassung vollziehen, so dass dann die neue
Art in mehrfacher Riehtung von der Stammform divergiert.
Die Divergenz mag auf diese Weise immerhin einen sehr
beträchtlichen Grad erreichen, ins Unbegrenzte aber wird
sie allerdings nicht gehen. Im übrigen muss es natürlich
in jedem Einzelfalle von der spezifischen Natur des Orga-
nismus abhängen, wie weit seine Abänderungen sich steigern
werden. — Alles in allem genommen also vermögen wir
uns nicht zu überzeugen, dass die Variabilität, in Verbindung
mit der Vererbung, als Prinzip zur Erklärung der Artent-
stehung so völlig untauglich ist, wie das HamAnn behauptet.!)
Ebensowenig können wir zugeben, dass auf dem oben be-
sprochenen Wege ein bündiger Beweis für die Unmöglichkeit
einer mechanistischen Auffassung der Variabilität zu er-
bringen ist. Dagegen kann man dem, was HAMANN in
einem besonderen Kapitel „über die Grenzen der mechanischen
Erklärung“ ausführt, im ganzen beistimmen und kann die
sich hier gegen die rein mechanische Natur der Variabilität
und ebenso der Vererbung ergebenden Argumente als solche
anerkennen. Denn allerdings ist von einer rein mechanischen
Erklärung irgend einer Lebenserscheinung, von einer wirk-
lichen „Zurückführung derselben auf eine Mechanik der
1) Immer, soweit es sich dabei um angeborene Variationen
handelt.
[13] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 333
Atome“ bis jetzt nicht die Rede; und dass jeder Weg hierzu
von vornherein abgeschnitten erscheint, diese Meinung teilen
heute auch viele solehe Naturforscher, die gerade keine
spiritualistischen und teleologischen Tendenzen verfolgen
und die im übrigen aueh wohl die Lehre Darwins gelten
lassen. Hiernach würde man also die Variabilität und
ebenso die Vererbung als „unerklärbare Thatsache“ hinzu-
nehmen haben. Freilich meinen wir im Gegensatz zu
HAMANN, dass die genannten Lebensäusserungen gleich allen
anderen nieht sowohl „elementare Eigenschaften“ der orga-
nischen Substanz, als vielmehr ziemlich komplizierte Er-
scheinungen sind, die als solche wissenschaftlich noch irgend-
wie eine Analyse erfordern. Wie die Sache aber bis jetzt
steht, so mag man immerhin die Lebensäusserungen in ihrer
Totalität auf ein Etwas zurückführen, was ihnen allen irgend-
wie zu Grunde liegt, nenne man es schlechthin „Leben“ oder
„Aktivität“ oder „formbildendes Prinzip“ oder sonstwie.
Schliesslich wird hiermit eben nur unser jetziger Wissensstand
zum Ausdruck gebracht, wogegen an sich auch gewiss nichts
zu sagen ist.
HAMANN weist noch besonders darauf hin, dass dieses
„formbildende Prinzip“ nicht gleichbedeutend sei mit der
alten „Lebenskraft“ (dem nisus formativus BLUMENBACH').
Der frühere Vitalismus sah in einer spezifischen Lebenskraft
die ausschliessliche Ursache für alle Lebensvorgänge und
gestand den materiellen Kräften keine eigentliche Beteiligung
an denselben zu. Der heutige Vitalismus, der „Neo-Vitalismus“,
lässt sein „formbildendes Prinzip“ mit den materiellen Kräften
im Organismus zusammenwirken — ohne freilich über das
„Wie“ etwas aussagen zu können —, sodass jede organische
Bildung nach Hamann’s Worten die Resultante ist „aus der
mechanischen Wirkung der physikalisch-chemischen Natur-
gesetze und den die Bildungen hervorbringenden inneren
Bildungsgesetzen, die wir als Leben schlechthin bezeichnen
können.“
Es ist indessen auch dann, wenn das Leben als ein
selbständiges resp. selbstthätiges Prinzip anerkannt wird,
noch keineswegs gesagt, dass dasselbe in seinen „vitalen“
Aeusserungen (physiologische Funktionen, Anpassungsvor-
334 H. KERSTEN, [14]
sänge) zugleich nur als ein „planmässig“ und „zielstrebig“
wirkendes aufzufassen sei.!) Dies ist in keinem Falle der
unmittelbare und unverfälschte Ausdruck der Erfahrung,
sondern zunächst eine blosse Interpretation derselben, jeden-
falls aber mehr, als sich naturwissenschaftlich erweisen
lässt. Die weitere Erörterung hierüber versparen wir uns
jedoch zweckmässiger Weise, bis wir zu HAMANnN’s eigenem
Erklärungsversuch kommen.
B, 1.
Verfolgen wir jetzt erst Hamann’s Kritik der Selektions-
theorie noch weiter. Das thatsächliche Stattfmden des
Kampfes ums Dasein bestreitet er zwar nicht, um so mehr
aber die umgestaltende Wirkung, die derselbe an den Orga-
nismen hervorbringen soll. Allerdings, sagt er, kommt dem
Kampfe ums Dasein eine enorme Bedeutung zu, aber nur
insofern, als er die Degeneration der Arten verhindert und
dieselbe in ihrer Reinheit erhält, indem er bloss die Stärksten,
Gewandtesten, Gesündesten zur Fortpflanzung kommen lässt,
die Schwachen und Kranken aber ausmerzt.
Nun ist gewiss richtig, dass der Kampf ums Dasein
in dieser Weise auch auf eine Veredelung der Arten hin-
wirkt, aber hierin erschöpft sich seine Bedeutung nicht.
Gerade E. von HARTMANN, auf den sich Hamann mit Vor-
liebe beruft als auf einen Vertreter der Lehre von einer
„inneren planvoll gesetzmässigen Entwicklung“, macht schon
gegen den Botaniker WıcanD geltend, dass die natürliche
Zuchtwahl „ein richtiges und in der Natur thatsächlich im
weitesten Umfange zur Wirksamkeit kommendes Prinzip“
sei. Nicht nur, dass der Kampf ums Dasein dazu dient,
„die Spezies auf der Höhe des (gleichviel wie) erlangten
Anpassungsgleichgewichtes zu erhalten“, sie vor „Depravation“
zu bewahren, er kann auch im Sinne einer „Umwandlung
der Typen“ wirken, „wenn durch Aenderung der Lebens-
bedingungen die Spezies aufhört, vollkommen zu sein und
das Anpassungsgleichgewicht verliert.“ E. von HARTMANN
1) Die psychische Sphäre des bewussten Wollens kommt hierbei
natürlich nicht in Frage.
[15] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 335
lässt auch die Auslese im Kampfe ums Dasein als einen
mechanischen Faktor bestehen, und zwar als den einzigen
rein mechanischen in der ganzen Zuchtwahl. Der letzteren
selbst gesteht er allerdings keine selbständige, sondern nur
eine „kooperative“ Bedeutung zu; er sieht in ihr nur „eine
technische Beihilfe zu der Wirksamkeit des Prinzips der
inneren planvoll-gesetzmässigen Entwicklung, als dessen
Träger oder Subjekt ein metaphysischer Bildungs- oder
Gestaltungstrieb angenommen werden muss.“ Ein inneres,
teleologisch gerichtetes Entwicklungsgesetz soll die eigentliche
morphologische Typenverwandlung auf dem Wege der
„heterogenen Zeugung durch planvoll gesetzmässige Keim-
metamorphose“ hervorbringen und in allen Fällen „die tiefere
Grundlage der Erscheinungen“ bilden, während umgekehrt
der Kampf ums Dasein, als züchtendes Prinzip im Sinne
Darwins, nur eine sekundäre, mitwirkende und nachhelfende
Rolle spielen soll, und zwar auf dem Boden einer „planvoll“
gerichteten Variabilität oder auch der heterogenen Zeugung.
Freilich lässt selbst so v. Harrmann die Anwendbarkeit des
Kampfes ums Dasein als eines Erklärungsprinzips nur mit
vielen Einschränkungen gelten. Gehen wir noch etwas näher
auf seine in jedem Falle sehr beachtenswerten Gedanken
ein.!)
Vor allem soll sich die umgestaltende Wirkung des
Kampfes ums Dasein nur auf physiologische, nicht aber auf
die eigentlich morphologischen Charaktere erstrecken können.
Diejenigen Abänderungen, so führt er aus, welche die
Chancen im Kampfe ums Dasein verbessern, sind fast immer
nur physiologischer Art (chemische oder anatomische Ver-
änderungen, Vergrösserung eines ganzen Organismus oder
einzelner Teile desselben, Veränderungen in dem periodischen
Verhalten, z. B. in der Blütezeit), während gerade morpho-
logisch wichtige, aber physiologisch indifferente Charaktere
dem Kampfe ums Dasein gar keinen Angriffspunkt zu bieten
vermögen. Berufen sich aber die Darwinianer auf gesetz-
1!) Ueberhaupt gehört v. Hartmann’s kritische Darstellung der
organischen Entwicklungstheorie zu dem Besten, was in dieser Hinsicht
geschrieben worden ist.
336 H. KERSTEN, [16]
mässige Korrelation, auf das sympathische Mitbedingtsein
morphologischer Abänderungen durch physiologische, so
bleiben sie nicht nur den Beweis für solehe Korrelation
schuldig, sondern flüchten ausserdem zu einem „ihren ur-
sprünglichen Tendenzen völlig entgegengesetzten Prinzip.“
Erfahrungsmässig sehen wir „nirgends eine den Speziestypus
übersehreitende morphologische Umwandlung weder direkt
durch Auslese nützlicher Abänderungen im Kampfe ums
Dasein, noch indirekt durch korrelatives Mitgehen mit solchen
Prozessen; die Natur vollzieht unter unseren Augen überall
nur solehe Anpassungsprozesse, welche sich auf physiologische
Variationen innerhalb des Rahmens der Spezies be-
schränken.“
Demgegenüber möchten wir indes folgendes bemerken.
Allerdings handelt es sich bei der Anpassung zunächst um
physiologische Variationen. Was aber die allgemeine Be-
ziehung zwischen der physiologischen Funktion eines Organes
und diesem selbst betrifft, so ist jedenfalls so viel sicher,
dass mit einer Abänderung der Funktion irgend eine
materielle Veränderung der Organteile einhergeht, mag die-
selbe bloss „die chemische Konstitution ihres Gewebes und
Zelleninhaltes“ und den inneren anatomischen Bau betreffen,
oder in einer Modifikation der „relativen Grössenverhältnisse
und Gestalt“ schon äusserlich sichtbar hervortreten. Steht
dies aber fest, so ist damit schon im Prinzip die Möglichkeit
gegeben, der Wirkung der Auslese auch „den Speziestypus
übersehreitende“ morphologische Umwandlungen zuzu-
schreiben. Besonders bezieht sich dies auf die „morpho-
logischen“ Varietäten, die v. HArrmAnNn (im Anschluss an
WıcAnD) als eine besondere Klasse von Varietäten auf-
führt. Denn was besagt es, wenn v. HARTMANN von diesen
Varietäten behauptet, dass der Grad der Abweichungen vom
Typus der Stammform kein so bedeutender sei, „um sogleich
von einer Durchbreehung des Speziescharakters zu reden.“
Vergrössert sich z. B. bei einer Pflanze die Zahl oder Form
einzelner Teile, so soll dies ohne Beeinträchtigung der
wesentlichen Gestaltsverhältnisse geschehen. Was kann denn
das aber heissen? Dieselben Formänderungen, die der eine
Systematiker für unwesentlich ansieht, hält der andere für
[17] Die idealist. Richtung in der modernen Entwieklungslehre. 337
wesentlich genug, um das, was der erstere als blosse Varietät
ausgab, für eine selbständige Art zu erklären. Diese That-
sache, dass es an jeglicher Norm zur festen Abgrenzung der
Spezies und Varietäten fehlt, wird auch von v. HARTMANN
voll gewürdigt; er tritt für die „Flüssigkeit“ der Spezies
ein und sieht den Unterschied zwischen Varietät und Spezies
für „verschiebbar“ an. In welchem Sinne kann er da nun
wieder von einem „Rahmen“ der Spezies sprechen? So
wenig im allgemeinen eine Definition des Artbegriffs zu
geben ist, so wenig herrscht im speziellen bei den einzelnen
konkreten Arten Uebereinstimmung über alles, was in ihren
„Rahmen“ gehört und was nicht.
B, 2.
Wir kommen nun zu den für die Systematik oft sehr
wiehtigen morphologischen Verhältnissen, die (wie z. B. die
Stellung der Blätter, das Vorhandensein von Nebenblättern,
die Drei-, Vier- oder Fünfzahl der Blütenteile) von vorn-
herein keine Beziehung zu physiologischen Funktionen er-
kennen ünd keinerlei Nützlichkeit im Kampfe ums Dasein
absehen lassen, danach also auch den letzteren gar keinen
Angriffspunkt bieten können. Hamann spricht dem Kampfe
ums Dasein sogar die Fähigkeit ab, „eine schon vorhandene
Bildung, ein Organ in seiner Leistung zu verstärken.“ E. von
HARTMANN gesteht demselben wenigstens eine abändernde
Wirkung auf die physiologischen Charaktere zu. Wie wir
glauben dargethan zu haben, wird sich diese abändernde
Wirkung unmittelbar auch auf solehe morphologische Charak-
tere erstrecken, die zu den physiologischen in bestimmter
Beziehung stehen (die Teile eines Organes!). Allein, wie ist
es mit jenen anderen morphologischen Verhältnissen, wo
dies nicht der Fall ist? Dass zu einer Umgestaltung der-
selben die natürliche Auslese an sich nicht ausreicht, hatte
schon DArwın selbst erkannt, als er seine Hilfsprinzipien -
heranzog, unter ihnen vor allem dasjenige der Korrelation
des Wachstums und der sympathischen Veränderungen.“
Zwischen den Organen und ÖOrganteilen eines Organismus
besteht, worauf schon CuvıEr hinwies, eine gesetzmässige
Wechselbeziehung oder Korrelation. Dementsprechend lässt
Zeitschrift f. Naturwiss, Bd. 73, 1900, 32
338 H. KERSTEN, [18]
sich nun beobachten, wie mit der Abänderung dieser oder
jener Körperteile eine solche anderer Teile verbunden ist,
die mit den ersteren nicht einmal in direktem Zusammen-
hang zu stehen brauchen. Eben diese Thatsache wird in
ihrer Regelmässigkeit als „das Gesetz der Korrelation des
Wachstums und der sympathischen Veränderungen“, oder
von HÄckeL als „das Gesetz der wechselbezüglichen oder
korrelativen Anpassung“ bezeichnet. Darwın benutzt nun
dieses Gesetz als Hilfsprinzip und verbindet es mit seiner
Selektionstheorie in der Weise, dass er, wie HAMANN sagt,
„den ersten Anstoss bei der Korrelation ausgehen lässt von
der natürlichen Auslese.“ Wird durch die letztere nur erst
einmal eine nützliche Abänderung fixiert, so zieht diese
dann von selbst andere, korrelative Aenderungen nach sich.
Diese „Berufung auf gesetzmässige Korrelation“ muss nun
gewiss" zulässig sein. Denn wenn sich auch die Anpassung
unmittelbar nur auf physiologische Variationen bezieht, so
geht doch, wie oben schon gesagt, mit der Aerderung einer
physiologischen Funktion irgend eine materielle Veränderung
des betreffenden Organes resp. seiner Teile einher. Mag
nun diese Veränderung so klein sein wie sie will, sie wird
nieht ganz ohne Rückwirkung auf den übrigen Organismus
bleiben. Die Korrelation überhaupt ist bedingt durch die
Einheit des ganzen Lebensprozesses, zufolgedessen zwischen
allen Organen und Teilen des Organismus eine gewisse
Solidarität besteht. Eine gegenseitige, schon durch die
einheitlichen Ernährungsverhältnisse bestimmte Abhängigkeit
findet statt, und eine materielle Veränderung an einem
Punkte, die doch schliesslich immer auch eine Ernährungs-
veränderung bedeutet, zieht an anderen Punkten Ernährungs-
veränderungen nach sich, die dann wieder irgendwie materiell
und morphologisch zum Ausdruck kommen.!) Es wird also
allerdings ein Zusammenwirken der natürlichen Auslese und
der Korrelation angenommen werden dürfen, durch welches
auch rein morphologische Charaktere in den Transmutations-
!) Welches auch die letzten Ursachen der Korrelation sein mögen,
jedenfalls sind doch Ernährungsveränderungen, molekulare Modifikationen,
zum mindesten das Vehikel der korrelativen Abänderungen.
[19] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 339
prozess hineingezogen werden können. Bei jedem Anpassungs-
vorgang überhaupt werden sich mit irgendwelcher physio-
logischen Variation irgendwelche korrelative Abänderungen
verbinden, mögen diese nun die feineren chemischen und
anatomischen Verhältnisse oder die mehr äusserlich sicht-
baren morphologischen Eigenschaften betreffen. Je mehr
letzteres der Fall ist (bei den „morphologischen“ Varietäten),
desto eher wird die betreffende „Varietät“ für eine „Art“
gelten können.
Dass der umgestaltenden Wirkung der Auslese an sich
insofern eine Schranke gezogen ist, als die Variabilität keine
unbestimmte und unbegrenzte ist, wurde bereits oben erörtert.
Zu beachten ist ferner auch, dass, wenn geringfügige
Abweiehungen durch die Auslese summiert werden sollen,
dieselben bei aller Geringfügigkeit doch gleich von vorn-
herein einen wirkliehen Vorteil müssen gewähren können.
Denn in den Fällen, wo minimale Variationen, um wirklich
nützlich zu werden, erst bis zu einem bestimmten Grade
gesteigert werden müssten, da fehlt eben schon die Hand-
habe für den Kampf ums Dasein, um diese Steigerung her-
beizuführen.
Eine weitere Voraussetzung bleibt es natürlich, dass die
Abweichungen vererbbar sind, um befestigt und gehäuft
zu werden. Es handelt sich hierbei selbstverständlich nicht
darum, ob überhaupt Variationen durch Vererbung über-
tragbar sind; die ganze künstliche Zuchtwahl beruht eben
auf der Thatsache, dass dies in so und so viel Fällen
möglich ist. Die Frage ist nur, ob dasselbe in der freien
Natur stattfinden kann. Und da haben wir oben schon
Hamann das Recht bestritten, diese Frage einfach zu ver-
neinen. Betrachtet man aber auch die Vererbbarkeit der
Variationen in der freien Natur als eine blosse Annahme,
was haben dann hierin die Theorien von der „sprungweisen
Entwieklung“ und von der „heterogenen Zeugung“ vor der
Selektionstheorie voraus, wenn sie doch auch eine Vererb-
barkeit neu entstandener Eigenschaften annehmen müssen,
die ja alle nicht anders entstehen können, als durch die
Variabilität, d.h. eben durch die Fähigkeit der Organismen,
neue Eigenschaften entstehen zu lassen?
22%
340 H. Kersten, [20]
B, 3.
Schliesslich erfordert noch folgender Einwand besondere
Berücksichtigung. „Aus der Nützlichkeitstheorie allein“,
sagt HAmAnn, „kann der Fortschritt in der Entwicklung
der Lebewesen nicht erklärt werden“. Und v. HARTMANN
hält es für ausgeschlossen, „dass die Auslese im Kampfe
ums Dasein irgendwie mitwirkendes Moment bei der
Steigerung der Höhe der Organisation sein könne“, da der
Utilitätsbegriff nur auf die „Anpassungsvollkommenheit“,
nieht aber auf die „Organisationsvollkommenheit“ passe.
Indessen, worin besteht denn die Organisationsvollkommen-
heit? Und wann heisst ein Organismus vollkommener als
ein anderer? Im Grunde geht doch der Begriff der grösseren
Vollkommenheit auf das Physiologische.
Eine Tierart z.B. wird uns vollkommener erscheinen
als eine andere, wenn ihre Lebensäusserungen mannigfaltigere
und vielseitigere sind, wenn ihre animalen Funktionen vor
den vegetativen stärker hervortreten, kurz, wenn der ganze
Lebensprozess ein erhöhter ist. Alles dieses sind physio-
logische Modifikationen, die nun in den morphologischen
Verhältnissen in bestimmter Weise zum Ausdruck kommen.
Wenn wir dann von einem vollkommneren „Bau“ sprechen,
so bezieht sich der Begriff der grösseren Vollkommenheit
zuletzt auf die „Leistung“; der Bau an und für sich kann
doch eigentlich nur ein einfacherer oder ein komplizirterer
senannt werden. Und so kann auch bei den fossilen
Organismen von einer „Stufenleiter der Vervollkommnung“
in den suceessiven Erdperioden streng genommen nur insofern
die Rede sein, als man dabei an die Leistung denkt und
vom Bau rückwärts auf die Leistung schliesst.
Je vollkommener nun die einzelnen Leistungen des
Organismus sind, desto mehr prägt sich dies morphologisch
allgemein darin aus, dass die Organe und deren Teile im
Sinne einer grösseren Arbeitsteilung differenziert erscheinen.
Nach der Selektionstheorie ist eine solehe Differenzierung
im Laufe der phylogenetischen Entwicklung durch zufällig
entstandene nützliche Variationen eingeleitet worden. Ur-
sprünglich gleichartige Teile übernahmen verschiedene
Funktionen, und das Auftreten neuer Funktionen konnte
[21] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 341
8
beim Eintreten bestimmter neuer Lebensverhältnisse gewisse
Vorteile gewähren. Indem weiterhin die Verschiedenheit
der Funktionen durch die Auslese sich steigerte und wieder
auf die Form der Teile zurückwirkte, bestimmte sich nach
dem Grade der physiologischen Arbeitsteilung der Grad der
morphologischen Differenzierung und „des Fortschritts in
der Organisation“. Da sich die Arbeitsteilung bei den ver-
schiedenen Organismenarten in der Anpassung einer jeden
an die betreffenden Existenzbedingungen vollzog, so war
der ungleiche Grad der Vervollkommnung und die mannig-
faltige Differenzierung in der Entwieklungsreihe der Or-
ganismen wesentlich bedingt durch die zunehmende Mannig-
‚faltigkeit der Lebensverhältnisse, denen sich die einzelnen
Organismengruppen im Kampfe ums Dasein anpassten, und
durch den verschiedenen Grad der Schnelligkeit und Voll-
ständigkeit, mit welchem diese Anpassung geschah. Bei den
verschiedenen Arten bildete sich im Laufe ihrer historischen
Entwicklung eine Vervollkommnung in verschiedenem Masse
heraus, und die Divergenz des Charakters ihrer Stammformen
nahm in ungleichem Masse zu. — In dieser Weise also
würde nach der Selektionstheorie die physiologische Ver-
vollkommnung und der Fortschritt in der Organisation zu
erklären sein. Jedenfalls lässt sich geltend machen, dass
die Vervollkommnung ganz wesentlich durch die Arbeits-
teilung bedingt erscheint. Und da man zugeben wird, dass
die letztere unter den Gesichtspunkt der Utilität fällt, so
wird die natürliche Auslese, sofern sie an der Arbeitsteilung
einen Angriffspunkt finden kann, auch in ihrer Wirkung für
die „Steigerung der Höhe der Organisation“ theoretisch
wenigstens in Betracht gezogen werden können.
Das Fazit unserer ganzen bisherigen Erörterung ist nun
kurz folgendes. Die Selektionstheorie vermag allerdings die
Entstehung der Arten nicht rein mechanisch zu erklären.
Denn dazu müssten die Variabilität und die Vererbung als
mechanische Prinzipien erweisbar sein, was vorläufig nicht
der Fall ist. Deswegen kann aber im übrigen die Selektions-
theorie immerhin anwendbar sein, um „den Speziestypus
übersehreitende“ morphologische Umwandlungen teils „direkt
durch Auslese nützlicher Abänderungen im Kampfe ums
342 H. KERSTEN, [22]
Dasein“, teils „indirekt durch korrelatives Mitgehen mit
solehen Züchtungsprozessen“, sowie eine hiermit einher-
gehende „Erhöhung und Steigerung der Organisationsstufe“
begreiflich zu machen.
Freilich kann der Selektionstheorie doch nur mit ge-
wissen Einschränkungen eine Geltung zukommen.
Man wird sich also noch nach einem anderen Wege
zu genügender Erklärung der Entwicklung umsehen müssen?
Wohl, und es wird sieh auch, wenn wir jetzt zu dem Er-
klärungsversuche von Hamann selbst kommen, noch ein
Erklärungsprinzip zeigen, das wir, wie vorweg bemerkt sein
mag, acceptieren dürfen, wenn wir auch den von HAMANN
dazugefügten Begriff der „Zielstrebigkeit“ zurückweisen
müssen.
(Bl
„Dureh unsere Lehre von der Entwieklung der Grund-
formen“, so erklärt HAMANN, „werden wir in das Lager
jener Forscher geführt, die eine Entwicklung aus inneren
Ursachen und eine sprungweise oder heterogene Entwicklung
annehmen.“ Es ist vor allem der Anatom v. KÖLLIKER, an
dessen Namen sich die Lehre von einer Entwicklung aus
inneren Ursachen knüpft.!) Seiner „Theorie von der hetero-
genen Zeugung“ liegt der Gedanke zu Grunde, „dass unter
dem Einflusse eines allgemeinen Entwicklungsgesetzes die
Gesehöpfe aus von ihnen gezeugten Keimen andere ab-
weichende hervorbringen“ (dass z. B. etwa aus dem be-
fruchteten Ei eines Fisches ein Amphibium entsteht). Wie
wir bereits sahen, wird diese Theorie auch ganz besonders
von E. v. Hartmann verfochten. Die Entwieklung erfolgt
also hiernach nieht allmählich, sondern „sprungweise“
(analog wie die Vorgänge beim Generationswechsel, beim
Polymorphismus und Dimorphismus). Sprungweise wird sie
sich aber auch noch unter Umständen dadurch vollziehen
1) Als weitere namhafte Forscher, die gleichfalls für eine Entwick-
lung aus inneren Ursachen eintreten, kann man den Mediziner H. Baum-
gärtner, den Zoologen v. Baer, die Botaniker A. Braun, Nägeli,
Hoffmann, Askenasy nennen,
[23] Die idealist. Richtung in der modernen Entwieklungslehre. 343
können, dass ein freilebendes Jugendstadium eines Organismus
bei seiner weiteren Ausbildung eine andere Richtung als
die typische einschlägt (analog dem Vorgang bei der Meta-
morphose), oder dass ein bereits ausgebildeter Organismus
relativ rasch eine morphologische Umwandlung erfährt. Diese
letzten beiden Möglichkeiten nun fasst HAMANN seinerseits ins
Auge, während er die eigentliche heterogene Zeugung selbst
nieht weiter in Betracht zieht. Er führt eine Anzahl von
Beispielen an, in denen teils Jugendstadien (Larvenformen)
von Tieren, teils erwachsene Tierformen beim plötzlichen
Eintritt neuer Existenzbedingungen auch gleich in der ersten
Generation plötzliche Aenderungen in ihrem Bau erlitten.
Er kommt hiernach zu dem Resultat, „dass für eine sprung-
weise Entwicklung direkte Beobachtungen sprechen“, und
sucht nun diese Beobachtungen für die Erklärung der Art-
entstehung zu verwerten. Für besonders bedeutsam in dieser
Hinsicht hält er die Pädogonie, d. h. die Erscheinung, „dass
ein noch frühzeitiges Entwieklungsstadium, eine Larve, oder
überhaupt Jugendform, die Fähigkeit erlangt hat, plötzlich
Geschlechtsprodukte hervorzubringen und sich fortzupflanzen.“
„In verschiedenen Tierstämmen“, so fährt er fort, „bei
Pflanzentieren, Arthropoden, selbst bei Wirbeltieren sind
Fälle beobachtet, wo die Jugendform geschlechtsreif wurde
und sich fortpflanzte“* (Axolotl, Tritonenlarven). Er führt
dann mehrere Einzelformen (Amphroxus) und ganze Gruppen
von Tieren (Cyklostomen) an, die sich „nur als durch
Pädogonie entstanden“ erklären lassen sollen. Uebrigens
will er die jetzt zur Beobachtung kommende und die für
frühere Erdperioden anzunehmende Pädogonie als Neo- und
Paläo-Pädogonie unterschieden wissen. „Wir stellen uns
dabei vor“, sagt er, „dass, wie heute die Neo-Pädogonie
plötzlich eintritt, auch die Erscheinungen der Paläo-Pädogonie
plötzlich entstanden sind. Durch Vererbung, wahrscheinlich
durch die sich nach einmaliger Aenderung gleich bleibenden
Existenzbedingungen wurde diese Eigenschaft der frühzeitigen
Geschlechtsreife dauernd beibehalten und befestigt.“
Auch die Möglichkeit einer sprungweisen Entwicklung
durch morphologische Veränderungen an bereits ausgebildeten
Organismen sucht HAMmAnn empirisch darzuthun. Reicht
344 H. KERSTEN, [24]
man, so sagt er, einem Raubvogel statt Fleischnahrung an-
dauernd nur Körnerfutter, so wird aus dem weichen Magen
desselben ein lederartig harter Magen eines Körnerfressers.
Sofort, mit einem Male ist diese durchgreifende Veränderung
eingetreten. Diese eine Veränderung zieht dann, nach dem
Gesetze der Korrelation, andere im Bau der übrigen Organe
nach sich. „Alle diese Aenderungen vollziehen sich aber,
da die eine ohne die andere nicht denkbar, nicht bestehen
kann, plötzlich, sofort. Wir sind berechtigt, von einer
sprungweise erfolgten Umbildung zu reden.“ In einem
weiteren Beispiele führt er aus, wie bei luftatmenden
Schnecken (Limnaea), die ihren dauernden Aufenthalt von
der Oberfläche des Wassers in grössere Tiefen verlegt
haben, das Atmungsorgan modifiziert ist, indem jetzt Wasser
statt Luft zu demselben tritt und die Atmung auf diese
Weise ermöglicht wird. „Es ist dies“, sagt er, „ein schönes
Beispiel für die direkte Anpassung, die bereits in erster
Generation Wirkungen hervorbringt.... Bleiben die Lebens-
bedingungen für die Nachkommenschaft die gleichen, das
heisst, siedelt auch diese sich in den grossen Tiefen an, so
wird die direkte Anpassung in Wirksamkeit bleiben, und
durch korrelative Abänderung wird es möglich sein, dass
so eine neue Art entsteht. Es ist dies ein kürzerer Weg
der Artentstehung, und zwar der einzige, für den wir That-
sachen, empirische Belege beibringen können.“
C32.
Die direkte Anpassung also und die Korrelation des
Abänderns sind es, mit Hilfe deren Hamann die Entwicklung
erklären will, beides an sich keine neuen Erklärungsprinzipien.
Von der Korrelation des Abänderns als einem wichtigen
und richtigen Darwinschen Hilfsprinzip war schon bei Be-
sprechung der natürlichen Zuchtwahl die Rede, und die
direkte Anpassung spielt gleichfalls eine Rolle bei DARwIn,
wenn auch eine minder bedeutende Es kommen in dieser
letzteren Hinsicht eigentlich zwei weitere Hilfsprinzipien
Darwın’s in Betracht: dasjenige von der Einwirkung äusserer
Umstände auf den Organismus, welches sich schon bei
GEOFFROY ST. HILAIRE findet („monde ambiant“) und bei
[25] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 345
diesem das einzige Erklärungsprinzip seiner Descendenztheorie
bildet, und dasjenige von dem Einfluss des Gebrauchs oder
Nichtgebrauchs der Organe, welches von LAMARcCK stammt.
Darwın selbst unterscheidet zwar zwischen den Veränder-
ungen, welche der Organismus unmittelbar durch anhaltende
Einwirkung äusserer Existenzbedingungen, Nahrung, Klima,
Umgebung u. s. w., erleidet, und solchen Veränderungen,
welehe mittelbar durch Angewöhnung, Uebung, Gebrauch
oder Niehtgebrauch der Organe zufolge instinktiver Thätigkeit
oder bewusster Willensthätigkeit entstehen. HÄcker führt
indess ganz folgerichtig aus, wie vom streng mechanistischen
Standpunkt betrachtet dieser Unterschied verschwindet und
beide Arten von Veränderungen unter den Begriff der direkten
Anpassung fallen. Uebrigens sind auch auf HamAnn’schem
Standpunkte diese beiden Arten von Veränderungen unter
demselben einheitlichen Begriffe der direkten Anpassung
zusammenzufassen, und so werden auch wir diesen Begriff
im folgenden verstehen.
Dass nun die Veränderungen „plötzlich, sprung-
weise“ sich vollziehen sollen, was Hamann so sehr betont,
steht an sich noch in keinem Gegensatze zu der darwinistischen
Auffassung von der direkten Anpassung. Wenn HAMANN
von einer „sprungweisen“ Veränderung redet, so meint er
damit natürlich auch keine momentane, sondern eine solche,
die sich direkt an dem davon betroffenen Organismus in
einer relativ kurzen Zeit vollzieht und sich nicht erst all-
mählich an vielen aufeinanderfolgenden Generationen in
langen Zeiträumen herausbildet, wie dies bei der natür-
lichen Zuchtwahl stattfinden soll. „Sobald die äusseren
Lebensbedingungen sich ändern“, sagt HAMANN, „tritt eine
Aenderung im Körperbau der davon betroffenen Wesen ein.
Insofern nun diese Aenderung in den Existenzbedingungen
plötzlich sich einstellte, wird auch die Aenderung in der
Organisation sich rasch vollzogen haben müssen. War aber
die Aenderung über grössere Zeiträume ausgedehnt, so wird
den Lebewesen Zeit geblieben sein, sich allmählich diesen
neuen Bedingungen anzubequemen.“ Im ersteren Falle
werden aber gleichfalls die neuen Existenzbedingungen eine
gewisse Zeit hindurch einwirken müssen, um eine Aenderung
346 H. KERSTEN, [26]
in der Organisation herbeizuführen. Hierfür sprechen auch
die von Hamann selbst beigebrachten einschlägigen Be-
obachtungen.
Wir haben also in der direkten Anpassung dasselbe
Erklärungsprinzip bei HAmAnN wie bei Darwın, so grund-
verschieden beide über die hierbei in Frage kommenden
Kräfte denken. Aber letzteres berührt eben nicht die
direkte Anpassung an sich, das heisst dieselbe rein als
thatsächlichen Vorgang genommen. Man hat sich seit
Darwın noch oft und mit Erfolg bemüht, „empirische Be-
lege“ für die direkte Anpassung als richtiges Erklärungs-
prinzip beizubringen. Und wenn wir der Selektionstheorie
zwar eine Geltung, aber nur eine bedingte zusprechen, so
können wir gewiss die direkte Anpassung als ein Ergänzungs-
prinzip zulassen. Ja, wir müssen gestehen, es scheint uns,
dass, wenn aus irgendwelchen zwingenden Gründen die
Selektionstheorie ganz aufgegeben werden müsste, dann in
erster Linie die direkte Anpassung und die Korrelation des
Abänderns als wichtigste resp. alleinige Erklärungsprinzipien
in Betracht kämen, und jedenfalls eher als die ganz hypo-
thetische „heterogene Zeugung durch planvoll gesetzmässige
Keimmetamorphose.“
Nimmt man aber die direkte Anpassung!) neben der
Selektion als Erklärungsprinzip an, so kann man sich vor-
stellen, dass die Entwieklung bald den einen, bald den
anderen Weg eingeschlagen hat je nach der Einwirkung
der Aussenwelt und je nach der inneren Eigennatur der
Organismen. Denn dass von diesen beiden Faktoren zu-
sammen alle Entwieklung abhängt, dies halten wir aller-
dings für einen durchaus richtigen Grundgedanken in der
Selektionstheorie?) wie in der Lehre Hamannw’s. „Die
lebende Substanz“, sagt HAMANN, „konnte sich nur entwiekeln
und ihre Eigenschaft, zielstrebig sich zu äussern, entfalten
unter dem Einfluss der äusseren Existenzbedingungen im
weitesten Sinne, unter dem Einfluss des Lichtes, der Wärme,
der Luft und des Wassers, der Nahrung u. s. w.“
ı) Dieselbe natürlich immer in Verbindung mit der Korrelation
des Abänderns gedacht.
?2) Wie dies besonders bei Häckel hervortritt,
[27] Die idealist. Riehtung in der modernen Entwicklungslehre. 347
Man kann auch zugeben, dass die Entwicklung nicht
immer in gleicher Weise andauerte, sondern dass es Perioden
eines gewissen Stillstandes gab, wie wir vielleicht jetzt
gerade in einer solchen leben. Deswegen kann im übrigen
die Entwicklung ebensowohl allmählich, durch Selektion,
wie „sprungweise“ erfolgt sein.
Bei jeder Art der Entwicklung bleibt natürlich die
Vererbbarkeit neu entstandener Eigenschaften eine not-
wendige Voraussetzung, wie ja oben schon erörtert. HAMANN
nimmt für Variationen, die durch direkte Anpassung ent-
stehen, eine Vererbbarkeit stillschweigend an. Allerdings
scheint ihm auch die Fixierung solcher Variationen wesentlich
davon abzuhängen, dass die Existenzbedingungen, nachdem
sie sich einmal geändert und bei einer Generation eine
Variation hervorgerufen, nun für die folgenden Generationen
die gleichen bleiben. Aber schliesslich wird hierdurch dem
Organismus eben nur, je länger je mehr, eine Disposition
zur Vererbung eingepflanzt, welche jene innere, wenn auch
nur relative, Stabilität erzeugt, wie sie doch die Arten bei
der Fortpflanzung aufweisen. Ein näheres Eingehen auf
diesen Punkt vermisst man jedoch bei Hamann.
Man kann geneigt sein, der direkten Anpassung den
grösseren Effekt und sogar die Hauptleistung bei dem Auf-
bau des natürlichen Systems zuzuschreiben, so dass etwa
durch die direkte Anpassung gewissermassen das Gerüst
des Systems geschaffen worden wäre, durch die natürliche
Zuchtwahl aber nur der weitere Ausbau im Detail. Um
aber irgend zu entscheiden, wieweit dies wahrscheinlich ist,
müssten wir mindestens erst einmal genauer wissen, wie die
geologischen und klimatischen Verhältnisse in den ver-
schiedenen Erdperioden sich änderten, ob viel oder wenig,
ob rasch oder langsam. Denkbar ist übrigens noch, dass
unter geeigneten Umständen auch die direkte Anpassung
mit der natürlichen Zuehtwahl zusammenwirkte, dass, ebenso
wie angeborene Abänderungen, auch nachträglich erworbene
dem Kampfe ums Dasein einen Angriffspunkt zu bieten ver-
mochten. Möglich erscheint dies vor allem für den Fall,
dass die Lebensbedingungen sich nur allmählich änderten
und die hiervon betroffenen Individuen einer Art sich nur
348 H. KERSTEN, [28]
zum Teil direkt anpassten oder sich vielleicht alle, aber in
verschieden vollkommenem Grade anpassten. —
Wie bei der natürlichen Zuchtwahl, so fallen auch bei
der direkten Anpassung die betreffenden Abänderungen
unter den Gesichtspunkt des Nützlichen und Zweckmässigen.
„Die Aenderungen“, so sagt Hamann selbst im Hinweis auf
diese Uebereinstimmung, „sind in beiden Fällen für den
Organismus zweckmässig“. Aber für Hamann ermöglicht
sich die direkte Anpassung nur dadurch, „dass ein im
Organismus liegendes Bestreben, ihn unter allen Umständen
möglichst zu erhalten, in Kraft tritt“. Das Eingreifen dieser
„zielstrebigen, wenn auch unbewusst wirkenden Thätigkeit“
soll die Existenz des plötzlich in neue Lebensverhältnisse
versetzten und dadurch gefährdeten Organismus sichern.
Damit kommen wir nun wieder auf die eigentliche Kardinal-
frage in der ganzen Polemik Haımann’s gegen den Darwi-
nismus zurück. Wir haben uns mit dieser Frage schon
oben bei Bespreehung der Variabilität zu beschäftigen Ver-
anlassung gehabt, müssen aber jetzt auf dieselbe noch näher
eingehen.
„Bei der direkten Anpassung“, sagt Hamann, „wird die
Zweekmässigkeit durch eine im Organismus liegende Thätig-
keit, ein Bildungsgesetz, das mit dem Gesetz der korrelativen
Abänderungen identisch ist, hervorgebracht.“ Hier erfahren
wir nun Näheres über jenes innere Bildungs- oder Ent-
wieklungsgesetz, welches die Rolle eines spiritus reetor bei
der ganzen Entwieklung spielen soll. E. v. HARTMANN hatte
schon das Korrelationsgesetz als organisches Entwicklungs-
gesetz bezeichnet und als „das eigentliche (und zwar nicht
mechanische) Universalprinzip der organischen Natur“,
allein geeignet, als Erklärungsprinzip für die Entstehung
der Arten und die aufsteigende Entwicklung des organischen
Lebens zu dienen. In ähnlicher, obwohl minder präziser
Weise spricht sich Hamann aus. Es wird uns möglich,
sagt er, „die Umwandlung der einzelnen Gruppen innerhalb
eines Typus aus einander“ zu verstehen, sobald wir uns der
Korrelation, den sympathischen Veränderungen zuwenden.
„Denn diese betreffen nieht nur die einzelnen Beziehungen
der Organe untereinander, sondern vielmehr den ganzen
[29] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 349
Aufbau des Körpers, seine ganze Existenz. Haben wir uns
einmal überzeugt, dass eine Veränderung im Körper nieht
ohne weiteres vor sich gehen kann, dass sie vielmehr nur
mit anderen auf ein bestimmtes Ziel hinarbeitenden Um-
änderungen im Bau Hand in Hand gehen muss, dann wird
uns auch aus den Wechselbeziehungen, die zwischen Ge-
staltung der einzelnen Körperteile zu einander und der
Organe in ihrer Wirkungsweise bestehen, die fortschreitende
Entwicklung im Tierreich und der Pflanzenwelt erklärlich.“
An anderer Stelle spricht er dann wieder allgemeiner von
einem „Gesetz der harmonischen Entwicklung“ oder, wie er
es auch nennt, „der harmonischen Vervollkommnung und der
harmonischen Zweekmässigkeit.“ Fasst man überhaupt alles,
was Hamann in dieser Hinsicht weitläufig erörtert, kurz
zusammen, so lässt sich folgendes als seine Grundanschauung
hinstellen. Der Organismus lebt und existiert durch ein
spezifisches Prinzip, dessen Träger die lebende Substanz,
das Protoplasma, ist. Dieses Prinzip tritt einerseits im
Selbstbewusstsein, im Willen und bewussten Handeln zu
Tage und entfaltet andrerseits, speziell als „formbildendes“
Prinzip, „eine auf das Künftige gerichtete, unbewusst!) ziel-
strebige Thätigkeit“, indem es der Wirkung der physikalisch-
chemischen Kräfte im Organismus bestimmte Richtungen
giebt. Es äussert sich diese Thätigkeit in den vitalen
Funktionen, in den Instinkten und insbesondere auch in der
direkten Anpassung auf äussere Einwirkungen hin sowie in
der Korrelation des Abänderns. Mit Bezug hierauf erklärt
dann HAMANN: „Insofern wir aber die Korrelation und die
Eigenschaft der lebenden Substanz, direkt das Zweckmässige
hervorzubringen, als Aeusserungen einer und derselben
Thätigkeit des Lebens auffassen, kann man von einem
Gesetz der harmonischen Vervollkommnung und der
harmonischen Zweckmässigkeit sprechen.“
Machen wir hier erst einmal Halt. Um an das letzte
!) An einer Stelle spricht Hamann seltsamerweise sogar von
einer „zielbewussten, wenn auch unbewusst wirkenden Thätigkeit.“
Durch eine solche Verquickung der Begriffe „Zielstrebig“ resp. „Ziel-
bewusst“ und „Unbewusst“ erscheint die ganze Idee der Zielstrebigkeit
nur noch weniger klar und annehmbar.
