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Full text of "Zeitschrift Für Orthopädische Chirurgie Einschließlich Der Heilgymnastik Und Massage 12.1904 UC"

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I 






UNIVERSITY OF CALIFORNIA 
SAN FRANCISCO MEDICAL CENTER 
LIBR.4RY 






































































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♦ 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

ORTHOPÄDISCHE CHIRURGIE 

EINSCHLIESSLICH DER 

HEILGYMNASTIK UND MASSAGE^ 


UNTER MITWIRKUNG 

VON 

Dr. BnUKENBERG in Liegnitz, Prof. Dr. LORENZ in Wien^ Privatdocent 
Dr. W. SCHULTHESS in Zürich, Professor Dr. VULPIUS in Heidelberg, 
Oberarzt Dr. L. HEUSNER in Barmen, Professor Dr. JOACHIMSTHAL in 
Berlin, Professor Dr. F. LANGE in München, Dr. A. SCHANZ in Dresden, 
Dr. DREHMANN in Breslau 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

DR. ALBERT HOPPA, 

GEH. MEDICINALRATH, ». o. PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. 


XII. BAND. 


MIT 377 IN DEN TEXT GEDRÜCKTEN ABBILDUNGEN. 






Stuttgart;. 

VERLAG VON FERDINAND ENKE. 

1904. 


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»ruck der Union Deutsche Verlagegesellschaft 


iu Stuttgart. 



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Inhalt 


Seite 


I. Der heutige Stand der Sehnenplastik. Von Prof. Dr. Vulpius- 

Heidelberg. 1 

II. Die Sehnenverpflanzung. (Correferat, erstattet auf dem 2. Congress 

der Deutschen Gesellschaft für orthopädische Chirurgie am 2. Juni 
1903.) Von Prof. Dr. F. Lange-Mönchen. Mit 15 in den Text 
gedruckten Abbildungen.16 

III. Erfahrungen mit Sehnen- und Muskeltransplantationen. Von 

Dr. A. Schanz-Dresden.45 

IV. Die Aetiologie der Schenkelhalsverbiegungen. (Referat, erstattet 
auf dem 2. Congress der Deutschen Gesellschaft für orthopädische 
Chirurgie am 2.Juni 1903.) Von Prof. Dr. Joachimsthal -Berlin. 

Mit 24 in den Text gedruckten Abbildungen.52 

V. Beitrag zur Aetiologie der nichtsymptomatischen Coxa vara. Von 

Prof. Dr. Froelich-Nancy. Mit 6 Abbildungen.80 

VI. Zur Behandlung der Coxa vara. Von Prof. Dr. A. Codivilla- 
Bologna. Mit 7 in den Text gedruckten Abbildungen .... 91 

VII. Coxa vara — die statische Belastungsdeformität des Schenkelhalses. 

Von Dr. A. Schanz-Dresden. Mit 1 in den Text gedruckten. 
Abbildung.99 

VIII. Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen mittelst 
Extension und orthopädischen Massnahmen während der eigent¬ 
lichen Fracturheilung. Von Prof. Dr. Bardenheuer -Köln a. Rh. 

Mit 44 in den Text gedruckten Abbildungen.107 

IX. üeber Hilfsapparate bei der Behandlung der angeborenen Hüft- 

luxation. Von Dr. Heusner-Barmen. Mit 3 in den Text ge¬ 
druckten Abbildungen.159 

X. Zur Behandlung der congenitalen Hüftluxation. Von Dr. Schnitze- 

Duisburg. Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen .... 163 

XI. Die KümmelPsche Wirbelerkrankung. Von Dr. med. Brodnitz- 

Frankfurt a. M.168 

XII. Demonstration neuer Apparate zur Behandlung des Klumpfusses. 

Von Dr. Heusne r-Barmen. Mit 7 in den Text gedruckten Ab¬ 
bildungen .171 


XIII. (Aus dem orthopädischen Institut von Dr. Ernst Mayer in 
Köln a. Rh.) Zur Redression des angeborenen Klumpfusses beim 
Erwachsenen (mit Demonstration eines im 50. Lebensjahre re- 
dressirten Patienten). Von Dr. Ernst Mayer, Specialarzt für 
Orthopädie in Köln a. Rb. Mit 3 in den Text gedruckten Ab¬ 
bildungen .176 


4 / , 

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IV 


Inhalt. 


Seite 


XIV. (Aus dem orthopädischen Institut von Dr. Max Blumenthal und 
Dr. K. Hirsch, Berlin.) lieber hereditäre angeborene doppel¬ 
seitige Supinationsstörung des Ellbogengelenkes. Von Dr. Max 
Blumenthal -Berlin. Mit 8 in den Text gedruckten Abbildungen 181 
XY. (Aus dem Institut für orthopäd. Chirurgie von Dr. M. Blumenthal 
und Dr. K. Hirsch in Berlin.) Heber einen Fall von doppelseitigem 
angeborenen Hochstand der Schulterblätter. Von Dr. Karl Hirsch- 
Berlin, Specialarzt für Chirurgie und Orthopädie. Mit 6 in den 


Text gedruckten Abbildungen.195 

XVI. (Aus der Königl. Universitäts-Poliklinik für orthopädische Chirurgie 
zu Berlin.) Beziehungen zwischen Halsrippen und Skoliose. Von 

Dr. Carl Helbing, Assistenzarzt.216 

XVII. Meine Erfahrungen über Sehnenverpflanzungen. Von Professor Dr. 

A. Codivilla, Director des orthopädischen Instituts Rizzoli in 
Bologna. Mit 6 in den Text gedruckten Abbildungen . . . . 221 

XVIII. Erfahrungen über den Werth des orthopädischen Coi*sets. Vortrag, 
gehalten auf dem II. Congress für orthopädische Chirurgie. Von 
Dr. Peter Bade-Hannover. Mit 5 in den Text gedruckten Ab¬ 
bildungen .252 


XIX. (Aus dem Univei-sitäts-Ambulatorium für orthopädische Chirurgie 
des Prof. A. Lorenz in Wien.) Epiphyseolyse mit subcutaner 
Periosteotomie zur Behandlung des Genu valgum infantum. Von 

Dr. Max Reiner, Assistenten des Ambulatoriums.291 

XX. (Aus dein Universitäts-Ambulatorium für orthopädische Chirurgie 
des Prof. A. Lorenz in Wien.) Heber die Beziehungen von con- 
' genitaler Coxa vara und congenitalem Femurdefect. Von Dr. Max 
Reiner, Assistenten des Ambulatoriums. Mit 1 in den Text ge¬ 
druckten Abbildung.297 

XXL (Aus dem Universitäts-Ambulatorium für orthopädische Chirurgie 
des Prof. A. Lorenz in Wien.) Die Tenodese, eine Form partieller 
Arthrodese. Von Dr. Max Reiner, Assistenten des Ambulatoriums 306 
XXII. (Aus der Breslauer chirurgischen E^inik des Geh. Medicinalraths 
Prof. Dr. V. Mikulicz-Radecki.) Fehlerhafte Keimanlage als 
Entstehungsursache angeborener Fuss-, Hand- und Schädelverbil¬ 
dungen , insbesondere des Klumpfusses und des Schrägkopfes. 

Von Dr. Georg Schmidt, Oberarzt im Königin Augusta-Garde- 
Gren.-Regt. Nr. 4, komm, zur Klinik. Mit 10 in den Text ge¬ 


druckten Abbildungen.315 

XXIII. Gedanken zur Theorie und Behandlung der Skoliose. Von 
Dr. Konrad Port, Specialarzt für Chirurgie in Nürnberg. Mit 

7 in den Text gedruckten Abbildungen.354 

XXIV. Ein Beitrag zur sogenannten Klumphand. Von Dr. A. Blencke, 
Specialarzt für orthopädische Chirurgie in Magdeburg. Mit 4 in 

den Text gedruckten Abbildungen.380 

XXV. Eine Behandlungsmethode des doppelseitigen Genu valgum adoles- 
centium. Von Dr. med. J. Gerard Milo, Orthopäde im Haag. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen.389 


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Inhalt. V 

Seite 

XXVI. Supinationsschwäche bei Plattfass und ihre Behandlung. Von 
Dr. Oscar v. Hovorka, Chefarzt für Orthopädie am Wiener 
Zanderinstitut. Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung . . . 893 
XXVIl. Gummiluftpelotten zur Behandlung der schweren Skoliose und der 
Kyphose. Von Dr. Lubinus-Kiel, Specialarzt für Orthopädie. 

Mit 11 in den Text gedruckten Abbildungen.399 

XXVni. Die Behandlung des Klumpfusses. Referat, erstattet auf dem 
XIV. internationalen medicinischen Congress zu Madrid 23. bis 
30. April 1903. Von Prof. Cesare Ghillini-Bologna .... 408 
XXIX. (Aus dem St. Johannes-Hospital.zu Bonn [chirurgische Abtheilung; 

Chefarzt weiland Herr Geheimrath Schede].) Zwei Fälle von 
seltener Kniegelenksverletzung, behandelt durch einen neuen 
orthopädischen Apparat. Von Dr. Karl Vogel, Secundärarzt, 
Privatdocent für Chirurgie. Mit 3 in den Text gedruckten Ab¬ 
bildungen ...416 _ 

XXX. (Aus dem St. Johannes-Hospital zu Bonn [chirurgische Abtheilung; 

Oberarzt Herr Prof. Dr. Bier].) Ein Fall von angeborener 
Skoliose, zugleich mit angeborener Hüftluxation. Von Dr. Karl 
Vogel, Secundärarzt, Privatdocent für Chirurgie. Mit 2 in den 


Text gedruckten Abbildungen.421 

XXXI. Ein Fall von Myositis ossificana progressiva. Von Dr. Julius 
Michelsohn-Hamburg. Mit 12 in den Text gedruckten Ab¬ 
bildungen ..424 

XXXll. Ein Fall von totalem Defect des Radius. Von Dr. Julius 

Michelsohn - Hamburg. Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen 445 
XXXllI. Zur Redression von Rückgratsverkrümmungen. Von Dr. Karl 

Ger so n-Berlin. Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung . . 453 


XXXIV. Massirbank mit ExtensionsVorrichtung und Redressionsbügel. Von 

Dr. Karl Gereon-Berlin. Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung 456 
XXXV. Apparat zur Mobilisirung des Hüftgelenks und zur Behandlung 
von Klump- und Plattfüssen. Von Dr. Karl Gerson-Berlin. 


Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung.458 

XXXVI. üeber den normalen Fuss und den Plattfuss. Von Dr. Walter 

Engels-Hamburg. Mit 34 in den Text gedruckten Abbildungen 461 

Referate.504 

XXXVII. (Aus der Breslauer chirurgischen Klinik des Geh. Medicinalraths 


Prof. Dr. V. Mikulicz-Radecki.) lieber angeborene Hüft- 
und Kniebeugecontractur. Von Dr. Georg Schmidt, Ober¬ 
arzt im Königin Augusta-Garde-Gren.-Regt. Nr. 4, komm, zur 

Klinik. Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung.577 

XXXVIII. üeber einige, meiner Behandlungsart der seitlichen Rückgrats¬ 
verkrümmungen eigenthümliche, orthopädische Uebungsapparate 
und deren Verwendung. Von Dr. K. M. Schwarz, Leiter der 


orthopädischen Heilanstalt in Prag. Mit 13 in den Text ge¬ 
druckten Abbildungen.585 

XXXIX. Ein einfacher neuer Kyphosenapparat. Von Dr. S c h 1 e e - Braun¬ 
schweig. Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen .... 610 


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VI 


Inhalt. 


Seite 


XL. (Aus dem Hamburger Medico-mechanischen Zander-Institut.) Die 
Vorwärtslagerung des SchultergQrtels als Haltungsanomalie und 
in Beziehung zum ,runden Rücken“. Von Dr. K. Hasebroek. 

Mit 6 in den Text gedruckten Abbildungen.613 

XLI. Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. Von Dr. A. Blencke, 
Specialarzt für orthopädische Chirurgie in Magdeburg. Mit 10 

in den Text gedruckten Abbildungen.632 

XLII. Meine bei der angeborenen Luxation des Hüftgelenks gemachten 
Erfahrungen. Von Dr. Michael Horvath, Ordinarius im 

St. Johann-Spital zu Budapest.694 

XLIIl. Das Problem der absoluten Ausgleichbarkeit des spondylitischen 
Buckels. Von Julius Einck-Charkow. Mit 16 in den Text 
gedruckten Abbildungen.706 


XLIV. (Aus der Königl. chirurgischen Universitätsklinik des Herrn Ge¬ 
heimen Medicinalrath Prof. Dr. v. Bramann in Halle a. S.) Die 
Behandlung der tuberculösen Spondylitis. Von Privatdocent Dr. 

L. Wullstein, Assistenzarzt der Klinik, Mit 41 in den Text 

gedruckten Abbildungen.723 

XLV. (Aus der chirurgisch-orthopädischen Abtheilung der Universitäts- 
Kinderklinik Graz. Vorstand: Prof. Pfaundler.) Der Pes planus. 
(Vortrag, auszugsweise gehalten am 11. Congress der Deutschen 
Gesellschaft für orthopädische Chirurgie, 2. Juni 1903.) Von Dr. 
Hans Spitzy, Facharzt für orthopädische Chirurgie und Assi¬ 
stent der Klinik. Mit 38 in den Text gedruckten Abbildungen . 777 
XLVI. Ein einfacher Hilfsapparat zum Fixiren des Beckens bei heil¬ 
gymnastischen Hebungen. Von Dr. Peter Bade-Hannover. Mit 

1 in den Text gedruckten Abbildung.798 

XLVII. (Aus der orthopädischen Abtheilung des Bürgerhospitals in Cölna. Rh., 
dirigirender Arzt Dr. K. Cramer.) Ein Fall von bilateralem 
symmetrischem Riesenwuchs der Extremitäten, des Schulter- und 
Beckengürtels in Verbindung mit Kryptorchismus. Von Dr. med. 

W. Voltz, Assistenzarzt. Mit 7 in den Text gedruckten Ab¬ 


bildungen .801 

XLVIII. (Mittheilung aus dem medico-mechanischen Institut in Bad Pistyan.) 

Ein einfaches System zur ambulanten Behandlung von Gelenk- 
contracturen. Von Dr. Eduard Weisz. Mit 12 in den Text 

gedruckten Abbildungen.814 

Referate. 820 

Autorenregister. 898 

Sachregister.901 


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I. 


Der heutige Stand der Sehnenplastik'). 

Von 

Prof. Dr. Vulpius-Heidelberg. 

Die Sehnenplastiken stellen heutigen Tages ein so umfang¬ 
reiches Gebiet unserer orthopädischen Thätigkeit dar, dass es sich 
wohl lohnt, einmal einen Ueberblick zu gewinnen über das, was wir 
heute darüber wissen. Es ist deshalb ein ausserordentlich dankens- 
werther Plan unseres Herrn Vorsitzenden gewesen, gerade diese Frage 
unserer zweiten Versammlung als erstes Hauptthema zur Erörterung 
vorzulegen, und mir persönlich ist es eine grosse Freude, dass mir 
die Aufgabe zu Theil wurde, das einleitende Referat zu erstatten. 
Habe ich es doch seit einer Reihe von Jahren als meine haupt¬ 
sächliche Aufgabe betrachtet, möglichst viele Erfahrungen auf 
diesem Gebiete zu sammeln und die Methode, wenn ich so sagen 
darf, populär zu machen. Ich werde mich bemühen, in möglichst 
kurzer und übersichtlicher Form meinen Aufgaben gerecht zu werden 
unter Zugrundelegung der Literatur, die heute bereits recht umfang¬ 
reich geworden ist, und unter Berufung auf mehr als 400 eigene 
Operationen. Ich werde mich zugleich bemühen. Sie möglichst auch 
auf die Lücken unseres Wissens und Könnens hinzuweisen, in der 
Hoffnung, dass der heutige Tag an der Schliessung derselben mit- 
lielfen wird. Wir wollen getrennt besprechen die Verlängerung, 
die Verkürzung, die Ueberpflanzung und den Defectver- 
schluss von Sehnen. 


1. Sehnenverlängerung. 

Das einfachste Mittel, um eine Sehne zu verlängern, stellt 
natürlich die Tenotomie dar. Sie interessirt uns hier nur des 
Heilvorganges wegen. Bekanntlich waren früher die Ansichten 

h Referat, erstattet am 2. Congress der Deutschen Gesellschaft für ortho¬ 
pädische Chirurgie. 

ift fiir orthopädische l'hirurjjie. XII. Bd. 1 


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2 


Vulpius. 


über diesen Process sehr getheilt. Erst die Arbeiten der jüngsten 
Zeit haben darin Klarheit gebracht. Wir müssen unterscheiden einen 
primären bindegewebigen Process, der ausgeht vom Peri¬ 
tenonium extemum und intemum. An ihn schliesst sich nach einigen 
Tagen der secundäre Regenerationsprocess tendinöser Natur 
an. An den beiden Sehnenstümpfen zeigt sich Anschwellung und 
mikroskopisch lebhafte Zelltheilung. Die ausgewachsenen Sehnen- 
fasem ordnen sich allmählich zu Bündeln, und es kommt so langsam 
zu einer Wiederherstellung der Sehnen. Langsam allerdings verläuft 
der Process, und unsere Präparate haben uns bisher einen völlig 
wiedereingetretenen Ruhezustand noch nicht gezeigt. Ein völlig 
normaler Zustand dürfte überhaupt kaum wiederkehren, wenigstens 
haben mich Nachoperationen nach Tenotomien, die Jahre lang später 
ausgeführt wurden, immer noch Spuren des früher stattgehabten 
Eingriffes erkennen lassen: Die Sehnenscheide ist nicht ganz so 
abgegrenzt wie gewöhnlich; es fehlt der Sehne der spiegelnde Glanz, 
kurz, sie zeigt narbige Veränderungen. 

Wir wenden uns nun zu den plastischen Methoden der 
Verlängerung und nennen zuerst den Treppenschnitt nach 
Bayer: Ein Längsschnitt spaltet die Sehne in eine rechte und linke 
Hälfte. Ein oberer und unterer Querschnitt nach entgegengesetzter 
Seite vollenden die Trennung und ermöglichen eine Verlängerung 
der Sehne um so viel, als der Längsschnitt misst. Eine Modifica- 
tion rührt von Bayer selbst her, welcher unter Weglassung des 
Längsschnittes die beiden Querdurchtrennungen der Sehne subcutan 
auszuführen rieth. Er vermeidet dadurch die eventuell störende Haut¬ 
narbe. Eine weitere Modification besteht darin, dass wir den Längs¬ 
schnitt in frontaler Ebene anlegen, die Treppenschnitte nach vorn 
und hinten ausführen. Es wird dadurch erreicht, dass nach vollendeter 
Verschiebung die Sehnenstümpfe in der ganzen Breite der ursprüng¬ 
lichen Sehne sich berühren, wodurch Naht und Heilung sich natür¬ 
lich wesentlich günstiger gestalten. Noch einfacher ist folgendes 
Verfahren: Wir durchtrennen die Sehne quer und zwar hoch oben, 
wo sie noch dem Muskelbauch aufliegt. Wenn wir nun verschieben, 
so rutscht die Sehne auf den Muskelbauch abw’ärts, ohne den Con- 
tact mit demselben zu verlieren. Kurz genannt sei ein weniger 
zweckmässiges Verfahren, bestehend in vielfachen seitlichen Ein¬ 
kerbungen der Sehne. Dieselbe wird durch die multiplen Verwun¬ 
dungen wohl unnöthig ausgiebig zerstört. Endlich wäre noch an- 


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Der heutige Stand der Sebnenplastik. 


3 


zuführen die künstliche Verlängerung von Sehnen durch Anfügung 
von seidenen Strängen u. dergl. Wir werden darauf später zurück- 
komnien. 

Was den Heilungsprocess betrifft, so ist derselbe, wie ge¬ 
sagt, in den wesentlichen Punkten identisch mit den bei Besprechung 
der Tenotomie geschilderten Vorgängen. 

Wichtig ist, wie uns namentlich die Hof falschen Präparate 
gelehrt haben, der Einfluss, den Blutung und Infection auf den 
Heilungsverlauf haben. Es entwickelt sich in beiden Fällen der 
primäre bindegewebige Regenerationsprocess übermässig stark, er 
drängt die tendinöse Regeneration zurück, und die Folge ist, dass 
die neue Sehne erheblich mehr aus Narben- als aus Sehnengewebe 
besteht. 

Wir nennen kurz die lndicationen der Operation. Die zu 
beseitigende Verkürzung der Sehne kann durch muskuläre Processe, 
Entzündung des Muskels oder Schrumpfung, durch dauernd fehler¬ 
hafte Gelenksstellung erzeugt sein; sie kann die Folge von Lähmungs¬ 
processen, von paralytischen Deformitäten, oder auch von langbestehen¬ 
den spastischen Contracturen sein. Die künstliche Verlängerung von 
an sich nicht zu kurzen Sehnen kann endlich erwünscht sein bei 
üeberpflanzungen, wovon wir nachher zu handeln haben. 

Die Resultate der Sehnenverlängerung pflegen vollkommene zu 
sein, sowohl was die Form als was die Function der jungen Sehne 
betrifft. 


2. Die Sehnenverkürzung 

kann technisch in recht verschiedener Weise ausgeführt werden: 
Entweder wir schneiden das zu lange Stück der Sehne aus und ver¬ 
einigen die Stumpfenden, ein wenig zweckmässiges Verfahren, weil 
uns zur Vernähung nur die kleinen Schnittflächen der Sehne zur Ver¬ 
fügung stehen. Zweckmässiger ist darum die einfache Durchschnei¬ 
dung der Sehne, die Längsverschiebung der beiden Stümpfe und ihre 
Vernähung in ausgedehnter flächenhafter Berührung. Die Methode 
hat den Nachtheil, dass sie im Falle des Misslingens die Continuität 
der Sehne zerstört hat. Reissen die Nähte aus, so ist der Zustand 
schlechter als vor der Operation. Diesen Missstand vermeidet die 
Faltenbildung der Sehne, wie ich sie anzuwenden pflege. Die Sehne 
wird mit dem Schieber hochgehoben, die Schenkel der Schlinge wer¬ 
den durch mehrfache Nähte in Berührung gebracht und die Kuppe 


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4 


Vulpius. 


der Schlinge kann nun noch centralwärts an der Sehne befestigt 
werden, so dass die letztere dreimal neben einander zu liegen kommt. 
In anderer Weise führt Lange die sogen. Raffnaht aus: Ein doppelt 
armirter Seidenfaden wird in die Sehne eingestochen und in mehr¬ 
fachen Touren durch die Sehne durchgezogen; indem dann wie bei 
der Tabaksbeutelnaht der Faden zusammengezogen wird, kann die 
Sehne nach Belieben gekräuselt und dadurch verkürzt werden. 

Endlich wäre zu nennen ein von Codivilla angegebenes Ver¬ 
fahren, das sich als aufsteigend periostales charakterisiren lässt 
und nur bei völlig gelähmten Muskeln in Betracht kommt: Die Sehnen 
werden durchschnitten, aufwärts gezogen, bis das Gelenk in Mittel¬ 
stellung sich befindet, und nun an der entsprechenden Stelle unter 
der Knochenhaut fixirt. 

lieber den Heilungsprocess sind wir orientirt durch die 
Präparate von Hoffa und Borst, die von Seggel nachgeprüft 
wurden, sowie durch ein Hof falsches Präparat, welches vom Men¬ 
schen stammt. Es zeigt die Sehne ausgedehnte Regenerations- und 
Degenerationserscheinungen. Letztere haben sich bei der Raflhaht 
als recht umfangreich erwiesen, ohne dass jedoch dadurch die Con- 
tinuität der Sehne gestört wird. 

Wir kommen zu den Indicationen: Es kann sich handeln 
um eine Sehnenüberdehnung nach Verletzung von Muskeln oder 
Sehnen (ungenügende Muskelspannung), oder um eine paretisclie 
Erschlaffung, oder um Ueberdehnung durch Inactivität, oder um 
üeberdehnung durch spastische Contractur der Antagonisten. End¬ 
lich wäre zu nennen die Aufgabe der Fixation des paralytischen 
Schlottergelenkes. 

Die Resultate der Verkürzung können vorzüglich sein und 
bestehen in einer Wiederkehr der Function namentlich dann, wenn 
es sich um üeberdehnungsatrophie gehandelt hat. Ich brauche Sie 
als Beispiel nur an die glänzenden Erfolge unserer Operationen bei 
Radialisrähmung zu erinnern, welche zum nicht geringen Theil eben 
durch die Verkürzung bestimmter Sehnen erzielt werden. Was die 
Fixation eines Schlottergelenkes betrifft, so kann die Sehnen Ver¬ 
kürzung mit der Arthrodese nur concurriren unter der Voraussetzung, 
dass unsere Sehnennaht einen dauernden Halt verspricht, also nicht 
nachträglich nachgibt. 

Da mm aber die Dehnung einer paralytischen Sehne in der 
Hauptsache durch die Nachgiebigkeit des entarteten Muskelbauches 


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Der heutige Stand der Sehnenplastik. 


o 


bedingt ist, so dürfte die tendinöse Fixation nach Codivilla die 
beste sein, weil sie eben den Muskel ausschaltet. Weitere Versuche 
in dieser Richtung wären noch anzustellen. 

c 

3. Die Selmenüberpflanzung. 

Sie erfordert eine wesentlich complicirtere Technik: Der 
Operation muss die Aufstellung eines Operationsplanes voraus¬ 
gehen, der nur möglich ist auf Grund der Kenntniss von den gesund 
gebliebenen Muskeln, ihrer Stärke, ihrer Zahl und Lage. Wir ge¬ 
winnen diese Kenntniss einmal durch die Beobachtung willkürlicher 
Bewegungen und weiter durch elektrische Prüfung. Ich persönlich 
betrachte letztere als ein Mittel zur Verfeinerung unserer Diagnose, 
die aber häufig, namentlich bei Kindern, versagt. Wir müssen nicht 
vergessen, dass wir bei den Untersuchungen der Muskulatur getäuscht 
werden können einmal durch die Contractur, welche an sich noch 
erhaltene Muskeln brachlegt, ferner durch die Inactivitätsatrophie. 
Wir müssen uns ferner dessen bewusst sein, dass unsere Berechnung 
stets insofern ungenau bleibt, als wir das individuell wechselnde An¬ 
passungsvermögen des Gehirns nicht mit in Rechnung stellen können. 
Und doch beruht auf ihm, wie wir sehen werden, ein gut Theil des 
Erfolges. Wir operiren unter strengster Wahrung der Asepsis und 
Blutleere, Forderungen, zu welchen uns die Ergebnisse des Thier¬ 
experimentes drängen. 

Wenn wir eine Lähmung mittels der Verpflanzung behandeln 
wollen, stehen wir häufig vor zwei Aufgaben: Wir haben einmal 
die Deformität zu heilen und zweitens die Lähmung, welche die 
Ursache der Deformität ist. Wir müssen unbedingt zuerst die De¬ 
formität redressiren, da wir nur bei richtiger Gelenksstellung unter 
genügender Spannung überpflanzen können. Es ist darum der 
von Schanz gemachte Vorschlag nicht zweckmässig — übrigens 
hat ihn Eve schon früher gemacht — bei paralytischem Klump- 
fuss zwar zu redressiren, den Spitzfuss aber zu lassen und erst in einer 
zweiten Sitzung nach geschehener Ueberpflanzung zu beseitigen. Der 
Hautschnitt muss in der Längsrichtung der Extremität geführt werden 
und muss ausgiebig sein, um uns wenigstens das untere Ende der 
Muskelbäuche zu Gesicht zu bringen. Von Lappenschnitten rathe 
ich wegen der Gefahr narbiger Verwachsungen entschieden ab. Nach 
Spaltung der Fascie liegt die Sehnenscheide frei. Wir offnen sie 


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6 


Vulpius. 


äusserst schonend und haben es nunmehr mit der Sehne selbst zu 
thun. Wir können in verschiedener Weise überpflanzen: Entweder 
wir frischen die gelähmte und die gesunde Sehne einfach seitlich 
an und vernähen die beiden unter entsprechender Spannung — ein 
wenig sicheres Verfahren, da die Narben sehr zur Dehnung neigen. 
Oder aber wir machen totale Ueberpflanzung: wir benützen den 
ganzen gesunden Muskel zum Ersatz des gelähmten — Functions¬ 
übertragung. Wir dürfen dieses einfache Verfahren natürlich nur 
anwenden, wenn der kraftspendende Muskel functionell verhältniss- 
mässig unwichtig ist. Jedenfalls rathe ich, den peripheren Stumpf 
nicht unversorgt zu lassen. Die dritte Methode ist die der par¬ 
tiellen Ueberpflanzung — Functionstheilung —: wir 
spalten nur einen Zipfel der gesunden Sehne ab und vereinigen ihn 
mit der gelähmten. Die letztere kann ebenfalls in verschiedener Weise 
behandelt werden: entweder sie wird gänzlich abgeschnitten und 
aufwärts zur gesunden Sehne hingeführt, oder wir verfahren in 
gleicher Weise mit einem Theil der gelähmten Sehne, oder endlich 
wir lassen dieselbe völlig intact. Wir können also unterscheiden 
die beiderseitige, die aufsteigende und die absteigende 
Methode und müssen uns bei der Kritik derselben sowohl von 
technischen wie physiologischen Gesichtspunkten leiten lassen. 

Die beiderseitige Ueberpflanzung ist wegen der Schwierig¬ 
keit der Naht am wenigsten zu empfehlen, die aufsteigende hat den 
Nachtheil, dass durch sie die gelähmte Sehne einfach an die gesunde 
angehängt wird, also deren Bewegungen mitmachen muss. Es wird 
durch dies Verfahren die functionelle Neubildung eines Muskel¬ 
individuums nicht ermöglicht. Am besten entspricht der letzt¬ 
genannten Forderung die absteigende Methode, die ich regelmässig, 
wo immer möglich, anwende. Es wird der Kraftspender ganz oder, 
wo dies nicht möglich, theilweise zu dem intacten Kraftempfänger 
hingeleitet. Es ist wichtig, möglichst functionell verwandte 
Muskeln zur Ueberpflanzung auszuwählen, weil dadurch die Wieder¬ 
herstellung der Function erleichtert wird. Es hat mich diese Forde¬ 
rung zu dem gelegentlichen Versuch der etappenweisen Ueber¬ 
pflanzung geführt. Es wird z. B. am Unterschenkel der Beuger 
nicht direct auf den Strecker gepflanzt, sondern es geschieht dies 
auf dem Umweg über die äussere Muskelgruppe der Peronei. Wichtig 
ist, dass die zu überpflanzende Sehne, resp. der Sehnenzipfel ab¬ 
gespalten wird bis in den Muskelbauch hinein, weil nur dadurch 


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Der heutige Stand der Selinenplastik. ' 


7 


die anatomische Grundlage für die functionelle Selbständigkeit des 
abgespaltenen Muskeltheiles gegeben ist. Unsere nächste Aufgabe 
besteht im Verlagern der Sehne, und wir thun dies durch Tunnels, 
die wir unter der Fascie anlegen. Gelegentlich führen wir wohl 
auch die Sehne am Unterschenkel oder Vorderarm durch ein aus der 
Membrana interossea ausgeschnittenes Fenster. Es folgt die Naht¬ 
vereinigung der Sehne, die unter mittlerer Spannung zu geschehen 
hat, weil nur bei deren Vorhandensein die Integrität der Muskelkraft 
gesichert bleibt (Capurro). Der Kraftspender wird am besten durch 
ein Knopfloch der gelähmten Sehne durchgezogen, eventuell mehr¬ 
fach verschlungen und nun mit Knopfnähten, dazwischen wohl auch 
mit einer Kreuznaht, um das Ausreissen zu verhüten, befestigt. Als 
Nahtmaterial ist Aluminiumbronze empfohlen worden. Ich fürchte, 
dass dieselbe die Sehne leicht durchschneidet, sich weniger leicht 
knüpfen lässt und nicht selten als Fremdkörper ausgestossen wird, 
wie wir das von den Metallnähten an Knochen wissen. Auch Catgut 
ist vielfach empfohlen. Ich traue demselben nach meinen Erfah¬ 
rungen keine genügend lange Haltbarkeit zu und bin deshalb der 
Seide treu geblieben, obwohl auch ich wie andere die Erfahrung 
gemacht habe, dass in einem gewissen Procentsatz früher oder später 
die Seide ausgestossen wird. 

Wir wenden uns zu einigen Modificationen der Ueber- 
pflanzung: Die periostale Methode wurde von Drobnik 
erstmals angewendet, von Lange wesentlich ausgebaut und bietet 
nach des letzteren Ansicht zwei Vortheile: 1. Die gelähmte Sehne 
gibt leicht nachträglich nach, wodurch die Spannung der Naht ver¬ 
loren geht. Es ist deshalb sicherer die Sehne direct am Periost zu 
befestigen. Nach meiner Erfahrung ist diese Geringschätzung der 
paralytischen Sehne nicht berechtigt. Die Nachgiebigkeit hat, wie 
vorhin schon gesagt, ihren Sitz im paralytischen Muskelbauch. Die 
gelähmte Sehne selber ändert gewiss auch ihre Structur, aber behält 
immer Widerstandsfähigkeit genug, um den Zug der überpflanzten 
Sehne auszuhalten. Ich glaube, dass sie sogar bald ihre normale 
Festigkeit wieder erlangt, wenn sie durch Vemähung mit einer ge¬ 
sunden Sehne wieder zum Functioniren gebracht wird. 

Ob die Naht von der Sehne zum Periost fester ist als die von 
Sehne zu Sehne, erscheint mir persönlich fraglich. 

2. Die periostale Verpflanzung ermöglicht eine freie Wahl des 
Insertionspunktes. Es kommt mir indess ein solches Wählen über- 


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8 


Vulpius. 


flüssig vor, da wir eine bessere Insertion als die von der Natur ge¬ 
gebene wohl kaum finden können. 

Eine weitere Methode wurde von Wolff beschrieben. Er legt 
die Sehne in einen Knochenkanal unter dem Periost. 

Und noch einen Schritt weiter geht Müller mit seinem trans¬ 
ossären Verfahren. Er bohrt einen Kanal durch die Dicke des 
Knochens, zieht die Sehne durch und schlägt sie in einer Schlinge 
wieder nach oben. 

Endlich wenden wir uns zu der indirecten Methode Mainzer’s, 
die sich mit dem von mir als Etappenverfahren beschriebenen Vor¬ 
gehen sehr weitgehend deckt. Wenn wir die kraftspendende Sehne 
einem neuen Insertionspunkt zuführen wollen, so erweist sie sich 
häufig als zu kurz. Sie muss dann durch eine angehängte künst¬ 
liche Sehne verlängert werden. Wir kommen damit auf die L an ge¬ 
selle Seidensehne zu sprechen, deren Einheilung unzweifelhaft einen 
sehr interessanten operativen Erfolg darstellt. Sie stellt aber zu¬ 
gleich die Einverleibung eines Fremdkörpers in den Organismus dar, 
der keinesfalls immer gleichgültig ist. 

Wir werden darum das Verfahren meines Erachtens vermeiden, 
wo es nicht unbedingt nothwendig ist. Lange ist noch einen Schritt 
weiter gegangen und hat seidene Sehnen einfach seitlich an gesunde 
Sehnen angehängt, also eine Art künstlicher aufsteigender üeber- 
pflanzung gemacht. Das Verfahren vereinigt nach meiner Ansicht 
den Nachtheil der künstlichen Sehne mit dem der aufsteigenden 
Ueberpflanzung. 

Die Sehnenoperation ist beendet, wir schliessen nunmehr die 
Wunde vollkommen. Ich tamponire niemals, um vor secundärer 
Infection sicher zu sein. Der operirte Gliedabschnitt wird dann durch 
einen festen Verband fixirt. Nicht nur der letztere, sondern der 
ganze Patient soll während 5—6 Wochen ruhig liegen bleiben, um 
jede verfrühte Beanspruchung der jungen Sehnennarbe zu verhüten. 

Nun beginnt die Nachbehandlung. Sie erstrebt die Kräftigung 
der Musculatur durch Massage, Bäder, Elektricität, durch Uebungen, 
welche zugleich den wichtigen Zweck erfüllen, das Centralnerven¬ 
system zu üben, zu gewöhnen an den veränderten Zustand an der 
Peripherie. Noch auf einige Zeit schonen wir die Narben der Sehnen 
vor Ueberdehnung mittelst Schienenstiefel, einfacher Hülsen u. dergl. 

Wir wenden uns zu den Indicationen und Resultaten der 
Sehnenverpflanzung. Voraussetzung der Operation ist das Vorhanden- 


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Der heutige Stand der Sehnenplastik. 


9 


sein eines functioneilen Ausfalls (Lähmung) oder einer Gleichgewichts¬ 
störung im Bereich der Gelenkmusculatur (Spasmus). Die zweite 
Voraussetzung ist das Vorhandensein brauchbaren Muskelmaterials 
in operativ erreichbarer Nähe. Was die Resultate betrifft, so können 
wir von einem sofortigen Erfolg sprechen, insofern als das be¬ 
treffende Gelenk nach richtig ausgeführter Operation in einer normalen 
Mittelstellung fixirt stehen muss. Wir gelangen zu einem defini¬ 
tiven Erfolg auf dem Wege des Heilverlaufs und sind über diesen 
unterrichtet einmal durch Thierexperimente, dann durch die Präparate 
von Hoffa, Borst, Seggel, Rydygier und mir, sowie durch 
Nachoperationen, von denen ich einige zwanzig ausgeführt habe. Die 
Ergebnisse sind im Wesentlichen die gleichen, wie sie oben ge¬ 
schildert worden sind für die Tenotomie. Die anatomischen Resultate 
sind nicht so günstig, als die erfreulichen functionellen Resultate 
uns hätten erwarten lassen. Es kommt nicht zu einer völligen 
Regeneration der Sehnenscheide, die Sehne selbst erscheint narbig, 
grauweiss, gelegentlich nicht ganz scharf vom Nachbargewebe ab¬ 
getrennt. Was speciell das Schicksal der künstlichen Sehnen an¬ 
langt, so hat sich an den von Gluck und mir gewonnenen Präparaten 
ein ganz vorzügliches Einheilen von Sehnenstücken ergeben, aber 
auch heterologes Material, insbesondere Seidenfäden heilen vorzüg¬ 
lich ein. Man hat dieselben geradezu als Spalier bezeichnet, an dem 
die Sehnenfibrillen sich längs ranken. Jedenfalls hat meines Er¬ 
achtens die künstliche Sehne nicht nur den Zweck, als Leitseil zu dienen, 
sondern sie erhält zugleich während der Dauer des Heilprocesses 
die nothwendige Spannung des Muskelbauches, welche diesen vor 
Schrumpfung schützt. Das Endresultat ist abhängig in erster Linie 
vom ursprünglichen Muskelbefund. Während bei vollständiger oder 
nahezu totaler Lähmung die Wiederkehr von activer Bewegung nicht 
zu erwarten ist, sehen wir um so bessere Erfolge, je umschriebener 
die Lähmung und je functionsverwandter der Kraft spendende Muskel 
gewesen ist. Das Resultat besteht bei Lähmungen 1. im Verschwinden 
der Deformität, 2. in der Wiederkehr von activer Bewegung in nor¬ 
maler Ausdehnung oder wenigstens in normalen Bahnen. Bei spasti¬ 
schen Lähmungen verschwindet nach der Ueberpflanzung häufig der 
Krampfzustand. Das Resultat tritt manchmal sehr bald nach der 
Operation, manchmal erst nach Monaten ein, und wir kommen 
damit zu sprechen auf die physiologischen Wirkungen der 
Ueberpflanzungsoperation. Es ist ja leicht zu verstehen, dass die 


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10 


Vulpius. 


totale üeberpflanzung eines functionsverwandten Muskels den ge¬ 
lähmten Muskel völbg ersetzen kann. Es ist aber zunächst nicht 
zu verstehen, wieso ein Antagonist dieser Aufgabe gerecht werden 
kann. Es sind zwei Erklärungsversuche gegeben: Jede Bewegung 
erzeugt einen centripetal verlaufenden Reiz, der auf dem Wege der 
musculosensiblen Bahnen dem Gehirn zugeführt wird. Dieser Reiz 
ändert sich, wenn die Anordnung der Muskeln an der Peripherie 
bezw. ihr motorischer Effect sich ändert. 

Infolge dieses veränderten Reizes formt sich das Centrum all¬ 
mählich um, so dass schliesslich z. B. der Strecker sozusagen mit 
Bewusstsein innervirt wird, wenn wir eine Beugung ausführen wollen. 
Es sprechen für diese Annahme die Beobachtungen, welche bei 
Erwachsenen nach der üeberpflanzung gemacht wurden; Die Be¬ 
wegungen waren zunächst höchst unsicher, es fehlte völlig das 
Muskelgefühl für die stattgehabte Bewegung. Erst allmählich regelt 
sich Bewegung und Empfindung. 

Die zweite Erklärung nimmt Bezug auf die Antagonistenlehre 
von Duchenne: Die Streckung kommt nicht nur durch den Streck¬ 
muskel, sondern durch das Zusammenwirken aller ein Gelenk um¬ 
gebenden Muskeln zu Stande. Es wird also auch der Antagonist 
innervirt, und er erzeugt nach seiner üeberpflanzung eine seiner 
ursprünglichen Aufgabe entgegengesetzte, wenn auch geringfügige 
Bewegung, und jetzt passt sich, wieder in der vorhin geschilderten 
Weise, das Gehirn dem neugeschatfenen Zustand an. Noch schwieriger 
zu erklären ist die an den verschiedensten Muskeln constatirte That- 
sache, dass nach der Sehnenspaltung eine isolirte Thätigkeit der 
beiden Muskelhälften zu Stande kommt. Moritz hat einen Er¬ 
klärungsversuch gemacht. Der Muskel wird von einer Reihe von 
Ganglienzellen innervirt, die nicht immer alle gemeinsam thätig sind. 
Arbeiten zufällig einmal nur die das abgespaltene Sehnenmuskelstück 
innervirenden Ganglienzellen, so kommt eine neue Bewegung zu 
Stande. Sie erzeugt einen ungewohnten Reiz, dem sich das Centrum 
allmählich in der Weise anpassen kann, dass es sich in 2 Centren 
auf löst. Endlich wäre noch zu erklären das Verschwinden des 
Krampfzustandes nach der üeberpflanzung: Wir können annehmen, 
dass das Wegfallen der Zerrung an den Sehnenansätzen infolge der 
Verlängerung der Sehne auch den centripetalen Reiz verringert oder 
ausfallen lässt, es würde also die üeberpflanzung geradezu ein be¬ 
ruhigendes Mittel für das Centralnervensystem darstellen. 


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Der heutige Stand der Sehnenplastik. 


11 


Wir dürfen auch die Misserfolge nicht unerwähnt lassen. Die¬ 
selben können eintreten durch Eiterung oder Ausreissen der Nähte. 
Es kann ferner entweder zu viel oder zu wenig überpflanzt worden 
sein. Letzteres namentlich bei spastischen Lähmungen, weil der 
Krampf in der Narkose verschwindet und weil dadurch die Beur- 
theilung der Ausgiebigkeit unseres Eingriffs verloren geht. Eine 
Nachoperation vermag unsern Fehler wieder gut zu machen. 

Wir wenden uns nun zu den speciellen Indicationen 
und haben in erster Linie natürlich zu besprechen die Lähmungen. 
Die periphere Lähmung bietet selbstverständlich ganz besonders 
günstige Verhältnisse für die Ueberpflanzung, weil der Functions¬ 
verlust ein engbegrenzter zu sein pflegt. Einerlei, ob der Verlust 
einzelne Sehnen oder periphere Nerven betrifft, es lässt sich 
ohne grosse Mühe ein benachbarter Muskel zum Ersatz des Verlustes 
verwerthen. Wir werden zur Ueberpflanzung gewiss nur dann greifen, 
wenn eine directe Naht der Sehnen oder Nerven unmöglich oder 
erfolglos ist, namentlich also auch dann, wenn durch das Alter der 
Verletzung der betroffene Muskelbauch degenerirt ist. Bei dem 
Verlust von Nerven können wohl eine plastische Nervenoperation 
oder eine Nervenpfropfung mit in Frage kommen. Jedoch dürfte der 
Erfolg der Sehnenoperation um so viel zuverlässiger sein, als die 
Sehnennaht sicherer ist als die Nervennaht. 

Wir wenden uns zu den spinalen Lähmungen, vor allem 
zu der schlaffen Lähmung, der spinalen Kinderlähmung. 
Auch sie bietet als Heerderkrankung günstige Verhältnisse 
für die Ueberpflanzung, weil neben völlig gelähmten Muskeln ganz 
oder fast ganz gesunde zu liegen pflegen. Besonders günstig liegen 
die Verhältnisse am Unterschenkel, infolge der anatomischen Gruppi- 
ruDg der Musculatur, welche einen Austausch von functionsver¬ 
wandten Muskeln leicht macht. Die verschiedenen paralytischen 
Deformitäten, der Klumpfuss, Plattfuss, Spitzfuss, Hackenfuss sind 
also sehr dankbare Objecte der Ueberpflanzung. Für das schlot¬ 
ternde Sprunggelenk können Arthrodese und Sehnenoperation 
mit einander concurriren, wir haben diese Frage vorhin schon be¬ 
rührt. Am Oberschenkel hat der Verlust des Streckmuskels sich 
gleichfalls in vorzüglicher Weise durch Ueberpflanzung ausgleichen 
lassen, doch müssen wir daran denken, dass keineswegs immer die 
Lähmung dieses Muskels an sich Grund für eine Operation abgibt. 
Ein Eingriff ist vielmehr nur dann erforderlich, wenn entweder 


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12 


Vulpius. 


das Kniegelenk haltlos ist, oder wenn es in Beugestellung geratlien 
ist, und im letzteren Fall eben ist die Ueberpflanzung die Methode 
der Wahl. Wir können den Sartorius, der merkwürdig häufig der 
Lähmung entgeht, ferner einen Adductor und beide Beugergruppen 
zum Ersatz des mächtigen Streckmuskels verwerthen. Gerade bei 
dieser Ueberpflanzung hat Lange erstmals seinen Versuch mit 
Seidensehnen unternommen. Ich selber aber habe immer wieder 
die Erfahrung gemacht, dass bei Freipräparirung der Sehnen die¬ 
selben völlig ausreichen, um direct mit der Kniescheibe ausgiebig 
vernäht werden zu können. Eine Befestigung der Sehne direct an 
der Tibia schien mir weder nothwendig noch zweckmässig, weil die 
Zugrichtung der auf der Kniescheibe befestigten Sehne sich ent¬ 
schieden mehr dem Normalen nähert. 

Ausser einigen wenigen Versuchen an der Hand und am Ober¬ 
arm sind dann namentlich spinale Lähmungen am Vorderarm durch 
Ueberpflanzung beseitigt worden, und zwar im Gebiete aller Arm¬ 
nerven, insbesondere aber des Nervus radialis. Die Combination von 
Verkürzung und Ueberpflanzung hat hier zu Erfolgen geführt, welche 
den Ausspruch von Franke berechtigt erscheinen lassen, dass es 
heutigen Tages keine unheilbare isolirte Radialislähmung mehr gibt. 

Wir hätten nun von spinalen Affectionen noch die spasti¬ 
schen Formen zu erwähnen. Da aber dieselben sehr häufig mit 
cerebralen Affectionen combinirt sind, so zwar, dass selbst dem 
Neurologen die Differentialdiagnose oft schwer fällt, so dürfte es sich 
für uns empfehlen, eine solche Trennung nicht durchzuführen. Eher 
wäre es für uns von Werth, zu unterscheiden spastische Lähmungen 
mit Störungen des Intellectes und ohne solche, weil dadurch wichtige 
Anhaltspunkte für die Prognose gegeben sind. Oder aber wir können 
trennen halbseitige und doppelseitige spastische Lähmungen. 
Von den erst er en wäre namentlich zu erwähnen die cerebrale 
Kinderlähmung, welche in einer ziemlichen Anzahl von Fällen 
mit Erfolg operirt wurde. Und zwar ist es am Fuss die Spitzfuss- 
stellung, am Knie die Flexion, welche sich durch Ueberpflanzung, 
beseitigen lässt. An der oberen Extremität kommt namentlich die 
Beugestellung von Handgelenk und Fingern in Betracht. Interessant 
sind die Versuche, die Pronationscontractur zu beseitigen, und in 
dieser Richtung sind zu erwähnen die Versuche von Tubby, dieses 
Ziel durch Verlagerung der Endsehne des Pronator teres zu er¬ 
reichen, während Hoffa in gleicher Absicht durch Verschiebung 


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Der heutige Stand der Sehnenplastik. 


13 


des Muskelursprungs den Muskel zu einem Supinator machen 
wollte. 

Die apoplektische Hemiplegie hat sich in neuerer Zeit 
in unerwarteter Weise der medicomechanischen, resp. physikalischen 
Behandlung zugänglich erwiesen, weil Reste von Musculatur häufig 
noch vorhanden zu sein pflegen. Und aus diesem Grunde hat sich 
auch die Ueberpflanzung in einer Reihe von Fällen als ausführbar 
und erfolgreich bewährt, insbesondere zur Beseitigung des Spitz- 
fusses. Von den doppelseitigen spastischen Lähmungen ist die wich¬ 
tigste für uns die Little’sche Krankheit, von der ich etwa 30 Fälle 
zu operiren Gelegenheit hatte. Durch die Beseitigung der fehler¬ 
haften Gelenkstellungen und des Krampfzustandes gelingt es gewöhn¬ 
lich, die Patienten ganz erheblich besser gehfähig zu machen. 

Wir verlassen das Gebiet der Lähmungen und wenden uns noch 
zu einigen anderen neuerdings aufgekommenen Indicationen, und 
zwar zunächst zu der arthrogenen Kniecontractur. Einerlei 
ob dieselbe durch rheumatische Aflfection, durch Tuberculose, durch 
chronische Arthritis, nach Arthrodese erzeugt wird, stets ist der 
übermächtige Zug der Beugemuskeln Veranlassung der eingetretenen 
Contractur. Es liegt deshalb der Gedanke sehr nahe, durch Ueber¬ 
pflanzung der Beuger auf den geschwächten Streckmuskel die De¬ 
formität wieder auszugleichen. In der That hat sich dieser Plan 
mit bestem Erfolg verwirklichen lassen, so dass wir schon über 
eine ganze Reihe gelungener Operationen verfügen. Ob eine spätere 
Rückverpflanzung der Beuger durchführbar oder zweckmässig wäre 
— Heusner hat diesen Vorschlag gemacht —, das scheint mir 
zweifelhaft. 

Auch der angeborene Klumpfuss kann Veranlassung zur 
Ueberpflanzung abgeben. Es gibt kleine runde Klurapfüsse, welche 
auch dem bestangelegten Verband zu entschlüpfen vermögen. In 
solchen Fällen habe ich mir nach dem Scheitern meiner Verbands¬ 
technik durch Ueberpflanzung mit Verkürzung auf den Extensor 
digitor. zu helfen gesucht. Ferner kann bei hochgradiger und längere 
Zeit bestehender Deformität die über die Convexität der Krümmung 
ausgespannte Musculatur inactivitätsatrophisch sein. Es empfiehlt 
sich in solchen Fällen die Verkürzung des Extensor digitor. und 
eventuell die Ueberpflanzung von einem der beiden anderen vorderen 
Muskeln. Endlich gibt es unzweifelhaft Fälle von angeborenem 
Lähmungsklumpfuss, bei denen die eben genannte Operation genau 


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14 


Vulpius. 


ebenso nothwendig ist wie bei dem erworbenen paralytischen 
Klumpfuss. 

Auch beim Platt- und Knickfuss ist Sehnenüberpflanzung 
versucht worden, und zwar hat es sich da meist um Verstärkung 
des Tibialis posticus durch einen Theil der Achillessehne gehandelt. 
Wir wollen auf verschiedene in dieser Richtung gemachte Vorschläge 
nicht des Genaueren eingehen. Ich selber habe ferner zweimal bei 
Fussdeformitäten infolge von Meningocele einmal bei Dystrophia 
muscul. progress. operirt. Die Correctur des Hallux valgus ist durch 
Sehnenverlagerung versucht worden. Endlich wären zu nennen die 
habituelle Luxation der Kniescheibe, die pathologische Aussenrotation 
des Beines, die Lähmung nach Spondylitis, bei welchen Affectionen 
in einzelnen Fällen Üeberpflanzung versucht wurde. 

Wir sehen, dass das Indicationsgebiet der Sehnenüberpflanzung 
ein recht grosses, die Erfolge des Verfahrens höchst erfreuliche sind, 
um so erfreulicher, als es sich meist um Affectionen handelt, denen 
wir, früher wenigstens, machtlos gegenüberstanden. 

4. Es bleibt noch übrig zu besprechen der 

Defectverschluss 

von Sehnen. Wir haben uns mit ihm schon anlässlich der Sehnen¬ 
verlängerung sowie bei der Besprechung der künstlichen Sehnen 
beschäftigt. Es seien deshalb hier nur noch kurz einmal die ver¬ 
schiedenen Methoden dieser Plastik zusammengestellt. Wir können 
einen Selmendefect verschliessen durch Autoplastik, durch Abspaltung 
eines Sehnenzipfels, durch Anlagerung der beiden Sehnenstümpfe an 
eine Nachbarsehne, von der sie später unter Mitnahme eines Sehnen¬ 
stückes wieder losgelöst werden (Hertle), oder aber wir können 
in die Lücke Sehnenmaterial, das dem Menschen oder dem Thier 
entnommen ist, einsetzen. Die Experimente haben Gluck und mir 
ergeben, dass in der That solche Sehnenstücke ganz vorzüglich ein¬ 
heilen können, so dass später kaum die etwas veränderte Resistenz 
der Sehne von dem stattgehabten Eingriff Zeugniss ablegt. Oder 
aber wir können heterogenes Material einpflanzen: Seidenfäden, 
Katgutzöpfe u. dergl. Die Experimente von Gluck und Anderen, 
die klinischen Erfahrungen hauptsächlich von Gluck und Lange 
haben uns überzeugt, dass in der That dieses Material völlig ein¬ 
heilen und vom Sehnengewebe umwachsen werden kann. 


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Der heutige Stand der Sehnenplastik. 


15 


Meine Herren! Ich schliesse mit dem Wunsche, dass die 
folgende Discussion ebenso ergiebig als friedlich verlaufen möge; zur 
Förderung unserer Wissenschaft, zum Segen aber vor allen Dingen 
von vielen Tausenden Gelähmter, die früher als mehr öder weniger 
hoffnungslos bei Seite geschoben heute mit berechtigter Hoffnung 
einer Heilung oder wenigstens einer wesentlichen Besserung ihres 
Zustandes entgegensehen dürfen. 


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II. 


Die Sehnenverpflanzung. 

(Correferat, erstattet auf dem 2. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 2. Juni 1903.) 

Von 

F. Länge-München. 

Mit 15 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! Vulpius hat mit grossemFleiss die Literatür 
der Sehnenverpflanzung gesammelt und hat eine so vortreflFliche Dar¬ 
stellung von der Geschichte dieser Operation gegeben, dass ich an 
dieser Stelle nicht darauf einzugehen brauche. 

Ich glaube deshalb direct in medias res gehen zu dürfen und 
werde besonders auf die Punkte eingehen, in denen ich anderer An¬ 
sicht bin, als mein verehrter Herr Vorredner. 

Als ich vor 7 Jahren, veranlasst durch die bekannte Arbeit 
von Drobnik, die Operation der Sehnen Verpflanzung aufnahm, war 
ich zunächst schon zufrieden, wenn ich — um ein einfaches Beispiel 
anzuführen — bei einem paralytischen Klumpfuss durch die Sehnen¬ 
verpflanzung ein Recidiv verhütete und den Patienten dahin brachte, 
dass er ohne Maschine gehen konnte. Bald aber fiel mir auf, dass 
der Gang meiner operirten Klumpfusspatienten sehr 
verschieden war. 

Ich hatte damals bei diesen paralytischen Klumpfüssen, bei denen es 
sich in der Regel um Lähmung dos Extens. digit. und der beiden Peronei handelte, 
stets die gleiche Operation ausgeführt; ich hatte die laterale Hälfte des Tibialis 
anticus abgespalten, seitlich verschoben und mit dem Cuboideum vernäht. 

Die Operation war bei allen Patienten anscheinend gleich gut 
gelungen; wenigstens war die Fussform bei allen gleich schön und 
gleich gut; sie traten mit voller Sohle auf, und trotzdem war der 
Gang der Patienten sehr ungleich. Man konnte geradezu zwei 


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Die Sehnenverpflanzung. 


17 


Gruppen unterscheiden: der eine Theil der Patienten ging stets 
sicher und schön, so dass am Gang nichts Abnormes auffiel; der 
andere Theil der Patienten konnte zwar im Zimmer auf ebenem 
Boden ebenfalls gut gehen; sobald sie aber im Freien sich bewegten 
und auf unebener Strasse gehen mussten, wurde der Gang 
unschön, unsicher und hinkend. 

Das fiel mir auf; ich untersuchte genauer meine Operations¬ 
resultate, und fand, dass bei den gut gehenden Patienten die 
active Supination und Pronation des Fusses möglich 
war. Der Fuss konnte sich deshalb in seiner Stellung jeder Un¬ 
ebenheit des Bodens anpassen. 

Bei den anderen Patienten war nur gesonderte Dorsal- 
und Plantarflexion des operirten Fusses, aber keine 
active Supination und Pronation möglich. Daraus er¬ 
klärte sich die Unsicherheit und Unbeholfenheit beim Gehen auf 
unebenem Terrain. 

Diese Beobachtung war es, welche mich veranlasste, der 
Function der verpflanzten Sehnen besondere Aufmerksamkeit zu¬ 
zuwenden und besonders darauf zu achten, wie weit der ab¬ 
gespaltene verpflanzte Muskel functionelle Selbständigkeit 
erhält. 

Das Ergebniss dieser Untersuchungen war lehrreich, aber in 
gewisser Hinsicht deprimirend. Nur beim Tibial. ant. scheint es 
Vorkommen zu können, dass der abgespaltene Theil unabhängig vom 
stehengebliebenen Rest arbeiten lernt. 

Bei den vielen anderen Muskeln, von denen ich 
Theile abgespalten und verpflanzt habe, habe ich bis¬ 
her niemals beobachtet, dass die abgespaltenen Par¬ 
tien functionelle Selbständigkeit erlangt haben. 

Es ist zuzugeben, dass trotzdem die Patienten in der Regel 
Nutzen von den ausgeführten Spaltungen gehabt haben; denn es 
wurde meist eine normale Fussform durch solche Sehnenverpflanzungen 
erzielt, und es wurde ein Recidiv der Deformität verhütet. Aber in 
functioneller Hinsicht blieb das Operationsergebniss bei diesen 
Patienten stets ein Resultat II. Ranges. Das machte sich schon bei 
den operirten Klumpfüssen, die nicht gesondert supiniren und pro- 
niren lernten, geltend. 

Noch auffälliger war die Minderwerthigkeit eines solchen Re¬ 
sultates bei Füssen, bei denen ich z. B. die Dorsalflectoren durch 

Zeitschrift fftr orthopüdische Chirurgie. XII, Bd. 9 


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18 


F. Lange. 


abgespaltene Theile vom Gastrocnemius ersetzt hatte, und bei denen 
sich nach dieser Operation die neugeschafFenen Dorsalflectoren stets 
gleichzeitig mit dem stehengebliebenen Plantarflector contrahirten, 
und bei denen infolgedessen jede gesonderte Dorsal- und Plantar¬ 
flexion unmöglich war. Ein solches Resultat der Sehnen Verpflanzung 
erhob sich nicht über den Nutzen einer gutgelungenen ArthrQdese; 
der Fuss blieb steif und todt wie ein künstlicher Fuss, es fehlte die 
Wiederkehr des Lebens der activen Beweglichkeit, und es fehlte da¬ 
mit am Resultat das, was dem Patienten den grössten Nutzen und 
dem Operateur die grösste Freude bereitet. 

Diese Erfahrungen wurden für mich bei der Aufstellung der 
Operationspläne massgebend. Ich vermied die Abspaltung der Sehnen 
so viel wie möglich und suchte möglichst ganze Muskeln zu ver¬ 
pflanzen. An Stelle der Abspaltung und partiellen Plastik trat 
bei mir die Verpflanzung des ganzen Muskels, die totale Sehnen¬ 
verpflanzung. 

Aber selbst nach Ausführung dieser Operation erlangten nicht 
alle Patienten die functioneile Selbständigkeit der verpflanzten 
Muskeln. 

Wenn ich z. B. bei einer Quadricepslähmung den Biceps und 
Semitendin. zum Ersatz des gelähmten Muskels nach vorn geführt 
habe und den Semimembran, hinten in der Kniekehle stehen liess, 
habe ich es bei einem Theil meiner Patienten erlebt, dass diese 
drei Muskeln, die beim normalen Menschen in der Regel gleich¬ 
zeitig arbeiten, auch bei den gelähmten Patienten, bei denen ich die 
Operation ausgeführt hatte, trotz der Verpflanzung nachher stets 
sich weiter gleichzeitig contrahirten. Die nach vorn verpflanzten 
Muskeln suchten den Unterschenkel zu strecken, der stehengebliebene 
Semimembran, suchte aber gleichzeitig eine Beugung herbeizuführen, 
und die Bewegung erfolgte erst nach einem Kampf zwischen der 
vorderen und hinteren Muskelgruppe. War die Arbeitsleistung der 
vorderen Muskeln stärker, so erfolgte eine Streckung, hatte der 
stehengebliebene Seminiembran. das Uebergewicht, so erfolgte eine 
Beugung. 

Wenn auch die meisten dieser Patienten den Nutzen von der 
Operation hatten, dass sie ohne Maschine gehen lernten, so war doch 
in functioneller Beziehung auch dieses Resultat nur II. Ranges; 
mindestens fand eine ganz unnütze Vergeudung von Kraft statt, 
wenn die vorderen und hinteren Muskeln gleichzeitig arbeiteten. 


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Die Sehnenverpflanzung. 


19 


Diese Erfahrungen zeigten mir, dass es für den Patienten durchaus 
nicht immer leicht ist, selbst wenn der ganze Muskel verpflanzt 
ist, mit dem neuen Muskel selbständig zu arbeiten und die ge¬ 
wünschten Bewegungen auszuführen. 

Ich liess mich dadurch in der Aufstellung meiner Operations¬ 
pläne weiter beeinflussen. Ich vermied es möglichst, Muskeln, die 
in der Regel gleichzeitig arbeiten, von einander zu trennen. Ich 
suchte ferner, um den Patienten die selbständige Contraction der 
neuen Muskeln zu erleichtern, zum Ersatz von gelähmten Muskeln 
möglichst functionsverwandte Muskeln heranzuziehen. 

Mein Hauptziel war geworden, die functioneile Selb¬ 
ständigkeit des verpflanzten Muskels zu erreichen. Wenigstens 
mussten die wichtigeren Bewegungen des Fusses, Dorsal- und 
Plantarflexion, Supination und Pronation gesondert möglich sein, 
nur dann konnte von einer normalen Gebrauchsfähigkeit des Fusses 
gesprochen werden. 

Diese Erkenntniss zwang mich, meine Operationspläne voll¬ 
ständig zu ändern. Früher war die Aufstellung des Operations¬ 
planes für mich verhältnissmässig einfach gewesen; Jeder gelähmte 
Muskel bekam von den benachbarten gesunden Muskeln die Hälfte 
oder ein Drittel ab, bis jede gelähmte Sehne mit lebender Muskel¬ 
substanz versehen war. Ich glaube, dass die meisten Operateure 
früher ebenso vorgegangen sind; es war am bequemsten, sich an 
die natürlichen Muskelverhältnisse zu halten. Vulpius nimmt in 
seiner Monographie den gleichen Standpunkt noch heute ein und 
fuhrt ihn bei seinen Operationsplänen auch consequent durch. Er 
nimmt aber — und das ist nach meiner Erfahrung nicht richtig — 
auf die functionelle Selbständigkeit der verpflanzten Muskeln keine 
Rücksicht. Er verpflanzt — um Beispiele anzuführen — Theile vom 
Gastrocnem., die niemals selbständig arbeiten lernen, ohne Noth 
auf die Dorsalflectoren; er versieht mit Gastrocnemiusmasse gleich¬ 
zeitig Supinatoren und Pronatoren und opfert damit die Selbständig¬ 
keit der wichtigsten Fussfunctionen. 

Vulpius ist ein von mir so hochgeschätzter Fachgenosse, der 
gerade auf dem Gebiete der Sehnenverpflanzung durch seine warme 
Empfehlung der jungen Operation sich so grosse Verdienste erworben 
hat, dass ich seine Gegnerschaft in diesem wichtigen Punkte nicht 
gering achten darf. 

An dem Fusse, der durch eine Kinderlähmung deform ge- 


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F. Lange. 


worden ist und der das wichtigste Operationsobject für uns dar¬ 
stellt, bitte ich deshalb, den Unterschied zwischen den Operations- 
plänen von Vulpius und von mir zeigen zu dürfen. 

Wie ich schon vorhin ausgeführt habe, ist mein Ziel, die 
functioneile Selbständigkeit aller derjenigen Muskeln zu erreichen, 
welche für die normale Gebrauchsfähigkeit des Fusses von Wichtig¬ 
keit sind. Da abgespaltene Partien in der Regel nicht selb¬ 
ständig arbeiten lernen, wurde ich gezwungen, ganze Muskeln zu 
verpflanzen. Es ist nur ein sehr einfaches Rechenexempel: Wenn 
drei Muskeln gelähmt sind, und wenn ich diese drei gelähmten 
Muskeln durch drei andere ungetheilte Muskeln ersetze, so muss ich 
irgend welche Functionen oder mindestens die Selbständigkeit von 
irgend welchen Functionen opfern. Es galt deshalb, zunächst ein¬ 
mal festzustellen, welche Muskeln am Fusse zuerst entbehrlich sind, 
oder — um genauer zu sein — bei welchen Muskeln am Fusse kann 
man am ersten auf die Selbständigkeit der Function ver¬ 
zichten? 

Der Fuss hat neun lange Fussmuskeln; diese neun Fussmuskeln 
sind folgende: ein Plantarflector (Gastrocnemius), ein Supinator (Tibial. 
posticus), zwei Dorsalflectoren (Tibial. anticus und Extensor digit.), 
zwei Pronatoren (die beiden Peronei) und endlich drei Muskeln, die 
fast ausschliesslich zur Bewegung der Zehen dienen (Extensor halluc., 
Flexor halluc. und Flexor digit.). 

Von diesen neun Muskeln sind drei ohne Weiteres entbehrlich, 
wenigstens was functionelle Selbständigkeit angeht: der Extens. 
halluc., Flexor halluc. und ein Peroneus. Ich kann unbedenklich 
z. B. den Extens. halluc. zum Ersatz für einen wichtigen gelähmten 
Muskel verwenden, wenn ich den peripheren Stumpf des Extens. 
halluc. aufsteigend am Extens. digit. vernähe; denn ein Bedürfniss 
für eine gesonderte Streckfähigkeit der grossen Zehe besteht nicht. 

Dasselbe gilt für den Flexor halluc., und dasselbe für einen 
Peroneus; denn beide Peronei bewirken die Pronation des Fusses, 
beide contrahiren sich in der Regel beim Gebrauch des Fusses gleich¬ 
zeitig, und es ist in functioneller Hinsicht ganz gleichgültig, ob die 
beiden Peroneussehnen von einem oder von zwei Muskelbäuchen mit 
Kraft versehen und in Spannung versetzt werden. 

I. Auf Grund dieser Erwägungen gestaltet sich der Operations- 
plan nach dem Princip der functioneilen Selbständigkeit sehr ein¬ 
fach, solange die Lähmung sich auf einen bis drei Muskeln beschränkt. 


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Die Sehnen Verpflanzung. 


21 


Nehmen wir an, es sei der Tib. ant., der Extens. halluc. longus 
und der Extens. dig. gelähmt. Der Tib. ant. wird durch den Flexor 
halluc. long. ersetzt, der Extens. halluc. long. und der Extens. dig. 
erhalten einen Peroneus gemeinsam; endlich wird der periphere Stumpf 
vom durchschnittenen Flexor halluc. an den Flexor digit. und der 
periphere Stumpf vom durchtrennten Peroneus an dem stehen¬ 
gebliebenen Peroneus aufsteigend vernäht. 

Voraussetzung für diese Operation ist, dass die paralytischen 
Sehnen durch die Lähmung nicht allzusehr gelitten haben, und dass 
sie nicht zu dünn und morsch geworden sind; denn sonst müsste 
man von Benützung der gelähmten Sehnen überhaupt absehen und 
statt dessen die periostale Sehnenverpflanzung anwenden, eine Opera¬ 
tion, die ich später eingehender besprechen muss. 

Vulpius geht bei einer solchen Lähmung in folgender Weise 
vor: Der Tib. ant. erhält einen Zipfel der Achillessehne, also der 
Dorsalflector wird ersetzt durch einen Theil des Plantarflectors, 
welcher niemals selbständig arbeiten wird. Der gelähmte Extens. 
dig. wird durch seinen Antagonisten, den Flexor dig. und ausserdem 
durch einen Theil des Peroneus longus versorgt; der Extens. halluc. 
wird aufsteigend am Extens. digit. befestigt. 

Aehnlich sind die anderen Vulpius^schen Operationspläne, so¬ 
bald drei Muskeln fehlen. Sie sehen aus dem einen Beispiel, dass 
Vulpius auf die functionelle Selbständigkeit des kraftspendenden 
Muskels keine Rücksicht nimmt, und dass wir deshalb in den 
Operationsplänen schon bei diesen leichten Lähmungen auseinänder- 
gehen. 

n. Noch viel charakteristischer wird aber der Unterschied, so¬ 
bald die Zahl der gelähmten Muskeln grösser wird. 

Wenn vier Muskeln fehlen, z. B. Tibial. ant., Extens. halluc., 
Extens. digit. und Peron. longus, so geht Vulpius in folgender 
Weise vor: Der gelähmte Tib. ant. erhält sum Ersatz den Tib. post, 
und den Flexor dig., dann vernäht Vulpius ein Drittel der Achilles¬ 
sehne an den paralytischen Extens. dig., 3. wird der Peron. longus am 
brevis aufsteigend befestigt; 4. wird der Extens. halluc. an den Ex¬ 
tens. dig. angehängt und 5. endlich der periphere Stumpf vom durch¬ 
schnittenen Tib. post, an die Achillessehne. Es versorgt also der 
Muskelbauch des Gastrocnemius: 1. die stehengebliebene Achilles¬ 
sehne, den Plantarflector; 2. den Extens. dig., den antagonistischen 
Dorsalflector; 3. den Extens. halluc.; 4. den Tib. post., welcher als 


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22 


F. Lange. 


Supinatx)r wieder ein Antagonist zu dem nicht nur dorsalflectirenden, 
sondern auch ^ronirenden Extens. dig. ist. 

Da die vom Gastrocnemius abgespaltenen Partien nicht ge¬ 
sondert arbeiten lernen, ist die Folge, dass, sobald der Muskelbaucli 
des Gastrocnemius sich contrahirt, alle die genannten Sehnen sich 
gleichzeitig anspannen und den Fuss in Mittelstellung, etwa wie nach 
einer Arthrodesenoperation, fixiren. 

Eine gesonderte Plantarflexion ist an einem solchen Fusse un¬ 
möglich, eine selbständige Dorsalflexion kann nur von dem mit 
neuer Muskelsubstanz versehenen Tib. ant. ausgeführt werden; doch 
bringt er stets den Fuss gleichzeitig in Klumpfussstellung, weil die 
selbstständige Mitarbeit des Extens. dig. fehlt. 

Steht nun ein solches Resultat im Verhältniss zu der recht 
complicirten Operation? 

Mit Ausnahme des Flexor dig. sind alle Sehnen des Fusses 
mit lebender Muskelsubstanz versehen. In formeller Hinsicht mag 
also ein solcher Fuss Aehnlichkeit mit einem normalen Fuss haben; 
in functioneller Hinsicht aber bleibt er weit hinter der Leistungs¬ 
fähigkeit eines gesunden Fusses zurück. 

Wie löst man nun dieselbe Aufgabe, wenn man die functioneile 
Selbständigkeit der wichtigsten Muskeln und eine normale Gebrauchs¬ 
fähigkeit der Musculatur anstrebt? 

Wenn vier von den langen Muskeln fehlen, so verzichtet man 
auf die Beweglichkeit der Zehen. Das ist eine Function, die 
für den schuhbekleideten Culturmenschen ganz nebensächlich ist und 
von welcher die meisten von uns kaum Gebrauch machen. Man 
kann deshalb die Muskeln, die ausschliesslich dafür dienen, 
Flexor halluc., Flexor dig. und Extens. halluc. zum Ersatz für die 
gelähmten Muskeln unbedenklich verwenden, wenn man alle Muskeln, 
welche die Zehen bewegen, sowohl Beuger wie Strecker, wegnimmt. 
Eine von den beiden Gruppen allein darf aber nicht stehen bleiben, 
weil sonst Zehencontracturen entstehen, die sehr lästig werden können. 

Man hat also bei der Lähmung von vier Muskeln noch fünf 
Muskeln für die wichtigeren Fussfunctionen übrig. In der Regel 
sind bei diesen ausgedehnten Lähmungen die paralytischen Sehnen 
so dünn und dehnbar, dass es sich im Interesse einer exacten Ver- 
nähung und der Zuverlässigkeit des Resultates empfiehlt, von der 
Benützung dieser paralytischen Sehnen abzusehen und statt dessen 
die wesentlich sicherere periostale Plastik anzuwenden. 


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Die Sehnenverpflanzung. 


23 


An einem Schema lassen sich leicht die Punkte des Fuss- 
skeletes klarlegen, welche mit Muskelsubstanz versehen sein müssen. 
Es ist zunächst der normale Ansatzpunkt der Achillessehne, wo der 
Plantarflector, der Gastrocnemius, anzugreifen hat. Dieser Punkt ist 
im Schema mit I bezeichnet. Die Punkte II und III bezeichnen die 
Angriffspunkte der Dorsalflectoren; II entspricht der Insertion des 
Tib. ant. am ersten Keilbein. III kommt am gesunden normalen 
Fuss als Ansatzpunkt nicht vor; der Muskel, der daran angreifen 
muss, zieht, ähnlich wie der Extens. dig., an der Vorderfläche des 
Unterschenkels herab. Er wirkt dorsalflectirend und gleichzeitig pro- 
nirend; in functioneller Hinsicht gleicht er also einer Partie des 
Extens. dig., dem sogen. Peroneus tertius; doch fehlt diese Muskel¬ 
partie schon bei gesunden Füssen sehr häufig vollständig; bei 
Lähmungen des Extens. dig. ist aber die Sehne des Peroneus tertius 
in der Regel so dünn, dass von ihrer Benützung immer abgerathen 
werden muss und dringend gerade in diesem Punkte die periostale 
Sehnenverpflanzung zu empfehlen ist. Punkt IV bezeichnet die In¬ 
sertion des Tib. post., also desjenigen Muskels, welcher vorwiegend 
als Supinator wirkt. Punkt V endlich zeigt die Insertion des Peron. 
brevis, des wichtigsten Pronators (Fig. 1). 

Diese fünf Knochenpunkte müssen mit lebender Muskelsubstanz 
versorgt werden. Zur Verfügung dazu stehen Flexor halluc., Flexor 
dig., Extens. halluc. und ein Peroneus. 

An Stelle der 35 Operationspläne, die Vulpius für den Fall, 
dass vier Muskeln gelähmt sind, aufstellt, genügt für mich das eine 
einzige Schema. 

Wenden wir es jetzt auf die vorhin besprochene Lähmung des 
Tib. ant., Extens. hall., Extens. dig. und Peroneus longus an! Der 
Flexor haU. und Flex. dig. werden am Malleolus internus durch¬ 
schnitten, auf die Vorderfläche des Unterschenkels verlagert und 
durch das mediale und laterale Fach des Ligament, cruciat. auf den 
Fussrücken geführt. Der Flex. hall, wird an Punkt II, der Flex. 
dig. an Punkt III festgenäht. 

Einen so operirten Fuss kann der Patient gesondert dorsal- 
und plantarflectiren und nach Belieben supiniren und proniren, das 
sind die Functionen, die wir für den täglichen Gebrauch nothwendig 
haben. Erreicht ist dies Ziel durch die Verlagerung von zwei 
Muskeln; Vulpius durchschneidet bei der gleichen Lähmung vier 
ganze Muskeln, spaltet zwei Muskeltheile ab, vernäht also 6mal eine 


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F. Lange. 


Sehne mit der anderen, und doch bleibt sein Resultat in functioneller 
Beziehung weit hinter dem der einfacheren Operation zurück. 

Je ausgedehnter die Lähmungen werden, desto weiter gehen 
die Operationspläne von Vulpius und mir aus einander. 

Wenn fünf Muskeln gelähmt sind, so kann es sich nach der 
Ansicht von Vulpius nur darum handeln, die übriggebliebene 
Muskelkraft so zu vertheilen, dass sie die durch allseitige Verkürzung 
erstrebte tendinöse Fixation des Sprunggelenkes möglichst im Gleich¬ 
gewicht hält. Vulpius verzichtet in solchen Fällen auf jede active 
Beweglichkeit des Fusses; er vertheilt z. B. die vorhandene Muskel¬ 
kraft vollständig auf die Dorsalflectoren und erstrebt also lediglich 
eine rechtwinklige Stellung des Fusses. Von all den Plänen, die 
Vulpius für die Lähmung von fünf Muskeln angibt, kann ich 
keinen einzigen anerkennen; denn alle leiden daran, dass Vulpius 
nur sieben lange Fussmuskeln berücksichtigt. In Wirklichkeit stehen 
aber neun zu unserer Verfügung. 

Um diesen Irrthum verständlich zu machen, muss ich mit wenigen 
Worten auf die Diagnose der Muskellähmungen eingehen. 

Als ich mit meinen Sehnenverpflanzungen anfing, habe ich 
mich bemüht, durch elektrische Prüfung die Lähmung der einzelnen 
Muskeln festzustellen. Ich habe also dieselbe Methode benutzt, wie 
sie heute noch die meisten Internisten an wenden, habe mich aber 
überzeugt, dass die Methode für unsere Zwecke recht wenig leistet, 
weil kleine Kinder sich bei der Anwendung des elektrischen Stromes 
meist sehr energisch sträuben und durch die willkürlichen Bewegungen 
eine genaue Beobachtung unmöglich machen. Ich stimme darin mit 
Vulpius vollkommen überein, und habe es vortheilhafter gefunden, 
statt des elektrischen Stromes bei Kindern durch Kitzeln der Fuss- 
sohle etc. Bewegungen auszulösen und dabei die Sehnen der einzelnen 
Muskeln zu beobachten und zu betasten. Man kann auf diese Weise 
am Fusse über den Zustand aller Muskeln Aufschluss erhalten — 
mit Ausnahme des Flexor hall, und Flexor digit. — Diese beiden 
Muskeln liegen so in der Tiefe, dass sie der Palpation unzugänglich 
sind, und es bleibt in zweifelhaften Fällen nichts anderes übrig, als 
dieselben bei der Operation freizulegen. Dies sind die beiden 
Muskeln, die Vulpius nicht berücksichtigt, wenn er nur sieben 
Fussmuskeln zählt, und daraus erklärt sich seine irrthümliche An¬ 
nahme, dass, wenn fünf Muskeln gelähmt sind, nur zwei zum Ersatz 
noch vorhanden bleiben. 


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Die Sehnenverpflanzung. 


25 


In Wirklichkeit hat aber der Fuss neun Muskeln. 
Wenn fünf gelähmt sind, bleiben vier zum Ersatz. Die Knochen¬ 
punkte, welche mit lebender Muskelsubstanz versehen sind oder 
versehen werden müssen, sind die gleichen wie bei dem vorher¬ 
gehenden Schema; nur muss man in den Fällen, wo fünf Muskeln 
gelähmt sind, die Punkte II und III mit einem einzigen Dorsalflector 
versehen. Wie man das macht, ist im Princip gleichgültig; man 
kann entweder den Dorsalflector spalten, oder man kann von den 
ungespaltenen Muskeln eine seidene Sehne abzweigen. So lange zwei 

Fig. 3. 


Fig. 4. 

Muskeln da sind, die gesonderte Supination und Pronation bewirken, 
lässt sich bei einer Lähmung von fünf Muskeln eine Gebrauchs¬ 
fähigkeit erzielen, die nicht wesentlich hinter der eines normalen 
Fusses zurücksteht. 

III. Schwieriger wird die Aufstellung des Operationsplanes, wenn 
sechs Muskeln gelähmt sind. Vulpius, der schon bei der Lähmung 
von fünf Muskeln auf eine active Beweglichkeit des Fusses verzich¬ 
tet, erwartet bei diesen Lähmungen von der Sehnenverpflanzung 
fast gar nichts, da er nur einen Muskel zum Ersatz heranzieht; in 
Wirklichkeit stehen aber drei Muskeln zur Verfügung. 

Mein Ziel ist auch bei diesen Füssen, möglichst die functioneile 
Selbständigkeit der einzelnen Muskeln zu erreichen; das ist nur 
möglich — wie ich vorhin auseinandersetzte —, wenn man von 
einer Spaltung der Muskeln absieht, und deshalb können nur drei 
Knochenpunkte mit Muskelsubstanz versehen werden; das sind die 
Punkte I, n, III. Sind z. B. alle Muskeln gelähmt, mit Ausnahme 
des Gastrocnemius, Tib. post, und Peron. brevis, so werden der 
Tib. post, und der Peron. brevis in der Höhe des Knöchels durch- 




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F. Lange. 


schnitten, auf die Vorderfläche des Unterschenkels geführt, unter 
dem Lig. cruciat. durchgezogen und endlich der Tib. post, an Punkt II, 
der Peroneus brevis an Punkt III festgenäht (Fig. 2). 

Sehr zu beachten ist, dass nicht etwa Muskeln stehen bleiben, 
welche an Punkt IV oder V angreifen. Diese Muskeln, die ausschliess¬ 
lich für Supination und Pronation da sind (Tib. post., Peron. long. und 
Peron. brevis), müssen vollständig geopfert werden, weil sonst Con- 
tracturen im Sinne der Varus- oder Valgus-Stellung entstehen können. 

Ein nach der beschriebenen Methode operirter Fuss wird durch 
den Gastrocnemius, der bei I inserirt, plantarflectirt; II und III bewirken 
die Dorsalflexion, II allein Dorsalflexion und Supination, I und II Plantar¬ 
flexion und Supination. Die Pronation wird in derselben Weise durch 
III resp. I und III bewirkt. Es ist also immerhin noch gesonderte 
Plantarflexion und gesonderte Supination und Pronation möglich; das 
sehen Sie an den Photographien dieser Kinder, bei denen sechs Muskeln 
gelähmt und drei Muskeln nur vorhanden waren, und bei denen dieser 
Operationsplan zur Durchführung gekommen ist. 

M. R. Lähmung des rechten Fusses infolge von Poliomyelitis; erhalten 
ist nur Gastrocnemius, Extensor hallucis und Extensor digitorum. Die beiden 
letzteren Muskeln wurden October 1902 bei II und 111 periostal vernäht. Die 
Function im Mai 1902 zeigt Fig. 3 (Dorsalflexion), Fig. 4 (Plantarflexion), Fig. 5 
(Pronation), Fig. 6 (Supination)’). 

Patienten, bei denen eine solche Operation ausgeführt ist, 
können die wichtigsten Bewegungen des Fusses ausführen. Sie 
lernen sicher und gut gehen; doch macht sich nach meinen Er¬ 
fahrungen die Einbusse an Muskelkraft darin geltend, dass der Fuss 
rascher ermüdet, als ein Fuss, bei dem noch vier oder fünf gesunde 
Muskeln zur Verfügung gestanden haben. 

Wenn sieben Muskeln gelähmt und nur noch zwei Muskeln vor¬ 
handen sind, muss man in der Regel auf Supination und Pronation 
verzichten, während sich gesonderte Dorsalflexion und gesonderte 
Plantarflexion noch erreichen lässt, wenn die Punkte II und III von 
einem einzigen Muskel versorgt werden. So habe ich z. B. mit dem 
Gastrocnem. als Plantarflector und mit dem Extens. halluc. als Dorsal- 
flector noch einen Fuss erzielt, bei dem active Dorsal- und Plantar¬ 
flexion annähernd in halbem Umfange, aber selbstverständlich mit 
verminderter Kraft möglich war. Um die Unsicherheit, welche durch 

’) Fig. 3 und 4 sind nach den Originalphotographien gezeichnet worden, 
weil die Photographien sich nicht zur Vervielfältigung eigneten. 


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Die Sehnenverpflanzung. 


27 


den Ausfall der selbständigen Supination und Pronation entstellt, aus¬ 
zugleichen, und das Umknicken auf unebenem Terrain zu verhüten, 
muss man diesen Patienten besonders fest gebaute Stiefel und eine 
Einlage aus Celluloidstahldraht geben. 

Ich benutze gern die Gelegenheit, Ihnen solche Einlagen vor¬ 
zulegen, die mir nicht nur bei Platt- und Klumpfüssen, sondern vor 
allem bei meinen Sehnenverpflanzungen ganz ausgezeichnete Dienste 


Fig. 6. 



geleistet haben, und die ich bereits in der Münch, med. Wochen¬ 
schrift beschrieben habe. 

Bei den ganz schweren Lähmungen, bei denen acht Muskeln 
zu Grunde gegangen sind und nur ein einziger erhalten ist, ist 
selbstverständlich eine nennenswerthe active Beweglichkeit des Fusses 
in der Regel durch die Operation nicht zu erwarten. Wenn ein 
kräftiger Gastrocnemius vorhanden ist, so kann man das mediale und 
laterale Drittel der Achillessehne abspalten, auf die Vorderfläche des 
Unterschenkels führen und mit Punkt II und III vernähen. Die 
drei Muskeln, die auf diese Weise geschafiTen sind, lernen nicht ge¬ 
sondert arbeiten, aber sie fixiren bei ihrer Contraction den Fuss in 
rechtwinkliger Stellung wie nach einer gut. gelungenen Arthrodesen¬ 
operation. 

Steht nur ein dünnerer Muskelbauch, als der des Gastrocnemius, 
zur Verfügung, so ist in der Regel nicht einmal ein solches Resultat 
zu erreichen. Zur Beseitigung von Contracturstellungen kann die 


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F. Lange. 


Abspaltung und Verpflanzung eines Theiles von Nutzen sein; aber 
eine künstliche Versteifung des Fussgelenks — sei es durch eine 
Arthrodesenoperation, sei es durch eine kleine Schieneneinlage aus 
Celluloidstahldraht — ist nicht zu umgehen. Ich lege Ihnen eine 
solche Schieneneinlage vor, die um ihrer Leichtigkeit und 
Billigkeit willen den Vorzug vor den anderen schweren und viel 
kostspieligeren Schienenhülsenapparaten verdient. 

Meine Herren! Ich habe mich bemüht. Sie davon zu 
überzeugen, dass man bei ausgebreiteteren Lähmungen 
nicht — wie es Vulpius anstrebt — alle gelähmten 
Muskeln mit Kraft versehen darf, sondern dass man 
vor allem die functionelle Selbständigkeit der ver¬ 
pflanzten Muskeln und eine normale Gebrauchsfähig¬ 
keit des operirten Gliedes anstreben muss, und dass 
man, um dieses Ziel zu erreichen, minderwichtige Mus¬ 
keln opfern muss. 

Wenn z. B. nur vier oder fünf Muskeln am Fusse vorhanden 
sind, so ist das Problem, einen gebrauchsfähigen Fuss zu erzielen, 
auf anderem Wege zu lösen, als wenn neun Muskeln, wie am nor¬ 
malen Fusse, zur Verfügung stehen; und bei allem Respect und 
aller Bewunderung vor der zweckmässigen Anordnung der Musculatur 
bei normalen Gliedern darf man bei gelähmten Gliedern sich nicht 
scheuen, von der normalen Form der Muskelvertheilung abzuweichen, 
um eine möglichst normale Function des Gliedes zu erzielen. 

Ich bitte Sie recht eindringlich, diese meine Vorschläge, die 
ich auf Grund meiner Erfahrungen an über 200 Operationen ge¬ 
macht habe, nachzuprüfen, und ich hofle, dass Sie sich um so eher 
dazu bestimmen lassen, als die Operationspläne so ungemein einfach 
werden, wenn man das Princip der functioneilen Selbständig¬ 
keit der neuen Muskeln in den Vordergrund stellt. 

Mit drei schematischen Bildern konnte ich Ihnen die Operations¬ 
pläne für alle Lähmungen des Fusses verführen. Vulpius braucht 
zur Durchführung seiner Methoden 116 Operationspläne, und selbst 
damit sind nicht alle Möglichkeiten erschöpft, weil Vulpius zwei 
Muskeln — wie ich schon erwähnte — nicht berücksichtigt. 

Das, was ich Ihnen ausgeführt habe, bilden für mich die 
theoretischen Grundlagen der Operation. Ihre Ausführung in 
der Praxis wäre aber auf unüberwindliche Schwierigkeiten ge- 
stossen, wenn wir ausschliesslich auf die ursprüngliche Methode der 


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Die Sehnenverpflanzung. 


29 


Sehnenverpflanzung angewiesen wären, welche den kraftspendenden 
Muskel auf die gelähmte Sehne verpflanzt. 

Ich brauche Sie nur auf den Insertionspunkt III meines 
Schemas hinzuweisen, der am normalen Fusse gar nicht vorkommt, 
um Ihnen zu zeigen, dass man die verpflanzte Sehne in vielen Fällen 
direct am Knochen befestigen muss. 

Dazu kommt, dass das Resultat der alten Methode vollständig 
abhängig ist von dem Zustande der gelähmten Sehne. Je weniger 
Muskeln aber am Fusse noch erhalten sind, desto mehr kommt 
darauf an, dass diese wenigen Muskeln absolut sicher arbeiten. 
Deshalb wende ich bei allen schwereren Lähmungen in der Regel 
die periostale Methode an. 

Ich habe ursprünglich diese Methode empfohlen, weil ich nicht 
selten die Sehne des gelähmten Muskels so dünn und zerreisslich 
gefunden habe, dass eine zuverlässige Vemähung des kraftspendenden 
Muskels mit der gelähmten Sehne unmöglich war. Das kommt nicht 
nur bei Sehnen vor, die an und für sich zart und dünn sind, sondern 
gilt in der Regel sogar für die Sehnen, die unter normalen Verhält¬ 
nissen kräftig und dick sind, wie z. B. die Quadricepssehne. 

Darin stimmen die Beobachtungen von Krause, Vulpius 
und mir vollständig überein. Vulpius hat deshalb für die Quadri- 
cepslähmung, welche für eine Sehnen Verpflanzung die schwierigste 
Aufgabe darstellt, die alte Methode der Vernähung von Sehne auf 
Sehne verlassen, und statt dessen, nach meinem Vorgang, die Ver¬ 
nähung am Periost vorgenommen. Er hat damit die Ueberlegenheit 
der periostalen Methode gegenüber der ursprünglichen Sehnenver- 
pflanzimg zugegeben. Trotzdem äussert Vulpius in seiner Mono¬ 
graphie alle möglichen Bedenken gegen die periostale Methode, und 
ich muss, da meine Operationspläne zum grossen Theil auf der 
periostalen Methode beruhen und mit ihr stehen und fallen, näher 
auf die Vulpiu s’schen Ein wände eingehen. 

Vulpius bezweifelt (S. 54), dass die Vernähung der Sehne 
an dem stellenweise recht zerreisslichen Periost sicherer und dauer¬ 
hafter sein soU, als die Vernähung mit sehniger Substanz. 

Thatsächlich bildet bei Erwachsenen das Periost mancher 
Knochen, wie z. B. der Tibia, die bei der Quadricepsplastik in 
Frage kommt, eine nicht besonders dicke Haut. Doch wird dieser 
Nachtheil reichlich aufgewogen durch die grosse Angriffsfläche, 
welche das Periost dieses Knochens bietet. Wenn man mit der 




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F. Lange. 


Benutzung des Periostes oben an dem Ansatzpunkte des Lig. patell. 
inf. beginnt, so kann man das obere Drittel, und selbst die obere 
Hälfte der Knochenhaut von der Tibia mit Seidenfdden durchflechten 
und braucht sich nicht auf die vordere Fläche zu beschränken, son¬ 
dern man kann auch die laterale Fläche der Tibia zum Angrifispunkte 
für die Naht benutzen, so dass in Wirklichkeit die Vernähung viel 
fester am Periost als an einer einzelnen Sehne möglich ist. 

Noch viel günstiger liegen die Verhältnisse am Fusse, und 
besonders am Fusse der Kinder, die ja das Haupteontingent 
unserer Patienten für die Sehnenverpflanzung stellen. Das Periost 
des Kindes ist an und für sich viel dicker als das des Erwachsenen. 
Ausserdem wird das Periost verstärkt durch die Bänder, die Aus¬ 
strahlungen der Gelenkkapsel und der Sehnen, und endlich sind bei 
den kindlichen Patienten die Knochen an ihrer Oberfläche theilweise 
noch knorpelig. Alle diese Theile kann man durchstechen und der 
Faden gewinnt dadurch bei der periostalen Verpflanzung einen Halt, 
wie er niemals durch Vernähung an einer Sehne zu erzielen ist. 

Die Sicherheit der periostalen Naht schätze ich so hoch, dass 
ich selbst bei Sehnen, die durch die Lähmung nicht gelitten haben, 

— wie z. B. bei der Little'schen Krankheit — die periostale Ver¬ 
nähung vielfach vorziehe. 

Da ich im Laufe der Jahre und auf Grund meiner Erfahrungen 
die Technik der periostalen Verpflanzung etwas geändert 
habe, gebe ich nochmals eine zusammenhängende Schilderung: 

Nehmen wir an, es handle sich um eine Lähmung des Extens. dig. Die 
Aufgabe ist, einen Muskel zu schaffen, der dorsalflektirend und pronirend wirkt. 

Er muss an Punkt III, der Dorsalfläche des Cuboideum angreifen. Zur Ver¬ 
fügung steht der Extens. halluc. Ein Schnitt legt auf dem Fussrücken den 
Extens. halluc. frei. Die Sehne de.sselben wird etwa in der Mitte des Fuss- | 

rückens durchtrennt; das centrale Ende wird isolirt und in einer Ausdehnung | 

von 2—3 cm mit Seide durchflochten. Ein zweiter Schnitt, der parallel dem ; 
äusseren Fussrand 3 cm von demselben entfernt auf dem Fussrücken geführt 
wird, legt den 4. Metatarsus und Cuboid. bloss. Mit einer langen Kornzange wird 
im subcutanen Gewebe von der lateralen Wunde zur medialen auf stumpfe 
Weise ein Kanal geschaffen und durch denselben die Sehne des Extens. halluc. 
nach dem Cuboid., dem neuen Ansatzpunkte des Muskels, gezogen. Nun wird 
das Periost des Cuboid. in einer Ausdehnung von 2 cm gespalten, zurück¬ 
geschoben und das Ende der Sehne in die Periostspalte hineingelegt; dann 
werden die beiden Seidenfäden mit zwei oder drei Stichen durch die peripher 
von der Periostspalte gelegenen Theile der Knochenhaut vom Cuboid. und den 
Metatarsen hindurch geführt, die Nadel wird dabei in möglichster Tiefe durch- 
gestochen. 


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Die Sehnenverpflanzung. 


31 


Ich vermeide dabei möglichst, mit der Nadel in das Innere des Gelenkes 
zu gehen. Durch die Wandung der Gelenkkapsel aber und durch Knorpel 
und Bänder gehe ich unbedenklich hindurch mit dem Faden. In der Regel hat 
man bei genügend tief greifenden Nähten Mühe, die Nadel wieder herauszu¬ 
ziehen, und es müssen daher dicke, stark gebogene Nadeln mit kurzer Spitze 
verwandt werden. 

Sind beide Fäden durchgeführt, so werden sie je nach der Spannung, 
welche man für den neuen Muskel wünscht, angezogen und geknotet. Zum 
Schluss endlich w’ird am Cuboid. das abgelöste Periost mit zwei oder drei 
Nähten über der Sehne vereinigt. 

Um die Zuverlässigkeit der periostalen Naht experi¬ 
mentell zu prüfen, habe ich Versuche an Leichen gemacht. 
Bei einer Kinderleiche hielt die Vulpius’sche Mordification der 
Nikoladoni’schen Naht (Sehne auf Sehne) nur eine Belastung 
von 2—3 kg aus; meine periostale Naht dagegen schnitt erst bei 
14—15 kg Belastung durch. Sie hielt also das Fünffache der 
Vulpius’schen Naht aus. — An der Leiche eines Erwachsenen 
vertrug die Vulpius’sche Naht eine Belastung von 10 kg; die 
Leistungsfähigkeit der periostalen Methode konnte ich in diesem 
Falle nicht genügend feststellen, da bei einer Belastung von 30 kg 
die Seidenfäden rissen, während das Periost trotz einer so extremen 
Belastung nicht im Geringsten nachgab. 

Bei unseren Patienten liegen nun die Verhältnisse für die 
Vulpius’sche Naht viel ungünstiger, da es sich um gelähmte 
Sehnen handelt, die vielfach ausserordentlich zerreisslich sind. Ich 
vermuthe, dass viele gelähmte Sehnen schon bei einer Belastung von 
100—200 g nachgeben, und ich glaube mich nicht zu irren, wenn 
ich in solchen Fällen die Haltbarkeit der periostalen Naht lOOmal 
höher schätze als die der Vulpius*schen Naht. 

Trotz aller Vortheile, welche die periostale Methode bietet, 
hätte sie aber wohl in der Praxis nur eine sehr beschränkte An¬ 
wendung finden können, da viele Muskeln zu kurz sind, als dass 
sie direct mit den neuen Insertionspunkten, die im einzelnen Falle 
nothwendig sind, hätten verbunden werden können. 

Ich habe deshalb vielfach die verpflanzten Muskeln 
durch seidene Sehnen verlängert, und ich habe dadurch 
eine allgemeine Anwendung der periostalen Methode in 
allen Fällen möglich gemacht. 

Wie Sie wissen, war Gluck der erste, welcher künstliche 
Sehnen aus Catgutseide zum Ersatz von Sehnendefecten anwandte. 


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32 


F. Lange. 


Seine Arbeiten haben seiner Zeit nicht die Würdigung gefunden, welche 
sie verdienten, und es ist mir deshalb eine besondere Freude, an 
dieser Stelle auszusprechen, dass die Erfahrungen, die ich an 12G sei¬ 
denen Sehnen gemacht habe, durchaus die ursprüngliche Gluck*sche 
Angabe bestätigen. 

Vulpius hat — wie gegen die periostale Verpflanzung, so 
auch gegen die seidenen Sehnen — mancherlei einzuwenden. Ich 
benutze deshalb gern die Gelegenheit, um über die weiteren Er¬ 
fahrungen, die ich bei Sehnenverpflanzungen mit seidenen Sehnen 
gemacht habe, zu berichten. 

Dass die primäre Einheilung der seidenen Sehnen keine 
Schwierigkeiten hat, habe ich bereits früher berichtet. Selbst bei 
einer Störung der Wundheilung können die seidenen Sehnen noch 
einheilen. 

Ich habe vor 2*/2 Jahren Versuche über die Verwendbarkeit des Celluloid¬ 
zwirns bei Sehnenverpüanzungen gemacht und hatte bei einer Quadricepsplastik, 
bei der ich eine 10 cm lange seidene Sehne gebildet hatte, die Hautnähte mit 
Celluloidzwim ausgeführt. Die Hautnähte vereiterten alle, die Wundränder wichen 
aus einander und die seidene Sehne wurde im Grunde der Wunde sichtbar. 
Trotzdem heilte sie schliesslich ein und ist heute noch erhalten. 

Wie ich nebenbei bemerken möchte, fielen meine Versuche mit Celluloid¬ 
zwirn ganz ungünstig aus, und ich empfehle dringend, zunächst für künstliche 
Sehnen an der Seide und für Hautnähte am Silkworm festzuhalten. 

Doch ich wollte Ihnen über meine Erfahrungen über die sei¬ 
denen Sehnen berichten! 

Durch die primäre Einheilung ist der Erfolg noch nicht 
endgültig gesichert. Ich habe schon in meiner früheren Veröffent¬ 
lichung berichtet, dass ich bei zwei paralytischen Spitzfüssen erlebt 
habe, dass die seidenen Sehnen der neugeschaffenen Dorsalflectoren 
die Haut des Fussrückens infolge von zu starker Spannung durch¬ 
schnitten haben. 

Diese Gefahr, den Spannungsdecubitus, habe ich inzwischen 
vermeiden gelernt. 

Wenn es sich um einen schweren paralytischen Spitzfuss handelt, 
und z. B. nur der Tib. post, und Peroneus brevis zum Ersatz der ge¬ 
lähmten Dorsalflectoren zur Verfügung stehen, so dass die Benutzung 
von seidenen Sehnen nothwendig ist, dann schaffe ich durch rück¬ 
sichtsloses Redressement zunächst einen hochgradigen Hacken- 
fuss. Während der Fuss in dieser extremsten Hackenfussstellung 
gehalten wird, vernähe ich die verpflanzte Sehne unter leichter 


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Die Sehoenverpflanzung. 


33 


Spannung und gipse den Fuss in derselben Stellung ein. Wenn nach 
6—8 Wochen der Verband entfernt wird, bleibt der Fuss zunächst 
in Hackenfussstellung und sinkt erst im Laufe von 2—3 Monaten 
bis zur rechtwinkligen Stellung hinab. Während dieser Zeit um¬ 
wachsen sich bereits die seidenen Sehnen mit echtem Sehnengewebe 
und die stärkere Anspannung der künstlichen Sehne, welche durch 
das Hinabsinken des Fusses aus der Hackenfussstellung in die nor¬ 
male Mittelstellung eintritt, hat dann keine schlimmen Folgen mehr. 
Soviel über den Spannungsdecubitus. 

Eine weitere Gefahr für seidene Sehnen bildet der Knoten- 
decubitus. 

Wenn ich z. B. eine seidene Sehne bilden und dazu zwei bis 
vier Fäden von der Turner Seide Nr. 12 verwenden musste, so habe 
ich früher den Faden am Periost geknüpft. Dabei entsteht ein 
Knoten, der einen Durchmesser von 2—3 mm hat. An fettreicheren 
Hautstellen, z. B. an der Vorderfläche des Unterschenkels, ist ein 
solcher Knoten ganz gleichgültig; an fettarmen Gegenden aber, z. B. 
am Fussrücken, bildet ein solcher Knoten eine Prominenz, welche 
durch die Haut durchzufühlen ist. Dadurch ist beim späteren Ge¬ 
brauch des Fusses die Gefahr des Decubitus an dieser Stelle 
gegeben. 

Auch das sollte ich durch Erfahrungen lernen. Bei zwei Patienten mit 
Klumpfüssen war die primäre Wundheilung ganz glatt erfolgt: nach der Ver- 
bandabnahrae wurden sie mit völlig geschlossenen Narben nach Hause entlassen, 
aber wenige Wochen nach der Entlassung wurde durch die Benutzung des 
Fusses die dünne Narbe über dem Seidenknoten am Fusse durchgerieben und 
der Knoten wurde dadurch in der Decubituswunde freigelegt. Da sich noch 
nicht genügend natürliches Sehnengewebe gebildet hatte, begnügte ich mich 
mit regelmässigen Jodpinselungen des Knotens und mit sorgfältigem antisepti- 
schem Verband, liess aber gleichzeitig — um die Gewebsbildung anzuregen — 
den Fuss fleissig benutzen. 

In beiden Fällen gelang es, eine schwere Infection der seidenen Sehne 
zu verhüten, obwohl Monate lang an der Knotenstelle eine stecknadelkopfgroase 
Oeffnung bestand, aus der ein trüb seröses Secret in geringer Menge abgesondert 
wurde. Als sich nach 6 Monaten genügendes Sehnengewebe gebildet hatte, 
habe ich den Knoten mit dem Messer abgetragen. 

Bei beiden Patienten kam es daraufhin zum Schluss der Wunde, und 
das volle Operationsresultat blieb erhalten. 

Diese Gefahr des Knotendecubitus lässt sich ebenfalls ver¬ 
meiden, wenn man den Knoten statt an die Peripherie centralwärts 
auf die Sehne verlegt, wo er durch ein genügendes Fettpolster der 

Zeit-^rhrift für orthopädi^ichc ('hirurj^ie. XII. B<1. 3 


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34 


F. Lange. 


Haut geschützt ist und dagegen auf dem Periost die ü-förmige Um¬ 
biegung des Seidenstranges befestigt. 

Endlich bedarf noch einer Besprechung die Möglichkeit des 
Fadenabscesses. Die Gefahr, dass dadurch der Seidenfaden nach¬ 
träglich ausgestossen wird, schätze ich bei weitem nicht so hoch als 
Vulpius. Vulpius, der über 400 Sehnenplastiken berichtet — 
worunter sich anscheinend nur wenige Operationen mit seidenen 
Sehnen befinden —, hat bei 25 ^/o seiner Fälle nach Wochen oder 
Monaten Ausstossung einzelner Fäden erlebt. Ich selbst habe unter 
216 Sehnenplastiken — darunter sind 126 mit seidenen Sehnen — 
nur etwas über 2 ^/o Fadenabscesse zu verzeichnen. 

Der Unterschied in diesen Zahlen, 2^/o (Lange) gegenüber 
25 ®/o (Vulpius), ist ein so grosser, dass eine Zufälligkeit aus¬ 
geschlossen ist, der Grund zu dieser Differenz muss vielmehr 
in der Methode gesucht werden. 

Vulpius operirt mit Haube und Zwirnhandschuhen; ich be¬ 
nutze Gummihandschuhe und Mund- und Stirnbinde. Wir stimmen 
in diesen beiden, so viel bestrittenen Punkten also ganz gut überein. 
Dass überhaupt nicht in der Vulpius'schen Asepsis während der 
Operation die Ursache für die secundäre Fadenausstossung zu suchen 
ist, halte ich bei einem Chirurgen wie Vulpius für zweifellos; auch 
spricht die grosse Zahl seiner tadellosen primären Heilungen da¬ 
gegen, dass irgend etwas an der Asepsis von Vulpius auszu¬ 
setzen wäre. 

Dadurch wird sehr wahrscheinlich, dass die Ursache in der 
Nachbehandlung liegt. 

Vulpius näht die Wunde vollständig zu; ich führe in einen 
Wundwinkel der im übrigen geschlossenen Wunde ein Stückchen 
Gaze ein, das mit Sublimat (1 : 1000) getränkt ist und drainire durch 
dasselbe für 48 Stunden die Wunde. 

Früher habe ich dann die Entfernung des Gazestreifens durch ein Fenster 
im Gipsverband ausgeführt. Das war umständlich und zeitraubend. Auf Vor¬ 
schlag meines Assistenzarztes Dr. Ober reit knüpfe ich neuerdings einen langen 
festen Seidenfaden an das Gazestückchen, leite das andere Ende des Seiden¬ 
fadens an dem oberen oder unteren Rand des Gipsverbandes heraus und ent¬ 
ferne nach 48 Stunden das Gazestückchen durch einen kräftigen Zug an dem 
Seidenfaden, ohne am Verband irgend etwas zu ändern (temporäre Drainage). 

Vulpius widerräth ein solches Vorgehen. Er sagt, Je abge¬ 
schlossener die Nahtstelle der Sehnen liegt, desto sicherer sind wir 
vor secundärer Infection des versenkten Nahtmaterials“. 


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Die SehnenverpÖanzung. 


35 


Theoretisch klingt das recht plausibel, aber die Praxis spricht 
in diesem Falle zu meinen Gunsten. 

Ich habe recht häufig beobachtet, dass an dem Wundwinkel, 
aus dem das Gazestück herausgeführt war, noch Tage, selbst Wochen 
lang, ein trüb seröses oder trüb hämorrhagisches oder auch ein 
öliges Secret abgesondert wurde. Woher diese Flüssigkeit stammte, 
war nicht immer sicher zu entscheiden. Vielfach mag eine Nekrose 
von losgerissenem Fettgewebe oder eines Fascienzipfels die Ursache 
gewesen sein. Dass es sich um Infection handelte, ist deshalb ganz 
unwahrscheinlich, weil die Wunde selbst und die Stichkanäle der 
Hautnaht in der Regel dabei tadellos aussahen, und weil ich nie¬ 
mals Temperatursteigerung dabei beobachtet habe. Das Secret 
scheint ganz harmloser Natur zu sein, und ich glaube, dass bei ge¬ 
wöhnlichen Wunden, die z. B. durch Entfernung einer Geschwulst 
oder durch dergleichen Operationen entstanden und völlig vernäht 
worden sind, ein solches Secret in der Regel resorbirt wird, ohne 
irgend welche Erscheinungen zu machen. 

Anders liegen aber die Verhältnisse bei Wunden, in 
welchen Fremdkörper einheilen sollen! Wenn solche Wun¬ 
den vollständig verschlossen werden, und wenn sich in denselben 
irgend ein Secret bildet, so scheint mir das durchaus nicht unbe¬ 
denklich zu sein, und ich glaube, dass es viel zweckmässiger ist, für 
einen freien Abfluss des Secrets Sorge zu tragen. 

Die im Vergleich zu der Vulpius’schen Menge sehr geringe 
Zahl meiner Fadenabscesse spricht entschieden für die Richtigkeit 
meiner Annahme. 

Die Frage, deren Klärung ich für sehr wünschenswerth halte, 
würde leicht zu entscheiden sein, wenn Vulpius sich zur Nach¬ 
prüfung meiner Methode entschliessen würde, und wenn er dadurch 
eine wesentliche Verminderung der Fadenabscesse erzielen würde. 

Sie sehen aus meinen Ausführungen, dass ich nach meinen bis¬ 
herigen Erfahrungen keinen Grund habe, die Fadenabscesse zu 
fürchten. Trotzdem würde ich auch heute noch wenig Ver¬ 
trauen zu meinen seidenen Sehnen haben, wenn nicht eine 
Umwachsung der seidenen Sehnen mit echtem Sehnenge¬ 
webe stattfinden würde. Ich habe bereits vor 2 Jahren auf der 
Hamburger Naturforscherversammlung ausgeführt, dass meine klini¬ 
schen Erfahrungen dafür sprachen, dass die seidenen Sehnen von 
lebendem Gewebe umwachsen werden, weil dieselben unter dem Ein- 


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36 


F. Lange. 


fluss der Function von Monat zu Monat dicker wurden; und ich konnte 
bereits in Hamburg ein mikroskopisches Präparat vorlegen, welches 
zeigte, dass das neugebildete Gewebe aus echtem Sehnengewebe bestand. 
' Ich freue mich, Ihnen heute zwei weitere Präparate von sei¬ 
denen Sehnen^) vorlegen zu können. Das eine (Fig. 7 u. 8) stammt 
von einem 5jährigen Knaben, das andere von einem 18jährigen 


o 


Fig. 7. 


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Mädchen (Fig. 9). Beide Seidensehnen haben Uber 2 Jahre lang 
functionirt; gelegentlich einer nothwendigen Nachoperation war es 
mir möglich, die Präparate zu gewinnen. 

Sie sehen auf beiden in ausgezeichneter Weise nicht nur, wie 
die Seide von einem Mantel aus Sehne umwachsen wird, sondern Sie 
sehen auch, namentlich auf dem einen Querschnitte (Fig. 7), wie die 

9 Fig. 7 gibt den Querschnitt durch die seidene Sehne bei schwacher 
Vergrösserung wieder. — Fig. 8 zeigt dieselbe Sehne im Längsschnitt bei starker 
Vergrösserung. Die Seide nimmt das mittlere Drittel der Zeichnung ein. — 
Fig. 9 ist nach einem Längsschnitt durch die seidene Sehne bei schwacher 
Vergrösserung gezeichnet. 


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Die Sehnenverpflanzuiig. 


37 


Organisation in das Innere der Seide ein dringt und wie echtes 
Sehnengewebe den Kern der einen seidenen Sehne bildet. 

Die Präparate geben aber ferner einen ausserordentlich inter¬ 
essanten Aufschluss über die Entstehungsweise des neuen Ge¬ 
webes. £s bestanden zwei Möglichkeiten für die Bildung des 
Sehnengewebes; entweder konnte die Neubildung von den Sehnen- 


Fig. 8. 



Stümpfen der verpflanzten Muskeln ausgehen, oder die Gewebsbildung 
konnte so vor sich gehen, dass zunächst um die seidene Sehne 
herum jugendliches Bindegewebe entstand, aus dem dann allmählich 
echtes Sehnengewebe sich umbildete. Meine Präparate sprechen ganz 
entschieden für die letztere Annahme; denn Sie finden in den nahe 
der Seide gelegenen centralen Schichten ganz jugendliches Binde¬ 
gewebe mit zahlreichen Zellen und Gefässen und Riesenzellen, wäh¬ 
rend nach der Peripherie zu in den offenbar älteren Schichten das 
Gewebe immer gefäss- und zellenärmer wird, und immer mehr den 
Charakter von echtem Sehnengewebe annimmt. 

Die Präparate sind gewiss interessant; aber noch viel mehr 
interessirt uns die Frage: „Welchen Nutzen haben die Patienten 
von den seidenen Sehnen?“ 


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38 


F. Lange. 


Der fuDctionelle Werth der seidenen Sehnen lässt sich am besten 
an ihren Leistungen bei Quadricepslähmungen feststellen. Bei 
dieser Lähmung ist zwar in ganz vereinzelten Fällen schon früher — 
vor allem ist ein Fall von Krause zu erwähnen — ein gutes Re¬ 
sultat erzielt worden; aber im allgemeinen waren die Resultate so 
schlecht, dass von einzelnen Autoren, wie z. B. von Gocht, der Er¬ 
satz dieses so wichtigen und kräftigen Muskels für aussichtslos ge¬ 
halten wurde. 

Fig. 9. 



Durch die Verlagerung des Biceps und Semitendinosus nach 
vorn, durch Verlängerung derselben durch seidene Sehnen und durch 
Vernähung der Sehnen am Periost der Tibia gelang es mir dann, 
eine Methode zu schaffen, die in allen Fällen, wo diese Beuge¬ 
muskeln erhalten sind, sich ausführen lässt und ein zuverlässiges Re¬ 
sultat verspricht. Selbst Vulpius, der so viele Bedenken gegen die 
periostale Verpflanzung und die seidenen Sehnen äussert, hat die 
alte Methode bei dieser Lähmung zu Gunsten der periostalen Plastik 
aufgegeben. Er verlängert die nach vorn verlagerten Ersatzmuskeln 
durch seidene Sehnen und vernäht dieselben am Periost. 

Die kleine Modification, die Vulpius ausführt — Vulpius 
vernäht am Periost der Patella, ich am Periost der Tibia —, ist be- 


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Die SebnenTerpflanzung. 


39 


langlos, wenn das Lig. patell. inf. gut erhalten ist. Ist dasselbe 
durch die Lähmung geschädigt, und besteht die Gefahr, dass sich 
unter dem Einfluss der später eintretenden Muskelcontraction das 
Ligamentum verlängert, dann wird durch diese Vulpius'sche Modi- 
fication das Resultat der ganzen Operation in Frage gestellt. 

Die Aufgabe des neuen Muskels ist nicht die Patella in die 
Höhe zu ziehen, sondern den Unterschenkel zu strecken, und des¬ 
halb ist der natürliche und der allein Sicherheit gewährende Ansatz¬ 
punkt für die neue Sehne die Tuberositas tibialis. 

Vulpius hat auch gegen diese Empfehlung wieder theo¬ 
retische Bedenken, weil die seidene Sehne dadurch länger wird. 
Aber diese Frage ist, wie ich glaube, ebenfalls durch die Praxis 
bereits entschieden. 

Ich habe 25mal zum Ersatz für den Quadriceps seidene Sehnen 
angewandt und habe bisher niemals irgend eine Störung oder Aus- 
stossung erlebt. Bei sieben Patienten stand mir ein einziger Beuge¬ 
muskel zur Verfügung. Das sind verzweifelte Fälle; trotzdem kann 
man einen Versuch machen. Mir ist es bei vier dieser Fälle ge¬ 
lungen, die Patienten von ihren Apparaten zu befreien. Bei den 
neunzehn anderen Gelenken standen zwei Beugemuskeln zur Ver¬ 
fügung. Von diesen Patienten sind zur Zeit noch drei in Behandlung 
und benutzen Apparate; doch werden sie voraussichtlich alle von 
ihren Apparaten befreit werden. Die Methode bietet nach meinen 
Erfahrungen die denkbar sichersten und besten Aussichten, welche 
eine Sehnenplastik bieten kann — vorausgesetzt, dass zwei kräftige 
Muskeln zum Ersatz vorhanden sind. Haben die Ersatzmuskeln 
ebenfalls durch die Lähmung bereits gelitten, so erfährt selbst¬ 
verständlich dadurch das spätere functionelle Resultat eine Einbusse. 
Man kann, wenn man pathologisch veränderte Muskeln zum Ersatz 
verwenden muss, niemals eine normale Function erwarten. Aber 
Nutzen haben die operirten Kinder fast stets von der Operation 
gehabt, und zwar nicht allein durch die genannte Streckfähig¬ 
keit im Knie, sondern besonders auch durch die zweckmässige 
Anordnung der Musculatur, welche durch die Operation ge¬ 
schaffen wird. 

Die grössten Ansprüche an die Beinmusculatur werden beim Gehen in 
dem Augenblicke gestellt, wenn der Körper auf einem Beine* ruht, während das 
andere Bein von hinten nach vorn geführt wird. In dieser Phase des Ganges 
wird das Standbein im Höft- und im Kniegelenk gestreckt gehalten. Die 


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40 


F. Lange. ‘ 


Streckung des Kniegelenks wird normalerweise vom Quadriceps geleistet, während 
die Streckung im Hüftgelenk der Biceps, Semitendin. und Semimembran, be¬ 
sorgen. Da aber die letztgenannten Muskeln gleichzeitig bei ihrer Contraction 
eine Beugung des Kniegelenkes bewirken, so wird ein grosser Theil der Kraft 
des Quadriceps dazu verbraucht, um die kniebeugende Wirkung des Semitendin., 
Semimembran, und Biceps auszugleichen; für die Function des Beines beim 
Stehen und Gehen ist eine solche Muskelanordnung unzweckmässig, und es ist 
entschieden vortheilhafter — wenn man einmal gezwungen ist, mit der vor¬ 
handenen Muskelkraft sparsam umzugehen —, einen Muskel zu schaffen, welcher 
das Bein im Hüft- und im Kniegelenk gleichzeitig streckt. Dies geschieht 
durch die von mir empfohlene Methode der Verpflanzung des Biceps und Semi¬ 
tendin. naclf vorn, und es erklärt sich daraus die Thatsache, dass selbst in 
Fällen, in denen die zur Verpflanzung verwendeten Muskeln schwer gelitten 
hatten und nur wenige, noch braunroth gefärbte Stränge aufwiesen, während 
der grössere Theil der Muskelmasse degenerirt war, doch der Zweck der Ope¬ 
ration , den Patienten zum Gehen ohne Apparat zu bringen, in der Regel 
erreicht wurde. Dahin kamen freilich diese Patienten nicht, dass sie das 
im Kniegelenk gestreckte Bein horizontal frei zu halten vermochten; wohl aber 
wurde in der Regel ihnen das Strecken des Unterschenkels bei Seitenlage ermög¬ 
licht. Waren dagegen die zur Verpflanzung verwendeten Muskeln vollständig 
gesund, so wurde eine Streckfähigkeit im Kniegelenk erzielt, die an Kraft hinter 
der eines gesunden Beines nicht weit zurückblieb. 


Zum Beweise gebe ich die Abbildung einiger Patienten, bei 
denen die zur Verpflanzung benutzten Muskeln von annähernd nor¬ 
maler Beschaffenheit waren. 

Fig. 10^), St., lOjähriger Knabe, operirt im October 1899 von 
Sr. Königl. Hoheit dem Prinzen Ludwig Ferdinand. Der Fall ist 

bereits erwähnt in der Münch, med. 
Wochenschr. 1900, Nr. 15. (Die 
Photographie ist im Mai 1903 auf¬ 
genommen worden.) 

Fig. 11, M., lOjähriger Knabe, 
operirt im October 1900. Der Fall 
ist genauer beschrieben in der 
Münchener medic. Wochenschrift 
1902, Nr. 1. 

Fig. 12, W., Tjähriges Mäd¬ 
chen, operirt im November 1901. 
Die künstliche Sehne ist jetzt bleistiftstark. Das Kind vermag den Unter¬ 
schenkel völlig frei horizontal zu halten. Der Gang ist sicher und gut. 



0 Fig. 10 und Fig. 15 sind nach Photographien gezeichnet. Die Original* 
pflotographien eigneten .sich aus technischen Gründen nicht zur Reproduction. 


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Die Sehnenverpflanzung. 


41 


Fig. 13 u. 14, St., ISjähriger Herr, hat wegen seiner Quadri- 
cepslähmung seit 15 Jahren Maschine getragen, konnte trotzdem 
aber nur ^4 Stunde gehen. Operation im Juli 1902. Ini September 


Fif?. 11. 



1902 konnte der Patient bereits den Unterschenkel aus der Beuge¬ 
stellung in Streckstellung überführen, wie es Fig. 13 u. 14 zeigt, und 

Fig. 12. 




i 


längere Zeit frei halten. Heute ist der neue Streckmuskel so kräftig, 
dass Patient 4 Stunden hinter einander zu gehen vermag. 

Fig. 15, W., öjähriger Knabe, operirt im Juni 1902, photo- 
graphirt im Mai 1903. 



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A 





42 


F. Lange 


Die Prüfung auf Streckfähigkeit im Knie erfordert 
ganz besondere Vorsicht. Die Patienten wenden unbewusst allerlei 

Kniffe an, uro eine Streckfähigkeit des 
Knies vorzutäuschen. Manche drehen 
das ganze Bein extrem nach aussen 
und sie vermögen bei dieser Stellung 
durch Anspannung der medialen Knie¬ 
gelenksbänder das im Knie gestreckte 
Bein fast horizontal zu erheben, auch 
wenn gar kein Muskel vorhanden ist, 
welcher die Streckung im Knie be¬ 
wirken kann. Andere Patienten setzen 
sich so, dass der gelähmte Unter¬ 
schenkel in der Kniebeuge entweder 
durch den Stuhl oder durch das andere 
Bein gestützt ist, und sie erleichtern 
sich auf diese Weise die Aufgabe, ihr 
Bein im Knie zu strecken. Zu dieser 
Kategorie von Patienten scheint das 
Kind zu gehören, das Vulpius operirt und in seiner Monographie 
abgebildet hat. Eine solche Photographie dürfte nicht beweisend 


Fig. 14. 



Fig. 13. 



für die Leistung des verpflanzten Muskels sein. Ebenso wenig ge¬ 
nügt in der Krankengeschichte die einfache Mittheilung, dass der 
operirte Patient gelernt hat, den Unterschenkel zu strecken. 

Es muss vielmehr ausdrücklich immer hinzugefügt werden, ob 


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Die Sehnenverpflanzung. 


43 


der Patient den Unterschenkel nur in Seitenlage zu strecken, oder 
ob er den freigestreckten Unterschenkel horizontal zu halten ver¬ 
mag. Nur im letzteren Falle, wenn der neue Muskel das Gewicht 
des Unterschenkels zu überwinden vermag, kann man von einer an¬ 
nähernd normalen Streckfähigkeit sprechen. 

Der Erfolg der von mir empfohlenen Quadricepsplastik hängt 
in erster Linie — wie schon erwähnt — von dem zur V^erfügung 
stehenden Muskelmaterial ab; in 
zweiter Linie von der Spannung, 
welche der Operateur dem verpflanz¬ 
ten Muskel gibt. 

Die zum Ersatz des Quadriceps 
verpflanzten Muskeln müssen nach 
meiner Erfahrung unter der stärksten 
Spannung, die erlaubt ist, vernäht 
werden. 

Vulpius hat auch gegen diese Empfehlung von mir theo¬ 
retische Bedenken einzuwenden und fürchtet von der extremen Span¬ 
nung sogar eine Schädigung der verpflanzten Musculatur. Meine 
Erfahrungen sprechen entschieden gegen die Richtigkeit der Vulpius- 
schen Ausführung; denn meine Resultate sind von Jahr zu Jahr besser 
geworden, je mehr ich lernte, den verpflanzten Muskel unter starker 
Spannung zu vernähen. 

Die stärkste Spannung, die ich je einem verpflanzten Muskel 
gegeben habe, wurde bei dem Patienten angewandt, dessen Bild in 
Fig. 13 u. 14 wiedergegeben ist. Das Bild ist 12 Wochen nach 
der Operation und 3 Wochen nach der Verbandabnahme gefertigt. 
Diese Thatsache zeigt, dass durch die extreme Spannung, die ich 
angewandt habe, die verpflanzten Muskeln nicht geschädigt werden 
und sie dürfte besser als alle theoretischen Erörterungen die Lei¬ 
stungsfähigkeit der von mir empfohlenen Methode beweisen. 

Ein Bedürfniss zu Modificationen und Aenderungen dieser 
Methode vermag ich erst zuzugeben, wenn einmal der Beweis er¬ 
bracht ist, dass dadurch schnellere und bessere Resultate, als das in 
Fig. 13 u. 14 wiedergegebene, erzielt werden. 

Meine Herren! Hoffentlich haben Sie aus meinen Worten den 
Eindruck gewonnen, dass ich aufrichtig überzeugt bin von den Vor¬ 
zügen der periostalen Plastik und der seidenen Sehnen. 

Trotzdem werfe ich die ursprüngliche Methode von Nicola- 


Fig. 15. 



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44 


F. Lange. Die Sehnenverpflanzung. 


doni (Sehne auf Sehne) nicht zum alten Eisen, wie Vulpius sich 
ausdrückt. Für leichtere Fälle tritt die alte Methode mit der neuen 
in Wettbewerb. 

Ist die gelähmte Sehne fest genug, so dass eine sichere Ver- 
nähung derselben mit dem kraftspendenden Muskel möglich ist und 
entspricht diß Verlaufsrichtung des gelähmten Muskels dem func- 
tionellen Bedürfniss des jeweiligen Falles, so mache auch ich von 
der alten Methode Gebrauch. Ja, es gibt Fälle, wo die alte Methode 
wesentliche Vortheile vor der periostalen Plastik voraus hat. 

Wenn z. B. an der Hand der Extens. digit. gelähmt ist und 
der Extens. carpi radialis zum Ersatz genommen werden muss, so 
ist es entschieden für solche leichte Aufgabe in der Regel richtiger, 
Sehne auf Sehne zu vernähen, als etwa vom kraftspendenden Muskel 
vier seidene Sehnen ausgehen zu lassen und an den Grundphalangen 
der Finger zu vernähen. 

Wenn man, ohne den Erfolg der Operation in Frage zu 
stellen, den Patienten vier Wunden sparen und dadurch den opera¬ 
tiven Eingriff leichter und gefahrloser machen kann, so muss man 
es thun. 

Anders liegen die Verhältnisse bei schweren Lähmungen. Hier 
müssen wir meines Erachtens vor allem dafür Sorge tragen, dass ! 

die wenigen Muskeln, die zur Verfügung stehen, functioneile Selb- i 

ständigkeit erlangen, und wenn Sie, meine Herren, mir darin zu- | 
stimmen, so werden Sie auch weiter mir beipflichten, wenn ich für 
diese Fälle in der Regel diejenige Methode an wende, welche die 
grösste Sicherheit des Erfolges und die meiste Freiheit beim Auf- 
steilen unserer Operationspläne gewährt, das ist die Methode der 
periostalen Plastik und der seidenen Sehnen. 


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0 


HI. 

Erfahrangen 

mit Seimen* und Mnskeltransplantationen. 

Von 

A. Schanz-Dresden. 

Meine Herren! Wenn ich auf ein paar Minuten Gehör erbitte, 
um über Erfahrungen mit Sehnen- und Muskeltransplantationen 
zu berichten, so muss ich zuerst mittheilen, dass ich nicht auf eine 
so stattliche Reihe von Operationen zurückblicke, wie die Herren 
Referenten. Die Zahl der von mir ausgeführten Operationen steht 
erst zwischen 75 und 100. Aber ich habe die Methode zu einer 
Zeit aufgenommen, als in der Literatur verhältnissmässig wenig mit- 
getheilt worden war, und hatte, bevor ich selbst die Operation aus¬ 
führte, dieselbe niemals gesehen. So bin ich dazu gekommen, wohl 
im allgemeinen mit dieser Methode dieselben Ziele und Wege zu 
verfolgen, wie alle anderen, aber es haben sich doch da und dort 
individuelle Eigenthümlichkeiten ergeben, von denen manche der 
Mittheilung werth sein dürften. 

Nach den ausgezeichneten Ausführungen der Herren Referenten 
kann und werde ich mich kurz fassen. 

An erster Stelle möchte ich berichten, dass ich zwar von 
anderen Gesichtspunkten aus, aber ebenso wie Herr Lange, mich 
bemüht habe, für meine Operationen möglichst einfache Pläne 
zu finden und durchzufübren. 

Es ist mir auch für viele Fälle gelungen, in wesentlich ein¬ 
facherer Weise, als von Vulpius oder auch von anderen angegeben 
worden ist^ das Ziel der Operation zu erreichen. Dabei — ja ich 
glaube, gerade darum — habe ich Resultate erzielt, die alles halten, 
was man von unserer Methode erwarten kann. Ich kann mich da 
auf Krankenvorstellungen in der Gesellschaft für Natur- und Heil¬ 
kunde in Dresden und vor der Naturforscherversamnilung in Karls¬ 
bad berufen. 


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46 


A. Schanz. 


Der einfache Operationsplan bietet vor dem complicirten 
ganz wesentliche Vortheile: erstens können wir dte einfachere Operation 
in kürzerer Zeit vollbringen als die coraplicirtere, und wir erhalten 
dadurch unter anderem günstigere Aussichten für einen aseptischen 
Wundverlauf. Ich kann mir wohl denken, dass das häufige Vor¬ 
kommen von Ausstossung versenkter Nähte, welches Vulpius be¬ 
richtet hat, während Lange dasselbe Ereigniss sehr selten erlebte, 
so zu erklären ist, dass die Asepsis bei den complicirteren Vulpius- 
schen Operationen schwerer durchzuführen ist, als bei den ein¬ 
facheren Lange'schen Operationen. 

Weiter erzeugen wir bei den complicirten Operationen, wenn 
wir vier oder mehr Transplantationen, z. B. um ein Fussgelenk 
herum, ausführen, ein solches Durcheinander und Nebeneinander 
verwundeter Sehnen und Muskeln, dass unbeabsichtigte Verwach¬ 
sungen zwischen denselben kaum zu vermeiden sein können. Kommen 
solche Verwachsungen zu Stande, so bedeuten sie eine Beeinträch¬ 
tigung des beabsichtigten Resultates. Endlich, wenn wir bei unseren 
Operationen auch eine überraschende Anpassungsfähigkeit des Körpers 
an künstlich geschaffene neue Verhältnisse kennen gelernt haben 
— gar zu viel dürfen wir doch nicht verlangen. Ich glaube nicht, 
dass sich der Körper in ein Gewirr von vier, fünf, sechs neuen Ver¬ 
bindungen hinein findet, oder dass z. B. der Triceps surae zu 
gleicher Zeit Material zu Pro- und Supinationsmuskeln, vielleicht 
auch noch zu Streckmuskeln hergeben kann. 

Man erreicht eben, wenn man solche complicirte Operationen 
ausführt, tendinöse Fixationen, und die kann man doch sehr viel 
billiger haben. — 

So viel über den Operationsplan, nun einiges über die Aus¬ 
führung der Operation selbst. 

Wenn ich die Werke anderer Operateure zu sehen bekam, 
ist mir fast ausnahmslos aufgefallen die Kürze der Hautschnitte. 
Bei Operationen am Fusse — das sind ja die häufigsten — sieht 
man meist nur kurze Schnitte in der Nähe des Gelenkes. Ich lege 
dagegen sehr lange Incisionen an, an der Vorderseite des Unter¬ 
schenkels etwa bis zur Mitte desselben hinauf, an der Rückseite 
noch weiter. Man erhält durch die längeren Schnitte erstens eine 
bessere Uebersicht, man kann den Lähmungszustand der Muskeln 
sicherer beurtheilen und dann ist es mit Hilfe des langen Schnittes 
leichter, das neue Muskelindividuum zwischen Ansatz- und Ursprungs- 


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Erfahrungen mit Sehnen- und Muskeltransplantationen. 


47 


punkt in directer kürzester Verbindung auszuspannen: ein sehr 
wichtiges Moment für die spätere Function. Winkel und Knickungen 
im Verlauf des neuen Muskelzuges sind dagegen nicht zu vermeiden, 
wenn man mit kurzem Schnitt operirt und den Muskel nach auf¬ 
wärts darum nicht weit genug mobilisiren kann. 

Bei der Transplantation selbst flechte ich den zu transplan- 
tirenden Muskel in den sogen. Kraftnehraer hinein, indem ich letz¬ 
teren mehrfach durchsteche und ersteren durchziehe oder mit diesem 
eine Schlinge bilde. Dann werden beide durch Naht vereinigt. 

Besonders achte ich dabei darauf, dass der Kraftnehmer 
nicht durchschnitten wird. Ich bin erstaunt, gerade diese 
Durchschneidung des Kraftnehmers in den meisten Operationsplänen 
angegeben zu sehen. 

Wenn man den Kraftnehmer durchschneidet, so durchtrennt 
man den Emährungsstrom für dessen peripheres Ende — sicher¬ 
lich kein Vortheil. Sodann nimmt man sich die Möglichkeit, 
dass dieser Muskel unter den anderen’Verhältnissen wieder arbeiten 
lernt. 

Es sind das zwei Nachtheile, die, mögen sie auch klein er¬ 
scheinen, mir doch ausschlaggebend dünken, da ihnen Vortheile 
nicht gegenüber stehen. 

In Fällen, wo bei der Transplantation der Kraftspender voll¬ 
ständig übertragen wird, sorge ich stets für die Versorgung seines 
peripheren Stumpfes, der an irgend einen geeignet erscheinenden 
Muskel angenäht wird. Man bekommt anderenfalls nachträglich un¬ 
erwartete Störungen; denn ein Muskel, der als Kraftspender dienen 
kann, ist niemals so unwichtig, dass er ohne Schaden ganz aus- 
fallen könnte. 

Als Material für die Sehnen- und sonstigen versenkten Nähte 
benütze ich Aluminiumbroncedraht. Ich ziehe die Drahtnähte 
wegen der besser gesicherten Asepsis der Seidennaht vor. Seitdem 
ich Drahtnähte benutze, habe ich niemals eine Störung der Wund¬ 
heilung von einer verrenkten Naht aus gehabt. Von Seidenfäden 
ausgehend habe ich solche wiederholt erlebt, ebenso wie andere 
Operateure solche vielfach berichtet haben. 

Nachtheile seitens der Drähte habe ich nicht gesehen. Die¬ 
selben bleiben dauernd ruhig liegen, ohne den Patienten irgend welche 
Beschwerden zu machen. Ein paar Mal haben Drahtnähte, die mit 
ihrer Spitze direct unter der Haut lagen, später die Haut durch- 


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48 


A. Schanz. 


stochen. Sie Hessen sich dann, nachdem sie ja längst ihren Zweck 
erfüllt hatten, leicht entfernen. 

Bei Nachoperationen habe ich wiederholt Drahtnähte wieder 
gefunden, sie waren von Sehnengewebe umwachsen. In ihrer Um¬ 
gebung war keine Spur von Reizung zu finden. 

Den Schluss der Operationswunde führe ich durch eine 
fortlaufende Hautnaht ohne Drainage aus. Sehnenscheiden oder 
Fascien habe ich nie genäht. 

Ueber den dünn gehaltenen Wund verband lege ich einen 
Gipsverband, welcher das Glied bei übercorrigirter Deformität fixirt. 
Selbstverständlich wird das Redressement der Deformität vor Be¬ 
ginn der Operation ausgeführt und während der Operation bis zum 
Gipsverband manuell erhalten. 

Den ersten Verbandwechsel führe ich 10—-14 Tage nach der 
Operation aus und entferne dabei die Nähte. Der nächste Gips¬ 
verband wird bei Operationen am Bein zum Gehen eingerichtet 
In demselben lasse ich die Patienten drei Wochen nach der Operation 
aufstehen. Nach weiteren drei Wochen wird der Verband ab¬ 
genommen. Die Patienten erhalten jetzt einen Stiefel, welcher dem 
Fuss noch eine gewisse Hilfe gewährt. 

Sehr selten nur habe ich mich veranlasst gesehen, nach der 
Operation noch vorübergehend Schienen tragen zu lassen. 

Wo der Patient nachher noch gezwungen wäre, dauernd eine 
Schiene zu tragen, halte ich das Ziel der Operation für nicht er¬ 
reicht, denn das soll doch einer der wichtigsten Vortheile der Operation 
sein, dass sie den Patienten von der Schiene befreit. — 

Diese kurze Skizze gibt mit wenig Strichen ein Bild, wie 
unsere neue Operationsmethode von mir angewendet wird. Selbst¬ 
verständlich ergeben sich bei der einzelnen Ausführung zahlreiche 
Abweichungen. 

Wenn ich nun noch ein paar Details anführen darf, so möchte 
ich über einige Operationen berichten, die mir ein gewisses Interesse 
zu besitzen scheinen. 

Ich möchte da von Operationen an der oberen Extremität er¬ 
wähnen, dass ich wiederholt bei Radialislähmung bezw. Parese 
mit sehr gutem Erfolg den Flexor carpi radialis auf den Extensor 
carpi radialis überpflanzt habe. Das periphere Ende des Flexor 
wurde mit dem Palmaris longus vereinigt. 

Ich habe mir dabei die Erfahrung zu nutze gemacht, dass 


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ErfahruDgen mit Sehnen- und Muskeltransplantationen. 


49 


bei RadialislähmuDg die Hand eine bessere Function gibt, wenn das 
Handgelenk in Streckstellung oder leichter Dorsalflexion festge- 
balteu wird. 

Die grösste Zahl meiner Operationen ist natürlich an der 
unteren Extremität ausgeführt. 

Am Knie hat mir die Quadricepslähmung in einer ganzen 
Reihe von Fällen Gelegenheit gegeben, Muskeltransplantationen auszu¬ 
führen und damit sehr günstige Resultate zu erzielen. Ich habe zum 
Ersatz des Quadriceps den Sartorius und den Biceps oder an des letz¬ 
teren Stelle den Tensor fasciae latae herangezogen. Ich habe dabei 
in der Quadricepssehne dicht an der Patella einen Schlitz angelegt, 
und habe die unteren Enden der zu transplantirenden Muskeln dort 
eingescblungen. Die Anlegung einer seidenen Sehne, welche Lange 
für diesen Fall für nöthig erklärt, hat sich mir niemals als noth- 
wendig erwiesen. 

Der Sartorius bietet für diese Operationen fast immer günstiges 
Material; er fand sich bei den meisten Operationen besser erhalten, 
als ich erwartete. Ebenso fand sich meist auch der Tensor, welcher 
sich dann in der Fascie eine wohl isolirbare Sehne gebildet hatte. 

Aber man thut doch gut, wo man die Wahl zwischen Biceps 
und Tensor hat, den ersteren zu transplantiren — aus diesem Grund: 
hebt der Patient beim Gehen den Fuss vor, so nähern sich durch 
die Beugung des Hüftgelenks Ursprungs- und Ansatzpunkt des 
transplantirten Tensor. Der kurze Muskelbauch kann dann kaum 
noch Arbeit leisten. 

Das Gegentheil ist beim transplantirten Biceps der Fall. Seine 
Ansatzpunkte entfernen sich unter denselben Umständen von einander. 
Es tritt eine passive Spannung des Muskels ein, welche seine Arbeit 
befördert. 

• Die Resultate dieser Operationen waren, wie schon gesagt, sehr 
günstige. Meine Patienten haben alle die Fähigkeit erlangt, ohne 
Stütze sicher zu gehen. Besonders erwähnen möchte ich, dass auch 
bei einem Fall von doppelseitiger Quadricepslähmung dies günstige 
Resultat erreicht wurde. 

Mit Hilfe einer Verlagerung des Sartorius allein habe ich in 
einem Fall von veraltetem Kniescheibenbruch die aufgehobene 
Function des Quadriceps wieder hergestellt. Es handelte sich um 
eine fünf Jahre alte Verletzung, eine Diastase der Bruchstücke 
von 12 cm. Die Functionsstörung war gleich einer vollständigen 

Zeit!«clirift für orthopiidische Chirurgie. XII. Bd. 4 


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50 


A. Schanz. 


Quadricepslähmung. Ich habe den Sartorius weit herauf mobilisirt, 
habe ihn über die Bruchstücke der Patella gelegt, und an denselben 
angenäht. Das Resultat war, dass der Patient schon wenig Wochen 
nach der Operation die Treppe auf- und abwärts im Laufschritt 
nehmen konnte. 

Ich werde diesen Fall in den nächsten Tagen dem Chirurgen- j 
congress vorstellen. 

Von den Operationen am Fuss zeigen die wegen paralyti¬ 
schen Plattfusses und Klumpfusses ausgeführten bis zu einem 
gewissen Grad einen einheitlichen Typus. 

Bei den Plattfussoperationen wurde im allgemeinen ein 
Theil der Achillessehne event. auch ein Peroneus auf den Tibialis 
posticus, der Grosszehenstrecker auf den Tibialis anticus verpflanzt 

Bei diesen Operationen muss man besonders darauf achten, 
dass die neuen Sehnenverbindungen nicht zu früh belastet werden; 
denn hier wirkt die Körperlast direct im Sinne der Erzeugung eines 
Recidivs. Ich gebe darum den Patienten nach Abnahme des Gips¬ 
verbands einen Stiefel mit verstärkter Kappe und mit einer Platt- 
fusssohle. 

Bei den Klumpfussoperationen habe ich gewöhnlich 
einen Theil der Achillessehne auf die Peronei gebracht, in ganz 
schweren Fällen habe ich einen Theil des Tibialis anticus dazu ab¬ 
gespalten und an dem äusseren Fussrand angesetzt. 

Seit etwa einem Jahr habe ich ziemlich regelmässig bei den 
Klumpfussoperationen eine Luxation der Peronealsehnen aus- 
geföhrt. Ich habe dazu den Hautschnitt um den Knöchel herum 
geführt, die Haut über dem Knöchel zurückpräparirt, die Sehne 
aus ihrer Schlinge gelöst und nach vorn über den Knöchel ge¬ 
schlagen. Dabei muss die Sehne entsprechend gekürzt werden. 
Der Vortheil dieser Luxation der Peronealsehne ist der, dass die 
Peronei nun in ihrer Wirkung an die Stelle der Beugungscomponente 
eine Streckungscomponente erhalten. Sodann tritt an die Stelle des 
winkligen ein gestreckter Verlauf der Sehnen: das ist eine Arbeits¬ 
erleichterung; denn die Sehne schleift sich in dem neuen Verlauf 
sehr rasch und vollständig ein. 

Bei der Klumpfussoperation habe ich ziemlich häufig, zuweilen 
auch bei den Plattfussoperationen einen mehr oder weniger hohen Grad 
von Spitzfussstellung stehen gelassen. Mit einem schrägen Kork¬ 
keil im Stiefel zusammen kann man dadurch Wachsthumsverkür- 


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Erfahrungen mit Sehnen- und Muskeltransplantationen. 51 

Zungen der Extremität functioneil günstig und wenig auffällig aus- 
gleichen. 

Ich habe dieses Vorgehen um so lieber angewendet, als ich bei 
dem Redressement des Elumpfusses überhaupt zunächst die Achilles¬ 
sehne stehen lasse, weil man sich durch die Durchschneidung dieser 
Sehne des besten Gegenhaltes zur Ausrollung der Fusssohle beraubt. 
Ich führe die Verlängerung der Achillessehne, wenn sie überhaupt 
nothwendig ist, erst in einer späteren Sitzung aus. Bei dem para¬ 
lytischem Klumpfuss probire ich dann aus, wie weit der Spitzfuss 
corrigirt werden muss, um die bestmögliche Function zu ergeben. 

Ich habe dabei — das möchte ich dem Bedenken des Herrn 
Vulpius gegenüber betonen — durchaus günstige und dauernde 
Resultate erzielt. — 

Wenn ich meine Erfahrungen über unsere neue Operations- 
methode zum Schluss in einem Satz zusammenfassen soll, so möchte 
ich sagen, dass ich die neue Methode für den grössten 
Fortschritt halte, welchen die orthopädische Therapie 
in den letzten Jahren zu verzeichnen hat. 


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IV. 


Die Aetiologie der Schenkelhalsverbiegungen. 

(Referat, erstattet auf dem 2. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 2. Juni 1903.) 

Von 

Prof. Dr. Joachimsthal-Berlin. 

Mit 24 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! Wenn ich, der liebenswürdigen Aufforderung 
unseres Herrn Vorsitzenden folgend, es unternehme, als Einleitung 
zu der beabsichtigten Discussion einen Ueberblick über den augen¬ 
blicklichen Stand der Lehre von den Schenkelhalsverbiegungen zu 
geben, so kann es naturgemäss nicht in meiner Absicht liegen, das 
Bild dieser Erkrankung, wie es seit den Mittheilungen von Ernst 
Müller, Hofmeister und Kocher in einer grossen Anzahl von 
Arbeiten eingehend besprochen worden ist, heute wieder vor Ihnen 
in allen Einzelheiten zu entrollen. Ich muss mich vielmehr darauf 
beschränken, aus dem Gesammtgebiete eine Reihe von specieU die 
Aetiologie betreffenden Detailfragen herauszugreifen, die zur Zeit den 
Mittelpunkt des Interesses bilden, um an ihnen unseren augenblick¬ 
lichen Standpunkt zu präcisiren. 

Durch eingehende Studien einer grossen Reihe von Autoren 
haben wir eine ganze Anzahl von verschiedenen Krankheitsformen 
kennen gelernt, die zu einer Varusdeforraität des Hüftgelenkes führen 
können. 

Nachdem Kr edel zuerst an zwei Beispielen den Nachweis er¬ 
bracht hatte, dass die Coxa vara mit anderweitigen angeborenen 
Anomalien, wie Genu valgum, Patellardefect und Klumpfuss com- 
binirt Vorkommen kann, haben wir für eine Reihe von weiteren 
Fällen den congenitalen Charakter des Leidens ausser Zweifel 
stellen und dabei recht merkwürdige, diesen Formen auch in ana¬ 
tomischer Hinsicht eine gewisse Sonderstellung einräumende Befunde 


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Die Aetiologie der Schenkelhalsverbiegungen. 


53 


erheben können. Das frühzeitige Einsetzen der Erschei¬ 
nungen des Krankheitsbildes, die, wie bei der Hüftverrenkung, bei 
den ersten Gehversuchen augenfällig werden, spricht für die intra¬ 
uterine Entstehung, über welche jeder Zweifel schwindet, wenn 
wir, wie in einer von mir im Jahre 1900 aus der Wolff- 


Fig. 1. 



Doppelseitige angeborene Schenkelhalsverbiegung. (5jühriges Mädchen.) 


sehen Klinik berichteten, später von Helbing noch genauer be¬ 
sprochenen Beobachtung, von zwei Geschwistern das eine 5jährige 
Mädchen eine doppelseitige Schenkelhalsverbiegung aufweisen sehen, 
während der 6jährige Bruder wegen einer doppelseitigen Hüftver¬ 
renkung mit Erfolg dem Lorenz'schen Repositionsverfahren unter¬ 
zogen werden konnte. Das von der erwähnten kleinen Patientin 
gefertigte Röntgenbild (Fig. 1) — Herr Helbing hat ja noch wei¬ 
tere derartige Fälle mittheilen können — zeigt beiderseits eine 
Verkleinerung des Schenkelhals winkeis auf etwa 80'’. Charakte¬ 
ristisch ist der sehr langgezogene, walzenförmig gestaltete 


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54 


Joachimsthal. 


Kopf, der an der von oben aussen nach unten innen verlaufenden 
Epiphysenlinie fast ohne Hals direct in den Schenkelschaft über¬ 
geht. Ich habe dieselbe charakteristische Gestaltung des Kopfes 
(Fig. 2) — und zwar hier vorzugsweise auf der linken Seite — mit 
der erheblichen Verkleinerung des Schenkelhals winkeis auf etwa 65® 


Fig. 2. 



Linksseitige (ungehoreiip) Schenkelhalsverliiegung. (lljiihriger Knabe.) 


auch bei einem Knaben beobachtet, den ich hier heute zeigen kann. 

Es handelt sich um einen lljahrigen Patienten, bei dem deutliche I 
Zeichen einer abgelaufenen lihachitis fehlen, das typische Hinken 
bereits bei den ersten Gehversuchen auffiel, und eine sehr aus¬ 
gesprochene, seit der Geburt bestehende, auch bei einem jüngeren 
Bruder vorhandene Ichthyosis universalis auf die intrauterine Ent¬ 
stehung hindeuten. Ich möchte es dahingestellt sein lassen, ob die 
eben geschilderte Gestaltung des coxalen Femurendes einen constanten, 
für diese congenitalen Formen charakteristischen Befund darstellt. 

Haben wir es in diesen Fällen mit einer Form der Coxa vara 
zu thun, die namentlich in klinischer Beziehung wenig Unterschiede 


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Die Aetiologie der Schenkelhalsverbiegungen. 


gegenüber den zweifellos in der ersten Zeit des extrauterinen Lebens 
entstehenden Schenkelhalsverbiegungen darbietet, so hat uns die letzte 
Zeit eine etwas weniger typische Form der angeborenen 
Schenkelhals Verbiegung kennen gelehrt, die zu dem an¬ 
geborenen Oberschenkeldefect in Beziehung steht. 


Fig. 8. 



Scheinbarer Defect des rechten proximalen Femurendes, coinbiuirt mit linksseitiger 
('oxa vara. (7jilhriges Mädchen.) 


Meine Herren! Bereits ira Jahre 1900 habe ich der Berliner 
medicinischen Gesellschaft über einen Fall von Defect des oberen 
Abschnittes des rechten Oberschenkels bei einem 7jährigen Mädchen 
mit gleichzeitigem angeborenem Herzfehler berichtet, bei dem die 
Röntgenuntersuchung auf der linken Seite neben einer leichten Bie¬ 
gung im oberen Abschnitt des Femur eine hochgradige Coxa vara 
ergeben hatte. Ich erlaube mir Ihnen hier das Skiagramm dieses 
Falles zu zeigen (Fig. 3). Da durch die Verkleinerung des linken 
Schenkelhalswinkels auf etwa 80® der durch das Fehlen des oberen 


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56 


Joacbimstbal. 


Theiles des rechten Femur bedingte Längenunterschied so weit wieder 
ausgeglichen wurde, dass die kleine Patientin ohne Prothese herum¬ 
zugehen vermochte, so war ich geneigt, der Schenkelhalsverbiegung 
auf der linken Seite — in ähnlicher Weise wie dies von Albert 
und Alsberg für Schenkelhalsverbiegungen, die sich mit Luxationen 
der anderen Seite combiniren, neuerdings von Victor Blum für 
Schenkelhalsverbiegungen geschehen ist, die sich bei irgend welchen 
atrophischen Zuständen der anderen unteren Extremität finden — 
eine gewissermassen functionelle Bedeutung beizulegen und die Ent¬ 
stehung der Deformität durch eine abnorme Knochen Weichheit, die 
möglicherweise mit dem angeborenen Herzfehler in Verbindung stand, 
zu erklären. 

Neuere Beobachtungen von Reiner aus Lorenz' Ambulatorium, 
von Drehmann aus der v. Mikulicz'schen und von Franz aus der 
V. Bergmännischen Klinik lassen es — im Gegensätze zu meiner 
damaligen Deutung — glaubhaft erscheinen, dass in diesem Falle 
auch auf der rechten Seite kein eigentlicher Defect des oberen Femur¬ 
endes vorlag, sondern dass es sich auch auf dieser Seite nur um 
eine Vorstufe einer hochgradigen Coxa vara gehandelt hat, bei der 
die Diagnose auf dem Röntgenbilde nur deshalb unmöglich war, weil 
der obere Abschnitt des Femur noch in knorpeligem Zustande verharrte. 

Lassen Sie mich eine von diesen Beobachtungen, diejenige, über 
die Herr Drehmann auf unserem vorjährigen Congresse berichtete, 
hier kurz recapituliren. 

Es handelte sich um einen 5jährigen Knaben aus der Breslauer 
chirurgischen Klinik mit einer starken Verkürzung des linken Beines, 
die auf eine mangelhafte Entwickelung des linken Oberschenkels 
zurückzuführen war. Das obere Femurende trat nach Art eines 
Trochanters hervor und stand mit diesem umgebogenen Ende be¬ 
trächtlich über der Roser-Nölaton'schen Linie. Zwei Jahre später 
wurde ein Röntgenbild aufgenommen. Dasselbe zeigte, dass das untere 
Diaphysenende des Femur und das Kniegelenk gut ausgebildet waren. 
Die Diaphyse setzte sich in ein nach oben sich verjüngendes Ende 
fort, welches nach dem Darmbein zu umgebogen war. Man sah 
deutlich einige Stränge nach der Pfannengegend hinziehen. In der 
Pfanne selbst fand sich nichts. Ein weiteres, zwei Jahre später auf¬ 
genommenes Röntgenbild zeigte dann die nach der Pfannengegend 
ziehenden Stränge deutlich verknöchert. In der Pfanne erkannte man 
nun einen Femurkopf, an welchen sich ein schlanker Hals ansetzte. 


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Die Aetiologie der Schenkelhalsverbiegungen. 


57 


Dieser zog aufsteigend nach dem früher als Trochanter gedeuteten 
umgebogenen Ende des Femur, welches dem Darmbein zugekehrt 
war. Das Ganze stellte also eine hochgradige Coxa vara dar, in 
welche nicht der Hals allein, sondern auch das verkrümmte obere 
Femurende einbezogen war. 

Ausgebildete Beispiele dieser Form der Coxa vara haben bei 
einem 8jährigen Mädchen Reiner und bei einem 21jährigen Pa¬ 
tienten Franz beschrieben. Bei dem letzterwähnten Kranken, dessen 
ganzer Habitus durchaus dem Bilde der Kranken mit sogen, an¬ 
geborenem Oberschenkeldefect glich, war auch die von Drehmann 
erwähnte Abbiegung des oberen Diaphysenendes besonders aus¬ 
gesprochen. 

Meine Herren! Ich bin nun heute selbst in der Lage, Ihnen 
einen Fall zu demonstriren, der in ganz analoger Weise vor Augen 
führt, dass es sich bei dieser offenbar typischen Form der Ver¬ 
bildung nicht um einen reinen Oberschenkeldefect, sondern neben der 
Hypoplasie des Femur um eine Vorstufe einer hochgradigen Coxa 
vara handelt. 

Den jetzt 4 Jahre alten Patienten habe ich seit seinem ersten 
Lebensmonat in Beobachtung und in regelmässigen Intervallen init- 
telst des Röntgenverfahrens untersucht. Schon bei der ersten Unter¬ 
suchung im Alter von 4 Wochen fiel an dem sonst wohlgebildeten 
Knaben eine Verkürzung des linken Beines auf, die allein auf den 
Oberschenkel zu beziehen war. An Stelle desselben fand sich ein 
kurzes, sehr dickes, klumpiges Gebilde, in dem man deutlich Knochen 
durchfühlte und die sich stark vorwölbende Musculatur, an der Hinter¬ 
seite die stark gespannten Beugesehnen, abtasten konnte. An dem 
Knochen liess sich aussen, etwa 5 cm von der Kniegelenksspalte ent¬ 
fernt, ein vermuthlich dem Trochanter entsprechender Endpunkt be¬ 
stimmen. Im Kniegelenk waren Flexion und Extension, im Hüft¬ 
gelenk Flexion und Adduction in normaler Weise ausführbar, während 
die volle Streckung und Abduction des leicht auswärts rotirt stehen¬ 
den Oberschenkels auf Schwierigkeiten stiessen. Unterschenkel und 
Fuss zeigten im übrigen die normale Gestaltung. An dem seiner 
Zeit aufgenommenen Röntgenbilde (Fig. 4) endet der obere Theil des 
rechten Femur mit der dem Neugeborenen charakteristischen, etwa 
der des oberen Humerusendes analogen Form. Ein Knochenkern für 
die obere Epiphyse ist noch nicht vorhanden. Links läuft die kurze 
Femurdiaphyse conisch zu, um am oberen Ende mit einer kleinen 


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Joachimsthal. 


Anschwellung zu enden. Dieses proximale Femurende scheint nach 
oben luxirt zu sein; denn es überragt die Gegend des Y-förmigen 


Fig. 4. 



Scheinbarer angeborener Del'cct des linken proximalen Femurendes bei einem 4 Wochen 

alten Knaben. 


Knorpels um mehrere Centimeter. Die untere Epiphyse des Femur 
wie die obere Tibiaepiphyse zeigen in normaler Weise ihre Ossi- 
ficationskerue. 


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Die Aetiologie der Scbenkelbalsverbiegungen. 


59 




Das zweite Bild des Knaben (Fig. 5) entspricht einem Alter 
von 2^/4 Jahren. Der rechte Oberschenkel hat sich, wie Sie sehen, 

Fig. 5. 



Rontgenbild desselben Patienten im Alter von 2l|^ Jahren. 


in normaler Weise entwickelt, eine Länge von 22 cm erreicht und 
die normale Gestalt angenommen. Der dem Caput femoris ent¬ 
sprechende Ossificationskern steht unter dem Pfannendach, direct 
gegenüber dem Y-förmigen Knorpel. Im Gegensatz dazu ist der 


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60 


Joachimsthal. 


linke Femurknochen stark verkürzt (nur 10,5 cm lang). Der Kern 
seiner unteren Epiphyse hat sich, ähnlich wie auf der normalen Seite, 


Fig. 6. 



( 1 ms PütiMiiten mit Hcheink.n-Min iinirMboronMin Defect des linken proximalen 
Femurtiides im Alter von 3*4 .1.ihren. Hetjinn iImf ()ssitieiitioii in dem stark abgebogenen 
oberen Theil des Oberschenkels. 


weiter bis zur nahen Anlagerung an die Diaphyse vergrössert. Eine 
obere Epiphyse fehlt vollkommen. Das proximale, gegen früher breiter i 
gewordene Stück der Diaphyse ist etwas nach innen abgebogen und ! 


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Die Aetiologie der Schenkelhalsverbiegungen. 


61 


scheinbar, wie bei einer angeborenen Hüftluxation, an dem Darm¬ 
bein entlang hinaufgerückt, so dass nunmehr der Horizontalabstand 
seiner Spitze von dem Pfannenknorpel reichlich 3 cm beträgt. 



RöntgenbiUi desselben Patienten im Alter von 4 Jahren. 


Die folgenden Bilder lassen nun die allmähliche Verknöcherung 
eines offenbar bisher nur knorpeligen oder bindegewebigen, zwischen 
dem nach oben verschobenen Ende der Femurdiaphyse und der Hüft- 


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62 


Joachimsthal. 


gelenkspfanne gelegenen Schenkeltheiles erkennen. Das im Alter von 
3^4 Jahren gewonnene Skiagramm (Fig. 6) zeigt zunächst deutlich 
eine Andeutung des Caput femoris, das in ähnlicher Weise wie bei 
hochgradigen Formen rhachitischer oder statischer Schenkelhalsver¬ 
biegungen die Pfannengegend nach unten pilzartig überragt. Lateral- 

wärts davon findet sich die An¬ 
deutung eines kleinen Knochen¬ 
kerns. Das obere Diaphysenende 
ist jetzt schärfer nach innen um¬ 
gebogen, als auf dem früheren 
Bilde. Zu den beiden hier deutlich 
werdenden Ossificationskernen ge¬ 
sellt sich auf den beiden nächsten, 
4 und 10 Monate (Fig. 7) später 
angefertigten Skiagrammen ein 
jetzt scharf ausgeprägter dritter 
Schatten, der wiederum zwischen 
dem umgebogenen Theil und dem 
Caput femoris seinen Sitz hat und 
uns den weiteren Fortschritt der 
Ossification andeutet. 

Meine Herren! Wenn in dem 
vorliegenden Falle wegen des frühen 
Alters des Patienten der proximale 
Theil des Oberschenkels auch noch 
nicht mit derselben Deutlichkeit 
hervortritt, wie beispielsweise in 
der analogen Beobachtung der Bres¬ 
lauer chirurgischen Klinik, so lässt 
sich doch schon aus den bisherigen Kennzeichen die spätere Ge¬ 
staltung der knöchernen Theile mit Sicherheit Voraussagen. Auch 
in diesem Falle handelt es sich nicht, wie man zunächst er¬ 
warten musste, um einen Defect des oberen Femurabschnittes, son¬ 
dern um eine hochgradige Verbiegung desselben mit gleichzeitiger 
erheblicher Verzögerung der Ossification oberhalb des Knicks. 

Derartige Verzögerungen der Ossification, wie wir sie hier in 
dem abgebogenen oberen Feraurende kennen gelernt haben, habe 
ich auch sonst mehrfach bei den sogen, intrauterinen Fracturen der 
Röhrenknochen in dem einen Theil des abgeknickten Knochens za 


Fig. 8. 




\ 


Amniotische Abschnürungen an den oberen 
Gliedmaassen, Mangel der linken Fibula, 
intrauterine Knickung der Tibia an der 
Grenze des unteren Drittels mit Defect 
der drei lateralen Zehen, Hemmungsbil¬ 
dung des rechten Unterschenkels, 
(ijilhriger Knabe.) 


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Die Aetiologie der Schenkelhalsverbiegungen. 


63 


sehen Gelegenheit gehabt. Ich zeige Ihnen hier beispielsweise einen 
1jährigen Knaben, der neben amniotischen Abschnürungen an den 
oberen Gliedmaassen und einer Hemmungsbildung des rechten Unter¬ 
schenkels, welcher nur bis zum oberen Drittel vorhanden ist und distal- 
wärts eine einzige Zehe trägt, links einen Mangel der Fibula, einen 

Fig. 9. 



Röntgenbild der unteren Gliedmaassen des in Fig. 8 abgebildeten Knaben. In dem 
distalen Theil der abgeknickten linken Tibia fehlt noch jede Andeutung einer Ossifieation. 

Defect der drei lateralen Zehen und eine Knickung der Tibia 
an der Grenze des unteren Drittels mit der bekannten Haut¬ 
einziehung auf der Höhe des Knicks erkennen lässt (Fig. 8). Während 
das Schienbein palpatorisch in seiner ganzen Ausdehnung bis 
zum Fuss nachweisbar ist, zeigt sich am Röntgenbild eine Ver¬ 
knöcherung nur in dem oberhalb des Abbiegungswinkels gelegenen 
Theib während der darunter gelegene Abschnitt bis zum Fuss noch 
vollkommen unverknöchert ist. Die Verzögerung der Ossification 


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64 


Joachimethal. 


betrifift hier im Gegensatz zu der vorher besprochenen Verbildung 
am Oberschenkel den distalen Abschnitt der Tibia. 

Ueber die Ursache der, wie wir aus den bereits vorliegenden 
analogen Beobachtungen schliessen können, offenbar typischen Ver¬ 
bildung am Oberschenkel sind wir noch vollkommen im unklaren. 
Das von Reiner und Drehmann herangezogene Moment, ein von 
den Eihüllen ausgehend gedachter Druck, der eine Knickung der 
Femurdiaphyse an einer durch ihre Anlage besonders dazu prädis- 
ponirten Stelle unterhalb des Trochanters und eine Verkümmerung 
des oberhalb der Knickungsstelle gelegenen Femurendes mit sich 
bringen soll, lässt sich bei Berücksichtigung des gelegentlich doppel¬ 
seitigen Auftretens der Störung — wie sie in meiner ersten Be¬ 
obachtung vorlag — nur schwer aufrecht erhalten. Vielleicht bringt 
die weitere Verfolgung des Skelets in analogen Fällen, wie sie ja 
heutzutage mittelst des Röntgenverfahrens leicht ist, mehr Klarheit 
und erlaubt uns gewisse Rückschlüsse auch für die Beurtheilung einer 
Reihe von weiterein Schenkelhalsverbiegungen, die bisher allgemein 
als erworben aufgefasst wurden, zweifellos aber wohl auf congenitale 
Störungen in der Ossification des oberen Femurendes zurückzuführen sind. 

Meine Herren! Wenden wir uns nunmehr zu den zweifellos erst 
im extrauterinen Leben entstehenden Formen der Schenkelhals¬ 
verbiegungen, so ist hier zu erwähnen, dass es Lauenstein bei der 
Section eines 7jährigen Knaben gelang, an den nach abwärts gebogenen 
Schenkelhälsen die charakteristischen Merkmale der Rhachitis (auf¬ 
fallend verdickte Ossificationslinien, Erweiterung der Markräume und 
zahlreiche in die Spongiosa nahe dem Epiphysenknorpel eingesprengte 
Knorpelstückchen) festzustellen. Dieser Befund, sowie die häufige 
Combination der Coxa vara infantum mit anderweitigen rhachitischen 
Veränderungen liess keinen Zweifel daran, dass man in einer durch 
Rhachitis bedingten abnormen Knochenweichheit die Ursache der im 
frühen Kindesalter auftretenden Schenkelhalsverbiegungen zu suchen 
habe. Sie sehen eine solche Verbiegung hier an einem Präparat, das 
von einem in meiner Poliklinik beobachteten, im Alter von 5 Monaten 
verstorbenen Knaben stammt, neben ausgesprochenen Verkrümmungen 
im Bereiche des Schaftes fast sämmtlicher Röhrenknochen bereits 
deutlich ausgeprägt. Am Humerus besteht dicht unterhalb des Kopfes 
gleichfalls eine starke Abbiegung, die eine gewisse Aehnlichkeit mit 
dem von Riedinger als „Varietät im Schultergelenk“ beschriebenen 
Befunde darbietet. Die mikroskopische Untersuchung meines Falles 


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Die Aetiologie der Schenkelhalsverbieguiigen. 


65 


hat ergeben, dass zu einer Chondrodystrophie eine rhachitische Er¬ 
krankung des Skelets hinzugetreten ist, deren Zeichen Sie an einem 
Durchschnitt durch eine Rippenknorpelknochengrenze noch deutlich 
erkennen ^). 

Es muss uns heute wunderbar erscheinen, dass man den mensch- 


Fig. 10. 



Rhachitische Verkrümmungen im Bereiche beider Oberschenkel mit Verkleinerung der 
Schenkelhalswinkel bei einer isjuhrigen Patientin. (Prilparat des Berliner pathologischen 

Museums.) 

lieben Schenkelhals, dem ja einzig und allein die Aufgabe zufällt, 
die Rumpf last auf die unteren Extremitäten zu übertragen, bei der 
Erforschung der Deformitäten so lange Zeit unbeachtet gelassen hat. 
Der einzige Grund ist wohl darin zu suchen, dass das kräftig ge- 

') Der Fall ist ausführlich in dem Archiv für klinische Chirurgie Bd. 70 
Heft 4 besprochen. (Adolf Silberstein» Ein Beitrag zur Lehre von den 
fötalen Knochenerkrankungen.) 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 5 


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66 


Joachimsthal. 


fügte Maschennetz des coxalen Femurendes dieses in der Regel, selbst 
bei ausgesprochenen Erweichungszuständen des Skelets, vor Ver¬ 
biegungen schützt, während im Bereiche der übrigen Röhrenknochen 


Fig. 11. 


Fig. 12. 




Rhachitische Verkrümmunj?en der Ober¬ 
schenkel mit Verkleinerung? der Schenkelhals- 
W’inkel bei einer 44jährigen Frau. (Präparat 
des Berliner pathologischen Museums.) 


Rhachitisch verkrümmter 
Oberschenkel mit verklei¬ 
nertem Schenkelhalswinkel 
(Präparat des Berlin, patho¬ 
logischen Museums.) 


die hochgradigsten Verkrümmungen entstehen. Eine Durchsicht der 
Präparate des hiesigen pathologischen Museums, die ich, dank der 
Liebenswürdigkeit des Herrn Geheimrath Orth, vornehmen durfte, 
Hess mich nur an einer kleinen Anzahl rhachitisch verkrümmter Ober¬ 
schenkelknochen Verkleinerungen des Schenkelhalswinkels und auch 
diese nur bis auf 90^ constatiren. Sie sehen hier einige dieser Prä¬ 
parate (Fig. 10—12), die in gleicher Weise wie die von Albert 


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Die Aeiiologie der Schenkelhalsverbiegungen. 


67 


aus dem Wiener pathologischen Institut, von Charpentier aus dem 
Musee Dupuytren beschriebenen Präparate nur verhältnissmässig 
geringgradige Formen von Schenkelhalsverbiegungen darstellen. Das 

Fig. 18. 



starke Verkiüiuniungen beider Oberschenkel mit beträchtlicher Abbiegung namentlich des 
linken Schenkelhalses bei einem 60jährigen Manne mit rhachitischer und cystischer Erkran¬ 
kung des Skelets. (Präparat des Berliner pathologischen Museums.) 

einzige Präparat (Fig. 13 u. 14) dieser Gruppe, an dem ausser den 
hochgradigsten Verunstaltungen beider Femora links eine enorme 
Verkleinerung des Schenkelhalswinkels eingetreten ist, derart, dass 
der auf den auffallend langen Hals folgende Kopf sich dicht an das 
obere verkrümmte Ende des Schaftes anlegt — es entstammt einem 
50jährigen Manne —, stellt keine reine Form der Rhachitis dar, 
sondern eine Combination mit einer cystischen Erkrankung des Skelets. 
Bei einem solchen Process erscheint das gleichzeitige Auftreten von 
Schenkelhalsverbiegungen ebenso wenig auffallend, wie die von Hof* 
meister, Alsberg und mir selbst an einzelnen Fällen bereits früher 
hervorgehobene Thatsache, die Sie auch an diesem Skelet einer 28jäh- 


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68 


Joachimsthal. 


rigen Patientin bestätigt finden (Fig. 15), dass bei ausgesprochener 
Osteomalacie Schenkelhalsverkrümmungen auftreten, sowie dass nach 
Kimura die senile Osteoporose Verkrümmungen des Schenkelhalses 
entstehen lässt. 


Fig. 14. 



Das in Fig. 13 abgeViildete Prüparat von der Rückseite. 


Ausgeprägte Formen rhachitischer Schenkelhalsverbiegungen an 
Lebenden mögen Ihnen hier zwei Patienten und die von ihnen ge¬ 
wonnenen Röntgenbilder vor Augen führen. Der 8jährige Knabe 
zeigt neben sonstigen Zeichen von Rhachitis rechts eine Verkleinerung 
des Schenkelhalswinkels auf 80^ Die Abknickung betrifft hier, wie 
Sie sehen (Fig. 16), genau die Stelle des Ueberganges des im Gegen¬ 
satz zu den vorher demonstrirten Bildern relativ langen Schenkel¬ 
halses in den Schaft. Die Epiphysenlinie des Kopfes scheint un- 
betheiligt zu sein. Aehnlich liegen die Verhältnisse bei der folgenden, 
jetzt 11jährigen Patientin mit doppelseitiger, zweifellos auf rhachitischer 
Grundlage entstandener Coxa vara, bei der sich im Alter von 4 Jahren 


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Die Aetiologie der Sclienkelbalsverbiegungen. 


69 



unter gleichzeitiger Entwickelung einer Lendenlordose der bis dahin 
normale Gang in einen exquisit watschelnden umgewandelt hat, der 
durchaus an d enjenigen bei d er an¬ 
geborenen Hüftluxation erinnert. 

Bei dem sonst normalen Kinde 
bestehen noch jetzt Zeichen der 
abgelaufenen englischen Krank¬ 
heit, so die Andeutung eines 
rhachitischen Rosenkranzes, Ein¬ 
ziehungen in den vorderen unteren 
Rippengegenden, leichte Ver¬ 
krümmungen beider Oberschen¬ 
kel, wie dieselben auch an dein 
bereits vor 5 Jahren angefer¬ 
tigten Skiagraram erkennbar 
sind (Fig. 17). Namentlich die 
vor einigen Tagen angefertigten 
Blendenaufnahmen dieser Pa¬ 
tientin lassen die hochgradigen 
Abbiegungen beider Schenkel¬ 
hälse an der Grenze des Schenkel¬ 
schafts erkennen (Fig. 18a u. b). 

Ein Vergleich der im Alter von 
6 und 11 Jahren gefertigten 
Röntgogramme zeigt gleichzeitig 

— w'as namentlich im Gegensatz 
zu der von Hofmeister bei der 
jugendlichen Form der Schenkel- 
halsverbiegungen vielfach con- 
statirten spontanen Rückbildung 
der Deformität von Interesse ist 

— eine sehr erhebliche Zu¬ 
nahme der Verbiegungen. 

In einer Reihe von weiteren Fällen, von denen ich Ihnen nur 
einige Beispiele an Röntgenbildern vorlege (Fig. 19 u. 20), ist, wie 
dies in viel ausgesprochenerem Maasse bei der statischen Form der 
Coxa vara der Fall zu sein pflegt, in der Epiphysenlinie ein Herab¬ 
gleiten des Kopfes erfolgt, und in einem speciell an der Ossifications- 
grenze gelegenen Erweichungsheerd die Ursache für die Deformität 


Skelet eines 28 jährigen Mädchens mit Osteo- 
malacie. Hochgradige Verbiegungen sämmt- 
licher Knochen. Verkleinerung namentlich 
des rechten Schenkelhalswinkebs. (Präparat 
des Berliner pathologischen Museums.) 


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70 


Joachimsthal. 


zu suchen. Die Annahme, dass bei einem solchen Erweichungs- 
process eine wenn auch geringfügige traumatische Einwirkung die 
unmittelbare Ursache der Deformität geworden ist, hat etwas bei 
Betrachtung der Röntgenbilder ungemein Bestechendes und gewinnt 
an Wahrscheinlichkeit, wenn wir, wie in einem von mir unter der 



Hoeligradi^^t^ ihachitisclie recLtsseitige Schenk»"llialsverbieguug bei eüieiii SjUliuigen Knaben. 
Die Abbiegung betritt't die Stelle des Uebeiganges des Schenkelhalses in den Schaft 


Bezeichnung der Coxa vara traumatica infantum beschriebenen Falle, 
dessen Bilder ich Ihnen vorlege, die Erscheinungen sich unmittelbar 
an ein wenn auch nur geringes Trauma anschliessen sehen. Ein Sprung 
durch einen Reifen hatte bei dem damals 5jährigen Mädchen die Krank¬ 
heitserscheinungen veranlasst, die sich auf dem Skiagramm in einem 
deutlichen Herabgleiten des rechten Oberschenkelkopfes au der Epi¬ 
physengrenze documentiren (Fig. 21). Das ein Jahr später von derselben 
Patientin gefertigte Bild lässt auch hier eine zweifellose Zunahme 
der Deformität erkennen (Fig. 22). 


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Die Aetiologie der Schenkelhalsverbiegungen. 
Fig. 17. 


71 



Hochgradige rhachitische Sclienkelhalsverbieguiigeu bei eiucr ojuhiigeu Patientin. 


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72 


Joachimsthal. 


Schwieriger und zur Zeit trotz der verschiedensten Erklärungs¬ 
versuche noch völlig im Dunkel liegen die ätiologischen Verhältnisse 
bei der im jugendlichen Alter auftretenden sogen, statischen Form 
der Coxa vara. 

Die Feststellung der Thatsache, dass der Rhachitis am kind¬ 
lichen Femur für die Entstehung der Halsverbiegung die gleiche 



Blemlenaufiiiihnien der Hüt‘t|?elenke der bereits in Fig. 17 abgebildeten Patientin im Alter 

von 11 Jahren. 


Bedeutung zukommt, wie an anderen Theilen des Skelets, legte es 
nahe, auch bei der Coxa vara adolescentium eine sogen. Spät- 
rhachitis anzunehmen, wie sie von Mikulicz vordem für das Genu 
valgum adolescentium herangezogen worden war. Der dem Indivi¬ 
duum von der Kindheit her anhaftende latente Erweichungsprocess 
solle dann manifest in die Erscheinung treten, wenn — wie beim üeber- 
gang aus der Schulzeit in die Zeit der ernsten Berufsthätigkeit — eine 
besonders starke Beanspruchung der unteren Extremitäten verlangt 
wird, speciell, worauf Manz neuerdings hingewiesen hat, eine an¬ 
dauernde Thätigkeit in gebückter oder knieender Stellung erforder¬ 
lich ist, oder, was Kocher betont, andauerndes Arbeiten mit stark 
nach aussen rotirten Füssen, wie z. B. bei den Käsern, sich als noth- 


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Die Aetiologie der SchenkelhalsYerbieguiigen. 


73 


wendig erweist. Das relativ häufigere Auftreten einer statischen 
Knieverkrümmung gegenüber der Coxa vara erklärt man aus der 
stärkeren Reizbarkeit der unteren Epiphyse des Femur, von der ja 
auch die regeren Wachsthumsvorgänge ausgehen. Haedke hat vor 
kurzem ein in dieser Beziehung interessantes, von einem 17jährigen 
Knecht mit rechtsseitiger Schenkelhalsverbiegung durch Resection ge- 


Fig. 19. 



doppelseitige namentlich links ausgeprägte Schenkelhalsverbiegung bei einer 4i(2 Jahre 

alten Patientin. 


wonnenes Präparat beschrieben. Es handelt sich um das Bild einer 
Coxa vara mit Verkleinerung des Schenkelhalswinkels und leichter 
nach vom convexer Verbiegung in der transversalen, sowie einer 
Rotation des Schenkelhalses um die eigene Achse. Sehr auffallend 
war auch hier die Verschiebung in der Epiphysenlinie, welche zu 
dem bekannten pilzartigen Hervorragen des Kopfes geführt hatte. 
Die Epiphysenlinie bot makroskopisch ein Aussehen, wie es der 
Rhachitis eigenthümlich ist. Mikroskopisch wurde diese Diagnose 
bestätigt durch das Verhalten des Knorpels und die Gegenwart 
osteoider Substanz. Selbst Haedke will indess die Hauptzahl der 
Fälle nach Kocher erklärt wissen, der bekanntlich auf Grund der 


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74 


Joachimsthal. 


in seinen Präparaten erhobenen Befunde, namentlich der Abwesenheit 
von Osteoblasten und Osteoklasten an den Knochenbälkchen der 
Epiphysenlinie, des Nachweises kalkfreier osteoider Säume, einer Er¬ 
weiterung der Markräume mit grossem Reichthum an Markzellen 
neben Hyperämie und Erweichung eher geneigt ist, im Anschluss 
an die von v. Recklinghausen und Ribbert gegebenen Schilde- 


Fig. 20. 



Rechtsseitige Scheiikelhalsverbieginig bei einer 472jiihrigen Patientin. 


rungen an juvenile Osteomalacie zu denken. Kocher nimmt als den 
eigentlichen Sitz der Verbiegung in seinen Fällen den Epiphysen¬ 
linienbezirk des Kopfes in Anspruch, indem er ausdrücklich betont, 
dass der Neigungswinkel des Halses normal sei, und dass von einer 
abnormen Biegung des Halses nur insofern die Rede sein könne, als 
durch Zugwirkung an dem Epiphysenknorpel ein neues Stück Hals 
angebildet wird, welches seinerseits nach ab- und rückwärts gebogen 
ist. In einer übermässigen Nachgiebigkeit der Epiphysenlinie würde 
nach Hofmeister auch das vielfach bei der Coxa vara zu beob¬ 
achtende pilzartige Ueberstehen des unteren Kopfrandes am ehesten 
seine Erklärung finden, durch welches geradezu der Eindruck her- 


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Die Aetiologie der Schenkelhalsverbiegungen. 


75 


vorgerufen wird, als sei die Epiphyse über die Diaphyse herab¬ 
geratscht oder mehr hinabgeknickt. 

Durch das statische Moment sucht dann Sudeck die Ent¬ 
stehung der Coxa vara zu erklären, indem er die alleinige Ursache 
derselben in einem Missverhältniss zwischen Ausbildungsstadium und 
Beanspruchung des jugendlichen Schenkelhalses oder mit anderen 


Fig. 21. 



Rechtsseitige Scheiikelhalsverbiegung bei einer G Jahre alten Patientin. 


Worten in einer relativen Ueberbeanspruchung desselben sucht. Auf 
Grund der genauen Untersuchung eines eigenen Falles und eines 
solchen von Lauenstein hat er die Ueberzeugung gewonnen, dass 
gewöhnlich ein besonderes Bälkchensystem, der sogen. Zugbogen, 
den Schenkelhals vor Verbiegung nach hinten und unten schützt. Bei 
Erwachsenen wird durch Ablagerung von Knochensubstanz im Zug¬ 
bogen die Zugfestigkeit des Schenkelhalses erhöht; bei jugendlichen 
Individuen fehlt diese Verstärkung sammt der Enochenleiste, die der 
Ausdruck derselben ist. Durch relative Ueberbeanspruchung des 
Zngbogens, z. B. dadurch, dass dem jugendlichen Schenkelhals die 
Function des erwachsenen zugemuthet wird, soll auch ohne jede 


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7G 


Joachimsthal. 


pathologische Veränderung der Zugbogen insufficient werden können, 
und der Schenkelhals sich nach unten und hinten krümmen. 

Endlich entsteht noch die Frage, ob sich lediglich aus func¬ 
tioneilen Gründen am normalen und dem Alter entsprechend ent¬ 
wickelten Schenkelhals Deformirungen entwickeln können. Als Beweis 


Fig. 22. 



Rontgenbild der bereits in Fig. 21 iibgrbiideteii Piitieiitiii iin Alter von 6 Jahren. 


für diese Annahme erachte ich die von mir an einer Anzahl von 
Fracturpräparaten festgestellte Thatsache, für die ich Ihnen auch 
heute ein weiteres Beispiel vorlegen kann (Fig. 23), dass sich im 
Anschluss an fehlerhaft geheilte Brüche in der Femurdiaphyse mit 
Abbiegung des unteren Fragments im Sinne einer Adduction ganz 
entfernt von der Bruchstelle eine Verkleinerung des Schenkelhals¬ 
winkels einstellen kann; dafür sprechen weiterhin die bereits er¬ 
wähnten von Alsberg, Albert und in letzter Zeit namentlich von 
Blum mitgetheilten Befunde an Kranken wie an Präparaten, welche 


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Die Aetiologie der SchenkelhalsverbieguiigeD. 


77 


zeigen, dass bei pathologischen Processen an der einen unteren 
Extremität, die zu andauernder übermässiger Beanspruchung der 
anderen führen — so bei einseitiger angeborener Luxation, bei Coxitis 
tuberculosa, spinaler Kinderlähmung, Gonitis — an der überbelasteten 
Seite der Schenkelhals eine gewisse Varusstellung annimint. 


Fig. 24. 



Mit Adductionsstellung des unteren Arthritis deformans coxae mit Verkleine- 

Fragraents verheilte Oberschenkel- rung des Schenkelhalswinkels. (Präparat 

fractur. Verkleinerung des Schenkel- des Berliner pathologischen Museums.) 

hahwinkels. (Präparat des Berliner 
pathologischen Museums.) 

In letzter Zeit viel discutirt ist die Frage der traumatischen 
Entstehung der Coxa vara, und zwar nach zweierlei Richtungen 
hin. Einmal kann es bei unvollständigen Fracturen durch zu früh¬ 
zeitige Belastung des noch weichen Gallus nachträglich zu einer De¬ 
formation im Sinne der Varusstellung kommen. Sudeck vermochte 
über einen 38jährigen Patienten zu berichten, der beim heftigen 


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78 


Joachims thal. 


Spreizen der Beine plötzlich Schmerzen verspürte, 10 Tage hin¬ 
durch bettlägerig war und dann wieder seine Arbeit aufnahm. 
4 Monate später liess sich eine Schenkelhalsverbiegung constatiren. 
Sudeck nimmt an, dass das Trauma möglicherweise einen Sprung 
im Schenkelhals erzeugte, und dass der Patient, noch bevor eine ge¬ 
hörige Ausheilung zu Stande gekommen war, seine Extremität un¬ 
gehörig belastete, wodurch die Verkrümmung eintrat. Er stellt daher 
den Fall in Analogie mit der KümmelTschen Wirbelerkrankung. 
Auch Thiem vertritt den Standpunkt, dass traumatische Insulte des 
Schenkelhalses noch nachträglich zur Verkrümmung führen können, 
ein Punkt, welcher mit Rücksicht auf das Unfallversicherungsgesetz 
eine besondere Bedeutung erhält. 

Weiterhin verdanken wir Sprengel, dann Rammstedt u. A. 
die Kenntniss von mit besonderer Vorliebe das Pubertätsalter be¬ 
treffenden Fällen, bei denen der Anamnese und dem klinischen Be¬ 
funde nach das bekannte Bild der Coxa vara adolescentium bestanden 
hatte, die operative Entfernung der Schenkelhälse indess Präparate 
zu Tage förderte, deren genauere Untersuchung ergab, dass es sich 
um traumatische Lösung und nachträgliche deforme Wiederverwachsung 
in der Kopfepiphyse des Femur gehandelt habe. Beim Fehlen anderer 
pathologischer Processe glaubte man, dass ein Trauma ganz speci- 
fischer Richtung eine physiologisch nachgiebige Stelle getroffen habe. 
Es kann dabei zu einer totalen Lösung der Kopfkappe oder nur zu 
einer Lockerung derselben kommen, ohne dass zunächst eine Ver¬ 
schiebung stattfindet, wenn nämlich der feste Periostüberzug, welcher 
nach Olli er ganz besonders die Epiphyse festhält, nicht mit eingerissen 
ist. So ist es auch erklärlich, dass der Patient vielfach zunächst, 
wenn auch unter Schmerzen, noch stehen und gehen kann, und dass 
allmählich erst unter der Körperlast der gelockerte Kopf nachgibt. 

Nach Whitman und Sprengel soll es sogar Vorkommen, 
dass nach einer in früher Kindheit erworbenen Epiphysenlösung erst 
im Pubertätsalter eine progressive Deformirung des coxalen Femur¬ 
endes eintritt. Umgekehrt haben Hofmeister und in neuester Zeit 
Hoffa beobachtet, dass bei bereits sicher constatirter Coxa vara in¬ 
folge eines verhältnissmässig geringen Traumas eine Epiphysenlösung 
resp. eine Fractur in der Nähe der Epiphysenlinie eintritt. Diese 
Prädisposition zur Lösung der Kopfepiphyse bei bereits bestehender 
Coxa vara kann nicht wunderbar erscheinen, wenn man die bei den 
Schenkelhalsverbiegungen nahezu vertical verlaufende Epiphysenlinie 


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Die Aetiologie der Schenkelhalsverbiegungen. 


79 


betrachtet. Bei einer Beanspruchung des Schenkelhalses auf Biegung 
wird sich hier wesentlich leichter als bei normal gestelltem Collum 
die Epiphysenlösung vollziehen. 

M. H.! Indem ich mich in Bezug auf das Vorkommen von Schenkel- 
halsverbiegungen im Gefolge von Osteomyelitis, im Verlaufe einer 
Tuberculose des oberen Femurendes auf den blossen Hinweis 
beschränke und bemerke, dass Küster im Jahre 1897 dem Chirurgen- 
congress über einen Fall von Coxa vara berichtete, als deren Ur¬ 
sache er eine Ostitis fibrosa annahm, erwähne ich als letztes 
ätiologisches Moment der Schenkelhalsverbiegungen noch die Arthritis 
deformans coxae. Bei den im höheren Alter auftretenden Formen 
der Arthritis deformans kann man vielfach neben beträchtlichen Zer¬ 
störungen und Wucherungen im Bereiche der Knochen Verunstal¬ 
tungen des Collum femoris nachweisen (Fig. 24). Auf die Aehnlich- 
keit der im jugendlichen Alter auftretenden Formen von Arthritis 
deformans mit der statischen Form der Schenkelhalsverbiegung hat 
an der Hand zweier mit Resection des Gelenks behandelter Fälle von 
Arthritis deformans bei einem 15- und einem 18jährigen Kranken 
May dl im Jahre 1897 zuerst hingewiesen. Diese Aeholichkeit zeigt 
Ihnen auch ein Präparat meiner Sammlung, an dem nur durch eine 
Schliff fläche an der Vorderfläche des Halses die vorhandene Schenkel¬ 
halsverbiegung als eine durch Arthritis deformans hervorgerufene er¬ 
kannt werden kann. Der Winkel, den der Hals mit dem Schaft 
bildet, ist fast ein rechter geworden. Ausserdem besteht in aus¬ 
gesprochener Weise eine Verbiegung nach hinten, die man nament¬ 
lich bei der Betrachtung von oben erkennt, und die so stark aus¬ 
gesprochen ist, dass bei der beträchtlichen Verkürzung des Collum 
die hintere obere Umrandung des Kopfes fast an den Trochanter an- 
stösst. Die Articulationsfläche des Kopfes bat sich hier, wie Sie an 
der Schlifffläche sehen, da der Kranke sich nicht mehr auf den 
Schenkelkopf, sondern mit dem Pfannenrande auf den Schenkelhals 
aufstützte, ganz auf die vordere Fläche des Halses verlagert. An 
einem von dem Präparat gefertigten Röntgenbilde erkennen Sie die 
schon mehrfach beschriebene Umformung der inneren Architektur. 

Meine Herren! Ich schliesse hiermit meine Ausführungen, die 
ich — einem Wunsche unseres Herrn Vorsitzenden entsprechend — 
vorzugsweise auf die Aetiologie beschränkt habe. Hoffen wir, dass 
unsere heutige Discussion das noch vielfach dunkle Gebiet der 
Schenkelhalsverbiegungen weiter aufzuklären bestimmt sei. 


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V. 


Beitrag zur Aetiologie der nichtsymptomatischen 

Coxa vara. 

Von 

Prof. Dr. Froelich-Nancy. 

Mit 6 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Als Müller aus Stuttgart die Coxa vara 1888 entdeckte, 
glaubte er, und mit Recht, eine einheitliche Krankheit aufgestellt 
zu haben. 

Seither aber wurde derselbe Symptomcomplex bei den mannig¬ 
fachsten Krankheitsprocessen des Hüftgelenks, so bei O.steorayelitis 
acuta, bei Tuberculose, bei Arthritis deformans, bei Rhachitis, selbst 
als congenitale Missbildung gesehen, so dass einige Forscher, unter 
Anderen Kirmisson und Charpentier, die Coxa vara, als eigen¬ 
artige Läsion, kaum am Leben lassen wollten. 

Heute ist es dennoch klassisch geworden, eine symptomatische 
und eine essentielle Coxa vara zu beschreiben; die letztere mit so 
starkem und charakteristischem Merkmale, wie das Genu valguni 
adolescentium oder die Tarsalgie (Pes plano-valgus). 

In den meisten Fällen sind die klinischen Symptome, die Evo¬ 
lution des Leidens, selbst die anatomischen Verhältnisse sehr ver¬ 
schieden. 

Diese anatomischen Merkmale sind öfter so klar, dass das blosse 
Ansehen der Röntgenbilder die Diagnose gestattet. 

Die symptomatische Coxa vara zeigt gewöhnlich eine nennens- 
werthe Hypertrophie des Gelenkhalses und die Knickung ist dem 
Trochanter major sehr nahe, so dass man diese Form als Coxa vara 
trochanterica bezeichnen könnte. 

Dagegen ist der Schenkelhals bei der essentiellen Coxa vara 
nur ausnahmsweise hypertrophisch und die Knickung liegt dem 


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Beitrag zur Aetiologie der nichtsymptomatischen Coxa vara. 


81 


Caput articulare eng an, so dass man hier die Bezeichnung Coxa 
vara cervicalis gebrauchen könnte^). 


Fig. 1. 



Coxa vara traumatica. — Müdchcn, lo Jahre, durch einen Wagen üherfahren. 


Fig. 2. 




('oxa vira osteoinyelitica/ — Mädchen, i:5 Jahre, hinkt .seit 5 Jahren. 

Einige Röntgeiibilderabdrücke, die ich hier herumgebe, zeigen 
dieses Verhalten. 

Obschon wir annehmen, dass die essentielle Coxa vara ein 


’) Froelich, Revue d’orthopedie 1902. 

Zeitschrift für orthoi»üdische Chirurgie. XII Ihl. ß 


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82 


Froelich. 


klinisch und anatomisch einheitliches Bild darbietet, so darf doch 
die Frage gestellt werden, ob die Ursache der Erweichung des 
Schenkelhalses (die doch das einzig prädisponirende Moment der 
Verbiegung darstellt und die die Belastung gelten lässt) immer die¬ 
selbe ist. 

Durch Analogie mit dem Genu valgum adolescentium und der 
Skoliose ist man dazu gekommen, auch für die Coxa vara die noch 


Fig. 3. 



Coxa vara tuberculosa. — Knabe, 7 .Jahre, hinkt seit 8 Monaten (Spina ventosa an einem 

Finger). 

ziemlich im Dunkeln schwebende Theorie der Rhachitis tardiva anzu¬ 
nehmen. 

In den letzten Jahren habe ich alle die mir zugänglichen Fälle 
von essentieller Coxa vara bacteriologisch prüfen lassen und dafür 
den kranken Gelenken Präparate entnommen. 

Es sind deren 3 Fälle, deren Krankengeschichten hier ausführ¬ 
lich folgen. 

Fall H). . 

Finnin R., 16 Jahre, der älteste von sechs gesunden Ge¬ 
schwistern, keine Krankheit in der Familie. Er selbst ist Ackerer 
und war nie krank. 

Seit 7 Monaten hinkt er und Schmerzen, die bis zum Knie 

’) Zum Theil schon in Revue d’orthopedie 1900. 


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Beitrag zur Aetiologie der nichtsymptomatischen Coxa vara. 


83 


irradiiren, sind in dem linken Bein erschienen. Wenn er im Bett; 
liegt, schwindet der Schmerz, er beginnt sogleich beim Gehen. — 
Dieser Schmerz war immer localisirt im Schenkel und im Knie, aber 
nie an dem Hüftgelenk. 

Die unteren Extremitäten sind verhältnissmässig zum Ober¬ 
körper zu lang und grob gebaut, es existirt ein gewisser Grad von 
Gigantismus. 

Wenn der Kranke geht, so sinkt er nach der kranken Seite 
wie bei der Hüftgelenksverrenkung. Wenn er steht, so sieht man 
den Fuss in Aussenrotation, den Schenkel in starker Adduction und 
die andere Seite leicht kreuzend. 

Die beiden Füsse sind in Valgusstellung und das kranke Bein 
zeigt einen gewissen Grad von Genu valgum. 

An dem liegenden Kranken sieht man, dass das linke Bein 
2 cm kürzer ist als das gesunde. 

Diese Verkürzung existirt nicht mehr bei der Messung zwischen 
Trochanter major und Malleolus externus. 

Die Kuppe des grossen Trochanters steht 2 cm über der Nelaton- 
Roser-Linie. 

Die Circumferenz des kranken Schenkels ist 3 cm kleiner, 20 cm 
über der Patella. Es existirt also Atrophie des Gliedes. 

Die Flexion und Extension des Schenkels ist möglich in ihrer 
ganzen Ausgiebigkeit ohne Schmerzen. 

Die Innenrotation ist unmöglich, die Aussenrotation ziemlich 
beschränkt. 

Die Adduction kann ein wenig vergrössert werden, die Ab- 
duction nimmt gleich das Becken mit in die Bewegung. 

Kniet der Kranke, so dass die Kniee sich berühren, so kreuzt 
das kranke Bein das gesunde. 

Beide Extremitäten schwitzen leicht und haben hie und da ein 
bläulich-rothes Aussehen. 

Die Diagnose Coxa vara adolescentium wurde durch die Röntgen¬ 
aufnahme bestätigt. 

Als Therapie erhielt der Kranke während der Nacht Extension 
mittelst Gamasche mit 5 kg Gewicht, das Bein in Abduction. 

Während des Tages relative Ruhe, Massage und faradischer 
Strom auf die Schenkelmuskeln. 

Endlich 3mal wöchentlich Abduction und Innenrotation im 
Turnsaal der Universitätsklinik mittelst Pendelapparat. 


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84 


Froelich. 


Der Kranke wurde nach wenigen Wochen der Behandlung 
müde und kam nicht mehr in die Klinik bis November 1900. 

Die Situation hatte sich nicht gebessert, auch nicht ver¬ 
schlimmert. 

Der Kranke wurde in die Klinik aufgenommen, um ihm das 
forcirte Redressement zu machen. 

Während der Narkose wurde auf der kranken Seite ein Prä¬ 
parat aus dem Trochanter major entnommen. 

Das Präparat wurde dem Herrn Dr. Thiry, Sousdirecteur des 
Institut serothärapeutique de PEst, überliefert zur bacteriologiscben 
Untersuchung. — 

Firmin R. verliess die Klinik den 3. Januar 1902. Die Ab- 
duction war stark gebessert und die Schmerzen waren verschwunden. 
Das Hinken war fast ganz aufgehoben. 

Fall UM. 

G. L. V., 11^2 Jahre alt, kommt von Villey-Saint Etienne in 
die Spitalabtheilung von Prof. Froelich. 

Man notirt keine pathologische Processe in seiner Anamnese. 

Er selbst hat bis zum 5. Jahre gut laufen können. Im 6. Jahre 
soll er gefallen sein und hat angefangen zu hinken. 

Sein Gang gleicht heute demjenigen einer doppelten Hüft¬ 
gelenksluxation: Er geht wie eine Ente und kreuzt beim Gehen 
seine Kniee. Die Flexion der zwei Schenkel ist leicht und schmerzlos. 

Die Abduction des linken Beines ist ganz unmöglich, die des 
rechten Beines fast ganz aufgehoben. 

Man sieht eine tiefe Lordose in der Lendengegend, die 7 cm 
Tiefe misst. 

Beide Beine stehen in starker Adduction und die Füsse in 
Aussenrotation. 

Rechts und links ist die Innenrotation fast ganz unmöglich. 

Die Länge des rechten Beines beträgt 67 cm, die des linken 
Beines 68 cm. 

Der Maximalabstand der tibialen Knöcheln beträgt nur 8 cm. 

Auf beiden Seiten steht der Trochanter ungefähr 5 cm über der 
N elaton- Ros er-Linie. 


') Zum Theil in der Inauguraldissertation meines Schülers, Louis Michel. 
De la coxa vara. Nancy 1901. 


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Beitrag zur Aetiologie der nichtsymptomatischen Coxa vara. 


85 


Besonders links steht der Fuss in Valgussteilung. 

Der Kranke wird in die Abtheilung aufgenomraen und es wird 
ihm permanente Extension im Spreizbett angelegt. 

Eine Röntgenaufnahme zeigt die charakteristische Coxa vara 
beiderseits. 

Rechts beträgt der Inclinationswinkel 50^, auf dem Bilde ge¬ 
messen. 

Der Alsberg’sche Richtungswinkel ist negativ und misst un¬ 
gefähr 12 oder 15^ 

Links hat der Inclinationswinkel 75^, der Alsberg’sche 
Winkel 20 ^ 

Rechts ist der Gelenkkopf sehr hinabgerutscht und es scheint 
nur seine obere Hälfte mit dem Acetabulum in Berührung zu sein. 
Seine untere Hälfte grenzt beinahe an den kleinen Trochanter. 

Links ist die Deformirung des Gelenkkopfes eine wenig ge¬ 
ringere. 

Was besonders zu bemerken ist, ist, dass auf beiden Seiten und 
in mehreren Röntgen bildern dieses Falles die Abduction durch das 
Anstemmen des Trochanter major an das Darmbein verhindert zu 
sein scheint. 

Den 14. December 1900 wurde durch Herrn Froelich mit 
Assistenz von Dr. Weiss der grosse Trochanter resecirt, mit 
Schonung des Periostes und der Muskelinsertionen. 

Die Wunde wurde zum Theil geschlossen und während der 
ersten Tage drainirt. 

Nach der Operation bekam das Bein eine Abduction von 45^ 
und Innen- und Aussenrotation waren möglich. 

Spreizbett und Extension. 

Die Operation wurde auf der linken Seite nicht nöthig, denn 
die orthopädische Nachbehandlung gab folgendes Resultat: 

Den 14. März 1901 wurde der Kranke entlassen. Bei seiner 
Entlassung raass der Abstand der Malleolen 64 cm, rechts auf 
operirter Seite 37 cm von der Mittellinie, links 32 cm. 

Die Lendenlordose misst nur mehr 4 cm. Das Gehen ist noch 
ein wenig plump, aber das Watscheln ist verschwunden. 

Rechts und links ist die Innenrotation und die Aussenrotation 
ziemlich gut geworden, obschon etwas beschränkt. 

Das gewonnene Präparat, d. h. der abgetragene Trochanter 
major, wurde zum Theil Herrn Prof, agrege Louis Spillmann an- 


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86 


Froelich. 


vertraut, der die rhachitischen Merkmale nachweisen sollte. — Seine 
Forschungen fanden nichts Rhachitisches in dem Knochenpräparat. Ein 
anderer Theil des Knochens wurde dem Herrn Thiry im Institut 
serotherapeutique gegeben. — Auf mit dem Präparat angesäten Boden 
wurden eine grosse Anzahl Colonien von weissen Staphylokokken 
nachgewiesen. 

Fall IIP). 

P. B. von Lun^ville, 9 Jahre alt, ohne eigene oder hereditäre 
Belastung. Seit 4 Jahren bemerken die Eltern ein leichtes Hinken 
und ein Nachgeben des Körpers nach einer Seite. 

Oefters beklagte sich das Kind über kleine Schmerzen in der 
rechten Hüfte und Müdigkeit. 

Vor einem Jahre fiel das Kind auf die rechte Seite, der Schmerz 
nahm zu und ein Arzt rieth Bettruhe während eines Monats, eine 
tuberkulöse Coxitis befürchtend. 

Die Schmerzen verschwanden rasch, aber das Hinken nahm zu. 

Der Kranke wurde uns dann im Juli 1902 zugesandt. 

Der Körper ist gegen die linke Seite gelehnt. Das rechte Bein 
scheint viel magerer als das linke. 

Beim Gehen sinkt der Knabe gewaltig nach rechts. 

Die Bewegungen sind in allen Richtungen möglich und 
schmerzfrei. 

Die Abduction allein ist rechts ziemlich verringert. 

Der rechte Fuss steht in Innenrotation. 

Der Trochanter steht rechts 3 cm über der Nelaton-Roser- 

Linie. 

Die Verkürzung des rechten Gliedes beträgt 2 ^ 1 ^ cm. 

Die Circumferenzverringerung, die sehr auffällt, misst in der 
That nur 1 — 2 cm. 

Bei der Palpation des Hüftgelenkes bemerkt man, dass das 
Gelenk eine gewisse Resistenz darbietet, Fluctuation scheint wahr¬ 
scheinlich unter den Femoralgefässen. 

Eine Röntgenaufnahme zeigt uns, dass die linke Hüfte normal 
ist, hingegen das knöcherne Acetabulurn leicht hypertrophisch scheint, 
auch ist der Femurkopf im Sagittalschnitt beträchtlich verdickt, end¬ 
lich besteht eine sehr ansehnliche Coxa vara. 


b Aus Froelich et Weiss, De la coxite hyperosterante (in Revue 
mcdicale de TEst 1002). 


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Beitrag zur Aetiologie der nichtsyxnptomatischen Coxa vara. 


87 


Der Inclinationswinkel auf der kranken Seite beträgt 95^, auf 
der gesunden 123^ auf dem Röntgenbild gemessen. 

Eine Function des resistenten Theiles der Gelenkkapsel gibt uns 
eine seröse gelbliche Flüssigkeit, in der das bacteriologische Examen 
weisse Staphylokokken zeigte, ohne Spur anderer Mikroorganismen. 

Die Therapie war Immobilisiren der Hüfte in Abductionsstellung 
in einem Hülsenapparat und Extension Nachts. — 

Im März 1903 soll der Junge fast gar nicht mehr hinken und 
ohne Schmerzen den ganzen Tag gehen. — 


Es handelt sich also um drei Knaben von 1(5, 11 und 9 Jahren, 
die klinisch und anatomisch die Symptome der essentiellen Coxa vara 


darboten: es sind die Nr. 4, 5 u. 6 
der Röntgenbilderabdrücke, die her- 
umgehen. 

Bei dem ersten benutzte ich die 
Gelegenheit eines unter Narkose 
gemachten Redressements der Ad- 
duction, um durch eine längs dem 
vorderen Rande des grossen Tro¬ 
chanters verlaufenden Incision ein 
Stück Knochen mit einem Hohl- 
meissel herauszubohren. 


Fig. 4. 



Coxa vara non syinptornatica. — Knabp, 
ifi Jahre, Ackerer, keine Staphylokokken. 


Die bacteriologischen Untersuchungen, die ich, wie alle folgen¬ 
den, dem HerrnDr. Thiry, Sousdirecteur des bacteriologischen Instituts 
zu Nancy, verdanke, verliefen negativ. Bemerkt sei nur, dass das 
Präparat nur direct untersucht wurde, dass aber keine Culturen an¬ 
gelegt wurden. 

In dem 2. Falle hatte mir die Röntgenaufnahme gezeigt, dass 
die Adduction durch das Anstemmen des Trochanter major gegen 
das Darmbein behindert wurde, ich entschloss mich deshalb, mit der 
Assistenz meines Collegen Prof. Weiss aus Nancy, den Trochanter 
abzutragen. 

Ein Theil des Knochens wurde meinem Collegen Prof. Louis 
Spillmann anvertraut, der es auf Rhachitis prüfen sollte. — Seine 
mikroskopischen Untersuchungen waren negativ. 

Der zweite Theil des Präparates wurde bacteriologisch geprüft 
und gab in Culturen ein positives Resultat, d. h. zahlreiche Colonien 
von Staphylococcus albus. — 


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88 


Froelich. 


In dem 3. Falle Hess die Abmagerung des Gliedes leicht eine ge¬ 
wisse Menge Flüssigkeit im Gelenke nachweisen. Durch Function war 
es uns möglich, 3 ccm gelblicher seröser Flüssigkeit zu gewinnen. Das 
bacteriologische Examen zeigte in demselben massenhaft Staphylo- 
coccus albus, auch die Culturen des Präparates waren positiv. 

So wurden in den 3 letzten mir zugänglichen Fällen von Coxa 
vara, die bacteriologisch geprüft wurden, in dem einen keine Bacterien 

Fig. 5. 




f’oxa vara non symptoniatica. — Knabe, 3 Jahre, hinkt seit 2 Jahren, ansehnliche LorJose. 
Staphylücoccus albus im Trochanter major. 


gefunden; bei directem Examen; bei den zwei anderen aber zahl¬ 
reiche weisse Staphylokokken; hier wurden die Präparate auf 
geeigneten Boden angesät, cultivirt. 

Handelte es sich bei diesen zwei Kranken um Fehldiagnose? ln 
der That ist im 3. Falle auf dem Röntgenbilde eine Verdickung des Ace- 
tabulum wahrnehmbar, dennoch trifft sie klinisch und anatomisch wohl 
nicht zu; oder kann man annehmen, dass gewisse Fälle von essen¬ 
tieller Coxa vara nichts anderes wären, als chronische, ohne jegliche 
Fieberreaction verlaufende Osteomyelitis oder Osteoarthritis osteo- 
myelitica adolescentium, bei der die weissen Staphylokokken, statt 
wie gewöhnlich die gelben, das inficirende Element wären. 

Dem vorhergehenden will ich noch 2 andere Fälle hinzufügen, 
die, ohne die Coxa vara zu betreffen, dennoch in der Sache nützlich 
sein können. 


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Beitrag zur Aetiologie der nichUymptomatischen Coxa vara. 


89 


Bei einem Knaben von 14 Jahren mit Genu valgura adolescentium 
habe ich bei Gelegenheit einer Osteotomie nach Mac Ewen ein 
Stück Femur abgetragen und es im bacteriologischen Institut prüfen 
lassen. Weisse Staphylokokken wurden auch hier gefunden, obschon 
die Heilung glatt vor sich ging. 

Dieselben Kokken wurden auch in einem Os naviculare ge¬ 
funden, aus dem ich ein ansehnliches Präparat herausbohrte während 



Fig. 6. 


Coxa vai*a non ^«ymptomatica. — Knabe. 9 .Jahre, hinkt seit 4 Jahren, Staphylococciis albus 

im Trochanter. 


eines Redressements für Pes plano-valgus bei einem 13 Jahre alten 
Metzgerlehrling. 

Hingegen bei einem Kranken mit veraltetem Plattfuss, bei dem 
ich die Ogston’sche Operation ausführte, wurden keine Bacterien 
gefunden. 

Vielleicht könnte man deshalb das Problem, das wir für die 
Coxa vara adolescentium stellten, auch auf andere der sogenannten 
Krankheiten der Adolescentien erstrecken, wie z. B. Genu valgum 
adolescentium, Tarsalgia adolescentium, vielleicht auch Skoliose, 
und fragen, ob gewisse Fälle derselben nichts anderes wären, als 
chronische Osteomyelitis oder noch besser Osteoarthritis osteo- 
myelitica. 

Was betont werden muss, um die dazu gehörigen Nach¬ 
forschungen zu erleichtern, ist: 


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90 Fioelich. Beitrag zur Aetiologie der nichtsymptomalischen Coxa vara. 

1. dass die Untersuchungen nur im floriden Stadium der Krank¬ 
heit gemacht werden sollen, weil dann ein positives Resultat eher zu 
erhalten ist; 

2. dass die bacteriologische Untersuchung eine ausführliche 
sein muss, weil oft nur das angesäte Präparat Staphjlokokken- 
colonien aufweist. 

Auch muss ich gestehen, dass die Präparate nicht immer 
leicht zu erhalten sein werden, weil sie oft nur auf Umwegen zu 
gewinnen sind. 


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VI. 


Zur Behandlung der Coxa vara. 

Von 

Prof. Dr. A, Codivilla-Bologna. 

Mit 7 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Für die chirurgische Behandlung der Coxa vara wurden viele 
Methoden in Vorschlag gebracht, keine einzige hat jedoch allgemeinen 
Beifall gefunden. Es scheint, dass die linearen und keilförmigen 
Osteotomien des Halses die Gefahr der Gelenkseröffnung in sich 
führen, welche zum Ausgangspunkt secundärer Functionsstörungen 
werden, während die keilförmigen Osteotomien den Nachtheil einer 
weiteren Verkürzung des Halses, der schon durch die Deformität ver¬ 
kürzt ist, zur Folge haben. Die Osteotomien auf dem Femurschafte 
(0. subtrochanterica, intertrochanterica etc.) beeinflussen die statischen 
Verhältnisse der Extremität allerdings, jedoch nur dadurch, dass sie 
die ursprüngliche Deviation durch eine neue Deviation im entgegen¬ 
gesetzten Sinne compensiren, was wieder eine neuerliche Verkürzung 
des Gliedes bedingt. Nach der Osteotomie am Halse gelingt es 
ausserdem schwer die beiden Knochenenden in richtiger Lage zu 
erhalten. 

Meiner Ansicht nach ist die hauptsächliche Schwierigkeit gegen 
die directe Correction der Deformität in dem bedeutenden Wider¬ 
stande zu suchen, den die Mm. pelvo-trochanterici, pelvo-femorales 
und pelvo-crurales gegenüber dem Dehnungsversuch bieten. Die 
weite Abductionsstellung, in welche durch allgemeines Ueberein- 
kommen nach der Cervicalosteotomie die Extremität gebracht wird, 
ist der Verkürzung eines grossen Theiles dieser Muskeln nur noch 
günstiger: hierdurch wird jedoch nur ein neues Entstehen der De¬ 
formität hervorgerufen, wenn der Gallus an der operirten Stelle nach 
Rückkehr der Gliedmasse in die indifferente Stellung nicht genügend 
widerstandskräftig ist. 


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92 


A. Codivilla. 


Daher glaube ich, dass man die Frage der chirurgischen Be¬ 
handlung der Coxa vara folgendermassen angehen soll: Die Osteo¬ 
tomie muss am Halse, dem Sitze der Abnormität, ausgeführt werden, 
sie darf keinen Substanzverlust bedingen und soll ausserhalb des 
Coxo-femoral-Gelenkes stattfinden. Nach erfolgter Knochentrennung 
müssen die Weichtheile entsprechend verlängert werden, welche vom 
Becken auf den Femurschaft ziehen, so dass hierdurch dem Halse 
ermöglicht wird sich richtig auf den Femur einzustellen. Auf folgende 
Art glaube ich diesen sämmtlichen Desideratis gerecht zu werden. 
Ich führe einen Hautschnitt von der S. I. A. S. nach abwärts ent¬ 
sprechend dem Raume zwischen Sartorius und Tensor Fasciae latae, 
und mittelst einer Breche in diesem Raume entblösse ich die Vorder¬ 
fläche der Regio trochanterica. In der Trennungslinie zwischen den 
Insertionsstellen der Gelenkskapsel und jenen der Mm. pyramidales, 
glutaeus minimus und cruralis, d. h. gleich nach aussen von der 
Linea intertrochanterica anterior, nach Verschiebung der Weichtheile 
mittelst des Periostschabers, trenne ich den Hals von seiner Fixation 
auf dem Schafte. Der Schnitt im Sinne eines Halbkreises wird mit 
einem passend gekrümmten Skalpell ausgeführt. Auf der hinteren 
Knochenfläche fällt der Schnitt ebenfalls in dem ziemlich weiten 
Raume zwischen Kapsel und der Insertion der Mm. Somit wird die 
Regio cervico-trochanterica in zwei Theile getheilt: einerseits der Hals 
mit den Insertionen der Kapsel und der Ligamente, andererseits der 
Rest der Regio trochanterica mit sämmtlichen Muskelinsertionen. 
Die krummlinige Osteotomie wird zu dem Zwecke ausgeführt, damit 
nur charnierartige Verschiebungen zwischen den beiden Knochenenden 
stattfinden können, und ich habe dieses Vorgehen mit Vorliebe charnier¬ 
artige Osteotomie genannt (s. Fig. 1 u. 2). Es erübrigt nur noch die Ver¬ 
längerung der Weichtheile zu erzielen. Diese haften alle auf dem 
distalen Stumpfe des Femur, und wir können die Verlängerung durch 
auf denselben einwirkende passende Tractionen erreichen. Durch 
Verlagerung der Extremität in forcirter Abduction dehnen wir die 
Adductoren: allein ich glaube, dass eine dauernde Lagerung des 
Gliedes in Abduction deswegen nicht von Vortheil ist, weil durch 
diese die Abductoren, die sich weiter verkürzen können, ungünstig 
beeinflusst werden. Darum ziehe ich es vor, sämmtliche Muskeln, die 
vom Becken zum Bein ziehen durch Züge zu verlängern, welche die 
Extremität in indifferenter Stellung erhalten oder höchstens in leichter 
Abduction. Dies kann richtig nur durch einen besonderen Kunst- 


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Zur Behandlung der Coxa vara. 


93 


griff geschehen. Meiner Erfahrung nach wirken die gewöhnlichen 
Tractionsmethoden nicht ausgiebig genug auf das proximale Ende der 
Extremität, um eine Verlängerung der starken Muskelmassen, die an 
diesem Ende sitzen, zu bewirken. Es wäre hierzu ein derartiger Zug 
an der Extremität von Nöthen, dass er nicht vertragen werden könnte. 
In Fällen von Deformität nach veralteten Femurbrllchen ist es mir 
gelungen, durch eigenartige kräftige Tractionen an der unteren Ex- 


Fig. 2. 



tremität die Verkürzung zu beheben oder zu mindern. Einige Tage 
vor dem EingrifiFe wurde über einer guten Polsterung ein Gipsver¬ 
band angelegt, der den Fuss und den halben Unterschenkel umfing. 
Nach der Trennung der Fragmente und der Schliessung und Ver¬ 
bandanlegung der Wunde wurde der Patient auf das Schedersehe 
Bett gebracht und einem Zuge von 25 — 70 kg ausgesetzt. Unter 
diesem Zuge wurde ein Gipsverband gemacht, der, von dem zuerst 
an Fuss und Unterschenkel angelegten ausgehend, aufstieg und die 
ganze Extremität mit dem Becken umfing. Auf diese Art war die 
Traction sozusagen unter dem Gipsverband immobilisirt und wirkte 
auf die Extremität auch ferner ein, wenn der Patient aus dem 
Schede’schen Bette gehoben wurde. Nach einigen Tagen wurde 
unter oder auch ohne Narkose der Gipsverband durch einen Zirkel- 


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Zur Behandlung der Coxa vara. 


95 


schnitt mittelst der Gigli’schen Säge, entsprechend dem Sitze der 
Fractur geöffnet, und auf dem Schede'schen Bette wurde auf ge¬ 
wöhnliche Art ein neuer Zug in Anwendung gebracht, während 
der Gegenzug auf dem proximalen Theile des Gipsverbandes ange¬ 
bracht wurde; auf diese Art entfernten sich die beide Theile des 



Verbandes von einander und dementsprechend verlängerten sich noch 
die VVeichtheile. Nun wurde der Zwischenraum zwischen den beiden 
Verband hälften mittelst einiger Gipsbinden ausgefüllt und neuerdings 
die Verlängerung und die Zugkraft fixirt. Wenn nothwendig, wurden 
neue Trennungen des Verbandes und neue Verstärkungen der Zug¬ 
kraft angebracht, bis der richtige Effect in Stellung und gegenseitigem 
Verhältnisse der Theile erreicht war. 

Mit dieser Methode habe ich arge Deformitäten nach veralteten 
Fracturen und Verkürzungen von 4—5\'2 cm schwinden sehen. Hier 
einige Radiogramme von hierher gehörigen Fällen. Wenn es nun 
mit der angeführten Methode möglich wurde, starke Züge direct auf 


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A. Codivilla. 


die gewünschte Region des Oberschenkels anzubringen und hierdurch 
Verlängerungen der Weichtheile zu erreichen, die bisher nicht ge¬ 
lungen waren, ergab sich andererseits manchmal der Nachtheil, dass 
weite Nekrosen infolge Drucks grösserer Hautpartien auf dem Fersen- 
höcker und am FussrUcken entstanden, welch letztere auch die 


Fig. 6. 



Schädigung der Sehnen zur Folge hatten. Diesen Nachtheil habe 
ich dadurch behoben, dass ich die Zugkraft mittelst eines starken 
Stiftes, der den Fersenhöcker durchdringt, direct auf das Skelet über¬ 
trug. Dieser Stift bildet ein einziges System mit dem starren Ver¬ 
bände, welcher bis zu dem unteren Drittel des Unterschenkels reicht, 
und ist am unteren Ende des Verbandes mittelst zweier seitlich 
aufsteigenden Schienen fixirt. Der Stift wird von dem Patienten 
vorzüglich vertragen und wurde je nach den Fällen 20—40 Tage 
getragen. Die Fig. 3 zeigt wie Zug und Gegenzug nach Durch- 


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Zur Behandlung der Goxa vara. 


97 


trennung des Verbandes an einer proximalen und einer distalen Stelle 
angebracht werden. Der Zugapparat mittelst des Nagels wurde be¬ 
reits in 7 Fällen in Anwendung gebracht und hat sich frei von 
Nachtheilen erwiesen. 

Bei der Behandlung der Coxa vara habe ich nach vollführter 



Chamierosteotomie die oben angegebene Tractionsmethode angewendet, 
wobei die Extremität in indifferenter oder in leicht abducirter Stel¬ 
lung belassen wurde, und habe ich sehr bedeutende Besserungen der 
Deformität erzielt. Der Winkel zwischen Schaft und Hals wurde 
grösser, es schwand die abnorme Rotation der Extremität, die Be¬ 
weglichkeit im Gelenke wurde nicht beeinträchtigt, die Abduction 
gelang wieder in fast normaler Excursion und der Gang wurde leicht 
und correct. 

Die Methode wurde in 3 Fällen bei Individuen von 9—IG Jahren 
ausgefübrt. üeber den einen kann ich bezüglich des Resultats noch 
nicht berichten, weil er erst vor 2 Wochen operirt wurde. Bezüg¬ 
lich der 2 anderen: Erster Fall, Coxa vara bilateralis rhachitica, rechts 

Zeitschrift für orthopädische ('hirurgie. XII Bd. 7 


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A. Codivilla. Zur Behandlung der Coxa vara. 


besonders schwer. Alter: 9 Jahre. — Die Extremität war in Ad- 
duction und starker Aussenrotation. Abduction unmöglich. Starkes 
Hinken, infolge Insufficienz der Abductoren. Nach der Operation ist 
das Glied in indifferenter Rotationsstellung, nicht mehr abducirt: alle 
Bewegungen in der Hüfte sind frei, die Abduction bis zu einem 
Winkel von 20^, der Gang unbehindert und fast ohne Schwanken^). 

Der zweite Fall, ein Mädchen von 10 Jahren, mit rechter congeni¬ 
taler Coxa vara behaftet, hat ein dem ersten ähnliches Resultat er¬ 
geben. Das Bein ist nicht mehr rotirt noch adducirt, die Abduction 
gelingt bis zu einem Winkel von 28®, der Gang ist gut2). 

Ich übergebe die den beiden Fällen entsprechenden Radio¬ 
gramme. 


9 Siehe Fig. 4 vor und Fig. 5 nach dem operativen Eingriff. 
Siehe Fig. 6 vor und Fig. 7 nach dem operativen Eingriff. 


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VII. 


Coxa vara — die statische Belastungsdefomität 
des Schenkelhalses. 

Von 

Dr. A« Schanz-Dresden. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Meine Herren! Nachdem ich im vorigen Jahr Ihnen an dieser 
Stelle eine Theorie über das Zustandekommen der statischen Be¬ 
lastungsdeformitäten entwickeln durfte, bitte ich Sie, Ihnen heute 
zeigen zu dürfen, wie sich das Deformitätenbild der Coxa vara unter 
dem Gesichtspunkt jener Theorie darstellt. 

Wenn ich auch wohl voraussetzen darf, dass die Grundsätze 
meiner Theorie bekannt sind, so will ich doch ein paar Sätze, auf 
welche es besonders ankommt, wiederholen. 

Ich habe gesagt: statische Belastungsdeformitäten kommen zu 
Stande, wenn die statische Inanspruchnahme des Traggerüstes des 
Körpers die statische Leistungsfähigkeit desselben übersteigt. Ein 
solches Missverhältniss kann sowohl durch Erhöhung der statischen 
Inanspruchnahme wie durch Verminderung der statischen Leistungs¬ 
fähigkeit entstehen. 

Die Veränderungen, welche der Körper bei dem Zustandekommen 
statischer Belastungsdeformitäten eingeht, sind theils directe Folgen 
der Wirkung mechanischer Kräfte, theils sind sie Reactionserschei- 
nungen des lebenden Organismus auf diese Veränderungen. 

Das Bild einer statischen Belastungsdeformität lässt sich im 
Voraus berechnen, wenn die Construction des Traggerüstes und die 
Art der Belastung bekannt sind. — 

Lassen Sie mich, meine Herren, gegen diese Sätze stellen, was 
über das Deformitätenbild der Coxa vara bekannt ist: 

Wir nennen Coxa vara eine pathologische Formveränderung 
des oberen Femurendes, welche dadurch charakterisirt ist, dass der 


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100 


A. Schanz. 


Schenkelhalswinkel eine Verkleinerung erfährt. Wir kennen diese 
Veränderung als angeborene Deformität, wir kennen sie auch als 
erworbene Deformität. Schalten wir die durch Fracturen zu Stande 
gekommenen Fälle aus, so sehen wir im extrauterinen Leben solche 
Deformitäten hauptsächlich entstehen in der Jugend bei hochgradiger 
Rhachitis, späterhin bei Osteomalacie. Wir sehen sie sodann ent¬ 
stehen im Jünglingsalter, ohne dass dabei bisher eine Knochen- 
erkrankung sicher festgestellt wäre; dagegen finden wir bei diesen 
Patienten als ätiologisches Moment berufliche Ueberanstrengung 
angegeben. Im späteren Alter sehen wir dann noch die Coxa vara 
als Begleiterscheinung des Malum senile coxae. Endlich sehen wir 
die Coxa vara entstehen bei verschiedenartigen Entzünduugsprocessen 
des oberen Femurendes, auch nach Traumen, ohne dass eine Fractur 
vorhanden gewesen wäre. 

Alles zusammen sehen wir das Bild der Coxa vara entstehen 
in den verschiedensten Lebensaltern, unter den verschiedensten Be¬ 
dingungen. 

Wenn wir davon die angeborene Coxa vara und die Coxa vara 
ausscheiden, welche bei höchstgradiger Rhachitis entsteht, ohne dass 
die Patienten gegangen sind, lassen sich trotz jener Verschiedenheit 
alle übrigen Fälle, was ihre Aetiologie betrifi't, unter einen Hut 
bringen. 

Alle diese Deformitäten sind entstanden unter Einwirkung 
statischer Belastung oder richtiger statischer Ueberlastung. ( 

Wenn wir die Aetiologie unserer Fälle durchsehen, so finden ! 
wir entweder eine Herabsetzung der statischen Leistungsfähigkeit 
des Schenkelhalses oder eine Erhöhung seiner statischen Inanspruch¬ 
nahme. 

Zu der ersten Gruppe zählt die Coxa vara rhachitica, die osteo- 
malacische, die Coxa vara bei und nach Entzündungsprocessen, und 
nach Traumen des oberen Femurendes, endlich die Coxa vara als 
Begleiterscheinung der Malum senile coxae. 

Als Vertreter der zweiten Gruppe haben wir die Coxa vara als 
Berufskrankheit bei Käsern, Bäckern, Schlossern etc. zu zählen. 

Alle diese Fälle der ersten und der zweiten Gruppe füllen 
somit mit ihrer Aetiologie den Rahmen, mit dem ich die Aetiologie 
der statischen Belastungsdeformitäten bezeichnet habe. 

Die angeborene Coxa vara und die Coxa vara, welche bei 
schwer rhachitischen Kindern entsteht, ohne dass statische Belastung 


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Coxa vara — die statische Belastungsdeformität etc. 


101 


des Schenkelhalses stattgefunden hat, können natürlich statische 
Belastungsdeformitaten nicht sein. Wie ich mir das Zustande¬ 
kommen der angeborenen Deformität vorstelle, habe ich bei der 
Bearbeitung der Aetiologie der angeborenen Hüftverrenkung dar¬ 
gestellt. Ich denke mir diese beiden Deformitäten entstanden durch 
öberhohen intrauterinen Druck. Eine ähnliche Druckwirkung stelle 
ich mir vor als Aetiologie der Coxa vara bei den schwer rhachiti- 
schen Kindern, welche mit zusammengeschlagenen Beinen, im Türken¬ 
sitze, sitzen. 

Diese Fälle, wie die angeborene Coxa vara will ich im weiteren 
als ätiologisch selbständige Deformitäten aus meinen Betrachtungen 
ausscheiden. — 

Sehen wir nun, wie das pathologisch-anatomische Bild der 
Coxa vara zu unserer Theorie passt. 

Wir werden diese Frage am besten so angreifen, dass wir 
rein theoretisch das Bild einer statischen Belastungsdeformität des 
Schenkelhalses construiren, und dann Zusehen, wie weit dieses Bild 
sich mit dem Bild der Coxa vara deckt. 

Wir müssen da zunächst fragen: Ist der Schenkelhals über¬ 
haupt eine für die Entstehung statischer Belastungsdeformitäten 
geeignete Stelle? — Das ist er zweifellos. 

Statische Belastungsdeformitäten localisiren sich, wo sich solche 
treffen, an statisch minderwerthigen Stellen des Traggerüstes unseres 
Körpers. Eine solche statisch minderwerthige Stelle ist aus- 
gesprochenermassen der Schenkelhals. Wir haben im Bereich des 
Schenkelhalses nicht nur eine Verschmälerung der Oberschenkel¬ 
säule, wir haben auch eine Schrägstellung des Schenkelhalses zur 
Belastungsrichtung und damit eine relative Verminderung seiner 
Tragfähigkeit. Diese Verhältnisse werden zwar durch die eigen¬ 
artige innere Construction des Schenkelhalses gemindert, aber nicht 
aufgehoben. Ein Beweis dafür ist schon die grössere Verletzlich¬ 
keit, welche der Schenkelhals durch die Häufigkeit der Schenkel- 
halsfractur manifestirt. 

Unter solchen Umständen kann es nicht Wunder nehmen, wenn 
bei einer Ueberlastung des ganz normalen Traggerüstes des Körpers 
besonders leicht Veränderungen des Schenkelhalses entstehen, ebenso 
wenig, wenn bei herabgesetzter statischer Leistungsfähigkeit schon 
die normale oder auch eine unternormale Belastung zur Deformirung 
dieser Stelle führt. 


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102 


A. Schanz. 


Wir dürfen daraus schliessen, dass eine hohe Wahrscheinlich¬ 
keit für das Vorkommen statischer Belastungsdeformitäten des 
Schenkelhalses gegeben ist — so hoch, dass wir weiter fragen dürfen: 
Wie müssen solche Deformitäten aussehen? 

Um dies zu berechnen, müssen wir uns die gegebenen mecha¬ 
nischen Verhältnisse klar machen. 

Bei statischer Belastung stellt der Körper aufrecht, dabei haben 
wir eine senkrechte Stellung des Femur, die entsprechende Schräg¬ 
stellung des Schenkelhalses, die Last trifft den Schenkelkopf von 
oben her in senkrechter Richtung. 

Ergibt sich unter diesen Verhältnissen eine üeberlastungs- 
verbiegung des Schenkelhalses, so kann sie nur in einer stärkeren 
Abknickung des Schenkelhalses gegen den Femurschaft bestehen. 

Zu diesem unbedingt constanten Symptom der statischen Be¬ 
lastungsdeformitäten des Schenkelhalses müssen unter Umständen 
noch andere hinzutreten können. 

Es wird z. B. nicht immer die Ueberlastung stattfinden bei 
indifferenter Einstellung des Körpergerüstes und nicht immer wird 
eine indifferente mittlere Auflagerung der Last vorhanden sein. 
Differente Einstellung können wir z. B. haben, wenn die Hüften in 
Innen- oder Aussenrotation gestellt werden, differente Belastung, 
wenn der Rumpf in Vorwärts- oder Rückwärtsbeugung gestellt oder 
so oder so belastet wird. 

Unter diesen differenten Verhältnissen kommt zu dem sonst 
einfach nach abwärts gerichteten Druck auf den Schenkelkopf noch 
eine Componente, die entweder nach vorwärts oder nach rückwärts 
gerichtet ist. 

Unter der Einwirkung einer solchen Componente muss zu der 
Abwärtsbiegung des Schenkelhalses noch eine Biegung nach vor¬ 
wärts oder rückwärts kommen. 

So hätten wir aus theoretischer Rechnung folgendes Bild: 
Die statischen Belastungsdeformitäten des Schenkelhalses müssen 
eine Abweichung der Form des oberen Femurendes von der Norm 
bieten derart, dass der Schenkelhals schärfer abgeknickt erscheint, 
dazu kann unter bestimmten Umständen eine Biegung des Schenkel¬ 
halses nach vorwärts oder rückwärts treten. 

Stellen wir dagegen jetzt den pathologisch-anatomischen Be¬ 
fund unserer Deformität, so sehen wnr, dass beides haarscharf zu 
einander stimmt: Die Coxa vara ist eine schärfere Ahknickung des 


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Coxa vara — die statische Belastungsdeformität etc. 


103 


Schenkelhalses gegen den Femurschaft, die unter Umständen eine 
Ante- oder Retroversion des Schenkelhalses zeigt. 

Nun weiter: Den äusseren Veränderungen entsprechend müssen 
bei Eintritt einer üeberlastungsyerbiegung im Schenkelhals auch 
innere Veränderungen vor sich gehen. Die wichtigsten derselben 
sind die Veränderungen in der Dichte der Substanz. Es muss auf 
der Seite der Convexität der entstehenden Verbiegung eine Auf¬ 
lockerung, in der Concavität eine Verdichtung der Substanz statt¬ 
finden. 

Eine solche Veränderung muss sich deutlich zeigen in einem 
Unterschied in der Dichte der Spongiosa. 

Dafür, meine Herren, wird der Beleg nicht so leicht zu bringen 
sein, da schon am normalen Schenkelhals die Spongiosa Unterschiede 
in der Dichte zeigt; sie ist auf der Convexität schon lockerer, wie in 
der Concavität. So werden wir niemals derartig deutliche Bilder 
finden können, wie z. B. am Wirbelkörper. Trotzdem haben wir 
in der Literatur verschiedentlich die Angabe, dass die Substanz des 
Schenkelhalses bei der Coxa vara auf der Seite der Concavität der 
Biegung eine Verdichtung zeigt. 

So finden wir auch hier Uebereinstimmung zwischen den 
Veränderungen, welche wir aus den gegebenen mechanischen Be¬ 
dingungen vorausberechnen, und den thatsächlichen Be¬ 
fund, welchen die Coxa vara bietet. 

Wie steht es nun mit der zweiten Classe von 
Veränderungen, welche wir bei statischen Belastungs¬ 
deformitäten im Körper finden? Mit den Reactions- 
erscheinungen, welche der lebende Organismus zu den 
— kurz gesagt — mechanischen Veränderungen liefert? 

Von diesen Veränderungen nehmen eine wichtige 
Sonderstellung diejenigen ein, welche dazu dienen sollen, 
den deformirenden Process zu sistiren. Ich habe in 
meinem vorjährigen Vortrag ausführlicher dargelegt, 
warum wir solche Selbstheilungsvorgänge bei statischen 
Belastungsdeformitäten erwarten müssen, und wie die¬ 
selben im allgemeinen aufzufinden und zu bestimmen sind. 

Bei der statischen Ueberlastungsverbiegung des Schenkelhalses 
kann nur eine Form derselben in Betracht kommen, der Typus, 
welcher durch Fig. 1 dargestellt werden kann: Es wird ein Stütz¬ 
bogen in die Concavität der Biegung eingesetzt. 


Fig. 1. 



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104 


A. Schanz. 


Für die Anbringung dieses Stützbogens würde am Schenkelhals 
Gelegenheit sein, er würde dort auch seinen Zweck erfüllen können. 
Es wäre Platz für ihn gegeben auf der Corticalis in der Con- 
cavität der Biegung. Er würde dort angesetzt sich präsentiren als 
eine leistenförmige Verdickung der Corticalis. Wir haben aber im 
Schenkelhals noch einen zweiten Platz, wo dieselbe Stützconstruction 
ausgeführt werden kann. Das ist der Adams*sche Bogen. Auch in 
die Concavität dieses Bogens Hesse sich ein solcher Stützbogen ein- 
fügen, wir würden dann eine Verbreiterung des Bogens von oben 
nach unten erhalten. 

Es müsste beides sich im Längsschnittbild des Schenkelhalses 
bei Coxa vara finden lassen. 

Nun, meine Herren, ob wir bei der Coxa vara solche patho¬ 
logisch-anatomische Bilder haben oder nicht, das kann ich durch 
Befunde nicht belegen. Es war nicht möglich gewesen, Präparate 
zur Untersuchung zu erhalten, auch die von Herrn Joachimsthal 
hier vorgelegten Präparate können als Belegstücke nicht ohne 
weiteres dienen, und in der Literatur habe ich Bilder, welche einen 
solchen Befund zeigen könnten, nicht gefunden. Aber ich bin 
überzeugt, dass sich diese Bilder finden lassen, und dann einen 
schlagenden Beweis für die Richtigkeit meiner Theorie liefern. Ich 
hoflfe, sie später noch beibringen zu können. 

Bei der genauen Uebereinstimraung, welche wir im übrigen 
zwischen dem Deforniitätenbild der Coxa vara und dem Bild ge¬ 
funden haben, welches sich mit Hilfe meiner Theorie für die statischen 
Belastungsdeformitäten des Schenkelhalses coiistruiren lässt, können 
auch jetzt schon Zweifel an der Identität beider Bilder nicht wohl 
vorhanden sein. — 

Wenn man die Coxa vara dementsprechend als statische Be- 
lastungsdeforinität auffasst, so ergeben sich daraus bestimmte 
Directionen für die Behandlung. 

Wir haben alsdann ebenso wie bei den statischen Belastungs¬ 
deformitäten überhaupt bei der Behandlung der Coxa vara zwei 
verschiedene Indicationen zu unterscheiden: die Indication des defor- 
mirenden Processes und die Indication der fertigen Deformität. Die 
Schwierigkeit dieser Unterscheidung liegt auch hier darin, dass der 
deformirende Process sehr häufig noch weiterspielt, wenn eine 
Deformität schon erzeugt ist. Die Nothwendigkeit der Unterscheidung 
liegt in der Verschiedenheit der Massnahmen, welche zu treffen sind, 


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Coxa vara — die statische Belastungsdeformität etc. 


105 


je nachdem ob die eine oder die andere Indication zur Erfüllung 
steht. Die Forderung der Indication, welche der deformirende 
Process stellt, ist der Ausgleich des Missverhältnisses zwischen 
statischer Inanspruchnahme und statischer Leistungsfähigkeit. Da¬ 
gegen fordert die fertige Deformität ihre Correctur. 

Die Massnahmen, welche zur Erreichung des einen Zieles zweck¬ 
dienlich sind, sind natürlich ganz andere als die, welche der Er¬ 
reichung des anderen Zieles gelten. 

Werfen wir zuerst einen Blick auf die ersteren, so müssen 
dieselben verschieden sein, je nachdem welche Ursache das Miss- 
verhältniss erzeugt hat. Handelt es sich um eine übermässige Be¬ 
lastung, so müssen wir diese beseitigen. Handelt es sich um eine 
Verminderung der Tragfähigkeit, so muss diese gehoben werden; 
dabei wird wieder unser Handeln verschieden sein entsprechend den 
verschiedenen Ursachen dieser Verminderung. 

In Fällen, wo wir nicht sofort oder in gemessener Zeit durch 
Beseitigung der Ursachen das Missverhältniss zwischen Belastung 
und Tragfähigkeit aufheben können, werden wir im Stützapparat 
ein palliatives Mittel an der Hand haben, mit dem wir sofort den 
Fortschritt des Deformirungsprocesses sistiren können. 

Ganz anders muss unser Vorgehen sein, wenn wir eine fertige 
Deformität corrigiren wollen. Hier werden fast nur operative Ein¬ 
griffe in Frage kommen. Aus meinen praktischen Erfahrungen 
empfehle ich im allgemeinen die Osteotomie oder Osteoklase im 
Femurschaft, nicht im Schenkelhals. Wenn auch dieser Platz der 
anatomisch richtigere ist, so liegen doch die Verhältnisse dort für 
den Eingriff so viel ungünstiger als im Femurschaft, dass der letz¬ 
tere Platz immer noch bessere Erfolge gibt. Gewöhnlich wird man 
die Osteotomia subtrochanterica ausführen, bei rhachitischen Kindern 
kann man oft durch eine Osteoklase tiefer im Oberschenkel ein 
völlig befriedigendes Resultat erreichen. 

In der Praxis ist es nun eine wichtige Aufgabe, das gegen¬ 
seitige Verhältniss der beiden verschiedenen Indicationen für den 
einzelnen Fall zu bestimmen. 

Am einfachsten liegt die Frage, wenn es sich nur um die 
Erfüllung einer Indication handelt. 

Solche Fälle haben wir z. B., wenn die Coxa vara im ersten 
Beginn steht und dem Patienten Beschwerden macht. Das trifft zu 
bei den Krankheitsbildern, welche ich als Coxa vara incipiens be- 


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106 A. Schanz. Coxa vara — die statische Belastungsdeformität etc. 


schrieben habe. Die Patienten haben Schmerzen in der Hüfte, 
Spasmen in der Hüftmusculatur und dergl., es ist aber noch keine 
nachweisbare oder nennenswerthe Deformirung des Schenkelhalses 
erfolgt. In diesen Fällen haben wir nur den deformirenden Process 
zu behandeln und beugen durch seine Beseitigung der Entstehung 
einer fertigen Deformität vor. 

Gerade das Gegentheil haben wir, wenn eine Deformität zur 
Ausbildung und der deformirende Process zum Stillstand gekommen 
ist, wenn also ein Fortschritt der Deformität nicht stattfindet. 

In solchen Fällen haben wir nur die Indication der Correctur der 
Deformität. Wir werden dabei abzuschätzen haben, wie schwer die Fuuc- 
tionsstörung ist, ob Aussicht auf Correctur vorhanden und ob der mög¬ 
liche Gewinn mit den Kosten des Verfahrens im Gleichgewicht steht. 

Beide Indicationen haben wir endlich am selben Fall, wenn 
ein Patient uns eine deutlich ausgeprägte, functionelle Störungen 
verursachende Deformität präsentirt und uns dabei zeigt, dass der 
deformirende Process noch spielt. 

In solchen Fällen werden wir theoretisch stets beide Indicationen 
erfüllen müssen. Oft genug können wir das auch, z. B. bei einer 
entsprechenden rhachitischen Coxa vara corrigiren wir die Deformität 
und bringen wir die Rhachitis zur Ausheilung. 

Oft genug werden wir uns aber auch mit der Austilgung des 
deformirenden Processes allein zufrieden geben können und müssen; 
— z. B. ein Fall von juveniler Coxa vara. Ein junger Mensch zeigt 
uns einen mässigen Grad der Deformität und hochgradige Schmerzen. 
Beseitigen wir die Schmerzen, was bei Ruhe und dergl., event. durch 
eine Schiene gelingt, so functionirt das Bein so gut, dass eine 
Operation ganz unnöthig ist. 

Machen wir es umgedreht, corrigiren wir die Deformität und 
lassen wir den deformirenden Process unberücksichtigt, so bekommen 
wir ein Recidiv. 

Diese üeberlegungen sagen uns, dass man, wo beide Indicationen 
Zusammentreffen, ganz besonderes Gewicht auf die Indication des 
deformirenden Processes legen muss. — Ich komme zum Schluss. 

Ich glaube, meine Herren, behaupten zu dürfen, dass sich das 
Deformitätenbild der Coxa vara unter dem Gesichtspunkt meiner 
Lehre von der Entstehung der statischen Belastungsdeformitäten 
am einfachsten und vollkommensten deutet und dass in dieser 
Deutung die Grundlagen einer rationellen Therapie zu finden sind. 


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VIII. 


Die Behandlung 

der intra- und jnxtaarticulären Fractnren mittelst 
Extension und orthopädischen Massnahmen während 
der eigentlichen Fractnrheilnng. 

Von 

Prof. Dr. Bardenheuer-Küln a. Rh. 

Mit 44 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Man könnte hier die Frage aufwerfen, ob ich berechtigt sei, 
auf diesem Congresse, welcher einen ausgesprochenen specialistischen 
Charakter hat und dem Specialgebiete der Orthopädie gewidmet ist, 
über die Behandlung der Fracturen der Gelenke zu sprechen. Ich 
glaube diese Frage mit „ja“ beantworten zu dürfen, da die ortho¬ 
pädische Behandlung: 

1. schon während der eigentlichen Fracturheilung, wie schon 
das Thema besagt, eingeleitet wird und weil dieselbe 

2. einen wesentlichen Theil der ganzen Fracturbehandlung bildet. 

Aus Furcht vor Störung der Fracturheilung, wozu die Ruhig¬ 
stellung der reponirten Gelenke nöthig ist, dehnten wir früher allzu¬ 
lange bei den Gelenkfracturen die Ruhigstellung aus, womit die Ent¬ 
wickelung der Ankylosis gefördert wird, besonders aber der Entstehung 
der nachherigen Distorsionssynovitis bei der Aufnahme der gymna¬ 
stischen Behandlung zur Hebung der Gelenk Versteifung, der Re- 
traction der elastischen Gewebe: Synovialis, Muskeln, Gelenkkapsel etc. 
Vorschub geleistet wird. 

Mit den Jahren bin ich immer mehr zu der üeberzeugung ge¬ 
kommen, dass wir zu viel Werth auf die Ruhigstellung legten, dass 
wir viel mehr Werth auf die Verhütung der Gelenkversteifung legen 
müssen; dass wir letzteres ungestraft thun dürfen, ohne die Fractur¬ 
heilung zu stören, wofern man correct extendirt. 


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108 


Bardenheuer. 


Auf dem vorigen deutschen Chirurgencongresse wurde die 
Frage sehr discutirt, ob es bei gewissen Fracturen geboten sei, die 
Fragmente blosszulegen und die Bruchenden mit einander zu ver¬ 
nähen. Im allgemeinen nahm der Congress einen sehr conservativen 
Standpunkt ein. Lane ging jedoch so weit, dass er bei allen Frac¬ 
turen mit Verstellung die Naht angelegt wissen wollte; auf dem 
Brüsseler Congresse sprachen die meisten Chirurgen, Tuffier, Loubet, 
Lambotte, Sorel, Remy, Harricarte, Rothschild-Frank¬ 
furt a. M. u. A. sich für die primäre Nahtanlegung aus. Ich stehe auf 
dem Standpunkte, dass dieselbe fast ausnahmslos zu umgehen ist. 
Wenn correct exteudirt wird, so benöthigt man die Naht nicht. In 
der augenblicklichen Bewegung für die Blosslegung der Fractur er¬ 
kenne ich den Beweis, dass die Extension gar nicht oder mindestens 
nicht richtig angewandt wird, sonst würde man die Naht nicht nöthig 
haben. Die deutschen Chirurgen sprachen sich besonders vielfach 
für die Naht aus bei den intra- und juxtaarticulären Fracturen, 
z. B. des Schultergelenkes (König jun., Kocher), des EUbogen¬ 
gelenkes (Kocher, Koerte), des unteren Radiusendes (Pfeil- 
Schneider), eventuell des Hüftgelenks (Trendelenburg, Schede), 
insofern eine Pseudarthrosis besteht. Das Gleiche gilt von den 
Fracturen des Kniegelenkes, des Unterschenkels, des Fusses etc. Auf 
dem internationalen Congresse in Brüssel ging die Begeisterung für 
die Naht sehr hoch, nur Giordano, Paul Berger, Frank, 
Barden heuer nahmen einen ausgesprochenen conservativen Stand¬ 
punkt ein. Rehn (Frankfurt), Tuffier hatten je 50 subcutane 
Fracturen blossgelegt, Lane 150. 

Auch heute noch lege ich den Hauptaccent auf die correcte 
Reposition der Fragmente und Verheilung der Fractur, indessen eben 
so sehr lege ich, zumal bei den Fracturen der Gelenke, Werth 
darauf, dass die orthopädische Behandlung frühzeitig aufgenommen 
wird. Zur Verhütung der Entwickelung der Ankylosis, zur Ver¬ 
hütung des Unterganges der elastischen Dehnbarkeit der Gewebe, des 
entzündlichen Eintrittes der starren Verkürzung der Gelenkkapsel, 
der Muskeln, der Schrumpfung der Synovialis, zur Verhütung der 
Gelenkflächen- und Sjnovialisverwachsung etc. 

Die orthopädische Behandlung muss so früh aufgenommen 
werden, als die Fractur gestattet, ohne dass die Heilung gestört wird: 
dies kann man jedoch sehr früh. 

Ich bin immer mehr zu der Ueberzeugung gelangt, dass eine 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 109 


leichte Deformität viel weniger schädlich ist, als eine zu lange Ruhig¬ 
stellung und deren Folge: die Gelenkversteifung, und deren eventuelle 
weitere Folge: die Distorsionssynovitis. In vielen Fällen von Frac¬ 
turen in der Nähe der Gelenke, wo ich sehr früh, mit relativer 
Hintansetzung der Ruhigstellung der Fragmente, die Bewegungen 
aufnahm, war die Function eine sehr gute, die Dislocation hingegen 
zuweilen etwas grösser. Ich lege also bei der Behandlung der Frac¬ 
turen der Gelenke neben der ordentlichen Correction der Fragment¬ 
stellung den Hauptaccent auf die frühzeitige, schon während der 
eigentlichen Knochenverheilung aufgenommene gymnastische Behand¬ 
lung, und zwar beim Handgelenke vom 4., beim Ellbogengelenke 
vom 8., beim Schultergelenke vom 1. resp. 8. Tage nach dem Ein¬ 
tritte der Verletzung, bei der Hüfte und dem Knie vom Beginne der 
2. resp. 3., beim Fussgelenke vom Beginn der 2. Woche ab. 

Damit die Hauptstreifen die Gelenkbewegungen nicht stören, 
fallen die circulären Heftpflasterstreifen im Gebiete des Hand-, Ell¬ 
bogen- und Kniegelenkes fort und wird eine Compresse daselbst unter 
den Längsstreifen gelegt. 

Aus Furcht vor dem Bestehenbleiben der Dislocation, vor 
Störung der Fracturheilung etc., dehnten wir früher die zur Heilung 
nöthige Ruhigstellung der Fragmente zu lange aus und förderten 
hierdurch die Entwickelung der Ankylosis, der Verkürzung der 
Kaspel etc. Bei der gleichzeitig ausgeführten Extensionsbehandlung 
kann man jedoch die gymnastische Behandlung äusserst frühzeitig 
während der eigentlichen Knochenheilung schon aufnehmen. 

Gerade so wie bei den Fracturen der unteren Extremitäten eine 
leichte Deformität nichts schadet (Koenig jun.), so schadet auch 
das Bestehenbleiben einer leichten Deviation der Fragmente nichts, 
wofern dieselbe nicht zu gross ist, wofern keine Callushyperproduction 
entsteht. Die Gelenkbewegungen werden des Tages 2mal, bei jeder 
Visite 1 Stunde lang anfänglich sehr sanft und in kleinen Excur- 
sionen ausgeführt, nachher werden die Winkel, in welchem Umfange 
die Bewegung statt hat, immer grösser. Der Eintritt eines Schmerzes 
gibt bei den Gelenkbewegungen die Grenze der Grösse des gestatteten 
Winkels für die Flexion und Streckung an. Die Feder- resp. Ge¬ 
wichtsextensionskraft wird bei der Vornahme der Bewegungen nach 
Bedürfniss ganz oder zum Theile ausser Thätigkeit gesetzt. 

Der orthopädisch-gymnastischen Behandlung gebührt neben der 
Wirkung der Extension, welche einestheils die Fragmente reponirt 


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110 


Bardenheuer. 


und reponirt erhält und anderntheils die Gelenkbewegungen früh¬ 
zeitig gestattet, der Hauptantheil an der Verhütung der Ankylosis, 
überhaupt an den guten functioneilen Resultaten bei den Gelenk- 
fracturen. 

Die Extension gestattet nämlich die frühzeitige Aufnahme der 
gymnastischen Behandlung ohne Schädigung der Fracturheilung. 
Durch die correcte Extension werden die Knochenwandflächen in 
ordentlichen Contact mit einander gesetzt, wird die bestehende Dis¬ 
location am besten behoben und somit entsprechend dem Grade der 
Aufhebung der Dislocation der Fragmente die mehr oder weniger 
rasche Heilung eventuell sogar eine primäre Heilung erzielt; es wird 
hierdurch die Fracturheilungsdauer sehr abgekürzt, womit wiederum 
gegenüber der Contentivbehandlung oder der Naht eine frühere Auf¬ 
nahme der gymnastischen Behandlung verbunden ist. Je besser die 
Fragmente reponirt sind, um so rascher tritt also Heilung ein. Die 
Callusproduction wird ferner dementsprechend bei guter Fragraent- 
reposition in äusserst massigen Grenzen gehalten. Je besser die 
Fragmente reponirt sind, um so weniger Callus setzt die Natur; 
Callushyperproduction ist ein Zeichen der incorrecten Fragment¬ 
reposition. Es kommt nämlich nicht, wie man früher annahm, darauf 
an, möglichst viel, sondern möglichst wenig Callus zu setzen. Das 
Gleiche gilt von Pseudarthrosis und der Deformität, welche ebenfalls 
als Folge der Malposition der Fragmente zu betrachten sind. Durch 
die Extension wird ferner die Gelenkkapsel gespannt und seitens der¬ 
selben wird ein Druck auf den vorhandenen intraarticulären Erguss 
ausgeübt, welcher die Resorption des Blutes, des entzündlichen Ex¬ 
sudates fördert; durch die Extension wird der intercartilagineale und 
interfragmentale Druck vermindert, wodurch eine Hauptursache für 
die Entwickelung der Gelenkentzündung aus dem Wege geräumt ist. 

Durch die correcte Reposition der Fragmente wird der von 
denselben auf die Synovialis, auf das Periost, auf die Gelenkkapsel, 
auf die umgebende Musculatur etc. ausgeübte Reiz durch Entfernung 
der ersteren aus dem Gebiete der letzteren ausgeschaltet. Bezüglich 
dieser Wirkung der Extension verweise ich auf meine demnächst er¬ 
scheinenden Arbeiten in den „Archives internationales de Chirurgie* 
hin. Die Extension gestattet aber, worauf der Hauptaccent zu legen 
ist, die frühzeitige Anwendung der gymnastischen Behandlung, den 
Wechsel des Gelenkflächencontactes, den Wechsel des Muskelretrac- 
tionszustandes, durch zeitweilige Dehnung der Muskeln etc. 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. Hl 


Diese Uebungen conserviren also die Elasticität der Muskeln, 
der Synovialis, der Kapsel, förderte die Ernährung, verhütete die 
Verfettung, verhütete das Entstehen des Oedems der Glieder durch 
Förderung des Blut- und Lymphstromes, erhalten das Sehnenspiel, 
verhüten die Verwachsung der Seimen mit den Sehnenscheiden und 
mit der Umgebung, die entzündliche Verwachsung der Gelenkflächen, 
der umgebenden Kapsel, Muskeln etc. mit einander, die entzündliche 
Verkürzung derselben etc. und verhindern ferner bei der Aufnahme der 
nach der eigentlichen Fracturheilung nöthigen gymnastischen Be¬ 
handlung die Zerreissung der Synovialis etc. und die Entwickelung 
der alsdann so oft folgenden traumatischen Synovitis. Durch den 
verminderten interfragmentalen und intercartilaginealen Druck wird 
die Ernährung der ganz aus dem Zusammenhänge mit dem Perioste, 
dem Knochen, der Kapsel etc. herausgelösten Gelenktheile gefördert 
und die Entstehung einer Necrosis oder Pseudarthrosis gehemmt. 

Bezüglich der Extension schicke ich noch voraus, dass man bei 
der correcten Reposition der Fragmente sich nicht nur der Längs¬ 
extension, sondern auch der Quer-, der abhebelnden, der’rotirenden 
Extension bedienen muss. Die Längsextension kann nicht die Re- 
traction der quer zum Knochen verlaufenden Muskeln überwinden, 
kann nicht etwa durch Druck seitens der gedehnten Längsmuskeln, 
seitens des gedehnten Periostes ein seitlich verschobenes Fragment 
reponiren; hierzu ist die Querextension eventuell die Abhebelung des 
Fragmentes nach der entgegengesetzten Seite nöthig, wohin es ver¬ 
schoben ist. Vide „Archives internationales“. Ich werde mich bei 
der Besprechung der Gelenkfracturen anlehnen an die Gelenkfrac- 
turen, welche ich im letzten Jahre beobachtet habe und an diesen 
Beispielen die Behandlung demonstriren. 

Ich habe im vorigen Jahre 205 juxta- und intraarticuläre Frac¬ 
turen behandelt. 

Nicht mit eingerechnet sind bei der Berechnung: die Fracturen 
der kleineren Apophysen, der Tubercula humeri, der Patella, da letztere 
meist mit der Naht behandelt wurden. Andererseits sind mit ein¬ 
geschlossen die Spiralfracturen der Tibia und Fibula, welche oft eine 
Fissur ins Fussgelenk schicken. 

Vor dem Beginne der Besprechung der einzelnen Gelenkfrac¬ 
turen sei noch erwähnt, dass die Behandlung sehr viel Aufmerksam¬ 
keit, sehr viel Geduld und Aufopferung, selbst auch technische 
Fertigkeit erheischt, ich möchte sagen, gerade so viel und noch mehr 


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112 


ßardenheuer. 


Aufmerksamkeit wie eine Operation beansprucht; dieselbe ist be¬ 
sonders noch durch die gleichzeitig nöthige gymnastische Behandlung 
bedingt. Je 30 Kranke verlangen daher auch die ganze Thätigkeit 
eines Assistenzarztes. Vor dem Beginne der Behandlung muss ferner 
ein Röntgogramm zwecks genauer Feststellung der Diagnosis auf- 
genomnien werden und in schwierigen Fällen gleich nach der 
Application des Verbandes ein zweites Röntgogramm, um die Wirkung 
der angelegten Extension festzustellen. Das Skiagraram ist der Con- 
trolleur der Behandlung; während der Behandlung muss daher auch 
nach 8 Tagen und von 8 —14 Tagen je nach der Art der Fractur 
und Schwierigkeit der Reposition die Stellung der Fragmente durch 
ein neu aufgenommenes Röntgogramm überwacht werden, um even¬ 
tuell die Extensionsart zu moditiciren. Die Röntgogramme müssen 
am Bette des Verletzten hängen, um den Chirurgen jeden Augen¬ 
blick in die Lage zu versetzen, sich die Fragmentposition ins Ge- 
dächtniss zurückzurufen und die geübte Extension mit derselben in 
üebereinstimmung zu bringen. Wenn eine grössere Dislocation be¬ 
steht und- die Reposition grössere Schwierigkeiten bietet, so ist es 
stets geboten, die Reposition in der Chloroforranarkose vorzunehmen: 
dasselbe gilt von einer nachträglich entdeckten mangelhaften Repo¬ 
sition der Dislocation. 

Ferner erwähne ich noch zur Erläuterung des Berichtes, dass 
genau zwei Drittel der aufgeforderten Patienten sich einer nach¬ 
träglichen Revision unterworfen haben. Unter Zuhilfenahme der 
Krankenjournale war ich nachträglich in der Lage, aus dem Schluss¬ 
resultate bei der Entlassung auch für das übrige Drittel ein sicheres 
ürtheil über das functionelle Resultat zu gewinnen, hierzu halte ich 
mich berechtigt, da bei den zwei Dritteln, welche sich vorgestellt 
haben, das Schlussresultat der Krankengeschichte mit dem Ergebnisse 
bei der Revision stets übereinstimmte. 

Intra- und jnxtaarticnläre Fracturen des oberen Humerus 

habe ich in diesem Jahre 19 behandelt. Ausserdem beobachtete ich 
zwei Frauen, welche früher eine Fractur dicht an den Tuberculis 
oder unterhalb derselben gehabt hatten, die ich aus anderen Gründen 
genauer erwähnen möchte. Frau Osswald wurde aufgenommen wegen 
eines Falles auf die linke Schulter, es bestand eine Deformität des 
oberen Endes des Humerus (vergl. Fig. 1). Die Untersuchung Hess 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 113 

eine Fractur nahe dem Humeruskopfe vermuthen. Das Röntgogramm, 
wie die Photographie zeigt, wies eine Fractur in der Gegend der 
Tubercula nach, die Bruchfläche des Kopfes war nach aussen ge¬ 
richtet, stand frei vor, das Diaphysenende stand dem inneren und 
unteren Umfange des knorpeligen Kopftheiles gegenüber; das Bild 
war so scharf, so schön, so klar, wie man es sonst bei frischen 
Fracturen des oberen Endes des 
Humerus nicht sieht, so dass ich 
die Diagnose stellte, es handelt 
sich um eine Contusion des 
Schultergelenkes und Blutung 
ins Gelenk bei einer alten Fractur. 

Die Anamnese ergab nun, 
dass Patientin vor 3 Monaten 
auf das Schultergelenk gefallen 
war, sie hatte damals heftige 
Schmerzen gehabt; jedoch hatte 
sie den Arm bald bei ihrer Be¬ 
schäftigung etwas bewegt, und 
obschon derselbe anfangs steif 
gewesen war, hatte sie ihn nach 
kurzer Zeit (einer Woche) relativ 
gut gebrauchen können. 

Wenngleich hier ein voll¬ 
ständiges Verlassen der Frag¬ 
mente unter einander mit Dis¬ 
location der proximalen Bruch¬ 
fläche nach aussen bestanden 
hat, ward bei einer ähnlichen 
Behandlung, wie bei der jetzt 
von mir geübten, der directen Gymnastik und Extension, welche 
hier durch die Schwere des Armes ausgeführt wurde, ein relativ 
gutes Resultat erzielt, ohne dass Patientin die tägliche Arbeit in der 
Küche unterbrochen hat; einen 2. ganz ähnlichen Fall habe ich bei 
einer 88jährigen Frau beobachtet, welche durch Fall sich eine Fractur 
des linken oberen Humerusendes zuzog; sie hatte eine ähnliche 
Fractur rechterseits. Die Behandlung war hier also ähnlich der Be¬ 
handlung bei der Fract. colli femoris mittelst Aufstehen und Be¬ 
wegung auf Krücken, also mittelst Extension durch die eigene Schwere. 

Zeitschrift fOr orthopädische Chirurgie. XII Bd. g 


Fig. 1. 



Ilöntgogriimm I (Oswald). 


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114 


Bardenheuer. 


Diese Fälle sprechen für die frühzeitige Vornahme der Gelenk¬ 
bewegungen und für die Extension. 

Bei den Schultergelenkfracturen wird daher vom ersten Tage 
ab, insofern die Fragmente noch mit einander in Contact stehen und 


Fig. 2. 





die Dislocation eine nicht zu grosse ist, die Extension deckenwärts 
(im Liegen), also nach vom und oben ausgeführt (vergl. Fig. 2). 
Wenn eine Einkeilung ohne grosse Dislocation vorliegt, so lasse ich 
dieselbe bestehen; bei grösserer Dislocation oder wenn der Kopf 
resp. die Tubercula durch Einkeilung stark auseinander getrieben 


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Die Behandlung der intra* und juxtaarticulären Fracturen etc. 115 


sind, löse ich die Einkeilung in der Chloroformnarkose durch Ab- 
knicken des Armes an der Fracturstelle. Es wird alsdann mit der 
Längsextension des adducirten Armes nach unten, die Querextension 
des oberen Endes des distalen Fragmentes des adducirten Armes 


Fig. 3. 



nach der entgegengesetzten Seite, wohin es verschoben ist, ausge¬ 
führt, meist nach aussen, da es fast stets nach innen verschoben 
ist. Die Brust der Patienten selbst wird nach innen fixirt (vergl. 
Fig. 3). 

Bei der ersten Extensionsart, der Längsextension deckenwärts, 
führt Patient vom ersten Tage ab entweder durch nicht absichtliche 
Bewegungen des Körpers oder auch durch absichtliche Schwenkungen 
des elevirten, extendirten Armes auch leichte unregelmässige Be¬ 
wegungen im Gelenke aus; nach einigen Tagen wird während der 
Visite das Gewicht etwa um die Hälfte gemindert, und Patient macht 
leichte Flexionen in dem Ellbogen und Abductionen des Oberarmes 
durch einen ausgeführten Zug an der das Gewicht tragenden Kordel. 


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116 


Bardenheuer. 


Frau Runten, 88 Jahre alt, hat schon vom ersten Tage ab die 
Bewegungen des Armes ausgeführt; eine andere 71jährige Frau 
führte gleichfalls vom ersten Tage ab Bewegungen aus; es bestand 
hier eine stärkere Verschiebung des distalen Fragmentes nach innen. 
Die Fragmente hatten sich verlassen (vergL Fig. 4). Die Extensioii 

wurde in beiden Fällen nach 
15 Tagen aufgegeben. Es 
machten beide Frauen Stab¬ 
übungen, wobei die 71jährige 
Frau den Arm mittelst des 
Stabes 3 Wochen nach der 
Verletzung senkrecht erheben 
konnte, ohne Stab weit über 
einen rechten, wenngleich die 
Fragmente sich zum Theil 
verlassen hatten. 

Wenn eine grosse Dia- 
stasis besteht mit starker 
Abduction des Kopffragmentes 
und Adduction des distalen 
Fragmentes, so wird die Ex¬ 
tension für 8 Tage ausgeführt, 
wie in Fig. 6 ausgedrückt ist. 
Die proximale Bruchfläche 
sieht nach aussen (Disloca¬ 
tion, wie König jun. sie be¬ 
schreibt), die distale steht 
dem Processus corocoideus 
gegenüber; durch den Längs¬ 
zug des Armes quer nach aussen wird das untere Fragment in die 
verlängerte Achse des oberen und durch den Querzug vom oberen 
Ende des distalen Fragmentes nach oben, das distale Fragment noch 
stärker nach dieser Achse hin quer kopfwärts extendirt und fixirt, 
durch leichte Senkung des Längszuges von der Hand aus nach unten 
wird das obere Ende des distalen Fragmentes noch stärker nach 
oben über die Schleife abgehebelt, die Schulter und der Thorax 
wird durch einen Querzug, welcher die Schulterhöhe und den äusseren 
nach innen fixirten Rand der Scapula umfasst, festgestellt. Nach 
8 Tagen wird die Extension deckenwärts geleitet wie in Fig. 2. 


Fig. 4. 



Köntgopramm II (v. der Weiden). 
Vor der Behandlung. 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 117 

Wenn nämlich eine leichte Con^olidation besteht, so kann man 
schon nach 8 bis höchstens 14 Tagen deckenwärts extendiren und 
leichte Bewegungen ausführen. Wenn die Dislocation grösser ist 
und das proximale Fragment nicht nach aussen, sondern nur mit der 
Bruchfläche nach unten sieht, während das distale Fragment ganz 
nach innen gewichen ist und 
das obere Fragment verlassen 
hat, so kann man für 8 Tage 
das obere Ende des distalen 
Fragmentes des an den Thorax 
adducirten Oberarmes quer 
nach aussen extendiren, wäh¬ 
rend die Längsextension des¬ 
selben fusswärts wirkt (siehe 
Fig. 3). 

Man kann aber auch, 
was noch besser ist, für 
8 Tage vom distalen Frag¬ 
mente des rechtwinklig ele- 
virten, deckenwärts exten- 
dirten Oberarmes aus, zumal 
wenn das obere Fragment 
mit der Bruchfläche nach vorn 
sieht, quer nach aussen exten¬ 
diren und gleichzeitig vom 
rechtwinklig gebeugten Vor¬ 
derarme aus quer das untere 
Ende des Oberarmes resp. das Ellbogengelenk nach innen extendiren, 
wodurch das obere Ende des distalen Fragmentes noch stärker nach 
aussen abgehebelt wird (s. Fig. 7). Man erreicht hierdurch das Gleiche, 
die Nachaussenführung des distalen Fragmentes und die Elevation 
des Oberarmes sowie die Möglichkeit der schon früh ausgeführten 
Bewegungen im Schultergelenke. Zur Verstärkung der Abduction 
wird bald meist nach 8 Tagen die Extension ausgeführt, wie in 
Fig. 8 angezeigt ist. 

Die Heilung wird stets innerhalb 23 Tagen erreicht. In den 
letzten 6 Fällen waren nur 12—14 Tage erforderlich. Nach der 
vollendeten Fracturheilung tritt die alleinige orthopädische Behand¬ 
lung in ihre Rechte ein. Im Tage wird Patient höchstens noch eine 


Fig. 5. 



Röntgogramm II (v. der Weiden). 
Nach der Behandlung. 


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118 


Bardenheuer. 


Stunde täglich in Extension deckenwärts gelegt, dabei soll Patient 
sich stets mehr nach unten schieben, wodurch eine starke Abduction 
des Oberarmes entsteht. Noch besser ist's, den Galgen, an dem das 
nach oben extendirende Gewicht hängt, nachher immer weiter kopf- 


Fig. 6. 



wärts zu senken, so dass die Extension in der Richtung der verlängerten 
Achse des Körpers ausgeführt wird (s. Fig. 8). Patient führt in der 
Nachbehandlungsperiode täglich 2mal unter Controlle des Arztes eine 
Stunde seine bekannten Pumpbewegungen aus, während er in der 
übrigen Tageszeit seinen Arm in der Schlinge trägt und ausserdem 
täglich 2mal bis zu einer Stunde Stabübungen macht; er ergreift mit 
beiden Händen den zwecks besserer Greiffläche geriflften, gerillten 
Stab und erhebt besonders mittelst des gesunden Armes den ver¬ 
letzten Arm nach vorn und oben und führt alsdann Bewegungen des 
elevirten Armes nach innen, zur Medianebene hin aus, so dass eine 
stärkere Abduction des Armes entsteht, ebenso werden Retro- und 
Anteversionsbewegungen, Ab- und Adductionsbewegungen in einem 
kleineren Elevationswinkel ausgeführt. 

Die Nachbehandlungsperiode wird hierdurch bedeutend abge¬ 
kürzt. Im Fall Dreesen wurde für 8 Tage die Extension wie in 
Fig. 2 ausgeführt, das distale Fragment war stark nach innen 
gewichen. Die Blutung im Gelenke war eine sehr grosse. Nach 
8 Tagen wurde daher erst die Extension deckenwärts ausgeftlhrt. 
Nach im ganzen 3 Wochen Abnahme der Extension, Vorstellung 
nach 5 Wochen, Elevation des Armes bis zur Senkrechten (wie 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 119 


Photographie Dreesen). Die orthop'ädische Behandlung beschränkte 
sich auf Swöchige, zu Hause selbst vorgenommene Stabübungen. Die 
Functionsfahigkeit war im ganzen 6 Wochen nach der Verletzung 
eine vollkommene. Es ist geboten, um das hier einzuschieben, dass 

Fig. 7. 



mit einer Fracturenstation eine orthopädische Station verbunden ist, 
so dass der Verletzte möglichst frühzeitig direct nach der vollendeten 
Fracturheilung der orthopädischen Behandlung überwiesen werden 
kann, wie wir dieses jetzt in Köln haben. 

Es kamen 18 juxtaarticuläre Fracturen zur Behandlung, eine 
reine intraarticuläre. 


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120 


Bardenheuer. 


Die durchschnittliche Extensionsbehandlung betrug 23 Ti^e, 
in 12 Fällen war das Resultat sehr gut, die Elevation bis zur Senk¬ 
rechten möglich. 

In 6 noch relativ frischen Fällen war das Resultat so gut, dass 
mit Sicherheit die vollkommene Heilung erzielt wird, und in einem 


Fig. 8. 



Falle, bei einer 88jährigen Frau, wo auf der anderen Seite auch eine 
Altersarthritis besteht, habe ich von der Fortsetzung der Behandlung 
Abstand genommen und ist das Resultat ein gutes zu nennen. 
Patientin kann den Arm bis zum rechten Winkel erheben. Von den 
5 letzteren Fällen reiche ich die Photographien herum, drei Patienten 
waren nach 5 resp. 6 Wochen in der Lage, mit einem gerillten Stabe 
den Arm bis zur Senkrechten zu erheben, einer vermochte dies ohne 
Stab, vergl. Schüller, Photographie; zwei Knaben konnten dies mit Stab 
nach 14, einer nach 8 Tagen (Photographie Nolden und Zimmermann). 
Bei den übrigen noch frischen Fällen fehlten anfänglich noch 20—30^' 
an der activ ausgeführten senkrechten Elevation. Ein Verletzter litt an 
einer Fractura intertubercularis mit Luxation des Oberarmkopfes in der 
Fossa subscapularis. Ich habe den Kopf in situ belassen und vom 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 121 


3. Tage ab deckenwärts extendirt, weil eine colossale Blutung im 
Gelenke und in der Achselhöhle bestand, so dass ich annahm, es 
handle sich um die Zerreissung eines grossen Gefässes. Der Durch¬ 
messer der Schulter von vorn nach hinten war fast ums Doppelte 
vergrössert (18:10 cm). Nach 6 Wochen konnte er mit dem Stabe 

Fig. 9. Fig. 10. 




Photographie Dreesen. 


Photographie SchUller. 


den Arm weit über die Horizontale erheben, es fehlen noch etwa 
30^^ an zwei Rechten. 

Bei allen Patienten mit Ausnahme der 88jährigen Frau ist die 
Elevations- und Abductionsbewegung eine sehr gute resp. bei den 
letzten so gross, dass sie mit Ausnahme der Luxatio capitis vielleicht 
eine vollkommene wird. 

Ein Knabe (Zimmermann, Röntgogramm III), den ich nach Ab- 
.schluss des Jahres noch behandelte, war in der Lage, 8 Tage nach 
dem Fractureintritte mit beiden Händen den Stab bis zur Senkrechten 
zu erheben, wenngleich eine grosse Dislocation vorher bestand; er 


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122 


Bardenheuer. 


hat die Bewegungen vom ersten Tage ab während der Extensions¬ 
behandlung aufgenommen. 

Nach 4 Wochen konnte der Knabe den quer gefassten Stab frei 
senkrecht erheben, trotz einer relativ grossen Deviation der Frag¬ 
mente. Es gibt dieses Röntgogramm den Beweis, dass eine massige 


Fig. 11. 


Fig. 12. 




Photographie Zimniermanu. 


Photographie Nolden. 


Deformität ebenso wenig wie an den Diaphysenfracturen zu fürchten 
ist, wofern dieselbe nicht gross ist und kein starker Gallus besteht; 
die Hauptsache ist bei den Gelenkfracturen, die Entstehung der Anky- 
losis zu verhindern und eine gute Function zu erhalten. 

In den letzten 5 Fällen betrug die eigentliche Fracturbehand- 
lung nur 14, in einem Falle 8 Tage. 

Ellbogenfractur. 

Nehmen wir an, es besteht die beliebte Fractur des unteren 
Humerusendes, wobei das proximale Fragment nach vorn, das ganze 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 123 

distale nach hinten gewichen ist und eine derartige Drehung um die 
Querachse ausgeführt hat, dass die proximale Fragmentspitze nach 
unten sieht, die Apophyse ist mit dem Vorderarmknochen hinter dem 
proximalen Fragmente derart nach oben verschoben, dass das Ge- 


Fig. 13. 



Röntgogramm III (Zimmermann). Vor der Behandlung. 


lenkende sogar ganz nach oben oder nur mindestens nach hinten 
und oben sieht. 

Es ist die Fractur, welche Koerte auf dem vorigen Chirurgen*^ 
congresse erwähnte, wobei er in 6 Fällen nach Ablauf von 5 bis 
6 Wochen die Naht anlegte. 

Ich reiche das Röntgogramm eines Falles herum (Cräuters, 
Rönigogramm IV), in welchem schon von einem anderen Chirurgen 
mit Recht von seinem Standpunkte aus nach einer Swöchentlichen 
vergeblichen Behandlung gemäss Bericht seitens des Vaters des 
Patienten die Blosslegung und Naht vorgeschlagen ward. Hierbei 
war die Epiphyse gleichzeitig mehr als um die Hälfte ihrer Breite 


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124 


Bardenheuer. 


nach innen verschoben, so dass die untere Bruchfläche des radialen 
Diaphysentheiles aussen und die obere Fläche der Apophyse innen um 
zwei Drittel des Umfanges frei nach oben vorragte. 

Nach der Behandlung von 3 Wochen mittelst Extension war 
der Knabe geheilt, die Dislocation sehr gebessert, es steht das 


Fig. 14. 



Röiitgogramm III (Zimmermanu). Nach der Behandlung. 


Diaphysenende aussen, die Apophyse innen noch etwas vor, die 
Function war eine absolut normale. Eine orthopädische Nachbe¬ 
handlung fiel ganz fort. Patient ward ausserhalb des Hospitals be¬ 
handelt. Die Behandlung ward erst 3 Wochen nach der Verletzung 
aufgenommen, trotzdem war das Resultat ein sehr gutes. 

Die Behandlung wird im allgemeinen am besten zur Verhütung 
des Cubitus valgus oder varus im Bette mittelst Gewichten ausge¬ 
führt, weil man so die Stellung des Vorderarmes zum Oberarme am 
besten überschaut und die Entwickelung des Cubitus valgus oder 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 125 

varus gleich im Beginne entdeckt. Vor dem Beginne der Behand¬ 
lung und direct nach der Aufnahme wird hier wie bei jeder Fractur 
das Röntgogramm aufgenommen, event. nach kurzer Zeit ein zweites 
aufgenommen, um hiernach die Art und Weise der Extension zu 
bestimmen resp. die Wirkung derselben gleich zu controlliren. 


Fig. 15. 



Röntgogramm IV (C’räuters). Vor der Behandlung. 


Bei der oben erwähnten bestehenden Dislocation mit der 
Rotation der Epiphyse nach hinten und oben wird die Extension in 
der Weise ausgeführt, wie sie in Fig. 19 dargestellt ist. Hierbei ist 
zur Erzielung einer guten Correction oft geboten, die Fragmente in 
der Chloroformnarkose zu lockern und zu reponiren, wie es denn 
überhaupt bei jeder schwer zu reponirenden Fractur oder auch 
während der eigentlichen Behandlungszeit der Fractur, insofern trotz 
Behandlung eine Dislocation bestehen geblieben ist, am Platze ist, 
zur leichteren Erzielung der Aufhebung der Fragmentverschiebung 
die Narkose zur Hilfe zu nehmen. 

Die Extension wird in dergleichen Weise ausgeführt, wie man auch 
manuell am besten die Fragmentverschiebung behebt; Druck mittelst 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 127 

und umgekehrt mit dem proximalen Fragmente einen nach hinten 
offenen Winkel. Durch die starke Längsextension werden die Winkel 
in dem Augenblicke, wo die Bruchfläche der Apophjse vom eine 
Stütze gewinnt, entfaltet. Dieses wird noch befördert mittelst eines 
vom Olecranon nach vorn ausgeführten Querzuges. Derselbe umfasst 


Fig. 17. 



Röntgogramm IV (Cräuters). Nach der Behandlung. 


das Olecranon von hinten und oben und leitet es nach unten und vorn. 
Bei einer gleichzeitigen Verschiebung der Diaphjse nach innen, der 
Epiphyse nach aussen wird oberhalb des Schlittens ein Querzug des 
unteren Endes des Oberarmes nach aussen ausgeführt und eventuell 
ein Querzug des unteren Endes des Vorderarmes nach aussen, woraus 
eine Abhebelung des distalen Fragmentes über die Ansa, welche am 
Olecranon applicirt ist, nach innen resultirt. Die Wirkung wird noch 
mehr verstärkt, wenn man den Querzug vom Olecranon nach vorn, 
gleichzeitig etwas nach innen leitet, oder wenn man durch einen 
Schlitz des inneren Schenkels dieses Querzuges einen zweiten Quer¬ 
zug leitet, welcher das Olecranon von aussen umfasst und dasselbe 
nach innen führt. 


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128 


Bardenheuer. 


Nach 8 Tagen wird ein Skiagramm aufgenommen und bei 
guter Stellung, bei mangelnder resp. geringer Schmerzhaftigkeit 
werden alsdann leichte, sanfte Flexionen täglich 1—2mal ausgeführt; 
bei noch bestehenden Schmerzen wird die gymnastische Behandlung 
noch 8 Tage ausgesetzt. Man kann meist bei Kindern nach 8 Tagen, 
bei Erwachsenen nach 2 Wochen hiermit beginnen. 


Fig. 18. 



Röntgogramm IV ((’riluters). Nach der Behandlung. 


Die eigentliche Fracturbehandlung nahm bei Kindern höchstens 
3 Wochen, oft nur 2 Wochen in Anspruch, bei Erwachsenen 4, oft 
5 Wochen. Die orthopädische Behandlung fällt bei Kindern oft aus 
und nimmt höchstens 14 Tage in Anspruch; bei Grossen beansprucht 
dieselbe 1 Monat, selten mehr. 

Wenn es sich bei der Aufnahme eines 2. oder 3. Skiagrammes 
zeigen sollte, dass noch eine Deviation der Fragmente besteht, so ist 
es geboten, den Gallus einzubrechen. Nach einer Infraction desselben 
lässt die Reposition der Fragmente sich oft weit leichter erreichen 
und festhalten, als primär unmittelbar nach der Verletzung. 

Bei den intraarticulären Ellbogengelenkfracturen gilt auch noch 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 129 

besonders dasjenige, was ich für jede Gelenkfractur hervorgehoben 
habe, dass der interfragmentale und intercartilagineale Druck durch 


Fig. 19. 



die Extension vermindert wird, dass die Fragmente durch den Druck 
seitens der gespannten vorderen Kapsel, der gedehnten Muskeln resp. 
durch Gegendruck seitens der nach vorn querendenden Ansa reponirt 
werden, dass das Blut im Gelenke durch den von der gespannten 

Zeitschrift f&r orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 9 


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130 


Bardenheuer. 


Kapsel ausgeführten Druck zur Resorption geführt wird, so dass die 
Entwickelung der primär-traumatischen Entzündung des Gelenkes 


Fig. 20 a. 



gehemmt wird. Ebenso vortheilhaft wirkt die Extension gegen die 
Entwickelung einer secundären (Distorsions-)Gelenkentzündung, welche 


Fig. 20 b. 



sonst leicht den während der eigentlichen Fracturbehandlung einge¬ 
schobenen Gelenkbewegungen folgt, da doch jedesmal durch die Ge¬ 
lenkbewegung ein leichter Reiz auf die Synovialis ausgeführt wird, 
welcher jedoch durch die folgende Extension gleich wueder ge¬ 
mildert wird. 


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Die Behandlung der intra* und juxtaarticulären Fracturen etc. 131 


Früher waren mir die Gelenkfracturen des Ellbogens die un¬ 
angenehmsten Fracturen wegen der stets entstehenden Ankylosis; 
heute denke ich bei denselben nicht mehr an diese Möglichkeit. Die 
Resultate sind stets sehr gute. — Bei den 

Epiphysenfracturen 

des Ellbogengelenkes habe ich gleichfalls nie die Naht anzulegen 
nöthig gehabt. Frau Wenzel, wo eine knöcherne Verheilung der 

Fig. 20 c. 



Olecranonfractur in 4 Wochen eintrat (vergl. Fig. 20 a, b und c und 
Röntgogramm V). Durch den Extensionszug a wird der Triceps ge¬ 
dehnt und das Olecranon nach unten geführt, durch den Zug b wird 
dasselbe nach vorn geleitet. Von der 2. Woche ab Vornahme von 
Flexionen und Streckungen des Vorderarmes. 

Ich habe unter den 23 Gelenkfracturen 7 Olecranonfracturen; 
alle sind knöchern verheilt. 

Um dem Einwurfe zu begegnen, dass es sich in den Fällen 
bei Kindern auf den Skiagrammen vielleicht um eine breite Epi¬ 
physenlinie gehandelt habe, bemerke ich, dass ich jedesmal die ab- 


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132 


ßardenheuer. 


norme Beweglichkeit der Epiphyse und die Diastasis nachgewiesen 
habe, und dass nachträglich der Gallus stets als Beweis für die vor- 
aufgegangene Fractur vorhanden war. 

Die Olecranonfracturen sind bei Kindern relativ häufig und ent¬ 
stehen durch Fall aufs Olecranon. 


Fig. 21. 



llöntgograram V (Weuzel). Vor der Behandlung. 


Es kamen 23 Ellbogengelenkfracturen in Behandlung: 


Fract. 


supracondyl. . . . 

des Olecranon 
„ Condylus int. 

« „ ext. . 

„ Capit. radii . . 

der Epiphyse des hum 


5 

7 

0 

2 

1 

9 


Behandlungsdauer mittelst Extension . . . 19,7 Tage 

Hospitalbehandlung.35,6 , 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 133 

16 hatten ein sehr gutes functionelles Resultat, 7 gut, alle noch 
jüngeren Datums und theilweise noch in Behandlung. Die Flexion 
und Streckung des Gelenkes ist nahezu vollkommen, wird sicher 
innerhalb kurzer Zeit eine vollkommene sein, bei keinem besteht 
eine äusserlich sich zeigende Deviation des Vorderarmes oder eine 


Fig. 22. 



Röntgogramm V (Weuzel). Nach der Behandlung. 


nennenswerthe Deformität resp. eine durch Röntgogramm nach¬ 
weisbare, stärkere Fragmentverstellung, bei keinem der letzteren 7 
wird eine mechanische Behinderung der Gelenkbewegung durch die 
bestehende leichte Deformität herbeigeführt. Flexion und Streckung 
ist .so weit über einen rechten resp. nahe zwei Rechten mög¬ 
lich, so dass kein Defect in der Gelenkbewegung übrig bleibt. Bei 
keinem ist eine seitliche Bewegung des Gelenkes möglich. Es 
sei hier noch erwähnt, dass bei zweien noch ein Vorspringen 
des proximalen Fragmentes nach vorn und eine leichte seitliche 
Verschiebung der Epiphyse besteht, ohne dass eine Störung der 


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134 


Bardenheuer. 


Function besteht, eine massige Dislocation ist daher auch hier 
nicht zu fürchten. 

Fractur des unteren Radiusendes. 

Hier empfiehlt Pfeil-Schneider die Naht. 

Nehmen wir an, dass die gewöhnliche Dislocation des distalen 
Fragmentes nach dem Dorsum hin besteht, dass das proximale volar- 
wärts verschoben und dass gleichzeitig die dorsale Corticalis des 
proximalen Fragmentes in die Spongiosa der Epiphyse eingekeilt 
ist, dass ferner ein senkrechter Schlitz durch die Epiphyse ins Ge¬ 
lenk eindringt; dass die Apophyse eine Rotation um die antero- 
posteriore Achse nach aussen ausgeführt hat, so dass die Fragment¬ 
spitze ulnarwärts gewichen ist. 

Es muss auch hier erst das Skiagramm die Art der bestehenden 
Dislocationsform nachweisen. Die Extension wird dem Röntgogramra 
angepasst und in der Weise angelegt, wie sie in Fig. 23 gezeigt wird. 
Bei bestehender fester Einkeilung und Unmöglichkeit dieselbe durch 
das bekannte Repositionsmanöver (durch starke dorsale Flexion und 
folgende über den auf die Spitze des Winkels aufgesetzten Finger 
ausgeführte volare Flexion und ulnare Adduction der Hand) zu be¬ 
heben, wird der Verletzte narkotisiert, um die Fragmentstellung in 
der Narkose leichter und sicherer zu corrigiren. 

Durch die Brücke, worauf die Spitze des Fragmentwinkels des 
pronirten Vorderarmes genau liegen muss, wird derselben ein ünter- 
stützungspunkt gegeben; durch den federnden Längszug wird die 
Hand fingerwärts und gleichzeitig volarwärts gezogen, also volar- 
wärts flectirt und ulnarwärts adducirt, wodurch die Apophyse nach 
unten und vorn geleitet wird. Durch den oberen Gurt wird das 
obere Ende volarwärts fixirt. 

Durch den queren Extensionszug wird das proximale Fragment 
quer nach aussen extendirt und über die Schleife desselben wird das 
obere Ende der Epiphyse, da der Längszug gleichzeitig ulnar- und 
volarwärts gerichtet ist, nach aussen und vorn abgehebelt. 

Auf diese Weise erreichte ich bei 28 Fracturen durchschnittlich 
in 13 Tagen Heilung der Fractur ohne wesentliche Dislocation. Die 
Hand ist gleich relativ beweglich, die orthopädische Nachbehand¬ 
lungsperiode fällt zuweilen ganz aus, ist jedenfalls sehr kurz, beträgt 
nur bei schlaflPen Charakteren 14 Tage bis 4 Wochen. 


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Die BehandluDg der intra* und juxtaarticulären Fracturen etc. 135 

Vom 4. Tage ab werden täglich bei jeder Visite leichte Be¬ 
wegungen ausgeführt, vom 8. Tage ab schon stärkere und länger, 
am 10., 12. oder 14. Tage wird der Extensionsverband entfernt. 

8 Tage nach der 
Verletzung wird meist ein 
Skiagramm aufgenommen, 
um eventuell nochmals bei 
schlechter Stellung in der 
Narkosis die Reposition 
vorzunehmen. Letzteres ist 
indessen selten nöthig. 

In den letzten 5 Fäl¬ 
len betrug die Heilungs¬ 
dauer der Fractur 7 bis 
8 Tage. 

Bei veralteten Frac¬ 
turen mit starker Dislo¬ 
cation bewährt sich diese 
Behandlunggleichfalls.Das 
Skiagramm (Via und b) 
zeigt die Fragmentstellung 
bei einer 20 Tage alten 
Fractur des Radius; in 
solchen Fällen wende ich 
auch heute mit Vorliebe 
dasWinkelbrettan(Fig.24). 

Die Verstellung war eine 
äusserst grosse, das Skia¬ 
gramm VI c und d zeigt ^ 
die Fragmentstellung nach 
14tägiger Behandlung. Die 
Function ist eine gute. Die 
Volarflexion war vor der Extensionsbehandlung gar nicht möglich, 
das Handgelenk war absolut versteift, es war nur eine leichte Dorsal¬ 
flexion möglich. Bei der intendirten Volarflexion stiess der Carpus 
an den vorderen Rand der Gelenkfläche der stark dorsalwärts luxirten 
Epiphyse an. Beim äusseren Aspecte täuschte das Gelenk eine Luxa¬ 
tion vor, so weit war der Carpus dorsalwärts und nach oben ver¬ 
schoben. Das functionelle Resultat war auch in diesem Falle ein 


Fig. 23. 



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136 


Bardenheuer. 


relativ sehr gutes, die Dorsalflexion normal, nach 3wöchentlicher 
Behandlung Volarflexion schon zur Hälfte möglich, Ab- und Ad- 
duction gut. 

Das functioneile Resultat sowie die Fragmentstellung sind nach 
der Behandlung stets sehr gut. 

Wir haben in diesem Jahre 28 Fracturen des Radius in der 
Nähe des Handgelenkes behandelt. 

Fig. 24. 



8 isolirte Radiusfracturen, 

14 Radius- und Fracturen des unteren Endes der Ulna resp. 

des Processus styloideus, 

6 Epiphysenlösungen. 


Das functionelle Resultat war 

sehr gut.17raal, 

gut.6mal, 

gut bei der Entlassung.3mal, 

hat sich aus der Behandlung vorzeitig entzogen Imal. 


Auch in den 0 resp. 9 letzten Fällen war bei der Entlassung der 
Zustand ein so guter, dass mit Sicherheit ein vollkommenes Resultat 
erzielt wird. Die Fracturen sind noch jüngeren Datums. Die radiale 
Abductionsstellung war behoben, mit Ausnahme des Falles, der aus¬ 
wärts mit Gips behandelt worden war und erst nach 20 Tagen in 
Behandlung kam. Aber auch hier war die Verschiebung der Epi- 


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Die Behandlung der intra- und juxUarticulären Fracturen etc. 137 

physe dorsalwärts beim äusseren Aspecte kaum nachweisbar, in 
2 Fällen war sie durch das Röntgogramm als bedeutend verbessert, 
indessen noch zum Theile bestehend nachzuweisen. 

Volar- und Dorsalflexion und Inflexion war auch in den letzten 


Fig. 25. 



Röntf^ograTTim Via (Burgavtz). Vor der Behandlung. 


9 Fällen, die sich nicht vorgestellt hatten, resp. noch frisch sind, 
so gut, dass die vollständige Bewegungsfreiheit binnen kurzem mit 
Sicherheit zu erwarten steht. 


Schenk elhalsfracturen. 

Bei den Schenkelhalsfracturen entsteht leicht eine Pseudarthrosis, 
besonders wenn die Fractur intraarticulär liegt (Fract. subcapit.), 
oder eine starke Verkürzung, ein starker Gallus, wenn die Fractur 
extracapsulär gelagert ist resp. auch in seltenen Fällen eine Pseud¬ 
arthrosis, wofern keine Einkeilung besteht. Bei der bestehenden 
Pseudarthrosis wird mit Recht vielfach die Naht angelegt (Schede, 
Trendelenburg). 


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138 


Bardenheuer. 


Wenn man die Extension ausführt, wie ich sie angebe und in 
Fig. 29 demonstrire, so ist letzteres nicht zu befürchten; es muss die 
Extension nur richtig ausgeführt, nicht etwa nur in der Längsrich¬ 
tung des Oberschenkels allein, mit 40—50 Pfund, sondern auch 
gleichzeitig in der Richtung des Schenkelhalses mit einem Gewichte 
von 15—20 Pfund und mit einer zweiten Querextension des Beckens 

Fig. 2G. 







Röntgogninim VI b (Burgartz). Vor der Behandlung. 


nach der gesunden Seite hin. Hoffa hält die Querextension in der 
Richtung des Schenkelhalses für überflüssig. Ich muss derselben 
auch heute noch entschieden das Wort reden. 

Bei der Querextension des adducirten Oberschenkels nach aussen 
werden die noch erhaltenen Kapseltheile, insofern sie noch mit dem 
peripheren Fragmente in Verbindung stehen resp. die Periostbrücken, 
die das Gelenk umgebenden Muskeln, die Rotatores extern! et intemi 
gespannt, gedehnt. Dieselben üben alsdann einen redressirenden Zug 
an dem centralen Fragmente oder einen Druck auf die verschobenen 
Fragmente aus. Es wird ferner das distale Halsfragment in die nach 
aussen verlängerte Achse des proximalen Halsfragmentes gebracht. 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 139 


Worauf ich aber den Hauptwerth lege: es wird der interfragmentale 
und intercartilagineale Druck gemindert, wodurch die Ernährung des 
centralen Fragmentes und die knöcherne Verheilung der Fracturstelle 
gefordert wird. 

Die stärkere Verschiebung des Trochanters nach oben verlangt 
ein Gewicht von 25—40 Pfund, bis der Trochanter in der normalen 


Fig. 27. 



Röntgogramm VI c (Burgartz). Nach der Behandlung. 


Höhe zum Becken sich befindet; hierdurch kann jedoch kein redres- 
sirender Zug am centralen Fragmente ausgeführt werden. Man kann 
sich an der Leiche davon überzeugen, dass bei der einfachen Längs¬ 
extension fusswärts der Längszug absolut keinen Einfluss auf die 
Stellung des proximalen Fragmentes hat, wohl aber die Querexten¬ 
sion in Verbindung mit der Längsextension. Durch die elastische 
Retraction der starken Glutäalmuskeln, der Beckenmuskeln, der Rota¬ 
tores externi et interni, des Psoas major, des Quadratus, der Obtura- 
torii wird der Oberschenkel dem Becken genähert und nach hinten 
und unten verschoben. Die Längsextension allein kann nicht einmal 
die sagittale Verschiebung des Femur beheben, noch weniger Einfluss 
auf die Stellung des proximalen Fragmentes gewinnen. 


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140 


Bardenheuer. 


Wenn eine abnorme Rotation des ganzen Beines, wie meist, 
nach aussen besteht, so muss das ganze Bein von mehreren Stellen 
aus nach innen rotirend extendirt werden. 

Wenn der Trochanter stark nach hinten gewichen ist, so muss 
er nach vorn geleitet werden, dadurch, dass der Querzug für die 

Correction der Fragmentverschie¬ 
bung des Schenkelhalses nicht 
nur nach aussen, sondern auch 
gleichzeitig nach vom geleitet 
wird, oder dadurch, dass vom 
oberen Ende des Femur aus ein 
besonderer Querzug nach vorn 
durch den nach aussen gerichte¬ 
ten Querzug geleitet wird. 

Durch diese combinirte Ex¬ 
tension wird der Trochanter nach 
unten geleitet und dem Kopf¬ 
fragmente gegenüber gestellt. 
Durch die rotirenden Züge wird 
das Bein nach innen rotirt und 
durch das Heben des queren 
Zuges nach vorn, resp. durch 
den Querzug nach vorn wird der 
Trochanter nach vorn geleitet. 

Der Querzug vermindert ferner 
den interfragmentalen und inter- 
cartilaginealen Druck und hebt 
hierdurch die Einklemmung des Kopffragmentes zwischen der Gelenk¬ 
grube und dem distalen Fragmente und fördert somit die Ernährung 
desselben. 

In einem Falle von Fractura subtrochanterica mit der Spitze des 
Winkels nach aussen wurde die Extension anders ausgeführt; von der 
Spitze des Winkels wurde ein Querzug nach innen geleitet. Hierdurch wird 
das untere nach aussen gewichene Fragment nach innen quer extendirt. 

Es wurden im ganzen 19 Fälle behandelt: 

5 Fracturae intertrochantericae (3 eingekeilte, 2 lose), 2 Sub- 
capitales, 12 Colli fern. (10 eingekeilte, 2 lose). Die durchschnitt¬ 
liche Dauer der Fracturbehandlung betrug 32 Tage. 9—10 Wochen 
Hospitalbehandlung. Eine ist noch in Behandlung. 


Fig. 28. 



Röntgograinm VI •! (Burgartz). Nach der 
Behandlung. 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 141 


Function 7mal sehr gut, llmal gut. 

Es entstand keine Pseudarthrosis, alle konnten bei der Ent¬ 
lassung mit dem Stocke gut gehen, bei allen war die Verkürzung 
eine geringe (bis 1 cm), die Gallusproduction eine beschränkte, die 
Bewegung im Gelenke relativ frei. Von den 19 Fällen hatten sich 
nur 5 vorgestellt, resp. sind längere Zeit nach der Fracturheilung noch 



beobachtet worden. Dass die Patienten sich nicht alle vorstellten, 
ist durch das meist hohe Alter derselben zu erklären. 

Ich habe bis vor kurzem besonders bei dem Alter der Leute 
den Hauptwerth darauf gelegt, die Fractur möglichst rasch zu heilen, 
die Entstehung einer Pseudarthrosis zu hindern und die Patienten 
wieder zum Gehen zu bringen, womit ich bei dem Alter der Patienten 
glaubte genug geleistet zu haben. Heute stelle ich indessen meine 
Anforderungen höher. Wir sollen auch hier danach streben, dass 
man durch früh aufgenommene Bewegungen (vom Beginn der 
2. Woche ab) die meist entstehende, sonst stets starke Bewegungs¬ 
störung oder Versteifung des Hüftgelenkes verhindert. 

ln der letzteren Zeit habe ich daher, angeregt durch meine 


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142 


Bardenheuer. 


Arbeit und durch die Erfolge bei den übrigen Gelenkfracturen, schon 
nach einer Woche Bewegungen des Gelenkes ausgeführt und in 
5 Fällen weit bessere Resultate auch bezüglich der Verhütung der 
Gelenk Versteifung erlangt. Das Hinken, das schlechte Gehen nach 
den Collumfracturen ist mehr durch die starke entzündliche und ela¬ 
stische Retraction, durch die primäre traumatische Arthritis und durch 
die secundäre traumatische Synovitis resp. Distorsion, durch die 
Atrophie der Muskeln etc. bedingt, wie mir die letzten Fälle bewiesen, 
als durch den Gallus, durch die Deformität etc. 

Ich war früher oft bei einer zufälligen Vorstellung, zumal 
bei alten Leuten erstaunt, wie wenig Fortschritte die Patienten im 
allgemeinen im Gehen gemacht hatten, wenngleich sie nach 8 Wochen 
mit dem Stocke gehend entlassen wurden. 

Aus diesen Gründen habe ich in letzter Zeit frühzeitig während 
der eigentlichen Fracturbehandlung schon die gymnastische Behand¬ 
lung aufgenommen und bei einer 80jährigen, bei einer 70jährigen, 
bei zwei 50jährigen Patientinnen schon frühzeitig nach 8 Wochen 
ein sehr freies Gehen, Treppensteigen ohne Stock etc. beobachtet. 

Wir werden daher in Zukunft bei der Collumfractur stets früh¬ 
zeitig, bei der Einkeilung nach einer, bei der losen Fractur nach 
2 Wochen die gymnastische Behandlung aufnehmen. 

Fracturen im Kniegelenke 

resp. in der Nähe des Kniegelenkes sind sehr gefürchtet, zumal 
bei den Splitterbrüchen des unteren Endes des Femur, bei den sogen. 
T- und Y-Fracturen oder bei den Querfracturen oberhalb des Ge¬ 
lenkes mit Verdrehung der Epiphyse um die Querachse, so dass die 
Fragmentspitze nach hinten sieht, oder bei der Absprengung eines 
Condylus. Es liegen hier die gleichen Schwierigkeiten vor wie bei 
der supracondylären Ellbogengelenkfractur; es ist auch die gleiche 
Extension zu verwenden. 

Bei einer bestehenden Einkeilung wird dieselbe ebenso wie am 
Ellbogen, an der Schulter, am Handgelenk etc. in der Narkose be¬ 
hoben und dann die der Fragmentdislocation angepasste Extension 
angewandt. 

Bei der oben erwähnten Querfractur wird die Extension in der 
Weise ausgeführt, wie sie in Fig. 30 dargestellt ist. Es ist eine 
Dislocationsform, welche der Reposition gerade so wie am Ellbogen- 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 143 


gelenke oft die grössten Hindernisse in den Weg setzt und weshalb 
wohl die Naht in Frage kommen könnte. Mit der Extension kann 
man indessen die Heilung ohne wesentliche Dislocation erzielen. 
Durch den obersten Querzug wird das obere Fragment nach hinten, 
durch den zweiten Querzug wird das distale Fragment nach vorn 
quer extendirt. Durch den dritten Querzug wird das Knie nach hinten 

Fig. 30. 



geleitet und das distale Fragment noch stärker nach vorn abgehebelt; 
durch den Längszug mit 30—40 Pfund wird das distale Fragment 
nach unten geleitet. Durch den untersten Querzug wird das distale 
Fragmentende noch stärker nach vom abgehebelt. 

Wenn nach 3 Wochen im Röntgogramm sich zeigt, dass die 
Fragmente relativ gut stehen und schon eine Consolidation besteht, 
so werden die Gelenkbewegungen aufgenommen. Wir haben im ver¬ 
gangenen Jahre 2 Fälle behandelt. Bei einer Fractur dieses Jahres 
habe ich schon nach 8 Tagen dieselben mit Erfolg aufgenommen. 

Bei der eben erwähnten Querfractur kann die Schwierigkeit 
oft sehr gross sein, indessen ist mir bisheran stets die Heilung ge- 


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144 


Bardenheuer. 



lungen ohne Naht, ohne eine Functionsstörung zu hinterlassen, wenn 
auch zuweilen eine leichte Verkürzung und ein leichtes Vorspringen 
des unteren Fragmentes bestehen blieb, wie es in beiden Röntgo- 
grammen der Fall war. 

Die Heilungsdauer beträgt 8 ^/ 2 —4 Wochen, die Nachbehand¬ 
lungsdauer 2—3 Wochen, wegen der bestehenden Strecksteilung im 
Kniegelenke oft 4 Wochen. 

Fig. 31. 


I 


In einem Falle bestand eine Y-Fractur, die Spitze des proxi¬ 
malen Fragmentes hatte nach Auseinandersprengung der beiden 
Condylen die Quadricepssehne und die Kniescheibe angespiesst und 
den oberen Rand der Patella fassend, die letztere ganz nach unten 
luxirt, so dass sie vor der vorderen Fläche der Tibia fixirt war: 
dieselbe musste durch Fingerdruck nach oben reponirt werden. Es 
bestand eine colossale Häniarthrosis und eine bedrohliche subcutane 
Weichtheilzerreissung mit einem sehr starken Blutaustritt, so dass 
eine Zerreissung grösserer Gefässe, vielleicht der Vena poplitea, vorlag. 
Trotzdem Heilung innerhalb 8^2 Wochen, 3 Wochen nach der Ver¬ 
letzung Aufnahme leichter Bewegungen, Flexionen, nach im ganzen 
6 Wochen waren Bewegungen bis zu einem Rechten, nach 7 Wochen 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 145 

bis weit über einen Rechten möglich. In einem zweiten zu gleicher Zeit 
beobachteten Falle von ausgedehnter Weichtheilquetschung, colossaler 
Blutansammlung in der Kniekehle, so dass ich ebenfalls hier die 
Verletzung der Vena poplitea annehmen musste, war der Erfolg der 
gleiche. Selbst bei der 


Patellarfractur 

lege ich nicht stets, und bei Trinkern und alten Leuten nie die Naht 
an. Man kann auch hier mit der Extension knöcherne Heilung er- 


Fig. 32 a. 


Fig. 32b. 



zielen, vergl. Fig. 31 und Röntgogramm VII (Giehlen). Sehr grosse 
Diastasis, knöcherne Heilung in 4 Wochen. Durch den Längszug 
nach unten wird das obere Fragment der Patella nach unten geleitet, 
durch den Längszug nach oben wird das untere Fragment nach oben 
fixirt, durch den Querzug oberhalb des Fusses wird der Unterschenkel 
etwas dorsal flectirt. 

2 Condylenfracturen: Fracturbehandlung 4 Wochen, Resultat 
sehr gut; eine Patellarfractur bei einem Erwachsenen: Fracturheilung 
31 « Wochen, Resultat sehr gut. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 10 


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146 


Bardenheuer. 


Fracturen des unteren Endes der Tibia und der Fibula, und der 

Malleolen. 

Diese Fracturen machen oft grosse Schwierigkeiten für die 
correcte Reposition der Fragmente. Es gilt dies ganz besonders für 
die schräge oder spiralige Fractur des unteren Endes der Tibia, 
wovon letztere oft eine Fissur ins Gelenk hineinschickt. Es entsteht 
hier sowie auch hei der Knöchelfractur oft ein Pes valgus, eine 
Arthritis im Fussgelenke etc. 

Was diese Fracturen anhetrifft, so haben hierüber meine früheren 
Assistenten, Herr Stabsarzt Loew und Herr Kreisarzt Bliesener, 
berichtet; von 168 Fracturen ward nur einer über 13 Wochen be¬ 
handelt und bezog eine Invalidenrente. Die schrägen und spiraligen 
Fracturen des unteren Endes der Tibia führten früher oft zu Pseud- 
arthrosis, hatten eine ungewöhnlich lange Heilungsdauer. 

Es blieb oft eine starke Dislocation der Fragmente zurück, 
weshalb Schlange, sonst ein Anhänger der conservativen Behand¬ 
lung der subcutanen Fracturen, hier die Naht empfiehlt. 

Mit allen diesen Folgen hat man nicht zu kämpfen, wenn man 
richtig extendirt. 

Die Behandlungsdauer beträgt bei Knöchelfracturen meist durch¬ 
schnittlich 3 Wochen. Die Nachbehandlungsperiode fällt meist ganz 
aus, allerdings lasse ich den Patienten noch 1—2 Wochen liegen, 
während welcher Zeit er Bewegungen macht und massirt wird. Pes 
planus, Pes valgus entsteht nie danach, Arthritis, Oedeme, Throm- 
bosis etc. wird nie beobachtet. Von Mitte resp. Ende der 1. Woche 
ab werden hier sowohl wie auch bei jeder Fractur in der Nähe des 
Fussgelenkes anfänglich leichte sanfte Bewegungen, nachher stärkere, 
länger dauernde ausgeführt; ich verordne zur Nachbehandlung stets 
eine Plattfusseinlage für die Dauer von 6 Wochen. 

Die Schrägfracturen des Unterschenkels sowie die spiraligen 
Fracturen, welch letztere sehr häufig Vorkommen und früher stets 
als schräge angesehen worden sind, werden in der gleichen Weise 
behandelt (vergl. Fig. 33). 

Durch Querzug d wird das proximale, nach vorn dislocirte 
Fragment nach hinten gezogen, durch einen zweiten Querzug e wird 
das obere Ende der Tibia nach vorn extendirt, wodurch die Frag¬ 
mentspitze des proximalen Fragmentes noch stärker nach hinten ab¬ 
gehebelt wird. 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 147 



Das distale, nach hinten verschobene Fragment wird durch den 
Querzug hc nach vorn extendirt, es treten die Fragmente in einen 
innigen Contact mit einander. Zwischengeschobenes Periost, Muskel¬ 
gewebe, welche ich bei fehlender Querextension als Hauptursache 

Fig. 83. 


für die langsame Heilung event. für die Pseudarthrosis anspreche, 
wird hierdurch rasch resorbirt. 

Durch den starken Längszug a, 15—20 Pfund, wird die Längs¬ 
verschiebung behoben, ^er Längszug ist für die ersten 8 Tage zur 
stärkeren Abhebelung der distalen Fragmentspitze nach vorn und 
zur Erzielung eines innigeren Bruchflächencontactes nach hinten ge¬ 
richtet. 

Nach 8 Tagen gehe ich, sobald ich mich von der richtigen 


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148 


Bardenheuer. 


FragmentstelluDg überzeugt habe, in die entgegengesetzte Längs¬ 
extension nach unten über, weil sonst der Entwickelung des Pes valg. 
Vorschub geleistet wird. Die Heilungsdauer beträgt hier 3—4 Wochen, 
die Bewegungen werden 4—8 Tage nach der Verletzung aufgenoranien, 
die orthopädische Nachbehandlungsperiode fällt meist fort, ist jeden¬ 
falls sehr kurz (2 Wochen). 

Deviationen etc. werden nicht beobachtet. In diesem Jahre 
habe ich keine Schrägfractur beobachtet, dagegen 28 Spiralfracturen, 
die früher oft als Schrägfracturen angesehen wurden. 

Spiralfracturen. 

Bei der spiraligen Practur brauche ich die Extension, wie sie 
in Fig. 34 dargestellt ist. Durch den breiten Rotationszug d wird 

Fig. 34. 



die Basis des proximalen Fragmentes, welche nach innen rotirt ist^ 
umfasst und nach aussen rotirend extendirt. Man darf keinen 
schmalen Rotationszug nehmen, weil hierdurch nur die Spitze gefasst 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 149 


würde. Durch den gleich breiten unteren Zug e wird die Basis und 
das ganze distale, nach aussen rotirte Fragment in der ganzen 
Breite gefasst und nach innen rotirend extendirt. Führt man die 
Rotation, wie es meist geschieht, nur vom Fusse aus, so setzt man 
den inneren Rand des distalen Fragmentes mit den äusseren der 
proximalen Fragmentspitze in Contact und hebelt das obere Ende 
des distalen Fragmentes über den Unterstützungspunkt an der proxi¬ 
malen Fragmentspitze ab, so dass die Spitze des distalen Fragmentes 
nach aussen evertirt oder die proximale Fragmentspitze selbst nach 
vorn gedrängt wird. 

Gleichzeitig wird die proximale Fragmentspitze durch Querzug b 
nach hinten und das distale Fragment durch den Querzug c nach 
vorn extendirt, zur Erzielung eines innigen Fragmentcontactes. 

Durch den Längszug a wird die Läugsverschiebug behoben und, 
da derselbe gleichzeitig nach hinten gerichtet ist, wird die Spitze 
des distalen Fragmentes über den Querzug c stärker nach vorn ab¬ 
gehebelt. 

Wenn das proximale Fragment gleichzeitig seitlich nach innen 
verschoben ist, so wird unter dem rotirenden Extensionszuge, also 
vorher direct auf die Haut, zuerst die Querextension nach aussen an¬ 
gelegt und dann über diese die nach aussen rotirende Extension, das 
Gleiche gilt an dem unteren Fragmente; es wird zuerst die nach 
innen quer extendirende Extension angelegt und dann erst darüber 
die nach innen rotirende Extension angelegt. 

Die Abhebelung des oberen Endes des distalen Fragmentes nach 
innen wird durch stärkere Richtung des Längszuges nach aussen 
erzielt. 

Im vorigen Jahre behandelte ich vom 1. April 1902 bis 
31. März 1903 

28 subcutane Unterschenkelspiralfracturen, darunter 

19 bei Erwachsenen mit 35 Tagen Extensionsbehandlung und 
50 Tagen Hospitalaufenthalt, und bei 9 Kindern mit 25 Tagen Ex¬ 
tensionsbehandlung und 42 Tagen Hospitalaufenthalt. 

Durchschnittliche Heilungsdauer auf alle berechnet 30 Tage und 
46 Tage Hospitalaufenthalt. Vom 1. Januar 1901 bis 31. März 1903 
75 subcutane Spiralfracturen des Unterschenkels unter 496 subcut. 
Unterschenkelfracturen, 33 Tage Fracturbehandlung, 55 Tage Hospital¬ 
aufenthalt. Herr Dr, Bayer wird hierüber in der Deutschen Zeit¬ 
schrift für Chirurgie noch Bericht erstatten. 


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150 


Bardenheuer. 


In allen Fällen war das Resultat ein sehr gutes, indessen in 
fast allen Fällen, wo eine starke Rotation des distalen Fragmentes 
nach der Verletzung vorlag, bestand nachher die oben erwähnte Aus¬ 
wärtsrollung des oberen Endes des distalen Fragmentes nach aussen, 
dahingegen fehlte stets die Verstellung für die äussere Untersuchung, 
niemals sprang das proximale Fragment innen oder aussen vor, nie¬ 
mals war der Fuss stark nach aussen rotirt. Die Function war in 
allen Fällen eine sehr gute, es bestand keine Deviation der Fuss- 
stellung, kein Pes planus resp. Pes valgus, keine Gelenkversteifung, 
nur in einem Falle Henne’s, wo eine complicirte Fractur nebst zahl¬ 
reichen anderen Fracturen der Basis cranii, der Rippen etc. bestanden 
hatte, und in welchem ich das Aufkommen des Patienten nicht für 
möglich gehalten und daher dem Beine nicht die nötige Aufmerk¬ 
samkeit geschenkt hatte resp. schenken konnte, bestand eine Ad- 
duction des Fusses. Interessant ist hierbei, dass neben 28 Fällen 
von Spiralfracturen keine Schrägfractur vorkam. 

Knöchelfracturen. 

Bei den Knöchelfracturen wird besonders die Entwickelung 
eines Pes valgus et planus, die Arthritis, Gelenkversteifung etc. ge¬ 
fürchtet. Dieselben sind besonders zu erwarten bei gleichzeitiger 
Luxation des Fusses nach aussen oder innen oder bei einer Luxation 
nach hinten, wobei oft der vordere Rand der tibialen Gelenkfläche 
mit abgesprengt ist oder das Volk man nasche Dreieck mit einem 
grösseren Theile des hinteren Randes im Zusammenhänge stehend 
nach hinten verschoben ist. 

Gegen eine jede dieser Fracturformen ist eine besondere Ex- 
tensionsart am Platze: 

Der Fuss wird hierbei vorerst durch einen Längszug stark 
nach unten (vergl. Fig. 35) extendirt, derselbe wird ferner nach der 
entgegengesetzten Seite quer extendirt, wohin er dislocirt ist, z. B. 
nach vorn durch den unteren Extensionszug, wenn er nach hinten 
verschoben ist, indem die Ferse durch eine Schlinge von hinten um¬ 
fasst und nach oben zehenwärts extendirt wird. 

Gleichzeitig wird der Fuss nach unten längsextendirt, die 
Schenkel der Ansa sind dicht unterhalb der Fusssohle durch eine 
Naht oder eine Schnalle einander genähert, so dass man den Fuss 
durch festes Umfassen des Fussrandes nach der Seite hinschieben. 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 151 


extendiren kann, wohin man will, also hier gleichzeitig nach hinten. 
Durch die Richtung des Längszuges nach unten und hinten wird 
daher der Fuss nach unten und gleichzeitig nach hinten gezogen, 
die distalen Fragmente resp. der Talus werden über den unteren 

Fig. 35. 



Querzug noch stärker nach vorn abgehebelt, durch den Querzug 
selbst wird der Fuss direct nach vorn resp. oben zehenwärts exten- 
dirt; durch den mittleren Querzug wird das untere Ende der Tibia 
nach hinten, durch den oberen Querzug das obere Ende der Tibia 
nach vom geleitet und somit das untere Ende über den Querzug 
noch stärker nach hinten abgehebelt. 

Nach höchstens 3 Wochen ist die eigentliche Fracturbehandlung 


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152 


ßardenheuer. 


vollendet, oft nach 2 Wochen. 4—8 Tage nach der Verletzung wird 
schon die orthopädische Behandlung aufgenommen, die der Fractur- 
behandlung folgende gymnastische Behandlung dauert 3 Wocheo, 
das functionelle Resultat ist stets vollkommen. 

Die Fig. 36 demonstrirt die Art der Extension bei der Luxation 
nach vorn und bedarf keiner Erklärung. Nehmen wir an, es handelt 



Fig. 36. 


sich um eine Fractur der Malleolen mit Luxation des Fusses zwischen 
die Tibia und die Fibula nach oben und vorn und gleichzeitiger Ab- 
ductionsstellung des Fusses (vergl. Röntgogramm VIII). 

Hier wurde die Extension nach unten mit 20 Pfund ausgefiihrt, 
gleichzeitig wurde der Längszug zur stärkeren Abhebelung des distalen 
nach aussen verschobenen Fragmentes über den Querzug nach innen 
geleitet. Das untere Ende des proximalen Fragmentes wurde quer 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 153 


nach aussen, das obere Ende durch den Querzug nach innen ex- 
tendirt, wodurch das untere Ende noch stärker nach innen abgehebelt 
wurde. 

Auf gleiche Weise wird auch bei der gewöhnlichen Malleolen- 
fractur die Extension für 8 Tage ausgeführt, bei der Abductions- 
fractur, wobei der Fuss nach aussen verschoben ist, wird eine starke 
Längsextension nach unten angelegt, die Gelenkfragmente werden 
(Fergl. Fig. 38) durch den Querzug nach innen extendirt. Das 
proximale, nach innen verschobene Fragment wird nach aussen, das 
obere Ende der Tibia durch Querzug nach innen extendirt, wodurch 
das untere Ende des proximalen Fragmentes noch stärker nach aussen 
abgehebelt wird, durch den rotirenden Zug und durch die Richtung 
des longitudinalen Zuges nach innen wird der Fuss in starke Ad- 
duction gestellt, wodurch der Entwickelung eines Pes planus und 
Pes valgus entgegengearbeitet wird. Die orthopädische Behandlung 
wird schon nach 4—8 Tagen aufgenommen, die Heilungsdauer ist 
2—3 Wochen. Die ganze Behandlung mit der orthopädischen 
5—6 Wochen. Auf diese Weise habe ich stets die schönsten Er¬ 
folge mit der Extension zu verzeichnen. 

Es wurden behandelt im ganzen 85 Fälle: 


beide Knöchel .... 3Gmal 

äusserer „ .... 31 „ 

innerer „ .... 18 „ 

Luxation nach innen.2mal 

„ aussen ...... 1„ 

ff vorn ...... l.„ 

, „ aussen und vorn . . 1 „ 

, f, aussen und hinten . . 3 „ 


eine centrale Luxation nach oben und vorn 1 „ 
Ira ganzen also 9 Luxationsfracturen. 


Extensionsbehandlungsdauer 
für beide Knöchel . . . 

„ den äusseren Knöchel 
„ inneren Knöchel 
„ gleichzeitige Luxation 
Hospitalbehandlung . . 


2P/i 

21 

20 

21 


Tage 

n 

n 

« 


Wochen. 


Alle mit sehr gutem Resultat entla.ssen, ohne Deviation, ohne 
Bewegungsstörung, ohne Pes planus, Pes valgus, mit normaler Func- 


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154 


Bardenheuer. 


tion, ohne Beschwerden in den übrigen Gelenken, 2mal bestand nur 
ein leichtes Oedem, jedesmal doppelseitig bei einem Manne mit Dia¬ 
betes und Herzschwäche, und bei einer dicken Frau mit starken 
Varicen und Herzschwäche. 

Thiem (Cottbus) sagt hierüber, betreffend die Arbeiten meiner 


Fig. 37 a. 



R«>iitg<>graiiiiu VIII (Kappes), Vor der Behandlung. 


Assistenzärzte Bliesen er und Loew — ob überzeugt oder ironisch 
gemeint, will ich nicht untersuchen —: 

Alle Achtung vor solchen in unserer unter dem Zeichen des 
ünfallgesetzes stehenden Zeit wie märchenhaft klingenden Erfolgen. 
Unwillkürlich kommt einem der Gedanke: am Rhein müssen die 
Verletzten und die Arbeiter und Schiedsgerichte des Rheinlandes 
anders geartet sein, wie sonst irgendwo im deutschen Vaterlande. 

Er setzt eine grössere Bescheidenheit der Arbeiter in ihren An¬ 
sprüchen voraus. Die Erfolge gehören indessen der Wirklichkeit 
an und bewegen sich nicht auf dem unsicheren Boden des Märchens. 

Wenn es Herrn Thiem um die Aufdeckung der Wahrheit zu 
thun ist, so wird er sich vielleicht im Interesse der Wahrheit der 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 155 


Mühe unterziehen, sich in Köln von den Erfolgen der Extensions¬ 
behandlung zu überzeugen. Ich bin wohl stets in der Lage, ihm 
Fälle von frisch geheilten oder noch in Behandlung befindlichen 
Fracturen des unteren Endes der Tibia, resp. der Malleolen zu zeigen 
und seiner Kritik zur Verfügung zu stellen. Vielleicht ändert er 


Fig. 37 b. 



Köntgogramiii VIII (Kappes). Vor der Behandlung. 


alsdann seine Anschauung über die erfolgreiche Wirkung der Ex¬ 
tensionsbehandlung sowie über den durch mich unabsichtlich ge¬ 
schädigten Ruf unserer Arbeiter und unserer Schiedsgerichte. 

Eingangs habe ich schon hervorgehoben, dass ich immer mehr 
der Ueberzeugung bin resp. werde, dass wir bei der Fracturbehand- 
lung uns bisher zu sehr von dem Gedanken haben beherrschen lassen, 
zur Heilung des Bruches nur nicht die Ruhigstellung der Bruch¬ 
enden zu sehr und zu früh zu unterbrechen. Ich habe den Eindruck 
gewonnen, dass die Verhältnisse für die Heilung der Fractur als 
solche in der Nähe des Gelenkes viel günstiger liegen als in der 
Diaphyse, dass die Heilung der Fractur durch den Reichthum des 
Knochens an Spongiosa, durch die Nähe zur Epiphysenlinie weit 


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156 


Bardenheuer, 


leichter von statten geht. Die breite Knochenwundfläche hindert die 
Verschiebung der Fragmente, wenn sie einmal reponirt sind, weit 
besser als die spongiosaarme Diaphyse. Die Gelenkfracturen ver¬ 
tragen also weit besser die Bewegung. Bei der Anwendung der 
Extension, welche auch selbst während der Bewegungen im Gelenke 
die Bruchenden relativ ruhig stellt und welche ganz besonders durch 
die interfragmentale und intracartilagineale Druckentlastung den 


Fig. 37 d. 


Fig. 37 c. 



Röntgogramm VIII (Kappes). Nach der Behandlung. 


seitens der Bewegung gesetzten Reiz mildert, dürfen wir sehr früh¬ 
zeitig die Gelenkbewegung ohne Schädigung der Fracturheilung auf¬ 
nehmen. 

Wenn wir mit solch ausgezeichnetem functioneilen Resultate 
bei der Malleolen- oder der Radiusfractur vom 4., beim Schulter- 
gelenke vom 1.—8. Tage ab die gymnastische Behandlung aufnehraen 
dürfen, so glaube ich, dürfen wir auch in Zukunft zur Verhütung der 
Arthritis, z. B. beim Knie, bei der Hüfte, beim Ellbogengelenke, 
schon sehr frühzeitig vom Beginne der 1. resp. 2. Woche ab das 
Gleiche thun. Zu dieser Annahme bestärkten mich die Resultate be¬ 
sonders bei den eben erwähnten Gelenken und die Erfolge auch im 


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Die Behandlung der intra- und juxtaarticulären Fracturen etc. 157 



Ellbogengelenke, wobei ich in letzter Zeit von dem Beginne der 
2. Woche ab schon Bewegungen mit Vortheil ausgeführt habe; ferner 
bestärken mich hierin die Beobachtungen bei den letzten fünf Fracturen 
(zwei losen) des Collum chirurgicum, wobei ich schon im Beginne der 
2. resp. 3. Woche Bewegungen ausführte, ohne dass Arthritis ent¬ 
stand. Letztere ist daher mehr Folge der langen Ruhigstellung, der 
elastischen und entzündlichen Verkürzung der Gewebe der Synovialis 

Fig. 38. 


und der secundären Verletzung der Synovialis etc. und der Dis- 
torsionssynovitis als der frischen traumatischen Entzündung und der 
Malposition der Fragmente. 

Zu diesem Vorgehen ermuthigt mich aber auch die Beobachtung 
einzelner Gelenkverletzungen, z. B. einer intraarticulären Fractur des 
Ellbogens (Condyl. int.) mit Luxation nach hinten. Die Luxation ward 
eingerenkt. Patient, ein sehr energischer Mann, verweigerte jede Be¬ 
handlung; er zeigte sich nicht mehr, gebrauchte den Arm, so weit der 
Schmerz von Anfang an gestattete, von Tag zu Tag immer mehr, 
und das functioneile Resultat war trotz der vollständigen Vernach¬ 
lässigung der Fracturbehandlung ein sehr gutes. Der Gallus war 
etwas stark, störte indessen die Bewegungen nicht. 

Ich möchte dies nicht als nachahmungswerth hinstellen, je¬ 
doch beweist dieser Fall, wie noch viele andere, von jedem Chirurgen 


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158 Bardenheuer. Die Behdlg. der intra- u. juxtaarticulären Fracturen ek. 


beobachtete Fälle von absoluter Negligirung der Fractur seitens 
des Verletzten und trotzdem eingetretener guter Function, dass unter 
gewissen Verhältnissen dieses gestattet ist, dass man jedenfalls, wie 
meine Resultate zeigen, frühzeitig die gymnastische Behandlung bei 
der Anwendung der Extension schon während der eigentlichen 
Fracturbehandlung aufnehmen darf ohne Störung der Fracturheilung, 
resp. zur Verhütung der Entwickelung der Distorsionssynovitis auf¬ 
nehmen soll. 

Die Distorsionssynovitis ist weit mehr zu fürchten als das Be¬ 
stehenbleiben einer leichten Deformität. 

Ich habe ira Jahre 1903 die Zeit der Behandlung der Fractur 
immer mehr abgekürzt, z. B. bei der Fractura colli femoris mit Ein¬ 
keilung auf 2 Wochen, ohne Einkeilung auf 3 Wochen, bei der 
Fractur des unteren Endes des Femur mit Einkeilung auf 2 Wochen 
abgekürzt, ferner habe ich die gymnastische Behandlung immer früh¬ 
zeitiger aufgenommen, bei der Fractura colli femoris mit Einkeilung 
schon nach 8 Tagen, ohne Einkeilung nach 14 Tagen und bei der 
Fractur des unteren Endes des Femur mit Einkeilung nach 8 Tagen. 

Ich bin durchaus zufrieden mit den Resultaten und werde nach 
Ablauf eines Jahres darüber berichten. 


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IX. 


lieber Hilfsapparate bei der Behandlung der 
angeborenen Hüftlnxation. 

Von 

Dr. Heusner-Barmen. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! Da ich nicht wusste, ob ich bei unserer über¬ 
reichen Tagesordnung mit meinen Sachen noch an die Reihe kommen 
würde, so habe ich auf das Mitbringen von Patienten verzichtet, 
kann Ihnen daher auch die Apparate, welche ich zur Nachbehand¬ 
lung bei angeborener Hüftluxation benutzte, nicht vorzeigen, sondern 
verweise auf die Zeitschrift für orthopädische Chirurgie, X. Band, so¬ 
wie auf die Deutsche med. Wochenschrift, 1903, Nr. 8, wo dieselben 
nach Vorträgen, welche ich auf den Versammlungen Niederrheinisch¬ 
westfälischer Chirurgen zu Düsseldorf gehalten habe, genauer be¬ 
schrieben und abgebildet sind. Ich bemerke nur, dass der Apparat, 
welchen ich zur Festhaltimg der Abduction und Einwärtsrotation des 
Beines zu benutzen pflege, nicht wie die Schede*schen und Lan ge¬ 
sehen Hüftgürtel den wenig geeigneten Trochanter als Angriffspunkt 
der fixirenden Kraft benutzt, sondern sich des Oberschenkels als eines 
langen und wirksamen Führungshebels bedient und dass derselbe be¬ 
steht aus einem Ledercorset mit seitlich abzweigenden Serpentinschienen 
für die Oberschenkelkapseln, von deren Enden weiterhin Drahtspiralen 
bis zu den Schuhen herablaufen, wie es die Abbildung zeigt. Der Apparat 
hat sich im Gebrauche sehr bewährt und es ist mir mit seiner Hilfe 
gelungen, eine Reihe recht ungünstiger Fälle zur Ausheilung zu 
bringen, so dass ich ihn für ein wesentliches Bereicherungsmittel bei 
der Behandlung, namentlich der schwierigen Fälle von doppelseitiger 
Hüftluxation, empfehlen kann. 

Der zweite Punkt, über den ich zu berichten wünschte, ist die 
Verwendung meines Osteoklasten als Hilfsmittel bei der Einrenkung 


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160 


Heusner. 


der angeborenen HUftluxationen, und hier kann ich Ihnen wenigstens 
den Apparat vorzeigen, da die Firma Knoke & Dressier aus Dres¬ 
den denselben angefertigt und ausgestellt hat. 

Sie wissen, meine Herren, dass die gewaltsame Extension mit 
Flaschenzug oder Schraubenkraft, wie sie namentlich Pravaz, Lorenz 

und Schede bei der angeborenen 
HUftluxation in Anwendung brachten, 
wegen der damit verbundenen Gefahren 
verlassen wurde und dass man fast 
allgemein zur manuellen Einrenkung 
übergegangen ist. Diese wird entweder 
nach der sogen, rationellen Methode 
vollzogen, indem man den Kopf mit 
Hilfe des spitzwinklig fiectirten Ober¬ 
schenkels Über den hinteren Rand zur 
Pfanne hinüberzieht, oder nach der 
Einhebelungsmethode, indem das Bein 
möglichst stark abducirt und der Kopf 
mit kreisenden, pumpenden oder mo- 
dellirenden Bewegungen des Ober¬ 
schenkels um die als Stützpunkt be¬ 
nutzte Kapsel und Musculatur über 
den hinteren Pfannenrand herein¬ 
gehebelt wird. Bei den resistenteren 
Fällen ist nun bekanntlich die Fixa¬ 
tion des Beckens eine recht mühevolle 
Arbeit, wobei namentlich an die Ge¬ 
schicklichkeit und Kräfte der Assi- 
stirenden bedeutende Anforderungen 
gestellt werden. Bei der Einhebelungs¬ 
methode ist es ausserdem erwünscht, ein festes äusseres Hypomochlion 
zu gewinnen, indem man die Faust gegen den Trochanter stemmt oder 
ein Stützbänkchen darunter stellt. Mit zunehmender Grösse der Kinder 
vermehren sich die Schwierigkeiten wie auch die Gefahr der Epiphysen¬ 
abreissungen und Nervenläsionen, und dies ist der Hauptgrund, weshalb 
wir mit einem gewissen Alter, das gewöhnlich auf das 10. Jahr begrenzt 
wird, von der unblutigen Einrenkung Abstand zu nehmen pflegen. 
Man kann nun die erwähnten Schwierigkeiten bedeutend vermindern, 
wenn man sich zur Fixation des Beckens, wie ich es seit längerer 


Fig. 1. 



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üeber Hilfsapparate bei der Behandlung angeborener Hüftluxation. 161 

Zeit zu thun pflege, meines Osteoklasten bedient. Das Instrument 
zeichnet sich, wie Sie sehen (Fig. 2), dadurch aus, dass seine 
Branchen weit genug aus einander geschraubt werden können, um 
die breitesten Körpertheile, selbst das Becken eines Erwachsenen, 
zwischen sich zu fassen. Ferner sind die Backen, um allen An¬ 
forderungen bezüglich Gestalt und Dicke der einzuspannenden Gegen¬ 
stände Genüge zu leisten, auswechselbar, indem sie auf Zapfen, welche 
auf den Branchen hervorragen, aufgesteckt werden. Für das Becken 


Fig. 2. 



lässt man sich flach gebogene Kupferplatten nach Gipsabdruck aus- 
hämmem, welche oberhalb der Trochanteren die Seiten der Darm¬ 
beine nach Art zweier dagegen gepressten Hände umfassen und sich 
vorne schmal über die Spinae, hinten breit gegen das Kreuz er¬ 
strecken. 

Man kann mit Hilfe dieser Fixationsplatten, von denen man 
mehrere Paare für jüngere und ältere Kinder zur Verfügung haben 
muss, das Becken gegen jede seitliche Verschiebung, wie auch gegen 
das Ausweichen nach oben sichern. Damit es auch nicht nach unten 
herausschlüpfen kann, wird von vorne her eine Dammstütze dagegen 
geschraubt, für welche in dem Gehäuse eine besondere Führung an¬ 
gebracht ist. Der Osteoklast selbst wird mit Hilfe von Mutter¬ 
schrauben, welche durch seine Fussplatte verlaufen, auf dem Opera- 

ZeitMchrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. U 


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162 Heuener. üeber Hilfsapparate bei der Behdlg. aDgebor. Hüftluxation. 

tionstisch festgemacht. Hat man das Becken auf solche Weise 
eingespannt, so kann man mit voller Ruhe und Sicherheit, fast ohne 
Beihilfe von Assistenten, mit dem Oberschenkel die allmähliche 
Dehnung der Abductoren und Flexoren ausführen. Ausserdem hat 
man an den Fixationsplatten, welche von hinten und oben den 


Fig. 3. 



Trochanter halbkreisförmig umfassen, ein ausgezeichnetes Hypo- 
mochlion zur Einhebelung des Kopfes (Fig. 3). Ich habe mit Hilfe 
des Osteoclasten vor ^/2 Jahr die sehr resistente Luxation bei einem 
11jährigen Mädchen ohne viele Mühe ausgeführt, und ich bin der 
Ueberzeugung, dass man im Besitze dieses nützlichen Instrumentes 
die Altersgrenze für die Einrenkung erheblich wird hinausschieben 
können, ohne die Gefahren für die Patienten zu vermehren. • 


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X. 


Zur Behandlung der congenitalen Hüftluxation. 

Von 

Dr. Schultze-Duisburg. 

Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die jetzt allgemein eingefülirte Behandlung der congenitalen 
Luxation des Hüftgelenks erfolgt unter Fixation des Resultats ver¬ 
mittelst Gipsverbandes oder, wie Heusner dies zu machen pflegt, 
vermittelst Stärkeverbandes unter Einlage Heusner 'scher Schienen. 

Diese Behandlung durch Contentivverbände hat manche Un¬ 
zuträglichkeiten, bringt nicht selten den Operateur in die grösste 
Verlegenheit. Kurz will ich die Nachtheile dieser Behandlung 
skizziren. 

1. Vielfach ist die Controlle schwer zu führen; besonders 
pflegt bei Kindern, welche unter dem Verband stets abmagern, leicht 
Reluxation einzutreten, ohne dass wir es beobachten. 

2. Die stets nach Abschluss der Verbandbehandlung vorhandene 
Versteifung der Gelenke kann bekanntermassen zu dauernden 
Functionsstörungen führen. Wohl stets erfordert die Beseitigung 
derselben eine lange Nachbehandlung. 

3. Die Behandlung in der frühsten Lebensperiode wird durch 
die Behandlung mit Contentivverbänden *hicht allein erschwert, 
sondern meist ganz unmöglich gemacht. 

Diese Nachtheile haben mich veranlasst, die von Pacci, 
Lorenz und Hoffa inaugurirte allgemeine populär gewordene 
Methode zu verlassen, um ein Verfahren einzuführen, welches manche 
Vortheile bietet. 

Meine Methode besteht kurz gesagt darin, dass nach der Ein¬ 
renkung der Gipsverband in der gewöhnlichen W^eise angelegt wird. 
Nach 10 Tagen wird derselbe für immer entfernt und durch be¬ 
sonders construirtes Lagerungsbrett ersetzt. Auf diesem Brett voll¬ 
zieht sich dann die ganze weitere Behandlung. 


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164 


Schultze. 


Die Coiistruction des Lagerungsbrettes ist folgendermassen: 
Ein mit auswechselbarem Polster versehenes Brett entspricht 


Fig. 1. 


Erste Stellmig (iiufreclit sitzend). 



der Länge des Rumpfes. Mit Kopf und Becken schneidet das Brett 
ab, die Breite deckt sich mit der Breite des Körpers. 


Fig. 2 



Erste Stellung (li»*geiul). 


Dieses gepolsterte Brett ruht auf einem nicht gepolsterten, 
etwa 10 cm breiteren Brett und ist am Kopfende mit demselben 
durch Charniere verbunden. Ein zwischen den Brettern liegender 


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Zur Behandlung der congenitalen Hüftluxation. 


165 


Holzkeil gestattet durch seine vom Kopfende aus regulirbare Ver¬ 
schiebung eine Hoch- und Tiefstellung des oberen gepolsterten 
Lagerungsbrettes. 

Durch diese Vorrichtung wird die Abduction leicht eingestellt. 
Zur Lagerung des Unterschenkels dient ein besonders der 
Grösse des Unterschenkels entsprechendes Brett, welches durch 
Schlittenführung mit dem unteren Brett verbunden ist. Dieses 

Fig. 3. 



Erste Stellung (aufrecht sitzend). 


ünterschenkelbrett lässt sich im Sinne der Abduction, Adduction 
und Extension verstellen. 

Die Behandlung geht nun in folgender Weise vor sich: 

1. Nach erfolgter Einrenkung wird in der üblichen Weise der 
Gipsverband angelegt. 

2. Nach Abnahme des Gipsverbandes legt man den Patienten 
in derselben Stellung auf das Lagerungsbrett, welches entsprechend 
der Beinstellung in rechtwinkliger Abduction und Hyperextension 
eingestellt ist. 

3. Ebenso wie diese Position längere Zeit durch den Gips¬ 
verband festgehalten wurde, so geschieht dies jetzt durch das 


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166 


Schultze. 



Begiiiiiende UehertUhrung in die normale Stellung. 


Fig. 5. 





4 . 


Letzte Stellung — Abduction. 



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Zar Behandlung der congenitalen Hilftluxation. 


167 


Lagerungsbrett. In dieser Lage beginnen nun direct nach Ent¬ 
fernung des Verbandes, also am 10. oder 14. Tage, die Bewegungen 
des Rumpfes. Bereits nach einigen Tagen haben die Patienten 
gelernt, in rechtwinkliger Stellung zu sitzen. 

Elastische Patienten bringen es so weit, dass sie Rumpf vor¬ 
wärts beugt ausfübren können. 

4. Nachdem die erste Stellung zwei, drei Monate oder länger 
beobachtet, beginnt die üeberführung in die Strecksteilung allmählich 
in kurzen Intervallen durch tägliche Verstellung der Position. 

Die Bewegungen des Oberkörpers werden in allen 
veränderten Positionen in der gleichen Weise durchgeführt. 

5. Zur Beschleunigung der üeberführung in die Streckstellung 
halte ich eine Schraubenextension für zweckmässig. 

6. Massage kann schon sehr frühzeitig aufgenommen werden, 
auch während der ganzen Behandlung geübt werden, ebenfalls das 
Baden. 

7. Systematische Hebungen an der Hand eines Planes, durch 
einfache Zugapparate, ist zu empfehlen. 

Das, was gerade diese neue Behandlungsmethode besonders 
empfehlenswerth macht, ist die Bewegung des Hüftgelenks während 
der ganzen Behandlungsdauer. Die Patienten sollen fortgesetzt 
Bewegungen mit dem Oberkörper machen, sie bringen dies sehr 
bequem nach jeder Richtung hin fertig, wie Ihnen das in einzelnen 
Photographien hier demonstrirt wird. Schon in kurzer Zeit können 
sich die Patienten rechtwinklig beugen und erreichen auf diese Weise 
eine sehr bequeme Einschleifung und Beweglichkeit der Gelenke. 
Bekanntermassen haben wir jetzt immer während der Behandlung 
mit den Versteifungen der Gelenke zu kämpfen. 

Ueber die Erfolge werde ich demnächst eingehend berichten. 


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XI. 


Die Kümmell’sclie Wirbelerkrankung. 

Von 

Dr. med. Brodnitz-Frankfurt a. M. 

Meine Herren! Auf der Naturforscherversammlung in Halle 
1891 hat Kümmell ein Krankheitsbild der Wirbel charakterisirt, 
wonach bei mehr oder weniger starken Insulten der Wirbelsäule 
nach Wochen oder Monaten ein rareficirender Process der Wirbel¬ 
körper eintreten soll, der mit Substanzverlust und deutlicher Gibbus¬ 
bildung endigt. In seinen späteren Verööentlichungen nahm Küm¬ 
mell für manche der Fälle eine Compressionsfractur der Wirbelkörper 
an, während andere Forscher, so König, Kaufmann, Bähr, Thiem, 
Oberst u. A., der Meinung sind, dass es sich in der Regel um Com- 
pressionsfracturen, Längssprünge u. dergl. handelte und dass Dis- 
locationen erst eintreten, wenn die Wirbelsäule belastet wird. 

Ich möchte Ihnen nun über einen Fall von Wirbelcontusion 
berichten, bei dem sowohl gleich nach der Verletzung wie 8 Wochen 
später, nachdem Patient 4 Wochen ausser Bett war, das Röntgen¬ 
bild ganz normale Wirbelkörper zeigte und wo sich in den nächsten 
2 Monaten eine Einschmelzung des Wirbelkörpers entwickelte, die 
durch das Röntgenbild deutlich zum Ausdruck kam. 

Es handelt sich um einen 45jährigen Mann, der 3 m vom 
Gerüst flach auf den Rücken gefallen war und bewusstlos sofort dem 
städtischen Krankenhaus überwiesen wurde. Es wurde dort ein 
grosser Bluterguss, der sich über den unteren Theil der Brust- und 
Lendenwirbelsäule erstreckte, constatirt. Abgesehen davon, dass 
Patient 8 Tage lang spontan keinen Urin lassen konnte, waren 
keinerlei Lähmungen da. Das Röntgenbild ergab normale Wirbel¬ 
verhältnisse. Bei seiner Entlassung nach etwa 10 Wochen wurde 
eine mässig flache Ausbiegung der Wirbelsäule nach hinten im Be- 


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Die Kümmeirsche Wirbelerkrankung. 


169 


reiche der Verletzung — untere Brust- und Lendengegend — con- 
statirt, von der angenommen wurde, dass sie schon vor der Ver¬ 
letzung bestanden hat, da das Röntgenbild auch jetzt normale 
Wirbelverhältnisse darbot. Die Klagen des Verletzten erstreckten 
sich auf Schmerzen und Steifigkeit im Rücken. 

2 Monate später sah ich den Patienten, dessen Schmerzen seiner 
Angabe nach andauernd zugenommen hatten; er ging ängstlich mit 
steifgehaltener Wirbek&ule, leicht nach vorn gebeugt. Die Unter¬ 
suchung ergab einen deutlichen Gibbus des II. Lendenwirbels, der 
auf Druck sehr empfindlich war; die Rumpfstrecker waren krampf¬ 
artig contrahirt. Durch absolute flache Lagerung wurden die 
Schmerzen wesentlich gelindert, nach 4 Wochen waren sie im 
Liegen ganz geschwunden und auch der Druck gegen den Gibbus 
wurde nicht mehr schmerzhaft empfunden. Nunmehr wurde durch 
langsame üeberstreckung der Wirbelsäule im Liegen bei gleich¬ 
zeitigem, sanft steigendem Druck gegen den Gibbus dieser zu be¬ 
seitigen gesucht. Nach weiteren 10 Wochen konnte Patient ohne 
Schmerzen, allerdings mit ziemlich steifgehaltener Wirbelsäule, das 
Bett verlassen. Der Gibbus war bis auf eine mässige Vorwölbung 
nach hinten, die nur gefühlt, nicht gesehen werden konnte, ge¬ 
schwunden. Der Patient war, wie er selbst angibt, kleiner ge¬ 
worden und dieses Einsinken in sich selbst kam objectiv zum Aus¬ 
druck durch eine handbreite, gürtelförmig die Lendengegend um¬ 
gebende Einziehung der Weichtheile, die auch auf der Photographie 
deutlich zura Ausdruck kommt. 

Das Röntgogramm, welches ich nunmehr aufnehmen Hess und 
das ich Ihnen herumgebe — es ist eine Blendenaufnahme —, zeigt, 
dass der Zwischenknorpel zwischen I. und II. Lendenwirbel voll¬ 
kommen geschwunden ist, dass der 1. Lendenwirbel in seinem unteren 
Theile schwer verändert, dass der II. Lendenwirbel sowohl in seiner 
Höhe wie Breite stark eingeschmolzen ist. 

Wenn wir berücksichtigen, dass das Röntgogramm, das gleich 
nach der Verletzung, sowie das, welches 8 Wochen nachher bei 
seiner Entlassung aus dem Krankenhause aufgenommen worden ist, 
vollkommen normale Wirbelverhältnisse darbot, dass also eine Fractur 
oder Fissur, die doch sicherlich auf der Platte zu sehen gewesen 
wäre, nicht vorhanden war, und jetzt die schweren Veränderungen, 
besonders des II. Lendenwirbelkörpers, sehen, so müssen wir an- 
nehmen, dass hier kein durch zu frühzeitige Belastung erweichter 


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170 


Brodnitz. Die Kümmeirsche Wirbelerkrankung. 


und resorbirter Callus die Ursache der Veränderung ist, sondern ein 
reiner Knochenprocess, der sich unter dem Einfluss des Traumas 
langsam entwickelt hat. Ob dieser Process der Ausdruck einer rare- 
ficirenden Ostitis oder durch trophoneurotische Störungen bedingt ist, 
vermag ich nicht zu entscheiden. 

Jedenfalls beweist der Fall, dass man berechtigt ist, von einer 
traumatischen Wirbelerkrankung im Sinne KümmelTs zu sprechen. 


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XII. 


Demonstration neuer Apparate zur Behandlung 
des Elumpfusses. 

von 

Dr. Heusner-Barmen. 

Mit 7 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! Die wirksamsten Mittel zur Heilung des an¬ 
geborenen und erworbenen Klumpfusses sind und bleiben die ge¬ 
waltsame Correction und der nachfolgende Gipsverband, wozu freilich 
in den hartnäckigeren Fällen eine langwierige Nachbehandlung mit 
Redressionsapparaten, manueller Umbiegung, Massage und anderen 
Massnahmen hinzukommen muss. Ich habe bereits auf dem vor¬ 
jährigen orthopädischen Congresse meinen Ringhebel zur forcirten 
Correction der Klumpfüsse vorgezeigt für Fälle, wobei man mit der 
Kraft der Hände nicht ausreicht, und kann das Instrument nach 
vielfacher Anwendung als bequem, wirksam und wenig verletzend 
warm empfehlen. Dasselbe hat an beiden Enden nach dem Fuss- 
umfang gebogene ringförmige Oesen, welche aus Rücksicht auf 
die verschiedenen Altersstufen verschieden gross gewählt sind. Der 
Ring wird über den vorderen Abschnitt des im Osteoklasten ein¬ 
gespannten Fusses hinübergeschoben und mit voller Kraft unter 
modellirenden Bewegungen dorsalwärts gedrängt. Um hierbei kräf¬ 
tiger pronirend auf den Fuss einwirken zu können, habe ich neuer¬ 
dings an dem einen Ende des Instrumentes statt des Ringes einen 
zweiten Hebelarm in Kreuzform anbringen lassen und zeige Ihnen 
das veränderte Instrument hier vor (Fig. 1). Ein Mangel dieser 
sonst so vortreiBFlichen Hebel besteht darin, dass man wohl den 
vorderen Fusstheil hinauf corrigiren, aber die Ferse ebenso wenig 
wie mit den Händen packen und herunterholen kann. Daher kann 
es bei Spitzfussstellung mit stark contrahirter Wadenmusculatur Vor¬ 
kommen, dass der vordere Fussabschnitt übercorrigirt wird, während 


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172 


Heusner. 




werden die Füsse dadurch nach auswärts gedreht, wie Sie es an 
diesem Modell zweier Kinderbeine sehen (Fig. 3); biegt man die 
Enden der Feder aufwärts, so entfaltet die Feder eine pronirende 
Wirkung (Fig. 4). Ich habe früher die Enden in die Absätze selbst 
einschieben lassen; später habe ich die Coulisse für dieselben in der 


die Ferse hoch stehen bleibt, wie beim Plattfuss stärksten Grades. 
Ich habe aus diesem Grunde noch einen zweiten Hebel hergestellt 


den Sohlen geknüpft werden, 
sind. Wählt man eine Feder 


dessen Oese eine veränderte Ge¬ 
stalt hat und seitlich zwei Messing¬ 
knöpfe trägt. An letzteren wird 
ein kräftiger, gepolsterter Riemen 
befestigt, dessen Mittelstück über 
den Fersenhöcker fasst und diesen 
beim Anheben mit Gewalt nach 
abwärts zieht (Fig. 2). Zur Nach¬ 
behandlung nach dem Gipsver¬ 
bandstadium benutze ich meine 
Redressionsfeder, deren Enden an 
Schuhen befestigt werden, welche 
die Kinder Nachts anlegen, und 
welche mittelst kragenartiger La¬ 
schen, deren Bänder das Oberleder 
der Schuhe durchsetzen und unter 
fest mit den Füssen verbunden 
lit gerade auslaufenden Enden, so 


Fig. 2. 


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Demonstration neuer Apparate etc. 


173 


Mitte der Sohle angebracht, weil die Supinations- und Pronations¬ 
bewegungen weniger zwischen Fersenbein und Sprungbein, als im 


Fig. 3. 



Chopart'schen Gelenke und im vorderen Fussabschnitt zu Stande 
kommen. Auch die Feder hat eine Verbesserung erfahren, indem 
sie statt der früheren einfachen Serpentine jetzt aus zwei auf einander 


Fig. 4. 



liegenden Exemplaren besteht, deren Enden in einander übergehen. 
Die Verdoppelung hat den Vortheil, dass die Form und Kraft bei 
längerem Gebrauche unverändert bleibt, und dass man den zur 
Herstellung dienenden Stahldraht wesentlich dünner wählen kann. 
Wie energisch die redressirende Wirkung ist, können Sie ermessen, 
wenn ich Ihnen ein Paar Schuhe, welche durch eine derartige Feder 
verbunden sind, herumreiche; wollen Sie nur versuchen, die von 
einander abgekehrten Sohlen in eine andere Stellung zu bringen 


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174 


Heusner. 


(Fig. 5). Handelt es sich um einseitigen Elumpfuss, so wird die 
gesunde Extremität durch eine über Fuss und Unterschenkel gelegte 
steife Lederkapsel vor unerwünschter Beeinflussung durch die Feder 
geschützt. Bei Neigung zu X-Bein kann es nöthig werden, auch 
die Knie mit verschnürbaren Lederhülsen zu überziehen. 

Während man bei leichteren Klumpfüssen mit diesem, für die 
Nacht bestimmten Apparate in der Regel auskommt, lasse ich in 
resistenteren Fällen eine entsprechende Modiflcation auch am Tage 


Fig. 6. 



beim Herumgehen tragen. Hier wird die Feder durch eine Coulisse, 
welche die Sohle in der Mitte des Fussgewölbes in querer Richtung 
durchsetzt, von der Aussenseite her eingeschoben, dann am Unter¬ 
schenkel hinaufgebogen und durch einige darüber gelegte ring¬ 
förmige Gummibänder befestigt. Sie wirkt, wie Sie an dem zweiten 
mitgebrachten Modelle bemerken, auf solche Weise ebenfalls stark 
pronirend, ähnlich wie die Seitenschiene an dem Scarpa’schen 
Klumpfussschuhe und zwar um so kräftiger, je mehr sie gegen den 
Unterschenkel herangezogen wird (Fig. 6). Natürlich können die 
Bänder der Spannlasche jetzt nicht unter den Schuhen geknüpft 
werden, sind vielmehr durch besondere Coulissen der dicken Sohlen 
kreuzweise hindurchgeführt und werden auf dem Schuhrücken ge¬ 
schlossen. Damit nicht die Sohlen auf die Dauer von der Feder 
nach oben durchgebogen und dadurch Schmerzen verursacht werden, 
legt man innen und aussen auf das Leder ein Plättchen Stahlblech, 


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Demonstration neuer Apparate etc. 


175 


welche dann mit einander vernietet werden, so dass die mittlere 
Sohlenpartie ein unbiegsames Ganzes bildet. 

Grossen Werth lege ich auf die mehrmals täglich wiederholte 
manuelle Redression, die entweder an den nackten Füssen, oder auch 
an den fest angelegten Nachtschuhen vorgenommen werden kann. 
Um diese etwas mühsame Arbeit zu erleichtern, habe ich neuer¬ 
dings einen T-förmigen Hebel aus flachen Stahlstangen anfertigen 
lassen, der von vorne her in die Federcoulisse eingeschoben wird, 

Fig. 7. 



wobei ein kleineres, an der Längsstange angebrachtes Querstück 
unter die Sohle zu liegen kommt (Fig. 7). Das grössere Querstück 
wird an beiden Enden erfasst und bildet eine bequeme Handhabe, 
um sowohl die Supination, als auch die Spitzfussstellung wirksam 
zu corrigiren. Die Idee ist ja nicht neu: Dechamps, Hahn und 
auch wohl noch Andere haben T-förmig gestaltete Holzhebel zur 
forcirten Redression empfohlen; aber ihre Befestigung sollte ge¬ 
schehen mit Hilfe von Gipsbinden, was grosse Schwierigkeiten 
wegen Druckes und mangelhafter Fixation bietet. Dagegen hat 
sich das von mir benutzte Instrument als eine sehr schätzbare 
Bereicherung für die Behandlung hartnäckiger Klumpfüsse bewährt. 


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XIII. 


(Aus dem orthopädischen Institut vonDr. Ernst Mayer in Köln a.Rh.) 

Zur Redression des angeborenen Elnmpfasses 
beim Erwachsenen (mit Demonstration eines im 
50. Lebensjahre redressirten Patienten). 

Von 

Dr. Ernst Mayer, 

Specialarzt für Orthopädie in Köln a. Rh. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen, 

Meine Herren! Während man im allgemeinen mit einem ge¬ 
wissen Schauder an die Therapie derjenigen Krankheiten geht, bei 
denen eine Unmenge verschiedener Heilmethoden empfohlen werden, 
braucht man diese Angst beim angeborenen Klumpfuss nicht zu 
haben. Denn bei dieser Deformität haben sowohl die Schienen¬ 
behandlung, als auch die Geraderichtung mittelst Knochenoperationen 
oder forcirten Redressements, als auch redressirende Verbände allein 
ihre Existenzberechtigung je nach den Gewohnheiten des Operateurs 
und der Lage des Falles. Jedoch ist es häufig schwer zu ent¬ 
scheiden, wo das Gebiet der einen Behandlungsmethode aufhört und 
wo das der anderen anfängt, und zwar dürften sich hier die ver¬ 
stümmelnden Knochenoperationen und die unblutige Redression („un¬ 
blutig“ nur in Bezug auf die Knochen) ihre Gebiete in vielen Fällen 
gegenseitig streitig machen. 

Dass die Grenzen für die letztere, besonders bei Erwachsenen, 
häufig zu eng gezogen werden, dazu möchte ich im folgenden einen 
Beitrag geben. 

Beschäftigen wir uns zunächst einmal mit der Frage: Was 
wollen wir mit der unblutigen Redression erreichen? Es geht uns 
darum den normalen Verhältnissen möglichst ähnliche zu schaffen, 
ohne Verstümmelung des Fusses, wie er durch Exstirpation eines 


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Zur Redression des angeborenen Elumpfusses etc. 


177 


Fusswurzelknochens hervorgebracht wird; ausserdem erstreben wir 
eine möglichst ergiebige Beweglichkeit in den Tarsalgelenken, ein 
Ziel, welches die Keilexcisionen im allgemeinen ausschliessen oder 
sehr beschränken. 

Auf der anderen Seite geht das Bestreben der Knochen¬ 
operationen dahin, durch Ausschaltung des die Redression haupt¬ 
sächlich hindernden Enochentheiles oder durch Exstirpation meistens 
des Talus den übrigen Knochen die Möglichkeit einer richtigen 
Nebeneinanderlagerung zu geben. Die Veränderungen der übrigen 
Knochen selbst werden durch die blutige Operation also nicht direct 
beeinflusst, sondern man will, ebenso wie bei der Redression, den 
deformirten Knochen erst durch die Function die Möglichkeit geben 
sich zu verändern. 

Dem Idealzustand, wie ihn die unblutige Redression erstrebt, 
steUen sich häufig unüberwindliche Hindernisse entgegen. Ich er¬ 
innere Sie nur an den Fall, dass der Talus zu breit ist, um in die 
Gabel zwischen Tibia und Fibula hineingezwängt zu werden, oder 
dass infolge von Contracturen der Gelenke und Zusammenschrumpfen 
der Ligamente selbst nach ausgiebigen subcutanen Durchschneidungen 
eine unblutige Redression trotz der grössten Anstrengung unmöglich ist. 

Ich betone „trotz der grössten Anstrengung“; denn man sieht 
häufig die höchstgradigen Klumpfüsse unter den Wirkungen der 
Redression verschwinden. Die Contractur der Gelenke und die Span¬ 
nung der Ligamente bilden also nur eine relative Contraindication * 
gegen das Redressement. Wenn Sie beispielsweise bedenken, dass 
Calot uns die für unmöglich gehaltene Sprengung des spondyliti- 
schen Gibbus gezeigt hat, wenn Sie selbst schon gesehen haben, wie 
sich die skoliotische Wirbelsäule selbst heranwachsender Kinder bei 
dem forcirten Redressement gerader richtet, so werden Sie einer ver¬ 
suchten Redression schwerer Klumpfüsse auch bei Erwachsenen nicht 
allzu skeptisch gegenüber treten. Für die Redression des Klump- 
fusses fällt noch begünstigend in die Wagschale, dass die Ver¬ 
krümmung des Fusses leichter zu beeinflussen ist als die der Wirbel¬ 
säule, und ferner, dass der redressirte Fuss wirkungsvoller fixirt und 
belastet werden kann. Gerade diese Fixationsmöglichkeit gibt uns 
die Mittel, die Weichtheile in dauernder Spannung belasten und auch 
dadurch die deformirten Knochen in eine richtige Nebeneinander¬ 
lagerung treten zu lassen. Dass diese Lage natürlich dann leichter 
zu erreichen ist, wenn die Knochen noch weich und biegsam sind, 

Zeitschrift far orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 12 


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178 


Ernst Mayer. 


ist einleuchtend, aber theoretische Erwägung sowohl, wie praktische 
Erfahrung sprechen von vornherein nicht gegen das Redressement 
der Klumpfüsse bei Erwachsenen. So veröffentlichte Vulpius die 
Ausführung der Redression bei 37 erwachsenen Klumpfusspatienten, 
von denen der älteste in den 30er Jahren war, und ich sah bei 
Lorenz einen redressirten Klumpfuss bei einem 35jährigen Manne. 
Eine etwas exceptionelle Stellung in dieser Art von Fällen dürfte 
mein Patient einnehmen, bei welchem die Redression im 50. Lebens¬ 
jahre vorgenommen wurde. 

Schliesslich möchte ich noch hervorheben, dass man noch vor 
20 Jahren den blutigen Knochenoperationen auch bei kindlichen 
Füssen einen grossen Spielraum zugestand. Nachdem dieser Stand¬ 
punkt heute grossentheils verlassen ist, wird sich das Redressement 
auch beim Klumpfusse Erwachsener ein immer grösseres Feld er¬ 
obern. 

Bei meinem Patienten handelt es sich um den 50jährigen Hausirer 
Johann Koenig. Patient hatte in seiner Jugend wenig Beschwerden von seinem 
Klumpfusse, mit dem er sogar mehrere Stunden lang gehen konnte; erst in 
den letzten 10 Jahren versagte sein Fuss, und er brachte einen grossen Theil 
des letzten Decenniums in Krankenhäusern zu. Seit 1894 trägt er einen Schienen¬ 
schuh. Da er mit diesem nicht mehr gehen konnte — er drückte ihn und war 
viel zu schwer — und weil er ohne Schiene seinen Fuss nicht gebrauchen 
konnte, kam er mit der von Sachkenntniss zeugenden Bitte zu mir, ihm ent¬ 
weder eine passende Schiene zu geben oder ihm den Fuss nach Pirogoff zu 
amputiren, da er an sich völlig werthlos für ihn sei. 

Status: Kräftig gebauter Mann, Herz- und Lungenbefund normal; am 
Körper keinerlei Deformitäten, ausser seinem linksseitigen Klumpfusse. Der 
Gang des Patienten ist äusserst beschwerlich, da der Fuss nur als Stelze benutzt 
werden kann. Bei jedem Schritt fällt die Gegend des Malleolus extemus an 
die Schiene, infolge dessen man die Druckstelle noch heute sehen kann. Lässt 
man die Schiene ausziehen, so sieht man Patienten nur mit seinem äusseren 
Fussrand auftreten. Dabei besteht ein beträchtlicher Spitzfuss (s. Fig. 1). Die 
Adduction des Vorderfusses zum Hinterfuss und des ganzen Fusses zum Unter¬ 
schenkel ist eine hochgradige. Man ersieht sie auch aus der Einwärtsrichtung 
des ganzen Beines (s. Fig. 2). Im Talocruralgelenk, ebenso wie in den Tarsal¬ 
gelenken sind einige Wackelbewegungen möglich. Die Weichtheile der Planta 
pedis werden beim Versuche, den Fuss aufzurollen, aufs äusserste gespannt. 
Die Wadenmusculatur ist hochgradig atrophisch. 

3. März 1902: In tiefer Chloroformnarkose wird der Fuss so weit es geht 
manuell über einem Holzkeil mit äusserster Kraftentfaltung redressirt, und zwar 
ca. */4 Stunden lang, bis die Musculatur und die Fascie der Planta pedis einen 
unüberwindlichen Widerstand entgegensetzen. Da nach deren subcutaner 
Tenotomie eine stärkere Blutung auftritt, wird die Wunde geöffnet, da® 


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Zur Redression des angeborenen Klumpfusses etc. 


179 


blutende Gelass unterbunden und die noch stehenden Fasern durchschnitten. 
Nach ca. lV4stündiger Arbeit Eingipsen des Fusses, und zwar in Spitzfuss- 


Fig. 1. Fig. 2. 



Stellung, einer Stellung, die, wie Schanz unlängst hervorhob, zum Gelingen 
des Resultats sehr wichtig ist. Temperatur des Patienten normal. 


Fig. 3. 



Am 10. März abermalige Redression. Die Wunde auf der Fusssohle war 
am Zugranuliren, da die Fäden infolge der grossen Spannung durchgeschnitten 
batten. Die Redression der Supinations- und Add actionssteil ung wird bei den 
nunmehr gedehnten Weichtheilen mittelst des Stille-Lorenz’schen Osteoklasten 


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180 Ernst Mayer. Zur Redression des angeborenen Klumpfusses etc. 

forcirt. Naht der wieder aus einander gerissenen Haut mit Catgut. Eingipsen 
des Fusses in Spitzfussstellung. 

Diese Stellung wurde erst am 4. April, der letzten Redressionssitzung, 
corrigirt, und zwar gelang sie selbst nach Durchschneidung der Achillessehne 
erst mit Hilfe des Osteoklasten. Wahrscheinlich waren hieran die Verkürzungen 
der talo'tibialen und -fibularen Bandverbindungen schuld. 

Am 20. August, also ca. ÖVa Monate nach der ersten und ca. 4*/f Monate 
nach der letzten Redression, erfolgte die Verbandabnahme. Während der 
Zwischenzeit war Patient täglich wenigstens 2 Stunden auf den Beinen. Er 
konnte schliesslich sogar weite Strecken ohne Stützen zurücklegen, wobei er 
über dem Gipsverbande zum Schutze gegen Feuchtigkeit einen vorne und 
hinten zuschnürbaren Stiefel trug. 

Nach der Verbandabnahme war der Fuss in völlig überredressirter Stel¬ 
lung, es war ein vollständiger Plattfuss geworden (s. Fig. 3). 

Patient erhielt dann einen Schuh mit aussen erhöhter Sohlenöäche und 
wurde noch 3 Monate orthopädisch nachbebandelt. Nach dieser Zeit zeigte er 
eine leidlich gute Pronations- sowie Dorsal- und Plantar-Flexionsfähigkeit im 
Talocruralgelenk und vor allem kann er seinen Fuss ohne jede Schiene wieder 
gebrauchen. 

Von einer Verkürzung der Peroneussehnen, wie ich sie bei schweren 
kindlichen Klumpfüssen zur Vermeidung eines Recidivs mache, konnte ich bei 
dem Alter des Patienten absehen. Dagegen störte mich einigermassen die 
Hautnarbe in der Planta pedis, weil dieselbe sich wieder etwas verkürzte. Im 
Wiederholungsfälle werde ich die Durchschneidung der Weichtheile in der 
Planta pedis nur mehr subcutan vornehmen. 

Bei dem ganzen Redressionsverfahren legte ich Gewicht dar¬ 
auf, dass die ersten und meisten Widerstände mit der Hand über¬ 
wunden wurden. Es konnten so grössere Circulationsstörungen, die 
ich gerade bei dem 50jährigen Patienten fürchtete, hintan gehalten 
werden. Erst wenn die Hand nichts mehr leisten konnte, griff ich 
zu dem Stille-Lorenz'schen Redresseur. 

Meine Herren! Ich glaube durch meine Ausführungen und 
durch die Vorstellung meines Patienten bewiesen zu haben, dass 
man die Klumpfüsse bis ins hohe Alter hinein gegebenenfalls durch 
die Redression behandeln kann. Hoffentlich tragen meine Aus¬ 
führungen dazu bei, dass Meissei und Hammer beim Klumpfusse 
nur mehr auf wenige Fälle beschränkt werden und dass die redres- 
sirenden Hände des Operateurs und die verschiedenen Redressions¬ 
instrumente immer mehr in den ihnen gebührenden Rang hinauf¬ 
rücken. 


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XIV. 


(Aus dem orthopädischen Institut von Dr. Max Blumenthal 
und Dr. K. Hirsch, Berlin.) 

lieber hereditäre angeborene doppelseitige 
Supinationsstörung des Ellbogengelenkes. 

Von 

Dr. Max Blumenthal-Berlin. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die Gelenkdeformität, über welche ich berichten will, gehört 
zu den seltenen Fällen, welche der Gruppe der congenitalen Radius¬ 
luxationen zuzurechnen sind, insofern das Radiusköpfchen sich auf 
der einen Seite nicht, auf der anderen nur zum Theil mit seiner 
Gelenkstelle an der Ulna in Verbindung befindet; sie erregt aber 
noch besonderes Interesse durch die sonstigen Entwickelungsstörungen, 
welche die betheiligten Knochen an der genannten Stelle betroffen 
haben. Die Krankengeschichte ist kurz folgende: 

Es handelt sich um einen sonst durchaus wohl gebildeten Knaben 
von 3^2 Jahren. Er ist unter fünf Geschwistern der vierte. Das 
jüngere Schwesterchen, der Vater des Knaben sowie die Gross¬ 
mutter väterlicherseits sollen genau dieselbe Verbildung 
zeigen. Von Geburt an fiel es auf, dass der rechte, in geringerem 
Grade der linke Handteller und Vorderarm nicht nach oben gedreht 
werden konnten. Eine Behandlung war bislang nicht vorgenommen 
worden. 

Bei der Untersuchung des Knaben fällt es auf, dass beide 
Vorderarme in stark pronirter Stellung gehalten werden. Der 
rechte Vorderarm kann weder activ noch passiv supinirt werden, 
der linke activ in geringem Grade und nur vorübergehend, passiv 
etwas mehr, wobei er, losgelassen, in seine frühere Lage zurück¬ 
federt. Auch eine weitere Pronation ist beiderseits unmöglich. 


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182 


M. Blumenthal. 


Während links Beugung und Streckung in ausgiebiger W^eise er¬ 
folgen kann, findet die Streckung rechts bei ca. 140® einen Wider¬ 
stand, die Beugung dagegen ist unbeschränkt, ja sogar in höherem 
Grade als gewöhnlich möglich, so dass sich Ober- und Unterarm fast 
ganz berühren. Ferner ist der rechte Vorderarm kürzer als der 
linke, die Messung ergibt eine Differenz von 1 cm. Der Umfang 
ist beiderseits annähernd gleich. Die rechte Hand erscheint etwas 
kleiner als die linke. 

Bei Betastung des linken Armes ergibt sich, dass das Radius¬ 
köpfchen an der richtigen Stelle zu stehen und Drehbewegungen, 
soweit sie überhaupt ausführbar sind, etwas zu folgen scheint. 
Rechts ist die Stelle des Radiusköpfchens leer, der Radius selbst 
lässt sich von distalwärts her bis etwas unterhalb der Ellenbeuge 
verfolgen. Daselbst scheint er dem Gefühl als harte Resistenz zu 
endigen. Auch bei genauer Abtastung der seitlichen Partien des 
Olecranon und der Ulna von hinten her ist keine weitere Knochen¬ 
masse durchzufühlen, die dem Radius angehören könnte. Das 
rechte untere Huraerusende zeigt bei der Betastung, dass der 
Condylus externus flacher und weniger prominent ist, als der linke 
Condylus externus. 

Es wurden nun von den Armen Röntgenbilder aufgenommen 
und zwar in zwei verschiedenen Anordnungen, das eine bei auf 
der Platte au fliegendem Condylus internus humeri (sagittal-exteme 
Projection nach Jedlicka^) in der natürlichen Pronationsstellung 
mit auf der Unterlage flach auf liegenden Händen, das zweite bei 
erhobenen rückwärts gewendeten Armen und auf der Platte auf¬ 
liegendem Condylus externus humeri (sagittal-interne Projection^ 
und zwar wurden im zweiten Falle von dem rechten und linken 
Arm je ein besonderes Bild aufgenommen. 

Bei Betrachtung der Röntgenbilder ergibt sich nun, dass an¬ 
scheinend rechts Ulna und Radius kürzer sind als links. Von den 
Processus styloidei an gerechnet und bei Messung der directen Ent¬ 
fernung beträgt auf den unter gleichen Verhältnissen aufgenommenen 
Bildern der Radius rechts 11 links IP/ 4 , die Ulna rechts 11 
links 12^2 cni. 

Die rechte Ulna ist in ihrem proximalen Theile etwa von 
der Gegend der Tuberositas ulnae an nach vorn (also in der be- 


*) Die topographische Anatomie des Ellbogengelenkes 1900. 


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Ueber hereditäre angeborene doppelseitige Supinationsstörung etc. 183 


stehenden Pronationsstellung radialwärts) abgebogen; während der 
vordere Rand des Ulnarschaftes sonst mit der Spitze des infan- 

Fig. 1. 



tilen Olecranon, soweit es verknöchert ist und im Röntgenbilde 
erscheint, ungefähr in einer Ebene liegt, ist die Olecranonspitze 

Fig. 3. 



hier beträchtlich nach vom gerückt; auch scheint das ganze Ulnar¬ 
ende verdickt zu sein (cf. die Abbildungen). 

Der Radius derselben Seite ist etwa von der Hälfte seiner 
Länge an ulnarwärts sanft abgebogen, erreicht die Ulna unterhalb 


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184 


M. Blumenthal. 

des Processus coronoideus und geht sodann mit stärkerer Biegung 
an der Ulnaseite seitlich vorbei, um fast am hinteren Rande der¬ 
selben mit abgerundeter Contour zu endigen. Abgesehen von der 
Randzone der Ulna erscheinen die Knochen an der Stelle der Ueber- 
einanderlagerung ausserordentlich zart und durchsichtig (atrophisch). 
An einer Stelle ist ferner die Contour des Radius nicht von der der 
unterliegenden Ulna zu trennen, so dass die Knochen hier offenbar 
verschmolzen sind. Am rechten Humerus zeigt das Röntgenbild 
nichts Abnormes. Der Knochenkern der Eminentia capitata, welcher 
schon vor diesem Lebensjahr sichtbar ist, ist, wie auch links, deut¬ 
lich vorhanden. 

Linkerseits zeigt die Ulna in ihrer Form keinerlei Ab¬ 
weichung. Der Radius zeigt an sich die gewöhnliche Form, ragt 
aber an seinem oberen Ende, obgleich er infolge noch nicht ver¬ 
knöcherter Epiphyse im Röntgenbild gar nicht in seiner ganzen 
Länge in die Erscheinung tritt, mit seinem Schatten bis fast zur 
Hälfte der Incisura sigmoidea major der Ulna empor, überragt 
jedenfalls den Processus coronoideus beträchtlich. Ferner macht 
sich eine eigenthümliche quer zur Unterarmachse verlaufende Streifung 
bemerkbar, aus zahlreichen parallel verlaufenden Linien bestehend 
und theihveise über das Ulnarende allein, theilweise über Radius 
und Ulnarende zugleich hinwegziehend. Erst von der Gegend unter¬ 
halb der Tuberositäten an, wo sich Radius und Ulna trennen, ver¬ 
schwinden diese Linien, welche querverlaufende Ossificationsstreifen 
vorstellen. Auf der Copie sind sie nur schwer erkennbar, auf den 
Platten selbst deutlich; ich habe daher, um sie zur Anschauung zu 
bringen, eine Zeichnung der betreffenden Partie vornehmen lassen; 
die Querstreifung ist auf der Zeichnung etwas schematisirt. 

Wenn wir nun auf den Befund näher eingehen, so ist an den 
Radien beider Seiten vor allem auffällig, dass sie in ihrem proximalen 
Theil eine zu grosse Längenausdehnung besitzen, um sich derjenigen 
Stelle anpassen zu können, an welcher das Radiusköpfchen liegen 
müsste, nämlich an der Cavitas sigmoidea minor der Ulna. So 
überragt das linke Radiusköpfchen seinen Gelenktheil beträchtlich, 
während rechts der Radius, wenn man sich ihn aufgerichtet denken 
wollte, sich noch höher erheben würde als der linke. Die Ver¬ 
schiebung im Radioulnargelenk, die auf diese Weise eingetreten ist 
besteht links in einer Art von Subluxationsstellung, während der 
rechtsseitige Zustand als eine Luxation nach hinten aufzufassen 


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üeber hereditäre angeborene doppelseitige Supinationsstörung etc. 185 

ist, obgleich es nicht möglich ist, den Radius von hinten her zu 
fühlen. Daran sind jedoch offenbar der atrophische Zustand des 
Badiusendes, sowie die Verwachsung mit der Ulna schuld. 

Das zweite bei den Gelenken Gemeinschaftliche ist die ge¬ 
nannte, die Supination und auch die weitere Pronation unmöglich 
machende, feste Verbindung zwischen Radius und Ulna. Links 
scheint dieselbe etwas lockerer zu sein, obgleich gerade hier die 
Deutlichkeit, mit welcher die erwähnten, theilweise Uber Radius und 
Ulna hinwegziehenden Linienschraffirungen hervortreten, , die Bil¬ 
dung verbindender feinster KnochenbrUcken annehmen lässt. 
Rechts besteht eine feste Verschmelzung mit der Ulna. Hier ist 
die Abbiegung sowohl der Ulna wie des Radius gegen einander be¬ 
sonders bemerkenswerth. Vielleicht ist hier der Schluss zulässig, 
dass die Verwachsimg schon frühzeitig eingetreten ist, so dass bei dem 
vorhandenen Wachsthumstrieb eine Ausbiegung beider Knochen statt¬ 
finden musste, um dem, wenn auch scheinbar gegenüber der anderen 
Seite verringerten^ so doch vorhandenen Längenwachsthum gerecht 
zu werden. Die Verkürzung der beiden rechten gegenüber den 
beiden linken Vorderarmknochen ist nur eine scheinbare, ist viel¬ 
mehr hauptsächlich auf Rechnung der Krümmung beider Knochen 
zu setzen. Auch links kann man übrigens bei genauem Zusehen 
beobachten, dass beide Knochen eine geringe Abbiegung gegen 
einander zeigen. 

Der Radius gibt rechts auch wohl den Grund dafür ab, dass 
eine Streckung im Ellbogengelenk nicht völlig möglich ist; es ist 
anzunehmen, dass sein hinteres Ende, wenn auch atrophisch und 
dünn, sich im gegebenen Moment gegen die (auf dem Röntgenbilde 
noch nicht sichtbare) Trochlea, resp. gegen die Wand der Fovea 
supratrochlearis posterior anstemmt; indessen könnte auch die Ab¬ 
biegung des Olecranons eine vollkommene Ausnutzung der Gelenk¬ 
flächen verhindern. Andererseits dürfte wieder das Fehlen des 
Radiusendes an der richtigen Stelle die abnorm hohe Flexions¬ 
möglichkeit des Unterarmes gegen den Oberarm erklärlich machen, 
da die Muskelmasse des Biceps am Oberarm nicht verringert schien. 

Endlich ist das völlige Fehlen jeglicher anderen Verbil¬ 
dung, die Doppelseitigkeit der Erkrankung, sowie die Vererb¬ 
lichkeit der Deformität in der Familie crwähnenswerth. 

Wenn wir uns nun in der Literatur umsehen, so finden wir 
die Angabe, dass bei congenitalen Radiusluxationen abnorme Ver- 


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186 


M. Blumenthal. 


längerungen des proximalen Radiusendes beobachtet wurden, 
verhältnissmässig häufig. Abgesehen von den aus Anlass eines von 
Hoffa beobachteten Falles von congenitaler Radiusluxation von 
Ronnenberg^) 1893 zusammengestellten 31 Fällen, berichtet 
F. C. Abbott*) von 9 Fällen congenitaler Radiusluxation, von 
welchen 7 von ihm selbst untersucht sind; ferner theilt Kir- 
misson^) einen neuen Fall mit. Ausserdem findet sich bei Voigt*) 
anlässlich einer Arbeit über congenitalen Radiusdefect bei einem 
bald nach der Geburt verstorbenen Knaben die Angabe, dass sich 
am anderen Arme eine Luxation des Radius nach hinten, oben und 
aussen vorfand. Endlich berichtet Oscar Schmid^) bei einer 
Arbeit über dasselbe Thema von einer angeborenen Subluxation des 
oberen Radiusendes, welches bei der Extension des Vorderarmes die 
Erainentia capitata humeri nach vorn übersprang. Unter diesen 
43 Radiusluxationen findet sich 9mal die Angabe einer Verlängerung 
des proximalen Radiusantheiles, wobei ich die Fälle von doppel¬ 
seitiger Luxation stets nur als einen mitzähle. Von den von 
Ronnenberg genannten Fällen von Radiusverlängerung (er führt 
12 solcher auf) kann ich drei nicht anerkennen, nämlich den Fall 
von Senftleben^), bei welchem vielmehr die Ulna in ihrer 
Diaphyse einen Defect von 6 Zoll aufweist, ferner die beiden, als 
Nr. 26 und 27 genannten Fälle von Ressel-Hagen^), bei welchen 
die Ulna eine beträchtliche Wachsthumsverkürzung aufwies (bis 7,5 cm), 
ohne dass ein Grund vorhanden ist, eine Verlängerung des Radius 
anzunehmen. In einem Falle (von Dupuytren, 1830)®) überstieg 
der Radius das untere Ende des Humerus um mindestens einen Zoll. 

Die Verlängerung des Radius ist nicht immer auf Kosten des 


*) Die Luxatio capituli radii congenita. Zeitschr. f. orthopäd. Chir. Bd. 2 

*) Verliandl. der pathol. society of London, 5. April 1892, berichtet im 
Lancet (angeborene Ellbogenluxation bei Gliedern derselben Familie in vier 
auf einander folgenden Generationen). 

Lehrbuch der Chirurg. Krankheiten angeborenen Ursprungs 1899, S. 391. 

*) Beitrag zur Casuistik des congenitalen Radiusdefectes. Wagner’s Arch. 
f. Heilkunde 1863, Bd. 4 S. 26. 

*) üeber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 
Zeitschr. f. orth. Chir. 1893, Bd. 2. 

*) Virchow’s Arch. 1869, Bd. 45. 

’) V. Langenbeck’s Arch. Bd. 41. üeber Knochen- und Gelenkanomalien etc 

®) Nach Gurlt, Beiträge zur vergleich, pathol. Anatomie der Gelenk¬ 
krankheiten 1853 (Fall 2). 


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lieber hereditäre angeborene doppelseitige Supinationsstörung etc. 187 

Collum radii zu setzen; vielmehr berichtet Humphrey^), dass die 
ausserordentliche Länge des Radius nicht in seinem Halse, sondern 
im Schafte entwickelt war. Auch bei uns müssen wir wenigstens 
rechterseits es unentschieden lassen, ob Schaft oder Hals Sitz 
des Wachsthumsüberschusses ist, zumal ein Collum gar nicht zu 
unterscheiden ist. Linkerseits scheint es so, als wenn an der 
Verlängerung das Collum radii hauptsächlich betheiligt sei. 

Von Verwachsungen zwischen Radius und Ulna bei congenitaler 
Eladiusluxation wird nur 5mal berichtet; wie Bonnenberg meint, 
waren sämratliche Fälle (es handelt sich durchweg um Leichen¬ 
befunde bei Erwachsenen) wohl durch Traumen entstanden und nicht 
zu den congenitalen Luxationen zu zählen. Einer dieser Fälle, der 
einzige doppelseitige (von Allen)*), hat indessen eine gewisse 
Aehnlichkeit mit unserem, und ich möchte ihn schon wegen seiner 
Doppelseitigkeit als congenitalen ansprechen. Die Flexion war 
normal, die Extension nur bis zum rechten Winkel möglich. Die 
Rotation war vollständig verloren gegangen; die Glieder standen in 
Pronation dauernd fest. Beide Radii waren rückwärts gelagert. 
Der linke Radius kreuzte die Vorderseite der Ulna an ihrem oberen 
Ende und war dortselbst in einer Ausdehnung von 3 Zoll durch 
knöcherne Verwachsung mit ihr verbunden. Der Hals des Radius 
war 1 ^2 Zoll lang, so dass das Köpfchen nach oben hinter den 
Humerus getrieben war, an die innere Seite des Olecranon. (Ob in 
imserem Falle das Radiusende an der inneren oder äusseren Seite 
des Olecranon liegt, ist weder durch die Palpation noch durch das 
Röntgenbild zu unterscheiden.) — Ausserdem war der Condylus 
extemus humeri abnorm nach ab- und auswärts gewachsen und 
zwar wurde die Ausdehnung dieser Vergrösserung auf einen halben 
Zoll geschätzt. Der Schaft der Ulna war dünn; ihr unteres Ende 
war normal und stand im normalen Verhalten zum Radius. 

Alle anderen congenitalen Luxationen, welche ich erwähnt 
fand, gestatten theilweise eine abnorme grosse, theils auch eine ge¬ 
ringere Beweglichkeit als gewöhnlich, waren aber sämratlich mobil. 

Die eigenartigen VerwachsungsVorgänge in dem erwähnten und 
in unserem FaUe findet ein Analogon in einigen anderen Fällen von 


’) Citirt nach Bonnenberg 1. c. vierter Fall (aus Stimson, Treatise 
on Dislocations 1888), S. 384. 

•) Bonnenberg 1. c. Fall 5 (aus Stimson) von Allen. 


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188 


M. Blumenthal. 


Verwachsungen des Radius und der Ulna, welche von Joachims- 
thaP) berichtet werden. In dem einen von ihm geschilderten 
Falle ist die gesammte linke obere Extremität mitsammt dem Schulter¬ 
gürtel in der Entwickelung zurückgeblieben. Unterhalb des Condylus 
externus humeri war eine Lücke. Die Supination war aufgehoben. 
Starke Pronationsstellung des Vorderarmes. Flexion nur bis 35 ^ 
Extension nur bis 140® möglich. An der Hand fehlen das Meta¬ 
carpale pollicis und der Daumen. Die Diagnose wurde auf Defect 
des oberen Theiles des Radius gestellt, indessen ergab das Skiagramm 
das Vorhandensein desselben, und zwar war er, in ähnlicher Weise 
wie in einer Beobachtung von Kümmell*), bei der gelegentlich 
eines operativen EingriflFes die Verhältnisse aufgedeckt wurden, aut 
eine Strecke von etwa 3 cm knöchern mit der Ulna verwachsen. 
Die Verknöcherung spannte sich, wie man auf dem Röntgenbilde 
sieht, brückenartig zwischen Radius und Ulna aus. Die Hand¬ 
wurzel bestand aus sechs Knochen. Ferner berichtet Joachims- 
thaP) von einem Bruder des eben erwähnten Patienten, dass die 
linke, wesentlich breitere Ulna in ihrem oberen Drittel mit einem 
Rudiment des in den beiden unteren Dritteln fehlenden Radius ver¬ 
schmolzen wäre. Endlich liegt eine Mittheilung von Drenkhahn^) 
vor, bei der von Geburt an starke Pronation beider Vorderarme 
bestand, rechts war eine Supination bis 45®, links weniger möglich: 
die Streckung konnte nur bis zu 160 ® erfolgen. Die Röntgenunter¬ 
suchung ergab eine knöcherne Verbindung der Vorderarmknochen 
an ihren Kreuzungsstellen. Sonstige Abnormitäten fehlten vollkommen. 

Unser Fall nun bildet, wie der oben geschilderte von Allen, 
einen Uebergang zwischen den letztgenannten Fällen einfacher 
knöcherner Verwachsung der Radius-Ulnaenden und den Radius¬ 
luxationen mit abnormer Knochenbildung (Verlängerung des Radius). 
Die uns unbekannte Ursache der Entwickelungsstörung hat also, ab¬ 
gesehen von einem gesteigerten Wachsthumstrieb der Radiusenden, 
an einer Stelle (rechts) zu Atrophie und Knochenverschmelzung, an 
einer anderen (links) zu abnormer Knochenneubildung geführt. 

Besonders erwähnenswerth erscheint noch in unserem Falle 


Die angeborenen Verbildungen der oberen Extremitäten 1900, S. 17. 
Die Missbildungen der Extremitäten durch Defect, Verwachsung und 
üeberzahl. Biblioth. med. 1895, Bd. 3. 

1. c. S. 16. 

*) Zeitschr. f. orth. Chirurg. 1903, Bd. 11. 


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üeber hereditäre angeborene doppelseitige Supinationsstörung etc. 189 

das Fehlen jeglicher anderen Verbildung. Unter den erwähnten 
43 Fällen von congenitaler Radiusluxation finden wir 16 mal die 
directe Angabe (darunter 8 Abott's)^), dass jede andere Deformi¬ 
tät daneben fehlte. Ich rechne dabei diejenigen Angaben nicht mit, 
welche sich auf Veränderung des distalen Humerusendes beziehen, 
denen offenbar directe Beziehungen zu der congenitalen Radius¬ 
luxation zukommen, sei es, dass sie als Folgezustände, oder als 
ursächliche Momente gedeutet werden. So nimmt Hoffa*) u. a. 
die Möglichkeit an, dass es zu verstärktem Wachsthum des Radius¬ 
köpfchens kommen könnte, wenn der Condylus extemus (wie auch 
in seinem Falle) Sitz einer Heramungsbildung wäre imd dem Wachs¬ 
thumstriebe des Radius keinen Widerstand entgegensetze. Auch in 
unserem Falle ist der rechte Condylus externus wesentlich fiacher 
als der linke. Umgekehrt ist wieder in anderen Fällen ein un¬ 
gewöhnlich starkes Wachsthum des Condylus externus berichtet, 
wenn die Stelle des Radiusköpfchens leer war, so in dem oben 
citirten Fall Allen's^), so auch in einem Bessel-Hagen*s^). 
Dagegen habe ich den 9. Fall Abbot Fs zu denjenigen gerechnet, 
in welchen anderweitige Deformitäten vorhanden sind, weil das 
untere Ende des Humerus einen tiefen Spalt zeigte und in seiner 
ganzen Form stark deformirt war. 

Verhältnissmässig häufig findet sich die Radiusluxation mit 
einem Defect der Ulna verbunden; so fehlten in dem Deville- 
schen^) und Senftleben’sehenFalle der grösste Theil der 
Diapbyse, in 3 anderen (Dupuytren*^), Smith^), Humphrey^) 
das untere Ende der Ulna. In dem Kirmisson’schenFalle fehlte 
fast die ganze Ulna bis auf ihren proximalen Antheil. In den zwei 
weiter oben erwähnten Bessel-Hagen'schen Fällen war sie be¬ 
deutend verkürzt (im ganzen 8 Fälle). In 9 anderweitigen Fällen 
waren Bildungsfehler der mannigfaltigsten Art gleichzeitig be¬ 
schrieben, so u. a. mehrmals anderweitige Luxationen. 

’) 1. c. 

Lehrbuch der orth. Chirurg. 1902, S. 542. 

*) 1. c. 

1. c. 

") Gurlt 1. c. Fall 6 (1849). 

1. c. 

D Gurlt 1. c. Fall 2. 

») Garlt 1. c. Fall 8. 

») 1. c. 


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190 


M. Blumenthal. 


Bezüglich der Knochenverwachsungen an den proximalen Enden 
der Vorderarmknochen ohne Luxation ist zu erwähnen, dass dieselben 
Imal (D r e n k h a h n ohne jegliche anderweitige Bildungsfehler 
vorkamen, 3mal (JoachimsthaP) und KümmelP) mit anderen 
Defecten gleichzeitig auftraten. 

In derselben Vertheilung kamen die letztgenannten Verwachsungen 
Iraal doppelseitig, 3mal einseitig vor, die congenitalen Luxationen 
des Radius nach Bonnenberg und Kirmisson 13mal doppelseitig, 
während Abbott nur sagt, die Luxationen waren an einem oder 
beiden Armen aufgetreten. Die Fälle von Voigt und Schmid 
waren einseitig. 

Auf die Arbeit des Leketgenannten „Uber eine bisher nicht 
beobachtete Form von partiellem Radiusdefect“ (1893) muss ich hier 
mit kurzen Worten näher eingehen. Er veröffentlicht 2 Fälle von 
partiellen Radiusdefecten, in welchen beiden angeblich ein Defect 
des proximalen Abschnittes besteht, während das Rudiment den 
unteren Abschnitt bildet. Die bisher bekannten Fälle von partiellem 
Radiusdefect zeigen das umgekehrte Verhalten, nämlich stets Persistenz 
des proximalen Abschnittes. In dem ersten Falle (M. F.) liess sich 
der Radius nur bis etwas über die Mitte seiner Länge von unten 
her, wo er mit der Ulna verwachsen war, durchfühlen. Er ver¬ 
jüngte sich nach oben, das obere Ende war spitz und leicht abzu¬ 
tasten. Die Ulna, kürzer als die linke, war im oberen Drittel deut¬ 
lich verdickt. Etwa 1 V« cm unterhalb des Cond. ext. humeri fühlte 
man auf der äusseren Fläche der Ulna eine stark erbsengrosse 
Prominenz. In dem zweiten Falle (Th. B.) kann man den Radius 
von unten her bis ca. 2 cm unterhalb des Ellbogengelenkes leicht 
durchfühlen; hier sinkt der Finger bei Druck ein. Von dem oberen 
Ende, welches stumpf ist, scheint eine Kante oder Sehne auszugehen, 
die gegen den äusseren Theil des Ellbogengelenkes hin verläuft. 
Oben an der Ulna, an der sonstigen Stelle des Radiusköpfchens, 
fühlte man direct unter dem Condjlus externus humeri eine knopf¬ 
förmige Prominenz an der Ulna. (Am anderen Arm fand sich die 
oben citirte Radiussubluxation.) In beiden Fällen war die Supination 
stark beschränkt. 

Wenn wir uns nun vergegenwärtigen, wie sowohl in dem 
Joach ims thaPschen, wie in meinem Falle (rechterseits) nur das 


1. c. 


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lieber angeborene hereditäre doppelseitige Supinationsstörung etc. 191 

Röntgenbild vor der Täuschung bewahren konnte, einen Defect am 
oberen Radiusende anzunehmen, wenn man ferner in Betracht zieht, 
dass sich in beiden Fällen Schmid’s Knochenverdickungen an der 
Ulna finden, welche dem Radiusköpfchen entsprechen, bei gleich¬ 
zeitiger Supinationsbeschränkung, so muss man wohl zu einem 
Zweifel gelangen, ob wirklich in den beschriebenen Fällen ein Radius- 
defect bestand. Die Wahrscheinlichkeit spricht dagegen, nachdem 
ein solcher Defect noch nicht bekannt geworden ist, andererseits 
das Röntgenbild da, wo man geneigt war, die genannte Deformität 
anzunehmen, beide Male Abbiegungen und Verwachsungen des Radius 
und der Ulna aufzeigte. 

Kehren wir nach dieser Abschweifung zu unserem Fall zurück, 
so ist ferner zu erwähnen, dass in seltenen Fällen auch Erblichkeit 
der congenitalen Radiusluxationen beobachtet worden ist. Eine 
solche Mittheilung stammt von Peye-Smith^). Er beobachtete 
eine Frau mit linksseitiger Radiusluxation nach hinten, deren Bruder 
eine ähnliche Luxation am rechten Radius hatte. Ausserdem waren 
noch sieben Personen der elfköpfigen Familie mit Klumpfüssen und 
anderen Deformitäten behaftet. 

Ferner gehören von den 9 Fällen A b b o t t's nicht weniger als 
7 einer Familie an und waren über vier Generationen vertheilt. 
Fünf der Fälle (drei Generationen angehörend) hat Abbott selbst 
untersucht. Alle Fälle waren uncomplicirt und zeigten Luxation 
nach vorne. Flexion und Extension war bei allen frei. Pro- und 
Supination aber fehlte. 

In unserem Falle findet sich dem Berichte der Mutter gemäss 
in drei Generationen 4mal dieselbe Gelenkstörung. Leider ist es mir 
nicht gelungen, die anderen Familienmitglieder zur Untersuchung zu 
bekommen; die Störung soll stets doppelseitig und stets uncompli¬ 
cirt sein. 

Wenn wir zum Schluss noch mit einigen Worten auf die 
Aetiologie eingehen wollen, so ist es zunächst sehr bedauerlich, dass 
es mir aus äusseren Gründen nicht möglich war, die anderen 
Familienmitglieder zur Untersuchung zu bekommen. So muss es 
also ganz dahingestellt bleiben, ob sich auch bei diesen Radius¬ 
verlängerungen, knöcherne Verwachsungen oder auch nur einfache 
Luxationen des Radius als Ursache der angeborenen Supinations- 


’) Nach Bonnenberg, Fall 24 (aus Stimson citirt). 


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192 


M. Blumenthal. 


Störung vorfinden, obgleich wir auf der anderen Seite wohl das Recht 
haben, eine gleiche Verbildung zu vermuthen. Bemerkenswerth 
erscheint nur, dass die väterliche Linie die Trägerin der Erblichkeit 
ist (Grossmutter, Vater, zwei Kinder). 

Schalten wir nun den Gesichtspunkt, zu welcher Zeit und in 
welcher Art das erbliche Moment einsetzt, welches die primär 
erblichen Voraussetzungen für die eigenartige Entwickelung der 
Ellbogendeformität sind, und worin wir erst die Folgezustände solcher 
erblichen Differenzirung zü sehen haben, auf Grund des eben Gesagten 
als unfruchtbar aus der Betrachtung aus, so bleibt uns die Frage 
übrig, ob wir bestimmte ursächliche Momente für das abnorme 
Enochenwachsthum am Radius- und auch am Ulnarende auffinden 
können. 

Selbst wenn wir zu einer Antwort auf diese Frage nicht ge¬ 
langen, wird es nützlich sein, einige Momente wenigstens zu er¬ 
wähnen, die hier von Wichtigkeit sind. Erstlich ist die exponirte 
Lage des Ellbogengelenkes in utero in Betracht zu ziehen, welche 
dem Zustandekommen äusserer Einwirkungen von Seiten des Amnion 
bei Fruchtwasserniangel besonders günstig ist. Die ursprünglich 
mit der Streckseite lateral, mit der Beugeseite medial gerichtete 
obere Extremität lässt in der achten Woche die Ellbogen- und 
Kniegelenke erkennen. „Das Ellbogengelenk bildet einen stumpfen 
Winkel, dessen Scheitel caudalwärts gerichtet ist, während das Knie 
nach vorn und lateral sieht. Allmählich drehen sich beide Glied¬ 
massen im entgegengesetzten Sinne in ihren proximalen Abschnitten 
um ihre Längsachse, so dass später die Streckseite am Arm nach 
hinten, am Beine dagegen nach vorn gekehrt ist. Der Drehungs¬ 
winkel beträgt für die obere Extremität etwa 35®, für die untere 
etwas weniger“ (Lambertz, Die Entwickelung des menschlichen 
Knochengerüstes während des fötalen Lebens, 1900). Bei der 
Drehung des Oberarmes nach hinten herum rückt demnach offenbar 
gerade die radiale Seite des Ellbogengelenkes und besonders auch 
die Stelle des späteren Condylus externus humeri und des Radius¬ 
köpfchens in eine stark exponirte Lage ein. 

Der eben genannte Autor hat nun durch eine sorgfältige und 
ausgedehnte röntgographische Untersuchung von Föten eine grosse 
Fülle bekannter und neuer Thatsachen vermittelst des Röntgenbildes 
festgestellt, von welchen wir einige erwähnen wollen, die sich auf 
das Wachsthum der Vorderarmknochen beziehen. 


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üeber hereditäre angeborene doppelseitige Supinationsstörung etc. 193 


So gibt Lambertz an, dass das Skelet der Extremitäten an 
denjenigen ihrer Enden ein geringeres Längenwachsthum zeigt, an 
welchen die reichste Formentfaltung stattfindet, so an den im Ellbogen¬ 
gelenk zusammentretenden Abschnitten, an dem proximalen Femur-, dem 
distalen Fibula- und Tibiaende, so dass er eine directe Beziehung 
zwischen der DilFerenzirung der Gelenkenden und dem Knochenwachs¬ 
thum vermuthet. Dementsprechend zeigt also, von dem ersten 
Verknöcherungsbezirk aus gerechnet, der distale Antheil der sich 
entwickelnden knöchernen Radius- und Ulnadiaphysen ein schnelleres 
Wachsthum als der proximale Antheil. 

Des Weiteren möchte ich hervorheben, dass die von den 
Foramina nutritia aus ihren Weg nehmenden Hauptsaftkanäle im 
Gegensatz zu den anderen Röhrenknochen an Radius und Ulna einen 
proximal gerichteten Verlauf nehmen mit Ausnahme des von dem 
distalen Foramen nutritium des Oberschenkels ausgehenden Saft¬ 
kanälchens, welches ebenfalls eine proximale Richtung einschlägt. 
Die Foramina nutritia liegen bei Radius und Ulna an der Beuge¬ 
seite, bei letzterer etwa an der Grenze des oberen und mittleren 
Drittels, beim Radius etwas weiter distal. 

Endlich möchte ich noch einige Beobachtungen wiedergeben, 
welche Lambertz im Anschluss an die röntgographische Dar¬ 
stellung eines Embryo von 23 Wochen gemacht hat: „Um den 
rechten Unterarm in vollkommener Supination der Platte anzulegen, 
war es bei dem Embryo erforderlich, gleichzeitig den rechten Ober¬ 
arm nach aussen so weit zu rotiren, dass die Gegend des radialen 
Epicondylus humeri die Platte berührte und das distale Humerusende 
annähernd quer durchstrahlt wurde. Beim Erwachsenen ist die 
Supination weniger beschränkt und gestattet die der Figur ent¬ 
sprechende Lage des Unterarmes und der Hand ohne Rotation des 
Oberarmes. Schon beim Neugeborenen (Taf. VI und VII) ent¬ 
sprechen die Verhältnisse mehr als bei jüngeren Embryonen den¬ 
jenigen beim Erwachsenen. — Am linken Arme der vorliegenden 
Figur war die hier nicht abgebildete Hand pronirt und der 
Oberarmknochen lag, wie aus der Gestalt seines unteren Endes 
hervorgeht, mit der Streckseite der Platte an. Beim Erwachsenen 
wäre eine gleiche Lage des Unterarmes nicht ohne Innenrotation 
des Humerus möglich.“ Dieselben Beobachtungen wiederholen sich 
bei anderen Embryonen. „Mit der Drehung, welche der Oberarm¬ 
knochen während des fötalen Lebens im Schafte erleidet und für 

Zeit'ichrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. J3 


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194 M. Blumenthal. üeb. hereditäre angeb. doppels. Supinationsstörung etc. 


welche nur das Verhältniss der beiden Gelenkenden zu einander in 
Betracht kommt, hat die zum Theil wohl auch in einer geringeren j 
Nachgiebigkeit der Weichtheile beruhende Erscheinung am rechten 
Oberam der Figur nichts gemein.“ 

Ich habe diesen Abschnitt etwas ausführlicher wiedergegebeu, 
weil wir in dem Geschilderten eine gewisse Parallele erblicken müssen j 
zu der Fixation der Radioulnarenden in starker Pronationsstellung 
bei unserem Falle. Letztere ist eben die natürliche Stellung für 
den Embryo. 

Im übrigen scheint mir bei der Gegenüberstellung der ge¬ 
schilderten fötalen Verhältnisse mit unserem Befunde eines besonders 
bemerkenswerth. Ist normalerweise der proximale Radius- und 
ülnaantheil, wie Lambertz vermuthet, nur in geringem Maasse 
an dem Längenwachsthum betheiligt, weil er eine reiche Form¬ 
entfaltung zeigt, so fällt auf der anderen Seite mit der Schä¬ 
digung dieser Form ent Wickelung durch irgendwelche (erb¬ 
lichen) hier nicht näher zu besprechenden Umstände, die hauptsächlich 
auf den Radius eingewirkt haben, eine gleichzeitige Wachs¬ 
thumsvermehrung an dem von der Störung hauptsächlich be¬ 
troffenen Theil zusammen, nämlich an dem Radiusende. Mit der 
Wachsthumsvermehrung geht gleichzeitig eine Anomalie des Knochen¬ 
wachsthums, bestehend in Knochenverschmelzungen und abnormer 
Knochenneubildung, einher. 

Ohne nun aus dem Gesagten einen Schluss ziehen zu wollen, 
scheint mir doch die Nebeneinanderstellung (auf der einen Seite gute 
Forraentwickelung mit geringem Längenwachsthum, auf der anderen 
Störung der Formentwickelung mit Vermehrung der Knochenthätig- 
keit) nicht belanglos und die Möglichkeit eines solchen Zusammen¬ 
hanges nicht von der Hand zu weisen. 


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XV. 


(Aus dem Institut für orthopädische Chirurgie von Dr. M. Blumenthal 
und Dr. K. Hirsch in Berlin.) 

Ueber einen Fall von doppelseitigem angeborenen 
Hocbstand der Schulterblätter. 

Von 

Dr. Karl Hirsch-Berlin, 

Specialarzt für Chirurgie und Orthopädie. 

Mit 6 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Während man seit der grundlegenden Publication von Sprengel 
im Jahre 1891 bis jetzt schon annähernd 50 Fälle von einseitigem 
Hochstand der Scapula beobachtet und mitgetheilt hat, gehören Fälle 
von doppelseitiger Affection bisher noch zu den Raritäten. Ich 
habe in der Literatur nur sieben Fälle der letzteren Art, auf die 
ich später zurückkommen werde, aufgefunden. Der Fall, den ich 
als achten dieser Art jetzt beschreiben möchte, beansprucht unser 
Interesse nicht nur wegen der seltenen SchulterafFection, sondern auch 
wegen anderer, gleichzeitig vorhandener bemerkenswerther Anomalien. 

Die jetzt 1 Jahr 8 Monate alte Patientin wurde im August 
vorigen Jahres, also im Alter von 10 Monaten unserem Institut von 
ihrer Mutter zugeführt. Die Mutter, eine gesunde kräftige Frau von 
28 Jahren, gab an, dass weder in der Familie ihres Mannes noch in 
ihrer eigenen jemals Missbildungen beobachtet worden wären. Bald 
nach ihrer Verheirathung hatte sie einen Abort im 3. Monat, war 
aber sonst niemals ernstlich krank. 1 Jahr später brachte sie ein 
ganz gesundes Kind, einen jetzt 8 Jahre alten, normal entwickelten 
Knaben, zur Welt. Unsere Patientin wurde als zweites Kind recht¬ 
zeitig geboren; während der Schwangerschaft fiel die Mutter im 
3. Monat von einer Leiter; sonst verlief dieselbe ganz normal. Die 
Geburt verlief sehr schnell ohne Störung; das Kind kam in Schädel¬ 
lage. Es wurde sofort von der Hebamme und den Angehörigen nach 


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196 


K. Hirsch. 


der Geburt die Missbildung bemerkt. Der Kopf des Kindes lag ganz 
auf der rechten Seite, so dass er die Schulter berührte: er wurde 
ebenso wie die Arme gar nicht bewegt. Ferner fiel eine ungleich- 
massige Entwickelung der Gesichtshälften und eine eigenthümlich 
heisere Stimme bei dem Kinde auf. — Das Kind wurde mit der 
Flasche gross gezogen; beim Trinken des Kindes wurde häufigeres 
Verschlucken oder Austritt von Flüssigkeit aus der Nase nicht be¬ 
obachtet. Das anfangs sehr schwächliche Kind entwickelte sich 



dann körperlich befriedigend, während es in seiner geis tigen 
Entwickelung entschieden zurückblieb. Als wir es im 10. Lebens¬ 
monate zuerst sahen, war seine Grösse und Körperentwickelung 
durchaus dem Alter entsprechend. Es fanden sich bei ihm ein 
oberer und ein unterer Schneidezahn; es konnte ohne Unterstützung 
sitzen, machte aber in seinem Wesen und Aussehen entschieden den 
Eindruck eines geistig anormalen Kindes. Wie die damals auf¬ 
genommene Photographie (Fig. 2) deutlich erkennen lässt, hatte sein 
Gesichtsausdruck entschieden etwas Idiotisches an sich. Die Mutter 
hielt damals seine geistige Entwickelung für normal, gab an, dass 
das Kind Interesse für seine Umgebung zeige, zu spielen anfange, 
sich melde, wenn es Bedürfnisse habe etc. Mit seinen geistigen 


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lieber einen Fall von doppelseitigem angeborenen Hochstand etc. 197 


Fortschritten in dem verflossenen Jahr ist sie selbst aber nicht zu¬ 
frieden und gibt jetzt zu, dass dieselben nur sehr geringe waren. 
Im Alter von 17 Monaten war Patientin im Stande, mit leichter 
Unterstützung zu laufen; die Zahnbildung ging weiter normal von 
Statten, ebenso die Zunahme des Körperwachsthums. Wir hatten 
Gelegenheit, das Kind im letzten Jahr wiederholt in längeren Zwischen¬ 
räumen zu sehen. Da in dieser Zeit der Befund mit Ausnahme 
einiger unwesentlicher Punkte, auf die wir zurückkommen werden. 


Fig. 3. 



Fig. 4. 


'r< ■ 


f 



unverändert derselbe geblieben ist, können wir uns hier darauf be¬ 
schränken, den jetzigen Status mitzutheilen. 

Das gesund aussehende Kind zeigt eine blühende Gesichtsfarbe, 
eine seinem Alter entsprechende Körpergrösse und einen guten Er¬ 
nährungszustand. Gleich beim ersten Anblick fällt es uns in die 
Augen, dass das Kind scheinbar keinen Hals besitzt, und dass der 
Kopf tief zwischen den Schultern steckt. Der Kopf ist, wie uns die 
vor kurzem aufgenommenen Photographien (Fig. 3 u. 4) zeigen, ent¬ 
schieden etwas zu gross im Verhältniss zur Grösse des Rumpfes. — 
Dieses Missverhältniss trat früher, wir wir auf der im Alter von 
10 Monaten aufgenommenen Photographie (Fig. 2) deutlich erkennen 
können, noch stärker hervor. Auch die Stellung des Kopfes zum 
Rumpf ist keine normale. Der Kopf ist deutlich nach der rechten 
Seite geneigt, ohne dass aber dabei eine Drehung des Kinnes nach 
der gesunden Seite erfolgt ist. Gleichzeitig wird der Kopf nach 


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198 


K. Hirsch. 


hinten gebeugt gehalten. Das rechte Ohrläppchen steht um min¬ 
destens 2 cm tiefer als das linke. Die Haltung des Kopfes ist 
dabei eine steife, fixirte, ähnlich wie wir sie bei Spondylitis der 
Halswirbelsäule beobachten. Bei längerer Beobachtung des Kindes 
sehen wir, dass die soeben beschriebene Kopfhaltung thatsächlich un¬ 
veränderlich eingehalten wird, und nicht die geringsten Bewegungen 
mit dem Kopfe ausgeführt werden. Bei Prüfung der Beweglich¬ 
keit des Kopfes stellt sich heraus, dass dieselbe nach allen Rich¬ 
tungen hin stark eingeschränkt ist. Den passiven Bewegungs- 
versuchen setzt das Kind lebhafte Abwehrbewegungen, verbunden mit 
anhaltendem Schreien, entgegen, woraus aber nicht auf eine Schmerz¬ 
empfindung bei den Bewegungen geschlossen werden kann, da das 
Verhalten des Kindes bei jeder anderen Untersuchung genau das 
gleiche war und sehr zur Erschwerung derselben beitrug. Unter 
Anwendung ziemlich starker Gewalt gelingt es den Kopf ein wenig 
nach vom und nach rechts zu biegen, während die Beweglichkeit nach 
hinten und nach links als minimal zu bezeichnen ist. Ebenso können 
Drehbewegungen mit dem Kopfe gar nicht ausgeführt werden. Vor 
einigen Monaten erschien die Beweglichkeit des Kopfes etwas freier, 
zeigt sich aber jetzt wieder genau so, wie sie im Alter von 10 Monaten 
bestand. — Von activer Bewegung des Kopfes konnte, wie schon 
hervorgeboben, nichts beobachtet werden; doch gibt die Mutter an, 
dass das Kind Nickbewegungen mit dem Kopfe verhältnissmässig 
gut ausfUhre. — Auf der linken Seite gelingt es mit einiger Mühe 
den Sternocleidomastoideus als nicht gespannten schmalen 
Strang durchzufühlen, während rechts dieser Muskel bei wiederholter 
Untersuchung nicht nachzuweisen war. Es soll deshalb aber nicht 
mit Sicherheit behauptet werden, dass er fehlt, da die Palpation der 
rechten Halsseite bei dem fast unmittelbaren Aufliegen derselben auf 
der rechten Schulter ausserordentlich schwierig ist. — Jedenfalls 
halten wir es nach dem Befunde für ausgeschlossen, dass die Ur¬ 
sache für den Schiefstand des Kopfes in einer Verkürzung des 
rechten Sternocleidomastoideus zu suchen ist. — Wenden wir uns 
nun, bevor wir zur Betrachtung der Schulterblätter übergehen, weiter 
zur Beschreibung des Schädels und des Gesichtes. 

Der im ganzen der brachycephalen Form sich nähernde 
Schädel nimmt von vorn nach hinten beträchtlich an Breite zu, 
was besonders bei der Betrachtung von vorn auffällt, wo der Stim- 
theil erheblich schmäler als der Hinterhaupttheil erscheint. Der 


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Ueber einen Fall von doppelseitigem angeborenen Hochstand etc. 199 

bitemporale Durchmesser beträgt 10, der biparietale 12cm, also 
eine Differenz von 2^ cm, während wir sonst bei gleichalterigen 
Kindern nur eine Differenz von 1^2 cm finden. Die Fontanellen 
und Nähte sind völlig verknöchert; an der linken äusseren Stirn¬ 
partie bemerken wir im Vergleich zur anderen Seite eine leichte 
Abflachung. — Eine ganz auffallende Verbildung zeigt nun das 
Hinterhaupt. In annähernd rechtem Winkel sich gegen die 
Scheitelregion absetzend, wird es an Stelle der normalen, nach hinten 
convexen Vorwölbung von einer fast quadratisch gestalteten, senk¬ 
recht abfallenden Knochenplatte gebildet, die ungewöhnlich breit 
und hoch erscheint. Die Breite derselben misst 12 cm, die Höhe 
10 V* cm. Nach unten grenzt sie sich in der ganzen Breite mit 
einem deutlich prominenten, wallartig verdickten Rande ab, an 
dem man einen der Protuberantia occipitalis ext. entsprechenden Vor¬ 
sprung nicht abtasten kann. Ungefähr zwei Finger breit oberhalb 
dieses Randes fühlt man eine zweite schmälere, flachere und undeut¬ 
lichere Knochenleiste; wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir 
diese als Linea semicircularis superior deuten, den unteren verdickten 
Rand dagegen als Linea semicircularis inferior. — Der fronto-occipi- 
tale Umfang des Schädels beträgt 45 cm, eine Zahl, die den ge¬ 
wöhnlichen Maassen bei gleichalterigen Kindern entspricht. Der 
fronto-occipitale Durchmesser misst 26 cm. 

Der eben erwähnte untere Rand des Hinterhauptes liegt nun 
unmittelbar dem deutlich fühlbaren Dorn des siebenten Hals¬ 
wirbels auf, und zwar so eng, dass man nur bei Vorwärtsbeugung 
des Kopfes eben die Fingerkuppe des kleinen Fingers dazwischen 
zwängen kann. Es fehlt also hinten jede Andeutung eines Halses; 
das Hinterhaupt geht mit einer schmalen, flachen Vertiefung, die 
die Stelle des Halses andeutet, unmittelbar auf den Rücken über. 
Zieht man das bis auf den Rücken herabreichende gelockte Haupt¬ 
haar nach oben (vergl. Fig. 4), so bemerkt man auf der erwähnten 
Furche zwischen Hinterhaupt und Rücken mehrere violettrothe, ver¬ 
schieden grosse, ziemlich scharf umschriebene Flecke, die den Ein¬ 
druck oberflächlicher Angiome machen. — Verfolgt man vom siebenten 
Halswirbel die Reibe der Dornfortsätze nach abwärts, so fühlt 
man den ersten Brustwirbeldorn deutlich durch die Haut, den 
zweiten und dritten undeutlich, den vierten und die fol¬ 
genden wieder in normaler Weise. Eine Spaltbildung an diesen Ab¬ 
schnitten der Wirbelsäule lässt sich nicht nachweisen. — 


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200 


K. Hirsch. 


Die beiden Processus mastoidei lassen sich am Schädel 
an normaler Stelle palpiren; von ihnen springt der rechte etwas 
weniger nach hinten hervor und ist schwächer als der linke ent¬ 
wickelt. 

Der Gesichtsausdruck des Kindes trägt auch jetzt noch 
deutlich den Stempel mangelhafter Intelligenz, wenn auch das 
Idiotische lange nicht mehr so deutlich wie im Alter von 10 Monaten 
hervortritt (vergl. Fig. 2). Die Haut des Gesichtes zeigt ein eigen- 
thümlich schlaffes, gedunsenes Aussehen, ebenfalls jetzt in 
viel geringerem Maasse wie damals, wo die Beschaffenheit derselben 
geradezu an Myxödem erinnerte. Das Mienenspiel ist jetzt etwas 
lebhafter geworden. Bei genauer Betrachtung scheint auch jetzt 
noch eine leichte Asymmetrie der Gesichtshälften zu be¬ 
stehen, indem die rechte, der gesenkten Seite entsprechende etwas 
kleiner als die linke ist. Vergleichen wir Fig. 2 mit Fig. 3, so 
sehen wir, dass die Asymmetrie damals viel ausgesprochener war. 
Die durch den Mund und die Augen gelegten horizontalen Achsen 
verlaufen jetzt parallel. Vom Kinn hängt die Haut in Form einer 
doppelkinnartigen Falte auf die Brust herunter, so dass auch 
bei der Betrachtung von vorn nichts von einer Halscontour zu er¬ 
kennen ist. — Es besteht ferner ein Strabismus convergens 
concomitans; nach einer von specialistischer Seite (Dr. Lewin) 
vorgenommenen Untersuchung ist der Augenhintergrund völlig normal 
und scheint normale Sehschärfe vorhanden zu sein. Bei Untersuchung 
der Mund- und Rachenhöhle des Kindes, die nur unter heftig¬ 
stem Sträuben und Abwehrbewegungen möglich ist, zeigen sich die 
Zähne in normaler Zahl und Entwickelung; der harte Gaumen ist 
nach oben in seiner ganzen Länge kuppelförmig ausgewölbt und 
bemerkt man in seiner Mittellinie die breite, narbenartig aussehende 
Raphe. Weicher Gaumen und Zäpfchen verhalten sich normal. — Im 
Nasenrachenraum wurde von specialistischer Seite (Privatdocent 
Dr. Grabower) eine reichliche Masse kleiner weicher adenoider 
Vegetationen, welche entlang dem Rachendach von einem Tuben- 
ostiura zum anderen sich erstreckten, festgestellt und am 23. Mai 
dieses Jahres durch Ausschabung beseitigt. Die Stimme der Pa¬ 
tientin hatte vom Beginn der Beobachtung an einen ganz eigen- 
thümlichen heiseren, krächzenden Charakter, der auch den 
Angehörigen von der Geburt an aufgefallen war und sich besonders 
beim Weinen des Kindes geltend machte. Eine Verengerung des 


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Ueber einen Fall von doppelseitigem angeborenen Hochstand etc. 201 

Nasopharyngealraumes oder eine abnorme Vorwölbung der hinteren 
Rachenwand konnte durch Untersuchung oder bei der Operation 
nicht festgestellt werden. Der Charakter der Stimme hat sich nach 
der Operation in keiner Weise geändert. 

Bei gewöhnlicher Stellung des Kopfes liegt die Kinnpartie des 
ünterkieferrandes fast unmittelbar auf dem Manubrium sterni auf. 
Wird der Kopf passiv ad maximum nach hinten gebeugt, so beträgt 
die Entfernung zwischen Manubrium und Kinn 3^/2 cm. Es gelingt 
dann an der vorderen Halspartie den Kehlkopf und die Luft¬ 
röhre abzutasten; in der Tiefe stösst man auf einen knöchernen 
Widerstand, welcher der dahinter gelegenen Halswirbelsäule ent¬ 
spricht. In dieser Stellung gemessen beträgt der Umfang des 
Halses 3(5cm. Von den beiden gleich grossen Ohrmuscheln steht 
die rechte erheblich tiefer als die linke. 

Gehen wir nun zur Betrachtung der Stellung und Form der 
Schulterblätter über, so finden wir, dass beide abnorm hoch 
stehen, und zwar so beträchtlich, dass der linke Angulus scapulae 
in der Höhe des zweiten, der rechte in der Höhe des dritten 
Brustwirbeldorns stehen, also an eine Stelle, die bei normalen Ver¬ 
hältnissen dem Stande der inneren oberen Winkel entspricht. Beide 
Schulterblätter sind demnach fast um ihre ganze Länge nach oben 
gerückt. Ferner sind beide Schulterblätter, besonders das linke stark 
nach aussen verschoben. — LinkesSchulterblatt: Derlinke Angulus 
scapulae ist 7^« cm von der Wirbelsäule bei gerade herunterhängen- 
dera Arm entfernt. Die Basis scapulae ist nach der Wirbelsäule 
schwach convex ausgebogen und verläuft von unten innen nach oben 
aussen. Der äussere Rand verläuft mehr in horizontaler Richtung 
wie gewöhnlich. Der innere obere Winkel des linken Schulter¬ 
blattes ist exostosenartig verdickt, hakenförmig wie ein Finger 
nach vorn umgebogen und deutlich in der linken Fossa supra- 
clavicularis, 2 cm oberhalb und etwas rückwärts von der Clavicula 
zu fühlen. Hier liegt er ganz nahe der seitlichen Begrenzung des 
Hinterhauptes in einer Senkrechten, die man von der Spitze des 
Proc. mastoid. nach unten zieht. — Die deutlich abtastbare Spina 
scapulae zeigt an ihrer Basis eine geringe Verbreiterung, sie verläuft 
ziemlich steil von oben innen nach unten aussen. Ausser der Drehung 
des Schulterblattes um die sagittale Achse liegt eine ziemlich starke 
Drehung desselben um die frontale Achse vor, obwohl der untere 
Winkel nicht sichtbar unter der Haut hervortritt. Man sieht das 


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202 


K. Hirsch. 


deutlich bei tangentialer Betrachtung des Kindes von vorn. Die ver¬ 
schiedenen Maasse des Schulterblattes finden sich gemeinsam mit 
der des rechten in der nebenstehenden Tabelle zusammengestellt. 

Rechtes Schulterblatt. Der Angulus scapulae steht 5 cm 
von der Dornfortsatzreihe entfernt. Der innere Rand verläuft in 
seinem unteren Abschnitt von unten aussen nach oben innen, biegt 
dann etwas unterhalb des Spinaansatzes in flachem Bogen nach 
oben und aussen ab. Der innere obere Winkel, der nur mit 
einiger Mühe durchzufühlen ist, liegt ebenso wie der linke in der 
Fossa supraclavicularis, oberhalb und etwas nach hinten von der 
Clavicula, fast in der Höhe der Nackenschulterlinie, etwa daumen¬ 
breit vom äusseren Rand des Hinterhauptes entfernt. Er zeigt nur 
eine geringe Verdickung. Die Spina scapulae verläuft annähernd 
horizontal. Wie die Photographie (vergl. Fig. 4) deutlich erkennen 
lässt, ist der rechte Scapularwinkel deutlich von der Unterlage ab¬ 
gehoben. Das Schulterblatt hat sich um seine frontale Achse ge¬ 
dreht in dem Sinne, dass der obere Theil nach vorn übergekippt ist. 



Die Länge des 
äusseren Randes 

Die Länge des 
inneren Randes 

Die Länge der 1 
Spina bis zur 
Spitze des 
Acromion > 

Entfernung des 
inneren oberen 
Winkels von der 

1 Spitze des | 

1 Acromion 1 

' Entfernung des 
inneren oberen 
Winkels von der 
Wirbelsäule i 

Linkes Schulterblatt . 

Rechtes Schulterblatt . 

1 

9 cm 

9 cm 

8 cm 

8 cm 

6,5 cm 

8,0 cm 

6 cm 

5^-4 cm 

9,5 cm 

7,0 cm 


Vergleichen wir diese Maasse mit denjenigen, wie wir sie bei 
gleichalterigen, ganz normalen Kindern finden, so stellt sich 
heraus, dass die Grössenverhältnisse und die Form der Schulterblätter 
nicht wesentlich von der Norm abweichen. Das rechte Schulter¬ 
blatt ist in der Gegend der Spina etwas mehr in die Breite ent¬ 
wickelt, während seine Länge genau dem linken entspricht. 

Die Schulterblätter zeigen nirgends eine abnorme Fixation, 
lassen sich passiv nach oben und unten und nach beiden Seiten ver¬ 
schieben; bei Bewegungen der Arme folgen sie in normaler Weise. 
Von der Tiefe beider Achselhöhlen aus fühlt man einen Theil ihrer 
vorderen äusseren Fläche, der die hintere und seitliche Begrenzung 
der Achselhöhlen bilden hilft. Dieser Befund erklärt sich dadurch, 


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Ueber einen Fall von doppelseitigem angeborenen Hocbatand etc. 203 


dass beide Schulterblätter in ihrer Totalität stark nach aussen ver¬ 
lagert sind. Beide Schultergelenke liegen etwas mehr nach vom, 
als der Norm entspricht. 

Beide Nackenschulterlinien verlaufen auffallend hoch; die 
rechte entspringt unmittelbar unterhalb des rechten Ohrläppchens, 
welches ihr bei der gewöhnlichen Kopfhaltung auf liegt. Während 
sie mehr horizontal nach abwärts zieht, fällt die linke, 2 cm unter¬ 
halb des Ohrläppchens entspringend, steil ab. Infolgedessen er¬ 
scheinen beide Fossae supraclaviculares auffallend hoch, ohne dabei 
aber merklich vertieft zu sein. Von den normal geformten Schlüssel¬ 
beinen sind nur die Contouren der linken unter der Haut sichtbar. 

Die Beweglichkeit der Arme in den Schultergelenken ist 
beiderseits nicht unerheblich beschränkt. Der rechte Arm kann 
passiv seitlich nur wenig über die Horizontale erhoben werden, 
nach vom bis zu einem Winkel von ca. 150®. Der linke Arm lässt 
sich seitlich ein klein wenig höher wie rechts erheben, nach vom 
bis ca. 160®. Die passive Rotation beider Arme ist normal. Ueber 
die active Beweglichkeit konnten wir persönlich keine Anschauung 
gewinnen. Die Mutter gibt an, dass das Kind mit beiden Händen 
bis zum Mund und Ohr, in der letzten Zeit mitunter auch bis zur 
Stirn greift. — Beide Arme sind im übrigen wohl gebildet, gleich 
lang. Der Umfang in der Mitte des Oberarmes beträgt beiderseits 
13 cm, der des Ellbogengelenkes beiderseits 12 Vs cm, der Mitte der 
Unterarme 12^3 cm. Die mit den Armen ausgeführten Bewegungen 
erscheinen etwas ungeschickt und unsicher. Die unteren Extremitäten 
verhalten sich ganz normal. 

Am Thorax, dessen Umfang in der Höhe der Brustwarze 
45^2 cm misst, finden sich keine rhachitischen Veränderungen. 
In den unteren zwei Dritteln ist das Sternum leicht trichterförmig 
eingezogen. — Eine skoliotische oder kyphotische Verbiegung 
der Brast- oder Lendenwirbelsäule besteht nicht; nur die linke 
hintere obere Thoraxpartie ist ein wenig stärker gewölbt wie die 
der anderen Seite. — Soweit eine elektrische Untersuchung bei dem 
ausserordentlich unruhigem Verhalten des Kindes sich durchführen 
liess, scheinen Muskeldefecte im Bereich der Cucullaris, Latis- 
simus, Pectoralis etc. nicht vorhanden zu sein. — Auch spricht 
sonst nichts für das Bestehen irgend welcher angeborener Muskel¬ 
defecte. 

Zum Schluss noch einige Worte über das psychische Ver- 


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204 


K. Hirsch. 


halten des Kindes. Wie schon erwähnt, macht dasselbe einen 
deutlich imbecillen Eindruck. Während der ganzen Dauer der Unter¬ 
suchungen schrie es mit stets sich gleich bleibender, krächzender 
Stimme, ohne sich durch irgend etwas beruhigen zu lassen. Es 
läuft nur mit Unterstützung, aber auch dann noch stampfend, un- 


Kig. 5. 



sicher. Gelegentlich eines Besuches in der Wohnung der Mutter 
überzeugten wir uns, dass es auch lachen kann und hörten es Mama 
rufen. Mama und Papa sollen, nach Angabe der Mutter, bisher die 
einzigen Worte sein, die es sprechen kann. Wir sahen es im Bett- 
chen sitzen und spielen. Urin und Stuhlgang werden nicht mehr 
ins Bett entleert, sondern meldet sich das Kind regelmässig dazu. 

Das erste, im Alter von 10 Monaten von Herrn Dr. Cowl 
aufgenommene Radiogramm ergab, obwohl es wegen Unruhe des 
Kindes in Narkose angefertigt wurde, gerade über den wichtigsten 
Punkt, das Verhalten der Halswirbelsäule, keinerlei Aufschluss. Die 
Halswirbelsäule zeigt sich vollkommen verdeckt durch den tiefen, 
breiten Schatten des Hinterhauptes. In dem zweiten Brustwirbel¬ 
körper fand sich eine auffallend helle Stelle, die vielleicht als 
Knochendefect gedeutet werden kann. Da auf diesem Bilde auch 


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Ueber einen Fall von doppelseitigem angeborenen Hochstand etc. 205 


die Contouren der Schulterblätter nur ausserordentlich schwach sicht¬ 
bar sind, so verzichten wir hier auf seine Wiedergabe. 

Das zweite, vor kurzem von Herrn Dr. Max Levy-Dorn 
freundlichst aufgenommene Röntgenbild, dessen Abbildung wir 
beifügen (vergl. Fig. 5), wurde in Rückenlage ohne Narkose ge- 


Fig. 6. 



Wonnen. Wenn auch seine Deutung in mancher Beziehung Schwierig¬ 
keiten bereitet, so können wir deutlich zunächst auf demselben den 
beiderseitigen abnormen Hochstand der Scapulae erkennen. 
Während bei einem normalen gleichalterigen Kinde, dessen Röntgo- 
gramm wir zum besseren Verstäudniss daneben stellen (vergl. Fig. 6), 
der obere Rand der Scapula und die Spina fast fingerbreit unter dem 
Schatten der Clavicula verlaufen und erst innen an der seitlichen 
Thoraxfläche sich mit demselben vereinigen, sehen wir bei unserer 
Patientin auf beiden Seiten die oberen Ränder der Scapulae in ganzer 
Ausdehnung oberhalb der Contouren der Schlüsselbeine nach oben 
und innen verlaufen, und zwar auf der linken Seite steil, auf der 
rechten mehr horizontal nach aufwärts. Beide den Gelenkpfannen 
entsprechenden Partien der Scapulae liegen unmittelbar unter dem 


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206 


K. Hirsch. 


dunklen Schatten der Claviculae, die sich, wie es auch auf dem 
Controllbilde zu erkennen ist, bis zur seitlichen Thoraxgrenze scharf 
abheben, dann undeutlicher werdend zur Gegend des ersten und 
zweiten Brustwirbelkörpers hinziehen. Auf der rechten Seite ist die 
Spina Scapulae ausserordentlich deutlich als dicker, scharf ab¬ 
gegrenzter Strich, der fast senkrecht zur Achse des Schlüsselbeines 
verläuft, zu erkennen. Kaum fingerbreit unterhalb des dunklen 
Hinterhauptschattens stösst dieser Strich mit der dem oberen Schulter¬ 
blattrand entsprechenden Linie in der Gegend des inneren oberen 
Winkels des Schulterblattes zusammen. Auf der linken Seite haben 
wir genau im Einklang mit der palpatorisch festgestellten exostosen¬ 
artigen Verdickung des inneren oberen Winkels einen fast pfennig¬ 
stückgrossen rundlichen dunklen Schatten, der sich etwas veijüngend 
senkrecht nach unten zur Clavicula fortsetzt und dort an der Stelle 
der Gelenkpfanne endet. Bei genauerer Betrachtung bemerken wir 
an diesem absteigenden Schenkel eine vordere scharfe und eine 
hintere undeutlichere Begrenzung, die eine etwas hellere Partie 
zwischen sich fassen. Der Lage nach müssen wir unzweifelhaft 
dieses Gebilde als die Spina scapulae auffassen, wenn auch hier eine 
Difierenz mit dem palpatorischen Befund besteht, durch den eine 
derartige Verdickung der Spina, die der Breite des Schattens ent¬ 
sprechen würde, nicht festgestellt werden konnte. Der obere, steil 
nach aufwärts verlaufende Rand ist auch auf dieser Seite auffallend 
scharf. 

Von den oberen Partien des axillaren Randes, die wir auf 
dem normalen Röntgogramm gut verfolgen können, sehen wir nur 
auf der rechten Seite ein kleines Stück. Ueber das Verhalten der 
Halswirbelsäule gibt uns leider auch dieses Röntgogramm keinen 
Aufschluss. Dieselbe wird durch den auffallend dunklen Schat¬ 
ten des Hinterhauptes, der auf der linken Seite gut zwei Quer¬ 
finger breit tiefer herunterreicht als rechts, vollkommen verdeckt. 
Derjenige Wirbelkörper, der als erster sich unterhalb dieses Schattens 
deutlich abgrenzt, entspricht seiner Lage nach dem ersten Brust¬ 
wirbel. — Auf dem in gleicher Stellung aufgenommenen Bild des 
normalen Kindes sehen wir dagegen ausserordentlich deutlich die 
Contouren der Halswirbel sich von dem matten Schatten des Hinter¬ 
hauptes absetzen. — Bei den obwaltenden Verhältnissen konnte auch 
von einer Aufnahme in einer anderen Stellung des Kindes kein 
besseres Resultat erwartet werden. 


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lieber einen Fall von doppelseitigem angeborenen Hochstand etc. 207 


Die bisher beobachteten 7 Fälle doppelseitigen Hochstandes 
Yon Milo^), Honsell*), Pankow®), Sick^), Kausch (2 Fälle)*^) 
und Mohr®) bieten gegenüber den Fällen einseitigen Hoch¬ 
standes, über welche wir in der schon erwähnten Arbeit von 
Sick und in derjenigen von Kayser^) ausführliche, bis in die 
neueste Zeit reichende Literaturangaben finden, keine principiellen 
Besonderheiten. Vergleichen wir sie unter einander, so finden wir 
auch hier, ebenso wie bei den einseitigen Fällen als einziges, 
allen Fällen gemeinsames Symptom, den Hochstand der 
Schulterblätter, während im übrigen die Symptomatologie ein 
sehr wechselndes Bild aufweist, und auch eine ätiologische Einheit 
höchst wahrscheinlich nicht vorhanden ist. — Das Alter, in der 
die doppelseitigen Fälle zur Beobachtung gelangten, schwankt von 4 bis 
zu 42 Jahren; danach ist unser Fall, der zuerst mit 10 Monaten zur 
ärztlichen Beobachtung kam, bisher der jüngste und schon deshalb von 
Wichtigkeit, da genügend beobachtete Fälle bald nach der Geburt auch 
bei den Fällen einseitigen Hochstandes bisher nicht vorliegen. Das 
Geschlecht ist mit Einschluss unseres Falles 4mal männlich und 
4mal weiblich. Hereditäre Verhältnisse werden nur m dem Fall 
von Sick angegeben, wo mehrere Familienmitglieder hohe Schul¬ 
tern hatten. Die Geburt verlief, soweit vermerkt, mit Ausnahme 
des Falles von Mohr, leicht; meist wurde die Missbildung, wie in 
unserem Falle, von den Angehörigen bald nach der Geburt 
bemerkt; nur in dem Mohr'schen Falle soll sie im Laufe der Jahre 
eher noch zugenommen haben. — 

Ebenso wie die einseitigen zeigen auch die doppelseitigen Fälle 
einen sehr verschiedenen Grad des Hochstandes, von dem 


*) Dr. J. S. Milo, Fall doppelseitiger Sprengel’Hcher Difformität. 
Zeitschr. f. orth. Chirurg. 1899, Bd. 6 Nr. 11. 

*) Honseil, Doppelseitiger Hochstand der Schulterblätter. Beitr. zur 
klin. Chir. 1899, Bd. 24. 

*) Pankow, Inaug.-Diss. Leipzig 1900. 

*) Dr. P. Sick, üeber angeborenen Schulterblatthochstand. Deutsche 
Zeitschr. f. Chirurg. Bd. 67. 

*) Dr. W. Kausch, CucuUarisdefect als Ursache des congenitalen Hoch¬ 
standes der Scapula. Mittheil, aus den Grenzgebieten 1902, Bd. 9 Heft 3. 

®) Dr. H. Mohr, Zur Casuistik des beiderseitigen, angeborenen Schulter¬ 
blatthochstandes 1903. Zeitschr. f. orth. Chirurg. Bd. 11 Heft 2. 

^ Kays er, Ueber Hochstand des Schulterblatts mit congenitalen Hals- 
und Schultermuskeldefecten. Deutsche Zeitschr. f. Chirurg. 1903, Bd. 68 S.B. 18. 


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208 


E. Hirsch. 


leichtesten Grad bis zur beträchtlichsten Verschiebung. In dem 
1. Falle von Kausch standen die beiden oberen Winkel in der Höhe 
der Proc. spin. dors. L, also nur um einen Wirbeldorn zu hoch, 
da die normale Lage des Schulterblattes bekanntlich zwischen dem 
zweiten bis achten Brustwirbeldorn ist. Aber für das Auge war, 
wie Kausch angibt, der Hochstand in diesem Falle ungleich erheb¬ 
licher. In den übrigen Fällen stand der Angulus meist in der Höhe 
des vierten und sechsten Brustwirbeldoms. — Unser Fall, bei dem 
sich die Schulterblattwinkel in der Höhe des zweiten bis dritten Brust- 
wirbeldorns befinden, zeigt demnach unter den doppelseitigen Fällen 
die stärkste Verschiebung nach oben. Die beiden Schulterblätter 
stehen in den einzelnen Fällen entweder gleich oder annähernd 
gleich hoch, wie bei Kausch (1. Fall), Milo, Mohr, Sick und 
bei uns, oder verschieden hoch, wie z. B. im 2. Falle von Kausch, 
wo der obere Winkel um 3, der untere um 4 cm links höher als 
rechts stand. Merkwürdigerweise steht in allen Fällen ungleich¬ 
seitigen Hochstandes, auch in solchen, wo nur sehr geringe Diffe¬ 
renzen bestehen, stets das linke Schulterblatt höher als das rechte. 
Auch in unserem Falle sehen wir das bestätigt. 

Die Form und Grösse der Schulterblätter, abgesehen von 
den später zu erwähnenden exostosenartigen Verbildungen, ist ent¬ 
weder ganz normal (Honsell, Pankow, Kausch [1. Fall]) oder 
mehr oder weniger stark verändert, beiderseits in die Breite ver¬ 
zogen wie bei Mohr, Milo, 2. Fall von Kausch. In dem Sick- 
schen Falle fand sich die eine Scapula ganz normal, die andere 
stark deformirt, trapezförmig mit auffallend langer Spina. In 
unserem Falle sehen wir die linke Scapula von annähernd normaler 
Gestalt und Grösse, die rechte dagegen ist ebenfalls etwas in die 
Breite gezogen (die Spina misst hier 8 cm gegenüber 6,5 cm links); 
der innere Rand zeigt hier (ähnlich wie in dem 2. Falle von Kausch) 
eine in der Mitte gelegene Abbiegung. — Der häufige Befund einer 
Verbreiterung der Scapula ist deswegen besonders interessant, weil 
dieses üeberwiegen des Breitendurchmessers, worauf Milo 
hingewiesen hat, sich bei Embryonen und frühgeborenen Kin¬ 
dern vorfindet, die Scapula also auf einem fötalen Entwickelungs¬ 
zustand stehen geblieben ist. Kayser macht darauf aufmerksam, 
dass auch niedere Volksstämme, wie z. B. die Neger, ein relativ 
niedrigeres und breiteres Schulterblatt als die höheren Menschenrassen 
zeigen. Für die Aetiologie des angeborenen Schulterblatthochstandes 


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lieber einen Fall von doppelseitigem angeborenen Hochstand etc. 209 


ist diese Thatsache von besonderer Bedeutung, <iäa sie mit dafür 
spricht, dass bei der Entstehung derartiger Fälle Hemmungsbildungen 
eine wichtige Rolle spielen, worauf wir später noch zurückkommen 
müssen. 

In der Stellung der Schulterblätter zur Wirbelsäule finden 
sich auch bei unseren doppelseitigen Fällen sehr verschiedene Ver¬ 
hältnisse, entweder stehen sie ganz normal (Mohr, Sick [rechtes 
Schulterblatt]) oder, was häufiger, um die sagittale Achse gedreht, 
mit Annäherung der unteren Winkel (besonders stark bei Milo, 
wo die Anguli nur 1 cm von einander entfernt sind) oder in um¬ 
gekehrter Drehung, Entfernung der unteren Winkel und Annäherung 
der oberen (Pankow, Honsell). Wie in dem 1. Fall von Kausch 
finden wir bei unserer Patientin beide Schulterblätter, besonders 
das linke, abnorm weit nach aussen verlagert, so dass der An- 
gulus 7 resp. 5^2 cm von der Wirbelsäule entfernt ist; wobei gleich¬ 
zeitig stärker links wie rechts eine Drehung um die sagittale Achse 
mit Senkung des Gelenktheiles stattgefunden hat. Dazu kommt noch 
eine deutliche, auch in anderen Fällen constatirte Drehung um die 
frontale Achse. — Verbildungen des oberen Theiles der Scapulae 
(exostosenartiges Vorspringen der inneren oberen Winkel oder der 
ganzen oberen Scapularränder, Verdickungen an der Basis spinae u. s. f.) 
zeigen vier von den doppelseitigen Fällen; bei unserer Patientin ist 
besonders der linke innere obere Winkel von einer deutlichen exostosen¬ 
artigen Beschaffenheit und hakenförmig nach vorn gekrümmt. — Auch 
die von uns gefundene Beschränkung der Beweglichkeit der 
Arme in den Schultergelenken wird von den Autoren in allen bis 
auf einen Fall (Pankow) erwähnt, und zwar ist, genau wie in 
unserem Falle, stets die seitliche Erhebung stärker beeinträchtigt 
wie die in sagittaler Ebene nach vorn. Da beide Schultergelenke 
ganz normal gebaut sind, so ist die Ursache dieser Bewegungs¬ 
störung wohl allein in der abnormen Stellung der Schulter¬ 
blätter zu suchen, indem sich bei seitlicher Hebung über die Hori¬ 
zontale die beiden inneren oberen Winkel an die obere seitliche 
Thoraxpartie resp. an die äussere Begrenzung des tief herabreichen¬ 
den Hinterhauptes an stemmen. 

Eine skoliotische Ausbiegung der Wirbelsäule liess sich in 
unserem Falle nicht nachweisen; es findet sich nur eine etwas stärkere 
Prominenz der linken hinteren oberen Thoraxpartie, die auf eine 
stärkere Krümmung der dortigen Rippencurvatur hinweist und viel- 

ZeitSchrift für orthopildische Chirurgie. XJI. Ihl. 14 


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210 


K. Hirsch. 


leicht der Ausdruck einer beginnenden Torsion der Brustwirbelsäule 
ist. — Mit Ausnahme des Sick’schen Falles, bei dem eine Lordose 
der Halswirbelsäule bestand, werden in allen übrigen Fällen seit¬ 
liche Verkrümmungen der Wirbelsäule angegeben, die ja auch eine 
häufige Complication des einseitigen Hochstandes sind. — Kausch 
zieht zur Erklärung derselben die Möglichkeit heran, dass die Skoliose 
eine compensirende, die hochstehende Schulter senkende ist, ein 
Moment, welches aber nicht bei gleichseitigem Hochstand der Scapulae 
zu verwerthen wäre. Für den Mohr'schen Fall, wo das linke Schulter¬ 
blatt etwas höher als das rechte steht und sich eine rechtsconvexe 
Ausbiegung der untersten Hals- und obersten Brustwirbelsäule findet, 
ebenso für den Fall von Honsell, wo bei einem stärkeren Hoch¬ 
stand links ebenfalls eine rechts convexe Dorsalskoliose besteht, 
müsste man aber danach gerade umgekehrte Verhältnisse erwarten. 

In der grossen Mehrzahl der bisher bekannten Fälle von ein¬ 
seitigem Hochstand fanden sich ausser dieser Anomalie eine Reihe 
sehr verschiedener, anderweitiger congenitaler Missbildungen, 
eine Thatsache, die uns beweist, dass der Schulterblatthochstand meist 
nicht als Krankheit sui generis aufzufassen ist, sondern nur als 
ein Symptom in einer Kette gleichwerthiger, durch dieselbe oder 
andere Entwickelungsstörungen hervorgebrachter Abweichungen. Ich 
erwähne von diesen hier nur als Beispiel das gleichzeitige Vorkommen 
von totalem Radiusdefect und Missbildung des Schädels (Bolten), 
Defect des Ober- und Vorderarmes (Joachimsthal), angeborenem 
Schief hals (Lamm und Beely), mächtig aufgetriebenem Schädel, 
schlitzförmigen Lidspalten (Schlesinger), die mehrfach beobachteten 
Atrophien der gleichseitigen Schädel- und Gesichtshälfte, Muskel- 
defecte (Kausch u. A.) und vieles andere. In den Fällen doppel¬ 
seitigen Hochstandes wurden gleichzeitig beobachtet ausser den 
erwähnten Muskeldefecten (Kausch und Mohr) Asymmetrie der 
Gesichtshälften (Honsell), angeborene Enge des Afters (Pankow), 
Spaltbildung im Bereiche der Hals- und Brustwirbelsäule (Sick). 
Auch unser Fall gehört in diese Gruppe; er zeigt ausser dem doppel¬ 
seitigem Hochstand anderweitige Missbildungen in einer Art und in 
einem Grade der Ausbildung, wie sie bisher noch nicht beschrieben 
worden sind. 

Was zunächst das unzweifelhafte Zurückbleiben des Kindes in 
seiner geistigen Entwickelung betrifft, das sich nicht nur in 
seinem ganzen Wesen, sondern auch in dem Gesichtsausdruck aus- 


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üeber einen Fall von doppelseitigem angeborenen Hochstand etc. 211 


prägt, so liegen in der Literatur schon ähnliche Beobachtungen vor; 
so erwähnt Rag er, dass bei einem 8jährigen Knaben mit ein¬ 
seitigem Hochstand die Intelligenz unzweifelhaft defect und in seinem 
3. Falle, einem 5 Jahre 10 Monate alten Knaben, unzweifelhafte 
Stumpfheit und Trägheit vorhanden war. In beiden Fällen wurden 
adenoide Vegetationen im Nasenrachenraum constatirt, denen 
Rag er eine ätiologische Bedeutung in Bezug auf den Geistes¬ 
zustand zuschreibt. Auch bei unserer kleinen Patientin war der 
ganze Nasenrachenraum mit adenoiden Vegetationen ausgefüllt; doch 
sind wir nicht geneigt, dieselben in irgend welche ursächliche Be¬ 
ziehung zu der Idiotie zu bringen, sondern fassen sie als ein Symptom 
derselben auf, zumal in höchst interessanter Weise noch eine Reihe 
von Veränderungen sich bei ihr vorfinden, wie wir sie als Begleit¬ 
erscheinungen bei Idiotischen nicht selten antreffen. Hierhin gehört 
erstens der Strabismus convergens, der sich auch sonst 
häufig mit Nystagmus bei normalem Verhalten der brechenden 
Medien combinirt, bei Idiotischen findet, ferner die so ausser¬ 
ordentlich auffällige, schon nach der Geburt von den Angehörigen 
beobachtete eigenthümlich meckernde Stimme, für die sich eine 
anatomische Grundlage nicht feststellen Hess, weiterhin eine stark 
vermehrte Speichelabsonderung, die sich bei der Unter¬ 
suchung des Kindes sehr deutlich und störend geltend machte. — 
Auch die Bildung des Schädelskelets zeigt bei unserer Patientin 
Abweichungen, denen wir nicht selten bei Idiotischen begegnen. Zu 
diesen möchten wir zunächst die bei ihr vorhandene eigenthümliche 
Gestaltung des harten Gaumens rechnen, der eine kielförmige Aus¬ 
wölbung nach oben und eine narbenförmige Beschaffenheit der Raphe 
aufweist, ferner die ganz merkwürdige hochgradige Verbildung 
des Hinterhauptes. Bekanntlich sind die Veränderungen des 
Schädels bei der Idiotie sehr mannigfacher Natur; bald sind die 
Schädel abnorm dick, bald abnorm dünn. Was den Schädel im 
ganzen betrifft, so begegnen wir bald der hydrocephalischen, 
bald der mikrocephalischen Schädelform. Der unregelmässig 
geformte, in seinem Breitendurchmesser nach hinten stark zunehmende 
Schädel unseres Kindes lässt sich keinem dieser beiden Haupttypen 
zuzählen. Die Knochen, besonders das platte, viereckig gestaltete 
Hinterhaupt mit seinem vermehrten Breiten- und Höhendurchmesser, 
zeigen abnorme Dicke. Wir erinnern daran, dass auf dem Röntgo- 
gramm das Hinterhaupt einen so dunklen Schatten ergab, dass ent- 


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212 


K. Hirsch. 


gegen der Norm irgend welche Details der Halswirbelsäule durch 
denselben nicht zu erkennen waren. 

Wir haben uns bis zum Schluss die Erörterung der inter¬ 
essantesten und zugleich schwierigsten Frage in unserem Falle auf¬ 
gespart: Wie liegen die Verhältnisse an der Halswirbelsäule 
des Kindes? Wie erklärt sich das ungemein tiefe Einsinken des 
Kopfes auf die Schultern, das den Hals vollkommen verschwinden 
lässt und so hochgradig ist, dass das Occiput hinten auf dem siebenten 
Halswirbeldorn, vorn das Kinn direct auf dem Brustbein aufruht? 
Dass bei erheblichem Hochstand der Schulterblätter die Länge des 
Halses besonders hinten stark verkürzt erscheinen muss, ist ohne 
weiteres verständlich, und so finden wir auch in der Literatur dies¬ 
bezügliche Angaben. Milo beschreibt in seinem Falle den Hals als 
dick und voluminös. Honsell gibt an, dass der Hals seines 
41jährigen Patienten von auffallend geringer Höhe ist und der 
Mann ein anthropoides Aussehen habe. Pankow vergleicht die 
Kopfstellung und Haltung mit der bei Spondylitis cervicalis; der Kopf 
seines Patienten ist nach vorn und unten heruntergesunken. Im 
Mohr*scheu Falle erschien der Hals verkürzt und in seinem unteren 
Theile stark verbreitert. Der Kopf ist nach vom und unten ge¬ 
sunken, das Kinn dem Brustbein genähert. Aber ein Befund, wie 
er bei uns vorliegt, kann durch den Schulterblatthochstand allein 
nicht befriedigend erklärt werden. Die eigenthümliche steife Kopf¬ 
haltung mit der erheblichen Beschränkung der Beweglichkeit er¬ 
innerte uns auch unwillkürlich an diejenige bei Spondylitis cervicalis. 
Ganz abgesehen davon, dass bisher von intrauterin verlaufenden Fällen 
von Spondylitis nichts bekannt ist, kommt diese Erkrankung dif¬ 
ferentialdiagnostisch aus verschiedenen, hier nicht näher zu erörtern¬ 
den Gründen gar nicht in Betracht, ebenso wenig wie unserer Mei¬ 
nung nach eine einfache Lordose der Halswirbelsäule. 
Auch diese müsste congenitaler Natur sein; um ein directes Auf¬ 
liegen des Hinterhauptes auf der Vertebra prominens zu ermöglichen, 
müsste die lordotische Ausbiegung eine ganz gewaltige sein, die sich 
der Palpation von vorn und von den Rachenorganen aus nicht ent¬ 
ziehen könnte. — Mechanisch wäre auch nicht denkbar, dass bei 
Annahme einer solchen scharfen Ausbiegung nach vom sich das 
Kinn so weit auf die Brust senken könnte. Die extrauterin er¬ 
worbenen Lordosen der Halswirbelsäule können nach Hoffa (Lehr¬ 
buch der orthop. Chir.) durch Contracturen der Nackenmuskeln 


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Ueber einen Fall von doppelseitigem angeborenen Hochstand etc. 218 


entstehen; in einem Falle, den Hejmann in der Berliner medicini- 
schen Gesellschaft vorstellte, bedingte dieselbe eine starke Vorwölbung 
der hinteren Rachenwand. 

Bei weitem mehr Wahrscheinlichkeit hat die Annahme einer 
Rhachischisis der Halswirbelsäule für sich. Dieselbe kommt im 
Cervicaltheile der Wirbelsäule nicht selten vor; wenn bei dieser 
Missbildung auch vorwiegend die Bogentheile der Wirbelsäule 
betroffen sind, so beobachtet man doch auch im Bereiche der Spalte 
unvollkommen entwickelte Wirbelkörper, die theilweise 
mit einander verschmolzen und an Zahl vermindert sind. In seltenen 
Fällen hat man auch Spaltung der Wirbelkörper gesehen. Da das 
Hinterhaupt in unserem Falle die Halswirbelsäule völlig überdeckt 
und von hinten keine Palpation ermöglicht, so würde der negative 
palpatorische Befund nichts dagegen beweisen. Auffallend wäre 
allerdings bei Annahme einer Spina bifida das völlige Fehlen von 
nervösen Symptomen, wie Schwächezuständen, Lähmungen, Con- 
tracturen der oberen Extremitäten u. s. f., die zumeist dabei Vor¬ 
kommen. Sehr unterstützt werden wir in dieser Auffassung, dass 
es sich in unserem Falle vielleicht um eine Spaltbildung mit 
Wirbeldefecten handelt, durch eine Reihe in neuester Zeit 
erhobener, höchst interessanter Befunde, wo auch anderweitig bei 
Schulterblatthochstand Spaltbildungen der oberen Wirbel¬ 
säule und Spina bifida occulta der Lendenwirbelsäule nach¬ 
gewiesen wurde. In dem wiederholt erwähnten Falle von Sick, in 
dem die Halswirbelsäule lordotisch ausgebogen war, waren die Proc. 
spinosi der Halswirbel nicht abzutasten; man fühlte undeutliche 
Prominenzen rechts und links von der Mittellinie; in dieser selbst 
kommt der Finger in eine schmale, für die Kleinfingerkuppe nicht 
passirbare Rinne, welche sich etwa bis zum zweiten Brustwirbel ver¬ 
folgen lässt. Die Röntgenaufnahme zeigt entsprechend dieser Rinne 
eine eigenthümliche, unregelmässige, zickzackartige Unterbrechung 
der Knochenschatten vom zweiten Brustwirbel beginnend, bis sie sich 
in den tiefen Kopfschatten verliert. — In einem zweiten, ebenfalls 
von Sick mitgetheilten Falle von einseitigem Hochstand zeigt das 
Röntgenbild eine am vierten Brustwirbel endigende unregelmässige 
Aufhellung der Halswirbelschatten, die wieder als Hemmungsbildung 
der Wirbelsäule zu deuten ist. Von der Höhe des zweiten Lenden¬ 
wirbels bis zum Sacrum fand sich reichlicher Haarwuchs von feinen, 
blonden, bis 20 cm langen Haaren. Weiter beschreibt Rag er in 


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214 


E. Hirsch. 


seinem 3. Falle, wo sich zwischen medialem Schulterblattrand und 
der Wirbelsäule eine knöcherne Spange fand, einen auf dem Röntgen¬ 
bild sichtbaren mangelhaften Verschluss der hinteren 
Wirbelbogen der beiden untersten Hals- und obersten Brust¬ 
wirbel mit einer Verschiebung der linken Hälfte nach oben. Aehn- 
liche Fälle von abnormen Knochenspangen mit gleichzeitiger Hem¬ 
mungsbildung der Halswirbel wurden auch von Hutchinson und 
Joachimsthal beschrieben. 

In unserem Falle konnte leider bisher das Röntgenbild keinen 
sicheren Aufschluss geben; vielleicht wird derselbe in Zukunft er¬ 
bracht werden können. 

Bei der Palpation der Wirbeldornen vom Vertebra prominens 
nach abwärts fiel es uns auf, dass der erste und zweite Brust¬ 
wirbeldorn nicht gefühlt werden können. Das im Alter 
von 10 Monaten aufgenoramene Röntgenbild zeigt im zweiten Brust¬ 
wirbelkörper eine deutliche Aufhellung des Knochenschattens, wäh¬ 
rend das zweite Bild in dieser Beziehung keinen deutlichen Befund 
ergab. Jedenfalls erscheint auch uns ebenso wie Sick der gleich¬ 
zeitige Befund von Schulterblatthochstand mit einem unvollständigen 
Verschluss der Halswirbelsäule von grösster Bedeutung. Er beweist 
einen Zusammenhang zwischen der Wachsthumsstörung der Hals¬ 
wirbelsäule und der Scapula, der um so wahrscheinlicher ist, als wir, 
worauf Chievitz in Kopenhagen besonders aufmerksam gemacht hat, 
aus der Entwickelungsgeschichte wissen, dass sich die Scapula ur¬ 
sprünglich in der Höhe der unteren Halswirbel anlegt und erst in 
weiterer Entwickelung nach abwärts rückt. Die von Slomann dar¬ 
auf gestützte Theorie, dass es sich bei dem angeborenen Hochstand 
um eine Hemmungsbildung, einen fehlenden Descensus 
Scapulae handelt, erscheint für viele Fälle, wo nicht anderweitige 
Ursachen, wie Muskeldefecte, nachgewiesen werden konnten, sehr 
einleuchtend. Auf die Frage der Aetiologie des angeborenen Hoch¬ 
standes der Scapula, die in den neuesten Arbeiten von Kausch, 
Kayser, Sick und Rager erschöpfend behandelt worden ist, soll 
hier nicht weiter eingegangen werden. Liegt wirklich in unserem 
Falle eine schwere Entwickelungshemmung der Halswirbelsäule vor, 
wie wir sie anzunehmen glauben, so liegt es natürlich nahe, 
diese und den doppelseitigen Hochstand in Analogie der eben 
erwähnten Fälle von Rager, Sick u. A. auf dieselbe Ursache 
zurückzufüliren, die an der Stelle eingewirkt hat, wo sich im 


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Ueber einen Fall von doppelseitigem angeborenen Hochstand etc. 215 


fötalen Leben die Schulterblätter an die Halswirbelsäule anlegen. 
Diese Annahme wird um so wahrscheinlicher, als wir gleichzeitig in 
der Entwickelung des Gesichts- und Schädelskelets schwere Störungen 
vorfinden, die auch die Thätigkeit des Gehirns nicht unbeeinflusst 
gelassen haben. Die weitere Beobachtung des Kindes wird vielleicht 
noch interessante Aufschlüsse ergeben und zur ^Klärung des Falles 
beitragen. 


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XVI. 


(Aus der Königl. Universitäts-Poliklinik für orthopädische Chirurgie 

zu Berlin.) 

Beziehungen zwischen Halsrippen und Skoliose. 

Von 

Dr. Carl Helbing, Assistenzarzt. 

Bis vor wenigen Jahren hatte das Vorkommen von Rippen¬ 
anlagen der Halswirbelsäule mehr entwickelungsgeschichtliches und 
anatomisches Interesse, die Aufmerksamkeit der Kliniker wurde 
erst geweckt durch das Bekanntwerden sehr schwerer Krankheits- 
syraptome, die sich in einer Anzahl von Halsrippen bei ihren Trägem 
entwickelten. Besonders Circulationsstörungen oder heftige Neur¬ 
algien ira Plexus brachialis sind es gewesen, die den Patienten zum 
Arzte führten und in bis jetzt 18 Fällen die Indication zur Ent¬ 
fernung der überzähligen Rippe abgegeben haben. Vor einiger Zeit 
hat Borchard noch über 4 Fälle von Halsrippen berichtet, bei 
welchen die überzählige Rippe exstirpirt wurde. 

Nicht dieses schwere Krankheitsbild soll hier zur Sprache 
gebracht werden, sondern vielmehr ein Symptom, das — bisher kaum 
beachtet — constant, wie es scheint, bei Patienten mit Halsrippen 
auftritt. Es ist dies eine Skoliose, welche die unterste Halswirbel- 
und oberste Brustwirbelsäule betrifft. Garr^ hat am 1. Orthopäden- 
congress über 2 Fälle berichtet, bei welchen an der convexen Seite 
der Cervicodorsalskoliose durch das Radiogramm eine Halsrippe nach¬ 
gewiesen werden konnte. Herr Geheimrath Hoffa hatte bereits 
vorher in Würzburg das Zusammentreffen von Halsrippen mit Skoliose 
in mehreren Fällen beobachtet und seine Aufmerksamkeit darauf ge¬ 
richtet. Angeregt durch diese Mittheilung haben wir unser reich¬ 
liches Skoliosenmaterial seit Mai vorigen Jahres auf das Vorhanden¬ 
sein von Halsrippen untersucht und konnten unter etwas über 400 zu¬ 
gegangenen Skoliosen 7 Fälle sammeln, bei welchen die Skoliose 


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Beziebangen zwiRcben Halsrippen und Skoliose. 


217 


aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Entstehung dem Vorhandensein 
von Halsrippen verdankt. 

Es kommen noch weitere 6 Fälle hinzu, welche von meinem 
Chef, Herrn Qeheimrath Hoffa, theils in Wtirzburg, theils hier be¬ 
obachtet und mir gütigst zur Verfügung gestellt worden sind. 

In allen 13 Fällen handelt es sich um paarige Anlagen von 
Halsrippen, in einigen lassen sich gewisse Grössenunterschiede zwi¬ 
schen beiden Seiten erkennen. 

Die Patienten, welche ich selbst zu untersuchen Gelegenheit 
hatte, boten alle ein ähnliches Bild. Betrachtet man sie von vorn, 
so ist, wie bei einem leichten Torticollis, der Kopf geneigt, das Kinn 
nach der convexen Seite der Skoliose gedreht. Oder es erscheint 
der ganze Kopf nach der convexen Seite der Skoliose verschoben, 
so dass die Halsnackenlinie auf dieser Seite beträchtlich kürzer ist, 
als auf der concaven. Mitunter besteht auch eine deutliche Asym¬ 
metrie des Gesichtsschädels, derart, dass die der concaven Seite ent¬ 
sprechende Gesichtshälfte kleiner erscheint. 

Das auffallendste bleibt der ungleiche Ansatz des Halses. 
Die seitlichen Halscontouren fallen auf der concaven Seite der Sko¬ 
liose steil ab, auf der convexen verlaufen sie mehr horizontal. Auch 
die Torsion der Wirbelsäule verändert die seitlichen Halspartien 
und lässt die Supraclaviculargrube, welche der convexen Seite ent¬ 
spricht, stärker ausgefüllt erscheinen. 

In der Bückenansicht fällt die Skoliose der Wirbelsäule auf; 
sie erstreckt sich entweder auf die untersten Halswirbel und obersten 
drei bis vier Brustwirbel oder bietet — allerdings seltener — das 
Bild einer Totalskoliose dar. 

Im ersten Falle findet sich noch eine compensatorische Brust- 
und Lendenwirbelskoliose. Trotz des oft geringen Grades der Sko¬ 
liose ist ein Ausgleich derselben durch Extension nicht möglich oder 
nur sehr gering. Die Skoliose ist also ganz besonders starr. 

Fassen wir nochmals kurz die charakteristischen Symptome der 
Halsrippenskoliose zusammen, so sind dieselben: 

1. hoher Sitz einer ungemein starren Skoliose; 

2. Drehung oder Verschiebung des Kopfes mit Asymmetrie des 
Gesichtsschädels und daraus resultirende Ungleichheit der Hals- 
schultercontour. 

Die Halsrippenskoliose ist deshalb sehr häufig schon 
als solche ohne weiteres zu diagnosticiren. 


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218 


Carl Helbing. 


Wie hat man sich nun den Zusammenhang zwischen dieser 
charakteristischen SkoHosenform und dem Vorhandensein von Hals¬ 
rippen zu erklären? 

Zum Verständniss des Folgenden möge kurz daran erinnert 
werden, dass wir mit Grub er je nach der Grössenentwickelung der 
Halsrippe vier Grade unterscheiden können: 

Im ersten Grade hat die Rippe nur die Länge des Querfortsatzes 
und articulirt mit letzterem. 

Im zweiten Grade reicht die Rippe über den Querfortsatz mehr 
oder weniger hinaus und endigt entweder frei oder verbindet sich mit 
dem Knochen der ersten Brustrippe. 

Im dritten Grade hat sie einen stärker ausgebildeten Körper 
und findet durch ein Band oder direct ihren Anschluss an den Knorpel 
der ersten Brustrippe. 

Im vierten Grade hat die Halsrippe ganz die Configuration einer 
wahren Rippe und verbindet sich mittelst eines mit dem Knorpel 
der ersten Brustrippe verschmolzenen Rippenknorpels direct mit dem 
Manubrium sterni. 

Hält man an dieser Eintheilung fest, so erscheint von vorn¬ 
herein wahrscheinlich, dass eine nur einseitige Halsrippe oder eine 
gegenüber der anderen Seite stärker entwickelte Halsrippe dritten 
und vierten Grades die seitlichen Halscontouren verändern und 
eine Bewegungsbeschränkung im Sinne der seitlichen Beugung und 
Drehung verursachen muss. Berücksichtigt man ferner die bei solchen 
Halsrippen vorhandenen bekannten Anomalien der M. scaleni, so muss 
eine Asymmetrie in den Nackenlinien und Kopfstellung schon aus 
rein theoretischer üeberlegung vorhanden sein. Fehlen wird diese 
fehlerhafte Haltung nur bei vollkommen gleich grossen Hals¬ 
rippen, und es braucht hier nur eine gewisse Bewegungsbeschränkung 
. der Halswirbelsäule aus der Verbindung der Halsrippen mit den 
Brustrippen zu resultiren. Diese seltenen Fälle von ausgebildeten 
Halsrippen wollen wir nicht in den Kreis unserer Beobachtung 
ziehen. 

Wie verhält sich aber die Wirbelsäule bei der weitaus häufig¬ 
sten Form von Halsrippen, bei welcher letztere frei endigend weder 
einen directen noch indirecten Anschluss an das Brustbein finden. 
In allen unseren Beobachtungsfällen handelt es sich ausschliesslich 
um diesen zweiten Entwickelungsgrad der Halsrippen; dieselben über¬ 
ragen den Querfortsatz um weniges und erreichen durchschnittlich 


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BeziehuDgen zwischen Halsrippen und Skoliose. 


219 


eine Länge von 2^«—4 cm. Eine rein mechanische Bewegungs- 
behinderung der Halswirbelsäule ist bei ihnen also nicht gegeben. 

In einem Falle, in welchem die Schiefstellung des Kopfes ganz 
besonders störend und die Skoliose absolut fixirt war, haben wir den 
Eltern des Kindes die Exstirpation der convexseitigen Halsrippe vor¬ 
geschlagen. In der Narkose zeigte sich, dass die Skoliose und Schief¬ 
stellung des Kopfes zum Theil verschwand. Die im Juni vorigen 
Jahres von mir ausgeführte Exstirpation der rechten convexseitigen 
Halsrippe bot keine besonderen Schwierigkeiten. Die Rippe, welche 
den siebenten Processus transversus um ca. 1 cm überragte, konnte, 
ohne dass man die Arteria subclavia, welche medianwärts von der 
Rippenspitze lag, zu Gesicht bekam, subperiostal ohne Pleuraver¬ 
letzung exstirpirt werden; die Heilung erfolgte p. p. Ausserordent¬ 
lich interessant war das Verhalten der Cervicalnerven zu dem 
freien Rippenende. Dieselben wurden, wenn man den Kopf aus 
seiner Neigung herausbrachte, die Skoliose also auszugleichen ver¬ 
suchte, gerade von der Spitze der Rippe getroffen. 

Nach diesem topographischen Befund scheint mir die Erklärung 
der Haltungsanomalie in diesem Falle am ungezwungensten, wenn 
man sich denkt, dass die Patientin die Stellung deshalb ein¬ 
nahm, um eine schmerzhafte Berührung des Plexus zu ver¬ 
meiden. Es käme also bei diesen kurzen Halsrippen die Skoliose 
ungefähr ebenso zu Stande, wie die Skoliose bei der Ischias, bei der 
die skoliotische Haltung eingenommen wird, um einen schmerzhaften 
Körpertheil vor Druck zu schützen. 

Unser Operationsresultat hat für die Anschauung einer reflec- 
torischen Skoliose fast den Werth eines Experiments. Kurz nach 
der Operation nahm der Kopf die entgegengesetzte Stellung ein; aus 
der rechtsconvexen Cervicodorsalskoliose ist eine linksconvexe ge¬ 
worden, und trotz orthopädischer Nachbehandlung ist es nicht ge-* 
lungen, die entgegengesetzte Stellungsveränderung zu beseitigen, wie 
Sie sich an dem hier anwesenden Kinde überzeugen können. Ich 
möchte diese merkwürdige Erscheinung damit erklären, dass jetzt die 
zurückgebliebene linksseitige Halsrippe in gleicher Weise mit ihrer 
Spitze einen Druck auf den Cervicalplexus ausüben würde, wenn 
nicht durch die seitliche Neigung des Kopfes ein solcher vermieden 
würde. 

Wir hätten es also in diesen Fällen mit einer Art reflectori- 
scher Skoliose zu thun; aber auch hier ist Voraussetzung, dass 


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220 Carl Helbing. Beziehungen zwischen Halsrippen und Skoliose. j 

bei doppelseitigen Halsrippen eine wenn auch nur minimale 
Grössendififerenz zwischen denselben besteht. Sonst könnte ja nur j 
eine Bewegungsbeschränkung, aber keine Schiefstellung des Kopfes ] 
zu Stande kommen. 

Da wir, wie schon eingangs erwähnt, nur über Beobachtungen 
von doppelseitigen Halsrippen verfügen und alle unsere Fälle 
wegen der Skoliose in Behandlung kamen, so habe ich versucht, die 
aus anderen Gründen publicirten Fälle von Halsrippen, denen ein 
Rontgenbild beigegeben ist, auf das Vorhandensein einer Skoliose zu 
untersuchen. Von vier Röntgenbildern konnte ich nur drei ver- 
werthen, da eines zu undeutlich reproducirt ist. In allen 3 Fällen — 
der eine ist in der Borchar duschen Arbeit, der andere in dem Atlas 
von Holzknecht, der dritte bei Kämmerer abgebildet — handelt ^ 
es sich um einseitige ziemlich grosse Halsrippen, und die j 
Röntgenbilder lassen in voller Deutlichkeit auf der Seite der Hals- , 
rippe eine convexe Cervicodorsalskoliose erkennen. j 


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XVII. 


Meine Erfahrungen über Sehnenverpflanzungen. 

Von 

Prof. Dr. A. Codivilla^ 

Director des orthopädischen Instituts Rizzoli in Bologna. 

Mit 6 in den Text gedruckten Abbildungen. 

In dieser meiner Mittheilung erwähne ich nur von mir selbst 
beobachtete Thatsachen und zwar solche, die sich mir als neue dar¬ 
boten, oder die die Beobachtungen Anderer bestätigten. Ich spreche 
also nur aus eigener Erfahrung und verknüpfe damit einige von mir 
angestellte Betrachtungen. Was ich hier darlege, ist zum grossen 
Theile schon in anderen von mir veröffentlichten Arbeiten enthalten^). 

Meine Erfahrungen gründen sich auf 156 Fälle und 250 Ein¬ 
griffe, die ich (von Mai 1899 bis Mai 1903) zum grössten Theile im 
orthopädischen Institut Rizzoli in Bologna, zum geringeren Theile 
in der Anstalt für Rhachitische in Mailand ausführte. Von diesen 
Eingriffen betreffen einige (Myoplastik, Tenoplastik) allerdings nicht 
die Sehnenverpflanzung, aber sie sind hier mit einbegriffen, weil sie 
an den gleichen Individuen ausgeführt wurden und den gleichen 
Zweck wie Sehnenverpflanzungen hatten. 

Diese 250 Eingriffe können auf folgende Weise gruppirt werden; 


') Sui trapianti tendinei nella pratica ortopedica. Archivio d’Ortopedia 
— II trattamento Chirurgico moderno della paralisi infantile spinale. II 
Policlinico 1900. — De Timportance de la transplantation des tendons et de 
8on action sur la paralysie spasmodique de l’enfance. Revue d’Orthopedie lOOO. 
— Contributo alla cura delle paralisi spastiche infantili. Rivista critica di 
Clinica medica. Anno I, n. 16, 1900. — Sul trattamento delle deformitä para- 
litiche. Archivio ed Atti della Societä di Pediatria Italiana 1902. — Equilibrio 
periferico operative nei disordini di .movimento e sua influenza sulla funzio- 
nalitä dei centri nervosi. Archivio di Ortopedia 1902. 


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222 


A. Codivilla. 


Sehnenplastik, Myoplastik und Sehnenüberpflanzungen (Unterschenkel und 

Fuss, Kniegelenk, Vorderarm und Arm).ÄÜ 

Mit Myotomie combinirt (Hüftgelenk, Arm und Schulter). 

Mit Neurektomie combinirt (Hals). ... 1 

Mit Arthrodese combinirt (Hüftgelenk — oberes und unteres Sprunggelenk 

— Talonavicular- und Metatarsophalangealgelenk).10 

Mit Arthrotomie combinirt (Hüftgelenk). 1 

Mit Astragalektomie combinirt. - 

Tendinöse Fixation.^_6 

Sa. 200 


Sie haben alle dem allgemeinen Begriff der Therapie ent¬ 
sprochen, der bei Behandlung der Paralysen mittelst Sehnenverpflan¬ 
zung als Leitstern gilt, und der auch heute noch der gleiche ist, 
wie er von Drobnik festgesetzt wurde und sich wie folgt formu- 
liren lässt: 

Eine gleichmässsigere Vertheilung der Kräfte um das Gelenk 
herum gestattet den Theilen eine Stellung anzunehmen, durch welche 
sie in ihrer Gestalt corrigirt und zu Bewegungen befähigt werden, 
die in Richtung und Kraft am geeignetsten sind, um der Region 
eine der normalen sich möglichst nähernde Function zu verleihen. 

Diesem Begriff, der kurz gesagt der des operativen peripheren | 

Gleichgewichtes ist, entsprechen nicht nur die Sehnenverpflanzungen ] 

im strengen Sinne des Wortes, sondern auch, obgleich unvollständig, ' 
die Tenotomien, Myotomien u. s. w., insofern als diese die retrahirten ! 
und activeren antagonistischen oder von spastischen Contracturen 
befallenen Muskeln in den Stand setzen, ihre Thätigkeit schwächer 
auszuüben, und somit ein relatives Gleichgewicht um das Gelenk 
herum hersteilen. So habe ich z. B. in einigen Fällen von spasti¬ 
scher Lähmung der unteren Extremitäten wirklichen, an den Unter¬ 
oder Oberschenkelmuskeln vorgenommenen Sehnenverpflanzungen 
ausgedehnte Myotomien der Hüftmuskeln (besonders des M. ilio-psoas, 

M. Sartorius, M. tensor fasciae latae und der Mm. adductores) hin¬ 
zugesellt, in der Absicht, das üebergewicht von Muskelgruppen, die 
dem Gelenke abnorme, die Function benachtheiligende Stellungen 
gaben, aufzuheben. Ferner resecirte ich in einem Falle von Hemi- 
plegia infantilis mit Athetose, nachdem ich vielfältige Operationen 
an den Muskeln und Sehnen der Extremitäten vorgenommen hatte, 
den grössten Abschnitt des den M. platysraa myoides innervirenden Ge¬ 
sichtsnervenastes und nahm auch die Myotomie des genannten Muskels 
vor. Dadurch wurden nicht nur die athetotischen Contractioneo, 


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Meine Erfahrungen über Sehnenverpflanzungen. 


223 


sondern auch ein Retractionszustand, in welchem der Muskel sich 
befand und der die Ursache einer abnormen Stellung der Region 
war, aufgehoben. Die Sehnenverpflanzungen entsprechen ohne Zweifel 
vollständiger dem Begriff des peripheren Gleichgewichtes als die 
erwähnten Operationen und manche andere, die ich hier übergehe, 
weil ich sie in meiner Praxis den Sehnenverpflanzungen nicht hinzu¬ 
gesellt habe; aber die Sehnenverpflanzungen lassen sich wegen topo¬ 
graphischer Verhältnisse nicht an allen Körperstellen anwenden und 
deshalb müssen oft Eingriffe vorgenommen werden, die den gleichen 
Zweck verfolgen wie jene und der betreffenden Region angepasst sind. 

Mit der Erfahrung und der Vervollkommnung der Technik hat 
sich das anatomische Gebiet für Anwendung der Sehnenverpflanzungen 
immer mehr erweitert, und während anfangs nur der Unterschenkel 
bezüglich der Muskeln, die den Fuss bewegen, die für Sehnenverpflan¬ 
zungen zugängliche Region ausmachte, haben sich diesem bald der 
Vorderarm, dann der Oberschenkel, der Oberarm und zuletzt die 
Hüfte und die Schulter hinzugesellt. 

Von denen abgesehen, welche sich anderen operativen Eingriffen 
hinzugesellten, betreffen die von mir aufgeführten Sehnentransplan¬ 
tationen folgende Regionen: 


Unterschenkel und Fuss . . 158 

Kniegelenk.33 

Vorderarm. 3 

Hand.3 

Schulter.1 


Und wie sich das anatomische Gebiet für Anwendung der 
Sehnenverpflanzungen erweitert hat, hat sich für dieselbe auch in 
nosologischer Hinsicht das Gebiet vergrössert. Hierzu hat das Stu¬ 
dium der Resultate, besonders bezüglich der physiologischen Wirkung 
der Transplantationen und ihres Einflusses auf die Functionen des 
Centralnervensystems geführt. Ich will hier einige Ansichten ver¬ 
bringen, die ich bereits anderswo ausgesprochen habe^). 

Der Gegenstand, der den Angelpunkt dieser modernen Be¬ 
handlungsmethode der Lähmungen bildet, verdient, dass ich mich 
über ihn verbreite. Die Argumentationen drehen sich alle um die 
physiologischen Beziehungen, die zwischen den peripheren Verhält- 

Equilibrio periferico operativo nei disorclini di movimento e sua in- 
fluenza sulla funzionalitä dei centri nervosi. Archivio di Ortopedia 1902. 


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224 


A. Codivilla. 


nissen und dem Centralnervensystem bestehen. Das Problem betreffs 
der physiologischen Wirkung der Sehnenverpflanzungen kann wie 
folgt formulirt werden: 

Durch die Transplantation wird der Muskel zu einer Wirkung 
veranlasst, die mit der vorher von ihm geäusserten oft in Antagonis¬ 
mus steht. Können die Centren sich derart modificiren, dass sie 
eine coordinirte Bewegung, eine Bewegung, die die gewollte nicht 
behindert, geben? Die klinische Erfahrung gibt eine absolut be¬ 
jahende Antwort. 

Die von mir in solchen Fällen befolgte Methode der Kranken- j 
Untersuchung ist die gleiche, die Hitzig, Nothnagel und Andere ] 
bei ihren Untersuchungen über die Function der antagonistischen 
Muskeln anwandten, d. h. ich führte die Palpation der Muskel- 
contractionen aus. Die Muskeln wurden zuerst bei freien activen 1 
und dann bei Bewegungen mit Resistenz untersucht, und zwar Zwecks 
Ausschaltung der Wirkung der antagonistischen Muskeln, die be- ! 
kanntlich aufhört, wenn die Bewegung unter starker Resistenz, be¬ 
sonders wenn sie hastig, ruckweise vollzogen wird (Brücke, Zucker- 
kandl). 

Und so konnten wir in einigen Fällen eine Modiflcation in der 
Gestalt des Muskels constatiren. Dies erschien ganz deutlich in einem 
Falle, in welchem der M. peroneus longus an den M. tibialis posticus 
geheftet worden war. Der Bauch des M. peroneus bildete in diesem 
Falle während der Contraction eine Auftreibung unter dem Ende des 
Wadenbeins. Der fleischige Theil des Muskels war ungefähr halb 
so lang wie bei einem normalen Muskel, dagegen dicker als unter 
normalen Verhältnissen. Vor dem Operationsact hatten die Muskel¬ 
fasern fast normale Länge, und die Gestaltveränderungen des M. pero¬ 
neus longus musste den durch die Transplantation bewirkten Func¬ 
tionsveränderungen beigeraessen werden. Der Fall ist nur eine 
Bestätigung des bekannten Gesetzes, dass zwischen Gestalt und 
Function der Muskeln Beziehungen bestehen. 

Interessanter ist die Constatirung, dass derartige Modificationen 
auch bei partieller Transplantation stattfinden, und dass die Functions¬ 
veränderung eines Muskelabschnittes auch Modificationen in der Ge¬ 
stalt desselben zur Folge hat. Solches konnte ich in einem Falle 
von Hemiplegia spastica constatiren, in welchem die Sehne des 
M. triceps surae in zwei gleiche Hälften gespalten und die innere 
Hälfte durch das Spatium interosseum hindurch an den M. extensor 


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Meine Erfahrungen über Sehnenverpflanzungen. 


225 


digitorum geheftet worden war. Die Wade weist in diesem Fall^ eine 
etwas verschiedene Gestalt an den beiden Hälften auf. Die innere 
Hälfte ist länger und flacher geworden, als die andere. Auch in 
diesem Falle waren wahrscheinlich die Functionsveränderungen, die 
mit den von der Sehne der inneren Muskelhälfte eingegangenen 
neuen Beziehungen auftraten, Ursache der Gestaltsveränderung. 

Die Untersuchung von mittelst Sehnentransplantation operirten 
Individuen, die genügend lange Zeit nach dem Operationsact vor¬ 
genommen wurde, so dass die Uebung ihren Einfluss geltend machen 
konnte, hat wichtige Resultate zur Beurtheilung des Functions¬ 
zustandes der Muskeln, an denen die Transplantation vorgenommen 
worden, ergeben. Man konnte feststellen, dass nicht nur ein Muskel, 
dem durch die Transplantation die gleiche Function zugewiesen 
worden war, die er vorher besass, zweckmässig functionirt, sondern 
dass auch antagonistische Muskeln agonistische zu ersetzen und ganz 
wie diese zu functioniren vermochten. Ich erwähnte einen Fall, 
in welchem die Hälfte des M. triceps surae zur Deckung eines De- 
fectes der Mm. dorsales flexores verwendet wurde, und in diesem Falle 
lässt sich bei Untersuchung mit Resistenz feststellen, dass dieser 
Muskelabschnitt sich mit den Mm. dorsales flexores zusammen contrahirt. 

Dies darf übrigens nicht Wunder nehmen, wenn man bedenkt, 
dass die die Muskelcontraction regulirenden Centren an jede geringste 
Modiflcation in der Summe der Impulse des Muskelsinnes innig ge¬ 
bunden erscheinen, und dass einer Modiflcation derselben ein Unter¬ 
schied in der Contraction der einzelnen Muskeln entsprechen muss. 
Bei jeder freien Bewegung sind die Muskeln, deren Contraction die 
gewollte Bewegung bewirkt, sowie jene, die diesen entgegenwirken, 
im Spiele, und die letzteren wirken, wie Brücke sich ausdrückt, 
als Bremse (antagonistische Bremse). Die antagonistische Bremse 
wirkt jedoch so lange, bis eine andere Kraft an ihre Stelle tritt. 
So z. B. wirken häufig die Schwere, im allgemeinen die Resistenz, 
den agonistischen Muskeln entgegen und ersparen einen nutzlosen 
Kraftaufwand von seiten der antagonistischen Muskeln. 

In anderen Fällen substituiren die äusseren Kräfte nicht die 
antagonistischen, sondern die agonistischen Muskeln. Wenn wir z. B. 
den Vorderarm, den wir bei aufrechter Stellung am herabhängenden 
Oberarm gebeugt halten, strecken wollen, so ist es nicht der 
M. brachii triceps, der sich während der Bewegung deutlich con¬ 
trahirt, sondern der M. brachii biceps, der sein Antagonist ist. Dieser 

Zeitschrift für orthopädische Chinirgie. XII. Bd. 15 


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226 


A. Codivilla. 




Muskel würde der durch die Schwere hervorgerufenen Bewegung 
entgegenwirken. Das Gleiche gilt bei Beugung des Rumpfes bei 
aufrechter Stellung. Die Beugung des Rumpfes hätten die Bauch¬ 
muskeln zu bewirken, doch contrahiren sich dieselben nicht im ge¬ 
nannten Falle. Dagegen contrahiren sich die Streckmuskeln, d. h. die 
Muskeln der Wirbelsäure, und sie wirken als Bremse der durch das , 
Vornüberfallen des oberen Körpertheils hervorgerufenen Bewegung. ! 
Dies ist durch Zuckerkandl nachgewiesen worden. j 

Je nach den Fällen also werden die äusseren Kräfte zur Sub- 1 
stitution der Muskeln, deren Contraction die gewünschte Bewegung ; 
erzeugt, oder derjenigen, die die entgegengesetzte Bewegung geben, 1 
benutzt, und die Centren greifen zu dem einen oder anderen dieser 
Mechanismen, je nachdem der eine oder andere für ihre haushälte¬ 
rischen Zwecke sich als vortheilhaft erweist. 

Alles dies lässt deutlich erkennen, dass die Centren die Muskel- * 
function absolut beherrschen und die Contractionen der einzelnen 
Muskeln so leiten, dass die gewollte Bewegung mit dem geringsten 
Kraftaufwand vollzogen wird, und ferner, dass die willkürlichen Be¬ 
wegungen nicht durch ein präexistirendes Gesetz, sondern durch den 
augenblicklichen Zweck und die augenblicklichen Bedürfnisse regulirt 
werden. Je nach den äusseren Verhältnissen kann der gleiche Muskel 
zur Hervorrufung der gleichen Bewegung in Contraction treten oder 
nicht, und schwach oder stark zusammengezogen werden. 

Die Muskelfunction steht also unter der Herrschaft dieser 
äusseren Verhältnisse, über welche die Rinde durch die zahlreichen 
von den verschiedenen Quellen des Muskelsinnes abgehenden Impulsen 
beständig unterrichtet wird. Ganz richtig hat Marique bemerkt, 
dass die als willkürliche bezeichneten Acte im Grunde genommen, 
wie die Spinalreflexe, nur Gehirnreflexe sind, und sich von diesen 
nur dadurch unterscheiden, dass sie weniger complicirt sind. Marique 
stützt sich dabei auf die Thatsache, dass die motorischen Centren 
in directer Abhängigkeit von den von der Peripherie kommenden 
Reizen stehen. Wie Exner bemerkt, tritt, wenn man die Roland'sche 
Region von den Bahnen trennt, die sie mit den anderen sensitiven 
Centren in Verbindung halten, die gleiche Lähmung auf, die man 
durch Exstirpation der betreffenden Region erhalten würde. Und das 
Gleiche findet nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln statt, wie 
dies Mott und Sh erring ton bezüglich des Arms beim Affen dar- 
thaten. 


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Meine Erfahrungen über Sehnenverpflanzungen. 


227 


Zu den motorischen Rindencentren gelangen also, während der 
Bewegung, die von den Muskeln, Aponeurosen, Sehnen, Gelenk¬ 
flächen, der Haut u. s. w. abgehenden Impulse. Diese bilden die 
kinästhetischen Eindrücke, die ebenso zahlreich und in gleicher Weise 
diflferenzirt sind wie die körperlichen Bewegungen selbst. Ja, nach 
Bastian ist der Begriff* motorische Rindencentren durch den 
sensitive Centren zu substituiren, in denen die die Ausführung 
jeder Bewegung begleitenden und ihr nachfolgenden Sinneseindrücke 
registrirt, associirt, erhalten werden. 

In den motorischen Rindencentren bestehen also die Eindrücke 
der Bewegungen in ihrer Gesammtheit, aber getrennte Centren für 
jeden Muskel, wie man auf den ersten Blick annehmen könnte, gibt 
es nicht. Duchenne übertrug bereits diesen Begriff* in folgende 
Formel: „Eine vereinzelte Muskelwirkung kommt in der Natur nicht 
vor“. Hering und Sherrington haben durch ihre Experimente 
festgestellt, dass die gleiche Rindenregion, je nach dem Reiz, die 
Contraction der agonistischen und der antagonistischen Muskeln 
hervorrufen oder die Contraction dieser letzteren inhibiren kann. 
Hitzig sagt: „Die Rinde weiss nichts von Biceps oder Triceps 
brachii, sondern kennt nur Beugung und Streckung.* In der That 
wirkt, wie wir bereits sahen, zur Hervorrufung der gleichen Be¬ 
wegung, je nach den Umständen, der eine oder der andere dieser 
Muskeln mit. 

Es lässt sich nun leicht begreifen, dass in Abhängigkeit von 
den Modificationen, die nach einer Transplantation in den Erregungs¬ 
strömen des Muskelsinnes stattfanden, der Muskel als ein neues Indi¬ 
viduum zu der Function, zu welcher er bestimmt worden, nutzbar 
gemacht wird. 

Um deutlich zu zeigen, dass die Muskeln im obenbesagten 
Sinne ihre Function leicht abändern, führe ich folgendes Beispiel 
an: In einem Falle von Paralysis infantum spinalis war der M. triceps 
surae gänzlich gelähmt, die übrigen Muskeln ziemlich gut erhalten. 
Hierauf war ein hochgradiger Pes talus entstanden und die retro- 
malleolären Muskeln (Mm. peronei brevis et longiis und M. tibialis 
posticus) hatten sich luxirt und nach vorn verschoben, so dass sie 
mit der vorderen Region der beiden Knöchel in Contact standen. 
Sie hatten sozusagen die Flexionsstellung angenommen, denn ihre 
Contraction bewirkte in den Sprungbeingelenken eine Flexionsbewe¬ 
gung, statt der Streckbewegung, die ihnen unter normalen Verhält- 


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228 


A. Codivilla. 


nissen eigen ist. Liess man nun den Patienten die Flexionsbewegung 
bei Resistenz ausführen, so wurden diese Muskeln nicht schlaff, wie 
es geschehen wäre, wenn sie die Function von besagter Bewegung 
entgegenwirkenden Muskeln bewahrt hätten. Am genannten Indi¬ 
viduum wurden Transplantationen vorgenommen, durch welche man 
die Streckung ermöglichen, ja den Pes talus in einen Pes equinus 
umwandeln wollte, da alsdann die schwere Verkürzung des Gliedes 
(6 cm) compensirt werden konnte. Das Ziel erreichte man dadurch, 
dass man von der Achillessehne zwei starke periphere Sehnengewebs- 
portionen von solcher Länge trennte, dass sie, nach erfolgter Fixation 
ihrer oberen Enden an die Sehnen des M. tibialis posticus und der 
beiden Mm. peronei, diesen nicht mehr aus den Retromalleolarrinnen 
zu gleiten gestatteten. Dieses Kunstmittel sollte einen doppelten 
Zweck haben: die Muskeln sollten in Streckstellung, wie unter nor¬ 
malen Verhältnissen, gehalten, und ihre Kraft sollte zum Theil auf 
das Fersenbein übertragen werden, und den M. triceps surae, de.ssen 
Function fehlte, substituiren. Die Transplantation gelang denn auch, 
der Fuss erlangte wieder Streckstellung, und als man die Muskeln 
während der Beugung bei Resistenz untersuchte, zeigten die Mm. 
peronei absolute Erschlaffung, wie unter normalen Verhältnissen. 

Je nach der Richtung der von ihnen entfalteten Kraft wurden 
also die gleichen Muskeln von der Rinde bald als Agonisten, bald 
als Antagonisten verwendet, das Beispiel thut die bedeutende An¬ 
passungsfähigkeit der Nervencentren deutlich dar. 

Die Centren passen sich indessen den durch die peripheren 
Operationen und namentlich die Sehnenverpflanzungen geschaffenen 
besonderen Verhältnissen nicht mit einemmale an. Es bedarf einer 
üebungsperiode, während welcher das Nervensystem die neuen Kräfte 
erprobt und sich mit ihrer Bedeutung vertraut macht. In einer 
ersten Periode ziehen die Muskeln, die die Transplantation erfahren 
haben, sich wie vorher zusammen; durch die Uebung gelangen dann 
die Rindencentren dahin, die ihnen eigene Dissociationsthätigkeit zu 
entfalten, und die transplantirten Muskeln werden neue Individuen, 
und sobald ihre Bedeutung erkannt worden ist, wird ihnen die ihnen 
bei der socialen Thätigkeit zukomniende Rolle zuertheilt. 

In der Anpassungsperiode, die auf eine solche Operation folgt, 
lassen sich, wie mir scheint, drei Phasen unterscheiden: 

1. Function im Sinne des die Kraft ertheilenden Muskels, 

2. Hemmung, 


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Meine Erfahrungen über Sehnenverpflanzungen. 


229 


3. Function im Sinne des die Kraft empfangenden Muskels. 

Diese drei Phasen glaube ich bei den yon mir operirten Indi¬ 
viduen bei sorgfältiger Prüfung der Muskeltonicität, die ich während 
der gewöhnlichen Bewegung bei Resistenz vornahm, erkannt zu 
haben. In der zweiten Phase erfolgt die Bewegung oft ruckweise, 
als würde sie rhythmisch unterbrochen, denn der transplantirte Muskel 
befindet sich nicht anhaltend im Contractionszustande, sondern ist bald 
zusammengezogen, bald schlaflp. 

In dieser Anpassungsperiode beobachtet man, was stets statt¬ 
findet, wenn die motorischen Rindencentren sich an eine neue Thätig- 
keit zu gewöhnen haben. Zuerst ziehen sich die Muskeln unzweck¬ 
mässig zusammen, und auch die Zahl der Muskeln sowie die Modalität 
ihrer Contractionen sind nicht die angemessensten, um die gewollte 
Wirkung hervorzubringen. Viel Kraft wird in unzweckmässigen 
Bewegungen unnütz verbraucht. Mit der Uebung werden solche 
Bewegungen immer seltener, bis sie zuletzt aufhören, das Gefühl von 
Ermüdung und Anstrengung lässt nach und die Erziehung der Centren 
ist vollzogen. 

Diese Erziehung bringt es mit sich, dass die Muskeln passend 
gewählt und die von ihnen zu leistende Kraft richtig dosirt wird. 
Es kommt so eine Dissociation und Individualisirung der Muskeln 
zu stände, die sie befähigt, auf die zweckmässigste Weise bei der 
gemeinsamen Thätigkeit mitzuwirken. 

Infolge dieser Individualisirung erlangt jeder Muskel, innerhalb 
der Grenzen, die ihm gesteckt sind, die geeignetsten Eigenschaften 
zu der ihm obliegenden Thätigkeit; daher die Modificationen in seinem 
anatomischen Bau. Diese stehen in directer Abhängigkeit von den 
Rückenmarkscentren. 

Betreflfs der Anordnung dieser Centren im Rückenmark sind 
sich die Physiologen noch nicht einig. V an G e h u c h te n und D e Bu ck 
meinen, dass es sich um eine segmentäre Localisation handle. Ma¬ 
rin esco ist der Ansicht, dass jeder Nerv einen Haupt- und Neben¬ 
kern habe. Dejerine spricht sich für eine radiculäre Localisation 
aus. Am rationellsten ist es, mit Sano eine musculäre Locali¬ 
sation anzunehmen. Man hätte dann eine rein functionelle An¬ 
ordnung der motorischen Rückenmarkscentren, jeder Muskel besässe 
seinen Kern, und in einigen Fällen, in denen einzelne Bündel eines 
und desselben Muskels sich individualisiren, bildet, nach Sano, die 
Innervation jedes der Bündel ein Ganzes und bleibt specialisirt. 


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230 


A. Codivilla. 


Auf diese Weise lassen sich die Modificationen, die mit den ' 

durch die Sehnenverpflanzungen in den Beziehungen der Muskeln j 

zum Skelet herbeigeführten Veränderungen, in der Function und dem j 
anatomischen Bau derselben stattfinden, leichter begreifen. Wie sich 
aus den primären Zellenmassen, entsprechend der functionellen 
DiflTerenzirung der Muskeln, verschiedene Gruppen gebildet haben, 
so finden bei Modification der Function Veränderungen in den Rücken- 
markskernen statt und bilden sich neue Zellengruppen. i 

Bisher erwähnte ich nur der Modificationen, die nach peripheren 
Operationen stattfinden in Fällen, in denen die Function der noch 
contractionsfähigen Muskeln normal geblieben ist. Es fragt sich 
nun, was geschieht, wenn nicht nur eine mangelhafte Function, son¬ 
dern eine wirkliche Veränderung in den Merkmalen der Function 
vorliegt. Schon bei anderer Gelegenheit^) wies ich nach, dass die 
Tenotomien, Myotomien, die forcirten Redressements, und noch mehr 
die Sehnenverpflanzungen eine günstige Wirkung auf einige Symptome 
der spastischen Lähmungen ausüben. Denn bei den spastischen 
Kinderlähmungsformen (Little'sche Krankheit, Diplegia infantum, 
Hemiplegia spastica u. s. w.), bei denen ich solche Operationsacte 
ausführte, verschwand nicht nur die Deformität, sondern besserte 
sich oder verschwand auch der spastische Zustand und hörten damit 
gänzlich oder fast gänzlich auch die unwillkürlichen Bewegungen der 
Extremitäten auf. 

Nach dem Obengesagten lässt sich bei einigen der Symptome 
der Mechanismus dieser Wirkung leicht begreifen und bedarf keiner 
weiteren Erklärung. Die Abnahme des spastischen Zustandes und 
das Auf hören der abnormen Bewegungen dagegen lässt sich nicht 
so leicht erklären, da wir über den physiopathologischen Mechanis¬ 
mus dieser Symptome noch nichts Genaues wissen. Wir werden uns 
deshalb bei unseren Schlussfolgerungen zumeist auf Hypothesen 
stützen müssen. 

In der Gruppe der spastischen Kinderlähmungen haben bekannt¬ 
lich Krankheiten von ganz verschiedenem Wesen Platz gefunden. 
Der Spasmus ist nur ein Symptom, das durch viele, anatomisch von 
einander sehr abweichende Krankheitsformen bedingt sein kann. 


’) Codivilla, Contributo alla cura delle paralisi spastiche infantili. 
Rivista critica di clinica medica 1900, Nr. 16. — Derselbe, De Timportanoe 
de la transplantation des tendons etc. Revue d’orthopedie 1900, N. du 1 Sept- 


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Meine Erfahrungen über Sehnenverpflanzungen. 


231 


Der^ Spasmus oder die Hypertonie der Muskeln bei Läsionen des 
Centralnerrensystems ist als Uebertragung des übermässig gesteigerten 
Nerventonus der motorischen Zellen der grauen Rückenmarkssubstanz 
auf den Muskel anzusehen. 

Dieser Zustand der motorischen Zelle entsteht nun nicht spontan 
in derselben, sondern wird hier durch Einflüsse von seiten der Neurone, 
mit denen sie in Beziehung steht, erzeugt und regulirt. Es steht 
ausser Zweifel, dass die hinteren Wurzelfasem einen Tonusreiz der 
grauen Yorderhömerzellen fortleiten. So kann man beim Afien 
experimentell ein Sinken des Nerventonus der grossen Vorderhömer- 
zellen, und selbst Paralyse, erhalten, wenn man die hinteren Wurzeln 
durchschneidet (Mott und Sherrington); während man beim Men¬ 
schen eine durch Läsionen der hinteren Wurzelfasem bedingte Ab¬ 
nahme des Muskeltonus bei Tabes beobachten kann, bei welcher 
Krankheit eben eine Veränderung des peripheren sensitiven Neurons 
vorliegt. Es ist sogar anzunehmen, dass die hinteren Wurzeln oder, 
im allgemeinen gesagt, die die Impulse von der Peripherie leitenden 
Bahnen der Haupt-, wenn nicht der einzige Factor des Tonus der 
motorischen Zellen sind. 

In wenigen Worten will ich nun darlegen, wie ich den Mecha¬ 
nismus des Muskeltonus begreife. Die Verhältnisse des Tonus variiren 
hinsichtlich des vom Gehirn ausgeübten Einflusses bedeutend bei den 
verschiedenen Wirbelthieren. Beim Frosche z. B., ebenso bei Rep¬ 
tilien und Vögeln, wird durch die Exstirpation der Hirnlappen der 
Muskeltonus nicht modificirt; beim Hunde führt die Exstirpation 
des Gyrus sigmoides zu einer Muskelhypotonie, die bald aufhört; 
beim AflFen haben zerstörende Verletzungen der motorischen Zone 
permanente Hypotonie zur Folge; beim Menschen dagegen tritt voll¬ 
ständige, definitive Atonie auf. 

Dies beweist, dass die Reize des Muskeltonus bei den verschie¬ 
denen Thieren auf verschiedenen Wegen fortgeleitet werden. Bei 
den niederen Wirbelthieren gelangen die Impulse, die den hinteren 
Wurzeln entlang fortgeleitet werden, auf den kürzesten Wegen direct 
zu den motorischen Zellen; bei den höheren Wirbelthieren wird der 
Tonus eine Gehirnfunction, und muss angenommen werden, dass die 
centripetalen Impulse den langen Wegen folgen, die sie ins Gehirn 
leiten, und dass dann von den höheren Centren die Reize abgehen, 
die den Tonus des peripheren motorischen Neurons beeinflussen. 
Aber während beim Hunde nach Exstirpation der motorischen Zone 


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232 


A. Codivilla. 


die Impulse den kurzen Wegen folgen, um zu den grossen Vorder¬ 
hörnerzellen zu gelangen, werden beim Menschen diese Wege nur 
von sehr starken Reizen eingeschlagen. 

Dass die in die motorische Zone gelangenden sensitiven Impulse 
zur Hervorrufung der Erscheinung dringend nothwendig sind, beweist 
die Thatsache, dass die Isolirung der motorischen Zone mit Ab¬ 
sperrung der sensorischen Bahnen Muskelatonie zur Folge hat. 

Mir scheint die Annahme gerechtfertigt, dass beim Menschen 
die den hinteren Wurzeln folgenden Reize auf den langen Wegen in 
die Zellen der Roland*schen Region gelangen und dass dieses Cen¬ 
trum durch die ihm eigene regulirende Function den Nerveneinfluss 
bestimmt, den der Tonus der motorischen Rückenmarkszellen hervor¬ 
ruft. Bei vollständiger Trennung des Rückenmarks vom Gehirn ist 
also der Hauptweg für den Reiz des Tonus aufgehoben und nur ein 
starker Reiz wird sich die kurzen Wege erzwingen und in die grauen 
Vorderhörnerzellen gelangen können. Bei unvollständiger Trennung, 
wie z. B. bei Sklerose des Pyramidenbündels, ist das motorische ! 
Rindencentrum durch die Veränderung seiner Achsencylinder in seiner 
delicaten Function beeinträchtigt und seine regulirende Thätigkeit 
infolgedessen bedeutend compromittirt, weshalb die Reize intensiv 
und ohne Ordnung abgehen und entweder auf dem nicht vollständig 
unterbrochenen directen Wege oder auf indirecten Wegen in die 
Rückenmarkscentren gelangen. 

Die von mir aufgestellte Hypothese entspricht, meiner Ansicht 
nach, allen Anforderungen und es brauchen deshalb für die Ent¬ 
stehung des Tonus nicht zwei physiologische Mechanismen, je nach¬ 
dem es sich um Neugeborene oder Erwachsene handelt, angenommen 
zu werden. Denn nach Crocq gelangen beim Neugeborenen die 
peripheren Reize, analog der für die niederen Wirbelthiere geltenden 
Annahme, auf den kurzen Wegen direct in die motorischen Rücken¬ 
markszellen, während sie beim Erwachsenen den langen Wegen 
folgen, um ins Gehirn zu gelangen. Es lässt sich nun annehmen, 
dass beim Neugeborenen die von der Peripherie kommenden Impulse 
ebenfalls den langen Wegen folgen und in die Rinde gelangen, aber 
wegen unvollkommener Bildung des motorischen Rindenneurons von 
diesem nicht verarbeitet werden und deshalb ohne weiteres in die 
motorischen Rückenmarkszellen übergehen. 

Ein Neuron, dessen Fasern noch nicht raarkhaltig sind, vermag 
sicherlich nicht normal zu functioniren, kann aber sehr gut als 


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Meine Erfahrungen über Sehnenverpflanzungen. 


233 


Entladungsweg dienen. Der Mechanismus des Tonus beim Neu¬ 
geborenen, wie in Fällen von Little'scher Krankheit (unvollkom¬ 
mene Bildung des Pyramidenbündels wegen Frühgeburt) ist im Grunde 
genommen der gleiche wie in den Fällen von unvollständiger Aus¬ 
schaltung der Verbindungswege zwischen Roland’scher Zone und 
Rückenmark, deren ich oben erwähnte. 

Aber auch wenn wir uns an diese Theorie halten, die viele 
auf klinischem Gebiete angetroffenen Erscheinungen befriedigend 
erklärt, stösst man auf grosse Schwierigkeiten, wenn man sich den 
Mechanismus des Spasmus in Fällen von Paralysis infantum spastica 
zu erklären versucht. 

Verhältnissmässig leicht lassen sich die nur durch Frühgeburt 
bedingten Fälle von Little'scher Krankheit begreifen, bei denen 
wir, als bewiesen erachtend, dass die Störungen von einer Entwicke¬ 
lungshemmung des Pyramidenbündels herrübren, einfache Verhält¬ 
nisse, wie sie ein physiologisches Experiment bietet vor uns haben. 
Dagegen wird in den anderen Fällen von Paralysis infantum spastica, 
in denen entweder Asphyxie oder durch eine Schwergeburt verur¬ 
sachte Traumen, oder nach der Geburt, oder in den ersten Lebens¬ 
jahren zu Hemiplegien oder Diplegien führende Läsionen die Krank¬ 
heit verursacht haben, der Mechanismus ihrer Symptome sehr com- 
plicirt sein. 

Die Läsion betrifft in fast allen Fällen die Rinde, je nach den 
Umständen und ihrem Sitze hat sie auf der Rinde verschiedene Aus¬ 
dehnung erlangt. Die zerstörende Veränderung variirt in ihrer 
Schwere und Diffusion von Fall zu Fall und weist bei einem und 
demselben Individuum bedeutende Unterschiede in den verschiedenen 
Regionen auf. Einige Zellen sind noch functionsfähig, andere zer¬ 
stört, noch andere nur von einer Entwickelungshemmung betroffene, 
besitzen ihre normalen Beziehungen und sind einer partiellen Function 
fähig. 

Alles dies beweist die mannigfaltige Gruppirung der Symptome 
bei diesen Affectionen und die Verschiedenartigkeit des von den 
verschiedenen Fällen aufgewiesenen Krankheitsbildes. In diesen liegt 
nicht, wie bei der Little'schen Krankheit, eine allgemeine spasmo¬ 
dische Steifigkeit der Gliedmuskeln vor, die nur wegen der grösseren 
Anzahl Fasern bei einigen Muskelgruppen oder wegen besonderer 
physiologischer Anordnungen des Centralnervensystems oder selbst 
der Muskeln, bei gewissen Muskelgruppen mehr hervortritt, als bei 


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234 


A. Codivilla. 


anderen, sondern es können von schlaffer Paralyse oder von Spas¬ 
mus betroffene Muskeln, Incoordination der Bewegungen, choreatische, 
athetotische, associirte Bewegungen u. s. w. mit der grössten Mannig¬ 
faltigkeit in den verschiedenen Fällen vertheilt sein und Symptome 
bestehen, die bezeugen, dass sich die Affection über die moto¬ 
rischen Rindencentren hinaus in die anderen Hemisphärencentren 
verbreitet hat. 

Dass das symptomatische Bild mit der anatomischen Läsion 
nicht in vollkommenem Verhältniss steht, ist der Periode, in welcher 
die Läsion stattgefunden, zuzuschreiben. In den ersten Lebens¬ 
perioden sind die Rindenelemente in voller Entwickelung, und die 
zerstörten Zellengewebe können auf irgend eine Weise durch neue 
ersetzt werden, Rindenregionen der gleichen oder der anderen Hemi¬ 
sphäre können eine vicariirende Function erlangen, die die auf¬ 
gehobene zu compensiren vermag. Alles dies kommt nun in dem 
vielgestaltigen symptomatischen Bilde der durch corticale Ursache 
bedingten spastischen Kinderlähmungen zum Ausdruck. 

Bei der Little'schen Krankheit, und wie ich schon oben be¬ 
merkte, spiele ich hier auf jene Fälle an, in denen keine wirkliche 
Gehirnläsion, sondern eine durch Frühgeburt bedingte Entwickelungs¬ 
hemmung vorliegt, — einer Krankheit, die unter unseren Fällen den 
einfachsten darstellt, — lässt sich die von der Operationsmethode 
ausgeübte Wirkung wohl am leichtesten erklären. Bei Transplan¬ 
tation der Hälfte des M. triceps surae an den M. peroneus brevis z. B. 
wird ein Theil der vom M. triceps entfalteten Kraft verwendet, um 
beim Gehen die Abduction und Dorsalflexion des Fusses zu ermög¬ 
lichen. Und mit der Transplantation die Verlängerung der Achilles¬ 
sehne verbindend, beseitigt man eine Quelle von starker Reflex¬ 
erregung. 

Wie ich anderswo bemerkte^), haben diese beiden Acte in solchen 
Fällen eine Besserung des spastischen Zustandes und der willkür¬ 
lichen Motilität der Glieder zur Folge. Die starke Equinovarus- 
stellung, die das schwebende Bein besonders während der letzten 
Phase des hinteren Schrittes einnimmt, behindert stark das Gehen. 
In dem Augenblicke, wo das vorschwingende Glied sich der Vertical- 
linie nähert, ist der Patient, um es vom Boden abheben zu können, 
zu gewissen Becken- und Rumpfbewegungen gezwungen, wegen 


*) Rivista critica di clinica medica 1900. 


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Meine Erfahrungen über Sehnenverpflanzungen. 


235 


Senkung des Fussendes und verminderter willkürlicher Kniebeugung 
fallt es dem Gliede jedoch schwer, einen Schritt nach vorn zu thun. 
Um diese ausgedehnten Bewegungen auszuführen und Herr über die 
fehlerhafte Stellung des Fusses zu werden, muss der Patient eine 
grössere Anstrengung machen als erforderlich sein würde, wenn auch 
nur das mechanische Hinderniss der Senkung des Fussendes be¬ 
seitigt wäre. Diese Anstrengung hat eine Zunahme des Spasmus 
zur Folge, denn mit dem Freiwerden der willkürlichen Impulse gehen 
auch die Reizimpulse des Nerventonus der motorischen Rückenmarks¬ 
zellen ab, deren Manifestation der Spasmus der von ihnen inner- 
virten Muskeln ist. 

Und dies findet um so leichter statt, als während der An¬ 
strengung die von der Peripherie in die Centren gelangenden Reize 
intensiv und zahlreich sind und die fehlende Beherrschung von Seiten 
der Centren eine rasche Entladung des Nerveneinflusses und dessen 
Verbreitung in die verschiedenen Systeme der Nervenachse möglich 
macht. Deshalb werden alle jene Mittel, die die Gehbewegungen 
erleichtern und die den hinteren Wurzelfasern entlang aufsteigenden 
Reizströme abschwächen, eine wohlthätige Wirkung auf den spasti¬ 
schen Zustand ausüben und die Function der Rinde weniger be¬ 
schwerlich machen. In dem als Beispiel angeführten Falle werden 
sich von diesen Mitteln die Transplantation eines Theiles des M. triceps 
surae an die Mm. peronei und die Verlängerung der Achillessehne 
als sehr wirksam erweisen, weil sie dem Fusse die normale Stellung 
in den verschiedenen Schriftphasen anzunehmen gestatten und Ur¬ 
sachen von starker Reflexreizung beseitigen. 

Nicht so einfach wird die Wirkung der operativen Eingriffe 
in Fällen von Hemiplegia und Diplegia infantilis sein, in denen, wie 
ich schon bemerkte, so vielfältige Symptome bestehen. In solchen 
Fällen können die Sehnenverpflanzungen, wie bei der Paralysis infan¬ 
tum spinalis, den Muskeln, die von der Rinde nicht mehr beeinflusst 
werden und vollständig gelähmt sind, Kraft verleihen, und wie bei 
der Little’schen Krankheit, fehlerhafte Stellungen beseitigen und 
mehr physiologischen Verhältnissen sich nähernde Bewegungen zu 
Stande kommen lassen. Die Sehnentransplantation und -Plastiken 
können durch ihre spasmuslindernde Wirkung Bewegungen gestatten, 
die wegen der starken Spannung des Muskeltonus vorher nicht mög¬ 
lich waren, und die übrigen Bewegungen zu freieren, harmonischeren 
machen. 


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236 


A. Codivilla. 


Der Wirkungsmechanismus der zur Ersetzung paralysirter 
Muskeln ausgeführten Sehnenverpflanzungen, mag ein Muskel in toto 
oder nur theilweise transplantirt worden sein, ist, soweit es die patho¬ 
logischen Verhältnisse des Centralnervensystems zulassen, der gleiche 
wie bei der Paralysis infantum spinalis. Mit den mit dem Skelet ein¬ 
gegangenen neuen Beziehungen modificirt der Muskel auch die ihn 
betreffenden centripetalen Erregungsströme, und dies kann eine Ab¬ 
änderung seiner Function zur Folge haben. In den Fällen, in denen 
das unter der Herrschaft pathologisch-anatomisch er Verhältnisse 
stehende Nervensystem eine genügende Anpassungsfähigkeit besitzt, 
kann der transplantirte Muskel oder Muskelabschnitt, infolge von 
Modificationen in den motorischen Zellengruppen des Rückenmarks 
und der mit diesen in Beziehung stehenden höheren Centren, in 
functioneller Hinsicht ein neues Individuum werden. 

Zu erklären bleibt noch, auf welche Weise solche Operations¬ 
acte das Aufhören der die willkürlichen Bewegungen substituirenden 
oder hemmenden, oder ohne diese auftretenden abnormen Bewegungen 
bewirken. In manchen Fällen, und meistens sind es solche, in denen 
die centrale Läsion die schwerste ist, wird ein Glied wegen solcher 
abnormer Bewegungen unbrauchbar. Dieselben verbinden sich stets 
mit spasmodischen Vorgängen, und Sehnen Verpflanzungen, ausgeführt 
zwecks gleichmässigerer Vertheilung des Spasmus, können, nach 
meiner Erfahrung, auch solche unwillkürlichen Bewegungen aufheben. 

Nach dem, was bezüglich dieser Operationsmethode, bei der 
Little’schen Krankheit angewendet, gesagt worden ist, lässt sich 
ihr Wirkungsmechanisraus auf solche motorische Störungen einiger- 
massen erklären. Beim willkürlichen Bewegungsact erheischt der 
spastische Zustand, dass sich aus den motorischen Rindenzellen ener¬ 
gischere Impulse entbinden, als in Fällen von normalem Tonus noth- 
wendig wäre. Die besonderen Verhältnisse der motorischen Zone 
und der von ihr abgehenden Fasern, der Schwund einiger dieser 
Fasern, die grösseren Leitungshindernisse bei anderen, sind Ursache, 
dass die Reize stets in der gegebenen Richtung sich verbreiten; 
daher die abnorme Bewegung, die die gewollte complicirt. Der 
spastische Zustand begünstigt ebenfalls die Entbindung der motorischen 
Impulse der Rinde, auch ohne dass zur Hervorbringung des Be¬ 
wegungsactes der Wille mitwirkt. Deshalb wirken die die Nerven- 
hypertonie herabmindernden Mittel auch günstig auf solche Bewe¬ 
gungstürungen. 


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Meine Erfahrungen über Sehnenverpflanzungen. 237 

Die Sehnenverpflanzungen wirken aber nicht nur insofern 
günstig, als sie den spastischen Zustand mildern; die Operation hilft 
auch direct der Untüchtigkeit der Hirnrinde zur Hervorbringung des 
Bewegungsactes ab. Eine normale Function der motorischen Hirn¬ 
zellen macht sich bekanntlich auf die Muskeln, die die Bewegung 
ausführen, und auf die Antagonisten, die sie abstufen und reguliren 
sollen, fühlbar. Wie ich bereits erwähnte, haben Hering und 
S herring ton nachgewiesen, dass das gleiche Rindencentrum die 
Contraction einer Muskelgruppe und die der antagonistischen Gruppe 
beeinflusst. 

Eine unvollkommene Function der Rinde wird sicherlich zu 
einer Störung führen in dem zu einer normalen Bewegung noth- 
wendigen Zusammenwirken der einander antagonistischen Muskel¬ 
gruppen. Ist diese Synergie aufgehoben, wird die gewollte Bewegung 
stets durch die Bewegung im Sinne derjenigen Muskelgruppe sub- 
stituirt werden, deren Innervation das üebergewicht hat. 

Der Torticollis spasticus z. B., der nur eine Functionsstörung 
dieser Art ist, wird erfolgreich behandelt durch Reizung der antago¬ 
nistischen Muskeln zu einer stärkeren Thätigkeit, die derjenigen der 
von Spasmus befallenen Muskeln das Gegengewicht zu halten ver¬ 
mag. Bei dieser Affection, die wahrscheinlich nur psychischer Natur 
ist, werden zur Beseitigung der Willensmangelhaftigkeit meistens die 
Psychotherapie und Kinesitherapie genügen. 

In Fällen von anatomischen Veränderungen der Rinde, in denen 
die Störung nur der Ausdruck der durch den Zerstörungsprocess 
bedingten Verhältnisse ist, wird sich das Deficit nicht einfach durch 
Mittel, die als Anreiz zur Steigerung der antagonistischen Function 
dienen, ausgleichen lassen; denn diese ist durch die besonderen vom 
Krankheitsprocess geschaffenen anatomischen Verhältnisse definitiv 
aufgehoben worden. 

Da sich unter solchen Umständen physiologische Verhältnisse 
in der Rinde nicht hersteilen und infolgedessen die Impulse, die auf 
Muskelgruppen wirken sollen, deren gleichzeitige Contraction die ge¬ 
wollte Bewegung hervorbringt, nicht auf normale Bahnen sich über¬ 
fahren lassen, wird man das gleiche Resultat dadurch erzielen können, 
dass man die Muskelkraft selbst in dem gewünschten Sinne divergirt. 
In einem Falle, in welchem die Störung durch eine Deficienz der 
Streckmuskeln hervorgerufen wird, w'ird die Verlegung des langen 
Endes des M. biceps und M. semitendinosus, damit sie im Sinne des 


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238 


A. Codivilla. 


M. rectus anticus functioniren, die verloren gegangene Rindenfunction 
einigermassen ersetzen. 

Der Eingriff schafft in diesem Falle nicht nur die Möglichkeit 
von mehr coordinirten und zweckmässigeren Bewegungen, sondern 
übt auch, in directer Folge davon, einen bedeutenden Einfluss auf 
die Erziehung der Rinde aus; denn die gebesserten Bewegungsver¬ 
hältnisse wirken auf die motorischen Rindencentren zurück. In der 
That weiss man, dass die auf den Wegen des Muskelsinnes fortge¬ 
leiteten Eindrücke sich auf die Rinde projiciren und sich als Erinne¬ 
rung der ausgeführten Bewegung fixiren, und dass dieses S^^mbol 
zur Wirklichkeit wird, wenn die Bewegung sich reproducirt. Mit 
der Uebung, die infolge der Besserung der peripheren Verhältnisse 
möglich geworden ist, erlangt die Rinde, innerhalb der Elemente, 
über die sie verfügt, die Fähigkeit zu einer Functionsthätigkeit, die. 
soweit ihr dies möglich ist, sich der normalen nähert. 

Diese aus der klinischen Beobachtung hergeleiteten allgemeinen 
Gesetze rechtfertigen denn auch, dass sich das nosologische Gebiet 
für die Anwendung der Methode immer mehr erweitert. Anfangs 
half man mittelst der Methode Functionsstörungen ab in Fällen, in 
denen Sehnen oder Muskeln durch Traumen ausser Function gesetzt 
waren, dann bediente man sich der Transplantation zur Ersetzung 
eines infolge von poliomyelitischer Läsion degenerirten Muskels, 
und endlich erprobte man die Methode bei den meisten paralytischen 
Formen, centralen und peripheren Ursprungs. Einen grossen Schritt 
vorwärts, durch den die wohlthätige Wirkung des peripheren Gleich¬ 
gewichtes auf das Centralnervensystem aufs Deutlichste dargethan 
wurde, hat Eulenburg gethan, indem er die Methode zur Behand¬ 
lung der Little'schen Krankheit anwendete. Meine Publicationen 
haben ebenfalls dazu beigetragen, dass sich die Anwendung der 
Sehnenverpflanzungen zur Behandlung der spastischen Paralysen ver¬ 
breitete, ein Gebiet, auf welchem man sich von der Methode noch 
viele segensreiche Resultate versprechen darf. Sicherlich haben in 
dieser Periode, in welcher die Methode bei den verschiedensten 
Krankheitsforraen und den verschiedensten Fällen angewandt worden 
ist, manche Versuche nicht ganz befriedigende Resultate gegeben. 
So hat denn die Erfahrung allgemeine Normen aufzustellen gestatteh 
die zur Richtschnur bei der Wahl der Fälle dienen. Normen, die 
bei vernünftiger Ueberlegung zum grossen Theile a priori hätten 
formulirt werden können. Das natürliche Gebiet zu Sebnenverpflan- 


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Meine Erfahrungen über Sehnenverpflanzungen. 


239 


Zungen ist dort, wo noch eine bedeutende Summe von vertheilbarer 
Kraft besteht. Nur eine wirkliche functionelle Kraft kommt in Be¬ 
tracht, d. h. zur Transplantation müssen Muskeln verwendet werden, 
die, entweder ohne weiteres oder nach Entfernung der mechanischen 
Hindernisse, durch ihre Contraction einen bedeutenden Grad von 
Spannkraft zu entwickeln vermögen. Die Fälle eignen sich um so 
mehr zur Transplantation, je grösser bei den zu transplantirenden 
Muskeln der Unterschied zwischen der im schlaffen und der im 
Contractionszustande von ihnen entwickelten Kraft ist und je mehr 
der Wille die Contraction zu beherrschen vermag. Die Incoordina- 
tion wird also eine Contraindication zur Methode sein, wenn nicht 
etwa, innerhalb der schon erwähnten Grenzen, das periphere Gleich¬ 
gewicht auch die Incoordination selbst zu beseitigen vermag. Be¬ 
züglich der dynamischen Verhältnisse der Region hindert die erwähnte 
Norm nicht, dass auch in Fällen von Contractur, in denen der Muskel 
schon in fibröses Gewebe entartet ist, sowie bei schweren spastischen 
Contracturen, die Methode mit Nutzen angewendet werden könne, 
da sie die Verhältnisse der stabilen Theile hinsichtlich der Gestalt 
und der Function zu bessern vermag; was man aber in solchen Fällen 
von den Transplantationen verlangt, ist nur eine passive Action bei 
der Fixation der Knochen an einander. 

Man muss die beiden Wirkungsarten der Methode aus einander 
halten. Bei den sogen, activen Deformitäten, bei denen die Muskeln 
eine wirkliche functionelle Kraft zu entwickeln vermögen, bezweckt 
die Transplantation, dem Theile die normale Bewegungsfunction zu 
verleihen; bei diesen ist die Anwendung der Methode wirklich an¬ 
gezeigt. Bei den übrigen Deformitäten werden durch die Trans¬ 
plantation die Resistenzen so um das Gelenk herum vertheilt, dass 
dieses in der für die Hauptfunction des Gliedes geeignetsten Stellung 
immobilisirt wird. Es ist dies der gleiche Zweck, den die anderen 
Mittel: die Arthrodese, die tendinöse Fixation, die Apparate u. s. w. 
verfolgen. In diesem Falle haben die Transplantationen zwar eine 
günstige, aber doch bescheidenere Wirkung als im ersteren. In der 
Praxis ist es nothwendig, dass man diese beiden verschiedenen 
Zwecke des Operationsactes berücksichtigt. 

Die Krankheitsformen, bei denen ich die Methode anzuwenden 
Gelegenheit hatte, sind folgende: 


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240 


A. Codivilla. 


Poliomyelitis anterior acuta. 

Infantile Hemiplegie. 

Little’scbe Krankheit und infantile Diplegien . . . . 

Spastische Spinalparalyse (StrümpelTscher Typus) . . 

Hemiplegia adultorum. 

Postinfectiöse Neuritis. 

Folgezustände traumatischer Läsionen. 

Folgezustände phlegmonöser Formen (unt. Extr.) . . , 

Angeborener Klumpfuss. 

Muskel dystrophie. 

Plattfuss. 


Fälle 


Operative 

Eingriffe 


I 122 

1 ^ 

I 13 

! 2 

' 2 


1 



I 156 


159 

17 

56 

4 

2 

2 

2 

2 


o 



Von den folgenden Fällen abgesehen waren die unmittelbaren 
Resultate durchwegs gute: Einmal wurde der Tod durch Shock her¬ 
beigeführt. Es handelte sich um ein männliches Individuum, das 
infolge infantiler Diplegie an allerschwerster allgemeiner Athetose 
litt. — Es bestand dabei beiderseitige Contractur der unteren Ex¬ 
tremität in extremer Flexionsstellung. In einer und derselben Sitzung 
wurde Patient an beiden Hüft-, Knie- und Sprunggelenken operirt. 

Bei 250 Operationsfällen kam Eiterung nur 3mal vor. — Die¬ 
selbe beschränkte sich jedesmal auf einen einzigen Hautschnitt und 
blieben dabei die Allgemeinerscheinungen ganz geringfügig. Die 
Heilung trat rasch, ohne Verlust von Sehnengewebe ein und der 
Endausgang war ein recht befriedigender. In einem einzigen Falle 
kam es zur Spätausstossung verlorener Nähte. — 

Recidivirung der Deformität nach Abnahme des corrigirenden 
Verbandes hatte ich 4raal zu verzeichnen. Auch ist eines Falles 
Erwähnung zu thun, bei dem die vorzeitige, durch Unduldsamkeit de^ 
Patienten nothwendig gewordene Entfernung des Gipsverbandes das 
Auseinandergehen der Sehnennähte bedingte. 

Bei den übrigen Fällen handelte es sich um Schlotterfüsse mit 
nahezu vollständiger Degeneration sämmtlicher Muskeln, so dass hier 
naturgemäss der Fuss keinen genügenden Halt an den transplantirten 
Sehnen finden konnte. 

Endresultate. Um ein abschliessendes Urtheil über die 
functioneilen Endresultate zu gewinnen, wären wir zu einer eingehen¬ 
den Prüfung jedes einzelnen Eingriffes gezwungen, indem es sich hier 


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Meine Erfahrungen über Sehnenverpflanzungen. 


241 


nicht nur um die verschiedenartigsten Formen handelt, oder um 
Fälle, die ganz für sich, vereinzelt, betrachtet werden müssen, sondern 
auch um ganz besondere, den operirten Regionen innewohnende 
Verhältnisse, die für das Resultat des chirurgischen Eingriffes mass¬ 
gebend sind. Obwohl eine zu allgemeinen Erwägungen führende 
Statistik hier nicht am Platze ist, vermag ich doch über die Trag¬ 
weite der Methode und über meine persönlichen Erfahrungen zu 
berichten, indem sich, je nachdem das Resultat ein günstiges oder 
ein ungünstiges war, eine gewisse Eintheilung der Fälle durch¬ 
führen lässt. 

Auf weitere 165 Fälle, welche nach 6—24monatlicher Frist 
zur Wiederbeobachtung gelangten (die übrigen haben sich nicht wieder 
vorgestellt) kommen 92 mit günstigem und 57 mit befriedigendem 
Endresultate. — In 15 Fällen waren mehr oder minder vollständige 
Recidive eingetreten. 5 betrafen Schlottergelenke. In einem Fall 
von infantiler Muskeldistrophie wurde eine bessere Haltung der Füsse 
erlangt. Dies jedoch auf Kosten der Excursionsfähigkeit in den be¬ 
treffenden Gelenken, so zwar, dass sich die Verhältnisse nach er¬ 
folgtem Eingriff eher schlimmer gestalteten als wie zuvor. — 

An den 92 glücklich operirten Fällen können die Enderfolge 
insofeme als ideell gute gelten, als die Gestalt zu einer geradezu 
normalen geworden ist und die Bewegungen trotz der im Gelenk 
immerhin verbleibenden Schwäche genügend umfangreich und dif- 
ferenzirt ausfallen. 

In den übrigen Fällen weichen doch, was Umfang und Kraft 
anbetrifft, die Bewegungen von der Norm ab, wenngleich auch die 
Deformität beseitigt erscheint, die Gelenke aktive Bewegungen in 
normaler Richtung zulassen und die Hauptfunction des Gliedes nicht 
beeinträchtigt ist. 

Die besten Erfolge hat man bei infantiler Spinallähmung dort 
zu verzeichnen, wo die trophischen Störungen ausschliesslich die 
Fussmusculatur betreffen und zur Ausbildung eines functionskräftigen 
Pes equinovarus Veranlassung gegeben haben. Die ideellen Resultate, 
auf welche ich früher hingewiesen habe, gehören eben hierher. 

Wenn auch nicht so glänzend, so waren doch auch die bei 
Pes valgus und bei Pes calcaneus errungenen Erfolge recht gute, 
dort nämlich, wo die von der Lähmung geschonten Muskeln über 
ein grosses Kraftquantum verfügen konnten. Ebenso fielen die am 
Oberschenkel fast ausschliesslich zur Wiederherstellung der Streck- 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII Bd. 10 


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242 


A. Codivilla. 


bewegungen im Kniegelenk vorgenommenen üeberpflanzungen vor- 
theilhaft aus. — Es darf immerhin nicht verschwiegen werden, dass 
ein beträchtlicher Grad von Schwäche dabei dauernd verblieb, und 
dass die Function sehr oft vom Quadriceps selbst, dem der operative 
Eingriff erneute Contractionsfähigkeit verliehen hatte, wiederum 
übernommen wurde. 

Weniger aufmuntemd waren die Resultate am Vorderarm, was 
wohl mit der feiner differenzirten Function der Hand und der Finger 
in Zusammenhang zu bringen ist. 

Bei spastischen Lähmungen (bei infantiler Hemi- und Diplegie) 
wurden, wie eben betont, eine bessere Haltung, Nachlassen der 
Spasmuserscheinungen, Verschwinden der unwillkürlichen Bewegungen 
erzielt, was zur Ermöglichung oder Besserung des Gehactes führte. 

Die üeberpflanzungsformeln bei spastischer Lähmung glichen 
denen bei poliomyelitischen Deformitäten üblichen. Oefter als wie 
bei letzteren wurde dabei, um die abnormen Rotationsverhältnisse zu 
beeinflussen, zu besonderen Kunstgriffen Zuflucht genommen. An 
der unteren Extremität wurde z. B. nach erfolgter Myotomie der 
Flexoren und Adductoren die Aussenrotation im Hüftgelenk durch 
Ueberpflanzung der am Knie medial inserirenden Muskeln auf die 
laterale Seite bewerkstelligt. So wurde z. B. der Semitendinosus auf 
den Biceps, der Biceps auf den Rectus femoris überpflanzt. 

An der oberen Extremität konnten die Pronationsstellung des 
Vorderarmes sowie die Innenrotation des Oberarmes im Schulter- 
gelenk durch Aenderung der Insertionsverhältnisse des Pronator teres 
nach Tubby, bezw. durch Ablösung des M. subscapularis und Ueber¬ 
pflanzung desselben auf die Aussenrotatoren beeinflusst werden, 
üebrigens differiren die in den einzelnen Fällen bei spastischen 
Lähmungen massgebenden üeberpflanzungsformeln sehr wenig von 
einander, da der von der nervösen Läsion bedingte Haltungstypus 
ein ziemlich constanter ist, d. h. für die untere Extremität: Flexion, 
Adduction, Innenrotation im Hüftgelenk, Flexion im Kniegelenk, 
bei begleitender Equinovarusstellung des Fusses. Deshalb wurden 
am Hüftgelenk ausgedehnte Myo- und Tenotomien der Adductoren 
und des M. Psoas ausgeführt. Ara Kniegelenk wurden Verlängerung 
der Flexoren, Transplantation des Semitendinosus und des langen 
ßicepskopfes auf den Rectus anterior, gelegentlich auch die vorhin 
erwähnte Etappentransplantation zur Beeinflussung der abnormen 
Innenrotation am Oberschenkel vorgenommen. Am Fusse wurde für 


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Meine Erfahrungen über Sehnenverpflanzungen. 


243 


gewöhnlich die vordere üeberpflanzung des Tibialis posticus auf den 
Extensor digitorum communis oder auf das Periost der lateralen 
Tarsusgegend durch das Spatium interosseum hindurch, Verlängerung 
der Achillessehne und partielle üeberpflanzung des Triceps Surae 
auf die Peronaei geübt. 

Bei den übrigen AflFectionen des Nervensystems hingegen trat in 
der Feststellung der zu befolgenden Ueberpflanzungsformel die grösste 
Mannigfaltigkeit zu Tage; dies insbesondere in Bezug auf den Fuss. 

Die Beurtheilung der zur Verfügung stehenden Kraft und ihrer 
Vertheilung beruht hauptsächlich auf dem Studium der Function 
und der Deformität, auf Grundlage der directen anatomischen Unter¬ 
suchung der Muskelbäuche, nach dem die ersten Einschnitte sie zu¬ 
gänglich gemacht haben, endlich auf Grundlage der elektrischen 
Untersuchung. Nebst der gestörten Function wurde auch die ana¬ 
tomische Deviation in Betracht gezogen als Folge der dynamischen 
Gleichgewichtsstörung und der mechanischen Momente, welche auf 
das Gelenk eingewirkt haben. 

Bei Pes equinovarus (104 Operationen) waren die in der Mehrzahl 
der Fälle zur Transplantation herbeigezogenen Muskeln der Tibialis 
posticus und der Triceps surae, bezw. die Achillessehne. Der Tibialis 
posticus wurde nahezu beständig in toto überpflanzt, dabei wurde der 
Muskel nach vorne verlagert und an den Extensor digitorum longus oder 
direct an den Tarsus angeheftet, so dass seine Function in die eines 
Dorsalflexors und zugleich in die eines Abductors umgeändert wurde. 
Seltener wurde der Tibialis posticus auf die Peronaei überpflanzt; 
öfters wurde seine Function durch üeberpflanzung der peripheren 
Portion seiner Sehne auf die Zehenbeuger, ein einziges Mal auf den 
Triceps übertragen. Die Transplantation der Achillessehne, welche 
nie total vorgenommen wurde, fand fast beständig auf die Peronaei 
statt. Seltener wurde der Tibialis anterior benützt, dem durch 
üeberpflanzung auf den Extensor digitorum und auf das Periost die 
Function eines Pronators und zugleich die eines Abductors verliehen 
wurde. Häufiger wurde hingegen in demselben Sinne der Extensor 
Hallucis transplantirt, welcher in seltenen Fällen auf den Tibialis 
anticus fixirt wurde. Der periphere Sehnenabschnitt wurde entweder 
auf das Periost fixirt oder auf irgend eine der benachbarten Sehnen. 
Als eine Ausnahme muss die Transplantation der Peronaei, des 
Flexor und des Extensor digitorum gelten. Die am häufigsten aus¬ 
geführten Sehnenverlängerungen waren die am Tibialis anticus, am 


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244 


A. Codivilla. 


Tibialis posticus und an der Achillessehne. Verkürzungen wurden 
an den Peronaei und am Extensor digitorum vorgenommen. 

Bei Pes valgus (35 Operationen) waren die am meisten geübten 
Eingriffe die Totalüberpflanzung des Extensor Hallucis, welcher in der 
Hauptzahl der Fälle auf den Tibialis anticus verpflanzt wurde. Von den 
Peronaei wurde des öfteren der Peronaeus longus auf den Tibialis posti¬ 
cus, seltener auf den Tibialis anticus überpflanzt. Die peripheren Ab¬ 
schnitte wurden fast constant auf die Sehnen benachbarter Muskeln 
befestigt; mitunter wurde auch partielle Verpflanzung des Extensor 
digitorum auf den Tibialis anticus oder der Achillessehne auf den 
Tibialis posticus ausgeführt. Ausnahmsweise wurden der Flexor 
Hallucis und der Tibialis anticus herbeigezogen. Die gebräuchlichsten 
Verlängerungen waren die der Achillessehne und der Peronaei. Ver¬ 
kürzungen wurden besonders an beiden Mm. tibiales vorgenomraen. 

ln einem Falle von Plattfuss (2 Operationen) wurde die eine 
Hälfte des Tibialis anticus auf den Tibialis posticus verpflanzt, dabei 
wurden die Sehnen der genannten Muskeln verkürzt, die Peronäal- 
sehnen verlängert. 

Bei Pes calcaneus wurden nahezu beständig zur Verstärkung 
des Triceps die hinteren Muskeln, d. h. die Peronaei, der Tibialis 
posterior und der Flexor digitorum herbeigezogen. Im ganzen wurde 
der durch das Spatium interosseum hindurch gezogene Tibialis anticus 
nur 2mal benützt. In 2 Fällen war die von der Achillessehne aus 
vollzogene Transplantation eine ascendirende, in weiteren 2 Fällen 
eine descendirende. Dabei wurde jedesmal die Achillessehne verkürzt. 

In vielen Fällen haben wir es als rationell. angesehen, vorerst 
die anatomische Deformität zu beheben und erst nachträglich die 
functionelle Störung zu bekämpfen ^), im Sinne eines allgemein gültigen 

Bei dieser Gelegenheit lässt mich Vulpius (Vulpius, Die Sehnen¬ 
überpflanzung und ihre Verwerthung in der Behandlung der Lähmungen 190*2. 
S. 83) Dinge sagen, die ich nie behauptet habe. In zahlreichen Fällen wird eine 
andere als die vom operativen Eingriff direct angestrebte Correction kaum 
nothwendig sein, weil eine anatomische Verbildung entweder gar nicht vor¬ 
handen ist oder nur in so geringem Grade, dass sie mit aller Leichtigkeit vor 
oder unmittelbar nach erfolgter Durchtrennung der Sehnen auf manuellem 
Wege beseitigt werden kann. In der Minderzahl der Fälle wird man auch 
solche Plandhabungen nach vollzogener Sehnenüberpflanzung vornehmen können, 
ohne die Sehnennähte aus einander zu reissen, weil diese sich auf der Seite 
befinden, wo die Correctur zur Verminderung der Abstände anstatt zur Ver- 
grösserung derselben führt. 


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Meine Erfahrungen über Sebnenverpflanzungen. 


245 


Gesetzes in der Behandlung der Deformitäten, laut welchem die ein¬ 
zelnen Momente am besten in chronologisch umgekehrter Ordnung 
ihres ersten Auftretens am vortheilhaftesten entfernt werden. 

Wenn die einzelnen Theile nicht bedeutend in ihrer Gestalt 
verändert erschienen, oder wo bloss Functionsstörung vorhanden war, 
wurde direct, ohne weitere vorbereitende Acte, zur Sehnenüberpflan¬ 
zung vorgegangen. Wenn hingegen vorerst die anatomische Defor¬ 
mität behoben worden und genügend Zeit vorhanden war, wurde 
der blutige Eingriff erst dann ausgeführt, nachdem die functionelle 
Behandlung den einzelnen Theilen die höchste Leistungsfähigkeit 
verschafft hatte; in solchen Fällen konnte die Beurtheilung über 
Muskelkraft und richtige Kraftvertheilung am besten gelingen. In 
derartigen Fällen waren viele Schäden der Inactivität schon vor der 
Operation behoben, und es konnte die Zahl und die Art der Sehnen¬ 
verlängerungen beschränkt werden, die ja eine Verkürzung der 
Muskelbäuche zur Folge haben. — Verkürzung, die wenig im Ein¬ 
klänge steht mit der durch die Correction der Deformität resul- 
tirenden grösseren Excursionsfähigkeit des Gelenkes. 

Auch in der Voraussetzung, dass die Hauteinschnitte möglichst 
klein sein sollen, müssen sie immerhin nebst der Sehnenüberpflanzung 
auch die Untersuchung der Muskelbäuche gestatten. Am Unterschenkel 
genügen mir gewöhnlich zwei Einschnitte: ein medialer und ein late¬ 
raler. Der erste, zwischen dem medialen Rande der Tibia und der 
Achillessehne genügt für die Untersuchung der hinteren und inneren, 
der andere, längs des Wadenbeines für die der vorderen und lateralen 
Muskelgruppe. 

Für die Muskeln am Oberschenkel genügt ein ausgiebiger 
Schnitt an der rückwärtigen Fläche in der Medianlinie, und zwar 
von dem unteren Drittel bis zur Grenze zwischen der Regio poplitea 
und Unterschenkel reichend, und ein zweiter Einschnitt vorn, von 
der Patella nach aufwärts. 

Es ist wohl überflüssig, darauf zu bestehen, dass besonders in 
Fällen ganz schwerer Deformität, die Hautschnitte in derselben 
Richtung der corrigirenden Kräfte ausgeführt werden müssen, näm¬ 
lich um die gute Vereinigung der Cutis zu ermöglichen. Letztere setzt 
für gewöhnlich der Correction keinen Widerstand entgegen, auch dann 
nicht, wenn die Hautschnitte in derselben Richtung der corrigirenden 
Kräfte geführt werden, d. h. senkrecht zur Durchtrennungslinie der 
Muskeln imd aller übrigen der Reduction widerstrebenden Gewebe. 


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246 


A. Codivilla. 


Ebenso haben die Auseinandersetzungen über die Grösse der 
Hautschnitte keinen Sinn: Die Hautschnitte dürfen nicht grösser 
ausfallen, als es gerade nothwendig. Dass, wenn irgend ein Kunst¬ 
griff“ es erlaubt, den operativ anzugehenden Gebilden durch eine kleinere 
Hautöffhung beizukommen, derselbe ohne weiteres anzuwenden ist, 
darüber werden wohl alle einig sein. Denn wenn auch weder ich 
noch Vulpius mit den an Paralytikern ausgeführten Hautschnitten 
keine unangenehmen Folgen erlebt haben, so ist dies kein guter 
Grund, um grössere Wunden zu setzen, als unumgänglich nothwendig. 

Ist doch die Cutis bei Poliomyelitikern ein Lieblingssitz di strophischer 
Processe und der schädlichen Wirkung traumatischer Einflüsse gegen¬ 
über besonders empfindlich ^). 

Ich ziehe die totale üeberpflanzung der functionellen Verthei- 
lung vor, eine Ausnahme bilden nur jene Muskeln, welche an und 
für sich schon eine natürliche Theilung aufweisen, so z. B. für den 
Unterschenkel der Triceps surae, der Extensor digitorum etc. 

Ich führe jedoch die totale Üeberpflanzung nur dort aus, wo die 1 
Muskelfunction nicht unbedingt nothwendig ist, oder passiv der 
tendinösen Fixation anvertraut werden kann, oder endlich einem nahe 
verlaufenden Muskel. 

Obgleich es vorzuziehen ist, gleichartig functionirende Muskeln 
zur Üeberpflanzung heranzuziehen, so kommt es doch vor, dass man 
sich auch der Antagonisten bedienen muss. Die beste Vereinigung 
ergibt die absteigende üeberpflanzung; die Sehnen sollen den kürze¬ 
sten Weg einschlagen und die grösste Spielfreiheit gemessen, am 
besten unterhalb der Fascie und womöglich innerhalb der Sehnen¬ 
scheide. 

Nach meiner Erfahrung ist für Unterschenkel und Vorderarm 
das Spatium interosseum der beste Weg für die üeberpflanzung 
von vorderen auf die hinteren Muskelgruppen und umgekehrt. Die 
Sehne des inactiven Muskels, in welche überpflanzt wird, muss, 
sofern man dessen Function wieder hersteilen will, ihre normale 
Verlaufsrichtung gegen ihre Angriffspunkte auf dem Skelete be¬ 
halten; auch soll der Winkel zwischen den beiden Sehnen möglichst 
klein ausfallen. 

Die Sehnenüberpflanzung ist der periostalen und ostealen Ueber- 


*) Siehe Vulpius, Die Sehnenüberpflanzung und ihre Verwerthung in 
der Behandlung der Lähmungen 1902, S. 35. 


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Meine Erfahrungen über Sehnen Verpflanzungen. 


247 


Pflanzung vorzuziehen, es wäre denn, dass besondere Verhältnisse 
der aufnehmenden Sehne ihre Widerstandskraft zweifelhaft erscheinen 
Hessen, oder dass besondere Gründe dafür sprechen, die auf die 
Knochen einwirkenden Kräfte anders zu leiten, als es von der Natur 
vorgeschrieben ist. Die Vereinigung zwischen zwei Sehnen muss so 
erfolgen, dass Muskel- und Sehnenspiel durch sie nicht behindert 


Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. 



wird. Das zu überpflanzende Sehnenende wird gewöhnlich schräge 
abgeschnitten und mit zahlreichen, eine breite Fläche einnehmenden 
Einzelnähten, in die zweite Sehne gesichert. Das letzte Ende wird 
in eine künstliche Oese der zweiten Sehne geleitet und hier wieder 
eingenäht (Fig. 1). Man kann in einzelnen Fällen auch eine Ver¬ 
einigung durch Umschlagen des durch die Oese gezogenen Sehnen- 
endes erzielen (Fig. 2). 

Besteht der Verdacht, dass die inactive Sehne wenig wider¬ 
standsfähig ist, so ist es vortheilhaft, von dem zu überpflanzenden 
Muskel ein möglichst langes Sehnenstück zu gewinnen und die Ver¬ 
einigung möglichst distal anzulegen. Soll die Transplantation direct 
am Skelet geschehen, dann ziehe ich die Kettenverschlingung vor. 
Das Sehnenende zieht unter einer Periostbrücke, schlägt sich über 


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248 


A. Codivilla. 


derselben um, und wird an dem entsprechenden Theile der Sehne ) 
fixirt (Fig. 3). An dem Fussskelete bieten das Periost mit Ver¬ 
stärkungen aus fibrösen Zügen die von den Ligamenten und aus 
den Kapseln stammen, und anders die Ligamente selbst ein gün¬ 
stiges Gebiet für diese Art von Verbindung. 

Die Function eines Muskels kann auch mechanisch verändert 
werden, ohne eigentliche üeberpflanzungen, z. B. einfach durch Ab¬ 
lesung seiner Sehnen von jenen Punkten, über welchen sie abbiegt. 
Führen wir dies beispielsweise bei der Mm. peronei und dem 
tibialis posticus aus, so werden diese durch die neue, längs¬ 
gestreckte Verlaufsrichtung aus Extensoren, Flexoren dorsales; die 
Sehnen stellen sich, wie ich es nenne, in Flexionsstellung ein. Wo wir 
umgekehrt als Folge der Veränderung (Hakenfuss) Luxation dieser ; 
Sehnen und Flexionswirkungen der betreflenden Muskeln vorfinden, 
können wir ihnen die normale ExtensionsWirkung dadurch wieder- , 
geben, dass wir sie in die betreffende retromalleolare Stellung zurück- ' 
bringen und sie daselbst durch zwei aufsteigende üeberpflanzungen 
von der Achillessehne aus fixiren. 

Auf gleiche Art kann man die Function der Muskeln be¬ 
einflussen durch künstliche, auf die Verlaufsrichtung der Sehnen ein¬ 
wirkende Rollen. So kann sich eine Sehne einer ligamentösen oder 
periostalen Brücke oder einer Insertion einer anderen Sehne be¬ 
dienen, um ihre eigene Verlaufsrichtung nach Wunsch zu ändern. 
Oft sind kleine Verlagerungen der Insertionsstelle am Knochen ge¬ 
nügend, um gründlich die Muskelfunction umzuwandeln. Dies gilt 
z. B. bei der Umwandlung des Pronator rotundus in einen 
Supinator nach Tubby, die ich auch geübt habe, so auch bei den 
Drehern der Schulter, welche nach analoger Art die dem Humerus 
mitgetheilte Drehung im entgegengesetzten Sinne bewirken können, 
was ich in einem Falle von Athetose bei infantiler Hemiplegie nach- 
weisen könnte. 

Complementäre Eingriffe der Sehnenüberpflanzungen sind die 
Verkürzungen und Verlängerungen der Sehnen und der Ligamente. 
Bei der Verkürzung begnüge ich mich nicht mit der Bildung einer 
Duplicatur in der überflüssigen Partie der Sehne: ich trenne viel¬ 
mehr dieselbe durch einen schiefen Schnitt und verbinde wieder durch 
Nähte die beiden Schnittflächen an der passendsten Stelle (Fig. 4). 
Einen ähnlichen Vorgang übe ich bei der Verlängerung, die ich 
aus bezeichneten Gründen möglichst selten vornehme (Fig. 5). In 


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Meine Erfahrungen über Sehnen Verpflanzungen. 


249 


manchen Fällen nehme ich die Verlängerung ohne Naht vor, indem ich 
die zuerst am Muskel freiwerdenden Sehnenfasem quer einschneide 

Fig. 4. 



und das Muskelgewebe gewaltsam dehne. Auch habe ich wie bei 
der Sehnenverkürzung in einzelnen Fällen auch allzulose Gelenks- 

Fig. 5. 



bänder verkürzt: in solchen Fällen habe ich auch Faltungen der 
Kapsel ausgeführt. Einigemale habe ich Sehnen inactiver Muskeln 

Fig. 6. 



in Bänder umgewandelt, schliesslich auch Theile von Sehnen activer 
Muskeln, deren Insertionsstelle sich nahe an jener der Bänder selbst 
befand: so z. B. die Sehne des Semitendinosus für das mediale 


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250 


A. Codivilla. 


Band des Kniegelenkes. In Fällen von paralytischer Hüftgelenks¬ 
luxation halte ich als Complementaract die Verkürzung des Liga¬ 
mentum rotundum für nützlich. Diese wird, wie ich glaube, am 
besten so ausgeführt, dass man das periphere Ende des Bandes durch 
einen Tunnel schleifen lässt, den man in dem Caput femoris ge¬ 
bohrt hat, und das vortretende Ende an das Periost des Schenkel¬ 
halses fixirt (Fig. 6). Der die Sehnenüberpflanzung mitunter beglei¬ 
tenden Myotomien habe ich früherhin Erwähnung gethan. Bei 
spastischer Paralyse werden dieselben fast beständig an den Adduc- 
toren, am Ilio-psoas mitunter auch am Sartorius und am Tensor 
fasciae latae ausgeführt. Sie sind häufig Totalmyotomien. 

Bezüglich der Technik können sie durch vorangehende Iso- 
lirung der zu schonenden Gebilde, der Cruralgefässe und Nerven, mit 
ziemlicher Leichtigkeit rasch ausgeführt werden. 

Der M. psoas kann auch auf den Rectus femoris oder auf den 
Tensor fasciae oder auch an zweckdienlicher Stelle auf das Periost 
implantiert werden. 

In einzelnen Fällen von Schlottergelenk des Fusses habe ich 
mit Erfolg die Methode der tendinösen Fixation angewendet. 
So habe ich die centrale Fixation in einer auf der Aussenseite der 
Tibia und Innenseite der Fibula angelegten Rinne der Sehnen der 
vorderen Muskelgruppe, eventifell auch des in Flexionsstellung ge¬ 
brachten Peroneus longus, genannt^). Die Sehnen werden weiter 
fixirt durch Periostlappen, welche von der Oberfläche jener Knochen 
abpräparirt wurden, in welchen die Rinne angelegt worden war. In 
anderen Fällen von schlotterndem Fusse habe ich die Arthrodese 
ausgeführt, hierbei jedoch durch tendinöse Fixation, Verkürzungen 
und eventuell Ueberpflanzungen eine bessere Stütze des Gelenks 
erzielt. 

Als Nähmaterial für die Sehnennaht habe ich dünnen Silkfaden 
benutzt. Einzelne Instrumente haben sich während der operativen 
Eingriffe besonders zweckdienlich erwiesen, besondere Hakenpincetten 
dienen dazu, die Sehnen an die Oberfläche zu bringen, ihnen Zug¬ 
effecte mitzutheilen, sie während der Naht in Contact zu erhalten etc. 
Biegsame zarte Knopfsonden weisen unter breiten Hautbrücken auf 
den Verlauf der Sehnen und auf ihre Insertionsstellen am Knochen. 


‘)Sangiorgi, La Fissazione tendinea nelle articolazioni paralitiche. 
Rivista di Ortopedia e Terapia fisica, 1901, Nr. 1, Napoli. 


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Meine Erfahrungen über Sehnenverpflanzungen. 


251 


In einer Art Oese, die die Sonde an dem einen Ende trägt, kann 
das eine Ende eines Garns fixirt sein, dessen anderes Ende an der 
zu überpflanzenden Sehne geheftet ist: auf diese Art kann die Sonde 
als Leitschnur und Zugmittel für die Sehne dienen, die ja einen 
langen Weg unterhalb der Haut und der Fascie zurücklegen muss, 
bevor sie ihr Ziel erreicht. Dünne scharfgekrümmte Piiicetten dienen 
dazu^ die Sehnen unter den Periostbrücken durchzubringen, spe- 
ciell bei der Kettenverschlingung. 

Die Hautnähte werden mit Silkfaden ausgeführt. Nach Ab¬ 
schluss des Eingriffes kommt für einen Monat ein Gipsverband auf 
das Glied, dann erst Entfernung der Hautnähte, die unteren Ex¬ 
tremitäten erhalten dann Schuhe mit elastischem Zuge. Am Ende 
wird functionelle Behandlung vorgenommen. 


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XVIII. 


Erfahrmigen über den Wertb des orthopädischen 

Corsets. 

Vortrag, gehalten auf dem 11. Congress für orthopädische Chirurgie. 

Von 

Dr. Peter Bade-Hannover. 

Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! Wenn ich Ihnen meine Erfahrungen über den 
Werth des orthopädischen Corsets hier mittheilen will, so bin ich mir 
der Schwierigkeit dieser Aufgabe bewusst. Ob ein Corset gewirkt 
oder nicht gewirkt hat, ist nicht immer leicht zu sagen. Das 
ist auch wohl der Grund, weswegen der Streit über die Wirksamkeit 
des Corsets ein so intensiver ist, weswegen die Meinungen darüber 
so getheilte sind, und weswegen so verhältnissmässig wenig statistisches 
Material gebracht wird zur Lösung dieses Streites, Eine nahezu 
3jährige Beobachtung an Skoliosen, die mir in Abständen von einigen 
Monaten immer wieder zur Nachuntersuchung zugesandt wurden, ver- 
anlasste mich, dieser Frage etwas näher zu treten. 

In einem Anhang zu dieser Arbeit endlich habe ich mich be¬ 
müht, Ihnen zwei neue Portativapparate vorzuführen, die im Laufe 
des letzten Jahres entstanden sind, und die vielleicht geeignet sind, 
den Werth des orthopädischen Corsets, das zur Zeit sehr niedrig 
— auch von mir in dieser Arbeit noch — eingeschätzt wird, zu er¬ 
höhen. 

Ich habe in einem Zeitraum von etwa 3 Jahren dauernd 
187 Skoliosen behandelt. 

Von diesen wurden 12,3 ^/o dem forcirten Redressement unter¬ 
worfen, 37,4 ^/o mit Portativapparaten und den anderen Hilfsmitteln 
der modernen Medico-Mechanik behandelt, 62,6 ®/o ausschliesslich mit 
Massage, Heilgymnastik behandelt ohne Portativapparate. Aus 


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Erfahrungen Über den Werth des orthopädischen Corsets. 253 

diesen Zahlen allein schon erhellt, dass ich sehr individualisire bei 
meiner Behandlung, dass ich weder ein radicaler Gipspanzerbehandler 
bin, noch immer sofort zum Corset greife. Dass ich mich im Ge¬ 
gen theil bemühe, für jeden einzelnen Fall die mir am besten Erfolg 
versprechende Behandlung einzuschlagen. Es wurden 

23 Fälle forcirt redressirt, 

70 , mit einem orthopädischen Stützapparat behandelt, 

117 , heilgymnastisch allein behandelt. 

In den 70 mit Stützapparaten behandelten Fällen sind natürlich 
die 23 forcirt redressirten einbegriffen, weil ein forcirtes Redressement 
ohne Nachbehandlung mittelst eines Stützapparates undenkbar ist. 
Die reine Corsetbehandlung umfasst also nur 47 Fälle oder 25,1 ®/o. 

Von den ausschliesslich heilgymnastisch behandelten Fällen 
will ich an dieser Stelle nicht berichten. 

Ich beginne mit einer kurzen Geschichte der redressirten Fälle, 
die ich epikritisch besprochen habe. Deswegen werden die Notizen 
besonders auch für die Beurtheilung des Redressements einigen Werth 
beanspruchen. 


Redressirte Fälle. 

Nr. 1. A. H., 14 Jahre, weiblich, Skoliose dritten Grades. 

Localbefund: Form; total rechts convex. Gegenkrümmung links 
lumbal. 

Art des Rippenbuckels: runder Kamm, starr. 

Krümmungsscheitel: VII. Brustwirbel. 

Deviation nach rechts um 4,2 cm. 

Grad der Torsion, 8 cm von der Medianlinie gemessen: 7,5 cm. 

Hängt beträchtlich nach rechts. 

Allgemeinbefinden: Schwächlich aussehendes, kleines Mädchen, 
sehr anämische Farbe. Conjunctivitis beider Augen. Spärlicher Fettansatz. 
Brustdrüsen schwach entwickelt. Hat noch nicht menstruirt. 

Musculatur kräftig. 

Behandlung: Mobilisation vom 1. August bis 1. October 1900. Re¬ 
dressement in horizontaler Suspension. Eingipsen der Kopfextension und 
Druckpelotten. 

8 Tage Ruhelage in der Horizontalen. 

Messung der Körperlänge am 10. October in der Horizontalen ergibt eine 
Verlängerung von 6 cm. 

Patientin bleibt bis zum 5. Januar im Verband', läuft in demselben 
Schlittschuh, tanzt. Alle 8 Tage wird die Pelotte nachgeschroben und die Kopf¬ 
extension revidirt. 


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254 


Peter Bade. 


5. Januar 1901. Körperlänge um 7*/* cm vermehrt. Abnahme des Ver¬ 
bandes. Grad der Torsion, 8 cm von der Medianlinie gemessen: 2,3 cm. 

Deviation 0,3. 

Abnahme eines Modellverbandes und Erneuerung des Extensionsverbandes. 

14. Januar 1901. Abnahme des Verbandes. Ledercorset. Status idem. 

Wird entlassen mit der Weisung, das Corset auch des Nachts zu tragen 
und Uebungen in Bauchlage zu machen, Rumpf und Kopf rückwärtsheben bei 
fixirten Beinen. 

25. April 1901. Körperlänge dieselbe. Deviation 0,6, Grad der Torsion 3,0. 

3. September 1901. Körperlänge dieselbe. Deviation 0,8 cm, Grad der 
Torsion 3,3. 

25. Februar 1902. Neues Corset. — Aluminium. 

6. März 1903. Nachuntersuchung: Körperlänge um 10 cm vermehrt, 
Torsion beträgt 5,8. Deviation 2,8 cm. 

Es ist also der bei dem Redressement erreichte Erfolg all¬ 
mählich bis zu einem gewissen Grade verloren gegangen. 

Doch ist; 

1. die Körperlänge vermehrt worden um 10 cm; 

2. die Torsion um 2,3 cm zurückgegangen; 

3. die Seitwärtsverschiebung um 1,4 cm zurückgegangen. 

Das Allgemeinbefinden ist ein gutes. Beschwerden irgend einer 

Art sind nicht geäussert. 

Nr. 11. A. Schl., 17 Jahre, männlich. Skoliose 3. Grades. Zugang 
1. August 1900. 

Linksconvexe Lumbodorsalskoliose rhachitischer Natur. Ohne Gegen¬ 
krümmung. Hochgradiger Rippenbuckel, rund und starr. Toi-sion 10 cm, von 
der Medianlinie gemessen 4,2 cm. 

Deviation 4 cm, hängt wenig nach rechts. 

Allgemeinbefinden: Schmerzen in der rechten Seite, nicht in 
der Seite des Rippenbuckels, Appetit gut. Patient sieht kräftig aus. Muscu- 
latur ist sehr gut entwickelt. Gesichtsfarbe blass. Patient ist Bildhauer und 
klagt, dass ihm längeres Stehen Schmerzen in der rechten Seite verursache. 

Nebenbefund: Links hochgradiger Plattfuss. 

Behandlung: 3 Monate energische Mobilisation bis zum 27. October. 
Forc. Redressement in horizontaler Lage am 27, October 1900. Es wird Kopf¬ 
extension und verschiebliche Pelotte mit eingegipst, 

8 Tage Horizontallage: Appetit gut, in den 2 ersten Tagen Schmerzen 
links hinten unten. 

Körperlänge, 5. November 1900, 7 cm vermehrt. Anschrauben der Pelotte 
und Revision der Kopfextension. Entlassen 6. November 1900. Wird wöchent¬ 
lich nachgesehen. 1. Februar 1901 Abnahme des Verbandes. 

Die Druckpelotte liegt dem Buckel fest an. Die Torsion ist an ent¬ 
sprechender Stelle gemessen zurückgegangen bis auf 1,2 cm, die Deviation 
bis auf 1,5. 


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Erfahrungen Über den Werth des orthopädischen Corsets. 255 

Eine halbe Stunde nach Entfernung des Verbandes hat sich ein Hämatom 
über der Stelle, wo die Pelotte sass, entwickelt. Dasselbe ist nach 5 Tagen 
durch allmähliche Compression geschwunden. Patient liegt in dieser Zeit in 
seinem alten Verband. 

12. Februar 1901. Gipsmodell und Erneuerung des Verbandes. 

21. Februar. Ledercorset. Patient ist 7*/* cm gewachsen seit Beginn der 
Behandlung. 

Nachbehandlung muss unterbleiben. Patient wird aufgefordert Kopf- 
und Rumpfheben täglich 2—3mal je 20mal zu machen und das Corset auch 
des Nachts zu tragen, sich im Hängen den Rücken und die Brust abreiben 
zu lassen. 

Nachuntersuchung: 15. September 1901. Körperlänge 8 cm ver¬ 
mehrt seit Beginn der Behandlung. Torsion zurückgegangen bis auf 3,5 cm, 
Deviation bis auf 2,8 cm. Corsetreparatur. 

Nachuntersuchung: 23. December 1902. Vermehrung des Körper¬ 
wachsthums um 9 cm seit Behandlung. Torsion und Deviation sind stationär 
geblieben seit 15. October 1901. Neues Corset. 

Das Allgemeinbefinden ist ein gutes. Patient arbeitete in 
seinem Corset. Hautzustand gut. Musculatur des Rückens massig 
gut entwickelt. Patient kann SOmal hinter einander, ohne zu er¬ 
müden, aus der Bauchlage Kopf und Rücken von dem Tisch empor¬ 
heben. 

Also auch hier wurde die Körperlänge dauernd vermehrt 
um 9 cm. 

Der Rippenbuckel, welcher nach dem Redressement fast ganz 
geschwunden war, hat sich allmählich trotz des Corsets wieder ent¬ 
wickelt, doch ist immerhin ein Torsionsrückgang um 0,7 cm zu ver¬ 
zeichnen. Das Hängen nach rechts ist völlig verschwunden. 

Nr. 14. E. M., 15 Jahre, weiblich. Skoliose 3. Grades. Zugang am 
1.5. December 1900. 

Rechtsconvexe totale Dorsalskoliose. 

Deviation: 5,2 cm. 

Torsion, 10 cm von der Medianlinie gemessen, 8,0 cm; hängt sehr stark 
nach rechts. 

Rippenbuckel kammförmig. 

Allgemeinzustand: Patientin ist ein schlaffes, blutarmes Mädchen, 
Fettansatz ziemlich reichlich. Musculatur schwach entwickelt. Brust gut ent¬ 
wickelt, hat schon menstruirt. 

Nebenbefund: Doppelseitige Plattfüsse. — Anämisches Geräusch an 
der Mitralis. 

Behandlung: Da schon anderweitig seit 5 Jahren ohne Erfolg medico- 
mechanische und Corsetbehandlung erfolgt war, die Verkrümmung immer 
sthlimmer geworden war, wurde forcirt redressiii, in verticaler Suspension 


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256 


Peter Bade. 


(Wullstein-Apparat) am 5. Januar 1901. Kopfextension und Bade’sche Pelott^n 
am rechten hinteren und linken vorderen Rippenbuckel angesetzt. 

10. Januar aus dem Bett. Körperlänge 6 cm vermehrt. 

12. Februar. Pelotten nachgeschroben. Kopfextension regulirt. Körper¬ 
länge dieselbe. 

28. Februar. Pelotten angescbroben. V* cni vermehrte Körperlänge. 
Kopfextension nachgesehen. 

28. März. Abnahme des Gipsverbandes. Modellgipsverband. 

14. April. Lederstahlcorset angelegt. Körperlänge gebt bis auf 4 cm 
zurück. 

Deviation jetzt 3,0. 

Torsion jetzt 2,4. 

Es ist also in diesem Fall besonders auffällig ein hochgradiger 
Rückgang der Torsion zu beobachten gewesen. Dies hat wohl seinen 
Grund in der Form des Rippenbuckels gehabt, der unter dem rechten 
Schulterblatt sass und gute Angriffspunkte für die Pelotte bot. Die 
Deviation ist weniger stark zurückgegangen. Vielleicht liegt das an 
der Totalskoliose, deren Krümmungsscheitel von den Angriffspunkten 
der Extension am weitesten entfernt lag, die Extensionskraft äusserte 
sich deshalb am energischsten an der Halswirbelsäule, oberen Brust¬ 
wirbelsäule und Lendenwirbelsäule. Da nach Abnahme des Gips¬ 
verbandes und beim Anlegen des Lederstahlcorsets, das keine Kopf¬ 
extension mehr trug, sofort die Körperlänge um 1 ^2 cm zurückging, 
so ist dies dem Mangel der Kopfextension zur Last zu legen. 

Es hat sich übrigens dies Resultat auch nicht absolut erhalten, 
wie Nachuntersuchung am 28. August 1902 ergab. Die Körperlänge 
war dieselbe geblieben, also Vermehrung um 4 cm, dagegen war 
die Torsion noch weiter wieder zurückgegangen auf 5,2 cm. Die 
Deviation war dagegen stationär geblieben. 

Immerhin ist in diesem stets sonst mit schlechtem Resultat 
behandelten progredienten Fall eine geringe Vermehrung des Körper¬ 
wachsthums, eine ziemlich beträchtliche Abflachung des Rippenbuckels 
und eine Abnahme der Deviation um fast die Hälfte nach fast 
2 Jahren dauernd geblieben. 

Nr. 15. Adele G., 16 Jahre. Skoliose 3. Grades. Zugang am 6. Ja¬ 
nuar 1901. 

Rechtsconvexe Doi-sal-, linksconvexe Lumbalskoliose. Totale Dorsalskoliose 
mit geringer Deviation 2,3 cm und massigem kammförmigen Rippenbuckel. 
Torsion 6 cm von der Medianlinie 4,5 cm. Die Torsion an der Lendenwirbel¬ 
säule ist verhältnissmässig stark, indem die paraspinosen Muskeln als dicker 
Wulst vorspringen und eine Höhendifferenz, 37» cm von der Medianlinie ge¬ 
messen, von 3,0 cm zeigen. Die Wirbelsäule ist sehr wenig beweglich. 


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Erfahrungen über den Werth des orthopädischen Corsets. 257 

Allgemeiner Zustand ist gut. Das Mädchen hat sehr reichlichen Fett¬ 
ansatz und leidet an Acne rosacea. Auf der linken Cornea eine Narbe. Keine 
Plattfusse. 

Behandlung: 2 Monate Mobilisation. Da keine Aenderung eintritt, 
wird am 1. März redressirt im Wullstein. 

2 Pelotten, für links hinten unten und für den rechten oberen. Rippen** 
buckel werden eingegipst. 

6. März entlassen, um 2 cm verlängert 

8. Mai Abnahme des Verbandes, weil die Eltern Geruch unter dem Ver¬ 
bände bemerkten. 

Thalergrosser bis auf den Knochen gehender Decubitus unter der oberen 
Pelotte. 

3. Mai. Redressement ohne Pelotte, Fenster über dem Decubitus. Modell¬ 
gipsverband, 

28. Mai. Decubitus verheilt. Abnahme des Verbandes, im Ledercorset 
entlassen. 

Resultat: Körperlänge um 2 cm vermehrt. Deviation und Torsion un¬ 
verändert. — 

Nachuntersuchung am 21. December. Status idem. Das Fettpolster 
ist beträchtlich geschwunden, die Brustdrüsen reducirt. Stellung im Corset 
eine gute. 

Nachuntersuchung am 18. Juni 1902. Deviation und Torsion etwas 
vermehrt. Deviation 2,5, Torsion 4,8. Körperlänge dieselbe. 

Stellung im Corset sehr gut. 

Es ist also in diesem Fall durch das Redressement einem Fort¬ 
schreiten des Processes nicht Einhalt geboten worden. Das wenig ver¬ 
mehrte Körperwachsthum hat auf die Reduction des Buckels keinen Ein¬ 
fluss üben können. Trotz Corset ist allmählich eine geringe Verschlim¬ 
merung eingetreten. Dieser Fall ist ein Beweis dafür, dass es erstens 
nicht zweckmässig ist, sehr wenig dehnbare Skoliosen zu redressiren, 
zweitens dafür, dass die Anwendung der Druckpelotte bei erethischen, 
mit starkem Fettpolster versehenen Individuen besonders dann, wenn 
sie an Acne leiden, contraindicirt ist, und endlich gemahnt der Fall 
zur Vorsicht, während der heissen Sommermonate zu redressieren 
und einzugipsen. 