350 H. KERSTEN, [30]
anzuknüpfen, so liesse sich analog wie oben von der natür-
lichen Zuchtwahl auch von der direkten Anpassung zeigen,
wie dieselbe durch nützliche Abänderungen eine physio-
logische Vervollkommnung herbeizuführen vermag, die als
„Fortschritt in der Organisation“ zum Ausdruck kommt.
Immer geschieht dies nur unter Hinzutritt korrelativer
Abänderungen. Ja, es lässt sich sagen, dass natürliche
Zuchtwahl und direkte Anpassung die einzelnen Entwick-
lungsprozesse nur einleiten, während die Korrelation des
Abänderns den weiteren Verlauf dieser Prozesse dirigiert,
so dass dieselbe allerdings in gewissem Sinne als ein die
ganze Entwicklung regelnder Faktor erscheint. Weist denn
nun aber die Zweekmässigkeit bei der direkten Anpassung
und der Korrelation so unbestreitbar auf eine Zielstrebigkeit
hin, wie Hamann will? Zweekmässig an sich bedeutet
dabei nur so viel wie nützlich oder passend. !)
Man kann hier das von PFLÜGER?) für die physio-
logischen Leistungen der Organe aufgestellte „teleologische
Kausalgesetz* heranziehen und auf die direkte Anpassung
übertragen. Nach diesem Gesetz ist die Ursache eines jeden
Bedürfnisses der lebendigen Wesen zugleich die Ursache
der Befriedigung des Bedürfnisses. Es würde also in dem
oben angeführten Beispiele von den im Wasser zurückge-
haltenen und geschlechtsreif gewordenen Tritonenlarven die
Fortdauer des Wasserlebens das Bedürfnis nach Beibehaltung
der Kiemen verursachen und zugleich den Organismus ver-
anlassen, die Kiemen wirklich beizubehalten. Was hierbei
teleologisch gedeutet werden könnte, wäre dies, dass der
Organismus dem eingetretenen Bedürfnis gerade so genügt,
dass die Larven existenzfähig bleiben. Darin, so sagt
Hamann, dass die Kiemen solcher Tritonenlarven sich nieht
normaler Weise zurückbildeten, trotzdem sich die Lungen
bereits angelegt hatten und sogar zu geringer Thätigkeit
’) In diesem Sinne sprechen auch die Darwinianer von Zweck-
mässigkeit.
2) Pflüger, Die teleologische Mechanik der lebendigen Natur.
Bonn 1877. Hamann beruft sich auf denselben als einen derjenigen
Physiologen, deren Ansichten sich den seinigen „in vielen Stücken
nähern.“ i
[31] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 351
gelangt waren, giebt sich eine „bestimmt gerichtete Variation“,
eine „zielbewusste* plötzliche Umbildung der Organisation
kund, und zwar zur Sicherung der Existenz; andernfalls
hätten die Tiere zu Grunde gehen müssen.
Sehen wir nun ab davon, dass vielleicht das ange-
führte Beispiel gerade für eine mechanische Erklärung nicht
ungünstig wäre. Aber die Zwecekmässigkeit der Arbeit der
Organe ist, wie PFLÜGER sagt, keine absolute, sondern
existiert nur unter bestimmten Voraussetzungen. Und ebenso
findet eine die Existenz sichernde und darum zwecekmässig
erscheinende direkte Anpassung nicht unter allen Umständen
statt; ein Organismus kann auch einem neuen Lebensbe-
dürfnis nicht genügen und darüber zu Grunde gehen, was
gewiss auch nicht für eine absolute Zweckmässigkeit spricht.
PFLÜGER fügt aber noch hinzu: „Gerade hierin — dass
nämlich die Zweekmässigkeit nur unter bestimmten Voraus-
setzungen existiert — offenbart sich der rein mechanische,
jeder Willkür entzogene Charakter.“ Diese Bemerkung er-
klärt wohl zur Genüge, was PFLÜGER unter „teleologischer
Mechanik“ verstanden wissen will: eine Mechanik mit dem
Scheine des Teleologischen; als sei hinter der Zweekmässigkeit
als soleher noch eine besondere zweckthätige Ursache ver-
borgen. — Und woher denn dieser Schein? Er ist eine sub-
jektive Zuthat unsrerseits; wir kommen unten darauf zurück.
Wenn sich aber auch überhaupt, was zu bestreiten, ein ob-
jektiver Zweckbegriff aus den Thatsachen der äusseren Er-
fahrung ergeben könnte, von einer die Existenz des Organismus
unter allen Umständen sichernden Anpassung kann keine
Rede sein, und man hat daher auch kein Recht, von einer
in diesem Sinne thätigen Zielstrebigkeit zu sprechen. Sagt
man aber im Hinweis auf die thatsächlich stattfindenden
Fälle der Anpassung, im Organismus liege ein Bestreben,
ihn unter den betreffenden Umständen mögliehst zu
sichern, so übersieht man, dass alle Abänderungen des
Organismus, wenn derselbe normaler Weise existieren resp.
überhaupt existenzfähig bleiben soll, so wie so passend und
zweckmässig sein müssen oder wenigstens nicht unzweck-
mässig sein dürfen. Einer besonderen Zielstrebigkeit bedarf
es hierzu nieht. Die zweckmässigen organischen Bildungen
392 H. KERSTEN, [32]
tragen eben den hinreichenden Grund ihres Daseins als
solche in sich selbst, da unzweekmässige auf die Dauer gar
nicht würden bestehen können.!) Die physiologisch in-
differenten Bildungen aber, die eine grosse Rolle bei der
Korrelation spielen, geben schon gar keine eigentliche Ver-
anlassung zu einer teleologischen Deutung. Kurz, aus der
direkten Anpassung folgt durchaus noch nicht eine Ziel-
strebigkeit, und es ist nichts weniger als „unbestreitbar“,
dass mit der Anerkennung des Gesetzes der korrelativen
Abänderungen „ein teleologisches Moment“ eingeführt werde.
Sehen wir jetzt aber weiter, wie sich nun nach HAmAnn’s
Auffassung das Korrelationsgesetz als „teleologisches“ Ent-
wicklungsgesetz im Zusammenhang mit dem Naturganzen
darstellt. Die ganze Entwieklung der organischen Welt ist
durch zwei Faktoren zugleich bedingt: durch die Einwirkung
der äusseren Existenzverhältnisse einerseits und durch die
Selbstthätigkeit der lebenden Substanz andrerseits. Soll
sich nun die Entwieklung so vollziehen, dass „kraft eines
Entwieklungsplanes“ die Aktivität des Protoplasmas direkt
zielstrebig darauf gerichtet ist, „sich den äusseren sich gerade
darbietenden Lebensbedingungen anzubequemen oder anzu-
passen“, so müssen natürlich auch diese letzteren selbst mit
ihrer Einwirkung unter die Herrschaft jenes Entwicklungs-
planes fallen. Mit anderen Worten, ein dem Naturganzen
zu Grunde liegendes teleologisches Prinzip muss bei jedem
einzelnen Schritte, den die Entwicklung dem Entwieklungs-
plane gemäss thun soll, zuerst für den Eintritt der geeigneten
Lebensbedingungen sorgen, auf die dann die lebende Sub-
stanz nach dem ihr eigentümlichen ad hoc eingerichteten
Korrelationsgesetze so zu reagieren hat, dass dem Plane
Genüge geschieht. In diesem Sinne spricht denn HAMANN
ı) Was das erstmalige Auftreten der organischen Zweckmässigkeit
betrifft, so konnten die allerersten Organismen selbstverständlich nur
entstehen und bestehen, sofern ihre Lebenseigenschaften zu den äusseren
Lebensbedingungen passten. Wie auch immer die Organismen zuerst
entstehen mochten, da sie einmal entstanden und bestanden, mussten
ihre vitalen Eigenschaften eo ipso passende sein. Mit anderen Worten,
die organische Zweckmässigkeit in ihrem thatsächlichen Auftreten
nnsste dieselbe sein, wenn sie mechanisch bedingt war, als wenn sie
teleologisch bedingt war.
[33] Die idealist. Riehtung in der modernen Entwicklungslehre. 353
von einer „zielstrebigen Gesetzlichkeit“ und einem harmo-
nischen Zusammenwirken aller Naturkräfte. Er kommt dazu,
„in allen Kräften oder Eigenschaften der lebenden wie
toten Substanz eine Zielstrebigkeit zu erkennen, die auf einen
gemeinschaftlichen Grund hinweist. So erklärt sich die
Harmonie in den Vorgängen der lebenden und anorganischen
Natur.“
C, 3.
Wir befinden uns hiermit jedenfalls schon ausserhalb
des Gebietes der eigentlichen Naturwissenschaft und auf
dem Boden der Naturphilosophie. Philosophisch sucht nun
auch HAMANN seine Ansichten tiefer zu begründen. Es ist
unmöglich, sagt er, von der äusseren Erscheinungswelt aus-
sehen und die Eigenschaften der lebenden Substanz
mechanisch erklären zu wollen; unser Weg muss umge-
kehrt von der Innenwelt, dem Bekannten, ausgehen, um
das Unbekannte, die Aussenwelt zu erklären. „Wir kennen
nur unser eigenes Selbst genau, und dieses muss der Aus-
sangspunkt unserer Naturerklärung sein.“ „Unsterbliches
Verdienst“ SCHOPENHAUER’S ist es, dass derselbe von der
Selbstbeobachtung ausgehend die mechanische Erklärung
der Lebenserseheinungen für immer zurückwies, während
er alle Kräfte der Natur, der anorganischen wie der
organischen, auf einen „aus dem Innern“ kommenden Begriff,
„den Willen“, zurückführte, als auf „das uns einzige wirklich
unmittelbar Bekannte.“ Und es bleibt kein anderer Weg
übrig, „als von der Beobachtung unseres eigenen Ichs aus-
gehend, die wirkenden Bedingungen in der Welt des
Lebendigen als Willen, als Triebe aufzufassen, die zielstrebig
wirken“, und auf die Verhältnisse der Welt um uns das zu
übertragen, „was wir aus uns erkannt haben“.
Andrerseits sucht sich Hamann auch auf v. HARTMANN
zu Stützen. Wir erkennen an, so erklärt er, dass die Natur-
kräfte „notwendig und unabänderlich“ wirken müssen, aber
wir erkennen auch im Gegensatz zu den Darwinisten an,
dass die Folgen dieses Wirkens „zielstrebig“ sind. Zwecke
oder Ziele schliessen die „absolute Notwendigkeit“ nicht
aus. „Ein Ziel kann nur dadurch zu stande kommen, dass
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 23
354 H. KERSTEN, [34]
es die Notwendigkeiten, das sind die Kräfte der Natur,
benutzt, sich ihrer bedient.“ Hamann weiss sich in diesem
Gedanken eins mit v. HARTMANN und weist zustimmend
auf das hin, was letzterer des weiteren ausführt, dass die
Teleologie den Mechanismus voraussetze und ohne diesen
unmöglich sei, ganz ebenso wie umgekehrt der Mechanismus
ohne die Teleologie unmöglich sei. Teleologie und Mecha-
nismus in der Natur sollen sich genau so wie die Begriffe
Zweek und ‚Mittel verhalten und reziprok sein. Indessen,
dass beide im Grunde doch nur „herausgesetzte, gleichsam
verselbständigte Momente eines logischen Prozesses“ sein
und sich als die verschiedenen Seiten desselben einheitlichen
Prinzips „der logischen Notwendigkeit“ darstellen sollen,
wie v. HARTMANN will, entspricht dies noch der eigentlichen
Tendenz Hamann’s? Wenn Hamann auch an gewisse Ideen
SCHOPENHAUER’S und v. HArTMAnN’s anknüpft, so geht er
doch im übrigen seinen eigenen Weg. Er acceptiert von
beiden Philosophen so viel, als ihm zweckdienlich scheint,
aber im letzten Grunde stimmt er mit keinem von beiden
überein. Sein „Wissenstrieb“ ist auch philosophisch nicht
zu befriedigen. „Unser Kausalitätsbedürfnis“, so erklärt er,
„treibt uns weiter, nach der letzten Ursache der Welt zu
forschen.“ Das Kausalitätsbedürfnis fällt für ihn aber in
letzter Hinsicht mit dem „religiösen Bedürfnis“ zusammen.
Und hierdurch ist eben seine ganze Stellungnahme zur
Entwieklungslehre, worauf ja eingangs schon hingewiesen,
und seine allgemeine Naturauffassung im voraus bedingt.
Diese letztere gipfelt darin, dass die Naturkräfte die perma-
nenten Willensäusserungen einer Einheit, einer höchsten
Intelligenz, sind, und dass das Wirken dieser Kräfte nicht
bloss ein gesetzmässiges, sondern zugleich ein zielstrebiges
ist, darauf gerichtet, den schöpferischen Weltplan jener
zwecksetzenden höchsten Einheit zu realisieren.
Aber welchen Wert auch religiöse Motive für die per-
sönliche Ueberzeugung des Einzelnen haben mögen, eine
objektiv wissenschaftliche Behandlung des Zweckproblems
muss ihrer entraten. Wollte aber jemand rein wissen-
sehaftlich etwa eine teleologische Naturphilosophie im Sinne
Hamann’s konstruieren oder — worauf es schliesslich hin-
[35] Die idealist. Richtung in der modernen Entwieklungslehre. 355
auskäme — im Sinne der alten Teleologen rekonstruieren,
so müssten wir dieses Unternehmen selbst dann, wenn der
Zweckbegriff wirklich ein objektiv giltiger wäre, nach dem,
was uns Kant gelehrt hat, im voraus verfehlt nennen. Der
Zweckbesriff hat aber, wie das von dem Philosophen Könıs
in der Beilage zur Allgem. Ztg. treffend ausgeführt worden
ist,!) seinen Ursprung nicht in der äusseren, sondern in der
inneren Erfahrung, und seine Uebertragung auf die Aussen-
welt ist eine Hypothese Es geht in der That nicht an, den
Zweekzusammenhang in der Natur als einen thatsächlich ge-
sebenen hinstellen zu wollen, und es ist falsch, dem Zweck-
begriff ebenso gut eine objektive Giltigkeit zuzuschreiben,
wie dem Kausalbegriff. Finalität uud Kausalität sind nicht
gleich notwendige und notwendig mit einander verbundene
Begriffe, wie das v. HARTMANN will, und die erstere hat
nieht einen gleich notwendigen Bezug auf die äussere Er-
scheinungswelt wie die letztere. Wenn aber der Zweck-
begriff kein objektiv giltiger ist, so kann auch eine teleo-
logische Naturphilosophie schon rein im empirisch-realistischen
Sinne von vornherein keinen Anspruch auf notwendige Geltung
haben. Stellt man Behauptungen auf wie diese, dass aus
blind wirkenden Kräften nie eine Gesetzmässigkeit ent-
springen könne, dass die Gesetzlichkeit der Naturkräfte nur
als eine zielstrebige zu begreifen sei, dass Zweckmässigkeit
und Harmonie in der Natur nur auf einen Plan und eine
Absicht zurückzuführen seien, so handelt es sich bei all
diesen Behauptungen trotz ihrer apodiktischen Tonart in
Wahrheit immer nur um ein Hineintragen des rein subjektiven
Zweckbegriffs in den objektiven Thatbestand der äusseren
Erfahrung. Sehr klar hat auch Lorze dargethan?) (auf die
nähere Begründung hier einzugehen müssen wir uns leider
versagen), dass es eine willkürliche Interpretation ist, von
irgend einem Naturerzeugnis zu sagen, es sei nicht bloss
das unvermeidliche Resultat der ihm vorangegangenen Zu-
1) Die heutige Naturwissenschaft und die Teleologie. Beilage
Jahrgang 1900, Nr. 29 u. 30. „Man vergesse doch nicht“, sagt König,
„dass von Zwecken nur gesprochen werden kann unter Voraussetzung
eines Willens, der Zwecke setzt oder verfolgt.“
?) Vorles. über Religionsphilosophie.
356 H. KErsTEn, [36]
stände, sondern das Produkt einer Absicht, da alles, was
die Absicht beiträgt zur Verwirklichung des Zweckes, in
jedem Falle auch durch eine Verknüpfung absichtslos
wirkender Kräfte ersetzt werden kann. Und wir müssen
LoTzeE darin beistimmen, dass keine Thatsache, welche es
auch sei, als Zweck gefasst werden müsse, dass vielmehr
jede sich als blosse Wirkung fassen lasse. —
Hamann tadelt es an den Materialisten, dass sie mit
dem Begriff der Bewegung, der „von der Beobachtung des
Lebens“ — was richtiger heissen müsste: von der Beob-
achtung der Körperwelt — hergenommen sei, nun das Leben
selbst erklären wollen. Und schon hinsichtlich des physi-
kalischen und chemischen Geschehens bekämpft er es als
„falsche Logik“, dieses Geschehen, sobald es auf die „er-
dachten, nur als Mittel zur Erklärung eingeführten Begriffe“
Kraft, Masse, Atom, Molekül zurückgeführt sei oder scheine,
„als überhaupt erklärt anzunehmen“ und hinterdrein jene
„schematischen Begriffe für thatsächlich existierend anzu-
sehen.“ Indessen, was heisst es, dass jene Begriffe alle
„von uns selbst erfunden, erdacht worden sind?“ Fragt
man nach der Herkunft derselben, so kann die Antwort
vom empirischen Standpunkt nur lauten: sie sind auf Grund
unserer Erfahrung von der Aussenwelt gebildet. Sie sind
demgemäss auch an der äusseren Erfahrung zu kontrollieren
und nötigenfalls zu korrigieren, wenn die Erweiterung
unserer empirischen Erkenntnis dies bedingt. Die Natur-
wissenschaft hat es auf diese Weise mit gewissen physikalisch-
chemischen Grundbegriffen zu thun, auf welche sie nun die
Naturvorgänge zurückzuführen sucht. In dem Masse als
letzteres gelingt, sind allerdings diese Vorgänge natur-
wissenschaftlich „als überhaupt erklärt“ anzunehmen.
Denn die Naturwissenschaft als solche hat doch jedenfalls
ihre Aufgabe darin zu sehen, dass sie die Vorgänge in der
Körperwelt auch auf körperliche Bedingungen und Ursachen
(Kräfte), dergleichen eben durch jene physikalisch-ehemischen
Grundbegriffe ausgedrückt werden, zurückführt. Dass sie
dies bezüglich der Lebensvorgänge zu leisten zunächst keine
Aussicht hat, ist schon oben hervorgehoben worden.
Es wird sich ferner auch jeder besonnene Forscher des
[37] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 357
hypothetischen Charakters soleher Begriffe wie Atom, Molekül,
Liehtäther voll bewusst sein, und er wird dieselben höchstens
für mit gewisser Wahrscheinlichkeit existierende „reale
Grössen“ ausgeben. Handelt es sich aber auch bei solchen
Begriffen um eine blosse Annahme, so ist doch die letztere
keine willkürliche Fiktion, sondern sie beruht auf Schlüssen,
zu denen wir uns auf Grund der Beobachtung für berechtigt
halten dürfen.
Eine andere, rein erkenntnistheoretische Frage ist es
zuletzt, ob es überhaupt Dinge an und für sich giebt, die
so existieren wie wir sie uns vorstellen. Und da müssen
wir unsrerseits uns zu der Lehre Kanr’s bekennen, dass wir
es überall nur mit den Dingen als „Erscheinungen“ zu thun
haben, die „nicht an sich selbst, sondern nur in uns existieren
können“, indem gewisse reine Denk- und Ansehauungsformen
in uns als „Bedingungen a priori einer möglichen Erfahrung
überhaupt“ und damit als „Bedingungen der Möglichkeit
der Gegenstände der Erfahrung“ gegeben sind und alle
unsere Erkenntnis von den Gegenständen der Erfahrung der
Form nach im voraus bestimmen.
Dieser Auffassung des Kritizismus trägt HAMANN eben-
sowenig Rechnung, wie es der Materialismus thut. In der
Sprache des Dogmatikers redet Hamann davon, dass das
Wesen von Materie und Kraft uns ewig unbegreiflich bleibe
(gleichwohl soll, wie er im Anschluss an SCHOPENHAUER
behauptet, die Kraft auf „ein durchaus unmittelbar Er-
kanntes“, den „Willen“, zurückzuführen sein). Materie und
Kraft in ihrer empirischen Erscheinungsweise sind für ihn
ebenso an sich bestehende Dinge, wie sie es für den
Materialisten sind. Wenn dabei für den letzteren das ge-
setzmässige Wirken aller einzelnen Naturkräfte ein streng
mechanisch-kausales ist, so ist es für HAmAnN zwar auch
ein notwendiges, aber zugleich ein in seinen Folgen ziel-
strebiges. Der Mechanist kann dem Teleologen gegenüber
seltend machen, dass wir die Naturgesetzlichkeit notwendig
als eine kausale denken müssen, nicht aber ebenso auch als
eine finale. Indessen folgt hieraus nichts zu Gunsten des
Dogmatismus als solehen. Denn gerade in ihrer Notwendigkeit
ist die Kausalität nichts in den Dingen an sich, sondern
358 H. Kersten, Die idealist. Richtung in der modernen Entw. [38]
etwas rein in unserem Verstande Bestehendes. „Der Ver-
stand ist selbst der Quell der Gesetze der Natur“, sagt KAnT,
und wir würden keine Gesetzmässigkeit in derselben finden
können, „hätten wir sie nieht ursprünglich hineingelegt.“
Die teleologische Naturbetrachtung beruht nach Kanr')
auf der Vernunftidee der systematischen und zweckmässigen
Natureinheit als einem zwar regulativen Prinzip, aber
nieht als einem konstitutiven Prinzip transzendenter Er-
kenntnis. Dieses bloss regulative oder heuristische Prinzip
dient auch nicht zur Erklärung der Zweckmässigkeit —
„Ordnurg und Zweckmässigkeit in der Natur“, sagt Kanr,
„muss wiederum aus Naturgründen und nach Naturgesetzen
erklärt werden“ —, sondern ist nur darauf gerichtet, not-
wendige und grösstmögliche Natureinheit zu suchen „ver-
mittelst der Idee der zweckmässigen Kausalität der obersten
Weltursache, und als ob diese als höchste Intelligenz nach
der weisesten Absieht die Ursache von allem sei.“ Es hat
in der neueren Zeit nicht an Versuchen gefehlt, die Idee
der obersten Weltursache eines jeden anthropomorphistischen
Charakters möglichst zu entkleiden und sie in angeblich
korrigierter, wie uns aber scheint mehr unbestimmt ge-
wordener Form als Idee eines realen teleologischen Welt-
prinzips auszugeben. Im Kanr’schen Sinne beurteilt kann
es sich hierbei immer nur um eine Idee von bloss immanentem
Gebrauch handeln, nicht um ein transzendentes Wissen.
Und so gewinnt vom Standpunkt des Kanr’schen
Kritizismus aus betrachtet der ganze Widerstreit zwischen
Teleologie und Mechanismus ein anderes Aussehen und er-
fährt eine Lösung in dem Sinne, dass beide überhaupt nur
eine auf die Dinge als „Erscheinungen“ beschränkte Geltung
beanspruchen können, nicht aber eine auf die Dinge an sich
gehende.
") Kritik der reinen Vernunft.
Ueber vulkanische Bomben aus dem Katzbachgebirge')
von
Privatdozent Dr. H. Scupin, Halle a. S.
Mit Tafel V.
Alte vulkanische Bomben gehören in einzelnen Gegenden
Deutschlands bekanntlich durehaus nicht zu den Seltenheiten.
Einer geologisch älteren Zeit entstammen die von KAYSER?)
und RINNE3) beschriebenen Diabasbomben. Aus jüngerer
Zeit sind vulkanische Bomben schon seit lange aus ver-
schiedenen deutschen Vulkangebieten bekannt und noch in
den letzten Jahren hat Rınne?) derartige Vorkommnisse
auch aus der Wesergegend behandelt. Gelegentlieh einer
bereits vor mehreren Jahren begonnenen, mehrwöchigen
Begehung der Mulde von Goldberg-Hermsdorf in Schlesien
konnten derartige wohl ebenfalls als Bomben zu deutende
Gebilde auch hier und zwar unter besonders günstigen Ver-
hältnissen beobaehtet werden. Die weiteren Resultate dieser
wegen anderer Arbeiten unterbroehenen und nur gelegent-
lich während einiger Herbstwochen fortgesetzten Begehung
Dt) Vorgetragen in der Sitzung des Naturwissenschaftlichen Vereins
für Sachsen und Thüringen zu Halle am 17. Juli 1900.
®) Zeitschrift der deutschen geolog. Gesellschaft. Bd. 48. 1896.
S. 217; sowie Quarterly Journal geolog. Soc. of London 53. 1897. 8.109. _
%) Ueber Diabasgesteine in mitteldevonischen Schiefern aus der
Umgegend von Goslar am Harz. Neues Jahrbuch für Mineralogie. Bei-
lage-Bd. X, Heft 2. S. 363.
*) Ueber norddeutsche Basalte aus dem Gebiete der Weser und
den angrenzenden Gebieten der Werra und Fulda. Jahrb. der preuss.
geolog. Landesanstalt für 1897. 8.3.
360 Dr. H. Scupın, [2]
werden an anderer Stelle ausführlicher dargelegt werden.!)
Zwei in letzter Zeit gemachte photographische Aufnahmen,
die hier zur Reproduktion gelangt sind, geben eine gute
Vorstellung des Vorkommens.?)
Die Goldberg-Hermsdorfer Mulde bildet den östlichen
bezw. südöstlichen Abschluss des grossen, aus mehreren
kleineren Mulden bestehenden Gebietes, in dessen Mitte
etwa Löwenberg liegt. Sie wird von Süden nach Norden
von der Katzbach durchschnitten, deren Thal teilweise einer
Verwerfungsspalte entspricht, und zwar sind die hier vor-
handenen Dyas- und Buntsandsteinschichten auf der linken
Katzbachseite, die auf der Roru (-Beyrıca)’schen Karte
nach SW umzubiegen scheinen, in Wirklichkeit aber nach
den jetzt vorhandenen Aufschlüssen das gleiche OSO—WNW
Streichen wie auf der rechten Katzbachseite zeigen, gegen
die Schichten der letzteren um einige hundert Meter nach
Süden hin verworfen.?)
Ganz kurz mag hier die geologische Zusammensetzung
der Mulde gestreift werden.
Die ältesten die äussere Umrandung der Mulde bilden-
den Schichten werden von den sehr stark gefalteten Schiefern
der sog. niederschlesischen Thonschieferformation gebildet,
für deren oberen Teil durch Graptolithenfunde schon seit
längerer Zeit ein obersilurisches Alter feststeht.) Von
Eruptivgesteinen erlangen hier in erster Linie die zum Teil
stark veränderten Diabase Wichtigkeit.
1) Eine kurze Notiz über das Vorkommen findet sich bereits in
dem Bericht von Herrn Professor Frech über eine mit Breslauer
Studierenden in Begleitung des Verfassers unternommene Exkursion,
bei der auch der interessanteste der beobachteten hier in Frage
kommenden Punkte aufgesucht wurde. Jahresberichte der schlesischen
Gesellschaft für vaterländische Kultur. Jahrgang 1899 (1900). Natur-
wissenschaftliche Sektion, $. 23.
2) Eine ältere, infolge der ungünstigen Beleuchtungsverhältnisse im
Herbst wenig gelungene Aufnahme des Verf. liegt der Abbildung mit zu
Grunde, die sich in dem in nächster Zeit erscheinenden geol. Führer
durchs Riesengebirge von Gürich findet. (Nachträgl. Anmerkung. Der
Führer ist inzwischen während der Fertigstellung der Bilder erschienen.)
3) Eine zweite Querverwerfung liegt etwa 1 km weiter westlich.
‘) Gürich, Beiträge zur Kenntnis der niederschlesischen Thon-
schieferformation. Zeitschr. d. deutsch. geol. Ges., XXXIV, 1882, 8. 693.
[3] Ueber vulkanische Bomben aus dem Katzbachgebirge. 961
Die nächst jüngeren transgradierend über den Schiefern
liegenden Sedimente sind nur im südlichen bezw. östlichen
Teile der Mulde vorhanden, fehlen dagegen, abgesehen von
einer unbedeutenden Scholle, im Norden.
Die ältesten Schichten derselben werden durch das
Rotliegende gebildet, dessen mittlere und obere Abteilung
hier allein zur Entwicklung gekommen ist, während das
tiefere Rotliegende fehlt. Der Zeit des mittleren Rotliegen-
den gehören ausgezeichnete Deeken von Melaphyr sowie
die Hauptmasse der im Gebiete auftretenden Quarzpor-
phyre (Willenberge und das nördlich derselben liegende aus-
sedehnte Porphyrgebiet) an, während einzelne Vorkommen
der näheren oder weiteren Umgebung älter sein dürften.
Scheinbar gleiehförmig (Erosionsdiskordanz) liest über
dem oberen Rotliegenden der Zechstein, von dem hier
ebenfalls nur die mittlere und obere Stufe vorhanden ist.
Unterer Zechstein mit Productus horridus findet sich da-
gegen weiter westlich am Gröditzberge.!)
Ohne deutliche Grenze geht der Zechstein in den ziem-
lich mächtigen Buntsandstein über, der weiter nach oben
hin durch das Auftreten einer Septarienzone und im Hang-
endsten durch eingelagerte Quarzite und Dolomite ausge-
zeichnet ist.
Muschelkalk tritt nur in einer unbedeutenden Partie
nördlich von Hermsdorf auf, an den übrigen Stellen liegen
unmittelbar über dem Buntsandstein mächtige Quadermassen
cenomanen Alters (Exogyra columba), die in ihrem unteren
Teile eine wenig mächtige Einlagerung eines weissen, nach
oben hin sandig werdenden, und schliesslich in einen feinen
selblichen Sandstein übergehenden Pläners enthalten.
Der Nordflügel der Kreideschichten zeigt erheblich
geringere Ausdehnung als der Südflügel und stösst un-
mittelbar an die nördliche Schieferumrandung. Die Kreide
ist hier mit den älteren mesozoischen und jungpaläozoischen
Sehichten längs einer grossen Bruchlinie abgesunken, die
1) Der Auffindung eines vereinzelten Exemplars von Productus
horridus gegenüber dem massenhaften Auftreten besonders des für die
höheren Schichten charakteristischen Schizodus obscurus, kann kaum
entscheidende Wichtigkeit zukommen.
362 Dr. H. Scurın, [4
einerseits bis Neudorf am Gröditzberg und vielleicht noch
darüber hinaus, andererseits auch noch nach SO bis Hasel,
im ganzen etwa 20 km weit zu verfolgen ist.
Turonablagerungen sind in der Roru’schen Karte erst
weiter nach Westen hin eingetragen, fehlen dagegen in dem
hier in Betracht kommenden Teile der Karte; indes glaube
ich als solehe wenig mächtige, plänerartige, stellenweise auch
ziemlich sandige Schichten deuten zu müssen, die im Hang-
endsten der ganzen Schichtenfolge liegend, in und bei
Hermsdorf an einigen Punkten aufgeschlossen sind und sich
in einem schmalen Streifen nach WNW fortsetzen.!)
Ueber das ganze Gebiet verstreut sind zahlreiche Basalt-
kuppen. Es handelt sich hier um die letzten Ausläufer der
sich von der Eifel durch Westdeutschland, Nordböhmen und
die Lausitz hinziehenden vulkanischen Zone. Die uns hier
interessierenden, bei den basaltischen Eruptionen heraus-
geschleuderten Bomben sind in feineres Auswurfsmaterial
eingebettet und konnten bisher an drei Punkten beobachtet
werden, von denen der hier photographisch wiedergegebene
der interessanteste ist.
Rınn&?) hat in letzter Zeit einige analoge Vorkommen
besprochen und dabei auch gleichzeitig der von BRANCco
beschriebenen schwäbischen Vulkanembryonen gedacht, von
denen sich die ersteren jedoch insofern unterscheiden sollen,
als bei ihnen schon ursprünglich Spalten vorhanden waren,
die erst durch die vulkanische Thätigkeit eine Erweiterung
erfuhren, während die Schlote der schwäbischen Vulkan-
embryonen nach Branco unabhängig von grösseren Spalten
ausgeblasen wurden.
Bei dem einen der schlesischen Vorkommen konnte der
Zusammenhang mit einer Verwerfungsspalte direkt
beobachtet werden. Die Aufhäufungen des ausgeworfenen
Materials, die hier jedoch nicht so sehön aufgeschlossen sind
1) Das Vorhandensein von Turon wurde übrigens auch schon von
Williger vermutet, dessen Spezialuntersuchungen sich östlich jedoch
nur bis Pilgramdorf erstreckten und der daher auch nichts von dem
genannten schmalen Plänerstreifen erwähnt. Jahrbuch der preussischen
geologischen Landesanstalt für 1881. S. 55.
?) Basalte aus dem Wesergebiete. S. 39.
[5] Ueber vulkanische Bomben aus dem Katzbachgebirge. 368
als bei dem weiter unten beschriebenen Profil, liegen in diesem
Falle auf der oben erwähnten grossen Verwerfung, und zwar
an einem nördlich Hermsdorf liegenden Punkte, an dem diese
selbst direkt beobachtet werden kann. Der Punkt befindet
sich unmittelbar südlich eines verlassenen Steinbruches, in
dem früher Muschelkalk gebrochen wurde, am Südabhang
der Hermsdorf nördlich begrenzenden Höhen, und war
übrigens auch RorH nicht unbekannt, der hier das Auf-
treten eines Basaltkonglomerates erwähnt. Der Muschelkalk
des Steinbruches, der noch etwas weiter nach Osten ver-
folgt werden kann, unterteuft im Steinbruch selbst mit west-
nordwestlichem Streichen und ziemlich steilen Einfallen in
überkippter Lagerung den nur in einer geringen Partie vor-
handenen Buntsandstein. Während nun weiter nach NNO
zu unmittelbar die silurischen Schiefer folgen, die hier noch
am Rande des Steinbruches selbst beobachtet werden können,
steht am gegenüberliegenden Rande desselben bereits ceno-
maner Quadersandstein an. In die Verwerfungsspalte zwischen
beiden ist die Buntsandstein-Muschelkalkscholle eingeklemmt.
Der zweite der zu erwähnenden Punkte liest an der
neuen, an der Katzbach entlang führenden Chaussee Gold-
berg-Schönau nördlich von Neukirch im Buntsandstein und
zwar dicht an der Grenze desselben gegen das Cenoman.
Das Vorkommen steht in Zusammenhang mit dem Basalte des
Geiersberges, bietet indes weiter kein besonderes Interesse.
Am vollkommensten aufgeschlossen ist der dritte Punkt
in der Nähe von Bahnhof Hermsdorf, dieht am Bahnkörper
selbst. Derselbe liest südlich der die Bahn senkrecht
kreuzenden — einem Seitenthal der Katzbach folgenden —
Chaussee Hermsdorf- Seiffenau unmittelbar nördlich einer
Stelle, wo die senkrecht abstürzenden Quadermassen von
der Katzbach zurücktreten. Das Vorkommen liegt noch im
Südflügel der Mulde, deren Nordflügel erst die jenseits der
Chaussee auftretenden Quadermassen der Rabendocken an--
gehören. Das mit der Chaussee zusammenfallende Seiten-
thal entspricht einer kleineren Verwerfungsspalte, längs
deren die südlichen Quadermassen gegen die nördlichen ab-
gesunken sind. Dagegen ist hier eine Verwerfung an der
in Frage kommenden Stelle selbst nicht zu beobachten.
364 Dr. H. Scupin, [6]
Das Profil verläuft in etwa NNO—SSW-Richtung (siehe
Taf. V). Von Nordosten beginnend beobachten wir zunächst
den gut aufgeschlossenen, schwach nach NNO einfallenden
Cenomanquader (C), der gegen eine Lettenkluft (Z) abbricht.
Im unteren Teile des Profils ist die Grenze der Kreide durch
einen von der Kluft ausgehenden Schuttkegel zugedeckt.
Es folgen nun die eigentlichen tuffartigen, bombenführenden
Auswurfsmassen (f), innerhalb deren ein Gang von kom-
paktem Basalt (5) siehtbar wird. Die Hauptmasse des
Auswurfsmaterials liegt südlich des Basaltganges (auf der
reehten Seite der Abbildung, ?—t), während nach Norden
zu nur eine schmale, teilweise noch von Schutt zugedeckte
Partie von Auswurfsmaterial zu beobachten ist. Die Grenze
zwischen dem kompakten Basalt und dem Tuff ist nicht
besonders deutlich und tritt in Wirklichkeit nicht so gut
hervor wie in der Abbildung, in welcher der Kontrast gegen-
über dem letzteren durch Retouche der Tuffmassen etwas
verschärft worden ist. Innerhalb des randlichen Teiles des
kompakten Basaltes können noch gelegentlich Partien von
Auswurfsmaterial, wie es dicht daneben ansteht, beobachtet
werden. Das basaltische Magma ist offenbar seitlich in die
Tuffmassen eingedrungen und hat dabei einzelne Fetzen los-
gerissen. Mitunter lässt sich auch durch Losklopfen kleinerer
Partien derartigen loseren Materials wieder kompakter Basalt
freilegen. Der Basalt selbst, oberhalb dessen wieder lockere
Tuffmassen zu bemerken sind, tritt im unteren Teile des
Aufschlusses etwas aus der Wand heraus.
Da die Quadermassen südlich des beschriebenen Profils
wie schon erwähnt, etwas zurückweichen, und einer breiten
Alluvialebene Platz machen, so tritt auf dieser Seite die
Abgrenzung der das Cenoman durchsetzenden mit vulka-
nischen Produkten erfüllten Spalte im Bilde nicht zu Tage.
Wir haben hier einen Teil eines eigentlichen Herdes
alter vulkanischer Thätigkeit vor uns. Ob ursprünglich
schon eine Spalte bestanden hat, oder ob der Eruptionskanal
erst ausgeblasen worden ist, wage ich nicht zu entscheiden;
eine merkliche Verwerfung ist, wie gesagt, an dem Punkte
selbst nieht zu beobachten. Andererseits legt das Auftreten
der beiden erwähnten, in nächster Nähe befindlichen Brüche,
[7] Ueber vulkanische Bomben aus dem Katzbachgebirge. 365
die in Hermsdorf zusammentreffen, die Vermutung nahe, dass
in der abgesunkenen Scholle auch die der Verwerfung
nächsten Teile nieht ganz unbeeinflusst geblieben sind und
wenigstens kleinere Zerreissungen erfahren haben, wenn
auch erst die Eruption die Spalten erweitert haben mag.
In diesen häuften sieh dann die ausgeworfenen und wieder
zurückgefallenen Bomben und Lapilli an, zwischen die sich
schliesslich das basaltische Magma eindrängte. Das Vor-
kommen scheint danach einige Aehnlichkeit mit dem durch
Rınye vom Hüssenberg bei Eissen beschriebenen zu haben.
Die bei der Eruption ausserhalb der Spalte niederge-
fallenen vulkanischen Produkte sind offenbar wieder durch
Erosion beseitigt worden. Auch die anstehenden Tuffmassen
selbst haben wohl eine grössere Ausdehnung nach Süden
zu gehabt, wo sich, wie gesagt, eine etwas breitere, von
Cenomanfelsen umgebene Alluvialebene vorlagert.
Die einzelnen Bomben besitzen kugelige, ellipsoidische
oder brotlaibförmige Gestalt. Häufig sind auch Bomben von
mehr eckigem Querschnitt mit abgerundeten Kanten. Die .
Oberfläche ist bei den aus basaltischem Materiale bestehen-
den Auswürflingen unregelmässig warzig, sehr oft lassen
dieselben deutlich schalige Absonderung erkennen. Die
Grösse schwankt sehr erheblich. Neben den zahlreichen
Bomben von der Grösse eines kleinen Apfels oder einer
Wallnuss finden sich andere hier im Bilde schon recht
deutlich hervortretende Auswürflinge, die Kopfgrösse er-
reichen. Bei einigen ist die Grösse noch erheblicher, der
Durchmesser kann mitunter fast 1/, Meter betragen.
Die meisten Auswürflinge bestehen aus basaltischem
Material, daneben finden sich jedoch auch solche sedimen-
tären Ursprunges, die von dem in der Tiefe anstehenden
Gestein losgerissen und mit emporgebracht wurden. Ins-
besondere wurden beobachtet Blöcke von rotliegendem Kon-
glomerat sowie solche, die offenbar dem obengenannten weiter -
südlich aufgeschlossenen Cenomanpläner angehören. An dem
nördlich Hermsdorf gelegenen Punkte wurden ausserdem noch
Blöcke von Zechstein und Buntsandstein gefunden.
Sämtliche Bomben sind regellos verteilt, eine Anordnung
nach der Grösse ist nicht vorhanden, sodass auch an eine
366 Dr. H. Scupın, Ueber vulkanische Bomben ete. [8]
Zusammenspülung durch Wasser nieht zu denken ist. Ein
vereinzelter, ziemlich grosser Rollkiesel, der hier gefunden
wurde, enthält natürlich nichts Beweisendes und entstammt
offenbar den in der Tiefe anstehenden rotliegenden Kon-
glomeraten. Auch ist die Entfernung bis zu dem zu Tage
tretenden Rotliegenden, das, wie gesagt, auch in ganzen
Blöcken beobachtet wurde, eine ziemlich beträchtliche, was
namentlich in Hinsicht auf die nicht besonders grosse Festig-
keit der Konglomerate bezw. die leichte Zerstörbarkeit bei
weiterem Transport in Rechnung zu ziehen ist.
Andererseits beweisen die Blöcke sedimentären Ur-
sprungs wieder, dass die mit ihnen zusammen vorkommen-
den, die Hauptmasse des Materials bildenden Basaltknauern,
wie man bei Betrachtung einzelner Stücke ausserhalb des
Zusammenhanges auch vermuten könnte, nicht etwa Ab-
sonderungserscheinungen darstellen.
Erwähnt werden mag noch eine besonders in Figur 2
gut zum Ausdruck kommende Erscheinung.
Man beobachtet in derselben breite, schräg nach rechts
unten verlaufende, dunkle Streifen, die einer Reihe aus
feinerem Tuffmaterial bestehender Zwischenlagen entsprechen
und dem Ganzen eine Art geschichtetes Aussehen geben.
Man hat hier wohl an Unterbreehungen in der vulkanischen
Thätigkeit zu denken.
Noch in anderer Beziehung ist der eben beschriebene
wie auch besonders der Aufschluss nördlich Hermsdorf von
Interesse. Bei der älteren Auffassung, die das gänzliche
Fehlen der permischen Schiehten im Nordflügel der Mulde
nicht durch Verwerfung erklärte, bleibt nur die Annahme
eines Auskeilens der Schichten gegen Norden hin übrig.
Durch die heraufgebrachten Blöcke sedimentären Ursprungs
ergiebt sich indes jedenfalls, dass sowohl an dem .hier
genauer beschriebenen Punkte in der Nähe der Schiefer-
kreidegrenze als auch an dieser (hier nur durch die Bunt-
sandstein - Muschelkalk - Seholle unterbroehenen) Grenzlinie
selbst mit abgesunkene permische Schichten in der Tiefe
vorhanden sind.
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Tafel V.
Sceupin,
Ueber vulkanische Bomben aus dem Katzbachgebirge.
Fig. 1.
Fig. 2.
Aufschluss südlich von Hermsdorf an der Katzbach
(nach einer Aufnahme des Verfassers).
C: Cenomanguader;
L: oben eine Lettenkluft, darunter ein Schuttkegel
(erstere zur Verschärfung des Kontrastes etwas
dunkler retouchiert);
t (t—t): Basalttuff mit Bomben (in der Umgebung von
B durch Retouche etwas aufgehellt).
B: kompakter Basalt;
Rechte Seite des Aufschlusses in grösserem Massstabe,
um die reichlich eingestreuten Bomben (helle Flecke)
zur Anschauung zu bringen.
Zeitschrift für Naturwissenschaften Bd. 78 1900 Tafel V
C. Höpfner
8. Februar 1857 bis 14. Dezember 1900
Biographische Notiz
von
Professor Dr. H. Erdmann
C. HöPFnEr wurde in Friedriehslohra am Harz geboren,
absolvierte das Gymnasium in Wernigerode und studierte in
Berlin zuerst Medizin, wandte sich aber dann bald der
Geologie, Physik und Chemie zu. Nach der Promotion trat
er 1882 seine erste Forschungsreise nach Südwestafrika auf
Veranlassung der Reiehsregierung an und fasste dort den
Plan, das zur Extraktion der Erzlager erforderliche Chlor
dureh elektrolytische Zerlegung von Kochsalz zu erzeugen,
eine Idee, die, nach seiner Rückkehr 1883 zum Patent an-
gemeldet, einen wesentlichen Anstoss zu der jetzt bereits
nicht zum wenigsten in unserer Provinz Sachsen hochent-
wiekelten Industrie der Chlorkaliumelektrolyse gegeben hat.
Auf einer zweiten Expedition 1884 erwarb HöPrner in lang-
wierigen Verhandlungen mit den afrikanischen Häuptlingen,
an denen später auch Dr. NAcHTiGALL teilnahm, für die
Reiehsregierung das grosse Gebiet, welches wir heute als
unsere Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ bezeichnen.
Nach seiner Rückkehr führten HöPrnEr seine Arbeiten
über elektrolytische Gewinnung des Kupfers direkt aus den
Erzen (Höprner’s Chlorürverfahren) mit WERNER SIEMENS
zusammen, bei dem er auf kurze Zeit als Leiter der elektro-
lytischen Abteilung eintrat. Aus dieser Zeit stammt das
Cyanidverfahren zur Auslaugung feinverteilten Goldes aus
370 Prof. Dr. WILLIAM MARSHALL, [2]
die Fettschieht die Eier konserviert, da sich solehe Eier
viel länger zur Brut benützen lassen, als die Eier anderer
Enten; so sahen wir junge Entchen mit der grössten
Leichtigkeit aus solehen Eiern hervorgehen, welche bereits
vor mehr als einem Monat gelegt waren. Auch bei ge-
meinen Landenten von schwarzer Farbe haben wir dieselbe
Beobachtung gemacht. Bei der Paarung gemeiner
Landenten von weisser oder Stockentenfärbung mit
einem Cayugaerpel waren die von den aus dieser
Paarung hervorgegangenen weiblichen Kreuzungs-
produkten zuerst gelegten Eier häufig von schwärz-
licher Farbe, immer aber und ebenso auch die später
gelegten Eier dunkler gefärbt als die der gemeinen
Landenten. Auch bei Rouenenten kommen hin und wieder
Eier von besonders dunkler Färbung vor, während dagegen
die Eier der weissen Entenschläge alle überhaupt heller
gefärbt sind als die der dunklen Entenschläge.“
Diese Mitteilung interessierte mich begreiflicher Weise
und zwar ganz besonders die Stelle, die ich hier in der
Wiedergabe habe gesperrt drucken lassen. Ich erinnerte
mich zugleich, dass sich in meinen Kollektaneen noch weitere
Notizen über schwarze Enteneier finden müssten, und trat
daher der Sache näher.
Das Historische mag hier zunächst folgen, soweit ich
es habe zusammenstellen können.
Die erste Mitteilung findet sich in einer englischen
Zeitschrift.) In der Sitzung der Londoner zoologischen
Gesellschaft vom 27. Mai 1851 teilte das Mitglied OswALD
eine Zusehrift eines gewissen MAck von Haling - Cottage,
Croydon, vom 24. Mai desselben Jahres mit folgenden Inhalts:
„Das hiermit übersandte Ei war von einer weissen Ente
gelegt, die sich am Tage meist auf dem Gemeindeanger
herumtrieb, aber nachts eingesperrt wurde. Der Erpel
starb vor etwa einem Monat und seitdem legte die eine
der beiden weissen Enten schwarze Eier, während die andere
fortfuhr, weisse zu produzieren. Jene legte 10—12, machte
dann eine Pause von einigen Tagen und fuhr dann fort
1) Proceed. zool. soc. of London. 1851. 8.192,
[3] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. Byal
‚schwarze zu legen. Die Enten wurden einmal des Tages
mit Gerste gefüttert zu derselben Zeit wie das andere Ge-
flügel. Dickınson zeigte einem zeitweilig angestellten Auf-
siehtsbeamten der Brigton-Eisenbahn in Croydon eins der
Eier, worauf der Mann bemerkte, er habe auch eine Ente, die
Eier von der nämliehen Farbe lege, ja, eher noch schwärzere,
und dass er zwei Bruten aus solchen Eiern grossgezogen
habe.“
Vier Jahre darauf berichtet BALpAamus:!) er habe durch
Frau Amtmann Krepp in Krüchern acht Eier von ein paar
schwarzen Hausenten mit schwarzem Schnabel und schwarzen
Füssen erhalten. Der Melanismus scheint sich von den
Eltern auf die Eier übertragen zu haben. Das zuerst ge-
legte sei einfarbig dunkel pulverschwarz, das zweite und
dritte ebenso, kaum merklich heller, beim vierten sei die
schwarze Färbung nur noch wie ein Puder über dem Grau-
weiss der Grundfarbe, beim fünften, sechsten und siebenten
konzentriert sich dieser hell pulverschwarze (!) Puder in
viele kleine verwaschene Fleeke, um beim achten nur noch
wie ein schwacher Schein über der gelbweissen Farbe zu
liegen. Die Enten erhalten ganz dieselbe Nahrung wie die
übrigen.
Wir begegnen übrigens hier bei BALDAMUS zum ersten
Male der sehönen Wendung: von einem helleren und einem
dunkleren Sehwarz, die in den Artikeln und Mitteilungen
über melanotische Enteneier häufig wiederkehrt.
Die nächste einschlagende Notiz rührt von GLOGER?)
her. Sie enthält nichts thatsächliches, sondern nur Be-
trachtungen des geistreichen Ornithologen, die freilich, wie
das immer bei ihm der Fall ist, in schlechtem Deutsch
geschrieben, und, was oft bei ihm der Fall ist, von etwas
konfusem Inhalte sind. „Die ganze Sache ist gewiss, be-
merkt GLoGER mit Bezug auf den Oswaup-Mack’schen Fall,
höchst eigentümlich, und zugleich, ihrem scheinbaren Grunde
oder Zusammenhange nach, wirklich auch komisch. Zu-
vörderst schon überhaupt melanitische Eier von einem so
ı) „Naumannia“, Jahrgang 1855. S. 412.
2) Cabanis, Journal für Ornithologie. A. Jahrg. 1856. S. 309 ff.
24*
372 Prof. Dr. WırLıam MARSHALL, 4]
vollständigen Albinotiere; dann schwarze bloss von dem
einen, und nicht auch von dem eben so vollständig weissen
anderen, trotz der sonst ebenfalls gleichen Umstände für
beide; drittens auch bei jenem erst von dem Zeitpunkte
an, wo ihnen das Männchen verloren gegangen war. Freilich
wird (in jener OswAauLp-Mackr’schen Notiz nämlich) nichts
darüber angegeben, ob und mit was für anders gefärbten
Enterichen aus der Nachbarschaft die beiden Wittwen zu-
sammengekommen sein konnten? Denn, wenn das Zusammen-
treffen der Zeit für die wunderliche Umfärbung der Eier
der einen mit dem Verluste des Männchens nur ein ganz
zufälliges gewesen wäre: dann würde ein solches Entstehen
des Melanismus an den Eiern des Albinoweibchens noch
sonderbarer erscheinen müssen, als wenn ein sonstiger Um-
sang desselben, wenn auch nieht gerade eine Begattung,
mit einem dunkeln oder wirklich melanitischen Enteriche
stattgefunden hätte.
„In letzterem Falle würde nämlich auf die wirkliche
Begattung als solehe, am wenigsten angekommen sein. Es
würde, wenn auch eben nicht sehr nahe, doch auch nieht
fern liegen, einen bloss psychischen Eindruck zu vermuten
und das Entstehen des Melanismus bei den Eiern für eine
Wirkung des zufälligen, seiner Zeit „Versehens“ zu halten.
Der Grund von ihm wäre mithin jener eigentümliche nieht
physische Einfluss, von welchem nicht allein bei Frauen,
sondern auch bei Tieren eine so bedeutende Anzahl sehr
merkwürdiger Fälle bekannt sind, und welche bei unserem
Kuckucke, ebenso wie bei mehreren seiner nächsten Ver-
wandten, sogar als Regel und als weise, biologisch-organische
Einriehtung der Natur hervortritt.“
Zum Schlusse fügt GLoGER noch hinzu: „Von der
zweiten, dem Bahnaufseher gehörigen Ente, welehe gleich-
falls schwarze Eier gelegt hat, ist leider nicht gesagt, von
weleher Farbe sie selbst gewesen ist. Doch scheint auch
sie eben keine Melanitin gewesen zu sein. Jedenfalls ist
leicht anzunehmen, dass nicht sie allein diese Eigenschaft
mehr oder weniger auf die Jungen übertragen könne, nicht
so leicht aber, dass ein melanitisches Männchen das Ent-
stehen schwarzer Eier bei einem nieht-melanitischen oder
[5] Geflügelziichter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 975
gar albinistisehen Weibehen auf gewöhnliche, physische
Weise verursachen sollte. Hier könnte vielmehr gewiss nur
ein „Versehen“ diese Wirkung hervorbringen.
Im Jahre 1862 veröffentlichte der deutsch - russische
Naturforscher von NORDMANN eine „Notiz über den in Taurien
beobachteten Melanismus der Hausenteneier“.!) Auf dem
Steppengute Karasan in Taurien, das einem Herrn von
STEVEN gehörte, legten mehrere dunkel gezeichnete Enten
keine weissen, sondern mehr oder weniger schwarze und
zwar gefleekte Eier. NOoRDMANN bekam ein solehes Ei zu
Gesichte, als er sich bei Herrn von STEVEN zu Sudagh in
der Krim besuehsweise aufhielt. Man liess einen Erpel und
zwei Enten dieses Schlages von Karasan nach Sudagh
kommen, damit von NORDMANN sie näher untersuchen
und beobachten könnte. Die Tiere waren keine voll-
kommenen Melanos oder Mohrenenten, sondern nur sehr
dunkele Individuen mit allen Abzeichen der gewöhnlichen
Enten nur mit mehr Glanz als diese. Auch ihre Schnäbel
und Füsse waren nicht vollkommen schwarz, sondern
dunkelbraun.
Das Ei, über das von NORDMANN verfügte, hatte eine
düstere, dunkelsehwarzbraune, mit einem schwachen, violetten
Anfluge versehene Grundfarbe. Nach den beiden Polen hin
wurde dieselbe dunkler, pulverschwarz. Beinahe auf der
ganzen Oberfläche befanden sich unregelmässig zerstreute,
srössere und kleinere, rundliche, vollkommen schwarze
Flecke. Sowohl die Grund- als die Zeichnungsfarbe waren
nur auf der oberen Sehieht der Kalkschale aufgetragen und
liessen sich zum Teil mit dem Messer leicht abschaben, aber
keineswegs mit Hilfe von Wasser abwaschen. Die betreffenden
Enten legten nur solche Eier und zwar in Menge. Sie er-
hielten dasselbe Futter, wie die anderen Enten auch, und
es war wenig wahrscheinlich, dass sie in der Steppe andere
Nahrungsmittel als diese auffinden sollten.
Im Jahre 1866 nimmt BatLpamus noch einmal das Wort
zu dieser Frage und zwar in dieser Zeitschrift.?2) Er er-
1) Bull. de la soe. imper. des Natural. de Moseou. T. 35. P. II
pg. 195. (Mit einer Tafel.)
2uBde270 8.2101,
374 Prof. Dr. Wırrıam MARSHALL, [6]
wähnt nur, er besässe in seiner Sammlung zwei Gelege
melanotischer Enteneier. Bei dem einen, wahrscheinlich
dem nämlichen, das er von der Frau Amtmann Krepr in
Krüchern erhalten hatte, war das erste Ei pulverschwarz
und die folgenden wurden immer heller, bis das letzte die
normale Färbung der gewöhnlichen Eier der Hausente zeigte.
Das zweite Gelege, von dem er leider nicht sagt, ob es von
derselben Ente herrühre, bestand aus 17—13 Eiern, von
denen BaLpAamus die letzten nicht erhalten hatte, die aber,
umgekehrt wie beim ersten immer dunkler wurden, je Jünger
sie waren. Bei allen diesen Eiern schimmerte aber immer
die Grundfarbe durch.
In seinem „Handbuch der Federviehzueht“ kommt
BaLpAamus auf die Farbe der Enteneier nochmals zurück.
„Die Färbung“, sagt er hier, „variiert von nahezu Reinweiss
mit kaum merklicher Beimischung von Grün oder Gelb
dureh Hellgrün bis zu einem schön gesättigten Olivengrün
und einem ausgesprochenen Rahmgelb. Als Ausnahme
kommt aber bei den Enteneiern eine eigentümliche Art
von Melanismus vor, der sich übrigens nur bei den Eiern
sehwarzer Enten, welche auch „schwarze Knochen“ haben
sollen, gezeigt hat. In zwei unter meine Beobachtung ge-
kommenen Fällen waren die zuerst gelegten Eier am
dunkelsten gefärbt und hatten auf schmutzig grünweissem
und hellbläulich grünem Grunde einen fast überall zusammen-
hängenden pulverschwarzen Ueberzug unter der Oberhaut,
bei jedem später gelegten Ei wurde die Färbung schwächer
und bei den zuletzt gelegten erschien sie nur noch wie ein
feiner, unter der Oberhaut abgelagerter schwarzbrauner
Staub. Der Staub wie das dichter aufgelagerte Pigment
haften übrigens nicht an der Kalkschicht, sondern an der
Innenfläche der Oberhaut, nach deren vorsichtiger Ent-
fernung jene in reinster blaugrünlichweisser Färbung er-
scheint. Ich besitze von beiden Gelegen noch neun Stück
in meiner Sammlung. Nach der Versicherung der beiden
Damen, durch deren Güte ich die beiden Gelege erhielt,
waren die Knochen der Enten „ganz schwarz“, waren aber
nicht mehr aufzufinden, als ich um deren Zusendung bat.
Ich möchte die Vermutung aussprechen, dass nur die
[7] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 979
Knochenhaut — analog der Schalenhaut der Eier — von
dem Farbenpisment durehdrungen gewesen sei, nicht die
ganze Knochenmasse. Meines Wissens sind solche Melanismen
bei Eiern anderer Vogelarten nicht beobachtet worden.“
Auch Dr. L. Stöuker in St. Fiden teilt seine Erfahrung,
die er über dunkele Enteneier gemacht hat, mit. Er führt
folgendes aus:!)
„Im Frühjahr 1867 erhielt ich eine ganz schwarze Ente,
angeblich als gefangene, sodass ich im ersten Augenblick
glaubte, das Weibchen?) von Oidemia nigra zu besitzen,
zumal sie ziemlich Form und Haltung derselben zeigte.
Eine genauere Untersuchung lehrte, dass dies nieht der
Fall sei, gab aber kein bestimmtes Resultat über die Spezies
der Ente, die bis zu ihrem Ende inkognito blieb. Dass
ihre schwarze Farbe Ausdruck der Melanose sei, bewiesen
ihre schwärzlichen Eier. Gegen die Annahme einer
schwarzen Anas boschas sprach ihre ganze Haltung, ihr
Tauchertalent, ihre Stimme und ihre srossen Füsse. Ein
mir befreundeter Ornithologe glaubte, dass sie schon ein
Bastard, einer Anas boschas und einer Cairina moschata sei,
was um so interessanter wäre, da von ihr Nachkommen-
schaft erzielt wurde. Item, sie blieb ein rätselhaftes Vieh.
Ich gab die Ente einem Freunde, der auf einem Weiher
noch Anas boschas domest. und ein paar Bisamenten hielt.
Sie wurde bald der Liebling beider Enteriche, die ihr stark
zusetzten. Ende März machte sie im Stalle ein Nest, begann
zu legen und fuhr damit regelmässig fort, bis sie etwa
12—13 Eier gelegt hatte, von denen die ersteren ziemlich
schwarz gefärbt waren. Die späteren wurden heller, doch
keines so hell, wie die Eier anderer Enten.“
Zwei Jahre später begegnen wir in derselben Zeit-
schrift3) folgender Bemerkung eines Herrn J. HocKER aus
Gotha: „Vor Jahren hatte ich drei Enten, welche keines-
wegs ganz schwarz, sondern schwarz und weiss gefleckt
waren, alle mit weissem Ring um den Hals. Dazu hatte
!) In: Cabanis Journal für Ornithologie. Bd. 18. 1870. 8. 87.
2) Das bekanntlich braun ist; nur der Erpel ist sammtschwarz. W.M.
s) Bd. 20. 1872, 8.232.
376 Prof. Dr. WıLLıam MARSHALL, [8]
ich einen Enterich, welcher dunkelfuchsig, rostgelb war.
Die eine der Enten legte jedesmal zu Anfang der Legezeit
ein ganz schwarzes Ei, das zweite und dritte war weniger
schwarz, indem vielleicht das dritte und vierte nur mit
einem pulverschwarzen Puder auf der gelbweissen (Grund-)
Farbe bedeckt war. Die folgenden Eier hatten die gewöhn-
liche Farbe der Enteneier.“
Das Jahr 1874 bringt uns zwei Notizen über dunkele
Enteneier und zwar beide im „Zoologisehen Garten“.')
Die erste rührt von Dr. R. Mayer in Offenbach her.
Ihr Inhalt besagt, soweit es uns hier interessiert, dass der
Berichterstatter von einer dunkelgrünen (doch wohl schwarzen
mit grünem Metallsechimmer? W.M.) Ente mit dunkelge-
färbtem Schnabel und dunkelgefärbten Füssen mit schwarzen
Schwimmhäuten zwei Eier erhalten habe. Sie waren etwas
kleiner als normale Enteneier, und das eine war dunkler
schwarz (da haben wir’s wieder! W. M.) als das andere gefärbt.
Ausser der durchgehenden schwarzen Färbung zeigten sich
stellenweise grössere und kleinere, intensiver gefärbte Flecken.
Die später gelegten Eier waren schon mehr graulich und
wurden zuletzt fast ganz weiss. Eine mikroskopische Unter-
suchung zeigte unter 300 facher Vergrösserung viele schwarze
Pigmentzellen und Körner. Da muss sich der Herr Doktor
denn doch z. T. geirrt haben, — schwarze Pigmentzellen
zeigten die Eierschalen ganz gewiss nicht!
Die zweite Mitteilung hat R. P&LıssIEr in Frankfurt a.M.
zum Verfasser. Genannter Herr erhielt das melanotische Ei
aus Hanau. Es war auf gleichmässig hellgrauem Grunde
mit feinen dunkeln Fleeken gezeichnet, am spitzen Ende
jedoch von der Mitte des Eies an bedeutend dunkler, etwa
russgrau gefärbt und mit schwärzlichen Flecken dieht be-
setzt. In einer Entfernung von 1,5 em vom spitzen Pole
bildeten diese Flecken einen 1 em breiten Kranz, der sieh
deutlich abhob. Das Ei hatte die Gestalt und die glatte
Schale eines normalen Enteneies. Die Mutterente war etwa
10 Monate alt, von schwarzer Farbe mit grünlichem Rücken
und weisser Brust. Schnabel und Füsse waren ebenfalls
') Bd. 15. Die erste auf S. 192, die zweite auf 8. 394,
[9] Gefliigelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 377
schwarz, letztere an den Schwimmhäuten schmutzig gelb
gefleekt. Der Enterich war dunkelgrau mit grünem Hals
und blauen Spiegeln auf den Flügeln.
Das vorher beschriebene Ei war das erste der Ente,
die dann noch drei oder vier schwärzliche legte. Sie wurden
jedoch immer heller, zeigten also die abnorme Färbung in
abnehmender Stärke. Seitdem hat aber die betreffende
Entenform nur normale Eier gelegt.
Wir erfahren ferner von unserem Gewährsmanne, dass
Dr. BöÖTTGER in Frankfurt a. M., der bekannte Zoologe, dem
wir unter anderen auch die treffliche Neubearbeitung des
7. Bandes von „Brehms Tierleben“ (3. Auflage) verdanken,
ein anderes Entenei besitzt von gleichmässig dunkelbraun-
roter Farbe, etwa wie eine noch nieht ganz reife Pflaume,
von der man den blauen Duft (Wachsüberzug) abgewischt
hat, also ähnlich wie das von Von NORDMANN beschriebene.
Seine Schale ist grösstenteils etwas rauh, auch ist es wie
das Pelissierische Entenei etwas kleiner als ein normales
Entenei.
Was lernen wir nun aus allen diesen Angaben that-
sächliches kennen ?
1. Gelegentlich legen Hausenten melanotische Eier.
2. Die legenden Enten sind häufig selbst melanotisch,
wenigstens sehr dunkel, brauchen es aber nieht notwendiger
Weise zu sein (Fall OswaLp-Mack).
3. Die ersten Eier, die eine derartig abnorm beanlagte
Ente überhaupt lest, sind dunkler, werden dann heller und
bleiben so in den ferneren Gelegen. Ich weiss freilich nicht,
ob ich damit P&uiıssıer’s Wendung „und seitdem hat die
Ente nur ganz normale Eier gelegt“ richtig verstehe, oder
ob sie sich bloss auf ein einziges Gelege bezieht.
4. Die ersten Eier der einzelnen Gelege sind die
dunkelsten, die folgenden werden immer heller. Das dürfte
die Regel sein: BauLpamus (1. Fall), Dr. STÖLKER, HockEr,
Dr. MAAR, PELIssIEr (für das 1. Gelege ?).
9. Das umgekehrte findet statt: das Gelege beginnt mit
hellen Eiern und hört mit den dunkelsten auf. BALDAmUs
(2. Fall. Ob hier nieht ein Irrtum vorliegt? Freilich gerade
dieser Gewährsmann war ein soleher Kenner der Vogeleier,
978 Prof. Dr. WıLLıam MARSHALL, [10]
wie keiner vor ihm und nur sehr wenige nach ihm. Ich
möchte indessen folgendes zu bedenken geben: erstens ist
es von Haus aus wahrscheinlich, dass der typische Gang
der Entwicklung der Färbung, wie er in der grossen Mehr-
zahl der Fälle stattfindet, auch immer eingehalten wird;
zweitens findet die Ablagerung der Farbe im unteren,
wenn auch nicht im untersten Abschnitte des Eileiters statt,
und es ist anzunehmen, dass gerade in Fällen exceptioneller
Färbung das, erste Ei hier auf eine grössere Masse Farbstoff,
der sich gewissermassen angehäuft hat, stossen wird, als die
späteren; und drittens ist, wie mir Herr Dr. EuGEnE Rey,
einer der ersten jetzt lebenden Eierkenner, mündlich mit-
geteilt hat, beim Feldspatz (Passer montanus) immer das
letzte Ei des Geleges das hellstee Auch beim Hausspatz
kommt das vor, ist aber viel weniger strenge Regel.
6. Die schwarze Farbe lässt sich leicht abkratzen und
abwaschen (MAAr und der Einsender der Notiz im Brief-
kasten der „Geflügelbörse“ Nr. 40 vom Jahre 1898), — die
Farbe lässt sich abkratzen, aber nieht abwaschen (von
NORDMANN). Das ist ein merkwürdiger Widerspruch! Sollte
sieh vielleicht bei frischgelegten, melanotischen Enteneiern
die Farbe abwaschen lassen, bei alten, wie es das von
voN NORDMANN untersuchte war, nieht? Allerdings wäre
die Abwaschbarkeit des dunkeln Pigments eine unerhörte
Sache, und würde darauf hindeuten, dass es sich bei dem
Farbstoff der melanotischen Enteneier um ganz etwas anderes
als bei dem der übrigen Vogeleier handele, was allerdings
von vornherein nieht unwahrscheinlich ist.
SowErBY!) hat solehe Eier ehemisch untersucht und
sefunden, dass gerade bei ihnen ein schwarzes, nicht lös-
liches Pigment vorhanden ist. Der Sache muss noch ge-
nauer nachgeforscht werden, und sind die Nachforschungen
auf alte und frische Schalen der Eier, und namentlich auch
auf die Innenseite des Eileiters der betreffenden Mutterenten
auszudehnen.
lch will hier beiläufig noch erwähnen, dass auch bei
einer anderen, mit den Enten allerdings gar nicht näher
1) Proceed, zool. Soc. London 1875. p. 351.
[11] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zoöl. Wunder. 379
verwandten Familie von Schwimmvögeln gelegentlich dunkel-
schalige Eier neben hellschaligen vorkommen, das sind die
Steissfüsse (Podicipidae, oder wie sie jetzt einmal wieder,
wahrscheinlich der Verwirrung zuliebe heissen, Colymbidae!).
Aber die Ursachen sind in beiden Fällen jedenfalls ganz
verschiedene, wenn wir die des Melanismus der Eier der
Hausenten auch noch gar nieht kennen. BECHSTEIN!) sagt
von den Eiern des Haubensteissfusses, sie seien weiss,
würden aber von den feinen Wasserkräutern schmutzig und
gelblich grün gefleekt und lägen am Wasser angefeuchtet;
auch die vom gehörnten Steissfuss wären von den um-
liegenden faulenden Wasserpflanzen grün und braun be-
schmutzt. NORDMANN deutet darauf hin,?2) dass der Hauben-
steissfuss und seine Verwandten in einem Neste und bei
einem Gelege sehr verschieden gefärbte Eier hätten. Die
frischgelesten seien hellgrünlich oder hellbläulich mit einem
weissen, unregelmässig verteilten Kalküberzug, während
früher gelegte von dem „Schlamm, mit welchem sie die
brütenden Vögel zu bedecken pflegen,“ den Schmutz an-
nehmen und dunkelbraun marmoriert werden.
Nun, „Schlamm“ nehmen die Steissfüsse gerade nicht
um ihn zu bedecken, sondern modernde, nasse Vegetabilien,
wie sie sich an den Ufern der Binnengewässer gerade finden.
Die Erscheinung wurde, wenn auch nieht erschöpfend, so
doch noch am eingehendsten von Dr. Tu. KrÜGer auf Island
beohbachtet.3) Er fand, dass auch die frischgelegten Eier
vom Hornsteissfuss (Podiceps cornutus) wie die des Hauben-
steissfuss’ beschaffen waren, und sie behielten, auch wenn
sie stark bebrütet waren ihre weisse Farbe am oder man
muss besser sagen „im“ kalten Wasser, denn sie liegen in
ganz nassen, schwimmenden oder flottierenden Nestern, oder
waren doch nur etwas schmutzig grau. In dem warmen
Wasser der Kalfs tjörn bei Vogar waren sie durch den
Einfluss der Wärme auf die verwesenden Pflanzenstoffe, mit
denen sie zugedeckt waren, ganz schwarz gefärbt. Hier sind
schon die frischgelegten, noch unbebrüteten, aber offenbar
1) 1.c. 8.543 und 558.
a)nlaec- p.2197:
>) Naumannia, 7. Jahrgang. 1857. 8.53. (1. Heft.)
380 Prof. Dr. WILLIAM MARSHALL, [12]
durch äusseren Einfluss, gelb oder dunkelbräunlich. Bei
Reykjahlid fand KrüGEr im warmen Wasser ein Nest mit
vier Eiern, die von den feinverzweigten Wasserpflanzen, auf
und unter denen sie lagen, sehr zierlich über und über ge-
adert waren. |
SCHLÜTER!) fand ein vorjähriges, aber wieder in Ge-
brauch genommenes Nest des Haubensteissfusses unter anderen
auf „Sturzeln“ und zwischen Geröhrig stehend, in dem die
Unterlage Sehilfstengel bildeten und dessen Auspolsterung
aus teilweise in Fäulnis übergegangenen Blättern derselben
Pflanze bestand. Auch die drei Eier, die es enthielt, waren
mit den gleichen vegetabilischen Resten bedeekt und sie
variierten, je nachdem sie mehr oder weniger von den
Stoffen eingehüllt waren, in das dunklere oder hellere. Auf
der Oberfläche von ebendort und ebendann gesammelten
Eiern des rothalsigen Steissfusses (Podiceps ruficollis) sah
er ganz deutliche Abdrücke von Schilfblättern. Da der
ehemalige, jetzt verschwundene salzige See unweit Eisleben,
wo SCHLÜTER jene Nester fand, nicht, wie die isländischen
Gewässer, an denen KRÜGER sammelte, von heissen Quellen
gespeisst wurde, also kein tellurisch erwärmtes Wasser ent-
hielt, so meint mein Gewährsmann, die auffallend hohe
Temperatur, die damals (in dem ersten Viertel des Juni
1857) herrschte, dafür verantwortlich machen zu müssen.
Man ersieht aus den hier mitgeteilten Beobachtungen,
dass die Ursache der dunkeln Färbung der Eier der Steiss-
füsse ganz ausserhalb der Natur der Vögel liegt und leicht
zu erklären ist. Mit der des gelegentlich auftretenden
Melanismus der Eier der Hausenten ist das eine ganz andere
Sache.
Die normale Farbe der Eier der Wild- oder Stockente,
der Stammform unserer Hausente, ist nach BECHSTEIN ?)
oliven- oder blassgrün, nach BREHM?) und MARTIN ®) aber
srauweiss, und ersterer sagt, sie unterschieden sich in nichts
») Cabanis, Journal für Ornithologie. Jahrg. 5. 1857. S. 302.
2) ]. ce. 8. 1056.
3) „Tierleben“, Vögel, 3. Bd. 2. Aufl. S. 484, 3. Aufl. S. 637.
s) Illustrierte Naturgeschiehte der Tiere. 1. Band, 2. Abteilung,
Vögel. 8.599,
[13] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 381
von denen der Hausente. Ich habe während meines 4 jährigen
Aufenthaltes in Leyden sehr viel Eier von Wild- und noch
mehr von den allgemein verbreiteten Hausenten gesehen
— die Hauptdinge, die VoLTAIRE in Holland auffielen, waren
ja canaux, canards, camarlles —, deren Eier dort zum Essen
sehr beliebt sind, aber habe sie stets hellgrünlich, manch-
mal etwas dunkler, manchmal etwas heller, die der Haus-
ente wohl auch einmal weiss, aber niemals grauweiss ge-
funden, — entweder waren BREHM und Marrın farbenblind,
oder ich bin es! BaLpamus’ Angaben über die verschiedenen
Farbennuancen der Eier der Hausenten haben wir weiter
oben schon mitgeteilt. Von den Eiern der als wilder Vogel
in Brasilien lebenden Bisam-, Moschus- oder türkische Ente
.(Cairina moschata) sind nach BECHSTEIN!) walzenförmig, an
beiden Polen gleich stumpf, glattschalig, weisslich oder
srünlich, die der Trauerente (Oidemia nigra), deren Erpel
tief sammetschwarz ist, sind glänzend weiss, frisch gelegt
rosig überhaucht. Ueberhaupt sind die Eier aller enten-
artigen Vögel, Siebschnäbler oder Lamellirostren, d. i. der
Enten, Schwäne, Gänse und Flamingos, die ich trotz GADow
immer noch hierher rechne, einfarbig und hell.
Mithin ist die gelegentlich auftretende schwarze Farbe
bei den Eiern der Hausenten etwas, das nieht im Ent-
ferntesten in der Natur ihrer Sippe begründet ist. Wie
ist sie daher zu erklären ?
GLoGER thut das durch die, bei den gebildeten Aerzten
und Zoologen jetzt wohl endgiltig zu den Akten gelegte
Hypothese des Versehens, die vor fünfzig Jahren noch eine
ziemliche Rolle bei den weniger tief wissenschaftlich unter-
richteten Naturforschern spielte. GLoGER führt ja auch
die sympathische Färbung der Eier des Kuekucks und seiner
Wirtsvögel darauf zurück, und Kunz, ein eiersammelnder
Dilettant, ist davon überzeugt, dass die Phantasie der Mutter
den wesentlichsten Einfluss auf die Farbe des zu legenden
Eies ausübe, indem sie durch die Färbung der umgebenden
Natur, durch das Blau des Himmels, das Grün der Wiesen,
die Pracht der Blumen u. 8. w. angeregt würde. Danach
DulNeZS2951%
382 Prof. Dr. WırLıam MARSHALL, [14]
müssten die Feldlerehen himmelblaue, die Wiesenpieper gras-
grüne, die Papageien, tropischen Tauben und Kolibris knall-
buntgescheckte Eier legen!
Es ist richtig, es giebt bei einigen Hausvögeln einen
allgemeinen, sozusagen konstitutionellen Melanismus, wie es
einen allgemeinen Albinismus giebt, und auf jenen greift
auch GLOGER!) und nach seinem Vorbilde BALDAMmUS (8. oben)
zurück. Von den melanotischen Hausenten sagt ersterer:
„Hier erstreckt sich die Schwärze wahrscheinlich noch
ebenso mit auf die Beinhaut aller Knochen, wie bei der
als Mohrenhuhn bezeichneten Rasse von Haushühnern. Eine
so entschiedene Neigung zum Erzeugen schwarzen Farb-
stoffes in den Säften der inneren wie der äusseren serösen
Häute könnte sich daher wohl mitunter bis dahin ausdehnen,
dass sie, ähnlich diesen letzteren, auch noch den Ueberzug
der kalkigen Eischalen mehr oder weniger mit färbte. In-
des erinnere ich mich doch nicht davon gelesen zu haben,
dass Mohrenhühner jemals auch schwarze Eier legten.
„Bei solehen Mohrenenten würde mithin einerseits der
Melanismus offenbar noch merklich weiter vorgeschritten
sein, als bei Mohrenhühnern: (ein Umstand, welcher sich
wohl aus jenem grösseren Reichtum an Säften, durch welehen
die meisten eigentlichen Wasservögel sich vor den Land-
und namentlich vor den Hühnervögeln auszeichnen, würde
erklären lassen).“
Was für GLoGER nur Wahrscheinlichkeit war, wird für
BALDAmUs fast zur Gewissheit. Schade nur, dass bei mir
wenigstens die Autorität jener beiden Damen, nach deren,
vielleicht in sie hineingefragten, Aussage, die später nicht
mehr aufzufindenden Entenknochen „ganz schwarz“ gewesen
sein sollen, nicht recht verfängt. Ich habe ein paar Male
schwarze Enten zu untersuchen Gelegenheit gehabt und
niehts von schwarzen Knochen bei ihnen gefunden. Die
Möglichkeit, dass melanotische Enten wohl einmal schwarze
Knochen (richtiger schwarzes Periost) haben könnten, will
ich damit durchaus nicht bestreiten. In der mir zugäng-
lichen ornithologischen Litteratur, die ich doch einiger-
1) l.e. 8.313.
[15] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 389
massen zu kennen glaube, habe ich so wenig wie der be-
lesene GLOGER etwas darüber gefunden.
Mehr als alle im vorhergehenden mitgeteilten Thatsachen
interessierten mich die von GLOGER an einige derselben
angeknüpften Betrachtungen, nach denen männliche Eigen-
schaften, oder aus der Natur des Männchens resultierende
Eigenschaften durch Vererbung auf das äussere des Pro-
duktes des weiblichen Geschlechtsapparates, des Eies über-
tragen werden sollten. In diesem Falle also die schwarze
Färbung auf die Eischale. Auch von Narnusıus glaubt an
die Möglichkeit derartiger Uebertragungen. So hat er einmal
gesagt, die Schalen der Eier, die eine gewöhnliche, von
einem Cochinchinahahn getretene Haushenne lege, ständen
in der Färbung zwischen den gewöhnlichen weissen Eiern
des Haushuhnes und den gelben der Eier des Cochinchina-
huhnes in der Mitte. Diese Angabe hat sich nach allen von
mir angestellten Nachforschungen und Umfragen als irrtüm-
lich herausgestellt, wie ich es von vornherein nicht anders
erwartete. Der Auffassung GLo@Er’s liegt derselbe für jeden,
der den- Vorgang bei der Befruchtung eines tierischen Eies
im allgemeinen und eines Vogeleies im besonderen kennt,
und der über das Wesen der Vererbnng und Erblichkeit
genügend unterrichtet ist, unerklärliche Gedanke zu Grunde.
Da ich nieht vermuten kann, dass das bei allen oder
auch nur bei der Mehrzahl meiner Leser der Fall ist, möge
eine kurze Auseinandersetzung der betreffenden Erschein-
ungen hier folgen.
Nach der Begattung steigt im Eileiter (Legedarm) der
Henne, der aus zahllosen, mikroskopisehen, mit Kopf, Mittel-
stück und Schwanz versehenen und in einer aus verschiedenen
Drüsen herrührenden Feuchtigkeit sich lebhaft bewegenden
Samenfädehen (Samentierchen, Spermatozoön) bestehende
Zeugungsstoff des Hahnes (Samen, Sperma) empor. Dass
er das kann, hat seinen Grund darin, dass die auskleidende
Haut des Eileiters mit sogenanntem Wimperepithel ausge-
kleidet ist, d.h. mit einer Haut, deren Oberfläche dieht mit
mikroskopischen Härchen (Flimmerhaar, Wimpern, Cilien)
bedeckt ist. Diese Härchen führen schlagende Bewegungen
in zentripetaler Richtung nach dem oberen Ende des Ei-
384 Prof. Dr. Wıuuıam MARSHALL, [16]
leiters aus und schaffen die Samenkörperchen, denen vielleicht
ihre selbständige Bewegungsfähigkeit dabei noch zu gute
kommen mag, an die Stelle, wo eventuell ein Ei zu erwarten
ist. Das obere Ende des Eileiters ist aber löffelartig er-
weitert und bildet den sogenannten Trichter.
In der Fortpflanzungszeit, die ja bei Haushühnern nicht
oder doch viel weniger als bei unseren wilden Vögeln an
eine bestimmte Jahreszeit gebunden ist, fangen am Eierstock
gewisse mikroskopisch kleine Bläschen (Zellen, in diesem
Falle Eizellen) an zu wachsen. In jener Zeit befindet sich
der ganze Geschlechtsapparat eines fortpflanzungsfähigen,
weiblichen Vogels in einem entzündlichen Zustande, d.h.
‚seine Blutgefässe sind erweitert und die Blutzufuhr in ihm
ist eine gesteigerte und damit zugleich seine Ernährung.
Das ist eine Notwendigkeit, denn sonst könnten eben jene
Eizellen, deren Zahl übrigens für jedes Individuum eine
bestimmte ist und die gleich vom Inslebentreten des jungen
weiblichen Vogels an vorhanden sind, und sich nicht später
neu bilden und ersetzen, nicht wachsen und besonders nicht
so ungeheuer wachsen, denn ein jedes tierisches Ei, d.h.
beim Vogel das Eigelb, der Dotter, ist eine Zelle.
Der allgemein entzündliche Zustand der Fortpflanzungs-
organe erstreckt sich natürlich auch auf den Eileiter: seine
Wandungen sind verdickt, er befindet sich in einer gewissen
Turgeszenz, und namentlich ist sein Triehterabsehnitt er-
weitert, geöffnet und legt sich derart an den Eierstock an,
dass seine Eizellen, wenn sie ausgewachsen sind und vom
Eierstock sich ablösen, in ihn hineinfallen müssen, wobei
ihnen der Trichter noch durch eine Art saugender Beweg-
ungen zu Hilfe kommen soll. Der Dotter (eine ausgewachsene
Eizelle) hat aber, wie bei weitem die meisten tierischen
Zellen, einen Kern, der eigentlich sogar sein wichtigster Teil
ist, bei ihm aber nieht Kern, sondern „Keimbläschen“, oder
gewöhnlich „Hahnentritt“ genannt wird.
Das Keimbläschen des reifen Eies zerfällt in zwei Teile,
von denen der eine durch den Dotter hindurch an dessen
Oberfläche tritt und somit aus dem Ei ausgestossen wird.