Nr. 15. Arthur L., 8 Jahre. Rhachitische Skoliose 3. Grades. Zugang 
4. Januar 1901. 

Rechtsconvexe Dorsolumbalskoliose, massig gut beweglich. Spitzer Kamm. 
Krümmungsscheitel. 10. Brustwirbel hängt etwas nach rechts. Deviation 1,5 cm, 
Torsion 4 cm von der Mittellinie gemessen 8,0 cm. 

Redressement 8. Februar mit Kopfextension und vorderer und hinterer 
verschiebbarer Pelotte. 

14. Februar entlassen. Körperlänge: 6 cm vermehrt. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 17 


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258 


Peter Bade. 


28. Februar. Gipsverband nacbgesehen. Patient ist um 1 cm gewachsen. 
Kopfextension wird höher gestellt. 

15. März. Patient wieder V* cm gewachsen. Patient befindet sich sehr wohl. 

24. April. Patient nicht weiter gewachsen. 

7. Mai. Gipsverband abgenommen, Modellgipsverband. Gipsverband 
erneuert. 

14. Mai. Abnahme des Verbandes. Ledercorset mit Eopfextension. 

16. Mai. Gemessen. Patient ist 7 cm in toto gewachsen. Deviation 
zurückgegangen bis 0,8 cm. Torsion zurückgegangen auf 5 cm. 

Patient trägt dauernd Ledercorset mit Kopfextension. 

Nachuntersuchung am 4. September ergpbt kein verlängertes 
Körperwachsthum. Deviation 0,8. Torsion 5 cm. 

5. .Januar 1902. Patient wieder 1 cm gewachsen. 

7. Juni 1902. Patient wieder 2 cm gewachsen. Deviation 1,0, Torsion 5,0 cm. 

Nachuntersuchung am 1. April 1903 ergibt, dass Patient im Ghinzen 
12 cm gewachsen ist, jedoch ist die Deviation wieder vorwärts gegangen auf 
1,3 cm und die Torsion auf 6,2 cm. 

In diesem Falle wurde also durch das forcirte Redressement 
eine einmalige Verlängerung des Körperwachsthums um 6 cm er¬ 
zielt. Im Gipsverband wuchs der Patient noch um 1 Vs cm. Nach 
Abnahme des Verbandes ging die Körperlänge trotz Ledercorset 
mit Kopfextension zunächst um V^ cm zurück, um dann stetig zu 
steigen bis auf 12 cm innerhalb eines Jahres. Die Deviation und 
die Torsion wurden beide günstig durch das Redressement beeinflusst, 
indem erstere fast auf die Hälfte, 0,7 cm reducirt wurde, die Tor¬ 
sion von 8 auf 5 cm fiel. Das Corset war jedoch nicht im Stande, 
zu bewirken, dass die durch das Redressement erreichte Besserung 
der Deviation und des Rippenbuckels völlig erhalten blieb. Viel¬ 
mehr trat unter dem Corset in einem Jahre eine Vermehrung der 
Deviation um 0,5 cm, eine solche der Torsion um 1,2 cm ein. Wenn¬ 
gleich der Status vor dem Redressement entschieden verbessert ist, 
so lässt sich doch annehmen, dass Deviation und Torsion allmählich 
wieder zunehmen werden, wenn nicht durch ein zweites Redressement 
wieder nachgeholfen wird. 

Nr, 21. Luise St., 19. Jahre. Scoliosis gravissima 3. Grades. Zugang 
5. Februar 1901. 

Rechtsconvexe Dorsal-, linksconvexe Lumbalskoliose rhachitischer Natur. 

Geringes seitliches üeberhängen nach rechts. Rippenbuckel hochgradig 
starr, sjutz. Krümmungsscheitel 5. Brustwirbel. 

Deviation 4.6 cm. 

Torsion 8 cm von der Mittellinie: 12,5 cm. 

Rhachitisches Becken, doppelseitige Plattfüsse, einseitig linkes X-Bein. 


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Erfahrungen über den Werth des orthopädischen Corsets. 


259 


Der Allgemeinzustand ist sehr kläglich, von Fettansatz kann kaum 
die Rede sein. Der Augenausdruck ist matt, das Gesicht hektisch geröthet. Es 
bestoht rechtsseitiger Spitzencatarrh. 

Behandlung: Mobilisation und Massage. Emährungstherapie. 

15. April. Im. Wullstein’schen Apparat lässt sich bei 40 kg Eztension 
eine Vermehrung der Körperlänge von 6 cm erzielen. 

20. April. Redressement. Gipsverband mit Kopfextension und Pelotten. 

28. April entlassen. Körperlänge 6 cm vermehrt. 

20. Mai. Gipsverband fort wegen Decubitus auf dem rechten hinteren 
Rippenbuckel. Es wird kein Verband im Sommer wieder angelegt, sondern 
der Decubitus zur Heilung gebracht. 

Gymnastische Behandlung bis zum 1. September 1901. 

1. October. Erneutes Redressement im Wullatein mit Kopfextension 
ohne Pelotten. 

8. October entlassen. Körperlänge wie am 20. April. 

8. December. Gipsverband erneuert, Modellgipsverband. 

23. December. Ledercorset. Resultat wieder zurückgegangen bis auf 2 cm. 

Deviation gar nicht beeinflusst. 4,6 cm. 

Torsion jetzt 11,5 cm. 

Nachuntersuchung am 15. März 1903. Status wie vor dem Re¬ 
dressement. 

Dieser Fall zeigt, dass das Ledercorset nicht im Stande war, 
das durch das Redressement geschaffene Resultat zu bewahren. Da 
es sich um eine sehr hochgradige schwere Skoliose handelte, so muss 
man annehmen, dass die zuerst geschaffene Verlängerung des Körpers 
der Dehnung der nicht am Skolioseprocess betheiligten Wirbelsäulen¬ 
elemente zur Last zu legen war, dass jedoch die eigentlich skolio- 
sirten Wirbel aus ihrer Versenkung nicht gelöst wurden. Daher das 
fast gänzliche Zurücksinken nach Abnahme des Gipsverbandes. Es 
zeigt dieser Fall endlich die Gefährlichkeit des Redressements und 
Pelottengipsverbandes in den Sommermonaten. 

Nr. 23. Minna S., 15 Jahre. Skoliose 3. Grades. Zugang 25. März 1901. 

Rechtsconvexe Dorsalskoliose, ohne Gegenkrümmung. Rippenbuckel kamm- 
förmig, etwas eindrückbar. Krümmungsscheitel 7. Brustwirbel. Deviation 4,0, 
Torsion 8 cm entfernt von der Medianlinie gemessen 5,7 cm. 

Rechtsseitiger Plattfuss. 

Blasses, anämisches Mädchen mit sehr schwach entwickelten Mammae, 
sehr geringem Fettpolster und ganz guter Musculatur. 

Behandlung: bis zum 15. October Gymnastik und Massage. 

Status 15. October: Patientin ist */2 cm gewachsen. Deviation ist 
dieselbe geblieben, die Torsion auf 6,1 gestiegen. 

Redressement 15 October im Wullstein. 40 kg Extensionskraft. Vorne 
und hinten werden verschiebbare Pelotten eingegipst. 

22. October. Körperlänge um 6 cm vermehrt. 


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260 


Peter Bade. 


15. Januar 1902. Gipsverband erneuert, Modellverband. Körperlänge 
um 8 cm im ganzen vermehrt. 

28. Februar. Aluminiumcorset: Deviation zurück auf 1,2 cm, Torsion 
auf 2,5 cm. 

15. März. Eörperlänge auf 5 cm zurückgegangen. Deviation 2,0 cm, 
Torsion 2,7 cm. 

Nachbehandlung: 12. Februar 1903. Eörperlänge im ganzen 6cm 
vermehrt. Deviation 2,0 geblieben, Torsion 3,1. 

In diesem Falle hat also das forcirte Redressement eine ganz 
bedeutende Besserung erzielen können. Eine Besserung, die auch 
das verordnete Aluminiumcorset einigermassen fixirte. Nach Ab¬ 
nahme des Verbandes ging zwar die Körperlänge innerhalb 14 Tagen 
um 3 ein zurück, doch blieb immerhin eine Vermehrung der Körper¬ 
länge um 5 cm. Auch wurden die Deviation und die Torsion ent¬ 
schieden günstig beeinflusst. Namentlich die letztere ging auf über 
die Hälfte zurück, was entschieden den Druckpelotten zuzuschreiben 
ist. Die Deviation ging um 2 cm zurück. Es hat also thatsächlich 
eine Aufrollung der Wirbelsäule stattgefunden. Das Aluminium- 
corset war einigermassen im Stande, das Resultat zu wahren. Die 
Torsion ist über 1 Jahr hindurch bis 4,9 cm reducirt geblieben. Es - 
ist nur eine ganz geringe Vermehrung der Torsion unter dem Alu¬ 
miniumcorset eingetreten, die während des Tragens des Corsets von 
2,7 auf 3,1 cm gestiegen. Diese Thatsache ist deshalb interessant, 
weil vor dem Redressement unter dem Einfluss von Massage und 
Gymnastik innerhalb 5 Monaten noch eine Vermehrung der Torsion 
um 0,4 cm stattfand. Also Vermehrung der Torsion während der 
Mobilisationsperiode und Vermehrung der Torsion während des Cor- 
settragens. Dagegen ganz beträchtlicher Rückgang der Torsion 
durch das forcirte Redressement. 

Nr. 25. Elisabeth St., 5 Jahre, Scoliosis gravissima. Zugang 
2. April 1901. 

Linksconvexe Cervicodorsalskoliose rhachitischer Natur. Hochgradiger 
spitzer starrer Rippenbuckel. Deviation 1,5 cm. Torsion 6 cm, von der Mittel¬ 
linie gemessen 12 cm. 

Patient hängt etwas nach links. Doppelseitige PlattfÜsse und leichte 
X-Beine. 

Kleines, sehr elendes Geschöpfchen, mit welker, schlaffer Haut, ohne 
Fettpolster und mit schlechter Musculatur. 

Behandlung: Massage. Gymnastik während der Sommermonate. Der 
Allgemeinzustand bessert sich etwas. Local befand bleibt der gleiche. Körper¬ 
länge unbeeinflusst. 


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Erfahrungen über den Werth des orthopädischen Corsets. 261 

3. October. Redressement vorsichtig im Wullstein-Apparat ohne Pelotten. 
Extensionskraft 25 kg. Eingipsen der Kopfextension. 

8. October. Entlassen im Gipsverband. Körperlänge um 4*/« cm vermehrt. 

5. November nachuntersucht. Körperlänge um 4V* cm vermehrt. 

4. December. Körperlänge dieselbe. 

25. Januar 1902. Abnahme des Verbandes, Modellverband. Erneuerung 
des Gipsverbandes im Wullstein-Apparat. Wieder Extensionskraft 25 kg. 

29. Januar entlassen. Körperlänge um GV« cm verlängert. 

15. März. Abnahme und Anlegung des Ledercorsets mit Kopfextension. 
Deviation 1,2 cm. Torsion 7,3 cm. 

9. April. Körperlänge zurückgegangen auf 5 cm Verlängerung. Torsion 
7,3 cm. Deviation 1,2 cm. 

21. August. Körperlänge um 7 cm gestiegen. 

1. März 1903. Körperlänge im Ganzen um 8 cm gestiegen. Torsion 
8,1, Deviation 1,2 cm. 

Es war also bei dieser in sehr jugendlichem Alter stehenden 
hochgradigsten Skoliose durch das Redressement eine dauernde be¬ 
trächtliche Besserung erzielt. Da die Patientin ein noch sehr em¬ 
pfindliches zartes Kindchen war, so wurde mit dem Redressement 
vorsichtig vorgegangen. Durch eine stärkere Extension hätte sich 
wahrscheinlich das Resultat noch bedeutend verbessern lassen. 

Die Deviation ist nur relativ wenig beeinflusst worden. Das 
hatte seinen Grund in der sehr starken kyphotischen Skoliose. Da¬ 
gegen ist entsprechend der ziemlich beträchtlichen Streckung auch 
eine ganz gute Abflachung des Rippenbuckels um 3,9 cm dauernd 
erzielt worden. Die Torsionsvermehrung, welche trotz des Corsets 
nach dem Redressement eintrat, betrug in ungefähr 1 Jahr nur 
0,8 cm, die gesammte Verlängerung in ungefähr IV* Jahren 8 cm; 
dabei muss berücksichtigt werden, dass im ersten halben Jahr der 
Behandlung vor dem Redressement auch kein Wachsthum constatirt 
wurde. 


Nr. 72. Ella K., 14 Jahre. Skoliose 3. Grades. Zugang 1. August 1901. 
Linksconvexe totale Dorsalskoliose mit starker lumbaler Gegenkrümmung. 
Flacher Rippenbuckel, aber starr. 

Krümmungsscheitel 7. Brustwirbel. Deviation 2,3 cm. Torsion 5 cm, 
von der Medianlinie 4,6 cm. 

Kleines, untersetztes, kräftiges Mädchen mit mässigem Fettpolster, guter 
Musculatur. Die Skoliose ist sehr stark fixirt. 

Behandlung durch Mobilisation 8 Wochen lang ohne wesentliche Be¬ 
weglichkeit zu erreichen. 

Redressement im Wullstein 6. October 1901. Kopfextension und Pelotten. 
Verlängerung um 4 cm. Entlassen 4. October. 


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262 


Peter Bade. 


Abnahme des Verbandes 8. Januar 1902. 4 cm sind geblieben. 

Deviation um 0,3 cm vermindert, Torsion um 1,2 cm. 

Erneuerung des Verbandes; Modellverband am 8. Januar. 

14. Februar Ledercorset angelegt. 

Patientin ist 4 cm länger geworden. 

Nachuntersuchung am 19. März 1903. Patientin ist 7 cm gewachsen. 
Die Deviation ist 2 cm, die Torsion 3,6 cm. 

Es ist also dauernd eine Besserung geblieben. Aber wir be¬ 
obachten auch hier, dass die Torsion im Corset ganz allmählich 
wieder stärker wird, wenngleich sie immerhin noch nicht die Höhe 
vor der Behandlung erreichte. 

Nr. 77. E. V. L., 2*/« Jahre. Skoliose 3. Grades. Zugang 1. Februar 1902. 

Rechtsconvexe Dorsalskoliose offenbar rhachitischer Natur. Spitzer, 
harter Rippenbuckel. 

Krümmungsscheitel 5. Brustwirbel. Deviation 2,0 cm, Torsion 6 cm, von 
der Mittellinie 5,8 cm. 

Redressement 6. Februar ohne vorherige Mobilisation. Extendirt mit 
30 kg im Wullstein. Pelotten, Kopfextension. 

10 April. Abnahme des Verbandes. Modell, Erneuerung. 

26. April, Ledercorset mit Kopfextension. 

Körperlänge um 4 cm vermehrt.. Deviation 1,2, Torsion 2,4 cm. 

Patient ist ohne mir bekannten Grund aus der Behandlung fortgeblieben. 

In diesem Falle ist sicher eine beträchtliche Besserung ein¬ 
getreten, was besonders deutlich an dem Rückgang der Torsion zu 
erkennen ist. 

Nr. 85. Gertrud S., 14 Jahre. Skoliose 2. Grades. Zugang21. August 1901. 

Rechtsconvexe Cervicodorsalskoliose ohne Gegenkrümmung. Flacher 
Rippenbuckel. Deviation 2,5 cm. 

Torsion 8 cm von der Medianlinie gemessen 4,2. Der Rippenbuckel ist 
ziemlich beweglich. 

Allgemeinzustand: schmächtiges Mädchen, noch nicht menstruirt. Brust 
schwach entwickelt, Musculatur gut, Fettpolster schwach entwickelt. 

15. October. Abschluss der Mobilisationsbehandlung. 

Status idem. Es ist keine Verlängerung der Körpergrösse eingetreten. 

16. October. Redressement mit Kopfextensionskappe und 2 Pelotten. 

22. October. Entlassen. ÖVa cm verlängerte Körperlänge. 

15. November. Nachuntersucht. Pelotten angeschroben. 

22. November. Nachuntersucht. Status idem. Patient, befindet sich 
wohl im Gips. 

18. December. Im Gips 1 cm weiter gewachsen. Veränderung der Kopf¬ 
extension. Pelotten nachgeschroben. 

15. Januar 1902. Gipsverband entfernt. Deviation 0,0. Torsion 0,8 cm. 
Modellgipsverband. Gipsverband im Wullstein erneuert. Pelotten werden fort- 
gelassen. 


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Erfahrungen über den Werth des orthopädischen Corsets. 


263 


25. Februar. Aus dem Verband. Ledercorset. Deviation 0,0, Torsion 1,2. 

1. ApriL Nachuntersucht. Eörperlänge 6V2 cm vermehrt. Deviation 
nicht nachzuweisen. Torsion 1,5 cm. 

13. August. Eörperlänge 8 cm vermehrt. Deviation nicht nachzuweisen. 
Torsion 1,5 cm. 

25. März 1903. Eörperlänge 11 cm vermehrt. Deviation 0,3 cm. Tor¬ 
sion 1,8 cm. Allgemeinbefinden vorzüglich. 

Dieser Fall zeigt, dass man eine einigermassen bewegliche 
Skoliose durch das forcirte Redressement zur anatomischen Heilung 
bringen kann. Denn die restirende geringe Torsion von 0,8 cm ist nur 
in Vorbeugehaltung sichtbar und als eine sehr minimale zu bezeichnen. 

Der Fall zeigt aber auch, dass die verschiebbaren Pelotten, in 
geeignetem Falle angewendet, diese nahezu ideale Heilung mit er¬ 
reichen helfen können, denn sobald im zweiten Qipsverband die 
Pelotten fortgelassen wurden, trat schon unter dem Gipsverband eine 
leichte Vermehrung der Torsion ein, die nämlich von 0,8 auf 
1,5 cm stieg. 

Im Corset ist im Laufe des Jahres ein ganz geringes Fort¬ 
schreiten der Deviation und der Torsion zu constatiren, doch haben 
beide nicht den Zustand vor dem Redressement erreicht. Im all¬ 
gemeinen zeigt der Fall fast vollständige anatomische Heilung, die 
auch annähernd im Corset behauptet wurde. 

Nr. 157. Hanna B., 10 Jahre. Skoliose 3. Grades. Zugang 15. August 1902. 

Linksconvexe Cervico-dorsal-Skoliose. Ziemlich hochgradiger kamm- 
förmiger Rippenbuchei, der aber sich etwas eindrücken lässt. 

Deviation 2,0 cm. Torsion 6 cm von der Medianlinie gemessen 5,2 cm. 

Allgemeinbefinden ein gutes. Eräftige Musculatur. 

Redressement am 13. September. Kopfextensionskappe. 2 Pelotten. 

20. September. Körperlänge 5 cm vermehrt. 

15. December. Redressionscorset ohne Kopfextension. 5 cm gewachsen. 
Deviation 1,0, Torsion 3 cm. 

1. April 1903. 7 cm gewachsen. Deviation 1,0. Torsion 1,5 cm. 

Allgemeinbefinden ist ein sehr gutes. 

Dieser Fall zeigt ausser dem Resultate des forcirteu Redresse¬ 
ments den Vortheil des Redressionscorsets vor dem Ledercorset. 
Während immer ein Fortschreiten der Torsion im Leder- und auch 
im Aluminiumcorset zu constatiren war, ist hier zum ersten Mal 
nach dem Redressement noch ein Rückgang in der Torsion, eine 
weitere Abflachung des Rippenbuckels zu constatiren gewesen. 

Nr. 156. Frieda Sch., 15 Jahre. Skoliose 3. Grades. Zugang 
13. August 1902. 


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264 


Peter Bade. 


Linksconvexe Dorsalskoliose total, ohne Gegenkrümmung. Es besteht 
eine ganz hochgradige Beweglichkeit der Wirbelsäule, die auf BanderschlafFung 
zurückzuführen ist. 

Doppelseitige Plattfüsse. Krümmungsscheitel 8. Brustwirbel. 

Deviation 1,2, Torsion 3,7, 6 cm von der Mittellinie, hängt ganz wenig 
nach links. 

Redressement 15. September. Extensionskraft 15 kg. 2 Pelotten werden 
eingegipst. Keine Kopfextension mit eingegipst. Verband über die Achseln 
angelegt. 

21. September. Körperlänge 2 cm vermehrt Pelotten werden ange- 
schroben. Entlassen. 

20. October. Pelotten angeschroben. 

15. December. Pelotten angeschroben. Befinden vorzüglich. Patientin 
geht in die Schule, läuft Schlittschuh. 

18. December. Modellverband. 

15. Januar 1903. Ledercorset. 

Deviation ist geschwunden, Torsion ebenfalls bis auf 0,3 cm. Körper¬ 
länge 3 cm vermehrt. 

1. Mai. Nachuntersucht. Haltung im Corset ist eine vorzügliche. Körper¬ 
länge 3 cm vermehrt. Torsion auf 0,7 gestiegen. Deviation geschwunden. 

Dieser Fall beweist, dass das forcirte Redressement auch bei 
Skoliosen zur Anwendung gebracht werden kann, deren Aetiologie 
in einer allgemeinen Banderschlaffung zu suchen ist. Ich habe in 
diesem Falle natürlich das Redressement nicht durch eine hohe Kilo¬ 
grammzahl forcirt, sondern nur soviel extendirt, bis die Reihe der 
Dornfortsätze in einer Ebene fühlbar wurde. Dann durch Ein¬ 
gipsen der Pelotten und manuellen Druck den leichter beweglichen 
Rippenbuckel redressirt und mit sehr fest angezogenen Binden ein¬ 
gegipst. Auf eine Extension vom Kopfe kam es mir in diesem Falle 
nicht an, weil ich keine dauernde Extension brauchte wegen der 
leichten Redressionsmöglichkeit. Im Gegentheil, bei der allgemeinen 
Banderschlaffung musste eine stets fortgesetzte Extension noch weiter 
banderschlaffend wirken. 

Dieser Fall kann ebenfalls als anatomische Heilung bezeichnet 
werden, doch macht sich unter dem Ledercorset schon ein leichtes 
Fortschreiten der Torsion wieder bemerkbar, die von 0,3 auf 0,7 cm 
gestiegen ist, damit jedoch noch immer nicht annähernd den ur¬ 
sprünglichen Grad von 3,7 cm erreicht. 

Nr. 163. Marie Th., 17 Jahre. vSkoliose 3. Grades. Zugang 8. No¬ 
vember 1902. 

Rechtscouvexe Dorsolumbal-, linksconvexe Lumbalskoliose rhachitischer 
Natur, die jedoch ziemlich beweglich ist. 


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Erfahrungen über den Werth des orthopädischen Corsets. 265 

Rippenbuckel runder Kamm; Krümmungsscheitel 10. Brustwirbel. Deviation 
0,3. Torsion 6 cm von der Mittellinie gemessen beträgt 4,2 cm. Hängt etwas 
nach rechts. Plattfüsse. 

Redressement 15. December 1902. Extendirt mit 70 kg. Gummiluft- 
pelotten, Kopfextension. 

21. December 1902. Körperlänge 9 cm vermehrt. 

27. Januar 1903 entlassen. 

1. April 1903. Patientin hat sich noch nicht wieder vorgestellt, obwohl 
der Verband Mitte März abgenommen werden sollte. 

Es fragt sich, ob das Resultat, das in einer einmaligen Ver¬ 
längerung von 9 cm bestand, dauernd besteben bleibt. 

Da es sich um eine Dorsolumbalskoliose handelt, so scheint mir die ' 
Prognose günstig zu sein, weil man wegen des nicht störenden Schulter¬ 
blattes einen kräftigen Druck auf den Rippenbuckel ausüben kann ^). 

Nr. 169. Henni M., 15 Jahre. Skoliose 3. Grades. Zugang 10. Nov. 1902. 

Rechtsconvexe Totalskoliose mit kammförmigem Rippenbuckel, ohne 
Gegenkrümmung. 

Deviation 5,0 cm, Torsion 8 cm von der Mittellinie gemessen 7,3 cm, 
hängt stark nach rechts. 

Da schon seit 4 Jahren antiskoliotisch anderwärts behandelt, meist medico- 
mechanisch und mit abnehmbaren Gipsverbänden, so wird forcirtes Redressement 
am 5. December gemacht. Kopfextension. 2 Gumrailuftpelotten. 

12. December. 6 cm vermehrte Körpergrösse. 

20. December. Entlassen mit der Weisung, die Extension und die Pe- 
lotten vom Hausarzt wöchentlich reguliren zu lassen. 

15. Februar 1903. Gipsverband entfernt. Deviation 2,0, Torsion 2,8 cm. 
Körperlänge noch um 6 cm vermehrt. 

27. Februar 1903. Im Redressionscorset entlassen. Patientin hängt gar 
nicht mehr, die Torsion kann auf 2 cm reducirt werden. Deviation ist dieselbe. 

1. Mai 1903. Status idem. 7 cm gewachsen. 

Unser Fall ist deswegen interessant, weil er wieder die Ueber- 
legenheit des forcirten Redressements und zweitens die des neuen 
Redressionscorsets zeigt. 

Durch das erstere wurde ein Erfolg erreicht, der vorher trotz 
4jähriger Behandlung nicht erreicht wurde. Durch das letztere dieser 
Erfolg thatsächlich fixirt. Wieder ist bemerkenswerth, dass die Tor¬ 
sion nach Abnehmen des Fixationsverbandes nicht fortgeschritten 

') Während der Drucklegung erhielt ich Nachricht, dass Pat. am 1. Februar 
1903 plötzlich gestorben ist, nachdem sie noch 1 Stunde vor ihrem Tode sich 
wohl fühlte. Es ist weder der Verband beseitigt noch Section gemacht worden; 
da die Armengemeinde für beide die Kosten wohl nicht tragen konnte. Es ist 
daher nicht anzugeben, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Redresse¬ 
ment und Tod besteht. 


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266 


Peter Bade. 


ist. Andererseits ist aber auch ein Ergebniss der Röntgenuntersuchung 
vor und nach dem Redressement von Bedeutung. Sie zeigt, dass die 
Deviation in Wahrheit grösser ist, als die Dornfortsatzlinie für den ' 

palpierenden Finger angibt, und dass das äusserlich scheinbar glän- j 

zende Resultat in röntgenscher Beleuchtung zwar eine Besserung ’ 

vorstellt, aber keine so erhebliche, wie man glauben sollte. Der j 

grosse Bogen, den die total nach rechts verkrümmte Wirbelsäule 
macht, ist auf beiden Platten deutlich, der senkrechte Abstand vom ' 

Krümmungsscheitel beträgt auf der ersten vor der Behandlung 5,3 cm, 
.auf der zweiten 4,4 cm nach der Behandlung. 

Es ist uns dies eine Mahnung trotz des scheinbar glänzenden 
äusseren Resultates, einmal bescheiden zu sein, andererseits aber auch 
fortgesetzt nach Mitteln zu suchen, die Resultate immer noch besser 
zu gestalten. 

Nr. 170. Bertha A., Skoliose 2. Grades. Zugang am 18. December 1902. 

Rechtsconvexe Dorsalskoliose mit leichter linker lumbaler Gegenkrümmung. 
Hängt nicht. Deviation 1,3 cra. Torsion 2,8 cm, 6 cm von der Medianlinie ent¬ 
fernt gemessen. Der Rippenbuckel ist jedoch ziemlich starrund schlecht fortdrückbar. 

Redressement 17. Januar 1903. 45 kg extendirt. 2 Gummiluftpelotten 
eingegipst. 

24. Januar. Entlassen, 2 cm verlängerte Körpergrösse. 

15. April. Gipsverband entfernt. Torsion 1,5 cm, Deviation 0,8 cm. 

17. Mai. Im Redressionscorset entlassen. Status in Bezug auf die De¬ 
viation dieselbe, bezüglich der Torsion etwas gebessert um 0,3 cm. 

Dieser Fall dient dazu, den Beweis zu erbringen, dass selbst 
in leichteren Fällen von Skoliose, wenn die Verbiegung keine hoch¬ 
gradige ist, es nicht gelingt vollständige Restitutio zu schaffen. Dann 
nämlich, wenn der Rippenbuckel nur einigermassen starr ist und 
sich durch Mobilisation nicht lösen lässt. 

Trotz kräftiger Extension war die Vermehrung des Körper¬ 
wachsthums nur 2 cm. Die Deviation ging nicht ganz zurück. Die 
Torsion auch nicht, kosmetisch jedoch musste das Resultat, bewahrt 
durch den Redressionsapparat, als ein sehr gutes gelten, da selbst 
der Rest des Rippenbuckels durch den elastischen Zug noch um fast 
^/2 cm fortgedrückt wird. Der allgemeine Zustand des 15jährigen 
Mädchens, das gerade in den Entwickelungsjahren steht, muss als 
ein guter bezeichnet werden, da keine Störungen des Appetits, der 
Verdauung, der Menstruation eintrat, da, was besonders ausschlag¬ 
gebend ist, die Entwickelung der Brüste gar nicht gehemmt ist. 

Nr. 54. Agnes L., 15 Jahre. Skoliose 3. Grades. Zugang 27. März 1901. 

Linksconvexe Cervicodorsal-, rechtsconvexe Lumbalskoliose rhachitischer 


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Erfahrungen über den Werth des orthopädischen Corsets. 267 

Natur. Sehr starrer kyphotischer Rippenbuckel, wenig eindrückbar, spitz. De¬ 
viation senkrecht von der Mittellinie 2,0 cm. 

Torsion 6 cm von der Mittellinie 4,3 cm. Die Lendenwirbelsäule ist 
stark lordotisch gekrümmt, hängt nicht nach der Seite des Buckels, sondern 
nach rechts. 

Behandlung. Da schon seit über 4 Jahren anderwärts durch medico- 
mechanische üebungen keine Besserung erreicht war, so wurde das forcirte 
Redressement am 5. October 1901 gemacht. Da das Fettpolster sehr stark war 
und der Rippenbuckel ausserordentlich starr, so wurde, um Decubitusgefahr zu 
umgehen, keine Pelotte eingegipst, sondern nur mit 40 kg extendirt und Kopf¬ 
extensionskappe mit angegipst. 

15. October. 4 cm Verlängerung. 

4. December. Abnahme des Verbandes, Modellverband. 

18. December. Lederstahlcorset. 

Das Hängen nach rechts ist vollständig beseitigt. Deviation ist dieselbe 
geblieben. Torsion 2 cm zurückgegangen auf 2,3 cm. 

15. Januar 1902. Status idem. Körperlänge um 4 cm vermehrt. 

Die Patientin lässt sich alle 4 Wochen nachuntersuchen, doch tritt keine 
Veränderung im Guten noch Schlechten ein. 

1. Mai 1903. Status vollständig wie vor 1 Jahre. Das Hängen ist be¬ 
seitigt , dagegen besteht derselbe Grad der Deviation und der Torsion wie 
früher. Agnes ist keinen Centimeter im ganzen letzten Jahre gewachsen. 

Das Allgemeinbefinden ist im Corset nur einmal zeitweilig gestört 
worden. Es traten im December 1902 Schmerzen im Nacken ein, die nach 
^tägiger Ruhelage aufhörten. 

Agnes ist trotz des Corsettragens ein blühendes Mädchen. 

Dieser Fall beweist, dass man, selbst wenn am Rippenbuckel 
wenig zu ändern ist, doch durch das forcirte Redressement die 
Haltung noch bedeutend bessern kann. Diese Haltungsverbesserung 
kommt wahrscheinlich dadurch zu Stande, dass in diesem Fall die 
Lordose der Lendenwirbelsäule etwas gemildert wurde und dadurch 
auch die statischen Verhältnisse der Brustwirbelsäule geändert 
wurden. Aus der Entlordosirung der Lendenwirbelsäule lässt sich 
auch die verlängerte Grösse des Körpers verstehen, denn die Be¬ 
einflussung des Rippenbuckels war doch eine zu kleine, um daraus 
die schnell vermehrte Körpergrösse erklären zu dürfen und können. 

Nr. 60. Frieda Br., 18 Jahre. Scoliosis gravissima. Zugang 1. April 1901. 

Linksconvexe Totalskoliose, beginnend in dem Halsabschnitt und endigend 
im Os sacrum. Rhachitischer Natur. 

Starkes Ueberhängen nach links. Die ganze linke Seite ist stärker ent¬ 
wickelt. Sehr starker vorderer linker Rippenbuckel, ankylosirt. Die Deviation 
ist eine relativ kleine, senkrecht vom 7. Brustwirbel gemessen 2,0 cm. Es be¬ 
steht gleichzeitig hochgradige Lordose des unteren Brust- und ganzen Lumbal- 


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268 


Peter Bade. 


theils der Wirbelsäule. Das Becken ist schief gestellt. Linke Spina a. s. 2 cm 
höher als die rechte. Torsion 8 cm von der Mittellinie gemessen 11,3 cm. 

Behandlung: Da seit 12 Jahren die Künste von Chirurgen, Orthopäden 
und Corsetfabrikanten sich vergeblich bemüht batten, ohne einen Erfolg, so 
sollte bei mir noch at last das forcirte Redressement versucht verden. 

Trotz energischer Mobilisirungskur, die 6 Monate fortgesetzt wurde, war 
der erreichte Grad der Beweglichkeit ein sehr geringer. 

Am 5. October wurde versucht, in horizontaler Seitenlage, so dass die 
rechte Beckenseite und die rechte Schulter auf dem Schede-Extensionstisch lagen, 
zunächst das Ueberhängen zu corrigiren. Gipsverband angelegt bis zum Nacken. 
Keine Pelotten. 

Am 10. October wurde der Verband im Wullstein-Apparat bei massiger 
Extension von 15 kg aufgeschnitten und ein neuer in forcirter Extension an¬ 
gelegt. Durch seitliche breite Flanellbinden, die durch den Gipsverband, durch 
Metallschlitze, welche mit eingegipst waren, nach aussen geleitet werden sollten, 
wurde dauernd der Rumpf nach rechts herübergezogen. Kopfextension mit 
eingegipst 

Am 25. October. Der Verband in derselben Weise aufgeschnitten im 
Wullstein-Apparat und von neuem in derselben Weise extendirt und eingegipst. 

25. Januar 1902. Abnahme des Verbandes. Körperlänge um 2 cm ver¬ 
mehrt. Hängen etwas gebessert. Deviation und Torsion unverändert. Modell¬ 
verband. Erneuter Gipsverband in derselben Weise. 

15. Februar. Abnahme des Verbandes. Alurainiumcorset. Dasselbe 
musste ausser dem dem Körper enganliegenden Stützapparat noch mit einem 
zweiten, das erste Corset an der Hohlseite überdeckenden Corset versehen 
werden, um einerseits dem Körper Halt zu geben, andererseits auch der Kos¬ 
metik etwas zu entsprechen. 

1 . October 1902. Status idem. 

Der Fall lehrt, dass man in so hochgradigen Fällen durch das 
forcirte Redressement nichts Besonderes erreicht. Das Einzige, was 
hier erreicht wurde, bestand in einer gewissen Verminderung des 
Ueberhängens, wodurch allerdings das kosmetische Resultat schon 
immerhin ein ganz beträchtliches wurde. Allerdings Deviation und 
Rippenbuckel konnte infolge der absoluten Ankylose des Wirbel¬ 
säulenabschnittes nicht beeinflusst werden. 

Hermine Kl., 18 Jahre. Scoliosis gravissima. Zugang 24. Januar 1902. 

Rechtsconvexe Dorsolumbalskoliose rhachitischer Natur. Runder, starrer 
Rippenbuckel, sehr wenig dehnbar, ohne Gegenkrümmung. Hängt etwas nach 
rechts. Deviation 2,5 cm, Torsion 8 cm von der Mittellinie gemessen 6,3 cnu 

Höchst anämisches, mageres Mädchen. 

Behandlung: Mobilisation bis 1 . März und Mastkur, Patientin 
nimmt in 4 Wochen 8 V 2 Pfund zu. Skoliosenbefund ändert sich nicht. 

Redressement 2. März im Wullstein und durch (Tipsverband hindruch- 
geleiteten Zügen und Kopfextension. 


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Ei-fahningen über den Werth des orthopädischen Corsets. 


269 


8. März entlassen. Körperlänge 6V* c™ vermehrt. 

1. Juni Gipsverband entfernt. Modellverband. 

7. Juni. Ledercorset. Körperlänge zurück auf 4 cm Vermehrung. Deviation 
1,8. Torsion 4,0. Hängt nicht mehr. 

24. September. Nachuntersuchung. Körperlänge stationär geblieben, 
ebenso Deviation und Torsion. 

15. April 1903. Nachuntersuchung und Corsetänderung. Patientin ist 
seit dem Redressement nicht weiter gewachsen, aber das Plus von 4 cm ver¬ 
mehrtem Wachsthum ist geblieben. 

Deviation 1,8, Torsion 4,5. Die Torsion ist also wieder etwas stärker 
noch geworden. 

Es ist also in diesem hochgradigen Fall eine geringe Besserung 
eingetreten. Die ganze, durch das Redressement erreichte Körper¬ 
länge konnte jedoch durch das Ledercorset nicht gewahrt werden. 
Ebenfalls ging im Laufe des Jahres die Torsion etwas hinauf. Doch 
betrug ihre Gesammtabnahme noch immerhin 1,8 cm. 

Nr. 150. Hertha v. W., 16 Jahre. Scoliosis gravissima. Zugang 
5. September 1902. 

Rechtsconvexe Dorsalskoliose total, mit starker linkslumbaler Gegen¬ 
krümmung. Patientin hängt gar nicht. Der Rippenbuckel ist gross, flach und 
breit, nicht höckerartig. Gar nicht zu redressiren. 

Auf dem Röntgenbild erkennt man, dass der linkslumbale Wirbelsäulen¬ 
bogen genau denselben Krümmungsradius hat wie der der rechtadorsalen Krüm¬ 
mung. Deviation 3,0 cm, Torsion 4,2, 6 cm von der Mittellinie gemessen. 

Behandlung: Da seit 13 Jahren das junge Mädchen in der Behandlung 
unserer hervorragendsten Orthopäden gewesen war, ohne jeden Erfolg, so sollte 
bei mir das forcirte Redressement versucht werden. 

Mobilisation bis 1. December. Es gelingt bei 70 kg Extensionskraft, 
die Wirbelsäule 8 cm zu strecken. Die Musculatur ist kräftig, Allgemein¬ 
befinden vorzüglich, es wird deshalb am 5. December 1902 das forcirte Re¬ 
dressement gemacht. Kopfextension 3 Gummiluftpelotten. 

10. December entlassen. Körperlänge um 6 cm vermehrt. 

17. December. Auf blasen der Luftpelotten. Die rechte obere hält nicht 
dicht, dagegen kann man mit der linken vorderen und der linken hinten unteren 
einen solchen Druck ausüben, dass Patientin ohnmächtig wird. Der Druck wird 
natürlich nicht so weit gesteigert. 

15. Februar 1903. Abnahme im Wullstein. Reparatur der hinteren 
Pelotte, wieder Redressement im Wullstein, mit Gummipelotten. Modellverband 
zum Ledercorset. Körperlänge 6 cm vermehrt. 

10. März. Lederstahlcorset. Körperlänge sinkt sofort nach Abnahme 
des Verbandes um 4 cm. Deviation dieselbe. Torsion 2,3 cm. 

1. April. Körperlänge um 2 cm seit Beginn der Behandlung vermehrt. 
Deviation 3,0, Torsion 2,6 cm. 


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270 


Peter Bade. 


Dieser Fall ist sehr lehrreich. Er zeigt, dass man mit dem 
forcirten Redressement in denjenigen Fällen, wo starke Gegen- 
krümmungen vorhanden sind, die eine genaue Compensation der ur¬ 
sprünglichen Krümmung bilden und dadurch die Haltung des ganzen 
Rumpfes verhältnissmässig gut gestalten, sehr wenig erreicht, selbst 
wenn die Wirbelsäule recht gut mobilisirt war. Das erreichte Re¬ 
sultat: 2 cm Körperlängenvermehrung dürfte kaum direct auf das 
Redressement zu schieben sein. Vielleicht ist es der Ausdruck des 
im Laufe der Behandlungsmonate thatsächlich erfolgten Wachsthums; 
dagegen muss der Rückgang der Torsion von 4,2 auf 2,3 resp. 2,6 cm 
direct auf die Pelottenwirkung geschoben werden. 

Endlich zeigt dieser Fall, dass in solchen Fällen, die infolge 
des anatomischen Baues der Krümmung und Gegenkrümmung eine 
sehr grosse Tendenz zum Zurückschnellen in ihre alte Lage haben, 
resp. überhaupt zur weiteren Verschlechterung neigen, unser Leder- 
stahlcorset nicht genügt, um das Resultat auch nur einigermassen 
zu wahren. 

Nr. 129. Gertrud B., 13 Jahre. Skoliose3. Grades. Zugang 4.Mai 1902. 

Linksconvexe Dorsocervicalskoliose ohne Gegenkrümmung. Krümmungs¬ 
scheitel 3. Brustwirbel. Deviation 2,3 cm. Torsion 7 cm von der Medianlinie 
gemessen 5,8 cm, hängt nicht. Der Kopf wird sehr stark nach vorne gehalten. 

Allgemeinbefinden gut, sehr kräftig entwickeltes, starkknochiges 
Mädchen. 

Behandlung; vom 16. Mai bis 15. September Massage, Gymnastik 
ohne jeden nennenswerthen Erfolg, auch die Haltung bleibt dieselbe. 

20. September. Forcirtes Redressement, 1 Gummilufbpelotte. 

25. September. Entlassen. Körperlänge um 4 cm vermehrt. 

15. Deceinber. Modellverband und erneuerter Gipsverband im Wullstein. 

4. Januar 1903. Abnahme des Gipsverbandes und Lederstahlcorset mit 
Halscravatte. 

Körperlänge 4,0 cm vermehrt. Deviation 0,5 cm. Torsion 1,3 cm. 

1. April. Status idem in Bezug auf Körperlänge und Deviation. Tor¬ 
sion 2,3 cm. 


In diesem Falle fast völliger Rückgang der Deviation, die 
allerdings nicht sehr beträchtlich war, fast gänzlicher Ausgleich der 
Torsion durch die Gummiluftpelotten. 

Nach ^/4jährigem Tragen des Ledercorsets vermehrt sich die 
Torsion schon wieder etwas, ohne jedoch den früheren Grad zu 
erreichen. 


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Erfahrungen über den Werth des orthopädischen Corseta. 


271 


Nr. 61. Elsbeth D., 15 Jahre. Skoliose 2. Grades. Zugang 14. Juni 1901. 

Rechtsconvexe Lumbalskoliose. Deviation 2,0 cm. Torsion 4 cm von 
der 31ittollinie 3,2 cm. Hängt ziemlich stark nach rechts. 

Kräftig entwickeltes junges Mädchen. 

Behandlung: Bis zum 1. September Massage und Gymnastik ohne 
wesentlichen Erfolg. 

2. September. Redressement, Kopfextension, Druckpelotte. 

15. September entlassen. 4 cm vermehrte Köi-pergrösse. Der Hausarzt 
wird gebeten, die Pelotte anzuschrauben. 

15. December. Abnahme des Verbandes. Die Patientin erscheint voll¬ 
kommen gerade, das Hängen ist verschwunden. Deviation nicht nachzuweisen. 
Torsionsunterschied nicht zu messen. Die angefertigte Röntgenuntersuchung der 
Wirbelsäule zeigt jedoch, dass die Krümmung noch besteht. 

21. December im Aluminiumcorset entlassen. 

15. April 1902. Nachuntersuchung. Deviation 0,5 cm. Toi-sion 16 cm. 

Patientin hängt nicht. cm vermehrte Körperlänge. 

24. October. Nachgesehen. Status idem. Patientin befindet sich sehr 
wohl im Corset, ist noch wieder 1 cm gewachsen, hängt nicht, auch ist die 
Torsion stationär geblieben. 

Dieser Fall zeigt, dass leichtere Lumbalskoliosen scheinbar 
vollständig zur Heilung gebracht werden können durch das forcirte 
Redressement, dass jedoch die Röntgenuntersuchung uns den Be¬ 
weis liefert, dass keine absolute Aufrichtung der Wirbelsäule er¬ 
folgte. Weil nun offenbar keine vollständige Aufrichtung erfolgt, 
tritt auch ein Recidiv im Laufe der Zeit ein. Wenn dieses auch 
nicht im entferntesten die Grösse der ursprünglichen Verkrümmung 
erreicht, weil die Deviation von 2,0 auf 0,5 cm, und die Torsion von 
3,2 auf 1,6 cm zurückging, und ein Jahr stationär blieb, so muss 
doch anerkannt werden, dass das Aluminiumcorset nicht völlig im 
Stande war, das geschaffene Resultat zu fixiren. Immerhin muss 
man mit dem erreichten recht zufrieden sein, besonders in der Erwä¬ 
gung, dass vor dem Redressement stets die Tendenz zum Schlechter¬ 
werden bestand. 

Nr. 186. LiselB., 10 Jahre. Skoliose 3. Grades. Zugang 1. Mai 1901. 

Rechtsconvexe Dorsalskoliose, total, mit leichter lumbaler Gegenkrüramung, 
hängt stark nach rechts. 

Rippenbuckel rund und gut eindrückbar. Deviation 3,4 cm, Torsion 6 cm, 
von der Mittellinie gemessen 7,3 cm. 

Etwas blasses, schmächtiges Mädchen mit Bronchialkatarrh. 

Behandlung: Mobilisation in den Sommermonaten, wodurch das 
Hängen etwas gebessert wird. 

3. October. Redressement im Wullstein: 50 kg Extensionskraft. 2 Druck- 
pelotten, eine vordere und eine hintere werden eingegipst. 


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272 


Peter Bade. 


14. October entlassen. 8 cm verlängerte Körpergrösse. 

Patientin stellt sich alle 8 Tage vor zwecks Revision der Pelotten und 
der Kopfextension. 

15. November. 8 V 2 cm gewachsen. 

7. December. Status idem. Allgemeinbefinden gut. 

6 . Januar 1903. Verband im Wullstein abgenommen, Modellverband und 
neuer Gipsverband. Körperlänge 9 cm vermehrt. 

25 Januar. Ledercorset. Körperlänge reducirt auf 7 V 2 cm. Hustet stark, • 
wird in den Harz geschickt. 

Deviation 0,6 cm, Torsion 1,2 cm. 

Nachuntersuchung am 1. April 1903. 

Patientin hat sich zu einem blühenden jungen Mädchen entwickelt. Sie 
trägt noch dauernd Lederstahlcorset. Sie ist im Ganzen seit der Behandlung 
um 15 cm gewachsen, sie hängt gar nicht mehr. Der Rippenbuckel ist reducirt bis 
auf 2,6 cm Torsion. Die Deviation ist 0,8 cm. Das Allgemeinbefinden ist ein gutes. 

Bei dieser jugendlichen Skoliose ist also eine ganz beträcht¬ 
liche Besserung, die sich nahezu vollständig 2 Jahre gehalten hat, 
zu constatiren. Aus dem kleinen Mädchen . hat sich eine stattliche 
Figur entwickelt, die Haltung ist eine sehr gute. Der Rippenbuckel 
ging von 7,3 cm Torsion zurück auf 2,6. Es hat also eine ganz 
bedeutende Abflachung stattgefunden, die allerdings wohl nur mög¬ 
lich war, weil es sich um ein jugendliches im Wachsen begrifiFenes 
Mädchen und einen weichen Rippenbuckel handelte. Trotz der 
Reduction des Rippenbuckels hat sich unter dem Corset innerhalb 
des letzten Jahres doch die Torsion etwas wieder vermehrt, sie 
stieg um 1,2 cm. Im allgemeinen jedoch muss man das Resultat für ein 
recht gutes halten, das der anatomischen Heilung sehr nahe kommt. 

Erwähnenswerth dürfte noch sein, dass die Patientin im Gips¬ 
verband ihren Bronchialkatarrh nicht los wurde, dass sie recht 
kränklich aus demselben herauskam, dass der Wechsel des Corsets 
und die Nachbehandlung für ihren Zustand von grossem Vortheil 
waren. Seit ^/4 Jahren hat sich kein Katarrh wieder gezeigt. 

Auf der folgenden Tabelle gebe ich eine üebersicht über das 
Alter der Behandelten, über die Zeit, in der ich sie beobachtete, 
über die Vermehrung des Körperwachsthums während dieser Zeit, 
über den Grad der Deviation und Torsion am Anfang der Behand¬ 
lung, nach dem Redressement und am Ende der Beobachtungszeit. 
Es folgt endlich die Rubrik „Hängen“, unter der durch ein das 
Vorhandensein, durch eine 0 das Fehlen des Ueberhängens bezeichnet 
ist. Stärkere Grade des Hängens sind durch 2 +-f"? 3 -f-j-^i 

bezeichnet. 


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Erfahrungen über den Werth des orthopädischen Corsets. 


273 


Redressirte Fälle. 


Nr. 

Alter 

Jahre 

Beobach¬ 

tungszeit 

Jahre 

Ver¬ 

mehrte 

Körper¬ 

länge 

cm 

Deviation 

cm 

Torsion 

cm 

Hängen 

1 

14 

274 

+ 10 

4.2 

7.5 

+ + 




(7.5) 


5.8 

0 





(O.ö) 

(3.0) 


2 

17 

274 

+ 9 

4 

4.2 

+ 




(7) 

2,8 

3,5 

0 





(1,5) 

(1.2) 


3 

15 

2'lt 

+ 4 

5,2 

8.0 

+++ 




(6) 

(3,0) 

5,2 

0 

4 

16 

2 

2 

2,3 

4.5 

0 




(2) 

(2.5) 

(4.8) 

0 

5 

8 

2 

12 

1.5 

8.0 

0 




(ö) 

1.3 

5.0 






(0,8) 

(5) 


6 

19 

2 

2 

4,6 

12.5 

4- 




(6) 

4,6 

11.5 

-i- 

7 1 

15 1 

2 

6 

4.0 

6,1 

0 




(b) 

2,0 

3.1 






(1.2) 

(2.5) 


8 

5 

2 ! 

8 

1.5 

12,0 

_ 


1 


(4.5) 

1.2 

8.1 






(1,2) 

(7.3) 


9 

14 

IV» 

7 

2,3 

4.6 

0 


1 


(4) 

2 

3.6 

0 





(0.3) 

(1.2) 


10 

27» 


4 

2,0 

5.8 

+ 





(1,2) 

1 

(2,4) 

0 

11 

1 

14 

174 

11 

2.5 

4,2 

+ + 




(5,5) 

0,3 

1.8 

0 





(0.0) 

(0,8) 


12 

10 

74 

7 

2.0 

5.2 

( 0 



(5) 

1.0 

1,5 






(1.0) 

(3) 

l 

13 

15 

74 

5 

1.2 

3,7 

0 




(2) 

0.0 

0,7 

1 





im 

(U.3) 

i 


Zeitschrift für orthopädische ( liirurgie. XII. Bd. 


18 


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Google 





274 


Peter Bade. 



r ^ 


Ver- 




Nr. 

1 

1 Alter 

Beobach¬ 

tungszeit 

mehrte 

Körper¬ 

länge 

Deviation 

Torsion 

Hängen 

i 

Jahre 

Jahre 

cm 

cm 

cm 


14 

1 

17 1 

V* 

9 

— 

— 

- 

15 

15 

V2 

7 

5,0 

7,3 

++- 




(6) 

2.0 

2,0 

0 





(2,0) 

(2,8) 


16 

15 

'/« 

2,5 

1,3 

2,8 

0 

i 



(2) 

0,8 

1,2 1 

0 





(0,8) 

(1,5) 


17 

15 

2 

4 

2,0 

4.3 





(4) 

2,0 

2.3 

1 6 



1 


2,0 1 

2,3 , 


18 

18 

1 

1 

2.0 i 

2,0 

11,3 

J-x- 




(2) 

2,0 

11.3 

i + 

19 

18 

1 ' 

4,0 

2,5 

6,3 

+ 




(6,5) 

ihS) 

(4.0) 






1,8 

4,5 


20 

16 

1 

2 

8,0 

4,2 

ö 



1 

(6) 

(3.0) * 

(2,3) 





! 

3,0 

2,6 1 


21 j 

13 

V* 

4,0 

2,3 

5,8 

0 




(4,5) 

0,5 

(1.5) 






0,5 

2,3 


22 

15 

IV 2 

6,5 

2.0 

3,2 

1 ^ — 




(4) 

(0,0) 

(0,0) 

0 





0,5 

m \ 

0 

28 

10 

2 

15 

3,4 

7,8 

+ r 




(6) 

(0,6) 

(1,4) 

ö 





0,8 

2,6 

0 


Anm, Die eingeklammerten Zahlen bedeuten das Resultat sofort nach 
dem Redressement, die nicht eingeklammerten sind definitiv. 


Auf den Durchschnitt berechnet, war also in 1,35 Jahr die 
Wachsthumszunahme für den einzelnen Patienten 6,2 cm, das durch¬ 
schnittliche Alter, in dem der behandelte Patient stand, war 13,5 Jahr. 

Die Deviation wurde durch Bleidraht und Centimeterstab be¬ 
stimmt. 


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Erfahrungen über den Werth des orthopädischen Corsets. 275 

Die Grösse der Deviation betrug im Maximum . . 4,6 cm 

^ Minimum . . 1,2 ^ 

und ging zurück im Maximumfall auf ... 4,6 , 

, Minimumfall „ ... 0,0 „ 

Der grösste Rückgang der Deviation war .... 3,0 , 

, geringste , , * „ .... 0,0 , 

Eine Vermehrung der Deviation trat in einem Fall um 0,2 ein. 

Der Durchschnittsrückgang der Deviation betrug 0,9 cm inner¬ 
halb 1,35 Jahr. 

Der grösste Rückgang sofort nach dem Redressement gemessen 
betrug 3,6 cm. 

Durchschnittlich nahm die Deviation nach dem Redressement 
trotz Corset zu um 0,3 cm. 

Die Torsionsgrösse wurde durch Wasserwage und Centimeter- 
stab bestimmt. Die Wasserwage tangirte den Rippenbuckel und es 
wurde der senkrecht entsprechende Abstand der concaven Seite von 
der Wasserwage durch Centimeterstab bestimmt. 


Das Maximum der Torsion war.12,5 cm 

, Minimum , „ , .2,8 „ 

Die Torsion ging im Maximumfall zurück auf . . 11,5 „ 

„ , >1 fl Minimumfall , „ . . 1,5 „ 

„ „ a am weitsten , mit . . 5,3 „ 

„ , » , schwächsten „ , . . 0,0 „ 

^ , stieg an in einem Fall um.0,3 „ 


Die durchschnittliche Grösse der Torsion vor der Behandlung 
betrug 6,3 cm. Die Durchschnittsgrösse der Torsion nach 1,35 Jahr 
Beobachtung resp. Behandlung war 3,9 cm. 

Die Torsionsgrösse sofort nach dem Redressement gemessen 
betrug 3,4 cm. 

Das durchschnittliche Fortschreiten der Torsion nach dem Re¬ 
dressement in 1,35 Jahr Beobachtungszeit trotz Corset betrug 0,5 cm. 
Rechnet man jedoch die Fälle, welche schon mit einem Redressions¬ 
apparat behandelt wurden, ab, so beträgt die durchschnittliche Zu¬ 
nahme der Torsion noch etwas mehr, 0,8 cm. 

Von den nicht redressirten, allein mit einem Corset und mit 
medico-mechanischen Hilfsmitteln behandelten 47 Fällen lasse ich die 
Krankengeschichten fort und gebe nur die Tabellen wieder. Ich 
habe hierbei noch eine Rubrik „Corset“ eingefügt. Unter dieser 
habe ich verzeichnet, welcher Art das ordinirte Corset war, ob Hes¬ 
sing, Leder u. s. w. 


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27Ö 


Peter Bade. 


Niolit redressirte Fälle. 


Nr. 

Name 

Alter 

Jahre 

Corset' 

Beob¬ 
ach- 
tungs- 
zeit 
Jahre 

Wachs- 
S thumsver- 
mehrung 

Devia¬ 

tion 

cm 

Tor¬ 

sion 

cm 

Hän¬ 

gen 

1 

J. P. 

14 

Hessing 

2V4 

+ 6 

0,5 

1,2 

+ 







0,5 

1,7 

0 

2 

H. S. 


Leder und 

•/! 

2 

Nicht gemessen 




Lagerbett 






3 

Herr S. 

52 

Leder 


0 

2,3 

4.8 

+ 







2,3 

4,4 

+ 

4 

Fr. G. 

60 

Leder 

1 

1 

3,4 

8,6 

+ 







3,4 

8,0 

+ 

5 

Herr P. 

59 

Leder 

2‘/4 

0 

1,5 

2,6 

0 

6 

Mar. G. 

14 

Hessing 

1 

3 

2,5 

4,8 

-U 







2,5 

5,2 

Ö 

7 

M. L. 

52 

Leder 

’/* 

0 

Nicht gemessen 

8 

N. X. 

35 

Leder 

2 

0 

2,8 

6,7 

0 







2,8 

6,3 


9 

Kl. K. 

6 

Leder 

V4 

Blieb 

zur Beobachtung aus 

10 

Hg. 

38 

Aluminium 

1 

1,5 

3,0 

6,9 








3,0 

5,7 


11 

Pr. 

42 

Aluminium 

1 

2 

4,2 

6,7 

+ -f- 







3,8 

6,0 

+ 

12 

D. 

26 

Leder 

P/4 

0 

1,7 

4,3 

0 







1,9 

4,8 


13 

F. D. 

14 

Aluminium 

2 

4 

0,8 

2,3 

+ 







1,2 

2,7 

0 

14 

G. M. 

17 

Aluminium 

2 

6 

1,5 

4,8 

0 







1,5 

2,3 


15 

W. H. 

4 

Leder 

2 

4 

1,9 

3,4 

0 







2,3 

5,2 

+ 

16 

J. K. 

18 

Aluminium 

2 

1,5 

0,8 

2,6 

0 







1,0 

2,6 

0 

17 

Fr. H. 

13 

Aluminium 

V4 

3,0 

1,3 

4,2 

0 







1,3 

4,5 

0 


Digitized by 


Google 








Erfahrungen über den Werth des orthopädischen Corsets. 


277 





i 

Beob- 

. txl 

1 w « c 




Nr. 

Name 

Alter 

Corset 

ach- 

tungs- 

zeit 

Wach 

thuras^ 

mehru 

Devia¬ 

tion 

Tor¬ 

sion 

Hän¬ 

gen 



Jahre 


Jahre 

cm 1 

cm 

cm 


18 

CI. Kr. 1 


Leder 

i 

2 

6 

0,6 

2,4 

+ 







0,8 

3,3 

+ 

19 

Gr. B. ! 

8 

Leder 

V4 

Nicht wiedergekommen 

20 

W. G. ' 

17 

Leder 

1 

3 

3.6 

8,9 ! 

1 + + 







3,6 

1 

9,4 

+ + 

21 

Elsa L. 

19 

Aluminium 

\2 

0,0 

2,4 

5,3 

+ 






Nicht nachuntersucbt 

22 

Fr. V. 

15 

Hessing 

IV« 

4,5 

3,2 

8,5 

+ + 






3,6 

9,7 

+ 

23 

Lenchen D. 

11 

Aluminium 

V« 

3,0 

1.5 

4,3 

0 






1.2 

4,3 

0 

24 

Karl H. 

12 

Hessing 

2 

0,0 

1.6 

5.3 

0 







1.6 

7,2 

0 

25 

Herr H. 

19 

Leder 

'A 

Nich 

it wiedt 

irgekon^ 

imen 

26 

Frl. B. R. 

14 

Leder 

iv^ 

5 

2.0 

3,4 

0 






1,7 

3,0 

0 

27 

CI. Str. 

13 

Leder | 


4 

2,0 

2,9 

_|_ 







2.3 

3,1 

0 

28 

Anna L. L. 

9 

Hessing 

1 

3 

0,8 

2,3 

0 






0,8 

2,7 


29 

E. M. 

16 

Leder 

•/4 

Nich 

it wied€ 

»rgekoir 

imen 

30 

W. L. 

17 

Leder 

V2 

4 

1.9 

4,6 ! 

+ 






1,4 

4,6 

0 

31 

A. B. 

9 

Hessing 

‘/4 


Bliel 

) aus 


32 

Grethe W. 

14 

Leder 


2 

2,7 

5,7 

+ 







2,7 

5,4 

+ 

33 

Frl. A. 

21 

Aluminium 

1 

0,5 

1,7 

3.2 

+ 





• 


1.2 

1,8 

0 

34 

Frl. F. 

17 

Aluminium 

1 

2,0 

2,3 

3,6 

0 







2,0 

2,8 

0 

35 

1 

Edith K. 

3 

Leder und 
Lagerbett 

1 

\ 4 

Nich 

it wied( 

ii'gekonr 

imen 


Digitized by LjOOQle 




278 


Peter Bade. 






Beob- 

. if tt) 
® 5 fl 




Nr. 

Name 

Alter 

Corset 

ach- 

tungs- 

zeit 

|§l 

S 

Devia¬ 

tion 

Tor- 
' sion 

Hän¬ 

gen 



Jahre 


Jahre 

cm 

cm 

cm 


36 

Henni G. 

14 

Leder 

V« 

2 

1,9 

6,7 

+ 






1,9 

7,3 

+ 

37 

V. G. 

58 

Aluminium 

V» 

0 

Nicht gemessen 

38 

H. K. 

6 

Hessing 

2*/. 

8 

1.2 

2,3 

0 






1.9 

4,6 

0 

39 

Grethe Kr. 

5 

G. Luftp.- 

V4 

4 

1,5 

6,3 

+ + 




Corset. Re- 

+ 


1,9 

2,3 

0 




dress.-Corset 

v* 





40 

Henni C. 

14 

Redressions- 

V« 

3 

1,2 

3,4 

0 




Corset 


1,2 

1,9 

0 

41 

Mar. CI. 

13 

Redressions- 

'!* 

2 

8,8 

8,6 

-L -i- 




Corset 


3,8 

5,3 

0 

42 

H. Z. 

8 

Redressions- 

V« 

3 

0,7 

2,0 

“h 




Corset 


0,2 

0,5 , 

0 

43 

Carl H. 

12 

Redressions* 

’/■« 

0 

1.6 

7,2 

0 




Corset 



1,6 

7,2 

0 

44 

L. L. ; 

15 

Redressions- 

■A« 

1,5 

0,8 

2,3 

0 


1 


Corset 


0,8 

0,5 1 

0 

45 

Ilse V. M. ; 

15 

Redressions- 

■A» 

0 

0,9 

2,7 

+ 




Corset 


0,7 

2,3 

0 

46 

L. B. 

10 

Redressions- 

■/,. 

3 

1,3 

4.2 

-f 




Corset 


0.6 

2.4 

0 

47 

K. Lh. 

12 

Redressions- 

\ 1 * 

2,5 

1.2 

3,4 

0 




Corset 



0,9 

2.6 1 

0 


Von den nur mit Corset und medico-mechanischen Hilfsmitteln 
Behandelten erhielten 

7 ein Hessingcorset, 

20 „ Ledercorset, 

1 „ Gummiluftpelottencorset, 

11 y, Aluminiumcorset, 

9 einen neuen Redressionsapparat ^). 

*) Da eine Patientin Luftpelottencorset und Redreesionscorset erhielt, so 
kommen auf 47 Patienten 4S Corsets. 


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Erfahrnngen über den Werth des orthopädischen Corsets. 


279 


Bei den mit Hessingcorset Behandelten war die durchschnitt¬ 
liche Beobachtungszeit P /4 Jahre. 





Wachs- 




Nr. 

Alter 

Beobach¬ 

tungszeit 

thums* 

Zunahme 

Deviation 

Torsion 

Hängen 


Jahre 

Jahre 

cm 

cm 

cm 



14 

2^4 

6 

0,5 

1,2 

+ 




0,5 

1,7 

0 

6 

14 

1 

3 

2,5 

4.8 

++ 





2,5 

5,2 

0 

22 

15 

IV* 

4,5 

8,2 

8,5 

+ + 





3,6 

9,7 

+ 

24 

12 

2 

0,0 

1,6 

5.3 

0 





1,6 

7.2 

0 

28 

9 

1 

3 

0.8 

2.3 

0 





0,8 

2,7 


31 

9 


Blieb aus 




38 1 

1 

1 ^ 

2 V 4 

8 

1,2 

2,3 

0 


j 


1,9 

4,6 

0 


Das Durchschnittsalter der mit Hessingcorset Behandelten war 
11-7 Jahre. 

Die Wachsthumszunahme in dieser Zeit durchschnittlich 4,11 
bei den 6 Patientinnen, da die eine nicht nachgemessen werden 
konnte. 

Die Deviation blieb in 4 Fällen unverändert, in 2 Fällen nahm 
sie zu, einmal um 0,4 cm in P '2 Jahren. Das zweite Mal um 0,7 cm 
in 2^/4 Jahren. 

Die Torsion nahm in allen Fällen zu, das Minimum der Zu¬ 
nahme betrug 0,4 cm in 1 Jahr. Das Maximum der Zunahme 2,3 cm 
in 2-74 Jahren. 

Die Durchschnittszunahme der Torsion beim Hessingcorset be¬ 
trug 1,1 cm. 

Das üeberhängen konnte durch das Hessingcorset gebessert 
resp. ausgeglichen werden. 

Ich lasse nun eine Tabelle über die mit Ledercorsets behan¬ 
delten Fälle folgen: 


Digitized by LjOOQle 




280 


Peter Bade. 


Nr. 

1 Alter 

Jahre 

1 j 

ßeobach- 

tungszeit 

Jahre 

Wachs- 

thuma- 

vermeh- 

rung 

cm 

Deviation 

cm 

I 

Torsion 

cm 

1 

Hängei 

2 

3/4 

V» 

2 

1 

Nicht gern esse] 

a 

3 

52 

3/4 

0 

2,3 

4,8 

+ 





2,3 

4,9 

+ 

4 

60 

1 

1 

3,4 

8,6 

+ 





3,4 

8,0 

+ 

5 

59 1 

23/4 

0 

1,5 1 

2,6 

0 

7 

52 i 


0 

Nicht gemessen 

8 

35 

2 

0 

2,8 

1 6,7 

! ö 





I 2,8 

1 6,3 

1 

1 

9 ! 

6 ^ 

V* 

Blieb zur Beobachtung aus 

} 

12 i 

26 

VI* 

0 

1 1,7 

4,3 

0 





1,9 

4,8 


15 

4 

Vi* 

4 

1,9 

3,4 

0 





2,3 

5,2 

-h 

18 

5 

2 

6 

0.6 

2.4 

4- 





0,8 

3,3 

T 

19 

8 ■ 

V4 


1 . 1 

Nicht wiedergekommen 


20 

17 1 

1 

3 

3,6 

8,9 

+ + 

j 




3,6 

9,4 

+ + 

25 

19 

\'a 

1 1 


1 1. 

Ausgebheben 


26 

14 


5 

2,0 

3,4 

0 





1.7 

3.0 

0 

27 

13 

1 ’,'j 

4 

2,0 

2,9 

+ 

1 




2,3 

3,1 

0 

29 

1 

16 


— 

— 

— 

— 

30 1 


*2 

4 

1,9 

4.6 

+ 





1,4 

4,6 

-f- 

32 

14 


2 

2,7 

5,7 

+ 





2,7 

5,4 

0 

35 

36 

3 1 

1 14 , 

^4 

V'4 

2 

1,9 

6,7 i 

+ 

1 

1 

1 


1,9 

7,3 

+ 


Digitized by LjOOQle 



Erfahrungen über den Werth des orthopädischen Corsets. 281 

Das Durchschnittsalter der mit Ledercorset Behandelten betrug 
22,3 Jahre. Es ist beträchtlich höher, als das der mit Hessingcorset 
Behandelten. 

Das hat wohl seinen Grund in äusseren Umständen, da mir 
durch die Unfallversicherung, die Berufsgenossenschaften bisweilen 
schon ältere Skoliotiker überwiesen werden, denen wir in der Regel 
einen Lederstützapparat anfertigten, um ihnen die entstandenen 
Schmerzen zu beseitigen und dem Körper einen Halt zu verschaffen. 

Die Beobachtungszeit schwankte zwischen und 2^/4 Jahren. 
7 waren nur Jahr in Behandlung. Von diesen sind wegen der 
Kürze der Zeit keine Maassangaben gemacht. 

Die durchschnittliche Wachsthumszunahme war 3,4 cm in 
1,36 Jahr. Sie bleibt also hinter dem der mit Hessingcorset Be¬ 
handelten zurück, was selbstverständlich erscheint, wegen des höheren 
Durchschnittsalters. Die Deviation blieb in den meisten Fällen be¬ 
stehen. Sie nahm manchmal zu mit 1,4, wurde in einem Fall um 
0,3, in einem anderen um 0,5 cm verringert. Sie wurde im Durch¬ 
schnitt vermehrt um 0,03 cm, was also nicht in Betracht zu ziehen ist. 

Die Torsion blieb ebenfalls stationär oder schwankte in ge¬ 
ringen Grenzen, die kaum in Betracht kommen können, vielleicht auch 
auf Messungsfehler zurückzuführen sind. In einem Fall ging sie um 
0,6 cm zurück. In einem anderen Fall stieg sie um 0,8 cm. 

Das Hängen wurde nur in 2 Fällen günstig beeinflusst. 

Endlich füge ich eine Tabelle an für die Fälle, welche Alu- 
miniumcorsets erhielten. 

Auch aus dieser Tabelle geht hervor, dass die Patienten meist 
in jugendlichem, einige sogar in höherem Alter standen. Es hat 
dies seinen Grund einmal in den schon beim Ledercorset angegebenen 
Thatsachen, dann aber auch in der Form der zur Behandlung gekom¬ 
menen Skoliose. In den Fällen nämlich, wo der Rippenbuckel starr 
war und nicht sehr hoch sass, sondern mehr der unteren Brustwirbel¬ 
säule angehörte, verordne ich gerne diese Corsets, weil ich hoffte, 
im Laufe der Zeit durch den stets gleichen starren Druck eine Ab¬ 
flachung zu erzielen. 

Das Durchschnittsalter betrug hier 24 Jahre. Der jüngste 
Patient war 11, der älteste 58 Jahre. 

Die Beobachtungszeit schwankt zwischen und 2 Jahren, doch 
steht nur 1 Fall mit nur ^/^jähriger Beobachtung zur Verfügung. 
Durchschnittlich wurde l^/is Jahr beobachtet. 


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Peter Bade. 


232 


Wachs 


Nr. 

Alter 

Jahre 

( 

Beobach- 

tungszeit 

Jahre 

thoms- 

venneh- 

rung 

cm 

Deviation ^ 

cm 1 

Torsion 

cm 

Hängen 

10 

38 

1 

1,5 

3,0 1 

6,9 

' 0 





3,0 

5, i 

0 

11 

42 

1 1 

2 

4.2 

6,7 

-+ 





3.8 , 

6,0 


13 

14 

2 

4 

0,8 1 

2.3 

+ 





1/2 , 

2,7 

1 

14 

17 

2 

6 

1.5 

4,8 

! 0 



1 


1,5 

2,3 

1 

16 

18 

2 

1,0 

0.8 

2,6 

0 





1,0 . 

2,6 

, 00 

17 

13 

'i* 

3 1 

1,3 ' 

4,2 

0 





1.3 , 

4,5 

0 

21 

19 

*/» 

— 

— 

— 

— 

23 

11 

V2 

3,0 

1.5 

4,3 

0 





1.2 1 

4,3 

0 

33 

17 

1 

2,0 ' 

2,3 

3,6 

0 



1 


2,0 

2,8 

0 

37 

58 

1 

— 

_ 1 
! 

- 1 

1 

- 


17 

2 

1 

2 

2.5 

3,6 , 

0 

1 

1 




2.0 

2.8 

0 


Im Gegensatz zu den mit Ledercorset Behandelten war das 
Körperwachsthum hier etwas stärker. Es betrug durchschnittlich 
3 cm im Maximum, bei einer 14jährigen 6 cm, relativ am höchsten 
war es bei einer 13jährigen mit 3 cm. 

Die Deviation schwankte in geringen Grenzen. 

In 3 Fällen blieb sie stationär. 

In 4 Fällen ging sie etwas zurück und zwar durchschnittlich 
0,37 cm. Der grösste Rückgang war 0,5 cm, der kleinste 0,3 cm. 
In 2 Fällen wurde die Deviation stärker und zwar 0,4 und 0,2 cm. 

Es scheint also in einigen Fällen doch eine geringe Besserung 
der Deviation durch das Aluminiuincorset stattgefunden zu haben. 

Dasselbe lässt sich von der Torsion sagen. 

Dieselbe ging zurück in 5 Fällen. 


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Erfahrungen über den Werth des orthopädischen Corsets. 


283 


Einmal um 2,5 cm, also verhältnissmässig sehr viel. Sie ging 
in den anderen Fällen zurück um 

1,2 cm 
0,7 , 

0,8 , 

0,8 , 

Sie ging also entschieden mehr zurück als unter Ledercorset- 
behandlung und Hessingcorsetbehandlung. 

In 2 Fällen blieb sie stationär. 

In 2 Fällen wurde sie stärker und zwar einmal um 0,4, das 
anderemal um 0,3 cm. 

Das Hängen wurde in 2 Fällen günstig beeinflusst. 

Gummiluftpelottencorset, über das ich später mich äussern 
werde, machte ich dreimal, wovon jedoch nur 1 Fall in der allge¬ 
meinen Tabelle angegeben ist. Die beiden anderen Fälle erhielten 
vorher ein anderes und sind infolgedessen in diese Rubrik nicht mit 
aufgenommen. 

Da ich die endgültige Wirkung dieser Corsets noch nicht ge¬ 
nügend beurtheilen kann, unterbleibt eine Angabe darüber hier. 

Ebenso ist es mit dem später zu erwähnenden Redressions¬ 
apparat. 

Auch von ihm stelle ich keine besondere Tabelle auf, da auch 
hier die Beobachtungszeit nur 1 Monat bis Jahr lang ist. Es 

wurden übrigens in letzter Zeit fast nur Redressionsapparate ange¬ 
fertigt, so dass sie in der Haupttabelle die neun letzten bilden. Da¬ 
durch ist an sich schon eine Uebersicht gegeben. Ich werde gleich 
auf die Wirkung dieses Apparates zurückkommen. 

Lassen wir diese beiden neuen Corsetformen unberücksichtigt, 
so können wir im allgemeinen aus dem Mitgetheilten folgende Schlüsse 
ziehen. 

1. Am wirksamsten in der Behandlung der schweren Skoliose 
ist das forcirte Redressement. 

2. Das dadurch erreichte Resultat bleibt durch die gebräuch¬ 
lichen Portativapparate in den meisten Fällen nicht völlig erhalten. 

3. Die Portativapparate haben bisweilen den positiven Nutzen, 
indem sie in vereinzelten Fällen sehr minimal corrigirend auf Tor¬ 
sion und Deviation einwirken, das üeberhängen jedoch in leichten 
Fällen beseitigen, in schweren mildern. 

In der Mehrzahl der Fälle jedoch findet eine leichte Vergrösse- 


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284 


Peter ©ade. 


rung der Torsion und der Deviation statt. Ob diese ohne das 
Tragen eines Portativapparates noch stärker geworden wäre, lässt 
sich nicht sagen. 

4. Es ist somit das definitive Resultat der forcirt Redressirten 
immer noch ein bei weitem besseres als dasjenige, was in derselben 
Zeit nur durch medico-mechanische Beeinflussung und Corset er¬ 
reicht wird. 

Aus diesen angeführten Schlüssen glaubte ich mich berechtigt 
zu fühlen, über die Construction eines neuen Portativapparates nach¬ 
zusinnen. 

Die Versuche, die ich in dieser Richtung hin anstellte, be¬ 
treffen 

1. ein sogen. Gummiluftpelottencorset, 

2. einen neuen Redressionsapparat. 

I. Das Gummiluftpelottencorset. 

Da die Vermehrung der Deviation, d. h. ein Zusammensinken 
der Wirbelsäule nur durch eine gute Stützung derselben verhindert 
werden kann, diese aber nur dann möglich ist, wenn man eine Kopf¬ 
stütze am Apparat anbringt, so müsste man eigentlich dieser Forde¬ 
rung genügen. Eine Kopfextension, die wirklich die Schwere des 
Kopfes der Wirbelsäule nehmen soll, lässt sich construiren und ist 
nicht bloss von mir, sondern von vielen Orthopäden der alten und 
der neuen Zeit gebaut worden. Ich erinnere hier an die alten 
Levacher’schen und Portal’schen Apparate und an die neueren 
He SS Inguschen und Schede'schen Kopfstützen. 

ln der Praxis lassen sich die Kopfstützen nun leider lange nicht 
immer anwenden. Ein junges Mädchen, das Jahr lang in dem 
Rumpfkopfgipsverband gesessen hat und eine Kopfextension getragen 
hat, will in vielen Fällen lieber ihren Buckel behalten als noch ein 
Jahr lang die Kopfextension tragen. 

In der Praxis lässt sich also in den allerwenigsten 
Fällen das Postulat „Kopfstütze“ zur Beseitigung der De¬ 
viation durchsetzen. 

Mein Bestreben ging also mehr auf den zweiten Punkt, d. h. 
dafür zu sorgen, dass der Grad der Torsion nach dem Redressement 
erhalten bliebe, dass man vielleicht diesen Torsionsgrad in der Nach¬ 
behandlung durch das Corset noch bessere. 

Nachdem ich mich überzeugt hatte, dass ein starres Corset nur 


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Erfahrungen über den Werth des orthopädischen Corsets. 


285 


dieser Forderung genügen könne, wenn es thatsächlich unverrückbar 
fest dem Körper anliege, also direct ein Verband sein müsse wie der 
Rumpfkopfgipsverband, nur aus anderem Material, diese dauernde 
Pression auf den Organismus aber keinen günstigen Einfluss haben 
könne, kam ich zunächst auf den Gedanken, das starre Corset zu 
verlassen, es durch Schnürung so einzurichten, dass eine Schädigung 
des Organismus nicht eintreten könne. Es musste also den Brust- 
und Bauchorganen genügend Kaum gelassen werden zu ausgiebiger 
Function. Andererseits müsste an dem Corset ein Mittel angebracht 
werden, mit dem man jeder Zeit nicht nur einen Druck, sondern 
einen regulirbaren Druck auf den Buckel ausüben könnte. Dieser 
Gedanke ist ein alter, ich erinnere Sie nur an das schöne von Hoffa 
modificirte Hessingcorset, in dem eine Pelotte durch eine Schraube 
ohne Ende dem Buckel in beliebiger Stärke genähert werden kann. 
Ich habe dieses Corset aus dem Grunde nicht angewandt, weil 
erstens durch die Pelotte der an sich grosse Buckel scheinbar ver¬ 
mehrt wird, zweitens weil bei einigermassen ausgiebiger Wirkung 
der Druck des Beckengürtels zu stark wird. 

Es gilt also den alten Gedanken zu benutzen, aber die Form 
zu ändern. Die technische Ausführung müsste eine andere werden. 
Ich kam nun auf den Gedanken, den Luftdruck für meinen Zweck 
auszunutzen. Dies führte ich auf folgende Weise aus. Ich arbeitete 
ein Ledercorset, das ich sehr genau den Hüften anmodellirte und 
mit Stahlschienen verstärkte. Ich stellte den Hüfttheil des Corsets 
durch festschraubbare Spangen fest, richtete das Corset im Brust- 
und Bauchtheil zum Schnüren ein. Als das Corset fertig war und 
vorzüglich sass, namentlich dem Buckel sich exact anschmiegte, nahm 
ich es dem Patienten ab und liess die Fütterung des Corsettheiles, 
der dem Buckel anlag, fortnehmen und klebte anstatt der Fütterung 
zwei dünne Gummischichten ein, die ich an den Rändern fest zur 
Verklebung brachte, während beide Schichten centralwärts, cm 

von der Peripherie ab, nicht verklebt waren. Diese Schicht war, 
wie Sie sich an dem Modell überzeugen können, nicht dicker als 
das Futter des Corsets. Nun durchbohrte ich das Corset von aussen 
in der Höhe, wo der Rippenbuckel anlag, durch ein wenige 
Millimeter im Durchmesser betragendes Loch, klebte einen dies 
Loch oben ausfüllenden Gummischlauch fest hinein und konnte nun 
die Gummifütterung durch eingeblasene Luft aufblasen. Das äussere 
Ende des Gummischlauches wurde mit einem Ventil versehen. 


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286 


Peter Bade. 


Die Wirkung des Luftdrucks auf den Thorax war eine ganz 
bedeutende. Brachte ich den Gumraischlauch mit einer Radfahrluft¬ 
pumpe in Verbindung, so konnte ich durch wenige Pumpenzüge einen 
derartigen Druck auf den Thorax und damit auf den Buckel aus¬ 
üben, dass der Patient cyanotisch im Gesicht wurde und vor Schmerzen 


Fig. 1. 



Hechtsconvexe Dorsalskoliose, 


hinfiel. Ich konnte jedoch in wenigen Sekunden durch Oeflfnen des 
Ventils Luft ausströmen lassen und den Druck vermindern. 

Leider hat das Corset einen Fehler, der sich vielleicht noch 
beseitigen lässt. Der Gummi hält nämlich auf die Dauer nicht 
dicht. Die Luft entweicht wieder und man muss an einem Tage 
oft mehreremal wieder aufpumpen. Das ist sehr umständlich, ärgert 
und ermüdet Arzt, Angehörige und Patienten. Das Aufpumpen 
unterbleibt bald und die Vortheile des Corsets sind dann keine. Ich 
bin zur Zeit damit beschäftigt die Mängel zu beseitigen, bin aber 
noch zu keinem Abschluss gekommen. 


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Erfahrungen über den Werth des orthopädischen Corsets. 287 

II. Der neue Redressionsapparat. 

Durch den Misserfolg meines Gumrailuftpelottencorsets depri- 
mirt, ging ich von einem anderen Gesichtspunkte aus, das Corset 

Fig. 2. 



Dieselbe im Apparat von hinten. — Man sieht wie der Buckel durch eine breite Pelotte, 
die dem Körper flach anliegt, zurückgedrhngt wird, so dass von der starken seitlichen 
Verschiebung nichts zu erkennen ist. Dadurch, dass die Enden der Pelotte nach links 
vorne oben gehen zu einer auf Fig. 3 bemerkbaren Stange, die vor dem Anziehen der Pelotte 
weit, ca. 4 cm, von der Brust absteht^ wird ein spiralig wirkender Zug von rechts hinten 
nuten nach links vorne oben erreicht und der Buckel abgeflacht. Damit die concave Seite 
links unter dem Schulterblatt durch den Zug der hinteren Pelotte nicht eingeschniirt wird, 
geht links vom Beckengürtel eine Stange frei in der Höhe der Scaiiulaspitze endigend una 
so weit vom Niveau des Kückens alistehend wie es der normalen Ausbildung des Rückens 
entsprach^, empor. Hinter dieser Stange wird das linke Ende der hinteren Pelotte nach 
vorne geführt. Die linke hintere concave Kückenflache ist also vollkommen frei, so dass 
man eine flache Hand zwischen Kücken und Pelotte dort hinein legen kann. Dies ist auf 
dem Bild natürlich nicht zu erkennen. Endlich sieht man auf Fig. 2 in der Mittellinie eine 
Stange eraporgehen, welche die Enden der vorderen von links vorne unten kommenden Brust- 
pelotte aufnimmt. — An der rechten Seite des Beckengürtels hinten dicht an dem senk¬ 
rechten Ast des Hüftbügels ist der Hüftbügel und der Trochanterbügel durch feststellbares 
tharnier und Schlitze beweglich und veränderlich gemacht, so dass sich die Beckenseite 
heben und senken kann. Dagegen ist rechte und linke Beckenseite durch Verbindungs- 

stangen fest gestellt. 


ZU verbessern. Die Beobachtung, dass man im Hoffa-Beely’schen 
Rahmen ein Kind relativ gut redressiren kann, dadurch, dass man 
eine Pelotte auf den hinteren Rippenbuckel setzt und diese durch 
Flaschenzugkraft anzieht, brachte mich auf den Gedanken, jeden 
Skoliotiker in einen solchen Redressionsapparat zu bringen, den er 
dauernd mit sich tragen muss. 


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288 


Peter Bade. 


Es gilt also, dem Kinde einen Beely-Hof falschen Rahmen 
en miniature anzuziehen, d. h. das Princip des dem Rumpf genau 
angepassten Corsets muss verlassen werden. Der Skoliotiker 
muss bestimmte Stangen an seinem Corset tragen, die 

Fig. 3. 



Dieselbe im Apparat von vorne. — Man sieht rechts vorne eine Stange vom Beckengürt 
nach oben bis zur Brustwarze ziehen. Diese steht vor dem Anlegen der Pelotteii auch 
3—4 cm vom Körper ab. Sie dient dazu, den Drintk der rechten hinteren Pelotte von der 
vorderen Brustwand abzuleiten und ebenfalls den rechten Zügel der vorderen Pelotien 
aufzufangen, damit er nicht drücken kann. l>ie Enden der vorderen Pelotte zieht man nun 
so stark au, dass die rechte vordere Stange genau dem Körper, nach Adox^tiou des Api^- 

rates, anliegt. 


vom Körper mehrere Ceiitiraeter weit abstehen. Nach 
diesen Stangen als feste Punkte muss genau wie im Beely- 
schen Rahmen der Buckel hinüber gezogen werden. Bei 
der technischen Ausführung dieses Gedankens kam mir das von 
Roth in Budapest construirte Corset sehr zu Nutzen, der ausser 
den Achselkrücken vom Hessing'schen Beckengürtel nur noch 
Stangen am Körper emporgehen lässt, die er mit Drellpelotten zum 
Ziehen armirt. So bediente ich ausser dem Hessing’schen Becken¬ 
gürtel mich des Ortes der Roth’schen Stangen. Am besten werden 
Ihnen das die Photographien zeigen. Wo ich es durchsetzen kann. 


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ErfahruDgen über den Werth des orthopädischen Corsets. 


289 


wird der Apparat mit einer Kopfextension versehen. Dadurch wird 
die Wirksamkeit natürlich beträchtlich gesteigert. 

Der Vortheil dieses Redressionsapparates, den der Patient mit 
sich herumtragen kann, ist seine grosse Redressionsfähigkeit. Je 


Fig. 4. 


Fig. 5. 




Dieselben Verhilltnisse bei einem 
anderen Patienten. 


Dieselben Verh.lltnisse bei einem 
anderen* Patienten. 


weiter ich die dem Rippenbuckel diagonal gegenüber liegende Stange 
vom Körper abstehen lasse, und je stärker ich die Lederpelotte, die 
eng wie eine flache Hand dem Buckel angedrückt ist, anziehe, um 
so mehr wird der Buckel redressirt. Es thut mir leid, dass ich 
z. Z. Ihnen keinen Patienten demonstriren kann, die Wirkung ist 
thatsächlich eine auffallende. 

Je nach der Art des Buckels muss man nun die Stangen und 
Pelotten vertheilen. Dass ich natürlich auf Druck von der einen 
Seite auch durch Gegendruck von der anderen Seite antworte, ist 
selbstverständlich und werden Ihnen die Bilder zeigen. 

Sie werden Ihnen aber ebenfalls zeigen, wie wenig eingeengt 
der Körper ist durch diesen Apparat im Vergleich zu der Einengung, 
die gut sitzende Beely-, Hessing-, Roth'sche und alle anderen 

Zeitschrift für orthopiidische Chirurgie. XII. Bd. 19 


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290 Peter Bade. Erfahrungen über den Werth des orthopädischen Corsets. 

Corsets notwendigerweise mit sich bringen. Ich habe den Apparat 
jetzt 9mal in den letzten 2 Monaten verordnet und halte ihn für 
einen grossen Fortschritt. Ich glaube, dass er das durch das for- 
cirte Redressement geschaffene Resultat bewahrt, und wenn man ihn 
mit Kopfextension versehen kann, noch verbessert. Ich glaube auch, 
dass er uns in leichteren Fällen das forcirte Redressement er¬ 
setzen kann. 


Nachschrift. Während die Arbeit im Druck sich befindet 
ist der Redressionsapparat 23mal von mir angefertigt worden. 

Die Erfahrung in der Herstellung ist gestiegen und das an¬ 
fangs geäusserte Urtheil über seine Zweckmässigkeit bleibt völlig 
bestehen. 

Sollte einer meiner Fachcollegen gern genauere Auskunft über 
seine Herstellung von mir wünschen, so bitte ich mit Fragen sich 
an mich zu wenden. 


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XIX. 


(Aus dem Universitäts-Ambulatorium für orthopädische Chirurgie 
des Prof. A. Lorenz in Wien.) 

Epiphyseolyse mit subcntaner Periosteotomie zur 
Behandliiiig des Genu valgum infantum‘). 

Von 

Dr. Max Reiner, 

Assistenten des Ambulatoriums. 

Gelegentlich der Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte zu Hamburg 1901 habe ich einen kurzen Bericht über die 
von mir vorgenommenen unblutigen, operativen Epiphyseolysen zur 
Correctur des Genu valgum adolescentium gegeben und danach in 
Hoffa's Zeitschrift ßd. XI eine ausführliche Mittheilung über den 
Gegenstand folgen lassen. In derselben habe ich darzuthun ver¬ 
sucht, dass die Epiphyseolyse principiell der richtigste von allen Ein¬ 
griffen beim Genu valgum adolescentium ist, weil sie erstens die 
Deformität am Culminationspunkt angreift und zweitens die Con- 
tinuitätstrennung an dem Locus minimae resistentiae der Extremität 
etabb’rt. Ich habe ferner gezeigt, dass die Operation mit einfachen 
Hilfsmitteln ausführbar' ist, dass sie nur ein geringes Operations¬ 
trauraa im Gefolge hat und dass sie daher, in richtiger Indications- 
breite ausgeführt, allen übrigen blutigen und unblutigen operativen 
Behandlungsmethoden überlegen ist. Endlich habe ich aus dem 
literarischen Thatbestande den Nachweis zu erbringen vermocht, 
dass die Epiphyseolyse an sich, als incomplicirte Verletzung be¬ 
trachtet, fast ausnahmslos glatt ausheilt, und dass überaus zahlreiche, 
an traumatischen experimentellen und operativen Epiphysenver¬ 
letzungen gesammelte Erfahrungen zu dem Schlüsse zwingen, dass 

’) Vortrag, gehalten auf dem II. Congress für orthopädische Chirurgie 
in Berlin, am 2. Juni 1903. 


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292 


Max Reiner. 


die Epiphyseolyse eine in ihren Folgen durchaus berechenbare, keinen 
dauernden Schaden verursachende Verletzung darstellt, und dass die 
gefürchtete Spätcomplication der Wachsthums Verkürzung nur bei 
grober, nicht reducirter Dislocation eintritt. Dass aber eine so hoch¬ 
gradige Dislocation eintreten könnte, durch welche die Fugenflächen 
der Diaphyse und der Epiphyse ausser Contact gerathen, ist eine 
Eventualität, welche bei operativer Epiphysenlösung als vollständig 
ausgeschlossen gelten kann. Aus allen diesen Thatsachen w^ar für 
mich die Berechtigung abzuleiten, dass die unblutige, operative Epi¬ 
physeolyse in geeigneten Fällen als zweckmässigste Form der Con- 
tinuitätstrennung zur Beseitigung von Deformitäten gewählt werden 
könne. 

Im Jahre 1902 ist nun Codivilla gelegentlich des ersten Con- 
gresses der Deutschen Gesellschaft für orthopädische Chirurgie auf 
das Thema zurückgekommen und hat, gestützt auf die langjährige 
klinische Erfahrung seines Vorgängers und Lehrers Panzeri, so¬ 
wie auf seine eigenen, am Istituto dei Rhachitici und am Istituto 
Rizzoli gesammelten Erfahrungen nachgewiesen, dass die Epiphysen¬ 
verletzungen regelmässig spurlos verheilten und dass Wachsthums¬ 
störungen als Folgen des operativen Eingriffes niemals aufge¬ 
treten sind. 

Hoffentlich wird die in einer abundanten Literatur nieder¬ 
gelegte, an einem Riesenmateriale erworbene Kenntniss der ein¬ 
schlägigen Fragen endlich dahin führen, dass die unbegründete Furcht 
vor der Wachsthumshemmung nach der operativen Epiphysenlösung 
als dauernd beseitigt angesehen werden kann. ^ 

Am Wiener Institute für orthopädische Chirurgie ist die un¬ 
blutige operative Epiphyseolyse das Normal verfahren geworden, und 
die Erfahrungen, die seit meiner ersten Mittheilung neuerdings ge¬ 
sammelt worden sind, haben uns die Zweckmässigkeit derselben 
immer wieder bestätigt. Als geeignete Fälle werden nach wie vor 
solche angesehen, welche Patienten zwischen dem 8. und 17. Lebens¬ 
jahre betreffen. Patienten, welche die obere Altersgrenze über¬ 
schritten haben, werden der Circumferenz-Osteotomie unterzogen. 
Patienten, welche die untere Altersgrenze noch nicht erreicht haben, 
sind bis vor Kurzem mittelst anderer Operationsmethoden behandelt 
worden. 


*) Vide meine Mittbeilung: Verhandlg. d. Congr. f. orthop. Chir. 1902. 


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Epiphyseolyse mit snbcritaner Periosteotomie etc. 293 

Das letztere geschah, wie ich schon in der erwähnten Mit¬ 
theilung hervorgehoben habe, aus mehreren Gründen: Einmal er¬ 
fordert das Genu valgum rhachiticum oft die Correctur an einer 
anderen Stelle, als gerade in der Höhe der Epiphysenfuge, und zum 
zweiten ist die Epiphyseolyse, auch wenn sie durch die Form der 
Verkrümmung indicirt wäre, bei Kindern bis etwa zum 8. Lebens¬ 
jahre hinauf, sehr schwer ausführbar, sie bedarf einer relativ grösseren 
Eraftentfaltung, als bei älteren Individuen, und überdies ist man 
nicht sicher, die Continuitätstrennung wirklich am Orte der Epi¬ 
physenfuge etabliren zu können. Es ist demnach bei Kindern nicht 
nur der Eingriff ein schwierigerer und der Erfolg weniger sicher, son¬ 
dern auch das Operationstrauma ein grösseres und die Nebenver¬ 
letzungen zahlreicher und erheblicher. 

Auch Codivilla führt aus, dass die in rhachitischen Fällen vor¬ 
kommenden Verletzungen der juxta-epiphysären Gegend verhältniss- 
mässig breitere und schwerere sind, als beim Genu valgum adoles- 
centium; wenn er trotzdem zu dem Resultate kommt, dass auch 
diese Verletzungen »ganz und gar heilbar“ sind, so spricht das mehr 
für die Epiphyseolyse überhaupt, als für die an rhachitischen, resp. 
kindlichen Individuen im besonderen. 

Ich habe in meiner eingangs citirten Mittheilung nach den 
Ursachen für die überraschende Thatsache gesucht, dass die Epi¬ 
physeolyse gerade in solchen Fällen um so vieles schwerer auslösbar 
ist. Obzwar ich im allgemeinen die Entscheidung offen liess, ob 
die Rhachitis oder ob das jugendliche Alter mehr zu beschuldigen 
sei, habe ich doch unter anderen Gründen besonders auf die Wichtig¬ 
keit der Periostverbindungen hingewiesen. Diesbezüglich liegen 
Studien von Wilson und anderen vor, denen zufolge die Abreissung 
der Epiphyse von der Diaphyse nach Durchschneidung des Periostes 
in der Höhe der Epiphysenfuge schon durch ein Viertel desjenigen 
Gewichtes erreicht werden konnte, welches bei intacten Periostver¬ 
bindungen nothwendig war. Dem gegenüber habe ich auf den 
wesentlichen Unterschied in der Festigkeit dieser Verbindung hin¬ 
gewiesen, der zwischen Adolescenten und Kindern besteht, und daran 
erinnert, dass bei Adolescenten das Periost dem unteren Diaphysen- 
ende des Femur nur leicht anhaftet und in der Regel ganz dünn 
gefunden wird, während es bei rhachitischen Kindern sehr häufig 
an dieser Stelle stark verdickt ist und immer in innigem, schwer lös¬ 
barem Zusammenhänge mit dem unterliegenden Diaphysenende sich 


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294 


Max Reiner. 


befindet. Die Periostverbindungen mögen daher die Epiphyseolyse 
bei Kindern, aber nicht bei Adolescenten verhindern, und ,daher 
zweifle ich nicht,“ habe ich hinzugefügt, »dass die Versuchsresultate 
ganz anders ausgefallen wären, wenn anstatt kindlicher Epiphysen 
solche von Adolescenten geprüft worden wären. Es hätte sich dann 
wohl kaum ein nennenswerther Unterschied in der erforderlichen 
Gewichtsbelastung gezeigt, ob nun das Periost intact geblieben, oder 
vorher durchschnitten und entfernt worden wäre.“ 

Es schien demnach wünschenswerth, nachzusehen, ob es wirk¬ 
lich die Periostverbindungen hauptsächlich sind, welche bei Kindern 
das Zustandekommen der am unteren Femurende intendirten Epi¬ 
physeolyse erschweren oder sogar verhindern. 

Die von mir im Vereine mit Herrn Dr. Rohrbacher an 
kindlichen Leichen ausgeführten Versuche haben dieser Annahme 
Recht gegeben. Durchschneidet man das Periost in der Höhe der 
distalen Epiphysenfuge des Femur, und zwar an der lateralen 
Seite, und lässt man nun auf den Unterschenkel als Hebelarm in 
derselben Weise, wie es bei der operativen unblutigen Epiphyseolyse 
geschieht, eine adducirende Kraft wirken, so erfolgt die Continuitäts- 
trennung in der Fuge mit Leichtigkeit. Schon auf relativ geringe 
Gewalteinwirkung klafft die Fuge, der Spalt geht von der Incisions- 
stelle aus und vertieft sich bis zur völligen Ablösung. 

Nachdem diese Thatsache festgestellt war, lag es nahe, von 
derselben zu therapeutischen Zwecken Gebrauch zu machen. Das 
geschah zunächst durch Dr. Rohrbacher in der Weise, dass nach 
Incision in entsprechender Höhe ein halbscharfes Instrument in die 
knorpelige Fuge eingeschoben wurde, während gleichzeitig durch die 
Assistenz ein Druck am Unterschenkel im Sinne der Adduction aus¬ 
geübt wurde. Da das Verfahren aber wegen der hierbei nothwen¬ 
digen Wiedereröffnung etwas umständlich erschien, sich aber anderer¬ 
seits subcutane Tenotomien mit unblutig redressirenden Massnahmen 
sehr leicht verbinden lassen, habe ich die »Periosteotomie“ subcutan, 
resp. subfascial ausgeführt, und das Verfahren bereits an einer derart 
grossen Zahl von Fällen mit Erfolg ausgeführt, dass ich es den 
Fachcollegen zur Nachprüfung vorlegen kann. Das Periosteotom, 
das ich zu diesem Zwecke anfertigen liess, unterscheidet sich von 

*) Ich statte hiermit Herrn Prof. Dr. Escherich sowie Herrn Prosector 
Prof Dr. Ghon für die gütige Ueberlassung des Leichenmateriales des St. Anna- 
Kinderspitales meinen verbindlichsten Dank ab. 


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Epiphyseolyae mit aubcutaner Periosteotomie etc. 


295 


einem gewöhnlichen Tenotom dadurch, dass es stärker gebaut, mit 
einer kürzeren, stark convexen Schneide versehen ist, und demnach 
keine eigentliche Spitze besitzt. Auch ist der Stiel, welcher Klinge 
und HandgrifiF verbindet, möglichst wenig dick und der ganzen Länge 
nach von ziemlich gleichem Querschnitte. 

Man führt das Instrument derart, dass man dasselbe unmittel¬ 
bar vor dem lateralen Fasciendissepiment in der Höhe der Epiphysen¬ 
fuge einsticht und es nun subfascial hart am Knochen mit umge¬ 
legter Schneide nach vom schiebt bis zur vorderen äusseren Kante 
des Femurkolbens. Nun stellt man das Messer auf die Schneide 
und führt, indem man es zurückzieht, den Schnitt. Hierauf dreht 
man das Instrument mit flachgelegter Klinge in der Wunde um und 
vervollständigt den Schnitt in gleicher Weise nach rückwärts, so dass 
die ganze laterale Portion des Periostes durch trennt wird. Es ist 
kein Schade, wenn man das Messer bei der Führung des Schnittes 
tiefer eindringen lässt, als zur blossen Periostdurchschneidung eben 
nöthig ist; es mag auch V* tiefer in die Substanz ein¬ 

dringen. 

Schwierigkeiten bereitet im Anfänge nur die sichere Auffindung 
der Fuge, über deren Lage man sich beim Kinde sehr leicht täuscht. 
Einen guten Anhaltspunkt bietet jedoch der laterale Epicondylus — 
denn dicht über demselben befindet sich die Fuge. Man orientirt 
sich am besten sofort nach dem Einführen des Instrumentes über 
die Lage derselben, indem man von oben (proximal) nach unten 
(distal) fortschreitend eine Strecke mit der Schneide des Instrumentes 
abtastet, bis man auf ein Gewebe kommt, in welches die Schneide 
leicht eindringt — das ist dann nothwendig entweder die knorpelige 
Fuge oder die jüngste, äusserste Knochensclücht der Diaphyse in 
unmittelbarer Nähe der Fuge. Es ist durchaus nicht nothwendig, 
diese jüngsten Knochenschichten der Diaphyse beim Schnitte zu 
meiden, weil sich der Spalt beim darauffolgenden Redressement ohne¬ 
hin in die Trennungsfläche von Knochen und Knorpel fortsetzt. Es 
ist sogar vortheilhaft, den Schnitt in dieser Höhe auszuführen, weil 
man das Periost dann mit Sicherheit an einer Stelle trifft, an welcher 
es die fixe Verbindung mit der Epiphyse noch nicht eingegangen 
ist. Da diese Verbindung schon am proximalen Rande der Epiphyse 
stattfindet, wäre es natürlich verfehlt, weiter distalwärts, im Bereiche 
der Epiphyse selbst, den Schnitt anzulegen; denn man hätte dann 
die Lösung der Epiphyse nicht nur nicht begünstigt, sondern würde 


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296 Max Reiner. Epiphyseoljse mit eubcutaner Periosteotomie etc. 

auch Gefahr laufen, den lateralen Condyl beim Redressement ein¬ 
fach abzureissen, und so eine Art Ogs ton scher Operation aaszu¬ 
führen. Dieser Eventualität kann man aber durch Befolgung der 
oben angegebenen Regel mit Sicherheit Vorbeugen. 

Wie mir zahlreiche, an jugendlichen Leichen ausgeführte Ver¬ 
suche ergeben haben, sind die auf die geschilderte Weise erzielten 
Epiphysenlösungen in der Regel thatsächlich reine Epiphysenlösungen, 
d. h. die Trennungsfläche verläuft an der Knorpel-Knochengrenze, 
nicht wie bei Adolescenten fast ausnahmslos in den jüngsten Knochen¬ 
schichten der Diaphyse. 

Das Redressement, das man nach der Periosteotomie vomimmt, 
vollführt man entweder aus freier Hand, oder man bedient sich des 
von mir, 1. c., angegebenen Apparates zur Epiphysenlösung, der, 
dem kindlichen Alter der Patienten entsprechend, in verjüngten 
Dimensionen ausgeführt sein muss. Nach richtig ausgeführter Peri¬ 
osteotomie hat man keine wesentlichen Schwierigkeiten beim Redresse¬ 
ment mehr zu erwarten. Auch kann man mit grosser Sicherheit 
darauf rechnen, dass man keine irgendwie erhebliche Nebenver- 
letzung erzeugen wird. Die Verletzungen, die man erzeugt und durch 
welche man die Correctur erzwingt, sind im Wesentlichen die 
folgenden: Verschiebung der ganzen Epiphyse nach der medialen 
Seite (um wenige Millimeter), leichtes Klaffen der Fuge auf der 
lateralen Seite und leichte Compression der Knochenschichten an der 
medialen Seite. Dass aus diesen Verletzungen eine Gefahr für die 
weitere Entwickelung der Extremitäten nicht entspringt, ist nach 
oben Gesagtem mit Sicherheit anzunehmen. 

Die Nachbehandlung ist dieselbe, wie bei der Epiphyseoljse 
ohne Periosteotomie bei Adolescenten. Der circuläre Gypsverband 
bleibt 6 Wochen liegen. Hat man auch Entlastung durchgeführt, 
so kann man das Kind sofort herumgehen lassen, wenn nicht, so 
lässt man das Bein erst zwischen der 3. und 4. Woche benutzen. 
Nach Abnahme des Verbandes wird Massage und Gymnastik ange¬ 
wendet. 


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XX. 


(Aus dem üniversitäts-Ambulatorium für orthopädische Chirurgie 
des Prof. A. Lorenz in Wien.) 

lieber die Beziehungen von congenitaler Coxa vara 
und congenitalem Femurdefect. 

Von 

Dr. Max Reiner, 

Assistenten des Ambnlatoriams. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Im Bande IX von Hoffa's Zeitschrift habe ich unter dem Titel: 
,lieber den congenitalen Femurdefect“ über eine Anzahl derartiger, 
von mir beobachteter Fälle berichtet, auf welche ich jetzt insoweit 
zurückkommen möchte, als sie für die Frage der congenitalen Coxa 
vara von Interesse sind. Unter den genannten Fällen sind auch zwei 
Fälle von Coxa vara congenita abgehandelt worden, und zwar darum 
in dem scheinbar auffälligen Zusammenhänge, weil für mich kein 
Zweifel darüber besteht, dass die congenitale Coxa vara als eine 
Vorstufe jenes Deformationsprocesses aufzufassen ist, der in seinen 
Endstadien zu meinen Typen 2 und 3 des sogen, congenitalen Femur- 
defectes führt. Zusammen mit dem genannten Vorstadium hätten 
wir sonach 3 Typen zu verzeichnen, welche mit einander in Connex 
stehen und verschiedene Stadien der Deformität repräsentiren. Die¬ 
selben sind wie folgt zu charakterisiren: 

1. Es besteht congenitale Coxa vara bis zu den höchsten bisher 
wahrgenommenen Graden. Gleichzeitig ist der Oberschenkel ver¬ 
kürzt, in der Regel nicht nur functionell durch die Varusstellung 
des Halses, sondern auch an und für sich in seinen Längen, aber 
auch in seinen Querdimensionen reducirt. 

2. Der Oberschenkel existirt als zusammenhängendes Ganzes 
nicht, sondern ist in einzelne Theile zersprengt: in das distale Femur- 


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298 


Max Reiner. 


ende, den Kopf und den Trochanter major, resp. die beiden Trochan- 
teren. Das distale Ende des Femur articulirt durch ein in der Regel 
normal ausgebildetes Kniegelenk mit der Tibia. Der kleine Femur¬ 
kopfrest liegt in einer rudimentären Pfanne. Aus der Pfannengegend 
zieht meist eine bindegewebige Masse, »der Schenkelstrang*, als 
Rest des zu Grunde gegangenen Knorpels, resp. Knochens zum proxi¬ 
malen Ende des distalen Femurrestes. Dort, wo sich an dieses Band 
die Glutaei, Psoas und Iliacus anheften, finden sich knorpelige oder 
knöcherne Rudimente des Trochanter, resp. der Trochanteren. 

3. Die Zersprengung des Femur in einzelne Theile besteht 
wie in Gruppe 2, aber der kleine Rest des distalen Femurendes sitzt 
in Form eines Knochenzapfens der Tibia auf, ohne dass es zur Aus¬ 
bildung eines Kniegelenks gekommen wäre. Der Winkel, unter 
welchem sich das Femurrudiment mit der Tibia vereinigt findet, ist 
niemals ein gestreckter, sondern entsprechend dem frühen embryo¬ 
nalen Stadium, in welchem die Entwickelung der Deformität vor 
sich gegangen ist, ein dem rechten sich mehr oder minder nähernder. 
Dies sind jene Fälle, welche mehrfach als „totaler* Oberschenkel- 
defect beschrieben worden sind. — 

Jeder dieser 3 Typen repräsentirt gewissermassen ein fixirtes 
Stadium eines und desselben Deformationsprocesses, welcher durch 
äussere pathologische Einwirkungen hervorgerufen wird, während 
das Product desselben, die Deformität, in ihrer Form durch innere 
Anlagen vorbestimmt ist. Was die äusseren pathologischen Ein¬ 
wirkungen betrifft, so hat man, wie ich dargethan habe, nicht etwa 
an ein plötzliches Trauma «u denken, sondern an ein im Laufe der 
Zeit allmählich einwirkendes, welches, sofern man überhaupt das 
Wort „Trauma“ gelten lassen will, als ein „modellirendes* zu 
bezeichnen wäre. Dasselbeist, der Theorie Dare ste’s entsprechend, 
als vom Amnion ausgehend zu denken. 

Jene inneren Anlagen aber, welche unter der Einwirkung des 
modellirenden Traumas auf die Gestaltung der Deformität bestim¬ 
mend wirken, werden durch den eigenthümlichen EntwickelungvSgang 
hervorgerufen, welchen der Femurstab in einer sehr frühen Periode 
des embryonalen Lebens durchmacht. 

Das proximale Femurende unterliegt nämlich, ungefähr in der 
10. Woche, einem von v. Friedländer des Näheren beleuchteten 
Umformungsprocesse, durch welchen normalerweise der im Verhält- 
niss zum Becken noch abducirt und gebeugt stehende Oberschenkel 


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üeber die Beziehungen von congenitaler Coxa vara etc. 


299 


adducirt und introtorquirt wird, während zugleich die Abknickung 
des Schenkelstabes zum Halse erfolgt. „Der Sitz dieses Umformungs- 
processes,“ habe ich ausgeführt^), „ist hauptsächlich die Regio sub- 
trochanterica femoris, jene Region, in welcher, wie wir gesehen 
haben, in verschiedener histologischer Entwickelung begriffene Theile 
an einander stossen, welche frei von Muskelansätzen sind und den 
schwächsten Theil des Knorpelstabes repräsentiren. Dass dieser Theil, 
der den Einwirkungen verschiedenster modellirender, innerer Kräfte 
ausgesetzt ist, für von aussen wirkende Kräfte ein punctum minoris 
resistentiae darstellt, ist ohne weiteres ersichtlich.“ 

Ich bin somit aus theoretischen Gründen, aus der ßeurtheilung 
der Entwickelungsverhältnisse dazu gelangt, in der Regio subtro- 
chanterica eine „schwache Stelle“ des Knochens während der frühesten 
Stadien des embryonalen Lebens zu constatiren, welche für Con- 
tinuitätstrennungen disponirt ist — trotzdem ich zu jener Zeit einen 
Fall von angeborener Continuitätstrennung an dieser Stelle noch nie¬ 
mals gesehen hatte. Mir waren nur in Gruppe 2 und 3 Fälle unter¬ 
gekommen, bei welchen der Druck von Seiten der Eihäute zu einem 
Extrem, nämlich zur Vernichtung des betreffenden Stückes geführt 
hatte, so dass infolge davon eine Disgregation der Elemente durch 
den Untergang des Zwischengliedes eingetreten war, wohingegen der 
Druck in den leichten Fällen nur das Längenwachsthum vermindert 
und auf den Schenkelhals allein deformirend gewirkt und eine Coxa 
vara ohne Zerstörung des proximalen Femurendes erzeugt hatte. 
Einen besonders interessanten Beleg für meine Ansicht, dass die in 
Gruppe 1—3 geschilderten Deformitäten nur den Eindruck gra¬ 
dueller Verschiedenheit machen, bot mir der von Joachimsthal 
und Feilchenfeld veröffentlichte Fall, bei welchem sich, an dem 
einen Objecte vereint, 2 Grade der Deformität vorfanden, links die 
vollständig ausgebildete Deformität mit Disgregation, rechts aber 
bloss die hochgradige Coxa vara congenita. 

Nachdem ich also nachgewiesen hatte, dass die Regio subtro- 
chanterica eine schwache, zu Continuitätstrennung disponirte Stelle 
ist, konnte eine Beobachtung von isolirter Continuitätstrennung, 
resp. Abknickung gerade an dieser Stelle nichts Auffallendes mehr 
bieten. 

Ein einschlägiger Fall ist seither auch thatsächlich von Dreh- 


') 1. c. S. 576. 


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300 


Max Reiner. 


mann beobachtet worden. Es ist dies der Fall 3 seiner Mittheilung 
.,Ueber congenitalen Femurdefect“ ^). 

Der betreflFende Knabe war mit 5 Jahren in Drehmann's 
Beobachtung getreten. Es bestand zur Zeit eine starke Verkürzung 
des linken Beines, die auf eine mangelhafte Entwickelung des linken 
Oberschenkels zurückzuführen war. Das obere Femurende trat nach 
Art eines Trochanters hervor und stand mit diesem umgebogenen 
Ende beträchtlich über der Roser-NPlatonischen Linie. Das 
Femurende war am Darmbeine verschieblich, die Beweglichkeit nach 
allen Richtungen frei. Es machte den Eindruck, als ob eine Luxation 
auf das Darmbein bestünde. Zwei Jahre später wurde ein Röntgen¬ 
bild aufgenommen. Dieses zeigte ebenfalls, dass das untere Diaphysen- 
ende des Femur und das Kniegelenk gut ausgebildet sind, die Dia- 
physe setzt sich in ein sich verjüngendes Ende nach oben fort, 
welches zu oberst nach dem Darmbeine umgebogen ist. Einige am 
Röntgenbilde sichtbare Stränge ziehen nach der Pfannen gegen d; da 
sie deutlich Schatten werfen, konnte das Vorhandensein von Knochen¬ 
substanz in ihnen angenommen werden; in der Pfannengegend sieht 
man noch nichts Deutliches. 

Auf dem weitere 2 Jahre später aufgenommenen Röntgenbilde 
bot sich nun ein überraschender Befund. Die früheren Stränge sind 
völlig verknöchert. In der Pfanne sieht man einen deutlichen Femur¬ 
kopf, an welchen sich ein schlanker Hals ansetzt. Dieser zieht auf¬ 
steigend nach dem früher als Trochanter gedeuteten, umgebogenen, 
dem Darmbeine zugewendeten Ende des Femur. 

Das Ganze ist eine höchstgradige Coxa vara, in welche nicht 
allein der Hals, sondern auch das verkümmerte obere Femurende 
einbezogen ist; die Knickungsstelle ist in der Regio sub- 
trochanterica gelegen. 

Drehmann sieht in diesem Falle einen bestimmten Typus 
des angeborenen Femurdefectes, eine Annahme, der ich um so eher 
beipflichten kann, als ich glaube, diesen Typus bereits theoretisch 
begründet zu haben, noch ehe eine einschlägige Beobachtung vorlag. 

Was seine beiden anderen, jüngere Kinder betreffende Fälle 
anlaiigt, glaubt Drehmann sie demselben Typus zuzählen zu 
dürfen — ob mit vollem Rechte, wird sich aber wohl erst nach 


b Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft f. orthopädische Chirurgie. 
1. Congress 1902. 


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Heber die Beziehungen von congenitaler Coxa vara etc. 301 

Jahren, wenn die Verknöcherung vollständiger sein wird, constatiren 
lassen. 

In dieselbe Kategorie reiht aber Drehmann auch einen von 
Joachimsthal und Feilchenfeld beobachteten Fall ein — es 
ist dies derselbe Fall, auf welchen ich in meiner eingangs citirten 
Publication hingewiesen habe, und von welchem ich betont habe, dass 
er mir zur Stütze meiner Behauptung dient, dass meine Typen 1—3 
den Eindruck lediglich gradueller Verschiedenheit erwecken. 

Das Röntgenbild dieses Falles ergibt auf der einen, linken 
Seite eine Coxa vara im stricten anatomischen Sinne — die Defor¬ 
mität beruht hier nämlich auf einer Abknickung des Halses zum 
Schafte und eine hierdurch erzeugte Varusstellung desselben. Der 
Kopf befindet sich in der Pfanne. Nebstbei ist eine ganz leichte, 
beckenwärts gerichtete Abknickung des Schaftes im oberen Dritttheil 
zu sehen. 

Der Femur der anderen (rechten) Seite ist der wesentlich stärker 
verkürzte. Hier ist das Gelenkende des Oberschenkels auf dem 
Röntgenbilde nicht sichtbar. Der Schaft endet mit einer ganz kurzen, 
beckenwärts gerichteten Abknickung, die sich in beträchtlicher Ent¬ 
fernung von der Pfanne oberhalb derselben befindet. Eine Verbin¬ 
dung mit der Pfanne existirt, so weit nach dem Röntgenbilde zu 
urtheilen, nicht. Ich war, wie ich bereits betont habe, geneigt, die 
linke Seite als ein Beispiel für die Gruppe 1, die rechte Seite als 
ein solches für die Gruppe 2 anzusprechen. Drehmann dagegen 
reiht die rechte Seite seinen Fällen an — es sei, wie in seinem 
Falle, eine so hochgradige Knickung vorhanden, dass das darüber 
liegende Ende verkümmert sei und erst im späteren Alter sein 
Dasein zeige. 

Diese Annahme ist nun sicherlich nicht unberechtigt; die end¬ 
gültige Entscheidung wird aber erst möglich sein, wenn das pro¬ 
ximale Femurende sein Dasein im Laufe der Jahre wirklich verrathen 
haben wird. 

Darin möchte ich Drehmann beipflichten, dass die Abknickung 
des Schaftes, welche man auf der Seite der Coxa vara im oberen 
Dritttheil wahmimmt, bedeutungsvoll ist und dass dieselbe dem oberen, 
nach dem Darmbeine zu umgebogenen Ende der anderen Seite ent¬ 
spricht. Die gleichzeitige Annahme Drehmann’s aber, „es handle 
sich in diesem Falle um dieselbe Deformität auf beiden Seiten“, 
erscheint mir um so weniger berechtigt, als auf der einen Seite der 


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302 


Max Reiner. 


Sitz der Deformität offenkundig die Verbindungsstelle des Halses 
mit dem Schafte, auf der anderen Seite dagegen die Regio sub- 
trochanterica ist. Dass derartige Fälle nur mit meinen Gruppen 1—3 
in Beziehung zu bringen sind, liegt auf der Hand; mit den in meiner 
Gruppe 4 enthaltenen Fällen von auf embryonaler Form stehen ge¬ 
bliebenen Femurabschnitten haben sie entschieden nichts gemein, und 
Drehmann durfte mir nicht zumuthen, dass ich sie zu dieser Gruppe 
gezählt haben würde. 

Ich will hierbei noch etwas hervorheben, was mir von Wich¬ 
tigkeit zu sein scheint. Wenn es nämlich auch öfter Vorkommen 
sollte, dass Fälle nach dem vom Kinde aufgenommenen Röntgenbilde 
zufolge der scheinbaren Disgregation der Femuranlage als solche 
angesehen werden, die in eine der Gruppen 2 oder 3 einzureihen 
sind, während sich nachträglich infolge fortschreitender Verknöcherung 
die vorhandene Continuität constatiren lässt, so ist darum die Elxistenz 
meiner Gruppen 2 und 3 keineswegs in Frage gestellt. Dieselben 
sind von mir nicht aus Röntgenbildern erschlossen, sondern nach 
zahlreichen, in der Literatur vorliegenden Sectionsbefunden aufgestellt 
worden. Ich erinnere diesbezüglich an die Fälle von Meckel, 
Veiel, Carnochan, Lambl, Friedleben, Buhl, Erlich, 
Müller^). 

Es bleiben also die von mir aufgestellten Typen in Geltung, 
nur werden wir in der Gruppe 1, welche die Deformation ohne Dis¬ 
gregation umfasst, Unterabtheilungen zu schaffen haben, und zwar 
die Gruppe la, der jene Fälle angehören, bei welchen die schwache 
Stelle des Schenkelhalses getroffen ist, so dass eine echte Coxa vara 
congenita resultirt; dann die Gruppe Ib: es ist die schwache Stelle 
der Regio subtrochanterica getroffen, und hierbei resultirt eine De¬ 
formation, welche zu einer hochgradigen Varusstellung des proximalen 
Femurendes zum distalen führt. Ob wir aber die Berechtigung 
haben, auch diese Form der Varusstellung zur echten Coxa vara im 
anatomischen Sinne zu rechnen, darüber mich auszusprechen, werde 
ich demnächst an anderem Orte Gelegenheit finden. 

Die in der einschlägigen Literatur aufzufindenden Beispiele fiir 
die beiden Gruppen sind nun allerdings spärlich. 

Was zunächst die Gruppe la betrifft, die reine congenitale 


’) Die Literaturnachweise sind in meiner eingangs erwähnten Fublication 
nachzusehen. 


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üeber die Beziehnngen von congenitaler Coxa vara etc. 


303 


Coxa vara, so sind die Fälle von Zehnder^) und KredeP) hervor- 
zuheben; dieselben sind schon so oft citirt worden, dass hier die 
kurze Verweisung auf die Originalarbeiten genügen möge. Der Ver¬ 
such Eirmisson*s^), 2 Fälle mit hochgradiger Aussenrotation ohne 
anatomische Varusstellung als Coxa vara cong. anzusprecben, ist 
bereits von anderer Seite (Alsberg) mit Recht zurückgewiesen 
worden. Von den Fällen Mouchet's und Aubion's^), deren Röntgen¬ 
bilder bloss zeichnerisch wiedergegeben sind, ist das doppelseitige 
sofort als Coxa vara cong. zu agnosciren. Bei den beiden anderen 
Fällen, von welchen der eine als Coxa vara, der andere als intra¬ 
uterine Schenkelhalsfractur bezeichnet wird, ist die zeichnerische 
Wiedergabe der Bilder nicht geeignet, dem Leser eine bestimmte 
Vorstellung des Thatsächlichen zu verschaflFen. 

Weitere Fälle von echter congenitaler Coxa vara habe ich in 
der Literatur der Coxa vara nicht auffinden können; dagegen findet 
sich eine Anzahl in der Literatur des congenitalen Oberschenkel- 
defectes. So bieten meine beiden Fälle 2 und 5 (1. c.) zweifellos 
echte congenitale Coxa vara, dergl. der Fall von Joachimsthal 
und Feilchenfeld auf der einen Seite. Auch der Fall Grisson 
ist meines Erachtens eine Coxa vara, vielleicht auch der Fall Alt- 
mann*s. 

Was die zur Gruppe Ib gehörigen Fälle betrifft, so ist zu¬ 
nächst jener von Drehmann zweifellos sichergestellt. Ferner ist 
auch ein von Kirmisson beobachteter Fall zu nennen, den Mouchet 
und Aubion (1. c.) wie folgt beschreiben: une ^preuve radio- 
graphique montra, qu'il n'y avait aucune courbure anomale du col 
du f^mur, mais qu'il existait une incurvation ä concavitd interne 
de la diaphyse fämorale au voisinage du col. Die Beschreibung 
lässt wohl mit grosser Wahrscheinlichkeit den Schluss zu, dass auch 
dieser Fall in die Gruppe Ib einzureihen ist. 

Diesen beiden Beobachtungen kann ich nun ein, wie ich glaube, 
nach mancher Richtung hin interessantes Object anreihen. Es ist 
das Skelet einer 6 Monate alten, männlichen Frucht, welches das 


i)Zehnder, Centralbl. f. Chir. 1897. 

*) L. Kr edel, Centralbl. f. Chir. 1896. 

*) Kirmisson. 

Mouchet und Aubion, Gazette hebdomadaire de mädec. et de 
Chirurg. 1899. 


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304 


Max Reiner. 


Museum des Wiener pathologischen Institutes besitzt und sub Pr. 
Nr. 3338 als intrauterine Fractur führt ^). 

An diesem Objecte 
ist die linke untere Extre¬ 
mität wohlgebildet, die 
rechte dagegen um circa 
ein Dritttheil kürzer. An 
der Verkürzung nehmen 
sowohl der Oberschenkel, 
als auch der Unterschenkel 
Theil. 

Am Unterschenkel ist 
vor allem das Fehlen des 
Wadenbeines zu consta- 
tiren; es ist durch einen 
fibrösen Strang ersetzt, der 
von der Aussenfläche des 
Calcaneus zum Condjius 
ext. femoris führt. Die 
Tibia zeigt eine winkelige 
Abknickung mit dem Schei¬ 
tel nach vorne. Der Winkel 
schliesst ca. 130® ein. Die 
Knickungsstelle ist in 
der Mitte, resp. etwas mehr 
distalwärts gelegen, in der 
Concavität befinden sich die 
Haupternährungslöcher. 
Die Tibia ist an dieser Stelle 
im frontalen Durchmesser 
fiach gedrückt, im sagit- 
talen Durchmesser vergrössert, und die Convexität ist schneideartig 
zugeschärft. In seiner Continuität ist der Knochen nicht gestört. 
Die Zahl der Zehen beträgt bloss vier. 

Ich drücke an dieser Stelle dem Vorstande des Institutes, Herrn Eof- 
rath Prof. Weichselbaum, für die gütige Ueberlassung des Objectes zu 
Studienzwecken meinen besten Dank aus. 

*) Die Knickungsstelle ist auf dem Röntgenbilde wegen der perspectin- 
schen Verkürzung des distalen Schenkels nicht deutlich erkennbar. 



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Ueber die Beziehungen von congenitaler Coxa vara etc. 


305 


Das Kniegelenk ist normal entwickelt, hat jedoch verjüngte 
Querdurchmesser. Der frontale Durchmesser in der Höhe der Con- 
dylen beträgt an dieser Seite 13 mm, an der normalen 17 mm; der 
sagittale Durchmesser 9 mm gegen 12 mm. 

Der Femurknochen zeigt nun die uns hier interessirende De¬ 
formität. 

Derselbe weist nämlich eine Continuitätstrennung in der Regio 
subtrochanterica, an der proximalen Grenze der periostalen Ver¬ 
knöcherungszone auf. Diese Continuitätstrennung ist nun, wie deut¬ 
lich constatirt werden kann, und wie es auch das Protocoll des patho¬ 
logisch-anatomischen Institutes verzeichnet (das Präparat stammt 
aus dem Jahre 1875), mittelst Pseudarthrose verheilt. Die Pseud- 
arthrose befindet sich also an derselben Stelle, welche von mir als 
Locus niinimae resistentiae des Femur bezeichnet wurde, und welche 
mit jener Stelle identisch ist, an welcher Drehmann in seinem 
klassischen Falle die Abknickung mittelst des Röntgenverfahrens 
nach weisen konnte. Das Hüftgelenk, das im übrigen normal ent¬ 
wickelt, nur in seinen Dimensionen verjüngt erscheint, steht, wie 
sich aus dem Vergleiche mit der normalen Seite ergibt, deutlich in 
Varusstellung. 

Dieser Fall ist, wie ersichtlich, auch in die Gruppe Ib einzu¬ 
reihen und bietet einen weiteren Beleg für meine 1. c. aufgestellte 
Behauptung. 

Hinsichtlich der begleitenden Deformitäten möchte ich be¬ 
merken, dass Fibulamangel eine häufige Complication derartiger De¬ 
formitäten bildet; die einschlägige Literatur verzeichnet denselben 
überaus häufig. Die Minderzahl der Zehen und die Deformität der 
Tibia, die in meinem Falle ausserdem zu constatiren sind, stehen 
mit dem Fibuladefect in Zusammenhang. 


Zeitschrift für orthopiidische Chirurgie. Xll. B<1. 


20 


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XXI. 


(Aus dem Universitäts-Ambulatorium für orthopädische Chirurgie 
des Prof. A. Lorenz in Wien.) 

Die Tenodese, eine Fom partieller Arthrodese. 

Von 

Dr. Max Reiner, 

Assistenten des Ambulatoriums. 

Die Ankylosirung von Gelenken auf operativem Wege, welche 
von Albert unter dem Namen der Arthrodese in die Chirurgie ein¬ 
geführt worden ist, hat seit der Erfindung der Sehnentransplantation 
durch Nicoladoni einen ansehnlichen Theil ihres Indicationsgebiete* 
verloren. Die Transplantation ist das Normalverfahren bei der Be¬ 
handlung veralteter Lähmungen geworden, weil sie, in richtiger 
Indicationsbreite ausgeführt, den beiden wichtigsten Forderungen der 
Therapie paralytischer Contracturen, nämlich dem Ersätze verloren 
gegangener Function und der Verhütung paralytischer Deformitätn, 
am besten gerecht zu werden vermag. 

Naturgemäss gestaltet sich auch hier die Erreichung des thera¬ 
peutischen Zieles bei je grösserer Ausdehnung der Lähmung desto 
schwieriger und wird bei totaler Paralyse vollends unmöglich, 
wenigstens, insoweit der Ersatz verloren gegangener Function in 
Betracht kommt. Was die Verhütung der paralytischen Deformität 
betrifft, resp. die Sicherung einer guten Mittelstellung des Gelenkes 
nach dem Redressement, kann auch bei totaler Lähmung durch die 
Transplantation in Verbindung mit der Sehnenverkürzung unter Um¬ 
ständen eine Verbesserung erreicht werden. Doch wird die derart 
erzielte tendinöse Fixation des Gelenkes in der Regel nicht die ge¬ 
nügende Widerstandskraft gegen die weiter wirkenden, deformirenden 
Einflüsse aufzubringen vermögen. Die Gefahr, dass die verkürzten 
und selbst die durch Transplantation eines anderen gelähmten Muskels 
gestärkten Sehnen sich nachträglich wieder dehnen, ist um so grösser. 


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Die Tenodese, eine Form partieller Arthrodese. 307 

je mehr das betreffende Gelenk wieder auf Dehnung beansprucht 
wird, so dass in solchen Fällen selbst die mit Verkürzung com- 
binirte Transplantation der Arthrodese gegenüber minderwerthig er¬ 
scheinen muss. 

In dieser Lage befindet sich bei totaler Lähmung vor allem 
das Sprunggelenk, das sich, wie Vulpius betont, wegen des ihm beim 
Gehen zugemutheten unaufhörlichen Wechselspiels von Beugung und 
Streckung gewiss weniger zur Sehnenoperation eignet. Während 
hier demnach die Arthrodese ihr angestammtes Recht behauptet, 
,hemmt auf der anderen Seite die völlig gelungene Arthrodese gerade 
dieses Wechselspiel, das zum elastischen Gehen nothwendig ist“. 

Die Arthrodese bietet also, indem sie die complete Immobili- 
sirung der Gelenke nach allen Richtungen anstrebt, einen auch bei 
totaler Lähmung in die Wagschale fallenden Nachtheil, so dass der 
Wunsch, die Methode zu ändern, gewiss berechtigt erscheinen muss. 
Dann muss aber die neue Methode den Vortheil bieten, dass sie 
dem Gelenke alle übrigen Bewegungen gestattet und nur jene Be¬ 
wegung hemmt, welche den Weg zur Deformität, resp. die Rückkehr 
in den früheren Contracturzustand bedeutet. 

Nehmen wir nun an, wir hätten es, um beim früheren Beispiele 
zu bleiben, mit einem Pes equino-varus infolge totaler Paralyse zu 
thun und würden nach vollzogenem Redressement die Sehnen der 
Peronei, irgendwo in ihrem Verlaufe an der Hinterfläche der Fibula, 
mit dieser in irgend welcher Weise zu fester und unverrückbarer 
Verlöthung bringen. Dadurch wäre der proximal von der Verlöthungs- 
stelle' gelegene Antheil der Sehne sowie der zugehörige Muskel, der 
infolge der Lähmung ohnehin unthätig war, nun auch, in so ferne 
seine elastischen Kräfte in Betracht kommen, vollständig ausgeschaltet; 
der distale Antheil der Sehne jedoch würde infolge der Spannung, 
in welche er während der Anheftung versetzt wurde, wirksam bleiben; 
der Fuss würde demnach dauernd in einer Pronationsstellung ver¬ 
harren oder wäre wenigstens verhindert in Supinationsstellung zurück¬ 
zukehren. Das Sehnenstück, das jetzt diese Wirkung ausübt, führt 
von der Tuberositas metatarsi quinti direct zur Fibula, also von 
Knochen zu Knochen; es ist also eigentlich nicht eine Sehne ge¬ 
blieben, sondern ein Ligament geworden. Die Operation, die wir 
ausgeführt haben, hat sich nicht bloss auf ein Gelenk, sondern auf 
die meisten Fusswurzelgelenke erstreckt, ohne dass es nöthig war, 
eines von ihnen zu eröffnen; die Gelenke haben ihre Beweglichkeit 


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308 


Max Reiner. 


bewahrt, nur sind sie verhindert, in den Contracturzustand zurück¬ 
zukehren. 

Handelt es sich, wie im vorliegenden Beispiele, um eine Fuss- 
deformität, welche nicht bloss durch Varus-, sondern auch durch 
Equinusstellung Charakterisirt ist, so reicht man mit der Umgestal¬ 
tung der beiden Peronealsehnen zu Ligamenten nicht aus, sondern 
wird in gleicher Weise auch die Extensoren zu behandeln haben. 

Eine derartig ausgeführte Operation würde dem Wesen nach 
eine Art von Sehnenverkürzung sein, sich von dieser aber dadurch 
unterscheiden, dass man vom Muskel-Sehnen-Individuum denjenigen 
Theil vollkommen eliminirt, welcher durch die Paralyse am meisten 
von seiner Dehnungsfestigkeit eingebüsst hat, nämlich den degenerirten 
Muskel. Nur die Sehne selbst, resp. ein grösseres oder kleineres 
peripheres Endstück derselben ist zur Verwendung gekommen. 

Die Idee, das periphere Ende der Sehne aufsteigend an den 
Knochen zu fixiren, rührt von Tilanus^) her, der bereits 1808 die 
Sehne des Ext. halluc. aufsteigend am Periost des Talus fixirt hat, 
um die Qrosszehe gestreckt zu erhalten. 

Drei Jahre später, aber offenbar ohne Kenntniss des Tilanus- 
schen Vorschlages, sind Codivilla und sein Schüler Sangiorgi-) 
auf die gleiche Weise vorgegangen in der ausgesprochenen Absicht, 
die Sehnen zu Ligamenten umzugestalten und hierdurch die degene¬ 
rirten Muskeln von der Beanspruchung auf Spannung auszuschliessen. 

Das Verfahren ist aber nicht bekannt geworden und auch ich 
habe meine ersten Versuche ohne Kenntniss der einschlägigen Vor¬ 
arbeiten ausgeführt. 

Fragen wir, warum das in seiner Grundidee und in seiner 
Ausführung so einfache Verfahren keine Verbreitung gewonnen hat, 
so müssen wir einerseits den Umstand beschuldigen, dass die beiden 
Mittheilungen, welche das Verfahren skizziren, in schwer zugänglichen 
fremdsprachigen Zeitschriften erschienen sind. Schwerwiegender ist 
vielleicht das Moment gewesen, dass den Sehnen der gelähmten 
Muskeln die genügende Leistungsfähigkeit für die bei der tendinösen 
Fixation nothwendige Inanspruchnahme wahrscheinlich nicht zu¬ 
erkannt wurde. 

Es muss zwar zugegeben werden, dass die Sehnen gelähmter 

') Tilanus, Behandlung von Paralysen etc. Weckblaad voor Geneeak. 
1899, Nr. 23. Citiit nach Vulpius 1. c. 

Sangiorgi, G., La fissazione tendinea. Rivista di ortopedia 1901. 


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Die Tenodeae, eine Form partieller Arthrodese. 


309 


Muskeln, wenn durch Transplantation intacter Muskeln lebendige Kraft 
auf sie übertragen wird, in der Regel leistungsfähig werden und 
bleiben, und viele Autoren, welche principiell absteigend zur Sehne 
des gelähmten Muskels transplantiren, haben dieselben für eine 
solche Beanspruchung fast immer genügend dehnungsfest gefunden. 

Andererseits ist die Aufgabe, welche einer zu einem Ligamente 
umzugestaltenden Sehne zufällt, von einem anderen Gesichtspunkte 
zu betrachten als jene, welche sie bei der gewöhnlichen Transplan¬ 
tation als Vermittlerin der Arbeit des kraftspendenden Muskels zu 
leisten hat. Im letzteren Falle, wo zwischen den beiden Insertions¬ 
punkten am Knochen, dem centralen und peripheren ausser der 
Sehne noch der contractile Muskel eingeschaltet ist, wird eine nach¬ 
trägliche, nicht zu bedeutende Verlängerung der Sehne kaum erheb¬ 
lichen Nachtheil bringen, weil der gesunde Muskel bei seiner be¬ 
kannten Anpassungsfähigkeit dieselbe durch tonische, resp. nutritive 
Verkürzungen wieder wettzumachen vermag. Fehlt jedoch das con¬ 
tractile und elastische Zwischenglied, der Muskel, dann fehlt auch 
die Kegulirung der Sehnenspannung; dann bedeutet eine auch geringe, 
nachträgliche Verlängerung der Sehne eine Vergrösserung des Spiel¬ 
raums des Gelenkes nach der Seite der Deformität und damit eine 
Verschlechterung des Operationsresultates. 

Man kann sich am Cadaver in sehr einfacher Weise davon 
überzeugen, dass eine relativ geringfügige Verlängerung einer Sehne 
die Stellung des Fusses schon merklich beeinflusst. Der Grad der 
Beeinflussung ist freilich durch die Entfernung des Insertionspunktes 
der Sehne von der Achse des beinflussten Gelenkes bedingt, so dass 
beispielsweise der Tibialis anticus bei gleicher Verlängerung einen 
grösseren Ausschlag als etwa der Extensor hallucis gibt; aber in 
jedem Falle ist eine nachträgliche Verlängerung, deren Umfang im 
vorhinein nicht berechenbar ist, ein durchaus lästiges, aber mit 
eminenter Wahrscheinlichkeit zu erwartendes Ereigniss. 

Es bildet also die Verhütung der nicht berechenbaren, nach¬ 
träglichen Verlängerung des zum Ligamente umgestalteten Sehnen¬ 
stückes das Problem, welches gelöst sein muss, wenn das Verfahren 
die seiner Einfachheit und vielfachen Anwendbarkeit entsprechende 
Würdigung erringen soll. 

Es könnte sich aber die Lösung des Problems sehr einfach 
gestalten, wenn nicht gewisse später zu erörternde Umstände eine 
Complication schaffen würden; das Auskunftsmittel wäre die Ver- 


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310 


Max Reiner. 


Wendung der von Lange mit so grossem Erfolge in die orthopädische 
Chirurgie eingeführten Seidensehne. Wie aus dem literarischen 
Thatbestande hervorgeht, ist der einwandfreie Nachweis erbracht 
worden, dass ein starker, einerseits am Sehnenstumpf, andererseits 
subperiostal am Knochen verankerter Seidenfaden von Bindegewebe 
durchwachsen und umwachsen wird, dass dieses Bindegewebe im 
Laufe von Monaten eine derbe, sehnenähnliche Beschaffenheit annimmt 
und dass daraus eine durchaus functionstüchtige, „künstliche“ Sehne 
resultirt. Man hat auf diese Weise künstliche Sehnen von ganz 
respectabler Länge erzeugt. 

Es liegt nun der Gedanke nahe, sich dieses Verfahrens auch 
hier zu bedienen, in analoger Weise — unter Verzicht auf die vor¬ 
handenen Sehnen — einen starken Seidenfaden von Knochen zu 
Knochen zu führen und so den Grund für eine sich später anbildende 
neue Sehne, resp. für ein künstliches Ligament zu legen. Die richtige 
Wahl der Knochenpunkte am Fussskelete als periphere Insertions¬ 
stellen der künstlichen Bänder kann keinen Schwierigkeiten unter¬ 
liegen, nachdem Lange uns dieselben für die subperiostale Sehnen¬ 
transplantation genau kennen gelehrt hat. Wie diese Punkte dort 
dazu dienen, jede einzelne der Bewegungscomponenten des Fusses 
auszulösen und eine der normalen möglichst analoge Function vor¬ 
zubereiten, so würde auch hier ihre richtige Wahl die Erhaltung des 
Fusses in der gewünschten Correcturstellung gewährleisten. Noch 
weniger Schwierigkeiten könnte die Wahl der centralen Endpunkte 
für die künstlichen Ligamente bilden, dieselben sind offenbar am 
distalen, leicht zugänglichen Ende der Tibia oder Fibula, vorne oder 
hinten, aber möglichst oberhalb der peripheren Insertionspunkte zu 
finden. 

Wenn hier der Führung freier Seidenfäden das Wort geredet 
wurde, so geschah es, um das Princip zu charakterisiren. Pro praxi 
wird es wohl zweckmässiger sein, die Seidenfäden in bereits vor¬ 
handene fertige Sehnen mittelst der bekannten Lange'schen RaÖ- 
naht einzuflechten. Man gewinnt dadurch die Möglichkeit, vor¬ 
handenes Sehnenmaterial benützen zu können, ohne auf den Vortheil 
verzichten zu müssen, den Faden direct von Knochen zu Knochen 
zu führen und die Ansatzpunkte beliebig zu wählen. 

Ich habe in der letzten Zeit wiederholt Gelegenheit gehabt, in 
solcher Weise bei Erwachsenen, welche infolge totaler Lähmung 
Klumpfüsse acquirirt hatten, vorzugehen. Ich befestigte einen starken 


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Die Tenodese, eine Form partieller Arthrodese. 


311 


Seidenfaden in einem an der Tuberositas metatarsi V. angelegten 
Bohrloche, durchflocht mit beiden freien Enden die vorher central 
durchschnittene und aus ihrem Bette gehobene Sehne des Peroneus 
brevis und führte sie an die Vorderfläche der Fibula. Ein zweiter 
Faden wurde in gleicher Weise am Cuboideum fixirt, in der Sehne 
des Peroneus long. mittelst Durchflechtung hinter dem Malleol. ext. 
an die Hinterfläche der Fibula geführt und nun die beiden (doppelten) 
Seidenfäden in der später zu schildernden Weise durch ein sagittales 
Fibulabohrloch mit einander und an dieser fixirt. Die Stellung des 
Fusses war nun eine durchaus befriedigende, nur machte die Beuge- 
contractur der grossen Zehe noch eine Verkürzung der Sehne der 
Ext. halluc. long. nothwendig. 

Die Führung von Seidenligamenten ist aber in der Regel nur 
bei Erwachsenen oder nahezu Erwachsenen anzurathen und dies 
schafil die Complication, von welcher ich früher gesprochen habe. 
Bei jugendlichen Skelets werden nämlich die mit einander ligirten 
Knochenpunkte durch den Wachsthumprocess aus einander streben, 
ohne dass das Seidenligament, das von Knochen zu Knochen, bei 
Ausschaltung des contractil-elastischen und überdies mitwachsenden 
Muskels geführt ist, dieser Verlängerung Folge leisten könnte. 
Daraus könnten extreme Correcturstellungen resultiren, die man doch 
in der Regel nicht wünscht, und die man eventuell durch Tenotomie 
der künstlichen Sehne nachträglich zu beseitigen gezwungen wäre. 

Für Operationen an Kindern muss demnach bei möglichstem 
Ausschlüsse der Verlängerung des Ligaments durch Dehnung auf 
die Möglichkeit der Verlängerung desselben durch den Wachsthums- 
process Bedacht genommen werden. Ich glaube aber, dass man 
auch diesen, mit einander scheinbar in Widerspruch stehenden 
Forderungen gerecht werden kann, wenn man nicht das ganze zur 
Verwendung gelangende Sehnenstück mit Seide durchflicht, sondern 
nur ein grösseres oder kleineres Stück derselben. Man wird also 
den normalen peripheren Insertionspunkt der Sehne als solchen be¬ 
lassen und erst eine Strecke oberhalb desselben den Seidenfaden 
verankern, ihn dann aufsteigend mittelst der Raflfnaht in der Sehne 
weiter führen bis zu dem gewählten Insertionspunkte am Skelete 
des Unterschenkels. 

Die Operation, die ich nach dieser Methode wiederholt am 
Klumpfusse ausgeführt habe, gestaltet sich überaus einfach. 

Ein lateral am distalen Fibulaende geführter und am Malleolus 


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312 


Max Reiner. 


ext. nach vorne umbiegender Hautschnitt eröflFnet die Zugänglichkeit 
zum Operationsgebiete. Im proximalen Wundwinkel wird durch die 
Fibula ein sagittäl verlaufender nicht zu enger Kanal gebohrt und 
nun von der vorderen zur hinteren Oeffnung desselben ein horizon¬ 
taler Schnitt um die äussere Circumferenz der Fibula durch das 
Periost geführt und die Schnittränder desselben etwas zurück¬ 
geschlagen. Nun verankert man einen Seidenfaden in den Sehnen 
der Peronei, die man zusammennimmt, etwa in der Höhe des Os 
cuboideum, durchflicht dieselben bis zum Retinaculum, wo man den 
Faden mittelst einer Aneurysmanadel um den Malleolus herumführt, 
und durchflicht nun neuerdings die beiden Peronealsehnen bis zu 
einem 2—3 cm unterhalb des Bohrloches gelegenen Punkte. 

Einen zweiten Seidenfaden verankert man am Fussrücken in 
den bereits getheilten Sehnen des Extensor communis, die man zu¬ 
sammenfasst, event. unter Hinzuziehung des Extensor hallucis, uud 
geht nun gleichfalls aufsteigend vor, indem man die Sehnen durch- j 
flicht und nur zur Schonung des Lig. cruciatum eine Aneurysma- i 
nadel benützt. Auch vorne verlassen die beiden Fadenenden die ! 
Sehnen 2—3 cm unterhalb des Bohrloches. 

Nun führt man die beiden freien Enden des Peronealfadens 
durch den Bohrkanal nach vorne, jene des Extensorenfadens auf 
demselben Wege nach hinten und knotet die beiden Fadenpaare 
unter entsprechender Anspannung derart zusammen, dass 
die Schlinge an die laterale Fläche der Fibula, in die vom Periost 
entblösste Rinne zu liegen kommt. Darüber legt man das Periost 
wieder lose zusammen. Hat man es vorgezogen, anstatt des einen 
lateralen Schnittes an der Fibula deren zwei anzulegen, einen vorne, 
den zweiten hinten an der Fibula, so entfällt diese Periostrinne; 
man führt dann die Schlinge aus dem Bohrkanal in einen zwischen 
Knochen und Periost mittelst des Raspatoriums geführten Tunnel 
zurück, knüpft also subperiostal. Nach Versorgung der Hautwunde 
wird ein Gipsverband in corrigirter Stellung angelegt, der länger 
liegen bleiben soll als bei der gewöhnlichen Transplantation, also 
ca. 10—12 Wochen. 

Ein Urtheil über die Dauerresultate, welche durch diese 
Operationsraethode erzielt werden, ist wohl erst nach Jahren möglich 
und über eine Erfahrung, die sich auf Jahre erstreckt, verfüge ich 
nicht. Jedoch haben mich meine bisherigen, sich allerdings erst auf 
monatelange Beobachtung erstreckenden Erfahrungen, sowie die ein- 


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Die Tenodese, eine Form partieller Arthrodese. ;]13 

fachen Prämissen der Methode bewogen, dieselbe den Fachcollegen 
zur Nachprüfung vorzulegen. 

Für diese Methode der Operation an paralytischen Gelenken, 
welche gewissermassen zwischen der Arthrodese und der Sehnen¬ 
verkürzung steht, möchte ich die Bezeichnung Tenodese vorschlagen. 
Dieselbe gestattet in ähnlicher Weise wie die Sehnentransplantation 
reichliche Combinationen und ich will im Anhang auf einige der¬ 
artige Combinationen hinweisen, welche ich demnächst auszuführen 
gedenke, über welche mir daher persönliche Erfahrungen bis jetzt 
nicht zur Verfügung stehen. 

So werden beim paralytischen Plattfuss in derselben Weise, 
wie früher beim paralytischen Klumpfusse, Endstücke von Sehnen 
zu Ligamenten umzugestalten sein, und zwar erscheinen hier die 
Sehnen der beiden M. tibiales als die geeignetsten. 

Besonders vortheilhaft dürfte sich die Tenodese beim para¬ 
lytischen Pes calcaneus gestalten. Ist doch der Ersatz des mächtigen 
M. triceps surae eine auch dann kaum zu lösende Aufgabe, wenn 
selbst die Mehrzahl der übrigen Unterschenkelmuskeln erhalten ist. 
In solchen Fällen würde die Herstellung einer festen Verbindung 
zwischen Fersenhöcker und den Unterschenkelknochen sicherlich 
grossen Vortheil bringen. Es wäre also das Endstück der Achilles¬ 
sehne derart zu verwenden, dass man es in zwei Portionen an die 
Hinterfläche von Tibia und Fibula anheftet. Hier würde sogar die 
Durchflechtung der beiden Portionen mit Seide, resp. die Führung 
von freien Seidensehnen vom Fersenhöcker zu beiden Unterschenkel¬ 
knochen selbst bei jugendlichem Skelet als geeigneter Eingriff er¬ 
scheinen. Denn das infolge des Wachsthumsprocesses nothwendiger¬ 
weise sich einstellende Auseinanderrücken der beiden Fixpunkte 
wird durch die straffe Verbindung derselben gehindert. Die hieraus 
resultirende Zugcomponente würde nun, denke ich, nicht anders als 
durch Hebung des gesenkten Fersenhöckers (Pes calcaneus) zur 
Geltung gelangen, also im Sinne der allmählichen Correctur der 
Deformität wirken. 


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XXII. 


(Aus der Breslauer chirurgischen Klinik des Geh. Medicinalraths 
Prof. Dr. V. Mikulicz-Radecki.) 

Fehlerhafte Eeimanlage als Entstehnngsursache 
angeborener Fass-, Hand- und Schädelverbildnngen, 
insbesondere des Elumpfusses und des Schrägkopfes. 

Von 

Dr. Georg Schmidt, 

Oberarzt im Königin Augusta-Garde-Gren.-Regt. Nr. 4, komm, zur Klinik. 

Mit 10 in den Text gedruckten Abbildungen. 

In dem erklärlichen Bestreben, das dunkle Gebiet der Miss¬ 
bildungen des neugeborenen Kindes nach der ätiologischen Seite hin 
mehr und mehr zu erhellen, ist die neuere Forschung bemüht, un¬ 
gewisse Vorstellungen durch sichere physiologische und pathologische 
Vorgänge zu ersetzen und aus Causalitätsbedürfniss „das Gebiet der 
endogenen Missbildungen, deren Entstehung wir ohne das Rechnen 
mit ganz Unbekannten nicht begreifen können, möglichst ein¬ 
zuschränken“ ^). So eroberte sich auch in der Ursprungsgeschichte 
des angeborenen Klumpfusses der leichtfassliche Begriff der intra¬ 
uterinen Belastung ein immer grösseres Feld. Dass er für die weit¬ 
aus überwiegende Zahl dieser congenitalen Deformitäten zu Recht 
besteht, ist heute die allgemein verbreitete Ansicht. Nur Julius 
Wolff*) lässt lediglich für sehr seltene und atypische Fälle die 
äussere mechanische Druckwirkung als secundäre Entstehungs¬ 
ursache zu. Mag man auch nicht diesen weitgehenden Standpunkt 
theilen, so muss man doch davor warnen, unterschiedslos alle Fälle 

*) Kümmell, Die Missbildung der Extremitäten durch Defect, Ver¬ 
wachsung und üeberzahl. Bibliotheca med. Abth. E Heft 3. 

*) Julius Wolff, üeber die Ursachen, das Wesen und die Behandlung 
von Klumpfüssen. Herausgegeben von G. Joachimsthal. Berlin 1903. S. 74. 

Zeitschrift für orthopildisehe ( hinirgie. XII. Bd. 21 


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316 


Georg Schmidt. 


in den Rahmen der Theorie „ unbegründeter hypothetischer Betrach¬ 
tungen“ (J. Wolff) einzuzwängen und ihnen zuliebe gekünstelte 
Erklärungsversuche auch auf solche Beobachtungen anzuwenden, bei 
denen andere begleitende Umstände den Gedanken an eine ursprüng¬ 
liche fehlerhafte Keimanlage viel natürlicher erscheinen lassen. Zwar 
ein Fortschritt in der Naturerkenntniss sind die Theorien der endo¬ 
genen Hemmung nicht ^). Für ihr Wesen fehlt uns eben bisher 
noch die sichere Stütze anatomischer und klinischer greifbarer Be¬ 
funde. Indessen wird »ein Factum darum nicht unwahrscheinlicher, 
dass es sich unserer Kenntniss entzieht“ ^). Die Unzulänglichkeit 
unseres Wissens allein ist kein Grund, den ganzen Begriff fallen zu 
lassen, und so findet er denn neuerdings, auch für andere Miss¬ 
bildungen, wieder Verfechter®). Zu seiner Stütze einige Beobach¬ 
tungen beizutragen, die vielleicht auch durch ihre Seltenheit Interesse 
wachrufen, ist der Zweck dieser Arbeit. 

Der primär angeborene, idiopathische Klumpfuss — eine sehr 
kleine Gruppe nach Nasse-Borchardt, die überwiegende Mehrzahl 
nach Julius Wolff — beruht entweder auf von vornherein falscher 
Keimanlage der den Fuss zusammensetzenden Theile, d. h. der 
Neigung des ganzen Fusses, sich von vornherein in fehlerhafter 
Richtung zu entwickeln und zu wachsen^); oder die Keime einzelner 
die Fussbildung beeinflussender Gebilde sind fehlerhaft angelegt und 
erzielen so als unmittelbare Folge auch eine falsche Entwickelung 
der ursprünglich richtigen Fussanlage. Während Julius Wolff 
diese Genese nur für »wenige atypische“ Fälle zulässt, müssen nach 
Ziegler und Bessel Hagen hierher die als primär fehlerhafte 
Anlage zu bezeichnenden Vorkommnisse, das Fehlen der Tibia, eines 
oder mehrerer Fusswurzelknochen, und die »inneren Bildungshem¬ 
mungen“, Bildungsfehler der Musculatur oder Verlagerung ihrer An¬ 
sätze wie derjenigen der Bänder, frühzeitige Ausbildung des Fibula- 

') Peiser, lieber die Ursachen des angeborenen Klumpfusses. In.-Diss. 
Breslau 1902. 

2) Perthes, üeber Spalthand. Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 63 S. 14ö. 

•) Nasse-Borchardt, im Handbuch der prakt. Chir. 2. Aufl. 4. Theil. 
S. 972. — Julius Wolff, Perthes a. a. 0. — 0. Bürger, üeber einen Fall 
seltener Missbildung (Hemignathie). Arch. f. Gyn. 1903, Bd. 68 Heft 2. 

*) Julius Wolff a. a. 0. S. 57 u. 66. — Ziegler, Lehrbuch der allgem. 
patholog. Anatomie 1892, S. 409. 

*) Bessel Hagen, Die Pathologie und Therapie des Klumpfusses. 1. 
Heidelberg 1899, S. 27 ff. 


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Fehlerhafte Keimanlage etc. 


317 


Calcaneusgelenkes gerechnet werden. Es wäre indessen wohl denk¬ 
bar, dass solche Missbildungen nicht den Elumpfuss erzeugen, son¬ 
dern ihn nur begleiten, als Ausflüsse derselben dunklen Ursache, der 
fehlerhaften Anlage ^). Dagegen zählen wir zweifellos zur erst¬ 
genannten Art zunächst diejenigen Fälle, bei welchen keinerlei Hin¬ 
weise auf von der Regel abweichende Vorgänge während des Fötal¬ 
lebens, wohl aber gleich bei der Geburt noch andere Fehler vor¬ 
handen sind, die ebenfalls nicht auf äussere oder innere greifbare 
Ursachen während der intrauterinen Entwickelung, sondern ihrem 
Wesen nach auch auf ursprünglich falsche Anlage zurückgeführt 
werden können. Das Zusammentreffen solcher primären 
Missbildungen ist deshalb in ätiologischer Beziehung von grösster 
Bedeutung. Allerdings sind hier alle die häufigen Klumpfussfälle 
auszuschalten, die zwar durch mehrfache andere, aber — wenigstens 
nach der heute zumeist getheilten Ansicht — erst intrauterin er¬ 
worbene Körperfehler complicirt sind. 

Ferner wird die vielfach nachgewiesene Vererbung des Klump- 
fusses^) mit Nachdruck für die Annahme der primären Keimabwei¬ 
chung ins Feld geführt. Auch KümmelP) erklärt vererbte Miss¬ 
bildungen für zweifellos endogene. Doch ist auch hier eine Ein¬ 
schränkung zu machen. Es ist nicht unbedingt erforderlich, dass die 
falsche Klumpfussanlage als solche übertragen wird. Es könnte sich 
ebenso gut die äussere schädigende Ursache, also z. B. die Neigung 
zu intrauterinen Störungen, zu Spina bifida, zu fötalen centralen und 
peripheren Erkrankungen, vererben. In diesem Falle wird die 
ursprünglich richtige Fussanlage durch die vererbten gleichsinnigen 
Schädlichkeiten jedesmal in die falsche Richtung gedrängt. Es wer¬ 
den nur die äusseren Momente vererbt^). Wird ferner der Klumpfuss 
zwar bei Geschwistern, sonst aber nicht weiter in deren As- oder 
Descendenz beobachtet, so könnte er sehr wohl durch die gleiche 
zufällige schädigende äussere Ursache des Mutterleibes entstanden sein. 


’) Julius Wolff a. a. 0. S. 50. 

*) Bessel Hagen a. a. 0. — Nasse, Deutsche Chirurg. Liefg. 6G, 1. 
— Peiser a. a. 0. S. 15. — Kirmisson, Revue d’orthop. 1894, Nr. 1 und 
1S98, Nr. 5. — Tappert, Münchener medic. Wochenschr. 1893, S. 342. — 
Vulpius, Deutsche Zeitschr. f. orth. Chir. 189G, S. 27. — Julius Wolff a. a. 0. 
S. 54. — Borchardt, Deutsche medic. Wochenschr. 1903, Vereinsbeilage S. 89. 
3) a. a. 0. S. 61. 

Perthes a. a. 0. S. 143. 


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318 


Georg Schmidt. 


Häufig haben KlumpfQssige unter ihren näheren Verwandten 
andere angeborene Missbildungen zu beklagen, nach Rosenfeld’s^) 
Statistik in 9^/o aller Fälle. Auch hier ist indessen eine genaue 
Sichtung der verschiedenen Fehler nöthig. Für die vorliegende 
Frage der primären Keimabweichung sind nicht zu verwerthen alle 
secundären Störungen, die die Folge einer erst während des intra¬ 
uterinen Lebens einsetzenden Schädlichkeit sein können. Nur wenn 
sich diese Ursachen bei missgebildeten Verwandten ausschliessen 
lassen, nur dann kann man mit Sicherheit das Zusammentreffen solcher 
Missbildungen in der Familie für die Annahme des Keimfehlers ver¬ 
werthen. 

Zu den secundär angeborenen Klumpfüssen rechnen einmal die 
endogen entstehenden, bei denen im wachsenden Fötus selbst eine 
die Fussentwickelung schädigende Ursache auftritt, indem dem nor¬ 
malen Aussendruck die erkrankenden, z. B. fötal rhachitischen Kno¬ 
chen ungenügenden Widerstand leisten oder die central oder peripher 
gelähmten Glieder und in abnormer Stellung sich fixirenden Gelenke 
nicht genügend ausweichen, oder indem Missbildungen, Verdopp¬ 
lungen dem Körper die nöthige Beweglichkeit rauben. Die andere 
Gruppe verdankt exogenen Ursachen, wie Fruchtwassermangel, Am¬ 
nioneinschnürung, Deformitäten des Mutterleibes ihre Entstehung. 

In vielen Fällen ist die Entscheidung, ob primärer Keimfehler 
oder eine secundäre Belastungsdeformität vorliegt, nicht sicher zu 
treffen. Bes sei Hagen rechnet zu den Bildungshemmungen die 
durch gleichzeitigen Radiusdefect und Klumphand complicirten Fälle 
von Klurapfuss -). Doch ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu 
weisen, dass der Radiusdefect an sich schon aus einer mangelhaften 
Anlage hervorgeht und dass diese demnach auch für den Klumpfuss 
verantwortlich sei. Andererseits glaubt Nasse bezüglich eines grossen 
Theiles der primären Klumpfüsse Bessel Hägens, worunter dieser 
die mit angeborenem Defect der Tibia und die mit Verminderung 
der Zehenzahl bei sonst wohl gebildetem Körper einhergehenden ver¬ 
steht, dass auch hier eine Bildungshemmung im Spiele sei. Schliess¬ 
lich erscheint auch eine äussere Ursache, z. B. intrauteriner Druck, 

*) Zeitschr. f. orth. Chir. 1902, Bd. 10 Heft 3. 

2) a. a. 0. S. 33. 

*) Ziegler rechnet die ßildungshemmung, sofern sie auf inneren Ent- 
wickelungsstorungen, nicht auf äusseren Ursachen beruht, zu den primären 
Missbildungen. 


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Fehlerhafte Keimanlage etc. 


319 


sofern man sein Vorhandensein für die frühe Zeit überhaupt zulässt, 
zu der die Extremitäten sich gliedern und der Embryo erst einen 
sehr kleinen Theil des Eiinhalts ausmacht'), in der That geeignet, 
nicht nur die Zehen zu verkümmern, sondern auch den ganzen Fuss 
im Sinne der Elumpbildung zusammenzuquetschen. Andererseits sind 
selbst Schnürfurchen u. dergl. nicht unbedingt beweisend für die 
secundäre Entstehung der Deformität. Julius Wolff ‘0 betont als 
erster, dass sehr wohl die falsche Keimanlage bereits bestanden und 
die Uteruswand nachträglich an den hervorragendsten Stellen des 
Klumpfusses ihre Spuren hinterlassen haben kann. Auch die viel 
benützten Angaben über Fruchtwassermangel oder -Ueberschuss be¬ 
dürfen vorsichtiger Abwägung. Keller-^) z. B. beobachtete bei 
einem Kinde drei Druckmarken, Ankylosen zahlreicher Gelenke, 
Anlagerung des einen im Knie gestreckten Beines an den Rumpf, 
Klumpfuss, obwohl Hydramnion bestand und die sicherlich früher 
vorhandene Raumbeengung völlig verschleierte. 

Nach dieser kurzen üebersicht, welche die heute am meisten 
getheilten Anschauungen wiedergibt, überwiegen in der Aetiologie 
des Klumpfusses bei weitem die secundären Schädlichkeiten, und der 
Einfluss der primären Keimabweichung tritt erheblich in den Hinter¬ 
grund. Bei der Seltenheit einschlägiger Fälle möchte ich einige 
Beobachtungen aus der v. Mikulicz’schen Klinik mittheilen, die 
mir für diese Frage nicht ohne Interesse zu sein scheinen. 

Zunächst die Krankengeschichten. 

1. J. L., Journ.-Nr. 644, 1902, vorgestellt in der orthopädischen Poli¬ 
klinik am 8. Juli 1902, 2 Jahre 10 Wochen alt, das vierte Kind einer sehr starken, 
gesunden, russischpolnischen, jüdischen Fabrikarbeitersfrau. Seiner Geburt gingen 
unmittelbar drei Fehlgeburten vorauf. Im Anschluss an die letzte wurde von 
zwei Aerzten eine geburtshilfliche Operation vorgenommen, über die ich nichts 
Näheres erfahren konnte. Ein fünftes Kind ist vor V* Jahre geboren. — Die 
Geburt unseres Patienten beendigte der Arzt mit der Zange und machte gleich 
darauf den Vater auf den rechten Klumpfuss und die rechte Zehenüberzahl des 
Neugeborenen aufmerksam, lieber irgend welche sonstige Störungen in der 
Schwangerschaft, auffälligen Fruchtwassermangel oder dergleichen weiss der Vater 
nichts anzugeben. — Der kräftige Knabe hat sich bisher normal entwickelt. 
Rechter typischer hochgradiger angeborener Klumpfuss. Beim Stehen berührt 


*) Julius Wolff a. a. 0. S. 29. 

*) a. a. 0. S. 36. 

*) Zur Aetiologie angeborener Klumpfüsse und Gelenkcontracturen. Arch. 
f. Gyn. Bd. 67 Heft 2. 


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320 


Georg Schmidt 


seine äussere Kante den Erdboden; die innere ist nach oben gerichtet und zeigt 
etwa in ihrer Mitte eine erhebliche Einsenkung. Keine Hautnarben oder Druck- 
marken. Ausser fünf den entsprechenden linken Zehen in Anordnung und Stellung 
völlig entspreehenden Zehen findet sich eine lateralwärts abstehende (abdncirte) 
und mit dem Nagelblatt nach aussen stehende (supinirte) sechste Zehe, die an 
Grösse der fünften gleichkommt. Der Vorderfuss scheint daher nach vom zu 
quadratisch abzuschneiden; seine Adductionsstellung gegen den hinteren Theil 


Fig. 1. 



des Klumpfusses wird dadurch etwas maskirt. Der fünfte Metacarpus ist dem 
Tastbefunde nach anscheinend nur einfach vorhanden und steht etwa in der 
Längsachse des Fusses, mehr nach der fünften, als nach der sechsten Zehe zu. 
— Am übrigen Körper findet sich als einzige sonstige Abweichung hinten am 
Uebergang der Crista ossis ilei in die Symphysis sacro-iliaca beiderseits sym¬ 
metrisch von der Mittellinie entfernt je eine fast linsengrosse, bräunlich ver¬ 
färbte, tief eingezogene Delle, in der man rechts noch deutlicher wie links durch 
die verdünnte Haut hindurch unmittelbar den darunter liegenden Knochen fühlt. 

Es wurde in Aethemarkose die Achillotenotomie und die Redression des 
Klumpfusses ausgeführt. 

Am 9. September 1902 erhielt ich beim Wechsel des Gipsverbandes das 
beigegebene Röntgenbild (F'ig. 1). Es sind demnach im rechten Fuss fünf Meta- 
carpen vorhanden. Der fünfte erscheint, besonders distalwärts, etwas stärker 
ausgebildet wie der entsprechende linke. Von seinem Köpfchen gehen die 


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Fehlerhafte Keimanlage etc. 


321 


fünfte und sechste Zehe aus. Die erstere entspricht der Richtung, der Gestalt 
und der Gliederung in drei Phalangen nach durchaus dem Bild der rechten und 
linken zweiten bis vierten Zehen. So enthält das Grundglied proximal eine 
kleine Epiphjsenscheibe. Diese fehlt dagegen am Grundglied der sechsten Zehe, 
welche dadurch sowohl wie durch ihre Stellung und Gestalt durchaus der fünften 
linken ähnelt. Dagegen enthält sie nur zwei Enochenlagen, die des Grund¬ 
gliedes und eine davon durch eine Weichtheillücke getrennte distale, die dem 
Vorhandensein des Nagelblattes nach als Endglied anzusprechen ist. Im übrigen 
zeigt das Knochengerüst des redressirten rechten Klumpfusses nur noch wenig 
Unterschiede gegen links. — Die Stellung des Fusses mit corrigirter Supination 
und Adduction war äusserlich eine sehr zufriedenstellende, ln den Maassen be¬ 
standen noch folgende Unterschiede: 

Rechts Links 

Vorderer querer Fussrand (Verbindungslinie der Zehenspitzen) 7,3 cm 6,5 cm 
Innerer Fussrand (Achillesferse bis Grosszehenspitze) ... 11 , 14 , 

Die Maasse beider Ober- und Unterschenkel waren völlig gleich. 

Der Knabe wurde uns erst Ende October 1902 wieder vorgestellt. Der 
Gipsverband war durch getreten. Der in guter Stellung befindliche Fuss wurde 
mit der vollen Sohle aufgesetzt und zeigte nur im vordersten Theile noch eine 
geringe Adduction. Patient wurde mit einem Klumpfussapparat nach Hause 
entlassen und hat sich seitdem nicht wieder gezeigt. 

2. H, M., Journ.-Nr. 874, 1902/03, 2 Jahre alt, Auszüglerssohn aus Nieder¬ 
schlesien. — Nach ärztlichem Bericht litt der Vater vor längeren Jahren an 
grosser Nervenschwäche und Schlaflosigkeit und krankt jetzt noch an lebhaften 
choreatischen Gesichtszuckungen, während die Mutter häufig von starkem Kopf¬ 
schmerz geplagt wird und während der Schwangerschaft als Wäscherin vielfach 
schwere Lasten gehoben und getragen hat. Sonst nichts Abnormes in der Ver¬ 
wandtschaft. — Voraufgegangen sind sechs Schwangerschaften. Die ersten beiden 
(7 Monats-) Kinder starben bald; das zweite soll im Gesicht schief gedrückt 
gewesen sein (Kopfgeschwulst?). Das dritte Kind wurde angeblich von der 
Hebamme gewendet und in Steisslage todt zur Welt gebracht. Das vierte, zur 
rechten Zeit geboren, lebt und ist gesund. Ebenso das fünfte, von selbst in 
Steisslage geborene, dessen Nachgeburt vom Arzt entfernt wurde. Dann folgte 
eine Fehlgeburt im 3. Monat, dieser die Geburt unseres Patienten im 7. Monat 
in Schädellage. Sie dauerte etwa 12 Stunden und verlief normal, mit reich¬ 
lichem Abgang von Fruchtwasser. Nur die Nachgeburt musste wieder vom Arzt 
entfernt werden. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass kein enges Becken 
vorlag. — Gleich nach der Geburt bemerkten die Eltern eine falsche Stellung 
der Hände und Füsse und zeigten sie am 4. Tage dem Arzt. Dieser redressirte 
später die Hände und legte sie in Gipsverband; ferner corrigirte er nach Durch- 
Bchneidung der Achillessehnen die Klumpfüsse unter hörbarem Krachen und 
gipste sie ein. Beide Eingriffe hatten keinen bleibenden Erfolg. — Geistig ent¬ 
wickelte sich das Kind gut, körperlich etwas langsamer. Die Zähne brachen 
am Ende des 1. Lebensjahres durch; damals begann das Kind zu sprechen, 

^ 4 Jahr später zu laufen. 


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322 


Georg Schmidt. 


Befund bei der Aufnahme 8. September 1902: Mässig kräftiger Knabe, 
der noch nicht laufen, nicht allein stehen kann. Der horizontale Schädelumfang 
sehr gross, in Höhe der Stirnhöcker 48 cm. Wenn der Knabe stehend gehalten 
wird (Fig. 2) oder sitzt oder liegt, so berühren die äusseren Fussränder den 
Erdboden; die Fusssohlen kehren sich medialwärts und nach hinten einander 
zu; die Fussrücken sehen dagegen nach vorn und stehen nahezu in der Frontal- 

ebene. Die Arme hängen an der Brust herab und 
sind im Ellenbogengelenk schwach gebeugt. Die 
Hände sind äusserst pronirt, rechtwinklig gegen 
die Unterarme nach hinten und aussen abgeknickt 
und wenden die Daumenseite nach unten und den 
Rücken nach vom. Die Hohlhand sieht nach hinten, 
oben und aussen. Kleinfingerballen sehr stark, 
Daumenballen äusserst schwach entwickelt. Der 
Daumen ist für gewöhnlich in die Hohlhand und 
zwar meist zwischen den zweiten und dritten 
Finger eingeschlagen. Der dritte bis fünfte Finger 
liegen einander nn; der zw'eite steht etwas davon 
ab und sieht mehr nach unten. Die Endglieder 
der Finger leicht gebeugt. Sie lassen sich in den 
Metacarpophalangealgelenken völlig beugen und 
bis zum rechten Winkel gegen die Handrücken¬ 
fläche überstrecken, mit hörbarem Luxations¬ 
geräusche an den Daumen. Die Hand kann dorsal- 
und radialwärts nur bis in die geradlinige Ver¬ 
längerung des Unterarmes gebracht, volar- und 
ulnarwärts dagegen an seine Beuge* und Ellen¬ 
bogenseite ganz angelegt werden. Dabei prägt 
sich über dem Proc. styl, ulnae eine tiefe Haut¬ 
furche aus. — Im Cubitalgelenke keine Abw^eichung. — Beide Oberarmköpfe 
stehen sicht- und fühlbar nach hinten heraus. Bewegungen im Schulter¬ 
gelenk passiv frei. Sobald die Arme nach hinten über die Schulterhöhe 

erhoben oder aus der Frontalcbene nach rückwärts gedrückt werden, schnappen 
die Gelenkköpfe in die Pfanne, um bei der Bewegung der Arme nach vom 
sofort wieder nach hinten herauszutreten. — Beide Schlüsselbeine sind in 
ihren Gelenken mit dem Brustbein auffällig beweglich. — Die Prüfung mit 
dem faradischen Strom ergibt anscheinend das Vorhandensein aller Muskeln; 
nur Supinator long. und Kxtensor carpi rad. fehlen ganz. Die Deltoidei 
reagiren schw^ach und sind, ebenso wie ein Theil der anderen Schultermuskeln, 
durch die Verschiebung des Oberarmes nach hinten in ihrer Wirkung beein¬ 
trächtigt. — Im Köntgenbilde (Fig. 3) sind alle Armknochen vorhanden; selbst 
die leichte Verkrümmung des Radius überschreitet nicht das gewöhnliche Maass. 
— Beide Beine gleich lang. Hüftgelenke normal. Die Kniee lassen sich etwas 
über 180® hinaus überstrecken, ünterschenkelmusculatur beiderseits schwach 
entwickelt. Typische angeborene hochgradige Klurnpfüsse mit stark ausgebildeter 
innerer Sohlenfurche. Die Fusswurzelknochen. zumal das Cuboid, treten unter 
dem äusseren Knöchel, besonders links stark hervor. Links hinten über dem 



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Fehlerhafte Keimanlage etc. 323 

Fersenhöcker eine eingezogene, mit der sehnigen Unterlage verwachsene Haut¬ 
narbe, anscheinend von der früheren Tenotomie herrührend. — Faradisch ist 
die Musculatur der Oberschenkel mässig, die der Unterschenkel schwach erregbar. 


Fig. 8. 



12. September 1902. In Aethernarkose manuelle Redression der Klump- 
füsse, die in der neuen Stellung durch Heftpflasterstreifen festgehalten und in 
einen Pappsohlengipsverband gelegt werden. 

26. September. Seit 6 Tagen Laufversuche. Entlassung im Gipsverband. 

13. November 1902. Wiedervorstellung. Der Knabe ist zu Haus gut ge¬ 
laufen. Abnahme der sehr verunreinigten Gipsverbände. Die Fussstellung aus¬ 
gezeichnet. Die Sohlen berühren den Boden. Anlegung von Klumpfussschienchen. 
Die Klumphändchen werden durch abnehmbare dorsale Celluloidhülsen in gerad¬ 
liniger Verlängerung der Unterarme fixirt. 


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324 


Georg Schmidt. 


3. Januar 1903. Wiedervorstellung. Die Füsse stehen gut. Elektrische 
Reaction der Cucullares deutlich, der Delt. und Peronei undeutlich, am Supi¬ 
nator long. und Extensor carpi rad. bds. nicht zu erzielen. 

9. Mai 1903. Wiedervorstellung. Der Knabe läuft gut, greift auch mit 
den Händchen zu. Diese nehmen indessen nach Entfernung der Celluloid- 
schienchen sofort ihre oben geschilderte pathologische Stellung wieder ein. 
Die Celluloidhülsen werden weiter verordnet, um bis zu einer für später in 
Aussicht genommenen Sehnenplastik secundären Contracturen vorzubeugen. 
Elektrische Nachuntersuchung in der üniversitätsnervenpoliklinik: Schwäche des 
Biceps, der Rhomboidei und Cucullares; es fehlen völlig beiderseits 
Supinator longus und Extensor carpi radialis; an den Beinen kein 
Muskeldefect; daher die Klurapfüsse nicht myogenen Ursprunges; 
keine Entartungsreaction; alle überhaupt erregbaren Muskeln 
reagiren normal. 

3. A. L., Journ.-Nr. 582, 1901, geboren 1. Mai 1901 ohne Kimsthilfe in 
Schädellage bei reichlichem Abgang von Fruchtwasser. Ein älterer Bruder lebt 
und ist gesund. Ein weiteres Kind ist während der Geburt in Steisslage ab¬ 
gestorben. Eltern und sonstige Verwandte frei von Missbildungen und Krank¬ 
heitsanlagen. Die Mutier will sich durch einen Fall im 3. Schwangerschafts¬ 
monat am rechten Unterleib, nach dem zu, laut Angabe der Hebamme, das Kind 
gelegen haben soll, verletzt haben. Am Neugeborenen fiel sofort der rechte 
Klumpfuss, sowie eine Schiefheit des Kopfes, später auch ein Zurückbleiben 
des rechten Daumens auf. 

8. Juli 1901. Vorstellung in der orthopädischen Poliklinik. Angeblich 
sitzt der Knabe seit der Geburt mit angezogenera, stark nach aussen rotirtem 
rechten Bein, mit gebeugtem rechten Knie- und Hüftgelenk, so dass der rechte 
Fuss der linken Hinterbacke und der Hinterseite des linken Oberschenkels an¬ 
liegt; das linke Bein werde dabei fast gestreckt gehalten. — Befund: Rechts 
unschwer corrigirbarer Pes equinovarus congen. mit stark ausgeprägter Sohlen¬ 
furche am inneren Fussrand. Keine Druckmarken. Rechter Unterschenkel etwas 
gebogen. 

Im 1. Lebensjahre Massage des Klumpfusses. 

3. April 1902. In Narkose manuelle Redression und Uebercorrection: 
Heftpflasterzüge; Pappsohlengips verband. 

8. Juli 1902. Verbandwechsel. 

13. September 1902. Gipsverband durch Schienenapparat ersetzt. Dabei 
erhob ich folgenden genaueren Befund: Klumpfuss gut redressirt (Fig. 4). 
Deutliche Verkleinerung des rechten Daumens, dessen Mittelhandtheil 2,4 cm 
(gegen 2,8 cm links), dessen beide Fingerglieder 1,8 (gegen 2,4 cm links) messen. 
Der Daumen liegt meist dem zweiten Finger an. Seine Rückseite, die von 
furchenloser, ganz glatter Haut bekleidet ist, steht in derselben Ebene wie die 
der anderen Finger. Die active Abduction erscheint beschränkt. Der Daumen¬ 
ballen ganz atrophisch. Die Eltern geben an, dass der Knabe Gegenstände nur 
mit dem rechten zweiten bis vierten Finger erfasst und den rechten Daumen 
wenig benützt. — Im Röntgenbild (Fig. 5) die auch äusserlich unveränderte 
übrige Hand wohl gebildet, dagegen die beiden rechten Daumenphalangen und 


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Fehlerhafte Keimanlage etc. 


325 


besonders der rechte erste Mittelhandknochen im Dicken- und Längsdurchmesser 
gegen links deutlich verschmälert. — Am Schädel (Fig. 4) auffällige Vortreibung 
der Gegend des linken Stirnhöckers, die auch das Gesicht schief erscheinen 
lässt. Doch ergibt die Messung der Ohren, der Entfernung der Mundwinkel 
vom äusseren Augenwinkel und oberen Rand des äusseren Gehörgangs keine 
Unterschiede zwischen rechts und links. Auch Gaumen und Zahnreihen ohne 
Differenz. Die Asymmetrie gehört lediglich dem Schädeldach an. Von oben her 
erscheint die linke Schädelhälfte in der Mittel¬ 
linie an der rechten vorbei nach vom ver¬ 
schoben ; diese hingegen tritt vorn zurück und 
springt nach hinten stark vor. Der proji- 
cirte grösste Schädelumfang entspricht 
einer schiefen Eiform, deren grösste Achse 
von links vom nach hinten rechts verläuft. 

Ein vom linken Stimhöcker über den Scheitel 
zur rechten Hinterhauptsvorwölbung geführtes 
Band misst 21, ein entsprechend entgegengesetzt 
von rechts vom nach links hinten verlaufendes 
19 cm. Die Pfeilnaht liegt nicht in der Mittel¬ 
linie des Körpers, sondern wendet sich vom 
Mittelpunkt der Stirn mehr nach hinten rechts 
aussen, so dass auch die Protub. occ. ext. seit¬ 
lich nach rechts verschoben erscheint. Letztere 
ist von der Mitte der Stirn daher rechts 22,5, 
links 23,5 cm entfernt. — Keine Abweichung 
der Wirbelsäule; keine Verkürzung eines der 
M. steraocleidomast.; keine Druckmarken in der 
Haut; keine Schnürfurchen. — 

Der Knabe lief 4 Monate mit dem Schienen¬ 
apparat, dann ohne ihn umher. 

15. Juni 1903. Wiedervorstellung. Fass 
gut redressirt, tritt mit der ganzen Sohle auf. 

Anzeichen beginnender Rhachitis, so einer 
leichten Brustwirbelskoliose. Schädelasymmetrie 
und Daumenverkleinerung auffallend deutlich. (Die Photographie und das 
Röntgenbild, Fig. 4 und 5, sind an diesem Tage aufgenommen, nachdem frühere 
Versuche dazu missglückt waren.) 

Die drei eben skizzirten Fälle zeigen das häufig beobachtete 
Zusammentrefifen des Klumpfusses mit anderen angeborenen Miss¬ 
bildungen. 

Bei dem ersten Patienten handelte es sich um die äusserst 
seltene Vergesellschaftung von angeborenem Klumpfuss 
mit Zehenüberzahl derselben Seite und unvollständiger 
Coccy gealfistel. 


Fig. 4. 



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326 


Georg Schmidt. 


Sind diese Störungen primärer oder secundärer Art oder gar 
eine Mischung beider? 

Während Fingerdefecte und -überzahl gleich häufig Tor- 
kommen, sind am Fuss zwar Syndaktylien und Zehendefecte oft 
Polydaktylien dagegen nach Kirmisson selten beobachtet^). Auch 
Rosenfeld*) berechnet auf seine eigenen, Hoffa's und Schanz 


Fig. 5. 



4400 Deformitäten nur Imal überzählige Zehen. Beobachtungen 
von Polydaktylie bei angeborenem Klumpfuss sind entsprechend noch 
viel seltener und in der mir zugänglichen Literatur bis auf einen 
von Strassmann mitgetheilten Fall nicht niedergelegt. Joachims- 
thal^) erwähnt ihr Vorkommen, ohne nähere Angaben zu machen. | 
Häufiger werden Syndaktylien bei angeborenen Klumpfüssen be¬ 
schrieben und beide Missbildungen dann meist auf die gemeinsame , 
Ursache intrauterinen Druckes zurückgeführt. Dagegen macht Julius 


*) Lehrbuch der chivurg, Krankheiten angeborenen Ursprungs. Deutsch 
von Deutschländer 1899, S. 403. 

-) a. a. 0. 

*) Die angeborenen Verbildungen der unteren Extremitäten. Archiv und 
Atlas der normalen und pathologischen Anatomie in Röntgenbildem 1902, Er 
gänzungsbd. 8 S. 54. 


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Fehlerhafte Keimanlage etc. 


327 


Wolff auch für Syndaktylien primäre Keimabweichung verantwort¬ 
lich. Dass diese in der That hierbei eine Rolle spielen kann, dafür 
bin ich in der Lage, eine neue Beobachtung aus der Breslauer chirurgi¬ 
schen Klinik anzuftihren^). 

4. W. St, Joum.-Nr. 484, 1903, 43 Jahre alt, Arbeiter. Aufgenommen 
am 19. Juni 1903 wegen linksseitiger Knietuberculose. Catarrh beider Lungen¬ 
spitzen. — Die zweite bis fünfte Zehe beiderseits in Hamnierzehenstellung ^). 
Die rechte zweite Zehe ist mit der dritten distal bis über das Gelenk zwischen 
zweiter und dritter Phalanx hinaus verwachsen. Links zwischen zweiter und 
dritter Zehe eine ebensolche Verwachsung, die nur bis zur Mitte der zweiten 
Phalanx reicht. — Genau dieselbe beiderseitige Abweichung besteht bei seinem 
Vater sowie bei zwei seiner vier Söhne, und zwar bei letzteren unabhängig 
von intrauterinen oder Geburtseinflüssen, wie folgende Zusammenstellung ergibt: 
Erstes Kind: Sohn; schwere Geburt, bei der der Kaiserschnitt bereits in Er¬ 
wägung gezogen wurde. Zweites und drittes Kind: zwei Töchter. Viertes Kind: 
Sohn mit Zehenverwachsung; normale Geburt. Fünftes Kind: Sohn. Sechstes 
Kind: Fehlgeburt. Siebentes und achtes: Zwillingssöhne, der eine mit Zehen- 
verwachsung; der andere normal gebaut, stirbt bald nach der Geburt. 

Mit sehr viel weniger Berechtigung wie die Syndaktylie wird 
die Polydaktylie öfters auf mechanische Bildungshemmung zurück¬ 
geführt. Die Ueberzahl soll durch äussere Spaltung der Keimanlage 
zu Stande kommen. So nimmt Marchand für gewisse Fälle an, 
dass ein zu enges Amnion die Extremitätenstummel zu einer Zeit, 
wo die Zehen zur Ausbildung kommen, fest an den Körper presst 
und die einzelnen Keimanlagen aus einander drängt^). Derselben 
Ansicht sind Ahlfeld, Zander, KümmelD); Ziegler lässt sie für 
einen Theil der Fälle zu, nimmt aber für andere primäre Keimes- 


*) Auch Perthes, a. a. 0. S. 148, leitet aus einer Beobachtung mehr¬ 
facher, weithin übereinstimmender Finger- und Zehenverbildungen bei zwei 
Brüdern die Berechtigung ab, eine Entstehung aus inneren Ursachen anzu¬ 
nehmen. Tilanus (Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 4 S. 180) führt die bei 15 An¬ 
gehörigen einer Familie innerhalb dreier Generationen beobachtete Ektrodaktylie 
an beiden Händen und beiden Füssen auf embryonale Anlage zurück. — Aehn- 
liche Beispiele sind in der Literatur in übergrosser Zahl niedergelegt. 

*) Auch diese Missbildung kommt nach Hoffa häufig vererbt und an¬ 
geboren vor. (Lehrbuch der orthopäd. Chirurgie 1902, S. 917.) 

•) Melde, Anatom. Untersuchung eines Kindes mit beiders. Defect der 
Tibia und Polydaktylie an Händen und Füssen. Inaug.-Diss. Marburg 1892, 
und Joachimsthal, Zeitschr. f. orthopäd. Chirurgie 1894, S. 151. 

*) Nasse, Die Krankheiten der unteren Extremitäten. Deutsche Chirurgie, 
Lief. 66, 1 S. 10. 


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328 


Georg Schmidt. 


Variation an^). Perthes^) führt gegen die bisherige „Erklärung* 
der Polydaktylie durch Enge oder sonstige Anomalien des Amnion 
und für die Annahme einer primären Veränderung des Keimplasmas 
insbesondere noch den Umstand ins Feld, dass in derart belasteten 
Familien der Haupttypus der Missbildung ganz gleichartig in Gene¬ 
rationen wiederkehre. Julius Wolff^) rechnet die Finger- und 
Zehenüberzahl ohne weiteres zu den einwandsfreien Fehlem der Keim¬ 
anlage. Aehnlich sprechen sich K. v. Bardeleben, Gegenbaur, 
Pott, Falkenheim, Nasse^) aus, gestützt auf die mehrfach beob¬ 
achtete Symmetrie und Erblichkeit. Auch Joachimsthal*^) bekennt 
sich neuerdings mit Rücksicht auf gleichzeitige Doppelbildungen an 
den tibialen und fibularen Rändern beider Füsse, auf die Wieder¬ 
holung der ersten und zweiten Zehe am Innenrande eines sonst nor¬ 
malen Fusses und auf die häufige Combination von Hyperdaktylie mit 
Verbildungen anderer Organe gegenüber der bisherigen mechanischen 
Entstehungstheorie zu einem „non liquet“. Schüller®) ist geneigt, 
überschüssige Phalangen auf Entwickelungsstörungen in einer Zeit 
zurückzuführen, in welcher nach den Forschungen der Embryologen*) 
die ersten Fingeranlagen noch in mehrfacher Zahl, beim Menschen 
bis zu 9, vorhanden sind. Ferner berichtet schon Vogf^) —ausser 
von dem gleichzeitigen Vorkommen überzähliger Finger und Zehen — 
von dem gewichtigen Punkt der Erblichkeit in mehreren Generationen^). 
Joachimsthal beschreibt beiderseitige sechste Finger und sechste 
Zehen nebst Anlage zu einem siebenten Finger, bezw. einer siebenten 
Zehe bei einem Manne, von dessen 10 Kindern G ebenfalls Poly¬ 
daktylien, zum Theil von ganz ähnlichem Typus, aufweisen. Franz 

') a. a. 0. S. 372 und 409. 

2) a. a. 0. S. 144. 

’) a. a. 0. S. 54 und 67. 

a. a. 0. S. 10 (Deutsche Chir.), und Handbuch der prakt. Chir. II. Aufl. 
Bd. 4 S. 869. 

Zeitschr. f. orth. Chir. 1894, S. 151, und Arch. mit Atlas der norm, 
und path. Anatomie in Röntgenbildern 1902, Ergänzungsbd. 8 S. 34. 

Fortschritte auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen 1898/99, ßd. 2 S. Ul. 

0 Schenk, Lehrbuch der Embryologie des Menschen und der Wirbel- 
thiere 1896, S. 510. 

Deutsche Chir. Liefg. 64. 

Seitdem sind diese beiden Punkte durch unzählige in der Literatur 
niedergelegte Beobachtungen gestützt; s. z. B. Kummeil a. a. 0. S. Ul und 
Zander, Virchow’s Arch. Bd. 125 Heft 3. 

Die angeborenen Verbildungen der oberen Extremitäten. 1900. 


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Fehlerhafte Eeimanlage etc. 


329 


Wolf^) sah symmetrische Sechsfingrigkeit beider Hände und Füsse 
in drei Generationen sich vererben. 

Einen weiteren Fall bin ich in der Lage aus der Breslauer 
Chirurg. Poliklinik beizutragen. 


5. und 6. E. S., 11 Jahre, Journ.-Nr. 826, 1900; P. S., 17 Jahre, Journ.- 
Nr. 827, 1900, zwei Schwestern, weisen sowohl an ihrer rechten wie linken Hand 

Fig. 6. 



je einen sechsten Finger auf. P. S. -hat ausserdem jederseits sechs Zehen. 
Während die ältere Schwester nach dem Röntgenbild (Fig. 6) links bis zur Hand- 
wui-zel hin eine völlig selbständige sechste Fingeranlage besitzt, gabelt sich an 
ihrer rechten Hand, ebenso wie an der linken der jüngeren Schwester (Fig. 7) 
der fünfte Mittelhandknochen, um einer selbständigen sechsten Phalangenanlage 
als Ausgangspunkt zu dienen. Dagegen findet sich in der rechten Hand der E. S. 
nur ein verkümmertes sechstes Glied, anscheinend aus dem Rudiment eines 
sechsten Metacarpus und einer sechsten Mittelphalange und aus einer besser 
ausgebildeten sechsten Grund- und Endphalange bestehend. — Die Sechsfingrig¬ 
keit bestand beim Vater und Grossvater, wie bei weiteren drei Brüdern und 
zwei Schwestern von im ganzen 17 Geschwistern, deren Geburt bei normaler 
Fruchtwassermenge stets leicht verlaufen war. Endlich hatte die eine ver- 
heirathete Schwester zwei sechsfingrige Kinder. 


’) Berliner klin. Wochenschr. Bd. 24 S. .598. 


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330 


Georg Schmidt. 


Im vorliegenden Falle lässt die regelmässige Wiederholung der 
beiderseitigen Fingermissbildung bei elf Familienangehörigen die An¬ 
nahme einer äusseren, die Anlage schädigenden Ursache gekünstelt 
erscheinen. Interessant ist besonders der Umstand, dass der Fehler 
sowohl von den männlichen wie von den weiblichen Mitgliedern 
weiter vererbt wird, sowie, dass bei einem einzigen die Ueberpro- 
duction auch auf die Zehen sich erstreckt. Man kann, wie Julius 


Fig. 7. 



Wolff bei einem Kinde mit linkem Pes valgus, rechtem Pes varus 
und beiderseitigem Klurapdaumen, die berechtigte Frage aufwerfen, 
warum sich der intrauterine Druck gerade immer nur einzig und 
allein dieselbe symmetrische, isolirte Stelle an den Händen bezw. 
Füssen ausgesucht haben sollte, um seine Wirkung auszuuben. 
Zander’s M Erklärungsversuch, dass Amnionfalten ganz symmetrisch 
auftreten und dadurch symmetrische Missbildungen erzeugen, er¬ 
scheint doch sehr gekünstelt. Ebenso wenig bewiesen ist seine 
gegen die Vererbungstheorie der Keimanlage aufgestellte Annahme, 
dass zwar Missstaltungen, die den erwachsenen Körper betreflFen, 

') a. ii. 0. S. 480. 


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Fehlerhafte Keimanlage etc. 


331 


sich nicht vererben, dass aber mechanische Wachsthumsstörungen 
in der frühesten Entwickelungszeit auf die Nachkommen übertragen 
werden. 

Nach alledem darf man wohl zum mindesten bei einem grossen 
Theil der Fälle von überschüssigen Fingern und Zehen als Ursache 
primäre abweichende Eeimanlage annehmen. 

Bei unserem klumpfüssigen Patienten ist es an sich schon nicht 
verständlich, dass eine raumbeschränkende Ursache, die vielleicht 
den Fuss zum Klumpfuss zusammendrückt, andererseits eine Ver¬ 
mehrung der Zehen und damit eine Verbreiterung seines distalen 
Endes erzielen sollte^). Auch spricht gegen die einfache Spaltung 
des Keimplasmas der letzten Zehenanlage die anatomische Gestaltung, 
wie sie das Röntgenbild (Fig. 1) zeigt. Es sind nicht zwei letzte 
(fünfte) Zehen vorhanden, sondern eine dem Typus der zweiten bis 
vierten genäherte fünfte, sowie eine dem Aussehen der sonstigen 
letzten Zehe entsprechende sechste. Die fünfte und sechste Zehe 
gehören aber trotz ihrer verschiedenen äusseren Gestaltung derselben 
Eeimanlage an, wie ihre Zugehörigkeit zu ein und demselben, dem 
fünften Metacarpus, beweist. Wären Polydaktylie und Klumpfuss 
hier auf dieselbe Ursache intrauterinen Druckes zurückzuführen, so 
müsste derselbe sehr früh eingewirkt haben, zu einer Zeit, wo die 
Allsbildung der Extremitätenenden noch nicht abgeschlossen ist, 
keinesfalls also in der von König^) für die Entstehung der Mehr¬ 
zahl der Klumpfüsse in Anspruch genommenen späteren intrauterinen 
Periode. Denn dass dann eine einmal angelegte Zehe sich noch 
spaltet, erscheint ausgeschlossen. Nach Gegenbaur^) werden die 
Gliedmaassen in der 3. Woche angelegt und diflFerenzireii sich in der 

*) a. a. 0. S. 35. 

*) Auch in dem Falle Melde’s (a. a. 0.) und Helbing’s (Fehlen der 
Tibia mit Polydaktylie am Fuss derselben Seite. Vorstellung in der Berliner 
medic. Gesellschaft. Münch, medic. Wochenschr. 1902, S. 467) paart sich De- 
fectbildung mit Ueberzahl. Desgleichen bei Voisin et Nathan (Malforma¬ 
tions congen. symetr. des membres. Ponce ä trois phalanges. Absence partielle 
du tibia Bull, et Mem. Soc. anat. Paris 1902, Nr. 8 S. 843). Kümmell 
(a. a. 0. S. 58) erklärt sich solche Complicationen auf mechanischem Wege 
dadurch, dass zunächst die Eeimanlage geschädigt wird und dann an gewissen 
Stellen auf Grund einer besonderen Regenerationsfähigkeit des normalen Ge¬ 
webes übermässig wuchert. 

•) Lehrbuch 1894, III S. 738. 

*) a. a. 0. 8. 81. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. \H. Bd. 22 


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332 


Georg Schmidt. 


6.—7. Woche. Die Amnionhülle ist in den ersten 14 Tagen schon 
völlig fertigt) und liegt vom Beginn der 5. Woche ab bereits dem 
Embryo nicht mehr fest an*). Sollen also in der 6.—8. Woche 
nach Heus ne r^) die sich streckenden Ftisse durch Einklemmung 
verkümmert werden, so müsste noch eine neue raumbeschränkende 
Ursache hinzukommen, z. B. Frucht Wassermangel oder ein über das 
physiologische Maass entwickelter Nabelbruch. 

Dafür liegen indessen bei unserem Patienten keinerlei An¬ 
zeichen vor. 

Nun weist er aber auch noch zwei symmetrische unvoll¬ 
ständige Coccygealfisteln auf. Man könnte darin eine Andeutung 
der nicht eben seltenen Fälle von Spina bifida mit Klumpfuss 
(Froriep, Förster, Ziegler^), Kirmisson^)) sehen. Es läge dann 
eine Hemmungsbildung der bilateralen Anlage der aus den ürwirbel- 
platten hervorgehenden häutigen Wirbelsäule und zwar der oberen 
Vereinigungshaut, eine Andeutung einer partiellen Rhachischisis vor. 

Eirmisson dagegen nimmt, gestüzt auf Förö, Lannelongue, 
Tourneaux und Herrmann, und in üebereinstimmung mit Roser 
eine im 5.—G. Monat sich ausbildende Hauteinstülpung durch den 
Zug der in der Tiefe verschwindenden Reste des Medullarrohres, 
der faserigen, coccygealen, ursprünglich an der Haut sich anheftenden 
üeberbleibsel an. 

Nach Eirmisson und Eühn finden sich paracoccygeale Fisteln 
häufig bei Eindern mit Verbildungen an den unteren Extremitäten, 
z. B. häufig bei Elumpfüssigen, sind aber auch bei normalen Men¬ 
schen ein nicht seltenes Vorkommniss. So stellte Lannelongue 
bei 135 Personen 95mal eine Einsenkung in der Ereuzsteissbein- 
gegend fest. Jouon*^) beobachtete sie bei einem Jungen, der gleich¬ 
zeitig an Hammerzehen und an einer angeborenen Hüftgelenks Ver¬ 
renkung litt und in dessen Familie Fuss- und Zehenverbildungen 
erblich waren. 

Es ist demnach auf dies Zusammentreffen in unserem Falle 
nicht viel zu geben, zumal der Elumpfuss einseitig, die Steissgrübchen 

*) Hertwig, a. a. 0. S. 234. 

•) Ko 11 mann, Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte 1898. 

®) Deutsche medic. Wochenschr. 1898. 

*) a. a. 0. S. 382. 

a. a. 0. S. 405 und .Sit 

®) Revue d'ortliop. 1901, Nr. 1. 


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Fehlerhafte Keimanlage etc. 


333 


aber beiderseitig vorhanden sind und keine andere, insbesondere ner¬ 
vöse Störung auf eine tiefere, ätiologisch vrichtige Erkrankung des 
Medullarrohres hinweist. 

Es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass dieselbe Tendenz 
der Keimabschwächung, die den Klumpfuss und die Zehenüber¬ 
zahl entstehen liess, auch beim Schluss der Rückenplatte störend 
mitwirkte. Nach Recklinghausen^) muss man ja die Rhachischisis 
als eine primäre Agenesie und Hypoplasie der Rückenwülste be¬ 
trachten, welche die Wirbelrinne der Wirbelbögen herstellen sollen; 
es ist die Missbildung des Rückenmarks von allerfrühestcr Zeit 
her zu datiren und ebenso durch einen W^’achsthumsmangel des 
Blastoderms zu erklären, wie der Defect der Fascien, der Muskeln 
und der Haut; eine Ansicht, der Hertwig und Karewski bei¬ 
pflichten ^). 

Demnach festigt auch diese Complication die Ueberzeugung, 
dass wir es in unserem ersten Falle wirklich mit einem auf 
primärer falscher Keimanlage beruhenden Klumpfuss zu 
thun haben. — 

Der zweite Fall zeichnet sich durch eine Menge angeborener 
Missbildungen aus: Muskeldefecte an den oberen Extremi¬ 
täten, Klumphände (Manus valgae), Kapselschlaffheit in 
den Sternoclavicular-, Schulter- und Fingergelenken, 
spontane Luxation der Oberarme, Muskelschwäche an 
den Beinen, Klumpfüsse. 

Die hier vorliegenden angeborenen Qelenkstörungen treten nicht 
eben häufig auf. Julius Wolff^) beobachtete bei einem jungen 
Mädchen Luxationen und Subluxationen in den Finger-, Hand-, 
oberen Radius-, Schulter-, medialen und lateralen Schlüsselbein- und 
Kniegelenken. Wirt^) stellte bei einem seiner Kranken Hüftver¬ 
renkung, Klumpfüsse und Klumphände, sowie unvollkommene Ent¬ 
wickelung und Function der Hand-, Ellenbogen-, Schulter- und 
Kniegelenke fest. Rosenfeld sah unter etwa 2000 Deformitäten 
2mal isolirte angeborene Verrenkung des einen Daumens und ebenso 
oft einseitige Humerusluxation. Davon war die eine vergesellschaftet 
mit angeborener Hüftverrenkung derselben Seite. Diese Schulter- 

0 Ziegler a. a. 0. S. 384. 

*) Karewski, Die Chirurg. Krankheiten des Kindesalters 1894, S. 444. 

*) Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 2 S. 23. 

Cleveland Med. Gaz. May 1891. Ref. Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 1 S. 482. 


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334 


Georg Schmidt. 


Verrenkungen waren hintere, ganz ebenso wie in einem von Dreh¬ 
mann beschriebenen doppelseitigen Falle, wie in zwei von Mars ton-) 
mitgetheilten Fällen. Beobachtungen über angeborene SchlüsseH)em- 
verrenkung, meist, wie in unserem Falle, des stemalen Endes, 
stammen noch von Chaussier, Vernueil, Heusinger^), Klauss- 
ner^), Rosenfeld. Letzterer sah sie unter etwa2000 Deformitäten, 
worunter sich 300 angeborene befanden, nur Imal. 

Klumphände rechnen zu den selteneren Deformitäten. Rosen¬ 
feld berechnet auf etwa 4400 Deformitäten 2, auf 300 angeborene 
Missbildungen 1 Klumphand. Nach Bernacchi-Panzeri ®) wurden 


*) Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 7 S. 459. 

*) New York medical Journal 1901, S. 441 (ref. Zeitschr. f. orth. Chir. 

Bd. 9 S. 212). — Diese Arbeit enthält einen Literatuimachweis über angeborene 
Schulterluxation. 

*) Virchow’s Arch. Bd. 39 S. 341. — Siehe auch Krönlein, Die Lehre 
von den Luxationen. Deutsche Chir. Liefg. 26. 

Münch, medic. Wochenschr. 1901, Nr. 29. 

*) Ueber den Ausdruck »Kluraphand“ bezw. Manus vara und valga 
herrscht noch keine Einigkeit. Dieffenbach bezeichnet die Volarkrümmung 
der Hand als dem Varus, die Rückwärtsbeugung als dem Valgus entsprechend, 
(Operative Chir. I. S. 838); Hu et er versteht unter Manus vara die angeborene, 
ulnarabducirte und flectirte Klumphand (citirt bei Madelung, Langenbeck’s 
Archiv f. klin. Chir. Bd. 23, S. 405). Schreiber (Allg. u. spec. orth. Chir. 1888. ' 

S. 192) nennt congenitale Klumphand eine Contractur im palmaren Sinne, zu¬ 
weilen mit mehr oder weniger ausgesprochener seitlicher Deviation. Hoffa 
(a. a. 0. S. 561) nennt Manus vara die uncomplicirte, volar- und ulnarwärts 
flectirte Hand und ebenso nach einer Zeichnung NicoladonTs (ebenda, Fig. 419, ! 

S. 558) die ulnarflectirte Hand bei ülnarverkürzung und Cubitus varus. Anderer¬ 
seits versteht er auch unter „Klumphand“ (S. 554) die radialflectirte Hand bei 
Radiusdefect und unter Manus valga, wieder nach einer Abbildung Nicola- 
doni's (Fig. 420, S. 558), die radialwärts verschobene Hand bei Kürzerbleiben 
des Radius. Andere Autoren sprechen bei Radiusdefect von Manus vara 
(Joachimsthal, Kümmell). P. L. Friedrich (Handbuch der prakt. Chir. 

11. Aufl., Bd. 4 S. 296) begreift unter Klumphand sowohl die bei Radiusdefect 
radialwärts abgebogene Hand, wie die uncomplicirte, ulnarabducirte, supinirte . 
und flectirte, seltener pronirte und extendirte Hand (Talipomanus flexa). Legt { 
man die Classificirung vom Fass her zu Grunde, so muss die pronirte und nach 1 
der Kleinfingerseite zugewendete Hand als Manus valga, die supinirte und ! 
daumen-, also auch radialwärts flectirte dagegen als Manus vara bezeichnet , 
werden. Keinesfalls entspricht einem Cubitus varus stets eine Manus vara. 
Auch am Bein verbindet sich ja ein Genu valgum viel häufiger mit einer Pes 
varuK-Stellung. 

®) Ref. Zeitschr. für orthop. Chirurgie. 1893, Bd. 2 S. 275. 


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Fehlerhafte Eeimanlage etc. 


335 


in Mailand unter 1917 Glieder Verbildungen nur 4 Manus valgae, 
2 Manus varae beobachtet. Die mit Radiusdefect einhergehende Manus 
vara kommt etwas häufiger vor; K Um mell zählt 67 derartige Fälle 
auf. Durch ihr Zusammentreffen mit anderen Missbildungen bei 
derselben Person oder bei Verwandten kennzeichnet sie sich als 
primäre Deformität^). Dagegen ist die ohne Radiusverbildung ein¬ 
hergehende angeborene, volar- und ulnarwärts gebeugte Elumphand 
nach Hoffa^) recht selten, wiederholt in Gemeinschaft mit an¬ 
geborenem Klumpfuss und in der Regel noch mit anderen Deformi¬ 
täten beobachtet und dann auf die gemeinsame Ursache der intra¬ 
uterinen Belastung zurückzuflihren. Auch König macht für die 
ohne Defectbildung einhergehende congenitale Klumphandstellung 
abnorme Lage im Uterus verantwortlich. Kocher^) sah bei einem 
kugelförmig zusammengedrückten 3 Monate alten Ei Klumpfuss und 
Klumphand derselben Seite. Doch deutet in einem vonSolmsen®) 
beschriebenen Falle von doppelseitigem Klumpfuss, Klumphand, Knie¬ 
gelenksluxation und Gaumenmissbildung der Umstand, dass der 
Grossvater des Patienten ebenfalls an Klumpfüssen litt, darauf hin, 
dass auch Vererbung der Keimesvariation mit im Spiele sein kann. 
In einem anderen der Hof falschen Klinik entstammenden Falle 
(Wunsch®)) wird die Frage nach der primären oder secundären 
Natur der Combination von Ellenbogen- und Kniegelenkscontractur, 
Klumpfüssen und Elumphänden offen gelassen. 

Die in unserem Falle vorhandene vielseitige Combination von 
Deformitäten ist in dieser Art wohl bisher noch nicht beobachtet 
worden. In Bezug auf die vielseitigen Gelenkstörungen bieten die 
von Julius Wolff und Wirt (s. o.) beschriebenen Fälle manche 
Aehnlichkeit. Das Zusammentreffen von Klumpfüssen mit Muskel- 
defecten an den Schultern, Oberarmen, Händen und Oberschenkeln 
(und Hüft- und Kniecontracturen und schmalem Schädel) beobachtete 

Polaillon, Bull, de la soc. de chir, 1875, 14. Juli, und Joachims¬ 
thal, die angeb. Verbildg. der ob. Extremitäten u. s. w. S. 10. 

») a. a. 0. S. 561. 

*) Lehrbuch der spec. Chir. 1894, III S. 300. 

*) Zur Aetiologie und Therapie des Pes varus cong. — Deutsche Zeit¬ 
schrift f. Chir. Bd. 9 S. 334. 

*) lieber eine Missbildung der unteren Extremitäten. Inaug.-Diss. Würz¬ 
burg 1884. Ref. Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 4 S. 146. 

®) Multiple, congenitale Contracturen. Inaug.-Diss. Berlin 1901. Ref. 
Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 9 S. 210. 


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336 


Georg Schmidt. 


Magnus^). Während er für die Gelenk- und Schädelmissbildung 
intrauterinen Druck verantwortlich macht, vermag er für die Muskel- 
defecte mangelnde Keimanlage als Ursache nicht auszuschliessen. In 
unserem Falle spricht von vornherein gegen eine erst während des 
intrauterinen Lebens aufgetretene mechanische Störung die völlig 
symmetrische Anordnung aller überhaupt vorhandenen Verbildungen. 
Aus der Anamnese ist hervorzuheben, dass die Mutter häufig an 
Geburtsstörungen zu leiden hatte. Hier liegt also schon eine Ab¬ 
normität vor. Ob dieselbe an äussere Verhältnisse gebunden ist, 
erscheint fraglich. Das Vorhandensein eines engen Beckens wird 
vom Hausarzt ausdrücklich in Abrede gestellt. Demgegenüber er¬ 
scheint wichtig, dass die Mutter nervenleidend ist, und auch der 
Vater gibt seinen Abkömmlingen ein gut Theil Degeneration mit. 
Die Angabe, dass die Mutter in der Schwangerschaft habe schwer 
arbeiten müssen, ist zu ungenau, um daraus bindende Schlüsse za 
ziehen. Die Geburt des Patienten selbst verlief bei reichlichem 
Fruchtwasserabgang normal; nur die Placenta musste künstlich 
entfernt werden. 

In welcher ätiologischen Beziehung stehen die hier vorliegenden 
einzelnen Verbildungen zu einander? 

Die Elumphände sind zweifellos Folgeerscheinungen des Fehlens 
der Exteiisores carpi rad. und Supinat. long., zumal das Röntgen¬ 
bild (Fig. 3) regelrechten Knochenbau zeigt. Es liegt nahe, auch 
die Klumpfüsse als myogene anzusehen. Dem widerspricht aber der 
durch die elektrische Prüfung erhobene und von fachmännnischer 
Seite bestätigte Befund; die Beinmuskeln sind vorhanden und reagiren 
normal. 

Demnach sind Klumpfüsse und Muskeldefecte nicht von einander 
abhängig, sondern vermuthlich beide auf eine gemeinsame üi^ache 
zu beziehen. 

Für die Entstehung der Muskelstörungen kann hier eine fötale 
Encephalitis nicht in Frage kommen. Zwar hat mit unserem Falle 
das Krankheitsbild der infantilen cerebralen Hemiplegie einige Aehn- 
lichkeit, insofern als dabei die Vorderarme pronirt, die Hand gebeugt 
und ulnarwärts geneigt, die Füsse in Equinovarussstellung gehalten 
werden; indessen ist von der dabei sonst vorhandenen Reflexsteigerung 

*) Ein Fall von multiplen, congenitalen Contracturen mit Muskeldefecten. 
Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 11 S. 424. 

*) Hoffa a. a. 0. S. 48. 


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P'ehlerhafte Eeimaolage etc. 


837 


wie Ton der typischen rechtwinkeligen Beugung im Ellbogengelenk 
und von einer Beugung im Knie bei unserem Patienten keine An¬ 
deutung vorhanden. Ebenso wenig wahrscheinlich ist eine fötale 
Poliomyelitis. Einmal ist deren dauernde Ausdehnung auf alle 
Glieder schon an und für sich sehr selten^). Dann besteht hier 
nirgends in den geschwächten Muskeln Entartungsreaction, wie sie 
für die degenerative Atrophie bei Poliomyelitis typisch ist. Die hier 
vorhandene quantitativ herabgesetzte, aber qualitativ nicht veränderte 
Erregbarkeit würde eher übereingehen mit der Annahme einer fötalen 
Muskeldystrophie, der allerdings der progressive Charakter, sowie die 
sonst so häufig dabei nachgewiesene hereditäre Disposition fehlt. 
Dagegen entspricht diesem Krankheitsbilde die Betheiligung der 
Muskeln des Schultergürtels (Rhomboidei, Cucullares), sowie der 
Defect des Supinator longus. 

Die Entstehungsgeschichte der angeborenen Muskeldefecte ist 
ein bisher noch wenig bebautes Feld. Bei mikroskopischen, darauf 
gerichteten Untersuchungen fand Erb (1889) ein ähnliches Bild wie 
bei der Myotonia congen., Damsch (1891) Anzeichen, die er für 
die Annahme des Endstadiums einer frühzeitig zum Stillstand ge¬ 
langten Dystrophie verwerthete, Schlesinger (1900) überhaupt 
völlig normale Structur, Bing^) endlich zwar mancherlei patho¬ 
logische Abweichungen, aber keinen der Dystrophie entsprechenden 
Typus. Nach des letzteren ausführlichen Untersuchungen fehlen 
zwar congenital am häufigsten einige derjenigen Muskeln, die häufig 
und frühzeitig bei der Dystrophia musc. progress. zu Grunde gehen, 
oder einige Muskelgruppen, deren Erkrankung in typischer Weise 
hierbei vorkommt; andererseits sind Muskeldefecte auffällig häufig mit 
anderen angeborenen Missbildungen vergesellschaftet; so findet sich 
unter den von ihm zusammengestellten Fällen einmal Pectoralisdefect 
mit Manus vara und Pes equinus. Oft wiederholt sich sogar dieselbe 
Combination, so besonders Pectoralisdefect, Syndaktylie, Fingerver¬ 
kümmerung, Schwimmhautbiidung. Bing ist deshalb mit Gowers 
der Ansicht, dass abnorme Keimanlage der Muskeln, mangelnde 
Vitalität, Neigung zu Wachsthumsstörungen von vornherein die De- 
fectbildung oder erst in späterer Zeit die Dystrophie hervorruft. 

Nimmt man aber doch in unserem Falle eine erst während des 


*) Ebenda S. 54. 

*) Ueber angeborene Muskeldefecte. Virchow’s Archiv Bd. 170 H. 2. 


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338 


Georg Schmidt. 


fötalen Lebens einsetzende trophische Störung der Musculatur an, so 
wäre diese nur für die Entstehung der Klumphände zu verwerthen. 

An den Beinen sind alle Muskeln trophisch unversehrt, die 
Klumpfüsse sicher nicht myogener Natur. Hier müsste also ein 
zweiter ätiologischer Vorgang supponirt werden. 

Viel natürlicher erscheint es daher, die Klumpfüsse und — 
mit Bing — auch die Muskeldefecte auf dieselbe Ursache, 
primäre falsche, wohl durch hereditäre Degeneration schädlich 
beeinflusste Keim an läge zu beziehen. Eine Anzahl von Muskeln 
sind gar nicht, ein weiterer Theil von vornherein in 
minderwerthiger Form angelegt; eine weitere Schwäche 
trifft die Bänder und Kapseln mehrerer Gelenke (Finger, 
Schulter, Brustbein-Schlüsselbein), eine weitere die den 
Fuss bildenden Knochen und Weichtheile. — 

Wieder eine andere, nicht minder interessante Mischung von 
angeborenen Störungen bietet der dritte Fall: Klumpfuss und 
Daumenaplasie derselben Seite, Schädelasymmetrie. 

In ätiologischer Hinsicht verdient zunächst Beachtung der Stoss, 
der die rechte Bauchgegend der im 3. Monat schwangeren Mutter 
traf. Nach Ziegler^) können „Erschütterungen des Uterus sehr 
wahrscheinlich die Embryonalanlage direct schädigen“, zumal inner¬ 
halb der ersten 3 Monate, innerhalb der Zeit, „in welcher die Form 
des Leibes wie der einzelnen Theile sich ausbildet“. Ob aber nicht 
nach der alten Erfahrung des „post hoc, ergo propter hoc“ nach¬ 
träglich das erklärliche Grübeln der Mutter und entsprechende Hin¬ 
weise ihrer Umgebung aus einem unbedeutenden Ereigniss ein folgen¬ 
schweres Factum gemacht haben, erscheint ungewiss. „Erschütte¬ 
rungen des Uterus“ kommen gewiss so häufig vor, dass sie allein 
— ohne eine primäre Schwäche der Keimanlage — wohl kaum 
im Stande sind, stets eine Missbildung anzuregen. Die Angabe der 
Hebamme, dass das Kind auf der rechten Seite der Mutter gelegen 
habe, ist zu unbestimmt gehalten, als dass sich daraus ätiologische 
Schlüsse ziehen Hessen. 

Mangel an Fruchtwasser, relative Enge der Gebärmutterhöhle 
infolge aussergewöhnlicher Grösse des Kindes könnten wohl die drei 
vorliegenden Missbildungen verursacht haben. Eine abnorme Engig¬ 
keit der Kopfkappe des Amnion hat leicht Schädeldeformitäten zur 


») a. a. 0. S. 374. 


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Fehlerhafte Eeimanlage etc. 


339 


Folge (Anencephalie, Exencepbalie u. s. w.^)). In Bezug hierauf ist 
von Bedeutung, dass ein anderes Kind während der Geburt in Steiss- 
lage abgestorben ist. Bei unserem Patienten waren zwar keine 
Schnürfurchen, keine Druckstellen vorhanden, auch nicht am ver¬ 
kümmerten Daumen. Immerhin deutet die auffällige Stellung, die 
noch der 10 Wochen alte Knabe bei der ersten poliklinischen Vor¬ 
stellung mit dem rechten Beine einnahm, auf regelwidrige Verhält¬ 
nisse in der Eihöhle, vermuthlich raumbeschränkender Art, hin. 

Die Daumen- wie die Fussverbildung könnte an sich ebenso¬ 
wohl ein primärer Keimfehler wie das Ergebniss eines äusseren 
Druckes sein. Wie steht es aber mit der ätiologischen Classificirung 
der Schädelasjmmetrie? 

Sondern wir zuerst die symmetrischen Schädeldeformitäten aus, 
so ist dabei abzusehen von Rasseeigenthümlichkeiten, fQr welche 
die Bezeichnung „Verbildung“ schon deshalb nicht passt, weil wir 
für die Gattung Mensch keine Normalform aufstellen können. Im 
übrigen kann eine symmetrische Schädelmissbildung entstanden sein 

1. auf Grund von von vornherein falscher Keimanlage — in 
Fallen, wo die Deformität erblich auftritt und sonstige etwa vererbte 
begünstigende Ursachen auszuschliessen sind; 

2. durch intrauterine Belastung, z. B. „als stark ausgeprägte 
brachy- und dolichocephale Formen“ (Beely^)), einmal durch Ein¬ 
wirkung ungünstiger äusserer Umstände auf den normalen Fötus, 
dann durch den Einfluss normaler Aussenverhältnisse auf die erkrankte 
Frucht (z. B. bei fötaler Rhachitis^)); 

3. durch Geburtsschädigungen, die indessen selten Gelegenheit 
haben werden, an dem durch Drehung und Schiefstellung sich fort¬ 
während dem jeweiligen grössten Querschnitt des Geburtskanals 
anpassenden Kopf völlig symmetrisch anzugreifen, und dann auch 


*) Ziegler a. a. 0. S. 374. 

*) Scoliosis capitis — Caput obliquum. Zeitschr. für orthop. Chir. 1893, 
Bd. 2 S. 39. 

•) Zu diesen fötalen symmetrischen Schädelverbildungen gehören ver¬ 
muthlich die Fälle von A. Schanz (Schädeldeformität, rechts Klump-, links 
Plattfuss, Contracturen fast aller grösseren Gelenke. Zeitschr. f. orth. Chir. 
Bd. 5 S. 9), sowie von F. Hänel (plattgedrückter Schädel, Contracturen und 
Syndactylie an allen Fingern und Zehen. Jahresbericht der Gesellschaft für 
Natur- und Heilkunde zu Dresden, Sitzungsber. 1891/92, S. 80). 


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340 


Georg Schmidt. 


nur ausnahmsweise längere Zeit sichtbar bleibende Spuren hinter¬ 
lassen ; 

4. endlich durch extrauterine Einwirkungen, z. B. durch dauern¬ 
den Aussendruck bei rhachitisch erweichten Knochen. Auch hier 
gehört eine völlig symmetrische Schädigung zu den Seltenheiten. 

In der Breslauer chirurg. Klinik sahen wir vor Kurzem ein 
Beispiel der selteneren Deformität, die dadurch entsteht, dass gleich¬ 
sam zwei gleiche Druckkräfte sym¬ 
metrisch von beiden Seiten so von 
oben her auf die Scheitelgegenden ein¬ 
wirken, dass ihre Angriffsflächen einen 
spitzen, nach dem Schädel zu offenen 
Winkel bilden. Dieser wird dann in 
seiner ganzen Längsausdehnung gleich- 
mässig giebelförmig nach oben gepresst 
Es entsteht geradezu die Form eines 
langen regelmässigen Daches. 

7. E. M., 62 Jahre alt, Joum.-Nr. 480, 
1903, befand sich vom 18. Juni bis 8. Juli 1903 
wegen eines Rippen* und Wirbelbruches und 
einer Nierenquetschung hier in Behandlung. 
Seine Schädelverbildung bestand angeblich 
seit frühester Kindheit. Ob Verwandte ähn¬ 
liche Abweichungen boten und ob seine eigene 
Geburt regelrecht verlaufen ist, darüber ver¬ 
mag der altersschwache Mann nichts anzugeben. — Der Schädel zeigt sym¬ 
metrische Spitzdachform (Fig. 8). Durchmesser von Scheitel- zu Scheitelhöcker 
16 cm, vom Kinn zum Hinterhaupt 31, von der Mitte der Stirn zum Hinterhaupt 
27, vom Stimhöcker zum Hinterhaupt jederseits 25, von Ohr zu Ohr 20 cm. 

Da es sich hier nicht um die von Schröder (s. Anm.) be¬ 
schriebene, durch Qeburtsschädigung bewirkte Form und auch wohl 

Nach Schröder-Olshausen-Veit (Lehrbuch der Geburtshilfe. 
2. Anfl. 1893, S. 192 u. Fig. 68) kommt diese plastische Veränderung — zumal 
bei Erstgeburten und nicht sehr rasch und leicht verlaufenden Geburten — 
vermöge der Verschiebbarkeit der Knochen in den Nähten und vermöge ihrer 
Weichheit und Biegsamkeit bei gewöhnlichen Hinterhauptslagen dadurch zu 
Stande, dass durch die quere Zusammendrückung des Beckenbodens und durch 
die Art des Tiefertretens des Hinterhauptes dieses mehr walzenförmig oder mehr 
spitz nach oben zu geformt wird, während die Stirn mehr zurücktritt. Doch 
gleicht sich diese Abweichung allmählich wieder aus. 


Fjg. 8. 



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Fehlerhafte Keimanlage etc. 


341 


kaum um eine extrauterine Bildung handelt, so kommt als Ent¬ 
stehungsursache nur in Betracht primäre Eeimabweichung oder — 
was das wahrscheinlichste ist — intrauterine symmetrische Umfor¬ 
mung durch Druck. 

Viel häufiger und wichtiger, wenn auch noch recht wenig be¬ 
achtet, sind die asymmetrischen Schädel Verbildungen. Sie 
entstehen 

1. auf Grund primär falscher Eeimanlage (Caput obliquum 
idiopathicum); 

2. durch intrauterine Einflüsse (C. obl. foetale); 

3. als Geburtsconfiguration (C. obl. puerperale); 

4. durch extrauterine Schädigungen, und zwar einmal durch 
Erkrankung der Schädelknochen selbst (z. B. C. obl. rhachiticum); 
dann als Folgeerscheinung der typischen Verkürzung des Muse, 
sternocleidomastoideus (C. obl. myopathicum), also als ein Theil 
des Erankheitsbildes des Caput obstipum musculare = Torticollis; 
endlich als Nachwirkung irgend einer anderweitigen Schiefstellung 
des Eopfes, z. B. bei Spondylitis cervicalis. 

Hält man diese Gruppen nicht scharf aus einander, so geräth 
man in die Gefahr, ätiologisch ganz verschiedene Erankheitsbilder 
zusammenzuwerfen, wie es noch kürzlich Beely^) ergangen ist. 

Als einheitlicher Begriff kann der von ihm verwandte Ausdruck 
Caput obliquum, Schrägkopf, beibehalten werden; er bezieht 
sich nur auf eine Formabweichung, nicht aber, wie z. B. der Name: 
Caput obstipum, auf eine Stellungsveränderung des Schädels. Da¬ 
gegen führt die Bezeichnung: Scoliosis capitis, unterschiedslos auf alle 
Formen von Schrägkopf angewandt, nur zu falschen Auffassungen. 
Beely tritt zwar der Ansicht Erummacher's^) bei, dass ein Theil 
der bisher als secundär betrachteten Symptome des Cap. obstip., 
darunter die Asymmetrie des Hirnschädels, in Wirklichkeit primär, 
d. h. durch dieselbe Ursache wie dieses bedingt sei, und will den 
von WitzeP) benützten Ausdruck Scoliosis cap. nur für diejenigen 
asymmetrischen Schädelveränderungen beibehalten, die nachweislich 
Folge und nicht zufällige Complication der Schiefkopfstellung bei 
Torticollis sind; gleichwohl gibt er selbst an anderer Stelle seinen 

>) a. a. 0. 

*) Zur Aetiologie der Schädelasymmetrie bei angeborenem Schiefhalse. 
Inaug.'Diss. Berlin. 1889. 

*) Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 18 S. 561. 


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342 


Georg Schmidt. 


sämmtlichen 17, den verschiedensten Ursachen entspringenden Fällen 
von Schrägkopf diesen Namen'). 

Die der sogen. Scoliosis capitis zu Grunde liegenden Verhält¬ 
nisse sind mangels gleicher anatomischer Grundlagen in keiner Weise 
in Vergleich zu setzen mit dem Vorgang, der die Skoliose der Rück¬ 
gratswirbel herbeiführt. Den letzteren entsprechen nämlich am Schädel 
durchaus keine „Kopfwirbel“. Die Schädelsegmente haben vielmehr 
einen ganz anderen Ursprung, insofern sie nicht aus ähnlich vor¬ 
gebildeten knorpeligen Theilen, sondern aus häutigen Belegknochen 
hervorgehen ^). Es sind Haut- und Schleimhautverknöcherungen^). 

Was nun die einzelnen Arten der asymmetrischen Schädel¬ 
verbildungen anlangt, so sind bei der Annahme primärer Keim- 
abweichuug (C. obl. idiopath.) selbstverständlich wieder alle diejenigen 
Fälle auszuschliessen, bei denen zwar Erblichkeit mitspielt, aber 
nachweislich nur in Bezug auf eine secundäre Schädlichkeit, z. B. 
enges Becken der weiblichen Abkömmlinge. Dagegen lässt sich 
manchmal die Vererbung anderer Deformitäten für die Annahme 
primärer Schädelverbildung verwerthen, so in einem Falle Beely’s^), 
den ich kurz skizzire. 

Alfred L., mit linkem Klumpfuss geboren. Der Vater ist mit an¬ 
geborenem rechten Klumpfuss behaftet. An dem Knaben wird Monate 
nach der Geburt Schädelasymmetrie festgestellt. „Die Kopfhälften erscheinen 
seitlich an einander verschoben, wie beim Cap. obstip. congen., die rechte Hälfte 
nach hinten, die linke nach vorn.“ Nach weiteren 7*/* Monaten ist diese Un¬ 
gleichheit noch deutlich sichtbar, besonders bei Betrachtung von oben. Das 
Gesicht dagegen ohne messbare Asymmetrie. 

Ferner gehören hierher offenbar 3 Fälle Beely’s, Geschwister, 
bei denen der Einwand, es könne sich um die Einwirkung derselben 
intrauterinen Schädigung handeln, dadurch widerlegt wird, dass die 
Geburten dieser drei, wie auch der übrigen fünf, mit normaler Kopf¬ 
form ausgestatteten Geschwister stets leicht erfolgt war. 

Otto E., sechstes Kind. 7* nach seiner Geburt wurde festgestellt: 
massige Dorsolumbalskoliose und nicht unbeträchtliche Asymmetrie des Ge¬ 
sichts und Kopfes, die 274 Jahre später deutlich nachweisbar war. Rechter 
schräger®) Durchmesser 15,5, linker 17,25 cm. 

7 a. a. 0. S. 41 bezw. 51. 

*) Gegenbaur a. a. 0. S. 195 und 196. 

*) Hertwig a. a. 0. S. 574. 

*) a. a. 0. S. 45. 

®) Krummacher und Beely sowie Witzei (a. a. 0.) verwenden als 
„schräge“ Durchmesser die Entfernung des am meisten hervorragenden Punktes 


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Fehlerhafte Keimanlage etc. 


343 


Heinrich E,. achtes Kind, 10 Wochen alt. Kopf- und Gesichtsasymmetrie. 
Rechter schräger Durchmesser 11,5, linker 18,5 cm. Längsdurchmesser der 
Ohrmuschel rechts 4,75, links 4,5 cm. 

Fritz E., viertes Kind, 6 Jahre. Kopf- und Gesichtsasymmetrie. Rechter 
schräger Durchmesser 16,5, linker 17,25 cm. 

Vielleicht rechnet hierher auch eine Beobachtung Stein’s^), der 
zufolge zwei Brüder an hereditärer Ataxie (Friedreich’scher Krank¬ 
heit) und zugleich an Asymmetrie der Schädelbiidung litten, sowie 
eine Beobachtung B^rangers-) und Rosenfeld's ^). Im letzteren 
Falle war die Schädelasymmetrie begleitet von einer rechtsseitigen 
Zehenüberzahl und einer linksseitigen Zehenverwachsung. 

üeber einen weiteren hierher gehörigen Fall berichtet Blu- 
menthal^). Von einem mit asymmetrischem Schädel behafteten 
Vater stammten zwei Söhne ab, die beide Schädelungleichheit und 
Schiefhals aufwiesen. Blumenthal nimmt für alle diese Ab¬ 
weichungen Keimesvariation an und ist geneigt, diese Aetiologie auch 
bei nicht nachgewiesener Erblichkeit für angeborenen Scliiefhals und 
Schädelungleichheit heranzuziehen, z. B. bei zwei von Petersen^) 
beobachteten Brüdern, die mit diesen beiden Missbildungen zur Welt 
kamen. 

Dass zweitens intrauterine Belastung bei Schädelverbildungen 
eine grosse Rolle spielt, dafür sprechen eine Reihe von Wahrnehmungen. 
So hebt schon Beely hervor, dass die Kinder mit Caput obliquum fast 
durchgängig männlichen Geschlechts sind, also an sich schon mehr 
Raum im Mutterleibe beansprucht haben. Dann begleiten auffällig 

des einen Stirnhöckers vom am meisten vorspringenden Punkte der entgegen¬ 
gesetzten Hinterhauptgegend, und zwar — ähnlich den schrägen Beckendurch¬ 
messern — als linken schrägen den von links hinten nach rechts vorne ver¬ 
laufenden und umgekehrt. Die Geburtshelfer verstehen dagegen am Schädel • 
darunter sagittale Masse, nämlich unter dem grossen schrägen Durchmesser 
die Entfernung des Kinns vom Hinterhauptshöcker, unter dem kleinen schrägen 
Durchmesser die des Nackens von der grossen Fontanelle. (Dührssen, Ge- 
burtshilfl. Vademecum. 1894, S. 11.) 

*) Prager medic. Wochenschr. 1902, Nr. 12. 

•) Doigts Supplement, sur le bord cubital de chaque main; forme du 
crune indiquant ögalement une degencrescence; confirmation des opinions de 
Darwin et de Foltz. Poitou med., Poitiers, T. 11. 1887. S. 158. (Im Orig, 
nicht zugänglich.) 

») a. a. 0. S. 439. 

^) Archiv für Kinderheilkunde 1900, Bd. 30 S. 76. 

Bruns, Beiträge zur klin. Chir. Bd. 18 S. 221. 


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344 


Georg Schmidt. 


oft derartige Schädelasymmetrie andere Deformitäten, die wir nach 
der heute zumeist gültigen Annahme auf intrauterine mechanische 
Behinderung zurückführen; ja, nach Beely ist die „Scoliosis capitis 
vielleicht die häufigste Complication intrauteriner Belastungsdefor¬ 
mitäten“. Endlich liegen dabei überwiegend schwere Geburten vor, 
die auf Anomalien der mütterlichen Geburtswege bindeuten. 

Alle diese Kennzeichen sind bei einer Reihe von Beobachtungen 
vorhanden, so bei 5 der Beely’schen Fälle. 

Walther Sch., 4 Jahre. Entbindung schwer, aber ohne Zange. Starke 
Blutung. Lernte erst mit 14 Monaten laufen, war stets stark. — Rechte Thorax¬ 
hälfte tritt vom stärker vor (halbseitige Hühnerbrust), Kopf asymmetrisch; rechtes 
Tuber frontale tritt stärker vor. Rechter schräger Durchmesser 15,75, linker 
17,25 cm. 

Karl B., 5 Wochen alt, drittes Kind; die beiden anderen gesund. Ent¬ 
bindung ohne Kunsthilfe; Kopflage. — Kopf asymmetrisch, anscheinend in 
Richtung des linken schrägen Durchmessers zusammengedrückt. Lähmung des 
linken Facialis, das linke Auge offen, links Nasolabialfalte weniger stark aus¬ 
geprägt. Oberarme fest am Thorax anliegend, im Ellenbogengelenk spitzwinklig 
gebeugt, Hände fest geschlossen, Daumen eingeschlagen, senkrecht zur Längs¬ 
achse der Hand; Finger und besonders Daumen nicht vollständig zu strecken. 
Beine in den Kniegelenken überstreckt, in gestreckter Stellung Brust und Bauch 
anliegend, mit Mühe im Hüftgelenk bis zum rechten Winkel zu strecken. 
Oberschenkel nach aussen, Unterschenkel nach innen gedreht. Beiderseits 
Klumpfussbildung, links stärker wie rechts. Die medianen Fussränder 
liegen direct den Tibiae an. Hernia inguin. ext. d. (scrotalis). 

Max W., 14 Wochen alt; achtes Kind; Zangengeburt; asphyktisch; 
erholte sich nur langsam. Der linke Arm soll auf dem Rücken gelegen haben, 
die linke Schulter gegen die linke Unterkieferhälfte angedrückt gewesen sein. 
Hier soll man eine etwas eingedrückte Stelle bemerkt haben. — Der linke Arm 
hängt schlaff herab, der ganze Arm ist im Sinne der Pronation gedreht. Die 
Hand wird activ bewegt, der Vorderarm aber im Ellenbogengelenk nicht flecÜrt, 
der Oberarm im Schultergelenk gar nicht bewegt. Passiv alle Bewegungen 
ausführbar, nur etwas behindert, z. B. Flexion im Ellenbogengelenk nicht voll¬ 
ständig möglich. Kopf asymmetrisch, im Sinne des rechten schrägen Durch¬ 
messers zusammengedrückt. 

Günther G., 1 Jahr, Zangengeburt. Mit Jahren wurde Asymmetrie 

des Rückens bemerkt. — Dorsalskoliose. — IV« Jahre später wird Kopf- 
und Gesichtsasymmetrie festgestellt. Rechter schräger Durchmesser 16, linker 
16,75 cm. 

Leopold A., 2 Jahre, drittes Kind. Entbindung leicht. Als er zu laufen 
anfing, wurde eine abweichende Stellung des linken Beines bemerkt — Kopf- 
und geringe Gesichtsasymmetrie; rechter schräger Durchmesser 15, linker 16 cm. 
Hernia umbilic. Das rechte Bein lässt sich im Knie nicht völlig strecken; 


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Fehlerhafte Eeimanlage etc. 


345 


links Genu valgum. Längsachse des Ober- und Unterschenkels bilden einen 
Winkel von ungeß-hr 150®. Es fehlt jedoch die bei Genu valgum sonst ge¬ 
wöhnliche Hyperextensionsstellung. Zeichen von Rhachitis in der Nähe der 
Extremitätengelenke und an den Rippen. 

Hierher gehört ferner oflFenbar unser dritter, dem B eely’schen 
Falle (Earl B.) auffallend ähnelnder, oben beschriebener Fall (A. L.), 
dessen Elumpfuss sich dadurch also als secundär angeborener 
kennzeichnet und wesentlich von denen der ersten beiden Einder unter¬ 
scheidet. Elumpfuss und Daumenverktimmerung betreffen beide die 
rechte Seite. Die rechte Schädelhälfte scheint nach hinten gedrückt 
zu sein. Noch 8 Wochen nach der Geburt nimmt das rechte Bein 
eine Stellung ein, die auf eine von rechts her wirkende, raum¬ 
beschränkende äussere Gewalt hindeutet. Der in der Schwanger¬ 
schaft erlittene kurze Unfall der Mutter dürfte kaum im Stande ge¬ 
wesen sein, eine solche andauernde Fixationsstellung hervorzubringen, 
wohl aber ein lange Zeit stets in gleicher Weise ein wirkender intra¬ 
uteriner Druck. Für eine solche Anomalie spricht auch die Steiss- 
lage eines der drei Geschwister. 

Welcher Art aber die Störung ist, darüber lassen sich im 
einzelnen Falle bisher nur Vermuthungen aussprechen. An sich sind 
wieder zwei Wege möglich. Es können auf den gesunden Fötus 
regelwidrige Aussenverhältnisse oder normale äussere Umstände auf 
die erkrankte, z. B. rhachitisch veränderte Frucht einwirken. Beely 
glaubt, dass manchmal der nach der einen Seite gedrehte Eopf 
zwischen Schulter oder Arm einerseits und Uteruswand andererseits 
im Sinne des einen schrägen Durchmessers zusammengedrückt, oder 
dass der Druck der Uterus wand durch die Beckenwandungen (Hoffa) 
oder durch die Leber (Schmidt) unterstützt werde. 

Erreicht der äussere Druck höhere Grade, so kommt es nicht 
nur zu einer Form-, sondern auch zu einer Haltungsveränderung 
des Schädels, nämlich zu einer dauernden Schiefstellung, deren 
Folge wiederum eine mangelnde Entwickelung des Muse, sterno- 
cleidomast. auf der Seite der Neigung, sowie eine Verbiegung der 
Wirbelsäule ist'). Es liegt hier aber durchaus keine Contractur 

*) Es gibt sicherlich auch Fälle, in denen die Halswirbelskoliose — meist 
hochgradiger Art — das congenitale und primäre Leiden ist und erst im Laufe 
der Zeit eine Schiefhaltung und asymmetrische Weiterentwickelung des Kopfes 
hervorbringt. Diese im eigentlichen Sinne als Caput obstipuum scolioticum 
zu bezeichnenden Schrägköpfe gehören zu den weiter unten zu besprechenden 
extrauterin entstehenden Schädelverbildungen. 


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346 


Georg Schmidt. 


des Eopfhickermuskels, kein typisches Caput obstipum musculare Tor. 
Nachdem bereits y. Mikulicz^) darauf aufmerksam gemacht hat 
dass eine einfache Schiefstellung des Kopfes in utero keine so schwere 
Veränderung im Muskel hervorrufen kann, wie man sie bei den typi¬ 
schen Torticollis-Fällen findet, ist es das Verdienst Kader’s^), mit 
aller Schärfe darauf hingewiesen zu haben, dass es sich hier um eine 
von der Schädelverbildung bei Torticollis gänzlich verschiedene De¬ 
formität handelt, und dass solche Fälle — bei oberflächlicher Unter¬ 
suchung — sehr leicht, aber mit Unrecht für die congenitale Her¬ 
kunft und intrauterine Entstehung des muskulären Schiefhalses in 
Anspruch genommen werden können. Der von Kader beschriebene 
und im Gegensatz hierzu als Caput obstipum scolioticum — mit 
Rücksicht auf die angeborene Halswirbelskoliose — bezeichnete 
Fall (Krankengeschichte Nr. 35, Fig. 8—10) sei hier kurz skizzirt 

Richard W., 5'/^ Monat alt, viertes Kind. 4 Wochen zu spät geboren. 
Mutter in der letzten Hälfte der Schwangerschaft 3 Monate hemiplegisch. 
Schädellage. Geburt ohne Störung. Kurz darauf Schädelasymmetrie und leicht 
corrigirbare Schiefhaltung des Kopfes bemerkt. — Befund: Schädel von rechts 
vorn oben nach links hinten unten abgeplattet. Die stärkste Abplattung hinten 
links, der stärkste Vorsprung hinten rechts. Linker diagonaler Durchmesser*) 
(Tub. front, sin. — Tub. par. d.) bedeutend länger als der rechte. Rechte Gesichts* 
hälfte eine Spur kleiner wie die linke, sowohl oben wie in der Unterkiefer- 
gegend. Starke sinistro-convexe Skoliose der Halswirbelsäule, geringere der 
Brustwirbelsäule. Rechte Halsseite bedeutend kürzer als die linke. Rechter 
M. stemocleidomast. schlaff; auch bei der fast völlig möglichen Correction der 
Kopfstellung nicht gespannt. 

Ferner enthält die Beely'sche Zusammenstellung 2 Fälle, die 
zweifellos hierher gehören. 

Franz A., IV 2 Jahr. Entbindung 14 Tage zu früh, nach einer An¬ 
strengung der Mutter, ohne Kunsthilfe. Der in seiner Form unregelmässige 
Kopf wurde stets links geneigt gehalten. — Beide Kopfhälften wie an einander 
verschoben, vorbeigedrückt; rechte Stirn- und rechte Gesichtshälfte treten weiter 
vor. Der linke Kopfnicker ist bei keiner Bewegung des Kopfes stärker vor- 


') Ueber die Exstirpation des Kopfnickers beim musculären Schief hals 
nebst Bemerkungen zur Aetiologie dieses Leidens. Centralbl. f. Chir. 1895, 
S. 7. — Dieselbe Ansicht vertritt auf Grund experimenteller Forschung Heller 
(Deutsche Zeitschr. für Chir. Bd. 49 S. 239). 

Das Caput obstip. musc. Bruns, Beiträge zur klin. Chir. Bd. 18 
S. 207 bezw. 304. 

*) d. h. = rechter schräger Durchmesser im Beely-WitzeTschen Sinne, 


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Fehlerhafte Eeimanlage etc. 


347 


springend oder gespannt zu fühlen. Am Skelet Zeichen von Rhachitis. Im 
linken Kniegelenk mitunter ein eigenthümliches Knacken wahrzunehmen. Patient 
rührt den rechten Fuss nach dem Mund, den linken nicht. Die Wirbelsäule 
scheint sich in der Regio lumbalis leichter nach rechts als nach links zu 
biegen. 

Alice 6., 1 Jahr alt, Zangengeburt. 4 Monate nachher wurde Rücken¬ 
schiefheit, von Qeburt an Schiefhaltung des Schädels bemerkt. — Linke Kopf- und 
Gesichtshälfte nach hinten verschoben; der rechte schräge Durchmesser kürzer. 
Linke Gesichtshälfte abgeplattet. Kopf nach links geneigt; keine Contractur 
des Kopfhickers nachweisbar. Linksconvexe Dorsal-, rechtsconvexe Cervical- 
skoliose. 

Einen weiteren Fall hatten wir kürzlich in der Breslauer Chirurg. 
Klinik zu beobachten Gelegenheit. Er verdient um so mehr Interesse, 
als die Schädelasjmmetrie und die Kopfschiefstellung ohne 
Sternocleidomastoideuscontractur verbunden sind mit den 
Aeusserungen der Little’schen Krankheit. 

8. G. G., Joum.-Nr. 553, 1903, VIa Jahre alt. Ein Oheim der Mutter 
ist im Irrsinn verstorben. Sonst keine erbliche Belastung. Eltern und acht 
Geschwister nonnal gebildet; von letzteren drei jung gestorben. Die zweite 
Geburt war schwer und erforderte ärztlichen Eingriff. Patient selbst das 
sechste Kind. 3 Wochen vor dem normalen Ende der Schwangerschaft will 
die Mutter einen Fehltritt auf der Treppe gethan haben. Die Geburt dauerte 
12 Stunden; kein Arzt. Das Kind wurde mit dem Kopf voran, scheintodt ge¬ 
boren und kam erst nach 2—3 Stunden zum Leben. Die Nabelschnur soll den 
Hals umschlungen haben. Das anfänglich sehr lebensschwache Kind hielt von 
Geburt an den Kopf nach der linken Seite geneigt, richtete ihn aber zeitweise 
gerade auf. Nach */4 Jahren brachen die Zähne durch. Zu gleicher Zeit be¬ 
merkten die Eltern, dass das Kind mit den Händen nicht ordentlich zufassen konnte, 
sowie, dass an den Beinen etwas nicht in Ordnung war. Der Knabe lernte 
nicht aufrecht zu gehen, sondern rutschte auf allen Vieren umher. Zwei be¬ 
fragte Aerzte erklärten das Leiden für unheilbaren Blödsinn. Doch waren die 
Eltern der Ansicht, dass der Knabe zwar geistig zurückblieb, zum Theil, weil 
ihm infolge seiner körperlichen Schwäche der freie Verkehr mit anderen 
Kindern versagt blieb, dass er aber mit der Zeit leidlich verständig wurde. Eng¬ 
lische Krankheit trat nicht auf. Mit 3 Jahren begann er zu sprechen, wenn 
auch zuerst nur sehr undeutlich und stammelnd. Mit 6 V< Jahren fing er auch 
an, mit Unterstützung aufrecht zu laufen. 

Befund: Gut genährter, aber körperlich und geistig in der Entwickelung 
etwas zurückgebliebener Knabe. Sprache undeutlich, meist lallend. Der Schädel 
(Fig. 9) auffällig asymmetrisch, so zwar, dass er vorn und hinten abgeflacht, nach den 
beiden Seiten hin dagegen vorgetrieben erscheint. Besonders ragt über dem 
linken Ohr die linke Schläfenscheitelgegend als rundlicher Buckel hervor. Der 
Scbädelumriss in Höhe der Stirn- und Hinterhauptshöcker erscheint demgemäss 
fast als Kreis, dessen sagittaler Längsdurchschnitt 15,5, dessen Querdurchschnitt 
Zeitschrift für orthopädische riiirurgie. XII. Bd. 23 


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348 


Georg Schmidt. 


16 cm misst. Schädelumfang 50,5 und zwar von der Stirnmitte rechts herum 
zum Hinterhauptshöcker 24,0, links herum 26,5 cm. Tasterzirkelroaasse: von 
Schläfe zu Schläfe 18, von einem zum anderen Scheitelhöcker 24,5, von der 
Stirn zum Nacken 25, vom Hinterhaupt zum Kinn 24, zur Stirn 26 cm. Zähne 

sehr unregelmässig gebaut. Der Kopf ist 
nach rechts gedreht und nach links geneigt, 
doch stellt der Knabe bei lebhafteren Be¬ 
wegungen oft von selbst den Kopf gerade. 
Auch passiv gelingt dies sehr leicht. Eine 
Anspannung oder Verdickung im 
linken Sternocleidomastoideus ist 
bei keiner Kopfstellung fühlbar. In 
den Fingern, die sich ebenso wie die Hände 
passiv leicht hyperdorsal flectiren lassen, 
häufig spontan, ferner stets beim Zugreifen 
nach einem Gegenstand, athetotisch-spasti- 
sche Bewegungen, meist im Sinne der Dor¬ 
salflexion. Die Kniee in leicht zu über¬ 
windender spastischer Beugestellung. Füsse 
in Spitzfussstellung, sowohl in der Ruhe, 
wie bei Versuchen, aufzutreten, wobei der 
Knabe unterstützt werden muss. Nach wenigen Schritten lösen sich die 
Spasmen der Beinmusculatur und der Knabe setzt nunmehr nahezu die volle 
Sohle auf. Oberschenkel leicht nach innen rotirt und adducirt. Kniescheiben 
an normaler Stelle. Patellarreflexe lebhaft. 

Während die der Geburt fast unmittelbar vorausgegangene 
Verletzung der Mutter keine sicheren ätiologischen Anhaltspunkte 
abgibt, weisen die unregelmässige Form und die ohne Kopfnicker¬ 
betheiligung einhergehende Schiefstellung des Schädels, ferner die 
Abweichung in der Geburtsgeschichte (Umschlingung der Nabel¬ 
schnur um den Hals des Kindes) auf intrauterine Anomalien hin 
und berechtigen zur Annahme eines Caput obliquum foetale. Die 
einzelnen Züge des Littlersehen Krankheitsbildes sind dann ver- 
muthlich Folgen der Störung des Blutumlaufs durch die Nabelschnur¬ 
umschlingung oder unmittelbaren Schädeldruckes. 

Die angeführten Beobachtungen Hessen sich wohl leicht ver¬ 
mehren, besonders aus den zahlreichen Arbeiten über Torticollis; 
indessen genügen sie gewiss zur Abgrenzung der hier besprochenen 
Abart der Schädelasymmetrie. 

Ueberblicken wir die hierher gehörigen Fälle, so ist allen gemein¬ 
sam, dass eine pathologische Störung am Kopfnickermuskel niemals 
nachzuweisen ist. Kader^) fordert deshalb wohl mit Recht, dass die 

’) a. a. 0. S. 312. 


Fig. 9. 



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Fehlerhafte Keimanlage etc. 


349 


Schädelasyrametrie des Neugeborenen als eine Erscheinung für sich zu 
betrachten und nicht ohne weiteres in Abhängigkeit zu bringen ist 
vom Caput obstipum musculare. Auch Hoffa^) führt diejenigen 
Fälle, die kurz nach der Geburt beobachtet wurden, besonders die, 
wo die Schädel Veränderung grösser ist als die des Gesichts, auf den 
Druck der Beckenwand gegen die weichen Schädelknochen bei längerem 
Verweilen dieser letzteren im Becken während der letzten Monate 
der Schwangerschaft oder bei abnorm schiefer Lage im Uterus und 
damit die Asymmetrie des Schädels auf dieselbe Ursache wie die 
Verkürzung des Kopfnickers zurück. 

Von sämmtlichen mitgetheilten Beobachtungen des Caput obli- 
quum foetale — 6 ohne, 4 mit gleichzeitiger einfacher Schiefstellung 
und Neigung des Kopfes — betrafen neun Knaben, nur einer ein 
Mädchen. Bei drei Geburten kam die Zange zur Anwendung; eine 
vierte wird ausdrücklich als schwer bezeichnet; eine weitere Geburts¬ 
störung war einmal die um den Hals des Kindes geschlungene Nabel¬ 
schnur. Von begleitenden Missbildungen wurden bemerkt: Schief¬ 
haltung des Kopfes 4mal, Skoliose der Hals- oder Brustwirbelsäule 
3mal, halbseitige Hühnerbrust Imal, Lähmung des Facialis Imal, 
des Armes Imal, Daumenverkümmerung Imal, multiple Gelenkcon- 
tracturen Imal, Muskelspasmen Imal, Störungen im Kniegelenk 2mal, 
Klumpfussbildung 2mal (davon einmal doppelseitig). 

Die von Beely aufgestellten Kennzeichen dieser Gruppe der 
Schädelasymmetrie sind also ausreichend vorhanden. 

Es erhebt sich die Frage, ob sich vielleicht auch in der äusseren 
Erscheinung der bisher besprochenen Schrägkopfabarten die ver¬ 
schiedene Aetiologie ausprägt. Für das Caput obliquum idio- 
pathicum liegen leider noch zu wenig genauere Beobachtungen vor. 
Da diese Missbildung nicht Gegenstand der ärztlichen Hilfeleistung 
ist, so müsste zu ihrer Erforschung eher die Mitwirkung der Lehrer, 
vielleicht noch der Geburtshelfer und Kinderärzte in Anspruch ge¬ 
nommen werden. Die Feststellung etwaiger erblicher Uebertragung 
ist hierbei der wichtigste Punkt. 

Etwas mehr lässt sich schon von der Gestalt des Caput obli¬ 
quum foetale sagen. Der intrauterine Druck kann am Schädel gewiss 
in jeder Richtung angreifen und damit ganz unregelmässige Formen, 
z. B. begrenzte, buckelartige Vorwölbungen, wie in unserem Falle 8 


q a. a. 0. S. 198. 


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350 


Georg Schmidt. 


(Fig. 9), erzeugen. Ferner erfolgt nicht selten, vermuthlich in sehr 
früher Zeit, eine Verschiebung der beiden Kopfhälften in sagittaler 
Richtung, bezw. eine Zusammenpressung in der Richtung eines der 
schrägen Durchmesser. Es entsteht dann ein Schädelumriss — ge¬ 
messen um die Stirnbeinhöcker und die am meisten nach hinten 
vorspringenden Theile des Hinterhauptes —, der einer schiefen 
Eiform gleicht, von dem bereits Beelj eine seinen Fall (Karl B.) 
betreffende Abbildung gibt und den ich auch in ganz gleicher Weise 
durch Abdruck mit weichem Bleiband wie durch den Gipsabguss bei 
unserem Falle 3 (A. L.) feststellen konnte (Fig. 4). 

Die Mehrzahl der angeführten Beispiele von Caput obliquum 
foetale enthält Hinweise darauf. Die Gesichtsasymmetrie tritt, wie 
auch Hoffa hervorhebt, dabei gegen die eigentliche Schädelschief¬ 
heit zurück. Rechte und linke Schädelhälfte erscheinen, besonders 
bei der Betrachtung von oben her, wie an einander vorbei verschoben; 
die schrägen Durchmesser weisen erhebliche Unterschiede auf. Auch 
die Geburtshelfer haben bei Neugeborenen eine Verschiebung beider 
Scbädelhälften in horizontaler Richtung an einander vorbei vielfach 
festgestellt ^). 

Nach Beely^) stimmt diese Schädelverbildung mit der beim 
Caput obstip. „congenitale* (sc. musculare oder Torticollis) beob¬ 
achteten überein; indessen ist dies durchaus nicht der Fall, wie auf 
Grund neuerer Forschungen und eigener Beobachtungen leicht gezeigt 
werden kann. 

Am Ende des intrauterinen Lebens unterliegt der noch weiche 
Schädel einer, wenn auch für gewöhnlich nicht lange dauernden, so 
doch ungewöhnlich heftigen äusseren Ge waltein Wirkung, nämlich dem 
Druck des mütterlichen Geburtskanales während des Durchtrittes. 
Nach Schroeder^) bringt der Druck des Beckenbodens und ins¬ 
besondere der des Promontoriums bei engem Becken eine Abflachung 
des nach hinten und eine Vortreibung des nach vorn gerichteten 
Scheitelbeins hervor. Auch hier gilt, was schon für die symmetrischen 
Geburtsconfigurationen des Schädels hervorgehoben wurde, dass diese 
Verbildungen sich bald wieder ausgleichen. «Nur höchst selten 

*) a. a. 0. S. 47. 

*) Spiegelberg, Stadtfeldt, Dohrn, Schroeder, eit bei Beely 
a. a. 0. S. 40 und bei Schroeder, Olshausen a. a. 0. S. 192. 

») a. a. 0. S. 45. 

*) a. a. 0. S. 192, s. auch Fig. 09. 


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Fehlerhafte Keimanlage etc. 


351 


persistirt die eine oder die andere noch nach 8 Tagen oder darüber*^ ^). 
Das Caput obliquum puerperale kommt also bei der Beurthei- 
lung angeborener Deformitäten im späteren Leben kaum in Betracht. 

Es verbleiben somit die Schädelverbildungen, die erst im extra- 
uterinen Leben entstehen. An und für sich geringfügige äussere 
Einwirkungen, wie das ständige Anlegen derselben Kopfseite an die 
Brust oder Schulter der tragenden Mutter genügen dazu, sofern sich 
die Schädelknochen in einem Zustand krankhafter Weichheit, wie 
z. B. bei der Rhachitis (Caput obliquum rhachiticum), befinden. 
Man ist berechtigt, eine solche Aetiologie anzunehmen, wenn eine in 
der frühesten Jugend nicht bemerkte, meist unregelmässige Schädel¬ 
schiefheit sich bei einem Kinde ausbildet, das keinerlei sonstige an¬ 
geborene oder Geburtsstörungen, wohl aber Zeichen hochgradiger 
Rhachitis aufweist. Auch hierfür ein der Breslauer Chirurg. Klinik 
entstammendes Beispiel (Fig. 10). 

9. J. P., Joarn.-Nr. 122, 1903, 15 Jahre alt, sucht wegen starker Rück¬ 
gratsverkrümmung am 26. April 1908 die orthopädische Poliklinik auf. — 
Stammt aus ganz gesunder Familie. Geburt 
sehr leicht verlaufen. Lernte mit 1 Jahr 
laufen, erkrankte aber bald darauf an „dicken 
Gliedmassen und Beulen am Körper“, so dass 
er erst im Alter von 4 Jahren seine Lauf¬ 
versuche wieder aufnahm. Seit dieser Zeit 
wurde die Schädelschiefheit;, seit Jahren 
angeblich auch die Rückgratsverkrümmung 
bemerkt. — Unregelmässige Zahnstellung 
besonders im Oberkiefer. Schädel ganz 
unregelmässig gebaut (siehe Fig. 10). Der 
linke Stimhöcker ist vorgewölbt. Die rechte 
Stirn- und obere Wangenhälfte ist ver¬ 
schmälert und abgeplattet; dagegen ver¬ 
breitert sich die rechte Wange wieder er¬ 
heblich in der Richtung nach dem rechten 
Unterkiefer Winkel zu. Dem gegenüber er¬ 
scheint die linke Gesichtshälfte oben breit, 
unten schmal und spitzer. Der Nasenrücken 
ist leicht convex nach rechts gebogen. Der 
Schädelumriss, sowie die Betrachtung von oben her lehrt, dass in der Hinter- 
hauptegegend kein deutlicher Unterschied besteht, dass dagegen die rechte 

*) Spiegelberg, Lehrbuch der Geburtshülfe 1878, S. 156. 

*) Pokrovski, Einfluss der Art des Schlafens der Kinder auf die Miss¬ 
bildung des Schädels. Bericht der Gesellschaft der Freunde der Naturwissen¬ 
schaften u. s. w. zu Moskau, Bd. 49 H. 8. (Russisch; im Original nicht zugänglich.) 


Fig. 10. 



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352 


Georg Schmidt. 


Schläfengegeod eine Vorwölbung, die linke dagegen eine Einsenkung zeigt 
Rechter schräger Durchmesser 23, linker 20 cm. — Rhachitischer Rosenkranz. 
Erhebliche linksconvexe Dorsal-, geringere rechtsconvexe Cervicalskoliose. — 

Weiterhin treten bald nach der Geburt oder auch noch im 
späteren Leben Schädelverbildungen als Folge einer dauernden Schief¬ 
stellung des Kopfes auf, z. B. im Anschluss an angeborene oder 
erworbene hochgradige Cervicalskoliose (eigentliches Caput obli- 
quuna scolioticum), oder an tuberculöse Erkrankung der Hals¬ 
wirbel (Beobachtung 7 der Beely’schen Zusammenstellung), oder 
an musculären Schiefhals (Caput obliquum myopathicum). Im 
letzteren Falle hat die Schädelasymmetrie von jeher die Aufmerk¬ 
samkeit der Forscher auf sich gezogen und ist mannigfach be¬ 
schrieben und abgebildet worden. Mag nun die zum Torticollis 
führende chronische Myositis des Sternocleidomastoideus schon 
während des intrauterinen Lebens eingesetzt haben, wie es in 
seltenen Fällen vorkommt, oder erst durch das Geburtstrauma ver¬ 
anlasst sein, immer tritt die Schädelverbildung erst secundär, als 
Folgeerscheinung der Kopfschiefstellung und -neigung auf. Welche 
Erklärung für den dabei sich abspielenden verwickelten Vorgang zu 
Recht besteht, dies zu untersuchen, gehört nicht hierher. Es genügt 
hier hervorzuheben, dass nach den von Witzei, Kader, Hoffa 
gegebenen Beschreibungen, von deren Richtigkeit man sich jeder Zeit 
selbst an einschlägigen Krankheitsfällen leicht überzeugen kann, die 
hierbei auftretende Deformität gegenüber den bisher beschriebenen 
Schädelverbildungen deutliche Unterschiede aufweist. Einmal tritt 
die Gesichtsungleichheit erheblich mehr in den Vordergrund. Die 
dem gesunden Muskel entsprechende Gesichtshälfte erscheint herab¬ 
gezogen. Dann ist die gleichnamige Schädelhälfte schmäler und mehr 
in die Länge entwickelt; auch ist ihre Achse concav gegen die andere 
(kranke) Seite hin verkrümmt, so dass sie sich »wie etwa die Mond¬ 
sichel an den dunklen Theil der Mondscheibe“ anlegt^). Während 
also bei den bisher beschriebenen Schrägköpfen — abgesehen vom 
vornherein schief angelegten Schädel — eine einfache mechanische 
Verzerrung nach der einen oder anderen oder auch nach zwei Rich¬ 
tungen hin stattgefunden hat, liegt im Krankheitsbilde des Torti¬ 
collis eine Verkümmerung der geneigten Schädelhälfte in allen ihren 
Theilen und eine entsprechende allseitige üeberentwickelung der 

') Kader a. a. 0. S. 322. 


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Fehlerhafte Keimanlage etc. 


353 


anderen Hälfte vor — ein Grund mehr, beide Vorgänge, Schrägkopf 
und Schiefhals, nicht gemeinsam auf eine äussere, vielleicht intra¬ 
uterine Ursache zurückzuflihren, sondern den einen, die Schädel¬ 
verbildung, aus der anderen, dem durch Kopfnickercontractur hervor¬ 
gerufenen Schiefhals, abzuleiten. 

Aus alledem geht, wie ich glaube, zur Genüge hervor, dass 
man nicht mehr berechtigt ist, mit Beely das Caput obliquum, den 
Schrägkopf unterschiedslos als eine „wohl charakterisirte, secundär 
angeborene Belastungsdeformität" anzusehen, sondern dass man be¬ 
strebt sein muss, ihn durch Anamnese, genaue Untersuchung und 
durch fortgesetzte Beobachtung des Verlaufes in die geschilderten 
Gruppen zu sondern. In letzterer Beziehung verspricht eine Ver¬ 
gleichung früher und später gewonnener Maasse noch manchen Auf¬ 
schluss. Man sage auch nicht, dass es sich nur um theoretische 
Streitigkeiten handle. Zwar therapeutisch einzugreifen, wie etwa 
beim Klumpfuss, und unser Handeln nach der etwaigen Aetiologie 
zu bestimmen, dazu sind wir gegenüber der Schädelasymmetrie — 
einem nur kosmetischen, nicht functioneilen Fehler — nicht in der 
Lage. Aber für die Beurtheilung der Herkunft der vielfach damit 
verbundenen andersartigen Deformitäten, denen gegenüber unsere 
Kunst nicht machtlos ist, erscheint eine genaue Einsicht in die Ent¬ 
stehungsgeschichte der Schädelungleichheit von bestimmender Be¬ 
deutung. Auch die Prognose dankt ihr manchen Fingerzeig. Auf 
Grund von vornherein falscher oder mangelhafter Keimanlage wird 
sich der Unterschied der kranken Theile gegenüber den gesunden, 
normal und vollzählig angelegten und weiter entwickelten Partien 
immer deutlicher herausbilden. Bei den intrauterinen mechanischen 
Hemmungsbildungen wie auch beim operirten Torticollis dagegen liegt 
nach dem Wegfall des Hindernisses die Möglichkeit vor, dass die 
zurückgebliebenen Schädelpartien bei fortschreitendem Wachsthum 
entsprechend zunehmen und dass mit der Zeit die Differenz sich 
ausgleicht. 


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XXIII. 


Gedanken zur Theorie und Behandlung der Skoliose. 

Von 

Dr. Konrad Port, 

Specialarzt für Chirurgie in Nürnberg. 

Mit 7 in den Text gedruckten Abbildungen. 

A. Vorbetrachtungen. 

In neuester Zeit ist durch die Experimente von Maas in über¬ 
zeugender Weise dargethan worden, dass diejenigen Deformitäten, 
welche unter dem Namen der Spätrhachitis zusammengefasst werden, 
mit der eigentlichen Rhachitis, wie sie im Kindesalter auf tritt, gar 
nichts zu thun haben, sondern durch Störungen in den statischen 
Verhältnissen der betreffenden Knochen bewirkt werden. Bei Ver¬ 
änderung des Druckes wird nämlich das Knochenwachsthum in der 
Weise beeinflusst, dass bei stärkerem Druck der Knochen niedriger, 
breiter und compacter gefügt, bei verringertem Druck aber höher, 
schmäler und von lockerem Gefüge wird. Dabei wird das Wachs¬ 
thum durch dieselben Factoren bedingt wie im normalen Zustand: 
Die Epiphysenknorpel besorgen das Längen wachsthum, das Periost 
das Dickenwachsthum. Es wird auch die Menge des producirteu 
Knochens nicht geändert, sondern nur seine Form. 

Diese Verhältnisse erklären die Knochendeformitäten der sogen. 
Spätrhachitis in so einfacher und befriedigender Weise, dass die An¬ 
nahme irgend welcher Knochenerkrankung ganz überflüssig erscheint. 
Es lassen sich auf diese Weise sehr beträchtliche Verkrümmungen 
verstehen. Wenn die beiden Hälften eines Epiphysenknorpels in 
ungleicher Weise belastet werden, so produciren sie gegen die Dia- 
physe zu ungleich gestalteten Knochen, nämlich auf der gedrückten 
Seite niedrigen (und compacten), auf der weniger gedrückten höheren 
(und lockerer gefügten). Dadurch wird bewirkt, dass die Epiphyse 
selbst nun schief auf der Diaphyse aufsitzt, das von ihr in einer 


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Gedanken zur Theorie und Behandlung der Skoliose. 


355 


gewissen Zeit gebildete Enochenstück aber Eeilform hat. Beim Fort¬ 
bestehen der asymmetrischen Druckverhältnisse wird die Epiphyse 
in der gleichen Weise Weiterarbeiten und wieder ein keilförmiges 
Enochenstück produciren, und selbst noch mehr aus der ursprüng¬ 
lichen, zur Diaphysenlängsachse senkrechten Lage herausgedrängt 
werden. Es wird so vollständig klar, wie bei starker Beugecon- 
tractur des Knies jugendlicher Individuen z. B. regelmässig eine Ab¬ 
biegung des Oberschenkelknochens nach hinten eintreten kann (Fig. 1). 

Als Ursache für alle sogen, 
spätrhachitischen Deformitäten wird 
Storung in der Muskelthätigkeit an¬ 
genommen. Durch die Ermüdung 
einzelner Muskelgruppen wird eine 
abnorme Haltung der Gelenke be¬ 
dingt, die sogen. Ermüdungshaltung. 

Indem diese häufig wiederkehrt, habi¬ 
tuell wird, beginnt sie das Wachsthum 
der in ihrem Einfiussbereich gelegenen 
Epiphysenfugen zu stören. 

Zu den spätrhachitischen Er¬ 
krankungen wird auch die habituelle Skoliose gerechnet. Es soll 
im folgenden versucht werden, zu beweisen, dass auch sie sich ganz 
ungezwungen erÜären lässt als eine solche Ermüdungskrankheit, 
bei welcher keinerlei Knochenerkrankung besteht, sondern die Form¬ 
veränderung am Skelet nur eine Folge gestörten Wachsthums ist. 

Vor allem muss festgehalten werden, dass die Wirbel ent¬ 
wickelungsgeschichtlich zu den knorpelig vorgebildeten Knochen ge¬ 
hören, deren Verknöcherung von bestimmten Knochenkernen aus vor 
sich geht. Und zwar ossificiren die Wirbel beim Embryo von drei 
Punkten aus, je einem in den Bögen und einem im Körper. Zwischen 
den Bögen befindet sich anfangs eine dickere Knorpelmasse, welche 
nach und nach in einen Dom auswächst, den späteren Processus 
spinosus. Die Vereinigung der knöchernen Wirbelanlage beginnt 
zuerst an den Bögen während des 1. Lebensjahres, und im 3. Lebens¬ 
jahr ist der Bogen fertig. Gegen das 8. Lebensjahr verwächst dann 
auch der knöcherne Wirbelkörper mit dem Bogen. Ausser diesen 
drei Hauptverknöcherungspunkten gibt es aber noch eine Anzahl an¬ 
derer, sogen, accessorischer, welche erst in den späteren Kinderjahren 
auftreten. Etwa zwischen dem 8. und 10. Lebensjahre treten in den 


Fig. 1. 



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Konrad Port. 


l 

i 


356 


knorpeligen Ueberzügen der Wirbelflächen die sogen. Epiphysen¬ 
platten auf, d. h. die Knochenkerne der Epiphysen, welche für das 
Höhenwachsthum der Wirbel von einschneidender Bedeutung sind 
und etwa erst gegen das 25. Lebensjahr hin mit der Hauptmasse 
der Wirbelkörper verschmelzen. Ferner treten eigene Knochenkeme 
auf für Quer-, Gelenk- und Dornfortsätze. Die Wirbelkörper bilden 
sich demnach genau in derselben Weise wie alle knorpelig prä- 
formirten Knochen des Skelets, und ihr Weiterwachsen erfolgt eben¬ 
falls genau in derselben Weise wie das aller mit Epiphysen ver¬ 
sehenen Knochen durch Zubildung von Knochensubstanz von den 
Epiphysenfugen aus. Wie dort so bleibt auch hier die einmal ge¬ 
bildete Knochensubstanz im grossen und ganzen (nämlich abgesehen 
von der jiusgleichenden Thätigkeit des Knochenmarks und Periosts) 
bestehen, der Knochen wächst nur durch Zubau. 

Genau die gleichen Verhältnisse bestehen an den ebenfalls 
knorpelig präformirten Rippen. 

Die statischen Verhältnisse an der Wirbelsäule sind gegeben 
durch den Druck von oben, welchen die von der Wirbelsäule ge¬ 
tragenen Körpertheile durch ihre Schwere ausüben, und durch die 
Muskeln, welche die Wirbelsäule in ihrer normalen Form erhalten. 
Diese beiden Kräfte, der Druck in verticaler Richtung und die 
Muskelthätigkeit wirken einander entgegen. Die Wirbelsäule ist ein 
aus einer grossen Anzahl einzelner Theile zusammengesetztes Ge¬ 
bilde. Die einzelnen Theile, die Wirbel, besitzen eine sehr grosse 
Beweglichkeit gegen einander, die Hemmungsvorrichtungen für diese 
Bewegungen lassen einen beträchtlichen Spielraum zu. Die Wirbel¬ 
säule an und für sich hat infolgedessen gar keinen festen Halt und 
es gelingt absolut nicht, das von Weichtheilen befreite Skelet oder 
eine Leiche so zu stellen, dass die aufrechte Haltung beibehalten 
wird. Sie weicht unter dem Druck von oben nach allen Seiten aus 
und sinkt widerstandslos in sich zusammen. Die Wirbelsäule hat 
zwar elastische Elemente in sich, aber sie kann trotzdem in gar 
keiner Weise mit einem elastischen Stab verglichen werden, denn 
sie hat nicht wie dieser eine Gleichgewichtslage, in welche sie zurück¬ 
zukehren strebt. Dem Druck von oben, welcher ein Zusammen¬ 
knicken der Wirbelsäule bewirkt, arbeiten die Muskeln entgegen, 
indem sie die einzelnen Wirbel gegen einander festhalten und ein 
Ausweichen nach irgend einer Seite verhindern. Sie geben so der 
Wirbelsäule ihren Halt und ihre Form. 


I 


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Gedanken zur Theorie und Behandlung der Skoliose. 


357 


Die hierbei in Betracht kommenden Muskeln sind: die Bauch¬ 
muskeln, die Quadrat! lumborum und die eigentlichen Rückenstrecker, 
welche Duchenne unter dem Namen Erectores trunci zusammen¬ 
gefasst hat und die aus einer grossen Anzahl selbständig innervirter 
Muskeln bestehen. Ihre Wirkungsweise und ihre Wichtigkeit für die 
Haltung des Rumpfes ist in der eingehendsten Weise von Eulen¬ 
burg und Duchenne klargelegt worden, von letzterem besonders 
auch durch die Beobachtung von Lähmungen einzelner Gruppen von 
ihnen, welche jedesmal ganz typische Haltungsstörungen zur Folge 
hatten. 

Diese Thätigkeit der Muskeln ist nun einem beständigen 
Wechsel unterworfen. Bei jedem Schritt, welchen der Mensch macht, 
und bei jeder Bewegung seiner Arme wird das Gleichgewicht des 
Rumpfes gestört und die Rumpfmuskeln reagiren auf diese Störung 
mit Contractionen, welche das Gleichgewicht wieder hersteilen. Es 
ist kaum irgend eine Bewegung des aufrechten Menschen denkbar, 
welche nicht die Rumpfmuskeln in Mitleidenschaft zieht. 

Es ist ohne weiteres einleuchtend, dass dasselbe unaufhörliche 
Muskelspiel auch an der skoliotischen Wirbelsäule stattfindet, da auch 
der Skoliotische seine Arme und Beine, Kopf und Rumpf bewegt, 
es anderen Halt aber als die Muskeln für die Wirbelsäule nicht gibt. 
Bei der Betrachtung der skoliotischen Wirbelsäule darf also jeden¬ 
falls die Musculatur nicht ausser Acht gelassen werden. Es lässt 
sich vielmehr von vornherein vermuthen, dass ihr eine wesentliche 
Rolle bei der Entstehung sowohl als bei der Weiterausbildung der 
Skoliose zukommt. 

B. Einfluss der Musculatur bei der Entstehung und Weiterbildung 

der Skoliose. 

Durch die sorgfältigen Untersuchungen und Beobachtungen 
vieler Autoren, unter welchen besonders Eulenburg bahnbrechend 
gewirkt hat, ist man jetzt mehr und mehr zu der Einsicht gekommen, 
dass die Skoliose ihren Ursprung in der Rückenmusculatur hat. Und 
zwar handelt es sich dabei nicht um eine eigentliche Erkrankung 
der Musculatur, sondern um eine oft wiederholte Ermüdung be¬ 
stimmter Muskelgruppen. Der Vorgang hierbei ist so oft beschrieben 
worden, dass ich es unterlassen kann, ihn nochmals zu schildern. 

In neuerer Zeit hat Wagner eine Beobachtung veröffentlicht, 


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358 


Konrad Port. 


die geeignet ist, diese Theorie der Skoliosenentstehung durch Muskel¬ 
wirkung noch zu stützen. Er fand nämlich, dass infolge der Er¬ 
müdung bei den Schulkindern der Tastsinn der äusseren Haut ganz 
merklich herabgesetzt war. Es ist nun wohl der Schluss nicht allz« 
kühn, dass in ähnlicher Weise auch das Muskelgefühl eine erheb¬ 
liche Einbusse erleidet, so dass die automatische flegulation des 
Gleichgewichts weniger prompt von statten geht und das Kind sich 
seiner fehlerhaften Haltung nicht mehr bewusst wird. Die Kinder 
verlieren die Controlle über die Thätigkeit ihrer Rückenmuskeln. 
Es wird so die schiefe Körperhaltung viel leichter eine dauernde. 
Damit würde übereinstimmen, dass man bei der Untersuchung von 
Kindern mit beginnender Skoliose öfters beobachten kann, dass sie 
auf die Aufforderung, sich gerade zu halten, alle möglichen unzweck¬ 
mässigen Bewegungen machen, aber die Gleichgewichtslage nicht 
finden können. Daher mag es kommen, dass bei solchen Kindern 
alle Ermahnungen der Eltern, sich gerade zu halten, nutzlos sind, 
wie einem so oft geklagt wird. 

Worin die oben genannte Uebermüdung eigentlich besteht und 
wie es möglich ist, dass sie eine so grosse und dauernde Storung 
verursachen kann, hat uns auch erst in allerjüngster Zeit Tilmann 
gelehrt. Er wies nach, dass bei der schiefen Haltung die Muskeln 
der einen Seite gedehnt würden. Ferner zeigte er an zahlreichen 
Experimenten, dass der gedehnte Muskel zur Wiedererlangung seines 
normalen Tonus eine viel längere Zeit gebraucht, als die Dehnung 
gedauert hatte. Werden die Ansatzstellen eines Muskels periodisch 
oder dauernd von einander entfernt, so verlängert er sich, dagegen 
verkürzt sich jeder Muskel, dessen Enden einander periodisch oder 
dauernd genähert werden. Die dauernde Verkürzung hat gewöhnlich 
keine Ernährungsstörung im Gefolge, die Verlängerung dagegen führt 
zur Verminderung seiner Contractionskraft, später zu Atrophien, die 
manchmal sehr hartnäckig oder gar irreparabel sind. Erst durch 
diese Untersuchungen hat die Eulenburg'sche Theorie eine wirklich 
greifbare Grundlage erhalten, und man kann nun auch verstehen, 
wie die Störung unaufhaltsam weiter fortschreiten kann. Bei der 
stets wiederholten und langdauernden Ueberdehnung während der Schul¬ 
zeit genügt schliesslich auch die Nachtruhe nicht mehr, um den Schaden 
auszugleichen, und es triöt dann am folgenden Tag die Schädigung 
einen noch nicht ganz erholten Muskel und wirkt daher um so stärker. 

Wenn dann die Skoliose in ihr zweites Stadium eingetreten ist 


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Gedanken zar Theorie und Behandlung der Skoliose. 


359 


und sich die skoliotiscbe Haltung soweit befestigt hat, dass sie zu 
einer dauernden geworden ist, so stehen die knöchernen Gebilde der 
Wirbelsäule unter sehr beträchtlich veränderten statischen Verhält¬ 
nissen, und diese statischen Verhältnisse beginnen nun ihren Einfluss 
auf die Gestalt der einzelnen Wirbel in streng gesetzmässiger Weise 
geltend zu machen. Die frühere normale Gestalt des Wirbels wird 
verändert, er bekommt nach und nach die bekannte Form des sko- 
liotischen Wirbels, welche, je länger die Skoliose besteht, um so 
mehr von der normalen abweicht. 

Die Gestaltsveränderungen, welche die Wirbel unter dem ver¬ 
änderten statischen Druck erfahren, kommen aber nicht in der Weise 
zu Stande, dass der ganze Knochen in eine andere Form gedrückt 
wird. Derartiges könnte nur an krankhaft erweichten Knochen Vor¬ 
kommen. Man hat auch in der That zur Erklärung der Formver- 
änderungen eine „gewisse Weichheit* der Knochen angenommen und 
diese in Parallele mit der kindlichen Rhachitis gebracht. Es ist das 
besondere Verdienst von Maas, diese Hypothese widerlegt zu haben. 
Der gesunde Knochen kann auch nicht auf dem Wege der sogen. 
Transformation durch innere Resorptions- und Neubildungsvorgänge 
an der fertig gebildeten Knochensubstanz eine allmähliche Gestalts¬ 
veränderung eingehen; die fertig gebildete Knochensubstanz ist viel¬ 
mehr absolut unveränderlich. Nur das, was unter den neuen statischen 
Verhältnissen neu hinzuwächst, passt sich diesen Verhältnissen an. 
Der Theil des Knochens, der schon vorher da war, bleibt bestehen, 
und zwar in der alten Form (abgesehen von der ausgleichenden 
Thätigkeit des Knochenmarks und Periosts). Es entsteht so aller¬ 
dings nach und nach eine ganz neue abweichende Gestalt des Wirbels, 
aber die pathologische Gestalt wird lediglich auf dem Wege des ge¬ 
störten abnormen Wachsthums erreicht. Dieses abnorme Wachsthum 
geschieht genau nach denselben Gesetzen wie das normale, und ist 
von denselben Factoren abhängig wie das normale, nämlich den Epi¬ 
physen. Ich habe früher schon versucht, diese Verhältnisse klar zu 
stellen. Die vorgetragenen Anschauungen sind übrigens keineswegs 
neu, sie sind schon in ähnlicher Weise in Lorenz’s Arbeit über 
die Skoliose niedergelegt. Ich habe diese, durch die Transformations¬ 
lehre von J. Wolff verdrängten Anschauungen nur wieder zur 
Geltung zu bringen gesucht und die fast in Vergessenlieit gekommene 
Bedeutung der Epiphysenknorpel für die pathologischen Gestaltsver- 
änderungen der Knochen von neuem hervorgehoben. 


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360 


Konrad Port. 


Auf die Bedeutung der Epiphysenknorpel für die Skoliose muss 
allein schon der Umstand hinweisen, dass die Skoliose eine reine 
Entwickelungskrankheit ist und dass mit dem Aufhören des Knochen¬ 
wachsthums der ganze Process stationär bleibt. Wenn Transforma¬ 
tionsvorgänge dabei im Spiel wären, so müsste die Skoliose auch bei 
Erwachsenen sich entwickeln können und müsste sich durch das 
ganze Leben hindurch fortwährend verschlimmern, da der Knochen 
nach der Transformationslehre im Alter wie in der Jugend fort¬ 
während und mit sichtbarem Erfolg bestrebt sein soll, sich nicht 
nur in seiner inneren Structur, sondern auch in seiner äusseren Ge¬ 
stalt den bestehenden Druckverhältnissen anzupassen. In Wirklichkeit 
thut er das aber nur in der Jugend und nur an den Stellen, wo 
neues Knochengewebe angebildet wird, vorzugsweise an den Epi¬ 
physen. Sobald diese Knochenbildungsstätten ihre Thätigkeit ein¬ 
gestellt haben, bleibt die äussere Gestalt der Knochen für alle Zeiten 
unverändert. 

Die statischen Verhältnisse an der Wirbelsäule sind, wie wir 
bei unseren Vorbetrachtungen gesehen haben, bedingt durch den 
Druck von oben und die Thätigkeit der Musculatur. Wenn der ab¬ 
norme Druck, welcher bei der skoliotisch eingestellten Wirbelsäule 
auf den einzelnen Wirbelabschnitten lastet, auch ganz dazu angethan 
ist, eine während der ganzen Wachsthumsperiode fortschreitende 
Verschlimmerung des Leidens herbeizuführen, so bleibt daneben doch 
auch der Zustand der Muskeln in hohem Grade massgebend. Die 
Knochenveränderung kann bei grosser lähmungsartiger Schwäche der 
Musculatur in rapider Weise die höchsten Grade erreichen. Sie kann 
bei geringeren Schwächezuständen der Muskeln bis zu dem Zeitpunkt, 
wo durch Epiphysenverknöcherung von selbst Stillstand eintritt, sich 
nur langsam fortentwickeln; sie kann endlich bei spontaner oder 
künstlich herbeigeführter Heilung in jedem Stadium der Entwickelung 
gehemmt und unter günstigen Verhältnissen sogar bis zu einem ge¬ 
wissen Grade wieder ausgeglichen werden. Die leichten Skoliosen, 
die man bei Erwachsenen öfters als zufälligen Befund beobachtet, 
sind nicht immer als spätentstandene und durch die bald darauf er¬ 
folgte Epiphysenverknöcherung abgeschnittene Processe aufzufassen, 
sondern es können auch in einer früheren Periode entstandene Sko¬ 
liosen unter Umständen, welche der Rückenmusculatur eine gründ¬ 
liche Erholung gestatten, zur spontanen Heilung kommen. Zur Auf¬ 
rechthaltung der normalen wie der skoHotischen Wirbelsäule sind die 


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Gedanken zur Theorie und Behandlung der Skoliose. 


361 


Muskeln unentbehrlich; ohne sie würde die Wirbelsäule nicht den 
geringsten Halt haben, denn die Bänder leisten zu diesem Zweck 
sehr wenig. Die letzteren können trotz ihrer Straffheit ausgiebige 
Biegungen und Krümmungen der Wirbelsäule bei Lähmung der 
Muskeln nicht verhindern. Auch die eigenthümliche Form, welche 
die skoliotische Wirbelsäule gleich von Anfang an zeigt, ist aus¬ 
schliesslich Muskelwirkung. 

Welches ist nun die Form der Wirbelsäule, welche aus der 
Schädigung der Musculatur resultirt? 