Das ist das sogenannte „Riehtungskörperchen“ oder die
„Polzelle“, über deren Bedeutung wir noch nichts Sicheres
[17] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 389
wissen. In diesem Zustande trifft der Samen, dessen Lebens-
fähigkeit übrigens mehrere Tage (bei manchen Tieren
— Ameisen- und Bienenkönigin — monate-, ja jahrelang)
anhält, im Triehter das Ei, und nun vollzieht sich die Be-
fruchtung. Dabei dringt ein einziges aus der ungeheueren
Schar der Samentierchen in den Dotter ein und erleidet
Veränderungen: sein Schwanzteil löst sich auf und vermischt
sich mit der allgemeinen Dottermasse, aber sein Mittelstück
und sein Kopf ziehen sich zusammen und bilden eine Kugel,
die jetzt auf das nach der Teilung des Keimbläschens von
diesem im Ei zurückgebliebene Stück losrücken, um sich
mit ihm zu vereinigen. Damit ist die Befruchtung vollzogen.
Das befruchtete Ei (Dotter) rückt nun, indem es sich
dabei langsam um seine Achse dreht, den Eileiter hinunter.
In diesem befinden sich verschiedenartige Drüsen, bezw.
wirkt seine Innenfläche im Sinne von Drüsen, deren Ab-
scheidungsprodukte den herabwandernden Dotter umhüllen.
Zuerst das Eiweiss, das durchaus nicht gleichartig ist, viel-
mehr aus verschiedenen, sich von einander unterscheidenden
Schiehten besteht, auf das Eiweiss eine doppelte Haut, deren
beide Blätter ganz dicht aufeinander liegen und nur am
oberen Pol zur Bildung der sog. „Luftkammer“ auseinander
weichen. Diese Vorgänge spielen sich im mittleren Ab-
schnitt des Eileiters, im sog. „Isthmus“ (Landenge) ab. In
seinem unteren, erweiterten, thörichter Weise „Uterus“ (Ge-
bärmutter) genannten, bildet sich endlich aus Absonderungen
besonderer Drüsen (Uterin- oder Kalkdrüsen) die Kalkschale
um das Ei, auf dieser entsteht die Schalenhaut, gelegentlich
auch ein fettartiger Ueberzug, und endlich gelangen hier
die Farben, wenn solehe vorhanden sind, auf die Schale.
Aus dieser Schilderung ergiebt sich, dass die Be-
fruchtung, d.h. die Beimischung des männlichen Zeugungs-
stoffes zum weiblichen sich nur im Dotter vollzieht und
sich nur in ihm vollziehen kann, und daraus ergiebt sich‘
weiter, dass väterliche, dem Samentierchen oder der Be-
wegung der Moleküle, aus dem es besteht, innewohnende
Eigenschaften, sich bloss hier dem Vermischungsprodukte
dieses Samentierchens und des Keimbläschens, d. h. dem
zukünftigen Nachkommen übertragen können, mit anderen
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 25
386 Prof. Dr. WıLLıam MARSHALL, [18]
Worten, hier und nur hier kann die Kraft der Vererbung
einsetzen.
Das Eiweiss, die Eihaut, die Schale, die Schalenhaut
und die Eifärbung sind samt und sonders Dinge, die mit
der Befruchtung nicht das mindeste zu thun haben, es ist
keine Spur der väterlichen Natur, um mich so auszudrücken,
an und in ihnen, sie sind nichts als Produkte der mütter-
lichen Natur des Weibehens. Jeder weiss, dass Vogel-
weibehen häufig genug ohne Zuthun eines Männchens Eier
legen, die sich in nichts von den gewöhnlichen Eiern ihrer
Art unterscheiden, als darin, dass sie keine Beimischung
männlichen Geschlechtsstoffes zum Keimbläschen enthalten,
sich folglich nieht entwickeln können.
Mein verehrter Freund, Herr Dr. Rey, hat dasselbe
Kanarienvogelweibehen das eine Mal mit einem Männchen
der eigenen Art, das andere Mal mit einem Stieglitzhähnchen
gepaart, die Eier waren jedes Mal durchaus von demselben
echten Kanarienvogeitypus.
Aus allen diesen Gründen muss ich an der Möglichkeit
der Uebertragung von Eigentümlichkeiten, die der väterlichen
Sippe innewohnen, auf die Schale eines Vogeleies, durch-
aus zweifeln. Etwas anderes ist es, ob nicht die weiblichen
Nachkommen, .die aus einer Kreuzung eines Cayugaerpels
und einer gewöhnlichen weissen Hausente hervorgehen,
dunkelschalige Eier legen. Ich bin von vornherein aller-
dings geneigt das zu glauben, und teile also die, wie es
scheint auf unmittelbare Erfahrungen und Beobachtungen
beruhende Ansicht des Dr. MAAR.
Die Hypothese von GLOGER und von VoN NATHUSIUS
über die Uebertragbarkeit von Charakteren, die im Blute
eines männlichen Hausvogels schlummern, auf das äussere
der Geschlechtsprodukte eines weiblichen Individuums einer
anderen Rasse ist interessant genug, um noch einen Augen-
bliek dabei zu verweilen. Ich will selbst den Versuch
wagen, eine Erklärung der möglichen, wenn auch recht
zweifelhaften Ursachen zu geben, die etwa die Uebertragung
von Eigenschaften des männlichen, beim Begattungsakte
beteiligten Individuums auf seine weibliche Partnerin ver-
mitteln könnten.
[19] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 387
Von den Millionen Samentierchen, die bei der Begattung
der höheren Wirbeltiere von dem männlichen Organismus in
den weiblichen übergehen, kommt für jedes Ei nur ein
einziges zur Verwendung. Was geschieht mit den übrigen?
Wäre es nicht denkbar, dass sie in minimalster Dosis in
den weiblichen Stoffwechsel übergingen und die Disposition
des weiblichen Organismus bis zu einem gewissen, auch
erst in der Nachkommenschaft zur Geltung kommenden
Grade umstimmten? Wenn aber ein einziges Samentierchen
durch Aufgehen in den im Ei entstehenden Organismus im
Stande ist, die väterlichen Eigenschaften auf ihn und auf
Generationen seiner Nachkommen in oft sehr bedeutendem
Umfange zu übertragen, warum soll nicht das in den weib-
liehen Stoffwechsel möglicherweise aufgenommene Quantum
männlichen Samens ähnlich wirken können? Eine wohl auf-
zuwerfende Frage, vorausgesetzt, dass eine solche Aufnahme
fester oder flüssiger Teilchen wirklich stattfindet, denn an
die gasartiger, nach der alten Hypothese des spiritus semü-
nalıs, wird heute so leicht niemand mehr glauben.
Noch eins möchte ich diesen Erwägungen hinzufügen,
das nichts erklären soll und nichts erklären kann, denn es
ist selbst problematisch, und nur ein Narr kann proble-
matisches durch problematisches erklären wollen. — Seit
alters behaupten die Jäger, und sie behaupten bekanntlich
viel, eine edle Hündin würde für die Zucht zeitlebens
minderwertig, wenn sie beim ersten Male, so sie läufisch war,
von einem schlechten Köter belegt worden sei und für alle
späteren Würfe, wenn sie auch vom besten Vater ab-
stammten, sei das Blut verdorben. Es wird auch erzählt
— ob mit vielem Recht, bezweifle ich —, die von kauka-
sischen Vätern mit solchen kaukasischen Müttern gezeugten
Kinder, die sich früher mit Negern geschlechtlich vermischt
hätten, zeigten immer, auch wenn eine spätere Vermischung
ihrer Mütter mit schwarzen völlig ausgeschlossen sei, einen -
gewissen, wenn auch geringen, nachwirkenden Einfluss des
Negerblutes in ihrem Aeusseren und in ihrem Charakter.
In allen solehen Fällen würden wir es mit geheimnis-
vollen Erscheinungen der Vererbung, mit „mystischen “
Konsequenzen von Darwın’s Pangenesis oder HAECKEL’S
25*
388 Prof. Dr. WırLıam MARSHALL, [20]
Perigenesis der Plastidule zu thun haben, die dem kalt-
blütigen, objektiv urteilenden Naturforscher nur wenig im-
ponieren. Was uns aber GLoGER in dieser Beziehung zu
glauben zumutet und was er selbst glaubte, ist gar nichts
gegen das, was einmal ein paar französische Tierärzte, GRUBY
und DELAFONDE als positive, mit vieler Mühe, Not und
Sorge, wie sie selber klagen, ausgeführte Beobachtungen
aufzutischen wagen.!)
Ich würde die betreffende Stelle nicht ausgegraben
haben, wenn sie nicht in einem Aufsatze von LEISERING?)
und von da in das vortreffliche Büchlein von ZüRN, „Die
tierischen Parasiten auf und in dem Körper unserer Haus-
säugetiere“,?) übergegangen wäre, ohne Widerspruch zu
finden.
Es handelt sich um die Gegenwart von Larven eines,
im ausgebildeten Zustande in der rechten Herzkammer und
rechten Herzvorkammer, sowie in der Lungenarterie des
Haushundes lebenden Fadenwurmes (Filaria immitis) im
Blute der infizierten Tiere.
Die beiden französischen Forscher fassen an der an-
geführten Stelle die Resultate, zu denen sie gekommen sind
bezw. gekommen sein wollen, in eine Anzahl von Thesen
zusammen, von denen uns hier die 16., 17. und 18. inter-
essieren. Sie lauten in der Uebersetzung:
„16. Ein wurmblütiger Hund zeugt mit einer nicht
wurmblütigen Hündin Nachkommen, von denen die einen,
die zur Rasse des Vaters gehören, wurmsüchtiges Blut haben,
die anderen, zur mütterlichen Rasse gehörigen aber nicht.
17. Eine wurmblütige Hündin bringt, wenn sie von
einem nicht wurmblütigen Hunde belegt wird, Nachkommen
zur Welt, von denen die zur mütterlichen Rasse gehörigen
wurmsüchtiges Blut haben, aber die zur väterlichen ge-
hörigen nicht.
18. Die Nachkommen eines wurmblütigen Hundevaters
und einer wurmblütigen Hundemutter haben unter allen
1) Compt. rend. T.34. 1852. 8.13.
2) Virchows Archiv. Bd.33. 1865. 8. 117.
s) 2. Auflage. Weimar 1882. S. 244.
[21] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 389
Umständen, ob sie zur väterlichen oder mütterlichen Rasse
gehören, wurmsüchtiges Blut.“
Ich muss gestehen, als ich das las, stand mir, wie man
zu sagen pflest, sämtlicher Verstand still.
Erstens, und im voraus sei bemerkt, kann man doch
bei Nachkommen zweier gekreuzter, verschiedener Hunde-
rassen nicht wieder von Rassen sprechen, man kann allen-
falls sagen, dass dieses Individuum der Bastarde mehr
Aehnlichkeit mit der väterlichen Rasse, jenes mit der
mütterlichen habe.
Die These 13 gebe ieh unbedingt zu mit der Ein-
schränkung, dass der Vater gar nieht wurmblütig zu sein
braucht: das zahlreiche Wurmlarven enthaltende Blut der
Mutter tritt durch die Verzweigungen der Arterie der Nabel-
schnur in die Föten über, und das genügt. Die Thesen 16
und 17 hingegen sind der horrendeste Unsinn, der mir in
der Litteratur über Erblichkeit und Vererbung, die bekannt-
lich nieht arm an Unsinn ist, bis jetzt aufstiess.!)
Wie denken sich erstens einmal die beiden Tierärzte
die Möglichkeit, dass eine Hündin, deren Blut frei von den
Filarienlarven war, die aber von einem wurmblütigen Hunde
belegt wurde, diese Eigenschaft ihres Gatten auf die ge-
meinsamen Nachkommen zu übertragen vermöchte? Man
könnte sagen, dass gewisse Krankheiten, Syphilis, Tuber-
kulose ete. erfahrungsgemäss doch auch von dem Vater auf
die Kinder übergingen. Das weiss ich recht gut, aber das
ist denn doch ein ander Ding, da handelt es sich um
winzigste Teilchen der Materie, die sehr wohl in einem
Spermatozoon enthalten sein können und sogar enthalten
sein müssen — aber bei der Uebertragung der Blutwürmer
kann es sich nur entweder um Eier oder um junge Larven
handeln. Nun sind aber erstere 0,045 bis 0,050 mm, letztere
!) Brera (medizinisch - praktische Vorlesungen über die vornehm.
Eingeweidewürmer u.s. w., deutsch von F. A. Weber, Leipzig 1803;
ich kenne das Buch nicht, sondern zitiere nach Bremser, S. 31) hatte
die prächtige Ansicht, die Wurmeier des Vaters könnten durch den
Körper des Sohnes, indem sie keine schickliche Gelegenheit zur Ent-
wicklung gefunden hatten, in den Körper des Enkels übergehen. Eine
vorzügliche Form der latenten Vererbung!
390 Prof. Dr. WILLIAM MARSHALL, [22]
aber 0,20 bis 0,25 mm lang, wie ist da Platz für sie in
einem Samentierchen eines Hundes?
Ist dieser Blödsinn schon gross genug, der ist es noch
mehr, der da die Verschiedenheit der Verteilung auf die
Nachkommen der „Rasse“ nach behauptet. Hier kann man
des geschichtlichen Interesses wegen nur konstatieren, dass
einmal eine solehe Behauptung aufgestellt wurde und noch
heutigen Tages da und da schwarz auf weiss zu lesen ist! —
Aber nicht bloss Tierärzte, sondern auch Menschenärzte,
und die erst recht, befinden sich häufig in einem bemerkens-
werten Zustande zoologischer Unschuld. Frug doch einmal
ein praktischer Arzt aus dem Altenburgischen bei meinem
Freunde, Herrn RICHARD SCHMIDTLEIN, Sammlungsassistenten
am hiesigen zoologischen Universitätsmuseum an: ob es denn
wirklich wahr sei, dass aus den Mehlwürmern Käfer würden?
Was der Examinator von den Examinanden in der natur-
wissenschaftlichen Vorprüfung für Mediziner manchmal zu
hören bekommt, könnte sehr belustigend sein, wenn es nicht
gar zu betrübend wäre. Man könnte sich ja zum Troste
sagen, das seien noch keine richtigen Aerzte, sondern wollten
erst solehe werden. Sed fuge quaerere, was der Mediziner
nach seinem Physikum zu seinem bischen zoologischen Wissen
hinzulernt! Den Ballast hat er im Examen taliter qualiter
abgeladen, er ist froh, dass er ihn auf seine Art losgeworden
ist und schert sich in Zukunft den Teufel um die ganze
Zoologie, es sei denn, dass er persönlich eine besondere
Neigung und Liebhaberei für das Studium der Tierwelt habe.
Und wie mit der Zoologie, so geht es mit allen natur-
wissenschaftlichen Fächern. Bedauerlich genug! Vordem
war ein Medikus, ein Arzt, auch allerwege ein Physikus,
ein Naturforscher, und wahrlich nicht zu seinem Schaden,
— früher verstand er auch tüchtig Latein, gleichfalls ganz
gewiss nicht zu seinem Schaden. Wird für die zukünftigen
Mediziner das Studium der Naturwissenschaften noch mehr
beschränkt und das der humaniora ganz aufgehoben — wo-
für von berufener und unberufener Seite, von oben und von
unten immer lebhafter agitiert wird —, nun, dann werden wir
wie in Amerika allerdings bald praktische Darmfeger genug
haben, denen aber die Berechtigung sich wissenschaftlich
[23] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 991
gebildete Männer, oder gar Gelehrte zu nennen, unbedingt
abgesprochen werden muss. Jene auf naturwissenschaft-
lichen Gebieten so wohl unterriehteten Aerzte, die vordem
bewährte Zierden ihrer Wohnorte waren, von denen sich
viele namentlich in der Botanik und Zoologie geachtete
Namen gemacht haben, verschwinden mehr und mehr! Die
Wissenschaft ist milehende Kuh, was darüber ist, das ist
vom Uebel! —
Auf keinem Gebiete aber kam und kommt die Ignoranz
vieler Aerzte in rebus zoologieis schöner zum Ausdruck als
auf dem des Schmarotzertums, wo ihr Studium und das der
Zoologie sich begegnen.
Es ist unglaublich, wie sich die Herren seit je von
Patienten, besonders aber von Patientinnen, hysterischen und
vielleicht aueh nur schalkhaften, die dabei mit raffinierter
Schlauheit verfuhren, haben zum besten halten lassen. Die
wunderbarsten Dinge gingen und gehen den Damen per os,
anum et vulvam ab, Eidechsen, Schlangen, Menschenhaare,
Raupen und andere Insektenlarven, Käfer, Fliegen, Spinnen,
Kellerasseln, Regenwürmer und wer weiss was sonst alles
noch. Die Nachtgeschirre werden zu Raritätenkabinetten
ersten Ranges, in denen man alles, bis zur Liehtputzscheere
finden kann, wie Vater BREMSER sagt.
Noch 1850 veröffentlichte der Göttinger Professor
A. A. BERTHOLD eine ernsthaft gemeinte AbhandInng „Ueber
den Aufenthalt lebender Amphibien im Menschen“!
Schon der alte gescheite LEEUWENHOEK, allerdings ein
Naturforscher von Gottes Gnaden, machte sich über die
Leichtgläubigkeit der Aerzte seiner Zeit (um 1684) in dieser
Beziehung lustig, und der Engländer SPENCER ÜOBBOLD,
ein ausgezeichneter Kenner der tierischen Schmarotzer, hält
es für nötig, 180 Jahre später die Herren Medici in dem
über die Wasserkälber oder Zwirnwürmer (Gordis) handeln-
den Kapitel seines grossen Parasitenwerkes!) ausdrücklich
vor dem Getäuschtwerden zu warnen: „Der praktische Arzt
würde gut thun, sich mit dem Gordius aquaticus recht
genau bekannt zu machen, denn es ist beim jungen Volk
) Cobbold, Spencer, „Entozoa“. London 1864. p. 412,
392 Prof. Dr. WILLıAM MARSHALL, [24]
kein ungewöhnliches Spässchen sich den Wurm zu ver-
schaffen, um den Doktor ein wenig an der Nase zu führen.
In dem mit dem Middlesex-Krankenhaus verbundenen Museum
befindet sich ein Gordius, den sich ein Doctor medicinae,
trotz seiner Bedeutung als Arzt, als einen echten Medina-
wurm hatte aufhängen lassen. Er soll sogar 4 Guineen
(80 Mark) dafür bezahlt haben. Ich erinnere mich vor etwa
20 Jahren von einem in der Privatpraxis des Herrn CRossE
von Norwich vorgekommenen Falle gehört zu haben, in dem
sich ein junges Frauenzimmer erdreistet hatte, diesen aus-
gezeichneten Arzt dadurch anführen zu wollen, dass sie
einen oder zwei Gordien in ihren Nachttopf praktizierte.“
Mit besonderer Vorliebe geben solehe Pseudopatienten
oder -patientinnen Insekten und namentlich Fliegenmaden,
die in der guten Jahreszeit unschwer zu beschaffen sind,
von sich, und ich bin stets von vornherein äusserst miss-
trauisch, wenn ich von einem solehen Vorkommnis höre.
LALLIER!) zählt 1897 ihm bekannte Fälle von Binnen-
parasitismus von Fliegenlarven aus der Litteratur auf. Da-
von betreffen Männer 56, Weiber 24 und Kinder unter vier-
zehn Jahren 8 Fälle. Die Larven gehörten zu 34 Arten, die
in 25 Fällen erbrochen, in 53 per anum und einmal durch
Mund und After zugleich ausgeleert wurden. Bei 9 Fällen
fehlten nähere Angaben.
Ein aus neuester Zeit datierender, geradezu klassischer
Fall mag hier folgen, wie ich ihn in einem Aufsatze von
SCHNEIDEMÜHL?) finde, der ihn der mir unzugänglichen
„Wiener klinischen Rundschau“ (1896, wahrscheinlich auch
nur einem Referate) entnommen hat: „Neuerdings hat
HENSCHEN in Upsala „über Fliegenlarven im Darm als Ur-
sache einer chronischen Enteritis pseudomembramacea“ be-
richtet. HENnscHEN behandelte einen Patienten, welcher im
Sommer 1889 trübes und lehmiges Wasser getrunken hatte,
in welchem nach dem Trinken kleine Tiere bemerkt wurden.
Patient litt seit jener Zeit an Diarrhoe und Verstopfung.
1) Lallier, Etude sur la myase du tube digestif chez ’homme.
(Dissert. Paris med. Fakultät. Nr. 307. 1897.)
?) Centralblatt für Bakteriologie und Parasitenkunde, Band 22.
I. Abteilung. 1897. 8. 753.
[25] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 393
Die Faeces waren von strangartigen, fusslangen Schleim-
massen oder Membranen begleitet und enthielten zahlreiche
Larven einer mit unserer Hausfliege verwandten
Fliegenart. Nach eingeleiteter Behandlung trat zwar eine
zeitweise Besserung ein, doch verschwanden erst März
1896 die Larven aus den Faeces und damit auch die
Darmsymptome.“ Soweit mein Gewährsmann.
Ich bin überzeugt, dass Herrn HEnscHEN’s von Upsala
medizinischen Kenntnisse seine zoologischen ganz unendlich
übertreffen, aber er hätte doch gut gethan in diesem Falle,
über den er ja nicht rein medizinisch berichtet, sondern
auch zoologisch urteilt, wenn er einen Studenten der Zoologie
um seinen wissenschaftlichen Rat gebeten hätte. In trübem
und lehmigem Wasser mögen allerlei kleine Tiere leben,
von Fliegenlarven allenfalls die jungen Larven von Bristalis
tenax, die bekannten sog. Rattenschwänze, aber niemals die
einer zu der Familie der Museiden, deren Typus unsere
Hausfliege ist, gehörigen Art. Nun, HENnscHENn behauptet
ja auch nieht geradezu, dass ein Zusammenhang zwischen
jenem Trunk im Jahre 1839 und den fortwährenden Aus-
leerungen von Fliegenlarven bis zum März 1896 stattge-
funden habe, obwohl er ziemlich deutlieh durehblieken lässt,
dass er es vermutet. Aber wohl behauptet er einen solchen
Zusammenhang zwischen der Gegenwart der Fliegenlarven
und der Darmerkrankung. Ich will entgegenkommend sein
und einmal zugeben, dass sich wohl unter günstigen Um-
ständen Museidenlarven aus zufällig aufgenommenen Eiern
im menschlichen Magen entwickeln, oder dass zufällig auf-
genommene junge Larven sich in ihnen ernähren und weiter
wachsen und dass sie schliesslich mit dem Faeces nach
aussen gelangen können. Nun haben aber die meisten, oder
wohl alle unserer Museiden mehrere Generationen im Jahre.
Sagen wir bloss zwei, dann hätten sich in dem Patienten
HENSCHEN’s wenigstens zehn Madengenerationen entwickelt:
in den Jahren 1839 und 1896 je eine, in den anderen je
zwei. Es müsste sich also jener an und für sich schon
sehr srosse Zufall, dass der Kranke Eier oder junge Larven
einer der „Stubenfliege ähnlichen Fliegenart“ in sich auf-
genommen habe, innerhalb 6 Jahren mit grösster Regel-
394 Prof. Dr. WıLLıam MARSHALL, [26]
mässigkeit 10 mal wiederholt haben. Denn dass die Ent-
wicklung der Larven sich in dem lebenden menschlichen
Körper bei der hier herrschenden hohen Temperatur teil-
weise so eigenartig modifiziert und verzögert habe, dass
von einer einmaligen Infektion 6 Jahre lang Larven er-
scheinen konnten, wird doch wohl niemand mir zumuten zu
glauben. Auch dass nur ein Teil der Maden jedesmal nach
aussen befördert worden sei, ein anderer sich aber im Magen
verpuppt und, die Imagines geliefert habe, die dann in dem-
selben Magen herumgesurrt wären, sich begattet hätten und
die Eltern einer neuen Madengeneration geworden wären,
und das 10 mal hintereinander — das Jemanden zu erzählen,
würde sich selbst MÜNCHHAUSEN geschämt haben.
Ein moderner, zoologisch gebildeter MÜNcHHAUSEN könnte
sich vielleicht auf eine ausnahmsweise stattfindende Pädo-
genesis berufen und sagen, „ja, jene Larven haben auf un-
geschlechtlichem Wege Nachkommen hervorgebracht und so
von Generation zu Generation.“
Ein tiefer Blick in die Natur,
Hier ist ein Wunder, glaubet nur!
Ist es nieht viel wahrscheinlicher, dass der Patient von
HENSCHEN unter Verhältnissen lebte und wohnte, unter denen
Stubenfliegen oder andere Museidenmütter ihre Eier bezw.
junge Larven auf seinen Kot absetzen konnten? Die Ent-
wicklung der Larven geht unglaublich rasch vor sieh: „ein
Beobachter liess eine Schmeissfliege ihre Eier an einen
Fisch legen. Am zweiten Tage nach dem Ausschlüpfen
waren die Maden schon noch einmal so gross, aber immer
noch klein genug, dass ihrer 23—30 zusammen kaum ein
Gramm wogen, am dritten Tage wog jede für sich schon
sieben Gramm, war also binnen 24 Stunden gegen 200 mal
schwerer geworden.“ Das steht in Brenum’s Tierleben zu
lesen.)
Ein paar sehr hübsche Fälle älteren Datums, die sich
aber nicht auf Fliegenmaden beziehen, mögen noch folgen,
ı) Brehm’s Tierleben. 9. Band: Insekten von Taschenberg.
3. Auflage. 1892. S. 511.
[27] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 395
weil sie das Genie mancher praktischen Aerzte glänzend
darthun.
Der erste rührt von einem gewissen ÜHICHESTER!) her.
Dieser Hippokrates erzählt, im Monat Juni 1806 sei ein
14 jähriges Mädehen von Leibschmerzen und Kopfweh be-
fallen worden, die 14 Tage anhielten. Während dieser Zeit
erbrach sie ohne Anwendung von Breehmitteln 24 grosse
Würmer (offenbar Ascaris lumbricoides). Die Sache scheint
der jungen Dame gefallen zu haben, denn drei Wochen später
fing sie eine grossartige Komödie an: sie brach Blut, konnte
nichts essen, und wenn flüssige oder feste Nahrung nur mit
der Schleimhaut ihres Schlundes in Berührung kam, fiel sie
in Zuekungen und machte ein Geräusch, wie Croupkranke
es machen. Da sie nicht reden konnte, deutete sie durch
Zeichen an, dass ihr etwas in der Kehle sitze. Es wurde
eine Sonde eingeführt, was ihr eine gelinde Erleichterung
verschaffte, und CHICHESTER gab ihr 0,50 eg Calomel (die
sie also trotz ihrer Zuekungen und ceroupartiger Anfälle
nehmen konnte!) Darauf entleerte sie per anum einige
hundert lebender Tiere von der Grösse eines Gerstenkornes.
Das Gesicht derselben glich dem eines Schweines (!),
an jeder Seite hatten sie drei braune, mit je drei Haaren
besetzte Beine, andere Haare befanden sich entlang des
Rüeckens und drei standen am hinteren Körperende (offenbar
Larven einer Art von Dermestes), die Larven waren lebhaft
und gefrässig. Man gab ihnen frische und gesalzene Nahrung,
und sie frassen tüchtig.
Was die Kranke anging, so hörte das Erbrechen bei
ihr nach 14 Tagen auf, sie fühlte sieh erleichtert, konnte
die Augen wieder öffnen und verstehen, was man ihr sagte,
aber selber drückte sie sich noch unzusammenhängend aus.
Im Monat Fehruar gab sie wieder einige hundert Larven
der gleichen Art, aber durch den Mund mittels Erbrechen
von sich, die Schlundkrämpfe quälten sie noch acht Monate, _
während das Schluckvermögen wiederkehrte. Sie spuckte
noch einige Zeit Blut und am 2. April 1811 war sie völlig
hergestellt.
) Chichester, Edinb. med. and sur. Journ. Vol. VII. 1811. p. 328,
396 Prof. Dr. Wıruıam MARSHALL, [28]
Ueber einen anderen höchst wunderbaren (aller-
dings!) Fall von Canthariasis (Schmarotzertum durch Käfer)
beriehtet noch PickELs!) aus Cork im Jahre 1828, wo ein
23 Jahre altes Frauenzimmer während 13—14 Jahren fort-
dauernd eine Unmasse Larven von Tenebrio molitor (Mehl-
würmer) und Dlaps mortisaga (Totenkäfer; zusammen 1206),
sowie fast buchstäblich Myriaden von Fliegenlarven ausge-
brochen hatte, glaubt der Verfasser doch nicht als eine ganz
unglaubwürdige „Räubergeschiehte“* verwerfen zu dürfen.
Denn das Weibsbild hatte aus einfältigem Aberglauben
die ganze Zeit Wasser getrunken, das mit Erde von Gräbern
gemischt war, und wodurch sie sehr leicht die Eier dieser
Insekten in Menge in den Magen bekommen konnte. Das
Ausbrüten der Eier und die weitere Entwicklung der Larven
im Magen wurde dadurch begünstigt, dass die Person, um
die Magenschmerzen zu stillen, Kalk gefressen und Kalk-
wasser getrunken hatte, wodurch die Säuren des Magen-
saftes mehr oder weniger gesättigt (neutralisiert!) wurden
und daher die Eier und Larven nicht angriffen, während
die beständige Zufuhr von neuer Graberde den Larven
Nahrung lieferte und den Ahgang der von Zeit zu Zeit
ausgebrochenen ersetzte.“
Das ist viel Unsinn auf einmal!
Wie sich jemand durch den Genuss von Gräbererde
mit Eiern von Mehlwurmkäfern (von denen von Totenkäfern
und Fliegen will ich schweigen, da hier der Schein eines
Scheines der Möglichkeit vorhanden ist!) infizieren kann,
ist und bleibt ein grosses Rätsel und Wunder. Wunderbar
ist es auch, wie der Magensaft, der so scharf war, dass er
die Eier und Larven der bösen Gäste unbedingt hätte an-
greifen müssen, nun durch den Genuss von Kalk gerade so
neutralisiert wurde, dass sich diese Tiere wohl darin be-
fanden und gediehen. Wie sich wohl die Mehlwürmer in
dem doch immer mehr feuchten als trockenen Magenbrei
eines hysterischen Weibsbildes befunden haben mögen?
Wie haben sie denn geatmet? Wie mag sich das Frauen-
1) Transact. of the assoe. of fellows and Lic. of the Kings and
Queens Coll. of Phys. in Ireland. Vol. V. Dublin 1828,
[29] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 397
zimmer über den gelehrten Dr. PıckELs in Cork amüsiert
haben! —
Doch dem sei, wie ihm wolle! — Ceterum censeo:
ein klein wenig zoologisches Wissen kann einem praktischen
Arzte kaum schädlich sein! Er würde dann die ihm in
seiner Praxis vorkommenden Erscheinungen aus dem Tier-
leben genauer studieren, eingehender prüfen und objektiver
beurteilen, bevor er über sie schrieb und sieh lächer-
lieh machte. Er sollte sich wenigstens immer mit einem
Fachmann in Verbindung setzen, ehe er einen litterarischen
Abortus riskiert!
Die
Charaktervögel des nordwestlichen Thüringer Waldes
nach den Aufzeichnungen seines Vaters R. Gerbing veröffentlicht
von
Walter Gerbing
Um über die Veränderungen, welche im Laufe der
Jahre in der Vogelwelt einer Gegend vor sich gegangen
sind, richtig urteilen zu können, genügen die Erfahrungen
eines einzelnen Beobachters selbstverständlich nicht, auch
wenn sie seit vielen Jahren sorgfältig gesammelt wurden;
fast ebensowenig reicht ein einziger Forscher aus, um den
jetzigen Vogelbestand eines Gebietes festzustellen. Nur wenn
zugleich Beobachtungen und Notizen zuverlässiger Vogel-
kenner über die Avifauna derselben Gegend aus viel früherer
Zeit vorliegen und mit den jetzigen verglichen werden
können, wird man ein annähernd richtiges Bild davon er-
halten können, welche Glieder unserer Vogelwelt ver-
schwunden oder seltener geworden sind, welche andere sich
vermehrt, oder auch, früher nicht vorhanden, nach und
nach sich eingebürgert haben.
Was soeben im allgemeinen gesagt wurde, gilt auch
für das in dieser Arbeit zu behandelnde Gebiet. Hier hat
seit beinahe einem halben Jahrhundert mein Vater von
Schnepfenthal aus sorgfältige und fortlaufende Beobach -
tungen angestellt, auf denen die nachfolgenden Angaben
vorzugsweise fussen. Zum Vergleiche mit diesen Beobacht-
ungen sind leider nicht viele Notizen aus früherer Zeit
vorhanden; am meisten bringen in dieser Beziehung zwei
Männer, die gleichfalls in Schnepfenthal lebten, der vor-
[2] Die Charaktervögel des nordwestlichen Thüringer Waldes. 399
treffliche Vogelkenner Jos. MArtuÄus BECHSTEIN und der
Naturforseher Prof. HARALD OTHMAR Lenz. Ersterer schrieb
seine Naturgeschichte vor mehr als hundert Jahren (1792);
auch letzterer bringt in seiner Naturgeschichte aus der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts wertvolle Angaben, aber wie
es bei Büchern erklärlich ist, die für einen grösseren Leser-
kreis berechnet sind, beziehen sich seine Angaben meist auf
die allgemeine Verbreitung der betreffenden Vögel, und die
Heimat ist weniger berücksiehtist. Immerhin lassen die
Notizen beider Forscher interessante Schlüsse auf Zu- und
Abnahme einiger Vogelarten zu und sind daher in den nach-
folgenden Zeilen möglichst berücksichtigt worden, die ver-
suchen wollen einen Bericht über den jetzigen Bestand der
Vogelwelt des nordwestlichen Thüringens, insbesondere des
Gebirgswaldes, zu geben.
Die grossen Raubvögel, welche früher ungemein
häufig!) den Wald bevölkert haben müssen, sind, da sie der
Jagd grossen Abbruch thaten, nach und nach ausgerottet
worden, oder ihr Bestand ist bis auf wenige Exemplare
zusammengeschmolzen. Zu den vollständig ausgerotteten,
weil nur schädlichen Vögeln gehörten der Steinadler (Aguzla
chrysaetos) und der Uhu (Bubo maximus Libb), die früher in
Felsenhöhlen der Waldthäler bei Tabarz und Georgenthal
ihre Horste hatten. Die Milane, welehe (nach Mosch und
ZiLLER 1813) den Inselsbergstein bewohnen, und mit grossem
Geschrei den Berg umkreisen, werden dort schon lange nicht
mehr gesehen und sind im Gebirge nieht häufig, und recht
selten sind auch die kühnen Wanderfalken (Falco peregrinus
Tunst.) geworden, die erst seit einigen Jahren die früher
regelmässig auf Felsen innegehabten Horstplätze nicht mehr
ı) Nach Akten, die sich im Archiv des Herzogl. Staatsministeriums
zu Gotha befinden, wurden in den Jahren 1789 bis 1791 eingeliefert: im
Amt Tenneberg 2217 Raubvögel, 4 Uhus, 27 Fischreiher, 2 Steinadler;
im Amt Reinhardsbrunn 1787 Raubvögel, 163 Raben, 27 Fischreiher,
1 Steinadler; im Amt Georgenthal anno 1789 und 1791 1637 Raubvögel,
10 Raben, 2 Uhus, 41 Fischreiher, 2 Steinadler; in den Jahren 1759 und
1790 im Amte Schwarzwald 2444 Raubvögel, 11 Fischreiher. In den
Jahren 1748 —50 wurden in sämtlichen gothaischen Aemtern 5163
Raubvögel, 5977 Raben, 88 Fischreiher, 10 „Fischgeier,“ 11 Steinadler,
34 Uhus erlegt.
400 WALTER GERBING, [3]
besuchen. Habicht (Astur palumbarius L.) und Sperber
(Accipiter misus L.), im Volke meist „Geier“ genannt, sind
noch nieht überall so vermindert, wie es wünschenswert
wäre, und betreiben ihre Räubereien meist in den Vorbergen.
Der häufigste Raubvogel des Waldes ist der Gemeine Bussard
(Buteo vulgaris Bechst.), er wird mit Recht von den Jägern
geschont, und man sieht daher noch öfter diesen Vogel
seine schönen Spiralen über den Gipfeln der Waldbäume
beschreiben. Der häufigste Nachtraubvogel ist der Wald-
kauz (Syrnium aluco L.).
Für manche Vögel war das Verschwinden der grossen
Raubvögel, ihrer Hauptfeinde, sehr vorteilhaft, und sie haben
sich zum Teil in einer Weise vermehrt, dass sie nun selbst
recht lästig und schädlich werden. Dies gilt besonders vom
Eichelhäher (Garulus glandarius L.), welcher sich, da er
jetzt recht häufig ist, durch sein unangenehmes Geschrei
im Walde sehr bemerklich macht und als starker Nest-
zerstörer der Vermehrung der Singvögel vielfach Abbruch
thut. Scharen von Dohlen (Lycos monedula L.) haben sich
seit einigen Jahren — seitdem der Wanderfalke nicht mehr
in der Nähe wohnt — in den alten Buchen am Sehorn und
auf dem Simmetsberge im Friedriehröder Reviere angesiedelt,
nisten in den von den Schwarzspecehten gezimmerten Baum-
höhlen und verdrängen mehr und mehr die auch daselbst
Nisthöhlen findenden Hohltauben; ihre Nahrung finden sie
auf den Fluren der nächsten am Fusse des Gebirges gelegenen
Ortschaften. Auch der Bestand an Rabenkrähen (Corvus
corone L.) hat sehr zugenommen, nicht zum Vorteil der kleinen
nützlichen Sänger des Waldes. Dagegen gehört der Kolk-
rabe (Corvus corax L.), der früher, nach den Ausweisen
oben erwähnter Akten, häufig gewesen sein muss, seit etwa
vierzig Jahren nicht mehr zu den Bewohnern des Gebietes.
Von der Saatkrähe (Vorvus cornix) ist dem Verfasser nur
eine Kolonie im Schlossparke von Günthersleben, einem
Dorfe in der Nähe Gothas, bekannt; dieselbe nistet also
gleichfalls nicht im eigentlichen Waldgebiete.
Während von den Raubvögeln manche Arten durch fort-
gesetzte Verfolgungen von seiten des Menschen ausgerottet
oder vertrieben wurden, sind eine Anzahl früher den Wald
[4] Die Charaktervögel des nordwestlichen Thüringer Waldes. 401
häufiger bewohnende Vögel deshalb recht selten geworden
oder mehr und mehr im Verschwinden begriffen, weil ihnen
durch die fortschreitende Forstkultur die nötigen Lebens-
bedingungen entzogen wurden. Der alten Bäume werden es
bei der jetzigen Umtriebszeit von siebzig bis achtzig Jahren
immer weniger, kranke und hohle Stämme duldet die heu-
tige Forstwirtschaft nicht mehr im Walde, und mit ihnen
verschwanden die Wohn- und Schutzplätze vieler Höhlen-
bewohner, besonders der Hohltauben und Spechtarten. Von
letzterer Familie macht sich der Grünspeeht (Gecinus viri-
dis L.) noch am häufigsten durch sein lautes, auflachendes
Geschrei „glöäh-glöäh-Glöäh“ bemerklich, zumal da er es auch
verstanden hat, sich eine neue Nahrungsquelle zu verschaffen,
indem er, den Wald verlassend, die Chausseebäume absucht.
Vom grossen Buntspecht (Picus major L.) findet man hier und
da im Walde eine „Speehtsehmiede,“ durch zahlreiche zer-
meisselte Fiehtenzapfen kenntlich; diese beiden Arten dürften
die häufigsten sein. Der Grauspecht (Gecinus canus Gm.)
ist recht selten, auch der schöne Schwarzspecht (Dryocopus
martius L.), eine Zierde des Nadelhochwaldes, war bis vor
wenigen Jahren nur in ganz wenigen Brutpaaren vorhanden.
Seit kurzem aber hat er sich auffallend vermehrt und macht
sich bei seinem weittönenden Rufe gegenwärtig unter allen
Spechten am meisten bemerklich. Der Grund für diese auf-
fallende Erscheinung liegt wohl darin, dass der Schwarzspecht,
wie der Grünspecht, jetzt gelernt hat, sich den veränderten
Verhältnissen anzupassen: er deckt den durch das Ver-
schwinden der alten Bäume entstandenen Nahrungsausfall
dadurch, dass er jetzt auch die-Baumstücke absucht, die
ihm eine reiche Ausbeute, vor allem an Bockkäfer- und
Schnellkäferlarven liefern.
Von den Taubenarten findet, wie schon erwähnt; die
Hohltaube (Columba oenas L.) nicht mehr wie früher die
nötigen Bruthöhlen und ist daher seltener geworden als
früher. Warum dagegen die früher (nach BEcHsTEIN)
sehr häufige Turteltaube (Turtur auritus Rag.) jetzt fast
verschwunden ist, lässt sich schwer sagen. Am häufigsten
nistet noch im Gebirgswalde die Ringeltaube (Columba
palumbus L.).
Zeitschrift £. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 26
402 WALTER GERBING, [5]
Von den Waldhühnern ist das Haselhuhn (Bonasia
silvestris Brehm) vollständig verschwunden; das Birkhuhn
(Tetrao tetrix L.) wird immer seltener. Dagegen scheint der
Bestand an Auerhühnern (Tetrao urogallus L.) zuzunehmen;
namentlich in den höchsten Regionen des Gebirges, längs
des Rennstieges, wird dem Wanderer oft die Freude zu Teil,
einen Trupp der stattlichen Hühner zu beobachten oder einen
Hahn mit lautem Geräusch von einem Baume abstreichen
zu sehen.
Die Waldschnepfe (Scolopax rusticola L.) ist nur während
des Herbstzuges häufiger im Gebirgswalde zu treffen; wäh-
rend des Frühlingszuges, im März, findet sie dagegen den
Boden des Gebirges noch so mit Schnee und Eis bedeckt,
dass sie es vorzieht, ohne Aufenthalt weiter zu wandern.
Von den Vögeln, die sich sonst noch im Gebirgswalde
häufiger finden, und von denen einige Arten charakteri-
stische Erscheinungen gewisser landschaftlicher Partieen sind,
möchten die folgenden hervorzuheben sein:
Die Hauptsängerin im Gebirgswalde, die „Waldnachtigall“,
ist die Singdrossel (Turdus musicus L.). An ihrem Wohn-
orte, in dessen Nähe Wiese und Wasser nicht fehlen dürfen,
lässt sie, gewöhnlich auf der Spitze einer der höchsten Fichten
sitzend, besonders in den Morgen- und Abendstunden ihren
herrlichen lauten und abwechslungsreichen Gesang über die
Wipfel der Bäume hin erschallen, und vermag hierdurch
eine grössere Waldpartie auf das angenehmste zu beleben.