Die Untersuchungen von Duchenne^) haben gezeigt, dass 
die Contraction des Erector trunci auf der einen Seite nicht eine 
reine Seitwärtsbiegung der Wirbelsäule zu Stande bringt, sondern 
zugleich eine Drehung nach der Seite der Ausbiegung. Er hat ferner 
gezeigt, dass die obere und untere Partie der Streckmuskeln unab¬ 
hängig von einander functionirt und innervirt wird, so dass, wenn 
die untere Hälfte z. B. eine Ausbiegung der Wirbelsäule hervor¬ 
bringt, die obere für sich im Stande ist, eine corrigirende entgegen¬ 
gesetzte Arbeit auszuführen. Die Einwirkung dieses Muskels erklärt 
die Erscheinung der S-förmigen Krümmung und der Rotation so un¬ 
gezwungen, dass sie ohne Bedenken als die wirkliche Ursache an¬ 
gesprochen werden darf. 

Dieselbe Figur der Wirbelsäule, welche Duchenne experi¬ 
mentell hervorrufen konnte, beschreibt auch Albert als Grundform 
der Skoliose vom pathologisch-anatomischen Standpunkte aus. Die 
skoliotische Wirbelsäule zeigt nicht nur eine Ausbiegung zur Seite, 
sondern auch eine Drehung der einzelnen Wirbel nach der Seite der 
Convexität. Albert schliesst sich zur Erklärung dieser Erscheinung 
ganz der Ansicht Mayer's an, welcher die anatomische Form der 
Wirbel als Ursache beschuldigt. Die Reihe der Wirbelkörper mit 
ihren Bandscheiben ist wenig compressibel, die Reihe der Bogen 
dagegen kann sehr leicht verkürzt’ und zusammengeschoben werden. 
Die nicht zusammendrückbare Körperreihe wird daher stets in die 
stärkste Convexität gedrängt werden müssen, während die mehr zur 
Verkürzung geneigte Bogenreihe in die Concavität der Krümmung 
verlagert wird. Diese mechanische Erklärung kann aber doch erst 
in Betracht kommen in vorgeschrittenen Fällen, wenn die seitliche 
Ausbiegung schon ziemlich gross ist. Für die Fälle geringer seit- 


*) Physiologie der Bewegungen S. 580 tf. 


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362 


Eonrad Port. 


lieber Abweichung, wo die Erscheinung der Drehung oft schon sehr 
deutlich zu Tage tritt, kann sie nicht herangezogen werden. 
erscheint die Beobachtung Duchenne's über die Wirkung des Erector 
trunci als viel befriedigendere Erklärung. Es ist dann umgekehrt 
wie bei Mayer’s Theorie. Die Drehung der Wirbel ist das Primäre, 
und erst infolge der Drehung bekommt die 
Krümmung der Körperreihe einen viel stärkeren 
Ausschlag als die Figur der Bogenreihe. Man 
gewinnt auch beim Betrachten einer solchen 
Wirbelsäule (Fig. 2) den Eindruck, als ob die 
Bogen als Muskelansatzstellen soweit als 
lieh in der Mittellinie festgehalten würden, wäh¬ 
rend die Körper das Mobilere seien, welche der 
Ausbiegung viel leichter Folge leisten. 

Bei einer beginnenden Skoliose, bei welcher 
es noch nicht zu Veränderungen an den Knochen 
gekommen ist, erklären sich also die Seitwärts¬ 
biegung und die Drehung vollkommen aus der 
Wirkung des Erector trunci. 

Wir wollen.nun auch versuchen, die Ent¬ 
stehung der Knochendeformitäten bei der fort¬ 
geschrittenen Skoliose unserem Verständniss näher 
zu bringen. Wir folgen dabei genau den Schilde¬ 
rungen Albertus, weil in seiner Arbeit die patho¬ 
logische Anatomie der Skoliose am klarsten und 
erschöpfendsten dargestellt ist. 

Am einfachsten zu verstehen ist die Keil¬ 
form des Wirbels. Die Belastung von oben be¬ 
wirkt auf der stärker gedrückten concaven Seite 
Aus Albert: Der die Bildung von niedriger compacter Knochen- 
Uot^chcTwirbei^^^ masse, auf der nicht gedrückten (convexen) die 
Production von hohem, lose gefügtem Knochen; 
dabei kann die Höhe des gebildeten Knochens sogar das normale 
Maass überschreiten, wie auch Albert angibt^). Da die Wirbel 
gedreht sind, muss auch ein Theil der hinteren Partien des 
Körpers von dieser einseitigen Mehrbelastung getroffen werden. Die 
hintere Partie ist infolgedessen niedriger, die entsprechende vordere 

’) Der Mechanismus der skoliotischen Wirbelsäule S. 3. 



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Gedanken zur Theorie und Behandlung der Skoliose. 


3G3 


höher. (Reclination 1. c. S. 18.) Diese Höhendifferenz beruht auf 
der Arbeitsleistung der oberen und unteren Körperepiphysenfuge. 
Da diese am längsten bis ins 25. Jahr erhalten bleibt, so findet sich 
die Höhendifferenz am constantesten und kann auch die allererstaun¬ 
lichsten Grade erreichen. 

Der Muskelzug ist, wie wir gesehen haben, der Erzeuger der 
Rotation. Die Rotation findet bei der skoliotisch seitwärts gebogenen 
Wirbelsäule nicht wie bei der normalen aufrechten Wirbelsäule um 
eine ungefähr durch die Mitte der Wirbelkörper gelegte Achse statt, 
sondern sie ist asymmetrisch, ihre Achse rückt, je stärker die Seit¬ 
wärtsbiegung ist, um so mehr nach der gedrückten concaven Seite 
und etwas nach hinten. Die Folge davon ist, dass die beiderseitigen 
Wirbelgelenke nicht mehr wie bei der Drehung der aufrechten 
Wirbelsäule einen gleichmässigen Ausschlag geben, sondern die Ge¬ 
lenke der concaven Seite, welchen die Drehungsachse ganz nahe ge¬ 
rückt, bewegen sich fast gar nicht mehr, während die Gelenke der 
convexen Seite sowohl für die Rotation als für die Seitwärtsbiegung 
der Wirbelsäule desto stärker in Anspruch genommen werden. Dazu 
kommt noch, dass die Gelenke der concaven Seite fast ganz in den 
Wirkungskreis der Belastung fallen, während die Gelenke der con¬ 
vexen Seite entsprechend entlastet werden. Diese ungleichen Ein¬ 
flüsse führen zu ungleicher Entwickelung der Gelenke. Die Gelenke 
der concaven Seite bleiben wegen der geringen functioneilen Inan¬ 
spruchnahme und wegen der starken Belastung im Wachsthum be¬ 
trächtlich zurück und werden von den anderen Theilen des Wirbels 
überholt, so dass sie manchmal kaum noch zu erkennen sind; in den 
Gelenken der convexen Seite dagegen wird durch die übermässige 
functioneile Anstrengung und die verminderte Belastung der Knochen¬ 
ansatz gesteigert, die Gelenkfläche verbreitert sich durch Zubau 
(nicht etwa durch Abschleifung); man kann in manchen Fällen die 
alte Gelenkfacette innerhalb des verbreiterten Gelenkes noch erkennen. 
Die Drehung der Wirbel gegen einander geht jedoch nicht nur unter 
einem anderen Radius vor sich als normal, sondern sie ist auch aus¬ 
giebiger als am gesunden. Wie man sich an einem Skelet, an 
welchem Gummizüge die Muskelbündel des Erector trunci darstellen, 
überzeugen kann, wird durch die Rotation der Wirbel eine theil- 
weise Entspannung des durch die Seitwärtsbiegung gedehnten Erector 
trunci der convexen Seite bewirkt. Es wird also dieser Muskel die 

Zeitschrift für orthopil<lisclie Chiriir{^ie. XII. Ihl. 24 


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364 


Konrad Port. 


Drehung noch begünstigen, weil sie ihn der Rückkehr in seine 
Normalspannung näher bringt. 

Die am schwierigsten zu verstehende Erscheinung in der Patho¬ 
logie des skoliotischen Wirbels ist die Torsion. Sie besteht in einer 

Ablenkung der Bogenwurzeln nach 
der Seite der Concavitat. Die 
Untersuchungen von Albert haben 
dargethan, dass ihre Ursache die 
Einfügung eines Schaltstückes zwi¬ 
schen ursprünglichen Wirbelkörper 
und concavseitige Bogenwurzel ist, 
durch welches der Wirbelkörper 
beträchtlich, oft ums Doppelte ver¬ 
breitert wird(Fig.3). Dieses Schalt¬ 
stück hat auch Albert als ein Pro¬ 
duct der Körperbogen-Epiphysen¬ 
fuge erkannt, und an ihm lässt 

Aus Albert: DerMeclianismus der skolio- sich besonders gut die Thätigkeit 
tischen Wirbelsäule. — h Körperbogen- i i i i • -i 

epiphysenfuge. b—h eigentlicher Wirbel- der Epiphvsenknorpel mit ihrem 

köri)er. h—c Schaltstück. . ^ ^ « i* , i. 

mächtigen Einfluss auf die Gestalt 


der Wirbel erkennen und studiren. Es zeigt sich, dass nicht nur 
die ursprüngliche Gestalt des Wirbelkörpers zwischen den beiden 



Epiphysen erhalten bleibt, sondern auch, dass der Epiphysenknorpel, » 
welcher mehr leisten muss, viel länger bestehen bleibt, weit über | 
seine Zeit beim normalen Individuum, während der wenig bean- J 


Fig. 3. 



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Gedanken zur Theorie und Behandlung der Skoliose. 


365 


spruchte der anderen Seite frühzeitig verschwindet (Fig. 4). Diese 
Ueberproduction der concaven Epiphysenfuge erklärt Albert aus der 
Drehung des Wirbels nach der convexen Seite. Er sagt (1. c. S. 35): 
,Die Bogengebilde können bei der Drehung dem Wirbelkörper nicht 
im selben Maasse folgen. Sie hemmen daher den Effect der Rota¬ 
tion. Der Wirbel erleidet daher eine Deformation, So ist seine Ge¬ 
staltsveränderung, aber auch die Ablenkung der Bogenwurzeln leichter 
zu verstehen, damit das ovoide Ausgezogensein des Wirbelloches; 
und vor allem wird es uns begreiflich, dass die Drehung einen Zug 
auf die concavseitige Körperhälfte ausübt und diese somit in die 
Quere dehnt. Die Drehung aber ist eine nothwendige Folge des 
Mechanismus der Wirbelsäule.“ — Diese Erklärung kann deshalb für 
uns nicht ganz befriedigend sein, weil wir die Drehung aus der 
Muskelthätigkeit abgeleitet haben. Es lässt sich deshalb eine Weiter¬ 
drehung des Wirbels, nachdem die Bogen offenbar durch Muskelzug 
festgehalten sind, nicht gut vorstellen. Diese Erscheinung glaube 
ich so erklären zu sollen: Der Wirbel wird durch seine Musculatur 
nicht nur gedreht, sondern auch an seiner hinteren Hälfte, den Bögen, 
möglichst in der Mittellinie festgehalten. Auf den Körper wirkt 
aber ausser diesem Zug von den Muskeln her noch die Schwerkraft 
von oben, und diese sucht den keilförmigen Wirbelkörper aus dem 
Krömmungsbogen nach der convexen Seite herauszupressen. Dadurch 
entsteht ein Zug einerseits nach der Mittellinie und concavwärts, 
andererseits ein solcher nach der convexen Seite. Zwischen beiden 
Kräften befindet sich die concavseitige Bogenwurzel, und diese re- 
agirt, um beide zu befriedigen, mit der Bildung des Schaltstücks. 

Albert erwähnt dann noch eine Drehung des Bogentheils mit 
seinen Forisätzen gegenüber dem Körper um eine sagittale Achse 
(1. c. S. 38, s. auch Fig. 5). Diese lässt sich leicht erklären als 
Folge der Fixirung des Bogens durch die Musculatur gegenüber der 
freieren Bewegung des Körpers. 

Ganz zwanglos als Folge des Muskelzugs erklären sich ferner 
die mehr frontale Stellung des concavseitigen, die mehr sagittale 
Stellung des convexseitigen Querfortsatzes, sowie die Verkrümmung 
des Dornfortsatzes. Sie sind entstanden durch ungleichniässige Thätig- 
keit des betreffenden Epiphysenknorpels an der Basis des Fortsatzes 
infolge veränderter Zugrichtung der daran inserirenden Muskeln. 

Als Grundlage für alle Forraveränderung an der skoliotischen 
Wirbelsäule ergibt sich eine Drehung der einzelnen Wirbel, deren 


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366 


Konrad Port. 



Wirkung vom Beginn der Krümmung bis zu ihrem Scheitel zunimmt 
und von da bis zum anderen Endpunkt der Krümmung wieder ab¬ 
nimmt. Es ist nicht überraschend, dass an dieser Drehung auch 
die mit den Wirbeln so eng zusammenhängenden Rippen theilnehmen. 
Bei dieser Drehung folgen die Rippenwurzeln den Bogenwurzeln, es 
wird die convexseitige Rippe dem Wirbel gewissermassen ange¬ 
wickelt, wie Lorenz sich sehr treffend ausdrückt. Bei dieser Drehung 
sind die Rippen aber nicht rein die passive Gefolgschaft der Wirbel. 

Der Erector trunci, den wir als 
Urheber der Drehung der Wirbel 
kennen gelernt haben, setzt sich 
mit einem beträchtlichen Theil 
seiner Bündel an den Rippen 
fest. Ja, er kann hier sogar 
^ kräftiger wirken, weil er 

\ an einem längeren Hebelarm 

ansetzt. Man könnte daher auch 
annehmen, dass die Drehbewe¬ 
gung der Rippen den zwischen 
ihnen eingeschalteten Wirbel 
mitnimmt, ähnlich wie das 
Zuppinger in seiner neuen Skoliosentheorie für eine Anzahl Fälle, 
allerdings ohne Berücksichtigung der Muskeln, annimmt. Diese 
Drehung hat diejenige Deformität der Rippen zur Folge, welche als 
Rippenbuckel bekannt ist. Wie man sich das Zustandekommen 
dieser Form Veränderung vorzustellen hat, ist in der öfter citirten 
Arbeit von Maas eingehender erörtert. 

Es lassen sich also alle pathologischen Formen am skoliotischen 
Wirbel aus dem veränderten Wachsthum der Wirbel erklären, und 
es lässt sich überall die Musculatur als das eigentliche ursächliche 
Moment nachweisen. Die Ableitung der Deformität aus dem ge¬ 
störten Muskelgleichgewicht macht uns aber auch die grosse Mannig¬ 
faltigkeit der Bilder der Skoliose verständlich. Jeder Abschnitt des 
vielgetheilten Erector trunci, der von der Schädigung getroffen ist, 
wird ein anderes Bild der Krümmung der Wirbelsäule zur Folge 
haben, ja noch mehr, auch der Grad der Muskelschädigung wird die 
Krümmungsform modificiren durch entsprechende Beeinflussung der 
Knochenwachsthumsfactoren. Die schliesslich resultirende Deformität 
wird aber ausserdem abhängig sein von der Productionskraft der 


Aus Albert: Der Mechanismus der skolioti- 
schen Wirbelsäule. 


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Gedanken zur Theorie und Behandlung der Skoliose. 367 

Epiphysenknorpel, d. h. je früher die Skoliose entsteht, je mehr 
Knochensubstanz die Epiphysen bis zum Erlöschen ihrer Thätigkeit 
zu bilden haben, um so stärker wird die Deformität werden; sie 
vrird beim Beginn im Kindesalter gewaltige Dimensionen annehmen, 
während beim Auftreten nach der Pubertät die Knochenveränderungen 
sehr gering sein werden. 

C. Die Behandlung der Skoliose. 

Aus vorstehenden Betrachtungen über Entstehung und Aus¬ 
bildung der Skoliose können wir uns, ebenfalls in rein theoretischer 
Weise, ein Urtheil über die einzuschlagende Behandlung bilden: 

Wir haben gefunden: 

1. Die alleinige Ursache der Skoliose ist Schwächung eines 
Theils der Rückenstreckmuskeln. Diese Schwächung besteht anfangs 
in einer Ueberdehnung dieser Muskelgruppe, wodurch die Contrac- 
tionsfähigkeit mehr oder weniger herabgesetzt wird; in den schwersten 
Fällen kann die Schwächung bis zur Degeneration und Atrophie fort¬ 
schreiten. 

2. An dieses primäre Muskelleiden schliessen sich secundär die 
GestaltsVeränderungen der Wirbel an, indem die durch die ungleich- 
massige Thätigkeit der Muskeln geschaffenen Veränderungen der Zug- 
und Druckverhältnisse ein abnormes Wachsthum der Knochen an 
den Epiphysenstellen herbeiführen. 

Aus dieser Erkenntniss aber können wir unmittelbar zwei Grund¬ 
sätze für die Prognose und Therapie ableiten: 

1. Die Skoliose kann nur bei wachsenden Individuen behandelt 
werden, sie bietet für die Behandlung nur dann Aussicht, wenn sich 
von der Epiphysenthätigkeit einige Ausgleichung der Deformität er¬ 
warten lässt. In jugendlichem Alter sind die Heilungsaussichten 
günstiger, ebenso bei noch nicht grossen Deformitäten. Sie werden 
schlechter und schliesslich ganz schlecht, je näher die Patienten dem 
Ende der Wachsthumsperiode kommen, 

2. Die Behandlung muss zu allererst und hauptsächlich bei der 
Musculatur einsetzen, wenn sie das Uebel an der Wurzel fassen will, 
alle Behandlungsarten, welche sich hauptsächlich oder ausschliesslich 
gegen die statischen Verhältnisse richten, können nicht von dauerndem 
Erfolg sein. 

Unser therapeutisches Bestreben muss also darauf gerichtet 


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368 


Konrad Port. 


sein, die überdehnten Muskeln wieder zu kräftigen und das Gleich¬ 
gewicht mit ihren Antagonisten wiederherzustellen. 

Zur Kräftigung der Muskeln stehen uns zur Verfügung: erstens 
allgemeine Massnahmen — gute Ernährung (Weir-Mitchell’sche Kur 
nach Höftmann), viel Bewegung im Freien und allgemeine Gym¬ 
nastik, Sport jeder Art (so wurde ganz besonders das Radfahren 
empfohlen), Befreiung von geistiger Arbeit und allen sitzenden Be¬ 
schäftigungen — und zweitens locale Behandlung, welche sich direct 
gegen den erkrankten Muskel richtet. Der Vortheil der allgemeinen 
hygienischen Massnahmen ist so allgemein anerkannt, dass es nicht 
nöthig ist, näher darauf einzugehen. Hier interessirt uns nur die 
locale Behandlung, bei welcher eine solche allseitige üebereinstim- 
niung noch nicht erreicht ist. 

Um einen Muskel in seiner Leistungsfähigkeit zu heben, haben 
wir drei Wege: Die Behandlung mittelst des elektrischen Stroms, 
die Massage und die activen Muskelcontractionen. Die Anwendung 
der Elektricität ist bei der tiefen Lage der in Frage kommenden 
Rückenstrecker nicht zu empfehlen. Ihr Nutzen würde auch gegen¬ 
über dem der Muskelcontractionen durch den Willen ganz in den 
Hintergrund treten. Die Massage lässt sich gut auch bei den tief 
gelegenen Muskeln anwenden und man ist von ihrem eminenten 
Werth allgemein überzeugt. Die Experimente von Rüge am Frosch¬ 
muskel haben gezeigt, dass die Wirkung der Massage hauptsächlich 
darin besteht, dass die Muskeln nach eingetretener Ermüdung sich 
unter ihrem Einfluss rasch wieder erholen. Sie ist demnach haupt¬ 
sächlich in Anwendung zu bringen nach den gymnastischen Hebungen 
zu Vervollständigung der Wirkung dieser. Weitaus den grössten 
Einfluss auf die Störung des Muskels üben die wiederholten activen 
Contractionen desselben, die Gymnastik. Auch Ti 1 mann hat bei 
seinen Experimenten über die Erholungsfähigkeit des überdehnten 
Muskels die activen Contractionen als das beste Mittel zur Wieder¬ 
herstellung seines normalen Tonus erkannt. 

Die Gymnastik wurde schon vor 50 Jahren als die allein ge¬ 
eignete Behandlung der Skoliose empfohlen, sie wurde aber als aus¬ 
schliessliche Behandlungsart verlassen, weil der Erfolg auf die Dauer 
doch nicht voll befriedigt hatte. Man kann auch immer wieder die 
Erfahrung machen, dass fortgeschrittene Skoliosen, d. h. solche mit 
Kiiochenveränderungen, durch die blosse Gymnastik sich nicht ändern, 
ja während der Behandlung, so zu sagen unter unseren Augen schlechter 


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Gedanken zur Theorie und Behandlung der Skoliose. 


369 


werden. Dieser Misserfolg wird verständlich, wenn wir uns die ana- . 
tomischen Verhältnisse vergegenwärtigen. Beim Turnen werden im 
allgemeinen beide Seiten gleichmässig geübt und gestärkt. Diese 
Uebung triflft auf der einen Seite den gedehnten geschädigten Muskel, 
auf der anderen den gesunden. Es werden also im günstigsten Falle 
beide gleichmässig kräftiger, das Missverhältniss zwischen beiden 
also nicht beeinflusst. Ja die Uebung wird sogar auf der gesunden 
Seite noch leichter eine Zunahme der Kraft hervorzurufen im Stande 
sein als auf der kranken, wo der atrophische Muskel sich viel un¬ 
vollkommener contrahirt. Es kann dadurch sogar das üebergewicht 
auf der gesunden Seite noch grösser werden. 

Man hat dann versucht, durch einseitige Uebung, bei welcher 
bloss die kranke Seite beansprucht werden sollte, diesem Uebelstand 
abzuhelfen. Dieser Gedanke wurde in neuerer Zeit besonders von 
Tilmann aufgenommen und die Uebungen methodisch ausgebildet. 
Es ist keine Frage, dass genau so wie in den Tilmann’schen Ex¬ 
perimenten die methodische Uebung nur des geschädigten Muskels 
allein das rationellste Verfahren darstellt, welches die meisten Aus¬ 
sichten auf Erfolg bietet. Aber auch diese Methode hat ihre 
Schwäche. Alle Bewegungen des Rumpfes und ganz besonders der 
Arme sind ausserordentlich complicirte Bewegungen, bei welchen 
eine grosse Anzahl Muskeln in Thätigkeit tritt. Es wird kaum 
möglich sein, eine Muskelgruppe allein in Thätigkeit zu setzen. Zudem 
sind die Functionen der einzelnen Muskeln noch durchaus nicht so 
genau erforscht, dass wir angeben können, welche Muskeln des 
Stammes sich bei einer Bewegung der Arme z. B. betheiligen. Die 
Beeinflussung einer bestimmten Muskelgruppe allein wird sich in der 
Praxis nur sehr schwer erreichen lassen. Dazu kommt, dass wir 
bei der Skoliose gar nicht so genau angeben können, welcher Theil 
der Stammmusculatur geschädigt ist. Die Auskundschaftung dieser 
Verhältnisse muss noch Gegenstand eines eingehenden Studiums sein. 
Die isolirte Uebung der geschädigten Partien ist also theoretisch 
sicher die richtige Lösung des Problems der Skoliosenbehandlung, 
praktisch aber wird sie an der Coinplicirtheit der Verhältnisse und 
der Unvollkommenheit unserer Kenntnisse scheitern. 

Ich habe nun seit längerer Zeit versucht, einen anderen Weg 
einzuschlagen. 

W^enn wir eine Skoliose im Sayrersehen Apparat extendiren, 
so gleicht sie sich je nach ihrer Entwickelung ganz oder theilweise 


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370 


Konrad Port. 


aus. Dabei nähert sich aber nicht nur die Form der ganzen Wirbel¬ 
säule der normalen, sondern es werden auch die Abstände zwischen 
den Ansätzen der Stammmusculatur auf das normale Maass gebracht - 
Die Musculatur der convexen Seite wird verkürzt, die der concaven 
gedehnt. Wenn wir jetzt Bewegungen der Arme ausführen lassen, 
so spielen die Muskeln des Stammes wie sonst auch mit, sie con- 
trahiren sich aber unter veränderten Bedingungen. Die convex¬ 
seitigen sind aus ihrer Spannung erlöst und können sich viel leichter 
und vollständiger zusammenziehen, ebenso wie die Fingermuskeln im 
Tilmann’schen Experiment nach Entfernung der Schiene. Die üebung 
wird bei ihnen einen viel besseren Erfolg haben als vorher während 
des gespannten Zustandes. Die concavseitigen Muskeln dagegen sind 
nunmehr gedehnt, ihnen wird die Contraction zum mindesten nicht 
leichter sein als vorher, eher erschwert, weil sie sich wohl durch 
die Länge der Zeit allmählich an den verkürzten Zustand gewöhnt * 

haben und dieser für sie der normale geworden ist. Die nunmehrige i 

Dehnung wirkt schädigend auf sie. (Auf den ersten Blick könnte 
man meinen, dass sich auch bei den convexen Muskeln mit der Zeit ! 

eine Anpassung an den gedehnten Zustand gebildet hätte, das ist \ 

aber nicht der Fall. Die Verkürzung schädigt, wie Tilmann nach- 
wies, die Muskeln nicht, dauernde Dehnung aber schädigt ihre Con- 
tractilität; sie führt sogar schliesslich zur Atrophie.) Durch diese i 
Streckung der Wirbelsäule können wir wirklich sicher die convex¬ 
seitigen Muskeln bei unseren Hebungen bevorzugen und so eine ein¬ 
seitige Stärkung derselben der concaven Seite gegenüber bewerk- i 
stelligen. Wenn wir diese Hebungen systematisch fortsetzen, so ist 
es denkbar, dass wir langsam Stufe für Stufe mit unserer Extension j 
weiter gehen können und ebenso successive die convexseitigen Muskeln f 
stärken, bis wir die normale Streckung der Wirbelsäule erreicht haben 
und die Muskeln so weit geübt sind, dass sie selbst wieder im Stande i 
sind, die Wirbelsäule im Gleichgewicht zu halten. | 

Praktisch lässt sich das natürlich nicht im Sayre'schen Apparat j 
durchführen. Ich verwende deshalb einen portativen einfachen Apparat, j 
der diese Extension und das Turnen in extendirter Stellung ermöglicht. 

Derselbe (Fig. 0) besteht aus einem nach dem Gipsabguss ge¬ 
fertigten Beckengürtel aus Celluloid und einem gleichfalls nach dem 
Gipsabguss gefertigten Teller für Kinn und Hinterhaupt. Zwischen 
diesen beiden Theilen wird die Extension mittelst Schrauben bewerk¬ 
stelligt. Vom Kopftlieil gehen vier Stahlspangen herab bis zum 


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Gedanken zur Theorie und Behandlung der Skoliose. 371 

Beckengürtel. Sie tragen am unteren Ende eme kleine röhrenförmige 
Hülse. Eine ebensolche Hülse ist ihnen entsprechend am Becken- 
theil befestigt. Eine Doppelschraube wird zwischen beide Hülsen 
eingesetzt, so dass die beiden Enden der Schraubenspindel lose in 
den Hülsen laufen. Jedes Ende der Schraubenspindel trägt eine 
Mutter, die sich gegen die obere resp. untere Hülse anstemmt. Die 
Extension geschieht dann dadurch, dass die Muttern an den Spindeln 
nach aufwärts resp. abwärts bewegt werden. 

Die Verbindung zwischen beiden Theilen ist 
absichtlich so locker gehalten, damit ein ge¬ 
wisser Grad von Beweglichkeit erhalten bleibt, 
was bei den gymnastischen Uebungen eine 
grosse Annehmlichkeit bildet. Selbstverständ¬ 
lich ist aber die technische Construction ganz 
nebensächlich, wenn nur die Extension ge¬ 
nügend ausgeübt werden kann. 

Mit diesem Apparat kann man eine sehr 
bedeutende Streckung vornehmen, ohne dass es 
vom Kranken unangenehm empfunden wird, 
und auch die gymnastischen Uebungen lassen 
sich leicht ausführen. Nach Entfernung des 
Apparats sinkt die Wirbelsäule wieder zu¬ 
sammen; dadurch wird der alte Zustand wieder 
hergestellt, die convexseitigen Muskeln werden wieder gedehnt, die con- 
caven verkürzen sich wieder. Damit die Muskeln ausruhen können ohne 
gleich wieder in der vorherigen Weise gedehnt zu werden, ist es noth- 
wendig, dass die Kinder nach den Uebungen in horizontaler Rückenlage, 
in welcher die Belastung wegfällt, ausruhen, etwa 1 Stunde lang. Der 
Erfolg wird natürlich ein wesentlich besserer sein und wesentlich schneller 
eintreten dann, wenn die Kinder überhaupt den Streckapparat an¬ 
behalten während des ganzen Tages. Es wird dies unerlässlich sein 
bei allen Fällen mit grösseren Veränderungen der Knochen, wo es 
für die Muskeln zur Unmöglichkeit geworden ist, die Wirbelsäule in 
corrigirter Stellung auch nur kurze Zeit zu halten, weil die Knochen 
sich so sehr an die schiefe Haltung angepasst haben, dass die ein¬ 
zelnen Wirbel nunmehr bei der Streckung mit der convexen Kante 
auf einander aufruhen, während die concaven Seiten weit von einander 
abstehen. (Die Lücke wird natürlich ausgefüllt durch das Anschmiegen 
der elastischen Bandscheiben.) Dieser Streckapparat muss dann so 


Fig. 6. 



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372 


Konrad Port. 


lange dauernd getragen werden, bis im Verlauf des weiteren Wachs¬ 
thums es den Epiphysen gelungen ist durch Knochenproduction auf 
der concaven Seite die Lücke auszufüllen. Das Tragen eines solchen 
Apparates ist für das Kind immer noch angenehmer als das mehr- 
monatliche Tragen eines Gipspanzers über Kopf und Rumpf in 
corrigirter Stellung, wie es von manchen Orthopäden geübt wird. 

Der Apparat bietet den grossen Vortheil, dass Bewegungen 
innerhalb gewisser Grenzen gut ausführbar sind und dass er Nachts 
abgenommen wird. Ferner halte ich das langsame Vorgehen in 
Etappen für sehr wesentlich. Das gewaltsame Strecken der Wirbel¬ 
säule und mit ihr der Musculatur muss ja schädigend auf diese 
Musculatur wirken, besonders wenn dann auf die forcirte Streckung 
noch eine absolute Immobilisation im Kopf-Rumpfgipsverband für 
eine Reihe von Wochen oder gar Monaten folgt. 

Sehr häufig aber lässt sich das dauernde Tragen eines solchen 
Apparats aus äusseren Gründen nicht durchführen. Da kann man 
für die Fälle, und das sind nach Lorenz die meisten, bei welchen 
die Hauptkrümmung in der Lendenwirbelsäule liegt, sich damit helfen, 
dass man für die Zeit ausserhalb der Gymnastikstunden ein Corset 
tragen lässt, welches nur die Lendenwirbelsäule streckt. 

Man fertigt über dem Gipsabguss ein Celluloidcorset, schneidet 
es dicht über dem Darmbeinkamm durch und setzt zwischen beide 
Hälften eine Extensionsvorrichtung ein. Solche Corseten sind schon 
früher angegeben worden von Dreesmann, Bade und Wolf er¬ 
mann. Zur Extension benütze ich ein Hebelparallelogramm (Fig. 7), 
dessen beide horizontale Winkel mit einer querstehenden Schraube 
einander genähert werden. Versieht man das eine Ende der Schraube 
mit einem in ein Zahnrad eingreifenden Hebel, so kann der Patient 
die Extension an sich selbst vornehmen. 

Das Wesentliche also an unserer Behandlung ist Hebung in 
corrigirter Stellung; erst in zweiter Linie und nur der Musculatur 
zu Liebe wird auch auf die mechanische Ausgleichung der Deformität 
Bedacht genommen. Wir erwarten die Heilung lediglich von der 
Gesundung der Musculatur. Der Vorgang der Ausgleichung der 
Deformität wäre so zu denken: Durch die Kräftigung des kranken 
Muskels wird die Differenz im Muskeltonus zwischen beiden Seiten 
verringert. Mit dem Schwinden des Uebergewichts der kranken 
Seite muss aber auch ihre Folge, die seitliche Abweichung der 
Wirbelsäule sich verringern. Es nähern sich aber dadurch auch die 


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Gedanken zur Theorie und Behandlung der Skoliose. 


373 


Zug- und Druckverhältnisse der Epiphysenknorpel wieder dem nor¬ 
malen Zustand, um bald ins Gegentheil umzuschlagen. Beim Auf¬ 
richten der Krümmung nämlich findet jetzt Druck auf der convexen 
Seite des Wirbels statt, während auf der concaven Seite die Be- 
rührungsfiächen von einander abgehoben werden. Es arbeiten also 
die Epiphysen wieder unsymmetrisch, aber in entgegengesetztem 
Sinne wie früher, und so ist das Zustandekommen einer Ausgleichung 
denkbar. Es kann sich so auch die Wirbelform im Weiterwachsen 
der normalen Form nähern. 

Wenn der im vorstehenden ausgeführte Gedankengang richtig 
ist, so müssen wir mit unserer theoretisch abgeleiteten Behandlung 
auch gute praktische Erfolge erzielen. Ich 
wäre eigentlich verpflichtet. Ihnen nun über 
meine Erfahrungen zu berichten. Ich muss 
das aber unterlassen, weil es erst nach einer 
langen Reihe von Jahren möglich wäre. Wenn 
wir im vorstehenden gesagt haben, dass eine 
Heilung von Knochendeformitäten nur möglich 
ist durch die Thätigkeit der normalen Wachs- 
thumsfactoren des Knochens, so können wir 
nicht annehmen, dass diese Factoren während 
unserer Behandlung schneller arbeiten, als sie es sonst zu thun pflegen. 
Bei einem Leiden, dessen erste Anfänge oft über Jahre zurückliegen, 
wird auch die Wiederausgleichung Jahre in Anspruch nehmen, bis wir 
eine merkbare Besserung verzeichnen können. Ferner sind wir nicht 
berechtigt, eine beobachtete Besserung schon als Erfolg unserer Behand¬ 
lung anzusprechen. Solche Besserungen finden wir bei jeder Behandlungs¬ 
art, aber sie sind nur zu oft Augenblickserfolge, die nicht von Be¬ 
stand sind. Von den Selbsttäuschungen, welchen gerade hier auch 
der Objectiveste ausgesetzt ist, will ich gar nicht reden. Wir dürfen 
nur solche Besserungen und Heilungen als Erfolge bezeichnen, die 
wir noch nach Jahren, wenn der Patient schon längst aus der Be¬ 
handlung entlassen ist, vorfinden. Mit einem Wort, wir dürfen nur 
dann von Erfolgen sprechen, wenn wir Dauererfolge aufweisen können. 
In der Chirurgie spricht man schon längere Zeit bei den recidiv- 
fähigen Leiden nur dann von Heilungen, wenn die Heilung noch 
mindestens 3—5 Jahre nach Schluss der Behandlung festgestellt ist. 
Dieselbe Gepflogenheit muss natürlich auch in der Orthopädie ein¬ 
gehalten werden. 


Fig. 7. 



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Zuppinger, Zur primären habituellen Dorsalskoliose. Beitr. zur klin. Chir. 29, 3. 

Derselbe, Noch einmal die Zuppinger sehe Skoliosentheorie. Zeitschr. f. 
orthopäd. Chir. 1903, Bd. 11, 2, S. 280. 


Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 25 


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XXIV. 

Ein Beitrag zur sogenannten Elnmpliand. 

Von 

Dr. A. Blencke, 

Specialarzt für orthopädische Chirurgie in Magdeburg. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Congenitale Defecte des Radius, partielle sowohl wie totale, 
sind schon des öftern beobachtet und in der Literatur beschrieben 
worden. Die totalen sind ungleich häufiger. Von den 67 Fällen 
von congenitalem Radiusdefect, die Kümmell in seiner bekannten 
Abhandlung zusammenstellen konnte, handelte es sich in 57 um 
totalen Defect und in nur 10 um partiellen. Seit dieser Zeit sind 
wiederholt derartige Missbildungen beschrieben worden, denen ich 
noch einen weiteren Fall anreihen möchte, den ich kürzlich zu 
beobachten Gelegenheit hatte. Es handelte sich um einen beider¬ 
seitigen totalen Defect des Radius. 

Ein 27jähriger Mann, Richard Sch., aus Ruhla in Thüringen, 
stellte sich auf der Durchreise mir vor. Derselbe gibt an, dass weder 
in seiner engeren noch in seiner weiteren Familie irgend welche 
Deformität vorgekommen sei. Am Ende der Schwangerschaft soll 
seine Mutter während der Heuernte durch einen Frosch erschreckt 
sein; diesem Umstande schreibt der Mann die Deformität zu. Die 
Geburt sei eine Zangengeburt gewesen. 

Eine eingehende Beschreibung der bestehenden Deformität kann 
ich mir wohl versagen, da sie klar und-deutlich aus der beigegebenen 
Abbildung (Fig. 1) zu erkennen ist, die den Zustand der Ruhe, in 
dem die Arme gewöhnlich gehalten werden, wiedergibt. Kurz er¬ 
wähnen möchte ich nur, dass beide Hände radialwärts flectirt zu den 
verkürzten Vorderarmen stehen. Das untere Ende der Ulna springt 
deutlich hervor. Die Hand hat nur vier Finger; beiderseits fehlt der 
Daumen und mit ihm sein Metacarpus. Vom Radius lässt sich nicht 


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Ein Beitrag zur sogenannten Klumphand. 


381 


das Geringste palpiren. Das Ellenbogengelenk ist vollkommen be¬ 
weglich; das Handgelenk kann volar- und dorsalflectirt werden; auch 
radialwärts ist noch eine weitere Beugung möglich, ulnarwärts ist 
dagegen jede Bewegung aufgehoben. 

Wie aus den beigegebenen Röntgenbildern (Fig. 2, 3, 4) er¬ 
sichtlich ist, fehlt der Radius vollkommen. Die (Jlna erscheint ge¬ 
bogen und hat eine gewisse Aehnlichkeit mit einer Pistole. Es sind 
beiderseits sechs Handknochen vorhanden, zwei fehlen. Der Daumen 
fehlt beiderseits mit seinem Metacarpus. 


Fig. 1. 



Am unteren Ende des Humerus sind deutliche Anomalien sicht¬ 
bar, die natürlich mit dem Radiusdefect in Beziehung stehen. 

Sch. ist von Beruf Schreiber; er kann schön und schnell mit 
der rechten Hand schreiben. Der Federhalter liegt der Dorsalseite 
des zweiten und fünften Fingers auf und wird durch den dritten und 
vierten Finger, die über ihm liegen, an dieselben festgedrückt. Auch 
sonst kann Patient seine Hände sehr gut gebrauchen. 

Ausser den beschriebenen Deformitäten konnte ich noch eine 
Spaltung des Zäpfchens, die abgeschwächteste Form der angeborenen 
Gaumenspalten, feststellen, wie sie aus der beiliegenden Zeichnung 
(Fig. 5) ersichtlich ist, und multiple Fingercontracturen, die im Sinne 
der Flexion beiderseits an den beiden mittleren Fingern stark aus¬ 
geprägt waren, bei den beiden äusseren weniger, am wenigsten an 
den kleinen Fingern. 

Das zunächst Auffallende bei allen derartigen Defecten ist die 
abnorme Stellung der Hand, der diese Deformitäten auch den Namen 


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382 


A. Blencke. 


„Klumphand“ zu verdanken haben. Diese mit dem Namen Klump¬ 
hand zu bezeichnen, ist eigentlich nicht richtig; Hoffa sowohl wie 
neuerdings Winkler haben diese Bezeichnung schon gerügt. Sie 
wollen — und ich bin hierin ganz ihrer Ansicht — nur die Fälle 
als Klumphand bezeichnet wissen, die als ohne Defectbildung einher¬ 
gehende angeborene Contracturen des Handgelenks dem typischen 


Fig. 2. 



angeborenen Klumpfuss entsprechen, bei dem ja auch alle Knochen 
vollzählig vorhanden sind. 

Derartige Klumphände sind allerdings recht selten. Hoffa 
hat sie 3mal beobachtet, Bouvier und Kirmisson je 4mal. Zengerly 
konnte im Jahre 1894 in seiner Dissertation 19 Fälle von Klumphand 
ohne Defect zusammenstellen, denen Winkler noch einen weiteren 
Fall angereiht hat. 

Diese angeborene Klumphand ist sicherlich mit dem angeborenen 
Klumpfuss auf eine Stufe zu stellen, kommt auch mit ihm meist 
vergesellschaftlicht vor und ist auch wie jener als intrauterine Be¬ 
lastungsdeformität aufzufassen. 

Sie ist aber ungleich seltener als der Klumpfuss, was nach 
V. Ammon wohl seinen Grund darin hat, dass die oberen Extremi- 


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Ein Beitrag zur sogenannten Klumphand. 


383 


täten, einmal aus dem Rumpfe hervorgewachsen, bei dem Fötus viel 
früher ihre Ausbildung und Vollendung erhalten als die unteren. Ich 
möchte das seltene Vorkommen der Klumphand eigentlich mehr der 
Lage der Extremitäten in utero zuschreiben. 

Am Zustandekommen der eigentlichen Klumphand haben den 
Hauptantheil die Muskeln. Je nachdem die Flexoren oder Extensoren 


Fig. 3. 



betroflen werden, redet man nach Lode von einer Talipomanus flexa 
oder extensa. 

Häufig ist eine Contractur der flectirten, seltener der extendirten 
Hand vergesellschaftet mit Supination oder Pronation, weshalb man 
auch, wie Winkler richtig hervorhebt, diese beiden Formen analog 
den häufigen Verkrümmungen an den unteren Extremitäten als Talipo¬ 
manus flexa oder extensa, vara oder valga bezeichnet hat. 

Bei der ersteren, der Talipomanus flexa vara, ist die Hohlhand 
nach aussen und vorwärts gerichtet und mehr oder weniger im rechten 
Winkel gegen den Vorderarm gebeugt. Alle Flexoren und Supi¬ 
natoren sind verkürzt. 

Bei der Talipomanus flexa valga steht die Hohlhand in starker 
Abduction nach rückwärts und auswärts gewendet; die Hand ist 


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384 


A. Blencke. 


rechtwinklig gebeugt, die Finger flectirt, die Vola in allen Dimen¬ 
sionen concav. Verkürzt sind säninitliche Flexoren, Pronatoren und 
der Musculus palraaris longus.. 

Dass nun auch Veränderungen am Carpus infolge der an¬ 
dauernden hochgradigen Beugestellung Vorkommen können , ist 
natürlich klar. 

Fig. 4. 



Bei der zweiten Hauptform, der Talipomanus extensa, steht der 
Handrücken mehr oder weniger rechtwinklig gegen die Streckseite j 
des Vorderarms, sowohl in Abduction wie auch in Adduction. Die I 
Carpalknochen zeigen bei dieser Art keinerlei Veränderungen weder ' 
in Form noch in ihrer Lage. 

Streng genommen dürfte eigentlich nur die Talipomanus flexa ' 
als Klumphaiid bezeichnet werden, deren Symptome ähnlich denen 
einer Radialislähmung sind. Die Hand steht volar- und ulnarwärts 
flectirt. In Kirmisson’s Fällen handelte es sich 3mal um ulna¬ 
palmare und Inial um eine rein palmare Klumphand. 

Die Bewegungen der Hand- und Fingergelenke geschehen nach 
den Beobachtungen Hoffa’s bei dieser fast ausnahmslos im Sinne der 


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Ein Beitrag zur sogenannten Klumpband. 


385 


Flexion. Sobald man das Handgelenk zu strecken versucht, beugen 
sich die Finger. Die Streckung der Finger ist nur mühsam möglich. 

Die Behandlung derartiger Elumphände gelang Hoffa sehr 
leicht, viel leichter als die beim gleichzeitig bestehenden Klumpfuss. 
Er redressirte die Hände in Etappen, indem er sie in möglichst ge¬ 
streckter Stellung des Handgelenks und der Fingergelenke auf einer 
volaren, gepolsterten Blechschiene mit Heftpflaster befestigte. Die 
Verbände blieben 8 Tage liegen; dann wurde die Redression wieder¬ 
holt und dies ging so 8 — 10 Wochen fort. Die Nachbehandlung 
bestand in Massage und redressirender Gymnastik. Auf diese Weise 
wurde innerhalb eines Vierteljahrs völlige Heilung erreicht. 

Wie bereits gesagt, verdient diese Deformität allein den Namen 
Klumphand, der allerdings so allgemein geworden ist, dass wir mit 
demselben fast jede anormale Stellung der Hand im Radiocarpal¬ 
gelenk bezeichnen. Dass selbst erworbene Deformitäten, sobald sie 
nur dieses Gelenk betreffen, mit dem Namen Klumphand bezeichnet 
werden, soll nicht unerwähnt bleiben. Jedoch wollen wir diese hier 
vollkommen ausser Acht lassen und uns nur mit den angeborenen 
Deformitäten beschäftigen. 

Es ist dadurch eine ziemliche Verworrenheit in diesen Begriff 
hineingelangt, in die schon Bouvier, der dieses Thema in dem 
Dictionnaire encyclopedique in einer sehr sorgfältigen Weise be¬ 
arbeitet hat, einige Ordnung zu bringen suchte, indem er diese sehr 
zahlreichen Arten allesammt in drei Klassen eintheilte, je nachdem 
das Knochengerüst normal oder nicht normal war. 

Zur ersten Gruppe rechnete er alle die Fälle, in denen das 
Knochengerüst gut entwickelt war, zur zweiten alle die, bei denen 
das Skelet wohl vollständig, aber schwach entwickelt war, und zur 
dritten alle die, bei denen ein oder mehrere Knochen fehlten. 

Kirmisson ist nicht mit dieser Eintheilung einverstanden; er 
will dieselbe vereinfacht wissen; er will die zweite Gruppe, von der 
nur ganz selten Fälle beobachtet sind, mit der dritten vereinigen und 
sämmtliche Fälle von Klumphand so in zwei Gruppen unterbringen, 
deren Eintheilungsprincip die Integrität oder die Anomalie des 
Skelets wäre. 

Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen und möchte, wie 
bereits anfangs erwähnt, unter Klumphand nur jene Fälle verstanden 
wissen, die bei voller Integrität der Knochen eben jene Deformität 
aufzuweisen haben, die an der unteren Extremität dem Klumpfuss 


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386 


A. Blencke. 


entspricht. So gut wir bei angeborenen Defecten am Unterschenkel 
nicht von blossen Klumpfüssen reden, wenn solche mit dem vor¬ 
handenen Defect zusammen zu constatiren sind, sondern von an¬ 
geborenen Fibula- bezw. Tibiadefecten, ebenso gut sollen wir auch 
von angeborenen Radius- bezw. Ulnadefecten sprechen und nicht von 
blossen Klumphänden, die doch lediglich nur als Folge jener auf¬ 
zufassen sind. 

Bei den Klumphänden, die vereint mit Vorderarmknochen- 
defecten Vorkommen, kann entweder ein Radius- oder ein Ulnadefect 
die Ursache sein. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um 
einen Radiusdefect, wie auch in unserem Falle. Es war, wie meistens, 
ein totaler Radiusdefect beiderseits. Die Fälle von partiellem Radius¬ 
defect sind seltener, wie wir bereits anfangs aus den angeführten 
Zahlen ersehen haben. 

Bei dem partiellen Defect fehlt in den meisten Fällen das untere 
Ende des Knochens, jedoch sind auch Fälle beobachtet worden, wenn 
auch weit seltener, bei denen das obere Ende fehlte. Diese haben 
nach Kirmisson's Ansicht mit der angeborenen Klumphand nichts 
zu thun, da im Gegensatz zu dem Befunde bei unterem Radiusdefect 
hier die Hand ihre normale Stellung hat. Man bemerkt nur eine 
gesteigerte Abduction des Vorderarms, die sich dadurch erklärt, dass 
sich die Ulna mehr nach der Seite verschieben lässt, da sie an ihrer 
lateralen Seite nicht mehr von dem Radius gestützt wird. 

In vielen Fällen finden wir nur als Ueberbleibsel das Capi- 
tulum radii, oder das entgegengesetzte Ende ist erhalten. Ja, in 
einigen ganz vereinzelten Fällen konnte genau wie am Unterschenkel 
bei der entsprechenden Deformität ein fibröser Strang constatirt 
werden, der an der Basis des Carpus inserirte. 

Kirmisson hat in seinem Lehrbuche zwei genaue pathologisch¬ 
anatomische Untersuchungen gebracht, sowohl über einen partiellen 
wie einen totalen Radiusdefect, die beide zur Section gekommen 
waren. So interessant diese beiden Befunde nun auch sind, bin ich 
doch nicht in der Lage, diese hier ganz wiederzugeben. Ich muss 
schon deshalb auf das Original verweisen. Aus der Schilderung 
geht aber zur Genüge hervor, dass in pathologischer Beziehung 
zwischen dem partiellen und totalen Radiusdefect die grösste Aehn- 
lichkeit besteht. 

In dem einen wie in dem anderen Falle finden wir die Ulna 
meist verdickt und am Uebergang vom mittleren zum unteren Drittel 


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Ein Beitrag zur sogenannten Klumphand. 


387 


eingeknickt und oft auch S-förmig torquirt. In dem einen wie in 
dem anderen Falle finden sich Anomalien der Handwurzel und der 
Finger, ja sogar des Humerus wie auch in unserem Falle, die zwar 
nicht erheblich, doch aber deutlich am unteren Ende des Knochens 
zu sehen sind. 

Von den Handwurzelknochen fehlt meistens das Multangulum 
majus und das Naviculare; von den Fingern regelmässig der Daumen 
und mit ihm sein Metacarpus. Dass aber auch überzählige Finger 
vorhanden sein können, beweist der von Tschmarke im 8. Bande 
dieser Zeitschrift veröfientlichte Fall, den ich auch zu sehen Gelegenheit 
hatte. Es waren sechs Metacarpalknochen vorhanden und sieben Finger. 

Auch von Seiten des Muskelsystems sind Veränderungen vor¬ 
handen. Die Daumenmusculatur und die Muskeln der Radialseite 
des Vorderarms fehlen, desgleichen auch die lange Bicepsportion am 
Oberarm; dagegen ist nach Kirmisson ein schräg vor dem Ellen¬ 
bogengelenk verlaufendes Muskelbündel vorhanden, für welches er 
schwer eine richtige Erklärung zu geben vermag. 

Der angeborene ülnadefect findet sich viel seltener. Den 
07 Fällen KümmeH’s von angeborenem Radiusdefect stehen nur 
13 Fälle von angeborenem ülnadefect gegenüber, der auch ein voll¬ 
ständiger oder theilweiser sein kann. 

Bei demselben fehlen die ulnaren Finger und der Kleinfinger¬ 
ballen. Nach Kirmisson soll diese Missbildung selten symmetrisch 
sein; die rechte Seite scheint häufiger befallen zu werden als die linke, 
während beim Radiusdefect die Vertheilung eine gleiche zu sein scheint. 

Die Hand befindet sich in einer Mittelstellung zwischen Pro- 
und Supination und ist nach der ülnarseite des Vorderarms ab¬ 
gewichen. Die Bewegungen derselben sind wenig behindert, dagegen 
ist die Beweglichkeit im Ellenbogengelenk schon mehr beeinträchtigt 
und mitunter besteht sogar eine vollkommene Ankylose. 

Hoffa hält diese Defecte für eine exquisite Hemmungsbildung; 
es handelt sich seiner Meinung nach wahrscheinlich um ein Stehen¬ 
bleiben der Entwickelung auf einer sehr frühen Stufe des Embryo. 

Kümmell legt die Entstehung des Defectes in die ersten vier 
Lebenswochen und nimmt als Ursache der Missbildung eine primäre 
Radialwärtsknickung der Vorderarmanlage an, bedingt durch Störungen 
von Seiten des Amnion oder Raummangel im Uterus. 

Ich habe meine Ansicht bezüglich der Pathogenese derartiger 
Defecte bereits an anderer Stelle präcisirt und verweise deshalb auf 


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388 


A. Blencke. Ein Beitrag zur sogenannten Klumphand. 


diese meine Arbeit über congenitale Oberschenkeldefecte im 9. Bande 
dieser Zeitschrift, in der ich auch alle Theorien zusammengestellt 
habe. Unerwähnt aber möchte ich nicht lassen, dass auch in diesem 
Falle wieder das sogen. Versehen eine Rolle gespielt hat. Die 
Mutter wurde durch einen Frosch erschreckt, ein Ereigniss, das aber 
erst am Ende der Schwangerschaft eintrat. Auch bezüglich des Ver¬ 
sehens verweise ich auf meine soeben erwähnte frühere Arbeit. 

So leicht nun die Therapie bei der eigentlichen Elumphand ist 
und so schöne Resultate wir dabei erreicht haben, so schwer ist die¬ 
selbe bei der Klumphand infolge von Vorderarmdefecten, und so 
schlechte Resultate erhalten wir hier. 

Von den Durchschneidungen der auf der Radialseite der Hand 
deutlich hervorspringenden Flexoren- und Adductorensehnen, von der 
künstlichen Versteifung des Handgelenks, Methoden, die des öfteren 
vorgeschlagen und auch ausgeführt wurden, haben wir uns wohl keinen 
Erfolg zu versprechen, und möchten deshalb auch davon abrathen, 
ebensowenig von in corrigirter Stellung angelegten Gipsverbänden. 

Robert und Coli in haben einen Apparat construirt, der über 
dem Handgelenk ein Fixirbandkugelgelenk hatte, um die Hand in 
jeder beliebigen Stellung fixiren zu können. 

Hoffa machte in einem Falle die Osteotomie mit nachfolgender 
Redression der falschen Handstellung. 

Sayre verfuhr in ähnlicher Weise, nahm aber noch die Ex¬ 
stirpation einiger Carpalknocheu vor, um die erwünschte Handstellung 
zu erreichen. Er empfiehlt deshalb, auch sogleich von vornherein 
alle Carpalknochen zu exstirpiren, um eine Tasche zu bilden, in 
welcher das untere Ende der Ulna gut Platz finden kann, eine 
Methode, die Hoffa vermeiden und umgehen zu können glaubt 
wenn nur die Osteotomie möglichst früh, womöglich in den ersten 
Lebensmonaten ausgeführt wird. 

Bar den heuer spaltet das untere Ende der Ulna longitudinal 
und pflanzt den proximalen Theil des Carpus in den Spalt der Ulna. 

Auch M’Curdy operirte in ähnlicher Weise; er machte die 
Tenotomie der contracten Sehnen, spaltete die Ulna und nähte den 
Carpus in richtiger Stellung an die Ulna mit recht gutem Erfolge an. 

In meinem Falle war eine Therapie absolut nicht nothwendig, 
abgesehen davon, dass auch Patient mit seinen Armen nichts unter¬ 
nommen wissen wollte. Sch. war ja im Stande, seine Hände sehr 
gut und sehr geschickt zu gebrauchen. 


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XXV. 

Eine Behandlungsmetliode des doppelseitigen (renn 
valgiun adolescentinm. 

Von 

Dr. med. J. Gerard Milo^ 

Orthopäde im Haag. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Bei der unblutigen Behandlung des Genu valgum adolescentium 
verfährt man jetzt in der Orthopädie besonders nach zwei Methoden: 
Man verwendet die Osteoklasis resp. Moulage oder Epiphyseolysis mit 
nachfolgendem Gipsverband nach Schede, Lorenz, Delore, Reiner 
u. A. oder den redressirenden „Etappen“-Verband nach Wolff. 
Erstere Methode führt gewöhnlich in einer Sitzung zur erwünschten 
Stand Verbesserung, die andere braucht mehr Sitzungen zur Erreichung 
dieses Zweckes. 

Ich habe mich bestrebt, durch die Construction und Anwen¬ 
dung sogleich zu beschreibenden Instruments die Technik beider 
Methoden mehr oder weniger zu verknüpfen. 

Das Instrument, vor 3 Jahren von mir erdacht und seitdem 
angewendet, wird gebraucht zur Behandlung des doppelseitigen Genu 
valgum adolescentium. Sein Princip findet man in der „Nürnberger 
Schere®, mit anderen Worten, das Instrument gleicht der Form 
nach einem gleichseitigen Viereck. In einem solchen Viereck 
schneiden sich die Diagonalen senkrecht. Wird eine Diagonale ver¬ 
kürzt, so verlängert sich die andere in gleichem Maasse. Ich kann 
in meinem Instrumente solche Diagonale verkürzen durch Auf¬ 
drehen einer Schraubenmutter, die sich mit ziemlich grosser Schnel¬ 
ligkeit über eine Schraube bewegt, wodurch sich die andere Diagonale 
verlängert. In der Richtung dieser Diagonale brachte ich an deren 
Enden zwei Nocke an, die jeder eine Pelotte tragen, deren Concav- 
seite einen Theil einer Cylinderoberfläche darstellt ’). 

*) Fig. 2 stellt die Pelotte, welche das linke Bein drückt, zu gross vor. 


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390 


J. Gerard Milo. 


Die Schwierigkeit aber lag darin, dass die Nocke derart an 
den Diagonalenden befestigt wurden, dass sie sich immer in einer 
und derselben geraden Linie bewegen. Zu diesem Zwecke con- 
struirte ich* eine Einrichtung zum Schieben, auf der der Nock be¬ 
festigt ist. Diese Einrichtung ist einerseits mit einer runden Oeffhung 
versehen, in der man eine Achse, auf einen Schenkel des Vierecks be¬ 
festigt, drehen kann; andererseits mit einer Riefe, in die man eine 
Pinne, auf den anderen Schenkel des Vierecks befestigt, schieben 


Fig. 1 



kann. Auf diese Weise war ich gegen eine Abweichung der beiden 
Nocken, der Träger der Pelotten, aus der geraden Linie gesichert. 

Zur Application des Werkzeuges verfahre man folgenderweise: 
Man narkotisire eventuell den Patienten, je nach der Rigidität der 
zu behandelnden Theile, stelle das Instrument mit der kleineren 
Diagonale zwischen die Kniee, so dass die unteren Ränder der Pelotten 
über die medialen Gelenkspalten zu liegen kommen. Jetzt achte 
man besonders darauf, dass die Beine vollkommen gestreckt und 
leicht einwärts rotirt seien, damit einer plötzlichen Flexion eines 
oder beider Kniee vorgebeugt werde. Darauf lege man als Fixations¬ 
stränge einige Windungen einer starken flanellenen Binde um die 
beiden Oberschenkel in der Höhe der Trochanteren und um beide 


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Eine Behandlungsmethode des doppelseit. Genu valgum adolescentium. 391 


Unterschenkel an der Grenze des mittleren und unteren Dritttheils 
und verkürze sodann durch Drehung des Griffs die Längsdiagonale 
des Instruments. Allmählich sieht man jetzt die beiden Beine gleich* 
zeitig dem erwünschten Stande näher kommen. Man fahre so fort, 
bis man womöglich eine Uebercorrection erzielt hat. (Bei rigiden 
Knochen und Gelenken kann man mit dieser täglich sich wieder¬ 
holenden Vorbehandlung ziemlich schnell die gehörige Verbesserung 
erreichen.) 

Fig. 2. 



Alsdann gipse man beide Beine, eines nach dem anderen, ein, 
indem die flanellenen Binden und das Instrument unverändert an 
ihrer Stelle bleiben. Den Griff hat man entfernt und auf den Nocken 
ist das Instrument drehbar, so dass das Legen der Gipsbinden un¬ 
gehindert vor sich geht. Der Gipsverband, wohl gepolstert, reiche 
oben bis über die Trochanteren, unten bis an die Malleolen. An den 
lateralen Seiten der Kniegelenke verstärke man den Verband durch 
derbe Gipsbrücken und gipse dazu an der Vorder- und Hinterseite 
jedes Gelenkes eine stählerne charnierte Schiene ein. Die Chamiere 
finden ihren Platz etwa auf der Patella und in der Kniehöhle. An 
der Medialseite lasse man die Pelotte theilweise frei, um sie nach¬ 
her leicht entfernen zu können; man kann auch Pelotten nach zuvor 
bereiteten Gipsmodellen der Kniegelenke machen lassen, die man 
mit eingipst. 


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392 Gerald Milo. Eine Behandlungsmethode d. doppelseit. Genu valgum etc. 


Jetzt warte man, bis der Gips vollkommen hart geworden, drehe 
das Instrument auf den Nocken 180® um seinen ursprünglichen 
Stand, setze den Griff auf das diametral gegenüberliegende Ende des 
Schraubenganges, und mit derselben Bewegung, wie vorher, drehend, 
faltet sich das Instrument zusammen, wobei die Nocke aus den Oeff- 
nungen der Pelotten treten. Sodann wird das Instrument bei Seite 
gelegt. Hat man keine verlorenen Pelotten benutzt, so entferne 
man die noch theilweise in dem Verband zurückgebliebenen, schneide 
die Flanellbinden mit der Scheere ab, soweit sie nicht mit eingegipst 
sind, lege auf die Oeffnungen des Gipsverbandes an den Medial¬ 
seiten einen guten comprimirenden Verband, und damit ist die Ope¬ 
ration vollendet. 

Ich gelangte gewöhnlich in einer Sitzung zum Ziel. Ist man 
jedoch mit dem Resultat unzufrieden, so lege man nach einer oder 
zwei Wochen den Apparat abermals in geeigneter Spannung an, 
säge erst darnach den Gipsverband an der Lateralseite auf, in 
einer Linie, die dem Spalt des Kniegelenks an der Lateralseite vom 
vorderen zum hinteren Charnier folgt, redressire aufs Neue und fülle 
die so entstandene Spalte an der Lateralseite mit Gipsbrei und Werg 
an oder applicire einen Korkkeil. 

Das Resultat dieser Behandlungsweise lässt, meiner Erfahrung 
gemäss, nichts zu wünschen übrig, nur dass man Sorge trage, den 
Patienten im Verband regelmässig gehen zu lassen, denn wie für 
den congenitalen Klumpfuss, so ist auch für das Genu valgum die 
functioneile Belastung im corrigirten Stande für das Resultat von 
essentiellem Werth. 

Nach meinem Dafürhalten ist die Methode gewisser, milder, 
allmählicher und zumal richtiger dosirbar als jenes gewaltsame Brise¬ 
ment forcd, die Epiphyseolyse oder Wolffs Methode, erspart 
Zeit, weil man beide Beine zugleich behandelt, erfordert vom Ope¬ 
rateur keine Anstrengung, und — last not least — bevor man ein¬ 
gipst, kann man sicher sein, dass die Stellung, die man sich wünscht, 
auch in der That im Gipsverband festgelegt wird. Nie trat Decubitus 
bei mir ein und braucht auch nicht einzutreten, wenn man die 
Rigidität der Gelenke und Knochen gehörig in Betracht zieht. 

Das Instrument wird, meinen Anweisungen gemäss, von Herrn 
L. Pohl, Instrumentenmacher im Haag, angefertigt. 

(Abdruck aus dem Ned. Tydschrift voor Geneesk., Jahrg. 1903, II. 4.) 


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XXVI. 


Supinationsscliwäclie bei Plattfass und ihre 
Behandlung. 

Von 

Dr. Oskar v. Hororka, 

Chefarzt für Orthopädie am Wiener Zanderinstitute. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Unter den sonst üblichen Mitteln zur Bekämpfung des Platt- 
fusses und der Plattfussbeschwerden ist wohl das grösste Gewicht 
auf eine Kräftigung der die Supination bewirkenden Muskeln des 
Fusses zu legen. Der Plattfuss ist ja bekanntlich ein Pes valgus, 
pronatus, reflexus und gerade die geschwächte Supinationskraft des 
Plattfusses verursacht in der Regel eine Reihe von höchst unange¬ 
nehmen, nicht immer leicht zu bekämpfenden Beschwerden. Leicht ist 
ein Plattfuss behoben, wenn der Kranke bereits durch das einfache 
Tragen von Einlagen befreit wird; aber jedem Praktiker werden wohl 
gewiss Fälle vorgekommen sein, die dem Tragen von Einlagen 
wegen der Schmerzhaftigkeit den giössten Widerstand entgegen¬ 
setzen und welche vom Kranken deswegen auch nicht vertragen 
werden. In solchen Fällen wird man gerne nach allen übrigen 
Mitteln greifen, welche nur einigermassen die Schmerzen zu lindern 
ira Stande sind. Eine solche Linderung, ja vielfach Heilung des 
Plattfusses kann man durch die methodische Ausführung von Supi¬ 
nationsübungen erzielen. 

Bei Ausführung der Supinationsübungen müssen wir uns vor 
allem vergegenwärtigen, dass es am Unterschenkel eigentlich keinen 
Muskel gibt, durch welchen eine ausschliessliche Beugung oder 
Streckung, oder eine reine Supination' oder Pronation zu Stande 
käme; denn bei jeder Beugung und Streckung des Fusses erfolgt 
gleichzeitig eine Abduction oder Adduction, sowie eine Pronation 
oder Supination. Aus diesem Grunde vermögen wir durch diese 


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394 


Oskar v. Hovorka. 


SupinationsUbungen uaturgemäss nicht etwa einen einzelnen Muskel 
zu beeinflussen, sondern es werden vielmehr gleichzeitig mehrere 
Muskeln oder Muskelgruppen, deren gesonderte Thätigkeit wir bei 
den activen und passiven Bewegungen anstreben, in Bewegung 
gesetzt. 

Für das nähere Verständniss und die richtige Würdigung der 
Supinationsbewegungen halte ich es als zweckdienlich, einige ganz 
kurze anatomisch-physiologische Bemerkungen vorauszuschicken. 

Die Muskeln des Unterschenkels sind so angeordnet, dass sie 
sowohl dem oberen, als auch dem unteren Sprunggelenke ein ge¬ 
wisses Drehungsvermögen verleihen; auf verschiedene Weise gruppirt 
ermöglichen sie es infolge dessen, fast alle Bewegungen nach den 
Hauptrichtungen auszuführen; dadurch kommt es zu Stande, dass 
bei einer jeden Stellung des oberen Sprunggelenkes zu gleicher Zeit 
im unteren Sprunggelenk eine Beugung und Pronation, oder eine 
Streckung und Supination erfolgen kann. Die grössere Beweglich¬ 
keit des unteren Sprunggelenkes ergibt sich aus der Thatsache, dass 
dieses Gelenk nur einen Theil des gesammten Sprunggelenkes dar¬ 
stellt, ferner, dass es weit complicirter gegliedert ist, als das obere 
Sprunggelenk (Artic. talo-cruralis); es darf schliesslich nicht ver¬ 
gessen werden, dass es eigentlich aus zwei Gelenken besteht, nämlich 
dem zwischen Sprungbein und Fersenbein (Art. talo-calcanea) und 
jenem zwischen Sprungbein und Kahnbein (Art. talo-navicularis). 
Aus dem vorher angeführten Grunde bezeichnen wir demnach als 
Supination des Fusses jene Bewegung desselben, welche aus einer 
Streckung des unteren Gelenkes besteht und bei welcher sich der 
Grosszehenrand erhebt, der Kleinzehenrand herabgeht; die Pro¬ 
nation ist hingegen als eine Beugung des unteren Sprunggelenkes 
anzusehen mit der entgegengesetzten Bewegung. Daraus ergibt sich 
von selbst, dass die drei Peronealmuskeln als Pronatoren, die Tibiales 
und der Triceps surae als Supinatoren aufzufassen sind. 

Ueber die Wirksamkeit der Muskeln im Speciellen ist noch 
hervorzuheben, dass hierbei dem M. peroneus longus und brevis die 
Rolle der Abduction, Pronation und Streckung zufällt. Da nun der 
M. peroneus longus schief über die Planta pedis verläuft und sich 
am ersten Keilbein ansetzt, so wird bei seiner Zusammenziehung 
naturgemäss zugleich auch die Höhlung der Sohlenwölbung ver¬ 
mehrt; der M. peroneus brevis ist hingegen nicht ein reiner Strecker, 
sondern er versetzt den Fuss vielmehr in eine Mittelstellung zwischen 


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SupinaüoDsschwäche bei Plattfuss und ihre Behandlung. 


395 


Beugung und Streckung. lieber seine Wirkungsweise sind die 
Autoren dieses speciellen Gebietes (Duchenne, E. Weber, 
Vulpius, Codivilla u. A.) noch nicht vollkommen einig. 

Der M. tibialis ant. bewirkt eine Dorsalflexion (da er sich am 
ersten Keilbein und an der Basis metatarsi hallucis inserirt), Supi¬ 
nation und Adduction des Fusses. Durch die Zusammenziehung des 
M. tibialis post, entsteht eine directe Adduction, eine geringe 
Supination und eine Mittelbewegung zwischen Beugung und Streckung. 
Der M. triceps surae ist ein kräftiger Strecker des Fusses, zugleich 
aber supinirt er ihn und unterstützt ausgiebig die Adduction des¬ 
selben ; seine Streckfähigkeit bezieht sich vorzugsweise auf die äussere 
Hälfte des Vorderfusses und auf den ganzen Hinterfuss. 

Der M. extensor digitorum long. besitzt nicht nur die Aufgabe 
eines gemeinschaftlichen Zehenstreckers, sondern er besorgt zugleich 
auch einen Theil der Abduction und Pronation des Fusses. Der 
M. extensor hallucis long. ist nur ein Hilfsmuskel des M. tibialis ant., 
dagegen ist der M. extensor hallucis proprius ein kräftiger Supinator. 

Es ist von vornherein klar, dass erst durch eine combinirte 
Mitarbeit zweier oder mehrerer Muskeln jene physiologisch-anatomi¬ 
schen Bewegungen zu Stande kommen, die wir als Beugung- 
Streckung, Supination-Pronation bezeichnen. So wird z. B. durch die 
harmonische Mitarbeit des M. tibialis ant. (adducirender Beuger), des 
M. extensor hallucis long. (Hilfsmuskel des vorigen) und des M. extensor 
digit. longus (abducirender Beuger) der Fuss in toto gehoben. 

Codivilla hat es versucht, die percentuelle Energie der 
einzelnen Unterschenkelmuskeln in einer Tabelle ziffernmässig aus¬ 
zudrücken. So bezeichnet er z. B. die Beugekraft des M. triceps 
surae mit 1, die Pronationskraft des M. peroneus brevis mit 2, die 
Supinationskraft des M. tibialis post, mit 3, die Adductionskraft des 
M. flexor digit. long. mit 4 u. s. w. Die Angaben seiner Tabelle 
scheinen jedoch, wie Vulpius wohl nicht mit Unrecht hervorhebt, 
nicht in allen Einzelnheiten vollkommen richtig zu sein und eine 
Nachprüfung derselben wäre sicher zu empfehlen. 

Gestützt auf diese Erwägungen lasse ich bei Plattfusskranken, 
welche meine Ordination aufsuchen, nach Beendigung der übrigen 
therapeutischen Massnahmen die Supinationsbewegungen täglich in 
der Regel so ausführen, dass sie vorerst auf dem von mir ange¬ 
gebenen Supinationsbrette marschiren lernen, dann genau vor¬ 
geschriebene Freiübungen, sowie active und passive Bewegungen 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 26 


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396 


Oskar v. Hovorka. 


ausführen und schliesslich einer geeigneten Massage unterworfen 
werden. 

Das Supinationsbrett (s. Figur) besteht aus zwei glatt ge¬ 
hobelten, an einander unter einem sehr stumpfen Winkel, von 160 
bis 165® festgefügten Brettern, welche mit einem leichten Filzstoff 
bekleidet sind; es entsteht hierdurch eine dachfirstähnliche stumpf¬ 
kantige Vorrichtung, auf deren Grate die Kranken herum gehen. 
Die Gehübungen werden stets entweder barfuss oder mit Strümpfen 
ausgeführt. Anfangs pfiegt es auf diese Weise sehr schwer zu 
gehen, da es in der That nicht leicht und nur mit der grössten 
Kraftanstrengung möglich ist, in einer so stark supinirten Stellung 
zu marschiren. Der das Supinationsbrett bedeckende rauhe Stoff dient 
dazu, um das Abrutschen des Fusses am glattgehobelten (und nagel¬ 
losen!) Brette zu verhindern. Es ist auch räthlich, den Kranken 



bei seinen ersten Gehversuchen an der Hand zu führen, damit er 
durch Ausgleiten keinen Schaden erleide. Nach einiger TJebung 
lernen jedoch fast alle Plattfüssigen sehr leicht auf dem Supinations¬ 
brette herum zu gehen. Anfangs darf man auch gestatten, dass 
der Kranke mit der Ferse den Grat berühre, um sich besser 
halten zu können, denn hierdurch erlangt er rasch nicht nur eine 
hierzu unbedingt nöthige Fertigkeit, sondern auch Selbstvertrauen; 
nur darf dabei die Fussspitze nicht etwa die andere Hälfte des 
Supinationsbrettes überschreiten. Später muss man jedoch darauf 
bestehen, dass die gesammte Fusssohle auf der schiefen Ebene stehe. 
Es ist den Plattfusskranken auch im allgemeinen anzuempfehlen, 
dass sie nicht mit weit auswärtsgerichteten Fussspitzen, sondern mit 
fast parallel gestellten Füssen gehen (Hoffa); dasselbe gilt auch 
für solche Plattfüssige, die während des Tages lange stehen müssen. 
Auf diese Weise lasse ich die Kranken täglich 2mal je lOmal liin- 
und hergehen. Nach mehreren Uebungen, wenn sie nicht mehr 
stolpern, gehen sie dann rückwärts, wobei sie anfangs auch an den 
Händen geführt werden müssen. Die ersten Gehversuche lasse ich 
stets in der Anstalt ausführen, um sie auf die Fehler und weitere 


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Supinationsschwäche bei Plattfuss und ihre Behandlung. 397 

Details aufmerksam zu machen; später schafft sich der Kranke 
selbst das Brett an. Das Hauptgewicht lege ich jedoch stets auf 
die systematische thatsächliche Ausführung der Hebungen am 
Supinationsbrette. Verfügt der Kranke über einen ernsten Willen, 
ganz regelmässig und täglich Morgens und Abends diese Promenaden 
zu machen, so wird der Erfolg gewiss nicht ausbleiben. Thut er 
es nicht, so ist es allerdings klüger, damit gar nicht zu beginnen, 
denn nur durch das methodische Heben wird ihm eine Besserung 
seiner erschlafften Supinationsmuskeln gewährleistet, die bei richtiger 
Ausführung nicht ausbleiben kann. 

Auch durch die Freiübungen erstreben wir eine Kräftigung 
der Supinatoren des Fusses. Ich lasse die ersteren stets barfüssig 
ausführen und dränge auch hier auf streng methodische Durch¬ 
führung derselben. Obwohl es natürlich einem jeden Orthopäden 
überlassen bleibt, sich seine eigenen Commandos auszuwählen — 
solche sind auch bereits von Hoffa, Ellis und Roth angegeben 
worden, — so möchte ich doch kurz jene angeben, welche mir 
am geeignetsten scheinen und welche ich im Wiener Zander¬ 
institute eingeführt habe, da sie ungemein einfach und leicht zu 
merken sind. 

Der Kranke steht in „Habt-Acht!“-Stellung, die Fersen ge¬ 
schlossen, die Fussspitzen auswärts, die Hände in den Hüften. 

1. Commando: Auf die Fussspitzen! Fersen nieder! (lOmal), 

2. Commando: Dasselbe mit geschlossenen Fussspitzen! (lOmal), 

3. Commando: Dasselbe mit divergirenden Fersen! (5mal), 

4. Commando: Kniebeuge! (Fussstellung wie bei 1), (lOmal), 

5. Commando: Kniebeuge! (Fussstellung wie bei 2), (lOmal), 

6. Commando: Kniebeuge! (Fussstellung wie bei 3), (omal). 

Die Hebungen 3 und 6 erfolgen nur 5raal, da sie im Ver¬ 
gleiche zu den übrigen viel schwieriger auszuführen sind. Bei 
geübteren Kranken lasse ich noch eine 7. Hebung nachfolgen, 
welche im Aufheben von Gegenständen vom Fussboden abwechselnd 
mit der linken und rechten Hand in der Stellung 6 besteht. Dabei 
gehe ich von den grösseren Gegenständen zu kleineren über (Hanteln 
verschiedener Grösse, Stab, Bleistift, Münze u. dergl.); hiedurch 
werden die Supinationsmuskeln thatsächlich stark mitgenommen. 

Nach Beendigung dieser Freiübungen lasse ich den Kranken 
ein wenig ausruhen, lege ihn auf einen gewöhnlichen Massirtisch 


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398 Oskar v. Hovorka. Supinationsschwäche bei Plattfuss u. ihre Behandlung. 

und nehme mit ihm nun die passiven und activen Bewegungen vor. 
Dieselben erfolgen in der Regel in der folgenden Reihenfolge: 

Plantarflexion, Dorsalflexion; 

Abduction, Adduction; 

Supination, Pronation; 

dabei wird der Unterschenkel mit der Hand fixirt. Bei der Aus¬ 
führung der passiven Bewegungen wird genau auf den vom Kranken 
zu leistenden und auch von ihm zu dosirenden Widerstand geachtet 
Besonderes Gewicht zu legen ist auf die richtige Ausführung der 
Supination, welche allerdings bei Plattfuss bekanntlich am schmerz¬ 
haftesten ist und den bekannten Supinationsschmerz verursacht. 

Zum Schlüsse wird der Fuss noch einer kräftigen Massage 
unterworfen und hiebei auch die Muskeln des ganzen Unterschenkels 
einbezogen. Es ist ja bekannt, dass sich die Plattfussbeschwerden 
nicht auf den Fuss allein zu beschränken pflegen, sondern sehr oft 
auch das Gebiet des Unterschenkels ergreifen, ja nicht selten sogar 
bis zum Oberschenkel und in die Leistengegend heraufsteigen 
(Meralgie). Es sind besonders die Supinatoren und zwar die beiden 
Tibiales, sowie der Triceps surae, welche durch eine zielbewusste 
Massage gekräftigt werden müssen. Gerade den Wadenmuskeln wird 
eine ungemein grosse Arbeitsleistung aufgebürdet, da ja bei der 
„Habt-Acht!‘‘-Stellung der Schwerpunkt des Körpers in die Fuss- 
wurzel und zwar in die Sprungbeinrolle fällt. Auch die Mnsculatur 
der Fusssohle muss besonders berücksichtigt werden, da sie unter 
Zuhilfenahme der Bänder die einzelnen Theile der Fusswurzel an 
einander knüpft, die Tragfähigkeit des Fussgewölbes vollendet und 
der Sohle die Federkraft verleiht. 

Die Massage selbst besteht aus einer centripetalen, vom Gross¬ 
zehenrande beginnenden, gegen die Lateralseite des Unterschenkels 
hinzielenden, gegen das Knie verlaufenden Effleurage; ihr folgt eine 
kräftige, dieselbe Richtung innehaltende Petrissage und schliesslich 
ein mittelstarkes Tapotement. Bei schwächeren Personen endlich, 
sowie bei solchen mit starkem Fussschweiss, pflege ich noch über¬ 
dies ein tägliches lauwarmes Fussbad (Franzensbader Moor, Kräuter¬ 
bad etc.) vor dem Schlafengehen anzurathen. 


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XXVIl. 


(Tummiluftpelotten zur Behandlung der schweren 
Skoliose und der Kyphose. 

Von 

Dr. Lubinus- Kiel, 

Specialarzt für Orthopiidie. 

Mit 11 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Das Verfahren der forcirten Extension der skoliotischen Wirbel¬ 
säule mit nachfolgendem Gipsverbande hat unzweifelhaft die Prognose 
der schweren Skoliose ganz erheblich gebessert. 

Es gelingt auf diese Weise nach erfolgreicher Mobilisirung 
selbst starke, seitliche Abweichungen auf Monate hinaus völlig zu 
corrigiren und die Torsion der Wirbelsäule mit der durch sie be¬ 
dingten Buckelbildung theils durch die Streckung selbst, theils durch 
Pelottendruck für die Dauer des Verbandes entweder gänzlich zu 
beseitigen, oder doch in günstigster Weise zu beeinflussen. 

Das auf diese Weise erlangte Resultat für die Dauer zu er¬ 
halten, wird allerdings stets eine schwierige Aufgabe bleiben, deren 
Lösung aber doch in der Hauptsache mehr eine Geduldsfrage seitens 
der Patienten und des Arztes sein wird, als eine Frage der Mög¬ 
lichkeit. 

Bezüglich der Zulässigkeit dieser Methode steht die Mehrheit 
der Collegen heute glaube ich wohl auf dem Standpunkte, dass bei 
der Schwere des Leidens, um welches es sich hier handelt, vollauf 
die Berechtigung vorliegt, ein Verfahren in Anwendung zu bringen, 
das für den Patienten allerdings manche Unannehmlichkeiten sowie 
Schädigungen der Hautthätigkeit und der Musculatur mit sich bringt, 
andererseits aber doch bei sachgemässer Handhabung kaum zu ernsten 
Störungen der Gesundheit Veranlassung geben dürfte und berechtigten 
Anspruch darauf erheben darf, selbst in den schwersten Fällen noch 
werthvolle Besserungen zu erzielen. 


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400 


Lubinua. 


Eine grosse Reihe vortrefflicher Arbeiten über dieses Thema 
sind gerade in der lebten Zeit erschienen und geben ein beredtes 
Zeugniss von dem actuellen Interesse, welches dieser Frage entgegen- 
gebracht wird. 



Aus diesem Grunde will ich in Nachfolgendem dasjenige Ver- | 
fahren zu schildern versuchen, welches ich seit reichlich Jahresfrist j 
an wende, das mir ausserordentlich zufriedenstellende Resultate ge¬ 
liefert hat und von der allgemein üblichen Methode, besonders da¬ 
durch abweicht, dass ich zur Bekämpfung der Torsion elastische, auf¬ 
blasbare Gummipelotten verwende. 


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Gummiluftpelotten zar Behandlung der schweren Skoliose und der Kyphose. 401 


Als Apparat für die verticale Suspension der Skoliose benutze 
ich den wohl im Besitze jedes Orthopäden befindlichen Hof falschen 
Rahmen, nachdem ich an demselben folgende Aenderungen vorge- 
nommen habe (Fig. 1). 

In die beiden senkrechten Pfosten sind in gleichmässigen Ab¬ 
ständen von 12 cm mehrere 2 cm im Durchmesser haltende Löcher 
gebohrt. Dieselben dienen, wie aus Fig. 1 hervorgeht, an dem einen 
Pfosten zur Befestigung einer Winde Vorrichtung mittelst Schrauben¬ 
bolzen und Laschen, ihren Zweck an dem anderen Pfosten werde 
ich später erläutern, da sie bei der Behandlung der Kyphose in 
Betracht kommen. 

Der Sitz besteht, wie aus Fig. 2 hervorgeht, nicht mehr aus 
einer einfachen Platte, sondern aus einer kräftigen, eichenen Scheibe a, 
die zwei Führungsleisten h h' für den Querbalken besitzt, und zwei 
durch Charnier mit einander verbundenen eichenen Brettern r und d. 
Diese sind wiederum mit der Scheibe a durch einen Bolzen l in 
Verbindung gebracht. Das obere Brett d ist getheilt; die eine Hälfte 
lässt sich durch eine von unten wirkende Schraube /', die ihre 
Führung in dem unteren Brette r hat, die andere durch einen Keil // 
in beliebige Neigung zur Horizontalen bringen. 


s 

f 



Fig. 2. 


Ich kann mir somit einerseits einen schrägen Sitz verschaffen 
und gleichzeitig die eine Beckenhälfte höher stellen als die andere; 
andererseits ermöglicht der vorerwähnte, eiserne Bolzen /, der seine 
Führung in dem im Querbalken befindlichen Schlitz hat und am 
unteren Ende ein Schraubengewinde nebst Flügelschraube h trägt, 
ein beliebiges Drehen und Feststellen des Sitzes in der Horizontalen, 


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402 


Lubinus. 


gestattet also auch eine Drehung des Beckens mit der Lendenwirbel¬ 
säule nach links oder rechts. Damit erfüllt dieser Sitz alle Forde¬ 
rungen, die für die Suspension in sitzender Stellung zu erheben sind. 

Der Patient wird, wie Fig. 1 zeigt, mittelst Gurt auf diesen 
Sitz festgeschnallt und erhält um den Kopf eine aus fester Leinwand 
gefertigte Schlinge. Hinterhaupt, Unterkiefer, Hals sowie Darmbein¬ 
kämme werden mit ^/4 cm starkem Filz sorgfältig gepolstert. Filz 
verdient den Vorzug vor Watte, weil derselbe, ausser dass er Ge¬ 
währ bietet für genügenden Schutz, die Modellirung des Hals- und 
Beckentheils erleichtert und sich durch Druck weniger comprimiren 
lässt, so dass nach Aufhören der Suspension nicht soviel an Streckung 
verloren geht wie dies bei Wattepolsterung der Fall ist. Den Stamm 
umhülle ich mit einer einfachen Lage nicht entfetteter Watte. 

Hiermit sind alle Vorkehrungen für das Anlegen des Verbandes 
getroffen, nur für die Detorquirung der Wirbelsäule resp. des Rippen¬ 
buckels ist nichts geschehen und zwar deswegen nicht, weil ich 
keine starren Pelotten, die unter grossem Druck angelegt werden 
müssen, mehr verwende, sondern elastische aufblasbare Gummipelotien 
wie Fig. 3, 4 und 5 sie in verschiedenem Spannungszustande zeigen. 


Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5. 



Die Grundfläche meiner Pelotten bildet ein Rechteck resp. Quadrat 
mit abgestumpften Ecken und 14: 16, 16 : 18 oder 18 : 18 cm langen 
Seiten. Mit diesen drei verschiedenen Grössen dürfte man auskommen. 
Die Maximalhöhe beträgt in stramm aufgeblasenem Zustande 8 cm. Die 
Grundfläche ist beträchtlich stärker als die Seiten und die Oberfläche, 
wodurch erreicht wird, dass beim Aufblasen die Pelotte nicht Kugel¬ 
form, sondern diejenige Gestalt annimmt, welche vorstehende Ab¬ 
bildung zeigt. Das Aufblasen selbst geschieht mittelst einer Luft¬ 
pumpe, wie man sie für Fahrradreifen benutzt und eines gut schlies- 
senden Sicherheitsventils. Die Application erfolgt nun in der Weise, 
dass ich direct auf den mit Watte bedeckten hinteren und vorderen 
Rippenbuckel oder auch nur auf den hinteren allein die nicht auf- 


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Gummiluftpelotten zur Behandlung der schweren Skoliose und der Kyphose. 403 

geblasene Pelotte lege, sie auch nach aussen hin mit einer einfachen 
Watteschicht umhülle und darüber die Gipsbinden so wickele, dass 
nur das Ventil seitlich aus dem Verbände herausschaut wie bei Fig. (3. 

Ist der Gips genügend erhärtet, so schneide ich z. B. bei einer 
rechts convexen Dorsalskoliose links hinten seitlich und rechts vorne 
je ein grosses Fenster aus dem Verbände aus und beginne nunmehr 
mit der Luftpumpe die Pelotten auf¬ 
zublasen, so lange bis der Patient 
selbst angibt, dass der Druck das 
eben noch erträgliche Mass er¬ 
reicht hat. Acht Tage lang bleibt 
die Spannung der Pelotten ziemlich 
unverändert erhalten, dann lässt 
dieselbe allmählich nach und wird 
deswegen ein neues Auffüllen von 
Luft nothwendig. Am besten lässt 
man also die Patienten jede Woche 
einmal zu sich kommen, kann aber 
auch den Angehörigen das Füllen 
der Pelotten überlassen. 8 bis 
10 Wochen bleibt der Verband, 
wenn angängig, liegen und wäh¬ 
rend dieser Zeit werden zur Er¬ 
haltung und Kräftigung der Rücken- 
musculatur täglich gymnastische 
Uebungen vorgenommen. 

Die Vorzüge dieser elastischen Pelotten vor den bislang allge¬ 
meinen üblichen starren sind grosse: 

Erstens erhalte ich auf diese Weise sehr viel schwerer Decu¬ 
bitus und brauche deswegen auf das Schulterblatt keine Rücksicht 
zu nehmen. 

Zweitens brauche ich dem Patienten zunächst nur die Exten¬ 
sion zuzumuthen, und erst wenn er sich an dieselbe gewöhnt hat, 
füge ich am zweiten oder dritten Tage den Detorsionsdruck hinzu. 

Drittens beschränkt sich das Tragen einer Kopfstütze auf 
schwerste Fälle. 

Viertens ist die Pelotte auch bei Leder-, Filz- resp. Celluloid- 
corsets anwendbar. 

Fünftens, was am meisten in die Wagschale fällt, brauche ich 



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404 


Lubinus. 



mich nicht mit dem bei der Anlegung des Gipsverbandes erreichten 
Detorsionsgrade zu begnügen, sondern bin in der Lage, von Woche 
zu Woche die detorquirende Gewalt zu steigern. 



Auf dem letzten orthopädischen Congress hat Bade, wie ich 
erfahren habe, Pelotten, die nach gleichem Princip construirt waren, 
demonstrirt, sich ebenfalls über die mit Hilfe derselben erlangte 
Druckwirkung in günstigem Sinne ausgesprochen und als Fehler 
seiner Pelotte nur den Umstand bezeichnet, dass die Luft sehr bald 
wieder entweiche, so dass ein mehrmaliges Aufpumpen an einem 
Tage nöthig sei, ein Uebelstand, der, wie bereits erwähnt, bei meinen 
Pelotten nicht besteht. 


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Gummiluftpelotten zur Behandlung der schweren Skoliose und der Kyphose. 405 

Aber nicht nur bei der Behandlung der Skoliose, sondern auch 
für die Redression des Pottaschen Buckels haben mir diese Pelotten 
gute Dienste geleistet. 

Ist der Process für portative Apparate noch zu frisch, so lege 
ich zunächst dem Patienten in Reclinationsstrecklage einen Gips¬ 
rückenschild an mit einliegender elastischer Pelotte. 

Ich benutze dazu wieder den anfangs beschriebenen Rahmen, 
nachdem ich folgende Aenderungen vorgenommen habe (Fig. 7). 

Der Sitz wird fortgenommen, die Windevorrichtung bleibt und 
an dem freien Pfosten wird vermittelst der zu Anfang erwähnten 
Löcher durch Schraubenbolzen und Laschen ein halbkreisförmig ge¬ 
bogenes Winkeleisen als Gleitschiene für zwei 
30 cm lange Schrauben festgeschraubt, die an 
ihrem Ende drehbare Oesen tragen. 

Zwischen die Pfosten stelle ich einen 
einfachen Tisch, lege den Kranken in Bauch¬ 
lage auf denselben, befestige die Beine mittelst 
Gamaschen an den Oesen, den Kopf durch 
eine Schlinge mit der Windevorrichtung und 
beginne nun zu strecken, bis der Bauch nur 
noch eben den Tisch berührt. Auf Fig. 7 
habe ich den Tisch nur bis an den Querbalken 
herangeschoben aus später zu erläuternden 
Gründen. 

Nacken, Rücken, Gesäss und eventuell 
die Beugeseite der Oberschenkel werden durch 
eine Filzlage geschützt. Auf die vorspringen¬ 
den Wirbel kommt eine nicht aufgeblasene Gummipelotte und darüber 
wird aus Gips und Holzspahn der Schild geformt. Nach genügender 
Erhärtung wird derselbe abgenommen, getrocknet, mit einer alkoholi¬ 
schen Schellaklösung getränkt, um ihn vor Durchnässen zu schützen, 
und mit Waschleder eingefasst. So vorbereitet wird er dem Kinde 
angelegt und durch ein Mieder, das sich auf dem Rücken schnüren 
lässt, befestigt. Auf diese Weise lässt sich das Waschen und 
Reinigen der Kinder bequem in Bauchlage bewerkstelligen. Um nun 
die Reclination noch weiter zu steigern resp. direct auf die vor- 
.springenden Wirbel einen Druck auszuüben, setze ich auf das aus 
dem Schilde hervorragende Ventil die Luftpumpe und blase die 
Pelotte auf (Fig. 8). 


Fig. 8. 



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406 


Lubinus. 


Ist bei dieser Behandlung die Ausheilung genügend weit Tor- 
geschritten, so lege ich gleichfalls in Reclinationsstrecklage einen 
rings den Stamm umschliessenden Gipsverband an, nachdem ich 
wiederum eine elastische Pelotte auf die Buckelbildung placirt habe. 
Auch für das Anlegen dieses Verbandes dient derselbe Apparat, nsit 
dem alleinigen Unterschiede, dass, wie Fig. 7 zeigt, der Tisch für 



die Vorbereitung nur bis an den Querbalken herangeschoben und i 
beim Anlegen des Verbandes fortgenommen wird. Dafür wird aber ! 
unter dem Bauch durch ein Bindezügel geleitet (Fig. 9). ; 

Ist der Verband trocken, so schneide ich an der Brustseite ein j 
grosses Fenster aus (Fig. 10) und pumpe jetzt mit Hülfe der Luft¬ 
pumpe die Pelotte auf. Wirbelsäule und Brustkorb haben so die 
Möglichkeit, dem rückwärtigen Druck nach vorne hin auszuweichen 
(Fig. 11). 


! 

( 


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Gummiluftpelotten zur Behandlung der schweren Skoliose und der Kyphose. 407 


Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass diese ein¬ 
fache horizontale Streckvorrichtung natürlich nicht allein für die 
Behandlung des Pottaschen Buckels brauchbar ist, sondern, da die 
Extensionsschrauben auf der halbkreisförmig gebogenen Schiene 
beliebig verstellbar sind, in gleich vortheilhafter Weise bei der 
Reposition der angeborenen Hüftgelenksverrenkung, der Einrenkung 
und Eingipsung von Fracturen, der Streckung von Contractui^n 


Fig. 10. Fig. 11. 




und ähnlichen orthopädischen Leiden zu verwerthen ist. Sie leistet 
also, wenn man einen einfachen Tisch zwischen die Pfosten stellt, 
alles, was man von einem praktischen, orthopädischen Tische 
verlangt, und zeichnet sich dabei durch grosse Einfachheit der Con- 
struction und dementsprechend geringe Herstellungskosten aus. 

Die elastischen Pelotten sowohl wie der Sitz und die Gleit¬ 
schiene nebst Extensions.schrauben resp. der Hof falsche Rahmen mit 
diesen Modificationen sind zu beziehen durch die Firma H. Beck- 
raann-Kiel. 


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xxvm. 


Die Behandlung des Elnmpfhsses. 

Referat, erstattet auf dem XIV. internationalen medicinischen Congress 
zu Madrid 23.—30. April 1903. 

Von 

Prof. Cesare Ohillini-Bologna. 

Meine Ernennung als Vertreter der Orthopädie in Italien rechne 
ich mir als eine grosse Ehre an. Wahrscheinlich wurde ich dazu 
ausersehen, weil man wusste, dass ich mich gerne mit wissenschaft¬ 
lichen Streitfragen beschäftige, an welchen ich schon häufig und 
gerne theiluahm, denn nur aus leidenschaftslosem Streite, fern Ton 
politischem oder persönlichem Einflüsse, tritt die Wahrheit zu Tage. 

Die wissenschaftliche Orthopädie entwickelte sich hauptsäch¬ 
lich in einer Zeit der heftigsten Kämpfe. 

Im Anfang des XIX. Jahrhunderts, während Volta in Pavia 
und Galvani in Bologna fUr die Elektricität kämpften, stritten 
Scarpa und die Anatomen in Pavia gegen Galvani und die Ana¬ 
tomen in Bologna über die Knochenstructur. 

Scarpa und seinen Studien über die pathologische Anatomie 
des Klumpfusses ist es zuzuschreiben, dass sich die Orthopädie von 
dem Empirismus lossagte und den Weg der Wissenschaft einschlug. 
Deshalb wurde diese Deformität sehr zutreffend als Thema unserer 
Besprechung gewählt. Nach Einigen ist der Klumpfuss ein Anklang 
an eine Urdeformität, er nähert uns unseren Vorfahren und bildet 
ein Verbindungsglied mit der Familie der Orangs und der Schim¬ 
pansen, deren Talus dem eines Klumpfusses gleicht (Bessei-Hagen, 
Hoffa, Schwam). 

Ausserdem war der Klumpfuss mehr als jede andere Deformität 
der Gegenstand eingehender Studien sehr tüchtiger Aerzte, welche 
von ihm befallen waren, und die sich infolge dessen mit ganz be¬ 
sonderem Fleisse und Aufmerksamkeit der Orthopädie zuwendeten. 


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Die Behandlung des Klumpfusses. 


409 


Es waren dies die Aerzte Vanzel, Little und Huntley. Sie 
vertreten in der Heilkunde die drei wichtigsten geschichtlichen Ab¬ 
schnitte. Vanzel den der Mechanik, da ihm die Apparate von 
Venel, vom Erfinder, selbst angelegt wurden. Little, den der 
subcutanen Tenotomie, weil Stromeyer an ihm die Tenotomie der 
Achillessehne ausführte, und Huntley den des oflFenen Einschnittes, 
da er nach dem Verfahren von Phelps operirt wurde. Alle drei mit 
ausgezeichnetem Resultate. 

Auf dem ersten Congress deutscher Chirurgen 1890 lehnte 
Bergmann die allgemeine Discussion über den Klumpfuss ab, da 
er die Frage noch nicht für spruchreif hielt, und das Gleiche wieder¬ 
holte Sprengel in der Sitzung der Gesellschaft für Natur- und Heil¬ 
kunde zu Dresden am 29. Februar 1896. 

Mir hingegen scheint es, als ob man heute sicher das Problem 
als gelöst betrachten kann. 

Unter dem Namen Klumpfuss versteht man verschiedene De¬ 
formitäten des Fusses. Ich werde mich jedoch nur mit derjenigen 
befassen, welche allgemein unter dem Namen: „varus equinus“ be¬ 
kannt ist. 

Man unterscheidet zwei Arten von Klumpfuss, die angeborene 
und die erworbene, allein ich werde nur die häufiger vorkommende 
und interessantere Form besprechen, d. h. die angeborene. 

Der angeborene Klumpfuss zeigt die wirkliche Anpassung der 
Form an die äusseren Verhältnisse, die wahre Darstellung des Ein¬ 
flusses des Druckes auf die Entwickelung der Deformität. 

Mit Unrecht bekämpfte J. Wolff die Drucktheorie, um zu be¬ 
haupten, dass der Klumpfuss eine functionelle Anpassung des Fusses 
an die Innenrotation der unteren Extremität sei. 

Auf experimentellem Wege bewies ich durch die statischen 
Gesetze, dass die Drehung des Beines die Anpassung des Gliedes 
an die, durch die Deformation des Fusses veränderten statischen 
Bedingungen ist. 

Um jedoch dem berühmten Orthopäden die ihm gebührende 
Ehre zu erweisen, fühle ich mich verpflichtet, hier die Worte eines 
anderen grossen, leider zu früh verstorbenen Chirurgen zu wieder¬ 
holen: Albert sagt von Wolff: „Obgleich die Beobachtungen von 
Korteweg, Bähr und Ghillini den Eindruck machen, als ob die 
Theorie von Wolff nicht mehr haltbar sei, so werden seine Ver¬ 
dienste doch nie vergessen werden.“ 


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410 


Cesare Ghillini. 


Die Form der Füsse der Chinesen ist ein anderer klarer Be¬ 
weis von dem Einflüsse des Druckes auf die Deformität. Perthes 
hat solches vor kurzer Zeit durch ein gründliches Studium nach¬ 
gewiesen. 

Bei der Pathogenese des Klumpfusses sind zwei Thatsachen 
in Betracht zu ziehen; die übertriebene physiologische Stellung des 
Fötus in Supination und der intrauterine Druck. Doch dies schliesst 
nicht aus, dass es auch andere Theorien gibt, die in gewissen Fällen 
ihren Werth haben, z. B. Entwickelungshemmung, eine primitive 
fehlerhafte Veranlagung des Embryo (Bessel-Hagen, Romano). 

Gestützt auf die Entwickelungshemmung, erhielt ich auf experi¬ 
mentellem Wege einen „Pes varus“ infolge von Verletzung des 
unteren Epiphysenknorpels an der inneren Seite der Tibia. 

Das gilt auch von anderen Theorien über die Drehung der 
unteren Extremitäten (Eschrieb, Volkmann) während der Ent¬ 
wickelung durch mangelhafte Aussenrotation, welche normalerweise 
in der letzten Periode der Schwangerschaft vor sich gehen soll, 
Krankheiten des Fötus, welche die Widerstandsfähigkeit vermindern, 
sowie Krankheiten des Nervensystems. 

„Nous croyons qu’une commune pathogönie r^unit les deui 
grandes variötes des pieds bots congenitaux: sans impotence et avec 
impotence. Cette origine commune se trouve dans des lesions du 
Systeme nerveux central ou peripberique. Lui seul est capable de 
produire les alterations qui conduisent au pied bot. C'est la th^orie 
soutenue de Guerin 1838, Bell, Charcot, Vulpian 1870 et Little 
au congr^s de Londres 1881. A son appui nous pouvons fournir 
des preuves de premi^re iniportance.“ 

Das ist die Ansicht, die Gilles de la Tourette im Jahre 1896 
aussprach und welche noch bis auf heute von Adams, Morton, 
Fischer und Vulpius unterstützt wird. 

Während man bezüglich der anatomischen Pathologie beinahe 
einstimmig eine Verkürzung aller W’^eichtheile an der inneren Seite des 
Fusses, und ein relatives Nachlassen an der äusseren Seite annimrat, 
ist man durchaus nicht einig über die Veränderungen an dem Skelet. 

Scarpa, welcher mit grosvsem Fleisse die Knochen des Klump¬ 
fusses studirte, hat bemerkt, dass der Talus nur sehr wenig defor- 
mirt ist, während andere die grösste Deformität dieses Knochens 
annehmen. Gehen wir nun zur Therapie über. 

„Peu d'aftections chirurgicales ont provoques Tinvention d'uii 


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Die Behandlung des Klumpfusses. 


411 


aussi grand nombre d’appareils et de m^thodes operatives que le 
pied bot. Cette fecondite semble indiquer que le succes n*est pas 
la regle, que les r^sultats du traitement ne sont pas toujours satis- 
faisants, et qu’il y a chez certains sujets pour obtenir la eure des 
obstacles difficiles ä vaincre.“ 

So sagte im Jahre 1893 Delore, doch heute glaube ich be¬ 
haupten zu können, dass der Klumpfuss diejenige Deformität ist, 
welche leichter als jede andere geheilt werden kann, wie schwierig 
sie auch sein mag und gleichviel wie alt der Patient ist. 

Joung spricht sogar von einer spontanen Heilung eines 
schwierigen Falles von angeborenem doppelseitigen Klumpfuss bei 
einem Neger von 36 Jahren. 

Auch Dupuytren spricht von einem Falle mit spontaner 
Heilung bei einem Knaben von 12 Jahren. 

Die Behandlung des Klumpfusses beginnt mit Manipulationen 
und Bandagen. 

„Quasi ceram fingamus, debemus et manibus in naturalem sedem 
compellere, et vinculo similiter, non magna vi, sed leniter adducere.* 

Diesen Rath gibt Hippokrates. Nach den Verbänden geht 
man zur Anlegung von Apparaten über, welche aus verschiedenem 
Material angefertigt sind, Guttapercha, Leder, Holz, Filz, Pappe, 
Gips, Wasserglas, Celluloid, Gummi, Lack, Eisen etc. 

Ich las die Beschreibung von 114 mechanischen Apparaten, 
von Venel und Scarpa an bis zu Hoffa und Judson. 

Von den rein mechanischen Behandlungen geht man zu blutigen 
und unblutigen Operationen über. Zu den unblutigen Operationen 
gehört das manuelle Redressement force oder das mit Maschinen ausge¬ 
führte. Das manuelle Redressement forc^ von Delore und Tillaux 
wird auch heute noch in grossem Massstabe ausgeführt. Lorenz legt 
dem Redressement force so grossen Werth bei, dass man fast glauben 
könnte, es sei die beste Methode, und dass man mit Zuhilfenahme 
der Achillotenotomie jede Art von Klumpfuss, auch bei Erwach¬ 
senen, ohne blutigen EingritF corrigiren könnte. 

Er führt es in verschiedenen Zeitabschnitten aus, um nach 
und nach die verschiedenartigen Ursachen der Deformitäten zu be¬ 
wältigen, und nennt es „modellirendes Redressement“. Bei dem 
Erwachsenen, und bei dem recidiven Klumpfuss der Kinder, ge¬ 
braucht er jedoch zur Correction seinen Redresseurosteoclast, und 
somit geht man zu der zweiten Art, der Kedression mit Maschinen, über. 

Zeitsihrift für orthopiUlische Clürurgie. XII. IM. 27 


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412 


Cesare Ghillini. 


Zahlreich sind die für den Klumpfuss construirten Osteoclasten, 
von Velpeau, Hoffa, Redard, Bradford, Thomas, Morton. 
Phelps, Lorenz an, bis zu Trelat. 

Ich gestehe, dass ich solche noch nie angewandt, da ich den 
Gebrauch der Hände vorziehe und in negativem Falle die blutige 
Methode anwende. 

Nun sind wir bei der Tenotomie angelangt. 

Bouvier legte seinen Bericht darüber der Acadt^niie de m^de- 
cine zu Paris am 17. August 1838 vor. (M^moires sur la section 
du tendon d’Achille dans le traitement des pieds bots. 1838, tome 7 ) 

„Die ersten Operationen dieser Art gehen bis zum Jahre 1789 
zurück, in welcher Zeit Lorenz, Chirurg in Frankfurt, die Achilles¬ 
sehne bei einem Mädchen von 17 Jahren durchschnitt. Thilenius 
veröffentlichte im Jahre 1789 den Fall. Im Jahre 1811 durchschnitt 
Dr. Michaelis aus Marburg die Sehne des Tibialis ani Im Jahre 
1812 durchschnitt Sartorius aus Nassau von neuem die Achilles¬ 
sehne. Bis zu Delpech umfasste der Einschnitt die Haut und die 
Sehne. Dieser Chirurg war es, welcher zuerst anrieth, die Sehne 
zu durchschneiden, ohne die Haut zu trennen, und im Mai führte 
er seine Ideen aus.“ 

Nach 28 Tagen brachte Delpech den Fuss in Dorsalflexion. 
Stromeyer bog den Fuss eines Erwachsenen in 10 Tagen und 
den eines Kindes in 5 Tagen. 

1835 führte Bouvier auf Grund der Memoiren von Molinelli, 
Clementi und seiner eigenen Experimente an Thieren, die Flexion 
des Fusses sofort nach Durchschneidung der Sehne aus, und bewies 
damit, dass der Mechanismus der Wiedervereinigung zeigt, dass das 
sofortige Auseinanderhalten der beiden Sehnenenden sich durchaus nicht 
der Bildung einer neuen Sehne widersetzt, welche nicht weniger als die 
alte fähig ist, die gewöhnliche Anspannung des Muskels zu ertragen. 

Es würde genügen, dieses denjenigen zu wiederholen, welche, 
wie Shaffer und Sayre, auch heute noch anrathen, den Fuss nicht 
sofort nach der Achillotenotomie in Valgussteilung zu bringen. 

Eine grosse Verbreitung hatte diese Operation, weil dieselbe 
an Little ausgeführt wurde. 

In Italien führte Mori dieselbe im Jahre 1837, Br uni im 
Jahre 1838 und Rizzoli im Jahre 1842 aus. 

Andere Sehnen und die Plantarfascie wurden stets subcutan 
durchschnitten. 


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Die Bebaudlung des Klumpfusses. 


413 


Die Lister’sche Methode brachte dann eine wahre Revolution 
in die Chirurgie, allein während man in der allgemeinen Chirurgie 
conservative Ideen hatte, schlich sich in die orthopädische Chirurgie 
eine Neigung zum Zerstören ein. 

Kein Tarsusknochen wurde mehr verschont, Enucleationen und 
Resectionen waren an der Tagesordnung. In Italien führte man nur 
die Astragalectomie und einige Keilresectionen aus, und Margari 
gab dazu den Anlass. 

Die Zerstörung des Skelets fand leider nicht nur bei veralteten 
Fällen von Klumpfuss statt, sondern auch bei Kindern im zartesten 
Alter, in welchem das Skelet fast gar keine Deformation hat. Von 
diesen operativen Uebertreibungen, welche zudem wenig brillante 
Resultate aufzuweisen hatten, kehrte man zur unblutigen Behand¬ 
lung zurück, d. h. zu der manuellen forcirten Redression (Heineke, 
Wolff, Koenig), bis Phelps auf dem Congress zu Copenhagen 
1881 seine Operationsmethode veröffentlichte. 

Phelps führt zuerst die subcutane Tenotomie der Achilles¬ 
sehne aus, und während er versucht, den Fuss mit der Hand oder 
Maschine zu redressiren, macht er einen Hautschnitt, welcher bei 
dem inneren Malleolus beginnt und bis zur inneren Seite des Talus¬ 
halses geht, und durchtrennt alle Gewebe, welche der Redression 
Widerstand leisten, bis zur Osteotomie des Talus und der keil¬ 
förmigen Resection der Fersen. 

Das Phelps’sche Verfahren hat sehr grosse Vortheile. Es 
wurden verschiedene Abänderungen eingeführt. Kirraisson legt 
dem Zerschneiden des Ligamentum talo-scaphoideum eine grosse Be¬ 
deutung bei, Pascale der Incision des Ligamentum calcaneo- 
scaphocuboideum. Um die Uebelstände der zu breiten Wunden zu ver¬ 
hüten, wurden die subcutanen Incisionen anempfohlen (Lane und 
Buchanan); die linearen Einschnitte längs dem inneren Rande 
(Bessel-Hagen, Panzeri); Descharap macht einen rechtwinkeligen 
Lappen; Jonas einen solchen in Form eines V. Willems empfiehlt 
die Hautplastik vom Vorderarm, und Kellok solche von dem 
äusseren Rande des Fusses. 

Ich halte einen offenen Querschnitt, auch die Haut mit inbe¬ 
griffen, für nothwendig, da dieselbe durch ihre beträchtliche Ver¬ 
kürzung die vollkommene Correction verhindert. 

Dass die Haut fest gespannt ist, wird durch die Einreissungen, 
welche Bradfort, Hensel und Koenig beobachteten, bestätigt. 


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414 


Cesare Ghillini, 


Man versuchte die Tenotomie durch die Sehnenverlängerung 
zu ersetzen (Rupprecht, Bayer, Chalot, Poncet und Hibbs), 
allein mit nur geringem Erfolg. 

Eine tenotomirte Sehne, sagt Joung, ist eben so stark, als 
eine der forcirten Streckung unterworfene. Andere Operationen, wie 
die Verkürzung, die Transplantation, die Fixirung des Periostes, 
wurden ausgeführt und können bei Fällen von Lähmung sehr zweck¬ 
dienlich sein. Die Transplantation wurde zum erstenmal von Nieo- 
ladoni ausgeübt und führte ich dieselbe in Italien ein, sie wurde 
jedoch nur selten bei angeborenen Fällen angewandt. 

Auf dem ersten deutschen Congress für orthopädische Chirurgie 
veröffentlichte Vulpius eine Statistik über 25 Fälle, von denen er 
jedoch nur 4 näher beschreibt, bei Vielehen ein guter Erfolg erzielt 
wurde. Cure io veröffentlicht 7 Fälle. Um ein gutes Resultat zu er¬ 
zielen, greift er jedoch zum Redressement forc^ und legt einen Apparat 
in übercorrigirter Stellung an. Eine Uebergangsoperation zwischen 
der Sehnen Verpflanzung und der Arthrodese ist die von Drobnik an- 
empfohlene, welche aufgegeben, heute aber von Codivilla wieder 
eingeführt wurde, nämlich die Fixirung der verpflanzten Sehnen auf 
das Periost. Bei angeborenen Fällen wurde dieselbe noch nie an¬ 
gewandt. 

Von den blutigen Operationen muss ich endlich noch die 
Arthrodese erwähnen, welche wir Albert verdanken. Wenn solche 
auch bei Formen von Schlottergelenken, welche gewöhnlich erworben 
sind, grosse Bedeutung hat und ihre Anwendung gerechtfertigt ist, so 
wird sie jedoch sehr selten in Fällen von angeborenen Klumpfüssen 
ausgeführt. 

Ich komme nun zu den auf meine eigene Erfahrung gegrün¬ 
deten Schlussfolgerungen. 

Beim angeborenen Klumpfuss beginne ich schon einige Tage 
nach der Geburt mit Manipulationen, sodann mit Redressement force 
durch die Hand, und sollte mir eine Correcüon unmöglich sein, so 
führe ich schon im Alter von 1 Jahre die Operation von Phelps aus, 
d. h. die Tenotomie der Achillessehne und offene Durchschneidung 
aller Weichtheile, welche Widerstand entgegen setzen, und wenn es 
nothwendig sein sollte, die Blosslegung des Metatarsusgelenkes von 
Chopart. Zwei Punkte sind zu beobachten, wenn man eine gute 
Correction erzielen will. 

Alle Hindernisse, welche sich einem vollständigen Redresse- 


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Die Behandlung des Klumpfusses. 


415 


ment entgegen stellen, zu beseitigen, und da nur selten, d. h. nur 
bei veralteten Fällen, diese Hindernisse durch die Knochen verursacht 
sind, so ist fast immer die Operation von Phelps genügend. 

Sollte ein Eingriff am Skelet nothwendig sein, so darf man 
nur, nachdem man die Operation von Phelps ausgeführt hat, die¬ 
jenigen Theile entfernen, welche zu einer Correction nothwendig sind. 

Ueber die vollständige oder zum Theil auszuführende Tarsotomie 
oder Tarsectomie kann man keine Regeln aufstellen, da die Deformi¬ 
täten eben sehr verschieden sind, doch das ist festgestellt, dass das 
Skelet so viel als möglich verschont bleiben muss. 

Der zweite und wichtigste Punkt ist der, dass man den Fuss 
in corrigirter Stellung erhalten muss, und dies wird dadurch erreicht, 
dass man für lange Zeit einen Gipsverband anlegt. 

Nach dem Einschnitt lege ich sofort eine hölzerne rechtwink¬ 
lige Schiene an; nach 8 Tagen mache ich den ersten Verband, er¬ 
setze die Schiene durch einen Gipsapparat und bringe den Fuss in 
eine übercorrigirte Stellung. Nach weiteren 8 Tagen mache ich 
eine Oeffhung in den Gipsverband, in Correspondenz mit der Wunde, 
und behandle diese bis zur vollständigen Vernarbung. 

Den Gipsverband, welchen ich jedoch jeden Monat erneuere, 
lasse ich für längere Zeit liegen, bei einem Kinde von 2 Jahren bis 
zu 7 Monate lang. Nie hatte ich dadurch Unannehmlichkeiten. Die 
Resultate waren, sowohl was die Form als auch die Function an¬ 
belangt, stets ausgezeichnet, trotzdem ich, bei angeborenem Klump- 
fusse, nie an dem Skelet operirte. Mit der oben beschriebenen 
Methode erzielte ich auch bei Kranken von 16 Jahren vollständige 
Correction. Nun schliesse ich, indem ich die Rathschläge des be¬ 
rühmten Brodhurst wiederhole, welcher sagt, dass Knochenopera¬ 
tionen möglicherweise zu vermeiden seien, weil solche häufig die 
Ursache von Verstümmelungen sind, da der angeborene Klumpfuss 
mehr „eine Affection der Muskeln, als der Knochen“ ist. 


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XXIX. 


(Aus dem St. Johannes-Hospital zu Bonn [chirurgische Abtheilung; 
Chefarzt weiland Herr Geheimrath Schede].) 

Zwei Fälle von seltener Kniegelenksverletznng, 
behandelt durch einen neuen orthopädischen Apparat 

Von 

Dr. Karl Vogel, 

Secundärarzt, Privatdocent für Chirurgie. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 


Im Laufe des Jahres 1902 kamen zwei Patienten bei uns in 
Behandlung, die durch einen Unfall eine immerhin seltene Verletzung 
des Kniegelenks erlitten hatten und welche, da eine directe operative 
Therapie nicht anging, mit Hilfe eines eigens construirten Apparates 
behandelt wurden. 

Die Seltenheit der Verletzung und die Art der Behandlung, 
rechtfertigen wohl eine kurze Mittheilung. 

Die Krankengeschichten sind folgende: 

1. August H. aus S., 36 Jahre alt. Aufgenommen 25. Juni, entlassen 
5. Juli 1902. 

Anamnese: Am 3. November 1898 stürzte Patient mit dem Pferde, 
kam unter dasselbe zu liegen und zog sich dabei eine heftige KnieverleUung 
zu. Es bestand damals offenbar ein starker Hämarthros, der anderwärts durch 
Gipsverbände, Schwammcompression, Massage etc. allmählich beseitigt wurde. 

Mitte Januar 1899 war er so weit gebessert, dass er seinem Berufe als 
Kaufmann wieder in etwas nachgehen konnte. 

Eine „Schwäche“ im Bein bedingte jedoch stets Schonung. Auf holpe¬ 
rigen, unebenen Wegen fühlte er sich unsicher. 

Anfang December 1901 zog Patient sich auf der Jagd einen erneuten 
Unfall zu. Er kam hierher, konnte aber nicht hier bleiben und bekam zunächst 
einen abnehmbaren Gipsverband. 

Wenige Tage später ist er ohne diesen Verband ausgegangen und stürzte 
wieder, worauf das Gelenk wieder stark anschwoll. Darauf kam Patient in 
unserem Hospital zur Aufnahme. 


1 

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Zwei Fälle von seltener Kniegelenksverletzung etc. 


417 


Status: Hydrops genu massigen Grades. Leichte Steifigkeit im Ge¬ 
lenke bei Bewegungen. Ausgiebige Bewegungen und Druck schmerzhaft. 

Das Röntgenbild (Fig. 1) ergibt eine Subluxation der Tibia gegen das 
Femur nach hinten. 

Fig. 1. 



Therapie: Zunächst Beseitigung des Gelenkergusses durch Compression 
(mit Hartgummiknieschiene), dann Anfertigung des unten zu beschreibenden 
Apparates. Als Nachtverband bekommt Patient eine abnehmbare Gipshülse. 

Patient wird entlassen, muss noch einige Wochen hindurch zur voll¬ 
ständigen Entfernung des Ergusses sich massiren lassen. Dann trägt er mit 
Erfolg obigen Ap^mrat ca. V* «l^hr lang. Dann lässt er ihn zeitweise weg. 
Sein Leiden ist wesentlich gebessert, nur eine gewisse Unsicherheit im Bein ist 
zurückgeblieben. 

2. Carl B. aus W., 48 Jahre alt. Aufgenommen 23. Juni, entlassen 
20. Juli 1902. 

Anamnese: Am 2. Januar d. J. ist Patient auf einer dunklen Treppe 
ausgerutscht. Er fiel hinunter, blieb aber mit dem linken Bein hängen. Als 
er wieder aufstehen wollte, „entstand eine Luxation des Unterschenkels im Bein 
nach aussen, die von selbst zurücksprang“. Das Bein wurde sehr dick und 
schmerzhaft und das Gehen war unmöglich. Er hat dann sehr lange im Bett 
gelegen, konnte später mit Gipsverbänden aufstehen, hatte aber immer noch 
viel Schmerzen und „das Knie blieb locker“. Er that oft Fehltritte. Dann 
kam Patient nach hier. Er bekam zuerst eine Genu valgum-Schiene, die ihm aber 
nicht viel half. Er liess sich dann wieder aufnehmen. 

Status: Das Bein steht etwas in Genu valgum-Stellung. 

Abnorme seitliche Bewegungen sind besonders im Sinne einer Ver¬ 
schiebung des Unterschenkels gegen das Femur nach aussen in ziemlich hohem 
Grade möglich, ebenso abnorme Rotationsbewegungen. Durch bestimmte Be¬ 
wegungen kann Patient seinen Unterschenkel nach hinten subluxiren und dann 
durch Druck von hinten her reponiren. Die Contouren des Kniegelenkes, be¬ 
sonders auch der Patella, sind verwischt. Flexion im Kniegelenk ist nur bis 
zum rechten Winkel ausführbar; dabei ist sehr starkes Crepitiren wahrnehmbar. 

Ober- und Unterschenkel sind auf der kranken Seite (links) sehr atrophisch 
(Musculatur fast überall im Umfang um ca. 5 cm reducirt). 


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418 


Karl Vogel. 


Therapie: Patient bekommt unseren Schienenapparat Er kann sehr | 
bald mit demselben Stunden lang gehen ohne Schmerzen und thut keine Fehl* 1 
tritte mehr. 

Er wird entlassen. 

Patient hat sich vor 3 Monaten nochmals vorgestellt, weil die Maschine 
einer Reparatur bedurfte. Mit derselben kann er den ganzen Tag auf den 
Beinen sein, entbehren kann er sie nicht. 

Wir haben bei beiden Patienten aus den geschilderten Sympto- 1 
men eine Zerreissung des Bandapparates des Kniegelenks diagnosticirt, 
insbesondere eine solche der Ligamenta cruciata. Die Erscheinungen 
waren besonders bei dem zweiten Patienten sehr ausgesprochen, in 
erster Linie war die sozusagen habituelle und willkürlich zu erzeu¬ 
gende Subluxation des Unterschenkels nach hinten charakteristisch. i 
Um sie zu ermöglichen, musste mindestens das von vom (Femur) 
oben nach hinten (Tibia) unten ziehende Lig. cruciatum zerrissen 
sein. Sehr ausgesprochen war auch die geschilderte Unsicherheit 
.des Ganges nach Ablauf der acuten Erscheinungen. ^ 

Der erste Patient war offenbar weniger schwer verletzt, er 
konnte sich bald wieder ziemlich frei bewegen, ist aber dann noch 
zu wiederholten Malen auf relativ ebenem Terrain gestolpert und ge¬ 
fallen und hat sich Verschlimmerungen seines Leidens zugezogen, 
bis er den hier verordneten Schutz für sein Gelenk trug. Bei ihm ^ 
scheint eine gewisse Ausheilung allmählich eingetreten zu sein. Er 
geht heute wieder ziemlich sicher, auch ohne Apparat, während der 
zweite Patient, der alle Erscheinungen schwerer und typischer hatte, 
offenbar so gut wie gar keine Reparatur seines verletzten Band¬ 
apparates zu verzeichnen hat. Bei der starken Dislocation der Gelenk- 
constituentien, die sowohl zufällig häufig eintrat, als auch willkürlich 
erzeugt wurde, ist ja auch leicht zu verstehen, dass die zerrissenen 
Bandstümpfe sich entweder gar nicht, oder doch nicht lange genug 
berühren konnten, um zu verheilen. Es werden ja nur Tage, vielleicht 
nur Stunden dazu gehören, um sie so zura Schrumpfen zu bringen, 
dass auch nach Reposition der Subluxation jeder Contact unmöglich 
ist. Der Patient wird also wohl dazu verurtheilt sein, unseren 
Apparat dauernd zu tragen, womit er übrigens auch ganz zufrieden ist. 

Der Apparat ist nun folgender (Fig. 2 u. 3): Es galt eine 
Schiene zu construiren, die die normale Flexion und Extension des 
Knies erlaubte, dagegen sowohl jede seitliche Dislocation, als beson¬ 
ders die Subluxation der Tibia nach hinten verhütete. Zudem musste 


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420 Vogel. Zwei Fälle von seltener Kniegelenksverletzung etc. 

Um den Apparat in die wirksame Stellung zu bringen, d. h. 
das Kniegelenk gegen unphysiologische Bewegungen zu schützen und 
die Luxation der Tibia nach hinten aufzuheben resp. unmöglich zu 
machen, braucht man nur die Lederkappen anzuziehen und dann die 
Zügel e nach oben und nach unten zu spannen und letztere, so 
wie Fig. 3 zeigt, mittelst des durchlöcherten Lederriemens und eines 
auf der Schiene sitzenden Knöpfchens festzustellen. 

Die Fig. 2 u. 3 zeigen den Unterschied in der Schienenstellung 
bei lockeren und in dieser Weise fixirten Charnieren deutlich. 

Ebenso erhellt aus ihnen die Wirkung auf die Subluxation des 
Unterschenkels nach hinten. Der obere Theil der Unterschenkel¬ 
schiene wird nach vorne gehebelt und damit die Subluxation ein¬ 
gerenkt resp. unmöglich gemacht. Die Vorrichtung, die die Zeich¬ 
nung nur auf der Aussenseite des Beines zeigt, befindet sich natür¬ 
lich auf der Innenseite in derselben Weise. 


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(Aus dem St. Johannes-Hospital zu Bonn [chirurgische Abtheilung; 

Oberarzt Herr Prof. Dr. Bier].) 

Ein Fall von angeborener Skoliose, zugleich mit 
angeborener Hüftluxation. 

Vou 

Dr. Karl Vogel, 

Secundärarzt, Privatdocent für Chirurgie. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Am 19. Februar 1901 kam das Kind Margot S., 1^4 Jahr alt, 
aus B., in die Behandlung unseres damals noch unter Oberleitung 
des verstorbenen Herrn Geheimrath Schede stehenden Hospitals. 
Dasselbe zeigte die typischen Erscheinungen der linksseitigen 
angeborenen Hüftgelenksluxation: Watschelnder Gang, 
Hochstand des Trochanters über der Roser-N ela tonischen Linie 
um 3 cm (auf der anderen Seite fiel die Trochanterspitze in die 
Linie), Verschieblichkeit des Trochanters manuell um ca. 2 cm. 
Der Kopf stand oberhalb der Pfanne, doch waren, wie die Photo¬ 
graphie (Fig. 1) zeigt, die knöchernen Verhältnisse von Kopf und 
Pfanne sehr günstig. Die Reposition gelang in Narkose durch 
Traction in unserem Tisch glatt beim ersten Versuch. Eine Ante- 
version des Schenkelhalses bestand nicht, so dass der erste Gips¬ 
verband so angelegt werden konnte, dass das Kind sofort zu laufen 
im Stande war. Nach 0 Wochen Wechsel des Gipsverbandes; nach 
3 Monaten können die Gipsverbände weggelassen werden und es 
wird eine Schede'sche Abductionsschiene zur Nachbehandlung ge¬ 
geben. Diese wurde ein Jahr getragen und dann ebenfalls wegge¬ 
lassen. Das Kind war von seiner angeborenen Luxation befreit. 

Neben dieser Anomalie zeigte aber das Kind noch ein weiteres 
Leiden: Schon die erste Photographie liess ausser der Luxation 


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422 


Karl Vogel. 


hochgradige Veränderungen am Becken und dem Kreuzsteissbein 
erkennen; ein später, beim Weglassen der Abductionsschiene aufge¬ 
nommenes Bild, das einen grösseren Theil der Wirbelsäule mit auf¬ 
nimmt (Fig. 1), zeigt die Anomalien noch deutlicher. Zunächst steht 

Fig. 1. 



die ganze linke Beckenbälfte um mehrere Centimeter höher als die 
rechte. Die Folge davon ist, dass auch das reponirte Bein gegen 
das andere um ebenso viel verkürzt erscheint. Die Symphysis ossium 
pubis ist sehr breit und steht schief. Eine seltsame und complicirte 
Torsion haben Os pubis und Os ischii in ihrer Gesammtheit erfahren. 
Die vordere Kante ist nach unten, die hintere mit dem Tuber ischii 
nach oben gerückt, so dass das Foramen obturatorium auf der 


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Ein Fall von angeborener Skoliose, zugleich mit angebor. HQftluxation. 423 

Photographie gar nicht zu sehen ist. Ein Vergleich mit der gesunden 
Seite auf dem Bilde erläutert am besten die schwer zu beschreibenden 
Verhältnisse. 

An der Wirbelsäule sehen wir eine starke, kurzabgebogene 
Skoliose des untersten Kreuz- resp. Steissbeins mit der Convexität 
nach rechts (das Bild ist eine Rückenansicht). Die entsprechende 
umgekehrte Verbiegung befindet sich im Lum- 
baltheil. Eine der ersten wieder analoge, 
schwächere Krümmung zeigt die Dorsalsäule 
und eine noch schwächere, wieder links con¬ 
vexe, der Halstheil. Der ganze Rumpf ist leider 
bei der letzten Anwesenheit des Kindes nicht 
photographirt worden und wohnen die Eltern 
zu weit, um sie zu diesem Zweck noch ein¬ 
mal zu bestellen. Die äussere Ansicht zeigt 
Fig. 2. 

Dass diese Skoliose eine angeborene 
ist, ist wohl zweifellos. Das Kind kam mit 
1 Jahren hierher, nachdem es gerade laufen 
gelernt hatte. Den Eltern war die Krümmung 
der Wirbelsäule nicht eher aufgefallen resp. 
sie hatten die Anomalien des Ganges und der 
Haltung auf die vom Arzte diagnosticirte 
Luxation geschoben und der Wirbelsäule keine 
weitere Beachtung geschenkt. Das Kind ist nur einige Wochen 
gelaufen, ehe es in unsere Behandlung kam; eine statische Skoliose 
infolge der Luxation kann also wohl nicht vorliegen. Rhachitische 
Veränderungen sind nicht deutlich. 

Aetiologisch steht die Difforraität wohl mit der Luxatio 
coxae congenita in Zusammenhang, doch ist wohl weniger ein causales 
Verhältniss wahrscheinlich, als ein Zurückführen beider Abnormitäten 
auf dieselbe Ursache, als welche wir wohl intrauterine Belastungs¬ 
störungen, möglicherweise mit fötaler Rhachitis zusammen, anzu¬ 
schuldigen haben. 

Die Therapie ist natürlich ziemlich machtlos. Wir haben 
uns zunächst darauf beschränkt, dem Kinde eine hohe Sohle zu geben. 
Für die Schule käme ein schräger Sitz, event. für später ein Corset 
in Betracht. Zugleich wurden Turnübungen verordnet. 



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XXXI. 


Ein Fall von Myositis ossificans progressiva. 

Von 

Dr. Julius Michelsohn-Hamburg. 

Mit 12 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Das Mädchen 0. B. wurde am 19. October 1886 in G. geboren. 
Der Vater ist jetzt gesund, 5 Jahre vor seiner Verheirathung hat 
er einen schweren Gelenk- und Muskelrheumatismus durchgemacht 
und lag wegen dieser Krankheit mehrere Monate in einem Kranken¬ 
hause; in seiner Familie ist die hier in Betracht kommende Krank¬ 
heit nicht vorgekommen, ebenso wenig sind ihm Verkrüppelungen 
bei seiner Verwandtschaft bekannt geworden. Die Mutter der 
Patientin war stets gesund gewesen, sie hat nur die gewöhnlichen 
Kinderkrankheiten durchgemacht, in ihrer Familie sind gleichfalls 
keine angeborenen oder erworbenen Missbildungen vorhanden; sie 
hat zum erstenmal vor 18 Jahren normal geboren, der älteste Sohn 
ist jetzt 17Y-* Jahre alt und völlig gesund; Aborte hat sie keine 
gehabt. Die zweite und letzte Schwangerschaft verlief ohne Störungen, 
unsere Patientin kam 2 Wochen zu früh zur Welt und war zuerst 
recht mager und dünn gewesen. In den ersten Monaten bemerkte 
die Mutter bei dem Kinde, dass beide grossen Zehen stark verkürzt 
und steif waren, an den Fingern der Hand und an den Daumen ist 
nichts Auffallendes gesehen worden. Es wird mit Bestimmtheit ver¬ 
sichert, dass sie normal gebildet und beweglich waren. Das Kind 
entwickelte sich ganz normal, es hat nur die Masern durchgemacht 
und war wenig krank gewesen; im 7. Lebensjahre entstanden plötz¬ 
lich an beiden Daumen über den Knochen und am Daumenballen 
im Fleische heisse, schmerzhafte Schwellungen, die ungefähr 2 Wochen 
bestanden haben und von selbst wieder zurückgingen; die Daumen 
wurden aber darauf steif und fast unbeweglich. Bis zum 13. Lebens¬ 
jahre war dann das Mädchen bis auf leichte Erkältungen wiederum 


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Ein Fall von Myositis ossificans progressiva. 


425 


gesund und es entwickelte sich normal, besuchte regelmässig die 
Schule und lernte ohne Anstrengung. Als es 12^2 Jahre alt war, 
fiel es beim Turnen von einem Schaukelbrett mit der linken Seite 
auf den Boden. Es empfand dabei geringen Schmerz, stand auf und 
turnte gleich weiter, auch in den folgenden Turnstunden hat sich 
die Patientin am Turnen ohne Beschwerden betheiligt. Ungefähr 
nach einem halben Jahre bekam das Mädchen an verschiedenen 
Körperstellen ohne Fiebererscheinungen Schwellungen, Drüsen, wie 
die Mutter sich ausdrückte, die nach kürzerem oder längerem Be¬ 
stehen auf Einreibungen oder auch von selbst zurückgingen. Doch 
bemerkte die Mutter nach Verlauf von wenigen Monaten, dass der 
Rücken und der Hals ihrer Tochter immer steifer wurden. Ueber 
die Reihenfolge und die Art der Anschwellungen geben Mutter und 
Tochter folgendes an: Die erste Anschwellung hatte sich unter dem 
linken Schlüsselbein, etwa in der Mitte, gebildet und war wallnuss¬ 
gross; die zweite entstand unten am rechten Schulterblatt (Ang. 
scap. inf.) und war etwas grösser als die erste; die dritte bildete 
sich am Halse (seitlich vom Sternocleidm.), verbreitete sich in die 
Länge nach oben und füllte die ganze Seite des Halses aus. Die 
vierte entwickelte sich unten am linken Schulterblatt (Ang. scap. 
inf.), war nur wallnussgross und wiederholte sich kurz nach einander; 
die fünfte wurde an der linken Brust hinten bei der Achselhöhle 
bemerkt, sie war wallnussgross; die sechste Anschwellung war die 
grösste, die die Patientin überhaupt gehabt hat, sie entstand sofort 
nach einer einmaligen starken Massage des Rückens und verbreitete 
sich fast über den ganzen Rücken, der dick und angeschwollen wurde 
und tüchtige Schmerzen verursachte. Weiter kann eine genauere 
Localisation für die Schwellungen nicht angegeben werden; sie ent¬ 
wickelten sich unregelmässig überall hin, die Geschwülste waren 
heiss, schmerzhaft, bald auf der Brust und auf den Schultern, bald 
auf dem Rücken und im Gesicht, sie dauerten gewöhnlich 8—14 Tage, 
zuweilen noch länger und kamen manchmal recht schnell hinter 
einander, so dass die Patientin viel zu leiden hatte. Niemals wurden 
Schwellungen auf dem Bauch, an den Ober- und Unterarmen, am Ge- 
säss, an den Ober- und Unterschenkeln oder an den Füssen bemerkt. 
Es wurden der Reihe nach im ganzen sieben Aerzte wegen des Leidens 
zu Rathe gezogen. Der erste meinte, das Rückgrat wüchse aus, das 
Mädchen würde schief werden; er verordnete Medicin und Massage. Der 
zweite behandelte die Patientin auf Rheumatismus; er gab Medicin und 


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426 


Julius Miclielsohn. 


liess die Kranke massiren und Dampfdouchen nehmen. Der dritte Doctor, 
ein Professor, untersuchte die Patientin zuerst in seiner Privatwoh¬ 
nung, besah sich nur die steife Halsgegend, weil die Kranke den 
Kopf schief hielt und schickte das Mädchen in ein Krankenhaus. 
Hier wurde auf Anordnung des Professors ein Apparat mit Gewichten 
an den Hals angelegt. Am dritten Tage wurde der Kranken ein 
grosser Gipsverband gemacht, der über den Kopf, den Hals, über 
die Brust, den Rücken und den Bauch, bis fast an die Oberschenkel 
ging. Die Patientin blieb dann einige Wochen im Krankenhause: 
auf dem schwarzen Brett über ihrem Bette war das Wort „Spondylitis^ 
aufgeschrieben. In sechswöchigen Zwischenräumen wurde der grosse 
Gipsverband erneuert; während dieser Zeit war die Patientin theils 
in ihrer Heimat, theils im Krankenhause, im ganzen hat sie vier 
Gipsverbände, 6 Monate lang, getragen. Nach einem halben Jahre 
entliess der Professor die Patientin und gab ihr an die Eltern einen 
Brief mit, in dem die Krankheit als ausgeheilt bezeichnet wurde 
und weiter Einreibungen mit Franzbranntwein anempfohlen wurden. 
Während dieser 6 Monate hat die Patientin die Entwicklung von 
schmerzhaften Anschwellungen unter dem Gipsverband nicht verspürt. 
Nach Abnahme des letzten Gipsverbandes war aber die Kranke viel 
schlimmer daran als vorher: Die Steifigkeit am Halse und am Rücken 
war viel schlimmer geworden, die Arme waren so steif, dass die 
Hände nicht mehr an den Mund geführt werden konnten, während 
doch vor der Behandlung die Armbewegungen nur in geringem Grade 
beschränkt gewesen waren; die Patientin konnte sich nicht mehr so 
gut bücken wie vorher, der Hals war steifer, ausserdem war durch 
die empfindliche Reibung des Verbandes seitlich vom Kinn ein offenes 
Geschwür entstanden, das nur langsam ausheilte und kleine erbsen¬ 
grosse Verhärtungen am Knochen zurückliess (kleine Exostosen am 
medialen Rand des Corpus mandibulae). Der vierte Doctor hat die 
Patientin wegen eines hartnäckigen Hustens nur ein einziges Mal 
behandelt. Gleich bei der ersten Consultation soll er der Grosstante, 
die die Patientin zum Arzt geführt hat, gesagt haben, das Mädchen 
könne nicht besser werden und würde nicht mehr lange leben, 
Patientin solle ins Krankenhaus kommen, er wolle etwas ausschnei- 
den und probiren, damit er für einen anderen Fall besser Bescheid 
wüsste; bei diesem Mädchen käme es doch nicht darauf an, ob es 
ein bischen eher oder später stürbe. Gleich beim Nachhausegehen 
erzählte die Grosstante der Patientin die Aeusserungen des Arztes. 


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Ein Fall von Myositis ossificans progressiva. 


427 


Die Patientin hat daran nicht geglaubt, weil sie sich gar nicht so 
schlecht gefühlt hat, im übrigen wäre es ihr schon damals ganz 
gleichgültig gewesen, was die Aerzte sagten, da keiner von ihnen 
ihr helfen konnte. Der fünfte Doctor nahm die Patientin in ein 
Krankenhaus auf, gab ihr Medicin und Ichthyol innerlich, weil sie 
immer noch hustete; die Kranke verlor nach wenigen Wochen im 
Spital den Husten, bekam dann Phosphorsäure und andere Medica- 

Fig. 1. 



mente und so oft Schwellungen wieder eintraten, wurde sie massirt 
oder bekam Leinsamenumschläge, damit die Geschwülste aufbrechen 
sollten. Schliesslich soll der Arzt der Patientin gesagt haben: „Du 
wirst noch einmal zu Stein werden und in Berlin mit den anderen 
Säulen in der Siegesallee aufgestellt werden.“ Ein anderes Mal 
wiederum: „Lots Weib ist zu Salz geworden, du wirst zu Stein 
werden.“ Auf die Patientin haben diese Prophezeiungen keinen beson¬ 
deren Eindruck gemacht, weil sie dem Doctor doch nicht geglaubt habe. 
Der sechste Arzt hat Medicin und Massage verordnet, der siebente 
war schliesslich ein Naturheilarzt, der die Kranke vom Januar 
bis April 1903 auf Blutarmut behandelte und Diät, Massage und 
Dampfbäder verordnete. Da Alles nichts geholfen hatte, trat von 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bei. 28 


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428 


Julius Michelsohn. 


April bis Anfang Juli eine Pause in der Behandlung ein. Die über¬ 
haupt letzte Anschwellung hat die Patientin vor einem Jahr in der 
linken Achselhöhle gehabt; diese war aufgegangen, hat geeitert, 
unter Schmerzen und Hitze und Ziehen 14 Tage gedauert und ist 
von seihst verheilt. Seit der Zeit blieb die Patientin bis auf die 
Bewegungsstörungen vollständig ohne alle Beschwerden, ja manche 


Fig. 2. 



Bewegungen sind sogar in der letzten Zeit besser geworden. Die 
Menstruation stellte sich vor 1 ^2 Jahren zum erstenmal ein, wieder¬ 
holte sich zum zweitenmal erst im Januar 1903, seit der Zeit war 
sie alle 4 Wochen regelmässig, jetzt ist sie ungefähr 8 Wochen 
ausgeblieben. Der Appetit war immer gut, die Patientin isst sogar 
etwas mehr als die Mutter; die Verdauung ist geordnet, der Schlaf 
gut. Am 16. Juli 1903 kam die Patientin in meine Behandlung. 
Seit der Zeit habe ich die Kranke fast täglich gesehen und 
untersucht (s. Fig. 1 und 2). Das Mädchen ist gross, das Ge¬ 
sicht blass, aber rund, die Hautfarbe am ganzen Körper zeigt eine 
auffallende Blässe. Der Kopf ist nach der rechten Seite geneigt, 
wie bei einer Torticollis; die Brust ist flach und eingesunken, die 
Athraung geschieht vorwiegend costal, nur in geringem Grade ab- 


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Ein Fall von Myositie ossificans progressiva. 


429 


dominell, ist oberfiächlicli und vollzieht sich unter Anstrengung fast 
aller Muskeln des Halses und des Brustkorbes. Am Kopf und Ge¬ 
sicht sind keine Knoten vorhanden, die mimischen Muskeln sind frei 
beweglich, der Mund kann weit, aber nicht vollständig geöffnet 
werden. Die Zähne sind in schlechtem Zustande, cariös und defect. 
Um es gleich vorweg zu nehmen, die Bauch-, die Gesäss-, die Ober-, 
Unterschenkel- und Fussmuskeln sind vollständig und kräftig ent¬ 
wickelt und gut functionsfähig; die Muskeln an den Händen, an den 
Unterarmen und an den Oberarmen bis zum oberen Drittel sind 
ebenso von harten Einlagerungen völlig frei und functioniren normal. 
An der Wirbelsäule stehen der fünfte, sechste und siebente Hals¬ 
wirbel und der erste Brustwirbel hervor, die Brustwirbelsäule ist 
massig kyphotisch und skoliotisch verkrümmt und weicht in einem 
leichten Bogen bis zum achten Proc. spin. des Brusttheils nach rechts 
ab; von da ist die Wirbelsäule wiederum gerade. Die Halswirbel 
werden steif gehalten, activ und passiv ist eine minimale Rotation 
nach rechts und links möglich; die Streckung und Beugung des 
Kopfes ist fast aufgehoben, nur ein Neigen und Heben ist in ganz 
minimalen Grenzen ausführbar. Die Rotation in der Brustwirbel¬ 
säule ist fast gar nicht möglich, in der Lendenwirbelsäule ist eine 
Drehung in leichtem Grade vorhanden; eine Streckung und Beugung 
in diesen Partien ist kaum möglich. Beim Versuch etwas vom 
Boden aufzuheben beugt die Patientin die Kniee und führt auch die 
Rumpfbewegung vorwiegend nur im Hüftgelenk aus. Die Bewegungen 
der Wirbelsäule nach der rechten oder linken Seite sind gleichfalls 
sehr gering. Die Becken-, Oberschenkel- und ünterschenkelknochen 
sind auffallend stark und kräftig entwickelt. Links ist das Capitulum 
fibulae stark verdickt. Am Corpus mandibulae medialwärts sind einige 
kleine Exostosen zu fühlen. Von den oberen Extremitäten und den 
Füssen soll erst später eingehender gesprochen werden. Vorn am 
Halse sind alle Muskeln mehr oder weniger derb und im atrophischen 
Zustande, an der rechten und linken Halsseite, in der Regio colli 
lateralis, zwischen dem M. sternoclm. und dem hinteren Rand des 
M. trapezius, entsprechend den M. scaleni, splenius und seniispinalis 
capitis, ist die ganze Musculatur knochenhart anzufühlen. Wir 
bemerken hier sofort, dass das Röntgenbild an diesen Stellen keine 
Verknöcherungen der Musculatur ergeben hat, obgleich man beim 
Anfühlen allein diese Partien unbedingt als verknöchert deuten 
würde (Fig. 3). Die Muskeln sind somit nur derb fibrös, vielleicht 


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430 


Julius Michelsohn. 


in einem Vorstadium des Ossificationsprocesses. Wenn von mancher 
Seite angegeben wird, dass fibrös entartete Muskeln beim Röntgen¬ 
bild gleichfalls einen deutlich erkennbaren Schatten geben, der dem 
des Knochengewebes zum Verwechseln gleich sei, so ist das für 
unseren Fall nicht zutreffend; fibröser sowie kalkarmer Callus ist 
für Röntgenstrahlen durchgängig, dementsprechend erscheinen auch 

Fig. 3. 




auf unseren Röntgenbildern die Verhärtungen und Verknöcherungen 
viel kleiner als in vivo. Der Ansatz des linken Sternocleidomastoideus 
am Sternum ist stark verdickt und hart. Das Schlüsselbein ist 
in einer Breite von 3 cm vom Sternalgelenk stark exostotisch ver¬ 
dickt und nach unten in seiner ganzen Länge 1 cm breit verhärtet 
(M. subclavius). Auf der linken Brust, 2 cm vom Schlüsselbein 
entfernt, beginnt eine handbreite Knochenmasse, die bis zur vorderen 
Axillarfalte nach dem Humerus und seinem Gelenk sich hinzieht. 
(Pars clavicularis des M. pector. major.) Das Schultergelenk wird 
vom von einer harten Masse überlagert (Pars clavic. m. deltoidei). 


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Ein Fall von Myositis ossificans progressiva. 


431 


Beim Hineingreifen mit der Hand in die Achselhöhle fühlt man die 
ganze vordere Axillargegend wie durch eine dicke, harte Wand ver¬ 
mauert; die ganze Geschwulst scheint der Brustwand fest anzuliegen, 
doch lässt sich von der Achselhöhle aus der grösste Theil dieser 
Masse hin und her schieben, ja bei Bewegungen im Schultergelenk hört 
man ein lautes Krachen und Knarren, das durch die Verschiebung 


Fig. 4. 



der einzelnen Theile gegen einander hervorgerufen wird. Beim Auf¬ 
legen der Hand fühlt man, dass die Knochenspangen zwar dem Brust¬ 
korb direct anliegen, dass aber der obere Theil des M. pectoralis vom 
Oberarm völlig abhebbar ist. Die Pars stemocostalis dagegen liegt 
den Rippen fest und innig an und ist nicht zu verschieben (Fig. 4). 
An der rechten vorderen Seite: der M. pect, major (pars stemclavcl.) 
liegt in seinem tieferen Theil dem Brustkasten fest und hart an, die 
höher liegende Partie ist vollständig normal, eine 1 cm breite und 
3 cm tiefe Spange zieht von der Clavicula, mit dieser fest verwachsen, 
dem Muskelverlauf entsprechend, bis zur Achselhöhle, wo sie frei 
endigt, der Sehnenansatz ist stark verdickt und verkürzt (Pars clavcl. 
des M. pect. ma.). Die Clavicularportion des M. delt. ist vom 


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432 


Julius Michelsohn. 


Schlüsselbein bis zum Humerus ganz verknöchert (Fig. 5). An der 
linken hinteren Seite: Der ganze M. delt. mit Ausnahme einer kleinen 
Spinalportion ist knochenhart. Die M. supra- und infraspinata, 
teretes min. et maj. sind derb und atrophisch. Die Scapula ist activ 
gar nicht und passiv nur wenig verschiebbar. Von der Gegend 
des Ang. scapL inf. geht eine 6 cm breite, harte Masse zur 


Fig. 5. 



hinteren Axillarfalte, wo sie frei in der Achselhöhle endigt (M. lat. 
dors.), der Sehnenansatz ist verkürzt und verdickt; die Spangen in 
der Achselhöhle sind leicht beweglich. In der Achselhöhle selbst 
befindet sich eine breite, festsitzende Exostose (M. serrat. ani). 
Rechts hinten: der Deltoideus ist zu zwei Drittel knochenhart (Pars 
acromialis und spinalis). Die M. supra- und infraspinati sind derb 
und atrophisch, ebenso M. teretes min. und maj. Die Scapula ist 
fest dem Brustkorb angewachsen und auch passiv nicht verschiebbar. 
Am Ang. scapl. inf. befindet sich eine walnussgrosse Exostose, der 
Latissm. dors. ist in seinem oberen Theil 12—15 cm breit, voll¬ 
ständig hart; diese Masse geht bis zur hinteren Axillarfalte, der 
Sehnenansatz ist nicht ganz so hart, die breite Masse ist nicht ver¬ 
schiebbar, sie liegt den Rippen fest an. In der Achselhöhle be- 


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Ein Fall von Myositis ossificans progressiva. 


433 


findet sich eine breite, dicke Exostose (M. serrat. ant. [Fig. 7]). 
An den medialen Rändern der Scapulae, in der Regio interscapularis, 
sowohl rechts wie links von der Wirbelsäule, sind mehrere kleine 
Exostosen zu fühlen. Von einer Grenzlinie, die vom Ang. scapl. 
inf. nach dem Proc. spin. des siebenten Brustwirbels sich hinzieht, 
beginnen am Rücken von oben bis zum Os sacrum und den Becken- 


Fig. 6. 



knochen in einer Breite von 12 cm Verhärtungen. Die Fascia lumbo- 
dorsalis ist straff und hart, in der Tiefe die ganze Musculatur knochen¬ 
hart; seitlich über dem Hüftknochen sitzt eine walnussgrosse Ex¬ 
ostose (Fig. 8). An der rechten unteren Rückenseite befinden sich 
in etwas geringerem Umfange die gleichen Verhärtungen der Fascie 
und der Musculatur, wie linkerseits (M. sacrospinalis iliocostalis und 
longissimus dorsalis). Die Befunde an den Händen und Füssen be¬ 
dürfen einer besonderen Beachtung. Die beiden Daumen sind an 
der ersten Phalanx mit dem Metacarpus ankylotisch verwachsen und 
verkrümmt; über den Daumen sind die Gelenke dorsalwärts vor¬ 
springend. Die Sehnen der M. extens. hal. long. und extens. carp. 
rad. sind verkürzt und hervorstehend; die kleinen Finger sind kürzer. 


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434 


Julius Michelsohu. 


Die Röntgenbilder (Fig. 9 u. 10) zeigen am fünften Finger eine Ver¬ 
kürzung, weil die zweite Phalanx kürzer und mit der dritten anky- 
lotisch verwachsen ist. Am Daumen ist die erste Phalanx kürzer 
und mit dem Metacarpus zu einem Drittel knöchern verwachsen. 
Epiphysenlinien sind an den ankylotischen Knochen nicht zu sehen. 
Der Metacarpus des Daumens ist breit und kurz, sonst sind die 



übrigen Carpal-, Metacarpal- und Handknochen beider Hände recht 
kräftig entwickelt. 

Die grossen Zehen sind um 2 cm verkürzt und an beiden 
Füssen symmetrisch gleich lang. Die kleinen Zehen sind gleichfalls 
kürzer als gewöhnlich. Die Röntgenbilder geben eine genaue Er¬ 
klärung für diese Verkürzungen: an den kleinen Zehen ist die zweite 
Phalanx mit der dritten ganz verwachsen, die zweite ist bedeutend 
verkleinert. An den grossen Zehen ist der Metacarpus breit und 
dick, sein Capitulum eigenthümlich gebildet und seitlich verschoben; 
die erste und zweite Phalanx sind hier fest und knöchern mit ein¬ 
ander verschmolzen. Es sind an beiden Füssen fast die gleichen 
Verhältnisse zu beobachten, nur sind die Gapitula oss. metatars. in 
verschiedener Weise verändert. Es soll hier gleich besonders darauf 
aufmerksam gemacht werden, dass angeborene symmetrische Ver- 


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Ein Fall von Myositis ossificans progressiva. 


435 


kürzungen beider grossen Zehen bei keiner anderen Missbildung Tor- 
zukommen pflegen und dass somit die Beobachtung solcher Zehen, 
vielleicht auch noch symmetrisch verkürzter Daumen, als sicherer 
Hinweis auf die Myos. oss. p. betrachtet werden kann und dia¬ 
gnostisch von grosser Bedeutung sein muss (Fig. 11 u. 12). 

Die Functionen an den unteren Extremitäten sind, wie bereits 


Fig. 8. 



erwähnt, völlig normal. Der Kopf des Humerus ist beiderseits im 
Gelenk beweglich; der rechte Oberarm kann nach hinten nur ein 
wenig über die verticale Linie hinaus geführt werden, nach vorne 
ungefähr 30® von dieser Linie, in der Adduction kann der Arm eben 
an die Brustseite gelegt werden, die Abduction ist gleichfalls nur 
bis 30® möglich. Links sind die Verhältnisse an dem Oberarm fast 
gleich, nur ist die Beweglichkeit noch etwas mehr beschränkt. Die 
Patientin kann beide Hände an den Mund führen, mit der rechten 
Hand nur das gleichseitige Ohr und die vordere Stirn, mit der linken 
weder das Ohr noch die Stirn erreichen. Die Hände können auch 
auf die entgegengesetzten Schultern gelegt werden. Die Vorderarm- 


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436 


Julius Michelsobn. 



und Handmuskeln sind an beiden Seiten völlig functionsfähig; der 
Handdruck der Patientin ist ein besonders kräftiger. Vasomotorische 
Störungen sind nicht vorhanden; die Reflexe sind erhalten, die Be¬ 
rührung wird überall genau localisirt, es sind keine Sensibilitäts¬ 
störungen, keine Parästhesien, Anästhesien oder Hyperästhesien, 
keine spontanen fibrillären Zuckungen in den Muskeln, keine Muskel- 

Fig. 9. 


reactionen auf blosse mechanische Einwirkung zu notiren. Ueberall 
am ganzen Körper reagiren die Muskeln, soweit sie in ihrer Substanz 
erhalten sind, auf den galvanischen und faradischen Strom normal, 
die Muskelerregbarkeit ist nirgends erhöht, nur an den atrophischen 
Muskeln ist eine Reaction schwerer hervorzurufen, an den ver¬ 
knöcherten Partien kann keine Zuckung, sondern bei stärkeren Strömen 
nur ein Schmerzgefühl hervorgerufen werden. Von anderen Organen 
ist noch zu erwähnen: Das Gesicht, die Augen und der Augenhinter¬ 
grund bieten nichts vom Normalen Abweichendes, ebenso nicht das 
Gehör und die Gehörorgane. Der Geruchssinn ist intact, die Nasen¬ 
höhlen sind weit, die Muscheln klein, die Nasenschleimhaut atrophisch. 
Der Geschmack ist normal. Patientin lässt nicht viel Ham, sie kann 
den Urin lange halten; Enuresis bestand nie. — Die Intelligenz ist 
eine gute, Patientin denkt klar und logisch, nur ist sie durch ihr 


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Ein Fall von Myositis ossificans progressiva. 


437 


Leiden reif und ernst geworden; sie beschäftigt sich im Haushalt 
ihrer Eltern, kann Handarbeiten verrichten und liest gern viel. Von 
einer genügenden Untersuchung des Urins, des Stoffwechsels, des 
Blutes und einer excidirten Geschwulst oder Knochenmasse kann 
vorläufig deswegen Abstand genommen werden, weil nach Virchow 
solche Explorationen nur in einem acuten Anfallsstadium irgend ein 


Fig. 12. 



erfolgreiches Resultat versprechen. Wir werden auf diese Unter¬ 
suchungen bei einer späteren günstigeren Gelegenheit näher eingehen 
können. Von Frekes I. Fall 1740 bis zum Jahre 1897 waren nur 
30 Fälle aus der Literatur zusammengestellt worden, Pincus zählt 
schon 38 Fälle auf und nach Rager im Jahre 1901 sind 40 sichere Fälle 
von Myos. oss. pr. bekannt; 30 Fälle betreffen männliche und 10 Fälle 
weibliche Patienten. Die Krankheit wurde in den verschiedensten 
Ländern beobachtet: in Deutschland, England, Frankreich, Nord¬ 
amerika, Oesterreich, Schweiz, Schweden, Rumänien, Ungarn, Russ¬ 
land, Kurland, Polen. Von ausschliesslich solitärer traumatischer 
Myos. oss. sind im Ganzen 30 Fälle beschrieben worden. Ausser¬ 
dem sind vereinzelte Fälle von Ossificationen nur einzelner Muskel¬ 
gruppen und Muskeln bei den verschiedensten Krankheiten veröffent- 


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438 


Julius Michelsobn. 


licht worden. Wir wollen hier diese Krankheiten nur ihrer diffe¬ 
rentialdiagnostischen Bedeutung wegen summarisch aufzählen: Syphilis, 
eitrige acute und chronische Muskelentzündungen, acute und chronische 
rheumatische Erkrankungen, chronische Gelenk- und Knochenkrank¬ 
heiten, Arthritis deformans, Periostitis luxurians, Rückenmarksleiden 
mit Paresen und Atrophien der Muskeln; periphere traumatische 
und rheumatische Lähmungen, Tabes, Dementia paralytica, Syringo¬ 
myelie, Spina bifida, Knochenbrüche, Amputationsstümpfe. Wenn j 
Köster und Recklingshausen auch für die rein traumatische j 

Myositis eine congenitale periostale Diathese des Bindegewebes an- I 

nehmen, so können wir doch trotz der pathologisch-anatomischen ' 
Analogien die Verknöcherungen in vereinzelten Muskelgruppen und 
Muskeln vorläufig nicht mit der typisch klinischen Krankheit der 
Myositis ossificans progressiva identificiren. Das klinische Bild unserer 
Krankheit ist ein so durchaus eigenartiges, eigenthümliches und 
selbständiges, dass wir sie vorläufig noch als einen Morbus sui generis 
betrachten müssen. 

Wir wollen hier nur die wichtigsten Angaben über den heutigen 
Stand der Lehre von der Myositis ossificans progressiva hervorheben. ; 
Wir scheiden von unserer Betrachtung aus: die isolirten Verknöche- ; 
rungen nach ein oder mehrmaligem Trauma und alle Fälle, welche 
accidentell bei manchen anderen Krankheiten vorzukommen pflegen. 

Wir werden jedoch nur zum Vergleich und wegen der wichtigen Ana¬ 
logien ganz kurz die pathologisch-anatomischen Befunde bei den anderen 
Ossificationsprocessen heranziehen müssen. Im übrigen müssen wir auf 
die unten angegebene ältere und neuere Literatur verweisen. Die | 

Myositis ossificans progressiva entwickelt sich fast immer nur in der | 

Kindheit; von den ersten Monaten nach der Geburt an bis zur Puber¬ 
tätszeit, jedenfalls noch vor dem vollendeten Wachsthum. In den j 
Fascien, Bändern, Sehnen, im intramusculären Bindegewebe und im 
Perimysium der Muskelbündel kommt es zu Knochenbildungen in 
Form von Splittern, Platten und Spangen, bis die ganze Musculatur | 

erstarrt und zum grössten Theil zu Knochengewebe wird; doch sollen ! 

stets freibleiben: die Hand-, die Finger-, Fuss- und Zehengelenke, . 

die mimischen Muskeln, die äusseren Augenmuskeln, die inneren 
Ohrenmuskeln, die Muskeln des Zwerchfells, des Diaphragma pelvis, 
des Genitalapparates und der Sphincteren; die glatten Muskeln, das 
Herz, die Zunge und die Kehlkopfmusculatur. Zu gleicher Zeit 
kann eine multiple Exostosenbildung vorhanden sein. Die Ossifi- 


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Ein Fall von .Myositis ossificans progressiva. 439 

cationen entstehen vereinzelt oder multipel, sowohl ohne eine äussere 
erkennbare Veranlassung mit und ohne Reizerscheinungen, als auch 
nach einmaligem oder wiederholtem Trauma. Zu den Hauptsym¬ 
ptomen der Krankheit gehören die mit oder ohne Fieber sich ent¬ 
wickelnden teigartigen ödematösen Tumoren, die schmerzhaft oder 
reizlos sind, und entweder spontan vollständig restlos verschwinden 
oder zu den genannten Verhärtungen führen können. Die Schwel¬ 
lungserscheinungen wiederholen sich in kleinen oder grösseren Zwi¬ 
schenräumen, schreiten jedoch, wenn auch unter Stillständen, so lange 
fort, bis der grösste Theil der Gewebe verknöchert, die Contractionen 
der Muskeln und die Bewegungen der Wirbelsäule, der Rippen, des 
Thorax, des Kopfes, des Unterkiefers und der Glieder völlig auf¬ 
gehoben sind und der Körper in extremsten Fällen zu einer un¬ 
beweglichen Bildsäule geworden ist. Sehr oft haben aber schon 
vorher irgend welche accidentelle Krankheiten und namentlich 
eine Pneumonie oder die Inanition die armen Patienten hinweg¬ 
gerafft. Wenn auch das klinische Bild der Myos. oss. pr. charak¬ 
teristisch eng begrenzt erscheint, so schliesst diese Tbatsache bei 
der Verwandtschaft der biologischen Processe des Körpergewebes 
keineswegs die Annahme aus, dass eine scharfe Grenze im patho¬ 
logisch-anatomischen Sinne zwischen unserer Krankheit und den 
multiplen Exostosenbildungen, den solitären Verknöcherungen nach 
Entzündung, Verletzung und anderen Krankheiten nicht immer und 
scharf gezogen werden kann. Die Knochenbildung beginnt immer 
im Bindegewebe und entspricht meistens dem periostalen Typus; 
die Knochenverhärtungen entstehen aus wucherndem Keimgewebe, 
aus indifferentem Bindegewebe direct oder auch indirect durch Ver¬ 
mittlung eines knorpeligen Zwischenstadiums (enchöndraler Typus), 
genau nach den Arten der Entwickelung von normalem Knochen¬ 
gewebe; aus dem jungen Bindegewebe können die verschiedenen 
Zellformen, Knorpelzellen und Osteoblasten, die Knochenkörperchen 
und -bälkchen und die hyalinen Knorpel zum Vorschein kommen; 
der Knochen wird schliesslich compact und spongiös, wobei sich die 
active Thätigkeit des Periosts von seiner inneren zellenreichen Schicht 
aus vorwiegend nach zwei Richtungen bemerkbar macht. Die Reci- 
dive sollen meist vom Knochen ausgehen. Die Form der Ver¬ 
knöcherungen und das Nebeneinanderbestehen mehrerer Processe 
sprechen hauptsächlich für Tumorbildungen (Berendt). Schon 
Virchow hat in der Knochenbildung bei der Myos. oss. pr. weiter 


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440 


Julius Michelsohn. 


nichts als multiple Osteome gesehen, also eigentliche Geschwulst¬ 
bildungen, die, wie alle Geschwülste, Beziehungen zu chronisch ent¬ 
zündlichen Processen zeigen. Die Muskelfasern sollen nur passiv 
degeneriren und atrophiren. Doch darf hier wohl gleich bemerkt 
werden, dass einige Autoren rein entzündliche Processe der Musculatur 
selbst mit dem bekannten mikroskopisch anatomischen Befund be¬ 
obachtet und beschrieben haben. Heute kann aber die Thatsache 
constatirt werden, dass die meisten Autoren geneigt sind, die ältere 
und 1894 wiederholte Virchow'sche Geschwulstlehre bei der Myos. 
oss. pr. als zu Recht bestehend anzuerkennen, so dass der jetzige 
Weg trotz aller eingehenden Untersuchungen und Controversen Ober 
Münchmeyer 1869, Mays 1878 und sehr viele andere Autoren 
wieder zu Virchow zurückführt. Virchow sieht in der Blrankheit 
eine angeborene Prädisposition, eine örtliche Schwäche oder Unvoll¬ 
kommenheit der Gewebe, sei es, dass diese Gewebe entweder von 
vornherein unvollkommen gebildet seien oder durch mangelhafte 
Ernährung, durch übermässige Tbätigkeit oder durch frühe Krank¬ 
heiten in einen Zustand von Schwäche nachträglich versetzt worden 
seien. Auf diese Erklärungsversuche Virchows müssen wir immer 
wieder zurückkommen, nicht etwa, weil sie rein Positives darbieten, 
sondern, weil sie auch in ihren Verallgemeinerungen die logisch 
denkbaren Grundursachen vollzählig aufführen. Doch muss offen 
eingestanden werden, dass man trotzdem von einer klaren Einsicht 
in den Process und in die Ursache der Krankheitsentwickelung noch 
recht weit entfernt ist. Ganz unaufgeklärt ist ja überhaupt die 
häufige Neigung des Bindegewebes, im Körper an Stellen Knochen¬ 
gewebe zu bilden, wo es normalerweise nicht hingehört, z. B. 
im Zwerchfell, in der Hirnhaut, im Pericard, in der Linse, in der 
Pleura, ira Gehirn, in der Chorioidea, im Glaskörper, in der Luft¬ 
röhre, der Lunge, den Bronchien, dem Penis und den Hoden. Bei 
der Myos. oss. pr. müsste man wie bei allen diesen Knochen bil- 
dungen an die Möglichkeit von Entzündungsreizen in den Organen 
denken, die, bei den kleineren und grösseren Defectbildungen durch 
diese Entzündung, Bindegewebswucherungen als Narben zu einer 
Naturheilung hervorrufen. Dass diese Narbe nun zuweilen aus 
Knochengewebe besteht, wird in der Eigenschaft einer wieder¬ 
gewonnenen ursprünglich embryonalen Kraft der Keimbildungen des 
Bindegewebes zu suchen sein, einer Kraft, die durch gleiche Ur¬ 
sachen im Blute entstehen kann, welche auch sonst das Bindegewebe 


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Ein Fall von Myositis ossificans progressiva. 


441 


zu der ihm innewohnenden Ossificationsfahigkeit anfacht. So ent¬ 
steht ein Rückfall des Bindegewebes in ein Jugendstadium, man 
möchte sagen, in einen individuell geweblichen Atavismus. Als letzte 
Grundursache der Krankheit kann nicht eine Trophoneurose, sondern 
wenn wir auch Virchow’s Gonstitutionsanomalie oder Diathesis 
ossifica bestehen lassen, eine chemische Reizwirkung oder möglicher¬ 
weise eine Toxinwirkung vom Blute ausgehend angeschuldigt werden. 
Die Fälle von Missbildungen an den Fingern und Zehen sprechen 
wohl für eine Erblichkeit der Krankheit, aber ebenso auch für eine 
intrauterine Entwickelung des Processes durch chemische oder toxi¬ 
sche Reizwirkungen. Wir brauchen nicht anzunehmen, wie es all¬ 
gemein geschieht, dass die Anomalien an den Fingern und Zehen 
als Hemmungsmissbildung oder als Stillstand im Wachsthum schon 
in den ersten 6 Embryonalwochen entstehen und nur als rein terato- 
logische Gebilde zu betrachten seien. Unser Fall zeigt, dass post 
partum sich Processe (Entzündungen an den Daumen) bilden, die zu 
symmetrischen Umgestaltungen der Daumen führen können, deshalb 
könnte sich doch auch intrauterin und zwar zu jeder Zeit ein gleicher 
Vorgang auf irgend welche Reizwirkungen abspielen. Wichtig für 
diese Lehre erscheinen die Exostosen, Ankylosen und die Ver¬ 
kürzungen, kurz die Missbildungen an den Händen und Füssen, an 
den Finger- und Zehengelenken, die durch Entzündungserscheinungen 
post partum zu gleichen und ähnlichen Mikrodactylien wie die an¬ 
geborenen führen. Auch die anderen Missbildungen bei der Myos. 
oss. pr. wie die 1900 von Virchow als Acromegalie der grossen 
Zehe gedeutete Exostose oder die Schwimmhautbildungen, das Fehlen 
einzelner Muskeln, die Atrophien an den Testikeln und am Scrotum 
und die verkrüppelten Ohrläppchen können gleichfalls auf intrauterine 
Entzündungsvorgänge zurückgeführt werden. Pincus behandelt das 
Trauma bei der Geburt als ein wichtiges ätiologisches Moment. 
Bei schweren Geburten sollen Blutergüsse in die Musculatur eintreten, 
die zu Verknöcherungen führen. Es kann also das Blutcoagulum 
als Entzündungsmoment gelten, das das Bindegewebe zu den eben¬ 
genannten Wucherungsvorgängen anreizt. Was also Virchow, vor 
40 Jahren, allgemein als Schwäche des Gewebes bezeichnet hat, kann 
wohl heute mit demselben Recht als Blutanomalie, als veränderte 
Beschaffenheit der Gewebsflüssigkeit durch chemische Agentien oder 
Toxine angesehen werden. Die Verbreitung der Krankheit weit 
über die Erde und ihr seltenes Vorkommen würde eher für eine 


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442 


Julius Michelsohn. 


Reizwirkung ganz bestimmter Blutmischungen und Gifte sprechen, 
wobei nicht ausser Acht gelassen werden kann, dass das Rheuma 
und andere fieberhafte Krankheiten wie Intermittens oft als wich¬ 
tiges ätiologisches Moment von vielen Autoren bereits herangezogen 
worden sind. Die hypothetisch angenommenen Irritamente chemischer 
oder bacteriologischer Producte bringen diese Krankheit in eine nahe 
Analogie mit dem gleichzeitig oder in Zwischenräumen multiplen 
Auftreten der primären Carcinome bei einem Individuum, bei deren 
Entstehen chemische Producte, wie Pai-affin, Theer und Kien- 
russ oder, was auch sehr wahrscheinlich erscheint, parasitäre Noxen 
eine grosse Rolle spielen und nicht nur zu dem Endstadium 
einer Constitutionsanomalie, sondern in erster Linie zu wiederholten 
localen Reizerscheinungen und localen Geschwulstbildungen führen. 
Nach dieser Analogie kann die Myos. oss. pr. trotzdem als ein 
locales Leiden betrachtet werden und die Geschwulstbildungen können 
gleichzeitig an verschiedenen Stellen im Organismus auftreten oder 
auch nach einem langen Zeitraum den Körper wieder befallen, genau 
so, wie es bei den multiplen primären Carcinomen der Fall ist. 
Sagt doch Virchow sogar von den Krebsen: „Auch wenn in den 
Säften Bacterien oder Zellen als die wirksamen Agentien nach¬ 
gewiesen werden sollten, würde in dem Fortgange der Erkrankung 
von Ort zu Ort und in der Auffassung von der primären localen 
Bedeutung der Mutterknoten nichts zu ändern sein.“ Ganz den 
gleichen Eindruck, wie bei den multiplen Carcinomen macht das 
eigenthömliche Auftreten und die Verbreitung der einzelnen primären, 
ursprünglich entzündlichen und reizlosen Knoten oder Geschwulst¬ 
bildungen bei der Myositis ossificans progressiva. Das von uns an¬ 
genommene Blutirritament schliesst das locale Entstehen und die 
locale Entwickelung der Osteom- und Exostosenbildung bei der 
progressiven Myositis durchaus nicht aus, und das Bindegewebe kann 
sich bei der Myos. oss. pr. trotzdem in einem latenten Reizzustande 
befinden, was der berühmte Fall von Hawkins beweist, der bei 
einem stärkeren Anfassen des Kranken, oder bei einem nur leisen 
Druck der Muskeln an den bestimmten Stellen einen Ossifications- 
process anregen konnte. Wiederum citiren wir Virchow, nach 
welchem das Bindegewebe bei der Myos. oss. pr. gleichsam con- 
tagiös wuchert und die Recidivfähigkeit der Osteome eine geradezu 
kolossale ist. Was der Pathologie der hier geschilderten Krankheit 
ein so ausserordentliches Interesse in der Orthopädie verleiht, sind die 


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Ein Fall von Myositis ossificans progressiva. 


443 


Veränderungen, welche durch die verknöcherten Muskeln und Bänder 
die Gelenkstellungen und die Wirbelsäule schon in frühen Krank¬ 
heitsstadien erleiden, Processe, die nicht nur differentialdiagnostisch 
von grossem Interesse sind, sondern auch für die Einleitung von 
therapeutischen Massnahmen an den betreffenden Körperteilen von 
praktischer Wichtigkeit werden. Wir brauchen nur auf die Be¬ 
handlungsmethoden hinzuweisen, wie sie in unserer Krankengeschichte 
geschildert worden sind, um anzudeuten, was ohne Schaden für die 
Patienten nicht geschehen darf. Wir stehen der Therapie solcher 
Fälle vollständig machtlos gegenüber. 


Zum Schluss erfülle ich die angenehme Pflicht, Herrn Dr. 
Albers-Schönberg für die liebenswürdige Anfertigung der Röntgen¬ 
bilder und die freundliche Angabe interessanter Fälle aus der Litera¬ 
tur auch an dieser Stelle meinen herzlichen Dank auszusprechen. 


Literatur. 

Virchow, Arcb. d. path. Anatomie Bd. 3 S. 1—24. 

Derselbe, Die kr. Geschwülste. Berlin 1864/65, Bd. 2 S. 80 ff. 

Derselbe, Cellularpath. 1871, S. 451—469. 

Derselbe, Berl. klin. Wochenschr. 1894, Nr. 32 S. 145, 725, 745 piscussion). 

Münchmeyer, Zeitschr. f. rationelle Medicin 1869, Bd. 34. 

May8, üeber d. sogen. Myos. oss. progr. Virchow’s Arch. 1878, S. 145. 

Kümmel, Myos. oss. progr. Langenbeck's Arch. 1883, Bd. 29. 

Pincus, Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1897, Bd. 44 S. 179, die sogen. Myos. progr. 
ossif., eine Folge von Geburtsläsion (mit ausgezeichnetem Literaturver- 
zeichniss bis 1897). 

Boks, Beitrag zur Myos. oss. progr. Berl. klin. Wochenschr. 1897, Nr. 41 
S. 885, 917, 942. 

Aerztlicher Verein Nürnberg, Sitzung vom 16. Juni 1898: 

Morian beschreibt einen Fall von Myositis ossificans progr. mit gleichzeitig 
vorhandener Mikrodactylie. Münch, med. Wochenschr. 1349. 

de la Camps, Fortschritte auf d. Gebiete der Röntgenstr. S. 179, erster Jahrg. 
Myos. 088 . (Virchow’s Fall). 

Rager, üeber sogen. Myos. oss. multiplex progr. Zeitschr. f. orth. Chir. 1901, 
Bd. 9 Heft 3 S. 380—412, mit vorzüglichem Literaturverzeichniss. 

Jacobi, Münchener med. Wochenschr. 1898, S. 976, Gesellsch. d. Chariteärzte 
14. Juli 1898. (Jacobi demonstrirt einen Fall von Myos. oss. progr. 
mit Röntgenaufnahmen.) 

Zeitschrift für orthopiidische Chirurgie. XII. Bd. 29 


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444 Julius Micbelsohn. Ein Fall von Myositis ossificans progressiva. 


Hoffa, Lehrbuch der orth. Chir. 1902. 

Ziegler, Lehrbuch d. allgem. u. spec. path. Anatomie 1901, Bd. 1 S. 60, 420. 
1902, Bd. 2 S. 282. 

Vulpius, Langenbeck's Arch. f. klin. Chir. 1902, Bd. 67 S. 715. Zur Kenntniss 
der intramusculären Knochenbildung. 

Overmann, Deutsche militärärztl. Zeitschr. 31. Jahrg. 1902, Heft 11. lieber 
Myos. oss. traumatica. 

Graf, Arch. f. klin. Chir. 1902, Bd. 66 S. 1105. Zur Cas. d. Traum, oss. myos. 

Bern dt, Arch. f. klin. Chir. 1902, Bd. 65 Heft 2. Zur Frage der Betheilignng 
des Periosts bei der Muskelverknöcherung nach einmaligem Trauma. 

Rothschild, U. m. o. träum. 1900. 

Brüh ns, Beiträge f. Chir. 1900, Bd. 28. 

Ramstedt, Traum. Muskelverkn. Virchow's Arch. 1900, Bd. 161. 

Wilms, Fortschritte a. d. G. der Röntgenstr. Bd. 3 S. 39. 3. Jahrg. Arthro¬ 
pathie myos. oss. und Exostosenbildung bei Tabes. 

Wilms und Sick, Die Entwickelung der Knochen der Extremitäten von der 
Geburt bis zum vollendeten Wachsthum. Fortschr. a. d. Gebiete der 
Röntgenstr. 1902, Ergänzungsbd. 9. 

Schimmelbusch, Ueber multiples Auftreten primärer Carcinome. Langen* 
beck’s Arch. Bd. 39 Heft 4. 

Micbelsohn, Julius, Zur Multiplicität der primären Carcinome. Berlin 
1889. 


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XXXIl. 

Ein Fall von totalem Defect des Radins. 


Von 

Dr. Julias Michelsohn-Hamburg. 

Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Das Kind E. W. wurde am 30. Juni 1903 geboren. Der Vater 
und die Mutter sind völlig gesund und haben keine ernsten Krank¬ 
heiten durchgemacht. In der Familie des Vaters sind keine Ver¬ 
krüppelungen oder Missbildungen vorgekommen, nur ein weitläufiger 
Verwandter, der Sohn einer Cousine, ein jetzt Sjähriger Knabe, ist 
mit einem Fehler behaftet; aus den Angaben ist nicht zu ersehen, 
ob es sich um einen angeborenen Klumpfuss oder um eine Lähmung 
einer unteren Extremität handelt. In der Ascendenz der Mutter sind 
keine erworbenen oder angeborenen Anomalien vorhanden gewesen. 
Die Mutter hat niemals Aborte gehabt, sie hat vor 9 Jahren einen 
Knaben geboren, dieser lebt, ist gesund und normal gebaut. Die 
letzte Schwangerschaft verlief bis auf einen kleinen Unfall ohne 
besondere Beschwerden. 

Im 5. Monat fiel die Patientin auf der Strasse durch Glatteis, sie 
empfand darauf in der linken Körperseite nur wenige Stunden einen 
leichten Schmerz, der keine weiteren Folgen hatte. Die Geburt 
dauerte wegen frühen Abflusses des Fruchtwassers zwei Tage, die 
heftigeren Geburtswehen währten jedoch nur 5 Stunden, das Kind 
wurde in Kopflage ohne Kunsthülfe geboren, die Nachgeburt ging 
spontan ab. Nach der Entbindung bemerkte die Hebamme beim 
Kinde am linken Arm eine eigenthümliche Handstellung, am nächsten 
Tage wurde es auf Anrathen der Hebamme in eine benachbarte 
Poliklinik eines Krankenhauses gebracht; hier erhielt die Hebamme 
den Bescheid, man möge das Kind nach 14 Tagen wiederbringen, 
jetzt wäre noch nichts zu machen. Am 9. Tage nach der Geburt 
sah ich das Kind zum ersten Mal. 


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446 


Julius Michelsohn. 


Die Untersuchung ergab: Das Eind, von der Mutter genährt, 
sieht gesund und rund aus, alle Körpertheile: Kopf, Gesicht, Hals, 
Brust, Rücken, untere Extremitäten und die rechte obere Extremität 
sind normal und gut gebaut. Die ganze linke Extremität, vom 
Schulterblatt bis zur Hand, erscheint in allen Theilen kleiner als 
die rechte Seite. Das linke Schulterblatt zeigt immer die Neigung, 
sich höher zu stellen und ist kleiner als das rechte. Der Oberarm 
ist um 1 cm, der Unterarm an der Ulnarseite gemessen um 2 cm 
verkürzt. Ober- und Unterarm sind dünner als an der rechten Seite, 
die Hand ist kleiner als die gesunde, sie ist recht- und zuweilen 
ganz spitzwinklig radialwärts zum Vorderarm abgebogen, oft liegt 
sie auch auf der Radialseite dem Unterarm vollständig auf und be¬ 
rührt mit den Fingern die mediale und seitliche Mitte des Ober¬ 
armes; eine Hohlhand ist vorhanden, aber etwas abgeflacht. Stränge, 
Fäden, Narben oder besondere Furchen sind an der Extremität nicht 
vorhanden. Die Bewegungen im Schultergelenk sind normal, im 
Ellenbogengelenk ist Beugung und Streckung activ möglich, im 
Handgelenk sind die Bewegungen beschränkt. Pro- und Supination 
sind nicht bemerkbar und scheinen auch nicht vorhanden zu sein; 
die Finger werden bewegt. Die Ulna ist distal etwas verdickt, 
ulnarwärts convex gekrümmt, ihr proximales Ende ist genügend fest 
mit dem Humerus verbunden, der Bandapparat am Ellenbogengelenk 
ist ziemlich strafiT, so dass keine abnormen Rotationsbewegungen zu 
Stande kommen. An der Radialseite fühlen sich die Muskeln derber 
an, sie sind verkürzt, es fehlen an dieser Seite der ganze Daumen 
und die Stützknochen: der Radius, der Metacarpus und die Phalangen. 
Das distale Ende der Ulna ragt über der Hand hervor , die Hand 
steht volarwärts eingesunken in Luxationsstellung. Ob Carpalknochen 
fehlen, ist bei ihrem jetzigen knorpeligen Zustande kaum festzu¬ 
stellen (s. Fig. 1). Es handelt sich also in unserem Falle um 
einen congenitalen totalen Defect des Radius, um einen fehlenden 
Metacarpus des ganzen Daumens und um eine sogen. Klumphand in 
Luxationsstellung. Der Hochstand der Schulter und die Verkleinerung 
des Schulterblattes dürfen noch nicht als ganz sicher hingestellt 
werden. Das Röntgenbild hat diesen letzten Befund in Bezug 
auf den Hochstand der Schulter nicht mit Sicherheit bestätigt, es ist 
auf dem Bilde schwer festzustellen, ob das Schulterblatt kleiner 
ist, da das rechte und linke Acromion in fast gleicher Linie stehen 
und der Ang. scap. inf. wegen einer leichten Verschiebung zum Ver- 


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Ein Fall von totalem Defect des Radios. 


447 


gleich nicht mitherangezogen werden kann (Fig. 2). Sicher ist, dass das 
linke Schulterblatt immer die Neigung hat, sich höher zu stellen; 
die weitere Entwickelung des Kindes wird erst ein positives Resultat 
ergeben können. Die Röntgenaufnahmen vom 20. Juli und 4. August 
bestätigten sonst die Diagnose mit einigen kleinen Einschränkungen. 
Herr Dr. Alb er s-Schönberg hat die Röntgenbilder für unseren 
Fall in liebenswürdiger Weise hergestellt. Am 21. Juli theilte mir 
Herr Dr. Albers-Schönberg nochmals schriftlich mit: „Es handelt 
sich, wie bereits besprochen, um einen angeborenen Defect des 


Fig. 1. 



Radius, sowie des Daumens, einschliesslich des Metacarpus für den 
Daumen; indessen ist vom Radius noch ein Rest nachzuweisen.* 
Dieser Rest ist cm lang, sitzt isolirt, mehr nach oben, etwa in 
der Mitte des fehlenden Radius und steht nicht im Zusammenhang 
mit der Ulna (Fig. 3). Die zweite Aufnahme am 4. August ergabt 
dass der linke Humerus in seinem distalen Ende bedeutend schmäler 
und im ganzen kürzer und schmächtiger als der rechte ist, und dass 
die normale rechte Ulna länger und am distalen Ende schmächtiger 
als die linke ist (Fig. 4). Eine nochmalige Aufnahme des kranken 
Armes im Gipsverband zeigt die ülna radialwärts verschoben und 
weniger gebogen als vorher. Diese verbesserte Stellung wurde 
durch ein inzwischen vorgenommenes Redressement und durch den 
Gipsverband hervorgerufen (Fig. 5). Nach Kümmel, Joachims¬ 
thal und Hoffa sind im ganzen 70 Fälle von totalen und par¬ 
tiellen Radiusdefecten in der Literatur veröffentlicht worden; nach 
Kümmel 27mal mit typischem, completem Radiusmangel an 


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448 


Julius Michelsohn. 


beiden Armen, IGmal nur rechts, 14mal nur links und lOmal nur 
partiell. Die bisherigen meist auf klinischen Erfahrungen basirenden 
Angaben über das Häufigkeitsverhältniss der partiellen und totalen 
Defecte der Vorderarmknochen erweisen sich mit Rücksicht auf die 
bereits vorhandenen freilich wenigen Röntgenbilder, die in den letzten 
Jahren veröffentlicht worden sind, als wenig zuverlässig. Abgesehen 


Fig. 2. 



von diesen letzten Fällen ist somit eine strenge Scheidung von par¬ 
tiellen und totalen Defecten für die älteren Fälle nicht mehr mög¬ 
lich, und es entsteht deshalb die berechtigte Frage, ob ein wirklicher 
totaler Defect im streng anatomischen Sinne überhaupt vorkommt, 
da fast stets ein kleinerer oder grösserer Rest vom Radius sich vor¬ 
findet; es können auch kleinste Reste im Röntgenbild leicht über¬ 
sehen werden, ln dem Falle von Joachimsthal sieht man am 
oberen Drittel der Ulna, mit ihr verschmolzen, ein nicht zu kleines 
Rudiment des in den beiden unteren Dritteln fehlenden Radius. 
Ausser diesen mehr typischen Merkmalen sind in unserem Falle noch 


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Ein Fall von totalem Defect des Radius. 


449 


einige von den bis jetzt beschriebenen Fällen bemerkenawerthe Ab¬ 
weichungen festzustellen. Wir wollen nur mit wenigen Bemerkungen 
auf die Aetiologie eingehen. 

Herschers Erklärung der Defectbildung für die grossen 
Extremitätenknochen nach der Gussenbauer’schen Archipterygial- 
theorie ist für die obere Extremität von Biese und für die untere 


Fig. 3. 



Extremität von Joacbimsthal mit guten Gründen zurückgewiesen 
worden. Joacbimsthal konnte nacbweisen, dass eine Tibia in der 
Anlage bestehe, und der Schwund erst eintrete, nachdem das Knie 
und Fussgelenk angelegt seien. Von anderer Seite ist ebenfalls 
nachgewiesen worden, dass an Stelle des fehlenden Unterschenkel¬ 
knochens ein diesen repräsentirender fibröser Strang vorhanden war, 
der die Fähigkeit noch nachträglich post partum zu verknöchern 
hatte. Der Unterschenkel war somit in einer Weise sicher prä- 
fonnirt. Ob in unserem Falle ausser dem kleinen Knochenrest noch 
eine fibröse Anlage vorhanden ist, kann schwer festgestellt werden, 
erst die weitere Entwickelung des Kindes und spätere Röntgenbilder 
werden darüber genaueren Aufschluss geben können. Unser Fall 
spricht jedenfalls gegen Herschel und für Riese, da ja in der 


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450 


Jalias Michelsohn. 


Musculatur ganz isolirt ein kleiner, von wirklichem Knochengewebe 
gebildeter präformirter Radiusrest vorhanden ist, der, sei es, dass er 
sich noch weiter entwickeln oder zurückbilden wird, doch den sicheren 
Beweis einer Anlage für den fehlenden Knochen erbringt. Unser 
Befund spricht ebensowenig für KümmeTs Amniontheorie, denn 
von Narben über dem distalen Ulnarende, von Verwachsungen eines 
Amnionstranges, von etwaigen Einschnürungen oder Furchen war 
nichts zu bemerken; über der ganzen Extremität war die Haut glatt 


Fig. 4. 



und normal. Die mitgetheilten Fälle von symmetrischen angeborenen 
Radiusdefecten sprechen ebenfalls gegen die Mitbetheiligung eines 
gerade an symmetrischen Stellen kranken Amnions. Die Küm- 
meTsche Erklärung ist für die meisten Fälle von Radiusdefecten 
nicht zureichend. Die Angabe von Trauma in einem späteren 
Schwangerschaftsmonat kann für unseren Fall nicht verwerthet 
werden. Ein Mangel von Fruchtwasser war keineswegs vorhanden 
gewesen; ob ein solcher in den ersten Monaten bestanden hat, ist 
nicht zu constatiren. Es ist auch noch eine ganz offene Frage, ob 
alle Defecte sich wirklich nur in den ersten 4—6 Wochen ausbilden. 
Riese nimmt ein Stehenbleiben der Entwickelung auf einer sehr 


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Ein Fall von totalem Defect des Radius. 


451 


frühen Stufe des Embryos an; Joachimsthal zählt die Fälle zu 
den Missbildungen im eigentlichen Sinne des Wortes und spricht 
über die mechanischen Erklärungsversuche ein non liquet. Wenn 
dieser Autor die mechanische Theorie auch nicht ganz zurückweist, 
so sprächen doch gegen sie die Vererbung über ganze Generationen, 
das Vorkommen in Ehen von Blutsverwandten und das Verschwinden 
der Anomalien durch Blutmischung. Aus 
allen diesen Gründen nimmt Joachims¬ 
thal gleichfalls als Ursache für die De- 
fecte eine abnorme Keimanlage an. Trotz 
alledem sind die Annahmen auch irgend 
einer mechanischen störenden Einwirkung 
vorläufig nicht ganz von der Hand zu 
weisen. Knickungen der Vorderarm- 
knochen durch Verlagerung und Druck 
der Kindestheile gegen einander, des 
Uterus und der Eihäute können als Ur¬ 
sachen der Verbildung immer noch geltend 
gemacht werden. Ein ständig anhaltender 
Druck kann eine Verlangsamung und 
unter Umständen sogar einen Stillstand 
des Wachsthums oder auch eine Re¬ 
sorption des bereits angelegten Knorpels 
und Knochens hervorrufen; eine Blut¬ 
leere kann eine Entstehung des Knorpels 
und der Knochen aus dem ursprünglich 
indiflFerenten Bindegewebe verhindern, so 
dass eine locale Agenesie oder eine abnorme Kleinheit einer Ex¬ 
tremität, eine Mikromelie, entsteht. Die Erblichkeit spielt sicherlich 
in vielen Fällen eine grosse Rolle. In unserem Falle müsste man 
jedoch, da eine Missbildung zum erstenmal in der Familie beobachtet 
wird, seine Zuflucht zu der sogen, primären Keimesvariation nehmen. 
Wegen des jugendlichen Alters der Patientin sollen vorläufig auf 
Wunsch der Angehörigen rein orthopädische Massnahmen vor¬ 
genommen werden, die im übrigen oft ein recht befriedigendes Re¬ 
sultat geben können. Die Behandlungsmethoden, soweit sie für 
Radiusdefecte in Betracht kommen, sind von Hoffa eingehend zu¬ 
sammengestellt worden. 



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452 Julius Michelsolm. Ein Fall von totalem Defect des Radius. 


Literatnr. 

Kümmel, Bibliotheca medica 1895, Bd. 3. 

Joachimsthal, Die angeborenen Verbildungen der oberen und unteren 
Extremität. Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen (Albers- 
Schönberg) 1900 (mit vorzüglichem, ausführlichem Literaturverzeichniss). 
Hoffa, Lehrbuch der orthopäd. Chir. 1902, S. 10, 12, 554—560. 

Ziegler, Lehrbuch der path. Anatomie 1901 und 1902. 

Wilms und Sick, Die Entwickelung der Knochen der Extremitäten. Von der 
Geburt bis zum vollendeten Wachsthum. Fortschritte auf dem Gebiet 
der Röntgen strahlen (A Ibers-Schönberg) 1902, Ergänzungsbd. 9. 


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XXXIII. 


Zur Redression von Rückgratsverkrünmnmgen. 

Von 

Dr. Earl Gerson-Berlin. 

Mit 1 in den Text gedrackten Abbildung. 

Wenn man auf der Massagebank Verkrümmungen der Wirbel¬ 
säule durch Druck auf den Rippenbuckel mit der Hand zu redressiren 
sucht, so wird man bald inne, dass die eigene Körperkraft hierzu 
meist nicht, oder nicht genügend lange Zeit ausreicht. Jedenfalls 
steht die zur Redression der Verkrümmung aufgewendete Mühe in 
keinem Verhältnisse zu dem geringen Erfolge. Mit der Körper kraft 
erreicht man hier weniger, als mit dem Körpergewicht. So schien 
die manuelle Redression relativ am vollkommensten und mühelosesten, 
wenn man beide Hände mit dem ganzen Körpergewicht gegen den 
Rippenbuckel des liegenden Patienten anstemmte, oder sich direct 
auf denselben setzte. Indess ist der so ausgeübte Druck oft zu stark, 
oft zu schwach, je nach dem Körpergewicht des Redressirenden und 
der Toleranz des Patienten. Um 
nun eine individuelle Dosirung in 
Bezug auf Zeitdauer und Kraft der 
auszuübenden Redression ohne An¬ 
strengung zu ermöglichen, habe 
ich einen kleinen Apparat an¬ 
fertigen lassen, welcher gleich im 
Anschluss an die Massage des 
Patienten die Redression auf der 
Massagebank bequem und schnell 
gestattet. Gerade für die häufig¬ 
sten Rückenverkrümmungen, Sko¬ 
liose und runden Rücken, eignet der 
Apparat sich gut, wie V*jährige Er¬ 
fahrungen in der orthopädischen Tumanstalt des Herrn Geheimrath 
Hoffa ergeben. 

Der Apparat, den wir Redressionsbügel*) nennen wollen, be¬ 
steht aus einer Pelotte P, welche in einer Eisenschiene E seitwärts 
verschoben und in ihr durch die Schraube S' festgestellt werden 
kann. Zugleich ist die Pelotte P durch ein’ Kugelgelenk mit der 

’) Hergestellt vom medic. Warenhaus, Berlin N.W. Preis 28 Mark. 



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454 


Karl Gerson. 


Schraube S verbunden, durch welche die Pelotte hoch und niedrig 
geschraubt werden kann. Die Pelotte P ist also in horizontaler und 
verticaler Richtung verstellbar. Die Eisenschiene U wird durch 
Riemen R an der Massirbank in deren oberem Drittel beiderseits an- 
gehakt an Haken welche an jeder Massirbank angeschraubt 
werden können. Es ist wichtig, die Haken H zu beiden Seiten der 
Massirbank gleichmässig anzuschrauben, so dass die angehakte Eisen¬ 
schiene E zur Massirbank rechtwinklig steht. Der Patient legt sich 
nun mit herabhängenden Armen so auf die Massirbank, dass die 
Höhe seines Rippenbuckels mit den seitlich angeschraubten Haken 
möglichst in einer Ebene liegt. Andernfalls stellt sich die in dem 
Kugelgelenk bewegliche Schraube S' und mit ihr die Eisenschiene E 
schräg zum Rücken des Patienten und bewirkt eine ungleichraässige 
Vertheilung des Pelottendruckes. Dann werden die Riemen R beider¬ 
seits gleich hoch angehakt, die Pelotte P wird auf der Eisenschiene E 
über dem Rippenbuckel senkrecht eingestellt und mittelst der 
Schraube S festgeschraubt. Während nun die eine Hand die Pelotte 
auf den Rippenbuckel leicht aufdrückt, schraubt die andere Hand 
auf letzteren die Pelotte so fest auf, wie es der Patient vertragen 
kann. Man sieht dann, wie durch Redression des Rippenbuckels die 
Wirbelsäule ihre normale Lage erreicht, oder — bei hochgradigen 
Skoliosen — ihr genähert wird. Gleichzeitig wird eine Redression 
des vorderen Rippenbuckels durch Druck desselben auf die Massir¬ 
bank bewirkt. Letztere darf indess nicht hart sein, damit der Brust¬ 
buckel durch den Druck nicht schmerzt. Vermöge des Kugelgelenkes, 
durch das sie mit der Schraube S verbunden ist, adaptirt sich die 
Pelotte der Verlaufsrichtung eines jeden Rippenbuckels bequem an. 
— (Will man einen'mehr seitlichen Druck auf den Rippenbuckel 
ausüben, so wird der Riemen auf der Seite des Rippenbuckels tiefer 
eingehakt, als auf der anderen.) Der Druck der Pelotte auf den 
Rippenbuckel darf nicht so stark sein, dass tiefe Athmungen un¬ 
möglich werden. Denn sie sind nicht unwesentlich bei dieser Be¬ 
handlung, wie wir gleich zeigen wollen. Der Pelottendruck wirkt 
nämlich auf den Rippenbuckel und den Brustbuckel der anderen 
Seite, also in der Diagonale des Thorax. Dieser diagonale Durch¬ 
messer der Brust wird also durch den Druck der Pelotte verringert. 
Dadurch erweitert sich vermöge der Elasticität des Brustkorbes sein 
anderer diagonaler Durchmesser, wodurch die Symmetrie beider 
Tlioraxliälften erhöht wird. Lässt man nun den Patienten unter der 


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Zur Redression von Rückgratsverkrümmungen. 


455 


Pelotte tief athmen, so wird die Formveranderung des Thorax im 
Sinne seiner normalen Gestalt besonders deutlich. Der passive Druck 
der Pelotte wird durch den activen Druck der Athmungsmuskeln ver¬ 
stärk. Bei jeder tiefen Inspiration hebt sich die dem Rippenbuckel 
benachbarte Rückenseite und sinkt bei der Exspiration wieder ein. 
Die tiefen Inspirationen müssen täglich in regelmässig steigender 
Zahl unter der Pelotte geübt werden. So erreicht man neben der 
Umformung des Thorax auch eine Kräftigung der Lunge und der 
Athmungsmuskeln. Hauptbedingung bei diesen tiefen Athmungen 
ist aber frische, reine Luft. Wenn irgend möglich, müssen sie 
im Freien vorgenommen werden. 

Da die Pelotte in einem Kugelgelenk drehbar ist, so kann man 
sie in jeder beliebigen Richtung dem Rücken aufsetzen. Bei rundem 
Rücken wird die Pelotte derart aufgeschraubt, dass ihr grösserer 
Durchmesser quer verläuft, und zwar über der Höhe der Rücken¬ 
rundung. Die Pelotte drückt dann gleichzeitig auf beide Schulter¬ 
blätter. Vielleicht darf auch bei ausgeheilter Spondylitis ein vor¬ 
sichtiger Versuch mit dem Redressionsbügel gemacht werden. Derselbe 
muss dann direct auf den gut gepolsterten Gibbus aufgeschraubt 
werden. — Es ist nöthig, den Redressionsbügel die ersten Male auf 
den unbekleideten Rücken des Patienten zu appliciren, damit man 
sich über die Wirkung des Pelottendruckes in jedem Falle orientire. 
— Indem man durch den Pelottendruck eine möglichste Geradrich- 
tung der Wirbelsäule bewirkt, erreicht man dasselbe, wie durch Ex¬ 
tension der Wirbelsäule. Es liegt daher nahe, diese beiden Methoden 
zu verbinden, um so einen schnelleren Erfolg zu erzielen, als er 
durch Anwendung jedes einzelnen Verfahrens möglich ist. Ich habe 
also an der Massirbank eine Extensionsvorrichtung anbringen lassen, 
welche die Streckung der Wirbelsäule schnell und einfach gestattet. 
Der Kopf liegt in einer gewöhnlichen, an der Massirbank ange¬ 
brachten Schwebe, so zwar, dass Kopf und Hals frei, nicht auf der 
Massirbank liegen, während die Extension an beiden Füssen des auf 
dem Bauch liegenden Patienten ausgeführt wird. Auf den Rippen¬ 
buckel des extendirten Patienten wird dann der Redressionsbügel auf¬ 
geschraubt. Die ganze Extensionsvorrichtung ist von der Massirbank 
abnehmbar, so dass letztere auch zu Freiübungen im Anschluss an 
die Massage benutzt werden kann. Auch als schiefe Ebene mit Ex¬ 
tension ist die Massirbank verwendbar. Eine genaue Beschreibung 
nebst Abbildung der Extensionsvorrichtung findet sich umstehend. 


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XXXIV. 


Massirbank mit Extensionsvorricbtimg and 
Redressionsbügel. 

Von 

Dr. Karl Gerson-Berlin. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Die Extensionsvorrichtung in beistehender Figur ist, ebenso 
wie der vorstehend beschriebene Redressionsbügel, an einer gewöhn¬ 
lichen Massirbank angebracht. Der Halter Hy in den die Kopfschwebe 
eingehakt wird, ist von der Massirbank abnehmbar, ebenso die hintere 
Extension E, Die Extension des Patienten wird nur an den Füssen 
bewirkt und zwar, wie gewöhnlich, mittelst Kurbeldrehung und Zug 



an den Füssen, an die Gamaschen geschnallt sind. Nachdem der 
etwa 5 Minuten in Extension liegende Patient sich an die Extension 
gewöhnt hat, kann man dieselbe noch etwas verstärken. Eine nähere 
Beschreibung der Extensionsvorrichtung ist unnöthig, weil sie aus der 
Figur ohne weiteres ersichtlich ist. Man muss nur stets zuerst die 
Extension am Patienten vornehmen, ehe man den RedressionsbQgel 
aufschraubt. Denn erst nach vollendeter Extension ist die Lage des 


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Massirbank mit Extensionsvorrichtung etc. 


457 


Rippenbuckels fixirt. Mit letzterem in einer Ebene liegend schraubt 
man nun beiderseits an die Massirbank die Haken an, in welche 
die Riemen des Redressionsbügels eingehakt werden. 

Die beistehende Extensionsvorrichtung hat den Vorzug, dass 
sie, wie auch der Redressionsbügel, an jeder Massirbank leicht 
angebracht werden kann und daher billig ist. 


*) Hergestellt vom medic. Warenhaus, Berlin N.W. 


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XXXV. 


Apparat zur Mobilisinmg des Htlffcgelenks and 
zur Bebandlung von Klump- und Plattfüssen. 

Von 

Dr. Karl Oerson-Berlin. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Der Apparat besteht aus dem Stativ S, das auf dem hoch und 
niedrig stellbaren Querstabe U den Hebel H trägt. Der Hebel H 
ist um den Stab U drehbar und auf ihm mittelst der Schraube I 
feststellbar. H trägt an einem Ende das verschiebbare Gewicht G, 
am anderen Ende eine Fussplatte, die mittelst der Schraube B hoch 
und niedrig fixirt werden kann. Der Rahmen JR dient zum Halt für 
den Oberkörper. 

Der Patient stellt einen Fuss auf die Fussplatte (siehe Figur) 
und drückt letztere langsam herunter, bis sie fast den Boden berührt, 
lässt dann mit dem Drucke so weit nach, dass die Fussplatte langsam 
wieder aufsteigt. Doch darf das Gewicht G dabei den Boden nicht 
berühren. Auf diese Weise wird der Hebel H in der Auf- und 
Niederbewegung schwebend erhalten, wobei das Bein abwechselnd 
einen activen und passiven Widerstand zu überwinden hat. Active 
Anspannung der Beinmuskeln erfordert das Heruntertreten des 
Hebels (H)^ resp. das Heben des Gewichtes G. Damit letzteres, 
oben angelangt, aber nicht plötzlich herunterfalle, sondern ebenso 
langsam und gleichmässig herunter steige, wie es heraufgekommen, 
ist ein passiver Widerstand der Beinmuskeln erforderlich. Dieser 
Widerstand kann nun den Kräften des Patienten genau angepasst 
werden, indem man entweder das Gewicht G auf dem Hebel H vor- 
oder zurückstellt, oder — was bequemer ist — den Hebel H selbst 
vor- oder zurückschiebt und durch die Schraube I fixirt. Auf dem 
Hebel ist eine Graduirung angebracht, damit der Patient selbst den 
Hebel nach seinem Bedarf einstellen und die fortschreitende Kräftigung 
des Beines täglich controlliren kann. 


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Apparat zur Mobilisiruug des Hüftgelenks etc. 


459 


Will man eine grosse Bewegung und damit starke Beugung 
des Beines im Hüft- und Kniegelenk erzielen, so wird der Stab f/, 
auf dem der Hebel H ruht, möglichst hoch gestellt, ebenso die 
Fussplatte. Zur Mobilisirung des Hüftgelenks z. B. nach abgelaufener 
Coxitis, Operationen, wird man indess anfangs die Höhe sowie den 
zu überwindenden Widerstand möglichst gering nehmen müssen. Eine 
meist genügende Fixirung des Beckens beim Gebrauch des Apparates 
wird dadurch erreicht, dass das eine Bein, im Hüft- und Kniegelenk 



gestreckt, fest auf dem Boden ruht und zur Stütze des arbeitenden 
dient. Bei Anwendung des Apparates zur Mobilisirung des Hüft- 
oder Kniegelenks nach längerer Inactivität des Beines wird gleich¬ 
zeitig eine Kräftigung der geschwächten Muskeln erzielt. 

Der Apparat besitzt noch eine weitere Vorrichtung. Die Fuss¬ 
platte ist nämlich an dem Zeiger 0 um ihre Längsachse nach beiden 
Seiten drehbar und kann in jedem Grade im Sinne einer Pro- und 
Supinationsstellung fixirt werden. Daher eignet sich der Apparat 
auch zur Behandlung von Klump- und Plattfüssen. Drückt ein 
plattfüssiger Patient die in Supination stehende Fussplatte herunter, 
so wirkt diese schiefe Ebene der Pronation, Abduction und Flexion 
des Plattfusses entgegen und zwingt den Patienten, vorwiegend mit 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 30 


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460 Gerson. Apparat zur Mobiliairung des Hüftgelenke etc. 

seinem äusseren Fussrande den individuell anzupassenden Widerstand 
zu überwinden. Dadurch wird eine normale Lagerung der Fuss- 
knochen begünstigt und eine Entlastung der überspannten Bänder 
und Muskeln des inneren Fussrandes erreicht. Je nach dem Grade 
des Plattfusses kann die Supination der Fussplatte beliebig eingestellt 
und vermöge einer Graduirung controllirt werden. Ist der Apparat^) 
auch nicht im Stande, ohne andere Massnahmen (Operation, Massage. 
Einlagen) einen Plattfuss zu redressiren, so dürfte seine Anwendung 
die Heilung doch wesentlich fördern. — Zur Klumpfussbehandlung 
stellt man die Fussplatte des Apparates natürlich in Pronation. 
Durch Druck auf die schiefe Ebene wird dann der innere Fussrand 
belastet und der abnormen Lagerung der Fussknochen entgegen¬ 
gearbeitet. Im übrigen gilt hier mutatis mutandis das schon beim 
Plattfuss Gesagte. 

Functionirt seit Jahre in den Turnsälen des Herrn Geheimrath 
Hoffa, wird hergestellt vom medicinischen Warenhaus in Berlin. Preis circa 
100 Mark. 


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XXXVI. 

Ueber den normalen Fnss nnd den Plattfnss. 

Von 

Dr. Walter Engels-Hamburg. 

Mit 34 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Untersuchungen über Bau und Function des normalen Fusses. 
Die Anordnimg der Spongiosa im Fassskelet nnd dessen Anfban. 

Ueber Statik und Mechanik des normalen menschlichen Fusses 
sowie über die Entstehung des Plattfusses ist in den letzten Jahr¬ 
zehnten, namentlich aber in den letzten Jahren, eine fast unüberseh¬ 
bare Reihe von Arbeiten erschienen, ohne dass „abschliessende Re¬ 
sultate oder — von wenigen Ausnahmen abgesehen — neue Ge¬ 
sichtspunkte hervorgetreten sind. Vielleicht liegt dieser fruchtlosen 
Productivität eine ähnliche Ursache zu Grunde, wie dem unablässigen 
Anrathen neuer Heilmittel bei manchen Krankheiten: dass nämlich 
der richtige Weg noch nicht gefunden ist. 

Diesem Weg suchen die folgenden Ausführungen weniger da¬ 
durch näher zu kommen, dass sie positive neue Gedanken bringen, 
als indem sie es unternehmen wollen, Hindernisse in Gestalt ziem¬ 
lich allgemein geglaubter, aber zu wenig nachgeprüfter Behauptungen 
aus dem Wege zu räumen. 

Den grössten Schaden haben in dieser Beziehung die ver¬ 
schiedenen Gewölbetheorien angerichtet, die wiederum durch ein¬ 
seitige Betrachtung des skeletirten Fusses gezeitigt wurden. Ich hoffe 
im folgenden nachzuweisen, dass es ein Längsgewölbe im Fussskelet 
überhaupt nicht gibt, wodurch auf die theilweise erbitterten Kämpfe, 
die jeder für sein Privatfussgewölbe kämpfte und kämpft, das ver¬ 
söhnende Licht eines gewissen Humors fallen würde. 

Einseitige Betrachtung des skeletirten Fusses hat auch zu dem 
Streit um die vorderen Stützpunkte geführt, der durch die unter 
Lange entstandene Seitz'sche Arbeit^) hoffentlich definitiv erle¬ 
digt ist. Wie allerdings jemals der III. Metatarsus, mit oder ohne 

*) Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 8, S. 37. 


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462 


Walter Engels. 


Nachbarn, als wichtigster oder einziger vorderer Stützpunkt ange¬ 
sehen werden konnte, muss jedem unverständlich erscheinen, der die 
zierlichen vier lateralen Metatarsen eines zerlegten Fussskelets ein¬ 
mal in der Hand gewogen hat und dann zum Vergleich den mäch¬ 
tigen Metatarsus I, der so viel wiegt, wie drei der anderen. 

Diejenige üntersuchungsmethode, die uns sonst ungeahnte 
Einblicke in die Physiologie und Pathologie des Skelets am Leben¬ 
den verschaflPt hat, die Durchleuchtung, hat uns in der Unter¬ 
suchung der Fussknochenmechanik bisher nicht weiter gebracht. 
Denn so, wie sie bisher gemacht wurden, sind Röntgenaufnahmen 
für die Bestimmung des gegenseitigen Lagerungsverhältnisses der 
Fussknochen fast werthlos. Durch verschiedene Stellung der Röhre 
zum Fuss und verschiedene Lagerung desselben können alle möglichen 
Knochenverschiebungen auf die Platte projicirt werden, ohne dass 
man aus ihr ersehen kann, wieviel von diesen Verschiebungen den 
anatomischen Verhältnissen entspricht. 

Der belastete Fuss konnte von der Seite überhaupt kaum 
aufgenommen werden, während doch gerade vergleichbare Bilder des 
Fusses in unbelastetem und belastetem Zustand sehr instructiv sein 
müssen. In geringerem Grade gilt das alles auch von der Durch¬ 
leuchtung des Fusses von oben. 

Eine Besserung dieser Verhältnisse muss an drei Punkten angreifen: 

1. Constante Lagerung des Fusses, 

2. constante Stellung der Röhre, 

3. Möglichkeit, die Platten zu wechseln, ohne den Fuss oder 
die Röhre zu verschieben. 

Diese drei Bedingungen lassen sich durch zwei einfache Appa¬ 
rate erreichen, die ich mir construirt habe. Einer dient zur Auf¬ 
nahme des Fusses von oben, der andere zur Aufnahme von der 
Seite. Ich gebe die genaue Beschreibung, nach der jeder Tischler 
die Apparate herstellen kann, am Schlüsse der Arbeit. Der zweite 
ist ausserdem in Albers-Schönberg's „Röntgentechnik* be¬ 
schrieben. Mit ihm sind die hier reproducirten Röntgogramme seit¬ 
licher Durchleuchtungen (Fig. 14 u. 15) angefertigt, während die 
Aufnahmen von oben nur zum kleineren Theil mit dem hier be¬ 
schriebenen, zum grössten Theil mit einem unvollkommeneren Apparat 
gemacht sind (Fig. 16 u. 17 mit dem letzteren). 

So gewonnene Röntgographien geben uns die Möglichkeit. 
1. verschiedene Füsse unter nahezu constanten Bedingungen zu ver- 


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Ueber den normalen Fuss und den Plattfuss. 


463 


gleichen; 2. an ein und demselben Fuss bei verschiedener Belastung 
Knochenverschiebungen zu constatiren und unter Umständen bis auf 
einen halben Millimeter zu messen. Bei den zum Theil unvollkom¬ 
menen Untersuchungen, die ich mittels dieser Methode gemacht habe, 
hat es sich gezeigt, dass sie brauchbar ist, und ich denke, dass 
grössere Untersuchungsreihen ihren Nutzen bestätigen werden. 

Die Röntgographie hat uns ferner ein Mittel gegeben, den 
inneren Bau der Knochen bequem darzustellen und zu über¬ 
sehen, und auf diese Seite ihrer Anwendung möchte ich fast noch 
mehr Werth legen, als auf die vorhin genannte. 

Dass die innere Structur der Knochen, die Anordnung der 
Spongiosa, sich nach der Richtung und Stärke der auf den Knochen 
wirkenden Druck- und Zugkräfte ausbildet, ist eine Thatsache, die 
auch von den Gegnern der Wolff’schen Theorie nicht bestritten 
wird. Es wird also, da ferner feststeht, dass ihre Anordnungsweise 
im wesentlichen den uns bekannten Gesetzen der Statik und Mechanik 
entspricht, auch umgekehrt erlaubt sein, aus der Richtung und 
Stärke der Knochenbälkchenzüge auf die Richtung und relative 
Grösse der auf die Fussknochen wirkenden Kräfte zu schliessen. 
Die Anordnung der Spongiosa wird uns auch deshalb über die Rich¬ 
tungen dieser Kräfte bessere Auskunft geben, als es die äussere 
Form der Fussknochen kann, weil diese von anderen Einflüssen mit¬ 
bestimmt wird (Ansatz der Bänder und Muskeln, Gelenkbewegungen) 
und deshalb ein viel complicirteres Bild bietet, als die innere Struc¬ 
tur, die einheitlich, ohne durch die Vieltheilung des Skelets beeinflusst 
zu werden, den ganzen Fuss durchsetzt. 

Wenn wir dann über diesen Untersuchungen nicht vergessen, 
dass weder ein knöcherner Fuss für sich, noch ein knöcherner Fuss 
mit Bändern irgend welche Tragkraft hat, sondern dass er sie erst 
durch die Musculatur erhält; dass diese Musculatur nicht nur am 
Fuss, sondern auch am Unterschenkel sitzt; und dass man also den 
Fuss als Ganzes, und zwar als lebendes Ganzes, betrachten muss, so 
werden wir wahrscheinlich zu überzeugenderen Resultaten kommen, 
als wenn wir in die Function dieses kleinen Wunderbaues durch ein 
Bauklötzchenspiel mit Fussknochen einzudringen versuchen. 

Für die Untersuchungen, deren Resultat die hier folgenden 
Ausführungen sind, hat mir, ausser den ad hoc im Institut angefer¬ 
tigten Röntgogrammen, das grosse Plattenmaterial eines Jahres aus 
dem Institut des Herrn Dr. Albers-Schönberg zur Verfügung 


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464 


Walter Engels. 


gestanden. Hierfür sowohl, wie für die sonstige liebenswürdige 
Unterstützung bei dem röntgographischen Th eil dieser Arbeit, dessen 
Gelingen nach vielen Versuchen ich seiner Geschicklichkeit und Geduld 
verdanke, sei ihm hier mein herzlichster Dank ausgesprochen. 

Ich habe, ohne Rücksicht darauf, ob sie meinen An- und Ab¬ 
sichten entsprachen, diejenigen Platten, die die meisten Structur- 
details zeigten, ausgesucht und danach die Structurzeichnungen an¬ 
gefertigt, da leider nicht anzunehmen ist, dass der Druck die Fein¬ 
heiten der Originalplatten wiedergibt ^). Ich bitte sie an geeigneten 
Platten nachzuprüfen; am besten werden diese bei kurzem Röhren¬ 
abstand (25—30 cm). Zur Technik der Aufnahme skeletirter Knochen 
ist dagegen zu bemerken: In getrockneten Knochen, die die contrast- 
reichsten und übersichtlichsten Structurbilder geben, wirkt die Luft 
im Balkenwerk stark zerstreuend auf die Röntgenstrahlen. Bei ihrer 
Aufnahme mü^en daher Blenden und Röhren mit tadellosem Brenn¬ 
punkt bei 35—30 cm Abstand angewandt werden, und die Knochen 
müssen der Platte möglichst aufliegen. 

An einem detailreichen Röntgenbild des seitlich durchleuchteten 
Fusses erkennen wir bald zwei allgemeine Regeln der Spongiosa¬ 
anordnung (Fig. 1). Zunächst überall da, wo wir Druckbeanspruchung 
annehmen müssen, Geradlinigkeit ohne Rücksicht auf Knochen¬ 
grenzen. Von einem Gewölbebau ist nichts zu sehen. Wo Züge 
bogenförmig verlaufen, liegt ihre Concavität nach oben. Ganz ausser 
Betracht kommen hierbei die Verstärkungszüge, die dicht unter¬ 
halb der Gelenkoberflächen diesen parallel verlaufen und auf die 
Richtung der Druck- und Zugkräfte keinen weiteren Schluss erlau¬ 
ben, als die Gelenkflächen selbst. Zweitens sehen wir, dass die 
auf Druck beanspruchten Spongiosabündel (im folgenden kurz Druck¬ 
bündel genannt) stets annähernd rechtwinklig zu den zugehörigen 
Gelenkflächen stehen. Mit anderen Worten: die Annahme, dass die 
Anordnung der Druckbündel der Richtung der auf sie wirkenden 
Kräfte entspricht, führt uns direct zu der zweiten Annahme: die 


Die Bleistiftzeichnungen der Structurbilder mussten für den Druck iu 
Federzeichnung übertragen werden. Dadurch hat sich, abgesehen von kleinen 
Ungenauigkeiten, statt der gleichniässigen Grundirung der Bleistiffctechnik da. 
wo die Structur als undeutlich bezeichnet werden sollte, eine willkürliche Schraf- 
firung eingeschlicben, die nicht mit Spongiosa verwechselt werden darf und sich 
von ihr durch ihre Gleichmässigkeit unterscheiden lässt (z. B. Fig. 7, Tuber 
calc., Fig. 8 und 9, durchschimmernder Mall, externus). 


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üeber den normalen Fuss und den Plattfuss. 


465 


Gelenkebenen liegen annähernd senkrecht zur Richtung der durch 
sie hindurch wirkenden Druckkräfte. Kurz zusammengefasst: Im 
allgemeinen ordnet sich die Spongiosastructur in der Richtung der 
Kraft an, die Gelenkebene senkrecht dazu. 

Im einzelnen sehen wir folgendes: Der Eindruck überwiegen¬ 
der Geradlinigkeit der Structur wird durch zwei starke Spongiosa¬ 
züge hervorgerufen, die in der Seitenansicht das Skeletbild fast aus¬ 
füllen und sich in der Talusrolle rechtwinklig kreuzen (Fig. 1 u. 2). 
Nehmen wir die Talusrolle als Ausgangsort, so zieht das vordere 
dieser zwei Systeme geradlinig durch Taluskopf, Naviculare, Cunei- 
formia in die Metatarsen I—III (Fig. 1, .1); das hintere (B) zieht 


Fig. 1. 



Darstellung der hauptsächlichsten SpongiosazUge des Fusses, etwas schematisirt. 

schräg nach hinten zur unteren Gelenkfläche des Talus und setzt 
sich von der oberen Gelenkfläche des Calcaneus, etwas nach hinten 
abweichend, divergirend in das Tuber calcanei fort. 

Die Stärke dieser beiden Züge sagt uns, dass sie die haupt¬ 
sächlichen Träger der auf den Fuss wirkenden Last sind. Ihr Ver¬ 
lauf gibt uns die Richtung, in der die Last sich vertheilt. Danach 
wäre das Fussskelet, in toto in der Längsrichtung betrachtet, der 
Hauptsache nach aus zwei geradlinigen Streben construirt, einer 
kurzen steilen hinteren und einer langen sanft geneigten vorderen, 
von denen im übrigen die letztere, wie wir später sehen werden, 
als eine von hinten nach vorne breiter und flacher werdende Hohl¬ 
rinne geformt ist (Fig. 12, Querschnitt der Rinne). 

Wo bleibt nun das Längsgewölbe des Fusses? Dass es in der 
Gestalt des lebenden wie des skeletirten Fusses vorhanden ist, sagt 


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466 


Walter Engels. 


ein Blick. Aber es ist eben nur der äusseren Gestalt nach ein Gewölbe, 
nicht der Function nach. Am Skelet wird diese Gewölbegestalt haupt¬ 
sächlich durch die starke Knochenleiste längs der Mitte der unteren 
Calcaneusfläche (Fig. 1, L) bedingt. Diese Leiste hat aber keine Druck¬ 
function, sondern eine Zugfunction, hauptsächlich als Ansatzstelle des 
Ligamentum plantare longum. Am weichtheilbekleideten Fuss wird 
durch die Anordnung der Musculatur und des Fettpolsters die Gewölbe¬ 
gestalt noch mehr ausgeprägt. Das ist also der Grundirrtum: Man 
hat die rein äusserliche Gewölbe ge stalt mit der Gewölbe fun c tion 
verwechselt oder vielmehr diese aus jener ohne weiteres gefolgert. 

Können wir aber nicht doch auch ein „structurelles“ Längsge¬ 
wölbe ausfindig machen? Ich glaube nicht. Wohl finden sich, wie 
wir sehen werden, an einzelnen Stellen bogenförmig angeordnete 
Züge, die man combiniren und so deuten könnte, aber sie sind quan¬ 
titativ und qualitativ so untergeordnet, dass man ihnen nur locale 
Bedeutung zuerkennen kann. Nicht sie sind es daher auch, die uns 
nach den beiden Hauptzügen zunächst auffallen, sondern starke, 
ebenfalls bogenförmig angeordnete Streifen, die aber alle nach oben 
concav verlaufen. Sie liegen im Calcaneus und sind, wie sich zeigen 
wird, sämmtlich „Zugbögen“. 

Der eine dieser Zugbögen liegt der hinteren und angrenzenden 
unteren Oberfläche des Tuber calcanei an (Fig. 1, C) und entspricht 
der Zugwirkung der Achillessehne. Wir sehen die Spongiosabälkchen 
von der Ansatzstelle der Sehne in den Richtungen des möglichen 
Zuges ausstrahlen und so ein cometenschweifartiges Büschel bilden. 
Ein zweites ähnliches Büschel entspricht dem Ansatz des starken Liga¬ 
mentum plantare longum an der Unterseite des Calcaneus (Fig. 1, 

Ein drittes System von locker angeordneten Zugbögen (Fig. 1, E) 
zieht sich vom vorderen Fortsatz des Calcaneus in tief nach unten 
geschwungenen kreisförmigen Bögen, die ihren gemeinsamen Mittel¬ 
punkt dicht unterhalb des vorderen Drittels der hinteren Calcaneus- 
gelenkfläche haben, nach hinten bis in die Masse der knöchernen 
Ferse, rechtwinklig durchkreuzt vom Tuberbündel, ausserdem von 
kürzeren Strahlen (Fig. 1, F), die weiter vorne meist von der Gegend 
des erwähnten Mittelpunktes nach unten ausgehen, und endlich von 
einem kräftigen, bei normaler Stellung des Calcaneus ungefähr hori¬ 
zontal nahe seiner oberen Grenze verlaufenden Bündel (Fig. 1, fr), 
das im Würfelbein seine Fortsetzung findet und uns als Horizon¬ 
talbündel noch mehrfach beschäftigen wird. 


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' Ueber den normalen Fusg und den Plattfuss. 


467 


Also alle kräftigen geraden Spongiosazüge des Calcaneus strah¬ 
len von der Gegend seiner hinteren Gelenkfläche aus und durch¬ 
kreuzen sich rechtwinklig mit starken Bogenzügen, die alle concen- 
trisch um diese Gelenkfläche angeordnet sind. Mit anderen Worten: 
wir haben auch hier ein System geradliniger Streben (B und G), die 
oben in eine kurze gemeinsame Belastungsfläche zusammentreten 
und unten durch bogenförmige Züge zusammengehalten werden, die 
wiederum durch kurze Zwischenglieder versteift sind ^). Es ist ein 
Zug-Drucksystem dritter Ordnung, welches in das Zug-Drucksystem 
zweiter Ordnung, den Fuss, eingefügt ist, wie dieser unter Um¬ 
ständen zu einem Theil des Zug-Drucksystems erster Ordnung wird, 
das, wie wir weiter unten sehen werden, durch Unterschenkel und 
Fuss gebildet wird. 

Eins muss hier noch erklärt werden, was Gewölbefreunden 
Anlass geben könnte, sich doch aus dem Spongiosabilde ein Längs¬ 
gewölbe oder wenigstens seinen hinteren Bogen zu deuten. Die vor¬ 
dere Hälfte des Tuberbündels biegt nämlich unten, soweit sie von 
den beschriebenen Bogenzügen durchkreuzt wird, nach vorne um 
und bildet so einen bogenförmigen Abschluss nach der Bodenfläche 
zu, der in verschiedenen Füssen verschieden deutlich ist (Fig. 1, 

AB ist die Tragfläche des Calcaneus, C sein hinterer Stützpunkt, E 
oder D der vordere. Die zwischen beiden auf die Tragfläche wirkende Last 




sucht ihn durchzubiegen, wobei ein Zerreissungszug in der Richtung des Bogens 
entsteht. Hier liegen daher die Verstärkungszüge, die nach oben durch radiale 
Streben versteift sind. Das ganze ähnelt einer bekannten Eisenbrückenconstruc- 
tion (2). 


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468 


Walter Engels. 


rückwärts von vergl. auch Fig. 2 u. 8—11). Untersuchen wir 
diese Krümmung auf Röntgogrammen skeletirter Füsse oder auf 
ausgesägten Knochenscheiben, also auf möglichst deutlichen Bildern, 
so finden wir, dass die Krümmung da beginnt, wo die Durchkreuzung 
anfängt, und mit ihr endet. Sehr instructiv ist das Bild des Knochen- 
Schliffs in Spalt eh oltz* Atlas Abb. 280^). Hier erscheinen die vorderen 
zwei Drittel des Tuberbündels in toto stark gekrümmt. Hält man 
aber mit dem Finger die Stelle zu, wo die büschelförmigen Bogen- 


Fig. 2. 



Skeletirter Fuss, von der Seite (erstes und zweites Keilbein und die Metatursen I—IV 

fehlen). 


Züge liegen, so sieht man, dass die nicht durchkreuzten Partien 
gerade sind (ebenso auf Fig. 2, skeletirter Fuss, bei D). Nebenbei 
sieht man übrigens noch, dass der feinfaserige schräg aufsteigende 
' Theil des Tuberbündels sich in den grobfaserigen horizontalen Theil 
hineinschiebt, sich zum Theil mit ihm nahe der Gelenkfläche kreuzt, 
was wir auch an sehr guten Röntgenbildern undeutlich erkennen 
können (Fig. 2 bei E), 

Wir haben hier eine echte Gewölbeconstruction, aber nur eine 
locale und local bedingte. Es empfiehlt sich, bei dieser Gelegenheit 
einmal näher darauf einzugehen, wann statisch überhaupt Längsgewolbe 
am Platze sind. Offenbar da, wo das tragende Gerüst an wechseln¬ 
den Stellen oder an vielen zugleich belastet werden soll, wo eine | 
breit aufliegende Last auf die zwei Stützpunkte der Brücke über¬ 
tragen werden soll. Wo aber die Last nur an einem unveränder- 


W. Spalteholz, Handatlas d. Anat. d. Mensch. Leipzig, Vogel. 3. Aui 
Bd. 1, S. 235. 


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lieber den normalen Fuss und den Plattfuss. 


469 


liehen Punkt wirkt, hat eine Bogenconstruction gar keinen statischen 
Zweck, sie ist verschwenderisch, höchstens decorativ berechtigt oder 
dann, wenn unter dem Gerüst möglichst viel freier Raum geschaffen 
werden soll. Die folgenden Zeichnungen werden das klarer machen. 

Fig. 3. 



Nehmen wir an, der Fuss sei in seiner Längsrichtung wirklich 
als Gewölbe construirt, so hat dies Gewölbe zwar nur einen Trag¬ 
punkt, die Talusrolle, aber der Ort der stärksten Beanspruchung 


Fig. 4. 



wandert mit der Verschiebung des Schwerpunkts bei jedem Schritt 
von hinten nach vorne. Wir könnten den Fuss also dann mit einer 
Brücke vergleichen, deren Fläche, auf der die Last wandert, nur 

Fig. 5. 

B A C 



an einer Stelle (Fig. 3, .4) durch den tragenden Bogen unterstützt 
wird. Es ist ohne weiteres klar, dass diese Brücke unzweckmässig 
construirt ist. Denn der bei A wirkende Druck theilt sich in die 
Componenten A D und A von denen jede die zugehörige 
Hälfte des Bogens nach oben durchzudrücken, zu sprengen 
strebt. Um das zu verhüten, müsste der Bogen entweder in sich 


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470 


Walter Engels. 


stärker gebaut sein, oder durch schräge Streben, die ihm das Ge¬ 
wicht der Belastungsfläche als Gegenhalt gäben, versteift sein (Fig. 4). 
Die letztere Construction, welche zugleich den Vortheil einer besseren 
Lastvertheilung hat, wird man beim Brückenbau anwenden. Soll aber 
A der einzige Tragpunkt bleiben, so wird man, statt verschwen¬ 
derischerweise den Bogen zu verstärken, zwei geradlinige Streben 
in der Richtung der Kräfte AI) und A E anbringen. So kommen 
wir zu der Construction der Fig. 5 und zu der des Fusses, denn der 
Fuss ist, wie der Organismus überhaupt, mit Ausnützung des Ma¬ 
terials und nicht mit Materialverschwendung aufgebaut. 

Der vordere Theil des Tuberbündels durchsetzt die conver- 
girenden Fasern des Zugbündels bogenförmig, indem jede Faser mit 
jeder Faser stets einen rechten Winkel bildet (Fig. 6). Die so ent¬ 
stehenden parallelen Bogen bilden das Gewölbe, die Brücke, welche 
den durch die Fasern des Zugbündels vermittelten Druck auf viele Stellen 
vertheilt trägt. Hier hat also die Gewölbeconstruction ihre Berech¬ 
tigung. Die seitlichen Strebepfeiler des Gewölbes, d. h. die Fasern 
des Tuberbündels ober- und unterhalb der Durchkreuzung, stützen 
sich einerseits gegen die Gelenkfläche des Calcaneus, andererseits 
gegen seine Berührungsfläche mit dem Boden. 

Die Spongiosa des Sustentaculum tali (Fig. 2) zeigt sich in 
Seitendurchsicht der starken Verkürzung wegen als wirre Knochen¬ 
masse, in der senkrechte Bälkchen sichtbar sind (Fig. 2, F). Das 
kräftige „Horizontalbündel“ im vorderen Calcaneusfortsatz scheint in 
Seitenansicht in dieser Masse des Sustentaculum zu verschwinden 
(Fig. 1, G), in der Aufsicht zeigt es sich aber, dass es etwas medial- 
wärts nach der hinteren Gelenkfläche zieht (Fig. 7, B), 

Das sind die Spongiosasysteme des Calcaneus, die wir deswegen 
ausführlicher betrachten mussten, weil sie hier am meisten compli- 
cirt sind und sich an ihnen das Zusammenarbeiten von Zug und Druck 
gut erkennen lässt. 

Wir kommen zum Talus. Er empfängt die Körperlast und 
vertheilt sie auf die beiden Streben. Dementsprechend finden wir 
in ihm zwei sich durchkreuzende, ihn fast völlig ausfüllende Bündel, 
die sich in der Talusrolle durchflechten (Fig. 1, ^ u. jB, Fig. 2). Das 
vordere Bündel zieht in der Richtung des Talushalses und ist bis 
ins vordere Drittel der Rolle zu verfolgen, wo seine oberen Bälkchen 
zum Theil in nach oben concaver Krümmung gegen die Höhe der 
Gelenkfläche ansteigen. Das hintere Bündel zieht von der hinteren 


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lieber den normalen Fuss und den Plattfass. 


471 


unteren Gelenkfläche divergirend nach oben, vorne am dichtesten, 
hinten schwächer werdend. Die Divergenz hat zur Folge, dass sich 
die unteren Fasern mit denen des vorderen Bündels noch im 
rechten Winkel schneiden, die weiter oben liegenden in immer spitze¬ 
rem Winkel, der jedoch immer noch dem rechten nahe steht. In 


Fig. 7. 



Skeletirter Fass, schräg von oben. II., III. und 
IV. Metatarsus fehlen. 


der Nähe der Gelenkfläche gehen beide Bündel in einem dichten 
Gewirr verloren. 

Wir Anden im Talus noch ein anderes, mehr untergeordnetes 
Spongiosasystem, das von der unteren Gelenkfläche des Talushalses 
aufsteigt und, je nachdem letzterer mehr cylindrisch oder nach vorne 
kolbenförmig sich verbreiternd gestaltet ist, das vordere Bündel des 
Talus im rechten oder mehr spitzen Winkel schneidet. An Stärke 
scheint es sehr zu wechseln, denn während man es oft förmlich 
suchen muss (Fig. 2), ist es in anderen Fällen sehr deutlich sicht¬ 
bar. Die Abbildungen 8, 9, 10 zeigen verschiedene Fälle. Fig. 8 


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472 


Walter Engels. 


und Fig. 1 geben den häufigsten Befund wieder. In Fig. 11 sehen 
wir einen Theil der hintersten Fasern sich theils dachförmig, 
theils zu einem nach vorne convexen Bogen vereinigen mit 



Fasern, die vom vordersten Theil der oberen Gelenkfläche her- 
kommen. Das Bild rührt von einem Spitzfuss her. Bei der dauernd 



fast ausschliesslichen Belastung des Vorderfusses hat sich dies Ge¬ 
wölbe als ? Hilfsconstruction dem Druck entgegengestellt. Ebenso 
ist das Bild Fig. 10 bestimmt von einem pathologischen Fall: ich 


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Ueber den normalen Fuss und den Plattfuss. 


473 


habe aber Näheres noch nicht ausfindig machen können. Normaler¬ 
weise entspricht das System wohl hauptsächlich dem Druck, den 


Fig. 10. 



der Talushals empfängt, wenn der Fuss in extremer Dorsalflexion 
(Fig. 1) belastet wird (z. B. beim Bergsteigen). 

Das vordere Hauptbündel (Fig. 1, Ä)^ das im Talus seinen An¬ 
fang (oder sein Ende) hat, setzt sich geradlinig mit horizontal diver- 


Fig. 11. 



girenden Fasern durch das Naviculare und die drei Keilbeine in die 
entsprechenden Metatarsen fort; die von ihm durchzogene Knochen¬ 
reihe, die vordere Hauptstrebe, Lorenz’ innerer Bogen, ist 


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474 


Walter Engels. 


im Zusammenhang mit der hinteren Strebe, d. h. der knöchernen 
Ferse und dem Taluskörper, der Hauptträger des Körpergewichte. Sie 
wird dazu aber erst durch das viel verzweigte plantare Bänder-, Fascien- 
und Muskelband, das durch seinen Gegenzug die beiden „ineinander- 
gekeilten“ Streben in ihrer Lage hält. Ausser ihr haben wir, Lorenz 
äusserem Bogen entsprechend, die vordere Nebenstrebe (Meta¬ 
tarsus IV und V, Cuboideum, vorderer Calcaneusfortsatz). Ihr Bau ist. 
verglichen mit dem klaren Aufbau der Hauptverstrebung, compli- 
cirt, so complicirt wie ihre Aufgabe. 

Die Zweitheilung des Fusses in ein Haupt- und ein Neben- 
verstrebungssysteni wird unumgänglich, sobald der Fuss seine Vor¬ 
richtung zur Pro- und Supination erhält, d. h. seine Anpassungs¬ 
fähigkeit an seitlich schrägen Untergrund. Denn die Pro- und 
Supination der Fusswurzel geht zwischen Talus und Calcaneus vor 
sich und wird erst durch diese Zweitheilung der hinteren Strebe 
(Corpus tali und Corpus calcanei) ermöglicht. Wir können uns 
einen Fuss denken, in welchem Talus und Calcaneus aus einem Stück 
bestehen. Dann könnte bei Belastung des Talus der Calcaneus nicht 
nach vorne umgekippt werden, brauchte also auch keine vordere 
Stütze, und damit fiele die ganze Nöthigung zur Schaffung eine? 
„äusseren Bogens“ fort. Die Metatarsen IV und V könnten ebenso 
gut durch Vermittlung des Würfelbeins sich an ein verbreitertes 
Naviculare oder einen verbreiterten Taluskopf anschliessen und der 
so construirte Fuss würde sehr fest und zu allen thatsächlichen Be¬ 
wegungen des Fusses fähig sein, nur die seitliche Verschiebung des 
Calcaneus unter der Fussgabel würde fehlen, das untere Sprung- 
gelenk, und damit allerdings die unentbehrliche Anpassungsfähigkeit 
des belasteten Fusses an Bodenunebenheiten. 

Nun schneiden wir die hintere Strebe mit einem transversalen 
Bogenschnitt durch und die gewünschte Anpassungsfähigkeit ist ge¬ 
geben. Aber der so geschatt'ene selbständige Calcaneus, dessen Be- 
lastuiigsfläche vor seiner Unterstützungsfläche liegt, hat nun eine wenn 
auch nicht starke Neigung, nach vorne zu kippen. Er muss also eine 
vordere Stütze erhalten (vorderer Gelenkfortsatz, Würfelbein, Meta¬ 
tarsus V und IV) und seine Spongiosa wird dementsprechend angeordnet. 
Die Stütze wird ferner zwar nicht, wie Lorenz meint, dazu angewandt 
den inneren Bogen, die Hauptverstrebung, zu tragen — denn erstens 
trägt die sich selber und zweitens wäre die Stütze viel zu schwach 
dazu — aber sie wird benutzt, um die Hohlrinnenform der vorderen 


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lieber den normalen Fubs und den Plattfuss. 


475 


Strebe, auf welcher deren Steifigkeit gegen Durchbiegen beruht, zu 
vervollkommnen und den ganzen Bau gegen seitlichen Druck zu 
sichern. 

Dieser vierfache Zweck: 

1. Stützung des vorderen Calcaneusendes, 

2. laterale Ergänzung der vorderen Verstrebuug, 

3. Abschluss der Längshohlrinne des Fusses, 

4. Vertheilung und Auffangen seitlichen Drucks — sozusagen 
feinfühlige, feinmechanische Aufgaben im Vergleich zu dem Träger- 


Fig. 12. 



amt der derben Hauptstrebe — dieser vierfache Zweck prägt sich in 
der Anordnung der Spongiosa aus. 

In dem oberen Theil des Würfelbeinkörpers liegt ein Centrum 
für, wenn man genau sein will, fünf verschiedene Spongiosazüge, 
gerade noch durchsichtig genug, um die Art ihrer Verflechtung an 
dieser Stelle erkennen zu lassen (Fig. 2, 7, 12 und schematisch 15). 
Wie wir sahen, trifll ein von der hinteren Gelenkfläche des Cal- 
caneus ausgehendes starkes Bündel, das in seitlicher Betrachtung 
schmal (Fig. 2), von oben gesehen breit (Fig. 7, B\ also fast band¬ 
förmig gestaltet ist, die vordere Gelenkfläche dieses Knochens etwas 
oberhalb ihrer Mitte und mehr medialwärts. Die geradlinige Fort- 

Zeitschrift für orthopüdische Chirurgie. XII. Bd. 31 


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476 


Walter Engels. 


Setzung dieses Bündels tritt in das erwähnte Centnim ein (Fig. 12 
u. 15, i). Die übrigen Spongiosaztige (Fig. 12, 15, 2, 7) verlaufen 
wie folgt: 2. Steil aufwärts vom medialen Theil der Gelenkfläche 
für den Metatarsus V (Fig. 12 u. 15,^). Der laterale Theil sendet 
directe Faserzüge zum Galcaneus. 3. Flach aufwärts vom Meta¬ 
tarsus IV (Fig. 12 u. 15, 3). Diese zwei Züge durchflechten sich 
zum Theil an den einander zugekehrten Seiten. 4. Ein kurzes breites 
Bündel von der Gelenkfläche für das dritte Keilbein (Fig. 12 u. 15, 4), 
5. Ein schmales Bündelchen von der Gelenkfläche für das SchifFbein 
(Fig. 12 u. 15,5). 

Alle diese Spongiosazüge verlaufen geradlinig. Es entsteht 
durch ihre Vereinigung in dem locker angeordneten Centrum eine 
Art Sternfigur, von der Strahlen in die drei Dimensionen des Baumes: 
nach unten, seitlich und nach hinten ausgehen. Die Verbindung der 
Metatarsalgelenkflächen durch das Centrum hindurch mit dem Cal- 
caneus macht bei seitlicher Ansicht auf undeutlichen Röntgogrammen 
den Eindruck eines Bogens, der aber genauerer Betrachtung nicht 
Stand hält. 

Bevor wir die Bedeutung der einzelnen Bündel besprechen, 
müssen wir ein weiteres Balkensystem betrachten, welches uns zum 
ersten Mal im Lauf dieser Untersuchungen eine Gewolbeconstniction 
von Bedeutung zeigt: das Querbogensystem, welches die oft er¬ 
wähnte Hohlrinne, den Querbogen des Fusses, an dessen Basis 
durchzieht. 

Die geradlinige Strebe, als die wir den ganzen Fuss vor einer 
durch die Talusrolle gelegten Frontalebene ansehen, ist als eine 
Hohlrinne von distalwärts zunehmender Breite, abnehmender 
Krümmung construirt. 

Wir wissen, dass wir einer gegebenen Materialmenge, die, 
zu einem Körper von überwiegender Längsausdehnung angeordnet, 
auch hauptsächlich in Längsrichtung auf Druck beansprucht werden 
soll, dann die grösste Steifigkeit gegen seitliches Durchbiegen geben, 
wenn wir sie nicht als soliden Stab, sondern als Hohlkörper, also 
als Rohr oder Hohlrinne anordnen. Die grösste Widerstandskraft 
gegen Durchbiegen liegt dann in der Richtung des grössten Quer¬ 
durchmessers, also z. B. bei .4 und B (Fig. 13) senkrecht, bei C und /> 
(Fig. 14) wagerecht. So wächst bei der Hohlrinne des Fusses der 
senkrechte Durchmesser um so mehr, je mehr sie sich vom Boden 
entfernt, weil im gleichen Maasse die Gefahr senkrechten Durch- 


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lieber den normalen Fass ui)4 den Plattfuss. 


477 


biegeps zunimmt. 1 Der Oper^urchmes^er: wächst mit der Entfernung 
▼on der Malleolengabeli }\. piit def Länge des Hebelarms, der 

beim fseitheben Durchbiegien-wirksam wird. 

Wie wird diese aus viden kleinen Knochen zpsammengeset;zt^ 
Hohlrinne in sich gefestigt? Abge^^ben vom Bandap;parat haupt*) 


Fig. 18. 



Fig./14. 

i 
/ 
j 

sächlich durch Muskelzug, der die Rinne namentlich an ihrer Basis 
und in der Mitte zusammenschnürt, ausserdem aber auch durch die 
Belastung eelbst» ^ie infolge der Richtung der Gelenkflächen die 
einzelnen Knochen gegen einander drückt und zusaihmenkeilt: die 
Gelenkfläche zwischen Würfel- und Fersenbein (Fig. 15, ^4) zeigt 
schräg nach hinten innen (innen und aussen hier stets in Beziehung 
auf den einzelnen Fubs gebraucht, im Gegensatz zu medial und 
lateral). Ein sagittaler Druck strebt das Wfirfelbein in dieser Rich¬ 
tung zu verschieben*). Die vordere Gelenkfläche des ersten Keilbeins 
bängt iip Vergleich zu der kleineren hinteren stark nach innen über 
(jFig. 15, j5). Schon ein sagittaler Druck hat deshalb hier eine nach 
innen wirkende, das erste Keilbein .nach innen umkippende Compo- 
nente. Der 1. Metatarsus steht aber nicht ganz sagittal, sondern 

') Zur Lage der Gelenklinien in Fig. 11 und anderen Abbildungen: Auf 
einem Durchschnittsbild kann eine Gelenkfläche von complicirter Biegung nur 
mangelhaft wiedergegeben werden. Man kann zu sehr verschieden legen je 
nach der Stelle, wo man sich das Gelenk durchschnitten denkt. Das ist zu 
bedenken, wenn in den> Abbildungen gelegentlich die Spongiosabündel nicht 
rechtwinklig, zu den Gelenkflächen verlaufen. 




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478 


Walter Engels. 


weicht etwas nach aussen ab, deshalb kann ein Druck in seiner 
Längsrichtung sogar ziemlich stark nach innen drängen. Dieser 
Druck pflanzt sich auf das zweite Keilbein und die Basis des 
lY. Metatarsus fort und weiter durch diese, das dritte Keilbein und 
das Würfelbein in die schräge Gelenkfläche des Calcaneus. Er findet 
seinen Ausdruck in der Richtung des »schrägen Bündels“ (Fig. 15,4 u. 6). 

Bei Belastung aller Metatarsen wirken lateraler und medialer 
Druck sich entgegen und drücken die Hohlrinne zusammen. Man 

wird sich diesen Druck aber nicht 
Fig. 15. als gross vorstellen dürfen. Dazu 

ist auch das schräge Bündel zu 
zart. Viel stärker wirkt jedenfalls 
der schnürende Muskelzug, an dem 
hauptsächlich derPeron. longus be¬ 
theiligt ist. 

Als Basis der Hohlrinne 
müssen wir wohl die Verbindung 
Würfelbein-SchiflTbein ansehen, von 
welch letzterem ich leider keine 
Röntgographie in sagittalem Durch¬ 
blick habe. Die eigentliche Ge- 
wölbeconstruction zeigt sich aber 
am deutlichsten in der folgenden 
Reihe: Würfelbein-Keilbeine, wobei 
die Basis Metatarsi II nicht ver¬ 
gessen sei, die, wie das erste Keil¬ 
bein, zugleich dieser Reihe und 
der dritten hauptsächlich durch 
die Metatarsenbasen gebildeten an¬ 
gehört. Fig. 12 zeigt die beiden 
letzten Reihen zum Zweck besserer Durchleuchtung flachgelegt. Die 
Züge des Querbogens sind hier nur undeutlich zu sehen, sehr deut¬ 
lich aber auf dem sagittalen Bild der Keilbeine und des Würfel¬ 
beins (Fig. 16). 

lieber die Art der Beanspruchung der Hohlrinne ist folgendes 
auszuführen: Im Hinblick auf die oben aufgestellte Behauptung, dass 
der Vordertheil des Fusses eine geradlinige Strebe sei, die in ihrer 
Längsrichtung den Druck der Belastung trägt, könnte man diese als 
Schutz gegen seitliches Durchbiegen gedachte Hohlrinnenfonn für 



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Ueber den normalen Fuss und den Plattfuss. 


479 


überflüssig erklären. Aber bekanntlich wird der Fuss nicht stets 
correct belastet und ist überhaupt das Traumen am meisten aus¬ 
gesetzte Glied des Körpers. Bänder allein würden dem nur kurze 
Zeit widerstehen können. Sie sind vor zu starker Beanspruchung 
durch Muskeln geschützt. Diese Muskeln haben an der Basis die 
Aufgabe, ein Klaffen der Bausteine, aus denen die Rinne besteht, 
dadurch zu verhüten, dass sie dieselben gegen einander pressen. Der 
Peroneus longus presst sie seitlich zusammen; wie, zeigt Fig. 16. 
Man erkennt, dass durch diesen Zug die mittleren Steine nach oben 
herausgedrängt werden. Aber an ihnen setzt der Tibialis posterior 
an — dessen Zugrichtung, weil fast senkrecht zur Bildebene liegend, 
hier nur schlecht wiedergegeben 
werden kann — und zieht sie 
nach einwärts und hinten. Diese 
beiden Kräfte heben sich mehr 
oder weniger auf, treten deshalb 
nach aussen nicht hervor, ver- 
rathen sich aber in der starken 
und bestimmt bogenförmig an¬ 
geordneten Spongiosa. m post 

Natürlich ist das auslösende 
Moment dieser beiden Kraffcwir- 
kungen im Grunde die Be¬ 
lastung des Fusses; aber nicht so unmittelbar, dass wir z. B. sagen 
dürfen, der Zug des Peroneus longus, welcher das Würfelbein 
von unten umfängt, sei direct einer stetig abplattenden, das Würfel¬ 
bein gegen den Boden drückenden Belastungstendenz entgegen¬ 
gestellt. 

Wir kommen damit zur Erklärung der complicirten Spongiosa- 
verhältnisse dieses Knochens, die aber im Grunde sehr einfach liegen. 

Wir sahen, dass vom 1 Metatarsus her der Druck des „Schräg- 
bündels*' schräg von vorne oben medial auf das Würfelbein 
wirkt (Fig. 15, 4 u. 6). Wir wissen ferner, dass vom V. Metatarsus 
ein Druck schräg von vorne unten lateral nach derselben 
Stelle ansteigt (Fig. 15, ^). Diese beiden Druckkräfte heben sich zu 
einem Theil ungefähr auf, soweit sie entgegengesetzt, d. h. nach 
medial resp. lateral und oben resp. unten gerichtet sind; zum anderen 
Theil vereinigen sie sich, soweit sie nach hinten gerichtet sind, 
unter einander und ausserdem noch mit dem von der Basis des 



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480 


'*Walter Engels. 


Metatärsui^ IV wenig ai^t^igend gerade üach hkiten zie4ited%n * Zug 
(Fig. 15,^). Die im Qüerbogen thätigen Kräfte können mrVemaoh«^ 
lässigen, da sie sich, Wie^S. 477 bemerkt, aufhebdn) Wir^ kotemea 
so zu dem kurzen Zug %"' Fi'g. 15, als der Resultante dier wirk^am^ 
Kräfte, und sehen dessen geradlinige Fortsetzung im' Oalcaneus, 
sie sich als Ende der vorderen-Nebenstrebe unterhalb der* lunieren 
Oelenkfläche mit dem Tuberbündel trifft. 

An dieser Analyse der Spongiosasysteme, die sich im Cuboideum 
treffen, haben wir ein schlagendes Beispiel dafür, wie klar und über- 


Fig. 17. 




Schema der Verstrebungsjjystema im Fuss. (Der Uebersichtlichkeit wegea sind die Streben, 
( . . welche vom? Ijr und ni. Metatiu-sus zum'T^ns laufen, förtgehi8sen‘) 


sichtlich uns.die Statik des Fusses wird, wenn wir den' deutKchea 
Fingerzeigen nachgehen, die ‘ uns die Anordnung der Knochen- 
bälkchen gibt. 

Auch in der Fraget des lateralen Stützpunktes, der bekanntlich 
von den einen ins^ Gapitulum metatarsi V, von anderen in seine 
Tuberositas, von dritten’ in beide resp. den ganzen • Metatarsus ver¬ 
legt wird, gibt uns' die Richtung der Structur und der Gelerikfiächen 
Aufschluss. Der Verlauf» der ersterenüm Würfelbein und die dazu 
rechtwinklige Stellung ^ der letzteren weisen beide auf einen Punkt, 
der gut fingerbreit vor k dem tiefsten Punkt der Tuberositas liegt. 
Mit anderen. Worten, Gapitulum und Tuberositas werden belastet^ 
aber die Tuberositas bedeutend stärker (siehe auch Fig.-17). 

Es wäre, ehe ich diesen Theil abschliesse, noch die Frage des 
^schön gewölbten Fusses“ zu erledigen. Jeder normale Fuss Äeigi^ 


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lieber den normalen Fass und den Plattfuss. 


481 


wenigstens hängend, an seiner Dorsalseite eine convexe Biegung, 
die auch bei der Belastung zum Theil erhalten bleibt. Sie liegt in 
der Gegend der Keilbeine und wirkt ^thetisch schön. Beim hoch¬ 
gewölbten „aristokratischen“ Fuss erstreckt sie sich noch weiter 
nach hinten bis zum Talus. Das ist also doch ein unzweifelhaftes 
Gewölbe? Nein, es ist — an den Keilbeinen localisirt — nur der Aus¬ 
druck vergrösserten Tiefendurchmessers der Knochen an dieser Stelle, 
wie jedes Röntgogramm des belasteten normalen Fusses (Fig. 1 und 
Fig. 8) zeigt. Die Geradlinigkeit der Structur wird dadurch nicht 
beeinflusst. Reicht aber, wie beim hochgewölbten Fuss, die Wölbung 
bis zum Talus (wie in Fig. 11), so ist das kein normaler Fuss mehr, 
sondern ein leichter Grad von Hohlfuss. Man denke an Leute seiner 
Bekanntschaft mit solchen Füssen. Stets wird man finden, dass sie 
entweder directe Hohlfussbeschwerden haben oder keine guten Fuss- 
ganger sind, empfindliche Füsse haben. Wenn sie beruflich gezwungen 
sind, viel zu gehen, sind sie meist mit ihren schönen Füssen sehr wenig 
zufrieden. Damit will ich nicht bestreiten, dass ein solcher Fuss aristo¬ 
kratisch ist, denn man kann sich leicht denken, dass durch wenig 
Gehen, viel Ruhen und Reiten ein solcher Fuss gezüchtet werden 
kann. Der Fuss des Barfussgängers, also der eigentliche normale 
Fuss, ist nicht „hochgewölbt“. Ich habe in den letzten Monaten 
viele Hunderte von Füssen von Negern, Arabern, Hindus und Chinesen 
daraufhin angesehen. Keiner hatte einen Plattfuss, aber auch keiner 
einen hochgewölbten Fuss. 

Damit wäre das Thema: was uns die Spongiosastructur über 
den Aufbau des Fusses lehren kann, zwar nicht erschöpft, aber doch 
im wesentlichen durchgegangen. Wir fassen zusammen: 

Die Anordnung der Spongiosa im Fussskelet zei gt 
uns: DerFuss ist ein complicirtes System geradliniger 
Streben, welche durch die Muskeln und Bänder der 
Fusssohle in ihrer gegenseitigen Lage erhalten werden. 

Wir unterscheiden ein Haupt- und ein Neben¬ 
system, welche aber nicht in functionellem Gegensatz 
zu einander stehen, sondern sich gegenseitig ergänzen 
(Fig- 15 u. 17). Die vordere Verstrebung läuft in die 
Metatarsenköpfchen aus, die hintere in den Tuber cal- 
canei. 

Die vordere Hauptstrebe, im allgemeinen Lorenz’ 
„innerem Bogen“ entsprechend, setzt sich aus den ersten 


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482 


Walter Engels. 


drei Metatarsen, den Keilbeinen, dem Schiffbein, Talus¬ 
kopf und -Hals zusammen und ist durchweg geradlinig^). 
Die vordere Nebenstrebe, zum Theil Lorenz’ „äusserem 
Bogen“ entsprechend, besteht aus Metatarsus IV und V. 
Würfelbein und Fersenbein bis zur hinteren Gelenkfläche. 
Ihre Geradlinigkeit ist durch seitliche, auf die Belastung 
des Hauptsystems zurückzuführende Druckwirkungen 
unterbrochen, sie bildet aber keinen Bogen. 

Vordere Haupt- und Nebenstrebe vereint sind als 
Hohlrinne angeordnet, die durch Muskelzug und die con- 
centrische Wirkung der Belastung selbst zusammen- 
gehalten wird. 

Die hintere Strebe, von der Talusrolle bis zum Tuber 
calcanei reichend, ist complicirt durch die Einschiebung 
des Supinationsgelenks zwischen Talus und Calcaneus, 
was einen vorderen Stützpunkt für den letzteren und da¬ 
durch seine innere Anordnung als Zug-Drucksystem 
nöthig macht. Die Structur der hinteren Strebe verläuft 
deshalb auch im Calcaneus mehr nach vorne geneigt als 
im Talus, ist aber sonst geradlinig. Die hintere Strebe 
trifft mit der vorderen Hauptstrebe in der Talusrolle zu¬ 
sammen, mit der Nebenstrebe dicht unterhalb des hinteren 
Calcaneusgelenks. 


i 

i 

Wenn ich im folgenden zu dem Versuch übergehe, das Inein- } 

anderarbeiten aller Elemente, welche den Fuss auf bauen, zu schil- j 

dem, so muss ich vieles wiederholen, was eigentlich erst jetzt gesagt 
werden sollte; es wurde bei der Spongiosa schon vorweg genommen, | 

weil die einfache Aufzählung der Spongiosazüge kein verständliches j 

Bild gegeben hätte. \ 

Gelegentlich dessen, was über Hauptverstrebung und Neben- i 
Verstrebung gesagt wurde, ist es klar, geworden, dass wir in vielen 
wesentlichen Punkten auf Lorenz’ Auffassung des Fussskelets hinaus- ; 

- \ 

*) Ich weise sehr wohl, dass die Metatarsen, welche Druckverletzungec 1 
von oben am meisten ausgesetzt sind, eine leichte Wölbung nach oben haben; ^ 
glaube aber, dass ich, auch ohne darauf näher einzugehen, deshalb keinen W'^ider- j 
Spruch zu erwarten brauche. j 


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Ueber den normalen Fuss und den Plattfuss. 


483 


kommen. Man wird direct in diese Auffassung hineingedrängt, wie 
ich es wurde, als ich mit starken Zweifeln an ihrer Richtigkeit diese 
Arbeit begann; und man muss dem Ausspruch Albert’s zu¬ 
stimmen, der nach dem Erscheinen von Lorenz’ Buch dies für 
eine endgültig abschliessende Arbeit erklärte. Dass die Lorenz- 
sche Auffassung zwar mit Respect behandelt wird, aber immer noch 
nicht allgemein angenommen ist, liegt meines Erachtens an Irr- 
thümern, in die Lorenz durch zu scharfes Durchführen seiner Ein- 
theilung des Fussskelets gerietb. Ich will hier von dem Ausdruck 
äusserer und innerer „Bogen“ absehen, obgleich nothwendig Con- 
fusion in den Anschauungen entstehen muss, wenn man Bögen 
annimmt, wo keine sind. Aber der Dualismus in Lorenz* Auf¬ 
fassung, das Gegenüberstellen von zwei Fussabschnitten von ent¬ 
gegengesetzter Function, einem tragenden (äusserer Bogen) und einem 
getragenen (innerer Bogen), kann dem, der unbefangen das zu 
grösster Einheit und gleichtnässiger Kraftvertheilung zusammenge¬ 
fügte Fussskelet betrachtet, ebensowenig gefallen, wie der Gedanke, 
dass der zierliche äussere Bogen der Träger des massigen inneren 
Bogens sein soll. Allerdings, wenn man versucht, das Fussskelet in 
zwei selbständige Längsabschnitte einzutheilen, so „zerfällt“ es im 
wahren Sinn des Worts in Lorenz’ zwei Bögen, wobei also der 
ganze Calcaneus zum äusseren Bogen gehört. Aber die grosse Masse 
dieses Knochens als hintere Bogenhälfte gegenüber der leicht — und 
gar nicht besonders fest — gebauten vorderen sollte doch zur 
Vorsicht in der Auffassung mahnen. Wir haben gesehen, dass 
functionell der Körper des Fersenbeins und das ihn durchsetzende 
Tuberbündel nur zum kleinen Theil dazu dient, den durch das 
Würfelbein von vorne kommenden Druck aufzufangen, zum grössten 
Theil aber zur directen Unterstützung und Fortsetzung der hin¬ 
teren Strebe des Hauptsystems. Worin der Unterschied gegen¬ 
über der Loren z’schen Auffassung besteht, ist leichter am Structur- 
bild (und an Fig. 17) zu erkennen, als aus einer weitschweifigen 
Erklärung. Später bei der Betrachtung der Statik des Zehenstandes 
wird es noch klarer werden. 

Bei der nachfolgenden Beschreibung dessen, was im Fuss bei 
der Belastung im Sohlenstand vor sich geht, kommen uns zuerst die 
unter constanten Verhältnissen gewonnenen Röntgenbilder zu gute. 


‘) Die Lehre vom erworbenen Plattfuss, Stuttgart, Enke, 1883. 


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484 


Walter Engels. 


Fig. 18 und 19 zeigen die nach solchen Röntgogrammen durchge- 
zeichneten Umrisse der Knochen eines normalen Fusses im un¬ 
belasteten und belasteten Zustand von der Seite, Fig. 20 und 21 des¬ 
selben Fusses von oben. Die Tabellen geben in Millimetern die 

Fig. 18. 



Fig. 19. 



Verschiebungen zu der constanten Grundlinie an, die einem 
Kupferdraht in der Bodenfläche entspricht, die der Fuss während des 
Plattenwechsels nicht verlassen hat. Die Umrisse der Zeichnungen 
machen auf grosse Genauigkeit keinen Anspruch, wohl aber die Zahlen 
der Tabellen. Dabei ist einschränkend zu bemerken, dass die Zahlen 
unter einander nur so weit ohne Fehler vergleichsfahig sind, als 
sie sich auf denselben Knochen beziehen. Denn wegen der Divergenz 


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Ueber den normalen Fuss und den Plattfuss. 


485 


der Röntgenstrahlen geben EnoohenJ, die von der Platte entfernter 
lagen (z. B. Taluskbpf), etwas grössere Senkungsdifierenzen, als näher 
liegende (z. B, vorderer Calcaneusfortsatz) bei gleicher Bewegung. 

Die Körperlast wird durch die Tibia auf den in der Malleolen- 
gabe] steckenden Talus übertragen. Bekanntlich liegt die untere 
Gelenkfläche der Tibia un^ ebenso die obere des Talus im frontalen 


Fig. 20. Fig. 21. 



Durchmesser etwas schräg zur Längsachse der Tibia^ .u^d z^t^ von 
medial nach, lateral ansteigend. Diese Schrägheit, kommt aber, fQr 
den belasteten Fuss nicht in Betracht. Denn wenn man^demSchwer- 
punkt des Körpers über den Fuss verlegt, so steht dabei* die Tibia 
hiebt senkrecht, sondern mit ihrem oberen Ende later^^ üb^rbäpgend, 
wie leicht verständlich. In dieser Lage ^ liegt die qviei;;n^ ^elenklinie 
des Spxunggelenks horizontal, wie Fig« 23 zeigt Das gilt für nor- 


q Bei diesßc. Gelegenheit eine Bemerkung zut; latemlQii Vejctcbiebnng 
des. Qalcaneua^ Nach, der r landläufigen'Ansicht isb der Fer^enthieiJt dsaOaldaneus 
la weit veraohoben« dass auch bei normalem Fuss seine Gnteratü^zuhgsptelle 
lateral von einem durch die Mitte der Jalusrolle gefällten Loth liegW So au#* 


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486 Walter Engels. 

Tabelle I (zu Fig. 18 u. 19). 

Seitliche Aufnahme des normalen Fusses. 



Millimeter 


Un¬ 

belastet 

Belastet 

Differenz 

I. Abstand des Tuber calc. von der Grund¬ 
linie (ah) . 

6,0 

4.5 

! —1,5 

11. Abstand des vorderen Calcaneusfort- 
satzes von der Grundlinie (cd) . . . 

38,0 

84,0 

— 4,0 

III. Abstand der oberen Talusfläche von der 
Grundlinie. 

101,5 

97,5 

— 4,0 

IV. Abstand des vorderen Talusendes von 
der Grundlinie (gh) . 

83,5 

76,0 

— 6.5 

V. Abstand des Würfelbeins von der Grund¬ 
linie (gh) . 

26,0 

22,0 

— 4,0 

VI. Abstand des Tuberosit. metatarsi V von 
der Grundlinie (lAr). 

17,5 

14,0 

j —3,5 

VII. Grösster Durchmesser des Naviculare (Zm) 

39,0 

41,0 

-f 2,0 

VIII. Winkel des Talus zur Grundlinie (<^ gno) 

81,5® 

85* 

' Senkung 

1 3,5® 

IX. Winkel des Calcaneus zur Grundlinie 
« hqR) . 

76,0® 

i 

e 

O 

00 

Senkung 

1 4,0® 


male Füsse und Belastungsdeformitäten, und ebenso, dass der Talus 
unter allen Umständen fest in der Malleolengabel sitzt. Hier 
ist auch beim hochgradigen Plattfuss keine Nachgiebigkeit, und seit¬ 
liches Ausweichen oder Rotiren haben wir stets weiter unterhalb, 


fallend unzweckmässig ist der Fuss aber nicht gebaut Fällt man in der 
eben beschriebenen Stellung, welche der Unterschenkel bei der Belastung nur 
eines Fusses einnimmt, eine Senkrechte durch die Mitte der nun wagerecht 
stehenden Talusrolle, so trifft sie auf den medialen Processus des Tubers, den, 
der tiefer liegt, stärker ausgebildet ist und also wohl das Gewicht tragt. 
Die Talusrolle ist also bei einseitiger Belastung senkrecht 
von unten gestützt (Fig. 22). Der Irrthum ist dadurch entstanden, dass man 
die Verlängerung der Tibiaachse für die Lothlinie gehalten hat. Das ist sie 
aber nur, wenn beide Füsse in etwa handbreitem Abstand von einander stehend 
belastet werden. Wenn jetzt der Unterstützungspunkt des Tuber calc. lateral 
von dem durch die Talusrolle gefällten Loth liegt, so schadet das nichts, weil 
beide Füsse sich nach medial (indirect) gegenseitig stützen, nützt aber durch 
Verbreiterung der Unterstützungsfläche. 


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lieber den normalen Fuss und den Plattfuss. 


487 


Tabelle II (zu Fig. 14 u. 15). 

Vier Anfnahmen desselben normalen Fasses von oben (Fig. 20 n. 21); 
unbelastet und belastet. 



Differenzen in 

Millimetern 


A 

1 ' 

B 

C 

D 

1. Mediale Verschiebung des Taluskopfes 
(«*). 

3,0 

5,0 

1,5 

6,0 

II. Mediale Verschiebung des vorderen Cal- 

I 

1 




caneusendes (cd) . 

1 2,5 

3.0 

2,0 * 

4.0 

III. Mediale Verschiebung des Würfelbeins (e f) 

2,0 i 

1,5 

0 

3.0 

IV. Mediale Verschiebung der Tuberositas 

1 




metatarsi Y (gh) . 

2,0 

1.5 

0,5 

2,0 

V. Zuwachs des Durchmessers desNavicul.(i7j) 

1,0 

2,0 

0,5 

2,5 

VI. Verbreiterung des Abstandes Cuneiforme I 





bis Tuberosit. metatars. Y (Im) . . . 

0,5 

0,5 

3,0 

1,5 

VII. Verbreiterung des Abstandes Capital. 





metatarsi I bis Capitul. metatars. V (no) 

2,0 

Nichts auf der 

1,0 


Platte 



A und B ungefähr senkrechte Belastung, C Belastung etwas nach vorne 
verlegt, D Belastung etwas nach hinten verlegt. 


im unteren Sprunggelenk, zu suchen. Auch ist der Malleolus exter- 
nus mit der Tibia praktisch vollkommen unverschieblich verbunden, 
und das in der Literatur hier.und da erwähnte Tiefertreten des einen 
oder anderen Knöchels ist nur durch Beobachtungsfehler oder auch 
dadurch zu erklären, dass man die wechselnde Stellung der Tibia¬ 
längsachse bei Entlastung und Belastung falsch gedeutet hat. 

Der Talus empfängt die Körperlast, aber er tiberträgt sie nun 
nicht etwa einfach auf den Calcaneus; sondern in seinem Bestreben 
nachzugeben sieht er sich zwischen zwei nach unten convergirende 
Ebenen vom und hinten eingeklemmt und muss also an sie die Last 
weitergeben. Es ist das vorne das SchiflFbein, hinten die schräge 
Gelenkfläche des Calcaneus. Beide sind sammt den Knochen, welche 
in der Richtung des Drucks ihre Fortsetzung bilden, mit dem Talus 
functioneilzu einer Einheit verschmolzen (es hat daher ebenso wenig 
Sinn, den „inneren Bogen“ hinten mit dem Talus abschliessen zu 
lassen, als ihn vorne mit dem Naviculare zu beenden). Bei ungefähr 
senkrechter Belastung des Talus fällt die Richtung des nach hinten 


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488 


Walter Engels. 


wirkenden Drucks etlras die ünterstützungsstelle des Calcaneus^ 
80 dass ein Theil dieses Druckes ihn nach vorne zu kippen strebt^ 
Diese Tendenz trifft aber auf das Würfel^ein mit seinen vorderen 
Fortsetzungen. 

Der Talus würde nun diese beiden Verstrebungssysteme naclf 
vorne und hinten aus einander treiben Und flach hinlegen, wenn 


Fig. 22. 



Stellung des ('alcaneus zi« Schwer- Nach einem Röntgogramm des Spmng- 
punktslinie bei einseitiger ilelastung. ‘ geleiik»^ von vorne. 

a6Schwernunktslinie», cdVerlttngerung , ab entspricht der Senkrechten, 
der Tibiaachse. ' • -J • ^ * "v 


er dabei nicht auf^daU iWiderstaud des plantare^ Muskel-.und Band* 
apparates träfe, wjlghef isus Ganze aUf der ^Unteraeite in der Lan^ 
richtung, zusammeuhäk; (ün 4 ^ nür minimale Debnungi zulässt. So aber 
ist durch die Balastuztg selbs|; augenblicklich das ganze. Koochent 
Bändersystem in Druck* undZugspannuhg versetzt.» Die beiden void^eu 
Verstrebungen, welche.gleich:an ihrem Ursprung von Talus.vesp. Cal- 
caneus unter einander.zu einer Hohlrinne /von nach vdm.'wachsender 


Breite vereinigt sind,, empfangen den 'Gegendruck des Bodens, welcher 
die Hohlrinne ahzuflächen und zu. verbreitern strebt, an den Metatarsal* 
köpfchen (und deb Tuberositas des Metatärsus V) und vertheilen ihn 
unter sich je nach .der Lage > des Körpergleichgewichts. Hier finden 
wir nun wieder die JEhmichtung, auf die wir bei der Betrachtung 
der Druckvertheitung in. den »kleinen Fussknochen stiessen, dass di« 


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lieber den normalen Fuss und den Plattfuss. 


489 


Belastung ausgenützt wird, den Fuss sozusagen automatisch wieder 
in sich zusammen zu schliessen: der Talus kann unter der Körper¬ 
last weder direct nach unten noch nach vorne oder hinten ausweicheni 
Auch laterale Bewegung erlauben seine Gelenkflächen nicht, wohl aber 
eine geringe gleitende Verschiebung nach medial und etwas nach 
unten, wo er den geringsten Widerstand findet. Wie an Hüft- und 
Kniegelenk, so finden wir nun auch hier das Princip, die ruck¬ 
artigen Endbewegungen der Gelenke, ehe sie die Ruhe-(Sperr-) 
Stellung erreichen, in die sanftere Rotation überzuführen. Der Talus¬ 
kopf muss bei seiner Verschiebung das SchifFbein mitnehmen. Dieses 
liegt aber lateral auf dem Würfelbein, kann sich also nur mit seiner 
medialen Kante senken und rotirt dabei auf dem Taluskopf; 
seinerseits muss es wieder die Keilbeine und drei Metatarsen mit-* 
drehen, und es resultirt schliesslich eine Tendenz zur Zu¬ 
sammenbiegung der Hohlrinne, welche der Abflachung und 
Verbreiterung durch die Belastung entgegenarbeitet. 

Diese Rotation des Naviculare, welche sich in der Seitenansicht 
infolge Tiefertretens der Tuberositas als bedeutende Zunahme des 
Querdurchmessers, in der Aufsicht aus dem gleichen Grunde als Ab* 
nähme des Querdurchmessers zu erkennen gibt, ist eigentlich die 
einzige auffallende Veränderung, die durch die Belastung am nor¬ 
malen Fussskelet vor sich geht. Genauere Betrachtung und Messung 
zeigt uns dann noch eine Reihe von geringeren Verschiebungen, 
deshalb interessant, weil wir sie alle beim Plattfuss vergröbert wieder¬ 
finden. So finden wir die Umwälzung des Calcaneus nach medial* 
wärts angedeutet, die beim Plattfuss zum lateralen Abweichen der 
Ferse führt (Tab. 2, II); dann die Verschiebung des vorderen Cal- 
caneusfortsatzes nebst Cuboid. und Tuberositas metatarsi V medial- 
wärts; die Winkelstellung im Calcaneo-Cuboidealgelenk, die zum 
Pes abductus wird, und, wie schon erwähnt, die Verschiebung des 
Taluskopfes nach medialwärts und unten. Die Zahlen unter C zeigen, 
wie sehr die Verschiebungen im Gebiet der Fusswurzel zurückgehen, 
wenn das Gewicht (bei vollem Sohlenstand) mehr nach vorne ver¬ 
legt wird. 

Die grosse Rigidität bei aller Nachgiebigkeit im Kleinen, 
welche wir bei dem Vergleichen des belasteten und unbelasteten 
Fusses im Röntgenbild finden, verdankt dieser nun vor allem seiner 
Musculatur. Die Rolle der Musculatur in der Erhaltung der normalen 
Fussform ist verschieden beurtheilt worden, unterschätzt meistens. 


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490 


Walter Engels. 


überschätzt selten. Das letztere könnte man vielleicht von Nico¬ 
lad oni's^) kurzen Arbeiten über die Rolle des Gastrocnemius ood 
der kurzen Fussmusculatur bei der Entstehung und Verhütung des 
Plattfusses sagen, aber trotzdem scheinen sie mir das Einzige zu 
sein, was seit Lorenz neues Licht auf diese Fragen geworfen bat 
Im allgemeinen besteht freilich die Neigung, der Rolle, welche die 
Musculatur bei der Erhaltung der Fussform spielt, grössere Beach¬ 
tung zu schenken, als es früher geschah. Die Zahl derjenigen nimmt 
ab, die sich die Entstehung der Belastungsdeformitäten des Skelets 
hauptsächlich durch Untersuchung der höchsten Grade dieser Defo^ 
mitäten zu erklären suchen und dabei ganz natürlich dazu verleitet 
werden, einer pathologischen Plasticität des Knochens die Haupt¬ 
schuld zu geben. Aber man ist, mit nur mässiger Berechtigung, 
ziemlich allgemein dazu gekommen, die Tibialismusculatur, haupt¬ 
sächlich den Musculus tibialis posterior, als specielle Erhalter des 
„Fussgewölbes“ zu betrachten. Die Erfolge Hoffa’s und Anderer 
in der Behandlung mässiger Plattfussgrade durch Verkürzung der 
Sehne dieses Muskels sind ja entschieden ein directer Beweis — 
wenn die ganze Anordnung der Sehne dieses Muskels einen solchen 
überhaupt erforderlich macht —, dass er an der Erhaltung der Fuss- 
gestalt betheiligt ist. Aber wenn man die Symptome einer massigen 
Muskelinsufficienz durch Kräftigung eines der in Betracht kommen¬ 
den Muskeln und schonende Nachbehandlung zum Verschwinden 
bringt, so ist damit nicht gesagt, dass dieser Muskel der einzige 
insufficiente war. Nicoladoni spricht von Fällen von Hohlfuss 
bei gelähmtem Tibialis posterior, und von Plattfuss bei guter Func¬ 
tion dieses Muskels. Ich habe folgenden Fall Jahre lang beobachtet. 

G. L., 7jähriges Mädchen, Kinderlähmung vor 1 Jahr. Aru 
rechten Unterschenkel und Fuss fehlt jede Spur von erhaltener Mus¬ 
culatur mit Ausnahme einer minimalen Function des Extensor digi* 
toris communis brevis. Trotzdem steht der Fuss 1 Jahr lang voll¬ 
kommen normal. Dann fängt er sogar an, Neigung zu Hohl- und 
Klumpfussbildung zu zeigen, ohne dass sich bei wiederholter ge¬ 
nauer Untersuchung an der Tibialismusculatur irgend welche Con- 
tractionsmüglichkeit zeigt. Jetzt, 4 Jahre nach der Lähmung, ist 
ein mässiger Hohlfuss ausgebildet mit Neigung zu VarusstelluDg 
Und als Ursache der ganzen paradoxen Erscheinung zeigt siet 

Zur Plattfusstberapie, Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 63, S. 168. 


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üeber den normalen Fuss und den Plattfuss. 


491 


wieder erwachte, wenn auch noch schwache Function im Adductor 
iiallucis, deren erste Spuren wohl fähig waren, den durch keinen 
Antagonisten geschützten Fuss zusammen zu ziehen, aber noch 
nicht, sichtbare Contractionen zu veranlassen. Wäre dieser Rest von 
kurzer Fussmusculatur nicht dagewesen, so sehe ich nicht ein, wie 
der paralytische Plattfuss hätte ausbleiben können. 

Ebenso kenne ich seit 4 Jahren einen Fall von Kinderlähmung, 
wo hinten ein geschwächter Gastrocnemius, vorne ein transplantirter 
Peroneus longus arbeitet, seitlich aber weder Tibiales noch Peronei 
fungiren, und wo, bei gut erhaltener kurzer Fussmusculatur, die 
Folge ein stark valgischer exquisiter Hohlfuss ist. 

Die geradlinige Anordnung des Fussskelets setzt einen starken, 
elastischen, aber wenig nachgiebigen Bandapparat auf der Unter¬ 
seite voraus, welcher den Tuber calcanei mit den Metatarsalköpfchen 
verbindet; von eigentlichen Bändern finden wir aber nur die Plan- 
taraponeurose so gelagert. Alle anderen stärkeren Bänder sind kurz 
und von localer Bedeutung; von den Sehnen der langen Muskeln 
fasst keine einzige den Tuber mit in den Bereich ihrer Wirksamkeit 
ein. Folglich bleibt uns gar nichts anderes übrig, als an¬ 
zunehmen, dass das Amt, dem Fuss seine Längsspannung zu geben, 
die Höhlung des Fusses zu unterhalten, der eigentlichen Fuss¬ 
musculatur zukommt. Denkt man sich die vom Calcaneus aus¬ 
gehenden Muskelbündel, also den Flexor digitorum brevis, den Ab¬ 
ductor digiti V, den Quadratus plantae, den Abductor hallucis und 
die vom Ligamentum plantare longura abgehenden Theile des Flexor 
hallucis brevis und der Flexor digiti V. brevis, diese ganze Muskel¬ 
masse am Calcaneus abgetrennt, so können alle ünterschenkelmuskeln 
zusammen nicht das Ausweichen des Tuber nach hinten, das Ein¬ 
sinken des Ferseiibeinkörpers nach vorne unten, das Nachfolgen des 
Talus und damit den completen Zusammenbruch des Fusses hindern. 

Also die eigentliche Fussmusculatur unterhält die Spannung 
des Hohlfusses im sagittalen Sinne, Durch ihre im allgemeinen von 
der Mittellinie der Fusswurzel aus divergirende Anordnung kann sie 
zwar auch eine leichte seitlich zusammenhaltende Wirkung ausüben 
(und das schwache Caput transversum des Adductor hallucis hat 
direct diese Wirkung), aber der Hauptsache nach ist die Aufgabe, 
die Hohlrinne seitlich zusammen zu halten und zu festigen, der 
langen Fussmusculatur Vorbehalten. 

Zeitschrift fUr orthopätlische Chirurgie. XII. Bd. 32 


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492 


Walter Engel«. 


Die herrschende Ansicht ist nun die, dass die beiden Musculi 
tibiales, vor allem der Musculus tibialis posterior, den inneren Fass- 
rand tragen, der Peroneus longus oder die Peronei den äusseren 
Fussrand. Demnach müsste bei Belastung des inneren Fussrandes 
die Tibialmusculatur, bei Belastung des äusseren Fussrandes die 
Peronealmusculatur sichernd in Function treten. Prüft man das s^r 
an sich selbst oder an anderen normalen Füssen, so erfährt man 
überraschenderweise folgendes: 

Belastet man den einen Fuss, während man mit dem anderen 
Fuss und an einem Möbel mit der Hand das Gleichgewicht sichert, 
und legt von vorne den Zeigefinger der gleichnamigen Hand auf die 
Sehne des Peroneus longus (unter und vor der Malleolenspitze), den 
Daumen auf die des Tibialis posterior (hinter der Tuberositas ossis 
navicularis), so fühlt man, wenn man in indifferenter Mittelstellung 
das Körpergewicht mitten in den Fuss verlegt, beide Sehnen massig 
angespannt. Dass sie nur massig gespannt sind, merkt man, wenn 
man eine leichte Pro- oder Supinationsbewegung macht. Sogleich 
springt dann die betreffende Sehne stark und knochenhart vor. Legt 
man das Gewicht mehr nach hinten, so nimmt auch die mässige 
Spannung noch etwas ab. Legt man es nach vorne, so nimmt sie 
leicht zu, aber sobald die Ferse wirklich entlastet ist und sich an¬ 
schickt, den Boden zu verlassen, spannen sich beide Sehnen scharf an. 

Kehrt man wieder in die Mittelstellung zurück und belastet 
nun durch vorsichtiges Ueberlegen des Körpergewichts nach aussen 
den äusseren Fussrand stärker (ohne den inneren zu heben!), so 
fühlt man, wie die Sehne des Tibialis posterior sich stärker 
spannt, die des Peroneus sich entspannt. Verlegt man in dieser 
lateral belasteten Stellung das Gewicht etwas nach vorne, so nimmt 
die Spannung des Tibialis posterior noch zu, verlegt man es nach 
hinten, nimmt sie stark ab. 

Belastet man ebenso vorsichtig und allmählich den medialen 
Fussrand (ohne den lateralen zu heben!) in Mittelstellung, so springt 
die Peroneussehne stark vor. Auch diese Spannung wächst bei 
Verlegung des Gewichts nach vorne und nimmt bei der Bewegung 
nach hinten schnell ab. Im allgemeinen hat man den Eindruck, als 
ob bei diesen Versuchen die Spannung auf der Peroneusseite stärker 
sei als auf der Tibialseite. 

Der Tibialis anterior spannt sich bei all diesen Belastungen 
überhaupt nicht, die Achillessehne beim Vorwärtsbeugen. 


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Ueber den normalen Fass und den Plattfuss. 


498 


Was geht aus diesen Versuchen heryor? 

Zunächst einmal, dass bei Belastung in indifferenter Stellung 
Tibialis posterior und Peroneus longus eine Nebenrolle spielen. Und 
doch ist gerade bei dieser Stellung die Tendenz zur Abflachung des 
Fusses gross, gegen die der Zug des Tibialis schützen soll. Aber 
das kann auch wohl kaum seine wesentliche Function sein, wenn er 
gerade bei Belastung des inneren Fussrandes schlaff wird. Umgekehrt 
gilt das gleiche vom Peroneus. Natürlich vermag jeder der beiden 
Muskeln seinen Fussrand kräftig zu heben; aber zwischen forcirter 
Supination oder Pronation und steter Sicherung des ruhig belasteten 
Fusses ist ein grosser Unterschied. 

Die gleichmässige Anspannung beider Sehnen wächst mit stei¬ 
gender Belastung des Vorderfusses, der Hohlrinne, und nimmt ab 
mit deren Entlastung. Darin liegt auch die Erklärung, die für den 
Peroneus am einfachsten ist. Seine Sehne zieht, das Würfelbein von 
unten umgreifend, diagonal nach vorne medial und heftet sich an 
der unteren Kante des ersten Eeilbeins und der Basis des I. Meta¬ 
tarsus an; also an demjenigen Rand der Hohlrinne, welcher bei 
medialer Belastung gedehnt wird. Durch seine Anspannung sichert 
er diesen Rand, der durch die starke Tiefenausdehnung der genann¬ 
ten zwei Knochen gebildet ist, in seiner senkrechten Lage (wie die 
Rotation des Naviculare es auch that), stellt ihn also dem dehnenden 
Druck der Belastung mit seiner stärksten Seite entgegen. Zugleich 
schnürt, wie S. 478 schon ausgefUhrt, die Sehne infolge ihrer Lage 
zum Würfelbein die ganze Hohlrinne in querer Richtung zusammen; 
der Effect ist ebenfalls Verstärkung gegen senkrechtes Durchbiegen. 
Durch diese eigenthümliche Wirkungsweise wird der Peroneus longus 
derjenige Muskel, dem wir es zu verdanken haben, dass auch der 
ganz zusammengebrochene Plattfuss eine überraschend grosse Leistungs¬ 
fähigkeit behält; der Peroneus longus bewahrt ihm diese, indem er 
die Hohlrinnengestalt und damit die Rigidität der vorderen Fuss- 
wurzel zum grössten Theil erhält. 

Weniger klar liegt die Sache beim Tibialis posterior. Ein 
grosser Theil seiner Sehne endet am medialen Fussrand, an Schiff¬ 
bein und erstem Keilbein. Ein weiterer Theil zieht aber lateral- 
wärts und setzt sich mit seinen schräg nach vorne, ungefähr recht¬ 
winklig zur Peroneussehne verlaufenden Ausstrahlungen an den 
lateralen Keilbeinen, Metatarsen und dem Würfelbein fest (siehe 
Spaltholz’ Atlas 3. Auf!., Bd. I, Fig. 268 u. 203). So kann er dem 


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494 


Walter Engels. 


Peroneus longus entgegen arbeiten und seine Wirkung ergänzen, 
indem er die laterale Seite der Hohlrinne, welche durch den schnü¬ 
renden Zug des Peroneus nach oben lateral herausgedrängt wird, 
unten medial festhält. 

Um zusammenzufassen: Ich stelle mir das wechselseitige uni 
Zusammenwirken von Peroneus longus und Tibialis posterior so vor: 

1. Bei gleichmässiger Belastung arbeiten sie zusammen, indem sie, 
über Kreuz nach innen ziehend, die Hohlrinne zusammendrücken. 

2. Bei einseitiger Belastung versteift der eine oder der aridere Mus¬ 
kel die Seite der Hohlrinne, an der seine Sehne endet, indem er 
die Knochen in ihrer vortheilhaftesten Stellung hält und sie an ein¬ 
ander drängt. 

Ausserdem ist aber folgendes nicht ausser Acht zu lassen: 
Wenn wir einen Fuss ausschliesslich belasten und dann das Körper¬ 
gewicht noch weiter nach einer Seite, beispielsweise lateral, ver¬ 
schieben, so haben wir, um einem Umfallen nach dieser Seite vor¬ 
zubeugen, das unwillkürliche Bestreben, auch unseren Stützpunkt 
möglichst weit in der gleichen Richtung hinaus zu schieben, d. h. 
wir belasten dann nicht den ganzen Fuss, sondern die der Last 
gleichnamige Seite desselben, im Beispiel also die laterale, indem 
wir den medialen Fussrand heben. Das ist also auch ein Grund, 
weshalb bei lateraler Belastung der mediale Muskel sich contrahirt 
und umgekehrt, und es mag sein, dass es der Hauptgrund ist. Der 
Verlauf der beiden Sehnen, namentlich der des Peroneus longus, 
lehrt uns aber, dass auch die erste Erklärung ihre Berechtigung 
haben muss. 

An den Talus setzt sich gar kein Muskel an und an den Cal- 
caneus kein seitlicher; aber beide sind medial von Sehnen sehlingen- 
förmig umfasst, der Talus von der des Tibialis posterior, der Calca- 
neus von derjenigen des Flexor hallucis longus. Und es gehört 
offenbar unter normalen Verhältnissen nicht viel Kraft dazu, den 
nach vorne fest verstrebten Taluskopf vor medialem Abweichen über 
die physiologische Grenze hinaus zu bewahren; sonst müssten wir 
eine stärkere Anspannung des Tibialis posterior bei Belastung finden. 
Der grösste Theil der Hemmung fällt den starken Bändern zur Last, 
die vom Sinus tarsi aufsteigend sich an die laterale Seite des Talus¬ 
halses heften (Ligamenta talocalcanea anterius, interosseum und 
laterale). Das Ligament leistet den Widerstand, der Muskel 
schützt es vor Ueberdehnung. Das ist die Vertheilung der Aufgaben, 


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Ueber den normalen Fass und den Plattfuss. 


495 


die wir überall im Körper wiederfinden. Ebenso wirkt die starke 
Sehne des Flexor hallucis longus an dem vortheilhaft gelegenen 
Hebelarm des Sustentaculum tali direct hebend auf die mediale Seite 
des Calcaneus, ihn yor Ueberschreiten des physiologischen Drehungs¬ 
winkels schützend. 

Die Thätigkeit der Regulatoren des Gleichgewichts bei Balan- 
ciren auf einem Fuss: Tibialis posterior und seine Nachbarn medial, 
Peronei lateral, Qastrocnemius hinten, Tibialis anterior, Extensor 
hallucis longus und Extensor digitoris communis vorne, fällt kaum 
noch unter die Betrachtung des Fusses. Was davon hierher gehört, 
ist früher besprochen worden. 

So viel über den Sohlenstand, der ja immer am ausführlichsten 
und in erster Linie untersucht und besprochen wird, trotzdem er 
die Stellung ist, die wir nur auf kurze Zeit vertragen können und 
deshalb auch am seltensten einnehmen. Das mag unwahrscheinlich 
klingen, ist aber doch so. Was wir Stehen nennen, ist selten ein 
ruhiger Sohlenstand. Meist ist es ein fortwährendes Wechseln von 
einem Fuss auf den anderen, vom inneren Fussrand auf den äusseren, 
von der vorderen Fusspartie auf die hintere, das alles corabinirt. 
Ein grosser Theil davon ist Gehen, wenn auch Gehen „auf der 
Stelle“. Was wirkliches Stehen ist und wie sehr es anstrengt, er¬ 
fährt der Soldat nach dem Commando: „Stillgestanden!*. Freilich, 
wenn man sich auch unwillkürlich noch so gut vor dem „anämi- 
sirenden*, stauenden und deshalb die Gewebe schwächenden Einfluss 
des ruhigen Stehens durch circulationsbefördernden Wechsel und 
Bewegung schützt — bei manchen Berufsarten bleibt doch noch 
genug davon übrig, um, namentlich im Verein mit constitutioneilen 
Schädigungen, dauernde Erschlafifung der Fussgewebe zu veranlassen. 

Es ist hier wohl die Stelle, auf die viel besprochene und um¬ 
strittene Ruhestellung etwas einzugehen, die man als Norm hat hin¬ 
stellen wollen und die angeblich alles Unheil angerichtet hat. Man 
lese darüber in Hoffa’s Lehrbuch nach. Nach ihm und Annan- 
dale ist die Huhestellung gespreizte Stellung mit auswärts rotirten 
Beinen, wie Annandale sie bei einem Schloss^erlehrling beobachtet 
hat; SteudeP) nimmt u. A. dieselbe Stellung, aber mit parallelen 


9 üeber die Bedeutung des Muse. tib. post, und der Soblenmuskeln für 
den Plattfuss. Deutsche Zeitschr. f. Chir. ßd. 67, S. 348. 

*) Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 47, S. 443. 


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496 


Walter Engels. 


Füssen an. Es stimmt allerdings, dass der Arbeiter beim Feilen etc. 
eine ähnliche Stellung einnimmt; nur steht das Bein, welches der 
führenden (vorderen) Hand entspricht, etwas vor. Und, was das 
Wichtigste ist: es ist gar keine dauernde Ruhestellung, die 
dabei entsteht, sondern den Bewegungen beim Feilen (Hobeln etc.) 
entsprechend wird das Gewicht fortwährend vom hinteren auf den 
vorderen Fuss und wieder zurück verlegt. Es ist eine hin und her 
wiegende Bewegung, bei der die Füsse wechselweise belastet werden, 
eine Art Gehen auf der Stelle ohne Aufheben der Füsse, also eine 
zweckmässige Bewegung im Sinne der Erholung und Circulations- 
beförderung für die Muskeln. Sie wird vom stehenden Arbeiter an¬ 
genommen, wenn er einen Theil seines Körpergewichts auf sein 
Werkzeug verlegt. Die eigentliche Annandale’sche Attitüde of 
rest nimmt man z. B. beim Bohren mit dem Handbohrer ein, wobei 
ebenfalls ein beträchtlicher Theil des Körpergewichts auf das Werk¬ 
zeug verlegt wird; in allen Fällen wird dem Körper die Sicherheit 
des Standes, die ihm durch das Verlegen des Gewichts auf das Werk¬ 
zeug zum Theil genommen ist, und zugleich die Möglichkeit, das 
Gleichgewicht schnell zu verändern, durch breitbeiniges Stehen 
gegeben. 

Ganz anders aber wird die Stellung desselben Arbeiters, wenn 
er feinere Arbeit macht, wobei er das Werkstück in der Hand halten 
muss; also Arbeit, bei der die Füsse das ganze Körpergewicht 
dauernd zu tragen haben. Anders ist ferner auch die Stellung des 
Schreibers, der stehend arbeitet. Auch er verlegt zwar einen Theil 
des Gewichts auf die Arme, aber weniger weil seine Arbeit es er¬ 
fordert, als um seine Beine zeitweilig zu entlasten. 

Beide stehen in einer völlig anderen ,Ruhestellung*. Sie be¬ 
lasten in grösseren Zwischenräumen abwechselnd den einen und den 
anderen Fuss, der senkrecht unter den Schwerpunkt (beim ange¬ 
lehnten Schreiber etwas rückwärts) gestellt wird, als „Standbein*, 
während das „Spielbein“, etwas seitwärts gestellt und wenig belastet, 
das Gleichgewicht unterhält. 

Das sind nur Beispiele, aus denen aber hervorgeht, dass man 
keine einheitliche Ruhestellung festlegen kann, weil sie mit der Art 
der Beschäftigung wechselt. Nur das ist den „Ruhestellungen“ ge¬ 
meinsam, dass sie keine sind, sondern ein schnellerer oder langsamerer 
Wechsel von einem Stützpunkt zum anderen. 

Bei dem bisher betrachteten Sohlenstand war der Calcaneus 


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Ueber den normalen Fuss und den Plattfuss. 


497 


nur die hintere von zwei Streben, erhielt seinen Theil der Last in 
der entsprechenden Richtung, gab ihn an den Boden ab und empfing 
vom Boden den Gegendruck, der yerhinderte, dass die nach vorne 
auf ihn wirkende Zugkraft ihn unter den Fuss zog. 

Fig. 24. Fig. 25. 


e 



Erhebt sich der Fuss auf die Zehenballen, so verändert sich 
zunächst für die vordere Verstrebung und den unteren Bandapparat 
die Aufgabe nur quantitativ. Der Ferse aber wird der Gegendruck 
des Bodens entzogen und damit ihr Halt. 

Nun tritt hierfür der Zug des Gastro- 
cnemius ein und damit ist die Rolle, 
die der Fuss in der Statik der unteren 
Extremität spielt, eine vollkommen 
andere geworden. 

Statt ein festes Gerüst für sich zu 
sein, auf dem die Tibia und dadurch der 
Körper in labilem Gleichgewicht balancirte 
(Fig. 24), ist der Fuss zu dem Bestandtheil 
eines vom Knie zur Fussspitze reichenden, 
in sich (bis auf seine Elasticität) unnachgiebigen Zug-Drucksystems 
geworden, das auf dem Boden in labilem Gleichgewicht ruht 
(Fig. 25). Druck herrscht in den Knochen, Zug in den Muskeln, 
die belastende Kraft hat die Richtung von C nach A und strebt 
diese beiden Punkte einander zu nähern. Da es gleichgültig ist, ob 
wir eine Druckkraft annehmen, die von aussen auf Cund A wirkt, 
oder eine Zugkraft, die zwischen ihnen wirkt, so können wir das 
letztere vorziehen und haben nun eine geschlossene Figur (Fig. 26), 


Fig. 26. 



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498 


Walter Engels. 


ein Dreieck, in dem die Seiten die Richtung der Zugkräfte, die im 
Innern sich treffenden Linien die der Druckkräfte angeben. 

Der Talus ist der Schlussstein, der von drei Seiten den Druck 
empfängt und in dem sich die Kräfte ausgleichen. Er hat also im 
grossen eine ähnliche Stellung, wie das Würfelbein im kleinen. 

Die Richtungen, in denen die Kräfte in ihn eintreten, sind 
vorne und hinten constant; dagegen oben, in der Talusrolle, wech¬ 
selt diese Richtung mit der Stellung der Tibia. Deshalb finden wir 
vorne und hinten bestimmt gerichtete Spongiosastructur, oben ein 
unentwirrbares Geflecht sich kreuzender Fasern. Hier haben v?ir 
auch die Erklärung für die Convergenz des Tuberbündels nach der 
hinteren Gelenkfläche zu, und für die Existenz und grosse Stärke 
derjenigen Fasern dieses Bündels, welche zur hinteren Fläche des 
Tuber laufen. Die Annahme der hinteren Strebe konnte nur den 
Theil erklären, der zur Grundfläche läuft. Nun sehen wir, dass beim 
Zehenstand das Fersenbein von den unten und oben von ihm ab¬ 
gehenden Muskeln wie von einem mächtigen, über den Tuber ge¬ 
spannten Band (Fig. 25) in die Talusrolle von hinten unten hinein¬ 
gepresst wird, wobei die Druckrichtung von dem breiten Tuber zu 
der viel kleineren hinteren Gelenkfläche convergirt, und mit ihr die 
Richtung der Spongiosa. Ich glaube nicht, dass man angesichts dieser 
statischen Thatsache noch behaupten kann, das Fersenbein gehöre zu 
einem unteren Bogen, auf dessen Kuppel sozusagen der obere nur 
aufgesetzt sei (siehe S. 483). 

Im übrigen hat sich die Statik des Fusses selbst nur insofern 
verändert, als der vordere Theil, die Hohlrinne, viel stärker belastet 
ist; aber nur deshalb, weil das Schwergewicht beim Zehenstand 
weiter nach vorne fallen muss. Die Ferse ist durchaus nicht ent¬ 
lastet, denn ob von unten ein Druck oder von oben ein Zug an ihr 
wirkt, kommt auf dasselbe hinaus. 

Den (nicht extremen) Zehenstand kann der Fuss viel besser 
und länger vertragen, als den Sohlenstand ^). Ja, man kann sagen, 
dass der Zehenstand — nicht der permanente, sondern der inter- 
mittirende — die Hauptaufgabe des Fusses bildet, dass der Fuss 
hauptsächlich auf ihn hin construirt ist. Das ist eigentlich ganz 

Chinesische Kulis hocken, mit den Oberschenkeln auf den Unter¬ 
schenkeln sitzend, mit leicht gehobenen oder kaum den Boden berührenden 
Fersen lange Zeit ununterbrochen und nehmen in dieser Stellung ihre Mahl¬ 
zeiten ein. 


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üeber den normalen Fass und den Plattfass. 


49Ö 


selbstverständlich, denn der Zehenstand bildet das längste und wich* 
tigste Stadium des Ganges, das ausschliessliche des Laufes, und es 
wird sich wohl nicht bestreiten lassen, dass der Fuss viel mehr ein 
Fortbewegungs- als ein Standorgan ist. 

Trotzdem wird es einigen Zweifeln begegnen, wenn ich be¬ 
haupte, dass der Zehenstand leichter und länger zu ertragen ist, als 
der Sohlenstand. Nun, wenn wir den Gang daraufhin analysiren, 
so finden wir, dass, solange der belastete Fuss mit der ganzen 
Fläche den Boden berührt, er von dem unbelasteten hinteren Fuss noch 
unterstützt wird. Sobald die Ferse des belasteten Fusses anfängt, 
sich vom Boden zu lösen, verlässt auch der andere Fuss den Boden 
und wird, wenn er sich niederstellt, wieder so lange von seinem 
Gefährten unterstützt, bis der Zehengang beginnt. Also beim Fersen- 
und Sohlengang berühren beide Füsse den Grund, beim Zehengang 
— oder Zehenstand — nur der belastete. Und das stundenlang. 
Beim Laufen ist das noch ausgeprägter. Hier berührt stets nur 
ein Fuss den Boden, und stets im Zehenstand (beim normalen 
Lauf, nicht dem Lauf kleiner Kinder, vieler Damen und dicker Herren). 

Es ist aber auch aus anatomischen Gründen ersichtlich, dass 
der Zehenstand die leichtere Art ist, das Körpergewicht zu tragen. 
Denn während dieses das gleiche bleibt, setzt der Organismus einen 
viel grösseren Muskelapparat in Bewegung. Nicht nur die seitlichen 
Muskeln arbeiten stärker (S. 491), nicht nur die langen Fussmuskeln 
treten hinzu, sondern vor allem der Gastrocnemius; die Arbeit, wenn 
sie auch — infolge des zu überwindenden Hebeldrucks von den 
Metatarsen her — grösser wird, vertheilt sich auf eine grössere Masse 
contractiler Substanz und der fortwährende Wechsel der elastischen 
Stellung lässt die Ermüdung und Schmerzhaftigkeit nicht aufkommen, 
welche beim Stehen die Folge der Anämie ist. 

Dass der (leichte, nicht extreme!) Zehenstand, wenn ununter¬ 
brochen, nur kurze Zeit aufrecht erhalten werden kann, ist nicht 
die Folge grösserer Anstrengung, sondern der kleinen unsicheren 
Standfläche, durch welche fortwährendes Balanciren als Extraarbeit 
hinzukommt. Deshalb ist er nur in der Fortbewegung angenehm, 
welche das Balanciren auch in dieser Stellung so erleichtert, dass es 
uns überhaupt nicht zum Bewusstsein kommt (siehe Fahrrad). 

Wenn ich im Vorhergehenden die Ausdrücke Gang und Stand, 
die sonst meist streng gesondert werden, durcheinander gebraucht 
habe, so kann ich das nicht für einen Fehler halten. Denn was ist 


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500 Walter Engels. 

der Gang anderes, als eine stete Folge unzählig yieler verschiedenen 
„Stände“? 

Wollen wir die Statik und Mechanik des einzelnen Fusses 
während eines Schrittes untersuchen, so fangen wir am besten mit 
dem Augenblick an, wo die Ferse des vorschreitenden Fusses den 
Boden berührt und gleich einen grossen Theil des Gewichts empfängt. 
Die vordere Musculatur des Unterschenkels spannt sich und ver- 

Fig. 27. Fig. 28. 




Schema der Belastung im Ferseustand. 

langsamt das Herunterklappen der Fusssohle. Dabei geht die Zug¬ 
wirkung vom Tibialis anterior und den langen Zehenmuskeln durch 
Vermittlung der Metatarsen und des Band- und Muskelapparats der 
Fusssohle zur Ferse, die nach unten gezogen und erst allmählich 
losgelassen wird (Fig. 27, 28, Zug-Drucksystem, gerade umgekehrt 
wie beim Zehenstand, Fig. 25 u. 26). 

Mit dem Augenblick, wo die Zehenballen fest den Boden berühren, 
wird der Fuss ein selbständiges Gerüst, über den die vom anderen 
Fuss geschobene Belastung gleichsam hinwandert. Zuerst empfängt 
die hintere Verstrebung die grösste Last, dann beide gleiche Last, 
dann wird die vordere Strebe immer mehr belastet. Die kurze Fuss- 
musculatur bleibt gleichmässig gespannt, die beiden starken Seitcn- 
muskeln (Tibialis posterior und Peroneus longus) spannen sich all¬ 
mählich stärker an, je mehr die Beanspruchung der Hohlrinne das 
erfordert. Bis hierher sind sich alle Bewegungen sehr schnell ge¬ 
folgt. In dem Augenblick, wo die Ferse entlastet (noch nicht ge¬ 
hoben!) wird, hört die schiebende Wirkung des anderen Fusses auf, 
dafür beginnt gleichzeitig der Zug des Gastrocnemius, und in dem 
Augenblick hört der Fuss auf, selbständig zu functioniren und wird 
wieder eine Abtheilung des den Unterschenkel einschliessenden Zug- 
Drucksystems (Fig. 24). Tibialis posterior und Peroneus longus 


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Ueber den normalen Fass und den Plattfass. 


501 


spannen sich scharf an, ebenso die langen Zehenmuskeln. Der 
Glastrocnemius hebt die Ferse, unterstützt Yon den hinter den Malle- 
olen Yerlaufenden Muskeln, und wickelt den Fuss — yerhaltnissmässig 
langsam im Vergleich zu dem ersten Stadium des Schrittes — Yom 
Boden ab, während der andere Fuss nach yome schwingt. 

Beschreibung der Apparate. 

1. Apparat zur Aufnahme von oben. 

ln dem in drei Ansichten gezeichneten Kasten ist der Boden A 
so weit erhöht, dass man eine Röntgencassette eben unterschieben 

Fig. 30. 



Fig. 31. 



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502 


Walter Engels. 


kann, und besteht aus einem dünnen (0,4 cm) Eichenbrettchen, in 
das ein dünner Eupferdraht x der Länge nach eingelassen ist. Dies 
Brettchen ist mit den seitlichen Leisten B3 durch Gummistreifen so 
verbunden, dass es sich bei Belastung bis auf die Cassette senkt, 



bei Entlastung in seine Stellung zurückkehrt. Die hintere Wand C 
des Kastens ist unten offen, die vordere fehlt. Die Seitenwände DD 
sind hinten hoch und tragen ein ausgeschnittenes Brett für die 
Wade, die nöthigenfalls mit kleinen, festen, keilförmigen Kissen noch 
mehr gestützt wird. Der vordere, niedrige Theil der Seitenwände 
trägt die verschiebliche Brücke welche eine verschiebliche Rönt¬ 
genröhre trägt und so ausgeschnitten ist, dass deren Strahlen nach 
unten fallen können. Der Fuss wird so in den Apparat gestellt, 


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Ueber den normalen Fuss und den Plattfuss. 


503 


dass der Kupferdraht hinten mitten unter der Ferse, vorne zwischen 
2. und 3. Zehe liegt, und senkt das Fussbrett Ä auf die vorher 
untergeschobene Cassette. Beim Platten Wechsel kann er, ohne sich 
zu verschieben, leicht so weit entlastet werden, dass das Fussbrett 
sich etwas hebt und die Cassette gewechselt werden kann. Mit 
kleinen Modificationen ist dieser Apparat auch für stereoskopische 
Aufnahmen des Fusses oder der Hand gut zu verwenden. 

2. Apparat zur Aufnahme von der Seite. 

Hinter der Plattform A erhebt sich ein Brett B, an welches 
die in der Rinne C stehende Cassette sich anlegt. Die Röhre JD ist 
auf dem abnehmbaren Brettchen E so montirt, dass sie nach der 
Länge und Höhe verstellt werden kann. Ihr Spiegel steht für ge¬ 
wöhnlich so hoch über dem Niveau der Plattform, wie die Tubero- 
sitas ossis navicularis des normalen Fusses. Der Fuss wird so ge¬ 
stellt, dass dieser Knochenvorsprung senkrecht über einer auf der 
Plattform gezogenen Linie steht, welche die Richtung der senkrecht 
auf die Platte fallenden Strahlen angibt. In die Kante der Platt¬ 
form, welche an die Rinne C grenzt, ist ein dünner Kupferdraht F 
eingelassen. Die Vorrichtung wird auf den Boden halb unter einen 
festen Tisch gestellt, der als Stütze dient, der andere Fuss steht 
unbelastet auf einer rückwärts neben den Apparat gestellten Fuss- 
bank, die etwas höher ist als die Plattform. 


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Referate 


Schweinburg, Handbuch der allgemeinen und speciellen Hydrotherapie. 

S. F. Bergmann, Wiesbaden 1904. 

Schweinburg hat in seinem Handbuch der allgemeinen und speciellen 
Hydrotherapie die Summe des theoretischen und praktischen Wissens der heutigen 
Zeit über diesen Zweig der physikalischen Therapie niedergelegt. Er hat im 
ersten Theil des Buches die allgemeine Hydrotherapie besprochen, ihre physio¬ 
logischen Wirkungen auf einzelne Organe des menschlichen Körpers, auf den 
Gesammtorganismus und auf seine Functionen. Ferner hat er hier die Technik 
und die Methode der Wasserapplicationen in ihren verschiedensten Formen in 
anschaulicher und übersichtlicher Weise geschildert. Der zweite, specielie 
Theil enthält die Anwendung der Hydrotherapie bei verschiedenen Krankheiten, 
bei denen sie als Heilfactor in Betracht kommt. Durch übersichtliche Anord¬ 
nung dieses Stoffes hat der Verfasser dem praktischen Arzt ein handliches Nach- 
schlagebuch geboten, das ihm rasche Orientirung über einschlägige Fälle ge¬ 
stattet. Schweinburg hat damit einem praktischen Bedürfnisse entsprochen 
und das gerade heutzutage wichtige Studium der Hydrotherapie auch nicht- 
specialistischen Kreisen erleichtert. Pfeiffer*6erliD. 

Ziegelroth, Die Massage im Kaukasus. Archiv für physikalisch-diätetische 

Therapie in der ärztlichen Praxis. 5. Jahrgang, Nr. 8. 

Eine Reihe sehr interessanter Abbildungen führen uns die im Kaukasus 
geübte Massage vor. Sie unterscheidet sich hauptsächlich von der bei uns ge¬ 
bräuchlichen dadurch, dass der Masseur mit dem ganzen Körper arbeitet, das 
Eigengewicht desselben benutzt, ja auch den Gebrauch der Füsse nicht ver¬ 
schmäht. Die Massage wird als äusserst wohlthuend für den Patienten ge¬ 
schildert. Näheres über die Technik ist aus den Abbildungen zu ersehen. 

Be eher-Berlin. 

Preindlsberger, Ein Fall von Fettembolie nach Redressement. ZeiUchr. f. 

Heilkunde Bd. 34 Heft. 3. 1903. 

Preindlsberger beobachtete eine tödtliche Fettembolie, die nach dem 
Redressement eines doppelseitigen Genu valgum bei einem 17jährigen Mädchen 
ein trat Bald nach der ohne sonderliche Anstrengung ausg^führten Operation 
fiel die hohe Pulszahl auf. Zwei Tage später trat plötzlich heftige Athemnoth 
auf, ferner Nausea und Schmerzen im Epigastrium; Temperatur 88,2. JJach 
kurz anhaltender Besserung erfolgte der Exitus. Die Autopsie erg^b Blutungen 
im Periost und Mark der Ober- und Unterschenkelknochen, aber keine Fracturen. 
Fettembolie der Lungencapillaren; die Eröffnung der Kopfhöhle musste untcr- 


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Referate. 


505 


bleiben, weshalb nicht festgestellt werden konnte, ob sich auch in den Hirn- 
capillaren Fett befand. Es ist dies schon der dritte Fall von tddtlicher Lipämie 
nach orthopädischem Redressement, der veröffentlicht wird. 

Pfeiffer-Berlin. 

Bier, Hyperämie als Heilmittel. Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel, 1903. 

Bier gibt in dieser ausserordentlich interessanten Schrift eine Geschichte 
und Begpründung seiner Lehre von der Hyperämie als Heilmittel. Nachdem er 
in einer geistvollen Einleitung auf die innere Zweckmässigkeit der Organismen 
resp. ihrer physiologischen und pathologischen Functionen hingewiesen hat, er¬ 
örtert er im allgemeinen Theil die Hyperämie in dieser Hinsicht. Er unter¬ 
scheidet active und passive Hyperämie; bei der ersteren strömt mehr Blut in 
die Gefässe ein, bei der letzteren ist die Füllung derselben grösser infolge Be¬ 
hinderung des venösen Abflusses, active deckt sich also mit arterieller, passive 
mit venöser Hyperämie, ausgenommen bei der Stauungslunge. Von allen zur 
Hervomifung activer Hyperämie benutzten Mitteln hält Bier die heisse Luft 
für das Beste und Praktischste. Nach einer Beschreibung der von ihm seit dem 
Jahre 1891 verwendeten, ans Holz hergestellten Heissluftkästen und Erwähnung 
von zahlreichen Modificationen derselben, von denen er die elektrischen Appa¬ 
rate lobt, beschreibt er den örtlichen und allgemeinen Einfluss der Heissluft¬ 
bäder auf den Körper. Bei Besprechung der passiven Hyperämie stellt Bier 
fest, dass die sogen. ,Bier*sche Stauung* zur Unterstützung der Callusbildung 
und zu Emährungsversuchen schon vor ihm angewandt worden sei, während er 
sie zur Behandlung von Krankheiten eingeführt habe, bei denen sie früher all¬ 
gemein und auch jetzt noch vielfach für schädlich gehalten wurde. Das be¬ 
kannteste und wichtigste Verfahren zur Hervorrufung passiver Hyperämie be¬ 
steht im Anlegen einer elastischen Binde central von der zu beeinflussenden 
Stelle, welche die schwachwandigen Venen zusammendrückt, die starkwandigen 
Arterien dagegen nur wenig oder gar nicht verengt. Ferner dienen Saugapparate 
zur Hervorrufung passiver Hyperämie, desgleichen trockene Schröpfköpfe und 
die ganze Reihe der sogen. «Derivantien*, wozu er auch den SalzwedeTscben 
Spiritusverband rechnet. Im nächsten Theile werden unter Anführung zahl¬ 
reicher, äusserst interessanter Versuche und Beobachtungen die allgemeinen 
Wirkungen der Hyperämie besprochen, nämlich ihre schmerzstillende, bacterien- 
scbädigende, resorbirende, aufkisende und ernährende Wirkung. lüi speciellen 
Theil schildert Bier sodann die Technik des Verfahrens für die Krankheiten, 
welche in erster Linie mit Erfolg durch Hyperämie behandelt werden. Das 
erste und längste Kapitel beschäftigt sich mit der Behandlung der Tuberculose, 
bei welcher er, angeregt durch pathologisch-anatomische Beobachtungen, haupt¬ 
sächlich von Rokitanski, zuerst die Hyperämie anwandte. Nachdem er die 
Entwickelung des Verfahrens, gute und schlechte Erfahrungen mitgetheilt hat, 
wird die Behandlungsart eingehend geschildert. Die Binde wird täglich etwa 
für 1 Stunde angelegt, centralwärts von dem Krankheitsheerd und nicht allzu 
nahe. Die Stauung soll kräftig sein, jedoch sollen erhebliche Beschwerden oder 
gar Schmerzen nicht auftreten. Einwickelung der peripheren Theile ist nicht 
nöthig. Andere conservative Mittel werden selten, fast nie die Verbindung mit 
Jodoformbehandlung angewandt. Kalte Abscesse werden nicht punktirt, sondern 
gespalten, 1 bis 3 Tage später Stauung. Entstehen die Abscesse während der 


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SOG 


Referate. 


Stauungßbehandlung, dann werden sie ebenfalls gespalten und die Staaang 
3 Tage ausgesetzt. Grosse kalte Abscesse werden ausgeschabt, mit Jodoform- 
glycerin gefüllt und dann genäht. Nach ihrer Ausheilung wird gestaut. Offene 
Tuberculosen werden ebenso behandelt, während der Stauung werden die Ver* i 
bände abgenommen. Infolge der schmerzstillenden Wirkung sind feste Verbände 
nur selten nöthig. Grossen Werth legt Bier auf vorsichtigen Gebrauch der 
Gelenke, allerdings nur, soweit dieser ohne Schmerzen möglich ist. Bei sehr j 
grossen kalten Abscessen und beim Hydrops tuberculosus ist Jodoformbehandlung 
in der ersten Zeit vorzuziehen. Sonst ist bei allen, auch den schwersten sogen. | 
Amputationstuberculosen die Stauung zu versuchen, wenn es das Allgemein¬ 
befinden gestattet. Des weiteren sind acut und subacut entzündete Gelenke 
Gesichtserysipel, beginnende Phlegmonen, chronische Gelenkversteifungen. 
Elephantiasis, Gelenkergüsse u. dergl. erfolgreich mit activer oder passirer 
Hyperämie behandelt worden. Rauenbusch-Berlin. 

Habs, lieber die Bier’sche Stauung. Münchener med. Wochenschrift 1903. | 

Nr. 22. 

Nach einem kurzen historischen Ueberblick über die therapeutische Ver¬ 
wendung der Stauungshyperäraie bespricht Verfasser die Anwendungsweise der 
letzteren an der Hand der Bier’schen Veröffentlichungen. Sodann berichtet 
er über seine Erfahrungen mit diesem Heilmittel. 

Behandelt wurden über 300 Fälle, von welchen fast 200 Tuberculose betrafen 

Verfasser empfiehlt, bei localer Tuberculose die Stauungahyperämie 
zunächst zu versuchen, bei offener Tuberculose und bei schweren Knochenzer- 
■Störungen jedoch nicht zu lange mit der Operation zu warten. 

Sehr gute Resultate wurden erzielt bei Arthritis gonorrhoica; bei 
chronischen rheumatischen Gelenkentzündungen bevorzugt Verfasser die 
Heissluftbehandlung, da die — im übrigen den Process günstig beeinflussende — 
Stauungshyperämie sehr langsam zur Heilung führte. 

Bei Arthritis deformans wurden im Gegensatz zu Bier vom Ver¬ 
fasser nennenswei*the Besserungen nicht erzielt. 

Die von Blech er empfohlene Anwendung der Stauungsh^'perämie bei 
traumatischen Contracturen leisteten dem Verfasser in Verbindung nait Massage ! 
und Medicomechanik ebenfalls sehr gute Dienst#. 

Acute Erfrierungen ersten und zweiten Grades behandelte Verfasser nach 
dem Vorgang von Ritter mit gutem Erfolg mit Stauungshyperämie. 

Die von Noetzel empfohlene Verwendung der Stauung bei acuten Ert- 
zündungen wurde vom Verfasser nicht nachgeprüft. 

Nach diesen Ausführungen bespricht Verfasser noch kurz die Wirkung. 
Technik und Indicationen der activen Hyperämie nach Bier. 

Auf Grund seiner Erfahrungen empfiehlt Verfasser zum Schlüsse die An¬ 
wendung der Stauungshyperämie auf das Wärmste. Wollenberg-Berlin- 

Rudolph, Casuistischer Beitrag zur Würdigung und Methodik plastische: 

Operationen bei Narbencontracturen durch Verbrennung. Diss, Kiel 

Verfasser bringt nach einigen einleitenden Bemerkungen über die Trans 
plantation im allgemeinen die Krankengeschichten von vier in der Kieler KÜnih 


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Referate. 


507 


von Helfe rieh operirten Fällen, in denen es sich um erhebliche Narbencon- 
tracturen nach Verbrennung handelte, die das Kinn, die Halsseite, die Ellen¬ 
bogen-, Hand- und Fingergelenke betrafen. Bei allen wurden Transplantationen 
von Hautlappen ausgefübrt, zum Theil mit vorzüglichem, zum Theil mit gutem 
Resultat. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Dencks, Zur Statistik der Jodoformintoxication in ihren Allgemeinerscheinungen. 
Dies. Königsberg, Mai 1903. 

Den Anlass zu dieser Arbeit gab ein von Braatz beobachteter schwerer 
Fall von Jodoformintoxication. Mit diesem konnte Verfasser 108 derartige 
Fälle aus der ihm zugänglichen Literatur zusammenstellen mit 41 Todes- 
m\en = .38 7o. 

An der Hand dieser Fälle bespricht er die Erscheinungen dieser Intoxi- 
cation und bringt zum Schluss seiner Arbeit noch einige Worte über den Nach¬ 
weis des Jods im Ham bei Anwendung von Jodoform, wobei er hauptsächlich 
auf die drei von Harnack angegebenen Methoden zu sprechen kommt. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Kölliker, Osteotomie und Osteoklase bei rhachitischen Deformitäten der 
unteren Extremität. Arch. f. klin. Chir. Bd. 62 Heft 1—2. 

Kölliker berichtet über die seit 1886 in seiner Klinik ausgefübrten 
Osteotomien und Osteoklasen bei rhachitischen Verkrümmungen der unteren 
Extremität. Im allgemeinen bevorzugt er die Osteotomie; er wendet sie aber 
nur an, nachdem er sich von der Erfolglosigkeit schonenderer Behandlungs¬ 
methoden Überzeugt hat. So ist für ihn bei der Behandlung des Genu valgum 
und der Curvaturen im unteren Drittel des Unterschenkels die Operation die 
Ausnahme. Er wählt sie nur bei schweren Deformitäten Erwachsener, die ja 
einer anderen Therapie nicht mehr zugänglich sind. Bei Kindern wartet er 
stets das fünfte Lebensjahr ab, bevor er zur Operation schreitet. Seine Technik 
ist die jetzt allgemein übliche. Die Osteoklase versucht er stets zuerst manuell; 
misslingt der Versuch, so verwendet er den Redresseurosteoklast von Lorenz. 

Pfeiffer-Berlin. 

Hopkins, A furtber consideration of a modified form of osteotomy com- 
bined with osteoclasis-osteotomoclasis. American journal of orthopedic 
surgery, August 1903. 

Hopkins combinirt Osteotomie mit Osteoklase bei der Behandlung rhachi- 
tischer Deformitäten. Erst wird eine Osteotomie an der concaven Seite des 
Knochens gemacht, deren Schnitt nur halb durch den Knochen geht. In 
2—3 Wochen wird dann die Osteoklase an dem geschwächten Knochen gemacht. 
Dies hat den Vortheil, dass eine Fixation nicht nöthig ist, während eine offene 
Wunde vorhanden ist, und eine etwaige Vereiterung keine solche Bedeutung 
bat bei einem Knochen mit einem einfachen Schnitt wie bei einem total durch¬ 
meisselten Knochen, da die Stellung der Fragmente geändert werden kann. Dieses 
Vorgehen ist auch vortheilhaft bei schwachen Kindern, bei denen eine totale 
Osteotomie zu viel postoperative Schwäche verursachen würde. 

Albrecht-St. Louis. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Ild. 33 


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508 


Referate. 


Taylor, The mechanical and the operative treatment of rachitic deformiti« * 

of the lower extremities, presenting a new osteoclast. American joumal j 

of orthopedic surgery, August 1908. 

Taylor hat einen neuen Osteoklast construirt, der mit dem Hebel* 
princip arbeitet und nicht mit der Schraube wie die Apparate von Rizzoli. 
Colin, Grattan und Lorenz. Es besteht aus einer T-förmigen Basis, deren 
kurze Arme je 12 Zoll lang und deren langer Arm 3 Fuss lang sind. Auf dem 
langen Arm ist ein Bogen 12 Zoll hoch und 12 Zoll breit befestigt. Durch 
diesen läuft eine vierkantige, verschiebbare Eisenstange 3 Zoll Über und parallel 
mit der Basis. An dem höchsten Theil des Bogens ist ein rechtwinkliger Hebel 
befestigt, dessen kurzer Arm an der verschiebbaren Stange in verschiedenen 
Längen befestigt werden kann durch eine Schraube. An dem Ende der Stange 
ist eine gebogene Platte und an den kurzen Armen der Basis sind C-fÖrmige 
Bogen, die verschiebbar sind, befestigt, zwischen welche das Bein kommt. Der 
Vortheil dieses Apparates ist, dass er schnell entfernt werden kann nach der 
Operation. Albrecht-St. Louis. 

Neurath, Ceber ein bisher nicht gewürdigtes Symptom der Rbacbitis. Wiener 
klin. Wochenschr. 1903, Nr. 23. 

Neurath beschreibt die ^Phalanxrhachitis“ als bisher wenig bekanntes j 
Symptom der Rhachitis. Bei schweren Fällen fand er immer Auftreibungen , 
aller Phalangen, die in dem mittleren Theile verdickt waren, und zwar auf der | 

dorsalen Seite mehr als auf der volaren, während die Phalangealgelenke normal i 

waren und infolge dessen eingesunken aussahen. Zander-Berlin. 

Silberstein, Ein Beitrag zur Lehre von den fötalen Knochenerkrankungen. 
Arch. f. klin. Chir. 1903, Bd. 70 Heft 4. 

Silberstein berichtet über einen Fall, bei dem nach der klinischen 
Beobachtung die Diagnose „Osteogenesis imperfecta* gestellt wurde. Das Kind \ 
starb im Alter von 6 Monaten an einer Bronchopneumonie. Bei der mikro¬ 
skopischen Untersuchung der‘Knochen kommt er zu dem Schluss, dass es sich 
um eine echte Rhachitis, aller Wahrscheinlichkeit nach intrauterinen L'rsprung?. 
handelte, ln Betracht kamen noch syphilitische Knochenerkrankung, Osteo- , 

genesis imperfecta und Chondrodystrophie, die aber alle ausgeschlossen werden ) 

konnten, während das mikroskopische Bild der Rippenknorpelknochengrenze ■ 

für Rhachitis sprach. Z an de r-Berlin. ] 

Sperling, Zur Aetiologie der sogen, intrauterinen Fracturen. Arch. f. Ortho¬ 
pädie Bd. 1 Heft 1. j 

Sperling hatte Gelegenheit einen Fall von sogen, intrauteriner Fractur ■ 
an Schnitten und Röntgenbildem zu studiren und dadurch seine schon früher 
geäusserte Ansicht zu befestigen, dass diese „Fracturen*, wenn sie solitär und 
anscheinend verheilt zur Beobachtung kommen, keine Fracturen sind, sondern 
als Verbiegungen und Knickungen des nicht differenzirten embryonalen Blastem? 
durch directen Einfluss amniotischer Verwachsungen aufzufassen sind. Für 
seine Auffassung spricht der Umstand, dass der Knochen an der Knickungs- 


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Referate. 


509 


stelle normale Strnctur zeigt, es ist keine Spur von Verdickung oder callöser 
Narbenbildung nachweisbar. Eine deutliche kleinzellige ringförmige Umlagerung 
des Knochens an der Knickungsstelle ist nur ein Zeichen einer durch längeren 
Druck eines amniotischen Fadens entstandenen Periostitis. Auch die Röntgen¬ 
bilder gaben keinen Anhalt für eine callöse Verdickung, die bei einer indirecten 
dislocirten Fractur sicher bedeutend sein müsste. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung der narbenähnlichen Hauteinziehung über der Knickungsstelle ergab 
in dem Sperling’schen Falle nur Veränderungen in den oberen Schichten. 
Eine Perforation der Haut hätte in allen Schichten der Haut Narbengewebe 
zurücklassen müssen, zumal das von der Mutter angegebene Trauma nur vier 
Wochen vor der Geburt stattgefunden hatte. Diese oberflächlichen Verände¬ 
rungen rührten sicher von Amnionfäden her, wie denn auch in der That zwei 
amniotische Fäden an der fötalen Seite der Placenta gefunden wurden. Diese 
Fäden, die eine Knickung des Blastemstumraels herbeiführten, verursachten in- 
direct die in fast allen einschlägigen Fällen beobachteten sonstigen Defect- 
bildungen an den betroflfenen Extremitäten und zwar durch trophische Störungen. 
Gegen die Annahme, dass der Defect eines Knochens, z. B. der Fibula, die 
Widerstandsfähigkeit des anderen herabsetze, sprechen die Belastungsversuche 
Sperling’s, die eine geringe Differenz zeigten; Tibia und Fibula 10,3, Tibia 
allein 9,5 kg. Ferner gehört zur Fracturirung eines Knochens des im Frucht¬ 
wasser suspendirten Fötus eine immense Gewalt. Auch hätte die gewöhnlich 
angenommene Perforation wohl auch eine Verletzung der Eihäute und damit 
einen Abort herbeigeführt, während die Geburt stets erst mehrere Wochen 
nach der Fractur erfolgte. Aus diesen Gründen macht Sperling den Vor¬ 
schlag, die Bezeichnung intrauterine Fractur für alle solitären congenitalen 
Knickungen von Extremitätenknochen fallen zu lassen. Natürlich können wirk¬ 
liche Fracturen bei allgemeinen Knochenerkrankungen: Lues, Rhachitis etc. 
congenital entstehen, es wird sich aber dann stets um multiple, nicht verheilte 
Spontanfracturen handeln. Pfeiffer-Berlin. 

Dollinger, Die Behandlung der Oberschenkel- und Oberarmfracturen Neu¬ 
geborener und kleiner Kinder. Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 65. 

Die Behandlung der intra partum erworbenen, gewöhnlich mit Zer- 
reissung des Periostes und relativ erheblicher Dislocution verbundenen Ober¬ 
schenkelbrüche ist aus verschiedenen Gründen eine recht schwierige. Dol¬ 
linger hat mit einer abnehmbaren, aus zwei Theilen bestehenden Gipshülse 
gute Resultate erzielt. Die Anfertigung und Anlegung der Schiene ist in der 
Originalarbeit nachzulesen. In 14 Fällen hat Dollinger mit diesem Verband 
eine tadellose Heilung erreicht. Im zweiten Theil der Arbeit wird ein eben¬ 
falls aus Gipsschienen angefertigter Verband für Oberarmbrüche beschrieben, 
der sich in 5 Fällen bei Neugeborenen ausgezeichnet bewährt hat. 

Rauenbusch - Berlin. 

Jordan, Die Massagebehandlung frischer Knochenbrüche. Zeitschr. f. diäte¬ 
tische und physikalische Therapie 1903/04, Bd. VIl Heft 5. 

Jordan empfiehlt nach den Erfahrungen, die er in 100 Fällen mit der 
Massagebehandlung bei Fracturen gemacht hat, diese bei allen Fracturen der 
oberen Extremitäten anzuwenden und dieselbe mit dem fixirenden Verband zu 


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510 


Referate. 


combiniren. Bei Brüchen der unteren Extremität will er die Massagebeband- 
lung auf die Gelenkfracturen beschränkt wissen, während er bei Schaft- 
fracturen sie nur als vorbereitendes Verfahren empfiehlt und nach Schwinden 
der Anschwellung — etwa nach 8 Tagen — einen Gehverband anlegt. Die 
Erfolge konnten unter den 100 Fällen 73mal festgestellt werden. Von diesen 
73 Patienten, von denen 27 über 40 Jahre alt waren, worden 67 wieder voll¬ 
ständig erwerbsfähig, während 2 um 50 Vo» 2 um 40 % 2 um 10 ^jo in ihrer 

Erwerbsfähigkeit beschränkt waren. Zan der-Berlin. 

Eissendeck, Les fractures diaphysaires de Tanvantbras et de leur traite- 
ment. These. Lille 1902. 

Die Arbeit enthält eine vollständige Studie über die Diaphysenbrüche 
des Vorderarmes. Der Verfasser geht auf alle Theile dieses Kapitels der Patho¬ 
logie näher ein und schliesst mit der Behandlung, welche den hauptsächlichsten 
Theil der These darstellt. Er bespricht die Methode, nach welcher diese Brüche 
von seinem Chef, Dr. Guermonprez, durch Massage behandelt werden. 

Die Massage wird gleichzeitig als diagnostisches Mittel bei den Brüchen, 
welche von bedeutender Anschwellung und Blutergüssen begleitet sind, ange¬ 
wendet, und zwar wird sie im allgemeinen folgendermassen ausgeführt: 

Während ein Assistent die Gegenextension am Oberarm ausübt, macht 
der Operateur selbst die Extension mit einer Hand an der Hand des Patienten, 
dessen Vorderarm sich in Pronationsstellung auf einer horizontalen Ebene be¬ 
findet und mit der anderen Hand führt er zunächst eine leichte Effleurage 
und danach eine Reibung aus, wodurch die Hyperästhesie und die Zusammen¬ 
ziehung der Muskeln überwunden werden. Diese Handgriffe verdrängen die 
blutigen und serösen Flüssigkeiten und erleichtern die Diagnose. 

Zur Behandlung des Bruches nun lässt, nach Ausführung der Reposition 
und nachdem der Vorderarm in eine ungezwungene Supinationsstellung gebracht 
ist, der Operateur die Extension von einem Assistenten ausführen. Er selbst 
macht nun den Verband in folgender Weise: Er schneidet zwei Filzstreifen in 
dreieckiger prismatischer Form von der Grösse des Zwischenknochenraumes, 
legt sie auf beiden Seiten des Vorderarmes an, befestigt sie leicht mit einer 
Binde und bringt drei Schienen darüber an, auf die Volar-, Dorsal- und Cubital- 
seite. Der Verband wird alle 5—8 Tage erneuert, wobei man jedesmal die 
Massage ausführt und die Lage der Knochen controllirt. Nachdem man nun 
in den benachbarten Gelenken passive Bewegungen ausgefülirt hat, wird der 
Verband darauf von neuem angelegt. 

In 5 Wochen sind die Brüche geheilt und der Kranke fängt an active 
Bewegungen zu machen. 

Die Gebrauchslahigkeit ist eine vorzügliche, keine Pseudarthrose, keine 
Complication von Seiten der Gelenke oder der Muskeln. 

Ghiulamila - Bukarest. 

Whitman, A new method of treatment for fracture of the neck of the femur, 
together with remarks on coxa vara. Annals of surgery, November 1902. 
Whitman gibt eine neue Methode für die Behandlung der Fracturen des 
Schenkelhalses an. Sie besteht dann, dass man in Narkose das Bein abducirt. 


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Referate. 


511 


bis es denselben Winkel erreicht hat wie die völlige Abduction des anderen 
Beines. Dieses Verfahren bringt die Fragmente in Apposition. Das Bein wird 
dann eingegipst, erst bis zu den Malleolen und später nur bis zum Knie. 
Nach der Heilung ist eine Protectionsschiene sehr wünschenswerth, um eine 
Coxa vara in dem geschwächten Schenkelhälse zu vermeiden. Die Methode ist 
auch brauchbar för Epiphysenlösung, welche sehr oft nach einer leichten 
Verletzung der Epiphysenfuge eintritt. Whitman glaubt nicht, dass die Coza 
vara der Adolescenten durch späte Rhachitis verursacht wird, sondern durch 
eine allgemeine Schwäche. Die Abductionsmethode mit Immobilisation in Gips¬ 
verband ist auch gut verwendbar bei leichter Coxa vara von Kindern. Bei 
Adolescenten ist die lineare Osteotomie die beste Operation, während bei Kindern 
die Entfernung eines Keiles am besten ist. Albrecht-St. Louis. 


Brauckmann, Zur Casuistik der Behandlung der Kniescheibenbrüche mittelst 

Naht. Diss. Giessen 1903. 

Nach des Verfassers Ansicht leistet von allen Verfahren, die bei Patella- 
fracturen empfohlen und von ihm einzeln aufgeführt werden, kein anderes die 
gleiche Gewähr der callösen Consolidation als die Naht, die somit auch alle 
die Heilung störenden Momente in radicalster Weise beseitigt. Brauckmann 
geht des Näheren auf die Technik dieser Operation und ihre verschiedenen 
Modificationen ein, stellt die in der ihm zugänglichen Literatur veröffentlichten 
Fälle zusammen und reiht diesen neun weitere nachuntersuchte Fälle aus der 
Giessener Klinik an. In 6 Fällen wurde eine durchaus knöcherne Vereinigung 
der Fragmente erzielt, in 2 eine derbe ligamentöse; bei allen 8 Fällen waren 
die fnnctionellen Resultate gut. In einem Fall war der Erfolg wegen der Un¬ 
vorsichtigkeit und Unruhe der schon 68 Jahre alten Patientin kein guter. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Bering, Supramalleolare Längsfracturen der Fibula. Dissert. Kiel 1903. 

In der Kieler Klinik wurden 12 derartige Fälle behandelt, die Verfasser 
zum Theil selbst mit beobachten konnte. Er hat die Bezeichnung ,supra¬ 
malleolare Fracturen“ beibehalten, obwohl sich manchmal dieselben in den 
Malleolus selbst erstrecken. Sämmtliche Fracturen entstanden mit Ausnahme 
einer einzigen auf indirectem Wege meist durch Umknicken des Fusses. Nach 
des Verfassers Ansicht bandelt es sich bei diesen Fällen meist um Supinations- 
fhkcturen. Er bespricht dann ferner nach kurzen anatomischen Bemerkungen 
die Entstehung der Fractur, die pathologische Anatomie, die Symptome und 
Diagnose, die seiner Meinung nach keineswegs eine leichte ist, da meist die 
Cardinalsymptorae einer Fractur: Crepitation, Deformität und abnorme Beweg¬ 
lichkeit uns im Stiche lassen. Er hebt deshalb den Werth der Röntgen strahlen 
hervor und weist besonders darauf hin, dass man nie versäumen dürfe, zwei 
Aufnahmen zu machen. Er bringt zwei Röntgenaufnahmen von vorn, welche 
einen unverletzten Fuss zeigen, während die anderen, von der Seite aufgenommen, 
eine Fractur erkennen lassen. Nach weiteren Bemerkungen über die Prognose 
und Therapie der Fractur beschreibt Verfasser kurz die erwähnten 12 Fälle. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 


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512 


Referate. 


Bayon, Erneute Versuche über den Einfluss des Schilddrüseny er! ustes und der 
Schilddrüsenfütterung auf die ^Heilung von Knochenbrüchen. Verh. <L 
phys.-med. Gesellsch. Würzburg. N. F. Bd. 35. 

Bayon gibt eine genaue üebersicht der bisherigen Literatur und kommt 
daraus, wie aus seinen eigenen experimentellen Versuchen zu dem Schluss, dass 
die Thyreoidectomie eine Verlangsamung der Heilung vön Fracturen verursacht, 
dass bei thyreoidectomirten Kaninchen infolge Fütterung von Schilddrüsensubstanz 
die Fracturbeilung beschleunigt wird im Gegensatz zu nicht thyreoidectomirten 
und dass ferner auch bei normalen Thieren die Fracturbeilung durch Darreichung 
von Schilddrüsenpräparaten beschleunigt wird. Zwei Fracturen beim Menschen, die 
er mit Thyreoidinpräparaten behandelte, zeigten keinen Unterschied gegen einen 
gewöhnlichen Heilungsverlauf. Die bisher veröffentlichten Fälle lassen sich nur 
schwer auf ihren Werth controlliren. Von einer Thyreoidinverabreichung lässt 
sich nur etwas sicher erwarten, wenn ein Mangel der Thyreoideafunction vor¬ 
handen ist, auch bei anscheinend normalen und gesunden Menschen, die trotz¬ 
dem eine mangelhafte Thyreoidealfunction haben können. Zander-Berlin. 

Henneberg, üeber das Vorkommen und die Behandlung von Gelenkfracturen. 
Inaug.-Diss. Kiel 1902. 

Henneberg unterscheidet nach Helferich articuläre, mit directer 
Verletzung intracapsulär gelegener Theile einhergehende, sowie paraarticuläre 
Fracturen als zu den Gelenkfracturen gehörig und bespricht diejenigen Frac¬ 
turen, die auf Grund des anatomischen Befundes hierher zu rechnen sind. In 
der Behandlung spielen richtige Würdigung des Hämarthros, frühzeitige Mas¬ 
sage und energische Bewegungsübungen die Hauptrolle. Den Schluss bildet 
eine üebersicht über die in den Jahren 1899—1901 in der Kieler Klinik beob¬ 
achteten Fracturen. Rauenbusch-Berlin. 

Reichel, Zur Behandlung schwerer Formen der Pseudarthrosis; ein Beitrag 
zur Behandlung der sogen, intrauterinen Fracturen des Unterschenkels. 
Arch. f. klin. Chir. Bd. 71 Heft 3. 

Reichel hat bei einer Pseudarthrose nach intrautriner Fractur des Unter¬ 
schenkels seine Zuflucht zur italienischen Plastik genommen, nachdem er schon 
dreimal vergeblich operirt hatte. Er implantirte einen Hautperiostknochenlappen 
aus dem gesunden Unterschenkel in die vorher gesetzte Hautperiostwunde des 
kranken, und zwar auf die Tibia. Die Pseudarthrose der Fibula beseitigte er 
durch ein die Bruchstelle überbrückendes Elfenbeinstäbchen, das er zwischen 
Periost und Knochen legte. Gipsverband in gekreuzter Stellung der Beine. Am 
zwanzigsten Tage Abtrennung des per primam verheilten transplantirten Lappens 
von seiner Basis. Es trat völlige Heilung der Pseudarthrose ein, die 1 Jahr 
nach der Operation noch constatirt werden konnte. — Für die Ursache der 
stets ausbleibenden Consolidation und vielleicht auch der primären Missbildung^ 
hält Reichel nicht die sonst beschuldigte allgemeine Ernährungsstörung, sondern 
eine rein örtlich begrenzte Störung, die wahrscheinlich in einem vollständigen 
Mangel der knochenbildenden Substanz, der Osteoblastenschicht des Periostes 
an der Bruchstelle und ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu suchen ist. Aus 
diesem Grunde ist auch die einzige Methode, die zum Ziele führt, die Herbei- 


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Referate. 


513 


schafFung knochenbildender Substanz in genügender Menge an den Ort des 
Defectes, eine dauernd lebensfähige Knochenbrücke, die mit beiden Knochen- 
enden fest verwächst. Dieser Forderung genügt nur ein Hautperiostknochen¬ 
lappen. Indessen ist die Müller'sche Knochenplastik, die Verschiebung eines 
von einem der Fragmente losgelösten Periostknochenlappens bei congenitalen 
Fraeturen zu gewagt, da die äusserst gracilen Fragmente dadurch völlig ihre 
Tragfähigkeit einbüssen. Dagegen erfüllt die italienische Plastik, ausgenommen 
bei Oberschenkelbrüchen, wo sie technisch nicht verwerthbar ist, an allen 
Eitremitätenknochen völlig ihren Zweck. Erwähnt muss freilich werden, dass 
die kleine Patientin Reiche Ts in dem Jahre nach der Operation zweimal den 
gesunden Unterschenkel an der Stelle der Knochenentnahme gebrochen hat. 
Diese Fraeturen heilten freilich ganz normal. Pfeiffer-Berlin. 

Boerner, Klinische und pathologisch-anatomische Beiträge zur Lehre von den 

Gelenkmäusen. Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 70 Heft 3—4. 

Boerner hat klinische und pathologisch-anatomische Studien über Ge¬ 
lenkmäuse angestellt. 19 Corpora mobilia wurden histologisch untersucht und 
dabei folgendes festgestellt: Nur in den seltensten Fällen fand sich normaler 
Gelenkknorpel; gewöhnlich wies er — selbst bei noch nicht lange gelösten Ge- 
lenkkörpem — ausgesprochene Zeichen der Nekrose auf. Diese regressiven Ver¬ 
änderungen standen aber nicht immer in richtigem Verhältniss zu dem Alter 
der Gelenkkörper. Häufig verhindert ein gefässführender Stiel die Nekrose des 
Knorpels. Histologisch nachweisbare Unterschiede zwischen traumatischen und 
angeblich nicht traumatischen Gelenkkörpern wurden nicht gefunden, ebenso¬ 
wenig Zeichen eines entzündlichen Vorganges. Den zweiten Theil der Arbeit 
bildet die klinische Besprechung des Materials. Hier konnte Boerner fest¬ 
stellen, dass eine allmähliche Lösung von Gelenkkörpem aus den articulirenden 
Gelenkenden stattfinden kann. Die schliessliche Lösung erklärt er durch rein 
mechanische Einwirkung. Für irgend welche entzündliche Vorgänge bei der Ent¬ 
stehung freier Gelenkkörper, die sogen. Osteochondritis dissecans, hat Boerner 
keine Anhaltspunkte gefunden. Pfeiffer-Berlin. 

Oertgen, Ueber Gelenkmäuse. Diss. Giessen 1903. 

Nach einem kurzen geschichtlichen Ueberblick gibt Verfasser in seiner 
Abhandlung das wieder, »was überhaupt die heutige Wissenschaft von Gelenk¬ 
mäusen weiss*, und wie dieselbe insbesondere die Einwirkung des Traumas auf 
die Entstehung freier Gelenkkörper beurtheilt. Er gibt die Ansichten der ein¬ 
zelnen Autoren hierüber auszugsweise wieder, beschreibt die Symptome der 
Erkrankung und im Anschluss hieran einen Fall aus der chirurgischen Klinik 
zu Giessen, bei dem es sich seiner Ansicht nach um eine Osteochondritis disse¬ 
cans gehandelt hat, da kein Trauma vorlag und eine Arthritis deformans während 
der langen Dauer der Krankheit sicherlich sichtbare Veränderungen hervor- 
gerufen hätte. Sodann berichtet Oertgen über einen weiteren Fall, bei dem 
eine Gelenkmaus entfernt wurde, die zweifellos sofort nach einem Trauma ent¬ 
standen war; auch die Ansicht, dass es Fälle gibt, bei denen längere Zeit nach 
dem Trauma Gelenkmäuse -entstehen, bekräftigt er durch Mittheilung eines 
dritten Falls. B1 e n c k e - Magdeburg. 


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514 


Referate. 


Wendel, üeber habitoelle Luxationen. Archiv für OrthopSdie, Bd. I Heft 2. 

Wendel veröffentlicht 8 Fälle von habitueller Luxation, von denen zwei 
das Schultergelenk, einen das obere Ende des Radius betreffen. In allen Fällen 
wurden Defecte am Knochen nachgewiet*en, 2mal durch die Operation, Imal 
nur durch das Röntgenbild, da die Operation verweigert wurde. Aehnliche 
Befunde finden sich auch in zahlreichen Veröffentlichungen aus der letzten Zeit, 
während man früher WeichtheilVeränderungen für die habituellen Luxationen 
verantwortlich machte, Stets lässt sich ein vorangegangenes Trauma nach* 
weisen, daher ist die habituelle Luxation den traumatischen zuzurechnen und 
zu trennen von den pathologischen, sowie von den freiwilligen Verrenkungen, 
die keine Erkrankung, sondern eine Curiosität darstellen. 

Ranenbosch - Berlin. 

Taylor, The difficulties in making a diagnosis in the hone lesions of nurs* 

lings. American Journal of the Medical Sciences. November 1901. 

Taylor beschreibt die Schwierigkeiten, eine Diagnose der Knochen¬ 
krankheiten bei Kindern unter 2 Jahren, die entweder an der Brust oder 
künstlich ernährt werden, zu stellen. Folgende Krankheiten können für die 
Differentialdiagnose in Betracht kommen: tuberculöse Osteomyelitis oder £pi- 
physitis, syphilitische Periostitis und Osteochondritis, Achondroplasie, rhachi- 
tische Proliferation, Erweichung oder Ebumation, subperiostale Blutung bei 
Scorbut, Epiphysenlösung, Osteosarkome, Arthritis rheumaiica, Osteome, spon¬ 
tane Fracturen, Cysten und auch Influenza, Typhus, Bacterium coli- und 
Pneumococcusinfectionen. 

Die Untersuchung des Blutes wird vielleicht die beste Aufklärung geben, 
ist aber nicht immer sicher, da eine Leukocytose vorhanden ist kurz nach der 
Geburt und auch nach dem Essen oder einem kalten Bade. Nach einer Tuber¬ 
kulineinspritzung findet auch eine Leukocytose statt. Tuberculöse Knochen¬ 
krankheiten verursachen nur wenig Leukocytose (2000 bis 3000 mehr wie 
normal) (Brown). Syphilis, Scorbut und Rhachitis verursachen die Leukocytose 
der secundären Anämie. Osteosarkome und Rheumatismus verursachen eine 
sehr hohe Leukocytose. Eosinophilie und Myelocytose werden bei Sarkomen und 
Syphilis gefunden. Bluten des Gaumens bei Scorbut findet bei Kindern, bei 
denen die Dentition noch nicht begonnen hat, nicht statt (Starr, Rotch, 
Lewis Smith und H. L. Taylor). Albrecht-St. Louis. 

Bayer, Zur Behandlung der Knochenhöhlen in der Tibia und im Calcaneus. 

Centralbl. f. Chir., Nr. 19. 1903. 

Bayer beschreibt ein sehr praktisches Verfahren zur üeberhäatung 
grosser Höhlen der Tibia nach Nekrotomien. Dasselbe bestellt darin, das« nach 
gründlicher Säuberung der Höhle und Entfernung der Fisteln und kranken Haut 
durch Ablösung des Periostes nach beiden Seiten bis weit ins Gesunde hinein 
ein Hautperiostlappen gebildet wird. Dann wird durch Abmeisseln der vor¬ 
stehenden Ränder, eventuell durch Verlängerung der Höhle nach oben und 
unten eine flache, kahnförmige Mulde gebildet, die sorgfältig geglättet wird. 
Die Weichtheillappen werden dann in die mit Jödoform bestäubte oder mit 
Jodoformglycerin ausgespritzte Höhle hineingelegt und durch einen der Breite 


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Referate. 


515 


and Länge der Höhle entsprechenden, durch einige Nähte befestigten Jodoform¬ 
gazebausch fest angedrückt. Verband mit reichlich Gaze, der 8—10 Tage liegen 
bleibt. Aehnlich wird beim Calcaneus verfahren. Rauenbusch-Berlin. 

Kramer, Ein Fall von multiplen cartilaginösen Exostosen. Arch. f. Ortho¬ 
pädie, Mechanotherapie und Unfallchirurgie. Bd. I Heft 2. 

Kramer beschreibt einen Fall von multiplen knorpeligen Exostosen bei 
einem 21jährigen Manne. Patient ist von geringer Körpergrösse (145 cm), im 
übrigen kräftig entwickelt. Die Exostosen sind sehr zahlreich vorhanden, be¬ 
treffen die Rippen, die Schulterblätter, die rechte Spina ant. sup., die beiden 
Oberschenkel, Tibia und Fibula, die beiden Schlüsselbeine, den rechten Ober¬ 
arm und Radius und mehrere Finger der linken Hand. Eine am unteren 
Diittel des linken Oberschenkels und eine an der Innenseite der linken Tibia 
sitzende Exostose wurden operativ entfernt. In der linken Kniekehle, der 
untersten Partie des Femur entsprechend, befand sich ein rundlicher Knochen¬ 
vorsprung von der Grösse einer halben Wallnuss, der mechanisch die Beugung 
des Unterschenkels hindert. 

Patient litt früher an Rhachitis. Er zeigt eine linksconvexe Dorsal¬ 
skoliose, beiderseits starken Pes valgus, leichte Varusstellung des linken Knies 
und eine nach aussen convexe Verbiegung der rechten Tibia in ihrem unteren 
Theile. Die Grössenverhältnisse der correspondirenden Knochen differiren nicht 
unwesentlich: 

Länge des rechten Schlüsselbeins 15 cm, des linken 13 cm 
, , „ Radius 21 „ , , 23 , 

, der , Ulna 22,5 „ der , 24 , 

„ des , Mittelfingers 9 , des , 8 , 

n ■ «4. Fingers 8 • • « 9 » 

Der Vater des Patienten hatte ebenfalls Knochenauswüchse am Arm, ein Bruder 
an Arm und Bein. 

Virchow hat auf die Vererbung solcher multipler Exostosen aufmerk¬ 
sam gemacht und auf ihre Entstehung aus abnormen Vorgängen in der Ver¬ 
knöcherung der Intermediärknorpel hingewiesen. Mit Brenner, Besse 1- 
Hagen und Hoffa nimmt Verfasser an, dass die Exostosenbildung, die mit 
dem Verschwinden der Epiphysenlinien Hand in Hand geht, auf Kosten des 
Längenwacbsthums der Knochen stattfindet, indem das Material, welches ur¬ 
sprünglich bestimmt war, das Längenwachsthum des Knochens zu besorgen, 
durch die vorliegende, noch unbekannte Störung in der Entwickelung der 
Epiphysenlinien nach aussen gedrängt worden ist, so dass es jetzt statt in die 
Länge Unregelmässigerweiser in die Breite gewachsen ist. 

Kramer fügt seiner Arbeit eine Anzahl von Röntgenbilden bei. 

K i e w e - Berlin. 

Swoboda, Ein Fall von chondrodystrophischem Zwergwuchs (Achondroplasie). 

Wiener klin. Wochenschr. 1903, Nr. 23. 

Swoboda gibt die genaue Beschreibung eines Falles von cbondrodystro- 
phischem Zwergwuchs bei einem 10jährigen Mädchen, das in seiner Kindheit 
stete auf Rhachitis behandelt wurde — natürlich ohne jeden Erfolg. Die 


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516 


Referate. 


Prognose in Bezug auf Erreichung normaler Eörpergrösse ist schlecht, auch 
quoad vitam ist die Prognose bei Frauen wegen der Gefahr bei eventuellen Ge¬ 
burten schlecht. Versuche mit Schilddrüsenfütterung haben bisher weni^ Er¬ 
folg gehabt. Zander-Berlin. 

Rothschild und Brünier, Macrodactylie congenitale. Revue d'hygiene et 

medecine infantiles Nr. 3. 1903. 

Rothschild und Brünier beschreiben einen Fall von angeborener 
Makrodactylie bei einem 3jährigen sonst normalen Kinde. Der Riesenwuchs 
betraf den zweiten und dritten Finger der linken Hand, die schon bei der 
Geburt erheblich grösser gewesen sein sollen als die Übrigen Finger. Wie fsist 
immer in solchen Fällen enthielten die beiden befallenen Finger die gewöhn¬ 
liche Zahl von Phalangen; sie waren überhaupt bis auf Verbiegungen und ihre 
enorme Grösse normal gebildet. Von den verschiedenen Theorien über die 
Entstehung des Leidens bevorzugen die Verfasser die »vasculäre®, die sich auf 
experimentelle Beweise stützt. Danach soll eine örtliche Verlangsamung^ des 
Blutstromes trophische Störungen verursachen, die durch Irritation der Epiphysen¬ 
knorpel ein übermässiges Wachsthum des Skelets hervorrufen. Für die Be¬ 
handlung solcher Fälle kommt nur ein operatives Vorgehen in Betracht und 
zwar ist die Entfernung der hypertrophischen Finger in schwereren Fällen 
direct indicirt, da diese andesnfalls auch die Brauchbarkeit der übrigen Finger 
in Frage stellen. Pfeiffer-Berlin. 

Amrein, Ein Fall von hereditärer Hexadactylie. Inaug.-Diss. Basel 1903- 

An der Hand eines Falles von hereditärer Hexadactylie und sechs weiterer 
Fälle von Polydactylie bespricht Verfasser die Aetiologie dieser Abnormitäten, 
und charakterisirt dieselben als Missbildung. Die Erblichkeit spielt besonders 
bei dem symmetrischen Auftreten eine wesentliche Rolle. Die Ursache bei 
primärem Auftreten liegt in Störungen der Keimanlage, vielleicht durch psychische 
Affection der Mutter oder eher durch Einwirkung äusserer Gewalt, und hier 
entweder durch Spaltung infolge Einwirkung des Amnions oder durch abnorme 
Wucherung der nicht differenzirten embryonalen Zellen infolge mechanischer 
Reizung. Gegen die atavistische Auffassung sprechen schwerwiegende Gründe, 
ebenso gegen die Annahme einer fortschreitenden Entwickelung des Organismus. 
Da die Polydactylie als Missbildung aufzufassen ist, so ist ihre Beseitigung 
schon aus ästhetischen Gründen, mehr noch aus praktischen wegen der Gebrauchs¬ 
unfähigkeit indicirt. Scheffler-Berlin. 

Morestin, Pouce bifide. Bull, et mem. de la soc. anatomique de Paris Nr. 6. 
1903. 

In einem Falle von Verdoppelung der Endphalanx des linken Daumens 
bei einem 3‘/ 2 jährigen Knaben hat Morestin mit gutem kosmetischen und 
functioneilen Erfolge die äussere Phalanx exstirpirt. Um die stehengebliebene 
Phalanx dauernd über der Mitte des distalen Gelenkendes der Grundpbalanx 
zu erhalten, musste Morestin den mittleren Theil dieser Gelenkfläche, der 
kammartig erhöht war, abtragen. Diese Operation ist immer zu empfehlen, 
wenn die überzählige Phalanx ein falsches Grössenverhältniss hat oder schief 


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Referate. 


517 


gestellt ist. Andernfalls könnte man auch die einander zugekebrten Hälften 
der Doppelpbalangen reseciren und die übrigbleibenden Partien adaptiren und 
mit einander vereinigen. Pfeiffer-Berlin. 

Wittkower, Ueber Hyperpbalangie am Daumen mit Valgussteilung der End¬ 
phalanx. Inaug.-Diss. Berlin 1903. 

Wittkower beschreibt nach einleitenden Bemerkungen Über die Miss¬ 
bildungen überhaupt einen Fall von doppelseitiger Hyperpbalangie am Daumen 
mit Valgussteilung der Endphalanx, der in der Berliner üniversitätspoliklinik 
für orthopädische Chirurgie beobachtet und operativ behandelt wurde und gibt 
die Reproduction von Photographie und Röntgenbild vor und nach der Operation. 
Nach Beschreibung der bisher veröffentlichten ähnlichen Fälle weist der Ver¬ 
fasser darauf bin, dass derartige Beobachtungen geeignet sind, etwas beizu¬ 
tragen zur Lösung der Frage, welches Glied eigentlich beim normalen Daumen 
fehlt, und spricht sich für die Anschauung Pfitzner's aus, dass beim Daumen 
(und bei den grossen Zehen) Mittel- und Endphalanx zu einer vergrösserten 
Endphalanx verschmolzen sind. Rauenbusch-Berlin. 

Hab er er, Ein Fall von Polydactylie des Fusses. Wiener klin. Wochenschr. 

1908, Nr. 20. 

Es bandelt sich um eine seltene Anomalie: ein Fuss mit acht Zehen. 
Die überzähligen Zehen befinden sich alle an der tibialen Seite des Fusses, sind 
also als überzählige Grosszehen zu betrachten. Während nun in der Regel an 
einer überzähligen Gross- oder Kleinzehe nur die Phalangen ausgebildet sind, 
der Metatarsus dagegen fehlt, finden wir hier folgende Besonderheiten: 

Die zweite der medial gelegenen überzähligen Zehen — die erste ist 
früher operativ entfernt worden — besteht aus drei Phalangen, einem Metatarsus 
nnd einem Keilbein. 

Die dritte articulirt mit dem distalen Ende des Grosszehenmetatarsus, 
so dass also letzterer doppelte zweigliedrige Phalangen trägt. 

Durch operative Entfernung der dreigliedrigen überzähligen Grosszehe 
wurde ein functioneil und kosmetisch günstiges Resultat erzielt. 

Wollenberg - Berlin. 

Haim, Ueber angeborenen Mangel der Fibula. Arch. f. Orthopädie Bd. 1 

Heft 1. 

Haim gibt die Krankengeschichte eines 7 Jahre lang behandelten Falles 
von angeborenem Mangel der Fibula, dem sich ein Defect der lateralen Fuss- 
knochen zugesellte; es fehlten der vordere Theil des Calcaneus, das Os cuboideum, 
das dritte Keilbein und die ganze fünfte Zehe. Haim hat nun in der Literatur 
112 einschlägige Fälle aufgefunden und die seit Erscheinen der Haudeck’schen 
Arbeit veröffentlichten 9 Fälle mitgetheilt. Nach seiner Meinung ist die Ur¬ 
sache für die Defectbildungen der Gliedmassen schon in einer mangelhaften 
Anlage des Keimes selbst und nicht in einer exogenen Ursache zu suchen. Für 
diese Ansicht sprechen das hereditäre Auftreten und das häufige Vorhanden¬ 
sein noch andrer Missbildungen. Die von anderer Seite angenommene Ent¬ 
zündung des Amnion müsste sich in mehr regelloser Weise äussem und könnte 


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Referate. 


nicht ein so typisches gleichartiges Bild erzeugen, wie es der Fibnladefect bietet 
Dieses klinische Bild besteht in Verkrümmung und Knickung der Tibia, an der 
die Haut gewöhnlich über dem Knickungsscheitel adhärirt; die Fibnla fehlt 
vollständig oder es ist an ihrer Stelle ein sehniger Strang erhalten. Die Mus- 
culatur ist stark atrophisch, der Fuss steht in extremer Valgusstellung. Ande^ 
weitige Missbildungen und Defecte fanden sich unter den 113 Fällen Slmal 
Besonders auffällig ist das Zurückbleiben der betroffenen Extremität im Wachs' 
thum, das Haim auf eine angeborene Störung (eine Art Hypoplasie) der 
trophischen Nerven zurückführt Bezüglich der Therapie ist im vorliegende 
Falle beabsichtigt, durch schräge Osteotomie der Tibia das Bein zu verlängern 
und die Valgusstellung des Fusses durch eine Arthrodese zu corrigiren. Es 
soll damit jedoch gewartet werden, bis das Wachstbum in der Epiphyse ab* 
geschlossen ist, also bis zum 16. oder 17. Jahre. — Haim erklärt sieb 
nämlich einen grossen Tht'il der therapeutischen Misserfolge daraus, dass die 
operativen Eingriffe zu früh vorgenommen wurden. Pfeiffer-Berlin. 

Ziegner, Kasuistischer Beitrag zu den symmetrischen Missbildungen der 

Extremitäten. Münchener med. Wochenschr. 1903, Nr. 32. 

Beiderseitige Missbildung der Hand und des Fusses, die durch Genera¬ 
tionen hindurch in der Familie erblich ist, ohne je ihren Charakter geändert 
zu haben. 

Die Endglieder beider Zeigefinger sind nach der radialen Seite abgebogen, 
während die Mittelglieder verkümmert sind und Eeilform besitzen. 

An beiden Füssen zeigt die grosse Zehe Abbiegung ihrer Endphalange 
nach der fibularen Seile, Verkümmerung und keilförmige Gestalt ihrer Grund* 
phalange (eine «Mittelphalange* der grossen Zehe, wie im Original zu lesen 
ist, gibt es nicht). 

Die übrigen Zehen zeigen Abbiegung ihrer Endphalangen nach der 
tibialen Seite, jedesmal auf Kosten der Mittelphalangen. 

W ollenberg-Berlin. 

Fuchsberger, lieber einen Fall von angeborener Missbildung sämmtlicber 

Extremitäten. Diss. München 1903. 

Es handelt sich um ein 12jähriges Mädchen, dessen Eltern und sieben 
Geschwister ganz gesund und normal gebaut sind. Es besteht eine erst später 
erworbene linksconvexe Brustskoliose. Von beiden oberen Extremitäten sind nur 
rudimentäre Oberarmstümpfe vorhanden; die linke untere Extremität besteht 
nur aus einem kurzen Stumpf des Obei-schenkels mit kleinem Anhängsel. Die 
rechte untere Extremität ist bedeutend verkürzt: das Femur ist in ganz rudi¬ 
mentärer Form erhalten, die Fibula fehlt ganz, ebenso Metatarsus V und die 
dazu gehörige Zehe. 

Verfasser bespricht dann an der Hand dieses Falles derartige Deformi¬ 
täten, ihre Aetiologie etc. und hält sich dabei wesentlich an die Ausführungen 
Kümmel’s. Blencke-Magdeburg. 

Nickles, Ein Fall von Dicephalus. Diss. Erlangen 1903. 

Verfasser erwähnt kurz die wichtigsten und die die meiste Wabrsch^- 
lichkeit beanspruchenden Theorien der Entstehung und beschreibt sodann die 


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Referate. 


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Missgeburt, die zwei normale Köpfe und Hälse hatte, während der übrige 
Körper und die Extremitäten einfach waren. Interessant sind die Verhältnisse 
des Skelets, die durch eine Röntgenaufnahme, die leider bei der Arbeit ver¬ 
misst wurde, festgestellt wurden: Die Hälse setzen sich in je eine Wirbelsäule 
fort^ welche nirgends zusammenfliessen, so zwar, dass sie sich gegen die letzten 
Brustwirbel zu einander nähern, um ziemlich genau parallel mit einander 
bis etwa zum ersten Lendenwirbel zu verlaufen und von da zum‘ Becken¬ 
boden in sehr spitzem Winkel convergirend schliesslich in je einem be¬ 
sonderen Kreuzbein zu endigen. Die linksseitig entspringenden Rippen der 
rechten Körperanlage sind mit den rechtsseitig entspringenden der linken in 
der Medianlinie kammartig verschmolzen und vervollständigen so die Bildung 
der gemeinschaftlichen Schulterhöhle. Ueber diese spannen sich brückenförmig 
die von je einer Scapula kommenden Claviculae hinüber zu dem unpaaren 
Manubrium stemi. Sonst sind keine wesentlichen Besonderheiten an den Knochen 
nachweisbar. Auf die interessanten Verhältnisse, die die inneren Organe bieten, 
kann ich nicht näher eingehen, sie müssen im Original nachgelesen werden. 

B1 e n c k e • Magdeburg. 

Grahl, Ueber das Verhältniss von Akromegalie und Hy^ophysistumoren. Diss. 

München 1903. 

Da nach des Verfassers Meinung auch heute noch keine vollständig ge¬ 
klärte Ansicht Über das Wesen der Akromegalie besteht, so bringt er, nachdem 
er kurz auf das Krankheitsbild selbst eingegangen ist, eine Zusammenstellung 
der verschiedenen Theorien, die er in zwei Hauptgruppen tbeilt: 1. in solche, 
die einen causalen Zusammenhang zwischen Hypopbysiserkrankung und Akro¬ 
megalie annehmen, und 2. in solche, die den Grund der Erkrankung nicht von 
der Hypophyse abhängig machen. Verfasser hat die Fälle aus der Literatur 
mit und ohne Hypophysistumoren vom Jahre 1897 zusammengestellt, also die 
Sternberg’sche Statistik fortgesetzt. Er konnte 21 Fälle mit Tumoren, 
12 Fälle ohne Tumoren und 16 Fälle von Hypophysistumoren ohne Akromegalie 
zusammenstellen, deren wichtigste Ergebnisse er in Tabellenform wiedergibt. 
Auf Grund dieser seiner Beobachtungen kommt er zu der Ansicht, dass von 
einem strengen, causalen Zusammenhang zwischen Akromegalie und Hypophysis¬ 
tumoren keine Rede sein kann. Da nun aber ein Zusammenhang ganz sicher 
besteht und die Tumorbildung als eine durchaus specifische Erscheinung bei 
der Akromegalie angesehen werden muss, weist Grahl auf das Bestehen einer 
gemeinsamen dritten Ursache hin, die nach seiner Ansicht in einer endogenen, 
angeborenen Entwickelungsanomalie zu suchen ist, wie es schon von Strümpell 
im Jahre 1897 ausgesprochen wurde. Ein Literaturverzeichniss, das 54 Num¬ 
mern umfasst, und eine Abbildung sind der lesenswerthen Arbeit beigegeben. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Gross, Ueber angeborenen Mangel der Schlüsselbeine. Münchner med. Wochen¬ 
schrift 1903, Nr. 27. 

Doppelseitiger angeborener Claviculardefect bei einem in der Entwickelung 
zurückgebliebenen Mädchen. Die medialen Theile der Schlüsselbeine sind als 
2 cm lange, frei endende Stümpfe palpabel. Heredität ist nicht nachweisbar. 
Functionsstörungen bestehen nicht. Wollenberg -Berlin. 


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Referate. 


Bogusat, ÄDomalien und Varietäten des Brustbeins. Dias. Königsberg 

Im ersten Theil seiner Arbeit berichtet Bogusat über die Entwickelung- 
geschicbte des Brustbeins unter Anfügung eigener Beobachtungen, die er an 
30 Exemplaren von embryonalen Brustbeinen machte. Die Untersuchungen be¬ 
schäftigten sich in der Hauptsache mit Feststellung von Anzahl, Anordnung. 
Grösse und Gestalt der Knochenkeme, sowie der Symmetrie oder Asymmetrie 
der Rippenansätze. 

Der zweite Theil der Arbeit bringt einige Betrachtungen über den am 
Brustbein ausgeprägten Geschlechtstypus des Menschen. Es ergab sich als Ver- 
hältniss der Länge des männlichen Manubrium stemi zum männlichen Corpus 
sterni in die Proportion 5 : 11,8, die der Längen des weiblichen Manubrium zum 
Corpus 5 : 9,7. 

Ira dritten Theile beschäftigt sich Verfasser mit den Anomalien und 
Varietäten des Brustbeins. Verfasser bezeichnet als Anomalien alle Formen 
desselben, deren Entstehung auf embryologische Verhältnisse zurückzuföhren 
ist und welche unter Umständen Functionsstörungen hervorrufen können, als 
Varietäten dagegen jede Abweichung von der Gestalt und dem Aussehen des 
Brustbeins, deren Existenz functionell keinerlei Störungen hervorruft. 

Zu den Anomalien rechnet er: 

1. Fissuren und Foramina. 

2. Abnormale Segmentirung des fertigen Brustbeins. 

3. Ossa suprasternalia. 

Zu den Varietäten: 

4. Abweichende Formen des Manubrium. 

5. Abweichende Formen des Corpus stemi und des Processus xyphoideus. 

6. Verknöcherungen. 

Die einzelnen Formen werden besprochen. Ein Literaturverzeicbnias, das 
89 Nummern umfasst, beschliesst die Arbeit. Blencke-Magdeburg. 

Kutz, Beitrag zur Casuistik der Enchondrome am Halse. Königsberg. Diss. 1903. 

Verfasser beschreibt einen seltenen Fall von congenitalem Enchondrom 
neben dem Processus spinosus des sechsten Halswirbels bei einer 56jährigen 
Dame, das erhebliche Beschwerden machte. Die erste Empfindung von Un¬ 
behagen spürte sie, als sie 16 Jahre alt war; die Schmerzen wurden immer 
stärker; sie traten im Schulterblatt als schmerzhaftes Zucken auf, das bald in 
heftiges Reissen au.sartete, zur Halswirbelsäule aufstieg und in einen heftigen 
Kopfkrampf überging. Die vorgenommene Operation beseitigte alle diese Be¬ 
schwerden. 

Kutz konnte in der Literatur keinen Fall finden, der mit dem beobach¬ 
teten genauer übereinstimmte, dagegen konnte er 58 Fälle von einer anderen 
Art von congenitalen Enchondromen am Halse zusammenstellen von den sogen. 
Halsanhängen. B1 e ncke-Magdeburg. 

Sachtleben, Die in der chirurgischen Klinik zu Breslau beobachteten Falle 

von Spina bifida aus den Jahren IsQl—1903. Diss. Breslau 1903. 

Verfasser zählt zunächst alle Arten der Spina bifida auf, schildert, die 
normale Entwickelung der in Frage kommenden Theile, um dann zur Be- 


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Referate. 


521 


sprechuBg der einzelnen Formen überzugehen, der Entstehung dieser, ihrer 
Prognose und Therapie. Heutzutage wird wohl fast ausschliesslich nur noch 
die Radicaloperation angewandt Verfasser will alle jene Fälle von der Ope¬ 
ration ausgeschlossen wissen, die mit irreparablen, ein längeres Lehen mit 
Sicherheit ausschliessenden Missbildungen oder mit schwereren Lähmungen com- 
plicirt sind. Der Zeitpunkt der Operation soll möglichst früh sein. Sacht 
leben konnte ans der Breslauer Königl. Universitätsklinik 30 Fälle aus den 
Jahren 1891—1903 zusammenstellen, hei denen der Sitz des Leidens 28mal in 
der Lenden- hezw. Kreuzheingegend, 2mal an der Halswirbelsäule war. 18mal 
wurde die Radicaloperation ausgeführt, Imal die Injectionsmetbode; llmal 
wurde aus oben angeführten Gründen von einer Operation abgesehen. Von 
den 18 Operirten starben 6 an den Folgen der Operation, 12 wurden als local 
geheilt entlassen. Die Todesfälle sind nach Sachtleben’s Ansicht darauf 
zurückzuführen, dass früher nicht streng genug bei der Indicationsstellung zur 
Operation verfahren wurde; denn von den 12 nach 1896 zur Operation ge¬ 
kommenen Patienten ist nur einer gestorben. Von den 12 geheilten waren ge¬ 
sund 5, nur local geheilt 7; cs starben bis 1 Jahr nach dem Eingriff 6, die alle 
vorher paraplegisch waren. Zwei völlig geheilte starben an intercurrenten Krank¬ 
heiten. Es leben demnach noch 6, von denen 4 vollständig gesund sind, einer 
ist bis auf eine Blasenlähmung gesund, der andere hat ein locales Recidiv und 
befindet sich in einem traurigen Zustande. Die guten Dauerresultate sind durch 
atypische Vernähung der Sackwand resp. der Haut ohne Muskel- oder gar 
Knochenplastik erzielt. Am Schlüsse der Arbeit finden wir eine ausführliche 
Tabelle, auf der die Einzelheiten der erwähnten 30 Fälle zusammengestellt sind. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Hess, Zur Casuistik der Osteomalacie des Mannes. Diss. München 1903. 

Nach einigen allgemeinen Erörterungen über die Osteomalacie, ihr Vor¬ 
kommen, ihre Aetiologie etc. führt Verfasser alle die seit 1861 veröffentlichten 
Falle von männlicher Osteomalacie, soweit er sie in der ihm zugänglichen 
Literatur finden konnte, an. Es sind 25 an der Zahl, denen er einen weiteren 
Fall anreiht, der zur Section kam. Durch dieselbe und durch die mikroskopische 
Untersuchung der Knochen wurde es unzweifelhaft festgestellt, dass man es mit 
typischer Osteomalacie zu thun hatte. Der Process scheint nach des Verfassers 
Ansicht an der Wirbelsäule seinen Anfang genommen und sich von dort nach 
oben und unten auf die angrenzenden Knochen ausgebreitet zu haben. Nach 
unten machte er in der Mitte des Oberschenkels Halt, während nach oben nur 
der Schädel verschont blieb und wahrscheinlich auch die oberen Extremitäten, 
von deren Untersuchung aus äusseren Gründen Abstand genommen wurde. Der 
Verlauf war nur in den letzten Jahren ein progressiver, dagegen ähnelte er in 
den ersten 11 Jahren ganz der puerperalen Osteomalacie. Am Schlüsse seiner 
Arbeit bringt Hess einen statistischen Ueberblick an der Hand dieser 26 Fälle 
von männlicher Osteomalacie. Ein Literaturverzeichniss, das 81 Nummern um¬ 
fasst, ist der Arbeit beigegeben. Blencke-Magdeburg. 

Eckel, Beiträge zur Heilbarkeit der Osteomalacie. Diss. Würzburg 1903. 

Die Arbeit bildet eine Fortsetzung der Schnei Ischen Arbeit aus dem 
Jahre 1898. Verfasser stellt die in der Würzburger Frauenklinik seit diesem 


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522 


Rtferate. 


Jahre zur Beobachtung gekommenen Fälle von Osteomalacie zusammen. Ec 
waren 10 Fälle, von denen bei 8 kein operativer Eingriff nöthig war, bei 2 
wurde die Castration ausgeführt, bei 5 war wegen Complication mit Gebnrts- 
Vorgängen die Porrooperation nöthig. Eine Patientin starb post Operationen!. 

In allen Fällen, wo Phosphorleberthran angewandt wurde, war eine dauernde 
zweifellose Besserung der Beschwerden zu constatiren. Bei den mit Entfernung 
der Ovarien und des Uterus durch die Porrooperation behandelten Frauen ist 
in allen Fällen ein voller Erfolg zu verzeichnen gewesen, der manchmal in 
wunderbar kurzer Zeit nach der Operation auftrat. Eckel will deshalb bei 
der sogen, tardiven Form Phosphorleberthran angewendet wissen, bei der sogen, 
progressiven die Operation. 

Von den SchnelTschen Fällen konnte Eckel 3 nachuntersuchen, 2 be¬ 
richteten ihm über ihren Zustand. Bei 8 durch Castration geheilten Fällen war 
ein dauernder Erfolg zu constatiren; auch einer mit Phosphorleberthran be¬ 
handelten Patientin ging es gut, sie war in ihrer Arbeit nicht mehr gestört. 

Bei einem Fall, wo durch Porrooperation die Ovarien entfernt wurden, schien 
der Erfolg ausgeblieben zu sein. Blencke-Magdeburg. 

Leonhardt, Ueber den osteomyelitischen E^nochenabscess. Diss. Jena 1903. ! 

In der Jenenser Klinik, Über deren Material Leonhardt in dieser Arbeit * 
berichtet, sind von Ostern 1888—1902 incl. 43 Fälle von osteomyelitischem 
Knochenabscess beobachtet worden. Auf ca. 600 Fälle von Osteomyelitis ver¬ 
theilt, die während dieses Zeitraums zur Aufnahme und Operation kamen, er¬ 
gibt sich ein Procentsatz von 7^/o, ein weit höherer nach Verhisser als der der 
übrigen ,atypischen* Ausgangsforraen. Der Knochenabscess ist nach Leon¬ 
hardt häufiger, als gemeinhin in den neueren Arbeiten angenommen wird. , 
Verfasser beschäftigt sich in ausführlicher Weise mit dem anatomischen und 
klinischen Krankheitsbild, bringt aber, wie er auch selbst hervorhebt, keine ^ 

wesentlich neuen Gesichtspunkte. Er hat es sich zur Specialaufgabe gemacht, 
an dem vorhandenen Material zu prüfen, inwieweit die Vermuthung von Gross, 
der ja bekanntlich die Pathogenese des osteomyelitischen Knochenabscesses von 
einem ganz anderen Gesichtspunkt aus wie die anderen Autoren beurtheilt, eine | 
Bestätigung bezw. Widerlegung findet. Sein Material ist durchaus geeignet, 
die Ansicht von Gross zu unterstützen, der entschieden fordert, den Knochen- 
iibscess als .Ausgangsform* einer diaphysären Infection anzusprechen mit der 
speciellen Localisation in der Apophyse, und stellt eine bis ins Einzelne gehende 
Uebereinstimraung mit den Feststellungen von Gross sicher. Am Schluss hat 
Verfasser die beobachteten Fälle in Form einer Tabelle zusammengestellt. 

B1 e n c k e- Magdeburg. 

Scbultze, Ueber Knochen- und Gelenkveränderungen bei Syringomyelie, Diss. ' 

Freiburg 1903. 

Es handelt sich um einen Patienten, bei dem mit aller Wahrscheinlich- j 
keit eine Syringomyelie und zwar vom Sacrolumbaltypus diagnosticirt werden 1 
konnte. Als augenfälligste Erscheinung bot derselbe eine hochgradige Ver- i 
unstaltung beider Füsse, die den Gebrauch des linken ganz unmöglich machte. 1 
so dass die vom Patienten gewünschte Amputation des Fusses nach der ^ 
Pirogoffschen Methode vorgenommen wurde. 


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Referate. 


523 


Der amputirte Fuss wurde sowohl in anatomischer wie in histologischer 
Beziehung untersucht. Die Untersuchung förderte viel ausgedehntere Zer- 
störungsprocesse zu Tage, als man aus dem äusseren Anblick vermuthen konnte. 
Die Ergebnisse der mikroskopischen Untersuchung hat Schnitze zum Haupt¬ 
inhalt seiner Arbeit gemacht und bringt dieselbe, nachdem er noch des Näheren 
auf die interessante Krankengeschichte eingegangen ist, ausführlich. Neben 
ausgedehnter Knochenresorption zeigte sich eine ausserordentlich reichliche Neu¬ 
bildung von Knochen- und Knorpelgewebe sowohl in der Nähe als auch in 
weiterer Umgebung der Gelenke, sowohl vom Periost als vom Endost aus¬ 
gehend. Die Erscheinungen an den befallenen Gelenken beruhten in atrophischen 
und hypertrophischen Zuständen an den Gelenkknorpeln, die theilweise zur 
Ankylose geführt hatten. Blencke-Magdeburg. 

Schablowski, Die Veränderungen des Knorpels bei tuberculöser Gelenk¬ 
entzündung und ein Fall von Gonitis syphilitica. Diss. Königsberg 1903. 
Verfasser gibt zunächst eine kurze Uebersicht über die in den letzten 
Jahrzehnten erschienenen, ausführlichsten Arbeiten über Knorpelveränderungen, 
speciell bei solchen tuberculöser Natur, um dann seine eigenen Untersuchungen 
wiederzugeben, die er am Knorpel von resecirten Kniegelenken gemacht hatte. 
Er fand, dass neben den verschiedensten regressiven Veränderungen des Knorpels 
auch progressive Vorkommen und dass der Knorpel sich bei fungöser Gelenk¬ 
entzündung, wenn auch nicht stets, so doch in einzelnen Fällen, nicht völlig 
passiv verhält und etwa wie ein Thrombus durch Granulationsgewebe substituirt 
wird, sondern activ an der Bildung des Granulationsgewebes Theil nimmt. 

Im Anschluss hieran beschreibt Schablowski noch einen Fall von Ge¬ 
lenksyphilis. Bei der Autopsie fanden sich ausser einer typischen luetischen 
Hepatitis und glatten Atrophie der Zungenwurzel an Femur und Tibia beider¬ 
seits, sowie an beiden Kniegelenken Veränderungen, die mit Rücksicht auf den 
localen und übrigen Befund sofort als syphilitische Processe gedeutet werden 
mussten. Der vorliegende Fall war ganz analog dem von Virchow beschrie¬ 
benen. Es bestand nur der Unterschied, dass in diesem Falle auch die Knochen 
ergriffen waren und dass auch die Ränder der Gelenkliächen hochgradig ver¬ 
ändert und stellenweise des Knoi-pels vollständig beraubt waren. (Verfasser 
hatte die Liebenswürdigkeit, mir zu schreiben, dass er diesen Fall noch ein¬ 
gehend untersucht habe und dabei zu dem Resultat gekommen sei, dass ein 
exacter Beweis für die luetische Aetiologie nicht zu erbringen ist. Trotzdem 
erscheine es ihm sehr wahrscheinlich, dass es sich um einen luetischen Process 
gehandelt habe.) Blencke -Magdeburg. 

Schablowski, Die Veränderungen des Knorpels bei tuberculöser Gelenk¬ 
entzündung. Arch. f. klin. Chir. Bd. 70 Heft 1. 

Schablowski hat durch sorgfältige histologische Untersuchungen des 
Knorpels bei tuberculöser Gelenkerkrankung gefunden, dass neben den ver¬ 
schiedensten regressiven Veränderungen des Knorpels auch progressive Vor¬ 
kommen, d. h. der Knorpel verhält sich bei der fungösen Gelenkentzündung 
wenigstens in einzelnen Fällen nicht völlig passiv, sondern er nimmt activ an 
der Bildung des Granulationsgewebes Theil. Seine Zellen bilden sich nämlich 
Zeitschrift für orthopiulische (’hinirgie. XII. Bil. 34 


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524 


Referate. 


theilweise zu spindelförmigen Fibroblasten um, die nach der Oberfläche zu immer 
grösser werden. Auch die Grösse der Knorpelhöhlen nimmt gleichzeitig zu, 
sie schliesslich in Gommunication mit dem darüberliegenden Granulationsgewebe 
treten. In diese offenen Knorpelhöhlen treten dann Gefässschlingen von dem 
Granulationsgewebe ein, Fibroblasten, Leukocyten und Rundzellen dringen ein, 
so dass schliesslich der Zellinhalt der Knorpelhöhlen zu einem Theil des Granu¬ 
lationsgewebes wird. Aehnliche Knorpel Veränderungen konnte Schablowski 
auch bei den ostalen Formen der fungösen Gelenkentzündungen auf der dem 
Knochen zugewandten Seite des Knorpels constatiren. Principielle Unterschiede 
konnte er dabei nicht aulfinden. Eine Umwandlung von Knorpelzellen in Eiter¬ 
körperchen oder gar rothe Blutkörperchen sah er niemals. 

Pfeiffer - Berlin. 

Ludloff, Zur Diagnostik der Knochen- und Gelenktuberculose. Arch. f. klin. 

Chir. Bd. 71 Heft 3. 

Ludloff, der vor einem halben Jahre Serien von Röntgenbildem ge¬ 
sunder Kniegelenke veröffentlicht hat, konnte damals zeigen, dass sich bei seit¬ 
licher Durchstrahlung in der vorderen Hälfte des Condylus, so lange die Epi¬ 
physenfuge noch persistirt, normalerweise eine durchlässigere Stelle befindet 
der sogen. Epiphysenfleck, dessen Structur eine mehr stem- oder netzförmige 
ist. Ferner konnte er nachweisen, dass im zweiten Lebensjahre auffallend 
lange Protuberanzen an der medialen Knochenknorpelgrenze des Condylus 
medialis, im vierten Jahre auch am Condylus extemus erscheinen. Diese Pro¬ 
tuberanzen liegen ebenso, wie der Epipbysenfleck, in der Gegend der eintretenden ! 
Vasa nutritia. Nunmehr veröffentlicht Ludloff Serien von Röntgenbildem 
tuberculös erkrankter Kniegelenke jugendlicher Individuen, an denen er folgen¬ 
des feststellen konnte: 1. Verminderung resp. Vernichtung der ProtuberaDzen 
an der Knochenknorpelgrenze, besonders des Condylus internus bis zum fünften 
Jahre, Auftreten von Rauhigkeiten an der Knocbenknorpelgrenze im siebenten 
Lebensjahre. 2. Zapfenförmige Knochenneubildung an der Unterseite der Con- 
dylen. 3. Vergrösserung der knöchernen oder verknöcherten Seite der Condylen. 
der Patella, der Tibia und des Fibulakopfes. (Diese Theile erscheinen geradezu 
wie aufgeblasen.) 4. Vergrösserung des Epiphyeenfleckes und grössere Durch¬ 
lässigkeit desselben für Röntgenstrahlen. Diese Befunde werden hervorgerufeu 
durch Knochenzerstörung auf der einen und Knochenneubildung auf der an¬ 
deren Seite und zwar erfolgt die Neubildung in der Nachbarschaft des Heerdes, 
die Knochenvemichtung im Centrum. Liegt der Heerd an der Knochenknorpel¬ 
grenze. d. h. dort, wo bei seitlicher Durchstrahlung der Epiphysenfleck erscheint, 
so müssen im Röntgenbild die Protuberanzen verschwinden und der Epiphysen- ^ 
fleck Veränderungen erleiden. Da dies bei den Aufnahmen des Verfassers stet? 
der Fall war, schliesst er auf die Localisatioii der Tuberculose an der Knochen¬ 
knorpelgrenze. Beweisend hierfür ist das Röntgenphotogramm eines Sections- 
Präparates. Dass es sich bei den Veränderungen am Epiphysenfleck nicht etwa ; 
um Inactivitätsatrophien handelt, konnte Lud 1 off durch den deutlichen Unter¬ 
schied zwischen derai'tiger Knochenatrophie und tuberculöser im Röntgenbilde 
nachweisen. Ungelöst ist die Frage geblieben, ob die gleichzeitig bestehende 
ausgedehnte Synovialtuberculose das Primäre ist oder der Knochenheerd. Nur 


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I 



Referate. 


525 


ein genaues Studium der Gefässvei-sorgung beider Bezirke könnte hier Klar¬ 
heit bringen. Für die Therapie ist es von grösster Wichtigkeit, zu wissen, 
dass schon im frühen Stadium Knochen- und Synovialtuberculose gleichzeitig 
vorhanden sind. Der Heilplan ist dann zweckentsprechend zu entwerfen, je 
nachdem aus dem Röntgenbilde zu ersehen ist, ob die Synovial- oder die 
Knochentuberculose im Vordergründe steht. Pfeiffer-Berlin. 

Menci^re, Ce que doit etre le traitement moderne de la tuberculose arti- 
culaire et particulierement de la tumeur blanche du genou et de l’arthrite 
tuberculeuse de la hanche ou coxalgie. Archives Provinciales de Chirurgie. 
T. XI Nr. 10. 

Men eiere unterscheidet drei Stadien der Gelenktuberculose, in denen 
die Behandlung eine verschiedene sein soll. Im ersten Stadium interstitielle 
Injection von Jodoformäther, verbunden mit einer eigenen, genau beschriebenen 
Methode des Verfassers, genannt Phenopunctur. Diese besteht darin, dass eine 
geringe Quantität reiner Carbolsäure (Acid. phenyl. pur. 9,0, Alkohol 1,0) durch 
einen Trokar mit dem erkrankten Knochen in Berührung gebracht wird. Der 
üeberschuss wird mit Watteträgem entfernt und dann durch den Trokar mit 
Alkohol nachgespült. In fortgeschritteneren Fällen ist die Behandlung die 
gleiche, nur noch energischer, indem man in die Epiphysen, in das Gelenk 
selbst eindringt. Sind Abscesse und Fisteln vorhanden (zweites Stadium), so 
sind atypische Resectionen am Platze, die sich streng auf die Fortnahme der 
erkrankten Theile beschränken und eine Auswaschung des Gelenkes mit reiner 
Carbolsäure (nach Phelps.) Nach der Ausheilung (drittes Stadium) metho¬ 
dische Anwendung der Mechanotherapie. Rauenbusch-Berlin. 

Kachel, Untersuchungen über Polyarthritis chronica adhaesiva. Diss. Frei¬ 
burg 1903. 

Verfasser hat 2 Fälle dieser Erkrankung einer genauen anatomischen 
Untersuchung unterzogen, die insofern noch grösseres Interesse bieten, als die 
bisher veröffentlichten Fälle, als sie sich längere Zeit in sorgfältiger klinischer 
Beobachtung auf der inneren Abtheilung des Freiburger Spitals befanden, wo¬ 
durch dem Verfasser die Möglichkeit gegeben wurde, das Krankheitsbild nicht 
nur vom rein anatomischen Standpunkt aus zu betrachten, sondern auch die 
klinischen Symptome zur Beurtheilung heranzuziehen. Mikroskopisch unter¬ 
sucht wurden in dem ersten Falle Ellbogen-, Schulter- und Kniegelenk mit 
Patella, im zweiten Falle Schulter-, Ellbogen-, Kniegelenk mit Patella, Hüft-, 
Talocrural- und Handgelenk, ferner ein Finger und eine Rippe. Näher ein¬ 
zugehen auf die beiden Krankengeschichten und auf die makroskopischen, so¬ 
wie mikroskopischen Befunde ist mir unmöglich, alles dies muss schon in der 
sehr lesenswerthen Arbeit eingesehen werden, an deren Schluss der Verfasser 
alle die in der Literatur über diese Erkrankung vertretenen Ansichten zu¬ 
sammengestellt und einer kurzen Kritik unterzogen hat. 

B1 e n c k e • Magdeburg. 

Guri, Die bisher beim Rheumatismus articulorum acutus erhobenen bacterio- 
logischen Befunde. Diss. Strassburg 1903. 

Wie schon der Titel der Arbeit besagt, hat Verfasser die Untersuchungen 
über die Materia peccans der Polyarthritis rheumatica acuta der einzelnen 


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Referate. 


Autoren und die gewonnenen Resultate zusammengestellt, wobei er nur die 
Fälle berücksichtigt hat, die als acuter Gelenkrheumatismus sensu strictioh 
oder als dessen directe Complication von den Autoren angegeben wurden. 
Er kommt zu dem Resultat, dass trotz zahlreicher Untersuchungen und Ei- 
perimente ein einheitliches, befriedigendes Ergebniss keineswegs erzielt wurde, 
und glaubt, dass die so stark diffedrenden Befunde folgenden Umständen la- 
zuschreiben seien: 1. Liegt bei manchen Autoren höchst wahrscheinlich eine 
Verzwickung von ähnlichen Krankheitsbildem, den sogen. Pseudorheumatismen. 
mit dem acuten Gelenkrheumatismus vor. 2. Basirt eine grössere Anzahl von 
Beobachtungen, namentlich der früheren Autoren, auf Leichenbefunden und 
erweckt daher berechtigte Bedenken. 3. Macht das so verschiedenartig ge¬ 
wonnene Material, meist ohne Angabe des Krankheitsstadiums, und die so stark 
differirenden Culturverfahren einen Vergleich selbst ähnlicher Befunde schwierig, 
und 4. vermisst man öfter bei demselben Patienten durcbgeführte systematische 
Untersuchungen, ferner Angaben über Menge der gefundenen Bacterien und ihr 
Verhältniss zu den bestehenden Krankheitssymptomen und pathologischen Ver¬ 
änderungen. 

Der Verfasser sieht sich nicht berechtigt, mit den bisher gewonnener 
Thatsachen bindende Schlüsse auf die Aetiologie des acuten Gelenkrheumatis¬ 
mus zu ziehen. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Köhler, Beitrag zur Osteoarthritis deformans. Fortschr. auf dem Gebiete 

der Röntgenstrahlen. Bd. VI Heft 3. 

Köhler demonstrirt in seiner Arbeit an der Hand vorzüglicher Röntgen¬ 
bilder die grobmechanischen Verhältnisse der Osteoarthritis deformans in ihren 
einzelnen Graden. Mit Recht hält er die Röntgenstrahlen für das beste dia¬ 
gnostische Hilfsmittel und verspricht sich von ihnen noch weitere Förderung 
unserer Kenntnisse über diese Krankheit. Nach KöhleFs Ausführungen geht 
die Deformation mit unverkennbarer Gesetzmässigkeit vor sich und zwar streng 
nach den Gesetzen der Mechanik. So zeigten alle Knochen der an Arthritis 
deformans leidenden Patienten Verunstaltungen, die sich leicht durch mecha¬ 
nische Zug- und Druckwirkungen auf nachgiebige Knochenmassen erklären Hessen. 
Die Ursache der Osteoarthritis deformans sieht Köhler nicht in einer bac- 
teriellen Infection, sondern in einer angeborenen oder erworbenen Erkrankung 
des Nervensystems, die vor allem dessen trophischen Einfluss mehr oder minder 
aufhebt. Pfeiffer-Berlin. 

Whitman, A report of final results in two cases of polyarthritis in children. 

Medical record. 18. April 1903. 

Whitman bringt die Krankengeschichten zweier Fälle von Polyarthriris 
chronica im Kindesalter, die ungefähr dem Typus entsprechen, den Still im 
Jahre 1897 zuerst beschrieben hat. Es handelt sich dabei um eine allmählich 
fortschreitende Verdickung der Gelenke mit Vergrösserung der Lymphdrüsen 
und der Milz. Befallen sind zumeist die Knie- und Handgelenke und die 
Wirbelsäule; Finger- und Zehengelenke bleiben frei. Die Krankheit, die stets 
im Kindesalter einsetzt, wird schliesslich stationär, Besserung ist möglich. Die 
dabei beobachteten pathologischen Veränderungen bestehen in einer Verdickung 


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Referate. 


527 


der Kapsel, in Verdickung und Vascularisation der Synovia; der Gelenkknorpel 
bleibt völlig normal. Die beiden Whitman'schen Fälle zeigen immerhin Ab¬ 
weichungen von diesem Schema. Im ersten waren alle Körpergelenke befallen 
mit Ausnahme der Stemoclavicular- und Unterkiefergelenke und der Wirbel¬ 
säule. Der 12jährige Patient, dessen Knie- und Handgelenke eröffnet und von 
den darin enthaltenen Granulationen der Synovia befreit worden waren, starb 
an amyloider Degeneration. Die Untersuchung einzelner Gelenke ergab ausser 
den schon erwähnten Wucherungen der Synovia tiefe Substanzverluste des im 
ganzen sehr dünnen Knorpels; ebenso war die Corticalis der Knochen sehr 
dünn, die spongiöse Substanz dunkelroth verfärbt, die Knochenenden waren 
zum Theil stark aufgetrieben. — Der zweite Fall, der in gänzliche Heilung über¬ 
ging, betraf einen 5jährigen Knaben. Ausser der Wirbelsäule, den Finger- und 
Zehengelenken, waren auch hier alle Gelenke befallen. Das am meisten afü- 
cirte linke Kniegelenk wurde ebenso wie im ersten Falle eröffnet und auch der¬ 
selbe Befund erhoben. Whitman classificirt diese beiden Fälle in seiner kri¬ 
tischen Besprechung als rheumatoide Arthritis und glaubt nicht, dass sie der 
Polyarthritis chronica villosa (Schüller) zuzurechnen sind; ebenso verschieden 
sind sie auch von der Arthritis deformans. Die Frage nach der Aetiologie lässt 
auch Whitman ungelöst. Therapeutisch empfiehlt er Heissluft- und Licht¬ 
bäder, die ihm im zweiten Falle gute Dienste leisteten, und die Eröffnung und 
Ausschabung wenigstens der grossen Gelenke. Selbstverständlich ist die Ent¬ 
stehung von Deformitäten und Contracturen durch frühzeitige passende Lagerung, 
eventuell in Schienenhülsenapparaten, zu bekämpfen. Pfeiffer-Berlin. 

Haenisch, Zur Casuistik der Bleigicht. Diss. Freiburg 1903. 

Der Zusammenhang zwischen Gicht und Bleieinflüssen dürfte nach Verfassers 
Ansicht wohl nirgends mehr absolut geleugnet werden. Er konnte unter 300 Fällen 
von Satumismus chronicus sichere Gicht 6mal constatiren. Die betreffenden 
Fälle werden besprochen; in 4 Fällen handelte es sich um Maler und in zwei 
um Buchdrucker. Irgendwelche andere ätiologische Factoren konnten ausge¬ 
schlossen werden bei 5 Fällen. Die Anfälle wiederholten sich jährlich 1—4mal. 
Befallen waren die Zehen-, Fuss-, Knie- uud Handgelenke, 3mal auch noch das 
Ellbogengelenk, Imal auch die Hüfte und Imal die Schulter. Folgeeischeinungen, 
Steifheit und Unförmigkeit der Gelenke, waren 3mal in höherem Masse zu con¬ 
statiren, Imal geringer. Die Prognose kann eine sehr schlechte sein infolge 
der Mitbetheiligung der Nieren. Was die Therapie anlangt, so ist natürlich 
Haupterforderniss Enthaltung von Bleiarbeit, die sich aber meist aus wirth- 
schaftlichen Gründen nicht streng durchführen lassen wird. Im übrigen werden 
Heilmittel wie bei der gewöhnlichen Gicht in Anwendung gebracht. 

Haenisch bejaht die Frage, dass ein Zusammenhang zwischen Blei¬ 
vergiftung und Gicht besteht. Welcher Art aber dieser Zusammenhang ist, 
das vermag er nicht anzugeben. Bieneke-Magdeburg. 

Borchard, Beitrag zur Myositis ossificans. Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 68, 

Heft 1 u. 2. 

Borchard beschreibt nach einem eingehenden Ueberblick über die Lite¬ 
ratur und einer kritischen Beleuchtung der darin niedergelegten Theorien über 


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Referate. 


die Aetiologie der Myositis ossificans zwei von ihm beobachtete Fälle, bei denen 
eine genaue mikroskopische Untersuchung der durch Operation gewonnenen 
Präparate stattgefunden hat. Es handelt sich beidemale um eine traumatische 
Entstehung (Hufschlag gegen die Wange eines 25jährigen, Schlag gegen den 
Oberschenkel eines 36jährigen Mannes). In beiden Fällen konnte bei der Ope¬ 
ration festgestellt werden, dass die Verknöcherungen frei im Muskel sassen und 
keinerlei Verbindung mit dem Periost des darüber gelegenen Knochens, der 
im zweiten Falle überhaupt nicht verletzt war, bestanden. In beiden Fallen 
ging die Knochenneubildung nach den Untersuchungen von Prof. Na uw er ck 
in Chemnitz vom Perimysium aus. Es handelt sich also um Myositis ossificans 
traumatica, die im Gegensatz steht zu traumatischen Exostosen, die ihre Ent¬ 
stehung auf das infolge eines Traumas gereizte oder geschädigte Periost zuröck- 
führen. Therapeutisch kommt, da in beiden Fällen die Operation zur völligen 
Heilung führte, nur die operative Entfernung in Frage, wenigstens bei schweren, 
ausgedehnten Fällen, eventuell kann man vorher noch einen Versuch mit zweck¬ 
entsprechender Massage machen. Rauenbusch-Berlin. 

Vulpius, Die Sehnenüberpflanzung am Oberschenkel. Wiener klin. Rund¬ 
schau 1903, Nr. 15. 

Nach Vulpius erfordert nicht jede Lähmung des Kniegelenkes, speciell 
des Quadriceps eine Behandlung; dazu gehört der Nachweis erheblicher func- 
tioneller Störungen. Die letzteren äussern sich in zweierlei Weise: Entweder 
entsteht ein Schlottergelenk oder eine Beugecontractur. Für ersteres kommt 
die Apparatbehandlung oder die Arthrodese in Betracht, für letztere die Teno- 
tomie der Beugesehnen am besten mit anschliessender Transplantation auf die 
Patella. Das Lange’sche Verfahren, die Verlängerung der Beugesehnen mit¬ 
telst Seidenzöpfen und Aufnähen derselben direct an die Tuberositas tibiae, 
empfiehlt Vulpius nur dann, wenn die Beugesehnen nicht auf die Kniescheibe 
genäht werden können. Nach detaillirter Schilderung der Technik der Opera¬ 
tion bringt er vier einschlägige Krankengeschichten, die seine Erfolge illustrirem 

Pfeiffer-Berlin. 

Schanz, Eine neue Operation zur Behandlung veralteter Kniescheibenbrüche. 

Münchener med. Wochenschr. 1903, Nr. 30. 

Veranlasst durch die Erfolge mit Muskeltransplantationen bei Quadriceps- 
lähmungen, unternahm es Schanz bei einem Fall von veraltetem Kniescheiben¬ 
bruch , bei dem die Diastase 10 cm betrug, die Streckfähigkeit des Unter¬ 
schenkels durch ein ähnliches Verfahren wieder herzustellen. Er verlagerte 
dabei den Sartorius so, dass dieser Muskel eine Verbindung «wischen dem 
unteren und oberen Bruchstück herstellte und ausserdem mit einem vorhandenen 
intermediären fibrösen Gallus verbunden wurde. Sein normaler Ansatz blieb 
unberührt. Der Erfolg war ein glänzender. 

Die Vortheile dieser Operationsmethode gegenüber den früher in Vor¬ 
schlag gebrachten sind die, dass es gelingt, die grösste Diastase zu überbrücken, 
wo früher durch die starke Distraction der Bruchstücke leicht die Naht riss 
oder mindestens eine starke Verringerung der Beugefähigkeit im Knie zurück¬ 
blieb. Ausserdem wird durch die Operation dem atrophischen Quadriceps neue 
Kraft zugeführt ohne neue functioneile Störungen hervorzurufen. ^ 

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Referate. 


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Schanz möchte die Transplantation da empfehlen, wo nicht durch 
einfache Naht der Patella ein sicheres Resultat erreicht werden kann. 

Scheffler- Berlin. 

Deutschländer, Zur operativen Behandlung der Peroneuslähmung. Centralbl. 
f. Chir. 1903, Nr. 16. 

Deutschläjider hat ein neues Verfahren zur operativen Behandlung der 
Peroneuslähmung angegeben, das in folgendem besteht: Er verlängert zunächst 
von einem hinteren Hautschnitt aus die Achillessehne mittelst eines Z-förmigen 
Schnittes (nicht nach Bayer, wie in der Arbeit behauptet wird). Sodann legt 
er vorn die Extensorensehnen frei unter Schonung des Ligamentum cruciatum, 
durchtrennt die Sehnen des Extensor digitorum communis und Tibialis anticus 
hoch oben am Muskelansatze und führt ihre peripheren Stümpfe gekreuzt um 
die Malleolen nach hinten, wo die Sehne des Tibialis anticus mit der angefrischten 
Achillessehne vernäht wird; die Extensorensehne wird auf den Flexor digi¬ 
torum communis transplantirt. Die centralen Muskelstümpfe des Tibialis anti¬ 
cus und Extensor digitorum communis werden heruntergezogen und mit der 
Kreuzungsstelle vernäht; Hautnaht, Wundverband, Contentivverband in starker 
Dorsalflexion des Fusses. Die Vorzüge dieser Plastik, über die Dauererfolge 
noch ausstehen, sind, dass die Sehnen der gelähmten Muskeln auf völlig intacte 
verpflanzt werden, dass die Verpflanzung symmetrisch stattfindet, sowie, dass eine 
Verstärkung der Stellung des Fusses in Dorsalflexion eintritt. Dadurch, dass die 
Sehnen gekreuzt um die Malleolen herumgeführt werden, können sie sich nicht 
vom Knochen abheben. Ihr schräger Faserverlauf vermindert auch die Gefahr 
einer nachträglichen Verlängerung. Pfeiffer-Berlin. 

Whitman, The importance of supplementing tendon transplantation in the 
treatment of paralytic talipes by other procedures designed to assure 
stability. American Journal of orthopedic surgery, August 1903. 
Whitman combinirt Arthrodese mit Sehnenverpflanzung bei Lähmung 
des Tibialis anticus. Die Operation ist folgende: Ein Schnitt wird in der 
Richtung der Sehne des Tibialis anticus gemacht, welcher das Talonavi- 
culargelenk in Sicht bringt. Dieses wird dann geöffnet und der Knorpel 
oder wenn die Deformität extrem ist, ein Keil entfernt. Die Sehne des Ex¬ 
tensor proprius hallucis wird dann 1 Zoll vor ihrer Befestigung durchtrennt 
und durch einen Kanal, welcher in das Os naviculare gebohrt worden ist, 
gezogen und befestigt. Während der Fuss in guter Stellung gehalten wird, 
werden die Weichtheile über dem Gelenk genäht, um die Knochen in Appo¬ 
sition zu halten. Der Fuss muss dann 3 Monate in einem Gipsverband liegen. 

A1 b r e c h t - St. Louis. 

Noethe, Resultate der Sehnentransplantationen bei peripheren Lähmungen. 
Inaug.-Diss. Berlin 1903. 

No et he bespricht in der Einleitung seiner Arbeit die Arten und Indi- 
cationen der Sehnentransplantation und macht einige Bemerkungen zur Technik 
der Operation. Der Haupttheil besteht in einer Zusammenstellung von 275 
einschlägigen Operationen, die sich auf folgende Fälle vertheilen: Pes equinus 
(77), Pes valgus (26), Pes calcaneus (54), spastisch paretische Zustände (15), 


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Referate. 


Quadricepslähmung (11), Radialielähmung (21), Sehnendefecte an der Hand (18). 
Tricepslähmung (2) und einige andere. Nur lOmal blieb der Erfolg ganz aus, 
was sich in den meisten Fällen auf die ungenügende Technik zurückfahren 
lässt. Die Operation ist also bei der sonstigen Aussichtslosigkeit der dafür 
geeigneten Fälle stets anzurathen. Rauenbusch-Berlin. 

Maier, Zur Casuistik der Polyneuritis. Diss. München 1908. 

Die beiden Fälle, die Verfasser in der v. Baue Eschen Klinik zu beob¬ 
achten Gelegenheit hatte, verdienen in ätiologischer Beziehung gewisses Inter¬ 
esse. In dem ersten Falle handelt es sich um Polyneuritis nach Gonorrhoe. 
Dieser Fall betrifft einen jungen Mann, der, nachdem er schon längere Zeit 
vor seiner Beobachtung eine Gonorrhöe acquirirt hatte, ohne dass dieselbe be¬ 
handelt worden war, mit Schmerzen und Schwellungen in beiden Kniegelenken 
sowie in den Gelenken beider Füsse mit nachfolgender Lähmung der letzteren 
und lancinirenden Schmerzen im Peroneusgebiet beiderseits, mit N a 11 e i x'schen 
Druckpunkten erkrankte. Die Patellarreflexe waren erloschen; Sensibilitats- 
Störungen im geringen Grade; partielle Entartungsreaction. Nach des Ver¬ 
fassers Ansicht ist die Gonorrhöe, zumal jede andere ätiologische Erklärung 
fehlte, zweifellos als die Ursache der polyneuritischen Erkrankung anzusehen. 
Von sicher constatirten, rein peripheren schweren gonorrhoischen Polyneuritiden 
konnte Verfasser aus der Literatur 11 Fälle zusammenstellen. 

Der zweite Fall war ein Fall von infectiöser Polyneuritis. Es bandelte 
sich um einen 32jährigen Mann, der plötzlich unter schweren Allgemein¬ 
erscheinungen erkrankte. Unter den Beschwerden standen obenan heftige 
Schmerzten in den vier Extremitäten, denen schon nach wenigen Tagen aus¬ 
gedehnte Lähmungen an Händen und Füssen folgten. Zu gleicher Zeit konnte 
eine schwere hämorrhagische Nephritis nachgewiesen werden. Fieber längere 
Zeit im hohen Grade. Auffallend hohe Pulsfrequenz. Der ganze Symptoinen- 
complex war für eine Polyneuritis geradezu typisch. 

Der acute Beginn, die schweren Allgcmeinerscheinungen mit Fieber und 
Schüttelfrost und die schwere Nephritis lassen auf eine schwere Geaammt- 
infection .schliessen. Welcher Art aber die Infectionserreger waren, kann Ver¬ 
fasser iiicl't Sitgen, der im Anschluss an diese beiden Fälle noch einige inter¬ 
essante Veröftentlichungen der letzten Zeit über Polyneuritis bespricht. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Vordermeyer, Beiträge zur Kenntniss der multiplen Alkoholneuritia. Diss. 

Münrhen 1903. 

VeifävS-er beschreibt einen Fall aus seiner Praxis, bei dem eine schwere 
Verletzung des Kopfes die Ursache einer Alkoholneuritis war. Der Mann er¬ 
hielt mit eirn m Halbliterglase einen schweren Schlag auf den Kopf, durch den 
eine 10 cm lange Wunde gesetzt wurde. Drei Tage lang bestand vollständige 
Schmerzlusigkeit, am vierten stellten sich sehr heftige Schmerzen am Hinter¬ 
kopf und Genick ein. Es bestand eine starke Impression der Schädeldecke, so 
dass die Tiepanation gemacht werden mu.«!8te. Im Laufe der dritten Woche 
Wiiren alle charakteristischen Symptome dieser Erkrankung nachweisbar: Schwäche 
und Atrophie in den Extremitäten, Diuckempfindlichkeit der Muskeln und Nerven- 
stänime. Fehlen der Kniephiinomene, Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit 


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Referate. 


531 


bis zur Entartungsreaction, ferner Sensibilitätsstörungen, grosse Gedächtnisa- 
schwäche und Hallucinationen. — Im Anschluss an diesen Fall gibt Vorder¬ 
meyer die von Gudden zusammengestellten 35 Fälle nochmals kurz wieder. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Praetorius, Zur pathologischen Anatomie der Poliomyelitis anterior acuta 
infantum. Diss. München 1903; desgl. Jahrbuch f. Kinderheilkunde 
N. F. LVIII. 

Verfasser hat 3 Fälle von spinaler Kinderlähmung untersucht, die insofern 
Interesse bieten, als der letale Ausgang nicht direct die Folge der spinalen Er¬ 
krankung war und die Verschiedenheit der von der Erkrankung bis zur Unter¬ 
suchung verflossenen Zeiträume einen Vergleich der in den verschiedenen 
Stadien des Processes vorhandenen Zustände zuliess. Aus den Fällen dürfte 
sich nach Prae torius’Meinung wohl zweifellos ergeben, dass es sich in allen 
Fällen um die Residuen einer radiculären Myelitis handelt, die das Gebiet der 
Vorderhörner resp. das der Arteria centralis betroffen hat. Ferner bestätigen 
die Fälle den schon mehrfach erhobenen Befund, dass die anatomischen Ver¬ 
änderungen oft viel ausgebreiteter gefunden werden, als die klinischen Befunde 
vermuthen Hessen. Nach Praetorius ist daher die Redlich’sche Anschauung 
die wahrscheinlichste. Das Ueberwiegen des einen Processes oder des anderen 
würde doch an sich noch keine principielle Verschiedenheit bedingen. Denn 
wenn auch in den weitaus meisten der bis jetzt bekannten Fälle die Alteration 
der Gefässe und des Interstitiums im Vordergrund stehe, so wäre damit noch 
nicht gesagt, dass die Ganglienzellen nicht schon gleichzeitig mit dem Beginn 
der Gefässentzündung geschädigt werden und von dem Insult des sich ent¬ 
wickelnden interstitiellen Processes noch in zweiter Linie getroffen werden. 
Andererseits steht dem nichts entgegen, dass ein Toxin auf die Ganglienzellen 
deletär einwirkt, an den Gefässen jedoch nur die Erscheinungen der vermehrten 
Durchlässigkeit und Erweiterung, in manchen Fällen auch Wucherung der 
Adventitia und geringfügige Emigration hervorruft. 

Die Annahme principieller Unterschiede in der Pathogenese der spinalen 
Kinderlähmung erscheint demnach dem Verfasser nicht mehr berechtigt. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Zeidler, Zur Aetiologie und Symptomatologie der cerebralen Kinderlähmung. 
Diss. Leipzig 1903. 

Verfasser hat an der Hand von 50 Fällen cerebraler Kinderlähmung aus 
der medicinischen Poliklinik Leipzig eine Reihe von inte« essanten, hauptsäch¬ 
lich die Aetiologie und Symptomatologie betreffenden Beobachtungen machen 
können, die er in dieser Arbeit wiedergibt. Von den 50 Fällen waren in 
30 Fällen vorausgegangene fieberhafte Erkrankungen meist mit aller Bestimmt¬ 
heit nachzuweisen, in 5 Fällen Meningitis, in 4 Masern, in 3 Pneumonie, in je 2 
Keuchhusten, Varicellen, Scharlach, in je einem Dentitionsfieber, Diphtherie, 
Vaccination; in 9 Fällen handelte es sich um fieberhafte Erkrankungen, «lie 
ärztlich nicht festgestellt wurden. Bei weiteren 6 Fällen lag ein Geburtstrauma 
vor; bei weiteren 6 musste, da nach einem normalen Geburtsverlauf sofort eine 
Lähmung zu constatiren war, die Aetiologie in intrauterinen Erkrankungen 
gesucht werden. In weiteren 5 Fällen war eine hereditäre Belastung nachzu- 


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Referate. 


weisen, und zwar bestand in 3 Fällen neuropathische Belastung, in 2 tuber- 
culöse. Endlich erwähnt Zeidler noch 3 Fälle, bei denen keine Aetiologie zu 
finden war. Am Schlüsse der Arbeit gibt Verfasser dann noch eine ziemlich 
eingehende Schilderung des Krankheitsbildes, der er dann noch einige diffe¬ 
rentialdiagnostische Bemerkungen anreiht. Blencke-Magdeburg. 

Piechaud, A propos de la paralysie infantile. Annales de Chirurgie et 
d’orthopedie. Nr. 10. 1903. 

Piechaud weist auf die Häufigkeit und Wichtigkeit der im Anschluss 
an die spinale Kinderlähmung auftretenden Deformitäten hin. Er betont, dass 
in jedem Falle einer paralytischen Deformität einem operativen Eingriff stets 
eine genaue elektrische Untersuchung vorangehen müsse, da man nur dadurch, 
nicht aber durch die einfache Functionsprüfung, sich wirklich über den Grad 
und die Ausdehnung der Lähmung, ob eine völlige Paralyse oder nur eine 
mehr oder minder separable Parese vorliege, informiren könne. Das elektrische 
Examen sei unbedingtes Erfordemiss, da man nur dadurch die Extreme, zu 
viel oder zu wenig zu operiren, vermeiden könne. Von dem Ausfall der elek¬ 
trischen Untersuchung hängt der Weg, den die Therapie einzuschlagen hat, ab: 
ob und in welcher Weise man operativ Vorgehen wird, oder ob man eine Be¬ 
handlung mittelst Massage, Elektrizität und Bädern einzuleiten hat. 

Kie w e-Berlin. 

Wolffheim, Ueber einen umfangreichen porencephalischen Defect des Ge¬ 
hirns eines Kindes mit frischer Poliomyelitis anterior. Diss. Königsberg 
1903. 

Verfasser führt zunächst die in der letzten Zeit veröffentlichten Fälle von 
Porencephalie, 12 an der Zahl, auf, um dann die in der Literatur veröffent¬ 
lichten Fälle, in denen der Defect grosse Theile, meist die ganze Hemisphären¬ 
oberfläche bis auf die Ganglienpartie, betraf, zusammenzustellen. Es sind 26, 
denen er noch seinen Fall anreiht, von dem er die genaue Krankengeschichte 
und das Sectionsprotokoll nebst mikroskopischer Untersuchung wiedergibt. Es 
lag ein umfangreicher Defect der linken und ein geringerer der rechten Hemi¬ 
sphäre vor, sowie ein Process im Rückenmark, den er als zum grössten Theil 
unabhängig von dem im Gehirn annimmt. Er fasst denselben als einen primären 
Entzündungsheerd auf, der, wie die frische Infiltration und die Gefässanomalien 
zeigten, progressiv war, während er in dem Process im Gehirn einen abge¬ 
schlossenen vor sich hatte. Blencke-Magdeburg. 

Hoffmann, Die Gefässverhältnisse des Nervus ischiadicus und ihre Beziehung 
zur Dehnungslähmung. Arch. f. klin. Chir. Bd. 69 Heft 3. 

Eine auf Nicoladoni’s Anregung hin entstandene Arbeit, welche die 
eigenartige Pirscheinung zu erklären sucht, dass nach Schädigung des Ischiadicos- 
stammes, z. B. nach Zerrung infolge Reposition von Hüftgelenkluxationen, die 
Lähmungen des N. peroneus vor denen des N. tibialis prävaliren. 

Die anatomischen Details sind im Original einzusehen. 

Häufig findet bekanntlich eine hohe Theilung des Ischiadicus statt: in 
den anderen Fällen zeigt die leichte Theilbarkeit desselben in zwei gesonderte. 


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Referate. 


533 


dem Peroneus und Tibialis entsprechende Portionen, dass der N. ischiadicus 
nur scheinbar ein einheitlicher Nerv ist Nun ergibt sich aus den Unter¬ 
suchungen der Verfasser, dass der dem Peroneus entsprechende Theil gegenüber 
dem dem Tibialis entsprechenden in Bezug auf die GefässVersorgung benach- 
theiligt ist, wodurch sich die bei Zerrungen etc. des Ischiadicusstammes im Peroneus 
leichter eintretende Ischämie mit ihren Folgen erklären liesse. 

W 0 11 e n b e r g-Berlin. 

Oppenheimer, Beitrag zur Casuistik der Nervenchirurgie. Dissertat. Kiel 
1902. 

Zunächst bespricht Verfasser das Vorkommen und die Erscheinungen, 
die eine Nervenlähmung macht, kommt dann auf die Degenerationsvorgänge 
in dem befallenen Nerven zu sprechen und gibt die verschiedenen Ansichten 
über die stattfindende Regeneration wieder; er führt dann die verschiedenen 
Operationsmethoden, die zur Beseitigung der Lähmung angegeben sind, auf 
und geht darauf zu den in der Kieler Klinik in den Jahren 1899—1901 vorge¬ 
kommenen Fällen über. Es sind 11 Fälle von Nervenlähmung. 5mal handelte 
es sich um den N. radialis, 2mal um den N. medianus, je Imal um den N. 
ulnaris und N. tibialis und 2mal um den N. medianus und ulnaris zusammen. 
In 9 Fällen wurde die Nervennaht gemacht; 2 Fälle nehmen durch die Art 
der Therapie eine Sonderstellung ein, da bei ihnen der Nerv aus den Verwach¬ 
sungen gelöst wurde, aber eine Naht im Anschluss daran nicht nöthig war. 
Bei dem einen der beiden Fälle war schon früher die Secundärnaht ausgeführt, 
80 dass also im ganzen 10 Nervennähte in Betracht kamen und zwar 5 pri¬ 
märe und 5 secundäre. Von den 5 Fällen, bei denen die Primärnaht gemacht 
wurde, wurde einmal völlige Heilung erzielt, dreimal erhebliche Besserung. In 
einem Fall war das Resultat nicht zu ermitteln. Bei den 5 Fällen von Secun¬ 
därnaht war Imal der Erfolg vollständig, 2mal konnte erhebliche Besserung 
constatirt werden, Imal war das Resultat nicht zu ermitteln und Imal war das¬ 
selbe für den Patienten nicht befriedigend infolge ungenügender Ausdauer 
während der Behandlung. Bei den beiden anderen Fällen von Neurolysis handelte 
es sich einmal um ein vorzügliches Resultat, einmal um eine erhebliche Besserung. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Per net. Die operative Behandlung von Nervendefecten an der oberen Ex¬ 
tremität mit Continuitätsresection des Knochens nach Löbker. Diss. 
Bonn 1903. 

Verfasser führt zunächst sämmtliche Verfahren, die zur Deckung von 
Substanzverlusten an Nerven angegeben sind, an, bespricht ihre Technik und 
zum Theil auch ihre Resultate. Die Ueberschriften der einzelnen Abschnitte 
sind die Nervendehnung, die Nervenplastik, die Nerventransplantation, die 
Nervenkreuzung und -Pfropfung, die Tubulär- und Catgutschlingennaht, von 
denen ja bekanntlich die beiden letzteren auf eine directe Wiedervereinigung 
der Nervensubstanz durch Naht verzichten, vielmehr ihre Aufgabe darin suchen, 
dem sich neubildenden Nervengewebe den richtigen Weg zu weisen und zu 
verhindern, dass der Nervendefect durch hineinwuchemdes Bindegewebe aus- 
gefüllt wird, wodurch ja die Nervensprossung oft gestört wird. Im letzten 
Abschnitt bespricht Per net das Resectionsverfahren nach Löbker mit folgen- 


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Referate. 


der directer Nervennaht, deesen Grundgedanke ja der ist, den Nervendefect 
durch Resection eines entsprechenden Stückes aus der Continuität des Knochens 
auszugleichen, um dann die so einander genäherten Nervenstümpfe durch directe 
Naht zu vereinigen. 

Verfasser konnte aus der ihm zugänglichen Literatur fünf nach dieser 
Methode operirte Fälle zusammenstellen und reiht diesen als sechsten einen 
neuen erfolgreichen Fall an, den Schede operirte. 

In allen Fällen gab dies Verfahren gute Resultate, die wohl vor allen 
Dingen dem Umstande zuzuschreiben sind, dass eine directe Vereinigung der 
Nervenstümpfe durch Naht, selbst bei grossen Defecten, stattfindet. Nach 
Pernet’s Ansicht ist die nach dem Eingriff stets zurückbleibende Verkürzung 
des verletzten Gliedes zwar eine dauernde Verstümmelung, die aber an der 
oberen Extremität wenig auffällt und für den Patienten kaum hinderlich ist. 
Für die untere Extremität räth Verfasser zu einem anderen Verfahren und will 
überhaupt das Löbker’sche wegen der grossen, nicht ungefährlichen Knochen- 
wunde nur da angewandt wissen, wo andere gute Methoden unrathsam sind 
oder im Stich lassen. Blencke-Magdeburg. 

Koblenzer, üeber postdiphtherische Lähmungen mit specieller Berücksichti¬ 
gung zweier Fälle von doppelseitiger Recurrenslähmung. Diss. München 
1903. 

Verfasser bespricht nur mit wenigen Worten die postdiphtherischen 
Lähmungen der oberen und unteren Extremitäten. In der Hauptsache bringt 
er die Krankengeschichten zweier Fälle von doppelseitiger Recurren.slähmung 
nach Diphtherie, so dass die Arbeit für den Orthopäden nur wenig Interessantes 
bietet Bl encke*Magdeburg. 

Dugge, Zwei Fälle fortgeschrittener Friedreich'scher Krankheit bei zwei 
Geschwistern. Diss. Rostock 1903. 

Verfasser bespricht in der ausführlichsten Weise die Krankengeschichten 
von zwei Fällen fortgeschrittener Friedreich’scher Krankheit. Es handelte 
sich um zwei Schwestern im Alter von 35 7« und 33 Jahren, deren Eltern ge¬ 
sund, aber Geschwisterkinder waren. Die Krankheit entstand bei beiden in der 
Pubertätszeit und zeigte progressive Tendenz, namentlich bei der jüngeren 
Schwester, bei der auch noch nach 18 Jahren Blasen- und Mastdarmstörungen 
sich einstellten, ein Befund, zu dem Verfasser kein Analogon in der Literatur 
finden konnte. Blencke-Magdeburg. 

Köddermann, üeber seltenere motorische Krankheitserscheinungen bei Tabes 
dorsalis. Diss. Jena 1903. 

Verlasser beschreibt einen Fall von Tabes bei einer 62|jährigen Frau, die 
neben den typischen Symptomen der Tabes dorsalis einen starken Tremor am 
ganzen Körper aufwies. Es ist dies eine sehr seltene Krankheitserscheinung, 
die nach Köddermann’s Ansicht erst Imal beobachtet ist. 

Im Anschluss an diesen Fall gibt Köddermann einen Ueberblick aus 
der Literatur über die seltenen motorischen Krankheitserscheinungen bei Tabes, 
von denen hauptsächlich der Tremor, die Mitbewegungen, die athetotischen und 


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Referate. 


535 


choreatischen Bewegungen und die atrophischen Lähmungen in Betracht kommen, 
und führt dazu die entsprechenden veröffentlichten Fälle aus der Literatur an. 

Blencke-Magdeburg. . 

Koppen, Ueber das psychische Moment bei den Beschäftigungsneurosen, im 
besonderen beim Schreibkrampf. Diss. Göttingen 1903. 

Verfasser gibt einen kurzen Ueberblick über die erste Literatur der Be¬ 
schäftigungsneurosen , vor allem des Schreibkrampfs, um dann die Kranken¬ 
geschichten von 10 einschlägigen Fällen zu bringen, die in der Gramer’schen 
Poliklinik behandelt wurden. 7mal handelte es sich um Schreibkrampf, Imal 
um Klavierspielerkrampf, Imal um eine Neurose, die durch das Treten der 
Nähmaschine hervorgerufen ist, und Imal um eine Beschäftigungsneurose bei 
einer Cigarrenarbeiterin. 

Nach Koppen8 Beobachtungen spielte bei allen diesen Leidenden das 
psychische Moment eine grosse Rolle. Prädisponirend sind Excesse in Alkohol 
und in venere, vor allem anzuschuldigen ist die Onanie und der Coitus inter- 
ruptus. Bei keinem der Kranken konnten locale Ursachen entdeckt werden, 
abgesehen von einem mit einer geheilten Armfractur. Veränderungen der elek¬ 
trischen Erregbarkeit waren nicht vorhanden, Atrophien der Musculatur auch 
nicht. Die Erfolge, die in der Behandlung erzielt wurden, wurden jedesmal 
vernichtet, sobald eine neue grosse Aufregung oder ein deprimirender Affect 
dazu kam. 

Verfasser zählt dann noch kurz die vorkommenden Bescliäftigungs- 
neurosen auf. Blencke-Magdeburg. 

Zabludowski-Berlin, Zur Therapie des Schreibkrampfes. 76. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte in Cassel. 21. Abtheilung: Neurologie 
und Psychiatrie. 

Je mehr die Differenzirung der verschiedenen Formen der beim Schreiben 
auftretenden Störungen, welche noch immer vielfach unter dem Sammelnamen 
Scbreibkrampf geführt werden, durchgeführt wird, desto mehr kommt man in 
die Lage, die Therapie von Fall zu Fall anzupassen, und dann werden die bei 
der Behandlung zu gewinnenden Resultate sich um so besser gestalten. Vor¬ 
tragender fusst hier bezüglich der Eintheilung in Gruppen auf seine frühere, 
in der Volkmann’schen Sammlung klinischer Vorträge veröffentlichte Schrift: 
Lieber Schreiber- und Pianistenkrampf, Leipzig 1901, bei Breitkopf & Härtel. 

Von der Schwere des Falles hängt es ab, ob auch zu Hilfsmitteln aus 
dem Gebiete der Orthopädie, gewissermaassen zu Prothesen, Zuflucht genommen 
wird oder nicht. Tn der That gelingt es bei schweren Formen, den Krampf- 
formen im engeren Sinne, vermittelst Apparaten, wenn dieselben nur recht ein¬ 
fach construirt sind und ihre Handhabung keine besondere Hebung benöthigt, 
noch ein leidlich leserliches Schreiben zu erzielen. Zu den der Therapie sonst 
trotzbietenden Formen gehören Ueberreste nach apoplektischen Anfällen. Es 
^gelingt noch, krallenförmig contrahirte Finger zur Thätigkeit beim Schreiben 
heranzuziehen. Zabludowski benutzt einen von ihm für diese Fälle con- 
struirten Bleistifthalter. Die Benutzung von Federn und Tinte bleibt für diese 
Fälle ausgeschlossen. Der Bleistifthalter besteht aus zwei Kugeln aus Holz, 
die durch eine Querstange verbunden sind. Die eine dieser Kugeln ist mit 


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Referate. 


OeifnuDgen zum Einsteckeu eines Bleistiftes versehen. Es wird ein kurzer, 
3—4 cm langer Bleistift genommen. Beim Schreiben wird die eine Kugel in 
die eine, die andere, mit den Oeifnungen versehene, in die andere Hand ge¬ 
nommen, und zwar so, dass der Bleistift zwischen Zeige- und Mittelfinger oder 
zwischen Mittel- und Ringfinger durchgeht. Die contrahirten Finger umklammern 
die Kugel und passen sich an dieselbe an. Beim Schreiben wird der Apparat 
mit beiden Händen gleichmässig in der Schreibrichtung geführt. Es sind grobe 
Bewegungen der Hand; aber schon bei wenig üebung bekommt man eine leicht 
zu entzifternde Schrift. — Bei leichteren Formen, bei welchen ein früher statt¬ 
gefundener apoplektischer Insult sich durch nichts anderes kundgibt, als durch 
ein Zittern oder einen Krampf beim Schreiben, gebt man bald von den Uebungen 
mit dem Bleistiftträger zum Schreiben mit dem von Zabludowski construirten 
Federhalter über. An diesem Federhalter ist an der Grenze des unteren 
und des mittleren Drittels ein ankerförmiger Ansatz angebracht, welcher zwischen 
je zwei Fingern, mit Ausnahme des Daumens, hineingebracht wird. Dieser 
Federhalter wird mit zur Faust geschlossener Hand geführt, feinere Bewegungen 
der beim Schreiben benutzten ersten drei Finger finden gar nicht statt. Bei 
den Krampfforraen, der eigentlichen Berufskrankheit, bei welcher nahezu aus¬ 
schliesslich bei der Schreibarbeit ein Krampf sich einstellt, primär an den be¬ 
troffenen Fingern oder secundär durch Insufficienz antagonistischer Muskeln, 
gelingt es vielfach, eine hemmende Wirkung zu erzielen durch Fixirung des 
Handgelenkes und der Mittelhand vermittelst einer ledernen, zum Schnüren 
eingerichteten festen Hülse. Einigen Berufsschreibern gelang es, durch die 
Benutzung dieser Hülse in ihrem Berufe weiter zu verbleiben, ohne diese Hülse 
versagte ihnen die Hand sofort. — Bei den paralytischen Formen, bei welchen 
in den Vordergrund ein Erlahmen, ein Versagen der Hand, beziehentlich der 
Finger platzgreift, bietet gute Dienste die Einschnürung der Mittelhand und 
des Handgelenkes mit einem elastischen Gummischlauche. Neben dem Halte, 
den diese Einschnürung gibt, haben wir noch mit der Wirkung der durch 
dieselbe bedingten Veränderung der localen Blutvertheilung und Blutlauf¬ 
geschwindigkeit, sowie der oberflächlichen Spannung der Gewebe, der directen 
Nervenreize, zu rechnen. Bei längerem Schreiben wird die Umschnürung, 
je nachdem sie gut vertragen wird, ein- oder zweimal entfernt und von 
neuem angebracht. Bei der Abnahme des Schlauches folgt auf die Cyanose 
Hyperämie und hierdurch vollzieht sich eine schnellere Durchtränkuug der Ge¬ 
webe mit Nährsäften. Anders bei den häufigen neuralgischen Formen, welche 
oft die Ausgangsform ausmachen für die späteren schweren, mit Tremor oder 
Krampf einhergehenden Formen. Hier, wo Schmerz — localisirt oder aus¬ 
gebreitet — das störende Moment beim Schreiben ausmacht, decken sich die 
Aufgaben des Arztes mit denjenigen der Schreiblehrer und Pädagogen. In 
zweckentsprechendem Sitzen und richtiger Haltung des Körpers und der Hand 
beim Schreiben, in der entsprechenden Auswahl der Schreibutensilien, dann in 
der Aneignung des stenographischen und Schreibmaschinenschreibens, endlich 
in der stricten Durchführung des 1902 ergangenen Erlasses des preussischen 
Cultusrainisters, betreffend die besondere Beachtung der Schrift der Schüler in 
Bezug auf Deutlichkeit und Sauberkeit, liegen die Mittel, die üeberanstrengung 
beim Schreiben, beziehentlich dem üebergange der leichten Krankheitsformen, 


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Referate. 


537 


der nenralgischen und paralytischen, in die schweren, die Tremor- und Krampf¬ 
formen, entgegenzuwirken. Dadurch wird unschwer erreicht, dass die beim 
Schreiben zu verbrauchende Kraft und Energie wesentlich geringer werden. 
Es werden nur diejenigen Muskeln und Nerven in Anspruch genommen werden, 
welche für das Schreiben unumgänglich nothwendig werden, und die An- und 
Abspannungen derselben werden in zweckentsprechenden Intervallen stattfinden, 
somit werden nöthige Ruhepausen innegehalten und schmerzhafte Druckpunkte 
genügend entlastet werden. In der rationellen Massage hat man ein bewährtes 
Mittel, bei allen Formen antiphlogos, roborirend und suggestiv einzuwirken, 
somit ein wirksames Unterstützungsmittel bei den angegebenen Behandlungs¬ 
methoden. (Folgt Demonstration der Apparate.) Autoreferat. 

Kofmann, Zur Casuistik des Torticollis spasticus. Arch. f. Orthopädie Bd. 1 

Heft 1. 

Kofmann publicirt einen mit günstigem Erfolge operirten Fall von 
Torticollis spasticus bei einem 16jährigen Mädchen. Es handelte sich dabei 
um klonische und tonische Krämpfe der linksseitigen Halsmusculatur, die auch 
die Schulter- und Gesichtsmuskeln derselben Seite in Mitleidenschaft zogen. 
Trotz jahrelanger Behandlung mit Bädern, zuletzt mit Massage und Elektrizität 
trat keine Besserung ein; eine Fixation im Gipsverbande verschlimmerte sogar 
den Zustand insofern, als die ständig mit den Zuckungen verbundenen Schmerzen 
geradezu unerträglich wurden. Kofmann entschloss sich daher zur Resection 
des Accessorius, welche die Zuckungen sofort kupirte. Patientin klagte noch 
über ein spannendes Gefühl, bald aber verschwand auch dieses. Zur Zeit der 
VeröflPentlichung, 7 Monate nach der Operation, stand der Kopf völlig gerade 
und ruhig. Der Stemocleidomastoideus sprang noch mächtig vor; die einzigen 
Beschwerden der Patientin bestanden in leichten ziehenden Schmerzen im linken 
Arm bei Anstrengungen. Kofmann empfiehlt im Hinblick auf dieses gute 
Resultat bei der operativen Behandlung des Torticollis spasticus zunächst mit 
der Accessoriusresection anzufangen und, falls diese nicht zum Ziele führt, die 
Resection anderer Halsnerven und erst in letzter Reihe die Myotomie vorzu¬ 
nehmen. Pf e i f f er-Berlin. 

Cinnston, Un cas de luxation c^ngen. de Tepaule. Arch. prov. de Chir. Nr. 4, 
1903. 

Der Verfasser bespricht die Krankengeschichte eines 5 Jahre alten Knaben, 
welcher von ihm wegen einer angeborenen Schultergelenkluxation operativ 
behandelt wurde. Aus der Geschichte ergibt sich, dass bei dem Patienten 
gleich nach der Geburt eine Missbildung des rechten Schultergelenks beobachtet 
wurde, deren einzige Ursache eine Hemmungsbildung der Knochen, die das 
Schultergelenk bilden, war. 

Der Humeruskopf war nach unten und hinten unter die Basis des 
Acromions verschoben; der Ellbogen stand von dem Körper ab, und der 
Vorderarm war stark pronirt. Die etwas weniger stark entwickelten Muskeln 
der Schulter und des ganzen Armes zeigten jedoch keine Spur von Degeneration. 
Die Bewegungen im Schultergelenk waren sehr beschränkt. 

Der Verfasser hat den Patienten nach der von Phelps angegebenen 


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538 


Referate. 


Technik operirt; die Reposition konnte leicht ausgefQhrt werden, weil die Ge¬ 
lenkflächen zwar kleiner, aber normal gebildet waren. Das Endresultat war 
ein gutes. Cinnston hat den Knaben nach 14 Monaten wiedergeaehen und 
die Gebrauchsfähigkeit des Gliedes als eine sehr befriedigende fest gestellt, in¬ 
dem der kleine Patient die Hand bis an den Kopf heben konnte. 

G h i u 1 a m i 1 a- Bukarest. 

Vulpius, Ueber die Arthrodese des paralytischen Schlottergelenkes der Schulter. 
Arch. f. klin. Chir. Bd. 69 Heft 1—2. 

Nach Vulpius stellt die Arthrodese das Normalverfahren bei einer 
Monoplegie der Schulter dar. ,Mit ihren Erfolgen kann sich die Leistung eines 
orthopädischen Apparates keinesfalls messen.“ Vulpius hat in sechs ein¬ 
schlägigen Fällen die Arthrodese ausgeführt und in vier derselben dae Resultat 
jahrelang controllirt; es war functioneil so günstig, dass er die Vornahme der 
Operation dringend empfiehlt. Freilich darf das Gelenk nur dann geopfert 
werden, wenn die Wiederkehr activer Beweglichkeit ausgeschlossen ist, also 
keinesfalls vor Ablauf eines Jahres seit Eintritt der Lähmung. Eine Wachs- 
thumsverkürzung ist nach den Erfahrungen von Vulpius nicht zu befürchten. 
Bezüglich der Technik bevorzugt Vulpius natürlich den Längsschnitt; die 
Gelenkkapsel wird zum grössten Theil exstirpirt, der Kopf luxirt, sein Knorpel¬ 
überzug abgeschält und der Knorpel der Pfanne mit dem scharfen Löffel heraus¬ 
geholt. Zwei im Kopf sich kreuzende Silberdrähte werden dann durch das 
Acromion bezw. die Cavitas glenoidalis oder das Coracoid gelegt und fest¬ 
gedreht, während der Arm in massiger Abduction, leichter Innenrotatiou und 
deutlicher Hebung gehalten wird. Die Ruhigstellung des Armes geschieht am 
zweckraässigsten im Gipsverbande; die Fixationsperiode soll keinesfalls unter 
10 Wochen, am besten 3 Monate betragen und durch Tragenlassen einer Leder¬ 
hülse noch verlängert werden. Dieser Apparat soll bis zur vollständigen Ankjlo- 
sirung getragen werden, d. h. noch 2—3 Monate. An seinen Fällen konnte 
Vulpius feststellen, dass dieses Verfahren in der That eine Verödung des 
Schultergelenkes, eine wirkliche ossäre Ankylose zu erzeugen vermag. 

Pf ei ff e r-Berlin. 

Ritschl, Zur Mobilisation der Schultergelenkscontracturen. Arch. f. Orthopädie 
Bd. I Heft 2. 

• 

Ritschl fixirte in einem einschlägigen Falle den Arm und nahm die 
passiven Bewegungen durch manuelle Einwirkung auf das Schulterblatt, speciell 
dessen hervorstehen den lateralen Rand, vor. Der P>folg war ein guter. 

Rauenbusoh - Berlin. 

Dollinger, Das anatomische Hinderniss der Reposition bei veralteten sub- 
coracoidealen Schulterverrenkungen und meine Methode zur blutigen 
Reposition dieser Verrenkung. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 66. Bd. 
Dollinger hat in 7 Fällen von veralteter Schulterverrenkung, in denen 
das Kocher’sche Rotationsverfahren versagte, die Arthrotomie gemacht und 
dabei die von den meisten Autoren als Ursachen für das Misslingen der un¬ 
blutigen Einrenkung angeführten Osteophyten, interponirten Weichtheile, binde¬ 
gewebigen Schwarten u. s. w., vermisst. Dagegen fand er als Hindemiss die 
straff gespannte Sehne des M. subscapularis, welche den mit der Kuppe die 


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Referate. 


539 


vordere Fläche der Scapula unter dem Processus coracoideus, mit der hinteren 
Fläche den vorderen Rand der Fovea glenoidalis berührenden Gelenkkopf um 
so stärker an diesen Rand presste, je mehr der Arm nach aussen rotirt wurde. 
Nach Durchschneidung dieser Sehne führte das Kocher’sche Verfahren leicht 
zum Ziel. Der genaue Operationsplan ist durch vier Abbildungen illustrirt. 
Auf Grund seiner Erfahrungen kommt Dollinger zu dem Schluss, dass der 
geschrumpfte und verhärtete M. subscapularis das typische Repositionshindemiss 
bei der veralteten uncomplicirten Luxatio humeri subcoracoidea bildet. 

Rauenbusc h- Berlin. 

Staffel, Einige Bemerkungen über das Brisement force und seine Nachbehand¬ 
lung, insbesondere bei Ankylosen des Ellbogens, der Hand und der 
Finger. Arch. f. Orthopädie Bd. 1 Heft 1. 

Staffel führt aus, dass die gewaltsame Mobilisirung versteifter Gelenke, 
das Brisement forcä, gewöhnlich nicht zu einem Resultat führt, das zu den auf¬ 
gewendeten Mühen und den ausgestandenen Schmerzen in richtigem Verhältniss 
steht. Will man sich nicht auf eine blosse Stellungsverbesserung beschränken, 
sondern das ideale Ziel, die Beweglichkeit des Gelenkes, erreichen, so darf die 
Fixation nicht über 48 Stunden nach dem Brisement ausgedehnt werden, ln 
dieser Zeit ist aber selbst die kleinste Gelenkbewegung wegen der enormen 
Schmerzhaftigkeit direct unmöglich. Hiergegen gibt nun Staffel ein Hilfs¬ 
mittel an, mit dem er überraschende Erfolge erzielen konnte: Es ist der be¬ 
kannte Scbienenhülsenapparat mit starken elastischen, verstellbaren Zügen, der 
natürlich schon vor der Operation angefertigt sein muss, um am zweiten Tage 
angelegt werden zu können. Der Gummizug hat sich Staffel als einziges 
Mittel bewährt, »mit dem sich nach einem Brisement force das Gelenk inner¬ 
halb der Grenzen, die man in der Narkose geschallen hat, schmerzlos oder doch 
in durchaus erträglicher Weise hin und her bewegen lässt.“ Während er für 
das Ellbogengelenk einen H e ssin g'schen Schienenhülsenapparat benutzt, ist 
sein Apparat für Hand und Finger wesentlich einfacher. Seine Grundlage bilden 
zwei Filzplatten, die am Vorderarm festgeschnallt werden. Auf eine dieser 
Filzplatten wird volar oder dorsal je nach Bedarf eine zweckmässig abgebogene 
Bandstahlschiene aufgeschraubt, gegen welche die Hand resp. die Finger mittelst 
Gummizügen herangeholt werden. Staffel benutzt dazu die allenthalben zum 
ümschnüren gebrauchten Gumraibändchen, weil sich ihre Wirkung durch Hin¬ 
zufügung neuer Bändchen leicht bis zum gewünschten Effect steigern lässt. Die 
verschiedenen Anwendungsarten und Modificationen sind durch übersichtliche 
Abbildungen veranschaulicht; auch eine sehr instructive Krankengeschichte ist 
der Arbeit anhangsweise beigegeben. Natürlich können diese Apparate auch 
an und für sich zur Bekämpfung von Contracturen verwendet werden. 

Pf eiff e r-Berlin. 

Daeschler, Ueber die Dupuytren’sche Palmarfasciencontractur. Dissert. 
München 1903. 

Der Arbeit liegen 18 Fälle von Dupuytren’scher Fingercontractur zu 
Grunde. Bei 12 konnte Verfasser nähere anamnestische Daten erfahren. Einmal 
wurde die Erkrankung einem Trauma zugeschrieben; da aber links später das¬ 
selbe Leiden auftrat, so war jenes sicherlich nicht als Ursache anzusprechen. 

Zeitschrift fttr ortliopiidische Chirurgie. XII. Bd. 35 


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540 


Referate. 


Dreimal sollte ein andauernder Insult die Ursache gewesen sein. In 4 Fälieu 
bestand gleichzeitig Gicht, in 1 Fall Rheumatismus. In 2 Fällen lagen heredi¬ 
täre Verhältnisse vor, in einem eine Metallintoxication. Nach Daeschlers 
Ansicht erstreckt sich wohl in den Fällen, wo Heredität nachgewiesen wurde, 
diese zunächst auf die gichtische Diathese als das primäre. 

Es bestand eine Bevorzugung des männlichen Geschlechts; das Ver- 
hältniss war 17:1. Es waren alle Berufsarten vertreten; das Alter schwankte 
zwischen 20 bis 60. Der Zeitraum, den die Krankheit zu ihrer Entwickelung 
brauchte, schwankte bei den Fällen zwischen l’/^—10 Jahren und betrug im 
Durchschnitt 5—6 Jahre. Unter den 12 doppelseitigen Fällen des Verfasser 
zeigte sich die Affection 7 mal zuerst an der rechten Seite, 2mal an der linken. 
In 3 Fällen konnte die Reihenfolge nicht sicher ermittelt werden, die der Finger 
dagegen in 10 Fällen. 7mal war zuerst der Ringfinger, 8mal der kleine Finger 
verkrümmt. Als Ursache für die Vorliebe für diese nimmt Daeschler den 
Umstand an, dass bei allen Hantirungen die ülnarseite der Hand stärker in 
Anspruch genommen zu werden pflegt. Eine Mitbetheiligung des Daumens war 
2mal beiderseits, Imal nur rechts zu constatiren. Imal war gleichzeitig die 
Plantarfascie befallen. In 10 Fällen wurde die Exstirpation der erkrankten 
Fascie vorgenommen. 8 Fälle blieben ohne Recidiv; bei 2 stellte sich nach 5 
bezw. 7 Monaten ein solches ein. Die Nachbehandlung bestand in Massage und 
Gymnastik. Wenn auch die Exstirpation der ganzen Fascie, wie sie von Lexer 
empfohlen wurde, deren Nachtheile in der längeren Dauer und gesteigerten 
Schwierigkeit ihrer Ausführung, der längeren Nachbehandlung und der Setzung 
einer complicirten Narbe in der Vola, die ihrerseits die Gefahr der Narben* 
contractur mit sich bringt, die grösstmögliche Garantie gegen das Auftreten 
von Recidiven bietet, so will Daeschler es doch weiteren klinischen Er¬ 
fahrungen Vorbehalten lassen bei dem ohnehin geringen Procentsatz von Re¬ 
cidiven, welche die partielle Exstirpation liefert, ob man diesem eingreifenderen 
Verfahren den Vorzug geben soll, zumal da sich die Patienten eher zu einer 
einfacheren Operation entschliessen werden. Beigefügt ist ein 66 Nummern um¬ 
fassendes Literaturverzeichniss. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Zoeppritz, Ueber die Resultate der Exstirpation des tuberculösen Sehnen- 

scheidenbygroms der Hand. Diss. Tübingen 1903. 

In der vorliegenden Arbeit werden die Resultate der Totalexstirpation 
an den in der Bruns’schen Klinik wegen tuberculöser Sehnenscheidenhygxome 
der Hand operirten Fällen festgestellt. Sämintliche in Betracht kommenden Fälle 
wurden entweder nach untersucht oder ihr weiteres Schicksal mittelst eines 
Fragebogens ermittelt. Verfasser bringt 35 Krankengeschichten: 21mal wurden 
Männer und 14mal Frauen und zwar meist in dem Alter der angestrengtestec 
Arbeit befallen. Verfasser will in einer angestrengten Thätigkeit der Hände 
und Arme ein prädisponirendes Moment für das Auftreten der Erkrankung er¬ 
blicken. Von 33 operirten Händen sind 25 vollständig geheilt geblieben. 
Recidive traten in 9 Fällen auf, von diesen sind mit Ausnahme von 2, bei 
denen das Recidiv nicht mehr operirt wurde, alle nach einer zweiten Operation 
geheilt. Bei 2 Fällen trat ungefähr 2 Jahre nach der Operation Tuberculose 
des Handgelenks auf, bei 4 Fällen Fisteln. In 11 Fällen lag functionell s".*r 


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Referate. 


541 


keine Störung vor, in 13 war die Function nur wenig herabgesetzt; in einem 
Fall nur trat vollständige Steifheit von drei Fingern auf. 

B1 e n c k e • Magdeburg. 

Neu mann, Zur Frage einer ätiologischen Bedeutung des Gucullarisdefectes 
für den Schulterblatthochstand. Wiener klin. Wochenschr. 1903, Nr. 36. 
Verfasser wendet sich auf Grund eines von ihm beobachteten Falles 
gegen die von Kausch aufgestellte Theorie eines ätiologischen Zusammenhangs 
zwischen Cucullarisdefect und Hochstand der Scapula. Es handelte sich in dem 
betreffenden Falle um eine Patientin mit einem Defect des untersten Antheils 
des linken Cucullaris — vermuthlich congenitaler Natur — die trotzdem keinen 
linksseitigen Hochstand der Scapula aufwies. Verfasser unterzieht die publi- 
cirten Fälle einer kritischen Besprechung und stellt die Forderung auf, dass 
bei Annahme eines causalen Zusammenhangs beider Affectionen der Schulter¬ 
blatthochstand stets mit dem Cucullarisdefect combinirt sein müsse, sowie dass 
zwischen beiden ein proportioniertes Verhältniss zu erkennen sei. Beiden For¬ 
derungen wurden auch die Kausch’schen Fälle nur zum Theil gerecht. Ver¬ 
fasser ist geneigt anzunehmen, dass es sich in diesen Fällen um ein zufälliges 
Nebeneinandervorkommen zweier Missbildungen handelt. Becher-Berlin. 

Goldthwait, A consideration of „round shoulder“ or „stoop shoulder* in 
childhood, with especial, reference to the proper adjustment of the 
clothing in preventing and treating such conditions. American Journal 
of orthopedic surgery, August 1903. 

Kinder von 4—5 Jahren leiden oft an runden Schultern, welche verursacht 
werden durch die Kleider, die alle von den Schultern getragen werden. Sie 
werden sämmtlich von dem äusseren Ende der Schulter getragen. Um dieses 
zu beseitigen, hat Goldthwait eine Taille construirt, die hoch an den Hals 
heraufreicht und die gestützt wird durch zwei Riemen (1 Zoll breit), die 
nahe an dem Halse liegen und sich unmittelbar hinter dem Nacken kreuzen. 
An diesem werden dann die Röcke sowie die Strumpfhalter befestigt. Dieses 
bringt die Last auf den hinteren und inneren Theil der Schultern und hat die 
Tendenz, sie eher rückwärts als vorwärts zu ziehen. Albrecht-St. Louis. 

Weissenstein. Zur klinischen Bedeutung der Halsrippen. Wiener klin. 
Rundschau 17. Jahrg. Nr. 21 u. 22. 

Verfasser publicirt einen Fall von linksseitiger Halsrippe, der sich durch 
vollständiges Symptomenbild auszeichnet. Es handelt sich um eine 23jährige 
Fhthisica, die seit ihrem elften Lebensjahre über Störungen im linken Arm zu 
klagen hatte. Diese Störungen, bestehend in Taubsein, Kältegefühl, Unfähig¬ 
keit zu feineren Arbeiten, resultirten aus dem Vorhandensein einer vollständig 
aofigebildeten winkligen Halsrippe, über die die Subclavia stark gespannt hin¬ 
wegzog. Geringe Bewegungen des Arms wie des Kopfes genügten, um den Puls 
dnrch die entstehende Compression zum Verschwinden zu bringen. Ausserdem 
zeigte Patientin im linken Arm und der Hand ausgebreitete Atrophien, Paresen 
and Störungen der Sensibilität. Nach Exstirpation der Rippe verschwanden 
die Erscheinungen. Be eher-Berlin. 


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542 


Referate. 


Hoffa, lieber die Entstehung der seitlichen RUckgratsverkrQmmungen während 
der Schulzeit. Gesunde Jugend, Zeitschr. f. Gesundheitspflege 3. Jahrg. 
Heft 1/2. 

Im Verein für Schulgesundheitspflege zu Berlin hielt Verfasser in seiner 
bekannten, geistvollen Art einen Vortrag über die Entstehung der Skoliose als 
Schulkrankheit. Verfasser spricht sich energisch für die Nothwendigkeit aus, 
mehr als bisher bei der Erziehung der Jugend neben dem Pädagogen dem Arst 
Sitz und Stimme einzuräumen und zwar durch Anstellung besonderer Schul¬ 
ärzte, da nur hierdurch das erstrebenswerthe Ziel der Erziehung ,niens sana 
in corpore sano“ gewährleistet werden könne. Be eher-Berlin. 

Vulpius, Rückgratsverkrümmungen und ihre Behandlung. Deutsche Klinik. 
1903. 

Verfasser behandelt in der von Leyden und Klemperer heraasge- 
gebenen .deutschen Klinikdas Kapitel der Rückgratsverkrümmungen, sowohl 
der Kyphosen, einschliesslich der Spondylitis, wie der seitlichen Abweichungen. 
Knappe und präcise Ausdrucksweise, sowie genaue Besprechung der therapeuti' 
sehen Massnahmen zeichnen seine Darstellung aus. Be eher-Berlin. 

R e d a r d, Les deformations de la colonne vertebrale et du thorax au point de 
vue des assurances sur la vie. Rev. d*orthop. 1903, Nr. 5. 

In diesem Bericht vom dritten internationalen Congress von Aerzten der 
Versicherungsgesellschaften, der in Paris vom 25.—28. Mai 1903 stattfand, be¬ 
spricht der Verfasser die Hauptpunkte, die ein Arzt bei der Beurtheilung eine^ 
Kranken mit Verkrümmungen der Wirbelsäule oder des Thorax beobachten 
muss, in Bezug auf eine Lebensversicherung. 

Dieser Bericht enthält eine genaue Analyse der allgemeinen und für 
jeden Fall besonderen Ursachen, die die Prognose beeinflussen, und richtet das 
Augenmerk besonders auf die Complicationen von Seiten der Brustoig^ane, die 
einen vorzeitigen oder plötzlichen Tod hervorrufen können. 

Ghiulamila-BukaresL 

Bacqu^, Pathogenie et traitement de la scoliose des adolescents. La pre^ 
medicale 1902, Nr. 80. 

Bacquö bringt in seiner Arbeit über die Entstehung und Behandlung 
der Skoliose nichts wesentlich Neues. Er sieht als Hauptursache der Wirbel¬ 
säulenverkrümmung eine verspätete Ossification an, schliesst aber die beiden 
anderen Theorien (die Nachgiebigkeit der Bänder und die Muskelschwäche) 
nicht aus. In jedem Falle lässt er als wichtigen Factor die allgemeine Schwäche, 
die Anämie, zu. Die Hauptsache in der Skoliosenbehandlung ist die Prophylaxe^ 
im übrigen lassen sich Bacqu4’s Behandlungsprincipien in Kürze folgender- 
massen zusammenfassen: Kann der Patient seine Skoliose ohne fremde ELilfe 
redressiren, so genügen Massage, Gymnastik und Elektricität. Ist die Skoliose 
fixirt, so muss sie so viel als möglich mobilisirt werden; wenn der Patient 
seine Wirbelsäule dann nicht aus eigener Kraft in redressirtem Zustande er» 
halten kann, so muss zu der stets nöthigen Gymnastik noch ein geeignetes 
Stützcorset hinzukommen. Pfeiffer-Berlin. 


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Referate. 


543 


V6ra8, Traitement 4conomique de la scoliose. These. Lille 1903. 

V^ras bespricht zuerst die Ursachen, anatomischen Verhältnisse und 
Formen der Skoliose. Von den zur Erklärung der Entstehung der Skoliose ge¬ 
gebenen Theorien erwähnt er die musculäre, ligamentäre und ossäre Theorie, 
welch letztere die Skoliose als Folge einer Art Spätrhachitis auffasst. Es 
folgen Angaben über Skoliosenmessung und über die zur Controlle der er¬ 
haltenen therapeutischen Resultate dienenden Verfahren. 

Die Prognose ist nach Verfasser um so ernster zu stellen, je früher die 
Skoliose auftritt. 

Die Behandlung der ausgebildeten Skoliosen soll zwei Indicationen er¬ 
füllen: 1. sie soll die Deformation so gut wie möglich redressiren; 2. den 
Organismus und die Wirbelsäule unter solche Bedingungen bringen, dass diese 
Reduction definitiv bleibt. Verfasser empfiehlt horizontale Lagerung mit Ex¬ 
tension, Suspension, methodisch-orthopädische Uebungen (täglich 1 Stunde) und 
ein passend gearbeitetes Corset. Von Apparaten erwähnt er den Sayre’schen 
Suspensionsapparat und den Lorenz’schen Wolm. 

Das nicht abnehmbare Gipscorset verwirft Verfasser, weil es die Musculatur 
schwäche, die Athembewegungen beeinträchtige und eine Gymnastik hindere. 
Er zieht das abnehmbare Gipscorset vor. Das leichtere Filzcorset stützt nach 
Veras den oberen Theil der Wirbelsäule nicht genügend. 

Dass die abnehmbaren Gipscorsets eine bessere Fixirung bewirkten als 
aus leichterem Material hergestellte Corsets, ist nicht richtig. Abgesehen vom 
Filzcorset haben wir yot allem in den zuerst von Hessing construirten Stoff- 
corsets (mit Stahlschienen und -bügeln), die bei hochsitzenden Deviationen mit 
Kopfstütze versehen werden können, geradezu ideale Stützapparate. — Der 
Werth des nicht abnehmbaren Gipscorsets liegt darin, dass es eine forcirte 
Redression schwererer Skoliosen in Etappen ermöglicht; die unter dem Corset 
erfolgte Abmagerung der Musculatur kann man durch nachfolgende Massage 
und fieissige Gymnastik bekämpfen. K i e w e - Berlin. 

Raymond, Deformation du rachis par contracture hysterique. Journal de 

m4decine et de Chirurgie pratiques 1902, Nr. 19. 

Raymond beschreibt eine hysterische Wirbelsäulenverkrümmung bei 
einem Manne, die sich ganz plötzlich nach 4stündiger Bewusstlosigkeit und 
zwar sofort in ihrer ganzen Vollständigkeit eingestellt hatte. Diese Verkrüm¬ 
mung war merkwürdigerweise eine totale Lordose der Wirbelsäule, deren 
Scheitel in der Lendengegend lag. An einem von Raymond nicht näher an¬ 
gegebenen Punkte der Wirbelsäule Hess sich ein Druckpunkt nach weisen, der so 
empfindlich war, .dass ein länger fortgesetzter Druck unfehlbar eine Attaque 
herbeigeführt hätte“. Die Rückenstrecker waren stark contrahirt. Hysterische 
Stigmata waren zwar nicht nachweisbar, doch kommt in diesem Falle für die 
Diagnose nur Hysterie in Betracht. Angaben über den Verlauf der Erkrankung 
fehlen leider, so dass ein Zweifel an der Richtigkeit der Diagnose nicht un¬ 
berechtigt erscheint. Pfeiffer- Berlin. 

Bade, Rippenresection bei schwerer Skoliose. Centralbl. f. Chir. 1903, Nr. 38. 

Bade führte bei einem 33jährigen Patienten mit hochgradiger rechts¬ 
convexer Kyphoskoliose eine Rippenresection aus. Die Absicht bei der Operation 


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544 


Referate. 


war nicht, den Rippenbuckel zu verkleinern, sondern die Schmerzen zu be¬ 
seitigen, die dadurch entstanden, dass das vordere Ende der siebenten linken 
Rippe nicht am Stamm fixirt war und nun bei jeder Athembewegung das Peri¬ 
toneum reizte. Die Operation hatte den gewünschten Erfolg. 

Becher- Berlin. 

Becker, Die anatomische und klinische Grundlage des orthopädischen Corsets. 

Archiv für Orthopädie Bd. 1 Heft 1. 

Becker bespricht die anatomische und klinische Grundlage des ortho¬ 
pädischen Corsets, dessen Zweck die Fixation, die Stützung bezw. Entlastung, 
die Extension und die Redression der Wirbelsäule sein soll. Er führt im ein¬ 
zelnen aus, wie diesen vier Indicationen am zweckmässigsten zu genügen ist 
und zieht die Nutzanwendung auf specielle klinische Fälle, die eine Corset- 
therapie erfordern können. Es sind dies vier Gruppen von Wirbelsäulendeformi¬ 
täten: 1. die neurogenen, 2. die rhachitischen, 3. die spondylitischen und 4. 
die habituellen. Bezüglich der Construction der Corsets verwirft Becker alle 
Corsets, „die ihr Heil in einer stützenden Armkrücke suchen: das sind in aller 
erster Linie die Hessing sehen Corsets“. Ein solches Corset kann nur dann 
einen gewissen Halt gewähren, wenn es ausserordentlich fest geschnürt wird: 
dass es dann aber grossen Schaden anrichtet, ist klar. Becker selbst benützt 
Ledercorsets, die durch aufgenietete Stahlschienen verstärkt werden; den Gips¬ 
abguss dazu nimmt er in Suspension. Unmittelbar unter der am stärksten 
prominirenden Partie wird eine Polsterung auf das Gipsmodell aufgenagelt 
Achselkrücken, die höchstens die Schultern zurückhalten könnten, Pelotten, 
Gurte und elastische Züge verwendet er so gut wie nie. Das Roth'sche 
Detorsionscorset hält Becker für unzulänglich, während er das W u 11 s t e i n'scbe 
Verfahren für anatomisch einwandsfrei und für den grössten Fortschritt in der 
Skoliosentherapie erklärt. Hier sei das Skoliosencorset das, was es stots bleiben 
wird, nämlich nur ein Glied in der grossen therapeutischen Kette. Bedenken 
gegen diese Methode erweckt allein ihre lange Dauer und der dadurch er¬ 
wachsende Kostenaufwand. Daher Hesse sich diese Behandlung für die minder¬ 
bemittelten Klassen nur dann durchführen, wenn sich die grösseren Städte zur 
Einrichtung orthopädischer Institute entschlössen, die sich namentlich der 
Skoliosenbehandlung zu widmen hätten. Pfeiffer-Berlin. 

Hugelshofer, Ueber Spondylitis. Berlin, S. Karger. 

Hugelshofer hat 215 Fälle von tuberculöser Spondylitis, die in einem 
Zeitraum von 20 Jahren im Kinderhospital zu Basel zur Behandlung gekommen 
sind, zusammengestellt und kritisch beleuchtet; 68 dieser Fälle konnten nach- 
untersucht werden. Nach diesen statistischen Untersuchungen kam die Spondy¬ 
litis häufiger beim männlichen Geschlecht vor und zwar war das frühe Kindes¬ 
alter, speciell das dritte Lebensjahr, besonders bevorzugt. Der Prädilectionssits 
der Erkrankung fand sich im ersten Lendenwirbel, ln */» aller Fälle wurden 
Senkungsabscesse beobachtet, am häufigsten Psoasabscesse. 10®/o der Fälle 
waren mit Lähmungen complicirt, von diesen endeten ’/s letal. Amyloide 
Degeneration wurde in etwas mehr als V^o» sonstige tuberculöse Erkrankungen 
in ^/5 aller Fälle constatirt. Die Prognose ist recht zweifelhaft, da die Moi^ 
talität 57,6®/o beträgt; vollständige Heilung trat nur in 31,3®/o der Fälle ein. 


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Referate. 


545 


Die definitiven Heilungsresultate des Basler Spitales bezeichnet Hngelsbofer 
in cosmetischer Beziehung als mangelhaft, was aber die spätere Bewegungs¬ 
fähigkeit und Erwerbsfähigkeit anbetriffl, als befriedigend. Der Gang der 
Therapie unterscheidet sich in nichts Wesentlichem von der heutzutage allgemein 
üblichen. Pfeiffer-Berlin. 

Toubert, Diagnostic precoce du mal de Pott. Bull, et mäm. de la soc. de 

chir. de Paris 1902, Nr. 29. 

Toubert hat einen Soldaten behandelt, bei dem er glaubte, per ex- 
clusionem die Diagnose auf Spondylitis tuberculosa stellen zu dürfen. Der 
Patient kam in Behandlung wegen Blasenbeschwerden; er konnte nur 2raal 
täglich mit grosser Anstrengung und in unvollständiger Weise uriniren. Tou¬ 
bert dachte an eine Affection des Rückenmarkes; eine genauere Untersuchung 
ergab eine Steigerung der Kniereflexe, ausgesprochenes Fussphänomen und 
Babini’sches Zeichen. Die Wirbelsäule war frei beweglich (!), keine Schmerz¬ 
haftigkeit, keine Druckpunkte. Sensibilität überall normal, Motilität desgleichen 
bis auf die Blasenschwäche. Keine Hysterie. Nach dem Vorgänge Delbet’s 
hält Toubert die beobachteten Symptome für charakteristisch für Pott’sche 
Krankheit. D e 1 b e t hat in der anschliessenden Discussion dem auch beigepflichtet, 
während Kirmisson es mindestens für verfrüht hielt, bei der absoluten Integrität 
der Wirbelsäule die Diagnose auf Pott’sche Krankheit zu stellen. 

Pfeiffer- Berlin. 

Tillmanns, Ueber die Entstehung und Behandlung der spondyfitischen Läh¬ 
mungen. Arch. f. klin. Chir. Bd. 69 Heft 1—2. 

Nach Tillmanns entstehen die spondylitischen Lähmungen fast stets 
durch Druck auf das Rückenmark; nur in seltenen Fällen sind sie durch tuber- 
culöse Erkrankung des Markes, eine Myelitis tuberculosa bedingt. Ein Druck 
durch Knochen ist gleichfalls selten, er könnte durch vorspringende Knochen¬ 
kanten bei gleichzeitigen Adhäsionen des Markes und durch Knochensequester 
entstehen, die in den Wirbelkanal dislocirt sind. Ferner kann auch durch 
callusartige, regenerative Knochenneubildungen und durch epidurale Binde¬ 
gewebswucherungen das Lumen des Wirbelkanals so verengert werden, dass 
eine Compressionslähmung des Rückenmarkes zu Stande kommt. Am häufigsten 
entstehen die spondylitischen Lähmungen durch epidurale Exsudate, Abscesse, 
käsige Zerfallsproducte und durch peripachymeningitische Granulationen, also 
durch Weichtheilcompression. Dieser Druck ruft Circulationshemmungen und 
damit Ernährungsstörungen des Rückenmarkes hervor, wodurch die betreffenden 
Ganglienzellen und Nervenfasern eventuell für immer zu Grunde gehen. Eine 
Regeneration findet nicht mehr statt, sobald die auf- und absteigende Degene¬ 
ration der Nervenbahnen mit secundärer Bindegewebsproliferation eingetreten 
ist. Im allgemeinen ist die Dauer des Druckes weniger schädlich als die In¬ 
tensität. Besteht ausser der motorischen eine sensible Lähmung und ist gleich¬ 
zeitig die Function der Blase und des Mastdarmes gestört, dann ist eine in¬ 
tensivere Druckwirkung vorhanden, als wenn eine rein motorische Druck¬ 
wirkung beobachtet wird. Bei jeder spondylitischen Lähmung ist zunächst die 
unblutige (orthopädische) Behandlung durch Extension, durch allmählich redres- 
sirende und fixirende Lagerungs- und Stützapparate anzuwenden. 


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546 


Referate. 


Nach Tillmanns* Erfahrungen und den ihm zugänglichen Statistiken 
sind die Gesaramtresultate dieser unblutigen Behandlungsweise nicht günstig. 
Führt diese Therapie nicht bald zum Ziele, so wendet Tillmanns ,inge 
eigneten Fällen* die Frühoperation an. Er führt dann eine seitliche Freilegung 
der Wirbelkörper aus mit möglichster Ausräumung der tuberculösen Heerde 
und sucht durch Entleerung der Exsudate theils direct, theils indirect den auf 
dem Rückenmark lastenden Druck zu verringern oder zu beseitigen. Die 
Resection der Wirbelbogen, die Laminectomie, ist bei Caries im Bereiche der 
Wirbelbogen indicirt, bei noch bestehender Caries der Wirbelkörper ist sie 
nicht ausreichend. Die Wahl des passenden Eingriffs hängt also ab von einer 
exacten Diagnosenstellung. Die Erfolge der operativen Behandlung der spon* 
dylitischen Lähmungen sind bisher noch nicht befriedigend, so dass Til 1 manns 
zu dem Schlüsse kommt, dass sich allgemein gültige Regeln für die Behandlung 
spondylitischer Lähmungen noch nicht aufstellen la8.sen. Jedenfalls soll die 
unblutige Behandlung, falls keine wesentliche Besserung eintritt, nicht zu lange 
fortgesetzt werden, damit die Heilungsaussichten sich nicht verschlechtern, 
sondern man soll baldigst operativ Vorgehen. Den Schluss der Arbeit bildet 
eine tabellarische üebersicht über 11 operativ behandelte Fälle. 

Pfeiffer-Berlin. 

Broca, Paraplegie du mal de Pott. Gazette hebdomadaire de me-d. et de 
chir. 1902, Nr. 97. 

Broca hat eine klinische Vorlesung über spondylitische Lähmungen ver¬ 
öffentlicht. An der Hand dreier Fälle zeigt er die Symptome der Erkrankung 
und bespricht ihre Ursachen. Vom klinischen Standpunkte aus unterscheidet 
er vier Typen, die gradweise das Fortschreiten der Erkrankung zeigen: 

1. Spastische Lähmung mit gesteigerten Reflexen ohne Sensihilität^törungen. 

2. Schlaffe Lähmung mit Fehlen der Reflexe ohne Sensibilitätsstörungen. 

3. Schlaffe Lähmung mit Fehlen der Reflexe und syringomyelitischen Sensibili¬ 
tätsstörungen. 4. Schlaffe Lähmung mit Verlust der Reflexe und Anästhesie. 
Die Prognose ist immer ernst, da zuweilen schwerer Decubitus und eitrige 
Cystitis eintritt. Therapeutisch bevorzugt Broca die rein orthopädischen 
Massnahmen; chirurgische Eingriffe empfiehlt er nur für Fälle, die sich trotz 
mehrmonatlicher, gut geleiteter orthopädischer Behandlung verschlechtern. 

Pfeiffer - Berlin. 

Gillette, Paraplegia from Pott’s Disease. Tnternation. Medic. Magazine. July 1902. 

Gillette schreibt, dass die beste Behandlung der Paralyse der Pott 
sehen Krankheit (Spondylitis) absolute Immobilisation der Wirbelsäule ist, welche 
am besten so vorgenoramen wird, dass der Patient auf einem harten Lager 
ruht mit Extension und Contraextension oder auf dem Bradford’schen BetL 
einem mit Segeltuch überzogenem Stahlrahmen, welcher herumgetragen werden 
kann, und auf welchem auch Extension und Contraextension angewendet werden 
kann. Albrecht -St. Louis. 

Dueroquet, Les appareils dans le traitement du mal de Pott au debuL 
Revue d’hygiene et de medecine infantiles 1903, Nr. 3. 

Ducroquet lässt sich bei der Behandlung der beginnenden Spondylitis 
von den allgemein anerkannten Grundsätzen leiten: Immobilisation und Ent- 


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Referate. 


547 


lastung der erkrankten Theile und Fürsorge für das Allgemeinbefinden des Kranken. 
Er verwendet je nach dem Sitz der Erkrankung permanente Extension, Recli- 
nation und eventuell Kopfstützen. An seinen Gipscorsets lässt er Brust und 
Bauch möglichst frei, es bleibt nur ein schmales Band oberhalb der Symphyse 
stehen, eine Halscravatte eventuell mit Kopfstütze und zwei vom über die 
Schultern nach den Seitentheilen laufende Verbindungen. 

Pfeiffer - Berlin. 

Weber, üeher die acute primäre Osteomyelitis der Wirbelsäule. Deutsche 
med. Wochenscbr. 1903, Nr. 19. 

Weber bespricht im Anschluss an eine genau mitgetheilte Kranken¬ 
geschichte eines von ihm operativ geheilten Falles von Osteomyelitis der Lenden¬ 
wirbelsäule Diagnose, Therapie und Prognose dieser Erkrankung, die er mit 
Recht als eine sehr seltene bezeichnet. Ausser schweren Allgemeinerscheinungen, 
wie sie auch sonst bei Osteomyelitis auftreten, führten ausserordentlich heftige im 
Rücken, in der Gegend einer teigigen, später fiuctuirenden Anschwellung locali- 
sirte, nach vom ausstrahlende Schmerzen zu der Diagnose, die durch die Ope¬ 
ration bestätigt wurde. Der in der Mittellinie vom zehnten Brustwirbeldorn¬ 
fortsatz bis zum Kreuz berabgeführte Schnitt eröffnete eine grosse Abscesshöhle, 
der Dornfortsatz des zweiten Lendenwirbels war rauh, nach Entfernung der 
Domfortsätze des ersten bis dritten Lendenwirbels mit Meissei und Knochen¬ 
schere fand sich auch der zugehörige rechte Querfortsatz und Bogen erkrankt. 
Nach ihrer Resection ergoss sich aus dem Wirbelkanal zwischen Knochen und 
Dora hervor dicker, staphylokokkenhaltiger Eiter. Der 15jährige Kranke genas, 
nachdem noch ein durch das Foramen ischiadicum majus nach aussen vor¬ 
dringender, heisser Senkungsabscess geöffnet war, in 2 Monaten. Die Prognose 
ist keine gute; nach der Zusammenstellung von Hahn (41 Fälle) starben 60^o. 

Rauenbusch - Berlin. 

Gross, Die Localisation der Osteomyelitis in den Seitentheilen des Os sacrum 
und ihre Beziehung zu den Wachsthumsvorgängen. Deutsche Zeitschr. 
f. Chir. 68. Bd. Heft 1 u. 2. 

Gross tritt in dieser Arbeit der Gewohnheit entgegen, die sacrale Osteo¬ 
myelitis als zum Krankheitsbegriff der vertebralen Osteomyelitis gehörend zu 
betrachten. In der Mehrzahl der Fälle setzt die sacrale Osteomyelitis in den 
Massae laterales, die entwickelungsgeschichtlich als Rippen zu betrachten sind, 
ein, nicht in dem den Wirbeln analogen Mittelstück. Sie ist also, da der 
Ausgangspunkt für die Benennung massgebend sein müsse, für sich gesondert 
zu betrachten, vor allem, da auch die Hauptconiplication der vertebralen Osteo¬ 
myelitis, die Eröffnung des Centralkanals und Infection seines Inhaltes, bei dieser 
häufiger eintritt, als bei jener. Nach seiner durch sechs Beobachtungen ge¬ 
stützten Ansicht erkrankt der centrale Theil nur secundär, als Infectionsort 
koTunsen lediglich die Massae laterales in Betracht. Nachdem sodann die Be¬ 
gründung dieser Localisation durch Wachsthums- und Structurverhältnisse kri¬ 
tisch beleuchtet ist, gibt Gross ein Symptomenbild der sacralen Osteomyelitis 
und bezeichnet diese Localisation der Osteomyelitis als eine der prognostisch 
ungünstigsten, wenn nicht als die allerbedenklichste und erklärt diesen Umstand 
durch die Schwierigkeiten der Diagnose und Therapie. 

Rauenbusch - Berlin. 


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Referate. 


Pallard, Note sur une complication osseuse rare de la fievre typhoide: la 
spondylite typhique. Revue medicale de la Suisse romande 1902. 
Pallard hat die ihm zugäuglichen wenigen Fälle von Spondylitis typhosa 
kurz zusammengestellt und einen selbst beobachteten Fall beigefügt. £r zieht 
daraus folgende Schlüsse: Die typhöse Osteitis localisirt sich nur selten in der 
Wirbelsäule. Sie tritt meist in der Reconvalescenz oder mehrere Monate spater 
auf und befällt gewöhnlich die Lendenwirbelsäule. Die AfFection, die zumeist 
nur nach schweren Infectionen eintritt, ist durch ihren plötzlichen B^nn 
charakterisirt und durch hohe Temperatursteigerungen. Hervorgerufen wird 
sie durch frühzeitige Bewegungen in der Reconvalescenz. Sie hat keine Tendenz 
zur Eiterung. Alle Fälle sind bisher geheilt worden. Die Ursache der typhösen 
Spondylitis ist nach Pallard eine Verbreitung der Typhustoxine, die sich 
naturgemäss am längsten im Rückenmark erhalten. Differentialdiagnostisch 
kommt nur die tuberculöse Spondylitis und die luetische Osteitis in Betracht 
Die Behandlung besteht in Bettruhe; lassen die Schmerzen auch dann nicht 
nach, so ist ein Stützcorset indicirt. Pfeiffer*Berlin. 


Brehmer, Ueber die sogen. Spondylitis traumatica. Diss. Greifswald 19(0. 

Brehmer beschäftigt sich in seiner Arbeit mit den Verletzungen der 
Wirbelsäule, speciell mit der von Kümmell als „traumatische Spondylitis* 
charakterisirten traumatischen Veränderung derselben. Er ist der Ansicht, daö 
bei dieser bei einem schweren Trauma und wenn es sich um einen nach ver- 
hältnissmässig kurzer Zeit auftretenden Gibbus handelt, Fracturen und Fissuren 
Vorgelegen haben, in den Fällen dagegen, in denen es sich um ein gering¬ 
fügiges Trauma handelte, Knochenquetschungen. Er erklärt sich den Process 
folgendermassen: Die Knochenquetschung hat zahlreiche minimale Brüche der 
Knochenbälkchen und Knochenlamellen, sowie eine grössere oder geringere Zer- 
reissung der Blutgefässe in den Haversi’schen Kanälen und jener des Knochen¬ 
marks zur unmittelbaren Folge. Der Knochen ist bezüglich seiner Festigkeit 
und Widerstandskraft geschädigt. Es kommt normaler Weise zur Callusbilduni: j 
und Resorption. Da die für die Verknöcherung des Callus nothwendige Be¬ 
dingung, Immobilisirung der lädirten Knochen, durch zu frühzeitige Bewegung 
und Belastung der Wirbelsäule nicht erfüllt wird, so entwickelt sich aus der 
durch den traumatischen Reiz hervorgerufenen, zur Callusbildung nothwendigen 
Entzündung eine chronische Pmtzündung, eine Ostitis traumatica, die ihrerseits 
die Bildung eines gefässreichen Granulationsgewebes in den Knochenkanölen 
zur Folge hat. Dieses bewirkt eine Einschmelzung der Knochenbälkchen und 
Resorption der Kalksalze, so dass schliesslich der Wirbelkörper durch die Last 
der auf ihm ruhenden Wirbelsäule einsinkt. Dieser Process wird noch durci 
die geschwächte Widerstandskraft, durch die geringere Festigkeit des lädin« 
Knochens unterstützt. 

Die zuweilen auftretenden Störungen von Seiten des Nervensystems lasses 
sich durch die Annahme einer Erschütterung des Rückenmarks erklären. 

Als weiteren casuistischen Beitrag führt Verfasser vier diesbezügliche 
Fälle an und bringt deren Krankengeschichten. 

Blencke - Magd eburg. 


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Referate. 


549 


Müller, Ein Fall von chronisch-ankylosirender Entzündung der Wirbelsäule 
auf traumatischer Grundlage. Monatsschr. f. Unfallheilkunde Nr. 7, 
1903. 

Müller veröffentlicht die Krankengeschichte eines Falles von chronisch- 
ankylosirender Wirbelsäulenentzündung, der darum besonderes Interesse ver¬ 
dient, weil die Krankheit nachweislich direct im Anschluss an ein Trauma (Fall 
auf das Gesäss) aufgetreten war. Die Versteifung der Wirbelsäule hatte sich 
binnen 4 Jahren von der Lendenwirbelsäule aufsteigend entwickelt und auch 
die Halswirbelgelenke ergriffen. Afficirt waren ausserdem die Hüft- und Schulter¬ 
gelenke sowie das rechte Ellbogengelenk. Der Patient, der bis zum Tage des 
Unfalles schwere Arbeit verrichtete, war bis dahin immer gesund und hat nie 
rheumatische Beschwerden gehabt. Pfeiffer-Berlin. 

Bettmann, üeber die localisirte traumatische Wirbelsäulenankylose an der 
Hand eines Falles von Ankylose der Lendenwirbelsäule. Arch. f. Ortho¬ 
pädie Bd. 1 Heft 1. 

Bett mann veröffentlicht die Krankengeschichte eines Falles von trau¬ 
matischer Ankylose der Lendenwirbelsäule, die im Anschluss an eine Stauchung 
des Rückgrates durch Fall auf das Gesäss entstanden war. Die Lendenwirbel- 
säule war hier im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Fällen der sogen. 
Kümmel l’schen Spondylitis in lordotischer Haltung fixirt. In seinem über 
den Fall abgegebenen Gutachten, dem das zuständige Schiedsgericht zugestimmt 
hat, erklärt Bett mann die Erkrankung, die sich nachweislich erst nach dem 
Unfall entwickelt hatte, als ünfallfolge und den Patienten als rentenbedürftig. 
Den Process selbst hält er für stationär, da er seit 2 Jahren keine Fortschritte 
g^emacht hat; eine Besserung sei aber nicht zu erwarten. Betreffs der Aetiologie 
ist der Verfasser der Ansicht, dass es sich im vorliegenden Falle wahrscheinlich 
nicht um einen Bruch oder eine Fissur eines Wirbels gehandelt hat, sondern 
«dass die ganze Reihe der Lendenwirbel hauptsächlich an der Stelle ihrer Ge¬ 
lenkverbindungen an den Proc. articulares und den Bandscheiben von dem 
heftigen traumatischen Reiz im Sinne einer Quetschung getroffen worden ist, 
wrobei zugleich auch die Gelenkbänder eine Zerrung und teilweise Zerreissung 
erfahren haben. Dieser traumatische Reizzustand hat schliesslich zu Ver¬ 
änderungen geführt, die den Ausgang in Ankylose bewirkten.“ Die anatomische 
Grundlage der Erkrankung sieht Bett mann in einer Verwachsung der Wirbel¬ 
körper mit einander unter completter Verknöcherung der Bandscheiben und Ge¬ 
lenke. Bettmann räth unter Hinweis auf diesen Fall zur Vorsicht mit der 
Annahme der Simulation oder Uebertreibung in der Beurtheilung von Fällen 
von Rückgratsstauchung und Quetschung. Pfeiffer-Berlin. 

Barg, Ueber musculäre Rückenversteifung mit besonderer Berücksichtigung 
des traumatischen Ursprunges. Diss. Berlin 1903. 

Barg bringt die Krankengeschichte eines Falles von musculärer Rücken¬ 
versteifung (Rigiditas dorsalis myopathica Senator), die bei einem bisher ge¬ 
sunden Arbeiter im unmittelbaren Anschluss an einen Fall auf Rücken und 
Kopf entstanden war. Der Patient, der erst 6 Monate nach dem Unfall zur 


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550 


Referate. 


Beobachtung kam, wies eine totale Versteifung der ganzen Wirbelsäule auf, 
cerebrale oder spinale Erscheinungen fehlten, die Rückenmusculatur war atro¬ 
phisch, ihre mechanLsche Erregbarkeit war erhöht, ihr Verhalten dem elektri¬ 
schen Strom gegenüber völlig normal. Ein gutes Röntgenbild ergab einen 
völlig normalen Zustand der gesummten Wirbelsäule. Die Diagnose einer rein 
myogenen Versteifung, die schon auf Grund dieses Röntgenbildes gestellt wurde, 
konnte durch eine Narkotisirung des Patienten bestätigt werden, da nach Er¬ 
schlaffung der Muskeln eine absolute Beweglichkeit der Wirbelsäule eintrat 
Verfasser schloss nun nach Analogie mit anderen Fällen auf einen Bluterguss 
in den Subarachnoidealraum der Rückenmarkshäute, der, wie schon Hoffa 
hervorgehoben hat, auf reflectorischem Wege zu Muskelcontracturen fuhrt 
Dass die Lumbalpunction im vorliegenden Falle negativ verlief, spricht nicht 
gegen diese Auffassung, da in den 6 Monaten, die nach dem Unfälle verstrichen 
waren, der Bluterguss längst Zeit gehabt hatte, zu gerinnen und sich zu organi* 
siren. Sofort nach der Narkose trat eine sichtliche Besserung der Symptome 
ein, die unter weiterer Behandlung mit Einreibungen, Massage, warmen Bädern 
und Gymnastik, sowie unter Darreichung von Jod und Brom äa fortschritt — 
In seiner kritischen Betrachtung dieses Falles sowie der in der bisherigen 
Literatur über moygene Rückenversteifung aufgefundenen Fälle erklärt Barg 
die Versteifung ohne Kyphosenbildung für ein charakteristisches Symptom des 
Leidens im Gegensatz zu den der ßechterew’schen Form angehörenden 
Fällen, bei denen fast immer das Vorhandensein einer kyphotischen Ver¬ 
krümmung angegeben wird. Als Hilfsmittel für die DilFerentialdiagnose em¬ 
pfiehlt Barg die Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen sowie die Untersuchung 
in Narkose. Ferner schlägt er vor, die alte Eintheilung in eine Bechterew’sche 
und eine Marie-StrümpelTsche Form aufzugeben zu Gunsten der Eintheilung 
in eine myogene und eine osteoarthrogene, ,wobei man sich stets vor Augen 
zu halten hätte, dass die erstere Form der Therapie zugänglich ist, die letztere 
nicht*. Pfeiffer-Berlin. 

Kedzior, Zur chronisch-ankylosirenden Wirbelsäulenentzündung. Wiener 

med. Wochenschr. Nr. 5—7, 1902. 

Kedzior beschreibt 8 Fälle von chronisch-ankylosirender Wirbelsäuleie 
entzündung. Eine scharfe Scheidung in einzelne Typen hat sich nicht durch¬ 
führen lassen, zumal ein Fall deutliche Uebergänge von rein rheumatischen 
Affectionen zu deformirenden Processen aufwies. Einer der Fälle gehörte in 
das Gebiet der immer noch sogen, traumatischen Wirbelsäulenentzündung. Be¬ 
sonders deutliche Veränderungen fanden sich gewöhnlich im Halstheile der 
Wirbelsäule: hier waren meistens Ossificationen vorhanden. In einigen Fällen 
betheiligten sich auch die Schultergelenke an dem Krankheitsprocesse, während 
die Hüftgelenke zumeist nicht angegriffen waren. Pfeiffer-Berlin. 

May et et Joure, Le rhumatisrae vertebral chronique et la Spondylose rhizo- 

melique. Gazette des hupitaux Nr. 69, 1902. 

May et und Joure haben in einer ausführlichen Arbeit versucht, die 
chronisch-ankylosirende Wirbelsäulenentzündung und ihre klinischen Varietäten, 
insbesondere die Spondylose rhizomelique zu charakterisiren. Sie beschäftigen 


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Referate. 


551 


eich zunächst nach einem kurzen Ueberblick über die historische Entwickelung 
und die Nomenclatur der Erkrankung mit ihrer Natur und Aetiologie. Letztere 
suchen sie in einer Trophomeurose infectiösen Ursprunges, die besonders die 
spinalen Wurzeln befällt und dadurch Gelenkdeformirungen herbeiführt. Die 
Eintheilung des »Rhumatisme vertebral chronique“ nehmen sie vom klinischen 
Standpunkte vor und unterscheiden demnach vier Gruppen: 1. Cervicale Form 
(Leyden), 2. Dorsale Form, 3. Lumbo-sacro-coccygeale Form, 4. Totale und 
gemischte Form, bei der die Erkrankung den Organismus entweder von der 
Peripherie aus beRlllt oder durch die Wirbelsäule; das ist dann die Spondylose 
rhizomälique. Die wichtigsten Symptome dieser klinischen Formen werden in 
den nun folgenden Kapiteln beschrieben und zwar sind hierzu zum Theil eigene 
Beobachtungen, zum Theil auch die in der Literatur aufgefundenen Fälle be¬ 
nutzt worden. Die Verfasser kommen auf Grund der Aetiologie, der Sympto¬ 
matologie, der weiteren Entwickelung und der pathologischen Anatomie zu dem 
Schluss, dass die Spondylose rhizomelique keine besondere Krankheit darstellt, 
sondern nur eine klinische Varietät der chronisch-ankylosirenden Wirbelsäulen¬ 
entzündung ist. Die Behandlung der Erkrankung weicht nicht sonderlich von 
der in Deutschland üblichen ab; im allgemeinen erreicht die physikalische Heil¬ 
methode noch die besten Resultate. Ein sehr sorgfältig angelegtes Literatur¬ 
verzeichnis ist der Arbeit beigegeben. Pfeiffer-Berlin. 


Goldthwait, Osteoarthritis of the spine; Spondylitis deformans. Bostonmed. 

and surg. Journal, March 1902. 

Nach Goldthwait ist die Spondylitis deformans eine absolut von der 
Arthritis deformans zu trennende Krankheit. Bei letzterer kommt es zu Knochen- 
und Knorpelschwund mit gleichzeitigen Wucherungen, während bei Spondylitis 
deformans nur eine Verknöcherung der Bänder und der Zwischenknorpel ein- 
tritt, die meist auf der linken (?) Seite sitzend die Deformirung und Fixirung 
der Wirbelsäule bewirkt. Die Knorpel können dabei völlig schwinden resp. in 
Knochen verwandelt werden. Meist erstreckt sich die Krankheit über den 
grössten Theil der Wirbelsäule; einzelne Knorpel können indessen frei bleiben. 
Das erste Symptom der Krankheit ist der Schmerz in der befallenen Region 
der Wirbelsäule, der häufig mit Hüftweh verwechselt wird, da er zumeist an¬ 
fallsweise auftritt. Die Schmerzen können sich auch im Ausbreitungsgebiet der 
von der befallenen Stelle ausgehenden Nerven localisiren. Hervorgerufen 
werden sie wenigstens in den Anfangsstadien durch eine Hyperämie in der 
Nähe der entzündlich erkrankten Knochen. Gewisse Haltungen der Wirbel¬ 
säule, bei denen sich die erkrankten Wirbel auf einander pressen, vermehren den 
Schmerz, umgekehrt wird er durch Ausschaltung des Druckes vermindert; hier¬ 
durch erklären sich unschwer die später fixirten Contracturstellungen. Die 
Aetiologie der Erkrankung ist noch unsicher; nach Goldthwait’s Ansicht 
spielen hier Infectionen eine grosse Rolle. Die Prognose ist bei frühzeitig ein¬ 
setzender Behandlung gut (?), da gewöhnlich völlige Heilung erzielt wird. Die 
Behandlung besteht in passender Fixation der Wirbelsäule nach vorausgegangener 
Correctur der Deformität. Photographien von fünf einschlägigen Fällen sind 
beigegeben. Pfei ff er-Berlin. 


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552 


Referate. 


Mouchet, Luxation paralytique de la hanche (varidt^ iliaque). Bull, et mem. 
de la 80C. anatomique de Paris Nr. 6, 1903. 

Mouchet beschreibt einen der seltenen Fälle von paralytischer Luxation 
des Hüftgelenkes nach hinten bei spinaler Kinderlähmung. Gewöhnlich ent¬ 
stehen bei dieser Erkrankung Scblottergelenke oder Luxationen nach Torn. 
Den eventuellen Einwand, dass es sich hier auch um eine vorher nicht nach- 
gewiesene congenitale Verrenkung handeln könne, glaubt Mouchet durch die 
kolossale Atrophie der Muskeln und Knochen des Oberschenkels widerlegen 
zu können. Angaben über therapeutische Versuche fehlen. 

Pfeiffer-Berlin. 

S1 0 m a n n, Die Behandlung der angeborenen Hüftverrenkung. Nordisk Tidsskrifl 
for Terapi 1903, April. (Referat von Meyer-Kopenhagen in der Münchener 
med. Wochenschr. 1903, Nr. 30.) 

Verfasser gibt eine mit Photographien und Röntgenbildem versehene 
genaue Beschreibung von neun Hüftverrenkungen, die er mit sehr gutem Er¬ 
folg nach Lorenz’ Methode behandelt hat. Im Gegensatz zu Lorenz räth 
Slomann, wenn es sich um eine Luxatio supracotyloidea handelt, die Ex¬ 
tremität nach dem ersten auswärtsrotirenden Stadium in Innenrotation einzo- 
gipsen, da sonst leicht als Folge der lange dauernden Aussenrotation eine Art 
rotatorischer Subluxation nach vorwärts eintreten kann, die sich klinisch durch 
zu starke Prominenz des Gelenkkopfes in der Leistengegend und durch eine 
den Gang beschwerende, starke Aussenrotation der Extremität zu erkennen gibt 

Bl en ck e-Magdeburg. 

Umbreit, Ein Beitrag zur Behandlung der congenitalen Hüftgelenks!uxation. 
Diss. Freiburg 1903. 

Verfasser bespricht zunächst das Vorkommen, die Aetiologie, die patho¬ 
logische Anatomie, die Diagnose, die Prognose der angeborenen Höftgelenks- 
luxation in klarer und übersichtlicher Weise, ohne allerdings neue Gesichts¬ 
punkte zu bringen, und kommt dann auf die Therapie zu sprechen, wobei er 
bei älteren Personen mit congenitaler Hüftgelenksverrenkung die keilförmige 
subtrochantere Osteotomie aufs wärmste empfiehlt. Er berichtet über einen 
Fall von einseitiger Verrenkung, bei demKraske die Ost. subtroch. cuneiformis 
mit glänzendem Erfolge ausführte. Es handelte sich um ein 11 jähriges Mädchen, 
bei dem nach der Operation vom Hinken noch kaum etwas bemerkbar war. 
Die vor der Operation sehr auffällige Verkürzung wurde nach derselben durch 
massiges Senken des Beckens ausgeglichen. Es bestanden keinerlei Beschwerden 
mehr. B len ck e-Magdeburg. 

Mauclaire etlnfroit, Cinematographie de boiterie d’une luxation congeni¬ 
tale de la hanche avant Tosteotomie. Bull, de la soc. de ped. de Paris 
1903, Nr. 6. 

Die Verfasser benutzen die Kinematographie, um die Resultate der suV 
trochanteren Osteotomie bei einem Fall von congenitaler Hüftluxation zu con- 
troliren. Sie geben die Momentbilder vor der Operation, welche mit den nach 
der Operation aufgenommenen verglichen werden und den Gang des Patienten 
zeigen, und dadurch eine exacte Wiedergabe der gewonnenen Resultate. 


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Referate. 


553 


Zuletzt erläutern sie einen von Gaumont angegebenen Apparat zur 
Wiedergabe kinematographischer Bilder. Ghinlamila-Bukarest. 

Froelieh, Deux observations de luxations congenitales doubles de la hanche, 
traitees par Tosteotomie sous-trochanterienne (Operation de Kirmisson). 
Rev. d’orthop. Nr. 5, 1903. 

Verfasser gibt die Krankengeschichten von zwei Patienten, die an doppel¬ 
seitiger congenitaler Hüftluxation litten. Beide boten, obwohl sie nicht älter 
als 7 und 9 Jahre waren, sehr schwere Veränderungen. Die Femurköpfe standen 
3—7 cm über der Roser-Nelaton*schen Linie, die Adduction im Hüftgelenk 
war so gross, dass die Kniee sich kreuzten und keine Abduction zuliessen; bei 
einer erheblichen Lordose bestand eine fast vollständige Gebrauchsunföhigkeit 
der Hüftgelenke. 

In beiden Fällen machte Froelich nach einander an jedem Gliede die 
subtrochantere Osteotomie nach Kirmisson. Auf der Seite, wo die Ver¬ 
kürzung grösser war, die schräge Osteotomie mit nachfolgender Gewichts* 
extension, und auf der anderen Seite eine transversale Durchmeisselung ohne 
Ext^nsion. Um die Abduction zu ermöglichen, machte er vorher die Tenotomie 
oder einfache Zerreissung der Adductoren und bei dem einen in Flexion 
ankylotischen Gelenk auch die Durchtrennung des Sartorius und des Tensor 
fase. lat. 

Einige Monate nach den Operationen konnten die Kranken gehen, und 
das kosmetische und functioneile Resultat war ausgezeichnet. 

Gh iu 1 amil a* Bukarest. 

Walter, Beitrag zur operativen Behandlung der congenitalen Hüftgelenks¬ 
luxation. Diss. Freiburg 1903. 

Verfasser theilt zunächst die bisher vorgeschlagenen und angewendeten 
Heilverfahren in Kürze mit, mit besonderer Berücksichtigung der in neuester 
Zeit am meisten in Anwendung kommenden Methoden von Hoffa und Lorenz. 
Sodann kommt er auf die König’sche Methode zu sprechen, die der Erfinder 
selbst wegen der nicht sehr günstigen Resultate bald aufgab, und auf die kurze 
Zeit später veröffentlichte Methode von Codivilla. Kraske vereinigte beider 
Grundgedanken und zwar in glücklicher Weise, wie Verfasser an einem Krank¬ 
heitsfall zu beweisen sucht, bei dem schon 3mal die unblutige Einrenkung 
ohne Erfolg gemacht war. Kraske reponirte zuerst den Kopf, dann entfernte 
er den überhängenden Theil der Gelenkkapsel und vernähte den gebildeten 
Periostlappen mit dem Kapselrest, wodurch ein festeres, strafferes, knöchernes 
Widerlager für den Femurkopf erreicht wurde. 

Verfasser nennt das Resultat des nach dieser Methode operirten Falles 
glänzend. Es beweist die Brauchbarkeit der von Kraske modificirten König- 
sehen Operationsmethode. Blencke-Magdeburg. 

Kirmisson, Des resultats fournis par la methode non sanglante dans le 
traitement des luxations congen. de la hanche. Rev. d’orthop. Nr. 3, 
1903. 

Da es noch immer kein übereinstimmendes ürtheil über den Werth der 
unblutigen Reposition angeborener Hüftgelenksluxation gibt, ist als werthvoller 


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554 


Referate. 


Beitrag zur Lösung dieser Frage, die nur durch eine genaue Kenntniss der 
praktischen, von jedem Operateur erreichten Resultate beantwortet werden 
kann, ein analytischer Bericht Kirmisson's Über die in den letzten 5 Jahren 
von ihm nach dieser Methode behandelten Fälle im Hospital Trousseau in Paris 
zu begrüssen. 

Es haben sich 27 Luxationsfälle vorgestellt, von denen 17 reponirt worden 
sind. Das Alter der Patienten schwankte zwischen 32 Monaten und 13'/s Jahren, 
ln 3 Fällen nur war der Femurkopf in seine normale Lage zurückgebracht 
worden, zwei derselben haben nicht lange genug beobachtet werden können, 
der andere hatte 2 Jahre hindurch seine normale Lage beibehalten, zeigte aber 
im dritten Jahre nach der Behandlung eine kleine Verschiebung nach oben. 

In 10 Fällen wurde der Femurkopf vor die Nelaton’sche Linie und in 
die Höhe der Spina ilei. ant. inf. gebracht, und bat sich von nun an in der 
gleichen Lage erhalten. Das in den meisten Fällen erzielte Resultat war sehr 
befriedigend. Bei 5 Fällen war die Verkürzung vollständig ausgeglichen, die 
anderen haben eine mehr oder weniger grosse Verkürzung behalten, aber der 
Gang wurde gut und das Femur stützte sich fest gegen das Darmbein an. Bei 
veralteten Fällen war das Resultat weniger günstig; in einem Falle wurde die 
Epiphyse abgerissen. 

Es sind 27 doppelseitige Luxationen vorgekommen, von denen 21 durch 
unblutige Reposition behandelt worden sind. In den meisten Fällen (12) bat 
man eine mehr oder weniger zufriedenstellende Transposition nach vorne er¬ 
reicht. In einigen Fällen erhielt der Kopf eine fast normale Stellung und der 
Gang des Patienten war sehr befriedigend. 4 Rückfälle der Luxation: 3 ein¬ 
seitige, 1 doppelseitige, und in 2 Fällen konnte man nur eine einseitige Reposition 
ausführen. 

In den übrigen 10 Fällen von einseitiger Luxation und in den 6 doppel¬ 
seitigen hat keine Einrenkung stattgefunSen, denn bei einem ist sie gar nicht 
versucht worden, und bei den anderen hat sie sich als unmöglich erwiesen; 
aber dennoch wurden mehrere von denselben durch Extension gebessert. 

Nach Kirmisson sind bei der Beurtheilung der Enderfolge verschiedene 
Punkte zu beachten, die eine Ungleichwerthigkeit der Erfolge demonstriren. 
Abgesehen von der mehr oder weniger restirenden Verkürzung, muss man mit 
der Art der Festlegung des Kopfes und der Stellung der Extremität rechnen. 
Selbst bei einer anatomischen Reposition des Kopfes ist der Erfolg nicht immer 
günstig. In vielen Fällen gelingt nicht einmal die vollständige Reposition, 
meistens erreicht man nur eine Transposition nach vorn, und eine Feststellung 
des Kopfes mit verringerter Verkürzung, aber guter Gebrauchsfäbigkeit des 
Gliedes. Radicale Heilungen sind sehr selten. 

Die Operation ist zu empfehlen, wenn der Femurkopf sich Über der 
Nelaton’schen Linie befindet und die anderen orthopädischen Behandlungs¬ 
arten erfolglos geblieben sind. Die Luxationen mit sehr hochstehendem Kopf 
sind nicht am schwierigsten zu behandeln. Die Zeit bis zum siebenten Jahre ist 
für die Einrenkung am vortheilhaftesten. 

Kirmisson’s Verfahren ist das folgende: Niemals eine plötzliche Ex¬ 
tension, sehr selten eine vorbereitende Extension. Narkose. Beugebewegungen 
des Oberschenkels gegen den Bauch, Abduction, Kreisbewegungen in der letzten 


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Referate. 


555 


Stellung und Reposition durch den unteren Band der Pfanne. Sehr selten 
offene Tenotomie der Adductoren. Gipsverband nach Lorenz. Nach 2 Monaten 
Verminderung der Abduction in Narkose, und nach weiteren 2 Monaten wird 
ein dritter Verband angelegt, um die Rotation nach aussen zu corrigiren. Die 
Behandlung dauert also 6 Monate. Ghi ul am ila-Bukarest. 

Menciere, Levier special pour faciliter la reduction non sanglante extem- 
poranee de la luxation congenitale de la hanche. Arch. prov. de chir. 
1903, Nr. 5. 

Menciere hat auf dem internationalen Congress zu Madrid einen Hebel 
(lemonstrirt, der in schwierigen Fällen von congenitalen Hüftgelenksluxationen 
den Kopf in die Pfanne zu hebeln im Stande ist, selbst dann, wenn es nach 
dem Lorenz sehen Verfahren oder mit den Hoffa’schen pumpenschwengel¬ 
artigen Bewegungen nicht möglich ist. 

Bei der Nachbehandlung empfiehlt Verfasser, ausser auf Massage und 
medicomechanische Uebungen, auch auf methodische Gehübungen Gewicht zu 
legen. Zand er-Berlin. 

Derscheid-Delcourt, De la coxalgie complicant la luxation congenitale de 
la hanche. Journ. med. de Bruxelles 1901, Nr. 51. ' 

Derscheid-Delcourt hat im Zeitraum von 8 Jahren unter 30 con¬ 
genitalen Hüftluxationen 3 Fälle beobachtet, bei denen sich in der luxirten 
Hüfte eine tuberculöse Gelenkentzündung einstellte. Dass die congenitale Hüfb- 
luxation so selten mit einer Coxitis complicirt ist, liegt nach der Meinung des 
Verfassers nicht daran, dass der directe Contact zwischen den Gelenkflächen 
fehlt und dass das Fehlen des Druckes, den die Gelenkenden normalerweise 
aufeinander ausüben, nicht günstig für die Ansiedelung von Bacterien ist, welche 
Erklärung Coste dafür gab, sondern daran, dass eine ganz minimale kleine 
Zahl von Kindern mit angeborenen Hüftluxationen zur Beobachtung kommen, 
so dass man eigentlich gar keinen Vergleich mit der Coxitis ziehen darf, wenn 
man die ungeheure Menge von Coxitisfällen in Betracht zieht. 

Zan d er-Berlin. 

Lovett, The diagnosis of hip disease: An analysis of 95 cases. Boston 
medical and surgical Journal. August 14, 1902. 

Lovett meint, dass die Diagnose der tuberculösen Coxitis nicht fest¬ 
gestellt werden kann nach einer kurzen, oberflächlichen Untersuchung, sondern 
dass es einer längeren und mehr eingehenderen Beobachtung bedarf. Seine An¬ 
sicht stützt er auf die Beobachtung von 95 Fällen in dem Kinderkrankenhaus 
zu Boston, welche sich auf einen Zeitraum von 4 Jahren ausdehnte. Von diesen 
Fällen wurden 7 nicht mitgerechnet, da es veraltete Fälle waren. Die anderen 
88 Fälle theilte er in folgende zwei Gruppen: a) Fälle, in denen eine progressive 
Zerstörung vorhanden war, verbunden mit den klassischen Symptomen der 
tuberculösen Coxitis. b) Fälle, die nach einer kurzen Zeit heilten oder nicht 
die klassischen Symptome zeigten. 

Zur Klasse a) gehörten 45 Fälle. Klasse b) theilte er wiederum 1. in 
Fälle, in denen zu wenige Thatsachen angegeben waren, um eine Diagnose mit 
Zeitschrift für ortliopadischc Chiriirf'ic. XII. Hd. 3ß 


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556 


Referate. 


Sicherheit zu stellen (8 Fälle); 2. in Fälle, in denen rasche Genesung folgte 
(21 Fälle); 3. in Fälle, in denen keine deutliche tuberculöse Aflfection vor¬ 
handen war (14 Fälle). Albrecht-St, Louis. 

Merzweiler, üeber die Verbreitung coxitischer Abscesse. Disa. Freiburg 
1903. 

Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über die Tuberculöse des Hüft¬ 
gelenkes kommt Verfasser auf die bei dieser Erkrankung so häufig auftretenden 
Abscesse zu sprechen, beschäftigt sich zunächst mit den Ausgangspunkten der¬ 
selben, sodann mit ihren Wegen und dem Erscheinen derselben an der Körper¬ 
oberfläche. Bei den Wegen kommt er hauptsächlich auf die Bänder zu sprechen, 
die zwischen sich verschiedene dünne Kapselpartien frei lassen, welche für die 
Verbreitung coxitischer Abscesse von grösster Wichtigkeit sind — er konnte 
an seinen Präparaten vier solche Stellen finden —, sodann auf die Schleim¬ 
beutel, die auch dabei eine wichtige Rolle spielen. Betreffs des Erscheinens 
der Abscesse an der Oberfläche hält er sich an die Arbeiten König's und 
Haberer’s und bringt zum Schluss zwei Fälle aus der Freiburger Klinik. 
In dem ersten Fall bestand ein Abscess unterhalb des Po u parti’schen Bandes, 
von dem durch die vordere Wand eine Fistel zum Gelenk führte. Ausserdem 
bestand noch ein zweiter oberer Abscess, der fast bis in die Nierengegend 
hinaufreichte und hauptsächlich auf der Darmbeinschaufel lag. Er communi- 
cirte mit dem Hüftgelenk durch den Pfannenboden; die Pfanne, die nach oben 
erweitert war, zeigte einen grossen Defect. 

Im zweiten Falle lag der Abscess am Oberschenkel, beschränkte sich 
hauptsächlich auf die Gegend der Bursa subiliaca, setzte sich aber in breiter 
Bahn mit dem Muse, ileopsoas unter dem Lig. Poupartii hindurch in einen 
Bauchabscess fort, welcher die ganze Beckenhälfte erfüllte und mindestens 
1 Liter Eiter enthielt. 

Beide Patienten erlagen trotz eingreifender Operation leider nach einiger 
Zeit einer tuberculösen Meningitis. Blencke-Magdeburg. 

Taylor, The rational or combined treatment of coxalgia. Transactions of 

the american orthopedic association 1902. 

Taylor beschreibt die combinirte Behandlung der tuberculösen Coxitis. 
Sie besteht in der Operation der Erosion mit der Extensionsnachbehandlung. 
Diese Behandlung ist nur brauchbar in Fällen, in denen die Heerde sich im 
Kopf des Femurs nach dem Gelenk zu verbreiten oder in das Gelenk durch¬ 
brechen. Extension wird angewendet bis das Bein parallel mit dem anderen 
steht. Für die Operation empfiehlt Taylor den vorderen Schnitt nach Hueter. 
Nachdem das Gelenk eröffnet ist, werden die Heerde erst mit kleinem und 
dann grösserem Löffel herausgeschabt. Nach Debris wird das Gelenk mit heisser 
Kochsalzlösung, oder wenn es viel blutet, mit 1 : 1000 Sublimatlösung aus¬ 
gewaschen, wonach es mit steriler Gaze getrocknet wird. Dann wird eine 
272 Formalinlösung in das Gelenk gebracht, welche 5 Minuten dai'in bleibt. 
Dann wird es abermals ausgetrocknet. Ein Streifen Jodoformgaze wird dann 
in die Wunde bis in das Gelenk gelegt und dann mit Silberdraht zugenäht. 
Nach der Operation wird das Kind auf ein Br ad for d’sches Bett gelegt mit 


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Referate. 


557 


einer Extension von 5 Pfund an dem Bein. Nach 7 Tagen wird die Gaze heraus¬ 
genommen und nach 10 Tagen die Nähte. Nach ungefähr 8 Wochen wird das 
Kind auf Krücken und einem hohen Schuh mit einer langen Extensionsschiene 
entlassen, welche nach 6 Monaten bis 1 Jahr entfernt werden können. 

Albrecht-St. Louis. 

Gibney, The correction of deformity at the hip, the result of disease: 
A study of the best methods and best positions. American Journal of 
orthopedic surgery. August 1903. 

Gibney zieht Gant’s subtrochantere Osteotomie zur Correction der 
Flexionsdeformität der Hüfte nach Coxitis der Loren z’schen unblutigen 
Methode vor, da nach der letzteren oft alte tuberculöse Heerde wieder activ werden 
und Abscesse bilden, oder tuberculöse Meningitis entsteht. Es entsteht auch 
oft ein Rückfall der Deformität nach der letzteren Methode. 

A1 b r e c h t - St. Louis. 

Calvä et Guillaume-Louis, La coxalgie double. Revue mensuelle des 
maladies de Tenfance. November 1903. 

Die Verfasser geben an der Hand von 25 Krankengeschichten von doppel-* 
seitiger Coxitis eine Studie über die klinischen Erscheinungen derselben. Sie 
fanden unter 3000 Fällen 300 vielfach auftretende Tuberculosen, von denen 
wieder 100 an symmetrischen Orten auftreten. Die Hüfte nimmt hierbei keine 
besondere Stellung ein. Dieses relativ häufige symmetrische Auftreten erklären 
sich die Verfasser durch die gleiche Empfänglichkeit des Bodens wegen ana¬ 
tomischer und physiologischer Gleichheit. Ein abweichendes Bild im Verlauf 
bieten die doppelseitigen Coxitiden gegenüber der einseitigen nicht. Gewöhn¬ 
lich tritt die zweite Coxitis erst 6—10 Monate nach der ersten auf, und so 
wird durch die Behandlung der ersten die zweite günstig beeinflusst, so dass 
die Erfolge bei dieser viel bessere sind. 

Interessant sind die Beobachtungen über die Folgen der doppelseitigen 
Coxitiden in functioneller Beziehung. Verfasser geben genaue Ajialysen der 
Gehbewegungen, des Sitzens und anderer Functionen und dadurch einen guten 
Anhalt in Bezug auf die günstigste Stellung ankylosirter Hüften, um allzu 
grosse Störungen der nöthigsten Lebensanforderungen zu vermeiden. 

Sch effler-Berlin. 

Ducroquet, Les appareils dans le traitement de la coxalgie au debut. Revue 
d’hygiene et de medecine infantiles Nr. 3, 1903. 

Ducroquet spricht sich in seiner Arbeit über die ambulante Behand¬ 
lung der beginnenden Coxitis für eine möglichst frühzeitig einsetzende exacte 
Fixation des erkrankten Gelenkes aus. Am besten hierfür ist der Gipsverband, 
der an der gesunden Seite des Brustkorbes bis zur Höhe der Mamilla reichen 
muss, um sicher eine Adduction zu verhüten. Die Rotation verhütet man durch 
Einbeziehen des ganzen Beines in den Verband, bei mageren und älteren 
Patienten genügt hierfür ein Verband, der bis zur Kniegelenkspalte reicht. 
Zur Anlegung des Verbandes benutzt er einen selbstconstruirten einfachen 
Apparat, der sich an jedem gewöhnlichen Tisch anbringen lässt; er besteht aus 
einem Kopfpolster, einer Beckenstütze und zwei Beinextensionsvorrichtungen 
nach Lorenz. Eventuell verfertigt Ducroquet auch portative Apparate aus 


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558 


Referate. 


Celluloid; in diesem Falle bleibt die ganze Vorderseite des Beines bis auf ein 
schmales Band über dem Knie gänzlich frei, üeber die allgemein für zweck¬ 
mässig gehaltene Entlastung des Hüftgelenks finden sich keine Andeutungen. 

P feiffer-Berlin. 

Borris, Zur Behandlung der knöchernen Hüftgelenksankylosen. Diss. Königs 
berg, Mai 1903. 

Verfasser bespricht zunächst die blutigen und unblutigen Methoden, die 
zur Beseitigung der knöchernen Ankylosen in der Hüfte angegeben sind, und 
berichtet im Anschluss hieran über einen vonBraatz operirten Fall, bei dem 
neben Myotomien des Sartorius, Rectus femoris, Tensor fasciae latae und der 
Adductoren die Durchtrennung des Schenkelhalses vorgenommen w-urde. Der 
Gipsverband wurde in drei getrennten Abtheilungen angelegt; die einzelnen 
Theile wurden durch eine vorher genau nach Maass gefertigte seitliche Eisen¬ 
schiene zusammengehalten, die in der Gegend des Hüftgelenks ein Sectoren- 
blatt trug, das den Oberschenkel in beliebiger Beugestellung zu fixiren und 
auch denselben zu überstrecken gestattete. Ausserdem war im Hüftgelenk nach 
Lösung eines abschraubbaren üeberwurfs noch eine ausgiebige Abductions- 
und Adductionsbewegung ausführbar. 

8 Tage nach der Operation wurden die ersten Bewegungen ausgeführt, 
die von da ab jeden zweiten Tag vorgenomraen wurden. Nach einem Monat 
wurde der Verband abgenommen und es folgte nun eine lange und mühsame 
Nachbehandlung, bei der noch 2mal die Narkose angewendet werden muste. 
Nach 9 Monaten war eine Beugung bis zu 90® möglich. Die Abduction war 
sehr ausgiebig, auch die Rotation in gestreckter Lage. Kurzum das Resultat 
war in jeder Beziehung ein gutes zu nennen. Blencke-Magdeburg. 

Donck, van der, La coxa vara. Annales de Chir. et d’orthop. Nr. 7 und 
1903. 

Der Verfasser gibt eine allgemeine üebersioht der Kenntnisse, die wir 
zur Zeit über diese Erkrankung haben, ohne etwas Neues hinzuzufugen. 

Ghiulamila - Bukarest. 

Honsell, Weiterer Beitrag zur acuten Osteomyelitis im Gebiete des Hüft¬ 
gelenkes. Beitr. z. klin. Chir. 1903, Bd. 39 Heft 3. 

Honsell berichtet über 15 Fälle von Hüftosteomyelitis, darunter 4 mit 
doppelseitiger Erkrankung. Es handelte sich bei allen um eine primäre Er 
krankung des Femur, nie um eine solche des Beckens. Einmal war die Er¬ 
krankung auf den Kopf localisirt, mehrmals auf Kopf und Hals, 4mal war dk 
Pars trochanterica und 4mal zugleich der Schaft mitergriffen. Zusammen mit 
schon früher veröffentlichten^) 106 Fällen hat Verfasser 121 Fälle beobachtet 
unter denen 21 grösseren Operationen unterworfen wurden — 19 resecirt mit 
3 Todesfällen, 2 exarticulirt mit 2 Todesfällen. Von den übrigen sind 89 
heilt und zwar 38 mit Gelenkversteifung, 29 mit Spontanluxationen und 21 mit 
Epiphysenlösung. Von den nicht resecirten starben 12. 

Was die Frage der Resection anbelangt, so steht Verfasser auf iUm 

') Beiträge z. kiin. Chir. Bd 39 Heft 3. 


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Refemte. 


559 


Standpunkt, dass die Freilegung des Gelenks mit Resection immer indicirt ist, 
wenn das Gelenk acut vereitert oder verjaucht. Wenn das nicht der Fall ist, 
kommt man wohl immer zum Ziele, ohne das Gelenk zu eröffnen. Eine werth¬ 
volle Unterstützung, wie weit man reseciren soll, bietet das Röntgenbild, das 
schon kleine Unregelmässigkeiten in der Knochenstructur und umschriebene 
Knochenhöhlen zeigt. Wichtig für das spätere functionelle Resultat ist es, 
wenn der Trochanter erhalten bleiben kann. Zand er-Berlin. 

Ducroquet et B^zan^on, Pseudarthrose flottante de la hanche coneecutive 
ä une pyarthrite osteomy^litique du jeune äge. Presse med. 1903, Nr. 15. 
Die Verfasser geben die Krankengeschichten von vier Patienten, welche 
inoi ersten Lebensjahre im Anschluss an verschiedene acute Infectionskrankheiten, 
die der Osteomyelitis sehr ähnlich waren, Hüftgelenkseiterungen mit Lösung 
der Epiphyse bekamen. Der Abscess wurde gespalten und es trat eine schnelle 
Heilung ein. 

Die Folge dieser Krankheitsprocesse war eine pathologische Hüftgelenks- 
laxation, welche man auf den ersten Blick für eine angeborene Hüftgelenks¬ 
luxation halten konnte. 

Diese pathologische Luxation aber unterscheidet sich dadurch, dass die 
ganze obere Femurepipbyse — Kopf und Hals — fehlen, wie das Röntgenbild 
auch beweist. Das obere Ende des Femurs ist stumpf und trägt darauf nur 
den Ossificationskern des grossen Trochanters. Das Femur kann sich nicht 
gut gegen das Darmbein stützen und der Gang des Patienten ist sehr watschelnd. 

Eine Reposition ist ausgeschlossen; diese Fälle müssen nur durch Becken¬ 
gürtel behandelt werden. Ghiulamila-Bukarest. 

Amberger, Zur Casuistik der tragfähigen Unterschenkelstümpfe. Aus der 
chirurgischen Abtheilung des städtischen Krankenhauses in Frankfurt a. M. 
Münchener med. Wochenschr. 1903, Nr. 22. 

Verfasser berichtet über die Resultate der Unterschenkelamputationen 
nach den Methoden von Bier und Bunge. Unter 18 Fällen wurde 15mal 
nach Bier, 3mal nach Bunge operirt. ln uncomplicirten Fällen wird an dem 
Frankfurter Krankenhause stets die erstere Methode angewandt; nur wenn In- 
lectionsgefahr vorliegt, oder wenn Zeiterspamiss wünschenswerth ist, wird 
letztere Methode vorgezogen. 

Die functioneilen Resultate waren bei der Anwendung beider Verfahren 
sehr befriedigende. Wollenberg-Berlin. 

Judet et Touchard, Luxation congenitale de la rotule coincidant avec une 
double luxation en arriere de la tete du radius. Bull, de la soc. de pe- 
diatrie. Paris 1903, Nr. 6. 

In kurzen Worten ist hier die Krankengeschichte eines l.jjährigen Patienten 
berichtet, der vielseitige Deformitäten bot; unter diesen war besonders aultällig 
eine Patellarluxation und eine beiderseitige Luxation des Radiusköpfchens nach 
hinten. 

Die betreffenden Knochentheile zeigten keine Hemmungsbildung und die 
Bewegungen in den Gelenken waren ziemlich gut. Keine Anzeichen von here¬ 
ditärer Syphilis noch von Rhachitis. G h i u 1 a ra i 1 a - Bukarest. 


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560 


Referate. 


Rosenhaupt, Beiträge zur EenntDiss der Meralgie. Dies. Freiburg 1903. 

Verfasser entwirft im ersten Theil seiner Arbeit ein allgemeines BilJ 
über die Meralgie, jener im Gebiete des N. cutaneus femoris extemus auftreten¬ 
den Sensibilitätsstörung, die zuerst von Roth im Jahre 1895 beschrieben 
wurde, und berichtet dann über eine Reihe von Fällen, deren Aetiologie zom 
Theil bisher wenig gewürdigt ist, und die deshalb auch nach des Verfassers 
Ansicht eine gewisse praktische Bedeutung beanspruchen dürfen. Es handelt 
sich um 7 Fälle; 1 Fall trat im Gefolge von Typhus auf, bei einem anderen 
war eine traumatische Hysterie als Krankheitsursache anzusehen. Alle übriger 
Fälle zeigten die Meralgie bei Kranken mit Diabetes mellitus. Die so häußg 
bei Diabetikern vorkommenden .Oberschenkelschmerzen* will Verfasser deshsir? 
auch als typische Meralgien aufgefasst wissen. In 1 Fall bestand neben dem 
Diabetes noch Plattfuss, der ja für die Meralgie auch verantwortlich gemacht 
werden kann. Sonst bieten die Fälle nichts von dem gewöhnlichen T\^U5 
Abweichendes. Bei der Therapie kommt in erster Linie die Bekämpfung de> 
Grundleidens in Betracht, ausserdem noch Einreibungen, laue Soolbäder, Massage 
und dergl. mehr. Wenn alle anderen therapeutischen Versuche unwirksam ge¬ 
blieben sind und wenn erhebliche Beschwerden bestehen, dann kommt die Re- 
section des Nerven in Betracht, deren Erfolg erst manchmal nach einiger Zeit 
zu Tage tritt. Auch nach dieser sind jedoch Recidive beobachtet worden. Ein 
Literaturverzeicliniss, das 64 Arbeiten enthält, ist der interessanten Arbeit bei¬ 
gegeben. Bl encke-Magdeburg. 

Schnitze, Die Luxation der Semilunarknorpel des Kniegelenkes. Arch. L 

Orthopädie Bd. 1 Heft 1. 

Schnitze bespricht an der Hand von 31 aus der Literatur zusammen- 
gestellten Fällen und zwei selbst beobachteten die Luxation der Semilunar- 
knorpel des Kniegelenkes. Danach ist das jugendliche Alter prädisponirt; stets 
bildet ein Trauma die Ursache. Der Mechanismus der Luxation ist schon von 
Bruns und Henke studirt worden; nach ihren Untersuchungen erfolgt die 
Luxation des Meniscus bei Beugung des Kniegelenkes unter forcirter Rotation 
des Unterschenkels. In der Beugestellung wird nämlich die hintere Partie des 
Meniscus durch die Femurcondylen festgehalten; durch die Rotation der Tibia 
wird dann die vordere Partie des Meniscus aus ihrem Lager gesprengt. Je 
nach Art der Rotation wird eine Luxation des Meniscus int. oder ext. zu Stande 
kommen. Die grössere Häufigkeit der Luxation des Meniscus int. (2 : 1) erklärt 
sich aus seiner geringeren Verschieblichkeit. Die Symptome des Leidens sind 
auch bei veralteten Fällen meist so unzweideutig, dass eine exacte Diagnose 
gestellt werden kann. Bei der Behandlung unterscheidet Schnitze die con- 
servative und die operative Methode. Die erstere, die gleichfalls schöne Resul¬ 
tate aufzuweisen hat, besteht in Reposition und Fixation mit nachfolgender 
Massage und Heilgymnastik. Das operative Verfahren ist nach Schnitze 
indicirt, wenn sich der luxirte Meniscus nach weisen lässt. Die Naht des Meni 5 ca> 
kommt nur dann in Frage, w'enn keine Dislocation stattgefunden hat; anderen¬ 
falls ist der Meniscus möglichst weitgehend zu exstirpiren. Die Eröffnung des 
Gelenkes geschieht am besten in mehr als rechtwinkliger Stellung des Gelenkes, 
weil man in dieser Lage den besten Ueberblick gewinnt. Die Nachbehandlung 


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Referate. 


561 


besteht in einem Pappschienenverband für 2 Wochen, eventuell mit nachfolgen¬ 
der medico-mechanischer Behandlung. Pfeiffer-Berlin. 

Damianos, Beiträge zur operativen Radicalbehandlung der Kniegelenkstuber- 
culose mit besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Jodoform¬ 
plombe nach V. Mosetig. Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 68 Heft 1 u. 2. 
Damianos bekennt sich in dieser Arbeit als Gegner der ^conservativen“ 
Behandlung der Kniegelenkstuberculose, bestehend in Feststellung des Gelenkes 
in Streckung, eventuell Extension des Unterschenkels bei Contractur, Entlastung 
des Kniegelenkes durch Verbände, intra- und paraarticuläre Injection von Jodo¬ 
formglycerinemulsion u. s. f. Für diese Behandlung, d. h. fixirende Verbände 
und Bettruhe, eignen sich nur die Fälle von Kniegelenksentzündung, bei denen 
die Tuberculose noch nicht manifest ist, im anderen Falle ist, wenn sie zuge¬ 
geben wird, die Radicaloperation auszuführen, durch die in den meisten Fällen, 
auch bei schwerster Erkrankung, der Localprocess im Laufe weniger Wochen 
zur Heilung gebracht und die Extremität wieder vollständig functionstüchtig 
wird, wenn auch im Kniegelenk steif. Die Operation besteht in der exacten Ent¬ 
fernung alles erkrankten Gewebes und stellt sich dar als Arthrectomia synovialis 
oder als Resection. Die nähere Indicationsstellung, die Technik der Operation, 
sowie die Ausfüllung der eventuell entstandenen Knochenhöhle durch eine Jodo- 
formplombe sind im Original nachzusehen, ebenso die sehr günstigen Ziffer- 
mässig angegebenen und mit anderen verglichenen Resultate. 

Rauenbusch - Berlin. 

Rosenberg, Die Behandlung von Kniegelenkscontracturen. Dissert. Königs¬ 
berg 1903. 

Bevor Rosenberg auf die eigentlichen Correctionsverfahren bei Con- 
tracturen des Kniegelenks eingeht, bringt er einige Bemerkungen betreffs der 
Prophylaxe. Die Behandlung der knöchernen und ausgedehnten knorpeligen 
Ankylosen bespricht er mit nur wenigen Sätzen, um sich dann in eingehendster 
Weise mit der Beseitigung der falschen Ankylosen zu beschäftigen. Zunächst 
erwähnt er das Brisement force mit seinen verschiedenen Modificationen und 
schildert die demselben anhaftenden Gefahren. Der von Ol Her ausgeübten 
supracondylären Osteoclase redet er nicht das Wort. Er geht sodann auf die 
offene Durchschneidung der geschrumpften Weichtheile über, auf die Muskel¬ 
transplantationen, auf die allmähliche Extension mit Gewichten und schliesslich 
auf die orthopädischen Apparate, die der Reibe nach aufgeführt und beschrieben 
werden. Er hebt das meist bestehende falsche Princip dieser, dass bei ihnen 
der Drehpunkt in der Kniekehle liegt, gebührend hervor, das wir selbst an den 
Hessing’schen Apparaten auch linden, bei denen übrigens nach vom Verfasser 
bei Hessing eingezogenen Erkundigungen das Gelenk des Apparates mit dem 
eigentlichen Kniegelenk zusammenfällt und nicht vor dem letzteren liegt, wie 
Hoffa schreibt. Für die einzig richtige Schiene hält auch Verfasser die 
Braatz’sche Sectorenschiene und bringt zum Schluss seiner lesenswertlien Arbeit 
einen in der Braatz’schen Klinik behandelten Krankheitsfall von Kniegelenks- 
contractur, bei dem mit Hilfe des Sectorenstreckapparates ein sehr gutes Re¬ 
sultat erzielt wurde. Blencke-Magdeburg. 


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562 


Referate. 


Whitman, A new method of correcting flexion deformity of the knee-joint. 
American Journal of medical Sciences, May 1903. 

Whitman beschreibt eine neue Methode der Correction der Flexions¬ 
deformität des Kniegelenkes nach Entzündung desselben. Gewöhnlich sind die 
Flexoren contrahirt und müssen vor der Operation tenotomirt werden. Der 
Zweck der neuen Operation ist, eine Subluxation der Tibia nach hinten zu ver¬ 
meiden, und wenn eine vorhanden ist, sie zu reponiren. Anstatt das Femur 
zu fixiren und die Tibia als Hebel zu gebrauchen, wie früher, wird die Tibia 
fixirt und das Femur als Hebel gebraucht. Zu diesem Zwecke wird der Patient, 
in tiefer Narkose, mit dem Gesicht nach unten auf den Tisch gelegt. Der 
Körper wird durch Kissen so hoch gestützt, dass die Tibiakante flach auf dem 
Tisch liegt. Der Operateur fixirt dann den Tibiakopf mit der einen Hand und 
walkt die Flexoren mit der anderen Hand, während ein Assistent einen alter- 
nirenden Druck nach abwärts auf das Femur ausübt. Die Kissen unter dem 
Körper werden allmählich entfernt, bis das Femur fiach auf dem Tisch liegt. 
Dann wird ein Gipsverband angelegt. Die Schmerzen sind sehr gering oder 
fehlen gänzlich, ln Fällen, in denen es unmöglich ist, das Knie ganz gerade 
zu strecken, ist es am besten, erst eine Osteotomie über den Condylen zu machen 
und dann das Gelenk zu extendiren. Albrecht-St. Louis. 

Reiner, Epiphyseolyse mit subcutaner Periosteotomie zur Behandlung des 
Genu valgum infantum. Deutsche med. Wochenschr. 1903, Nr. 27. 
Reiner hatte zur Behandlung des Genu valgum adolescentium zwischen 
dem 8. und 17. Lebensjahre die unblutige operative Epiphyseolyse angewandt, 
gestützt auf Untersuchungen und Erfahrungen, dass Wachsthumsstörungen nur 
bei grober, nicht reducirter Dislocation eintreten. Als Grund für die Thatsache, 
dass bei Kindern unterhalb der angegebenen Altersgrenze die Epiphyseolyse 
sehr schwer auslösbar ist, fand Reiner die innigere Verbindung des Periostes 
mit dem unterliegenden Diaphysenende und die starke Verdickung des Periostes 
an dieser Stelle bei rhachitischen Kindern. Er empfiehlt nun bei diesen Kindern 
die Periosteotomie subcutan mit einem dazu geeigneten Periosteotom vorzu¬ 
nehmen und darauf das Redressement zu machen. Der Verband bleibt 6 Wochen 
liegen, worauf Massage und Gymnastik angewandt werden. 

Scheffler - Berlin. 

V. Brunn, Ueber die supracondyläre Osteotomie des Femur bei Genu valgum, 
mit besonderer Berücksichtigung der definitiven Knochenform. Beitr. z. 
klin. Chir. 1903, Bd. 40 Heft 1. 

V. Brunn berichtet aus der Tübinger chirurgischen Klinik über 137 
Macewen’sche Osteotomien bei statischem Genu valgum au 108 Patienten, 
unter denen 29mal die Operation doppelseitig ausgeführt wurde. 

Die Operation wurde genau nach Macewen ausgeführt, nur die Blutleere 
fortgelassen, ohne dass je erhebliche Störungen bemerkt wurden. Ausserdem 
wurde die ganze Knochendurchtrennung mit einem Meissei ausgeführt und dann 
ein Gehverband angelegt, mit dem die Patienten schon am Tage nach der 
Operation herumgehen konnten. Der Erfolg war ein guter. Bei der Nach¬ 
untersuchung — die Zeit zwischen dieser und der Operation schwankte zwischen 


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Referate. 


563 


2^12 und 22'®A2 Jahren — gaben nur zwei Patienten an, dass sie auf dem 
osteotomirten Bein leichter ermüden, resp. beim längeren Laufen und Stehen 
Schmerzen hätten. Bei einem Patienten war eine Verkürzung von 4 cm zurück¬ 
geblieben. Das kosmetische Resultat war bei allen ausgezeichnet. Wie die 
Röntgenuntersuchung ergab, bleibt die zur Ausgleichung der Deformität er¬ 
forderliche Dislocatio ad axin in den meisten Fällen dauernd bestehen, doch 
findet in der Regel eine Annäherung an die normale Knochenforai statt, und 
zwar scheint die Annäherung abzuhängen von der Weichheit und Plasticität 
der Knochen zur Zeit der Operation. Zan d er-Berlin. 

Blanchard, The surgical pathology of genu varum and genu valgum. 

American Journal of orthopedic surgery, August 1903. 

Blanchard betrachtet für Genu varum und Genu valgum die Osteo- 
clase als die beste Operation. Bei der unblutigen Epiphyseolyse von Lorenz 
fände oft nur eine Lockerung des Kniegelenkes, keine Epiphysenlösung statt. 
Diese verursacht sehr heftige Schmerzen, beseitigt nicht die Deformität und 
führt oft zu Schlottergelenken. A1 b r e c h t - St. Louis. 

Taylor, Osteoma of the knee joint. Annals of surgery, January 1903. 

Taylor berichtet einen Fall von Osteom des Kniegelenkes bei einem 
Mädchen von 19 Jahren. Patientin hatte das Knie vor 4 Jahren verletzt durch 
eine gewaltsame Hyperextension, nach welcher die Extension auf 150 ® beschränkt 
war. Nach Eröffnen des Gelenkes wurde ein Körper in dem Sulcus intracon- 
dylicus gefunden, welcher befestigt war an der unteren Fläche der Patella und 
an der äusseren Seite des Condylus internus. Nach Entfernung desselben er¬ 
gab seine Messung folgende Grösse: Länge 5 cm, Breite 3 cm, Circumferenz 
7 cm. An seinem hinteren Ende war ein ligamentöses Band (wahrscheinlich 
die üeberreste des Ligamentum cruciatum ant., in welchem das Osteom ent¬ 
standen war) und ein Sesamoidknochen befestigt. Nach Zunähen des Schnittes 
wurde das Bein von den Malleolen bis zu dem Tuber ischii eingegipst. Patientin 
wurde nach 3 Wochen entlassen mit vollständiger Bewegungsfreiheit und guter 
Function des Kniegelenkes. A1 b r e c h t - St. Louis. 

Hoffmeyer, Ein Fall von beweglichem periostalen Osteom des rechten 

Oberschenkels. Diss. Erlangen. Juni 1903. 

Verfasser gibt einen kurzen Ueberblick über die Entstehung und das 
Wesen der Osteome und beschreibt im Anschluss hieran ein Fragment aus der 
Sammlung des pathologischen Instituts zu Erlangen. Es handelte sich um eine 
sehr harte Geschwulst im Bereiche der unteren zwei Drittel des Femur an der 
Vorderseite und Innenseite. Dieselbe war 20 cm lang und 12 cm im Durch¬ 
messer und konnte gegen den Knochen verschoben werden, wobei deutliche 
Crepitation zu fühlen und zu hören war. Das betreffende Präparat wird genau 
beschrieben. Leider war es dem Verfasser unmöglich. Näheres über die Ge¬ 
schwulst zu erfahren, da der Träger dieser im bewusstlosen Zustande in die 
medicinische Klinik aufgenommen wurde, wo er bereits 2 Tage später starb, 
ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben. Eine Abbildung des betreffenden 
Präparates ist der Arbeit beigegeben. Bieneke-Magdeburg. 


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564 


Referate. 


Arnsperger, Zur Casuistik der plastischen Operationen am Streckapparat 
des Unterschenkels. Diss. Freiburg 1903. 

Es handelte sich um einen Mann mit einer alten Verletzung im Knie, 
der nicht im Stande war, bei horizontaler Rückenlage das Bein frei zu heben. 
Active Extension war unmöglich; das linke Bein konnte im Knie bis zu einem 
Rechten flectirt werden. Die Diagnose wurde auf Abreissung der Sehne des 
Musculus quadriceps oberhalb der linken Patella gestellt. Bei der Operation 
fand man, dass die Entfernung des oberen Muskelrandes von der Patella etwa 
6 cm betrug. Da eine Annäherung nicht möglich war, wurde von der inneren 
Hälfte des Muskels ein etwa 3 cm breiter Muskellappen gebildet, der mit 
breiter Basis am unteren Muskelrand haften blieb, längs herüber zur Patella 
geführt und mit einer Anzahl starker Catgutnähte an die der Patella noch 
anhaftenden Fascientheile fixirt. 

Nach 14 Tagen war die Wunde verheilt und es wurde ein abnehmbarer 
Gipsverband angelegt. In ca. 4 Wochen war die active Streckfähigkeit an¬ 
nähernd wieder hergestellt. Die 2 Monate später vorgenommene Nachunter¬ 
suchung zeigt noch leichte Atrophie des Quadriceps; in horizontaler Lage kann 
das linke Bein frei gehoben werden, doch steht dabei das linke Kniegelenk in 
leichter Flexionsstellung von ca. 15®. Der Verletzte vermag ohne Verband 
längere Strecken gehen, ohne zu ermüden. 

Im Anschluss an diesen Fall geht Verfasser dann kurz auf die Sehnen- 
zerreissungen am Streckapparat des Knies ein, bespricht die anatomischen Ver¬ 
hältnisse, das Zustandekommen derselben, die Diagnose und Prognose, um dann 
des Näheren auf die Therapie einzugehen, wobei er auch weitere 14, aus der 
Literatur gesammelte Fälle wiedergibt. Auf Grund der gemachten Erfahrungen 
ist er der Ansicht, dass bei jeder, functionelle Störungen machenden Zerreissung 
des Musculus quadriceps femoris die Naht indicirt ist. 

Bien cke-Magdeburg. 

Schlatt er, Verletzungen des schnabelförmigen Fortsatzes der oberen Tibia¬ 
epiphyse. Beitr. z. klin. Chir. Bd. 38 Heft 3. 

Auf Grund von 8 in den letzten 2—3 Jahren an der chirurgischen Klinik 
zu Zürich beobachteten Fällen stellt Verfasser die Absprengung des das Caput 
tibiae vorne schnabelförmig umfassenden Fortsatzes der oberen Tibiaepiphyse 
als eine typische Verletzung hin. Bei der Ungeklärtheit der Fragen, betreffend 
die Entwickelungszeit des schnabelförmigen Fortsatzes der Tibiaepiphyse, sowie 
betreffend den Ausgangspunkt dieses Fortsatzes, stellte Verfasser Untersuchungen 
an Präparaten des Züricher anatomischen Institutes an; weiter Hess er eine 
grössere Zahl von Röntgenaufnahmen an gesunden 11—14jährigen Knaben un¬ 
fertigen. Diese Untersuchungen führten Verfasser zu der Ansicht, dass der 
Zeitpunkt des Auftretens und Verschwindens des Epiphysenfortsatzes sehr 
variabel ist. Dieser Epiphysenfortsatz ist in dem einen Fall im 12. Jahre 
schon ausgebildet, im anderen fehlt er noch im 15. Die Vereinigung von 
Epiphyse und Diaphyse, die normal zwischen dem 18. und 20. Jahre eintritt 
kann ausnahmsweise schon im 14. Jahre vorliegen. Auch die Rasse soll einen 
Einfluss auf die Zeit des Epiphysenwachsthums ausüben. 

Die Durchmusterung der Röntgenbilder ergab, dass in der Mehrzahl der 


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Referate. 


5G5 


Fälle der Epiphysenfortsatz einen unteren Ausgangspunkt in einem auf der 
Tuberositas liegenden Knochenkem hat. 

Das Lebensalter der Verletzten lag zwischen dem 12. und 17. Jahre, 
am meisten betroffen war das 13.—14. Jahr. Sämmtliche Fälle gehörten dem 
männlichen Geschlecht an. Bis auf einen Fall war stets das rechte Knie be¬ 
troffen. 

Symptome der Verletzung: Nach Fall auf das Knie oder nach kräftiger 
Muskelaction des Quadriceps mässiger, aber langdauernder Schmerz in der 
Kniegegend. Oft sind Angaben über die Entstehung des Leidens nicht zu er' 
langen, infolge der Geringfügigkeit der anfänglichen Schmerzen. Functions¬ 
störungen resultiren in der Regel nicht. Die Schmerzen pflegen sich nach An¬ 
strengungen zu steigern. Der druckempfindliche Punkt liegt auf der Tuberositas 
tibiae, ca. 2 Vs cm unter dem Kniegelenkspalt. 

An dieser Stelle ist eine mehr oder weniger deutliche knöcherne Pro¬ 
minenz sicht- oder fühlbar. 

Es pflegt sich eine Muskelatrophie, besonders des Quadriceps, einzu¬ 
stellen. 

Die Prognose ist günstig, indem das Leiden mit der knöchernen Ver¬ 
wachsung von Epiphyse und Diaphyse verschwindet. Die Therapie besteht in 
Ruhigstellung des Kniegelenkes: in leichteren Fällen immobilisirende Verbände, 
in schweren Bettruhe. Gegen die Muskelatrophie ist möglichst früh Massage 
anzuwenden. Wollenberg-Berlin. 

Hibbs, The tendo Achilles shortened for the restoration of the calf, lost 

as the result of a previous tenotomy. New York medical Journal 1902, 

May 2. 

Hibbs berichtete vor einem Jahre über is Fälle, bei denen nach 
Tenotomie der Achillessehne wegen Pes equinus in 11 Fällen die Function der 
Wadenmusculatur nach der Operation gänzlich verloren gegangen war. In 
3 der letzteren Fälle hat er jetzt die Achillessehne verkürzt. In allen 3 Fällen 
war die Sehne, die zwischen den Enden des alten Schnittes lag, sehr verlängert, 
klein, flach und ohne Sehnenscheide. Die tendinösen Bündel hatten eine dunkle 
Farbe, wuchsen in die umliegenden Gewebe hinein und waren zum Theil fettig 
degenerirt. 

Autor zieht daraus den Schluss, dass 1. die Sehnenscheide erhalten 
und 2. die Continuität gewahrt werden muss, was nur bei der offenen Methode 
erreicht werden kann. Alb recht-St. Louis. 

Wolff, lieber die Ursachen, das Wesen und die Behandlung des Klumpfusses. 

Berlin 1903, August Hirschwald. 

Die ersten drei von den vier Abschnitten dieses Buches beschäftigen sich 
mit der aus dem „Transformationsgesetz“ hergeleiteten Lehre von der func- 
tionellen Pathogenese der Deformitäten ira allgemeinen, speciell des Klump¬ 
fusses, sowie mit der allgemeinen functioneilen Orthopädie der Deformitäten. 
Diese eignen sich wegen ihres zum grössten Theil theoretischen, zum Theil 
auch polemisirenden Inhaltes nicht für ein kurzes Referat. Im vierten Abschnitt, 
der von der functionellen Orthopädie des Klumpfusses handelt, bespricht der 


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566 


Referate. 


Verfasser das Ziel der Klumpfussbehandlung, sowie die zu diesem Ziel führen¬ 
den Wege und praktischen Massnahmen, widerlegt die von Kocher, v. Volk¬ 
mann, Lorenz und Hoffa erhobenen Einwendungen und beschreibt nach 
einem historischen Rückblick auf die bisherige Elumpfussbehandlung die Technik 
und die Erfolge seiner ßehandlungsweise. Dieselbe besteht jetzt darin, dass 
er nach kräftigem, mit der Hand vorgenommenem Redressement möglichst 
schnell, eventuell in mehreren Etappen, in l—2 Wochen die richtige Stellung 
des Fusses, unter Umständen sogar eine leichte üebercorrection, zu erreichen 
sucht. Dann erhält der Patient einen gut sitzenden, möglichst zierUch 
aussehenden, durch Wasserglas verstärkten Gipsverband und geht in einem 
darüber gearbeiteten Schnürstiefel einige Monate umher. Nur in besonders 
schweren Fällen ist dann noch ein zweiter Verband resp. ein zweites Redresse¬ 
ment nothwendig. Meistens hat sich durch die Function des Fusses in rich¬ 
tiger Stellung auch die richtige Knochenform wiederhergestellt. 

Rauenbusch - Berlin. 

Broca, Indications generales du traitement dans le pied bot varus-equin con¬ 
genital. Revue mens, des mal. de Tenf. Mai 1903. 

Broca bespricht die Indicationen für die einzelnen Operationsarten bei 
der Behandlung des Klumpfusses in den einzelnen Lebensaltern. Im grossen 
und ganzen steht er auf dem Standpunkte, so früh wie möglich den ange. 
borenen Klumpfuss in Behandlung zu nehmen. Zand er-Berlin. 

Ar mann, Die Behandlung des congenitalen Klumpfusses an der Poliklinik 

des Baseler Kinderspitales. Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 57 Heft 5. 

Ar mann gibt nach einer kurzen Einleitung, in welcher er nach dem 
Material der Berliner und Münchener chirurgischen Poliklinik die Häufigkeit 
des Klumpfusses auf 4 resp. 2,5 pro Mille feststellt, einen üeberblick über die 
in der oben genannten Anstalt behandelten Fälle von congenitalem Klumpfuss 
aus den Jahren 1896—1901, im ganzen etwa 40 Fälle, von denen 20 genau, 
auch auf Dauerheilung, beobachtet wurden. Im dritten Theil bespricht er die 
Aetiologie des Klumpfusses und kommt zu dem Schlüsse, dass von allen dies¬ 
bezüglichen Theorien keine für alle Fälle ausreicht, sondern dass eine grössere 
Anzahl von Ursachen für die Pathogenese verantwortlich zu machen ist. Ueber 
die pathologische Anatomie geht Verfasser kurz hinweg, um dann eingehender 
die Therapie und die erreichten Resultate zu besprechen. Die Behandlung des 
angeborenen Klumpfusses soll möglichst früh beginnen und ist im allgemeinen 
eine rein orthopädische und beginnt mit dem modellirenden Redressement nach 
Lorenz, welches nach einander die Adduction, die Pronation und die Plantar¬ 
flexion beseitigt resp. übercorrigirt. Dies Resultat wird dann am besten durch 
einen Gipsverband festgehalten, der nach 1—2 Wochen abgenommen und nach 
erneuter Redression wieder angelegt wird. Ist die Stellung hierdurch dauernd 
eine gute geworden, was V« Jahr und länger dauern kann, so wird die Neigung 
zu Recidiven durch einen Barwell’schen Verband bekämpft, dessen Vortheil 
ausser seiner Einfachheit darin besteht, dass die Musculatur nicht beeinträchtigt 
wird. Sodann wird noch eine von Dr. Pfisterer angegebene Vorrichtung zur 
Correctur der Innenrotation beschrieben. Gute Resultate werden nur durch 


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Referate. 


5G7 


eine energische, häufig sich über Jahre erstreckende Nachbehandlung erreicht, 
dann aber auch in fast allen Fällen. Rauenbusch-Berlin. 

Reichard, Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. Wiener klin. 

Rundschau 1903, 19. 

Reichard beschreibt 2 Fälle Ton angeborenem Klumpfuss bei einem 
5- bezw. 12jährigen Knaben, die er nach dem Wolffschen Etappenverfahren 
beseitigt hat, das er insofern etwas modificirte, als er die Zwischenräume zwi¬ 
schen den einzelnen Sitzungen etwas länger nahm, während derselben die 
Knaben in dem jeweiligen Verbände umhergehen und diesen Process der Um¬ 
wandlung bereits mit der Behandlung vor sich gehen Hess. Vier Monate waren 
zur Heilung nöthig. Da der Fuss immer noch Neigung zu Recidiven zeigte, 
schloss Reichard die von anderer Seite bereits für solche Fälle empfohlene 
Sehnentransplantation an, indem er einen Theil des Tibialis anticus auf den 
Extensor digitorum communis verpflanzte. Die Erfolge waren gute. 

Blencke - Magdeburg. 

Frommholz, Zur Geschichte der Tarsectomie beim Klumpfuss. Diss. Würz¬ 
burg 1903. 

Den grössten Theil dieser lesenswerthen Arbeit nimmt eine geschicht¬ 
liche Darstellung der Tarsectomie beim Klumpfuss ein, bei der nicht nur in der 
umfangreichsten Weise unsere deutsche Literatur berücksichtigt ist, sondern 
auch die ausländische. Zum Schluss führt Verfasser einen Fall von angeborenem 
Klumpfuss an', in dem sich gewissermassen die ganze Klumpfussbehandlung der 
letzten Jahrzehnte widerspiegelt. Der betreöende Patient ist der Verfasser 
selbst, der mit einem doppelseitigen Klumpfuss behaftet war. Im Alter von 
1 Jahr machte v. Langenbeck an beiden Füssen die Achillotenotomie mit 
nachfolgendem Redressement und Gipsverbänden. Es wurden noch Schienen¬ 
schuhe getragen, die sehr gut wirkten. In den später angefertigten nicht 
zweckmässigen Schuhen recidivirte die Kliimpfussstellung. Im Alter von 
7V2 Jahren kam er in die Behandlung von Schoenborn, der Heftpflaster¬ 
streifen, Massage und redressirende Uebungen anwandte. Links Besserung; 
rechts keine Besserung, deshalb Keilosteotomie ohne den gewünschten Erfolg; 
nachfolgende Talusexstirpation und Resection der Spitze des Malleolus externus. 
Sehr guter Erfolg. Links Höftmann’sche Schienen; später Schuhe mit Unter¬ 
schenkelschienen, in denen die Deformität recidirte. Im Alter von 22 Jahren 
durchschnitt Wo 1 f f links die Achillessehne und Plantarfascie subcutan. Darauf 
Redressement und Etappengipsverbände. Sehr gutes Resultat. Der rechte Fuss 
ist etwas kürzer infolge der Knochenoperation, was sich auch beim Gange be¬ 
merkbar macht. Blencke-Magdeburg. 

Peraire, Tarsectomie pour pied bot congenital. Bull, et mem. de la soc. 

anatomique de Paris 1903, Nr. 6. 

Peraire hat bei einem 15 Monate alten Mädchen die keilförmige Tars¬ 
ectomie ausgeführt, weil der bestehende einseitige congenitale Klumpfuss allen 
rein orthopädischen Massnahmen trotzte. Er empfiehlt diese Operation auch 
für ältere Patienten, falls das Redressement mit nachfolgender Massage und 
Gymnastik kein brauchbares Resultat ergibt. Pfeiffer-Berlin. 


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568 


Referate. 


Lauenstein, Zu Ogston’s Operation des rebellischen Klumpfusses. Centralbl. 
f. Chir. Nr. 39, 1903. 

Lauen stein veröffentlicht seine Erfahrungen mit der Ogston’schen 
Operation (Entfernung der Knochenkerne der Fusswurzel und nachherige Um¬ 
formung), die er 4mal mit günstigem Erfolge bei angeborenem Klumpfuss aus¬ 
geführt hat. Es hat sich dabei herausgestellt, dass die Operation leicht 
ausführbar ist. Sind genügend Knochenkerne entfernt, so lässt sich die Klump- 
fussstellung überraschend leicht und vollständiger als nach den bisher bekannten 
Methoden ausgleichen. Die Retention hat sich Lauenstein dadurch erleichtert, 
dass er die Hacke des operirten Fusses gegen die des gesunden stellte und 
durch ein Kissen oder Polster die Innenränder der Füsse aus einander hielt. 
Die Nachbehandlung schien wesentlich kürzer zu sein; Lauenstein Hess schon 
nach 8 Wochen die Kinder mit festem Schuh werk gehen, da sie mit voller 
Sohle auftraten. Die Reproduction der ausgeschabten Knochenkerne war, wie 
die Röntgenbilder zeigten, schon nach 6—8 Wochen vollendet; Wachsthums- 
störungen erscheinen also ausgeschlossen. Die wichtige Frage, bis zu welcher 
Altersgrenze die Ogston’sche Operation geeignet erscheint, ist leider noch 
unentschieden. Pfeiffer-Berlin. 

V. Friedländer, Beitrag zur Behandlung des Klumpfusses und des Platt- 

fusses. Wiener klin. Wochenschr. Nr. 40, 1903. 

Da die blutigen Operationsmethoden (Talusexstirpation und Keilresection 
aus dem Tarsus) bei den schweren Veränderungen des Fussskelets, die durch 
das unblutige Redressement nicht zu behandeln sind, nicht den Forderungen 
genügen, sowohl eine Besserung der Function als eine Wiederherstellung ana¬ 
tomischer Verhältnisse zu erzielen, empfiehlt der Verfasser eine von ihm er¬ 
fundene Methode. Er macht z. B. bei recidivirendem, unredressirbarem Klumpfuss 
aus dem unregelmässigen Sattelgelenk zwischen Calcaneus und Talus durch Ab- 
meisselung und Ausschabung ein Kugelgelenk, in dem nun Correctionen in drei 
Achsen gemacht werden können (Pronation, Abduction und Elevation). Die 
Correctur der Adduction des Vorderfusses führt er im Chopart’schen Gelenk 
aus, das et breit zum Klaffen bringt. Das Nähere über das Operationsverfahren 
ist im Original einzusehen. Verfasser möchte die Operation modificirt auch 
für hartnäckig recidivirende Plattfüsse vorschlagen. Scheffler-Berliu. 

Selter, Der Plattfuss des Kindes. Jahrb. f. Kinderheilk. N. F. Bd. 57 Heft fi. 

Wenn der Plattfuss auch in jedem Alter entstehen kann, so sind die 
anatomisch-physiologischen Bedingungen für seine Entstehung zu keiner Lebens¬ 
zeit so günstig wie im Kindesalter, und zwar kommen sowohl der Pes planus 
als der Pes valgus vor. aber immer eine Form Jius der anderen folgend oder 
zu gleicher Zeit entstehend. 

Der kindliche Fuss unterscheidet sich von dem des Erwachsenen dadurch, 
dass er im Verhältniss zu seiner Länge breiter ist wde bei diesem; im Fersen- 
theil ist er schmäler als in der Gegend der Metatarsalköpfchen; die Bewegungen 
in den Fussgelenken sind ausgiebiger. Treffen nun irgend welche Schädigungen 
den Fuss oder seine Musculatur und kommt dazu noch spitzes, schmales Schuh¬ 
werk, so bildet sich der Plattfuss aus. 


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Referate. 


569 


Therapeutisch empfiehlt Verfasser vor allem prophylaktisch gutes, eine 
Aclduction ermöglichendes Schuhwerk. Bei schon ausgebildeten Plattfössen legt 
Verfasser den Hauptwerth neben eventuell anzuwendenden Einlagen und Ver¬ 
bänden auf Schnürschuhe, deren Sohle so geschnitten wird, als wäre der Vorder- 
fuss im Chopart’schen Gelenk adducirt, worauf der Schuh aufgebaut wird. 
Die Sohle wird dem ganzen Innenrande entlang verdickt, der Absatz am Innen¬ 
rande nach vorne gezogen. Zand er-Berlin. 

Heusner, Beitrag zur Pathologie und Therapie des Plattfusses. Arch. f. 

Orthopädie, Mechanotherapie und Unfallchirurgie Bd. I Heft 1. 

Heusner unterscheidet drei Arten von Plattfüssen; 1. den angeborenen, 
der eine Rasseneigenthümlichkeit (?) vorstellt, 2. den rhachitischen Plattfuss, der 
sich in jugendlichem Alter entwickelt und 3. den contracten schmerzhaften 
Plattfuss, der seltener ist als die beiden ersten Arten und im Gegensatz zu 
diesen eine weit ernstere Erkrankung darstellt. Die Symptome und der Ver¬ 
lauf dieses Leidens werden an der Hand einer Krankengeschichte mit ein¬ 
gehender Gründlichkeit geschildert und nützliche Winke über die Anfertigung 
geeigneten Schuhwerkes und passender Einlagen ertheilt. Für letztere empfiehlt 
Heusner nur widerstandsfähiges Material, wie Eisenblech, Stahl, Celluloid (?) 
zu verwenden; er selbst benutzt Aluminium wegen seiner Leichtigkeit und guten 
Hämmerbarkeit. Sein Modell ist vorn kürzer als das der sonst üblichen Ein¬ 
lagen; es endigt fingerbreit hinter den Metatarsalköpfchen, wodurch die Federung 
im Tarsus und das Spiel der Fussmuskeln weniger ausgeschaltet wird. Die 
Schuhe für Plattfüssige sollen derb und widerstandsfähig sein, das Oberleder 
muss weit genug sein, um den Zehen den nöthigon Spielraum zu gewährleisten, 
der ganze innere Sohlenrand soll erhöht ^sein, um denFuss ständig in Supinations¬ 
stellung zu erhalten, und ferner muss die Sohle unterhalb des Fussgewölbes 
durch Verlängerung des Absatzes an seiner Innenseite nach vom unterstützt 
werden. — üeber alle eingreifenderen Behandlungsmethoden spricht sich 
Heusner mit Recht skeptisch aus, er lässt nur die von Roser eingeführte 
gewaltsame Correction der Fussstellung mit nachfolgendem Gipsverbande gelten. 
Die Dauer dieser Immobilisirung sucht er möglichst abzukürzen, um Muskel¬ 
schädigungen zu vermeiden. In einem mit günstigstem Erfolge behandelten 
Falle hat er die Verbände sogar schon nach 2 Tagen wieder entfernt und der 
betreffenden Patientin Schuhe gegeben, welche die Füsse mit Hilfe einer 
serpentinartig gebogenen Stahlfeder in einwärts gedrehter und supinirter 
Stellung erhielten. Nach 2 Tagen hatte sich die Patientin an das dauernde 
Tragen der Schuhe gewöhnt, worauf ihr erlaubt wurde, zeitweilig aufzustehen. 
Schon nach einer Woche war der Muskelkrampf kaum noch nachweisbar, die 
Stellung der Füsse und ihre Beweglichkeit war und blieb normal. In drei 
anderen Fällen wurde durch dieselbe Therapie ein gleich gutes Resultat erzielt. 

Pfeiffer-Berlin. 

Hofmann, Zur Anatomie und Mechanik des Platt- und Hackenfusses. Deutsche 

Zeitschr. f. Chir. 

Hofmann beschreibt den genauen Befund der Knochen und Muskeln 
des Platt- und Hackenfusses nach gehärteten Präparaten, an denen die Muskeln 
in ihrer normalen Lage untersucht werden konnten. Die Verschiedenheit der- 


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570 


Referate. 


selben Muskeln bei diesen Präparaten und von normalen erklärt sicli aus der 
verschiedenen Function, die dieselben Muskeln bei verschiedener Stellung de^ 
Fussskelets auszuüben haben. Am wichtigsten für die Aufrechterhaltung de> 
Fussgewölbes ist die Sohlenmusculatur. Durch Ermüdung oder Lähmung der¬ 
selben und Zug des M. triceps surae kommt es zur Ausbildung eines Platt- 
fusses; durch einseitigen Zug der Sohlenmusculatur bei Lähmung oder Ermüdung 
der Wadenmusculatur enteteht ein Pes calcaneus sensu strictiori. Der M. tibialis 
posterior hat mit der Ausbildung des Plattfusses nichts zu thun. 

Zander-Berlin. 

Scheffler, Beitrag zur Behandlung des Pes calcaneus paralyticus. Klin.-thera- 
peutische Woclienschr. Nr. 12, 1903. 

Bei einem Fall von Pes calcaneus paralyticus wurde in der Schanz* 
sehen Klinik zu Dresden nach vorher von anderer Seite erfolglos ausgefuhrter 
Arthrodese nachträglich eine Transplantation des einzig noch brauchbaren 
Beugers, des Flex. halluc. auf die Achillessehne vorgenommen. Infolge der ge¬ 
eigneten Implantation der Sehne und Vermeidung allzu früher Beanspruchung 
des Muskels durch Stellung des Fusses in Spitzfussstellung gelang es. eine 
Dehnung oder Ausreissen des Muskels zu vermeiden und einen ausgezeichneten 
functioneilen Erfolg zu erzielen bei zunehmender Correction der Deformität. 
Selbst der eine Muskel genügte als Ersatz der Wadenmusculatur. 

Autorefe rat 

Heusner, lieber die Entstehung und Behandlung des Hohlfusses. Arch. f. 
klin. Chir. Bd. 69 Heft 1—2. 

Heusner nimmt entsprechend ^er von ihm aufgestellten Theorie über 
die Entstehung des Klumpfusses auch für den angeborenen Hohlfuss eine ähn¬ 
liche Entstehungszeit und -Ursache in Anspruch. Nach seiner Ansicht stellt 
auch der Hohlfuss ,eine in die 6.—8. Lebenswoche zurückreichende Hemmungs- 
bildung dar, welche durch Verengung der Schwanzkappe des Amnions im Zu¬ 
sammenwirken mit einem starken physiologischen Nabelbruch entsteht, indem 
dadurch die natürlichen Evolutionen des noch weichen Fussskelets mechanisch 
behindert werden“. Einen solchen Fall von hartnäckigem Hohlfuss bei einem 
jungen Manne konnte Heusner durch etappenweises Redressement vollständig 
zur normalen Form überführen. Er benutzte dazu seinen zur Redression von 
Klumpfüssen Erwachsener angegebenen Ringhebel, den er zweckmässig modi- 
ficirte. Das Instrument greift dadurch dorsal in der Gegend des Fussgelenkes 
an, volar an den Metatarsusköpfen. An den Seiten des Hebelringes wird ein 
um die Achillessehne gelegter, gepolsterter Riemen angeknüpft., mit dessen 
Hilfe die Ferse heruntergezogen und die verkürzte Wadenmusculatur kräftig 
gedehnt werden kann. Zur Aufrechterhaltung resp. zur Verbesserung des er¬ 
zielten Resultates wurde dem Patienten täglich 2mal eine Stunde lang ein ein¬ 
facher Redressionsapparat angelegt, der in der Hauptsache aus einem breiten 
über den Spann laufenden Lederriemen bestand; dieser Riemen wurde miUelst 
einer Handschraube möglichst fest gegen eine unter der Stiefelsohle befindliche 
Eisenplatte angezogen. In einigen Wochen war die Fussform fast normal. 

Pf ei ff er-Berlin. 


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Rderate. 


571 


H e r h 0 1 d, Hysterischer Spitzfuss nach Trauma. Monatsschr. f. Unfallheilkunde 
1903, Nr. 5. 

Verfasser berichtet über hysterische Spitzfussstellung bei einem ünter- 
officier; dieselbe entwickelte sich nach einem leichten Trauma (bei Sprung 
über einen Graben) sehr schnell. Diese Spitzfussstellung war beim Liegen des 
Patienten sehr deutlich. Beim Gehen lahmte Patient stark. Die Stellung des 
Fasses war ohne Einfluss auf die S(flimerzen. 

Der negative Befand — bis auf die Stellungsanomalie und geringe 
klonische Zuckungen in der Oberschenkelmusculatur sowie geringe Steigerung 
der Patellar- und Achillessebnenreflexe lagen normale Verhältnisse vor — 
führt zusammen mit den zahlreichen nervösen Symptomen, welche Patient zeigt, 
zu der Diagnose Hysterie. Mechanische Therapie lässt im Stich. Nachdem 
Patient jedoch als Invalide entlassen ist, bessert sich der Puss ohne weitere 
Behandlung. Wollenberg-Berlin. 

Pantaloni et Per rin. De la n^cessit^ de Tezamen radiographique dans la 
pratique de la mödecine des accidents. La mödecine des accidents du 
travail Tome I Nr. 2. 

Die Verfasser treten energisch für ausgiebige Anwendung der Röntgen¬ 
strahlen bei der Untersuchung und Behandlung von Knochen- und Gelenk¬ 
erkrankungen bei Unfallverletzten ein, deren Vortheile sie an der Hand von 
sieben reproducirten Röntgogrammen zu beweisen suchen. 

Rauenbusch-Berlin. 

Heinrich, Beitrag zur Frage der Diagnose von Knochenverletzungen durch 
das Röntgenbild. Diss. Greifswald, Mai 1903. 

Zum Beweise der Tbatsache, dass des Oeftem das Röntgenbild andere 
Befunde darbietet, als wie der klinischen Untersuchung gemäss zu erwarten 
gewesen wären, fährt Verfasser einige Fälle aus der Greifswalder chirurgischen 
Poliklinik in dieser Arbeit an. Im ersten Falle handelte es sich um ein 
14jäbriges Mädchen mit einer Metatarsalfractur, die auf dem Röntgenbilde nicht 
in der Gestalt von einer Continuitätstrennung zum Ausdruck kam, sondern sich 
nur als zarter Schatten markirte. 

Im zweiten Falle handelte es sich um einen 4jährigen Knaben, der auf 
den Arm gefallen war. Derselbe wurde in verschiedenen Stellungen aufge- 
nommen; es war aber nichts von einer Bruchlinie oder Infraction in dem 
äusserst deutlichen Bilde des dünnen Aermchens zu erkennen. Nach 14 Tagen 
zeigte sich eine zwei Finger breite Verdickung des Radius in dessen mittlerem 
Drittel und der Ulna an der entsprechenden Stelle; beide Callusmassen gingen 
im Spatium interosseum in einander über und beeinträchtigten die Bewegung 
des Unterarms sehr. 

Auch beim dritten Fall war an dem verletzten Fuss nichts auf der Platte 
zu erkennen und erst später zeigte sich deutliche Callusbildung am Malleolus 
eztemus. 

Verfasser kommt zu dem Resume, dass es Läsionen des Knochens gibt, 
die mit derart geringen directen Veränderungen desselben einhergehen, dass 
diese nicht nur nicht durch die untersuchende Hand, sondern auch nicht ein- 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 37 


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572 


Referate. 


znal mit Hilfe der Röntgenstrahlen nachgewiesen werden können. Es empfiehlt 
sich daher, in allen zweifelhaften Fällen von Knochenverletzungen den weiteren 
klinischen Verlauf zu beobachten, bevor ein endgültiges Urtheil über den Zu¬ 
stand des Knochens abgegeben wird. 

Bei derartigen Verletzungen kommen natürlich nur jugendliche Individuen 
in Frage, da ja die Elasticität des jungen Knochens der Hauptfactor für das 
Zustandekommen dieser Veränderungen ist. Blencke-Magdeburg. 

Sudeck, Die Darstellung der Wirbelsäulenerkrankungen durch die Röntgen- 
schen Strahlen. Arch. f. Orthopädie, Mechanotherapie u. s. w. Bd. I 
Heft 2. 

Sudeck zeigt in dieser Arbeit, dass die Röntgenuntersuchung bei Wirbel¬ 
säulenerkrankungen den klinischen Befund häufig zu sichern, manchmal auch 
durch vorher nicht erkennbare Befunde eine bestimmte Diagnose erst zu er¬ 
möglichen vermag, so besonders bei Verletzungen in der Unfallpraxis. Jedoch 
ist es nicht immer möglich, eine bestehende anatomische Veränderung nachzu¬ 
weisen, selbst nicht bezüglich der Knochentheile. Nach einigen technischen 
Winken und allgemeinen Rathschlägen für die Betrachtung von Wirbelsäulen- 
bildern bespricht der Verfasser 19 in mechanischer Reproduction wiedergegebene 
einschlägige Röntgenbilder, hauptsächlich Spondylitiden und Fracturen der 
Wirbelkörper und Fortsätze. Rauenbusch-Berlin. 

V. Leyden und Grunmach, Die Röntgenstrahlen im Dienste der Rücken¬ 
markskrankheiten. Arch. f. Psychiatrie Bd. 37 Heft 1. 

An der Hand von 19 genau untersuchten Fällen von Rückenmarks- 
erkrankung, von denen 10 primäre Erkrankungen der Wirbelsäule mit secundarer 
Betheiligung des Markes, die übrigen 9 Fälle primäre Erkrankungen des Rücken¬ 
markes und seiner Häute darstellen, weisen die Verfasser die Bedeutung der 
Röntgenuntersuchung auch auf diesem, bisher noch wenig beachteten Gebiet 
nach. Besonders interessant sind die bei einigermassen umfangreichen Myeli¬ 
tiden, Meningitiden und Perimyelitiden nicht nur in der Wirbelsäule, sondern 
auch in dem unterhalb der Läsionsstelle im Rückenmark gelegenen Knochen¬ 
system röntgographisch nachgewiesenen osteoporotischen Veränderungen. Be¬ 
sonders stark ist die Knochenatrophie in fortgeschrittenen Fällen von Tabes 
dorsalis, bei welcher nach den chemischen Untersuchungen Regnard's der 
Kalkgehalt von 487o bis auf 11 ®/o sinken kann. Rauenbusch-Berlin. 

Hussmann, 2 Fälle von Röntgendermatitis. Diss. Jena 1903. 

Verfasser beschreibt 2 Fälle von Röntgendermatitis aus der chirurgischen 
Klinik zu Jena, die sich aber nicht infolge Bestrahlung in der Klinik selbst 
entwickelt haben, sondern schon erkrankt von ausserhalb hereingeschickt wurden. 
Beide Fälle sind entstanden bei diagnostischer photographischer Aufnahme. Der 
erste Patient wurde innerhalb 2 Stunden 3mal geröntgent, der andere ebenso 
oft in ly* Stunden mit Unterbrechungen von je 10—15 Minuten, üeber die 
Entfernung der Körperoberfläche von der Röhre, die Intensität der Strahlen und 
die Qualität der Röhren war nichts Bestimmtes mehr zu ermitteln. Besondere 
Schutzvorrichtungen wurden nicht in Anwendung gebracht. Beim ersten Patienten 


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Referate. 


573 


dauerte die Incubationszeit etwas über eine Woche, der zweite verspürte schon 
am nächsten Tage Hantverändemngen. In beiden Fällen bandelte es sich um 
einen ungewöhnlich weit vorgeschrittenen Process. Der erste blieb trotz einer 
Behandlung von 7 Monaten nnbeeinflusst und führte zu eiteriger Secretion und 
Nekrose tiefer liegender Glewebe, während der zweite unter Narbenbildung in 
verhältnissmässig kurzer Zeit heilte. 