Leider werden die Singdrosseln von Jahr zu Jahr immer
seltener, woran vielleicht die zahlreichen Eichhörnchen,
welehe viele Nester zerstören, die Schuld tragen mögen.
Einen hübschen, dem der Singdrossel aber nicht gleich-
kommenden Gesang hat auch unsere grösste einheimische
Drossel, die Misteldrossel, auch Schnärre und Ziemer genannt
(Turdus viscivorus L.); sie bevorzugt entschieden den Nadel-
wald, ist einer unserer ersten Frühlingsboten, da sie schon
von März ab sich hören lässt, aber häufig ist sie nicht, und
die einzelnen Paare haben immer ein grösseres Revier inne.
Die übrigen Drosselarten kommen als Bewohner des Waldes
weniger in Betracht. Die Amsel (Merula vulgaris Leach.)
ist auch in unserem Gebiete aus einem scheuen, versteckt
[6] Die Charaktervögel des nordwestlichen Thüringer Waldes. 403
lebenden Waldvogel ein dreister Park- und Gartenvogel ge-
worden, der hier sichere Brutstätten und Sommer und
Winter (nur die Männehen bleiben im Winter hier) günstige
Ernährungsverhältnisse gefunden hat. Die Wacholderdrossel
oder Krammetsvogel (Turdus pelaris L.), welche BECHSTEIN
nur als Zug- und „Schneussvogel“ bekannt war, hat sich im
Laufe der letzten Jahrzehnte bekanntlich mehr und mehr
im nordwestlichen Thüringen als Brutvogel eingebürgert und
verbreitet. An ihren Brutkolonieen — eine solche befindet
sich seit einer Reihe von Jahren in der „Harth“, einem
Laubwäldehen bei Schnepfenthal — machen sich die Vögel
nieht durch Gesang, wohl aber durch die häufig gehörten
Loektöne sehr bemerklich.
Für die klaren Forellenbäche, welehe von der Höhe des
Gebirges kommend schäumend und rauschend die Gebirgs-
thäler durcheilen und dem offenen Lande zustreben, sind zwei
Vogelarten eharakteristische Erscheinungen: Die gelbe Ge-
birgsbachstelze (Motacilla sulphurea Bechst.) und der Wasser-
star oder die Wasseramsel (Cinclus aquaticus L.). Beide sind
durch ihre Nahrung an diese Orte gebunden, an denen sie
auch ihre Nistplätze haben, und entfernen sich nieht gern
von den Bachbezirken, die sie einmal zum Wohnplatz gewählt
haben. Aufgescheucht fliegen sie beide immer allen Win-
dungen des Baches folgend dahin, während aber die zier-
lieh-schlanke, anmutige Bachstelze dies in schönen Bogen-
linien thut, wobei sie gewöhnlich ihren feinen Lockton
zit zitit hören lässt, fliegt der durch sein lockeres, dichtes
Gefieder und durch sein kurzes Schwänzchen gedrungen
erscheinende Wasserstar in gerader Linie dieht über dem
Wasserspiegel hin. In den ersten Frühlingstagen hört man
am häufigsten den leisen Gesang der Wasseramsel, aber auch
im Winter verstummt derselbe nicht ganz. Wie sie im
Sommer in und unter dem Wasser hinlaufend ihre Nahrung,
meist Larven von Wasserinsekten, zu erbeuten versteht, so
läuft sie im Winter zu diesem Zwecke unter dem Hohleise
hin und findet hier auch Schutz, wenn sie in ihrem dann
recht einsamen, von Schnee und Eis glitzernden Wohnbezirke
gestört werden sollte. Wie die Gebirgsbachstelze keinem
unserer Gebirgsbäche fehlt, so ist auch die Wasseramsel
26*
404 WALTER GERBING, [7]
noch ziemlich verbreitet. Als im Herbste letzten Jahres
einer der Teiche bei Reinhardsbrunn teilweise abgelassen
worden war, hatten sich an diesem günstigen Platze wohl
acht Wasseramseln zusammengefunden, und ihre verschiedenen
Fangmethoden liessen sich gut beobachten. Während die
einen am Wasserrande hinliefen und im Schlamm befindliche
Nahrung aufstöberten, dazwischen auch ihren Gesang hören
liessen oder sich neidisch jagten, wateten andere im Wasser
umher, wieder andere schwammen nach der Mitte des
Teiches zu, und zwar merkwürdigerweise derart, dass nur der
Kopf aus dem Wasser hervorsah; der weisse Brustlatz
erglänzte dabei wie Silber. Ich habe diese Art des
Schwimmens vorher nie beobachtet.
Auch der Eisvogel (Alcedo ispida L.) kann ähnlich wie
die Wasseramsel seinen Wohnort nur an klaren Gewässern
haben; um aber seine Beute als Stosstaucher erlangen zu
können, liebt er mehr die Teiche und tieferen Bäche. Er
verschlingt manches Fischcehen, viel mehr als der so vielfach
verkannte Wasserstaar. An kalten Wintertagen ist man
ziemlich sicher, am Einfluss eines der Reinhardsbrunner
Teiche, wo der Eisvogel ständiger Gast ist, den diekköpfigen
Gesellen auf einem Zweige oder Pfahle sitzend auf Beute
lauernd anzutreffen, im Sommer aber muss man schon die
einsamsten Stellen an den genannten Gewässern aufsuchen,
wenn man den durch die prachtvolle Färbung des Gefieders
ausgezeichneten Vogel beobachten will.
Haben die Waldbäche hohe wurzelreiche Ufer, oder
sind moosige Felspartieen in der Nähe, so darf man mit
ziemlicher Sicherheit auch auf die Anwesenheit des kleinen
kecken Zaunkönigs (Troglodytes parvulus L.) rechnen, welcher
gern sein kugliges Moosnestchen hier erbaut und oft seinen
lauten fröhliehen Gesang erschallen lässt.
Wie die Gebirgsbäche zwei, nur ihnen eigentümliche
Vogelarten an sich fesseln, so werden die sonst recht öden
Schläge und jüngeren Kulturen, besonders wenn auf ihnen
einzelne hohe Samenbäume stehen, von zwei anderen, eben-
so interessanten Arten bevorzugt, von der Dulllerche (Zullula
arborea L.) und der Spitzlerche (oder Baumpieper) (Anthus
arboreus Bechst.). Die Dulllerehe bewohnt mit Vorliebe
[8] Die Charaktervögel des nordwestlichen Thüringer Waldes. 405
die Buntsandsteinregion der Vorberge, der Baumpieper nicht
allein diese, sondern er ist auch weit im Gebirge auf den
Waldwiesen, Blössen und Liehtungen verbreitet. Die Dull-
lerehe ist ein Liebling vieler Waldbewohner, und wenn man
in den ersten Frühlingstagen nach langem harten Winter,
oder in stiller warmer Sommernacht den aus den verschie-
densten flötenden und lullenden Tönen zusammengesetzten
Gesang des Vogels gehört hat, so begreift man diese Vor-
liebe. Leider hat es den Anschein, als ob die Dulllerche
immer seltener würde, ohne dass ein Grund dafür ersichtlich
wäre, während doch der Baumpieper, der dieselben Lebens-
bedingungen hat, eher an Zahl zu- als abnimmt. Der Ge-
sang des Baumpiepers ist ganz anders als derjenige der
Dulllerche, er ist der „Kanarienvogel des Waldes“. Von
den Vorbergen an bis in die höchsten Regionen des Gebirges
(Kuppe des Inselsberges) verbreitet, vermag dieser Vogel
durch seinen Gesang und durch die Flugkünste, die er
dabei entwickelt, die obengenannten Orte ausserordentlich
zu beleben.
Finden wir diese beiden Vögel vorzugsweise auf lichten
Waldstellen, so werden wir dagegen zwei andere häufige
Bewohner des Gebirgswaldes, das Rotkehlehen (Dandalus
rubecula L.) und die Braunelle oder Isserling (Accentor
modularis L.) im Fichtendickicht und an Waldrändern am
häufigsten antreffen. An solchen Orten, bis auf den Kamm
des Gebirges verbreitet, singt das Rotkehlchen eifrig schon
früh vor Sonnenaufgang, und wenn Abends die Dämmerung
herabgesunken ist, wenn Finken und Drosseln längst ver-
stummt sind, ertönt noch vom diehten Fichtenbestand her
sein lieblicher, an Schellengeklingel erinnernder Gesang. —
Der Isserling wird wegen seiner bescheidenen Färbung, in
welcher grau und braun vorherrschen, leicht übersehen,
aber seine hübsche Sangesstrophe hört man oft. Beide
Vögel treiben sich, um ihre Nahrung zu suchen, viel im _
niederen Gestrüpp umher, aber zum Singen wählen sie gern
die Spitze eines Fichtenbäumehens, um sich, wenn sie sich
beobachtet sehen, senkrecht in das schützende Dickicht
hinabzustürzen.
Noch ein anderer Vogel, der Wald- oder Weidenlaub-
406 WALTER GERBING, [9]
vogel (Phyllopneuste rufa Lat.), welcher nebst den Gold-
hähnchen zu den kleinsten Vertretern unserer Avifauna
gehört, hält sich gern in den Fichtendiekungen auf und
macht sich durch seinen mit grosser Ausdauer vorgetragenen,
nur aus zwei Silben bestehenden Gesang sehr bemerklich.
Meist in der letzten Hälfte des März erscheinend, fehlt er
sicherlich nicht bei den an den Waldrändern blühenden
Weiden, die von vielen Fliegen besucht werden. Dagegen
ist eine andere Art, das schwirrende Laubvögelchen (Phyl-
lopneuste sibilatrix Bechst.) eine charakteristische Erscheinung
für den Buchenhochwald und erscheint mit dem Laubaus-
bruche in demselben; es ist an seinem eigentümlichen
sirrenden Gesange, nach dem es seinen Namen erhalten hat,
leicht zu erkennen.
Aechte und ziemlich häufige Nadelholzbewohner, welche
sieh besonders im Hochwald finden, sind zwei Meisenarten:
die Harz- oder Tannenmeise (Parus ater L.) und die Hauben-
meise (Parus ceristatus L.), erstere vorzugsweise im Fichten-,
letztere im Kiefernhochwald zuhause. Sie bringen neben
den Goldhähnchen (nur die eine Art, Regulus cristatus Koch,
bleibt im Winter da) durch ihr munteres Treiben in den
Aesten und Zweigen der Bäume, die sie unablässig nach
Nahrung absuchen, und durch ihre öfter ausgestossenen
Locktöne einiges Leben in den sonst recht stillen Winter-
wald; zuweilen säubert auch eine Schar flinker Schwanz-
meisen (Acredula caudata L.) die in der Buntsandsteinregion
der Vorberge stehenden Lärchen von den schädlichen Larven
der Lärehenminirmotte.
Der häufigste Vogel des Waldes ist der Buchfink (Frin-
gilla coelebs L.); überall, in den Buchen- wie in den Fichten-
beständen hört man den kräftigen schmetternden Schlag
dieses Vogels. Er fehlt nicht an den einsamsten Stellen
des Rennstieges, hat sich aber auch den günstigen Ver-
hältnissen anzupassen verstanden, welche ihm die in den
Sommerfrischen zahlreichen Gartenwirtschaften bieten. An
diesen Orten kann man mit Sicherheit darauf rechnen, dass
eine oder mehrere Finkenfamilien hier ihr Heim aufge-
schlagen haben, deren Mitglieder im Sommer zutraulich
zwischen den von den Sommergästen besetzten Tischen ihre
[10] Die Charaktervögel des nordwestlichen Thüringer Waldes. 407
Nahrung suchen und finden. Bekanntlich wurde der gute
Schlag: dieses Vogels früher von den Bewohnern des Waldes
mit am höchsten geschätzt, die Finkenliebhaberei stand
namentlich in der Ruhl, in Tambach und Kleinschmalkalden
in der höchsten Blüte. Noch heute giebt es einzelne Kenner,
welehe die verschiedenen Schläge genau zu unterscheiden
und mit besonderen Namen zu benennen wissen; aber die
Zeiten sind vorbei, in welchen für einen guten „Doppel-
schläger“ zwei Louisdor bezahlt wurden, obgleich dieselben
auch heute noch ziemlich hoch im Preise stehen. Vogel-
liebhaber giebt es noch viele, besonders in den Waldorten,
wo für Fabriken gearbeitet wird, doch begnügen sie sich
meist damit, einen Zeisig, Hänfling, Stieglitz, Liebig oder
Kreuzsehnabel im kleinen Käfig zu halten, und auch diese
Vögel tragen ja durch ihr munteres Wesen, durch ihr
Zwitschern und Singen zur Unterhaltung der in der Stube
arbeitenden Familie bei.
Von den Kreuzschnäbeln kommen zwei Arten, der Kiefern-
und der Fiehtenkreuzschnabel, im Walde vor; eine dritte Art,
der weissbindige Kreuzschnabel (Loxia bifasciata) ist ein
seltener Wintergast und war z. B. im Winter 1893/94 ziemlich
zahlreich vorhanden. Die erstgenannte Art, der Kiefern-
kreuzschnabel (Loxia pityopsittacus Bechst.) scheint das ganze
Jahr hindurch ein ständiger, wenn auch nicht häufiger Be-
wohner unseres Kiefernhochwaldes zu sein, dagegen wechselt
der Bestand der Fiehtenkreuzschnäbel (Loxia curvirostra L.)
ausserordentlich; zigeunerhaft streifen die Vögel umher und
bleiben da, wo sie für sich gut gedeekten Tisch finden.
Fehlen die Fiehtenzapfen im Walde, so ist auch meist kein
Kreuzschnabel zu sehen und zu hören, in guten Samenjahren
dagegen ist auch sicher der Winterwald von ihnen belebt.
Ueberall hört man den bekannten Lockruf kip, kip, an
sonnigen Tagen auch den bescheidenen Gesang der Vögel,
und von den schneebedeckten Zweigen heben sich besonders
die roten Männchen wirkungsvoll ab. Zahlreich waren z.B.
im Winter 1883/39 die Fichtenbestände bei Friedrichroda,
Tabarz, Winterstein und am Heuberg von Kreuzschnäbeln
bewohnt, welehe auch vielfach ihre Bruten glücklich auf-
brachten, häufig waren sie auch im Sommer 1893, wie die
408 WALTER GERBING, [11]
vielen, schon Ende Juli und Anfang August unter den Bäumen
liegenden, meist noch grünen und zum Teil von ihnen be-
arbeiteten Zapfen bezeugten, dagegen fehlten im Winter 1895
—96 die Zapfen und mit ihnen die Liebhaber derselben.
Im südöstlichen Teile des Thüringerwaldes wird der Kreuz-
schnabel oft gegessen, und sein Eleisch soll durch die haupt-
sächliche Nahrung des Vogels, die Fiehtensamen besonders
gewürzig schmecken. In hiesiger Gegend fängt man den
Kreuzschnabel zwar auch vielfach, aber nur, weil derselbe
ein beliebter Stubenvogel ist. Hier und dort herrscht auch
noch der Glaube, dass der Kreuzsehnabel Krankheiten von
den Menschen ab- und an sich ziehen könne, und zwar
sollen die Linksschnäbler die Frauen, die Rechtsschnäbler
die Männer von ihren Gebrechen befreien.
Als ein Stubenvogel, der besonders zutraulich wird, ist
auch der Dompfaff oder „Liebig“ (Pyrrhula europaea Vieill.)
beliebt; er ist ein ständiger Bewohner des Waldes, wo man
oft die Locktöne der geselligen Vögel hört. Obgleich sein
natürlieher Gesang zwar recht gemütlich, aber keineswegs
harmonisch klingt, lernt er bekanntlich, frühzeitig aus dem
Neste genommen und in der Stube aufgezogen, ein oder
mehrere Volkslieder recht hübsch pfeifen, wenn ihm die-
selben von seinem Pfleger tagtäglich vorgepfiffen werden.
Auch jetzt giebt es noch einzelne Waldbewohner, Leute,
welehe einen grossen Teil ihrer Zeit in der Stube zubringen
müssen, die sich dieser Beschäftigung hingeben, und wenn
dieselbe auch viel Geduld und Zeit erfordert, verschafft sie
ihnen mitunter eine hübsche Nebeneinnahme.
Das Bild von der Vogelwelt in unserem Gebirgswalde
würde recht unvollständig bleiben, wenn darin der Baum-
rutscher (Certhia familiaris L.) und die noch geschickter als
die Spechte kletternde Speehtmeise (Sitta europaea L.)
fehlten. Das trillernde Pfeifen der letzteren gehört ebenso
wie das Klopfen der Spechte und wie der Ruf des Kuckucks
zum Waldkonzerte. Doch ist der letztgenannte scheue Vogel
immer nur in einzelnen Paaren in den Waldbeständen des
Gebirges vertreten, und erscheint deshalb in den letzten
Tagen des April oder in den ersten des Mai.
Von den angeführten Gliedern unserer Vogelwelt dürften
[12] Die Charaktervögel des nordwestlichen Thüringer Waldes. 409
wohl diejenigen, welehe ausschliesslich, aber vorzugsweise
und in grösserer Zahl den Gebirgswald bewohnen, als
Charaktervögel desselben anzusehen sein, andere dagegen,
welche mehr einzeln hier vorkommen — und nicht sämtlich
aufgezählt sind — haben ihren Verbreitungsbezirk in den
abwechslungsreicheren Vorbergen oder im Vorlande des
Gebirges. Alle Bewohner der Vorberge aufzuzählen, würde
hier viel zu weit führen, und nur einer derselben sei hervor-
gehoben, der Girlitz (Serinus hortulanus Koch), welcher
dadurch interessant ist, dass er erst seit den letzten vier
Jahren sein Wohn- und Brutgebiet bis an den Fuss des
Gebirges ausgedehnt hat.
Auch der Staar (Sturnus vulgaris L.) liebt mehr die ge-
misehten Laubwaldungen und Gärten, aber er hat die ihm
angebotenen!) Staarenkästen überall, selbst in den hochge-
legenen Gebirgsdörfern, die rings von geschlossenem Wald
begrenzt werden, gern angenommen, da seine natürlichen
Nisthöhlen seltener wurden. Er wohnt nun dort in zutrau-
licher Nähe der Menschen, ist durch sein drolliges Wesen,
sein Zwitschern und Pfeifen und durch seine nützliche
Thätigkeit vielfach ein Liebling der Waldleute geworden,
und ersetzt in dieser Beziehung die früher viel häufigeren
Schwalben.?)
Die vielen in den Luftkurorten und Sommerfrischen
entstandenen parkähnlichen Gärten mit allerlei schützendem
Buschwerk werden meist bald als Wohn- und Nistplätze
von einer Anzahl nützlicher und angenehmer Sänger an-
genommen und sind vorteilhaft geworden für die Verbreitung
dieser Vögel, und das Balkenwerk der Villen wird häufig
vom Hausrotschwänzchen (Ruticilla tithys L.) als Nistplatz
benutzt. Dieses Tierchen, von welchem BEcHSTEIN sagt,
dass es Ende des vorigen Jahrhunderts noch selten war,
ist jetzt überall verbreitet, bewohnt mit Vorliebe auch die
1) In Friedrichroda geschah dies zuerst durch Förster Bonde
1856, in Schnepfenthal und Umgegend durch H. O. Lenz.
2) Vielleicht ist die Abnahme der Schwalben in der immer mehr
zunehmenden Sauberkeit der Orte, besonders der Sommerfrischen zu
suchen, wodurch Fliegen, Mücken und Schnaken, die Hauptnahrung
der Schwalben, mehr und mehr verschwunden sind.
410 WALTER GERBING, Die Charaktervögel ete. [13]
hochgelegenen Waldorte (Oberhof). und einzelne Häuser
(Inselsberg), wo es schon vor Tagesanbruch seine hervorge-
quetschten Sangesstrophen hören lässt, die es besonders aber
bei Regenwetter unermüdlich vorträgt. Auch der Sperling ist
jetzt in allen Waldorten vorhanden (1823 fehlten die Spatzen
noch in Ruhla und Kleinschmalkalden), wenn er sich hier
auch nicht so breit macht wie in den nahrhaften Dörfern
der Ebene, wo seiner allzustarken Vermehrung schon oft
Einhalt gethan werden musste.
Kleinere Mitteilungen.
Astronomie.
Zur Jahrhundertwende. „Mein Gott, ein neu Jahr-
hundert, ich sehe nichts dabei; es weiss den Weg von selber
und braucht kein Hilfsgescehrei.“ Trotzdem wir diese Worte
KARL SPITTELER’s vollständig unterschreiben, möchten wir
doch eine sachgemässe Erörterung über den Anfangstermin
des neuen Jahrhunderts nicht unterlassen, da von den ver-
schiedensten Seiten in ernsthafter Weise darüber debattiert
wurde. Wir bringen deshalb die vortrefflichen Ausführungen
unseres Mitgliedes, Prof. G. SCHUBRING,!) über diese Frage
hier zum Abdruck.
Es kommt in erster Linie darauf an, festzustellen,
welehen Sinn der Fragende mit dem Ausdrucke „neues
Jahrhundert“ verbindet. Ein Jahrhundert, das heisst ein
Zeitabschnitt von hundert Jahren, kann ja selbstverständlich
zu jeder beliebigen Zeit, also auch am 1. Januar 1900 be-
gonnen werden. Wenn aber mit dem „neuen Jahrhundert“
das 20. Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung gemeint
sein soll, so unterliegt es keinem Zweifel, dass das „neue
Jahrhundert“ erst am 1. Januar 1901 beginnen kann. Das
Jahr 1900 gehört noch zum 19. Jahrhundert, welches selbst-
verständlich erst dann abgelaufen sein wird, wenn vom
Anfange der christlichen Zeitrechnung an gerade 1900 Jahre
verflossen sind. Den Anfang aber bildet wie bei jeder
Zeitreehnung das Jahr 1 und nicht ein Jahr 0, welches es
!) Das neue Jahrhundert und der christliche Kalender. Beilage
zum Jahresbericht 1899/1900 des königl. Realgymnasiums zu Erfurt.
412 Kleinere Mitteilungen.
in der Chronologie niemals und nirgends gegeben hat, weder
im Altertum, noch in der neuen Zeit.
Der Begründer der christlichen Zeitrechnung war der
Abt Dionysıus Exi@uus, ein Skythe, der um das Jahr 530
lebte und die Zeit der Mensehwerdung Christi, so gut er
konnte, zu bestimmen suchte: er fand dafür das Jahr 754
der römischen Zeitrechnung (nach VArRo). Wahrscheinlich
betrachtete er aber nicht den Tag der Geburt Christi, den
die Kirche damals schon auf den 25. Dezember angesetzt
hatte, sondern den Tag der Verkündigung Mariä, das heisst
also den 25. März des genannten Jahres, als den Ausgangs-
punkt (Epoche) seiner Zählung. Darauf kommt aber nichts
an, jedenfalls galt dieses Jahr als das „erste Jahr Christi“,
von ihm aus zählte man die Jahre weiter als das 2., 3.,
4. Jahr ab incarnationee Man bediente sich also der
Ordnungszahlen, nicht der Grundzahlen, wie ja nach der
Meinung namhafter Psychologen die Ordnungszahlen dem
schlichten Denken näher liegen als die sogenannten Grund-
zahlen. Später gebrauchte man auch Ausdrücke wie: Im
325. Jahre des Heils oder der Gnade (yratiae) oder im
825. Jahre des Herrn (anno domini). Es entsprach dies
genau der Art und Weise, wie die Alten die Jahre der
Regierung eines Kaisers oder Königs zählten. Wenn näm-
lich ein Regent in die Mitte oder gegen Ende eines Jahres
zur Regierung gelangte, so pflegte man doch das ganze
Jahr seiner Regierung zuzurechnen; mit dem Anfange des
nächsten Kalenderjahres begann man dann das 2. Jahr seiner
Regierung. Belege dafür findet man in dem Handbuch der
Chronologie von IDELER, Bd. I, S. 118&—119.
Nachdem die Dionysische Aera grössere Verbreitung
gefunden hatte, dehnte man sie auch auf die Zeit vor
Christi Geburt aus: Das Jahr 753 der Stadt Rom wurde
das erste Jahr vor Christo genannt; 752 also das 2. Jahr
vor Christo ete. Ein Jahr Null anzunehmen, daran dachte
niemand, der Begriff „Null“ lag damals den meisten
Menschen ganz fern.
Der Ausdruck „Jahre nach Christi Geburt“ wurde erst
sehr spät in Anwendung gebracht; er hat einige Verwirrung
angerichtet, weil er zu der Meinung verführte, dass das
Kleinere Mitteilungen. 415
Jahr 1 nicht das erste Jahr sei, in dem Christus gelebt
hat, also nicht das Geburtsjahr, sondern das erste Jahr
nach seiner Geburt. Christus könne doch, so sagte man,
nieht im ersten Jahre nach Christi Geburt geboren sein,
und deshalb müsse man das sogenannte 1. Jahr nach Christi
Geburt eigentlich als das 2. Jahr betrachten ete. Auf diese
Weise kam man dazu, das Jahr 1899 als das 1900. an-
zusehen.
Die Verwirrung wurde noch erhöht durch die Benutzung
der Grundzahlen an Stelle der Ordnungszahlen: man meinte
die Jahreszahlen könnten als Grundzahlen nur die abge-
laufenen, nieht die laufenden Jahre zählen; man berief sich
dabei auf die Uhr und die Stundenzählung. Um die Halt-
losigkeit dieses Einwandes zu erkennen, braucht man aber
nur an die Bezeiehnung von Monat und Monatstag durch
Ziffern zu denken: der 2. 9. 1870 ist der 2. Tag des 9. Monats
im 1870. Jahre der ehristlichen Zeitreehnung. Es ist also
vollständige Uebereinstimmung in der Zählung der Jahre,
Monate und Tage vorhanden; bei den Stunden wird aller-
dings meistens in anderer Weise gezählt, denn nur selten
sagt man „in der 6. Stunde“ (statt 5 Uhr 20 Minuten oder
5 Uhr 40 Minuten), doch ist auch diese Ausdrucksweise,
z. B. hier in Erfurt, nicht ganz unbekannt. — Es giebt
übrigens noch viele andere Fälle, in denen man Grund-
und Ordnungszahlen in gleichem Sinne, genauer gesagt, in
denen man die Grundzahlen statt der Ordnungszahlen ge-
braucht: So sagt man z. B. meistens: auf Seite 12 statt auf
der 12. Seite, ebenso sagt man: er wohnt Marktstrasse 6,
oder auf Zimmer 9, oder er dient im Regiment 71; man
bestellt sich auch aus der Bibliothek das Buch 3751 ete.,
obgleich in allen diesen Fällen die Ordnungszahl mehr am
Platze wäre als die Grundzahl. Wie in allen diesen Fällen
ist es auch bei der Zählung der Jahre ganz gleichgiltig,
ob man Grund- oder Ordnungszahlen anwendet; jedenfalls
ist es unzulässig, aus der Verwendung der Grundzahlen an
Stelle der Ordnungszahlen irgend welche Schlüsse zu ziehen.
Weitere Veranlassung zu Verwirrungen in der Zählung
der Jahre gab der Umstand, dass der von Julius Cäsar
festgesetzte Jahresanfang (der 1. Januar) in der christlichen
414 Kleinere Mitteilungen.
Kirehe nicht überall beibehalten, sondern das neue Jahr an
einigen Orten am 25. März, an anderen zu Ostern oder zu
Weihnachten angefangen wurde: Karl der Grosse wurde am
25. Dezember 800 gekrönt, dieser Tag galt jedoch als erster
Tag des Jahres 801, daher wurde die Krönung mitunter
auf Weihnachten 801 angesetzt. — Die Nachbarstädte Pisa
und Florenz begannen beide das Jahr am 25. März, unter-
schieden sich aber in der Zeitrechnung um ein Jahr. —
Diese und ähnliche Unsicherheiten verschwanden erst im
18. Jahrhundert. — Dagegen besteht immer noch keine voll-
kommene Sicherheit über das wahre Geburtsjahr und den
wahren Geburtstag Christi; die Annahme des 25. Dezember
(in Rom seit dem Jahre 354) beruht mehr auf dogmatischen
als auf historischen Gründen.
Auf alle diese Dinge kommt aber bei der Beantwortung
unserer Frage gar nichts an; die Hauptsache ist, dass die
christliche Zeitrechnung wie jede andere mit dem Jahre 1
beginnt. Demnach ist das erste Jahrhundert mit dem Jahr
100 vollendet, und die Säkularjahre bilden jedesmal den
Schluss der Jahrhunderte, denen sie den Namen gegeben
haben.
Man braucht aber, wie schon im Eingang bemerkt, mit
dem Worte „Jahrhundert“ nicht den streng chronologischen
Begriff zu verbinden, denn jeder Zeitabsehnitt von hundert
Jahren ist natürlich ein Jahrhundert. Z. B.: Die Stadt
Erfurt kam am 22. August 1302 unter preussische Herrschaft,
sie wird also im Jahre 1902 das erste Jahrhundert ihrer
Zugehörigkeit zum preussischen Staate abschliessen und das
zweite beginnen; da man von der Unterbrechung durch die
französische Herrschaft jedenfalls absehen kann, wird man
bei dieser Gelegenheit sicher eine entsprechende Jubelfeier
veranstalten. — Solche Jubelfeste feiert man ja aller Orten
zum Andenken an Schlachten und Siege, an Geburtstage
bedeutender Männer, an die Gründung von Universitäten,
Sehulen und anderen Anstalten, kurz an die verschieden-
artigsten denkwürdigen Ereignisse. Warum sollte man nicht
auch den hundertjährigen Gebrauch der beiden Ziffern 18
als Anfangsziffern der Jahreszahlen und ihren Ersatz durch
19 festlich begehen? Ein wichtiger Moment war das gewiss,
. Kleinere Mitteilungen. 415
nieht nur für Bureaubeamte und Geschäftsleute, die von
diesem Zeitpunkte an neue Stempel und neue Formulare in
Anwendung bringen mussten, sondern auch für jedermann,
der Briefe schreibt, Tagebücher führt und dergleichen. In
diesem Sinne hat also auch am 1. Januar 1900 ein neues
Jahrhundert begonnen.
Ueber Sonnenuhren. In den Mitteilungen der Natur-
forschenden Gesellschaft zu Bern (Nr. 1436—1450, S. 106 ff.)
gab vor einiger Zeit J. H. Grar einen interessanten Bericht
über Sonnenuhren, dem wir folgendes entnehmen. Das
Berner Museum besitzt mehrere Taschen-Sonnenuhren,!)
die nach zwei verschiedenen Prinzipien konstruiert sind.
Die einen bestehen:
1. aus dem sogenannten Stundenring mit der Einteilung
in Stunden, einem Querstabe mit einer Spitze;
2. dem Quadranten mit einer Einteilung von 0—90°;
3. einem Kompass mit Einteilung von 0—180°; in der-
selben ist die magnetische Deklination für damals = 19°
angegeben.
4. Daran befindet sich noch ein Bogen mit einem Loch,
in welehem ein kleines Loth aufgehängt werden kann,
einesteils zum visieren, anderenteils zum kontrollieren der
Stellung des Apparates. Der Verfertiger eines konstruierten
Apparates, der Augsburger Kompassmacher JoH. GEORG
Vo&LER giebt dazu folgende Gebrauchsanweisung: Erstlich
hebet man den Stundenring in die Höhe, schliesst solchen
vermittelst des Einschnittes an demselben, mit dem Quadranten
aneinander, richtet dann den Ring auf den beliebigen Grad
der Polus-Höhe nach dem Quadranten, sodann drehet man
den Compass in der Sonnen-Schein so lang, bis Pfeil auf
Pfeil stehet, oder die bewegliche Magnetnadel just auf den
gestochenen Pfeil weiset, welehe unten auf der gestochenen
Magnet-Blatte befindlich, so wird der Zeiger in den Ring,
welcher vom 23. Mertz an bis zum 23. Sept. aufrecht von
1) Solche Taschenuhren nannte man ursprünglich „Kompass“, d.h.
Mitgänger, eine Bezeichnung, die im Laufe der Zeit auf die mit der
Sonnenuhr verbundene Magnetnadel überging.
416 Kleinere Mitteilungen.
dar an, oder im Winter unter sich muss gerichtet sein, die
rechte Zeit und Stunde anzeigen. Der Perpendieul dienet,
den Compass wasserrecht oder horizontal zu stellen; auch,
so der Compass recht weisen soll, muss er nicht nahe dem
Eisen gestellt werden.
Ein etwas abweichendes System stellt eine silberne
Taschensonnenuhr dar. Es findet sich der übliche Kompass
mit den 4 Hauptriehtungen und der Deklinationsabweichung,
dazu der Stundenring mit Einteilung von 2.3...12.1...9
nebst Zeiger. Der Stundenring aber kann durch einen
kleinen zweiten Zeiger, der sich über eine kreisförmige
Einteilung bewegt, auf alle Polhöhen von 35°—65° gestellt
werden, sodass die riehtige Stellung des Stundenringes auf
die bequemste Art und Weise hervorgebracht werden kann.
Auf der Rückseite sind die Polhöhen einer Reihe von
deutschen, schweizerischen, französischen, spanischen und
italienischen Städten angegeben.
Ein ganz anderes System zeigen kleine silberne Sonnen-
uhren Pariser Herkunft. Wie bei den früheren Systemen
ist ein Kompass mit einfacher Windrose vorhanden. Die
bewegliche Nadel muss auf den Zeiger der Windrose ge-
stellt werden. Auf der ebenen Oberfläche des Instrumentes
finden wir eine vierfache Skala für die Hauptpolhöhen 40,
45, 50, 55. Dazu gehört ein umlegbarer Zeiger mit Spitze
und den obigen Polhöhen entsprechender Einteilung von
40 — 60°.
Von Garten-Sonnenuhren beschreibt GRAF zwei
Arten. Die sogenannten Kugel-Sonnenuhren sind irdene
Kugeln, die in einem Durchmesser durchbohrt sind, sodass
man sie auf einen Stab aufsteeken konnte, den man in den
Garten stellte. Auf der Kugel sind zwei Hauptkreise an-
gebracht.
1. Ein breiter Kreis, weleher durch die Ekliptikpolaxe
seht, dessen Ebene mit der durch den Stab markierten Linie
einen Winkel von ca. 23° bildet.
2. Senkrecht dazu ein breites Band, welches die
Stundenmarkierung enthält und wo bei einer Kugel jede
Stunde noch in halbe, bei einer zweiten Kugel in viertel
eingeteilt ist.
Kleinere Mitteilungen. 417
Dazu gehört ein bewegliches mondsichelförmiges Blech,
welches mit seinen Enden an der Ekliptikaxe befestigt
und um dieselbe drehbar ist.
Beim Gebrauche wurde dieses Blech auf die Marke
12 Uhr gestellt und warf dann einen Schatten, der zuerst
die Vormittagsstunden, hernach diejenigen des Nachmittags
anzeigte. —
Eine sonderbare Art ist die Vereinigung einer ganzen
Reihe von Sonnenuhren zu einer Kolonie. Auf der Vorder-
seite eines entsprechend behauenen Sandsteinklotzes befinden
sich acht, auf der Rückseite sieben, auf den Schmalseiten
je drei verschiedene Sonnenuhren, die als gegenseitige Kon-
trolle dienen konnten; es sind horizontale und vertikale
Sonnenuhren.
Chemie und Physik.
Die Riechstoffe aus den Gruppen der Ketone, der
Phenole und der Säuren. Von den Ketonen kommen als
brauchbare Riechstoffe besonders die eyklischen Verbind-
ungen der Terpenreihe in Betracht. Zu dieser gehört der
gewöhnliche Kampher, dessen wahrscheinlichste, wenn
auch vielumstrittene chemische Formel von J. BREDT!) auf-
gestellt worden ist. Die Gewinnung des Laurineenkamphers
durch Destillation von Wurzeln, Holz und Zweigen des
Kampherbaumes (Cinamonum Camphora oder Laurus Cam-
phora L.) mit Wasserdampf findet in Japan an Ort und
Stelle statt; ausser Rohkampher wird bei dieser Destillation
gleichzeitig Kampheröl gewonnen, das Rohmaterial für die
Safroldarstellung.
Hervorzuheben ist sodann aus dieser Gruppe das Iron
und Jonon, Riechstoffe, welche in den letzten Jahren ein
ganz besonderes theoretisches und praktisches Interesse ge-
wonnen haben. Iron bildet den von Tiemann und KRÜGER?)
isolierten Riechstoff der Veilchenwurzel (Iris florentina),
1) Berichte 26, 3049.
2) Berichte 26, 2679; D. R. P. Nr. 72 840.
Zeitschrift f, Naturwiss. Bd. 73, 1900. DI
418 Kleinere Mitteilungen.
während das Jonon eine dem Iron isomere, sehr ähnlich
konstituierte Verbindung darstellt, deren Herstellung aus
Citral und Aceton bekanntlich Tiemann gelungen und der
Firma HAARMANN & REIMER in Holzminden geschützt ist.!)
Aus Citral und Aceton bildet sich zunächst Pseudo-Jonon.
Dieses ungesättigte Keton mit offener Kette geht dann unter
dem Einfluss verdünnter Schwefelsäure in das eyklische,
veilchenartig riechende Jonon über. Obwohl nicht identisch
mit der noch unbekannten Verbindung, welche den Geruch
der blühenden Veilehen veranlasst, hat dieser sehr charakte-
ristische Riechstoff in der Parfümerie einen ausserordent-
lichen Erfolg gehabt, der sich ebenbürtig an die Seite stellt
der Aufklärung und künstlichen Darstellung des riechenden
Prinzipes der Vanillenschote.
Von den Phenolen und Phenoläthern nenne ich das
Guajaecol, den Träger des Juchtenparfüms im Birkentheeröl.
Dann das Anethol, den Hauptbestandteil des Anisöles,
welchem der Same von Pimpinella Anisum, der namentlich
in Russland viel angebaute Anis,?2) seinen Geruch und Ge-
schmack verdankt. Aus fast reinem Anethol (ea. 90 %,)
besteht das in China und Tonkin aus den Ilhieium-Früchten
gewonnene Sternanisöl (Badian). In reinem Zustande bildet
das Anethol eine weisse, bei 21° schmelzende Krystallmasse.
Zur Darstellung von Anisaldehyd dient es als hauptsäch-
liehstes Ausgangsmaterial.
Das weniger zu Parfümeriezwecken als zu Desinfektions-
zweeken verwandte Thymol findet sich vornehmlich im
Thymianöl von T’hymus vulgaris, während das Eugenol
dem Nelkenöle, dem ätherischen Oele der Gewürznelken,
den gewürzigen Charakter verleiht. Die an der Luft ge-
troekneten Blüten des Nelkenbaumes (Caryophyllus aroma-
ticus L.) gehören zu den ältesten bekannten Gewürzen, und
das aus ihnen schon im 15. Jahrhundert destillierte Nelkenöl
nimmt dementsprechend einen wichtigen Platz unter den
ätherischen Oelen ein als Geschmacks- und Geruchsstoft.
1) D. R.P. Nr. 73089, Nr. 75.062, Nr. 75120.
2) Die russische Ausfuhr an Anis beträgt durschnittlich 2"/, Mill. kg
im Werte von rund 450000 Rubel.
Kleinere Mitteilungen. 419
Der Hauptträger dieser Eigenschaften, das Eugenol, hat in
neuerer Zeit eine erhöhte Bedeutung dadurch gewonnen,
dass es das beste, ja zur Zeit das einzige Ausgangsmaterial
ist für Darstellung des künstlichen Vanillins. Der Preis der
Zanzibarnelken ist von 310 Mk. pro 100 kg im Jahre 1876
auf 53 Mk. im Jahre 1897 gesunken. Diesem Verhältnis
annähernd entsprechend ist auch das Nelkenöl, für welches
1876 noch 24 Mk. pro Kilogramm bezahlt wurden, im Preise
gefallen.
Schliesslich sei noch des Safrols Erwähnung gethan
als eines viel verwandten und billigen Seifenparfüms, welches
in grossem Massstabe aus dem Kampheröl gewonnen wird.
Dem 8-Naphtolmethyläther, sog. Nerolin, kommt
als Riechstoff nur eine sehr beschränkte Bedeutung zu.
Die Gruppe, welche Säuren und Säureanhydride
umfasst, enthält nur einen wichtigeren Riechstoff: das
Cumarin. Dieses Anhydrid der Cumarsäure oder 0-Oxy-
zimmtsäure!) verleiht bekanntlich dem Waldmeister (As-
perula odorata) sein Aroma; es findet sich auch in einer
Anzahl anderer Pflanzen, z. B. im Steinklee (Trifokum me-
Iklotus), in der Grasart Anthoxanthum odoratum (Ruchgras)
und in verhältnismässig grösserer Menge, zu 1!/,°/,, in der
Frucht von Dipterix odorata, der Tonceobohne (Tonkabohne).
Die Toneobohnen dienten früher zur Darstellung des Cu-
marins.?) Jetzt aber wird dieser Riechstoff allgemein syn-
tetisch dargestellt, und zwar nach Perkın’s?) Methode aus
Salieylaldehyd, Essigsäureanhydrid und Natriumacetat. Das
Cumarin findet vielfache Anwendung zur Parfümierung von
Tabak, ebenso in der Toiletteseifenfabrikation.
Dr. E. Erdmann, Halle a. S.
Die Kalkverbindungen der Ackererden und die
Bestimmung des assimilierbaren Kalkes im Boden.
In den landwirtschaftlichen Jahrbüchern von 1900, Heft VI,
ı) Fittig, Zeitschrift f. Chemie. N.F. 1868, 595. Ann. 153, 360.
2) Wöhler, Ann. 98, 66.
®) W.H. Perkin, Chem. Soc. J. 6, 53; Ann. 147, 230; Berichte
8, 1599.
27%
420 Kleinere Mitteilungen.
erschien eine grössere Abhandlung über eine Reihe von
Untersuchungen auf dem Gebiete der Bodenkunde und
Pflanzenernährung, deren Ergebnisse hier ganz kurz wieder-
gegeben werden mögen.
Es wurden zunächst eingehende Untersuehungen über
die verschiedenen Formen des Kalkes im Boden und über
das Vorkommen derselben in den verschiedenen Korngrössen
ausgeführt.
Die Resultate wurden zur Beantwortung von folgenden
Gesichtspunkten herangezogen:
1. Giebt es Beziehungen zwischen abschlämm-
baren Teilen und Kalkgehalt eines Bodens? Es er-
gab sich aus den Untersuchungen, dass im allgemeinen der
Kalkgehalt bei den einzelnen Böden erheblich schwankte,
dass aber im Grossen und Ganzen die an abschlämmbaren
Teilen reieheren Böden auch einen wesentlich höheren Kalk-
sehalt aufwiesen.