Hussmann spricht dann noch über die Ursachen dieser Dermatitiden, 
über das wirksame Agens der Strahlen, wobei er die vorhandene Literatur ein¬ 
gehend berücksichtigt hat, und will vor allem zu lange Dauer der Exposition, 
zu häufige Bestrahlung ohne genügende Intervalle, zu nahe Entfernung der 
Röhre von der Hand vermieden wissen. Auch die Intensität des primären 
Stromes, die Funkenlänge der Röhre, die Zahl der Unterbrechungen darf ohne 
Gefahr der Dermatitis eine gewisse Grenze nicht überschreiten. Des weiteren 
geht dann Verfasser auf die Diagnose und den Verlauf der Erkrankung ein, 
bespricht in eingehender Weise die Prophylaxe und die Therapie bestehender 
Verbrennungen, um dann die Arbeit, die sehr lesenswerth ist, mit einem 
Literaturverzeichniss, das 66 Nummern umfasst, zu beschliessen. 

B1 e n c k e • Magdeburg. 

Schmidt, Ueber die Verkürzungen der unteren Extremitäten und ihre 

Messungsmethoden. Monatsschrift für Unfallheilkunde und Invaliden¬ 
wesen 1903, Nr. 4. 

Verfasser schlägt der Einheitlichkeit wegen bei der Messung der unteren 
Extremitäten folgende Technicismen vor: 

I. Verkürzung durch Abnahme der eigentlichen Beinlänge resp. durch 
Wachsthumsdifferenz beider Beine. Nur diese Art der Verkürzung soll .reelle“ 
genannt werden. 

II. Verkürzung durch Verschiebung eines Beines an seinem Ansatzpunkte 
im Hüftgelenke; sie wäre als .scheinbare“ Verkürzung zu bezeichnen. 

III. Verkürzung durch Verschiebung der beiden Beckenhälften zu ein¬ 
ander. Für diese Art der Verkürzung braucht Verfasser den Namen .Adduc- 
tionsverkürzung“. 

Bisher wurden bekanntlich die Formen I und II als reelle der III. Form 
als scheinbare Verkürzung gegenübergestellt. Für die Combinationen von 
Mechanismus lU mit I oder II, oder mit I und II schlägt Verfasser die Be¬ 
zeichnung .Schrittverkürzung“ vor. Wollenberg-Berlin. 

Stein, Ein neuer Operations- und Extensionstisch. Centralbl. f. Chir. 1903, 

Nr. 40. 

Beschreibung und Illustration eines Tisches, in welchem, wie der Titel 
sagt, Operations- und Extensionstisch vereinigt sind. Die Extension geschieht 
durch Spindelschrauben mit schmalen Windungen, wodurch ein langsames Vor¬ 
gehen möglich ist. Ueberall angebrachte Maasseintheilungen lassen den Grad 
der Extension genau ablesen. Wo 11 enberg-Berlin. 

Kl ein-Wien, Ueber Leibbinden. Wiener klin. Rundschau 1903, Nr. 34 u. 35. 

Verfasser empfiehlt seine aus einem Gerüste hauptsächlich horizontal 
angeordneter, sehr dünner und elastischer Stahlfedern bestehende Leibbinde, 


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574 


Referate. 


welche genau den Körperformen anmodellirt wird. Der Rückentheil der Binde 
ist so construirt, dass der LendengQrtel die Last des Bauches tiügL Die 
Schnürung wird vorne, von unten nach oben, bewerkstelligt. Schenkelbänder 
sind meist entbehrlich. An der Binde lassen sich die Unterkleider und der 
Kleiderrock befestigen. Wollenberg -Berlin. 

Wohrizek, „Corrector“, Apparat für corsetfreie Behandlung der Rückgrats- 
deformitäten. Arch. f. Orthopädie, Mechanotherapie und Unfallchirurgie, 
Bd. 1 Heft 2. 

Wohrizek geht von dem Grundsatz aus, dass das Corset in der 
Skoliosentherapie nicht das leistet, was man von ihm erwartet. ist kein 
Mittel von activ umgestaltender Wirkung, sondern ein Prohibitivmittel. Aber 
auch das nicht ganz. Die Kraftleistung des Corsets ist nicht gross genug, um 
eine skoliotische Wirbelsäule zu entlasten und der Torsion Widerstand zu 
leisten. Ausserdem überwiegen die Schädlichkeiten infolge der Immobilisirung 
der Musculatur weitaus den Nutzen des Corsets. Hiervon ausgehend, hat er 
einen Apparat, »Corrector“, construirt, durch den er die redressirende Wirkung 
beliebig lange Zeit an dem skoliotischen Wirbelsäulenabschnitt anwenden 
kann. Der Apparat besteht in der Hauptsache aus verstellbaren Pelotten, die 
auf die Rippenbuckel eingestellt werden. Eine kleine Abänderung gestattet, 
den Apparat auch für Kyphosen zu gebrauchen, indem eine Pelotte auf die 
Mitte des runden Rückens drückt, während durch Riemen die Schultern und, 
bei Dorsocervicalskoliosen, auch der Kopf zurückgehalten werden. Eine Com- 
bination mit einem verstellbaren Arbeitstisch ermöglicht es, die Kinder beliebig 
lange im „Corrector“ zu halten und sie während der Zeit mit Lesen ete. zu 
beschäftigen. Zander- Berlin. 

Ritschl, Ueber abnehmbare Gehverbände und die Combination von Gips und 
Celluloid in der Verbandtechnik. Archiv für Orthopädie, Mechano¬ 
therapie u. 8. w., Bd. 1 Heft 2. 

Ritschl empfiehlt als ausserordentlich praktisch zur Herstellung oben 
genannter Verbände zur Verstärkung des abnehmbar gemachten, völlig ge¬ 
trockneten Gipsverbandes einen Brei von in Aceton gelöstem Celluloid, welcher 
sich mit dem Gips aufs Innigste verbindet und auch ein äusserst brauchbares 
Klebemittel zur Anbringung von Verstärkungsschienen u. s. w. darstellt. Näheres 
über die Technik dieser Verbände ist in der Originalarbeit einzusehen. Für 
die Behandlung der Knöchel- und Unterschenkelbrüche hat sich dem Verfasser 
ein doppelter Verband sehr gut bewährt, bestehend in einem mit ganz geringer 
Polsterung angelegten, die Bruchstelle nur wenig nach oben und unten über¬ 
ragenden dünnen Gipsverbande, über dem nach Anlegung eines Tricotschlauches 
der abnehmbare Gehverband hergestellt wird. Während der Massage und der 
passiven Bewegungen garantirt dann der nicht abnehmbare Gipsverband die 
gute Lage und Fixation der Bruchstücke. Rauenbusch-Berlin. 

Lieb lein, üeber den articulirenden Gipsverband und seine Anwendung zur 
Behandlung angeborener und erworbener Deformitäten. Beitr. z. klin. 
Cbir. 1903, Bd. 38 Heft 3. 

L i e b 1 e i n hat das von Mikulicz angegebene und von Gerau n y modi- 
ficirte Verfahren der Charnierverbände weiter ausgearbeitet und es vor allem 


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Referate. 


575 


bei der Behandlung des Klumpfussesp der Kniegeleukscontracturen und des Hohl- 
fusses angewandt Er legt die articulirenden Gipsverbände so an, dass er in 
der Achse des Gelenks, in der die redressirende Wirkung eintreten soll, eigens 
gearbeitete Chamiere in den Gipsverband mit eingipst. Nach dem Erhärten 
des in der Gegend des betreffenden Gelenks gut gepolsterten und stark an¬ 
gelegten Verbandes schneidet er diesen von Chamier zu Chamier durch und 
zwar auf der Seite der Beugung mit einem linearen Schnitt, während er auf 
der Seite der Convexität eine Ellipse aus dem Verband ausschneidet. Das 
Redressement nimmt er in Etappen mit 3—4tägigen Pausen vor, derart, dass 
er nach geringer Verbesserung der falschen Stellung diese Verbesserung durch 
ein in den Ausschnitt auf der Concavität eingesetztes Stückchen Kork fixirt. 

Beim Klumpfuss wird zuerst die Adduction beseitigt, eventuell gleich¬ 
zeitig durch ein zweites Paar Chamiere gegen die Equinusstellung vorgegangen, 
bevor man die fehlerhafte Supinationsstellung in Angriff nimmt. 

Bei der Behandlung der Kniegelenkscontracturen ist vor allem zu berück¬ 
sichtigen, dass diese Verbände reine Charnierverbände mit nur einer Drehachse 
sind, den anatomischen Verhältnissen des Kniegelenks also nicht entsprechen. 
Diesen Fehler gleicht Verfasser einigermassen dadurch aus, dass er die Dreh¬ 
achse der Schiene vor die des Gelenks verlegt. Es entspricht auch jetzt die 
Schienenachse nicht der des Kniegelenks, doch ist der Fehler, dass bei der 
Streckung die Gelenkenden von einander gezerrt werden, von keinem schäd¬ 
lichen Einfluss auf die Behandlung, sondern unterstützt diese geradezu, indem 
dadurch auf die Weichtheile an der hinteren Seite des Knies eingewirkt wird. 
Auch beim Hohlfuss hat Verfasser dies Verfahren angewandt, nachdem er vor¬ 
her die in der Fusssohle sich anspannenden Fascienstränge subcutan durch¬ 
schnitten hat. 

Einige Abbildungen und Röntgenbilder erläutern die Abhandlung und 
geben die erzielten Resultate wieder. Zand er-Berlin. 

van Eden, Eine Abänderung des üblichen Streckverbandes. Die Kranken¬ 
pflege 1902/03, Heft 10. 

van Eden modificirt den Streckverband folgendermassen: Auf ein Volk- 
mann'sches Schleifbrett kommt ein Querholz, das mit keilförmigen Einschnitten 
ganz genau auf die oberen Kanten passt. An diesem Querholz ist eine kurze 
Schiene befestigt, auf der der dickste Theil der Wade ruht. Dadurch wird die 
Reibung auf ein Minimum reducirt, das Bein liegt bequem auf und das Fuss- 
gelenk bleibt beweglich, ferner wird das Knie nicht zu sehr belastet. Das 
Hauptaugenmerk richtet Verfasser ferner auf gleichmässiges Anlegen des Heft¬ 
pflasters, unter welchem sich ihm die Crosby’schen Streifen am besten be¬ 
währt haben. Zander- Berlin. 


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Röntgen-VeremigoBg zu Berlin. 


Im Jahre 1905 werden es 10 Jahre, dass Herr Geh.-Rath Prof. Dr. 
W. C. Röntgen mit seiner epochemachenden Entdeckung der X-Strahlen in 
die Oeffentlichkeit trat. Wenn auch damals an diese Entdeckung die weit¬ 
gehendsten Hoffnungen geknüpft wurden, so konnte man doch nicht annehmen, 
dass die neuen Strahlen für die Wissenschaft, insbesondere für alle Zweige der 
Heilkunde, sowohl auf dem Gebiete der Diagnose als auch neuerdings der 
Therapie eine derartige Bedeutung erlangen würden. Mit ausserordentlichem 
Eifer und ungeahntem Erfolge hat Wissenschaft und Technik an der wissen¬ 
schaftlichen Ergründung und Vervollkommnung der Radiologie gearbeitet In 
allen Specialfächern der Menschenheilkunde, wie in der Thierheil¬ 
kunde und Zahnheilkunde sind daher heute die Rontgenstrahlen ein uner¬ 
setzliches Hilfsmittel geworden, 

Wohl dürfte es deshalb angezeigt sein, nach Verlauf von 10 Jahren 
einen kritischen Rückblick auf die Errungenschaften der verflossenen Zeit za 
werfen, sowie eine Aussprache über den derzeitigen Stand der Radiologie und 
darüber herbeizuführen, in welcher Weise die weitere Entwickelung dieser 
Specialwissenschaft für die Zukunft den weitgehendsten Erfolg verspricht 

Die Röntgen-Vereinigung zu Berlin hat daher in ihrer Sitzung vom 
30. October d. J. einstimmig beschlossen, anlässlich der lOjährigen Wiederkehr 
der Entdeckung der Röntgenstrahlen Ostern 1905 in Berlin im Anschluss an 
die Tagung der deutschen Gesellschaften für Chirurgie und für orthopädische 
Chirurgie unter dem Ehrenvorsitz Sr. Excellenz des Herrn Wirkl. 
Geh.-Rath Prof. Dr. v. Bergmann einen 

Röntgen-Congress verbunden mit einer Röntgen-Ansstellang 

zu veranstalten, wozu auch Herr Geh.-Rath Prof. Dr. Röntgen sein 
Erscheinen als Ehrengast gütigst zugesagt hat 

Die Leitung des Congresses liegt in der Hand des Vorstandes der Röntgen- 
Vereinigung zu Berlin, welcher das ausführliche Programm in Kürze publiciren 
wird. Alle Anfragen sind an Herrn Prof. Dr. R. Eberlein in Berlin NW. 
(Thierärztliche Hochschule) oder an Herrn Dr. med. Immelmann in Berlin W., 
Lützowstr. 72 zu richten. 

Prof. Dr. Eberl ein-Berlin, Dr. Cowl-Berlin, 

Vorsitzender. Eassenführer. 

Dr. Albers-Schönberg-Hamburg, Prof. Dr. Ried er-München, 
Corresp. Mitglied. Corresp. Mitglied. 

Dr. Immelmann-Berlin, 

Schriftführer. 


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XXXVII. 


(Aus der Breslauer chirurgischen Klinik des Geh. Medicinalraths 
Prof. Dr. V. Mikuli cz- Radecki.) 

lieber angeborene Hilft- nnd Kniebengencontractnr. 

Von 

Dr. Georg Schmidt, 

Oberarzt im Königin Augusta-Garde-Gren.-Regt. Nr. 4, komm, zur Klinik. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

0 

Während das Gebiet der auf Grund chronischer Erkrankung 
des Kniegelenks entstandenen Contracturen eine reiche Bearbeitung 
gefunden hat, sind Mittheilungen über angeborene Kniebeugecontractur 
sehr spärlich und lückenhaft. Nach König verdient sie wegen 
ihrer Seltenheit mehr das Interesse einer Curiosität. Leonhard 
Rosenfeld®) fand unter etwa 4400 Deformitäten aus seiner eigenen, 
Hoffa’s und Schanz* Praxis keinen einzigen einschlägigen Pall, 
wohl aber 74 erworbene Kniecontracturen (und Ankylosen). Nasse®) 
vermochte von der angeborenen Contractur noch kein einheitliches 
Krankheitsbild zu entwerfen, einmal wegen der Seltenheit ihres Vor¬ 
kommens, dann auch, weil häufig noch Verwechslungen mit Luxationen 
und Subluxationen der Tibia nach hinten mit unterlaufen. Auch 
Hoffa^) nennt die angeborene Kniecontractur eine seltene Deformität. 
Während er in seinem Lehrbuch 1891 nur die von Nissen und 
B. Schmidt beschriebenen und abgebildeten Fälle anführt, stellte 
Phocas®) 1899 6 eigene und aus der Literatur einige weitere 

0 Citirt von A. Blencke, Ein Beitrag zur Lehre der Contracturen und 
Ankylosen im Kniegelenk und deren Behandlung. Zeitschr. f. orth. Chir. 
Bd. 8 S. 95. 

') Zur Statistik der Deformitäten. Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 10 S. 41G. 
Die chirurgischen Krankheiten der unteren Extremitäten. Deutsche 
Chir. Liefg. 66, 1 S. 222. 

*) Lehrb. d. orth. Chir. I. Aufl. 1891. S. 577; IV. Aufl. 1902, S. 722. 

*) Flexion congenital du genou. Revue d’orthopedie 1899, Nr. 1. Ref. 
Centralbl. f. Chir. 1900, S. 247. 

Z^ntschiift für orthopiidisrlie Chirurgie. XII. Bd. 38 


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578 


Georg Schmidt. 


Beobachtungen zusammen. Die von ihm undPaucot^) später noch 
mitgetheilten beiden Fälle gehören streng genommen nicht hierher, 
da der eine gleichzeitig eine Luxation der Kniescheibe nach aussen, 
der andere eine Luxation der Tibia nach hinten aufweist. Wenn 
man von den complicirten Krankheitsfällen absieht, in denen die 
Kniebeugecontractur in Gemeinschaft mit zahlreichen anderen ange¬ 
borenen Missbildungen auftritt und demgemäss wohl auf eine sehr 
erhebliche grobe Entwickelungsstörung zurückzuführen ist*), sind 
keine weiteren einschlägigen Angaben in der Literatur vorhanden. 

Ganz selten sind, wie auch Schanz hervorhebt, Mittheilungen 
über angeborene Hüftcontractur. 

Es ist deshalb wohl angebracht, weitere Beobachtungen dieser 
seltenen Krankheitsbilder mitzutheilen, zumal ihre ätiologische, 
klinische und therapeutische Seite noch wenig geklärt ist. 

Der in der Breslauer chirurgischen Klinik ausführlicher unter¬ 
suchte und behandelte Fall betrifft einen Knaben, der in ausge¬ 
sprochenem Maass das Bild einer doppelseitigen angeborenen Höft-, 
Knie- und Fusscontractur darbot. 

Richard S., am 3. November 1902 in der orthopädischen Poliklinik vor¬ 
gestellt, 7 Wochen alt, erstgeborenes Kind. Die Eltern sind Geschwisterkinder. 
Keine erbliche Belastung. Die Geburt verlief regelrecht, ohne ärztliche Kunst* 
hilfe, obwohl nach Angabe der Hebamme „die Lage des Kindes eine sehr 
schlechte“ gewesen sein soll. Es sei viel Fruchtwasser abgeflossen. 

Am zweiten Tage nach der Geburt wurde von der Mutter bemerkt, das? 
das Kind die Beine in den Knieen gebeugt, in den Hüften an den Leib an- 
gezogen hielt. Diese Stellung blieb seitdem unverändert bestehen und war der 
Grund, der die Eltern in die Klinik führte. 

Der nicht sonderlich gut genährte Knabe bietet an Kopf, Rumpf und an 
den Armen keine Abweichungen dar. Wenn er flach mit dem Rücken auf dem 
Tisch liegt, so berühren beide Oberschenkel, in der Hüfte spitzwinklig gebeugt. 

OPhocas et Paucot, Deux cas de flexion congenital du genou. 
Revue d’orth. 1901, Nr. 3. Ref. Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 9 S. 704. 

Lummerzheim, lieber einen Fall von Spina bifida, combinirt mit 
angeborenen Klumpfüssen, Contracturen im Kniegelenk, Fehlen der Patellen. 
Nabelschnurbruch, Atresia ani und anderen Missbildungen. Inaug.-Dissert. 
Leipzig 1894. — Redard, Contribution ä l’Hude des contract congen. Con- 
gres fran 9 ais de chir. Paris 1892. Ref. Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 2 S. 456. — 
A. Schanz, Ein Fall von multiplen congenitalen Contracturen. Zeitschr. f. 
orth. Chir. Bd. 5 S. 9. — A. Blencke a. a. 0. — Wunsch, Multiple con¬ 
genitale Contracturen. Inaug.-Diss. Berlin 1901. Ref. Zeitschr. f. orth. Chir. 
Bd. 9 S. 210. — F. Magnus, Ein Fall von multiplen congenitalen Contrac¬ 
turen mit Muskeldefecten. Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. US. 424. 


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üeber angeborene Hüft- und Kniebeugencontractur. 


579 


nach aussen rotirt und nahezu bis zur Frontalebene abducirt, beiderseits die 
Aussenseite des Unterleibes nahe der vorderen Achsellinie. Passive Streckung 
in der Hüfte gelingt beiderseits nur etwas über einen Hüftbeugewinkel von 90® 
hinaus. Adduction ist bis zur Mittellinie, Abduction und Auswärtsrollung nur 
wenig über die vom Kinde eingenommene Haltung hinaus möglich. Die Innen¬ 
rotation ist beschränkt. Die Trochanteren stehen beiderseits in der Roser- 
N e 1 a t o n’schen Linie. Ferner liegen 
bei Rückenlage des Kindes die me¬ 
dialen Seiten der im Knie stark ge¬ 
beugten und einwärts rotirten Unter¬ 
schenkel den Oberschenkelrückflächen 
unmittelbar an. Passiv lassen sich 
die Kniee strecken bis zu einem Knie¬ 
beugewinkel rechts von 110°, links 
von 90°. Dabei springen in der 
Kniekehle die Weichtheile, insbeson¬ 
dere die straff gespannten Beuge¬ 
sehnen stark hervor, und die Haut 
auf der Streckseite legt sich dicht 
unterhalb der Kniescheibe in drei 
grössere und zwei kleinere Querfalten 
(s. Figur). Die Füsse zeigen einen 
massigen Grad von Equinovarusstel- 
lung. Passiv lassen sich beide Fuss- 
gelenke zwischen einem Dorsalflexions¬ 
winkel von etwa 105—122° hin- und 
herbewegen. Die Pro- und Supination 
wie die Ad- und Abduction erscheinen 
nicht wesentlich behindert. Wird 
das Kind unter den Achseln unter¬ 
stützt und senkrecht in die Höhe ge¬ 
halten (s. Figur), so entfernen sich 
zwar die Beine, ihrer Schwere nach¬ 
gebend, von der vorderen seitlichen 
Bauchwand; indessen bleibt auch jetzt 
noch ein erheblicher Grad spitzwinkliger Beugung in den Hüft- und Kniegelenken 
bestehen. — Das Röntgenbild ergibt, soweit sich dies an den kindlichen Knochen¬ 
schatten beurtheilen Hess, normale Knochenbildung und Stellung. 

Da der Knabe für eingreifendere Massnahmen noch zu jung, auch nicht 
kräftig genug gebaut und genährt war, wurden diese auf einen späteren Zeit¬ 
punkt verschoben und vorläufig von der möglichst grössten passiven Kniestreck¬ 
stellung dorsale Gipsabgüsse und darnach Celluloidhülsen angefertigt, welche 
die Ober- und die Unterschenkelvorderfläche bis nahe an die Leistenfurchen 
bezw. bis an die Knöchelgegenden bedeckten. Die Eltern, die das Kind wieder 
in ihre auswärtige Heimath mitnehmen wollten, wurden nun angeleitet, die 
gut gepolsterten ßeinchen gegen die ebenfalls mit Watte ausgelegten Hülsen 
gleichmässig und schonend anzuwickeln und das Kind in kürzerer Zeit in der 



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580 


Georg Schmidt. 


Klinik öfter wieder vorzuatellen. Es sollte so eine schonende Streckung der 
Kniee und zugleich eine dauernde mechanische Dehnung der Weichtheile, ins¬ 
besondere der Beugesehnen in der Kniekehle versucht werden. 

Leider entzogen die Eltern entgegen der ihnen gegebenen eindringlichen 
Anweisung das Kind gänzlich unserer Beobachtung bis Ende April 1903, weil 
sie mit dem Erfolg der Behandlung zufrieden waren. Indessen ergab die dann 
erfolgende Nachuntersuchung, dass die angebliche bessere Streckfahigkeit der 
Kniegelenke vorgetäuscht war durch eine beginnende Subluxation beider Unter¬ 
schenkel nach hinten. Während also die angeborenen Weichtheil- und Sehnen- 
contracturen dem Zuge unverändert Widerstand geleistet hatten, hatten die 
hinteren Kniegelenksbänder und, wie es wenigstens während der späteren 
Operation den Anschein erweckte, die Knochen in den dem Gelenk benach¬ 
barten Epipbysenliniep nachgegeben 0* Dieser Misserfolg beruhte sicherlich 
darauf, dass entgegen der ärztlichen Vorschrift die Eltern, wenn auch in bester 
Absicht, so lange Zeit uncontrollirt eine vielleicht zu feste und ungleich massige 
Anwickelung der Beinchen vorgenommen hatten. 

Da sich dieser Weg also als nicht gangbar erwies, wurden die Hülsen 
weggelassen und in Aethertropfnarkose die operative Freilegung der Beuge¬ 
sehnen in der Kniekehle und ihre plastische Verlängerung nach Bayer vor¬ 
genommen (Dr. L u d 1 0 f f). Die Stellungsabweichung wurde dadurch in gewissem 
Grade gebessert, wenn auch nicht völlig ausgeglichen. Letzteres sollte weiteren 
orthopädischen Massnahmen Vorbehalten bleiben. 

Leider liess sich der Enderfolg der Sehnenplastik nicht sicher beurtheilen, 
da das Kind laut Mittheilung der Eltern wenige Wochen nach der im übrigen 
gut verlaufenen Operation an einem Darmkatarrh verstarb. 

Der vorliegende Fall verdient in ätiologischer, klinischer und 
therapeutischer Hinsicht Beachtung. 

Dass eine intrauterine Deformität und nicht eine erst während 
oder nach der Geburt entstandene vorliegt, beweist der normale 
Verlauf der letzteren, sowie der Umstand, dass die Mutter bereits 
am zweiten darauffolgenden Tage die vollkommen ausgebildete 
Deformität bemerkte. 

Demgemäss kommt als Entstehungsursache zunächst ein primärer 
Bildungsfehler in Betracht. Möglicherweise lag ein solcher in dem 
von Magnus (a. a. 0.) beobachteten Falle vor; wenigstens waren 
hier ausser Bewegungsbeschränkungen in allen Gelenken, insbesondere 
Hüft-, Kniebeugecontracturen und Klumpfüssen, noch Schädelmiss¬ 
bildung, Schlüsselbein- und Scbulterblattaplasie und vor allem Muskel¬ 
defekte an Armen und Beinen vorhanden. Bei unserem Kranken 

Auch Phocas beschreibt eine Verbiegung des Oberschenkelknochens 
in der Epi- und Diaphyse. Ob eine solche Knochenverbiegung regelmässig und 
primär oder erst als Folge der veränderten statischen Inanspruchnahme auf- 
tritt, darüber sind noch weitere Untersuchungen erforderlich. 


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lieber angeborene Hüft- und Kniebeugencontractur. 581 

weist, wenn man nicht etwa die Blutsverwandtschaft der Eltern für 
eine Abschwächung der Keimanlage verantwortlich macht, weder 
erbliche Belastung noch sonst eine begleitende primäre Defekt- oder 
Missbildung der Knochen oder Gelenke auf primäre Keimabweichung 
hin. Auch Redard (a. a. 0.) schliesst bei seinen beiden Fällen 
angeborener mehrfacher Gelenkcontracturen primäre Gelenkmissbildung 
als Entstehungsursache aus. 

Ebenso wenig kann Redard den Anlass im Nervensystem 
entdecken, im Gegensatz zu PoteP), der die congenitalen Contracturen 
der Flexorengruppe des Kniegelenks auf Entwickelungsstörungen des 
fötalen Nervensystems zurückführt. Auch Phocas fand bei seinen 
Fällen nie eine eigentliche Muskellähmung vor. Diese fallen schon 
in das Gebiet der intrauterinen Entstehungsursachen. Dazu rechnen 
auch Knochenerkrankungen, wie fötale Rhachitis. Auch auf solche 
Einflüsse deutet hier nichts hin. Insbesondere spricht gegen eine 
nervöse Störung, gegen eine Muskellähmung die freie Beweglichkeit 
der kindlichen Glieder innerhalb der allerdings engen, durch die 
Weichtheilverkürzung gezogenen Grenzen. 

Die bei weitem häufigste intrauterine Entstehungsart, die auch 
von den meisten Beobachtern (Nasse, Redard, Phocas, Schanz, 
Magnus, B. Schmidt) bisher für die congenitale Kniecontractur 
angenommen wird, ist die der eigentlichen intrauterinen mechanischen 
Behinderung, sei es auf Grund falscher Lage der Frucht oder auf 
Grund räumlicher Beschränkung der freien Bewegung. In den 
complicirteren Krankheitsfällen lassen sich hierfür aus den zahlreichen 
begleitenden Missbildungen leicht Beweise beibringen. In diesem 
Sinne ist anzuführen in dem Falle von Magnus Vorbiegung der 
Oberschenkelepiphysen, schmale Kopfform, anliegende Ohren; ebenso in 
der Beobachtung von Schanz Schädelverbildung, anliegende Ohren 
und die Verschränkung des rechten Klump- und linken Plattfusses. 
Im letztgenannten Falle kommt hinzu, dass die Schwangere einen 
sehr geringen Leibesumfang hatte, starke Kindsbewegungen fühlte 
und das Kind bei auffälligem Fruchtwassermangel 7 Wochen zu 
früh in Steisslage zur Welt brachte. — Bei den einfachen Fällen 
dagegen ist der Nachweis der intrauterinen Belastung schwieriger. 
Insbesondere hebt Nasse (a. a. 0.) hervor, dass für die Flexions- 


Etüde sur les malformations congen. du genou. Lille 1897. Ref. 
Zeitschr. f. orth. Cbir. ßd. 5 S. 329. 


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582 


Georg Schmidt. 


contracturen nach den bisherigen spärlichen Beobachtungen keine so 
charakteristischen intrauterinen Lagerungen, wie z. B. für das an¬ 
geborene Genu recurvalum, bekannt sind. Diese Lücke füllt unsere 
Wahrnehmung aus. Die vom Kinde nach der Geburt dauernd 
beibehaltene Stellung, Anlagerung der im Knie hochgradig gebeugten 
unteren Extremitäten an die vordere seitliche Bauchwand und Aus¬ 
wärtsdrehung, weist darauf hin, dass hier doch möglicherweise äussere 
Einwirkung die Beine festgehalten, an den Rumpf angedrückt und 
so eine freie Entwickelung der Musculatur und unbeschränktes Spiel 
der Gelenke verhindert hat. Unterstützt wird diese Annahme durch 
die wenn auch unbestimmte Angabe der Hebamme, dass das Kind 
eine schlechte Lage gehabt habe. Vielleicht ist auch nicht ohne 
Bedeutung der Umstand, dass es das Erstgeborene zweier eng bluts¬ 
verwandter Eltern ist. Auch von den 6 Fällen Phocas’ waren 
5 Erstgeborene. 

Es liegt nahe, diese Lagebehinderung und ihre Folgeerscheinung, 
die Contractur, in Vergleich zu setzen zum Torticollis, insofern als 
der letztere in seiner gleich nach der Geburt bestehenden Aus¬ 
bildung von manchen Beobachtern auf eine dauernde intrauterine An¬ 
lagerung des geneigten Kopfes an die Schulter bezogen und damit auch 
als eine intrauterine Belastungsdeformität angesehen wird. Doch sind 
beide Krankheitsbilder durchaus nicht ohne weiteres auf dieselbe 
ätiologische Grundlage zu stellen. Nach den Untersuchungen von 
V. Mikulicz^), Kader®), neuerdings von Heller^) u. A. handelt 
es sich beim Caput obstipum zweifellos pathologisch-anatomisch um 
eine Myositis interstitialis fibrosa des Stemocleidomastoideus, also 
um einen complicirteren Vorgang. Anatomische Untersuchungen bei 
angeborener Kniecontractur liegen allerdings nur spärhch vor. Doch 
erwähnt z. B. Wunsch (a. a. 0.), dass bei den von ihm zusammen' 
gestellten Fällen congenitaler Contracturen die Weichtheile zwar ver¬ 
kürzt und dystrophisch, aber anatomisch normal gefunden werden. 
Auch nach Phocas handelt es sich nur um atrophische Zustände 
der Musculatur. Das stimmt mit dem experimentellen Ergebniss 

b lieber die Exstirpation des Kopfnickers beim musculären Schiefhals 
nebst Bemerkungen zur Aetiologie dieses Leidens. Centralbl. f. Chir. 1895, S. 7. 

Das Caput obstip. musc. Bruns’ Beiträge zur klin. Chir. Bd. 18 

S. 207. 

Experimenteller Beitrag zur Aetiologie des angeborenen musculären 
Schiefbalses. Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 49 S. 234. 


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lieber angeborene Hilft- und Kniebeugencontractur. 


583 


Hellers überein, wonach dauernde Annäherung der Ansatzpunkte 
eines Muskels zwar zur Verkürzung desselben, wahrscheinlich aber 
nicht zu der sehnigen Entartung führt, die sich beim Caput obstipum 
findet. 

Nach der klinischen Seite hin bietet unser Fall das relativ 
einfache Bild einer doppelseitigen Hüft- und Kniebeugecontractur 
mit Spitzklumpfüssen massigen Grades ohne sonstige grobe Entwicke¬ 
lungsstörungen. Die von Nasse gefürchtete Verwechslung mit 
angeborener Tibialuxation nach hinten auszuschliessen, ermöglicht 
uns heute, wie auch im vorliegenden Falle, die Röntgendurchstrahlung. 
In ähnlicher Weise beobachtete Redard bei einem seiner Fälle doppel¬ 
seitigen Pes equinovarus und Beugecontracturen in beiden Hüften 
und Knien. 

lieber therapeutische Erfolge liegen noch wenige Mittheilungen 
vor. Von vornherein scheint, da, wie wir oben sahen, die Stellungs¬ 
abweichung auf eine einfache Verkürzung und nicht auf eine 
organische Veränderung der Musculatur bezogen werden muss, die 
Aussicht nicht ungünstig zu sein. So urtheilt auch Wunsch über 
die congenitalen Contracturen im allgemeinen. Doch ist andererseits 
zu bedenken, dass nicht nur Muskeln und Sehnen, sondern auch die 
Haut und alle sonstigen Weichtheile sich der abweichenden Stellung 
angepasst haben. Ferner erfährt die gute Prognose der Hüftbeuge- 
contractur insofern eine Einschränkung, als sich hier anscheinend 
nur auf mechanischem Wege etwas erreichen lässt; wenigstens ist 
ein Weg, sie operativ anzugreifen, noch nicht gefunden. 

Bei der Kniecontractur freilich findet das blutige Vorgehen eher 
Verfechter. So räth Wunsch zum Redressement in Verbindung mit 
Tenotomie und Sehnenplastik. Nasse hingegen empfiehlt die un¬ 
blutige Stellungsverbesserung und „nur im Nothfalle“ die blutige 
Operation. Auch Redard machte bei seinen Fällen von den 
mechanischen Behandlungsarten ausgiebigen und erfolgreichen Ge¬ 
brauch, manuellen Redressionen, passiven Bewegungen, Massage, 
Elektrisiren. Dass indessen hierbei Vorsicht zu walten hat, lehrt 
unser Fall, in welchem die allerdings gegen die ärztliche Absicht 
von den Eltern des Kindes zu lange und unbeaufsichtigt durchgeführte 
passive Streckung des Knies zu einer Lockerung der Gelenkkapsel, 
zu einer Verschiebung der Gelenkenden der Knochen und vermuthlich 
auch zu ihrer Verbiegung in den Epiphysenlinien geführt hatte. 
Dass solche Scheinrepositionen Vorkommen, ist ja von der Behandlung 


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584 Georg Schmidt, lieber angeborene Hüft- und Kniebeugencontractur. 

der tuberculösen Kniebeugecontractur her bekannt wenn -auch hier 
meist noch eine Druckusur der hinteren Femurgelenkfläche ein begünsti¬ 
gendes Moment abgibt. Immerhin entsteht auch hier die Subluxation 
in der Hauptsache durch die Schrumpfung der Weichtheile, auch 
der Muskeln an der Beugeseite und wird unterstützt durch die Wirkung 
äusserer mechanischer Kräfte, wenn z. B. „der Operateur in forcirter 
Weise die Flexion des krummen Knies aufheben will durch Beugung 
in entgegengesetzter Richtung, wobei er sich des peripheren Endes 
der Extremität als Hebelarm bedient“ (König). 

Wenn demnach bei der mechanischen Behandlung auch Vor¬ 
sicht zu walten hat, so ist ihre Anwendung doch zweifellos berechtigt. 
Am zweckmässigsten wird man sie, wie es auch im vorliegenden 
Falle beabsichtigt war, mit den blutigen Eingriffen verbinden. Denn 
diese allein führen auch nicht zum Ziel, wie auch Phocas hervor¬ 
hebt. Die einfache Sehnendurchschneidung wie auch die Sehnen¬ 
plastik beseitigten nicht den Zug der übrigen geschrumpften Weich- 
theile. Phocas empfiehlt Tenotomien, elektrische Behandlung, 
Osteotomien, Osteoklasien in Verbindung mit manuellen Redressionen 
und corrigirenden Apparaten. Sinnreich erscheint es, durch üeber- 
pflanzung der Beugesehnen nach der Streckseite der Beugecontractur 
durch eine dauernd in der entgegengesetzten Richtung wirkende 
lebendige Kraft zu begegnen. Doch wird man auch hierbei mit 
Rücksicht auf unsere ungünstige Erfahrung genau darauf achten 
müssen, ob nicht die neue Zugrichtung statt zu einer Dehnung der 
krankhaft geschrumpften Theile vielmehr zu einer Nachgiebigkeit 
noch gesunder Bandmassen führt. 

’) König, Lehrbuch der speciellen Chirurgie 1894, Bd. 3 S. 581. 


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XXXVIII. 


Ueber einige, meiner Behandlungsart der 
seitlichen Blickgratsverkrümmungen eigenthümliche, 
orthopädische Uebnngsapparate nnd deren 
Verwendung. 

Von 

Dr. K. M. Schwarz, 

Leiter der orthopädischen Heilanstalt in Prag. 

Mit 13 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Das Bestreben der Jetztzeit in der Orthopädie der skoliotischen 
Wirbelsäule ist nach Mitteln gerichtet, welche, mit gewaltigen Kräften 
wirkend, die deviirte Wirbelsäule möglichst rasch in die normale 
Stellung zu überführen im Stande wären. Von den Massnahmen 
dieser Art wird der erwähnte Zweck in bisher vollkommenster Weise 
durch Dr. Wullstein's Methode erreicht, welche eine dem patholo¬ 
gischen Bildungsgänge der Deviation genau entgegen wirken de Dres- 
sirung der Wirbelsäule ermöglicht — so weit solches durch äussere, 
mechanische Mittel überhaupt thunlich ist — und uns ausserdem in 
Stand setzt, die erreichte Deskoliosirung des Rumpfes durch einen 
inamoviblen Gipsverband festzuhalten, welcher nicht nur Becken und 
Rumpf, sondern auch Schultern, Hals und Kopf mit umfasst. 

Für hoch- und höchstgradige Skoliosen erkenne ich die Berech¬ 
tigung dieser Methode in vollem Umfange an. Je hochgradiger die 
Skoliose, je spitzwinkliger die Knickung der Wirbelsäule, desto 
günstiger gelegen ist der Angriffspunkt, sowohl für die streckenden, 
als auch für die detorquirenden Kräfte, um eine unter sonst gleichen 
Umständen, verhältnissmässig bedeutende Correction des skoliotischen 
Rumpfes zu erreichen und im Gipsverbande festzuhalten. Die Brust- 
und Bauchhöhle hochgradig Skoliotischer sind bedeutend verengt; die 
Innenorgane dieser Räume sind infolge dessen in ihrer normalen 
Function — Athmung, Herzthätigkeit, Verdauung — behindert; 


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Streckung und Detorsion des Rumpfes scliaflFt für eine annähernd 
normale Function dieser Organe hinreichend Raum; daher sehen wir 
die meisten hochgradig Skoliotischen in starren, in gestreckter Detor- 
sionsstellung angelegten Verbänden viele Jahre lang sich relativ 
recht wohl befinden. Indem wir einen solchen Rumpf in gestreckt^- 
Detorsionsstellung eingipsen, immobilisiren, versetzen wir denselben 
durchaus nicht in ungünstigere Verhältnisse, weil ja die ünbew^- 
lichkeit des Rumpfes — infolge der hochgradigen Skoliose — schon 
vorher da war. Im ganzen nützen wir also einem solchen Patienten, 
indem wir durch einen detorquirten Streckverband seine Brust- und 
Bauchorgane entlasten, ohne ihm andererseits durch die Immobilisation 
zu schaden. Immerhin wäre es eine sehr optimistische Auffassung, 
in solchen hochgradigen Fällen, wo doch eine grossere Anzahl von 
Wirbeln bändrig ankylosirt oder bereits knöchern unter einander ver¬ 
wachsen ist, eine solche Nachgiebigkeit der Wirbelsäule vorauszu¬ 
setzen, dass es durch Wullstein’s, derzeit wohl zweckmässigste 
Methode erreichbar wäre, die einzelnen Wirbel zur normalen Form 
und Lage zurückzuführen; man wird eben auch nur die Total¬ 
stellung des Rumpfes in seinem Verbaltniss zum Becken corrigiren. 
indem man das Ueberhängen beseitigt und die sich kreuzenden Quer¬ 
achsen des Rumpfes und Beckens zu einander parallel stellt oder 
eventuell beides übercorrigirt. 

Für ebenso berechtigt halte ich den nach Wullstein’s Methode 
Hals und Kopf miteinschliessenden Verband, in jenen Fällen auch 
minder hochgradiger Skoliose, wenn deren hauptsächlichster Sitz die 
oberen Brust- und die unteren Halswirbel betrifft, indem diese Stelle 
der Wirbelsäule, durch den Schultergürtel und dessen Musculatur 
gedeckt, anderen Arten mechanischer Einwirkung schlecht zugäng¬ 
lich ist. 

Ganz anders verhält sich jedoch die Methode Wullstein’s zu 
den minder hochgradigen Skoliosen, insbesondere wenn dieselben in 
den unteren Brust- und den Lendenwirbeln ihren Sitz haben, zu 
welchen Fällen ich aus Wullstein’s Abhandlung; Zeitschr. f. orthop. 
Chir. Bd. 10 H. 2 den Fall Otto Hildebrand und Luise Hagen 
zählen möchte. Eine Entlastung der Brust- und Bauchorgane findet 
in solchen Fällen nicht statt, weil ja dieselben eben gar nicht oder 
in nicht nennenswerthera Masse verengt waren. Die Streckung im 
Wullstein’schen Redressionsapparate hat im nachfolgenden Gips- 
verbände keine erhebliche Verlängerung des Rumpfes zur Folge: 


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lieber einige orthopad. üebungsapparate und deren Verwendung. 587 


die äusserlich sichtbare Correction der Rumpfhaltung ist nicht so 
auffallend und durch ausgiebige Detorsion auch ohne die gewaltsame 
Wirbelsäulenstreckung erreichbar. Die gewaltsame Streckung der 
Wirbelsäule, sowie die nachfolgende Immobilisation des Rumpfes im 
inamoviblen Gipsverbande sind eben zwei Schädlichkeiten, welche die 
gute Wirkung einer richtigen und energischen Detorsion mehr als 
aufwiegen. Die verheerende Wirkung der nicht abnehmbaren Rumpf¬ 
verbände auf die Gesammtemährung des Patienten ist uns doch schon 
seit Sayre bekannt. Die Inactivitätsatrophie der Rurapfmusculatur 
nimmt nach längerer Immobilisation in den meisten Fällen erschreck¬ 
lich zu und ist es nicht denkbar, dass Wullstein's Verband, der 
doch noch mehr Körpertheile und ausgiebiger immobilisirt, diesbe¬ 
züglich weniger ungünstig wirken sollte. (Siehe auch Modlinsky, 
Zeitschr. f. orthop. Chir. Bd. 11 fl. 3.) 

Die gewaltige Dehnung sämmthcher Längsbänder der Wirbelsäule 
muss nothwendigerweise eine Lockerung sämmtlicher, in erster Reihe 
der bisher wenig oder gar nicht an der skoliotischen Verbildung 
betheiligter Gelenkverbindungen zur Folge haben. Allen zur Streckung 
der Wirbelsäule dienenden Vorrichtungen haftet an und für sich 
der gemeinsame Fehler an, dass ihre Wirkung nicht auf die vor¬ 
nehmlich afficirte Wirbelsäulenpartie localisirt werden kann. Wull- 
stein hebt wohl in seiner Abhandlung hervor, „dass die besonders 
den Keilwirbeln benachbarten Zwischenwirbelscheiben an der Con- 
cavität eine ganz enorme Dehnung, während die bei der Ent¬ 
stehung der Deformität über dasMaass des Normalen hinausgegangenen 
Theile (Wirbelkörper) nicht nur keine weitere Dehnung, sondern 
im Gegentheile eine Compression erfahren“. Für hochgradige Sko¬ 
liosen ist dies im Bereiche des Krümmungsscheitels ganz bestimmt 
zutreffend und dies um so mehr, je spitzwinkliger die betreffende 
Wirbelsäulendeviation ist. Wie verhält sich dies aber in jenen 
Wirbelsäulenpartien, welche, zwischen zwei Krümmungsscheiteln ge¬ 
legen, von der skoliotischen Verbildung weniger afficirt sind und wie 
bei minder hochgradigen Skoliosen überhaupt? Wir wissen, dass die 
Längsbänder der Wirbelsäule in die Concavität des Krümmungs¬ 
scheitels zusammengeschoben, verdickt, infolge dessen gewiss auch 
viel widerstandsfähiger sind, als an der Convexität der Krümmung und 
an der von der skoliotischen Verbildung überhaupt weniger betroffenen 
übrigen Wirbelsäulenpartie. Wenn nun durch die gewaltsame Streckung 
der Wirbelsäule im Wullstein’schen Apparate diese verdickten 


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K. M. Schwarz. 


Längsbänder der Concavität so weit nachgeben, »dass die den Keil¬ 
wirbeln benachbarten Zwischenwirbelscheiben eine ganz enorme 
Dehnung erfahren“, wie viel eher müssen es jene Bänder thun. 
die den normalen und weniger verbildeten Wirbelsäulenpartien an¬ 
gehören, daher auch ihre normale, id est verhältnissmässig geringere 
Stärke beibehalten haben. Ich glaube daher nicht zu irren, wenn 
ich behaupte, dass die Streckung im W ul Ist ein’schen Redressions¬ 
apparate zur Mobilisirung des Krümmungsscheitels in vielen Fällen, 
trotz der grossen Gewalt doch noch nicht ausreichen wird, während um¬ 
gekehrt die verhältnissmässig schwächeren Bänder der übrigen Wirbel- 
säule durch dieselbe Gewalt bereits so stark gedehnt werden, dass 
ihre Elasticitätsgrenze überschritten wird, woraus nothwendigerweise 
Schlotterverbindungen resultieren müssen. Dies in Verbindung mit 
der Inactivitäts- und Ernährungsatrophie der Musculatur, muss nach 
Abnahme des längere Zeit getragenen, inamoviblen, immobilisirenden 
Verbandes zu einem um so ärgeren Zusammensinken des halt- und 
kraftlosen Rumpfes führen, und bevor wir durch nachträgliche Massage 
nebst körperlichen Hebungen die Musculatur gekräftigt haben, ist 
die skoliotische Diflformität um ein Bedeutendes ärger, als sie es je 
vor der Behandlung war. Wollte man dagegen nach Badens Vor¬ 
schlag den Wullstein'schen Verband oder einen diesem ähnlich 
wirkenden, mit starker Kopfextension versehenen Apparat so lange 
ununterbrochen tragen lassen, bis »allmählich eine Ankylose in 
guter Haltung“ zu Stande käme, so ist das Ende einer solchen Be¬ 
handlung gar nicht abzusehen. An seinen Leichenexperimenten ersah 
Wullstein*wohl, dass bei der gewaltsamen Distraction die Zwischen¬ 
wirbelscheiben nur an der Concavität der Krümmung distrahirt, da¬ 
gegen an der Convexität die Wirbelkörper gegen einander gepresst 
werden. Je hochgradiger die Skoliose, je winkliger die Knickung 
der Wirbelsäule, d. h. je grösser der Höhenunterschied zwischen der 
Concav- und Convexseite an den keilförmig verbildeten Wirbel¬ 
körpern im Scheitel der Krümmung ist, desto intensiver werden bei 
Streckung der Wirbelsäule die Convexränder der Wirbelkörper an¬ 
einander gepresst. Und eben an diesen Pressstellen lässt sich im 
Wullstein’schen Verbände ehestens eine knöcherne Ankylosirung 
der Wirbelsäule erwarten; gerade so wie wir — in umgekehrter 
Richtung — beim Bildungsgänge der Skoliose die Osteophytenbildung 
eben auch nur an den gegen einander gepressten Wirbelrändem der 
Concavseiten finden und nicht umgekehrt. Dies alles trifft aber bei 


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Ueber einige orthopäd. Uebungsapparate und deren Verwendung. 589 

wenig hochgradigen Skoliosen gar nicht zu. Die keilförmige Ver¬ 
bildung der Wirbelkörper ist minder ausgesprochen, der Höhenunter¬ 
schied zwischen Concav- und Convexseite der Wirbelkörper gering, 
infolge dessen wird die Streckung der Wirbelsäule die Convexränder 
nicht gegen einander pressen, sondern die Wirbel im ganzen von 
einander entfernen, und dies um so mehr, je gewaltsamer sie ist und 
je länger sie andauert. Solches ist aber kein Mittel, das Gefüge der 
Wirbelsäule in guter Haltung zu festigen, sondern umgekehrt Schlotter¬ 
verbindungen zu erzeugen, welche um so mehr zur weiteren Zunahme 
der Skoliose disponiren als der Tonus der Rumpfmusculatur nach 
Abnahme des immobilisirenden Verbandes geschwächt ist und der 
Patient an seiner Gesammternährung Schaden gelitten hat. 

Ebenso rückhaltlos als ich daher die Berechtigung der Wull- 
stein'schen Methode und deren hervorragenden therapeutischen Werth 
für hochgradige Skoliosen anerkenne, ebenso entschieden muss ich 
aus den oben angeführten Gründen bei minder hochgradigen Fällen 
mich gegen dieselbe aussprechen ^). 

Je befriedigender die Ernährungsverhältnisse eines skoliotiscben 
Patienten sind, oder je günstiger sich dieselben namentlich während 
der orthopädischen Kur gestalten lassen, desto günstiger ist bekannt¬ 
lich — unter sonst gleichen Umständen — Prognose und Heilresultat 
(siehe Höftman, Skoliosenbehandlung mit Zuhilfenahme der Weir- 
MitchelTschen Kur), während im entgegengesetzten Falle das Resultat 
fast ausnahmslos schlecht ist. Daher ist alles zu vermeiden, was den 
Emährungs- und Kräftezustand des skoliotiscben Patienten beein¬ 
trächtigt ; umgekehrt dagegen ist durch geregelte Lebensweise, kräftige 
Ernährung, Bewegung in freier Luft, regelmässige Turnübungen, 
Abhärtung, reichlichen Schlaf, eventuell medicamentöse Nachhilfe, 
der Kräftezustand des Patienten zu heben und die Wirbelsäule durch 
kräftige, aber möglichst genau auf die deviirte Partie 
localisirte Redressionsübungen ohne besonders intensive 


*) Für uns praktische Aerzte ist es auch aus äusseren Gründen nicht 
räthlicb, mit zu scharfen Mitteln gegenüber den Patienten sehr freigebig zu 
sein. Wissen wir doch schon von den Sayre’schen inamoviblen Rumpfver¬ 
bänden, dass die Patienten, in freudiger Erwartung eines baldigen vollen Resul¬ 
tates, die damit verbundenen Beschwerden ein-, zwei- auch mehreremale er¬ 
trugen, endlich aber den Arzt verliessen, um sich au Kurpfuscher oder Bandagisten 
zu wenden und sich ein zierliches, sonst aber ganz werthloses Corset anfertigen 
zu lassen. Videant consules! 


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K. M. Schwarz. 


Längsdehnungen zu mobilisiren. Dabei entschlage ich mich 
— bei ernsteren Fällen durchaus nicht — wie Schulthess — der 
Nachhilfe abnehmbarer orthopädischer Corsets, welche hauptsachlicij 
für die Zeit der Sitzarbeit zu tragen sind, dagegen zu den ortho¬ 
pädischen üebungen, bei Spiel und Sport, für Spaziergänge und Schlaf 
abgelegt werden, daher der immobilisirende Einfluss viel zu knn 
dauert und durch ausgiebige Bewegung reichlich aufgewogen wird, 
als dass seine schädliche Wirkung sich geltend machen könnte. 

Alles bisher Gesagte glaubte ich vorausschicken zu müssen, mu 
die Behandlung weniger hochgradiger Skoliosen mittelst wohl auch 
kräftiger, aber ohne gewaltsame Streckung der Wirbelsäule ausge¬ 
führter und möglichst genau localisirter Redression nicht nur für 
berechtigt, sondern im Vergleiche zur Gesammtmethode Wullstein^ 
für zweckdienlicher überhaupt darzuthun. 

Seit dem Erscheinen von Lorenz’ Monographie: ,Pathologie 
und Therapie der seitlichen RückgratsverkrOmmungen 1886* sind 
diesem Zwecke entsprechende Geräthe in grosser Anzahl construirt 
worden. Dieselben von Lorenz, Beely, Hoffa, Barwell, Fischer. 
Dolega, Hübscher, Schede, Zander, Schanz u. A. hergestellt, 
sind in Hoffa’s Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie und in 
der Zeitschrift für orthopädische Chirurgie sämmtlich abgebildet 
und beschrieben und allen Fachorthopäden wohl bekannt. Fast 
sämmtliche dieser Apparate sind keine eigentlichen Uebungsgeräthe. 
indem deren redressirende Wirkung, ohne actives Zuthun des Patienten, 
entweder durch Lagerung — Eigenschwere des Patienten, oder durch 
Pelottendruck — Schraubenwirkung oder Gurtenzug, an der ge¬ 
wünschten Stelle erreicht wird. Eigentliche Uebungsgeräthe von 
hervorragender Bedeutung, für active Selbstredression des Patienten, 
hat in neuester Zeit Schulthess construirt und werden die¬ 
selben gewiss von jedem Sachverständigen, sowohl in der Gon- 
ception als in der Ausführung als äusserst gelungen und hervor¬ 
ragend zweckdienlich angesehen. Einen einzigen Uebelstand niu>> 
ich diesen Apparaten aber doch ausstellen. Der Anschafiungsprei? 
der meisten dürfte für viele private orthopädische Anstalten schwer 
erschwinglich sein. Die Complicirtheit der Apparate erfordert dazu 
eine zahlreiche, gut eingearbeitete, fachmännische Bedienung mit viel 
Zeitaufwand, was wiederum eine Erhöhung der Regieausgaben br- 
deutet. 

Als ich vor 24 .Jahren meine orthopädische Anstalt in Prag eiu- 


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lieber einige orthopäd. Uebungsapparate und deren Verwendung. 591 


richtete, hielt ich mich zumeist an die Einrichtungen von Schildbach- 
Leipzig und Seeger-Wien. Unsere hauptsächlichsten Redressions¬ 
apparate waren die Hände des Arztes. Im Laufe der Jahre habe 
ich eine Reihe von Redressionsbehelfen, wie solche der Zeitströmung 
nach entstanden, eingeftihrt, selbst construirt, eventuell schon be¬ 
stehende nach bestem Gutdünken modificirt. Die chronologische 
Reihenfolge, in der ich die von mir benutzten Redressionsbehelfe 
hier anführe, dürfte zugleich auch den Ausdruck der stets tiefer ein¬ 
dringenden allgemeinen Eenntniss 
der Skoliose und ihrer Behandlung 
darstellen, indem der Fortschritt 
von unvollkommenen, einfachen und 
milden, zu vollkommeneren, com- 
plicirten und kräftigeren Redres¬ 
sionsmitteln auch hier deutlich her¬ 
vortritt. 

1. Das Richtbrett nach 
Seeger (Fig. 1) ist nur für leichte 
seitliche Abweichungen ohne auf¬ 
fallende Torsion, hauptsächlich in 
der Häuslichkeit des Patienten ver- 
werthbar. Der mit den Fersen an 
das Richtbrett angestellte, in vor¬ 
geneigter Stellung, mit den Händen 
an ein Schwebereck sich stützende 
Patient hat die Aufgabe, mit seinem 
Rumpfe in den für ihn freigelasse- 
nen Raum zwischen den Pelotten 
hineinzutreffen, indem er selbstthätig die Seitendeviation ins Ent¬ 
gegengesetzte umzukrümmen trachtet. Nachdem das Richtbrett auf 
die Torsion der skoliotischen Wirbelsäule keinen Einfluss nehmen 
kann, ist es ein recht unvollkommenes Geräthe, mehr von historischem 
Werthe und als solches Zeuge einer in therapeutischer Hinsicht 
überwundenen Anschauung, wo man mit bloss seitlicher Einwirkung 
die mechanische Seite der Skoliosentherapie erschöpft zu haben 
glaubte, obwohl Kirmisson erst vor wenigen Jahren seinengrossen 
Redressionsapparat nach demselben Principe zusammengestellt hat. 

2. Das Flügelbrett Se e ge r’s auf einer schrägen Leiter (Fig. 2). 
An sich ein gut brauchbares Geräthe bei rundem Rücken; in Ver- 



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E. M. Schwarz. 


bindung mit einem — je nach Bedarf stärkeren oder schwächeren 
— runden Polster, zum Umkrtimmen von skoliotischen Abweichungen 
bei empfindlichen Patienten und kleinen Kindern, auch als Vorstufe 
der ümkrtimmung am Lorenz’schen Wolm sehr gut verwendbar. 



3. Der Kraftmesser. (Fig. 3). Ein Kasten, aus dessen Innerem 
Schnüre, mit Gewichten verschiedener Schwere belastet, über zwei 
Rollen nach Aussen laufen und hier mit Handgriffen versehen sini 
Patient stellt sich mit dem Rücken an den Kasten, fasst die beiden 
Handgriffe und streckt die Arme hoch. Ein massives Holzpolster 
mit schräger Vorderfiäche und einer grossen Zahl horizontaler Bohr¬ 
löcher wird mittelst Stellschraube seinem Rücken entsprechend ein¬ 
gestellt. Handelt es sich um die Umkrümmung einer einzigen oder 
einer vorherrschenden Krümmung, so wird — wie in Fig. 3 — der 
der concaven, hier linken Seite entsprechende Arm durch Fest¬ 
stellung der zugehörigen Schnur in Hochstreckhalte fixirt. Der 
Rumpf an der dem Krümmungsscheitel entsprechenden Stelle wird 
bis eventuell über die Mitte des Holzpolsters zur Seite geschoben 
und in das entsprechende Bohrloch ein Eisenstab eingesteckt. Eine 
elastische Gurte umfasst als Gegendruck das Becken resp. die Taille. 
Patient hat nun die Aufgabe, durch regelmässig ausgeführtes 6e- 


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lieber einige orthopäd. Uebungsapparate und deren Verwendung. 593 

wichtziehen mit dem der Convexität entsprechenden, hier rechten 
Arme bis zur Beugehalte, den Rumpf gleichzeitig über den Eisenstab 
nach rechts und rückwärts umzukrümmen. Handelt es sich um zwei 
gleich stark entwickelte Krümmungen, so werden in zwei, den beiden 
Krümmungsscheiteln entsprechende Bohr¬ 
löcher Eisenstäbe eingesteckt und mit 
beiden Armen an den Gewichten ge¬ 
zogen. Natürlich ist in letzterem Falle 
die Umkrümmung keine bedeutende. 

4. Der Divan. Ursprünglich 
wurde derselbe von mir in derselben 
Art und Weise benutzt, wie dies in 
Busch, Orthopädie 1882, S. 168 u. 169 
abgebildet ist. Die nun von mir ver¬ 
wendeten Uebungsformen entsprechen 
den am häufigsten vorkommenden skolio- 
tischen Deviationen. Fig. 4 stellt die 
Uebungsform für Skoliose mit vorherr¬ 
schender Rechtskrümmung in der Brust- 
und weniger ausgesprochener Links¬ 
krümmung in der Lendenwirbelsäule dar. 

Patient in Vorliegehaltung, Hüftkämme 
in gleicher Höhe mit der Vorderwand 
des Divans, die Beine in der Knöchel¬ 
gegend mittelst Querriemen fixirt, linke 
gepolsterte Stahlstange gegen den linken Tailleneinschnitt schräg 
festgestellt. Ausgangsstellung: Patient stützt sich mit beiden Händen 
auf den Boden oder einen Schemel. Auf Commando hebt Patient 
beide Arme gleichzeitig vom Boden ab, fasst die ihm vorgehaltene 
linke Hand des vor ihm stehenden Arztes oder einen dargereichten 
Holzring mit seiner Rechten und hat nun die Aufgabe, indem er 
seine Rechte sammt der nachgebenden Hand des Arztes an seine 
rechte Schulter heranzieht , die rechte Thoraxseite einzuziehen, 
gleichzeitig aber seinen linken Arm sammt der linken Thoraxseite 
so weit herauszuheben, bis er die etwas entfernter gehaltene rechte 
Hand des Arztes mit seiner linken erreicht. Nach kurzem Ver- 


*) Es ist selbstverständlich, dass der Divan für diese üebungen am Fuss- 
boden unverrückbar festgestellt werden muss. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 39 


Fig. 3. 



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694 


K. M. Schwarz. 


harren in dieser Haltung kehrt Patient in die Ausgangsstellung 
zurück. Die Uebung wird 10—20mal wiederholt. Bei rigiden Skoliosen 
vergeht wohl einige Zeit, bevor der gewünschte EflPect deutlich wird. 



Für lumbodorsale Krümmungen mit compensirender Krümmung 
in den oberen Brust- und Halswirbeln ist die ßedressionsübung eine 


Fig. 5. 



viel ausgiebigere. Fig. 5 zeigt dieselbe für lumbodorsale Elechts- | 
krümmung. Patient wird am Divan weniger weit vorgelagert, so dass 
der gepolsterte Stahlstab genau gegen den Scheitel der lumbodorsalen 


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lieber einige orthopäd. Uebungsapparate und deren Verwendung. 595 

Krümmung schräg festgestellt wird. Ein Riemen umfasst das Becken 
resp. die Taille, um ein Ausweichen derselben zu verhindern. Aus¬ 
gangsstellung wie bei vorheriger Uebung. Auf Commando hebt 
Patient beide Arme vom Boden ab, fasst mit seiner linken die ihm 
dargereichte rechte Hand des rechts seitlich vor ihm stehenden 
Arztes — oder einen Holzring — zieht selbe kräftig zu seiner linken 
Schulter, während er sich zugleich stark über den schräg ge¬ 
stellten Stab umzukrümmen hat, um mit seiner rechten die linke, 
etwas entfernter gehaltene Hand des Arztes zu erreichen. Die auf 
diese Art erreichbare ümkrümmung kann bei manchen Patienten, 
unter Nachhilfe des Arztes — bis fast zu einem rechten Winkel 
gesteigert werden, ist somit eine 
der denkbar intensivsten, dabei 
correctesten und aufs genaueste 
localisirbaren Redressionsübun¬ 
gen der Wirbelsäule. Der Grad 
der Umkrümmung ist gänzlich 
vom WoUen und Können des 
Patienten abhängig, daher auch 
— trotz der hochgradigen üm¬ 
krümmung — jede Schädigung 
von Seite des Arztes ausge¬ 
schlossen. Ausser den zwei be¬ 
schriebenen erlaubt das Geräthe 
noch verschieden anders modi- 
ficirte Umkrümmungen. 

5. ümkrümmung über 
den Gurt. Aus BarwelPs 
einfacher Einrichtung (siehe Cen- 
tralbl. für Chir. 1890, S. 29) 
und der Uebungsform von Lorenz (siehe Zeitschr. für orthop. 
Chir. Bd. 1 S. 10) entstand bei mir die in Fig. 6 abgebildete 
Redression. Zwischen zwei feststehenden, senkrechten Leitern be¬ 
findet sich ein höher oder tiefer stellbarer Querstab, an welchen das 
Becken des Patienten mittelst eines Riemens angeschnallt wird. 
Diese Befestigung des Beckens gewährt dem Patienten genügenden 
Halt und Festigkeit zur Ausführung der Uebung, sie verhindert auch 
jedes seitliche Verschieben und Drehen des Beckens, infolge dessen 
die Uebung sicherer, correcter und viel energischer ausgeführt werden 


Fig. 6. 



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K. M. Schwarz. 


kann. Ausser der in Fig. 6 dargestellten Art werden Modificationen 
dieser Hebung durch Verstellen der Zug- und DruckgriflFe ermöglicht. 
Von mir wird dieses Geräth vornehmlich zu Umkrümmungen von 
Lumbal- und Lumbodorsalhrümmungen angewandt. 

6. Der Wolm für Lorenz’sche Seitensuspension ist von mir 
in der in Fig. 7 ersichtlichen Weise vervollständigt worden. Bekannt¬ 
lich hält es ziemlich schwer, Anfänger und empfindliche Patienten 
überhaupt zur Lagerung auf dem ursprünglichen Lorenz’schen 
Wolm, auch nur für wenige Augenblicke, zu veranlassen. Daher 


Fig. 7. 



versah ich denselben mit Beinbrett und kleiner Sprossenleiter für 
bequeme Handhaltung; beides in einem Chamier unterhalb des 
Wolmes höher und tiefer stellbar. Dadurch erreiche ich (wie aus 
Fig. 7 ersichtlich) eine bequeme und correcte Lagerung des Patienten, 
nebst der Möglichkeit, die Schärfe der Umkrümmung von oben oder 
von unten d. i. vom Beinbrette oder von der Leiter aus beliebig zu 
steigern oder nachzulassen. Die Sprossenleiter macht das Geräth 
auch für die Redression runder Rücken geeignet, wobei natürlich 
Patient geradeaus am Rücken gelagert wird. Ein Vergleich mit der 
Abbildung von Zanders Seitenbangapparat (siehe Zeitschr. für 


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Ueber einige orthopäd. Uebungsapparate und deren Verwendung. 597 


orthop. Chir. Bd. 2 S. 354) lässt die Ueberlegenheit meiner Ein¬ 
richtung sowohl bezüglich der Präcision als der Bequemlichkeit der 
Lagerung, besonders aber in therapeutischer Hinsicht, bezüglich der 
Ausgiebigkeit der Umkrümmung gegenüber dem Zander’schen Ge- 
räth deutlich Tortreten. 

7a. Die gerade Walze (Fig. 8) besteht aus einem Holzrahmen, 
dessen Längsseiten mit Ausschnitten versehen sind und in dessen 


einer Breitseite eine um die 
eigene Längsachse drehbare, 
weichgepolsterte W alze eingefügt 
ist. Dient zur Redression von 
Rundrücken und zur Totalmas¬ 
sage des Rückens. Zu diesem 
Zwecke wird der Rahmen zwi¬ 
schen die Holme einer senkrech¬ 
ten Leiter in einen seiner Aus¬ 
schnitte auf der entsprechend 
hohen Sprosse eingestellt. Pa¬ 
tient fasst rücklings eine Sprosse 
der Leiter in Reichhöhe an, 
schiebt beide Füsse zwischen den 
zwei untersten Leitersprossen 
nach rückwärts durch, worauf 
der Arzt durch Auf- und Ab¬ 
bewegung der sich drehenden 
Walze den Rücken des Patienten 
massirt und hierauf die Walze 
an der convexesten Stelle des 
Rückens mittelst Riemens fest¬ 
stellt. 


Fig. 8. 



7b. Die schräge Walze (Fig. 9). Die drehbare Walze ist 
im Rahmen schräg eingesetzt. Verwendung und Haltung des Patienten 
ist aus der Abbildung ohne weiteres ersichtlich. Wird hauptsächlich 
zu Umkrümmungen hochgelegener Dorsalkrümmungen angewendet. 

8. Die Kopfschwebe nach Schmidt ist seit dem Berliner 
internationalen Aerztecongress 1890 allgemein bekannt und in Hoffa's 
Lehrbuch 1. Aufl. S. 424 abgebildet. 

9. Beely's Apparat zur gewaltsamen Geraderichtung skolio- 
tischer Wirbelsäulen. Abbildungen im Centralblatt für Chirurgie 1886, 


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598 


K. M. Schwarz. 


Fig. 9. 



S. 66 und Hoffa*s Lehrbuch 1. Aufl. S. 408. An diesem Apparate 
habe ich insofern eine kleine Verbesserung angebracht, als ich nach 
dem Niederziehen des oberen Theiles des Rahmens, id est nach dem 
Erheben des Patienten, mittelst einer ausdehn¬ 
baren Doppelstange und Stellschraube die Stel¬ 
lung des Apparates fixiren kann, ohne den¬ 
selben während der ganzen Redressionsdauer 
mit den Händen halten zu müssen. Beely's 
, Apparat verwende ich hauptsächlich bei lumbo- 

^ 0 dorsalen Hauptkrümmungen mit compensirender 

dorsal- oder dorsocervicaler Nebenkrümmung, 
indem ich vermeine, dass die untere Pelotte 
an Beely's Apparat in jedem Falle stärker 
einwirken kann, als es der oberen überhaupt 
möglich ist. 

10. Der Correcturstuhl von Zander 
ist nur für leichte Dorsaldeviationen verwerth- 
bar. Bei der ursprünglichen Einrichtung Zan¬ 
deres muss Patient, um die skoliotische Rücken¬ 
krümmung an den von Zander an seinem 
Stuhle angebrachten Polster anlehnen zu können, den der Convexität 
seiner Brustkrümraung entsprechenden Oberarm seitlich abstrecken. 

abduciren (siehe Abbildung in Zeitschrift für 
orthop. Chir. Bd. 2 S. 355). Jedes Abstrecken 
des Oberarmes vermehrt aber die seitliche Ab¬ 
weichung der Brustwirbelsäule. Abstreckung 
des Oberarmes und Anlehnen an das Polster 
halten sich dann so ziemlich das Gleichgewicht, 
es kommt daher zu einer ausgiebigen üm- 
krümmung wenigstens der Brustwirbelsäule 
durchaus nicht. Deshalb habe ich statt des 
Polsters einen breiten Riemen genommen (siehe 
Fig. 10), der über die Enden zweier federnder 
Streben gespannt ist. Zwischen diesem Riemen 
und der Lehne des Correcturstuhles hat der im 
Ellbogengelenke gebeugte Arm genügend Platz, 
um sich dem Rumpfe anschmiegen zu können. Dieses Anschmiegen 
des Armes erleichtert die corrigirende Druckwirkung des Riemens auf 
die deviirte Rückenpartie in bedeutendem Maasse. 



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Ueber einige orihop&d. Uebungsapparate und deren Verwendung. 599 


--JTl 


11. Die Rhachilysis (Fig. 11). Ein Geräthe eigener Zusammen¬ 
stellung nach der Idee Barweirs. Das ursprünglich von Barwell 
unter obigem Namen zusammengestellte Geräthe (abgebildet und be¬ 
schrieben im Centralbl. für Chir. 1890, S. 30, sowie in Hoffa’s 
Lehrbuch 1. Aufl. S. 410) ist wohl im Stande, eine ganz gewaltige 
Umkrümmung des skoliotischen Rumpfes zu erzielen, doch ist seine 
Anwendung mit verschiedenen Miss¬ 
lichkeiten verbunden. Die Fixirung Fig. 11. 

des Beckens und der Schultern ist 
eine recht unsichere; die Ausführung 
des umkrümmenden Zuges selbst, 
mittelst Flaschenzuges, ist eine lang¬ 
wierige Procedur, indem der Fla¬ 
schenzug immer wieder nachgelassen 
und hierauf von Neuem angezogen 
werden muss, was den Arzt wäh¬ 
rend der ganzen Dauer der Uebung 
an den einzelnen Patienten fesselt. 

Denn möchte man den Flaschenzug, 
zur Erzielung einer ausgiebigen 
Umkrümmung fest zugezogen fest¬ 
stellen, so sind Respirationsbewe¬ 
gungen des Thorax unmöglich ge¬ 
macht und der nach Athem ringende 
Patient muss aus seiner Umklam¬ 
merung sofort wieder gelöst wer¬ 
den. Um mich einer so überaus 
kräftigen Umkrümmung nicht ent- ‘ — .. . - 

schlagen zu müssen und die an¬ 
geführten Uebelstände doch zu umgehen, habe ich den in Fig. 11 
abgebildeten Apparat zusammengestellt. Patient setzt sich — rechts¬ 
convexe Dorsalskoliose vorausgesetzt — auf das Sitzbrett so schräg, wie 
ihm dies zwei der Hüftbreite entsprechend am Sitzbrette feststellbare 
Holzpelotten anweisen. Fixirung der Schultern und Lendengegend an 
den Seiten des Gestelles in der am Bilde ersichtlichen Art; ausser¬ 
dem eine Kopfschlinge mittelst starker elastischer Schnur am oberen 
Ende des rechten rückwärtigen Holmens befestigt. Die convexe, 
in unserem Falle die rechte Rückenpartie umschlingt ein etwa 7 cm 
breiter starker Riemen, der nach links vom, durch Schlitze an den 



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600 


K. M. Schwarz. 


40 cm von einander entfernten Holmen des Geräthes durchgeleit^t 
wird, somit nur auf der Rückenkrümmung aufliegt, ohne den Brust¬ 
korb einzuschnüren. Patient fasst nun mit der linken Hand einen 
— seiner Reichhöhe entsprechend — links oben und rückwärts fest¬ 
gestellten Griff; seine rechte Hand fasst bei hochgestrecktem Arme 
einen zweiten Griff, der mittelst eines stellbaren Gurtes am Ende 
eines — der ganzen Breite des Geräthes entsprechend langen — 
Hebelarmes befestigt ist. Indem nun Patient mit der Rechten den 
langen Hebelarm niederzieht, bis seine Hand die Schulter berührt, 
hebt er erstens die linke Seite des Sitzbrettes um etwa 20 cm hiiher, 
zweitens wird durch üebertragung der Kraft auf ein mehrfaches 
Hebel- und Rollensystem der Brustriemen und somit auch die devi- 
irte Rückenpartie um 10—12 cm nach links und vorgedrängt. Eine 
gewiss ganz gewaltige ümkrümmung. Dabei geschieht die Aus¬ 
lösung dieser umkrümmenden Wirkung des Geräthes durch das 
Niederziehen des Armes ohne erhebliche Kraftanwendung des Patienten, 
indem die Zugkraft des Armes an einem 5—6mal so langen Hebel¬ 
arm einwirkt als der Widerstand der Last; zweitens weil die Be¬ 
wegungsgrösse des Handgriffes aus Streck- zur Beugehalte des Armes, 
welche man auf 55—65 cm schätzen kann, mittelst des mehrfachen 
Hebelsystems auf die Bewegungsgrösse des Brustriemens von bloss 
10—12 cm reducirt ist und weil endlich durch ein auf dem langen 
Hebelarm verstellbares Laufgewicht von etwa 8 kg die Eigenschwere 
des Patienten gänzlich aufgehoben werden kann. Die Kraft der 
Zugwirkung des Riemens auf die deviirte Rückenpartie glaube ich 
bei kräftigen und toleranten Patienten nach beiläufiger Berechnung 
auf etwa 100 kg abschätzen zu können. Diese ganz gewaltige Ein¬ 
wirkung hat aber Patient ziemlich vollständig in seiner Macht. Je 
strammer die Fixirung von Schultern und Lende, je straffer der 
Brustriemen anfänglich gespannt wird und je mehr dann Patient den 
Arm tiefer zieht, desto intensiver die ümkrümmung. Ich lasse nun 
dieses Niederziehen und Erheben des Armes etwa 50mal langsam 
ausführen. Es ist selbstverständlich, dass während der Beugehalte 
des Armes, also im Momente dieser gewaltigen Umkrümmung, jede 
Inspirationsmöglichkeit, ebenso wie in BarwelTs Vorrichtung, aus¬ 
geschlossen ist; im nächsten Momente des Ausstreckens des Armes 
wird jedoch der Brustkorb frei und Patient kann wieder ein tiefes 
Inspirium ausführen, dem beim nächsten umkrümmenden Nieder¬ 
ziehen des Armes abermals das Exspirium nachfolgt. Dadurch habe 


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lieber einige orthopäd. üebungsapparate und deren Verwendung. 601 


ich die gewaltige Wirkung der Rhachilysis dem Patienten nutzbar 
gemacht und dieselbe je nach den gegebenen Verhältnissen genau 
regulirt, ohne dem Patienten während der üebungsdauer die Mög¬ 
lichkeit tiefer Respirationen benommen zu haben. Mein Rhachilysis- 
apparat ist für alle Skoliosen — rechts und links — verwendbar, 
deren Krümmungsscbeitel in dem Raume zwischen Achselhöhle und 
Hüftkamm gelegen, somit vom Zugriemen fassbar ist. 

12. Schulthess' Schulterschiebeapparat ebenso wie 

13. Schulth ess’ Rippenhebeapparat und 

14. Schulthess' Detorsionsapparat habe ich mit unwesent¬ 
lichen Modificationen meinen Redressionsgeräthen zugesellt, indem 
ich die Hebungen an diesen Geräthen, als die präciseste Methode zur 
activen Bethätigung jener Muskelgruppen anerkenne, welche direct 
auf die Heraushebelung der jeweilig eingefallenen Rippenpartien ein¬ 
zuwirken im Stande sind. Beim Rippenhebeapparat habe ich zur 
Vermeidung der eflfectstörenden Neben- und Mitbewegungen und um 
das Rippenheben besonders Anfängern mit rigider Wirbelsäule über¬ 
haupt zu ermöglichen, sowie genauer zu localisiren, stellbare Stütz¬ 
streben angebracht, welche eben diese Nebenbewegungen zu ver¬ 
meiden haben. 

15. Active Selbstredressionsübungen des Patienten im 
freien Stande, wie solche ursprünglich von Lorenz angegeben und 
von Anderen, insbesondere von Hoffa, in zahlreichen Modificationen 
ausgebildet und vervollkommnet wurden, werden auch von mir vielfach 
verwendet; jedoch selten bei vollständig freiem Stande, weil letzteres 
den Patienten keinen genügenden Massstab für vollständig correcte 
Ausführung der Hebung bietet. Bei rechtsconvexer Dorsal- und 
linksconvexer Lumbalkrümmung lasse ich behufs Ausführung der in 
Hoffa’s Lehrbuch 1. Aufl. S. 416 Fig. 293a abgebildeten Selbst¬ 
redression, den Patienten bei einer Wand oder einem sonstigen festen 
Gegenstand so Aufstellung nehmen, dass dessen linker Ellbogen — 
Hände mit verschränkten Fingern am Hinterhaupt — je nach Be¬ 
darf 2—5 Querfinger von dieser Wand entfernt ist. Aus dieser 
Ausgangsstellung mit gestreckten Knieen hat nun Patient die Auf¬ 
gabe, das rechte Knie einzuknicken, gleichzeitig jedoch den linken 
Billbogen zu heben und mit demselben — ohne dass die Hände das 
Hinterhaupt verlassen — leicht an die Wand anzukommen, ohne sich 
anzulehnen. Dadurch habe ich die Hebung dem Patienten verständ¬ 
licher gemacht und kann auch das gegenseitige Ausmaass der Um- 


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602 


K. M. Schwarz. 


krümmung der Dorsal- und Lumbalkrümmung, durch Näher- oder 
Weiterstellen von der Wand genau bestimmen und vom Patienten 
fordern. Kleine Patienten und solche, denen die Ausführung dieser 
üebung dennoch Schwierigkeiten macht, stelle ich unter eine wag¬ 
rechte Leiter und schlinge um ihren linken Ellbogen — Hände am 
Hinterhaupt — einen Riemen, den ich an einer Sprosse links oben 
so befestige, dass derselbe während dieser Ausgangsstellung wohl 
geradlinig, in etwa 45 ®/o zur Horizontalen verläuft, ohne jedoch ge¬ 
spannt zu sein. Indem nun Patient das rechte Knie einknickt, wird 
sein linker Ellbogen sammt dem Oberrumpfe nach links und oben 
gezogen, was unbeholfenen Patienten allmählich die Vorstellung von 
der richtigen Ausführung der üebung beibringt. 

Bei lumbodorsalen und Totalskoliosen lasse ich den Patienten 
die der Convexität der Krümmung entsprechende Hand, unterhalb 
der Schulterblattspitze fest einsetzen, die andere Hand wird mit der 
Volarfläche auf die gleichseitige Wange, die Finger aufs Ohr auf¬ 
gelegt. In dieser Ausgangshaltung stellt sich nun Patient —^ bei 
rechtsconvexer Skoliose — mit seiner linken Seite an eine glatte 
Wandfläche, so dass der linke Ellbogen noch eine Handbreite von 
der Wand entfernt bleibt. Auf Commando hat derselbe vorerst mit 
seinem linken Ellbogen an die Wand anzukommen und hierauf, mit 
diesem Ellbogen an der Wand hinaufgleitend, die linke vordere Brust¬ 
wand an die Wandfläche anzulehnen, während er gleichzeitig mit 
der rechten Hand auf die convexen — hier rechten — Rippenwinkel 
einen kräftigen Druck ausübt. Nach kurzem Verweilen kehrt Patient 
in die Ausgangsstellung zurück, worauf die üebung mehrmals wieder¬ 
holt wird. 

16. Der Detorsionsapparat (Fig. 13 und 14) hat in Bon¬ 
ners 1860 construirtem orthopädischen Stuhle (siehe Fischer, Rück¬ 
gratsverkrümmungen S. 103) bereits einen Vorgänger, indem er 
nach demselben Principe gebaut ist, aber bei seiner schwächlichen, 
mangelhaften und theilweise fehlerhaften Bauart, bei weitem nicht 
jene Kraftwirkung auszuüben im Stande ist, welche zur Detorsion 
halbwegs rigider Skoliosen nöthig erscheint. 

Das Gestell meines Apparates besteht aus drei auf einer soliden 
Bohlenunterlage festgeschraubten und gegen einander oben und unten 
unverrückbar fest verbundenen eisernen T-Stangen. Die zwei rückwär¬ 
tigen, etwa 42 cm — Schulterbreite — von einander entfernt stehenden 
Ständer, dienen fürs erste als Basis für ein festes horizontales Sitz- 


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lieber einige orthopäd. üebungsapparate und deren Verwendung. 603 


brett, dann zur Fixation der Schultern yermittelst eines auf den 
Ständern höher und tiefer, sowie vor- und rückwärts und auch schräg 
stellbaren, gepolsterten Schulterbrettes, endlich zur Befestigung des 
Kopfes in einer mit starker elastischer Schnur versehenen Kopfschlinge. 


Der dritte, vordere Ständer dient 
Patienten, welche vom Apparate 
im Sinne einer kräftigen Detorsion 
ausgelöst werden soll. Zu diesem 
Zwecke sind an den vorderen 
Stander zwei höher und tiefer stell¬ 
bare , gleicharmige Parallelhebel 
angebracht; deren jeder um eine 
verticale Achse horizontal drehbar 
und mit einem festen Handgriffe 
versehen ist. Die Debertragung der 
Kraft von diesem Doppelhebel auf 
die deviirt;e Rückenpartie geschieht 
vermittelst je einer rechts- und links¬ 
seitigen Druckpelotte und dem dazu 
gehörigen Riemen. Die diesem 
Zwecke dienende Drehung derbeiden 
Druckpelotten geschieht auf je einer 
Achse, welche, aus fingerdickem 
Rundstahle hergestellt, knapp an 
der Innenseite der beiden Rücken¬ 
ständer vertical befestigt sind. Die 
beiden Druckpelotten sind an einem 
ihrer Enden durchbohrt, an je 
eine dieser Achsen angeschoben, 
höher und tiefer stellbar und um 


als Angriffspunkt der Kraft des 


Fig. 12. 



diese verticale Achse horizontal 


drehbar. Die Druckpelotten selbst bestehen jede aus zwei Theilen: 
aus eiuem etwa 28 cm langen T-Eisenstücke, welches an seinem 
freien Ende mit einer starken Schnalle versehen ist, und aus einem 
0,6 mm starken 36 cm langen Stahlbande, welches mit einem seiner 
Enden dem T-Eisenstücke in der Nähe der Achse fest angeschraubt 
ist, während es in seinem weiteren Verlaufe diesem bloss frei auf¬ 
liegt. Dieses Stahlband ist seiner ganzen Länge nach mit einem 
starken 6 cm breiten Riemen gedeckt und mit demselben fest ver¬ 
nietbet. In seinem weiteren Verlaufe von 1 m Länge verschmälert 


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604 


K. M. Schwarz. 


sich dieser Riemen bis zu 3 cm Breite und sein freies Ende geht 
zur Pelotte zurück, indem es daselbst an der Schnalle des T-£isen- 
stückes befestigt wird. Die Mitte dieses Riemens, der — wie erwähnt — 
mit dem einen Ende an dem der Pelotte angeschraubten Bandstahle, 
mit dem anderen an der Schnalle der Druckpelotte befestigt ist. 


Fig. 13. 



somit selbst eine Schlinge bildet, ist nun der Angriffspunkt der 
Kraft, welche die Druckpelotte gegen den Erümmungsscheitel der 
Skoliose auszuüben bat. Zu diesem Zwecke wird diese Schlinge an einen 
Bolzen eingehängt, der nahe der Drehaxe des Doppelhebels angebracht 
ist. Um nun die Uebung selbst auszuführen, setzt sich Patient auf 
das Sitzbrett, wie Fig. 12 und 13 zeigt, wird am Kopfe, den Schultern 
und dem Becken eventuell der Lendengegend fixirt, die Pelotte wird 
an den Scheitelpunkt der skoliotischen Deviation angeschoben und 
der lange Verbindungsrieraen zwischen Pelotte und Doppelhebel so 
weit durch die Schnalle der Pelotte durchgezogen, dass die letetere 
der Rückendeviationsstelle fest anliegt. Der Griff und Hebel an der 


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lieber einige orthopäd. Uebungsapparate und deren Verwendung. 605 


Convexseite der Rückgratsverkrümmung ist dadurch bis an die ent- 
- sprechende Schulter herangezogen worden, während Griff und Hebel 
der anderen Seite auf Armlänge vom Patienten absteht. Patient 
fasst nun mit jeder Hand den zugehörigen Griff an und zieht — in 
unserem Bilde bei linksconvexer DorsalskoUose — den rechten Griff 
zur Schulter zu, während die linke gleichzeitig ihren Griff von 
sich in horizontaler Richtung wegschiebt. Dadurch bewegt sich die 
mittelst des langen Riemens am Hebel befestigte Druckpelotte im 
Bogen nach vom und rechts, wodurch bei nur mässiger Anstrengung 
des Patienten eine ümkrümmung der Skoliose mit bedeutender Kraft 
erzielt wird, indem die Kraft an einem etwa 8mal so langen Hebel¬ 
arm einwirkt, als die Last des Widerstandes der Krümmung. Die 
Grösse der detorquirenden Bewegung der Druckpelotte kann ge¬ 
steigert werden, indem man die Schlinge des Zugriemens am Hebel 
breiter stellt und durch einen zweiten Bolzen festhält. Kräftige und 
tolerante Patienten sind im Stande, an diesem Geräthe eine Detorsion 
ihrer Skoliose mit solcher Gewalt auszuführen, dass Riemen von 
8 cm Breite aus stärkstem käuflichen Blankleder in den Schnall- 
löchern durchreissen; dieselben müssen daher doppelt genommen 
werden. Dabei ist die Detorsion eine fast ideal correcte, indem die 
Dnickrichtung der Pelotte bei Beginn der Hebeldrehung in sagittaler 
Richtung von hinten nach vorn wirkt und erst im Verlaufe der 
weiteren Hebeldrehung allmählich in diagonale Richtung übergeht. 
Beim Nachlass des Zuges resp. des Druckes der Hände auf die Griffe, 
schnellen dieselben in die Ausgangsstellung selbst zurück. Die 
üebung wird etwa 50mal wiederholt. Den Grad der zu erreichenden 
Umkrümmung überlasse ich der Gewissenhaftigkeit und Energie des 
Hebenden. Durch gutes Beispiel angeeifert bringen es auch Anfänger 
und empfindliche Patienten zu einem alsbald durchaus befriedigenden 
Resultate. 

Aus meinen hier angeführten Redressionsbehelfen und deren 
Verwendung ist gewiss zu ersehen, dass ich durch meine Bedenken 
gegen die allgemeine Verwendung der Wullstein’schen Methode bei 
minder hochgradigen Skoliosen durchaus nicht einer blossen Schein¬ 
behandlung der Skoliose das Wort reden wollte, wie solche namentlich 
hier zu Lande vielfach überhand genommen hat. Einem üebel, welches 
das Lebensglück der Betroffenen in hohem Maasse bedroht und nicht 
selten sich so hartnäckig erweist, dass bereits ein ganzes Heer von 
Heilgeräthschaften und Heilmethoden fruchtlos dagegen angewandt 


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606 


K. M. Schwarz. 


wurde, muss zweifellos mit energischen Mitteln begegnet werden. 
Doch darf das Heilmittel nicht Schädlichkeiten zur Folge haben, 
welche bedenklicher sind als das bekämpfte Uebel selbst. Als solche 
zähle ich bei Wullstein’s Methode die tibergrosse Längsdehnung 
der ganzen Wirbelsäule, welche die Disposition zur weiteren Zu¬ 
nahme der Skoliose vermehrt, sowie den nicht abnehmbaren, im- 
mobilisirenden Verband, der den allgemeinen Gesundheitszustand 
nacbtheilig beeinflusst. In beiden Richtungen habe ich vor Jahren 
bereits ungtinstige Erfahrungen gemacht. Wullstein berichtet wohl, 
bei seiner Behandlungsart „äusserst gtinstige Beeinflussungen des 
Allgemeinbefindens gesehen“ zu haben, was ich für die sehr hoch¬ 
gradigen Skoliosen — aber eben nur bei solchen — als Folge der 
erzielten ausgiebigen Entlastung der Brust- und Bauchorgane eben 
vollständig erklärlich finde. Die bildlich dargestellten Heilresultate 
Wullstein’s — insbesondere Fall Kurt Rumpf — erscheinen so 
ausserordentlich gtinstig, wie wir sonst nicht gewöhnt sind zu 
erwarten oder zu erreichen. Wtinschenswerth wäre nur, dass solche 
Heilresultate nicht tiur nach Monaten, sondern auch nach Jahren 
wirklich Bestand erweisen. Erst dann wird die Methode Wullstein's 
ihre Feuerprobe bestanden haben. Bei einem so ausserordentlich 
langwierig chronisch verlaufenden Leiden, wie dies eben bei der 
Skoliosis der Fall ist, hat gewiss jeder Fachcollege die Erfahrung ge¬ 
macht, Fälle aus der Behandlung entlassen zu haben, deren Haltungkaum 
nach irgendwelcher Richtung noch etwas zu wünschen tibrig liess, 
und doch sieht man von diesen Fällen nach wenig Jahren einige 
mit ausgesprochener Skoliose wieder. Eine zu kurze Behandlungs¬ 
dauer kann auch bei den gewaltsamsten Redressionen keine befrie¬ 
digenden Dauerresultate bieten, weil die Appositionskräfte des Or¬ 
ganismus den zu rasch Weg bahnenden Redressionen nicht ebenso 
rasch nachfolgen können, und der idealste Heilerfolg kann den Patienten 
durchaus nicht vor einem Recidiv schützen, wenn Patient beispiels¬ 
weise sich einer Beschäftigung hingibt, welche erfahrungsgemäss 
zu einer andauernden asymmetrischen Körperhaltung Veranlassung 
gibt oder wenn dessen GesundheitsVerhältnisse andauernd ungünstig 
sind oder wenn gar beides der Fall ist. Die Ergebnisse dieser Er¬ 
fahrungen sind für mich das Leitmotiv meiner Skoliosenbehandlung. 

Nach allmählicher Einübung täglich ausgeführte, energische 
Redressionsübungen, möglichst local auf den Scheitel der Deviation 
beschränkt, jedoch ohne gewaltsame Längsdehnung der Wirbelsäule. 


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lieber einige orthopäd. Uebungsapparate und deren Verwendung. 607 

Bei ernsteren Fällen ein stark detorquirendes, abnehmbares Gips- oder 
Ledercorset^); Kopfhalter nur in jenen Fällen, wo die HauptkrUm- 
mung in den oberen Brust- oder in den Halswirbeln ihren Sitz hat. 
Wir kennen ja alle die Antipathie der Patienten gegen diese äusser- 
lich auffallende Beigabe. Hat die Deviation merklich nachgegeben, 
so kann die Behandlung eingeschränkt werden: 2—3mal in der 
Woche je eine Stunde Redressionsübungen; also nur soviel, als jugend¬ 
liche Individuen überhaupt körperlichen Uebungen an Zeit zumindest 
widmen sollen; dabei kann Patient seinen Obliegenheiten ungestört 
wieder nachgehen — Schulbesuch u. a. — bis auf möglichste Ver¬ 
meidung jeglichen Uebermasses, nebst solcher Beschäftigung über¬ 
haupt, welche erfahrungsgemäss zu asymmetrischer Körperhaltung 
Anlass gibt: Handarbeiten, Zeichnen, Schrägschrift, Lastentragen, 
schwere Sprungarten u. dergl. Diese reducirte Behandlung, welche 
von Patienten weder viel Zeit, noch auch empfindliche materielle 
Opfer fordert, empfehle ich jedoch möglichst lange fortzusetzen; bei 
adolescenten Individuen zumindest über die Pubertätsperiode hinaus, 
zu welcher Zeit sich ja bekanntlich die meisten Skoliosen gerne ver¬ 
schlimmern. Eine so protrahirte Skoliosenbehandlung ergibt für ein 
günstiges Endresultat die günstigsten Chancen und bedeutet doch für 
den Patienten keine grösseren Zeit- und Geldopfer als das Jugend- 
tumen überhaupt. Die Wachsthumskräfte des jugendlichen Organismus 
können in die ihnen von den Redressionsübungen freigemachten 
Bahnen allmählich nachfolgen. Der stete Contact mit dem Patienten 
bietet dem Arzte Gelegenheit, die Lebensgewohnheiten des ersteren 
in einer dem Endzwecke der Kur zuträglichsten Art constant zu be¬ 
einflussen ; die stete Controlle des Zustandes des Patienten ermöglicht 
ein eventuell sofortiges energisches Eingreifen für den Fall, dass 
die weitere Besserung nicht befriedigend fortschreitet u. s. w. Nach 
vieljähriger Erfahrung habe ich die feste Ueberzeugung, dass jene 
skoliotischen Patienten den grössten Nutzen von der orthopädischen 
Behandlung davontragen, welche sich derselben in einer wenn auch 
milden und wenig zeitraubenden Form, aber durch eine bedeutend 
längere Zeitperiode als bisher gebräuchlich unterziehen können. Dabei 
trachte ich den allgemeinen Gesundlieitszustand des Patienten mög¬ 
lichst günstig zu beeinflussen, was zwar durchaus nicht zu einer 


*) Das Nähere über meine orthopä4. Corsets demnächst in einem be¬ 
sonderen Aufsatze. 


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608 


K. M. Schwarz. 


Ankylosirung der Wirbelsäule, wohl aber zu einer erwünschten Derb¬ 
heit und Strammheit sämmtlicher Gewebe beiträgt. Dazu gehören 
nebst anderem auch allgemeine Turnübungen, welche ich von den 
Patienten zwischen je zwei Redressionsübungen an Geräthen für 
allgemeines Turnen ausführen lasse, mit denen meine Anstalt reich¬ 
lich ausgestattet ist. Variatio delectat. Es ist mir lieb, wenn meine 
Patienten mit Lust und Energie an die Ausführung ihrer Uebungen 
herantreten, wozu der Wechsel zwischen den ernsten Redressions- 
Übungen und den anregenden aUgemeinen Turnübungen jedenfalls 
beiträgt. Zudem lassen sich an einzelnen Turngeräthen Uebungen 
ausführen, welche als ganz ausgiebige ümkrümmungen der skolio- 
tischen Wirbelsäule gelten können, so z. B. eine ausgiebige üm- 
krümmung der Brustwirbelsäule beim Stemmen im Liegestütz am 
Barren, indem die der Concavseite entsprechende Hand am Holmen 
um Handbreite weiter vom fasst und der Ellbogen derselben beim 
Beugen nach aussen gerichtet wird, während der zweite convexseitige 
Ellbogen nach hinten gerichtet bleibt. 

Ich kann mir natürlich bei weitem nicht schmeicheln, dass ich 
vielleicht alle meine skoliotischen Patienten mit tadellosem Wüchse 
aus der Behandlung entlasse, sondern in den meisten Fällen mit einer 
mehr oder weniger vollkommenen Correction ihrer Körperhaltung, 
aber — bis auf wenige Ausnahmen — durchwegs mit gehobener 
Allgemeinernährung und gekräftigter Musculatur, welches den verhält- 
nissmässig verlässlichsten Schutz gegen Recidive oder gar weitere 
Zunahme der Skoliose bietet. Die wenigen Ausnahmen eines Miss¬ 
erfolges betreffen hauptsächlich jene Fälle, deren sonstiger Gesundheits¬ 
zustand vieles oder gar alles zu wünschen übrig lässt und trotz aller 
dagegen getroffenen Vorkehrungen hartnäckig ungünstig verbleibt. 

Die Berechtigung des Einwandes, dass es ja einer grossen An¬ 
zahl von Patienten nicht möglich sei, der als weitaus zweckmässigst von 
mir angesehenen, protrahirten, milderen Behandlungsweise eventuell 
durch einige Jahre sich zu unterziehen, muss ich widerspruchslos 
zugeben. In solchen Fällen, besonders wenn dieselben ernsterer Art 
sind, muss man natürlich trachten, während der ganzen für die Be¬ 
handlung in der Anstalt zugestandenen Zeit, durch möglichst energische 
Redressionsübungen den Rumpf ausgiebig zu mobilisiren und die 
erreichte Besserung mittelst stark detorquirender, jedoch abnehmbarer 
Corsets, eventuell unter Zugabe eines Kopfhalters in möglichst weit 
deskoliosirter Stellung festzuhalten. Nach Abschluss der Behandlung 


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Ueber einige orthopäd. Uebnngsapparate und deren Verwendung. 609 

in der Anstalt darf man selbe jedoch durchaus nicht als vollständig 
beendet ansehen, sondern dem Patienten, je nach d.em Falle, eine 
Anzahl in der Häuslichkeit leicht auszuftihrender Redressionen, zu¬ 
mindest der Selbstredressionen imstande, und auch sonst zweckgemässes 
Verhalten zur Gewissenspflicht machen und eine weitere Controlle des 
Falles in regelmässigen, möglichst kurzen Zwischenräumen fordern. 
Die Wullstein'sche Behandlungsart der Skoliose belasse ich mir 
aber nur für jene Fälle, welche Wullstein selbst in die Rubrik 
«Aeusserst hochgradige Kyphoskoliosen*^ einreiht. 


Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 


40 


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XXXIX. 


Ein einfacher nener Eyphosenapparat. 

Von 

Dr. Schlee-Braunschweig. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Im Nachstehenden möchte ich den Collegen kurz einen ein¬ 
fachen Apparat zur Nachprüfung empfehlen, als vielleicht nicht un¬ 
wirksames Hilfsmittel in der langwierigen und meist wenig erfreu¬ 
lichen Behandlung des „runden Rückens**. Auf den ersten Blick, 
dem Zander'schen „Brustkorbdreher** (Hoffa, Lehrbuch der ortho¬ 
pädischen Chirurgie, 3. Auflage, S. 423) nicht unähnlich, stellt derselbe 
eine Vereinigung von activer Muskelübung und passivem Redresse¬ 
ment dar in Gestalt der einfachen schiefen Ebene, combinirt mit Pelotten- 
druckwirkung. Letztere wird erzeugt nach dem System der Zug¬ 
druckwirkung, welches der Constructeur, Oberwärter Trennert- 
Braunschweig, bereits in einer grösseren Anzahl anderer Apparate 
zur Anwendung gebracht hat (vergl. Centralblatt für Chirurgie 1902, 
Nr. 49, „Die Trenn er tuschen Apparate zur Mobilisirung versteifter 
Gelenke** von Professor Sprengel-Braunschweig). Constructions- 
und Anwendungsart erhellt wohl ohne weiteres aus den beistehen¬ 
den Abbildungen. Hervorzuheben als in der Wirkung besonders 
erwünscht ist vielleicht, dass die Einwirkung des Pelottendruckes 
einsetzt in dem Augenblicke, in welchem die active Muskelwrirkung 
des Patienten — in Form der Hebung des Gewichts — ausseüt. 
einen Muskelwiderstand also nicht mehr zu überwinden braucht. Der 
Patient muss entweder zur Hebung des Gewichts seine Arm-Schulter- 
musculatur anspannen oder mit Nachlassen desselben sich die Cor- 
rection seiner Kyphose durch die Pelotte gefallen lassen; da Beiden 


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Fig. 1. 


Ein einfacher neuer Ejphosenapparat. 


611 


ihm in kurzen Zeiträumen gleich fQhlbar wird, so sucht er von selbst 
eine ausgleichende Abwechslung durch regelmässiges Anziehen und 



Sinkenlassen des gewichtbelasteten Hebels und erzielt so von selbst 
die erstrebte gleichmässige Wechselwirkung, mit der sich dann noch 


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612 


Scblee. Ein einfacher neuer Kyphoaenapparat. 


ebenfalls in ungezwungener natürlicher Weise eine gleichmässige 
Athraungsgymnastik combinirt. 



Ich glaube den Apparat zur Nachprüfung wohl empfehlen 
zu dürfen. 


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XL. 


(Aus dem Hamburger Medico-mechanischen Zander-Institut.) 

Die Vorwärtslagerung des Sclmltergiirtels als 
Ealtangsanonialie nnd in Beziehung znm „runden 

Kücken“. 

Von 

Dr. K. Hasebroeb. 

Mit 6 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Es gibt eine Form der „schlechten Haltung“ der Kinder, welche 
in nichts anderem besteht, als in einer anormalen Lage des Schulter¬ 
gürtels. Es scheint mir, als wenn man sich im allgemeinen nicht 
hinreichend Rechenschaft gegeben hat über diesen Zustand, jedenfalls 
demselben nicht die genügende Bedeutung beilegt und speciell nicht 
scharf genug trennt vom wahren Rundrücken. Ich halte es für be¬ 
rechtigt, in der Vorwärtslagerung des Schultergürtels ein bestimmtes 
Bild zu umgrenzen. Es übertrilft der vorstehende Haltungstypus an 
Häufigkeit weitaus den wahren Rundrücken und vollends die Sko¬ 
liosen; es ist also auch praktisch von Wichtigkeit, dieses Bild 
näher zu beschreiben und hinsichtlich einer systematischen Behand¬ 
lung festzulegen. 

Es ist hinlänglich bekannt, wie beim wahren Rundrücken, 
welcher in einer Verstärkung der normalen kyphotischen Krümmung 
der Wirbelsäule besteht, durch die der Wirbelsäule folgenden abnorm 
gewölbten Thoraxhälften die Schulterblätter beiderseits mit ihren 
unteren Winkeln abgehebelt werden. Die Krummheit des Ober¬ 
rumpfes wird hierdurch, besonders unter den Kleidern, noch aus¬ 
geprägter. 

Aeusserlich ganz ähnlichen Gestalten begegnet man nun, bei 
denen man nach der Entkleidung erstaunt ist, weder eine besonders 
stark entwickelte Kyphose der Wirbelsäule noch eine abnorme 
Wölbung des Thorax zu finden: Die Wirbelsäule ist normal, ja 


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614 


K. Hasebroek. 


bisweilen ausgesprochen indifferent in ihrer anterior-posterioren 
Krümmung und die seitlichen Thoraxpartien erscheinen beim Visiren 
über den Rücken in Vorbeugehaltung eher flach als gewölbt. Als 
einziger Grund der schlechten Haltung im Rundrückenstil — sit 
venia verbo — ergibt sich bei näherem Zusehen eine primäre 
Vorwärtslagerung des Schultergürtels mit nach vorn 
und abwärts geschobenen Schulterblattgelenkfortsätzen 
und abgehobenen Schulterblattwinkeln. Dass dies im 
Wesentlichen der primäre Grund ist, geht aus folgendem hervor: 
im Falle es gelingt — hinter dem Rücken des Kindes stehend, die 
Daumen auf die Scapulae gesetzt, die Zeige- und Mittelfinger haken¬ 
förmig vor den Humeruskopf gelegt — den Schultergürtel zurück¬ 
zuziehen, resp. in toto rückwärts zu lagern, verschwindet der 
„runde Rücken“. Ferner: wenn die Kinder selbst activ im 
Stande sind, die Schulterblätter zurückzuholen, so verwandelt sich 
eine vorher krumme Gestalt geradezu überraschend in eine tadel¬ 
lose Figur. 

Es ist keineswegs die Streckung der Wirbelsäule, welche man 
ja auch als das Primäre der Correction auffassen könnte: dieser 
Vorgang tritt entschieden zurück gegenüber der Rückwärtsbewegung 
des Schulterringes oder kommt secundär erst hinzu. 

Die beiden folgenden Bilder (Fig. 1 u. 2) illustriren die Haltungs- 
anoraalie und deren Correction. Wenn es nicht gelingt, bei solchem 
Vorversuch, möchte ich sagen, den Schultergürtel passiv zurückzuziehen 
oder activ zurückholen zu lassen, so findet man, dass der Schulter¬ 
gürtel in seiner Beweglichkeit nach hinten versteift ist. Derselbe 
erscheint bisweilen wie festgemauert und ist auf dem Thoraxkegel 
nur um ein geringes nach hinten zum Gleiten zu bringen. 

Wir unterscheiden am besten von diesem Gesichtspunkt der 
Versteifung praktisch bei der Systematisirung unserer Haltungs- 
anoraalie zweierlei: entweder 

1. der Patient ist überhaupt ausser Stande sich selbst 
zu corrigiren oder passiv corrigiren zu lassen wegen 
Rigidität des Schulte rgürtels, oder 

2. der Patient kann leicht passiv corrigirt werden, 
auch sich selbst corrigiren durch active Zurückholung 
des Schulterringes, thut es aber nur auf eine jedes¬ 
malige Aufforderung hin für kurze Zeit, erscheint so- 


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Die Vorwärtslagerung des Schultergürtels etc. 


615 


mit den Angehörigen für gewöhnlich in der schlechten 
Haltung eines runden Rückens. 

Man muss sich nun zunächst fragen: Worauf ist die Rigidität 
des Schultergürtels zurückzuführen ? Diese kann nur in den B a n d- 


Fig. 1. Fig. 2. 





Verbindungen oder in der Musculatur, welche den Schulter- 
gürtel bewegt, liegen. 

In ersterer Hinsicht kommen in Betracht einige Bänder, welche 
die Verschiebung der einzelnen Theile des Schultergürtels beim Gleiten 
nach rückwärts verhindern. Es sind das in der Hauptsache: 

1. Das Ligamentum costo-claviculare, das Hemmungs¬ 
band für die Clavicularbewegung auf der ersten Rippe, vielleicht 
auch für die gleichzeitig stattfindende Drehung der Clavicula um 
ilire Längsachse. 

2. Das Ligamentum coraco-claviculare, welches für 
die Grösse des Winkels zwischen Clavicula und Acromialfortsatz der 
Scapula bestimmend ist. 

Wenngleich man der mehr oder weniger grossen Straffheit 
dieser Bandverbindungen einen Einfluss auf die Rigidität des Schulter¬ 
gürtels nicht wird absprechen können, um so weniger nicht, als in 


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616 


K. Hasebroek. 


neuester Zeit man der Verschiebung der Theile im Acromionclavicular- 
gelenk für die Bewegung viel grösseres Gewicht beilegt als früher^), 
so weist dennoch alles darauf hin, dass in erster Linie die Mus- 
culatur die Ursache der Versteifung ist. Es ist eben die Mus- 
culatur, welche am Lebenden Stellung und Lage des Schultergürtels 
bestimmt, nicht die Bänderspannung^). Und zwar ist der jeweilige 
Gleichgewichtszustand zwischen den resp. Synergisten und Antagonisten 
in Verbindung mit der Schwere das Ausschlaggebende für die durch¬ 
schnittliche Ruhelage des Schultergürtels auf dem Thoraxkegel. Es 
kommen in letzterer Beziehung vor allen Dingen in Betracht die an 
der Scapula angreifenden Muskeln. 

Die Scapula kann man sich mit ihrer Basis eingefügt denken 
in ein Muskelband, welches mit dem M. rhomboideus von der 
Medianlinie des Rückens hinten oben beginnt und, schräge lateral 
abwärts ziehend, vorne unten am Thorax mit dem M. serratus 
major endigt. Je nachdem der untere Serratus oder der obere 
Rhomboideus zieht, verändert die Scapula ohne wesentliche Flächen- 
kantung ihre Lage nach vorn abwärts oder hinten aufwärts, wobei die 
Clavicula, um das sternale Ende herum auf der ersten Rippe gleitend, 
entsprechend folgt. Unterstützt wird die Zugwirkung nach hinten: 
direct durch die darüber liegenden Bündel des M. trapezius, indirect 
durch M. latiss. dors.; nach vorne: direct durch den M. pecto- 
ralis minor, indirect durch den am Humerus angreifenden M. pec- 
toralis major. 

Die „Stellung“ der Scapula, welche in der für unsere Haltungs¬ 
anomalie besonders in Frage kommenden Abhebelung ihrer Fläche 
besteht, kann einerseits durch directe Wirkung des am Proc. cora- 
coideus nach vorne ziehenden M. pectoralis minor, welcher den 
lateralen Theil des Schulterblattes „ventral fusswärts“ zieht, hervor¬ 
gerufen werden und tritt andererseits bei dem Ausfall der bekannten, 
die Scapula am Thorax anheftenden Componente des M. Serratus 
anticus und des M. trapezius auf. 

Die Bedeutung des Ausfalles der adductorischen Function des 
Trapezius ist erst in neuester Zeit richtig erkannt worden. Aus einer 
interessanten Beobachtung aus der Breslauer Klinik^) geht hervor, 

R. duBois-Reymond, Specielle Muskelphyaiologie. Berlin 1903, S. 152. 

*) Pansch, Anatomie 1881, S. 142. 

Schultz, Zeitschr. für Nervenheilkunde Bd. 23 Heft 1 u. 2. Zur 
Frage der Innervation des M. cucullaris. 


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Die Vorwärtslagerung des Schultergürtels etc. 


617 


dass 1. die Schaukelstellung der Scapula, 2. das Abstehen des 
unteren Angulus vom Thorax bei intactem M. serratus durch isolirte 
Lähmung des Trapezius eintreten kann. Der Trapezius ist nach dieser 
Schultz’schen Untersuchung functionell in 3 Bündel zu zerlegen: 
in eine claviculare, acromiale und adductorische Partie, von denen 
die erstere und letztere überwiegend vom N. accessorius, die mittlere 
von Cervicalnerven innervirt wird. Wenn bei erhaltenem Serratus 
die Abhebelung der Scapula in dem Schultz*schen Falle eintreten 
konnte, so liegt es sehr nahe, nicht allein nach dem Ausfall des Trapezius 
die Schwere, sondern auch das Ueberwiegen eines Antagonisten mit 
verantwortlich zu machen. Das könnte kaum ein anderer Muskel 
sein, als der M. pectoralis minor. 

Fassen wir die uns interessirende, zu der guten Haltung „Brust 
heraus“ nöthige durchschnittliche Ruhelage des Schultergürtels ins 
Auge, so wird dieselbe im Wesentlichen — die genauere Analyse 
dürfte ausserordentlich schwierig sein — hergestellt und erhalten: 
durch ein Ueberwiegen einer synergistischen Thätigkeit 
der Mm. rhomboidei, trapezii und latissimi dorsi über eine 
antagonistische Thätigkeit der Mm. pectorales min. und maj. 
und über die Schwere. Der M. serratus anticus kommt mit 
derjenigen Componente, welche die Scapula an den Thorax 
presst, als Synergist, mit der anderen, vorwärts abwärts 
ziehenden, als Antagonist in Betracht. 

Eine Veränderung des Gleichgewichtszustandes zwischen Syner¬ 
gisten und Antagonisten kann hervorgerufen werden entweder durch 
primäre Contractur der letzteren oder durch einen Schwächezu¬ 
stand der ersteren. Die Schwere wirkt im Sinne der Antagonisten 
und macht sich besonders bei dem Schwächezustand der Synergisten 
geltend. In allen Fällen resultirt die Vorwärtslagerung des Schulter¬ 
gürtels mit mehr oder weniger gleichzeitiger Abhebelung der unteren 
Winkel der Scapulae. 

Man kann hiernach zwei Typen unterscheiden, die ich an 
einigen Fällen illustriren möchte, welche, weil sie halbseitig sind, 
besonders übersichtlich die Verhältnisse darstellen. 


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K. Hasebroek. 


Typus I. 

Gleichgewiclitsstöriing durch Contractur der Antagonisten. 

Fall 1. Ida K., 14 Jahre alt. In letzter Zeit allmählich aufgetretene 
^hohe Schulter“ rechts, mit Schmerzen in derselben. Sonst gesund, auch immer 
gesund gewesen. Status: Auf den ersten Anblick glaubt man eine Scoliosis 
dorsal, dextr. vor sich zu haben. Hochgradige Druckempfindlichkeit über der 
Schulterblattgräthe und vorne am M. pectoralis major und, bei tiefem Eingehen 
in die Achselhöhle, auch am M. pectoralis minor, welcher scharf angespannt 
erscheint. Jedes Zurückbringen des rechten Schulterhalbringes oder der Scapula 
ist selbst mit beträchtlicher Gewalt nicht möglich, der Versuch dazu ist äusserst 
schmerzhaft in der ganzen rechten Schulter. Die Wirbelsäule ist gerade, der 
Thorax erscheint beim Vornüberbeugen symmetrisch. Auch besteht keine 
Kyphose der Brustwirbelsäule oder irgendwelche kyphotische Wölbung des 
Thorax. Die rechte obere Extremität ist zugleich nach einwärts gedreht, die 
Supination der Hand bei im Ellenbogen gestrecktem hängenden Arm schmerz¬ 
haft in der Schulter, die passiv in Supination gebrachte Hand federt in 
Pronation zurück. — Diagnose: Hysterische (?) Contractur im Gebiete des 
M. pectoralis major und minor, oberen Theil des M. trapezius und im Gebiet 
der Einwärtsdreher des Oberarmes. 

Aus den Bildern (Fig. 3 u. 4) ersieht man ohne weiteres die 
Vorlagerung des rechtseitigen Schulterhalbringes mit der charakte- 

Fig. 3. Fiir 4. 




ristischen Abhebelung des Angulus scapulae. Trotzdem die Wirbel¬ 
säule keineswegs verstärkt kyphotisch ist — man sieht ihr tiefes 
Niveau deutlich auf dem Bild (Fig. 4) — und trotz des fehlenden 


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Die Vorwärtslagerung des Schultergürtels etc. 


619 


rechtsseitigen Rippenbuckels haben wir den Eindruck einer rechts¬ 
seitigen starken Wölbung. Wäre dieser Fall doppelseitig, so hätten 
wir äusserlich betrachtet einen ganz gewaltigen Rundrücken. Be¬ 
sonders eclatant tritt dieses von der Seite gesehen hervor. (Fig. 3.) 
Der Fall ist gar nicht anders wie als Contractur des Pectoralis major 
und minor und der acromialen Partie des M. trapezius aufzufassen: 
Die hochgradige Druckempfindlichkeit in diesen Muskeln in Verbindung 
mit der gleichsam festgemauerten Lage der Scapula ergänzen sich 
durchaus. 

Fall 2. Otto S., 12 Jahre alt. Kommt aus der Pension zu den Oster¬ 
ferien 1903 nach Hamburg mit einer, wie die Mutter sagt: »hohen rechten 
Schulter, während der Junge früher stets kerzengerade war.“ Status: Be¬ 
sonders kräftiger musculöser Knabe mit gesündester Gesichtsfarbe. Es fällt 
sofort die Vorwärtslagerung des rechten Schulterhalbringes mit abgehebelter 
Scapula auf. Entfernung des unteren Scapulainnenrandes von der Wirbelsäule 
rechts 8 cm, links Ö'/a cm. Auch der obere Scapulawinkel springt deutlich 
vor. Es ist auch mit Gewalt nicht möglich den Schulterhalbring resp. die Scapula 
rückwärts zu lagern. Beim Abtasten findet sich mässige Schmerzhaftigkeit in der 
clavicularen Portion des M. trapezius und ausserordentliche Druckempfindlich¬ 
keit im M. pectoralis minor, wenn man dessen Muskelbauch oder Sehne 
zwischen tief hinter die vordere Achselculisse eingeführtem Daumen und dem 
Zeigefinger fasst. In der Vornüberbeuge zeigt sich völlige Symmetrie beider 
Thoraxhälften; links Pectoralis und Trapezius nicht druckempfindlich. An 
der rechten Nackenseite reichliche Residuen frisch abgeheilter Furunkeln in¬ 
folge einer seit Weihnachten aufgetretenen Furunculose. 

Auch in diesem Falle lässt die hohe Empfindhchkeit des 
M. pectoralis minor in Verbindung mit dem festgestellten vor¬ 
wärtsgezogenen Schulterhalbring auf eine Contractur vorwiegend 
dieses Muskels schliessen. Den Grund derselben dürfen wir mit 
berechtigter Wahrscheinlichkeit in reflectorischen Einfiüssen unter 
der von Weihnachten bis Ostern währenden Furunculose suchen: 
Contracturstellungen unter dem Einfiuss von Schmerzen sind genug¬ 
sam bekannt, desgleichen eine sich alsdann entwickelnde Emfindlich- 
keit der contrahirten Musculatur. Ich erinnere nur an die Jschias 
scoliotica. 


Typus II. 

Gleichgewichtsstörung durch Parese und Schwäche der Synergisten. 

Fall 3. Fräulein J., 16 Jahre alt. April 1899 Drüsenexstirpation an 
der linken Halsseite. Seitdem »Hängen der linken Schulter und Her¬ 
vortreten der linken Rückenseite“. Status: 10 cm lange alte Opera- 


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K. Hasebroek. 


tionssarbe am hinteren Rande des M. sternocleidomastoideus entlang. — Der 
linke untere Schulterblattwinkel steht 3 cm höher und 2’/* cm von der Wirbel¬ 
säule weiter entfernt als der rechte. Das Schulterblatt ist in toto zugleich vor- 
wärtsgelagert und abgehebelt. M. trapezius ist über der lateralen Schulter¬ 
blattgräte atrophisch, fast lappig zu nennen, wenn man ihn mittelst Daumen 
und Zeigefinger fasst; Gegend des M. rhomboideus desgleichen deutlich mager. 
Passiv kann man leicht Schulterhalbring und Scapula in normale Lage zurück¬ 
holen; auch activ kann diese corrigirte Stellung auf kurze Zeit inn^ehalten 
werden, alsdann lagert sich die Scapula wieder unter Kantung lateralwärts 
vorwärts. Leichte Scoliosis dorsal, sin. mit leichter Torsion links dorsal. 

Das uns besonders Interessirende (Fig. 5) ist die Vorwärts¬ 
lagerung des linken Schulterhalbringes mit der Flächenkautung der 


Fig. 5. 



Scapula. Wenngleich auch eine leichte dorsale Torsion der Wirbel¬ 
säule vorliegt, so ist, in der Aufrechthaltung des Körpers, dennoch 
die primäre Abhebelung des Schulterblattwinkels die Hauptursache 
des linksseitigen scheinbaren Hochstandes der Scapula und der Rund¬ 
heit des Rückens. Das paradoxe „Hängen“ der Schulter wird nur vor¬ 
getäuscht durch die Atrophie des die Nackencontur liefernden Trapezius. 
Interessant ist hier, dass die Abhebelung der Scapula wie in der 
Schultze’schen Beobachtung sicherlich durch die Parese des adductori- 
schen Trapeziusbündels hervorgerufen wird, welches vom Accessorius, 


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Die Yorwärtslagening des Schultergürtels etc. 


621 


dem am meisten bei der Operation gefährdeten Nerven, innervirt 
wird. So wird bei erhaltenem Serratus die Abhebelung der Scapula 
erst verständlich. — Es ist besonders aufmerksam zu machen auf 
die grosse Aehnlichkeit des Bildes Fig. 5 mit Fig. 4, welche eine 
treffende Illustration dazu liefert, wie Contractur der Vorwärtslagerer 
und Lähmung im Gebiet der Rückwärtslagerer des Schulterringes das¬ 
selbe Bild hervorrufen können. 

Der folgende Fall wurde instructiv dadurch, dass der Rücken 
des Kindes mir durch häufige vorhergegangene Controlluntersuchungen 
aus anderen Gründen genau bekannt war und die Vorwärtslagerung 
des Schultergürtels sich acut vollzog. 

Fall 4. Irma E., 10 Jahre alt, seit November 1902 in meiner Behand¬ 
lung wegen unbedeutender Haltungsanomalie, aber mit symmetrisch gestellten 
Scapulae, wird mir am 1. Februar 1903 von der besorgten Mutter vorgeführt 
wegen des auffallenden rechtsseitig vorspringenden Rückens, was sich in 
kurzer Zeit entwickelt haben soll. Status: Aeusserlich, ähnlich wie Fig. 4, 
das Bild eines rechtsseitigen Rippenbuckels, mit vorwärtsgelagerter, stark 
abgehebelter rechter Scapula, welche im ganzen etwas höher steht als links. 
Wirbelsäule gerade, Thoi axsymmetrie in Vorbeugehaltung nicht gestört. Rechte 
Scapula mit dem Schulterring passiv leicht, activ nur unter rechtsseitigen 
Schmerzen rückwärts zu lagern. Beim Abtasten findet sich hochgradige Empfind¬ 
lichkeit in der adductorischen Partie des M. trapezius und über dem M. rhom- 
boideus. M. pectoralis major und minor frei von Druckschmerz. 

Die Mutter gibt auf meine näheren Recherchen an, dass das 
Kind in den letzten Wochen leidenschaftlich, ja unmässig an 
ihren häuslichen Turnringen geturnt habe und auch über 
Schmerzen in der rechten Schulter in den letzten Tagen geklagt 
habe. Die umschriebene Schmerzhaftigkeit im Mm. trapezius und 
rhomboideus legt also die Vermuthung nahe, dass es sich um eine 
acute Ueberanstrengung gehandelt hat, welcher in diesem Fall ein 
Ausfall der Function gefolgt ist. Es scheint mir dies die einzig 
mögliche Erklärung, da weder die nach vorwärts ziehenden Pectoral- 
muskeln empfindlich oder gespannt waren, noch eine Versteifung des 
Schultergürtels vorhanden war. Gerade das Turnen an den Ringen 
nimmt die Rückwärtszieher der Scapula arg mit. Die Richtigkeit 
dieser Annahme ergibt sich in weiterem Verfolg aus dem Umstande, 
dass nach sofortigem Verbot der Turnübungen und Verordnung von 
Massage der Muskeln die ganze Affection in 14 Tagen wieder zu¬ 
rückging und das rechte Schulterblatt wieder normal stand. 

Im Bilde mit diesen beiden letzten Fällen übereinstimmend 


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622 


K. Hasebroek. 


präsentiren sich nun ganz allgemein, sowohl bei gerader Wirbelsäule 
und symmetrischem Thorax als in Verbindung mit einer Skoliose, 
zahlreiche einseitige Haltungsanomalien im Gebiete des Schulter¬ 
gürtels, für welche man nichts anderes verantwortlich machen kann, 
als eine von vornherein einseitig schlechte Entwicklung der 
Musculatur im Gebiet der Mm. trapezius und rhomboideus, 
auch wohl des M. serratus, soweit man den Nachweis durch 
Abtasten resp. Umgreifen des Schulterblattwinkels führen kann. Es 
handelt sich bei solchem einseitigen Muskelschwund ohne Frage um 
angeborene Anomalien, da man häufig geradezu Defecte im Muskel 
findet, wie sich im Vergleich mit der gesunden Seite schon durch 
das Auge leicht feststellen lässt. Ein lehrreicher Fall in dieser Be¬ 
ziehung ist folgender: 

Fall 5. Herr M., 18 Jahre alt, Kaufmann, Comptoirarbeiter, kommt zu 
mir mit dem Bemerken, dass .vom vielen Schreiben* seine .rechte 
Rückenseite vorstehe und die rechte Achsel hänge*. Er war bisher in 
anderer auswärtiger Behandlung: aus der Beschreibung der üebungen geht 
hervor, dass der Fall als 1 inks scitige Dorsalskoliose behandelt war. Status: 
Rechte Scapula etwas tiefer als linke, in viel geringerem Grade jedoch, als 
es dem scheinbaren Hängen der rechten Achsel entspricht. — Rechter 
Scapulainnenrand weiter entfernt von der Wirbelsäule als linker, Scapula mit 
dem unteren Angulus stark abstehend, letzterer weit zu umgreifen. Der M. 
trapezius dextr. über der Gräte des Schulterblattes und M. rhom- 
boideus dextr. deutlich magerer als links. Unbedeutende Scoliosis dorsal, 
sin. (wie man sie ohne Symptom oft sieht). Die elektrische Prüfung ergibt 
rechts Herabsetzung im M. trapezius gegen faradischen Strom, weniger nach 
Rollenabstand (rechts 8'ls, zu links 4) als besonders in trägerer Contraction sich 
zeigend. 

Es ist ganz klar in diesem Falle, dass trotz der angedeuteten 
Scol. dors. sin. nicht links die Anomalie liegt, wie es einer 
leichten Skoliose mit Hochständ der Scapula etc. entsprechen wurde^ 
sondern dass rechts das Anormale zu suchen ist. Die linke 
Scapula stand nicht zu hoch, sondern die rechte eher etwas zu tief, 
vor allen Dingen aber abgehebelt. Die linke Achsel stand nicht 
abnorm hoch, sondern die rechte erschien besonders durch die 
schlechte Entwicklung des Trapezius in der Nackenlinie abfallender. 

Solche Fälle findet man ungemein häufig und man kann bei 
den Complicationen mit einer Skoliose bisweilen lange im Zweifel 
sein, auf welcher Seite denn eigentlich die wahre Anomalie zu 
suchen ist. 


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I 




Die Vorwärtslagening des Schultergürtels etc. 


623 


Nachdem ich versucht habe, an der Hand der halbseitigen 
Vorwärtslagerung des Schulterringes die zu Grunde liegenden Ver¬ 
hältnisse darzulegen, kehre ich zur Besprechung der Vorwärtslagerung 
des gesammten Schultergürtels zurück. 

Zunächst gibt es nach Typus I Fälle, welche, wie es scheint, 
acuter einsetzen im Laufe von einigen Wochen. Kinder, welche 
sich bisher ausserordentlich gut gehalten und jedenfalls keinen An¬ 
lass zu Klagen gegeben haben, wandeln sich in kurzer Zeit um in 
rundrückige Gestalten. Als Beispiel: 

Fall 6. Elise Z.. 13 Jahre alt. Die Mutter gibt an, dass erst in ,aller¬ 
letzter Zeit“ das Kind einen runden Rücken bekommen habe; „ich weise 
dies bestimmt, da ich das Kind stets gut beobachtet habe“. Status: 
Typische versteifte Vorlagerung des Schultergürtels. Ellenbogenspitzen nur bis 
12 cm Distanz zusammenzubringen. Hochgradige Druckempfindlichkeit 
im M. pectoralis major und minor; letzterer als empfindlicher 
Strang von der Achselhöhle aus zwischen Daumen und Zeigefinger 
zu fassen. 

Der Fall erinnert in der Schmerzhaftigkeit direct an den ein¬ 
seitigen Fall 1 von „hysterischer“ Contractur. Ob eine ähnliche 
Aetiologie hier anzunehmen ist, lasse ich dahingestellt. Es kommt 
ja nur auf die zu registrirende Thatsache des acuteren Auftretens 
von contracturähnlichen Zuständen in den Brustmuskeln an. 

Einen weiteren eclatanten acuteren Fall theile ich mit, inter¬ 
essant durch seinen intermittirenden Charakter unter den Menses 
und besonders beweisend für die Richtigkeit meiner Auffassung von 
der ätiologischen Bedeutung der Pectoralismusculatur: 

Fall 7. Fräulein H., 16 Jahre alt. Wird am 26. August 1903 mir ge¬ 
schickt wegen allgemeiner Chlorose, Schwäche, Schmerzen in der Brust während 
der Periode und zu dieser Zeit besonders schlechter Haltung, „bestehend 
in Zusammengesunkensein der Brust“. Status: Schultergürtel vorwärts¬ 
gelagert, in typischer Weise den „runden Rücken“ bewirkend. Von vonie ge¬ 
sehen, treten Oberarmköpfe und Gelenkfortsätze der Scapulae markirt vor. Pec¬ 
toralis major und minor äusserst druckempfindlich, gespannt, und 
gibt die Patientin an, dass hier die periodischen Schmerzen seien. 

Nach vierwöchentlicher Massage Schmerzhaftigkeit verschwun¬ 
den, bis heute (16. October 1903) nicht wiedergekehrt. Haltung 
ganz erheblich besser. — 

Auch nach acuten Krankheiten scheinen zurückbleibende Con- 
tracturzustände in den Brustmuskeln die Vorwärtslagerung des 


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624 


K. Hasebroek. 


Schultergürtels nach sich zu ziehen. Wenigstens ist der folgende 
Fall kaum anders zu deuten. 

Fall 8. S. V. S., 12 Jahre alt. Vor einigen Jahren von mir bereits 
wegen ,runden Rücken* etc. mit V* Jahr Gymuastik und Geradehalter mit 
bestem dauernden Erfolg behandelt. Kommt jetzt unter Angabe der Mutter: 
dass, während die Haltung nach der damaligen Behandlung stets eine gute 
geblieben sei, erstens nach den Masern 1902 die Haltung sich wieder ver 
schlechtert habe, und zweitens nach einem im Sommer 1903 durchgemachten 
„gastrischen Fieber* das Kind sich vollends so schlecht halte und dies dt'm 
Hausarzt spontan so aufgefallen sei, dass die Aufnahme der Behandlung wieder 
empfohlen sei. Status: Typische Vorwärtslagerung des Schulter¬ 
ringes, welche durch stark abstehenden Schulterblattwinkel (be¬ 
sonders unter den Kleidern) den runden Rücken markirt. Schoa 
bei leichtem Abtasten der Brustmuskeln zuckt das Kind vor 
Schmerzen zusammen. Die Schmerzhaftigkeit ist localisirt im 
Pectoralis major und minor beiderseits, besonders intensiv an 
letzterem, wenn man denselben von der Achselhöhle aus fasst. Bei 
passivem Zurückholen des Schulterringes fühlt man spannenden Widerstand 
und empfindet das Kind hierbei Schmerzen im Bereich der Brustmuskeln. 

Diese Fälle, in denen aus einer bisher guten Haltung nach¬ 
weislich in kürzerer Zeit vorliegende Haltungsanomalie des Schulter¬ 
gürtels sich einstellt, stehen an Häufigkeit weitaus zurück gegenüber 
den Fällen, bei welchen über den Zeitpunkt des Auftretens des 
„runden Rückens“ nichts zu eruiren ist, in welchen es sich um 
Kinder handelt, die sich überhaupt noch niemals gerade gehalten 
haben. 

Was hier den Typus I mit musculärer Rigidität anlangt^ so 
kann deren Grundursache wohl schwerlich in etwas anderem als 
in einer angeborenen Disposition bestehen: in einer Veränderung des 
Gleichgewichtszustandes der Schultergürtelmusculatur, dadurch ver¬ 
anlasst, dass der allgemeine Tonus der vorwärtsziehenden 
Muskeln im grossen und ganzen demjenigen der rückwärts¬ 
ziehenden überlegen ist. 

Die Annahme, dass solche tonischen Ursachen auf der Basis 
einer bestimmten angeborenen Disposition sehr wahrscheinlich sind, 
möchte ich zu stützen suchen durch folgendes: man findet bei ge¬ 
nauerem Zusehen, dass ganz allgemein am Körper individuelle Ver¬ 
schiedenheiten existiren hinsichtlich des in der Ruhe eingestellten 
Aequilibers von resp. synergistischen und antagonistischen Muskel¬ 
gruppen. Man schenkt diesen „statischen“ Verschiedenheiten wenig 
Beachtung, da sie bei der activen Thätigkeit durchweg wenig 


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Die Vorwärtslagerung des Schultergürtels etc. 


625 


Ids Gewicht fallen. Man achte aber einmal bei Kindern auf das 
Verhältniss, welches zwischen Flexoren und Extensoren, Pronatoren 
und Supinatoren des Fusses z. B. besteht: man wird bemerken, wie 
bei den einzelnen Individuen der Fuss in der Ruhe eine durchaus 
verschiedene Gleichgewichtsstellung und Lage einnimmt und wie 
passiv ausgeführter Pro-Supination und Flexion-Extension gegenüber 
verschiedene Spannungsverhältnisse bestehen zwischen den resp. 
Synergisten und Antagonisten. Bei diesem Kinde constatirt man 
ausgesprochene Neigung zum Pes varo-equinus, bei jenem mehr zum 
Pes valgo-equinus etc. Schon H. v. Meyer erwähnt übrigens in 
seiner Statik und Mechanik des menschlichen Fusses (Jena 1886, 
S. 62), dass auch die Modificationen der Sohlengestalt offenbar durch 
Muskelwirkungen hervorgebracht werden. Diese Spannungsäusse¬ 
rungen des ruhenden Fusses klingen mitunter auffallend an pathologisch 
spastische Störungen an, so dass man oft geradezu verleitet wird, 
an abortive Zustände zu denken, wie wir sie von den angeborenen 
spastischen Kinderlähmungen her kennen. Fast noch ausgeprägter 
sind solche individuelle Verschiedenheiten des Gleichgewichtes zwischen 
Ein- und Auswärtsdrehem des Oberschenkels: hier findet man an dem 
in Rückenlage befindlichen Kinde trotz völlig erschlaffter Musculatur 
bisweilen einen so starken Spannungswiderstand gegenüber passiver 
Aussenrotation des Fusses, dass dieser, losgelassen, zurückfedert. Es 
sind das solche Kinder, welche beim Gehen die bekannte unschöne 
Innenrotation des Fusses beibehalten. Weiter gibt es leichte Span¬ 
nungen in den Adductoren der Oberschenkel, welche Veranlassung 
geben zu einer ganz bestimmten Gangart, welche an die des X-Beinigen 
erinnert. 

Sicherlich ganz analog nun finden wir auch am Schultergürtel die 
Vorwärtslagerung bestimmt durch angeborenes lieber wiegen des 
Tonus der vorwärtsziehenden Muskeln. 

Die Auflagerung des Schultergürtels auf den abfallenden Flächen 
des Rippenkorbes bringt es mit sich, dass gerade die Tonusverhält¬ 
nisse sich hier besonders ausgeprägt geltend machen müssen. Es 
ist sehr verführerisch, den Grund des so häufigen üeberwiegens 
der Vorwärtslager er des Schultergürtels in entwickelungsgeschicht¬ 
lichen Factoren zu suchen, denn erst mit dem Eintritt der aufrechten 
Haltung und des aufrechten Ganges sehen wir als Normalstellung 
des Schultergürtels dessen Rücklagerung eintreten. Bei den Vier- 
füsslem liegen Scapula und Schulterring vorwärts-seitwärts. Man 

Zeitschrift für orthopädische ('hirurgie. XII. Bd. 41 


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626 


K. Hasebroek. 


könnte mithin bei Kindern die Disposition für die Vorwärtslagerung 
des Schultergürtels als Residuum aus der Entwickelung betrachten^ und 
zwar mehr noch im Bereich der Innervation liegend, als in den ana¬ 
tomischen Verhältnissen* Seitdem von Ewald in Strassburg, durch 
seine Versuche über die Bewegungen der in die Todtenstarre über¬ 
gehenden Muskeln, im Ohrlabyrinth ein tonusbeherrschendes Organ für 
die Körpermusculatur wahrscheinlich gemacht worden ist, will mir 
das Vorkommen von dispositioneilen Verschiedenheiten in dieser 
Richtung jedenfalls theoretisch discutabel erscheinen. 

Mit der Annahme einer Art entwickelungsgeschichtlicher Aetio 
logie würde die Beobachtung übereinstimmen, dass die Vorwärts¬ 
lagerung des Schultergürtels in ganz überwiegendem Maasse nach 
meinen Beobachtungen bis zum 15. Lebensjahr vorzukommen scheint, 
während ältere Patienten mir nur ganz vereinzelt zugeführt werden. 
Ich schliesse daraus, dass die Haltungsanomalie allmählich von 
selbst mit den Jahren zurtickgeht. Zu erklären wäre dies als¬ 
dann einerseits durch die im Lauf der Jahre immer mehr geübte 
und ausgebildete Aufrechthaltung, andererseits durch die ebenfalls 
mit den Jahren ein tretende Verschiebung des Körperschwerpunktes 
nach vorne durch Zunahme des Gewichtes des Bauchinneren, und 
durch die Nothwendigkeit, deren Ausgleichung durch Rückwärts¬ 
lagerung der Arme resp. des Schultergürtels herbeizuführen. — 

Zu dieser „tonischen“ Disposition kommt jedoch ein zweiter 
Factor hinzu: dass bei den meisten Verrichtungen des ge¬ 
wöhnlichen Lebens die den Schulterring vorwärtsziehen¬ 
den Muskeln: Pectoralis major und minor viel häufiger 
und andauernder gebraucht werden als die Rückwärts¬ 
lag er er. Deshalb sehen wir auch bei professionellen Turnern, 
Artisten, auch bei Arbeitern oft einen „runden Rücken“, welcher sich 
bei näherem Zusehen lediglich als eine Vorwärtslagerung des Schulter¬ 
gürtels herausstellt. So ist z. B. bei einseitigen Barrenturnem diese 
Haltung so charakteristisch, dass man auf dem Turnplatz direct von 
einem „Barrenbuckel“ spricht. Die vorzugsweise beanspruchten und 
trainirten grossen und kleinen Brustmuskeln sind es, welche schliess¬ 
lich durch dauerndes üeberwiegen ihres Tonus dem Oberkörper jenes 
charakteristische Gepräge geben. 

Für den Typus II der Vorwärtslagerung des gesammten 
Schultergürtels, welcher bei Fehlen jeglicher Rigidität lediglich in 
einem Schwächezustand, richtiger in einer abnormen Ermüdbarkeit 


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Die Vorwärtslagetung des Schultergürtels etc. 


627 


i-ückwärtsziehender Muskeln besteht, kommt als auslösendes 
Moment die Schwere der Arme in Betracht mit der Tendenz, den 
Gelenkfortsatz der Scapula nach vorne und abwärts zu ziehen. 

Therapie. Besteht Versteifung, handelt es sich also um den 
Typus I, so gilt es in erster Linie, diese zu lösen, bis man eine 
passive Rücklagerung des Schultergürtels bequem vornehmen kann. 
Man fahnde auf spastische Vorgänge und Contracturen in den Mm. 
pectorales und mache es sich zur Gewohnheit, bei jedem versteiften 
^runden Rücken“ die gesammte Pectoralismusculatur auf vor¬ 
handenen Druckschmerz abzutasten. Ich möchte ganz besonders 
hierauf aufmerksam machen als auf einen, so viel ich mich habe 
oricntiren können, neuen Gesichtspunkt, dessen Berücksichtigung 
einem die therapeutische Arbeit sehr erleichtert. 

Findet man Schmerzhaftigkeit in diesen Muskeln — 
beim M. pectoralis major gehe man möglichst hoch die Sehne hin¬ 
auf — so beseitige man diese zunächst durch energische 
Massage, was stets gelingt. Man wird bald bemerken, dass der 
Schulterring freier wird. So constatirte ich bei dem früher an¬ 
geführten Fall 6, welcher experimenti causa zunächst nur mit 
Massage behandelt wurde, schon nach 4 Wochen, mit dem Rück¬ 
gang der Empfindlichkeit, Rückgang der Spannung und der Ellen¬ 
bogenspitzendistanz bei passiver Rückführung derselben von 12 cm auf 
5 cm. Die Haltung war zunächst hier freilich noch nicht besser 
geworden, ich kann jedoch versichern, dass manche andere Fälle 
von „rundem Rücken“ in einigen Wochen so zurückgingen, dass die 
Mütter mit ihren Complimenten nicht zurückhielten. Das Urtheil 
der Mütter und der Angehörigen gibt bei unserer Haltungsanomalie 
den besten, ja den einzigst sicheren Massstab in Bezug auf erzielte 
Besserung. Der in der Vorwärtslagerung des Schulterringes be¬ 
stehende runde Rücken tritt eben im Wesentlichen im Hause, bei 
Tisch, beim Spaziergang etc. in Erscheinung, und ein Urtheil vom 
rein ärztlichen Standpunkt ist oft ganz unmöglich, da in Gegenwart 
des Arztes die Patienten sich zusammennehmen. 

Gleichzeitig mit der Massage werden die passiven Bewegungen 
geübt, welche auf die Lockerung und Dehnung der spannenden 
Partien, sei es nun in den Bändern, sei es in den Muskeln, hinzielen. 
Ich gebe unter anderen mit Vorliebe folgende üebungen: 

1. Leichter Kopfhang im Sitzen, Arme nach hinten 


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628 


E. Hasebroek. 


geführt, abwärts gestreckt, Händeln einander gelegt und 
mit Hanteln beschwert. 

2. Rückwärtslagerung über dem Zander’schen Appa¬ 
rat K 1. oder dem Wolm oder an der Schrägleiter mit hoch 
untergeschobenem Kissen. 

3. Armkreisen passiv und activ. 

4. Ellenbogen passiv rückwärts nach hinten energisch 
zusammendrücken. 

5. Passive Rollung jedes Schulterhalbringes, indem 
man Scapula und Clavicula mit darüber gelegter Hand 
fasst und rückwärts auf dem Thorax rollt. 

6. Stabübungen, besonders St abüber schultern, an¬ 
fangs links und rechts für sich, später doppelseitig. 

7. Nackenspannen, Kopf rück w ärts b e u g e n gegen 
Widerstand. 

Man vermeide alle Uebungen, welche die Vor- 
wärtslagerer Pectoralis major und minor activ bean¬ 
spruchen und aus diesem Grunde: das deutsche Turnen 
am Barren und Reck mit Ausnahme der einfachen Hang¬ 
übungen und einzelner Ringübungen. 

Noch niemals habe ich vom deutschen Turnen für die vorliegende 
Haltungsanomalie Nutzen gesehen. Ich kenne sehr viele Kinder, 
welche über viele Jahre — bis zu neun Jahren — als notorisch 
gute Turner und Turnerinnen geturnt haben, vorzugsweise in den 
öffentlichen Anstalten, und welche zur Verzweiflung der Eltern die 
gleiche schlechte Haltung behielten, ja eher krummer wurden als 
gerader in der Haltung. Aus den eben angeführten Gründen ist 
dies durchaus erklärlich, zumal für die Fälle, bei denen es sich um 
ein bereits bestehendes dispositionelles üebergewicht der Brust¬ 
muskeln handelt. 

Ich glaube diese Behauptung noch durch folgende zwei Fälle 
direct beweisen zu können. 

Fall 9 u. 10. Zwei in ihrer Haltung ganz ähnliche Zwillingsschwestem von 
7 Jahren kommen am 17. August in Behandlung. Beide sind in den Schultergürteln 
frei beweglich, deren Ellenbogen leicht zusammenzubringen. Am 2. October 
theilt mir die Mutter bei der Controlluntersuchung der Kinder mit, dass die 
eine sich gebessert habe, die andere eher noch schlechter sei: Diese letztere 
habe gerade in letzter Zeit besonders gerne zu Hause am Reck und 
Barren geturnt, während die Schwester mit der besseren Haltung keine Lust 
zum Turnen habe. Ich finde bei der Turnerin jetzt eine ausgespro- 


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Die VorwärtslageruDg des Schultergürtels etc. 


629 


ebene Versteifung des Schultergürtels, so dass ich die Ellenbogen 
nicht mehr zusammenbringen kann und gleichzeitig Druckempfind¬ 
lichkeit im M. pec^ralis minor links, bei der anderen die frühere Be¬ 
weglichkeit. 

Der Zusammenhang mit dem Turnen scheint mir hier ausser 
Zweifel. Ich möchte daher die Aussichtslosigkeit des deutschen 
Turnens nochmals betonen, weil man auf keine Verordnung so 
häufig stösst beim »runden Rücken“ als auf diejenige des deutschen 
Turnens. 

Als Maassstab für fortschreitenden Erfolg hinsichtlich der 
Lockerung und Dehnung des versteiften Schultergürtels dient mir 
das Messen der Grösse der Entfernung, bis zu welcher man die 
Ellenbogenspitzen nach hinten mit einer gewissen Gewalt zusammen¬ 
bringen kann. Man hat hierin ein ausserordentlich gutes Mittel, 
die Behandlung zu controlliren und den Eltern sichtbare Rechen¬ 
schaft über den Fortschritt zu geben. Ich führe einige Beispiele 
an; die Distanzen betrugen: 

bei Hertha Th., 28. April 1902 16 cm 
9. Januar 1903 12 cm 
30. April 1903 0 cm 

bei Olga L., 27. Januar 1903 8 cm 

22. Mai 1903 0 cm 

bei Emmy K., 8. April 1902 19 cm 

30. October 1902 15 cm 
15. Januar 1903 10 cm. 


Man ersieht aus diesen wenigen Zahlenreihen schon die Ver¬ 
schiedenheit der Zeiten, welche nöthig sind, um die Versteifung zu 
bekämpfen und wie ausserordentlich hartnäckig der Widerstand oft ist. 

Mit dem allmählichen Zurückgehen der Rigidität des Schulter¬ 
gürtels lasse ich zugleich diejenigen Exercitien activ forcirt 
üben, welche, allgemein gesagt, am besten sichtbar kosmetisch 
wirken. Die Behandlung fällt von jetzt an zusammen mit derjenigen 
bei den unter Typus II zu registrirenden Fällen. In dieser Be¬ 
ziehung bevorzuge ich die Stabübungen, mit Hilfe derer man auch 
halbseitig den Schultergürtel vornehmen kann. Zu beachten ist 
hierbei besonders, dass der Hals nicht vorgestreckt wird. Eine aus¬ 
gezeichnete XJebung ist auch: Balanciren eines Gegenstandes auf 
dem Kopfe mit Hilfe des bekannten Kopftragekissens, unter gleich¬ 
zeitigen Marschübungen, eine Uebung, welche übrigens auch schon 


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630 


E. Hasebroek. 


von Shaw und An dry sehr empfohlen worden ist für den wahren 
Rundrücken. 

Ist die Rigidität des Schultergürtels beseitigt und sind die 
Kinder im Stande sich selbst, zunächst vorübergehend, eine gute Haltung 
zu geben, so kommt man in vielen Fällen durch fortgesetzte Gym¬ 
nastik rasch so weit, dass auch dauernd die gute Haltung inne¬ 
gehalten wird. 

Eine gewisse Anzahl von Fällen trotzt der Behandlung hart¬ 
näckig. Eine dauernd gute Haltung wird nicht erreicht. Es sind 

das vorwiegend Fälle nach reinem 
Typus n mit von vornherein gut 
beweglichem Schultergürtel. Sie 
stellen zweifellos einen reinen 
Schwächezustand der Muscu- 
latur dar, weniger in absoluter Be¬ 
ziehung als in Bezug auf die Aus¬ 
dauer der Muskeln. Es handelt 
sich also mehr um eine ErmQ- 
dungsschwäche. — Die Kinder 
halten sich gut, sowie sie beob¬ 
achtet sind und speciell, wenn sie 
zur ärztlichen Controllvorstellung 
kommen. Die Klagen der Eltern 
verstummen jedoch nicht. Da gibt 
es nur das Mittel des porta¬ 
tiven Apparates, des Gerade¬ 
halters. Ich verwende stets den 
beistehend abgebildeten (Fig. 6), welcher lediglich den Zweck hat, 
einen Druck auszuüben: 1. von vorn her auf den Gelenkfortsatz der 
Scapula, 2. von hinten her auf den Angulus der Scapula. Es 
resultirt so genau dieselbe Druck- und Zugwirkung, welche wir aus¬ 
üben, wenn wir, wie früher erwähnt, hinter dem Patienten stehend, 
den Schulterhalbring zurückholen. Dieser Geradehalter soll nicht 
entlasten; Rückenstangen und Beckengurt sind vielmehr nur dazu 
da, um eine Flächenkantung des Rückenschildes zu verhindern, wo¬ 
durch die Zugwirkung von hinten her illusorisch wird. AUe Ge¬ 
radehalter, welche auf diesen Halt für das Rückenschild verzichten 
oder gar alle jenen nur aus weichem Material gefertigten, sind für 
unseren Zweck verfehlt. Eine starke Federung der Rücken- 


Fig. 6. 



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Die Yorwärtslagerung des Schultergürtels etc. 


631 


planchetten ist nicht nöthig, die Hauptcorrection erfolgt eben durch 
die genau bei rückgelagertem Schultergürtel am nackten 
Körper angepassten Flächen. 

Der Geradehalter verzichtet keineswegs auf die Selbstthätigkeit 
der Kinder. Er bildet im Gegentheil den Ansporn zu fortwährender 
eigener gymnastischer Thätigkeit. Der nicht ganz schmerzlose Druck 
von vorne her, welchen ich gerne in der Nähe der langen Bicepssehne, 
vor dem Gelenkkopf, wirken lasse, zwingt die Kinder, die Schultern 
activ zurückzuhalten, denn der Druckschmerz hört sofort auf, wenn die 
Kinder sich zurückhalten. Das merken sie sich bald. Auf diese 
Weise wird eine stete üebung der gesammten rückwärtsziehenden 
Musculatur angestrebt. Ich lasse nach vierteljährlichem Tragen des 
Geradehalters — natürlich nur am Tage — bereits den Versuch 
machen, ihn abzulegen. Zunächst für einige Stunden am Tage nach 
der Schule. Allmählich strebe ich gänzliche Entwöhnung an. Unter¬ 
stützt wird alles dies durch ein rein erzieherisches Moment: es muss 
den Kindern klar gemacht und stets vorgehalten werden, wenn sie 
klagen, dass erst, wenn sie sich von selbst dauernd gerade halten, 
der Apparat ihnen abgenommen wird. 

Hervorheben möchte ich noch, dass der Geradehalter nur nach 
vollständig erfolgter Mobilisation des Schultergürtels gegeben werden 
soll. Es wird sonst der Druck desselben so unerträglich, dass er 
bald in die Ecke geworfen wird. Man lasse sich daher nicht ver¬ 
leiten, zu früh damit zu beginnen, auch wenn 1—IV 2 Jahre über 
die gymnastische Behandlung hingehen. 

Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, dass der Apparat be¬ 
sonders exact dem Körper angepasst sein muss, dass speciell die 
Krücken in der Achselhöhle flach dem Thorax anliegen und die 
Adduction des Armes in keiner Weise beeinflussen* Ich passe die¬ 
selben stets eigenhändig an. Den Beckenring lasse ich über Gips¬ 
modell aus Leder walken. In neuerer Zeit verfertige ich ihn auch 
wohl aus Stofi* mit eingelegtem Kreuzbeinschild aus Stahl zur Befesti¬ 
gung der Verticalplanchetten. 


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XLI. 


Ein Beitrag zur Artliropathie bei Tabikern. 

Von 

Dr. A. Blencke, 

Specialarzt für orthopädische Chirurgie in Magdeburg. 

Mit 10 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Wenn Kr edel und nach ihm auch noch einige andere Autoren 
schreiben, dass es das unbestrittene Verdienst von Charcot sei, das 
Zusammentreffen gewisser Gelenkaffectionen mit Tabes dorsalis ent¬ 
deckt und mit der Störung der Centralorgane ätiologisch in Zu¬ 
sammenhang gebracht zu haben, so dürfte diese Behauptung wohl 
nicht ganz zu Recht bestehen, denn der erste Autor, der auf das 
Vorkommen von Gelenkkrankheiten bei Rückenmarksaffektionen auf¬ 
merksam machte, war nicht Charcot, sondern Mitchell, der schon 
37 Jahre vor diesem im Jahre 1831 dieses Thema in einer Arbeit 
behandelt hatte. Allerdings fiel diese Beobachtung bald wieder der 
Vergessenheit anheim und zwar, wie Weizsäcker wohl schon ganz 
richtig hervorhob, deshalb, weil ihr Entdecker sie sogleich über¬ 
mässig verallgemeinert und ausgedehnt und unter anderem den 
acuten Gelenkrheumatismus für eine Myelitis mit Localisation im 
Gelenkapparat erklärt hatte. Erst durch Charcot’s Arbeit: Sur 
quelques arthropathies, qui paraissent döpendre d’une l^sion du 
cerveau ou de la moelle ^piniere, die er gestützt auf das reiche 
Material, das ihm in der Salpetriöre zu Gebote stand, im Jahre 1868 
veröffentlicht hatte, kam wieder Leben in diese Angelegenheit. Die 
Literatur wuchs bald immer und immer mehr an; es waren aller¬ 
dings in der ersten Zeit nur Schüler und Landsleute Charcot’s, 
die ihre Beobachtungen und Ansichten über derartige Fälle in 
Arbeiten niederlegten, vereinzelt auch Engländer, so dass Westphal 
im Jahre 1872 mit den Worten: „Bisher ist meines Wissens bei uns 
so gut wie noch nichts nach dieser Richtung hin geschehen*, an die 
Chirurgen Deutschlands die Aufforderung richten zu müssen glaubte, 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


633 


die ihnen unzweifelhaft viel häufiger Torkommenden Fälle mit Rück¬ 
sicht auf die Beziehung zur Tabes näher zu untersuchen. Dieser 
Aufforderung kam man auch bald nach, und bald beschäftigten sich 
auch jenseits der französischen Grenzpfahle die deutschen Forscher 
mit diesem Thema. In erster Linie waren es die Chirurgen, die 
sich bei uns sehr intensiv dieser Sache annahmen und die nament¬ 
lich in den achtziger Jahren ihre keineswegs übereinstimmenden 
Meinungen in Wort und Schrift Wiedergaben und austauschten und 
so dazu beitrugen, dass dies dunkle Gebiet nach und nach immer 
mehr und mehr erforscht wurde. 

Aber trotz der enorm angewachsenen Literatur und trotz der 
mannigfaltigen und vielen Beobachtungen herrscht dennoch auch 
heute noch nicht in mancher Hinsicht vollständige Klarheit, und 
wenn auch Oppenheim und Siemerling bereits im Jahre 1887 in 
ihrer Arbeit schrieben, dass die Literatur der tabischen Arthropathie 
im In- wie im Auslande eine so umfangreiche geworden sei, dass 
es kaum mehr verlohnte, die Casuistik zu bereichern, so bin ich doch 
etwas anderer Ansicht und wage es dennoch einen neuen Fall den 
Übrigen hinzuzufügen, in der Meinung, dass wohl jeder weitere, zur 
Section gekommene Fall Berechtigung haben dürfte, veröflTentlicht 
zu werden, um dazu beizutragen, dass die erwähnten noch strittigen 
und etwas dunklen Punkte auf diesem Gebiet immer mehr und mehr 
aufgeklärt werden. 

Das war der Grund, der mich veranlasste, den folgenden Fall 
von Arthropathia tabidorum — ein Name, den man eigentlich nach 
Wolff's Meinung zu Gunsten der älteren Bezeichnung „neuropathische 
Gelenkaffektionfallen lassen sollte, da diese Arthropathien, wie 
wir noch später sehen werden, auch bei anderen Krankheiten Vor¬ 
kommen können — mitzutheilen, der vor allen Dingen wegen seiner 
Hochgradigkeit so interessant und zugleich lehrreich sein dürfte. 
Fälle dieser Art sind höchst selten beobachtet worden; ich konnte 
aus der mir zugänglichen Literatur einen einzigen von Bellangä 
veröffentlichten Fall finden, der an Hochgradigkeit den raeinigen er¬ 
reichte. Ein weiterer ähnlicher, von Leyden beschriebener Fall 
ist wegen der gleichzeitig bestehenden Vereiterung des Gelenks mit 
diesen beiden nicht auf eine Stufe zu stellen und nicht zu verwerthen. 

Bevor ich jedoch auf meinen Fall selbst näher eingehe, will 
ich nicht versäumen, auch nochmals an dieser Stelle dem Herrn 
Dr. Schwan er-Wolmirstedt meinen verbindlichsten Dank zu sagen 


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634 


A, Blencke. 


für die Ueberlassung des betreffenden Präparates, d. h. des amputirteo 
Beines. 

Es handelte sich um einen 50 jährigen Mann, der eine luetische 
Infection zugibt und der vor nunmehr ca. 11 Jahren erkrankt sein will 
mit einer Anschwellung im rechten Kniegelenk, für die er keinen 
eigentlichen Grund anzugeben weiss und die ihm anfangs so gut 
wie keine Beschwerden machte. Erst im Verlauf eines Jahres, als 


Fig. 1. 



die Unsicherheit im Gehen auch auf dem andern Bein immer mehr 
und mehr zunahm, als sich ein erheblicher „Schleudergangeinstellte, 
wurde Patient bettlägerig. Er brachte die ganzen Jahre hindurch 
die allermeiste Zeit im Bett zu und nur ab und zu stand er noch 
manchmal auf und ging dann, am Tisch und an den Stühlen sich 
Stützen suchend, im Zimmer einige Schritte hin und her. Vor un¬ 
gefähr fünf Jahren soll dann plötzlich bei einem leichten Einknicken 
die schon vorhandene Knieschwellung ganz erheblich zugenommen 
und sich auch über die ganze Extremität ausgebreitet haben. Trotz- 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


635 


dem es sich nur um ein «ganz leichtes Einknicken^ gehandelt habe, 
sei die Schwellung immer ärger geworden, so dass ihm nun das 
Gehen fast ganz unmöglich wurde. Ueber Schmerzen hatte der 
Kranke nicht zu klagen. Vor ungefähr 1V« Jahren erlitt der Patient 
gelegentlich des Umbettens einen ganz geringen Stoss gegen das 
Knie, und seit dieser Zeit soll die falsche Stellung in dem ergriffenen 
Gelenk bestehen, soll sich der Oberschenkel gegen den Unterschenkel 


Fig. 2. 



verschoben haben, ein Umstand, der ihm nun selbst auch das Stehen 
unmöglich machte. Vor einigen Wochen soll die Geschwulst infolge 
eines leichten Stosses «aufgekommensein. Die Oeffiiung sei all¬ 
mählich immer grösser geworden und bei der Aufnahme des Mannes 
ins Krankenhaus lag der Condylus internus in seiner ganzen Aus¬ 
dehnung frei zu Tage (Fig. 1); er hatte die Haut durchbohrt; der 
Unterschenkel war nach hinten luxirt (Fig. 2). Das Bein musste 
natürlich amputirt werden. Die Wunde verheilte gut und der Patient 
fühlt sich augenblicklich den Verhältnissen angemessen ganz wohl. 

Bevor ich eine eingehendere Beschreibung des betreffenden 
Präparates bringe, möchte ich zunächst noch einen kurzen Ueberblick 


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636 


A. Blencke. 


über das Vorkommen und den Symptomenkomplex dieser Gelenk- 
affectionen bei Tabes geben. 

Nach Lotheisen finden wir bei 10®/o aller Tabiker Gelenk- 
leiden, nach Marie nur bei ca. 4—5^/o. Sie kommen aber nach 
Löwenfeld’s Ansicht sicher öfter vor und werden manchmal nur 
nicht erkannt, da die Störungen, die durch derartige Gelenkaffectionen 
verursacht werden, sehr leicht in den Vordergrund treten können, so 
dass daneben die übrigen Krankheitsercheinungen übersehen werden 
können, namentlich im präataktischen Stadium der Tabes. 

Buzzard erwähnt in seinen Vorlesungen einen Fall mit 
tabetischer Arthropathie des Hüftgelenks, der in einem grossen 
Londoner Hospitale Doctoranden als ein Examensfall von Arthritis 
deformans überwiesen wurde. Die gleichzeitig bestehende Tabes 
war hierbei ganz übersehen worden. 

Wenn auch alle Gelenke betroffen werden können, so ist doch 
die untere Extremität am meisten bevorzugt. Chipault fand unter 
268 erkrankten Gelenken in 207 Fällen die untere Extremität ergriffen, 
und von den Gelenken der unteren Extremität ist wieder das in 
dieser Beziehung bevorzugteste das Kniegelenk: unter den 207 Fällen 
Chipault’s kam 120mal das Kniegelenk in Frage, 57mal die Hüfte 
und in den übrigen Fällen der Fuss. Auch Weizsäcker fand 
unter 169 Fällen 78mal das Kniegelenk betroffen. Kr edel unter 
272 Fällen dasselbe 104mal. Nach der Statistik aller dieser Autoren 
folgen dann der Häufigkeit ihres Auftretens nach Hüft-, Schulter-, 
Fuss- und Ellenbogengelenk; auch die kleineren Gelenke, die Finger-, 
Zehen-, ja sogar die Kiefer- und Wirbelgelenke blieben in einigen, 
wenn auch nur wenigen Fällen nicht verschont. Grätzer berichtete 
erst wieder auf dem 2. Congress der Deutschen Gesellschaft für 
orthopädische Chirurgie über einen Tabiker mit einem harten Tumor 
an der deformirten Lendenwirbelsäule, bei dem das Röntgenbild 
Rareficirung dieser, Osteophytenbildung, Dislocation der Wirbel gegen 
einander, Zusammenbruch einzelner Wirbel zeigte. Meist ist nur ein 
Gelenk ergriffen und erkrankt, in vielen anderen Fällen zwei und 
in wenigen drei und mehr. Ja es sind vereinzelte Fälle beobachtet 
worden, bei denen sämtliche Gelenke afficirt waren. Ich habe Ge¬ 
legenheit gehabt, drei Männer und eine Frau mit tabischer Gelenk¬ 
erkrankung zu behandeln; in allen vier Fällen war nur immer ein 
Kniegelenk erkrankt. 

Die Arthropathien können nach der Ansicht aller Autoren in 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


637 


allen Stadien der Tabes Vorkommen, am seltensten jedoch in dem 
weit vorgeschrittenen dritten Stadium. Wenn auch von Rotter’s 
52 Fällen 40 im ataktischen Stadium und nur 12 im präataktischen 
auftraten, so sollen doch nach der Ansicht vieler jüngerer Forscher 
diejenigen Fälle, die im präataktischen Stadium sich einstellen, bei 
weitem die, die im ataktischen auftreten, an Zahl überwiegen. Unter 
meinen vier Fällen hatten bei drei im präataktischem Stadium be¬ 
reits die GelenkafiPectionen sich gezeigt. 

Sobald dieselben in späteren Stadien der Tabes auftreten, ist 
natürlich ihre Diagnose mit Leichtigkeit zu stellen. Anders verhält 
es sich aber schon, wenn sie gleichsam als Frühsymptom erscheinen, 
zu einer Zeit, in der uns noch jegliche Anhaltepunkte einer drohen¬ 
den Rückenmarkserkrankung fehlen. Und dennoch ist das Bild 
dieser GelenkafPectionen so typisch, dass sie, fast möchte ich sagen, 
überhaupt nicht mit anderen Gelenkerkrankungen verwechselt werden 
können, selbst wenn auch eine Reihe von Fällen beobachtet worden 
ist, die gewisse Abweichungen von dem charakteristischen Bilde 
zeigen. Man kann in der Mehrzahl der Fälle auf den ersten Blick 
ohne jedwelche weitere Prüfung die Diagnose stellen. Das Leiden 
entsteht in den allermeisten Fällen sehr plötzlich und schnell, oft 
über Nacht ohne Schmerzen für den Patienten und ohne dass die¬ 
selben einen Grund für die so plötzlich und in so hohem Grade auf¬ 
getretene Schwellung anzugeben wissen und ohne dass etwas vorher 
auf eine Gelenkaflfection hingewiesen hätte. In manchen Fällen 
soll ein Trauma, vielleicht ein leichter Fall oder Stoss das veran¬ 
lassende Moment gewesen sein, in manchen Fällen wird ein leichtes 
Umknicken, ein leichtes Fehltreten beschuldigt für die Affection, 
deren Grösse und Ausdehnung in den allermeisten Fällen gar nicht 
in Einklang zu bringen ist mit den geringfügigen äusseren Veran¬ 
lassungen. In wenigen Tagen, ja manchmal in wenigen Stunden 
kann die Schwellung ganz erhebliche Grade annehmen und sich 
nicht nur über das ganze Gelenk, sondern auch auf die pararticu- 
lären Weichtheile, ja oft auf die ganze Extremität erstrecken. Letztere 
erscheint dann ganz erheblich verdickt; die Schwellung trägt aber, 
abgesehen von ganz vereinzelten Fällen, bei denen sie sich wie ein 
gewöhnliches Stauungsödem verhielt, nie den Charakter des ge¬ 
wöhnlichen Oederas; sie ist vielmehr sehr hart und der eingedrückte 
Finger lässt keine Dellen zurück, ein Befund, den Rotter dem 
Umstande zuschreiben zu müssen glaubte, dass das subcutane Zell- 


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638 


A. Blencke. 


gewebe weniger mit Flüssigkeit infiltrirt ist und dass es sich mehr 
um ein Oedem der tiefer gelegenen Weichtheile, um ein Oedem des 
die Muskeln und Knochen umgebenden Bindegewebes handelt. 

Nach den von Debore und Bensch-Wolff gemachten Be¬ 
obachtungen erwies sich als die Ursache dieser pararticulären 
Schwellung eine aus dem Gelenk stammende Flüssigkeit, die durch 
einen Riss in der Kapselwand aus dem Gelenk ins benachbarte tiefe 
Bindegewebe gelangt war. Nach der Meinung dieser Autoren können 
zur Entstehung solcher Kapselrupturen dieselben Insulte die Veran¬ 
lassung geben, welche auch dem eigentlichen Gelenkerguss voraus¬ 
gehen. Es muss sich nach ihrer Ansicht wohl meist um Abreissungen 
der Kapsel an der Insertionsstelle handeln. 

Einige Autoren glaubten diese Weichtheilschwellung einem 
nervösen Ursprung zuschreiben zu müssen, indem sie den Elin wand 
machten, dass ja auch derartige Schwellungen beobachtet seien bei 
Patienten, denen angeblich keinerlei Insulte zugestossen waren. Dem 
könnte man wohl entgegnen, dass eine ohnehin vielleicht schon durch 
den bestehenden Process alterirte Kapselwand bei einem so hoch¬ 
gradigen Erguss, wie wir ihn bei derartigen AflFectionen zu beob¬ 
achten pflegen, bersten bezw. abreissen kann, ohne dass Insulte dazu 
die Ursache abgeben müssen. 

Der betreffende Gelenkerguss ist von seröser Beschaflfenheit: 
des öftem wurden auch demselben kleine Mengen Blut beigemischt 
gefunden. Dass natürlich auch Fälle beobachtet und beschrieben 
sind, in denen Eiterung vorhanden war, dürfte ja wohl selbstver¬ 
ständlich sein und muss natürlich, wie ja auch schon Rotter und 
andere Autoren hervorgehoben haben, als eine zufällige Complication 
des Verlaufs der bestehenden Aflfection angesehen werden. 

Die erwähnte Schwellung ist nun nicht in allen Fällen das 
erste dem Patienten bezw. Arzt auffallende Symptom, sondern es 
können dieser auch zunächst knarrende, knackende Geräusche vor¬ 
ausgehen, die die auf das Gelenk aufgelegte Hand bei Bewegungen 
zufällig verspürt, die aber auch manchmal so deutlich und laut sein 
können, dass sie selbst fern von dem Patienten stehenden Personen 
auffallen können. In ganz vereinzelten Fällen sind auch Disloca- 
tionen als erstes Symptom beobachtet worden. 

Rotter geht sogar so weit, dass er diese Gelenkergüsse über¬ 
haupt nicht als erstes Symptom angesehen wissen will. Seiner 
Meinung nach entstehen diese niemals spontan, sondern werden 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


639 


immer durch eine äussere Veranlassung erzeugt. In den allermeisten 
Fällen konnte er, wenn der Erguss über Nacht entstanden war, 
crepitirende Geräusche bei Bewegungen in dem betreffenden Gelenk 
constatiren, die seiner Ansicht nach doch nur entstehen können, 
wenn an den Gelenkflächen irgendwo ein 'Knorpeldefect vorhanden 
ist. Entweder bestanden also seiner Meinung nach derartige Defecte 
bereits vorher und der Erguss erfolgte in ein bereits erkranktes 
Gelenk, welches kurz vorher von einem Insult betroffen wurde, oder 
der Knorpeldefect musste kurz vor der betreffenden Anschwellung 
durch Absprengung eines Theiles der Gelenkflächen entstanden sein. 

Eine ähnliche Ansicht hatte auch schon längere Zeit vorher 
Westphal ausgesprochen, auch er hielt die Plötzlichkeit des Auf¬ 
tretens der Erkrankung, die sich in der Schwellung des Gelenkes 
etc. documentirte, für eine scheinbare. Seiner Meinung nach würden 
sich schon Symptome derselben, wenn nur die Aufmerksamkeit 
immer ordentlich und intensiv darauf gerichtet würde, möglicher 
Weise schon längere Zeit vorher nachweisen lassen. Wenn auch die 
Erkrankung plötzlich in die Erscheinung tritt, so braucht sie des¬ 
halb nach WestphaEs Ansicht noch längst keine plötzliche, keine 
acut entstandene zu sein; als acut entstanden ist eben seiner Meinung 
nach nur der hydropische Erguss in die Gelenke. 

Im Gelenk fühlt man unter Umständen oft genug eine ganze 
Anzahl kleinerer und grösserer Gelenkkörper, Stücke losgebrochener 
Theile der Gelenkenden und dergl. mehr. 

Die Haut über dem geschwollenen Gelenk ist blass und kühl, 
zeigt also keinerlei entzündliche Erscheinungen; häufig lässt sie auch 
ein stark gefülltes Venennetz durchschimmern, das bei Abnahme der 
Schwellung wieder gewöhnlich zu verschwinden pflegt. 

Zu der meist kolossalen Schwellung und zu den meist erheb¬ 
lichen Veränderungen stehen die subjectiven Beschwerden in gar 
keinem Verhältniss. Dieselben sind meist sehr gering; in vielen 
Fällen sind überhaupt keine vorhanden. Das einzige, was sich mit¬ 
unter constatiren lässt, ist eine gewisse Schwere und ein gewisses 
Ermüdungsgefühl in der betroffenen Extremität. Die Bewegungen 
sind trotz der erheblichen Schwellung nur wenig behindert, und es 
wären wahrlich nicht die ersten Fälle, die wir beobachten könnten, 
in denen die betreffenden Patienten trotz aller dieser auffälligen Er¬ 
scheinungen noch wacker urahergehen und marschiren konnten. 

Der beste Beweis dafür ist ein von Goldstein beschriebener 


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640 


A. Blencke. 


Fall, in dem der Patient, ein Weber, trotz sehr hochgradiger Arthro¬ 
pathie am Fuss (Pied tab^tique) und trotz sehr hochgradiger 
Arthropathie im Kniegelenk, wie sie Goldstein noch nie gesehen 
hatte, 7 Monate lang den ziemlich weiten Weg zur Fabrik gemacht 
und dort Tags über seine Arbeit als Weber verrichtet hatte bis zu 
dem Tage, an dem er einen Unterschenkelbruch erlitt. 

Wie bereits erwähnt, fehlen fast immer jede Zeichen der 
Entzündung; es ist keine Röthung der Haut, keine Schmerzhaftigkeit 
bei activen und passiven Bewegungen, keine Temperaturerhöhung 
über dem befallenen Gelenk, kein Fieber zu constatiren, und wenn 
dieselben in der That mit ganz geringen Ausnahmen wirklich ein¬ 
mal beobachtet sind, und zwar dann nur bei kleineren Gelenken, so 
pflegten sie gewöhnlich sofort nach kurzer Zeit zurückzugehen. Auch 
das Allgemeinbefinden ist vollständig ungestört. 

Es sind auch Fälle beschrieben, in denen diese erheblichen 
Gelenkschwellungen fast ebenso rasch, wie sie gekommen waren, 
wieder ganz oder doch wenigstens zum Theil verschwanden und in 
denen nur das Gelenk und seine nächste Umgebung ein wenig ver¬ 
dickt blieb. Diese Fälle waren es wohl, die gewisse Autoren ver- 
anlassten, zwischen leichten und schweren Formen, andere wieder, 
zwischen benignen und malignen zu unterscheiden und zwar wollte 
man zu jenen die Fälle gerechnet wissen, bei denen es sich nur um 
eine Schwellung des Gelenkes und der Extremität handelte, ohne dass 
man nach der Resorption der Flüssigkeit nachweisbare Verände¬ 
rungen des Gelenkes selbst feststellen konnte, zu diesen dagegen 
diejenigen, bei denen gleichzeitig oder wenigstens sehr schnell ein¬ 
tretende Gelenkdeformitäten sich zeigten. 

Es ist dies eine Unterscheidung, die Ährens und auch schon 
andere vor ihm nicht gelten lassen wollten, da ja erstere jederzeit in 
die zweite Form, in die maligne übergehen können. Und wenn auch 
einige wenige Fälle beobachtet worden sind, bei denen nach einigen 
Tagen oder Wochen die erheblichen Anschwellungen des Gelenkes 
vollständig zurückgingen und bei denen, abgesehen von einigen 
leichten knackenden und knarrenden Geräuschen im Gelenk eine 
vollständige Restitutio ad integrum eintrat, so sind doch auf der 
anderen Seite auch oft genug Fälle beschrieben worden, die, anfangs 
für leichte Formen angesehen, doch von Zeit zu Zeit wiederkehrten 
und mit der Zeit zu malignen ausarteten, die also nicht leichte blieben, 
sondern in schwere und oft genug recht schwere übergingen. Wie 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 641 

gesagt, eine scharfe Trennung beider erscheint auch mir nicht durch¬ 
führbar. 

Jedoch kehren wir zum weiteren Verlauf dieser QelenkaflFectionen 
zurück« Nach Ablauf von nicht allzu langer Zeit tritt in den meisten 
Fällen eine immer mehr zunehmende Lockerung des befallenen Ge¬ 
lenkes ein und eine abnorme Beweglichkeit in demselben, die sich 
allmählich bis zu dem hochgradigsten Schlottern ausbilden kann, wie 
wir es sonst bei keinen anderen GelenkafFectionen jemals mehr finden 
werden. In manchen Fällen können sich derartige Schlottergelenke 
sehr rapide und sehr schnell ausbilden, in anderen wieder — und 
diese repräsentiren wohl die Mehrzahl der Fälle — verstreicht mehr 
oder weniger Zeit bis zu ihrer Ausbildung. 

Rotter konnte aus dem von ihm gesammelten Material 20 Fälle 
zusammenstellen, bei denen sich diesbezügliche gut verwerthbare An¬ 
gaben vorfanden. Omal vergingen 2—4 Monate, lOmal —1 Jahr 
und 4mal 1—2 Jahre, bis sich ein höherer Grad eines Schlotter¬ 
gelenks ausgebildet hatte. 

Es sind ausgiebige Bewegungen nach allen Seiten hin möglich, 
Bewegungen, die zu den fabelhaftesten Gliederstellungen führen 
können, ohne dem Patienten die geringsten Schmerzen oder Be¬ 
schwerden zu verursachen. „Es existirt eine Anzahl klassischer 
Beispiele derartiger pathologischer Schlangenmenschen oder Kaut¬ 
schukmänner“, sagt Weizsäcker. Der hochgradigste Fall dieser 
Art ist wohl der von Raven beobachtete, bei dem der Patient 
ohne grosse Schwierigkeit seine Glieder so bewegen konnte, dass 
beide Fersen sich hinter seinem Kopfe berührten. 

Namentlich am Kniegelenk sind die Schlotterbewegungen am 
auffälligsten. Laterale Bewegungen, Hjperextensionen, Torsionen 
können die Veranlassung zu einer Reihe von Deformitätsstellungen 
geben, von denen das sogenannte Genu valgum recurvatum die 
häufigste ist, während wir eine Varumstellung seltener beobachten 
werden. 

Besonders hervorzuheben wäre wohl noch der sogenannte Pied 
tabetique, den Senator ungefähr folgendermassen beschreibt: Der Fuss 
erscheint verkürzt, sehr stark verdickt und abgerundet, indem die 
normalen Umrisse, die geschwungenen Linien des normalen Fusses, 
die Einbuchtung am inneren Rande, die Wölbung der Sohle ver¬ 
loren gegangen sind, so dass der Fuss etwa wie eine Walze, die 
oben am Fussrücken noch besonders verdickt ist und an der vorn 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 42 


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642 


A. Blencke. 


die Zehen wie kleine Anhängsel sitzen, aussieht. Zudem ist der 
Fuss im Ganzen leicht nach innen und oben rotirt, so dass dti 
äussere Fussrand etwas nach unten steht. Nirgends, auch nicht aut 
den am meisten hervorgetriebenen Stellen des Fussrückens, bestem 
eine Schmerzhaftigkeit; die Haut über demselben ist ganz normal 
die Beweglichkeit im Tibio-tarsalgelenk ist fast ganz aufgehoben uni 
zwar sowohl die active wie passive; die der Zehen ist nicht gestört. 
Der Tabesfuss ist am allerseltensten von diesen Aflfectionen. Panciof 
fand ihn unter 274 Arthropathien 13mal vertreten, d. h. also in 
4,75®/o der Fälle. Senator stellte mit dieser Statistik die Leim¬ 
bach sehe aus der Erb’schen Klinik, nach der unter 400 FäileQ 
7mal Arthropathien, also in 1,75^/o, Vorkommen sollen, zusammen 
und rechnete auf diese Weise heraus, dass der Tabesfuss nur in 
0,08®/o von Tabes vorkommt, mit anderen Worten einmal unter 
1250 Fällen. 

Es kommt namentlich an den Gelenken der unteren £xtreini- 
täten infolge der bestehenden Bänder- und Kapselerschlaffungen, in¬ 
folge der bestehenden Destructionsprocesse an den betreffendeo 
Knochen zu Subluxationen nach allen Richtungen hin und in weiter 
vorgeschrittenen Fällen auch häufig genug zu erheblichen Luxations¬ 
stellungen; am Knie vor allem zu solchen der Tibia nach hinten, 
wie sie auch in unserem Falle in der hochgradigsten Weise vor- 
lag (Fig. 2). 

Es ist nun oft erstaunlich, wie verhältnissmässig gut die 
Patienten trotz dieser erwähnten abnormen Veränderungen im Ge¬ 
lenk noch gehen können, ein Umstand, den wir der fast stets vor¬ 
handenen Analgesie zuschreiben müssen. Dass natürlich beim Gehen 
und beim Gebrauch der betroflPenen Extremitäten diese ohnehin schon 
gelockerten Gelenke immer noch mehr geschädigt werden können, 
ist ja selbstverständlich, wenn auch Fälle beobachtet sind, bei denen 
sich während der Bettruhe die Arthropathien nicht nur nicht ent¬ 
wickelten, sondern auch denselben malignen Verlauf nahmen, wie 
wir ihn bei Patienten constatiren konnten, die ihre erkrankte Ex¬ 
tremität gebraucht hatten. Dass diese Arthropathien selbst im Bette 
so rapide Fortschritte zur Verschlechterung machen konnten, suchten 
verschiedene Autoren so zu erklären, dass selbst während der Bett¬ 
ruhe wenn auch nur unbedeutende Traumen durch Wendungen, 
Stossen und dergl. mehr nicht zu vermeiden sind und dass die^ 
schon genügen, um diese Affectionen hervorzurufen bezw. zu ver- 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


643 


schlechtem. Ob dies in der That möglich ist, das werden wir 
weiter unten bei der Besprechung der Aetiologie dieser Gelenk¬ 
leiden sehen. 

Dadurch, dass nun in den allermeisten Fällen diese Gelenk¬ 
leiden auf Traumen, mögen sie auch nur ganz geringfügiger Natur 
sein, zurückgeführt werden, haben diese Erkrankungen auch ein 
spezielles Interesse für die Unfallheilkunde gewonnen. Ich möchte 
deshalb auch nicht verfehlen, mit wenigen Worten auch über diese 
Erkrankungen nach dieser Richtung hin zu sprechen. 

Goldstein ist der Ansicht, dass das Nervenleiden jedenfalls 
bei der Begutachtung Unfallverletzter häufig übersehen und dadurch 
der Betriebsunfall anerkannt wird, und zwar glaubt er dies mit dem 
Umstande beweisen zu können, dass er in den Entscheidungen des 
Reichsversicherungsamtes keinen nur irgendwie analogen Fall auf¬ 
finden konnte, dass also häufig zu Gunsten der Arbeiter entschieden 
wird und daher der Recurs unterbleibt. 

Er führt einen Fall von Tabes an, bei dem es sich allerdings 
nicht um eine Arthropathie, sondern um eine Spontanfractur han¬ 
delte ; es wurde von der Genossenschaft die Entschädigung abgelehnt 
mit der Begründung, dass der an Tabes leidende Mann ein wider¬ 
standsloses Knochensystem hätte, so dass beim einfachen Bücken der 
Fuss umknickte und das Schienbein brach. Das Schiedsgericht schloss 
sich dem an. 

Wenn es nun auch klar auf der Hand liegt, dass die angegebenen 
oft sehr geringfügigen Traumen nicht die eigentliche Ursache für die 
wenigstens in den Augen des Patienten und seiner Umgebung plötz¬ 
lich aufgetretene Gelenkerkrankung abgegeben haben, sondern dass 
diese in erster Linie der bestehenden, bezw. der beginnenden Tabes 
zugeschrieben werden muss, so wird man doch nicht umhin können, 
selbst wenn es sich um nicht allzu heftige Traumen handelt, diese 
für das Gelenkleiden in gewisser Beziehung verantwortlich zu machen, 
namentlich wenn letzteres im präatactischen Stadium auftritt, in 
einem Stadium also, in dem noch jedwede anderen Symptome der 
Rückenmarkserkrankung fehlen. Und da man ja doch bei der 
Unfallbegutachtung meines Erachtens sich immer auf den Stand¬ 
punkt stellen muss: In dubio pro reo, so wird man auch selbst 
in den Fällen, in denen eine derartige Gelenkerkrankung sehr schnell 
und rapide nach einem sicher nachgewiesenen Trauma aufgetreten 
ist, den Zusammenhang zwischen beiden nicht von der Hand weisen 


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A. Blencke. 


dürfen, selbst wenn es sich auch schon um ein Torgeschritteneres 
Stadium der Rückenmarkserkrankung handelt. 

Düms nimmt denselben Standpunkt ein; er sagt: Rücksicht¬ 
lich der kausalen Beziehungen dieser Affectionen mit einem Be¬ 
triebsunfall steht zweifellos der bejahenden Beurtheilung nichts 
entgegen, wenn nachgewiesen wird, dass bei der Betriebsarbeit eine 
plötzliche Einwirkung stattgefunden hat, und wenn diese Ein¬ 
wirkung in unmittelbarer oder auch mittelbarer Folge die vorliegende 
Störung hat herbeiführen können. 

Nach Becker würde allerdingsrichterlicherseits wohl noch immer 
in Frage kommen, ob die angeschuldigte Betriebsthätigkeit eine 
derartige gewesen ist, dass sie das betriebsübliche Mass überschritten 
hat. Wenn dies nicht der Fall ist, kann der Richter zu dem Schluss 
kommen, dass die Affection eine „weitere Etappe einer schon längst 
bestehenden Krankheit^ ohne wesentliche Mitwirkung des Un¬ 
falls ist. 

Bevor wir uns nun mit den pathologischen Veränderungen, 
die wir bei diesen Oelenkaffectionen finden, beschäftigen, möchte 
ich eine etwas ausführlichere Beschreibung meines Präparates vor¬ 
ausschicken : 

Betrachten wir zunächst die Knochen, so finden wir am Femur 
nur an seinen distalen Gelenkenden abnorme Veränderungen und 
Destructionsprocesse. Der Condylus internus ist erhalten, nicht 
verändert und glatt und rund an seiner Oberfläche. Dicht neben ihm 
sehen wir eine cm tiefe, ungefähr ebenso breite Furche von 
2 cm Länge, die zerfressene, usurirte Ränder aufzuweisen hat und 
wie eingenagt aussieht. An dieser Stelle können wir mit dem Pingei^ 
nagel den Knochen eindrücken. Der Condylus extemus fehlt voll¬ 
kommen. Ungefähr an seiner Stelle liegt ein in starke Bandmassen 
eingehülltes Knochenstück, das ungefähr seiner Form und Gestalt 
nach als der abgesprengte Condylus externus angesprochen werden 
muss, wenn es auch nicht mehr dieselben Dimensionen auLsuweisen 
hat, die ihm eigentlich zukommen müssten, eine Folge der jeden¬ 
falls schon stattgefundenen Resorption. In diesem Falle hat es sich 
also um eine Spontanfractur gehandelt, um eine Absprengung des 
Condylus infolge eines geringfügigen Traumas. Denn höchstwahr¬ 
scheinlich wird diese Fractur damals eingetreten sein, als sich nach 
einem Umknicken beim Gehen der Erguss im Kniegelenk plötzlich er¬ 
heblich vermehrt hatte. Ob nun schon die unternommenen Gehversuche 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


645 


die Veranlassung zu der erwähnten Fractur abgegeben haben und 
ob somit also das Umknicken nur als Folge dieser betrachtet werden 
muss oder ob das Umknicken selbst die Fractur erst hervorrief, das 
lässt sich natürlicherweise nicht mit Sicherheit feststellen. 

Ausser diesem Knochenstück finden wir noch, zwischen Femur 
und Tibia liegend, eine breite starke Knochenplatte von ungefähr 
8 cm Länge und 6 cm Breite, die mit ihrem unteren Ende mit der 
Tibia durch starke Bandmassen zusammenhängt und wohl als die 
Patella angesprochen werden könnte, wenn ihre Grösse und ihre 
Structurverhältnisse nicht so wesentlich von denen einer Patella ab¬ 
wichen. Sie müsste sich dann also, da sie vollkommen zwischen 
Tibia und Femur liegt, nach Abreissung der Quadricepssehne und 
infolge der stattgehabten Dislocationen im Gelenk umgelegt haben. 
Irgend ein anderes der noch vorhandenen Knochenstücke als die 
Patella anzusehen, ist wohl so gut wie ausgeschlossen, da diese alle 
nicht im entferntesten weder in Bezug auf Grösse noch in Bezug 
auf Gestalt an die Patella erinnern. 

Des weiteren hat sich, wie in dem Wilms’schen Fall, eine 
dünne Knochenplatte von 7^2 cm Länge und 2 ^/ 2 —3 cm Breite 
gleichsam wie eine Hülse um den Condylus internus gelegt, der wie 
in einer Schale ruht; bei ihrem Anblick kommt man unwillkürlich 
sofort auf den Gedanken, dass es sich um eine verknöcherte Kapsel 
handelt. Eine weitere 7 cm lange und ungefähr 2 cm im Quadrat 
haltende Knochenspange finden wir an der Innenseite des Ge¬ 
lenks in starke Bandmassen eingebettet. Ferner liegt der Tibia¬ 
gelenkfläche noch ein Knochenstück auf, das ungefähr das vordere 
Drittel derselben einnimmt, keilförmig ist und nach der stärkeren 
Seite zu eine Dicke von 2^/2 cm aufzuweisen hat. Auch bei diesem 
wird es sich wohl, wie es ja auch schon auf dem beigefügten 
Röntgenbilde (Fig. 3) zu ersehen ist, um ein von dem Schienbein 
abgesprengtes Knochenstück handeln. Ausser diesen erwähnten 
grösseren Gelenkkörpern finden sich noch mehrere kleinere Knochen- 
bezw. Knorpelstückchen von verschiedener Grösse, die alle in binde¬ 
gewebige Massen eingebettet sind. Kein einziger freier Gelenk¬ 
körper war vorhanden. 

Bei der Tibia hat die hypertrophische Form die Ueberhand 
gewonnen; wir finden an ihren Gelenkenden zahlreiche Knochen¬ 
wucherungen, die die Gelenkfläche in ihrer Gesammtheit verbreitert 
erscheinen lassen und die sich nicht nur auf diese erstrecken, 


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A. Blencke. 


sondern auch auf die Diaphyse übergreifen. So ist z. B. an der 
Rückseite der letzteren eine wallartige, 10^2 cm lange Knochen¬ 
wucherung von 1^2 cm Höhe und ca. 1 cm Dicke nachweisbar. 
Auch das Fibulaköpfchen ist nicht verschont geblieben und zeigt 
hypertrophische Veränderungen. Alle diese und neben diesen auch 
noch andere sind ja deutlich ersichtlich auf den beigegebenen Röntgen¬ 
bildern (Fig. 2 und 3) und photographischen Aufnahmen (Fig. 4 
und 5) der in Frage kommenden Knochen, so dass wir wohl kein 
Wort darüber mehr zu verlieren nöthig haben. 

Betonen möchte ich so¬ 
gleich an dieser Stelle, dass 
an dem untersuchten Fuss- 
gelenk keinerlei krankhafte 
Veränderungen nachzuweisen 
waren weder an den betreffen¬ 
den Knochen noch an den 
Bändern und der Kapsel. 
Auch die aufgenommenen 
Röntgenbilder (Fig. 6 und 7) 
lassen keine Abweichungen 
vom Normalen erkennen. 

Auch an periostalen Kno¬ 
chenauflagerungen ausserhalb 
des Kniegelenks, an Knochen¬ 
wucherungen an den para- 
articulären Theilen fehlt es 
nicht, die wir wohl zum Theil 
als eine Myositis ossificans 
ansprechen können. Ich darf 
wohl nochmals auf die beiliegenden Aufnahmen hinweisen, die ja 
Alles dies deutlich erkennen lassen. 

Die Kapsel und der Bandapparat sind derartig zerstört, dass 
eine Erkennung einzelner Theile überhaupt nicht mehr möglich ist. 
Ober- und Unterschenkel hängen nur an ihrer Innenseite durch 
starke, schwartige, bindegewebige Massen zusammen, in die jenes 
erwähnte 7 cm lange und 2 cm im Quadrat haltende Knochenstück 
eingelagert ist. 

Nach den Beobachtungen Virchow’s, der Gelegenheit hatte, 
mehrere derartige Affectionen im Anfangsstadium zu untersuchen. 



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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


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bandelt es sich bei diesen um dieselben pathologischen Processe, 
sie bei der gewöhnlichen deformirenden Gelenkentzündung auch 
gefunden werden. Später nehmen sie dann aber sehr hochgradige 


Fig. 4.* 



Formen an und können solch’ erhebliche Zerstörungen an den 
Knochen zeigen, wie wir sie nie und nimmermehr bei der ge¬ 
wöhnlichen Arthritis deformans finden werden. Die Veränderungen 
betreffen in erster Linie den gesammten Gelenkapparat, können aber 
auch, wie wir gesehen haben, auf die benachbarten Theile über¬ 
greifen. Wir müssen einen Unterschied zwischen atrophischen und 


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A. Blencke. 


hypertropischen Formen machen; beide können natürlich auch zu¬ 
sammen Vorkommen und mit einander abwechseln. Die Knochen 
erscheinen je nachdem defect, zackig, ausgefranst oder mit Wuche¬ 
rungen besetzt und höckerig. 

Handelt es sich um atrophische Formen, so ist nach Weiz¬ 
säcker oft genug schon eine Rarefaction des Knochengewebes mit 
blossen Augen deutlich bemerkbar, der betreffende Knochen ist mit 
dem Messer leicht zu schneiden —, ein Befund, den ich nur bestätigen 

kann —, während er bei der hypertrophi¬ 
schen Form von elfenbeinartig harter Be¬ 
schaffenheit ist, also einen ganz ähn¬ 
lichen Zustand zeigt wie bei der Arthritis 
deformans. 

Die atrophische Form, bei der der 
Gelenkknorpel mehr oder weniger hoch¬ 
gradig zerstört ist, bei der die Gelenkenden 
wie angenagt erscheinen, bevorzugt meist 
das Hüft- und Schultergelenk, während 
die hypertrophische Form mit ihren 
Knochenwülsten und Auftreibungen, mit 
ihren Wucherungen des öfteren am Knie- 
und Ellenbogengelenk zu finden ist. Eine 
Mittelstellung soll das Kniegelenk ein¬ 
nehmen, wir finden an demselben meist 
am Femur die hypertrophische, an der 
Tibia mehr die atrophische Form, Auch der vorliegende Fall ist 
ein Beleg für jene Ansicht, nur weicht er insofern ab, als bei ihm 
das Femur die atrophische und die Tibia mehr die hypertrophische 
Form aufweist. 

Wie bereits erwähnt, finden wir auch an den extracapsulär 
gelegenen Theilen vom Periost ausgehende höckerige Knochenauflage¬ 
rungen, auch Knochenwucherungen in den benachbarten Sehnen imd 
Muskeln, die sich in nichts von einer Myositis ossificans zu unter¬ 
scheiden pflegen. Buzzard war wohl der erste, der einen der¬ 
artigen Fall beschrieb, bei dem neben der bestehenden Arthropathie 
eine Myositis ossificans nachweisbar war. Auch in unserem Fall 
lässt das beigegebene Röntgenbild (Fig. 2) derartige Veränderungen 
erkennen. 

Die Ansicht Rotter's und anderer Gleichgesinnter, dass diese 



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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


649 


erwähnten Veränderungen nur bei der Arthropathie der unteren 
Extremitäten und nur in solchen Fällen vorzukommen pflegen, bei 
denen die Zerstörung im Gelenk schon einen höheren Grad erreicht 
hätte, oder bei denen Gelenkfracturen vorlägen, dürfte nach Klemm's 
Meinung wohl nicht als allgemein richtig anerkannt werden, da er 
Fälle in der Literatur fand und selbst beobachtet hat, in denen 
derartige Wucherungen zu constatiren waren, auch ohne dass Ge¬ 
lenkfracturen nachzuweisen gewesen wären und auch ohne dass es 
sich um die untere Extremität gehandelt hätte. Er fand z. B. bei 


Fig. 7. 



einem Patienten an der rechten Scapula, also ziemlich weit entfernt 
vom Gelenk eine Exostose; eine Fractur hatte nie bestanden. 

Auch V. Volkmann suchte den Grund der Entstehung dieser 
extracapsulären Knochenwucherungen in versprengten Knochen- 
theilchen. Mit ihm ist auch Kr edel gleicher Ansicht. Er will diese 
als Absprengungen angesehen wissen, die ausserhalb des Gelenks in 
Verbindung mit Muskeln und Sehneninsertionen bleiben und die an 
Volumen zunehmen und zu mächtigen, in die Muskeln hineinragenden 
Knochenmassen werden können. Es handelt sich seiner Meinung 
nach jedenfalls hierbei um eine energische Callusproduktion, die be¬ 
dingt ist durch den Reiz der fortwährenden Verschiebung der Frag¬ 
mente, welche inmitten der Muskeln liegen und von den Patienten 
infolge der bestehenden Analgesie nicht ruhig gehalten werden. 


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A. Blencke. 


Auch deshalb glaubt genannter Autor schon, dass es sich um 
abnorme CallusWucherungen handelt, weil sie einer Rückbildung 
fähig sind. Er verfügt über zwei Beobachtungen von Eniegelenks- 
affectionen bei Tabes, die er eingehend in seiner Arbeit beschreibt, 
bei denen beträchtliche Enochenmassen unter seinen Augen sich 
zurückbildeten. 

Auch Atkin sah einen hühnereigrossen, in der Kniekehle ge¬ 
legenen Knochentumor nach einigen Monaten verschwinden. 

Wilms steht auch nicht auf Klemm’s Standpunkt, nach 
dessen Auffassung es sich um trophoneurotische Processe handelt, 
infolge deren sich eine Myositis ossiiicans ausbildet und nach dessen 
Ansicht mit dieser seiner Auffassung auch diejenige, der schon 
Nicoladoni vor Jahren Ausdruck gab, dass nämlich diese Er¬ 
krankung wohl den trophoneurotischen Processen zugezählt werden 
müsse, wieder an Boden gewinnt. Er will für derartige Knochen¬ 
neubildungen keinen Nerveneinfluss verantwortlich machen; seiner 
Meinung nach werden lediglich die infolge der Analgesie stärker 
insultirten Weichtheile, Kapseln und Kapselbänder, Muskel- und 
Sehnenansätze ossificirt. 

Wenn auch betreflFs des Zusammenhanges von Myositis ossi- 
ficans und Nervenleiden in der Literatur einige positive Befunde 
vorzuliegen scheinen, von Ebstein, Eichhorst u. a. mehr, so will 
Wilms dennoch einen directen ursächlichen Zusammenhang nicht 
gelten lassen; er stellt sich auf Rotter’s Standpunkt, da in seinen 
Fällen immer diejenige Musculatur Verknöcherungen aufwies, die 
durch die Veränderungen im Gelenk stärker in Anspruch genommen 
wurde und die ohne jede Schonung überanstrengt und traumatischen 
Insulten ausgesetzt war. Für ihn unterliegt es deshalb keinem 
Zweifel, dass die hier vorliegenden Processe, besonders die Myositis 
ossificans auf eine Stufe zu stellen sind mit den Exercier- und Reit¬ 
knochen, mit jenen Muskelverknöcherungen also, an deren traumatischer 
Natur wohl heute Niemand mehr zweifelt. 

Auch dafür, dass derartige Wucherungen am Knochen selbst 
auftreten können, auch wenn kein Nervenleiden, speciell keine 
Tabes vorhanden ist, sind Beweise vorhanden. Virchow fand die¬ 
selben bei einer hochgradigen Arthritis deformans und Lange nach 
einem doppelseitigen Knochenbruch. Auch mir steht ein Fall zu 
Gebote, bei dem sich nach einer Beckenfractur so hochgradige 
Knochen Wucherungen nicht nur an der Bruchstelle, sondern auch 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


051 


weiter von derselben entfernt ausbildeten, wie man sie wohl nicht 
allzu oft zu sehen bekommt. Herr Sanitätsrath Dr. Möller, diri- 
girender Arzt der chirurgischen Abtheilung des Krankenhauses Alt¬ 
stadt hier, besprach diesen Fall an einem der hier stattfindenden 
klinischen Abende und stellte mir denselben bereitwilligst zur Ver¬ 
fügung. Es ist mir eine angenehme Pflicht, auch nochmals an dieser 
Stelle genanntem Herrn meinen verbindlichsten Dank zu sagen für die 
mir erwiesene Freundlichkeit. 

Der betrefiende Patient hatte im Jahre 1893 durch Unfall 
einen Beckenbruch erlitten. Nach ungefähr 4 Wochen machte er 
wieder die ersten Gehversuche, die mit der Zeit immer besser wurden. 
Die Schmerzen im rechten Bein will er nie los geworden sein, im 
Gegentheil bemerkte er in den Jahren 1896, 1897 ein Zunehmen 
derselben, das sich namentlich in Taubheit und in Kribbeln im 
ganzen Bein äusserte. Patient starb im Jahre 1898 an Phthise. 
Irgendwelches Nervenleiden war nicht vorhanden. 

Ich habe nun einige Abbildungen des betreffenden Beckens 
beigefügt (Fig. 8, 9, 10), auf denen man ungefähr wenigstens die 
gewaltigen Knochenwucherungen erkennen kann, die nicht nur einen 
grossen Theil der inneren und äusseren Beckenschaufeln einnehmeu, 
sondern auch am Kreuzbein und anderen Stellen sichtbar sind; 
namentlich fällt am rechten horizontalen Schambeinast neben der 
Schambeinfuge ein grosser schnabelförmiger, knöcherner Vorsprung 
sehr in die Augen. 

Kehren wir nun zurück zur eigentlichen Arthropathie, so können 
wir die im Gelenk befindlichen Knochen- bezw. Knorpelstücke und 
-Stückchen mit Kredel auf Grund der an unserem Präparat ge¬ 
machten Beobachtungen in zwei Abtheilungen theilen: es kann sich 
um abgesprengte Knochenstücke handeln, es können aber auch neu¬ 
gebildete sein. Das Schicksal der ersteren kann sich nun nach ge¬ 
nanntem Autor verschiedenartig gestalten: manchmal kann man die 
abgesprengten Fragmente an Gestalt und Form, an Grösse und Be¬ 
schaffenheit noch deutlich als solche erkennen, manchmal zeigen sie 
aber auch beträchtliche Volumenabnahme, beträchtliche Atrophie. 
Ja sie können ganz der Resorption anheimfallen und verschwinden 
und somit auch gewissermassen als Fracturen entgehen. Auch in 
meinem Falle hatte der Resorptionsprocess schon begonnen und 
seine Spuren hinterlassen. 

Die Synovialis ist, falls dieselbe überhaupt noch vorhanden 


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A. Blencke. 


ist, von blassem Aussehen. Ihre Oberfläche zeigt reichliche Zotten¬ 
bildung. 

Kapsel- und Bandapparat sind erweitert und erschlafiPt, schwartig 
verdickt oder erheblich zerstört. In denselben finden wir jene be¬ 
reits erwähnten Enocheneinlagerungen, die manchmal ganz gewaltige 
Ausdehnungen annehmen und erreichen können, z. B. in einem Fall 
(Bensch-Wolff) von Handtellergrösse. Auch in dem vorliegenden 
Falle Hessen dieselben bezügHch ihrer Grösse nichts zu wünschen übrig. 


Fig. 8. 



In weiter vorgeschrittenen Fällen ist von einer Gelenkkapsel 
bezw. von einem Bandapparat nichts mehr vorhanden. Die Knochen 
sind nur von einem schwartig verdickten Gewebe umgeben, an dem 
sich die einzelnen Bestandtheile nicht mehr erkennen lassen. 

Bei diesen kolossalen Veränderungen an den Knochen und vor 
allen Dingen bei diesen so plötzUch und häufig auftretenden Spontan- 
fracturen nach oft nur ganz geringfügigen Traumen sollte man doch 
annehmen, dass das in Frage kommende Knochengewebe nicht seine 
normale Festigkeit, nicht seine normale Widerstandsföhigkeit besässe; 
denn bei festen, normalen Knochen könnten doch derartige Fracturen 
nicht Vorkommen nach Traumen, die oft nur ganz leichter Natur 
sind und in keinem Verhältniss stehen zu den vorhandenen VeMde- 
rungen. Ja es sind sogar Fälle beschrieben worden, bei denen selbst 
bei andauernder Bettruhe derartige Veränderungen auftraten. 

Dass unter nervösen Einflüssen infolge einer verschlechterten 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


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Ernährung sich die Festigkeit und Structur eines Knochens ändern 
kann, haben schon Broca und Mayo nachgewiesen, die bei alter 
Hemiplegie und Paraplegie die betreffenden Knochen atrophisch er¬ 
weicht, brüchig und aufgelockert fanden, und dass solche schlecht 
genährten Knochen sehr viel leichter und schneller den feindlichen 
Gewalten unterliegen als ein gesunder Knochen, darauf hat Virchow 
schon in den fünfziger Jahren hingewiesen. 

Auch bei den Sectionen von Gelenkaffectionen Tabischer sind 


Fig. 9. 



derartige Befunde erhoben, die auch von Rotter in keiner Weise 
angezweifelt werden; nur stammten nach seiner Zusammenstellung 
gerade die eclatantesten Präparate von Patienten, die an Marasmus zu 
Grunde gegangen, oder lange, lange Zeit zur Bettruhe verurtheilt 
waren. 

Wie bereits erwähnt, ist nach Weizsäcker oft genug schon 
eine Rarefaction des Knochengewebes makroskopisch deutlich be¬ 
merkbar, ein Befund, der auch von Lionville, Heydenreich 
und Blanchard mikroskopisch bestätigt wurde. Blanchard fand 
an solchen Knochen die Havers’schen Canälchen von ihrem normalen 
Durchmesser von 36—60 |jl bis zu einem Durchmesser von 500 |i 
erweitert. Diese erweiterten Canälchen sah er dann mit einander 
verschmelzen. Die dadurch entstandenen Lacunen hatten sich mit 
Fett gefüllt. 

Regnard kam zu denselben Resultaten und fand bei der 


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A. Blencke. 


Analyse eines Femurknochens den Gehalt an phosphorsaurem Kalk 
bedeutend vermindert. Die Knochen zeigten sehr bedeutende Ab¬ 
weichungen von der Norm; denn die unorganischen Bestandtheile 
machten nur 24®/o statt 66®/o, die organischen 76 statt 33®/o des 
Gewichtes aus. Die Abnahme der Knochenerde beruhte ausschliess¬ 
lich auf einer Verminderung des Gehalts an Phosphaten, 10 statt 
50®/o, die Zunahme der organischen Bestandtheile auf einer enormen 
Vermehrung des Fettgehaltes, der 37®/o des Gewichtes betrug. 


Fig. 10. 



während bekanntlich ein gesunder, seines Markes beraubter Knochen 
nur Spuren von Fett enthält. Nach Bruns handelt es sich dem¬ 
nach hierbei um einen beinahe vollständigen Schwund der Kalksalze 
und Ersatz durch Fett, d. h. um eine Rarefaction der compacten 
Substanz und Anfüllung der erweiterten Markräume mit Fett 

ROtter vermisst bei allen diesen Untersuchungen, so exact 
und schön sie auch seiner Meinung nach ausgeführt sind, jegliche 
Angaben über den klinischen Verlauf, die entschieden bei derartigen 
Untersuchungen nicht fehlen dürfen; und da ja, wie schon betont, 
lang dauernde Ruhe und kachektische Zustände auch einen enormen 
Einfluss auf den Knochen ausüben können, so ist sich Rotter nicht 
ganz sicher, ob die vorhandenen Befunde nicht auf diese zurück¬ 
zuführen seien. 

Er hat vier Präparate, von denen drei recht frühzeitig, etwa 
vier Monate lang nach dem Beginn des Leidens durch Resection 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


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gewonnen wurden, untersucht und konnte an diesen drei keine Rare- 
faetion des Knochens und dergL makroskopisch erkennen. Auch in 
dem vierten Präparat, welches die Resection des Kniegelenks fünf 
Jahre nach Beginn des Leidens lieferte, liess sich von der Rare- 
faction des Knochengewebes nichts feststellen. Selbst an den SchlifiP- 
präparaten war Rotter nicht im Stande, nennenswerte Ausweitungen 
der Havers'schen Canälchen nachzuweisen, eine Thatsache, die auch 
von anderen Autoren bestätigt wurde. Dennoch ist es seiner Meinung 
nach klar, dass eine derartige Brüchigkeit da sein kann, aber nicht 
da sein muss, eine Brüchigkeit, die nach Charcot’s Ansicht nicht 
über den ganzen Knochen verbreitet zu sein braucht, sondern nur 
circumscripte Stellen desselben befallen kann. Ist sie da, dann 
werden eben nach Rotter’s Ansicht die mechanischen Momente ge¬ 
ringer zu sein brauchen, um Absprengungen und dergl. mehr zu 
bewirken, ist sie nicht da, dann müssen die mechanischen Momente 
stärkere sein. 

Julius Wolff fand bei zwei Arthrektomien, die er bei der¬ 
artigen Affectionen ausführte, beide Male sulzige Massen, die die 
abgeschliffenen Oberflächen der Gelenkenden bedeckten. Von diesen 
sulzigen Massen erstreckten sich Fortsätze in den Knochen hinein, 
die an einzelnen Stellen von der oberen Gelenkfläche der Tibia aus 
fast ganz bis an die vorderen und seitlichen Oberflächen des Knochens 
in schräger Richtung herabstiegen. Dieser Befund schien ihm den 
sehr merkwürdigen Umstand zu erklären, dass bei der Arthropathia 
tabica so sehr leicht bei ganz geringen traumatischen Anlässen 
Knochenstücke abbrechen. In seinen beiden Fällen fand er neben 
losen Knochenstücken solche, die beinahe los waren, und bei denen 
man deutlich sah, dass es nur eines geringen Anlasses bedurfte, um 
sie gänzlich abzutrennen. 

König tritt dieser Ansicht entgegen; er kommt auf Grund 
der von ihm gemachten Beobachtungen zu der Ansicht, dass es auf 
jeden Fall häufig anders sein muss. Er fand den Knochen wieder¬ 
holt unverändert bei derartigen Fracturen. Auch in dem vorliegen¬ 
den Falle konnte ich die erwähnten sulzigen Massen nicht nach- 
weisen. 

In den letzten Jahren ist uns nun in den Röntgenstrahlen ein 
wesentliches Hilfsmittel bei derartigen Untersuchungen erstanden. 
Wir sind nun nicht mehr lediglich auf die Sectionen angewiesen, auf 
die Untersuchungen von Präparaten, sondern wir können uns in allen 


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A. Blencke. 


Fällen und in allen Stadien sicheren Aufschluss holen und somit 
auch den Process in den einzelnen Phasen verfolgen. Mit den anderen 
diagnostischen Hilfsmitteln können wir wohl feststellen, dass in den 
betreffenden Gelenken Veränderungen am Knochen da sein müssen, 
aber welcher Art sie sind und welche Ausdehnung sie bereits an¬ 
genommen haben und in wie weit ein veränderter Knochen daran 
Schuld ist, das festzustellen, gelingt uns nur sicher mit Hilfe der 
genannten Strahlen. 

Köhler hat sich nach dieser Richtung hin schon in verschie¬ 
denen Arbeiten mit dieser Materie beschäftigt. Er konnte in allen 
derartigen Fällen eine gewisse Atrophie an den Knochen nachweisen. 
die er nicht immer als reine Inactivitätsatrophie angesehen wissen 
möchte, entstanden durch den Ausfall des functionellen Reizes. Er 
glaubte noch nach anderen Factoren suchen zu müssen. 

Nach den Versuchen an Thieren, bei denen die Nervendurch¬ 
schneidung ausgeführt war von Schiff, Vulpian, Nasse u. a. mehr, 
darf es als wahrscheinlich angenommen werden, dass die Ernährung 
der Knochen unter dem Einfluss der Nerven steht, wenn die Nerven 
hier auch nicht den absoluten Einfluss ausüben, den sie z. B. nach 
Samuel auf die Muskeln und gewisse Drüsen besitzen. 

Die neben den atrophischen Veränderungen bestehenden Hyper¬ 
trophien könnte man nach Köhler als eine Folge der Lähmung der 
Vasomotoren oder als entzündliche Erscheinungen auffassen. Erstere 
Auffassung stützen nach Köhler’s Ansicht die Versuche von Dum¬ 
reicher, Helferich und Schüller, die durch künstliche Er¬ 
zeugung venöser Hyperämie eine Steigerung des Knochenwachsthums 
erzielten. Anderseits beobachteten auch VSTichmann und Stöltzner 
eine zuweilen hochgradige Atrophie bei Fracturen rhachitischer Ober¬ 
schenkelknochen, wenn diese längere Zeit vertical suspendirt waren. 
Dies führten sie mit Wahrscheinlichkeit auf die durch die Elevation 
erzeugte arterielle und venöse Anämie des Knochens zurück. 

Für die Erklärung der Knochenhypertrophien durch entzünd¬ 
liche Vorgänge als Folge der durch die Anästhesie bewirkten mecha¬ 
nischen Schädigungen sprechen namentlich nach Köhler die merk¬ 
würdigen Versuche über die zuweilen monströse Steigerung der 
Callusbildung bei Knochenbrüchen an solchen Gliedern, an denen zuvor 
die Nerven durchschnitten waren. Deraitige geschwulstähnliche 
Callusbildungen nach Nervendurchschneidung sind von mehreren 
Forschem beobachtet worden, zuerst wohl von Schröder van der 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


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Kolk. Der Callus war an den neurotomirten Extremitäten stets 
grösser und härter als an denen, deren Nerven intact waren. 

Durch alle diese Experimente ist nach Köhler's Meinung für 
die Erklärung der vorhandenen atrophischen und hypertrophischen 
Veränderungen der Knochen bei Tabes und Syringomyelie, bei der 
ja bekanntlich ganz gleiche Zustände beobachtet werden, ein Schritt 
vorwärts gethan, immerhin aber erst ein Schritt. Ebenso wie die 
Knochen, werden nun auch selbstverständlich die Gelenke durch 
diese Erkrankungen des Nervensystems in Mitleidenschaft gezogen. 
Köhler hält eine normale Gelenksensibilität für unerlässlich für 
ein geordnetes Zusammenwirken der Musculatur; wenn diese normale 
Muskelsynergie nicht mehr zu Stande kommen kann, dann werden 
die Muskeln unzweckmässig contrahirt und entspannt, es entstehen 
nach Köhler ungleichmässige Druckvertheilung, Zerrungen und 
Spannungen, die natürlich nicht ohne Einfluss bleiben können. 

Dass natürlich die Auffassung, dass die auf experimentellem 
Wege erzeugten Knochen- und Gelenkerkrankungen trophischen 
Ursprungs seien, auch von anderer Seite bemängelt wurde, war ja 
unausbleiblich: die Inactivität infolge der Lähmung des Gliedes 
spräche hierbei mit. Schiff trat aber dieser Ansicht entgegen. Er 
hat bei einseitiger Durchschneidung der motorischen Kiefemerven nur 
einseitige Knochenatrophie gefunden, trotz doppelseitiger Unbeweg¬ 
lichkeit des Kiefers. Auch die Schnelligkeit, mit der viele Autoren 
Knochenatrophien bei ihren Experimenten auftreten sahen, lässt sich 
nach Nasse und Nonne nicht mit der Annahme einer einfachen 
Inactivität vereinigen. 

Auch Kienboeck hat verschiedentlich Röntgenuntersuchungen 
derartiger neuropathischer GelenkafFectionen vorgenommen und ver¬ 
fügt über eine ganze Reihe von Radiogrammen, aus denen sich meistens 
die neuropathische Natur dieser direct diagnosticiren lässt. Nach 
seinen Erfahrungen veranschaulichen dieselben insbesondere vortreff¬ 
lich die Anwesenheit von Deformationsluxationen und Fracturen, von 
Formenveränderungen der Gelenkenden, von Abschleifungen und 
Wucherungen, von Verknöcherungen in den Bandapparaten, in den 
Sehnen und Muskeln um das Gelenk, und zeigen endlich deutlich 
die Structurveränderungen, ob Eburnation, ob Rarefication, ob Um¬ 
lagerung der Knochenbälkchen vorliegt. 

Der Ansicht Nalbandoff’s, dass die Spontanfracturen bei 
Tabes und Syringomyelie auf Kalkarmuth beruhen dürften, wieder- 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 43 


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spricht Kienboeck auf Grund seiner Erfahrungen, soweit sie sich 
auf seine radiographischen Untersuchungen beziehen, nachdrücklich. 
Dieselbe ergaben, dass bei jenen Individuen die Knochen des ganzen 
Skelets und speciell die Diaphysen, welche von Fracturen befallen 
waren, nach Intensität vollkommen normale Schatten gaben, so weit 
dieselben sonst, abgesehen natürlich von den Fracturen selbst, keine 
Formveränderungen zeigten. Abnorm dunkel oder hell waren nur 
die Gelenkenden der Knochen an den Stellen, wo Arthropathien vor¬ 
handen waren. 

Die Ursache der abnormen Brüchigkeit kann demnach eher in 
einer durch abnorme Lagerung der Knochenbälkchen bedingten patho¬ 
logischen Structur und in Veränderungen der organischen Grund¬ 
substanz gesucht werden nach Kienboeck's Ansicht, die sich natürhch 
nur auf die Untersuchungen derartiger Aflfectionen mit Röntgenstrahlen 
stützt, die vor allen Dingen den guten Zweck haben, dass in der 
Praxis so manche zuerst unklare Fälle von Spontanfractur und Arthro¬ 
pathie durch sie der richtigen Diagnose zugeführt werden. 

Betreffs des Befundes auf Röntgenaufnahmen von neuropathi- 
schen Gelenkaffectionen kann ich mich nur Kienboeck voll und ganz 
anschliessen; ich habe wohl nicht nöthig, nochmals darauf näher 
einzugehen, da ich bereits früher schon darüber gesprochen habe. 

Mit diesen letzten Erörterungen sind wir nun aber schon un¬ 
vermerkt auf das Gebiet der Aetiologie dieser Arthropathien hinüber¬ 
gelangt, mit dem wir uns nun noch etwas eingehender befassen 
wollen. 

Sehen wir uns einmal die verschiedenen Theorien und An¬ 
schauungen, die die einzelnen Forscher für die Entstehung dieser 
Gelenkleiden angegeben bezw. aufgestellt haben, in ihrer Gesammt- 
heit an, so stehen sich zunächst zwei Richtungen gegenüber: die 
einen wollen diese Arthropathien als eine directe trophische Störucg 
auf Grundlage der Rückenmarkserkrankung aufgefasst wissen, die 
anderen führen sie nur indirect auf die Rückenmarksaffection zurück 
und schuldigen vor allen Dingen die vielfachen Insulte an, denen 
solche Gelenke infolge der bestehenden Ataxie, Analgesie und dergl 
mehr ausgesetzt sind. Auf der einen Seite stehen mehr die Neuro¬ 
logen, auf der anderen Seite mehr die Chirurgen. 

Zu ersteren gehört vor allen Dingen C har cot, der diese neuro- 
pathischen Gelenkerkrankuugen einer Affection trophischer Centren 
in den Vorderhörnern des Rückenmarkes zuschrieb und zwar ver- 


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anlasste ihn zu dieser Annahme der Befund, den er in einem Falle 
erheben konnte, in dem er eine Atrophie in den grauen Vorder- 
hömem des Halsmarkes nachzuweisen im Stande war. 

Leyden hatte Gelegenheit, einen Fall mit schweren tabischen 
Gelenkaffectionen der beiden Kniee, der infolge eines Empyems zu 
Grunde ging, zu untersuchen. Die Autopsie und mikroskopische 
Untersuchung ergab neben dem charakteristischen Befunde der 
Hinterstrangsklerose im Rückenmark vollkommene Integrität der 
grossen Ganglienzellen in den Vorderhörnern der Lendenanschwellung. 
Auch von anderer Seite ist die Annahme C h a r c o t’s nicht bestätigt: 
Bouceret, Coyne, Raymond, Marinescu sahen auch keine der¬ 
artigen Veränderungen. Charcot dürfte wohl von Anfang an mit 
dieser seiner Theorie nur wenig Anhänger gefunden haben. Die 
Gründe, die sich ausserdem noch dagegen sagen liessen, waren so 
gewichtig und lagen so klar zu Tage, dass ein Zweifel schwerlich 
noch aufkommen konnte. 

Ahrens hat erst in neuerer Zeit wieder auf die Haltlosigkeit 
dieser Theorie hingewiesen und als Hauptgegenargument das an¬ 
geführt, dass, wenn Charcot mit seiner Theorie Recht hätte, die 
Arthropathie ja auch sicherlich gewissermassen eine constante Be¬ 
gleiterscheinung der Poliomyelitis anterior acuta sein müsste, was ja 
doch aber bekanntermassen keineswegs der Fall ist. 

Jedoch was brauchen wir länger noch nach Gründen zur Wider¬ 
legung dieser Theorie zu suchen? Charcot selbst hat dieselbe ja 
später fallen lassen, nachdem er in einem Fall keine pathologischen 
Veränderungen an den erwähnten Stellen vorgefunden hatte. 

Eine weitere Theorie, die dieser Charcot'schen insofern sehr 
ähnlich ist, als sie auch centralen Ursprungs ist, ist die Buzzard’sche. 
Buzzard machte auf das relativ häufige Zusammentreffen von gastri¬ 
schen Krisen mit dem Eintritt von Arthropathien bei Tabeskranken 
aufmerksam, das er für keinen Zufall hielt. Er fand bei 26 mit 
Arthropathie behafteten Tabikern 12mal gastrische Krisen. Seiner 
Meinung nach findet sich in der Nähe der Vaguswurzel in der 
Medulla oblongata ein Centrum für das Knochen- und Gelenksystem 
vor und eine Erkrankung jener Stelle gibt nun sowohl im Vagus als 
auch in diesem Centrum zu Störungen Veranlassung. Weizsäcker 
hat aber auch neuerdings wieder, nachdem bereits schon früher West- 
phal gegen diese Theorie gesprochen und seine Bedenken geäussert 
hatte, diese mit triftigen Gründen zu widerlegen gesucht. Nach 


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A. Blencke. 


seiner Meinung entbehrt diese Hypothese fast jeden festen Unter¬ 
grundes schon deshalb, weil sich alle die Fälle nicht erklären Hessen, 
bei denen nur ein Gelenk befallen war. Und das sind doch weit¬ 
aus die meisten! 

Des Weiteren konnte Weizsäcker unter seinen 109 Fällen 
nur 30 herausfinden, bei denen gastrische Krisen mit den Gelenk- 
affectionen zusammenfielen, und nur einen einzigen Fall unter ihnen, 
bei denen sich ein mikroskopischer Befund vorfand, der vielleicht 
als Beleg für diese Theorie dienen könnte. 

Auch damit dürfte wohl diese Theorie abgethan sein, und wir 
kämen nun zur zweiten Kategorie. 

Im Jahre 1872 trat in der Berliner medicinischen Gesellschaft 
Senator und mit ihm auch Friedländer für eine Theorie ein, auf 
die auch schon früher von französischen Autoren aufmerksam ge¬ 
macht war. Er wollte diese Gelenkaffectionen durch traumatische 
Insulte entstanden erklären, denen die betreffenden Patienten, weil 
sie ihre Glieder ungeschickt gebrauchen und ihre Sensibilität gestört 
ist, leicht ausgesetzt sind, eine Erklärung, die, obwohl sie schon da¬ 
mals in Westphal einen Gegner fand, der sie absolut nicht gelten 
lassen wollte und entschieden verwarf aus dem Grunde, weil die 
Schwellungen schon oft zu einer Zeit beobachtet wurden, wo ausser 
excentrischen Schmerzen bedeutende Motilitäts- und Sensibilitäts¬ 
störungen nicht vorhanden waren, trotzdem immer mehr und mehr 
Anhänger gewann. 

Namentlich trat Volk mann in den 80er Jahren für dieselbe 
ein; er wollte diese Arthropathien bei Tabes als nichts anderes an¬ 
gesehen wissen, als eine Art deformirender Gelenkentzündung, die 
durch die infolge der bestehenden Ataxie stattfindenden Zerrungen 
der Gelenkkapsel und der Bänder, durch die gestörte Function und 
theils auch durch die Inactivität, theils auch durch die Combination 
dieser beiden verursacht werde. 

Leyden, der sich wiederholt für die neurotische Natur dieser 
Gelenkaffectionen ausgesprochen hatte, wurde später auf Grund mehrerer 
von ihm beobachteter Fälle in seiner Ansicht wankend und neigte 
sich mehr der Volkmann'schen Auffassung zu. 

Auch Rotter ist ähnlicher Ansicht. Er führt als ersten wich¬ 
tigen Factor die Ataxie an. Aus seiner Statistik, bei der von 52 Fällen 
40 im ataktischen Stadium der Tabes standen, glaubt er den Schluss 
ziehen zu können und ziehen zu müssen, dass die Incoordination der 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


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Bewegungen auf die überwiegende Mehrzahl der erkrankten Gelenke 
ihren schädlichen Einfluss ausübt. Da nach seiner Ansicht solche 
Patienten mit Benutzung der Hemmapparate der Gelenke gehen, 
können mit der Zeit Ausdehnungen der Kapsel und Bänder zu Stande 
kommen, durch die eben die Mechanik der Bewegungen verändert 
wird. Wenn nun auf derartig gelockerte Gelenke durch die incoordi- 
nirten Bewegungen starke Insulte einwirken, können eben leicht 
Läsionen des Gelenkapparates, Kapselzerreissungen, Absprengungen 
und ausgedehntere Gelenkfracturen herbeigeführt werden. Den Ein¬ 
wand, dass auch Fälle beschrieben worden sind, bei denen bei an¬ 
dauernder Bettruhe auch erhebliche Veränderungen entstanden waren, 
lässt Rotter nicht gelten, da unter den von ihm zusammengestellten 
Fällen nach einer genauen Analyse der Casuistik nur ein Fall übrig 
blieb, bei dem ausserdem die Aufzeichnungen sehr spärlich waren 
und bei dem es Rotter auch noch dahingestellt lassen will, ob 
nicht schon vorher das Gelenk an Arthritis deforraans erkrankt war, 
ob bei den ataktischen Bewegungen nicht Läsionen im Gelenk vor¬ 
gekommen sind, ob die Kapsel durch den bedeutenden Erguss nicht 
stark ausgedehnt und erschlafft war. 

Virchow will keinen principiellen Unterschied zwischen der 
Arthropathie und einer gewöhnlichen Arthritis deforraans gemacht 
wissen. Er ist der Ansicht, dass, wenn es überhaupt bei einer Tabes 
zu einer Gelenkaflfection kommen soll, eine locale Einwirkung, ein 
localer Einfluss auf das betreffende Gelenk vorausgegangen sein muss. 

Nach seinen Erfahrungen, die allerdings, wie er sich im Jahre 
1886 äusserte, nicht sehr gross waren, kann ein wirklicher Local¬ 
unterschied nicht gemacht werden. „Man kann in der That sagen: 
sie ist eine Arthritis deforraans nach Tabes oder bei Tabes.“ Das 
sind seine eigenen Worte. 

Er fand die ersten Anfänge bei der Arthritis deforraans am 
Knorpel; es handelte sich also um eine primäre Knorpelaflfection. 
Erst nach und nach im Laufe von Jahren treten die weiteren Ver¬ 
änderungen ein, die sich allerdings zuletzt so sehr summiren können, 
dass sie schliesslich alle Theile bis zu den extracapsulären hin be¬ 
treffen und dass sogar Fälle Vorkommen, bei denen scheinbar die 
extracapsulären Theile stärker verändert sind als die intracapsulären, 
wie der von ihm beschriebene Fall klar und deutlich zeigt, den ich 
bereits schon einmal erwähnt habe. 

Auch bei der tabischen Arthropathie ist nach Virchow der 


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A. Blencke. 


Knorpel das primär leidende Gewebe. Das, wodurch sich nach seiner 
Auffassung die Formen bei Tabes von den gewöhnlichen unter¬ 
scheiden, ist der schnellere Verlauf und die stärkere Wirkung*. Die 
einzelnen Dinge vollziehen sich mit sehr viel grösserer Heftigkeit: 
die Quantität der Umwandlungen, welche in kürzester Zeit geliefert 
werden, ist sehr viel grösser. 

Dass der Nerveneinfluss eine verschlechterte Ernährung auch 
im Knochen selbst bedingt, gibt Virchow zu; er steht auf dem 
Standpunkt, dass gewisse Nervenveränderungen einen trophischen 
Einfluss auf die Knochen ausüben; er kann aber nicht anerkennen, 
dass irgend ein Fall bis jetzt bekannt geworden ist, wo nachweis¬ 
lich ein trophischer Einfluss vom Rückenmark aus sich in der Weise 
auf ein einzelnes Gelenk erstreckt hätte, dass nur dieses einzelne 
Gelenk afficirt worden wäre. „Da hört doch in der That, scheint 
mir, die Logik auf, wenn jemand verlangt, dass man glauben soll, 
es könnte eine allgemeine Veränderung im Rückenmark ein einzelnes 
Gelenk auswählen, es in einen so schweren Zustand von Verände¬ 
rung versetzen. Dazu bedarf man noch eines localen Einflusses.* 
Tabes gibt nach Virchow die Causa praedisponens oder die Prä¬ 
disposition selbst durch die Verschlechterung der Ernährung, welche 
sie mit sich bringt, aber die Localisation und die Entwickelung des 
Processes an einem oder an einigen Gelenken ist nicht mehr von 
der Tabes als solcher abhängig, sondern von irgend welchen localen 
Einwirkungen, welche dieses Gelenk betroffen haben, nur dass sie 
sich hier in einem ungewöhnlich starken Maasse geltend machen. 

Es scheint Virchow durchaus nicht zweifelhaft, dass die ge¬ 
wöhnlichen Ursachen, die für die Entstehung von Gelenkkrankheit^n 
verantwortlich gemacht werden, mechanische sowohl wie thermische, 
auch für die Arthropathia tabidorum ihre Bedeutung behalten müssen. 
Auch schon vorher, ehe die Tabes zur Entwickelung gekommen ist, 
könnte ja aus irgend einem anderen Grunde eine Gelenkveränderung 
bestanden haben. 

Von ähnlichen Anschauungen geleitet hat Jürgens die Ge¬ 
lenke bei Tabes untersucht, wo noch kein Verdacht auf Arthropathie 
vorlag. Er wollte sehen, ob vielleicht schon vor der eigentlichen 
Arthropathie Veränderungen in den Gelenkapparaten Vorkommen, 
welche als solche für die eventuell später auftretenden entzündlichen 
Vorgänge besondere Bedeutung haben. Er fand constant an allen 
grösseren Gelenken Dilatationen der Kapseln und Elongationen der 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


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Bänder, oft in sehr bedeutendem Grade, die nicht etwa hervor¬ 
gebracht waren durch vorhandene Exsudate. 

An dem Fussgelenk, das ich untersucht habe, fand ich nichts 
derartiges, obwohl das Kniegelenk derselben Extremität so hoch¬ 
gradige Veränderungen aufwies. 

Köhler konnte die Beobachtungen Virchow’s insofern be¬ 
stätigen, als er auf den von ihm angefertigten Röntgenbildern auch 
keinen Unterschied in den Knochenbefunden von Arthritis deformans 
und Arthritis tabica entdecken konnte. 

Wenden wir uns nun den Einwänden zu, die gegen diese 
Theorien gemacht wurden. 

Was fangen wir mit den Fällen an, bei denen gleichsam die 
Gelenkaffection als Frühsymptom der Tabes auftritt, zu einer Zeit 
also, wo noch alle sonstigen Zeichen einer solchen fehlen. Es sind 
doch Fälle genug beobachtet worden, in denen derartige Arthro¬ 
pathien im präataktischen Stadium auftraten, Fälle, bei denen also 
an irgendwelche ataktische Bewegungen gar nicht zu denken war. 
Wenn auch C har cot wohl etwas zu weit ging, wenn er sagte, dass 
es fast die Regel sei, dass die Arthropathien sich in diesem Stadium 
zeigten, so ist die Anzahl der Fälle doch keineswegs gering. So 
gehörte z. B. die Mehrzahl der von Schneider in seiner Disser¬ 
tation aus der Hallenser chirurgischen Klinik veröffentlichten Fälle 
hierher. 

Für das sicherste Argument, welches man anführen kann, um 
einen bedeutenden Einfluss der Ataxie bei der Entstehung der tabischen 
Gelenkaflfectionen ausschliessen zu können, halten Schneider u. A. 
schon vor ihm dasjenige, dass nämlich eine Arthropathie bei einem 
Tabiker auch bei eingehaltener Bettruhe entstehen kann, ein Argu¬ 
ment, das Rotter keineswegs aus den schon früher erwähnten 
Gründen gelten lassen will, und das auch von anderer Seite nicht 
anerkannt wurde, da doch ein derartiger Tabiker nie ganz regungs¬ 
los im Bett zu liegen pflege und da sich Gelegenheit genug biete, 
unversehentlich z. B. bei lancinirenden Schmerzen an eine Bettkante 
oder ähnliches zu stossen oder auch einmal im Schlafe eine un¬ 
bewusste brüske Bewegung zu machen, ein Insult, der nur gering¬ 
fügig sein mag, aber nach der Meinung der Gegner jener Theorie 
als veranlassende Ursache in derartigen Fällen vollauf genügen dürfte. 

Auch mein Patient lag seit einer Reihe von Jahren zu Bett 
und machte nur ab und zu geringe Bewegungsversuche, die aber 


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A. Blencke. 


immer die Ursache abgaben zu einer neuen weiteren Etappe der 
bestehenden GelenkafiFection, zu einer Verschlechterung derselben, die 
niemals im Bett bei völliger Ruhe eintrat. Die erste Anschwellung 
des Kniegelenks entstand, als er noch auf den Beinen war; dieselbe 
nahm plötzlich zu bei einem Gehversuch infolge leichten Einknickens. 
Vor ungefähr IV2 Jahren erlitt Patient gelegentlich des ümbettens 
einen Stoss gegen das Knie, der die Veranlassung zu einer weiteren 
Verschlechterung war; seit dieser Zeit besteht die falsche Stellung. 
Wieder ein leichter Stoss verursachte nach der Angabe des Patienten 
das »Aufkommen“ der Geschwulst, kurzum für jede Verschlechte¬ 
rung wurde ein mechanischer Insult angeschuldigt. 

Eine sehr wesentliche Stütze hat nach Sonnenburg die Theorie 
der Abhängigkeit dieser neuropathischen Gelenkerkrankungen von 
dem Rückenmarksleiden dadurch erhalten, dass in den letzten Jahren 
die den tabischen so nahe verwandten gliomatösen Arthropathien, 
d. h. die bei Syringomyelie auftretenden Formen besser erkannt uni 
studirt wurden, bei denen ja bekanntlich die Ataxie so gut wie gar 
nicht vorkommt und nur in ganz wenigen Fällen gefunden wird. 

Bei denselben ist nach Graf, abgesehen von einigen wenigen, 
jedenfalls nicht schwer in die Wagschale fallenden Verschiedenheiten, 
die fast ausschliesslich auf die Intensität und den zeitlichen Verlauf 
der Affection sich beziehen, vollkommene Gleichheit aller anatomischen 
Veränderungen zu constatiren. »Sowohl was die Verunstaltungen 
innerhalb der Gelenkkapsel,“ sagt Graf, »wie ausserhalb derselben, 
was die Veränderungen an den Diaphysen der Knochen und den sie 
bedeckenden Weichthfeilen anbelangt, in allen Punkten sind Tabes 
und Gliomatose einander ähnlich. Bei beiden finden wir Knochen¬ 
neubildung und -Resorption, bei beiden Knorpelverlust, bei beiden 
ausgesprochene Zottenbildung im Gelenk, bei beiden Verbreiterung, 
Verdickung und Knocheneinlagerung in der Kapsel und Erschlaffung 
des Bandapparates.“ 

Die Arthropathien bei Tabes unterscheiden sich also in keiner 
Hinsicht von denen bei Syringomyelie, die Identität ist auch bereits 
durch Sectionsbefunde bestätigt worden; die meisten Autoren stimmen 
auch darin überein, und wenn Sokoloff einen principiellen Unter¬ 
schied zwischen beiden gemacht wissen will, so führt er dafür nur 
wenig stichhaltige Gründe an, die von Graf und Klemm bereits 
widerlegt sind. 

Wir finden also dieselben Veränderungen bei den gliomatösen 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


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Gelenkaffectionen, trotzdem bei der Syringomyelie die Ataxie sowohl 
wie auch die Analgesie keine constanten Symptome sind. Es sind 
mehrere Fälle beobachtet und beschrieben worden, bei denen die 
Zerstörung trotz absoluter Ruhestellung des erkrankten Gelenkes 
immer weitere Fortschritte machte, trotzdem also die mechanischen 
und sonstigen Momente, die eben den schweren Verlauf der tabischen 
Arthropathien bedingen sollen, mehr oder weniger fortfielen. 

Wie steht es nun ferner mit den Fällen von Tabes, bei denen 
sich keine Arthropathien finden trotz vorhandener, manchmal hoch¬ 
gradiger Ataxie und Analgesie. Die Arthropathien sind doch immer¬ 
hin, wie aus den anfangs erwähnten Zahlen hervorgeht, nur ein ver- 
hältnissmässig seltenes Ereigniss. Riedel glaubt den Grund dafür 
gefunden zu haben. Ich komme gleich noch darauf zurück. Wie 
steht es ferner mit den Fällen von Tabes, bei denen die Gelenke 
der oberen Extremitäten befallen werden, die dabei meist gar keine 
Störungen der Analgesie und Ataxie zeigen? Graf schreibt, dass 
der fünfte Theil aller tabischen Gelenkerkrankungen die obere Ex¬ 
tremität betrifft. 

Einen weit verderblicheren Einfluss als die Ataxie üben nach 
Rotter’s Ansicht die vorhandenen Sensibilitätsstörungen aus, die be¬ 
stehende Analgesie. Trotz der ausgiebigsten Bewegungen im Ge¬ 
lenk empfinden die betreffenden Patienten in den allermeisten Fällen 
keinerlei Beschwerden. Dieselben spazieren trotz heftiger Ergüsse, 
trotz zerbrochener Gelenkkörper, oft mit einer Menge von Fragmenten 
innerhalb des Gelenks, wie sich Rotter ausdrückt, munter umher. 
Dass natürlich unter solchen Umständen die DestructionsVerhältnisse 
bedeutendere und schnellere Fortschritte machen werden, als wenn 
die betreffenden Extremitäten ruhig gehalten würden, liegt seiner 
Meinung nach klar auf der Hand. 

Auch Czerny ist der Ansicht, dass die Analgesie der Tabiker 
von grosser Wichtigkeit ist, die ja den Fortgebrauch eines entzündeten 
Gelenkes noch gestattet, wenn bei normaler Schmerzempfindung schon 
längst freiwillige Immobilisirung des Gliedes eingetreten wäre. Ge¬ 
rade durch diesen Missbrauch wird seiner Meinung nach der Ab- 
schleifungsprocess der Gelenkenden gefördert, die, ohnehin schon ent¬ 
zündlich gelockert, geringere Widerstandsfähigkeit der Knochen¬ 
substanz aufweisen. 

Die Analgesie ist nicht immer leicht zu erkennen, weil sie un¬ 
zweifelhaft manchmal auf die tiefer liegenden Nerven beschränkt ist. 


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A. Blencke. 


während in der Haut selbst gegen leichte Reize sogar Hyperalgesie 
bestehen kann. 

Zum Beweise, dass mechanische Einflüsse doch bis zu einem 
gewissen Grade eine Einwirkung auf derartige Gelenke aus üben 
können, führt Riedel einen Fall von Nervenverletzung an, der seiner 
Meinung nach auch noch nach verschiedenen anderen Richtungen 
hin Aufschluss giebt, indem er beweist: 

1. dass bei geziemendem Verhalten zunächst gar keine nach¬ 
weisbare Veränderung des Gelenkes nach Lähmung aufzutreten 
braucht, 

2. dass unter bestimmten Bedingungen kolossale Deformationen 
des Gelenkes eintreten können, 

3. dass dies sehr rasch geschehen kann. 

In dem betreATenden Falle litt trotz dauernder Lähmung des 
grössten Theiles des von dem getroffenen Nerven versorgten Ge¬ 
bietes das Kniegelenk nachweislich keinen Schaden, solange Patient 
sich in Ruhe befand. Es dauerte dies volle drei Monate. Ein nach 
diesen drei Monaten unternommener, 8 tägiger, gewiss nicht energi¬ 
scher Bewegungsversuch verursachte eine solche Destruction des 
Gelenkes ohne jedwelche Schmerzen, dass dasselbe unter lebhaftem 
Krachen in einen nach vorne offenen VS/^inkel von 140® gebracht 
werden konnte; desgleichen konnte es ebenso seitlich abgeknickt 
werden. 

Dieser Fall zeigt nach RiedeTs Ansicht zur Genüge, wie rapide 
sich jedenfalls doch auch analoge Krankheiten entwickeln können unter 
der Einwirkung einer Schädlichkeit, welcher sich mehr oder weniger 
alle Tabetiker aussetzen. 

Dass nur wenige Tabetiker Arthropathien bekommen, glaubt 
er nicht einer individuellen Disposition zuschreiben zu müssen, son¬ 
dern einer Verschiedenheit im Sitze der Krankheit, die bald den für 
das Entstehen des Gelenkleidens wichtigen Theil des Rückenmarks 
betrifft, bald nicht. 

Rotter ist der Ansicht, dass nach seinen Beobachtungen von einer 
Specifität der Arthropathie bei Tabes nicht die Rede sein kann. Die 
Arthropathien sind nicht durch das Rückenmarksleiden direct erzeugt, 
sondern werden von demselben nur ungünstig beeinflusst; es werden 
durch dasselbe Verhältnisse geschaffen, durch die die Gelenke schäd¬ 
lichen Einwirkungen von aussen her öfter ausgesetzt werden. Mit 
den drei bereits erwähnten Factoren, mit der Analgesie, der Inco- 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


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Ordination der Bewegungen und der erhöhten Brüchigkeit der 
Knochen glaubt Rotter alle Abweichungen vom normalen Verlauf, 
welche eine Arthritis deformans bei tabiden Personen zeigen kann, 
erklären zu können. Es ist seiner Ansicht nach nicht einmal nöthig, 
dass in allen Fällen nun immer alle drei zusammen wirken müssen, 
nein, sie können auch gesondert auftreten; jedenfalls muss aber die 
Analgesie immer dabei sein. 

Weizsäcker steht nicht auf dem Standpunkt der eben ge¬ 
nannten Autoren, die das Zustandekommen derartiger Affectionen 
im Verlaufe der Tabes auf rein mechanischem Wege erklären wollen. 
Er will nichts von den stets sich wiederholenden Insulten, denen die 
Gelenke durch die Ungeschicklichkeit beim Gebrauch der Glied¬ 
massen, namentlich beim Gehen täglich und stündlich ausgesetzt 
sind, wissen aus den bereits angeführten Gründen. 

Er weist es durchaus nicht von der Hand, dass bei manchen 
Fällen der Eintritt in Wirklichkeit mit einem, wenn auch noch so 
geringfügigem äusseren Moment in Beziehung gebracht wurde. Da 
diese aber meist von so geringer Intensität sind, dass sie ein ge¬ 
sundes Gelenk niemals alteriren würden, so glaubt er eben an Ver¬ 
änderungen in der Widerstandsfähigkeit seiner einzelnen Theile 
denken zu müssen, besonders natürlich an Veränderungen des 
Knochensystems, über die wir bereits schon früher gesprochen 
haben. 

Es handelt sich nach Weizsäcker's Meinung um eine eigen¬ 
artige Erkrankung, die aller Wahrscheinlichkeit nach von der Er¬ 
krankung des Nervensystems direct abhängig ist, also neurotischer 
Natur, wofür auch schon ihr Auftreten im Prodromalstadium der 
Tabes spricht; dass dabei die Ataxie und die bestehende Analgesie 
in gewisser Beziehung als begünstigende Momente angesehen werden 
müssen, ist seiner Ansicht nach wohl nicht zweifelhaft. 

Für diese seine Ansicht führt er zunächst die klinische That- 
sache ins Feld, dass bei Tabeskranken auch noch anderweitige 
trophische Störungen auftreten können, deren directer Zusammen¬ 
hang mit der Erkrankung des Nervensystems von Niemand be¬ 
zweifelt wird und die oft genug mit der Arthropathie sogar zusammen 
Vorkommen. Weizsäcker führt als solche die Sehnervenatrophie 
an, das Abstossen der Nägel, das Mal perforant, das spontane Aus¬ 
fallen der Zähne mit oder ohne Abstossung des Alveolarfortsatzes 
und Atrophie der Kieferknochen und endlich die Sjiontanfracturen, 


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668 


A. Blencke. 


die ja sicherlich in einem innigen Zusammenhang mit der tabischen 
Arthropathie zu stehen scheinen. 

Büdinger will auch die Arthropathie als eine echte Arthritis 
deformans angesehen wissen, die verursacht würde durch die bei 
Tabes so häufig zu beobachtende Degeneration der betrefiFenden 
peripheren Nerven, eine Degeneration, von der es Ähre ns und mit 
ihm auch Anderen nicht bekannt ist, dass sie sich als constante Be¬ 
gleiterscheinung bei der Arthritis deformans vorfindet und die Ver¬ 
anlassung zur Entstehung derselben bildet. „Ich habe wenigstens 
vergeblich in der Literatur nach positiven Angaben hierüber ge¬ 
sucht“, sagt Ah re ns. 

Dafür, dass der Arthritis deformans von mancher Seite eine 
nervöse Grundlage untergeschoben wird, können wir allerdings Belege 
bringen. 

Klemm ist der Ansicht, dass gerade die tabische und glio- 
matöse Gelenkentzündung wesentlich dazu angethan sind, diese An¬ 
schauung, auf die schon vor Jahren Autoren wie Senator, Remak 
u. a. mehr hingewiesen haben, zu stützen, da sie uns lehren, dass 
die Arthropathien in den Gebieten aufzutreten pflegen, in deren 
Bezirk die Erkrankung des Nervensystems fällt. So sind bei Tabes, 
die ihre Veränderungen am intensivsten und frühesten am Dorsal- 
und Lumbalmark zu zeigen pflegt, 80®/o der Gelenkerkrankungen 
an den unteren Extremitäten zu suchen, während bei der Syringo¬ 
myelie, die sich in der Regel in höher gelegenen Abschnitten des 
Rückenmarks localisirt, annähernd das umgekehrte Verhältniss statt 
hat. Auch Graf und andere haben diese Thatsache hervorgehoben, 
die doch nicht als Zufall betrachtet werden kann. Wir sehen darin 
nach Klemm vielmehr eine innere Gesetzmässigkeit, die zwischen 
der nervösen Erkrankung und der durch sie verursachten Ernährungs¬ 
störung besteht. 

Wir müssen uns nun auch einmal ein wenig auf das dermato¬ 
logische Gebiet wagen, wenn anders wir nicht eine Ansicht über¬ 
gehen wollen, die auch in gewissen Beziehungen zu unserem Thema 
steht. Dass ich mich natürlich jeglicher Kritik über diese Ansicht 
enthalten werde, liegt ja klar auf der Hand, da ich keine dies¬ 
bezüglichen Erfahrungen habe, ich werde mich lediglich darauf be¬ 
schränken, die in der Literatur gefundenen Stellen hier zusammen¬ 
zustellen, die ich zum Theile der Güte des Herrn Dr. Schnabel 
verdanke. 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern, 


669 


Es handelt sich um die Frage: kommt die Psoriasis häufig 
mit GelenkafiFectionen vereint vor und sind beide vielleicht tropho- 
neurothischer Natur? Besnier beobachtete bei 5^/o der Psoriasis¬ 
falle GelenkaflFektionen, Nielsen hat einen viel geringeren Procent¬ 
satz der ^Psoriasis arthropathique“ herausgerechnet. Rosenthal 
leugnet jede Beziehung. Schütz beobachtete unter 100 Fällen einen 
einzigen mit Gelenkerkrankung. Kaposi und Hebra haben trotz 
ihres kolossalen Materials keine Beziehung zwischen den beiden 
Aflfectionen entdecken können; nach Kaposi pfiegen rheumatische 
Gelenkschmerzen die acuten Psoriasisausbrüche als subjective Er¬ 
scheinungen zu begleiten; nach Jarisch scheinen rheumatische Ge- 
lenkaflfectionen bei Psoriasis häufiger vorzukommen, er lässt aber 
die Art der Beziehung dahingestellt. Wolff hat einen Zusammen¬ 
hang mit Gicht, rheumatischen Leiden und anderen GelenkafiFectionen 
in kaum 2—5®/o der Fälle angetroflfen und glaubt nicht an die neuro- 
pathische Aetiologie dieser beiden. Nach Strauss haben sich 
aber gerade dieser Anschauung, dass die Psoriasis zu dem Nerven¬ 
system aetiologisch in engster Beziehung steht, in den letzten Jahren 
wieder mehr Autoren zugeneigt; einzelne sind sogar so weit gegangen, 
dass sie, wenn sie bei einem Psoriatiker ein Gelenkleiden eigen- 
thümlicher Art sich entwickeln sahen, auch dieses in Gemeinschaft 
mit der Psoriasis als den Ausdruck einer neuropathischen Anlage 
betrachteten. Strauss glaubt, wenn man auch leicht geneigt ist, 
sobald man einer Combination dieser beiden Leiden in der Praxis 
begegnet, viel eher eine Zufälligkeit als einen inneren Zusammen¬ 
hang derselben anzunehmen, dass man sich, wenn man einen solchen 
Fall beobachtet hat, dem Eindruck nicht verschliessen kann, dass 
ein innerer Zusammenhang dieser Leiden besteht. 

Strauss hatte einen Fall von Psoriasis universalis in Be¬ 
handlung, der wegen hochgradiger Arthropathien und zugleich auch 
wegen schwerer Nageldeformitäten interessant war. Der Umstand, 
dass sich die Arthropathien mit dem Hautleiden besserten und auch 
verschlimmerten, und ferner die Nageldeformitäten, die um so hoch¬ 
gradiger waren, je grösser die Störungen in den Gelenken waren, 
können nach Strauss Meinung als Stütze der Theorie dienen, dass 
alle drei trophoneurotischer Natur sind. Polotebnoff hat 9 Fälle 
zusammengestellt, bei denen die Psoriasis mit Arthropathia vergesell¬ 
schaftet war, Bourdillon 30 Fälle, Gerhardt 3 Fälle. 

Adrian theilte einen Fall von Arthropathia psoriatica aus 


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670 


A. Blencke. 


der Strassburger Klinik mit und konnte 93 derartige Fälle aus der 
Literatur zusammenstellen. Er kommt auf Grund seiner Studien 
zu folgenden Schlüssen: Es gibt eine besondere mit Psoriasis 
complicirte, meist polyarticulärfe Gelenkerkrankung, die ausgezeichnet 
ist durch einen eminent chronischen Verlauf, ohne Neigung zu 
Herzcomplicationen, und die durch Salicylpräparate im Allgemeinen 
nicht zu beeinflussen ist. Sie führt des öfteren frühzeitig zu Miss¬ 
gestaltung und allmälig zu Destructionen der Gelenke. Ihre Ursache 
ist ebenso unbekannt wie die der Psoriasis selbst. Das männliche Ge¬ 
schlecht zeigt nach genanntem Autor eine besondere Prädisposition, 
und unter den Männern werden wieder vorzugsweise solche be¬ 
troffen, die im 40.—45. Lebensjahr stehen und die von schwerer 
generalisirter Psoriasis befallen sind, wenn dies auch keineswegs die 
Regel ist. 

Die Arthritis psoriatica soll sich von der Arthritis deformans auch 
dadurch unterscheiden, dass eben bei dieser prädisponirende Momente 
meist nachzuweisen sind und dass das weibliche Geschlecht einen un¬ 
gleich höheren Procentsatz der Erkrankungen zeigt. Ein specieller 
Zusammenhang der Arthritis psoriatica mit organischen oder func¬ 
tioneilen Erkrankungen des Nervensystems, so dass sie als centrale 
oder reflectorische Trophoneurose aufzufassen wäre, ist nach Adrian's 
Ansicht nur in ganz vereinzelten Beobachtungen wahrscheinlich ge¬ 
macht, aber keineswegs bewiesen. 

Wenn auch Adrian keine Anhaltspunkte dafür finden konnte, 
dass es sich bei derartigen Afifectionen um eine Infectionskrankheit 
handelte, so lässt seiner Meinung nach das schubweise Auftrete^n 
der sich meist durch viele Jahre hinziehenden Krankheit dennoch 
eine solche Auffassung nicht als vollständig haltlos erscheinen. 

Zur Gicht hat die Erkrankung wie auch die Psoriaris selbst 
keinerlei Beziehungen. Ebenso wenig konnte Adrian einen Zu¬ 
sammenhang mit Gonorrhoe oder Syphilis feststellen. 

So weit Adrian. 

Man sieht aus alledem Erwähnten, dass man absolut auf diesem 
Gebiet noch keineswegs zu einer Einigung gekommen ist. Kehren 
wir nun deshalb wieder zurück und suchen wir nun einmal nach den 
Gründen, welche die verschiedenen Autoren veranlassten, gegen die 
Ansicht, dass die Arthropathie mit der Arthritis deformans identisch 
sei, Front zu machen, wenn sie es auch natürlich nicht ausgeschlossen 
wissen wollten, dass Fälle von Arthritis deformans bei Tabes vor- 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


671 


kommen können, ja dass vielleicht auch mancher Fall von Arthritis 
deformans, wie Weizsäcker schon hervorhob, zu den typischen 
Arthropathien gerechnet wurde. 

Zugegeben, dass zwischen der Arthropathia tabidorum und der 
Arthritis deformans, so lange erstere intracapsulär verläuft und sich 
im Anfangsstadium befindet, eine gewisse Aehnlichkeit in pathologisch¬ 
anatomischer Hinsicht besteht, so lassen sich doch nach Ahrens und 
anderen Autoren im weiteren Verlauf sowohl in klinischer wie 
auch in pathologisch anatomischer Hinsicht derartige Unterschiede 
feststellen, dass man vollauf berechtigt ist, beide Aflfectionen scharf 
von einander zu trennen. 

Wenn wir uns nun diese Unterschiede einmal näher ansehen, 
so finden wir auf der einen Seite den langsamen Beginn, den ge¬ 
ringen Erguss, der auf das befallene Gelenk beschränkt bleibt, die 
erhebliche Schmerzhaftigkeit auf Druck und vor allem bei Be¬ 
wegungen, die selten auftretende Dislocation in den Gelenken, die 
langsame, aber stetige Verminderung der Beweglichkeit, auf der 
anderen Seite dagegen den plötzlichen Beginn, den gewaltigen Erguss, 
der sich auch auf die paraarticulären Weichtheile auszudehnen pflegt 
und oft genug die ganze Extremität befällt, das Fehlen jeder Schmerz¬ 
haftigkeit auf Druck und bei Bewegungen, die grosse Neigung zu 
Dislocationen und schliesslich die immer mehr zunehmende abnorme 
Beweglichkeit. Alles dies sind doch Unterschiede ganz erheblicher 
Art zwischen beiden AflTectionen, die man doch so ohne Weiteres 
nicht unberücksichtigt lassen kann, selbst wenn auch nach Rotte Fs 
und anderer Ansicht der Eintritt der Arthropathie gar nicht so acut 
ist, selbst wenn der Erguss auch gar kein Initialsymptom, sondern 
erst die Folge anderer pathologischen Veränderungen ist. Sie sind 
der Ansicht, dass es sich in allen den Fällen, wo sich so plötzlich 
ein erheblicher Erguss zeigt, um ein schon fortgeschritteneres Stadium 
handelt, und dass immer ein solcher Erguss nur in den Fällen ein- 
tritt, bei denen ein schon an Arthritis deformans erkranktes Gelenk 
infolge der Analgesie schon stark malträtirt wird. 

Damit aber nicht genug, haben noch mehrere Autoren nach 
weiteren Gegenargumenten, dass beide identisch seien, gesucht. 
Klemm weist darauf hin, dass Zerstörungen in so grossartigem 
Maasstabe, Gelenke, die einem mit Steinchen gefüllten schlaffen Sack 
gleichen, an denen von der ehemaligen Configuration der knöchernen 
Gelenkkörper überhaupt nichts mehr zu erkennen ist, bei der Arthritis 


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672 


A. Blencke. 


deformans nicht Vorkommen, eine Thatsache, die wohl von jeder¬ 
mann bestätigt werden muss. 

Ein weiterer Unterschied zwischen beiden soll dann der sein, 
dass bei den neuropathischen Gelenkaffectionen der Process nicht 
nur auf das Gelenk beschränkt bleibt, nicht also lediglich intra¬ 
capsulär verläuft, wie es bei der Arthritis deformans der Fall zu 
sein pflegt, sondern auch über das Gelenk hinausgreift, extracapsulär 
wird. Wenn dies wohl auch in der weitaus grössten Mehrzahl der 
Fälle zu constatiren ist, so hat doch z. B. Virchow einen Fall 
von Arthritis deformans beschrieben, bei dem der Process nicht 
intracapsulär geblieben war, sondern in ganz erheblichem Maasse 
auch auf die paraarticulären Tb eile übergegriflFen hatte. 

Ein weiteres Argument, das auch nicht ganz stichhaltig sein 
dürfte, ist das Alter der Patienten. Die Arthritis deformans soll 
nur bei älteren Leuten auftreten, die Arthropathia tabica wurde bei 
Patienten von 17 Jahren beobachtet. Seitdem aber die Arbeiten 
von Wagner, Spitzy, Baginsky u. a. mehr erschienen sind, aus 
denen zur Genüge hervorging, dass sogar die Arthritis deformans 
auch im Kindesalter Vorkommen kann, müssen wir dieses Argument 
streichen. In einer Arbeit, die im Jahre 1900 im Bull, de TAcadömie 
med. erschien, konnte Moncoroo 42 derartige Fälle zusammen¬ 
stellen. 

Ferner wurde von Klemm noch der Umstand geltend gemacht, 
dass man bei der Arthritis deformans in späteren Stadien eine er¬ 
hebliche Atrophie der betreffenden Muskeln vorfindet, wodurch die 
bizarr veränderten Gelenkkörper der Ocularinspection deutlich zugäng¬ 
lich werden, und dass dies bei der Arthropathia tabica nicht der 
Fall ist. Infolge der gewöhnlich vorhandenen Schwellung der ganzen 
Extremität treten diese bei der Arthropathie gar nicht hervor. 

C har cot und Ball glauben ein weiteres Gegenargument gegen 
die Ansicht, dass beide identisch seien, aus der Statistik gewonnen 
zu haben, die die Häufigkeit festsetzte, mit welcher die einzelnen 
Gelenke zu erkranken pflegen, und aus der hervorging, dass das 
Hüftgelenk bei der Arthropathia tabica an dritter und vierter Stelle 
rangirte, während es bei der Arthritis deformans an erster Stelle 
stand. Auch ich und viele andere jedenfalls mit mir haben Gleiches 
feststellen können; vor RotteFs Augen fand allerdings dies Argument 
auch keine Gnade, der, wenn er von den grossen Zufälligkeiten, die 
nicht allzu grosse Statistiken in sich schliessen, hierbei absah, aus 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


673 


seiner Statistik von 112 Fällen eine Reihenfolge der einzelnen Ge¬ 
lenke fand, welche keine wesentlichen Differenzen zwischen beiden 
Affectionen in der Häufigkeitsscala aufwiesen. 

Nach Schöne scheint man heutzutage wohl so ziemlich all¬ 
gemein anzunehmen, dass die tabischen Arthropathien trophoneuroti- 
schen Ursprungs sind, und seiner Meinung nach besteht wohl heut¬ 
zutage nur noch eine Meinungsverschiedenheit hinsichtlich des Aus¬ 
gangspunktes, ob vom Centrum oder von der Peripherie das treibende 
Agens kommt. Selbst die Gegner dieser Theorie, zu denen doch 
vor allen Dingen wohl Virchow und Rotter zu zählen sind, haben 
nach Schöne’s Ansicht dadurch, dass sie der Knochenbrüchigkeit 
einen gewissen Einfluss einräumten, ihren eigenen Widersachern 
offenbar ein wichtiges Zugeständniss gemacht; denn da diese nur bei 
Tabes und anderen schweren Nervenläsionen vorkommt, so ist eben 
dadurch ihr innerer Zusammenhang mit diesen Krankheiten ohne 
Weiteres bewiesen. 

Oppenheim und D^jerine fanden wiederholt degenerative 
Vorgänge bei den das befallene Gelenk versorgenden motorischen 
und sensiblen Nerven. 

Letztere sind nach Leyden und Goldscheider durch die 
reflectorische Beeinflussung der Gefässe die regulatorischen Apparate 
für die Ernährung. Fällt dieser sensible Regulirungsapparat weg, 
so wird eine mangelnde Anpassung und eine Störung der Ernährung 
die Folge sein. Mit dem Aufhören dieser Regulirung hängen einer¬ 
seits die atrophirenden und destruirenden, andererseits auch die 
hypertrophirenden Processe und Knochenwucherungen zusammen. 

Den beiden genannten Autoren, Oppenheim und D^jbrine, 
gelang es, den Nachweis zu führen, dass in Fällen von Tabes, in 
denen sich die Anästhesie und die trophischen Störungen auf die 
eine untere Extremität beschränkten, auch die peripherische Nerven¬ 
degeneration vornehmlich die Nerven dieser Extremität betraf. 

Auch Pitres und Vaillard leiten die Arthropathie direct 
von einer peripheren Neuritis ab; sie haben in mehreren Fällen, in 
denen Arthropathien und Spontanfracturen vorhanden waren, in den 
zu den Gelenken und Knochen ziehenden Nerven schwere Alterationen 
gefunden. 

Die von ihnen beobachteten Degenerationserscheinungen be¬ 
standen in einer totalen Atrophie, bei welcher nur die leeren Nerven¬ 
scheiden zu sehen waren, oder in einem fein- oder mehr grobkörnigen 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 44 


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674 


A. Blencke. 


Zerfall des Myelins. Weiter fand sich auch in einem und demselben 
Nerven eine Reihe von gesunden Fasern neben degenerirten vor: 
andererseits fanden sie auch Fasern, die in Regeneration begrifiFen 
waren. Auch eine Perineuritis konnten sie, wenn auch seltener, 
constatiren. 

Alt haus bringt die Arthropathie mit einer peripheren Degene¬ 
ration der Knochen- und Gelenknerven in directen Zusammenhang, 
und Siemerling fand auch eine derartige Degeneration der kleinen 
zum Knochen ziehenden und in die Foramina nutritia derselben ein¬ 
mündenden Nerven. 

Nach Rotte r's Ansicht beweist bei einem Tabiden, welcher 
an so mannigfachen nervösen Störungen seiner Extremitäten und 
speciell an einer schweren Analgesie des erkrankten Gelenkes leidet, 
die Degeneration eines zum Gelenk führenden Nervenzweiges nichts 
für den directen Zusammenhang der Arthropathie njit dem Nerven¬ 
system. 

Auch Wilms ist kein Anhänger dieser Theorie, gegen die 
seiner Meinung nach auch der Einwand berechtigt ist, dass eine 
grosse Anzahl von Tabeskranken trotz hochgradiger Analgesie keine 
Gelenkdeformitäten aufweisen. Allerdings könnte man nach ge¬ 
nanntem Autor hier möglicherweise annehmen, dass bei Tabetikern 
mit gesunden Gelenken die sensiblen Nerven der Gelenke noch func- 
tioniren, eine Frage, deren Beantwortung am Krankenbett wohl 
äusserst schwierig, wenn nicht unmöglich sein dürfte, auf die bei 
genauerer Nervenuntersuchung weitere Rücksicht genommen werden 
müsste. Wenn es auch nach Wilms wahrscheinlich ist, dass 
nervöse Einflüsse hier bei den Knochenveränderungen mit im Spiele 
sind, so lässt sich hierfür wohl kaum eine beweisende That^ache 
anführen, vielmehr richtet sich nach seinen Erfahrungen Knochen¬ 
neubildung und -Zerstörung ganz nach mechanischen Insulten und 
Störungen. 

Dass die Arthropathie nun nicht bei jeder Tabes auftritt, liegt 
nach Dejerine’s Meinung, der ja der Ansicht ist, dass es sich zu¬ 
nächst um eine Neuritis der betreffenden Nerven handelt, aus der 
auf reflectorischem Wege die Arthropathie entsteht, daran, dass diese 
Neuritis peripherica tabica eben zu den sogen, inconstanten Symptomen 
der Tabes gehört, die nur in einer relativ geringen Anzahl der Fälle 
auftritt, dann aber anscheinend seiner Ansicht nach stets zur Ent¬ 
wickelung einer Arthropathie führt. 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


675 


Nach Kredel liefert gewissermassen die Prädisposition die 
Tabes, jedoch nicht in dem Sinne, dass durch die Degeneration be¬ 
stimmter, im Rückenmark oder der Medulla oblongata gelegener 
trophischer Centra die Gelenke erkranken, sondern es sind seiner 
Meinung nach vielmehr für die Entstehung und Localisation des 
Processes bestimmte locale Bedingungen nothwendig, welche vielleicht 
mit der Art und Weise der Degeneration peripherer Theile der 
Gelenkkapsel oder knochenversorgender Nervenstämmchen Zusammen¬ 
hängen. Von grösster Wichtigkeit sind und bleiben aber immer 
mechanische und traumatische Momente sowohl für den Beginn wie 
für den weiteren Verlauf. 

Auch Wolff will, gestützt auf seine Erfahrung, die er bei 
einem operirten Fall gemacht hat, bei dem im Laufe von 9 Monaten 
kein Recidiv, das irgendwelche charakteristische Erscheinungen einer 
neuropathischen AflFection dargeboten hätte, aufgetreten ist, diesen 
Umstand nicht nur gegen die Charcot'sche Auffassung sprechen lassen, 
sondern auch gegen die Ansicht derer, welche eine Erkrankung der 
peripheren, das Gelenk versorgenden Nerven als Ursache der Affection 
annehmen. Er ist der Ansicht, dass es sich um eine durchaus eigen¬ 
artige Erkrankung handelt, die klinisch mit der Arthritis traumatica 
und deformans nichts zu thun hat, und bei der wahrscheinlich die 
von Jürgens nachgewiesenen Veränderungen an Kapsel und Bändern 
eine Rolle spielen. 

Schneider ist der Ansicht, dass die Arthropathia tabidorum 
durch eine Ernährungsstörung infolge Degeneration peripher sensibler 
Nerven veranlasst wird, einer Degeneration, die von der Spinalläsion 
unabhängig ist, aber durch die gleiche Noxe, wie diese, hervor¬ 
gerufen wird. 

Herr Dr. Buttenberg hatte die grosse Liebenswürdigkeit, in 
dem vorliegenden Falle eine Untersuchung der peripheren Nerven 
vorzunehmen, wofür ich ihm Dank zu sagen auch nochmals an dieser 
Stelle nicht versäumen möchte. Der Befund, der festgestellt werden 
konnte, war nach seinen Angaben folgender: Die Nerven erschienen 
auffallend verdickt, auf dem Durchschnitt waren die einzelnen Nerven¬ 
bündel stärker aus einander gedrängt; das sie umgebende reichliche 
Bindegewebe war nur ödematös verändert. 

Die Nerven wurden in Müller^scher Lösung, der 50procentige 
Formollösung im Verhältniss von 1 : 9 zugesetzt wurde, gehärtet und 
in Celloidin eingebettet. Zur mikroskopischen Untersuchung wurden 


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676 


A. Blencke. 


die Schnitte mit neutralem Carmin gefärbt bezw. einer Markscheiden¬ 
färbung nach Weigert-Pal unterworfen und mit Alauncarmin nach¬ 
gefärbt. 

Es zeigte sich an den untersuchten Nerven eine auffallende 
Verdickung des die einzelnen Nervenbündel umgebenden Bindegewebes, 
in dem der eigentliche Nerv ganz excentrisch gelagert war. Das 
Bindegewebe war ein sehr lockeres, von zahlreichen Spalten und Fett¬ 
zellen durchsetztes. Auch zwischen den einzelnen Nervenbündeln war 
das Bindegewebe stark vermehrt, so dass die Bündel weiter aus ein¬ 
ander standen, als es in der Norm der Fall zu sein pflegt. Stellen¬ 
weise umgaben Rundzellenanhäufungen das Perineurium der ein¬ 
zelnen Nervenbündel; letzteres war nur wenig verdickt, wie auch 
die von ihm in die Bündel hineinziehenden Bindegewebszüge eine 
nur geringe Vermehrung und unbedeutende RundzelleninfiltratioQ 
erfahren hatten. Achsencjlinder und Markscheiden waren meist 
gut erhalten und nur in einem stärkeren Bündel des Ischiadicus, das, 
wie die weitere Untersuchung zeigte, seine Fortsetzung im Tibiabs 
erfuhr, auffällig vermindert. 

Demnach handelte es sich nach Buttenberg's Ansicht in der 
Hauptsache um interstitielle Veränderungen in den Nerven, denen 
leider nicht anzusehen war, ob sie primär oder erst secundär ent¬ 
standen waren. 

Wenn wir nun alle die aufgezählten Theorien noch einmal 
Revue passiren lassen und die Gründe, die für und gegen die ein¬ 
zelnen sprechen, eingehend erwägen, so werden wir finden, dass auch 
hier, wie überall, in der Mitte zwischen den beiden grossen Gruppen 
von Theorien das Richtige zu finden ist. 

Dass die Arthropathie ein eigenartiges Leiden ist, das in ge¬ 
wisser Beziehung von der Erkrankung des Nervensystems abhängig 
ist, und dass wir als erstes und wichtigstes Moment bei der Genese 
dieser Erkrankungen trophoneurotische Ursachen anzusehen haben, halte 
ich wohl für erwiesen. Wollten wir nun annehmen, dass die Rücken¬ 
markserkrankung zunächst eine Degeneration der peripheren Nerven 
bedingt, und dass diese letztere nun wieder die Ursache der bestehen¬ 
den Gelenkerkrankungen abgibt, so wäre es doch in der That son¬ 
derbar, wenn an einer Extremität, in der die peripheren Nerven in 
gleicher Weise afficirt sind, trotzdem nur ein Gelenk erkrankt, während 
die anderen normal bleiben. Es müssen deshalb wohl doch andere 
Umstände hinzukommen und andere Ursachen mitwirken, die erst 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


677 


im Verein mit jenen im Stande sind, diese Arthropathien hervorzu- 
nifen. Und aus diesem Grunde glaube ich, müssen wir wohl auch 
Virchow wenigstens nach dieser Richtung hin recht geben, dass 
nämlich die Gelenke, die von dieser Erkrankung befallen werden, 
gleichsam einen locus minoris resistentiae darbieten, der durch mancherlei 
Ursachen geschaffen werden kann, sagen wir einmal kurz, durch alle 
die Schädlichkeiten, die sonst auch im Stande sind, Gelenkaffectionen 
hervorzurufen, mögen es nun, wie sich Virchow ausdrückt, mecha¬ 
nische oder thermische sein. Auch schon vorher, ehe die Tabes zur 
Entwickelung gekommen ist, könnte ja, seiner Meinung nach, aus 
irgend einem anderen Grunde eine Gelenkveränderung bestanden 
haben. 

Dass natürlich mechanische und traumatische Momente nicht 
nur für den Beginn, sondern auch für den weiteren Verlauf und für 
den Grad und die Ausdehnung des Leidens mit in Frage kommen, 
und dass unter diesen gerade der Ataxie und der Analgesie eine 
besondere Bedeutung zuzuschreiben ist, nun, darüber, glaube ich, ist 
wohl nicht mehr nöthig zu streiten. 

Zum Schlüsse müssen wir auch noch einer Theorie gedenken, 
die Strümpell aufstellte, der die Arthropathien eventuell auch für 
syphilitische Gelenkerkrankungen angesehen wissen will, eine Ansicht, 
die wohl nur wenige Anhänger gefunden hat. Virchow erwähnt 
dieselbe mit wenigen VSTorten und ist der Ansicht, dass, wenn man 
einmal die Beziehungen der Lues zur Tabes discutirt, man auch ein 
wenig daran denken sollte, ob nicht hie und da wenigstens die Ge- 
lenkaffection, welche man findet, auch mehr der Syphilis als der 
Tabes als solcher angehören könnte. 

Wenn wir letzteres zugeben wollten, dann wäre es doch in der 
That sonderbar, dass derartige Arthropathien nur immer mit Tabes 
vergesellschaftet vorkämen und nicht einmal auch ohne diese in die 
Erscheinung träten. 

Nach Weizsäcker’s statistischen Ermittelungen ist die Fre¬ 
quenz der Lues in seinen Fällen eine sehr unbedeutende. Unter 109 
Fällen war 13mal Lues mit Sicherheit nachzuweisen, 5mal Gonorrhöe 
mit Ulcera; 21mal war mit Sicherheit jede specifische Infection aus¬ 
geschlossen und 67mal fehlten die näheren Angaben. 

Wenden wir uns nun zum Schluss noch mit wenigen Worten 
der in Frage kommenden Therapie zu, so wollen wir hierüber nicht 
viele Worte machen, da Ähre ns dies Capitel schon in ausführlicher 


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678 


A. Blencke. 


Weise behandelt hat. Ich kann ihm nur voll und ganz zustimmen. | 
dass das einzige und beste Mittel die bekannten Schienenhülsen- 
apparate sind, die geradezu Vorzügliches leisten. 

Durch den Apparat gewinnt nach Hoffa der Patient nicht 
nur das Gefühl der Sicherheit beim Gehen wieder, und durch den- I 
selben wird nicht nur eventuellen Verletzungen, wie sie ja bei diesem 
schmerzlosen Gelenkleiden Vorkommen können, vorgebeugt, sondern 
es wird durch denselben auch womöglich eine Heilung oder wenig¬ 
stens ein Stillstand der Affection erzielt, wie es ja auch der von 
Leyden schon vor nunmehr 10 Jahren in einer Sitzung des Vereins 
für innere Medicin zu Berlin vorgestellte Fall beweist, bei dem der 
Schienenapparat in so vollkommener Weise seine Aufgabe erfüllt 
hatte, dass sich innerhalb zweier Monate die bestehende Kniegelenks- 
aflfection vollkommen zurückgebildet hatte. Wenn auch derartige 
Fälle, bei denen es sich also fast um eine Restitutio ad integrum 
handelte, immer zu den äussersten Seltenheiten gehören werden, so 
können wir doch Fälle genug finden, in denen einem früheren rapiden 
Fortschreiten des Processes zum mindesten Einhalt gethan wurde. 

Ich selbst kann über 3 derartige Fälle berichten, in denen die gute 
Wirkung dieser Apparate nicht ausblieb: eine Frau trägt denselben 
nun fast 4 Jahre, ein anderer Patient 2^/2 Jahre und der dritte V* Jahr. 
Alle drei gehen gut im Apparat, und bei allen drei hat das Leiden 
keine erheblicheren Fortschritte mehr gemacht. 

Die Behandlung hat demnach zunächst in Ruhigstellung des 
Gelenkes während des acuten Stadiums zu bestehen. Ist dies vorüber, 
dann treten eben die erwähnten Schienenhülsenapparate in ihre Rechte. 
Handelt es sich um ärmere Leute, die den immerhin doch noch 
hohen Preis dieser kostspieligen Apparate nicht erschwingen können, 
nun, dann gibt es auch noch andere Mittel in der Form von abnehm¬ 
baren Gips-, Wasserglas-, Celluloidhülsen etc., die dieselben Dienste 
leisten wie jene auch. 

• Alle, die wir die Anwendung derartiger Apparate empfehlen, 
müssen uns wohl als Anhänger der Theorie bezeichnen, die auch 
bis zu einem gewissen Grade die Ataxie, die Incoordination der Be¬ 
wegungen, kurzum die mechanischen Insulte für die Entstehung 
bezw. für die Verschlimmerung dieser Affectionen verantwortlich 
machen zu müssen glaubt. Denn was anderes können wir wohl beim 
Anlegen der Schienenhülsenapparate im Auge haben, als diese 
mechanischen Insulte, diese eventuellen Verletzungen, die, wie Hoffa 


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Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern. 


679 


sagt^ bei diesem schmerzlosen Gelenkleiden Vorkommen können, aus¬ 
zuschalten oder zum mindesten ihnen vorzubeugen? 

Für operative Massnahmen bei derartigen Affectionen schwärmen 
wohl die wenigsten Autoren, ja manche halten sie, abgesehen 
natürlich von hochgradigen Fällen, wie auch der unserige war, wo 
nur ein Mittel übrig bleibt, das in der Amputation zu suchen ist, 
für geradezu verkehrt, da die bisherigen Resultate der operativen 
Behandlung keineswegs sehr ermuthigende waren. 

Im Jahre 1897 sagte Müller in einer Gesellschaft der Charit^- 
Aerzte in Berlin: Dringend zu warnen ist vor blutigen Eingriffen, 
seien es Arthrektomien oder gar Resectionen, weil eine Heilung der 
Knochen wegen des centralen Ursprungs des Gesammtleidens von 
vornherein als unmöglich erscheinen muss. 

Ich glaube, dass an diesem Ausspruch Müllers auch jener 
von Julius Wolff arthrektomirte und beschriebene Fall nichts ändern 
wird, der in der That einen guten Erfolg gezeitigt hatte und bei 
dem es gelang, „aus einem Hampelmannsbein eine zu einem mehr 
als meilenweiten Marsche brauchbare Extremität zu schaffen“, der 
aber trotzdem König nicht zu bewegen vermochte, für die Operation 
zu sprechen und derartige Fälle operativ zu behandeln zu versuchen. 
3—4mal hat letzterer zu operiren versucht, aber zusammengewachsec 
sind die Knochen nie, und glatt geblieben sind sie auch nie, sie sind 
rund geworden, und nach einiger Zeit war das resecirte Gelenk viel 
schlotteriger, als es vorher war. Es gibt eben nach seiner Meinung 
keine Verwachsungen zwischen den Knochen, weil die Oberfläche 
immer wieder weich und zerbrechlich bleibt. 

Ich weiss ganz sicher, sagt König, dass Volkmann diese 
meine Erfahrung theilte, dass er sagte: „ich rühre ein solches Gelenk 
nicht mehr an. Das werde ich auch thun und werde mich mit Stütz¬ 
apparaten begnügen.“ 

Wie weit man mit diesen kommen kann, dafür führt König 
einen Fall an: es handelte sich um einen langjährigen Landtagsabge¬ 
ordneten, der an tabischer Fussgelenks-, tabischer Kniegelenks- und 
tabischer Hüftgelenksaffection beiderseits litt, die nicht etwa leichten 
Grades, sondern sehr hochgradig und so erheblich waren, wie man 
sie selten zu sehen bekommt. Dieser Patient marschirte den Ver¬ 
hältnissen angemessen ganz munter mit seinen Stützapparaten umher. 

Ul 1 mann hat die Fälle von tabischer Arthropathie, bei denen 
operative Massnahmen ergriffen wurden, aus der Literatur unter 


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HinzufügUDg von drei eigenen Beobachtungen zusammengestellt. Ehe 
Resection wurde einmal mit gutem Erfolge am Scbultergelenk aus- 
geführt, 2mal an der Hüfte. Von fünf Resectionen am Fussgelenk 
wiesen nur drei ein günstiges Resultat auf, von neun am Knie nur 
einer. Namentlich letztere tragen nach U11 mann dazu bei, das» 
man am liebsten seine Finger davon lässt. 

Da ja nun nach Ullmann’s Erfahrungen nach ausgeführter 
Resection doch noch Stützapparate nöthig sind, um Recidiven vorzo- 
beugen, und da man doch auf eine vollkommene Consolidirung, welcLc 
wohl nur ausnahmsweise eintreten dürfte, bei derartigen ResectioneD 
von vornherein verzichten muss, so sehe ich absolut den Grund nicht 
ein, warum wir nicht sogleich von Anfang an einen Stützapparat 
anlegen und warum wir erst noch den Patienten durch eine immerhin 
doch sehr eingreifende Operation gefährden sollen, mit der ihm doch 
dann in keiner Weise gedient ist? 

Bei den 13 Amputationen, dieUllmann in seiner Arbeit auf¬ 
zählt, handelt es sich in 8 Fällen um primäre, in 5 um secundäre 
Operationen; von den ersteren gingen 5 in Heilung über, von den 
letzteren kann ü 11 mann nichts Gutes berichten, da es bei diesen 
häufig zu Nachoperationen kam. 

Auf Grund dieser seiner gemachten Beobachtungen kommt er 
zu dem Schluss, dass bei der Wahl des EingriflFs ausser dem Zustand 
des Gelenks nothwendig auch der Grad der Grundkrankheit mitbe¬ 
stimmend ist, zumal die Frage beantwortet werden muss, ob die 
Rückenmarkserkrankung nach gelungener Operation ein Herumgehen 
des Kranken noch erlaubt. 

Wir möchten unsere Ansicht noch einmal dahin kurz zusammen¬ 
fassen, dass wir dringend von jedem operativen Vorgehen abratben. 
vorausgesetzt natürlich, dass es sich nicht um solch' hochgradige 
Fälle handelt, wie der unserige war, bei denen natürlich nur die 
Amputation in Frage kommt, und dass wir aufs Angelegentlichste die 
Anwendung der Schienenhülsenapparate empfehlen. 


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LXII. 


Meine bei der angeborenen Lnxation des Hüftgelenks 
gemachten Erfahrungen*). 

Von 

Dr. Michael Uorv&th^ 

Ordinarius im St. Johann-Spital zu Budapest. 

Vor 2 Jahren habe ich in einem Vortrage*), welchen ich 
während der Wand er Versammlung ungarischer Aerzte und Natur¬ 
forscher zu Bärtfa gehalten habe, meinen Standpunkt bekannt ge¬ 
geben, welchen ich auf die Erfahrungen gründete, die ich in 
36 Fällen von angeborener Luxation des Hüftgelenks machte. 

Seitdem hat sich die Zahl der in meiner Behandlung stehenden 
Fälle vermehrt, und so kann ich, diesem Verhältnisse entsprechend, 
mit einer noch grösseren Bestimmtheit meine Beobachtungen mit¬ 
theilen. Eine kurze Statistik meines Materials will ich voraus- 
schicken. 

Unter 57 Fällen stehen 34 einseitige 23 doppelseitigen Luxa¬ 
tionen gegenüber, zusammen also 80 Gelenke. Von diesen sind 
11 während der Behandlung weggeblieben, 10 waren nicht reponir- 
bar, es entstand in 9 Fällen eine Reluxation und wurde die Be¬ 
handlung nicht fortgesetzt. Bei 14 Fällen zeigte sich eine ana¬ 
tomische Heilung, bei 21 Fällen ein gutes functionelles Resultat mit 
Transposition des Caput femoris nach vorn. Gegenwärtig stehen 
15 Gelenke in Behandlung, 

Die Fälle kommen grösstentheils schon in einem Stadium 
zu unserer Beobachtung, in welchem die Diagnose der Luxation keine 
Schwierigkeiten bereitet. Die Gegenwart des eigenthümlichen, durch 
das Trendelenburg’sche Symptom bedingten Hinkens entscheidet 

*) Vorgetragen in der am 12. November 1903 gehaltenen Sitzung der 
chirurgischen Section. 

Ungar, ilrztl. Arch. II. 6. 


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Meine bei der angebor. Luxation des Hüftgelenks gemachten Erfahrungen. 695 

bereits mit vollständiger Sicherheit die Frage. Zur Aufstellung 
einer Differentialdiagnose bieten nur Fälle Anlass, in welchen die 
Gesässmuskeln gelähmt sind. 

In diesen Fällen wird der Mangel der Muskelfunction, welche 
sonst das Bein abducirt oder die Beckenhälfte der entgegengesetzten 
Seite hebt, auch das Trendelenburg’sche Symptom vortäuschen. 
Die Diagnose kann aber auch in einem solchen Falle nicht zweifel¬ 
haft sein, wo wir das Caput femoris ausserhalb der Gelenkpfanne 
fühlen können. 

In dem grössten Theile der Fälle, in denen wir die Luxation zur 
Beobachtung bekommen, hat das Caput femoris schon den grössten 
Theil seiner Wanderung (Kölliker, Lange, Heusner) rings um 
die Gelenkpfanne gemacht, und wir haben nur selten eine Gelegen¬ 
heit, auf Grund klinischer Symptome eine Subluxation anzunehmen. 
Zwischen meinen Fällen fand ich nur 3mal eine solche incomplette 
Luxation. Die erste habe ich auch in meinem während des Wander- 
congresses zu Bärtfa gehaltenen Vortrage erwähnt. Mein zweiter 
Fall betrifft ein Sjähriges Mädchen, bei dem wegen der Prominenz 
des Trochanters der Verdacht auf eine Luxation auftauchte. Eine 
Verkürzung war nicht vorhanden, das Caput femoris war nicht fühl¬ 
bar. Der Trochanter stand in der RN-Linie. 

Die rechte Seite wurde hernach reponirt und das Resultat 
einer neunmonatlichen Fixirung war eine vollkommene anatomische 
Heilung. Bei der Abnahme des letzten Verbandes fand ich jedoch 
das linke Bein luxirt; jedes Symptom der Luxation war vollständig 
ausgedrückt. 

In einem anderen Falle konnte ich auf Grund des charakteristi¬ 
schen einseitigen Hinkens und der genauen Untersuchung beider 
Hüftgelenke nur eine rechtsseitige Luxation bei einem IV 2 jährigen 
Kinde annehmen. Damals entschloss ich mich wegen des Alters 
des Kindes und der ausserordentlichen schwachen Entwickelung noch 
nicht zur Operation. Binnen einem Jahre hatte sich aber der 
Charakter des Ganges vollkommen verändert, und auf Grund der 
klinischen Untersuchung konnte man, jeden Zweifel ausschliessend, 
eine beiderseitige Luxation constatiren. 