Es enthielten die leiehten Böden (mit 2,3 — 12,20),
abschl. Teilen) einen durehschnittlichen Kalkgehalt von
0,333 0/,, die schweren Böden einen solehen von 0,649 /,.
In Bezug auf die Magnesia enhielten die leiehten Böden
im Mittel 0,093 °/,, die schweren 0,588 /,.
2. Die Beziehungen zwischen Kohlensäurege-
halt eines Bodens zum Kalkgehalt und zu den ab-
schlämmbaren Teilen.
Von den 26 auf Kohlensäure untersuchten Proben ent-
hielten 22 Erden einen Kohlensäuregehalt von:
im Minimum 0,0209,
„ Maximum 0,076 „
„ Mittel 0,045 „
Nur 4 Erden zeigten einen höheren Kohlensäuregehalt
von 0,168—0,350 /y.
Böden mit gleiehem Kohlensäuregehalt können sich
ganz verschieden in Bezug auf ihren Kalkgehalt verhalten.
Ergiebt die Analyse einen ansehnlichen Gehalt an Kohlen-
säure, so darf man auf einen relativ hohen Kalkgehalt
schliessen, ist aber der Kohlensäuregehalt ein niedriger, ist
‚Kleinere Mitteilungen. 421
man noch keineswegs berechtigt, einen geringen Kalkgehalt
in dem betreffenden Boden anzunehmen.
Es waren vorhanden von 100 Teilen Gesamtkalk in
Form von kohlensaurem Kalk:
Leichte Böden Schwere Böden
Minimum 3,6 Teile
Maximum . . . 45,1 SRH
Nittel aa 19,1
”
3. Die humussauren Verbindungen des Bodens.
Die noch vielfach vertretene Ansicht, dass bei Abwesenheit
von kohlensaurem Kalk im Boden, aber einem ansehnlichen
Kalkgehalte es namentlich humussaure Verbindungen seien,
in denen sich dann der Kalk vorfinde, gab zu eingehenden
Untersuchungen hierüber Veranlassung. Doch es zeigte sich
nun, dass von 26 Bodenarten ausser dem Moorboden nur
3 Böden vorkamen, in denen humussaure Verbindungen über-
haupt nachzuweisen waren.
Dieselben waren aber stark durchsetzt mit braunkohlen-
haltigem-Sande und müssen daher ausser Betracht gelassen
werden.
Wir kommen daher zu dem Ergebnis, dass in normalen
Böden nennenswerte Mengen humussaurer Verbindungen
nieht vorkommen. Im Moorboden dagegen kann der grösste
Teil des Kalkes im Form von humussaurem Kalk vor-
handen sein.
4. Die Löslichkeit des Kalkes in verdünnter
Salzsäure. Von 100 Teilen im Boden vorhandenem Kalk
waren in 2°/,iger Salzsäure löslich:
Leichte Böden Schwere Böden
Minimum . . . 889 66,6
Maximum . . . 923,0 90,2
Mittelay 3,.02..32.68:9 78,4
Hieraus ergiebt sich also, dass von 100 Teilen Gesamt-
kalk dureh 2°/,ige Salzsäure bei den schweren Böden im
Minimum fast um das doppelte mehr Kalk in Lösung ging,
als bei den leichten, nämlich 66,6 gegen 38,5. Dagegen
liegt das Maximum der von 100 Teilen Kalk durch 2 %/, ige
422 Kleinere Mitteilungen.
Salzsäure gelösten Mengen bei den leichten Böden nur um
ein Geringes höher als bei den schweren.
Es besteht demnach zwischen Löslichkeit des Kalkes
in verdünnten Säuren nnd abschlämmbaren Teilen kein Zu-
sammenhang. |
Weitere Untersuchungen ergaben, dass die Ursachen
für die verschiedene Löslichkeit des Kalkes in verdünnter
Säure in der betreffenden Form zu suchen ist, in der der
Kalk im Boden vorkommt.
5. Die Verteilung der verschiedenen Kalkformen
auf verschiedene Korngrössen des Bodens.
Um über die Verteilung des Kalkes auf die verschie-
denen Korngrössen Aufschluss zu erhalten, wurde Staub,
Feinerde und Gesamtboden analysiert. Als Extraktions-
mittel diente hierzu konzentrierte Salzsäure.
Von 100 Teilen Kalk waren nun vorhanden:
in den Korngrössen
> 0,2— 6 mm im Feinsand im Staub
Minimum >... 2. — — 11,8
Maximum 202225628 69,6 91,3
Mittel or 21,6 54,3
Es enthielten:
Leichte Böden Schwere Böden
Min. Max. Mittel Min. Max. Mittel
i. d. Korngrössen
092 6mm. len vo 228 „2. Mare ne
ım Feinsand . . 09 696 27,1 — 3086 11,7
mu Staubr 2 02...0110977844, 7393 598 91,3 811
6. Die im Boden vorkommenden verschiedenen
Kalkverbindungen.
Hierüber ist folgendes zu berichten:
a) Der CO,-Gehalt der von uns untersuchten Böden
ist sehr gering, so dass der Gehalt an kohlen-
saurem Kalk nur teilweise einen kleinen Prozent-
satz vom Gesamtkalkgehalte ausmacht.
b) Der Gehalt dieser Böden an Schwefelsäure bezw.
schwefelsaurem Kalk ist im allgemeinen eben-
falls nur verhältnismässig niedrig.
- Kleinere Mitteilungen. 423
ec) In Bezug auf die Phosphorsäure des Bodens
haben wir leider keinen Anhalt, welehe Mengen
an Kalk und wieviel an Eisen und Thonerde
gebunden ist.
d) Die im Verhältnis zum Gesamtkalkgehalte in
verdünnter Säure löslichen Kalkmengen standen
in keiner Beziehung zum Kohlensäure-, Schwefel-
säure und Phosphorsäuregehalt des Bodens.
e) In vielen Fällen waren in 20/,iger Salzsäure schon
90%/, der gesamten Kalkmenge des Bodens löslich.
Wenn nun einerseits in 2°%/,iger Salzsäure schon der
grösste Teil des Kalkes löslich ist, und die im Boden er-
mittelte Menge an Kohlensäure, Schwefelsäure und Phosphor-
säure nur zum geringeren Teil ausreicht, den ganzen Kalk
zu binden, andererseits die Anwesenheit von Aetzkalk im
Boden nieht angenommen werden kann, so sind es un-
zweifelhaft leicht zersetzbare Silikate, an die der Kalk
gebunden sein muss.
Die Untersuchungen bestätigten dies in vollem Masse.
Auch bei fast völligem Zurücktreten des kohlensauren Kalkes
in den an abschlämmbaren Teilen reichen Böden ist viel-
fach der grösste Teil des Kalkes in Form leichtzersetzbarer
Silikate vorhanden.
Es ergab sich ferner aus den Untersuchungen die inter-
essante Thatsache, dass wir mit der Zunahme der abschlämm-
baren Teile eines Bodens keineswegs eine unwirksame Form
des Kalkes im Boden annehmen dürfen.
Es schien nun ferner von Wichtigkeit, Kulturversuche
mit sämtlichen in der Natur auftretenden, sowie mit den in
Form künstlicher Düngemittel dem Boden einverleibten Kalk-
verbindungen anzustellen und den vergleichenden Wert für
die Ernährung der Pflanzen zu prüfen.
Von den angewandten Düngemitteln ergaben sämtliche,
mit Ausnahme des Gipses, einen Mehrertrag gegenüber un-.
sedüngt. Es wurde der Ernteertrag gegenüber ungedüngt
herabgedrückt:
durch 2g Gips um 1,6%,
424 Kleinere Mitteilungen.
Eine Menge von 2 g Gips zeigte schon eine ungünstige
Wirkung auf das Pflanzenwachstum. Bei noch höheren
Gaben sank der Ertrag proportional der angewandten Menge.
Wodureh die zur Anwendung gekommene Menge yon
Gips schädlich gewirkt hat, liess sich ohne weiteres keines-
wegs aus den Versuchen ersehen. Die fortgesetzten Versuche
hierüber sind noch nieht abgeschlossen, so dass wir uns
einstweilen mit der Konstatierung der Thatsache begnügen
müssen.
Die günstigste Wirkung zeigte der kohlensaure Kalk.
Eine Ueberlegenheit des Aetzkalkes gegenüber dem kohlen-
saurem Kalke war nicht zu konstatieren.
Die vielfach beobachtete bessere Wirkung des Aetz-
kalkes gegenüber dem kohlensauren Kalk ist höchst wahr-
scheinlich in der Hauptsache auf die feinere Verteilung
desselben zurückzuführen.
Dennoch wird unstreitbar für viele Böden der Aetzkalk
dem kohlensauren Kalke vorzuziehen sein wegen der Ver-
besserung der mechanischen Beschaffenheit der betreffenden
Böden.
Günstig hat nun entschieden die gebrannte bezw. kohlen-
saure Magnesia auf die Entwicklung der Leguminosen gewirkt.
Während dort, wo kohlensaurer Kalk angewandt worden
war, im Mittel 4,53 & Leguminosen geerntet wurden, erfolgte
bei Anwendung von Dolomit eine Produktion von 9,90 8.
Dieselbe Mehrproduktion trat auch ein, wenn die Hälfte
gebrannter Kalk durch gebrannte Magnesia ersetzt wurde,
nämlich 8,45 gegen 6,65 g.
Besonders günstig wirkte die kohlensaure Magnesia nach
Versuchen der Versuchsstation Halle auf Wieken und Pferde-
bohnen ein.
Es können diese Zahlen noch keineswegs dazu dienen,
den Wert der kohlensauren Magnesia für die Pflanzen-
ernährung endgiltig festzustellen, vielmehr sind hierzu noch
weitere Versuche erforderlich. Namentlich in welcher Weise
die kohlensaure Magnesia bei ausreichenden Mengen von
kohlensaurem Kalk einen günstigen Einfluss auf das Pflanzen-
wachstum ausübt, hat bis jetzt noch nieht ermittelt werden
können,
Kleinere Mitteilungen. 425
Von den Phosphaten hat das Thomasmehl am günstigsten
gewirkt.
Am niedrigsten in der Wirkung zeigte sich das wasser-
lösliehe Monoealeiumphosphat. Der Grund hierfür liegt ent-
schieden in der sauren Beschaffenheit dieses Düngemittels.
Die zur Anwendung gelangten Zeolithe, Apophyllit und
Seoleeit zeigten ebenfalls eine vortreffliche Wirkung.
Die im Boden vorhandenen, leicht zersetzbaren Silikate
werden möglicher Weise noch diese krystallinischen, wenn
auch fein gepulverten Zeolithe in ihrer Wirkung überragen
und sieh somit vielleicht den Karbonaten gleich stellen.
Die Ergebnisse von Vegetationsversuchen über die
Wirkung der Kalkverbindungen verschiedener Bodenarten
waren folgende.
1. Die in konzentrierter Salzsäure löslichen Kalkmengen
des Gesamtbodens, der Feinerde und des Staubes, im Ver-
hältnis zu den gewonnenen Erträgen bezw. zu den durch
die Pflanzen dem Boden entzogenen Kalkmengen.
Der im Gesamtboden durch konzentrierte Salzsäure er-
mittelte Kalkgehalt steht in keinem Zusammenhange mit
den von Roggen bezw. Senf dem Boden entzogenen Kalk-
mengen resp. Erträgen an lufttrockner Substanz.
2. Ueber den Zusammenhang zwischen den durch 2-, 5-
und 10°/,ige Salzsäure ermittelten Kalkgehalt des Staubes
verschiedener Ackererden und den diesen Böden durch die
Pflanze entzogenen Kalkmengen bezw. den gewonnenen Er-
trägen.
Die Untersuehungen zeigten, dass mit zunehmendem
Kalkgehalte weder der gewonnene Ertrag, noch die dem
Boden durch die Pflanzen entzogenen Kalkmengen in Ein-
klang zu bringen sind.
3. Kann der Gehalt eines Bodens an Kohlensäure, bezw.
kohlensaurem Kalk uns Aufschluss über die Kalkbedürftig-
keit eines Bodens geben ’?
Es ist zunächst zu bemerken, dass nicht in allen Fällen
der wirkliche Gehalt an Kohlensäure ermittelt wird, sondern
in vielen Fällen ein höherer. Namentlich ist die von anderer
Seite vorgeschlagene Methode zur Bestimmung der Karbonate
durch Destillation mit Chlorammon gänzlich zu verwerfen.
426 Kleinere Mitteilungen.
Es giebt nun aber auch der wirkliche Gehalt eines
Bodens an Kohlensäure nach unseren Untersuehungen über-
haupt keinen Aufschluss über die für die Pflanzenernährung
in Betracht kommende Kalkmenge. Daher ist die Methode
der Kohlensäurebestimmung zur Ermittelung des assimilier-
baren Kalkes im Boden nicht brauchbar.
Betreffs der Aufnahme der Magnesia ist zu erwähnen,
dass ebenso wenig wie beim Kalk ein Zusammenhang
zwischen dem Magnesiagehalt der Böden und den dureh
die Pflanzen diesen Böden entzogenen Mengen besteht. Es
ergab sich, dass der Magnesiagehalt eines Bodens lange
nieht so hoch zu sein braucht, wie der Kalkgehalt desselben.
So konnten bei verschiedenen mit 0,070 bezw. 0,088 /, im
konzentrierter Salzsäure löslicher Magnesia dureh alleinige
Kalkdüngung ohne gleichzeitige Anwendung von Magnesia
Maximalerträge an Roggen gewonnen werden, während ein
Kalkgehalt von 0,175 bezw. 0,167 °/, nur eine kaum mittlere
Ernte produzieren konnte. Es schien uns daher nicht nötig,
eine Methode zur Bestimmung der assimilierbaren Magnesia
im Boden in Angriff zu nehmen.
Um so notwendiger zeigte sich aber die Inangriffnahme
einer Methode zur Ermittelung des assimilierbaren Kalkes
im Boden, denn die bisherigen Verfahren der Kalkbestimmung
erwiesen sich als für viele Fälle nicht brauchbar.
Da wir hier auch von einer Beschreibung der zahl-
reichen anderen Methoden, bei welchen keine Mineralsäuren
zur Anwendung kamen, absehen müssen, so geben wir nun-
mehr unsere in dieser Richtung gemachten Untersuchungen
wieder.
Es hatten schon frühere Betrachtungen gezeigt, dass in
vielen Böden der grösste Teil des Kalkes in Form leicht
löslieher Silikate vorkommen kann. Vegetationsversuche
hatten auch dies in ausreichendem Masse bestätigt.
Daher suchten wir nach einem Lösungsmittel, um die
wirksamen Kalkmengen in Lösung zu bringen, ohne die
schwer aufnehmbaren Formen erheblich anzugreifen. Das
salz- und salpetersaure Ammon erwiesen sich nun als aus-
gezeichnete Lösungsmittel.
Es mag hier erwähnt werden, dass schon 1887 dies
‚Kleinere Mitteilungen. 427
Verfahren von KELLNER vorgeschlagen worden ist, aber bald
wieder in Vergessenheit geriet.
Anfänglich wurde der Boden längere Zeit mit der
Ammonnitratlösung gekocht.
Das Kochen des Bodens mit Ammonnitratlösung erfordert
nun aber auch ein sorgfältiges stetes Ueberwachen und ist
mit verschiedenen Uebelständen verbunden. Verschieden
weit eingedampfte Lösungen geben unter Umständen schlecht
übereinstimmende Resultate.
Wir ersetzten nun das Kochen des Bodens mit Ammon-
nitratlösung durch dreistündiges Digerieren bei 100° auf dem
Wasserbade. Wir prüften nun zunächst, ob es nötig sei, wie
beim salzsauren Extrakt, die Lösung zur Abscheidung der
Kieselsäure und Oxydation der organischen Substanz einzu-
dampfen, sowie eventuell vorhandene Mengen von Phosphor-
säure abzuscheiden. Doch es zeigte sich, dass dies nicht
erforderlich war.
Der alten Methode gegenüber hat nun diese zunächst
eine bedeutende Vereinfachung voraus. Während es beim
salzsauren Bodenextrakt notwendig war, durch Eindampfen
Kieselsäure abzuscheiden und dann Phosphorsäure, sowie
Eisen und Thonerde auszufällen, kann hier in der direkten
Bodenlösung der Kalk gefällt werden, weil dieselbe kaum
nachweisbare Spuren von Eisen und T'honerde enthält, sowie
nicht bestimmbare Mengen von Phosphorsäure im Nieder-
schlage sich vorfinden.
Es möge die Methode hier nochmals im Zusammenhange
wiedergegeben werden.
25 & des durch ein 2 mm Sieb gehenden Bodens werden
mit 100 cem 10°%/,iger Chlorammonlösung in Kochflaschen drei
Stunden auf dem Wasserbade bei 100° digeriert. Nach er-
folgter Abkühlung wird die Lösung in einem 250 cem
fassenden Kolben übergespült, bis zur Marke aufgefüllt und
filtriert. 25 cem des Filtrats = 2,5 g Substanz werden mit
Wasser auf S0—90 eem verdünnt, mit Essig- oder Citronen-
säure schwach angesäuert und in der Siedehitze mit oxal-
saurem Ammon gefällt. Der Niederschlag wird nun genau
so wie bei jeder Kalkbestimmung behandelt. Für Moorböden
wird im Allgemeinen am zweckmässigsten eine Gesamt-
428 Kleinere Mitteilungen.
kalkbestimmung in dem veraschten Boden vorgenommen
werden, obgleich wir auch nach obiger Methode gute Resultate
erhielten. Für kalkreiehe Böden (Mergelböden), die mit
Säure stark aufbrausen, ist ebenfalls nur die Gesamtkalk-
bestimmung angebracht.
Der wesentliche Wert dieser Methode liegt nun natür-
lich darin, dass der Kalkgehalt des Bodens, nach obiger
Methode ermittelt, eine viel bessere Uebereinstimmung mit
den Erträgen bezw. den dureh die Pflanzen dem Boden ent-
nommenen Kalkmengen zeigt, wie die durch Salzsäure er-
haltenen Zahlen.
Es muss hier auf die tabellarische Zusammenstellung
der Originalarbeit natürlich verwiesen werden.
Wir untersuchten nun noch, ob die mechanische Be-
schaffenheit der Erden in Bezug auf den zu verlangenden
Kalkgehalt von Einfluss sei, nnd ob die teilweise vor-
herrschende Ansicht, dass für leichte Böden ein geringerer
Kalkgehalt notwendig ist, wie für schwere, sich aufrecht er-
halten lässt. Die Untersuchungen zeigten jedoch, dass der nach
obiger Methode ermittelte Kalkgehalt für leichte und schwere
Böden als gleichwertig anzusehen ist. Der für alle Böden
zu verlangende Kalkgehalt sollte nicht unter 0,20°/, betragen;
im allgemeinen ist 0,25°/, als ein normaler Kalkgehalt an-
zusehen. Dr. Diedrich Meyer.
Das Blau des Himmels und des Wassers. In den
letzten Jahren ist die Frage nach dem Zustandekommen
der blauen Färbung des Himmels und mancher Gewässer
von physikalischer Seite lebhaft diskutiert und auch wohl
zu einem gewissen Abschluss gebracht worden. Vor allem
war es Lord RAYLEIGH, der auf Grund theoretischer Be-
trachtungen zu der Anschauung kam, dass die Blaufärbung
des Wassers und der Luft nieht bloss eine Absorptions-
erscheinung ist, sondern auch durch Reflexion des Lichtes
an (im Verhältnis zur Wellenlänge) kleinen, im Wasser oder
in der Luft schwebenden festen Teilchen verursacht ist.
Die Luft enthält danach auch in den höheren Schichten
ausser den Gaspartikelehen noch suspendierte, sehr kleine,
Kleinere Mitteilungen. 429
feste Teilchen, durch die das Lieht eine Schwächung er-
leidet und derartig zerstreut wird, dass der Himmel im
tiefen Blau erscheint.
Eine Stütze für diese Anschauung erbringt neuerdings
PERNTER, der die Polarisation des Himmelliehtes und das
von trüben Medien zerstreute Licht bei verschiedener Färbung
untersuchte. Da die Polarisationsebene in allen Fällen die-
selbe war, so dürfte beim Himmelslicht die gleiche Ursache
wie beim zerstreuten Lichte trüber Medien vorhanden sein.
Auch Agese erklärt sich verschiedentlich für RAYLEIGR’s
Anschauung und weist gegenüber der Annahme von SPRING,
dass die Hauptursache der Blaufärbung in der selektiven
Absorption liegt, darauf hin, dass das von den Planeten
reflektierte Sonnenlicht niemals blau erscheint, dass der
Mond bei seinen Verfinsterungen sogar rot aussieht, obwohl
das Licht der Sonne dabei die Erdatmosphäre auf dem
Wege zum Monde in ihrer grössten Ausdehnung und dann
auf dem Wege zum Beobachter noch einmal passiert hat.
Die Wirkung des Lichtes bei tiefen Temperaturen.
Die Frage nach dem Wesen des Vorganges bei der Ent-
stehung des Bildes auf der photographischen Platte ist immer
noch nicht entscheidend beantwortet. A. und L. LuMIERE
glauben auf Grund des Verhaltens der belichteten Platten
bei starker Abkühlung, die Entstehung des latenten Bildes
auf einen chemischen Prozess zurückführen zu müssen. Sie
beliehteten sehr empfindliche, in flüssiger Luft versenkte,
Bromsilbergelatineplatten und fanden, dass die Liehtwirkung
bei — 191° so stark abgeschwächt war, dass die Exposi-
tionsdauer der Platten etwa 400 mal grösser sein muss als
bei gewöhnlicher Temperatur, sofern die Liehtwirkung eben-
so intensiv sein soll. Auch andere bei photomechanischen
Prozessen benutzte Substanzen büssten ihre Liehtempfind-
lichkeit um so mehr ein, je tiefer die Temperatur war, bei
welcher die Belichtung stattfindet.
430 Kleinere Mitteilungen.
Mineralogie und Geologie.
Die Lakkolithennatur des Brockens. Wir haben
schon früher darauf hingewiesen, dass Prof. LüDEckeE den
Broekengranit als Lakkolithen ansieht, d.h. als eine intru-
sive feuerflüssige Masse zwischen Sedimentschiehten (vergl.
Band 69, 1896, 8.95). Schon der Umstand, dass an den
Rändern des Granitmassivs die Gesteinsmasse viel fein-
körniger ist als in den mittleren Partieen, lässt sich nur so
erklären, dass der Granit an den Rändern, wo er in Kontakt
mit den anstehenden Gesteinen war, schneller erstarrte,
während die zentralen Massen sich nur langsam abkühlten
und dadurch den Krystallen zu kräftigerer Ausbildung Zeit
liessen. Vor allem ist es aber die kontaktmetamorphische
Zone der dem Granit auflagernden sedimentären Sehiechten,
die dafür sprechen, dass der Granit nachträglich emporge-
quollen ist und sich zwischen schon vorhandene Gesteins-
schichten eingedrängt hat. So ist die bekannte Achtermanns-
höhe ein Hütehen von (durch Kontakt) veränderter Grauwaecke
und am Rehberg lagert eine 200 m starke Schicht von
Grauwacke, die in einen festen Hornfels umgewandelt ist,
über dem Granit, der in die darüber liegende Gesteinsmasse
fingerförmige Fortsätze hineinschickt, ein Verhalten, das
völlig unverständlich ist, wenn wir den Granit als ursprüng-
liche Erstarrungskruste der Erde ansehen.
Jetzt ist es Prof. LüDEckE aber gelungen, einen neuen
Beweis und zwar einen endgiltigen zu erbringen. In der
Nähe von Ilsenburg fand er eine Stelle, an der auch das
Liegende des Granits freigelegt war. Die Natur des an-
grenzenden Gesteins musste natürlich für die Frage, ob der
Granit Erstarrungskruste oder Intrusivgestein ist, von ent-
scheidender Bedeutung sein. Es ergab sich nun aber genau
derselbe durch Kontaktmetamorphose entstandene Hornfels
als Unterlage, der 150 m höher der oberen Grenzschieht des
Granits am Meinekenberge auflagert. Damit dürfte jeder
Zweifel an der Lakkolithennatur des Brockengranits aus
der Welt geschafft sein, und man wird sich wohl nun all-
semein zu der Ansieht von Prof. LüpEckeE bekehren, der
zufolge ein dreimaliger Erguss von Granit stattgefunden
Kleinere Mitteilungen. 431
hat. Der erste bildete die Hauptmasse des Brockens, der
zweite die sogenannte gabbroide Facies des Brockens und
der dritte die Ilsenburger Granitmassen.
Sitz. der Naturf. Ges., 19. Mai 00.
Neue Erdbebenschwärme im Vogtlande. Im Anschluss
an den von uns im vorigen Hefte (S. 115—117) gebrachten
Bericht über Erdbeben im Königreich Sachsen teilen wir
heute nach einer soeben erschienenen Publikation HERMANN
CREDNER’S!) die wichtigsten Daten einer neuen Erdbeben-
periode derselben Gegenden mit.
Die 52tägige Sehütterperiode des Sommers 1900
setzt sich aus 2, durch eine makroseismische Unterbrechung
von fast 7 Tagen getrennten Erdbebensehwärmen von
sehr verschiedener Dauer zusammen.
Der erste und kürzere derselben hebt am 1. Juli an und
erlischt am 11. Juli, — die Erschütterungen des zweiten
Sehwarmes hingegen beginnen am 18. Juli und setzen sich
mit zum -Teil längeren Intervallen bis zum 21. August fort.
Jeder dieser beiden Erdbebenschwärme vollzieht sich
im allgemeinen wie folgt: Unterirdisches Donnern und Rollen
leitet dieselben ein, dann erfolgen während mehrerer Tage
zunächst einige wenige, später zahlreiehere, abwechselnd
schwache und stärkere Stösse, sowie unterirdische Geräusche,
bis sie in einem oder zwei Hauptstössen kulminieren. Nach
diesen beginnt eine mehr oder weniger rasche, manchmal
durch kürzeres Wiederaufflackern unterbrochene Abnahme
der Erbebungen. Die Zeitzwischenräume zwischen letzteren
werden grösser, tagelang tritt makroseismische Ruhe ein,
bis sich nach einem letzten mit schwacher Erschütterung ver-
bundenen unterirdischen Donnerrollen der Ruhestand wieder
einstellt.
In beiden Erdbebensehwärmen kommt demnach ein auf-
und abzuckendes Creseendo, ein Maximum und ein sprung-
1) Hermann Credner, Die vogtländischen Erdbebenschwärme
während des Juli und des August 1900. Bericht der mathematischen
physiologischen Klasse der Künigl. Sächsischen Gesellschaft der Wissen-
schaften zu Leipzig.
432 Kleinere Mitteilungen.
weises Deereseendo der seismischen Fibrationen zum Aus-
drucke.
Zu der zeitlichen Länge dieser 2 Sehwärme steht die
Dauer des pleistoseismischen Zustandes in geradem Ver-
hältnisse. Die Erbebungen des ersten kürzeren Abschnittes
gipfeln in einem einzigen Hauptstosse, — diejenigen des
zweiten, dreimal so langen Schwarmes hingegen in 2 fast
gleichstarken Hauptstössen, deren 31/, stündiges Intervall
durch einen mittelstarken und 10 schwächere Stösse aus-
gefüllt wird.
Die Einzelstösse dieser Schwärme gehen von zwei
Heerden aus, die durch etwa 20 km Entfernung von einander
getrennt sind. Das Epizentrum des wirksamsten derselben
ist die Gegend Graslitz-Eibenberg-Untersachsenberg
im Südosten des Vogtlandes, welehe bereits der Ausgangsort
der Hauptstösse des sächsisch- böhmischen Erdbebens im
Herbste 1897 war. Der zweite selbständige, wenn auch
weniger energische Stosspunkt liegt in der äussersten Süd-
spitze des Vogtlandes und zwar in dem Landstriche zwischen
Brambach-Schönberg und Asch, welcher sich dureh zahl-
reiche frühere Lokalbeben, sowie, und zwar namentlich am
17. November, durch seine Mitwirkung an dem grossen Erd-
beben des Jahres 1897 bereits als ehronisches Sehüttergebiet
bewährt hat. Vom Graslitz-Untersachsenberger Zentrum gehen
die bei Weitem meisten und die stärksten Stösse aus, um
sich von dort über das ganze Vogtland und angrenzende
Areale auszubreiten, — die seismischen Wirkungen des
Brambacher Heerdes hingegen sind weniger zahlreich und er-
strecken sich auch nicht über das südlichste Vogtland hinaus.
Beide Erdbebenheerde pflegten bisher, abgesehen von
dem grossen Erdbeben im Herbste 1897, unabhängig von
einander in Thätigkeit zu treten, wie dies durch die be-
trächtliche Zahl der in den letzten 20 Jahren beobachteten
Brambacher Lokalbeben illustriert wird, während deren
im übrigen Vogtlande und insbesondere bei Graslitz voll-
kommene Ruhe herrschte. In der seismischen Periode des
Sommers 1900 hingegen behauptet sich diese gegenseitige
Unabhängigkeit nur so lange, als das Graslitz-Untersachsen-
berger Zentrum Stösse geringerer Stärkegrade und somit
Kleinere Mitteilungen. 433
auch geringerer Ausbreitung erzeugt. In solchen Stadien
der Sehütterperiode herrscht eine zeitliche Uebereinstimmung
zwischen den Einzelstössen der beiden Epizentralgebiete
nieht. Sobald jedoch die Graslitzer Stösse ihre grösste
Energie und Schüttersphäre erlangen, ziehen sie auch das
Brambacher Zentrum in Mitleidenschaft, indem sie augen-
scheinlich die hier vorhandene seismische Disposition zur
Auslösung bringen. In diesem Falle verfliessen also die
beiderseitigen Sehüttergebiete zu einem, um sich später
wieder zu trennen und separat zu halten.
Auf ähnliche Vorgänge scheint die Thatsache zurück-
zuführen zu sein, dass sich im Verlaufe der Erdbeben-
periode innerhalb der Schüttergebiete der Hauptstösse beide
Schwärme nicht selten an ganz sporadischen, z. T. peripherisch
gelegenen Punkten räumlich ganz unabhängig vom Epizentrum
Stösse und unterirdische Geräusche bemerklich machen.
Augenscheinlich genügte die im vogtländischen Schütterareale
während der ganzen Erdbebenperiode herrschende seismische
Unruhe, um an tektonisch prädisponierten Stellen des von
einer Unzahl von Brüchen und Verwerfungen zerstückelten
Vogtlandes unterirdische Lageveränderungen zu bewirken,
welehe jene lokalen Erschütterungen erzeugten, die dann
als „Relaisbeben“ aufzufassen sein würden.
Botanik.
Zur Biologie des Schattenblattes. In jenen brasi-
lianischen (Rio Grande do Sul) Hochwäldern, die ein über-
aus dichtes Untergehölz aufweisen und auf ebenem, horizon-
talem Boden stehen, besitzt nach den Beobachtungen von
©. A. M. Lınpman !) die gesamte Sehattenflora einige
eharakteristische Merkmale, die sich aus dem am Grunde
des Urwaldes herrschenden Liehtmangel erklären lassen.
Alle die Sträuche und Zwergbäume des Unterholzes, die
!) €. A. M. Lindman, Zur Morphologie und Biologie einiger
Blätter und belaubter Sprosse. Bih. till K. Svenska Vet.-Akad. Handl.
Bd. 25. Afd. II. Nr.4. Stockholm 1899. Mit 20 Bildern.
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73. 1900. 28
434 Kleinere Mitteilungen.
meist eine Höhe von 1—2 m nicht übersteigen und ge-
wöhnlich einen sehr dünnen Stamm, schlanken Wuchs und
feine, geschmeidige, abstehende Zweige besitzen, tragen
ungeteilte, lanzettliche Blätter; seltener ist die Blatt-
form elliptisch oder oval, sehr häufig dagegen keilförmig in
der Art, dass die dem Stiel benachbarte Seite der Spreite
stärker verschmälert ist. Nächst der Form ist die Riehtung
der Blätter bei allen jenen Schattenpflanzen übereinstimmend:
sie ist durchgehends vollkommen horizontal. Endlich ist
noch der dunkelgrüne Farbenton für die Blätter der
Schattenpflanzen charakteristisch.
Man geht wohl nicht fehl mit der Ansicht, dass diese
Uebereinstimmungen in Form, Richtung und Farbe der
Schattenpflanzen bedingt sind durch die Eigenheiten des
Standortes. Die letzteren bestehen in einer nahezu unbe-
weglichen Atmosphäre, in geringem Temperaturwechsel, in
niemals lebhafter Transpiration und in der schwachen, nur
auf eine gewisse Richtung beschränkten Beleuchtung.
Während von diesen Bedingungen die drei erstgenannten
wohl vornehmlich einen vorteilhaften Einfluss auf die Vege-
tation ausüben, ist die letztgenannte, der Liehtmangel, dem
Pflanzenwuchse sicherlich viel weniger günstig; es liegt
daher nahe, gerade in dieser Bedingung die Ursachen für
die so monotone Blattbildung der Schattenpflanzen zu
suchen.
Aus der Dunkelheit des Standortes lässt sich zunächst
die intensiv grüne Farbe des Schattenblattes erklären. Das
Lieht ist eben für die Bodenbewohner des Urwaldes so
kostbar, dass es gilt, möglichst wenig davon ungenutzt zu
lassen. Deswegen sind die Blätter so überreich an Chloro-
phyll, damit sie den Genuss des schwachen und kurz
dauernden Tageslichtes sich verstärken können.
Ebensowenig stösst die Erklärung für die horizontale
Riehtung der Schattenblätter auf erheblichere Schwierig-
keiten. Es ist eine allbekannte Erscheinung, dass die
Blätter, solange die Transpiration nieht zu erhebliche
Dimensionen annimmt, ihre assimilierende Fläche möglichst
dem Lichte zuwenden. Im Urwalde verhält es sich nun
im allgemeinen so, dass das spärliche Tageslicht nur von
Kleinere Mitteilungen. 435
oben her in vertikaler Riehtung zuströmt. Am besten wird
dieses Lieht von den Sehattenblättern ausgenutzt werden,
wenn sie ihre Spreite senkrecht zur Einfallsricehtung des
Liehtes, d. h. horizontal, einstellen.
Weit schwieriger ist eine Erklärung für die eigenartige
Form der Schattenblätter zu finden. Da es den Schatten-
pflanzen darauf ankommt, möglichst viel Lieht sich zu-
gänglich zu machen, so dürfte man erwarten, dass das
Sehattenblatt durch eine mächtige, breite Spreite ausge-
zeichnet sei. In der That tritt ein Bestreben nach Ver-
breiterung der Blattfläche bei manchen Schattenpflanzen in
überaus frappanter Weise zu Tage. Die Gramineen repräsen-
tieren eine Pflanzenfamilie, die sowohl in unserer Heimat
als auch in den südamerikanischen Campos durch die
bekannten linealischen Blätter gekennzeichnet ist. Ganz
anders verhalten sich die Gräser des brasilianischen Ur-
waldes: hier giebt es keine Arten mit linealischen Blättern,
sondern alle sind mit kürzeren und breiteren lanzettlichen
bis eiförmigen Blättern versehen. Diese höchst merkwürdige
Thatsache weist wohl darauf hin, dass ein Streben nach
verbreiterter Blattspreite dem Schattenblatte innewohnt.
Dieses Prinzip der Verbreiterung der Blattfläche kommt
nun aber in Konflikt mit einem anderen, höchst wiehtigen
Momente. Da die Blätter der Schattenvegetation nicht in
einer horizontalen Ebene sich befinden, sondern in einer
Mehrzahl von solehen übereinander angeordnet sind, so
würden die oberen Blattschichten, vorausgesetzt, dass das
einzelne Blatt eine sehr umfangreiche Spreite besässe, die
unteren vom Liehte vollkommen ausschliessen. Die oberen
würden dann zwar ihr Assimilationsgeschäft in trefflicher
Weise erledigen, die unteren dagegen würden auf das
schwerste geschädigt werden. Soll dieser Uebelstand ver-
mieden werden, so muss zwischen den beiden wider-
streitenden Faktoren die richtige Mitte gehalten werden.
„Medio tutissimus ibis“, das ist der Grundsatz, nach dem
das Schattenblatt sich richten muss. Weder darf es zu
schmal sein, noch zu breit. Diejenige Blattform aber, die
diesen Bedingungen am besten sich anpasst, ist die Lan-
zettform.
28*
436 Kleinere Mitteilungen.
Besondere Aufmerksamkeit verdient noch das am Grunde
verschmälerte, keilförmige Blatt. Diejenigen Sträucher und
Bäumehen, deren Zweige horizontal gerichtet sind und
sich auch in der Horizontalebene verzweigen, benutzen am
vorteilhaftesten die keilförmige Blattspreite, um die wage-
rechte Ebene, in die alle Blattspreiten des Sprosses sich
einfügen, mit einem kompletten und gut geschlossenen
Mosaik auszufüllen. Durch die schmale Blattbasis wird es
vermieden, dass ein Blatt das andere beschattet. Es ist
auch bemerkenswert, dass selbst der ganze Spross durch
seinen Gesamtumriss häufig die Keilform einigermassen
wiederholt. Es folgt hieraus, dass eine grosse Menge Sprosse
und Triebe an demselben Baume ihre Fläche frei exponieren
kann, ohne einander zu verdecken zu brauchen.
Etwas ähnliches gilt auch bei denjenigen Blättern, die
von einem vertikalen Triebe ausgehen. Auch in diesem
Falle ist es klar, dass nur die am Grunde keilförmig ver-
schmälerten Blätter geeignet sind, das vertikal einfallende
Licht auch zu den niedriger sitzenden Blättern gelangen zu
lassen. Namentlich wird dies notwendig werden, wenn die
Internodien zwischen je zwei aufeinanderfolgenden Blättern
so klein werden, dass eine Blattrosette entsteht. In diesem
Falle müssen alle Blattstellen, die dem Stengel benachbart
sind, schmal sein; je weiter man sich aber von dem Stengel
entfernt, um so grösser wird der den Blättern zur Aus-
breitung zur Verfügung stehende Teil der Ebene, d.h. um
so ansehnlicher darf die Breite der Blattfläche ausfallen.
Ein vorzügliches Beispiel einer derartigen Einriehtung bildet
aus unserer heimischen Flora der Siebenstern (Trientalis
europaea), der in der Umgebung von Halle im Lindenbusch
bei Nietleben häufig anzutreffen ist. An diesem Pflänzchen
sind die Blätter an der Stengelspitze rosettenförmig ge-
sammelt, und ihre Form ist bei den grösseren, im Schatten
lebenden Exemplaren ausgeprägt keilförmig; die untersten
Blätter, die sich an der Blattrosette nieht beteiligen, sind
von reduzierter Grösse und haben eine weniger gedrängte
Basis. Auf ähnliche Weise sind aufrechte Zweigspitzen von
Vaceinium vitis idaea gebildet. Ein ferneres Beispiel liefern
die ganz jungen Pflanzen der Eiche, Quercus robur. Wenn
Kleinere Mitteilungen. 437
sie noch einfach und aufrecht 1—2 dem hoch sind, ist der
Stamm bis an die Spitze nur mit kleinen Schuppen besetzt;
in der Spitze selbst aber sitzen die Laubblätter, etwa fünf,
dieht gesammelt und alle völlig wagerecht ausgebreitet.
Auch die gipfelständigen Blattwirtel der Einbeere (Paris
quadrifolia) sind hier zu erwähnen.
Im allgemeinen freilich treten die Charaktere der
Sehattenpflanzen in unseren heimischen Waldungen längst
nieht so deutlich hervor wie im tropischen Urwalde. Denn
in denjenigen Wäldern Europas, die den tiefsten Schatten
erzeugen, dem moosreichen Fichtenwalde des Nordens und
dem reinen Buchenwalde Mitteleuropas, fehlt ein Unter-
gsehölz oder Schattengebüsch nahezu gänzlich. Dagegen
zeigt sich in den dunkleren Bezirken der Haine und Hain-
thälehen eine Menge von Sträuchern und grossen Stauden,
die infolge eines gemeinsamen sehr einfachen Blatttypus’
physiognomisch eine hervorragende Rolle zu spielen pflegen.
Beispiele solcher Sehattengewächse mit ganz lanzettlichen
Blättern sind in allen Florengebieten häufig. Von allgemein
bekannten Arten verdienen erwähnt zu werden: Stellaria
nemorum, Impatiens nolitangere, Epilobium hirsutum, Cam-
pamula latifolia, Mercurialis perennis, Daphne mezereum,
Evonymus europaea, Hieracıum prenanthordes, Vinca minor,
Ligustrum vulgare, Lonicera niyra u.8. w. Dieselbe Blatt-
form nehmen Prunus spinosa, Berberis, Rhamnus, Rosa und
andere an, wenn sie vom trockenen, niedrigen Gestrüpp in
das schattige Gebüsch des Haines übergegangen sind. Be-
züglich der Blattform den erwähnten ziemlich ähnlich sind
auch Myrica gali, Myrtilus uliginosa, viele Salix-Arten, Lysi-
machia vulgaris u. 8. w., wenn sie gelegentlich innerhalb der
Waldränder auftreten. Zu den Pflanzen schattiger Standorte
gehören auch noch mehrere Monokotyledonen, deren Blätter
gerade von sehr bedeutender Breite sind: Majanthemum,
Paris, Allium ursinum, Convallaria, Milium effusum, Cypri-
pedium, Epipactıs latifoha u. 8. w.
Dem vorstehenden Referate über Lınpman’s geistvolle
Beobachtungen und Schlussfolgerungen sei noch die Be-
merkung beigefügt, dass derartige biologische Betrachtungen
zwar niemals zu mathematisch sicheren Gesetzen führen.
438 Kleinere Mitteilungen.
Aber obgleich sie sich ausschliesslich auf dem Boden der
Hypothese bewegen, sind sie doch im höchsten Masse an-
regend.
Dr. W. Sehoenichen, Ver.-Sitz., 26. Nov. 00.
Zoologie.