Meiner Ansicht nach sind beide Fälle in die Reihe der Sub¬ 
luxationen zu stellen, und die Schenkelköpfe verliessen die Pfanne 
nur im Laufe einer weiteren Belastung. Die Entwickelung der com- 
pletten Luxation wurde auch dadurch befördert, dass das Becken 


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Michael Horvath. 


auf die eine Seite sank, und das Bein auf der entgegengesetzten 
Seite, wo die Luxation noch incomplett war, dadurch in eine addu- 
cirte Stellung kam, deren Wirkung besonders im ersten Falle in 
gesteigertem Maasse zur Geltung kam, in welchem die bedeutende 
Abduction des rechten Beines lange Zeit und in gesteigertem Maasse 
im Interesse der Heilung des reponirten Gelenkes aufrecht erhalten 
werden musste. Diese beiden letzten Fälle galten bei der Repo¬ 
sition für eine Luxatio iliaca et supracotyloidea (Lange). 

Unter 80 Fällen der Luxation des Hüftgelenks fand ich in 
52 Fällen die letztere Form der Luxation, unabhängig vom Alter 
des Kindes. In 21 Fällen hatte ich es mit ausgesprochener Luxatio 
iliaca zu thun; meine diesbezüglichen Fälle, ausgenommen zwei 
doppelseitige Luxationen, kamen bei verhältnissmässig älteren Kin¬ 
dern vor, die Lang ersehe supracotyloide Form kam in 6 Fällen vor. 

Das Röntgenbild demonstrirt ganz genau diese verschiedenen 
Formen der Luxation. Bei der Subluxation ist das Caput femoris 
beiläufig in einer Höhe mit jenem der gesunden Seite. Es ist auf¬ 
fallend, dass die Entfernung zwischen dem Caput femoris und der 
Pfanne grösser ist. In der frontalen Projection ist das Caput femoris 
scheinbar noch unter dem Gewölbe der mehr oder weniger gut ent¬ 
wickelten Gelenkpfanne, die klinische Untersuchung weist jedoch auf 
eine grössere Erschlaffung der Gelenkverbindung hin, hauptsächlich 
in der antero-posterioren Richtung. 

Bei der Luxatio supracotyloidea und iliaca nach Lange scheint 
es, als würde der Schenkelkopf eben in frontaler Projection über der 
Linie, welche das Gewölbe der Gelenkpfanne bezeichnet, etwa frei 
im Baume schweben, während bei der Luxatio iliaca, wo der 
Schenkelkopf aufwärts und nach rückwärts gestellt ist, die Schatten¬ 
bilder sich decken. 

Von den Deformitäten, welche an dem proximalen Ende 
der Gelenke Vorkommen, besitzt die Deformität des Collum femoris 
betreffs der Therapie eine besondere Wichtigkeit. 

Während sich nämlich das Collum femoris gewöhnlich in die 
frontale Ebene einstellt, dreht sich das Collum femoris in vielen 
Fällen der Hüftverrenkung infolge der Torsion des proximalen Bein¬ 
endes mehr und mehr gegen die sagittale Ebene, und der Kopf 
ist dann antevertirt. Die besondere Bedeutung dieser Anteversion 
bemerken wir bei der Reposition und hauptsächlich bei der Retention, 
und, wie bekannt, wurden Schede und Codivilla bewogen. 


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Meine bei der angebor. Luxation des Hüftgelenks gemachten Erfahrungen. 697 

die Folgen der pathologischen Torsion mittelst einer nachträglichen 
Osteotomie auszugleichen. 

Am Anfänge meiner Praxis, als ich ihre eminente Wichtig¬ 
keit nicht kannte, verwandte ich keine entsprechende Aufmerksamkeit 
darauf, und nur das will ich bemerken, dass ich während der drei 
letzten Jahre in meinen behandelten Fällen diese pathologische 
Torsion nur 13mal im kleineren und grösseren Maasse beobachtet 
habe. Und zwar hatte ich es bei fünf Kindern mit einer doppel¬ 
seitigen Luxation, bei dreien nur mit einer einseitigen Luxation 
zu thun. 

Jener Umstand, dass ich, mit Ausnahme eines 3jährigen Mäd¬ 
chens, die pathologische Torsion verhältnissmässig bei älteren Kin¬ 
dern fand, und dass weiters bei sehr vielen Kindern, die ich 
diesbezüglich untersuchte, das Collum femoris eine vollständig nor¬ 
male Stellung einnahm, weist auf die Annahme hin, dass diese 
pathologische Torsion doch nicht immer im fötalen Leben entstand, 
sondern im extrauterinen Leben und sich hernach im Laufe der 
Jahre steigerte. In meinen Fällen der Anteversion war sie nicht 
so hochgradig, dass sie die Reposition erschwert hätte, doch den 
Grund, dass sich als Endresultat eine vordere Luxation entwickelte, 
finde ich öfters in der mehr oder weniger ausgesprochenen Ante¬ 
version. 

Die durch die Luxation des Hüftgelenks bedingte Verkürzung 
der Extremität schwankte zwischen —8 cm. Abgesehen von jenen 
pathologischen Veränderungen, welche, wie z. B. die vollständige 
Deformirung des Caput femoris, die sanduhrförmige Einschnürung 
des Ligamentum capsulare, die unblutige Reposition vollkommen un¬ 
möglich machen, ist bei der Entscheidung der Frage, ob ein Fall 
für die Behandlung noch geeignet ist, hauptsächlich der Grad der 
Verkürzung der Extremität massgebend. In jenen Fällen, wo die 
Repositionsversuche resultatlos waren, stand ich einer Verkürzung 
von 5—8 cm gegenüber. Eine Verkürzung von 8 cm halte 
ich ungefähr für jene Grenze, welche für die Reposition 
schon allein ein absolutes Hinderniss bildet; unterhalb dieser 
Grenze ist es bei 6—7 cm öfters und manchmal verhältnissmässig 
leicht gelungen, die Operation zu beendigen. Mit der Grösse der Ver¬ 
kürzung steigern sich verhältnissmässig auch jene Gefahren, welchen 
das Kind während der Reposition ausgesetzt ist. Abgesehen von einer 
Fractura femoris, welche wir, wie ich glaube, bei gewisser Vorsicht immer 


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Michael Horvath. 


vermeiden können, halte ich die Störungen, welche durch die über¬ 
mässige Dehnung der Nerven, sowie der Blutgefässe entstehen, für 
die schwersten Complicationen, Staunenswerth ist aber die Toleranz 
dieser Theile, insofern trotz sehr grosser Dehnung nicht die min¬ 
deste Störung der Blutcirculation in einem meiner Fälle das Re¬ 
sultat fraglich machte. Die einzige Peroneuslähmung, welche sich 
bei einem 8 jährigen Mädchen nach der Bekämpfung einer Verkürzung 
von 7 cm zeigte, ist mit der Zeit gänzlich verschwunden. 

Dass wir aber unser Verfahren, welches zur Bekämpfung der 
grossen Verkürzung (8 cm) dient, doch mit einer gewissen Vorsicht 
ausüben müssen, dafür ist folgender Fall sehr lehrreich. 

W. B., 8 jähriges Mädchen, Doppelseitige Luxatio iliaca. Wegen 
der Verkürzung von 6^2 cm und weil man die Extremität mit manueller 
Kraft nur sehr wenig herabziehen konnte, habe ich in diesem Falle 
ausnahmsweise 2 Wochen hindurch die Extension nach Volkmann 
angewandt. Trotzdem konnte man aber das durch die Weich- 
theile, hauptsächlich aber durch das Ligamentum capsulare bedingte 
Hinderniss auch nach einem einstündigen Versuche nicht bekämpfen. 
Trotzdem die Extremität nach dem Repositionsversuche in der den 
pathologischen Verhältnissen entsprechenden Stellung blieb, so dass 
die Nerven fernerhin nicht gedehnt wurden, zeigte sich doch eine 
Monate lang anhaltende Peroneuslähmung, welche aber mit der Zeit 
durch Bäder, Massage, Elektrisirung, und Anwendung warmer Tücher 
gänzlich verschwand. 

In diesem Falle halte ich das Trauma, welches durch den 
Repositionsversuch und das starke Dehnen und Zerren entsteht, für 
die Ursache der Lähmung. 

Nur nachträglich erfuhr ich, dass sich bei der vorhergegangenen 
Extension nach Volkmann auch am anderen Fusse eine Peroneus¬ 
lähmung zeigte, welche aber nach der Aufhebung der beständigen 
Extension in einer Nacht spurlos verschwand. Durch die Dehnung 
konnte man in diesem Falle die Extremität nur um 2 cm verlängern, 
und trotzdem zeigte sich schon eine Parese. Nachher bin ich 
natürlich von jeder weiteren Reposition (eventuell mittelst einer 
Arthrotomie) abgestanden, weil ich bei der Bekämpfung einer Ver¬ 
kürzung von 6^/2 crn sehr schwere Folgen zu befürchten hatte. 

Wie ich oben erwähnt habe, halte ich die Verkürzung von 8 cm 
für eine solche, über welcher (hauptsächlich bei doppelseitiger Luxa- 


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Meine bei der angebor. Luxation des Hüftgelenks gemachten Erfahrungen. 699 


tion) ich keineswegs einen Fall für die Reposition geeignet halte. 
Unterhalb dieser Grenze halte ich von 5—7 cm die Reposition noch 
immer versuchsweise für geeignet; bei dieser Verkürzung soll aber 
die Reposition schon mit grosser Vorsicht geschehen. Nach der 
Operation müssen wir aber das Kind noch einige Tage unbedingt 
controlliren, ob sich nicht eine Parese, oder eventuell eine Cir- 
culationsstörung zeigt. 

Für die unblutige Reposition halte ich jene Fälle am 
geeignetsten, in denen die Verkürzung 3—4^2 cm beträgt. 
Nachdem die Reposition schon oberhalb dieser Grenze auf unüber¬ 
windbare Hindernisse stossen kann, gibt eine kleinere Verkürzung 
('/ 2 —2^2 cm) in dem grössten Theile der Fälle nicht genug Garantie, 
dass die Spannung der Weich theile zur Fixirung des Caput femoris 
genügend sein wird. Man darf nicht ausser Acht lassen, dass die 
verkümmerte Gelenkpfanne in dem grössten Theile der Fälle insuf- 
ficient ist. Die Spannung der Weichtheile macht sie suf- 
ficient. Eine geringe Verkürzung bedeutet zugleich auch eine 
kleinere Veränderung (Schrumpfung) der Weichtheile, was auf jeden 
Fall die Reposition erleichtert, so dass diese kaum einige Secunden 
in Anspruch nimmt. Die zu leichte Reposition ist aber 
gleichbedeutend mit einer sehr unsicheren Retention, 
und es gelangten zu einer wiederholten Reposition wirklich jene 
Fälle, in welchen die Verkürzung unter 3 cm betrug, oder was 
damit gleichbedeutend ist, in welchen die Reposition sehr leicht ge¬ 
lang. Ich leugne es nicht, dass auch öfters in einem solchen 
Falle die Wiederholung der Operation nothwendig war, in welchem 
die Verkürzung grösser war als 3 cm; in diesen Fällen liegt 
aber der Grund des Misserfolges in der nicht gehörigen Aus¬ 
nützung der Spannung der Weichtheile (ungenügende Abduction), 
und dieses habe ich auch schon in meinem Vortrage zu Bärtfa 
dargelegt. 

Da ich kein Freund der Therapie mittelst einer Lagevor¬ 
richtung und eines orthopädischen Apparates bin und andererseits 
in der gehörigen Spannung der Weichtheile die höchste Garantie 
der Retention sehe, so eile ich in der letzten Zeit nicht mit der 
Operation, sondern warte ruhig, bis die Verkürzung bereits 3 cm be¬ 
trägt, und auch dann nütze ich die Spannung der Weichtheile 
im grössten Maasse aus und lasse mich nicht dadurch irre 
führen, dass die primäre Stabilität nebst einer Beinstellung, welche 


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700 


Michael Horväth. 


verhältnissmässig gÜDstiger und för das Gehen bequemer ist, ge¬ 
nügend erscheint. 

In all jenen Fällen, in welchen ich den Fuss unmittelbar 
nach der Reposition bis zur parallelen Stellung oder auch noch 
über diese adduciren konnte, ohne dass sich die Extremität reluxirt 
hätte und ich auf Grund dessen die Extremität ungefähr in einer 
Stellung von 45® fixirte, war die Folge, dass der Schenkel¬ 
kopf in dem Verbände oder nach der Entfernung des Verbandes die 
noch immer verkümmerte Gelenkpfanne verliess. Meine Erfahrung 
ist die, dass wir gegenüber der verkümmerten Gelenkpfanne und 
der Grösse der Muskelspannung das grösste Misstrauen haben sollen, 
und wir sollen das Bein ohne Ausnahme in einer solchen 
Stellung fixiren, bei welcher die Weichtheile in der mög¬ 
lichst grössten Spannung sind. Diese Stellung ist gewöhn¬ 
lich die Abduction bis zu einem Winkel von 90®, eventuell 
die Hyperextension und — was in einem solchen Falle unvermeid¬ 
lich ist — die beträchtliche Rotation nach auswärts. Es ist 
unstreitig, dass die Fixirung in einer solchen Stellung oft zu einer 
vorderen Luxation oder sagen wir zu einer Transposition führt; 
diese ist aber nicht immer mit einem Misserfolge gleichbedeutend, 
da wir bei der sogen, functionellen Heilung den Schenkelkopf mei¬ 
stens in einer solchen Stellung finden. Es liegt mir fern, danach 
zu trachten, eine vordere Luxation zu erreichen. Mit der extrem 
abducirten primären Stellung und Hyperextension kämpfen wir aber 
mit absoluter Sicherheit gegen die Entwickelung einer hinteren 
Luxation an. 

Dass diese aber die üeberschreitung der vorderen Kanten der 
Gelenkpfanne von Seiten des Schenkelkopfes befördert, ist ein 
Fehler der Retentionstechnik, mit welchem wir in jedem 
Falle rechnen müssen. Die Einwärtsrotation der Extremität 
würde in jenem Falle für rationell erscheinen, in welchem wir es 
auch mit einer pathologischen Anteversion zu thun haben. In einem 
solchen Falle müssen wir aber die Extremität sehr nach einwärts 
rotiren, was aber auch in einem gelungenen Falle die secundäre 
Osteotomie nothwendig machen würde. Wenn aber das Collum femoris 
nicht antevertirt ist, und dies fand ich verhältnissmässig selten in 
meinen Fällen, dann beeinflussen wir die Spannung der Weichtheile 
mit der Einwärtsrotation so ungünstig, dass eine Reluxation nach 
hinten wieder leichter entstehen kann. In jedem Falle versuche 


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Meine bei der angebor. Luxation des Hüftgelenks gemachten Erfahrungen. 701 

ich es, in welcher Stellung der Schenkelkopf am sichersten in 
der Gelenkpfanne bleibt, und in dem grössten Theile der Fälle 
führte die ausgesprochene Einwärtsrotation zu einer hinteren 
Luxation. 

Schon vor 2 Jahren habe ich die Retentionstechnik in meinen 
Fällen so modificirt, dass ich nach 3—4 Monaten die Extremität, 
nachdem ich diese aus der extrem abducirten primären Stellung 
herabgebracht und in dem Hilft- und Kniegelenke mässig fiectirt 
habe, in einer kleineren Abduction mittelst eines bis zu den Knöcheln 
reichenden Verbandes fixirte. Wahrscheinlich war die ungenügende 
Flexion Schuld, dass man auf diese Art nicht in jedem Falle 
die Auswärtsrotation der Extremität verhindern konnte, insofern ich 
zwischen den 17 Gelenken, welche die Basis dieser Untersuchungen 
bildeten, bei dreien eine im anatomischen Sinne genommene Heilung, 
in 13 Fällen aber mittelst einer vorderen Transposition ohne Aus¬ 
nahme nur ein functionelles Resultat erreicht habe. Die Wieder¬ 
holung der Reposition war nur in einem Falle nöthig. 

Die extrem abducirte primäre Stellung kann auch eine andere 
pathologische Folge haben, welche die Correction der Auswärtsrotation 
und der extremen Abduction sehr hindert, nämlich die, dass die 
Extremität durch die Schrumpfung der Weichtheile in dieser Stel¬ 
lung in übertriebenem Maasse fixirt sein kann. 

Meiner Erfahrung gemäss ist es in solchen Fällen am besten, 
wenn wir die Extremität in Ruhe lassen, weil nach einer gewissen 
Zeit die Gelenksteifheit nachlässt, und mit der Zeit so weit abnimmt, 
dass die Flexion und Adduction der Extremität bis zum nöthigen 
Maasse durchführbar ist. Verhältnissmässig oft habe ich diese 
Gelenksteifheit gefunden, aber mit der Zeit haben alle eine ge¬ 
nügende Beweglichkeit erreicht, obgleich zu dieser Erreichung oft 
auch 1—1 ^2 Jahr nöthig war. Eine Ausnahme bildet jener meiner 
Fälle, bei welchem ich nur mittelst der Arthrotomie das Hinderniss, 
welches durch die Einschnürung des Ligamentum capsulare entstand, 
entfernen konnte. 

Hier gelang es auch heute nicht, 4 Jahre nach der Operation, 
wegen der Vernarbung des Ligamentum capsulare das Gelenk voll¬ 
kommen mobil zu machen. Und wenn ich vielleicht auch nicht 
gegen die Anwendung der Gymnastik und Massage bin, so ist doch 
mein Standpunkt der, dass die gewaltsame Ausgleichung 
und Bewegung nicht nöthig ist, ja sogar das erreichte 


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702 . 


Michael Horvath. 


Resultat durch die übermässige Dehnung der Weich- 
theile gefährden kann. 

Hier bin ich auch noch zu einer anderen Folgerung gekommen, 
welche in gewissen Fällen die Therapie der angeborenen Luxation 
sehr vereinfacht. In jenen Fällen, in welchen die extrem gesteigerte 
primäre Stellung nach einer 3—4monatlichen Fixirung zu einer ge¬ 
nügend erscheinenden Steifheit führte, lasse ich die Extremität, ohne 
dass ich sie in einen neuen Verband geben würde, in Ruhe und 
überlasse es dem Kinde, seinen Fuss langsam in eine immer gün¬ 
stigere Stellung zu bringen. In der ersten Zeit liegt das Kind, in 
1—2 Wochen lernt es gehen, und das Sitzen kann erst hernach er¬ 
laubt werden. 

Meine Resultate sind in den auf diese Art behandelten Fällen 
keine endgültigen, weil ich noch in keinem Falle die Behandlung 
vollkommen beendigt habe, sondern nur anregende, nachdem der 
Schenkelkopf in einigen Fällen seit Monaten seine Stellung nicht 
verändert hat. 

Wenn das Gelenk nach einer 3—4monatlichen Fixirung noch 
auffallend labil ist, müssen wir die Extremität auch weiterhin 
in dieser extrem gesteigerten Stellung fixiren, weil die Gelenk¬ 
pfanne sich in so kurzer Zeit nicht in solcher Weise umwandeln 
konnte, dass sie für die Stütze des Schenkelkopfes gehörige Garantie 
bieten könnte. Dass die Verkürzung der Zeit der Fixirung verhält- 
nissmässig nur bei älteren Kindern gelingen wird, scheint mir 
wahrscheinlich. 

Ich bin nicht der erste, der die Zeit der Fixirung zu verkürzen 
trachtet. Joachimsthal (Archiv f. klin. Chir. Bd. 65) hält ohne 
Ausnahme in jedem seiner Fälle eine 3monatliche Fixirung für 
genug, und seine Resultate, welche ich auch durch die persönliche 
Erfahrung kenne, sind sehr gut. 

Dass in einem Theile der Fälle die kürzere Fixirung zu einer 
so massgebenden Schrumpfung des Ligamentum capsulare führt, 
welche genug Garantie gegen die Reluxation bietet, scheint durch 
die Beobachtung Müllers unterstützt zu werden. (Zeitschrift f. 
orth. Chir. XI.) Zwei reponirte Fälle Müller’s gelangten zur 
Section. Aus diesen Fällen war es ersichtlich, dass sich die Kapsel 
schon in 6^^ Wochen dem Caput femoris knapp anlegt, der grosse 
Sack, welchen die Kapsel bildete, und welcher den luxirten Kopf 
aufnahm, war verschwunden. Seiner Ansicht nach sind zur voll- 


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Meine bei der angebor. Luxation des Hüftgelenks gemachten Erfahrungen. 703 

ständigen Schrumpfung 3—4 Monate nötig, so wie ich dieses übri¬ 
gens schon in meinem Vortrage zu Bärtfa behauptete. 

Eine andere Frage, auf welche ich auf Grund meiner Er¬ 
fahrungen eine Antwort suche, ist jene, ob es in dem Falle, wenn 
im Laufe der Behandlung der Schenkelkopf reluxirt, rathsam ist, 
sofort die Operation zu wiederholen oder nicht, und wenn nicht, 
wann es am besten ist, die begonnene Therapie fortzusetzen. 

Nach meiner Erfahrung bildeten sich im Laufe des vorher¬ 
gegangenen, aber resultatlosen ersten Versuches wesentliche Ver¬ 
änderungen, welche die Prognose der secundären Reposition sehr 
zweifelhaft machen. Ich habe nämlich noch in jedem diesbezüg¬ 
lichen Falle die Erfahrung gemacht, dass die relative Insuffi- 
cienz der Gelenkpfanne auffallend grösser wurde, als 
wie sie bei der ersten Operation war, wahrscheinlich des¬ 
halb, weil die Spannung der Weichtheile insufficient ist. Ich fand 
bei all meinen secundären Operationen übereinstimmend, dass die 
Reposition sehr leicht ausführbar war, und es schien, dass nur die 
möglichst grösste Abduction und Hyperextension das Darin bleiben des 
Schenkelkopfes sicherte, während bei der ersten Operation die ge¬ 
hörige Spannung der Weichtheile bis zu solchem Maasse die Gelenk¬ 
pfanne sufficient machte, welche, nach meiner damaligen Ansicht, 
auch noch eine bedeutende Adduction motivirt machte. 

• Auf Grund dieser Erfahrung wiederhole ich, hauptsäch¬ 
lich bei kleineren Kindern, die Operation dann erst, wenn 
ich auf die Spannung der Muskeln und des Ligamentum 
capsulare besser rechnen kann, eventuell nach Monaten, wenn 
sich theilweise jene Veränderungen entwickelten, welche die über¬ 
windbaren Schwierigkeiten der Reposition bei der Hüftluxation bilden. 
Bei der Frage der Wiederholung der Reposition machten Müller u. A. 
ähnliche Erfahrungen. 

Die der Operation vorangehende vorbereitende Extension oder 
Schraubenextension ist im grössten Theile der Fälle unnöthig. Die 
Schwierigkeiten sind bei der Reposition auch noch in dem Falle 
einer hochgradigen Verkürzung überwindbar, und wie aus meinen 
zahlreichen Fällen ersichtlich ist, ohne nachtheilige Folgen. Ara 
Anfänge meiner Praxis habe ich meistens die Extension nach 
Volkmann oder die der Operation vorangehende Schraubenextension 
angewendet, dadurch habe ich aber die Spannung der Weichtheile 
in grossem Maasse vermindert. Das Resultat war, dass der Schenkel- 


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704 


Michael Horvath. 


köpf sehr leicht reluxirte und die Operation wiederholt werden 
musste. 

Mein Verfahren entspricht bei der Reposition vollkommen den 
von Lorenz vorgeschriebenen Regeln, und ich bemerke nur, dass ich 
die Anwendung des von Lorenz empfohlenen Keiles bis zur Mög¬ 
lichkeit vermeide, insofern ich meine unter den Trochanter gestellte 
Faust als Hypomochlion gebrauche. 

Die Dauer der Reposition wechselte zwischen einigen Secunden 
und IVa Stunden, und in mehreren Fällen ist es wirklich erst nach 
so langer Zeit gelungen, den Kopf über die hintere Kante der Ge¬ 
lenkpfanne in das Acetabulum schnellen zu lassen. Nach Verlauf 
der Fixirungsperiode wende ich weder eine Hülse noch einen Apparat 
an. Dieses benöthigte ich noch in keinem meiner Fälle. 

Unter den 57 Fällen, welche den Grund meines gegen¬ 
wärtigen Referates bilden, habe ich in 3 Fällen die Reposition 
nicht versucht. In 2 Fällen war die hochgradige Verkürzung, 
sowie auch die auffallende Rigidität der Weichtheile von solchem 
Maasse, dass ich es nicht wagte, eine solche Operation zu empfehlen, 
deren nachtheilige Folgen für unvermeidlich schienen. In diesem 
Falle habe ich durch Anwendung eines Stützcorsets und einer den 
Trochanter stützenden Pelotte im functionellen Sinne Besserung er¬ 
reicht. 

Bei der Beurtheilung des dritten Falles leitete mich jener Um¬ 
stand, dass die Verkürzung bei dem 11 ^2 jährigen Mädchen nur IV 2 cm 
ausmachte, welche sich laut meiner eigenen Beobachtung während 
längerer Zeit nicht steigerte. Nebst dem hat sich, laut dem Röntgen¬ 
bilde, der ein wenig abgeflachte Schenkelkopf mit einem Theile an 
das knöcherne Becken gestützt. Das Kind konnte die unbedeutende 
Verkürzung durch das einseitige Beckensenken auf solche Art aus- 
gleichen, dass das Hinken kaum merkbar war. 

Unter solchen Umständen hatte ich zu befürchten, dass sich 
diese verhältnissmässig günstigen Verhältnisse des Gelenkes bei einem 
Misserfolge der Operation in einem solchen Maasse verschlimmern 
würden, dass sich dadurch eine weitere Verkürzung und auf diese 
Art grössere functionelle Störungen hätten entwickeln können. 

Geehrte Section! Wie aus der am Anfänge meines Vortrages 
raitgetheilten Statistik ersichtlich ist, führte meine Bemühung nicht 
immer zu einem Resultat. In zahlreichen Fällen erreichte ich aber 


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Meine bei der angebor. Luxation des Hüftgelenks gemachten Erfahrungen. 705 

einen Erfolg, welcher hinreichend ist, um meinen Glauben zu be¬ 
stärken, welchen ich in die Wirksamkeit der Lorenz’schen un¬ 
blutigen Reposition setzte. Heute aber, da wir für die Heilung auch 
noch in jenem Falle, welcher die günstigsten Verhältnisse aufweist, 
nicht mit vollkommener Sicherheit garantiren können, dürfen wir 
nicht auf halbem Wege stehen bleiben. 

Die Vervollkommnung, der Ausbau der Retentionstechnik ist 
den folgenden Jahren Vorbehalten. 


Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 


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XLIII. 


Das Problem der absoluten Ansgleicbbarkeit des 
spondylitiscben Buckels. 

Von 

Julius Finck-Charkow. 

Mit 16 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! Bis heute hat die Ansicht zu Recht gegolten, 
dass die Spondylitis mit einem Buckel ausheilen müsse. Die Grösse 
der Deformität sei proportional dem Schaden, welchen der Wirbel 
durch den tuberculösen Process erlitten habe. 

Dieser Satz ist sehr einleuchtend. Wo eine Zerstörung, da 
eine Deformität. Nun liegen aber die Verhältnisse an der Wirbel¬ 
säule ganz eigen und bedingt es gerade das Studium dieser Eigen¬ 
art, dass wir den Kampf mit dem Buckel noch nicht als hoffnungslos 
aufgeben dürfen. 

Nach meinen praktischen Erfahrungen sind die Buckel der 
unteren Hälfte der Wirbelsäule, also vom VI. Brustwirbel abwärts, 
ausgleichbar. Und das ist nicht wenig. In der überwältigenden 
Mehrzahl der Fälle ergreift die Tuberculose die Wirbel der unteren 
Hälfte. So ergibt sich z. B. aus der DollingeFschen Statistik, 
dass von 538 Fällen 117 auf die obere, 421 auf die untere Hälfte 
entfielen, was ein Verhältniss von 1 : 4,6 ergibt. Zudem bilden sich 
an der unteren Brustwirbelsäule die schwersten Buckel aus. 

Es soll nun nicht gesagt sein, dass die Buckel der oberen 
Hälfte der Wirbelsäule incurabel seien. Man kann an ihnen viel 
thun, nur der Totalausgleich bleibt fürs erste bei ihnen aus. Daher 
gehört ihre Besprechung nicht in den Rahmen dieses Vortrages. 

Doch bevor ich zu meinem eigentlichen Thema übergehe, muss 
ich erst meinen Standpunkt präcisiren. 

Ich verstehe unter absolutem Ausgleich die Erzielung einer 
Correctur, welche in nichts an etwas, was gibbusähnlich ist, er- 


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Das Problem der absoluten Ausgleichbarkeit des spondylitischen Buckels. 707 


innern darf. Ich betone es auch ausdrücklich, dass der Kampf 
gegen einen im Laufe der Zeit grossgezüchteten Buckel ein ganz 
aussichtsloser ist und dass der Schwerpunkt der Behandlung in eine 
Zeit fallen muss, wo der ursächliche Process noch florirt, also in 
die ersten 4 Jahre nach der Erkrankung. Ausserdem werden einige 
andere Umstände, unter diesen hauptsächlich schwere Thoraxverän- 
derungen imd ein decrepider Zustand Contraindicationen abgeben 
müssen. 

Ich will es nun versuchen, an der Hand einer Studie in Ihnen 
die Ueberzeugung zu wecken, dass die absolute Ausgleichbarkeit 
des Pottaschen Buckels nicht zu den Unmöglichkeiten zu rechnen 
ist, auch wenn Sie die Erfolge nicht sehen. Ich bitte Sie jedoch, 
sich die Tabelle der bis dahin ausgeglichenen Buckel anzusehen. 

Die Wirbelsäule besteht aus zwei parallel neben einander ge¬ 
stellten Säulen. Bei der Spondylitis wird nur die vordere Haupt¬ 
säule an einer Stelle in ihrer Continuität unterbrochen. Sobald dieser 
Fall durch das Einkrachen des cariösen Wirbelkörpers eintritt, knickt 
die Wirbelsäule nach vorne ab, eine Bewegung, welche durch ein 
chamierartiges Gelenk, die beiden intacten Wirbelgelenke, ver¬ 
mittelt wird. 

Mag die Abknickung noch so unbedeutend sein, es resultirt 
aus ihr eine Gleichgewichtsstörung. Die Compensation derselben 
tritt dort ein, wo sie mühelos stattfinden kann, theils in den Ge¬ 
lenken der unteren Extremitäten, theils an der Wirbelsäule selbst 
durch Lordosirung derselben. 

Nun ist es bekannt, dass das Dorsalsegment der Wirbelsäule, 
an welchem sich die zehn wahren Kippen ansetzen, eine beschränkte 
Beweglichkeit im Sinne der Vor- und Rückwärtsbeugung hat. 
Henle bezeichnet den oberen Theil als geradezu starr und un¬ 
biegsam. 

Aus diesem Grunde ist dieser Theil zur Lordosenbildung ein 
ungeeignetes Object und erst mit der Zeit wird er mit hinein¬ 
bezogen. Die ersten Lordosen bilden sich daher immer im Cervical- 
und Dorsolumbalsegmente aus. 

Wir sehen aber, dass die Einschaltung eines solchen relativ 
starren Stückes in die Reihe der übrigen ungemein beweglichen 
Wirbel eine gewisse Störung verursacht, deren Folge die Ver¬ 
schiedenartigkeit der Buckelbildung ist. Denn nur dort, wo sich 
ober- und unterhalb der afficirten Stelle frei bewegliche Wirbel be- 


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708 


Julius Finck. 


finden, wird sich eine proximale Lordosirung entwickeln, wo das 
nicht der Fall ist, eine distale. Gehen wir noch weiter und be- 

Fig. 1. 



Daniel Ssentschischkiii (Xr. 6 der Tabelle). Spondylitis tbc. et Kyphosis Pottii. L. III u. IV, 
sanata. — Die Aufnahme lasst erkennen, dass der tuberculöse Process, welcher den II. 
bis V. Lendenwirbel ergritten hatte, ausgcheilt ist. Mau erkennt die Abflachung der 
Bogenkreuze, den Mangel der Lilcken für die Zwischenwirbelscheiben. Die Körper bilden 
ganz unregelinitssige, nach den Seiten zu verbreiterte Contouren. Die Aufnahme wurde 
gemacht, als der Patient alle Zeichen einer guten Gesundheit bot und eine Haltung h.itte, 
wie sie die beigefügte photographische Abbildung (Fig. 2) zeigt. Die Aufnahme ist vor 
1 Jahr 3 Monaten gemacht worden und liisst erkennen, dass der tuberculöse Process noch 

tlui'id ist. 


trachten uns die Grenzen der beweglichen zu den schwer beweg¬ 
lichen, dann sehen wir, von oben gerechnet, proximal-distale und 
distal-proximale Lordosirungen auftreten. 

Substituiren wir für proximal kurzer Schenkel und für distal 
langer Schenkel, dann bezeichnen wir zu gleicher Zeit Form und 


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Das Problem der absoluten Ausgleichbarkeit des spondylitischen Buckels. 709 


Fig. 2. 


Umfang des Buckels, wobei natürlich die graduellen Verschieden¬ 
heiten von der grösseren oder geringeren Zerstörung des Wirbels 
abhängen. 

Ich erlaube mir, diese Bezeichnungen in Vorschlag zu bringen, 
um eine prägnantere Ausdrucksweise für die Beschreibung dieser 
Deformität zu haben. 

Der Buckel ist also das Product 
aus Knickungsbruch plus Compensa- 
tionslordosen. 

Die Knickung ist nun einzig und 
allein die Folge der Belastung, letztere 
entstanden aus der Vernichtung der 
Tragfähigkeit des Wirbelkörpers. 

So lange auch nur die geringste 
Knickung besteht, niemals wird bei 
aufrechter Stellung eine Entlastung des 
erkrankten Wirbelkörpers stattfinden, 
selbst nicht bei der proximalsten Lor- 
dosirung. Der Wirbelkörper steht unter 
dem Einflüsse eines mit zunehmender 
Neigung sich steigernden Hebeldruckes. 

Bei distaler Lordosirung steht der 
Wirbelkörper unter dem Drucke eines 
langen Hebelarmes; wird nun künst¬ 
lich dieselbe in eine proximale umge¬ 
wandelt, dann wird der Hebelarm nur 
kürzer, er wird aber nicht ganz auf¬ 
gehoben. 

Die Wirkung des Hebels erstreckt sich auch auf den Bogen, 
weil dieser den Unterstützungspunkt für den Hebelarm darstellt. 
Mönard hat es beobachtet, dass der untere Gelenkfortsatz sich in 
den schräg über ihn sich lagernden oberen geradezu einzubohren im 
Stande ist. Diese Druckverhältnisse kann man auch radiographisch 
nachweisen. 

Die Bogen mit ihren Gelenkfortsätzen präsentiren sich im 
Röntgenbilde in Form von liegenden Kreuzen. Sie erinnern mit 
ihren kolbig angeschwollenen Enden an zwei gekreuzte Hanteln. 
Die kolbigen Enden sind das Schattenbild der Bogenwurzeln. 

Betrachtet man sich die Bogenreihe einer gesunden Wirbel- 



Daniel Ssentschischkin (Nr. 6 der 
Tabelle). Aufnahme 20. Febr. 1903. 
Spondylitis tbc. et Kyphosis Pottii, 
L. III u. IV, sanata. 


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710 


Julius Finck. 


Säule auf dem Röntgenbilde, dann erkennt man, dass je zwei untere 
Kolben sich mit den zwei oberen des nächstunteren Wirbels decken. 

Fig. 3. 



Ludmilla Rukowskaja (Nr. 9 der Tabelle). — Aufnahme bei noch vorhandenem Gibbus. 
Abplattung des Bogenkreuzes des XII. Dorsal- und I. Lendenwirbels. Man erkennt, ausser 
der deutlichen Abplattung eines Bogenkreuzes, dass der Zwischenraum zwischen dem 
letzten Brust- und dem I. Lendenwirbel nicht mehr existirt und aus der verschwommenen 
Zeichnung, dass der Process auch auf den I. Lendenwirbel ilbergegangen ist. Bei dem 
correspondirenden Bilde, welches nach dem Ausgleich des Gibbus gemacht w’urde sieht 
man die Contouren der Kreuze wie der Körper schärfer Umrissen, woraus sich schlies.seu 
lässt, dass die Abheilung im Gange ist. 


Die Kolben liegen seitlich in zwei von oben nach unten leicht 
divergirenden Linien, in bestimmten, von oben nach unten zu etwas 
zunehmenden Abständen. 

Bei tuberculös erkrankten Wirbeln findet man, dass diese 
regelmässige Kreuzfigur von oben nach unten eine Abfiachung er- 


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Das Problem der absoluten Ausgleichbarkeit des spondylitischen Buckels. 711 


litten hat. Die kolbigen Enden je einer Seite haben sich einander 
genähert und quellen gewisserniassen zu den Seiten hin aus der ge- 


Fig. 4. 



Maria Küri (Nr. 10 der Tabelle). .Aufnahme 15 . November 1902 . — Die Aufnahme wurde 

f emacht, nachdem schon eine Abflachung des Buckels zu bemerken war. Immerhin war 
ie Deformität noch beträchtlich. Man erkennt die starke Zusammenpressung des obersten 
Lendenwirbels, die Abplattung der Bogenkreuze, insbesondere links. 


raden Linie der gesunden heraus. Man gewinnt den Eindruck, als 
hätten die auf- und absteigenden Gelenkfortsätze sich seitlich 
niedergelegt. 

Diese Erscheinung, welche bald nur angedeutet, bald sehr 
auffällig zu Tage tritt, kann nur so gedeutet werden, dass die Bogen 
in der Richtung von oben nach unten eine starke Coinpression er¬ 
litten haben müssen. 


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712 


Julius Finck. 


Daher ist dort, wo eine Abplattung beobachtet wird, eine 
Senkung der dazu gehörigen Körper a priori anzunehmen und mos 
daraus geschlossen werden, dass in diesem Falle der vorhandene 

Fig. 5. 



Alexander Kuruossoif (Nr. 14 der Tabelle). Anfnahme nach der Ausreichung. — Man 
an der Lcndenwirbelsäule fünf Bogenkreuze und nur vier Köi*per. Bas dritte Bogenkrfox 
exquisit abgeplattet, ebenso die obere Hälfte des IV. Lendenwirbels. Die Körner des HI 
und l\. Wirbels scheinen in eins verschmolzen. Man erkennt auch die Annäherung der 
entsprechenden Querfortsätze an einander. 


Wiukel des Buckels nicht im geraden Verhältnisse zur Grösse des 
Defectes steht. Der Winkel müsste also spitzer ausfallen, wenn das 
nicht der Fall wäre. Ich habe diese Erscheinung bei einem von 
mir daraufhin untersuchten Falle von Spondylitis der unteren Dorsal¬ 
wirbel und der Lumbalwirbel vermisst und decken sich meine Be¬ 
obachtungen mit den Thatsachen, welche Joseph gelegentlich der 


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Das Problem der absoluten Ausgleichbarkeit des spondylitischen Buckels. 713 


Fig. 6. 



Alexandra Ssaweljewa (Nr, 12 der Tabelle). 1). X, XI, XII. — Patientin 6 Monate nach 
Beginn der Liegekur. Der Gipstorso nebenbei gibt die Form des Rückens vor der Behand¬ 
lung. Sie wurde gewonnen bei derselben Lage, wie .sie Patientin eben einnimmt. Torso 
und Rücken sind vom Gibbus abwilrts parallel gestellt worden, um den Knickungswinkel 
zur Anschauung zu bringen. Die Linie über dem Rücken der Patientin i.st ein Bleistab, 
w'elcher nach Aufdrückeu auf den Torso die ursprüngliche Rückenlinie zur Anschauung 

bringen soll. 


Fig. 7. 



Dieselbe Patientin 3 Monate spilter. Man erkennt die weiter stattgefundene Ausgleichung. 
Die Stelle befindet sich im labilen Zustande. Es genügt die horizontale Bauchlage, um 

sie leicht herauszuholen. 


Fig. 8. 



Dieselbe Patientin. Die Figur zeigt, wie eine auch leichte Reclination sie zum totalen 

Ausgleich bringt. 

Beschreibung eines Präparates einer Spontanheilung einer Spondylitis 
anführt. Man kann auch in zweifelhaften Fällen aus dem Befunde 


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714 


Julius Finck. 


der Abplattung, falls der Wirbelkörper nicht gut sichtbar ist, den 
Schluss machen, dass es sich um eine Spondylitis handelt. 


Fig. 9. 



Huna Unuoekoha 6 a. n. Spondylitis tbc. et Kyphosis Pottii, D. X, L. IT. — Die Figur rer- 
anschaulicht den Handgriff, welcher zur Lösung von Verwachsungen und zur partiellci 

Redression dient. 


Fig. 10. 



Dieselbe Patientin, wie oben mit dem Gipsabguss des ursprünglichen Buckels nelienbei 
zeigt, welche Form der Buckel nach ijiihriger Behandlung angenommen hat. Sehr schwerer 
und grosser Buckel des X.—XII. Dorsalwirbels. 


Fig. 11. 



Pat. mit hohem Dorsalbuckel nach » jjiihriger Behandlung. Die ursprüngliche Form 
der nebenbeiliegende Gipsabguss. Noch nicht geheilt. 


Aus allem diesem darf ich wohl die Folgerung wagen, das.' 
die Corsetbehandlung nie zum Ziele führen wird, weil sie die Druck¬ 
verhältnisse nicht ändert und andererseits eine Streckung deswegen 


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Das Problem der absoluten Ausgleicbbarkeit des spondylitiscben Buckels. 715 



Fig. 12. 


nicht bewirkt, weil sie wiederum den Druck auf den Bogen mit auf hebt. 
Die einfache horizontale Lagerung genügt auch nicht, weil sie die 
abgeknickte Partie mit unterstützt. Wir müssen die statischen Ver¬ 
hältnisse direct umkehren. Dieselbe Kraft, welche den Buckel er¬ 
zeugte, muss ihn auch wieder znrückführen 

Nehmen wir nun einen ganz fri¬ 
schen Fall von Buckelbildung an, wo 
weder Verwachsungen noch Schrumpfun¬ 
gen der vorderseitigen Weichtheile vor¬ 
auszusetzen sind, so müssten wir, um 
eine Aufrichtung der abgeknickten Wirbel¬ 
säulenpartie zu erreichen, den narkoti- 
sirten Kranken rückwärts mit dem Gib- 
bus auf eine gepolsterte Tischkante so 
lagern, dass jetzt der übrige Rumpf 
hintenüber frei in der Luft hängt. 

Dadurch erhielte man den zur Auf¬ 
richtung eines geknickten Stabes noth- 
wendigen Druck und Gegendruck, welche 
beide wiederum durch die Entwickelung 
der Eigenschwere des Körpers des Pa¬ 
tienten entstehen würden. Goldthwait 
wendet ja auch ein ähnliches Princip zur 
Correctur des Buckels an. 

So fest ich nun überzeugt bin, dass 
dieses Manöver die abgeknickte Wirbel¬ 
säule genau denselben Weg wieder zu¬ 
rückführen wird, so wenig bin ich davon überzeugt, dass der Aus¬ 
gleich Bestand haben wird. Denn jeder Lagewechsel, jede Verände¬ 
rung der Druckverhältnisse wird die Knickung wieder hersteilen. 

Abgesehen nun davon, dass wir überhaupt keine Fälle ohne 
stattgehabte Schrumpfungen zu Gesicht bekommen, muss dieses Ziel 
der Aufrichtung der Knickung, des Charakters der Krankheit 
wegen, auf schonendere Weise erreicht werden. Zu dem Zwecke 
muss das oben geschilderte Verfahren gewissermassen graduell ver¬ 
mindert angewendet und nur im Laufe der Zeit gradatim gesteigert 


Veranschaulichung des zur Nach¬ 
behandlung dienenden Corsets bei 
Buckeln vom XI. D. abwärts. 


werden. 

Man lagert also den Kranken, um fürs erste die absolute Ent¬ 
lastung herbeizuführen, horizontal. In dieser Lage lässt man die 


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716 


Julius Finck. 


acute Periode vorübergehen und beginnt dann durch Unterlegung 
den Gibbus immer mehr vom Lager abzudrängen. Dadurch entsteht j 

Fig. 13. 



Lage des Pat im Gipsbett bei Si>oiidylitis des Lunibalsegments. Der mitabgebildete 
Wagen ist extra für derartige Kranke coustruirt worden. 


unter der abgeknickten Wirbelsäule ein genügend freier Raum, wohin 
sie zurücksinken kann. Das allmähliche Verfahren macht es, dass 


Fig. 14. 


% 


I 



Veranscliaulifhung der Lage im Gipsbett bei hohem Dorsalgibbus. Der Kopf liegt tiefer 
als der Kumpt und wird hiiufig noch mit Binden fixirt. 


der Druck von unten vom Kranken nicht schmerzhaft empfunden 
wird und dass dann auch der so gefürchtete Decubitus ausbleibt. 

Dabei muss aber der Kranke nicht nur festliegen, es muss 
auch die Vorkehrung getroffen werden, dass er auch nicht auf einen 


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Das Problem der absoluten Ausgleichbarkeit des spondylitischen Buckels. 717 


Augenblick die einmal gegebene Lage freiwillig verlassen kann. 
Für diesen Zweck leistet das Lorenz'sche Gipsbett ideale Dienste. 
Fixirt man dem darin liegenden Patienten auch die Schultern durch 


Fig. 15. 



Fig. 16. 



Fig. 15 und 16: Veranschaulichung der Streckung auf einem iiiodilicirteii Nebel’schen 
Rahmen. Die Extension manuell, über den Kücken wird zur Erzielung eiuer Reclination 
ein Flanellstreifen gespannt. Dann folgt der Gipsverband in jedem Fülle bis unter den 
Kopf. Der Kopf ist mit einer seidenen Binde befestigt, welche spüter herausgezogen wird. 
Auch der breite Gummiriemen, auf welchem Pat. liegt, wird leicht unter dem Verbände 

hervorgeholt. 


über der Brust sich kreuzende Bindentouren und befestigt man das 
Bettchen selbst vermittelst durch die Seitenwände gezogener Schnüre 
auf der Unterlage, dann sind alle Bedingungen erfüllt. 

Das Abdrängen des Gibbus von der Unterlage geschieht da- 


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718 


Julius Finck. 


durch, dass man zuerst ein dünnes Polster unterschiebt und nun 
im Laufe der Zeit Schicht um Schicht hinzufügt. Das Polster darf 
nicht so gross sein, dass der Buckel sich dort sein Nest hinein¬ 
wühlen kann und muss auch, damit die abgeknickte Partie keine 
Unterstützung findet, im Centrum höher als an der Peripherie sein. 
Diese Bedingung erfüllen Wattestreifen, welche kreuzweise über 
einander gelegt werden. Wächst das Polster zu sehr in die Höhe, 
dann ist ein Wechsel des Gipsbettchens angezeigt, der veränderten 
Lage entsprechend. 

Auf diese Weise gelingt es, die Reclination bis aufs Aeusserste 
zu treiben und parallel damit den Druck auf die Bogen nicht allein 
nicht zu verlieren, sondern sogar ihn immer mehr zu verstärken, 
so dass die Bogenantheile unter der Presse bleiben. Ganz allmäh¬ 
lich folgt diesem die Abflachung des Gibbus, bis schliesslich nach 
Verlauf circa eines Jahres der letzte Rest schwindet und so die Auf¬ 
richtung erreicht ist. 

Es ist nun ganz selbstverständlich, dass nur ein kleiner Buckel 
so behandelt werden kann. Der grössere Buckel muss in schonender 
Weise präparatorisch gestreckt und so von den starken Verwach¬ 
sungen befreit und verkleinert werden. Es macht auf mich den 
Eindruck, als ob eine solche präparatorische Lösung der Verwach¬ 
sungen den absoluten Ausgleich befördert. Ich habe daher, um bei 
frischeren Spondylitisfällen die Extension zu umgehen, allerdings 
erst seit kurzer Zeit einen besonderen Handgriff in Anwendung ge¬ 
bracht. Er besteht darin, dass ich den Kranken an seinem Gibbus 
hochhebe, während er auf dem Rücken liegt, bis der Kopf sich 
gerade eben von der Unterlage abhebt. Der Kranke hält zur Ver- 
grösserung des Gewichtes seine Hände überm Kopfe, der prominente 
Dornfortsatz ruht direct auf meinem Zeigefinger. Habe ich nicht 
bald das Gefühl des Nachgebens, wobei oft ein leichtes Knirschen 
fühlbar ist, dann versuche ich durch einige kurze wippende Be¬ 
wegungen zum Ziel zu kommen. Fühle ich auch dann nichts, dann 
mache ich eine Extension, aber ohne nachfolgenden Gipsverband. 
Das Kind wird gleich nachher wieder in sein Gipsbettchen zurück¬ 
gelegt. Der Handgriff wird ganz ohne Schaden gut vertragen, die 
Kranken dulden ihn ohne Klage. Doch glaube ich, dass häufige 
Wiederholungen nicht dienlich sein dürften und es immerhin vor¬ 
zuziehen ist, den Ausgleich sich ganz langsam vollziehen zu lassen. 

Eine der wichtigsten Regeln für den Erfolg ist die ungestörte 


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Das Problem der absoluten Ausgleichbarkeit des spondylitischen Buckels. 719 

horizontale Reclinationslage. Eine Störung, welche nur darin be¬ 
stehen darf, dass man den Kranken bäuchlings hinlegt, muss so 
selten als nur möglich, zwecks Pflege des Kranken, in Anwendung 
kommen. Man soll daher das Kind nicht ins Gipsbettchen hinein¬ 
legen, sondern letzteres auf seinen Rücken darauflegen und es zu¬ 
sammen mit dem Kranken, den man hoch unter der Brust fasst, 
umdrehen. Aus dem Bettchen wird er ebenso nicht herausgehoben, 
sondern herausgewälzt. 

Die lange Zeit durchgeführte Liegekur hat für die betrefienden 
Kranken keine nachtheiligen Folgen. In der grössten Mehrzahl der 
Fälle werden sie zum Schluss der Behandlung dick und rundlich. 

Das einmal erreichte Resultat der Geraderichtung der Wirbel¬ 
säule zu erhalten, ist gewiss eine ebenso wichtige Aufgabe, wie der 
Ausgleich des Buckels selbst. In der ersten Zeit, 1—2 Monate 
nachher, befindet sich die kranke Stelle in einem labilen Zustande. 
Daher lässt man die Kranken noch einige Monate liegen. Dann 
erhebt man sie mit Hilfe eines Corsets, aber für das ganze nächste 
Jahr muss das Liegen im Gipsbett tagsüber noch die Hauptbeschäf¬ 
tigung für den Kranken sein. Zur Nacht muss das Gipsbett, aller¬ 
dings in mässig reclinirter Form, noch Jahre lang für ihn das 
natürliche Lager bilden. 

Für den Bau des zur Nachbehandlung nothwendigen Corsets 
sind folgende Gesichtspunkte massgebend: 

1. Es muss aus starrem Materiale gemacht sein. 

2. Es muss ein beständiger Druck auf die kranke Stelle durch 
eine convexe Fläche stattfinden, 

3. Das Corset muss beim Sitz der Erkrankung vom Beginn 
der Psoasinsertion abwärts auf den Oberschenkel hinabreichen, um 
die Sitzmöglichkeit zu nehmen. Beim Sitzen geht die Lordose 
verloren. 

4. Das Modell zum Corset muss bei horizontaler Lagerung des 
Kranken, bei kräftiger Reclination, aber ohne Extension, angefertigt 
werden. 

5. Das Corset muss die Hüften festfassen, über Brust und 
Bauch kann es offen sein. Die Reclinationshaltung wird nach 
Do 11 in ge rascher Art durch zwei vordere Stützen, welche sich unterm 
Schlüsselbein an den Thorax anlegen, garantirt. Die Schultern 
dürfen nicht gehoben werden. 


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720 


Julius Finck. 


Uebersichtstabelle ttber diejenigen, deren 

Der Fall 5 ist der Charkower medicinischen Gesellschaft, die Fälle 2, 3, 4, 6 


Name 

Alter im 
Mai 1903 

Wann 

erkrankt? 

Wann in 
Behand- 
lung ge¬ 
nommen? 

Annäherndes 
Alter des 
Buckels bei 
Beginn der 
Behandlung 

:-t* =33 
o) 5 S a r- ".*2 

j 2 53 bC X 

Compli- 

cationen 

Compen- 

sationen 

1. Margarethe 

V. Sandor)' 

14 1 

October 

1896 

Septemb. 1 
1897 

11 Monate 

♦LII, III 

Seitl. Abknick¬ 
ung, Abscess 

Proximal 

2. Bass ja Solo- 
towskaja 

11 

1895 

April 

1897 

1 Jahr 

6 Monate 

L 11 

1 

Abscess, Läh¬ 
mung. 

Distal¬ 

proximal 

3. Boris Feodo- 
rotf 

13-/3 

Juni 

1897 

Februar 

1898 

6 Monate 

♦L II, III 

Abscess, seitl. 
Abknickung 

Proximal 

4. Olga Kle- * 
nienowa 

13 

1898 

März 

1899 

6 Jahre 

*L IV, V 

— 

Proximal- 
distal 

5. Alexander 
Timtschenko 

11 

März 

1897 

Januar 

1899 

1 Jahr 

6 Monate 

DXI,LI, 

II 

Am Finger 
lupöses Haut¬ 
geschwür,Para¬ 
plegie.Seitliche 

1 Abknickung 

Proximal 

6. Daniel Ssent- 
schischkin 

812 

April 

1898 

Januar 

1899 

8 Monate 

♦L II, III, 
IV, V 

' Abscess, 
Parese. 

Proximal¬ 

distal 

7. Eugenie 
Weiner 

8 

August 

1899 

Januar 

1900 

4 Monate 

•D VI, VII, 
VIII 

Abscess in der 
Lendengegend. 
Parese 

Distal 

8. Anna Bje- 
loussowa 

14 

Frühjahr 

1900 

October 

1900 

6 Monate 

•L II, III 

Sehr starke 
seitliche Ab¬ 
knickung 

Proximal 

9. Ludmilla 
Rakowskaja 

3 

Januar 

1900 

November 

1900 

3 Monate 

♦DXII,LI 


Distal¬ 

proximal 

10. Maria Küri 

6-/. 

1 

1 

Septemb. 

1900 

März 

1901 

1 Jahr 

1 

♦L I, II 

Sehr grosser 
Abscess 

Distal¬ 

proximal 

11. Alexander 
Rybkin 

4 

Juli 

1 1901 

October 

1901 

2 Monate 

*L II, III 

— 

Proximal 

12. Alexandra 
Ssaweljewa 


1 Juni 
! 1900 

März 

1902 

1 Jahr 

6 Monate 

*D X, XI. 
XII 

Seitl. Abknick., 
gross. Abscess 

Distal¬ 

proximal 

13. Maria Aki- 
mowa 

4 

Septemb. 

1901 

Februar 

1902 

5 Monate 

♦DXI,XII, 
L I 

— 

Distal¬ 

proximal 

14. Alexander 
Kurnossow 

6 

Juli 

1901 

Februar i 
1902 

5 Monate 

*L III, IV 

Abscess 

1 Distal 

1.5. Ksenia Bilt- 
schenko 

10 

1895 

Mai 

1902 

7 V 2 Jahre 

•1. D IV, 
V. VI 
2. D. XI, 
XII 

Paraplegie 

Atypisch, 
weil Doppel 
buckel 

16. Hans Schoft’a 

272 

Januar 

1901 

Mai 

1902 

2 Monate 

L I 

Spina ven- 
tosa 

Proximal 


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Daa Problem der absoluten Ausgleicbbarkeit des spondylitischen Buckels. 721 


Bmekel siet absolut ausgeglichen hat. 

n. russischen Chirurgencongress in Moskau vorgestellt worden. 


•rilparatori* 
die Exten- 
>ioiien und 
rosser Gips¬ 
verband 


Wie 

lange 

gelegen? 


Nach 

welcher 

Zeit 

absoluter 
Aus¬ 
gleich ^ 


Wie lange 
das Corset 
und Gipsbett 
während der 
Nachbehand-1 

_Iung?_^_I 


Endresultate 
im Mai 1903 


1 Jahr 
6 Mon. 
1 Jahr 
3 Mon. 


1 Jahr 
1 Mon, 
1 Jahr 


4 Jahre 

1 Jahr 
10 Monate 


Vollkommene 

Ausheilung 

Vollkommene 

Ausheilung 


4 mal im Ver- 
iil e von 6 Müll 


7 Mon. 


6 Mon. 


6inal im Ver- 
tule *]a Jahres 

Zwei r a 1 0 1- 
c}ie Stret kun- 
eii in Narkose. 
2 Jahr nachher 
och vier gew. 
Kxtensioiien 
3tiiabl im Ver¬ 
laufe von 
5 3Iunaten 


1 Jahr 
5 Mon. 
10 Mon. 


1 Jahr 

1 Jahr 
2 Mon. 


1 Jahr 
5 Mon. 
10 Mon. 


9 Mon. 

1 Jahr 
1 Mon. 


2mal in 
2 Monaten 


1 Jahr 


1 Jahr 
3 Mon. 


1 Jahr 
2 Mon. 


8 Mon. 


1 Jahr 

3 Monate 

2 Jahre 

Nicht be¬ 
kannt 


Vollkommene 
• Ausheilung 
Vollkommene 
Ausheilung 
Nicht bekannt 


27* Jahre 


o 


.2" 

3 


TJ 

0 

0 


<3i 

W 


O 


O 


Vollkommene 

Ausheilung 

Konsolidation, aber 
nicht vollkommene 
Ausheilung 

Nahe der Aus¬ 
heilung, Consoli- 
dation 

Nahe der Aus¬ 
heilung, jedoch 
noch labil 


Imal in 
1 Monat 


2mal in 
2 Monaten. 


1 Jahr 1 Jahr 
3 Mon. 5 Mon. 


1 Jahr 
5 Mon. 
11 Mon. 


1 Jahr 
3 Mon. 
6 Mon. 


1 Jahr 


10 Mon. 


ü 

cä 

JS 


ü 

o 

a 

a 


<v 


Gute Gesundheit, 
aber noch keine 
^Consolidation 

Nahe d. Ausheilung, 
beginn. Cousolidat., 

Keine Consolida- 
tion, tlorid, Gesuud- 
heit aber gut 

Florid 


1 Jahr 
2 Mon. 
7 Mon. 


11 Mon. 


Der 
untere 
Buckel in 
6 Mon. 


lä 

Befindet sich 
im grossen 
Gipsverbande 


Nicht mehr ganz 
florid 

Oberer Buckel 
florid, unterer 
nahe der Aus¬ 
heilung 


10 Mon. 


9 Mon. 


Unbekannt 


Zeitschrift fär orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 


Bemerkungen 


Der Abscess resorbirt im 
Laufe eines Jahres 

Spontane Eröffnung des Ahsces- 
ses, Fistel 11 Monate, dann 
Verheilung. Wann die Läh¬ 
mung zurückging, nicht zu 
bestimmen 

Der kleine Abscess resor¬ 
birt in ca. 7* *^&br 


Nach der Calot’schen Behand¬ 
lung schweres Recidiv. Pat. 
fuhr gleich nach Erhalt de.s 
Corsets von hier nach Peters¬ 
burg. Die indirecten Nach¬ 
richten lauten günstig 
Der abgekapselte Abscess hat 
1 sich bis vor ca. V 2 Jahr ge¬ 
halten, worauf er verschwand. 
Der Altscess wmrde punctirt 
und 10 ccm l'^loiges Formalin- 
glycerin injicirt. Resorbirte 
sich in 2 Monaten 
Der völlige Ausgleich wurde 
nicht allgewartet, doch lag das 
Kind zumeist, so dass sich 
der Ausgleich nachher voll¬ 
zog 

Der Buckel recidivirte leicht, 
als das Kind aufgerichtet 
wurde. Es wurde nach 2 Mo¬ 
naten Herumgehen wieder ge¬ 
legt worauf nach 4 Monaten 
der Totalausgleich sich voll¬ 
zog 

Der sehr grosse Abscess wurde 
nunctirt und 20 ccm l'^loiges 
Formalinglycerin injicirt. Der 
Ausgleich wurde nicht abge¬ 
wartet, jedoch fand er 2 Mo¬ 
nate nachher dennoch statt 


Der Abscess ist noch vor¬ 
handen 


Der Abscess ist abgekapselt 
und fühlt sich knorpelhart an 

Sehr schw’erer Fall. Die Läh¬ 
mung ging nach der ersten 
E.xtcnsion gleich zurück. Der 
untere Buckel glich sich ver- 
hältnissiiiiissig schnell aus, 
Weil das Kind schon vorher 
gelegen hatte 

Uiigew i.ssei Fall. Die Nachricht 
über vollzogenen Ausgleich 
brieflich 

47 


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722 Julius Finck. Das Problem der absoluten Ausgleichbarkeit etc. 

6. Bei Erkrankungen höher als der II. Brustwirbel muss ein 
hohes zweitheiliges Corset, welches bis unter den Kopf reicht und 
das Bücken verhindert, verwendet werden. Dazu Modell ohne Ex¬ 
tension. 

7. Das Corset muss immer beim Liegen des Patienten an¬ 
gezogen werden. 

Die Ausgleichung seines Buckels macht keinen Spondylitis- 
kranken gesund, wenngleich eine auffällige Besserung des All¬ 
gemeinzustandes eintritt. Daher wird uns immer die Aufgabe zu¬ 
fallen, neben der Beseitigung eines Symptoms auf die Grundursache 
mit allen modernen Mitteln einzuwirken. Sobald wir einen nicht 
gestreckten, sondern aufgerichteten Buckeligen früher aus unserer 
Behandlung entlassen, ehe der gute Allgemeinzustand und die 
Röntgenphotographie die Ausheilung des tuberculösen Processes 
wahrscheinlich machen, dann werden wir mit fast absoluter Sicher¬ 
heit Recidive zu erwarten haben. 

Daher kann eine Methode, welche hohe Anforderungen, weniger 
an die Gasse, als an die Intelligenz der Angehörigen eines Spondy- 
litiskranken stellt, auch nicht verallgemeinert werden. Poliklinisch 
wird daher nur in seltenen Fällen etwas zu erreichen sein, zur ambu¬ 
latorischen Behandlung ist jedoch die Methode vollkommen geeignet, 
ebenso zur Behandlung in Sanatorien. 


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XLIV. 


(Aus der Königl. chirurgischen Universitätsklinik des Herrn Geheimen 
Medicinalrath Prof. Dr. v. Bramann in Halle a. S.) 

Die Behandlimg der tuberculösen Spondylitis. 

Von 

Privatdocent Dr. L. Wallstein^ 

Assistenzarzt der Klinik. 

Mit 41 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Das kühne Vorgehen Calot’s gegen den Pottaschen Buckel, 
durch das er uns im Jahre 1897 überraschte, hat zur Folge gehabt, 
dass man allgemein heutigen Tages die tuberculöse Spondylitis nur 
noch unter bestimmten Indicationen absolut conservativ behandelt, 
im übrigen aber gegen dieselbe etwas forcirter vorgeht. 

Auch wir, obgleich damals principielle Gegner^) des CaloFschen 
Verfahrens, sind auf Grund weiterer Erfahrungen zu einem all¬ 
mählichen, dosirbaren, etappenweisen Redressement des Buckels über¬ 
gegangen und wenden die absolut conservative Behandlung, d. h. 
das Reclinationsbett nur noch an: erstens bei allen den Patienten, die 
in den ersten Lebensjahren stehen und daher portative Apparate 
noch nicht tragen können, zweitens bei allen denen, bei denen nach¬ 
weisbare Senkungsabscesse oder irgend welche sonstige floride Er¬ 
scheinungen vorhanden sind, und drittens bei allen denen, bei denen 
eine geringe, gewissermassen probeweise angewandte Extension floride 
Erscheinungen auslöst. 

Von absoluten Gegnern des Redressements bei tuberculöser 
Spondylitis haben wir bei der Aufzählung dieser Contraindicationen 
und bei Erwähnung der letzteren häufiger den Einwand zu hören 
bekommen, dass wir, falls auf die geringe Probeextension hin floride 
Erscheinungen auftreten, eine Schädigung des Individuums herbei- 

*) Wullstein, Die anatomischen Veränderungen nach Calot’schem Re¬ 
dressement mit Demonstration experimentell gewonnener Präparate; Angabe 
einer schonenderen Methode. Arch. f. klin. Chir. Bd. 57. 


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724 


L. Wullstein. 


führten. Bis zu einem gewissen Grade ist dieser Einwand und Vor¬ 
wurf berechtigt; jedoch, wir haben die Auslösung florider Erschei¬ 
nungen dabei so enorm selten, mit Sicherheit eigentlich nie gesehen, 
dass wir deshalb all den anderen Patienten, bei denen sie nicht 
eintreten, die Vortheile der allmählichen Correction nicht entgehen 
lassen möchten. Ausserdem gehen wir bei dieser ersten Probe- 
exteusion so vorsichtig vor, dass wir gerade eben nur bei dem 
Redressement eine Veränderung der Contouren nachweisen können. 
Floride Erscheinungen nach einer so leichten Correction aber, wenn 
sie in Schmerzen oder sonstigen Beschwerden bei aufrechter Haltung 
beständen, würden durch die mehr wöchentliche absolute Imraobili- 
sirung und Entlastung der erkrankten Wirbelpartie im Gipsverbande 
bei gleichzeitig wieder streng durchgeführter ruhiger Bettlage bald 
beseitigt sein. Andererseits können wir wohl weiter zu unserer Ent¬ 
schuldigung annehmen, dass bei einem Patienten, bei dem eine so 
überaus leichte Correction mal floride Erscheinungen in Form nach¬ 
weisbarer Senkungsabscesse auslösen würde, diese Senkimgsabscesse 
in verkappter Form vorhanden waren und voraussichtlich auch nicht 
mehr spontan resorbirt, sondern über lang oder kurz in Erscheinung 
getreten wären. Dass wir aber durch das Redressement bei so 
schonendem Vorgehen irgend einen nicht nachweisbaren Senkungs- 
abscess zum Bersten brächten, ist nicht anzunehmen. 

Nur Imal ist es mir passirt — und auch hier steht es nicht 
absolut fest, ob die PerforationsöflPnung nicht artificiell bei der Section 
herbeigeführt ist —, dass sich nach dem forcirten Redressement eines 
in der oberen Hälfte der Brustwirbelsäule localisirten Gibbus, der 
bei einem 8jährigen Mädchen eine absolute, schwere Lähmung der 
unteren Extremitäten, der Blase und des Mastdarms herbeigeführt 
hatte, dass sich da eine Woche nach dem Redressement bei der 
Section ein blutig-eitriger Erguss in der linken Pleurahöhle vorfand, 
welcher vor dem Redressement keine Erscheinungen gemacht hatte 
und daher am natürlichsten als Folge der Perforation eines am 
hinteren Mediastinum vorhandenen Abscesses angesehen werden 
konnte. Hier aber hatte ich nicht die oben angeführte Probeextension 
vorgenommen; hier lag die Complication der tuberculösen Spondylitis 
vor, welche wohl allgemein als einzige Indication für das ursprüng¬ 
liche Calot’sche Verfahren, d. h. für das vollständige Redressement 
des Pott’schen Buckels in einer Sitzung angesehen wird; hier hatte 
auch ich im Gegensatz zu meinem sonstigen Verfahren in einer 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondjlitis. 


725 


Sitzung zur Beseitigung der Lähmungen ein volles Redressement 
des Gibbus zu erstreben gesucht. Gerade dieser Fall aber spricht 
nicht gegen, sondern für unsere Indicationsstellung. Denn schwere, 
seit längerer Zeit bestehende Lähmungen allein sind es, welche uns 
von unserem überaus vorsichtigen Vorgehen ganz ausnahmsweise 
abgehen und das ursprüngliche Calot'sche Verfahren als letztes, 
irgend welche Aussicht auf Erfolg versprechendes Mittel anwenden 
lassen, während wir bei erst kurze Zeit bestehenden oder nur un¬ 
vollständigen Lähmungen dieselben immer erst durch ganz allmäh¬ 
liche Ertension im Reclinationsbett zu beseitigen suchen. Erst wenn 
hier nach Wochen und Monaten nicht der gewünschte Erfolg ein- 
tritt, erst dann kann hier das forcirte Redressement nach Calot 
als ultimum refugium in Betracht kommen. 

Nur bei der Tuberculose im Atlanto-occipital-Gelenk sind 
leichte floride Erscheinungen für uns kein Grund von der Behand¬ 
lung in portativen Apparaten Abstand zu nehmen, da wir immer 
wieder die Erfahrung gemacht haben, dass sich die Halswirbelsäule 
in demselben am sichersten immobilisiren lässt, und dass sich die 
Patienten bei einer etwas stärkeren, zur völligen Entlastung der er¬ 
krankten Wirbel führenden Extension am wohlsten fühlen. 

Nachdem ich so meinen Standpunkt bei Spondylitis mit Lähmung 
präcisirt und andererseits die Berechtigung der Indicationen, resp. 
Contraindicationen für mein sonstiges Verfahren nachgewiesen zu 
haben glaube, will ich zur Beschreibung der Behandlung der tuber¬ 
culösen Spondylitis, wie ich sie seit ungefähr 6 Jahren in der Klinik 
des Herrn Geheimrath v. Bramann ausüben konnte, übergehen. 

Bei den Patienten, bei welchen keine Contraindication gegen 
eine Behandlung mit portativen Verbänden oder Apparaten vorhanden 
ist, bringen wir drei verschiedene Behandlungsarten zur Verwendung 
und zwar erstens die, bei der wir nur eine gewisse allmähliche Auf¬ 
richtung durch geringe, einfache Extension herbeizuführen suchen, 
^— das entspräche bei Anlegung des ersten Verbandes der oben er¬ 
wähnten Probeextension —, zweitens die, bei der wir ausser der 
Extension noch weiterhin eine Abflachung des Buckels resp. eine 
in der Hauptsache paragibbäre Lordosirung durch Pelottendruck 
erzielen wollen und drittens die Art der Behandlung, bei der wir 
von Anfang an oder im weiteren Verlauf derselben als hauptsäch¬ 
lichste therapeutische Massnahme die totale Lordosirung des Rückens 
beabsichtigen. 


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726 


L. Wullstein. 


In allen Fällen wenden wir zuerst Gipsverbände und in der 
späteren Bebandlungszeit abnehmbare Apparate an. Gleich hier 
wollen wir hervorheben, dass wir bei allen Spondylitiden, in welchem 
Theil der Wirbelsäule sie auch ihren Sitz haben mögen, nur den 
Verband als berechtigt anerkennen, der die Wirbelsäule in gleich- 
mässiger Extension zwischen Hinterhaupt und Becken hält; nur bei 
der Tuberculose im Atlanto-occipital-Gelenk pflege ich einen kleineren 
Verband anzulegen. 

Zur Anlegung der Verbände bediene ich mich ausschUesslich 
des von mir angegebenen und beschriebenen Redressionsapparates 
für Wirbelsäulendeformitäten. 

1. Der einfache Extensionsverband. 

Da ich bei Besuchen auswärtiger Collegen die Erfahrung ge¬ 
macht habe, dass sie besonders instruirt sein wollten über die Polste¬ 
rung bei den Verbänden und überhaupt über alle Einzelheiten der 
Verband stechnik, und da auch andererseits mancher Misserfolg gerade 
wegen Druckes und Decubitus wohl nur zu leicht zu einem schnellen, 
abfälligen ürtheil führen könnte, so will ich die Art der Verband¬ 
anlegung an der Hand von Abbildungen von Anfang bis zu Ende 
auf das genaueste schildern. 

Zuerst wird der Rumpf mit einem eng ansitzenden Tricot be¬ 
kleidet, das Tricot unter den Achseln eingeschnitten und über den 
Schultern so vernäht, dass nur Aermellöcher bleiben. 

Dann wird der Patient in meinen auf Fig. 1 abgebildeten 
Apparat, wie er dort fertig zur Eingipsung einer Spondylitis mit 
Doppelpelotte dargestellt ist, gesetzt und auf den beiden Sitzflächen 
festgeschnallt. Diese beiden Sitzhälften sind bei einer rein kyphoti- 
schen Verbiegung gleichmässig eingestellt; findet sich dagegen aus¬ 
nahmsweise bei einem tiefsitzenden Buckel ausser der kyphotischen 
Verbiegung noch eine seitliche Deviation, so stelle ich, wie bei der 
Correction der compensatorischen Lendenskoliose die der Concavität 
dieser Seitendeviation entsprechende Sitzhälfte (Fig. 1 m) des getheilten 
Sitzes tiefer als die der Convexität entsprechende. Die oberen Riemen, 


*) Wullstein, Die Skoliose in ihrer Behandlung und Entstehung nach 
klinischen und experimentellen Studien. Zeitschr. f. orthopäd. Chir. Bd. 10, und 
als Monographie im Verlag von Ferdinand Enke. Stuttgart 1902. 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


727 



Kedressionsapparut, feitig zum Anlcgeu eiucs Pelotteuverbandes. 


Fig. 1. 


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728 


L. Wullstein. 


mit denen die Oberschenkel auf dem Sitz festgeschnallt sind, fassen 
das bis über die Inguinalbeuge herabreichende Tricot mit und fixiren 
es so, dass es jetzt schon und noch mehr bei der späteren Extension 
dem Körper absolut glatt und faltenlos anliegt (s. Fig. 5). 

Jetzt wird die Kopf- und Halspolsterung in der Weise vor¬ 
genommen, dass der Anfang einer Watterolle hinter das linke Ohr 
gelegt und die Rolle um das Hinterhaupt und die Stirn herum- 
geführt wird, wobei wiederum der Raum hinter dem rechten Ohr 
eine besondere Polsterung erfahrt. Nachdem so die erste circulare 
Tour um Hinterhaupt und Stirn beendet ist, läuft die Rolle weiter 
zum zweitenmal um das Hinterhaupt und dann von rechts nach links 
um Hals und Kinn, dänn wiederum von der linken Kieferwinkel¬ 
gegend über das Hinterhaupt und die Stirn bis zum linken Ohr 
zurück. Schliesslich wird noch ein besonderes Wattestück um die 
vordere Halshälfte gelegt. Auf diese Weise hat also das Hinter¬ 
haupt eine dreifache, die Stirn und der vordere Halstheil im speciellen 
der Kehlkopf eine doppelte Polsterung mit einer ca. 1 cm dicken 
Watteschicht erhalten. 

Für die unbehinderte Brust- und Bauchathmung sorgt eine 
in doppelter Lage verwendete Wattetafel, wie sie auf Fig. 2 a unter 
den für den Verband nothwendigen Utensilien dargestellt ist. Die¬ 
selbe beginnt oben am unteren Rande der Halspolsterung und reicht 
nach unten einige Centimeter weit über die Spinae herab, seitlich 
reicht sie unter den Achseln bis zur mittleren Aixillarlinie und greift 
somit senkrecht herunter laufend noch ungefähr handbreit über die 
Spinae nach aussen über, so dass sie in stehender Haltung ungefähr 
mit dem hinteren Rande der Trochanteren abschneidet. 

Die Darmbeinschaufeln werden gepolstert mit einem ungefähr 
5 mm dicken Filz (Fig. 2 6), der von hinten nach vom glatt ge¬ 
strichen ungefähr 2—3 Querfinger breit die Cristae ossis ilei nach 
oben hin und die Spinae anteriores superiores nach vorn hin über¬ 
ragt. Ueberall, wo eine Faltenbildung entsteht, wird zur Glättung 
derselben ein keilförmiges Stück aus dem Filz herausgescbnitten. 
Damit der Filz unmerklich auf das Tricot übergeht, wird der Rand 
desselben schräg zugeschnitten. 

Der Buckel wird zuerst mit einer entsprechend grossen doppelten 
Lage weisser Watte bedeckt und dann ein besonderes, entsprechend 
grosses Filzstück darübergelegt. Das letztere kann sich, wenn der 
Buckel nicht gerade die obersten Brustwirbel einnimmt, auch sofort, 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


729 


wie auf der Fig. 2b sichtbar ist, an den Beckenfilz anschliessen und 
erhält dann, um sich den Configurationen des Buckels genau anzu- 
schmiegen, die nothwendigen keilförmigen Ausschnitte. 

Zur Extension wird um das Hinterhaupt ein entsprechend zuge¬ 
schnittener Nesseltuchstreifen (Fig. 2c) gelegt und um das Kinn ein 
Kinngurt aus Filz (Fig. 2(/), den eine Kinnkappe daran hindert durch 

Fig. 2. 



Die für die Verbünde nothwendigen Utensilien. 


Abrutschen nach hinten mit seinem hinteren Rande den Kehlkopf zu 
comprimiren. Der Nesseltuchstreifen für das Hinterhaupt und der 
Kinngurt müssen beide gleich lang sein. Beide endigen in Ringen, 
mit denen sie am Apparat, wie die Figuren 1 c und d und 5 — auf 
Fig. 5 sind die Extensionsgurte allerdings aus später zu erwähnenden 
Gründen über dem Gipsverband angelegt — zeigen, eingehakt werden. 
Die Ringe werden in den durchgezogenen Enden des Nesseltuch¬ 
streifens mit je zwei Sicherheitsnadeln befestigt. Das Mittelstüqk des 
Kinngurts setzt sich in zwei Riemen fort, deren Enden in zwei; 
Schnallen eingeschnallt sind; an den beiden Schnallentheilen sind: 
die eben erwähnten Ringe zur Befestigung des Kinngurtes eingenäht.} 


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730 


L. Wullstein. 


Die Hinterhauptsextension, d. h. der Nesseltuchstreifen wird nach 
Fertigstellung des Verbandes einfach unterhalb der Sicherheitsnadeln 
durchschnitten und bleibt im Verbände. Die Riemen des Kinngurts 
dagegen lassen sich, nachdem die Schnallen gelöst sind, ohne 
Schwierigkeit und ohne eine Lücke zu hinterlassen, durch den 
Stirntheil des Verbandes hindurchziehen. Deshalb gerade mussten 
die Schnallen eingefügt werden und der Kinngurt dreitheilig gemacht 
werden, weil ohne diese Theilung das Durchziehen der Ringe durch 
den Stirntheil des Gipsverbandes dem Patienten Beschwerden machen 
und den Verband schädigen würde. 

Nachdem nun der Kopf in die entsprechende Reclination ge¬ 
stellt ist, wird der Nesseltuchstreifen genau mit seiner Mitte um den 
untersten Theil der Hinterhauptsschuppe unterhalb der Protuberantia 
occipitalis gelegt und in den Extensionsbügel eingehakt; sodann 
wird der Kinngurt umgelegt und unter Kreuzung der Hinterhaupts¬ 
extension dicht über dem Ohr an den hinteren Haken des Exten¬ 
sionsbügels befestigt. Da jetzt immer noch die Gefahr besteht, dass 
bei einer Bewegung des Kopfes, bei einer Verminderung oder Er¬ 
höhung der Reclinationsstellung der eine oder andere Theil der 
Extensionsschlinge abgleiten könnte, so wird für wenige Sekunden, 
bis die ersten Gipsbindentouren gelegt sind, der Kopf und damit 
auch die Extensionsgurte von einer Hilfsperson in der gewünschten 
Stellung fixirt. 

Der Extensionsbügel (Fig. Icr, 5, 6 und 11), in den die Ex¬ 
tensionsgurte mit ihren Ringen eingehakt sind, besteht aus einem 
Längseisen, welches der Sagittalachse des Körpers entsprechend ver¬ 
läuft, und aus zwei vorderen und zwei hinteren, in gleicher Ent¬ 
fernung von der Mitte des Längseisens auf diesem aufgenieteten 
Querbügeln, welche in die Haken für die Ringe endigen. Zwei 
Querbügel vorn und hinten sind es deshalb, weil der Kinngurt und 
der Hinterhauptsgurt nicht in gleicher Entfernung von der Mitte 
des Längseisens befestigt sein dürfen. Zur Befestigung des Kinn¬ 
gurts müssen wir den von der Mitte am weitesten entfernten der 
beiden hinteren Querbügel wählen, da nur bei der Befestigung in 
diesem Querbügel eine entsprechende Reclination des Kopfes garantirt 
ist. Wollten wir nun aber den Hinterhauptstheil der Extensions¬ 
schlinge in gleicher Entfernung von der Mitte des Längseisens be¬ 
festigen, so würde derselbe einerseits so weit nach vorn über die 
Schläfentheile verlaufen, dass wir nicht genügend Platz für die 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


731 


Sürntouren des Gipsverbandes behielten, und andererseits würde die 
gegebene Reclination zunoi Theil wieder aufgehoben. Damit aber 
bei dieser durch das ungleiche Aufhängen eintretenden ungleichen 
Belastung der Extensionsbügel sich wieder ausbalanciren kann, so 
ist an der Mitte des Längseisens ein in einen Ring endigendes 
Ghamirgelenk angebracht, in dem die Ausbalancirung vor sich geht. 

Jetzt nun wird der Patient ganz allmählich und ganz wenig 
extendirt, da derjenige Grad der Extension, in dem wir die Wirbel¬ 
säule im Gipsverbande fixiren wollen, erst dann erreicht sein soll, 
wenn als letzter Theil die Körperpartie, in welcher der Buckel 
liegt, mit Gipsbinden bedeckt wird. 

Es werden daher zuerst die Gipstouren um Stirn, Hinterhaupt, 
Hals und Kinn gelegt; dabei müssen die Stirntouren bis zur Mitte 
des Nasenrückens reichen und, damit der Patient nicht später, wenn 
Kinn- und Halstheil des Gipsverbandes bis zum Manubrium stemi 
hinab ausgeschnitten sind, mit der Stirn aus der Stirn tour des Ver¬ 
bandes herausgleiten kann, wird der untere Rand der Stimtour durch 
leichten Druck auf die oberen Augenlider dem unteren Rande des 
Margo supraorbitalis genau anmodellirt. 

Am Hinterhaupt ist ein weiteres Ausarbeiten des Verbandes 
nicht nothwendig, da durch den Druck des Nesseltuchstreifens bei 
der Extension gegen das Hinterhaupt sich die Hinterhauptscontouren 
schon genügend abheben und von den Gipstouren ohne weitere 
Modellirung exact gefasst werden. 

Das Kinn wird vorläufig fast bis zuin Lippenroth mit in den 
Verband hineingenommen. Dabei passirt es sehr leicht, dass der 
Verband in der Höhe der Jochbeine sehr schwach wird und nachher, 
wenn die Ohren beiderseits aus dem Verbände herausgeschnitten 
sind, in Höhe des Gehörganges einbricht. Das kommt dadurch, dass 
sowohl die vom Hinterhaupt nach der Stirn als auch die nach dem 
Kinn verlaufenden Touren diese seitliche Wangenpartie nicht ge¬ 
nügend decken. Deshalb machen wir ständig noch Touren, welche 
von dem einen Jochbein um das Hinterhaupt herum nach dem anderen 
Jochbein verlaufen und auf der einen und anderen Seite immer 
wieder umgeschlagen werden. 

Wenn so Kopf und Hals eingegipst sind, gehen wir zur Ein¬ 
gipsung des Beckentheiles über. Dabei wird der Verband den Darm¬ 
beinschaufeln sehr exact anmodellirt resp. bei solchen Individuen, 
bei denen sich dieselben in ihren Contouren nicht herausheben, durch 


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732 


L. Wullstein. 


Eindrücken des Verbandes oberhalb der Cristae so ausgearbeitet, | 
dass der Verband den gut gepolsterten Beckenknochen absolut fest 
aufsitzt. In dieser ganzen Zeit wird Millimeter um Millimeter durch 
ständiges und allmähliches Andrehen der oberen Extensionsschraube 
(Fig. 1 h) mittelst Drehung des Griffes (Fig. 1 ß) und durch Senken 
des Sitzes mittelst der unteren Schraube (Fig. Iw) die gewünschte 
Extension erreicht. 

Wenn so Kopf- und Beckentheil des Verbandes fertig sind, 
wird schnell der noch freie übrige Theil des Rumpfes mit Gips¬ 
binden umwickelt. Zur besseren Verbindung dieses Theiles mit 
dem bereits mehr oder weniger fertigen oberen und unteren Theil 
kann man Holzspane oder Metallstäbe an den entsprechenden Stellen 
einfügen. Besonders gefährdet ist hierbei gewöhnlich die Verbindung* 
zwischen hinterem Halstheil und oberem Rückentheil, ebenso die 
Schulterpartien. Wir machen daher reichlich Umschlagetouren, 
welche von der Brust über die Schultern resp. über die hintere 
Halspartie so weit nach dem Rücken herabreichen, dass sie vorn 
und hinten mit einer unter der Achselhöhle durchgeführten, circu¬ 
laren Gipsbindentour befestigt werden. 

Nach Vollendung des Verbandes, der in 5 Minuten recht wohl 
fertig gestellt sein kann, werden die Extensionsschrauben etwas 
zurückgedreht und der Patient aus dem Apparat herausgenommen, 
nachdem die Oberschenkel losgeschnallt, der Hinterhauptsgurt dicht 
unter den Sicherheitsnadeln durchschnitten und der Einngurt aus 
den Schnallen gelöst ist. Da bis zur vollständigen Erhärtung des 
Verbandes der Halstheil desselben bei flacher Rückenlage, d. h. bei 
aufliegendem Hinterhaupt immer in Gefahr ist einzubrechen, so wird 
dem Patienten entweder unter die Buckel- oder unter die Scapulargegend 
eine Rolle untergeschoben, so dass Hals und Kopf frei Überhängen. 

Hierauf werden die um das Kinn geführten Gipstouren von 
dem einen Kieferwinkel bis zu dem anderen so weit ausgeschnitten, 
dass der Kinngurt rechts und links gefasst und mit seinen Enden 
durch die Stirntour hindurch gezogen und entfernt werden kann. 

Auf diese Weise wird der Kiefer vorläufig nur so weit frei, dass 
die Zahnreihen sich auf 1—2 cm öffnen lassen. Wir schneiden ! 

gleich nach Anlegung des Verbandes denselben hier absichtlich | 

nicht weiter aus, weil sonst, wenn der Gips ausnahmsweise mal i 

weniger gut erhärtet, der Patient im Stande ist die Stimtour durch j 

Hin- und Herschieben des Kopfes noch mehr oder weniger umzu- 


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Die Behandlung der iuberculösen Spondylitis. 


733 


formen und den Kopf zu senken. Daran wird er verhindert ent¬ 
weder dadurch, dass wir für die ersten 24 Stunden den Verband 
nur so weit ausschneiden, dass der Patient schon bei der geringsten 
Senkung des Kopfes mit dem Unterkiefer auf den Rand des Ver¬ 
bandes aufstösst, oder dadurch, dass wir dem Patienten möglichst 
bald nach Herausnahme aus dem Apparat bei horizontaler Rücken¬ 
lage im Bett um das frei gelegte Kinn die Glisson'sche Schlinge legen. 

Am nächsten Tage wird, wie Fig. 4 zeigt, der Verband so weit 
ausgeschnitten, dass sein unterer Rand an der Stirn den Margo 
supraorbitalis beiderseits eben überragt, unmittelbar hinter den Ohr¬ 
muscheln herabläuft, die Processus mastoidei also vollständig deckt 
und von den Kieferwinkeln so weit entfernt bleibt, dass selbst die 
weiteste Oeffnung des Mundes möglich ist. Nach unten reicht der 
Halsausschnitt fast bis zum Manubrium sterni herab, nach oben hin 
umfasst der Verband die ganze Hinterhauptsschuppe und lässt die 
Stirn tour ungefähr 2 ^/ 2 —3 Querfinger breit stehen. 

An seinem unteren Rande wird der Gipsverband so beschnitten, 
dass er vorn die Spinae anteriores superiores nur um 1 -^2 cm über¬ 
ragt, also beim Sitzen in keiner Weise hinderlich ist, dass die 
Trochanterspitzen vollständig frei sind und hinten der Verband beim 
Sitzen nicht aufstösst. Der Beckenfilz soll den unteren Rand des 
Gipsverbandes überall um ungefähr 1 cm überragen. 

Schon gleich nach Fertigstellung des Verbandes werden die 
Aermellöcher so weit ausgeschnitten, dass die Bewegungen voll¬ 
ständig frei sind und irgend welcher Druck auf Nerven und Gefässe 
unmöglich ist. 

Da nur eine gut ausgearbeitete und zwar gut gepolsterte, aber 
fest anliegende Stimtour die gegebene Reclination und Extension 
des Kopfes garantirt, so haben wir die Stirn tour zuweilen wohl so 
fest angelegt, dass ein geringes Oedem an den oberen Augenlidern 
auftrat; das haben wir dann einfach dadurch beseitigt, dass wir die 
Stimtour in der Mitte durchschnitten resp. durchsägt, die beiden 
Hälften auf Strohhalmbreite aus einander gedrängt und mit einer 
Stärkebinde wieder befestigt haben. 

Bei wärmerer Witterung oder bei schwächlichen Patienten 
schneiden wir, um die Respiration zu erleichtern, die Schweiss- 
secretion herabzusetzen und das Gewicht des Verbandes zu verringern, 
ein grosses Stück (s. Fig. 5) aus demselben aus, so dass Brust und Bauch 
vollständig frei werden und nach den Hals- und Aermelausschnitten hin 


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734 


L. WuUstein. 


nur ungefähr drei Querfinger breite Brücken stehen bleiben. An den 
Seitentheilen läuft der Ausschnitt dann in den mittleren Axillarlinien 
herunter und lässt unten so viel vom Verbände stehen, dass der 


Fig. 3. 



Helene Mank, 

Vor der Behandlung. 


Fig. 4. 



Helene Mank im einfachen 
Extensionsverband. 


vordere Theil des knöchernen Beckens noch wenigstens zwei Quer¬ 
finger breit von dem Verbände überragt wird. Von der Vorderseite 
des Verbandes bleibt somit nur eine Stirn-, eine Brust- und eine 
Beckenspange stehen. 

Zumeist gehen wir, um mit möglichster Sicherheit die Aus¬ 
lösung florider Erscheinungen zu vermeiden, bei der Probeextension 
allzu vorsichtig vor. Das ist daran erkennbar, dass das Individuum 
trotz des ungewohnten Verbandes verhältnissmässig schnell, vielleicht 
schon in der zweiten oder dritten Woche eine überaus grosse Frei- 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


735 


heit in seinen Bewegungen zeigt und dass das geringe Spannungs¬ 
gefühl, welches dasselbe zuerst als einen unangenehmen Druck des 

Verbandes am Extensions- und Contra- 

Fiff. 5. . 

extensionspunkte, d. h. am Hinterhaupt und 
Becken empfand, schnell geschwunden ist. 
In solchem Falle nehmen wir dann gern 
ebenso wie da, wo wir bei Anlegung eines 
zweiten oder dritten Extensionsverbandes, 
wie sich aus den gleichen Symptomen nach¬ 
träglich ergibt, nur eine ungenügende 
Streckung ausgeführt haben, eine weitere 
Extension in dem gleichen Verbände vor. 

Zu diesem Zwecke sägen wir den 
Verband in Höhe der Spitze des Gibbus 
horizontal durch, schnallen den Patienten 
im Apparat fest, legen die Extensions¬ 
schlinge über den Verband an (s. Fig. 6) 
und extendiren. Der obere Theil des Ver¬ 
bandes wird mit der weiteren Streckung 
durch die Extensionsschlinge mit nach oben 
gezogen, den unteren Theil des Verbandes 
lassen wir durch eine Hilfsperson auf den 
Darnibeinkämmen fixiren. Auf diese Weise 
erhalten wir dann eine weitere Extension, 
die zu einer Diastase im Verbände von 2 
bis 4 oder wohl auch 5 cm führt. Die 
Diastase wird mit Gipsbinden zugewickelt. 
Selbstverständlich darf ein Verband, 
derartige weitere Exten¬ 
sion vornehmen will, nicht vorher irgendwo, 
vielleicht durch den oben beschriebenen Brust- und Bauchausschnitt 
in seiner Continuität unterbrochen sein. 

Diese Art der weiteren Extension hat grosse Vortheile, vor 
allem den, dass der Patient der doch immerhin unangenehmen Procedur 
des Verbandanlegens nur für ganz kurze Zeit ausgesetzt ist, und 
ferner den, dass wir es gleich hinterher wiederum mit einem völlig 
stabilen und verlässlichen Verbände zu thun haben. 

Bei eventuell vorhandener Contractur des Hüftgelenks können 
wir in einfacher Weise das betrefiFende Bein in corrigirter Stellung 


, Google 






736 


L. Wullstein, 


Fig. 6. 



Millik im horizontiil durchschnittenen, distrahirten, einfachen 
Exteiisionsverband. 


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Die Behandlung der tuberoulOsen Spondylitis. 


737 


Fig. 7. 



Helene Mank im distrahirten, in seiner Continuität wieder hergestellten, einfachen 

Extensionsverband. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 48 


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738 


L. WulUtein. 


im Gipsverband gleichzeitig fixireo. Zu diesem Zwecke nehmen wir 
an unserem Apparat (s. Fig. Ip) die eine oder die andere Sitzhälfte weg 
und ersetzen dieselbe durch einen schmalen Bügel, welcher dem ent¬ 
sprechenden Tuber ischii als Stütze dient, im übrigen aber die Streckung 
des Beines nicht hindert. Der Gipsverband für das Bein schliesst 
sich dabei in gewöhnlicher Weise an den Kopfrumpfverband an. Die 
untere Extension wird dann an dem einen abgebogenen Oberschenkel 
und an dem Knöchel des anderen gestreckten und in corrigirter 
Stellung befindlichen Beines ausgeübt. 

2. Der Pelottenverband. 

Haben wir auf die geschilderte Weise durch einen, zwei oder 
drei derartige Verbände, von denen jeder 2 oder 3 Monate liegen 
bleibt, eine gewisse Extension und Aufrichtung des Patienten erreicht, 
haben wir so eine Dehnung der oberhalb und unterhalb des Buckels 
gelegenen Zwischenwirbelscheiben herbeigeführt oder haben wir aus 
dem direct spitzwinkeligen Gibbus einen rechtwinkeligen oder mög¬ 
lichst stumpfwinkeligen gemacht, so ist es nun an der Zeit, erstens 
den Buckel direct anzugreifen und zweitens die oberhalb und unterhalb 
desselben gelegenen Partien aus der Mittelstellung in Lordose über- 
zufUhren. Beides bewirken wir dadurch, dass wir uns jetzt nicht 
nur der eben geschilderten Mittel bei der weiteren Verbandanlegung 
bedienen, sondern jetzt noch, wie es die Abbildungen 9—13 zeigen, 
auch den Pelottendruck anwenden. 

Wir benutzen dabei ausschliesslich eine Doppelpelotte, wie sie 
auf Fig. 2 e und am Pelottenhalter angeschraubt auf Fig. 1 e sichtbar 
ist. Dieselbe hat, bei unserem Apparat angewandt, den grossen Vor¬ 
zug, dass sie vom Pelottenhalter abgedreht im Verbände verbleibt 
(s. Fig. 11, 12 und 13), und dass bei derselben die Reihe der Processus 
spinosi, über denen ja die Haut besonders leicht zu Decubitus neigt, 
vollständig von jedem Druck frei bleibt. Diese Pelotte hat uns bei ihrem 
Gebrauch seit mehr als 5 Jahren derartig gute Dienste geleistet, dass 
wir sie nie mehr in unserer Spondylitisbehandlung missen möchten. 

Für jeden Patienten wird die Pelotte nach der Buckelform be¬ 
sonders angefertigt. Dazu wird der Patient am Tage vor der An¬ 
legung des Verbandes fast in die Extension gebracht, in der wir dem¬ 
selben am nächsten Tage den Verband anlegen wollen. Ich betone 
hierbei ausdrücklich, dass diese Extension die einzige ist' welcher der 
Patient ausgesetzt wird, ohne sofort hinterher immobilisirt zu werden. 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


739 


In dieser Extension machen wir einen Gipsabdruck von der Buckel¬ 
partie und nach dem von diesem Negativ angefertigten Positiv wird 
die Pelotte gearbeitet. 

Die Pelotte (s. Fig. le und 2e) besteht aus einem eisernen 
Querbügel und zwei Längseisen. Die beiden Längseisen sind je nach 
der Formation des Buckels über die Längsachse gebogen und um die 
Längsachse gekantet. Die Längseisen sind je nach der Grösse des 
Buckels 8—15 cm lang, ihre Enden laufen abgerundet gleichmässig 
aus oder sind leicht nach hinten umgebogen. Je nach dem, wie wir 
die Enden gestalten, entweder in der eben erwähnten ersten oder in 
der letzten Form, werden wir neben der Correction des Buckels eine 
paragibbäre Lordosirung herbeiführen können oder nicht. Dabei 
haben wir es vollständig in der Hand zu bestimmen, in welcher Höhe 
der Wirbelsäule und bis zu welchem Grade die paragibbäre Lordo¬ 
sirung ausgeführt werden soll. Zum Zustandekommen einer para- 
gibbären Lordosirung nämlich ist es nothwendig, dass die Enden 
der Längseisen nach hinten umgebogen sind. Je länger aber die 
Längseisen sind und je weiter von dem Quereisen entfernt die Um¬ 
biegung ihrer Enden nach hinten beginnt, um so weiter von der 
Spitze des Gibbus entfernt wird die paragibbäre Lordosirung beginnen. 
Der Grad aber der Umbiegung nach hinten bestimmt ungefähr wenig¬ 
stens den Grad der paragibbären Lordosirung. 

Im übrigen werden wir aber durch den Pelottendruck einer¬ 
seits zwar eine Compression und Abflachung des Gibbus herbeiführen, 
andererseits aber in der Pelotte ein wirksames Schutzmittel haben 
gegen eine bei zu weit getriebener Correction etwa plötzlich ent¬ 
stehende Diastase. Dieser Schutz wird um so mehr vorhanden sein, 
so lange wir bei einem grösseren Buckel auf die paragibbäre Lordo¬ 
sirung verzichten und daher die Längseisen ohne Umbiegung an 
ihren Enden einfach abgerundet auslaufen lassen. Dann werden 
eben, sobald derjenige Grad der Correction, für den die Pelotte 
gearbeitet ist und bei dem wir sicher sind, dass eine Diastase noch 
nicht entsteht, erreicht ist, die oberen und unteren Schenkel der 
Längseisen, speciell die Enden derselben sich fest den Schenkeln des 
Buckels anschmiegen, ihn vollständig in seinen Schenkeln nach oben 
und unten schützend umklammern und eine weitere Correction des¬ 
selben verhindern resp. erschweren. 

Auf der Mitte der Längseisen, welche eine Breite von 1,5 bis 
2 cm haben, ist der doppelt rechtwinkelig abgebogene Querbügel 


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L. Wullstein. 


aufgenietet. Auf der Mitte des Quereisens, welches brückenförmig 
den für die Dornfortsatzreihe bestimmten, je nach dem gegebenen 
Fall durchschnittlich etwa 2—3 cm breiten, freien Elaum überspannt, 
befindet sich ungefähr 1 cm hoch die Schraubenmutter, in welche 
das Schraubengewinde des Pelottenhalters hineinpasst. 

Die Unterfläche der Längseisen ist mit einer doppelten oder 
gar dreifachen Lage Filz gepolstert; jede einzelne Lage überragt 
die vorhergehende resp. das Längseisen um ungefähr Strohhalmbreite. 
Auf der Rückseite der Längseisen sind mehrere Dome angebracht 
(s. Fig. 1 und 2), welche sich durch die einzelnen herumgeführten 
Gipsbindentouren durchdrücken und so die sichere Fixation der Pelotte 
im Verbände bewirken. An ihrer Hinterfläche sind die Längseisen, 
um sie vor dem Rosten zu schützen, mit Drell überzogen. 

Der Pelottenhalter (Fig. 1 f) des Apparates ist zweitheilig 
gearbeitet. Derselbe besteht aus einer Hülse, in welcher der nach 
der Pelotte zu gelegene Theil wie der Ladestock im Laufe steckt. 
Durch diese Zweitheilung des Pelottenhalters wird es möglich, bei 
eingegipster d. h. feststehender Pelotte den Pelottenhalter abzudrehen, 
ohne dass der Druck der Pelotte während des Abdrehens vermindert, 
und ohne dass bei dem Abdrehen an dem noch wenig widerstands¬ 
fähigen Gipsverbande gezerrt wird. 

Vor der Anlegung des Verbandes wird der Sitz, auf dem der 
Patient in der üblichen Weise festgeschnallt ist, mittelst der an dem¬ 
selben vorhandenen Schlitten Vorrichtung (Fig. 1 o) so weit wie möglich 
nach vorn gebracht und ebenso die obere Extensionsschraube, welche 
sich ja an unserem Apparate nach Lösung der Sperrvorrichtung 
(Fig. la) ebenso wie der Sitz in der Sagittalebene nach vom und 
hinten verschieben lässt, in gleicher Weise so weit als möglich nach 
vorn verschoben, und dann wird die Pelotte dem Buckel angelegt. 
Dabei ist der Patient mit einem Tricot bekleidet und in gleicher 
Weise speciell die Buckelgegend gepolstert wie vorher beschrieben. 
Auf den Fig. 8, 9 und 10 ist das Tricot weggelassen, nur um die 
Körpercontouren beim Redressement besser darstellen zu können. 
Ebenso wurde, um den Kopf bei der photographischen Aufnahme 
sicherer zu fixiren, statt der auf Fig. 1 zur Darstellung gebrachten 
und auf Fig. 6, 7 und 11 in Anwendung sichtbaren Kopfextensions¬ 
schlinge die Vincent’sche Lederhülse zur Extension verwandt. 

Die Compression der Pelotte zur Correction des Buckels und 
die paragibbäre Lordosirung können zum Theil aber vom Patienten 


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Die Behandlung der tubercalOsen Spondylitis. 


741 



durch eine abnorme Reclina- Fi?- 8. 

tion des Kopfes, d. h. durch 
eine abnorme Lordosining der 
Halswirbelsäule und speciell 
eine entsprechende Bewegung 
im Atlantooccipitalgelenk illu¬ 
sorisch gemacht werden. Des¬ 
halb haben wir ausser der 
Fixation des Beckens auf dem 
schrägen Sitz zur weitereu 
Fixation der oberen Rumpf- 
hälfte gegen die Pelotte resp. 
zur Erreichung einer wirk¬ 
lichen oberen paragibbären 
Lordosining die auf Fig. 1// 
sichtbaren Schultergurte an¬ 
gebracht, welche durch einen 
Brustriemen (Fig. \h) mit 
einander verbunden und nach 
hinten hin mittelst Riemen an 
Schrauben (Fig. 1 i) ange¬ 
bracht sind. Diese Schrauben 
sowohl als auch der Pelotten- 
halter, welchem mittelst eines 
Kugelgelenks (Fig. \h) eine 
ganz beliebige Stellung ge¬ 
geben werden kann, sind, wie 
es die Fig. 1, 9, 10 etc. zeigen, 
auf einem Halbbogen (Fig. 1 /) 
befestigt, welcher durch Muf¬ 
fen an dem Galgen in jeder be¬ 
liebigen Höhe anzubringen ist. 

Die Schultergurte sollen 
so über die Arme nach oben 
gestreift sein, dass sie über 
die Schultern und zwar über 

. - . , . Carl Schuster vor der Behandlung. 

die Processus coracoidei hin¬ 
weglaufen. Gleichwohl würde die Wirkung der Schultergurte durch 
Bewegungen in den Sternoclaviculargelenken und weiterhin durch 


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L. WulUtein. 


Fig. 9. 



Curl Schuster unter Extensiou und Pelottendruck. 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


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Fig. 10. 


Carl Schuster unter Extension und Pelottendruck und bei geringer oberer und unterer 
paragibbürer Lordosirung und Keclination des Kopfes. 



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L. Wullstein. 


Rücknahme der Schultern zum grössten Theil vereitelt werden, wem 
wir nicht in dem Brustriemen ein Mittel hätten, welches den obere: 
Thorax direct fixirte resp. reclinirte. 

Beim Eingipsen mit der Pelotte also wird der Patient, wie e; 
Fig. 9 demonstrirt, mit einem Trioot bekleidet, in der früher br- 
schriebenen Weise mit Watte un3 Filz gepolstert, in den Appar^* 
gesetzt, an den Oberschenkeln fixirt, die Kopfextensionsschbnge an¬ 
gelegt, die scharf nach den Körpercontouren gearbeitete Pelotte b- 
weit nach vorn geschobener oberer Extensionsschraube und bei wei: 
nach vorn geschobenem Sitz so in dem Kugelgelenk eingestellt resj. 
auf dem Halbbogen verschoben, dass sie in allen ihren Theilen den 
Buckel mit Freilassung der Domfortsatzreihe absolut fest und lückeok? 
anliegt resp. ihn umklammert. 

Dann werden die Schultergurte übergeschoben und in dt: 
beiden Haken, welche sie an ihrer Vorderseite tragen, wird dtr 
Brustriemen befestigt. Auf diese Weise werden einerseits de 
Schultergurte durch den Brustriemen nach der Mitte hin fixirt uni 
andererseits wird der Brustriemen selbst durch die Schultergurte in 
Höhe des Manubrium sterni gehalten. Der Brustriemen ist an seiutL 
beiden Enden in gleichmässigen Abständen durchlocht, so dass er 
jeder beliebigen Thoraxbreite entsprechend in die Schulterg^rte ein¬ 
gehakt werden kann, und andererseits ist er so lang, dass er selbv 
den breitesten Thorax nach beiden Seiten um reichlich Handbreite 
überragt. Die Riemen, mit denen die Schultergurte an den Schrauben 
befestigt sind, werden so fest angezogen, dass dieselben selbst bei 
weit nach vorn herausgedrehten Schrauben straflF gespannt sind. 

Das Anlegen des Gipsverbandes wird nun in vollständig gleicher 
Weise, wie wir es vorher beschrieben haben, vorgenommen. Dabe: 
wird ganz allmählich nach allen Richtungen hin immer weiter com- 
girt, bis der mittlere Theil d. h. der den Buckel umgebende Theü 
des Gipsverbandes als dritter Schlusstheil angelegt wird. 

Hinten an der Rückenseite stehend wird von dem, der die An¬ 
legung des Verbandes leitet, bald die obere oder untere Extension^- 
schraube Gewinde um Gewinde weiter gedreht (Fig. 9, 10 und 11 
illustriren die fortschreitende Correction), bis schhesslich der Grad 
der Extension erreicht ist, den der Patient in den nächsten 2, 3 oder 
4 Monaten haben soll. Durch Andrehen der Schraube des Pelotten- 
halters wird eine Abflachung des Buckels erzeugt; durch Andrehen 
der Schraube, welche den Schlitten (Fig. lo) und damit den Siu 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


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Fig. 11. 



(’arl Schuster unter Extension und Pelottendnick und bei stärkerer oberer und unterer 
paragibbärer Lordosiruiig und Recliiiation des Kopfes ini Gips verband. 


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L. Wullstein. 


nach hinten bewegt (vergl. Fig. 9 und 10), wird um die Pelotte als 
Hypomochlion eine paragibbäre Lordosirung des unterhalb des Buckels 
gelegenen Wirbelsäulenabschnittes herbeigeführt. Ebenso wird der 
oberhalb des Buckels gelegene Wirbelsäulenabschnitt durch gleich- 
mässiges allmähliches Anziehen beider Schultergurtschrauben (Fig. li) 
mittelst des Brustriemens um die Pelotte als Hypomochlion in Lordose 
gedrückt. Mit der Lordosirung des oberen Brustwirbelsäulenab¬ 
schnittes hält die Lordosirung der Halswirbelsäule und die Reclination 
des Kopfes gleichen Schritt, da wir ja im Stande sind (s. auf Fig. 
9, 10 und 11 den Stand der Sperrvorrichtung [Fig. la] oben an der 
gezähnten Stange) mit dem gleichen Griff (Fig. Iß), durch dessen 
Drehung wir die obere Extension besorgen, die die obere Extensions¬ 
schraube tragende Schlittenvorrichtung, welche bei Beginn der Correc- 
tion ganz nach vom geführt war, Centimeter um Centimeter nach 
hinten zu bewegen und an jeder beliebigen Stelle durch die Sperr¬ 
vorrichtung festzustellen. 

Zum Herausnehmen aus dem Verbände wird zuerst der Pelotten- 
halter von der Pelotte abgedreht. Die Flügelschraube, durch deren 
Anziehen die Pelotte mehr und mehr an den Körper herangepresst 
war, bleibt hierbei unbeweglich; nur die vordere äussere Hülse wird 
durch Drehungen an der in der Mitte des Pelottenhalters befindlichen 
Scheibe bewegt. Dabei kann das Zurückdrehen dieses fast 1 cm 
langen Schraubengewindes aus der Schraubenmutter nur dann zu 
Stande kommen, wenn die Pelotte noch um so viel mehr gegen den 
Buckel angedrückt wird, als die Länge beträgt, um die das Schraubeu- 
gewinde in die Schraubenmutter versenkt war. Auf diese Weise ist 
es absolut ausgeschlossen, dass beim Abdrehen des Pelottenhalters 
von der im Verbände bleibenden Doppelpelotte irgendwie an dem noch 
nachgiebigen Gipsverbande gezerrt und derselbe dadurch in seiner 
Formation geändert wird. Glaubt man jedoch, dass durch dieses 
weitere Anpressen der Pelotte die Compression zu stark würde, so 
kann man dieses Anpressen beim Abdrehen der Pelotte compensiren 
durch ein entsprechendes Zurückdrehen der am hinteren Ende des 
Pelottenhalters befindlichen Fitigelschraube. 

Durch Zug an der herabhängenden Kette (s. Fig. 11) wird weiter 
die Sperrvorrichtung gelöst und der obere Schlitten gleitet nach vom. 

Darauf werden die Schrauben für die Schultergurte etwas vor¬ 
geschraubt und dadurch die Schultergurte entspannt. 

Wir hatten schon vorher darauf hingewiesen, dass der Brust- 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


747 


riemen so lang ist, dass er selbst den breitesten Thorax um wenig¬ 
stens Handbreite nach beiden Seiten überragt. Bei der Anlegung 
des Gipsverbandes muss darauf geachtet werden, dass diese freien 
Enden des Brustriemens aus den Aermellöchern des Gipsverbandes 
(s. Fig. 11) herausragen. Durch Zug an dem einen oder anderen 
freien Ende wird der Brustriemen und der betreffende Schultergurt 
so weit herausgezogen, dass sich der Brustriemen aus dem an dem 
Schultergurte befindlichen Haken lösen lässt. Darauf wird durch 
Zug an dem in der anderen Achselhöhle aus dem Aermelloch heraus¬ 
ragenden Riemenende der Riemen aus dem Verbände herausgezogen, 
was sehr leicht möglich ist, da er ja zwischen dem Tricot und der als 
Brustpolsterung dienenden Wattelage liegt, mithin vor dem Verkleben 
mit den Gipsbinden geschützt ist. Die Schultergurte lassen sich 
ohne weiteres abnehmen. 

Nun erst wird durch Drehungen an der oberen Extensionsschraube 
die Extension, welche ja schon durch das Vorbringen des oberen 
Schlittens vermindert war, vollständig aufgehoben, die Kopfextension 
in der früher beschriebenen Weise gelöst, die Oberschenkel losge¬ 
schnallt und der Patient aus dem Apparat herausgenommen. 

Die Anlegung des Verbandes kann in ca. 10 Minuten beendet 
sein, doch wird man, wenn es der Allgemeinzustand des Patienten 
gestattet, gut thun, darauf längere Zeit zu verwenden^), denn je 


Das gilt in noch höherem Maasse für das forcirte Redressement der 
skoliotischen Wirbelsäule; da redressire ich die Patienten, je nachdem wie sie 
an das Redressement gewöhnt sind, durchschnittlich 10—20 Minuten, in ver¬ 
einzelten Fällen auch wohl noch länger im Sinne der Extension, der Detorsion, 
der Compression des Rippenbuckels und der Beckensenkung, kurz nach allen 
Richtungen hin und erst dann, wenn alle Muskeln völlig entspannt und alle 
contracten Theile aufs äusserste gedehnt sind, dann erst beginne ich mit der 
Anlegung des Verbandes, welch letztere, da ich dabei noch eine letzte Correctur 
vornehme, ca. 10 Minuten dauert. Dass ich diese verhältnissmässig lange Zeit 
zum Redressement und zur Anlegung des Verbandes brauche, dafür sind die 
oben angeführten Gründe eine Erklärung und nicht, wie Schanz ganz neuer¬ 
dings in seiner Arbeit ,Die statischen Belastungsdeformitäten der Wirbel¬ 
säule etc.“ behauptet, der von mir verwandte ,complicirte Apparat*. Diese 
Annahme von Schanz trifft ebenso wenig zu wie die weitere, dass es „ein 
ganz besonderer Vortheil des von ihm verwandten, einfachen Apparates* 
sei, dass er, natürlich ohne die Muskelentspannung etc. abzu¬ 
warten, einen einfachen Extensionsverband in 5 Minuten anlegen 
kann; das wird Jeder, der über eine gewisse Verbandtechnik verfügt, in der 
gleichen Zeit auch in meinem Apparat ohne weiteres sogar in der denkbar be- 


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L. Wullstein. 


langsamer und allmählicher das Redressement ausgeführt wird, desto 
vollkommener und schonender ist es. 

Fig. 12. Fig. 13. 




Carl Schuster im fertigen Pelotteuverbanrt. 


Die weitere Versorgung des Verbandes ist die gleiche, wie wir 
sie oben beschrieben haben. 

Der Raum zwischen den beiden Längseisen der Doppelpelotte 
kann, wie es auf Fig. 12 sichtbar ist, nachträglich ausgeschnitten 

querasten Weise besonders für den Patienten ausführen können. Der Unterschied 
zwischen dem S c h a n z’schen und meinem Verfahren bei der Behandlung der Skoliose 
ist aber der, dass bei meinem Verfahren es unmöglich wäre, in den allernächsten 
Wochen eine irgendwie nennenswerthe, weitere Correction vorzunehmen, während 
Schanz, da er die Erschlaffung der Muskeln und die Dehnung der Bänder und 
Zwischenwirbelscheiben etc. vor Anlegung des Verbandes nicht abwartet, sich schon 
nach 3—4 Tagen zu einer ersten Wiederholung und nach dem gleichen Zeit¬ 
raum „zu einer zweiten und vielleicht auch noch einer dritten Wiederholung 
des Redressements“ veranlasst sieht. Was aber bei freier Wahl die Patienten 
vorziehen würden, ein einmaliges, zwar länger dauerndes, aber denkbarst voll¬ 
kommenes Redressement oder innerhalb von 8—12 Tagen 3—4mal die doch 
selbst bei kürzerer Dauer in jedem Falle höchst unangenehme Procedur des 
erneuten Redressements und der erneuten Verbandanlegung, das ist für mich 
nicht zweifelhaft. 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


749 


werden. Auf diese Weise kann man aufs genaueste controlliren, ob 
etwa trotz der Polsterung des Gibbus mit Watte und Filz die mit 
guter Filzunterlage versehene Doppelpelotte doch vielleicht wider 
Erwarten irgend welchen Decubitus erzeugen sollte oder nicht. 

Auch bei den Pelottenverbänden können wir dadurch die Brust- 
und Bauchathmung erleichtern und das Gewicht des Verbandes ver¬ 
ringern, dass wirTheile des Verbandes ausschneiden; diese Ausschnitte 
müssen jedoch bei den Pelottenver¬ 
bänden nach wesentlich anderen Prin- 
cipien angelegt werden als bei den 
einfachen Extensionsverbänden (vergl. 

Fig. 5). Bei den letzteren genügte es, 
wenn der Verband an der Rückenfläche 
seine volle Continuität und seine 
Festigkeit wahrte und so die Streckung 
zwischen Hinterhaupt und Becken 
garantirte. Bei den Pelottenverbänden 
dagegen soll eine Abflachung des 
Buckels und eine Umfornmng des 
Thorax bewirkt werden. Der letztere 
aber ist in den Fällen, wo der Pelotten- 
verband vor allem in Betracht kommt, 
d. h. bei dem hochgradigen Gibbus 
im mittleren oder unteren Brustseg¬ 
ment in seinem Breitendurchmesser 
verkürzt, in dem antero-posterioren 
Durchmesser aber bedeutend verlängert. 

Soll aber dieser verlängerte sagittale Durchmesser zu Gunsten 
des transversalen wieder auf sein normales Maass zurückgeführt 
werden, so muss ausser dem Druck der Pelotte noch ein Gegen¬ 
druck an dem prominenten Sternum vorhanden sein. 

Infolgedessen schneiden wir den gut erhärteten Verband so aus, 
wie es die Fig. 14 zeigt. Das Becken wird nach allen Seiten um 
ca. 2 Querflnger vom Verbände überragt; im Verlauf des Sternum 
und der Rippenbögen sind Gipsspangen von ca. 3 Querfinger Breite; 
die äusseren Ränder der Thoraxausschnitte laufen ungefähr in der 
mittleren Axillarlinie oder noch etwas weiter hinten senkrecht herunter. 
Die Achselhöhlen bleiben vorn und unten durch schmale Gipsspangen 
begrenzt. Das Gesicht wird von einer schmalen Gipsspange einge- 



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L. Wullstein. 


rahmt, welche vor den Ohren herunterläuft, sich nach oben in die 
Stimspange und nach unten in die Stemalspange fortsetzt. Die 
Thoraxausschnitte setzen sich in seitliche Halsausschnitte fort, welche 
dem Verlauf der Mm. sternocleidomastoidei folgen und die Ohren 
scharf umranden. 

3. Der Reclinationsverband und das Reclinationscorset. 

Ist durch einen oder mehrere derartige Verbände der Buckel 
weiter und weiter abgeflacht, vielleicht bis zum Winkel von ungefähr 
150®, oder ist der Buckel eines frisch in unsere Behandlung kommenden 
Individuums so gering, dass der Rücken bei der Correction, welche 
wir durch einfache Extension erreichen zu können glauben, eine an¬ 
nähernd flache Ebene darstellt, so legen wir bei unseren Gipsver¬ 
bänden, resp. — wenn zu diesen genannten Correctionen eine nennens- 
werthe Extension nicht nothwendig ist, — bei dem sofort angefertigten 
Corset das Hauptgewicht nicht nur auf eine paragibbäre, sondern auf 
eine totale Lordosirung des ganzen Rückens. 

Zu diesem Zwecke mussten wir portative Apparate construireu, 
deren Continuität zur Ausführung der Reclination in Höhe des Gibhus 
unterbrochen war; sie mussten an dieser Stelle eine horizontale 
Theilung haben. Zweitens durfte die bei Anlegimg des Gipsverbandes 
vorgenommene Correction im Sinne der Extension durch die Con- 
tinuitätsunterbrechung nicht in Frage gestellt werden. Es musste 
daher an Stelle des unterbrochenen Gipsverbandes irgend etwas 
anderes treten, was den oberen und unteren Theil des Gipsverbandes 
in gleicher Entfernung von einander hielt, somit also die bei An¬ 
legung des Verbandes gegebene Extension zwischen Hinterhaupt und 
Becken voll und ganz garantirte, und was dabei andererseits doch 
eine beliebige Biegung im Sinne der Lordose gestattete. Drittens 
durfte trotz der Möglichkeit der fortschreitenden Reclination die Immo- 
bilisirung der Wirbelsäule nicht beeinträchtigt werden. Viertens musste 
die Lordosirung ganz allmählich, ich möchte sagen unmerkbch, in 
absolut dosirbarer Weise nicht nur von uns, sondern auch von jedem 
Laien nach ärztlicher Vorschrift herbeigeführt werden können. 

Der dritten und vierten Forderung gerecht zu werden, konnte 
nicht schwer sein, anders der ersten und zweiten. Wir mussten zur 
Erhaltung der Extension und zur Ausführung der Lordosirung ein 
Material wählen, welches sich in dem Gipsverbande oder Corset in 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


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bequemer Weise befestigen Hess; dieses Material durfte trotz der 
Spannung, in welcher durch die gegebene Extension der obere Theil 
des Verbandes zum unteren gehalten wird, sich in keiner Weise zu¬ 
sammenschieben und musste andererseits eine Biegung über seine 
dem Rücken parallel liegende Längsachse zulassen. 

Von Anfang an kam für uns für den Gipsverband als Material 
nur in Frage ein Drahtnetz (s. Fig. 2/*, 17, 18 und 22). 


Fig. 15. Fig. 16. 



Martha Conrad, 23 Jahre alt, vor der Behandlung. 


Wie wir dieses zur Erfüllung der genannten Forderungen beim 
Oipsverband verwenden, soll näher beschrieben werden an der Hand 
der Fig. 15—18. 

Wir setzen Individuen, welche für einen derartigen Recli- 
nationsverband, wie wir ihn nennen möchten, geeignet erscheinen, 
mit einem Tricot bekleidet, in unseren Apparat und geben ihnen 
nach Anlegung der Eopfextensionsschlinge die wünschenswerthe 
Extension. — Bei dem Individuum, was auf Fig. 15—18 zur Abbildung 
gekommen ist, stellten wir noch die rechte Sitzhälfte tiefer, um durch 


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L. Wullstein. 


rechtsseitige Beckensenkung die ausser der kyphotischen Verbiegung 
vorhandene linksconvexe Seitendeviation zu corrigiren. — Dann wird 
die Polsterung in der gewöhnlichen Weise vorgenommen, nur dass 
hier ausser der Watte zur Brust- und Bauchpolsterung noch eine 
Lage Watte zum Schutz des Rückens verwandt wird. Will man an 
der Stelle des Gibbus die Domfortsätze besonders vor Druck schützen, 
80 wird man praktischer Weise in Höhe des Gibbus noch besonders 
eine schmale doppelte oder dreifache Lage von Watte rechts und 
links einige Querfinger breit neben die Dornfortsätze legen, so dass 
an dieser Stelle die Dornfortsätze selbst, ähnlich wie bei unserer 
Doppelpelotte, gewissermassen in einer vertieften Rinne verschwinden. 
Ausserdem wird man bei diesem Verbände einen Filz verwenden von 
der Form, wie sie der auf der Fig. 2h abgebildete hat, d. h. einen 
Filz, der nicht nur das Becken umgiebt, sondern gleichzeitig auch 
noch den ganzen Rücken deckt. 

Nachdem man auch hier mit dem Kopftheil des Verbandes 
begonnen hat, werden schnell Gipstouren in drei- oder vierfacher 
Lage von oben bis unten um den ganzen Rumpf geführt. Auf diese 
drei- oder vierfache Lage — bei viel Gips enthaltenden guten Binden 
genügt vielleicht auch schon eine doppelte Lage — legen wir nun 
das Drahtnetz auf. 

Das Drahtnetz muss im allgemeinen bei einer Spondylitis, 
welche in der Lendenwirbelsäule oder in der unteren Hälfte der 
Brustwirbelsäule sitzt, den ganzen Rücken von der Schulterhöhe bis 
zur Analfalte herab einnehmen. Seitlich muss es nach links und 
rechts bis zur Scapularlinie reichen, oder dieselbe wohl noch um 
ein weniges nach aussen überragen, darf aber auf keinen Fall auf 
die eigentlichen Seitentheile des Rumpfes übergehen, da es ja selbst¬ 
verständlich ist, dass die spätere Biegung über die Längsachse um 
so leichter vor sich geht, wenn das Drahtnetz wirklich nur der 
planen Rückenfläche anliegt. Sollte versehentlich das Drahtnetz etwas 
zu breit gewählt sein, so dass es sich nach den Seitentheilen hin 
schon bis zu einem gewissen Grade nach vorn umschlägt, so kann 
es mit der Drahtscheere auch im fertigen Verbände leicht an den 
Seiten etwas eingeschnitten werden. 

Wir verwenden zu diesen Verbänden ein ganz gewöhnliches 
Drahtnetz aus gut gehärtetem Stahldraht, wie es jeder Siebmacher 
zu liefern im Stande ist. Dasselbe biegt sich leicht und ohne weiteres 
über seine Längsachse und lässt sich in seiner Längsrichtung nicht 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


753 


zusammenschieben. Das letztere thut es allerdings nur dann nicht, 
wenn es so kräftig als möglich seitlich gespannt ist. Es ist jeder¬ 
mann bekannt, dass ein derartiges Netz aus Maschen besteht, die 
schlingenartig ineinander greifen; sind nun diese Schlingen nicht 
seitlich straff gespannt, so ist ein Abgleiten der einen Masche auf 
der anderen möglich. Daher wird dieses Drahtnetz um so mehr 
die an dasselbe gestellten Forderungen erfüllen, je glatter und ge¬ 
spannter dasselbe dem Gipsverband einverleibt wird. Wir haben 
derartige Drahtgeflechte, welche wir uns für den betreffenden Fall 
mit der Drahtscheere zurechtschneiden, in dreifacher Dicke vorräthig. 
Im allgemeinen genügt für Kinder schon ein Drahtnetz von noch 
nicht 1 mm Stärke. 

Dieses Drahtnetz lassen wir, wenn der Gipsverband so weit 
gediehen ist, seitlich gespannt dem Rücken anhalten, pressen es 
mit seinen Maschen leicht in die für dasselbe als Unterlage dienende 
doppelte, drei- oder vierfache Gipsbindenlage ein, und wickeln weitere 
Gipsbinden darüber, so dass das Drahtnetz vollständig verschwindet. 
Dabei ziehen wir die erste Gipstour zur guten Fixation des Draht¬ 
netzes in dem Gipsverbande so straff an, als es sich ohne Compression 
des Thorax und Bauches thun lässt. 

Wenn das Drahtnetz vollständig fixirt ist, müssen die Schrauben, 
welche später die Reclination besorgen sollen, ihre Befestigung in 
dem Gipsverbande finden. 

Vermittelst der Schrauben sind wir im Stande, eine ganz all¬ 
mähliche und absolut dosirbare Lordosirung herbei zu führen und 
in der Zwischenzeit eine absolute Immobilisirung zu bewirken. An 
diesen Schrauben können wir mit Leichtigkeit eine Centimeter-Ein- 
theilung anbringen und nach dieser immer den jeweiligen Grad der 
Lordose bestimmen. Den Angehörigen des in die Heimat ent¬ 
lassenen Kindes geben wir den Auftrag in bestimmten, von uns 
angegebenen zeitlichen Zwischenräumen die Schrauben nach der 
Scala um ein Bestimmtes anzuziehen. 

Wir verwenden dabei eine Schraubenvorrichtung ^), wie sie auf 
Fig. 2g sichtbar ist; die auf den Fig. 17 und 18 und 25—29 
zur Anschauung gebrachte benutzen wir, da sie weniger praktisch 
ist, jetzt nicht mehr. Die auf Fig. 2(j dargestellte Schraubenvor- 

*) Alle die zu den Verbänden und Corseta etc. nothwendigen Utensilien 
können von dem Instrumentenmacher Fr. Baumgartel in Halle a. S. bezogen 

werden. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 49 


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754 


L. Wullatein. 


richtung unterscheidet sich von der anderen dadurch, dass sich die 
Schraube in die Schraubenmutter hineindreht und auf diese Weise 
verkürzt, während bei der anderen Art die Schraubenenden bei der 
stärkeren Lordosiruug mehr und mehr über die queren Befestigungs¬ 
eisen hinaus ragen und auf diese Weise die bedeckenden Kleidungsstücke 
entweder in unangenehmer Weise abheben oder wohl gar zerreissen. 

Die beiden Schrauben resp. ihre Hülsen (s. Fig. 2g) stehen 
mit den queren Befestigungseisen durch Charnirgelenke, welche 
durch eine Schraube gebildet werden, in Verbindung. Durch Lösung 
der die Chamire bildenden Schrauben lassen sich die queren Be¬ 
festigungseisen vollständig isoliren und nun in dem Gipsverbande 
befestigen. Sie werden in voller Schraubenlänge von einander ent¬ 
fernt im Gips verband fixirt und zwar möglichst so, dass die eine 
Hälfte des zwischen ihnen gelegenen Raumes oberhalb und die andere 
Hälfte unterhalb des Gibbus liegt. Zur besseren Fixirung sind 
wiederum Dorne auf den Quereisen angebracht. Die kurzen Zapfen 
auf den Quereisen, welche mit den nachher wieder in ihnen be¬ 
festigten Schrauben die Chamire bilden, werden durch die über sie 
hinweg geführten Gipsbinden durchgedrückt. Dabei muss man genau 
darauf achten, dass diese Befestigungseisen erstens selbstverständlich 
nicht weiter als Schraubenlänge von einander entfernt sind, dass sie 
zweitens, wenn der Gibbus nicht zu hoch oder zu tief in der Rumpf¬ 
wirbelsäule liegt, sondern wie meistens seinen Sitz in der oberen 
Lenden- und unteren Brustwirbelsäule hat, möglichst gleich weit 
von der Spitze des Gibbus entfernt sind, — eine ungleiche Entfernung 
ist nur bei tieferem oder höherem Sitz des Gibbus zulässig —, dass 
sie drittens bei einer spondylitischen Wirbelsäule, welche keine 
Seitendeviation hat, genau senkrecht zur Dornfortsatzlinie verlaufen 
und viertens, dass die beiden oberen resp. unteren Zapfen, in welche 
später die Schrauben wieder eingelegt werden, gleich weit von der 
Dornfortsatzreihe entfernt sind. 

Wenn dann diese queren Befestigungseisen durch Gipstouren 
genügend fixirt sind, ist der Gips verband gewöhnlich so stark ge¬ 
worden, dass seine Haltbarkeit garantirt ist. Auf irgend eine Lordo- 
sirung bei der Anlegung des Gipsverbandes brauchen wir kein 
Gewicht zu legen, es genügt, wenn wir dem Kopf eine gute Recli- 
nationsstellung geben. Der Patient wird dann aus dem Apparat 
heraus genommen und der Gipsverband in der früher geschilderten 
Weise an demselben resp. dem nächsten Tage beschnitten. 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


755 


Am nächsten Tage wird ferner, wie es die Fig. 17 und 18 
zeigen, aus dem Gipsverband von einer hinteren Axillarlinie bis zur 
anderen ein je nach der Länge des Qibbus durchschnittlich vielleicht 
handbreites, ellipsoides Stück, dessen grösste Breite über den Dorn¬ 
fortsätzen die Spitze des Gibbus in seiner Mitte hat, herausgeschnitten. 

Fig. 18. 


Fig. 17. 




Martha Conrad im Reclinatiousverband. 


Der Ausschnitt spitzt sich bis zu den hinteren Axillarlinien hin voll¬ 
ständig zu und überragt die seitlichen Ränder des jetzt sichtbaren 
Drahtnetzes um wenige Centimeter. Darauf wird durch einen hori¬ 
zontal verlaufenden Schnitt die eine Spitze des Ellipsoides mit der 
anderen verbunden, und auf diese Weise auch die vordere Hälfte 
des Gipsverbandes getheilt. Hier wird jedoch nichts heraus ge¬ 
schnitten, sondern die Lücke, die hier entsteht, ist nur so breit, wie 
es für das Vordringen der Messerklinge in die Tiefe nothwendig ist. 
Infolgedessen ist die Diastase, welche der Gipsverband in der vor¬ 
deren Mittellinie zeigt, gewissermassen ein Gradmesser für die be¬ 
wirkte Reclination. Vorn und seitlich wird der Gipsverband bis auf 


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756 


L. Wullstein. 


die Watte resp. bis auf das Tricot durchschnitten. Hinten, wo das 
Drahtnetz liegt, ist die Durchschneidung der zwischen Pilz und Draht¬ 
netz liegenden zwei-, drei- oder vierfachen Gipsbindentouren natür¬ 
lich nicht möglich. Diese Lage ist aber auch so dünn, dass sie bei 
der nun folgenden Lordosirung ohne weiteres einbricht, und anderer¬ 
seits ist ein Decubitus durch diese Gipsbindentouren nicht zu be¬ 
fürchten, da die darunter liegende Watte- und Filzpolstening ge¬ 
nügend schützt. 

Dann werden in den Zapfen der Quereisen die Schrauben 
befestigt, und durch gleichmässiges Anziehen der Schrauben wird 
die Reclination bewirkt. Sollte das Drahtnetz nach rechts und links 
etwas zu weit herübergreifen, und mit seinen äussersten Seiten- 
theilen nicht mehr absolut transversal, sondern schon etwas sagittal- 
wärts gerichtet sein, so müssen hier die Maschen des Drahtnetzes, 
wie schon oben erwähnt, mit der Drahtscheere eingeschnitten werden. 
Im übrigen wird das Individuum die totale Lordosirung um so eher 
zulassen, je mehr es seinem Körper entweder selbst schon vorher 
zur eigenen Entlastung der Wirbelsäule eine gewisse paragibbäre 
Lordose gegeben hatte, oder je mehr wir schon durch die vorher¬ 
gehende Behandlung, vielleicht mit Pelottenverbänden eine solche 
erzielt hatten. 

Wenig überlegende Kritiker könnten wohl auf die Vermuthung 
kommen, dass bei diesem Reclinationsverbande nicht eine totale 
Lordosirung, sondern nur eine Knickung an der Stelle des Gibbus, 
d. h. im Bereiche des Gipsverbandausschnittes zu Stande käme. Das 
ist aber absolut nicht der Fall, sondern durch die durch den Schrauben¬ 
zug bedingte lordotische Durchbiegung des Drahtnetzes an der Stelle 
des Gipsverbandausschnittes wird das Drahtnetz selbstverständlich 
auch noch eine Strecke weit oberhalb und unterhalb der Ränder des 
Verbandausschnittes von dem nach aussen hin es umgebenden Theil 
des Gipsverbandes abgehoben, wie es auf Fig. 18 sichtbar ist. Da¬ 
durch bewirkt aber das Drahtnetz nicht nur eine Lordosirung inner¬ 
halb des Gipsverbandausschnittes an der Stelle des Gibbus, sondern 
gleichzeitig auch eine obere und untere paragibbäre, d. h. also totale 
Lordosirung. Erst im obersten und untersten Bereiche des Draht¬ 
netzes wird diese, ich möchte sagen, Fernwirkung des Schrauben¬ 
zuges auf das Drahtnetz erschöpft sein, und hier wird das letztere 
in den nach innen und aussen von ihm gelegenen Gipsverbandtouren 
unverrückbar und fest eingeschaltet sein. 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


757 


Dass aber die beiden Oipsverbandtheile bei der weiter und 
weiter getriebenen Lordosirung sich irgendwie in der Längsrichtung 
des Körpers verschieben, ist uns nicht vorgekommen. Es wäre auch 
höchstens denkbar für den oberen Theil am Kopf, wenn dem Kopfe 
nicht die nothwendige Reclination gegeben, und die Stimtour schlecht 
ausgearbeitet wäre; der untere Theil aber, schon bei Anlegung des 
Verbandes den Contouren der Darmbeinschaufeln fest aufgearbeitet, 
wird bei stärkerer Lordosirung den Darmbeinschaufeln resp. dem 
Kreuzbein nur noch mehr angepresst werden. 

Ich glaube, ich brauche es hier nicht noch einmal hervor¬ 
zuheben, dass bei hochgradigem, spitzwinkligem Oibbus diese Recli- 
nationsverbände natürlich noch nicht angebracht sind; das ist ja 
ohne jede weitere Begründung für jeden, der sich mit derlei Dingen 
beschäftigt, selbstverständlich. 

Die Anwendung eines derartig getheilten Reclinationsverbandes 
ist aber auch bei einer tuberculösen Spondylitis, welche im Bereich 
der oberen Brustwirbelsäule oder der Halswirbelsäule, ja auch be¬ 
sonders am Atlanto-occipital-Gelenk sich abspielt, möglich, nur muss 
dann das Drahtnetz und die Anbringung der Quereisen entsprechend 
geändert werden. 

Bei der Tuberculose im Atlanto-occipital-Gelenk darf* selbst¬ 
verständlich das Drahtnetz nicht mehr als vier, höchstens fünf Quer¬ 
finger breit sein; der obere Rand des Gipsverbandes muss ungefähr 
in Höhe der kleinen Fontanelle abschneiden und das obere Quer¬ 
eisen muss dem Rande des Gipsverbandes möglichst genähert sein, 
während das untere seinen Sitz ungefähr in Höhe der Spinae scapulae 
hat (s. Fig. 22). 

Da ein grosser Gipsverband, welcher das Hinterhaupt einer¬ 
seits und das Becken andererseits als Contraextension benutzt, also 
Kopf, Hals und Rumpf vollständig umgreift, die Kinder doch in 
ihren Bewegungen stark behindert, so versuchten wir, ob wir bei 
der Tuberculose im Atlanto-occipital-Gelenk, wo es ganz besonders 
darauf ankommt von vornherein eine volle Entlastung der erkrankten 
Wirbelpartien herbeizuführen, nicht die Schultern, d. h. die Acromien 
als Contraextension bei den unter möglichst starker Extension an¬ 
gelegten Gipsverbänden benutzen könnten. Der erste Versuch, bei 
dem wir die Schultern nur mit einer doppelten Wattelage polsterten, 
missglückte, da das Individuum schon sofort am nächsten Tage einen 
heftigen Druckschmerz über dem äusseren Drittel der Claviculae 


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L. Wullstein. 


empfand und sich nach Ausschneiden des Verbandes an dieser 
Stelle schon eine hochgradig geröthete Hautpartie vorfand. Derartige 
Störungen haben wir nachher, wo wir ausser der doppelten Watte¬ 
lage immer noch ein entsprechend zugeschnittenes, Clavicula und 
Acromion überragendes, epaulettenartiges Filzstück hinzufügten, nie 


Fig. 19. Fig. 20. 



Reinhold Langholz — Spondylitis cervicalis — vor der Behandlung. 


wieder gesehen; die Patienten haben dann nie wieder Klagen über 
Druck geäussert. 

Bei der Anlegung des Verbandes lassen wir durch eine Hilfs¬ 
person die beiden Arme und damit die Acromien möglichst stark 
und gleichmässig nach unten ziehen, da dann die Schultern resp. die 
Acromien für den exact anmodellirten und sich den Schultern flach 
auflegenden Verband einen um so besseren Stützpunkt abgeben. 
Wenn aber in dem Verbände die seitlichen Halspartien und speciell 
die vorderen Cucullarisränder und die oberen Schlüsselbeingruben sc 
scharf ausgearbeitet werden, so könnte man glauben, dass eine 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


759 


Atrophie der Mm. cucullares entstände, um so mehr, da ja selbst¬ 
verständlich bei dem festen Auf liegen des Verbandes auf den Acro- 
mien die Individuen für die Dauer des Verbandes die Arme nicht 
über die Horizontale erheben können, ihre Mm. cucullares mithin 
für diese Zeit ausser Function gesetzt sind. Obgleich wir von An- 


Fig. 21. Fig. 22. 



Reinhold Langholz im ein- Reinhold Langholz im 

fachen Extensionsverbund. Reclinationsverband. 


fang an auf diesen Umstand unser Augenmerk besonders gerichtet 
haben, haben wir den Nachweis einer sichtbaren Atrophie dieser 
Muskeln nicht erbringen können und schon sofort nach Abnahme 
des Verbandes war die Function der oberen Extremitäten eine voll¬ 
ständig normale und ungestörte. 

Damit aber jedes Drehen des Verbandes und jede Verschiebung 
desselben auf den Schultern unmöglich ist, lassen wir den Verband 
noch handbreit unter der Achselhöhle den Thorax umgreifen. 

Gerade bei der Tuberculose im Atlanto-occipital-Gelenk sind 
wir mit unserer Extensions- und Lordosirungsbehandlung in porta- 


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760 


L. Wullstein. 


tiven Apparaten immer sehr bald zu geradezu ausgezeichneten 
sultaten gekommen. Bei Patienten, welche bei Beginn der Behand¬ 
lung den Kopf so nach vom geneigt und fixirt hielten, dass man 
zwischen Kinn und Brustbein kaum einen Finger schieben konnte, 
und welche, wie es bei dem auf Fig. 80 und 31 abgebildeten Knaben 
der Fall war, bei Beginn der Behandlung dicke, wulstige, ödematose 
Infiltrate links und rechts neben den obersten Halsdomfortsätzen 
aufwiesen und an Schluckbeschwerden litten, konnten wir im ersten 
Verbände eine mittlere Kopfstellung und im zweiten schon eine aus¬ 
gesprochene Reclination erzielen. Dabei gingen in diesen beiden Gips¬ 
verbänden die Infiltrate völlig zurück, die Schluckbeschwerden ver¬ 
schwanden vollständig und die zarten, anämischen Kinder, welche 
vorher nur mit Mühe und Noth zur Nahrungsaufnahme von ihren 
Angehörigen veranlasst werden konnten, fühlten sich glücklich bei 
ihrer extendirten und immobilisirten Wirbelsäule und waren bald bei 
überaus gutem Appetit so lebensfrisch, dass sie munter an den Spielen 
ihrer Kameraden theilnahmen. 

Auf Grund unserer Erfahrungen möchten wir die Ansicht aus¬ 
sprechen, dass mit zwei Verbänden von durchschnittlich 2—Smouat- 
licher Dauer die Gipsverbandbehandlung beendet ist. Dabei würde 
der erste, wie Fig. 21 zeigt, angelegt in Mittelstellung des Kopfes 
als einfacher Extensionsverband, der zweite (s. Fig. 22) bei der 
gleichen Extension mit Einfügung des Drahtnetzes als Reclinations- 
verband. 

Haben wir nun durch die eine oder die andere Verbandbe¬ 
handlung ein derartiges Resultat erreicht, dass bei der Correction 
nicht mehr eine zu grosse Spannung in den einzelnen Theilen der 
Wirbelsäule vorhanden ist, dann ersetzen wir die Reclinationsver- 
bände bei der Tuberculose im Atlanto-occipital-Gelenk durch Recli- 
nationscravatten, in allen übrigen Fällen durch Reclinationscorsets, 
welch letztere die Kinder nachts aufgeschnürt gleichzeitig als Recli- 
nationsbetten benutzen. 

Ebenso lassen wir an Stelle der Gipsverbände, auch wenn die 
Gipsverbandbehandlung nach unserer Ansicht noch nicht vollständig 
beendet ist, in den heissen Sommermonaten abnehmbare portative 
Apparate tragen. Ist die Deformität noch in dem Stadium, dass wir 
bei der Gipsverbandbehandlung noch den einfachen Extensionsverband 
oder den mit Doppelpelotte versehenen Gipsverband anwenden würden, 
so fertigen wir für das Individuum für die wenigen heissen Monate ein 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


761 


biUiges Celluloidcorset mit Lederkopfhülse an, welch letztere, da sie 
ja immer etwas theuer ist, später auch für das Reclinationscorset ver¬ 
wandt werden kann. 

Im allgemeinen nehmen wir die Spondylitiden ebenso wie die 
Skoliosen mit Vorliebe im Beginn der kühleren Jahreszeit, d. h. un¬ 
gefähr Mitte September in Verbandbehandlung. Dann werden wir 
bei nicht allzu schweren Fällen durchschnittlich bis zu Beginn der 
nächsten heissen Jahreszeit, d. h. in den nächsten 8 Monaten bis 
Mitte Mai, eine solche Abflachung des Buckels und eine solche 
Verminderung der früheren Spannung in der Wirbelsäule erzielt 
haben, dass die Wirbelsäule nun der Fixirung durch ein Reclinations¬ 
corset anvertraut werden kann. 

Bei der Beschreibung dieses Reclinationscorsets und der Recli- 
nationscravatte können wir uns sehr kurz fassen, denn sie sind im 
Princip genau so gebaut, wie die Reclinationsverbände. 

Die Schrauben Vorrichtung, in der wir in dosirbarer Weise die 
allmähliche Reclination herbeiführen, ist genau dieselbe, wie bei den 
Gipsverbänden; an Stelle des Drahtnetzes aber ziehen wir hier die 
glatte Uhrfeder vor, da das Drahtnetz zum Ausgleich seiner durch 
die Maschen bedingten Niveaudifferenzen immer einer stärkeren 
Polsterung bedürfte. Diese Uhrfedern, welche durchschnittlich die 
Breite von 8—10 mm haben, werden neben einander in Drell ein¬ 
genäht, wie es die Fig. 2A zeigt. Die Uhrfedern werden in gleicher 
Länge wie beim Gipsverband das Drahtnetz verwandt und an ihren 
obersten und untersten Enden in die Celluloidhülsen eingenietet. 

Wir stellen den Rumpftheil der Corsets des geringeren Preises 
wegen aus Celluloid, die Eopfhülse dagegen aus Leder her. 

Der obere Theil der Rumpfhülse muss bis an den oberen Rand 
des Manubrium sterni heranreichen; ausserdem verlaufen Schulter¬ 
gurte (s. Fig. 28 und 29), welche an dem oberen Rand des Brust- 
theiles in der vorderen Axillarlinie befestigt sind, etwas medianwärts 
von den Processus coracoidei über die Schultern hinweg und werden 
am Rückentheil in entsprechende Oesen eingeknöpft. Diese straff 
angezogenen Schultergurte und der hoch bis zum oberen Rande des 
Manubrium stemi reichende Theil der Celluloidhülse sorgen dafür, 
dass selbst der oberste Theil des Rückens bei der vorgenommenen 
Lordosirung dem Rückentheil der Celluloidhülse resp. den einge¬ 
legten Uhrfedern fest anliegt, und dass somit die Reclination nicht 
etwa eine scheinbare oder unvollkommene ist. 


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762 


L. Wullstein. 


Im übrigen wird bei den Corsets der Rumpftheil am Rücken 
von einer hinteren Axillarlinie bis zur anderen genau so, wie es die 
Fig. 25 und 28 zeigen, als Ellipsoid in Höhe des Gibbus ausgeschnitten 
und von den hinteren Axillarlinien nach vorn über den Leib hinweg 
ebenso schmal durchschnitten, wie bei den Gipsverbänden. 


Fig. 23. 



Fritz Butzlafi’ vor der 
Behandlung. 


Fig. 24. 


Fig. 25. 




Fritz Butzlaff im 
Pelottenverband. 


Fritz Butzlaff im 
Reclinationscorset. 


Wenn der auf den Fig. 23—27 zur Abbildung gekommene 
Patient einen Gipsverband und ein Corset ohne Kopfstück trägt, so 
könnte das leicht zu Missdeutungen führen; deshalb wollen wir es 
hier nochmals mit Nachdruck betonen, dass es absolut gegen unser 
Princip ist, die Spondylitis ohne Contraextension am Kopfe zu be¬ 
handeln. Nur ganz ausnahmsweise Verhältnisse haben uns hier ver¬ 
anlassen können, von dieser Regel abzugehen; im allgemeinen erkennen 
wir bei der Spondylitis nur portative Apparate mit Kopfstück als 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


763 



Fritz ButzlafT im Reclinationscorset 
in massiger Reclination. in starker Reclination. 

Rumpftheil des Apparates verbunden. Der Metallbügel muss dabei 
sehr exact abgebogen sein, so dass der Kopf eine gute Reclinations- 
Stellung hat. Bei dem auf Fig. 28 und 29 abgebildeten Patienten 
ist dieser verbindende Metallbügel in eine Spiralfeder eingehakt, so 
dass der Patient, wenn er seine Halsmusculatur anstrengt, diese 
Spiralfeder zu dehnen und damit die Extension im Halstheil der 
Wirbelsäule wenigstens vorübergehend etwas zu vermindern im Stande 
ist. Wenn der Gibbus in der Lendenwirbelsäule oder wie hier in 


berechtigt an; und wir würden dort, wo die Patienten resp. ihre 
Angehörigen sich darauf nicht einlassen wollen, eher die Behandlung 
ablehnen, als von diesem Princip abgehen. 

Die Kopfhülse bei dem portativen Apparat ist, wie es die 
Fig. 28 und 29 zeigen, durch einen Metallbügel mit dem oberen 

Fig. 26. Fig. 27. 


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L. Wullstein. 


der unteren Brustwirbelsäule seinen Sitz hat, werden wir mit dieser 
kleinen Bewegungsfreiheit der Halswirbelsäule und mit der Erleich¬ 
terung, welche wir dem Patienten dadurch zu Theil werden lassen, 
von unserem weiteren Behandlungsprincip für die Spondylitis, d. h. 
von der Forderung einer absoluten Immobihsirung und Entlastung 

Fig. 28. Fig. 29. 



Carl Schuster im Reclinationscorset mit Kopfhülse. 

der erkrankten Wirbelsäulenabschnitte nicht abgehen, da ja diese 
geringe Extensionsverminderung, welche bei Anstrengung der Nacken- 
und Halsmusculatur die Spiralfeder vorübergehend zulässt, sich 
sicherlich nicht bei so tiefem Sitz des Gibbus auf den Erkrankungs¬ 
herd fortsetzt. 

Sobald aber der Gibbus einen höheren Sitz hat, fällt diese 
Spiralfeder fort, und es ist dann der untere Theil des Metallbügels 
mit einem Trieb versehen, durch welchen mittelst Schraube die 
Extension bis zu einem gewissen Grade vermehrt oder vermindert 
werden kann, während sonst absolut fest und sicher fixirt wird. Im all¬ 
gemeinen wird dann die Extension immer die gegebene bleiben; wenn 
jedoch ausnahmsweise das Corset einmal vollständig abgenommen ist, 
und das Hereinbringen des Kopfes in die weit herausgeschraubte 
Kopf hülse bei dem Neuanlegen Schwierigkeiten macht, so können 
wir mittelst des Triebs die Kopfhülse herunter drehen, den Kopf 



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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


765 


einlegen und fixiren, und die Kopfhülse wieder so weit heraus drehen, 
als es nach Angabe der angebrachten Scala vorher geschehen war, d. h. 
wir geben dem Patienten dann wieder dieselbe Extension, unter der 
er bisher gestanden hat. 

Wir verwenden auch hierbei, da wir nur gute Erfahrungen 
damit gemacht haben, im allgemeinen eine Kopfhülse ohne Kinntheil. 
Der Kopf wird darin, wie es die Abbildungen zeigen, durch ein 
Stirnband festgehalten; auf diese Weise ist der Patient jederzeit 
fähig zur ungehinderten Nahrungsaufnahme, ist absolut nicht behin¬ 
dert beim Sprechen und hat nicht zu leiden unter dem stets lästigen, 
zuweilen unerträglichen Druck an Kinn und Kieferwinkel. 

Bei den Individuen mit empfindlicher Haut (s. Fig. 30 und 31) 
fertigen wir jedoch noch ein Kinnstück an und versehen die Kopf¬ 
hülse mit einer Vorrichtung, welche eine Befestigung des Kinnstückes 
in der Nacht zulässt. Hier wird am Tage die Kopfhülse mit Stim- 
gurt ohne Kinntheil verwandt und damit werden dem Patienten alle 
Vortheile einer solchen Kopfhülse gewährt; in der Nacht aber, wo 
nicht gesprochen wird, keine Nahrungsaufnahme stattfindet und wo 
bei horizontaler Rückenlage die ExtensionsWirkung und mithin auch 
der unangenehme Druck des Kinntheils weniger zur Geltung kommt, 
machen wir das Kinntheil an und entfernen den Stirngurt. Auf diese 
Weise hat die Haut derartig empfindlicher Individuen, welche bei 
ständiger Anwendung des Stimgurts vielleicht einmal durch die 
Schweissentwickelung unter dem Stirngurt leiden könnte, Gelegenheit, 
sich wieder zu regeneriren. 

Ich möchte hier nochmals hervorheben, worauf ich schon 
in meiner Skoliosenarbeit hingewiesen habe, dass die Vorbedingung 
für eine auch ohne Kinntheil gut functionirende Kopfhülse ein den 
als Angriffspunkte dienenden Theilen, speciell den Processus mastoidei, 
den Tubera frontalia und der Protuberantia occipitalis vorzüglich 
anmodellirtes und ausgearbeitetes Negativ ist. Fernerhin ist es un¬ 
bedingt erforderlich, dass der Kopf bei der Anfertigung des Abdruckes 
in der nöthigen, aber doch nicht zu weit getriebenen Reclination 
steht, und dass die Hülse bis unmittelbar an den Ansatz der Ohr¬ 
muscheln und an die Kieferwinkel heran reicht, und dicht über den 
Ohrmuscheln und über den Augenbrauen sich in die Stirntour 
fortsetzt. 

Die Kopfhülse steht mit dem Metallbügel durch ein Kugelgelenk 
in Verbindung, so dass Drehbewegungen des Kopfes möglich sind. 


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766 


L. Wullstein. 


Nur bei der Tuberculose im Atlanto-occipital-Gelenk sind diese 
Drehbewegungen selbstverständlich nicht zulässig, hier kommen nach 
der Gipsverbandbehandlung nur Cravatten in Betracht (s. Fig. 30 
und 31), welche nach den gleichen Principien wie die Reclinations- 
verbände angefertigt sind; das Drahtnetz wird auch hier durch ein¬ 
genähte Uhrfedern ersetzt, welche die Verbindung zwischen Kopfstück 


Fig. 30. 



Fig. 31. 



August Biernot in der Reclinationscravatte. 


und Thoraxhülse herstellen. Die Contraextension bilden auch hier 
wie im Gipsverbande die Schultern, infolgedessen greift hier die 
Celluloidhülse, welche, um Drehungen und Kantungen des Apparates 
auf den Schultern auszuschliessen, auch den Thorax unter den Achsel¬ 
höhlen ungefähr handbreit umgibt, über die Schultern über und 
setzt sich noch etwas auf die seitlichen Halstheile fort, lässt jedoch 
vorn den Kehlkopf vollständig frei. Auf den Schultern, wo die 
Celluloidhülse geschnürt wird, reicht dieselbe wie der Gipsverband bis 
an den äusseren Rand der Acromien und ist hier, da dieser Theil 
ja die Contraextension abgibt, mit Filz gut gepolstert. Am Abdruck 
müssen auch hier die seitlichen Halspartien, vor allen Dingen die 
Cucullarisränder, die Fossae supraspinatae, die Fossae supraclaviculares, 
die Acromien und die Claviculae gut ausmodellirt sichtbar sein. 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


767 


4. Das verstellbare Reolinatioiisbett. 

Bei den Fällen von Spondylitis nun, bei denen gegen die Be¬ 
handlung mit portativen Apparaten eine der am Anfang unserer 
Arbeit angeführten Contraindicationen vorhanden ist, wenden wir das 
Loren z’sche Reclinationsbett an, wel¬ 
ches wir so modificirt haben (s. Fig. 32 
bis 35), dass wir auch hier die Re- 
clination in bequemster Weise allmäh¬ 
lich steigern können. Dieses Recli- 
nationsbett ist in Höhe des Gibbus 
transversal getheilt und die Continuität 
beider Theile wird auch hier bei dem 
aus Gips angefertigten Bett wie bei 
dem Reclinationsverband durch ein 
eingefügtes Drahtnetz und bei dem 
aus Celluloid hergestellten wie bei 
dem Reclinationscorset durch einge¬ 
nähte Uhrfedern erhalten. Durch 
Schraubenvorrichtung kann dann auch 
hier jederzeit der gewünschte Grad 
der Lordose gegeben werden. 

Das Kind wird im allgemeinen 
durch einen Gurt über die Stirn, durch 
einen anderen über den Leib dicht 
oberhalb der Symphyse und durch 
zwei weitere über dem oberen Brust- 
theil sich kreuzende und von der einen 
Achsel schräg über die Brust und die 
andere Schulter verlaufende Brust¬ 
riemen fixirt. 

Das Kind wird nach dem Baden 
in das flache Bett hineingelegt und dem 
Rücken dann allmählich im Verlauf von 10—15 Minuten mit Ent¬ 
spannung der Musculatur derjenige Grad der Reclination gegeben, 
der vom Arzte vorgeschrieben ist, und den die Angehörigen mittelst 
der an den Schrauben angebrachten Scala ohne weiteres einstellen 
können. Die Fig. 33—35 stellen drei verschiedene Stadien der 
Reclination dar. 


Fig. 32. 



Das verstellbare Reclinationsbett 
mit Beinschienen. 


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768 


L. Wullfitein, 


Fig. 83. 



Carl Pröllwitz im verstellbaren Reclinationsbett: 
in ganz geringer Reclination, 


Fig. 34. 



in stärkerer Reclination, 


Fig. 35. 



in sehr starker Reclination. 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


769 


Nur da, woContracturen in den Hüftgelenken vorhanden sind, ver¬ 
binden wir mit dem Bett noch Beinhülsen und zwar durch Kugelgelenke, 
welche eine ganz allmähliche Correctur der Contracturen zulassen. 

Ist bei der Spondylitis nur eine rein kyphotische Ausbiegung 
der Wirbelsäule vorhanden, so bringen wir die Schrauben und das 
Drahtnetz resp. die Uhrfedern vollständig symmetrisch an den beiden 
Theilen des Bettes an; ist jedoch ausserdem noch eine Seitendeviation 
zu corrigiren, so machen wir das durch eine minimale Verlagerung 
der genannten Theile nach der entsprechenden Seite. Auf diese Weise 
bewirken wir dann ausser der Correctur der kyphotischen noch eine 
Correctur der seitlichen Verbiegung. 

5. Die Herstellung der ffirdieReclinationscor8ets,R6clination8cravatten 
und Reclinationsbetten nothwendigen Negative. 

Es bleibt nun noch übrig, kurz die Herstellung der für die 
Reclinationscorsets, Reclinationscravatten und Reclinationsbetten noth¬ 
wendigen Negative zu beschreiben. 

Alle diese Abdrücke, auch die für die Reclinationsbetten, fertigen 
wir in bequemster Weise und, wenn nothwendig, selbst ohne Hilfs¬ 
person in unserem Apparat an. 

Die Patienten werden dazu wie bei den Gipsverbänden auf dem 
Sitz festgeschnallt. Zur Kopfextension dient sowohl für das Hinter¬ 
haupt als auch für das Kinn je ein nach der Grösse des Individuums 
ungefähr 2—3 Querfinger breiter Drellstreifen (Fig. 2 c), Von diesen 
wird der eine um das Hinterhaupt, der andere so um den Unter¬ 
kiefer gelegt, dass er mit seinem hinteren Rand das Zungenbein nicht 
berührt. Die beiden mit Sicherheitsnadeln in Ringen festgemachten 
Drellstreifen sind gleich lang und kreuzen sich je nach der Reclination, 
die man dem Kopf gibt, über den oder unmittelbar vor den Ohren. 
Der Abdruck von Kopf und Rumpf wird ungetheilt angefertigt und 
zwar über dem leicht eingefetteten, vollständig entblössten Körper. 

Um den Abdruck nachher von dem Patienten abnehmen zu 
können, wird derselbe auf einem nicht zu schwachen Strick aufge¬ 
schnitten. Der Strick verläuft vom äusseren Rande des einen Acro- 
mlon transversal über die Schulter und die seitliche Halspartie, am 
hinteren Rande des aufsteigenden Kieferastes und weiter unmittelbar 
vor dem Ohr herauf, zwischen den Drellgurten quer über den Kopf 
hinweg und in gleicher Weise wieder bis zum äusseren Rande des 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 5Q 


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770 


L. Wullstein. 


Acromions der anderen SchuUer herunter. Hier wird der Strick als 
kurze Schlinge aus dem Aermelloch des Abdrucks herausgeführt, 
versenkt sich aber gleich wieder in der Achselhöhle unter den Gips¬ 
abdruck, und verläuft dann von der Mitte der Achselhöhle nach der 
Trochanterengegend herab. Somit wird also der Kopf, Hals und 
Schultertheil auf beiden Seiten, der Rumpftheil nur auf einer Seite 
aufgeschnitten. 

An dem Abdruck werden besonders ausmodellirt das Hinter¬ 
haupt mit der Protuberantia occipitaUs, die Processus mastoidei, die 
Unterkieferwinkel, die horizontalen Unterkieferäste, die Tubera fron- 
talia, die Margines supraorbitales, die Fossae supraclaviculares und 
infraclaviculares, die Claviculae und die Acromien, die Rippenbögen, 
der Gibbus, der obere Theil der Brustwirbelsäule, das Kreuzbein und 
die Darmbeinschaufeln, speciell die Spinae anteriores superiores. 

Bei der Anfertigung des Abdrucks für die Reclinationscravatten 
werden die Arme stark nach abwärts gezogen und die seitlichen Hals¬ 
partien besonders ausgearbeitet. 

Beim Gipsabdruck für das Reclinationsbett wird dem Patienten 
in gleicher Weise in dem Apparat die entsprechende Extension ge¬ 
geben und eine Bindentour um Rumpf, Hals und Kopf inclusive Stirn 
circulär herum geführt, während die weiteren Touren nicht mehr 
circulär herumlaufen, sondern nur immer von einer vorderen Axil¬ 
larlinie bis zur anderen den Rücken umgreifen und hier umgeschlagen 
werden. Nur zum Schluss macht man, damit die Umschlagtouren 
nicht abblättern, nochmals eine circulare Tour auch um Rumpf, Hals 
und Kopf. Die beiden circulären Touren an der Vorderseite von 
Rumpf und Hals kann man zur Abnahme des Abdruckes leicht mit 
der Scheere durchschneiden; unter die Stimtour kann man vom Nasen¬ 
rücken nach aufwärts zum Aufschneiden einen Bindfaden legen. 

Es ist wohl selbstverständlich, dass bei allen diesen Abdrücken 
die verschiedenen Körpertheile und Vorsprünge auf das Exacteste 
ausmodellirt werden müssen, und dass die ersten Bindentouren, welche 
auf den Körper zu liegen kommen, absolut glatt und faltenlos an¬ 
gelegt sein müssen. Aus diesem Grunde allerdings schon und fernerhin 
für das Umschlagen bei den Umschlagtouren wird man sich zur An¬ 
fertigung des Abdruckes für das Reclinationsbett wenigstens vor- 
theilhafterweise einer Hilfsperson bedienen. 

Soll das Reclinationsbett noch mit Beinhülsen versehen sein, 
so machen wir von den beiden Beinen gesondert in Rückenlage des 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


771 


Patienten Abdrücke, welche dieselben von der Inguinalbeuge bis zu 
den Fussspitzen circular umgreifen und an der Vorderseite aufge¬ 
schnitten werden. 


Zum Schlüsse sei es uns gestattet, ein kurzes Resum^ unserer 
Behandlung zu geben. 

Die Behandlung der Senkungsabscesse haben wir nicht näher 
erörtert; wir behandeln dieselben im allgemeinen nach den üblichen 
Regeln durch Function, Ausspülung und Injection einer 
lO^oigen Jodoformglycerinemulsion und nur ausnahmsweise 
durch Incision, Auskratzung, Jodoformglycerininjection und Drainage. 

Bei Lähmungen, welche erst kurze Zeit bestehen oder nur 
unvollständig sind, versuchen wir durch ganz allmähliche Exten¬ 
sion und Reclination in dem oben beschriebenen Reclinationsbett 
zum Ziele zu kommen. Erst wenn nach Monaten bei den vollstän¬ 
digen Lähmungen kein Erfolg eintritt, erst dann kann das ursprüng¬ 
liche Calot'sche forcirte Redressement in Frage kommen. 

Bei Patienten, die in den ersten Lebensjahren stehen 
und daher portative Apparate noch nicht tragen können, 
oder bei solchen, welche noch irgendwelche floride Erschei¬ 
nungen der tuberculösen Spondylitis zeigen, kommt die ab¬ 
solute horizontale Rückenlage in dem modificirten verstell¬ 
baren Reclinationsbett am besten zur Anwendung. 

Wenn subjective und objective Symptome der floriden 
tuberculösen Spondylitis bei Patienten von mehr als 
4 Jahren fehlen, d. h. wenn eine mehr oder weniger vollständige 
Consolidation oder gar eine Ankylose der Wirbelsäule eingetreten ist, 
so werden zuerst einige Monate einfache Extensionsverbände 
und zwar der erste unter einer ganz minimalen Probeextension an¬ 
gelegt. Nachher folgen bei geringem, durch die Extensions¬ 
verbände fast ausgeglichenem Gibbus sofort Reclinations- 
verbände resp. Reclinationscorsets. Bei hochgradigem 
Gibbus dagegen wird erst eine allgemeine Aufrichtung des 
ganzen Körpers durch einfache Extensionsverbände besorgt, 
darauf wird eine möglichste Abflachung des Buckels durch 
Pelottenverbände herbeigeführt und schliesslich gehen wir alsdann 
auch in diesen Fällen zur totalen Lordosirung der Wirbel¬ 
säule durch Reclinationsverbände respective Reclinations¬ 
corsets über. 


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772 


L. Wullstein. 


Welch gute Resultate durch diese Behandlung man selbst bei 
dem hochgradigsten ausgeheilten Gibbus erreichen kann, das zeigen 
die Photographien (s. Fig. 36—41) zweier Patienten, bei denen die 
dargestellten Resultate in ungefähr zweijähriger Behandlung erreicht 

Fig. 36. Fig. 37. 




, Carl Schuster vor der Carl Schuster nach 

Behandlung. ca. 2jahriger Behandlung. 

wurden. Leider waren die Angehörigen des auf Fig. 36—39 dar¬ 
gestellten Patienten jetzt mit dem erreichten Resultat so zufrieden, 
dass sie nun dringend für ihn den unbehinderten Schulbesuch ver¬ 
langten. Der Leser ist im Stande, sich von dem Gang der Behand¬ 
lung bei diesem Patienten ein anschauliches Bild zu verschaffen, denn 
die bei der Beschreibung des Pelottenverbandes und des Reclinations- 
corsets gegebenen Fig. 8—13, 28 und 29 betreffen denselben Patienten. 


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Die Behandlung der tuberculOsen Spondylitis. 


77S 


Der auf den Fig. 40 und 41 dargestellte Patient ist noch heute 
in unserer Behandlung; der jetzige Stand der Behandlung lässt keinen 
Zweifel darüber, dass wir bei weiterer Behandlung einen völligen 
Ausgleich der Deformität, eine völlige Beseitigung des Buckels er- 

Fig. 38. Fig. 39. 



Carl Schnster vor der Carl Schuster nach 

Behandlung. ca. 2jähriger Behandlung. 


reichen. Dabei sind wir sicher, dass wir dieses Resultat bei ständiger, 
vollständiger Continuitätserhaltung der Wirbelsäule erreicht haben. 
Mit jedem weiteren Verbände war eine weitere zwar geringe, aber 
sichtbare Correction der Deformität eingetreten. Wir hatten niemals 
eine Diastase der Wirbelsäule gehabt, das erreichte Resultat war 
nach Abnahme des Verbandes stets völlig fixirt. Zur Gontrolle dafür 
Hessen wir den Patienten häufiger 2—3 Wochen ohne jeden Verband 


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774 


L. Wallstein. 


herum laufen, ohne dass bei dem sehr lebhaften Patienten eine sicht¬ 
bare Veränderung der corrigirten Wirbelsäule eingetreten wire 
Dabei hat gleichzeitig eine wesentliche Aenderung des defonaes 
Thorax stattgefunden. Wir haben eben durch eine ganz allmahlkk 



Emil Wille vor der Behandlung. Emil Wille nach ca. 2jähriger Behandlanf 

die Continuitätserhaltung der Wirbelsäule und des Rückenmarte 
garantirende Dehnung der contrahirten Weichtheile und der WirbelsiBl^ 
eine Transformation der Wirbel und des Thorax erreicht. Nur bei 
allmählichem Vorgehen kann das Redressement schonend genügst 
Dabei halten wir es nicht nur bei der Correction einer Skoli<^ 
sondern auch bei der Correction einer Spondylitis fttr absolut 
forderlich, dass sämmtliche Theile des Rumpfes für das Auge des 
sichtbar sind, und dass die Correction bei aufrechter Rumpfhalbi^ 
vorgenommen wird. 


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Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


775 


Ganz zu yerwerfen sind selbstverständlich diejenigen Verfahren, 
bei denen die Gorrection in Horizontallage vorgenommen, dann die 
Correction aufgehoben, und der Patient in Vertikalstellung ein gegipst 
wird. Diejenigen, die ein solches Verfahren anwenden, geben zu, dass 
das Anlegen des Gipsverbandes in vertikaler Rumpfstellung das einzig 
Richtige ist, aber sie begehen den grossen Fehler, erstens das Resultat 
der vorher gewonnenen Correctur mehr oder weniger wieder aufzu¬ 
geben und zweitens den Patienten, bei dem es bei ihrem Verfahren 
nur zu leicht zu einer Diastase, oder mit anderen Worten zu einer 
Fractur der Wirbelsäule kommen kann, durch die bei der Ueber- 
führung in die Vertikalstellung nothwendige Manipulation in Gefahr 
zu bringen. 

Aber auch das Verfahren, bei dem die Correction und das 
Eingipsen mit oder ohne Pelottendruck in horizontaler Rückenlage 
vorgenommen wird, lässt sich nicht rechtfertigen, denn auch hier 
ist ein sicheres ürtheil über die erreichte Correction nicht möglich, 
da gerade der Körpertheil, der corrigirt werden soll, bei weitem am 
wenigsten controUirbar ist. 

Diejenigen aber, welche in horizontaler Bauchlage corrigiren 
und durch Gipsverband fixiren, können nicht in dosirbarer Weise 
Vorgehen, da sie ja selbst für die angewandte Extension an dem 
eingeschalteten Manometer keinen irgendwie sicheren Massstab haben, 
denn zu der Extension kommt immer noch das Schwergewicht des 
nur in der Leistenbeuge und in der obersten Brustpartie unter¬ 
stützten Rumpfes, welches neben der Extension je nach der Muskel¬ 
spannung mehr oder weniger, jedenfalls ganz willkürlich auf den 
Buckel einwirkt. Dabei ist es für sie ganz unmöglich, dem Kopf 
die gewünschte Reclination zu geben, oder eine gesonderte paragib- 
bäre Correction der Wirbelsäule zu erzielen, die gerade für die be¬ 
ginnende und möglichst schonende Lordosierung höchst wichtig ist, 
da sie, worauf ja Lange mit Recht hingewiesen hat, durch Dehnung 
der oberhalb und unterhalb des Buckels gelegenen gesunden Zwischen¬ 
wirbelscheiben, also durch Angreifen [von gesunden Wirbelpartien 
eine höchst wesentliche Entlastung der kranken Wirbelsäulenpartie 
zur Folge haben. Wird nun aber bei diesem Verfahren eine stärkere 
Extension, welche womöglich zur Diastasenbildung führt, zur Correc¬ 
tion des Buckels verwandt, so wird diese Correction nur auf Kosten 
der Reclination und zwar besonders der paragibbären stattfinden 
können, denn selbstverständlich wird der Rücken aus seiner lordo- 


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776 L. Wullstein. Die Behandlung der tuberculösen Spondylitis. 


tischen Durchbiegung um so mehr herausgehoben, je starker dir 
Extension ist. Deshalb hat Lorenz auch bei der horizontalen Bauch¬ 
lage zur Extension noch den Pelottendruck hinzugefügt. Verzichte 
man bei diesem Verfahren aber auf die Extension, so kann durcli 
das Schwergewicht des Körpers, wenn das Individuum bei nicht ge¬ 
stützter freier Bauchlage seine Muskeln erschlaffen lässt, die lordo 
tische Durchbiegung plötzlich so stark werden, dass bei nicht ankr- 
losirten Wirbelkörpem wiederum eine Diastase und plötzliche Dehnueg 
des Rückenmarkes entsteht. 

Infolge dessen halten wir nur ein solches Verfahren für berech¬ 
tigt, welches allen nur denkbaren Ansprüchen gerecht wird, bei dem 
der ganze Rumpf in ständig controllirbarer Haltung vor uns sich 
befindet, bei dem gleichzeitig eine Extension der oberen und unterer 
Wirbelsäulenhälfte und wiederum jeder der beiden Hälften für sich tot- 
genommen werden kann. Hierbei muss aber auch die uncontrollirbare 
Zerrung durch das Gewicht der herabhängenden Beine ausgeschaltet 
werden. Aber nicht nur die Extension jeder der beiden 
Wirbelsäulenhälften muss völlig controllirbar sein, 
sondern auch die Compression des Buckels, die para- 
gibbäre Lordosirung, die Reclinationsstellung de§ 
Kopfes, die Correction einer eventuell gleichzeitig 
vorhandenen Seitendeviation der Wirbelsäule oder 
einer Gontractur im Hüftgelenk, kurz und gut die voll¬ 
ständig detaillirte und dem vorliegenden Falle ent¬ 
sprechende Correction des Rumpfes muss sich gani 
allmählich während der ganzen Verbandanlegung in 
absolut dosirbarer, jeden Moment zu unterbrechender 
Weise ausführen lassen; und zwar müssen alle die 
Correcturen sich spielend leicht, für den Patienten 
fast unmerklich, einzig und allein von der für da? 
Resultat verantwortlichen Person ausführen lassen. 

Wenn somit auch der Weg, den Calot inaugurirt, nämlici 
die tuberculöse Spondylitis durch einen einmaligen kurzen Act zur 
Heilung zu bringen, nicht gangbar ist, wenn auch die Behandlung 
derselben sich weiterhin über Monate und Jahre erstrecken mus? 
und immer eine überaus mühsame bleibt, so werden doch alle diese 
Mühen gelohnt durch eine bei richtiger Indicationsstellung und 
richtigen, entsprechenden, therapeutischen Massnahmen bei weitem 
gebesserte Prognose. 


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XLV. 


(Aus der chirurgisch-orthopädischen Abtheilung der üniversitäts- 
Einderklinik Graz. Vorstand: Prof. Pfaundler.) 

Der Fes planus. 

(Vortrag, auszugsweise gehalten am II. Gongress der Deutschen 

Gesellschaft für orthopädische Chirurgie, 2. Juni 1903.) 

Von 

Dr. Hans Spitzy, 

Facharzt für orthopädische Chirurgie und Assistent der Klinik. 

Mit 38 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! Wer die Nomenclatur der Fussdeformitäten 
duTchsieht, wird sich kaum des Eindruckes erwehren können, dass 
insbesondere die Plattfussgruppe an Klarheit der Bezeichnung und 
Umgrenzung der einzelnen Gruppen noch viel zu wünschen übrig 
lässt. Es geht hier wie bei jedem im Werden begriffenen Wissen, 
mit der fortschreitenden Erkenntniss der anatomischen und mecha¬ 
nischen Verhältnisse greift auch eine richtigere Gruppirung Platz; 
nur bleiben die alten, von früheren Anschauungen und Theorien 
geborenen Namen zurück, man hat sich eben an sie gewöhnt, sie 
werden noch beibehalten und anhangsweise mitgeschleppt, trotzdem 
sie bereits auch allen ideellen Gontact mit der exacten Forschung ver¬ 
loren haben. Eine derartige Rolle spielt in unseren Lehrbüchern der 
,Pes planus" (der platte Fuss). 

Hoffa^) leitet seine Besprechung dieser eigenthümlichen Fuss- 
species bezeichnenderweise mit folgenden Worten ein: 

„Es erübrigt uns nun mit wenigen Worten noch des sogen. 
,platten Fusses^ zu gedenken.“ In der weiteren Beschreibung folgt 
der Autor den Ausführungen von Lorenz*), in dessen glänzender 


Hoffa, Lehrbuch f. orthopäd. Chirurgie. II. Aufl. S. 875. 
*) Lorenz, Die Lehre vom erworbenen Plattfusse S. 54. 


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778 


Hans Spitzy. 


Plattfussmonographie auch dem Pes planus und seiner Unterschei¬ 
dung vom Pes valgus ein Abschnitt gewidmet ist. 

Der „platte Fuss“ wird dort als jener Fuss definirt, dem die 
äussere und infolge dessen auch die innere Fuss Wölbung fehlt. „Die 
Tuberositas navicularis liegt der stützenden Unterlage auf und bildet 
den tiefsten Punkt des inneren Fussrandes. Das Lageverhältniss 
der einzelnen Knochen zu einander, insbesondere des Taluskopfes 
zum Naviculare ist jedoch vollständig normal. Die Gelenkstellungen 
des platten Fusses, seine Bänder und Knochenhemmungen weichen 
durchaus nicht vom normalen und gewölbten Fusse ab.** 

Diese Fussform wird als sehr verbreitet geschildert, so sollen 
ganze Negerrassen, sowie unter den Kaukasiern insbesondere der 
jüdische Volksstamm mit dieser Anomalie oder, wenn man will, mit 
diesem eigenartigen Fussbau behaftet sein. 

Die grösste Bedeutung gewinnt diese Frage jedoch durch die 
These von Lorenz: dass der Fuss jedes Neugeborenen platt sei. — 
Er fasst demnach den Pes planus als ein Stehenbleiben auf dieser 
infantilen Stufe auf, als das Resultat eines Ausbleibens jener Wachs¬ 
thumsvorgänge, durch welche „der kindliche, stets vollkommen platte 
Fuss während und trotz seiner Function sich zu einem Gewölbe 
erhebt.“ 

Diese Ansicht vom platten Fuss des Neugeborenen findet sich 
auch sonst in der älteren Literatur. 

Küstner^) citirt einen Ausspruch Hueter’s, nach dem sich 
das Fussgewölbe erst im extrauterinen Leben bilde; nur setzt er gleich 
hinzu: „Und zwar sind die Kräfte, welche den Fuss wölben, so viel 
ich weiss, auch jetzt noch wie damals gänzlich unbekannt.“ Auch 
Reismann*) spricht vom platten Fuss als jener Fussanomalie, deren 
Entstehung durch ein anormales Wachsthum des Taluskopfes im 
Sinne Hueters verursacht wird. Bei dieser retrograden Suche nach 
dem intellectuellen Urheber dieser Gruppe komme ich auf Hueter, in 
dessen Theorie von der Entstehung der Fusswurzelcontracturen diese 
Fussspecies überhaupt am besten zu passen scheint. 

Entgegen dem Vor würfe von Lorenz®), dass Hueter den 
Hauptunterschied zwischen dem Fusse des Neugeborenen und dem 


') Küstner, Der angeborene Plattfuss. Langenbeck’s Arch. Bd. 25 S.39. 
*) Reisraann, Langenbeck’s Arch. Bd. 10 Heft 4 S. 28. 

3) 1. c. S. 187. 


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Der Pea planus. 


779 


normalen Fusse des Erwachsenen „gar nicht*^ angeführt habe, näm¬ 
lich den Mangel der Fusswölbung bei ersterer, citire ich Hueter’s 
eigene Worte ^): „Die Wölbung des Fusses von hinten nach vorne 
ist beim Neugeborenen noch nicht vorhanden, ihre allmähliche Ent¬ 
wickelung konnte wohl darin ihre Erklärung finden, dass bei ruhiger 
Lage des Fusses vermöge der Schwere die Spitze des Fusses sich 
der Ferse zu nähern strebt, dass hierdurch in den Fusswurzel- 
gelenken der Druck, den die der Planta zunächst liegenden Theile 
der Gelenkfiäche auf einander ausüben, stärker wird, als in den der 
Dorsalfiäche nahe gelegenen Theilen, und so durch Differenzen in 
den Wachsthumsintensitäten die Fusswurzelknochen sich zu einem 
Gewölbe anordnen.“ — An einer anderen Stelle*) führt er aus, 
„dass sich bei der überhaupt fiachen Planta des Neugeborenen die 
Fusswölbung unter denselben Einfiüssen entwickeln kann, unter 
denen wir die Bildung des physiologischen und pathologischen Hohl- 
fusses erfolgen sehen.“ 

Die ältere Plattfusstheorie Henke’s*) weiss nichts von einem 
Pes planus. 

Angeregt durch vorangegangene Arbeiten Dane’s^), der zu¬ 
erst die beim Neugeborenen vorhandene Wölbung nachwies, studirte 
ich eingehend das reiche Material an Neugeborenen an unserer 
Klinik und kam sowohl auf klinischem wie anatomischem Wege zu 
Resultaten, die allen früheren direct entgegengesetzt sind. 

Betrachtet man den Fuss eines Neugeborenen, so kann man 
meist schon auf den ersten Blick das Vorhandensein der Fusswöl¬ 
bung erkennen. 

Nur eine starke Fettüberpolsterung kann einen platten Fuss 
Vortäuschen, wenn eine beträchtliche Fetthülle die Architectur des 
Knochengerüstes verdeckt, um die es sich hier ja einzig und allein 
bandelt. 

Magere, atrophische Kinder, schwache, unterernährte Früh- 


') Hueter, Zur Aetiologie der Fusswurzelcontracturen. Langenbeck’s 
Arch. Bd. 4 S. 489. 

®) Hueter, Zur Aetiologie der Fusswurzelcontracturen. Langenbeck’s 
Arch. Bd. 4 S. 495. 

*) Henke, Die Contracturen der Fusswurzel. Zeitschr. f. rationelle Medicin 
3. Reihe Bd. 5. 

J. Dane, Further studies upon the arch of the foot in infancy and 
childhood. Transact. of the Americ. orthop. Assoc. 1898. 


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780 


Hans Spitzy. 



Fig. 3. 


Neugeboren. 4000 g. 


Fig. 4. 



u Tage. 1800 g. 



Fig. 5. 


4 Wochen. 6000 g. 


Fig. 6. 



5 Monate. 3600 g. 



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Der Pes planus. 


781 


Fig. 7. 


Fig. 8. 




Nengeboren. 3220 g. 


14 Wochen. 2600 g. 


Fig. 9. 


Fig. 10. 




14 Tage. 8000 g. Pes valg. cong. Frühgeb. VIU. E. M. 

Fig. 1 — 10 : Der Fass des Neugeborenen. 


1400 g. 


gebürten zeigen immer eine ganz exquisit ausgesprochene hohe Fuss- 
wölbung. Von solchen angefertigte plane wie plastische Fuss- 
abdrücke sind immer die eines normal gewölbten Fusses, nur muss 

I man mit der nöthigen Zartheit, die den gracilen Bändern und Muskeln 
Rechnung trägt, dabei verfahren. 

Ein fettes Füsschen oder eines, bei dem man beim Aufdrücken 
I auf die Unterlage das zarte Gewölbe zum Nachgeben zwingt, gibt 
natürlich den Abdruck eines platten Fusses. Im allgemeinen ergibt 
der Vergleich von 50 Abdrücken, dass je geringer das Körper¬ 
gewicht des Kindes ist, desto schöner die Wölbung am Abdruck 
sichtbar wird (vergl. Fig. 1—10). In jedem Falle aber kann man sich 
jedoch durch den relativen Hochstand der leicht zu palpirenden 
. Tuberositas navicularis über der Sohlenääche von dem Bestehen der 


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782 


Hans Spitzy. 


Wölbung überzeugen; die Tuberositas navicularis liegt nie¬ 
mals der ünterstützungsfläche auf. 

Bezeichnet man die Tuberositas navicularis mit einer Marke, 
setzt das Füsschen mit senkrecht gestelltem Unterschenkel auf eine 
Glasplatte, drückt nun so lange darauf, bis gerade alle ünter- 
stützungspunkte, Ferse und Metatarsusköpfchen anämisirt weiss 
durchscheinen, so kann man den senkrechten Abstand der Tuber¬ 
ositas navicularis von der Unterstützungsfläche direct messen. 

Die sorgfältig durchgeführten Messungen bei 50 wahllos ge¬ 
messenen Säuglingen, also von 100 Füssen, hat eine Durchschnitts¬ 
höhe von 12,5 mm ergeben. Bei weiteren 200 klinisch beobachteten 
Säuglingen fanden sich dieselben Verhältnisse^). 

Nur bei jenen Fällen, die zur Gruppe des congenitalen Platt- 
fusses nach Küstner gezählt werden können, fand sich ein Tief¬ 
stand des Naviculare, dabei jedoch immer eine starke Pronation, 
Abduction und Dorsalflexion des Fusses, mit gradweise verschiedenen 
Symptomen, die diese Deformität verursacht. Küstner fand sie in 
8,6 ®/o, eine Zahl, die ich als sehr hoch gegriffen bezeichnen muss; 
ich fand kaum P/o wirklich ausgesprochene Plattfüsse (vergl. Fig. 14). 

Bei diesen Fällen handelt es sich gewiss um eine intrauterine 
Belastungsdeformität, es ist die angeborene Pronationsdeformität; 
wie der Klumpfuss die angeborene Supinationsdeformität des Fusses 
darstellt. Zwischen diesen Extremen findet man alle Uebergänge. 

So gibt es auch Fälle, die gradatim vom congenitalen Pes 
valgus durch indifferente Grade hinüberleiten zu jener bekannten 
Supinationsstellung des Fusses, die fast alle Säuglinge zeigen (80 ® o). 

Die typischen Deformationen (1 ^/o) ausgenommen, wird man 
bei der Messung immer einen unverkennbaren Hochstand des Navi¬ 
culare constatiren können. 

Alle Fehlermöglichkeiten bei der Messung zugegeben, 
beweist das Vorhandensein einer Entfernung der Tuber¬ 
ositas navicularis von der Sohlenfläche überhaupt doch 
wenigstens das Bestehen einer Fusswölbung. 

Zur Bekräftigung obiger Behauptung sei noch folgende klinische 
Beobachtung mitgetheilt: Ein Kind, 5 Monate alt, wohlgenährt und 
kräftig entwickelt, kam mit einer Meningitis tuberculosa auf die interne 


0 Spitzy, lieber Bau und Entwickelung des kindlichen Fusses. Jahr¬ 
buch f. Kinderheilkunde Bd. 57. 


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Der Pes planus. 


783 


Abtheilung der Klinik. Die Untersuchung und Messung des Fusses 
ergab einen äusserlich völlig platten Fuss (das Knochengerüst ver¬ 
hielt sich natürlich in der oben angeführten normalen Weise). Bei 
fortschreitender Krankheit magerte das Kind im Verlauf von drei 
Wochen zu einem Skelete ab; mit jedem Tage trat das Fussgewölbe 
äusserlich mehr hervor, bei dem Tode des Patienten war das Fuss¬ 
gewölbe so deutlich sichtbar, wie an einem Knochen- und Bänder¬ 
präparat eines erwachsenen Fusses. 

An derartigen abgemagerten Kindern ist das Vorhandensein 
einer Fusswölbung sowohl an planen wie plastischen Abdrücken 
leicht zu demonstriren (Fig. 11—13). 

An allen während der Beobachtungszeit gestorbenen Kindern 
wurden sub obductione am anatomischen Präparat die Verhältnisse 
untersucht und immer eine Bestätigung der obigen Behauptung ge¬ 
funden. An einer Anzahl Füssen wurden, sowie es die äusseren 
Verhältnisse gestatteten, sagittale Gefrierschnitte, sowohl durch die 
innere Fusswölbung, in der Meyer'schen Linie, wie durch die 
äussere Fusswölbung (im Sinne von Lorenz) angelegt, an jedem 
derartigen Schnitte ist das Vorhandensein einer Fusswölbung sofort 
ersichtlich. Das innere Fussgewölbe repräsentirt sich besonders 
schön. Der Schnitt lässt den Körper des Calcaneus in seiner ganzen 
Ausdehnung erkennen, geht dann zwischen Sustentaculum tali, das 
noch vom Schnitte gestreift wird, auf das Naviculare über. Hoch 
über dem Calcaneus liegt der Talus. Der Schnitt entwickelt dessen 
grösste Längenausdehnung, Körper, Hals und Kopf; dieser ist nur leicht 
nach abwärts geneigt, die Articulatio talonavicularis steht jedoch 
hoch über der Sohlenfläche, von der Höhe des Calcaneuskörpers 
beträgt noch die Entfernung des ebenfalls vom Schnitte getroffenen 
Naviculare von der Bodenfläche. Erst jetzt kehrt die Bogenlinie 
rascher zur Sohle zurück; das Keilbein I, der Metatarsus I ziehen 
schräg nach abwärts, das Köpfchen des Metatarsus I erreicht bereits 
wieder den Boden. Die Articulatio talonavicularis steht demnach 
am Scheitelpunkt des Gewölbes. Der Kuppelraum ist ausgefüllt von 
der Grosszehenballenmusculatur und von ziemlich reichlichen Fett¬ 
einlagerungen, die die Fascia plantaris umkleiden. Die untere Ab¬ 
grenzung bildet die Plantarfascie, an sie schliesst sich die reichliche 
Fetthülle des kindlichen Fusses (s. Fig. 11, 15, 17). 

Der Sagittalschnitt durch das äussere Gewölbe schneidet den 
Calcaneus in seiner längsten Achse; Tuber, Körper und Hals sind 


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784 


Hans Spitzy. 



A Intra vitam abgenommenes Modell. Ansicht von innen. B Sagittalschnitt durch das 
innere Fussgewölbe (in der Meyer’schen Linie). C Sagittalschnitt durch den plastischen 
Fiissabdruck (in der Meyer’schen Linie). 


Fig. 13. 



Intra vitam hergcstellter Sohlen- ROntgenbild. k Kerne des Cuboid und des 

abdruck. ah Meyer’sche Linie. Keilbeines I. 


Fig. 11 — 13: Fiiss eines atrophischen Situglings. 
Alter 6 Wochen. Gewicht lüOO g. 



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Der Pes planus. 


785 


sichtbar, wie ein Keil ist der Talus zwischen der schief abfallenden 
Gelenkfiäche des Talotarsalgelenkes und dem Galcaneushals ein¬ 
geschoben (s, Fig. 16 und 18). 

Das untere Ende der Gelenklinie zwischen Calcaneus und Cuboid 
liegt hier auf der Bogenhöhe, wenn man hier von einem Bogen 
überhaupt sprechen darf. 

In gleicher Anordnung und Richtung wurden Gefrierschnitte 
durch den normalen Fuss eines Erwachsenen angefertigt und auf 
photographischem Wege wurden die Reproductiouen bis zur abso¬ 
luten Grösse der Bilder des Neugeborenenfusses verkleinert (Fig. 17,18). 

Diese Bilder, sowohl die äusseren wie die der inneren 
Fusswölbung erscheinen, was Gewölbehöhe und Linien¬ 
führung belangt, fast congruent; das Verhältniss zwischen 
Fusslänge und Gewölbehöhe beim neugeborenen wie beim 
erwachsenen Fusse ist fast dasselbe. 

Sehr schön und instructiv lassen sich diese Verhältnisse an 
Serienschnitten, die in frontaler Ebene durch den Fuss gelegt werden, 
klarlegen. 

Fig. 21 bietet die photographische Wiedergabe einer Serie von 
frontalen Gefrierschnitten durch den neugeborenen Fuss. Die blosse 
Anschauung lehrt, dass die Verhältnisse der Knochen zu einander, 
nicht nur was die Längs Wölbung, sondern was die Querwölbung 
(Metatarsusbogen) anlangt, ganz dieselben sind, wie am erwachsenen 
Fusse. 

Auch Schnitte von Füssen älterer Kinder zeigen dieselben Ver¬ 
hältnisse (s. Fig. 19, 20). 

Niemals erhielt ich einen Schnitt, der auch nur einigermassen 
den Anforderungen, die Lorenz an einen platten Fuss stellt, ent¬ 
sprochen hätte. 

Aus allen diesen klinischen wie vorzugsweise aus den anato¬ 
mischen Untersuchungen geht unzweifelhaft hervor, dass der Fuss 
des Neugeborenen kein platter ist; der Fuss des Neugeborenen ist 
gewölbt und das Gewölbe ebenso hoch gespannt wie beim Erwach¬ 
senen, die Bausteine sind schon primär zu einem Gewölbe angeordnet; 
von einer extrauterinen Gewölbebildung kann demnach keine Rede 
sein; zwischen dem architectonischen Aufbau des erwachsenen Fusses 
und dem des Neugeborenen besteht kein Unterschied. 

Wenn wir mit wenigen Worten das weitere Schicksal des 
kindlichen Fusses verfolgen, so sehen wir im ersten Lebensjahre 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII, Bd. 51 


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786 


Hans Spitzy. 


nur eine geringe Veränderung des beschriebenen Zustandes. Gedeiht 
das Kind, so umgibt sich der Körper und damit auch der Fuss mit 
einer beträchtlichen Fettschicht; die Wölbung des Fusses wird natür¬ 
lich dadurch äusserlich immer mehr verwischt, der Fuss sieht völlig 
flach aus, während bei mageren, schwächlichen Kindern die Fuss- 
Wölbung deutlich sichtbar bleibt. 

Wenn das Kind sich auf die Füsse zu stellen und zu gehen 
beginnt, so wird der Fuss aus der fötalen Supinationsstellung, die 
der Säugling meist noch mehrere Monate beibehält, durch die 
lastende Körperschwere in die Pronationsstellung gedrängt; alle 


Fig. 14. 



Sohlenabdruck eines Neugeborenen. Gewicht 8300 g. 


Bewegungen in den einzelnen Gelenken erfolgen im Sinne der Pro¬ 
nation. 

Ist der Muskel- und Bandapparat in dieser Zeit nicht durch 
seine längere Kriechperiode gehörig vorgeübt, tritt durch eine even¬ 
tuell noch vorhandene übergrosse Körperschwere ein Missverhältmiss 
zwischen der Kraft und Belastung des Fusses hinzu, so entstehen 
leicht Fussdeformitäten, jedoch niemals ein Pes planus, sondern 
immer eine der Pronationsdeformitäten, sei es, dass diese sich in 
einem Knickfuss (s. Fig. 27, 28) mit unter den Knöcheln nach aussen 
abweichender Unterschenkelachse äussert, oder dass es bei patho¬ 
logischer Plasticität der Knochen zur Bildung eines rhachitischen 
Kinderplattfusses kommt (s. Fig. 22, 23, 29, 30). 

Auch bei einem normalen Fusse sehen wir einen äusseren 
Ausdruck der plötzlichen üeberlastung im Beginne des „Gehens*. 
Das Fussgewölbe sinkt messbar ein, durch das sinkende Talo- 
naviculargelenk bezw. seine Gelenkkörper wird die umgebende Fett- 


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Der Pes planus. 


787 


hülle ausgebuckelt: am inneren unteren Fussrand erscheint eine rund¬ 
liche Vorwölbung; wenn man darauf einschneidet, repräsentirt sie 



Fig. 15. 


Fig. 16. 



Fig. 13 zeigt deu Sagittalschuitt durch das innere Fussgewölbe des neugeborenen Fusses, 
Fig. 16 durch das äussere Fussgewölbe. 


Fig. 17. Fig. 18. 



Fig. 17 zeigt den Sagittalschnitt durch das innere Fussgewölbe des erwachsenen Fusses, 
Fig. 18 durch das äussere Fussgewölbe. 

Fig. 14—18: Das Verhältniss der Architektur des kindlichen Fussgewölbes zu der des 

Erwachsenen. 


sich als Fettgebilde, das mit einen Theil der Fettdecke des infantilen 
Fusses bildet und bei eventuell zunehmender Pronation und Ab¬ 
flachung oder Umlegung des Gewölbes grösser wird. Diese Vor¬ 
wölbung ist beim Kinde im Locomotionsbeginn fast physiologisch 
und ist als Index der Gewölbeschwankungen am Beginn der Be- 


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788 


Hans Spitzy. 
Fig. 19. 


Fig. a JiH—► 


Fig. b m —► 


Fig. a. Frontalschnitt durch die Malleolen. 

Fig. b. Sagittalschnitt durch das innere Fussgewölbe. 



Fig 20. 



Sagittalschnitt durch das äussere Fussgewölbe. 

Fig. 19—20: Schnitte durch den normalen Fuss im Locomotionsbeginne 
Alter 4 Monate. Gewicht 1050 g. 

lastung zu betrachten. An planen Sohlenabdrücken von Eindero 
dieser Periode ist sie deutlich erkennbar, mindestens in der Pro- 
jectionslinie (vergl. Fig. 24—26, 31, 32)'). 

') Die näheren Verhältnisse sind in der bereits S. 782 citirten Arbeit 
„lieber Bau und Entwickelung des kindlichen Fusses* genauer beschrieben. 


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Der Pes planus. 


789 


Bei längerer üebung erstarken beim normalen Kinde die 
Muskeln und Bänder, die Vorwölbung wird immer undeutlicher, nun 
beginnt auch die infantile FettumhOllung der puerilen Schlankheit 
der Glieder Platz zu machen und die Fusswölbung tritt dement- 


Fig. 21. 



Frontalserienschnitte durch den Fass eines Neugeborenen. 


sprechend auch äusserlich immer mehr hervor, so dass die Fussspur 
eines 3—4jährigen Kindes sich nicht mehr wesentlich von der eines 
Erwachsenen unterscheidet. 

Dabei möchte ich noch eine interessante Beobachtung er¬ 
wähnen, die sich aus dem Vergleich von Fussabdrücken beschuhter 
und barfussgehender Kinder ergibt (s. Fig. 31—38). Die Festigung 
des Gewölbes, das Auf hören der Gewölbeschwankungen tritt bei 
dem Fusse des barfusslaufenden Kindes um einen erheblichen Zeit¬ 
raum früher ein, als bei dem gewöhnlich beschuhten Fusse. Der 
freigelassene, vom Einzwängen in enges Schuhwerk verschont ge¬ 
bliebene Fuss passt sich viel schneller den geänderten Functions¬ 
verhältnissen und an ihn gestellten Belastungsansprüchen an, er 
nimmt viel schneller die Gestalt des erwachsenen Fusses an, als der 
Fuss der Kinder, deren Eltern durch üeberängstlichkeit oder Un¬ 
vernunft ihr Kind vor dem Barfussgehen hüten, den Fuss sobald 


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790 


Hans Spitzy. 


als möglich in enge, mit dem Fuss gar nicht conforme Schuhe 
zwängen, und so durch Hemmung des freien Muskelspieles der 


Fig. 22. 



Planer Sohlenabdruck. 


Fig. 23. 



A Intra vitam abgenommenes Gipsmodell (Ansicht von innen). B Frontalschnitt durch di«* 
Malleolen. C Sagittalschnitt durch das innere Fussgewölbe in der Meyer’schen Linie 
Fuss eines rhachitischen Kindes am Beginne der Locomotion. 

Alter 24 Monate. Gewicht 9650 g. 


Fuss- und Zehenmusculatur zur Schwächung des Fusses ihr Mög¬ 
lichstes beitragen. 

Die Anpassungsfähigkeit des Muskel- und Band- 


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Der Pes planus. 


791 


apparates, die Festigkeit der Enochenconstruction sind 
als jene Kräfte zu betrachten, die zwar nicht das Ge¬ 
wölbe bilden, wohl aber es erhalten, so dass dasselbe 
trotz der Function und wegen der Function ebenso hoch 
bleibt, als es von der Natur intrauterin ausgebildet worden 
war. In diesem Sinne wären die Aussprüche von Küstner, Hueter 
und Lorenz nach den Ergebnissen der neueren Arbeiten abzu- 
ändem. 

Mit der Annahme dieser Befunde, deren Richtigkeit nach den 
beigegebenen anatomischen Bildern über jeden Zweifel erhaben ist, 
fällt auch die Auffassung des Pes planus als Entwickelungshemmung, 
und es bestünde nur mehr Hueter’s Auffassung, dass der Pes planus 
gleichsam eine üebertreibung jener Wachsthums Verhältnisse sei, die 
vom supinirten Fuss des Neugeborenen zum mehr pronirten Fuss 
des Erwachsenen hinüberleiten, gleichsam als eine Vorstufe des 
Plattfusses. Nun hat schon Lorenz diese Entstehungsart des Platt- 
fusses, beruhend auf verschiedenen Wachsthumsintensitäten auf ver¬ 
schiedenen Punkten des Fussknochensystems, als ungehörig nach¬ 
gewiesen, auch alle späteren Autoren haben sich von dieser ge¬ 
zwungenen Entstehungserklärung abgewendet und daher kam es wohl 
auch, dass Lorenz eine extrauterine Bildung des Pes planus als 
unwahrscheinlich abweist und ihn als einen angeborenen Zustand 
betrachtet wissen will; auch keine andere Plattfusstheorie (Henke, 
Lorenz, v. Meyer^), Riedinger*)) könnte die postfötale Bildung 
eines Pes planus im Sinne von Lorenz erklären. Nur einen Modus 
I gäbe es, wie man sich aus einem normalen Fuss einen Pes planus 
I entstanden denken kann, ohne dass die Gelenksverhältnisse im talo- 
tarsalen oder im Choparfschen Gelenk tangirt würden. Der Talus¬ 
hals müsste in einem spitzen Winkel an den Körper angesetzt und 
aussergewöhnlich verlängert sein, damit der Kopf mit dem am Boden 
. liegenden Naviculare zur Articulation gelangen könnte. Natürlich 
I müsste auch das Sustentaculum tali entsprechend in die Länge ge- 
I zogen sein und nach unten ablenken, um mit dem Naviculare und 
dem Lig. calcaneonaviculare die Pfanne für den Taluskopf zu bilden; 
das Ganze ergäbe aber eine beträchtliche Verlängerung des inneren 

*) V. Meyer, Ursache und Mechanismus der Entstehung des erworbenen 
Plattfusses. Jena 1883. 

*) Riedinger, Die Mechanik des Fussgewölbes etc. Centralbl. f. Chir. 
1897, Nr. 15. 


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792 


Hans Spitzy. 


Fussrandes, die eine colossale Abduction des Vorderfusses von der 
Ghopart’schen Gelenklinie an zur Folge haben müsste, wenn man 


Fig. 24. 


Fig. 25. 




Fig. 24. Normalfuss eines 13 Monate alten Kindes. Gewicht 9200 g. Die durch das sinkende 
IFiissgewölbe bedingte Vorwölbung (Vto) deutlich sichtbar. 

Fig. 25. Ansicht von rückwärts, ab ünterschenkelachse nahezu gerade. 


Fig. 26. 



Sohlenansicht. Vorwölbung am inneren Fussrand deutlich vortretend. 


nicht annimmt, dass auch der Calcaneushals mit seiner Gelenkfläche 
für das Cuboid entsprechend in die Länge und Tiefe wächst, um 
das gleichfalls der ünterstützungsfläche aufliegende Cuboid zu er¬ 
reichen. Und trotz aller dieser imaginären Wachsthums- und 6e- 


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Fig. 29. Rhachitischer PlattfusH eines Kindes von 26 Monaten. Gewicht 12500 g. 

' Vorwölbung sehr stark. 

Fig. 30. Ansicht von rückwärts. Starke Abknickung der Unterschenkelachse (a—b) nach 
' aussen (fei). 


Fig. 24—30 Fusstypen des Locomotionsbeginnes. 


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794 


Hans Spitzj. 


Fig. 31. 


Fig. 32. 


Beschuht. Alter 22 Monate. 


Barfuss. Alter 18 Monate. 




Fig. 34. 


Fig. 33. 




Beschuht. Alter 2i Monate, 

Zur späteren Entwickelung des 


Barfuss. Alter 24 Monate, 
kindlichen Fusses. 


staltsveränderungen der Knochen könnte den Anforderungen, die 
an einen richtigen Pes planus gestellt werden, doch nicht ent- 


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Der Pes planus. 


795 


sprocben werden, denn dabei sollen ja auch alle Stellungsverände- 
rungen des Taluskopfes fehlen. Wohl aber würde all dies zu einer so 
monströsen Veränderung der äusseren Fussgestaltung fUliren, neben 
einer erheblichen Verbreiterung auch zu einer colossalen Verlängerung 
des Fusses, abgesehen von allen sonstigen Veränderungen, dass man 
in der Literatur gewiss Abbildungen solcher Füsse, Zeichnungen 
oder Photographien solcher eigenthümlichen Knochenveränderungen 
treffen müsste, wenn solche wenigstens in pathologischen Museen zu 
finden wären. 

Herz^) hat im Vorjahre als Ergebniss einer Reiseforschung 
an dieser Stelle mitgetheilt, dass die Ansicht, die Neger hätten 
einen platten Fuss, in das Reich der Fabel zu verweisen sei; aus 
seinen Untersuchungen geht hervor, dass mindestens die Angehörigen 
der ihm untergekommeifen Negerstämme wohl einen fleischigen, 
musculösen, aber keineswegs, was seine knöcherne Grundlage an¬ 
langt, flachen Fuss haben. 

Meine besondere Aufmerksamkeit wendete ich der Untersuchung 
der Kinder des jüdischen Volksstammes zu; denn wenn da schon 
bei Erwachsenen der „flache“ Fuss so häufig Vorkommen sollte, so 
müsste er doch bei den Kindern, bei den Neugeborenen die Regel 
sein, denn aus der Hemmung seiner WeiterentWickelung zum Normal- 
fusse des Erwachsenen ist er ja entstanden gedacht. Ich konnte 
nun niemals irgend einen Unterschied zwischen dem neugeborenen 
Fusse eines jüdischen Kindes und dem eines unserer Alpenbewohner 
finden, auch später bei grösseren Kindern ist mir diesbezüglich nie¬ 
mals eine Differenz aufgefallen. Wohl aber war ich im Stande, 
eine überaus grosse Neigung dieser Kinder zu Pronationsdeformitäten 
im Locomotionsbeginn zu beobachten; insbesondere Knickfüsse bis 
zu den höchsten Graden und ganz ausgebildete Plattfüsse gehören 
da zu den häufigeren Vorkommnissen. 

Ich möchte hier entschieden Henke’s^) Ansicht beipflichten, 
der auch Hueter^) trotz sonstiger Gegnerschaft beistimmte, dass 
es sich hier um eine eigenthüraliche Schlaffheit der Muskeln und 
Bänder, die dem Fussgelenke als haltende und unterstützende Mo- 


*) Herz, Der Bau des Negerfusses. Münch, med. Wochenschr. 1902, 

Nr. 84. 

*) 1. c. S. 74. 

•) 1. c. S. 509. 


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796 


Hans Spitzy. 


mente beigegeben sind, handelt. Vielleicht kommt hier auch die 
Jahrtausende währende Abschliessung gegen fremden Einschlag zur 
Geltung, sowie es ja bekannte Thatsache ist, dass durch lange fort¬ 
gesetzte Reinzucht gewisse, yielleicht immer schon in geringem Grade 



Beschuht. Alter 2 Jahre 9 Monate. Barfuss. Alter 2 Jahre 6 Monate. 

Zur späteren Entwickelung des kindlichen Fusses. 

vorhandene Schwächen sich steigern können; man erinnere sich an 
die schwachen Fesseln der reinrassig gezogenen Araberpferde oder 
an das auffallend häufige Vorkommen von Fussanomalien bei alt¬ 
aristokratischen Häusern, in welchen allerdings durch Generationen 
auf eine bestimmte anormale Fussform gezüchtet wurde, wobei 
ausserdem das von Kindheit auf geübte frühe Einzwängen der Füsse 
in schmale, lange Schuhe auch ein nicht zu übersehender De¬ 
formationsfactor ist. Es fehlt mir bei unseren Verhältnissen das 
genügend grosse Material, um hier mit grossen Zahlen oder ein¬ 
gehenden Studien für diese Ansichten eintreten zu können, sie mögen 
uns ein Versuch sein, den von allen Autoren aufgestellten und bei¬ 
behaltenen Satz, dass die jüdische Rasse zur Flachsohligkeit neige, 
zu erklären. Einen „Pes planus“ jedoch in dem Sinne, wie er ge¬ 
fordert wird, konnte auch da ich niemals diagnosticiren. 


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Der Fes planus. 


797 


Da ich nun annehme, wenigstens die These, dass der neu¬ 
geborene Fuss ein planus sei, erschöpfend widerlegt zu haben, 
und diese doch die Basis fUr die Aufstellung dieser Fussanomalie 
bildete, glaube ich zu dem ^Schlüsse berechtigt zu sein, dass es 


Fig. 38. 



Beschuht. Alter 3 Jahre 6 Monate. Barfuss. Alter 4 Jahre. 

Zur späteren Entwickelung des kindlichen Fusses. 


endlich an der Zeit wäre, in Lehrbüchern und Publi- 
cationen diese Bezeichnung überhaupt gänzlich fallen zu 
lassen, da sie nach dem Gesagten erstens des klinischen 
und anatomischen Rückhaltes entbehrt und zweitens ge¬ 
eignet ist, den Mangel an Schärfe und Klarheit in der 
Nomenclatur dieses Kapitels zu vermehren. 


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XL VI. 


Ein einfacher Hilfsapparat znm Fixiren des Beckens 
bei heilgynmastischen üebnngen. 

Von 

Dr. Peter Bade-Hannover. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Bei der heilgymnastischen Behandlung der Skoliose ist von 
grosser Wichtigkeit das üeben mit entblösstem Oberkörper. Diesen 
Satz wird mir gewiss kein Fachcollege, der sich energisch mit der 
Behandlung von Skoliotikern befasst, bestreiten. Schon allein die 
Thatsache, dass man jede Bewegung der Wirbelsäule, das Spiel der 
Rückenmuskeln, das Arbeiten des Thorax genau übersehen kann, 
sollte den Anlass geben, dass die nackten Rumpfübungen, d. h. die 
mit entblösstem, bis zu den Spinae anteriores superiores freien Ober¬ 
körper, noch mehr angestellt würden. 

Vielleicht liegt der Grund, dass dies nicht in dem gewünschten 
Maasse geschieht, darin, dass die Zeit, die man dazu nöthig hat, doch 
immerhin eine verhältnissmässig grosse ist, weil man jeden Patienten 
einzeln vornehmen muss, dass endlich auch die Kraftanstrengung 
und Kraftaufwendung für den Orthopäden immerhin eine nicht ganz 
kleine ist. Am meisten Kraft wird verbraucht bei den üebungen, 
die mit nach vorne gebeugtem Oberkörper ausgeführt werden müssen. 
Sollen diese energisch gemacht werden, so muss der Arzt, um das 
Vornüberfallen der Patienten zu verhüten, mit seinen Armen das 
Becken von hinten und der Seite umgreifen und durch Zug nach 
hinten dem Vornüberfallen entgegen arbeiten. Bei kleinen zarten 
Patienten ist das natürlich nicht besonders anstrengend, hat man 
dagegen kräftige, schwere, schon im Entwickelungsalter stehende 
Patienten, so muss man bei diesen üebungen eine grosse Kraft auf¬ 
wenden. Ist die Zahl dieser Patienten eine grosse, so merkt der 
Orthopäde nach der Arbeit sicher, was er gethan hat. Es ist aber 


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Ein einfacher Hilfsapparat zum Fixiren des Beckens etc. 


799 


eigentlich die Kraft des Arztes zu gut für diese Arbeit. Aus dem 
Grunde habe ich einen Hilfsapparat construirt, der diese mechanische 
Arbeit des Beckenfesthaltens bei den nackten gymnastischen Uebungen 
ersetzt. Aus der Abbildung und der kurzen Erklärung, die ich gebe, 
wird der Fachcollege sich mit Leichtigkeit orientiren können. 

Auf einem Fussbrett steht senkrecht ein hölzerner Galgen, der 
hohl ist. In seiner Führung gleitet ein zweiter Holzgalgen hin und 



her, der in beliebiger Höhe durch einen hölzernen Zapfen festzustellen 
ist. Am oberen Ende des verschieblichen Holzgalgens sind zwei in 
der horizontalen Richtung verschiebliche, grosse, breite Holzklam¬ 
mern angebracht. Diese hölzernen Arme oder Klammern werden 
vorne durch einen Ledergurt zusammengehalten. In den Holzarmen 
befinden sich je drei Schlitze, durch die man die Ledergurte hin¬ 
durchleiten kann. Je nachdem man nun das Becken eines kleinen 
oder grossen Kindes fixiren will, zieht man den verticalen Galgen 
weniger oder mehr weit aus seiner Lade heraus. Und je nachdem 


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800 Peter Bade. Ein einfacher Hilfsapparat zum Fixiren des Beckens etc. 

man ein Kind mit schmalen oder breiten, ausladenden Hüften be¬ 
handelt, nähert oder entfernt man die horizontalen Klammem und 
zieht die Ledergurte, welche vorne geschnallt werden können, durch 
den hinteren, mittleren oder vorderen Schlitz. 

Damit die Kinder auch vorne an den Füssen einen Halt haben 
und nicht mit den Füssen nach vorne ausrutschen können, ist ein 
horizontaler Querstab angebracht, der dies verhindert. 

Die Abbildung zeigt ein 12jähriges Mädchen in dem Hüft- 
fixationsapparat; das Mädchen beugt den Rumpf nach vorne. Der 
Apparat ist von der Seite gesehen. Man sieht also nur die eine 
horizontale Klammer mit den drei Schlitzen. Die entsprechende 
andere Seite, welche genau so ist, sieht man natürlich nicht. Man 
sieht den Riemen aus dem hinteren Schlitz gehen. Man sieht end¬ 
lich deutlich den verschiebbaren verticalen Galgen mit dem zum 
Fixiren bestimmten Zapfen. Endlich erkennt man auch noch vor 
dem Fussgelenk die horizontale Holzleiste, welche das Rutschen der 
Fösse verhindern soll. Der Apparat ist auf meine Anregung von 
Herrn Trenne r t - Braunschweig, dem bekannten Constructeur medico- 
mechanischer Apparate gebaut worden, und durch ihn zu beziehen. 

Ich benutze den Apparat jetzt seit einem halben Jahre und 
möchte ihn nicht entbehren. Er erspart dem Orthopäden fast eine 
volle menschliche Arbeitskraft. 


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XLVII. 


(Aus der orthopädischen Abtheilung des Bürgerhospitals in Cöln a. Rh., 
dirigirender Arzt Dr. K. Gramer.) 

Ein Fall von bilateralem symmetrischem Riesenwuchs 
der Extremitäten, des Schulter- und Beckengürtels 
in Verbindung mit Kryptorchismus. 

Von 

Dr. med. W. Toltz, Assistenzarzt. 

Mit 7 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Anamnese. L. M., 34 Jahre alt, Handlungsgehilfe. Beide 
Eltern sind todt, Vater im Alter von 34 Jahren an Nierenleiden, 
wahrscheinlich Nierenkrebs, Mutter im Alter von 68 Jahren an 
Magenkrebs gestorben. Zwei Brüder und zwei Schwestern leben, 
ein Kind der Eltern todtgeboren. Geschwister leiden angeblich viel 
an Kopfschmerzen; der jüngste Bruder ist ebenfalls sehr gross. Sonst 
ist in der Verwandtschaft nichts Bemerkenswerthes. 

Patient selbst soll als Kind nach Aussage der Mutter die eng¬ 
lische Krankheit gehabt haben, ausserdem Masern und Diphtheritis. 
Er war bis zum 20. Jahre auffallend klein, ausserdem war er 
immer blutarm und hat oft Kopfschmerzen gehabt. Im Jahre 1888 
wurde er gemustert: er wog 70 Pfund, hatte Mindermaass und wurde 
militärfrei. Auf der Schule kam er immer gut voran. Sein starkes 
Wachsthum begann mit 23 Jahren. Patient führt als Grund dieser 
Thatsache den Umstand an, dass er von da ab bessere und kräftigere 
Kost bekam. 

Krankheiten hatte er ausser einem Kehlkopfkatarrh keine mehr 
durchgemacht. 

Am 12. April 1903 erlitt er durch Ausgleiten und Hinfallen 
einen Knöchelbruch am rechten Bein. 

Zeitschrift für orthopildische Chirurgi»». XII. Bd. 52 


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802 


W. Voltz. 


Status. Infantiler Gesichtsausdruck, blasse Gesichtsfarbe, 
zum Theil mit bräunlichen Pigmentflecken untermischt. Bartwuchs 
fehlt. Die im allgemeinen dünne, weisse Haut lässt, über den ganzen 

Körper verbreitet, an vielen 
Stellen erweiterte Venen durch¬ 
scheinen. Der gesamrate Körper 
mit Ausnahme des Capillitium 
ist unbehaart, Supercilien und 
Cilien sind schwach entwickelt 
Thorax und Becken sind feminin 
gebaut; ersterer stark gewölbt, 
zeigt ausgesprochenen costalen 
Athemtypus. Das Becken zeigt 
eine Vergrösserung des Breiten¬ 
durchmessers, als deren Aus¬ 
druck noch eine deutliche De¬ 
formität im Ellenbogengelenk, 
ein typischer Cubitus valgus 

(s. Fig. 1) zu erwähnen ist; auch 
die Valgussteilung der Unter¬ 
schenkel mag dadurch beein¬ 

flusst sein. 

An der Streckseite der 

Ellenbogen Psoriasis, ebenso au 
den beiden Ohrmuscheln, über 
dem linken Jochbein und an der 
Vorderseite des linken Knie¬ 
gelenks. Die Zehennägel zeigen 
zum Theil trophische Störungen 
(Onichogryphosis). Herz und 
Lungen sind normal. 

An den Genitalien findet 

sich folgende Abnormität: rechts 
lässt sich deutlich ein kleiner Testis von der Grösse einer Haselnuss 
fühlen; die Gegend, wo rechterseits der Samenstrang gewöhnlich 
verläuft, lässt einen walzenförmigen, 1—2 fingerdicken weichen 
Körper durchfühlen, der am Ansatz des Scrotum beginnt und sich 
durch die Leistenbruchpforte in das Innere des Abdomens fortsetzt 
(Hjdrocele funiculi spermatici), der Schall darüber ist gedämpft. 


Fig. 1. 



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Ein Fall Ton bilateralem symmetrischem Riesenwuchs etc. 


803 


Es besteht eine Phimose, welche die Glans penis nicht durchtreten 
lässt. Links ist kein Hoden. Scrotum und Penis sind im übrigen 
rudimentär entwickelt. 

Die Musculatur beider Arme ist qualitativ und quantitativ schwach 
entwickelt. Auf der Streckseite der rechten Handwurzelgegend ist 
ein Ganglion von Kirschengrösse. An beiden Kleinfingern steht das 
Mittelglied zum Grundglied in rechtwinkeliger Beugestellung und 
kann weder activ noch passiv vollkommen gestreckt werden. 

Beide Grosszehen stehen in Valgussteilung, sind auffallend lang 
(2 cm länger als die anderen Zehen). Der rechte Fuss steht in 
Valgussteilung (Pes valgus trauraaticus); er ist teigig geschwollen. 
An dem Wachsthum der letzten Jahre haben sich hauptsächlich be¬ 
theiligt die Extremitäten, der Becken- und Schultergürtel. 

Die Höhe der Wirbelsäule muss eine relativ geringe sein, denn 
die 12. Rippen liegen dem Darmbeinkamm hart an. Die Wirbel¬ 
säule ist im übrigen frei beweglich. Die Breite des Beckens, dessen 
Knochen als derbe Wülste (Darmbeinkamm und Trochanteren) bei 
der Betrachtung des Bildes in die Augen springen, entspricht der 
Breite der Schultern, welche eine geringe Niveaudifferenz zeigen. 
Am auffallendsten ist das abnorme Längenverhältniss der Extremi¬ 
täten; das Längenverhältniss der Röhrenknochen nimmt distalwärts 
zu, so dass die Phalangen der Finger und die Mittelfiissknochen 
lang ausgezogen erscheinen. Die Epiphysen der die grossen Ge¬ 
lenke zusammensetzenden Knochen sind auffallend dick. 


Knochenmaasse: 

Arm (bei rechtwinklig gebeugtem Vorderarm): 


Oberarmmitte rechts und links . 

ü == 

22,5 cm 

Vorderarm » „ n . 

u = 

23,0 , 

Oberarmlänge „ „ „ . . 

L = 

38,0 , 

Ulnalänge rechts. 

L = 

30,0 . 

Radiuslänge rechts. 

L = 

28.5 , 

ülnalänge links . 

L = 

29.5 . 

Radiuslänge links. 

L = 

28,5 . 

Thoraxumtäng (über die Brustwarzen) 

ü = 

90,97 , 

Abstand der Spin. il. a. sup. vom 



äusseren Fussrand rechts 

= 

108,0 . 

links . . . 


109,0, , 

Tibialänge links. 

L = 

44,0 , 


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804 


W. Voltz. 


Tibialänge rechts.L = 44,5 cm, 

Trochanterhöhe rechts .... = 105,0 , 

„ links. = 104,0 „ 

Abstand der Mittelfingerspitzen vom 

Fuss rechts. = 61,0 „ 

links. = 63,0 „ 

Beck enmaasse: 

Diameter spin. ossis ilei.= 32,0 cm, 

„ crista ossis ilei . . . . = 34,0 , 

„ diagonalis externa . . . = 26,0 „ 


Kopfmaasse: 

Diameter mento-occipitalis . . . . = 24,0 cm, 

„ fronto-occipitalis . . , . = 21,5 , 

„ interparietalis.= 19,0 „ 

Die Untersuchung des Nervensystems ergab keinerlei Ab¬ 
normität. Das blasse Colorit des Patienten gab Veranlassung zu 
einer genauen Blutuntersuchung: sowohl das Verhältniss der Zahl 
der rothen und weissen Blutkörperchen wie auch der Häraoglobin- 
gehalt wichen von der Norm nicht ab. 

Der Eindruck, welchen Patient bei seinen Aussagen und Ant¬ 
worten macht, ist der eines intelligenten jungen Mannes. 

Klebs (Fritsche-Klebs, Ein Beitrag zur Pathologie des 
Riesenwuchses, Leipzig 1884) hat als erster das Ergebniss seiner 
genauen histologischen Studien über den Riesenwuchs niedergelegt. 
Er kommt zu dem Ergebniss, dass der Riesenwuchs, sei er partiell 
oder allgemein, aus einer abnormen Wucherung der Gefässkeime 
hervorgeht; der Autor legt dieser Abnormität die Bezeichnung 
„Angiomatose“ bei, da ihr eine „Ostitis vascularis mit organi- 
sirendem, aufbauenden Charakter zu Grunde liegen soll. 

Anders P. Marie ^), welcher Autor 2 Fälle von erworbenem 
Riesenwuchs dem Krankheitsbild der Akromegalie zurechnet. Ebenso 
hat Minkowsky“) einen Fall beschrieben, den er der Akromegalie 
zurechnet. Die 3 Fälle zeigen zunächst Vergrösserung und Dicken¬ 
zunahme der peripheren Körpertheile, was Marie als Anfangsstadium 

*) Revue de med. 1886, Vb 4. 

*) Berliner klin. Wochenschr. 1887, XXIV. 


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Ein Fall von bilateralem symmetrischem Riesenwuchs etc. 


805 


ein und derselben Krankheit — des Riesenwuchses — bezeichnet. 
Klebs stellt sich ausdrücklich in Gegensatz zu früheren Autoren, 
welche die Erkrankung als eine solche des Nervensystems auffassen 
und wird in dieser Ansicht von Möbius^) gestützt, welcher wenig¬ 
stens nicht alle Fälle von Riesenwuchs vom Nervensystem abhängig 
sein lässt. Er glaubt als einen Beweis für seine Behauptung die¬ 
jenigen Fälle anführen zu können, in welchen die Skelet- und Weich- 
theilhypertrophien halbseitig auftreten: „der Organismus ist von 
vornherein symmetrisch angelegt, und ein Fehler in der ersten An¬ 
lage kann halbseitige Atrophie oder Hypertrophie zur Folge haben, 
ohne dass irgendwie ein nervöser Einfluss in Frage käme“. In diesem 
letzteren Punkt ist unser Fall geeignet, zur Klärung der Aetiologie 
beizutragen; denn die Anomalie repräsentirt in unserem Falle einen 
exquisit „symmetrischen“ Typus, lenkt also wohl auf das symmetrisch 
angelegte Nervensystem hin. Es sei deshalb an dieser Stelle in 
Kürze der Erkrankung gedacht, welche stets symmetrisch auftritt, 
damit differentialdiagnostische Bedenken gleich vorweggenommen 
sind, ich meine das Krankheitsbild der Akromegalie. In diesem 
letzteren Krankheitsbild finden wir Momente, welche unverkennbare 
Aehnlichkeit mit unserem klinischen Befund haben: Aplasie der 
Thyreoidea, Anomalien an den Fingernägeln — ferner der Zeitpunkt 
des Beginnes der Erkrankung, welcher bei Akromegalie nach einer 
Zusammenstellung von Arnold^) in 36 Fällen mit Ausnahme von 
3 Fällen vom 18. Lebensjahre ab beginnt. Doch ist diese Aehn¬ 
lichkeit nur eine scheinbare, äusserliche, denn unser Befund ist ge¬ 
rade im wesentlichen von der Akromegalie verschieden. Dieses 
Wesentliche der Akromegalie besteht, wie aus den Untersuchungen 
V. Recklinghausen's^) hervorgeht, darin, dass es sich bei der 
Akromegalie um eine unverhältnissmässige Grössenentwickelung der 
gipfelnden Theile des Körpers nach Abschluss des allgemeinen 
Körperwachsthums handelt. Hier ist in unserem Falle der 
llöntgenbefund entscheidend. Wir finden auf den uns zur Ver¬ 
fügung stehenden Aufnahmen die Epiphysen sämmtlicher Gelenke 
(für die nicht durchleuchteten Gelenke nehmen wir nach dem klini- 


*) Refer. im Central bl. f. Nervenheilkunde 1885, VIII. 

*) Zieglers Beiträge zur pathol. Anatomie 1891, Bd. 10. 

V. Recklinghausen, üeber Akromegalie. Virchow’s Arch. Bd. 69 

Heft 1. 


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806 


W. Voltz. 


sehen Befund das Gleiche an) im Stadium intensivsten Kn och en- 
wach st hu ms, ein Befund, der normalerweise bei unserem Patienten 
schon vor 16—18 Jahren seinen Abschluss gefunden haben sollte. 
Unsere Abbildungen geben Handgelenke mit Mittelhand, Kniegelenk 
und Fussgelenk wieder; wir finden zunächst eine Verbreiterung der 
Epiphysenlinien, die Epiphysen sind durch eine breite helle Zone 
von der Diaphyse abgesetzt. Besonders charakteristisch ist der Be- 



Linkes Uantlj^t'knk. Rechtes Handgelenk. 


fund an den beiden Unterarmknochen (siehe Fig. 2—3), nämlich senk¬ 
recht von den Epiphysenlinien abgehende, theils linien-, theils streifen¬ 
förmige Schatten, von denen je zwei beiderseits an der Ulna zu er¬ 
kennen sind, während der Radius rechts eine ganze Anzahl, links 
nur einen unterbrochenen Schatten erkennen lässt; es handelt sich 
ohne Zweifel um stärker ossificirte Knochenbälkchen, um Knochen¬ 
partien, welche durch ihr stärkeres Hervortreten vor der Umgebung 
neben den noch vorhandenen und verbreiterten Epiphysen einen Aus¬ 
druck noch bestehenden intensiven Knochenwachsthums bilden. Der 
Befund berechtigt uns, eine Hyperplasie von Gefässen in der Um- 


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Ein Fall von bilateralem symmetrischem Riesenwuchs etc. 


807 


gebung der Epiphysen anzunehmen; klinisch hat schon Klebs^) 
ein solcher Befund vorgeschwebt („Ostitis vascularis“), lange bevor 
man die Hilfsmittel der Röntgendiagnostik hatte. Wir sind um so 
mehr berechtigt, eine einfache Hyperplasie von Gefässen anzunehmen, 

Fig. 4. 



Rechtes Fiissgelenk (Fractura inall. utriusque). 


als wir klinische Zeichen einer Entzündung sonst ganz vermissen. 
Die verdickten Epiphysen an den grossen Gelenken, sowie am 
Schulter- und Beckengürtel, setzen wir ungezwungen auf Rechnung 
einer einfachen Hyperplasie der am Wachsthum betheiligten Organe, 
besonders des Gefässsystems. 


*) Fritsche-Klebs, Ein Beitrag zur Pathologie des Riesenwuchses. 
Leipzig 1884. 


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808 


W. Voltz. 


Auch noch ein anderer Befund weist auf das Gefässsystem hin, 
nämlich abnorme Pigmentationen, welche besonders im Gesicht am 
stärksten ausgebildet sind, im übrigen auch auf der Haut der Extremi- 


Fig. 5. 



Rechtes Fussgelenk von hiuteu nach vorn (Fract. mall, utriusque). 


täten angetroffen werden. Wir finden diesen Befund von den meisten 
Autoren erwähnt. Die Statistik Wagner’s^), welche sich bis zum 
Jahre 1887 auf 10 Fälle mit Hypertrophie einer ganzen Körper¬ 
hälfte erstreckt, erwähnt einen Fall, bei welchem vorwiegend auf 
der gesunden Seite umschriebene Hauthyperämien und Pigmenta¬ 
tionen vorhanden waren. Bruns “) erwähnt die Pigmentationen 


*) Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 26. 

*) lieber das Rankenangiom. Bruns’ Beiträge 1891, Bd. 8. 


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Ein Fall von bilateralem symmetrischem Riesenwuchs etc. 


809 


18mal in 24 Fällen von Bankenangiom, einer Erscheinungsform der 
congenitalen Elephantiasis. Autoren wie Lewin, v. Baerensprung, 
Gerhard u. A. sehen in den Pigmentnaevis den Ausdruck einer 


Fig. 6. 



Rechtes Kniej^eleiik 


Trophoneurose und lassen ihre Verbreitungsbezirke von denjenigen 
bestimmter Hautnerven abhängig sein. 

Der Befund weist nun in unserem Falle noch eine Eigenthüm- 
lichkeit auf, nämlich das Zusammenfallen der Wachsthumsanomalie 
mit Kryptorchismus. Wir finden besonders in der neueren 
Literatur Angaben über dieses Zusammentreflfen, so bei Manasse^), 
*) Manasse, Sitzungsber. Berliner klin. Wochenschr. 1890, Nr. 18. 


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810 


W. Voltz. 


Wiedenmann und Grünfeld 2 ). Ich gehe hier in Kürze auf 
die genannten Fälle ein. Im Fall Manasse handelt es sich um 
einen 7jährigen Jungen, bei welchem angeboren eine abnorme Ver- 


Fig. 7. 



Rechtes Kniegelenk von der Seite. 


längerung und Verdickung des rechten Beines bestand. Die Ver¬ 
dickung war besonders auffallend am rechten Fuss, speciell den 
Zehen; ausserdem zeigte der Knabe einen dunkelpigmentirten Aus¬ 
schlag in Flecken- und Streifenform mit rauher, reibeisenartiger 

*) W i e d e n m a n n, üeber partiellen Riesenwuchs. Bruns’ Beiträge Bd. 8. 

Grünfeld, Sitzungsber. Deutsche medic. Wochenschr. 1901, V, 45. 


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Ein Fall von bilateralem symmetrischem Riesenwuchs etc. 


811 


Oberfläche, endlich Kryptorchismus. Der Fall nähert sich dem Bilde 
der Akromegalie durch die Verbreiterung des Fusses. 

Wiedenmann beschreibt einen 10jährigen Jungen, bei welchem 
im Alter von G Jahren eine Dicken- und Längenzunahme des rechten 
Beines sich zu zeigen begann. Der Unterschied wurde schliesslich 
so hochgradig, dass, wenn der Kranke das rechte Bein durchdrückte, 
das linke so weit vom Boden abstand, dass man die Finger bequem 
darunterschieben konnte. Der Junge ist im übrigen gracil gebaut. 
Es bestanden ausserdem an vielen Stellen abnorme Pigmentirungen 
sowie Kryptorchismus rechts. 

Der Fall Grünfeld endlich behandelt einen Gjährigen, aus ge¬ 
sunder Familie stammenden Jungen, bei welchem sich bald nach 
der Geburt eine LängendiflPerenz der beiden Beine bemerklich machte; 
es bestand eine Längendiflerenz von 10 cm zu Gunsten des linken 
Beines. Betheiligt sind ferner an der Hypertrophie die Haut und 
das ünterhautzellgewebe der rechten Seite. Auch dieser Autor er¬ 
wähnt Teleangiectasien und Pigmentanomalien: „über die Haut der 
rechten Thoraxhiilfte zieht in der Gegend der Marailla ein nach oben 
convexer Streifen von grau pigmentirten Hautknötchen hin“. End¬ 
lich findet sich auch in diesem Falle Kryptorchismus. 

Die Annahme ist bei der relativen Häufigkeit dieses Zusammen¬ 
treffens wohl berechtigt, dass das ZusammentrefiPen von Kryptorchismus 
mit unserer Wachsthumsanomalie kein zufälliges ist, sondern dass 
beide Zustände in einem Abhängigkeitsverhältniss zu einander stehen, 
insofern die gesteigerte Wachsthumsenergie des Knochensystems vica- 
riirend eingetreten ist für die Aplasie drüsiger Organe. Nur genaue 
Obductionsbefunde zur Section gekommener einschlägiger Fälle 
können hier sicheren Aufschluss geben; aus den bisher publicirten 
Fällen lassen sich bislang nach dieser Richtung hin keine Schlüsse 
ziehen, wie auch die Autoren betreffs der Aetiologie des Riesen¬ 
wuchses sui generis, wie ihn unser Fall repräsentirt, noch sehr ver¬ 
schiedener Meinung sind. Immerhin lässt sich die Möglichkeit nicht 
von der Hand weisen, dass es ausser der Hypophysis cerebri im 
Organismus noch andere drüsige Organe gibt, welche die Aufgabe 
haben, regulireiid auf ein gleichmässiges Wachsthum aller Keim¬ 
blätter einzuwirken, Organe, welche beim Riesenwuchs rudimentär 
entwickelt sein können. 

Wenn in unserem Falle die Diagnose „Akromegalie“ aus den 
oben angeführten Gründen auszuschliessen ist, so finden wir, wie 


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812 


W. Voltz. 


schon gesagt, Anhaltspunkte, welche an einen Zusammenhang zwi¬ 
schen Akromegalie und Riesenwuchs denken lassen. Dieser Zu¬ 
sammenhang wird besonders von neueren französischen Autoren 
erwähnt. Ich möchte hier auf einen einschlägigen Fall dieser Art 
kurz eingehen. 

B^clere^) erwähnt in seiner Arbeit über Radiodiagnostik der 
Akromegalie einen solchen Fall, welcher dem unserigen analog ist. 
Es handelt sich um einen Riesen, 2 m gross, mit infantilem Habitus 
und in der Entwickelung zurückgebliebenen Genitalien. Die Radio¬ 
graphie ergibt ebenfalls die Persistenz der Epiphysenknorpel am 
Knie, Handgelenk und an den Fingern; am Schädel eine unregel¬ 
mässige Verdickung der Schädeldecke, Entwickelung des Frontal¬ 
sinus in die Höhe und Tiefe, Vergrösserung der Sella turcica 
nach allen Richtungen. Die klinischen Erscheinungen sprachen 
gegen Akromegalie, ein Befund, der ein paar Monate später durch 
die Autopsie bestätigt wurde; letztere bestätigte jedoch auch den 
Röntgenbefund am Schädel, nämlich die aussergewöhnlich erweiterte 
Sella turcica, obschon die Hypophysis klein war. Der Autor neigt 
der schon von Pierre Marie ausgesprochenen Ansicht zu, dass der 
einfache Riesenwuchs ein Frühstadium besonderer Art der Akro¬ 
megalie sei; er glaubt auf Grund seiner Untersuchungen annehraen zu 
dürfen, dass auch der eben erwähnte Fall in Akromegalie über¬ 
gegangen sein würde. Unter 34 Fällen von Riesenwuchs, welche 
in der Literatur verzeichnet sind, finden sich 14 Fälle von Akro¬ 
megalie (42,3 ^/o). 

Diese Frage könnte in unserem Falle nur durch eine weitere 
Beobachtung des Kranken, welcher sich von hier aus nach Heilung 
seines Knöchelbruches in seine Heimath (Hamburg) begeben hat, ent¬ 
schieden werden. Einstweilen bietet der sehr seltene Fall des Ausser- 
gewöhnlichen und Interessanten genug, um jetzt schon der Oeffent- 
lichkeit übergeben zu werden. Vielleicht gibt die oben angeführte 
interessante Arbeit von Beclere in anderen Fällen Veranlassung, 
auch den Schädel im Röntgenbilde festzuhalten, was in unserem 
Falle nicht geschah. 

Kurz zusammengefasst ist das Ergebniss unserer Abhandlung 
folgendes: 

Bei einem sonst gesunden jungen Mann hat im Alter von 


Beclere, Presse mcdicale 1903, 98. 


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Ein Fall von bilateralem symmetrischem Riesenwuchs etc. 


813 


34 Jahren das proportionale abnorme Längen- und Dickenwachs¬ 
thum der knöchernen Theile der Extremitäten, des Becken- und 
Schultergürtels noch keinen Abschluss gefunden, wie durch die Per¬ 
sistenz der Epiphysen nachgewiesen ist. 

Das Wachsthum betrifft sämmtliche Knochen des Skeletsystems 
mit Ausnahme des Schädels und der Wirbelsäule, es ist ein bilateral 
sy^mmetrisches. 

Der gesteigerten Knochenwachsthumsenergie steht eine ver¬ 
minderte Entwickelung des Genitalapparates, sowie ein infantiler 
Gesichtsausdruck gegenüber. 

Heredität spielt auch in unserem Falle keine wesentliche Rolle. 

In Bezug auf den Fortgang der Erkrankung resp. ihren Ueber- 
gang in Akromegalie lässt sich zur Zeit nichts Sicheres sagen, wenn 
auch die Möglichkeit dieses Ueberganges nicht ausgeschlossen er¬ 
scheint. 

Der Röntgenbefund bestätigt eine vorwiegende Betheiligung des 
Gefässsystems, wie sie Klebs als „Ostitis vascularis“ bezeichnet. 

Das ätiologische Moment ist auch in unserem Falle nicht nach¬ 
zuweisen, doch legt das symmetrisch gleichmässige Wachsthum so¬ 
wie die beschriebenen Anomalien des Blutgefässsystems den Gedanken 
nahe, dass einerseits das Nervensystem, andererseits das Blutgefäss¬ 
system beim Zustandekommen der Anomalie eine wichtige Rolle spielt. 


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XLVIII. 

(Mittheilung aus dem medico-mechanischen Institut in Bad Pistyan.) 


Ein einfaches System zur ambulanten Behandlnng 
von (Jelenkcontractnren. 

Von 

Dr. Eduard Weisz. 

Mit 12 in den Text gedruckten Abbildungen. 


Für Kranke, die keine permanente Zugbehandlung nöthig haben 
oder sich einer solchen nicht unterwerfen wollen, habe ich ein ein¬ 
faches System von Apparaten construirt, die sich mit den auf hoher 
Stufe der Vollkommenheit stehenden Apparaten von Hoffa, Herz, 
Kruckenberg, Müller, Zander u. A. nicht messen wollen, ver¬ 
möge ihrer Einfachheit und intensiven Wirkung aber einer gewissen 
Beachtung werth scheinen. 

Die Apparate, die ich zu diesem Zwecke construirte, können 
mit Hilfe eines einfachen Tischlers überall mit geringen Kosten her¬ 
gestellt werden. 

Als Kraft dient die Schwere, d. h. Gewichte von verschiedener 
Grösse (Fig. 1). Mit Hilfe von einer Schlinge, Leitschnur und einigen 
Schneckenrädern kann man den Zug in jeder beliebigen 
Richtung wirken lassen; der Gegenzug besteht darin, dass 





wir den betreffenden Körpertheil mit Zuhilfenahme einiger 
gepolsterten Riemen in einer dem Zuge entgegengesetzten 
Richtung fixiren. Ohne Gegenfixation, und dies gilt auch 
von der manuellen Behandlung, ist jeder Versuch nutzlos. 


Insoferne die nachstehenden Figuren die einfachen Einrich¬ 


tungen zur Genüge illustriren, kann ich mich auf einige begleitende 


Worte beschränken. 


Behandlung der Schulter (Fig. 2). Wir fixiren die 
Schulter mit Hilfe einer Binde an die Lehne eines gewöhnlichen 
Rohrsessels. Der Ellenbogen wird in eine Schlinge gegeben — hier 


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Ein einfaches System zur ambulanten Behandlung von Gelenkcontracturen. gl5 


scheinen die Blutgefässe am besten geschützt — und, je nachdem 
wir das Gestell anbringen, nach vorn, zur Seite oder nach hinten, 
oder endlich nacheinander in allen drei Richtungen gezogen. Wir 
geben einen langen Stab in die Hand des Kranken, damit er mit 
der Hand dem Zuge folgend immer höher klettere. 

Behandlung des Ellenbogengelenks (Fig. 3). In der 
Illustration ist nur die Streckung des Ellenbogens dargestellt. (Bei 
der Beugung gelangt das Gestell hinter den Kranken und der Zug 
geschieht in entgegengesetzter Richtung.) Man setzt den Kranken 
in einen Sessel mit höherer Lehne. Der Oberarm liegt auf einem 
Tischchen horizontal auf. Zwischen Tisch und Oberarm empfiehlt 


Fig. 2. Fig. 3. 



es sich, eine entsprechende Unterlage einzuschieben. Es ist nun ein 
Leichtes, den halbpronirten Unterarm in die eine oder andere Rich¬ 
tung zu ziehen. Bei Streckung des Ellenbogens müssen wir die 
Schulter, wie oben beschrieben, an die Lehne des Sessels fixiren. 
Bei Beugung nach hinten bildet die Lehne des Sessels die Gegen¬ 
fixation. 

Bei Behandlung des Handgelenkes (Fig. 4) begegnen wir 
folgenden Schwierigkeiten. Zum Zwecke des Zuges muss die Hand 
stark gefasst werden, was ohne bedeutendere Compression der Blut¬ 
gefässe nicht gut geschehen kann. Am besten ist es, für das Hand¬ 
gelenk einen entsprechenden Gipsabdruck oder Ledermanchette zu 
machen und die Zugkraft auf diese selbst wirken zu lassen. Die 
Gegenfixation ist nur auf die Weise möglich, dass man den Ober¬ 
arm in seiner ganzen Länge, eventuell mit Verwendung einer Schutz¬ 
hülse, an die Lehne des Sessels anschnallt. Der Vorderarm liegt 
auf einem entsprechenden Tischchen. Eine Contractur in Palmar¬ 
flexion kann man auch in folgender Weise behandeln (Fig. 5). Der 
Unterarm wird auf ein Tischchen gelegt, das dem Handgelenke ent- 


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Eduard Weisz. 


sprechend einen Ausschnitt hat. Das Handgelenk wird in der Rich¬ 
tung dieser OeflFnung eingestellt und dann mit Hilfe von Gewichten 
gestreckt, d. h. nach unten gezogen. 

Die Finger sind vermöge ihres kleinen Umfanges für diese 
Behandlung weniger geeignet. 

Behandlung des Hüftgelenkes, a) Flexion (Fig. 6). Das 
Gestell wird an der Seite des betreffenden Gelenkes unmittelbar neben 
den vorderen Fuss des Sessels gestellt. Die Fixation wird durch das 
Körpergewicht des Kranken besorgt, der Unterschenkel, wie aus der 
Illustration ersichtlich, nach oben gezogen. Zur Vermeidung von 


Fig. 4. Fig. 6. 



Strangulation empfiehlt es sich, an der Fusssohle und am Unter¬ 
schenkel eine stiefelartige Halbschiene aus Holz oder Eisenblech 
anzubringen, um den Zug auf diese Vorrichtung einwirken zu lassen. 

b) Streckung (Fig. 7). Wir setzen den Kranken auf einen 
zu diesem Zwecke construirten Stuhl, dessen Sitzbrett der kranken 
Seite entsprechend ausgeschnitten ist, so dass der Kranke nur auf 
seiner gesunden Hälfte sitzt, und das kranke Bein in die Oeffnung 
hinabhängt. ^ Der Stuhl muss also auch höhere Füsse haben. Schon 
das Schweben in der Luft allein übt einen gewissen massigen Zug 
aus. Nun schnallen wir das Becken, d. h. die Spinae cristae ilei 
superiores, so fest wie möglich an die Stuhllehne, fassen den Schenkel 
oberhalb des Knies und ziehen denselben nach hinten. Natürlich 
muss sich auf diese Weise der Winkel zwischen Beckentheil und 
Femur erweitern. 

c) und d) Ab- und Adduction (Fig. 8 und 9). Der Patient 
liegt auf hartgepolstertem Ruhebett. Bei Adductionscontractur wird 
das Becken — zwischen Spina ilei und Trochanter femoris — nach 
der gesunden Seite hin mittelst eines Riemens fixirt und an der 


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Ein einfaches System zur ambulanten Behandlung von Gelenkcontracturen. 817 


leidenden Seite der Schenkel, oberhalb des Knies nach aussen ge¬ 
zogen, abducirt. Bei Äbductionscontractur wird das Becken nach 
der leidenden Seite hin fixirt, und der Oberschenkel nach innen ge¬ 
zogen. Bei doppelseitiger Ab- und Adductionscontractur legen wir 
den Zug in entgegengesetzter Richtung an beide Schenkel an, wobei 
eine separate Fixation des Beckens nicht einmal nöthig ist. 

Behandlung einer Kniecontractur. a) Zum Zwecke der 
Kniebeugung (Fig. 10) setzen wir den Kranken auf einen etwas höheren 
Stuhl. Eine besondere Fixation ist unnöthig. Der Unterschenkel 
wird nun oberhalb des Sprunggelenkes nach hinten gezogen, b) Die 


Fig. 7. Fig. 8. 




Streckung des Knies (Fig. 11) erfolgt in der Weise, dass die in 
ungefähr horizontale Lage gebrachte Extremität oberhalb des Knies 
gefasst und nach unten hin fixirt wird. Oberhalb des Sprunggelenkes 
wird nun der Unterschenkel nach aufwärts gezogen. 

Behandlung des Sprunggelenkes (Fig. 12). Patient 
wird auf eine hartgepolsterte Ruhebank gelegt, die betreffende Ex¬ 
tremität oberhalb des Sprunggelenkes nach unten geschnallt, der 
Fuss in eine Schlinge gegeben und nach vorne oder nach hinten 
gezogen. 

Diese einfachen Apparate kann ich für häusliche Behandlung 
bestens empfehlen. In grossangelegten medico-mechanischen Instituten 
empfiehlt es sich, wie ich dies auf Grund eigener Erfahrungen em¬ 
pfehlen kann, an den anderen Apparaten nachher activ-passive Be¬ 
wegungen vornehmen zu lassen. 

Im allgemeinen habe ich noch Folgendes zu bemerken: Die 
Behandlung mit diesen einfachen Einrichtungen wird wesentlich er¬ 
leichtert, wenn uns eine Reihe —1 kg schwerer scheibenartiger 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 53 


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818 


Eduard Weisz. 


Gewichte zur Verfügung steht, die in der Mitte ausgebohrt sind 
und auf einen entsprechenden Halter leicht aufzulegen und von dem¬ 
selben leicht abzunehmen sind (Fig. 1). 

Die Belastung soll nur gradatim erfolgen. Besonders bei Herab¬ 
nahme des Gewichtes, was noch schmerzhafter zu sein pflegt, ist 
Sorge zu tragen, dass die Extremität keinen plötzlichen, ruckartigen 


Fig. 9. Fig. 10. 



Bewegungen ausgesetzt sei. Je nach der Festigkeit der Contractur 
und Empfindlichkeit des Kranken wenden wir ständig 1 bis 

15 kg an, eventuell mehrmals im Tage. Bei Beugung des Hüft¬ 
gelenkes, wo sozusagen die ganze Extremität in die Höhe gezogen 



wird, können 20—30 kg in Anwendung kommen. Im allgemeinen 
ist es besser, kleinere Gewichte längere Zeit hindurch anzuwenden, 
als grosses Gewicht kurze Zeit. Wenn wir die Gelenke der unteren 
Extremität nach verschiedenen Richtungen hin strecken, empfiehlt 
es sich, erst mit der Richtung der Flexion zu beginnen, und mit der 
Richtung der Tension zu enden. Beim Fusse machen wir erst die 
Plantarflexion, dann die Dorsalflexion, die unmittelbar nachher das 
Auftreten auf den Fuss zu erleichtern pflegt. 


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Ein einfaches System zur ambulanten Behandlung von Gelenkcontracturen. 819 


Während der Behandlung erweisen sich Bäder und Massage 
als geradezu unvermeidliche Behelfe. Sowohl Massage als auch ent¬ 
sprechende Bäder, vorzüglich Schwefelschlammbäder, kommen nicht 
nur vermöge ihrer schmerzlindernden Wirkung in Betracht, was ja 
bei der täglichen schmerzhaften Contracturbehandlung an und für sich 
ein grosser Gewinn ist, sondern hauptsächlich, weil sie in mechani¬ 
scher Beziehung das Terrain vorbereiten. Die Bäder erweichen die 
gesammten Gewebselemente, machen dieselben nachgiebig, während 
wir in der Massage ein Mittel besitzen, womit wir die betreffenden 
Partien her und hin bewegen, lockern und von der Basis abheben 
können, um mit der Zeit feste Verbindungen zu lockeren zu gestalten. 
Ausserdem können wir mit den verschiedenen Massagegriffen die 
Musculatur, besonders die Strecker des geschrumpften Gelenkes in 
der Ernährung verbessern und kräftigen, gleichwie wir mit Hilfe 
der durch energische warme Application gesetzten activen Hyperämie 
eine reichlichere Durchfluthung der Gewebe bezwecken können. 


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Referate 


K 0 f m a n n, lieber die Stellung der Orthopädie in der Nervenheilkunde. Deuts^idie 

Aerztezeitung 1903, Heft 24. 

Kofmann führt nach einer allgemeinen Einleitung, in der er haupt- 
ßächlich die prophylaktische Anwendung der Orthopädie bei Nervenkrankheiten 
zur Verhütung etwaiger Verkrümmungen betont, einige Fälle von Lähmunges 
an, die er mittelst Sehnentransplantationen wiederherstellte. Die functionelkü 
Resultate sind gut. Zander- Berlin. 

V. Hovorka, Diagnostische Irrthümer im Lichte der modernen Orthopädie. 

Wiener medic. Presse 1904, Nr. 1. 

V. Hovorka bespricht in allgemein verständlicher Weise die diagnosti¬ 
schen Irrthümer, denen der nicht specialistisch geschulte Arzt bei orthopä¬ 
dischen Leiden ausgesetzt ist. An der Hand von Beispielen zeigt er die 
diflferentialdiagnostischen Schwierigkeiten und macht auf die classischen Sym¬ 
ptome der wichtigsten Erkrankungen aufmerksam, um dem praktischen Arzte 
die Stellung einer richtigen Diagnose zu erleichtern. Einzelne seiner Fälle sind 
auch für den Fach Orthopäden nicht ohne Interesse. Pfeiffer - Berlin. 

R. du Bois-Reymond, Specielle Muskelphysiologie oder Bewegungslehre. 

Hirschwald, Berlin 1903. 

R. du Bois-Reymond hat in dem vorliegenden Buche über specielle 
Muskelphysiologie die gesammten Ergebnisse dieser physiologischen Discipho 
in einheitlicher Darstellung zusainmengefasst und damit eine Lücke ausgefüÜL 
die sich ausser dem Neurologen besonders dem Orthopäden fühlbar machk. 
In dankenswerther Weise ist er bei der Darstellung darauf bedacht gewesen 
den mechanischen Zusammenhang der zu untersuchenden Vorgänge an einzelnes 
besonders augenfälligen Beispielen zu erläutern und durch Anschaulichkeit de? 
Ausdrucks das Verständniss schwieriger Einzelheiten zu erleichtern. Denselbes 
Endzweck verfolgt die genaue Schilderung der verschiedenen üntersuchanp 
weisen der Bewegung und der Feststellung der einzelnen thätigen Muskeln und 
ihrer Leistung, sowie die Untersuchung des Baues der Knochen und GeleDAe. 
Besonders die Gelenklehre hat in dem vorliegenden Werke eine erschöpfende 
Darstellung gefunden, indem du Bois-Reymond nicht nur die allgeineii5<? 
Mechanik der verschiedenen Gelenkformen besprochen, sondern auch die Be 
wegungsraöglichkeiten an jedem einzelnen Gelenk des menschlichen Körpt'R 
genau analysirt hat. In ähnlicher Weise hat der Verfasser den Abschnitt nlw?r 
Muskelmechanik eingetheilt. In seinem allgemeinen Theile werden die ver* 


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Referate. 


821 


schiedenen Muskelformen, die Art ihrer Wirkung, die Bewegung einzelner 
Glieder, resp. mehrgliedriger Systeme durch die Muskeln und die Beziehungen 
der Innervation zur Muskelmechanik beschrieben. Die »specielle Muskelmechanik* 
wird durch den wichtigen Satz eingeleitet, dass die einzeln benannten Muskeln 
anatomische, aber nicht mechanisch-physiologische Einheiten sind. „Die specielle 
Muskelphysiologie muss nämlich selbständige Einheiten unterscheiden, wo die 
Anatomie nur Portionen oder Theile ein und desselben Muskels anerkennt, sie 
muss dagegen Muskelgnippen zusammenstellen, welche die Anatomie als ver¬ 
schiedenen Schichten oder Systemen angehörend trennt.“ Der Verfasser hat 
nun zuerst die Wirkungsweise jedes einzelnen Muskels für sich erläutert 
und im Anschluss daran die Bewegung ganzer Körpertheile besprochen. Ein 
besonderes Kapitel ist dem Stehen und Gehen gewidmet, es enthält in der 
Hauptsache die neuen Ergebnisse der exacten Fischer’schen Analysen, im 
besonderen werden die physikalischen Bedingungen des Stehens und Gehens, 
die Thätigkeit der Beine und des Körpers sowie besondere Arten des Gehens 
und Stehens besprochen. — Man ersieht aus dieser kurzen Uebersicht wohl zur 
Genüge, wie vielseitig der Inhalt des du Bois-Reymond’schen Werkes ist 
und in wie erschöpfender und restloser Weise der Verfasser seiner schwierigen 
Aufgabe gerecht geworden ist. Pfeiffer-Berlin. 

Büdinger, Der Spongiosabau der oberen Extremität. Zeitschr. für Heilkunde. 

Abth. für Chirurgie 1902, Heft 4 und 1903, Heft 1. 

ln einer umfangreichen Arbeit bespricht Büdinger den Spongiosabau 
des Humerus, der Vorderarm- und der Schultergürtelknochen. Es wurden 
Sägeblätter von macerirten Knochen und decalcinirte Knochen untersucht; 
ferner solche, die im Zusammenhang mit den präparirten Muskeln gelassen waren. 

Bezüglich der Knochenfournire betont Verfasser, dass es nöthig ist, eine 
grössere Anzahl von Exemplaren zu untersuchen, und die Schnitte in allen 
möglichen Ebenen des Raumes anzulegen, nicht nur, wie dies bisher gewöhnlich 
geschehen ist, in einer, oder den drei Hauptorientirungsebenen. 

Auf die Einzelheiten der Arbeit, welche eine Menge theils sehr guter 
Abbildungen aufzuweisen hat, einzugehen, ist in einem kurzen Referate nicht 
möglich. Jedenfalls lehren die Untersuchungen des Verfassers, dass wir unsere 
Betrachtungen über die „Gesaratarchitectur“ ganzer Knochen oder grösserer 
Knochentheile augenblicklich nicht über die Grenzen von Vermuthungen aus¬ 
dehnen können; in räumlich beschränkten Knochenabschnitten dagegen finden 
wir eine functionelle Anpassung der Spongiosa in Structuren, welche der Be¬ 
anspruchung durch Muskel, Gelenke und der speciellen Beanspruchung relativ 
schwächerer Knochentheile entsprechen. Wo lienberg-Berlin. 

Hag 1 und, Radiograpische Studien über die functionelle Structur der Spongiosa 

im Calcaneum. 

In einer kurzen Einleitung theilt der Verfasser, im übrigen auf einen 
früheren Aufsatz über die Entstehung, Entwickelung und Bedeutung von 
Wolff’s Transformationsgesetz (s. diese Zeitschrift Bd. VII S. 403) ver¬ 
weisend , äusserst summarisch einige der wichtigsten Daten mit betreffs der 
Begründung der Spongiosastudien durch Meyer und ihrer späteren Entwicke- 


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822 


Referate. 


lung, hauptsächlich durch Wolffs unverdrossene und impulsgebende Forschung. 
Weiter führt der Verfasser an, wie die Auffassung unter den Orthopäden und 
Chirurgen, die in letzterer Zeit weit mehr als die Anatomen auf diesem aus¬ 
gedehnten Forschungsgebiete gearbeitet haben, seit 1892, da man nach dem 
Erscheinen von W o 1 ffs grossem Prachtwerk im allgemeinen das Transfor¬ 
mationsgesetz oder die Lehre von dem functioneilen Anpassungsvermögen 
der Knochenspongiosa als festgegründet ansah, eine gewisse Veränderung er¬ 
fahren zu haben scheint. Der Verfasser führt zu dem Zweck Aeusserungen von 
Solger, Bade, Albert und Zschocke an, die deutlich zeigen, wie das 
,Transformationsgesetz“ sichtbarlich in gewissem Grade in Misscredit gekommen 
ist. Schon hieraus scheint sich ja das Bedürfniss zu ergeben, aufs neue mit 
mehr Eifer, als es in der letzten Zeit der Fall gewesen, die Spongiosastudien 
aufzunehmen und so sachliche Beiträge zu der für die ganze Biologie wichtigen 
Entscheidung des langwierigen Streites für oder wider Wolff’s Gesetz zu 
liefern. Als weiteren Grund für eine neue und würdige Aufnahme der Spon¬ 
giosastudien bezeichnet der Verfasser den Umstand, dass durch Röntg en's 
Entdeckung eine neue, von den älteren bedeutend abweichende Methode zum 
Betrieb dieser Studien gegeben sei. Der Verfasser hat nun in seiner Arbeit 
den Werth der neuen Methode für hierhergehörige Forschungen prüfen und 
zugleich einige Beiträge zur Lehre von der functioneilen Anpassung geben 
wollen. Als Studienobject hat der Verfasser das Oalcaneum gewählt, haupt¬ 
sächlich aus dem Grunde, weil die Function des Calcaneum höchst bedeutenden 
Variationen unter normaler und pathologischer Function bei dem Menschen und 
bei verschiedenen Thierarten unterworfen ist, und weiter aus dem Grunde, weil 
die Structur des Calcaneum sich mit Hilfe der Röntgenstrahlen auch leicht in 
vivo studiren lässt. Einen ferneren Grund, dem Spongiosabau gerade des CaJ- 
caneum eine eingehendere Untersuchung zu widmen, fand der Verfasser beim 
Studium der in der orthopädisch-chirurgischen Praxis vorkommenden Fussradio- 
gramme, indem der Verfasser zu finden meinte, dass das gewöhnliche Structur- 
bild im Calcaneum nicht mit den gegebenen Beschreibungen der Spongiosa des 
Calcaneum übereinstimmt. 

Im ersten Theil der Arbeit gibt der Verfasser eine Darstellung der bei 
Spongiosastudien in Betracht kommenden Methoden und unterzieht dabei 
die radiographische Untersuchungsmethode einer eingehenden Prüfung. Als 
Resultat ergibt sich für den Verfasser, dass diese neue Methode nicht bloss 
völlig anwendbar, sondern auch allen früher angewandten Methoden überlegen 
ist. Die wesentlichsten Vortheile der Methode sind die folgenden. Beim Studium 
anatomischer, skeletirter oder unskeletirter Präparate ist die radiographische 
Methode werthvoll durch ihre einfache Technik, die die Spongiosastudien zu 
einer weit weniger mühevollen Arbeit macht, als das bisher der Fall war, und 
dadurch, dass auch weniger gutes Studienmaterial angewendet werden kann; 
ferner können auch seltene, werthvolle Museumspräparate einer recht gründ¬ 
lichen Untersuchung unterzogen werden, ohne irgendwie beschädigt zu werden, 
und schliesslich — der grösste Gewinn der neuen Methode — wird bei ihrer 
Anwendung die Subjectivität sehr beträchtlich vermindert, die den Spongiosa¬ 
studien bei ausschliesslicher Anwendung älterer Methoden unleugbar anhaftet. 
Durch Radiographirung von Scheiben aus gefrorenen Leichenpräparaten, welche 


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Referate. 


823 


Methode der Verfasser warm empfiehlt, lassen sich die Zusammenhänge des 
inneren Knochenbaus mit am Skelettheil sich anheftenden Sehnen, Muskeln und 
Ligamenten besser als mit irgend einer anderen Methode studiren. Einen be¬ 
sonders grossen Vortheil erbietet die Methode auch dadurch, dass mit Hilfe 
dei*selben ein grosses, sonst vollständig unzugängliches Material in den Studien¬ 
bereich gezogen werden kann, nämlich das lebende Material mit seinen nach 
Operationen oder auf andere Weise entstehenden Form* und Functions Verände¬ 
rungen. Leider ist vorläufig jedoch nur eine beschränkte Anzahl von Skelet¬ 
theilen einer solchen Untersuchung in vivo zugänglich. 

Der folgende Theil II behandelt die Spongiosastructur im Calcaneum 
des Menschen bei normaler Function. Nach einem Ueberblick über die bis¬ 
her veröffentlichten Untersuchungen zur Spongiosastructur des Calcaneum unter 
Wiedergabe der in der Literatur angetroffenen schematischen Darstellungen 
derselben theilt der Verfasser das Resultat seiner eigenen Studien mit. Das 
Material für diese bestand theils aus ungefähr dreissig skeletirten Calcanea, 
theils aus Scheiben aus gefrorenen Leichenfüssen, theils aus Profilradio¬ 
grammen von normalen Füssen in vivo. Da der Verfasser seine Studienauf¬ 
gabe vom functioneilen Gesichtspunkt aus ansah, d. h. die Spongiosa in ihrem 
Zusammenhang mit der mechanischen Function des Skelettheils zu studiren 
suchte, beschränkte er seine Untersuchung auf die Ebene, in welcher die 
mechanische Hauptfunction des Calcaneum als hinterer Hebel bei der Loco- 
motion ihren stärksten Ausdruck im Bau der Spongiosa erhalten muss, wenn 
diese nämlich nach dem mechanischen Bedürfniss gebaut ist. Nach einer Er¬ 
örterung über die Kräfte, die bei dieser Hauptfunction des Calcaneum in Be¬ 
tracht zu ziehen sind, stellt der Verfasser die Ebene fest, die er später in seinen 
Untersuchungen zu verfolgen versucht hat. Bei der Darlegung seiner Re¬ 
sultate führt der Verfasser, gegenüber den meisten früheren Untersuchungen, 
die Auffassung durch, dass das Calcaneum, wenn man in seiner Spongiosa eine 
Beziehung zur mechanischen Function des Calcaneum finden will, als Be¬ 
wegungsorgan betrachtet werden muss und nicht als hinterer Theil eines 
Bogengewölbes, das dazu dient, die Körperlast in stehender Ruhestellung 
zu tragen, und das hauptsächlich aus dem Grunde, weil die Locomotion so 
ungeheuer viel grössere Anforderungen an die Festigkeit des Calcaneum 
stellt als das Stehen. Der Verfasser hat das Structurbild in dieser Func¬ 
tionsebene sehr abweichend von den bisher gegebenen Beschreibungen und 
Schematen der Spongiosaanordnung des Calcaneum in der ^Sagittalebene“ ge¬ 
funden. Wie das Schema des Verfassers zeigt, lässt sich in der Spongiosa 
eine grössere Differenzirung der verschiedenen Zugrichtungen beobachten, be¬ 
sonders in den oben concaven Zügen, die ja die Bedeutung von Streck- 
bändem zwischen den nach oben convexen, nach vorn und nach hinten 
gehenden Druckstreben haben. Ein Blick auf die Figur zeigt das intime Ver- 
hältniss zwichen der Zugrichtung und den am Calcaneus ansetzenden Weich- 
theilen. Besonders in die Augen fallend sind ja die starken Züge, die den 
Anheftungspunkt der Achillessehne mit dem Ursprung der Plantarmusculatur 
verbinden. Da der Zusammenhang dieser Spongiosazüge mit der Thätigkeit 
der Muskeln von Solger bestritten worden, widmet der Verfasser den folgenden 
Abschnitt seiner Arbeit einer näheren Untersuchung dieser Frage. Bevor der 


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824 


Referate. 


Verfasser die Frage vom Bau des Calcaneum bei normaler Function verläs&t. 
berührt er noch einige specielle Fragen, die in dem Streit für und wider die 
Richtigkeit des Transformationsgesetzes eine Rolle gespielt haben. So findet der 
Verfasser, dass die vielgenannten „Verdichtungszonen* (So lg er), die im Cal¬ 
caneum bloss neben dem oberen Theil der Gelenkfiäche zum Cuboideum m 
beobachten sind, in verschiedenen anderen der Fussknochen aber eine weit 
grössere Rolle spielen, wie im Naviculare, den Metatarsalknochen und Basal- 
Phalangen, offenbar eine mechanische Bedeutung haben als die verkörperten 
Scheerungstrajectorien. Der Verfasser hebt hervot, dass ihr Vorkommen wohl 
übereinstimmt sowohl mit den Forderungen der praktischen Constructionslehre 
als auch mit den Berechnungen der Graphostatik, auch sieht er es auf Grund 
mehrerer Beobachtungen als erwiesen an, dass diese „Verdichtungszonen* nicht, 
wie angenommen worden, etwas mit den Epiphyslinien zu thun haben. Das 
Vorkommen dieser Züge an gewissen Stellen, an anderen dagegen nicbt, lässt 
sich also nach dem Verfasser nicht als Gegenbeweis gegen die Lehre von dem 
functioneilen Anpassungsvermögen der Spongiosa verwenden, wie auch der 
Verfasser die anderen Gegenbeweise, wie sie von Solger u. A. auf den Spon¬ 
giosabau des Calcaneum gegründet worden sind, nicht für stichhaltig an- 
sehen kann. 

Der dritte Theil der Arbeit behandelt den Spongiosabau des Calcaneum 
bei pathologischer Function. Zu Studienobjecten wurden dabei solche De¬ 
formitäten gewählt, bei welchen die Function der Achillessehne und der Plantar- 
musculatur so viel wie möglich verändert war. So hat der Verfasser radio- 
graphirt theils 7 Patienten, die vor längerer oder kürzerer Zeit (20 Jahr — 
4 Monat) nach Pirogoff in ursprünglicher Form oder nach Günther oder 
Le Fort operirt worden waren, theils einige so hochgradige Fälle von Pes 
equinus und Pes equinovarus, dass der Patient auf das Dorsum pedis trat. In 
allen diesen Fällen, die in vivo radiographirt wurden, fand der Verfasser Ver¬ 
änderungen, die ungesucht mit der veränderten Function in Zusammenhang 
gebracht werden konnten; besonders sei hervorgehoben das in allen Fällen von 
Pirogoffoperationen beobachtete Verschwinden oder die bedeutende Reduction 
der offenbar mit der Muskelthätigkeit zusammenhängenden Knochenzüge. Ver¬ 
fasser glaubt daher in Uebereinstimmung mit Kern und gegenüber Solger, 
dass die Spongiosaanordnung des Pirogotfstumpfes ein Beweiss für und nicbt 
gegen das Transformationsgesetz ist. Auch hat der Verfasser Gelegenheit 
gehabt, die im Anatomischen Museum zu Upsala aufbewahrten, besonders 
schönen Präparate deformirter Fussskelete zu untersuchen und sowohl in Klump- 
fuss — wie in Plattfuss — und Spitzfusscalcanea offenbare Modificationen des 
normalen Spongiosastructurbildes gefunden. Auch in den in vivo genommenen 
Radiogrammen von Deformitäten hat der Verfasser offenbare Structurverände- 
rungen beobachtet, die mit der veränderten Function in Zusammenhang ge¬ 
bracht werden können. 

Der vierte Theil der Arbeit ist dem Studium des Calcaneum einiger 
Sängethiere gewidmet. Der Verfasser findet dabei eine recht grosse Ver¬ 
schiedenheit zwischen der Anordnung der Spongiosa in den Calcanea von planti- 
graden und von digitograden Säugethieren, auch macht sich ein Unterschied 
im Bau der Spongiosa geltend bei schnell und bei langsam sich bewegenden 


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Referate. 


825 


Säugethieren. Nachdem man eine mehr differenzirte Spongiosastructur beim 
Calcaneum des Menschen beobachtet hat, findet man auch, dass nicht einmal 
das Calcaneum der Fersengänger eine so vollständige üebereinstimmung mit 
dem des Menschen zeigt, wie bisweilen früher behauptet worden; dagegen zeigt 
das Calcaneum des Schimpansen rücksichtlich der Anordnung der Spongiosa 
grosse Aehnlichkeit mit dem des Menschen. 

In einigen gedrängten Schlussbemerkungen betont der Verfasser, dass 
seine Ergebnisse eine Stütze bilden für die Richtigkeit des Transforraations- 
gesetzes und dadurch auch für die Richtigkeit der Lehre von dem aller lebenden 
Materie zukommenden und sich charkterisirenden Vermögen functioneller An¬ 
passung. Die Resultate des Verfassers gehen dabei in derselben Richtung wie 
W alkhoffs kürzlich veröffentlichte radiographische Studien über die Spon¬ 
giosaanordnung in anderen Skelettheilen. Die deutliche Differenzirung der ver¬ 
schiedenen, mit verschiedenen Muskelfunctionen zusammenhängenden Züge im 
Calcaneum unterstützt auch die Auffassung W a 1 k h o f f’s, nach welcher der 
intermittirende Druck, d. h. die Druckveränderungen es sind, die das form¬ 
bildende Moment in der Function ausmachen, und nicht der constante lang¬ 
dauernde Druck, welche Auffassung besonders gut sich vereinen lässt mit der 
Auffassung der Physiologen von der Einwirkung physiologischer Reizmittel auf 
andere Gewebe. 

Ein Literaturverzeichniss von 74 Nummern und 3 Tafeln in Kilometer¬ 
photographie von der Neuen Photographischen Gesellschaft zu Berlin-Steglitz 
sind der Arbeit beigegeben. Die Tafeln enthalten Radiogramme theils von 
Knochenscheiben aus skeletirten Präparaten, theils Radiogramme von Scheiben 
aus gefrorenem, normalem Fuss (Taf. I Fig. 1), Plattfuss (Taf. II Fig. 1) und 
Klumpfuss (Taf. II Fig. 2). 

Die Radiogramme, die von lebendem Material genommen wurden, sind vom 
Verfasser durch Conturzeichnungen wiedergegeben worden, die sich im Texte 
finden. Alle Untersuchungen des Verfassers sind mit einem Röntgenapparat 
nach Des8auer’s System ausgeführt worden. Autoreferat. 

H o ffa, Technik der Massage. 4., verbesserte Aufl. Stuttgart 1904. Ferd. Enke. 

In vierter Auflage ist nun bereit** das wohl allen Orthopäden bekannte 
Büchlein Hof fa’s erschienen, das die Technik der Massage behandelt. Auf den 
Inhalt und die Vorzüge dieser Arbeit näher einzugehen, erübrigt sich wohl 
deshalb von selbst und es dürfte auch aus diesem Grunde genügen, nur auf 
die neue Auflage hinzu weisen, der wir auch die gleich grosse Verbreitung 
wünschen, die bereits die anderen Auflagen gefunden haben. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Bum, Massage. Deutsche Klinik Bd. 1, Lieferung 68—70. 

Bum hat in einer Vorlesung über Massage unsere heutige Kenntniss über 
diesen Zweig der physikalischen Therapie zusammengefasst. Er schildert nach 
einem kurzen geschichtlichen Rückblick die Wirkungen der Massage auf die 
verschiedenen Theile des menschlichen Organismus und leitet daraus die Indi- 
cationen und Contraindicationen der Methode ab. Eine knappe, aber leicht ver¬ 
ständliche Darstellung der Technik der Massage bildet den Schluss der Arbeit. 

P f ei f f er-Berlin. 


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826 


Referate. 


Jacob, Gymnastik. Deutsche Klinik Bd. 1, Lieferung 68—70. 

Jacob entwirft in seiner Arbeit über Gymnastik ein Bild von dem grossen 
Gebiete der Gymnastik und namentlich von ihrer Anwendung bei den einzelnen 
inneren Krankheiten. Er bespricht nach einem ,historischen üeberblick* die 
physiologischen Wirkungen der Gymnastik sowie des Turnens und der ver¬ 
schiedenen Sportzweige und schildert an der Hand zahlreicher Abbildungen die 
Technik der Heilgymnastik mit und ohne Apparate. Den grössten Theil der 
Arbeit bildet naturgemäss die Besprechung der Anwendungsweise der Heil¬ 
gymnastik bei den verschiedenen inneren Krankheiten. Der Praktiker findet 
hier alles Wissenswerthe in übersichtlicher Form zusammengestellt. 

Pfeiffer - Berlin. 

Joachimsthal, Die Belastungsdeformitäten im Bereiche der unteren Extremität- 
Deutsche Klinik Bd. 8. 

Joachimsthal bespricht in dieser mit instructiven Abbildungen ver¬ 
sehenen Abhandlung die Coxa vara, die Verkrümmungen des Femurschaft«, 
das Genu valgum und varum, die Verkrümmungen des Unterschenkels und den 
Plattfuss. Wollenberg - Berlin. 

Ulbrich, Statistik der verkrüppelten Kinder in der Provinz Sachsen 1903. 

Die Aufgabe dieser ^Statistik war, den vielfach unterschätzten Umfang 
des Krüppelelends unter den Kindern in der Provinz Sachsen fest^ustelleiL 
Ermittelt wurden in der Provinz 1512 Krüppelkinder bis zu 14 Jahren, im 
Regierungsbezirk Magdeburg 655, Merseburg 640, Erfurt 217. Im ganzen waren 
es 861 Knaben und 651 Mädchen. Die geistige Beschaffenheit war bei 1S^J5 
normal, bei 175 nicht normal. 506mal war das Gebrechen angeboren, 1006ma] 
erworben. An den oberen Extremitäten verstümmelt waren 102, verkrüppelt S4, 
an den unteren 38 bezw. 595. In 2170 Fällen handelte es sich um eine Ver¬ 
krümmung der Gestalt, in 174 um Lähmungen und in 232 um sonstige Miss¬ 
bildungen. 126mal waren Glieder der Familie mit Verkrüppelung belastet, 
13mal waren die Eltern blutsverwandt. Bei 1213 Kindern wurden Heilversuche 
unternommen, 299mal geschah nichts. Bemittelt waren 83 Kinder, nicht bemittelt 
1823, ausserdem befanden sich noch 29 in Armen- und 77 in anderer Pdege. 
Besondere Abnormitäten waren 54 vorhanden. Blencke-Magdeburg. 

Menciere, Osteotome revolver, destine^ ä sculpter les extremitee osseuses et 
les surfaces articulaires, ä pratiquer T^videment, la Perforation, la tre 
panation et la section des os. Archives provinciales de Chirurgie 1903, 
T. XII Nr. 1. 

Menciere beschreibt ein neues von ihm erfundenes und ,Revolver¬ 
osteotom“ genanntes Instrument, das mechanisch ohne Erschütterung mit Leichtig 
keit und Präcision die Knochen durchtrennen und schneiden soll und namentlich 
auch zur Perforation und Trepanation verwendet werden kann. 

Da die circulare Bewegung der rotirenden Sägen nicht die erforderliche 
Präcision gibt, die Durchtrennung mit Hammer und Meissei mühsam ist und 
Erschütterungen nicht vermeiden lässt, so ging er bei der Constniction sein« 
Werkzeuges von dem in der Steinindustrie verwandten pneumatischen Hammer 
aus, der mittelst rasch aufeinander folgender Hin- und Herbewegungen arbeitet 


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Referate. 


827 


Menci^re veranschaulicht seinen Apparat durch mehrere beigegehene 
Figuren. Derselbe wird dargestellt durch einen pneumatischen Hammer, der 
mit Osteotom, Meissei oder Hobel armirt wird. Er hat einen inneren Kolben, 
der durch comprimirtes Gas (Kohlensäure) in Bewegung gesetzt wird und bis 
zu 8000 Stösse in der Minute gibt. Ein Hahn gestattet durch einen Druck des 
Daumens nach Belieben das Osteotom in Thätigkeit zu setzen oder momentan 
anzuhalten. Der gesammte Apparat kann leicht sterilisirt werden. 

Eine Anzahl von Hilfsapparaten (zur Aufbewahrung der flüssigen Kohlen¬ 
säure etc.) ist nothwendig. K i e w e - Berlin. 


Mo eil er, Un nouveau redresseur-ost4oclaste. Annales de chir. et d’orthopedie. 
1903, Nr. 11. 

Mo eil er beschreibt in seiner Arbeit den von Graff angegebenen 
Redresseur-Osteoclasten (s. Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 9, Heft 2). Er hat mit 
seiner Anwendung günstige Erfolge erzielt. Pfeiffer-Berlin. 


Scheidl, Neues über Fracturbehandlung. Wiener medic. Presse 1903, Nr. 41. 

Beschreibung einer Vorrichtung, welche in bequemer Weise die Reposition 
der Fragmente bei Fracturen bewirken soll. Dieselbe besteht in einem Stahl¬ 
stabe, welcher an dem einen Ende mittelst eines Ansatzes sich gegen das Becken 
stützt, während vom anderen Ende aus mittelst einer Bindenschlinge der Fuss 
gefasst wird. Durch einen Schraubencylinder lässt sich der Stab verlängern, 
wodurch die Extremität extendirt wird. Der Stab wird mit eingegipst und nach 
Aufreissung des Verbandes (durch eingelegten Stahldraht) herausgenommen. 

Wollenberg - Berlin. 

Matsuoka, lieber die Bedeutung der Knorpelbildung nach Fractur. Deutsche 

Zeitschr. f. Chirurgie Bd. 70, Heft 1—2. 

Matsuoka hat an Vögeln Untersuchungen über die Knorpelbildung bei 
der Bruchheilung angestellt; er erzeugte zu diesem Zwecke subcutane Fracturen 
der Ulna allein, beider Vorderarmknochen und der Tibia an 24 Versuchsthieren 
und behandelte diese Brüche zum Theil mit fixirenden Gipsverbänden, zum 
Theil liess er sie ungeschient und zwar letzteres besonders bei den isolirten 
Ulnafracturen, bei denen der unverletzte Radius eine-gute Stütze abgab. Die 
histologische Untersuchung der Bruchstellen, die zwischen dem 2.—22. Tage 
nach der Verletzung vorgenomraen wurde, ergab, dass die Knorpelbildung fast 
immer im Anfang der Fracturheilung eintrat; sie zeigte sich immer im äusseren 
Periostcallus, aber nicht an bestimmten Stellen. Fand eine Fixation durch 
Verbandanlegen statt, so verschwand das Knorpelgewebe früher. Gelang eine 
exacte Reposition und Retention der Fragmente, so konnte die Callusbildung 
ohne Knorpelzone erzeugt werden. Freilich ist die Bewegung der Bruchstücke 
selbst keine directe Ursache der Knorpelneubildung, denn in Fällen, wo beide 
Bruchenden durch neugebildetes Callusgewebe oder durch den Verband fixirt 
waren, zeigten sich doch zuweilen reichliche Mengen von Knorpelbildungen. 

Pfeiffer-Berlin. 


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828 


Referate. 


Hähnle, Die gerichtsärztliche Beurtheilung schlecht geheilter Fracturen und 

Luxationen, wenn in Frage steht, ob Kunstfehler vorliegt. Deutsche 

Medicinalzeitung 1903, Nr. 41—94. 

Verfasser bespricht zunächst den Begriff des Kunstfehlers im allgemeinen 
und schliesst sich hierbei den in dieser Frage aufgestellten Thesen des 15. deutschen 
Aerztetages an, die ja wohl zur Genüge bekannt sein dürften. Leichter ist es 
seiner Meinung nach, sich bei Fracturen und Luxationen ein ürtheil zu bilden, 
ob ein Kunstfehler vorliegt, als auf anderen Gebieten der Heilkunde, z. B. der 
inneren Medicin. Er erörtert sodann die Fragen, welche Fracturen als .schlecht 
geheilt“ anzusehen seien und inwieweit dem betreffenden Arzte eine Schuld 
daran zuzuschieben sei, und findet einen Kunstfehler des Arztes in folgenden 
Handlungen oder Unterlassungen: 

1 . Verkennung einer Fractur oder Luxation trotz heute noch bestehender 
entsprechender Symptome, die nach der Art der Verletzung auch beim frischen 
Fall 80 deutlich ausgeprägt sein mussten, dass sie bei der durch den Beruf 
geforderten Aufmerksamkeit hätten erkannt werden können. 

2. Unterlassung zweckmässiger Hilfeleistung bei erkannter Fractur oder 
Luxation oder entsprechender Berathung des Verletzten. 

3. Anwendung und Liegenlassen eines Verbandes, der an sich die Ursache 
auftretender Krankheitserscheinungen sein kann. 

4. Anwendung eines Verbandes, der die Heilung einer Fractur oder 
Luxation in functionell ungünstiger Stellung bedingen musste durch die ausser- 
gewöhnliche, nicht durch die Verletzung selbst geforderte Art und Dauer seiner 
Anwendung. 

5. Unterlassung der zur Verhütung nachträglicher Infection nothwendig-en 
Asepsis und der zur Beschränkung schon vorhandener Infection nöthigen Mass¬ 
regeln, soweit solche im gegebenen Fall möglich waren. 

Am Schlüsse seiner lesenswerthen Arbeit bringt Hähnle noch einen 
Auszug der gefundenen Fälle von wegen Kunstfehlers erfolgten Klagen — 27 an 
der Zahl — und ein 24 Nummern umfassendes Literaturverzeichniss. 

Blencke - Magdeb urg. 

Schemel, Beitrag zur Nachbehandlung verletzter Knochen und Gelenke. Diss. 

Leipzig 1904. 

Verfasser gibt zunächst eine kurze Darstellung der Nachkrankheiten ver¬ 
letzter Knochen und Gelenke, weist bei den einzelnen Krankheiten, Gallus luxu- 
rians, Pseudarthrose, Inactivitätsatrophie, Versteifungen, Schlotter- und Wackel¬ 
gelenken, Oedemen etc. etc., sogleich mit wenigen Worten auf die Behandlung 
hin, wobei er auch auf die traumatische Neurose zu sprechen kommt, und 
beschäftigt sich dann im Anschluss hieran ausführlicher und eingehender mit 
den verschiedenen Behandlungsmethoden. Die Massage, die Gymnastik, das 
medico-mechanische Heilverfahren, die Behandlung mit Bier’scher Hyperämie, 
die Bäderbehandlung werden der Reihe nach durchgesprochen. 

Biene k e- Magdeburg. 

Delcourt, Le rachitisme tardif. Journal medical, de Bruxelles 1899, Nr. 42. 

Delcourt bringt zunächst einige Daten über die Wachsthumszunahme 
in den verschiedenen Altersperioden, sowohl für den ganzen Körper als auch 


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Referate. 


829 


für die einzelnen Körpertheile. Abgesehen von den ersten Lebensjahren ist 
namentlich die Zeit der Pubertät durch ein rasches Wachsthum und grössere 
Intensität der Ossificationsvorgänge ausgezeichnet. 

Verfasser nimmt das Vorkommen einer Spätrhachitis, die sich eben in der 
Pubertätsperiode entwickelt, als bewiesen an. Er erwähnt die Factoren, die 
nach verschiedenen Autoren als Gelegenheitsursachen das Auftreten der Spät¬ 
rhachitis begünstigen: AcuteInfectionskrankheiten, Ernährungsstörungen, Onanie, 
Albuminurie, Genitalstörungen und Kropf. Die pathologische Anatomie der 
Spätrhachitis sei dieselbe wie die der infantilen Form. 

Die Spätrhachitis kann als allgemeine acute Rhachitis (mit Verdauungs¬ 
störungen und Knochenschmerzen) auftreten, oder aber sie localisirt sich auf 
gewisse Skelettheile, in denen sie dann bestimmte Veränderungen hervorruft: 
Genu valgum und varum, Skoliose, Coxa vara, Pes valgus und Deformation 
einiger langer Knochen. Die Aehnlichkeit der Symptome, die Art, auf die sich 
alle diese knöchernen Deformitäten entwickeln, lassen darauf schliessen, dass 
ihre Pathogenese ein und dieselbe ist. Kiewe-Berlin. 

Schmieden, Beitrag zur Kenntniss der Osteomalacia chronica deformans hyper- 

trophica (Paget). Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 70 Heft 1—2. 

Schmieden beobachtete in der Schede’schen Klinik einen Fall von 
Osteomalacia chronica deformans hypertrophica, der genau dem von Paget 
beschriebenen Typus entsprach. Es wurde zuerst eine Osteotomie der Tibia 
vorgenommen, um ihre Verkrümmung auszugleichen. Merkw’ürdigerweise heilte 
der gänzlich aus Spongiosa bestehende Knochen. Später wurde das Kniegelenk, 
in dem sich eine Arthritis deformans ausgebildet hatte, resecirt und zuletzt 
wegen dauernder Eiterung das Bein amputirt. Die Untersuchung des Knochens 
ergab eine diffuse Verödung des Fettmarkes mit Umwandlung in Bindegewebe. 
Der normale Knochen wird dabei in gewaltigem Umfange aufgezehrt, während 
sich neuer Knochen nur spärlich und dürftig bildet, meist ohne Ansetzen von 
Kalksalzen. Neubildung findet in der That statt und zwar periostal, central, 
an den Epiphysenlinien und diffus im ganzen Knochen. Die Aetiologie der 
Erkrankung ist noch dunkel, wahrscheinlich ist sie nicht sehr verschieden von 
anderen chronischen Infectionskrankheiten der Knochen. Bezüglich der Therapie 
empfiehlt Schmieden Zurückhaltung; ist nachweislich nur ein Knochen erkrankt, 
so räth er zur Amputation, sobald die Beschwerden der Patienten, wie im vor¬ 
liegenden Falle einen so hohen Grad erreichen, dass sie selbst die Abnahme 
des lästigen und unbrauchbaren Gliedes wünschen. Pfeiffer-Berlin. 

Nobecourt et Babonneix, Sur un cas d’osteo-periostites chroniques multiples 

ä staphylocoques. Bull, de la Soc. pediatr. de Paris 1903, Nr. 8. 

Es handelt sich um einen Knaben, der im Anschluss an einen scheinbar 
schon geheilten Furunkel des linken Beines, allgemeinseptische Erscheinungen 
und Störungen verschiedener inneren Organe, der Lunge, Nieren etc. darbot. 
Es entstanden allmählich und im Verlauf einer ziemlich langen Zeit verschiedene 
osteoperiostitische Heerde an Tibia, Femur und Ellenbogen, deren Ursprung und 
Ursache schwierig festzustellen war. Bei der Untersuchung des Eiters aus einem 
abscedirten Heerde fand man den Staphylococus aureus. G i u 1 a in i 1 a - Bukarest. 


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830 


Referate. 


Lorenz, üeber Gelenkmäuse. Diss., München 1903. 

An der Hand von 3 Fällen von Gelenkmäusen aus der chirurgischen 
Poliklinik zu München, von denen er zwei Krankengeschichten wiedergibt, 
bespricht Verfasser diese Affektion. Er stellt sich auf Vollbrecht's Standpunkt, 
dessen Schlussfolgerungen er auch wörtlich in seiner Arbeit anführt. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Hoffa, Die Behandlung der Gelenktuberculose im kindlichen Alter. Würzburger 
Abhandlungen Bd. 3, Heft 12. 

In der vorliegenden, sehr lesenswerthen Arbeit präcisirt Hoffa den Stand¬ 
punkt, den wir der kindlichen Gelenktuberculose gegenüber heutzutage ein¬ 
nehmen, in seiner bekannten ausführlichen und verständlichen Weise. Wenn 
diese Abhandlung nun auch im wesentlichen nicht viel Neues bringt, so muss 
sie doch jedem Specialisten sowohl wie praktischem Arzt aufs angelegentlichste 
empfohlen werden, da wir in knapper, aber dabei doch verständlicher und über¬ 
sichtlicher Weise alle die Massnahmen erwähnt finden, die sich bei der Behand¬ 
lung dieser so häufig vorkommenden Gelenkerkrankungen bewährt haben und 
heutzutage in Anwendung kommen. In 26 Schlusssätzen fasst er dann noch 
einmal die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zusammen. Näher darauf ein¬ 
zugehen ist mir in meinem Referat nicht möglich, ich kann nur dringend jedem, 
der sich für dieses Thema interessirt, rathen, die Arbeit im Original zu lesen. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Gaudier, Traitement des arthrites tuberculeuses purulentes par la methode 
de Phelps (Acide phenique pur et alcool). Annales de Chirurgie et d'ortho- 
pedie, 1903, Nr. 6. 

Gaudier berichtet über günstige Erfolge der P h e 1 p s’schen Methode bei 
Gelenktuberculose. Von fünf kleinen Kindern mit schwerem Allgemeinzustand, 
Fieber und multiplen Abscessen sank bei vier die Temperatur rasch ab und 
das Allgemeinbefinden besserte sich zusehends. Die Vernarbung der grossen 
durch die Operation geschaffenen Wundhöhle erfolgte vollständig ohne Fistel¬ 
bildung. Ein Kind, das in sehr elendem Zustande mit lange bestehender Eite¬ 
rung eingeliefert wurde, starb 24 Stunden nach dem Eingriff. 

Die Phelps’sche Methode beruht auf der breiten Eröffnung des erkrankten 
Gelenkes und ausgiebiger Berührung aller kranken Theile (Weichtheile, Knorpel, 
Knochen) mit reiner flüssiger Carbolsäure (durch Erhitzen der Carbolsäure im 
Wasserbade bei Zusatz einiger Tropfen Glycerin erhalten), die man 1—2 Minuten 
einwirken lässt und dann durch eine Waschung des Gelenkes mit absolutem 
Alcohol und schwacher (2®/oiger) Carbolsäurelüsung entfernt. Zur Drainage ver¬ 
wandte Phelps Glastuben von */ 2 —4 '/2 cm Durchmesser. Er schickt der Carbol- 
behandlung ein Curettement der erkrankten Partien voraus und vereinigt mit 
dem Eingriff eventuell die Entfernung von Sequestern oder die Resection. Die 
caustische Wirkung der concentrirten Carbolsäure bewirkt auch eine vollständige 
Blutstillung. 

Gaudier wendet zur Drainage nicht Glasröhren an, sondern tamponirt 
mit Jodoformgaze. Er schützt die Haut des Patienten vor Verbrennungen dadurch, 
dass er sie in der Umgebung der Wunde mit Vaseline bestreicht und mit hydro¬ 
philer Gaze bedeckt. Die Secretion ist in den ersten Tagen reichlich und er- 


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Referate. 


831 


fordert häufigen Verbandwechsel. Ist sie geringer geworden, so gibt Gaudi er 
einen gefensterten Gipsverband. 

Der Urin muss in den ersten Tagen nach dem Eingrifi* regelmässig unter¬ 
sucht werden. Kiewe-Berlin. 

Mencidre (Reims), Traitement des tuberculoses articulaires par la pbdno- 
puncture. Communication au XIV. congrds intemat. de medecine, Madrid 
1903. 

Unter dem Namen ,Pheno-puncture“ beschreibt der Autor ein speciell 
für die Behandlung der Gelenktuberculose angegebenes Verfahren mittelst Carbol- 
süure. Die Methode leitet sich von der Phelps’schen ab, aber Mencidre 
geht noch weiter, er nimmt nicht nur die Weichtheile des erkrankten Gelenkes 
in Angriff, sondern auch die mitergriffenen Epiphysen, auch in den nicht eiterigen 
Fällen. Verfasser bedient sich specieller Instrumente, die ihm gestatten, in die 
Knochen kleine Oeffnungen zu machen und in dieselben reine Carbolsäure ein¬ 
zuführen, die eine Minute lang mit den kranken Theilen in Contact gelassen 
und dann durch Watte entfernt wird. Die Höhle wird darauf mit Alcohol aus¬ 
gewaschen und unvollständig durch Naht geschlossen. 

Die Heilungsresultate, die Verfasser erzielt, sollen sehr gute sein, er hat 
selbst Heilungen ohne Ankylose erzielt. Giulamila*Bukarest. 

Calot, Tumeurs blanches. Annales de Chirurgie et d’ovthopcdie 1903, Nr. 12. 

Calot verwirft als principielle Behandlungsmethode des Tumor albus 
die Resection. Andererseits könne aber die conservative Behandlung, d. h. die 
Immobilisation im Gipsverbände während 1—3 Jahren und mehr, auch nicht 
völlig befriedigen. Er empfiehlt Gelenkinjectionen von medicamentösen Stoffen, 
die geeignet sind, den tuberculösen Gelenksprocess zu modificiren (Pancreatin, 
Naphthol, Creosot, Guajacol, Jodoform etc.). Sobald die Behandlung des tuber¬ 
culösen Heerdes beendet sei (nach 6—8 Wochen), solle man ein Augenmerk der 
Function des Gelenkes zuwenden und active Bewegungen in ihm ausführen 
lassen, um eine Ankylosirung zu vermeiden. 

Nimmt da.s betreffende Glied eine fehlerhafte ungünstige Stellung ein, 
so ist es besser, auf die Beweglichkeit zu verzichten, namentlich bei der unteren 
Extremität; denn ein steifes Gelenk in guter Stellung ist vortheilhafter als ein 
bewegliches mit ungünstiger Stellung. Die Beweglichkeit zu erhalten, gelingt 
fast immer beim Ellenbogen- und Fussgelenk, ziemlich häufig beim Knie- und 
Handgelenk, weniger oft bei der Schulter und selten bei der Hüfte. 

Kiewe-Berlin. 

Genevrier, Modification de l’accroissement des os dans les arthritis tuber- 
culeuses. Revue mensuelle des maladies des enfants 1903, Juni und Juli. 
Genevrier untersuchte an Kindern und Erwachsenen mit Gelenktuber¬ 
culose die in den benachbarten Röhrenknochen auftretenden Wachsthumsverände¬ 
rungen. Das Wachsthum wird in verschiedener Weise beeinfiusst. Im Verlaufe 
einer Gelenktuberculose kann man beobachten: 1. Störungen im Längenwachs- 
thum: die dem kranken Gelenk benachbarten Knochen nehmen im V^ergleich zu 
den gleichen Knochen der gesunden Seite an Länge zu oder ab. Die Verkürzung 


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832 


Referate. 


scheint häufiger zu sein als die Verlängerung. Ein Stadium der Verlängerung 
kann der Verkürzung auch vorangehen. Die Verlängerung betrifft meist jugend¬ 
liche Fälle, kurze Zeit nach Beginn der Affection. In den Fällen, wo Verfasser 
Femur und Tibia verlängert fand, war der Fuss verkürzt. Die Verkürzung der 
Röhrenknochen pflegt relativ beträchtlicher zu sein als die Verlängerung. 2. Eine 
Anzahl von trophischen Störungen, die den Knochen sowohl in seinem Aussehen 
als seiner Structur modificiren. Der Knochen nimmt an Volumen ab, die Dichtig¬ 
keit der Spongiosa vermindert sich, der Markraum ist relativ weit, die Compacta 
erscheint verschmälert. 3. Modification des Umfanges und der Form der dem 
erkrankten Gelenk benachbarten Epiphysen. Dieselben nehmen an Volumen za 
bei atrophischen structurellen Veränderungen. Es kann dadurch eine Deviation 
der Achse des betreffenden Knochens und Gliedes herbeigeführt werden. 

Interessant sind zwei der Arbeit beigegebene Obductionsbefunde, welche 
die anatomischen Veränderungen schildern, die der Modification zu Grunde liegen. 

K i e w e - Berlin. 

Menciere, Ankylose chirurgicale des articulations par voie de suppuration 
aseptique. Pheno-arthrodcse. Annales de Chirurgie et d'orthopedie 1903, 
Nr. 12. 

Menciere wandte zur Erzielung einer soliden Ankylosirung ein Ver¬ 
fahren an, das er als „Pheno-arthrodese“ bezeichnet. Da durch die gewöhnliche 
Arthrodese oft keine dauerhafte Ankylose erreicht wird, so behandelt er nach 
Anfrischung der Gelenkflächen dieselben mit reiner Carbolsäure mit nach¬ 
folgender Alkoholwaschung. Dadurch wird eine künstliche Entzündung an¬ 
geregt, die, da sie ohne Mitwirkung von Mikroben zu Stande kommt, gefahr¬ 
los ist. 

Menciere hat nach dieser Methode in 2 Fällen das Fussgelenk, in 
3 Fällen das Kniegelenk ankylosirt. Kiewe-Berlin. 

G ui non, Un cas de rhumatisme chronique ä debut precoce chez une petite 
Alle. Bull, de la soc. de pediatrie de Paris 1903, Nr. 2. 

Guinon hat in der pädiatrischen Gesellschaft in Paris ein Kind vor¬ 
gestellt, das seit seinem fünften Lebensmonat an ,chronischem Rheumatismus* 
litt. Die Hauptsymptome waren Anschwellungen und Steifigkeit der Knie und 
Ellenbogen. Nach der Beschreibung hat es sich in diesem Falle sicher um eine der 
schon öfters beobachteten Strepto- oder Staphylokokkeninfektionen gehandelt. 

Pfeiffer-Berlin. 

Viernstein, üeber einen Fall von Arthritis deformans mit Pierre-Ma rie- 
schem Symptomenkomplex. Diss. München 1903. 

Es handelt sich um einen 44jährigen Mann, bei dem sämmtliche Ex¬ 
tremitätengelenke von einer Arthritis deformans befallen waren. Ausserdem 
waren sämmtliche Halswirbel bis zum ersten Brustwirbel beim Beklopfen sehr 
schmerzempfindlich. Von den Bewegungen des Kopfes, der leicht gegen das 
Sternum zu nach vorne geneigt ist, war keine einzige ausführbar. 

Besonders bemerkenswerth erscheint dem Verfasser der Umstand, dass der 
Patient mit ungemeiner Präcision auf Witterungs- und Temperaturwechsel reagirte. 
Nach Viernstein’s Ansicht handelte es sich im vorliegenden Falle um eine 


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Referate. 


833 


allgemeine, und zwar aus chronischem Gelenkrheumatismus hervorgegangene 
Arthritis deformans mit Anwesenheit des Pierre-Marie’schen Symptomen- 
komplexes, um eine Kombination zweier für gewöhnlich nicht auf ein und 
dasselbe Individuum zusammenfallender Erankheitstypen: der Wirbelsäulen* 
Steifigkeit und der deformirenden Entzündung der peripheren Extremitäten¬ 
gelenke, um eine Kombination, die sehr selten ist. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Grünbaum, Arthritis gonorrhoica und Trauma. Monatsschrift für Unfall¬ 
heilkunde 1904, 1. 

Verfasser sucht an der Hand eines Falles nachzuweisen, dass eine trau¬ 
matische Aetiologie der Arthritis gonorrhoica nicht a priori von der Hand zu 
weisen ist. Es müssen natürlich verschiedene Bedingungen vorhanden sein, die* 
eine derartige Annahme gerechtfertigt erscheinen lassen, der betreffende Fall 
muss eine Reihe von besonderen, vom gewöhnlichen Typus abweichenden Merk¬ 
malen aufweisen, die nur in der Einwirkung des erlittenen Unfalles ihre be¬ 
friedigende Erklärung finden. Als solches Beweismoment betrachtet Grün¬ 
baum bei seinem Patienten das überaus frühzeitige Auftreten der Gelenk¬ 
metastase bei einer Gonorrhöe, die sonst keine Erscheinungen einer besonders 
hohen Virulenz der Gonokokken darbot. Durch einen Hammerschlag wurde 
ferner dann die Vitalität des Gewebes herabgesetzt, wurde ein Locus minoris 
resistentiae geschaffen, der für die Ansiedlung der im Blute kreisenden Gono¬ 
kokken den günstigsten Nährboden abgab. Ein weiteres Beweismoment, dem 
freilich, wie Grünbaum selbst zugibt, nicht jene Beweiskraft innewohnt, wie 
den erwähnten, scheint ihm in der Localisation im Handgelenk zu liegen, da 
erfahrungsgemäss gonorrhoische Erkrankungen des Handgelenks beim Manne 
zu den selteneren Localisationen gehören. Weiter blieb die Affection stets, ohne 
auf andere Gelenke fortzuschreiten, nur auf das eine verletzte Handgelenk be¬ 
schränkt. Es lag ausserdem kein langer Zeitraum zwischen Unfall und Krank¬ 
heit; letztere schloss sich jenem unmittelbar an. Alles dies waren die Momente, 
die Grünbaum veranlassten, die Frage, ob in dem vorliegenden Falle eine 
durch einen Unfall provocirte Arthritis gonorrhoica vorliege, bejahen zu müssen. 
Das Schiedsgericht schloss sich diesen Ausführungen an. 

ßlencke - Magdeburg. 

Gerson, Die Behandlung von Gelenkverletzungen mittelst Extension und Mas¬ 
sage. Allgem. med. Centralzeitung 1904, Nr. 5. 

Gerson will frische Gelenkverletzungen, Contusionen, Distorsionen und 
Fracturen ohne Dislocation der Fracturenden mit Extension und Massage 
einige Stunden nach der Verletzung behandeln. Infolge der Extension und der 
durch sie entstehenden Diastase der verletzten Gelenkenden wird die Massage 
auch bald nach der Verletzung fast schmerzlos. Ferner wird das Glied durch 
die Extension immobilisirt und ein immobilisirender Verband entbehrlich. Die 
gespannte Kapsel des extendirten Gelenkes wirkt resorbirend auf den Gelenk¬ 
erguss und unterstützt durch Compression auf letzteren die Massage. Die 
Massage ist möglich ohne Unterbrechung der Extension, indem die Extensions¬ 
verbände so angelegt werden, dass das verletzte Gelenk für die Massage frei 
bleibt. Die Massage soll täglich 2mal vom ersten Tage an geschehen. Die 
Zeitschrift fUr orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 54 


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Referate. 


Behandlung nach Gereon — Exteneionsmaesage genannt — lasst eine wesent¬ 
liche Beschleunigung der Wiederherstellung der verletzten Gelenke erwartec. | 
Bei chronischen Gelenkleiden (Hydrops etc.) wird die Extension nicht permanent 
sondern nur während der Massage angewendet. Klinische Erfahrun^^en folgen. 

Autoreferat 

Langemak, Zur Kenntniss der Chondrome und anderer seltener Geschwükte 

der Gelenke. Archiv f. klin. Chir. Bd. 72, Heft 1. 

Den drei in der Literatur veröffentlichten Fällen von Chondromatoie 
der Gelenkkapsel reiht Langemak einen weiteren an, der sich insofern tod 
den übrigen unterscheidet, als das Gelenkende nicht frei blieb, sondern offen¬ 
bar zuerst der alleinige Sitz der Geschwulst war und später erst die Gelenk¬ 
kapsel ergriffen wurde. Es handelte sich in diesem Falle um ein Chondrom, 
welches von der vorderen Talusepiphyse seinen Ursprung genommen hatte, unii 
welches deshalb besonderes Interesse verdient, weil isolirte Knoten der Syno¬ 
vialis desTalonaviculargelenkes aufsassen, die Langemak als primäre Tumoren 
ansieht. Bei der Durchsicht der Literatur über die Betheiligung der Gelenk¬ 
kapsel an Geschwulstbildungen der Gelenkenden und der Knochen konnte Ver¬ 
fasser nur einen einwandsfreien Fall finden, nämlich den von G a r r e mit- 
getheilten Fall von diffusem Sarkom der Kniegelenkskapsel, dem Langemak 
noch zwei weitere hinzufügt, die beide Geschwülste betreffen, welche die Ge¬ 
lenkkapsel in Mitleidenschaft zogen. Blencke-Magdeburg. 

Brüning, üeber angeborenen halbseitigen Riesenwuchs. Münchener med. 

Wochenschr. 1904, Nr. 9. 

Brüning beschreibt einen Fall von angeborenem halbseitigen Riesen¬ 
wuchs bei einem im übrigen körperlich und geistig normalen Kinde. Nach seinen 
Untersuchungen der bisher veröffentlichten einschlägigen Fälle ist das männliche 
Geschlecht bei der Betheiligung an congenitalem Riesenwuchs bevorzugt, ebenso 
prädestinirt ist die rechte Körperhälfte. Die Aetiologie des Leidens ist noch 
völlig dunkel, jedenfalls ist die Heredität ohne jegliche Bedeutung. Verschieden 
ist der Sitz der krankhaften Gewebsveränderungen; in einzelnen Fällen kam 
das Knochensystem, in anderen wieder kamen die Weichtheile in Betracht Be¬ 
sondere Typen aufzustellen, erscheint bei der Geringfügigkeit des Materials 
noch verfrüht. Störungen der psychischen Funktionen waren selten. Di«? 
Prognose quoad vitam scheint günstig. Auf therapeutische Massnahmen bat 
Brüning in seinem Fall vorläufig verzichtet mit Ausnahme einer antirhachi- 
tischen Medication. Pfeiffer-Berlin. ^ 

Stüber, Ein Fall von Akromegalie mit schwerem Diabetes und Katarakt. 

Diss. Jena 1903. 

Verfasser beschreibt einen typischen Fall von Akromegalie, dessen inter¬ 
essanteste Complication ein bestehender doppelseitiger Katarakt diabetischer 
Natur ist, was aus dem ganzen Krankheitsbild hervorgeht. Mit der Akromegalie 
steht der Katarakt nur indirect in Verbindung, insofern nämlich, dass Akn> 
megalie und Diabetes auf der gemeinsamen Basis pathologischer Veränderungen 
des Centralnervensystems beruhen. 


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Referate. 


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Da die Arbeit zum grössten Theil die Beziehungen der Affection zu 
Augenerkrankungen betrifiPb, hat sie mehr Interesse für den Ophthalmologen. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Tittel, üeber Elephantiasis, insbesondere in ihrer ätiologischen Beziehung 

zum Trauma. Diss. Leipzig 1903. 

Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über die Elephantiasis, ihr Vor¬ 
kommen u. dergl. mehr geht der Verfasser des längeren auf die Aetiologie 
dieser Erkrankung ein, wobei er nach Besprechung der bekannten Entstehungs¬ 
theorien auch auf die Möglichkeit des Zusammenhangs von Trauma und Ele¬ 
phantiasis näher eingeht. Hierbei berücksichtigt er nur Verletzungen von an¬ 
scheinend geringer Bedeutung, die ohne jedwede infectiöse Complication und 
wichtige sichtbare und greifbare Folgen zur Heilung kamen. 

Er kommt zu der Ansicht, dass bei der elephantiastischen Entwicklung 
günstigem Boden schon geringfügige Insulte des Gewebes genügen, um eventuell 
eine hyperplastische Wucherung anzuregen, und beschreibt einen Fall, bei dem 
sich infolge eines 1894 erlittenen Sturzes Elephantiasis entwickelte. 1900 war 
die ganze rechte untere Extremität erheblich und annähernd gleichmässig ver¬ 
dickt. Nach oben schnitt die Schwellung scharf mit dem P o u p a r t’schen 
Bande ab. Blencke-Magdeburg. 

Maeckel, Beitrag zur Aetiologie der Ganglien. Diss. Leipzig 1903. 

Verfasser bespricht zunächst die verschiedenen Theorien, die von den 
einzelnen Forschem bezüglich der Aetiologie der Ganglien aufgestellt worden sind, 
und fügt dann die Krankengeschichten von 2 Fällen aus der Leipziger chirurgi¬ 
schen Klinik bei, in denen die Ganglien acut nach einem einmaligen Trauma 
auftraten. Maeckel will damit keineswegs behaupten, dass alle oder auch 
nur die Mehrzahl der carpalen Ganglien auf diese Weise entstanden wären; 
er hat auch Fälle beobachtet, in denen dieselben allmählich entstanden sein 
sollen und von Erbsengrösse allmählich zu Kirschen- oder Wallnussgrösse heran¬ 
wuchsen. 

Nach des Verfassers Ansicht wird es sich wohl in der Mehrzahl der Fälle 
bei der Ganglienbildung um degenerative Veränderungen im paraarticulären 
Gewebe auf chronisch entzündlicher Basis handeln oder auch um wirkliche 
Neubildung mit gallertiger Entartung. Die erwähnten Fälle lassen aber die 
Möglichkeit der acuten traumatischen Entstehung zu, die dann so zu erklären 
wäre, wie es bereits Ledderhose für die Ganglienbildung in der Nähe des 
Kniegelenks angegeben hat. Bl encke-Magdeburg. 

D eil mann, üeber den Zusammenhang von Sarkom und Trauma. Diss. 

Halle 1903. 

Verfasser bespricht, nachdem er zunächst auf die Schwierigkeiten hin¬ 
gewiesen, die sich uns bei der Beantwortung der Frage, ob zwischen Sar¬ 
kom und Trauma ein Zusammenhang besteht, in den Weg stellen, und aufmerk¬ 
sam gemacht hat, die Histogenese des Sarkoms in der ausführlichsten Weise 
und bringt sodann die Ansichten der verschiedenen Autoren über die Bedeutung 
des Trauma für die Entstehung der Sarkome. Im Anschluss hieran beschreibt 


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Referate. 


er 15 Fälle aus der Hallenser chirurgischen Klinik, in deren Anamzie^ dis 
Trauma eine mehr oder weniger wichtige Rolle spielte. Unter 231 beobachtet® 
Fällen von Sarkom fanden sich 30 mit traumatischer Pathogenese, von dener 
die verbleibenden 15 schon früher veröffentlicht worden. Auf Grund dieser 
seiner Beobachtungen kommt Deilmann zu dem Schlusssatz: ,Es gibt ein® 
Zusammenhang zwischen Sarkom und Trauma.” Blencke* Magdeburg. 

Hechinger, üeber traumatische Entstehung des Sarkoms. Diss. Munch® 
1903. 

Hechinger ist der Ansicht, dass, wenn wir bei irgend einem Sarkom, 
das auf einen Unfall zurückgeführt wird, diesen auch als wirkliche Ur^d^ 
anerkennen sollen, wir eine Brücke nachweisen müssen von der Verletzung bi> 
zum Ausbruch der Geschwulst. Eine solche verbindende Brücke wird durch 
zurückbleibende Anschwellung oder durch Schmerzen, die an den Quel-^cb* 
wunden bestehen bleiben oder innerhalb Jahresfrist wieder auftreten, hergestellt. 
Eine Verletzung, die vor Jahren eingewirkt hat, ohne aber irgendwelche 
Residuen hinterlassen zu haben, will Hechinger unmöglich als Ursache einer 
Geschwulst angesehen wissen, die vielleicht zufUllig an derselben Stelle oder 
in deren Nähe entsteht. 

Er konnte unter 290 Sarkomfällen 53 finden, bei denen ein Trauma ah 
Aetiologie angegeben wurde und zwar waren unter diesen 17, bei denen schon 
eine Prädisposition, ein benigner Tumor, bestanden hat, bei den übrigen wirkte 
die Gewalt auf eine ganz intakte Körperstelle ein. Auf Grund dieser seiner 
Fälle kommt er zu der Ansicht, dass ein Trauma das Wachsthum einer Ge¬ 
schwulst begünstigen kann, sei es durch stärkeren Blutzufluss und bessere Er¬ 
nährungsbedingungen, sei es durch Zerreissung oder Bruch des das Wachsthom 
auf haltenden Gewebes, und dass wir berechtigt sind, aus dem sofortigen Ueber- 
gaug von der Wunde oder Schwellung in die Geschwulst oder dem Fortbestand 
der Schmerzen nach dem Trauma die Geschwulstbildung auf das Trauma zurück¬ 
zuführen. Der Schlusssatz der Arbeit ist der, dass ein Trauma recht oft die 
Veranlassung zu Turaorenbildung gibt, und wenn es auch schwer ist, des 
direkten Zusammenhang nachzuweisen, so dürfen wir in Hinsicht auf die Unfalis- 
gesetzgebung nie den Satz vergessen: ln dubio pro reo, sondern wir müssen in 
Fällen, in denen auch nur eine Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ein Sarkom 
durch ein Trauma ausgelöst worden ist, diese stets zu Gunsten der Begut¬ 
achtenden auslegen. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Wendenburg, Poliomyelitis anterior acuta. Statistik der in der Göttinger 

medicinischen Klinik und Poliklinik von 1874—1901 beobachteten Falle. 

Diss. Göttingen 1903. 

Verfasser will in der vorliegenden Arbeit eine statistische Gesammt* 
Übersicht geben über die Erscheinungen und Folgezustände der Pol. ant. acuta, 
.wie sie in der Göttinger medicinischen Klinik und Poliklinik in den Jahr® 
von 1877—1901 zur Beobachtung gekommen sind. Es waren 178 Fälle. Vor 
allem wurden Kinder der ersten beiden Lebensjahre von der Krankheit be¬ 
troffen, ungefähr die Hälfte aller Fälle trat in diesem Lebensabschnitt auf i 
Dann kamen Kinder im dritten und vierten Jahre ihres Lebens, die ungefähr 


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Referate. 


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V 4 der Gesammtzahl ausmachten, der Rest vertheilte sich auf die Jahre 5—8, 
in denen sie nur noch vereinzelt, ja ausnahmsweise auftrat. Die Knaben stellten 
durchgehend das grösste Contingent. Auch gut genährte Kinder fielen der 
Poliomyelitis zum Opfer. Der Einfluss der Jahreszeit auf die Krankheit machte 
sich deutlich bemerkbar. Die Krankheit trat periodisch auf, so dass das Maxi¬ 
mum der Häufigkeit in die heissen Sommermonate Juli bis September fiel. 
Monoplegien einer unteren Extremität waren 8mal häufiger als die einer oberen. 

Es fanden sich insgesammt 21 Lähmungen beider unteren Extremitäten, dagegen 
Paraplegien der oberen nur 3mal. Gleich selten waren die gekreuzten Läh¬ 
mungen, etwas zahlreicher die Hemiplegien, die rechts und links in je 5 Fällen 
auftraten und die Paraplegien, die 5mal constatirt werden konnten. 

Monoplegien bestanden also in 78®/o <ier Fälle, Paraplegien in 14®/o» 
Hemiplegien in 6 ®/o und Paraplegien in 3 °/o. Bei 40 der gesammten Kranken 
waren Contracturen bezw. Difformitäten vorhanden und zwar hauptsächlich an 
der unteren Extremität, am häufigsten der Pes equinus = 27mal, 8mal Pes 
varus, 8mal Pes varo-equinus, 4mal Pes valgus; lOmal fanden sich Knie- 
contracturen, 6mal Schlottergelenke an den oberen Extremitäten, 2mal Beuge- 
contracturen im Ellenbogengelenk und in einigen Fällen Flexionsstellungen der 
Finger. Der spätere Gesundheitszustand der Patienten war meist befriedigend; 
kein Fall hatte den unmittelbaren Tod zur Folge. 

Als Anhang gibt Verfasser noch einen Auszug aus 56 ausführlichen 
Krankengeschichten wieder. Blencke-Magdeburg. 

Rumpf, Weitere Untersuchungen über Polyneuritis und die chemischen Ver¬ 
änderungen gelähmter und degenerirter Muskeln. Deutsches Archiv f. 
klin. Medicin, Bd. 79. (Unter Mitwirkung von Dr. Gronover und 
Dr. Thorn.) 

Bei der Untersuchung der gelähmten unteren Extremitätenmuskeln eines 
an Polyneuritis gestorbenen Mannes, dessen obere Extremitäten normal waren, * 
stimmten die Ergebnisse derselben mit einem früher erhobenen und in der 
deutschen Zeitschrift für Nervenheilkunde veröffentlichten Befund in ganz über¬ 
raschender Weise überein. Es fand sich eine beträchtliche Vermehrung des 
Fettgehaltes, eine Vermehrung des Wasser- und Chlornatriumgehaltes, sowie 
eine Abnahme des Kaliums und Eisens, Blencke-Magdeburg. 


German, Ueber Neuritis mit besonderer Berücksichtigung der Neuritis migrans 
nach Beobachtungen aus der medicinischen Poliklinik zu Göttingen. 
Diss. Göttingen 1903. 

Nach einigen einleitenden Worten kommt Verfasser auf die experimen¬ 
tellen Untersuchungen zu sprechen, die von verschiedenen Seiten gemacht sind, 
um die Einwirkung der einzelnen Bacterienarten auf die Nerven genauer zu 
präcisiren. Dieselben haben nur zum Theil ein positives Resultat ergeben. 
German führt dann einen schon von anderer Seite veröffentlichten Fall 
aus der Göttinger Klinik an, der die Möglichkeit des Uebergreifens der 
Neuritis migrans auf die Medulla oblongata in unwiderleglicher Weise dar- 
thun dürfte. 


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Referate. 


In den letzten 20 Jahren wurden in der Göttinger Klinik 192 Fälle von 
Neuritis beobachtet, von denen German denen eine besondere Rücksicht zc 
Theil werden lässt, bei denen sich der Charakter des »Migrans* im Laufe der 
Zeit herausstellte. Es waren sechs, deren Krankengeschichten kurz wiedergegebea 
werden und bei denen eine Weiterverbreitung des neuritischen Processes von 
dem Orte der primären Localisation nach aufwärts und abwärts resp. in qoer^ 
Richtung constatirt werden konnte. In einem Theil der Fälle ging der Pro«^ 
auf abseits gelegene Nervengebiete Über, wobei seiner Meinung nach das Rücken¬ 
mark resp. seine Häute eine bestimmte Rolle spielen müssen. Auf welchen 
Wegen derselbe nun in abseits gelegene Nervengebiete gelangt, darüber sind 
verschiedene Hypothesen auf gestellt, auf die Verfasser am Schluss seiner Arbeit 
noch näher eingeht. Blencke-Magdeburg. 

Gericke, Beitrag zum Facialiskrampf. Diss. Kiel 1908. 

Im ersten Theile der Abhandlung bespricht Gericke zunächst die 
klinischen Symptome und den Verlauf der Erkrankung, um dann auf die Aetio- 
logie zu kommen, bei der er der neuropathischen Prädisposition die Hauptrolle 
zuschreibt, und auf die pathologischen Veränderungen, die sich in manchen 
Fällen nachweisen lassen und deren Sitz im centralen oder, wie es häufiger der 
Fall ist, im peripheren Verlauf des Facialis sein kann. Nachdem Verfasser 
dann noch kurz die Prognose und Therapie berührt hat, bringt er im zweites 
Theil seiner Arbeit die Krankengeschichte von einem in der Kieler Nerven- 
klinik beobachteten Fall, bei dem jedenfalls eine beiderseitige Mittelohrskierose 
die Ursache für den Krampf abgab, der höchstwahrscheinlich durch einen Reix 
des Nervus tympanicus reflectorisch hervorgerufen wurde. Es handelte sich 
also um einen Reflextic, der ausser dem Gebiet des Nervus facialis noch den 
Nervus hypoglossus, den Plexus cervicalis und brachialis ergriffen halt«. Da 
die Ursache in dem Ohrleiden zu suchen war, so ist nach Gericke’s Meinung 
eine Heilung sicher auszuschliessen, da die Therapie der fortschreitenden Mitteb 
ohrsclerose gegenüber ziemlich machtlos ist. Auch von einer anderweitigen 
Behandlung verspricht sich Verfasser keinen Erfolg, wie schon die Anwendung 
des constanten Stromes bewiesen hatte. Blencke-Magdeburg. 

Bernhardt, Ueber einige seltener vorkommende peripherische Lähmungen. 

Berliner klin. Wochenschr. 1904, Nr. 10. 

Bernhardt hatte Gelegenheit, einige peripherische Lähmungen zu be¬ 
achten, die für den Orthopäden von hohem Interesse sind. Der erste Fall 
war eine isolirte Lähmung des Nervus suprascapularis dexter, deren Ursache 
Bernhardt mit grosser Wahrscheinlichkeit in den gleichzeitig bestehenden 
Halsrippen sieht. Im zweiten lag eine rein traumatische Lähmung des N. musculo- 
cutaneus vor. Der dritte Fall betraf eine Lähmung des linken N. cruralis nnl 
N. ischiadicus nach unblutiger Reposition einer angeborenen Hüftgelenfcsver- 
renkung bei einem 8jährigen Mädchen. Bis auf die Peroneuslähmungen gingen 
alle Symptome zurück. Den Grund für die grössere Häufigkeit der Peroneus¬ 
lähmungen sieht der Verfasser mit Hofmann in der schlechteren Gefassver- 
sorgung des Peroneus. Pfeift er-Berlin. 


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Referate. 


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C. et F. Martin, Deux cas de paralysie ischdmique de Volkmann traitös 
par les tractions lentes et continues. Annales de Chirurgie et d’orthop4die 
1903, Nr. 12. 

C. u. P. Martin empfehlen als Methode bei ischämischer Muskellähmung 
langsame und continuirliche Tractionen und Pressionen, mit denen sie in zwei 
Fällen gute Resultate erhalten haben. Sie glauben, dass man bei Anwendung 
von speciellen, jedem Falle besonders angepassten Apparaten nicht nur die 
fehlerhafte Elauenstellung der Hand redressiren, sondern sie auch zur Aus¬ 
führung aller willkürlichen Bewegungen wieder tauglich machen könne (?). 

Kiewe, Berlin. 

Friedländer, Bewegungstherapie für Paralysis agitans. Zeitschr. f. diätet. 
u. physikal. Therapie, Bd. 7, Heft 12. 

Friedländer empfiehlt auf Grund seiner Erfahrungen die üebungs- 
therapie für die Behandlung der Paralysis agitans. Von den bewegungs¬ 
therapeutischen Massnahmen kommen in Betracht: 1. Passive Gymnastik, 

namentlich Extensionsbewegungen. 2. Active Gymnastik der Streckmuskeln, 
eventuell mit leichtem Widerstande. 3. üebungatherapie im engeren Sinne, 
besonders Gehübungen, bei denen unter Anspannung des Willens und der Auf¬ 
merksamkeit die Haltungsanomalien corrigirt und die durch die Muskelrigidität 
bedingten Bewegungsfehler (Propulsion) bekämpft werden. 4. Besondere Uebungs- 
behandlung der oberen Extremitäten: passive und active Streckbewegungen, 
Treflfübungen etc. Durch diese Uebungsbehandlung konnte bei Geduld und 
Ausdauer von Seiten des Arztes wie des Patienten stets eine Besserung der 
motorischen Störungen erzielt werden, eine wirkliche Heilung war naturgemäss 
ausgeschlossen. Pfeiffer- Berlin. 

Jezierski, Kasuistischer Beitrag zur Lehre von der spinalen progressiven 
Muskelatrophie (Typus Duchenne-Aran). Diss. Freiburg i. B. 1903. 
Verfasser wirft zunächst einen kurzen Blick auf die Geschichte und die 
Symptomatologie dieser Erkrankung und schildert dann einen Fall aus der 
Freiburger Klinik, den er zu untersuchen Gelegenheit hatte. Es handelte sich 
um einen 57jährigen Bauemknecht, der das erste Mal im Jahre 1896 sich vor¬ 
stellte, wiederholt dann untersucht wurde, bis er im December 1902 starb. 
Jezierski gibt die genaue Krankengeschichte wieder, das Sectionsergebniss und 
vor allen Dingen den ausführlichen mikroskopischen Befund. Den summarischen 
üeberblick der geschilderten Veränderungen wollen wir hier wörtlich wiedergeben: 

1. Das ganze Rückenmark ist seiner Länge nach mehr oder weniger 
alterirt; am schwersten in den obersten und untersten Partien des Cervical- 
und in den oberen des Dorsalinarks, weniger in der Mitte des Halsmarks, im 
unteren Brust- und im Lendenmark. Dort scheint der Charakter der degene- 
rativen, hier der einfachen oder senilen Atrophie vorzutreten. Dort finden sich, 
wenn auch dem Grade der Atrophie der Zellen nicht entsprechende, so doch 
nachweisbare Schädigungen an den vorderen Wurzeln, hier kaum welche. 

2. Die Erkrankung hat wahrscheinlich oben im Cervicalmark begonnen 
und ist allmählich herabgestiegen, doch nicht continuirlich, sondern heerdweise 
um sich greifend. 


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Referate. 


3. Der Process ist nicht entzündlicher Natur gewesen. 

4. Arteriosklerotische Processe haben einen grossen Theil der destruktiTcn 
Veränderungen bedingt. 

5. Die Ganglienzellen der lateralen und medialen Gruppen haben am 
meisten gelitten und zwar auf der einen Seite mehr als auf der anderen. 

6. Die peripheren Nerven haben eine verhältnissmässig geringe Degeoe^ 
ration erfahren. 

7. Die Muskeln der Hände sind einer einfachen Atrophie erlegen. 

Jezierski bespricht dann noch die in differentialdiagnostiacher Hin¬ 
sicht in Frage kommenden Krankheiten, die Pol. ant. chron., die amjotrophi^cb 
Lateralsklerose, die myopathische Form der progressiven Muskelatrophie, die 
Syringomyelie, die Polyneuritis chron. multiplex und die sogen BeschAftignng?- 
atrophien oder professionellen Neurosen und bringt am Schlüsse der lesen»- 
werthen Arbeit in Tabellenform die möglichst reinen Formen der spinalen 
progressiven Muskelatrophie ans der ihm zu Gebote stehenden Literatur. 

Blencke - Magdeburg. 

Brasch, Dystrophia muscularis progressiva bei Mutter und Kind. BerL klin. 

Wochenschr. 1903, Nr. 3. 

Brasch beobachtete 2 Fälle von progressiver Muskel dystroph ie bei Mutter 
und Kind, die in verschiedener Hinsicht interessant sind. Mutter und Sohn 
repräsentirten den infantilen Typus, die Mutter die hypertrophische, der Sohn 
die atrophische Form. Bei der Mutter fiel der Beginn der Erkrankung in du 
4. Lebensjahrzehnt; die Dystrophie trat erst ein, nachdem sie ein dystrophisches 
Kind zur Welt gebracht hatte. Ihre eigene Erkrankung nahm einen viel lang¬ 
sameren und schleichenderen Verlauf als bei dem Sohne. Merkwürdigerweise 
kam die Heredität nicht zum Ausdruck in dem Auftreten einer gleichartigen 
Erkrankung bei Mutter und Kind, sondern in einer Combination eines einfaches 
infantilen atrophischen Typus mit einer hypertrophischen, im späteren Lebens¬ 
alter entstandenen Form. Brasch sieht hierin einen weiteren Beweis für die 
Richtigkeit der Erb’schen Anschauung von der Zusammengehörigkeit der vielen 
Typen von progressivem Muskelschwunde. Pfeiffer-Berlin. 

Eichhorn, üeber die traumatische Myositis ossificans. Diss. Leipzig 19C>4. 

Verfasser bringt zunächst in seiner Arbeit eine üebersicht über die bishö 
vorliegende Literatur, soweit sie sich auf Fälle erstreckt, in denen sich eine 
Ossification der Muskeln im Anschluss an eine einmalige Gewaltwirkung ent¬ 
wickelt hatte. Die progressive Muskelverknöcherung, bei der das Trauma 
höchstens als gelegentliche Hilfsursache eine Rolle spielt, ferner eine MyosiUs 
ossificans nach wiederholtem Trauma, wie Reit- und Exercierknochen, sind niciit 
berücksichtigt. Eichhorn konnte 86 derartige Fälle zusammenstellen, denec 
er noch 4 weitere anreiht, die dem pathologisch-hygienischen Institut der Stadt 
Chemnitz zur genauen Untersuchung überwiesen waren von Medicinalrath 
Borchard-Posen, der sie auf operativem Wege entfernt hatte. 

Localisirt war die Verknöcherung 39mal im Quadriceps, 31mal im Brachialis 
internus, 5mal in den Adductoren des Oberschenkels, 4mal im Biceps, Imal im 
Ileopsoas, Deltoides, Temporalis, Macreter, Triceps, Glutaens, in der Achilles- | 


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Referate. 


841 


sehne and in der Fascia lata. In den von Eichhorn untersuchten Fällen lag 
zweifellos eine durch das Trauma und dessen unmittelbare Folgen angeregte 
Entzündung der befallenen Muskeln vor, welche zu einer Hyperplasie des Binde- 
g^ewebes führte; das neu entstandene Bindegewebe erst verwandelte sich in 
Knochengewebe, sei es mehr oder weniger unmittelbar, sei es durch Vermitte¬ 
lung von Knorpel oder zahlreichem Keimgewebe. Nichts sprach in diesen Fällen 
für den periostalen Ursprung dieser Muskelknochen. Verfasser kommt auf Grund 
der in der Litei-atur vorliegenden Beobachtungen im Verein mit seinen eigenen 
Untersuchungen zu den Schlussfolgerungen, dass die Muskelverknöcherung nach 
einer einmaligen Gewalteinwirkung auf einer ossificirenden Myositis beruht. Das 
Periost kann sich an den ossificatorischen Vorgängen betheiligen. Dagegen ist 
der Beweis, dass abgesprengte, in den Muskel verlagerte Periosttheile das ana¬ 
tomische Bild der Myositis ossificans hervorrufen können, beim Menschen bisher 
nicht erbracht worden. Er erkennt in der Myositis ossificans traumatisch den 
Regenerations- und Heilungsprocess, welcher in der ganz überwiegenden Mehr¬ 
zahl der Fälle zur Bildung von Muskelnarben, hier aber schliesslich zur Ver¬ 
knöcherung führt, weil das Trauma einen Organismus getroffen hat, welcher 
vermöge einer individuellen Sondereigenschaft in dieser ungewöhnlichen Er¬ 
scheinungsweise auf die Gewaltwirkung und deren schädliche Folgen für den 
Muskel antwortete. Die sehr fleissige und interessante Arbeit kann nur aufs 
angelegentlichste empfohlen werden. Blencke-Magdeburg. 

Fritz, Die Heilungsvorgänge nach Sehnenplastik. Dies. Würzburg 1903. 

Nach kurzen einleitenden Bemerkungen führt Verfasser einiges über den 
Bau des fibrillären Bindegewebes und der Sehne an, wobei ihm in der Haupt¬ 
sache die Arbeiten Kölliker’s und Stöhr’s als Unterlage dienen, um sich dann 
zum eigentlichen Thema, zu den Regenerationsvorgängen bei Sehnenplastik zu 
wenden. 

Er gibt zunächst eine Schilderung der Heilungsvorgänge bei Sehnennaht, 
berücksichtigt dabei in eingehendster Weise die diesbezügliche Literatur, erörtert 
das Für und Wider der verschiedenen aufgestellten Theorien und bringt an¬ 
schliessend hieran zunächst als Versuchsreihe I die Beschreibung der einzelnen 
Präparate, die von den von Hoffa im Würzburger pathologischen Institut 
ausgeführten Operationen stammen, und mit deren näherer Untersuchung Ver¬ 
fasser betraut wurde. Diese führten ihn noch zu einer neuen Reihe von Thier¬ 
experimenten, die gleichfalls in dem Würzburger pathologischen Institut aus¬ 
geführt wurden und deren hauptsächlichste Resultate er in seiner Arbeit als 
zweite Versuchsreihe mittheilt. 

Näher auf die einzelnen Präparate einzugehen, würde mich zu weit 
führen; sie müssen schon von dem, der sich für diese Sache interessirt, im 
Original eingesehen werden. Ich will nur noch die vom Verfasser am Schlüsse 
seiner sehr lesenswerthen Arbeit in einigen Sätzen zusammengefassten wichtigsten 
Ergebnisse der betreß’enden Untersuchungen in einem kurzen Auszug wiedergeben: 

1. Was den Bluterguss betrifft, so kann es keinem Zweifel unterliegen, 
dass derselbe die Heilung nur verzögert. 

2. An der Bildung der Narbe betheiligen sich das Periton. intern, und 
extern., sowie das Sehnengewebe selbst. 


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842 


Referate. 


Die Vermehrung der Sehnenzellen bedingt einen abnormen Zellreichthum 
der Sehne selbst. Der Zeitpunkt, bis aus dieser abnorm zellreichen, von Leuko- 
cyten und Granulationsgewebe durchsetzten Sehne normale Sehne entstanden 
ist, lässt sich nicht genau feststellen. Hier hat natürlich die Art der Operation, 
ferner aber auch die wechselnde chemische, mechanische und bacterielle Reizung 
der Gewebe den grössten Einfluss. 

Das Bindegewebe erreicht niemals den eleganten Bau der Sehne völlig. 

Das neue Sehnengewebe geht aus dem alten hervor. Für eine Umwandlung toa 
B indegewebe in Sehnengewebe konnte kein sicherer Beweis erhalten werden. 

3. Für die Zeit, innerhalb welcher die Heilung erzielt ist, lässt sich eine 
genaue Grenze nicht angeben. 

4. Nach Verpflanzung einer Sehne auf eine andere verlaufen die Regene- 
rationserscheinungen relativ einfach. Es wuchert zunächst das Gewet*e der 
Sehnenscheide und das umhüllende Bindegewebe. Ferner wuchert das Zwiscben- 
gewebe zwischen den vernähten Sehnen und das Periton. extern, und intern. 
Vom 4. Tage an vermehren sich dann auch die Sehnenzellen. So entsteht eine 
zellreiche, junge Sehne, die vom Stumpf aus in das neugebildete Gewebe 
hineinstrahlt. 

5. Auch bei Z-förmiger Durchschneidung ist die Wucherung des Periton. 
extern, und intern, sowie das spätere Auftreten von junger Sehne recht deutlkb 

6. Bei Verkürzung der Sehne durch Faltung ist die allgemeine Reaction \ 
viel stärker als in den oben genannten Fällen. Hier betheiligt sich das Binde¬ 
gewebe, auch das die Sehne in weiterer Entfernung umgebende Gewebe in | 
hervorragender Weise, Blutungen und Nekrosen an den Nahtstellen sind reichlich. 

7. Die Spannungsverhältnisse sind tbatsächlich auf die Regeneration von 
Einfluss. 

8. Gegen Sehnenätzung zeigt sich die Sehne der Warmblüter äusserst 
empflndlich, was in sehr ausgedehnten Nekrosen und heftiger reactiver Ent¬ 
zündung seinen Ausdruck findet. Kaltblüter zeigen sich gegen Aetzung der 
Sehne viel weniger empfindlich. 

9. Zwischen Sehnen- und einfachen Bindegewebsmitosen besteht ein 
Unterschied. 

10. Verfasser erwähnt das Auftreten einer Epidermoidcyste, weil seines ' 
Wissens die künstliche Erzeugung derartiger Gebilde bisher nur selten gelang 
und weil dieser Befund, wie Fritz glaubt, sehr wohl als Stütze für die Cohn- 
heim’sche Theorie der Entstehung der Geschwülste aus versprengten embryo¬ 
nalen Keimen gelten kann. 

Ein Literaturverzeichniss von 82 Nummern ist der Arbeit, die weit über 
den gewöhnlichen Dissertationen steht, beigegeben. Blencke-Magdeburg. 

Suter, üeber eine praktische Sehnennaht. Arch. f. klin. Chir. Bd. 72, Heft S. 

Suter empfiehlt eine praktische Sehnennaht, die eine Modification der 
Wölflerischen Naht darstellt. Bei diesem Verfahren wird die Sehne von alleu 
Seiten her gefasst, so dass die Befestigung des Fadens am Sehnenstumpf eine 
absolut sichere ist. Die Durchstechung findet dabei in den Diagonalen sowie von 
hinten nach vom und von vom nach hinten statt, worauf die beiden Enden d« 
Fadens geknüpft werden. Die beiden in dieser Weise armirten Sehnenstümpfe i 


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Heferate. 


843 


werden nun nebeneinandergelagert und die Doppelfäden geknotet. Eventuell 
können die beiden Doppelfäden auch oberhalb und unterhalb der Hauptschlinge 
herumgeführt werden, wodurch die äussersten Sehnenenden völlig in Contact 
mit dem Stamme der Sehne gebracht werden. Wer kein Freund der gegen¬ 
seitigen Ueberlagerung der äussersten Sehnenenden ist, kann die doppelten 
Fadenschlingen auch so knüpfen, dass die Schnittflächen der Sehnen sich berühren. 
Zur grösseren Sicherheit können diese dann noch durch Knopfnähte vereinigt 
und in genauem Contact erhalten werden. Eio besonderer Vortheil dieses Ver¬ 
fahrens ist, dass es sehr wenig Zeit beansprucht und dadurch einen reactions- 
losen Heil verlauf garantirt. Die Naht ist ferner sehr stark; ein Ausfasem der 
Sehnenenden ist nicht zu befürchten. Aus diesem Grunde kann schon sehr früh¬ 
zeitig mit passiven Bewegungen und Massage begonnen werden. 

Pfeiffer-Berlin. 

Reichard, Sechzig Sehnenverpflanzungen. Deutsche medicin. Wochenschr. 

1903, Nr. 25. 

Vom März 1901 bis zum September 1902 führte Reichardan33 Patienten 
60 Sehnentransplantationen aus. Was die Technik der Opei-ationen betrifft, so 
deckt sich dieselbe mit der von Vulpin beschriebenen. 

Verfasser operirte 5 Patienten mit spinaler Kinderlähmung. Bei 
4 von denselben beschränkte sich das Operationaresultat auf die Sicherung der 
corrigirten Gelenkstellung, 1 Fall blieb ungebessert. 

Weiter wurden 1 Fall von spinaler Lähmung bei Spina bifida 
und 2 Fälle von spinaler Lähmung bei Spondylitis mit gutem 
Resultat operirt. 

Unter den 10 Fällen cerebraler Kinderlähmung handelte es sich 
6mal um den spasstischen Pes equinovarus, bei welchem sich die Transplantation 
des halben Tibialis anticus oder posticus auf den Extensor digitorum communis 
bei gleichzeitiger Tenotomie der Achillessehne am zweckmässigsten zeigte. Die 
Resultate waren meist befriedigende. 4mal handelte es sich um einen Spitz- 
plattfusR resp. reinen Spitzfuss, wobei der Peroneus longus auf den Tibialis 
anticus verpflanzt wurde. 

Unter diesen 4 Fällen ist einer, bei welchem wegen starker Schwäche 
der Streckmusculatur noch eine Verpflanzung des Semitendinosus und Gracilis 
auf den Quadriceps ausgeführt wurde. Bis auf 1 Fall von Spitzplattfuss waren 
die Resultate gut. 

Unter diesen Fällen von spastischer Hemiplegie wurden 9 auch an der 
oberen Extremität operirt; 6mal handelte es sich um typische Radialislähmung, 
3mal um atypische Hand- resp. Fingerlähmungen. Die Verpflanzungen gestalteten 
sich hier bei der Verschiedenheit der Fälle sehr verschieden. 

Von Patienten mit dem Bilde der Little’schen Krankheit wurden 
7 operirt. 

Bis auf 1 Fall von allgemeiner Starre waren die Resultate sehr brauchbare 
zu nennen; die Spasmen wurden durch Verpflanzung der überinnervirten Muskeln 
auf die geschwächten sehr günstig beeinflusst. 

Ferner wurde 1 Fall von Hemiplegie mit resultirender Peroneuslähmung 
durch Transplantation gebessert, wenn auch die Function nicht wiederher¬ 
gestellt wurde. 


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844 


Referate. 


Bei den übrigen Fällen handelte es sich um angeborene und erworbene 
Deformitäten, und zwar 3mal um congenitalen Klumpfuss, Imal um rhacbi* 
tischen Plattfuss, Imal um doppelseitigen Pes equinovarus nach chronischer 
Arthritis. Die Resultate waren in diesen 5 Fällen gute. Wollenberg-Berlin. 

Brack. Die Sehnenüberpflanzung in der Behandlung der spinalen Kinderlähmung. 

Diss. Leipzig 1903. 

Verfasser gibt zunächst einen kurzen üeberblick über die Literatur der 
Sehnenüberpflanzung, wobei er allerdings nur 16 diesbezügliche Arbeiten berück¬ 
sichtigt hat, und deren Technik und beschreibt im Anschluss daran die Fälle, 
die im letzten Halbjahr an der chirurgischen Poliklinik in Leipzig operirt 
wurden. Es sind dies 5 Fälle: im ersten handelte es sich um eine Varo-equinus- 
Stellung, im zweiten um einen Spitzfuss, im dritten um einen paralytischen 
Spitzklumpfuss mit hochgradiger Innenrotation des Fusses, im vierten um einen 
Pes varo-equinus paralyticus und im fünften um einen Fuss in maximaler Plantar¬ 
flexion mit geringer Supinationsstellung, ln allen Fällen erfolgte die Heilung 
reactionslos. Bei 2 Fällen war das Resultat der Operation ein sehr gutes, 
während die übrigen noch in Beobachtung resp. Nachbehandlung sich befanden. 
4mal wurde die Achillessehne verlängert; in Fall 2 und 4 wurde noch die Sehne 
des Tib. post, mit der des ant, vernäht und in Fall 4 wurde ausserdem noch 
die durchschnittene Sehne des Ext. digit, nach hinten verlagert und dort mit 
der des Peroneus longus vernäht. Biencke-Magdeburg. 

Drehmann, Zur Technik der Sehnenüberpflanzung bei Quadricepslähmung. 

Vortrag, gehalten in der med. Section der Schlesischen Gesellschaft für 

vaterländische Cultur am 11. Dec. 1903. Allgem. Centralztg. 1904, Nr. 1. 

Drehmann räth, da er bei den ausgeführten Verkürzungen gelähmter 
Muskeln öfter Spuren der Function wiederkehren sah, auch bei üeberpflanzungen 
am Oberschenkel stets den Quadriceps durch Faltung seiner Ansatzstelle an der 
Patella stark zu verkürzen. Er berichtet über einen operirten Fall, bei dem 
er zunächst eine Sehnentransplantation am Unterschenkel vornahm: er verkürzte 
den Tib. anticus, durchschnitt den Ext. halliicis, vernähte das centrale Ende mit 
dem Tib. anticus, das periphere mit dem Ext. digit. communis und Theile der 
Peronei mit dem Tib. anticus. Nach primärer Wundheilung schritt er zur 
Operation am Oberschenkel. Der Semimembranosus wurde nach vorn verlegt 
und nach Quadricepsfaltung mit weit nach unten ausgreifenden Nähten an der 
Patella fixirt und noch seitlich mit dem unteren Theil des Quadriceps vernäht 
Ferner wurde die äussere Partie der Fascia lata unter starker Anspannung mit 
dem äusseren oberen Rande der Patella und dem seitlichen Theil der Ver¬ 
kürzungsnaht vereinigt. Der Erfolg war ein sehr guter. Die Patientin, die fast 
20 Jahre nur mit Schienen gehen konnte, geht jetzt ohne jeden Stützapparat 
ohne Stock und ohne Ermüdung; sie kann auch stehend auf dem operirten Bein 
das andere hochheben. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Müller, Sehnentransplantation und Verhalten der Sehnen beim Plattfusse. 

Centralbl. f. Chir. 1903, Nr. 2. 

Müller empfiehlt eine Methode der Sehnentransplantation zur Correctur 
des Plattfusses, die darin besteht, dass die Sehne des Tibialis anticus von ihrer 


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Referate. 


845 


Insertion losgelöst und in einen Kanal des Os naviculare eingepflanzt wird. Ihr 
Ende wird um die Innenfläche des Os naviculare nach oben herumgeschlungen 
und in dieser Lage durch Drahtnähte an dem Knochen fixirt. «Das Fussgewölbe 
wird also durch die Sehne wie an einem Zügel in die Höhe gehalten.‘ Dann 
folgt für 4 Wochen Fixation im Gipsverbande, später Massage, Gymnastik und 
vorsichtige Gehübungen. — Vor Beginn der Operation tenotomirt Müller die 
-Achillessehne, da es sonst nicht gelingt, das Fussgewölbe bei supinirtem Fuss 
in die Höhe zu drängen. Eine Verkürzung der Achillessehne — häufig ver¬ 
ursacht durch das Tragen hoher Absätze — findet man oft bei Platt- und 
Knickfuss. Der hintere Theil des Fusses verharrt dann beim Gehen in Plantar- 
fiexion, der vordere wird in die Höhe gedrängt, wodurch die Plattfussstellung 
gegeben ist. — Die Müller’sche Sehnentransplantation ist besonders dann 
angezeigt, wenn die Sehne des Tibialis anticus scharf und coulissenartig hervor- 
epringt. Am unbelasteten Fusse ist dieses Symptom häufig daran zu erkennen, 
dass die Haut im Verlaufe der Sehne stärker pigmentirt ist. 

Pfeiffer-Berlin. 

Plumeyer, Knochenimplantation bei Schädeldefecten. Diss. Kiel 1903. 

Verfasser beschreibt zunächst die Arten der Plastik, die es gibt, um 
Schädeldefecte zu schliessen, die Autoplastik, die die lebenden Knochen im 
Zusammenhang mit seinen Weichtheilen zur Deckung benutzt, und die Hetero¬ 
plastik, bei der zum Verschluss solcher Defecte feste Substanzen der verschie¬ 
densten Arten verwendet werden: steriler todter Knochen in jeder Form, 
entkalkt, geglüht, ausgekocht; Thierknochen, Elfenbein, ferner Celluloid, Kaut¬ 
schuk und auch Metalle. Er bringt aus der Kieler chirurgischen Universitäts¬ 
klinik die Krankengeschichten von 3 Fällen. In dem ersten und dritten wurden 
ausgekochte Stücke von Schädelknochen implantirt, im zweiten ein gut passen¬ 
des Spongiosastück vom Calcaneus. Wenn auch noch keine lange Zeit der 
Beobachtung verflossen ist, so ist nach Plumeyer’s Ansicht doch bei der 
festen Einheilung und Reactionslosigkeit in diesen 3 Fällen ein dauernder Er¬ 
folg zu erwarten, so dass sie dazu ermuthigen, auf der betretenen Bahn weiter¬ 
zuschreiten. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Ziehen, Ueber eigenartige Formen des spastischen Torticollis. Deutsche 

Praxis 1903, Nr. 17. 

Ziehen gibt in der Form eines klinischen Vortrages eine eingehendere 
Schilderung von dem wechselvollen Bilde des spastischen Torticollis und demon- 
strirt zwei hierhergehörige Fälle. Als Ursachen kommen in Betracht primäre 
Muskelerkrankung, Erkrankung des peripheren Accessorius durch Druck einer 
Geschwulst auf den periphersten Theil oder im Wirbelkanal oder im Foramen 
jugulare, Wirbelsäulentuberculose, firkrankungen der obersten Gelenke und 
Neuritis. Es folgen organische Erkrankungen im Kerngebiet, der Pyramiden¬ 
bahn und in der Hirnrinde, sodann functionelle reflectorische Krämpfe, des- 
äquilibrirende bei Störungen des symmetrischen Erregungsgleicligewichtes des 
Centralnervensystems bei einseitiger Erkrankung oder Inanspruchnahme, z. B. 
bei einseitiger oder unsymmetrischer Augenerkrankung oder einseitiger Lähmung 
des Accessorius. Sodann kommen psychogene Ursachen in Frage, meist wohl 


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846 


Referate. 


Affecte, und zwar durchaus nicht immer bei Hysterife, sondeni auch bei Hali'a- 
cinationen des Muskelgefühls und des Vestibularsinnes. Auch rein. hjsteriÄte 
Krämpfe kommen vor. Ob es locale, autochthone Erregbarkeitsveränderungen 
gibt, ist noch unentschieden, aber möglich. Jedenfalls gibt es Fälle von Torti- 
collis, die sich ohne Zwang in kein bekanntes Krankheitsbild einfügen lassen. 
Bei dem einen Kranken, der ausser tonischen Krämpfen plötzliches Erblass 
und Erröthen zeigt, könnte man an Unregelmässigkeiten in der Blutversorgnog 
denken, die zwar äusserlich symmetrisch, im Accessoriusgebiet eventuell un¬ 
symmetrisch auftreten. Da der Krampf auftritt, wenn der Patient eine gröbere 
Bewegung machen will, z. B. aufsteht, könnte man die Form als cointentionalen 
Torticollis bezeichnen. Behandlung, bestehend in Bettruhe, Elektrizität, Natr. 
brom. und üebungstherapie sowie Durchschneidung des Accessorius erfolglos, 
erst nach der Resection trat Nachlass der Krämpfe ein. Bei dem zweiten 
Kranken, der tonisch-clonische Zuckungen hatte, kam ätiologische Syphilis la 
Betracht. Rauenbusch - Berlin. 

Manasse, Ueber erworbenen Hochstand des Schulterblattes. Berliner klin. 

Wochenschr. 1903, Nr. 51. 

Manasse berichtet über einen Fall von erworbenem Hochstand de: 
rechten Scapula, welcher durch einen tonischen Krampf des M. rhomboideus und 
levator angul. scapulae hervorgerufen wurde. Die antagonistischen Partien im 
M. cucullaris und serrat. ant. raajor waren durch die Dehnung secundär geschwäcbi 

Die Krankheitserscheinungen stellten sich bei einem nervösen IPjährigen 
Fräulein bald nach einem schweren Gelenkrheumatismus ein, nahmen rasch au 
Intensität zu. Der Hochstand der rechten Scapula betrug ca. 7 cm gegenüber 
der linken; zugleich war sie der Wirbelsäule um 2 cm genähert. 

Da die Patientin Schmerzen in der rechten Rückenhälfte hatte und dA 
die Deformität eine sehr entstellende war, schritt Verfasser nach vergebliiher 
Anwendung von hydropathischer, elektrischer und mechanischer Therapie zur 
Operation: Durchtrennung des M. cucullaris am medialen Schulterblattrande, 
Ablösung des M. rhomboideus in seiner ganzen Ansatzlinie vom Schulterblatte, 
Resection des inneren oberen Schulterblattwinkels. Dann wurde der M. rfcom- 
boideus höher oben, an der Basis spinae scapulae angenäht, so dass seine Zog* j 
richtung annähernd horizontal wurde. Nach 6 Wochen stellte sich ein Reiidir , 

ein; abermalige Operation, bei welcher die Mm. rhomboid. und Levator angiil * 

scapulae auf 5 cm resecirt wurden. 

Die falsche Stellung der Scapulae blieb nun dauernd corrigirt, es trates 
aber clonische Krämpfe auf in folgenden Muskeln: M. serrat ant. maj., bald 
darauf im Stumpf des M. levat. angul. scapul., in der Portio clavicular. dt^ 
Pectoralis maj. und im Pectoralis minor. 

Gründliche Exstirpation dieser Muskeln oder ihrer Reste, ausser dem j 
M. serrat. antic. maj., in welchem daher nach der Operation die qualvollen ( 
Zuckungen zurückblieben. 

Schliesslich schwanden die letzteren hei milder elektrischer Behandlung 
innerhalb 12 Monaten bis auf geringe Reste. 

Stellung und Function der rechten Schulter sind sehr gut | 

W 011 e n b e r g - Berlin. 


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Referate. 


847 


Müller, üeber Versteifungen des Schultergelenks. Aerztl. Sachverständigen- 

zeitnng 1903, Nr. 23. 

Müller bespricht an der Hand einiger einschlägiger Fülle die Aetiologie 
der Schulterversteifungen. Er theilt dieselben ein nach den Verletzungen, die 
1. das Gelenk weder direct noch indirect betrafen, 2. das Gelenk ohne Be¬ 
theiligung des Knochengerüstes und 3. die das Schulterskelet direct betrafen. 
Die Hauptnrsache liegt in der zu lange dauernden Fixation der Schulter nach 
diesen Verletzungen und in dem Unterlassen frühzeitiger Bewegung des Ge¬ 
lenks. Verfasser bespricht dann zum Schluss die Therapie, die in seiner Klinik 
angewandt wird, die in den Hauptpunkten in Dampf- und Lichtbad oder Dampf- 
douche, in Massage und Bewegungstherapie besteht. Verfasser beschreibt noch 
zwei Apparate für die maschinelle Behandlung der Schulterversteifung, die er 
construirt hat und die den Vorzug einer besseren Fixation des Schulterblatts 
haben sollen. Zander-Berlin. 

Bayer, üeber Spiralbrüche an der oberen Extremität. Deutsche Zeitschr. f. 

Chirurgie Bd. 71. 

Verfasser fand unter 178 Oberarm- und 401 Vorderarmfracturen, die in 
der Zeit vom 1. Januar 1900 bis 31. März 1903 im Kölner Bürgerhospital zur 
Behandlung kamen, je acht Spiralbrüche des Ober- und Unterarms; bei den 
letzteren handelte es sich 5mal um eine Fractur des Radius und 3mal um eine 
solche der Ulna. Auch von Spiralbrüchen an den Handknochen, die doch 
immerhin infolge ihrer Kürze zu den Seltenheiten gehören, kamen allein im 
Laufe des Jahres 1902 4 Fälle zur Behandlung; Imal war eine Fingerphalange 
betroffen und 3mal Mittelhandknochen. Verfasser gibt sämmtliche Kranken¬ 
geschichten in Kürze wieder, bespricht die Entstehungsursache der einzelnen 
und hebt am Schlüsse seiner Arbeit hervor, dass mit der von Bardenheuer 
angegebenen Extensionsbehandlung vollauf zufriedenstellende Resultate erzielt 
wurden. Man bekam regelmässig feste Consolidation mit fast immer geringem 
Callus und guter Function. Blencke-Magdeburg. 

Eick er. Ein Beitrag zur Casuistik der subcutanen Rupturen des Musculus 

biceps brachii. Diss. Giessen 1903. 

Verfasser konnte in der ihm zugänglichen Literatur 72 Fälle von subcutaner 
Ruptur des Musculus biceps finden, deren Krankengeschichten er kurz wieder¬ 
gibt. Er reiht diesen noch einen weiteren in der Giessener chirurgischen Poli¬ 
klinik beobachteten Fall an, bei dem ärztlicherseits im Anfang die subcutane 
Zerreissung übersehen war, die erst beim Sehiedsgerichtstermin festgestellt wurde. 
Bei diesen 73 Fällen handelte es sich nur in 3 um directe Zerreissungen. An der 
Hand dieser Fälle bespricht Eick er dann noch die Entstehungsursachen, die 
Symptome, die Prognose und die Therapie, die bei derartigen Verletzungen in 
Frage kommt. Bl encke-Magdeburg. 

Blum, Ueber die blutige Reposition von traumatischen Ellenbogenluxationen. 

Diss. Leipzig 1903. 

Verfasser hat die in der Literatur veröffentlichten Fälle von Arthrotomie 
bei irreponiblen Luxationen in tabellarischer üebersicht zusammengestellt. Es 


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Referate. 


sind 64 Fälle. Das hauptsächlichste Hindemiss bei der Reposition bietet 
wöhnlich die Gelenkkapsel. Nächst dieser hinderten Enochenfragmente dir 
Reposition, die natürlich von einer Fractur herstammten, in gleicher Wehe 
wirkten auch Knochen Wucherungen. Muskeln sind besonders bei den frisches 
Luxationen Repositionshindemisse und zwar dadurch, dass sich abgerissene 
Muskelstücke zwischen den Gelenken interponiren; hauptsächlich ist dabei de: 
Brachialis internus betheiligt. Auch bei veralteten Luxationen spielen die 
Muskeln insofern eine Rolle, als sich dieselben infolge der Inactivität verkörzas 
und theilweise mit der Kapsel Verwachsungen eingehen. 

Eine Contraindication gegen die Arthrotomie g^ben Fracturen des Humerof. 
der Ulna und des Radius ab. Blum beschreibt dann die Operation, bespricht 
die Methoden und Modificationen der einzelnen Forscher bei dieser, von decas 
letztere namentlich nur den Hautschnitt betreffen, bei dem ja immer das ent¬ 
scheidende Moment ist, dass von ihm aus ein ausreichender Einblick in 
Gelenk ermöglicht wird und nichts verletzt wird, was für die zu erreichende 
gute Function des Gelenks erforderlich ist. Verfasser hält den bekanntes 
Kocher’schen Schnitt für den besten, da bei demselben weder Nerven noch 
Muskeln verletzt werden und ein besserer üeberblick über das Gelenk erzielt 
wird als bei dem einfachen Lateralschnitt. Reicht dieser nicht aus, dann kans 
man immer noch den medialen Schnitt hinzunehmen unter Berücksichtigung 
der Gefahren, die er mit sich bringen kann. 

Aus den Krankengeschichten ergibt sich, dass die Erfolge um so besser 
sind, je früher mit Bewegungsübungen begonnen wird. Für am besten hielt 
es Verfasser, wenn schon nach 2—3 Tagen mit ganz leichten passiven Be¬ 
wegungen begonnen wird. Eine primäre Resection ist bei schweren Fracturen 
des Humerus, ferner bei mehrfachen Fracturen der Gelenkenden am Platze. 
Ferner ist dieselbe zur Verhütung der Ankylose indicirt in allen den Fällen, 
in denen Knochenneubildungen zu erwarten oder schon vorhanden sind. 

Blencke - Magdeburg. 

Zahrt, Ueber einen Fall von erblicher Flughautbildung an den Ellenbeugen- 
Diss. Leipzig 1903. 

Verfasser beschreibt einen Fall von symmetrischer Flughautbildung an 
den Ellenbeugen eines 32jährigen Mannes mit proximal von der Missbildong 
gelegenen Muskeldefecten und Veränderungen der Knochen im Ellenbogen- 
gelenke. Diese Missbildung war von dem Vater, wenn auch anscheinend in 
massigerem Grade, auf seinen Sohn vererbt. Nach Wiedergabe der Kranken* 
geschichte führt er kurz die Fälle von Missbildungen, die bisher als Flughaat- 
bildungen beschrieben sind, an und unterzieht dann seinen Fall einer kritisehea 
Betrachtung. ßlencke-Magdeburg. 

Lorenz, Zur Casuistik der erworbenen Ellenbogengelenksdeformitäten. Wiener 
klin. Wochenschr. 1903, Nr. 18. 

Lorenz beschreibt einen Fall von Cubitus valgus, der durch eine eigen- 
thümliche Form des unteren Humerusendes verursacht war. Dasselbe hat die 
Form einer Gabel mit einer etwas längeren medialen und etwas kürzeren lateralen 
Zinke. In den Ausschnitt der Gabel stützt sich das Olecranon. Das Radiusköpfchen | 

ist nach der Vorderseite des lateralen Condylus verschoben. Patient hat in 


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Referate. 


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seinem zweiten Lebensjahre eine tuberculöse Erkrankung des Ellenbogengelenks 
durchgemacht und ist auch deswegen operirt worden. Bei dieser Operation, 
die wohl in einer energischen Auslöfflung bestand, ist wahrscheinlich der mittlere 
Theil des Proc. cubitalis, der den Gelenkknorpel trägt, mit dem dazu gehörigen 
Abschnitt der Epiphysenlinie verloren gegangen, während die Seitentheile der 
Condylen erhalten blieben. So ist die merkwürdige Form durch eine Störung 
des epiphysären Wachsthums erklärt. Zander-Berlin. 

Damianos, Beiträge zur operativen Behandlung der Tuberculöse des Ellen¬ 
bogengelenkes. Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 71, Heft 3—4. 
Damianos bespricht in seiner Arbeit die in der Klinik v. Mosetig- 
Morhof’s ausgeführten Operationen wegen Ellenbogengelenkstuberculose. In 
den 10 Berichtsjahren, welche die Arbeit umfasst, wurden 77 Resectionen des 
tuberculösen Ellenbogengelenkes, sowie 29 Oberarmamputationen wegen der 
eben genannten Erkrankung vorgenommen. Principiell wurde die radicale 
Operation, d. h. exacte operative Entfernung sämmtlicher erkrankter Enochen- 
und Weichtheilpartien ausgeführt und zwar möglichst frühzeitig. Lungen- 
affectionen mässigen Grades galten nicht als Contraindicationen. In jedem 
Lebensalter wurde die Resection vorgenommen, die Amputation natürlich häufiger 
im Greisenalter. Die überwiegende Mehrheit der Resecirten stand im Alter von 
10—25 Jahren. Die Ausführung der Operation sowie die Nachbehandlung 
werden von Damianos minutiös geschildert und die guten Erfolge dieser 
Behandlungsmethode, die zum grössten Theile durch Nachuntersuchungen fest¬ 
gestellt werden konnten, an einzelnen Beispielen demonstrirt. Von den 77 
einschlägigen Fällen wurden 73 geheilt, 1 nachamputirt, 3 sind gestorben, da¬ 
von nur 1 im Anschluss an die Operation. Tabellarische Zusammenstellungen 
mit den von anderer Seite veröffentlichten Statistiken (Rose, König, Kocher, 
Bardenheuer), geben ein klares Bild von den erzielten Fortschritten. In 
Kürze werden noch die anderweitig heutzutage geübten Operationsverfahren 
beschrieben und die wegen extraarticulärer Tuberculöse der Ellenbogengelenks¬ 
gegend operirten 7 Fälle angeführt. Ein umfangreiches Literaturverzeichniss 
bildet den Schluss der Arbeit. Pfeiffer-Berlin. 

Dencker, Beiträge zur Behandlung der tuberculösen Handgelenksentzündung 
aus der königl. chirurgischen Universitätsklinik in Göttingen in der Zeit 
vom 1. December 1895 bis 1. December 1903. Diss. Göttingen 1903. 
Verfasser berichtet an der Hand von 52 Krankengeschichten von Patien¬ 
ten mit Handgelenkstuberculose über die Behandlungsmethoden, die in der 
Göttinger chirurgischen Klinik, seitdem dieselbe unter der Leitung des Herrn 
Geh. Rath Braun steht, zur Anwendung kommen. Wie jetzt wohl meist 
überall, so wird auch hier weder der streng conservativen noch der operativen 
Therapie ä l’outrage gehuldigt. In den meisten Fällen wurde mit einer conser¬ 
vativen Behandlung, bestehend in Ruhigstellung der Hand, Jodoformglycerin- 
injectionen oder eventuell kleineren atypischen Operationen begonnen. Wurden 
jedoch zu desolate Zustände des Handgelenkes oder des Allgemeinbefindens vor¬ 
gefunden, so zögerte man nicht mit der Resection oder Amputation. 

Jodoformglycerininjectionen wurden bei 26 Patienten gemacht; in 5 Fällen 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 55 


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Referate. 


war eine spätere Resection, in einem Falle eine kleinere atypische Operativ^ 
nöthig. Bei den übrigen 20 wurde der Process zum Stillstand gebracht. 2 IV 
tienten sind später gestorben, 5 g^ben keine Nachricht. In den 13 übriges 
Fällen konnte eine absolute Heilung constatirt werden. Bei 5 waren die 
reichten functionellen Resultate geradezu ,ideale*. Bei den übrigen 8 Patiert^ 
wurde ebenfalls eine gute Gebrauchsfähigkeit der Hand geschaffen, nur war die 
Kraft geringer. 

Kleinere atypische Operationen wurden bei 11 Patienten vorgenomma: 
4 von diesen mussten später resecirt werden. 1 Patient starb an Phtaijc. 
2 gaben keine Nachricht; bei den übrigen 4 Patienten war später eine danemdt 
Heilung nachweisbar mit guter Gebrauchsfähigkeit der Hand. 

Resectionen wurden bei 22 Patienten gemacht, Imal die Amputatio acti 
brachii und Imal die Ablatio humeri. 12 Patienten kamen zur Nachunter¬ 
suchung, 2 starben. Von diesen 14 wurden dauernd geheilt 10, gebessert I. 
nicht geheilt 3. Die erreichten functionellen Resultate sind folgende: 
wurde eine nahezu normale Gebrauchsfähigkeit der Hand erzielt; eine gat- 
Beweglichkeit und Kraft der Finger war vorhanden 8mal, ein noch brauchbare: 
Greifapparat Imal. Unbrauchbar war die Hand bei 2 Patienten. 

Verfasser spricht dann noch über die Ausführung der Resection. ü!:>^ 
ihre Erfolge und bringt zum Schluss seiner Arbeit noch einige statistische Be¬ 
merkungen allgemeiner Natur, denen er die 52 Krankengeschichten folgen Hä?! 

Blencke - Magdeburg. 

Cnopf, Ueber Madelung's spontane Subluxation des Handgelenks nach vorne. 

Festschrift zum 25jährigen Jubiläum des Herrn Hofrath Dr. Gösch ei 

Nürnberg 1903. 

In dem vorliegenden Falle handelte es sich um ein 14^12jÄhriges MüJ 
eben, bei dem die Mutter im 12. Lebensjahre am rechten Vorderarm eiDen 
Vorsprung bemerkte, den sie für ein Ueberbein hielt. Als sich die Deformität 
immer mehr verschlimmerte, wurde ärztliche Hilfe in Anspruch genommer. 
Es lag kein Trauma vor; Patientin brauchte auch keine groben Arbeiten in 
verrichten. Es bestand deutliche Luxation auf der ulnaren Seite, auf der 
radialen dagegen höchstens eine Subluxation, die aber nicht mit Sicherbrit 
constatirbar ist. Der Vorderarm zeigt eine ausgesprochen bogenförmige Krün- 
mung mit volarer Concavität; am stärksten ausgeprägt in der unteren Hälfte 
und auf der radialen Seite. Während die Ulna in ihrer Längsrichtung kaam 
verändert erscheint, ist der Radius in der unteren Hälfte volar concav ge¬ 
krümmt. Die Bewegungen der Hand zeigen im Verhältniss zu den schweren 
Veränderungen der Form nur mässige Störungen. Die Verlagerung der Haxd 
gegen den Vorderarm ist durch Zug und Druck nicht ausgleichbar. Eire 
Röntgenaufnahme ist beigefügt und genau beschrieben. 

Die Krankheit ist beinahe in allen Fällen, die Verfasser in der Literaten 
finden konnte, eine Störung des reiferen Kindes- oder Pubertätsalters. Besondere 
Anstrengungen bei muskelschwachen, jugendlichen Individuen, Traumen leichter 
Natur sollen oft die Ursache abgeben. Zuweilen macht sich der Beginn dureb 
Schmerzen bemerkbar, zuweilen fehlen die Schmerzen vollständig. Die volle 
Entwickelung der Störung dauert sehr verschieden lange, oft 3—4 Jahre, doch 
sind auch Fälle beschrieben, wo innerhalb 5—6 Monaten die Verbildung voll- 


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Referate. 


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ständig entwickelt war. Was die genaue Beschreibung der Formveränderungen 
angeht, so stimmen die Berichte weniger überein, als bezüglich der klinischen 
Erscheinungen. Verfasser geht des Näheren noch darauf ein, besonders auf die 
Veränderungen am Vorderarm und bespricht dann noch mit wenigen Worten 
die in Frage kommende Therapie. Blencke-Magdeburg. 

A b adie. De la luxation progressive du poignet chez Tadolescent. Revue d’ortho- 

pädie 1903, Nr. 6. 

Abadie hat einen Fall von progressiver Luxation des linken Hand¬ 
gelenkes bei einem jungen Manne beschrieben, der dem Bilde der von Made¬ 
lung spontane Subluxation des Handgelenkes benannten Erkrankung entspricht. 
Der betreffende Patient hatte freilich im 8. oder 9. Lebensjahre ein Trauma 
des linken Handgelenkes erlitten, ohne angeben zu können, worin es bestanden 
hatte. Erst im 14. Jahre, als er in die Lehre kam, bemerkte er, dass sein 
linker Vorderann, der kürzer war als der rechte, sich mehr und mehr nach 
der Beugeseite zu krümmte und dass die Hand volarwärts luxirte. Irgend¬ 
welche Beschwerden, functionelle Behinderungen oder Schmerzen bestanden 
nicht. Die Durchleuchtung zeigte eine Exostose des Radius, die von seiner 
unteren Epiphysenfuge ausging. Wahrscheinlich war in diesem Falle durch 
das Trauma eine Verletzung dieser Epiphysenlinie erfolgt, die zu Wachsthums¬ 
störungen und der Exostosenbildung führte. Die Verkrümmung des Radius 
erklärt Abadie aus dem Einfluss der Beugemuskeln. Da das Leiden keine 
Störungen verursacht haben soll, erübrigte sich jede Behandlung. 

Verfasser hat alle ähnlichen Fälle aus der Literatur zusammengestellt 
und tabellarisch geordnet. Er construirte danach vier Formen: 1. Hyperostose 
des Cubitus, stets doppelseitig, oft angeboren mit einfacher knöcherner Ver¬ 
dickung des Handgelenkes oder progressiver Luxation desselben, die häufig 
verkannt wird. 2. Einfache Subluxation des Radius in Hand- und Ellenbogen¬ 
gelenk , doppelseitig, leicht einzurichten, häufig schmerzlos und ohne Verände¬ 
rungen der Knochen. 3. Schwer oder gar nicht reponible Luxation des Hand¬ 
gelenkes mit fehlerhafter Stellung des Ellenbogengelenkes. 4. Dieselbe Form 
mit Verbiegung des Radius, beide meist einseitig. — Die Entstehung des Lei¬ 
dens führt Abadie auf Spätrachitis zurück, alle anderen diesbezüglichen 
Theorien sind nicht einwandsfrei. Für die Therapie werden keine neuen Vor¬ 
schläge gemacht. Pfeiffer-Berlin. 

Menciöre, Main bote paralytique. Annales de Chirurgie et d’orthopedie 

1903, Nr. 12. 

Menciere wandte bei der Operation eines an paralytischer Klumphand 
leidenden 14jährigen Knaben ein neues Verfahren an. Er verpflanzte den M. 
flexor carpi radialis auf den M. extensor carpi radialis longus. Die Difformität 
wurde dadurch corrigirt und die Function der Hand, die vollständig verloren 
gegangen war, wieder hergestellt. Der ursprüngliche Beugemuskel functionirte 
nun als Strecker. 

Menciöre setzt an der Hand der Krankengeschichte eingehend die Mo¬ 
mente auseinander, die seinen Operationsplan bestimmten. Er empfiehlt nach 
der Operation eine medicomechanische Behandlung und methodisches Redresse¬ 
ment der Hand. 


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Referate. 


Menci^re nannte die Operation ^Palmairo-radialorrhaphie*. Da sie nur 
eine specielle Art der Sehnenplastik ist, die ja die mannigfachsten Coiiibina> 
tionen ermöglicht, dürfte eine besondere Benennung überflüssig sein. 

Kiewe-Berlin. 

Hempel, Ein Fall von Luxation der Sehne des Extensor digiti V. proprius 
nach Trauma. Diss. Kiel 1903. 

Verfasser gibt zunächst einen kurzen üeberblick über die Sehnenluxa¬ 
tionen und ihre Geschichte. Er konnte, abgesehen von den Luxationen der 
Peronealsehnen, 7 Fälle von traumatischer Verrenkung anderer Sehnen, beson¬ 
ders der Dorsalseite der Hand in der ihm zur Verfügung stehenden Literatur 
finden, die ausführlicher beschrieben sind und keinen Zweifel an der Richtig¬ 
keit der Diagnose aufkommen lassen. Den der Reihe nach eingehend wieder¬ 
gegebenen Fällen schickt er noch eine kurze Darstellung der anatomischen Ver¬ 
hältnisse der in Betracht kommenden Theile voraus und reiht dann diesen 
Krankengeschichten einen in der Helfe rich’schen Klinik beobachteten Fall von 
Luxation der Sehne des Extensor digiti V. proprius an. 

Der Befund Hess bei dem 19jährigen jungen Manne in erster Linie auf 
eine habituelle dorsale Subluxation der Ulna im unteren Radioulnargelenk 
schliessen, doch waren nicht alle Erscheinungen, wie z. B. die Behinderung der 
Faustbildung und die Abnahme der rohen Kraft, allein aus dieser einen Aflfec- 
tion zu erklären. Erst die vorgenommene Operation zur Beseitigung dieser 
ergab genaueren Aufschluss: es handelte sich um oben genannte Luxation der 
betreffenden Sehne. Der Proc. styloid. ulnae, der durch sein Hervortreten bei 
Bewegungen im Handgelenk diesen hinderlich war, wurde abgemeisselt, die ver¬ 
lagerte Sehne reponirt und folgendermassen fixirt; vom ülnaköpfchen wurde 
ein Periostknorpellappen so abgemeisselt, dass er mit der der Sehne zunächst 
liegenden Seite an seiner Unterlage haften blieb. Dann wurde er nach Art des 
Renverse beim Anlegen einer Binde über die Sehne geschlagen und in dieser 
Lage durch einige feine Catgutnähte fixirt. Auf diese Weise bildete er für die 
fragliche Sehne ein neues und auch festes Retinaculum, das ein Abgleiten der¬ 
selben unmöglich machte. Darauf Vernähung des ünterhautzellgewebes mit 
Catgutknopfnähten und die der Haut mit Zwirn. 

Der Gesammterfolg war mit Rücksicht auf die Subluxation der Ulna ein 
befriedigender, und Verfasser empfiehlt daher die Bildung eines derartigen festen 
Retinaculums für entsprechende Fälle. Blencke-Magdeburg. 

Schmidt, üeber den schnellenden Finger. Diss. Heidelberg 1903. 

Nach Aufzählung der verschiedenen Theorien über die Entstehung des 
schnellenden Fingers, deren Für und Wider er erörtert, bespricht Verfasser die 
Aetiologie des Leidens, wobei er sich der Ansicht Tilmann’s anschliesst, nach 
der Leute ergriffen werden, die mit arbeitsungewohnten weichen Händen plötz¬ 
lich für sie schwere Arbeit ausüben müssen. Dem Gelenkrheumatismus und 
der Gicht schreibt er keine gewichtige Rolle bei der Entstehung der Krankheit 
zu. Er bringt die eingehende Krankengeschichte eines Arztes, bei dem durch 
den ungewohnten Druck des Zügels die Entstehung zu erklären war. Durch 
die histologische Untersuchung wurde nachgewiesen, dass es sich um eine Art 


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Referate. 


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jener auf traumatischer Basis entstandenen Tumoren handelte, welche den ent¬ 
zündlichen Gewebsneubildungen nahe verwandt sind. 

Am Schluss der Arbeit stellt Schmidt folgende zwei Sätze auf: 1. Das 
Schnellen kann auch ohne Sehnentumor bei bestehender pathologischer Sehnen- 
scheidenstrictur entstehen, sobald die unter der Strictur liegende Partie der 
Sehne durch die ständig grössere Reibung rauh geworden ist. 2. Das Schnellen 
entsteht auch durch Anstemmen eines Sehnentumors an die Sublimisgabel. 

Kurze Bemerkungen über Prognose und Therapie beschliessen die Arbeit. 

Bien cke* Magdeburg. 

Vieweger, Zur Casuistik der Syringomyelie. Diss. Leipzig 1903. 

Verfasser führt zunächst die hauptsächlichsten Theorien über die Patho¬ 
genese des Leidens an, schildert das klinische Bild in anschaulicher Weise, 
wobei er besonders auf die drei Cardinalsymptome aufmerksam macht, auf die 
Muskelatrophie, die dissociirte Empfindungslähmung und die trophischen Stö¬ 
rungen, zu denen er auch die Gelenkerkrankungen, die Spontanfracturen und 
die Verkrümmungen der Wirbelsäule zählt, die so häufig sind, dass sie einen 
gewissen diagnostischen Werth haben. Nach einigen kurzen Bemerkungen über 
die Aetiologie bringt Vieweger sieben Krankengeschichten aus der Männer¬ 
abtheilung der Leipziger medicinischen Poliklinik, von denen die ersten 6 Fälle 
im wesentlichen den typischen Verlauf der Syringomyelie zeigen. Nur der 
7. Fall zeigt ein atypisches Verhalten, da anfangs keines der drei Hauptsym¬ 
ptome vorhanden war. In 3 Fällen waren Wirbelsäulenverkrümmungen vor¬ 
handen. Alle 7 Fälle betrafen Männer; in keinem war Heredität nachweisbar. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Prölss, Ein Beitrag zur Lehre von der Syringobulbie und Syringomyelie. 

Diss. Kiel 1903. 

Verfasser gibt zunächst einen kurzen allgemeinen üeberblick über den 
augenblicklichen Stand der Frage der Syringomyelie, wobei er sich im wesent¬ 
lichen an die Sch lesin ge r’schen Ausführungen hält. Er führt 2 Fälle von 
sogen. Syringobulbie an, Fälle also, bei denen im klinischen Bilde frühzeitig 
die bulbären Erscheinungen weitaus überwogen bezw. dominirten. Es sind das 
die von Schlesinger und Bern dt veröflfentlichten Fälle, denen Prölss 
noch einen weiteren anschliesst, den er in der Kieler Universitätsklinik zu 
beobachten Gelegenheit hatte. In dem Falle war auch eine Kyphoskoliose vor¬ 
handen. Ble n cke-Magdeburg. 

Bernstein, Zur Diagnose und Prognose der Rückenmarksverletzungen. Deutsche 

Zeitschr. f. Chir. Bd. 70, Heft 1—2. 

Bernstein theilt 3 interessante Fälle von Rückenmarksaffectionen mit, 
die auf verschiedene Ursachen zurückzuführen waren. Im ersten waren im An¬ 
schluss an einen Fall beim Ringen symmetrische Lähmungsersclieinungen beider 
Radialnerven aufgetreten, die schon am Morgen nach dem Trauma zurück¬ 
gingen, um rasch gänzlich zu verschwinden. Es handelte sich hier höchst 
wahrscheinlich nicht um eine Erschütterung, sondern um eine Blutung in die 
Substanz des Rückenmarkes, die rasch resorbirt wurde. Aus anatomischen 
Gründen muss es sich um eine Verletzung einer Arteria fissurae anterioris an 


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Referate. 


der Stelle ihres Eintrittes in die graue Substanz eines der drei untersten Cervi- 
calsegmente des Rückenmarks gehandelt haben. Nur von hier aus konnte sich 
das Blut aus einer Rissstelle in beide Vorderhömer, theilweise auch noch in 
beide Hinterhörner ergiessen und dort so lange die Function der Zellen der 
Radialiswurzeln durch Druck aufheben, bis es zur Resorption gelangt war. 
Gleichfalls eine Blutung, aber in das Lendenmark und die Cauda equina, war 
auch im 2. Falle erfolgt, wie hauptsächlich aus dem raschen Rückgang der 
Symptome geschlossen werden konnte. Hier war die Beugemusculatur des 
rechten Beines paretiscb, die Sensibilität des rechten Oberschenkels herabgesetzt, 
die des Unterschenkels und Fusses aufgehoben; lancinirende Schmerzen längs 
der Beugeseite des rechten Beines, Reflexe erloschen. Erst aus dem über¬ 
raschend günstigen Verlauf wurde auf eine Blutung als Ursache der nervösen 
Störungen geschlossen. — Die dritte Verletzung bestand in einer Luxation des 
Epistropheus, die erst 4 Wochen nach der Verletzung zur Behandlung kam; 
von einer Reposition wurde daher abgesehen. Lähmungserscheinungen irgend¬ 
welcher Art bestanden nicht. Erst am 72. Tage zeigten sich nervöse Erschei¬ 
nungen, die in eine spastische Paraplegie übergingen; schliesslich stellte sich 
Phrenicuslähmung und Decubitus ein. Exitus am 101. Tage nach dem Unfall. 
Die Section ergab eine Drehungsluxation im Atlanto-Epistropheusgelenk und 
einen Kallus an der Innenfläche des Epistropheusdomfortsatzes, der offenbar 
durch sein Wachsthum allmählich stärker auf das Rückenmark gedrückt hatte. 
Die histologische Untersuchung des Rückenmarkes steht noch aus. In der Lite¬ 
ratur sind nur 2 ähnliche Fälle bekannt, die das völlige Fehlen medullärer Er¬ 
scheinungen während eines so langen Zeitraumes nach der Verletzung auf¬ 
weisen und das allmählich erfolgende Einsetzen derselben. 

Pfeiffer-Berlin. 

Joppich, Ueber einen Fall von primärem Angiosarkom des Rückenmarks. 

Diss. Greifswald 1903. 

Es handelte sich in dem vorliegenden Falle um ein lljähriges Mädchen, 
das 2 Jahre lang in der Greifswalder Kinderklinik behandelt wurde, bis endlich 
der Exitus eintrat. Die Krankengeschichte ist in der ausführlichsten Weise 
wiedergegeben. Die Section ergab, dass es sich um ein Angiosarkom des 
Rückenmarks handelte. Verfasser bringt eine genaue Beschreibung des ge¬ 
härteten makroskopischen Präparates, sowie des mikroskopischen Befundes des 
Tumors sowohl wie auch des Rückenmarks. Die Geschwulst sass im Wirbel¬ 
kanal vom 12. Brustwirbel an abwärts bis zum 4. Lendenwirbel herabreichend, 
intradural. Sie war weich, glasig, markig und hatte das Rückenmark zum 
Theil von aussen umwuchert. Der Druck des Tumors hatte einmal das Rücken¬ 
mark stark abgeplattet und ferner durch Atrophie der Substanz der Wirbel¬ 
körper zu einem Gibbus der Wirbelsäule geführt. Eine Compressionsmyelitis 
in Höhe des unteren Theils der Lendenanschwellung erklärte die aufsteigende 
Degeneration der beiden Rückenmarkshälften. An einigen Stellen war die 
Marksubstanz von Tumorgewebe infiltrirt. Vom therapeutischen Standpunkte 
aus musste der Fall als unbedingt hoffnunglos gelten. 

Die klinische Diagnose einer Spondylitis tuberculosa schien gesichert, als 
der spitzwinkelige Gibbus sich zeigte, ein ungewöhnliches Vorkommniss bei 


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Referate. 


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intravertebralen Tumoren. Verfasser konnte bei Durchsicht der Literatur der 
Rückenmarkstumoren keinen Fall finden, bei dem im Anschluss an eine intra- 
'vertebral gelegene Geschwulst ein deutlicher Qibbus entstanden wäre. Selbst 
bei den umfangreichsten Tumoren ist wohl ein Verstreichen der normalen 
Krümmung der Wirbelsäule beobachtet, aber nie ist von einem ausgesprochenen 
Gibbas die Rede. B1 e n c k e - Magdeburg. 


Gondesen, Beobachtungen über den Heilungsverlauf der seit dem Jahre 1900 

in der Kieler chirurgischen Klinik behandelten Fälle von Wirbelbrfichen. 

Kiel. Diss. 1903. 

Seit Januar 1900 wurden in der Kieler Klinik 43 Fälle von Wirbel¬ 
brüchen beobachtet, über deren Sitz und Ausdehnung Verfasser in Form einer 
Tabelle berichtet, aus der hervorgeht, dass die Abschnitte der Wirbelsäule, in 
denen die Beuge- und Streckbewegungen hauptsächlich von statten gehen, näm¬ 
lich die Strecke von den mittleren Halswirbeln bis zum 1. Brustwirbel und 
dann der Uebergangstheil von Brust- und Lendenwirbelsäule, die Lieblings¬ 
stellen der Wirbelbrüche sind, insbesondere die derjenigen Wirbelbrüche, die 
durch indirecte Gewalt entstanden sind. Von diesen 43 Wirbelbrüchen waren 
17 mit ausgesprochenen Markverletzungen verbunden; 10 von diesen 17 Fällen 
endeten nach kurzer oder längerer Zeit mit dem Tode, während die übrigen 
7 Patienten am Leben geblieben sind, aber meistens mit grossen Beschwerden 
zu kämpfen hatten. Verfasser gibt zunächst die 26 Krankengeschichten kurz 
'wieder und kommt auf Grund der Nachuntersuchung dieser zu dem Resultat, 
dass man sich bezüglich wirklich dauernder Heilung keinen grossen Illusionen 
bingeben darf. Von den 20 Patienten, über deren ferneres Schicksal sichere 
Erhebungen angestellt werden konnten, ist nur ein einziger beschwerdefrei ge¬ 
blieben. Die anderen Verletzten sind alle später wieder mit geringeren oder 
^össeren Beschwerden behaftet vorgefunden worden, und zwar der Regel nach 
in um so höherem Masse, je mehr Zeit nach der Verletzung vergangen war. 
Im 2. Theil seiner Arbeit bringt dann Gondesen die übrigen 17 Fälle mit 
Markverletzungen, an deren Hand er dann die verschiedenen Symptome bei 
verschiedenem Sitz der Verletzung, die Prognose und Therapie dieser Erkran¬ 
kungen bespricht. B l enck e-Magdeburg. 


Mouchet et Clement, Luxation de la 6e vert^bre cervicale sur la 7e avec 
fracture des deux apophyses articulaires superieures et des deux apo- 
physes transverses de la 7e. Bull, de la soc. anat. de Paris 1903, 
Nr. 8. 

Die Verfasser legten der Soc. anat. de Paris ein Präparat vor, das sie 
durch Section eines Mannes gewannen, der sich durch einen Sturz aus einer 
Höhe von 3 m eine Verletzung der Halswirbelsäule zuzog. Die oberen und die 
unteren Extremitäten waren gelähmt, ebenso die Sphincteren von Blase und 
Darm. Man hatte nach dem Unfall die Diagnose auf Fractur des 6. Halswirbels 
gestellt; der Verletzte starb nach 2 Tagen, und man fand bei der Autopsie die 
in der üeberschrift erwähnten Verletzungen. Ghiulamila-Bukarest. 


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Referate. 


Melborn, Die in der König!, chir. Klinik zu Kiel in den Jahren 1899 bis 1. Juli 
1903 behandelten Fälle von Spondylitis tuberculosa mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung der Endergebnisse. Diss. Kiel 1903. 

Bevor Verfasser in die Besprechung der einzelnen Fälle näher eintritt, 
gibt er in Kürze ein Bild der Spondylitis tuberculosa und bringt dann 
71 Krankengeschichten von Patienten, die in der Kieler Klinik nach den üb¬ 
lichen Grundsätzen der Therapie behandelt wurden. Ohne Compressionserschei- 
nungen wurden 54 entlassen, mit solchen 9; ohne Compressionserscheinungen 
starben 4, mit solchen auch 4. Nachuntersucht wurden 35®/o; Nachricht er¬ 
hielt Verfasser ausserdem noch von weiteren 37®/o« Hie Laminektomie wurde 
8mal ausgeführt; von diesen 8 Patienten wurde 1 völlig geheilt, 2 gebessert 
entlassen, 1 ungeheilt und 4 starben. Ohne Gibbus waren 5, mit Senkongs- 
abscessen 23. Dem Verfasser fiel es auf, dass die Fälle mit Compression nie 
mit Senkungsabscessen verbunden waren, obgleich 4 Sectionen Eitersacke neben 
dem Wirbelheerde feststellten. Es ergibt sich nach Mel ho rn’s Ansicht daraus 
die Möglichkeif, dass die Compression nicht durch die Abknickung der Wirbel¬ 
säule, sondern durch den Druck des am Abfluss gehinderten Eiters entsteht. 
2mal war der Halstheil betroffen; Imal Hals- und Brusttheil, 43mal Bnisttheil. 
3mal Brust- und Lendentheil, 23mal Lendentheil. Die Dauer der Krankheit 
war bis zu vorläufigem Stillstände oder völligem Abschlüsse bis 1 Jahr bei 16 
(4 t), bis 2 Jahr bei 8 (4 f)» bis 3 Jahr bei 4 (1 t)» bis 5 Jahr bei 1 (t). bis 
10 Jahr bei 1 (t); unbestimmt bei 9 (4 t)- Noch nicht abgeschlossen bei 16. 
Dauererfolge sind in 13 Fällen zu verzeichnen, wovon 8 ganz gesund, 5 ohne 
oder trotz Fisteln arbeitsfähig sind. Blencke-Magdeburg. 

Heineke, Zur pathologischen Anatomie und Klinik der Compression de« 
Rückenmarks bei Caries der Wirbelsäule. Diss. Erlangen 1903. 

Verfasser bringt die Krankengeschichten dreier Fälle von Compression 
der Medulla bei Wirbelcaries mit ganz verschiedenem Verlauf, aus denen her¬ 
vorgeht, dass die Krankheitsbilder der Caries der Wirbelsäule mit Compression 
des Rückenmarks in den einzelnen Fällen ganz ausserordentlich von einander 
ab weichen können. Auch die cavemösen Symptome sind oft durch den Um¬ 
stand stark variirt, dass der Compression nicht eine einheitliche Schädigung 
zu Grunde liegt, sondern eine Reihe von pathologischen Processen in verschie¬ 
dener Combination und Intensität. Weiterhin ist auch der Sitz und die Grösse 
für die wechselnde Ausdehnung und Schwere der Erkrankung von grosser Be¬ 
deutung. 

Näher auf die einzelnen Krankengeschichten, die in der ausführlichsten 
Weise wiedergegeben sind, und auf den genauen Sectionsbefund, der dem 
1. Falle beigegeben ist, einzugehen, würde mich hier zu weit führen. Sie 
müssen schon im Original nachgelesen werden. Biencke-Magdeburg. 

Wieting, Ein Fall von ischämischer Rückenmarksaflfection bei tuberculöser 
Spondylitis. Deutsche Zeitschr. f. Chir. ßd. 70, Heft 1—2. 

Wieting beobachtete einen Fall von spondylitischer Lähmung, deren 
Ursache mit ziemlicher Sicherheit festgestellt werden konnte. Die Lähmung 


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Referate. 


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war bei einem 11jährigen Knaben gleichzeitig mit Oedemen der unteren Ex¬ 
tremitäten ziemlich plötzlich eingetreten etwa im 2. Jahre der Erkrankung. 
Da grosse Senkungsabscesse bestanden mit hohem intermittirendem Fieber, ent¬ 
schloss sich Wieting zur Operation; er fand eine Abscesshöble, die nach oben 
bis zum Halse, nach unten bis in die Nierengegend reichte, ein anderer communi- 
cirender Abscess fQhrte ins kleine Becken. Exitus 1 Stunde nach der Operation 
unter Depressionserscheinungen. Die Section ergab eine Tuberculose sämmt* 
lieber Brustwirbelkörper. Das Wichtigste war eine fast rechtwinkelige Knickung 
der Aorta, deren Lumen erheblicfti verengert war, so dass nur eine bleistiftdicke 
Passage freiblieb. Aus der 10. Intercostalarterie ragte ein kleinfingerglied¬ 
grosser Thrombus, der sich von unten hinten her in die Passage hineinlegte. 
In beiden Venae iliacae sassen noch Reste frischer Thromben, beide Lungen¬ 
arterien waren durch einen grossen frischen reitenden Thrombus verlegt. 
Der in die Aorta hineinwachsende Thrombus hatte in kurzer Zeit den arte¬ 
riellen Blutzufluss in die unteren Körperregionen beschränkt, es handelte sich 
also um ein ischämisches Oedem. Die Ischämie, die ihren Grund in der 
Knickung und Thrombenbildung in der Aorta findet, hatte auch, wie die histo¬ 
logische Untersuchung des Markes ergab, die Parese der Beine verschuldet. 
So erklärt sich auch die Coincidenz der medullären Symptome mit dem Oedem 
der Beine. Der Fall ist deshalb von besonderem Interesse, weil dieser Modus 
der Rückenmarksaffection bei Spondylitis ausser in dem Ho ff a’schen Lehrbuch 
nirgends erwähnt wird, also bisher wenig Beachtung gefunden zu haben scheint. 

Pfeiffer-Berlin. 

Joachimsthal, Ein Fall von geheilter spondylitischer Lähmung. Deutsche 

medic. Wochenschr. 1903, Nr. 19. 

Joachimsthal stellte in der Sitzung des Vereins für innere Medicin 
in Berlin am 6. April 1903 einen Patienten vor, dessen interessante Kranken¬ 
geschichte kurz folgende ist: 

Ein jetzt 9jähriger Knabe erkrankte an Spondylitis dorsalis, weswegen 
er mit Extension, später Corsets behandelt wurde. 1 Jahr nach Beginn der 
Spondylitis bildeten sich spastische Lähmungen der unteren Extremitäten mit 
Incontinentia urinae aus. Ein Versuch mit Calo t’schem Redressement scheiterte. 
Diesen Zustand fand Verfasser vor, als er den Patienten in Behandlung nahm. 
Es wurde ein Gipsbett nach Lorenz angelegt. Nun bildete sich ein Con- 
gestionsabscess, welcher unterhalb des M. sternocleidomastoideus zu Tage trat. 
Wegen der Nähe der grossen Gefässe wurde auf Punction verzichtet, dafür 
aber der Abscess breit eröffnet; es entleerte sich ca. V* ^ Eiter. Dies geschah 
etwa V* Jahr nach Beginn der Lähmungserscheinungen. Schon am Nachmittage 
des Operationstages hatten die Spasmen nachgelassen; die Incontinenz ver¬ 
schwand am nächsten Tage und die Beweglichkeit der unteren Extremitäten 
kehrte ebenso rasch zurück. In 3 Wochen konnte der Knabe ohne Stütze um¬ 
herlaufen. Die zurückbleibende Fistel secernirte lange, ist aber jetzt seit Mo¬ 
naten geschlossen. Der ungewöhnliche Weg, welchen der Senkungsabscess ge¬ 
nommen hat, ist wohl auf die dauernde horizontale Lagerung des Patienten 
zurückzu führen. Das schnelle Verschwinden der Lähmungserscheinungen ist 
aus der Aufhebung des durch den Druck des Abscesses hervorgerufenen 


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Referate. 


Oedems (infolge Behinderung des venösen Abflusses aus den Duralvenen) za 
erklären. Wollenberg’ - Berlin. 

Schanz, Die statischen Belastungsdeformitäten der Wirbelsäule etc. Stuttgart 

F. Enke, 1904. 

Schanz behandelt in seiner Monographie über .Die statischen Belastung»- 
deformitäten der Wirbelsäule“ speciell die kindliche Skoliose im Rahmen ihrer 
natürlichen Verwandtschaft. Die auf langjährige Studien begründete Arbeit 
fasst die in grösseren und kleineren AbhandluVigen in vielen Zeitschriften bis¬ 
her verstreuten, reichen Erfahrungen des Verfassers in übersichtlicher Weise 
zusammen und bietet noch mancherlei Neues. Wir finden zunächst in dem 
Abschnitt über die Pathologie des Leidens eine exacte Definition der Begrifle 
.statische Leistungsfähigkeit und statische Inanspruchnahme der Wirbelsäcle*. 

Der Begriff der statischen Ueberlastung ist daraus leicht verständlich , ebenso 
die äusserst klar dargestellten mechanischen Folgen statischer Ueberlastung. 

Die mechanischen Gesetze von Krümmung und Gegenkrümmungen und von der 
Torsion, die an einfachen Experimenten demonstrirt werden, finden wir mit fast 
mathematischer Genauigkeit bei skoliotischen Wirbelsäulen angewendet. Ebenso 
entspricht das Verhalten der Substanz der Wirbelsäule genau den statischen 
Anforderungen der Mechanik, d. h. es findet eine Verdichtung der Substanz in 
der Concavität der Krümmung, eine Auflockerung an der Convexitat derselben 
statt. Weiterhin schildert S c h anz den Einfluss der Verbiegung auf die ausser¬ 
halb der Wirbelsäule gelegenen Körpertheile und ferner die Reactionen des 
lebenden Organismus auf die mechanischen Veränderungen, die zum Theil zu 
Schutz Vorkehrungen führen, zu natürlichen Stützvorrichtungen und zu Correctur- 
bestrebungen. Der nächste Abschnitt bringt eine Untersuchung der Aetiologie 
der statischen Belastungsdeformitäten der Wirbelsäule. Hier ist die üeber- 
lastung aus erhöhter statischer Inanspruchnahme von der aus verminderter 
statischer Leistungsfähigkeit zu unterscheiden; in jedem Falle liegt aber ein 
Missverhältniss vor zwischen statischer Inanspruchnahme und statischer Leistungs¬ 
fähigkeit. Letztere wird vermindert durch Herabsetzung der Widerstandsfähig¬ 
keit der die Knochen verbindenden Weichtheile und durch Verminderung der 
Festigkeit der Knochen selbst. Für die Behandlung stellt Schanz zwei Indi- 
cationen auf: die Indication der werdenden und die der fertigen Deformität 
Die erstere beansprucht den Ausgleich des Missverhältnisses zwischen statischer 
Leistungsfähigkeit und statischer Inanspruchnahme, die letztere die Wieder¬ 
herstellung normaler Formen. Mit minutiöser Genauigkeit sucht Schanz diesen | 
Indicationen gerecht zu werden und hat, um sein erprobtes Verfahren allgemein 
zugänglich zu machen, sorgfältig ausgearbeitete Heilpläne aufgestellt, die alles ^ 
Wissenswerthe über die Prophylaxe, die Massage und Heilgymnastik, die üblichen | 
stationären und portativen Correctionsapparate, sowie über das forcirte Ke- , 
dressement enthalten. 

Wie man aus diesem kurzen Ueberblick ersieht, finden wir in der vorliegenden 
Arbeit von Schanz die Summe unseres heutigen Wissens über die Lehre von der 
Skoliose. Hervorzuheben wäre noch die übersichtliche Anordnung des umfang¬ 
reichen Stoffes und die klare, leicht verständliche Darstellungsweise des schwierigen 
Themas, in der sich in streng logischer Weise Schluss an Schluss reiht. Hoffa. 


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Referate. 


859 


Nicoladoni, Anatomie und Mechanismus der Skoliose. Bibliotheca medica. 

Abtheil. E, Heft 5. 

In der vorliegenden Veröffentlichung hat Nicoladoni den Schlussstein 
zu einer Reihe von Arbeiten über die Skoliose gelegt, die ihn seit mehr als 
zwei Jahrzehnten beschäftigt hatten. Er hat darin nach gründlicher Durch¬ 
sicht der bisher festgestellten anatomischen Thatsachen und der daraus ge¬ 
folgerten Theorien folgende Anschauungen zweifellos sicherstellen können: 

,Die Skoliose ist eine Deformität, hervorgerufen durch abnorme excen¬ 
trische Belastung der Wirbelsäule, bei der es, abgesehen von der seitlichen 
Abweichung, zu einer Torsion kommt, welche einestheils den Einzelwirbel be¬ 
trifft, dessen Körper dabei durch Rotationsbewegung der Convexität sich zu¬ 
wendet, hauptsächlich aber die Relationen der einzelnen Wirbelabschnitte zu 
einander in horizontaler, frontaler und sagittaler Projection tief stört. Der 
in diesen Bewegungen ruhigste Theil ist das Segmentum interarticulare 
posterius.“ 

Um zu diesen Resultaten zu kommen, hat Nicoladoni zunächst das 
Skelet der Skoliose Erwachsener studirt und die Topographie der Eingeweide, 
die Veränderungen der inneren Organe und die Anatomie einzelner skoliotischer 
Wirbel, sowie das Verhalten der Bänder und des Zwerchfells in Übersichtlicher 
Weise dargestellt. Ein weiterer Abschnitt seiner Arbeit behandelt die Archi¬ 
tektur der kindlichen, habituellen und rhachitischen Skoliose. Er zeigt hier 
an Horizontal-, Vertical- und Frontalschnitten die entschiedene Anpassung des 
Knochengefüges an neue statische Anforderungen. Aus dem reichen Inhalte 
des Kapitels über den Mechanismus der Skoliose sei hervorgehoben, dass die 
Torsion der Wirbelsäule stets dort vollständig fehlte, wo die einseitige Recli- 
nation ausblieb; «sie ist daher kein Attribut der einfachen seitlichen Neigung 
der Wirbelsäule, kein Attribut der reinen Skoliose“. Die Skoliose des Lenden¬ 
segmentes hat eine gesonderte Betrachtung gefunden. Hier konnte Nicola¬ 
doni feststellen, dass auch eine beträchtliche Lendenskoliose nie stark torquirt 
ist. Die Skoliose des Lendensegmentes bezeugt aufs Neue, wie es der durch 
einseitige Belastung ungleich vertbeilte Markdruck ist, welcher in seinem stetigen 
Wirken von innen her die gleichmässige Knochenstructur stört und dadurch 
die äussere Gestalt des Wirbels asymmetrisch umformt. Eine Besprechung 
der neueren Arbeiten über den Mechanismus der Skoliose und die aus ihnen 
zu ziehenden Folgerungen bilden den Schluss der ebenso gründlichen wie inter¬ 
essanten Arbeit. 

Die dem Werke beigegebenen instructiven Abbildungen stellen zumeist 
Präparate dar, welche Nicoladoni selbst angefertigt und zum grössten 
Theil auch gezeichnet hat; ein kleiner Theil ist nach Photographien wieder¬ 
gegeben. Pfeiffer- Berlin. 

Becher, Zur pathologischen Anatomie der Skoliose. Orth-Festschrift 1903. 

Verfasser beginnt zunächst mit der Beschreibung der skoliotischen Wirbel¬ 
säule und ihrer einzelnen Segmente an der Hand eines Präparates von einer 
schön ausgebildeten rechtsconvexen Dorsalskoliose, die dem lordotischen Typus 
angehört. Er gibt eine eingehende Schilderung des Keilwirbels, geht dann 
nach oben und unten fortschreitend die übrigen Wirbel der Reihe nach durch. 


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860 


Referate. 


wobei er sich als Vergleichsobject der entsprechenden Wirbel einer normalen 
Wirbelsäule bedient, und fasst am Schlüsse des besseren Ueberblicks wegen 
noch einmal den anatomischen Befund in seiner Gesammtheit zusammen. Näher 
auf die einzelnen Details einzugehen, würde den Rahmen eines kurzen Referates 
weit überschreiten und aus diesem Grunde muss ich schon darauf verzichten 
und kann nur dringend auf das Original verweisen. Es bietet eine Fülle von 
neuen Gesichtspunkten und eine Fülle von Anregungen für den, der sich mit 
dieser Materie näher beschäftigen will. Zahlreiche Abbildungen und Tabellen 
tragen zur Veranschaulichung dieses Bildes wesentlich bei. Im zweiten Theile 
sucht dann Becher zu eruiren, welcher Art die geschilderten Erscheinungen 
sind und auf welche Art und Weise sie zu Stande kommen. Auch hierbei 
kann ich mich nur auf kurze Andeutungen beschränken. Nach Be che Fs An¬ 
sicht wird durch irgend ein Missverhältniss zwischen Belastung und Tragfähig¬ 
keit der Wirbelsäule letztere auf Biegung und Knickung beansprucht; die 
Biegung vollzieht sich analog dem physiologischen Verhalten unter Drehung 
des auf der Scheitelhöhe befindlichen Wirbels nach der Seite der Convexität 
zu. Infolge der engen Verbindung müssen die Nachbarwirbel die Drehung in 
entsprechend geringerem Grade mitniachen. Infolge Fortbestehens des die erste 
Biegung veranlassenden Moments bleibt auch die Rotationsstellung der ab¬ 
gewichenen Wirbel bestehen und erfährt noch eine Veretärkung durch die 
Belastung. Der nicht mehr vertical wirkende Druck steigert die Drehung immer 
mehr, indem er den Scheitelwirbel weiter seitlich hinausdrängt, derselbe rotirt 
hierbei um eine freie Achse. Die enormen Formveränderungen der skoliotischen 
Wirbel sind lediglich Erscheinungen des Druckes, dessen veränderter Einwirkung 
die Wirbel durch Aenderung ihrer Form gerecht werden. Nicht nur der 
knöcherne Theil der Wirbelsäule, sondern auch das gesammte Rumpfskelet mit 
Bändern, Musculatur und den inneren Organen der Brust- und Bauchhöhle wird 
in Mitleidenschaft gezogen. Das sind die Hauptsätze der Be che rischen Aus¬ 
führungen im zweiten Theil der äusserst interessanten und lehrreichen Arbeit, 
die sich würdig den A1 bert’schen, Riedinge rischen und Schul th ess’schen 
Abhandlungen über dieses Thema anreiht und einen weiteren scliätzenswerthen 
Beitrag liefert zu einem der schwierigsten Kapitel der Orthopädie. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Lovett, The element of torsion in lateral curvature of the spine: its place 
in the cause and treatment. Boston med. and surgical Journal 1903, 
August 6. — Derselbe, A contribution to the study of the mechanics 
of the spine. American Journal of Anatomy 1903, October 1. 

Verfasser sucht in der zweiten experimentellen Arbeit den Beweis für 
die gleichzeitige Rotation der Wirbelsäule bei Seitwärtsverbiegung auf rein 
mechanischer Basis zu erbringen. Auf folgenden allgemeinen Gesetzen basiren 
die Experimente des Verfassers: Ein gerader biegsamer Stab kann in einer 
Ebene ohne Drehung gebeugt w^erden, doch dann kann er nicht gleichzeitig 
ohne Verdrehung in einer zweiten gebeugt werden; ein gerader biegsamer 
Stab kann ohne Seitwärtsbiegung gedreht werden, ist ein solcher aber bereits 
in einer Ebene gebogen, so kann er nicht mehr ohne eine Seitwärts bi egung 
gedreht werden. Die vom Verfasser für die Wirbelsäulenverhältnisse aus der 


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Referate. 


861 


Arl)eit gezogenen Schlüsse sind: 1. Die Processus articulares bewirken nicht 
die Torsion der Wirbelsäule bei Skoliose; 2. die Torsion der Wirbelsäule bei 
Skoliose wird nicht dadurch verursacht, dass die Wirbelsäule aus zwei Com- 
ponenten aufgebaut ist, der Säule der Körper und der Säule der Bögen (Meyer); 
3. die Wirbelkörpersäule ist der ausschlaggebende Factor bei der Bewegungs¬ 
association; 4. die Wirbelkörpersäule allein und die ganze intacte Wirbelsäule 
verhalten sich gleich, und zwar so, wie ein biegsamer Stab von derselben Form, 
Länge und Elasticität Quoad Behandlung hält Verfasser in der ersteren Arbeit 
für eine Reihe von Fällen Drehbewegungeij und passive Drehungen für von 
therapeutischem Wei-the. Ebbinghaus-Berlin. 

Arnd, Experimentelle Beiträge zur Lehre der Skoliose. Der Einfluss des M. 

erector trunci auf die Wirbelsäule des Kaninchens. Arch. f. Orthopädie 
Bd. 1 Heft 1 u. 2. 

Arnd spricht über die Rolle, die nach Anschauung der verschiedenen 
Autoren den Rückenmuskeln in der Aetiologie der Skoliose zukoramt. Die An¬ 
sichten divergiren auch darüber, ob und in welcher Weise sich nach Lähmung 
der Rückenmuskeln eine Skoliose entwickele. Messner-Kirmisson vertreten 
den Standpunkt, dass bei paralytischer Skoliose die Convexität auf der gesunden 
Seite des Rumpfes liege, während sich die gelähmten resp. paretischen Muskeln 
auf der Concavseite finden, eine Anschauung, die im wesentlichen von Hoffa, 
Lorenz und Schulthess getheilt wird. Andere Autoren bestreiten dies 
Verhalten oder fassen die z. B. bei Kinderlähmung auftretende Skoliose als eine 
statische Deformität i. e. S., als Folge der Missbildung der Beine, auf. 

Arnd studirte die Frage der Bedeutung der Rückenmusculatur für die 
Ausbildung der Skoliose experimentell an jungen Kaninchen. Unter den er¬ 
forderlichen Cautelen (Vermeidung von Nebenverletzungen, von retrahirender 
Narbenbildung etc.) excidirte er ein mehr oder minder grosses Stück des M. 
erector trunci. In den ersten Wochen veranlasste der Defect des einen Erector 
trunci scheinbar ein Ueberwiegen der Action des anderen, indem die Thiere 
beim Hüpfen zunächst eine laterale Deviation der Wirbelsäule mit Convexität 
nach der operirten Seite darboten. Bald aber änderte sich das Bild; aus der 
Convexität wurde eine Concavität und aus der anfänglich leicht corrigirbaren 
Haltungsanomalie eine Skoliose zweiten oder dritten Grades. 

Bei den anatomischen Untersuchungen fand Verfasser stets eine laterale 
Deviation der Wirbelsäule mit der Convexität der Krümmung nach der der 
Operation entgegengesetzten Seite. An den Wirbeln Hessen sich durch müh¬ 
same Messungen Asymmetrien und Formveränderungen (analog den Keil- und 
Schrägwirbeln bei menschlicher Skoliose) feststellen. Die Processus spinosi und 
die übrigen Fortsätze waren nach der jeweiligen Concavität der Krümmung 
gerichtet. Eine Deviation in sagittaler Richtung (im Sinne einer Kyphose) Hess 
sich in keinem Falle nachweisen. — Eine Anzahl von Abbildungen illustrirt 
die Befunde. 

Bei der Entstehung der Skoliose bei Quadrupeden kann die Belastung 
keinen grossen Einfluss haben, wenn auch ein Druck durch Muskelzug aus¬ 
geübt wird. 

Arnd zieht aus dem Umstande, dass die geschwächte Musculatur in der 


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862 


Referate. 


Concavität der Krümmung lag, den Schluss, dass man bei Behandlung der 
habituellen Skoliose besonders die concavseitige Musculatur zur Entwickelung 
zu bringen sich bemühen solle. K i e w e - Berlin. 

Hoffa, üeber den gegenwärtigen Stand der Lehre von der Skoliose. Berliner 
klin.-ther. Wochenschr. 1904, Nr. 1. 

In dieser klinischen Vorlesung bespricht Hoffa die Aetiologie, Sym¬ 
ptome, Diagnose, Prognose und Therapie der Skoliose in prägnanter und über¬ 
sichtlicher Form. Wollenberg-Berlin. 

Sch older, Die Schulskoliose und deren Behandlung. Arch. f. Orthopädie 
Bd. 1 Heft 3. 

Schulder hat durch Untersuchungen einer grossen Anzahl von Schul¬ 
kindern beiderlei Geschlechtes nachgewiesen, dass der üntei'schied in der Fre¬ 
quenz der Skoliose bei beiden Geschlechtern bei weitem nicht so gross ist^ als 
die meisten Orthopäden angeben. Danach kommt die Schulskoliose sowohl 
bei Knaben als bei Mädchen ungefähr in gleichem Verhältniss vor, auf 23^« 
skoliotische Knaben kommen 26,77<» skoliotische Mädchen. Dafür, dass die 
Schule als determinirende Ursache der Skoliose angesehen werden muss, spricht 
das unglaubliche Vorwiegen der linksseitigen Totalskoliosen; von diesen Sko¬ 
liosen waren 79 7® ^’^in habituell. Die Progression der Skoliosenzahl nahm 
ständig von einer Klasse zur nächsthöheren zu. Mit dieser Zahl der SkoUoti- 
schen hielt die der Myopien Schritt, d. h. sie nahm ebenfalls von Klasse zu 
Klasse zu. — Für den wichtigsten Theil der Skoliosentherapie erklärt Schulder 
mit Recht die Prophylaxe. Um sie zur Anwendung zu bringen, fordert Schulder 
die Elimination folgender schädlicher Momente, welche die Schule mit sich 
bringen kann: 1. Ungenügende Beleuchtung der Klassenzimmer; 2. die pro- 
longirte sitzende Haltung der Schulkinder; 3. Schulbänke, die der Grösse der 
Kinder nicht angepasst sind; 4. fehlerhafte Heftlage; 5. die Schrägschrift. Im 
Anschluss hieran definirt er die hygienischen Forderungen, die unbedingt er¬ 
füllt werden müssen, um den Schreibact zu einem möglichst unschädlichen zu 
machen, und geht kurz auf die Therapie der ausgebildeten Skoliose ein, die 
er sehr pessimistisch beurtheilt. Den meisten Erfolg gewährleistet hierbei noch 
die Behandlung in einem orthopädischen Institut, das von einem wissenschaft¬ 
lich gebildeten Arzte geleitet ist. Im allgemeinen ist er ein Gegner des Corsets, 
hält es aber doch in gewissen Fällen für indicirt, so bei schmerzhaften Skoliosen 
und ferner bei hochgradigen, mit Respirationsstörungen verbundenen Rückgrats¬ 
verkrümmungen. Dagegen liessen sich in den übrigen Fällen durch Redres¬ 
sionsgymnastik verhältnissmässig gute Resultate erzielen. Pfe i ff er-Berlin. 

Marcuse, Die Bedeutung des Etappenverbandes in der Behandlung der seit¬ 
lichen Rückgratsverkrümmungen, besonders der habituellen Skoliose. 
Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 71 Heft 3—4. 

Das von Marcuse geschilderte Verfahren zur Beseitigung der seitlichen 
Rückgratsverkrümmungen weicht in keinem wesentlichen Punkte von dem jetzt 
überall üblichen ab. Der Verfasser präcisirt die bekannten Aufgaben der The¬ 
rapie folgendermassen: Vor allem sind richtige statische Verhältnisse zu schaffen. 


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Referate. 


863 


d. h. die Wirbelsäule soll gestreckt und detorquirt werden und ihre seitliche 
Verschiebung muss beseitigt werden; sofort und gleichzeitig ist für eine mög¬ 
lichst vollkommene und für viele Monate möglichst ungestörte Function (soweit 
dies eben erreichbar ist) zu sorgen. Dieses Ziel sucht Marcuse durch por¬ 
tative, oft zu wechselnde Gipsverbände zu erreichen, die er im Beely’schen 
Rahmen anlegt. Zum Redressement bedient er sich ausser der Extension nur 
der Händekraft; er verzichtet auf jede Polsterung, was doch bedenklich er¬ 
scheint. Noch bedenklicher ist der Umstand, dass seine Gipscorsets nur bis zur 
Achselhöhle reichen, also eine im oberen Dorsaltheil sitzende Skoliose kaum 
beeinflussen werden. Dem Muskelschwunde sucht er schon im Etappen verbände 
dadurch entgegenzuarbeiten, dass er durch Fenster die Musculatur des Rückens 
und der Brust elektrisirt. Ist die denkbar beste Correction in Etappenverbänden 
erreicht, so gibt er abnehmbare StÜtzcorsets (Hessing) und kräftigt die Mus¬ 
culatur energisch durch Massage, Faradisation und gymnastische üebungen. 

Pfeiffer - Berlin. 

Jawin, Die Lage der Speiseröhre bei verschiedenen Verkrümmungen der 

Wirbelsäule. Arch. f. klin. Chir. Bd. 72 Heft 2. 

Jawin hat an Leichen die Lage der Speiseröhre, der Luftröhre und der 
Aorta bei verschiedenen Verkrümmungen der Wirbelsäule untersucht und dabei 
gefunden, dass die Aorta und andere Gefässe, die sich mit ihren Zweigen an 
der Wirbelsäule festhalten, den Krümmungen derselben folgen. Ebenso ist dies 
der Fall mit der Trachea, welche auch mit der Wirbelsäule ziemlich fest ver¬ 
bunden ist. Die Speiseröhre bildet dort, wo sie hinter der Trachea und der 
Aorta liegt, ebenfalls Krümmungen, sowohl in der sagittalen wie in der fron¬ 
talen Ebene. Unterhalb der Bifurcation entfernt sie sich von der Wirbelsäule 
und nimmt ihre Richtung als Sehne oder Bogen von grösserem Radius über 
die Wirbelsäulenkrümmung hinweg. Nur wenn das hinter ihr liegende lockere 
Zellgewebe durch pathologische Processe, wie z. B. durch Lungen- oder Media- 
stinaldrüsentuberculose, unnachgiebig geworden oder geschrumpft ist, folgt auch 
die Speiseröhre den Verkrümmungen der Wirbelsäule. Pfeiffer-Berlin. 

Froelich, Scoliose congenitale avec pied-bot varus-equin. Bulletins de la 

societe de Pediatrie de Paris 1903, Nr. 7. 

Froelich berichtet über die Combination von angeborener Skoliose mit 
Klumpfuss. Beide Deformitäten wurden sofort nach der Entbindung bemerkt. 
Es soll wenig Fruchtwasser vorhanden gewesen sein. Im übrigen keinerlei Defor¬ 
mitäten in der Familie. 

Der zur Zeit 3jährige Knabe weist keinerlei Spuren von Rhachitis auf. 
Es besteht eine starke rechtsconvexe Lumbodorsalskoliose mit starker Torsion. 
Compensatorische linksconvexe Skoliose im oberen Dorsaltheil. Das ganze Ab¬ 
domen und der Thorax erscheinen nach rechts verschoben. Die rechte Becken¬ 
hälfte ist gesenkt. Der ganze Rücken ist entlang den Dornfortsätzen stark be¬ 
haart, namentlich im Bereiche eines knöchernen Vorsprungs, der auf der Seite 
der Convexität der Lumbalwirbelsäule gelegen ist. Das Röntgenbild lässt er¬ 
kennen, dass die Wirbelkörper des Lumbaltheils mit einander verschmolzen 
sind. Die Lendenwirbelsäule scheint aus 2 Knochenmassen zusammengesetzt 


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864 


Referate. 


zu sein, die Wirbelkörper erscheinen voluminöser als normal und nur durch 
einen hellen Zwischenraum getrennt. An der Brustwirbelsäule kann man die 
12 einzelnen Wirbel deutlich erkennen. Ein überzähliger Wirbel ist nicht vor¬ 
handen. Das Becken erscheint asymmetrisch. 2 Abbildungen sind der Arbeit 
beigegeben. K i e w e - Berlin. 

Athanassow, lieber congenitale Skoliose. Archiv f. Orthopädie Bd. 1 H. 1. 

Athanassow hatte in dem Institut von Schulthess Gelegenheit, eine 
angeborene Skoliose bei einem 8jährigen Mädchen zu beobachten. Es handelte 
sich hier um ein Fehlen oder eine rudimentäre Entwickelung einer Wirbelhälfle des 
3. Lendenwirbels und eine abnorme Gestaltung des 4. und in geringerem Grade 
auch des 2. Lendenwirbels. Gleichzeitig bestand eine Spina bifida lumbalis. Im An¬ 
schluss an diesen Fall bespricht und klassificirt Verfasser 31 in der Literatur be¬ 
schriebene einschlägige Fälle. Davon waren 17 einfache und 14 complicirte an¬ 
geborene Skoliosen und zwar bestand die Complication 8mal in Spina bifida, im 
übrigen in anderweitigen Deformitäten. In 28 Fällen waren ßildungsanomalien 
der Wirbelkörper angegeben, grössteniheils Fehlen oder mangelhafte Ausbildung 
einer Wirbelkörperhälfte und der Intervertebralscheiben. Bezüglich der ursäch¬ 
lichen Momente konnte auch Athanassow nichts Positives ermitteln. Sicher 
ist nur, dass die Skoliose einige Zeit braucht, bis sie manifest wird. Für die früh¬ 
zeitige Erkennung leichterer Fälle ist in der Radiographie ein neues Mittel 
gegeben, das eine sichere Diagnose gestattet. Pfeiffer-Berlin. 


Bender, Wanderniere und Skoliose. Centralbl. f. Chir. 1903, Nr. 2. 

Bender beobachtete als eine seltene Ursache seitlicher Wirbelsäulen¬ 
verkrümmung eine Wanderniere. Die bei der 22jährigen Patientin vorhandene 
Neigung der Lendenwirbelsäule nach der kranken Seite hin erklärt sich aus 
dem unwillkürlichen Bestreben, die schmerzhafte Lendenpartie zu entspannen, 
die Nerven daselbst von Druck und Zug zu entlasten. In Rückenlage hörten 
die Schmerzen, die sich bei der Patientin zu Paroxysmen steigerten, auf. Die 
Skoliose, die in Extension noch völlig ausgleichbar war, wurde nach den üblichen 
Regeln behandelt; ausserdem wurde, da die vorgeschlagene Nephroraphie ver¬ 
weigert wurde, eine grosse Pelotte nach Art eines Bruchbandes angefertigt, 
, welche die Niere nach hinten und oben halten soll“. Pf ei ff er-Berlin. 

F1 a t a u, Ein Fall von Scoliosis hysterica nach Trauma. Aerztl. Sachverständigen¬ 
zeitung 1904, Nr. 5. 

Fla tau beobachtete einen Fall von hysterischer Skoliose, die bei einem 
Arbeiter infolge Tragens einer schweren Last entstanden sein soll. Die Ver¬ 
biegung der Wirbelsäule, bei der keine Torsion vorhanden war, glich sich in 
Bauchlage vollkommen aus. Sie war durch eine Contractur des rechtsseitigen 
Erector trunci entstanden. Gleichzeitig bestanden anderweitige nervöse Störungen, 
so dass die hysterische Natur des Leidens als sichergestellt gelten kann. Durch 
Anlegung eines Stützcorsets konnte der Patient geheilt werden. 

Pfeiffer-Berlin. 


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Referate. 


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Ranzi, Zur Kasuibtik der Halsrippen, Wiener klinische Wochenschrift 1903, 
Nr. 10. 

Ranzi veröffentlicht 2 Fälle von Halsrippen, die wegen der Beschwerden, 
die sie verursacht hatten, zur Operation kamen. Es handelte sich beide Male 
ausschliesslich um nervöse Erscheinungen; Paraesthesien, Kältegefühl im Arm, 
Abnahme der Kraft und Atrophien. Bei dem einen Fall bestand auch eine 
leichte Skoliose der unteren Halswirbelsäule. Entfernt wurden die Halsrippen 
von einem Schnitt aus, der vom hinteren Rand des Musculus stemocleidomastoi- 
deus bis zum vorderen Rand des Musculus cucullaris reichte. Sie wurden mit 
Periost entfernt; eine Verletzung der Pleura fand nicht statt. 

Zander- Berlin« 

Orkan Abdi, Ueber einen Fall von chronischer Arthritis ankylopoetica der 
Wirbelsäule. Fractur der Wirbelsäule und Quetschung der Canda equina. 
Mittheilungen aus den Hamburgischen Staatskrankenanstalten. 

Verfasser beschreibt einen Fall dieser Erkrankung, der durch eine arti- 
ficiell entstandene Wirbelfractur complicirt war, eine Fractur, die durch den 
Versuch, die ankylosirten Hüftgelenke beweglich zu machen resp. eine bessere 
Stellung derselben zu erzielen, hervorgerufen worden war. Durch den einige 
Monate später erfolgten Tod des Patienten wurde Abdi in die Lage versetzt, 
die pathologisch-anatomischen Veränderungen an der Wirbelsäule und den 
grossen Gelenken und namentlich an der Fracturstelle selbst zu studiren. Diese 
Veränderungen waren so hochgradig, wie sie nur wenig in der Literatur ver¬ 
öffentlichte Fälle darbieten. Wegen der Fractur war die Laminektomie des 
1. und 2. Lendenwirbels vorgenommen. Patient war aber kurze Zeit darnach 
infolge ausgedehnter Decubitalgeschwüre gestorben. Beide Hüftgelenke waren 
zur Zeit der ersten Aufnahme in rechtwinkliger Stellung ankylotisch; das rechte 
wurde später durch Brisement forc6 ausserhalb des Krankenhauses beweglich 
gemacht und bot das Bild eines Schlottergelenkes dar. Verfasser warnt vor 
dem von anderer Seite empfohlenen Brisement der versteiften Hüftgelenke; auch 
von der Resection derselben verspricht er sich nicht viel. 

Für beginnende Fälle empfiehlt Abdi, um einer abnormen Stellung der 
Wirbelsäule und des Kopfes Einhalt zu thun, die frühzeitige Anwendung von 
Stützapparaten mit Kopfhalter. B1 e n c k e - Magdeburg. 


Vogel, Zur Pathologie und Therapie der Luxatio coxae congenita. Deutsche 
Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 71 H. 3—4. 

Die Vogel’sche Arbeit über die Pathologie und Therapie der Luxatio 
coxae congenita stützt sich auf das Schede’sche Material seit 1898 und 
bringt 38 einschlägige Krankengeschichten. An der Hand dieser und der früher 
von Schede behandelten Fälle bespricht Vogel zunächst die Aetiologie und 
pathologische Anatomie der angeborenen Hüftgelenksverrenkung, ohne wesent¬ 
lich neue Gesichtspunkte zu bringen. Auch er führt die Entstehung des Leidens 
auf ein Vitium primae formationis zurück, das bei ungünstigen mechanischen 
Verhältnissen ein Heraushebeln des Schenkelkopfes aus der Pfanne ermöglicht. 
Aus den kurzen Bemerkungen über die pathologische Anatomie sei hervor- 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 50 


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866 


Referate, 


gehoben, dass es Fälle mit hochgi-adiger Atrophie der befallenen Beckensate 
gibt, die naturgemäss zu starken Skoliosen führt; letztere sind dann den coe- 
genitalen Skoliosen zuzurechnen. Die Diagnose des Leidens macht keine Schwien^- 
keiten mehr seit der Verallgemeinerung und Verbesserung des Röntgenverfahren£. 
Letzteres lässt aber nur unsichere Schlüsse bezüglich der Prognose zu, da « 
uns keine Aufschlüsse über die knorpelige und sonstige Bedeckung der Pfaniie 
gibt. In der Therapie hat sich seit den letzten Arbeiten von Petersen uni 
Schede wenig geändert; in der Mehrzahl der Fälle wurde die unbluti^je 
Reposition gemacht, woran sich bei stark antevertirtem oberen Femurende die 
Osteotomie mit Nagelung nach Schede anschloss. Eine wirkliche RepositioE 
und Retention wurde in 92% der Fälle erreicht, eine Transposition in 
28 %. Die Hoffa-Loren z’sche blutige Operation wurde in 10 Fäliec 
gemacht, in denen ein knöcherner Halt für den Kopf nicht vorhanden war. 
Für solche Fälle gibt es, wie auch Vogel zugibt, keine andere Therapie. 

Pfeiffer - Berlin. 

Reiner, Beiträge zur Therapie der congenitalen Hüftverrenkung. CentraibL 

f. Chir. 1904, Nr. 2. 

Reiner empfiehlt die bereits von Schlesinger aus der S chanz^scLen 
orthopädischen Heilanstalt nach dem Misslingen des ersten Repo3itionsversuch^> 


bei angeborenen Hüftluxationen angegebene Methode, das Bein scharf in die 
Stellung zu drücken, von der aus das Einschnappen des Kopfes stattfindet 
und dasselbe in dieser Stellung einzugipsen. Wenn man diesen Weg dann 
systematisch weiter verfolgt und die Einrenkungsversuche nach 8—14 Tag^a 
wiederholt, dann gelingt es nach des Verfassers Erfahrungen, auch noch Repo¬ 
sitionen bei Patienten zu Stande zu bringen, welche die bisher geltenden Alters¬ 
grenzen beträchtlich überschritten haben. Die bisher von Lorenz behandelten 
Fälle sind ausnahmslos gelungen und zwar durchaus schon beim zweiten Ver¬ 
such. Es handelt sich um 10 Fälle und zwar um 2 Patienten mit doppelseitiger 
Luxation im Alter von 11 und 12 Jahren, und um 8 Patienten mit einseitiger 
Luxation im Alter von 10—15 Jahren. Die Nachbehandlung soll nach Reiner« 
Ansicht bei allen eingerenkten Hüftluxationen ihre Aufgabe nicht darin suchen, 
die erzeugte Contractur so rasch als möglich zu beseitigen, sondern im Gegen- 
theil dieselbe so lange als möglich resp. für immer reproducirbar zu erhalten, 
um vordere Reluxationen zu vermeiden. Reiner fertigt behufs Erhaltung der 
Primärstellung für die Dauer der Nachtruhe eine Gipsmulde an, die das Becken 
incl. unterer Thoraxapertur, sowie den rechtwinklig abducirten Oberschenkei 
aufnimrat. • Bl encke-Magdeburg. 

Cohn, Smonatlicher Säugling mit angeborener Hüftgelenksluxation. Berliner 

klin. Wochenschr. 1903, Nr. 34. 

Cohn demonstrirt einen 3 Monate alten Säugling mit congenitaler linh- 
seitiger Hüftgelenksluxation. Der Fall zeigt — neben der frühen Möglich¬ 
keit einer Diagnosenstellung — das Besondere, dass, wie Aehnliches von Gra- 
witz, Kirmisson, Heusner berichtet wurde, eine Haltungsanomalie des 
affieirten Beines vorlag, nämlich eine leichte Flexionsstellung des Femur und 
eine hochgradige des Unterschenkels, so dass letzterer dem Oberschenkel 


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Referate, 


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dicht anlag. Diese Haltungsanomalie wurde von der Mutter bereits 10 Tage 
nach der Geburt erkannt und führte sie zum Arzte. Passive Bewegungen be¬ 
seitigten die habituelle Flexionsstellung bald. Wollenberg-Berlin. 

Calot^ La technique du traitement non sanglant de la luxation congenitale 
de la hanche. Annales de Chirurgie et d’orthop^die 1903, Nr. 12. 

C a 1 0 1 stellt die Behauptung auf, dass, wenn die Reposition des Schenkel¬ 
kopfes gelinge, es auch immer möglich sei, ihn in der Pfanne zurückzuhalten. 
In Deutschland sei die Technik sehr fehlerhaft, daher sei Nichterfolg die Regel. 
Die Deutschen erzielten fast nur Transpositionen nach vorn. Der Hauptfehler 
liege in der Stellung, die man dem reponirten Schenkelkopf gebe (in starker 
Abduction, Hyperextension und Aussenrotation). Dadurch richte sich der Scheitel 
des Kopfes nicht gegen die Pfanne, sondern gegen die vordere Partie der Ge¬ 
lenkkapsel. Diese würde nun immer mehr nach vom hin ausgedehnt, und der 
Kopf entferne sich dadurch mehr und mehr von der Pfanne, so dass schliess¬ 
lich eine Luxation nach vorn und oben eintrete, die bisweilen zur Reluxation 
nach hinten führe. 

Um einen wirklichen Erfolg zu erzielen, muss das Centrum des Schenkel¬ 
kopfes mit dem Centrum oder zum mindesten einem Punkte der Pfanne in Be¬ 
rührung gebracht werden. Diese fundamentale Bedingung könne in verschie¬ 
denen Stellungen erreicht werden. Calot empfiehlt als erste Position: Flexion, 
Abduction von 45® und Aussenrotation; als zweite Position: Flexion, Abduction 
von 20® und Innenrotation. Um mit dieser beschränkten Abduction eines Er¬ 
folges sicher zu sein, müsse man einen energischen Druck durch ein Fenster 
des Verbandes im Niveau des Trochanters und Kniees ausüben; so würde die 
Pfanne rasch mehr und mehr vertieft. 

In der Discussion hebt Mencidre hervor, dass nach vielfachen Er¬ 
fahrungen gerade bei der von Calot empfohlenen Stellung die Reluxation 
leicht erfolge. Man müsse den Schenkelkopf in die günstigste Stellung bringen, 
die eine Reluxation nicht zulasse; diese Stellung wechsele in jedem Falle ein 
wenig. Die Innenrotation aber sei, wie dies auch auf dem Congress zu Madrid 
von allen Orthopäden ausgesprochen sei, als Ausnahmsstellung anzusehen. 
Mencidre weist mit Recht darauf hin, dass der Erfolg der Reposition von 
der Ausbildung der Pfanne abhängig sei, die in manchen Fällen kaum existire. 

K i e w e-Berlin. 

Ducroquet, Traitement de la luxation congenitale de la hanche en un temps. 
— Methode de la bande fibreuse ilio-tibiale de Maessiat. Revue d’hy- 
gidne et de medecine infantiles 1903, Nr. 6. 

Ducroquet gibt zunächst einen Ueberblick über die anatomischen 
und physiologischen Daten, die bereits über das Ligamentum ilio-tibiale 
(MaessiaUsclier Streifen) bekannt sind, und bringt Beobachtungen bei pathologi¬ 
schen Verhältnissen über dieses Band und über die Besonderheiten der Gelenk¬ 
pfanne, die sich in manchen Fällen von congenitaler Hüftluxation finden. Auf 
diese Daten basirt er eine Methode zur einzeitigen Behandlung der congeni¬ 
talen Luxation, d. h. Reduction und möglichste Streckstellung. Das gelingt 
nur: 1. wenn der obere Pfannenrand gut entwickelt ist; 2. wenn wir in der 


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Referate. 


Extension das Glied in eine solche Stellung bringen, dass der Maessiat'sehe 
Streifen, der von der Crista iliaca zur Tibia zieht, über den Trochanter major 
verläuft und ihn gegen die Pfanne drückt; 3. wenn wir das Bein in dieser 
Stellung mittelst eines exact gearbeiteten und um den grossen Trochanter gut 
anmodellirten Gipsverbandes fixiren. 

Verfasser beschreibt dann einen von ihm construirten Apparat, auf dem 
der Patient während der Anlegung des Gipsverbandes gelagert wird. 

Einige Bemerkungen über die Technik des Gipsverbandes, um mit diesem 
eine wirkliche Fixation des Hüftgelenkes zu erzielen, schliessen sich an. 

G h i u 1 a m i 1 a- Bukarest, 

Tilanus, Osteotomia subtrochanterica bei Luxatio femoris congenita. Nederl. 

tydschrift voor geneeskunde 1903, deel II Nr. 20. 

Nach den Beispielen von Eirmisson, Hoffa und J. W. Tilanus 
hat C. B. Tilanus jr. bei einer Patientin mit einer congenitalen Hüftluxation, 
wobei die Altersgrenze für die unblutige und blutige Reposition überschritten 
war, oben angeführte Operation ausgeführt. 

Es handelte sich um ein lOjähriges Mädchen mit einer rechtsseitigen 
Verrenkung, bei welcher die subjectiven Erscheinungen stark ausgeprägt waren, 
während objectiv der Trochanter sehr hoch stand und Abduction des in der 
Adduction stehenden Beines kaum möglich war. Die Verkürzung des Beines 
war 9 cm. 

Nach der Operation (es wurde die Querosteotomie angewandt) Gipsver¬ 
band von kurz über den Knöcheln bis unter die Mammae, 6 Wochen Ruhe, 
worauf Gehübungen auf einer 2—3 cm hohen Sohle; das Befinden hat sich 
derart gebessert, dass die Patientin mit einer Beinverkürzung von wenigen 
Centimeteni fast ganz normal laufen kann. van Lissa-Vlissingen. 


Guyot, Du ressaut cotyloidien spontane ou signe de Gerdy pour le diagnostic 
precoce de la luxation congenitale de la hanche. Archives provinciales 
de Chirurgie 1903, Nr. 11. 

Guyot macht auf ein .schon von Gerdy aufgefundenes Symptom auf¬ 
merksam, das die Diagnose der angeborenen Hüftgelenksverrenkung bei kleinen 
Kindern, die noch nicht gelaufen sind, erleichtern soll. Dieses Symptom, das 
Guyot „ressaut cotyloidin spontane* nennt, besteht in einem trocknen Knacken 
im Hüftgelenk, das bei activen Bewegungen und zwar bei Flexion und Exten¬ 
sion von den Patienten hervorgebracht wird, bei passiven Bewegungen lässt es 
sich meist nicht hervorrufen. Es zeigt sich vom 4. Lebensmonat an und ver¬ 
schwindet, wenn die Kinder anfangen zu laufen. Gleichzeitig mit dem Knacken 
fühlt man eine sprungartige Bewegung des Oberschenkelkopfes. Guyot glaubt 
nicht, dass es sich hier um eine Reposition einer Subluxation handelt^ sondern 
ist der Ansicht, dass der total luxirte Schenkelkopf über eine Unebenheit des 
Hüftknochens gleitet. Die von Hoffa ausgesprochene Meinung, dass das be¬ 
schriebene Symptom auf ein Fehlen des Ligamentum teres hin weise, wird nicht 
discutirt. Pfeiffer-Berlin. 


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Referate. 


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Davis, The forcible reposition of congenital dislocation of the hip. Ajnerican 

medicine, May 30, 1903. 

Davis räth von Gewaltm assregeln bei der unblutigen Einrenkung der 
angeborenen Hüftgelenksluxation ab, da diese leicht zu unglücklichen Zuföllen 
führen und auf diese Weise die ganze Methode discreditiren können. Er be- 
vorzugt die alte Paci’sche Circumductionsmethode und hält wohl mit Recht 
die Traction für überflüssig. Dagegen ist entschieden Einspruch zu erheben 
gegen den Vorschlag des Verfassers, die sich spannenden Adductoren gegebenen¬ 
falls zu tenotomiren. Ist es schon misslich, in das durch die Repositions- 
manöver lädirte Gewebe eine offene Wunde zu setzen, so ist zumal bei kleinen 
Kindern die Gefahr einer ürinverunreinigung noch höher anzuschlagen. Referent 
sah einen von einem Collegen tenotomirten Fall, bei dem eine schwere Urin¬ 
infiltration eingetreten war, die nach oben bis zum Nabel reichte und in das 
kleine Becken vorgedrungen war. Das Kind konnte durch ausgiebige Incisionen 
und Drainage nach oben und per rectum noch gerettet werden. 

Pfeiffer-Berlin. 

Davis, The treatment of congenital luxation of the hips. American medi¬ 
cine, August 29, 1903. 

Derselbe Verfasser hat in einer zweiten Arbeit die pathologische Ana¬ 
tomie der angeborenen Hüftgelenksverrenkung, sowie die verschiedenen Be¬ 
handlungsmethoden beschrieben und ihre Resultate zusammengestellt, ohne zu 
neuen Gesichtspunkten zu kommen. Pfeiffer- Berlin. 

Davis, The results in boodless reposition of congenital dislocation of the hips. 

Americ. Journal of the med. Sciences, Oct. 1903. 

In einer dritten Arbeit berichtet Davis Über seine Resultate mit der 
unblutigen Einrichtung der angeborenen Hüftgelenksluxation. Er hat bei 
5 Hüftverrenkungen 2 Transpositionen nach vorn und 3 anatomische Heilungen 
erzielt. Zum Schluss stellt er die einschlägigen Statistiken bekannter Autoren 
zusammen, aus denen er 5 Procent wirkliche Heilungen ausrechnet; bescheidenere 
Gemüther würden vielleicht 50 Procent herausrechnen. In Wahrheit diflferiren 
'wahrscheinlich die Resultate der verschiedenen Autoren nicht so sehr wie ihre 
Statistiken. Pfeiffer - Berlin. 

König, Die tuberculöse Coxitis wesentlich des Kindesalters. Die deutsche 

Klinik Bd. 8. 

König gibt in einem am 20. November 1902 gehaltenen Vortrage auf 
Grund seiner reichen Erfahrungen eine Darstellung der Coxitis des Kindes¬ 
alters. Unter 568 seiner Kranken gehörten 301 dem 1,—10., 403 dem 11. bis 
15. Lebensjahre an. 

Die Bewegungsbeschränkung betriflPt nach König zuerst fast immer die 
Kotation, erst in zweiter Linie die Abduction und Adduction. Die primäre 
Stellung des kranken Gliedes ist am häufigsten leichte Flexion, Abduction und 
Aussenrotation. Sie entwickelt sich, wenn das Hüftgelenk bei leichter Belastung 
^r nicht oder wenig schmerzhaft war. Aus dieser Stellung bildet sich nicht 
selten eine Adductionscontractur mit Flexion und Innenrotation heraus, wenn 


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Referate. 


die Coxitis nicht mechanisch behandelt wird und der Kranke im Bett, auf der 
gesunden Seite, liegt. Die Adductionscontractur kann sich aber auch primär 
entwickeln, wenn der Patient sein Bein noch beim aufrechten Gang gebraucht, 
während das Gelenk für Belastung empBndlich ist; er zieht dann dos kranke 
Glied in die Höhe und, unter Zuhilfenahme eines Stockes zur Stütze, dirigirt 
er dasselbe nur mit der Fussspitze. Aus der Adductionsstellung heraus kann 
es durch Einwirkung einer leichten Gewalt, die das Knie noch mehr nach innen 
treibt, zur Luxation kommen. Häufiger entwickelt sich die Luxation aus der 
primär adducirten Stellung bei starker Schwellung des Fettbindegewebes in der 
Fossa acetabuli durch tuberculöse Granulation, welche den Gelenkkopf herausd rängt 

Von Wichtigkeit ist es, wenn möglich, eine pathologisch - anatomische 
Diagnose zu stellen, da unser therapeutisches Handeln durch diese bestimmt 
werden muss. Häufig ist es das Röntgenbild, das gestattet, die Gelenkverände- 
rungen im Knochenskelet mit Sicherheit zu beurtheilen. In Fällen von primär 
ostaler Coxitis mit isolirten Knochenheerden kann man durch frühe Operation 
dem Fortschritt des Leidens den Boden entziehen. — Die eintretende Ver¬ 
kürzung ist gewöhnlich durch Zerstörungsprocesse an Kopf und Pfanne bedingt, 
kann aber auch von einem Zurückbleiben des Gliedes im Wachsthum herrühren. 
Ein Trochanterhochstand von 2 cm und mehr lässt auf Destruction des Gelenkes 
ßchliessen. 

Die grosse Majorität aller Coxitiden heilt bei richtiger Behandlung ohne 
chirurgischen Eingriff* aus. Indicationen für die Resection sind: nicht heilende 
Fisteln, Fortbestehen von fieberhaften Processen, Abmagerung, besonders wenn 
schwere Contracturen, starke Verkürzung darauf hinweisen, dass das Gelenk 
vernichtet ist, schwere destructive Processe mit grossen Abscessen. Man ist 
um so zurückhaltender mit der Operation, je jünger das Kind ist. Wenn aber 
langdauernde Eiterung und Gelenkverkürzung mit Destruction vorausging, diffe- 
rirte die Verkürzung der Extremität nach Resection und nach conservativer 
Behandlung nicht wesentlich. Kiew e-Berlin. 

Calot, Prognostic et traitement de la coxalgie. La pathologie infantile 1904, I. 

Calot beantwortet die 3 Fragen, die gewöhnlich die Eltern coxitiskranker 
Kinder den Aerzten vorzulegen pflegen: Wird die Krankheit heilen? Wird die 
Krankheit ohne Folgen ausheilen? Wann wird die Krankheit ausheilen? folgender- 
massen: 

Die Krankheit wird sicher ausheilen, wenn wir die Patienten frühzeitig 
in die Behandlung bekommen und wenn letztere so durchgeführt wird, wie wir 
später noch hören werden. Bestehen schon Fisteln, nun dann ist die Prognose 
wesentlich ungünstiger. 

Die Krankheit wird ohne Folgen ausheilen unter denselben soeben er¬ 
wähnten Voraussetzungen. 

Die Krankheit wird, wenn wir im Anfangsstadium mit einer richtigen Be¬ 
handlung einsetzen, 6—12 Monate dauern, handelt es sich um ältere Fälle, 2 Jahre 
und mehr je nach dem Grade der Erkrankung. 

Bezüglich der Behandlung unterscheidet Calot auch eine allgemeine und 
eine locale. Er verlangt reichliche Ernährung und vor allen Dingen einen Auf¬ 
enthalt am Meer. Bei der localen Behandlung kommt in erster Linie die Bett- 


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Referate. 


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ruhe in Frage und die Immobilisation und Extension. Verfasser ist kein Freund 
der ambulanten Behandlung, kein Freund der orthopädischen Apparate. Er will 
sie nur höchstens in den Fällen angewendet wissen, in denen die Kinder in 
Hospitälern u. dergl. sein müssen, in die „weder Luft noch Licht* kommt. 
Sonst aber nicht, vor allen Dingen nicht am Meere. Die ambulante Behand¬ 
lung gibt mittelmässige Resultate, weit bessere die Behandlung mit absoluter 
Bettruhe. Die Krankheit wird zwar bei der ambulanten Behandlung mit Appa¬ 
raten auch ausheilen, aber niemals, fast niemals ohne Ankylose und Atrophie. 

Wenn wir auch keineswegs den ausserordentlich günstigen Einfluss des 
Seeklimas auf die Constitution der Kinder verkennen und wenn wir auch alle 
die Kinder, bei denen es sich durchführen lässt, gern an die See schicken, so 
ist damit meines Erachtens noch längst nicht gesagt, dass sich auch nicht 
anderswo gute Resultate erzielen lassen. Ich glaube, dass wir Orthopäden alle 
schon Über eine ganze Reihe von Fällen verfügen, die auch ohne Seeluft und 
trotz der ambulanten Behandlung sehr gute Resultate ergeben haben. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Borchard, Zur Aetiologie der Coxa vara. Archiv f. Orthopädie, Bd. 1 H. 1. 

Borchard hat einen weiteren Fall von traumatischer Coxa vara nach 
Schenkelhalsfractur bei einer 17jährigen Patientin veröffentlicht. Er hält mit 
Recht die Coxa vara nicht für ein Krankheitsbild, sondern nur für „einen Sym- 
ptomencomplex, der hervorgerufen sein kann durch die verschiedensten Ab¬ 
weichungen von der normalen Gestalt im Bereich des Bezirkes, der vom grossen 
Rollhügel bis zum Becken reicht.“ Die Ursache der Coxa vara will Borchard 
nur dann in Rhachitis sehen, wenn noch andere Zeichen von Rhachitis vor¬ 
handen sind. Bei Patienten im Wachsthumsalter und darüber hinaus, reicht 
die so wie so im Jünglingsalter vorhandene Weichheit der Knochen aus, über¬ 
mässigen Belastungen einen derartigen Einfluss einzuräumen, der andererseits 
durch die grössere Gewalt einer äusseren Ursache ersetzt werden kann. Für 
die Therapie empfiehlt Borchard ein möglichst conservatives Vorgehen, am 
besten Massage und permanente Extension. Die operative Therapie ist nur 
dann angezeigt, wenn eine lange stationär gebliebene Verbiegung mit hoch¬ 
gradigen functioneilen Störungen des Hüftgelenkes verbunden ist. 

Pfeiffer-Berlin. 

Cohn, Zur Coxa vara infolge Frührhachitis. Jahrbuch f. Kinderheilk. N. F., 
Bd. 58 H. 3. 

Cohn hat im Berliner pathologischen Museum an den dort befindlichen 
rhachitischen Oberschenkeln Messungen vorgenommen, aus denen hervorgeht, 
dass höhere Grade von Schenkelhalsverbiegungen, sowie Verbiegungen der Ober¬ 
schenkelepiphyse gegen die Diaphyse, Zustände, die zu den klinischen Erschei¬ 
nungen der Coxa vara führen würden, recht selten als Folge der Rhachitis auf- 
treten. Dagegen fand er häufig leichte, einfache Abbiegungen des Schenkel¬ 
halses nach unten, ebenso wie einen geringen Hochstand des Trochanter major 
infolge schwerer infantiler Rhachitis, doch waren diese Verbiegungen derart 
gering, dass sie wohl nie zu ausgesprochenen klinischen Erscheinungen führen 
würden. Im Anschluss daran beschreibt Verfasser einen Fall von linksseitiger 
Coxa vara mit dem ganzen Symptomencomplex: Hemmung der Abduction, Ueber- 


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Referate. 


ragen der Trochanterspitze Über die Roser*NPlatonische Linie, Verkürzni^ 
des Beins, watschelnder Gang, Trendelen bar gisches Phänomen, Atrophie 
der Gesäss- und Oberschenkelmusculatur. Auf der rechten Seite bestand eine 
einfache Abwärtsbiegung des Schenkelhalses bis zu 98 Grad, sonst aber nonnak 
Verhältnisse am Hüftgelenk. Z an de r>Berlin. 

V. Bruns, lieber die juvenile Osteoarthritis deformans des Hüftgelenks. Bei¬ 
träge zur klin. Chirurgie, Bd. 41 H. 3. 

An der Hand von 2 Fällen, die kurz nach einander in der ▼. Brnns- 
schen E^inik zur Beobachtung kamen — es handelte sich um einen 23jährigen 
Bauer und um ein 12jähriges Mädchen — und deren Klarstellung wesentlich 
den Röntgenbildem, die auch der Arbeit beigegeben sind, zu verdanken war, 
bespricht Verfasser die juvenile Osteoarthritis deformans des Hüftgelenks unü 
kommt auf Grund der gemachten Beobachtungen zu folgenden Schlusssätzec. 
die wir wörtlich wiedergeben: 

1. Es gibt auch im jugendlichen Alter eine dem Malum coxae senile 
entsprechende Arthritis deformans coxae. Dieselbe kommt bei beiden Ge^chleth- 
tem in gleicher Weise einseitig oder doppelseitig vor. 

2. Aetiologisch spielen Traumen nicht, wie bisher angenommen, die allein 
ausschlaggebende Rolle, jedenfalls kommt auch eine idiopathische Form der 
Erkrankung vor. Die letzte Ursache der Knochenumbildung ist uns noch unbekannt. 

3. Es liegt im Wesen der Erkrankung, dass je nach der Gestaltung der 
Gelenkflächen die Symptome wechselnde sind. Sie können der Coxa vara sehr 
ähnlich werden. 

4. Von Stellungsanomalien ist die constanteste die Aussenrotation, da¬ 
neben kommt aber auch Innenrotation, Abduction und Flexion in mannigfacher 
Combination vor. 

5. Die Bewegungsbeschränkungen können sehr hohe Grade erreichen und 
die schwersten Functionsstörungen veranlassen. Sie können alle Bewegungen 
betreffen. Constant sind Ab- und Adduction, sowie Rotation behindert, seltecer 
die Flexion, noch seltener die Extension. Besonders charakteristisch scheint ein 
Wechsel des Befundes bei Rotationsbewegungen zu sein, je nachdem man in 
Beugestellung oder Streckstellung untersucht. 

6. Therapeutisch sollte zunächst exspectativ verfahren werden. Eine zeit¬ 
weise Ruhigstellung in möglichst corrigii-ter Stellung kann besonders bei Reiz¬ 
zuständen des Gelenkes von Vortheil sein, am wichtigsten aber sind Bewegungs¬ 
übungen, die der fehlerhaften Stellung entgegenwirken. Nur im NothfaU kommt 
die Resection in Frage. 

v. Bruns stellt die in der Literatur, bereits auch von H o f f a erwähnten 
Fälle von rein juveniler Arthritis deformans coxae zusammen — es sind nur 
4 — bringt die kurzen Krankengeschichten dieser und vergleicht dann seine 
beiden Fälle mit diesen 4 anderen. Blencke-Magdeburg. 

Julliard, Ueber die isolirte Abrissfractur des Trochanter minor. Archiv t 

klin. Chirurgie, Bd. 72 H. 1. 

Verfasser konnte in der Literatur eine isolirte Abrissfractur des Trochanter 
minor nirgends finden. Es handelte sich um einen S^ährigen Mann, der ge- 


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% 


Referate. 


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fallen war und in die Klinik aufgenommen wurde. Es wurde die Diagnose auf 
Schenkelhalsfractur gestellt. Der Kranke starb in der Nacht, und die Section 
liess jene Fractur erkennen. Der Schenkelhals war vollkommen intact. Der 
Trochanter minor war mit dem Musculus ileopsoas vom Femur abgerissen und 
hing nur noch durch einen Periostfetzen mit diesem zusammen. Julliard 
bringt im Anschluss an diesen Fall zunächst anatomische Bemerkungen betreffs 
des Trochanter minor und bespricht dann die Aetiologie und den Mechanismus 
dieser Fractur, für deren Zustandekommen er den Ileopsoas, den einzigen Muskel 
der am Trochanter minor inserirt, verantwortlich macht. Der Kranke wollte 
den Rumpf nach vorn ziehen, um sein Gleichgewicht wieder herzustellen, der 
Muskel zog sich plötzlich zusammen, der Rumpf konnte nicht rasch genug 
folgen und so trat eine Abrissfractur ein. Die Symptome waren Schwellung 
der benachbarten Gewebe, Ecchymose, Gebrauchsunfähigkeit des Gliedes und 
vor allen Dingen die Aussenrotation des Beines. Nach Julliard’s Ansicht ist 
es fast unmöglich, ohne Zuhilfenahme der Röntgenstrahlen die genaue klinische 
Diagnose zu stellen. Differentialdiagnostisch kommen in Frage die Schenkel- 
halsfracturen, die Brüche des Femurkopfes, die Epiphysenlösungen derselben 
und die Fracturen und Epiphysenlösungen des Trochanter major, die der Reihe 
nach vom Verfasser durchgesprochen werden. Die Prognose dieser seltenen 
Fractur scheint nach Julliar d's Meinung der der Schenkelhalsfracturen gleich 
zu sein. Die rationelle Behandlung besteht darin, den Oberschenkel in Beugung 
und leichter Aussenrotation zu fiziren. 

Eine Tafel und 3 Figuren im Text sind der lesenswerthen Arbeit bei¬ 
gegeben. Blencke-Magdeburg. 


Lipffert, üeber das Hygrom der Bursa trochanterica profunda. Diss. Tü¬ 
bingen 1903. 

Nachdem Verfasser in Kürze einige Bemerkungen über die Topographie 
der Schleimbeutel der Trochantergegeiid vorausgeschickt hat, bringt er aus der 
Tübinger chirurgischen Klinik 3 Fälle von chronischem Hygrom der Bursa tro¬ 
chanterica. Die ersten beiden Fälle betrafen isolirte Hygrome der Bursa tro¬ 
chanterica profunda, die trotz ihres langen Bestehens keinerlei Beschwerden 
verursachten. Im 3. Falle handelte es sich um coramunicirende Hygrome der 
Bursa trochanterica und der Bursa iliaca posterior. In keinem der 3 Fälle 
war über die Aetiologie etwas Besonderes zu erfahren, ebenso wenig waren 
typische Reiskörperchen vorhanden. Eine mikroskopische Untersuchung der 
Sackwand wurde nur in einem Falle vorgenommen, wobei sichere Anhaltspunkte 
für Tuberculose gefunden wurden. Doch spricht auch in den beiden anderen 
Fällen der makroskopische Befund für eine tuberculose Affection. Lipffert 
führt dann noch 4 weitere, von Z u e 1 z e r in. seiner bekannten Arbeit nicht be¬ 
rücksichtigte Fälle an, bespricht die Aetiologie, die pathologische Anatomie, 
die Diagnose und Prognose dieses Leidens und bezeichnet als die einzig rich¬ 
tige Therapie bei Trochanterschleimbeutelhygromen die Totalexstirpation, durch 
die alles Krankhafte entfernt und so einem Recidiv vorgebeugt wird und die 
auch ausserdem noch den Vorzug einer schnellen Wundheilung darbietet. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 


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Referate. 


Sievers, Congenitaler Femurdefect. Diss. Leipzig 1904. 

Verfasser beschreibt einen Fall von congenitalem Femurdefect aus der 
Leipziger Klinik. Es handelte sich um einen rechtsseitigen Defect bei einem 
11jährigen Mädchen, in dessen Familie keinerlei Missbildungen nachweisbar 
waren. Die Mutter will 2 mal während der Schwangerschaft gefallen sein. Durch 
die Müskelmasse des Oberschenkels, der in Form eines kurzen dicken Weich- 
theilklurapens scheinbar am Becken hängt, lassen sich vom Femur nur das 
untere Gelenkende und die Diaphysenfortsetzung in geringer Länge abtastem 
Eine kleine markstückgrosse Patella ist fühlbar. Die Knochen des Unter¬ 
schenkels sind normal. Das Röntgenbild zeigt eine an das Becken sich an¬ 
legende Diaphysenspitze, eine Abknickung unterhalb, andererseits eine noch 
unfertige Ausbildung sämmtlicher Abschnitte des oberen Epiphysenrande« in 
mehr oder weniger charakteristischer Form. Der Trochanter sitzt deutlich an 
dem abgeknickten proximalen Femurende. 

An der Hand dieses Falles und der Über dieses Thema vorhandenen 
Literatur gibt Verfasser eine anschauliche Schilderung der klinischen und ana¬ 
tomischen Verhältnisse und befasst sich eingehend mit der Genese dieser De¬ 
formitäten, wobei er auf die in seinem Falle vorhandene kurze, kaum finger¬ 
lange Nabelschnur aufmerksam macht, der man wohl eine grössere Rolle bei 
der Entstehung der Missbildung zuschreiben muss, da sie doch die Bewegungs¬ 
freiheit des Embryo in utero wesentlich einschränken muss, der äusseren Druck¬ 
einwirkungen nicht so gut ausweichen kann, so dass der letzte ünglücksfall 
der Mutter leichter auf ihn einwirken konnte. Er kann sich ferner, da er mit 
seiner Ventralseite an der Uteruswand zu kurz befestigt ist, für die ventral- 
wärts wachsenden Extremitäten nicht genügend Platz schaffen, so dass diese 
sich mit ihren prominenten Theilen an der üteruswand anstemmen und im 
Wachsthum gehindert werden müssen. Näher auf alle Einzelheiten dieser Arbeit, 
die ich allen, die sich für dieses Thema interessiren, aufs angelegentlichste em¬ 
pfehlen kann, würde mich zu weit führen. Eine Abbildung und ein Röntgen¬ 
bild sind derselben beigegeben. Blencke-Magdeburg. 

Aron heim, Zur Behandlung der subcutanen Ruptur des Muse, extensor cruris 
quadriceps. Monatsschr. f. Unfallheilk. u. Invalidenwesen. 10. Jahg., Nr. 10. 
Aronheim theilt einen Fall von oben genannter Verletzung mit und 
empfiehlt auf Grund eines vorzüglichen Erfolges die Behandlung solcher Fälle 
mit Massage. Für gewöhnlich wird das Bein auf einer Schiene ruhig gestellt 
6 V 2 Wochen nach dem Unfall war die Patientin beschwerdefrei. 

Rauenbusch - Berlin. 

Kr Ogi US, Zur operativen Behandlung der habituellen Luxation der Knie¬ 
scheibe. Centralbl. f. Chir. 1904, Nr. 9. 

Krogius hat in 3 Fällen von habitueller Luxation der Kniescheibe eine 
sinnreiche Methode angewendet, die er nunmehr zur Nachprüfung empfiehlt 
Sie besteht in folgendem: Es wird ein Längsschnitt an der äusseren Seite der 
Patella herabgeführt, durch den der ganze vordere Theil des Kniegelenkes 
blossgelegt wird. Hierauf wird ein zweiter Schnitt längs dem äusseren Patellar- 
rande durch den Tractus ileotibialis und die eigentliche fibröse Kapsel bis auf 


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Referate. 


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die Synovialis angelegt und zwei ähnliche parallele, etwa zwei Querfinger breit 
von einander entfernte Schnitte an der Innenseite der Kniescheibe, die eben¬ 
falls bis auf die Synovialis reichen. Durch Abpräpariren der zwischen diesen 
letzten beiden Schnitten gelegenen Gewebe von der Synovialis wird ein brücken¬ 
förmiger Lappen gebildet, der über die Patella nach aussen geschoben und 
in den durch den äusseren Kapselschnitt erzeugten Spalt eingepasst und fest- 
genäht wird. Nun wird der durch die Verschiebung des Lappens entstandene 
Defect an der Innenseite des Kniegelenks durch starke Catgutnähte geschlossen. 
Schliesslich wird die Hautwunde geschlossen und drainirt und das Bein nach 
Anlegung eines leicht comprimirenden Verbandes auf eine Schiene gelagert. 
3—4 Wochen später beginnt die Massagebehandlung. In besonders hoch¬ 
gradigen Fällen empfiehlt Krogius diese Operation mit der Verpfianzung des 
Ansatzes des Ligamentum patellae nach innen zu combiniren. 

Pfeiffer-Berlin. 

Gerl ach, Beiträge zur Behandlung der tuberculösen Kniegelenksentzündung 
aus der königl. chirurgischen Universitätsklinik zu Göttingen in der Zeit 
vom 1. December 1895 bis 1. December 1902. Diss. Göttingen 1903. 
Gerl ach berichtet über 216 Fälle von Kniegelenksentzündung aus der 
Göttinger Klinik, von denen rein conservativ 74 behandelt wurden. 62 wurden 
geheilt, einer nicht geheilt, verstorben sind 6, von denen 2 geheilt waren. 
Bei 4 konnte das Resultat nicht ermittelt werden und einer stand noch in 
Behandlung. Conservativ mit folgender Resection wurden 30 behandelt. 

Gerl ach konnte unter diesen 22 Heilungen verzeichnen und 8 Todes¬ 
fälle, unter letzteren waren 8 geheilt und 5 ungeheilt. Ein Patient wurde 
conservativ mit folgender Arthrektomie behandelt, starb aber geheilt, bei 2 
musste auch noch die Resection angeschlossen werden. Beide wurden geheilt. 
Conservativ mit folgender Arthrotomie wurde einer behandelt, der ungeheilt 
-gestorben ist. Arthrotomien wurden 3 ausgeführt: ein Patient wurde geheilt, 
einer starb geheilt und einer ungeheilt. Atypische Operationen, d. h. Opera¬ 
tionen, bei denen eine Eröffnung des Gelenks nicht nöthig wurde, wurden in 
8 Fällen gemacht: 2 wurden geheilt, 4 starben geheilt, bei 2 konnte nichts 
Näheres ermittelt werden. Von den 5 Arthrektomirten wurden 3 geheilt und 
2 starben geheilt. In 75 Fällen wurden primäre Resectionen vorgenommen 
mit 52 Heilungen und 3 Besserungen. 7 Patienten starben geheilt, 1 ungeheilt, 
ausserdem noch 4; 3 standen noch in Behandlung, von 5 konnte nichts in Er¬ 
fahrung gebracht werden. In 5 Fällen wurde die bogenförmige Osteotomie 
gemacht: 4 Patienten wurden geheilt, 1 starb geheilt. Primäre Amputationen 
wurden 6 ausgeführt, secundäre 13 mit 9 Todesfällen. 

Was das Alter der Patienten anlangt, so waren unter 20 Jahren 128. 
Ein Trauma als Ursache wurde in 54 Fällen angegeben, in 7 Fällen sollte eine 
Verschlimmerung durch ein solches eingetreten sein. Soweit man es bei der 
Resection oder an Fisteln erkennen konnte, bestand in 74 Fällen eine Eiterung. 

Bei den rein conservativ behandelten und geheilten Patienten war 44mal 
das Knie gerade und fest, 4mal krumm und fest, 4mal normal beweglich und 
5mal mehr oder weniger beweglich. 11 Patienten gingen mit einer Hülse, 17 
am Stock. 51mal war der Gang gut, lOmal massig. Bei den Resectionen 


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Referate. 


I 

r 


wurde immer die Naht ausgeführt und zwar 66mal mit Silber, 9mal mit Cat¬ 
gut. Alle Geheilten geben den Gang als gut an, nur in 4 Fällen wird er als 
schlecht bezeichnet. Bei einem Patienten ist das Bein fest und krumm, bei 
allen übrigen steif und gerade. In einem Falle musste der Resection die bog-en- 
förmige Osteotomie folgen wegen Verkrümmung des Beins, die sich einstellte, 
nachdem Patient den Gipsverband eigenmächtig abgenommen hatte und weiterer 1 

Behandlung ferngeblieben war. Nach des Verfassers Erfahrungen stellt sich j 

die Prognose, was Ausheilung des Knieleidens bei der operativen Behandlung i 
anlangt, mit zunehmendem Alter nicht schlechter. j 

Der überaus fleissigen Arbeit sind die 216 kurzen Krankengeschichten * 
beigegeben. B1 e n c k e - Magdeburg. ^ 

Gangolphe, Tuberculose du genou chez Tadulte. Technique operatoire et 
r^sultats de la resection susperiost^e. Annales de Chirurgie et d’ortho- 
pedie 1903, Nr. 12. 

Gangolphe befürwortet die Resection bei Kniegelenkstuberculose der 
Erwachsenen, wenn die conservative Behandlung während einiger Monate kein 
nennenswerthes Resultat ergeben hat. Der Verlauf der Kniegelenkstuberculose 
gestaltet sich beim Erwachsenen und im Jünglingsalter viel schwerer als beim 
Kinde. Die anatomische Form der Tuberculose ist bei der Indicationsatellung 
nicht in Betracht zu ziehen. Auch wenn nur die Synovialis erkrankt ist, soll i 

man reseciren. Er verwirft die Synovektomie als eine ungenügende Operationa- 
methode. Für Adolescenten empfiehlt Gangolphe die Arthrektomie. Drainage, 
Knochennaht und Gipsverband, der auch die Hüfte immobilisirt. Auch wenn 
das Glied solide erscheint, soll der Patient während mehrerer Monate einen 
Schutzapparat tragen. Die Allgemeinbehandlung und gute hygienische Ver¬ 
hältnisse sind von Wichtigkeit. 

In der Discussion erwähnt Lucas-Championniere, dass Lungen- 
tuberculose keine Contraindication gegen die Ausführung der Operation sei. 

Er macht die complette Resection und bedient sich mit Vortheil zur Knochen¬ 
naht der Silbernähte, die im Gelenk gelassen werden. Eine leichte Verküi-zung 
bei günstiger Stellung sei den Ankylosen in fehlerhafter Stellung weit vorzu¬ 
ziehen. Bö ekel hat die Resection auch bei älteren Patienten (60 Jahre und 
mehr) mit Erfolg gemacht. Er verzichtet bei jüngeren Individuen auf jede 
Ligatur, Knochennaht und Drainage. Fröhlich präcisirt seinen Standpunkt 
dahin, dass seiner Erfahrung nach die Kniegelenkstuberculose beim Kinde 
spontan heile; im Jünglingsalter könne man die Resection machen, bei Er- 
w’aehsenen müsse man sie oft ausführen. Kiewe-BerUn. 

Hofmeister, Ueber Verkrümmungen des Beins nach Kniegelenksresection im 
Kindesalter. Beiträge zur klinischen Chirurgie Bd. 37, Heft 1. u. 2. 
Hofmeister berichtet in einer interessanten und beachtenswerthen 
Arbeit über die Spätresultate, die er bei Nachuntersuchung der an der Tübinger 
Klinik wegen Kniegelenkstuberculose resecirten Kinder fand. Die Untersuchung 
wurde 1—17 Jahre nach der Operation angefertigt und bezog sich auf 107 Pa¬ 
tienten, die zur Zeit der Operation das 13. Lebensjahr noch nicht überschritten 
hatten. Bei der Resection wurden grundsätzlich nur möglichst dünne Knochen- 


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Referate. 


877 


resp. Enorpelscbeiben entfernt, die Nachbehandlung mittelst Gipsverbänden wurde 
lang’e fortgesetzt. Verfasser constatirt eine ausserordentliche Häufigkeit der 
secundären Flexionskrümmungen. Diese Beugecontracturen und speciell die 
schweren Verkrümmungen bilden sich um so häufiger aus, je jünger die Kinder 
zur Zeit der Operation waren. 

3.— 6. Lebensjahr auf 18 Fälle 13 schwere Flexionskrümmungen = 75,0^0 
3.- 8. , , 48 , 81 , , = 64,6V 

9.—13. , * 59 , 16 , , = 27,2V. 

Dieselbe Flexionstendenz besteht auch bei arthrotomirten Kindern. 

Auf Grund anatomischer Untersuchungen und Röntgenaufnahmen, von 
denen er einige seiner Arbeit beigibt, unterscheidet Verfasser unter den 
Flexionskrümmungen: 

1. Winklige Knickungen an der Stelle der früheren Gelenkspalte; sie 
entstehen, sofern sie nicht durch unvollkommene Geradestellung bei der Ope¬ 
ration schon im Keim angelegt sind, während des Stadiums der bindegewebigen 
Vereinigung bezw. während des Stadiums der knorpeligen Synostose, so lange 
diese nicht fest genug ist, um den flectirenden Gewalten Widerstand zu leisten, 

2. Bogenförmige Krümmungen des unteren Femurendes an der Epiphysen¬ 
linie. Vorbedingung für diese Krümmungsform ist eine feste Vereinigung an 
der Resectionsstelle. Die Femurverkrümmung kann auch schon vor der Ope¬ 
ration bestehen, sie ist nicht Folge der Resection, sondern der Ankylose. Sie 
reicht um so höher an die Diaphyse hinauf, je längere Zeit seit der Operation 
vergangen und je jünger das Kind zur Zeit der Operation war, d. h. ein je 
längeres Schaftstück die Epiphyse unter dem Einfluss der flectirenden Gewalt 
producirt hat. Das Wachsthum der Epiphyse findet im Sinne der Beugung 
statt. Der Grad der Femurkrümmung findet seinen Ausdruck in dem ,Rich¬ 
tungswinkel der unteren Femurepiphyse“; der Grad der Flexion an der Resec¬ 
tionsstelle (winklige Knickung) wird charaktevisirt durch den ,Femurepiphysen¬ 
tibiawinkel“. 

Die Beugestellung kann durch ein Trauma herbeigeführt oder rasch ver¬ 
schlimmert werden. (Lockerung der Verbindung an der Resectionsstelle oder 
Nachgeben der Epiphysenverbindung.) 

Als die Kräfte, welche die Flexionsstellung herbeiführen, kommt die 
Körperlast, namentlich aber nach Verfasser der Zug der Beugemusculatur, denen 
nicht mehr ein äquivalenter Streckapparat gegenübersteht, in Betracht. Ziem¬ 
lich häufig sind die Flexoren auch schon durch eine vor der Operation be¬ 
stehende Contractur verkürzt. 

Hofmeister führt aus, dass der Flexorenzug auf die Femurepiphyse 
durch Vermittlung eines relativ langen Hebelarms wirke, dessen Länge reprä- 
sentirt werde durch die Höhe der Femurepiphyse und der Höhe des ober¬ 
halb der Flexorenansätze gelegenen Tibiatheils. Wenn die Resection eine 
knöcherne Ankylose erzielt habe, hätten die Flexoren dadurch keineswegs ihren 
Angriffspunkt verloren. 

In therai)eutischer Hinsicht gelangt Verfasser zur Aufstellung des Prin- 
cips, zunächst durch Skiagramm und Messung des ,.Epiphysenricbtungswinkels“ 
festzustellen, welche der beiden Contracturformen vorliegen, und je nach dem 


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878 


Referate. 


Ergebniss an der Stelle der stärkeren Krümmung oder auch nöthigenfalls an 
beiden Stellen die Trennung des Knochens auszuführen. Für diejenigen Fälle, 
wo das Röntgenbild und das Alter des Patienten noch eine knorpelige Epi¬ 
physe erwarten lassen, schlägt er die operative Epiphysenlösung zur Beseitig^ong^ 
der Krümmung vor. 

Um prophylactisch der Entstehung von Flexionscontracturen entgegen¬ 
zuwirken, hält Hofmeister die dauernde operative Ausschaltung des Ein¬ 
flusses der Beugemusculatur auf den Unterschenkel bezw. die untere Femur¬ 
epiphyse für angezeigt und zieht hierfür der einfachen Tenotomie der Beuge¬ 
muskeln die Verlagerung der Flexoreninsertion auf die Streckseite vor. 

K i e w e • Berlin. 

Wallace-Blanchard, La pathologie chirurgicale du genu varum et du 

genu valgum. Annales de Chirurgie et d’orthopedie 1903, Nr. 10. 

Wallace-Blanchard betont, dass die Verkrümmungen bei Genu val- 
gum und Genu varum niemals zum Centrum die Condylen oder das Gelenk 
haben. Die von Lorenz vertretene Auffassung von einer Höhenzunahme des 
inneren Condylus, einer Höhenabnahme des äusseren, erklärt er für wissen¬ 
schaftlichen Aberglauben. Auf Grund einer grossen Zahl von Röntgenbildem 
ist er der Ansicht, dass das Genu valgum und varum — inwieweit die Ausfüh¬ 
rungen auch für das Genu valgum adolescentium Geltung haben, geht aus der 
Arbeit nicht hervor — in seiner Entwickelung bestimmten unveränderlichen 
(resetzen folge. Beim Genu varum bildet sich zunächst als eine Ueber- 
treibung der normalen Krümmung des Femur eine weitere Auswärtskrümmung 
im Bereich der unteren Femurdiaphyse, dann erfolgen die Verkrümmungen 
der Tibia und werden die hochgradigsten, namentlich die im oberen Drittel 
der Tibia gelegene Verbiegung. Beim Genu valgum beginnt die Deformität 
gewöhnlich mit einer mit der Convexität medialwärts gerichteten Verbiegung 
der Diaphyse der Tibia, 3—6 cm unterhalb ihres Kopfes. Mit dem Fortschreiten 
der AflPection entwickelt sich die mediale Verkrümmung auch in der übrigen 
Tibiadiaphyse, des weiteren auch eine in demselben Sinne gerichtete Verkrüm¬ 
mung im unteren Theile der Fibula, während dieselbe im oberen Theile normal 
bleibt. Nach den radiographischen Untersuchungen des Verfassers besteht aber 
keinerlei nennenswerthe Abweichung in der Verlaufsrichtung der Condylen des 
Femur. Eine seltene Ausnahme ist nach ihm das theilweise oder völlige Ver¬ 
schwinden der normalen lateralwärts gerichteten Krümmung der unteren Femur¬ 
diaphyse und ihre Umwandlung in das Gegentheil; aber auch in diesen Fällen 
ist das Centrum der Deformation nicht in den Condylen oder dem Gelenk, 
sondern weiter oben in der Diaphyse gelegen. 

Wa 11 ac e-B1 an ch a rd verlangt, dass der corrigirende Eingriff beim 
Genu varum und valgum stets an dem Scheitelpunkt der Deformation vorge¬ 
nommen werden soll, gewöhnlich in der oberen Tibiadiaphyse. Er bevorzugt 
die Osteoclase gegenüber der Osteotomie aus den auch sonst für die erstere 
ins Feld geführten Gründen. Er bediente sich des Osteoclasten von Grattan. 
Das unblutige Redressement des Genu valgum empfiehlt Verfasser nicht; ebenso 
bekämpfter die von Codi villa, Lorenz und Reiner empfohlene Epiphyseo- 
lyse, weil nach seinen (zwei) Versuchen die Weichtheile vor dem Eintritt der 


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Referate. 


879 


Epiphysenlösung^ nachgeben. Unter Bezugnahrae auf zwei Röntgenbilder aus 
R e i n e r’s Arbeit bemängelt er die von diesem durch die Epiphyseoljse erhaltenen 
Resultate. Ausserdem sei gegen die Epiphysenlösung geltend zu machen die 
lange Behandlungsdauer, die möglicherweise eintretende Beeinträchtigung des 
Wacbsthums und der Umstand, dass der Eingriff nicht am Centralpunkt der 
Deformation erfolge. 

Den Ausführungen des Verfassers stehen die von demselben nicht er¬ 
wähnten grundlegenden Untersuchungen Mikulicz's über das Genu valgum 
gegenüber, welche zeigten, dass die Verkrümmung von Femur und Tibia darin 
liegt, dass infolge abnormer Wachstbumsvorgänge in den Epiphysenlinien 
das Epiphysenstück schief auf die Diaphyse von Femur und Tibia auf¬ 
gesetzt ist. K i e w e • Berlin. 

Delanglade, Genu recurvatum congenital, Anatomie pathologique. Deduc- 

tions therapeutiques. Rev. d’orthop. 1903, Nr. 3. 

Verfasser hatte Gelegenheit, anatomische Präparate von doppelseitigem 
Genu recurvatum zu untersuchen, welche von einem Mädchen stammten, das 
mit 8 Monaten geboren, verschiedene andere Deformitäten zeigte, so doppel¬ 
seitigen Klumpfuss, Hydrocephalie und lumbale Spina bifida, an deren Ruptur 
es 10 Stunden nach der Geburt starb. 

Bei der Untersuchung fand Delanglade, dass die Gelenkflächen der 
Tibia nach vom verschoben waren und in Berührung standen mit der Trochlea 
des Femur, während die Patella allen Contact mit dem unteren Femurende ver¬ 
loren hatte, und weit oben stand. Das Femurende zeigte eine Krümmung auch 
in der Diaphyse, aber Verfasser sieht darin nur etwas Nebensächliches und fasst 
seinen Fall als incomplete Luxation des Knies nach vom auf, wie auch fast alle 
übrigen Fälle von Genu recurv. congen. 

Die bedeutenden Veränderungen der Weichtheile, nämlich dass die Ex¬ 
tensoren verkürzt und atrophisch sind, die Beuger nach vom geglitten und zu 
Streckern geworden sind, dass die vorderen Ligamenta des Knies verkürzt sind, 
haben für den Verfasser nur den Sinn, die schon luxirten Knochen in der 
falschen Lage festzuhalten. 

Er sucht seine Ansichten zu stützen durch Fälle aus der Literatur und 
einen anderen eigenen Fall, dessen Röntgenbild eine grosse Aehnlichkeit mit 
den untersuchten Fällen hatte. 

Er folgert daraus für die Behandlung Reduction der Luxation und Fest¬ 
halten in einer geeigneten Stellung. Ghiulamila-Bukarest. 

Kirmisson, Le genu recurvatum congenital, sa pathogenie, son traitement. 

Rev. d’orthop. 1903, Nr. 5. 

Kirmisson gibt die Krankengeschichte eines Kindes mit beiderseitigem 
angeborenen Genu recurvatum, bei dem sich zugleich Patellardefecte zeigten. 
Er bespricht bei dieser Gelegenheit die Pathogenese und die Behandlung dieser 
Deformität und erwähnt die verschiedenen Ansichten, die heutzutage über die 
Entstehung und Art dieses Leidens bestehen, und die Verwirrung, die in der 
Kenntniss der Krankheit hervorgerufen wird, wenn in der Literatur derselbe 
Fall bald als Genu recurvatum, bald als congenitale Luxation bezeichnet wird. 


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880 


Referate. 


Verfasser verwirft die Annahme einer wirklichen Luxation als Ursache 
eines Genu recurvatum und erklärt die Entstehung der Deformität durch eine 
lang andauernde fehlerhafte Lage, wobei, wie bei einem angeborenen Elumpfass, 
verschiedene Grade von Veränderungen der Form und der Lage der Knochen 
und der Weichtheile am Knie Vorkommen können, ohne dass man deswegen 
diese Abarten mit verschiedenen Namen belegen muss. 

Aus dieser Pathogenese des Genu recurvatum ergibt sich, dass die Be¬ 
handlung nicht gegen die Luxation gerichtet sein kann, sondern vielmehr in 
Redression, Massage und Gymnastik bestehen muss. Ghiulamila -Bukarest. 

Kisch, Ueber das Genu recurvatum osteomyeliticum. Beitr. z. klin. Chir. 

ßd. 41 Heft 2. 

Kisch beschreibt 2 Fälle von hochgradigem Genu recurvatum osteo¬ 
myeliticum, die beide zur Operation kamen. Im ersten, einer knöchernen An- 
kylose, war es möglich, nach zwei seitlichen Incisionen und Entfernung von 
Knochensequestem das Brisement force auszuführen. Dabei gab die obere Epi¬ 
physenlinie der Tibia nach, durch deren winklige Abknickung die Deformität 
entstanden war. Da eine Nachblutung stattfand, wurde die Patientin zum 
zweiten Male narkotisirt und ein spritzendes Gefäss umstochen. 6 Stunden 
später trat in einem Herzcollaps der Tod ein. Die Section ergab Fettembolie 
nur in der Lunge und allgemeine Anämie. Wahrscheinlich war das Herz durch 
die Anämie und die 2malige Narkose zu schwach, um die Fettemboli durch 
die Lungengefässe zu treiben. Im 2. Falle konnte durch eine Keilresection 
Geradestellung und Deckung des Knochenspaltes durch die in einen Haut- 
knochenlappen genommene, sonst functionslose Patella eine gute Heilung er^ 
zielt werden. Im Anschlüsse erwähnt Kisch noch 2 von Nicolaysen ver¬ 
öffentlichte ganz gleichartige und ebenso operirte Fälle; er mahnt mit Recht 
zur Vorsicht bei Ausführung des unblutigen Redressements und empfiehlt die 
im 2. Falle angewendete Operationsmethode, glaubt aber, dass man zumeist 
mit der linearen Osteotomie auskommen wird. Pfeiffe r-Berlin. 

Thevenot, Ankylose osseuse angulaire du genou gauche. Arthroclasie, re- 

dressement lent. Revue d’orthopedie 1903, Nr. 4. 

Thevenot beschreibt einen Fall von spitzwinkliger Ankylose des linken 
Knies infolge einer eitrigen Gelenkentzündung im Wochenbett. Mit dem Arthro- 
klasten von Robin wurde vorsichtig in drei Etappen die Deformität ausge¬ 
glichen. Er empfiehlt im Anschluss hieran bei allen fibrösen Ankylosen einen 
Versuch mit dem Redressement mit Hilfe des Robin’schen Apparates zu 
machen, jedoch nicht bevor der Entzündungsprocess mit Sicherheit vollständig 
erloschen ist. Ein allmähliches schrittweises Vorgehen sichert vor Verletzungen 
der Weichtheile, besonders der Gefässe und Nerven. Rauenbusch-Berlin. 

Hoffa, Beiträge zur Pathologie und Therapie der Kniegelenkserkrankungen. 

Berliner klin. Wochenschrift. 1. Febr. 1904. 

In der vorliegenden Arbeit bespricht Hoffa diejenigen Kniegelenks¬ 
leiden, bei denen gewöhnlich trotz vorhandener Schmerzen kein objectiver Be¬ 
fund nachweisbar ist und die man früher meist unter dem Sammelnamen der 


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Referate. 


881 


Gelenkneuralgie zusammenzufassen pflegte. Vier verschiedene AfPectionen 
kommen hierbei in Frage: die arthiitische Muskelatrophie nach frijher bestan¬ 
dener Eniegelenksaffection, das Derangement interne, die Lipombildung im Ge¬ 
lenk und das Vorhandensein eines freien Gelenkkörpers. Bei dem ersten Leiden 
finden wir hochgradige Atrophie der zugehörigen Streckmusculatur und Un¬ 
fähigkeit, beide Beine in gleicher Weise energisch zu strecken. Den Schmerz 
sucht H 0 f f a durch die Schwäche des Quadriceps zu erklären, der der Spanner 
der Kapsel ist. Wenn diese Spannung leidet, kommt es zur momentanen Ein¬ 
klemmung. Hoffa sieht diese Atrophien als reflectorische an und beseitigt 
sie durch Massage und Gymnastik. Bei dem zweiten Leiden handelt es sich 
um Abreissung bezw. Luxation eines, viel seltener auch wohl beider Knie¬ 
gelenksmenisken. Der locale Druckschmerz genau in der Gelenkspalte ist un- 
gemein typisch und für die Diagnose von grösster Wichtigkeit; man fühlt an 
der inneren oder äusseren Seite in der Gelenkspalte eine schmale, harte Leiste, 
die bei Streckung des Beines deutlicher hervortritt. In frischen Fällen ver¬ 
sucht Hoffa die Reposition, in älteren zunächst die conservative Behandlung. 
Kommt man mit dieser nicht zum Ziel, dann räth er zur Exstirpation, die er 
in 9 Fällen ausfuhrte. Die Krankengeschichten sind beigegeben. Bei der dritten 
Art dieser E[niegelenk8leiden handelte es sich um Bildung von sogen, soli¬ 
tären subsynovialen Lipomen. Weiter kommt dann nach des Verfassers Er¬ 
fahrungen noch eine entzündliche fibröse Hyperplasie des normalerweise unter¬ 
halb und zu beiden Seiten des Lig. pat. gelegenen Fettgewebes in Betracht, 
die durch ein Trauma oder auch durch einen chronischen Reizzustand des Ge¬ 
lenkes zu Stande kommen kann. Im wesentlichen handelt es sich hierbei um 
Einklemmungserscheinungen; es ist meist leichte Quadricepsatrophie und leichtes 
Knirschen nachweisbar, oft auch eine pseudofluctuirende, elastische typische 
Anschwellung bei sonst intactem Gelenk dicht unterhalb und zu beiden Seiten 
der Patella. Bei der Therapie kommt lediglich die Exstirpation in Betracht, 
die Hoffa 7mal ausführte. Die Krankengeschichten sind beigegeben. Auf 
das vierte Leiden, auf das Vorhandensein der freien Gelenkkörper im Gelenk 
geht Hoffa nicht näher ein, da ja diese Art allgemein bekannt sein dürfte. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Hoffa, Zur Bedeutung des Fettgewebes für die Pathologie des Kniegelenkes, 

Deutsche med. Wochenschr. 1904. Nr. 10. 

Hoffa macht darauf aufmerksam, dass das normalerweise unter dem 
Ligamentum patellae befindliche Fettgewebe der Sitz einer fibrösen, hyper¬ 
plastischen Entzündung werden kann. Verursacht wird diese Hyperplasie durch 
den Reiz gelegentlicher Traumen des Kniegelenkes, welche gar nicht erheblicher 
Natur zu sein brauchen. Es entwickelt sich dann hinter und zu beiden Seiten 
des Ligamentum patellae ein derber Fettklurapen, der allerdings äusserlich 
einem Lipom sehr gleichen kann, sich aber von dem normalen Fettgewebe 
durch seine beträchtliche Grösse, seine mehr röthliche Farbe und seine derbe 
Consistenz unterscheidet. Ein Querschnitt dieser Masse zeigt ein Netzwerk von 
Bindegewebssträngen, weite Gefässluinina und mehr oder weniger ausgedehnte 
Blutextravasate, wie sich solche auch an der Oberfläche, namentlich an den 
Zotten vorfinden. Die mikroskopische Untersuchung lässt alle Stadien der Ent- 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XII. Bd. 57 


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882 


Referate. 


Zündung erkennen von der zelligen Infiltration bis zur Umwandlung derselben 
in straffes Bindegewebe. Die durch eine derartige Hyperplasie gewucherten 
Zotten drängen sich zwischen die Gondylen und rufen Einklemmungserschei¬ 
nungen hervor, die den bei freien Gelenkkörpem beobachteten gleichen. Die 
objectiven Symptome sind folgende: Dicht unterhalb und zu beiden Seiten der 
Patella findet sich eine pseudofluctuirende Anschwellung, der obere Recessus 
des Gelenkes ist frei, ebenso die Gelenkspalten an den Seiten. Kein Erguss. 
Die Bewegungen des Gelenkes sind meist normal, die aufgelegte Hand fühlt 
dabei bäufig ein leichtes Knarren, das von der rauhen Crepitation, wie man 
sie bei Veränderungen des Knorpels findet, bei einiger Uebung leicht zu unter¬ 
scheiden ist. Differential diagnostisch kommt das Derangement interne und das 
Vorhandensein eines freien Gelenkkörpers in Betracht. Für die Diagnose des 
ersteren sind jedoch typische Schmerzpunkte, eventuell die Schwellung genau 
im Gelenkspalt maassgebend, während freie Gelenkkörper sich durch das 
Röntgenbild constatiren lassen. Für die Therapie kommt, da die gebräuch¬ 
lichen ableitenden Mittel, sowie Massage, Gymnastik und Compressionsverbände 
versagen, nur die Exstirpation der gewucherten Fettmassen von einem inneren 
Längsschnitt aus in Betracht. Schon 8—10 Tage nach der Operation wird mit 
activen Bewegungen des Gelenkes begonnen, später folgt Massage und Gyrm- 
nastik. In 6—8 Wochen ist gewöhnlich volle Gebrauchsfähigkeit der Beine 
eingetreten. Bisher sind 7 Patienten mit glänzendem Resultat dieser Kur unter¬ 
zogen worden. Pfeiffer-Berlin. 

Ackermann, Ueber das Derangement interne des Kniegelenks. Inaug.-Diss. 

Berlin 1904. 

Ackermann berichtet über 9 in der Hoffa’schen Klinik operativ 
geheilte Fälle von Derangement interne und bespricht im Anschluss daran die 
Aetiologie, Symptomatologie und Therapie dieses Leidens. Er will mit Recht 
unter Derangement interne des Kniegelenks nur eine Ruptur der Semilunar¬ 
knorpel mit oder ohne gleichzeitige Luxation verstanden wissen. Bezüglich 
der Therapie steht er auf dem durchaus zu billigenden Standpunkte, dass die 
partielle oder totale Exstirpation des luxirten Meniscus bei veraltetem Derange¬ 
ment interne die einzig richtige Behandlungsweise ist. Pfeiffer-Berlin. 

Bovin, Ueber traumatische Meniscusstörungen im Kniegelenk. Klinisch-ana¬ 
tomische Studie. 

Nachdem in einem einleitenden Bericht die Auffassungen dargestellt 
worden sind, die über die traumatischen Meniscusstörungen im Kniegelenk in 
verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern geherrscht haben, behandelt 
der Verfasser ausführlich im ersten Theil seines Aufsatzes die Anatomie und 
Physiologie der Kniegelenksmenisken. Er stützt sich hierbei auf eigene Unter¬ 
suchungen an 15 ungehärteten Kniegelenken und 36 Gelenken, die mit Formalin 
nach H. Virchow gehärtet und in verschiedenen Stellungen fixirt wurden. 
Pauzat’s Darstellung der ^Ligaments meniscaux ant^rieurs“ wird kritisirt und 
als schematisch und zum Theil unrichtig bezeichnet, gleichzeitig aber P au za t's 
Verdienst betont, darauf hingewiesen zu haben, wie die Menisken nicht bloss 
bei Rotationen, sondern auch bei Flexion und Extension auf die Schienbein- 


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Referate. 


883 


condylen verschoben werden, und dass ferner diese Lageveränderungen sowohl 
durch Verschiebung der Schenkel condylen als auch durch Zug wegen des 
festen Zusammenhanges der Menisken mit der Kniegelenkkapsel geschehen. 
Da auf diese nach vorne zu der M. quadriceps femoris und nach hinten zu der 
M. semimembranosus und M. popliteus wirken, so stehen die Menisken vermuth- 
lich indirect unter der Einwirkung der genannten Muskeln. Die Präparate des 
Verfassers machen diese Annahme wahrscheinlich. Von den verschiedenen An¬ 
sichten über die Bedeutung der Menisken für die Functionen des Kniegelenks 
wird die H. Virchow’s als die richtigste bezeichnet, mit der auch die Dar¬ 
stellung des Verfassers in der Hauptsache übereinstimmt. Die Menisken sind 
nicht starre und unveränderliche Bildungen, sondern erfahren sowohl Form¬ 
als Lageveränderungen durch Verschiebung, Zug und Druck. Bei verschiedenen 
Einstellungen des Gelenks haben verschiedene Theile der Menisken ihre be¬ 
sonderen Aufgaben, an der Pfannenbildung theilzunehmen, Polster zwischen den 
Gelenkenden zu bilden oder als Ligamente zu dienen. Die vorderen Theile der 
Menisken haben nach dem Verfasser wahrscheinlich keine grössere Bedeutung 
für die Hemmung der Extension. Die bogenförmigen Impressionen auf den 
vorderen Theilen der Schenkelcondylen, die ,HemmungsfacettenvonH.Virchow 
.Meniscalfurchen“ genannt, entstehen nach den Präparaten des Verfassers nur 
in den äusseren (nach der Peripherie des Gelenks zu gelegenen) Theilen da¬ 
durch, dass sich die Menisken zwischen die vorderen Theile der Schenkel- und 
Schienbeincondylen in Streckstellung einkeilen, während die inneren Theile 
durch directen Druck der betreffenden Condylen gegen einander entstehen. Es 
wird auf die durch Operationen gewonnene Erfahrung hingewiesen, dass man 
ohne nachweisbare Störung der Gelenkfunctionen einen der beiden Menisken 
exstirpiren kann. 

Von sonstigen Einzelheiten in der inneren Configuration des Gelenkes an 
gehärteten Präparaten werden die bei Flexionsstellung tief sich einschiebenden 
Lappen der Massa adiposa (nicht zu verwechseln mit den Plicae alares) als 
klinisches Interesse besitzend erwähnt. Die Darstellung wird durch 12 Auto¬ 
typien veranschaulicht, wovon 10 nach Photographien von formalingehärteten 
Gelenken und 2 nach Röntgenphotographien von lebenden Kniegelenken, alle 
in natürlicher Grösse. Die letztgenannten zeigen, dass die in Formalinpräpa- 
raten vorhandenen Verhältnisse zwischen den Knochentheilen mit denen im 
Leben übereinstimmen. So z. B. scheinen die Femurcondylen bei Flexion eine 
beträchtliche Verschiebung nach hinten auf den Tibiacondylen zu erfahren; die 
Patella liegt bei Strecksteilung zum grössten Theil oberhalb der Facies patel- 
laris des Schenkelbeins. 

Die klinische Darstellung stützt sich auf ca. 200 in der Literatur vor¬ 
kommende operirte Fälle von intraarticulären Meniscusstörungen und ferner 
auf 10 ausführlich beschriebene Operationsfälle aus Krankenhäusern in Stock¬ 
holm und Upsala. In verschiedenen Kapiteln werden pathologische Anatomie, 
Aetiologie und Mechanik, Symptome, Diagnose, Behandlung und Prognose der 
Meniskenverletzungen behandelt. Bei Operationen hat man den medialen 
Meniscus 6—7mal öfter lädirt gefunden als den lateralen. Die dabei beob¬ 
achtete Localisation und Richtung der Meniscusabreissungen wird in folgender 
Tabelle dargestellt: 


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884 


Referate. 




Medialer 

Lateraler 



Meniscus: 

Meniscus: 

1. 

Vordere Insertion .. 

39 Fälle 

a 

Fälle 

2. 

Hintere , . 

9 . 

4 


3. 

Kapselinsertion ganz (isolirt). 

20 , 

2 

F 

4. 

„ nach vorne , . 

u . 

0 


5. 

„ nach hinten , . 

4 . 

1 

F 

6. 

In der Substanz der Länge nach .... 

16 , 

1 

* 

7. 

f. .. „ quer. 

10 , 

0 

r 

(Abnorm beweglicher Meniscus ohne Rupturen) 

22 . 

4 

r 


Bemerkenswerth ist die in dieser Zusammenstellung gefundene grosse 
Frequenz isolirter Kapselinsertionsrupturen am medialen Menis¬ 
cus, wie besonders A. E. Bark er sie beschrieben hat. Als event. Anfangs¬ 
stadium zu diesen Schäden wird auf B e n n e t’s Fälle kleiner Zerreissungen mit 
Blutungen in dem stumpfen Meniscusrande ohne Ablösung oder Dislocirung des 
Meniscus hingewiesen. Meniscusverletzungen sind eine Form innerer Distor¬ 
sionen in anfangs im allgemeinen gesunden Kniegelenken, und das in dir ec te 
Trauma hat grosse ätiologische Bedeutung, indem es extreme Rotationen und 
Ab- oder Adductionen in dem mehr oder weniger flectirten Knie hervorruft. 
Sie entstehen jedoch auch durch forcirte active Bewegungen, spec. Extensionen. 
Bei Versuchen, ihre Entstehung zu erklären, muss auf die Verschiebungen der 
Menisken auf den Tibiacondylen auch bei reinen Flexionen und Extensionen 
und auf die partielle Abhängigkeit dieser Lageveränderungen von der Muskel¬ 
wirkung Rücksicht genommen werden. Dass der mediale Meniscus so bedeutend 
öfter beschädigt wird, schreibt der Verfasser mehr mechanischen Verhältnissen 
(ähnlich denen, die bewirken, dass z. B. das mediale Seitenligament bedeutend 
öfter lädirt wird als das laterale) als anatomischen Abnormitäten zu, die an 
den beiden Menisken Vorkommen. Ausser den Symptomen: Anfällen von Schmerz 
mit Feststellen des Gelenks in leichter Beugestellung und Empfindlichkeit geg'en 
Druck in der Gelenkspalte wird der Palpationsbefund in der letzteren discutirt: 
normal palpabler oder abnorm hervortretender Meniscus, Ausfüllung wegen be¬ 
grenzter Kapselanschwellung, abnorme Leere. CotterilTs Symptome: Schmerz 
auf der Stelle der Druckempfindlichkeit bei Versuch passiver Hyperextension 
hält Verfasser für werthvoll. Nicht selten muss man sich mit einer Wahr¬ 
scheinlichkeitsdiagnose begnügen. Die frische Meniscusverletzung wird oft 
für eine nicht localisirbare, innere Distorsion oder Contusion mit Hämarthrose 
oder acut traumatischer Synovitis gehalten. Die inveterirte Meniscusver¬ 
letzung kann verwechselt werden mit freien oder pedunculirten Gelenkköipem, 
partieller Abreissung eines der Lig. cruciata, Hypertrophie einer Synovialfalte, 
traumatischer Hyi^ertrophie von Lappen der Massa adiposa und Synovialis- 
tumoren, z. B. Lipom, in der Nähe der Menisken, polypösen Tumoren auf 
diesen, begrenzter oder diffuser traumatischer Synovitis, Gelenkneurose, genou 
ä reasort, einfacher Quadricepsatrophie (Hoffa). Ist der geringste Anlass vor¬ 
handen, eine f risch e Meniscusverletzung zu vermuthen, so soll man, nachdem 
man durch vorsichtige Manipulationen versucht hat, das Extensionsvermögen 
des Gliedes wiederherzustellen (d. h. den event. dislocirten Meniscus reponirt 


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Referate. 


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hat), das Gelenk durch Gips oder Schienen immobilisiren und 3—4 Wochen 
Bettliegen verordnen. Auf die Weise lässt sich wahrscheinlich die Entstehung 
manch eines inveterirten Meniscusschadens verhindern. Bei dem inveterirten 
Meniscusschaden hat man hauptsächlich zwischen Bandagebehandlung und Ope¬ 
ration zu wählen. Bei letztgenannter erhält man im allgemeinen ein normal 
functionirendes Gelenk, wie die Zahlen des Verfassers beweisen. Die Indi- 
cationen für Exstirpation, die am öftesten zur Anwendung gekommen ist, oder 
Nähen der beschädigten Menisken werden angegeben und zum Schluss eine 
Darstellung der Operationstechnik und Nachbehandlung geliefert. 

Bei der Frage der Prognose betont der Verfasser, wie ein inveterirter 
Meniscusschaden im Kniegelenk höchst bedeutende Functionsstörungen ver¬ 
ursachen und den Anlass zu einer chronischen traumatischen Synovitis mit ihren 
Folgen und möglicherweise Arthritis deformans geben kann. 

In Tabellenform ist eine Casuistik aus der Literatur von 148 vollständig 
beschriebenen operirten Fällen beigefügt. Autoreferat. 

Schiatter, Meniscusluxationen des Kniegelenks. Beitr. z. klin. Chir. Bd. 61 H. 2. 

Schiatter bespricht 5 Fälle von Meniscusabreissung, die operativ be¬ 
handelt wurden. Das functioneile Resultat ist gut geworden, so dass alle Pa¬ 
tienten ihrem Beruf nachgehen können, ja zum Theil sogar nebenbei anstrengen¬ 
den Sport treiben wie Bergsteigen, Skilaufen und Turnen. Jedoch sind noch 
nach Jahren bei den einzelnen leichte Störungen zurückgeblieben. Im ersten 
Falle kann das Knie nicht ad maximum gebeugt werden, im zweiten Falle 
bleibt keine Störung zurück, nur bei Witterungswechsel tritt leichter Schmerz 
an der Operationsstelle auf. Im dritten Falle ist eine leichte Muskelatrophie 
und Varusstellung mit seitlicher Verschieblichkeit des Unterschenkels zurück¬ 
geblieben und im vierten Falle eine Schwäche im Knie. Beim letzten Falle 
restiren keine Beschwerden. Zander-Berlin. 

Pagenstecher, Die isolirte Zerreissung der Kreuzbänder des Knies. Deutsche 
med. Wochenschr. 1903, Nr. 47. 

Pagenstecher berichtet über einige Fälle von Schlottergelenk des 
Knies, die sich bei der Operation als durch isolirte Zerreissung der Kreuzbänder 
hervorgerufen herausstellten. Die Ligamenta cruciata sind sehr stark und im 
Stande, alle anderen Bänder des Knies zu ersetzen, mithin natürlich auch mehr 
als alle anderen Insulten ausgesetzt. Er schlägt vor, diese Verletzung als 
,innere Distorsion“ zu bezeichnen und sie so in einen Gegensatz zum Derange¬ 
ment interne, der Lossprengung der Menisken, zu bringen. Nach seinen Leichen¬ 
versuchen kommt die Verletzung infolge Rotation, Hyperflexion und Hyper¬ 
extension zu Stande. Als Therapie empfiehlt er nach Ablauf der entzündlichen 
Erscheinungen die Operation. Zander-Berlin. 

Alexander, Ueber traumatische kryptogene septische Infection und trauma¬ 
tische eitrige Gonarthritis. Diss. München 1903. 

Nach einigen einleitenden Bemerkungen über Unfallgesetzgebung und 
Unfall im allgemeinen kommt Verfasser auf den Begriff der traumatischen 
kryptogenen septischen Infection zu sprechen und macht vor allem auf die 


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Referate. 


Schwierigkeit aufmerksam, zu beurtheilen, ob eine solche mit einem Unfall in 
Zusammenhang steht, der gar keine offene Wunde gesetzt hat. Nach seiner 
Ansicht wird durch das Trauma der erforderliche Locus minoris resistentiae ge¬ 
schaffen, der zur Localisation und zum Ausbruch der Krankheit nothwendig ist 
und der dann den Infectionserregem mehr oder weniger alle Bedingungen 
bietet, die ihnen zur Nahrung, Fortpflanzung, Erhaltung und zur Steigerung 
ihrer Virulenz nöthig sind. Eine Disposition zur Infection und eine Disposition 
zur Reaction auf das Trauma dürfen nicht fehlen. Näher auf alle Einzelheiten 
dieser sehr interessanten, fleissigen — sie umfasst 155 Druckseiten — und lesens- 
werthen Arbeit einzugehen, würde den Rahmen eines Referates weit über¬ 
schreiten. Ich kann deshalb nur allen denen, die sich für dieses Thema inter- 
essiren, aufs angelegentlichste diese Abhandlung empfehlen. Im zweiten Theil 
geht dann Alexander zur Besprechung dieser Erkrankung bei den einzelnen 
Organen über, von denen uns ja hauptsächlich die Knochen und Gelenke inter* 
essiren, die auch am häufigsten befallen werden. Die Ursache hierfür glaubt 
Alexander in ihrer Lage suchen zu müssen; in zweiter Linie sind sie am 
meisten allen Schädlichkeiten ausgesetzt, und als dritten, aber wichtigsten Grund 
führt er die Disposition durch ihre histologisch-anatomische BeschafiTenheit ins 
Feld. Er bespricht dann in ausführlicher Weise die Osteomyelitis, die die erste 
von allen septischen Infectionskrankheiten war, bei der man die Bedeutung des 
Traumas für die Entstehung resp. Auslösung der Infection erkannte. Als leich¬ 
teste Infection sieht er diejenige an, bei der ausschliesslich das Gelenk befallen 
und nie eine secundäre Infection des Knochens beobachtet wird: den Rheumatis¬ 
mus. Alexander fand eine ganze Anzahl ganz unzweifelhafter Falle von 
traumatischem kryptogenem Rheumatismus in der Literatur. Je kürzer die 
Zeit zwischen Trauma und Ausbruch der Krankheit ist, desto eher ist noch ein 
Causalnexus zwischen beiden anzunehmen. Die übrigen infectiösen Gelenk¬ 
erkrankungen, die ein Trauma auslösen können, bleiben nach des Verfassers Be¬ 
obachtungen nicht auf die Gelenke allein beschränkt. Der Knochen wird mit 
hineingezogen und hierbei kann die primäre Infection der Gelenke so schnell 
auf den Knochen übergehen, dass schon am 2. oder 3. Tage nach dem Traums 
die Gelenkerscheinungen in den Hintergrund getreten sind und das typische 
Bild der Knochenaffection vorliegt. Am meisten wird das Kniegelenk betroffen. 
Verfasser gibt 9 Fälle von primärer traumatischer kryptogenetischer septischer 
Infection des Kniegelenks, die in der Literatur zu finden waren, wieder und 
fügt einen neuen Fall aus der Münchener chirurgischen Klinik hinzu, der zur 
Amputation führte, und in dem sowohl in klinischer wie pathologisch-anatomi¬ 
scher Beziehung die Erscheinungen der primären Gonarthritis in den Vorder¬ 
grund traten. Das üebergreifen der Infection auf die Knochen erfolgte erst 
nach Monaten, ging aber dann schnell vor sich. Das Trauma bestand in einer 
„Verdrehung des Kniegelenks“. Aus dem makroskopischen wie mikroskopischen 
Befund, die genau wiedergegeben sind, geht hervor, dass es in diesem Falle 
nicht wie bei den meisten zusammenhängenden Infectionen des Gelenks und 
Knochens zu einer ausgesprochenen Infection des Knochens, d. h. zu einer 
Ostitis septica kam, sondern in erster Linie zu einer sklerosirenden, proliferi- 
renden Ostitis und Periostitis. — Ein Literaturverzeichniss, das 316 Arbeiten 
enthält, ist der Dissertation beigegeben. Blencke-Magdeburg. 


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Referate. 


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Franke, Eine Absprengungsfractur des unteren vorderen Tibiarandes in fron* 

taler Ebene. Archiv f. klin. Chirurgie Bd. 72 H. 1. 

Verfasser beschreibt den Fall einer Absprengung eines typisch geformten 
Knocbenstückes in frontaler Ebene von der vorderen Fläche des unteren vor¬ 
deren Tibiarandes, die dadurch zu Stande gekommen war, dass der Verletzte 
mit dem linken Fusse auf einer steilen Treppe stolperte, zu fallen drohte und, 
Mjn dieses zu vermeiden, aus ziemlicher Höhe auf den stark dorsal flectirten 
rechten Fuss sprang. Dabei wurde der vordere Abschnitt der Talusrolle in senk¬ 
rechter Richtung gegen die vordere untere Schienbeinkante mit grosser Gewalt 
gepresst, und es kam hierdurch zu einem tiefgehenden Riss des Schienbeins in 
frontaler Ebene. Der Verletzte kam nicht zu Fall, blieb stehen, ohne mit dem 
Fusse nach der einen oder anderen Seite umzuknicken, und es ist hierdurch 
erklärlich, dass weitere Verletzungen nicht aufgetreten sind. Das Röntgenbild, 
das der Arbeit beigefügt ist, gab erst eine genaue Aufklärung der Verletzung. 
Das Bein wurde nur für kurze Zeit im Verbände fixirt und es wurde früh mit 
Beweg^gen und Massage begonnen. Es wurde völlige Gebrauchs^higkeit des 
Fusses erreicht, so dass der Patient dienstfähig zur Truppe entlassen werden 
konnte. B1 e n c k e • Magdeburg. 

Vulpius, Die Behandlung des Klumpfusses. Archiv f. Orthopädie Bd. 1 H. 3. 

V u 1 p i u s hat auf dem internationalen Congress in Madrid ein Referat 
Über die Behandlung des Klumpfusses erstattet. Darnach soll die Behandlung 
des angeborenen Klumpfusses im 2. Lebensmonat beginnen, bei kräftigen 
Kindern etwas früher. 1—2mal täglich wird der Fuss redressirt und für einige 
Stunden mit einer redressirenden Flanellbinde gewickelt. Im 4. Lebensraonat 
vollendet das modellirende Redressement tn einer oder mehreren Sitzungen die 
Correctur; Vulpius hält sich dabei streng an die Loren z’sche Technik. Nur 
wenn dieses Verfahren versagt, wird eine blutige Operation später hinzugefügt. 
(Herabholen des Processus post, des Calcaneus, Exstirpation oder Ausschabung 
des Talus, Keilexcision der Fussknochen, Osteotomia supramalleolaris, Sehnen¬ 
transplantation). ,Ein primärer blutiger Eingriff ist ein Kunstfehler.“ 

Der 2. Theil der Arbeit ist der Behandlung des paralytischen Klump¬ 
fusses gewidmet. Die therapeutischen Aufgaben sind hier: 1. Behandlung der 
Deformität; 2. Behandlung der Lähmung. Ist die Deformität fixirt, so 
genügt zu ihrer Beseitigung meist das modellirende Redressement eventuell 
unter Hinzufügung der Tenotomie. Recidive bekämpft man am besten durch 
Sehnentransplantation. Diese Operation bewirkt 1. ein Festhalten des Fusses 
in günstiger Mittelstellung (tendinöse Fixation) und 2. wird dem Fuss die Mög¬ 
lichkeit activer Beweglichkeit wiedergegeben. Sind alle zur Bewegung des 
Gelenkes dienenden Muskeln gelähmt, so räth Vulpius zur Arthrodese mit 
Sehnenverkürzung. Die Anwendung der Schienenhülsenapparate beschränkt Vul¬ 
pius auf diejenigen Fälle, in denen eine operative Hilfe aus irgend welchen 
Gründen nicht möglich ist. Pfeiffer-Berlin. 

Froelich, Resultats eloignes des greffes tendineuses pour pieds-bots paralytiques. 

Annales de Chirurgie et d’orthopedie 1903, Nr. 12. 

Froelich verlangt, dass man bei Ausführung der Sehnenplastik die 
Fälle sorgfältig auswählen und eine Indication zur Operation nur in den Fällen 


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Referate. 


als vorliegend anselien solle, in denen drei der folgenden Muskeln erhalten sind; 
Musculus extensor digitorum pedis longus, extensor ballucis longus, tibialis an¬ 
terior oder posterior, triceps surae, peronaeus longus und peronaeus brevis. 

Er nimmt die Operation sowohl für den paralytischen Pes vanis als val- 
gus mehrzeitig vor, indem er zuerst den Fuss redressirt und die Plastik einige 
Tage oder Wochen später anschliesst. Er verlängert die Achillessehne ver¬ 
mittelst einer hinteren Längsincision und verkürzt den Musculus extensor digi¬ 
torum longus und fixirt so den Fuss in der durch das vorangegangene manuelle 
Redressement erhaltenen normalen Stellung. Beim Klumpfuss wird alsdann der 
Extensor hallucis longus und tibialis anterior auf das äussere Bündel des ge¬ 
meinsamen Zehenstreckers verpflanzt. Beim Pes valgus transplantirt er den 
Extensor hallucis longus oder Peronaeus longus auf den Musculus tibialis an¬ 
terior. Der Musculus tibialis posterior scheint nach den vorliegenden Notizen 
keine genügende Berücksichtigung zu finden. 

Die Immobilisation geschieht für 3—4 Wochen. Nachbehandlung mittelst 
Electricität. Orthopädischer Stiefel für 1—2 Jahre. 

Froelich hebt hervor, dass auch bei Einschränkung der Indication zur Ope¬ 
ration der Fuss nur in einem Drittel der Fälle wieder seine volle active Bewegungs¬ 
fähigkeit erlangt. In etwas weniger als der Hälfte seiner Beobachtungen trat 
eine partielle Wiederherstellung der Function ein, in einem Viertel wurde durch 
die Operation keine Beweglichkeit erzielt. Kiewe-Berlin. 

Kirmisson, Deviations des pieds en varus, avec chevauchement des orteils 

et ulcerations trophiques, consecutives ä un traumatisme ancien du rha- 

chis. Revue d’orthopedie 1903, Nr. 6. 

Kirmisson beschreibt einen interessanten Fall von doppelseitiger Fuss- 
deformität, die sich bei einer 54jährigen Frau im Anschluss an ein vor 17 Jahren 
erlittenes Trauma der Wirbelsäule entwickelt hatte. Bei dieser Patientin, die 
aus bedeutender Höhe auf ein Eisengitter gefallen war, trat erst in den näch¬ 
sten Tagen nach dem Unfall allmählich eine fast völlige Paraplegie der Beine 
mit totaler Anästhesie ein; Stuhl und Urin waren angehalten. Erst nach Ab¬ 
lauf eines Jahres stellte sich wieder eine geringe Bewegungsfähigkeit ein, die 
sich im Verlaufe weiterer 10 Jahre soweit besserte, dass die Patientin leidlich 
gehen konnte. 4 Jahre lang musste die Patientin katheterisirt werden, später 
trat Incontinentia urini ein, die zur Zeit nur des Nachts bestand. Seit 6 oder 
7 Jahren, also 10 Jahre nach dem Unfälle, traten trophische Störungen, Haut- 
ulcerationen an den Füssen ein, zugleich bildete sich eine doppelseitige Klump- 
fussstellung aus, sowie Deviationen sämmtlicher Zehen, die zum Theil zu com- 
pletten Luxationen führten. Augenblicklich waren keine Sensibilitätsstörungen 
nachweisbar; die Reflexe waren durchgängig gesteigert. In der Sacralregion 
konnte man in der Medianlinie einen knöchernen Vorsprung palpiren, der nicht 
druckempfindlich war. Es hat sich hier um eine Fractur des Os sacrum gehandelt 
mit einem Bluterguss in den Wirbelkanal, der zu einer Compressionsneuritis der 
Nerven der Cauda equina führte. Im Hinblick auf diesen Fall empfiehlt Kir¬ 
misson, bei derartigen Zehendeformitäten nach einer centralen Ursache: Rheu¬ 
matismus, Alkoholismus und Erkrankungen des Centralnervensystems zu forschen, 
da diese Missbildungen in der grossen Mehrzahl der Fälle aus den genannten 


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Referate. 


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Oründen zu Stände kommen, nicht durch den mechanischen Druck ungeeigneter 
Fussbekleidung. Pfeiffer-Berlin. 

H. eitz, Die Exstirpatio tali beim angeborenen und erworbenen Klumpfuss. Diss. 

Leipzig 1903. 

Verfasser bespricht zunächst die unblutigen Verfahren in der Elumpfuss- 
tlierapie, ist aber der Ansicht, dass in gewissen Fällen eine Zuhilfenahme von 
blutigen Operationen nicht zu umgehen ist; sie scheint ihm geboten bei den 
ohne Erfolg unblutig behandelten Fällen, bei allen schweren Klumpfüssen Er¬ 
wachsener und bei Klumpfüssen dritten Grades im jugendlichen Alter. Er führt 
zunächst die Weichtheiloperationen auf, um sich dann eingehender mit den 
M^ethoden zu beschäftigen, die den Knochen direct angreifen. Die meisten von 
diesen — es sind 24, von denen 21 das Skelet des Tarsus betreffen — haben 
nur deshalb Erwähnung gefunden, um ein möglichst vollständiges Bild davon 
zu geben, was schon alles in der Therapie des Pes varus versucht worden ist, 
nicht weil ihnen gegenwärtig noch eine grosse praktische Bedeutung zukommt. 
Eingehender beschäftigt sich Reitz mit der Keilresection und vor allen Dingen 
mit der Exstirpatio tali, Operationen, die die Gefahren des Redressements ver¬ 
meiden und bei weitem nicht eine solch* lange Nachbehandlung erfordern, wie 
jenes. Da besser als alle theoretischen Erwägungen nach des Verfassers Ansicht 
die Resultate deren Berechtigung vertheidigen, berichtet er Über 12 Fälle von 
schwerem Klumpfuss, die von Prof. Kölliker mit Exstirpatio tali behandelt 
wurden. Es handelte sich um neun Patienten, von denen drei an doppelseitigen 
congenitalen, zwei an ein.seitigen congenitalen und vier an einseitigen para¬ 
lytischen Klumpfüssen litten. Von den Operirten waren sieben Kinder im 
Alter von 6—10 Jahren, zwei Erwachsene. Die Exstirpatio allein genügte bei 
drei paralytischen und einem congenitalen Klumpfuss, bei den übrigen mussten 
Hilfsoperationen ausgeführt werden und zwar zweimal Achillotenotomie, zweimal 
Resection eines Keils aus dem Calcaneus, zweimal Resection eines Keils aus dem 
Os cuboideum, einmal Tenotomie der Achillessehne und Resection des Mall, 
ext., einmal Tenotomie der Achillessehne, Durchtrennung der Plantarfascie und 
Resection des Mall. ext. Die Erfolge waren ausserordentlich gute. Von den 
neun Patienten wurden acht völlig geheilt, d. h. sowohl Stellung des Fusses 
als Gehfähigkeit waren bei der Entlassung aus der Behandlung völlig normal. 
Nur einmal war wohl die Fussstellung gut, aber der Gang blieb etwas schwer¬ 
fällig. Unangenehme Zwischenfälle traten während der Operation und Nach¬ 
behandlung nicht ein. Bl encke-Magdeburg. 

v. Friedländer, Beitrag zur operativen Behandlung des Klumpfusses und des 

Plattfusses. Wiener klin. Wochenschr. 1903, Nr. 40. 

V. Friedländer bespricht die operativen Massnahmen zur Behandlung 
des Klumpfusses, von denen er für die besten und am meisten im Gebrauch 
die Talusexstirpation und die Keilexcision aus dem Tarsus hält. Aber auch 
diese corrigiren nicht alle Componenten des Klumpfusses, wie es durch das 
modellirende Redressement nach Loren z zu erzielen ist. Bei einem hartnäckigen 
Fall von Klumpfuss hat Verfasser folgende Operation gemacht, deren Erfolg 
ausgezeichnet war. Er eröffnet von einem bogenförmigen Schnitt aus, der 


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Referate. 


unterhalb des Malleol. ext. von der Achillessehne bis zum prominirenden Theü 
des Taluskopf gelegt wird, das Talocalcaneusgelenk. Unter forcirter Supination 
des Fusses wird das Gelenk immer mehr zum Klaffen gebracht, das TaIo> 
naviculargelenk ebenfalls eröffnet, der Fuss nach oben umgekippt. Mit Meissei 
und scharfem Löffel modellirt man jetzt die Gelenkflächen des Talus und Cal- 
caneus, erstere convex, letztere concav, so dass ein Kugelgelenk mit grossem 
Radius der Krümmungsflächen entsteht, welche die Correction aller Componenten 
des Klumpfusses gestatten bis auf die Adduction des Vorderfusses, die behoben 
wird durch Durchschneidung sämmtlicher Bänder am Chopart’schen Gelenk, 
wodurch dieses breit klafft. 

Der Erfolg war gut, eine Ankylose des Sprunggelenks trat nicht ein, der 
Fuss konnte activ pronirt werden. 

Auch für den Plattfuss, wenn sich eine Knochenoperation nicht umgehen 
lässt, möchte Verfasser eine ähnliche Operation vorschlagen. Eröffnung des 
Sprunggelenks durch denselben Schnitt, Modellirung der Gelenkflächen des 
Talus und Calcaneus in derselben Weise, wodurch die Supination wiederher¬ 
gestellt werden, die Plantarflexion des Calcaneus corrigirt und die Abductiona- 
Stellung des Fusses beseitigt werden kann. Zander-Berlin. 

Pingel, Zur Behandlung des Plattfusses. Diss. Greifswald 1903. 

Von dem Gesichtspunkte ausgehend, dass als primäre Ursache der Ent¬ 
wickelung eines statischen Plattfusses eine Störung im Antagonismus der Pero- 
neal- und Tibialmuskeln anzunehmen ist, dass die Peronei contrahirt und ver¬ 
kürzt, die Tibiales dagegen schlaff und verlängert sind, hält es Pingel für 
unbedingt nothwendig, bei der Behandlung darnach zu streben, auch ohne 
Operation die Tibialmuskeln zu verkürzen und zu kräftigen durch langdauemde 
active Contraction und gleichzeitig ihre Antagonisten, die Peronei zu verlängern, 
bis die gewünschte normale Gleichgewichtslage wieder hergestellt ist. In der 
Greifswalder Klinik bestand deshalb die Behandlung lediglich in activen Con- 
tractionen der Tibialmuskeln, die entweder bei freischwebendem Fusse oder im 
Stehen so ausgeführt wurden, dass der innere Fussrand gehoben wurde, so dass 
die Kranken auf dem äusseren Fussrand allein standen. Bei der Mehrzahl der 
fixirten Füsse war durch einen kräftigen Ruck, meist ohne Narkose eine Re¬ 
dression des Fusses möglich. Wenn nach einstündigen Uebungen der Fuss in 
seine Contractionsstellung zurückkehrte, was bisweilen eintrat, wurde er auf 
8 Tage in supinirter Stellung eingegipst. Nach Abnahme des Verbandes wurden 
die Uebungen fortgesetzt, die nach consequenter längerer Durchführung den 
Erfolg hatten, dass die Beschwerden völlig verschwanden, ohne dass eine Platt- 
fusseinlage nöthig geworden war. Auch selbst bei rhachitischen Plattfüssen 
hörten bei dieser Behandlung alle subjectiven Beschwerden auf, ohne dass eine 
Besserung der Fussform erzielt wurde, auch in den Fällen, bei denen durch ein 
Trauma ein Plattfuss entstanden war. Im ersten Falle bedeutet diese Behand¬ 
lungsmethode eine causale Therapie und beseitigt das Leiden selbst; im anderen 
bekämpft sie die durch das primäre Leiden gesetzten Symptome. In der Greifs¬ 
walder Chirurg. Poliklinik sind in den letzten 5 Jahren gegen 200 Fälle von 
Plattfuss muskulären oder knöchernen Ursprungs durch Correctur des Muskel¬ 
gleichgewichts behandelt worden. Pingel führt dann 13 Krankengeschichten 


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Referate. 


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an von Patienten, die zur NachuntersuchuDg erschienen waren und die ihrem 
Beruf ohne Beschwerden nachgehen konnten. Blencke-Magdeburg. 

Lovett, Fiatfoot in infants and children. Journal of the americ. med. associa- 

tion, 18. April 1903. 

Plattfuss kommt nicht selten bei ganz kleinen oder auch etwas grösseren 
Kindern schon vor, und beruht dann häufig auf rhachitischer Basis. Bei allen 
kräftigen Neugeborenen erscheint die Fusssohle platt, jedoch ist dieses kein 
Plattfuss, sondern die Fusswölbung ist nur durch ein dickeres kindliches Fett¬ 
polster verdeckt. Die Behandlung ist im Wesentlichen dieselbe, wie beim Er¬ 
wachsenen, d. h. der Fuss wird durch Einlagen, oder bei höheren Plattfuss- 
graden durch seitlich das Fussgelenk stützende Stahlapparate in eine richtige 
Lage gebracht und dort erhalten, und zweitens wird auf jede Weise die Mus- 
culatur zu kräftigen gesucht. Die Prognose ist dann für die meisten Fälle 
eine vorzügliche. Ebbinghaus -Berlin. 

Ehrmann, üeber Herpes progenitalis und Schmerzen in der Regio pubica bei 

Plattfuss. Wien. klin. Wochenschr. 1903, Nr. 34. 

Ehr mann erklärt die Schmerzen in der Inguinalgegend und das Vor¬ 
kommen resp. das Recidiviren des Herpes prog. durch die Stellung der Ober¬ 
schenkel — Abductions- und Rotationsstellung im Hüftgelenk — bedingt. Durch 
die Abduction wird das Lig. pubofemorale angespannt und gezerrt und dadurch 
die Schmerzen hervorgerufen, die die Patienten irrthümlicherweise in die Drüsen 
oder in das Genitale verlegen. Bei der Abductionsstellung, besonders aber noch 
bei der Rotation nach innen, wird ausserdem das Lig. spinoso-sacrum gezerrt 
und zwar gerade an der Stelle, wo es den N. pudendus communis kreuzt. 
Durch Druck auf diesen kommt es dann zu neurotrophischen Entzündungen 
der Haut. Zand er-Berlin. 

Lovett, The occurence of painful affections of the feet among trained nurses. 

American medicine Vol. VI, 1, 4. Juli 1903. 

Verfasser untersuchte und beobachtete 500 Krankenpflegerinnen betreffs 
ihrer Füsse. Es ist dieser Beruf naturgemäss ein solcher, in dem wegen des 
anstrengenden Dienstes bei permanentem Stehen und Gehen die höchsten Anfor¬ 
derungen an die Tragfähigkeit der Füsse gestellt werden. Die Untersuchten 
waren alle in einem Lebensalter von 25—35 Jahren und ihre Arbeitszeit betrug 
im Durchschnitt 97« Stunden pro Tag. Die nothwendige Untersuchung der 
FussabdrÜcke wurde nicht in der üblichen Weise vorgenommen, die sich als 
nicht zuverlässlich herausstellte, sondern so, dass Verfasser die zu Untersuchen¬ 
den auf eine Glasplatte treten liess, unter der sich in einiger Entfernung ein 
Spiegel befand, in dem dann die belasteten Fusspartien deutlich sichtbar wurden. 
Die Resultate dieser recht interessanten Untersuchungen Verfassers sind kurz 
diese: 1. Es war nicht mit Sicherheit durch die Untersuchung festzustellen, ob 
die Füsse eines Individuums in Zukunft zu Beschwerden Veranlassung geben 
würden oder nicht. Ein Fuss mit einer gut vertheilten Druckzone war weniger 
dazu prädisponirt, wie einer, der auf „zwei Inseln“ (d. h. auf der Gegend des 
Zehenballens und dem Hacken) aufruhte. Der Grad der Pronation, die Circula- 
tionsverhältnisse, das relative Gewicht der Person und die dorsale Beugbarkeit 


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892 


Referate. 


des Fusses, alles dieses erwies sich als für die Prognose als praktisch bedeutungs¬ 
los. Ein Platte oder stark pronirter Fuss kann ausgezeichnet gebrauchsfähig 
bleiben, während ein anscheinend gut balancirter schmerzhaft werden kann. 
2. Die Beschwerden verursachenden Momente lagen für die Pflegerinnen mehr 
in den allgemeinen Verhältnissen, als in der Formation der Füsse. In vielen 
Fällen folgten sie auf Muskelschwäche verursachende Krankheiten und wurden 
in den meisten Fällen in den ersten 3 Monaten der Thätigkeit und in den ersten 
Frühlingsmonaten beobachtet, wenn die Pflegerinnen während des Winters meist 
an das Haus gefesselt gewesen waren. 3. Weniger im Niederbrechen des Fuss* 
gewölbes, als im Einwärtsrollen des Fusses und in einer Einwärtsverlagerung 
seiner das Körpergewicht tragenden Partien wurde der Grund der Beschwerden 
gefunden. 4. Die Beschwerden wurden entschieden nach principieller Einfüh¬ 
rung eines nach orthopädischen Regeln gefertigten Schuhwerks weniger gesehen, 

Eb binghaus-Berlin. 

Lewon Atbabegian, lieber die Lage der Achillessehne bei verschiedenen 

Fussstellungen und bei Contraction der Wadenmusculatur. Archiv für 

Orthopädie, Mechanotherapie und Unfallchirurgie Bd. 1 Heft 2. 

Lewon Athabegian hat die Fi*age der Lageveränderung des Tuber 
calcanei und der Achillessehne im Ruhezustand, bei passiver Bewegung und 
bei Contraction der Wadenmusculatur an der Hand von Messungen und graphi¬ 
schen Zeichnungen studirt. Die Messungen werden an 22 erwachsenen Männern, 
einem Knaben von 15 und 2 Mädchen von 7—8 Jahren vorgenommen. 

Verfasser gelangte im Wesentlichen zu folgenden Resultaten: 

Die Entfernung des Tuber calcanei von der Prominenz des Malleolus 
medialis ist sowohl bei gestrecktem Knie und Sohlenstand des Fusses, als auch bei 
Erhebung auf die Zehen und Beugung des Knies die gleiche. Wahrscheinlich 
beruht das Gleichbleiben dieser Distanz darauf, dass ein Nachvomgleiten des 
Talus im unteren Sprunggelenke allein oder in beiden Sprunggelenken stattfindet. 

Der senkrechte Abstand des Tuber calcanei von der hinteren Tibiafläche 
ist bei verschiedenen Stellungen des Fusses ein verschiedener: bei Dorsalflexion 
nimmt er ab, bei Plantarflexion zu. Je ausgesprochener die Bewegungen sind, 
desto bedeutender ist das An- oder Abrücken des Tuber an die Tibia. 

Bei Erhebung auf die Zehen (Plantarflexion) rückt die Achillessehne von 
der Tibia nach hinten ab, in der Regel in den höher liegenden Punkten mehr 
(durchschnittlich 12 mm) als in den distal gelegenen Punkten (durchschnitt¬ 
lich 6 mm). 

Wenn man beim Sohlenstande des Fusses das Knie nach vom flectirt, 
so rückt die Achillessehne unten an die Tibiaachse heran, oben entfernt sie sich 
von derselben. 

Die Contour der Achillessehne verläuft im Sinne einer nach vom convexen 
Linie. Ihre Krümmung ist bei gestrecktem Knie und Zehenstand grösser als 
bei gebeugtem Knie und Sohlenstand. Kiewe-Berlin. 

Cnibret, üne methode d’arthrodese tibio-tarsienne. Annales de Chirurgie et 

d’orthopedie 1903, Nr. 12. 

Cnibret wendet zur Erzielung einer guten Ankylosirang des Fussgelenks 
eine besondere Methode der Arthrodese an. Er entfernt den Talus vollständig, 


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Referate. 


893 


frischt den Calcaneus an der lateralen und medialen Fläche an und versieht ihn 
auf dieser mit einer Rinne, in die sich die Malleolen hineinlegen sollen. Das 
Fersenbein wird alsdann mit den beiden Malleolen in innige Berührung ge¬ 
bracht, eine Nagelung oder Knochennaht ist nicht nöthig. Hautnaht. Immo¬ 
bilisation für IV* oder 2 Monate. 

Cnibret hat das Verfahren in 3 Fällen von ballottirendem paralytischen 
Klumpfuss angewandt, von denen der eine noch zu frisch ist, um berücksichtigt 
zu werden. Die beiden andern, die 3 Jahre resp. 14 Monate zurückliegen, 
haben ein ausserordentlich gutes Resultat gegeben: Die Stellung des Fusses 
ist günstig, der Gang mühelos, ohne orthopädischen Apparat. 

K i e w e - Berlin. 

Taylor, The foot in gymnastics. The american physical education review 
1903, Nr. 4. 

Taylor erklärt im Hinblick auf die altgriechischen Denkmäler classi- 
scher Bildhauerkunst und auf die Gewohnheiten uncultivirter Völker das Aus¬ 
wärtsgehen als unschön, unnatürlich und schädlich. Richtig sei es, mit gerade 
nach vorn gerichteter Fussachse zu gehen, schon deshalb, weil in dieser Stel¬ 
lung der Fuss am leistungsfähigsten sei. In diesem Sinne müssten unsere gym¬ 
nastischen Uebungen und vor allem die schädliche militärische Stellung und 
der Parademarsch modificirt werden. Eine natürliche Forderung sei zweck¬ 
mässiges Schuhwerk, vorn breit, hinten schmal mit niedrigen Hacken und ge¬ 
radem Innenrande. Pfeiffer-Berlin. 

Momburg, Die Behandlung der Fussgeschwulst mit künstlicher Stauungs¬ 
hyperämie. Deutsche militär-ärztliche Zeitschrift 1904, 1. 

Momburg glaubt in der künstlichen venösen Stauungshyperämie ein 
Mittel gefunden zu haben, die Dauer der Fussgeschwulst, jenes Leidens, das 
an und für sich so geringfügig, doch eine grosse Anzahl Soldaten oft für lange 
Zeit dienstunfähig zu machen pflegt, abkürzen zu können. Er berichtet über 
überaus günstige Erfolge bei 38 Fällen aus dem Garnisonlazaret Spandau, von 
denen es sich in 16 um Brüche von Mittelfussknochen handelte, in 22 um ein¬ 
fache Fussgeschwülste. Ausserordentlich auffallend war die schnelle schmerz¬ 
stillende Wirkung. Die Behandlungsdauer betrug im Durchschnitt 14,8 Tage, 
während die in früheren Jahren ebendaselbst behandelten Fälle einen Durch¬ 
schnitt von 26,9 Behandlungstagen hatten. Momburg macht am Schlüsse 
seiner Arbeit noch auf ein Symptom aufmerksam, welches für Knochenbruch 
spricht; drückt man bei aufgesetztem Fuss, so dass die Zehen die Unterlage 
berühren, oberhalb des Köpfchens auf den verletzten Mittelfussknochen, so hebt 
sich bei vorliegendem Bruch die Spitze der Zehe von der Unterlage ab. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Röpke, Ueber den Hallux valgus. Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie Bd. 71 
Heft 1—2. 

Röpke gibt eine eingehende Beschreibung der pathologisch• anatomi¬ 
schen Veränderungen des Gelenkes und der Knochen bei Hallux valgus. 
Praktisch wichtig dabei ist die Feststellung einer medianen Abweichung des 
Metatarsus I und eine Rotation der grossen Zehe, oft auch des zugehörigen 


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894 


Referate. 


Metatarsus mit der Plantarfläche nach aussen. Die Correction dieser Deformitäten 
bewirkt am besten das Verfahren von Reverdin, das Riedel mit dem Unter¬ 
schiede verwendet, dass er die Wunde offen lässt. Er entfernt nach einem 
Längsschnitt am Innenrande des Fasses den Schleimbeute], meisselt den promi- 
nirenden Kopftheil in der Längsrichtung ab und resecirt da, wo die Köpfchen¬ 
anschwellung des Metatarsus beginnt, noch einen ausgiebigen Enochenkeil mit 
medialer Basis. Die grosse Zehe lässt sich nun leicht in gerade Stellung 
bringen. In Fällen, in denen das Röntgenbild eine Atrophie des Kopfes zeigte 
wird nur die Keilosteotomie ausgefdhrt. Die Resultate dieses Verfahrens zeigen 
23 Krankengeschichten. Pfeiffer -Berlin. 

Bier, üeber einige Verbesserungen hyperämisirender Apparate. Münch, med, 

Wochenschr. 1904, Nr. 6. 

Bier beschreibt einen Saugapparat zum Hervorrufen activer und pas¬ 
siver Hyperämie, mit dem sich die meisten heilenden Wirkungen erzielen lassen, 
die er der Hyperämie überhaupt zuschreibt. Man kann tuberculöse Gelenke 
behandeln, Gelenkversteifungen aus allen möglichen Ursachen. Die so hervor¬ 
gerufene Hyperämie greift den Allgemeinzustand des Patienten nicht so an wie 
die Heissluftai^parate. Der Apparat besteht aus einem Glasgefäss, in welches 
das kranke Glied hineinkommt und das mit einer kleinen Hand- oder Fussluft- 
pumpe in Verbindung steht. Der Abschluss um die Extremität wird durch 
exact gearbeitete Gummistulpen hervorgerufen. Verdünnt man mittelst der 
Pumpe die Luft im Apparat, so tritt eine starke Hyperämie ein, die man be¬ 
liebig steigern kann. Nach einer halben Minute wird Luft hereingelassen, das 
Blut strömt ab, der Kranke macht im Apparat ausgiebige Bewegungen. Dann 
wird der Lufthahn wieder geschlossen, die Luft abermals verdünnt- Im ganzen 
wendet er den Apparat jedesmal 20—30 Minuten an. Unter Benutzung der 
Differenz zwischen äusserem Luftdruck und dem im Apparat herrschenden nega¬ 
tiven Druck kann man ausgiebige Bewegungsübungen versteifter Gelenke machen, 
die nach Ansicht des Verfassers wenigstens für Hand- und Fingergelenke die 
bei den üblichen Pendelapparaten übertreffen. 

Verfasser beschreibt alsdann einen Heissluftapparat für Trigeminus¬ 
neuralgien, bei dem die heisse Luft aus dem Schornstein durch ein geschickt 
eingefügtes Hohlkugelgelenk und ein Holzmundstück von dem Kranken auf der 
erkrankten Gesichtspartie herumgeführt werden kann. Die von Frey beschriebene 
Luftdusche, bei der man warme und bis auf —10*^ abgekühlte Luft verwenden 
kann, ist viel complicirter, theurer und in mancher Beziehung unpraktischer. 

Verfasser empfiehlt, bei Trigeminusneuralgie die Heissluftbehandlung 
kräftig anzuwenden, in hartnäckigen Fällen scheue man sich nicht, selbst leichte 
Verbrennung der Haut hervorzurufen. 

Verfasser hat, um den Temperaturunterschied in den verschiedenen 
Theilen der gebräuchlichen Heissluftapparate auszugleichen, einen Apparat 
construiren lassen, bei dem überall annähernd gleiche Temperatur herrscht, der 
sich aber nicht bewähi-t hat. Bier glaubt dies darauf beziehen zu können, 
dass dabei der kräftige Zug und der schnelle Luftstrom fehlt, der bei den üb¬ 
lichen Apparaten vorhanden ist. Zum Schluss spricht Verfasser noch über 
Hyperämie mittelst der Stauungsbiude. Zand er-Berlin. 


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Referate. 


895 


Luxembourg, üeber Bier’scheStauung. Münch.med. Wochenschr. 1904, Nr. 10. 

Luxembourg berichtet über die in der Barden he uer’schen Klinik 
erreichten Resultate mit Bier’scher Stauung. Angewendet wurde zumeist die 
mittelst einer einfachen Gummibinde erzeugte renöse (passive) Stauungshyper¬ 
ämie und zwar vorzugsweise bei Gelenkerkrankungen. Besonders günstige Er¬ 
folge wurden bei frischen und alten tuberculösen Gelenkentzündungen erzielt, 
ebenso konnte in mehreren Fällen von acuten und chronischen gonorrhoischen 
Gelenkentzündungen Heilung mit vollständiger Wiederherstellung der Function 
erreicht werden, hier allerdings zumeist durch Combination mit Heissluftbehand¬ 
lung und Massage. Auch bei anderweitigen chronischen Gelenkversteifungen, 
sowie zur Resorption von Weichtheil- und Gelenkergüssen erwies sich die 
Methode als sehr zweckdienlich. Besonders hervorgehoben wird die schmerz¬ 
stillende Wirkung der Stauung. Pfeiffer-Berlin. 

Kouindjy, De Textension et de son application dans le traitement des mala- 
dies nerveuses. Archives de neurologie 1902, Nr. 73—74. 

Kouindjy hat bei verschiedenen Krankheiten des Nervensystems mit 
Erfolg die Extension auf der schiefen Ebene oder in einem von ihm construirten 
Extensionsstuhl angewendet. Besonders bei Neurasthenikern erwies sich das 
Verfahren als nützlich. Contraindicirt ist es 1. bei Tabikern mit Circulations- 
störungen, 2. bei Tuberculösen und Eraphysematikern, 3. nach apoplectischen 
und epileptischen Anfällen, 4. bei Anämischen, 5. bei sehr Fetten. Eine ständige 
ärztliche Ueberwachung ist dabei nöthig. Pfeiffer-Berlin. 

Bahr, Bindenzügelgipsverband in der Behandlung von Fracturen und Pseud- 
arthrosen. Arch. f. Orthopäd., Mechanotherapie u. Unfallchirurgie Bd. 1 H. 2. 
Bähr empfiehlt einen neuen ,Bindenzügelgipsverband“, den er bei un¬ 
genügend consolidirenden Fracturen und Pseudarthrosen in mehreren Fällen 
mit gutem Erfolge angewandt hat. Nachdem die Verkürzung durch Längs¬ 
extension ausgeglichen ist, und man sich über die genaue Stellung der Bruch¬ 
enden orientirt hat, werden um dieselben entsprechende Mullbindenstücke derart 
gelegt, dass sie an der äussersten Stelle dieser Bruchstücke anliegen, und so die 
Fragmente an einander gezogen. Die Gipsbinden werden in der Gegend der 
Bruchstelle um die herausragenden Bindenzügel in geeigneter Form angelegt. 
Das Anziehen der Zügel beim Verband genügt meistens, um die Enden zu¬ 
sammenzubringen. Meist waren in dem Verbände nur 2—3 Wochen zur Er¬ 
zielung der Consolidation nothwendig. 

Da die Bindenzügel nur an einer kleinen Stelle des Umfanges wirken, 
so ist eine periphere Gangrän oder ischämische Contractur kaum zu befürchten. 
Immerhin ist eine sorgfältige Beobachtung der Patienten nothwendig, da in 
2 Fällen der Verband zu Decubitus Veranlassung gab. 

Bei Brüchen des Unterschenkels, in denen das eine Fragment nach dem 
Spatium interosseum zu gelagert ist, kann man die Bindenzügel nicht in zweck¬ 
mässiger Weise anlegen. Mit Vortheil dürfte der Bindenzügelgipsverband bei 
frischen Fracturen angewandt werden, in denen lang zugespitzte Bruchstücke 
eine gute Adaptation derselben ohne weiteres nicht erwarten lassen. 

Kiewe - Berlin. 


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89G 


Referate. 


Becker, Grundregeln für die Anfertigung von Bauchbinden. Die Kranken¬ 
pflege Bd. 2 H. 6. 

Becker empfiehlt als zweckentsprechend und billig die von ihm angegebene 
Bauchbinde, die jede Corsetnähterin nach den der Arbeit beiliegenden Schnitten 
leicht anfertigen kann. Sie besteht aus einer Combination von Corset und 
Bauchbinde, enthält keine Stahlstangen, sondern nur Fischbein und wird hinten 
zugeschnürt; die ganze Vorderseite besteht aus einem Stück. Die Binde wird 
in der Weise angelegt, dass die Schnürung gelockert und nun die Binde über 
Kopf, Hals und Brust nach abwärts gezogen wird. Ein Hochrutachen der Binde 
wird durch ein 4—5 cm breites Gummiband verhindert, welches sich von der 
Gegend des Darmbeinstachels bis zur Schossfuge ausspannt und dadurch einen 
unbedingt festen Anschluss gewährleistet. Als Material benützt Becker Satin- 
drell. Pfeiffer- Berlin. 

Ritsch 1, Zur Technik der Etappenverbände. Arch. f. Orthopädie Bd. 1 Heft 2. 

Ritschl beschreibt eine technische Verbesserung des Wolff‘sehen 
Etappenverbandes zur Correctur des Genu valgum. Die nöthigen Ausschnitte 
zu beiden Seiten des Knies werden gleich nach der Anlegung angebracht, da¬ 
gegen wird die Correctur erst nach vollkommener Erhärtung des Verbandes, 
die der Patient im Bett abzuwarten hat, vorgenommen. In den bei der Cor- 
rection klaffenden Spalt werden Holzstückchen geklemmt, die man mit Celluloid¬ 
acetonbrei festkleben kann. Nach dem Hartwerden des Verbandes sollen die 
Patienten möglichst fleissig herumgehen. Die Kniee kann man durch seitliche, 
mit starker Schnur und Celluloidbrei befestigte Charniere beweglich machen. 

Rauenbusch* Berlin. 

Marcus, Besserung von Unfallfolgen durch Gewöhnung. Monatsschr. f. Un¬ 
fallheilkunde 1904, Bd. 1. 

Verfasser hatte Gelegenheit, bei einem 18jährigen jungen Manne, der 
wegen einer Contractur des rechten Handgelenks nach Unterarmbruch in seiner 
Behandlung war, zu sehen, was dieser trotz einer erheblichen Hüftgelenksdefor¬ 
mität zu leisten iin Stande war. Derselbe hatte in seiner Kindheit eine rechts¬ 
seitige Coxitis durchgemacht, die 7 Jahre lang „geeitert“ hatte. Die Wirbel¬ 
säule war auf der Grenze zwischen Brust- und Lendentheil scharf abgeknickt, 
derart, dass die Lendenwirbelsäule fast rechtwinklig zur Brustwirbelsäule, die 
eine linksconvexe seitliche Verbiegung zeigte, stand. Dementsprechend standen 
beide Beckenschaufeln fast vollkommen horizontal. Der linke Fuss wird ganz 
auf den Boden aufgesetzt. Dabei bilden Ober- und Unterschenkel im Knie¬ 
gelenk einen nach hinten offenen Winkel von 135®. Rechts berühren die Ca- 
pitula der Metatarsalknochen den Boden. Der Fuss mit Ausnahme der Zehen 
bildet mit dem Unterschenkel eine gerade Linie. Ober- und Unterschenkel 
bilden im Kniegelenk einen nach hinten und aussen offenen Winkel von löö'’. 
Das Hüftgelenk ist absolut ankylotisch. Der Trochanter steht 3 cm über der 
Linie ganz nach hinten. Das rechte Bein ist 7 cm kürzer. Trotz dieser hoch¬ 
gradigen Deformität und der Functionsstörung hat der Patient alle landwirth- 
schaftlichen Arbeiten verrichtet wie andere gesunde Knechte seines Alters. Pa¬ 
tient trug keinen Stützapparat, ja nicht einmal eine erhöhte Sohle, sondern 


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Referate. 


897 


beiderseits die gleichen langschäftigen Schuhe. Er war den ganzen Tag auf 
den Beinen, gebrauchte nie einen Stock, ja er war sogar im Stande, schnell 
zu laufen. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Wittek, Zur Technik der Röntgenphotographie. Fortschritte auf dem Gebiet 
der Röntgenstrahlen Bd. 7 H. 1. 

Wittek hat durch Zufall ein Verfahren gefunden, das bei kurzer Be¬ 
lichtungszeit gute Aufnahmen eines Theiles der Lendenwirbelsäule ermöglicht. 
Er blähte den Magen eines an einem Abdominaltumor leidenden Patienten mit 
Luft auf, um seine Beziehungen zu dem Tumor festzustellen. Das in diesem 
Zustande in Rückenlage aufgenommene Röntgenbild zeigte trotz kurzer Expo¬ 
sitionszeit detaillirte Structurbilder der Wirbelsäule, soweit sie von dem mit 
Luft gefüllten Magen überlagert war. Pfeiffer-Berlin. 

Jan kau, Taschenbuch für Chirurgen und Orthopäden. München, Seitz und 
Schauer, 1904. 

Das Jankau’sche Specialtaschenbuch für Chirurgen und Orthopäden ent¬ 
hält in knapper Form die Beantwortung vieler Fragen, die an den Praktiker 
in Ausübung seines Berufes herantreten. Man findet darin die Harnunter¬ 
suchungsmethoden, Daten der Arzneiverordnungslehre und Nahrungsmittelchemie, 
wichtige anatomische und physiologische Angaben und einen statistisch-klini¬ 
schen und therapeutischen Theil. Wichtig ist der kurze Abschnitt über Pflichten 
und Rechte des Civilarztes und über die Gebührenordnungen. Den Schluss 
bildet ein Personalienverzeichniss, das durch Mitarbeit der Specialärzte in spä- 
.teren Auflagen hoffentlich noch ergänzt werden wird. Pfeiffer-Berlin. 


Zeitschrift für orthopildische Chirurgie. XII. Bd. 


58 


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Autorenregister. 

Die Orlginalarbeiten sind mit einem * Tersehen. 


A. 

Abadie 852. 
Ackermann 883. 
Alexander 887. 
Amberger 559. 
Amrein 516. 
Armann 566. 
Amd 862. 
Amsperger 564. 
Aronheim 875. 
Athanassow 865. 


B. 

Babonneix 831. 

Bacqu^ 542. 

Bade 252*. 543. 798. 
Bähr 896. 

Bardenheuer 107*. 

Barg 549. 

Bayer 514. 848. 

Bayon 512. 

Becher 861. 

Becker 544. 897. 

Bender 865. 

Bering 511. 

Bernhardt 840. 

Bernstein 855. 

Bettmann 549. 

Bezan9on 559. 

Bier 505. 895. 

Blanchard 563. 

Blencke 380*. 632*. 

Blum 849. 

Blumenthal 181*. 

Boguaat 520. 
Bois-Reymond, R. du 820. 
Borchard 527. 872. 
Börner 513. 

Borris 558. 

Bovin 888. 
ßi-asch 841. 845. 


Brauckmann 511. 
Brehmer 548. 
Broca 546. 566. 
Brodnitz 168*. 
Brünier 516. 
Brüning 836. 
Brunn, v. 562. 
Bi-una, V. 873. 
Büdinger 821. 
Bum 825. 


C. 

Calot 833. 868. 871. 
Calve 557. 

Cinnston 537. 
Clement 857. 

Cnibret 894. 

Cnopf 851*. 
Codivilla 91*. 221*. 
Cohn 868. 872. 


D. 

Daeschler 539. 

Damianos 561. 850. 

Davis 870. 

Deilmann 837. 

Delanglade 880. 

Delcourt 830. 

Dencker 851. 

Dencks 507. 
Derscheid-Delcourt 555. 
Deutschländer 529. 
Dollinger 509. 538. 
Donck, van der 558. 
Drehmann 845. 
Ducroquet 547. 557. 559. 
869. 

Dugge 534. 


Eckel 521. 
Eden, van 575. 
Ehrmann 892. 
Eichhorn 842. 
Eicker 849. 
Eissendeck 510. 
Engels 461*. 


F. 

Finck 706*. 

Flatau 866. 

Franke 888. 

Friedländer 840. 
Friedländer, v. 568, 891. 
Fritz 842. 

Froelich 80*. 553. 864. 
889. 

Frommholz 567. 
Fuchsberger 518. 


G. 

Gangolphe 877. 

Gaudier 832. 

Gen4vrier 833. 

Gericke 829. 

Gerlach 876. 

German 839. 

Gerson 453*. 456*. 458*. 
835 

Ghillini 408*. 

Giburg 557. 

Goldthwait 541. 551. 
Gondesen 856. 

Grahl 519. 

Gross 519. 547. 
Grünbaum 834. 
Grunmach 572. 
Guillaume-Louis 557. 


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Autorenregister. 


899 


Guinon 834. 
Guri 525. 
Guyot 869. 


H. 

Haberer 517. 

Habs 506. 

Haenisch 527. 

Haglund 821. 

Hähnle 828. 

Haim 517. 

Hasebroek 618*. 
Hechinger 837. 

Heineke 857. 

Heinrich 571. 

Helbing 216*. 

Hempel 829. 853. 
Henneberg 512. 

Herhold 571. 

Hess 521. 

Heusner 159*. 171*. 569. 
570. 

Hibbs 565. 

Hirsch 195*. 

Hoffa 542. 825. 831. 863. 
882. 

Hoffmann 582. 

Hoffmeyer 563. 

Hofmann 569. 

Hofmeister 878. 

Honseil 558. 

Hopkins 507. 

Horvath 694*. 

Hovorka, v. 393*. 820. 
Hugelshofer 544. 
Hussmann 572. 


1 . 

Infroit 552. 


J. 

Jacob 826. 

Jankan 898. 

Jawin 864. 

Jezierski 840. 
Joachimsthal 52*. 826.858. 
Joppich 855. 

Jordan 509. 

Joure 550. 

Judet 559. 

Julliard 874. 


K. 

Kachel 525. 

Kappen 535. 

Kedzior 550. 

Kirmisson 553. 881. 889. 
Kisch 881. 

Klein 573. 

Koblenzer 534. 
Köddermann 584. 
Kofmann 537. 820. 
Köhler .526. 

Kölliker 507. 

König 870. 

Konindjy 896. 

Kramer 515. 

Krogius 876. 

Kutz 520. 


L. 

Lange 16*. 

Langemak 835. 
Lauenstein 568. 
Leonhard 522. 

Lewon Athabegion 893. 
Leyden, v. 572. 

Lieblein 574. r / 
Lipffert 874. ^ ^ 

Lorenz 850. 

Lovett 555. 862. 892. 
Lubinus 399*. 

Ludloff 524. 
Luxembourg 896. 


M. 

Maeckel 837. 

Maier 530. 

Manasse 847. 

Marcus 897. 

Marcuse 864. 

Martin 840. 

Matsuoko 827. 

Mauclaire 552. 

Mayer 176*. 

May et 5.50. 

Melhorn 857. 

Menci^re 525. 555. 826. 

832. 834. 853. 
Merzweiler 556. 
Michelsohn 424*. 445*. 
Milo 389*. 

Moeller 827. 

Momburg 894. 

Morestin 516. 


Mouchet 552. 857. 
Müller 549. 846. 848. 


K. 

Neumann 541. 
Neurath 508. 
Nicklas 518. 
Nicoladoni 860. 
Nobecourt 831. 
Noethe 529. 


0 . 

Oertgen 513. 
Oppenheimer 533. 
Orhan Abdi 866. 


P. 

Pagenstecher 886. 
Pallard 548. 
Pantaloni 571. 
Peraire 567. 

Pemet 533. 

Perrin 571. 
Piechaud 532. 
Pingel 891. 
Plumeyer 846. 

Port 354*. 
Praetorius 531. 
Preindlsberger 504. 
Prölss 854. 


R. 

Ranzi 866. 

Raymond 543. 

Redard 542. 

Reichard 567. 844. 
Reichel 512. 

Reiner 291*. 297*. 306*. 

562. 867. 

Reitz 890. 

Ritschl 588. 574. 828. 897. 
Röpke 895. 

Rosenberg 561. 
Rosenhaupt 560. 
Rothschild 516. 

Rudolph 506. 

Rumpf 839. 


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900 


Autorenregister. 


S. 

Sachtleben 520. 
Schablowski 523. 

Schanz 45*. 99*. 528. 859. 
SchefFler 570. 

Scheidl 827. 

Schemel 828. 

Schiatter 564. 886. 

Schlee 610. 

Schmidt 315*. 537. *577. 

830. 854. 

Schmieden 831. 

Scholder 863. 

Schultze 163*. 522. 560. 
Schwarz 585*. 
Schweinsburg 504. 

Selter 568. 

Sievers 875. 

Silberstein 508. 

Slomann 552. 

Sperling 508. 

Spitzy 777*. 

Staffel 539. 

Stein 573. 

Stüber 836. 

Sudeck 572. 

Suter 844. 

Swoboda 515. 


T. 

Tavlor 5Ö8. 514. 556. 563. 
894. 

Thevenot 881. 

Tilanus 869. 

Tillmanns 545. 

Tittel 836. 

Toubert 545. 

Touchard 559. 


ü. 

Ulbrich 826. 
Umbreit 552. 


Y. 

Veras .543. 

Viemstein 834. 

Vieweger 854. 

Vogel 416*. 421*. 867. 
Voltz 801*. 

Vordermeyer 5.30. 

Vulpius 1*. 528. 538. 542. 

888 . 


W. 

Walter 553. 

Weber 547. 

Weissenstein 541. 

Weisz 814*. 

Wendel 514. 
Wendenburg 838. 
Whitman 510. 526. 529. 
562. 

Wieting 858. 

Wittek 898. 

Wittkower 517. 
Wobrizek 574. 

WolflP 565. 

Wolffheim 532. 


Z. 

Zabludowski 535. 
Zahrt 850. 

Zeidler 531. 
Ziegelroth 504. 
Ziegner 518. 
Ziehen 847. 
Zoeppritz 540. 


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Sachregister. 

Die Originalarbeiten sind mit einem versehen. 


A. 

Achillessehne (Lewon A thabegion) 
893. 

Achillessebnenverkürzung (Hibbs) 565. 
Akromegalie (Grahl) 519. 

— (Stüber) 836. 

Arthritis deform ans (Viernstein) 834. 

— gonorrhoica (Grünbaum) 834. 
Arthrodese (Cnibret) 894. 

— (M e n c i 6 r e) 834. 

— (Vulpius) 538. 

Arthropathie bei Tabes (Blencke) 

632*. 

B. 

Bauchbinde (Becker) 897. 
Beckenfixation (Bade) 798*. 
Belastungsdeformitäten (Joachims¬ 
thal) 826. 

— (Schanz) 859. 

Beschäftigungsneurosen (K ö p p e n) 535. 
Be wegung8therapie(F riedländer) 840. 
Bleigicht (Haenisch) 527. 

Brisement force (Staffel) 539. 

C. 

Chondrodystrophie (Swoboda) 515. 
Chondrom (Langemak) 835. 
Claviculadefect ((iross) 519. 
Contracturen (Schmidt) 577*. 

— des Schultergelenks (Ritsch 1) 538. 
Corrector (Wobrizek) 574. 

Corset (Bade) 2-52*. 

— (Becker) 544. 

Coxa vara (Borchard) 872. 

-(Codivilla) 91*. 

-(Cohn) 872. 

-(van der Donck) 558. 

— — (Froelich) 80*. 

-(Reiner) 297*. 

-(Schanz) 99*. 

Coxitis (Calot) 871. 

— (Calve und Guillaume-Louis) 
557. 


— (Ducroquet) 557. 

— (Gibney) 557. 

— (König) 870. 

— (Lovett) 555. 

— (Merzweiler) 556. 

— (Taylor) 556. 

— bei Luxation (Derscheid-Del- 
court) 555. 

D. 

Daumenverdoppelung (M o r e s t i n) 516. 
Derangement interne (Ackermann) 
883. 

Dicephalus (Nickles) 518. 
Dupuytren’sche Contractur (Daesch¬ 
ier) 539. 

Dystrophia musculorum progr. (Brasch) 
841. 

E. 

Elephantiasis (Tittel) 836. 
Ellenbogengelenksdeformitäten (L o- 
r e n z) 850. 

Enchondrom (Kutz) 520. 
Epiphyseolyse (Reiner) 291*. 562. 
Etappenverbände (Ritsch 1) 828. 897. 
Exostosen (Kramer) 515. 

Extension (Konindjy) 896. 

F. 

Fdcialiskrampf (Gericke) 829. 
Femurdefect (Sievers) 875. 
Fetteraboiie (Preindlsberger) 504. 
Fibuladefect (Haim) 517. 
Flughautbildung (Zahrt) 850. 
Fracturen (Bardenheuer) 107*. 

— (Hähnle) 828. 

— (Matsurka) 827. 

— Behandlung (Scheidt) 827. 

— Massagebehandlung (Jordan) 509. 

— Schilddrüsenfütterung (Bayon)512. 

— Gelenk- (Henneberg) 512. 

— intrauterine (Sperling) 508. 

— d. Diaphysen (Ei äsen deck) 510. 
-Fibula (Bering) 511. 


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902 


Sachregister. 


Fracturen d. Humerus und Femur 
(Dollinger) 509. 

-Patella (Branckmann) 511.. 

-(Schanz) 528. 

-Schenkelhalses (Wh itm an) 510. 

-Tibia (Franke) 888. 

— — — (Schiatter) 564. 

-Trochanter minor (Julliard) 

874. 

Friedreich’sche Krankheit (Dugge) 534. 
Fuss, normaler und Plattfuss (Engels) 
461. 

Fussdeformitäten (Kirmisson) 889. 
Fussgeschwulst (Momburg) 894. 
Fussgymnastik (Taylor) 894. 
Fussuntersuchungen (Lovett) 892. 

G. 

Ganglien (Maeekel) 837. 
Gehverbände (Ritschl) 574. 
Gelenkcontracturen (Weisz) 814. 
Gelenkentzündung (Schablowski) 
523. 

Gelenkmäuse (Boerner) 513. 

— (0ertgen) .513. 

Gelenktuberculose (Calot) 833. 

— (Gaudier) 832. 

— (Genevrier) 833. 

— (Hoffa) 831. 

— (Menci^re) 832. 
Gelenkverletzungen (Gerson) 835. 
Genu valgum (v. Brunn) 562. 

-(Milo) 389. 

-und varum (Blanchard) 563. 

— varum und valgum (Wallace- 
Blanchard) 879. 

— recurvatum (D e 1 a n g 1 a d e) 880. 
-(Kirmisson) 881. 

-(Kisch) 881. 

Gipsverband (ßähr) 897. 

— (Lieblein) 574. 

Gonarthritis (Alexander) 887. 
Gymnastik (Jacob) 826. 

U. 

Hackenfuss (Scheffler) 570. 

Hallux valgus (Röi)ke) 895. 
Halsrippen (Helbing) 216*. 

— (R a n z i) 866. 

— (Wei SS enstein) 541. 
Hexadactylie (Amrein) 516. 

Hohlfuss (Heusner) 570. 
Hüftgelenksankylose (Borris) 558. 
Hüftluxation (Calot) 868. 

— (Cohn) 868. 

—• (Davis) 870. 

— (D u c r 0 q u e t) 869. 


Hüftluxation (Guyot) 869. 

— (Horvath) 694*. 

— (Reiner) 867. 

— (Tilanus) 869. 

— (Vogel) 867. 

— Behandlung (Kirmisson) 553. 
-(Menci^re) 555. 

-(Schnitze) 163*. 

-(Slomann) 552. 

-(ümbreit) 552. 

-(Walter) 553. 

— Hilfsapparate (Heusner) 159*. 

— Osteotomie bei (Froelicb) 553. 
-— (Mauclaire und Infroit) 

552. 

— pathologische (Ducroquet und 
bezan9on) 559. 

Hydrotherapie (Schweinburg) 504. 
Hygrom (Lipffert) 874. 

Hyperämie (Bier) 505. 895. 
Hyperphalangie (Wittkower) 517, 

1 . 

Ischiadicuslähmung (Hoffmann) 532, 

J. 

Jodoformintoxication (Dencks) 507. 

K. 

Keimanlage, fehlerhafte (Schmidt) 
315*. 

Klumpfuss (Armann) 566. 

— (Broca) 566. 

— (v. Friedländer) 891. 

— (Froelich) 889. 

— (Frommholz) 567. 

— (Ghillini) 408*. 

— (Lauenstein) 568. 

— (Peraire) 567. 

— (Reichard) 567. 

— (Reitz) 890. 

— (V u 1 p i u s) 888. ' 

— (Wolff) 565. 

— Apparate (Heusner) 171*. 

— Redression (Mayer) 176*. 

— und Plattfuss (v. F r i e d 1 ä n d e r) 
568. 

Kluraphand (Blencke) 380*. 

— (Menci^re) 853. 

Kniegelenk, Ankylose (T h 6 v e n o 11 
881. 

— Bänderzerreissung (Pagenstecher) 

886. 

— Contractur (Rosenberg) 561. 

— — (Wh itm an) 562. 

— Entzündung (Gerlach) 876. 


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Sachregister. 


903 


Kniegelenk, Erkrankungen (H o f f a) 

882. 

— Fettgewebe (Hoffa) 883. 

— Meniscualuxation(Schiatter) 886. 

— Meniscusstörung (Bovin) 884. 

— Resection (Hofmeister) 878. 

— Tuberculose (Damianos) 561. 
-(Gangolphe) 877. 

— Verletzungen (Vogel) 416. 
Knochenerkrankungen (Taylor) 514. 

— fötale (Silberstein) 508, 
Knochenhöhlen (Bayer) 514. 
Knochenimplantation (P l u m e y e r) 846. 
Knochenverletzungen (Heinrich) 571. 

— und Gelenkverletzungen (Schemel) 
828. 

Kyphosenapparat (Schlee) 610*. 

L. 

Lähmungen (Bernhardt) 840. 

— (C. und F. Martin) 840. 

Leibbinde (Klein) 573. 

Luxation, congenitale der Schulter 
(Cinnston) 537. 

— des Ellenbogens (Blum) 849. 

— habituelle (Wendel) 514. 

— des Handgelenks (Abadie) 852. 

— der Kniescheibe (Krognis) 876. 
-Schulter (Dollinger) 538. 

— des Semilunerknorpels (S c h u 11 z e) 
560. 

Luxationen, mehrfache (J u d e t und 
Touchard) 559. 

— paralytische, der Hüfte (Mouchet) 
552. 

M. 

Biakrodactylie (Rothschild und 
Brünier) 516. 

[Massage (Bum) 825. 

— (Hoffa) 825. 

— (Ziegelroth) 504. 

Massirbank (Gerson) 456*. 

Meralgie (Rosenhaupt) 560. 
Missbildungen (Fuchsberger) 518. 

— (Ziegner) 518. 
Mobilisirungsapparat (Gerson) 458*. 
Muskelphysiologie (R. du Bois-Rey- 

mond) 820. 

Muskelrupturen (Aron he im) 875. 

— (Eicker) 849. 

Myositis ossificans (Borchard) 527. 

— (Eichhorn) 842. 

— progressiva (Michelsohn) 424*. 

N. 

Narbencontracturen (Rudolph) 506. 
Nervenchirurgie (Oppenheimer) 533. 


Nervendefecte (Pernet) 533. 

Neuritis (German) 839. 

— alcoholica (Vordermeyer) 530. 

0 . 

Operationstisch (Stein) 573. 
Orthopädie (v. Hovorka) 820. 

— (Kofmann) 820. 

Osteoarthritis deformans (v. Bruns) 

873 

-(Köhler) 526. 

Osteoklast (Mo eil er) 827. 

— (Taylor) 508. 

Osteom (Hoffmeyer) 563. 

— (Menci^re) 826. 

— (Taylor) .563. 

Osteomalacie (Eckel) 521. 

— (Hess) 521. 

Osteomyelitis (Gross) 547. 

— (Honsell) 558. 

— (Leonhardt) 522. 

Osteoperiostitis (Lorenz) 831. 
Osteotomie u.Osteoclase (K ö 11 i k e r) 507. 
Osteotomoklasis (Hupkins) 507. 

P. 

Paget’sche Krankheit (Schmieden) 
831. 

Paralysis agitans (Friedländer) 840- 
Peroneuslähmung (Deutschländer) 
529. 

Pes planus (Spitzy) 111 *. 

Plattfuss (Ehrmann) 892. 

— (Engels) 461. 

— (Heusner) 569. 

— (v. Hovorka) 393. 

— (Lovett) 892. 

— (Pingel) 891. 

— (Selter) 568. 

— und Hackenfuss (Hofmann) 569. 
Poliomyelitis (Piechand) 532. 

— (Praetorius) 531. 

— (Wendenburg) 838. 

— (Wolffheim) 532. 

— (Zeidler) 531. 

Polyarthritis (Guri) 525. 

— (Kachel) 525. 

— (Whitman) 526. 

Polydactylie (Hab er er) 517. 
Polyneuritis (Maier) 530. 

— (Rumpf) 839. 

Postdiphtherische Lähmungen (K o b* 
lenzer) 534. 

Pott’sche Krankheit (Toubert) 545. 
Progressive Muskelatrophie (J ez ierski) 
840. 

Pseudarthrose (Reichel) 512. 


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904 


Sachregister. 


Q. 

Quadricepsplastik (Drehmann) 845. 

R. 

Radiographie (Pantalone und Per- 
rin) 571. 

Radiusdefect (Michelsohn) 445. 

Rhachitis (Neurath) 508. 

Rheumatismus (Guinon) 834. 

Riesenwuchs (Brüning) 836. 

— (Voltz) 801*. 

Röntgendermatitis (Hussmann) 572. 

Röntgen Photographie (Wittek) 898. 

Rückenmarkskrankheiten (v. Leyden 
und Grunmach) 572. 

Rückenmarkstumor (Joppich) 855. 

Rückenmarksverletzung (Bernstein) 
855. 

Rückenversteifung (Barg) 549. 

Rückgratsverkrüminung (Gerson) 453. 

— (Redard) 542. 

— (Schwarz) 585*. 

— (Vulpius) 542. 

Runder Rücken (Hasebroek) 613*. 

Runde Schultern (Goldthwait) 541. 

8. 

Sarkom (Deilmann) 837. 

—- (Hechinger) 837. 

Scapulahochstand (Hirsch) 195*. 

— (Manasse) 847. 

— (Neumann) 541. 

Schenkelhalsverbiegung (Joachims¬ 
thal) 52*. 

Schnellender Finger (S ch m i d t) 830.854. 

Schreibkrarapf (Zabludowski) 535. 

Schultergelenksversteifung (Müller) 

848. 

Sehnenluxation (Hempel) 827. 853. 

Sehnennaht (Suter) 844. 

Sehnenplastik (Arnsperger) 564, (Co- 
divlila) 221*, (Fritz) 842, (Lange) 
16*, (Müller) 846, (Noethe) 529, 
(Reichard) 844, (Schanz) 45*, 
(Vulpius) 1 *. 528, (W h i t m a n) 529. I 

Sehnenscheidenhygrom (Zoeppritz) 
540. 

Skoliose (A rnd) 862, (Athanassow) 
865, (Bacque) 542, (Bade) 543, 
(Becher) 861, (Bender) 865, 
(Flatau) 866, (Froelich) 864, | 
(H 0 f f a) 542, (L o v e 11) 862, (M a r- | 
cuse) 864, (Nicoladoni) 860, 
(Port) 354*, (Veras) 543, (Vogel) 
421*. 

— und Kyphose (Lubinus) 393*. 

Spätrhachitis (Delcourt) 830. 

Spina bifida (Sachtleben) 520. 


Spiralbrüche (Bayer) 848. 

Spondylitis (Broca) 546, (Ducroquef) 
546, (Finck) 706*, (Gillette) 546, 
(Heineke) 857, (Hogelshofer) 
544, (Joachimsthal) 858, (Mehl¬ 
horn) 857, (Tillmanns) 545, 
(Wieting) 858, (Wullstein) 723. 

— deformans (Goldthwait) 551. 

— traumatica (Brehmer) 548. 

— typhosa (Pallard) 548. 

Spondylose rhizom^lique (Mayet und 

Joure) 550. 

Spongiosabau (Büdinger) 821. 

— (Haglund) 821. 

Stauung (Habs) 506. 

— (Luxembourg) 896. 
Stemumanomalien (Bogusat) 520. 
Streckverband (van Eden) .575. 
Subluxation des Handgelenks (Cnopf) 

851. 

Supinationsstörung (Blumenthal) 

181*. 

Syringobulbie (ProIss) 854. 
Syringomyelie (Schnitze) 522. 

— (Vieweger) 854. 

T. 

Tabes dorsalis (Köddermann) 534. 
Taschenbuch (Jankan) 898. 

Tenodese (Reiner) 306*. 

Torticollis spastica (Kofmann) 537. 

-(Ziehen) 847. 

Tuberculose des Ellenbogengelenks 
(Damianos) 850. 

1 — Gelenk- (Meneiere) 525. 

— Gelenk- u. Knochen- (Lu dl off) 524. 

— des Handgelenks (Dencker) 851. 

ü. 

ünfallfolgen (Marcus) 898. 
Unterschenkelstümpfe (Amberger) 

559. 

Y. 

Verkrüppelte Kinder (Albrieh) 826. 
Verkürzung d. ExtremitätenfSchm idt) 
573. 

W. 

Wirbelbrüche (Gondesen) 856. 

— (Orhan Abdi) 866. 
Wirbelerkrankung (Brodnitz) 168. 

— (Sudeck) 572. 

Wirbel 8äulenentzündung(K e d z i o r).5.50. 
Wirbelsäule,Osteomyeliti8(W e b e r).547. 

— Verkrümmung (Jawin) 864. 

— Verletzung (Mouchet und Cle¬ 
ment) 857. 

1 — Versteifung (Bettmann) 549. 

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