Die Parthenogonie der Bienen. In den letzten
Jahren konnte man in den meisten naturwissenschaftlichen
Zeitsehriften allgemeineren Inhaltes Aufsätze finden, die
darauf hinausliefen, DZIErzon’s und LEUCKArRT's Lehre von
der Parthenogonie der Bienen als erschüttert darzustellen
und eine neue Lehre an ihre Stelle zu setzen. Wir haben
den von der gegnerischen Seite vorgelegten Beobachtungen
keine Beweiskraft zusprechen können und haben es deshalb
unterlassen, die betreffenden Beobachtungen und die daraus
gezogenen Schlüsse wiederzugeben. Jetzt hat kein geringerer
als Aus. Weısmann das Wort zu der Frage ergriffen und
zwar in durchaus entscheidender Weise. Er hat einen seiner
Sehüler veranlasst, mittels der Schnittmethode frisch abge-
legte Bieneneier aus Drohnen- und aus Arbeiterzellen auf
das Vorhandensein von Sperma im Zellprotoplasma zu unter-
suchen. Wenn Dzıerzon und LEUCKART in den Eiern aus
Drohnenzellen keine Spermafäden nachweisen konnten, so
lässt sich dem nach unseren heutigen Kenntnissen entgegnen,
dass das Spermatozoon schon resorbiert gewesen sein kann,
da die Eier erst eine oder mehrere Stunden nach der Ab-
lage zur Untersuchung gelangten. Es kam also darauf an,
frisch abgelegte Eier in Schnitte zu zerlegen. Aber die
Stadien können auch zu früh sein, indem der Spermafaden
in noch unaufgequollenem Zustande oder im Zustande des
Spermakernes ohne die bekannte Sonnenstrahlung nur sehr
schwer auf Schnitten nachzuweisen ist; dies ist der Fall
im Stadium der ersten Richtungsspindel. Das Stadium der
zweiten Riehtungsspindel dagegen ist vorzüglich zum Nach-
weis des Spermakernes geeignet, da gerade auf diesem
Stadium beide Kerne eine deutliche Strahlung erkennen
lassen.
EEE ZEUG
Kleinere Mitteilungen. 4539
Die Untersuchungen ergaben nun unter 29 im Stadium
der ersten Richtungsspindel befindlichen Eiern aus Arbeiter-
zellen 23 Fälle, in denen sich deutlich ein Spermakern nach-
weisen liess, bei 94 aus Drohnenzellen stammenden Eiern
desselben Stadiums konnte in keinem Falle irgend etwas
Spermaartiges entdeckt werden.
Noch überzeugender fiel das Resultat bei den Eiern im
Stadium der zweiten Richtungsspindel aus. Bei den 62
untersuchten Eiern aus Arbeiterzellen war stets eine deut-
liehe Spermasonne nachzuweisen, während von 272 Eiern
aus Drohnenzellen nur in einem Falle eine Spermasonne
aufgefunden werden konnte. Dieser eine Fall ist natürlich
als Anomalie aufzufassen.
Interessant ist es, dass der Lieferant der konservierten
Eier der Begründer und Hauptverteidiger der neuen Lehre
war. Herr Dicker in Darmstadt war es, der hauptsächlich
durch Austauschen der Drohnen- und Arbeitereier das Ein-
wandsmaterial gegen die Dzıierzon’sche Lehre lieferte, ihm
ist es nun auch mit zu danken, dass dieser Angriff abge-
schlagen wird. Es ist auch anzunehmen, dass die erwähnten
Untersuchungen ihn selber überzeugt haben, denn als er
einmal die Etiketten der Drohnen- und Arbeitereier ab-
sichtlich vertauscht hatte, wurde er sehr bald interpelliert,
ob nicht eine Vertauschung der Etiketten möglich sei, da
bei dieser Sendung genau das umgekehrte von den bis-
herigen Befunden sich ergebe.
Zur Biologie des Maikäfers. Es muss jedermann
sonderbar erscheinen, dass gerade über die Biologie des
allbekannten Maikäfers gelegentlich immer noch wider-
spruchsvolle Angaben gemacht werden. Teilweise mag dies
daher kommen, dass die beiden bei uns heimischen Maikäfer-
arten als eine Art zusammengeworfen werden, teilweise auch
daher, dass in den einzelnen Gegenden Europas die Ent-
wicklung je nach der Durchschnittstemperatur verschieden
schnell verläuft. Sicherlich ist aber auch der Mangel an
eingehenden Untersuchungen über diesen verbreitesten und
440 Kleinere Mitteilungen.
häufigsten aller land- und forstwirtschaftlichen Schädlinge
Schuld an diesen unsicheren Angaben.
Heute wissen wir, dass ausser den bekannten Farben-
varietäten des gewöhnlichen Maikäfers (Melolontha vulgaris)
auch noch eine zweite Art, Melolontha hippocastani, der
Rosskastanien-Maikäfer, bei uns vorkommt. Diese letztere
Form ist kleiner und beweglicher und ausserdem dureh
schwarze Beine ausgezeichnet; die Kinder pflegen sie als
„Sehuster“ oder „Schornsteinfeger“ zu unterscheiden. Diese
Art bedarf, wie es scheint, fünf Jahre zu ihrer Entwieklung;
wenn sie also einmal in grösseren Mengen auftritt, so ist
erst nach fünf Jahren eine neue Hochflut zu erwarten. Von
dem in unseren Gegenden vierjährigen Entwieklungseyklus
der gewöhnlicheren, plumperen Art rührt die mystisch
klingende Angabe her, dass Schaltjahre und Maikäfer in
Wechselbeziehung steben. Das ist natürlich in den einzelnen
Gegenden sehr verschieden, so ist in Franken das auf das
Sehaltjahr folgende Jahr ein Flusjahr und in Westfalen
bringt erst das zweite Jahr nach dem Sehaltjahr die Mai-
käfer-Hochflut. Und weiter südlich, in Südeuropa, erscheint
der Käfer in dreijährigen Intervallen, während im kälteren
Ostpreussen die Entwieklung fünf Jahre dauert.
In neuerer Zeit sind besonders in Dänemark durch
BoAas und in Frankreich durch RaspaıL entwicklungsge-
schichtliche Studien an Melolontha vulgaris gemacht worden,
die die Lebensgeschichte der Art bis in alle Einzelheiten
feststellen. Wir wollen an der Hand der RaspaıL’schen
Mitteilungen die wichtigsten Ergebnisse dieser Forschungen
rekapitulieren.!)
Das Ei, das 5 mm in der Länge und 4 mm in der
Breite misst, entwickelt sich bei günstiger Lage in 22 bis
25 Tagen zur Larve, unter ungünstigeren Bedingungen ver-
längert sich dieser Zeitraum beträchtlich, indem die Ent-
wicklung dann 32—38 Tage in Anspruch nimmt. Die Ende
Mai oder Anfang Juni ausschlüpfende junge Larve zersprengt
') Vergl. X. Raspail, Contribution & l’histoire naturelle du
Hanneton, moeurs et reproduction. Me&m. Soc. Zool. France, t. VI,
p. 202. — Observations complömentaires sur la ponte et les moeurs du
Hanneton. M&m. Soc. Zool. France, t. IX, p. 331.
Kleinere Mitteilungen. 441
die Eihülle in zwei gleiche Teile und misst bei ausge-
streektem Körper 9 mm. Für gewöhnlich liegt sie zu einem
Halbkreis zusammengekrümmt, ist aber auch im Stande,
sich kriechend auf festem Untergrunde fortzubewegen.
Mit fortschreitender Entwicklung verliert sich diese Fähig-
keit, und das Tier rollt dann auf festem Erdboden unbehilf-
lich von einer Seite auf die andere.
Bis zum Herbst nährt sich die Larve von jungen
Wurzeln, die sie mitsamt der Erde frisst; sie erreicht so
eine Länge von 21—25 mm. Jetzt zieht sich das Tier in
ein Winterversteck zurück, indem es entsprechend der Stärke
des Frostes mehr oder weniger in die Tiefe wandert.
Im Frühjahre macht sich die Larve von neuem an ihr
Zerstörungswerk, wobei sie allmählich immer kräftigere
Wurzeln wählen kann. Dies währt wieder bis zum Herbst,
es folgt eine zweite Winterruhe, aus der der nun völlig
ausgewachsene Engerling erwacht, um sich an die stärksten
Wurzeln zu machen und so seine letzten Larvenvorräte zu
sammeln. Durch dies Benagen der starken Wurzeln gehen
oftmals Bäume, die schon im Vorjahre durch Zerstören
vieler schwächerer Wurzeln zum kränkeln gebracht wurden,
völlig zu Grunde.
In der zweiten Hälfte des Juli hält die Larve in ihrer
Zerstörungsarbeit inne und baut sich 25—45 em tief unter
der Erdoberfläche (in schwererem Boden nur 15—25 cm
tief) eine Höhle, deren Wände sie mit einer klebrigen
Flüssigkeit etwas festigt. In dieser Höhle geht die Ver-
wandlung zur Nymphe (oder Puppe) vor sich und zwar
wenige Tage, nachdem sich die Larve in die Höhle zurück-
gezogen hat.
Auch die Metamorphose der Nymphe zur Imago ver-
läuft ausserordentlich schnell: Ende August, also etwa nach
einem Monate, findet man den Maikäfer befreit von der
Nymphenhülle, die samt der Larvenhaut am Boden der
Höhle liegt. Aber das fertige Insekt verlässt seinen Schlupf-
winkel nicht allsobald, sondern bleibt in ihm noch acht
Monate zurück, wahrscheinlich weil seine Geschlechtsdrüsen
erst noch ausreifen müssen. Erst zu Beginn des Frühjahres
— nur ausnahmsweise vor dem 20. April — wandert der
442 Kleinere Mitteilungen.
Maikäfer an die Oberfläche, wo er immer erst einige Zeit
von einem Häufchen Erde bedeckt liegen bleibt. Kommt
ein Käfer vorzeitig durch irgend welchen Zufall an die
Oberfläche, so gräbt er sich sofort wieder etwa bis zur
gleichen Tiefe in die Erde ein.
Die Kopulation der Individuen geht vor sich, sobald
sie aus ihren Verstecken hervor kommen, und wiederholt
sich im Verlaufe ihrer Lebenszeit, die für gewöhnlich nur
40—50 Tage umfassen dürfte, etwa 9—10 mal. Das Weibehen
legt sodann mit 8—16 tägigen Unterbrechungen der Regel
nach dreimal Eier. Zu diesem Zwecke gräbt es sich bis
zu 20 em tief in die Erde — nicht nur in lockere Acker-
erde, sondern auch in festes Wald- oder Rasengelände —
und legt hier eine Anzahl Eier ab, die in Haufen lagern
ohne aber miteinander verklebt zu sein. Die Zahl der Eier
ist wechselnd und allmählich abnehmend. Rasraız zählte
gelegentlich bei der ersten Eiablage 40, bei der zweiten
28 und bei der dritten nur 11. Ein anderes Weibchen,
das 62 Tage lebte, schritt sogar viermal zur Eiablage,
brachte es aber auch nur auf 80 Eier.
Auch unabhängig von dem Geschäft der Eiablage graben
sich die Maikäfer gelegentlich mit grossem Geschick in die
Erde, sei es, dass sie bei ungünstiger Witterung darin Schutz
suchen oder aus anderen unbekannten Gründen. So kommt
es, dass gelegentlich alle Maikäfer verschwunden sind und
dass wenige Tage darauf wieder alles von ihnen wimmelt.
Bei dem hier geschilderten Entwieklungsgange braucht
also die freilebende Larve zu ihrer Ausreifung etwa zwei
Jahre, während die Entwieklung der Larve im Ei und die
Ausbildung des Imago in der Nymphe nur etwa einen
Monat in Anspruch nimmt. Acht Monate dauert der Auf-
enthalt des fertigen Insektes in der Erde, insgesamt währt
die Entwieklung also bei der französischen Form drei Jahre.
In unserem kälteren Klima braucht die Larve drei Jahre
bis sie zur Verpuppung schreiten kann.
Wie enormen Schaden die Maikäfer nieht nur als
Imagines, sondern besonders als Larven anzuriehten im
Stande sind, ist genugsam bekannt, und es ist deshalb die
Bevölkerung wieder darauf hinzuweisen, dass sie den Kampf
Kleinere Mitteilungen. 443
gegen diesen Schädling niemals aufgeben darf. Die wirk-
samste Art ist aber zweifellos das frühzeitig beginnende
Sammeln der Imagines. Es sei daran erinnert, dass im
Jahre 1868 in unserer Provinz auf Grund von Bemühungen
seitens des landwirtschaftlichen Zentralvereins auf diese
Weise nicht weniger als 150000 kg Maikäfer (das sind
ca. 1500 Millionen) unschädlich gemacht wurden.
Das Summen der Dasselfliegen (Hypoderma bovis L.).
Wir haben schon vor Jahren die Ergebnisse neuerer Unter-
suchungen über die Entwicklung dieses Rinderparasiten
mitgeteilt (vgl. Bd. 69, 1896, S. 235). Die damaligen Unter-
suchungen liessen uns den skizzierten Entwieklungsgang nur
vermuten, heute sind eine Reihe von Daten dazu erbracht
(von HinkIcHsEen und RusEr-KLepPp), die ihn als feststehend
bestätigen. Das Insekt, das seine Eier abzulegen im Begriff
steht, nähert sich unter sehr eigentümlichem Summen dem
Rinde, das durch dieses Geräusch in eine furchtbare Auf-
resung kommt und auf dem Weidegelände wie besessen
herumrast. Es ist dieses Verhalten der Rinder sehr sonder-
bar, da die Fliegen ja nicht im geringsten stechen und
dem Tiere, an dessen Haare sie ihre Eier einzeln befestigen,
sicherlich überhaupt nicht wehe thun. Man könnte also
meinen, dass das den Dasselfliegen eigentümliche Summen
eine unzwecekmässige Einrichtung sei, da ja die Unruhe der
Rinder den Insekten die Eiablage erschwert. Aber ich
glaube, dass es im Gegenteil ein Charakter ist, der für die
Erhaltung der Art durchaus notwendig is. Wenn die
Rinder gar nicht aufmerksam würden auf die Insekten, so
würden sie von der Eiablage voraussichtlich keine Notiz
nehmen, also auch nur ganz zufällig durch Leeken der zur
Eiablage gewählten Stelle die Eier in sich aufnehmen.
Dadurch aber, dass die Dasselfliegen mit ihrem Summen die
durch ihren Stich gefürchteten akuleaten Hymenopteren
nachahmt, wird das Rind veranlasst, die Stelle, an der das
Tier ein Ei abgelegt hat, zu belecken, das Ei kommt so in
den Schlund, entwiekelt sich dort sehr schnell zur Larve,
die sich nun in die Wandung einbohrt. Dies geschieht im
444 Kleinere Mitteilungen.
Sommer vom Juli bis September, und die Larve verbleibt
unter der Oesophagealschleimhaut bis zum Ausgange des
Winters. Dann treten sie eine grosse Wanderung an, wobei
sie gelegentlich auch in den Rückenmarkskanal kommen,
in der Regel aber erst dieht unter der Körperhaut Halt
machen. Hier werfen sie ihre bisher stigmenlose Haut ab
und durchbohren sodann das Fell des Wirtstieres, um nun
vermittels der Stigmen die zur Atmung nötige Luft aufzu-
nehmen. Vom Mai bis Juli, und zwar stets in den Morgen-
stunden, findet das Auswandern dieser Larven statt, die
sich im Erdboden oder im Dünger verpuppen. Nach kaum
einmonatiger Frist schlüpft die Imago aus und fliegt auf
den Weiden umher, um nach geschehener Begattung ihre
Eier wieder in der geschilderten Weise abzulegen.
Dr. G. Brandes.
Die Beeinflussung des Vogelmagens durch die Art
der Nahrung. In der ersten Originalmitteilung dieses Heftes
werden Hamann’s Ausführungen über die Anpassungsfähig-
keit des Raubvogelmagens erwähnt (S. 344 und 345). Diese
basieren zweifellos auf den Angaben SEMPER’s in „Die
natürlichen Existenzbedingungen der Tiere“ (S. 83). Nun
habe ich aber schon im Jahre 1896 nachgewiesen, dass
SemrER’s Ausführungen der thatsächliehen Unterlage ent-
behren.!) Wir kennen weder einen verbürgten Fall von
Umwandlung eines Körnerfresser-Magens in einen „wahren
Raubvogelmagen“ durch Fleischfütterung, noch auch um-
gekehrt. Die von SEMPER angeführten Gewährsmänner be-
haupten teilweise gerade das Gegenteil von dem, was er
angiebt. Wenn wirklich einmal eine Möwe, die mit Körnern
gefüttert wurde, durch eine starke Cutieula und sehr kräftige
Muskelwände auffällt, so weiss man noch nicht, ob das
Tier nieht von Anfang an nach dieser Richtung variierte
und vielleicht nur deshalb der Körnerkost zusprach. Jeden-
falls ist im Auge zu behalten, dass gerade der Möwen-
1) G. Brandes, Ueber den vermeintlichen Einfluss veränderter
Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens. Mit 7 Figuren. Bio-
logisches Centralblatt, Bd. 16, S. 825—838.
Kleinere Mitteilungen. 445
magen durchaus kein häutiger Sack ist, sondern — wie
meine a. a. OÖ. gegebenen Abbildungen zeigen — ein paar
kräftige Muskelbäuche besitzt, die bei den einzelnen In-
dividuen stark variieren. Ich weise gelegentlich der Ab-
handlung von H. Kersten auf diese Thatsache hin, weil
es mir sehr wünschenswert erscheint, dass diese Legende
von der direkten Anpassung des Vogelmagens, auf die viel-
fach weitgehende Schlüsse gebaut werden, allmählich wieder
aus der Wissenschaft verschwindet.
Die Zähne der Elefanten. In einem auf dem letzten
Anthropologenkongress (Halle 1900) gehaltenen Vortrage
habe ich unter anderen das Aussterben des Mammuths auf
das wegen ungenügender peripherer Abnutzung erfolgte
enorme Auswachsen der Schneidezähne zurückzuführen ver-
sucht. Man mag darüber verschiedener Ansicht sein, ob
dieses Auswachsen der Stosszähne zu riesigen Spiralen
wirklich das Leben der Träger ernstlich gefährden konnte,
das scheint mir dagegen festzustehen, dass die sonderbare
Form der Mammuthzähne lediglich durch ungenügende Ab-
nutzung der wurzellosen, also immer weiter wachsenden
Zähne entstanden ist. Als Grund für den plötzliehen Nicht-
gebrauch ergiebt sich zwanglos der Klimawechsel, bei dem
die vorher subtropische Waldvegetation verschwand und einer
spärlichen Zwergwaldung Platz machte. Wir setzen dabei
allerdings voraus, dass die Stosszähne bei der Nahrungsauf-
nahme im Walde stark benutzt werden, dass sie also nicht
als Waffen, sondern als Handwerkzeug entstanden sind.
Diese Annahme, die vielen willkürlich erscheint, möchte
ich im folgenden etwas näher begründen. Wir haben leider
sehr wenige zuverlässige Angaben über die Lebensgewohn-
heiten dieser Riesen und die wenigen finden sich sehr ver-
steekt in grossen Reisewerken. Von dem ceylonesischen _
Elefanten teilt mir Frıtz Sarasın, der mit seinem Vetter
PıuL Sarasın fünf Jahre die Insel Ceylon durchforscht hat,
liebenswürdiger Weise mit, dass die dortigen Elefanten
meist keine oder nur ganz kleine Stosszähne besitzen. Grosse
Zähne kommen vor, sind aber sehr selten. Ein eingeborener
446 Kleinere Mitteilungen.
Jäger erzählte ihnen einst von einem Elefanten mit grossen
Zähnen, den er beobachtet habe, wie er seine Zähne immer-
fort in den Boden bohrte, was er für eine Aeusserung von
Zahnweh ansah. Die Nahrungsaufnahme geschieht im
Diekicht und macht sich durch das Abbrechen von Aesten
auf grosse Entfernung hin bemerklich; wie die Tiere die
Aeste brechen, ob alle Individuen diese Arbeit verrichten
oder nur eins oder wenige mit einigermassen entwickelten
Zähnen war dabei nicht festzustellen.
Ueber die sumatranische Form des indischen Elefanten
verdanke ich Herrn Hofrat Dr. med. HAGEn, der jahrzehnte-
lang auf Sumatra gelebt hat, die Mitteilung, dass sie keine
Blätter und Zweige fressen, sondern nur Gras und Kräuter
und dass sie ferner niemals die einmal vorhandenen Pfade
verlassen, um sich neue Wege im Urwald zu bahnen. Die
stark bezahnten Individuen haben aber die Gewohnheit,
während des Laufens ihre Stosszähne — abwechselnd bald
links bald rechts — in den Boden zu stossen, womit sie
dem Jäger Gelegenheit geben, sich über den Durchmesser
der Zähne aufs genaueste zu orientieren.
Ueber den afrikanischen Elefanten finde ich bei STUHL-
MANN!) eine entsprechende Angabe. Bei seiner Schilderung
des Landes Mboga erwähnt er einen Tummelplatz, den sich
Elefanten eingerichtet hatten. „An einem etwa 2 m hohen
Bachufer war der ganze Boden von Elefanten zertrampelt,
und überall zeigten sich Spuren, wo sie mit ihren Zähnen
in die Uferwand hineingestossen und ihre Haut ge-
scheuert hatten.“
Diesen Berichten zufolge kann es keinem Zweifel unter-
liegen, dass die afrikanischen wie die indischen Elefanten
die Gewohnheit haben, ihre Stosszähne, wenn sie eine an-
sehnliche Grösse erlangt haben, in den Boden zu stossen.
Hierdurch ist natürlich eine Abnutzung bedingt, aber es ist
nieht wahrscheinlich, dass diese Art der Abnutzung die
natürliche ist. Es liegt nahe, daran zu denken, dass die
Tiere nur dann dazu greifen, wenn ihnen die Zähne un-
‘) Franz Stuhlmann, Mit Emin Pascha ins Herz von Afrika.
Berlin 1894. S. 328.
Kleinere Mitteilungen. 447
bequem zu werden anfangen. Je weniger nun aber die
Individuen ihre Zähne von Anfang an im täglichen normalen
Gebrauche abnutzen, um so schneller werden die Zähne zu
einer unbequemen Länge heranwachsen. Was die normale
Abnutzung angeht, so kann diese bei veränderten Lebens-
gewohnheiten leicht unterbleiben. Wenn die Elefanten der
Insel Sumatra ihre von Alters her vorhandenen Pfade im
Urwald nie verlassen und ausserdem nur Gras und Kräuter
fressen, so brauchen sie ihre Stosszähne jedenfalls weniger
als diejenigen, welehe sie als unnachgiebigen Widerstand
beim Abbrechen der Zweige mittels des Rüssels benutzen,
sei es, dass sie die Zweige wegen der als Nahrung dienenden
Blätter brechen oder um sich einen Weg durch den Urwald
zu bahnen.
Derartige Veränderungen in der Lebensweise können
dureh mancherlei äusserliche Umstände veranlasst werden.
Am einfachsten liest der Fall, wenn der Urwald ver-
schwindet. So lebt z. B. der Elefant der ostafrikanischen
Subregion in dem Akazienbusch und in der Savanne und
rupft mittels des Rüssels bald Grasbüschel aus, bald plündert
er die erreichbaren Zweige. Seine Zähne werden also wahr-
scheinlich sehr selten in Anspruch genommen und würden
sehr bald eine enorme Grösse erreichen, wenn er nicht
auf irgend eine besondere Weise für distale Abnutzung
sorgte. Dass diese Abnutzung nicht bei allen Individuen
gleich schnell vor sich geht, beweisen am besten die oft
auffallend verschieden langen Zähne bei etwa gleichaltrigen
Tieren. Ein Tier mit verhältnismässig kurzen aber sehr
gedrungenen Zähnen ist meistens älter als ein solches mit
sehr langen aber auffallend schlanken. Gelegentlich finden
sich stattliche Tiere, deren Zähne bis zum Erdboden her-
unterreiehen, so berichtet z. B. v. HöHnEL!) von einem der-
artigen Vorkommen bei drei Männchen, die er gleichzeitig
zu Gesicht bekam.?) Er schätzte jeden der Zähne auf
100 kg und darüber.
2) Ludwig Ritter v. Höhnel, Zum Rudolfsee und Stephaniesee.
Wien 1892. S. 568.
2) Solche Tiere, die ihre Zähne nicht genügend abwetzen, können
sich dann nur dadurch helfen, dass sie die Zähne abbrechen. Der-
448 Kleinere Mitteilungen.
Dass derartige Monstra nicht als Waffen Verwendung
finden können, ist eigentlich von vornherein anzunehmen.
Es ist auch gar nicht einzusehen, wozu die Elefanten, deren
dicke Haut, schweres Gewicht und kräftiger Rüssel pro-
tektiv und aggressiv genügende Waffen sind, derartige
Waffen ausgebildet haben sollten. Dass die Tiere, wenn
sie gereizt sind, bei dem wilden Umsichschlagen gelegent-
lich auch mit ihren Zähnen den Angreifer verletzen, kann
uns natürlich nicht bestimmen, die Zähne als die normale
Waffe der Tiere zu bezeichnen. Ich finde übrigens auch
einen Bericht, in dem der Kampf zweier Elefanten be-
schrieben wird. Der schon erwähnte Ostafrika-Reisende
von HÖHNEL!) schildert eine interessante Szene aus dem
Familienleben der Elefanten, die er längere Zeit beobachten
konnte, folgendermassen:
„Die Weibehen frassen, säugten ab und zu ihre Jungen
oder wehrten die beiden Männchen ab, wenn diese ihren
Sprösslingen zu nahe kamen. Die beiden Bullen aber
kämpften miteinander, wohl um den Preis der Herrschaft
über die Elefantenschönen. Dabei kamen die Stosszähne
gar nicht in Anwendung. Die Tiere näherten sich ein-
ander, bis Stirn an Stirne lag, und versuchten sich gegen-
seitig wegzudrängen, ohne es zu sonstigen Gewaltakten
kommen zu lassen.“
Für die Ansicht, dass die Stosszähne nicht die Haupt-
waffe der Elefanten sind, ist auch ferner der Umstand an-
zuführen, dass die gefürchtesten, bösartigsten. Individuen
die nur selten vorkommenden zahnlosen Männchen sind.
Es scheint mir einleuchtend, dass ein Tier, welches die
fortwährende Produktion von beträchtlichen Massen der
Zahnsubstanz nieht nötig hat, weit kräftiger ist, als ein:
solches mit gewaltigen Stosszähnen.
Sehliesslieh möchte ich auch noch auf die verschiedene
Farbe der Elefantenzähne hinweisen. Die aus Ostafrika
artige Exemplare finden sich nicht selten. Auch von einem in der
Gefangenschaft gehaltenen Tiere ist mir ein solcher Fall bekannt. Der
indische Elefant (Anton) des zoologischen Gartens in Hamburg bekam
enorm lange Zähne, die er schliesslich abbrach.
1) 2.2. 0. 8. 628.
Kleinere Mitteilungen. 449
stammenden Zähne sind weiss, die aus dem westafrika-
nischen Urwalde aussen rot oder braun. Wenn wir nach
der Ursache dieses Unterschiedes fragen, so müssen wir
uns erinnern, dass wir eine Rotfärbung der Zähne auch
bei anderen Tieren finden. So ist z. B. die Vorderseite der
Sehneidezähne des Bibers stets rot, und das gleiche zeigen
dieselben Zähne mancher anderen Nagetiere, ich nenne nur
das auf Bäumen lebende Borstenschwein Nordamerikas,
Erethizon dorsatus F. Cuv. und Cercolabes prehensilis Brd.,
den Cuandu Brasiliens, ein ebenso ausgesprochenes Baumtier.
Es liegt sehr nahe, die Färbung dieser Zähne auf die Säfte
der Baumrinden zurückzuführen, von denen sich die Tiere
ernähren, zumal sich die Rotfärbung nur an der Seite findet,
die allein in innige Berührung mit der abzunagenden Rinde
gebracht wird. In ähnlicher Weise könnte die Rotfärbung
der Elefanten-Stosszähne dadurch entstehen, dass sie durch
fortwährende Berührung mit der Rinde der abzubrechenden
Baumzweige oder durch Reiben an den Baumstämmen mit
den Säften der Rinde in Berührung kommen. Pflanzliche
Säfte sind es ja auch, die das Dunkelwerden der Zähne
der Betelkauer verursachen. Dr. @. Brandes.
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 39
Litteratur-Besprechungen.
Goldfuss, O., Die Binnenmollusken Mittel-Deutsch-
lands mit besonderer Berücksichtigung der Thüringer
Lande, der Provinz Sachsen, des Harzes, Braunschweigs
und der angrenzenden Landesteile. Leipzig, Engelmann,
1900. VIIH und 3208. Preis Mk. 8,—.
Das von den Malakozoologen unseres Vereinsgebietes
schon lange sehnlichst erwartete Buch liegt uns nunmehr
vollendet vor. Wir können mit Genugthuung feststellen,
dass wir in demselben für unser Vereinsgebiet eine Mollusken-
fauna erhalten haben, wie sie nur wenige Gebiete von
entsprechendem Umfange aufzuweisen haben.
Das Buch wendet sich wie viele Faunen und Floren
nicht ausschliesslich an den Fachmann, sondern auch an
den Laien bezw. Anfänger. Es will nicht nur die Malako-
zoologen mit den reichen Ergebnissen der ausgedehnten
biologischen, systematisch-zoographischen und faunistischen
Untersuchungen des Verfassers bekannt machen; es will
auch den Anfänger in die Kenntnis der heimischen Weiech-
tiere einführen.
Das Buch gliedert sich in einen allgemeinen und in
einen speziellen, systematischen Teil.
Der allgemeine Teil (S. 1—46) behandelt in 31 meist
lose aneinandergereihten Absehnitten im Wesentlichen die
biologischen Verhältnisse unserer Binnenmollusken und die
Anlage der Einrichtung von Konchyliensammlungen sowie die
Anfertigung von anatomischen Präparaten und Aehnliches.
Wenden sich auch die Abschnitte des allgemeinen Teiles
vorwiegend an den Anfänger, so enthalten sie doch auch
Litteratur-Besprechungen. 451
eine Fülle von Beobachtungen (z. B. über die Abhängigkeit
des Gewichtes der Schneckengehäuse vom Kalkgehalte des
Bodens, über die Verschleppung von Mollusken, u. s. w.),
welche das volle Interesse des Fachmannes in Anspruch
nehmen. Auch die schätzenswerten Winke für die zweck-
mässige Einrichtung der Sammlungen, für das Einsammeln
der Mollusken mit Hilfe verschiedener Geräte und Aehnliches
dürften zum Teile über den Kreis der Anfänger hinaus
Interesse erwecken.
Der Schwerpunkt des Buches liegt in seinem speziellen
Teile (S. 47—509), in dem die Molluskenarten des Gebietes
in systematischer Anordnung behandelt werden. Synonyma
und umfangreichere Litteraturnachweise sind nur in be-
sonderen Fällen, bei kritischen Formen u. s. w., mitgeteilt.
Die auf Grund eigener Untersuchungen des Verfassers ent-
worfenen Diagnosen zeichnen sich durch Klarheit und Schärfe
aus. Sie berücksichtigen neben der Beschaffenheit der Ge-
häuse bezw. der Schale auch die morphologischen und ana-
tomischen Verhältnisse des Tieres selbst. Besondere Sorgfalt
hat der Verfasser u. a. den Massangaben, die in manchen
Büchern recht unzuverlässig sind, angedeihen lassen. Die
Angaben über das Vorkommen der einzelnen Arten gliedern
sich in Angaben über den „Aufenthalt“ und solche über
die Verbreitung. Die Verbreitung der einzelnen Arten hat
der Verfasser mit besonderer Ausführlichkeit behandelt, wo-
für ihm besonders alle diejenigen, welche für tiergeographische
Fragen Verständnis besitzen, sehr dankbar sein werden.
Die Fundortsangaben sind teils aus der sehr zersireuten
Litteratur zusammengetragen, teils vom Verfasser und seinen
Freunden und Korrespondenten zusammengebraeht und im
vorliegenden Buche zum ersten Male veröffentlieht. Bei
jeder Angabe ist der Gewährsmann zitiert. Leider hat der
Verfasser nicht — etwa durch die bei den Floristen üblichen
Zeichen — bei den nicht von ihm selbst herrührenden
Fundortsangaben angedeutet, ob ihm von den betreffenden
Fundorten Belegexemplare vorgelegen haben oder ob er die
Angaben durch Beobachtungen an Ort und Stelle bestätigen
kann. Die ausserordentlich zahlreichen Fundortsangaben hat
der Verfasser möglichst übersichtlich anzuordnen gesucht
29*
452 Litteratur-Besprechungen.
und zu diesem Behufe u.a. das ganze Gebiet in folgende
Hauptteile zerlegt: Thüringen, Harzgebiet, Saale- und Elb-
niederung, Muldeniederung, Eisterniederung, Braunschweig
und angrenzende Landesteile. Form- und Farbenvarietäten
sind so eingehend berücksiehtigt, wie man das selten findet;
besonders sei hervorgehoben, dass auch die Verbreitung
der Varietäten sorgfältig beachtet worden ist. Bei zahl-
reichen der behandelten Arten sind eingehende Bemerkungen,
Nomenklatur, morphologische und anatomische Verhältnisse,
Lebensweise, Aufenthalt, Verbreitung u. s. w. betreffend,
beigefügt, Bemerkungen, welche ein höchst schätzbares
Material zur Beurteilung der Mollusken unseres Gebietes
darstellen und namentlich für den Fachmann den Wert
des Buches ausserordentlich erhöhen,!) nebenbei aber auch
dem Anfänger die Trennung schwer von einander zu unter-
scheidender Formen erleichtern werden.
Dass auch die kritischen Gruppen unserer Mollusken
(die Naektschneeken, die Hyalinen zum Teile, die Vallonien,
die Suceineen, die so vielgestaltigen Wassermollusken, u. 8. w.)
eingehend und sorgfältig behandelt sind, braucht bei dem
Rufe, dessen sich der Verfasser in malakozoologischen Kreisen
erfreut, nicht besonders hervorgehoben zu werden.
Den Bedürfnissen des Anfängers hätte vielleicht durch
Beigabe von Bestimmungstabellen etwas mehr Rechnung
getragen werden können.
Ein lateinisches und ein deutsches Register (S. 310
bis 320) erleichtern die Benutzung des Buches.
Den gewaltigen Fortschritt in der Kenntnis der Mol-
lusken unseres Vereinsgebietes und ibrer Lebensweise und
Verbreitung, den das besprochene Buch bedeutet, auch nur
in Kürze zu kennzeiehnen würde den für vorliegende Be-
sprechung verfügbaren Raum zu sehr überschreiten. Referent
muss sich daher damit begnügen, anzugeben, dass in dem
1) Referent möchte hier wenigstens auf die bemerkenswerten Er-
örterungen über Hyalinia nitidula Drap., H. margaritacea A. Schmidt,
Helix tenwilabris Al. Braun, H. declivis Sterki, H. faustina Zgl., H.
obvia Hartm., H. intersecta Poir., H. rugosiuscula Mog. Tand, einige
Unionen u. a. kurz hingewiesen haben.
Litteratur-Besprechungen. 453
Buche an Landmollusken in 30') Gattungen, 188 Arten und
151 Varietäten und an Wassermollusken in 19 Gattungen, 89
Arten und 80 Varietäten, also zusammen in 49 Gattungen,
207 Arten und 211 Varietäten aufgeführt werden, eine grosse
Zahl von Formen, von denen ein nicht unbeträchtlicher
Teil vom Verfasser selbst zuerst im Gebiete aufgefunden
worden ist.
Referent wünscht dem Buche Verbreitung in den
weitesten Kreisen ‚und ist überzeugt davon, dass dasselbe
viel Anregung zur Beschäftigung mit unserer heimischen
Molluskenfauna geben und dadurch der Malakozoologie neue
Freunde und Mitarbeiter gewinnen wird.
Dr. Ewald Wüst.
Höfler, Dr. Alois und Maiss, Dr. Eduard, Naturlehre
für die unteren Klassen der Mittelschulen. Dritte
verbesserte Auflage mit 290 Holzsehnitten, drei farbigen
Figuren, einer lithographierten Sterntafel und einem An-
hange von 140 Denkaufgaben. Wien 1900. Karl Gerolds
Sohn. Preis gebunden Mk. 2,60.
Das vorliegende Buch ist eins von denen, die es in
Massen auf dem Büchermarkte giebt. Es ist ein echter
Leitfaden, dermassen mit Kürze gewürzt, dass er das Studium
der Naturlehre eher verleiden denn fördern wird. Dieser
Umstand ist um so bedauerlicher, als es sich um ein Buch
für Anfänger handelt. Hätten die Verfasser die Denk-
aufgaben am Schlusse des Buches hergenommen, daraus ein
belletristisch gehaltenes Naturlehre-Lesebuch hergestellt und
am Schlusse jedes einzelnen Lesestückes das Naturgesetz
gewonnen, dann wäre das Buch sicher eine Grossthat auf
seinem Gebiete zu nennen. — Sonst bringt das Buch eben
alles, was man nur wünschen kann, aber wie gesagt nur
kurz und knapp. Die Abbildungen sind klar und einige in
ihrer Art neu. Soviel aber ist sicher: Für den Anfänger
enthält es viel zu viel. Haupt.
!) Die Grösse dieser Zahl ist zum Teile dadurch verursacht, dass
der Verfasser Boettger’s Vorgange folgend die Gattung Pup«a in eine
ganze Anzahl von Gattungen zerlegt hat,
454 Litteratur-Besprechungen.
Rössier, Dr. Richard, Die Raupen der Grossschmetter-
linge Deutschlands. Eulen und Spanner mit Auswahl.
Eine Anleitung zum Bestimmen der Arten. Mit 2 Tafeln.
Leipzig 1900. B.G. Teubner. Preis gebunden Mk. 2,20.
Das Werkehen wird allen Naturfreunden und insbesondere
den Lepidopterologen bei der oft mühseligen Bestimmung
der Raupen, die trotz guter Abbildungen häufig resultatlos
verläuft, gute Dienste leisten. Die Anordnung ist eine über-
sichtliche, die Diagnosen sind einfach und durehsiehtig.
Alle wissenschaftlichen Ausdrücke sind verdeutscht, sodass
man nicht gerade Fachmann zu sein braucht, um sich mit
Leichtigkeit zurecht zu finden. Bei der Genauigkeit der
Beschreibungen kann das Buch auf farbige Abbildungen,
deren Wert ja bei der Variabilität der Raupenfärbung oft
ein illusorischer ist, vollkommen verzichten. Haupt.
Hallier, Prof. Dr. Ernst, Die Pestkrankheiten (In-
fektionskrankheiten) der Kulturgewächse. Nach
streng bakteriologischer Methode untersucht und in völliger
Uebereinstimmung mit Robert Kochs Entdeekungen ge-
schildert. Mit 7 Tafeln. 2. Auflage. Stuttgart, Verlag
von Erwin Nägele. 1898. 8°. VII und 1448. Preis
Mk. 8,—.
Nieht eine Darstellung der gesamten durch Pilze und
Bakterien verursachten Infektionskrankheiten bringt diese
Sehrift, wie man nach ihrem Titel vielleicht erwarten
könnte, sondern nur eine Auswahl solcher, wie sie der Ver-
fasser nach einer Methode der „strengen bakteriologischen
Forsehung“ untersucht hat. Es sind ausschliesslich Perono-
sporeen („Schimmelthaue“), die er in den Kreis seiner Be-
trachtungen gezogen hat, weil sie besonders geeignet für das
Studium der Infektionsvorgänge ihm erschienen: Cystopus
Capsellae, Zoospora, Phytophthora, Plasmatophora, Perono-
spora. HALLIER verbreitet sich unter anderem über den
Kampf der Phytophthora mit dem Fusisporium Solani, über
Kräuselkrankheit und Trockenfäule der Kartoffel und über
die im Gefolge der Phytophthora auftretenden Schimmelpilze.
Ueber die Infektionsbedingungen und Krankheitsverbreitung
Litteratur-Besprechungen. 455
enthält das Buch manches Interessante, wie es auch das
Wesen des Parasitismus eingehend erörtert.
Auch der Frage: „Was ist die Hefe der Alkohol-
gährung ?“ ist ein Abschnitt gewidmet, den man nur durch-
zulesen braucht, um die ganz eigenartigen, den allgemein
angenommenen, völlig widersprechenden Anschauungen des
Verfassers kennen zu lernen. Die Ergebnisse der in den
genannten, die zweite Abteilung der Schrift bildenden Ab-
handlungen mitgeteilten Untersuchungen in Kürze zusammen-
zufassen, ist nicht wohl möglich, vielmehr muss, wer sich
mit denselben näher bekannt machen will, auf die Schrift
selbst verwiesen werden. Ueberdies wird man den Angaben
HALLIER’S etwas skeptisch gegenüberstehen müssen, bis eine
Naehuntersuchung etwa an den gleichen Objekten und mit
den nämliehen Methoden dieselben bestätigt haben wird.
Lieber mögen dafür hier einige Bemerkungen über HALLIER’S
Grundansehauungen und über die Untersuchungsmethoden,
auf die er grossen Wert lest und die in der ersten Ab-
teilung dargestellt sind, ihren Platz finden.
HALLIER sieht in den „Plastiden“ der niederen Pflanzen
das Formelement der Zelle. Die winzigen Zellbildungen,
welche man für gewöhnlich Bakterien zu nennen pflegt, sind
ihm keine selbständigen Wesen, sondern Erzeugnisse des
Plasmas verschiedener Pilzgruppen. Die Parasiten der Infek-
tionskrankheiten sind solche Plasmaprodukte von Pilzen. Um
also den Ursprung der Infektionskrankheiten aufzufinden, hat
man bei jeder derselben zu untersuchen, welcher bestimmte
Pilz aus seinem Plasma die Kontagionzellen (Bakterien,
Mikrococeus ete.) erzeugt und auf welche Weise das ge-
schieht. Er verwirft die Einteilung der Organismen nach
der Ernährungsweise in Parasiten und Saprophyten und teilt
dafür die ersteren in phagedärische und zymotische Parasiten.
Er sprieht nieht von „Sporen“, sondern von „Knospen“ als
Fortpflanzungsorganen der Pilze. Die Bedeutung der äusseren
Bedingungen für den Entwieklungsgang wird mehrfach
gestreift und auch der Einfluss derselben auf die Bildung
der Plastiden hervorgehoben. HarLıer’s feuchte Kammer,
sonstige Kulturapparate und die damit gewonnenen Er-
fahrungen sind in einem besonderen Abschnitt zusammen-
456 Litteratur-Besprechungen.
gestellt. Bei den Kulturapparaten kommt es ihm namentlich
auf Erleichterung des Luftwechsels an. Seine feuchte Kammer
ist ein Fläschehen von dünnem Glas mit walzigem, unten
flachem Bauch und kurzem, oben matt abgeschliffenem Hals.
Dieht unter dem Hals befinden sich einander gegenüber
zwei wagerecht abstehende Glasröhrehen, die mit dem Innern
des Fläschehens und mit der äusseren Luft in offener Ver-
bindung stehen. Der Boden des Fläschehens wird mit
destilliertem Wasser bedeckt und auf der Halsmündung
das Deckglas mit dem die Aussaat enthaltenden Versuchs-
tropfen aufgekittet. In diesem kleinen Apparat, der unter
eine Glasglocke gestellt wird, kann man jahrelang die Ent-
wiekelung eines Pilzes ete. verfolgen. Die Methode der
Kultur ist im wesentlichen diejenige auf festem, durehsichtigen
Nährboden, wie sie besonders von Koch für die bakterio-
logische Untersuchung ausgebildet worden ist.
Dr. G. Dittrich.
Höck, F., Der gegenwärtige Stand unserer Kenntnis
von der ursprünglichen Verbreitung der ange-
bauten Nutzpflanzen. (Sonderabdruck aus der „Geo-
graphischen Zeitschrift) Leipzig, Verlag von B. G. Teubner.
1900. Preis 1,60 Mk.
Die vorliegende kleine Arbeit enthält eine übersicht-
liche Zusammenstellung unserer Kenntnisse von der Heimat
der angebauten Pflanzen aller Zonen und Völker. Der auf
dem Gebiete der Pflanzen-Geographie rühmlichst bekannte
Verfasser fusst dabei auf der im Jahre 1832 erschienenen
wiehtigen Arbeit A. DE CAnDorLe’s über den „Ursprung der
Kulturpflanzen“ und hat mit einem wahren Bienenfleisse
alle in späteren Arbeiten über diese Frage niedergelegten
Daten gesammelt. Gleich den früher besprochenen Arbeiten
des Verfassers kann auch die vorliegende allen Interessenten
— also nicht nur den Geographen, für die sie in erster
Linie bestimmt ist — nur warm empfohlen werden.
Dr. ©. Sehmeil.
Blochmann, Rich. Herm., Physik, gemeinfasslich dar-
gestellt in drei Bänden. I. Mechanik und Akustik. Mit
Litteratur-Besprechungen. 457
87 Abbildungen. Verlag von Streeker & Schröder. Stutt-
gart 1900.
Es liegt uns heute der erste Band eines litterarischen
Sammelunternehmens vor, welches in den nächsten Jahren
unter dem Gesamttitel „Naturwissenschaftlicher Hausschatz“
in dem oben bezeichneten Verlage erscheinen wird. Die
Verleger stellen es sich in diesem Werke zur Aufgabe, das
grosse Gehiet der Naturwissenschaften in einer vor allem
dem grossen Kreis der Nichtfachleute verständlichen Art
zur Darstellung zu bringen, denn sie gehen von der richtigen
Erkenntnis aus, dass es in unserer Zeit des allgemeinen
Fortsehrittes auf allen Gebieten nicht zum mindesten Pflicht
jedes gebildeten Mannes sein muss, über das Gebiet orientiert
zu sein, in dem er lebt, über die Natur. Die Physik, aus
der uns täglich und stündlich so ungemein viele interessante
Erseheinungen entgegentreten, eröffnet das Sammelwerk.
Sie umfasst drei Bände, deren erster die Mechanik und
Akustik, deren zweiter die Optik und Thermik, und deren
dritter die Elektrizität behandein werden. Den uns vor-
liegenden Band können wir sowohl inbezug auf Ausstattung
als auch auf Inhalt als wohlgelungen bezeichnen, so dass
das Werk eine gute Empfehlung verdient. Eine Angabe
des Preises fehlt, aber der beabsichtigte Zweck lässt ver-
muten, dass der Preis trotz der vornehmen Ausstattung
billig angesetzt ist.
Kars, ©., Der einstige zweite Mond der Erde als
Urheber aller irdischen Entwieklung. Ein Blatt
vom Baume der Erkenntnis gepflückt und der denkenden
Menschheit dargereicht. Berlin, Druck und Verlag von
Max Schildberger, 1900. Preis Mk. 1,—. |
„Wesen und Inhalt dieser Schrift werden die Kritik des
Lesers in jedem Falle herausfordern.“ So heisst es ungefähr
in der Ankündigung des Verleger. Dem kann man un-
möglich widersprechen.
Wenn jemand die Verteilung von Wasser und Land, die
Entstehung der Gebirge, die Probleme der geographischen
Verbreitung und sonst noch vielerlei einfach durch einen
4
458 Litteratur-Besprechungen.
auf die Erde gefallenen Mond erklären will, so wird
niemand um ein kräftiges Wort, das eine Kritik enthält,
verlegen sein.
„Die Erde hatte einst zwei Monde. Der innere hat
sich allmählich der Erde genähert und sich schliesslich mit
ihr vereinigt.“
„Der australische Kontinent ist der über die Erdrinde
hervorragende Teil des herabgefallenen Mondes.“
Dieses geschah zur Interglaeialzeit, nachdem die Erde
schon eine wechselvolle Jugendzeit durchkostet hatte. Ur-
sprünglich wandte die Erde „wahrscheinlich“ immer die-
selbe Seite der Sonne zu, dann trat allmählich eine lang-
same Drehung ein (vielleicht erst nach 100000 Jahren eine
Umdrehung), die immerfort zunahm. So entstanden die
nach Tausenden von Jahren zählenden Tage und Nächte.
Aus Finsternis und Eis erstand die Erde am Morgen eines
solchen Tages zu neuem Leben, aber die Mittagsglut liess
alles vertrocknen und verkohlen (Karbonzeit). Der Wechsel
von tausendjährigen Perioden von Sonnenschein und Finsternis
liess Faltungen und Risse entstehen u. s. w.
Der sich nähernde Mond bekam eine immer grössere
Anziehungskraft, diese wirkte schliesslich nieht nur auf die
Meere, sondern auf die gesammte Erdoberfläche und alles
lebende auf ihr. Die Lagerung der Moleküle wurde ver-
ändert, die festgewachsenen Lebewesen wurden frei beweg-
lich, sie hüpften und erhoben sich teilweise sogar fliegend
in die Luft.
In immer schnelleren Spiralen näherte sich der Mond
und traf schliesslich wie ein Streifschuss den Kontinent
Lemuria östlich von Madagaskar, drückte ihn in die Tiefe
und kam dann selber als Australien zum Stillstand.
Das alles und noch vieles mehr ist in dem 61 Seiten
haltenden Büchlein mit grösstem Ernste breit auseinander
gesetzt.
Schwippel, Karl, Verbreitung der Pflanzen und Tiere.
Naturfreunden gewidmet. Wien 1900. A. Pichler’s Wittwe
und Sohn. Preis geheftet Mk. 2,—.
Litteratur-Besprechungen. 459
Das nur 105 Seiten umfassende Büchelehen ist eine
durehaus originelle Leistung. Der Verfasser schildert zu-
erst die Erdoberfläche: die Gesteine, welche die ursprüng-
liche Erdrinde bildeten, dann die Neubildung der sedimen-
tären Gesteinsschiehten, die Verwitterung und die daraus
entstehenden verschiedenen Bodenarten (S. 1—8). Sodann
besprieht er die Existenzbedingungen für Pflanzen und Tiere
(S. 8—17): die verschiedenen Klimata und die Mannigfaltig-
keit der Standorte, die Vegetationsformationen, Parasitismus
und ähnliches. Im dritten Kapitel erhalten wir in kurzen
prägnanten Zügen ein Bild von der „Verbreitung und all-
mählichen Entwicklung organischen Lebens in der Ver-
gangenheit mit Rücksicht auf die fortschreitende Entwick-
lung der Erde“ (S. 17—34).
Den eigentlichen Kern des Buches bildet der zweite Teil,
„die Verbreitung der Pflanzen und Tiere in der Gegenwart,
geographische Verbreitung der Tiere und der Pflanzen
(S. 834—83). Den Beschluss macht eine systematische Anz
ordnung der Pflanzen und ebenso der Tiere.
Wie- schon gesagt ist die Art der Darstellung sehr
knapp und durchaus originell, der Verfasser versteht es in
hohem Masse die Organismenwelt in der natürlichen Reihen-
folge (soweit wir das beurteilen können) vor unserem Auge
entstehen zu lassen. Das Büchelchen wird zweifellos viele
Freunde finden, leider ist die Korrektur nicht sehr gewissen-
haft ausgeführt: so lese ich z. B. Nautilus, Pompitius; Ma-
todon; Probocidia; Oirripodien und Thilobiten.
Günther, Prof. Siegmund, Alexander von Humboldt,
Leopold von Buch. Geisteshelden, Biographieen, 39. Bd.
Berlin 1900. Ernst Hofmann & Co.
In der bekannten Sammlung von Biographieen „Geistes-
helden“ ist soeben der 39. Band erschienen. Professor _
SIEGMUND GÜNTHER (München), ein verdienter Gelehrter,
bietet uns darin die Lebensbilder von ALEXANDER VON
HUMBOLDT und LEOPOLD von Buch dar, Persönlichkeiten,
die nach dem übereinstimmenden Urteil aller, welche sich
mit der Geschichte der Naturwissenschaften im 19. Jahr-
460 Litteratur-Besprechungen.
hundert beschäftigen, untrennbar zusammengehören. Beide
Männer waren nahezu gleich alt, beide erreichten ein sehr
hohes Lebensalter; sie waren aus gleichen Lebensbeding-
ungen hervorgegangen und in der gleichen Schule heran-
gebildet; und auch in ihrem späteren Leben standen sie
unausgesetzt in engsten Wechselbeziehungen. ALEXANDER
von HumsoLpr wird als der grosse und kühne Reisende
gezeichnet, der kaum mit Unrecht als zweiter Entdecker
Süd- und Mittelamerikas gefeiert wird; als der Begründer
einer die Gesetzmässigkeit durch das ganze Universum ver-
folgenden „Weltphysik“; als der geniale Lehrer, dessen
„Kosmos“-Vorträge den Deutschen zuerst von einer höheren,
die Trockenheit der Schulgelehrsamkeit abstreifenden Dar-
stellung der Wissenschaft Kunde gegeben. Er erscheint als
ein Polyhistor im edelsten Sinne des Wortes, der den Blick
der Zeitgenossen von der Einzelforschung auf die grossen,
einigenden Gesichtspunkte lenkte. Und neben ihm steht
LEoPoLD von Buch, der Vater der modernen Geologie, als
der bewusste Vertreter der mühevollen Ergründung der
durch die Natur selbt dem Menschen vorgelegten Probleme.
Auch er ging ebensowenig ganz in dem von ihm meisterhaft
beherrschten Detail auf, sondern war stets bemüht, sich von
ihm zu verallgemeinernden Einsichten zu erheben. Es ist der
Zweck des trefiflichen Buches darzuthun, wie beide Männer,
die Dioskuren im Kampfe der exakten Naturforschung mit
der in geistreichen Gedankenbildern schwelgenden Natur-
philosophie, sieh gegenseitig vorzüglich ergänzt und vereint
ihrem Volke die kaum erhoffte Möglichkeit verschafft haben,
eine führende Rolle auf diesem Gebiete zu spielen. Obwohl
der vornehm ausgestattete und mit den Bildnissen der beiden
Forscher geschmückte Band 280 Seiten umfasst, ist der Preis
auf Mk. 2,40 (gebunden Mk. 3,20) festgesetzt.
Sammlung Göschen. Nr. 123, Nutzpflanzen von Dr. J.
Behrens. Mit 53 Figuren. G.J. Göschen’s Verlagshandlung
in Leipzig. In elegantem Leinwandband Preis Mk. 0,80.
Dem Bedürfnis nach einer Darstellung der wichtigsten
Nutzpflanzen kommt das vorliegende Bändehen entgegen.
Litteratur-Besprechungen. 461
das nacheinander die Nahrungsmittel (Zueker und Stärke)
liefernden Pflanzen, das Obst, die Genussmittel liefernden
und die Gewürzpflanzen, die Oel- und Faserpflanzen, die
Lieferanten von Kautschuk und Guttapercha, ätherischen
Oelen und Harzen, von Farbstoff und Gerbematerialien be-
handelt. In jeder dieser Kategorien wird die eine oder
andere der wiehtigsten Nutzpflanzen als Typus ausführlich
geschildert, wobei auch die Art des Vorkommens ihres
Produktes, der Gewinnung und Bereitung desselben berück-
siehtigt wird. Die weniger wichtigen Nutzpflanzen werden
dann im Anschluss an diese Typen weniger ausführlich be-
handelt. Weitergehende botanische und chemische Kennt-
nisse setzt das Büchlein nicht voraus.
Sammlung Göschen. Nr. 124, Pflanzenbiologie von
Prof. Dr. W. Migula. Mit 50 Figuren.
In diesem 131 Seiten umfassenden Büchlein erfahren
wir alles nötige über geschlechtliche und ungeschlechtliche
Fortpflanzung, Kreuzung und Selbstbefruchtung, die Ueber-
tragung des Pollens, die Verbreitung der Pflanzen, über
Sehutzeinriehtungen und Anpassungserscheinungen, Sapro-
phyten und Parasiten, über die Symbiose, über insekten-
fressende Pflanzen, und schliesslich über das Verhältnis
zwischen Pflanzen und Ameisen. Die Abbildungen sind gut
sewählt und die Darstellung sehr fliessend und angenehm
zu lesen.
Eckstein, Prof. Dr. Karl, Der Kampf zwischen Mensch
und Tier. Aus Natur- und Geisteswelt. Sammlung
wissenschaftlich - gemeinverständlicher Darstellungen aus
allen Gebieten des Wissens. 18. Band. Leipzig, Verlag
von B. G. Teubner. Geschmaekvoll gebd. Preis Mk. 1,15.
Der Kampf zwischen Mensch und Tier, den ECKSTEIN
zum Gegenstand seines gemeinverständlichen Buches ge-
wählt hat, ist kein körperlieher Kampf, sondern ein Kampf
des menschlichen Geistes gegen uns schädliche Organismen,
deren gutes Gedeihen immer einen Schaden für unsere
462 Litteratur-Besprechungen.
Person, unsere Haustiere, unsere Pflanzungen oder Vorräte
bedeutet. Der Erfolg dieses Kampfes beruht in erster Linie
auf stetig fortschreitender Erkenntnis: erst müssen wir den
Feind kennen, der uns und unser Eigentum schädigt, dann
müssen wir seinen Lebensgang bis in das kleinste Detail
erforschen und nun erst können wir beginnen, uns vor ihm
zu bewahren oder gegen ihn anzukämpfen.
Es wird kaum jemand geben, der das Büchlein, wenn
er es zu Gesicht bekommt, nicht mit grösstem Interesse und
mit wirklichem Nutzen durchlesen wird. Zum Beweise für
diese Behauptung brauche ich nur die Kapitelübersehriften
aufzuzählen: 1. Der Hirt und Jäger im Kampfe gegen Tiere.
2. Der Kampf der Landwirte gegen seine tierischen Feinde.
3. Der Kampf gegen die Zerstörer unserer Vorräte. 4. Der
Kampf des Forstmannes gegen die tierischen Schädlinge
seines Waldes 5. Der Kampf des Fischers und Fisch-
züchters gegen ihre Feinde. 6. Der Kampf gegen Parasiten.
7. Der Mensch im Kampfe gegen giftige Tiere. 8. Was ist
nötig, dass der Mensch als Sieger aus dem Kampfe hervor-
sehe? 9. Welche Mittel der Verteidigung stehen dem Tiere
zur Verfügung? 10. Welche Hilfe bietet die Natur dem
Mensehen im Kampfe gegen die Tiere? 11. Unbeständigkeit
des Sieges und Folgen des Kampfes. Dr. &. Brandes.
Bade, Dr. E., Der Schleierschwanz und Teleskop-
schleiersehwanz, ihre Zucht und Pflege und die Be-
urteilung ihres Wertes. Mit fünf Tafeln nach photo-
graphischen Aufnahmen lebender Fische und 19 Abbildg.
im Texte. Creutz’sche Verlagsbuchhandlung, Magdeburg.
Preis Mk. 0,75. |
Den zahlreiehen Liebhabern obiger herrlichen, jetzt
leicht und billig zu erhaltenden Goldfischabarten ist durch
dieses Büchlein eine zuverlässige, stiehhaltige Anleitung
über Pflege und Zueht desselben für einen billigen Preis
gegeben worden; ausserdem ist aber auch hierin der erste
Versuch veröffentlicht worden, die Bewertung des Schleier-
schwanzes und Teleskopschleierschwanzes nach bestimmten
Punkten festzusetzen. Die Wertbeurteilung, die sonst stets
Litteratur-Besprechungen. 463
nur vagen Schätzungen unterlag und besonders den Preis-
richtern auf Ausstellungen nach ihrem Geschmack überlassen
blieb, ist in feststehenden Punkten zusammengefasst. Aller-
dings erscheint auch der Verfasser, der als vormaliger lang-
jähriger Redakteur der „Blätter für Aquarien- und
Terrarienfreunde“ in Fühlung mit den namhaftesten
Züchtern des In- und Auslandes gestanden hat, die ge-
eignetste Persönlichkeit für einen solchen Bewertungsver-
such. Wir können das Büchlein rückhaltslos empfehlen.
Geyer, Wilhelm, Katechismus für Aquarienliebhaber.
Fragen und Antworten über Einrichtung, Besetzung und
Pflege des Süss- und Seewasseraquariums, sowie über
Krankheiten, Transport und Züchtung der Aquarienfische.
Vierte, von seinem Sohne Hans Geyer besorgte Auflage.
Mit dem Bildnis des Verfassers, einer Farbentafel, vier
Schwarzdrucktafeln und 84 Textabbildungen. Creutz’sche
Verlagsbuchhandlung, Magdeburg. Preis Mk. 1,30, gebd.
Mk. 2,40.
Der Verfasser empfing infolge seines Verkehres mit
Aquarienliebhabern im Laufe der Jahre eine sehr grosse
Anzahl von Anfragen und Bitten um Raterteilung, deren
meist umgehend erwartete Erledigung ihm nieht immer
möglich war. Zudem gestattete die knapp bemessene Zeit
selten die Gründlichkeit der Antworten, welehe das Inter-
esse der Fragesteller beanspruchte. Aus diesen Umständen
entschloss er sich denn, möglichst alle in Bezug auf Aquarien,
deren Einrichtung, Besetzung und Pflege sich ergebenden
Fragen selbst aufzustellen und solche zutreffend und auf
Grund eigener Erfahrungen zu beantworten. Wenn man
ermisst, dass von diesem Büchlein in kurzer Zeit vier
starke Auflagen trotz des relativ nicht sehr umfangreichen
Interessentenkreises notwendig geworden sind, so wird man
den Wert der darin erteilten Ratschläge richtig zu würdigen
vermögen. Die Ausstattung schliesst sich dem Inhalte voll
an, sie ist gediegen und durchaus lem der Preis ein
sehr bescheidener.
464 Litteratur-Besprechungen.
Jühling, Johannes, Die Tiere in der deutschen Volks-
medizin alter und neuer Zeit. Mit einem Anhange
von Segen ete. Nach den in der königlich öffentlichen
Bibliothek zu Dresden vorhandenen gedruckten und un-
gedruckten Quellen. Mit einem Geleitworte von Hofrat
Dr. med. Höfler, Bad Tölz. Mittweida, Polytechnische
Buchhandlung (R. Sehulze), 1900. Preis broschiert Mk. 6,—.
Das vorliegende umfangreiche Buch (355 Seiten) will
nach der Angabe des Autors nichts weiter sein als ein
Nachsehlagebuch für Forscher auf dem Gebiete der Volks-
kunde in erster Linie, ebenso aber auch auf dem der Ge-
sehiehte der Medizin und der Kulturgeschichte In dem
Geleitworte führt Hofrat HöFLER aus, inwiefern derartige
Zusammenstellungen von grösstem Werte sind. Hinter jedem
Volksmittel (sei es hergenommen von irgend einem Tier
oder bestehe es in schwerverständlichen Sprüchen) stecke
ein Stück Kulturgeschiehte, nieht etwa ein vermeintlicher
Unsinn des sogenannten Aberglaubens.. „Wer es enträtseln
kann, liefert einen wertvollen Beitrag zur Kulturgeschichte
der Menschheit.“ Jedenfalls ist es höchst interessant, zu
sehen, welche Unmenge von Volksrezepten existieren, die
Bestandteile der verschiedenartigsten Tiere (vom Affen
herab bis zu den Insekten) oder Produkte von ihnen als
Heilmittel für die mannigfaltigsten Krankheiten und Ge-
brechen empfehlen.
Das Tierleben der Erde von Wilhelm Haacke und
Wilhelm Kuhnert. 3 Bände. Mit 620 Textillustrationen
und 120 ehromotypographischen Tafeln. Berlin, Martin
Oldenbourg, 1900. In 40 Lieferungen zu je Mk. 1,—.
Von diesem bereits auf Seite 141 angekündigten Pracht-
werke liegst uns die vierte und fünfte Lieferung vor. Wir
nehmen gern Gelegenheit, unsere Leser auf die Schönheit
der beigegebenen farbigen Tafeln hinzuweisen. Es finden
sich auf ihnen von der Meisterhand Kunnerr's dargestellt:
ein paar Hamster im Kornfelde, der Wüstenfuchs (Fenneh),
die Wüstenspringmaus (Dipus), die Hornviper, die Siedler-
Agame, der Pillenkäfer (Scarabaeus), ein Wisentstier und
Litteratur-Besprechungen. 465
ein Königstiger mit einer Kuhantilope. Der Text fährt
fort in der Schilderung des Tierlebens der Wälder, Baum-
pflanzungen und Gebüsche Europas, es wird das Kapitel
über Vögel abgeschlossen und ausserdem die Reptilien und
Amphibien, Käfer und Hautflügler behandelt. Auch die
Textfiguren sind vorzüglich gezeichnet und reproduziert.
Auf den Inhalt können wir erst näher eingehen, wenn
nach Beendigung des ersten Bandes ein einigermassen ab-
seschlossenes Ganze vorliegt.
Wolterstorff, Dr. W., Ueber ausgestorbene Riesen-
vögel. Mit 2 Abbildungen. Stuttgart, Verlag von Erwin
Nägele, 1900. Preis Mk. 0,60.
Das Magdeburger Museum, dem der Autor obiger Schrift
als Kustos vorsteht, hat das seltene Glück gehabt, gleich-
zeitig zwei prächtige Skelette von Moas zu erhalten, deren
Aufstellung WOLTERSTORFF Veranlassung gaben, in über-
siehtlieher Form alles allgemein interessierende über die
ausgestorbenen Vogelriesen Neu-Seelands, Madagaskars und
Patagoniens zur Darstellung zu bringen.
Nach einer allgemeinen Einleitung über ausgestorbene
Tiere überhaupt, wendet sich WOLTERSTORFF zu der
Sehilderung Neu-Seelands, dessen Pflanzen- und Tierwelt
er kurz charakterisiert, um sodann die interessante Ent-
deekungsgeschichte der Moas wiederzugeben. Diese belehrt
uns gleichzeitig über den Bau, die Befiederung, die Eier
und die Embryonen der verschwundenen Riesenvögel. Be-
sonders interessieren werden die Mitteilungen über die
srosse Anzahl der auf dem verhältnismässig kleinen Neu-
Seeland gefundenen Moa-Arten. Von einzelnen Forschern
werden nicht weniger als 25 Arten unterschieden, deren
Grösse zwischen 90 cm und 3'!/; m schwankt. Es werden
sodann die Fragen erörtert: Wie lebten die Moas? In
welchem Verhältnis stand der Mensch zu ihnen? Wann
traten sie auf und wann sind sie aus der Reihe der Lebenden
verschwunden ?
Daran schliessen sich Mitteilungen über den in histo-
rischer Zeit noch lebend angetroffenen rallenartigen Vogel
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 30
466 Litteratur-Besprechungen.
„Notornis Manteli“, über den längst verschwundenen
srossen Verwandten der Enten, Onemiornis und den riesigen
früheren Raubvogel Neu-Seelands, Harpagornis. Der Autor
möchte zur Erklärung dieses Aussterbens einer grossen An-
zahl stattlicher Vögel in verhältnismässig junger Vergangen-
heit die allmähliche Abnahme des Flächengehaltes von
Neu-Seeland und die Unmöglichkeit in andere Gegenden
bei Klimawechsel zu wandern, heranziehen.
In ein paar besonderen Kapiteln werden sodann die
Parallelen gezogen, die uns die ausgestorbene Vogelwelt
Madagaskars und Patagoniens bieten.
Wir können die Lektüre der kleinen Schrift, dem die
photographischen Abbildungen der beiden im Magdeburger
Museum aufgestellten Moa-Skelette (Dinornis robustus mut-
masslich Dinornis maximus — giganteus Z und Pachyornis
elephantopus Ow.) zur Zierde gereichen, unseren Lesern
warm empfehlen. Dr. G. Brandes.
Neu erschienene Werke.
Mathematik und Astronomie.
Fuhrmann, A., Anwendungen der Infinitesimalrechnung in den Natur-
wissenschaften, im Hochbau und in der Technik. Lehrbuch und
Aufgabensammlung. (In 6 Teilen.) Teil I: Naturwissenschaftliche
Anwendungen der Differentialrechnung. 2. Auflage. Berlin 1900.
gr.8. 18 und 239 pg. mit 28 Holzschnitten. 6,— Mk.
Bisher erschien in 1. Auflage Teil II und III: Naturwissenschaftliche Anwend-
ungen der Integralrechnung und bauwissenschaftliche Anwendungen der Difierential-
rechnung. 1890—99. 279 und 364 pg. mit 135 Holzschnitten. 11,— Mk,
Scheffers, &., Anwendung der Differential- uud Integralreehnung auf
Geometrie. 2 Bände. Leipzig 1900. gr. Ss. Mit zahlreichen Holz-
schnitten. — Unter der Presse. — Preis ca. 16,— Mk.
Sobotka, J., Beitrag zur Perspektive des Kreises und anschliessend
zur Konstruktion der Axen und Kreisschnitte für Flächen zweiten
Grades. Wien (Sitzungsb. Akad.) 1900. gr. 8. 32 pg. mit 1 Tafel.
0,90 Mk.
Ristenpart, F., Verzeichnis von 329 Sternkatalogen. (Aus: Valentiner,
Handwörterbuch der Astronomie.) Breslau 1900. gr. 8. 40 pg.
2,— Nk.
Finsterwalder, S., Ueber die Konstruktion von Höhenkarten aus
Ballonaufnahmen. München (Sitzungsb. Akad.) 1900. gr. 8. 16. pg.
mit 1 Tafel und 3 Holzschnitten. 1,— Mk.
Meyer, M. W., Die Königin des Tages und ihr Reich. Astronomische
Unterhaltungen über unser Planetensystem und das Leben auf anderen
Erdsternen. 2. Auflage. Teschen 1900. 8. 4,50 Mk.
Helmert, F.R., Zur Bestimmung kleiner Flächenstücke des Gooids
aus Lothabweichungen mit Rücksicht auf Lothkrümmung. Mitteilung.
Berlin (Sitzungsb. Akad.) 1900. gr.8. 19 pg. 1,— Mk.
Hübl, A.v., Die photogrammetrische Terrainaufnahme. Wien (Mitteil.
milit.-geograph. Inst.) 1900. gr. 8. 68 pg. mit 5 Tafeln und Holz-
schnitten. 1,20 Mk.
30*
468 Neu erschienene Werke.
Physik und Chemie.
Riedler, A, Kompressoren. Neuere Maschinen zur Verdichtung von
Luft und Gas. München 1900. gr. 8. Mit 274 Abbild. 4,— Mk-
Giltay, E., Das Sehen, besonders mit Rücksicht auf den Gebrauch
optischer ns — siehe No. 2327.
Goethe. — König, W., Goethe’s optische Studien. Frankfurt a. M.
1900. gr.8. 32 pg. 1,— Mk.
Danneberg, R., Ueber die festen Agregatzustände des Wassers, unter
besonderer Berücksichtigung der Gletschertheorie. Leipzig 1899. 8.
55 PS-
Dörge, O., Eine Studie über Seifenblasen. (Elektrischer Kreisprozess.)
Leipzig 1899. 8. 21 pg. mit 3 Holzschnitten. 1,— Mk.
Robel, E., Die Sirenen. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der
Akustik. (5 Teile) Teil IV: Die Analyse der Syrenenklänge. Berlin
1900. 4. 40 pg. mit 1 Tafel. 1,— Mk-
Teil I—III. 1891—95. 29, 34 und 32 pg. 3,20 Mk.
Acetylen in Wissenschaft und Industrie. Zentralorgan für die Ge-
samtinteressen der Acetylen- und Carbidtechnik. Herausgegeben von
M. Altschul und K. Scheel. Halle a.S. 4. Mit Abbildungen. — Jahr-
gang Ill: 1900 (24 Nrn). 16,— Mk.
Assmann, R. und Berson, A., Wissenschaftliche Luftfahrten, aus-
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Berlin. Unter Mitwirkung von 0. Baschin, W. von Bezold, R. Börn-
stein, H. Gross, V. Kremser, H. Stade und R. Süring. Drei Bände.
Braunschweig 1900. gr. 4. 377, 706 und 312 pg. mit 59 Karten,
4 Tafeln, 6 farbigen Vollbildern und 349 Abbildungen. 100,— Mk.
Bezold, W.v., Theoretische Betrachtungen über die Ergebnisse der
wissenschaftlichen Luftfahrten des Deutschen Vereins zur Förderung
der Luftschifffahrt in Berlin. (Aus: Assmann und Berson, Wissen-
schaftliche Luftfahrten.) Braunschweig 1900. gr. 4. 31 pg. mit 17 Ab-
bildungen. 1,— Mk.
Manning, G.L., Beitrag zur Kenntnis der Absorption des Lichtes.
Berlin 1900. 8. 28 pg. mit 3 Holzschnitten. 1,20 Mk.
Lessing, A., Ueber die Elastizität einiger Kupfer-Nickel-Legierungen.
Berlin 1900. 8. 32 pg. mit 1 Holzschnitt. 1,20 Mk.
Pacher, P., Die Kraft ist keine Eigenschaft des Stoffes. Wien 1900.
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Debes, E., Physikalisch - politische Schulwandkarte der Erde in Mer-
cator’s Projektion. 2. Auflage. Leipzig 1900. 4 kolorierte Karten
(8 Blätter), 1,60 : 2,50 m. Aufgezogen mit Stäben. 21,— Mk.
Beiträge zur Kenntnis der atmosphärischen Elektrizität. V: Mache, H.,
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I—IV. 1899. 124 pg. mit 3 Tafeln und 13 Holzsebnitten. 2,70 Mk.
Graetz, L., Das Licht und die Farben. Leipzig 1900. 8. 6 und
150 pg. mit 113 Abbildungen. 0,90 Mk.
Neu erschienene Werke. 469
Holborn, L. und Day, A., Ueber die Ausdehnung von Platin,
Platiniridium, Palladium, Silber, Nickel, Eisen, Stahl und Constantan
in hoher Temperatur. Berlin (Sitzungsb. Akad.) 1900. gr. 8. 5 pg.
0,50 Mk.
Mache, H., Ueber die Regenbildung. Wien (Sitzungsb. Akad.) 1900.
gt.8. 6pg. 0,20 Mk.
Mülfarth, P., Ueber Adsorption von Gasen an Glaspulver. Bonn
1900. 8. 65 pg. mit 2 Holzschnitten.
Vodusek, M., Ebbe und Flut. Laibach 1900. 8. 12 pg.
Volta, A., Briefe über tierische Elektrizität (1792). Herausgegeben
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Wiener, O., Die Erweiterung unserer Sinne. Leipzig 1900. gr. 8.
43 pg. 1,20 Mk.
Bericht über das chemisch-hygienische Untersuchungsamt der Stadt
Stralsund (zugleich amtliche Nahrungsmittel-Untersuchungsstation für
Kreis Grimmen) für die Zeit vom 1. April 1894 bis 31. März 1899.
Von A. Schlicht. Stralsund 1900. gr.8. 3 und 89 pg. 2.— Mk.
Centralblatt für Bakteriologie. Abteilung II. Allgem., landwirtsch.-
technol. Bakteriologie, Gährungsphysiologie und Pflanzenpathologie.
Herausgegeben von O. Uhlworm und E.C. Hansen. Band VI. 1900.
(26 Nrn.) Jena. gr.8. Mit Tafeln. 20,— Mk.
Jaubert, G. F., Matieres odorantes artifieielles. Paris 1900. 8. 190 pg.
2,20 Mk.
Van’t Hoff, J.H., Meyerhoffer, W., Donnan, F.G. u. A., Unter-
suchungen über die Bildungsverhältnisse der ozeanischen Salzab-
lagerungen, insbesondere des Stassfurter Salzlagers. Mitteilung 16
und 17: Das Magnesiumkaliumsulfatfünfviertelhydrat und eine Be-
ziehung in der Zusammensetzung der bei 25° an Chlornatrium Chlor-
kalium gesättigten Lösungen, von N. Kassatkin und H. A. Wilson.
Berlin (Sitzungsb. Akad.) 1900. gr.8. 3 und 2 pg. 0,50 Mk.
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7,— Mk. — Mitteil. 8 und 12 als Sonderdruck nicht erschienen.
Wilbrand, F., Ueber Ziel und Methode des chemischen Unterrichts.
Ein Beitrag zur Methodik. 2. Auflage. Hildesheim 1900. gr. 8.
3 und 58 pg. 1,20 Mk.
Bonne, @., Die Wichtigkeit der Reinhaltung der Flüsse, erläutert an
dem Beispiel der Unterelbe bei Hamburg-Altona. Leipzig 1900. 8.
1,— Mk.
Degener, P., Das Kohlebrei-Verfahren (zur Reinigung der Abwässer).
Leipzig 1900. 8. 0,50 Mk.
Lassar-Cohn, Die Chemie des täglichen Lebens. Gemeinverständliche
Vorträge. 4. Auflage. Hamburg 1900. Ss. 8 und 320 pg. Mit
22 Abbildungen. Leinenband. 4,— Mk.
Lebbin, G., Verkehr mit Heilmitteln und Giften im Deutschen Reiche.
Ein Kommentar zu den kaiserlichen Verordnungen über den Verkehr
mit Arzneimitteln und dem Bundesratsbeschluss betreffend den Ver-
kehr mit Giften. Berlin 1900. 8. 7,— Mk.
470 Neu erschienene Werke.
Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Hosaeus, A. und Weidenhammer, R., Grundriss der landwirt-
schaftlichen Mineralogie und Bodenkunde. Fünfte verbesserte Auf-
lage. Leipzig 1900. 8. 1,20 Mk.
Reiser, F., Das Härten des Stahles in Theorie und Praxis. 3. Aufl.
Leipzig 1900. gr.8. 8 und 128 pg. 3,— Mk.
Heilsberg, A., Ein Lehrplan für die Mineralogie im Obergymnasium.
Wien 1900. 8. 26 pg.
Carol, J., La Nouvelle-Caledonie miniere et agrieole. Paris 1900. 8.
24 et 121 pg. 2,— Mk.
Frech, F., Ueber Ergiebigkeit und voraussichtliche Erschöpfung der
Steinkohlenlager. (Aus: Lethaea palaeozoica.) Stuttgart 1900. gr. 8.
18 pg. 0,40 Mk.
Geschichte des Mansfeld’schen Kupferschieferbergbaues und Hütten-
betriebes. Festschrift zur Feier des 700 jährigen Jubiläums. Eisleben
1900. gr.8. 4 und 98 pg. mit 2 graph. Darstellungen. 3,— Mk.
Tornquist, A, Das Vicentinische Triasgebirge. Eine geologische
Monograpbie. Herausgegeben mit Unterstützung der königlichen
Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Stuttgart 1900. gr.8. 8
u. 195 pg. mit 2 Karten, 16 Tafeln und 10 Abbildungen. 12,— Mk.
Walther, J., Das Gesetz der Wüstenbildung in Gegenwart und Vor-
zeit. Herausgegeben mit Unterstützung der königlichen Akademie
der Wissenschaften zu Berlin. Berlin 1900. Lex. 8. 14 u. 175 pg.
mit 46 Lichtdruckbildern und 4 Autotypien. Gebunden. 12,— Mk.
Lorenz von Liburnau, L., Ueber einige Reste ausgestorbener
Primaten von Madagaskar. Wien (Denkschr. Akad.) 1900. 4. 15 pg.
mit 3 Tafeln und 6 Abbildungen. 4,60 Mk.
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von Java. Leiden (Sammlung geolog. Reichsmuseums) 1900. gr. 8.
102 pg.
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Ver.) 1900. 8. 18 pg. mit 1 Tafel. 3,— Mk.
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— , Ueber Rhinoceros Goldfussi Kaup und die anderen gleichzeitigen
Rhinocerosarten. Augsburg (Bericht Naturwiss. Vereines) 1900. 8.
52 pg. mit 2 Tafeln. 3,— Mk.
Nopesa, F., Dinosaurierreste aus Siebenbürgen (Schädel von Limno-
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Gu6ricolas, R., De Hermaphroditisme chez ’Homme et les Animaux
sup6rieurs. Lyon 1899. 8. 102 pg. Avec figures.
Neu erschienene Werke. 471
Heck, L., Lebende Bilder aus dem Reiche der Tiere. Augenblicks-
aufnahmen nach dem lebenden Tierbestande des Berliner zoologischen
Gartens. 192 Abbildungen mit erklärenden Unterschriften. Einseitig
bedruckte Ausgabe. Berlin 1900. Quart, Fol. 200 pg.
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ann, J., Taschenbuch für Vozdıemdls Eine Sehens der
öimilesion in Mitteleuropa heimischen Vögel. (In 7 Lieferungen.)
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läuterndem Text. — Lieferung 1: 2 schwarze u. 8 kolorierte Tafeln
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Danziger, F., Schädel und Auge. Eine Studie über die Beziehungen
zwischen Anomalien des Schädelbaues und des Auges. Wiesbaden
1900. gr.8. 5 und 56pg. Mit 3 Tafeln. 2,80 Mk.
Fischel, A., Ueber die Regeneration der Linse. Wiesbaden (Anat.
Hefte) 1900. gr.8. 255 pg. Mit 9 kolorierten Tafeln.
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1900. Nos. 3-5. Paris. gr. in-8. Aveec Aplanches et 75 figures.
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55 figures. 4,— Mk. — No.5: Blanchard, R., Les Eceeidies et leur röle pathogene.
pg. 133—172 avec 12 figures, 2,40 Mk.
Nos. 1 et 2, 36 pg. aveo 2 planches et li figures. 4,50 Mk.
Wuthe, W., Ueber den Einfluss der Rübenmelasse und einige ihrer
Präparate auf die Milchsekretion. Breslau 1900. 8. 88 pg.
Bastian, A., Die humanistischen Studien in ihrer Behandlungsweise
nach komparativ-genetischer Methode auf naturwissenschaftlicher
Unterlage. Prolegomena zu einer ethnischen Psychologie. Berlin
1900. 8. 192 pg. 3,— Mk.
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1900. gr.8. 231 pg. 4,— Mk.
Montelius, O., Der Orient und Europa. Einfluss der orientalischen
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Herausgegeben von der königlichen Akademie der Wissenschaften
in Stockholm. Deutsche Uebersetzung von J. Mestorf. Heft 1.
Berlin 1900. gr. 8. 186 pg. mit zahlreichen Abbildungen. 6,— Mk.
Rörig, A., Ueber Geweihentwicklung und Geweihbildung. Teil I
und II: Die phylogenetischen Gesetze der Geweihentwicklung; die
Geweihentwicklung in histologischer und histogenetischer Hinsicht.
Leipzig (Arch. Entwicklungsmech.) 1900. gr. 8. 120 pg. mit 9 Tafeln
(1 koloriert).
Schriever, O., Die Darmzotten der Haussäugetiere. Beitrag zu deren
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1899. 8. 55 pg.
Collmann, B., Fünf Fälle von Balantidium coli im Darm des Menschen.
Königsberg 190). 8. 29 pg. 1,50 Mk.
#72 Neu erschienene Werke.
Botanik.
Winter, @., Rehm, H., Fischer, A., u. A., Die Pilze Deutschlands,
Oesterreichs und der Schweiz. Leipzig 1900. gr. 8. Mit zahlreichen
Abbildungen. — Lieferung 69 und 70 (Abteilung VI: Fungi imper-
fecti, bearbeitet von A. Allescher. Lieferung 11 und 12): pg. 641
bis 768. Jede Lieferung 2,40 Mk.
Brunet, R., Les Maladies et Insectes de la Vigne. Paris 1960. 8.
228 pg. Avec 12 planches colorees et 33 figures. 4,— Mk.
Schulze, O., Untersuchungen über die Strahlenpilzformen des Tuber-
kuloseerregers. Leipzig (Zeitschr. Hygiene) 1899. 8. 36 pg. Mit
1 kolorierten Tafel in-4. 2,— Mk..
Braun, K., Ueber Veränderungen im Gewebe entlaubter Stengel und
Zweige. Erlangen 1899. 8.
Heintzel, K., Kontagiöse Pflanzenkrankheiten ohne Mikroben unter
besonderer Berücksichtigung der Mosaikkrankheit der Tabaksblätter.
Erlangen 1900. 8. 46 pg. mit 1 Tafel.
Hirschweh, H., Aldehydbildung in grünen Blättern bei verschiedener
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Kronfeld, M., Studien über die Verbreitungsmittel der Pflanzen.
Teil I: Windfrüchtler. Leipzig 1900. 8. 42 pg. mit 5 Abbildungen.
1,— Mk.
Paratore, E., Ricerche istologiche sui tubercoli radicali delle Legu-
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Berg, E., Studien über den Dimorphismus von Ranunculus Ficaria.
Erlangen 1900. 8. 47 pg.
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femme enceinte. Paris 1900. gr. in-8. 103 pg.
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meinen. Erlangen 1899. 8. 99 pg.
Lauterbach, C. und Schumann C., Flora der Deutschen Schutzge-
biete in der Südsee. Berlin 1900. Lex. 8. Mit zahlreichen Tafeln
und Abbildungen. — Unter der Presse. — Preis ca. 40,— Mk.
Druck von Ehrhardt Karras, Halle a. S.
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I—IIl. Die Prinzipien” der Biologie. in a
V-—V. Die Prinzipien der Psychologie. 1He.
I-IX. Die Frinzipien der Soziologie. LV.
RL. ‚Die Prinzipien ‚der Ethik. Li.
_ Verlag an Kewin Nägele. in Stuttgart.
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Direktor des 'anatom. Instituts. ‚der Univ: ersität Strassburg.
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befruchtet werden. Zweite Auflage. Mit 38 Holzschnitten. 1899.
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und in einer ausgewählten Reihe seiner veröffentlichten Briefe. Her-
ausgegeben von seinem Söhne Franeis Darwin. 1893. u kn
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